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LITTERARISCHE ANNALEN

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gesammten Heilkunde.

ln Verbindung

mit mehreren Gelehrten

heraus gegeben

von

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Dr. Justus Friedrich Carl Hecker,

Professor der Heilkunde an der Universität Berlin , Mitgliede der medicinischen Ober- Examinations - Commission, der medicinischen Gesellschaften zu Berlin, Kopenhagen, London, Philadelphia und Zürich, der Wetterauischen Gesellschaft für die gesafnmle Natur- kund e, der Gesellschaften für Natur- und Heilkunde zu Berlin, Bonn und Dresden, so wie der Accademia Pontaniana zu Neapel Mitgliede und Correspondenten,

Dreizehnter Band .

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Mit einer Stein - und einer KupfertafeL

* Berlin,

im Verlage

von Theod. Christ. F r i e d r. E n s 1 i n.

. 1829.

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Name merz eich n ifs

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der Herren Mitarbeiter .

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Dr. v. Amnion in Dresden.

Medicinalrath Dr. Andrea in Magdeburg.

Dr. Behr in Bernburg.

Dr. B riiggemann in Magdeburg.

Professor Dr. Carus in Dresden.

Ilofrath Dr. Clarus in Leipzig.

Dr. Dieffenbach in Berlin.

Cojlegienrath und Professor Dr. Erdmann in Dorpat. Dr. Haindorf in Münster.

Professor Dr. He in rot h in Leipzig.

Dr. Hey fei der in Trier.

Dr. Köhlcx in Dorpat.

Hof- und Medicinalrath Dr. Kreysig in Dresden Professor Dr. Lichtenstädt in Breslau.

Dr. L och e r - Ba Iber in Zürich.

Professor Dr. Marx in Göttingen.

Dr. Monfalcon in Lyon.

Dr. Otto in Kopenhagen.

Dr. Plagge in Burg- Steinfurth.

Dr. G. H. Richter in Königsberg.

Geh. Medicinalrath Dr. Sachse in Ludwigslust.

Dr. Schilling in Dresden.

Dr. Schön in Hamburg.

Dr. v. Schönberg in Neapel.

Dr. Serlo in Crossen.

Dr. E. v. Siehold in Berlin.

Dr. Siel mann in Moskau.

Prof. Spitta in Rostock.

Hofrath Dr. Stark in Jena.

Medicinalrath Dr. Steffen in Stettin.

Geh. Medicinalrath Dr. Vogel in Rostock.

Professor Dr. Wagner in Berlin.

Professor Dr. Wendt in Kopenhagen.

Regimentsarzt Dr. W utzer in Münster.

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S r. W ohlgeboren

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dem Herrn

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Dr. Peter Krukenberg,

Professor der Heilkunde und Hirector des mediciniscl\en Clini curns an der Universität Halle, Mitgliede gelehrter Gesell¬ schaften U. s. w.

widmet

den dreizehnten Band dieser Annalen

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hochachtungsvoll

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der Herausgeher.

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Inhalt des dreizehnten Bandes.

Seite

I. Originalabhandlungen.

1. TJeber die Stellung der Psychologie. Von Dr. C. F.

Burdach . 1

2. Ueber den Gebrauch der kalten Waschungen in den

Masern. Von Dr. Thaer . 19

3. Entwurf zu einer endlichen Theorie der Heilmittellehre

in ihrer Begründung auf die Basis der Humoralpatho¬ logie. Von Dr. L. S. Steinheim . 129

4. Beobachtung einer seltenen Form von syphilitischem

Allgemeinleiden. Von einem praktischen Arzte. . . 178

5. Erfahrungen und Bemerkungen über Dupuytren’s

Operationsmethode, den Mastdarmvorfall zu beseitigen.

Von Dr. v. Ammon. (H ierzu Abbildungen. ) . . 261

6. Zwei Beobachtungen über die Wirkung des Carbo ani- itfalis bei angehender Scirrhosität der linken Brust und

bei offenem Nasenkrebs. Von Dr. Wagner. . . . 359

7. TJeber den angeborenen, theilweisen und gänzlichen *

Mangel der Regenbogenhaut. Von Dr. K. Behr. Mit einer Kupfertafel . 373

8. Die Rothein, als für sich bestehende Krankheit. Von

Dr. Wagner . 420

9. Beobachtungen über den Wasserkrebs. Von einem

praktischen Arzte . 428

II. Kritische Anzeigen.

A. Allgemeine Pathologie.

1. L. H. F ri ed 1 aender, Fundamenta doctrinae patho-

logicae . 10

B. Praktische Heilkunde.

2. G. Barkhausen, Beobachtungen über den Säufer¬

wahnsinn . '...'S 1

3. H. Hoffm ann, Ueber die Natur und Heilung einiger

chronischen Krankheiten . 44

VI

Inhalt des dreizehnten Bandes.

# Seite

4. E. D. Stahl, Ideen zur \nfstellung und Begründung

eines einfachen, allgcmcingültigcn Naturgesetzes. . . 51

O. E. D. Stahl, Entwurf eines naturgeniäfscn Verfah¬ rens, Krankheiten zu heilen. .......... 51

6. V. Collin, Die Untersuchungen der Ilrust zur Er- kenntnifs der Brustkrankheiten. Aus dem Kranz, von

F. J. Bourel. '. . . , .•« 204

7. L. Hünefeld, Die Radcsyge oder das Scandinavische

Syphiloid . . . 211

8. H. 3M. J. Desruelles, Abhandlung über den Keuch¬ husten. A. d. Kranz, von G. von dem Busch. . . 217

9. W. Sachse, Ueher Angina . * . 445

10. Chr. A. B eck er, Der mincrslische Magnetismus und

seine Anwendung in der Heilkunst . 454

11. c. Grötzner, Der Krampf, insbesondere der Wund¬ starrkrampf. . '...... 463

C. C h i r u r g i c.

12. J. F. Dicffenbach, Chirurgische Erfahrungen, be¬ sonders über die Wicdeihcrstellung zerstörter T heile

des menschlichen Körpers, nach neuen Methoden. . . 56

13. A. Sc.yrpa, Neueste chirurgische Schriften. Aus dem

Italienischen von E, T hi eine. Bd. I . . . 61

14. A. Sc arpa, Ueher die Expansion der Knochen und

den Gallus nach Kracturen. Aus dem Lateinischen. . 73

15. \. v. Kern, Abhandlung über die Verletzungen am

Kopfe und die Durchbohrung der Hirnschale. . . ; 232

16. K. Lai lern and, Krankheiten der Harn- und Ge¬ schlechtsorgane. Aus dem Kranz, von A. W. Pestei. 244

17. W. K rim er, Ueher die radicale Heilung der Harn»

rührenverengarungto , und deren Folgen: . 251

18. K. A. W eise, Ueher die Zurückbildung der Scirrhen

und der Polypen, und über die Heilung der Krcbs- gcschwüre . . . 255

10. W. Sprengel ’s Chirurgie. Bd. 1 . . . *287

20. A. Tavernicr, Kurze Abhandlung der chirurgischen

Klinik. A. d. Franz . : .... 208

21. A. C. Hutchison, Praktische Beobachtungen in der

Chirurgie . I . . . 300

22. K. Chr. K. K r ü g e 1 s t c in , Die Kuh.it, die Geschwüre

zu keilen . . . 308

23. T. W. G. Benedict, Beiträge zu den Erfahrungen

über die Rhinoplastik nach der deutschen Methode. . 465

24. A. K. Hessel hach, Die Lehre von den Etngewcide-

b röchen. Erster Thcil. 469

1). Augenheilkunde.

25. M. J. A. Schön, Handbuch der pathologischen Ana¬ tomie des menschlichen Auges . 79

26 3. N. Socliger, l ebersicht der verschiedenen Staar-

auszichungsinethoden . 89

Inhalt des dreizehnten Bandes. Vll

. Seite

27. J. Radius, Scriptores ophthalmologici minores, Yol.II. 352

28. C. Petitpierre, D er Rathgeber für die Erhaltung der

Augen . . . 354

E. II eilmittellehre, Toxicologie und Litte-- ratur der Heilquellen.

29. C. G. C h. Hartl au b und C. F, Trlnks, Reine

Arzneinjittellehre. Bd. I.' . . 94

30. G. Horn, De Yeneno in botulis . 97

31. F. A. v. Amnion, Brunnendiätetik. Zweite Auflage. 99

32. F. L. Kr.eysig, Leber den Gebrauch der natürlichen ( .

und künstlichen Mineralwässer von Karlsbad, Ernbs, Marienbad, Eger, Pyrmont und Spaa. Zweite Auflage. 472

F. Physiologie.

33. C. F. Bur dach, De Foetu humano AdnotationeS

anatomicae. . . . 145

34. |F. Tiedemann, Zu S. Th. v. Sömmerring’s

Jube Ife ier . 145-

35. J. F. Meckel, S. Tb. So emmerringio etc. gra-

tulatur . . .... 145

36. E. v. Ba.fr, Untersuchungen über die Gefafsverbin-

dungen zwischen Mutter und Frucht in den Säuge- thieren. . . . *. . . 146

37. C. G. Carus, Entdeckung eines einfachen, vom Her¬

zen aus beschleunigten Blutkreislaufes in den Larven netzflügelicher Insecten. m

38. G. YVedemeyer, Untersuchungen über dein Kreis¬ lauf des Blutes . . 161

39. E. a B aer, De ovi mammalium et hominis genesi. . 173

G. Staatsarzneikunde.

V (

40. Heyfelder, D er Selbstmord in arzneigerichtlicher

und in medicinisch - polizeilicher Beziehung . 225

41. J. Chr. A. Clarus, Beiträge zur Erkenntnifs und Be-

urtheilung zweifelhafter Seelenzustände . 409

H. VVeiberkr ankheiten und Geburtshülfe.

42. S. Lair, N eue Behandlungsmethode der Geschwüre, Ulcerationen und Anschwellungen des Uterus. A. d.

Franz . 1 . 314

43. R. F. II us si an, Dars tellung der geburtshülflichen

Operationen und ihrer Anzeigen . 322

44. Mad. B oivin, Neue Nachforschungen über die Ent¬

stehung, das Wesen und die Behandlung der Blasen- xnola oder Hydatidenschwangerschaft. A. d. Franz. . 331

45. J. Hatin, laschenbuch der Geburtshülfe. Aus dem

Franz, von C. Fitzlcr . 336

46. U , Das AA ochenbett und seine Krankheiten. . . 338

vni Inhalt des dreizehnten Bandes.

. Sehe

I. Medicinische Statistik.

47. A. Quctelct, Rccherches sur la population , les nnis-

sances-, les dcces, les prisons, les depöts de inendicite dans 1c Uoyaumc des Pays-bas . . 497

K. MedieiniscKc Biographie.

48. Biographische Nachrichten von Chaussicr, Gcorget,

Gorcy und Berard. . . . . . 111

49. B tographie der Aeritc. Aus dem Frans, von A. F.

Brügge mann. . 502

50. Biographische Nachrichten über J. J. Gail. , . . . 504

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L. 51 c d i q i n i s c li e Sammlungen.

51 . Neue Breslauer Sammlungen aus dem Gehietc der

Heilkunde. . . . ;. . 106

,* M. Vermischte Schriften.

52. R. de la I^rade, Discours sur l’union des Sciences

roedicales et leur indrpendanec r^ciprociue . 506

53. H. Sr outetten, Des preju’ges sur la medecine con-

sider^e comme science . 508

54. J. B. Monfalcon, Supplement a la Bibliographie de

l’histoirc mrdicale des marais . 509

N. Neue Ausgaben. ,

55. J. B. M orgagni de sedibus et causis morborum.

Ed. J. Radius. T. IV. . . . ' . . 120

56. B. Hamaizini Opera rncdica. Ed. J. Radius. T. II. 120

O. N o t i * e n.

1. Praktische. 191.437

2. Chirurgische und geburtshülfliche. . . . 339

P. Dissertationen.

1. Der Universität Berlin . .* 120. 367. 511

2. Leipzig . 364

3. r— Breslau . ' . 510

Medicinische Bibliographie

126. 257. 372

I.

Ueber die Stellung der Psychologie.

Von

Dr. Carl Friedrich Burdach,

Künigl. Preufs. Hof- und Medicinal-Rath , und Professor der Anatomie

zu Königsberg.

(Vorgelesen in der Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte im September 1828.)

Dafs die Psychologie, wie sie im achtzehnten Jahrhunderte meist bearbeitet wurde, ihre eigentliche Aufgabe nicht löset, ist in unsern Tagen theils von mehrern Seiten her ausge¬ sprochen, theils stillschweigend anerkannt worden. Die geistreichsten Discourse über die Seele, wie sie vorzüglich bei den Ausländern gewöhnlich waren , sagen dem Geiste der Zeit nicht zu, der eine festere Haltung und bestimmte Principien fordert; und in den streng gegliederten Syste¬ men, wie sie namentlich von Deutschen gegeben wurden, erkennt der freiere Sinn mehr ein Gerippe, welches aus der Seele herauspräparirt werden kann, als die Seele selbst in ihrem eignen Leben. Wie allgemein aber ^uch die Ueberzeugung ist, dafs diese Wissenschaft einer neuen Be¬ handlungsweise bedarf, so wenig ist doch eine Ueberein- XIII. Bd. i. St. - 1

2

I. Stellung der Psychologie.

Stimmung in Betreff ries cinzuschlagenden Weges zu be- merken. Daher sei es einem Freunde der Wissenschaft gestattet, mit einigen Worten die I\ichtung anzudeuten, welche seiner Ueberzeugung nach die angemessenste ist.

Die empirische Psychologie ist ein Zweig der Natur¬ wissenschaft, eben weil sie empirisch ist, die Gesammtheit der empirischen Gegenstände aber unter einem umfassenden Begriffe, dem der Natur, vereint werden mufs. Oft genug setzt man zwar noch jetzt der Natur den Geist gegenüber, allein indem man so den Begriff der Natur auf die Körper- weit beschränkt, begeht man eine W illkiihrlichkeit, welche zur unerschöpflichen Quelle beschränkter Ansichten wird, Dunkel an die Stelle erfreulicher Klarheit setzt, und um die beseeligende Erkenntnis der Einheit alles Seins betrügt. Manche geben sich solcher Ansicht nur darum hin, weil sic, mit überwiegendem Talente Tür Auffassung der Ein- zelnheitcn ausgerüstet, diese Sphäre für ihr eigentliches Element anerkennen; mit eifrigem Sinne fassen sic die Ver¬ schiedenheit der Erscheinungen auf, aber versteinern in deren Anblicke und klagen den, der nach dem gemeinsamen Grunde forscht, einer Vermischung des Fremdartigen an; sie verharren bei der Kunde der Formen, und verschmähen die Erkenntnifs der Wesenheit; die Spaltung der Begriffe gilt ihnen Tür die höchste Betrachtungsweise der Welt, lind indem sie immerfort nur unterscheiden, kommen sie nie zur Anschauung des Umfassenden lind Allgemeinen. Während sie aber unbefangen ihrem Genius folgend, mit für die Einzelheiten geschärftem Blicke die Thatsachen in bestimmten Zügen erkennen und so um die Wissenschaft in ihrer materiellen Grundlage hohes \ erdienst sich erwer¬ ben, verhält es sich ganz anders mit denen, die um eines W7ahnes willen, in dem sie befangen sind, eine absolute Heterogeneität von Natur und Geist behaupten. Diese wol¬ len, dafs die Welt in Verworrenheit und Spaltung erscheine, um mit ihrem Wahne helfen zu können; sie haben ein Grubenlichtchen bereitet, und damit dieses die Gemüther

J. Stellung der Psychologie. 3

erleuchten könne, mufs zuvor das Gestirn des Tages ver¬ finstert werden; einen Wunderbalsam haben sie gekocht, und um mit ihm heilen zu können, müssen sie überreden, dafs die Welt in Zerrissenheit und Siechthum darnieder liege. Ihr Treiben kann nur verderblich sein für Wissen¬ schaft und Leben.

Von verschiedenen Seiten her, und auch vom Gebiete der speculativen Philosophie aus hat man in unserer Zeit die Psychologie als eine Physik der Seele zu behandeln an¬ gefangen, und damit ihren Standpunkt in der Reihe der Naturwissenschaften anerkannt. Wie erfreulich aber diese Anerkennung ist, und wie verdienstlich und erfolgreich auch diese Bemühungen gewesen sind, so konnten sie doch nicht zum Ziele führen, so lange man die Gesetze der See- lenthätigkeiten nur auf die der unorganischen Natur zurück¬ zuführen suchte. Denn unorganisch erscheinen die Dinge nur in sofern, als sie nicht in ihrem völligen Zusammen-r hange mit dem Naturganzen sich darstellen. In ihnen zeigt sich die Natur in den Elementen ihrer Thätigkeit, und wird die Modalität des Vonstattengehens der Erscheinungen offenbar: aber der Geist der Natur offenbart sich nicht in solcher Einzelnheit, sondern in der Verknüpfung des Ele¬ mentaren zu einem Ganzen, und mit dem Vonstattengehen der Erscheinungen ist noch nicht die Idee gegeben, welche ihnen zum Grunde liegt. So w'enig wir die Compositionen eines Malers aus seinen Farbentöpfen erkennen, eben so wenig läfst sich die Wesenheit der Natur in chemischen und mechanischen Gesetzen finden. Nur im Organismus tritt ein abgeschlossenes Ganzes in den Kreis unserer Er¬ fahrung; nur hier verkündet sich die Idee unmittelbar als dasjenige, was die Nalurkräfte bestimmt, verknüpft und ihnen Bedeutung giebt; und nur von hier aus kann auch das Wesen der Seele klar werden.

Die Wissenschaft des Lebens ist es also, in deren Ge¬ biete die Psychologie ihre einzige richtige Stellung findet, und zwar nicht blofs darum, weil die Seele Naturerschei-

4

!. Stellung der Psychologie.

nung ist, noch auch, weil sic blofs an Lebendigem hervor¬ tritt, sondern vornehmlich darum, weil sic durchaus Leben, ja das Leben in seiner reinsten Form und ganzen Tiefe ist.

Herr Prof. Ileinroth hat jüngst (in Uitzig’s Zeit¬ schrift für die Criminalrechtspflege, XV. Stück , S. 101 bis 104) behauptet, »< die Physiologie dürfe sich nicht in das Gebiet der Psychologie drangen; nur das körperliche, nach Naturgesetzen für den Naturzweck der Erhaltung thätige, bewufstlose Leben sei ihr Gegenstand, und das psychische Leben bleibe ihr fremd, denn dieses habe einen moralischen Zweck und moralische Bedeutung, stehe also nicht unter Naturgesetzen, sondern unter dem Gesetze der Freiheit, d. i. der Unabhängigkeit.» Wohl möchte es sowohl er¬ freulicher, als auch erspriefslicher sein, durch die That zu erweisen, dafs die Physiologie die Aufgabe der Psychologie wirklich zu lösen vermag, als über das Recht zu streiten, welches sie dazu hat. Indessen ist jene Behauptung, hin¬ sichtlich der Individualität, von welcher, und des Zweckes, auf welchen sie ausgeht, von der Art, dafs sie nicht unbe¬ antwortet bleiben kann. Denn sie hat zunächst eine prak¬ tische Beziehung, nämlich auf die Competenz der Aerztc im Gebiete der gerichtlichen Psychologie, und es mufs den Criminalistcn in hohem Grade befremden, von dem geist¬ reichsten Lehrer der psychischen Mcdicin selbst zu hören, dafs die Medicin und ihre Grundwissenschaft mit der Psy¬ chologie nichts gemein habe. Hier genüge es aber, das gute Recht der Physiologie nur in sofern zu vertheidigen, als dasselbe schon aus den eignen Behauptungen dessen, der ihr Gebiet auf die Materialität beschränkt wissen will, her- vorleuchtct.

Herr Ileinroth sagt, das psychische Leben sei von dem bewußtlosen Leben ganz verschieden. In dieser Be¬ hauptung ist schon die Anerkennung ausgesprochen , dafs das körperlich Organische und das Psychische bei aller ihrer spccifischen Verschiedenheit, welche zu leugnen, niemandem in den Sinn kommt, in einem generellen Begriffe zusam-

5

I. Stellung der Psychologie.

men treffen , nämlich in dem des Lebens. Wird aber dies zugestanden , so ergiebt sich von selbst, dafs die Lehre vom psychischen Leben eben sowohl als die vom körperlichen nur ein Bruchstück der Wissenschaft des Lebens überhaupt ist. Denn haben wir zwei Arten des Lebens, so müssen wir auch das Gemeinsame derselben, was jede Art zum Leben macht, zu erkennen streben; und wo geschieht dies anders, als in der Physiologie? Sollte diese Wissenschaft noch nicht einen solchen umfassenden Standpunkt erreicht haben, so wäre ihr dieses Ziel anzuweisen, aber nicht das Recht dazu abzusprechen. Allein sie hat in der Ihat ihren Beruf, das gesammte Leben zur Anschauung zu bringen, von jeher erkannt, und selbst dann, wenn sie sich nur als Lehre von den Functionen des menschlichen Körpers an¬ kündigte, sich nie ganz auf Betrachtung des rein Körper¬ lichen beschränkt, sondern immer auch die psychischen Er- scheinungen , wenn auch nur fragmentarisch und anhangs¬ weise behandelt; und sie hatte vollkommen Recht, dafs sic sich zuvörderst im Gebiete der äufsern Thatsachen festzu-

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stellen suchte, um in deren Ergebnissen die Grundlage eines umfassenden Baues zu gewinnen. Auf ihrem gegenwärtigen Standpunkte strebt sie, eine reine Anschauung vom Leben zu erlangen, seine Wesenheit und seinen Zusammenhang mit dem Sein überhaupt aufzufassen, die Bedeutung und die Gesetze seiner mannigfaltigen Aeufserungen zu erfahren, und so die unendliche Naturkraft, wie sie im Endlichen offenbar wifd, zu erkennen. Bei solcher Bestrebung aber wird sie durch keinen Machtspruch gehindert werden, die Psychologie in ihr Gebiet aufzunehmen.

Herr Heinroth erkennt aber nicht blols an, dafs körperlich Organisfches und Psychisches Sphären eines und desselben Lebens sind, sondern er stellt auch Merkmale auf, durch welche beide Sphären im Besondern sich von einander unterscheiden, unter einem allgemeinem Gesichts¬ punkte aber mit einander übereinstimmen. Denn wenn er sagt, das psychische Leben werde durch das Gebot, uns Irci

6

l. Stell iing der Psychologie.

zu erhalten, bestimmt, das körperliche hingegen durch das .Naturgesetz, sich zu erhalten, so erkennt er hiernut in

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jeder dieser beiden Sphären ein Herrschendes, Bestimmen¬ des (Gebot uz Gesetz) an, und eine dadurch bestimmte Beharrlichkeit des Thatigen, oder ein sich selbst Gleich- Lleiben ini Wirken (sich frei erhalten zzz sich lebend er¬ halten). Und so ist es auch wirklich: Selbstbestimmung ist Eigenschaft alles Lebens überhaupt. Das leibliche Leben zeigt als die niedere, äufsere Lebensform diese Selbstbestim¬ mung nur am Aetifsern, in dem Vermögen, sich von frem¬ der Materie nicht schlechthin bestimmen zu lassen, vielmehr sie seinem W esen zu unterwerfen und daraus selbstständig den eigenen Leib zu bilden. Das Ziel dieses Strebens ist möglichste Vollkommenheit, welche darin sich ausspricht, dafs der lypus der Gattung im Individuum vollständig ver¬ wirklicht wird. Dieses Ziel ist aber ein ideales, welchem das Individuum sich nur nähert, ohne es völlig zu errei¬ chen, denn alle Individualität ist schon eine Beschränktheit des Allgemeinen, ein Abfall vom Begriffe, und erreicht diese Besonderheit des Lebens eine solche flöhe, dafs das Individuum im offenbaren Widerspruche mit dem Typus der Gattung steht, so ist die Krankheit und der beginnende Untergang gegeben. ln der Seele wird das Leben ein innerliches, sich selbst offenbares, und auf seiner höchsten Lntwickelungsstufe wird ihm der Typus seiner Gattung, der unendliche Grund seines Seins, das Ideal seines Wir¬ kens in der V ernunft verkündet. Wenn nun das Ich seine Linheit behauptet, d. h. in seiner zeitlichen Erscheinung einig ist mit seiner ew'igen 'Wesenheit, oder in seiner Individualität dem Begriffe der Menschheit entspricht, so erreicht cs die grüfste Höhe der Selbstbestimmung, oder die wahre Freiheit, die im niedern Leben auch nur in nie- dern Formen angedeutet ist; läfst es sieb dagegen durch niedere Momente, welche seiner zeitlichen und individuellen Erscheinungsweise angeboren, bestimmen, so zerfällt es mit sieb selbst, tritt in Widerspruch mit seinem innersten

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i

I. Stellung der Psychologie. 7

Wesen, der Vernunft, giebt also die wahre Selbstbestim¬ mung auf, und wird unfrei. Wenn nun Herr Hein- roth fortfährt: «Das leibliche Leben steht unter dem Gesetze, das psychische hingegen giebt sich sein Gesetz selbst, denn das Gesetz kann nur aus dem Geiste stam¬ men,” so können wir diese Unterscheidung nicht gelten lassen , weil in dem Satze , dafs das psychische Leben sich sein Gesetz selbst gebe, offenbar auf das Individuelle über¬ getragen ist, was nur vom Universellen gilt. Denn das Ich ist ein Individuelles, welches in seinem innersten We¬ sen, der Vernunft, Gesetze vorfindet, die den Charakter unbedingter Noth wendigkeit und Allgemeingültigkeit an sich tragen; das psychische Leben als Individuelles, steht also auch unter dem Gesetze, und verfällt in Wahn, wenn es sich vermifst, selbst Gesetzgeber zu sein. Allerdings stammt das Gesetz nur aus dem Geiste, aber nicht aus dem indi¬ viduellen, sondern aus dem universellen, unbedingten und unendlichen Geiste der Welt. Da nun, wie Herr Hein- roth anerkennt, das leibliche Leben unter dem Gesetze steht, ja nichts denn eine stetige Gesetzeserfüllung ist, so wird in ihm nicht minder , als im psychischen Leben , der Weltgeist offenbar, und da dieser nur ein einiger ist, so müssen auch die Gesetze, in welchen er sich verkündet, im leiblichen wie im psychischen Leben sich gleich sein, folglich mufs die Physiologie, welche di^se Gesetze zu er¬ kennen strebt, auch das Psychische umfassen, ja die Psy¬ chologie kann nur in dieser Verbindung ihre Aufgabe voll¬ ständig lösen.

Ist nun das psychische Leben ein Gegenstand der Phy¬ siologie, so wird es nicht blofs als ein Bestehendes, nach den ihm inwohnenden Kräften und ihren mannigfaltigen Verzweigungen betrachtet, sondern auch als ein ununter¬ brochen Fortschreitendes auf den verschiedenen Stufen sei¬ ner Entwickelung verfolgt werden ; man wird namentlich die verschiedenen Richtungen, welche nach und nach vor¬ waltend in ihm hervortreten, und die wechselnden Verhält-

8

I. Stellung der Psychologie.

nisse seiner Kräfte gegen einander, durch welche es auf jeder Lehensstufe eigentümlich sich gestaltet, auffassen, um die Bedeutung des Einzelnen im Sinne des Ganzen zu erkennen.

Wie endlich die Physiologie ihren Zuwachs an wissen¬ schaftlichem Gehalte vornehmlich der Idee verdankt, dafs das Leben seinem Ursprünge und Wesen nach überall das¬ selbe und einige ist; dafs die verschiedenen Richtungen desselben, welche am menschlichen Organismus in ihrer Gesammtheit, aber in der Zeitfolge nacheinander wirksam werden, im organischen Reiche gleichzeitig, aber vereinzelt auftreten; dafs also die ganze organische Schöpfung in ihrem Zugleichsein sich als eine zur menschlichen Natur aufstre¬ bende Evolution zeigt, und die verschiedenen organischen Wiesen als Repräsentanten einer bestimmten Stufe des menschlichen Lebens erscheinen: so wird auch die Psycho¬ logie durch Verfolgung dieser Idee in ihrer wissenschaft¬ lichen Ausbildung fortschreiten. \\ ir besitzen eine com- parative Anatomie: jetzt gilt es, auch eine comparative Psychologie zu gewinnen; dies ist eine der Aufgaben un¬ seres Zeitalters, und mit freudigen Hoffnungen blicke ich auch in dieser Hinsicht auf die gegenwärtige Versammlung, welche unter den mannigfaltigen Richtungen des Forschungs¬ geistes auch die hier angedeutete in sich schliefst. Man sage nicht, die comparative Psychologie sei unvermögend zu leisten, was die comparative Anatomie geleistet hat, weil das Thierreich alle Organe, aber bei weitem nicht alle See¬ lenkräfte des Menschen aufzuweisen habe. Der Stamm des psychischen Lebens ist überall derselbe, und die qualitative Verschiedenheit ist nur darin enthalten, dafs die Thätigkeit, welche im Thiere blofs auf die Objecte bezogen wird, im Menschen zur Reflexion, und zur Gegensetzung des Indi¬ viduellen gegen das Universelle kommt. Diese Entwicke¬ lung aber, welche die Psyche durch ein scheinbares Uneins¬ werden mit sich selbst im Menschen erreicht, wird nur dann klar, wenn wir den Keim derselben in der Thicrscelc anschaucn; wenn wir erkennen, wie allem Dasein ein Gei-

9

I. Stellang der Psychologie.

stiges zum Grunde liegt, welches die unorganischen Ein¬ zelheiten zum Ganzen verknüpft, im pflanzlichen Lehen durch zweckmäfsiges Bilden sich verkündigt, im Thiere von der Materie sich loswindet, um als freie Thätigkeit zu er¬ scheinen, und endlich im Menschen zur Persönlichkeit wird, wie mit einem Worte das Dasein dadurch sich vergeistigt, dafs sein Grund selbst in die Reihe det Erscheinungen tritt, dafs es von der Vereinzelung der Formen zur Ein¬ heit und Gediegenheit des Urwesens zurückkehrt, und von dem Charakter des Geschöpfes zu schöpferischer Gewalt allmahlig emporstrebt. Findet man die Zusammenstel¬ lung des Menschlichen mit dem Thierischen anstöfsig, so bedenke man, dafs nur die Vergleichung ähnlicher Erschei¬ nungen durch Darstellung des Gemeinsamen und des Unter¬ scheidenden uns zur Erkenntnifs der vollen Wesenheit, d. h. des Allgemeinen und des Besondern an einem Gegen¬ stände führt. Wie vermöchten wir wohl aueh ein Wesen zu erkennen , wenn wir es blofs in seinem vollkommensten und zusammengesetztestem Zustande, und nicht zugleich auch in seinen einfachem, niedrigem Formen betrachteten? Die sorgfältigste Zergliederung des menschlichen Leibes hat immer nur einzeln stehende Kenntnisse gegeben: zn wahr¬ hafter Einsicht und zu wissenschaftlicher Tiefe hat nur die damit verbundene Erforschung der Organisation in der ge- sammten Thierreihe geführt, und wie unendlich immer der Polyp in seiner Organisation vom Menschen verschieden ist, so hat doch die Ansicht derselben zur Aufklärung der Vollendeten Menschengestalt auch das ihrige beigetragen. So mögen wir uns denn nicht zu vornehm dünken, mit der Selbstbeobachtung auch die Beobachtung der Thierseele zu verbinden; denn hier, wie überall, schadet die Vornehm- thuerei sich selbst am meisten, und eine chinesische Mauer in der Wissenschaft ist das sicherste Mittel, Beschränktheit und Einseitigkeit zu nähren, und ein starres, todtes Schein¬ wissen an die Stelle lebendiger Erkenntnifs zu setzen-

IO

II. Allgemeine Pathologie.

Hi

Lud. Herrin. Fried laenderi, M. I). et Prof. Halens., Fundamcnta doctrinae patholo- gicae, sive de corporis anmiiqne morhi rationc atque natura lihri tres, scholarnm causa conscripti. Lips. sunipt. L. Vossii. 1828. 8. XX und 434 S. (2 Thlr.)

Wenn an ein zur Grundlage von Vorlesungen be¬ stimmtes Handbuch die Forderung gestellt werden mufs, dafs die Gesammtheit der darzustellenden Lehre,- so weit sie durch altere und neuere Forschungen gefördert wor¬ den, in ihm hervortrete, dafs hingegen alle unerprobte Neuerungen entweder ganz daraus entfernt bleiben oder nur angedeutet werden, so hat das vorliegende Handbuch der generellen Pathologie iin Wesentlichen seinen Zw'eck erreicht. Denn wenn man auch behaupten kann, dafs die Lehren von der organischen Polarität, von dem Leben des Flüssigen, und besonders des Blutes, und von der Natur der Contagien nicht gehörig hervorgehoben sind, so ist doch unleugbar, dafs die Werke von Hart mann, Kie¬ ls er, Puchelt und G mel in, hesouders aber G. W. Stark ’s pathologische Fragmente, ein wegen seiner Tiefe und Scharfe nicht genug zu lobendes Werk, vielfach, jedoch mit Selbst¬ ständigkeit und Kigenthiimlic hkeit benutzt sind. Als rühm¬ liche Auszeichnung dieses Handbuchs betrachten wir den steten Hinblick auf die Seelcnerscheinungen , welche von vielen pathologischen Schriftstellern zu wenig gewürdigt worden sind, die häufige Anführung von solchen Steilen aus Hippokrates und Galen, welche gleichsam als Ur¬ kunden pathologischer Begriffe und Bezeichnungen anzuse¬ hen sind, und endlich den schönen lateinischen Ausdruck, durch weh heu viele ärztliche Schriftsteller lernen könnten, dafs man zur Bezeichnung ärztlicher Begriffe der neuern

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II. Allgemeine Pathologie.

Zeit keine barbarische Wortbiiduug bedürfe. Es kann hier¬ nach keinem Zweifel unterliegen, dais dieses Handbuch, durch mündliche Vorträge erläutert und ergänzt, Studie¬ renden vielfachen Nutzen zu bringen vermöge.

Die Einleitung, in welcher Celsus als Vorbild durch einzelne wörtlich entlehnte Sätze und durch die ganze Dar¬ stellungsweise erkannt wird, beginnt mit Voraussetzung einer paradiesischen, daher krankheitslosen Zeit, nach deren Schwinden Krankheit, und später wissenschaftliche Bear¬ beitung derselben eingetreten sei. Für die allgemeine Pa¬ thologie ergeben sich drei Theile, nach welchen die drei Bücher dieses Werkes geordnet sind. Erfahrung und Phi¬ losophie, letztere nicht als Schulsystem, werden als Quel¬ len jener Lehre, Physiologie und Psychologie, so wie die gesammte specielle Krankheits- und Heilungslehre, als Hiilfs- wissenschaften genannt. Geschichte und Litteratur sind sehr kurz angegeben.

Liber I. Nosologia s. de morbi natura ejus« que differentiis. (Dem Bef. scheint es besser und sprachgemäfser, nach dem Beispiele vieler Schriftsteller, das Wort Nosologie nur auf die besondere Krankheitslehre an¬ zuwenden.) Der Begriff des Lebens, als die Grundlage aller pathologischen Ansicht, ist weder durch die Vernunft, noch durch die Sinnlichkeit allein zu erfassen. Der Urquell des Lebens ruht in Gott, der aber nicht mit der Natur als identisch anzusehen ist. Wir erkennen nicht das Leben als solches, sondern nur das Lebendige; es ist eine von innen bedingte Thätigkeit, Kraft und Materie in sich vereinend, nach polarischer Richtung sich gestaltend. Jedes Leben¬ dige, als Vielheit durch innere Einheit gebunden, ist ein Organismus; in diesem Sinne ist die ganze Natur ein sol¬ cher. Der Mensch hat durch Leib und Seele eine Doppel¬ natur; keine dieser Seiten entspringt aus der andern. Der Leib hat eine dreifache Richtung: Ernährung, Bewegung und Empfindung; die Seele erscheint ebenfalls dreifach, näiplkh als Erkennen, Fühleu und Wollen. Aeufsere Ein-

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II. Allgemeine Pathologie.

Wirkung ist zu jedem Lehen unerläßlich ; die einwirkenden Dinge sind an sich verschieden ahgestuft. Dieselben ver¬ anlassen zwar Vermehrung oder Verminderung der Lebens- th'itigkeit, beschränken sich aber nicht bei der quantitativen Einwirkung; die Erfolge ergehen sich aus dem Verhältnisse der W irkung und Gegenwirkung. Das Leben ist in einem beständigen Schwanken, welches als Uebergewicht des einen oder andern Pols, wie auch als Ausgleichung der Gegen¬ sätze angesehen werden kann. Sympathie und Antagonis¬ mus sind für das Lehen gleichmäßig erforderlich. Der innere Grund des Lehens bleibt trotz der Erforschung sei¬ ner Formen ein unerkennbares Geheimnifs. Gesundheit und Krankheit sind Lebensformen; jene erscheint in Leih und Seele als das \ ollkommnere und als Norm, nie ist sie je¬ doch durchaus vollendet; diese gieht sich, wenn sie im Leihe erscheint, als Freiheit in einem Gebiete zu erkennen» wo nur ftothwendigkeit herrschen soll; ist sie in der Seele, so ist sie Unfreiheit auf dem Gebiete der Freiheit. Die Krankheit ist ein eigenthümliches Lehen, dessen Dasein jedoch durch ein anderes Lehen , mit welchem es in mehr oder minder lebhaftem Widerspruche und Kampfe steht, bedingt ist; sie erscheint gleichsam als Bildungshemmung auf dem Fortschritte des Lehens; immer ist sie ein niederes Leben im Gegensätze der Lehensrichtung des Individuums; jedoch kann auch iu ihr, in sofern sie bei dem Menschen ist, der menschliche Typus nicht verloren gehen. Die Krankheiten sind daher nicht widernatürlich; sie sind der Zahl nach, wie die Thierwesen überhaupt, nicht unbe¬ stimmt; sie unterscheiden sich endlich, wie diese, durch Form und Lebensthätigkeit. Immer siod sie ein innerer Zustand. Die Eintbeilung derselben in organische und dy¬ namische, in Krankheiten der Säfte und der festen Theile, ist unhaltbar. Man kann sie weder unbedingt als ein Uebel, noch als eine Wohllhat betrachten. Wie alles Leben¬ dige, sind auch sie bestimmten Gesetzen xlcr Zeitfolgc un¬ terworfen. Dies gilt zuerst in Beziehung auf den Ursprung,

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II. Allgemeine Pathologie.

welcher in der Zeugung, während der Schwangerschaft, oder nach der Geburt erfolgt; das Versehen als Ursache angezeugter Uebcl wird hier, wie auch an einer spätem Stelle, anerkannt; sodann wird auch der Unterschied von protopathisch und deuteropathisch hierher gezählt. Der Verlauf der Krankheiten beruht immer auf einem Gesetze, wenn es uns auch nicht immer klar ist. Einen Hauptab¬ schnitt bildet immer das Aufsteigen und Absteigen dersel¬ ben; die gewöhnliche Zahl der Stadien wird auf 5 be¬ stimmt, die gleichsam die Lebensalter der Krankheiten sind. Die Krisenlehre wird beim dritten Stadium abgehandelt, und nicht nur, wie häufig mit Unrecht geschehfen ist, auf den Leib und nur auf hitzige Ucbel, sondern auch auf die Seele und auf langwierige Krankheiten bezogen. Die kriti¬ schen Tage, deren Dasein der Verf. vertheidigt, finden nach der Meinung des Ref. in der Beobachtung der Brun- nencuren und des typischen Gebrauchs mancher Arzneien, z. B. des Quecksilbers, neue Bestätigung. Metaschematis¬ mus, zuweilen mit den durch den Ablauf der Stadien her- beigeführien verschiedenen Formen verwechselt, ist ganz identisch mit den zuweilen künstlich geschiedenen Ausdrücken ptTctßoXvj, piTci7rTu<ri$, hetfoxi 5 die Metastase hingegen bil¬ det allerdings eine besondere Richtung. Die Morbi secun- darii werden posthumi genannt, die compositi und com- plicati streng geschieden. Das Zeitgesetz ist für jede ein¬ zelne Krankheit zu beachten, ohne dafs man deswegen .den Lauf derselben, wenn er verderblich wird, ungehemmt las¬ sen sollte. Die Eintheilung in hitzige und langwierige Uebel wird verworfen. (So wie sich für die Praxis die Nothwendigkeit dieser Eintheilung täglich darstellt, so er- giebt sie sich auch bei näherer Betrachtung als in der Natur begründet; nur verlange man keine scharfen Grän¬ zen, die ja nirgends bei verwandten Naturgebieten aufzu¬ finden sind. Ref.) Der Hauptgrund des Typus liegt in dem noth wendigen Wechsel von Ruhe und Bewegung; was jedoch bei den verschiedenen Uebeln die verschiedenen

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II. Allgemeine Pathologie.

Arten fies Typus bewirke, ist unklar, obgleich es nicht an Andeutungen fehlt, indem z. B. Nervenleiden gern inler- mittiren, und Unterleibszustände den Abend zur Exacerba¬ tion wählen. Einige Bedingungen des Krankheitstypus lie¬ gen in dem Typus der Erde. Ein räumliches Verhältnifc der Krankheiten liegt in der sporadischen, epidemischen und endemischen Verbreitung derselben, wie auch in dem Cha¬ rakter derselben als allgemeine und örtliche, als idiopathi¬ sche und sympathische. Letztere werden mit Hecht keines- weges blofs auf Nervenverbindungen bezogen. Auch die Ideen - Association ist unter dem Begriffe der Sympathie zu erfassen. (Was hier über die verschiedenen Gesundheit^* Constitutionen nach den jetzt herrschenden Ansichten ge¬ sagt wird, gehört unserer Meinung nach besser in den Theil der Aetiologie, wo von den cosinischen und telluri- schen Einflüssen, welche jene Constitutionen bedingen, ge¬ bandelt wird. Bef.) Der Gang der epidemischen Uebel ist nicht allezeit derselhe. (Von der Wahrheit dieser Be¬ hauptung überzeugt, können wir dennoch den Satz: Vetc- rum pestilentiam cessavisse credibile est, nicht für richtig halten, weil das, was die Alten Pestücntia nannten, keine speciellc Krankheit war, sondern jedes allgemein verbrei¬ tete gefährliche Uebel mit diesem Namen bezeichnet wurde, was sich besonders aus Livius ergiebt. Auch der hier vorkommende Satz: Variolae a fine suo haud procul abesse videntur, ist gar vielen Bedenklichkeiten unterworfen. RcC) Allgemeine pathologische Charaktere oder Ilauptrichtungcn der Krankheiten, sehr passend nach den Methodikern Communia morborum genannt, sind folgende: llvpersthenie des Leibes und der Seele, jede (allzukünstlich) nach drei Richtungen, Asthenie (im Verhältnifs der llvpersthenie etwas zu dürf¬ tig gefafst), Erethismus des Leibes und der Seele, Torpor ebenfalls nach jener doppelten und dann wieder dreifach gespaltenen Richtung, falsche Schwäche, qualitative Abwei¬ chungen. (Diese letzte Abtheilung schliefst die frühem und überdies eine aufscrordcutlich groise Menge von For-

H. Allgemeine Pathologie. 15

men in sieh, da eigentlich alles Erkranken vorzugsweise qua¬ litativ zu erfassen ist. Ref.)

Liber II. Aetiologia s. de morbi orgine ejus- que causis. Die Vielgestaltigkeit der ’aufsern Verhältnisse veranlafst oft ein Ueberschreiten des Maafses, und die Ei- genthümlichkeit der menschlichen Natur ergiebt eine weit eingreifende Neigung zum Erkranken. Selten entsteht Krank¬ heit aus einer Veranlassung, sondern meistens aus mehre¬ ren; die entfernten Ursachen sind daher nicht sowohl Ur¬ sachen, als ursächliche Momente. (Eine schon von Kie- ser aufgestellte Behauptung, deren Unhaltbarkeit im latei¬ nischen Ausdrucke besonders stark hervortritt. Bef.) Die Anlage des Menschen zum Erkranken ist so mannigfaltig, als die Theile lind Thätigkeiten des Leibes und der Seele; je vielfältiger die Berührungspunkte , um desto gesteigerter ist die Möglichkeit des Erkrankens. Dafs auch die Seele er¬ kranke und nicht blofs die zu ihr gehörigen leiblichen Or¬ gane, wird erwiesen. Besondere Anlagen ergeben sich aus Alter, Geschlecht, Temperament, Constitution, Gewohn¬ heit, Idiosyncrasie, Erblichkeit und Einflüssen während der Schwangerschaft, epidemischer und endemischer Constitu¬ tion, und früheren Krankheiten der Seele und des Leibes. Die Alter werden unterschieden in Aetas fetalis, infantiae, pueritiae, adolescentiae, matura (mindestens in zwei Theile zerfallend) senilis. Die Temperamente sind nach Galen abgehandelt, die Constitution nach Puch eit. Die Aetio¬ logia psychica ist von der physica getrennt, was zu man¬ chen Wiederholungen Veranlassung giebt. Vernünftigkeit ist der Schutz des geistigen Lebens. Falsche Pachtung der Seelenkräfte, Inconcinnitas animi, daher zu grofse oder zu geringe und überhaupt falsche Richtung der äufsern Sinne, des Verstandes, der Einfcyldungskraft, der Vernunft, der Begierden, Affecten und Leidenschaften, so wie des Wil¬ lens überhaupt, Krankheiten der Seele, aber auch des Lei¬ bes verursachen. Das Geistesleben wird aber auch durch äufsere nicht geistige Dinge bald zu Gesundheit, bald zu

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II. Allgemeine Pathologie.

Krankheit gestimmt; dahin gehören: das Giima, besonders sehr heifse und sehr kalte, überhaupt mit stark hervorste¬ chender physischer Eigenthümlichkeit versehene Länder, die Jahreszeiten, die Winde, die Nahrungsmittel, die Arzneien und Gifte, die einzelnen Leibcsthätigkeiten , Krankheiten, besonders Nervenleiden, beschleunigter Blutumlauf, krank¬ hafte Zustände der mannigfaltigsten Art, endlich der thie- rische Magnetismus, dessen Dasfcin anerkannt, aber mit den¬ selben Farben geschildert wird, deren sich Sachs bedient hat. Die Aetiologia physica zerfällt in 10 Abschnitte, denen es an einem genügenden Eintheilungsgrunde zu feh¬ len scheint. Ein Einflufs der Himmelskörper wird zugege¬ ben. (Dem Bef. scheint hierher auch der Einflufs der Jahres- und Tageszeiten zu gehören, da sie ja durch das Verhältnifs der Erde zur Sonne bedingt sind.) Die Luft wird nach dem Vorgänge mancher Schriftsteller als belebt angesehen, eine Behauptung, die mit etwas stärkeren Grün¬ den gegen die leicht zu machenden Einwürfe hätte gedeckt werden sollen. Nach Abhandlung des chemischen und mechanischen Einflusses der Atmosphäre und der einzelnen Luftarten werden Wärme, Licht und Elektricität als zur Luft gehörig erwogen. (Die letztgenannten drei Einflüsse gehören gar nicht wesentlich zur Luft, zumal die Wärme, welche ja auch, in sofern sie nicht luftformigen Stoffen mitgetheilt ist, nachtheilig wirken kann.) Die Wirkung der Sonnenstrahlen, in sofern sie den Sonnenstich erzeu¬ gen, möchten wir nicht mit dem N erf. von dem Lichte, sondern von der heftigen Hitze herleiten, durch welche eine gewaltsame Ausdehnung der in dem Kopfe enthaltenen Flüssigkeiten, besonders des Blutes, entsteht. Bei dem Ein¬ flüsse der Winde und des Clima’s vermifst man eine An¬ gabe dessen, was zunächst in unseren Gegenden hieraus hervorgeht. Die Nahrungsmittel, als nachtheilige Einflüsse betrachtet, werden in bekannter Weise gewürdigt. Dem Biere wird grofses Lob ertbeilt: Potuum, qui nutriunt corpus simulque incitant, nulla praestantior habetur cerevisia.

Der

II. Allgemeine Pathologie. 17

Der \Veiü heifst: admirabilis sane potio omniumque !au- dibus eoncelebrata. Ueber den Branntwein wird ein zu unbedingt ungünstiges Urtheil gefällt, während derselbe, mäfsig genossen, dem alle Arten von anregenden Speisen und Getränken entbehrenden gemeinen Arbeiter oft eben so unentbehrlich als nützlich ist. Bei den Wohnungen schnell vorübergehend, hält sich der Yerf. etwas länger bei den Bekleidungen auf. Unter dem Titel: De quibusdam corporis muneribus, quae, pravo arbitrio subjecta, noxas afferunt, werden die Geschlechtsthätigkeit , Buhe und Be¬ wegung, Wachen und Schlafen ( warum nicht auch Beden, Schreien und Singen?) abgehandelt. Unter den Arzneien und Giften, welche ihre Stelle wohl am besten hinter den Nahrungsmitteln gefunden hätten , findet sich ein Paragraph, Delicta medicorum überschrieben. Die Contagien sind als Krankheiten am meisten vollendet, indem sie nicht nur selbst leben, sondern auch ihr Leben fortpilanzen. Der Vergleich derselben mit Saamen scheint besonders pas¬ send. Die mechanischen Einflüsse und die verschiedenen Lebensweisen machen den Schlufs dieses Abschnittes.

Liber 111. Symptom atologia s. de morbi in conspectum prodeuntis signis. Bei Erwähnung der Aehnlichkeit von Krankheit und Symptom vermilst man eine Angabe oder Widerlegung der Hah nema n n sehen Ansicht. Die passiven Symptome will der Yerf. nicht gel¬ ten lassen; nam actione quadam effici haec etiam perspieuum est; dennoch bleibt jener Ausdruck zur Bezeichnung un¬ selbstständiger Thätigkeit sehr geeignet. Die Symptomata animi gehen voran, sind jedoch von den Zeichen des Ge¬ meingefühls und der Sinne getrennt. Die hier und schon oben vorkommenden Hypernoea, Paranoea und Anoea, wie auch die Hyperbulia, Parabulia und Abulia, nach Hein- roth gebildet, entsprechen nach Ansicht des Bef. nicht den in der Natur vorkommenden Formen. Bei dem bilden¬ den Leben wird mit dem der Anfang gemacht, was eigent¬ lich den Schlufs desselben ausmacht, nämlich mit den Zeichen XIII. Bd. 1. St. 2

JS 11. Allgemeine Pathologie.

der Hypertrophie, Atrophie und Parntrophie. Erst dann folgen die Zeichen der Verdauung. I »ei dem Geniefsen der Speisen wird das hier oft übersehene Unvermögen zu sau¬ gen aufgeführt, (»egen Magen dies Ansicht vom Erbre¬ chen wird mit Recht geeifert. Dem Iilute möchte als Krank¬ heitszeichen eine grössere Selbstständigkeit zukommen, als der Verf. in den Worten: Sanguinem nioderatur vita va- sorurn, anzuerkennen geneigt ist. Die Regriffe Dvscrasic, Caeochymie und Cachexie werden bei Gelegenheit der Se- cretion auseinandergesetzt. (Sie gehören wohl mehr in die Lehre von der Reschaffenheit der Blutmasse. lief. ) Die Galle wird nach früherer Ansicht vorzugsweise als Refordcrungs- mittel der Verdauung angesehen; die T iedeman nsche An¬ sicht hingegen , wonach sie mehr als auszustofsender Stoff angesehen wird, ist nicht beachtet. Den Schlufs der dem bildenden Leben angehörigen Erscheinungen bilden die Ge- schlechlsverrichtungen. Hierauf folgt die organische Rewe- gung. Die Zusammenziehung wird Tonus, die Ausdehnung Turgor benannt. Die krankhafte Rewegung ist llvperto- nia, der llypersthenie entsprechend, Atonia, in ihrem höch¬ sten Grade zur Lähmung werdend, oder Paralonia, d. i. i Krampf Auf die Lehre von der vorzüglich im Muskei- systeme vorkommenden krankhaften Rewegung, folgt die ^ Lehre von der Rlutbewegung. (So gewöhnlich diese Stel¬ lung des Riutlaufs ist, indem man denselben ganz dem Prin- zipe der Irritabilität miterordnet, so mufs es doch noth . wendig dabin kommen, dafs derselbe unter die Glieder des bildenden Lebens, denen er durchaus angehört, gestellt werde. Ref) Dafs stagnatio sanguinis mit congestio ve- nosa der Neuern identisch sei, wie der Verf meint, ist dem Ref nicht einleuchtend. Auf den Rlutlauf folgen die Zeichen des kranken Athmcns, mit welchen, wie gewöhn- lieh, die der Stimme und Sprache verbunden sind. Den Schlufs bilden die krankhaften Nervenerscheinungen. Der Schmerz wird geschieden in einen solchen, der von Rlut- aafregung herrührt oder ohne dieselbe besteht, das krank-

III. Kalte Waschungen in den Masern. 1$

hafte Gefühl in Hyperaesthesis, Anaesthesis und Paraesthesis. Schlaf und Wachen sind ganz zuletzt als Zeichen erwähnt. Dafs alle diese Nervenerscheinungen vorzüglich an die gei¬ stigen Zeichen hatten angereiht werden sollen, ist schon oben erwähnt worden.

Die äufsere Ausstattung des Buches ist, wie man es bei dem Herrn V erleger gewohnt ist, sehr gut.

Licht enstädt.

in.

* ' \

lieber den Gebrauch der kalten Waschun¬ gen in den Masern;

von Dr. Thaer,

(Vorgelesen

in

praktischem Arzte in Berlin.

* , t x

der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde Berlin am 4. November 1828.)

r.u

In einer Masernepidemie, im Herbst des Jahres 1823, in Nauen und einigen benachbarten Dörfern, in welcher schon mehrere Kranke, theils unter meiner eigenen Be¬ handlung, theils unter der meiner dortigen Collegen, theils aber auch ganz ohne ärztlichen Beistand gehabt zu haben, gestorben waren, sah ich mich veranlafst, Gebrauch von den kalten Waschungen des ganzen Körpers, mit Essig und Wasser, zu machen.

Da die Resultate meine gehegten Erwartungen über¬ trafen, ich aber hier in Berlin das Mittel nicht häufig an¬ gewandt glaube, so erlaube ich mir eine kurze Mittheilung meiner Erfahrungen.

Die Gesammtzahl der in Nauen und den Dörfern Lie- tzow und Berge von der Krankheit befallenen Individuen belief sich, so weit ich es in Erfahrung bringen konnte,

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20 111. Kalle Waschungen in <len Masern.

auf 121, wovon auf die Stadt Nauen 48, auf Lietzow' 40, e 33 kamen.

Hiervon wurden gewaschen: i/l^auen 5, in Lietzow 37, Berge 26, also in Summa 68.

Hie Sterblichkeit in der Epidemie war, bevor ich das Waschen anwandte, und noch während desselben, bei der geringen Zahl von Krawken die es nicht gebrauchten, sehr bedeutend; denn es starben von sämmtlichen 121 Indivi¬ duen 12, und zwar in folgendem Verhältnis nach den ver¬ schiedenen Orten und Methoden:

In Nauen von 43 nicht gewaschenen 9, von 5 gew. 0.

Lietzow 3 1 —37 1.

Berge 6 1 26 ö.

' 52 II 68 1.

Hierzu niufs jedoch bemerkt werden, dafs:

1) von den ohne Waschung gestorbener» Kindern, vier ohne allen ärztlichen Beistand gewesen waren;

2) dafs der Gebrauch der Leute, alle Ausschlagsfieber im höchsten Grade mit äulserer Wärme zu behan¬ deln, sehr viel zu der grofsen Sterblichkeit beitra¬ gen mochte; denn selbst die Lalle, in denen nach¬ her meine oder anderweitige Hülfe gesucht war, batten mehrere Tage diese Behandlung ertragen, und

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waren dadurch sehr viel schlimmer geworden. Ja es ward selbst gegen die gegebenen Vorschriften in dieser Rücksicht sehr oft gesündigt, was zwar bet den gewaschenen Kindern nicht viel weniger statt fand, aber mit geringerem Nachtheil;

3) dafs von den gewaschenen Kranken zwar einer starb, bei diesem aber das Mittel gegen meine Vorschrift angewandt w'urde, indem das Kind nicht mehr an den Masern, sondern an einer in Folge derselben entstandenen Vereiterung der Lunge litt;

4) dafs bei 6 Kranken, bei denen das Waschen ange¬ wandt ward, dies Mittel ohne ärztliche Verordnung glücklich wirkte.

und auf Berg

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IH. Kalte Waschungen in den Masern. !2l

Die Epidemie hatte in Nauen ange fangen , und daselbst schon mehrere Wochen bestanden, ja sie näherte sich dort¬ schon ihrem Ende, als mich ein sehr schlimmer Fall zuerst veranlafste, das Waschen anzuwenden. Von Nauen ging sie nach Lietzow, von da nach Berge, blieb sich aber in Rücksicht ihrer Intensität an allen drei Orlen ziemlich gleich. Mehr oder weniger hatte sie in allen Fällen einen entzündlichen Charakter, der durch die erhitzende Methode, der die Eltern und Angehörigen im erste« Anfänge des Uebels ohne Ausnahme griffen , bedeutend ver¬ mehrt ward. Es fand sehr oft ein inflammatorisches Leide« der Lungen mid Bronchien, einigenfal aber auch des Ge¬ hirns statt, und meine Behandlung war vor dem W aschen besonders auf Erhaltung einer kühlen Atmosphäre um den Kranken, so weit ich dies gegen das Yorurtheil durchsetzen konnte, und auf Anwendung von Blutegeln und hühlende« Arzneien beschränkt gewesen, wobei auch mehrere recht bedeutende Fälle glücklich abgelaufen waren. Es starben mir jedoch vier Kinder hei dieser Methode, wovon freilich drei erst nach mehrtägigem Kranksein und Verpackung m heifse Betten u. s. w. in meine Behandlung kamen. Bei zwei derselben trat ein lentescirende-r Zustand ein; - bei einem alle Erscheinungen des Hydrocephalus acutus; bei einem war die Entzündung in den Lungen auf -der gröfs- ten Höhe, wobei auch die Luftröhre sehr mitergriffen war. Ich mufs es dahingestellt sein lassen , ob ich das antiphlogistische Verfahren stark genug angewandt hatte» Zwei kleine Kinder sah ich noch, fast unter meinen Augen, an Krämpfen sterben, während ich zum erstenmal gerufen war, die Kleinen aber schon länger krank lagen, und schnel¬ ler starben, als die verordneten Blutegel u. s. w. aus der Apotheke herbeigeschafft werden konnten.

\ on den gewaschenen Kindern halte nur eins, und zwar ehe zu diesem Mittel gegriffen ward, Blutegel be¬ kommen; eben so wenig gebrauchte irgend eins derselben ei« bedeutendes Nebenmittel. Ich erlaube mir nur

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22 UI. Kalte Waschungen in den Masern.

einige der wichtigsten Fülle, die so behandelt wurden, ganz kurz anzuführen.

1. I)ic vierjährige Tochter des Zimmergesellen Meiks- ner in Nauen. Ich ward Morgens, etwa am siebenten Tage des Krkrankens gerufen. Die Kleine war über den ganzen Körper dicht nut hochrothen Maserflecken besetzt; sie hatte heftigen kurzen Husten, sehr schnellen Athem, 115 Pulsschlüge in der Minute, der Kopf etwas benommen; sie hatte schon zwei Nachte phantasirt, die Hände zuckten zu Zeiten, die Zunge ziemlich feucht, aber mit vielen weifsen Flecken bedeckt. Die Kranke hatte sich mehrere- male erbrochen, afs nichts, trank sehr viel und hastig, hatte grofse Unruhe, keine Ocffnung seit zwei Tagen, und war ohne Hemde in einen wollenen Kock eingeschlagen, stark mit Federn bedeckt. Aufser vielem Fliederthec, hatte sie noch nichts bekommen. Das Zimmer war sehr heifs. Die Fenster wurden geöffnet, der wollene Kock w'eggc- lcgt, das Kind schwach bedeckt, vier Blutegel an den Kopf und fünf an die Brust gesetzt, und ein kühlend abführen¬ der Trank verordnet. Am Tage war es etwas besser ge¬ gangen, am Abend aber stand es viel schlimmer, und mit der Verschlimmerung hatte man den wollenen Kock, die heifsen Betten u. s. w. wieder hervorgesucht. Der Zustand war nun folgender: Die Kleine war ganz ohne Besinnung, die Brust sehr voll, und ein fortwährendes Husten vor¬ handen; der Athem ungleich und sehr schnell, der Puls unzählbar. Fs waren drei dünne Stuhlgänge erfolgt; die Zunge ganz trocken, die Haut brennend - heifs , so dafs das unter die Achsel gebrachte Thermometer beinahe 33 Grad zeigte; ilie Maserflecke lividc, Urin war seit 6 Stunden nicht gelassen. Jetzt ward die erste Waschung mit Fs- sig und Wasser von 10 Grad gemacht, und es stellte sich augenblicklich eine höchst auffallende Erleichterung aller Erscheinungen ein, so dafs die Unruhe verschwand und die Kleine, nachdem sie die Mutter w'icder erkannt und noch einmal zu trinken verlangt hatte, einschlief, und fast eine

III. Kalte Waschungen in den Masern. 23

Stunde so zubrachte, wobei auch die Haut etwas feucht zu werden begann. Dann aber stellte sich wieder Unruhe ein* und alle Erscheinungen stiegen fast wieder zu der alten Höhe. Das Kind wurde nun wieder eben so über den

ganzen Körper gewaschen , was dieselbe Erleichterung brachte. Die Mutter ward dann instruirt, mit dem Mittel alle zwei Stunden fortzufahren , wenn n and ich Un¬ ruhe und Hitze gröfser wären, aber länger zu warten, wenn Schweifs statt fände. Am andern Morgen lag das Kind wie neugeboren im Bette. Die Zunge war feucht, die Haut welch, es war ein Stuhlgang von fäculenter Art erfolgt; der Puls hatte noch 110 Schläge, der Athem war ruhig. Mitunter erfolgte Husten mit starkem Auswurf,

ohne grofse Anstrengung. Es hatte schon etwas Semmel und Kaffee genossen. Die Maserflecke im Gesicht waren schon sehr im Abnehmen. Es ward nun noch alle drei Stunden mit Wasser und Essig von 13 Grad Wärme ge¬ waschen, denn die Hitze des Körpers war nur noch 30 Grad. Alle Arznei war seit dem Abend vorher weggelassen, und blieb ausgesetzt. Am Abend dieses Tages war fast keine Exacerbation mehr zu bemerken, und das Kind batte Mit¬ tags schon etwas Suppe gegessen. In der nächsten Nacht ward es noch zweimal zu 14 Grad gewaschen , batte aber im Ganzen sieben Stunden geschlafen und gegen Morgen stark zu schwitzen begonnen. Jetzt safs sie an der Erde und spielte; der Husten und schnelle Athem war ganz weg, der Puls ohne alles Fieber, die Temperatur der Haut na- tiiriich, der Appetit sehr grofs. Am Abend, wo ein gelin¬ des Fieber wieder eintrat, ward noch einmal zu 18 Grad gewaschen, worauf sie die ganze Nacht schlief und nach wenig Tagen ohne allen Nachtheil auf der Strafse umher- licf, dabei sehr sichtbar abhäutete, und in kurzem voll¬ kommen genas.

2. Das ‘'Kind des Tischlers Vogler in Nauen, zwei Jahr alt, seit 8 Tagen krank, seit 2 Tagen in der Eruption, war nicht ganz so beifs gehalten. Der Körper bedeckt mit

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‘i4 III. Kalte W aschungen in den Masern.

Maserlleckcn ; 1*10 Pulsschläge, sehr schneller kurzer Atliem und trockener Husten, heftiger Durst, Beschwerden beim Urinlassen, seit 24 Stunden keine Oeffnung. Temperatur der Haut 32 £ Grad.

Ks ward alle zwei Stunden mit Essig und Wasser von 10 Grad gewaschen, und alles besserte sich, ohne irgend einen Arzneigebrauch, so schnell, dafs der Kleine nach drei Tagen im Zimmer umherspielte utid den besten Appetit hatte. Nach 8 Tagen fand sehr schwaches Abhäuten statt, % während welcher Periode er im Freien umherlief, und nach 10 12 Tagen ohne alle Spuren der überstandenen Krank¬ heit war.

3. Die siebenjährige Tochter der Hebamme Ende- walten in Lietzow, seit zehn Tagen unwohl, seit zwei Ta¬ gen mit Ausschlag bedeckt, fieberte stark (130 Schläge in der Minute), hatte Stiche in der linken Seite, besonders beim Husten, der ganz trocken war, der Athem sehr kurz, sie trank beständig und warf sich viel im Bette umher, hatte auch seit zwei Nächten phantasirt, was jedoch am Tage nicht mehr statt fand. Die Wärme des Körpers 32 \ Grad. Es sollten 10 Blutegel an die linke Seite gesetzt werden, und eine Arznei aus Nitrum ward ver¬ schrieben. Da beides aber erst geholt werden mufste, so kamen die Waschungen früher zu Stande. Als sie zweimal zu 10 Grad gemacht waren, besserte sich alles so, dafs die Mutter wenigstens die Blutegel wegliefs. Die Medicin wurde ausgebraucht, und die Waschungen allmählig wär¬ mer und seltener drei Tage lang fortgesetzt, worauf das Kind in acht Tagen fast ohne alle Krankheitsspur war, und im Freien ohne Nachtheil umherging.

4. Die dreijährige Tochter derselben Frau, ein et¬ was scrofulöses, sonst aber ziemlich kräftiges Mädchen, war das zuerst erkrankte Kind in Lietzow. Die Krankheit scheint nicht bedeutend aufgetreten zu sein, denn die Mut¬ ter suchte keine ärztliche Hülfe, was sie sonst zu thun gewohnt war. Erst als seine Geschwister auch krank wur-

HI. Kalte W aschungcn in den Masern. 25

den, und hier stürmischere Symptome erschienen, bekam ich die Kranke zu sehen, und fand, dafs sie in der vierten Woche krank war, an lentescirendem Fieber litt-, viel hustete, einen kurzen Athem hatte u. s. w. Die Mutter, welche bei ihren übrigen vier Kindern den sehr guten Er¬ folg der Waschungen gesehen hatte, fragte, ob sie diesel¬ ben auch nicht hier anwenden könne, was ich nicht zweck- mäfsig fand; nichts desiowetiiger machte sie doch Gebrauch davon, und, wie sie meinte, mit einigem Erfolg,, der je¬ doch nur temporar gewesen sein kann; denn das Kind starb in der siebenten Woche nach dem Erkranken, ganz ab¬ gezehrt.

5. Der Knabe des Bauern Rahn in Lietzow von 5 Jahren, seit .vierzehn Tagen fieberhaft und catarrhalisch nach An¬ gabe der Eltern, hatte jetzt trockene Haut, sehr grofse Hitze (32 ^ Grad, delirirte, hustete kurz und trocken, ath-

mete schnell, und fieberte mit einem Puls von 130 Schlä-

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gen, wobei aber an keinem Theile des Körpers Ausschlag war. Er ward gewaschen mit Wasser von 0 Grad, und fast noch beim ersten Waschen erschien der Ausschlag über den ganzen Körper. Athem und Puls wurde ruhiger, es erfolgte Schlaf, der Husten wurde hei fortgesetztem Wa¬ schen immer leichter und brachte vielen Schleim hervor, der Kleine bekam Appetit und war in drei Tagen nicht mehr krank, einige Schwäche ausgenommen. Ehe acht Tage vergingen, war er vor der Hausthür, und erlitt dadurch nicht den geringsten Nachtheil.

6. Der Knabe des Schäfers Schmidt in Lietzow, 7 Jahr alt, schwächlich und scrofulös, hatte heftiges Fieber (130 Schläge), viel kurzen Husten, starken Durchfall, delirirte schon seit fünf Tagen des Nachts, kam jetzt nicht mehr zu sich, und liefs oft den Stuhlgang in das Bett Hiefsen; hatte eine vollkommen trockene Zunge, und seine sonst fliefsenden Ohren waren ganz trocken geworden. Die Tem¬ peratur des Körpers war zwischen 32 und 33 Grad. Da gleich die ersten drei Waschungen von 11 Grad den Klei-

26 HI. Kalte W aschungen in den Masern.

nen sehr zu erleichtern schienen, ihn namentlich ruhiger machten, und die Besinnung wieder zurückfuhrten, auch den Ausschlag auf der Haut viel lebhafter erscheinen mach¬ ten, so ward nichts weiter angewandt, als etwas Klixir. aciduin mit Himbeersyrup zum Getränk; der Kranke genas hierbei und bei Fortsetzung der Waschungen während Ger Tagen so weit, dafs das Uebrige der Natur ii herlassen wer¬ den konnte, welche damit in vierzehn Tagen zu Stande kam. Nach der Krankheit ward der Patient immer kräfti¬ ger, die Erscheinungen der Scrofeln verloren sich, die wieder flielsend gewordenen Ohren trockneten allmählig, und nach einem halben Jahre war der vorherige Schwäch¬ ling ein ziemlich kräftiges Kind.

7. Der Knabe des Kutschers Müller in Berge, 4^ Jahr alt, war seit einiger Zeit catarrhalisch gewesen, hatte rothe Augen gehabt und gehustet, bis Tages zuvor unter hefti¬ gen Krämpfen der Masernausschlag sich zeigte. Jetzt hatte er ängstlich kurzen Athem, schielte mit dem einen Auge, hustete fortwährend, aber trocken, hatte über 140 Puls¬ schläge, und «He W ärme des Körpers war 33 Grad. Der Leih war verstopft seit vorgestern. Es sollte so bald als möglich ein Klystier gegeben, (i Blutegel am Kopf gesetzt und die Waschungen mit 8 Grad begonnen werden. Mit letzteren ward der Anfang gemacht, und erst als sie zwei¬ mal wiederholt waren, hatte man Blutegel erhalten, und die Anstalten zum Klvstier waren da. Die beiden Waschun¬ gen batten aber schon so vortbeilhaft gewirkt, dafs ich von beiden nicht mehr Gebrauch machen liefs. Der Ausschlag war nämlich noch viel lebhafter herausgekommen, und be¬ deckte den ganzen Körper; das Auge war nicht mehr schie¬ lend, der Athem ruhiger, die ganze Haltung des Kindes besser; auch hatte es schon etwas geschlafen, die Haut war weich geworden und eine starke Stuhlausleerung erfolgt. Fortgesetztes allmählig wärmeres Waschen brachte den Klei¬ nen in vier lagen so weit, dafs ihm fast keine Krankheit mehr anzusehen war. Lr häutete sehr unmerklich, und

III. Kalte Wasohungen in den Masern. 27

spielte dabei ohne Nachtheil im rauhen Ilcrbstwetter im Freien herum. »

Ich könnte diesen Fällen noch einige hinzufügen, glaube indefs, sie mögen hinreichen zu zeigen, dafs in jener Epi- demie die kalten Waschungen sehr vorteilhaft wirkten. Die ganze Bevölkerung der beiden Dörfer hatte sich von ihrer Nützlichkeit so sehr überzeugt, dals sie dieselben oft schon in Anwendung gezogen, ehe ich die Kranken sah, wo mir dann nur die genauere Bestimmung der Tempera¬ tur übrig blieb. Der Königl. Beamte in Berge, der Pre¬ diger und die Schullehrer in beiden Orten, unterstützten mich in meinen Anordnungen, so sehr sie selbst anfangs gegen das Mittel gestimmt waren, und es kamen in der That, je allgemeiner es gebraucht ward, desto seltener er¬ hebliche Falle vor. In beiden Dörfern waren zusammen¬ genommen 6 Kinder blofs durch die Eltern mit kalten Waschungen behandelt, und ich bekam diese Kranken erst in der Beconvalescenz zu sehen.

9

Meine Begein bei Anwendung des Waschens waren sehr einfach, nämlich:

1) Es ward gewaschen, sobald die Temperatur des Kör¬ pers über 29^ Grad war, wobei der Kranke schon Unruhe und kurzen Athem zu haben pflegte.

2) Die Temperatur der Waschungen ward um so käl¬ ter gemacht, je heifser die des Körpers war, wobei ich mich einer Tabelle bediente, die ich aus den Datis der im Jahre 1823 in dem Supplementbande des II u f e I a n dschen Journals erschienenen Preis¬ schrift von Frölich genommen hatte, und bestän¬ dig nebst einem kleinen Thermometer bei mir führte.

9

3) Nie zu waschen, wenn das Kind ruhig war, oder wenn Transpiration erfolgte.

Im Allgemeinen bemerke ich nun Folgendes:

1) Die gewaschenen Kinder genasen in der Kegel in acht Tagen vollkommen.

1

28 111. Kalte \\ aschungcn in den Masern.

2) Die Abschuppung schien nach dem Waschen schwä¬ cher und schneller z,u erfolgen.

♦3) Die Rcconvalescenten setzten sich (zwar anfangs ge¬ gen meine Vorschrift), ohne allen Nachtheil, dem schon ziemlich rauhen YV etter während der Abschup¬ pung, und hei noch nicht ganz gewichenem Hu¬ sten aus.

4) Bei schon vorgerücktem Leiden der Lunge erfolgte nach dem Waschen starke Expectoration; bei frischem Leiden derselben verging es ohne sie, wenn die Function der Haut wieder in Ordnung kam,

5) Bei drei Kranken beobachtete ich das augenblickliche Ilervorbrechen des Ausschlags nach dem Waschen, wo vor demselben dergleichen noch nicht zu sehen war, und allemal mit grofser Erleichterung aller übrigen Erscheinungen.

Bei Erwachsenen hatte ich nicht Gelegenheit, die Wa¬ schungen anzuwenden, denn ich hatte nur drei dergleichen an den Masern zu behandeln; dieses waren aber lauter leichte Fälle. Nur zweimal sah ich mich veranlafst, hei kleinen Kindern, die nach den Waschungen den reichlich in den Bronchien vorhandenen Schleim nicht recht auswar¬ fen, ein Brechmittel zu geben; Blutegel aber, oder andere bedeutende Dinge, wurden bei keinem Kinde nach begon¬ nenen Waschungen mehr angewandt.

Aus allem gebt wohl deutlich hervor, dafs das Waschen vorteilhaft auf die Krankheit wirkte, indem cs den von dem Contagium verlangten Vegetationsprozefs in der Haut beförderte, und so die, wegen der Hinderung dieses Pro¬ zesses vicariirend mitleidcnden Organe des Kopfes, der Brust, oder des Unterleibes befreite. Wie es dies konnte, wage ich nicht theoretisch zu demonstriren; aus der Analogie der Wirkung äufsercr Kälte bei oberflächlichen Entzündun¬ gen möchte ich aber schliefst», dafs eine entzündliche Span¬ nung in der Haut in der in Frage stehenden Epidemie der Grund des nicht vollkommen gelingenden Yegetationspro-

/

III. Kalte Waschungen in den Masern. 29

zesses in derselben gewesen sei. Ob dieser Prozefs näm¬ lich ganz normal verlaufen, darüber giebt das bloise äußer¬ liche Ansehn des Ausschlags wohl keinen vollständigen Beweis; Hitze und Trockenheit der Haut scheint jedoch, wenn sie statt findet, anzudeuten, dafs jener Prozeis noch Widerstand findet, ln mehreren Fällen treten ja die sicht¬ baren Erscheinungen desselben nach dem Waschen augen¬ scheinlich hervor. Ob in allen Epidemieen etwas Ent¬ zündliches jenes Hindernifs bildet, ob allenthalben die Wa¬ schungen vortheilhaft wirken, mufs erst die Zukunft erwei¬ se»; jedoch ist es mir wahrscheinlich.

Heifse Zimmerluft und heifse Bedeckung des Kranken mufs das entzündliche Leiden bei den hitzigen Exanthemen vermehren, weshalb sich die kühlende Methode so allgemei¬ nen Beifall erworben hat; ich glaube aber doch, dafs das Waschen einer sehr kalten Atmosphäre vorzuziehen ist:

1) Weil man den Grad der anzuwendenden Kälte hier vollkommen in seiner Gewalt hat; sie zu jeder Jah¬ reszeit, und für jedes Individuum (wenn mehrere in einem Zimmer liegen), und für jeden Moment der Krankheit nach Gefallen modificiren kann.

2) Weil mit dem Waschen eine Reinigung der Haut statt findet, die wohl wirksam sein könnte.

3) Weil das Wasser ein viel besserer Wärmeleiter ist, als die Luft.

4) Weil es für den Wärter viel leichter ist, mit Was¬ ser von niedriger Temperatur alle Stunden oder zwei Stunden zu waschen , als in einer sehr kalten

i * * \

Stube anhaltend zu verweilen.

Am zweckmäfsigsten möchte es demnach wohl sein, beides miteinander zu verbinden, jedoch so, dafs die Zim¬ merluft nicht unter 13 Grad wäre, und die Bedeckung des Körpers der Gewohnheit des Kranken angemessen; ent¬ stände dann doch grofse Hitze und die andern Erscheinun¬ gen, so müfste man zu den Waschungen schreiten. Auf diese Weise würden gewifs sehr viel Kranke ohne Wa-

30 111. Kalte Waschungen in den Masern.

schung bestehen können, und auch ich würde sie nicht so oft angewandt haben, wenn ich diese Vorschrift zur Aus¬ führung hätte bringen können. In der Regel aber lagen meine Kranken in den sehr hcilsen Stuben der Landleute, und diese waren nicht zu bewegen, von ihrer Gewohnheit abzustehen; dabei wurden denn die Kranken, ich mochte sagen was ich wollte, vor und nach dem Waschen noch stark mit Federn bedeckt, wenn nicht gar in Wolle ein¬ gewickelt, was denn die öftere YV iederholung des Mittels bei denselben Kranken, und die Nothwendigkeit desselben bei fast jedem Individuum veranlafste.

liier in Berlin, und unter gebildeten Menschen, fand ich mich zum Gebrauche der kalten Waschungen noch nicht bewogen, weil die kühlere Luft der Zimmer und die zvveck- mäfsige Haltung der Kranken mich nur selten so stürmische Scenen sehen liefsen, als auf dem Lande zur Regel ge¬ hörte; schneller möchten aber doch auch manche der hiesi¬ gen Kranken durch ihre Anwendung geheilt werden.

ln der Gegend von Nauen und hier, machte ich fünf¬ mal auch heim Scharlach Gebrauch von dem mir so lieh gewordenen Mittel; hier müssen aber unstreitig die Kälte¬ grade viel höher sein, und oft wird dabei das Raden oder das Uehcrgiefsen , w as auch hier so häufig angewandt wird, bessere Dienste leisten. Von ihnen möchte ich auch, w'enn sie vorzugsweise auf die Brust gerichtet wären, im Keuch¬ husten etwas erwarten, wenigsten? haben sie mir io einem Falle dieser Art auf überraschende Weise geholfen; nur konnte ich bisher niemand wiederfinden, der sein Kind die¬ ser Behandlung unterwerfen wollte.

Meine Kenntnifs über die Wirkung der kalten Wa¬ schungen, Lebergiefstingcn und Räder, habe ich übrigens besonders bereichert durch die oben angeführte kleine Schrift von F rölich, nebst denen von Pitschaft und Reufs, die gleichfalls im Supplementbande des II ufcland sehen Journals von 1823 abgedruckt sind.

IV. Säuferwahnsinn. 31

Tabelle zur Bestimmung der Temperatur des Waschens oder Badens nach der Wärme des Kranken; nach Frö 1 i c li.

Warme des Körpers.

Wärme des W'assers.

Zeit

des

R.

F.

Reaumur.

Fahrenheit.

Waschens.

Badens.

Grad.

Grad.

Grad.

Grad.

Minuten.

Minuten.

294

98

26

90

4

__

30

99

234

85

4

30|

100

19

75

4

L _ 1

304

101

144 17

65 70

6

1 2

3 H

102

124 17

60 65

4 6

2 3

31f

103

124 17

60 65

8

6 8

32

104

124

60

3 4

32|

105

104

, 55

2 3

33

106

34

40

- ,

1 3

334

107

3 f

40

1 3

33 4

108

14

35

1 3

34

109

14

35

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3 4

34f

110

i 1

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35

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3 4

344

111

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35

3 4

35

112

35

3 4

'IV.

Beobachtungen über den Säuferwahnsinn, oder das Delirium tremens; von Dr. Georg Barkhaus en, zweitem Arzte am Kranken- und Irrenhause in Bremen. Bremen, Druck und Ver¬ lag von Johann Georg Heyse. 1828. 8. 243 S.

In der Anerkennung der vielen Widersprüche, welche noch gegenwärtig unter den Aerzten über das Wesen und die Behandlung des Delirium tremens herrschen, war es dern \ erfasser dieser Abhandlung besonders darum zu thun, seine Beobachtungen über diese Krankheit mitzuthei*

32

IV. Säuferwahnsinn.

Ten, und, auf sie gestützt, auf den von vielen Aerzten ge¬ leugneten, verschiedenartigen Charakter dieser Krank¬ heit mehr, als bisher geschehen ist, aufmerksam zu machen. Sicherlich hat er sich durch diese Abhandlung ein sehr be¬ deutendes Verdienst um eine richtigere Behandlung dieser Krankheit erworben, denn wir müssen wohl bckenucn, dafs solche bis dahin immer eine büchst einseitige gewesen, xdafs man, ohne diese Krankheit ruhig zw beobachten und den ^ orschriften der allgemeinen Therapie genülfs zu behandeln, gleich von vornherein Paftbei genommen zu haben schien, u»d je nachdem man sie entweder für ein entzündliches Leiden des Gehirns, oder eine Nervenkrankheit hielt, durch¬ weg zu Blutentleerungen oder zum Opium schritt. War die erskere Ansicht für die Praxis noch nachtheiliger, als die zweite, indem dann doch in der Mehrzahl der Falte Congestionen nach dem Kopfe, überhaupt ein abnormes Ilervortreten des* Blutgefäfssystems, entweder gar nicht vorhanden oder wenigstens nicht von solcher Bedeutung sind, dafs sie die Anwendung des antiphlogistischen Heil¬ verfahrens rrüthig machen sollten., und hat sich auch Go¬ den gewifs ein grofses Verdienst erworben, dafs er zuerst au f die U nrichtigkeit desselben im Allgemeinen aufmerksam gemacht bat, so ging er auf der andern Seite auch wiederum zu weit, indem er aller Erfahrung zuwider, wie Ref. schon bei der Anzeige seiner Schrift (vergl. Bd. IX. S. 185 d. A.) bemerkt hat, ein Ergriffenscio des Blutgefäfssystems und eine sonach einzuleitendc, antiphlogistische Behandlung un¬ ter allen Umständen verwarf. Man schien es oft, was na¬ mentlich von Goden gilt, ganz übersehen zu haben , wohl aber, durch die traurigen Folgen , welche jene Methode in» Allgemeinen für die Praxis gehabt hatte, dazu veran¬ lagt, wie gleichwohl Blutcntziehungen oft, um einem drin¬ genden Symptome zu genügen, nüthig werden können, ohne dafs eben durch diese symptomatische Behandlung die Krankheit selbst gehoben würde, wie solches denn auch B. anerkennt.

Der

IV. S au fo f wahns Inn.

33

Der Verf. behandelt das Delirium tremens in dieser Schrift in folgenden Abschnitten:

Name und Begriff der Krankheit. Als den Säuferwahnsinn bestimmt B. diejenige Krankheit, welche ein Individuum nur nach dem längere Zeit fortgesetzten Mißbrauche spirituöser Getränke befällt, sich vorzugsweise durch Störungen der Gehirn- und Nervenfunctionen, na¬ mentlich Schlaflosigkeit, Delirien, Sinnestäuschungen eigen- thümlicher Art, häufig auch Zittern der Glieder charakteri- sirt, bald mit, bald ohne gleichzeitig veränderte Function des Blutgefäfssystems, bald mit, bald ohne Fieber auffcritt, sich durch grofse Neigung zum Collapsus auszeichnet, und nur durch einen kritischen Schlaf gehoben werden kann. In der That ist diese Begriffbestimmung so der Natur der Krankheit entnommen, dafs sich nichts gegen sie einwenden läfst. Der Hauptpunkt, in welchem B. bei dieser Bestim¬ mung von Göden abweicht, ist aber, dafs er eine krank¬ haft veränderte Thätigkeit des Blutgefäfssystems mit auf¬ nimmt, wie solche denn auch durch die Krankheit gegeben ist, und sich oft sattsam genug in der Erscheinung darstellt.

Unter den für diese Krankheit vorgeschlagenen Namen behält B. den des Delirium tremens bei, wenngleich er auch die Unrichtigkeit desselben anerkennt und lieber den einer Mania potatorum wählen würde. Ref. hat sich schon bei Beurtheilung der Göden sehen Schrift über den Namen des Del. trem. ausgesprochen; den einer Mania potatorum würde er aber am allerwenigsten billigen. Abgesehen da¬ von, wie die Krankheit dadurch in eine nähere Verbindung mit den Geisteskrankheiten gesetzt wird, als ihrem Wesen zu entsprechen scheint, so hat man wohl schon die Manie, welcher Branntweintrinker erliegen (die doch kein Del. trem. ist), mit der besonderen Benennung einer Oenoma- nia oder Mania potatorum bezeichnet. B. selbst sagt, dafs das chronische Del. trem. oft in Manie (er setzt deshalb wohl: wirkliche hinzu) übergehe. Es ist wohl ersicht¬ lich, dafs ein jeder für diese Krankheit vorgeschlagene Name XIII. Bd. 1. St. 3

34

IV. Säuferwahnsinn.

nicht vollkommen genüge; es wird dies so lange dauern, bis wir erst das Wesen dieser Krankheit werden erkannt und einen demselben entsprechenden Namen gebildet haben.

Anamnese. (I)a B. in diesem Abschnitte die ur¬ sächlichen Momente der Krankheit abhandelt, so hätte er ihn wohl richtiger Aetiologie benennen sollen; denn ob¬ schon diese freilich immer eine Anamnese der Krankheit in genere ist, so bedienen wir uns jenes Ausdrucks in dieser Hinsicht doch nicht.) Die prüdisponirende und sehr häufig auch zugleich die erregende Ursache des Del. trem. bedingt bekanntlich der oft wiederholte Milsbrauch geistiger Ge¬ tränke. Sehr zweckniäfsig aber macht B. darauf aufmerk¬ sam, dafs es denn doch besondere Arten geistiger Getränke zu sein scheinen, welche vorzugsweise diese Krankheit ver¬ anlassen. Wein scheint nach ihm wenig dazu geeignet, das Del. trem. zu veranlassen; dafs sich aber auch nach iibermäfsigem , lange fortgesetztem Genüsse desselben ein vollkommenes Del. trem. ausbilden könne, hat Kef. sowohl in einem ihm in Oberitalien vorgekommenen Falle beobach¬ tet, als er auch bei einer andern Gelegenheit darzuthun sich bemühen wird, dafs die Alten ein durch Wein veranlafstes Delir, tremens wohl gekannt haben, und dies keinesw'eges eine so neue Krankheit ist, als man wohl annimmt. Dafs es indefs in neuerer Zeit ungleich häufiger geworden, lei¬ det keinen Zweifel. Nach jungem Bum und schlechtem Branntwein sah B. die Krankheit eher ausbrechen, als nach altem Bum und gutem, reinen Branntwein; nach über- mäfsigem Genüsse besonders starken Bieres sah er häufig einen gelinden Anfall von Del. trem. sich erzeugen, aber nie die ganz ausgebildetc Krankheit. W ie viel spirituöses Getränk täglich der Gesundheit unbeschadet genossen wer¬ den könne, läfst sich im Allgemeinen wohl nicht bestim¬ men, indem dieses jederzeit von der Beizempfänglichkeit des Individuums abhängt. Sonach kann das Del. trem. aber auch bei Leuten entstehen, die nie betrunken waren, wenn sie uur fiir ihre (.onstitution zu viel Spirituosa genossen

IV. Säuferwahnsinn.

35

hatten. Da die Krankheit jeden befallen kann, der sich dem Laster der Trunkenheit hingiebt, so ist es sehr wahr¬ scheinlich, dafs Alter, Geschlecht und sonstige Umstände an sich keinen Einflufs , auf die gröfsere oder geringere Disposition zum Del. trern. haben. Im Allgemeinen ist es also besonders die grofse Klasse der haudarbeiteuden und grofsen körperlichen Anstrengungen und Strapatzen unter¬ worfenen Menschen, z. B. Kuper, Waarenauflader, Zim¬ merleute, Maurer, überhaupt, wie B. aus Erfahrung be¬ stätigt, Menschen, die viel in freier Luft arbeiten, die sich dem häufigen Genüsse spirituöser Getränke hingeben , unter denen also das Del. trem. am häufigsten vorkommt. Oft aber wird der Ausbruch der Krankheit auch noch durch anderweitige occasionelle Ursachen bedingt, wie durch Ge- müthsbewegungen , überhaupt alle Vorgänge, welche das Gleichgewicht der natürlichen Functionen stören, so auch durch die plötzliche Untersagung des Branntweingenusses. Auch einen atmosphärischen Einflufs erkennt B. im Gegen¬ sätze zu Göden an, indem die Krankheit selten isolirt vor¬ kommt, sondern von ihm sowohl, wie von andern Aerzten, immer mehrere Fälle gleichzeitig beobachtet worden, eine Erfahrung, die, wenn sie sich noch anderwärts bestätigen sollte, allerdings sehr interessant wäre, indem sie den atmosphärischen Einflufs auf eine Krankheit zeigte, die wir vermöge ihrer ursächlichen Momente beinahe ganz demsel¬ ben entrückt glauben sollten. Noch interessanter aber ist es, wenn B. bemerkt, dafs im Allgemeinen es immer die¬ selben Extreme in den Veränderungen der Atmosphäre zu sein schienen, welche bald Apoplexieen bei dazu Disponir- ten, bald aufserordentliche Beängstigungen bei Hypochon- dristen und Hysterischen, bald die periodische Verschlim¬ merung bei Wahnsinnigen, bald den Selbstmord bei Melan¬ cholischen hervorbrächten, also, fügt lief, hinzu, atmosphä¬ rische Einflüsse, wodurch besonders das Kumpfnervensystem afficirt wird. Wäre es zu gewagt, diesen Punkt mit be¬ nutzen zu wollen, um das Del. trem. seinem ersten Ent-

3 *

36

IV. Säuferwahnsinn.

stehen nach durch diesen Theil des Nervensystems bedingt werden zu lassen, da ohnehin die vielfachsten Gründe diese Annahme unterstützen?

Lintheilung der Krankheit. B. unterscheidet ein acutes und chronisches, idiopathisches und symptomatisches, stbenisches und asthenisches Delirium tremens. Zuerst gicbl er eine genaue, dem Lehen entnommene Beschreibung der idiopathischen Krankheit, und gedenkt dann der symptoma¬ tischen, wie sich solche oft als Symptom zu andern krank¬ haften Zuständen hinzugcsellt. Dals in folge anderer Krank¬ heiten sich ein Del. trem. ausbilde, hat die Erfahrung ge¬ nugsam gelehrt; es läfst sich indefs doch wohl noch in Zweifel ziehen, ob der von B. angegebene Grund, dafs die Krankheit dann nämlich in Folge der durch jene Zustände herbeigeführten Hirnreizung entstände, überall der richtige sei. Bef. scheint es vielmehr glaublicher, dafs ein Del. trem. hei der Disposition dazu in Folge einer andern Krank¬ heit sich dann ausbildcn werde, wenn diese mit einem gröfseren Blutverluste verknüpft war, sei es, dafs dieser durch die Krankheit selbst gesetzt wird, oder dafs er Be¬ hufs ihrer Heilung nüthig ward. Stegmann (in Horn ’s Archiv 1824. Septemb. Octoberst. S. 196.) hat wohl so gar unrecht nicht, wenn er meint, ein Del. trem. factitium Lew ii kt zu haben, nachdem er bei einem an einer Lungen¬ entzündung darniederliegenden Säufer ein Aderlafs verord¬ net hatte. Aehnliche fälle sind von andern mitgetheilt worden. Mindestens dürfte von dieser Seite her eben so oft Anlafs zur Ausbildung des Del. trem. gegeben werden, als auf dem von B. angegebenen Wege. Den Beweis für seine Aunahme sucht Bef. in seiner Ansicht über das We¬ sen dieser Krankheit, worüber er sich bei einer andern Gelegenheit aussprechen wird. Mindestens hat B. das gegen sich, da£j eine Ilirnreizung durch viele Krankheitszustände, welch e n ein Del. trem. folgt, gar nicht bedingt ist.

ISachdem B. somit zuerst im Allgemeinen die Sympto¬ matologie der Krankheit gegeben hat, schildert er ihren

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IV. Säuferwahnsinn. 37

Verlauf, und zwar wie dieser nach dem sthenischen oder asthenischen Charakter derselben verschieden ist. Man hat nämlich, meint er, darin besonders gefehlt, dafs, je nach¬ dem einige das Del. trem. für eine Entzündung, andere für eine Nervenkrankheit hielten, immer einen und densel¬ ben Charakter dieser Krankheit zukommen liefs, ohne doch zu bedenken, wie oft eine und dieselbe Krankheit einen verschiedenen Charakter haben könne, werde dieser nun durch äufsere oder innere, im Individuum liegende Mo¬ mente bestimmt. B. hat sich durch diese der Erfahrung entnommene Unterscheidung unstreitig ein sehr bedeutendes Verdienst um die Behandlung dieser Krankheit erworben. Die von ihm entworfene Schilderung dieser beiden Formen auch nur im Auszuge mitzutheilen, hält Bef. für sehr über- Ilüssig, da es sich leicht von selbst abnehmen läfst, welche Modificationen in den Erscheinungen das Del. trem. durch den sthenischen oder asthenischen Charakter erleiden müsse. Ob die Bezeichnung, welche B. für diese beiden Formen der Krankheit gewählt hat, die passendste sei, will R.ef. dahingestellt sein lassen; gewünscht aber hätte er wohl, dafs der Verf. nachgewiesen hätte, dafs das Del. trem. seiner Natur nach diesen doppelten Charakter annehmen könne. Es hätte nämlich gezeigt werden müssen, wie und durch welche Umstände der ursprünglich an und für sich asthenische Charakter der Krankheit (damit Bef. bei dem Ausdrucke des Verfassers bleibe) vermöge einer durch die Natur des Uebels zwar gesetzten, aber nicht nothwendig von ihr ausgehenden, sondern erst durch Mitwirkung an¬ derer Momente entstehenden Erregung des Blutgefäfssystems ein sthenischer werden, oder auch gleich von Anfang an als solcher hervortreten könne. Dafs nämlich auch bei der reinsthenischen , mit einein erregten Zustande des Blutge¬ fäfssystems auftretenden Form eine gesunkene Thätigkeit des sensibeln Systems da sei, erkennt B. wohl genügend an, indem er iheils die Anwendung der eigentlichen anti¬ phlogistischen Heilmethode sehr beschränkt, theils auch wohl

38

I\ . Säuferwahnsinn.

erkannt hat, dafs durch sie allein Heilung nie und unter keinen l mständen erfolge, dafs ihrer unvorsichtigen An¬ wendung nur ein um so gefährlicherer Collapsus folge. Den Beschlufs dieses Abschnitts macht B. mit der Erwäh¬ nung des chronischen Del. trem. Aufser andern Aerzten haL auch er nämlich beobachtet, dafs diese Krankheit eine chronische Form annehmen könne. In einem von ihm be¬ obachteten Falle währte sie drei Monate. Der Ausgang ist alsdann ein dreifacher, in Genesung, Tod oder (wahre) Manie, welche letztere B. öfters beobachtet hat.

Prognose. Sie ist im Ganzen unsicher und schlecht; ein Ausspruch, in welchem dem Yerf. , aufser Göden, welcher die Krankheit für ohne alle Bedeutung hält, wohl die meisten Aerzte, welche sie zu behandeln Gelegenheit hatten, beistimmen werden. Den ersten Anfall der ganz ausgebildeten, nicht im Stadium prodromorum oft von selbst umkehrenden Krankheit hält B. für schlimmer, als die fol¬ genden Anfälle, weil er oft mit entzündlichen Zustän¬ den des Gehirns verbunden ist. Günstiger ist die Prognose für die sthemsche, als für die asthenische Form. Daher sind aber auch die späteren Anfälle, welche immer mehr und mehr die letztere Form annehmen, gefährlicher. Un¬ ter den einzelnen von B. aufgeführten mifslichcn Zeichen vernüfst Kef. das Hinzutreten von Respirationsbeschwerden, wie dieses namentlich öfters bei der asthenischen Form der Fall ist. YVird die Stimme heiser, tritt eine unterbrochene, röchelnde Respiration ein, so sah Ref. die Krankheit immer tödtlich endigen.

Diag nose. B. gedenkt hier besonders der Unter¬ scheidung des Del. trem. von ciitcr acuten Hirnentzündung, und führt die unterscheidenden Merkmale auf. Späterhin erwähnt er nur, wie die Krankheit auch wohl mit der Phrenitis (T), dem Nervenficber und der ächten Manie ver¬ wechselt werden könne, glaubt aber, dafs man sie nach ihrem Totalbabitus mit leichter Mühe von diesen Krankhei¬ ten unterscheiden könne. Ref. schien von jeher die Unter-

IV. Säuferwahnsinn.

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Scheidung der Krankheit von wahrer Gehirnentzündung keiner besondern Schwierigkeit unterworfen, er halt aber eine Verwechselung mit mehreren Arten des Nervenfiebers fiir um so leichter, weshalb er wohl gewünscht, dals B. das Del. trem. von dieser Krankheit genauer unterschieden hätte. Ihm scheinen einige Arten desselben beinahe auf gleichen Verstimmungen des Organismus zu beruhen, wie das Del. trem., und dieses von jenen nur dadurch unter¬ schieden zu sein, dafs immer eine und dieselbe Ursache, der Mifsbrauch spirituöser Getränke, jene Verstimmungen begründet. In dieser Ueberzcugung nannte Hufeland die Krankheit auch wohl Febris potatorum nervosa.

In der nun folgenden Epicrise theilt B. seine Ansicht über das Wesen des Del. trem. mit. Vorher giebt er aber noch in vortrefflichen Bemerkungen die Resultate der von ihm angestellten Leichenöffnungen, da er zum Theil auf diese seine Ansicht stützt. Kr bemerkt zuerst mit vollem Rechte, dafs man bis dahin immer ganz falsch die bei der Section gefundenen pathologischen Veränderungen im Ge¬ hirn auf den letzten Krankheitszustand bezogen habe, da man sie doch offenbar hätte unterscheiden müssen in Pro¬ dukte einer frühem Reizung des Gehirns, bedingt durch die oft wiederholte Einwirkung spirituöser Getränke, und in solche, welche durch die letzte Krankheit, das Del. trem. selbst, erst gesetzt wurden. Die Structurveränderungen, welche B. im Gehirne fand, waren zwar nie dieselben, wa¬ ren namentlich verschieden, je nachdem die Krankheit emen sthenischen oder asthenischen Charakter gehabt hatte, indefs zeigten sich doch nie, nur mit Ausnahme eines einzigen Falles, Spuren wahrer Gehirnentzündung (wie denn aller¬ dings wohl die durch das Del. trem. gesetzte Erregung des Gehirns bis zur Entzündung dieses Organs gesteigert wer¬ den kann, ohne dafs das Del. trem. deshalb eine Gehirn¬ entzündung ist); es waren immer mehr, wie solches auch schon Armstrong bemerkt hat, Zeichen venöser Congestion. Dafs auch im Rückenmarks - und Rumpfnerven-

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IV. Säuferwahnsinn.

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Systeme ähnliche Veränderungen, wie im Gehirne, sich vor¬ finden werden, glaubt B. zwar, ohne jedoch deren Existenz nachgewiesen zu haben. Aus den Resultaten der Leichen¬ öffnungen ulld den Erscheinungen der Krankheit schliefst 1». nun, dafs das Wesen des Del. trem. in einem ursprüng¬ lichen Ergriffensein des ganzen Nervensystems', und insbe¬ sondere des Gehirns bestehe, ohne jedoch näher die Art und W eise desselben angeben zu können. Dafs das Gehirn in dieser Krankheit leide, ist wohl noch von niemandem bezweifelt worden, es ist auch ferner wohl ausgemacht, und durch Göden und Ra rk hausen bis zur völligen Evidenz Bachgewiesen, dafs dieses Leiden kein entzündliches sei, cs entstände also jetzt besonders und zunächst die Frage da auch B. ein Ergriffensein des ganzen Nerven¬ systems anerkennt, wie dieses denn auch wohl von denen geschehen ist, welche die Krankheit als im Plexus solaris begründet ansahen, wie von Töpken, Fahren hörst, Göden wie das Gehirn im Del. trem. erkrankt sei, ob idiopathisch oder secundär erst in den Krankheitsprozefs hineingezogen durch eine frühere Affection des Rumpfner¬ vensystems;’ Leichenöffnungen werden freilich darüber nie entscheiden können, sie können höchstens, was einerseits schon geschehen ist, Structurveränderungcn im Gehirne und Rumpfnervensysteme nachweisen. Es bleiben also nach Ref.’s Ansicht nur zwrei Momente übrig, um eine Entscheidung des streitigen Punktes zu erhalten: eine Beachtung der Krankheitszeichen, wie sie sich in der Zeitfolge entwickeln, und ganz besonders eine Würdigung des Einflusses, welchen ein anhaltend fortgesetzter Gebrauch spirituösef Getränke auf den Körper ausobt. Einen Nebengrund für die Ent¬ scheidung würde auch wohl noch eine Prüfung der durch die Erfahrung bestätigten, zw-eckmifsigen Behandlung die¬ ser Krankheit abgeben, indem diese gewifs verschieden sein mufs, je nachdem das Gehirn oder das Gangliensystem der ursprüngliche Heerd der Krankheit ist. Alle^diese Momente dürften aber doch wohl für eine frühere Affection des

IV. Säuferwahnsinn.

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Gangliensystems sprechen, mag auch das Gehirn immerhin, ist es erst einmal in den Krankheitsprozcls mit verwickelt, überwiegend ergriffen scheinen, wie denn auch natürlicher¬ weise ein Ergriffensein des Gehirns sich klarer und be¬ stimmter in der Erscheinung aussprechen wird, als ein Leiden des Gangliensystems. Wie aber jene Momente die vom Ref. ausgesprochene Ansicht zu begründen im Stande sind, kann er hier nicht auseinandersetzen, sondern erspart sich dieses auf eine andere Gelegenheit. Dafs übrigens die Gödensche Ansicht wenig für sich habe, dafs sich Gö¬ den, um solche zu schützen, der auffallendsen Behauptun¬ gen über die Wirkung des Opiums und anderer Mittel be¬ dienen mufste, hat Ref. schon bei der Beurtheilung seiner Schrift bemerkt.

Therapeutik. Zuerst bemerkt B. däfs nicht ganz selten, besonders wenn die Anfälle der Krankheit gelinde sind, die Natur nach kürzerer oder längerer Dauer von seihst Hülfe schafft, indem sie einen wohlthätigen Schlaf und damit Genesung herbeiführt. Einen ganz hierher ge¬ hörigen Fall hat Ref. selbst beobachtet, und dessen schon in diesen Annalen Bd. IX. S. 192 gedacht. Was nun aber die Behandlung selbst anbelangt, so bemerkt B. zuerst, dafs diese Krankheit ganz vorzüglich einer angemessenen psychi¬ schen und moralischen Behandlung bedürfe. Zwangsmittel aller und jeder Art bringen im Kranken nur eine gröfsere Aufregung hervor, und können somit selbst Convulsionen und Apoplexie zur Folge haben; dagegen ist ein consequeri- tes, ernsthaftes und zugleich freundliches Benehmen gegen ihn nothwendig, um ihn einigermaafsen zu regieren. Auch zwinge man die Kranken nicht, sich zu Bette zu legen, sondern lasse sie frei im Zimmer, oder auch, wenn sie mögen, aufser demselben unter Begleitung herumgehen. So weit die allgemeine Behandlung. In Betreff der spe- ciellen gedenkt B. zuerst des sthenischen Del. trem. Nach einem Excurs über die Nachtheile, welche die grofsen Do¬ sen Opium in dieser Krankheit, wenn man nicht die Form

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IV. Säuferwahnsinn.

derselben genau berücksichtigte, gebracht haben, stellt B. für die Behandlung dieser Form folgende lndication auf*- Beruhigung des höchst aufgeregten Nervensystems , jedoch auch gleichzeitige Besänftigung der Stürme im Blutgefäfs- systeme, namentlich Ableitung der Congestionen vom Ge¬ hirne. Zu dem Ende sind angezeigt: Antiphlogistica, die indefs, indem sie nur einen Theil der aufgestellten Indica- tion erfüllen, selten die Heilung allein bewirken. Allge¬ meine Blutentlecrungen können in einzelnen Fällen wohl angezeigt sein, doch wende man sie nie an, wo man den nach ihnen einlretenden Uollapsus zu fürchten hat. Eben so erfordern auch örtliche Blutentlecrungen Vorsicht. Ab¬ führende Mittel zeigten sich besonders in den Fällen nütz¬ lich, in welchen sich die Krankheit lange im Stad, prodro- morum hielt, und mit Neigung zu Obstruetionen und sehr belegter Zunge verbunden war. Ungleich weniger wirksam waren blofs kühlende Salze, wie Salmiak und Salpeter. Hatte sich die Krankheit noch nicht völlig ausgebildet, und sprach sie sich noch mehr als erethischer Zustand des Blut- gefäfssystems aus, so fand B. Säuren, und namentlich das Elix. acid. Haller, sehr passend. Das Hauptmittel aber für die sthenische Form der Krankheit besteht nach ihm in dem Brecbwcinstein , den er, wenn Zeichen von Unreinig¬ keiten in den ersten Wegen vorhanden sind, zuerst als wirkliches Brechmittel, späterhin aber von 5 bis 20 Gran in fünf Unzen Wasser aufgelöst ein- bis zweistündlich zu einem Efslöffel reichen liefs. War der auf diese Weise herbeigeführte Schlaf nicht anhaltend genug, so liefs er gegen Abend noch einige Grane Doverscheu Pulvers neh¬ men; erregte das Mittel gleichzeitig übermäfsige Stuhlgänge, so setzte er einige Tropfen Tinct. Thebaic. zu. Nach dem Erwachen liefs er den Tart. slibiat. in geringerer Gabe und längeren Zwischenräumen noch eine Zeitlang forthrauchen. Indefs empfiehlt B. doch Vorsicht bei der Anwendung des Brechweinsteins in starken Dosen, indem derselbe in eini¬ gen Fällen Entzündung der Kachcnschleimhaut und selbst

1Y. Säuferwahnsinn.

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kleine Pusteln hervorbrachte, und er wohl mit Recht eine äh ul iche Einwirkung auf die Schleimhaut des Magens und dadurch entstehende Exulceration desselben befürchtet. Nie versäumte B. bei irgend bedeutenden Congestionen nach dem Kopfe kalte Umschläge, gewifs das Mittel, welches ohne sonst ir/rendwie zu schaden, die bei der sthenischen Form des Del. trem. zu befürchtenden Congestionen am besten beseitigt und in der Mehrzahl der Fälle die mit einer schädlichen Nebenwirkung verbundenen Blutauslee¬ rungen entbehrlich macht.

Eine andere Indication hingegen ist bei der asthenischen Form des Del. trem. zu stellen: sie besteht hier in Herab¬ stimmung der übermäfsigen Aufregung des Nervensystems durch Mittel, welche auf den übrigen Organismus nicht schwächend einwirken, sondern ihm vielmehr ein gewohn¬ tes Reizmittel einigermaafsen ersetzen. (Der Widerspruch, welchen diese Indication enthält, ist wohl nur ein schein¬ barer, also sapienti satl) Dieser Indication entspricht am besten das Opium , das B. jedoch nicht in .gröfserer Dose, als zu einem halben Grane zweistündlich angewandt wissen will. Aufser dem Opium bewiesen sich ihm noch in den geeigneten Fällen Campher und das flüchtige Ammonium nützlich. Den Moschus hält er beim einfachen Del. trem. vielleicht mit Unrecht für entbehrlich, indem es allerdings Fälle giebt, wo nur noch von den stärksten Erregungsmit¬ teln des sensibeln Systems etwas zu erwarten steht. Ar- nica, Valeriana und Serpentaria wandte er nach dem Vor¬ gänge Lind’s, Göden’s, Brandt’s u. a. als Adjuvantia an, ohne jedoch einen deutlichen Nutzen davon zu sehen. Vortheilhaft schienen sie ihm in Verbindung mit Mineral¬ säuren in Fällen zu sein, wo die Krankheit mehr den Oha- racter eines nervösen Fiebers angenommen hatte. Eine kurze Würdigung der aufserdem noch von andern Aerzten gegen diese Krankheit empfohlenen, gewifs aber sehr ent¬ behrlichen Mittel, z. B. der Digitalis, macht den Beschlufs dieses Kapitels. Gewünscht hätte Ref. wohl noch, dafs ß.

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V. Chronische Krankheiten.

etwas über die Nachbehandlung der Krankheit gesagt hätte, denn es genügt wohl nicht immer den Tart. stibiat. oder das Opium je nach Verschiedenheit der Form noch eine Zeitlang fortzugebrn. Ref. scheint es, dafs man erst dann die Behandlung als beendet ansehen könne und die baldige Erneuerung eines Anfalles nicht fürchten dürfe, wenn die Functionen der Digestion und Assimilation wiederum ge¬ ordnet sind. So lange dieses noch nicht geschehen ist, wird die Anwendung von Amaris nöthig sein, unter welchen besonders die stärkeren, das Blutgefäfssystein mehr erre¬ genden vorzuziehen sein dürften.

Den zweiten Theil dieses höchst schätzbaren Werkes macht die Mittheilung von 25 Krankheitsgeschichten aus, unter denen B. absichtlich mehr unglücklich abgelaufene Fälle mittheilt. Sie sind sämmtlich sehr gut erzählt, und ein dankenswerter Reitrag zur Casuistik dieser Krankheit. Ref. schliefst mit dem Wunsche, dafs der geehrte Verf. bald Mufse gewinnen möge, seine schon seit längerer Zeit versprochene Monographie über Phlegmasia alba dolens dem ärztlichen Publikum zu übergeben. Möge es ihm gelingen auch über di^e in ihrer Natur, wie in ihrer Behandlung noch immer sehr dunkele Krankheit ein helleres Eicht zu verbreiten.

G. II. liieht er.

v.

Uebcr die Natur und Heilung einiger chro¬ nischen Krankheiten. Von Dr. Heinrich II offmann, Stabsmedicus. (Auch unter dem Uin- schlagstitel: Zur Heilkunst. Nr. 1.) Darmstadt und Leipzig, Druck und Verlag von C. W. Leske.

.1828. 8. 235 S. (20 Gr.)

Nachdem es dem Ref. erst einmal cinigermaafsen ge¬ lungen war, sich mit der ungefälligen, zum Theil schwer

V. Chronische Krankheiten.

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verständlichen Sprache, in welcher dieses Luch geschrieben ist, vertraut zu machen, so hat er es mit vielem Interesse durchgelesen, und manche Belehrung darin gefunden. Altes und Neues, vorzüglich die neueren, auf pathologische Ana¬ tomie sich beziehenden Untersuchungen benutzend, stellt der Verfasser Betrachtungen über die Natur und die dem- gemäfs einzuleitende Behandlung einiger chronischen Krank¬ heiten auf, welche der Berücksichtigung sehr werth sind. Wie sehr es auch wohl erkannt ist, dafs dieses gerade der einzige Weg ist, auf welchem die Heilkunde wissenschaft¬ lich begründet werden kann, so müssen wir doch beken¬ nen, dafs noch immer eine grofse Kluft zwischen der Ana¬ tomie und Physiologie einerseits und der praktischen Heil¬ kunde andererseits existirt, und dafs die Aerzte nur spät erst eine Anwendung anatomischer und physiologischer Ent¬ deckungen auf die praktische Medicin machen. Um so dank¬ barer müssen wir aber auch jeden Versuch , welcher von diesem Standpunkte aus unternommen wird, annehmen.

In einer Einleitung schickt der Verf. Bemerkungen über die Krankheiten der Nieren überhaupt voraus, und beklagt, dafs die Krankheiten dieser Organe nur zu wenig von den Aerzten zum Gegenstände ihrer Untersuchung gemacht worden, weshalb sie auch noch dunkler denn die anderen Organe seien.’ Wenn der erste Theil dieser Behauptung auch wohl nicht vollkommen wahr ist, indem gerade diese Krankheiten vielfältig bearbeitet worden, schon zu Zeiten, welchen den Krankheiten anderer Organe, z. B. des Ge¬ hirns, des Herzens eine ungleich geringere Aufmerksamkeit geschenkt ward, so gilt es allerdings, dafs die Diagnostik der Nierenkrankheiten recht sehr schwierig ist. Dazu dürf¬ ten aber wohl vor allem besonders die Gründe beitragen, welche der<Verf. denn auch anführt, dafs kein Organ unter so mannigfaltigen Abweichungen seiner Gestalt hervortritt, dafs selbst bei Krankheiten dieser Organe ihre Function gleichwohl noch regelmäfsig von statten geht, oder dafs auch wohl andere Organe die Function derselben über-

V. Chronische Krankheiten.

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nehmen. Aus diesen Gründen kam es besonders, dafs wie wir auch durch die pathologische Anatomie mit den krank¬ haften V eränderungen dieser Organe bekannter wurden, die Behandlung dieser Zustände gleichwohl kaum auf irgend eine AVeise gefördert wurde, wie solches der Verf. nament¬ lich von der Nierenvereiterung zeigt. ln solcher Erwägung glaubte der Verf. um so mehr seine über einige Krankhei¬ ten der Nieren gemachten Erfahrungen dem ärztlichen Publikum nicht vorenthalten zu dürfen. Er beginnt nach dieser Einleitung mit der

Blennorrhoea renalis. Was zuerst die Erschei¬ nungen dieser, wenn lief, nicht irrt, bis dahin nur höchst beiläufig und meistens in Verbindung mit dem Blasencatarrh beschriebenen Krankheit anlangt, so hebt der Verf. beson¬ ders folgende hervor: Zu den ersten und beständigsten ge¬ hört ein schleimiger Urin, der ungeachtet eines Bodensatzes nicht vollkommen klar wird. Unter Erscheinungen eines rnitergriffenen Venensystems und Neigung zu Schweiisen wird die Aussonderung des Urins behindert und vermindert. Gleichzeitig klagen die Kranken über Druck und Spannung in der Nieren- und der Eumbargegend überhaupt. Die schmerzhaften Empfindungen verbreiten sich dem Eaufe der Ureteren entlang bis zu den Schenkeln hinab, in welchen sie ein Ziehen mit Gefühl von Kälte veranlassen. Noch deutlicher äufsert sich der Nierencatarrh, wenn, was nicht selten geschieht, dieses Beiden mit anderen catarrhalischen Beschwerden im Organismus, namentlich mit Husten und Schnupfen abwechselt. Oft aber wird auch der Magen cousensuell afficirt, wodurch das ursprüngliche Nierenleiden in den Hintergrund tritt und die Diagnose erschwert wird. Dieses sympathische Beiden des Magens spricht sich beim Nierencatarrh durch eine belästigende Unordnung in dem Verdauungsgeschäfte aus, die sich ganz vorzüglich dadurch äufsert, dafs der Kranke häufig ein Gefühl von Schwäche und Beere in der Magengegend empfindet, wodurch sich dann eine Elatuientia convulsiva ausbildet. Dieser Nieren-

V. Chronische Krankheiten.

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catarrli beruht auf einer krankhaft gesteigerten Absonderung der Schleimhaut, die aber nicht, wie dieses in Folge von Entzündung derselben geschieht, aufgelockert ist, sondern ihr natürliches Verhalten beobachtet, wohingegen in dein Umfange des erkrankten Organs ein Zustand von Congestion besteht, so dafs sich die venösen Gefäfse aufgetrieben und überfüllt darstellen. Als das eigentliche Wesen dieser, so wie analoger, Krankheiten erkennt der Verf. eine Störung der Reproductionskraft im Venen- und Lymphgefäfssysteme an. Es ist demnach in dieser Krankheit die Aufgabe ge¬ stellt, die Reproductionskraft des Schleimsystems wiederum in Thätigkeit zu versetzen, und das venöse System gleich¬ falls in seiner Function wieder zu beleben. Als die diesem Zwecke entsprechenden Mittel nennt der Verf. besonders die Fol. uvae ursi, die er anfangs den Kranken in Form eines Thee’s, nachher als Pulver reicht, demnächst den Lichen island. mit Säuren. Aufserdem mufs die Diät des Kranken genau berücksichtigt werden, worüber sich der Verf. aus¬ führlich ausläfst. Ref. hätte wohl gewünscht, dafs der Verf. den Nierencatarrh von dem Blasencatarrh durch be¬ stimmtere Zeichen unterschieden hätte. Ob eine solche Sonderung, mindestens für das ärztliche Heilverfahren , von Nutzen sei, mag er nicht untersuchen, nur hätte sie, da sie einmal unternommen worden, auch durchgeführt werden sollen; denn die vom Verf. aufgestellten Zeichen des Nie- rencatarrhs dürften diesen keinesweges vom Blasencatarrhe in specie unterscheiden, worunter man aber freilich wohl bis dahin den Nierencatarrh mit begriffen hat.

Haemorr hoea renalis. Der Verf. versteht hier unter Blutharnen ein rein idiopathisches, durch innere Ur¬ sachen bedingtes Leiden, und zwar in der Art, dafs die Venen aus Mangel an organischer Thätigkeit das von den Arterien ihnen zugeführte Blut nicht aufnehmen, solches mithin durch die Haargefäfse in die Bellinischen Gefälse übergeht und sich so dem LTine mittheilt. Belebung des Venensystems durch Mineralsäuren oder auch in dringenden

48 V. Chronische Krankheiten.

Fällen durch topische Blutauslcerungen, leitet das "N erfah¬ ren des Arztes. Immer aber hat man darauf zu sehen, dafs sich nicht wegen des durch diese Krankheit gegebenen Con- gestionszustandes in den Nieren eine Entzündung derselben ausbilde. Ein anderes Moment, auf welches der ^ erf. auf¬ merksam macht, besteht darin, dafs eben vermöge der ln- gleichmäfsigkeit, welche durch diese Krankheit sich über den ganzen Kreislauf verbreitet, Congestionen nach anderen Theilen sich ausbilden, unter denen besonders die nach den Brustorganen von Bedeutung sind.

Phthisis renalis. Zuerst bemerkt der Verf. , dafs cs wohl auch^in den Nieren eine doppelte Art von Schwind¬ sucht geben möge, eine schleimige, und eine eiterige. Die erstere würde sich aus der Blennorrhoe der Lungen aus¬ bilden, aber wohl wegen des Gefäfsrcichthums der Nieren früher in die eiterige übergehen, als heetisches Fieber hin- zutreten und sonach eine eigentliche Schwindsucht sich aus¬ bilden könne. Demnächst weist der Verf. andere krankhafte Zustände in den Nieren nach, wodurch Eiter mit dem Urine entleert wird, ohne dafs gleichwohl wahre Nierenschwind¬ sucht da wäre, indem nämlich die innere Schleimhaut der Nieren im Zustande von venöser Aufreizung statt Schlei¬ mes, Eiter zu erzeugen im Stande wäre, wobei jedoch die Structur des Organs seihst unverletzt bleibe. Die eigent¬ liche Nierenschwindsucht bildet sich nach dem Verf. immer aus einem Nierenabscesse aus, so dafs also zuerst immer Zeichen einer Nephritis vorausgehen. Einer durch Tuber- kelmassc sich ausbildenden Schwindsucht, die gewifs auch in den Nieren vorkommt, gedenkt der Verf. nicht. Be¬ ginnt eine Eiterung in den Nieren, so bemerkt man zuvör¬ derst eine zunehmende Störung in den Verdauungsorganen, die Kranken bekommen eine eigene Gesichtsfarbe, die bei¬ nahe denen, welche an einer Krankheit der Leber leiden, ähnlich ist.. Eine früher schon vorhandene Betäubung in den Schenkeln verbreitet sich zuerst über die untern Extre¬ mitäten , nach dem Gesäfse, den Iloden, steigt selbst bis zu

den

V. Chronische Krankheiten.

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den oberen Extremitäten hinauf, so dafs die Kranken zu jeder Bewegung unfähig werden. Dahei besteht eine aufser- ordentllche Empfindlichkeit in den leidenden Theilen. Höchst profuse Schweifse haben einen widrigen Geruch, der, wie ein Kranker bemerkte, dem der Mäuse ähnlich war. Sei¬ tenlage vermehrt die Schmerzen in der Nierengegend. Im Urine schlägt sich ein , weifsen Eiter enthaltender Boden¬ satz nieder, so dafs der überstehende Harn durchaus hell 7 *

ist, und in seltenen Fällen nur weifslicbe Flecken, die so¬ genannten Carunculae renales in ihm herumschwimmen. Was die Behandlung der Nierenschwindsucht anlangt, so stellte sich der Verf. zuerst die Aufgabe, das Venensystem in eine regere Thätigkeit zu versetzen, indeil! nach seiner Ansicht die Abscefsbildung in den Nieren besonders durch eine gehemmte Thätigkeit in diesem Systeme erfolgt. Mine¬ ralsäuren in einem Aufgusse der Digitalis, oder Fol. uvae ursi, leisteten ihm in dieser Hinsicht immer die trefflichsten Dienste. Eine zweite Indication bezweckt die Hemmung des Eiterungsprozesses in den Nieren, welchem Zwecke der Verf. besonders durch Anwendung des Bleies, und zwar des Saturnus phosphoricus entgegenzukommen sucht, in¬ dem er glaubt, dafs dieses Mittel länger als der Bleizucker gegeben werden könne, bis es nachtheilige Wirkungen äufsere. Zwischendurch läfst er den Lichen mit Schwefel¬ säure brauchen. Gegen die bei dieser Krankheit statt fin¬ dende Paresis extremitatum bewiesen sich ihm besonders Bäder aus Calam. aromat. , oder auch aus Salz - und Salpeter¬ säure nützlich.

Die zweite Hälfte dieses Buches nimmt die letzte Ab¬ handlung über P h t h is is pulmonalis ein. Zuerst bemerkt der Verf., dafs trotz aller Untersuchungen über diese Krank¬ heit die Natur derselben gleichwohl noch sehr dunkel sei, und die darüber aufgestellten Ansichten keinesweges genü¬ gen. Dieses gilt namentlich von einer der neuesten, der Lorinsers. Die Beobachtungen von Allan und andern, auf welche dieser seine Ansicht baut, scheinen dem Verf.

4

XIII. Bd. I. St.

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V. Chronische Krankheiten,

unzureichend, und werden von ihm zunächst widerlegt. Aber auch die Annahme Laennec’s, als ontstäude die Lungenschwindsucht immer, oder doch in den allermeisten Fällen aus Tuberkeln, scheint ihm nicht genügend, indem er nachzuweisen bemüht ist, wie theils andere Afterorgani- sationen, namentlich die Melanose und das Mcdullarsarcom, Lungenschwindsucht zu erzeugen vermögen, theils aber alle diese Afterorganisationen in venöser Unthätfgkeit des Or¬ ganismus beruhen, indem sich dadurch excrementitielle Stoffe aus dem Mute in das Zellgewebe absetzen, und diese nach Verschiedenheit des Orts und anderer cinwirkender Momente bald dieses, bald jenes der genannten Gebilde erzeugen. Demnächst entwickelt der Verf. die Erscheinun¬ gen der Lungenschwindsucht, wie sie nach ihrer verschiede¬ nen Entstehung, sei es durch einen hämoptysischen oder chlorotischen Charakter, bedingt werden, und entwirft zu¬ letzt die demgemäfs einzuleitende Behandlung. Mineralsau¬ ren werden auch hier ganz besonders empfohlen , als Mittel, welche die venöse Untätigkeit zu heben im Stande seien. Jedoch würden sie nur für den Anfang der Krankheit pas¬ sen. Ist erst die Reproduction leidend, so unterstützen sie nur die Wirkung anderer, alsdann anzuw'cndender Mittel, wohin der Verfasser besonders die China und das Blei rechnet. Demnächst wird noch der Blutausleeruncen und Bäder , in sofern sie bei der Behandlung dieser Krankheit wichtig sind, gedacht, und das Regimen vitae einer sorg¬ fältigen Prüfung unterworfen.

Hat sich Ref. gleich bemüht, den wesentlichen Inhalt dieser Schrift anzugeben, so zweifelt er beinahe, dafs ihm dieses vollkommen gelungen sein möge. Der Gang der Untersuchung ist nicht immer gleichmäfsrg fortgeführt , neue und dem Verf. eigentümliche Ansichten sind mit alten und längstbekannten so innig verknüpft, dafs sie kaum eine Son¬ derung gestatten, an Episoden und mannigfachen Excursen fehlt es nicht durch alles wird eine genaue Darlegung des Inhalts erschwert. Noch weniger konnte sich Ref. in

5t

VI. Heilnng der Krankheiten.

eine Prüfung der vom Verf. aufgestellten, allerdings zu be¬ rücksichtigenden Ansichten einlassen, da ihn diese bis an die äufsersten Gränzen der Physiologie geführt haben würde.

G. II. Hicht er.

VI.

1. Ideen zur Aufstellung und Begründung eines einfachen all ge mein gültige n Na¬ tur ge setzes; von E. D. Stahl, der Heilkunde und Weltweisheit Doctor. Hannover, hei Hahn. 1824. 8. X und 110 S. (8 Gr.)

2. Entwurf eines naturgemäfs en Verfah¬ rens, Krankheiten zu heilen; von E. D. Stahl, der Heilk. und Weltw. Doctor. Erster Theil. Hannover, in Commission bei Helwing. 1828. 8. XVI und 428 S. (2 Thlr.)

Der gegenwärtige Riesenbau der Naturwissenschaften und der Heilkunde ist in einer langen Reihe von Jahrhun¬ derten und mit grofser Mühe, aus einer Menge kleiner und einer verhältnifsmäfsig geringen Anzahl grofser Bausteine bis zu seiner gegenwärtigen Höhe geführt worden. Wenn keiner glauben mag, dals einer der kleinen Bausteine für sich allein wesentlich zum Ganzen beigetragen habe, so haben doch schon manche irrig geglaubt, dafs einer der grofsen Bausteine allein den Grund und die Stütze des Ganzen ausmache. Die Geschichte, genau in ihren That- sachen erkannt und nach ihrem Geiste geprüft, zeigt, dafs auch die gröfsten Männer und die von ihnen ausgegangenen einflufsreichsten Entdeckungen und Umgestaltungen nur als mehr oder minder grofse Momente der geschichtlichen Ent¬ wickelung betrachtet werden dürfen , und selbst durch \ or-

4 *

5 2

VI. Heilung der Krankheiten.

und Mitwelt bedingt waren. Gianbt endlich gar jemand, dafs irgend eine einzelne Ansicht die gesamrrten bisherigen Ergebnisse vernichte und dadurch ein durchaus neues, nir¬ gends mit der Vorwelt zusammenhängendes Ganze erbaut werden könne, so setzt er schon eben dadurch seinen Ver¬ stand und sein Wissen in das ungünstigste Licht. Dieser letztere Satz findet nun in dem vollestcn Maafse bei dem Verf. obiger Schriften seine Anwendung, lief, kann und wird nie in die gewissenlose Weise derjenigen Ilecensenten eingehen, die, wo sie die gewöhnliche Lobhudelei anzubrin¬ gen scheuen, doch mindestens ihren ein furchtsvollen Bück¬ ling gegen die Schriftsteller zu machen nicht unterlassen; ein solches leider sehr häufiges Verfahren bringt jedes kri¬ tische Blatt um das Vertrauen des Publikums und führt viel üblere Folgen herbei, als ein mit Würde und Anstand ge¬ führter literarischer Streit; denn ohne Streit und Wider¬ rede giebt es auf dem Gebiete des Wissens selten einen Fortschritt. Mag daher immerhin der \erf. den lief, den andern von ihm getadelten Kritikern, die über ihn ungün¬ stig geurthcilt haben, anreihen. Unser Uriheil geht kürz¬ lich dahin, dafs das vorgebliche neuentdeckte Naturgesetz keinesweges neu, sondern allgemein bekannt und längst auf ■% iel geistreichere Weise dargelegt worden sei, dafs dasselbe aber keinesweges zur Gründung einer allgemeinen Heilme¬ thode hinreiche, und dafs endlich das vorgeschlagene Heil¬ verfahren im höchsten Grade unzureichend sei und dem bisherigen weit nachstche. Die Begründung dieses Urtheils wird sich aus einer möglichst gedrängten Anzeige Leider Werke ergeben.

Nro. L, als Grundlage von Nro. 2., stellt als Haupt- lchren der Physik und Biologie folgende Sätze auf: Kraft und Widerstand, Wechsel Wirkung und Wechselbestim¬ mung, sind der Grund aller Thätigkcit. Jedes Ding will das andere zerstören; dieses sucht sich zu vertheidigen ; sein Dasein hört auf, sobald es keinen Widerstand zu leisten vermag. Alle Gegenstände der Natur und die einzelnen

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YI. Heilung der Krankheiten.

Theile jed es besonderen Gegenstandes sind in beständigem Kampfe gegeneinander, und suchen sich wechselsweise auf- zureiben. Die Bewegung der Weltkörper, das Verhaltuifs des Festlandes zur See und der Streit der Elemente sind Folgen jenes Kampfes. Die Erde ist die feste Grundlage jedes Wesens. Das Wasser ungehemmt wirkend dient nur der Zerstörung; erst bei der Hemmung wirkt es zur Bil¬ dung. Die Luft und das Feuer wirken ebenfalls als Ele¬ mente. Aus den bekannten vier Elementen entwickelt sich im Kampfe alles, was ist, zuerst das Anorganische, dann die Pflanzen, zuletzt die Thiere; unter diesen sind die pflan¬ zenfressenden alter, als die fleischfressenden. Jedes entstand wahrscheinlich aus einem Stoffe, der dem analog ist, wel¬ cher ihm nachher zur Nahrung diente. Der Mensch, durch Verstand die stärkste Kraft gewinnend, beherrscht die ganze Erde in beständigem Kriege, den die Aufsenwelt mit ihm und er mit ihr führt. Nahrung und Kleidung sind seine Schutzmittel gegen die ihm drohende Zerstörung. Diese droht ihm am meisten an den Punkten, wo er mit der Aufsenwelt in Berührung ist. Schlaf ist ein augenblickli¬ ches Zurückweichen aus dem Kampfe. Die Fortpflanzung ist ein Kampf der Geschlechter. «Krankheit ist der Zu- staud, wo ein Mifsverhältnifs des Wdderstands Vermögens zu den Umgebungen eingetreten ist. » Auf diese Ansicht der Krankheit, die offenbar nicht viel anders lautet, als die von Brown, wird nun in No. 2. mit Verachtung aller bisherigen Erfahrung ein neuer Plan zur Heilung der Krank¬ heiten des Menschengeschlechts gebaut. Es kann selbst jedem der Heilkunde unkundigen Menschen leicht erwiesen werden, und ist jedem Arzte so klar, als nur irgend etwas sein kann, dafs bei sehr vielen leichten und schweren Krank¬ heiten das ursächliche Verhältnifs noch ganz im Dunkeln liegt, dafs bei einem grofsen Theile der Krankheiten die Ursachen, wenn sie einmal eingewirkt haben, gar nicht weiter in Betracht kommen können, weil das Uebel nun ganz selbstständig besteht, z. B. bei Brüchen und Verren-

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VI. Heilung der Krankheiten.

kungen, so wie Lei allen ansteckenden Krankheiten, und dafs endlich seihst Lei fortwirkender äufserer Aeranlassung tur Krankheit hierin immer nur die eine Seite liegt, die andere aber in den inneren Verhältnissen des Kranken be¬ gründet ist, wie in der Lehre von der Krankheitsanlagc erwiesen wird. Für den Verf. giebt es, um nach den bis¬ herigen Kunstausdrücken zu sprechen, nur eine einzige Anzeige, die Indicatio causalis. Diese Anzeige ist auch bisher von jedem verständigen Arzte beachtet worden, aber nie für sich allein', sondern immer in Verbindung mit allen andern Anzeigen, die, im Allgemeinen bekannt, sich für jeden einzelnen Fall auf besondere Weise ergeben. Es ist ganz undenkbar, dafs der Verf. auf die von ihm angegebene Weise viele Krankheiten behandelt habe; der Nachtheil müfste sich ihm auf so schneidende Weise dargestellt ha¬ ben, dafs ihm über die Unrichtigkeit seiner Ansicht kein Zweifel hätte bleiben können. Zum Glücke ist die vorge¬ schlagene Verfahrungsweise fast überall so unbedeutend, dafs man dieselbe als reine Methodus exspectativa ansehen kann, und sie also vorzüglich nur in den Fällen nachthei¬ lig sein wird, wo ein positives Eingreifen nöthig ist; nur in den Fällen schadet der Verf. sehr oft auf directem W ege, wo er die Ursache der Krankheit in Erkältung sucht und daher möglichst erwärmend ein wirken will, was oft nach erfolgter selbstständiger Bildung hitziger Krank¬ heiten sehr nachtheilig ist.

Zum näheren Beweise der Unzweckmäfsigkeit der hier angegebenen Ileilarten wollen wir die hier vorgeschriebenc Behandlung einiger Krankheitsformen in Erwägung ziehen, müssen jedoch bemerken, dafs dieselben keinesweges etwa von geringerem Werthe sind, als die nicht angegebenen. Der Typhus, fälschlich mit Febr. continua continens für identisch gehalten, erhält eine Diät, wie sie in dieser Krank¬ heit gewöhnlich ist; arzneilich soll selten und nur zur Ver¬ hütung m eines fauligten Gährungsprozesscs eingewirkt wer¬ den. Dazu werden vorgeschlagen: kohlcnsaures Ammonium,

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VI. Heilung- der Krankheiten.

zw eistundlich zu 15 Lus 20 Tropfen mit Wasser verdünnt, oder IJssigäther in einem aromatischen Wasser; späterhin Ca Im us und China. Dafs die verschiedenen Formen des Typhus auch sehr verschiedene Behandlung verlangen, dafs man zuweilen deprimirend, zuweilen excitirend dabei ver¬ fahren müsse, dafs die Kälte dabei oft wohler thue, als die Wärme, sheint dem Yerf. unbekannt. Bei den Masern soll man während des Ausbruchs kühl halten, nach erfolg¬ tem Ausbruche aber die gewöhnliche Wärme gewähren. Entsteht dabei Husten, Augen- oder Lungenentzündung, so wird dies immer einer besonderen Erkältung zugeschrie¬ ben, und daher angerathen: die Wärme zu verstärken, so wie Liq. ammon. anis. mit Tinct. opii, warme weinigte Getränke, und gutes warmes Weifsbier zu verordnen. Ist Lungenentzündung von Erkältung entstanden, so mufs man allmäblig erwärmen; dies geschieht durch Erhöhung der Luftwärme bis zu 15 Grad Reaum., warme Bedeckung und Darreichung von Ammon, anis. mit Opiumtinctur. Entstand das Uebel von örtlicher Einwirkung kalter Luft, so soll man Dämpfe von Fliederthee mit Essigäther (!) einathmen, und die Atmosphäre des Kranken mit Sauerstoff schwängern lassen. Wird über Schmerz an einzelnen Stellen der Brust geklagt, so soll man Blutegel, oder besser noch, trockene Schröpfköpfe, auch äufserlich scharfe Mittel anwenden. Gesichtsschmerz und Hüftweh werden durch vermehrte Wärme, Reibungen, allenfalls mit ätherischen Oelen oder scharfen Mitteln, und innerlich etwas Opium, geheilt.

Doch genug des Unsinns. Der Anzeige eines zweiten Iheils werden wir hoffentlich durch den Verf. selbst ent¬ hoben werden, da der erste schwerlich einen die Kosten , /

deckenden Absatz haben dürfte.

Lic htenst ädt.

5G VII. Wiederherstellung zerstörter Thcilc.

VII.

Chirurgische Erfa h r u n g c n, besonders über d i e W icderherstellung zerstörter T h e i 1 e des menschlichen Körpers, nach neuen Methoden; von Dr. ,1. F. Dieffenbach, prak¬ tischem Arzte in Berlin. Mit zwei lithographischen Abbildungen. Berlin, hei Enslin. J829. 8. VIII und 102 S. (16 Gr.)

Die hier mitgetheilten höchst interessanten Erfahrun¬ gen zeigen auf das Deutlichste, wie sehr dieser Zweig der Chirurgie noch der Vervollkommnung bedurfte, und wie sehr diejenigen irrten, die da glaubten, dal's derselbe bereits durch die neueren Angaben eines v. Gräfe, Dünger, Benedict u. a. den Gipfel der N ollkommenheit erreicht hätten. Wie überhaupt jede Erfindung erst atlmählig durch vielfältige Versuche zur Vollkommenheit gelangt, so kön¬ nen wir uns auch nicht wundern, wenn die bisher als Norm angenommenen Methoden eines v. Gräfe, den man mit Recht den Begründer der Rhinoplastik nennt, Modificatio- nen, und zwar höchst wichtige, erleiden. Die Methoden des talentvollen Verf. weichen von allen bis jetzt angege¬ benen wesentlich ab, sie sind für den Kranken selbst mit geringeren Leiden und Besch werden verbunden, und, was die Hauptsache ist, sie liefern ein bei weitem schöneres Kunstproduct; es ist daher wohl keinem Zweifel unterwor¬ fen , dafs sie den bisherigen vorzuziehen sind , leider passen sie nur nicht in allen Fällen.

Der Verf. spricht 1. über den Wiede rersa tz der Nase. In das Speciellc der einzelnen Methoden der Nasenbildung lafst er sich nicht ein, er liefert nur einige Zusätze zu den vorhandenen, allgemein bekannten Erfah¬ rungen, und macht besonders darauf aufmerksam, dafs bei allen am Gesicht vorkommenden Operationen, vorzüglich

VII. Wiederherstellung zerstörter Theile. 57

i

aber bei der Bildung einzelner Theile desselben durch Trans¬ plantation, die Schonung der vorhandenen, mit dem Wie¬ derersatz der verloren gegangenen, von gleichem Werthe und von gleicher Wichtigkeit sei ; ferner darauf, dafs der¬ jenige Wundarzt die beste Hautnase machen werde, der auch mit der Geschicklichkeit eines Bildhauers dieselbe aus unorganischer Masse zu formen im Stande sei; endlich dar¬ auf, dafs es Individuen mit gänzlich fehlenden Nasen gäbe, bei denen man den Versuch machen könnte, die beiden Seitentheile der Nase aus der benachbarten Wangenhaut, und das Septum nebst der Spitze der Nase aus der Ober- ii'pp e zu bilden. Dann kommt er zu seiner Methode, und hat gewifs sehr recht, wenn er behauptet, dafs durch die¬ selbe die bekannten Methoden des Nasenersatzes aus der Stirn und aus dem Arm sehr beschränkt werden möchten. Er versuchte es, die durch syphilitische oder scrofulöse Krankheiten tief in den Kopf gesunkene Nase (die auf diese Weise verunstalteten Individuen machen offenbar die Mehr¬ zahl aus) wieder aufzubauen. Seine Operationsmethode be¬ steht blofs darin, dafs die Trümmer der alten Nase, die zu einer neuen benutzt werden sollen, in mehrere Theile zer¬ legt, aus der Tiefe hervorgezogen, und durch passendes Aneinanderheften unter sich und ihrem Boden aufrecht ge¬ stellt, und durch geringe Unterstützungsmittel während des Heilungsprozesses in dieser Lage erhalten werden. Das Specielle derselben können wir hier nicht mittheilen, wreil wir sonst zu weitläuftig werden würden, es genüge uns daher zu bemerken, dafs nicht nur alle Operationsmomente höchst instructiv beschrieben sind, sondern dafs. auch der Verf. seine Methode mit vielem Erfolge bei mehreren schau¬ derhaft aussehenden Kranken anwandte. Letzteres beweisen die hier erzählten Krankengeschichten über die Ausbesse¬ rung einer durch Krankheit verstümmelten Nase, einer durch Verwundung verstümmelten Nase und Oberlippe, die Ver¬ änderung der Gestalt der Nase durch die Operation eines Nasenkrebses, die Bildung einer ganzen Nase (s. die Abbii-

58 \ II. "W ieclerherstellnng zerstörter Theile.

(Jungen) und über den \ ersuch zur Nasenbildung aus dem Arm, Ausbesserung einer verstümmelten Oberlippe und Hei¬ lung eines Ectropiuras an demselben Subjerte. Alles Falle, die gewils jeder mit dem gröfsten Vergnügen und mit dem innigsten Gefühl von Hochachtung Tür den Hrn. Ycrf. le¬ sen wird.

II. Geber die Bildung der Lippen bei V er- schliefst! ng des Mundes durch Geber pflanz ung der Schleimhaut. S. 40. Alles was die Chirurgie bis jetzt zur 'S erbesserung dieses Zustandes angerathen hat, sind einige wenige und höchst unvollkommene Operations- methoden. Man versuchte die Heilung der verengerten Mundöffnung auf dreierlei Weise, entweder nämlich man wollte das verengerte Mundloch unblutig erweitern, oder blutig durch den Schnitt und das Wiederverwachsen durch dazwischen gelegte fremde Körper verhindern, oder end¬ lich man bildete zuvor mit dem Troacar und Bleidrath einen Mundwinkel, und spaltete dann den übrigen Theil. Dals alle drei Methoden höchst mangelhaft sind, bedarf kaum einer Frage, und wird auch vom Verf. deutlich bewiesen.

, Des Verf. sehr sinnreiches und nachahmenswertes Ver¬ fahren besteht im Wesentlichen darin, dafs zu beiden Sei¬ ten des Mundlochs ein Streifen aus den Weichgebilden, mit Schonung der inneren Schleimhaut, mittelst des Ein- stofsens einer spitzen Scheere ausgeschnitten wird, worauf man die Schleimhaut der innern Wange spaltet, mit der¬ selben die Wundränder gleichsam umsäumt, und diese so anhält. J)en erfreulichsten Erfolg dieser Methode sah er in den zwei hier mitgetheiltcn Fallen, auf deren Nachle¬ sung wir verweisen müssen.

III. Geber den organischen Wieder ersatz des zerstörten (jaumensegels. Leider gelang diese Ope¬ ration nicht, woran aber gewifs nicht Gngcschicklichkcit von Seiten des Operateurs schuld war, denn bei dem Hin¬ einblicken in die Mundhöhle nach der Operation sah man- eine an beiden Seiten anliegeudc Scheidewand mit ihrer

VII. Wiederherstellung zerstörter Theile. 59

künstlichen Oeffnung in der Mitte zwischen der Mund- und Rachenhöhle, deren unterer Rand sich so stark gegen die Zungenwurzei senkte, dafs, im Fall des Gelingens, eine Verschliefsung der Mundhöhle nach hinten, das Bedingnils einer reinen menschlichen Stimme, möglich zu sein schien.

IV. Ueber die künstliche Bildung der Vor¬ haut. In Fällen, wo eine völlige Verwachsung der innern Lamelle der Vorhaut mit der Oberfläche der Eichel statt fand, bemerkte der Verb, dafs die Cutis des Gliedes, trotz dem, dafs er die ganze Vorhaut rings um das Glied abge¬ tragen hatte, dem allgemeinen Gesetz der Hautverlängerung an frei liegenden Wundrändern folgte, bald über den Rand der Eichel hinüberragte und mit dem hinteren Drit- theil der Oberfläche der Eichel in eine entstellende Nar¬ benmasse zusammenschmolz. Um diesen Uebelstand zu ver¬ hindern , kam er auf den Gedanken, aus der äufseren Haut¬ platte eine neue Vorhaut zu bilden. Er zog daher die Haut stark nach hinten zurück, trennte sie noch einen Drittel¬ zoll weit über die Eichelkrone hinaus ringförmig um das Glied herum los, stülpte sie dann nach innen um und schob ihren Wundrand durch Manipulation bis über die Eichel¬ krone hinauf, wodurch demselben Gelegenheit gegeben wurde, sich daselbst anzusetzen. In dieser Lage wurden die Theile durch ein vielfaches Umwickeln mit dicken, durch Heftpflaster gezogenen baumwollenen Fäden erhal¬ ten. In beiden hier mitgetheilten Fällen gelang die Bildung einer künstlichen \orhaut vollkommen, ja was noch mehr ist, die der atmosphärischen Luft entzogene Cutis verwan¬ delte sich sogar in eine absondernde Membran.

V. Ueber die Z erreifsu n g des Mittelfleisch es. S. 64. Der Verf. hatte es mit einer sehr bedeutenden, bis in den Mastdarm gehenden Zerreifsung des MittelfleisChes zu thun. Nachdem er die Ränder sorgfältig abgeschnitten und die Blutung gestillt hatte, brachte er zuerst mit einer starken krummen Nadel eine dicke Ligatur in der Mitte der Spalte an, und legte dann noch aufser dieser Knopfnath

60 VII. Wiederherstellung zerstörter Thcile.

mehrere umschlungene Nadeln an. Hierauf schlug er ein Verfahren ein, welches jede Zerrung, Dehnung und Span¬ nung von den neu vereinigten Thetien abhielt, und ihnen so zu sagen Mufse zum Zusammenheilen gewährte, nämlich das seitliche Durchschneiden sämmtlicher Ilautgebilde im Umkreise der angelegten Nath. (Die erste Idee hierzu hat¬ ten ihm seine glücklichen Versuche mit der Durchschnei¬ dung der Seiten des Velums nach angelegter Gaumennath gegeben.) Unmittelbar nach diesen Seitenschnitten trat ein starkes Klaffen ihrer Ränder ein, wodurch jede Spannung gehoben wurde, und der ganz isolirte Mitteilheil, also die Nath mit den Hautstreifen , senkte sich um einen halben Zoll in die Tiefe, so dafs die liauträndet der Umgebung wie feine Abschnitte oder Stufen mit scharfen Rändern her¬ vorstanden. Ein N erband w urde weiter nicht angelegt. Nach manchen noch zu beseitigenden Schwierigkeiten, die hier mitzutheilcn zu weitläuftig sein würde, gelang die Heilung vollkommen; wir bemerken, dafs keine der ange¬ legten Näthe ausrifs. Der Verf. fügt noch einige Bemer¬ kungen über die Zerreifsung des Dammes im Allgemeinen hinzu. Er räth, nie und unter keinen Umständen einen zerrissenen Damm während des Wochenbettes und der Eactationsperiode zusammenzunähen, aufser wenn man das Mittelfleiscb hätte einschneiden müssen; ferner sich nicht der Zapfennath, sondern der umschlungenen in Verbindung mit der Knopfnath zu bedienen, keinen complicirlen Ver¬ band, nicht einmal eine T binde anzulegen, sondern blofs kalte Umschläge zu machen; auch keinen Schwamm, kein Pessarium, keine Ubarpie in die Scheide einzubriugen. Zum Sthluls thcilt er noch einige von andern zum Theil ohne Erfolg unternommene Operationen der Art, so wie die Li¬ teratur des Dammrisses mit.

NI. Ueher den Wiederersatz der theil weise zerstörten Harnröhre durch Ueber pflanzung der Haut. Obschon die Operation nicht gelang, so ist doch der Fall an sich interessant genug. Vou den drei mög-

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VIII. Scarpa’s chirurgische Schriften. 61

liehen Operationsmethoden zur Schliefsung der abnormen Oeffnung, nämlich entweder durch einen vom Scrotum los¬ getrennten Lappen, der durch blutige Näthe an die abge¬ tragenen Ränder der Oeffnung befestigt wurde; oder durch Zusammenfügung der blutig gemachten Ränder der Urethra, indem ihr vorderer Rand mit dem hintern in Verbindung gebracht wurde; oder endlich durch das Zusammenheilen zweier an den Seiten des Gliedes gefafsten Hautfalten über der Oeffnung, wählte der Verfasser aus guten Gründen die letzte.

Taf. I. Fig. 1. zeigt das Bildnifs eines zwölfjährigen Mädchens mit eingesunkener Nase vor der Operation; Taf. II. Fig. 2. das Bildnifs desselben Mädchens nach der Operation, auch sind hier die Narben an der linken Seite des Nasen¬ rückens, so wie zwischen der Wangenhaut und der Seiten¬ wand der Nase sichtbar; Fig. 2. endlich zeigt die Gestalt der drei hervorgezogenen Nasenlappen.

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VIII.

Neueste chirurgische Schriften von Anton Scarpa, Professor emeritus und Director der medic. Facultät der K. K. Universität zu Pavia, Ritter des K. Oesterreichischen Leopoldordens, Mitglied der K. Academie der Wissenschaften zu Paris, London, Berlin, Stockholm u. s. w. Aus dem Italienischen übersetzt von Lrdmann Thie- me. Erster Theil. Mit acht lithographischen Ta¬ feln. Leipzig, Magazin für Industrie und Littera- tur. 1828. 8. VI u. 256 S. (2 Thlr. )

Wühl verdienten es diese chirurgischen Abhandlungen des berühmten Scarpa, auf vaterländischen Boden über-

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62 \ III. Scarpa’s chirurgische Schriften.

tragen zu werden; denn wir können durch die KenntniCs derselben nur gewinnen. Ks bedurfte daher der Ueber- setzer in der Vorrede keiner Entschuldigung , dafs er gerade dieses Werk übersetzte. Seine Wahl hätte wahrlich auf kein besseres fallen können. Die Angabe des Inhalts wird unsere Behauptung rechtfertigen.

In der ersten Abhandlung spricht der Verf. über den Scirrhus und den Krebs. Er hält es für ausgemacht, dafs der Scirrhus, und mit ihm der Krebs, niemals ursprüng¬ lich das absorbirende lymphatische System, und folglich auch nicht die Drüsen dieses Namens ergreift; dafs, wenn nicht alle, doch gewifs einige der offenbarsten Schleimdrüsen, so wie die Sublingualdrüsen und die Tonsillen, von der scir- rhösen V erderbnifs frei sind; dafs der Scirrhus und Krebs niemals ursprünglich die eigentlich sogenannten Eingeweide, mit Ausnahme derjenigen innern Organe, welche von der innern l mkleidung der um die innern Theilc zurückge¬ schlagenen Haut überzogen sind, als der Larynx, der Oeso¬ phagus, der Magen, der Mastdarm, die Scheide, der Mut¬ terhals, ergreift; dafs diese beiden Krankheiten nie vor der Pubertät, und sehr selten vor dem 25sten Jahre, bei dem einen, wie bei dem andern Geschlechte erscheinen; und dafs der Krebs sich einzig und allein in Folge eines ächten Scirrhus, der sich in irgend einer der äufseren conglome- rirten Drüsen vprfindet, oder in Folge von rigiden har¬ ten W arten, oder von bösartigen Knötchen in der äufsern und umgeschlagenen Haut, w'enn sie der zerstörenden Na¬ tur des Scirrhus theilhaftig geworden sind, bildet. Die Er¬ fahrung lehrte ihm, dafs es nur zwei organische Gewebe giebt, in welchen die Bildung und Entwickelung des Scir¬ rhus und des Krebses statt finden kann, die äufseren con- glomenrten Drüsen nämlich , und die Haut. Unter jenen Drüsen ist die der Brust mehr, als jede andere dieser Krankheit unterworfen; ihr folgen die Parotis, die maxilla- ris , die lacrymalis und der Körper des Hodens, nicht des Nebenhodens, von dem cs noch zweifelhaft ist, ob er je

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ursprünglich scirrhös wird. Die Natur des Scirrhus ist um so zerstörender, je gefäfsreicher, empfindlicher, und je mehr zu edlen Functionen die Theile bestimmt sind, welche die vom Scirrhus ergriffene Haut bedeckt, daher ist der Krebs im Gesicht und an den Lippen weniger fürchterlich, als der in den innern Nasenhöhlen, an der Zunge, an der Thränencarunkel , der Eichel, dem Mastdarm, der Scheide und dem Mutterhalse. In Hinsicht des letztem zweifelt er nicht, dafs man den Anfang des Mutterkrebses immer in der Vereiterung eines oder mehrerer der kleinen Scirrhen unter der Form von Warzen oder harten Knötchen erken¬ nen müsse, welche sich auf der umgeschlagenen Haut bil¬ den, die die Oberfläche der Scheide und zugleich den Mut¬ termund und den Mutterhals auskleidet; einer oder mehrere dieser bösartigen Tuberkeln der umgeschlagenen Haut neh¬ men an \ olumen zu, umgeben den Muttermund wie ein King, und bewirken so, dafs diese natürliche Spalte sich krankhaft öffnet und erweitert, und dafs sie harte unregel- mäfsige Ränder darbietet, welche nachher exulceriren, und durch die aus freien Stücken entstehenden, schnell durch¬ fahrenden Stiche schmerzhaft werden, was sie vorher nicht waren. Sie bieten dem untersuchenden Finger um den Muttermund herum, also in der Tiefe der Scheide, Fur¬ chen und kammartige Auswüchse dar, von welchen ein dünner blutiger Ichor, von häfslichem, laugenartigen Ge¬ rüche träufelt. Die cancröse Vereiterung breitet sich an¬ fangs oberflächlich auf dem Mutterhalse aus, gerade so wie es der Krebs auf der Gesichtshaut zu thun pflegt; alsdann geht sie tiefer, und nagt die Substanz des Mutterhalses an, darauf die ihres Körpers, und endlich auch die ihres Grun¬ des. Den Unterschied zwischen Scirrhus und zwischen Scrofel und Kropf, welche beide Scarpa für eines und desselben Ursprungs hält, so wie zwischen Scirrhus und chronischen Geschwülsten der conglomerirten Drüsen, und zwischen Scirrhus und Fungus medullaris hebt er sehr deut¬ lich hervor; wir bitten, diese Punkte nachzulesen. Für

64 VIII. Scarpa s chirurgische Schriften.

einen Irrthum hält er 'es, zu glauben, eine jede chronische harte schmerzlose Geschwulst, sie möge eine Drüse oder irgend ein anderes organisches Gewebe ergriffen haben, von ursprünglich nicht bösartiger Natur, könne mit der Zeit und durch das Zusammentreffen von gewöhnlichen Umständen sich in Krebs verwandeln. Dagegen scheint es ihm der Wahrheit nahe zu kommen, wenn man im Scir- rhus einen niedergelegten Saamen von einer viel schwere¬ ren Krankheit, als der Scirrhus selbst ist, annimmt. Dieser Saame kann aber weder ausgetrieben, noch zui iickgewor- fen werden, sondern er bleibt latent und unschädlich so lange, bis er durch das Zusammentreffen von irgend eini¬ gen innern oder äufsern Gelegenheitsursachen in volle Thä- tigkeit an der Stelle, wo er sich befindet, gesetzt wird. Die Frage, ob es überhaupt eine scirrhöse Diathcsis gebe, verneint er, und glaubt, dafs die Erzeugung des Scirrhus- keimes in dem ganzen Körper nur einer gewissen Zeit an¬ gehöre, weil der Scirrhus erstens eine isolirte, nur einmal vorkommende, begränzte Krankheit ist (und doch giebt es unläugbar gleichzeitig Scirrhen in mehreren Theilcn des Körpers, z. B. in den Brüsten und dem Uterus), und weil zweitens die Krankheit radical geheilt wird, wenn der Scir- rbus exstirpirt wird, ehe er anfängt in den Krebs auszu¬ arten. Die nächste, hinreichend^ Ursache dieses Uebels entspringt aus keiner andern Quelle, als aus einem innern vitalen Bildungsprozesse, zu welchem ein jedes Individuum mehr oder weniger, oder gar nicht prädisponirt ist, auch wenn es ganz denselben Gelegenheitsursachen ausgesetzt ist. Die Erscheinungen des Uebergangcs des Scirrhus in den Krebs sind sehr schön gezeichnet. Da Scarpa behauptet, dafs der Scirrhus ursprünglich und während sei¬ ner ersten Periode nichts ist, als ein deponirter bösartiger Keim, welcher in dem gesammten Körper erzeugt, aus die¬ sem aber von den Lebenskräften ausgetrieben und ganz und gar in dem Innersten irgend einer der äufsern conglome- rirten Drüsen, oder auf einem Stücke der äufsern oder

ein-

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einwärts geschlagenen Haut vereinigt ist, wo er verborgen und unschädlich verweilt, und dafs der Krebs nichts ist, als die Folge eines unvollkommenen örtlichen Eiterungspro¬ zesses, in der innersten Substanz einer scirrhösen Drüse, wodurch sich das bösartige Depositum, latent und unschäd¬ lich, wie es war, in eine cancröse .Tauche verwandelt, so folgert er hieraus natürlich, dafs die Zerstörung des Scir- rhus nur dann von einem glücklichen Erfolge begleitet sein könne, wenn die Operation ausgeführt wird, ehe der Krankheitssaamen , mag er sich mitten in einer scirrhösen Drüse, oder einer bösartigen Warze, oder einem Haut¬ knötchen befinden, sich entwickelt hat, d. h. ehe die Stiche erscheinen und die Infection der mit dem Sitze des verbor¬ genen Krebses in Verbindung stehenden lymphatischen Drü¬ sen erfolgt ist. Er gesteht frei, fast immer unglücklich ge¬ wesen zu sein, wenn erJScirrhen operirt habe, die schon in ihr zweites Stadium übergegangen waren. In dem ganzen Verlaufe seiner langen Praxis gelangen ihm nur drei Fälle der Ausrottung des ächten Scirrhus in der Brustdrüse; zahl¬ reicher waren die Heilungen, die er durch die Castration bewirkte. Dagegen exstirpirte er mit Glück Warzen und barte bösartige Knötchen der Lippenhaut, der Seiten der Nase und des Gesichts, in denen nicht allein flüchtige Stiche rege waren, sondern in denen sich auch schon Risse, aus welchen Tropfen eines beifsenden Serums herausflossen, gebildet hatten; er gebrauchte aber die Vorsicht, die Wunde per prirnam intentionem zu heilen. Einen solchen Fall, zu welchem die erste lithographische Tafel gehört, beschreibt er am Ende dieser lehrreichen Abhandlung, deren Inhalt wir, der Wichtigkeit des Gegenstandes wegen, ausführlich mittbeilen zu müssen glaubten.

Die nun (S. 42) folgende Abhandlung über den Wasserbruch des Saamenstranges ist nicht weniger interessant. Zuerst beschäftigt sich Scarpa mit dem dif¬ fusen Wass e rb r uc h e. Die Zellen des den Saamenstrang umgebenden Zellgewebes sind dabei in eine Masse von Bläg- Xiir. Bd. i. St. 5

66 VIII. Scarpa’s chirurgische Schriften.

eben voll Wassers verwandelt, von denen einige weit genug sind, eine Fingerspitze aufzunehmen; aber am Ende ver¬ schwinden auch diese Zellen, und man findet nur eine ein¬ zige weite Höhle voll Wasser, daher man alsdann auch nur an der Basis der Geschwulst Fluctation fühlt. Die Basis ist von dem darunter gelegenen Hoden immer durch eine halbmondförmige Furche getrennt, und diese stets deutlich zu fühlen. Das Wasser ist hell und dünnflüssig, bisweilen gelblich, grünlich, eiweifsartig, selten gelatinös. Hat die¬ ser Wasserbruch den Bauchring inne und ihn erweitert, so hält es selbst Scarpa für sehr schwer, ihn bestimmt von einem Inguinalnetzbruch zu unterscheiden. Durch welche Zeichen sich die CompHcation mit einem Wasserbruch der Scheidenhaut des Hodens kund thue, setzt er sehr klar aus¬ einander, wir erwähnen blofs, dafs er gegen Morgagni, Garengeo t und La Fay darthut, dafs das im Zellgewebe des Saamenstrangs angehäufte Wasser nie die Scheidewand, die die Basis des freien Wasserbruchs von der Höhle der Scheidenhaut trennt, mittelst seiner Last durchbohren oder vermittelst einer angenommenen Schärfe durchfressen, dafs sich also nie aus beiden Wasserbrüchen ein einziger bil¬ den könne. Nun wendet sich Scarpa zu dem Balg¬ wasserbruch. Dafs diese Art sich auch bei Frauen in der zelligcn Hülle, die das runde Mutterband umgiebt und es aufserhalb des Bauchrings in die Weiche und äufsere Schaam begleitet, bilde, beweist er durch die Erzählung eines solchen Falles. Die Bedingungen des Entstehens des Balgwasserbruchs vergleicht er sehr richtig mit denen des Aneurysma diffusum und circumscriptum. Der Balg befin¬ det sich unmittelbar über dem Hoden, oder in einer mehr oder weniger grofsen Entfernung oberhalb desselben. Er- sterer ist gewöhnlich von eiförmiger Gestalt, und hier die Diagnose bisweilen schwer. Wenn jedoch von der ganzen Geschwulst diejenige Portion, die im Grunde und ein wenig seitwärts des Iiodensacks hervorragt, sich eindrücken läfst, weich, glatt und vor allem andern bei dem leisesten Druck

VIII. Scarpa’s chirurgische Schriften. 67

empfindlich ist, während der ganze übrige Theil der Ge¬ schwulst keine anderen Merkmale, als die einer Illase voll Wasser darbietet, so behauptet Scarpa bestimmt: dafs die erstere kleinere Portion der ganzen Geschwulst der Ilode in seinem gesunden Zustande sei, und dafs der übrige Theil der Geschwulst von einem Balgwasserbruch des Saalneu¬ strangs gebildet werde. Der Balg besteht übrigens aus zwei Lagen, nämlich aus der muskulös-sehnigen Scheide des Cremasters, und aus dem mehr oder weniger verdickten, Zellgewebe. Linnial land Scarpa den 1 loden gleichzeitig atrophisch, und in dem ganzen Umfange der innern Ober¬ fläche der Scheidenhaut adhärent. Bei der zweiten Art warnt er, die Geschwulst nicht für einen dritten Hoden, an dessen Existenz er überhaupt zweifelt, zu halten. Die Geschwulst ist nach allen Richtungen hin beweglich, als ob sie an einem Stiele festsälse; drückt man sie hinauf, so zieht sie den Hoden nach sich und mit in die Höhe. Sie ist ela¬ stisch , läfst sich eindrücken, und ist deutlich fluctuirend. Der Balg sitzt unmittelbar unter den allgemeinen Bedeckun¬ gen, ist weifslich, glatt und mit einem helfen, eiweifsarti¬ gen Serum angefüllt. Angehängt sind dieser Abhandlung fünf lehrreiche Krankengeschichten. Die Abbildungen auf der zweiten, dritten und vierten Tafel dienen nicht wenig zur Erläuterung dieses Gegenstandes.

Io der Abhandlung (S. 89) über das Gorgeret, dessen sich Ilawkins bei der Steinoperation bediente, zeigt Scarpa deutlich, dafs Hawkins sein sich vorgestecktes Ziel mit demselben nicht vollkommen erreichte, sowohl weil die schneidende Seite seines Conductors sich nicht genug über die Rinne des Calheters erhebt, um nach Er- fordernifs in gehöriger Tiefe in die Substanz des Körpers und der Basis der Prostata eingesenkt werden zu können, als auch, weil eben diese schneidende Seite zu weit nach oben gekehrt ist und sie daher durch diese Richtung den Körper und die Basis der Prostata nicht seitlich, sondern vielmehr in ihrem oberen Theile einschneidet, mit welchem

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sie narh der Spitze des Ramus ossis ischii und wach dem Schaambcinbogen sieht; dies ist aber für den Austritt des Steins aus der Rlase der beschränkteste und beschwerlichste Weg von allen andern im MittelHeische. I ebrigens ist die Breite der Spitze des Konductors so wenig dem Durchmesser der membranösen Urethra proportionii l, dafs bei dem grofsen Widerstande, den man hier antrifft, das Instrument sehr leicht aus der Rinne des Catheters herausgeht und sich zwischen Blase und Mastdarm eindrängt. W egen aller die¬ ser Mängel verbesserte Scarpa dieses Instrument. Sein verbesserter Gonductor (s. Taf. V. Fig. 1. '1. 3.) ist vier Linien breit und zwei Linien tief, die Breite wird nach dem Schnabel zu geringer; die scharfe Seite ist in der Nähe der Spitze ein gerades Bistouri, das aber allmäblig sich erhebt und über der wagerechten Linie des gefurchten Ka¬ theters convex wird, so dafs es an seiner grofsten Kon¬ vexität sieben Linien breit ist; die Neigung der Schneide zur Längenaxe des Führers macht genau einen Winkel von 69 Graden, dieser Winkel ist also gerade so grofs, als jener, unter welchem zur Längenaxe des Halses der Urethra die linke Seite der Prostata eingeschnitten «werden soll. Die Art und Weise, sich dieses Instruments zu bedienen, mufs nachgelesen werden. Scarpa 's Methode stimmt im Allgemeinen mit der bekannten von diese Iden überein; auch gesteht er, dafs man den Seitensteinschnitt eben so gut, wie mit seinem Instrumente, init einem blofsen Messer machen könne. Das Ko me sehe Lithotom hat nach ihm keine besonderen Vorzüge. In einer Bemerkung zu dieser Abhandlung tadelt Scarpa, und gewifs mit vollem Rechte, Samuel Ko o per, weil dieser behauptet, dafs die Vervollkommnung des Scitensteinschnitts allein darin be¬ stehe, einen weiten Einschnitt in die Rlase zu machen, und dafs das Gorgcrct von Ilawkins, trotz den von Scar|>a gemachten Verbesserungen , von allen bis jetzt erfundenen Instrumenten am wenigsten zu einer genauen Ausführung des Innern Scitcnschnittcs geschickt sei.

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VIII. Scarpa’s chirurgische Schriften. 69

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In der Abhandlung über den Unterbauchgegend¬ schnitt, um den Stein aus der Urinblase zu ziehen (Seite 119), prüft der "V erf. das Uomesche Verfahren, und giebt wesentliche Verbesserungen desselben an. Zuerst macht er mit freier Hand und dann mit Hülfe der Hohlsonde einen, der Gröfse des auszuziehenden Steines entsprechenden Län¬ genschnitt in der weifsen Linie. Dann zerreifst er mit der Fingerspitze, so viel als nüthig ist, das weiche fettige Zell¬ gewebe, das die vordere Wand der Blase, und weiter oben den Sack des Bauchfells mit der innern Wand des Schaam- beins locker verbindet; hierauf spaltet er die mittelst des Pfeilträgers in die Hohe gehobene vordere Wand der Blase, aber nicht längs der Furche des Pfeilträgers, sondern er beginnt mit dem Schnitte etwa anderthalb Linien unter dem Heftstiche des Pfeiles. Damit dieser Einschnitt in der ge¬ hörigen Lichtung und parallel mit der Längenaxe der Blase gemacht werde, hat er an der Sonde (s. Taf. VI. Fig. 2.) einen breiten Führer anbringen lassen, dessen Ränder über der äufsern Oberfläche der Sonde selbst hoch genug her¬ vorstehen, so dafs man sie mit dem Finger deutlich durch die vordere Blasenwand durchfühlen kann, ehe man in diese einschneidet. Zum in die Hohe halten der Blase, während des Ausziehens des Steines, empfiehlt Scarpa einen Auf¬ hängehaken (s. Fig. 5.). Das Einbringen eines ausgezupf¬ ten Leinwandstreifchens gleich nach der Operation bis in die Blase, hält er nicht blofs für unnütz, sondern auch für, schädlich.

S. 138 finden wir einen Brief an den Prof. Maunoir über den M a std a rm b 1 ase n s ch n itt; S. 148 eine Ab¬ handlung über denselben Gegenstand; S. 198 die Prüfung der dritten Abhandlung des Prof. Vacca über den Mast¬ darmblasenschnitt, und S. 219. als Anhang Beobachtungen aus der Erfahrung über die Nachtheile des Mastdarmblasen¬ schnittes in Vergleich mit dem Seitenschnitte. Auf die Ansichten Scarpa’s über diesen Gegenstand glauben wir uns nicht specicll einlassen zu dürfen, da sie bereits wohl

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den meisten Wundärzten aus einer früheren Schrift dessel¬ ben (Weimar, 1824.) zum J'heil bekannt sjnd; wir be¬ gnügen uns daher, hier nur kurz das Resultat seiner Unter¬ suchungen mitzutheilen. Er sagt S. 194: «Ich ziehe nun den Schlufs, dafs schon die anatomische Retrachtung sowohl der Theile, an welchen der Seitenschnitt ausgeführt, als jener, an welchen der Mastdarmblascnschnitt vollzogen wird, lim wie viel mehr die Resultate der täglichen Erfahrung, die man einerseits in Folge des Seitenschnittes, im engern Sinne des Wortes, und andererseits in Folge des Mastdarm- blasenschnittcs aufgezeichnet hat, auf eine vollkommen über¬ zeugende W eise das grofse Uebergewicht des Seitenschnittes über den Mastdarmblascnschnilt darthun. Ferner geht, rücksichtlich der Fälle, in welchen der Stein einen aufser- ordentlich grofsen Umfang erreicht hat, aus der Retrach¬ tung der sowohl hei der einen, als hei der andern Opera¬ tion intercssirten Theile, nicht weniger klar und gewifs hervor, dafs der Mastdarmblasenschnitt wegen der grofsen Ausdehnung des Schnittes, welche diese Operationsweise auf ihrem W ege von der häutigen Harnröhre aus durch den Hals der Urethra, durch die Mündung der Illase, und von da L is in den tiefen Grund derselben erfordert, wegen der unvermeidlichen Verletzung der Saamenausspritzungs- kanäle, und des einen oder des andern Saamenhläschens, oder des entsprechenden Vas deferens, wegen der Gefahr die hintere Duplicatur des Rauchfellsackes zu verletzen, und endlich wegen des unvermeidlichen traurigen Folgeübels, nämlich einer unaufhörlichen Kolhurinfistcl , eine Art der Steinoperation sei, welche nicht nur dem Seitenschnitte hintenanzusetzen ist, sondern auch dem Unterbauchgegend- sclmiltc, und den Mitteln, welche man bisher zur Auszie¬ hung von Steinen angewandt hat, die in dem Halse der Harnröhre ihren Sitz haben. Wrenn man ferner den Mast- darmblasenscbnitt von Seiten seiner allgemeinen und par¬ tiellen Folgesymptome betrachtet, so zeigen die Resultate der chirurgischen Kliniken zu Turin und Paris, und selbst

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VIII. Scarpa s chirurgische Schriften. 71

auch die Krankengeschichten, welche die klinische Schule zu Pisa von mittelst dieser Methode Operirten liefert, sehr deutlich, dafs man den Grad der örtlichen und allgemeinen äufserst häufigen und gefährlichen Zufälle, welche in Folge des Mastdarmblasenschnittes Vorkommen, nach dem Seiten¬ schnitte nur sehr selten beobachtet. u In der Prüfung der dritten Abhandlung des Prof. Vacca beweist Scarpa: 1) dafs der Mastdarmblasenschnitt, nach den Vorschriften die der Prof. Vacca giebt, mehr oder weniger das Eja- culationsorgan zerstört. 2) Dafs in allen Fällen, wo der Stein eine mittelmäfsige Gröfse hat, und man die Opera¬ tionsmethode Vacca’s befolgt, immer eine Portion der dicken und harten Basis der Prostata undurchschnitten bleibt, welche Portion einen Ring um die Mündung der Blase bil¬ det und einen kräftigen Widerstand gegen die Einführung des Fingers und der Instrumente, und gegen den Austritt des Steines leistet. 3) Dafs der Weg von der häutigen Harnröhre bis zur Blasenmündung von unten nach oben durch die dicke und harte, untere oder hintere Portion der Vorsteherdrüse, wobei deren Basis zum Theil unberührt bleibt, länger ist, als der, welcher von der häutigen Harn¬ röhre bis zur Blasenmündung führt, wenn derselbe durch den obern und seitlichen Theil der Vorsteherdrüse geht; und überdies, dafs der erstere längere Weg auch von un¬ ten nach oben gebogen ist. 4) Dafs die untere oder hin¬ tere Portion der Vorsteherdrüse, die auf den Mastdarm hin¬ sieht und die bei dem operativen Verfahren Vacca’s in den meisten Fällen nicht weiter, als etwas über die Hälfte ihrer ganzen Länge durchschnitten wird , durch die Dicke, Härte und Rigidität ihrer Substanz, besonders an ihrer Basis, vielmehr geneigt ist, sich durch das ganze Stück, wo sie nicht durchschnitten ist, zerreifsen als ausdehnen zu lassen. 5) Dafs es, um einen Stein von sehr grofsem Um¬ fange auszuziehen, man mag den Schnitt am Halse der Blase oder über der Basis der Vorsteherdrüse anfangen, nöthig ist, mehr oder weniger vom tiefen Grunde der Blase zu

72 A III. Scarpa’s chirurgische Schriften.

spalten, wobei man die sehr bedeutende Gefahr läuft, die hintere Duplicatur des Bauchfells zu verletzen, und wobei man fast mit Gewifsheit erwarten kann, eine unaufhörliche Kothurinfistel zurückzulassen. (i) Dafs die Erscheinungen, welche auf den Mastdarmblasenschnitt folgen, man mag ihn in einer Manier ausfiihrcn, in welcher man wolle, fast im¬ mer höchst gefährlich sind, und mit einer tödtlichen Bla¬ sen- und Bauchfellentzündung drohen, um welche zu ver¬ meiden man fast in jedem Falle nötliig hat, gleich nach vollbrachter Operation die kräftigsten Mittel in Gebrauch zu ziehen, welche uns die Medicin und Chirurgie gegen die heftigen Entzündungen bieten. Taf. VII. und VIII. enthalten Abbildungen, die Scarpa’s Behauptungen be¬ kräftigen. "

Den Beschlufs dieser Abhandlungen macht eine über. Schwangerschaft mit gleichzeitiger Bauchwas¬ sersucht, S. 225. Scarpa erzählt hier einen Fall, in w eich ern er mit dem glücklichsten Erfolge den Bauchstich im linken Hvpochondrium , zwischen der Spitze der äufsern Seite des geraden Bauchmuskels und zwischen dem Bande der falschen Hippen, an welcher Stelle die Fluctuation ain deutlichsten war, machte. Darauf theilt er drei Beobach¬ tungen des Dr. Cruch mit, die dieser Operationsmethode sehr das Wort reden, und zuletzt vergleicht er seine Me¬ thode mit der von Längs taff. Letzterer machte erst zwei Zoll unter dem Nabel einen Einschnitt, durch welchen er das Bauchfell blofs legte, durchbohrte dieses dann mit einem I roakar, und führte darauf, weil die Böhrc wegen des V orliegens des Uterus zu viel Schmerzen verursachte, eine elastische Sonde ein. Dafs Scarpa’s Methode viel einfacher und zweckentsprechender ist, als diese, versteht sich wohl von seihst.

Die Ucbersetzung liest sich sehr gut Mit VergnügeD sehen wir dem zweiten 1 heile dieses Werkes entgegen.

IX. Expans. d. Knochen n. Callus nach Fracturen. 73

IX. '

Uchcr die Expansion der Knochen und den Callus nach Fracturen. \on Antonio Sca.pa, des K. Leopold -Ordens Ritter, Director der medicinischen Facultat zu Pavia, Mitgliede der König!. Academie der Wissenschaften zu Paris, London, Berlin, Stockholm u. s. w. Aus dem La¬ teinischen übersetzt. Mit drei Kupfertafeln. Wei¬ mar, 1828. 4. 70 S. (1 Thlr. 8 Gr.)

Yon Scarpa’s neuestem Werke: De anatome et pa- ihologia ossium Commentarii, Ticini 1828. 4., wird hier blofs die Uebersetzung des zweiten Commentarius, de ex- pansione ossium deque eorundem callo post fraetüram ge¬ liefert, da der erste: De penitiori ossium structura, schon vor mehreren Jahren durch Roose übersetzt erschie¬ nen ist.

In dem ersten Commentar hat Scarpa gezeigt, dafs das ganze Knochengewebe nebst der harten Rinde durch und durch cellulös, und überall netzartig ist. In diesem sucht er zu beweisen , dafs sich unter gewissen Redingun¬ gen , auf welche wir weiter unten zurückkommen werden, das ganze Knochengewebe erweicht und expandirt, sich gleichsam so auseinander giebt, dafs es zu seiner ursprüng¬ lichen netzförmigen Textur zurückkehrt. Zu diesen Bedin¬ gungen rechnet er Reize, welche von einem verborgenen giftigen Stoffe oder von einer äufsern Gewalttätigkeit ab¬ hängig sind. Durch künstliche Zerstörung des Knochen¬ markes bei Thieren erhielt er diese Resultate, deren Wahr¬ heit von Meding angefochten wurde, die er aber hier, auf wiederholte Versuche sich stützend, neuerdings bestä¬ tigt. Je gröfser bei diesen Versuchen die Zerstörung des Knochenmarks und der Reiz gewesen war, den er in der Meduilarröhre hervorgebracht hatte, desto weicher, lockerer

74 IX. Expansion der Knochen

und expandirter war die Knochentextur der Rinde. Je jünger das Thier, desto bedeutender. Darauf macht er auf die Fälle aufmerksam, wo alle oder die meisten Knochen an einem und demselben Subjecte von einem verborgenen giftigen Stoffe zur Weichheit und Biegsamkeit des Knorpels gebracht, locker und expandirt worden sind, und dann auf die Fälle, wo man solche Phänomene einzeln in dem einen oder dem andern Knochen ohne Unterschied des Alters oder des Geschlechts wahrnimmt. Zu letzteren zählt er die Fälle, wo bei Kindern, welche an Ilydrocephalus inter¬ nus leiden , die Schädelknochen sehr expandirt und dick sind; ferner die widernatürliche Protuberanz der Oberkie¬ ferhöhle als Folge einer anhaltenden Reizung durch einen Po l y pen u. dergl. in derselben; das Ausgefülltwerden von Zahnhöhlen , nachdem die Zähne herausgerissen worden sind; das erste Stadium der Uyphosis paralytica; Auftrei¬ bungen der sogenannten schwammigen Knochen, so wie auch der Riaphysen und Epiphysen der röhrenförmigen Knochen, sogar auch des Mittelstücks der röhrenförmigen Knochen in Folge krankhafter Anlage; die Exostosis vera (Exostosis spuria nennt er diejenige, welche von dem auf der äulscrn Oberfläche des Knochens ausgeschwitzten und zu Knochen verhärteten Knochensaft gebildet wird, und die eben so entsteht, wie der Uallus), von welcher er zwei Arten annimmt, eine gutartige und eine bösartige; erstere erlangt nach der Y\ iederaufnahme der erdsalzigen Rcstand- theile die Härte und die Eigenschaften des gesunden und vollkommenen Knochens wieder, letztere steht in ihrem Wacl isthume niemals still, wird cariös, es bilden sich Höh¬ len in derselben u. s. w. ; O>teosarcoma ; Spina ventosa; Paedarthror ace. (Das Osteosarcoma ist Scarpa’s Ansicht nach nichts anderes, als der höchste und bösartigste Grad der Spina ventosa oder Exostosis maligna, und von beiden Lösartigen Knochenanschwcllungen der schlimmste Ausgang. Paedarthrocace, Spina ventosa und Exostosis vera hält er für eine und dieselbe Krankheit, welche je nach der grölseren

und Callas nach Fracturen.

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oder geringeren Kraft der Krankheitsursache und' des Giftes, und je nach der verschiedenen Idiosyncrasie des Kranken mehr oder weniger schwere Symptome hervorbringt, daher könne sich die Paedarthrocace und die bösartige Spina ven- tosa eben so wie die Exostosis maligna in Osteosarcom ver¬ wandeln. Noch ftiehr für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht, dafs sowohl die Paedarthrocace, als die Spina ven- tosa und die Exostosis maligna auf keine andere Weise, als dadurch heilen, dals die Caries in Necrose verwandelt wird, dals dann durch die Lebenskräfte die abgestorbene Knochen¬ substanz von dem übrigen gesunden Knochen getrennt wird, und das zurückbleibende Geschwür gutartigen Eiter abson¬ dert.). Die wunderbare Arbeit der Natur, wo die netzför¬ mige Medullarröhre eines röhrenförmigen Knochens necro- tisch geworden ist, sich inwendig von der gesunden Rinde des Knochens trennt und in’s Centrum wendet, beschreibt der Yerf. sehr ausführlich. Er ist auch hier nicht der bis¬ her allgemein angenommenen Meinung, dafs die Knochen¬ scheide vom Periosteum secernirt werde, sondern behaup¬ tet, dafs alles, was nach der Necrose der Medullarröhre die Knochenscheide bildet, die gesunde und lebende Rinde dieses Knochens sei, welche erst erweicht und unter dem Finger biegsam, dann aufgelockert undvexpandirt werde, und so die schwammige, bimsteinartige, knöcherne Hülle bilde, in deren Mitte die necrotische von der lebenden und ge¬ sunden Rinde losgetrennte und wankende Medullarröhre (der sogenannte Sequester) enthalten sei. Das Periosteum adhärirte beständig fest mit der Rinde, und niemals fand er zwischen demselben und der aufgelockerten Pvinde etwas von glutinösem Knochensaft. Die anfangs biegsame Rinde bekommt allmählig die Consistenz und Harte des Knochens wieder, und die die innere Oberfläche der Knochenscheide bedeckende, aus ihr herauswachsende rothe fleischige Masse füllt den leeren Raum aus, wird bleich, nimmt die Con¬ sistenz des Knochens an, und wird zuletzt in schwammige Knochensubslanz verwandelt. Diese rothe fleischige Masse

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IX. Expansion der Knochen

ist dieselbe, wie diejenige, welche sich aus den Enden gebrochener Knochen unter der Form kleiner Karunkelu erbebt; dieselbe, wie diejenige, welche nach der Amputa¬ tion eines Gliedes aus der ganzen Oberfläche des amputir- ten Knochens hervorwächst, und wie diejenige, welche unter einer abgestorbenen Schuppe oben auf dem Knochen wächst, die necrotische Schuppe in die Hohe bebt und abstöfst. (Troja s Ansicht daher, dafs jene rothe fleischige Substanz nichts anderes sei, als eine in die Medullarhöhle umgebeugte Lamelle des Periostei, ist falsch.) Zuletzt widerlegt Scarpa noch Meding’s Erklärungsweise der Entstehung der Knochenscheide nach der Necrose der Me- dullarröbre, und kommt dann S. 44 zur (’allusbildung.

In den ersten Tagen nach einer Fraetur findet man sehr viel glutinöse plastische Materie zwischen den Bruch- enden; diese Materie ist anfangs fadenartig, ziehend, weifs- lich, und bildet den gefäfsreichen CaBus. Die Phänomene der adhäsiven Entzündung nach Wunden der Weichtheile, dafs sich nirgends Blutgefäfse entwickeln und verlängern, als wo sie eine weiche Stütze finden, zeigen sich auch nach Wunden der Knochen; diese Stütze gewährt hier jene pla¬ stische glutinöse und bald gcfäfsreich werdende Knochen- materie, welche sich aus dem zerrissenen Knochengewebe in Menge zwischen die Bruchenden ergiefst, dann in Knor¬ pel, und zuletzt in gefäfsreichen und lebenden Knochen ver¬ wandelt wird. Das einzige Organ der Verarbeitung und Secretion des Knochensaftes ist der Knochen selbst, und aus nichts anderem, als aus der ganzen Knochentextur, sie mag locker und netzförmig, oder hart und compact sein, quillt die glutinöse, plastische, fadenziehende Feuchtigkeit hervor, welche theils im Mittelpunkte der Fraetur, theils an den Bändern, theils auf «ler äufsern Oberfläche des ge¬ brochenen Knochens selbst sich ergiefst, und sieb erst zu kleinen rothen Carunkeln, und dann zu gröfseren fleisch¬ ähnlichen Tuberkeln formirt, worauf sic in Knorpel und zuletzt in Knochen verwandelt wird, und den Namen Gallus

und Callas nach Fractnren.

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erhält. Dafs die Knochenrinde kein unthätiger Körper ist, geht daraus hervor, dafs bei Kopfwunden nicht selten die vom Pericranium entblöfste Rinde vermittelst adhäsiver Ent¬ zündung mit den sie bedeckenden Weichtheilen verwächst. Ferner zeigt die tägliche Erfahrung nach der Amputation, dafs die Rinde zugleich mit der übrigen netzförmigen Medullarknochentextur das Organ der Verarbeitung und Secretion des Knochensaftes ist. Da, wo die Fractur wie eine einfache Wunde coalescirt, ist nicht Ursach genug vor¬ handen, warum die Rinde beider Bruchstücke an der Stelle, wo sie sich genau berühren, bedeutende Veränderungen der innern Structur erleiden soll, und es ist da hinreichend, wenn sie mäfsig aufgelockert, erweicht und expaudirt wird. Wo die Bruchenden aber von der geraden Richtung ab¬ weichen und auf einander rücken, und biofs auf der Seite sich berühren, braucht die Natur ihr Recht, und das Coa- lesciren und die Heilung findet in diesem schwierigen Falle auf eine doppelte Weise statt, nämlich dadurch, dafs die Rinde beider Bruchstücke, da wo sie sich berühren, er¬ weicht, aufgelockert und expandirt wird, und dadurch, dals die ganze äufsere Oberfläche beider Bruchstücke an der Stelle der Fractur eine grofse Menge Knochensaft erzeugt, denn nachdem das Periosteum beider Bruchstücke anf der Seite, wo sie sich berühren, abgerieben ist, erweicht die Natur die harte Rinde beider Bruchstücke auf der Seite, wo sie sich berührten, lockert sie auf und expandirt sie zu einem Schwamme, welcher zu einer gemeinschaftlichen Masse zusammenwächst, dann sich verhärtet und die Stelle des innern Callus versieht, während von der ganzen äufsern Oberfläche der Rinde beider Bruchstücke ein Knochensaft ausströmt, welcher sich in grofser Menge an der Stelle der Fractur ergiefst, dann sich in Knochen verwandelt, die divergirenden Bruchenden wie ein Wall umgiebt, und die ganze Vereinigung in- und auswendig fester macht. Die Fälle von Wiedererzeugung eiuer Seite oder eines Astes des Unterkiefers bezweifelt der Verf. Fehlt an einem röh-

78 IX. Exparis, d. Knochen u. Callas nachFracturen.

renformigen Knochen ein bedeutendes Stück, so bilden zwar

die zwei übrig gebliebenen Enden Callus, da aber diese

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neuerzeugte Knochenmasse beide Knden des langen Kno¬ chens nicht erreicht, so fei II t eine iigamentöse Substanz die¬ sen Zwischenraum aus. Diese lignmentöse Substanz wird übrigens nach einer grofsen Zerstörung der Diaphvsis eines Humerus oder Femur bei jungen und starken Subjecten selten gefunden, weil die Ketraction der Muskeln, trotz der besten angewandten chirurgischen Mittel, das untere Ende all mahlig nach dem oberen hinzieht. Auch in die¬ ser Abhandlung begegnet Scarpa öfters den Ansichten Meding’ s, und immer tadelnd, so rügt er z. B. noch zu¬ letzt dessen Behauptung, dafs die Knochen keine lymphati¬ schen, absorbirenden Gefiifse besäfsen, und dafs in den Knochen die Venen die Function derselben erfüllten.

Die drei Kupfertafclo dienen zur Esläuterung und Be- stütiguhg des Gesagten; Besonders interessant sind die zweite und dritte Figur der ersten Tafel, die einen Seque¬ ster mit seinen Umgebungen darstellen, und die erste Figur der dritten Tafel, die eine Exostose der meisten Knochen der rechten Iland abgebildet enthält.

Dies sind die Ansichten Scarpa’s über diesen hoch¬ wichtigen, und leider noch sehr bestrittenen Gegenstand. Wir hielten es für h inreichend, sic in der Kürze mitzu- theilen, und hoffen, jeder Wundarzt, den diese Materie interessirt, werde durch unsere Mittheilung bewogen wer¬ den, das Werk selbst zur Hand zu nehmen und zu studie¬ ren. Er wird, wie aus diesem Auszuge erhellt, sehr viel Originelles darin finden; ob dasselbe sich als wahr bestäti¬ gen werde, müssen wir späteren Erfahrungen überlassen. Zu wünschen wäre allerdings gewesen, dafs Scarpa ein¬ zelne Punkte der Kallusbildung, z. B. woher es komme, dals die f ractur der Patella und des Schenkelkopfes inner¬ halb der Pfaone nicht durch eigentliche Knochenmasse heilt, was doch von vielen und angesehenen Wundärzten behaup¬ tet wird, noch besonders gewürdigt hätte, weil sich daraus

X. Pathologische Anatomie des Auges. 79

noch mehr auf die Richtigkeit seiner Annahmen hätte schhelsen lassen. So aber, wie sie für die erwähnten Fälle dastehen, bleibt es nur ein noch gröfseres Räthsel, warum sich hier kein eigentlicher Callas bildet, denn bisher stütz¬ ten wir uns hierbei auf den Mangel des Periosteums, und leiteten aus demselben die Ursache des Nichtentstehens des Callus ab. Dafs dieser Grund nicht haltbar sein könne, wenn anders Scarpa’s Ansichten die richtigen sind, ver¬ steht sich wohl von selbst.

Handbuch der pathologischen Anatomie des menschlichen Auges; von Dr. Matth. Joh. Albrecht Sch ön, praktischem Arzte und Au genarzte, Gehülfsarzte am allgemeinen Kranken¬ hause, und Arzte des Gast- Armen - und Kranken¬ hauses in Hamburg. Mit einem Vorworte des

H errn Geheimen Medicinalrathes Dr. Meckel in

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Halle. Hamburg, hei Hoffman» und Campe. 1828. 8. 233 S.

Ref. zählte an einem andern O/te vor mehreren Jah¬ ren zu den Lücken in der deutschen ophthalmologischen Litteratur eine Geschichte der Ophthalmiatrik, eine patho¬ logische Anatomie des menschlichen Auges, eine Materia ophthalmiatrica, und endlich ein systematisches Kupferwerk der Krankheiten des menschlichen Auges auf eine neubear- beitete Anatomie dieses Theiles basirt. Einem dieser drin¬ genden Bedürfnisse ist durch die eben angezeigte Schrift abgeholfen, die schwerlich, um mit dem berühmten Vor¬ redner derselben zu sprechen, genauer, gründlicher, scharf¬ sinniger, mit einem Worte: gelehrter, als es durch Herrn

80 X. Pathologische Anatomie des Auges.

Dr. Scho# geschehen ist, hätte verfafst werden können. Ks paart sich in dem Werke eine umfassende Belesenheit mit einer gesunden Kritik, und der \ erf. versteht es treff¬ lich, seinen Leser von einem interessanten Gegenstände zum andern zu geleiten, ohne ihn, was bei Aufzählung von Factis so schwer zu vermeiden ist, zu übersättigen; zugleich waltet im Buche eine grofse Klarheit ob; und ein im Gan¬ zen sehr reiner Styl macht diese Arbeit jedenfalls zu einer Zierde der deutschen ophthalmologischen Litteratur.

Die Schrift zerfällt in drei Hauptabschnitte, deren er¬ ster die Bildungsfehler, Formfehler und Mischungsfehler des ganzen menschlichen Auges behandelt, der zweite die pa¬ thologische Anatomie der einzelnen Yheile des Auges ent¬ hält, als: die Bildungsfehler, Formfehler und Mischungs- fehlcr der äufsern Theile des Auges und der einzelnen Thcile des Bulbus, und der dritte Mittheilungen über die Stein- und Wurmbildung im menschlichen Auge giebt. Bec. geht, ohne sich weiter bei dem gegebenen Schema aufzuhalten, zur pathologischen Anatomie seihst über, und wird hier und dort Bemerkungen einlliefsen lassen. Dr. Schön vermeidet durch das ganze Buch das Wort Bildungs¬ hemmung (nicht Ilemmungsbildung) ; was jedenfalls in den Kapiteln von den Fehlern der Form und Lage des Auges und der einzelnen Theile desselben, wie seiner Be¬ deckungen, eine sehr gute Unterabtheilung gegeben haben würde. Bec. beobachtete in einer Familie an den zwei ältesten Söhnen sehr gesunder Aeltern, von denen erst in ihrem funzigsten Jahre die Frau cataraclös ward, eine re¬ gelwidrige Kleinheit der Augen mit angeborner Cataracta; in diesem Falle war hauptsächlich die vordere Augenkara- mer sehr klein, die Cornea wie die Iris hatten eine ob¬ longe Gestalt; der Querdurchmesser dieser Theile war bei weitem gröfser als der Höhendurchmesser, die Iris wrar braun. Die Augen des ältesten Bruders, der an einer Fe- bris typhosa starb, hatte ich za untersuchen Gelegenheit, wobei sieb das Resultat, dafs hier die Kleinheit der Aug¬ äpfel

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x. Pathologische Anatomie des Auges. 81

apfel melir von einer Bildungshemmung der vordem Augen¬ kammer herrührte, sehr deutlich ergab, indem die hintere Wölbung der Sclerofcica ganz normal erschien. Von der Linse waren in der verdickten und verdunkelten, gleichsam verschrumpften Linsenkapsel nur einige Reste vorhanden. Den zweiten Sohn operirte Rec. auf beiden Augen durch' die Keratonyxis glücklich, die Sehkraft erholte sich sehr, obgleich sie anfangs sehr schwach war. Die Resorption der sehr verkümmerten Linse war erst nach achtzehn Mo-

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naten vollendet. Die Töchter aus dieser Familie sehen sehr gut, und haben sehr gutgeformte Augen*. Fine ähnliche Rildungshemmung der vorderen Augenkammer sah Rec. an einem blinden Epileptischen; auch hier waren Cornea und Iris mehr oblong, und die runde Pupille befand sich ganz an dem inneren Rande des Bulbus, so dafs die braune Iris nach aufsen noch einmal so breit war, als nach innen. Dabei war eine weifse Trübung in der Tiefe des Auges, und complete Blindheit (Ossificatio retinae?). Zu den re-

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gelwidrigen Vergröfserungen des Bulbus könnte Ref. eine Menge von Beschreibungen solcher, meistens hydropischer Augen liefern , da er als Arzt an dem Blindeninstitute zu Dresden , dort viele in Folge dieser Metamorphose Erblin¬ dete fortdauernd beobachtet. Die Beschreibungen, welche der Verf. von dem Carcinoma und Sarcoma medulläre bulbi macht, sind sehr gut, und Rec. stimmt ihm in allem bei, was er lobend und klagend hier sagt. Vielleicht wäre hier der Ort gewesen, von Beer’s amaurotischem Katzenauge (s. dessen Lehre von den Augenkrankheiten, 1827. Th. 2. S. 495) zu sprechen, das doch wahrscheinlich, nach Beer’s Beschreibung, zum Sarcoma medulläre bulbi gehört, denn die Beschreibung des amaurotischen Katzenauges (träge Be¬ wegung der Iris, erweiterte Pupille, im Hintergründe des Auges, sehr weit von der Pupille entfernt, entwickelt sich eine concave, bleichgraue oder weifsgelblichte, oder in das Pvöthliche schillernde Verdunkelung; mit zunehmender Blind¬ heit wird der Hintergrund des Auges sichtbarer u. s. w.)

XIII. Bd. i. St. 6

82 X. Pathologische Anatomie des Auges.

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stimmt ganz genau mit dem Beginnen des Medullarsarroms des Auges überein. Füglich steht hiermit das in) \\ ider- spruehe, dafs Beer die weitere Entwickelung dieses furcht¬ baren Augenühels ganz mit Stillschweigen übergeht, was er, falls er dasselbe gesehen hätte, gewifs nicht’ verschwie¬ gen haben würde, und so stellen die meisten Erfahrungen über den Ausgang des Mcdullarsarcoms des Auges mit dem Be ersehen Stillschweigen hierüber in einem gew issen Mifs- verhältnisse, das nur dadurch in etwas beseitigt werden kann, dafs Fälle bekannt gemacht werden, die darthun, dafs es krankhafte, alle Zeichen des entstehenden Mcdullarsarcoms des Auges an sich tragende Metamorphosen des Bulbus giebt, die nicht den bis jetzt so häufig beobachteten furcht¬ baren Ansgang des Medullarsarcoms haben, nämlich furcht¬ bare Degeneration des Auges und seiner Häute, Flüssigkei¬ ten, ja seihst der Umgehungen. Ein solcher Fall ist jetzt in Ref. Beobachtungskreis gefallen; mit ihm haben viele unterrichtete Aerztc (englische und deutsche) das Auge eines Kranken beobachtet; in dessen Hintergründe sich (alle übrigen charakteristischen Zeichen mit Stillschweigen zu

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übergehen'} jener bekannte gelbweilse Körper erhob alle erklärten mit ihm, der von acht zu acht Tagen Zeichnun¬ gen des Auges fertigen liefs, um die Fortschritte des Uehels ganz genau zu beobachten, die Krankheit für ein Sarcoma medulläre incipiens bulbi und jetzt, nachdem drei Vier¬ teljahre verflossen sind, nachdem der aus dem Hintergründe des Auges bereits durch die Pupille getretene weifse schwam¬ mige Körper an die hintere Wand der Cornea anstiefs, diese vor sich her ausdehnte, jetzt, wo Rec. jeden Tag das Platzen des Bulbus fürchtete, läfst auf einmal die ent¬ zündliche Spannung der Haute des Augapfels nach, und es tritt eine Atrophie des Bulbus ein, die * Sclerotica färbt sich schmutzigweifs, die Cornea erhält ihre natürliche Grüfse, hat aber ein mattes, undurchsichtiges Ansehen, kurz, es ist eine förmliche Erweichung des Auges (eine Ophthalmo- malacia) vorhanden. Ls entsteht demnach die Frage: Giebt

X. Pathologische Anatomie des Auges. 83

es Sarcoma medulläre bulbi mit Ausgang in Atrophie oder Malacie? Oder ist das von Beer sogenannte amaurotische Katzenauge eine eigene Krankheitsform ? Die Beantwor¬ tung derselben , wie die nähere Beschreibung und getreue Abbildung dieses wichtigen Falles, mufs einem anderen Platze Vorbehalten bleiben.

Das Anchyloblepharon congenitum kann nur durch eine nähere Beschreibung des Verhaltens der Augenlieder am Fötus während seines Lebens in der Gebärmutter genauer bestimmt und erklärt werden. Es ist nach Ref. Beobach¬ tungen das Verhalten derselben keinesweges immer gleich, denn er fand dieselben, hauptsächlich in den ersten fünf Monaten, gar häufig offen, dasselbe sah er auch an einem sieben Monate alten Fötus. Wunderbar bleibt es aber, dafs alle Beobachter die Hauptsache übersehen zu haben scheinen, nämlich die Art und Weise der Verwachsung der Augenlieder unter sich; ob dieselbe blofs eine starke halb¬ organische Verklebung, oder eine wirkliche durch Ver¬ wachsung ist; wie sich ferner dabei die Augenlieder ver¬ hielten, ob der Tarsus gehörig ausgebildet war u. s. w. Auch Telangectasieen (wohl besser: Angiotelectasieen ) sah Rec. an den Augenliedern angeboren, aber freilich von sehr kleiner Art. In einem Falle befand sich eine Geschwulst der Art von der Gröfse einer welschen Nufs zwischen dem rechten Auge und dem Öhre, mehrere kleine Angiotelectasieen wa¬ ren auf Stirn und beiden Augenliedern. Jene, in die sich fünf ziemlich erweiterte Arterien einmündeten, ward ex- stirpirt, das Kind genas, und in Zeit von sechs Monaten waren jene kleinen Angiotelectasieen von den Augenliedern verschwunden, ohne dafs etwas gegen dieselben gebraucht worden wäre. Das Coloboma sah R.ec. angeboren, ohne dafs dabei der Bulbus krank gewesen wäre. Rec. sah fer¬ ner seit einigen Jahren ein bis jetzt, so viel ihm bekannt ist, gar nicht beschriebenes krankhaftes Verhalten der Au¬ genlieder bei neugebornen Kindern. Bei solchen, die ziem¬ lich fett zur Weit kommen, stehen nicht selten die näheren

84 X. Pathologische Anatomie des Anges.

t mgebungen der Augenlieder sehr hervor, so dafs <lie Au¬ genlieder in die Orbita zurücktreten; liier wird cs öfters schwer, den aufseren Augenwinkel zu sehen; es ist hier gleichsam eine Phimosis congenita palpebrarum vorhanden, die aber nicht in der sehr kleinen Spaltung der Augenlieder ihren Grund hat, sondern in der l ebernährung der Umge¬ bungen derselben. J >ei diesen Kindern stülpen sich die un¬ teren Augenlieder sehr leicht etwas nach innen um ( Entro- pium), so dafs die Cilien den Bulbus reizen. Oft schon nach vierzehn I agen bei vermehrtem Wachsthume gleicht sich diese Eigentümlichkeit aus. Einmal aber hat sie Bef. in böige einer Ophthalmia neonatorum gesehen; hier war durch die heftige Augendn tziindung, nachdem die Bulbi col- labirt waren, eine eigene Verhärtung in den weichen Thei- len um die Orbita herum eingetreten, und jene waren rings¬ um mit dem Orbitalrande verwachsen. Da die Augenlieder in böige der Atrophia bulborum auch sehr einsanken, und die Oi biculares theds hierdurch, thcils durch "Verwachsung mit den äufseren Bedeckungen in ihrer Thätigkeit gehemmt waren, so trat auch hier gleichsam eine Phimosis palpe¬ brarum consecut. ein. Dnrch einen Irrthum in den Fro¬ rt ep sehen Notizen hat sich S. 69 die Angabe eingeschli¬ chen, als habe Bec. der Gesellschaft deutscher Naturfor¬ scher und Acrzte in München (1827) eine Nachricht über ein angebornes Staphylom der Cornea vorlesen wollen; es ist dieses dahin zu berichtigen, dafs Bec. dort die Beschrei¬ bung eines Staphyloma pellucidum corneae als Morbus con- genitus bei drei Geschwistern geben wollte. Jedenfalls ge¬ hört dieser Bildungsfehlerider Hornhaut auch hierher, und ist um so interessanter, da er, so viel ihm bekannt gewor¬ den, der erste war, der bekannt gemacht worden ist. (S. hierüber das Nähere in «Oken’s Isis” Bd. XXI. lieft 5. und 6. S. 518.) Unterdessen hat Bec. in der Blindener- zichungsanstait zu Berlin diese ihrer Entstehung nach sehr dunkle Krankheit ebenfalls als Morbus congenitus gesehen ; dieser Fall war dem von Bec. a. a. O. beschriebenen wun-

X. Pathologische Anatomie des Auges. 85

derbnr ähnlich, und er wünscht nichts mehr, als dafs es doch IJrn. Prof. Jüngken oder Ilrn. Dr. Baum in Ber¬ lin gefallen möchte, eine detaillirte Geschichte dieses Falles zur öffentlichen Kenntnifs zu bringen. Der Gegenstand wäre wohl auch sehr passend zu einer Inauguraldissertation; vielleicht gefiele es dem geehrten Herausgeber dieser An¬ nalen, einen jungen Arzt auf diesen Fall als Gegenstand zu seiner Probeschrift aufmerksam zu machen. Eine getreue farbige Abbildung dürfte aber freilich nicht fehlen.

Noch fehlen uns Sectionsberichte von Augen, an denen man den Mangel der Iris bei Lebzeiten beobachtete, und so lange hierdurch die Sache nicht aufser allen Zweifel ge¬ setzt worden ist, werden diejenigen, welche den gänzlichen Mangel der Iris aus der Analogie leugnen, den in Bede stehenden Gegenstand zu bezweifeln fortfahren. Irrt sich Rec. nicht ganz, so hat man bei der Erklärung der Entste¬ hung des angebornen Coloboma Iridis zu wenige auf das anatomische Yerhältnifs der Iris beim Fötus, die hier an dem unteren Rande, vorzüglich bis zum siebenten Monate, bei weitem schmäler ist, ais an ihren übrigen Theilen, Rücksicht genommen. Ref. beobachtete noch vor kurzem an beiden hellblauen Augen eines fünfjährigen Mädchens fast dieselbe Pupillenanomalie, von der unser Verf. (S. 71) Hagström sprechen läfst, nämlich eine ovale Pupille, die sich nach unten spitzig endete, jedoch so, dafs man dort an der -blauen Iris noch einen schmalen Streif nach unten wahrnehmen konnte. Das Kind sah sehr gnt; weder Ael- tern noch Geschwister desselben hatten einen Augenfehlcr. Jedenfalls gehört diese Pupillenanomalie mit zu der Lehre vom Coloboma Iridis, von dem Ref. in einem Jahre drei Fälle an blauen Augen beobachtete. Otto in Breslau beob¬ achtete (s. dessen seltene Beobachtungen, Heft 2.) an dem Aug e eines Mannes, der von Jugend auf geschielt hatte, nach dem Tode desselben eine schiefe Stellung der Linse im Auge; so viel Rec. weifs, die einzige Beobachtung iq ihrer Art. Einen sehr interessanten Fall von Symblepharon

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86 X. Pathologische Anatomie des Auges.

sah Ree. in Berlins Blindenerziehungslinuse an einer Kran¬ ken, die sich durch ungelöschten Kalk die Augen verbrannt hatte. Auf einem Auge war das Symblepharon partiell, und wurde durch membranöse balkenartige Streifen, die von der Bulboconjunctiva zur Palpebralconjunctiva sich er¬ streckten, unterhalten; auf den» andern Auge war der Bul- % bus mit dem obern Augenliede dicht verwachsen; dieses konnte durchaus nicht, ohne der Kranken nicht bedeutende Schmerzen zu bereiten, aufgehoben werden; dabei gewahrte man durch das obere Augenlied die Cornea ganz blau hin¬ durch scheinend, so dafs es fast schien, als sei das obere Augenlied an dieser Stelle verdünnt; die Kranke konnte hier¬ durch sehr gut Licht und Dunkelheit unterscheiden. ‘Lei Gelegenheit des Thränensackes und des Nasenkanals machen wir Hrn. Dr. Schön auf die Dissertation Walther’s (De polvpis sacci lacrymalis. Bonnae 1824. 8.) aufmerksam.

Zu den Beobachtungen über die Bildung neuer Pupillen durch Abtrennung der Iris vom Ciliarligamente u. s. w. in ' Folge von Erschütterungen, könnte Bec. ebenfalls zwei Fälle he iz ufi igen ; allein die Geschichten derselben sind den bereits sattsam bekannten zu ähnlich, um sie hier weiter zu erzählen. Bei Gelegenheit der Mischungsveränderung der äufsern Theile des Alices macht Bcc. auf eine ei"en-

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th iimliche Verhärtung der Thränenkanäle und ihrer Umge¬ bungen von den Thränenpunkten an bis zur Einmündung jener in den Thränensack, in Folge localer Entzündung die¬ ser Theile, aufmerksam, die er schon oft, hauptsächlich am unteren Augenliede, beobachtet hat. Es kann nicht den Verf. treffen, wenn Bec. hier die Bemerkung macht, dafs in dem Abschnitte der pathologischen Anatomie des Auges, der die Mischungsverhältnisse der Theile betrifft, noch gar vieles zu thun ist. So sind die Vorgänge hei Entzündun¬ gen in den Häuten der Augenlieder, wie des Augapfels, noch gar nicht anatomisch untersucht, und an mikroskopi¬ schen Beobachtungen hierüber fehlt es noch beinahe ganz. Angiectasische Metamorphosen der Conjunctiva bilden sich

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X. Pathologische Anatomie des Auges. 87 , , 4 bekanntlich bei der Ophthalmia scrophulosa Auf den Rän¬ dern der Cornea, welche die Eigentümlichkeit haben, dafs sie sehr schnell in sehr tiefe Ulcera übergehen (v. Wal¬ ther). Eine eigentümliche Form der Pinguecula auf der Conjunctiva bulbi beobachtete Ree. vor einiger Zeit. Diese ging (umgekehrt, wie das Pterygium) mit ihrer Spitze von den Winkeln der Augenlider aus, und erstreckte sich in Form eines Flügelfells bis zum Rande der Cornea, wo sie mit einer ziemlich breiten Basis aufhörte; sie war sehr hoch, besonders an ihrem Ende zur Seite der Cornea, hatte ganz das gelbe Ansehen der genannten adipösen Ge¬ schwulst, war aber mit der Sclerotica, wie Rec. bei einem Operationsvers, uche wahrnahm, sehr fest verbunden. Der¬ selbe hat auch die Cornea gelb und rotli gefärbt gesehen, das erstcre beim Icterus, das zweite partiell bei einer rheu¬ matisch -catarrhalischen Ophthalmie, in deren Folge sich Exulceratio corneae etablirte, der Blutextravasat am untern Segment der Hornhaut voranging. Auch beobachtete Ref. zur Zeit eine eigenthümliche Steinbildung auf der staphy- lomatös metamorphosirten Cornea eines an Rhachitis com- pleta leidenden Knaben, der seit bereits drei Jahren von einer chronischen Entzündung der innern Gebilde des Au¬ ges heimgesucht ist. Rec. hat bereits eine kleine Quantität dieser Körperchen ( von der Gröfse eines halben Stecknadel¬ kopfes) gesammelt, um sie einer chemischen Analyse zu unterwerfen. Sie scheinen ihm von der Natur der Gicht- concremente zu sein.

Hat Ref. auch noch keine Verknöcherung der Sclero¬ tica beobachtet, so fiel ihm doch die gänzliche Verhärtung der Sclerotica an einem staphylomatös - metamorphosirten Auge auf, das er vor kurzem untersuchte; auch kann Rec. aus eigner Erfahrung Buzzi’s Beobachtung bestätigen, dals die Sclerotica bisweilen an den Augen der Ictcrischen so¬ wohl auf der äufsern, wie auf der innern Seite gelb ge¬ färbt ist. Auch beobachtet zur Zeit Reh ein Staphyloma laterale scleroticae, zu beiden Seiten des Bulbus gleich grofs

88 X. Pathologische Anatomie des Angcs.

hervortretend. Was die Entzündung der Netzhaut betrifft, so ersucht Rcc. seinen Collegen Schön, das nachzulesen, was hierüber der scharfsinnige Sachs in seinem wahrhaft philosophischen W erke (Handbuch des natürlichen Systems der praktischen Medicin. 1. Th. I. Abtheilung. Leipzig 1S28* S. 148 188) sagt. Derselbe meint zwar, die patholo¬ gische Anatomie der Netzhaut könne bei der sensibcln Ent¬ zündung des Sehorganes keinen Aufscblufs geben, da die¬ selbe 'keine Krankheit zum Tode sei. Allein das kann sie wohl doch, da der Zufall die Untersuchung von Augen verschafft, die im ersten Stadium dieser Krankheit sich be- finden (s. Ileu^inger’s bericht von der anthropotomi- schen Anstalt zu Wiirzburg. 1826. S. 41.). Schliefslich macht Rec. hier noch die Bemerkung, dafs während man die Erweichung fast in allen Organen bereits als ein eigen- tbümliches Leiden charakterisirt hat, man ganz zu verges¬ sen scheint, dafs diese bis jetzt unerkannte krankhafte Me¬ tamorphose auch in Krankheiten des Auges eine grolse Rolle spielt. Wunderbar, dafs noch kein Arzt den weichen Staar von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet bat (Phacomala- cia). Man denke ferner an die Synchvsis, an die Erwei¬ chung der Retina u. s. w.

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Rec. scheidet vom Verf. mit der Achtung, welche die gründliche, umsichtige und unparteiische Untersuchung ein- flöfst, und wünscht nichts mehr, als dafs dieses für die Augenheilkunde wichtige W erk tnöglichst weit verbreitet und lleifsig studirt werden möge. Es ist durch dasselbe das wichtige Studium der pathologischen Anatomie des Auges sehr erleichtert, und durch diese treffliche Arbeit die Bahn zu weiteren Untersuchungen auf diesem Felde der Pathologie gebrochen.

v. Ammon.

XI. Slaaraasziclningsmetlioden.

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LJ ebersicht der verschiedenen Staaraus- ziehungsmethoclen, nehst praktischen Belegen über die wesentlichen Vorzüge des Hornhaut- schnittes nach oben; von Joh. Nep. Seeliger, Dr. der Med. u. Chir. , und Assistenten der Augen- Klinik an der hohen Schule zu Wien. Wien, \ erlag von J. G. Heubner. 1828. 8. 44 S.

In Ermangelung einer Geschichte der Augenheilkunde, mufs jeder Beitrag zur historischen Erwägung irgend eines Theiles dieses wichtigen Zweiges der Medicin willkommen sein, und es ist in der That sehr erfreulich, dafs jüngere Aerzte solche Gegenstände zur Bearbeitung ihrer Probe¬ schriften zu wählen seit einem Decenniüm angefangen ha¬ ben; das scheint Ref. wenigstens bei weitem nützlicher zu sein, als wenn die Candidaten die bekanntesten Gegenstände der Ophthalmiatrik , z. B. die Ophthalmia neonatorum, auf bekannte Weise wiederum behandeln, und so, ohne auch nur einen Punkt kritisch zu beleuchten, den Wust der Inaugurailitteratur mit einem neuen unkritisch - compilirten Büchlein vermehren.

Der Verfasser, durch das bestehende akademische Ge¬ setz zur Ausarbeitung eines literarischen Versuches ge¬ zwungen, wählte, da er, als Assistent in der kaiserlichen Augenklinik des Professor Pvosas zu Wien die günstigsten Resultate der seit einem Jahre auf der genannten Klinik üblichen, vom Prof. Jäger zuerst (wieder) in Vorschlag gebrachten und vom Prof. Rosas (früher, wenigstens gleich¬ zeitig mit diesen, vorn Geh. R. v. Gräfe) vereinfachten Staarausziehungsmethode durch den Ilornhautschnitt nach oben, beobachtet hatte, das angegebene Thema, dem er als Einleitung eine gedrängte Uebersicht aller bisher üblichen Staarauszichungsmethoden vorausschickt. Ref. hat die Schrift

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XI. Staarausziehungsmethoden.

mit Vergnügen gelesen, und inuls dem Verf. das Zeugnifs des Fleifses und der Belesenheit geben, obgleich er, was sehr, zu wünschen gewesen wäre, eine Ilauptschrift über diesem Gegenstand übersehen hat, welche die Anti-Daviel- sche Epoche der Staarausziehung, wie die nach Da viel, sehr vollständig behandelt, deren Kennlnifs jedoch den Verf. mit mancher wichtigen Notiz bereichert haben würde. ( S. Henricus Lach mann Instrumentorurn ad corneae seclionem in cataractae extractione perficiendain descriptio historica. c. tab. aen. III. Gocttingae 1821. 8.) Sehr vor¬ teilhaft für den Uebcrblick würde sich ferner eine tabel¬ larische Gebersicht (gleichsam als Resultat dieser histori¬ schen Untersuchungen) der verschiedenen Epochen in der Geschichte der Ausziehungsmethoden des Staares gemacht haben. Auch kann es Ref. nicht gut heifsen, wenn der Verf. , da wo er als Geschichtschreiber spricht, sich einer Art von Witz* bedient, die man kaum dem mündlichen Vortrage des gebildeten Lehrers, geschweige denn diesem nachsehen wird ( S. 18 und S. 22); wenn er sich ferner gegen einen verdienlen Mann, wie Professor Ritter ich in Leipzig, Ausdrücke wie die (S. 26) gebrauchten erlaubt; und wenu er ferner das Repertorium von Reer, sowohl in kritischer Hinsicht als in Betracht einer geschichtlichen Quell e, oftej-s citirt. Be er ’s Verdienste um die Ophthal- miatrik hat die Geschichte der Arzneikunde bereits auf ihre Tafeln geschrieben, allein zum Litterator in bibliographi¬ scher Hinsicht, wie zum geschichtlichen Kritiker, hatte Beer keinesweges die erforderlichen Eigenschaften, denn dieser wird nur dann nach Ref. Ansicht für die Geschichte mit Nutzen arbeiten, wenn er die Leistungen des Einzelnen nach der Zeit beurtheilt, in welcher jener lebte, nicht aber nach dem Genius der Zeit, die ihn gebar. So viel über den geschichtlichen Theil dieser Abhandlung.

Hierauf folgt eine kritische Beleuchtung des Hornhaut¬ schnittes nach oben, nach den Resultaten des Prof. Ro¬ sas, der diese Operation vermittelst des einfachen Beer-

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XL Staarauszieiiiingsmethoden.

sehen Staarmessers vorn 7. Juli 1827 bis, Ende Juli 1828

" t .

bei 28 Individuen, und zwar bei 15 an beiden Augen und bei 13 nur an einem Auge gemacht hat. Von den 15 an beiden Augen Operirten wurden 11 auf beiden Augen voll¬ kommen sehend entlassen, 2 hatten ein Auge durch die Ent¬ zündung verloren, sahen aber mit dem andern sehr gut. Der Verf. ist hier ganz an seinem Platze, und beschreibt mit lobenswerther Deutlichkeit und Fertigkeit die Vortheile, die Encheirese u. s. w. dieser Operationsmethode, nur Schade, dafs er den Heilungsprozefs der Hornhautwunden (wie das aber nicht anders sein kann) am menschlichen Auge mit Stillschweigen übergeht, und das ist gerade, so wie über¬ haupt die Lehre von den Verwundungen der Augenhäute und der Heilungen derselben ein Gegenstand, dessen nähere Erforschung, oder doch Beobachtung, für die Ophthalmia- trik von der höchsten Wichtigkeit ist. Jedenfalls wäre es ein schöner Gegenstand für eine augenärztliche Schrift, durch Operationen an Thieraugen zu beobachten, auf welche Weise und unter welchen Verhältnissen die Natur die Wunden der Hornhaüt, Sclerotica, Choroidea, Iris, Pvetina u. s. w. zu heilen pflegt.

Pvef. schliefst seine kurze Anzeige mit dem Wunsche, dafs die llrn. Jäger und Rosas, diese würdigen Nachfol¬ ger eines Beer und J. A. Schmidt, da sie über ihre Leistungen an den berühmten Augenkliniken zu Wien gänz¬ lich schweigen, doch dann und wann die fähigeren ihrer Schüler zu ophthalmiairischen Probeschriften veranlassen

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mögen.

v. Ammon.

Ein anderer geehrter Mitarbeiter äufsert sich über diese Schrift folgendermaafsen :

Das Wrerk ist die Inauguraldissertation des Verf., und zeichnet sich vor den gewöhnlichen Dissertationen keines- weges so vortheilhaft aus, dafs seine Verbreitung durch den Buchhandel sich dadurch rechtfertigen liefse. Auch trifft

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XI. Staarausziehiingsmethoden.

ihn, nach seinem eigenen Geständnisse, der Vorwurf einer Zwangsarbeit, und solche gedeihen selten, ja wohl nie, besonders. Ls mangelt demselben durchweg ein gründ¬ liches Studium der Geschichte der Extraction, und hinläng¬ liche eigene Erfahrung über den liornhautschnitt nach oben, um ihm Eob spenden zu können, und sehr tadelnswertb ist es, dafs dek V crf. schon in seinem ersten litlerarischen ^ ersuche die Ansichten, Vorschläge und Erfindungen an¬ erkannt tüchtiger und bewährter Männer, ohne Angabe triftiger Gegengrtindc, als lächerlich darzusteUen sucht. Der Verf. giebt zuvörderst von S. 1 28 eine Ueber- sicht der verschiedenen Staarausziehungsmethoden von der frühesten bis auf die jetzige Zeit, welche übrigens bis zum Jahre 1803 (und später erschien nur wenig Neues, was dessenungeachtet nicht vollständig von unserm Verf. angege¬ ben worden ist) bei weitem genauer nrtd umfassender Sicco Ens (Ilistoria extractionis Cataractae. Eranecker. S. Siebold’s Chiron. I»d. I. St. 3. S. 721 44.) niit- theilte. So erwähnt unser Verf. z. B. nicht der Augen¬ schnepper von Ekhold, Dumont und Becquet, nicht des Staarmessers mit auf die b lache gebogener Spitze von Gräfe, nicht des Verfahrens bei der Extraction von Zeuschner (Rust’s Mag. Bd. 19. Ilft. 3. S. 387 u. f.), nicht bei der Angabe von Adams Verfahren des ganz ähnlichen von Reid (Transact. of the association of Fel¬ lows and licentiates of the College of physicians in Ireland. Vol. IN.), nicht der Extractionsmethoden durch die Sclc- rot ica \ on butter und C h a p in a n u. s. w. Am Schlüsse dieser E ebersicht (S. 2 6 u. 27, in der in der That man¬ ches übersehen ist) folgt eine Schmähung über Ritte- ^rich’s Methode, den liornhautschnitt mit dem Ilornhaut- stiche zd verbinden, und über dessen Vorschlag, der Ver¬ einigung i!cs Lederhauts liebes mit dem Eederhautschnitte, für welche Methode Ritterich sichere indicationen auf¬ gestellt hat, welche gründlich zu widerlegen der Verf. nicht im Stande gewesen zu sein scheint Hätte dfr Verf. schon

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XI. Staarausziehiingsmethoden.

Gelegenheit gehabt, höchst unruhige kleine Kinder am Staare zu operiren, so würde er, anstatt zu schmähen, dem Prof. Ritterich für die Erfindung seiner JNIaschine Dank wissen. Ref. kann übrigens dem Verf. versichern, dafs alle gebildeten Augenärzte, die er kennen lernte, darin einverstanden waren, dafs Ritterich’ s Werk mit vollem Rechte seinen Titel führe.

Son Seite 28 bis 44 folgt erstlich eine Geschichte des Hornhautschnittes nach oben, dann die Vortheile und Schwie¬ rigkeiten desselben, die Beschreibung der Operation und einige Operationsgeschichten , nebst der Angabe der Zahl der in der Augenklinik Operirten, 28. liier hätte man doch wenigstens eine vollständige Geschichte dieses Ver¬ fahrens erwarten dürfen; aber es fehlen folgende Notizen: ]) Loudon’s Short fnquiry into the principal causes of the unsuccessful termination of extraction by the Cornea, with the view of shewing the superiority of Dr. Jäger’s knife over the single cataract knifes of Wenzel and Beer. Lond. 1826. 4. mit 1 Kupfertafel. 2) The Lancet. Vol. XII. No. 210. Sept. 1827. S. 735 u. 35. enthält drei Operationsgeschichten von Wardrop. 3) v. Grafe und v. Walther Journ. Bd. 10. Hft. 3. 1827. S. 367. Die beiden folgenden Citate konnte der Verf. damals noch nicht kennen, nämlich: Modification des Jägerschen Doppeltmes¬ sers von Dr. Ott, v. Gräfe u. v. Waith. Journ. Bd. 11. Iift. 3. S. 536. Tab. II. Fig. 11 16., und den zweiten Bericht von v. Gräfe über diese Operationsweise in v. Gräfe u.' v. Waith. Journ. Bd. 12. Hft. 1. S. 4 7. Aus oben angeführten Gründen läfst sich Ref. hier nicht auf eine Prüfung der angegebenen Vortheile des Hornhaut- Schnittes nach oben ein, obgleich hier vieles zu erinnern wäre; sondern bemerkt nur noch schliefslich , dafs der Verf. wohl gethan haben würde, wenn er die Resultate der Ope¬ rationen vollständiger mitgetheilt hätte.

S chön.

94 XII. Homiiopatliisclie Arzneimittellehre.

XII.

Reine Arzneimittellehre, von Dr. C. G. Chr. Hartlanb, ausiib. Arzte in Leipzig, und I)r. C. Fr. Trinks, ausiib. Arzte in Dresden. Erster Band. Leipzig, hei Blockhaus. 1828. 8. VIII und 368 S. ('j TU.-.)

Indem hier fünf noch nicht in die homöopathische Arz¬ neimittellehre aufgenommene Stoffe, nämlich Blei, Cantha- riden, Kirschlorheer, Phosphor und Sch wcfelspiefsgianz, nach den Grundsätzen llah neman n's dargelegt, und zu mehreren bereits anerkannten homöopathischen Arzneien Nachträge geliefert werden, inufs Ref. wiederum, wie hei früheren Werken über Arzneimittellehre aus derselben Schule, gestehen, dals ihm eine sachliche Prüfung der mit— getheilten Arzneisymptome unmöglich ist, indem er seinen Grundsätzen nach nicht unbedingt alles, was ein- oder selbst einigemal nach dem Gebrauche irgend einer Arznei erfolgt sein soll, eben dieser zuschreiben, noch weniger aber hierauf Schlüsse über Heilwirkung bilden kann. Er mufs daher ganz ungeprüft lassen, oh die 1023 Beisym- ptome, die 952 Cantharidensymptome u. s. f. ihre Richtig¬ keit haben; ihm scheinen nur wenige unzweifelhaft, viele noch nicht hinlänglich geprüft, die meisten ganz unbegrün¬ det. Ueberall gilt hei der schweren Kunst des Versuches der Grundsatz, dafs nur häufige und gleichmäßige Erfolge demselben Sicherheit gewähren. Diesen Anspruch mufs man billigerweise auch an die homöopathischen Arzneiversuche machen. Die Freunde derselben bereiten sich selbst den gröfsten Schaden und erregen das Mißtrauen aller Denker gegen sich, wenn sie, wie sie so oft thun und gethan ha¬ ben, einzeln stehende Beobachtungen als sichere Thatsachen betrachten und zur Grundlage von Ileilplauen benutzen. Bei dem vorliegenden Werke ist grofser Fleifs nicht zu

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XII. Homöopathische Arzneimittellehre. 95

verkennen, indem aus sehr vielen und zum Theil höchst seltenen Werken die Beobachtungen früherer Aerzte über die Wirkungen der hier versuchten Mittel zusammengetra¬ gen sind. Gegen die allopathischen Aerzte ist wieder auf die gröbste Weise zu Felde gezogen. Sollte irgend ein Begent die Aussagen über den Nachtheil, den die allopa¬ thische Heilkunde veranlafst, für richtig halten, so müfste er nothwendig der bisherigen Medicin die Ausübung aufs strengste untersagen; denn Heerstrafsen , auf welchen Räu¬ ber lagern, dürften nicht so gefährlich sein, als das täg¬ liche Verfahren der Aerzte am Krankenbette. Wir Allo¬ pathen sind milder gesinnt, und wünschen nichts, als un¬ befangene, Prüfung der Homöopathie in grofsen Kranken¬ anstalten. In der Privatpraxis bleibt eine solche Prüfung immer unvollkommen. Bis jetzt ist dem Ref. noch keine Bekanntmachung über die Erfolge von Versuchen in grofsen Krankenanstalten vorgekommen. Möchte doch bald eine solche, von tüchtigen Männern und in genügender Weise unternommen, ans Licht treten und dadurch vielem un¬ nützen Gerede, sowohl apriorischer Verdammung, als un¬ besonnener Lobpreisung, ein Ende machen.

Dafs die hier abgebandelten Mittel sämmtlich in sehr kleinen Gaben, und nach Hahne mann’s Weise bereitet, angewandt werden müssen, versteht sich von selbst; das Nähere ist jedem Mittel vorangestellt. Unverständlich ist es uns, wenn es S. 5. nach Angabe der nachtheiligen Fol¬ gen des gewöhnlichen Bleigebrauchs heifst: der rationelle (soll heifsen: homöopathische) Arzt werde einen sehr heil¬ samen Gebrauch vom Blei zur Heilung natürlicher Krank¬ heitszustände zu machen wissen. In Klammern ist dem Aus¬ drucke natürlich « nicht miasmatisch » beigesetzt. Welche Krankheiten sind denn nicht natürlich? Und wie kann na¬ türlich und nicht- miasmatisch für gleichbedeutend angese¬ hen werden? Warum soll ferner eine Krankheit dadurch, dafs sie miasmatisch oder nicht miasmatisch ist, womit ja noch nichts über ihren Charakter ausgesagt wird, zur An-

96 XII. Homöopathische Arzneimittellehre.

Wendung einer Arznei geeignet oder nicht geeignet sein? In Beziehung auf die Ilundswuth werden hier ungeheure Versprechungen gemacht, von denen wir zum Heile der Menschheit wünschen, dafs sie in Erfüllung gehen möchten. Durch homöopathische (iahen der Ganthariden soll ohne alle örtliche Behandlung der Ausbruch der Ilundswuth immer verhütet, und durch eben dieses Mittel oder durch eines von drei hier nicht genannten, ebenfalls specifisch wirkenden Arzneimitteln, soll sogar die schon ausgehro- ehene Krankheit, gehoben werden. Hört! Hört! Sollte diese A*ussage sich bestätigen, so wäre das Verdienst der neuen Lehre unbeschreiblich. Prophy lactisch wird man jedoch vorläufig diese Methode wohl nicht anwenden, weil man die hier geforderte Nichtbeachtung der Wunde nach allen bisherigen Erfahrungen und Grundsätzen für unver¬ antwortlich häl^; allein beim Ausbrechen der Krankheit selbst, wo nach unserm bisherigen VN issen alles vergeblich ist, sollte man doch auf keinen Fall den Versuch unterlas¬ sen. Der Kirschlorbeer soll nach S. 112 nur in sehr wenigen, und zwar nur in acuten Fällen anwendbar sein. Die aus ihn» wie aus den bittern Mandeln gewonnenen Mit¬ tel werden als nur durch die Blausäure wirkend angesehen, daher auch die Arzneisymptome derselben zusammengestellt werden; allein es ist jetzt unzweifelhaft , dafs die vegetabi¬ lischen Stoffe, welche Blausäure enthalten, nicht durch diese allein, sondern auch durch das damit verbundene älbe-

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rische Oel wirken, und daher in ihrem Einflüsse auf orga¬ nische Wesen sehr bedeutend von der reinen Blausäure verschieden sind. Mohn und Kaffee werden als die besten Gegenmittel der blausäurehaltigen Stoffe angesehen. Die Spiefsglanzmittcl sollen in ihren verschiedenen Präparaten nicht sehr verschieden sein, was schon dadurch widerlegt wird, dafs manche Bereitungen derselben nur in grofsen Gaben, andere schon in kleinen Brechen erregen. Ks wer¬ den mehrere, in sich sehr verschiedene homöopathische

Hei-

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XIII. Wurstgift.

Heilungen durch Spiefsglanz aufgeführt, von denen uns die äufserliche Anwendung von gepulvertem Spiefsglanze bei Gliedschwämmen am Knie auffiel. So wenig nämlich die herrschende Medicin bei solchen Uebeln gegen örtliche Mittel einzuwenden hat, so lauten doch Hahnemann’s Aeufserungen so absprechend gegen alles örtliche Verfah¬ ren, dafs man sich in der That wundern mufs, ein solches von Homöopathen einschlagen zu sehen.

ln den einzelnen Arzneisymptomen sind sehr viele An¬ gaben, die lächerlich klingen und zum Spotte gegen die Homöopathie reizen. Doch wie früher, so auch diesmal, wollen wir diese in wissenschaftlichen Gegenständen leicht verderbliche und immer schwer verletzende Waffe nicht gebrauchen.

Licht enst ädt.

XIII.

De Veneno in botnlis, scripsit Guilelmus H orn, M. D. Commentatio in certamine littera- rio a gratioso medicorum ordine Berolinensi prae- mio ornata. Berolini, ap. Duncker et Humblot. 1828.8. VIII u. 94 S. (14 Gr.)

Die Lehre von den Giften des organischen Reiches, welche in chemischer und therapeutischer Beziehung be¬ kanntlich noch sehr viele Mängel darbietet, hat in denjeni¬ gen Stoffen, welche ursprünglich dem organischen Leibe keines weges fremdartig, erst durch eine specifische, der Gährung und Fäulnifs ähnliche Umwandlung giftig werden, ein neues kaum betretenes Gebiet erhalten, dessen Umfang mit Bestimmtheit anzugeben für jetzt unmöglich sein dürfte. Dafs die giftigen Würste unter diesen Stoffen bis jetzt die wichtigste Stelle einnehmen, ist eben so allgemein bekannt, XIII. Bd. l.St. 7

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XIII. Wurstgift-

als dafs diese Vergiftungen fast ausschliefslich in Wiirtem- berg vorgekommen sind. Aus diesem letztem l mstamlc ergiebt es sich, dafs cs dem Verf., welcher zur Zeit der Abfassung seiner Schrift in Belin lebte, unmöglich gewesen ist, das Gift selbst zu untersuchen, zumal da alle Versuche künstlicher Erzeugung vergifteter W ürste mifslungen sind. Was sich aber ohne unmittelbare Prüfung des Giftes selbst, welche freilich immer der wesentlichste Gegenstand weite¬ rer Forschung bleibt, durch kritische Prüfung der vorhan¬ denen Quellen erforschen Iäfst, ist von dem \ ecf. gesche¬ hen. Auch an eigenen Versuchen mit verschiedenen Stof¬ fen, welche für die Grundlage des Wurstgiftes gehalten worden sind, hat es der Verf. nicht fehlen lassen.

Die Resultate in Reziehung auf die Natur jenes Giftes sind, wie sich erwarten liefs, meistens negativ; denn weder die Blausäure, noch die branstige Holzsäure, noch das Walther 'sehe Bitter, noch das Fettwachs oder die Fett¬ säure stimmen in ihren W irkungen mit dem Wurstgifte überein. Eine giftige Verderbnifs im lebendigen Körper, als Ursache der schädlichen Stoffe, hält der Verf. für un- zuläfslich. Die Schlufsworte: Causa veneni in facile exo- riente putredine et materia quadam per eam expedita sita videtur, quod farciminibus male factis effici verisimillimum est, geben wenig Aufschluß; denn die Natur des giftigen Stoffes bleibt bei dieser Annahme ganz unbestimmt. Auch kann der schlechten Bereitung der Würste, wie der Verf. selbst früherhin bemerkt, die Erzeugung des Fettgiftes nicht beigemessen werden, da einerseits die giftigen W ürste nicht immer schlecht bereitet, gewesen sind, und anderer¬ seits viele sehr schlecht bereitete Würste nicht giftig be¬ funden werden. Ueberhaupt Iäfst sich aus der ganz allge¬ meinen Bezeichnung, «schlecht bereitet, wohl Unverdau¬ lichkeit, aber nicht Giftigkeit herleiten. Kurz, wir wissen noch nicht, wodurch die giftigen W ürste giftig sind, und müssen ton weiteren Untersuchungen an Ort und Stelle das Nähere erwarten. Sehr zweckmäfsig ist die tabclla-

XIV. Brunnendiätetik.

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rische Zusammenstellung der Zeichen des Wurstgiftes an Lebenden und Todten bei Menschen, so wie auch der Zei¬ chen im Leben und im Tode bei verschiedenen Thieren, denen Fettsäure oder verdorbenes Fett gereicht worden.

Da auch negative Resultate, wenn sie Folge wissen¬ schaftlicher Forschungen sind, immer unsern Dank verdie¬ nen , so sind wir denselben auch dem thätigen jungen Verf. schuldig; zu geringe Sorgfalt im lateinischen Styl scheint uns der einzige Vorwurf zu sein, der dieser Schrift von billigen Beurtheilern gemacht werden kann.

Lic htenstädt.

XIV.

»

Brunnendiätetik, oder Anweisung zum zweck- mäfsigen Gebrauche der natürlichen und künstli¬ chen Gesundbrunnen und Mineralbäder; von Dr. Friedrich August v. Ammon, praktischem Arzte in Dresden, und der gelehrten Gesellschaften zu Berlin, Bonn, Dresden und Frankfurt a. M. Mitgliede. Zweite, verbesserte Auflage. Dres¬ den, P. G. Hilschersche Buchhandlung. 1828* 8* 279 S.' (20 Gr.)

Mit Vergnügen zeigt Ree. diese Schrift an, deren erste mit allgemeinem Beifall aufgenommene, und auch ins Polnische übersetzte Ausgabe ihm seit drei Jahren, da sie erschien, zu Doberan für seine dasigen Bade- und Brun¬ nengäste zum nützlichsten Gebrauche gedient hat.

In dem Vorworte wird auch der wichtigen Struve- schen Entdeckung, der künstlichen Mineralwässer, mit ver¬ dienter Auszeichnung gedacht. « Bei dem Gebrauche der¬ selben,»» sagt der Hr. Verf., «sind die unmittelbaren Wir-

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XIV. Brunnendiiitctik.

kungen , sowohl die günstigen als die ungünstigen, ganz die der natürlichen, und die Nach Wirkungen halten dieselbe Probe aus!» Nach achtjähriger Erfahrung beweisen dies Hunderte von Beispielen. Gar sonderbar nimmt sich gegen diese Sprache der unparteiischen Wahrheit, welche Ref. aus mehrjähriger Erfahrung in vollem Maafse bestätigen kann, das Urtheil eines neueren Schriftstellers über Pyr¬ mont aus, der es für Sünde gegen den Menschenverstand und Betrügerei der Chemie hält, solche Nachahmungen zu versuchen, ^on Herzen stimmt Bef. der schönen Hymne bei, wodurch der Hr. Verf. aus Schlegel s Charakteristiken und Kritiken Bd. 2. S. 233. Neubcck’s klassisches Ge¬ dicht, k die Gesundbrunnen , » in neue Erinnerung bringt.

Aus einer nur oberflächlichen Vergleichung dieser neuen Ausgabe mit der früheren, ergiebt sich schon die bedeu¬ tende Verbesserung derselben zur Genüge.

Bei einem kleineren Drucke ist sie 123 Seiten stärker, als die erste Ausgabe, und der Text ist durch und durch im Gehalte und in der Darstellung verändert und verbes¬ sert. Statt in Kapitel, ist diese Ausgabe in Abschnitte ge- theilt, die folgende Ueberschriften haben: Ucbcr den Nutzen der Mineralwässer, und über die Absicht beiin Gebrauche derselben; über die Nothwendigkeit einer Vorbereitungs- cur zum Gebrauche der Mineralwässer ; allgemeine diäteti¬ sche Regeln beim Gebrauche der Mineralwässer, nebst einem allgemeinen Verzeichnisse der den Curgästen nützlichen und schädlichen Speisen und Getränke, welches letztere in der ersten Ausgabe fehlt. Das Gleiche gilt von den folgenden Abschnitten: Allgemeine Betrachtungen über die Wirkung der Mineralwässer als Getränke auf den menschlichen Kör¬ per; von dem Gebrauche der Bäder für sich und in Ver¬ bindung mit der inneren Anwendung von Mineralwässern; Nachwirkungen der Mineralwässer, Wiederholung der Brun- nencuren, Nacbcur ; von dem häufigen Mifslingen der Brunnen- und Badecuren. Der letzte Abschnitt giebt ein Verzeichnis der bekanntesten Gesundbrunnen und Heilbäder

XI Y. Brunnendiätetik*

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Deutschlands, nebst einer kurzen Anleitung zum Gebrauche derselben. Zu den vorzüglichsten Soolbadern verdient auch das bisher noch wenig gekannte zu Siilz im Mecklenburgi¬ schen gezählt zu werden. Nicht weniger ist das Doberaner Stahlbad einiger Erwähnung werth, das dem Firn. Hermb- städt seine Analyse, und bereits vielen günstigen Erfah¬ rungen seinen Ruhm zu danken hat. Bei jedem Brunnen sind zugleich die wichtigsten Schriftsteller angeführt, welche in der ersten Ausgabe fehlen. Sämmtliche Artikel sind gründlich, kurz und falslich durchgeführt. Uebrigens ent¬ hält dies wohlgeschriebene Büchlein mehr, als was der Ti¬ tel bezeichnet, und wodurch seine Brauchbarkeit und sein Werth bedeutend erhöhet werden. Allen Brunnen- und Badegästen kann es zum fleifsigen Gebrauche nicht genug empfohlen werden, und selbst Aezte werden es mit Nutzen und Belehrung lesen. Um seinen Werth kennen und schätzen zu lernen, will Ref. mehreres daraus auszeichnen, und hin und wieder mit einigen Bemerkungen begleiten.

Zu den erforderlichen Iueibesbewegungen bei einer Brun- nencur empfiehlt Ref. auch noch das Schaukeln, wovon derselbe seine Beobachtungen anderwärts mittheilen wird. Unter manchen Umständen hat diese passive Bewegung ganz eigenthümliche , besänftigende, die Zahl der Pulsschläge ver¬ mindernde Wirkungen. Bei Gelegenheit der Bedingungen zum Vorbereiten und Gedeihen einer Brunnencur sagt der Hr. Verf.: « Kein Mensch in der Welt könne Ruhe und Glück, Freude und Gesundheit in der Einsamkeit finden.» Unstreitig will der Hr. Verf. dies nur bedingungsweise ver¬ standen wissen; denn keine Freuden auf Erden giebt es, welche denen gleichen, die der von dem Geräusche und dem Drucke der Welt ermüdete und betäubte Geschäfts¬ mann in der Einsamkeit findet. Auch feiert der Geist in der Einsamkeit seine schönsten und frohesten Freiheits- und Wonnestunden der nahen und fernen Freundschaft und Liebe, und nur in der gröfsten Stille und Ruhe gelingt ihm die schwierigste Eotwickelung der fruchtbringendsten

XIV. Brunnendiätetik.

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und bclohnendsten Produkte. Aber allerdings eben so gift- schwanger und gefährlich wird sie durch I ebermaals und falsche Anwendung.

Zur ärztlichen Vorbereitung einer Brunncncur wird erfordert: die sogenannten ersten Wege zu reinigen, oder überhaupt den Körper zur Aufnahme und zur Verdauung der Mineralwässer geschickt zu machen. Alles was der 1 Ir. Verf. zum Behufe dieser Vorbereitung, so wie von den Nachtheilen ihrer Versäumung vorträgt, verdient die ge- naueste Erwägung. Diese ^ orbereitung besteht aber nicht blofs in ausleerenden Mitteln, sondern auch unter Umstän¬ den in Verminderung des Blutes, Dämpfung einer über- mäfsigen Reizbarkeit der Eingeweide, vorzüglich des Darm¬ kanals, in Minderung grofser Schwäche, Stillung eingewur¬ zelter Diarrhöen, Bekämpfung entzündlicher, leicht aufbrau¬ sender Beschaffenheit des Blutes u. s. w. Dies führt den Hrn. Verf. auf die sogenannten Kräutercuren , und hierzu empfiehlt er besonders die frisch ausgeprefsten Säfte mit Selterwasser nach einer eigenen von dem verewigten Prof. Grapengiefser zu Berlin gepriesenen, nicht genug be¬ kannt gewordenen oder zu schnell vergessenen Methode und Ordnung, die der Verf. selbst oft erprobt hat, und die gewifs befolgt zu werden verdient. Der Leser findet sie S. 3(> be¬ schrieben. Dann redet derselbe von den Molken, von den warmen Bädern, und der Mafsigkeit zur \ orbereitungscur.- Ueberall sind die besten Regeln gegeben.

Ueber die Nothwendigkeit, dafs der Brunnengast dem Brunnenarzte eine von seinem Hausärzte ausgefertigte ge¬ naue Krankheitsgeschichte mitbringe, so wie über die Ent¬ fernung aller nachtheiligen Einflüsse während der Reise auf den Kranken, über das voreilige Beginnen der Bronnencur, die Waht der zweck mäfsigsten Jahres- und Tageszeit dazu, wobei mit Recht auch der Wintercuren gedacht wird, über die Wiederholung derselben in einem Jahre, über die in manchen Fällen angemessene Erwärmung der Brunnen, und das Trinken derselben im Bette, ferner über Brunnen-

XIV. Brunnendiätetik.

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kleidung, Vermeidung von Erkältungen, die nöthige Bewe¬ gung dabei, die Art des Trinkens, und die Jedesmalige Bortion, die mancherlei Zumischungen zum Brunnen, und die Mittel denselben verträglich zu machen u. s. w., finden sich die treffendsten Bemerkungen. Ueberall sind über diese Punkte mit Bestimmtheit und Klarheit die nöthigen Kegeln vorgeschrieben.

Nach Malfatti’s sehr häufiger Erfahrung soll eine Menge von Beschwerden, welche die Karlsbader Quellen, wenn sie nicht vertragen werden, machen, als: Verstopfung, Congestionen u. s. w. , durch ein Glas frischer lauwarmer Milch, eine halbe Stunde vor dem Brunnen genommen, entfernt werden. Unstreitig wird es hier Ausnahmen ge¬ ben, wobei andere Proceduren erforderlich sind. Die Ver¬ bindung einer Art von Hungercur mit einer Brunnencur, verdiene die gröfste Aufmerksamkeit, und es werden die Fälle angegeben, wo sich die gröfsten Vortheile davon er¬ warten lassen. Statt davon geschwächt zu werden, sehen manche Kranke, die durch die Krankheit unterdrückte Le¬ benskraft während der Entziehungscur frei sich erheben. Hierauf ist von den passendsten Nahrungsmitteln die Rede. Der zum Kaffee empfohlene Zwieback veranlasse in Ver¬ bindung mit dem Milchkaffe eine beschwerliche saure Gäh- rung. Unter den Getränken zum Frühstück wird der T hee als erhitzend und die Nerven reizend, so wie das Schlafen in der Zeit zwischen Frühstück und Mittagsmahl, verboten. Der Hr. Verf. läfst gewifs auch hier einzelne Ausnahmen gelten. So verhält es sich auch mit dem Schlafen nach Tische, wobei Felix Plater doch #70 Jahr alt wurde, ohne jemals krank gewesen zu sein. Etwas Aehnliches er¬ widerte \oltaire seinen Aerzten, als sie ihm im späte¬ sten Alter den Kaffee verboten. Die kohlensauren Eisen¬ wässer sollen eine eigene, fast specifike Einwirkung auf die weiblichen Geschlechtstheile haben, daher sie während der Menstruation ausgesetzt werden müssen. Schon einige läge vor ihrem Eintritte mufs die Zahl der Becher verringert

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XIV. Brunuendiätetik.

werden. Entweder führen die Mineralbrunnen ohne beson¬ ders in die Sinne fallende W irkungen das gewünschte Wohl¬ sein herbei, oder erregen ein künstliches Fieber, das sich mit kritischen Ausleerungen endigt, oder die heilsamen Wirkungen der Brunnencur kommen nach Verlauf mehrerer Monate nach. Diese Nachwirkung ist keine im Reiche der Phantasie entstandene Träumerei , sondern eine durch viel¬ fache Erfahrung sattsam bestätigte Wahrheit. Der Vcrf. hat einige merkwürdige Fälle davon erfahren. Bevor diese verschiedenen Wirkungsarien näher entwickelt werden, schickt er einige Worte über die verschiedenen Klassen der Mineralwässer voraus. Er glaubt, dafs sie sich nach ihren Wirkungen am Ende wohl alle unter die Rubriken der auflösenden oder auflüsend -stärkenden , oder der stär¬ kenden bringen lassen. Er will aber lieber die ältere che¬ mische Eintheilung beibehalten, in Stahlquellen, die soge¬ nannten Laugenwässer (warme und kalte), die innerlichen Schwefelwässer (warme und kalte), und endlich die mine¬ ralischen Salzquellen. Die Wirkungen jeder Klasse werden dann in kurzen Zügen charakterisirt. Man wird diese kurze Auseinandersetzung gewifs nicht ohne Genugthuung lesen. Der grofse Nutzen des hier genau beschriebenen fleißigen Gebrauches der Mineralwässer in Lavements wird mit Recht sehr erhoben. Auch ist das, was der Vcrf. über die Ver¬ dauung der Mineralbrunnen und die von ihnen bewirkten kritischen Ausleerungen sagt, ganz aus der Natur gegriffen. Die Wirkung einzelner Brunnen auf einzelne Organe, z. B. der Eisenbrunnen auf die Brust- und Geschlechts¬ organe, der Stahlwässer zu Pyrmont auf die Gebärmutter, der Karlsbader auf alle Concretionen des Körpers, des Salz- br unnens und Selterwassers auf die Brust.

Es wird nicht weniger das hohe und das kindliche Alter, die Schwangerschaft, das Säugen, in Absicht des Brunnentrinkens in Erwägung gezogen. Kranke, die wirk¬ lich an orgauischeu Verbildungen grofser Gefäfsc, des Her-

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XIV. BiLinucndiätetik. 105

zens und anderer Organe leiden, dürfen keine Bäder be¬ suchen, wo jährlich Kranke dieser Art ihren Tod finden.

Der Abschnitt von dem Gebrauche der Bäder ohne und mit der inneren Anwendung der Mineralwässer ist nicht weniger sehr lesenswrerth. Der Verf. redet hier kürzlich von allen Arten der Bäder, und ihrer richtigen Anwendung und Nutzbarkeit, von den mannigfaltigen Douchen, dem Tropfbade, Regenbade, Schauerbade, Gasbade, Moorbade (S. 173) u. s. w. Recht wichtig ist die Bemerkung und Warnung gegen das Ueberbaden, d. h. über die Sättigung des Körpers hinaus, nach welcher das Baden, so wie das Brunnentrinken, nicht mehr vertragen wird. Auf eine be¬ stimmte Zahl von Bädern läfst sich diese Sättigung aber nicht zurückbringen, da sie unter verschiedenen Umständen gewifs zu verschiedenen Zeiten eintritt. Oefter als einmal des Tages zu baden, läfst der Verf. nur für wenige Kranke gelten. In der See, kann Ref. versichern, bekommt das zweite Bad des Abends recht vielen Kranken sehr gut, bei sonst gleichen Umständen versteht sich, und selbst zuweilen besser als des Vormittags.

Alles, was der Hr. Verf. über die körperliche und geistige Diät und das ganze Verhalten, in Betreff des Nach¬ mittagsschlafs, der Befriedigung des Geschlechtstriebes, wovor besonders Milz- und Leberkranke gewarnt werden, über das Kartenspiel, Schauspiel, über die Dauer der Badecur u. s. w. sagt, verdient von jedem Brunnen- und Badegaste genau befolgt zu werden. Zur Bequemlichkeit derselben hat der Hr. Verf. ein alphabetisches Verzeichnis der den Curgästen nützlichen und schädlichen Speisen und Getränke dem dritten Abschnitte beigefügt; wobei es sich versteht, dafs Gewohoheit, Individualität, die Wirkungen des Brun¬ nens, auch die Verschiedenheit des Brunnens, einzelne Ab¬ weichungen von der gewöhnlichen Regel gestalten.

Der Abschnitt über die Nachwirkungen der Mineral¬ wasser u. s. w. ist vortrefflich bearbeitet. Sie treten schnell

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XV. Breslauer Sammlungen.

oder langsam, früh oder spät ein, lind werden jährlich durch die schönsten Erfahrungen vielfach bestätigt. Für viele Brunnengäste, wenn ihre Hoffnungen vereitelt zu sein icheinen, kann und mufs diese Darstellung und Auseinan¬ dersetzung recht tröstlich sein. Sehr wichtig ist, dafs diese kritischen Nachwirkungen nicht falsch beurtheilt und behan¬ delt werden dürfen, eine für den Arzt oft nicht so leichte Aufgabe. Es giebt auch schädliche Nachwirkungen der Mi¬ neralwässer, welche der Arzt verhindern oder entfernen soll. Worauf der Kranke hierbei besonders sein Augen¬ merk zu richten hat, wird hier deutlich angegeben.

Bei der Empfehlung dieses Buches für alle Brunnen- und Badegäste ist es ein erfreulicher Gedanke, dafs einer Menge von ihnen von der darin erhaltenen Aufklärung die erspriefslichsten Folgen ihrer Curen werden zu Theil wer¬ den. Ein würdiges Seitenstück dazu ist Kreysig’s schätz¬ bares Werk über den Gebrauch der natürlichen und künst¬ lichen Mineralwässer; zweite, vermehrte Auflage. Leipzig, 1828. Hier ist über mehrere wichtige Punkte dieser An¬ gelegenheit besonders Licht verbreitet, und durch viele Erfahrungen bestätigt, was einer Ungewifsheit unterworfen sein könnte; jedoch ist es hauptsächlich nur für Aerzte ge¬ schrieben. Wer im Besitze beider Werke ist, in welchen übrigens gleiche Grundsätze herrschen, was die Wirkungs- art und den Gebrauch der Mineralwässer betrifft, wird in dieser Sphäre nicht leicht etwas vermissen, dessen Kennt- nifs ihm wichtig sein könnte.

S. G. V ogel.

xv.

Neue Breslauer Sammlungen aus dem Ge¬ biete der Heilk unde, herausgegeben von der mediciniscben Scction der schlesischen

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XV. Breslauer Sammlungen.

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Gesellschaft für vaterländische Cultur. Erster Band. Breslau, hei Gosohorsky. 1829. 8. XAIII und 444 S. (2 Thlr. 8 Gr.)

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Da der Unterzeichnete Ref. keine Art von literarischer Täuschung liebt, so beginnt er hier mit dem Geständnisse, dafs von ihm keine Recension, sondern nur eine sich alles Urtheils begebende Anzeige dieses Werkes ausgehen kann, da er die Entstehung desselben veranlafst, den gröfsten Theil der Redaction besorgt und selbst zwei Abhandlungen dazu geliefert hat. Schlesiens Aerzten, welche einst die klassische Ilistoria morborum Vratislaviensium , und kurz nachher die für ihre Zeit sehr nützlichen Breslauer Samm¬ lungen geliefert haben, wird in diesen neuen Sammlungen, welche keinesweges in die Zahl der Zeitschriften einrüdken, sondern in unbestimmten Zeiträumen Bandweise erscheinen, ein Organ zur Mittheilung über die Medicin als Wissen¬ schaft und Kunst eröffnet, durch welches sie, in einem schö¬ nen, aber für litterarische Verbindungen ungünstig gelege¬ nen Lande lebend, mit der ärztlichen Welt, so weit sie der deutschen Zunge mächtig ist, in Verbindung treten. Aufser den Petersburger Sammlungen haben wir, trotz der Menge unserer ärztlichen Zeitschriften, kein ähnliches Un¬ ternehmen, da die von der med. chir. Akademie in Dresden und von der Universität in Wien ausgehenden W^erke als Zeitschriften auftreten, und zum Theil auch andern Zwecken, z. B. der Naturkunde überhaupt und der Mittheilung amt¬ licher Nachrichten dienen. Unser Unternehmen tritt kei¬ nem andern in den Weg; der grüfste Theil der in unseren Sammlungen erscheinenden Abhandlungen würde ohne die¬ selben ungedruckt geblieben sein. Wenn sie daher, wie wir hoffen, Gutes verbreiten oder anregen, so wird man uns Dank wissen, dafs wir sie an den Tag gefördert haben. Ob und wie weit sie die Wissenschaft fördern, mögen andere kritische Blätter, und mehr noch als diese, Deutsch¬ lands öffentliche Stimme beurtheilen. Ref. kann seiner par-

108 XV. Breslauer Sammlungen.

tlieiischen Stellung nach keine Uecension, sondern nur eine gedrängte Inhaltsanzeige aufstellen.

1. I eher die in Schlesien endemischen rheu¬ matischen Fieber, vom Geh. R. u. Prof. Wendt. Fs wird zuvörderst aus Schlesiens Fage und den dieser ent¬ sprechenden \\ itterungsverhaltnissen erörtert, warum da¬ selbst rheumatische Fieber besonders häufig Vorkommen; sodann wird über die Natur der Fieber überhaupt und der rheumatischen Fieber insbesondere gehandelt, und die geeig¬ nete, durch Frfahrung erprobte und mit Beispielen belegte Behandlung aufgestellt. 2. Feber die gallertartige Frweichung des Magens, von ])r. Carl Nagel. Schil¬ derung des schnellen und langsamen Verlaufes dieses Uebels, Beweise für das Dasein desselben im Leben, Prüfung der aufgesteilten Ansichten und Heilmethoden, Kranken- und Sectionsgeschichten. 3. Der Sy noch us und das

intermittirende Fieber, die beiden Grün <1 for¬ men der gegenwärtig herrschenden allgemeinen K rankheitsconstitution, von Dr. W e n t z k e. Der Krankheitscharakter, welcher seit mehreren Jahren Deutsch¬ land beherrscht, und im Norden desselben, wie in dem an- gränzenden Holland unter Zutritt ungünstiger Verhältnisse, gelährliche Fpidemieen hervorgebracht hat, hat sich auch in Schlesien verbreitet und die angegebenen beiden Krank¬ heitsformen zu den herrschenden gemacht. Die mit grofsem Erfolge angewandten Heilmittel sind im Wesentlichen die¬ selben, welche die bisherige rationelle Heilkunde in Anwen¬ dung gezogen hat. 4. Geschichte einer Feber¬

krankheit, welche sich durch Oeffnung eines Ge¬ schwürs nach au Isen glücklich endete, von Dr. K. Hen sc hei. Der Fall gehört durch seine Langwierigkeit und Heftigkeit, so wie durch die grofse Menge der nach aufsen ausgeleerten Galle zu den merkwürdigsten seiner Art. 5. Feber die chronische H irn höh len Was¬ sersucht der Kinder, von Dr. Kraufs. Fine von den Bearbeitern der Kinderkrankheiten fast ganz vernachlässigte

109

XV. Breslau er Sammlungen.

Krankheitsform wird hier nach Anleitung der Erfahrung deutlich beschrieben. Auch die Heil versuche, welche we¬ gen später Anwendung meistens keinen Nutzen gewähren, sind angegeben. 6. Vergiftung mit Aethusa Cyna- pium, an neun Kindern bobachtet, vom Kreisphysi- cus I)r. Meyer in Kreutzburg. Die zwei jüngsten Kin¬ der waren vor Ankunft des Arztes gestorben, die übrigen wurden gerettet. Es wird zugleich versucht, eigenthiim- liche Zeichen für diese Vergiftung aufzustellen. 7. Zur Lehre von der Hundswut h, von D e ms e lb en. Berner-

i _ '

kungen über das Dasein und Fehlen der Marochettischen Bläschen, und über die Zeichen der Wulfe bei Hunden, letzteres in Uebereinstimmung mit den Ilertwigschen Er¬ fahrungen. 8. Ueber Variola und Varioliden,

nach eigenen Beobachtungen, vom Hofrath Dr. Ebers. Die ausführliche Untersuchung gründet sich auf die Beobachtung von 72 Fällen der gedachten Krankheits¬ formen, welche in den Jahren 1827 und 28 im Kranken¬ hospitale zu Allerheiligen in Breslau vorkamen. Der Verf. entscheidet sich für eine wesentliche Verschiedenheit unter jenen beiden Krankheitsformen. 9. Zur Lehre von

den Impfnarben, vom Kreisphysicus Dr. Meyer in Kreutzburg. Bemerkungen über die Form schützender und nicht schützender Impfnarben, und über die Erfolge der Impfung bei Personen, die vor Jahren mit Erfolg geimpft worden. 10. Merkwürdiger Fall von Metastase

und Metaschematismus, vom Ref. 11. Ueber

einige Schwierigkeiten in der Pathologie der Hundswuth, und eine Aussicht zur Lösung der¬ selben, vom Prof. Dr. Henschel. Nach Darlegung ver¬ schiedener in Beziehung auf jene Krankheit obwaltender Widersprüche wird versucht, dieselbe vom psychologischen Standpunkte aus zu deuten. 12. Ueber den Begriff bösartiger Fieber, und über das Wesen der Bös¬ artigkeit in Krankheiten überhaupt, von Dr. Bork¬ heim. Da die zahlreichen älteren Untersuchungen über

110 X\. Breslauer Sammlungen.

diesen Gegenstand denselben nicht erschöpft haben, und die Praxis den Ausdruck bösartig nicht ganz entbehren 7,11 können scheint, so wird versucht, die wahre Gränzc für denselben zu bestimmen. 13. Ueber die irr irren

O

Deutungen der Thätigkeit des Lymphsystems, vom Ref. Die Bemerkung, dafs die Pathologie unserer Zeit nicht immer die Fortschritte der Physiologie gehörig beachtet, ist in Beziehung auf das Lymphsystem besonders auffallend, und hat \ eranlassung gegeben, die gewöhnlichen \ orstellungen der Aerztc in Beziehung auf den Kinflufi dieses Systems einer Revision zu unterwarfen. 11. Ueber die schwarze Blatter, vom Medicinalrath Dr. Haneke. Der Verf. will keine andere Ansteckung, als durch die Haut zugeben, und betrachtet daher nur die auf dieselbe wirken¬ den Mittel als schützend gegen Ansteckung. Zu diesen Mitteln rechnet der Verf. das Empyreuma in allen seinen Formen. Wäre Unterzeichneter hier nicht blofser Refe¬ rent, so würde er gegen die Grundlage der Ansicht und gegen die gezogenen Folgerungen lebhafte Einwürfe ma¬ chen. Jedenfalls verdienen diese Behauptungen sorgfältige Prüfung in grofsen Krankenanstalten und bei Epizootieen. 15. Versuche mit giftigen Sch warn men und L o - lium temulentum an Thiren, vom Oberthierarzt Dr. Hertwig, Lehrer an der Thierarzneischule in Berlin. In¬ teressante Versuche, welche zum Theil mit den gewöhn¬ lichen Angaben in Widerspruch stehen. 16. Ueber

die wirksamen Stoffe in den vegetabilischen blausäurehaltigen Mitteln, von Dr. G ö p p e r t. Durch Versuche wird erwiesen, dafs das Bittermandelöl, dem die Blausäure entzogen ist, nicht mehr giftig wirkt; es geht zugleich daraus hervor, dals Erdmann’s Ansicht über die hierher gehörigen Mittel (s. diese Aunalen Bd. V IF. S. 257 ff. ) völlig gegründet ist. 17. Einige Beiträge zur physiologischen Pharmacologie, vom Prof. Dr. Purkinje. Versuche mit Campbcr, Opium, Terpenthinöl

111

XVI. Biographische Nachrichten.

und Muscatnufs, zur Erforschung der organischen Reactio- nen , jedoch auch wichtig in Beziehung auf Heilwirkung.

Druck und Papier werden billigen Ansprüchen völlig genügen.

Lichtenstädt .

XVI.

Biographische Nachrichten.

1. Francois Chaussier, geboren zu Dijon 1746, studierte auf der Universität zu Besan^on, wo er im Jahre 1780 zum Doctor der Medicin und der Chirurgie promo- virt ward, worauf er nach Dijon zurückkehrte und daselbst Vorlesungen über Anatomie, Physiologie, Chemie und Ma- teria medica mit einem ungeteilten Beifall hielt. Im Jahre 1799 wurde ihm der ehrenvolle Ruf nach Paris zu Theil, um dort in Gemeinschaft mit Fourcroy einen allgemeinen Lehrplan für die Heilwissenschaften zu entwerfen. Kaum sah er den Zweck seiner Reise erfüllt, als er wieder nach Dijon zurückkehrte, von wo ihn der Ruf als Professor der Anatomie und Physiologie an der neugegründeten medici- nischen Facultät in Paris zum zweitenmal in diese Haupt¬ stadt rief. In seinen Vorlesungen über Physiologie, mit welchen er auf die sinnigste Weise Experimente an Thie- ren verband , richtete er seine Untersuchungen vorzugs¬ weise auf den Galvanismus, auf die verschiedenen Arten der Asphyxie, in sofern diese die Wirkungen schädlicher Gas¬ arten sind, auf den Vorgang bei den Verknöcherungen, auf die Bildung neuer Gelenkhöhlen, auf die Bildung der Mark- hühlen in den Knochen, auf die Unterbindung, die Durch- schneidung und die muthmaafsliche Regeneration der IM er-

112

XVI. Biographische Nachrichten.

von, auf die Functionen mehrerer Organe, die er entweder gänzlich entfernte oder nur auf längere oder kürzere /eit in Lntbätigkeit versetzte.

Im Jahre 1804 wurde C haussier dirigirender Arzt der Entbindungsanstalt (la Maternite), Professor der Chc- mie und Arzt an der polytechnischen Schule, welche letz¬ tere Stelle ihm im Jahre 1815 nach dem Eintritt der Bour- bons entzogen ward. Im Jahre 1821 erwählte ihn das In¬ stitut de Fiance zu ihrem ordentlichen Mitgliede, und das Collecre de France zum Stellvertreter des berühmten Halle.

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Am Ende des folgenden Jahres, wo die Geistlichkeit eine Reform der medicinischen Facultät für nüthig erachtete, erhielt C haussier, so wie Desgenettcs, Dubois und andere nicht minder berühmte und thätige Männer seine Entlassung, welche Nachricht einen so gewaltsamen 1. in¬ druck auf (.haussier machte, dafs er schon am folgenden Tage von einer Apoplexie heimgesucht ward, in Folge deren eine Lähmung der rechten Hand und eine grolse Schwäche auf der ganzen rechten Seite zurückblieb. Er starb am 9. Juni d. J. im zweiundachtzigsten Lebensjahre.

Chaussier galt für einen der gelehrtesten Professo¬ ren an der medicinischen ‘Facultät, dem die Leistungen frem¬ der Nationen keine Terra incognita, wie so vielen seiner Collegen geblieben waren. Seine Vorlesungen über Physio¬ logie, welche uns Richerand in seinem Lehrbuche über Physiologie treu wiedergegehen haben soll, zeichneten sich durch grofsen Scharfsinn und einen oft bittern Witz aus, seine Bemerkungen am Krankenbette bekundeten einen den- kenden praktischen Arzt, und besonders einen scharfsinni¬ gen Prognostiker. Seine Schriften sind folgende:

1) Extrait des observations de Mr. Chauss. sur plu- sieurs traitemens par le sei sedatif mercuricl, in den Observa¬ tions sur la physique, l’hist. natur. cct. tom. IX. Mai 1777.

2) Memoire de physique experimentale, sur quelques proprietes de Tair inflam mahle, in derselben Zeitschrift tom. X. 1777.

3) Re-

113

XVI. Biographische Nachrichten.

3) Reflexions sur les moyens propres ä determiner la respiration dans les enfans, qui naissent sans donner aucun signe de vie, et a retablir cette fonction chez les asphyxies, et sur les effets de Fair vital ou dephlogistique employe pour produire ces avantages. Histoirc et memoires de la societe roy. de med. an 1780 et 1781. p. 346.

4) Memoire d’anatomie sur les vaisseaux omphalo- mesenteriques. Nouveaux mem. de l’acad. de Dijon an 1782. p. 175.

5) Memoire sur un acide particulier decouvert dans le ver a soie, avec des observations sur l’origine, le siege de cet acide cet. Ebendas. A. 1783 2eme semestre p. 70.

6) Observations sur les procedes employes pour faire perir la chrysalide du ver a soie. Ebend. 1784. 2eme se¬ mestre p. 80.

7) Essai d’anatomie sur la structure et les usages des epiploons. Ebend. a. 1784. 2eme sem. p. 95.

8) Observations sur une cataracte compliquee avec la dissolution du corps vitre. Ebendas, a. 1788. 2eme sem.

p. 202.

9) Description de Faerostate de Dijon parMorveau,

* i

Chaussier et Bertrand. 1784. 8.

10) Methode de traiter les morsures des animaux en~ rages et de la vipere; suivie d’un precis sur la pustule maligne 1785. Ins Deutsche übersetzt. 1766. Berlin.

11) Consultation medico- legale sur une accusation dinfanticide. 1786. 4.

12) Observations sur la maniere de transplanter les müriers blancs cet.

13) Exposition sommaire des muscles cet. 1789.

14) Memoire sur quelques abus dans la Constitution des corps et Colleges de Chirurgie cet. 1789.

15) Observations chirurgico- legales sur un point im¬ portant de la jurisprudence criminelle 1790.

16) Instruction sur l’usage des remedes, que le depar- tement de la Cöte-d’or envoie dans les campagnes 1792.

XIII. Bd. i. St. 8

114

XVI. Biographische Nachrichten.

17) Observations sur quelques abus Jans le scrvice des officiers de sante militaircs etc. Journal de med. cct. tom. XCV.

IS) Tables synoptiques über Anatomie.

19) Memoire sur le moyen de preserver les cadavres des animaux de la putrefaction, en conservant leurs formes essentielles. Magazin encyclop. tom. L. p. 535.

‘20) Diseours prononcees aux seances publiques de la ‘maternite en 1805, 1806, 1S07, 1SDS, 1812 cet. Im An- nuaire de la societe de med. du departement de l’Eure, in welcbem sich noch verschiedene andere Artikel von dem¬ selben .Verfasser befinden.

21) Observat. sur les effets du gnz carboneux dans l’economie animale, im Bullet, de la societe philomath. an. X. p. 94.

22) Obs. sur une espbee rare de hernie abdominale.

23) Mem. sur un nouveau genre de sei et sur son usage dans le tiaitement de quelques maladies. Journal de la soc. de pharm, tom. I. p. 466.

24) Precis d’experiences sur l’amputation des extre-

mites articulaires des os longs. Mem. de la soc. med. d’emu- lat. Tom. III. p. 397. 1

. 25) Exposition sommaire de la structure de l’ence- phale. Paris 1807.

26) Recueil des programmes des operations chimiques ct pharmaceutiques , qui ont ete cxecutees aux Juris med. de 1809 1810.

27) Consultations medieo-l£gales sur une accusation d empoisonnement par le sublim^ corrosif cet. Paris 1811.

28) Memoires sur les fractures et les Iuxations sur-

venues ?t des foetus cncore contenus dans la matriee. Bull, de la faculte de med. 1813. p. 302. '

29) Note sur une hernie cong^niale du coeur. Eben¬ das. 1M4.

30) Obs. sur une Perforation de Tcstomac ct du dia- phragmo. Ebend. 1815.

115

XVI. Biographische Nachrichten.

31) Sur les hernies du poumon. Ebend. 1814.

32) Sur l’obliteration spontanee de plusieurs arteres. Ebend. 1818.

33) Rapport sur un enterrement precipite. Eben¬ das. 1817.

34) Obs. sur une eruption variolique dans la trachee artere 1819.

35) Recueil anatomique a l’usage des jeunes gens, qui se destinent a l’etude de la Chirurgie cet. Paris. 1820.

36) Recueil de memoires, consultations et rapports sur des objects de med. legale. Paris 1824.

Mehrere Artikel über Gegenstände aus dem Gebiete der Physiologie im Dict. des Sciences med. sind von C haus¬ sier und Adelon, so wie verschiedene, vor der Pariser medicinischen Facultät verth eidigte Dissertationen.

(Nach den Archives generales. 1828. Juillet.)

*

2. Johann Etienne Georget, geboren am 9. April 1795 zu Verrou bei Tours, besuchte seit 1812 die medici¬ nischen Vorlesungen an der Pariser Universität, wo er bald eine grofse Vorliebe für das Studium der psychischen Heil¬ kunde blicken liefs, wozu seine Stellung als Eleve interne in der Salpetrierc wesentlich beigetragen haben mag. Im Jahre 1819 vertheidigte er seine Dissertation über die Ursachen des Wahnsinns, welche an innerem Gehalte sich wesentlich unter den Inauguralabhandlungen dieser Schule auszeichnete. Schon im folgenden Jahre erschien von ihm eine Schrift über Geisteszerrüttung, betitelt: De la folie, considerations sur cette maladie, son siege, ses symptomes etc., und wenige Monate später sein Werk: De la physiologie du Systeme nerveux et specialement du cerveau in zwei Bänden, in welchem er seine von Origi¬ nalität zeugenden Ansichten über die Nervenkrankheiten im Allgemeinen, und namentlich über den Sitz, die Ursachen und die Behandlung der Hysterie, Hypochondrie, Epilepsie u. s. w. entwickelte. Diese letztere Schrift ist es vorzugs-

8*

116

XVI. Biographische Nachrichten.

weise, welche dem ^rf. die Palme der Unsterblichkeit zu¬ sichert, wiewohl seine Untersuchungen im UeLdete der ge¬ richtlichen Arzneiwissenschaft, und insonderheit über die Zurechnungsfähigkeit welche Lehre in Frankreich vor Georg e t von niemandem bearbeitet worden ist an Gehalt nicht nachstehen, und einen eben so wissenschaftlich gebildeten als menschenfreundlich gesinnten Arzt beurkunden. In die¬ sen Abhandlungen (welcher in dieser Zeitschrift wiederholt Erwähnung geschehen) sucht G. den von Juristen und von Aerzten seines Vaterlandes aufgestellten Satz: «dafs die Mania homicida ein Phantom sei, das nur zur Entschuldigung eines jeden \ crbrecliens benutzt werde,” durch Thatsachen zu widerlegen, welche wohl geeignet erscheinen, seihst dem eigensinnigsten und einsei¬ tigsten Richter die Rinde von den Augen zu nehmen. Lei¬ der haben indefs eine Reihe von späteren Verhandlungen vor den französischen Gerichtshöfen und mehrere Verur¬ teilungen und Hinrichtungen von Personen, die man in anderen Ländern als gemütskrank in ein Irrenhaus geschickt hätte, hinreichend dargethan, dafs die von Georg et aus¬ gesprochenen W ahrheiten noch keinen Eingang in Frank¬ reich gefunden, wo man furchtet, dafs die Annahme einer Mania homicida bald als Entschuldigungsgrund für Verbre¬ chen aufgegriffen werden könnte.

Georg et war einer der thätigsten Mitarbeiter am Dictionnaire de medecine, das im Jahre 1821 unter Mit¬ wirkung von Reclard, Orfila u. s. w. begann, und von welchem gegenwärtig 21 Bande erschienen sind. Die von Georget in demselben bearbeiteten Artikel sind Ataxie, Catalepsie, Cauchemar, Cephalalgie, Cretioisme, Delire, De¬ lirium tremens, Douleur, Dyspepsie, Enclphale, Fnccpha- lite, Fpijepsic, Folie, Gastralgic, Hysterie, Hypochondrie, Idiotisme, Liberte morale, Ncvrose, Onanismc und Suicide. Nicht minder thätig zeigte sich Georget als Mitarbeiter an den Arcbives generales de medecine, welche mehrere

XVI. Biographische Nachrichten. 117

gediegene Abhandlungen über die Geisteszerrüttung und die Zurechnungsfähigkeit enthalten.

Aufser den litterarischen Arbeiten beschäftigte den Ver¬ storbenen die Leitung einer Privatirrenanstalt, welcher er

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und Esquirol sein inniger Freund und Lehrer vorstanden. Georget starb an der Lungenschwindsucht, von welcher er schon seit vier Jahren die deutlichsten Spuren wahrgenommen hatte.

Bei Eröffnung seines Testamentes fand man eine vom Verstorbenen ein Jahr vor seinem Tode niedergeschriebene Erklärung, der zufolge er seine früheren in der Physio¬ logie du Systeme nerveux ausgesprochenen , einen groben Materialismus verrathenden Ansichten zurücknahm und ver¬ sicherte, dafs ein fortgesetztes Studium der Philosophie und ein ernsteres Nachdenken ihn zur wahren Religiosität zu¬ rückgeführt.

Scripsit pro veritate, sine omni respectu humano, non adulandi, non placendi animo, non spe lucri aut vanae lau- dis et gloriae aucupandae Studio pro veritate scripsit.

(Nach Raige-D elorm e in den Archives. Juin 1828.)

3. Pierre Cbristophore Gorcy, Inspecteur ho- noraire du Service de sante, vormals Medecin en clief der vereinigten Sambre-, Maas- und Rheinarmee und vom Mili— tärhospital in Metz, Officier der Ehrenlegion, Mitglied vieler gelehrten Gesellschaften und Gründer der Societe des Sciences medicales in Metz, geboren am 19. März 1758 in Pont-ä-Mousson , trat nach Beendigung seiner Studien und nachdem er mehrere Jahre in Metz als praktischer Arzt gelebt, 1791 in die vereinigte Sambre- und Maasarmee, und wohnte den verschiedenen Feldzügen in Holland, Ita¬ lien, Deutschland und Spanien bei. Ein von ihm während der Feldzüge erdachter Kugelzieher fand bei den französi¬ schen Militärärzten grofsen Beifall, und wurde von diesen dem Per cy sehen zur Seite gesetzt. Wie Larrey, so

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118

XVI. Biographische Nachrichten.

gab er im Jahre 8. der Republik Memoiren heraus, in wel¬ chen er die von ihm beobachteten Epidemieen mit lebhaften und der Natur getreuen Farben schilderte. Diese, so wie seine historisch- klinischen Untersuchungen über die Hunds- wuth, welche vom Cercle medical in Paris eine besondere Auszeichnung erhielten, seine mcdiciqische Topographie von Longwy und mehrere interessante Abhandlungen im Journal encyclopedique (1780 und 17S7) und im Journal general de medecinc (1788, 89, 1790, 91, 1804, 1807), sichern seinem Namen einen Platz in den Annalen der AN issen- schaft. Er starb im 69sten Jahre seines thätigen Lebens fortwährend mit dem Studium der Alten beschäftigt, mit denen er innig vertraut war.

(Nach dem Eloge de P. C. Gorcy par Chaumas, lu a la seance publique de la societe des Sciences medicales du departement de la Moselle.)

4. briedrich Berard, Professor der Ilvgieine an der I niversität in Montpellier, Mitglied der medicinischen Academie in Paris, geboren zu Montpellier im Jahre 1789, starb daselbst am 16*. April 1828. Noch sehr jung begann er das Studium der Medicin in Montpellier, wo er schon in seinem zwanzigsten Jahre zum Doctor promovirt ward, nachdem er zuvor eine Dissertation: Plan d’une Medecine naturelle ou la nature considerec comme medecin et le medecin considere comme imitateur de la nature, öffentlich vertheidigt hatte, welche die Principien der damals in Mont¬ pellier herrschenden Schule enthielt. Bald darauf kam er nach Paris, und wurde Mitarbeiter des Dictionnaire des Sciences medicales, in welchem folgende Artikel von ihm verfafst sind:

1) Cranioscopie, eine mit Eleganz geschriebene tiefe Kritik des Ga 11 sehen Systems.

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2) Element, welches eine Schilderung der sogenann¬ ten Doctrine analytique enthält, als deren Gründer Bar- thez und Dumas gelten.

119

XVI. Biographische Nachrichten.

3) Extase. 4) Force musculaire.

Jetzt kehrte er nach Montpellier zurück, wo er mit vielem Beifalle Vorlesungen über Pathologie und Thera¬ pie hielt.

Im Jahre ISIS erschien von ihm eine Schrift, betitelt: Sur la distinction de la petite veröle et la variole (1. Vol. 8.), in welcher er das Resultat seiner in einer Pockenepidemie von 1816 gesammelten Forschungen bekannt machte.

Späterhin machte ein anderes Werk: Sur la doctrine de l’ecole de Montpellier et sur la comparaison de ses prin- cipes avec ceux des autres ecoles de l’Europe (1. Vol. 8.), wegen der grofsartigen und tief gedachten Ansichten, so wie wegen des eleganten Styls viel Aufsehen.

Seine übrigen Schriften sind: das in Gemeinschaft mit Er. Rouzet herausgegebene und von vielen Bemerkungen begleitete Traite sur les maladies chroniques par Dumas (2 Vol.).

Doctrine des rapports du physique et du moral, in welcher er seine philosophischen Ansichten ausspricht, in¬ dem er zugleich die Gränzen der Physiologie und der Me- taphysik bestimmt.

Lettre inedite de Cabanis sur les causes premieres, welchem Briefe er viele Noten beifügte, die hart von der Kritik mitgenommen wurden.

Erst jetzt erhielt er die Professur der Ilygieine in Montpellier, wo er wenige Monate nach Publicirung seines Antrittsprogramms: L’amelioration progressive de l’espece humaine par l inßuence de la civilisation (s. diese Annalen Jahrgang 1827), im 39sten Jahre seines Alters starb. Er gehörte zu den heftigsten Gegnern der Ecole physio- logique, wie mehrere Aulsätze in der Revue medicale be¬ weisen.

(Nach Amedee Dupau dique. Juin 1828. Paris.)

in der Revue encyclope-

lleyf eldcr.

120

XVII. Neue Ausgaben.

XVII.

Neue Ausgaben.

1. Joann. Bapt. Morgagni, De Sedibus et Cau- sis morborum per anatomen indagatis Libri quinque. Editionem reliquis emendatiorem et vita au¬ ctoris auctam curavit Justus Radius, Prof. Med. P* b. etc. Lipsiae, sumtibus E. Vossii. Tomus quartus, 1828. 8. pp. 466. (Scriptorum classicorum de Praxi medica nonnullorum Opera collecta. Vol. VII.) (1 Tblr. 16 Gr.)

2. Bernard. Ramazzini Opera medica. Editionem reliquis emendatiorem et vita auctoris auctam curavit Ju¬ stus Radius, Prof. Med. P. E. etc. Tomus secundus.

- pp. VI. et 412. Lipsiae, sumtibus L. Vossii, 1828. 8. ( Scriptorum classicorum de Praxi medica nonnullorum Opera collecta. Vol. XII.) (1 Tblr. 12 Gr.)

Indem wir auf die Anzeigen der früheren Bände dieser trefflichen, den Aerzten so willkommenen Sammlung ver¬ weisen (Vergl. Bd. XI. H. 2. S. 247 d. A.), können wir unser geäufsertes Lrtheil über dieselbe nur wiederholen. I)ie V\ erke Ramazzini’s sind in dem vorliegenden Bande beendigt, und es ist ihnen ein ausführlicher Index, der die Brauchbarkeit des Ganzen wesentlich erhöht, beigegeben.

XVIII.

Dissertationen der Universität Berlin.

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51. I)e Medicinae militaris incrementis, praescr- tim ex rCmediis quibusdam novis, tempore re-

XVIII. Dissertationen.

121

cent io re captis. D. i. m. auctor. Adolph. Nie¬ mann, Halberstadiens. Def. d. 22. Septembr. 1828. 8. pp. 49.

Der Verf. spricht zuvörderst von den Verbesserungen der neuern Kriegsarzneikunde überhaupt, und wendet sich dann zu den neueren Heilmitteln, deren Gebrauch in Gar¬ nison- und Feldlazarethen von vorzüglicher Wichtigkeit ist, dem Chininum sulphuricum, dem Chlor-Kalk und Natrum, dem Holzessig und der Aqua amygdalarum amararum. Auch die Hungerkur und der Gebrauch des Sublimats werden in Bezug auf die Militärpraxis erörtert.

52. De Ratione, quae morbos inter et aetates diversasintercedat. D. i. m. auctor. Adolph. Fer¬ dinand. Müller, Halberstadiens. Def. d. 3. Octobr. 1828. 8. pp. 29.

53. Nonnulla de prima Formatione cobibita. D. i. anatomic. patbologic. auctor. Joann. Frideric. de Wiebers, Posnaniens. Def. d. 6. Oct. 1828. 8. pp. 28. Acc. tab. aen.

Eine interessante Abhandlung über Bildungshemmungen der Oberextremitäten, mit Abbildung und Beschreibung zweier unvollständigeo Fötusarme, die im hiesigen Museum aufbewahrt werden.

54. De Graviditate oarica. D. i. m. auctor. Ca¬ ro 1. Ludovic. Rahts, Elbingens. Def. d. 10. Octobr. 1828. 8. pp. 44. Acc. tab. aen.

Diese mit vielem Fleifs geschriebene Dissertation ent¬ hält, aufser dem Bekannten in Hinsicht der Ursachen, der Diagnose, des Ausgangs, der Prognose und der Kurme¬ thode dieser regelwidrigen Schwangerschaften, eine sehr genaue Aufzählung und kurze Beschreibung der meisten der bisher bekannt gewordenen Fälle dieser Art, so wie eine sehr gut erzählte Geschichte einer Eierstockschwanger¬ schaft, welche zu beobachten der Verf. selbst Gelegenheit

122

XVIII. Dissertationen.

hatte. Die beigefiigte, sehr instructive Abbildung dient zur näheren Erläuterung dieses Falles. Interessant ist die bei¬ gefugte Tabelle, die folgende Rubriken enthält: Namen der Beobachter; Jahreszahl der Beobachtung; Angabe der Zahl der vorhergegangenen Schwangerschaften; wahrscheinliches Alter des Fötus; Zeit, wie lange die Mutter die Frucht bei unzerrissenem Sacke bei sich trug; Ort der Schwangerschaft; Geschlecht des Fötus, und Ausgang der Schwangerschaft.

55. I)e Pubertate morbosa. D. i. m. auctor. Joann. Jacob, lleilgers, Juliacens. Def. d. 14. Octobr. 1828.

8. pp. 20.

56. De Morph io. D. i. m. auctor. 1 rideric. Leo¬ pold. Eduard. Kindscher, Siles. Def. d. 16. Octobr.

1828.' 8. pp. 21.

57. De Inflam matione et praesertim de puris ge¬ il erat ione. 1). i. physiologic. pathologic. auctor. Ga- rol. Ferdinand. Kuepper, Rhenan-Boruss. Def. d. 18. Octobr. 1828. 8. pp. 61.

Ueber die vom Yerf. kritisch beleuchteten und geord¬ neten Theorieen der Entzündung und Eiterbildung gewährt dics& recht ausgezeichnete Dissertation einen belehrenden Ueberßlick.

58. De Methodo diaph orctica. D. i. in. auctor. Ca- rol. Georg. Schiegnitz, Ilalberstadiens. Def. d. 23. Octobr. 1828. 8. pp. 21.

59. Diss. inaug. med. chir. sistens Observationes circa permagnum vulnus articuli genu, auctor. Carol. Jul. Theodor. Sydow, Bcrolinens. Def. d. 25. Octobr. 1S28. 8. pp. 21.

Ein interessanter Beitrag zur Kenntnifs der Gelenk- wunden in der Erzählung eines seltenen Falles von Hei¬ lung einer sehr bedeutenden petetrirenden Knieverletzung.

CO. Diss. inaug. physic. med. sistens Rationem gravita- tera inter et vim vitalem, auctor. Guilelm. Jo-

XVIII. Dissertationen. 123

seph. Sinsteden, Cliviens. Def. d. 27. Octobr. 1828.

8. pp. 21.

CI. Observationes de Olei citri aetherei recens expressi usu in quibusdam oculorum m orbis. D. i. med. Ophthalmiatrie, auctor. Gustav. Adolph. Werlitz, Neo -Rupinens. Def. d. 29. Octobr. 1828.

8. pp. 21. /

Seit einiger Zeit ist das aus den Schalen frischer Ci- tronen ausgedrückte, und aus diesen unmittelbar in die Augen eingespritzte ätherische Oel in verschiedenen Augen¬ krankheiten versuchsweise mit gutem Erfolge angewandt worden. Es ergab sich, dafs von ihm gute Wirkungen zu erwarten sind, bei allen Arten asthenischer oder asthe¬ nisch gewordener Augenentzündungen, namentlich in der rheumatischen, der catarrhalischen und der scrofulöseö, so wie den mancherlei Verbindungen, die diese untereinander eingehen; ferner beim Pannus und Pterygium, und den Hornhautflecken, besonders wenn diese mit Erschlaffung verbunden sind, dafs dagegen, wie zu erwarten, der Ge¬ brauch dieses Mittels bei frischen sthenischen Augenentzün¬ dungen, und wo irgend die Sensibilität des Auges zu aoeh gesteigert ist, schadet. Hierüber enthält diese Dissertation ausgewählte Krankheitsfälle.

62. Observatio intestinorum partis intussusce- ptae, et salva vita per alvum deiectae. D. i. pa- thologic. med. auctor. Carol. Frideric. Henri c. He- dinger, Rawiczo-Posnaniens. Def. d. 30. Octobr. 1828.

8. pp. 21.

Eine sehr interessante Beobachtung von Abgang eines beträchtlichen intussuscipirten Stückes vom dünnen Darm mit einem Theile seines Gekröses bei einer siebenundfunf- zigjährigen Frau. Ileus, bei dem keine Lebensrettung er¬ wartet werden konnte, war vorausgegangen, und die Kranke gen^is. Der \erf. hat diese Bobachtung seines 'N aters, eines praktischen Arztes im Grofsherzogthum Posen, gut erzählt,

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124

XVIII. D isscrlationcn.

das abgegangenc, vom Brand nicht beträchtlich zerstörte Darmstück beschrieben, und die Citate über die bisher mit- getheilten ähnlichen halle hinzugefügt, unter denen wir je¬ doch die beiden wichtigen, von Ilowship erwähnten ver¬ missen. S. Bd. I. II. 1. S. 99 d. A.

63. D e Vertebrarum cervicalium luxationc. D. i. med. chirurg. auclor. Joann. Frideric. Ludovic. Bauch, Berolincns. Def. d. l.Novembr. 1828. 8. pp. 21.

Der \ erf. beweist durch die Mittheilung mehrerer Fälle aus den Schriften verschiedener Wundärzte die Mügl ic hkeit einer Luxation des Hinterhauptbeines und Atlas, so wie einer Luxation der übrigen Halswirbel; auch erzählt er einen von ihm selbst in der Charite zu Berlin beobachteten Fall einer Luxation des fünften und sechsten Halswirbels, der sich, seine Seltenheit abgerechnet, durch nichts Beson¬ deres auszeichnet.

64. De Contagio phthisico. D. i. m. auctor. Ludo¬ vic. Benedict. Jaffe, Lesnens. Def. d. 3. Novembr.

1828. 8. pp. 29.

Eine sehr lesenswerthe Untersuchung über die Zuläs¬ sigkeit und die Verwerflichkeit der Annahme eines Anstek- kungsstoffes in der Schwindsucht, bei der cs dem Verf. zur Ehre gereicht, dafs er keine entscheidenden Besultate auf¬ zustellen versucht hat. Ls fehlt noch überall an überzeu¬ genden i hatsachen, und der Gegenstand ist mithin noch nicht reif zur Entscheidung. Verdienstlich war es aber, die Gründe für und wider die Ansteckungskraft der Schwind¬ sucht lichtvoll geordnet gegen einander zu stellen, worauf der \ erf. vielen Fleifs in der Vergleichung der zahlreichen hierher gehörigen Schriften verwandt hat. Die Abhandlung zerfällt, nächst der \orrede und Einleitung in folgende Kapitel: 1) Leber die Contagien überhaupt, 2) über die Natur , die Ursachen und die Symptome der Schwindsucht im Allgemeinen, und 3) über die Ansteckungskraft der¬ selben. s

X\ 11 1. Dissertationen.

125

65. De Ilydrope ventriculorum cerebri acuto. D. i. m. auctor. Joseph B re vis, Guestphal. Def. d., 5. Novembr. 1828. 8. pp. 20.

66. De Melanosi. D. i. auctor. Carol. Zimmer¬ mann, Siles. Def. d. 11. Novembr. 1828. 8. pp. 42. C. tab. aeri inc.

Eine treffliche, nicht nur wegen der lichtvollen Ver¬ gleichung des Vorhandenen interessante, sondern auch in der beigefügten Beschreibung eines wichtigen Falles von Melanose im Auge neue Aufschlüsse hierüber gebende Ar¬ beit. War bisher die Ansicht, dafs Markschwamm, Blut¬ schwamm und Melanose nur Unterarten eines und desselben Uebels sind, unleugbar die beste, und den vorliegenden, freilich in Bezug hierauf noch nicht genug entwickelten Thatsachen am meisten entsprechende Ansicht, so wird diese durch das sauber abgebildete Präparat (das Auge wurde im hiesigen chirurgisch- augenärztlichen Clinicum exstirpirt) auf eine .sehr erfreuliche Weise zur Gewifsheit erhoben. Mark¬ schwamm, Blutschwamm und Melanose begränzen sich nicht nur gegenseitig, sondern gehen auch augenscheinlich in ein¬ ander über. Dies Präparat ist gewifs eins der schätzbarsten, die pathologisch -anatomische Sammlungen in Bezug auf die¬ sen Gegenstand aufzuweisen haben.

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67. De universi vis riervosae praegnantium cor¬ poris mutationibus, nec non de illis ad animum spectantibus seu psychicis. D. i. physiologic. auctor. Anton. Joseph. Richter, Confluentin. Boruss. Rhe- nan. Def. d. 12. Novembr. 1828. 8. pp. 34.

68. De Phthisi laryngea. D. i. auctor. Carol. Ilen- ric. Rudolph. Gl ede, Boruss. Def. d. 20. Novembr. 1828. 8. pp. 28. Acc. tab. aen.

Ein schätzbarer Beitrag zur Kenntnifs der Kehlkopfs¬ schwindsucht, mit sehr sauberen Abbildungen von drei in dem hiesigen Museum aufbewahrten exulcerirten Kehl¬ köpfen.

\

126

XIX. Mcdicinischc Bibliographie.

69. De Vencno in botulis nova qua cd am. D. i. med. chemic. auctor. August. Guilelm. Schumann, Berolinens. Def. d. 26. Novembr. 1828. 8. pp. 39.

Der Verf. entscheidet sich in dieser, einen lichtvollen Ueberblick über die bisherigen Leistungen über seinen Ge¬ genstand gewährenden Abhandlung für die Buchncrsche Annahme eines Wurstfettgiftes.

70. D. i. m. sisten^s casum singulärem carcinoma- tis uteri cum gravi di täte coniuncti, auctor. Ber¬ tram. Zeppenfeld, Guestphal. Def. d. 23. Decembr. 1828. 8. pp. 29.

Lin sehr wichtiger Fall, der mit dem Tode der Mut¬ ter bald nach ihrer Entbindung von einem todten Sieben- monatskinde endete.

71. De Ilydrope. D. i. m. auctor. August. Gerharcli, Guestphal. Def. d. 27. Decembr. 1828. 8. pp. 22.

XIX.

Medicinische Bibliographie.

Abbildungen aus dem Gesammtgebiete der theoretisch- praktischen Geburtshülfe, nebst beschreibender Erklärung derselben. Nach dem Französischen des Maygricr bear¬ beitet und mit Anmerkungen versehen von E. C. J. v. Siebold. Erste Lieferung, mit 10 Steintafeln und IV u. 32 Seiten Text. gr. 8. Berlin. Ilerbig. 20 Gr.

Arnold, F., über den ührknoten. Eine anatomisch -phy¬ siologische Abhandlung. Mit Abbildungen. 4. Heidelberg. Winter. 54 S. 1 Thlr.

Bischoff, J. I\. , Darstellung der Ileilungsmethodc in der medicinischen Klinik an der K. K. raed.-chir. Josephs-, Academie in den Jahren 1826 und 27. gr. 8. Wien. Wallishaufser. 396 S. 2 Thlr. 12 Gr

127

XIX. Medicinische Bibliographie.

Boivin, Madame, über eine sehr gewöhnliche und noch wenig gekannte Ursache des Abortus, nebst einer Denk¬ schrift über den Intro -Pelvimeter, oder innern Becken¬ messer; gekrönt von der Königl. Gesellschaft der medi- cinischen Wissenschaften zu Bourdeaux. Uehersetzt und mit Anmerkungen versehen von F. L. Meifsner. Mit einer Abbildung, gr.8. Leipzig. Zirges. XII und 183 Sei¬ ten. 18 Gr.

Hesselbach, A. K., die Lehre von den Eingeweide- Brüchen. 2 Thle. gr.8. WVürzburg. Strecker. 4 Thlr.

Heyfelder, der Selbstmord in arzneigerichtlicher und in medicinisch -polizeilicher Beziehung, gr.8. Berlin. Enslin- sche Buchh. 113 S. br. 18 Gr.

Hühnefeld, L., die Radesyge oder das Scandinavische Syphiolid. Aus scandinavischen Quellen dargestellt, gr.8.

‘Leipzig. Vofs. XII u. 136 S. 21 Gr.

Krim er, W., über die radicale Heilung der Harnröhren¬ verengerungen und deren Folgen, nebst kritischen Be¬ merkungen über Ducamp’s Heilverfahren gegen dieselbe. Mit zwei Steindrucktafeln, gr.8. Aachen, la Ruelle. VII und 88 S. br. 16 Gr.

Piorrv, S. A., die mittelbare Percussion und die dadurch erhaltenen Zeichen in den Krankheiten der Brust und des Unterleibes. Aus dem Franz, übers, von F. A. Balling. Mit 2 Steindrucktafeln, gr.8. Würzburg. Stahel. 332 S.

1 Thlr. 8 Gr.

Rüde, G. W. sen., populäre Anweisung zur analytischen Prüfung der vorzüglichsten chemischen Heilmittel, oder chemisches Probiercabinet für angehende Aerzte und Apo¬ theker. Dritte, wohlfeilere Ausgabe. 8. Cassel. Luckhardt. XXIV u. 192 S. br. 10 Gr.

Saissy, die Krankheiten des Ohres. Gekrönte Preisschrift. Uehersetzt von Fitzlar. gr.8. Ilmenau. 'V oigt. XW und

208 S. 1 Th,r*

Sammlung auserlesener Abhandlungen zum Gebrauch praktischer Aerzte. 36 r Bd. 1s St., oder neue Samm-

128 XIX. Mcdicinische Bibliographie.

lung u. s. w. l‘2n Bds ls St. gr. 8. Leipzig. Dyk. 19-4 Sei¬ ten. 18 Gr.

Scriptores ophtlialmologici minores, cd. J. Badius. Yol.II.

Cum tab. aen. II. 8maj. Lips. Vofs. 216 P. 1 Thlr. 8 Gr. Verhandlungen der vereinigten ärztlichen Gesellschaften der Schweiz. Jahrgang 1828. Erste Hälfte, gr.8. Zürch. Ulrich. (Ziegler.) VI u. 140 S. br. 16 Gr.

Weise, F. A. , über die Zurückbildung der Scirrhen und der Polypen, und über die Heilung der Krebsgeschwüre. 8. Leipzig. Lauffer. 76 S. 9 Gr.

Werlhof's Blutfleckenkrankheit. Inauguralabhandlung von

F. J. Hergt. 8. Hadamar. Gelehrten - Buchhandlung. 64 S. 6 Gr.

Winkler, J. M., allgemeine Therapie, oder allgemeine Krankheitsheilungslehre. Zum Gebrauch für angehende Aerzte. Ir Bd. le bis 3e Abth. gr.8. Olmütz. Skar- nitzl. (Mösle.) XXX u. 774 S. 4 Thlr. 12 Gr.

Zimmermann, J. C. E. , Anatomische Darstellungen zum Privatstudium. 2s Heft. Tab. V. bis VIII. Syndesmolo- gie. kl. Fol. Leipzig. Lauffer. 14 Gr.

Bei Boike in Berlin ist erschienen:

Encyclopädisches Wörterbuch

der medicinischen Wissenschaften;

herausgegeben

von den Professoren der meJicinischen Facultät

zu Berlin:

C. F. y. Grafe, C. W. Hufeland, II. F. Link, K. A. Rudolphi, E. v. Siehold.

Zweiter Band:

Ahnung bis Antimonium.

Subscriptionspreis: 3 Thlr. 8 Gr.

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Forschungen im Gebiete der theoretischen

und praktischen Arzneikunde.

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Von

Dr. L. S. Steinheim,

praktischem Arzte in Aitona.

i. Entwurf zu einer endlichen Theorie der Heil- mittellehre in ihrer Begründung auf die Basis der Humoralpathologie.

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Galen, de Compos. medicam. secundum locos L. VI. edit. Kühn Vol. XII. p. 966.

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Sagst du mir, die Arzneimittel seien an und für sich be¬ trachtet so gut wie Nichts, so hast du Recht; denn ihre richtige Anwendung macht sie erst zu Etwas. Sagst du mir gegentheils, die Arzneimittel seien gleich der Hand Gottes, so sagst du auch dies mit Recht. Was aber macht denn so möchte der Verf. in Galen’s Namen fort¬ fahren den rechten Gebrauch möglich, und erhebt das Medicament aus seinem Nichts zu einer Gottes -Hand?

9

XIII. Bd. 2. St.

130

I. Theorie der Heilmittellehrc.

Unser Schatz von Arzneimitteln ist als der Gründ¬ end S c h 1 u fs stein der ganzen Arzneikunst zu betrachten. Als der Grundstein in mehrfacher Rücksicht, als Schlufs- stein aber nur in einer, jedoch der würdigsten. Ist der zeitliche Anfang unserer Kunst dem Bedürfnisse zuzuschrei¬ ben, so war dessen erstes Streben nach dem Mittel. Vor aller I heorie war eine Art Pharmakitis vorhanden (so wird sie in den ältesten Urkunden genannt; die Pharma¬ kopoe möchte ihrem Wesen und Namen nach ziemlich späten Ursprungs sein)'. Ist die Fortdauer und das ewig unveränderte Interesse wiederum dem Bedürfnisse gröfsten- theils beizumessen: dann ist überall dies M i t te l der Grund¬ stein und das Ziel der Kunst. Was kümmert es den Kran¬ ken , ob und was für I heorieen uns einen und entzweien? Hat e? Zeit und Lust, sich um unsere Streitigkeiten zu bekümmern? Nimmt er Antheil, so geschieht dies oft zu seinem Nachtheil, oft aus Neugier, oft aus allgemeiner Nei¬ gung zu helfen, oft zu spötteln, oder selbst zu spotten. Antheil nimmt er, sobald er weniger krank, und so lange er es weniger ist; wird der Schmerz stärker, was fordert er? Wie der Hungrige Brot, wie der Durstige ^Vasser ein Heilmittel, unbekümmert, wie der Digestionsprozefs fort¬ schreite, oder ob es überall so etwas in der Natur gebe.

Wie aber verstehen wir es, dafs unsere I leil mittel lehre der Schlufsstein der ehrwürdigen Kunst werden, oder sein miifste? Die ganze Lehre von der Krankheit ist das Unternehmen, auf eine grofse, schmerzliche Frage, eine lindernde, beschwichtigende Antwort zu ertheilen. Die Frage ist: Womit wird mir geholfen? Die Antwort ist das Heilmittel, und zwischen Frage und Antwort liegt der heilige Pfad, den unsere Vorfahren geebnet haben bis auf den heutigen Tag. Da liegt die Anatomie, Physiologie, Pathologie, Semiotik, Prognostik; Therapie und in ihr, eben in dieser letzten, zugleich die Materia medica.

Darum ist vor allem die 1 rennung der Materia medica von der Therapie als eine ganz unnatürliche, bestandlose

I. Theorie der Heilmittellehre.

131

Zerreifsung zu betrachten. In jedem Mittel ist eine Me¬ thode, ein Tbeil der allgemeinen wie der speciellen Thera¬ pie enthalten. Beklagenswert!) und Ursache vielen Unheils ist diese Zerreifsung geworden, weil, durch Heterogencität der Antwort und der Frage, der Therapie und des Mittels, eine mehr als chaotische V erwirrung entstehen mufs mehr als chaotische, wiederhole ich, weil das Gemengsel und die Verwirrung aus der Ordnung und nach ihr entsteht, nicht aber vor derselben vorhanden ist; und, wie es schwerer sein möchte, aus einem zertrümmerten Gebäu das alte wieder neu herzustellen, als ein neues aus rohem Materiale auf¬ zuführen; so möchte auch aus dieser Stückelei sich nur mühselig und nothdürftig ein ordentliches Ganze erwirken lassen.

- /

Nun aber versteht es sich von selbst, dafs erst dann auf die Frage eine adäquate Antwort ertheilt werden kann, wenn jene erst durch alle ihre Instanzen durchgeführt, und die Vorbereitungen, Mittelglieder, Annäherungen so weit ge¬ diehen sind, bis am Ende zur völligen Lösung der Aufgabe nichts mehr erforderlich ist, als die Erkenntnifs der eigen- thümlichen Natur des Mittels selbst, damit jedes an seinen eigenthürnlichen und natürlichen Ort gerückt werde.. Die¬ sen \ ersuch zur Lösung beabsichtigen die folgenden Blätter. Ihr Verfasser ist der Ueberzeugung, dafs nur mittelst der H umoralpathologie in geläuterter Form, diese Vollendung erreichbar sei. Ob ihm? Möge er wenigstens so glück¬ lich sein, dafs sein guter Wille und die Richtigkeit seiner Grundidee anerkannt würden.

I. Epoche des blofsen Bedürfnisses.

In der ersten Epoche, da noch ein blofses Bedürfnifs, ein Verlangen nach Linderung der Schmerzen, ohne deut¬ liche Unterscheidung der Arten dieses Bedürfnisses, ein ein¬ faches natürliches Verlangen, das verlorene Wohlbehagen wieder zu bewirken, waren wahrscheinlich vier Arten der Befriedigung dieses Bedürfnisses vorhanden. Eia Suchen

9 *

132

I. Theorie der HcilmiUcllehrc.

ohne Leitstern, ein Llofses Tappen, oder Ahnungen, Träume und Aberglauben, Entschuldigungen des blinden Tappens durch unerklärliche Einwirkungen; oder Nachahmung des Thierinstinktes; oder endlich veredelter menschlicher Instinkt. Aus diesen vier Quellen Hofs die erste, roheste Heilmittel- lehre, wenn sie also genannt zu werden verdient. Dafs die chirurgischen Heilmittel die früheren gewesen seien, läfst sich aus mehreren Umständen mit Wahrscheinlichkeit schlie- fsen. Denn theils sind Verletzungen zur Zeit eines gewalt¬ sameren und ungleicheren Kampfes mit der Natur wohl häu¬ figer, als eigentliche Krankheiten vorgefallen; theils war die Forderung nach Hülfe dringender, und ihr Genüge zu lei¬ sten, bei der Augenfälligkeit des Uebels, ungleich leichter und näher.

Nachahmungen thierischen Instinktes und die Hinwei¬ sung des natürlichen Gefühls des Erkrankten haben, im Lichte betrachtet, einerlei Basis, nämlich den Instinkt über¬ haupt. Gleichwohl aber ist nicht zu übersehen, dafs die Leitungen menschlichen Instinkts und die Leistungen der antiken 1 heorie ganz nahe an einander grunzen. Was ist dem heifsen Fieberkranken wünschenswerter, als Kälte; dem trockenen Fieberkranken lieblicher, als Getränk? Das wird kein Mensch, so verkehrt er je und je auch werden möge, und so lange er nicht den letzten Rest geraden Sin¬ nes an seine baroke Neuerungswuth vergeudet hat, je leug¬ nen können, dafs ein Fieberkranker, wegen seiner trock¬ nenden Hitze, kaltes Wasser begehrt. Wir werden aber sogleich sehen, wie die alte Theorie der Heilmittel einer¬ seits nur diese einfache natürliche Basis habe, wähnend sie zugleich andererseits mit den Philosophemen der loniker zusammentrifft.

II. Epoche der Erklärungsversuche Theoricen.

I. Alte Theoriecn.

Zwei Principicn erkannte die älteste Heilkunde, näm¬ lich 1) den Gegensatz hebt der Gegensatz ( ftUtTiet lteC¥Ti»7().

I. Theorie der Heilmittellehre. 133

Dies war die Modalität ihres Verfahrens. 2) Die Mischung des Körpers ist vierfältig, und entspricht den vier Welt¬ elementen. Das erste Princip war beziehungsreicher und erstreckte sich über alle verschiedenartigen Systeme der antiken Welt; das zweite bezeichnet nur die Parthei der ^oyiy.wv im Gegensatz zu den andern Secten. In wiefern aber die Elemente je zwei Gegensätze formiren, in sofern

*

erstreckt sich der allgemeinere Gegensatz auch über sie und nimmt sie in sich auf. Hierauf bezügliche Stellen finden sich allgemein in den Schriften der Hipp okratiker und Galen’s, der sie ganz besonders in den Büchern «über die Grundsätze Platon’s und Hipp okrates, » und in mehreren andern commcntirt hat.

Die Lehre, die sich dieser gegenüber gestellt und aus- gebildet hat, bekennt im Wesentlichen, wie gesagt, sich zu demselben Principe, mit Ausschliefsung eines realen Gegen¬ satzes der Elemente. Sie nimmt nur ein Strictum und Laxum an, und heilt beide durch ihren respectiven Gegen¬ satz. Auch ihr Theorem der Becorporation läfst sich unter diesen Gesichtspunkt bringen.

III. Epoche vervielfachter Versuche *■ des

Schwankens.

So lange man noch die Arzneikunst aus Einem Gusse werden sah, so lange war die Antwort passend auf die Anfrage; sobald sie zerrissen und zerstückelt dargereicht wurde, war die Antwort der Art, dafs sie selten oder nur zufällig auf die Frage pafste. Die Trennung der Physio¬ logie von der Pathologie, der Pathologie von der Therapie, der Therapie von der Materia medica, stellt das alte flora¬ zische Bild

Ilumano capiti cervicem pictor equinam etc. treulich dar. In allem Suchen und Schwanken aber können wir deutlich jene zwei Urformen bis auf den heutigen Pag herab verfolgen: nämlich die logische und die metho¬ dische, die Lehre des doppelten, und die des einfachen

134

I. Theorie der Heilmittellehre.

Gegensatzes. Die Iatromalhematiker sehliefsen sich der letztem Secte an, die Iatrochcmiker der ersieren ; Brownia- ner, Incitabilisten , Contrastimulisten , Inflammatiker mehr der letzteren; Electrocherniker, Naturphilosophen, Gastriker mehr der ersteren. Allen aber mufs der Vorwurf gemacht werden, dafs sie Hypothesen bringen, wo sie sich beque¬ mer der Natur hätten anscldiefscn können, wo mithin die Hypothesen nicht einmal erforderlich , also schädlich waren; und dieser Fehler liegt hauptsächlich iu der unstatthaften Trennung der einzelnen Doctrinen der ganzen Heilkunde.

IV. Rückkehr zur Natur Begründung der

Heilmittellehre.

Wenn in kranken Lebensepochen das Medirament an die Stelle des Aliments tritt, und der Apotheker den Koch ablöst, so müssen wir uns gewöhnen, im Allgemeinen uns die Verhältnisse vorzustellen, in welchen das Heilmittel zum Nahrungsmittel steht. Wir müssen, bestimmter ausgedrückt, damit anheben, die Apotheke an die Küche eben so sich an- schliefsen zu lassen, wie wir die Pathologie an die Physio¬ logie, die Therapie an die Diätetik angeschlossen haben. Es verhält sich die Materia medica zur Maleria alimentaria, wie sich die Pharmaceutik zur Kochkunst verhält; die The¬ rapie zur Diätetik, die Pathologie endlich zur Physiologie; sie müssen sich harmonisch zu einer organischen Lehre ver¬ binden, die eine aus der andern hervorgehen, in ihrem Prin¬ cipe durchweg ähnlich -gleich sein.

Zuvörderst müssen nach diesen Prämissen, als erstem Grundsatz, folgende zwei grofse Abtheilungen in der Materia mcdica statt haben, wie sie sich in der Materia alimentaria vorfinden, die Esculenta und Potulenta nämlich. Diese beiden Abtheilungen näher beleuchtet, so finden wir eine deutliche Beziehung zu den beiden Grundelemcnten des lebendigen Leibes, dem Gombustiblen und dem Combu« renten. Einen vollständigen Gegensatz also haben wir, wie iin physiologischen, so im pathologischer^ Alimente naebzu-

Theorie der Heilmittellehre.

135

*

weisen. Wir setzen das Physiologische von der Verdauung, und dem Trinken, als Aequivalent des Athmens, und dem lungenähnlichen Organe im Unterleibe, der Milz, der was- serathmenden Säugethierlunge, als bekannt voraus; ferner, das in höherer Sphäre und Potenz fortgehende äquale Ver- hältnifs zwischen Blutbildung im Pfortadersystem und der rechten Herzhälfte, mit der höheren, der Thierlunge und ihrer Function im Gegensätze. Dies formale Princip der Vegetationssphäre festgestellt, ziehen wir getrost die Paral¬ lele und theilen die Materia medica in; 1) Medicamina esculenta. 2) Medicamina potulenta.

Den zweiten Grundsatz leiten wir also ab: Paral¬ lel der Breite zwischen der Gesundheit und Krankheit be¬ steht eine Breite zwischen /. liment und Medicament, zwi¬ schen Küche und Apotheke. Diese Breite näher zu bestim¬ men verfahren wir, wie folgt. Wir sondern zuerst von der Küche alles, was weder unter die Rubrik des Esculen- ten, noch die des Potulenten gebracht werden kann, den¬ noch aber ein Eigenthum der gesunden Sphäre bleibt, z. B. das Kochsalz (N. B. wir haben zu bemerken, dafs das Salz an den Speisen mehr bedeutet, als sein Elementarbestand, Natrum und Salzsäure; wie man sich wohl vorstellen könnte, dafs es blofs der Supplent dieser Stoffe zum Bedarf der thierischen Oekonomie sei). Ferner alle Stoffe, die dazu dienen die Nahrungsmittel aufzuheben, Holzsäure, Salpeter, oder in Gährung zu bringen, wie die Pottasche; sie schön zu färben, z. B. das Eisen, den Saffran u. s. w. So¬ dann sondern wir von der Küche, alles was, sowohl escu- lent als auch potulent, dazu bestimmt ist entweder den Appetit zu steigern, oder seine Impotenz zu peitschen, wir rechnen dahin die grofse Reihe einfacher und componirter Gewürze, und zumal die instinktartige Chemie der Küche, vermöge welcher man dem Fette zur Dämpfung wie man sich ausdrückt (Neutralisirung der Pharmaceutik) Säure zu¬ setzt, die Gänse mit Apfelschnitten stopft; dem Schmalze Apfelmus zusetz*: die Gänse, Aaale, Karpfen, Neunaugen

136

1. Theorie der Hcilmittcllehre.

u, s. vv. in Sauer bereitet. Zumal aber trennen wir alles für sich bestehende Scharfe und Gewürzhafte, das unver- mischt Appetit zu machen gereicht wird, Pickels, einge¬ machte Gurken, Ingwer u. s. w.

Einen dritten Grundsatz entwickeln wir folgender- maafsen: Mit der Einthejlung der Malcria alimentaria in esculentem und in potulentem ist der Gegensatz nicht völ- lig abgemacht. Es ergiebt sich auf jeder der beiden Seiten, zumal aber auf der ersten, eine merkwürdige Differenz in der Dignität des Aliments, und dies zeigt sich recht sinnen- * jfältig in ihrer chemischen Natur, und noch klarer in ihrer Einwirkung auf das organische Leben. Es giebt, möchte ich sagen, ein Aliraentum corporeum und ein Alimentum spirituale. Beides vereinigt sich wohl in jedem lebendigen Nahrungsmittel, zumal im frischen Fleische und Brote; wes¬ halb Schlächter und Bäcker so wohlgenährt zu sein pflegen. Getrennt aber findet man es, wenn man irgend ein wahres Aliment, ein combustibles Materiale, mit dem combustiblen Spirituale, dem "Weine, oder sonstigen Spirituosen Dingen vergleicht. Wenn nun dieser Klimax vom combustiblen Aliment, parallel einem Klimax dessen, das ernährt werden soll in der Materia alimentaria statt hat; so wird sich dieser in einem noch höheren Grade in der Materia rne- dica vorfinden, wo bekanntlich die untere Stufe des Ali¬ ments, als dem physiologischen, gesunden Zustande anheim¬ fallend entweder ganz wegfällt, oder doch sehr beschränkt ist. Es giebt mithin eine Materia medica elementaris, cor- porea, und ein Alimentum spirituale, incorporeurn.

Als Corollar hierzu ergeben sich mehrere Parallelge¬ gensätze in der Materia medica, indem dem jedesmaligen Combustiblen ein Comburens sich gegenüberstellt und die¬ selben Stufen durchgeht, die das Aliment durchgeht. Wir bemerken zur Uebersicbt drei Parallelstufen in L'eberein- stimmung mit den drei Eebensstufen; der Vegetation; der Muskelbewegung; der Sensibilität; Chylus, Blut, und Blut¬ halilus; Wasser, Atmosphäre, oxydirtes Stickgas; Brot,

I. Theorie der Heilmittellehre.

137

Fleisch, Wein; Unterleib, Brust, Hirn; danach ergiebt sich eine parallele Eintheilung für die Materia medica, wo¬ von im Verfolge ein mehreres.

Mit der Aufstellung eines ganz specifiken Verhaltens der Materia alimentaria einerseits, und der Materia medica andererseits zum organischen Körper, treten wir ins eigent¬ liche Gebiet der Doctrin selbst hinein. Näher erklärt heilst es: Bei der Materia alimentaria ist die erste Beziehung zum organischen Leibe, dafs dieser in seinen Bestandteilen ge¬ nährt, erhalten und perpetuirt werde. Bas Aliment geht eine innige wesentliche Verbindung mit dem sich nährenden Thierleibe ein, wird in den Thierleib transsubstantiirt; diese Transsubstantiation ist mithin auf der Seite des Ali- ments vorschlagend, während der Thierleib selbst sich gleich bleibt. Der umgekehrte Fall tritt ein mit der Materia me¬ dica. Von einem eigentlichen Aliment kann hier nicht mehr die Rede sein, das in den Thierleib metamorphosirt werden müfste; sondern vielmehr der Thierleib soll verändert werden, er wird das passive, und das pathologische Aliment das active, das verdauende oder verändernde. Die Sache ist klar. Ent¬ weder ist der Thierleib nicht fähig das Aliment in sich zu verwandeln, ihm fehlt der Yerdauungssaft, oder die Kraft des Lebens das gebotene Material durch Verwandlung zu zerstören und zu homogen isireTi ; oder das Material selbst ist in verschiedenen Beziehungen abnorm; welche Abnor¬ mität erst wieder beseitigt werden mufs , bevor an Auf¬ nahme neuen Stoffes gedacht werden kann; oder es ist ein fremdartiges Wesen ins Material eingedrungen, ln allen diesen und ähnlichen Fällen ist das Verwandeln auf die Seite des Aliments (Medicamen) getreten; das V er wan¬ delt v/ erden auf die Seite des Thierleibes. Wenn man demnach von einem eigentlichen Medicament fordert, dafs es verdaut werden könne, so verlangt man, falls hiermit mehr als ein blofses Eingehen in die thierische Mischung gefordert wird, etwas, das geradezu die Natur des Medi- eaments aufheben mufs. Gegentheils ist aber das Medica-

J38

I. Theorie der Heilmittcllehre.

ment um so mehr ein solches, je weniger es verdaulich ist, <h h. je. mehr es die Thicröconomie, auf die es heilend ein¬ wirken soll, verwandelt in seine eigene Natur, und mithin der Verwandlung in die ihm fremdartige des organischen Leibes widerstrebt. Lies Gesetz liegt tbeils in den I Je— griffbestimmungen, in der Natur der Sache selbst; theils bestätigt es sich durch die Ansicht des Arzneivorraths. Ls liefse sich eine ziemlich genau fortschreitende Reihe von M.edicamenten bilden , zu deren Eintheiiungsprincip die Di- gestibilität dieser Stoffe genommen werden könnte. Jedoch ist wohl zu berücksichtigen, dafs hier eine Chemie obwal¬ tet, die von der leblosen mehr, als den Namen tragt; die Digestibilität ist zum Theil nur Gegenstand der Beobach¬ tung, zum Theil mufs zu ihr, wro sie strenger gelten soll, eine Möglichkeit in den Thierleib einzugehn durch «las was man gewöhnlich Aufsch 1 iefsen nennt, z. B. bei den Me¬ tallen , gegeben sein.

Unter der notbwendigen Voraussetzung also, dafs die Ligestibilität dieses oder jenes Stoffes durchaus und jedes¬ mal nur Ergebnifs der Beobachtung und des Experiments sei, kommen wir zum vierten Grundsätze: Je hete¬ rogener sich ein Naturkörper mit naher Verwandtschaft zum Organismus verhält, um so wirksamer als Medicament ist er.

Gehen wir einige Schritte zurück, und heben von dem Momente an, das wir als die Breite zwischen Küche und Apotheke der Breite zwischen Gesundheit und Krankheit parallel aufgestellt haben, so ergiebt sieb: die Materia medica fängt mit «1er Form an, mit der die Materia ali- mentaria schliefst. Lie Diät in Krankheiten ist man möchte sagen von einer negativen Bedeutsamkeit. Weil näm¬ lich die verwandelnde Kraft des Organismus entweder un¬ zulänglich, oder abgeleitet, oder überall ihre W irksamkeit nicht gefordert ist, so soll die Krankendiät die Eigenschaf¬ ten leichter Digestibilität bei reichem, oder auch dürftigem Materialgehalt besitzen, unter Umständen, und zwar am

I. Theorie der Heilmittellehre.

139

häufigsten, soll sie durchaus nur entziehend sein, wie es denn die Stimme der Natur, ja selbst ihr Abscheu, klar ausspricht. In so weit die Diät in Krankheiten zum nähe¬ ren Heilgeschäft gehört, ist sie nur vermöge mancherlei Richtungen, die diesem Aliment einen Anstrich vom Medi- cament geben, oder doch ihre Correspondenz mit dem Hauptmedicament beurkunden, zur eigentlichen Heilung mit¬ wirksam, und in dieser Beschränkung ist sie von bekanntem Mrerthe. Das eigentliche Medieament dagegen hat eine un- vermischtere und genau zu bestimmende Richtung in seiner Bifurcation als Medicamentum potulentum, comburens; und Medicamentum esculentum, combustibile.

Hieraus folgert sich nun ferner ein fünfter Grund- * satz der steigenden Linie, wie man ihn nennen dürfte.

Je mehr ein Mittel Medieament ist, desto we¬ niger ist es bestimmt mit dem Thierleibe eine dauernde Verbindung einzugehen. Es mufs von ' den thierischen Eliminationskräften wieder hinausgeworfen wrerden. In dieser Action aber besteht eine der Hauptwir¬ kungen dieser Reihe von Medicamenten. Man kann diesen Heilprozefs sich am füglichsten als eine Art von Cupeiliren vorstellig machen, und die Umwandlung des organischen Materials durch die sogenannten Heroica mag wohl grofsen- theils in dieser Art bewerkstelligt werden. Man denke sich die Wirkung des Mercurius in der Syphilis, und des Schwefels nach der Mercurialcur, wenn diese nicht nach der gründ¬ lichen Salivationsmethode unter den angewiesenen Krisen erfolgt ist. Man denke sich die Wirksamkeit der Gummi- ferulaceen, der Naphthen, des Spiefsglanzes in seinen de- terminirenden Verbindungen. Doch hier kann vorläufig nur angedeutet werden. Anderntheils formiren sich im mensch¬ lichen Leibe, dem Fleisch und Kraut verbrauchenden, Me- cHcamente aus Vegetabilien, die eigentlichen Grasfressern nur Aliment sind: ich meine namentlich den Bitterstoff. Stoffe dieser Art können, obwohl Medicamentc, schon in¬ nigere und dauerndere Verbindungen mit dem Ihicrstoffe

140

1. Theorie der Heilmittellchre.

eingehen; sie sind sogar zu dieser Art Verbindungen be¬ stimmt, damit sie das zu verwandelnde kranke Material, z. B. die alonische Faser, dauernd spannen.

Diesem Grundsätze der steigenden Linie zufolge kann man die Materia medica mit Nutzen eintheilen in die Materia medica nid ul ans, und die Materia medica transmigrans. Die auffallendsten und penetrantesten Wir¬ kungen müssen wir natürlich von der letzten erwarten, kei- nesweges aber energische der Dauer nach. Ja, wir siud im Gegerilheil genüthigt ihre Permeabilität durch den Thier¬ leib, unbeschadet ihrer Wirkung, zu befördern, wie beim Arsenik, Mercur, damit die verwandelnde Ligenschaft nicht, indem sie haftet, die Lebenskraft in ihrer Wirksamkeit be¬ einträchtige, wo nicht lähme.

Bevor wir zur endlichen Schematisirung der Materia medica tibergehen können, haben wir noch ein llindernifs zu beseitigen, das uns späterhin da und dort Anstofs geben könnte. Ich spreche von der eigentlich rein dynamischen W irkungsweise , wie sie alle Schulen der Methodiker bis auf die allerneueste anglo-gallicanische herab, einzig gefor¬ dert und anerkannt haben. Kein dynamisch in wiefern nicht von jedem Inhalt der fraglichen Kraft, sondern ledig¬ lich von ihrer Quantität die Rede war, von ihrer Intensität, Schwäche und Stärke -j- und in ihren verschiedent- lichen Ausdrucksweisen: z. B. Momentum of blood, Irrita¬ tion, Stimulus u. s. w. Die Kücksichtlosigkeit gegen den Inhalt der Kraft hat ganz folgerecht eine gleiche in Bezie¬ hung auf ihr Gegengewicht, das Medicament erzeugt; Reiz war alles, oder Contrastimulus, oder Debilitansj und so geschah cs denn, dafs man, weil alle Entzündung gleich einem reinen Excesse der Lebensthätigkcit erachtet wurde, das was die Entzündung minderte, das A n t i p h 1 og is ti- cum, und das was die Kraft schwächte, das Debilitans in ähnlichgleiche Begriffe fafste. Dies geschah aber zum gröfsten Nachtheile der ausübenden Kunst, wie gleich näher gezeigt werden soll; zugleich wird hier die Kahlheit und

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I. Theorie der Heilmittellehre.

Unzulänglichkeit der solidistischen Theorieen aller Art scharf hervorspringen, und der Abgrund ihrer Consequenz Er¬ schrecken erregen. Denke man sich das Fieber, wie es augenfällig vorliegt, als einen lebhafteren Cornbustionspro- zefs, mit seinem gröfseren Bedürfnifs nach dem löschenden Elemente, der Luft, und dem Wasser in gesteigerter Form; so ergiebt sich zuvörderst als Medicament der Sauerstoff oder das ihm analoge Princip in seiner eminenteren Er¬ scheinung. Nehme man ferner die verschiedene Art dieser eminentem Verbindung, die als Medicamentum potulentum erscheint, so findet man zwei grofse Reihen; die erste wirkt condensirend , die andere diluirend, z. B, Schwefelsäure und Essig als Repräsentanten beider Reihen. Man mufs die erste ein Antiphlogisticum roborans, die zweite ein Anti- pblog. debilitans nennen, und sie, wiewohl als Antiphlogi- stica auf einer Linie stehend, in ihrer zweiten Wirkungs¬ weise als entgegengesetzt betrachten und anwenden, die Mineralsäure bei Entzündungen mit Auflösungen, die ve¬ getabilische Säure bei Entzündungen mit Coagulation, so¬ genannten reinen Entzündungen, der Synocba. Nun drückt aber die Phlogisticität ein vitalchemisches; also ein in¬ nerliches, qualitatives Verhältnis aus; das des Tonus, Sthe- nie und desgleichen ein äufserliches , nämlich die Quan¬ tität und Intensität jener Qualität. Woraus denn offen¬ kundig wird, dafs nur die genaue Erwägung beider Rela¬ tionen, vorzüglich aber die innere, die richtige sei; die so- lidistische mithin durchaus verwerflich, und die Humoral- pathologie die einzig statthafte, fruchtbringende.

Nunmehr glaubt der Verfasser dieser Blätter, sein Thema hinlänglich verbreitet , den Grund gehörig geebnet zu haben , und geht wirklich an die Schematisirung der Materia medica nach humoralpathologischen Grundsätzen, wie folgt:

V. Die Heilmittellehre.

Indem der Verfasser Hand ans Werk legt, und mit diesem den Schlufsstein 2um Gewölbe, dessen Grund in

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142

I. Theorie der Ileiimittellehre.

der Humoralpathalogie gelegt wird, darf er dem Leser nicht verhehlen, dafs er bis jetzt nur den Kifs zu diesem ^ erke im Sinne hat, keinesweges das vollendete seihst. Im Gegen- theil ist er dem Entschlufs treu, den er im Eingänge zu diesen Abhandlungen an den Tag gelegt hat, keine Arbeit grüfseren Umfangs und geschlossenen Gliederbaues fürs erste zu übernehmen. Zumal fehlen ihm zur Ausführung des gegenwärtigen lliilfsmittel und Studien. Jedoch zu einer ausführlicheren Skizzirung, zum Abstecken und \ertheilen der einzelnen Parlhiecn, zum Anordnen der innern Üeco- nomie fühlt er sich aufgelegt, und berufen. Derjenige, der ein solches Werk zum Nutzen der W issenschaft und zum Frommen der leidenden Menschheit auszuführen sich mit Ernst und Hingebung entschlösse, fafste wie man zu sagen pflegt ein heifses Eisen an. Zuvörderst mufs er bedenken, dafs er einen weitlauftigen Apparat zu beschrei¬ ben, und seine Wirkungen anzugeben hätte, den er nur zum kleinsten Thcile, und, bei noch so reicher Erfahrung immer nur unzulänglich zu kennen sich gestehen mufs. Der geringe Theil dieses Apparates, den er in einem Zeit¬ räume von etwa 20 Jahren vielfacher ärztlicher Bemühung und Bewegung durchprobirt hat, und den er mit Geschick zu handhaben eine Fertigkeit erworben hat, reicht zur Lehre für den Schüler nicht hin aus dem eindringenden Grunde der Beweglichkeit des Substrates. Es bewegt sich der Ge¬ nius der Krankheiten, der Jahre und Oerter, der Indivi¬ duen; der Mcdicamente selbst, nach dem Ort wo sie her¬ genommen werden, in welcher Keife, welcher Jahres- und Tageszeit, in welchem Jahre, ob trocknen oder feuchten, wie ihre Aufbewahrung und Bereitung sei; sodann, wie und wann sie vom Kranken genommen werden, nach dem Geschlechte, Alter, Temperament, zufälligen Beziehungen des Individuums, z. B. der Zeit vor oder nach der Men¬ struation, nach oder vor einer Gemiithsbewegung. Die Erwähnung aller dieser störenden Momente dient, begreif¬ lich zu machen, wie am Ende eine Sicherheit, Mittel zu

I. Theorie der Heilniiticllchre.

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handhaben, mehr wenigstens in vielen Fällen in der

Sicherheit und Geschicklichkeit des Arztes beruhe, in einem allgemeinen Tacte für Maafs, Zeit, Ort u. s. w., als in ge¬ nauer Kunde der bestimmten Wirkungsweise der fraglichen Mittel selbst. Je sorgfältiger Experimente und Bestimmun¬ gen von der W irkungsweise der Medicamente in den Phar- macopöeen angegeben werden, desto lächerlicher werden die Angaben dem erscheinen, der seine ärztlichen Geschäfte eine hinlängliche Zeit mit Ruhe und Gewissenhaftigkeit ge¬ trieben hat. Es ist dies die stärkste und zugleich närrischste Seite der Homöopathie, und des Unternehmens, durch Ver¬ suche an Gesunden ein Licht aufzustecken, und Klarheit zu verbreiten. Das noch so sorgfältig durchprobirte Medica- ment ist am Ende in der Hand dessen, der es, damit zu wirken, entgegennimmt, ein , oder ein B-zSv £s?£s$, je nach seiner ganzen künstlerischen Geschicklichkeit und Vollendung. Aus eben dieser Rücksicht ist es aber auch erforderlich , dafs dem Lernenden ein gröfserer Apparat bekannt werde, als der eines einzelnen geübten Arztes sein kann, damit er sich selber mit der Zeit seine Pharmacopoe schaffe, einen Apparat, den er zu gebrauchen, und Waffen, die er zu führen versteht. Diesen gröfsern Apparat aber mit Wahl und richtiger Schätzung zu geben, das ist eine überaus häckelige Sache. Die Schwierigkeit wird dadurch noch gröfser, dafs die bedeutendsten Heilkünstler oft nur wenig Werth auf das einzelne Mittel gelegt haben, sie möchten dann selbst einst eins entdeckt, oder zusammenge¬ setzt und erprobt haben. W ie alle grofsen Künstler haben auch die ausgezeichneten Aerzte mit wenig Mitteln mehr ausgegeführt, als manches Mittelgut mit vielen, die Pfuscher mit allen zugleich. Es ist der Galenische Ausspruch: ISichts, und auch Gottes Hand!

Die eigentlichen Lehrer der Materia medfea sind häufig Aerzte, die zum Heilungswerke eines grofsen Apparates bedürfen. Durch den Umfang aber gewinnt schwerlich der Gehalt; ja, es scheint hier in der Regel, wie so häufig

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I. Theorie der Heilmittellehre*

anderwärts, Breite und Tiefe in umgekehrtem Verhältnisse zu stehn. Die Angaben sind übertrieben und unzuverlässig. Das Vertrauen auf die Erfahrung auderer zu grofs; die eigene zu leichtfertig, und oft zun» Widerrufe nicht ge¬ neigt. Nennen wir doch jemand einen Entdecker, der seine Entdeckung zurückgenommcn hätte; und doch sehen wir die neuen Mittel wie Pilze nach den» liegen kommen und schwinden. Hat wohl der Ruhmredner des Goldes seine Yerheifsungen gemäfsigt? oder der der Alkornoko, der Blau¬ säure und so vieler ? Und nun sehe man die markt- schrcienden Nachpreiser, die das Uebel noch übler machen. Hilf Gott! was können die alles machen! was heilen diel Endlich nach kaum einem Jahre ist Lobredner und Mittel vergessen. Leichtsinn und Glaubensstärke haben es beinahe dahin gebracht, dafs man zur Ueberschrift über die Materia medica das Quantum in rebus inane setzen möchte.

Sind das nicht hinlängliche Gründe, hei der Bearbei¬ tung einer Materia medica vorsichtig zu machen, wo nicht ganz davon abzuschrecken ? Gegeutheils aber ist mit dem Allgemeinen auch nicht viel gewonnen. Die allgemeine Therapie erfordert ihre allgemeine Materia medica, und diese hat eine jener analoge Wichtigkeit, und einen ähnlichen Werth. Es kommt aber bei den» ärztlichen Handeln alles auf das Individuelle an. Es ist Einer, der leidet, der Hülfe fordert; eine bestimmte Krankheit ist der Gegenstand, und die erfordert, genau genommen, eben auch nur dieses oder nur jenes Heilmittel. W ir müssen mit den» Dichter reden:

Et quoniam variant morbi, variabimus artes;

Mille mali specics mille salutis erunt!

Es. wäre daher wohl zu E iinschen, dafs sich ein gelehrter und zugleich erfahrner Arzt die Mühe gäbe, eine Materia medica classica zu schreiben. Man miifste sich zuvörderst über die Vollgültigkcit der Beobachter erklären, und so¬ dann aus ihren Schriften, aber auch nur aus diesen, einen Apparat Zusammentragen. Ich sollte meinen, dafs auf diese Art etwas Ersprießliches gefördert werden könnte. Vor¬ läufig

II. Schriften zur Jubelfeier mm er rin g's. 145

läufig aber ist es Zeit, das versprochene Schema der Materia medica auszuführen, und mit ihm die Lehre der Heilmittel an die des Curplans, Allgemeines an Allgemeines anzu- schliefsen, und eben so die einzelnen Mittel unter Haupt¬ gesichtspunkte zu bringen, so dafs Methoden und Mittel in einen möglichst engen und naturgemäßen Verband zu ste¬ hen kommen.

II.

Schriften zur Jubelfeier Sömmerring s.

1. C. F. Burdach, De Foetu humano adnotatio- nes anatomicae, quibus praemissis Yiro Perillustri Sam. Th. de Soemmerring, Pv. Bav. a Consil. intim. Acad. sc. Monach. sod. etc. Doctoratus in medicina impetrati semisaecularia gratulatur Univer¬ sitas lit. Regiomontana. Acced. tabula aenea. Lips. ap. Lcop. Yofs. 1828. fol. 8 S. (2 Thlr.)

2. Zu Samuel Thomas v. Sömmerring’s Ju¬ belfeier, von Friedrich Tiedemann. Heidel¬ berg und Leipzig, Akadem. Buckh. v. K. Groos. 1828. 4. 32 s. Mit Sömmerring' s Portrait und 1 Kupfertafel über die Schildkröteneier. ( 1 Thlr. 8 Gr.)

3. Sam. Th. S o emmerringio, Anatomico et Physiologo celeberrimo d. VII. April, decem Instra post gradum Doctoris Med. et Cb. rite caplum felecissime et in summum emolumentum scienv :

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XIII. ßd. 2. St.

I4ö II. Schriften zur Jubelfeier S um m erring 's.

pcracta *) celebranti pia mente gratulatur J crh. Fri>d. Mcckelius. Acccd. tab. aen. VI. llalac 1828. Lipsiae prostat apud Loop. Vofs. fol. max. 11 S. (12 Tblr.)

4. Untersuchungen über die Gef äfsverb in¬ dun gen zwischen Mutter und Frucht in den Sänget liieren. Ein Glückwunsch zur Ju¬ belfeier Samuel Thomas v. Sümmerring’s, von K. Ernst v. Baer, Mit einer Kupfertafel. Leipzig, bei Leop. Vofs. 1828. fol. 32 S. (4 Tblr.)

Wie es das Zeichen eines ächten und lange zu rüh¬ menden Weinjahres ist, dafs es nicht nur einen Wein von trefflicher Qualität, sondern auch, dafs es ihn in rei¬ chem Maafse liefere, wie es Zeichen des ächten, auf späte Geschlechter fortwirkenden Genius ist, dafs er nicht nur Ausgezeichnetes spende, sondern dafs wir ihm auch Vieles zu verdanken haben, so ist es auch Zeichen eines wahrhaft schönen Lebens, dafs es nicht nur ein w ohlge¬ führtes und wirksames, sondern dafs es auch ein lan¬ ges, alle verschiedenen gesunden Zustände des Menschen¬ lebens hervor- und vorbeiführendes sei. Nicht leicht mag daher ein mehr oberflächlicher Satz von den Griechen auf uns gekommen sein, als der von so vielen kränklichen Seelen seitdem nachgesprochene: «< Wen die Götter lieben, der stirbt jung!» und zum guten Glück umstehen uns jetzt da ich dies schreibe noch drei Jubelgreise, welche uns jeder in seiner Art trefflich beihelfen zu zeigen, dafs erst ein langes Leben in Wahrheit ein menschlich - vollkommenes zu nennen sei; wir meinen Göthe, Blumenbach und Sommer ring. Mit Freuden haben wir bemerkt, wie

1 ) Auf einem so luxuriös, wie der vorligcnde, gedruckten Titel, f.illt es unangenehm ins Auge, hier durch einen Druckfehler statt peracta, peract i xu lesen.

II. Schriften zur Jubelfeier S ömm erring’s. 147

für den jüngsten dieser Greise von allen Seiten die Arbei¬ ten der Glückwiinschenden am 7. April 1828 sich zusam¬ mengefunden haben und was wir selbst, damals schon auiser Deutschlands Gränzen und dem Süden Europa’s zueilend, zu jener Zeit nicht geben konnten, geben wir jetzt noch öffentlich bei Gelegenheit der Anzeige jener Schriften dem würdigen Jubelgreise nach, nämlich den herzlich gemeinten Wunsch, dafs ihm unter vielem Guten auch das Glück des ältesten dieser drei genannten Greise zu Theil werde, über welches sich derselbe schon vor zehn Jahren in einem an uns gerichteten Briefe auf folgende schöne Weise verneh¬ men liels: «Das Alter kann kein grüfseres Glück empfin¬ den, als dafs ' es sich in die Jugend hineingewachsen fühlt, und mit ihr nun fortwächst. Die Jahre meines Lebens die ich, der Naturwissenschaft ergeben einsam zubringen mulste, weil ich mit dem Augenblick in Widerwärtigkeit stand, kommen mir nun höchlich zu gute, da ich riiich jetzt mit der Gegenwart in Einstimmung fühle, auf einer Altersstufe, wo man sonst nur die vergangene Zeit zu loben pflegt. M Doch es sei uns vergönnt, nach diesem kurzen Vor¬ worte zur Betrachtung der oben genannten Gliickwün- schungsschriften selbst überzugehen.

No. 1. enthält auf wenigen Seiten doch manche inte¬ ressante Bemerkung zur Entwickelungsgeschichte des Fötus, ein Gegenstand der, wie sehr er überhaupt die physiologi¬ sche Aufgabe der gegenwärtigen Zeit sei, sich schon da¬ durch bewährt, dafs von den vier hier zur Anzeige kom¬ menden Schriften drei sich mit Erläuterung der Entwicke¬ lungsgeschichte befassen. Die Veranlassung zu vorlie¬ genden Bemerkungen gab ein fünf- bis sechswöchentlicher Embryo, welchen in vergröfsertem Maafsstabe die beiden ersten Figuren der schöngestochenen Kupfertafel darstel¬ len. Ohne zur näheren Untersuchung der inneren 1 heile gelangen zu können, halte sich der Verf. über die äulseren Verhältnisse desselben Aufzeichnungen gemacht, welche hier mit einigen Scholien begleitet erscheinen und abermals be-

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148 II. Schriften zur Jnbclfeier Summ erring s.

weisen, dafs oft aus wenigen, aber geistreich aufgenom¬ menen und erwogenen Anschauungen mehr wahrhaft wis¬ senschaftliche Ergebnisse hergeleitet werden können, als aus vielfachen, von der Geistesarnnith mühsam, und doch nicht . im rechten Sinne herbeigebrachten Beobachtungen. Zu der zweiten Aufzeichnung, dafs der Kopf, wenn er aus der gekrümmten Lage gerade geschoben wurde, etwas län¬ ger war als der Rumpf, hätten wir, statt der nicht recht passenden Analogie zwischen Nabel und Infundibulum mit der Hypophysis, lieber bemerklich machen mögen, dafs diese Periode deshalb besondere Berücksichtigung verdiene, weil hier anschaulich wird, wie die beiden ursprünglichen Lei- beshälften, Kopf und Rumpf, einander anfänglich wirklich auch räumlich gleich sind, obwohl sich späterhin auf die eine Seite das ideale, auf die andere Seite das reale Ueber- gewicht neigt. Bemerkenswerth ist die St holie zur drit¬ ten Aufzeichnung, dafs das Kopf- und Rückgraths-Ende sich nur links berühren, da rechts die Nabelscheide dazwi¬ schen liege, in wiefern aus der vergleichenden Anatomie nachgewiesen wird, wie am Vogelembryo der Dottersack sich stets links, die Allantois stets rechts befinde, am Säuge- thicrembryo aber, wegen der die Nahelblase weit übertref¬ fenden Allantois, die ganze Nabelscheide sich nach rechts wenden müsse. Es hätte noch zugefiigt werden können, dafs hier in der Lagerung der Allantois nach rechts und des Vitellum nach links abermals das entgegengesetzte Ver- hältnifs der beiden Seiten des Körpers hervortrete, nämlich des Uebergevyichls von Athmung und Absonderung auf der rechten, das Vorherrschen von Aufnahme und Ernährung auf der linken Seite. In der siebenten Aufzeichnung werden vier Querfurchen des Halses bemerklich gemacht, und die Scholie hebt die hierher gehörige wichtige Ent¬ deckung von Rathkc hervor, welcher zuerst auch hei Vögeln und Säugethieren die Kicmenbildung am frühesten Embryo nachgewiesen bat. Die achte und neunte Auf¬ zeichnung beziehen sich auf Rückenmark- und Hirnbildung,

II. Schriften zur Jubelfeier Sömmerrin g's. 149

und die Scholien erklären sich für die von Baer und frü-

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her schon von andern ergriffene nnd gerechtfertigte An¬ nahme einer cylindrisch ringsgeschlossenen Röhreuform, als der für die nervigen Centralgebilde ursprünglichen.

Die beiden kleinen Figuren jenes Embryo hat der Idr. Verf. nun nach dem Stich einer schon im Jahre 1821 ge¬ machten Zeichnung über das Hirn eines fünfmonatlichen Fötus beifügen lassen, und auch sie mit einigen Bemerkun¬ gen begleitet. Zu leugnen ist nicht, dafs dadurch das Ganze ein gewisses zusammengesuchtes Ansehen bekommt, welches uns mit der sehr splendiden äufseren Form des höchst sau¬ ber gedruckten Heftes nicht recht im Einklänge vorkam. Jedenfalls hätten wir die zierliche Ausführung in Kupfer lieber an eine mehr instructive Zeichnung gewendet wissen wollen, da diese Abbildung, aufser der sattsam anerkannten Faserausstrahlung der grofsen Hemisphären, nichts beson¬ deres darstellt, und auch die Erläuterungen kaum etwas hervorzuheben gestatten, aufser dem, dafs man die Figur als Supplement zur siebenten Tafel des Bur dach sehen Werkes vom Bau und Leben des Gehirns (2r Bd.) betrach¬ ten möge.

Ko. 2. ist ein einfaches, sehr herzliches Sendschreiben an den würdigen Jubelgreis, welchem der Bericht über eine höchst interessante Beobachtung der Entwickelung des Embryo im Schildkrötencie eingeflochten ist. Wie sehr dankenswert!) diese Darlegung sei, ist um so einleuchtender, wenn man weifs, dafs über die Verhältnisse der Ausbil- dungsorgane dieser merkwürdigen Thiere bis dahin noch ein gänzliches Dunkel schwebte, dafs z. B. niemand sagen konnte, ob der Dotter in die Bauchhöhle gezogen w'erde, wie bei Schlangen und Eidechsen, oder gleich von den Bauchwänden umschlossen bleibe, wie bei Salamandern und Fröschen; kurz, dafs hier eine wahre Lücke in der verglei¬ chenden Anatomie und Physiologie bestand, zu deren Aus¬ füllung mit dieser Darstellung ein trefflicher Anfang ge¬ macht worden ist. Auch den Rcf. hatte dieser Gegenstand

150 II. Schriften zur Jubelfeier S u min c rri n g‘s.

längere Zeit beschäftigt, mehrere in unscrm Clima veran¬ staltete Ausbriitungsvcrsuche an Schildkrötcneiern waren mifslongen, und einige ähnliche während eines mchrwö- chentlirheo Aufenthalts in Florenz unternommene konnten nicht lange genug fortgesetzt werden, obwohl sie uns einige Data geliefert haben, welche" zur Vervollständigung dieses Gegenstandes abermals einen kleinen Beitrag liefern werden. Die Eier, welche der Gegenstand der Untersuchung des Hrn. Tiedemann waren, wurden demselben durch den Prof. Schubert aus der Münchener Sammlung, und zwar von den flurch Spix und Martins mitgebrachten Natura¬ lien mitgetheilt , und stammen von Emys amazonica. Der Yerf. beschreibt zuerst die weiblichen Geschlechtstheile, und, jedoch mehr nach fremden Angaben, das unbebriitete Ei der Schildkröten. Die Yermuthung, dafs auch diesen Eiern die Hagelschnuren, Chalazae, zukommen möchten, kann Kef. als unstatthaft darthun, da bei einer genauen Unter¬ suchung einiger europäischen Srhihlkröteneier sich keine Spur derselben fand. Sehr willkommen ist die Zusam¬ menstellung dessen, was verschiedene Heisende und Natur¬ forscher über Begattung und Ausbrütungszeit der Eier hei Schildkröten angegeben haben, doch Et zu bedauern, dafs sich auch hieraus immer noch nichts gewisses über die zur Ausbreitung erforderliche Zeit ergiebt. Dafs diese Ent¬ wickelung nicht so schnell vor sich gehe, wie so manche geglaubt haben, kann auch Bef. bestätigen, welcher vom 14. J uni bis 1. Juli die Entwickelung des Eies nur bis zur Bildung einer Figura venosa von y Zoll Durchmesser, und mit kleiner Galba vorgeschritten fand. Die von Ilrn, Tiedemann geöffneten Eier waren der Keife schon ziem¬ lich nahe, und aus deren ausführlicher Beschreibung, welche von mehreren sehr gut gezeichneten und gestochenen Ab¬ bildungen begleitet wird, heben wir hier nur so viel her¬ aus, dafs im Bauchschilde der jungen Schildkröte eine ge¬ räumige Nabelölfnung vorhanden sei, durch welche eine gefüfsrekbc Atbembiase (Allautou) hervor-, und die Yer-

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II. Schriften zur Jubelfeier Summ erring' s. 151

bindungsstelle des noch aufserhalb liegenden Dottersackes mit dem Darmkanale hineinragt, während ein Amnios den Embryo, und eine mit Kalkmasse überlagerte Eischaalenhaut alle Eigebilde umschlofs. Vom Eiweifs war keine Spur mehr vorhanden. Aus einer jungen, aber bereits gebornen Testudo coriacea bildet der Verf. noch den am Darme hän¬ genden, aber bereits in der Bauchhöhle liegenden Dotter ab, so wie als eine Zugabe noch die Zeichnung eines aus dem Ei genommenen Fötus des Jakarra- Krokodils beige¬ fügt ist.

Ko. 3. weihet dem verehrten Jubelgreise die Reliquien eines Mannes, welchen jener selbst noch unter seine Leh¬ rer zählen kann, nämlich des Grofsvaters des jetztlebenden Geh. Medic. Rath Meckel, des J. Fr. Meckel, dessen Diss. epistolaris de vasis lymphaticis glandulisque congloba- tis, Berlin 1757, so wie die Nova experirnenta et observa- tiones de finibus venarum ac vasorum lymphaticorum etc. Berlin 1772, über den Zusammenhang des Lymphsystems mit dem Venensystem, manche Aufschlüsse verbreitet hat¬ ten. Wir erfahren nun hier, dafs zu noch weiterer Er¬ läuterung des Lymphsystems von jenem trefflichen Zerglie¬ derer nicht nur wichtige fernere anatomische Arbeiten vor¬ genommen, sondern auch Zeichnungen, ja sogar bereits Kupfertafeln besorgt worden sind, deren Herausgabe jedoch unterblieb, und von welchen nun sechs Tafeln bei gegen¬ wärtiger feierlicher Gelegenheit bekannt gemacht werden, indem zugleich auch der noch vorräthigen Zeichnungen Erwähnung geschieht. Die erste Tafel enthält die Dar¬ stellung der Hauptstämme des Lymphsystems längs der W ir- belsäule, uud zeigt insbesondere die Einsenkung von Lymph- stämmen des rechten Arms und der rechten Halsseite in den Winkel, wo Vena jugularis interna dextra und Vena

axillaris dextra Zusammenkommen. Die Tafel ist sehr in-

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structiv, von Glafsbach sauber gestochen, und nur in der etwas hölzernen, dem Zeichner zur Last fallenden Dar¬ stellung der greiseren Gebilde, wie Wirbelsäule, Rippen

152 II. Schuften zur Jubelfeier S ü mm erring s.

und Schulterblätter, weniger lobenswerth. Die zweite Tafel giebt in zwei Figuren die Darstellung einer Partie Chylusgefafse, von ihren Ursprüngen an bis zu ihrer Ein¬ senkung in den Ductus thoracicus. Die dritte Tafel ist insbesondere zur Abbildung der von J. F. Meckel ent¬ deckten Einsenkung von Lymphstämmen in die Verbindung vom rechten Schlüsselbein und in ihre Drosselvene be¬ stimmt. Die vierte lalcl soll eine schon in der genannten Diss. epistolaris beschriebene Beobachtung der Anastomosc eines Lymphgcfäfses mit der Vena coronaria ventricul» magna darstellen. Die fünfte und sechste Tafel enthalten in mehreren Figuren saubere Abbildungen soig faltig inji- cirter Lymphdrüsen und Geliechte.

No. 4. enthält von den vier hier aufgeführten Glück- wünschungsschriften die mühsamsten und ausführlichst be¬ schriebenen eigenen Untersuchungen. Nach der sehr rühmenden Begrüfsung Summ erring’«, legt der Verf. seiu Aorhaben dar, durch Injectionen des trächtigen Fruchthal- ters und der Frucht, bei Säugethieren verschiedener Ord¬ nung vorgenommen, zur endlichen Entscheidung der oft beleuchteten Streitfrage, vom mittelbaren oder unmittelba¬ ren Uebergange des Blutes der Mutter in die Frucht zu gelangen. Es stand nun zwar allerdings die Sache schon jetzt so, dafs kein nut bisherigen Arbeiten vertrauter Phy- siolog so leicht gefunden werden wird, welcher die Hal- 1 ersehe Annahme vom unmittelbaren Blutiibergange noch zu der seinigen macht; bei alledem erscheinen nichts desto- weniger die Untersuchungen des Verf. als schätzbare Bestä¬ tigungen höchst dankenswert!» , und wir halten uns ver¬ pflichtet, das Wesentliche derselben mitzutheilen.

Die erste untersuchte Form ist das Ei der Dick¬ häuter, und zwar des Schweines. Worauf wir hier besonders aufmerksam machen, ist die sorgfältig detaillicle Nachweisung darüber, wie die Gefäfse im Ghoriou, welche

II. Schriften zur Jubelfeier S omm errin g’s. 153'

ursprünglich nur der Allantois oder Athemblase *) ange¬ hören, von dieser an das Chorion übertragen werden. Eine Wahrheit, welche Rec. bereits seit mehr als zehn Jahren durch seine Untersuchungen bestätigt gefunden, und auch immer so ausgesprochen hat. 2) Die Nach Weisung darüber, dafs man auch dem Ei der Säugethiere das Eiweifs zugestehen müsse. Diese dem Yerf. eigenthümliche Auffin¬ dung möchten wir leicht als das wichtigste und wahrhaft physiologisch -neue dieser Arbeit betrachten, und hatten ihr daher eine weitere Ausführung gewünscht. Nähere Unter¬ suchungen dieser auch dem Rec. wohlbekannten Substanz werden wahrscheinlich auf grofse Uebereinstimmung dersel¬ ben mit dem was Brande über die zwischen Eiweifs und Tragacanthgummi in der Mitte stehende Natur der eiweifs¬ artigen Substanz in den Eierleitern der Lurche und Hayen gefunden hat, führen. 3) Die sorgfältigere Darstellung der sogenannten Diverticula Allantoidis und ihres Durchbruchs durch das Chorion, wobei nur immer noch die physiologi¬ sche Bedeutung dieses Durchbruchs ein Räthsel bleibt. Sind es Kiemen, welche das Ei nach aufsen hervortreibt, warum sterben die Gefäfse ab? 4) Die saubere, auch bildliche Darstellung der völlig kiemenartigen ond auf keine Weise mit dem mütterlichen anastomosirenden Gefäfsnetze auf den Falten des Chorion, welches die Stelle der Pla- centa vertritt. 5) Die Beschreibung einer besonderen

Art von Gefäfsen des trächtigen Uterus, welche paterno¬ sterförmig eingeschnürt und von geschlängeltem Verlaufe auf der innern Uterinfläche mit offenen trichterför¬ migen Mündungen ausgehen. Eine genaue Abbildung dieser Gefäfse wäre sehr willkommen geweseu. Der Yerf. hält sie für Lymphgefäfse. Es wäre auch wohl möglich,

1) Den widerwärtigen und unpassenden Namen «Harn¬ sack,» welchen der Verf. jenem Organ giebt, möchtcu wir allerdings gern mit obigem vertauschen.

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154 II. Schriften zur Jubelfeier Summe rring s.

dafs sich hier ein bisher im Saagethier-t terus noch fehlen- des Analogon der im menschlichen Uterus vorkonimenden weiten offenen \ enenmiindungen auf der innern Uterjn- iläche (welche jedoch vom Yerf. noch weniger gekannt scheinen) vorfände.

Die zweite untersuchte Form ist das Ei der Wie¬ derkäuer, und namentlich des Schaafes und der Kuh. Hier, wo wieder sehr saubere Abbildungen von den kiemen- gefäfsartigen Gcfäfsverzweigungen an den Zotten der bötal- placenten beigefiigt sind, konunen auch Gefäfse des Uterus zur Darstellung, welche allerdings in die Zotten der Fötal- placenten dringen, jedoch nur oberlläcblich sich daran ver¬ breiten. Wenn indels der Verf. sagt: « ln allen solchen Uebergängen sah ich diese Arterien (denn nur von diesen Gefäfsen habe ich es bis jetzt bemerkt, vielleicht weil ich viel öfter die Arterien des Fruchthalters angefüllt habe, als die Venen desselbeu) nur in die Überdache der Zotte eingehen, und <lort aufhören,» so zeigen doch schon die Abbildungen, dafs sie sich hier in Venen um biegen, und wir hätten nur zur Vermeidung des Missverständnisses noch ausdrücklich bemerkt gewünscht, dafs kein freigeendigtes Aufbören des Gefäfses verstanden werden« solle (da jedes feine Blutströmcben dieser Art, und folglich jedes Gefäfs- chcn, in Schlingen sich umbiegen mufs), als zu welchem Missverständnisse auch die Abbildung der die Flocken einer Fötalplaceota des Hundes umspinnenden IJteringefäfse Ver¬ anlassung geben könnte, welche so gezeichnet sind, wie man früher öfters die Blutgefäfse des menschlichen Uhorion und der menschlichen Placenta darzustellen pliegte, näm¬ lich wie Zweige eines Baumes mit freien Spitzen in der Luft aufhörend. Die bei der vorigen Form erwähnte« trichterförmig auNtnündenden Saugadern, so wie das Analo¬ gon vom Liweifs, findet der Verf. auch in dieser Form vor.

Als dritte Form untersucht der Verf. das Ei der Kaub- thierc, und insbesondere des Iluiuies, wobei er sich auf seine frühere Arbeit über die Eutwickeluog des Eies der

II. Schriften zur Jubelfeier Sömm erring's. 155

Säugetiere und des Menschen bezieht. Das die besondere in Frage stehende Untersuchung betreffende, bezieht sich wesentlich auf die 'genauere Darstellung der Art und Weise, wie die Zotten der Fötalplacenta hier von feinen Endigun¬ gen der Gefälse der Uterinplacenta umsponnen werden, ohne dafs deshalb auch hier von Anastomosen zwischen Gefäfsen der Mutter und Frucht die Rede sein kann.

Als vierte Form wird das menschliche Ei erwähnt, indefs fehlen hier dem Verf. eigene Untersuchungen, na¬ mentlich über das Verhalten der Uteriugefäfse, und wir bedauern dies um so mehr, da es namentlich an genauen bildlichen Darstellungen dieser Gefäfsverhältnisse im mensch¬ lichen Körper noch fehlt, obwohl doch gerade die edlere menschliche Form der noch so minutiösen Untersuchungen immer in höherem Grade würdig ist, als die der Thiere, und endlich weil in Wahrheit diese Verhältnisse selbst so sehr von denen der thierischen Formen ab weichen, dafs man kaum irgendwo mehr fehl greifen würde als hier, wenn man unbedingt aus den Ergebnissen der vergleichen¬ den Anatomie auf gleiches Verhalten im Menschen schliefsen wollte. Allerdings finden sich nach gutgelungenen Injectio- ren, deren Rec. mehrere gemacht und untersucht hat, auch im menschlichen schwangeren Uterus feine Gefälse, welche ungefähr gleich dem die Fütalplacentenflocken des Hundes und des Schaafes umspinnenden Gefäfschen durch die die Stelle der Uterinplacenta vertretende Tunica decidua bis zwischen die Flocken der Fötalplacenta dringen; allein das häufigere und merkwertheste sind immer die die Gegend der Placenta auszeichnenden grofsen offenen Venenmündungen an der inneren Uterinfläche, welche veranlassen, dafs jede Injection des schwangeren Uterus grolse Extravasate in das Cavum uteri mit sich bringt, und welche sowohl für das Eigentümliche dieses Fötuslebens ' als dieser Geburt höchst bedeutungsvoll werden. In den Schiffsbefrach¬ tungen zieht der Verf. die Summe vorausgegangener Unter¬ suchungen, und stellt die Gründe, welche unmittelbaren

156 III. Blutkreislauf bei Insecten arven.

Uebergang zwischen Blutgefäfsen Her Mutter und Her Frucht

anzunehmen verbieten, noclimals zusammen. Die Schön-

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beit des Druckes und die Zierlichkeit und Deutlichkeit der Abbildungen verdienen noch eine besonders rühmliche Er¬ wähnung.

Car u$.

in.

Entdeckung eines ein fachen, vom Herzen aus beschleunigten Blutkreislaufes in den Larven netzfliiglichcr Insecten. Von Dr. C. G. Carus, Professor an der chirargisch- inedicinischen A ca denn e zu Dresden (jetzt Leib¬ arzt und Mcdicinalrath) und IMitglicde mehrerer gelehrten Gesellschaften u. s. w. Mit drei Kupfer¬ tafeln. Leipzig, Verlag von Leopold Yofs. 1 827. 4. 40 S. (1 Thlr. 16 Gr.)

Der \ erf. bevorwortet seine höchst wichtige Ent-

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deckung auf folgende W eise : «ln gegenwärtigen Blättern übergebe ich dem naturwissenschaftlichen Publikum die Ge¬ schichte der Beobachtungen, durch welche ich im Herbste 1826 zur Ueberzeugung von einem deutlichen Blutlaufe in den Larven netzfliiglichcr Insecten gelangt bin. Einen Uebcrblick des W csentlichen dieser Beobachtungen habe ich bereits der im September desselben Jahres zu Dresden versammelten Gesellschaft deutscher Naturforscher und Acrzte mittheilen können, und mehrere der damals hier anwesen¬ den Gelehrten, unter welchen ich nur die Herren Oken, Huschke, Heyne, Purkinje, Otto, Weher und Müller nennen will, haben sich zugleich bei mir der Wahr¬ nehmung dieser merkwürdigen Erscheinung erfreut.

III. Blutkreislauf bei Insectenlarven. 157

Eben so haben sich späterhin der treffliche Forscher A, v. Humboldt, und Yalenciennes aus Paris, von dem Eigenthümlichen dieses Blutlaufes bei mir überzeugt. Ins- besondere aber habe ich hiesigen Freunden, namentlich den Herren Reichen hach und Thienemann, Dank zu sa¬ gen, welche durch lleifsiges Milbeobachten und ein offenes und freisinniges Besprechen mich so in dieser Arbeit geför¬ dert haben, wie es im wissenschaftlichen Verkehr überall und immer der Fall sein sollte.

An der Richtigkeit der Entdeckung darf also, da so viele, und unter diesen so ausgezeichnete Naturforscher sich davon überzeugten, nicht gezweifelt werden. Rec. zweifelt aber um so weniger daran, da er vor mehreren Jahren der¬ selben Entdeckung auf der Spur war, aber sie wegen über¬ häufter Berufsgeschäfte nicht verfolgen konnte. Die Bearbeitung des Gegenstandes ist nun folgende:

Der Verf. führt zuerst die bisherigen Meinungen über den Blutlauf der Insecten an; sodann giebt er die Beobach¬ tung selbst an, durch welche er zur Auffindung eines deut¬ lichen Blutlaufes gelangte; und endlich fügt er Folgerungen hinzu, welche aus diesen Thatsachen für die Erkenntnifs der Bedeutung gewisser Organe und für die Physiologie der Insecten überhaupt zu ziehen sein dürften.

Was den geschichtlichen Theil betrifft, so geht daraus allerdings hervor, dafs sowohl von älteren und neueren Ana¬ tomen und Naturforschern, z. B. von Malpighi, Swarn- merdam, Comparetti, Lesse r , Albertus Magnus, in einem Briefe eines Ungenannten an Heinr. Baker, von Nitzsch, und endlich von Gruithuisen eine Saftbe¬ wegung oder ein Blutlauf mehr oder minder bestimmt bei den in Rede stehenden Thieren angenommen, nicht aber wirklich nachgewiesen wurde.

Was die Beobachtungen selbst betrifft, so stellte der ,Verf. die ersten an Larven der kleinen blauen Libelle, Agrion puella, an. Gleich bei dem ersten auf den Glas¬ schieber des Mikroscops gebrachten Thiere sah er, bei

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158 III. Blutkreislauf bei lnsectcnlarven.

einer Vergröfserung von 60 mal im Durchmesser, an den Schwanzblättchen den deutlichsten, aber ganz e i n Pa c h c n und unverästelten U m t r i e b von durch¬ sichtigen Illutkörnern innerhalb einer ganz durchsichtigen Kahn, welche die aus Tracheenstnnimea gebildete Mittelrippe des Klattes umgab. Auf der Bauch¬ seite ist das Blut ausströmend oder arteriell; an der Kücken- #

seite rückströmend oder venös; der Strom selbst biegt am Ende der Bahn ganz deutlich um, so dafs man jedes Blut¬ körnchen bei günstiger Beleuchtung bei dieser Umkehrung verfolgen kann. Die Gränzen der Bahn sind übrigens nicht scharf, und noch weniger durch wirkliche erkennbare Ge- fäfswände gegeben, sondern das Blut kreiset zwischen feste¬ rer Thiersubstanz unmittelbar, gerade so, wie man es bei allen Embryonen höherer Thiere, namentlich bei Fisch* embryonen und in der ersten Figura venosa des Hühnereies sehen kann. Die Blutkörner sind fast wie Waizenkürner, und schwimmen in einer Flüssigkeit, welche nur ihrer Was¬ serhelle wegen unsichtbar bleibt. Die Fortbewegung ge¬ schieht in ununterbrochenem Zuge, jedoch ( was sehr w ich¬ tig ist, da es den Finflufs der Pulsationen des Biickenge- fäfses darthut) deutlich in stofsw'eise verstärkter Geschwin¬ digkeit. Wenn sich die Flügel der Larven entwickeln, so wird der Kreislauf in den Schwanzblättern sichtlich schwä¬ cher und erlischt endlich ganz, wodurch häufig die Blätt¬ chen ganz abfallen. Die Flügelbiättchen selbst zeigen einen aufs erst zarten und regelmäfsigcn, einer neuen Form des Kreislaufes Kaum geben¬ den Bau. Sie bestehen nämlich aus einer feinen obern und untern Hautplatte, zwischen welchen durch regelmäfsigc Anhäufung einer zarten, gekörnten Substanz ( urlliierische Punktmasse) ein Netzwerk dargestellt wird, wo jede Masche eine kleine Insel bildet, deren mehrere dann wasserbelle sie durchschneidende Canäle einscbliefsen , so jedoch, dals der breiteste Canal im Umfange des Flügels verläuft, und die ganze Substanz noch von äufserst feinen Tracheen durch-

III. Blutkreislauf Lei Inscctenlarven.

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zogen wird, ln jenen Canälen tritt nun ganz auf dieselbe Weise wie in den Schwanzblättchen das schönste Phäno¬ men eines deutlichen Kreislaufes hervor. Allemal von dem inneren Rande des Flügels geht die ausströmende (arte¬ rielle) Bewegung aus, und am atifseren Rande erfolgt die rückströmende (venöse) Bewegung. Auch hier strömen die länglichen Blutkörner ziemlich einzeln, und der Hauptstrom geht in den breiten Canal, jedoch sieht man häufig einzelne Körner durch das Netzwerk selbst von innen nach aufsen hindurchströmen, so dafs man sich des Gedankens nicht enthalten kann, es sei dieses regelmäfsige Netzwerk selbst durch das Strömen des Blutes erst gleichsam ausgefurcht worden. Der Anblick dieses Strömens selbst gleicht ganz dem, welchen die Beobachtung des Blutstroms in dpn Kiemen von Fischembryonen oder Frosch - und Salamander¬ larven gewährt. Aber auch dieser Strom wird schwächer und hört endlich ganz auf, so dafs man im vollkommenen Insect nichts mehr davon gewahr wird.

Hierauf setzte der Yerf. seine Beobachtungen an einer ganz kleinen Larve von einem Netzflügler, vielleicht zu Semblis, Sialis oder dergl. gehörig fort, und das Resultat war , dafs hier zuerst ein mit der Rücken ad er in Verbindung stehender sehr einfacher Kreislauf wirklich nach gewiesen werden kann.

Eine andere Art von solchen im Wasser lebenden Larven, welche das Phänomen des Kreislaufes deutlich zeig¬ ten, war die Ephemera vulgata; ja sie soll die passendste dazu sein, denn an dieser Insectenlarve gelang es dem Verf. zuerst, den Blut lauf als wahren, vollkommenen, durch den ganzen Thier leib gehenden Kreislauf zu entdecken. Merkwürdig ist auch noch, dafs wenn man die Schwanzspitzen durchschneidet, aus den verletzten Theilen alsbald eine starke Blutung entsteht; das gekörnte Blut wird stofsweise hervorgetrieben ; es bildet eine Anhäu¬ fung um das verwundete Organ, welche, sobald sie trock¬ net und somit die Einwirkung der atmosphärischen Luft

160 IIF. Blutkreislauf bei Insectcnlarven.

erfährt, den Beobachter dadurch nicht wenig überrascht, dafs sic aus der wasserhellcn Beschaffenheit in eine bestimmt apfelgrüne Färbung übergeht.

Auch an entwickelten Insecten hat der Vcrf. seine Beobachtungen fortgesetzt; allein sic befriedigen ihn noch nicht, indem die Ilornringe dem Lichte zu viel Widerstand leisten, als dafs ein klares Bild innerer Bewegungen erlangt werden könnte. Fr wird aber seine Untersuchungen fort¬ setzen. Die Meinung des Verf. geht fiir jetzt dahin: dafs den vollkommenen Kerfen wirklich ein eigent¬ licher Blutkreislauf fehle, und ihnen nur noch das pulsirende Herz als Rudiment des in der Larve ursprünglich vorhanden gewesenen allge- meinen Kreislaufes zu komme.

Was nun die allgemeinen Betrachtungen und Folge¬ rungen betrifft, so müssen wir auf die Abhandlung selbst hinweisen, welche ohnehin keinem Anatomen und Physio¬ logen fehlen darf, und deren Studium auch dem wissen¬ schaftlich gebildeten Arzte höchst anziehend und fruchtbrin¬ gend sein dürfte. Sie sind keines Auszuges fähig, und Rcc. kann nur die Ilauptmomente angeben, die hier zur Sprache kommen. Erstlich nämlich sucht der Verf. die Aufmerk¬ samkeit der Physiologen auf diejenigen Erscheinungen des organischen Lebens hinzuwenden, welche als einfache For¬ men des Kreislaufes angesehen werden müssen; zweitens giebt er die Stufenfolge an, in welcher diese einfachsten Formen durch immer zunehmende Vervielfältigung zu der verwickelten Form des Kreislaufes in höheren Organismen sich umbilden; und drittens läfst er die Gründe folgen, welche namentlich in den völlig entwickelten Insecten ein 'N erschwinden des früher vorhandenen Kreislaufes als natur-

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gemäfs darstellen, und durch parallele Fälle in höheren Or¬ ganisationen ihre Bestätigung erhalten.

Die Abbildungen siud sehr instructiv, und lassen nichts zu wünschen übrig.

IY. Un-

IV. Kreislauf.

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Untersuchungen über den Kreislauf des

Blutes, und insbesondere über die Be¬ wegung desselben in den Arterien und Capillargefafs en; mit erklärenden Hindeutun¬ gen auf pathologische Erscheinungen. Vom Dr. G. Wedcmeyer, Königl. Hannoverschem Leib¬ und Ober-Staabschirurgus. Hannover, im Verlage der Hahn’schen Hofbuchhandlung. 1828. 8.' XII und 490 S. (2 Thlr. 8 Gr.)

Es gewährt uns sin besonderes Vergnügen, diese mit so vieler Umsicht und so grofser Bescheidenheit ausgearbei¬ tete Schrift, die einen der wichtigsten Gegenstände in der Physiologie abhandelt, in diesen Annalen anzeigen zu dür¬ fen. In der vier Seiten langen Einleitung stellt der Verf, die verschiedenen Meinungen älterer und neuerer Physiolo¬ gen über die Kräfte, vermöge welcher das Blut in den Arterien und Haargefäfsen sich bewegt, auf. Sie sind vie¬ rerlei. 1) Die Kraft der ganzen Blutcirculation liegt im Herzen. 2) Die arterielle Circulation hängt nicht alfein vom Herzen ab, sondern wird zugleich durch vitale Zu¬ sammenziehungen der Tunica musculosa s. fibrosa wesent¬ lich unterstützt. 3) Die gröfseren Arterien besitzen keine Muskelkraft, noch sichtbare vitale Contractionskraft, und tragen nichts znm Forttreiben des Blutes bei; dagegen aber besitzen die kleineren Arterien und Haargefäfse eigene vi¬ tale Contractionskraft, durch welcjbe sie das Blut ansaugen und forttreiben, und es ist in ihnen der Blutumtrieb grüfsten- theils bereits dem Einflüsse des Herzens entzogen. 4) We¬ der /ie Arterien noch die Haargefäfse tragen durch eigene Contractilität zur Beförderung des Blutumlaufes bei; dieser geschieht vorzüglich durch das eigene Leben und die eigene Thätigkeit des Blutes, und wird durch das Herz allein we¬ sentlich unterstützt.

XIII. Bd. 2. St.

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rV. Kreislauf.

Richtig bemerkt dabei der Verf, dafs eine rein -phy¬ siologische Untersuchung im engeren Sinne nicht genüge, einen einigermaafsen hinreichenden Aufsrhlufs über die Blut- cireulation uud die sie bedingenden Kräfte zu geben; sie mufs nothwendig verbunden sein mit vergleichenden Unter¬ suchungen der Uirculation und ihrer Organe in den ver¬ schiedenen Thierklassen, in Embryonen, mit microscopischen Forschungen, mit Versuchen an lebenden Thieren, mit Un¬ tersuchungen an Mißgeburten mit Mangel des Herzens u. s. w. , mit solchen über die erste Blut- und Gefäßbildung im bebrüteten Ei, in neu sich erzeugenden Theilen, in Ent- ziindungsproducten , und endlich mit Beobachtungen ver¬ schiedener pathologischer Abweichungen der blul bewegen¬ den Organe, der Circulation des Blytes und des Blutes selbst. Und diese Balm hat der würdige Verf. eingeschlagen. Ich will versuchen, sagt er, was ich, von diesen Iiülfsmitteln unterstützt, zu leisten im Stande bin.

Das Werk zerfällt in vier Hauptabteilungen, die mit den Ueberschriften : «erste, zweite, dritte und vierte Unter¬ suchung» versehen sind. Jede dieser Hauptabteilungen besteht selbst wieder aus Abschnitten und Kapiteln.

Die erste Untersuchung handelt sogleich von dem Verhalten der grofsen Arterien in Beziehung auf die Rlut- circulation, da den grofsen und mächtigen Einflufs des Her¬ zens auf den Forttrieb des Blutes in den großen Arterien seit beinahe zwei Jahrhunderten niemand mehr leugnet.

Zuerst stellt der Verf. die Erage auf: Kommen den grofsen Arterien Muskelfasern zu? Von Seite 9 bis 21 giebt der Verf. die Gründe an, wodurch er zu dem Schlüsse be¬ rechtigt zu sein glaubt, dafs die Annahme von Mus¬ kelfasern in der mittleren starren Haut der Ar-

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terien im Menschen und den höheren warmblü¬ tigen Thieren auf einem Irrthume beruht, und solche in der T h a t nicht vorhanden sind. R ec. glaubt jedoch, d^fs der \ erf. hierin zu weit geht. Wenn sich auch die Charaktere der eigentlichen Muskelfaser an

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IV. Kreislanf. 163

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den Fasern der mittleren Haut der Arterien (Tunica muscu- losa) nicht gleich bestimmt und deutlich kund geben, so dürfen wir sie doch nicht aus der Reihe der muskulösen Gewebe verweisen. Prof. Weber zerfällt das Muskel¬ gewebe in drei Glieder, die nur nach dem Grade ihrer Ausbildung verschieden sind, und so nur als Metamorpho¬ sen eines und desselben Gewebes betrachtet werden können. (Dafs die drei Glieder des Muskelgewebes auch verschiedene Lebensäufserungen kund geben , ist eben in ihrer abweichen¬ den Bildung begründet. Doch davon nachher.) Diese Glie¬ der des Muskelgewebes sind: 1) das Uterus-, 2 y das Gefäfs- und 3) das eigentliche Muskelgewebe des Körpers (Muskel¬ gewebe des organischen und des thierischen Lebens).

Das Uterus - Muskelgewebe unterscheidet sich durch ge¬ ringere Röthe und Plattheit der Fasern, die mannigfaltig verflochten und durch vieles und festes Drüsen -Zellgewebe verbunden sind; durch äufserst starkes organisches Zusam¬ menziehungsvermögen bei der Geburt; durch eine grofse Anzahl von Gefäfsen, dagegen durch weniger Nerven. Die Fasern sind im ungeschwängerten Zustande noch blasser, fester, platter, dichter aneinander gedrängt, und daher we¬ niger deutlich sichtbar, aber durch diese Eigenschaften dem Gefafs- Muskelgewebe mehr analog; während die Gebär¬ mutterfasern in» geschwängerten Zustande, indem sie röther, weicher, rundlicher, mehr getrennt (in kleinere Bündel) sind, den sogenannten unwillkührlichen Muskeln nahe kom¬ men. Das Gefäfs- Muskelgewebe zerfällt in das Muskel¬ gewebe der Venen und in das der Arterien. Die Venen¬ fasern sind äufserst zart, weich, wenig röthlich, nur in die Länge verlaufend, mehr getrennt, und sehr sparsam ver¬ breitet, so dafs man sie nur in den grofsen Hohlvenen des Körpers deutlich sieht. Die Arterienfasern dagegen sind derber, härter, platter, weniger elastisch, gelbröthlich, un¬ unterbrochen an- und übereinander gereiht, oder liegend und in querer Richtung verlaufend. Sie erhalten verhält- nifsmäfsig mehr Nerven als Gefäfse. Der grölste 1 heil

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IV. Kreislauf.

des eigentlichen Muskelgewebes zeichnet sich beim ersten Anblick schon'fdurch höhere oder vollkommnere Entwicke¬ lung aus. Die Charaktere sind hinlänglich bekannt, wir wol¬ len sie daher hier nicht angeben, und nur bemerken, dafs ein Theil dieser Abtheilung des Muskelgewebes, der nämlich, welcher mit ganz weichen Tbeilen, häufigen Ausbreitungen u. s. w. in Verbindung steht, unverkennbar als das Verbin¬ dungsglied zwischen den beiden ersten Abtheilungen und der Hauptmasse dieser dritten anzusehen sei. Die Faser- bündcl sind hier weniger stark und getrennt; die Fasern liegen nicht einmal parallel neben einander, sondern verlau¬ fen in Lagen von entgegengesetzten Lichtungen, die sich hier und da sogar kreuzen; ihre Farbe ist blässer, bedeu¬ tende Nervennetzc umstricken sie; die Gefäfsverbreitung bat mit der im geschwängerten Uterus grofse Aehnlichkeit; und sie sind daher unverkennbar dem Uterus- und Gcfäfs- muskelgewebe sehr verwandt. (Man sehe M. J. Weber’s Elemente der allgemeinen Anatomie, S. 63 u. s. w.) Die. abweichenden chemischen Verhältnisse dieser drei Glieder des Muskelgewebes begründen eben ihre von einander ver¬ schiedenen physischen Eigenschaften. Und bei den niederen YVirbellhieren finden wir, wie der Verf. selbst angiebt, am Bulbus der Kiemenarterie die Gefäfsfaser zur eigen- thümlichen oder vollendeten Muskelfaser entfaltet. Was die krankhaften Knochen- und Kalkablagerungen zwischen der Muskel- und innersten Haut betrifft, so gehören sie doch offenbar entweder keiner von beiden, oder nur der inner¬ sten (als serösen) Haut an. Ich habe viele Präparate hier¬ von untersucht, und die Muskelhaut, wenn die Verknöche¬ rung noch keinen zu hohen Grad erreicht hatte, stets nor¬ mal gefunden. Verknöcherungen in den kleineren Arterien, namentlich in der Art. basilaris, habe ich sehr häufig ge¬ funden, und das anatomische Museum zu Bona selbst besitzt das kleine Gehirn einer Frau, woran fast alle Arterien desselben verknöchert sind. Was die leichte Repro- duction der Arterien betrifft, so darf sie theils hier gar

IV. Kreislauf.

16 5

nicht in Anschlag gebracht werden; denn das Gefäfs repro- ducirt sich wohl nur, nicht aber die Tunica musculosa; und wenn auch, so kann sich ja und mufs sich die niedere Bil¬ dung eines Gewebes leichter regeneriren, als die höhere und vollkommene. Die Reproduction des Uterus -Muskel¬ gewebes in der Schwangerschaft dürfte auf jeden Fall die¬ sen Einwurf gänzlich ausgleichen7 und zwar um so mehr, da wir auch hier, wie vorhin bei der Kiemenarterie, bei den Thieren, und zwar schon bei den Säugethieren, die unvollkommen entwickelte Uterus -Muskelfaser des Menscheu zur wahren Muskelfaser entwickelt finden. Diese durch¬ greifende Harmonie kann nicht zufällig, nicht bedeutungs¬ los sein! Rec.

Die zweite Frage, welche der Wrf. aufstellt, ist: Besitzen die grofsen Arterien Irritabilität oder vitale Contractionskraft, und dadurch Einflufs auf den Blutumtiieb?

Der Ilr. Verf. handelt diese Frage von S. 21 93 auf eine Weise ab, die ihm nur Ehre bringen kann. Er berücksichtigt die verschiedenen Meinungen über diesen Gegenstand ausführlich, und beleuchtet ihren Werth oder Un werth. Die vielen und genauen Versuche, die er, um die Frage entschieden zu lösen, angestellt hat , erhöhen und begründen noch mehr sein Urtheil.

Die Resultate dieser Untersuchungen sind:

1) Die Arterien besitzen keine Irritabilität; denn ihre Fasern reagiren weder auf mechanische, noch galvanische Reize, und sie sind nie gleich nach dem Tode leer vom Blute, und in keiner Periode völlig contrahirt.

2) Die geringe Contractilität, welche Verschuir, Zimmermann, Hastings u. a. beobachtet haben wol¬ len, trat nie im ruhigen Zustande, sondern immer nur auf heftige abnorme, mechanische oder gar auf nichts bewei¬ sende chemische Reize ein, und zwar so langsam und schwach, dafs sie auf den kräftigen und raschen 1 orttricb des Blutes in den Arterien nicht von irgend einem wesent-

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IV. Kreislauf.

liehen Einflüsse sein, und in keiner Hinsicht mit einer Muskelkraft verglichen werden kann.

3) Dagegen besitzen die Arterien einen hohen Grad von Elasticität sowohl in den Längen- als , Breiten -Dimen- sionen. Daher a) erweitern sie sich um etwas bei jeder Systole der Herzkammer; b) verengern sie sich bei der Diastole des Herzens; c) ist der Blutlauf aus einer geöffne¬ ten grofsen Arterie nicht interrnittirend , sondern remitti- rend. Die Arterie ersetzt durch ihre Elasticität den Theil der Kraft, welchen das Herz vorher auf Ausdehnung der Arterie verlor. Sie entleert dadurch nach der Systole des Herzens noch einen Theil des in ihrem Canale enthaltenen Blutes, bis sie durch die erneuerte Systole des Herzens wieder ausgedehnt wird. Nur bei sehr kräftiger Circulation wirkt die Systole des Herzens und die Elasticität der Arte¬ rien so häufig und kräftig, dafs der Blutflufs fast gleich- mäfsig erfolgt. Je mehr aber Blut verloren geht, je schwächer das Herz wirkt, desto remittirender, und später sogar intermittirender wird der Blutflufs; d) daher springt das Blut aus dem Zwischenraum einer vom Blute ausge¬ dehnten Arterie zwischen zwei Ligaturen, wenn sie ange¬ stochen wird, per saltum heraus, und es erfolgt eine Veren¬ gerung ihres Canals; e) daher verengert sich eine Arterie lim etwas unterhalb einer Ligatur, nach Verblutungen im Tode, und treibt noch einen Theil des in ihr enthaltenen Blutes fort.

4) Die Arterienhäute befinden sich im normalen Zu¬ stande der Circulation beständig durch das in ihnen enthal¬ tene Blut in einem ausgedehnten Zustande, welcher durch jede Systole der Herzkammer noch vermehrt wird.

5) Der Pulsschlag entsteht a) theils durch jedesma¬ lige Erweiterung der Arterie, b) durch Locomotion der Arterie, theils indem sie sich bei dem Stofs des Herzens auf die Blutsäule an den Winkeln und Krümmungen gerade zu strecken strebt, theils iudem sie bei der Erweiterung,

IV. Kreislauf.

167

welche sie durch die Systole des Herzens erleidet, nach der am wenigsten Widerstand leistenden Seite ausweicht.

6) Die Summe der Arterienäste besitzt eine gröfserc Capacität, als der Stamm der Aorta; mithin mufs caeteris paribus das Blut nach hydraulischen Gesetzen schneller in der Aorta als in ihren Aesten sich bewegen, um so mehr, da das Blut im Fortströmen durch die Arterien, durch die Reibung der Blutkügelchen, die Winkel und Krümmungen der Arterien mancherlei Hemmung erfährt.

7) Der derbe Bau der mittleren Arterienhaut hängt vorzüglich von dem gröfseren Stofse ab, den dieselbe durch das vom Herzen fortgetriebene Blut erleidet. Daher a) ist der Bau der Aorta derber, als der der Lungenarterie; we¬ niger jedoch in einigen tauchenden Thieren, in welchen der rechte Herzventrikel fast eben so kräftig als der linke ist; b) ist die mittlere Haut in den Hirnarterien hinter ihren zahlreichen Krümmungen schwächer; c) ist sie um so schwä¬ cher, je mehr die Arterien sich zertheilen, vom Herzen entfernen und die Pulsationen verlieren; d) ist sie schwä¬ cher oder fehlt ganz in allen kaltblütigen Thieren, deren Herz schwächer ist, deren Arterien keine Pulsationen erlei- den, oder deren Gefäfssystem überhaupt mit keinem Her¬ zen versehen ist; e) ist sie arn stärksten an den Bifurcatio- nen und den convexen Wandungen der Arterien, welche einen stärkeren Stofs erleiden.

P\ec. erlaubt sich hier nun, an die oben gemachten Bemerkungen über den Bau der mittleren Arterienhaut, einige Bemerkungen über ihr Leben oder ihre Function

anzureihen. I) Die Fasern der mittleren Arterieuhaut

sind nur unvollkommen entwickelte Muskelfasern; ihre Le- bensäufserunge'n müssen daher auch von diesen verschieden oder unvollkommen sein. Durch die so bedeutende und fast ununterbrochene Expansion der Gefäfsmuskelfasern , in¬ dem ja eine Blutwelle die andere verfolgt, wird zum 1 heil ihr Contractionsvermügen aufgehoben, oder kaum wahr-

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IV. Kreislauf.

nehmbar. Es ist bekannt, dafs, wenn die eigentlichen Muskelfasern längere Zeit hindurch ausgedehnt •werden, ihre Function zum Theil leidet, oder ganz aufgehoben wird, und dafs dann gleichzeitig eine gröfsere oder gerin¬ gere Veränderung in dem I)au der Muskelfasern eingetre¬ ten ist; namentlich werden sie hhsser, platter und derber, und conlrahiren sich auf angebrachte Reize wenig oder gar nicht;' und überhaupt glaubt Rec., dafs das eigent¬ liche Contractions vermögen der G e fsmuskel- faser darin besteht, dafs sie ihre höchst mögli¬ che passive Expansion verhindert, und so zu glei¬ cher Zeit den Theil der Kraft, welchen das Iierz auf die jedesmalige Ausdehnung der Arterien verwendet, ersetzt. Dadurch leisten die Gefäfsmuskel- fasern für die Circulation des Blutes schon einen wesentli¬ chen Dienst! Mehr Antheil bin ich weit entfernt ihnen zu- zfischreibcn , und ich erlaube mir hier nur noch zu bemer¬ ken, dafs, wenn die Uterus- Muskelfasern in der Schwan¬ gerschaft die höchste Stufe ihrer Ausbildung erreicht haben, sie gleichzeitig ihr vitales Contractionsvermögen an ‘den Tag legen, und so die Frucht zu Tage fördern. Dieses ist mir die wahre und einzige Triebfeder der Geburt!

Die zweite Untersuchung handelt (von Seite 102 bis 336 ) über die Bewegung des Blutes in den kleinsten Arterien und II a a rg c fs e n ; die dritte Untersuchung (von Seite 336 418) über die von mechanischen Kräften unabhängige Bewe¬ gung des Blutes, und die vierte Untersuchung (von Seite 418 485) belehrt uns über die Erscheinun¬ gen der Haarröhrchenkraft im thierischen Kör¬ per, und deren Einflnfs auf den Forttrieb der Säfte in den Ilaargefäfscn. Wir geben zuerst die allgemeine Uebersicht.

In der zweiten Untersuchung theil t der Verf. zuerst wieder die verschiedenen Meinungen, Ansichten und Beob- achtungen der Schriftsteller (von S. 105 179), und

IV. Kreislauf.

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hierauf seine eigenen Versuche und Beobachtungen (von S. 1/9 245) mit, die alle Aufmerksamkeit verdienen. Nun folgen (I. Abschnitt.) allgemeine Bemerkungen über das Blut und über den Bau, die Vertheilung und die Uebcr- gänge der kleinsten Arterien und Haargefäfse, von S. 245 bis 259. Erstes Kapitel (S. 259 266). Uebergang der Arterien in die Venen. Zweites Kapitel ( S. 266 271 ). Uebergang der Arterien in 'die Lymphgefäfse. Drittes Ka¬ pitel ( S. 271 273). Uebergang der Arterien in abson¬ dernde Gefäfse. Viertes Kapitel (S. 273 292). Ueber¬ gang der Arterien in Vasa serosa, exbalantia und aushau¬ chende Poren. Zweiter Abschnitt. Ueber die Kräfte, vermöge welcher das Blut in den kleinsten Arterien und Haargefäfsen bewegt wird. Erstes Kapitel (S. 292 324). Einflufs des Herzens auf den Haargefäfs- Kreislauf. Zweites Kapitel (S. 324 344). Die Contractilität der kleinsten Arterien und Haargefäfse, und deren Einflufs auf den Kreis¬ lauf des Blutes.

Die dritte Untersuchung zerfällt gleichfalls in zwei Abschnitte, wovon der eine die physiologischen (S. 345 bis 381), der andere die pathologischen (S. 381 419) Erscheinungen, welche für die von mechanischen Kräften unabhängige Bewegung des Blutes sprechen, enthält.

Die vierte Untersuchung zerfällt in vier Abschnitte. I. Abschn. Einflufs der Haarröhrchenkraft auf die Erschei¬ nungen der Absorption (S. 445 - 458). II. Abschn. Ein¬ flufs der Haarröhrchenkraft auf die Erscheinungen der Ex- halation (S. 458 472). III. Abschn. Einflufs der Haar¬ röhrchenkraft auf die Erscheinungen der Ernährung und Absonderung (S. 472 482). IV. Abschn, Einflufs auf die Bewegung des Blutes (S. 482 486).

Wir geben nun die Resultate, welche der Verf. durch diese vier umfassenden Untersuchungen gewonnen hat, und die er selbst zusammenstellt:

1) Je mehr die gröfseren Arterien sich zerasteln und verfeinern, desto mehr verfeinern sich auch deren Häute-,

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170 .

IV. Kreislauf.

insbesondere ihre mittlere Membran, so dals sie sieb zuletzt in den einfachen Zellstoff verlieren und die Haargefäfse nur noch durch Furchen oder Canälchen, welche in diesen Schleim- oder Zellstoff eingegraben sind, gebildet werden. Im Uebergange der Haargefäfse zu den 'S enen verdichten sich allniählig wiederum die Wände der Blutströmchcn eben so zu wirklichen Membranen, wie auf der andern Seite die Membranen der Arterien sich allmählig zu einfachem Zell¬ stoff verfeinerten.

2) Der Uebergang des Blutes von den Arterien zu den Venen geschieht durch unmittelbare Ilaargcfäfs- Anasto- mose. Ob die Arterien auch direete Uebergange zu den Lymphgefäfsen und den Ausführungsgängen der absondern¬ den Organe besitzen, ist weder erwiesen, noch wahrschein¬ lich. Höchst wahrscheinlich ist es dagegen, wo nicht er¬ wiesen, dafs es so feine, aus den arteriellen Ilaargefüfsen entspringende, zu den Venen übergebende, oder als aus¬ hauchende Gefäfse sich verlierende (seröse) Canälchen giebt, dafs sie permanent oder nur temporär keine Kügelchen mehr aufzunehmen und nur Blutwasser zu führen im Stande sind.

3) Je mehr die Arterienstämme sich zu Aesten, Zwei¬ gen und Beiserchcn zertheilen und verfeinern, desto mehr nimmt die Capacität der Summe der letztem zu der der erstem zu; je mehr dagegen die Haarcaoälcben sich wie¬ derum zu stärkeren Venenzvveigen , Aesten und Stämmen vereinigen, desto mehr nimmt die Capacität der Summe der Gefäfse ab, so dafs die Summe der Haargefäfse eine gröfsere Capacität besitzt, als diejenige der Arterien- und Venenzweige- Aeste oder Stämme zusammengenominen ist. Die Capacität der Venen ist ebenfalls größer, als diejenige der Arterien zusammengenommen.

4) Das Herz ist bei weitem die wichtigste Triebfeder der Blutbew'egung in den Haargefälsen und Venen, und zw'ar vorzugsweise durch seine Stofskraft; in einem gerin¬ geren Grade wird diese noch unterstützt durch die Saug¬ kraft der Vorhöfe.

I\ . Kreislauf.

171

Die Exspiration wirkt auf den Riickflufs des Blutes aus den Hohladern zum Herzen hemmend ein, indem das Zusammensinken der Lungen den Forttrieb und die Entlee¬ rung des Blutes aus dem rechten Herzen, und daher dessen Saugkraft erschwert und schwächt. Die Inspiration wirkt dagegen befördernd auf diesen Vorgang ein.

5) An den kleinsten Arterien sieht man im ruhigen Zustande des Kreislaufs unter dem Mikroscop keine andern Bewegungen (weder Erweiterungen noch Verengerungen), als gewisse Locomotionen, namentlich an ihren Winkeln und Krümmungen. In den Haargefäfsen fallen auch diese Locomotionen aus begreiflichen Gründen weg, und nur bei verstärktem Blutandrange und Stockung des Blutes sieht man eine Erweiterung ihrer Kanäle, so wie gegentheils bei grofsein Blutverluste eine Verengerung derselben.

6) Bei kraftvoller, völlig ungestörter Circulation , geht die in den gröfseren Arterien noch bemerkbare, stofsweise verstärkte, remittirende Bewegung des Blutes in den klei¬ neren Arterien und Haargefälsen immer mehr in eine con- tinuirliche über, indem sich der stofsweise Einflufs des Her¬ zens auf die Blutsäule in den zahlreicheren kleineren Ge- fäfsen immer mehr verliert, theils wegen zunehmender Capacität ihrer Canäle zusammengenommen, theils wegen der vielfachen Reibungen und Hindernisse, welche das Blut in seinem weiteren Fortgänge durch die vielfach gekrümm¬ ten und zerästelten Gefäfse erleidet. Nur bei gröfserem Blutmangel, Schwäche der Herzbewegung und anderweiti¬ gen Störungen im Forttriebe des Blules, beobachtet man auch noch in den kleinsten Arterien und Haargefäfsen, und selbst noch in den Anfängen der Venen der Thiere über den Fischen, den stofsweisen Impuls des Herzens auf die Blutsäule.

7) In den Ilaarcanälchen bemerkt man übrigens durch mancherlei eintretende Störungen und Hemmungen im Fort¬ gange des Blutes sehr häufig eine sehr ungleiche Schnellig¬ keit der Blutkügelchen, sowohl in einem und demselben

172

IV. Kreislauf.

Ilaargefäfs, als wenn man verschiedene gleichartige Ilaar- canälchen zu gleicher Zeit in dieser Hinsicht mit einander vergleicht. Hieran sind schuld: temporärer und partieller Druck, welchen die einzelnen Haarcanälchen oder die ihnen entsprechenden Arterien und Venen erleiden; temporär ge¬ schwächte Kraft des Herzens, eintretende Muskelbewegun¬ gen, Blutmangel u. s. w.

8) Die Schnelligkeit der Blutbewegungen ist bei nor¬ maler kräftiger Circulation in den Arterien gröfser, als in den an Capacität sie überwiegenden Venen. Am langsam¬ sten aber ist sie in den Haarcanälchen, thcils wegen ihrer gröfseren Capacität, theils wegen der vielfachen Reibungen und Hemmungen, welche die Kügelchen im Durchgänge durch sie erleiden.

9) Im Allgemeinen aber ist die Schnelligkeit des Blut¬ laufs in den Haargefäfsen um so geringer, je schwächer der Herzschlag ist, je gröfser der Blutmangel, je feiner die Haarcanälchen und je entfernter sie vom Herzen sind, je mehr 'Winkel und Biegungen die Gefäfscanäle machen (we¬ gen der dadurch vermehrten Reibung und Hemmung, welche die Blutkügelchen in ihrem Fortgänge erleiden), und je mehr der Riickflufs durch die Venen erschwert ist.

10) Die Blutkügelchen bestehen aus einem wahrschein¬ lich Faserstoff enthaltenden Kern, und einem diesen Kern umgebenden, Blutfarbestoff und Wasser enthaltenden Bläs¬ chen, und schwimmen im Blutw'asser, mit welchem sie ein mechanisches Gemenge bilden. Im Blute von Fieberkran¬ ken, in solchem, welches, in Kuchen und Serum geschie¬ den, mehrere Tage gestanden hat, und in solchem endlich, dem Wasser zugemischt ist, zerfallen eine Menge Blutkü- gelchen, ihr Färbestoff löst sich im Blutwasser auf und färbt dasselbe dunkelroth.

11) D ie kleinsten Arterien gewinnen im directen Ver¬ hältnisse zu ihrer Zerästelung und zu dem allmähligen Ver¬ schwinden ihrer mittleren Haut an Nervenreichthum und au eigener vitaler Contractilität. Indessen äufsert sich diese

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V. Bildung des Eies.

nibht im ruhigen Zustande der Circulation, sondern nur auf besondere abnorme (mechanische, galvanische, vitale u. s. w.) Reize, und hat auch da, wo sie in Wirksamkeit tritt, keinen den Blutflufs befördernden, vielmehr einen denselben hemmenden Einflufs. In den gefäfslosen feinsten Blutcanälchen fällt alle Contractiiität weg, und auch in den Venen beobachtet man keine auf Reizungen erfolgende, den Forttrieb des Blutes befördernde Contractiiität oder Bewegung.

12) Es ist wahrscheinlich, dafs der Kreislauf des Blutes, zumal in den Haarkanälchen , in einigen Thieren ohne Herz, bei einigen pathologischen Zuständen und so durch eine gewisse vitale Anziehung des Blutes zu den verschiedenen Organen unterstützt wird. Nur in wenigen herzlosen Wür¬ mern und Insecten vertritt die Contractiiität der Gefäfse die Stelle des fehlenden Herzens.

13) In den niedrigsten Thieren, in den Zoophyten, scheint die ganze Bewegung der Säfte vorzüglich, ja viel¬ leicht allein durch die Haarröhrchenkraft bedingt zu wer¬ den, so wie dieselbe auch von grofsem, unverkennbaren Ein¬ flufs auf die Vorgänge der Absorption, Exhalation, Ernäh¬ rung und Absonderung höherer Thiere ist.

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De O vi mammalium et hominis genesi, epi- stolam ad Academiam imperialem scientiarum Pe- tropolitanam dedit Carol. Ernestus a Baer, Zool. P. P. O. Regiom. Cum Tab. aenea. Lipsiae, sumpt. Leop. Vossii. MDCCCXXVII. IV und 40 S. (1 Thlr. 16 Gr.)

In der Anrede an die Mitglieder der Petersburger Aca- demie der Wissenschaften sagt der Verf. (S. II.), dafs. es

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V. Bildung des Eies.

ihm geglückt sei, die ersten Anfänge der Eier der Säuge- thicre und des Menschen in dem Eierstocke zu entdecken, welche Jahrhunderte hindurch vergebens gesucht seien; allein bereits Home hat bei dem Menschen ein wirkliche* Ei (nicht Graafsche Bläschen) in dem Eierstocke gleich nach einem Beischlafe gefunden , und ich seihst habe etwas spä¬ ter ') nachgewiesen, dafs sich diese Eier bereits vor der Befruchtung in den Graafschen Bläschen bil¬ den, und zwar war ich im Stande die alimählige Entwicke¬ lung derselben an der, aus dem Eierstocke hervorragenden Wand der Graafschen Bläschen zu beschreiben, wie ich sie mit unbewaffneten Augen bei Kühen wahrgenommen hatte. Zwar sagt der Yerf. (S. 111.): »«De ovulis a vesi- culis diversis in ovariis obviis vix mentio fit ab auctoribus, inter quos unum tantum inveni, qui ovula vera fortasse (nein, wirklich habe ich sie gesehen!) vidit, sed tarn male descripsit (!!!), ut ohservata ejus omnino neglecta sint. ** Allein .an meiner schlechten Beschreibung lag es nicht, dals meine Abhandlung nicht beachtet wurde, höchstens konnte es daran liegen, dafs ich versäumt hatte, Abbildungen bei¬ zufügen, welche ich deshalb in kurzem in jener Zeitschrift nachliefern werde, wo man dann wird entscheiden können, ob ich die Baer schen Eier wirklich gesehen, und ob ich sie so schlecht beschrieben habe, wie von Baer bemerkt. Zwar setze ich keinen persönlichen W erlh auf irgend eine physiologische Entdeckung, allein die Geschichte der Wis¬ senschaft will ihr Recht haben.

INun zum eigentlichen Inhalte der Schrift. Bei der Beschreibung eines IIundes-Fülus bemerkt der Yerf., dafs die Flocken des Chorions (welches er Rin den haut nennt) keinesweges, wenigstens im Anfänge, aus Gefäfsen, sondern, wie er sich durch das Mikroscop überzeugt hat, aus Zellgewebe, ohne irgend eine Spur von Gefäfsen,

1) S. Me ekel ’s Archiv f. d. Phyiiol. vom Jahre 1822. Band VH.

V. Bildung des Eies.

175

bestehen. Die innere, an der Innern Wand mit Körnchen besetzte Eihaut (Membrana erythroidea oder Veslcula um¬ bilicalis), nennt der Verf. Darmsack (Saccus intestinalis). Der Embryo glich in allen Stücken vollkommen dem Vogel- Embryo. Das aus dem Herzen entspringende arterielle Hauptgefäfs theilte sich erst in vier Bogen, und verei¬ nigte sich dann, wie bei den Fischen, wieder am Rück- grath. Aus dem vordersten Bogen ging ein Ast nach dem vorderen Theile des Kopfes, der zweite Bogen gab einen Ast vor der Stelle des nachherigen Ohres, der dritte Bo¬ gen einen Ast hinter dieser Stelle ab; der erste und zweite Bogen auf beiden Seiten nahm aus einer Art von Bulbus seinen Ursprung. Dieselbe Bildung des Gefäfssystems hatte der Verf. beim Hühnchen im Eie oft beobachtet, und schon im Sommer 1826, bevor Huschke seine Ent¬ deckungen bekannt machte, theilte er seine Wahrnehmun¬ gen dem Hrn. Dr. Rathke mit, wobei er äufserte, dafs er glaube, dafs die Löcher, welche Rathke beobachtet, ihre Entstehung der Bildung des Gefäfssystems verdanken, wovon sich der Verf. dann auch nachher völlig überzeugt hat (s. Isis 1825. S. 747 und 1100). Während Hr. v. B. diese Abhandlung schrieb, beobachtete er dieselbe Gefäfs- bildung in sehr zarten Embryonen der Natter und der ge¬ meinen Eidechse; von den Fröschen und Salamandern war dies längst bekannt, so wie dafs allen Wirbelthieren im Embryonenzustande eine solche Bildung des arteriellen Ge¬ fäfssystems eigen ist. Nach den Beobachtungen des Verf. entsteht der Fundus des D armkan als nicht, wie Wolff glaubt, durch das Zusammen wachsen zweier Falten. Es wachsen zwar allerdings die Falten des Gefäfsstratums der Bildungshaut (Plastoderma) zusammen, wodurch das Me¬ senterium gebildet wird , d ie S c h 1 e i m h a u t des Darm¬ kana 1 s aber wird daraus hervorgetrieben, und bildet den Boden und die W ä n d e des Oarmka- nals, welches der Verf. an einem anderen Orte weiter auszuführen verspricht. (Auch ich habe, bereits vor meh-

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V. Bildung des Eies.

reren Jahren, dasselbe beim Küchelchen im bebrüteten Eie wahrgenommen , dafs nämlich die W o 1 ffschen Falten nicht den eigentlichen Darmkanal bilden, sondern nur das Mesen¬ terium und die äufscre seröse Membran des Darmkanals, dafs aber der eigentliche Darmkanal als ein gleich von An¬ fang an geschlossener Canal seinen Ursprung aus der Fovea cardiaca (dem nachherigen Magen) auf die Art nimmt, dafs sich aus dem Fundus derselben ein dünner, anfangs gera¬ der, nachher mannigfaltig gewundener Canal bildet, der sich erst in einer viel späteren Periode in der (irgend des nachherigen Anus öffnet. Ref. ) Wo der Vcrf. weiter¬ hin von den Eierchen in dem Eierstocke der Hün¬ din spricht, sagt er, dafs man, ohne allen Einschnitt in das G raafsche Bläschen, beinahe in einem jeden derselben, schon mit blofscn Augen, einen gelblichwcifsen Punkt un¬ terscheide, welcher frei in dem Graafschen Plüschen schwimme (dies habe ich nicht beobachtet, sondern bei den Kühen safs das Eichen, wenigstens vor der Befruch¬ tung, an der inneren Wand des Graafschen Bläschens fest. I\ef.), und welchen er für das eigentliche Ei hält. Unter dem Mikroscope zeigte dasselbe ein undurchsichtiges, körniges Centrum, mit einem durchsichtigen Kreise umge¬ ben. Das eigentliche Ei ist mit einem breiten Limbus, gleich dem Ringe des Saturns , umgeben, der bei stärkerer Vergröfscrung als aus halbdurcbsichtigen Körnchen zusam¬ mengesetzt erscheint, und fest mit dem Eichen zusamrnen- bängt. Die gröfseren dieser Lierchen hatten T\j bis einer Pariser Linie irn Durchmesser, die kleineren, deren Centrum weniger undurchsichtig war, hatten kaum YT5 einer Linie im Durchmesser. Die Gröfse der Eierchen variirt bei den verschiedenen Thiergattungen sehr; ziemlich grofs sind sie

bei den Schweinen, Kühen und Schafen; kleiner bei den

#

Kaninchen, noch kleiner, als bei diesen, bei den Hunden, und sehr klein, nach Verhältnifs des Eierstocks und des ganzen Körpers, hei dem Weibe. Beim Igel sah der Yerf. die gröfsten Eichen, sowohl im Yerhältnils zu den Graaf¬ schen

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V. Bildung des Eies.

4

sehen Bläschen, als zu der Gröfse des Thicres, Auch be¬ merkt er, dafs er einmal bei einer Hündin sehr deutlich zwei Eichen in einem Graafschen Bläschen gesehen habe, und dafs er ein andermal bei einer Sau ebenfalls zwei Eichen in einem Bläschen glaubt gesehen zu haben, woraus denn zu erklären wäre, dafs die Zahl der Corpora lutea nicht immer mit der Zahl der Eichen übereinstimmt. Bei der Beschreibung der allmähligen Entwickelung des Eichens in dem Graafschen Bläschen stellt der \erf. die Meinung auf, dafs das Eichen wahrscheinlich schon vor dem Graaf-' sehen Bläschen da sei, und vergleicht das Eichen der Säuge- thiere mit dem von Purkinje *) beschriebenen Bläschen in den Eierchen des Eierstockes der Vögel, welches Bläs¬ chen, nach unsers Verf. Beobachtungen, bei den Mollusken, namentlich bei den Acephalen und bei den Regenwürmern, der Bildung der Eier bestimmt vorhergehe. (Dieser An¬ sicht kann ich nicht meine Beistimmung geben, sondern ich glaube mit hinlänglicher Sicherheit, nach meinen Beobach¬ tungen an den Eierstöcken gröfserer Säugethiere, nament¬ lich der Kühe, annehmen zu dürfen, dafs bei den Säuge- thieren erst zur Zeit der Pubertät an der inneren Wand der innersten, schleimhautähnlichen Membran des Graaf¬ schen Bläschens die Bildung der Eichen vor sich gehe, Ref.) Am Schlüsse der Abhandlung sagt der Verf., dafs das Graaf- sche Bläschen das wahre Ei der Säugethiere sei. (Im Allgemeinen stimmt Ref. mit dieser Ansicht überein, allein ganz so, wie der Verfasser es mij: den Graafschen Bläschen nimmt, ist es nicht, denn eigentlich entspricht das Graafsche Bläschen der Säugethiere nur der Ei-

1) J. Er. BlumenbacKio summorum in mcdicina ho- norum sernisaecularia gratulatur ordo medicorum Vratislavien- siura, interprete Joanne Ev. Purkinje P. JP. O. Subjectae sunt Symbolae ad ovi avium historiam ante incubationcrn ; cum 2 lilhographis. Vratisl. typis univ. (anno 1825 mense Sept. cd. ) Ist nicht in den Buchhandel gekommen. S. Bd. V. II. 2. S. 154 d. A,

•XIII. Bd. 2. St. 12

/

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VI. Syphilis.

sch aale mit der Eiliaut und dem Eiweifse, die Sch aa¬ le nhaut mit der kalkigen Sch aale entspricht näm¬ lich ganz dem Corpus luteum der Säuget hie re, und das Eiweifs ist durchaus analog der eiweifsartigen Feuch¬ tigkeit, welche das Graafsche Bläschen erfüllt. Der Dot¬ ter aber nebst der Cicatricula des Vogeleies entspricht dem eigentlichen, von mir entdeckten Säugethier -Eichen. Es findet blofs zwischen dem Säugethier- und Vogel - Eichen der Unterschied statt, dafs das eigentliche Vogel -Eichen der sogenannte Dotter mit der Cicatricula, in seinem Bil- dungsbläschen (dem sogenannten Weifsen des Eies) einge¬ schlossen aus dem mütterlichen Schoofse ausge^tofsen wird, während bei den Säugethieren das Bildungsbläschen wäh¬ rend oder bald nach der Befruchtung berstet, in dem Eier¬ stocke zuriickbleibt, und nachher als Corpus luteum er¬ scheint. Die Stelle des Bildungsbläschens vertritt nachher hei den Säugethieren die Membrana decidua II unter! und die Placenta uterina. Bef.)

Plagge.

Beobachtung einer seltenen Form von syphi¬ litischem Allgcmeinleiden ;

von

einem praktischen Arzte.

Wenn aus dem langen Verzeicbnifs der über syphiliti¬ sche Krankheitsformen berausgekommenen Schriften auf das Fortschreiten der Erkenntnifs und Behandlung derselben geschlossen werden dürfte, so liefse sich annehmen, dafs nur weuige Theile des ärztlichen Wissens sich solcher Vor-

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YI. Syphilis.

theile zu erfreuen haben. Schon die Zahl der bis aufGir- tanner erschienenen Druckschriften rechtfertigt diese Be¬ hauptung, aber auch nach jener Epoche wurde dieser Theil der medicinischen Litteratur am fleifsigsten bearbeitet, wenn auch oft mehr aus Nebenabsichten, als um die Wissenschaft mit neuen, besseren Ansichten zu bereichern.

So unverkennbar aber auch die Leistungen hierin waren, so kann dennoch nicht geleugnet werden, dafs so manche Forderungen an die Wissenschaft noch geltend ge¬ macht werden können, indem das Wesen der Syphilis, ihre verschiedenen Modificationen und ihr Verhalten zum Leben überhaupt, weder gründlich genug erfafst ist, noch ihre Behandlung sich viel über die Empirie erhoben hat. Es wäre überflüssig, dies mit Beweisen zu belegen, da schon die noch gänzlich unbekannte Wirkungsart des Quecksilbers eben s’o sehr, als die selbst von angesehenen Aerzten ange¬ nommene Wirksamkeit einer Anzahl empirischer Mittel hin¬ reichende Bestätigung hierüber gewähren.

Die völlig von einander abweichenden Meinungen der erfahrensten Aerzte über den Vorzug einzelner Quecksilber¬ bereitungen, oder Methoden ihi^er Anwendungen, vor an¬ deren, stimmen ebenfalls hiermit überein.

Wir müssen daher fortfahren, um auf dem einzig sichern Wege der Erfahrung die Heilmethode der Syphilis zu berichtigen, sowohl den Gang dieser Krankheit genauer zu erforschen, als die Resultate der verschiedenen Behand¬ lungsarten gegen einander zu vergleichen. Es mufs uns daher immer noch jeder Beitrag, der niedergelegte Erfah¬ rungen bestätigen, oder widerlegen könnte, sehr willkom¬ men sein , durch welchen wir uns der Vervollkommnung der Behandlungsart immer mehr nähern. Folgende interes¬ sante, nach der strengsten Wahrheit erzählte Krankenge¬ schichte einer syphilitischen Ansteckung auf indirectem Wege, dürfte als Warnung dienen, die eintretende Ansteckung nicht zu übersehen, oder es zu leicht damit zu nehmen, was bei der indirecten eher möglich ist, auch im Fortgange der

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I

180 VI. Syphilis.

Krankheit, wo dringendere Erscheinungen jeden Zweifel über ihre Natur widerlegen, nicht erst spät das vergeblich tu thun, was früher mit Erfolg hätte unternommen wer¬ den können.

Ein sehr geschätzter Arzt und Geburtshelfer, dem in letzter Eigenschaft die Vorsorge der öffentlichen Anstalten einer bedeutenden Stadt anvertrauet war, zog sich in »len letzten Tagen des Septembers im Jahre 1820, beim eiligen Eröffnen einer Thür, eine V erletzung des vordersten Ge¬ lenkes des vierten Fingers zu. Die Wunde blutete zwar ein wenig, war aber im Ganzen unbedeutend, wurde daher nicht berücksichtigt, endlich völlig aufser Acht gelassen.

Viele Krankenbesuche, mehrere schwere Entbindungen, wozu auch die Nächte bei rauher Herbstwitterung verwandt werden mufsten, hatten ihn abwechselnd der Erhitzung und Erkältung ebensowohl ausgesetzt, als seine Kräfte herun¬ tergebracht, so dafs er unbedingt diesen Ursachen es zu¬ schrieb, als er sich in der Mitte des Octobcrs unwohl fühlte. Schwere in den Gliedern, schlaflose, unruhige Nächte, Mangel an Efslust, fieberhafte Erscheinungen waren »lie vor¬ herrschenden Zufälle, wozu ein Spannen in der rechten Achselhöhle sich gesellte, das sich allmählig vermehrte und mit dem Anlaufen der Achseldrüsen in V erbindung stand.

Am 18. October empfand »1er Kranke zum erstenmal gegen Abend eine Steifheit des Rückens, die ihm selbst das Aufstehen vom Stuhle erschwerte; dessenungeachtet konnte er sich nicht entschliefsen , die Krankenbesuche zu beschrän¬ ken , es wurden sogar bis zum 21sten dieses Monats noch drei Entbindungen verrichtet. Alsdann aber mufste er sich zu Bette legen, und w*?il man das Uebel nur für rheuma¬ tisch hielt, wurden ihm lediglich kühlende, die Ilautwege eröffnende Mittel entgegengesetzt. x

Man sah aber bald ein, dafs er sich hierin irrte; die Transpiration, die man beabsichtigte, trat zwar ein, artete aber in den Morgenstunden in profusen Schweifs aus; das Uebelbefiuden nahm hierbei nicht nur nicht ab, vielmehr

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VI. Syphilis.

verstärkte es sich dadurch, dafs Brustbeklemmung, anhal¬ tender, heftiger Husten und Anschwellen des Halses sich ein fanden. -

Jetzt erst erwachte der Verdacht hei dem Kranken, dafs nicht blofse rheumatische Ursache zuin Grunde liegen möchte, eine andere nicht beachtete es sein dürfte. Die zunehmende Geschwulst der Achseldrüsen , das Anlaufen der Halsdrüsen, zwar ohne dafs im Halse entzündliche Rothe zu bemerken war, die ungewöhnliche traurige Stimmung des Kranken, sein Wankelmuth und seine Unentschlossen¬ heit, betätigten die Vermut!) ung eines tiefer liegenden, un¬ bekannten Uebels.

Das Nachsinnen über Schädlichkeiten, die diesen kläg¬ lichen Zustand herbeigeführt haben konnten, brachte dem Kranken die Untersuchung einer der Schwangerschaft ver¬ dächtigen Weibsperson in Erinnerung, die er ungefähr drei Wochen vorher vornahm, gerade um die Zeit wo er sich am Finger verwendete, bei welcher sich unzweideutige Spuren syphilitischer Ansteckung vorfanden. Die Wunde war schon nicht mehr schmerzhaft, als er die Untersuchung verrichtete, er legte also kein Gewicht darauf, jedoch un- terliefs er nicht, sich nachher zu waschen, blieb übrigens um die Folgen unbekümmert, wie das in einem mit vielen Zerstreuungen verbundenen praktischen Leben nicht selten geschieht.

Jetzt dachte er ernsthaft an die Möglichkeit einer er¬ folgten Absteckung; der Finger wurde nun erst sorgfältig untersucht, der schon längst ohne alle schmerzhafte Em¬ pfindung war, ein gelbbrauner Schorf bedeckte nur noch die schlecht verheilte sehr geringe Wunde, die mit der Loupe beobachtet blofs eine röthere Farbe, aber keine Spur von Substanzverlust durch \ ereiterung merken liefs. Durch Pressen des Fingers zeigte sich keine Empfindlichkeit dieses Theiles, wie es ein im mindesten gereizter Zustand dessel¬ ben hätte erwarten lassen. Der Kranke mufste nun seinen Irrthum einsehen und bekennen, dafs die Unbedeutenheit

j 8*2 \ I. Syphilis.

der Verletzung ihn Hie * Ansteckung auf indirectem Wege übersehen liefs. Mehrere Aerzte, Hie ihn als Freunde be¬ suchten, theilten seine Besorgnifs, und wenn andere es nicht t baten, so konnte sie nur die Rücksicht auf die Ruhe des Kranken dazu bestimmen, indem alle in Ansehung der Be¬ handlung die Ansteckung im Auge hatten.

Unterdessen ging alles täglich schlimmer, die erwähn¬ ten Erscheinungen liefsen nicht nach, dazu traten noch fieberhafte Zufälle, Frost und Hitze wechselten, im Halse stellten sich heftige Schmerzen ein, die Achseldrüse nahm an Gröfe sehr zu, erreichte die Gröfse einer Faust, blieb sich aber lange gleich, so sehr auch Versuche, sie in Ent¬ zündung und Eiterung zu bringen, wiederholt wurden. Das Uebel liefs nun durch mehrere Erscheinungen seine Zunahme und seine Natur aufs Unzweideutigste merken; der unglückliche Kranke, so wenig sein Gemüthszustand ihm Geistesruhe zur Selbstbehandlung übrig liefs, wählte ohne andere darum zu befragen, zum innerlichen Gebrauche den Calomel, den er auch äufserüch in einer Salbe auf die drüsige N erbärtung oft eint eiben liefs. Ueher die syphiliti¬ sche Natur des Uebels waren auch alle ärztliche Freunde, die den Kranken besuchten, einverstanden, nur war man über die Anwendung des Quecksilbers, wie dies oft der Fall ist, nicht von gleicher Ansicht. Einer derselben rieth, den Finger, so spurlos von Verletzung er auch war, einer chirurgischen Behandlung zu unterwerfen. Der anhaltende Gebrauch warmer, erweichender Umschläge loste die Kruste, die die Wunde des Fingers bedeckte, los, unter welcher durchaus nichts Gescliwüriges zu sehen war; es erschienen aber am kranken Finger, so wie auch am nächsten, meh¬ rere kleine Pusteln von weniger Bedeutung, die einige Wochen stehen blieben.

Nach achttägiger Anwendung des Calomels innerlich, und als Salbe, verminderten sich die Zufälle einigermaafsen, die Geschwulst der Achseldrüs« wurde kleiner, die traurige

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VI. Syphilis.

Stimmung fies Gemüths und die Zerschlagenheit in den Gliedern blieben sich aber gleich. Auch war der anhal¬ tende, entkräftende Schweifs über den ganzen Körper sehr lästig, der das Gesicht am stärksten befiel, mit dem ein kupferfarbener Ausschlag, der bei Syphilitischen so oft vor- kommt, zum Vorschein kam.

Der Kranke schien sich seiner Genesung in etwas zu nähern, der Gebrauch warmer Bäder schien vortheilhaft zu wirken, indem Efslust und Schlaf sich merklich besserten, der Ausschlag sich verlor. Der Kranke überliels sich ganz der Hoffnung der Reconvalescenz , nur aus Vorsicht wurde noch mit dem Calomel innerlich und äufserlich fortgeläh- ren. Es verdient hier bemerkt zu werden, dafs der Kranke immer eine vollkommene Gesundheit genols, weder in sei¬ ner Jugend an Scropheln oder sonst woran gelitten hatte, noch später an Syphilis oder andern krankhaften Zufällen.

Nachdem fünf bis sechs Wochen in der angegebenen Kränklichkeit, bei sehr magerer Kost, zugebracht waren, fühlte sich der Kranke kräftig genug, um sich wieder in die Luft, wonach er sehnliches Verlangen hatte, zu wagen, wozu ihm die milde Witterung in den ersten Tagen des Decembers aufforderte; dabei wurde dennoch der Calomel fortgebraucht, ohne dafs eine Spur von Salivation sich zeigte. Er fing nun sogar wieder an Krankenbesuche zu machen; er glaubte, bei zunehmenden Kräften, Eislust und Schlaf nichts mehr zu befürchten zu haben.

In der Mitte des Decembers, bei eingetretener Kälte, stellte sich Schmerz in beiden Schienbeinen ein, etwas Buhe und Wärme waren hinreichend, das Uebel zu stillen. In den letzten Tagen dieses Monats erneuerten sich diese Schmerzen mit vermehrter Stärke, wurden unter der Wade besonders lästig empfunden, wogegen die Anwendung war¬ mer Bäder nichts vermochte. Auch kamen auf den Schul¬ tern, am Bücken, an den Armen wieder Pusteln zum Vor¬ schein; dieser Ausschlag dauerte nur kurze Z.eit, er ver-

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1S4 VI. Syphilis.

schwand so schnell als er erschien. Die Schmerzen hielten aber an, denen das Quecksilber fortwährend entgegenge¬ setzt wurde.

ln der ersten Hälfte des Januars 1821 vermehrte sich der Schmerz in der rechten Wade, an welcher Stelle eine harte Geschwulst von der Grofse einer Kastanie fühlbar wa r, an der keine Spur vou Entzündung entdeckt werden konnte. Dabei war der Kranke sehr leidend, seine Nerven waren sehr angegriffen , von den Lenden bis an die Knö¬ chel wütheten Schmerzen, die alle llnhe raubten, beinahe sechs Wochen lang wurden alle Nächte schlaflos zuge- bravht, wobei der Kranke die Remerküffg machte, dafs beim Untergang der Sonne und um Mitternacht der Schmerz am meisten tobte. Um diese Zeit wurde von Arzneien wenig gebraucht, nur um die Heftigkeit der Schmerzen zu mäfsigen, wurde bisweilen die Opium -Tinctur ange¬ wandt. Die schmerzhafte Stelle an der Wade wurde mit Cataplasmen bedeckt, nach deren achttägigem Gebrauche sich in der Tiefe eine Fluctuation etwas undeutlich wahr¬ nehmen lief». Auch war die Stelle wärmer anzufühien, rüthete sich einigermaafsen und nahm an Umfang zu, es wollte sich aber kein Eiterpunkt zeigen. Der langsame Gang der Entzündung bestimmte die Aerzte, den Aetzstein zum Oeffnen des Geschwürs anzuwenden, nach dessen Ge¬ brauch von zehn Tagen der Schorf sich löste; es lief eine dünne, geruchlose, blutige Jauche aus, der nach wenigen Tagen verdorbener Zellstoff in der Form eines Dochts nach¬ folgte. Die Wunde, die ziemlich rein von Ansehn war, wurde nun einfach behandelt, sie eiterte etwas stärker, je¬ doch war der Eiter dünn, oft mifsfarbig. Am Rande der Wunde befand sich ein kleiner Anhang, der weniger eiterte, sich tiefer in die Muskeln senkte.

Durch das Oeffnen des Furunkels war das Befinden des Kranken in nichts gebessert, die W unde blieb fortwäh¬ rend schmerzhaft und entzündet; Efslust, Schlaf, waren ge¬ ring; der Kranke klagte über Niedergeschlagenheit, Schmer-

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VI. Syphilis.

zen in den Gliedern; er magerte hei andauerndem Fieber ab. Man nahm nun wieder zu den Bädern seine Zuflucht, die einige Erleichterung zu bringen schienen; der Calomel wurde aber nur zu einem Gran des Tages vier Wochen lang fortgebraucht, ungeachtet dieses Mittel schon im An¬ fänge der Krankheit sechs Wochen lang in derselben klei¬ nen Gabe, selbst in Verbindung der Einreibungen dessel¬ ben, ohne gründliche Heilung fortgesetzt worden w^ar.

Nach dem siebzehnten Bade entzündete sich die Wunde rosenartig, ihre Ränder erhoben sich, die Schmerzen wur¬ den unerträglich. Zu diesen traurigen Erscheinungen ge¬ sellte sich eine andere nicht geringere, ein Stück der Achil¬ les-Sehne zeigte sich entblöfst, der Schmerz daran war " unaussprechlich, besonders beim Auftreten, durch ruhige Lage schien sich dieselbe aber wieder zu verheilen.

Da man nun erst anfing die Unzulänglichkeit des Calo- mels einzusehen, so wandte man sich zum Gebrauch des Sublimats, täglich zu einem Gran in vier Unzen Wasser, womit am ersten April der Anfang gemacht wurde. Acht Tage lang ertrug der Kranke die Wirkung dieses Mittels, nachher aber schienen seine Nerven dadurch zu leiden. Er, der vom festesten Charakter war, fing nun an bei der ge¬ ringsten Rührung zu weinen; auch stellten sich Leibschmer¬ zen mit Durchfall ein, die Efslust verminderte sich, man wurde genöthigt davon abzustehen.

Der Zustand des Leidenden wurde nun zusehends be- dauernsw'erther , die Schmerzen in der Wunde und in den Knochen waren des Nachts unbeschreiblich grofs, die ab¬ gemagerten Glieder ertrugen das Sitzen und Liegen nicht ohne das unangenehmste Gefühl; das ununterbrochene Fie¬ ber, das gegen Abend zunahm, die traurige Gemiithsstim- mung trugen dazu bei, den Kranken bis zur äufsersten Verzweiflung zu bringen. Ueberdies stellte sich ein hefti¬ ger Husten mit beschwerlicher Trockenheit des Halses ein, wobei nicht selten feste Schleimpfröpfe von grauer Farbe mit einiger Erleichterung ausgeworfeu wurdeu. Der nutz-

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VI, Syphilis.

lose Gehrauch der Mercurialien in kleinen Gaben wurde nunmehr aus Ungeduld verlassen, an deren Stelle, um dein Fieber und der gänzlichen Entkräftung abzuhelfen, die Fic- berrinde an die Reihe kam. Mit einem Absud derselben wurde vierzehn Tage fortgefahren. Das Uebcl veränderte sich nur wenig; das Befinden im Allgemeinen schien sich etwas zu bessern. Der Monat Mai, auf den man hoffte, brachte keine Besserung; man schlug daher neue Mittel vor. D ie Wahl fiel nun auf ein rein empirisches, auf das De¬ coctum Pollini, das, da es keinen Mercur enthält, als un¬ schuldig, und der Erfahrung nach als wirksam angesehen wurde. In einer Zeit von fünf Wochen verbrauchte der Kranke 34 Flaschen von diesem nur von Empirikern em¬ pfohlenen Mittel, ohne dafs er ihm viel zutraute, und ohne allen Nutzen.

Um diese Zeit war die Wunde von der Gröfse eines grofsen Thalers, bildete ein höchst unreines Geschwür mit aufgeworfenen, höckerigen, entzündeten Rändern, das den Verdacht seines Ursprungs vollkommen bestätigte. Die W unde wurde indessen fortwährend mit manchen äufser- lichen Mitteln behandelt, unter andern mit Sublimatauflö¬ sung, Sabina, Borax u. dergl., alles aber ohne Nutzen.

Schon waren es sechs Monate, die elend zugebracht wurden; die Kräfte nahmen immer mehr ab, der Körper, mehr die unteren Extremitäten, waren äufserst abgezehrt. Der Kranke sah leider nur erst spät ein, dafs ohne zweck- mäfsigeren Gebrauch von Mercurialien an gründliche Hei¬ lung nicht zu denken sei, nur war er über die Art ihrer Anwendung mit sich nicht im Reinen. Die Suhlimatsalbe nach Cirillö in die Fufssohlen einzureiben, in Verbindung* stärkender Mittel und einer ihnen entsprechenden Diät, wurde nun zu brauchen beschlossen. Diese Salbe erregte rothlaufartige Entzündung und Geschwulst der Füfse, sie wirkte zu sehr auf des Kranken sehr reizbare Haut, sie wurde daher milder bereitet, die Entzündung verlor sich, die Geschwulst aber nicht. So wurden zwei Unzen Salbe

\I. Syphilis. J 87

ohne allen Nutzen verbraucht, die Wunde blieb sich gleich und verbreitete einen weit stärkeren Übeln Geruch als frü¬ her. Nachdem alles bisher Geschehene fruchtlos sich bewie¬ sen, verfiel man auf den Gebrauch der Ilungercur, oder der ehemaligen Schmiercur, indem der Mangel an Efslust meist dabei das Hungern bedingte.

Am 21. Juli wurde nach Rust’s Vorschrift mit den Frictionen der Anfang gemacht, die Diät danach einge¬ richtet; man stieg mit der Salbe von einer Drachme bis zu anderthalb Drachmen, und dann zu zwei. Schon am fünf¬ ten Tage verminderten sich die Schmerzen der Wunde und der iibele Geruch, am zwölften stellte sich Salivation ein, die vierzig Tage dauerte, und dem Kranken höchst lästig fiel. D ie Heilung des Geschwürs machte nur langsame Fort¬ schritte, es trocknete mehr in der Mitte und trennte sich in drei Theile, die eiterten, sich vom inneren Rande der Wade um das Bein bis zur Fibula erstreckten , wovon die innerste, gröfste, am meisten verwahrlosete demnach sich am ersten schlofs, hierauf die unterste in der Nähe des Wadenbeins, beide verheilten so gut, dafs sie nichts zu wünschen übrig liefsen. Nur die dritte, obere wollte sich nicht fügen, ein Stückchen Haut, ungefähr drei Linien breit, begränzte den Rand nach innen und oben. Dieses war zwar nicht abgestorben, und konnte sich noch anlegen. Fs wurden daher Bourdonnets mit Sublimatwasser befeuch¬ tet untergeschoben, um die Stelle zu reizen; dies gelang, das lose Stück heilte an, und so schlofs sich die letzte Wunde. Es blieb aber noch eine Wulst mit Röthe und Spannung zurück, von denen die Hoffnung gehegt wurde, dafs sie sich verlieren würden.

Durch die lange, erschöpfende Salivation und Enthal¬ tung von Nahrungsmitteln im höchsten Grade von Kräften gebracht, reiste der Kranke in die Bäder zu Wiesbaden, und zwar weniger in der Absicht davon Gebrauch zu ma¬ chen, als um da mehr Ruhe zu geniefsen , dem Andrang, vieler Besuchenden zu entgehen. An diesem Orte wurden

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\I. Syphilis.

zehn Tage ziemlich gut zugebracht, es wurden kleine Spaziergänge gemacht, obschon nicht ohne Spannen und Schmerz im kranken Fufse.

Nach einem Aufenthalte von elf Tagen in \\ iesbadcn, bemerkte der Kranke ein Knötchen, von der Gröfse einer Bohne, an der zuletzt geheilten Stelle, das an der übrigens festen Vernarbung ansafs. Der Kranke ängstigte sich des¬ halb, die Folge rechtfertigte seine Furcht; nach wenigen Tagen öffnete sich dasselbe, die Oeffnung vergröfserte sich bald, bekam einen unreinen Grund, die Bänder entzünde¬ ten sich, der Schmerz daran wurde heftig. Die Kost wurde nun wieder heruntergesetzt, es wurde in der Nähe der Wunde eine Fontanelle gesetzt, zum innerlichen Gebrauch wurde Plenk’s Mercurius gummosus gewählt, den man bis zur anfangenden Salivation fortzusetzen beschlofs. Der her- anrückende Spätherbst bestimmte den Kranken , den Bade- ort zu verlassen. Zu Hause angekommen, verschlimmerte sich die Wunde, man griff nun wieder zum Calomel, der bei magerer Diät angewandt wurde. Die Bänder zeigten sich eallös, aufgeworfen, der Gestank des Geschwürs wurde unerträglich.

Die offenbare Verschlimmerung unter der jetzigen Be¬ handlung liefs den Beschlufs fassen , davon abzustehen, um einen nochmaligen Versuch mit der Ilungercur zu machen, womit am 13. November des Jahres 1821 der Anfang gemacht wurde. Dieselbe wurde unter augenscheinlicher Abnahme der Kräfte durchgeführt, die Wunde behauptete fortwährend ihren bösartigen Charakter, nach Verlauf von vier Wochen aber, während welcher sie mit Cataplasmen behandelt wurde, zeigte sie anfangende Heilung.

Der Zustand von Entkräftung, der nun eintrat, über¬ traf jede Beschreibung, der Magen nahm keine Nahrungs¬ mittel mehr an, nur wenige, kräftige, leichtverdauliche durften genommen werden. Bei dieser Diät schien er sieb wieder zu erholen, die Kräfte nahmen zu, so dafs er um Weihnachten sich im Stande fühlte im Bette aufrecht zu

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VI. Syphilis.

sitzen, was ihm bis dahin nicht möglich war. Schlaf, Efslust und Munterkeit traten' wieder ein. Dessenun<re-

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achtet hörte die Wunde nicht auf zu schmerzen, es stell¬ ten sich Knochenauftreibungen an den Extremitäten ein, die sich zu entzünden und schmerzhaft zu werden anfingen, bei einfacher Behandlung aber ruhig blieben.

Im Februar des Jahres 1822 schritt man zum Gebrauch von Schwefelbädern, die um den andern Tag genommen wurden, ungeachtet der hohe Grad von Schwäche den Kranken nöthigte, sich in das Bad hinein- und herausheben zu lassen. Mehrere solcher Bäder, verbunden mit einer stärkenden Behandlung, brachten auffallende Besserung her¬ vor, woran die eingetretene warme Jahreszeit gewifs nicht geringen Antheil hatte, so dafs der Kranke anfangen konnte sich auf seine Füfse zu wagen und herumzugehen.

Den 18. Juli bezog er einen Landaufenthalt; die bes-

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sere Luft und die grofse Wärme dieses Sommers wirkten wohlthätig. Es blieb aber ein Uebel zurück, das ihm zusetzte, dies bestand in dem Halsschmerz, der mit den zunehmenden Kräften durch gesteigerte Entzündung sich vermehrte. Die Empfindung der Trockenheit, die so lästig bisher war, wurde unerträglich; der Hals war inwendig rosenartig entzündet, es wurden häufig verhärtete Schleim¬ pfropfen mit vieler Anstrengung abgesondert und ausgewor- feij, die mit Gurgeln von lauem Wasser oft weggespült werden mufsten.

Nach einem Aufenthalte von zwei Monaten auf dem Lande, besuchte der Kranke abermals die Heilquellen zu Wiesbaden, wozu er sich durch herumziehende Schmerzen bestimmen liefs; sie schienen ihm wohl zu bekommen. Nach Hause zurückgekehrt, fühlte er sich erträglich, nur machte ihm das fortdauernde Halsweh noch viel zu schaffen.

Den folgenden ganzen Winter verliefs er das Kranken¬ zimmer nicht, und mit dem Frühjahr von 1823 befand er sich, den Halsschmerz und Steifigkeit der Glieder abgerech¬ net, erträglich wohl. Er nahm sogar wieder einige Kran-

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VI. Syphilis.

kenhesurhe vor. So verstrich dieses Jahr hei weniger An¬ strengung, man fing nun an, an seine Genesung zu glauben.

Im Januar 1824 steifte sich heftige Halsentzündung ein, mit völliger Heiserkeit und unauslöschlichem I)ursf, der durch iibermäfsiges Trinken, wozu er genöthigt war, ihm Beschwerden des Magens und Darmkanals zuzog. Heftige Schmerzen des meteoristisch aufgetriebenen Leibes, häufige Blähungen, waren die Folgen des vielen Trinkens., das er dennoch, des unauslöschlichen Durstes halber, nicht unter¬ lassen konnte; er leerte selbst des Nachts ganze Krüge von mineralischem Wasser aus.

Im Monat Februar wurde der entkräftete Kranke von einem heftigen, mehrere Wochen lang dauernden Durch¬ fall angegriffen. Dem iibermäfsigen Abgänge blols wässeri¬ ger Stühle konnte durch kein Mittel Einhalt geschehen; zugleich schwollen die Beine über alle Begriffe an, die Ge¬ schwulst stieg aufwärts bis zum Bücken, auch der Unter¬ leib füllte sich an. Die wassersüchtigen Erscheinungen nah¬ men im Verlaufe von sechs Monaten bald zu, bald wieder ab, unter denen die Kräfte immer mehr und mehr abnah- men, bis zum elften August, an dem der Tod dern trauri¬ gen Schicksal des armen Leidenden ein Ende machte.

Unleugbar war der zaghafte Gebrauch der Mercuria- lien in so geringen Gaben im Anfänge der Krankheit, wo der sonst roLuste Kranke noch Kräfte zuzusetzen hatte, gin Mif sgriff, der den schlimmen Ausgang vorbereitete. Ihre unbedeutende Wirkung war der Macht der Krankheit nicht angemessen, sie mufsten durch die Dauer ihrer Anwendung, da sie zur Beseitigung des Uebels zu schwach waren, nur Nachtheil bringen.

Noch zweckwidriger wurde die Zeit mit dem Gebrauche des Po H in i sehen Decoctes, dessen NA irksamkeit kaum von einigen anerkannt worden, nur verschwendet. Ueber- haupt war die Aengstlichkeit und Unentschlossenheit in der Zeit, wo man kräftig einwirken konnte eben so nachtheilig, als die allzugrolse Dreistigkeit gegen das Ende der Krankheit,

VII. Praktische Notizen.

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hei der auf die Kräfte des Kranken wenig Rücksicht ge¬ nommen wurde.

Der gröfste Nachtheil für den Kranken war, dafs er selbst die Behandlung leiten wollte; denn so einsichtsvoll und tüchtig in seinem Urtheil er auch war, so mufste das¬ selbe, durch den gröfseren Antheil an eigener Gesundheit und durch die damit verbundene Unruhe des Gemüths, oft eine falsche Richtung nehmen.

Die Beharrlichkeit in seiner Meinung, theils Folge seines festen Charakters, theils seiner Kränklichkeit, nö- thigte oft seine von ihm zu Rathe gezogenen ärztlichen Freunde, ihren gefafsten Heilplan zu verändern. Ueberdies schadete er sich offenbar durch Erkältung im ersten Win¬ ter, da er sich nicht abhalten liefs bei hohen Kältegraden auszugehen, um seinem Berufe nachzukommen.

VII.

Praktische Notizen.

1. Seit dem Januar 1828 herrscht nach Moreau de Jonnes auf der Insei Martinique eine Krankheit epidemisch, wie sie dort noch nie beobachtet worden ist. Die Kranken klagen über gewaltige Schmerzen in allen Gelenken, welche heftig anschwellen und zuweilen mit einer Scharlachröthe überzogen werden. Der Schmerz ist nicht selten so hef¬ tig, dafs die Kranken laut schreien. Frauen, Männer, Greise, Kinder, Reiche und Arme, sind diesem Uebel gleich sehr unterworfen. In Havanna, das von 130,000 Seelen be¬ wohnt ist, liegt gegenwärtig die Hälfte der Bewohner an dieser Krankheit darnieder. Weder hier noch auf ganz Cuba ist ein Individuum an dieser Krankheit gestorben, wiewohl nicht zu leugnen ist, dafs sie häufig Recidive macht, durch

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VII. Praktische Notizen.

welche die Kranken sehr geschwächt werden. Man ist auf den Antillen ziemlich allgemein der Meinung, dafs die Krank¬ heit ihnen durch den spanischen Admiral La borde vom südlichen Amerika aus zugeführt sei. Auf den französischen Antillen heifst sie la Giraffe. (Academie des Sciences, dans la Seauce de 18. Aoüt 1828.)

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2. Wir haben im Novemberhefte vom vorigen Jahre (S. 361) den Lesern von einer bösartigen Blatternepidemie Kunde gegeben. Nach amtlichen Berichten an den Minister des Innern gesellten sich sehr häufig zu dem Pockenaus- schlage Petechien, in welchem Falle der Ausgang der Krank¬ heit stets tödtlich war. Die gänzlich vernachlässigte Vacci- nation bei dem gröfseren Theile der Bewohner aus den nie¬ deren Klassen, und der bei diesen eingewurzelte Gebrauch, ihre Kranken sehr warm zu bedecken und Glühwein trin¬ ken zu lassen, endlich die feuchten, dem Zutritt der Luft entzogenen Wohnungen, werden als die Ursachen des so bösartigen Charakters dieser Blatiernepidemie bezeichnet. Individuen, welche vaccinirt waren, und solche, welche in früheren Jahren die natürlichen Blattern überstanden hat- ten, wurden ebenfalls hin und wieder ergriffen, wiewohl hier in der Regel die Krankheit nur die Symptome der Varioloiden entwickelte. Von 1500 Vaccinirten erkrankten an den Varioloiden 100, von welchen nur ein Individuum starb; von 500, welche die ächten Blattern überstanden, erkrankten fünf, von welchen ein Kranker starb; von acht nicht vaccinirten Individuen erkrankten vier, und unter die¬ sen starb eins.

Nach Pariset’s Bericht starben sogar von zehn nicht vaccinirten Kranken acht, und von zwanzig Vaccinirten ei¬ ner. Das Einimpfen der aus den Varioloidenpusteln genom¬ menen Lymphe rief entweder vaccinenähnliche, gegen die Krankheit schützende Bläschen, oder die Varioloidenkrank- heit hervor. Nach einem neueren Berichte desselben Arz¬ tes starben vom 1 9. August 114 Personen an der Krank¬ heit,

Vif. Praktische Notizen. 193

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heit, worunter ein seit zwei Monaten vaccinirtes Kind sich befand; am 10. August starben 15 Individuen; im Juli star¬ ben 42.9, im Juni 438, im Mai 204. Pariset berichtet* dafs bei zwei Kindern, die ganz wohl waren, plötzlich Petechien bemerkt wurden, und dafs schon zwei Stunden nachher der Tod erfolgt sei. (Nouvelle Bibliotheque. 1828. Aoüt.)

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3. Bekanntlich hat Bretonneau den Namen Dothin-

cnterite ou Enterite pustuieuse für eine Affection der Schleimhaut des Darmkanals gewählt, welche in einem bla¬ senartigen Ausschlage besteht, der in den Pey ersehen Drü¬ sen seinen Sitz hat und sich durch die Erscheinungen einer Febris nervosa gastrica ankündigt. Nach Br et. ist der bla¬ senartige Ausschlag die Folge einer vorangegangenen Ent¬ zündung, in Folge welcher die Pey ersehen Drüsen desor- ganisirt (?) werden. Leuret in Nancy, welcher Gelegen¬ heit hatte, diese Krankheit wiederholt zu beobachten, theilfc Bretonneau’s Ansicht über die Natur derselben, und stimmt auch darin vollkommen mit B. überein, dafs die Krankheit weit eher günstig verlaufe, wenn von Seiten des Arztes nicht durch ein reizendes oder ein entzündungswi¬ driges Yerfahren eingegriffen werde. Leuret hat es sich angelegen sein lassen, den Urin aller Kranken einer chemischen Analyse zu unterwerfen, und gefunden, dafs wenn derselbe ein kohlensaures Salz (un carbonate) enthielt und getrübt war, ohne dafs die Wolke sich auf den Boden des Gefäfses ablagerte, die Krankheit ungünstig verlief. (Ar* chives. 1828. 10.) " ' ,

4. Patin rühmt die Wirkung des essigsauren Ammo¬ niums, zu einer halben bis ganzen Drachme viermal inner¬ halb 24 Stunden gegeben, bei Menstruatio difficilis, Menstr. nimia, Metrorrhagien, bei Carcinoma uteri (?), Furor uie- rinus, bei Disposition zürn Abortus, bei Entzündungen der Gebärmutter und der Ovarien, kurz in allen Krankheiten,

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XIII. Ed. 2. St.

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194 VII. Praktische Notizen.

denen eine erhöhte Thätigkeit im Sexualsystem rum Grunde liegt, und führt verschiedene Falle an, die für seine Be¬ hauptung zu sprechen scheinen. (Ebendaselbst.)

5. Am Ende des Winters 18§g-, der sich überhaupt weder durch eine strenge Kälte, noch durch seine lange Dauer, noch durch einen hohen Grad von Nässe auszeich¬ nete, erkrankten einzelne Individuen in den verschiedensten Stadtvierteln von Paris an Affectionen des Darmkanals, welche um so weniger die Aufmerksamkeit der Aerzte in Anspruch nahmen, als diese ja nicht selten als Prodromi verschiedener Krankheiten bei Erwachsenen, wie bei Kin¬ dern erscheinen. Diese Symptome eines gastrischen Leidens wurden vorzugsweise in einzelnen Abtheilungen des Fau- bourg St. Germain, namentlich in der Caserne de l Oursine und den nahegelegenen Häusern im Faubourg St. Mar- ceau, in der Caserne des Faubourg du Temple, endlich in den Umgebungen des Stadthauses und im Quartier des Lom¬ bards wahrgenommen. Diese Erscheinungen pflegten zu verschwinden, nachdem sie ungefähr einen Monat gewährt hatten , worauf eine Reihe anderer Symptome einzutre¬ ten pflegte. So lange die Krankheit noch sporadisch blieb, wurde sie von den Aerzten nicht besonders gewürdigt, und überhaupt verkannt. So verflossen ungefähr fünf Monate, innerhalb welcher Zeit die Krankheit so um sich griff, dals alle Hospitäler mit daran Leidenden angefüllt wurden, und von einem Bataillon des Listen Linienregiments allein dreihundert Mann fast auf einmal erkrankten. Aehnliches bemerkte man in anderen Casernen und Krankenanstalten. Im Hospice de Marie- Therese , das von 40 Individuen bewohnt ist, lagen 36 an diesem Uebel krank. In der Caserne de TOursine und Ave-Maria erkrankten mit jedem Tage mehr Soldaten, und in den Hospitälern wurden diejenigen Kranken, welche wegen einer anderen Krankheit hineingebracht waren und nicht aufser Berührung mit den an jener leidenden blie¬ ben, ebenfalls ergriffen. In der Caserne des Faubourg du

VII. Praktische Notizen.

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Temple war am G. September kein Soldat mehr verschont. Im Hotel -Dieu enthalten alle Säle Kranke dieser Art. In vielen Häusern liegen ganze Familien krank, gleichviel ob sie den reichen oder den ärmeren Klassen angehören.

Die Krankheit zeigt sich nach dem Berichte an die medicinische Academie in Paris, und nach Dr. Genest, un¬ ter einer doppelten Form: einmal unter einem mehr oder weniger entzündlichen Erythem der Füfse und der Hände, dann unter einer vollkommenen Lähmung der Extremitäten. Gewöhnlich gesellen sich hierzu: Störungen der Verdauung, eine Entzündung der Augenlieder , eine Affection der Luftwege, Oedem und Anasarca, Schlaflosigkeit, heftiges Weh [in ;allen Gliedern während der Nacht. Nimmt die Krankheit eine mehr chronische Form an, so entsteht Atro¬ phie und Oedem der Extremitäten, die Haut wird schwarz. Die arbeitende Klasse, und zwar vorzugsweise erwachsene Männer, werden besonders von diesem Uebel heimgesucht. Die Dauer, die Natur, die Ursachen, der Ursprung, die Behandlung dieser Krankheit sind bis jetzt noch unerforscht geblieben.

So weit geht der Bericht und die Mittheilung des Dr. Genest über diese sonderbare Krankheit in dem Octo- ber- und Novemberhefte der Archives generales.

Nach la Clinique vom 18. December hat die Zahl die¬ ser Kranken, welche im vorigen Monate sich auf 1200 be¬ lief, sehr abgenommen, so dafs man an jenem Tage kaum 200 noch zählte.

6. Im Höpital Val de Grace zu Paris verordnet man gegen die dort in diesem Augenblick ziemlich häufigen vier¬ tägigen Wechselfieber, und, wie die Aerzte dieser Anstalt versichern, mit dem günstigsten Erfolge, eine strenge Diät, Emolientia, Blutentziehungen und das schwefelsaure Chi- n in in Klystieren. (La Clinique. Jeudi, 18. Decein- bre 1828.)

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V II. Praktische Notizen.

7. Bekanntlich gehört der Coitus per anum zu den nicht gunz seltenen Verbrechen in Paris, und veranlagt nur zu häufig Blasenmastdarm- , Blascnscheiden - und blolse Afterfisteln , wie Dupuytren wiederholt in seinen klini¬ schen Vorlesungen behauptet.

Am 17. August 1828 wurde Batier von einem neun¬ zehnjährigen Jünglinge wegen eines tripperartigen Aus¬ flusses aus der Urethra, und wegen eines utiangenehmcn schmerzhaften Brennens im After zu Ratbe gezogen. An diesem Tage entdeckte R. nichts, trotz der sorgfältigsten Untersuchung, an dem schmerzhaften Theile. Sechs Tage später klagte ihm der junge Mensch, bei jeder Stuhlentlee¬ rung die furchtbarste Quaal empfunden zu haben; jetzt fand R. den Umkreis des Afters gerütbet, entzündet und sehr empfindlich, und auf der Schleimhaut des Mastdarms, sechs Linien vom Orificium ani, zwei oberflächliche, un¬ gleiche, vier Linien lange und zwei Linien breite, mit speckigen Rändern versehene Geschwüre. Der junge Mensch gestand, dafs er sich vor vierzehn Tagen einem andern zu dieser unnatürlichen Befriedigung des Geschlechtstriehes überlassen habe. Es gelang Ratier, dieses zweite Indivi¬ duum zur Untersuchung herbeizuziehen, bei welchem er ein syphilitisches Geschwür auf der Eichel, sechs Linien von der Harnröhrenöffnung entfernt, fand. (La Clinique des Höpitaux et de la \ille, Tome III. No. 53. du 13. De- cembre 1828.)

8. Ein kräftiger, ungefähr 25 Jahre alter Mann, fiel während des Ringens mit seinem Gegi.er zu Boden, und zwar so, dafs sein Unterleib das Knie des andern berührte. In diesem Augenblicke empfand er einen heftigen Schmerz in der Tiefe des Unterleibes, verlor seine Besinnung, und klagte, als er wieder zu sich gekommen war, über die fürchterlichsten Schmerzen, zu welchen sich bald Erbre¬ chen, Kälte der Extremitäten, ein kleiner Puls und Leibes¬ verstopfung gesellten. Ein Aderlafs und lauwarme Bäder

VII. Praktische Notizen.

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schienen anfangs Hoffnung zur Genesung zu geben. Der Tod erfolgte 24 Stunden nach dem Unfall.

Bei der Section fand man in der Bauchhöhle ein Ex¬ travasat von Darmkoth, das durch einen Einrifs im Blind¬ darm entstanden war. Dieser Einrifs hatte zwei Zoll im Umtange, seine Ränder waren ungleich und entzündet, die Bauchhaut an verschiedenen Punkten entzündet und mit Pseudomembranen bedeckt. (The Dublin Hospital report etc. T. IV. 1827.)

9. Eine Frau, die an Prolapsus Uteri und an schmerz¬ hafter Dysurie litt, starb unter den Erscheinungen einer Entzündung der Urinblase. Bei der Section fand man, aufser den Zeichen der Entzündung, eine krebsartige, höcke¬ rige Geschwulst von der Gröfse eines Puteneies, mit den Wänden der Blase durch einen dünnen Stiel verbunden.

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Dupuytren bemerkte, dafs, wenn es ihm gelungen wäre, von dem Dasein dieser Geschwulst sich während des Lebens der Frau zu überzeugen, er die Cystotomie gemacht und die Geschwulst entfernt haben würde, welche in diesem Falle die Veranlassung des Prolapsus uteri gewesen sei. (Lancette Frangaise. T. I. No. 1.)

10. Nach den von Barthez mit dem Deuto-bromure de mercure angestellten Versuchen, wirkt dasselbe in dem Grade ätzend, als der Sublimat, indem es vorzugsweise die Häute des Magens afficirt und heftiges Erbrechen erregt. (Journal de Chimie ined. 1828. 10.)

11. E ine 40jährige, sehr reizbare Frau, knetete einen Teig aus Pulvis nucis vomicae, Käse und süfsen Mandeln, um mit diesem Platten zu vergiften. Wiewohl sie nach Beendigung dieses Geschäftes sich sorgfältig gewaschen batte, so empfand sie doch nach Verlauf vou einigen Stun¬ den im Daumen und Ringfinger eine mit jeder Minute zu¬ nehmende Hitze, einen stechenden Schmerz, welcher den

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VII. Praktische Notizen.

Schlaf verhinderte. Am folgenden Morgen bemerkte man mehrere Blasen an der Palmarseite der Finger. Jene Zu¬ fälle verschwanden, sobald man die Blasen geöffnet und die vorhandene Flüssigkeit entleert hatte. Achnlichc Erschei¬ nungen bemerkte man bei einer andern Frau, welcher man, des Versuchs wegen, eine ähnliche Composition mit den Fingern hatte bearbeiten lassen. (Ebendaselbst.)

12. Vier junge Mädchen, das eine von acht, das zweite von sieben, das dritte von sechs, das vierte von drei Jah¬ ren, afsen unmittelbar nach der Mittagsmahlzeit eine grofse Menge Beeren von Coriaria myrtifolia. Alle empfanden ungefähr eine halbe Stunde nachher ein Stechen auf der Zunge, Kopfweh, Kolikschmerzen, verfielen in einen Zu¬ stand von Trunkenheit, so dafs sie sich nicht auf den Fiifsen erhalten konnten; ihr Gesicht wurde blau, die Sprache stammelnd, der Mund schäumte, die Augen waren ver¬ dreht, die Extremitäten krampfhaft bewegt, die Zähne an- einandergeprefst. Die drei ersten verfielen in ein heftiges Erbrechen, wodurch sie gerettet wurden. Die jüngste, welche die meisten Beeren verzehrt hatte, starb nach sieb¬ zehn Stunden unter Meteorismus. Bei der Section (fand

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man weiter nichts, als eine gelinde Röthe im Magen und Darmkanal. (Ebendas. 1828. 11.)

13. Hampe hat gefunden, dafs die Blutegel auf fol¬ gende Weise sich am besten erhalten: Er nimmt kleine, an einem Ende offene, gehörig ausgebrannte Gefäfse, thut auf den Grund derselben eine Lage ausgewaschenen Sand, den er mit Moos bedeckt, worauf er auf diesen einige Koh¬ len legt. Dann füllt er die Gefäfse mit Flufswasser, setzt die Blutegel hinein, und deckt die Gefäfse mit einem durch¬ löcherten Deckel zu. Im Sommer erneuert er das Wasser alle acht läge, im Winter alle sechs Wochen, indem er

| einen wenige Zoll über dem Sande angebrachten Hahn öff¬ net. (Ebendaselbst.)

VII. Praktische Notizen.

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14. Eine 28jährige Frau, die seit mehreren Jahren an dumpfen Schmerzen in der linken Weiche gelitten, die zur Zeit ' der nicht sehr regelmäfsigen Menstruation heftiger zu werden pflegten, empfindet plötzlich unter dem Tragen einer ihren Kräften nicht angemessenen Bürde einen hefti¬ gen, wiewohl vorübergehenden Schmerz im Unterleibe, verfällt darauf in Ohnmächten, bekommt heftige Koliken, Erbrechen, einen intermittirenden Puls, und stirbt unter den Händen des Arztes.

Bei der Section findet man alle Organe der Brust und des Unterleibes blafs und fast blutleer, im Abdomen ein bedeutendes Blutextravasat , das aus der Arteria uterina her¬ zurühren schien, welche durch ein sehr in die Augen fal¬ lendes Geschwür zerfressen war. (Archives generales. 1828. 10. S. 281.) » '

15. Bei einer seit 12 Stunden auf eine leichte Weise entbundenen Frau, entstand unter ungewöhnlich heftigen Nachwehen in der rechten Schaamlefze durch Zerreifsung einiger Gefäfse ein Thrombus von der Gröfse eines Kin¬ derkopfes, welcher schmerzte, den Ab.flufs der Lochien hin¬ derte, und nach Verlauf von 48 Stunden durch eine Inci- sion entleert wurde. Mauriceau beobachtete diesen Zu¬ fall nur zweimal, und Madame La c ha p e 1 1 e dreimal. (Me- moires de la Societe de med. de Rouen. 1827.)

16. Dr. Frangois kennt ein blödsinniges, gegenwär¬ tig 20 Jahr altes Mädchen in der Salpetriere, das erst mit dem dritten Jahre gehen, niemals sprechen lernte, und seine Wünsche durch ein thierisches Geschrei ausdrückt. Dasselbe ist nicht taub, folgt auch den ihm gegebenen Weisungen, ist in fortwährender Bewegung und zerkratzt sich das Gesicht, wenn es gereizt wird; es hat eine blen¬ dend -weifse Haut, blaue Augen, eine sehr gewölbte Stirn, einen grofsen Mund, auffallend dicke Lippen, ein ausdrucks¬ loses Gesicht, einen unsichern Gang, wie er Berauschten

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\II. Praktische Notiien.

eigentümlich ist. Am liebsten bewegt es sich auf den Hän¬ den und Kniecn, verrichtet seine Bedürfnisse an jeglichem Orte, ohne ein Gefühl von Schaam zu zeigen, und liebt vorzüglich frischen Klee und Lucerne als Nahrung, nächst diesen rohes bleisch und Eingeweide von Thieren. Brot verschlingt es nur in dem halle, wenn ihm andere Nah¬ rungsmittel fehlen; dagegen trinkt es gern Wein. Die Lntwickelungsperiode ist ungewöhnlich spät bei diesem un¬ glücklichen Wesen cingetreten, das keinen Geschlechtsun¬ terschied zu kennen scheint, und wie ein Thier neben den Kühen auf der Weide lebt. (Journal general. 1828. 8.)

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1/. Lei einem Manne, der einen Stöfs beim Fechten ms retli te Auge erhalten hatte, entzündete sich das ver¬ letzte Auge nebst dessen Häuten, und so zu sagen augen¬ blicklich verfiel der \ erwundete in einen Zustand von Stu¬ por, so dafs er weder sah, noch redete, noch hörte, was um ihn vorging. Hierzu gesellte sich späterhin Schwerath- migkeit, eine blaue Gesichtsfarbe, eine schnarchende He- spiration, Delirium, unter welchen Zufällen am dritten Ta^e

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nach der Verletzung der lod erfolgte. I)ie Leichenöffnung bewies, dafs das verletzende Instrument die hintere Wand des Auges durchbohrt und das Gehirn tief verletzt, dafs ein tief eingedrungener Knochensplitter den vorderen Hirn¬ lappen und die Arteria corporis callosi zerrissen hatte, in lolge dessen ein grofses Blutextravasat an der Basis cranii Entstanden war. (Journal general des Ilöpit. No. 46.)

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18. , Line 2.3jährige, schwächliche brau, die zweimal abortirt und dreimal gesunde Kinder geboren hatte, wurde abermals schwanger , und litt während dieser Schwanger¬ schaft an \ erdauungsbeschwerden und am weifsen Flusse, der in der letzten llällte des achten Monats an Gonsistenz und Quantität so zuuahrn, dafs Dr. Eugfcne Pinel ihn hätte für Liter halten mögen. Um dieselbe Zeit empfand die Mutter ein unangenehmes, drückendes Gefühl in der

VII. Praktische Notizen.

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Regio bypogastrica, während die Bewegungen des Kindes seltener waren und zuletzt ganz aufhörten. Bald darauf stellten sich Wehen ein, der Muttermund eröffnete sich langsam, es erfolgte weder ein Rifs der Eihäute, noch ein Abgang des Wassers, und bei der Untersuchung fand P. den Kopf vorliegend und nicht von den Eihäuten bedeckt. Nach vielen Anstrengungen wurde die Frau von einem todten Achtmonatkinde entbunden, an welchem folgende Eigenthiimlichkeiten wahrgenommen wurden: Auf der Mitte des Unterleibes und in der Nähe des Schaambeins befand sich eine Oeffnung, der After fehlte, eben so die natür¬ liche Schaamspalte , an deren Stelle man zwei Erhöhungen wahrnahm, zwischen welchen P. eine ganz kleine mit der in der Nähe des Schaambeins befindlichen communicirende Oeffnung entdeckte. Die Nase war zusammengedrückt, der linke Fufs ein nach innen gedrehter Klumpfufs. Auf den Abdominaldecken hing eine mit Flüssigkeit angefüllte Blase, auf dieser safs die Placenta. Das Coecum fehlte, der übrige sonst gesunde Darmkanal lag aufserhalb der Bauchhöhle, eben so die Leber, die Milz, der Magen; der Darmkanal mündete in die Centralöffnung des Unterleibes. Diejenigen Eingeweide, welche gewöhnlich im Becken sich befinden, bildeten den Besatz eines sackartigen Gebildes, das der Kloake der Vögel glich. Auf der linken Seite bemerkte P. nur die Nebenniere, auf der rechten dagegen eine sehr entwickelte Nebenniere, eine Niere, einen Ureter, der sich in die Centralöffnung des Abdomens mündete, welche in die Kloake führte. Die innern Geschlechtstheile (der Fötus war weiblich) fehlten rechts. Die Arteria umbilicalis be¬ stand aus zwei Aesten, von welchen der eine auf der rech¬ ten Seite längs- den Gedärmen, und der andere links neben der Kloake lief und sich unmittelbar unter den Arteriis coeliacis, hepaticis, stomachicis, splenicis et meseraicis sup. mit der Aorta descendens vereinigte, -r- Das Rückenmark bildete eine Krümmung an zwei Stellen, und lag unter¬ wärts aufserhalb der Wirbelsäule, indem die drei letzten

202 VII. Praktische Notiaen.

Vertebrae ganz geöffnet waren. (Nouvelle Bibliotheque. 1828. 7.)

19. Eine 62 jährige Frao empfand unter den Darm¬ und Harnentleerungen heftige Schmerzen im Unterleihe, späterhin wurde der Urin blutig, zugleich flof« eine röth- liche Flüssigkeit ans der Scheide. Ein Pfuscher Verordnetc ihr Einspritzungen in die lllase und in die Vagina, nach welchen die Schmerzen überaus heftig wurden und von Fieber begleitet waren. Endlich klagte die Kranke auch über Schmerz in den Weichen, in den Schenkeln und in der Lebergegend, die l rinexcretion ward mit jedem Tage schwieriger, der Ausflufs aus der Vagina stärker, die un¬ tern Extremitäten schwollen und wurden schmerzhaft. Bei genauerer Untersuchung fand man die Vaginalportion zer¬ stört, die vordere Wand der Vagina ungleich und hart, den Ausflufs aus den Genitalien stinkend, den Urin mit Eiter vermischt. Der Tod erfolgte unter gänzlicher Ent¬ kräftung und unerträglichen Schmerzen, nachdem dieser quälende Zustand ungefähr 42 Tage gedauert hatte.

Bei der Scction bemerkte man, dafs die Urinblase die ganze Beckenhöhle einnahm und von Urin strotzte, dafs die innere Fläche dieses Organs schwarz und gegen den Blasenhals zu thcils ulcerirt, theils mit Auswüchsen besetzt war. Die Schleimhaut der Urethra war ebenfalls durch Ulceration zerstört, schwarz und schwammig: die Tunica muscularis vesicae urinariae bot eine hypertrophische Be¬ schaffenheit dar. Die vordere Wand der Vagina war durch eine Masse von verhärtetem Zellgewebe herabgedrückt, theil- weise hart, ungleich, in einem Zustande von Hypertrophie und ganz oben ulcerirt, die Vaginalportion durch Eiterung zerstört, der Körper der Gebärmutter gesund, nur enthielt das Cavum uteri einen Blasenpolvpen. Alles Zellgewebe in der Nähe der I rinblase war hart und bildete zwei feste Massen; die benachbarten Muskeln waren dicker, als im natürlichen Zustande, die Ossa pubis erweicht, die lugui-

VII. Praktische Notizen. 203

naldrüsen hart und geschwollen. (Nouvelle Bibliotheque. 1828. 7.)

20. Ein SOjähriger Mann litt seit fünf Jahren an quä¬ lenden Schmerzen in der linken Lumbargegend und im lin¬ ken Schenkel. Verschiedene Aerzte hatten das Uebel für Ischias gehalten, und mit örtlichen Blutentziehungen und ähnlichen Mitteln behandelt. Die nur alle 12 bis 14 Tage erfolgende Stuhlausleerung bestimmte Hrn. Lenoir, den Unterleib des Kranken mit gröfserer Aufmerksamkeit zu untersuchen. Er entdeckte bei dieser Gelegenheit zwischen dem Nabel und der Schaambeinverbindung auf der weifsen Linie eine eiförmige, weiche, umschriebene Geschwulst von der Gröfse einer Faust, in welcher er Bewegungen wahr¬ zunehmen glaubte , die mit dem Herzschlage isochronisch waren, weshalb er ein Aneurysma der Aorta descendens diagnosticirte. Kurze Zeit nach dieser Untersuchung starb der Kranke, man machte die Section, und fand an der Stelle der Geschwulst die kleine, birnenförmige, zusammen¬ gezogene Harnblase mit sehr verdickten Häuten, gleich hin¬ ter derselben, auf dem Promontorium, einen dicken Tumor, der den Mastdarm nach rechts gedrängt hatte, und aus dem linken Darmbeine, aus Zellgewebe und den benachbarten Muskeln bestand, welche hart, grau und desorganisirt wa¬ ren. Alle übrigen Organe schienen vollkommen gesund zu sein. (Ebendaselbst.)

21. Leblanc und Trousseau fanden den Scirrhus und Krebs nicht allein bei menschlichen Individuen, sondern auch beim Pferde, Esel, Maulthiere, Ochsen, Schaafe, Hunde, bei der Katze, beim Hahn und beim Schweine. Alle scirrhösen Geschwülste haben in der Pvegel eine ab¬ gerundete oder eine eiförmige Gestalt, eine ungleiche, hö¬ ckerige, mit krummen Gängen versehene Oberfläche, hän¬ gen mit den benachbarten Gebilden vermöge eines mehr oder weniger festen Zellgewebes zusammen, und bestehen

204 VIII. Diagnose der Brustkrankheiten.

aus einer grauen oder auch blauweifsen , glanzenden, halb¬ durchsichtigen Substanz, welche bald kuorpelhart, bald speckartig ist. bängt eine scirrhöse Geschwulst an, sich auf mehreren Punkten zu erweichen und in ein Geschwür üherzugehen, so erscheint die Oberlläche desselben bald roth und trocken, grau und braun, bald ist sie mit wei¬ chen Fleischmassen bedeckt, die eine mehr oder minder dicke Lage bilden, unter welcher man eine fleischige, bald mehr, bald minder weiche Substanz findet, die wiederum andere entartete, früher nicht vorhandene Massen bedeckt. Gewöhnlich ist auch das benachbarte Zellgewebe mit er¬ griffen, und bei langer Dauer der Krankheit pflegen auch die benachbarten Muskeln und Knochen entartet zu sein. Die correspondirenden lymphatischen Drüsen haben einen grüfseren Umfang, einige sind angeschwollen, reth und in einem Zustande chronischer Entzündung, die andern dage¬ gen sind theilweise oder ganz und gar krebsartig. (Archi- ves generales. 1828. 11.)

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Die Untersuchungen der Brust zur Er- kenntnifs der Brustkrankheiten; von V. C o 1 1 i n , Dr. der Mcdicin und Hiilfsarzt der

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Biirgerspitälcr zu Paris. Aus dem Franz, über¬ setzt und mit Zusätzen, vorzüglich nach Lacn- nec’s Beobachtungen, vermehrt von F. J. Bou- rel, der Med lein Beflissenen. Mit einer Vorrede begleitet von F. Nasse, Prof, der Med., Director der med. Klinik zu Bonn u. s. w. Köln am Rhein, bei Joh. G. Schmitz, an den Minoriten. 1828. 8. XVI und 142 S. (20 Gr.)

\III. Diagnose der Brustkranklieiten. 205

Co Hin sammelte die Materialien, verglich sie mit den Erfahrungen, die er unter Cayol und Laennec während sieben Jahren in der Pariser Hospitalpraxis machte, und gab vorliegende Abhandlung auf den Wunsch seiner Freunde heraus. llr.^Prof. Nasse macht in der Vorrede zur Ueber- setzung auf die Yortheil^ der mittelbaren Auscultation auf¬ merksam, und empfiehlt die schon im Jahre 1824 ins Engli¬ sche übersetzte Schrift. Ree. hat nichts Neues in dersel¬ ben, wohl aber Bestätigung des schon Bekannten gefunden, welches immer mehr W^erth bat, als das sich oft nicht be¬ stätigende Neue.

Erster Theil. Kap. 1. Die Untersuchung der Brust bei dem Athmen zeigt die Bewegungen der Brust in den Krankheiten zu häufig oder zu selten, zu schnell oder zu langsam; es findet sich Hoch- oder Tiefathmen, unregelmäfsiges, oder beschwerliches aber unvollkommenes Athmen, Bauch- oder Brustathmen. Diese verschiedenen Zustände werden kurz beschrieben, und finden im zweiten Theile ihre Anwendung. ,

Kap. 2. Die von Auenb rugger erfundene P ercus- sion hat seit der Erfindung der Auscultation nichts von ihrem Werthe eingebüfst, sie giebt , auf der gesunden Brust angewandt, den Ton, der durch das Klopfen auf ein leeres Fafs hervorgebracht wird. Die verschiedenen Gegenden, wo die Percussion angewandt wird, die Bedingungen der Veränderungen des Tons, die Anwendung der Percussion selbst u. s. w. werden im Folgenden erörtert. Der Ton kann in Krankheiten dumpf oder dunkel, abwesend oder heller sein.

Kap. 3. Auscultation. Die unmittelbare giebt keine so vollkommene Reinheit der Töne, als die mittelbare, welche nach Laennec beschrieben wird. Dem Verfasser scheint es nach einigen Beobachtungen wahrscheinlich, dafs im Zustande der Hepatisation des Lungengewebes eine mehr oder minder vollkommene Pectoriloquie entstehen könne, wenn der auf diese W'eise verhärtete Theil nahe an der

206 VIII. Diagnose der Brustkrankheiten.

Trachea gelagert, oder in Berührung mit ihr, oder von grofsen Bronchienästen durchzogen ist. Auch Cruveilhier machte diese Beobachtung. Die Mensuration und Suc- cussion werden ebenfalls beschrieben. Die genannten fünf Untersuchungsmethoden stellt Co II in nach ihrem Nutzen: Auscultation, Percussion, Succussipn, Mensuration, und die Untersuchung der Bewegungen der Brust. Rec. hält solche Einteilungen der schwachen Brüder wegen für schädlich, würde sie aber auf jeden Fall anders machen. Die Unter¬ suchung der Bewegungen der Brust verdient nach ihm die erste Stelle, da durch sie allein schon oft die Krankheiten der Brust bei kleinen Kindern entdeckt und bestimmt wer¬ den können. Die Succussion scheint dem Rec. noch pro¬ blematisch.

Zweiter Th eil. Kap. 1. Von den Krankhei¬ ten der Pleura und der Lunge. (Der Anfang dieses Kapitels, die eben angeführten Einteilungen enthaltend (Seite 75 77), gehört noch zum ersten Theile. Rec.) C. theilt die Brustkrankheiten in solche, welche die Respi¬ rationsorgane, und solche, welche das Herz und die grofsen Gefäfse ergreifen. Die erstem beschreibt er nach den Er¬ scheinungen, die uns der C) linder kennen lehrt. Zu den Krankheiten, die wir durch die Untersuchung der Respira¬ tion erkennen, gehören die Pleurodynie, Apoplexie der Lungen, das Oedem und Emphysem derselben, der Keuch¬ husten, Croup und die Pneumonie; zu denen, in welchen man die Untersuchung der Stimme mit der Respiration ver¬ einigen mufs, die Brustwassersucht, Eiterbrust, Pleuritis, Erweiterung der Bronchien, Lungenschwindsucht, der Brand der Lungen und Pneumothorax. 1) Pleurodynie. 2) Lungencatarrh. Hier nützt nur die Auscultation, die Schwäche des Athmungsgeräusches von sonorem Rasseln bei trocknem Husten, von Scbleimrasseln bei dem feuchten begleitet, zeigt. 3) Hämorrhagie der Bronchien. Gegen das Ende des Anfalls kommt ein schaumiger, zuwei¬ len geronnener Blutauswurf. 4) Lungericblagflufs.

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VIII. Diagnose der Brnstkrankheiten. 207

Dyspnoe, Orthopnoe. Die Brust ist eben so tönend als früher, das Athmungsgeräusch fehlt in einem geringen Um¬ fange der Lungen, das knisternde Rasseln entwickelt sich da, wo das Athmungsgeräusch fehlt, diese Stellen nehmen zu, und bald folgt das Zeichen einer starken Blutaus¬ schwitzung in den Zellen und Bronchien, das reichliche Schleimrasseln, wie von grofsen Blasen. Der blutige Aus¬ wurf bestätigt die Diagnose. 5) Oedem der Lungen. Beschwerliche und mühsame Respiration, von Zeit zu Zeit Orthopnoe, das Athmungsgeräusch ist kaum merkbar, durch ein halbknisterndes Rasseln verlarvt. Ist das Oedem sehr ausgebreitet und stark, so wird der Ton der Brust merk¬ lich vermindert. 6) Emphysem der Lungen. Schwer- athmigkeit, die durch die Anfälle gesteigert wird; ausge¬ dehnte, meist ungleichmäfsige Bewegung der Brust, unter¬ brochene, in den Anfällen convulsivischer Respiration. An allen Stellen, wo sich Emphysem befindet, ist bei der Percus¬ sion der Ton hell, die Auscultation zeigt schwaches Respi¬ rationsgeräusch, und ein pfeifendes oder sonores Rasseln läfst sich beim tiefen Einathmen hören. Der Widerspruch dieser starken Resonanz des Brustkastens mit der Schwäche des Athmungsgeräusches ist das charakteristische Zeichen dieser Krankheit. Bei starkem Emphysem hört man beim Einathmen und Husten des Kranken ein Geräusch, als wenn man in eine halb trockene Blase Luft einbläst. Dieses sonst pathognomische Zeichen ist indessen sehr selten, und von kurzer Dauer. Die Mensuration ergiebt einen gröfseren Umfang der kranken Seite. 7) Keuchhusten. Auch im Stad, convuls. findet man in der freien Zwischenzeit durch das Stethoscop nur die Zeichen des Catarrhs. Die pfeifende Inspiration scheint nur in dem Larynx und der Trachea statt zu finden. In den Anfällen fühlt man die durch den Husten dem Körper mitgetheilte Erschütterung, und hört nur wenig in den sehr kurzen Zwischenräumen des unter¬ brochenen stofsweifsen Aushustens das Rasseln und das Ath¬ mungsgeräusch. 8) Croup. W^enn sich die Pseudomem-

208 VIII. Diagnose der Brnstkrankheiten.

branen lösen, hört man eine Art Klappen, gleich dem eines Blasebalges; geschieht dieses während der Inspiration, so lösen sich die Häute am oberen Theile, findet es während der Exspiration statt, am unteren Theile zuerst. 9) Pneu¬ monie. Sind beide Seiten ergriffen, so entsteht Bauch- athmen. An einzelnen Stellen ist gewöhnlich der Ton ver¬ ändert, und hier hört man auch das Athmungsgeräusch nur schwach, oder man entdeckt ein knisterndes Rasseln. Die¬ ses nimmt beim Weiterschreiten der Entzündung zu und verliert sich bei der Lösung der Krankheit, wo zugleich das Athmungsgeräusch wiederkehrt. Auch bei der Hepati¬ sation verliert sich das knisternde Rasseln, allein es entsteht kein Athmungsgeräusch wieder, sondern Bronchophonie, besonders wenn die Hepatisation die Oberfläche der Lun¬ ten einnimmt. Entsteht ein Eiterheerd in der Lungensub¬ stanz, so werden die Bewegungen der Brust schwächer, der Ton bleibt matt, ein schleimiges, cavernöses Rasseln entwickelt sich zuerst an einzelnen Stellen, dann in dem ganzen erkrankten Theile. Bald geht dieses in Kochen über, der Eiter macht sich durch die Bronchien Luft, und die anfangs dunkele Pectoriloquie wird nun deutlicher. 10) Empyem und Hydrothorax. 11) Pleuritis. Die Bewegungen der von Pleuritis ergriffenen Brustseite sind aufgehoben, die Percussion schmerzhaft, der Ton natürlich, das Athmungsgeräusch schwach, aber rein. Tritt wenig beträchtliche Ergiefsung ein, so hört man durch den am Rückgrathe angesetzten Cy linder die Aegophonie, aber das Athmungsgeräusch nicht mehr. Nimmt die Ergiefsung zu, so verschwindet die Aegophonie wieder. Gänzliche Abwe¬ senheit des Respiralionsgeräusches einige Stunden nach Ein¬ tritt der Krankheit, ist ein ganz pathognomonisches Zeichen der Pleuritis mit starker Ergiefsung, selbst wenn das pleu- ritische Stechen nicht da ist. Hört man die Respiration noch ziemlich gut unterhalb des Schlüsselbeins, obgleich die übrigen Zeichen eine beträchtliche und plötzlich erfolgte Ergiefsung anzeigen, so kann man gewifs sein, dafs der

obere

VIII. Diagnose der Brustkrankheiten. 209

obere Theil der Lunge mit der Kippenpleura durch alte Adhäsionen verwachsen ist. Wird das Ergossene aufgeso¬ gen, so senken sich die nach auisen getriebenen Intcrtostal- räume und Kippen , die Brust wird enger und die krank gewesene Seite erreicht nie mehr ihren vorigen Umfang, noch ihre frühere Beweglichkeit. (Rec. mufs diesem zum Theil widersprechen, denn er kann jetzt noch einen Kna¬ ben vorstellen, der yor drei Jahren durch die Paracentese von einem Empyem völlig geheilt wurde, dessen krank ge¬ wesene linke Seite sich eben so gut als die gesunde bewegt; so ist auch bis auf die Intertostalstelle, wo die Oeffnung in der Brust gemacht wurde, der jetzige Umfang der linken Seite dem der rechten gleich, obschon derselbe vor der Operation über drei Zoll gröfser und nach der Entleerung des Eiters einen Zoll kleiner war. Aber auch das ver¬ schwundene Respirationsgeräusch hat sich später in der lin¬ ken Lunge wieder eingefunden. Rec. fand bis jetzt noch immer die von Pleuritis ergriffene Seite im Anfänge der Krankheit von geringerem Umfange, als die gesunde, und erst nach der oft erst nach 3 4 Tagen erfolgenden Er- giefsung findet man das gröfsere Volumen der kranken Seite. Geschah die Ergiefsung in der linken Brust, so wird das Herz nach der rechten Seite gedrückt, und man fühlt dann den Herzschlag auf der rechten Seite verbreitet. Bei dem erwähnten Knaben ist auch dieses wieder an der gewöhn¬ lichen Stelle. Rec.) Der Unterschied zwischen Hydrothorax und Empyem kann nur durch die Anamnese entdeckt wer¬ den. 12) Pleuropneumonie. Verbindung der Zeichen der Pneumonie mit denen der Pleuritis. 13) Erweite¬ rung der Bronchien. Man hört vollkommene Pectori- loquie mit Schleimrasseln; nur die Anamnese und das keh¬ len des Eiterauswurfs unterscheidet diese Krankheit von der Lungenschwindsucht. 14) Lungenschwindsucht, ^ or dem Entstehen der Pectoriloquie giebt das Stelhoscop nur die Zeichen des chronischen Catarrhs. 15) Brand der Lungen, meistens die Zeichen der Pneumonie (aashaitcr

XIII. Bd. 2. St. H

!210 \ III. Diagnose der Brustkrankheiten.

Geruch , I\ec.) 16) Pneumothorax. Die ergriffene Seite hat einen gröfscren Umfang, giebt einen hellen, trommel¬ artigen Ton, das Respirationsgeräusch wird nicht gehört. Ilat die Anhäufung des Gases ihren Ursprung in einer Zer- reifsung der Lunge oder in der Lntstehung einer Fistel, die sich plötzlich zwischen Bronchien und Pleura öffnete, so entsteht das metallische Respirationsgeräusch.

Kap. 2. Herzkrankheiten. a) Krankheiten, die sich durch eine Veränderung des Stofses aus¬ zeichnen, H y p e r t r o p h ie. Die Zusammenziehungen der Ventrikeln geschehen mit einem starken Impulse und dum¬ pfem Geräusche, die Herzschläge werden nur in einem ge¬ ringen Umfange gehört. Die Contractiou der Vorhöfe geschieht eher, als die der Ventrikeln vollendet ist. Ist der linke Ventrikel allein hypertrophisch, so bemerkt man diese Zeichen zwischen der fünften und siebenten linken Rippe; bei Hypertrophie des rechten, am unteren Theile des Brustbeins. b) Krankheiten, die sich durch Ver¬ änderungen des Geräusches characterisi re n. Er¬ weiterung des Herzens. Die Zeichen 'der Hypertro¬ phie, aber schwächer; ein zuweilen etwas dunkler Ton in den Präcordien , helles, sonores, ausgebreitetes Geräusch bei den Contractiouen der Ventrikeln. c) Krankheiten, die sich durch Veränderungen des Stofses und Ge¬ räusches charakterisiren. Erweiterung mit Hy¬ pertrophie. DieZeichen beider finden sich verbunden. _

d) Knorpelige und knöcherne Verhärtung der Klappen des Herzens. Bei der Contraction des linken Vorhofes wird, wenn die Valvula mitralis, und bei der des V entrikels, wenn die Valvulae sigmoideae krankhaft ver¬ ändert sind, ein Blasebalggeräusch gehört. c) Erwei¬ chung des Herzens. Schwache Contractionen mit einem gleiehmäfsigen, dumpfen Tone. f) Aneurysma Aor¬ ta e. g) Pericarditis et Ilydropericardium. Un¬ bestimmte, vom V erf. nicht selbst beobachtete Zeichen.

Im Anhänge wird noch kurz die Anwendung des

IX. Radesyge. 211

Stethoscops zur Diagnose der Krankheiten der Trommel¬ höhle, der Eustachischen Röhre, der Ausgangs¬ höhlen der Nase, der Leberabscesse, Gallenbla¬ sensteine (Lisfranc), der Fracturen, der Blasen¬ steine, der Herzschläge des Fötus und der Pulsa¬ tionen der Placenta erwähnt.

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IX.

Die Radesyge oder das Scandinavische Sy- philoid. Aus scandinavischen Quellen darge¬ stellt, von Dr. Ludwig Hiinefeld, Professor zu Greifswalde. Leipzig, bei Leopold Yofs. 1828. 8. XII u. 136 S. (21 Gr.)

Der Verf. will, wie er sich selbst darüber in der Vor¬ rede ausspricht, nichts anderes sein, als ein Organ, durch das seine Landsleute, die sich für die genauere Kenntnifs des in Rede stehenden Gegenstandes interessiren, hören und erfahren mögen, was man bisher in Scandinavien davon weifs und erforscht hat. Bei einem längeren Aufenthalte in Schweden und Norwegen, wo er die berühmtesten Aerzte kennen lernte, benutzte er gewissenhaft die selten einem deutschen Arzte zu Theil werdende Gelegenheit, jenes Uebel selbst genau zu beobachten, und giebt uns nun eine auf Autopsie und vielfältige Untersuchungen gegründete Darstellung desselben, die um so dankenswerter ist, je weniger wir uns noch einer genauen Kenntnils der zum Glück bei uns selten vorkommenden Radesyge rühmen können.

Der Verf. zählt zuerst die litterarischen Quellen, aus denen er schöpfte, auf (wir vermissen Hübener Diss. de morbi Dithmarsici natura ac indole. Kiliae, 1821.), und

14 *

212

IX. Radesyge.

spricht dann im ersten Kapitel von der Benennung « R adesyge. Er glaubt, dafs Radesyge ursprünglich eine provincieile Bezeichnung des Syphiloids, und die Munk- sehe etymologische Entwickelung (radc: böse, häfslich ; und syge*. Krankheit) die wahrscheinlichste sei, oder dafs die¬ selbe eine provincieile Bezeichnung der Spetälska (Aussatz, Lepra), oder einer graduell verschiedenen Form derselben sei, oder endlich, aus einer mangelhaften Distinction ent¬ sprungen, oft beide bezeichnet habe, was noch gegenwärtig hier und da der Fall zu sein scheine. Er belegt die Krank¬ heit mit dem Namen « Sypbiloid,** und nennt dies zur stren¬ geren Distinction « scandinavischcs, » so wie er die hollstei- nische Marschkrankheit « hollsteinischcs, » und die Sibbens u schottisches Syphiloid nennt.

Im zweiten Kapitel schildert der Verf. die Symptome, und stellt folgende Uebersicht derselben auf: A) Nach vorhergegangenen (Gliederschmerzen , Goryza rheumatica, oder andern präliminären Symptomen entstehen: a) kupfer¬ farbige oder auch lichtere Flecke an den Tonsillen, dem Velum palatinum u. s. w. , die bald zu fressenden Geschwü¬ ren werden, wenn sie constanter sind; gleichzeitig, oder auch mehr allein, entstehen b) Empfindlichkeit und Ge¬ schwulst der Nase, Geschwüre, Caries der Nasen- und Gaumenbeine. Diese Affectionen sind <*) von Geschwüren am Körper begleitet, oder ß ) diese können auch fehlen. B) Der Ausschlag bricht mit einer Menge bösartiger Ge¬ schwüre am Körper plötzlich hervor, und nachdem diese eine Zeitlang so fortgefahren haben, kommen hinzu: a) Af¬ fectionen der Nase und des Schlundes, zuweilen auch des Scrotums und des Gesäfscs, so wie der Labia pudenda ma- jora, oder b) diese bleiben aus. C) Die Nase und die angränzenden Thcile sind entzündet, empfindlich und ge¬ schwollen, ohne dafs das Uebel sich weiter verbreitet. D) Die Krankheit beginnt bald mit Entwickelung von klei¬ neren oder gröfseren Knoten an den Beinen, welche nach längerer oder kürzerer Zeit zu bösartigen Geschwüren auf-

213

IX. Radesyge.

brechen. E) Ohne andere Symptome beginnt die Krank¬ beit zu allererst mit Schmerzen in den Nasenbeinen, die minder harten und knorpeligen Theile entzünden sich, schwellen, werden geschwürig, und auf zerstörende Weise zerfressen. F) Sörensen, Zettermann u. a. haben auch Fälle beobachtet, wo die Krankheit gleichsam eine umgekehrte Reihenfolge der Symptome hatte, so nämlich, dafs zuerst die knochigen Theile der Nase, des Gaumens, sich zu entzünden und zu schwellen begannen, bevor die Ent¬ zündung die weicheren Theile ergriffen hatte. Ergreift die Krankheit Arme und Beine mit Exostosen, Geschwüren und Caries, so ist meist das Gesicht verschont. Sich selbst überlassen, hat sie denselben Ausgang, wie die Syphilis und ähnliche Krankheiten. Die Muskeln können auf ihrer Oberfläche von grofsen, tiefer eindringenden Geschwüren ergriffen, und darauf mit hornartigen, lagerweis übereinan¬ der liegenden Schorfen bedeckt werden; oder sie verwelken gleichsam, trocknen zusammen und scheinen beinahe zu ver¬ schwinden, so dafs der Patient endlich einem mit weifs¬ grauer, verdorbener Haut überzogenen Gerippe nicht un¬ ähnlich ist. Einen solchen, Entsetzen erregenden Anblick sah der Yerf. in Christiania. Die Krankheit hat, wie auch aus der obigen Aufzählung der Symptome hervorging, einen solchen proteusartigen Charakter, dafs ein sehr geübter Blick erfordert wird, um sie zu erkennen und von andern, mehr oder minder ähnlichen Krankheiten zu unterscheiden. Nach dem Yerf. hat Holst bei der Eintheilung der Radesyge in eine Species squamosa und tuberosa mehr das Bild der Lepra, als das dieser Krankheit vor Augen gehabt. Rich¬ tiger scheint ihm Hollberg’s Eintheilung in Syphilis in- sontium cutaneo-reticularis, musculo-cutanea und ossea zu sein; er kommt auf diese Eintheilung später noch ein¬ mal zurück. Die Lepra, wie sie noch in Norwe¬ gen und Schweden ist, beschreibt er im dritten Ka¬ pitel. Er liefert hier eine Uebersetzung von einem Auf¬ sätze des Hrn. Welhaven, Predigers des St. Georgen-

‘214

IX. Radesyge.

hospitals der Stadt Bergen in Norwegen. Fine sehr inte¬ ressante Abhandlung, die wir aber naehzulesen bitten müs¬ sen. lm vierten Kapitel kommt der Ycrf. zu der Dia¬ gnose des Syphiloidi von ähnlichen Krankheiten und der Identität desselben mit einigen andern. Zuerst vergleicht er das Sypbiolids mit der Lepra. Aus folgenden Gründen sind diese* Krankheiten als durchaus verschieden zu betrach¬ ten: 1) Die Lepra ist von stinkendem Athem, Orthopnoe, Ermattung, cachectischem Ansehen, und glänzendem Gesicht und dergleichen Haut, welche wie fettig anzusehen ist, be¬ gleitet. 2) Die Lepra ergreift fast alle Theile, das Syphi- loid nicht leicht viele zugleich. 3) Sie befällt auch das Gesicht, den Augapfel und die Augenlieder, macht Oedem des einen oder des andern Fufses , was selten bei dem Sy¬ philoid der Fall ist. Bei dem letzteren, wenn wir das Scherlievo als Syphiloid betrachten, kommt wohl auch Ele¬ phantiasis vor, aber die Functionen sind dabei ungestört, und sie kann ziemlich leicht, durch Salzsäure, geheilt wer¬ den. i) Die leprösen Tuberkeln, welche über die Haut erhaben sind, exulceriren seltener, und geschieht dies, so ergiefsen sie eine eiterige, blutige Materie; die Zwischen¬ räume der Haut werden mit einer wcifslichen, schuppigen Kruste bedeckt. 5) Die Haut ist beim Syphiloid während aller Ausschlagsformen uneben, Jucken und Schmerz sind damit nicht verbunden, oder werden nur durch besondere änfsere Umstände veranlafst. fi) Das Syphiloid kann ohne krankhafte Aenderung des Gemüthes und der übrigen Ge¬ sundheit bestehen, und so ist es in der Kegel, während bei der Lepra das Gegentheil statt findet. 7) Der Ge¬ schlechtstrieb der Leprösen ist entweder sehr stark, oder vernichtet; mehrere Glieder leiden an Gefühllosigkeit. 8) Das Syphiloid kann verschwinden, ohne jemals wiederzu¬ kommen, selbst bei Patienten, die niemals ein Heilmittel dagegen gebraucht haben. 9) Die Lepra ist unheilbar, und der Gebrauch des Quecksilbers verschlimmert sie eher. Auch di£ Diätcur hilft nichts dagegen. Die Kadesvge weicht

IX. Kadesyge. !215

der Diätcur, und das Quecksilber ist kein, in Bezug auf die Natur der Krankheit contraindicirtes Mittel. 10) Wäh¬ rend der Jahre 1813 bis 20 kam die Lepra auf dem Cur- hause zu Stockholm nur 19 mal vor; die Lepra ist daher eine viel seltenere Krankheit, als die Radesyge. 11) Die Lepra ist eine sehr alte Krankheit; die Radesyge dagegen ist in Schweden zuerst 1787, und in Norwegen 1720 be¬ obachtet worden. Die von 5 11 angegebenen Kenn¬ zeichen scheinen einen festen Unterschied zu constatiren. Aus der Uebersicht der aufgeführten Symptome des Scher- lievo ergiebt sich eine so grofse Aehnlichkeit desselben mit der Radesyge, dafs man sie nicht zu unterscheiden vermag, und höchst wahrscheinlich sind es vollkommen gleiche Krank¬ heiten, die eine gleiche Erzeugungsursache und Fortpflan- zungsart haben! Das Syphiloid verglichen mit der Marsch- krankheit Holsteins, mit der esthländischen Krankheit und den schottländischen Sibbcns, liefert nach dem Yerf. diesel¬ ben Resultate. Dafs sich unsere Krankheit deutlich vom Scorbut unterscheidet, zeigt er hinreichend. In Hinsicht des Vergleichs mit der Syphilis meint er, die \erschieden- heit zwischen beiden Krankheiten sei zu grofs, als dafs wir das Syphiloid für mehr als eine blofse Abart der Syphilis halten sollten. Im fünften Kapitel handelt der Verf. die Aetio- logie ab. Armuth und Unreinlichkeit sind eine Hauptbe- dingung zur Entstehung, wenigstens ein Hauptaccidens. Für höchst wahrscheinlich hält es der Verf., dals die man¬ gelhafte, meistens aus fetten oder auch getrockneten und geräucherten, und schlecht gesalzenen oder wohl auch halb verfaulten Fischen bestehende, wenig der Abwechselung unterworfene Diät, im Conflict mit einer Einwirkung der feuchten, kalten und veränderlichen Luft auf die unreine Haut, eine Prädisposition veranlasse, und der Hauptursache, dem syphilitischen Contagium, eine veränderte torm auf¬ drücke. Die hier gegebene historische Entwickelung der Krankheit scheint allerdings für ein modificirtes syphilitisches Contagium zu sprechen. Die Radesyge mag daher wohl

216

IX. Radesygc.

als eine durch die Zeit, Lehensart und Ansteckungsweise gemilderte und veränderte Lues venerea tu betrachten sein. (Es ist d ies vorzüglich v. yV eigel’s Ansicht.) Ueber- einstimmcnd sollen die meisten Angaben darin sein, dafs das durch die Radesyge erzeugte Contagium gewöhnlich durch unreine Kleider, Trinkgefäfse, Tabakspfeifen, unreine Betten u. dergl. verbreitet werde. Dafs die Krankheit an¬ steckend und erblich sei, soli keinem Zweifel unterworfen sein. Der 'S erf. ist der Ueberzeugung, dafs der Sitz der Radesyge über den) Capillargeilechte der Haut, das Wesen derselben eine zu einer allgemeineren Vertheilung gekom¬ mene, und durch besondere Umstände veränderte, syphili¬ tische Entzündung sei. v. Weigel nimmt folgende Cir- culation in der Entstehung des Syphiloids an: 1) Meistens primäre Austeckuog der Vornehmem durch eigentliche Sy¬ philis, und zwar au den Gcscblechtslheilen, was aus der Gesammtentwickelung der Umstände hervorgeht, oder auch primäre Ansteckung geringer Leute. 2) Ansteckung un¬ reinlicher Individuen durch Geschlechtssyphilitische (sic!) an anderen Stellen des Körpers durch unreine Wäsche, Betten u. s. w. , durch die Brüste der Weiber, durch das Kauen des Brotes u. s. w. zu Radesygischen. 3) Ansteckung anderer durch nicht Geschlechtssyphilitische , sondern Rade- sygische zu wiederum Geschlechtssyphilitischen.

Im sechsten Kapitel endlich kommt der Verf. zur The¬ rapie. Nachdem er die Wirkung der Mercurialien , und unter den Pflanzenmitteln vorzüglich die ausgezeichneten Wirkungen der Radix Chinae auseinandergesetzt hat, be¬ schreibt er die Methodus mixta, die Räucherungsmethode, die Osb eck sehe Diätcur und die Ru st sehe Scbmiercur, am ausführlichsten die Osbecksche Diätcur, die er auch geschichtlich entwickelt, die wir jedoch, als aus anderen Schriften hinlänglich bekannt, mit Stillschweigen übergehen können. Die Osbecksche Curmethode ist übrigens die herrschende in den Lazarethen Schwedens geworden, nur in Norwegen, wo man sich der Sarsaparille, des Queck-

X. Keuchhusten, 217

silbers, des Goldschwefels bedient, hat sie noch keinen Ein¬ gang gefunden.

In einem Anhänge theilt der Yerf. noch sehr interes¬ sante tabellarische Uehersichten - seit dem Jahre 1813 mit, denen er auch die daraus gezogenen Folgerungen und An¬ sichten beifügt. YVir erwähnen blofs, dafs die mit der Dzondischen Sublimat- Curmethode angesteüten Versuche sehr unglückliche Resultate lieferten.

Druck und Papier dieser kleinen, sehr zu beachtenden Schrift, sind ausgezeichnet gut.

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H. M. J. Desruelles, Dr. der Med., Wundarztes am Militärhospitale für den Unterricht zu Val- de-Gräce, Abhandlung über den Keuch husten, nacli den Grundsätzen der physiologi¬ schen Lehre verfafst. Eine von der med. prakt. Gesellschaft zu Paris am 26. August 1826 ge¬ krönte Schrift. Aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen begleitet von Gerhard von dem Busch, Dr. der Med., ausübendem Arzte zu Bremen u. s. w. Bremen, Druck und Verlag von J. G. Heyse. 1828. 8. XIII u. 316 S. (1 Thlr. 16 Gr.)

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Der Keuchhusten, ein Opprobrium medicorum, be¬ durfte noch immer tüchtige Bearbeitungen, da die verschie¬ denen Ansichten über das Wesen desselben und die Mittel zu seiner Bekämpfung durchaus nicht genügend waren. Deshalb verdient die med. prakt. Gesellschaft zu Paris un- sern Dank, dafs sic im Jahre 1825 eine Preisaufgabe über

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X. Keuchhusten.

diese Krankheit setzte, für deren vorliegende Lösung des schon durch eine Abhandlung über den Croup rührolichst bekannten Desruelles den Preis erhielt. Ob der eifrige Anhänger Broussais’s, der übrigens nicht unbekannt mit der deutschen, englischen und italienischen Litteratur seines Gegenstandes ist, durch die sogenannte physiologische Lehre die Aufgabe wirklich gelüst und uns das Wesen und den Sitz des Keuchhustens kennen gelehrt habe, wird die fol¬ gende Analyse seiner Schrift ergeben.

Mit Marcus, l)anz u. s. w'. hält der Verf. den Keuch¬ husten für eine Krankheit, die schon vor dem Jahre 1414 (Sprengel) da gewesen sein soll. Sporadisch kommt sie selten, häufiger epidemisch vor, in den tropischen Gegen¬ den nie (welches der Ilr. Uebersetzer durch Beweisstellen widerlegt). D. hält den Keuchhusten nicht für contagiüs, und zur Erzeugung desselben eine gewisse Beschaffenheit der Atmosphäre noth wendig.

Zu den von D. angegebenen Synonymen des Keuchhustens fügt B. die in der englischen, schwe¬ dischen und deutschen Sprache hinzu. D. schlägt, um den Sitz und die Natur des Keuchhustens zu bezeichnen, das neue Wort: Broncho- Cephalite vor; ist aber beschei¬ den genug, das alte: Coqueluche, in seiner Schrift beizu¬ behalten.

In dem Abschnitte: Von der Natur und dem Sitze des Keuchhustens, werden die verschiedenen Mei¬ nungen der früheren Beobachter über das Wesen dieser Krankheit mehr oder minder weitiäuftig kritisirt und ge¬ zeigt, dafs weder Entzündung der Bronchien (besonders nach Marcus), noch Nervenreizung (besonders nach Iiufe- land), als nächste Ursache des Keuchhustens anzunehmen sei. Der Keuchhusten ist nach D. eine Bronchitis, verbunden mit einer intermittirenden Beizung des Hirns und einer Congcstion zu diesem Or¬ gane. Die Entzündung der Bronchien ist das primäre, die Hirnreizung das eonsccutivc Leiden. So lange die Bron-

X. Keuchhusten.

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chitis einfach Ist, hat der Husten nichts besonderes. So¬ bald aber das Zwerchfell, die zur Exspiration dienenden Muskeln, die Muskeln der Glottis, des Larvnx, die hintere Haut der Bronchien, die Luftzellchen der Lungen und selbst der Gaumenvorhang (nach Laennec) mit in das Leiden hineingezogen und unter dem Einflüsse der Hirn¬ reizung krampfhaft ergriffen werden, so verändert der Hu¬ sten seinen bisherigen Charakter und wird convulsivisch. Jedesmal, wenn der Andrang von Blut zum Hirne erfolgt, kehrt der Husten wieder und giebt sich dann durch ein¬ zelne Anfälle zu erkennen (der Kranke müfste dann ohne Aufhören husten, denn die stärkste Congestion zum Hirne entsteht ja während des Hustens, oder wird,’ wenn sie früher schon da war, unterhalten. Bec.) Diese aussetzende Congestion zum Gehirn geht dem Hustenanfalle vorher, hebt sich mit demselben, um bald neuerdings wieder zu erscheinen und neue Anfälle herbeizuführen. Die Folge dieses Zustandes ist eine Abscheidung einer mehr oder min¬ der zähen, dicken und weifslich -schleimigen Flüssigkeit, die ausgespieen oder durch Erbrechen ausgeleert wird. Diese weifslich (nicht weichlich, wie mehrmals gedruckt ist) schleimige Absonderung ist Folge der Beizung der Schleim¬ bälge und Schleimdrüsen. Der Dr. Beveille - Parise, der in seinem vierzigsten Jahre am Keuchhusten litt, ver¬ sicherte, die Erschütterungen, welche die krampfhaften Zusammenziehungen des Zwerchfells und der Exspirations¬ muskeln verursachten, gefühlt zu haben. Nach den Husten¬ anfällen fühlte er eine grofse Schwäche im unteren Theile der Brust und in der Gegend der Befestigungspunkte des Zwerchfells. Die nervösen Zufälle entstehen durch die Bespirationsnerven , als Leiter des gereizten Gehirns. Diese Behauptung sucht D. im Folgenden durch die neueren 'Ver¬ suche über das gesunde und kranke Gehirn und Nerven¬ system, von C. Bell, Magen die und Desmoulins an- gestellt, zu erläutern. Schon Leroy (1803) hielt den Keuchhusten für eine die Hirnhäute afficirende Krankheit;

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X. Keuchhusten.

Boisseau (1822) machte auf die Ilirnrcizung während des Keuchhustens aufmerksam; allein "Webster zeigte zuerst, dafs der Sitz des Keuchhustens im Gehirne, und das Lun¬ genleiden nur sympathisch sei. Begin nimmt an (und wohl mit Hecht, Kec.), dafs diese Ilirnreizung nur als Compli- cation vorkomme, und secundäres Leiden sei. (Man sieht hieraus, dafs der Verf. nicht der erste Beobachter der Ilirn- reizungen im Keuchhusten gewesen ist, und die verschie¬ denen Meinungen früherer Beobachter zu verschmelzen sucht. Kec. ) Mehrere Mitglieder der med. prakt. Gesell¬ schaft haben durch neue Thatsachen die Richtigkeit der Ansichten des \ erf. bestätigt, im Folgenden zeigt er auch, dafs in den Beschreibungen der früher beobachteten Epide- mieen mehrere Bemerkungen enthalten sind, die ebenfalls für die Wahrheit seiner Theorie über den Sitz des Keuch¬ hustens sprechen. (Auch Kec. sah, wie v. d. B., nie den Keuchhusten ohne die erste, catarrhalische Periode.)

Zu den Affectionen, die den Anfällen des Keuchhustens vorangehen, rechnet I). die einfache und complicirte Bronchitis; zu dieser die Tracheo - Bronchi¬ tis und die Bronchitis mit einer sympathischen Heizung des Gehirns verbunden, welche letzteren Symptome die wirk¬ lichen Vorläufer des Keuchhustens sind (oder vielmehr, nach den Ansichten des V erf. , der wirkliche Keuchhusten.) Naturgetreu ist die Beschreibung des Keuch h ustena n- falles. Die einzelnen Anfälle sollen häufiger bei INacht als bei Tage erscheinen. (Kec. fand dieses umgekehrt; am be¬ stimmtesten kam ein Anfall kurz nach dem Essen, oder nach Aerger u. s. w. Die Bemerkung des Ilrn. Ucbersetzers, dafs durch psychischen Eindruck, wie bei der Epilepsie, ein Anfall hervorgerufen wurde, bestätigt Kec.; er fand dies schon beim gewöhnlichen Husten.) Die Zahl der einzelnen täglichen Anfälle ist unbestimmt. (Gewöhnlich sind die Anfälle in der ersten Zeit der Krankheit häufiger, aber nicht so stark, als in der späteren Periode. Hinsichtlich der Dauer der Krankheit läfst sich gar keine Kegel fest-

X. Keuchhusten.

22t

setzen, es hangt dieselbe zum Theil von der Eigentümlich¬ keit der Epidemie, zum Theil von der Individualität des Kranken ab. Rec. bürte mehrere Kinder noch Jahre lang nach dem Keuchhusten bei jedem Catarrh mit dem Keuch¬ hustentone husten. Immer waren diese von nervöser Con¬ stitution. In solchen Fällen würde man gewifs nach dem durch Keuchhusten erfolgten Tode die vom Prof. Rauer in den Tübinger Blättern I, 1. beschriebenen krankhaften Veränderungen in dem Vagus und Sympathicus maxim. fin¬ den. Rec.)

Resultate der Leichenöffnung. «Der einfache Keuchhusten wird nur dann tödtlich, wenn während eines Anfalles durch einen langen Krampf der Muskeln der Glot¬ tis diese Oeffnung plötzlich verschlossen und der Zugang der Luft gehemmt wird” (wohl meist durch Bronchitis, Rec.). Zwei Sectionsgeschichten von Marcus führt der Verf. zum Belege dagewesener Bronchitis an, und in einer von ihm gemachten Leichenöffnung war die Pia mater und Hirnsubstanz, besonders nach der vorderen Seite der Basis des Hirns, mit Blut überfüllt; die Hirnhöhlen waren voll von einer serösen Flüssigkeit, und die Sinus der Dura mater strotzten von Blut, in der Brust Zeichen einer dagewe¬ senen Bronchitis; dieses war auch in der zweiten Beobach¬ tung der Fall, bei der sich noch rothe Flecken in der dicken und durchsichtigen Arachnoidea und Wasseransamm¬ lung in den Hirnhöhlen zeigte. Wichtig ist hier der er¬ gänzende Zusatz des Hrn. Uebersetzers, der die nicht er¬ wähnten Beobachter und die Resultate der von denselben gemachten Leichenöffnungen aufzählt. Derselbe macht hier auch darauf aufmerksam, dafs die krankhaften Zeichen, die man nach dem Tode im Gehirne findet, öfters erst durch ge¬ waltsame Anstrengungen beim Husten entsanden sind. Fort¬ gesetzte sorgfältige Beobachtungen werden die Ansicht des Verf. wohl auf das Reine bringen!

Ursachen des Keuchhustens. Gewisse Einflüsse, die für Hirn- und Bronchialreizung empfänglich machen.

222

X. Keuchhusten.

Prädisponirend sind kindliches Alter, weibliches Geshclecht, nervöser, reizbarer Zustand, veränderliche W ittcrung, krank¬ hafte körperliche Anlage, z. B. Erhitzung, Zahngeschäft, Bronchitis u. s. w.

Com plicat io n en des Keuchhustens. Die Hirn¬ reizung geht in einen wirklich entzündlichen Zustand über, besonders bei Kindern von zartem Alter, die dann häufig an Krämpfen, Schlagllufs (Hydrencephalus, Bec.) sterben. Vermehrter Kopfschmerz, gerüthete Conjunctiva, Delirium, Neigung zum Schlaf, begleiten die nach einem Hautfrö- steln folgende brennende Hitze. Pneumonie tritt häufig zu dem Keuchhusten hinzu, desgleichen» Tracheitis (noch öfter Laryngitis, Kec.), Entzündung der erdauungsorgane, Masern, Scharlach, Blattern (häufiger noch gehen diese ex- anthematischen Krankheiten dem Keuchhusten voraus, Bec.), hartnäckige Augenentzündungen, Epilepsie, Lehr, intermitt. tert. simplex et duplicata.

Ausgänge des Keuchhustens. Die Krankheit geht entweder in Genesung, oder Tod, oder in andere Krank¬ heiten über. Becidive entstehen leicht bei Kindern, selten bei Erwachsenen. Krisen sind nicht nachzu weisen. Oefte- res Nasenbluten erleichtert die Krankheit, und führt oft am schnellsten zur Genesung. Kopfgrind soll den Keuchhusten heben (weder v. d. B. noch Bec. fanden dies). Die be¬ deutendsten Folgekrankheiten sind Apoplexie, Bluthusten (danach meist Phthisis, Bec.), organische Herzkrankheiten '(ein nicht seltener Ausgang bei Säuglingen, Bec.), Ilerniae.

Eintheilung des Keuchhustens. Prognose. Ungünstig ist sie bei säugenden, zahnenden Kindern, bei denen, die von schwindsüchtigen Ellern geboren wurden

(auch Bec. machte diese vom V erf. bezweifelte Beobach-

tung), wenn die Bespiration in der anfallsfreicn Zeit be¬ schleunigt bleibt, der Husten häufig und heftig ist u. s. w. Von den günstigen Zeichen, deren D. neunzehn aufstellt, hebt Bec. nur die aus, die es, nach den Beobachtungen der Epidemieeo gemach i, ebenfalls gewesen sind: vorgerücktes

X. Keuchhusten.

223

Alter, gut gebildete Brust, Veränderung der nafskalten Witterung in wärmere und trockene, Husten mit Erbre¬ chen, völlige Intermission der Krankheit, besonders des Nachts, Nasenbluten, Schmerzhaftigkeit im Kopfe, fieber- lose Ausschläge u. s. w. \ ,

Fragen in Bezug auf das Contagium, die R e - cidive und die Tödtlichkeit des Keuchhustens. D. hält ihn nicht für contagiös, da man das Dasein eines Ansteckungsstoffes nicht beweisen kann (v. d. B. ist aus wichtigen Gründen von der Contagiosität des Keuchhustens überzeugt, ruit ihm die meisten deutschen Aerzte und auch Rec.). ln der Regel befällt der Keuchhusten nur einmal im Leben. (Rec. macht auf den noch längere Zeit bleiben¬ den, eigenthümlichen Ton aufmerksam, der wohl öfters zu dem Glauben eines wiederholten Ausbruchs der Krankheit Veranlassung gegeben hat.). Lieber die relative Tödtlichkeit giebt der Verf. interessante, keines Auszuges fähige Zusam¬ menstellungen.

Prüfung der verschiedenen Mittel, die gegen den Keuchhusten vorgeschlagen und gebraucht worden sind. Allgemeine und örtliche Blutentleerun¬ gen wurden ziemlich häufig, aber nur bei sogenannten Complicationen angewandt. Der Hr. Uebersetzer fand in mehreren Fällen das Anlegen der Blutegel, nach Web¬ ster, sehr zweckmäfsig. D. will, dafs man auch bei leich¬ tem Keuchhusten Blutegel setze, weil auch die leichteste Art desselben in so schwere Krankheit ausarten könne. Er Täfst gewöhnlich zwei Blutegel an jede Schläfengegend setzen, und zuweilen dergleichen auch an die Brust. Mehrere Krankheitsgeschichten zeugen von dem ausgezeichneten Er¬ folge dieser Heilmethode auf die Linderung und Abkürzung der Krankheit, hierbei empfiehlt er geregelte Lebens¬ art, milde Kost, besänftigende und Brustmittel. Oft (gewifs aber ohne Noth, Rec.) sind angezeigt: Räu¬ cherungen, Kataplasmen, Foinentationen und er¬ weichende Mittel. Das isländische Moos wendet er

224

X. Keuchhusten.

nur bei dem nach der Heilung des Keuchhustens zuriickblei- benden, hartnäckigen Husten an (und cs ist dann ein höchst schätzbares Mittel, I\er.). Magnesia us ta ist unnütz; auslcerende Mittel sind zu verwerfen; Rrcchmittel schädlich ( Rec. hat sie oft mit dem ausgezeichnetsten Er¬ folge gegeben, ja sie sind zuweilen die einzigen Mittel ge¬ wesen, sie wurden dann alle drei bis vier Tage angewandt» natürlich dann erst, vVenn die entzündliche Reizung geho¬ ben war. Sie wirken aber auch nicht allein ausleerend» sondern auch krampfstillend, und heben oft den sich noch lange hinziehenden Husten. Rec. gebraucht mit den mei¬ sten Praktikern fast nur Rad. Ipecac. ) China nützt nur in der intermittirenden Form des Keuchhustens; Kno¬ blauch, Cantharidcn (nützten v. d. B. in einem Falle), Bibergeil, Blausäure (gebrauchte Rec. in einer Epide¬ mie mit Nutzen, in zwei andern ohne diesen), Be dum palustre, Squilla, Antimonialia, Kermes mincra- lis, Diaphoretica, Opium, Schierling, Tabaks- und Bilsenkrautextract, Belladonna (v. d. B. fand sie in einer Epidemie nützlich; Extr. Pulsat. nigric. ver¬ suchte er nicht; Extr. herb. Stramonii in einzelnen Fällen mit Erfolg). Flor. Zinci werden aufgezählt, die Beob¬ achtungen, in denen sie genützt haben sollten, angeführt, aber alle diese Mittel theils als unnütz, theils als schädlich verworfen. Beträchtlich sind die littera rischen Zusätze des Hrn. Herausgebers. (Nur die von Ilahnemann empfoh¬ lenen Flor. Droserae rotundifol., deren Nutzen sich auch nicht bestätigt hat, ist nicht angeführt. Rec.). Oert- liche Mittel. Cauterien, Haarseile, Vaccination (ein Kind, welches während der Vaccination Keuchhusten bekam, starb. Rec.). Brech weinsteinsalbe (v. d. B. hält sie mit Rec., der sich schon einmal an einem anderen Orte darüber aus¬ sprach, für ein überiliissiges, q ual volles Mittel). D. sagt von diesen Mitteln: Glücklich waren die Kranken zu prei¬ sen, die, der Natur überlassen, nur die Qualen ihrer Krank¬ heit zu ertragen hatten 1 (eine Bemerkung, die Rec. gern

unter-

XI. Selbstmord.

225

unterschreibt). Laue Bäder empfehlen D. und v. d. B., kalte schaden. Fufsbäder sind dem Verf. nach den Blut¬ entleerungen die wichtigsten Mittel. Applicationen auf das Epigastrium sind unnütz.

Eine Zusammenstellung der vom Verf. empfohlenen Behandlung übergehen wir, da diese sich schon aus dem Mitgetheilten ergiebt. Er führt hierbei die ihm auch in einigen Fällen nützlich gewesene Ortsveränderung der Kranken (die auch Rec. in einigen Fällen mit Erfolg rieth), und den von Willis und Odier empfohlenen Aufenthalt in Windmühlen an.

Rec., obschon er in manchen Punkten von den Mei¬ nungen des Verf. abweichen mufs, gesteht doch gern, dafs ihm das Lesen dieser Schrift, die noch dazu auf feines Papier und mit deutlichen Lettern gedruckt ist, ein wahres Vergnügen gewährt hat. Selten finden wir in den Schrif¬ ten unserer Nachbarn eine solche Kenntnifs fremder Litte- ratur; das wenige Fehlende hat der in fliefsendem Deutsch schreibende Hr. Herausgeber hinzugefügt, dem wir für diese Uebertragung eines einem gefühlten Bedürfnisse abhelfenden Werkes unsern aufrichtigen Dank sagen.

Behr .

XL

Der Selbs tmord in arzneigerichtlicher und in medicinisch-polizeilicher Beziehung; von Dr. Hey fe Id er, Mitgliede der mcdicinisch- chirurgischen Gesellschaft in Berlin, der Societe de medecine in Lyon, der Societe des Sciences Medicales du Departement de la Moselle in Metz, der Wetterauischen Gesellschaft für die gesammtc Naturkuhde, der medicinisch- philosophischen Ge- XIII. Bd. 2. st. 15

XI. Selbstmord.

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Seilschaft in Würzburg, der Leopoldinisch - Caro- linisclicn Academie der Naturforscher, und prakti¬ schem Arzte in Trier. Berlin, in der Knslinschen Buchhandlung. 1828. 8. VI u. 1 J 3 S. (18 Gr.)

Es ist eine betrübende Erfahrung, dafs die Zahl der Selbstmorde mit der Verfeinerung der Sitten und der grölse¬ ren Verwickelung der gesellschaftlichen Verhältnisse glei- chen Schritt hält, und dadurch an» augenscheinlichsten die Gebrechen offenbart, an welchen die fortschreitende Gultur des Menschengeschlechts je länger je mehr erkrankt. Unge¬ achtet der grofsen Vorzüge, welche die CiviÜsation durch Eröffnung eines u^nbegränzten Wirkungskreises für die gei¬ stige Thätigkeit der einzelnen Staatsbürger gewährt, ist sie leider nur zu sehr darauf berechnet, die Energie des Cha¬ rakters zu schwächen, und dadurch dem Genüith die uner¬ schrockene Ausdauer in Gefahren, die unbesiegbare Stand¬ haftigkeit in Ertragung schwerer Leiden zu rauben, durch welche die im Naturzustände lebenden Wilden sieb so sehr zu ihrem Vortheil auszeichnen. Nur wenn man dies lebel

:n seiner Quelle aufsucht, uud laut seine Stimme erhebt

* «

gegen die Thorheiten und Ausartungen des Zeitgeistes, welcher seinen Verirrungen immer zahlreichere ' Opfer zu bringen droht, darf man hoffen, den Makel auszutilgen, mit welchem er sich befleckt bat, und dadurch die zum Theil nur zu gegründeten Anklagen der Feinde aller fort¬ schreitenden Cultur zu entkräften. Man zieht aber offen¬ bar einen Schleier über die Kehrseite unseres geselligen Zustandes, wenn man, wie der Verf., die Veranlassungen zum Selbstmorde gröfstentheils in physischen Bedingungen sucht, gleich als wollte mau der Natur eine Schuld auf¬ bürden, deren der Meusch allein sich tbeilhaftig gemacht hat. I)ie Erfahrung, dafs trübe Gemüthsstinmmng sich im Gefolge anhaltender, nafskallei* Witterung einzustcllen pflegt, berechtigt uns noch nicht, die Gegenden, wo die Nebel während zwei DriUheilcu des Jahres den Zutritt der

XI. Selbstmord.

227

Sonne verhindern, und ein feuchtes und kaltes Wetter bei tiefem Barometerstände der stehende Typus der Atmosphäre ist, als solche zu bezüchtigen, welche leicht lndifferentiV mus und Lebensüberdrufs her'vorbringen ; denn ein gesun¬ des, festes Gemüth wird dadurch nicht aus seinem Gleich¬ gewicht gebracht werden; Die gedachten climatischen Ver¬ hältnisse erklären es daher auch nicht, wie der Verf. meint, dafs Lyon, Hamburg, Petersburg, Kopenhagen und Lon¬ don durch die Häufigkeit der in ihnen verübten Selbstmorde ausgezeichnet sind. Wie viel näher liegt es, den verderb¬ lichen Einflufs nachzuweisen, den die häufigen und unver¬ meidlichen Wechselfälle des Glücks in der Handelswelt, der hochgesteigerte Luxus, die Entfremdung von der Sittenein¬ falt bei der steten Berührung mit Ausländern auf schwach¬ befestigte Gemilther haben müssen? Nur bei der Trunk¬ sucht und den Ausschweifungen in der Liebe rnufs rhan deri Antheil, welchen die Zerrüttung des Nervensystems durch jene Laster an dem Lebensüberdrufs hat, ins Auge fassen, weil die Macht der physischen Gewohnheit nur zu oft den Sieg über bessere Grundsätze davon trägt. Der ^ ert. ist mit Blumenbach, Osiander und Casper der Meinung, dafs die katholische Religion der Neigung zum Selbstmorde widerstrebe, weil derselbe in den Ländern, in w'elchen sid herrscht, ungleich seltener vorkommt; da aber, wie er selbst bemerket, in Spanien und Italien die Zahl der an anderen verübten Mordthaten desto beträchtlicher ist, so wirft« dies

auf den sittlichen Charakter der katholischen Südländer ein

desto nachtheiligeres Licht.

Des Verb Absicht ging indefs weniger darauf", die ur¬ sächlichen Bedingungen des Selbstmordes zu ermitteln, als auf die Umstände aufmerksam zti machen, aus denen ge¬ schlossen werden kann, öb ein Todter durch eigene oder fremde Schuld des Lebens beraubt wurde; Es werden hier die bekannten Regeln gegeben: dafs man die Beschaffen¬ heit der beigebrachten Verletzungen^ in wiefern sie der Verstorbene leichter sich selbst beigebracht, oder v6m anderen

15 *

‘228

XI. Selbstmord.

v

empfangen haben konnte, berücksichtigen, ferner auf den Ort, wo, und auf die Lage, in welcher die Leiche gefun¬ den wurde, merken solle, so wie auf alles, was auf eine statt gefundene Gegenw-ehr hindeutet. Selbstmörder wäh¬ len gewöhnlich einen kurzen und sichern Weg zum Tode, wenn sie nicht durch Schwärmerei oder durch Zeit und I mstande zum Gegentheil getrieben wurden. Nur Gemüths- kranke, besonders Fanatiker , verstümmeln sich zuweilen auf eine grauenvoll«} W eise r um sich den Märtyrertod zu be¬ reiten. brauen scheinen fiir solche Todesarten eine Vor¬ liebe zu haben, w'elche keine grofse Kraftanstrengung und keine weitläuftige Vorbereitung erheischen, daher endigen sie am häufigsten durch einen Sturz von einer Höhe, im Wasser, oder mit Hülfe eines Giftes u. s. w. ihr Leben, ln Fällen, w o aus der l ntcrsuchung eine eben so grofse Wahrscheinlichkeit für Mord, als fiir Selbstmord hervor¬ geht, mufs der Arzt nachforschen, ob in der Leiche viel¬ leicht Spuren von Krankheiten zu entdecken seien, von denen es bekannt ist, dafs sie die Neigung zum Selbstmorde besonders rege machen. Dahin rechnet Lsquirol d. j Scropheln, die Stockungen im Pfortadersystem, die Ple¬ thora, besonders aber das Pellagra, denen Gsiander noch die schmerzhafte Caries der Schädelknochcn, Gehirnentzün¬ dungen, Nervenfieber, Kopfwunden, Depressionen dca Schä¬ dels, lange und sehr schmerzhafte Uebel, Krankheiten der Geschlechtstheile, chronische Entzündungen der dünnen Ge¬ därme, Herzkrankheiten, hartnäckige Verstopfungen und Würmer hinzugesellt. Dieser Gatalog wird aus anderen Schriften noch vermehrt; immer werden aber aus aufgefun¬ denen organischen Fehlern nur muthmaafsliche Folgerungen auf verübten Selbstmord gezogen werden können. Nach Lsquirol ist letzterer zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahre am häufigsten, und es läfst sich dies auch wohl aus den heftigen Leidenschaften dieses Al¬ ters, denen noch keine gewisse Charakterstärke das Gleich¬ gewicht hält, begreiflich machen. Unter den merkwürdigen

' XI. Selbstmord,

229

Versuchen, sich das Leben zu nehmen, welche der Verf. erzählt, verdienen zwei ausgezeichnet zu werden; in dem einen Falle legte sich eine gesunde und starke dreifsigjäh- rige Dame auf eine Matratze, und setzte 200 Blutegel an den Leib, doch bewogen die heftigen Schmerzen sie, um Hülfe zu rufen; fo dem anderen näherte sich eine, nachher in der Pariser Charite behandelte Person, absichtlich eini¬ gen Bienenschwärmen, von denen sie abscheulich zugerich¬ tet wurde. Es heifst hier mit Recht:

Mille modis morimur mortales, nascimur uno,

«Una via est vitae, moriendi mille figurae.

Der Verf. geht hierauf die Todesarten, welche von den Selbstmördern am häufigsten gewählt werden, einzeln durch. Todte, welche man erhenkt findet, haben die Ver- muthung des Selbstmordes wider sich, da diese Todesart

einem Menschen nicht leicht wider seinen Willen, oder

* «

nur durch eine grofse Uebermacht angethan werden kann. iNicht selten werden indefs Leichen aufgehenkt, um die an ihnen verübte Tödtung durch den Anschein des Selbstmor¬ des zu verstecken. Die bekannten Zeichen der Apoplexie und Erstickung müssen dann für den Beweis der Strangu¬ lation aufgesucht werden, und unter ihnen gilt die Blut¬ unterlaufung an der Strangrinne des Halses als ein vorzüg¬ lich charakteristisches Merkmal. Doch sind neuere Erfah¬ rungen in Menge vorhanden, wo in unzweifelhaften Fällen des Selbstmordes durch den Strang weder Aufgetriebenheit, noch Rothe des Kopfes wahrgenommen, vielmehr das Ge¬ hirn und die Brustorgane fast blutleer gefunden wurden. Auch die Strangrinne war oft durchaus nicht sugillirt, son¬ dern dunkelgelb, hart und spröde, ganz analog den Erschei¬ nungen an Individuen, welche todt aufgehängt waren. Der Verf. erklärt diese Abweichungen aus den verschiedenen Todesarten, welche durch die Strangulation möglich wer¬ den. Letztere bewirkt einen Blutschlag, wenn der zwischen dem Kinn und Zungenbeine anliegende Strang nur die J»Lut- gefäfse des Halses comprimirt, wobei die Respiration noch

230

XI, Selbstmord,

eine Zeitlang fortdauert; in diesem Falle wird sich eine Sugillation an der Stangrinne bilden. Fin schneller Er- slickungstod tritt ein, wenn die Luftwege tiefer abwärts zusammcngedVüekt werden; alsdann wird das Gesicht blaU sein, und die gedachte Sugillation fehlen, weil der Rück¬ tritt des Blutes aus den Gcfäfsen des Gehirns bis zuin Tot desaugenblicke fortdauerte. Die Zcrrcifsung der Knorpel und Bänder des Kehlkopfs, die Luxation oder Fractur der Halswirbel sollen nicht immer den Beweis eines gewaltsa¬ men Mordes liefern, da Vigne einen Fall mittheilt, wo ein starker und schwerer Mann sich diese Verletzungen zu¬ fügte, als er nach Anlegung des Stricks von einem Tisch herabsprang. Ob die Erscheinungen eiucr Erectio penis, erfolgte Saamenergiefsung und Sugillation des llodensacks, als das Product eines apoplectiscben Todes von Blui über- füllen" des kleinen Gehirns anzusehen sind, wie Serres beobachtet haben will, und daher beim Ersiickungstode fohlen müssen, ist wohl noch durch weitere Erfahrungen zu bestätigen Analog diesen Erscheinungen sollen nach Büttner Anhäufung von Blut im Uterus und der Scheide, und Vorhandensein von Blut und Schleim in Leiden hei erhenkten Frauen angetroffen werden.

Noch schwieriger ist die Unterscheidung, ob ein im Wasser Aufgefundener in demselben gestorben, oder als Leiche hineingeworfen sei. Das Vorhandensein einer schäu¬ menden Flüssigkeit in der Luftröhre und den Lungen wurde bis jetzt meistentheils für einen Beweis der Krstickung im Wasser gehalten; dagegen sprechen aber die Resultate der vielen Versuche, welche Orfila mit Thieren anstellte. Er fand, dafs der von der Schleimhaut der Luftröhre abgeson¬ derte Schleim jene schäumende Flüssigkeit, auch ohne Hin- zutreten von Wasser, bilde, sobald unausgesetzt frische Luft eingeathmet werde; daher finde sich dieselbe auch bei Erhenkten, und bei solchen Individuen, die in einem epiT lcptjschen Anfälle ihren Geist aufgegeben haben, und fehle gegenlhejls hei Ertrunkenen, die nach dem Sturz ins Wasser

XI. Selbstmord.

2'M

nicht mehr nach der Oberfläche zurückkommen. Er sieht die Gegenwart des Wassers im Magen als das einzige sichere Merkmal des Todes durch Ertrinken an.

Bei Vergiftungen ist es nach Henke in den meisten Fällen unmöglich, durch physische Merkmale auszumitteln, ob der Verstorbene das Gift selbst nahm, oder ob es ihm

‘fr

von einem andern beigebracht wurde. Nur das Vorhanden¬ sein von einer sehr grolsen Quantität eines sehr widrig schmeckenden Giftes ist das einzige muthmaafsliche physische Merkmal einer absichtlichen Vergiftung.

Beim Tode durch Erschiefsen ist die Verwechselung des Selbstmordes mit gewaltsamem Morde am leichtesten möglich, daher man mit der gröfsten Sorgfalt auf die Be¬ schaffenheit des Ortes, die Stellung, in welcher der Leich¬ nam gefunden ward, die Kleider und Lmgebungen dessel¬ ben achten mufs. In Bezug auf die Schnittwunden ver¬ dient es bemerkt zu werden, dafs Selbstmörder sich zuwei¬ len auf eine Weise zerfleischen, welche man für den Be¬ weis eines Mordes halten sollte. So brachte sich eine Frau in Paris 500 Schnitt- und Stichwunden bei; ein Pariser Banrjuier schnitt sich den Hals ab, nachdem er Brust und Unterleib mehreremale durchbohrt hatte. Selten wer¬ den Selbstmörder sich durch Hiebwunden tödten; doch schlug ein Apotheker sich den Schädel mit einer Mörser¬ keule ein, ein Tagelöhner fügte sien eine tödtliche Ver¬ letzung mit einer Holzaxt zu. Der Hungertod wird in der Regel durch freien Entschlufs des Selbstmörders her¬ beigeführt; doch erzählt der Verf. einige Beispiele, wo man Personen verhungern liels.

Ideler.

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XII. Kopfverletzungen.

XII.

Al) handlang über die Verletzungen am Kopfe, und die Darchhohrnng der Hirn« schale. Von \incenz Ritter v. Kern, der Me di ein und Chirurgie Doctor, Sr. K. K. apostol. Majestät Rath und wirklichem Lcibchirurg, Ritter des Kaiser], usterr. Leopold- Ordens, der medici- mschen, chirurgischen und thierärztlichen Studien an der hohen Schule zu Wien Vice-Dircctor, u.

s. w. Wien, hei J. P. Sollinger. 1829. 4. 161 S. (3 Thlr. 12 Gr.) . 0 : *

^ . M * *

Die Verletzungen des Kopfes und die Anzeigen zur Trepanation sind ein so oft besprochener Gegenstand, dafs man glauben sollte, die Acten hierüber miifsten bereits ge« schlossen sein. Leider aber ist dieses, wie jeder sachkun¬ dige Wundarzt uns zugestehen wird, nicht der Fall, und somit verdient jeder, der zur Aufhellung dieser dunkeln Punkte in der Wundarzneikunde beiträgt, unsern Dank. Das Unternehmen des Verf. war daher lobenswerth, um so mehr^ da er in der 'S orrede behauptet^ in dieser Schrift nichts gesagt zu haben, was nicht von ihm setbst in und an der kranken Natur geschaut, reflectirt und beobachtet worden sei, und dieselbe kein Wort, welchem nicht das Siegel reiner Wahrheit aufgedrückt sei, enthalte. Wie der Verf. sein Vorhaben vollbracht hat, werden wir jetzt, wo wir uns zur Angabe des Inhalts wenden, sehen.

Ira ersten Abschnitte spricht der Verf. von den Verletzungen am Kopfe, und zwar I. Von den äufseren Verletzungen. A. ^ on den Wunden am Kopfe durch scharfe Instrumente veranlafst. a) Von den Schnittwunden des Schädels. (Die hier gegebene Linthedung ist offenbar unlogisch. Der Verf. versteht uu- 'tcr « äufseren Verletzungen » solche, die äufserlich wahr-

XII. Kopfverletzungen. 233

nehmbar sind, und doch rechnet er die Fracturen der Schä¬ delknochen zu den inneren Verletzungen! Eben so unlo¬ gisch ist es, von Schnittwunden des Schädels zu spre¬ chen.) b) Von den Hiebwunden des Schädels, c) Von den Stichwunden des Schädels. B. Von den Wunden des Kopfes, durch stumpfe Werk¬ zeuge veranlafst. Ueber die Behauptung, dafs man bei Streifschüssen vor einer Verletzung der Hii nschalenknochen, sowohl der äufsern als innern Tafel, gesichert sei, haben wir uns gewundert, indem die Erfahrung anderer Wund¬ ärzte nicht selten das Gegentheil zeigt. II. Von den in¬ nern Verletzungen, a) Von der Gehirnerschüt¬ terung. Sie soll jede (?) Kopfverletzung begleiten, und ihrem Wesen nach von der Quetschung äufserer Theile in nichts, als dem Orte, verschieden sein. War die Kraft der mechanischen Einwirkung, sagt der Vcrf., gleich 30, die der Organisation des Gehirns zur Beschränkung der durch die Erschütterung hervorgebrachten schwingenden Bewe¬ gungen dagegen ebenfalls gleich 30, oder noch höher, so erfolgt die Ausgleichung, oder mit andern Worten, die Herstellnng der vorigen Normalität in dem Augenblicke, als die Einwirkung vorüber ist, und die Beleidigung ist gleich Null. Je überwiegender aber die Kraftseite der Or¬ ganisation des Gehirns ist, um so weniger erfolgt auch eine Veränderung der Urbestandtheile aus ihrer normalen Lage, und wenn sie eintritt, wird sie desto schneller ausgeglichen. Ist hingegen die Einwirkung der mechanischen Gewalt gleich 20, die Rückwirkung von Seiten der Dynamik des Gehirns gleich 15, so bleibt die Beleidigung gleich 5 u. s, w. Der Meinung, dafs bei der sogenannten Bluterschüt¬ terung nur das Gefäfssystem des Gehirns, bei der Nerven¬ erschütterung nur das Nervensystem, und bei der Gallen¬ erschütterung nur die Galle absondernden Organe erschüt¬ tert seien, pflichtet der Verf. wegen der organischen und sympathischen Verbindung dieser Systeme nicht bei; aller Unterschied zwischen diesen Arten bezieht sich nach ihm

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XII. Kopfverletzungen.

nur auf den Grad uod die Dauer der schwingenden Be¬ wegungen, und die nach denselben zurückgebliebenen Fol¬ gen. Da aber trotz des überall und immer gleichen W esens der Erschütterung; doch nach Verschiedenheit des Grades und ihrer Folgen eine verschiedene Handlungsweise der Kunst eintreten muCs, so betrachtet er nun jene verschie¬ denen Arten insbesondere, und spricht daher a) von der B 1 u tersch ii ttcr u ng. Die Symptomatologie dieser, so wie der andern Arten, liefert er sehr genau. Aufgefallen ist uns die Behauptung, dafs sich der \ crlctztc aus der Sinnlosigkeit nicht wieder erholen soll. Das aus den ver¬ schiedenen Oeffnungen des Kopfes auslliefsende Blut stammt nach dem Verf. nicht aus der Höhle des Schädels, sondern aus jenen Organen seihst, also aus dem Ohre, der Nase, dem Auge, dem Munde. Der bisher von den meisten "Wundärzten als wahr angenommenen Behauptung, dafs, je gröfser und beträchtlicher die äufsere Verletzung des Schä¬ dels sei, die innere desto weniger zu bedeuten habe, wi¬ derspricht der Verf. geradezu. Die Behandlung dieser Art von Erschütterung soll besonders dahin zielen, den im Cercbralsysteme gestörten Kreislauf der Säfte wieder zur Norm zurückzuführen. Die in eiskaltes Wasser getauchten und in möglichst kurzen Zwischenräumen gewechselten Com- pressen spielen hier, und sicher mit Hecht, eine Hauptrolle. Die S c h ni uck ersehen Fomentationen werden als überflüs¬ sig, und beim Zwgegenscin einer äufseren Verletzung als schädlich w'egen der chemischen Beleidigung (:' 1 ) verwar¬ fen. Die Arteriotomie, die Sectio venae jugularis und ve- nar. pedis tadelt er, und empfiehlt den Aderlafs am Arme, aber nicht bis zur Ohnmacht, die Application der Saug¬ würmer (sic!) erst nach vorangeschicktem Aderlafs. Gegen die Blutegel, als allein seligmachendes Mittel, eifert der Verf. sehr. Den Calomei giebt er, was uns bisher völlig fremd war, auch in Klysticren Der Drastica bedurfte er nie- b) Von der Nerven- oder eigentlichen Ge¬ hirnerschütterung. Hier sind die ürbcstuttdtheile der

I

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XII. Kopfverletzungen.

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Organisation des Gehirns In hohem Grade aus Ihrer nor¬ malen Lage griiekt. Kranke der Art leben selten länger als 24 bis 36 Stunden nach erlittener Gewalt, ln einigen solchen Fällen fand der Verf. bei der Section die harte Uirnhaut von ihren Verbindungen losgetrennt und an der Basis cranii die Nerven aus ihrer Lage gerückt, und einige leichte Sprünge der Knochen. Man hat es hier blofs mit einer Indicatio vitalfs zu thun. Moschus und Campher sind dem V erf. die Hauptmiltel, und bel£ gesteigerter Empfind¬ lichkeit Laudanum (!). Auch die Arnica rühmt er. Viel¬ leicht, meint er, wäre in dergleichen Fällen das Glüheisen auf den Kopf oder an die Wirbelsäule zu appliciren. c) Von der Gallenerschütterung (ein unlogischer Ausdruck). Diese Form findet statt, wenn die mechanische Gewalt ihre Wirkung bis auf das Lebersystem (aberfwie? darüber hätte sich der Verf. aussprechen sollen, denn mit dem blofsen Consensus nervorum ist so gut, als nichts ge¬ sagt) ausdehnte, oder wenn schon vor der Verletzung ein biliöser Zustand oder eine Anlage dazu ausgesprochen war. Die Blutentziehungen sollen hier mit Vorsicht angestellt werden. Gleichzeitig mit leichten Brech- und Abführmit¬ teln empfiehlt der Verf., um die Kräfte zu unterstützen, den Campher. Die Frage: Ist die Trepanation bei rei¬ nen, für sich allein bestehenden Gehirnerschütterungen an¬ gezeigt? beantwortet er, in Uebereinstimmung mit den meisten Wundärzten, aus guten Gründen mit Nein. Ob- §chon er das augenblickliche Trepaniren, ohne Dasein einer absoluten Anzeige nicht billigt, weil dasselbe dann oft un- nüthig geschieht, und im Allgemeinen für das Abwarfen der consccutiven Erscheinungen stimmt, so gesteht er doch, dafs es Fälle giebt, in denen sogleich nach erfolgter Ver¬ letzung trepanirt werden müsse. Dies sind jedoch nach ihm nur jene, wo eine sehr heftige Gewalt auf den Kopf ein¬ wirkte, wo es also mehr als wahrscheinlich ist, dafs nebst der unvermeidlichen Erschütterung auch andere Normwi- drigkeiteu, weiche nur durch die Trepanation beseitigt wer-

236 XII. Kopfverletzungen.

den können, vorhanden sind; oder wo schon aus der Ge¬ walt der äufseren Verletzungen, wie z. B. einem beträcht¬ lichen Knochenbruche mit Kindruck, die inneren Beleidi¬ gungen des Gehirns unverkennbar sind, und nur durch den i repan gehoben werden können. b) Von dem Kx.«- travasate unter der Hirnschale. Die Erscheinungen, die auf Eiterung des Gehirns schliefscn lassen, gewährten dem \ erf. nie (!?) die geringste Sicherheit; Frösteln, Dummheit, Sopor, Sinnlosigkeit und Lähmungen gaben ihm stets nur \\ inke, nie aber sichere Zeichen. Dasselbe gilt von dem wässerigen Extravasat. Gesetzt auch, meint der \ erf. , wir wären mit aller Gewifsheit im Stande, das Dasein und die Stelle eines wässerigen oder eiterähnlichen Extravasats zu erkennen, so würden wir doch noch nichts gewonnen haben, denn durch die Trepanation könnten wir doch nie das Nächsturs^chliche dieser Extravasate heben. Kein Blutextravasat ist ohne vorausgegangene Extravasation, keine Extravasation ohne vorausgegangene Trennung eines Gefäfses, und diese wieder nicht ohne gleichzeitig voraus- gegangene mehr oder minder bedeutende Erschütterung bis zur Aufhebung des Zusammenhangs denkbar. Die Zeichen eines Blutextravasats sind auch nicht sicher. Die Zeit des Eintritts der Erscheinungen desselben sollen nichts weni¬ ger, als immer, Gewifsheit geben. Oft wird der wieder¬ holte Eintritt der Erscheinungen einem Extravasat zuge¬ schrieben, wahrend er doch nur der Erschütterung angc- hürt. Das Fassen des Kranken mit der Iland nach dem Kopfe, und das Liegen des Kranken auf einer Seite, so wifc das willkührlicbe Umdfehen des Kranken auf diese Seite, falls man denselben auf die entgegengesetzte Seite legte, sind dem Yerf. keine sicheren Zeichen. Für am sichersten hält er das successivc Steigern der Erscheinun¬ gen. Der Behauptung, dafs beim Extravasat die Respira¬ tion tief und schwer, dagegen bei der Erschütterung frei und leicht sei, pflichtet er nicht bei. Die eintretenden Läh- inpngen sind ein unzuverlässiges Zeichen in Hinsicht des

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XII. Kopfverletzungen.

Sitzes des Extravasats. Extravasate sind oft Resultat des aufhörenden Lebens im Cerebralsystem, und entstehen dann in den letzten Lebensstunden. (Eine besonders für gericht¬ liche Aerzte wichtige Beobachtung.) Die Behandlung theilt der Verf. in die der ExtravasatLon und in die des Extrava¬ sates. Bei jener ist es Zweck, dem Blutaustritt Einhalt zu thun, vorzüglich durch kalte Umschläge; bei dieser entwe¬ der das Blut der Aufsaugungsthätigkeit der Natur zu über¬ lassen, oder demselben künstlich einen Ausweg zu bahnen. Welchen von beiden Wegen soll man einschlagen? Hat man nicht Grund, sagt der Verf., aus der Heftigkeit der vorausgegangenen mechanischen Einwirkung und den vor¬ handenen Erscheinungen, weil diese nur gering sind, auf eine bedeutende Quantität extravasirten Blutes, somit auf keinen bedeutenden Druck des Gehirns zu schliefsen, so handelt man am besten, dasselbe der Thätigkeit der Natur zu überlassen, um so mehr, da die Erscheinungen desselben nicht nur an sich, sondern auch vorzugsweise in Bezug auf die Stelle seines Sitzes so unsicher und schwankend sind. Finden jedoch die entgegengesetzten Verhältnisse statt, war die Einwirkung der Gewalt von grofser Heftigkeit, deuten die Erscheinungen auf bedeutendes Extravasat und nahe Gefahr oder auf anderweitige, auch ohne Extravasat die Trepanation erfordernde Zustände hin, so mufs sogleich trepanirt werden. Blofs wegen eines Extravasats hält der Verf. daher die Trepanation nicht für angezeigt. Aufs Ge- rathewohl 5 bis 6 Trepankronen an verschiedenen Stellen

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aufzusetzen, um das Extravasat aufzufinden, mifsbilligt er natürlich ganz. Hatte die Natur Kraft und Thätigkeit ge¬ nug, die an sich beträchtlicheren Folgen der Erschütterung auszugleichen, so hofft der Verf., wird sie auch die Auf¬ saugung des Extravasats bewerkstelligen; und ist sie nicht im Stande jene auszugleichen, so mag man immerhin das Extravasat beseitigen, man rettet den Kranken doch nicht, beschleunigt vielmehr durch die Trepanation dessen Tod. c) Von den Brüchen der Hirnschalknochen. Der

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XII. Kopfverletzungen.

Knochenbruch an sich erfordert keine eigene Behandlung, datier auch nicht die Trepanation. 1) Von den Ein- d rücken. Ein Blutextravasat ist dabei stets unvermeidlich. Die Fortdauer der Bewußtlosigkeit gleich nach der \ er- letzung soll nicht sowohl von dein Eindrücke, als von der Erschütterung herrühren (? diese wirkt vorübergehend, jener bleibend). Uebereinahderschiebung, und Aufthiirtnung der Schädelknochen. Die Prognose in allen solchen t allen ist böse, man kann des erlustes des Kranken gewiß ( !) sein, wegen der heftigen Erschütterung* Genas ein auf diese Art Verwundeter, so ist dies eine Ausnahme von der Kegel. Dem Verf. leistete die Trepanation hier nie etwas, doch aber nennt er sie «das einzige Kettungsmittel. * Zur Zurückführung des Knochens in seine normale Eage bedient er sich nur der^Trcpanation , die er sogleich unternimmt; alle anderen dazu empfohlenen Mittel verwirft er. 2) Von den Knochensplittern. Der ziemlich allgemein ange¬ nommenen Behauptung, dafs, je größer die Beleidigung der äußeren Tafel sei, je mehr Splitter derselben es daher gäbe, desto geringer die Verletzung der inneren Tafel und des Geschwürs sei, pflichtet er nicht bei. Aeufsere Split¬ ter deuten daher immer (?) auf innere hin. Automatische Bewegungen des Kranken mit der Hand nach dem Kopfe sind dem Verf. keine charakteristischen Zeichen eines inne¬ ren Splitters. Die Zeichen von Entzündung treten oft erst den 20sten bis 40stcn Tag auf. Je blasser der Urin, desto größer die Gefahr. Der Verf. fand bei Sectionen Öfters Splitter der inneren Tafel, die während des Bebens gar keine Zufälle bervorgebracht halten. Auf das Dasein eines solchen Splitters weist kein einziges Symptom deut¬ lich hin, doch aber muß man hei bloßer Wahrscheinlich* keit an der Stelle seines Sitzes trepaniren. Je früher die Beseitigung des Splitters geschieht, desto besser.

Necrose und Ca ries wird von mancheq Wund¬ ärzten auch als Indication zur Trepanation angesehen. In Hinsicht der ISecrose sagt der Verf» sehr wahr; «« Bei der

XII. Kopfverletzungen.

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unbegrenzten Necrose kann so wenig von der Trepanation, als bei dem unbegrenzten Brande weicher Theile von der Amputation die llede sein; und hatte die Natur so viel Kraft, die Necrose zu begrenzen, so wird sie auch das Todte vom Lebendigen ohne Zuthun der Kunst sondern. » Auch bei der Caries hält er die Trepanation nicht für an¬ gezeigt, denn die Caries ist fast nie eine rein örtliche Krankheit; und beschränkt sie sich blofs auf die innere Ta¬ fel, so ist sie gar nicht (? auch nicht durch Mifsfarbigwer- den des Perieraniums?) zu entdecken. Von den Kno¬ chenauswüchsen der inneren Hirn schaltafel be¬ hauptet der Verf. , dafs sie immer dyscrasischen Ursprungs wären, und verwirft daher auch bei denselben die Trepa¬ nation; auch sind die Zeichen derselben stets höchst un¬ sicher. Nur wenn die Afterorganisation durch eine äufsere Veranlassung gesetzt worden ist, keine Complicalion mit Dyscrasie statt findet, und noch nicht so lange bestanden hat, dafs in den benachbarten Gebilden solche Veränderun¬ gen, die durch den Trepan nicht gehoben werden können, hervorgebracht sind, hält er allenfalls die Trepanation für angezeigt.

Nun erst kommt der Verf. zu der Behandlung A) jener äufseren Verletzungen des Schädels, welche durch scharfe Instrumente veranlafst werden, a) Behandlung der Schnittwunden. Schnelle Vereinigung. Kalte Um¬ schläge. b) Behandlung der Hiebwunden. Schnelle Vereinigung und kalte Umschläge leisten auch hier dem Verf. iUles. Her entblöfste Knochen stirbt nur ab, wenn er stark gequetscht war, lange entblöfst blieb, und vorzüg¬ lich, wenn er mit balsamischen Mitteln belegt wurde. Heilt der Lappen nicht an, so soll man ihn doch nicht abschnei¬ den. c) Behandlung der Stichwunden. Das Erwei¬ tern der Wunde räth der Verf. nur an, um sich von der Beschaffenheit des Knochens zu üherzeugen, nicht aber um die Spannung der Galea aponeurotica, ein gewils höchst wichtiger Umstand, zu beseitigen. Zur Trepanation räth

240 XII. Kopfverletzungen.

er nur, wenn Zeichen von Zersplitterung der inneren Tafel vorhanden sind. B) Von der Behandlung jener äufseren \erletzuogen des Schädels, welche durch stumpfe Schäd¬ lichkeiten veranlafst werden. Gegen Quetschungen, Beulen, werden vorzüglich Umschläge von kaltem N asser empfoh¬ len, und auf die schädlichen Wirkrngen der geistigen und warmen Umschläge wird aufmerksam gemacht. Ist die Ent¬ zündung vorüber, so passen Umschläge von warmem Was¬ ser'. Blutgeschwülste, mit Störungen des Sensoriums ver¬ bunden, öffne man hinreichend. Gequetschte Wunden er¬ weitert der Verf. mit dem Messer und versucht dann die schnelle Wreinigung, die allerdings nichts schaden kann. Schufs wunden. Entfernung der Kugel. Das Anbohren derselben widerräth er, weil man durch den dabei noth- wendigen Druck schaden kann, und empfiehlt dagegen das Erweitern der Wunde oder die Trepanation. Drang die Kugel zwischen harte Hirnhaut und Knocheo, so entdecke man ihren Sitz durch vorsichtiges Sondiren, und trepanire dann. Bahnte sich die Kugel einen Weg in das Gehirn selbst, so überlasse man alles der Natur (!!).

Die krage, ob die Trepanation einen heilbringenden Werth habe oder nicht, beantwortet der Verf., wie aus dem N origen erhellet. Er betrachtet sie als eine nicht ganz gefahrlose Operation, und meint, sie habe .in Bezug auf Ivettung des gefährdeten Lebens nur einen höchst beschränk¬ ten W erth. Ueber die Bestimmung der Zeit, wann trepa- nirt werden solle und müsse, spricht er sich dahin aus, dafs die Trepanation auf der Stelle zu vollfuhren sei, so¬ bald man die Indication gestellt, d. h. sobald man sich von dem Dasein eines fremden, mit dem Gehirne und seinen Einkleidungen in schädlicher Berührung stehenden Körpers überzeugt habe. Die Frage, unter welchen, die Trepana¬ tion absolut fordernden Krankheitsverhältnissen ein günsti¬ ger Erfolg von dieser Operation erwartet werden könne, beantwortet er so; Sie kann nur da von einem glücklichen Erfolge begleitet sein, wo das Gehirn auf keine andere

* * Weise,

XII. Kopfverletzungen. 241

Weise, als jene, welche durch den Trepari entfernt wer¬ den kann und wird, beleidigt ist. Zu den Gegenanzeigen rechnet er einzig und allein einen schon vorhandenen Ster- bezusland des Kranken, und glaubt, dafs alle übrigen in ihr Nichts zerfallen.

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Seite 110 kommt der Yerf. im zweiten Abschnitte zu den Methoden der Trepanation und deren Be¬ schreibung. I. Verfahren mit dem Bogentrepan. a) Mit dem von Bell verbesserten englischen, den er allen andern vorzieht. A) Momente vor der Operation. Festsetzung der Indication; Bestimmung der Stelle, an wel¬ cher der Trepan in Anwendung gebracht werden soll; Zahl der Kronen, je weniger, desto besser. So viele Kro¬ nen, als zur Blofslegung eines Extravasats bis zu seinen Gränzen erfordert werden, anzusetzen, widerräth der Verf. ; da, wo das Extravasat zwischen der Dura mater und dem Schädel sich befindet, und durch theilweises Verbundensein der ersteren mit letzterem gleichsam in mehrere Depots ge- theilt erscheint, räth er, alle Anhängepunkte zu trennen, anstatt auf jedem Depot den Trepan aufzusetzen. S. 119 sagt er aber, alle Trepanirte wären ihm gestorben!! Vor¬ richtung der nöthigen Gerätschaften. Der Trepanbogen soll anstatt der beweglichen Scheibe eine Handhabe haben, in welcher der Bogen beweglich ist. Lagerung des Kran¬ ken. Bestimmung und Anstellung der Gehiilfen. B) Mo¬ mente während der Operation. Zur Trennung der allgemeinen Bedeckungen wählt der Verf. immer den Län¬ genschnitt, den er von innen nach aufsen vollführt, um gewifs beim ersten Schnitt die Schädelmütze zu trenpen. Ob das Pericranium abgeschabt wird oder nicht, hält er für gleichgültig, doch aber zieht er ersteres vor. Auf die Bildung der Schraubenmutter durch Ein- und Ausschrauben des "lire-Fonds gleich nach Zurückziehung der Pyramide macht er besonders aufmerksam. Einen Längenschnitt in die Dura mater hält er zum Ausflufs eines Extravasats für hinreichend. Splitter, die mit dem Knochen noch in iheil- XIII. Kd. 2. Su 16

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XII. Kopfverletzungen.

weiser Verbindung stehen, räth er, nicht abzubrechen, son¬ dern durch noch eine Krone zu entfernen, und, wenn die Verbindung noch bedeutend ist, durch den Hebel in ihre normale Lage zurnckzudrücken. b) Verfahren mit dem älteren Trepane. ( Kr soll in Wien noch im allgemeinen Gebrauche sein; was, doch wirklich viel wäre!) II. V er¬ fahren mit dem II a n d t r e p a n oder der sogenann¬ ten Xrephinc. Der VTcrf. will sie nur im Kall der Notli anwenden !

B. Von den ungünstigen Ereignissen wäh¬ rend der Operation. Das häufigste ist, dafs man den Zweck der Operation durch die erste Krone gar nicht, oder nur unvollkommen erreicht. Ein anderes, die Verletzung der harten Hirnhaut; die Verletzung eines Bluthälters oder der Arteria meningea media. Die Blutung aus jener will der Verf. durch Umschläge von kaltem Wasser oder durch die Unterbindung stillen.

C. M o mente nach der Operation. Die Haut wird in ihre natürliche Kage gebracht, durch ein PaarXle- bepflasterstreifen darin erhalten, und Comprfcssen, die in eiskaltes Wasser getaucht sind, darüber gelegt. Alles an¬ dere schadet! Nach einigen Tagen kommt das lauwarme W asser an die Reihe, und dabei heilt die Wrunde. Nach¬ blutungen ereignen sich bei diesem V erfahren nie. Stellen sich Schüttelfröste ein, so sterben die Kranken immer» (War denn dies bei allen Operirten des Verf. der Fall?) Absterben der Knochenränder an der Trepanöffnung. Wu¬ cherungen der harten Hirnhaut und Hirnbruch. Jene halt der Verf. für das Product einer fehlerhaften örtlichen Be¬ handlung der Trepanationswunde mit reizenden Mitteln; er empfiehlt auch hier kalte Umschläge, und zuletzt die Eiga- tur. Kalte Umschläge empfiehlt er auch beim Hirnbruch, der schon in den ersten Momenten seiner Entstehung das Gepräge der Unheilbarkeit an sich trägt. Beide Uebclseins- formen heilte der V'erf. nie! *• Füllt sich uach der Tre¬ panation die Koochenöffaung nicht mit neuer Masse aus,

XIII. 1. Krankh. d. Harn - u. Geschlechtsorgane. 243

so räth der Verf. , den Theil mit Lederflecken (sic!*), die mit Baumwolle oder Flanell gefüttert sind, zu bedecken.

Dies sind die Ansichten Kern’s über diesen wichti¬ gen Gegenstand. Wir glaubten theils der Wichtigkeit des¬ selben, theils des Namens des Verfassers wegen sie so ausführlich mittheilen zu müssen. Aus dem Gesagten er¬ hellt, dafs Kern in manchen Stücken von den gewöhn¬ lichen Ansichten ab weicht. Dafs er die Anzeigen zur Tre¬ panation zu beschränken gesucht, scheint uns das Haupt¬ verdienstliche dieser Arbeit zu sein, denn noch immer wird diese an sich gewifs nicht gleichgültige Operation ohne alle Anzeige von manchen Wundärzten verrichtet, woher es denn auch kommen mag, dafs manche so günstige Resul¬ tate, und andere, die strengeren Indieationen folgen, so ungünstige Resultate erhalten. Des Verfassers Resultate sind allerdings sehr ungünstig, allein wir glauben, er hat sich an jener Stelle, wo er sagt, alle Trepanirte wären ihm gestorben, nicht richtig ausgedrückt, denn an andern SteUen seines Werkes, z. B. S. 117, spricht er von glück¬ lich abgelaufenen Operationen! Dafs das kalte und warme Wasser eine grofse Rolle spielt, darüber wird sich niemand, der Kern’s Ansichten kennt, wundern. Die Schreibart des Verf. ist holperig, sie wimmelt von Provincialismen, die ein Professor der Chirurgie doch eigentlich vermeiden sollte! Druck und Papier sind gut, das Werk aber

offenbar viel zu theuer.

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XIII.

Kleine chirurgische Schriften.

1. Krankheiten der Harn- und Geschlechtsor¬ gane; enthaltend: Neue Beobachtungen über die \er-

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XIII. 1. Krankheiten der Harn

engerungen der Harnröhre, und derep Behandlung, prak¬ tische Bemerkungen über nicht contagiüse Ausflüsse und chronische ( inveterirte) Tripper, und deren Heilung durch die Cauterisation , chronische Entzündungen des Blasenhalses , und deren glückliche Heilung durch die Cau¬ terisation. Von F. Lallemand, Prof, der chir. Klinik bei der med. Facultät zu Montpellier, erstem W undärzte des Civil- und Militär- Spitals daselbst, u. s. w. Aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen begleitet von A. W. Pestei. Leipzig, Magazin fiir Industrie und Litteratur. 1828. 8. 262 S. (1 Thlr.)

Vorliegende Schrift bildet den zweiten Theil der Beob¬ achtungen über die Krankheiten der Ilarnwerkzeuge von Lallemand, und ist also eine Fortsetzung von: «< Ueber Verengerungen der Harnröhre und deren Behandlung, von Lallemand. Aus dem Franz, übersetzt von A. W. Pc- stel. Leipzig, Magazin für Industrie und Litteratur. 1825.’» Da wir glauben, annehmen zu dürfen, dafs jeder Wund- arzt, den nur irgend das schwierige Kapitel über die Ver¬ engerungen der Harnröhre intercssirt, Lallemand’s Me¬ thode diese Krankheitsform zu behandeln kennen wird, und da dieselbe in jener 1825 erschienenen Schrift hinlänglich auseinandergesetzt ist, so übergehen wir sie hier mit Still¬ schweigen, und erwähnen blofs, dafs die im ersten Ab¬ schnitt (Fortsetzung der Beobachtungen und Bemerkun¬ gen über die Verengerungen der Harnröhre) von Seite 1 bis 130 mitgetheilten Beobachtungen sehr zu Gunsten von Lallemand's Methode sprechen, daher auch jeden, der es mit seinen Kranken gut meint, anspornen müssen, diese Methode selbst zu prüfen. Die Beobachtungen, wenn auch nur im Auszuge wiederzugeben, würde uns zu weit rühren, wir überlassen deswegen das Nachlesen derselben jedem selbst, können es aber nicht unterlassen, einiges aus den diesen Beobachtungen angehängten Bemerkungen, was uns besonders wichtig schien, mitzutheilcu. Dafs der Vcrf. seine

und Geschlechtsorgane. 245

Methode der Ducampsehen vorzieht, erhellt schon aus dem ersten Theile, in diesem aber finden wir viele Bei¬ spiele, wo er durch seine Methode Kranke, die lange Zeit vergebens mit der Ducamp sehen behandelt waren, wieder¬ herstellte. In einem Falle, wo die Verengerung 21 Linien lang war, sah er sich genüthigt von vorn nach hinten zu ätzen, also Ilunter’s Methode zu befolgen; die Kur ge¬ lang, allein jede Cauterisation brachte lebhafte Schmerzen hervor, die bisweilen mehrere Tage dauerten; sie veran- lafste einen copiösen, blutige Streifen enthaltenden Eiter- ausflufs; eine günstige Veränderung des Harnsträhls zeigte sich nicht eher, als im Augenblick der Heilung, und den Gang der Cauterisation im Kanäle konnte er blofs muth- maafsen. (Alles Zufälle, die nicht sonderlich einladend sind.) In einem anderen Falle, wo er sich derselben Me¬ thode bediente, brach das in der Sonde befindliche Stück Höllenstein ah, und blieb in der Harnröhre sitzen; ein die¬ ser Methode besonders zum Vorwurf gereichender Zufall. Während einer Stunde entstanden danach die heftigsten Schmerzen, allein, was eigentlich Gefahr genannt zu wer¬ den verdiente, war unstreitig die Harnverhaltung. Den¬ noch verwirft er diese Methode nicht ganz, sondern zieht sie sogar jeder andern da vor, wo man es mit einer Art von Scheidewand, die wahrscheinlich durch eine Narbe her¬ vorgebracht war, zu thun hat; denn ätzt man hier von innen, so zerstört man gesunde Theile und wirkt zu schwach auf das Hindernifs seihst. Um die Nachtheile des forcirten Catheterisirens und des Verweilens der Sonde im Kanal in ein helleres Licht zu setzen, erzählt er einen Fall, wo in Folge dieser Mittel Ahsccsse am Hinterbacken und an der äufseren Seite des Schenkels, bis nahe an das Knie sich erstreckend, entstanden. In Fällen, wo sich der Kanal der Harnröhre immer wieder zusammenzieht, sobald die Aus¬ dehnung durch Sonden aufhört, räth er zum fortgesetzten Gebrauch der Sonden. Bei dieser Gelegenheit erzählt er die Geschichte eines Kranken, der sogar während des Bei-

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XIII- 1. Krankheiten der Ilam-

schlafs die Sonde trug. «(Die Sonde, welche er damals trug, als ich ihn sah,» sagt der Verf., «ragte ungefähr einen Zoll aus der Ruthe hervor, und ward 5 oder 6 Li¬ nien weit von ihrem Ende durch eine Schlinge festgehalten^ die hinter der Eichel geknüpft war. Sobald sich die Ruthe im Zustande der Erection befand, band der Kranke die Sonde los, senkte sie dann etwas tiefer in die Rläse ein, und lief die Schlinge aufsen herabhängen, um die Sonde wieder herausziehen zu können. §o wie sich das Glied verlängerte, ragte, auch die Eichel mehr als einen Zoll über das Instrument hervor. Liefs die Erection nach, so ergofs sich der Saame zwischen der Sonde und dem Kanäle. » Daf» diejenigen Kranken, welche die Anwendung der Sonde oder des Dilatators nach Zerstörung ihrer Verengerungen durch die Canterisation verweigert hatten, eben so radical geheilt wurden, als jene, die sich obiger Methode unter¬ warfen, zeigt der \ erfasser deutlich, und zieht hieraus gegen, Ducamp den Schlufs, dafs die Methode der nach- herigen Dilatation überflüssig sei. Er verwirft diese jedoch nur in den meisten Fällen , wo man es nämlich mit einer Veränderung des Gewebes zu thun hat, nicht aber bei den¬ jenigen Verengerungen , welche gewöhnlich ihren Sitz nahe an der Mündung des Kanals haben, und durch Adhäsionen, die sich in Folge von Verschwärungen gebildet, hervorge¬ bracht worden sind. Im Allgemeinen räth er, sich nicht zu übereilen, sondern genau zu beobachten, was vorgeht. Sobald der Ilarnstrahl nach vollendeter Cauterisation sich nicht verändert, giebt es gar nichts zu thun, geschieht dies aber, so ist es immer noch Zeit der V erengerung durch Sonden entgegenzuwirken. Stets hat es ihm eben so un¬ nütz, als gefährlich geschienen, in eine Verengerung eine stärkere Sonde, als es die Miinduifg der Harnröhre gestat¬ tet, einführen zu wollen. Die Gefahr, die mit^der An¬ wendung der Sonde oder des Dilatators verbunden ist, und welche die der Cauterisation bei weitem übersteigt, ist sehr grell, vielleicht zu grell hervorgehoben.

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und Geschlechtsorgane. 247

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Im zweiten Abschnitt, S. 130, bandelt der Verf. die nicht contagiösen Ausflüsse, die Nachtripper und deren Behandlung durch die Cauterisation ah. Die in diesem Ab¬ schnitt gesammelten Beobachtungen und Erfahrungen sind in der That, wie auch der Hr. Uebersetzer sehr richtig bemerkt, von dem gröfsten wissenschaftlichen Interesse. Wir lernen hier durch den Verf. zwar keine neue Uebel- seinsformen kennen, wohl aber läfst er uns ein altes be¬ kanntes Uehel in Rücksicht der Individuellen Disposition, der Ursachen, der Symptome der Krankheit, besonders aber der mit dem inveterirten Tripper verknüpften Harnbesch wer¬ den und des durch 60 Thatsachen bestätigten Gelingens der Cauterisation im letztem Falle, aus einem Gesichts¬ punkte betrachten, der jedem Wundarzt für die Zukunft die günstige Aussicht eröffnet, durch die Cauterisation eine Affection zu bekämpfen, die im entgegengesetzten Falle den armen Kranken, wenn er die späteren Jahre erreicht, zu einem Proteus von Uebelseinsformen machen würde! Zuerst spricht der Verf. von den nicht contagiösen Aus¬ flüssen und zeigt, dafs bisweilen Hautausschläge mit Ent¬ zündungen der Harnröhre abwechseln. Obschon die Sym¬ ptome dieser mit denen des acuten bösartigen Trippers viel Aehnlichkeit haben, so unterscheiden sie sich von diesem doch dadurch, dafs bei jenen das Urinlassen weniger schmerz¬ haft ist, und auch die Erectionen nicht so anhaltend und beschwerlich sind, auch ist die Eiterung bei ersteren ge¬ wöhnlich geringer und besteht blofs in einer Art dicker, gelblicher Ausschwitzung, die eher mit Kitzel oder Jucken, als wirklichem Schmerze verbunden ist. Dafs es Subjecte giebt, die nach plötzlicher Erkältung sogleich chronische (?) Harnröhrenentzündung bekommen, zeigt er gleichfalls. Die den Nachtripper begleitenden Symptome, die davon her¬ rühren , dafs sich die örtliche Reizung auf den ganzen Or¬ ganismus ausbreitet, schildert er sehr genau. Was ihn be¬ wog, die Cauterisation in diesen Fällen zu versuchen, war Folgendes: So oft er den Kanal solcher Individuen nach

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XIII. 1. Krankheiten der Häm¬

meren Tode untersuchte, die mit Verengerungen und einer damit verbundenen habituellen, mehr oder minder copiüsen Absonderung gestorben waren, fand er hinter dem Minder» nifs d ie Schleimmembran, besonders gegen den Blascnbals, geschwollen, wie injicirt, schwammig und ihre absondern¬ den Schleimsäckchen, besonders die der Vorsteherdrüse, bedeutend vergrößert. In den schwersten Fällen fand er die Schleimmembran ödematüs angeschwollen, weich, mürbe, von geringer Resistenz und die Schlcimhühlen so weit, dafs sie eine Sonde von der Starke einer Rabenfeder aufzuneh¬ men vermochten. Die nämlichen Bemerkungen machte er auch bei andern, welche, ohne je von Verengerungen affi- cirt gewesen zu sein, bis auf den letzten Augenblick ihre Isachtripper behalten hatten. Diese Resultate bewogen den \erf. , den Höllenstein örtlich anzuwenden, um durch den¬ selben auf das kranke Gewebe einzuwirken. Dafs die Ana¬ logie für ihn sprach, denn man wendet ja täglich dasselbe Mittel äufserli-jh in ähnlichen Fällen an, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Die Stelle, welche er ätzte, war an der Krümmung der Harnröhre, der Vorsteherdrüsentheil , denn diesen Theil halte er bei Sectionen krankhaft gefunden, und auch während des Lebens deuteten Symptome, als: eine beschwerliche heimliche Empfindung in dieser Gegend, häufiger Drang zum Harnen u. s. w. auf Er^riffensein des¬ selben hin. Er cauterisirt mit demselben Instrumente, des¬ sen er sich bei Verengerungen bedient, nur befestigt er hier den Schieber der Sonde um einen halben Zoll weni¬ ger, als die Länge der Harnröhre. Tritt der Stab nur 6 Linien weit aus der Sonde, so kann das Aetzmittel nicht in die Blase eindringen. Um letzteres zu vermeiden, soll der Kranke stehen und sich etwas vorwärts beugen; auch darf die Blase während des Aetzens keinen Harn enthalten, denn urinirt der Kranke gleich nachher, so werden die kranken Stellen nicht genug, und die normal gebliebenen ohne Noth geätzt. Er bedient sich einer starken Sonde, die mit einem Stabe armirt ist, an dessen convexer Seite

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und Geschlechtsorgane.

das salpetersaure Silber angebracht ist, wobei die dasselbe aufnehmende Rinne mit der Stärke der Sonde im Verhält- nils steht, so dafs sie 3 bis 4 Gran des Aetzmittels zu fas¬ sen vermag. Er führt dasselbe drei- bis viermal leicht über die Oberfläche bin, und erhält daher eine oberflächliche, abe” ausgebreitete Cauterisation. Augenblicklich entsteht ein lebhafter, brennender Schmerz, der sich bis zum Mast¬ darm erstreckt, und ein dringendes Rediirfnifs zum Urin-

lassen ; letzteres ist von einem mehr oder minder lebhaften

Stechen begleitet. Den zweiten Tag verwandelt sich dies stechende Gefühl in ein Kitzeln; den dritten oder vierten rlag werden schon Schorfe, in Form kleiner graulicher oder bräunlicher, dünner, doch selten breit erscheinender Häutchen, durch den Urin mit ausgeführt, auch erscheint dann, wie am ersten Tage, etwas Blut mit dem Urin. Der Ausflufs verschwand ganz oder allrnählig während der drei ersten Tage und kam am vierten wieder zum Vorschein, den fünften oder sechsten nahm er wieder zu, worauf er wieder geringer ward, um nach 10 bis 20 Tagen von selbst wegzubleiben. Der Verf. ist übrigens offen genug, seine Methode nicht für untrüglich auszugeben, so erwähnt er z. B. , dafs bei vier Kranken Entzündungen der Testikeln 3 oder 4 Tage danach entstanden; so gesteht er, dafs man die Blase verletzen könne, dafs die erregte Entzündung zu schwach oder zu stark sein könne. Unter zehn Malen ge¬ lang es ihm neunmal, mittelst der Cauterisation Ausflüsse zu heilen, die sehr ioveterirt waren, und den rationellsten und verschiedenartigsten Behandlungen widerstanden hatten. Zuletzt macht der Verf. noch auf Ausflüsse aufmerksam, welche aus Verschwärungen entspringen und auf andern Stellen der Schleimhaut ihren Sitz haben. Diese Verschwä¬ rungen bleiben, wenn auch das Lustseuchengift getilgt ist (?), und lassen sich schnell durch die Cautertsation heben. Die Mündung der Ausspritzungskanäle soll durch die Cau¬ terisation nie leiden, vielmehr beobachtete der Verf., dals fast alle durch das Aetzmittel von inveterirten Ausflüssen

550 XIII. 1. Krankh. d. Harn* u. Geschlechtsorgane.

geheilte Kranke zu gleicher Zeit eine ihnen ungewohnte Kraft und Tbätigkeit ihrer Geschlechtsorgane erlangten!

Im dritten Abschnitt (S. 1 TG) spricht der ,Vcrf. von der chronischen Entzündung des Blasenhalses, die er auch cauterisirt, und erzählt mehrere interessante Beobach- iungen der Art Damit niemand in einen Irrthum verfalle, bemerken wir, dafs er unter Entzündung des ülasenhalses eine W citerverbreitung der chronischen Harnröhrenentzün¬ dung oder eine besondere Nuance der Illasenentzündung versteht, also keine Krankheitsform sui generis. Die Beob¬ achtungen sind übrigens weder zahlreich, noch übereinstim¬ mend genug, um eine allgemeine Beschreibung dieser Uebel- seinsform daraus bilden zu können, wir verweisen daher auf das Nachlesen der Krankengeschichten und der densel¬ ben angehängten Beobachtungen. Nicht unerwähnt aber können wir lassen, dafs der Verf. in einem Falle, wo in Folge von Onanie häufige Pollutionen bei Tage und bei Nacht, Augenschwäche, Trägheit in den intellectuellen Ver¬ richtungen u. s. w. entstanden waren, mit ausgezeichnet glücklichem Erfolge die Acupunctur versuchte. Er nahin nämlich zwei sehr dünne, ungefähr zwei Zoll lange Nadeln und senkte sie vorderhalb des Afters, einen Zoll davon entfernt, ein, indem er der einen Nadel eine mit dem auf¬ steigenden Ast des Sitzbeins gleichlaufende Richtung gab, und die andere gegen den Blasenhals richtete. Er liefs sie vom Abend bis zum Morgen liegen. Ihr Einsenken ver¬ ursachte, als deren Spitzet] die Haut durchstachen, fast gar Jeeine Schmerzen, und durch ili*e Gegenwart wurde der Schlaf des Kranken nicht auf einen Augenblick unterbro¬ chen. Während der folgenden Tage empfand der Kranke eine auffallende Veränderung in seinem ganzen Körper, er fühlte sich weit freudiger gestimmt, weit lebhafter, und mehr zur Arbeit aufgelegt; er hatte das Gefühl ungewohn¬ ter Kraft und ihätigkeit, sein Kopf war ihm viel leichter geworden, seine Augen fühlte er nach kleinen Anstren¬ gungen nicht mehr so schnell angegriffen und geschwächt.

XIII. 2. Ilarnrölironvcrengcrnngen. 251

Der Verf. machte nach acht Tagen die Acupunctur noch einmal, und stellte dadurch den Kranken völlig her. (Ein ohne Zweifel sehr merkwürdiger Fall!) Bei Kindern, vorzüglich bei Knaben, die während der Nacht, ja sogar bisweilen auch am Tage, nicht im Stande waren, ihren Urin an sich zu halten, sah der Verf. immer den besten Erfolg von aromatischen Bädern, mehr als 30 waren selten zur vollständigen Heilung nöthig.

Die Uebersetzung liest sich gut. Die vom Uebersetzer hinzugefügten Anmerkungen sind unbedeutend.

2, Ueber die radicale Heilu ng der Harnröhren¬ verengerungen, und deren Folgen; nebst kriti¬ schen Bemerkungen über Ducamp’s Heilverfahren gegen dieselben. Von Dr. W. Kr im er, praktischem Arzte und Operateur, u. s. w. Mit zwei Steindrucktafeln. Aachen, bei La Ruelle und Destez. 1828. 8. 88 Seiten. (16 Gr.)

,

Die Schwierigkeiten, so wie das Unvollkommene der

% t.

-Du ca mp sehen Methode, setzt der Verf. sehr genau aus¬ einander. Er zeigt, welche unzuverlässige Resultate die Sonde exploratrice liefere; wie schwierig es sei, den Porte

caustique mit Höllenstein zu füllen und dieses Instrument

. \ . .

zu appliciren. Der Stiel mit dem Aetzmittel läfst sich näm¬ lich entweder nicht vorschieben, oder er läfst sich nicht in die Kapsel zurückziehen. Das Drehen (Jes Instrumentes ist, wie der \ erf. ferner behauptet, sehr mifslich; der schlimmste Zufall aber, der eintreten kann, ist das Losdrehen der Schlielskapsel an dem metallenen Aetzmittel träger, durch die drehende Bewegung bei dem Aetzen und durch einge¬ tretenen Harnröhrenkrarupf, bei nicht sehr fest angezogener Schraube. Er verwirft jedoch die Du ca mp sehe Methode

252 XIII. 2, llarnröhrcnvcrcngcriingcn.

nicht In allen Fallen, sondern glaubt nur, dafs sic dann eine Gegenanzeige finde, wenn mehrere beträchtliche,* seit¬ wärts Hegende Verengerungen vorhanden sind ; wenn die Explorationssonde, so wie andere Untersuchungsmittel über den Lauf und die Lage des noch gangbaren Harnweges keine Zuverlässigkeit gewähren; wenn die Kanalöffnung zur Seite geschoben und der Lauf des Kanals winkelig ist; wenn eine schwammige, zur Blutung leicht geneigte Dege¬ neration der Harnrührenwände an der leidenden Stelle, oder eine scirrhüse Zerstörung, selbst mit Harnfisteln und Harn- abscessen am Mittellleisch oder in den naheliegenden Thei- len zugegen ist; wenn das ganze Perinäum durch Callosi- täten und Fistelüffnungen völlig entartet ist, wenn die Ge¬ fahr einer völligen Verschiebung der Harnröhre und Ent¬ stehung von Ilarnabscessen augenscheinlich bevorstehend oder gar schon vorhanden ist; und endlich, wenn noch eine syphilitische oder anderweitige ursächliche Dyscrasic des Ucbels bei dem Kranken statt findet. In allen andereu Fällen ist Ducamp’s Methode angezeigt.

Für die Fälle nun, in welchen diese Methode nicht angezeigt ist, entwarf der Verf. eine Operationsmethode, die auf C. c I T s Operationsmethode bei Zerstörungen der Harnröhre gestützt ist, die er öfters mit glücklichem Er¬ folge ausfiihrte, und die er hier sehr ausführlich beschreibt. Die Methode ist folgende: Nachdem man sich von der Lage, dem Umfang und der Beschaffenheit des Hindernisses hin¬ reichende Kenntnifs verschafft hat, den Kranken, der nicht mehr venerisch, auch nicht zu sehr geschwächt sein darf, zur Operation vorbereitet hat (eine Stunde zuvor darf er nicht harnen), legt man denselben in die nämliche Lage, wie zum Steinschnitt, auf einen Tisch. Nun’ bringt man einen gefurchten silbernen Cathetef bis zur verengerten Stelle, und übergiebt denselben einem links stehenden Ge- hülfen; ein anderer Gehülfe fafst den Hodensack mit der x Hachen Hand und hält ihn nach oben, um die Haut am Mittellleisch anzuspannen; der Operateur legt zw'ei Finger

XIII. 2. Harnröhrenverengerungen. 253

seiner linken Hand, etwa einen Zoll hoch oberhalb der Stelle, wo er die Spitze des Catheters fühlt, spannt die Haut an, und macht mit einem geradeschneidigen Messer einen Einschnitt durch die äufseren Decken, von seinen Fingern an nach abwärts, wie beim Seitenblasenschnitt. (Die Länge des Schnitts richtet sich nach dem Umfange der Verengerung.) Nun sucht der Operateur mit dem Zeigefinger der linken, Hand die Furche des Catheters, sticht Dreiviertelzoll oberhalb dessen Spitze mit dem Messer in die Harnröhre ein, fährt in der Furche abwärts und schlitzt so die Harnröhre bis zur Verengerung auf. Jetzt wird die Blutung rasch gestillt und die verengerte Stelle aufgesucht. Hierbei können vier verschiedene Fälle ein besonderes Verfahren erfordern. Erstens: Nach geschehe¬ ner Eröffnung der Harnröhre findet man die verengerte Oeffnung, durch welche der Harn abgeht, und ist im Stande, eine feine elastische Sonde durch die verengerte Stelle zu führen; hinter dieser, oder sind deren mehrere vorhanden, hinter diesen ist jener Kanal noch gesund. Hier bringt man das Knöpfchen eines Knopfmessers ein, spaltet mit demselben die Verengerung und schiebt gleich den Catheter nach in die Blase. Zweitens: Man findet nach geschehener Eröffnung der Harnröhre die verengerte Oeffnung nicht, oder sie ist so klein, oder der Kanal hat wegen mehrerer, dicht hintereinander liegender ungleichartiger Verengerun¬ gen und der Verhärtungen der Harnröhre einen solchen Lauf, dafs man selbst mit der feinsten Sonde nicht einge- hen kann. Hier mache man nach der Richtung der Harn¬ röhre einen freien Einschnitt, und suche dann die Kanal¬ öffnung vorsichtig auf. Drittens: Es sind Fistelgänge, Eiter¬ sacke, Ilarnabscesse in der Umgegend und beträchtliche Verhärtungen, so wie auch Entartungen der Harnröhre und der benachbarten Theile vorhanden; der Harn fliefst zum Theil durch die Fistelgänge ab, und der normale Lauf des Harnkanals ist an der krankhaften Stelle nicht zu er¬ mitteln. Freier Einschnitt, ohne Spalten der Fistelgänge.

254 XIII. 2. Harnrölironverengernngen.

Viertens: Es ist völlige Desorganisation und Yerschliefsung der Harnröhre in der MittelHeischgegend mit abnormer scirrhöser Substanzvermehrung von grofsern Umfange an dieser Stelle vorhanden, und der Harn llielst theils durch Fistelgänge, theils durch Ilarnahscesse ab. In einem zi¬ ehen Falle machte der Yerf. zwei halbmondförmige Schnitte, und exstirpirte alles Krankhafte. Der Operateur bringt nun einen langen Silberdrath in den, unten geöffneten, in der Blase liegenden gefurchten Catheter, zieht letzteren über ersteren aus, und bringt über diesen einen gewöhn¬ lichen silbernen Catheter in die Blase, der daselbst liegen bleibt. Die Wunde wird mit geölter Charpie ausgefüllt, darüber kommen Longuetten, die durch eine f- oder eine derselben ähnliche Binde befestigt werden. Dies ist die Beschreibung der Operationsmethode des Yerf. , die wir nur. in ihren Hauptmomenten mitgetheiit haben, da, in alle Einzelnheiten derselben einzugehen f uns zu weit führen würde. So genau, wie er die Operation selbst beschrieben bat, hat er auch die zufälligen Umstände und Ereignisse während der Operation, als: Erbrechen und Würgen, Ohnmächten, Blasen- und Mastdarmkrampf, zu frühen Ab- flufs des Urins, arterielle und venöse Blutungen, Verletzun¬ gen des Mastdarms, Blasensteine, Harnfisteln in dem Mast¬ darm und Scirrhositat eines oder beider Hoden, so wie die Nachbehandlung und die Zufälle während der Behandlung oder nach erfolgter Heilung der Wunde, als: heftiges Er¬ brechen und Husten; Nichtlosgestofsenwerden der Ligatu¬ ren (der Yerf. empfiehlt zum Lösen derselben ein eigenes Instrument); Ausgleiten des Catheters aus der Blase; eiter- artigen SchleimHul's aus der Harnröhre, so wie auch aus der Blase; Unvermögen, den Harn so lange wie im natür¬ lichen Zustande zu halten; krankhafte Ausdehnung der Harnblase, und Verdickung der Blasenhäute, ^erörtert. W ir verweisen auch in dieser Hinsicht auf das Lesen die¬ ser interessanten Schrift, uud glauben durch diese kurze Anzeige hinlänglich auf die Existenz, so wie auf den Inhalt

XIII. 3. Zurbckbildung der Scirrhen. 255

derselben aufmerksam gemacht zu haben. Gewifs wird es jeder Wundarzt dem Verf. Dank wissen, diese Operations¬ methode so genau bis auf die geringste Kleinigkeit beschrie¬ ben zu haben; denn wer den Vorschriften des Verf. folgt, wird, wenn er anders hinreichende anatomische Kenntnisse der in Ilede stehenden Theile besitzt, weder während, noch nach der Operation In Verlegenheit kommen. Dafs die Methode selbst ausführbar und für den Operirten von grofsem unberechenbaren Vortheil sei, beweist theils der eine ausführlich vom Verf. erzählte Fall, theils seine Ver¬ sicherung, mehrere dergleichen Kranke auf diese Art geheilt zu haben. Uebrigens kann nur die Erfahrung anderer Wundärzte über den wirklichen Werth dieser Curmethode entscheiden.

Auf der ersten Tafel finden wir die vom Verf. erfun¬ denen Instrumente abgebildet. Die zweite Tafel zeigt den senkrechten Durchschnitt der krankhaften Theile einer Harn¬ röhre und deren Umgebung, und die verschiedenen Ab¬ drücke, welche Ducamp’s Explorations- Sonde von dieser Verengerung lieferte.

0

3. Ueber die Z ur ü ck bi Id u ng der Scirrhen und der Polypen, und über die Heilung der Krebs¬ geschwüre; von Dr. Friedrich Adolph Weise, Königl. Sächsischem Garnisonmedicus der Bergfestung Kö¬ nigstein. Leipzig/ bei Lauffer. 1829. 8. 76 S. (9 Gr.)

Das, was der Verf. über die Art und Weise der Ent¬ stehung der Scirrhen, über deren Aetiologie und Diagnose sagt, glauben wir um so mehr mit Stillschweigen überge¬ hen zu können, da wir in allem diesen keine originellen Ansichten gefunden, da sie nur das bisher Bekannte, und noch dazu ohne Berücksichtigung der neuesten Litteratur,

256 xm. 3. z nrtickbildung der Scirrhen.

enthalten. Wohl aber glauben wir auf das vom \erf. sehr warm empfohlene Mittel, das die Verhärtung zertheilen und der zerrütteten Wirkung der Absonderungskräfte eine an¬ dere Richtung geben soll, aufmerksam machen zu müssen. Dieses Mittel ist die t hierische Kohle. Sie wird auf folgende Art bereitet: Man nimmt Kalbfleisch mit den Kip¬ pen, zerhackt es in mäfsig kleine Stücke, und brennt es in einer Kaffeetrommel unter l mdrehen über gehörig starkem Feuer; wenn sich die brennbare Luft anfängt zu zeigen, welches man an den Flämmchen sieht, welche um die Trommel spielen, so mufs man das Brennen noch eine Viertelstunde fortselzen; setzt man es so lange fort, bis sich keine entzündliche Luft mehr zeigt, so wird das Prä¬ parat unwirksam, und der Kranke bekommt darnach einen Geruch aus dem Munde, wie* von faulen Eiern.

Ueber die Wirkungsart der thierischen Kohle theilen wir aus dieser Schrift folgendes mit: Sie wirkt sehr auf den Uterus, und man mufs bei Schwängern damit vorsich¬ tig sein. Sie treibt den Schweifs; entstehen bei ihrem Ge¬ brauche Nachtschweifse, so mufs man die Gabe mindern. Bisweilen fängt die Milch wieder an zu schiefsen, wenn man die Kohle bald nach dem Abstillen (sic!) giebt, aber die Verhärtung zertheilt sich dabei. Man giebt sie Morgens und Abends zu einem halben bis zwei Gran; sie bleibt im¬ mer körnig, wenn man sie auch noch so fein reibt, und nimmt sich daher besser in der Beimischung von Allhäe- oder Süfswurzel, als mit Zucker oder mit Milchzucker. Knoten, die bei scrofulöscn Kindern an oder auf dem Kopfe entstehen und schwer in Eiterung zu bringen sind', werden danach schnell w'eich, gehen von selbst auf und heilen bald. Wenn man die Koble auf die harten Ränder bei Krebsge- schwüren streut, so zertheilen sie sich und eitern gut. Scirrhen in den Brüsten von Mädchen, so wie nach bösen Brüsten zurückgebliebene Knoten, und Milchknoten, zer¬ theilen sich nach «lern inneren Gebrauche in vier bis sechs Wochen; Scirrhen im zweiten Jahre, erst nach einem

halben

257

XIV. JMedicinische Bibliographie.

halben Jahre. Bei Abscessen in Brüsten von Wöchnerin¬ nen thut sie innerlich auch gute Dienste, dasselbe gilt von Scirrhen an den Lippen und an der Gland. thyreoidea. Auf verhärtete Bubonen äufsert sie keine Einwirkung. Knor¬ pelartige Polypen bildet sie zurück, Fleischpoiypen sehr langsam. Sie verhindert das Wiedererscheinen der Schleim¬ polypen nach der Operation. Bei dem offenen Brustkrebse giebt man Morgens und Abends zwei bis drei Gran; das Abfallen der Knoten , oder vielmehr das Schmelzen dersel¬ ben, erfolgt in einigen Tagen, und in der dadurch entstan¬ denen Höhle hängen schwarze Fäden vom Zellgewebe, wie Spinnewebe; der Grund wird nach dem Verbände mit Bals. Locatelli bald rein und eitert gut, und um den zurückge¬ bliebenen harten knotigen Rand bildet sich eine Absonde¬ rungslinie, die darauf hindeutet, dafs die Natur im Los- stofsen unterstützt sein will, man greife daher hier zum Messer oder zu Aetzmitteln. ln Betreff der Diät beschränke man die Kranken auf Milch-, Obst- und Mehlspeisen. Branntwein und Kaffee müssen ganz vermieden werden.

Die vom Verf. mitgetheilten Krankengeschichten, elf an der Zahl, sprechen sehr für dieses Mittel; es verlohnt sich daher wohl der Mühe, dafs wir dasselbe versuchen!

o

XIV.

\

Medicinische Bibliographie.

\ -

Bartels, E. D. A., patogenetische Physiologie; oder die physiologischen Hauptlehren in ihrer Anwendung auf die Krankheitslehre, und insbesondere auf Erklärung der Krankheiten. Zur Erleichterung und Förderung des pa¬ thologischen Studiums, gr.8. Marburg. Krieger. X und 389 Seiten. 2 Thlr. 6 Gr.

XIII. Bd. 2. St.

17

258

XIV. Medicinifcbc Bibliographie

/

Billard, C., Krankheiten der Neugcborncn und Säug¬ linge, nach den neuesten klinischen und pathologisch¬ anatomischen im Hospital der T indeikinder zu Paris ge¬ machten Beobachtungen. Aus dem Französischen frei bearbeitet von F. L. Meifsner. Nebst 2 Kupfertaf. gr.8. Leipzig. Hartmann. XII u. 3S4 S. 1 Thlr. 16 Gr.

Biographie, mediciniscbe, oder vollständige Nachrichten von dem Leben und den Schriften der Aerzte, Wund¬ ärzte, Apotheker und der vorzüglichsten Naturforscher, welche als Schriftsteller bekannt geworden sind. Aus dem Französischen, mit einigen Zusätzen von Aug. Ferd. Brüggemann. Ir Bd. ls Hft. gr,8. Halberstadt. Brügge¬ mann VIII u. 136 S. br. 16 Gr.

Looper, Astley, Vorlesungen über die Grundsätze und Ausübung der Chirurgie, mit Bemerkungen und Krank¬ heitsfällen begleitet von Fr. Tyrrel. Aus dem Engl. 3r Bd. gr.8. Weimar. Industr. Compt. 418 S. geh. 2 Thlr,

Dittmer, L. , Geschäftstagebuch für praktische Heilkünst¬ ler auf das Jahr 1829. Lin Taschenbuch zum täglichen Bedarf für ausübende Aerzte; nebst einem Anhänge, ent¬ haltend: Mittheilungen für Theorie und Praxis über neue Entdeckungen und Erfahrungen im Gebiete der Heilkunde und der damit verbundenen Naturwissenschaften. 8. Dan¬ zig. Gerhard. VI u. 304 S. geb. ' 20 Gr.

Ilartlaub, C. G. C. , Tabellen für die praktische Medi- cin, nach homöopathischen Grundsätzen. Vier Tabellen. Leipzig. Leo. 4 Thlr.

Klose, C. L. , über den Einflufs des Geschlechtsunter¬ schiedes auf Ausbildung und Heilung von Krankheiten. 8. Stendal. Franzen u. Grofse. XVI u. 335 S. 1 Thlr. 8 Gr.

i

Most, G. 1., der Arzt als wahrer Menschenfreund für Gesunde und Kranke. Ein treuer Bathgeber für alle diejenigen, welche sich über das Leben, die Gesundheit und über die Krankheiten des Menschen belehren wollen. 2 Theile. (2r Tb. rest.) gr.8. Leipzig. Hartmann. XIV und 326 S. 2 Thlr.

XIY. Meclicinische Bibliographie. 259

Osiandcr, J. F., Volksarzneimittel und einfache, nicht pharmaceutische Heilmittel gegen Krankheiten des Men¬ schen. 2te, sehr verbesserte und vermehrte Auflage, gr.8. Tübingen. Osiander. XVI u. 538 S. 1 Thlr. 12 Gr.

v. Sieb old, E. C. J. , Abbildungen aus dem Gesammt- gebiete der theoretisch -praktischen Geburtshülfe, nebst beschreibender Erklärung derselben. Nach dem Franzö¬ sischen des Mavnr./»* 2te Lieferung. gF. 8. Berlin. Herbig. 32 Seiten . Steindrucktafeln. 20 Gr.

Stahl, E. D., Entwurf eines naturgemäfsen Verfahrens, Krankheiten zu heilen. Ir Theil. gr.8. Hannover. Hel- wings. XVI u. 428 S. 2 Thlr.

* '■

Anzeige für deutsche Aerzte,

die ! ortsetzung des Summariums der medicini- schen Journalistik betreffend.

Das mit Anfang des Jahres 1828 begonnene, und mit so vielem Beifalle aufgenommene medicinische Journal unter dem Titel:

Summarium des Neuesten aus der ge- sammten Me di ein, eine fortlaufende, syste¬ matisch geordnete Lebersiebt aller literarischen Erscheinungen in der ärztlichen Wissenschaft und Kunst; iri gedrängten Auszügen nach den neuerschienenen Journalen, Litteraturzeitungen, klinischen Jahrbüchern u. s. w., unter Mitwir¬ kung der Herren Dr. Braune, Dr. Carus, Br. Hänel, Dr. Hille, Dr. Kühn, Dr. Meifsner, Dr. Oehler, Prof. Dr. Radius und Dr. Wal¬ ther bearbeitet, und herausgegeben von Dr. Lnger und Dr. Klose,

soll auch für 1829 mit gleich regem Eifer von Seiten der genannten Herren Herausgeber und des Verlegers fortgez setzt werden.

17 *

260 XIV. Medicinische Bibliographie.

Für Diejenigen, welche dies Unternehmen bisher noch nicht genauer kannten, wird zugleich mit dem ersten Hefte des zweiten Jahrganges die früher bekannt gemachte aus¬ führliche Anzeige über Plan und Hinrichtung des Summa- riums wieder abgedruckt werden.

Da dieses reichhaltige Journal, als Repertorium des Wissenswürdigsten aus allen Zweigen der Medicin, einen bleibenden Werth behält, so wird auch Vielen der IJcsitz des bald beendigten, mit einem vollständigen Register ver¬ sehenen ersten Jahrgangs, welcher gegen ‘2000 Nummern enthält, wünschenswerth sein, wovon noch eine kleine An¬ zahl Exemplare vorräthig ist, die der Verleger, so weit der

*

Vorrath reicht, den Abonnenten auf den zweiten Jahrgang für den ermäfsigten Preis von \ ier Thalern oder 7 Gulden 12 Kreuzer Rhein, erlassen will.

Der zweite Jahrgang, für 1829, kostet Sechs Thaler oder 10 Gulden 48 Kreuzer Rhein.

Leipzig, im Januar 1829.

I.

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Erfahrungen und Bemerkungen über Du- puytren’s Operationsmethode, den Mast¬ darmvorfall zu beseitigen;

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vom

Professor Dr. v. Ammon in Dresden.

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Circa anum oriuntur abscessus, ulcera, condylomata et fistulae, quae vitia omnia taedii plena sunt, taedii autem plenis- siraum vitium est, si anus, id quod interdura fit, procidit.

Joh. Zachar. Platner.

Seitdem Dupuytren seine auch in Deutschland mitge- theilte *) Methode, den Prolapsus ani gründlich zu heilen, bekannt gemacht hat 1 2), ist, so weit der Verfasser dieser

1 ) Bd. V. Heft 3. S. 524 des Journals für Chirurgie und Augenheilkunde von v. Gräfe und v. Walther.

2) Sabatier Med ecine operatoire par Sanson et B^gin. Paris 1824. Tom. 3. S. 683. Während seines Aufenthaltes in Paris (1821 - 1822) hörte der Vcrf. dieses Aufsatzes von die¬ ser neuen Operationsmethode wohl sprechen, sah sie jedoch nie von ihrem Erfinder im Hotel -Dieu ausüben. S. desselben Pa¬ rallele der französischen und deutschen Chirurgie. Leipzig 1823. 8. S. 379.

XIII. Bd. 3. St.

18

262

I. Mastdarmvorfall.

Zeilen die chirurgische Litteratur Deutschlands kennt, die¬ ser wichtige Gegenstand in unserm ’S atcrlande nicht wie¬ der zur Sprache gebracht worden, und doch verdient der¬ selbe in mehr als einer Hinsicht die Aufmerksamkeit der deutschen Wundärzte, da bis zu Dupuytren’s Methode von vielen Aerzten die Meinung gehegt wurde, dieses Lehel könne durch einen gefahrlosen operativen Eingriff nicht geheilt werden. Der Verf. hält es daher wohl der Mühe werth, das hier mitzutheilen, was er bei der Anwendung der D u pu yt re n sehen Methode, hei der Behandlung von zwei Mastdarmvorfällen, gegen die umsonst das Kleinsche Pulver, Adstringentia, Eiszapfen, Localbader u. s. w. ge¬ braucht worden waren, gesehen und erfahren hat, und hegt dabei den Wunsch, dafs diese Bereicherung der Chi¬ rurgie in Deutschland die Anerkennung finden möge, die sie verdient, und durch welche Kranke radical und doch ohne Lebensgefahr von einem Uebel befreiet werden kön¬ nen, das jedenfalls zu den lästigsten für das leidende Indi¬ viduum, so wie für dessen Umgebungen gehört, und des¬ sen operative Beseitigung vor der neuen D u p u y t re n sehen Methode, den Leidenden mehr als einmal das Lehen, in Folge der durch die Operation herbeigeführten tödtlichen Blutungen oder Eiterung, gekostet hat 1 ).

Während man nämlich, vor Dupuytren, den Pro¬ lapsus ani so zu operiren pHegte, dafs man den vorgefalle- nen Theil des Mastdarms an seiner Basis abschnilt, und die gewöhnlich sehr heftig eintretende Blutung durch Tam¬ pons, oder wenn diese den Blulflufs zu sistiren nicht ver¬ mochten, durch das Glüheisen zu stillen suchte, hebt die¬ ser dadurch, dafs er die Hauptursache des Prolapsus ani, die Erschlaffung der Sphincteren zu beseitigen sich bemüht, das Uebel, und zwar auf folgende Weise: Er fafst, nach¬ dem der Prolapsus ani operirt ist, mit einer an der Spitze

1) I)r. ChcliuaVi Hnndhurh der Chirurgie. Zweite Auf¬ lage. Heidelberg 1826. 1. Bd. S. 777. Sabatier a. a. O.

I. Mastdarm Vorfall.

263

etwas abgeflachten Pincette einige der strahlenförmigen -Fal¬ ten, welche als Theile des erschlafften Sphincters die Mün¬ dung des Mastdarms umgehen, anderhalb Zoll vom Mastdarm entfernt, hebt sie in die Höhe und trägt sie mit einer nach der Fläche gekrümmten Scheere ah, indem er den Schnitt so hoch als möglich gegen den Innern erschlafften Sphincter in die Höhe führt. Hie Zahl der wegzunehmenden Haut¬ falten mufs sich nach der Gröfse des Vorfalls und nach der Schlaffheit der Mastdarmöffnung richten. Durch die Bil¬ dung der Narben wird die Afterrniindung verengert.

Im November 1826 wendete sich die 22jährige an mich, um von ihrem Mastdarmvorfalle , den sie schon seit einer langen Reihe von Jahren trug, und der ihr hei ihren Hienstarfceiten als Kammermädchen sehr lästig war, befreiet zu werden, und zwar möglichst bald durch die neue französische Operationsmethode, von der der Hausarzt der Familie, hei der sie diente, ihr erzählt habe. Hie Leidende v.ar ziemlich starker Constitution, brünett, und bis auf das Mastdarmleiden ganz gesund. Ich untersuchte die Kranke, und fand, wenn sie sich auf die Seite legte, folgendes:

Hie Aftermündung war sehr erschlafft, und rings um dieselbe befand sich eine grofse Anzahl von Falten; aus ihr ragte selbst im Liegen ein Theil der innern Wände des Rectums von der Gröfse eines grofsen Hühnereies heraus, und sobald die Kranke drückte, so trat sehr rasch nach ein¬ ander die innere Seite des Intestinum rectum in der Länge von 4 bis 5 Zoll hervor r). War das der Fall, so dehn¬ ten die Plicae an der Mastdarmöffnung sich aus, gaben nach, und die Basis des Prolapsus ani ward dadurch in ihren Durchmessern sehr grofs; man sah demnach sehr deutlich, dals auch hier die Hauptursache des Vorfalls in einer gänz¬ lichen Erschlaffung der Sphinctern und des Levators des Anus lag. Hie jetzt nach aufsen gedrängte Membrana mu- cosa des Rectums war zwar geröthet, allein obgleich die

1) S. die Tafel Fig. 1.

18 *

1. Mastdarmvorfall.

‘-26 4

Krankheit schon Jahre lang anhielt, der Vorfall hei jeder Stuhlausleerung, hei jeder etwas anstrengenden Arbeit, z. I>. beim Treppensteigen u. s. w. erschien, doch nicht da¬ durch, dafs sie sehr oft der atmosphärischen Luft ausgesetzt war, aufgelockert oder wuchernd. Lag der ^ orfall offen da, und man legte ein reines weil »es J uch unter denselben, so war es in sehr kurzer Zeit mit einem eiweifsähnlichen Schleime, den die Haut des \ orlalls ahsondcrte, befleckt, und der einer» ganz eigentümlichen Geruch verbreitete. Leider versäumte ich die Gelegenheit, eine kleine Menge dieser eigentümlichen Absonderung der inneren Haut des Intestirii reeti zu sammeln, und sie einer chemischen Ana¬ lyse zu unterwerfen. Denn nur in diesen Fällen von Lei-

9

den, wenn besonders, wie dies hier der Fall war, das In¬ dividuum ganz gesund ist, würde es möglich sein, gleich nach geschehener Absonderung und ohne Begünstigung fremder Stoffe, den Schleim des K ec tu ms chemisch prüfen zu lassen 1 ).

Ohne grofse Mühe konnte die Kranke, wenn der Vor¬ fall geschehen war, denselben dadurch zuriickhriugen , dafs sie die flache Hand auf denselben legte, so einen gelinden Druck ausiibte, und durch Linziehen mittelst der Glutäen und der Levatores ani die Taxis unterstützte. War der Prolapsus zurückgebracht, und führte man den Zeigefinger in das Rectum, so nahm man die groLe Erschlaffung der Spbincteren deutlich wahr; stellte man eine Exploratio per vaginam an, und führte man auch den Zeigefinger in der Vagina nach der linken Seite herüber, liefs man dann die

1 ) Line chemische Analyse des AlisonderungsstofTes de* Rccluiiis iclilt noch m der Anlhropochtmie , und dafs dieser ein eigentümlicher sein müsse, dafür spricht die neruliäre , mit Drü- sfti eigener Art versehene Structur des Rcctums, und der eigene Geruch, deu derselbe hei manchen Krankheiten, al* : bei der Dysenterie u. s. w. hat. Heriinaon August Fried reich tu seinem Ilandhuche der animalischen Stochinlogie, Helmstädt 18‘28. 8. 197 , führt k ciuc Analyse dieses Schleimes auf.

I

I. Mastdarmvorfall. 265

Kranke den Vorfall hervordrängen, so konnte tnan durch¬ aus nichts an der im Becken vorgehenden Intussusception fühlen'.

Die Entstehung des Uebels blieb, trotz alles Nach¬ fragens, ganz im Dunkeln. Die Kranke behauptete, dafs ihr zuerst im zehnten Lebensjahre ein Stück des Mastdarms vorgefallen sei, als sie die Mitpflege eines Mannes über¬ nommen habe, der an einer Fractura colli ossis femoris ge¬ litten habe, lind dem sie manche ihre Kräfte übersteigende Handleistungen habe thun müssen. Nach nnd nach sei das Uebel immer schlimmer geworden, und habe so die beschrie¬ bene Gröfse erreicht. Etwas Näheres wollte weder sie, noch ihre Mutter, über die Genesis des Uebels wissen.

Ich war bei so bewandten Umständen sehr geneigt, die D u p u) trensche Methode zu erproben, versuchte je¬ doch vorher, ob das von vielen Seiten her, selbst gegen sehr veraltete, ungewöhnlich lange Vorfälle des Mastdarms so gerühmte Kleinsche Pulver r), das noch nicht ange¬ wandt worden war, seine Dienste nicht auch in diesem Falle erweisen würde. Allein dasselbe blieb ohne allen Erfolg; eben so bestrich ich mehreremale am Tage den Vorfall umsonst mit der Thebai sehen Tinctur, wonach ich denselben gleich reponiren liefs. Das Opium machte zwar (es sei dies hier im Vorbeigehen gesagt) durchaus keine Zufälle, hatte aber auch nicht den mindesten Ein- flul's auf die gröfsere von mir beabsichtigte Zusammenzie¬ hung des Kectums, und das war um so natürlicher, da ja der Grund des Vorfalls in der grofseu Erschlaffung der

1 ) Repertorium der besten Heilformeln aus der Praxis der berühmtesten Aerzte , Wundärzte und Geburtshelfer, und der berühmtesten klinischen Lehrer Deutschlands. Zweite, sehr ver¬ mehrte und verbesserte Auflage. Leipzig, 1829. 8. 36 und 37. iy. Pulv. Gunim. Arabici.

Pulv, Colophon. ana partes aequales.

M. intime. D. 8. Hiermit den Prolapsus ani drei- bis viermal des Tages zu bestreuen.

266

I. Mastdarmvorfall.

Sphincteren lag. Ich schritt demnach, nachdem ich die Kranke einige Unzen IVicinu.söl halte nehmen lassen, und nachdem die Wirkungen desselben vorühergegangen waren, zur Operation, die ich in Gegenwart der Herren Doctoren Flcmmingsen. (der die Leidende an mich gewiesen hatte), Heden us jun. und Sieben haar anfangs December 1826 auf folgende Weise verrichtete:

Ich liefs die Kranke auf den Leib legen, und zwar so, dafs derselbe durch mehrere Kissen unterstützt ward, wo¬ durch der Ilintertheil der Kranken der operirenden Hand näher gebracht wurde. Die beiden grofsen Glutäen wur¬ den möglichst von einander gezogen, der Prolapsus ani gänzlich reponirt. Der' Gehiilfe steckte den Zeigefinger der rechten Hand in die sehr weite Aftermündung, und drückte auf die der Operntionsscite entgegengesetzte Wand des Rectums. Jetzt fafste. ich mittelst einer ziemlich starken Pincettc einzelne Palten der um die Aftermündung sehr erschlafften hier und dort gefalteten Haut, hob dieselben in die Hohe, und schnitt nun so rasch als möglich mittelst einer auf den Flächen gebogenen Schcere die Falten weg. Schon nachdem der erste Schnitt geschehen war, konnte der Gehiilfe wegen sehr heftiger, fast spasmodischer Zu¬ sammenziehung der vorher so erschlafften Aftermündung den Zeigefinger nicht mehr im Rectum lassen, und die Ab¬ tragung der übrigen, jetzt wegen grofser Unruhe der Kran¬ ken und wegen der bedeutenden Uonlraction des Spbincters schwer zu fassenden Hautfalten wurde dadurch verzögert. Ich trug deren fünf ab, die sich mehr um die äufseren zwei Drittheile des Orificii ani erstreckten, weil ich den vorderen, den Gcschlechtstheilcn zugekehrten Theil des Afters der Coinmissur wegen schonen zu müssen glaubte, und so hatte die 'Umgegend des Anus durch die blattför¬ migen Ausschnitte ein gesterfites Aussehen '). Die Blu¬ tung, mehr venös als arteriell, war ziemlich stark, die

l ) S. die Tafel Kig. 2.

I. Masldarmvorfall.

267

Contraction der Sphincteren nach der Operation so grofs, dafs ich den Finger in das Rectum nicht einführen konnte. Ich liefs mittelst eines in kaltes Wasser getauchten Schwam¬ mes die Schnittflächen kalt fomentiren, und empfahl Ruhe und die strengste Diät. Im Fall dafs Stuhlausleerungen ein- treten sollten, befahl ich die möglichste Schonung der Theile, und alles und jedes Drängen und Pressen zu ver¬ meiden. Am Abend dauerte die Blutung aus den Schnitt¬ flächen noch fort, allein sie war doch mehr seröser Art; der Blutverlust war nicht unbedeutend gewesen, nichts desto weniger hatte die Operirte am Abend fieberhafte Be¬ wegungen wahrgenommen, und der Puls war gereizt. Ob¬ gleich ich das oben angeführte Kl ein sehe Pulver in ziem¬ lich grofser Menge auf die noch blutende Fläche gestreut hatte, obgleich diese bei meinem Weggange kein Blut mehr absonderte, ward ich Morgens 3 Ehr mit dem Bedeuten gerufen, die Kranke sei sehr schwach, und falle aus einer Ohnmacht in die andere. Bei meiner Ankunft fand ich die Kranke sehr blafs, doch ohne beängstigende Zufälle; es hatte sich plötzlich heftiges Drängen zum Stuhlgang einge¬ stellt, dieser war erfolgt, allein die durch die verwundete Mastdarmöffnung dringenden Faces hatten so furchtbare Schmerzen erregt, dafs die Kranke bewufstlos umgefallen war. Ich reinigte das Orificium vermittelst eines Schwam¬ mes, und da die Blutung stand, so begnügte ich mich da¬ mit, eine Tasse Chamillenthee zu verordnen, und eine %

Mandelemulsion zu verschreiben. Am andern Morgen fand ich die Operirte erholt, sie hatte zwar heftige Schmerzen am After, konnte jedoch liegen, und hatte einige Stunden ruhig geschlafen.

\on diesem Tage an ging alles seinen gehörigen Gang; das Fieber blieb nüifsig, und die Operations wunden fingen nach und nach an in Eiterung überzugehen. Die Kranke hatte weniger Schmerzen in denselben, und bekam erst am fünften Tage nach der Operation eine Stuhlausleerung, die freilich, der Beschreibung nach, fürchterliche Schmerzen

268

1. Mastdarmvorfall.

i

verursachte. Die Opcrirte beschrieb sie so, als wurde ihr ein glühendes Eisen in den After gestofsen; der Erzählung nach war die eine Wand des Rectums bei dieser Stuhlaus¬ leerung etwas vorgetreten, allein sogleich nach geendigter Function wieder schmerzlos zurückgegangen. Die in den folgenden Tagen eintretende Eiterung war sehr gering; einige Ränder der blattförmigen Stellen der Schnittwunden waren mit einander per primarn intentionem verheilt; meh¬ rere derselben sahen etwas livid aus, hatten eine sehr tor¬ pide Eiterung, und sich nach innen umgeschlagen. Die Reaction in den granulirenden Schnittflächen zu erhöhen, betupfte ich dieselben mit Lapis infernalis.

Die Kranke fing jetzt an umherzugehen, und fühlte, dafs der früher kaum schliefsende Sphincter sich sehr zu¬ sammengezogen, und dafs die ganze Gegend des Afters mehr Festigkeit erhalten batte. Sie fühlte nur dann Schmerzen, wenn sie Darmausleernug bekam, die jetzt regelmäfsig, nämlich täglich einmal erschien; allein, war es die Schuld der Kranken dafs sie aller Warnung ungeachtet bei dieser Operation sich des Drängens und Fressens nicht enthalten konnte, oder hatte ich doch vielleicht nicht genug Falten aus der Gegend des Orificii ani ausgeschnitten, kurz, bei jeder Exoneratio albi trat doch ein Stückchen davon aus der Oeffnung hervor, wenn es auch nur die Grüfse einer Kirsche oder Pflaume erreichte.

Dieser Unannehmlichkeit glaubte ich bei fast vollende¬ ter Vernarbung aller Operationsschnitte durch einige ad- stringirende Lavements begegnen zu können, und verschrieb daher ein Decoctum Ratauhiae (3 vj. Radix Ratanh. auf 3 vj. Golatur des Decocts). Ich gab ihr das erste Lavement, das aus ungefähr zwei EfslöfTeln des angegebenen Decocts be¬ stand, selbst, und verordnete, wenn dasselbe durchaus keine lästigen Erscheinungen verursachen sollte, ein zw-eites am Abend zu appliciren, und dasselbe möglichst lange im Recto xurückzuhalten. Allein bei einem Besuche am nächsten Mor-

I. Mastdarinvorfall.

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gen erzählte mir die Genesende, sie habe kurz nach meinem gestrigen Weggehen, also ungefähr eine Viertelstunde nach genommenem Clysma, heftige Kopfschmerzen, furchtbares Ohrensausen und wiederholtes Erbrechen bekommen; dann seien ihr mehreremale hintereinander die Sinne vergangen, und sie sei den ganzen übrigen Tag sehr abgespannt geblie¬ ben, habe daher kein zweites Lavement genommen. So¬ gleich fielen mir Dupuytren’s Beobachtungen ein, dafs Arzneimittel, durch das Lavement in den Körper gebracht, bei weitem ungetrübtere und heftigere Wirkungen hervor¬ brächten, als wenn sie durch den Mund assimilirt würden, Erscheinungen, die sich hauptsächlich bei der Anwendung des Opiums auf diese Weise durch eine grofse Reihe oft wiederholter Versuche dem genannten grofsen französischen A\ undarzte gleichbleibend ergeben hatten. Ich injicirte da¬ her nur einen Efslöffel des Ratanhiadecocts in den Mast¬ darm, und wartete die Wirkung dieses Clysma’s ab; allein auch jetzt traten ähnliche Erscheinungen, wenn auch in geringerem Maalse , wie die gestrigen ein. Da die Gene¬ sende durchaus keine gewünschte Veränderung bei den ein¬ tretenden Stuhlausleerungen wahrnahm, da nämlich immer noch ein Stückchen des Rectums hierbei prolabirte, so liefs ich kein drittes Ratanhialavement mehr geben, sondern wartete nun den weiteren Verlauf der Sache ruhig ab.

Gegen Weihnachten fing die Kranke an auszugehen, und wahrend sie früher nie einige Treppenstufen hinabstei¬ gen konnte, ohne dafs nicht der Mastdarm vorgefallen wäre, verhielt sich das jetzt ganz anders, denn diese Erschütte¬ rung des Körpers hatte gar keineu Einflufs mehr auf das frühere Uebel. Ohne dafs ich es wufste, besuchte die jetzt ganz von ihren Operationswunden Geheilte während der Weihnachtsfeiertage einen Tanzsaal, und obgleich sie hier, nach ihrer Aussage darauf, fortdauernd mehrere Stunden tanzte, so ging am Mastdarme durchaus keine Veränderung vor. Dies schienen ihr Beweise genug, dafs sie nun ganz

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I. Mastdarmvorfall,

geheilt sei; trotz aller Gegenvorstellungen, sich noch einige "Wochen zu schonen, trat sie einen neuen Dienst aufserhalb der Stadt zu Anfänge des Jahres 1827 an. Hier ging es, wie ich später erfuhr, anfangs recht gut allein lebhaft und aufbrausend von Natur eilte die jetzt Geheilte, unge¬ fähr drei Wochen nachdem sie ihren neuen Dienst ange¬ treten hatte, einst die Treppe hinab, glitt aus, fiel eine grofse Anzahl von Treppenstufen hinab, und als sie wieder aufsland fühlte sie, dafs der nun über zehn Wochen zu¬ rückgebliebene Mastdarm wieder hervorgetreten war. "Wahrscheinlich hatte der plötzliche, durch den Fall her¬ beigeführte Schreck eine augenblickliche Lähmung des Sphin- cters herbeigeführt. So war das Rectum wieder prola- birt. Anstatt mich davon persönlich zu unterrichten, und durch schnelle ärztliche Hülfe das wieder neu entstan¬ dene Üebel zu beseitigen, geschah nichts. Ob Schaam oder Leichtsinn die Kranke davon abhielt, weifs ich nicht. Anderthalb Jahre nachdem das Rectum zum zweitenmale prolabirt war, begegnete ich der Kranken zufällig. Das Uebel war jetzt dasselbe wieder, welches es vor der Ope¬ ration gewesen war. Gleich nach dem Falle war der Pro¬ lapsus klein gewesen, hatte aber mehr und mehr zugenom¬ men. Die Kranke war zur \\ iederholung der Operation nicht zu bewegen, ja sie erlaubte mir nicht einmal die Besichtigung des neuen Vorfalls.

Da der Frfolg der D u puy trenschen Opgrationsme- thode in dem eben erzählten Falle, trotz des durch die Schuld der Kranken herbeigeführten Recidivs, sehr ermu- thigend war, so vermochte er mich, die Sache auch einmal unter sehr ungünstigen \ erhältnissen zu versuchen, und das geschah im November 1828 an einer alten Frau, die bereits ()8 Lebensjahre zählte, und auf welche jene lieb¬ liche Schilderung, die Ovid in seinen Metamorphosen von der Baucis macht, keinesweges angewandt werden konnte.

I. Mastdarmvorfall.

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Johanna Christ Jana Gesnerin litt seit mehreren Jahren an einem drei Zoll langen Prolapsus ani J), zu dem sich, das Maafs der Leiden voll zu machen, noch ein Pro¬ lapsus uteri, bereits auch schon vor langer Zeit, gesellt hatte. Das crstere Uebel , das früher wohl dann und wann sich hatte zurückbringen lassen, wurde im November 1828 so lästig und so schmerzhaft, dafs die Gesnerin in das unter der ärztlichen Leitung des Hrn. Dr. Schilling ste¬ hende Amtskrankenhaus zu Dresden gebracht ward. Dieser mein College veranlafste mich, den Fall mit in Au¬ genschein zu nehmen; und da der am Krankenhause ange- stelite Wundarzt den Prolapsus ani bereits mehreremale ohne Erfolg zurückgebracht hatte, allein nicht zurückhalten konnte, denselben auf operativem Wege zu beseitigen.

Ich war, trotz des hohen Alters, trotz des decrepiden Zustandes der Frau, deshalb nicht abgeneigt, weil der Zu¬ stand der Kranken durch den Prolapsus ani hier, um J. Z. Platner’s Worte zu gebrauchen, ein Vitium taedii ple- nissimum, ein wahrhaft schauderhafter zu nennen war. Die bedeutende Schleimabsonderung fler sehr gerötheten und aufgelockerten Schleimhaut des Prolapsus ani ermattete die Kranke ungemein, und erzeugte vermöge seines specifiken Geruchs eine Atmosphäre um dieselbe, die jede Annähe¬ rung fast unmöglich machte. Dazu kam, dafs die Unglück¬ liche fortdauernd auf einer oder der andern Seite zu liegen genöthigt war, da jede Rückenlage ihr die furchtbarsten Schmerzen verursachte. Sitzen konnte sie ebenfalls nicht. Das Maafs des Unglücks wurde dadurch voll, dafs sich zu diesem Zustande eine nicht unbedeutende Diarrhöe gesellte, und dafs in Folge des Prolapsus uteri, Incontinentia urinae dann und wann eintrat.

Ein lautes, ununterbrochenes Wimmern verkündigte die Schmerzen der Kranken, der man sich, des um sie

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1) S. die Tafel Fig. 3.

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verbreiteten furchtbaren Gestankes wegen, nur aus Men¬ schenliebe und aus Liebe zur Wissenschaft auf kurze Zeit nähern konnte. Ls drohete unter diesen Umständen der nahe Tod, denn es war bei der gänzlichen Ermattung der Unglücklichen ein Resorptionsfieber zu fürchten, und nur durch die radicale Entfernung des Prolapsus ani war schnelle und dauernde Hülfe zu erwarten. «Aut cita mors venit aut victoria lacta. M

Ich liefs zu dem Ende die Kranke in ein Rad bringen, verordncte rothen W ein mit Wrasser gemischt als gewöhn¬ liches Getränk, und cs ward aufserdem eine Emulsion ver¬ schrieben. Anfangs November 1828 operirte ich den Pro¬ lapsus auf folgende Weise: Ich liefs die Alte eine Bauch¬ lage annehmen, jedoch so, dals die Posteriora höher zu liegen kamen als der Rücken; hierauf brachte ich den Pro¬ lapsus mittelst der in Oel getauchten Finger zurück, und zwar deshalb nicht ohne grofse Mühe, weil die Erschlaf¬ fung aller Parthien so grols war, dafs die Kranke durchaus kein Wrillensvermögen über den Levator und die Sphincte- ren des Afters hatte. Die Aftermündung war enorm er¬ weitert und erschlafft, und die Sphincteren hatten ihre ganze Reaction verloren. Diese beiden Dinge möglichst schnell und gründlich zu beseitigen, bob ich nun möglichst nahe an dem Rande der sehr erschlafften Aftermündung die daselbst befindlichen Falten der Haut in die Höhe, und schnitt deren acht l) mittelst einer auf die Flache geboge¬ nen schmalen Scheere ab , deren Spitze ich beim Abtragen der sehr angezogenen Hautfalten möglichst hoch in das f Rectum hineinschob, um die blattförmigen Ausschneidungen der erschlafften innern und äufsern 4laut des Rectums mit ihrer Mitte gerade auf den äufsern Sphincter zu bringen. Auch hier stellte sich das Phänomen ein, dafs nach der Abtragung der ersten Hautfalten, wie mit einem Schlage, die "sehr erschlaffte Aftermündung sich heftig cusammenzog,

1 ) S. Hie Tafel Fig. i.

I. Mastdarmvorfall.

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wodurch die Entfernung und das Fassen der übrigen abzu¬ tragenden Hautfalten sehr erschwert wurde. Die Unglück¬ liche gebehrdete sich während der Operation ganz ungemein, und erschwerte dieselbe durch ihre grofse Empfindlichkeit sehr. Die Blutung war sehr stark, zwar meistens venös, jedoch ging durch Durchschneidung einer kleinen Arterie, die bekanntlich hier von der Haemorrhoidalis interna, als einem Zweige der Arteria mesenterica inferior entspringen, viel Blut verloren, und ich mufste dieselbe endlich durch Cauterisation mittelst des Argenti nitrici stillen. Die After-* miindung bot jetzt ein sternförmiges Ansehen dar, und es war fast unmöglich, mit dem beölten Zeigefinger in die- selbe einzudringen, da die durch den vulneraliven Eingriff gereizten Sphincteren, so wie der Levator ani, heftig rea- girten. Der After war sehr geschlossen, und in die Höbe gezogen.

Ich liefs einen, mit kaltem Wasser alle 5 10 Mi¬ nuten frjsch befeuchteten, grofsen Schwamm an die ver¬ wundete Stelle legen, empfahl, da die Kranke sehr schwach war, den Genufs rothen Weins unter das Getränk, liefs Mandelmilch forttrinken, und aufscrdem nur Suppen ge- niefsen.

Die Nachblutung dauerte bis gegen 8 Uhr Abends. Es trat keine besondere entzündliche Reaction ein, und die Operirte befand sich den Umständen nach recht gut, denn es fiel in den ersten drei Tagen durchaus nichts Bemerkens- werthes vor. Die Kranke genofs mit Appetit ihre Suppen, und der Genufs des sie stärkenden rothen, mit Wasser ge¬ mischten Weins bekam ihr ebenfalls recht gut. Die Wohl- that, jetzt wieder auf dem Rücken liegen zu können, konnte sie nicht genug preisen. Erst am vierten Tage stellte sich Drang zum Stuhlgange ein. Es ward ihr jetzt eine halbe Obertasse gewärmten Baumöls mittelst der Lavementspritze in den After gespritzt, wodurch der Abgang ziemlich dicker Faeces sehr erleichtert und die Heftigkeit des Schmerzes bei der Berührung der wunden Theile durch den Koth

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sehr gelindert wurde. Von irgend einem Vorfälle des Mast¬ darms hatte sich durchaus nichts gezeigt.

Ich liefs d ie Aftermündung mittelst eines kleinen feinen Schwammes öfters reinigen, damit durchaus nicht die ge¬ ringste Spur von Koth in den Schnittwunden der operirten Aftermiindung Zurückbleiben konnte; denn an die Möglich¬ keit einer krebsigen Metamorphose in den Wunden des Orificii ani dieser sehr bejahrten cat hectischen Person, dachte ich sehr wohl. Allein von letzterem ereignete sich bei der grolsen Reinlichkeit nichts; im Gegentheil ver¬ narbten einige Schnittwunden per primam intentionem schon nach dem sechsten Tage, und von den übrigen Wunden des Orificii ani legten sich die Wundränder zum Theil nach innen um, verseil rümpften sehr, und erfüllten auch so den Zweck der Operation, nämlich vermehrte Reaction der Sphincteren und des Levatoris ani in Folge einer durch Substanzvcrlust herbeigefiihrten Verengerung.

Jetzt, beinahe sechs Wochen nach der Operation, sieht das Orificium ani sehr gesund aus. Zieht man näm¬ lich die Glütäen auseinander, so klafft die Mastdarmöffnung durchaus nicht mehr, sondern ist so fest durch die Sphin¬ cteren geschlossen, dafs der zur Untersuchung beölte und eingefiihrte Zeigefinger einen ziemlich grofsen Widerstand findet, ehe er in das Rectum eindringt. Die früher mehr sichtbaren Wundflächen, und zum Theii auch die nicht ad- härirenden Wundränder, haben sich so ausgeglichen, dafs alles wie mit einer Epidermis überzogen und übergranulirt aussieht; auch ist die Farbe derselben gesund, wenn auch bräunlichblau. Die Kranke kann jetzt wieder ganz gut sitzen, fühlt einen festen Schlufs im After, hat beim Stuhl¬ gänge auch nicht mehr die geringsten Schmerzen, und die von ihr gehenden Füces sind wurstförmig gestaltet und ha¬ ben den gehörigen Durchmesser. Das Glück der Frau voll zu machen, ist, seitdem der Prolapsus ani nicht wie¬ der zum Vorschein gekommen, auch der Mutter- und fccheidcnvorfall zurückgeblieben, indem auch er, nach der

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Aussage der Kranken, mehr Halt bekommen zu haben scheint.

Ist die Atmosphäre der jetzt Geheilten (wenn nicht das « Senectus ipsa morbus » hier leider auch seine grofse Rolle spielte) auch gerade keine angenehme, so hat sie doch den früheren specifiken, furchtbaren Geruch verloren, und ist nicht mehr stinkend ; die Genesene ist mit ihrem Schick¬ sale sehr zufrieden.

Die Resultate betreffend, die ich mir aus diesen beiden Fällen für die künftige Vollziehung der Dupuytren sehen Operationsmethode des Mastdarmvorfalles ziehe, sind nun ungefähr folgende:

1) Diese Operationsmethode ist eine grofse Bereiche¬ rung der neueren Chirurgie, denn sie hebt den Mastdarm¬ vorfall selbst unter sehr ungünstiger Prognose radical, und gegen die Anwendung derselben sprechen weder zu hohes, noch zu zartes Alter. Diese Operationsmethode ist übri¬ gens rationell, indem sie das Wesen des Uebels: Erschlaf¬ fung der Schliefsmuskeln des Afters, zu beseitigen beab¬ sichtigt.

2) Sie kann demnach in allen Fällen von Prolapsus ani ihre Anwendung finden, wo das Orificium ani nicht durch \ erhärtungen oder Scirrhositäten bereits krankhaft verändert ist, denn sie ist, so weit Erfahrung urtheilen und die chirurgische Reflexion entscheiden kann, gefahrlos, wenn auch sehr schmerzhaft.

3) Die Operationsmethode, deren Grundidee sich als heilsam bewährt, ist aber einiger Verbesserungen fähig, indem das Fassen der sehr empfindlichen, erschlafften After¬ mündung mittelst einer gewöhnlichen Pincette, zum Behuf der zu bildenden und zu entfernenden Ilautfalten sehr schmerzhaft ist, und da dieses Instrument, das mit der lin¬ ken Hand gehalten werden mufs, die Führung der rechten Hand, die mittelst der Scheere in einem kleinen Kreise operiren mufs, sehr hindert. Der Verfasser schlägt dem¬ nach eine sehr schwach gebogene Entropiumpincetle von

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v. Gräfe zu dieser Operation vor, oder er wird das nächstemal von einer Pincettc Gebrauch machen, welche die auf der beiliegenden Tafel gegebene Zeic hnung Fig. 5. darstellt. Durch die halbe knieformige Biegung der Schen¬ kel derselben an ihrem Ende wird das Fassen der abzutra» genden Hautfalte gieichmäfsig, und die linke, die Pincette führende Hand hindert die Arterien der die Scbcere diri- girenden rechten Hand nicht. Die Scheere betreffend, so mufs diese in ihren Blättern möglichst schmal, allein doch sehr fest sein, da das Abtragen der hier gewöhnlich etwa» verdickten Hautfalten ziemlichen Widerstand leistet.

4) Die Menge und Gröfse der abzulragenden Haut- falten um das erschlaffte Orihcium am betreffend, so rich¬ ten sich dieselben ganz nach der Gröfse des Uebels. Mail trage nie unter viere ab; mehr denn sieben, oder höchstens acht derselben, kann man auch nicht gut entfernen, vor¬ züglich beim weiblichen Geschlechte, wo an das andere Ende des Orificiums die Commissura labior. pudend. infe¬ rior angränzt. Hebrigeus scheint es gerathen, lieber meh¬ rere schmale Hautstreifen, als wenige breite zu entfernen. Ist die Umgegend um das klaffende Orificium ani sehr er¬ schlafft, so ist es wohl rathsam , die auszusebneidenden Hautstreifen möglichst lang zu machen, so dafs dieselben mehrere Zolle vor der Aftermündung beginnen, und eben so hoch in das Rectum hineinsteigen. Ist die Erschlaf¬ fung nicht so grofs, so beginne man die Abtragung der Hautfalten nur einen halben Zoll von der Aftermündung entfernt.

5) Man suche möglichst lange nach der Operation Stuhlausleerungen zu verhindern, und disponire den Ope- rirten daher zum Anhalten derselben; vermeide jedenfalls in den letzten Tagen vor der Operation Abführmittel, *ic mögen heifsen wie sic wollen.

6) Die Blutung, wenn sie arteriell ist, stille man durch die Ligatur, oder durch das Causticum. Jeder Tampon, den man nach der Operation in das Örificium

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II. Allgemeine Chirurgie.

einschiebt, vermehrt, da er möglichst grofse Contraction der Sphincteren als fremder Körper verhindert, die Blu¬ tung, und vereitelt die so wünschenswerthe prima Intentio der Wundlefzen.

YVilhel m Sprengels, (weiland) Professors der Chirurgie zu Greifswald, Chirurgie. Erster Band. Der allgemeinen Chirurgie erster Theil. Halle, Druck und Verlag der Gebauersehen Buchhand- ' lung. 1828. 8. XXXII u. 798 S. (5 Thlr.) (Auch unter dem Titel: Allgemeine Chirurgie. Er¬ ster Band, die Lehre von der Entzündung und den Wunden enthaltend; von Wilhelm Sprengel, Professor der Chirurgie zu Greifs¬ wald.)

Da ein ausführliches, dem Nachschlagen und der Selbst¬ belehrung gewidmetes Handbuch der Chirurgie neuerer Zeit in Deutschland noch nicht vollendet dastehet, so entschlofs sich Idr. Prof. Sprengel, dessen Laufbahn bereits ein zu früher Tod abgekürzt hat, zu der Herausgabe eines solchen, sowohl um nach Kräften einem, gewifs allgemein gefühlten, Bedürfnisse abzuhelfen, als auch um seinen Pflichten als Universitätslehrer zu genügen. Das ganze Manuscript, die Hefte zu den academischen Vorträgen, liegt fertig da und bedarf nur der sorgfältigen Ueberarbeitung; der Verf. hoffte daher im Stande zu sein, den letzten Band dieses Werkes hinnen zwei Jahren erscheinen zu lassen. Der erste Band sollte die gesammte allgemeine Chirurgie enthalten, da er aber auf diese Weise zu stark geworden wäre, so hat er in zwei getheilt werden müssen, von denen der gegen- XIII. Bd. 3. St. 19

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wartige, erste, die Lehre von der Entzündung und den Wunden, der zweite die von den Gesell wülsten enthält. Der dritte, den Uebergang von der allgemeinen zur spe- cieljen Chirurgie machend, soll sich mit der Chirurgie der Knochen beschäftigen , der vierte mit der des Schädels und der Augen, der fünfte mit der der Ohren, der Nase, des Antlitzes, der Mundhöhle und des Halses, der sechste mit der der Brust, des Bauches, der Geschlechts- und Harn- organe, und der siebente mit der der Gliedmaafsen. Ueberali ist der Verf. , wie er in der Vorrede sagt, bemüht gewe¬ sen, genaue, treffende und aus der eigenen Erfahrung, oder den Beobachtungen bewahrter Schriftsteller gezogene Krankheitsbeschreibungen und Diagnosen zu geben, und die Behandlung auf bestimmte, daraus abgezogene, Hcilanzeigen zu bauen. In Hinsicht der Operationen hat er nur bei wenigen etw'as Geschichtliches cinfliefsen lassen, immer aber diejenige Operationsweise als die beste empfohlen und ge¬ nauer erörtert, die am leichtesten, mit den wenigsten und geringsten Werkzeugen, und mit der geringsten Gefahr zu verrichten ist, besonders aber die Umstände hervorgehoben, welche sehr oft Operationen entbehrlich machen können. Unter den Schriftstellern, deren Werke der Verf. als Mu¬ ster vor Augen gehabt hat, finden wir die Namen eines A. G. Richter, B. Bell, Boy er, A. Cooper, Beer, Itard, Hesselbach, La n gen b eck, Zang, Bast, Hen¬ nen u. a. Die Litteratur hat er nicht mit aufgenommen; nur da, w'O.er glaubte, dafs das Bewährte minder bekannt, und ohne bestimmte Nachvveisung vielleicht schwer zu fin¬ den sein möchte, oder wo es etwa auf einen Beweis oder eine gewichtige Autorität ankam, hat er besondere Citate geliefert. Jedem Bande geht ein vollständiges Inhaltsver¬ zeichnis, eine Art Conspectus, voraus; dem letzten Bande soll ein genaues alphabetisches Sachregister angehängt wer¬ den. Durch Kupfer soll nur das, was dem Verf. eigen, neu und noch nicht abgebildct ist, versinnlicht werden.

So viel über den Plan und die Anlage des Werkes.

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II. Allgemeine Chirurgie.

Was nun die Ausführung desselben betrifft, so müssen wir gestehen, dafs sie dem Verf. vollkommen gelungen ist, und dafs wir nur wünschen müssen, dafs der Herausgeber der übrigen Bände diese eben so bearbeitet finden möge. Der verewigte Verf. hoffte das Ganze in zwei Jahren be¬ enden zu können. Für den im Studium noch begriffenen Wundarzt ist das Werk allerdings zu weitläuftig, für den seine Studien absolvirt habenden Wundarzt aber ist es un¬ entbehrlich, denn er findet die neuesten Ansichten darin, eine auf Erfahrung und richtige Grundsätze fufsende Kritik, und jeden Gegenstand so erschöpfend abgehandelt, dafs ihm nichts zu wünschen übrig bleiben wird. Mit einem W'orte, der wahrhaft gebildete Wundarzt wird gewifs, von der innigsten Hochachtung und Dankbarkeit für den Verf. durch¬ drungen, das Werk aus der Hand legen, und oft nach dem¬ selben greifen, um sich Rath in zweifelhaften Fällen zu holen. Die Schreibart des Verf. ist durchaus gleich, allent¬ halben klar und deutlich, fern von jedem Wortschwall und von jeder Ziererei. Dafs durch das Erscheinen dieses Wer¬ kes einem offenbaren Mangel abgeholfen wurde, bedarf wohl kaum der Bemerkung, denn in unserer neueren Lit- teratur finden wir, Langenbeck’s Handbuch der Chirur¬ gie ausgenommen, welches jedoch wohl nicht jeden anspre¬ chen möchte, kein ähnliches. Wir kommen nun zu der Anzeige* des Inhaltes dieses ersten Bandes, und werden dabei Gelegenheit haben, auf einzelne eigentümliche An¬ sichten des Verf. aufmerksam zu machen, und einzelne Punkte, wo wir anderer Meinung sind, hervorzuheben.

In der Einleitung spricht sich der Verf. über den Begriff der Chirurgie, über das Verhältnis derselben zur gesammten Heilkunde, über den Vortrag der Chirurgie, über die nötigen Eigenschaften eines guten Chirurgen, so wie über die Fehler, die er zu vermeiden hat, und über sein Benehmen vor, bei und nach Operationen, hinlänglich aus. Dann kommt der erste Haupttheil, die allgemeine Chirurgie. Erstes Kapitel. Von der Entzündung.

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I. Von der Entzündung im Allgemeinen. 1) Von dem Begriff und den Zeichen der Entzündung. Rothe, Hitze, Schmerz, Geschwulst, und gestörte Verrichtungen. 2) Von der Diagnose der Entzündung. 3) V on dem Ver¬ laufe der Entzündungen. 4) Von den Ausgängen. Zurück¬ treten, Zertheilung, Eiterung, Verschwärung, Ausschwit¬ zung, Verhärtung, Brand, Tod. (Verträgt es sich wohl mit dem Sprachgebrauch, unter Zurücktreten einer Entzün¬ dung denjenigen Zustand zu verstehen, wo die Krankheit plötzlich spurlos verschwindet und völlige Rückkehr zum Normal Verhältnisse statt findet? in der Regel versteht man doch unter Zurücktreten: Metastase!) Der Verf. gestattet nur die Existenz einer guten Eiterung, nicht aber die einer schlechten; denn wo man die letztere findet, hat man es immer mit Verschwärung, also mit Jauchebildung zu thun. Wenn auch die Eiterproben keine sicheren Resultate lie¬ fern, so hätten sie doch in einem so ausführlichen Hand¬ buche näher erwähnt werden müssen. Der Unterschied zwischen heifsem und kaltem Brand, Benennungen verschie¬ dener Zeiträume eines und desselben Leidens, wird mit Recht gerügt. 5) Von den Unterschieden der Entzündung. Ent¬ zündungen der Haut, der Schleimhäute, der serösen Häute, der Synovialhäute, des Zellgewebes, der Drüsen, der Ge- fäfse, der Arterien, Venen und Lymphgefäfse, der Knor¬ pel und Easerknorpel , der Knochen, der Muskeln, und der Nerven. Traumatische und örtliche, symptomatische und specifische Entzündungen. Primäre und secundäre, ein¬ fache, complicirte und componirte Entzündungen. Acute und chronische Entzündungen. (Nach dem Verf. giebt es eigentlich gar keine chronischen Entzündungen, sondern, wenn eine Entzündung ungebührlich lange zu dauern scheint, so ergiebt sich immer, dafs man cs mit einer Reihe von Entzündungen zu thun hat, deren keine zu einem bestimm¬ ten Ausgange gelangt, weil es ihren Symptomen an dem hierzu erforderlichen Grade fehlt. Eine Begriffsbestimmung, die für die Praxis gevvifs höchst wichtig ist, uud allein zu

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einer richtigen Behandlung führen kann!) Aechte, stheni- sche, und unächte, asthenische Entzündungen. (Sthenische Entzündung heifst ihm nur die Entzündung in einem kräf¬ tigen, starken, übrigens gesunden, asthenische die in einem geschwächten, durch Krankheit, Ausschweifungen oder An¬ strengungen entkräfteten Subjekte. Asthenische und chro¬ nische Entzündungen können daher zum Theil als gleich¬ bedeutend betrachtet werden.) Phlegmone, arterielle und venöse Entzündungen. Offenbare und verborgene, wan¬ dernde und fixe, bösartige und gutartige, adhäsive, suppu- rative und exulcerative Entzündungen. 6) Von den Ursa¬ chen der Entzündung. Disposition und Gelegenheitsursachcn. 7) Von dem Wesen der Entzündung. (Entzündung ist ein abnorm erhöhter Lebensprozefs, wobei das Blut fortwäh¬ rend in Theile einströmt, die es vorher nicht erfüllte, und wobei also das, an sich indifferente Haargefäfssystem, an der entzündeten Stelle, zur Thätigkeit der Arterien gestei¬ gert wird.) 8) Von der Prognose, und 9) von der Be¬ handlung der Entzündung. Erste Indication: Entfernung der Ursache, des Entzüudungsreizes. Zweite Indication: Herabstimmüng der erhöhten Reizempfänglichkeit, antiphlo¬ gistisches Verfahren. Diät. Therapeutik. Blutentziehun¬ gen, Aderlafs. (Das Aderlässen aus der Jugularis tadelt er, und sicher mit Recht, wegen des nachherigen unumgäng¬ lich nothwendigen Verbandes. Die Lancette zieht er un¬ bedingt dem Schnepper vor, denn der Lancette Herr ist der Arzt in jedem Augenblicke, der Schnepper aber ist, einmal in Wirkung, sein eigener Herr.) Arteriotomie. (Man soll die Blutstillung nie durch die Sonnenbinde, son¬ dern durch doppelte Unterbindung bewirken.) Oerlliche Blutentziehungen: Blutegel, Scarificiren und Schröpfen. Innerliche Mittel. (Ein viel zu wenig gebrauchtes Mittel ist nach dem V erf. das Kali sulphuricum, das in chroni¬ schen, schleichenden, zur Verhärtung neigenden Entzün¬ dungen in gehöriger Dosis vorzüglich passen soll, und das er bei den trägen , kalten, gichtischen und scrofulöscn Ent-

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Zündungen fast als ein Specifirum betrachtet.) Aeufscrliche Mittel: Kälte; Wärme; zusammenziehende, zertheilende und ableitende Mittel.

II. Von der Eitergeschwulst. Begriff und Dia¬ gnose. (Abscefs heifst dem Vcrf. eine Ansammlung von Eiter in einer widernatürlich gebildeten Höhle des Zellge¬ webes. Sollte die Definition: Absccfs ist eine in Eiterung übergegangene Entzündungsgeschwulst, nicht einen deut¬ licheren Begriff feststcllen, da sie zugleich auf die vor¬ ausgegangene Entzündung, ohne welche keine Eiterung möglich, hindeutet?) Unterschiede: primärer, secundärer, nietastatischer Abscefs. (Jeden Abscefs, der entfernt von dem Bildungsorte des Eiters zu Tage tritt, nennt der Verf. einen secundären, und begreift daher auch unter dieser Benennung die unzweckmäfsig sogenannten Congestionsab- scesse. ) Aeufsere und innere, einfache und complicirte, idiopathische, constitutionclle, kritische Abscesse. Wahre und falsche, acute oder inflammatorische, und kalte Abscesse. Folgen der Abscesse. Behandlung: Zeitigung. (Warme Dämpfe empfiehlt er in einzelnen Fällen, wo sich warme Umschläge nicht gut anbringen lassen.) Oncotomia: Ein¬ stich; Schnitt; Aetzmittel (die beste Methode soll die sein, mit einem etwas angefeuchteten Stücke Höllen- oder Aetz- steines in einem bestimmten Umfange so lange auf der Ge¬ schwulst umherzureiben, bis die Wirkung des Aetzmittels sich auf die ganze Dicke der Ilautwand erstreckt hat); Ilaarseil und Glüheiseo. Heilung der Abscesse.

III. Von den Geschwüren. Begriff. (Ein Geschwür ist eine langsam entstandene, mehr oder weniger alte Tren¬ nung des Zusammenhanges, mit Substanzverlust und zuneh¬ mender Zerstörung der umliegenden Theile, und mit Ab¬ sonderung einer, auf eine oder die andere Art differenten, nicht organisirten, übelriechenden und mifsfarbigen Flüssig¬ keit, der Jauche, verbunden. Die Jauche, ein Product der zunehmenden Zerstörung, bedingt auch wiederum dieselbe.) Ursachen; allgemeine Disposition, Süchtigkeit; örtliche Dispo-

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sition; örtliche und allgemeine Gelegenheitsursachen. Ver¬ schiedenheiten: entzündliches und atonisclies, acutes, chro¬ nisches und habituelles Geschwür; Unterschiede nach Ort und Form, und nach der Ursache. Prognose. Behandlung. Erste Indication: Entfernung der Ursachen. Ableitende Mittel: Blasenpflaster; siedender Dampf; Fontanell; Haar- seil; und Seidelbast. Zweite Indication: Directes örtliches Einwirken zur Beschränkung der exulcerativen Thätigkeit, und Entfernung der im Geschwüre selbst begründeten, die Heilung hindernden Abnormitäten. Dabei ist besonders zu achten auf den Grad der Reaction im Geschwüre, und auf die Form desselben. (Ein Mittel, dem der Verf. fast eine directe Wirksamkeit zur Umwandlung der geschwürigen Thätigkeit in eine eiterige zuschreiben möchte, und das bei den meisten Geschwüren sich sehr wirksam beweist, ist die Tinct. Opii crocata, örtlich, als Verbandmittel angewandt! Die Regel, mit den örtlichen Verbandmitteln von Zeit zu Zeit zu wechseln, ist eine goldene. In der Hellmund- schen Salbe erblickt der Verf. das einzige Mittel, das eine gänzliche Umänderung in dem Geschwür und seinen Um¬ gebungen hervorrufen, eine völlige Umstimmung der Le- bensthätigkeit an dem betroffenen Orte bewirken kann!) 1) Von den Formverschiedenheiten der Geschwüre. A) Form¬ fehler der Geschwür -Ränder. a) Von dem schwieligen Geschwüre. (Die Bayntonschen Zirkelpflaster empfiehlt der Verf. sehr. Sehr grofsen Nutzen sah er in ganz ver¬ alteten und erregungslosen Fällen von der Anwendung des Brennglases, dessen Focus er nach und nach auf mehrere Stellen des Callus so lange fallen liefs, bis sie deutlich rauch¬ ten , und der Kranke einen lebhaften, stechenden Schmerz empfindet.) b) Von dem sinuösen Geschwüre. Ein Ulcus sinuosum ist ein solches, dessen Ränder nicht mit dem Grunde Zusammenhängen, sondern durch mehr oder weni¬ ger grofse Höhlen davon getrennt sind. Mechanische Ent¬ fernung durch das Messer oder die Schecre ist dagegen das beste Mittel. B) Formfehler des Geschwürgrundes, c) Von

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dem schwammigen Geschwüre. (Unmittelbare Berührung mit dem glühenden Eisen soll schaden, weil die Hitze zu heftig auf die unterliegenden gesunden Theile hindurch wir¬ ken würde, der Verf. rath daher, die schwammige Ober¬ fläche durch blofse Annäherung des glühenden Eisens zu braten. Die Wirkung des blauen Kupfervitriols zieht er der des Höllensteins vor, weil jener weniger ätzt, als einen andauernden Heiz hervorbringt, d) Von dem röhrenför¬ migen Geschwüre. (Der Unterschied zwischen Sinus und Fistel liegt keineswfeges blofs in der Form des hohlen Grun¬ des, der dort rund und kesselförmig, hier lang und röhren¬ artig ist, sondern darin, dals der Sinus eine Abnormität der Ränder ist, und durch die geringe Lebensfähigkeit die¬ ser erhalten wird, während die Fistel, ein Formfehler des Grundes, nur durch die mangelnde oder gehinderte Thätig- keit dieses letzteren besteht. Line dem Verf. eigentümliche Definition! Zum Spalten der Fistel wird besonders das J>1 öm ersehe Fistelmesser empfohlen. Auffallenden Nutzen sah der Verf. in einigen Fällen von der Anwendung eines Schröpfkopfes , der täglich mehrmals auf die Oeffnung eiher blinden listel gesetzt ward; es wird dadurch alles Fremd¬ artige und Abgesonderte entfernt, und ein kräftiger Beiz hervorgebracht. C) Formfehler der Umgegend der Ge¬ schwüre. c) Von dem varicösen Geschwüre, f) Von dem ödematösen Geschwüre. D) Formfehler der Absonderung der Geschwüre, g) Von dem fauligen und brandigen Ge¬ schwüre. h) Von dem Salzflusse. (Der Salzflufs steht so auf der G ranze der Geschwüre gegen die chronischen Haut¬ ausschläge, wie das faulige Geschwür den Uebergang zum Brande bildet.) 2) \ on den Orlsverschiedenheiten der

Geschwüre. 3) Von den speciGschen Verschiedenheiten der Geschwüre. (Das Krebsgeschwür gehört, als Ausdruck einer allgemeinen Dyscrasie, auch ganz zu dieser Klasse; allein, theds wegen seines jedesmaligen Ursprunges aus einem Scirrhus, theds wegen seiner Verwandtschaft mit einigen andern Geschwülsten, dem Blut- und Markschwamme,

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wollte der Verf. dasselbe bei der Lehre von den Geschwülsten abhandeln.) a) Von dem venerischen Geschwüre. 1) Von dem primären venerischen Geschwüre. Der primäre Schanker tritt bisweilen unter etwas abwei¬ chenden Formen auf, diese haben aber nicht den geringsten Einflufs auf sein Wesen, sobald er wirklich aus örtlicher Ansteckung hervorgegangen war. Die unbedingte Diagnose, die einige Aerzte aus dem Nutzen der Quecksilbermittel in allen Fällen für Vorhandensein von Syphilis ziehen, wird mit Recht getadelt. Die Prognose stellt der Verf. auffal¬ lend günstig; auch ihm werden gewifs Fälle genug vorge¬ kommen sein , wo ifach völlig richtig behandelten Schan- kern allgemeine Syphilis ausbrach. Im Allgemeinen ist da¬ her die Prognose wohl immer wenigstens zweifelhaft zu stellen. Er widerräth jedes directe Einwirken gegen den Schanker durch örtliche Mittel völlig, und hat darin, was

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auch andere Wundärzte von Neutralisation des Giftes u. dergl. sagen mögen, gewifs sehr recht. Er giebt den Ca- lomel in steigenden und fallenden Gaben, und will immer mit demselben ausgekommen sein. Was wird aberDzondi und so viele andere sagen, wenn sie hören, dafs der Verf. den Sublimat ein unsicheres, giftiges Mittel nennt, das, seiner Ueberzeugung nach, sowohl als der Arsenik, aus der Reihe der innern Arzneimittel geradezu gestrichen werden sollte! Eine Behauptung, über die wir uns nur wundern können! Den Speichelflufs hält er für ein sehr günstiges Ereignifs. 2) Von den secundären venerischen Ge¬ schwüren. Die wichtigste und traurigste Complication ist die mit Scorbut; die mit Mercurialdyscrasie leugnet der Verf.; alle die Fälle, die man für solche Complicationen gehalten hat, sagt er, waren nichts anderes als Syphilis, deren Symptome durch unzureichenden und unzweckmäfsi- gen Quecksilbergebrauch modificirt waren. Das Zusammen¬ vorkommen mehrerer secundären Symptome ist ihm, nächst der Anamnese, das einzige, was zu einer höchst wahr¬ scheinlich richtigen Erkenntnifs leiten kann. Rückfälle soll

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eine wirklich geheilte Syphilis nie machen, sondern es soll dazu immer einer neuen Ansteckung bedürfen. (Allein lei¬ der fehlen uns alle sicheren Zeichen einer Heilung!) Auch hier empfiehlt er den Calomcl bis zum Speichelllufs, und wo dieser nichts hilft, die Inunctionscur, die er nach den 'V orschriften von I\ust sehr genau beschreibt, oder die W einholdsche Calomelcur. Gegen die scorbutische Com- jilication empfiehlt er besonders Säuren. Gegen die anti¬ phlogistische Ilcilart der Lustseuche erklärt er sich geradezu. Die Bubonen öffnet er immer durch das llerumrciben mit einem Stückchen Höllenstein, nie durch das Messer. Die Condylomen verschwinden immer (?), sobald die Syphilis getilgt ist. b) Von den pseudosyphilitischen Ge¬ schwüren, oder den M arsch krank heitsgeschwü- ren. (Einer der interessantesten Abschnitte in diesem Theile! der Vcrf. spricht aus Erfahrung! Zuerst liefert er einige geschichtliche Bemerkungen, und dann handelt er den Verlauf der Krankheit ab. Sie soll keine bestimmten Pe¬ rioden haben, wohl aber sich durch gewisse Vorläufer unter der Gestalt von rheumatischen, gichtischen und ca- tarrhalischen Leiden ankündigen. Sie macht nie primäre Geschwüre, immer nur secundäre. Da die örtlichen Sym¬ ptome nie in einer bestimmten Reihenfolge eintreten, so beschreibt er sie nach der Ordnung der Theile. Die Krank¬ heit verläuft nur sehr langsam. Niemals ist ein Beispiel von unmittelbarer Ansteckung vorgekommen; findet eine Ansteckung statt, so durchdringt das in der Atmosphäre verbreitete Contagium zuerst die ganze Constitution und erzeugt eine Dyscrasie, die nur erst, bei hinzukommenden Gelegenheitsurj>achen , sich hier oder da mit örtlichen Sym¬ ptomen äufsert. Erblich ist die Krankheit höchst wahr¬ scheinlich. Die entfernten Ursachen scheinen dem Verf. in einer Menge von örtlichen und Landes- Einflüssen zu lie¬ gen, aus denen die Krankheit sich alle Tage, gleichsam durch eine Generatio aequivoca, neu erzeugt. Die Marsch¬ krankheit ist eins mit der Radcsygc, und die Unterschiede,

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die zwischen beiden statt finden, sind durch anderes Klima und andere Lebensart bedingt; sie ist nicht aus Schweden herübergebracht , sondern im Lande selbst erzeugt, und aus denselben Verhältnissen, aus denen sie sich in Norwegen entwickelt. Le mal de la baie St. Paul, die Sibbens, die \aws und Pians, und das Mal di Scherlievo sollen auch völlig einerlei mit dieser Krankheit sein. Eine sehr genaue Diät ist die Hauptsache bei der Gur; in leichteren Graden reichte sie zur Heilung hin, in schwereren aber nicht; in diesen leistete bisweilen der Brechweinstein viel, aber in Fällen, wo die Knochen litten, bewirkte weder er, noch das Quecksilber, auf gewöhnliche Weise gereicht, eine ra- dicale Heilung. Die Rust - L o uvrier sehe Inunctions- und Hungercur, und die Wein hold sehe Calomeleur be¬ wiesen sich dagegen hier sehr heilsam, am heilsamsten, wenn sie einen kräftigen und anhaltenden Speichelflufs er¬ regten. Helfen diese Mittel nichts, wie denn das Queck¬ silber nicht in allen Fällen die Pseudosyphilis tilgt, so em¬ pfiehlt sich die Osb eck sehe Hungercur. Das salzsaure Gold bewirkte bei mehreren Kranken Bluthusten, der Liq. antimiasm. Koechlini höchstens Besserung, das Kali hy- drojodin. , das Pollinische lind Zitt mann sehe Decoct gar nichts. Sublimat und Arsenik wurden, als höchst uner¬ laubte Mittel, nie angewandt. Eine gründliche Umstim¬ mung, nach gehobener Dyscrasie, bewirkte am besten die II ellmundsche Salbe. Bei Leiden tiefer Gelenke erwies sich das Glüheisen, die Moxa und die Dzondische Dampf- maschiene höchst heilsam.) c) Von den Mercurialge- schwüren. (Die einzigen Geschwüre, welche diesen Na¬ men verdienen, sind die, welche bei heftigem Speichelflüsse in der Mundhöhle Vorkommen. Schwefel, Schwefelleber und Campher helfen nichts hiergegen.) d) Von den sco rb utischen Geschwüren. (Das Heilen der scor- butischcn Geschwüre von der Mitte her betrachtet der Verf. nicht als etwas dem Scorbut Eigentümliches, da die¬ ses auch bei einfachen, breiten und flachen eiternden Wun-

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den, bei den peripherisch sich ausbreitenden syphilitischen, pseudosyphilitischen und gichtischen Geschwüren statt hat.) e) Von den scrophulüsen Geschwüren. (Die Jauche der scrophulüsen Driisengeschwürc soll ohne hesondern Ge¬ ruch und ohne alle Schärfe sein (?). Rhachitis ist blofs eine Art der Aeufserung der Scropheln, keinesweges eine besondere, von dieser verschiedene Krankheit, ln der Leiche eines scrophulüsen Kindes fand der Yerf. den Oberarmkopf und den Kopf des Oberschenkels gleichzeitig von ihren Kürpern getrennt, ohne dafs beträchtliche Spuren von Ca- ries vorhanden waren. Ein seltener Fall! Das Kali car- bonicum rühmt er besonders als reizend -auf lösendes Mittel. Den sehr deutlich fluctuirenden Ab$cefs öffnet er stets mit dem Aetzmittel. ) f) Von «Jen gicntischen Geschwü¬ ren. (Auf die eigenthümliche, bei keiner anderen Krank¬ heit in dieser Art vorkommende Verschwärung unter der Kniescheibe, meist gerade dem Ansetzungspunkte des Knie¬ scheibenbandes gegenüber, macht er besonders aufmerksam, g) Von den erysipelatüsen Geschwüren, h) Von den Mcnstrual- und Hämorrhoidal-Geschwüren. i) Von den Krätzgesch w üren. Der Verf. erwähnt hier der von ihm mehrmals beobachteten Identität der Vaccine- und Mauke-Geschwüre, die schon früher durch Sacco bewiesen ist

IV. Von d em l)ran de. (Der Unterschied zwischen Gangrän und Sphacelus ist völlig nichtig, erstere ist nichts anderes als die möglich höchste Stufe der Entzündung, von welcher keine Rückkehr zum Leben mehr möglich ist. Nur zur Bezeichnung des feuchten und trockenen Brandes pas¬ sen diese Benennungen.) Begriff, Unterschiede, Prognose und Behandlung. A) Von dem Brande aus örtlichen Ursachen. 1) Von dem durch zu hoch gestei¬ gerte Entzündung verursachten Brande. (Der Verf. stimmt für in das Brandige zu machende Einschnitte, und gewifs aus guten Gründen. Dagegen aber verwirft er bei diesem rein entzündlichen Brande, der nicht traumati-

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scher Natur ist, 3ie Amputation, es mag sich nun eine Demarcationslinie gebildet haben oder nicht.) 2) Von dem Brande durch Erfrierung. (Ein einzelner Theil kann geradezu von der Kälte getüdtet werden, ohne dafs rascher Uebergang zur Wärme als Mittelglied eingetreten ist. ) 3) Von dem Brande durch Verbrennung,

er Verf. unterscheidet keine bestimmten Grade, weil sie auf das mannigfachste in einander übergehen.) 4) Von dem Brande durch aufgehobenen Kreislauf. ( W o dieser Brand von Hinderung des Kreislaufes rasche Fort¬ schritte zu machen anfängt, da soll man das Glied sogleich amputiren , und zwar parallel mit dem Hindernisse des Kreis¬ laufes: dadurch kommt man den Absichten der Natur auf eine kürzere, gefahrlosere und bequemere Weise zuvor, und verhindert gewifs die sonst späterhin vielleicht zu fürch¬ tende Rückwirkung des ausgebreiteten örtlichen Leidens auf den Organismus. 5) Vom Brande durch Quetschung.

6) Von dem, durch fremde Körper bedingten, kritischen Brande. B) Von dem aus allgemeinen Constitution eilen Ursachen entstandenen Brande.

7) Vom Hospitalbrande. (Nach dem Verf. ist der Hospitalbrand weiter nichts, als die örtliche Aeufserung derjenigen Art des fauligen Typhus, die man mit dem Na¬ men Lazarethfieber zu bezeichnen pflegt. Den Verlauf des¬ selben schildert er so, wie er ihn am häufigsten zu beob¬ achten Gelegenheit hatte. Wo man den Hospitalbrand ohne alles Allgemeinleiden gesehen haben will, da, behauptet er, dürfte entweder gar kein solcher Brand dagewesen sein, oder man hätte auch wohl in gelinderen Fällen, bei zu grofser Aufmerksamkeit auf die örtlichen Symptome, die constitutioneilen zu wenig gewürdigt und übersehen. Er fand immer, dafs die allgemeinen Symptome der Erschei¬ nung des Hospitalbrandes selbst vorausgingen. In der Epi¬ demie nach der Schlacht bei Leipzig fiel ihm als erstes ört¬ liches Zeichen besonders die ganz eigene emphysematose Auftreibung auf; in den Epideinieen über dem Rheine, 1814

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II. Allgemeine Chirurgie.

und 1815, aber der weifse, aphthöse Fleck. Die Identität des Ilospitaibrandes und Typhuscontagiums folgert er mit der vollkommensten Gewifsheit aus den entfernten Ursachen, welche beide erzeugen, aus der völligen Analogie des V er- laufs beider Leiden, aus der IJebereinstimmung der, beiden am meisten entsprechenden Behandlung, und aus den sehr häufig gemachten Beobachtungen, dafs auch längst geheilte Narben wieder aufbrachen, dafs Entzündungen, z. B. Bu¬ bonen Venerischer, im Momente des Aufbruches schon von diesem Brande ergriffen erschienen, u. dergl. Dafs die Jauche des Ilospitaibrandes ansteckt, ist dem Verf. kein Beweis gegen die Einheit dieses Contagiums mit dem des Typh us; denn theils, sagt er, wird jede Brand jauche, we¬ nigstens oft, einigermaafsen ansteckend, theils besitzen ja auch andere, vom Körper Typhuskranker abgesonderte Flüs¬ sigkeiten die Ansteckungskraft in einem hohen Grade, und der Schweifs eines Faulfieberkranken , auf eine Wunde übertragen, würde eben so gut den Brand erzeugen, als die Brandjauche selbst. Dafs der Brand ein und dasselbe Individuum mehrmals befallen kann, ja häufig baldige Rück¬ fälle macht, ist auch ein Verhältnis, das beiden Krankhei¬ ten gemeinschaftlich zukommt. Nach dieser Ansicht darf natürlich die Behandlung nur von einer zweckmäfsigen Ein¬ wirkung gegen das Allgemeinleiden ansgehen. Die Guy¬ ton - M o r v ea u sehen Räucherungen zur Verbesserung der Luft hält der Verf. für unnütz und überflüssig, selbst für schädlich (?). Einschnitte in das Brandige tadelt er, weil das Brandige immer nur von verbal tnifsmäfsig geringer Dicke ist. Die Anwendung des glühenden Eisens, der Aetz- mittel und concentrirlen Säuren verwirft er aus wohl zu beachtenden Gründen. Dafs man in keinem Falle des Ilospitaibrandes wegen amputiren dürfe, zeigt er deutlich. 8) Vom brandigen Durch liegen. 9) Von dem Brande bei der Abzehrung der Greise. (Der Ver¬ fasser sah einen ähnlichen Brand hei jungen Leuten durch ein Uebcrmaafs von schwächenden Einflüssen entstehen!)

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10) Vom Brande in der Kriebelkrankheit. 11) Von dem metastatischen Brande. (Von andern, na¬ mentlich von Pott, der schmerzlose Brand genannt.)

V. Von einigen besonderen Entzündungen. 1) Von dem Bothlaufe. (Auch hier versteht der Verf., gegen den Sprachgebrauch, unter Zurücklreten der Rose zum Theil einen günstigen Ausgang. Bei dem heftigen Sonnenbrände im Antlitze, wo die starke Spannung der Haut sehr zu belästigen pflegt, und die kalten Umschläge nicht recht gut angebracht werden können, empfiehlt er, grofse Stücke rohes Kalbfleisch, in breite Scheiben geschnit¬ ten, aufzulegen. 2) Von dem bösartigen Roth laufe. (Ignis Sancti Antooii.) Diese Krankheit unterscheidet sich vom Hospitalbrande nur durch die Abwesenheit einer Wunde, und durch die Entstehung des örtlichen Leidens aus einem zufälligen Rothlaufe bei gleichzeitigem Typhus. 3) Von dem Blutschwär. 4) Von dem Carbunkel und der bösartigen Blatter. Dafs zwischen diesen beiden Krankheiten nach dem Verf. kein wesentlicher Unterschied statt findet, geht schon aus der Ueberschrift hervor. Beide Krankheiten sind sich, sagt er, sowohl in den örtlichen Erscheinungen, als den allgemeinen sie begleitenden Zu¬ fällen, völlig gleich, und dafs bei der einen allgemeine, bei der andern örtliche Ansteckung vorausging, kann um so weniger einen wesentlichen Unterschied geben, da wir ein ganz ähnliches Verhältnifs beim Hospitalbrande und mehre¬ ren andern contagiösen Krankheiten bemerkten. Bei der Behandlungsweise der schwarzen Blatter erwähnt er blofs das Nützliche des Betupfens mit Kali causticum, wohl aber hätten die zahlreichen glücklichen Erfolge, die Dr. Herbst von der innern und äufsern Anwendung der Aqua oxy- muriatica sah, hier nicht mit Stillschweigen übergangen werden dürfen.

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Zweites Kapitel. Von den Wunden.

I. Von den Wunden im Allgemeinen. 1) Von dem Begriff einer Wunde. (Eine Wunde nennt der Verf.

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eine frische, schnell und aus mechanischen Ursachen ent¬ standene Trennung des Zusammenhanges, meistenteils ver¬ bunden mit Klaffen der Ränder und Ausflufs von Blut, oder einer andern natürlichen Flüssigkeit. Kine sehr rich¬ tige Definition ! ) 2) Von der Einteilung der Wunden.

3) Von der Diagnose der Wunden. 4) Von der Prognose der Wunden. 5) Von der Heilung der Wunden. Hei¬ lung durch frische Vereinigung, und durch Eiterung. (Für irrig hält der Verf. die Meinung, dafs AVunden an dvscra- sischen und süchtigen Personen, anstatt auf dem ersten, auf dem zweiten Wege heilen.) Vorgänge hei der Heilung auf beiden Wegen. Narben. 6) Von der Behandlung der Wunden. 7) Von den Zufällen hei Wunden, a) Von der Blutung. Verlauf, Blutstillungsart der Natur. Arten und Ursachen der Blutungen. Erst- und Nachblutungen. Aeufsere und innere Blutungen. (Koch ’s Ansicht, der seihst nach Amputationen nicht unterbindet und meint, das lebendige Blut scheue gevvissermaafsen vviilkührlich eine offene Gefäfsmündung, tritt der Verf. nur bedingungsweise bei. Auch tadelt er Koch, der die Unterbindung für ein Beförderungsmittel der Nachblutungen hält.) Die Prognose. Verblutung. (Auf die sogenannten Bluter hätte hier auf¬ merksam gemacht werden sollen.) Behandlung: Finger¬ druck; Tourniquet; Unterbindung, mittelbare und unmit¬ telbare; Druck , Vergleichung des Drucks mit der Unter¬ bindung; Blutstillung hei angeschnittenen oder gestochenen Gefäfsen; zusammenziehende, styptische und ahsorhirende Mittel; Glüheisen und Aetzen; mechanisch -dynamische und dynamische Blutstilfungsmittel ; Allgemeinbehandlung Blu¬ tender; Nachbehandlung derselben. (Das Anlegen des Tour- niquets zieht der \ erf. dem blofsen Fingerdrucke vor. Da, wo er es mit einer oberen und . unteren Mündung einer durchschnittenen Arterie zu thun hat, unterbindet er immer beide Mündungen, weil sonst gar zu leicht gefährliche Nach- und Rückblutungen eintreten. Zum Hertforziehen der Arterie bedient er sich lieber der Pincette, der gewöhn¬ lichen

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II. Allgemeine Chirurgie.

liehen anatomischen oder der Blömerschen, als des Hakens. Von der Furcht, der übermäfsig dünne, schneidende Unter- hindungsfaden möge auch die äufseren Gefäfshäute durch- schneiden, bevor noch die Vereinigung der inneren auf eine dauerhafte Weise zu Stande gekommen ist, kann er sich nicht losmachen. Scarpa’s Methode, die Cylinderligatur, tadelt er mit Recht. Er bedient sich zur Unterbindung eines Fadenbändchens aus Drehseide, das er so fest zusam- nienzieht, dafs die inneren Flächen der Arterienwand ^e-'

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wifs von allen Seiten her in Berührung gesetzt werden; er schlägt also einen Mittelweg zwischen den Ansichten von Jones und Scarpa ein. Unterbindungen des Trun¬ cus anonymus und der Aorta hält er für weit gefährlicher, als die Krankheit, derentwegen man sie vornimmt. Die Nachtheile des Umstechens sind sehr genügend auseinander¬ gesetzt. Mit Boy er unterscheidet er eine seitliche und eine gerade Compression, die beide mittelbar oder unmit¬ telbar ausgeübt werden. Die Wirkung der seitlichen Tam¬ ponade kommt der Unterbindung am nächsten, er hält sie daher für die beste Compressionsart. Lambert’s Vor¬ schlag, bei einer Arterienwunde die umschlungene Nath anzulegen, verwirft er mit Recht geradezu. Das Aetzmit- tel, das alle Nachtheile des Glüheisens in höherem, und alle Vortheile desselben in geringerem Grade hat, soll man zur Stillung von Blutungen nie (? z. B. bei Blutegelstichen!) anwenden, aufser in den seltenen Fällen, wo gar nichts anderes zur Hand ist. b) Von dem Schmerze, c) Von dem Wundstarrkrämpfe. (Der Verlauf und die For¬ men sind sehr genau angegeben. Der Verf. gesteht zu, dafs man einen entzündlichen Tetanus von einem nicht ent¬ zündlichen unterscheiden könne, glaubt aber, dafs beide nicht wesentlich, sondern nur gradweise verschieden sind, und dafs der letztere leicht in den ersteren übergeht. Die Aehnlichkeit des Starrkrampfes mit der Hundswuth, zeigt er an mehreren Stellen. Erkältung ist ihm die häufigste Gelegenheitsursache , und diese Ursache berücksichtigend, XIII. Bd. a. st. 20

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II. Allgemeine Chirurgie.

richtet er auch seine Behandlung, die antirheumatisch ist, ein. Wie mau hei jedem Rheumatismus Rücksicht auf die Körperbeschaffenheit des Kranken und auf den \ erlauf der Krankheit nehmen mufs, so auch hier; daher kann auch unmöglich ein Mittel fiir alle Fälle passen. Opium in star¬ ken Gaben, alle drei Stunden 7,u achtzig Tropfen, leistete dem Verf. einige Male gute Dienste. In einem Falle be¬ sänftigte der thierisehe Magnetismus die einzelnen Anfälle und kürzte sie ab, allein der Kranke starb dennoch. Die gegen die Mundklemme getroffenen Vorrichtungen können zu nichts helfen, d) Von dem Fieber. Wundfieber und Eiterungsfieber. e) Von den Gemüthsbewegungcn Ver¬ wundeter.

II. Von den Wunden im Besonderen.

1) Von den reinen Schnitt- und Hiebwun¬ den. Bei der Behandlung derselben erwähnt der Verf. der I>age des verwundeten Theiles, der vereinigenden Binden, der trockenen und der blutigen INath * besonders der Knopf- nath, der Verbindung der trockenen Nath mit der blutigen, und der Entfernung der Heftfäden. Von den Uavnton- schen Zirkelpilastern sagt er, dafs sie alle «I ie Vortheile der Binden und der gewöhnlichen trockenen Nath mit ein¬ ander vereinigen. Das Spalten des einen Heftpflasterkopfes* um den gegeniiberstebenden hindurchzuziehen, tadelt er, weil dies immer zu drückenden Falten auf der Wunde seihst Veranlagung giebt. Die Knopfnath zieht er mit Recht allen anderen Arten von Nöthen vor.

2) Von den Stichwunden. Diagnose, Prognose und Behandlung.

3) Von den Quetschungen und Quetschwun¬ den. Der Blutunterlaufung wird hier besonders gedacht. Nur da, wo es wegen sehr bedeutender Quetschung der Wundränder, fremder Körper in der Tiefe, gesplitterter Knochenbruche oder anderer ähnlicher Verhältnisse geradezu unmöglich erscheint, die Vereinigung auch nur eines Theiles der Wunde zu bewirken, wo vielmehr ihr Offeubleiben

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II. Allgemeine Chirurgie. 295

zur Verhütung oder Entfernung von Mifsverhältnissen durch¬ aus erforderlich ist, soll man dergleichen Wunden locker mit Charpie aus füHeo. Nie soll man sich aber, aus Furcht den Brand zu befördern, von der Anwendung kalter Umschläge äbhalten lassen; eine gewifs sehr gute Regel, gegen welche gewöhnliche Wundärzte leider noch sehr oft fehlen.

4) Von den S chufswun den. (Sie hätten eigent¬ lich zu den Quetschwunden gehört, und daher eine Unter¬ abtheilung von diesen bilden müssen.) Verschiedenheiten der Schufswunden.i (Luftstreifschüsse. (Dafs weder die Verdichtung noch die Verdünnung der Luft neben, vor oder hinter der Kugel an den sogenannten Luftstreifschüs¬ sen schuld sein können, lehren manche mit Schiefsgewehren angestellte Versuche. Sie können auf zweifache Weise entstehen, und zwar bei grobem Geschütz durch matte Kugeln, bei kleinem Gewehr aber durch schief aufschla- gende, und verhalten sich gerade so wie die Contusionen, nur dafs sie diese eben so viel an Gefährlichkeit übertref¬ fen, als die Schufswunde selbst die gewöhnlichen Quet¬ schungen.) Forrif der Schulswunden. Zufälle. Verlauf. Knochenschufswunden. (Necrose folgt ihnen häufiger, als Caries. Bisweilen zeigt sich sogar von der Heilung durch frische Vereinigung eine Art von Analogon, indem, wider Erwarten, grofse, halb abge$chossene Knochensplitter sich nicht allein bisweilen wieder anlegen und verwachsen, son¬ dern sogar ganz von der Kugel zerbrochene Knochen, wie andere einlache Knochenbrüche, heilen können, wenn gar keine Splitterung statt gefunden hat.) Diagnose. Prognose. Behandlung. Amputation. (Für absolut nothwendig hält der \ erf. die Amputation in folgenden Fällen: Wenn ein Glied durch eine Pafskugel oder ein grofses Stück Hohl- kugcl ganz, oder doch zum gröbsten Theile, und so, dafs es nur noch an einigen Stücken hängt, abgerissen ist; wenn eine Pafskugel oder ein grofses Bomben - oder Granaten¬ stück ein Glied so getroffen hat, dafs der Knochen split-

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II. Allgemeine Chirurgie.

terig gebrochen ist, und die Weichthcile, Nerven und Gc- fäfse zerquetscht und zermalmt sind, die Haut mag dabei gleichzeitig zerrissen sein oder nicht; wenn man es mit Sehufswunden der Gelenke, selbst von kleinen Gewehrku¬ geln und ohne sehr bedeutende Verletzung der Weichtheile, aber mit grofser Zerstörung der Gelenkenden der Knochen selbst, besonders im Kniegelenke zu thun hat; und endlich bei Schußwunden des Oberschenkels mit Zersplitterung des Knochens, selbst wenn keine bedeutende Verletzung der 'Weichtheile dabei statt gefunden hat (?). Relativ noth- wendig wird die Amputation durch mancherlei, hier auf¬ gezählte, unvermeidliche Umstände.) Dilatation der Schufs- wunden. Gegenwart von Kugeln oder von fremden Kör¬ pern, und das Ausziehen derselben. (Der Verf. zieht zom Untersucheu des Schufskanals die Sonde dem Finger vor, er behauptet, sie verursache weniger Schmerzen, und man könne mit ihr eben so genau und sicher, als mit dem Fin¬ ger fühlen (?!). Den myrthenblattformig gestalteten Kugel¬ löffel rühmt er zum Ausziehen der Kugel sehr, ln Fällen, wo die Kugel immer der Zange entschlüpft, empfiehlt er eine Kornzange, deren Blätter sich vorn, nach Art der Blöm ersehen Pincette, das eine in einen, das andere in zwei kurze, stumpfe Ilaken endigen; die Haken drücken sich in eine bleierne Kugel leicht ein; so dafs sie dieselbe sehr fest fassen, ohne doch ihre Dicke beträchtlich zu ver¬ mehren.) Frster \ erband bei einfachen Sehufswunden , und weitere Behandlung derselben. (Das Haarseil pafst nach dem \erf. nur in seltenen k allen, am wenigsten um die Fiterung zu befördern, die vielmehr, in einer frischen Wunde beginnend, durch einen solchen fremdartigen Reiz nur zu leicht in \ erschwärung verwandelt wird. Tiefe grofse Einschnitte bei Knochenbrüchen geben ganz unnü- thigerweise grofse, an sich schon nicht gut heilende Wun¬ den, und müssen die Entstehung und Ausbreitung von Garies und Necrosis begünstigen. Ist die \ erwundung an den unteren Gliedmaafsen, so, sagt der Verf., wird keine

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II. Allgemeine Chirurgie. 297

Lage und keine Ausdehnungsvorrichtung so grofse Vortheile gewähren, als die von mir verbesserte Coopersche Bein- bruchmaschiene, deren ich mich nun seit neun Jahren bei allen Brüchen der unteren Glieder bediene, mit der ich eine sehr grofse Anzahl solcher Brüche, unter andern auch zwei Schenkelbruche, und einen ganz schiefen des unteren Drittheils des Oberschenkels an einer dreiundachtzigjährigen Frau, ohne alle Verkürzung (hört!!) geheilt habe, und die äch im dritten Bande näher beschreiben und abbilden werde.) *

5) Aon den W unden durch Ausreif sung von Gliedern. Alle bekannten Fälle dieser Art verliefen ohne besondere Zufälle, und wurden verhältnifsmäfsig leicht und glücklich geheilt, namentlich beobachtete man nie ein be¬ trächtliches Nervenleiden dabei.

6) Von den vergifteten Wunden, a) Von dea bei Leichenöffnungen vergifteten Wunden. (Kein Conta- gium, keine Inoculation eines Krankheitsstoffes soll hier jene allgemein bekannten, bedeutenden Zufälle hervorrufen, son¬ dern nur das Fremdartige, durch die Aerwesung der Lei¬ chen erzeugte soll sie ursächlich bedingen (?). Der Verf. hat es immer von grofsem Nutzen gefunden, auf die gereinigte und ausgewaschene* AVunde einen oder einige Tropfen der aromatisirten Essigsäure zu bringen.) b) Von den vergifteten Insectenstichen. c) Von dem Schlangen¬ bisse. (Bei dem Bisse unserer Vipern ist die Prognose im Allgemeinen nicht ungünstig. Auf reichliche Schweifse folgte fast immer schnelle Besserung, sie sind daher als ein günstiges oder kritisches Zeichen zu betrachten.) d) Von dem Bisse wüthender T liiere. Wasserscheu. Ver¬ lauf derselben, Resultate der Leichenöffnungen, Ursach der Wasserscheu, das Wesen, die Aehnlichkeit derselben mit dem Starrkrampfe, Prognose und Behandlung. (Das Ent¬ stehen der Mar o c h e tt i sehen Bläschen unter der Zunge scheint dem Verf. weit weuiger als die Folge einer unmit¬ telbaren, materiellen Aufsaugung und Wiederablagerung,

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III. Chirurgische Klinik,

wie vielmehr als die Aeufserung eines in rein dynamischen Verhältnissen begründeten Strebeos nach kritischer Aus¬ scheidung zu betrachten zu Die Prognose beim ßisse

wüthender Thiere stellt er, wenn gleich von Anfang an alles Zweckmäfsige geschieht, ziemlich günstig, was wohl etwas zu viel gesagt ist! ln der zweckmäßigen örtlichen Behandlung d^r Bifswunde sucht er das einzige und oft sichere Mittel, der Wasserscheu zuvorzukoinmeu. Kr räth, die gebähte und geschröpfte Wunde zunächst, um gewifs eine kräftige Eiterung oder Verschwärung in ihr zu errin¬ gen, nach Kruttge, oder mit dem Aetzstein, dann aber fernerhin nach Urban mit der warmen Salzmilch zu be¬ handeln, auch lieber die Anwendung der Aetzmittel mehr¬ mals zu wiederholen, um möglichst lange die Absonderung zu unterhalten. Zum innerlichen Gebrauche empfehlen sich am meisten das Quecksilber und die spanischen Fliegen.)

Das Interessante der abgehandelteu Gegenstände wird hoffentlich die Länge unserer Anzeige entschuldigen. Druck und Papier sind ausgezeichnet.

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III.

Kurze Abhandlung der chirurgischen Kli¬ nik. Von A. Ta vernier. Aus dem Französi¬ schen. Weimar, 1828. 8. XX1\ und 540 Seiten. ( 1 Thlr. 6 Gr.) .

Des Vcrf. Absicht ging nicht dahin, ein 'Vollständiges Werk der Chirurgie zu liefern, sondern blofs dem Studie¬ renden ein Buch zu übergeben, welches ihm zum Leitfadeu des so schweren Studiums der Krankheiten am Krankenbette dienen könnte. Er thcilt seine Schrift »in zwei Theile; der eine enthält alles, was Bezug auf die Beobachluug hat, der

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III. Chirurgische Klinik.

andere die Beschreibung der diagnostischen Merkmale der chirurgischen! Krankheiten. In dem ersten sucht er den Nutzen der Kliniken von grofsen Hospitälern zu erweisen, die beste Art anfcugeben, wie man beim Studium der chi¬ rurgischen Krankheiten verfahren mufs, und endlich die ver¬ schiedenen Untersuchungsarten festzustellen, welche man be¬ folgen mufs, um zur Diagnose der verschiedenen Krankhei¬ ten zu gelangen. In dem zweiten T heile hat er alle chi¬ rurgischen Krankheiten nach den Schriften von Boy er, Dupuytren, Rieh er anu, Roux, Delpech, Scarpa, Mounoir, Lallemand u. a., hinsichtlich ihrer eigentüm¬ lichen Erscheinungen während des Lebens und nach dem Tode, geschildert. Als Classification dabei befolgt er die topographische Ordnung, die wohl, vorzüglich wo es sich um die Diagnose handelt, jeder systematischen Eintheilung vorzuziehen ist. Nach Angabe der diagnostischen Zeichen und der anatomischen Charaktere einer Krankheit folgen immer mit wenigen Worten die Heilanzeigen, und zuletzt die Angaben derjenigen Krankheiten, mit welchen die eben abgehandelte verwechselt werden könnte. Den einzelnen Abschnitten, also den verschiedenen Regionen des mensch¬ lichen Körpers, ist immer eine Tabelle vorausgeschickt, die den Zweck hat, dem Beobachter die Krankheit anzuzeigen, welche er gerade studieren will, ihm alle zusammen vorzu¬ führen, welche in dieser Region Vorkommen können, und ihm das Aufsuchen zu erleichtern, ohne dafs er nöthig bat, das Sachregister nachzusehen.

Dies der Zweck und die innere Anlage des vor uns liegenden Werkes. Sollen wir über die Brauchbarkeit des¬ selben ein Urtheil fällen, so müssen wir gestehen, dafs es seinem Zwecke völlig entspricht. Obschon jede Krankheit natürlich nur sehr kurz abgehandelt ist, so haben wir doch fast nirgends ein wichtiges diagnostisches Kennzeichen ver- mifst, besonders gilt dies von den Fracturen und Luxatio¬ nen, und von den Wundem; wir können daher dieses Werk mit gutem Gewissen jedem Studierenden empfehlen,

300 IV. Praktische Beobachtungen

und bemerken, dafs es sich zum Wiederholen schon gehör¬ ter Gegenstände, und zum Einprägen derselben in das Ge¬ dächtnis sehr wohl eignet.

Diese wenigen Worte mögen hinreichen, auf dieses Werk aufmerksam zu machen.

Druck und Papier sind ungewöhnlich gut.

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IV.

Praktische Beobachtungen in der Chirur¬ gie, besonders in Beziehung auf den chirurgischen Militär- und Seedienst. Durch Krankengeschichten und officielle Documentc erläutert. Von Alexan¬ der Copland H u t c h i s o n , vormals Chirurg an dem Künigl. See -Hospital zu Deal, Mitglied der med. und chir. Gesellschaft zu London u. s. w. Nach der zweiten Ausgabe des englischen Origi¬ nals übersetzt. Mit einer Kupfertafel. Weimar, 1828. 8. (Chirurgische Handbibliothek. Zehnter Band.) VI u. 36S S. (1 Thr. 21 Gr.)

Die hier mitgetheilten Beobachtungen enthalten sehr viel Interessantes, und verdienten daher übersetzt zu wer¬ den, nur hätte die l ebersetzung etwas zusammengezogen, namentlich die vielen ofTiciellen Documente abgekürzt wer¬ den können, da diese für uns von weniger Interesse sind, als für die Engländer, und der Verf. durch dieselben nur die Richtigkeit seiner Behauptungen beweisen will.

Im ersten Kapitel spricht der Verf. von der Am¬ putation. Eine ausgebreitete Hospitalpraxis , die er den verwüstenden Wirkungen des letzten Land- und Seekrieges zu verdanken hatte, gaben ihm zu Beobachtungen über die-

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In der Chirurgie.

sen wichtigen Gegenstand hinreichende Gelegenheit. Der erste Abschnitt dieses Kapitels, von der schicklichsten Ope¬ rationsperiode in Schufswunden und allen frischen Zufällen, ist gegen Guthrie gerichtet. Dieser giebt nämlich den Rath, die Amputation zwei bis sechs Stunden zu ver¬ schieben, um dem Krieger Zeit zu lassen, sich von dem erlittenen Choc und der Erschütterung der Constitution zu erholen. Der Verfasser dagegen leugnet, dafs Schufs¬ wunden einen solchen Choc und Alarm oder Cömmotiou des Nervensystems hervorbringen, um einen Aufschub da¬ mit zu verantworten, und wir müssen gestehen, die vor uns liegenden Documente zeugen allgemein gegen die Ge¬ genwart dieser sensoriellen Aufregung. Es ist nach diesen Documenten Thatsache, dafs man Matrosen und Soldaten gesehen hat, welche ruhig ein Tourniquet oder Halstuch an die zerrissenen Ueberbleibsel eines Fufses legten; dafs ein solcher Verstümmelter noch lange nach seiner Verwun¬ dung in der See herumschwamm; dafs ein Matrose sich selbst an den Seilen der Masten des Schiffes aufs Verdeck herablassen konnte, und mitten unter den Seilen sein Glied in Sicherheit brachte, während es nur noch fetzenweise an den Integumenten hing; u. s. w. Wir müssen daher zuge¬ ben, dafs stark Verwundete doch eines richtigen Gebrauchs der Seelenfunctionen fähig sind, und Muth noch zeigen, anstatt Furcht und Alarm, und deswegen auch schliefsen, dafs Verletzungen nur höchst selten eine so allgemeine Auf¬ regung hervorbringen, als nöthig wäre, um damit eine Ver¬ zögerung der Amputation von mehreren Stunden zu be¬ schönigen. Die Documente zeigen auf das deutlichste, dafs der Erfolg der Amputationen weit weniger günstig war, wenn man Guthrie’s Ansichten, als wenn man des Verf. auf unumsiöfsliche Thatsachen gestützte Ansichten , so bald als irgend möglich nach geschehener Verletzung zu ampu- tiren, huldigte. Im zweiten Abschnitt spricht der Verf. von der Application des Tourniquets. Er bedient sich mit Recht eines viel kleineren Kissens zur Compression, als die mei-

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IV. Praktische Beobachtungen

sten (soll wohl hcifsen: englischen) Wundärzte. Dann kommt er zu der Trennung der Theile. Die scharf gesagte Kante des Knochens rundet er mit einem starken, stumpfen Scalpell etwas ab. Die Vorschriften für die Unterbiodung der lUutgefafse (vierter Abschnitt) weichen von den bei uns gebräuchlichen in keinem Punkte ab, wir übergeben sic daher mit Stillschweigen. Hinsichtlich der Bildung des Stumpfes (fünfter Abschnitt) erklärt sich der Yerf. mit Alan^on für die Bildung einer Querspalte, nur aus an¬ dern Gründen, als dieser. Kr sagt nämlich: «Die Bildung einer Längeufalte begünstigt die Bildung von Eiter zwischen den Lappen, und vereitelt also die frische Vereinigung; denn, setzen wir voraus, dafs ein so gebildeter Stumpf auf seinem Kissen und dessen berabbängendem Winkel stehe, wird dann das Gewicht des Schenkels die longitudinelle Narbe nicht dergestalt gegen das Kissen oder Polster au- drängen, dafs dadurch die Bänder der Lappen mehr oder wenige* sich trennen.’” Diese Trennung der Lappen mufs daher eine Höhle formiren, und folglich auch einen Behäl¬ ter für die Secretion des Liters! Für das Verbinden des Stumpfes, so wie für die medicinische Behandlung (sechster und siebenter Abschnitt), ertheilt er gute Regelo, und er¬ zählt noch zuletzt mehrere interessante Fälle.

Im zweiten Kapitel (S. 99) spricht der Verf. von der Behandlung der erysipela tosen Entzündung. Unter dem Namen Lrysipelas pldegmonodes beschreibt er diejenige Form von Bose, die wir mit dem Namen Pseudo- erysipelas belegen. Dafs die Matrosen dieser Krankheit be¬ sonders häufig ausgesetzt sind, schreibt er ihren Nahrungs¬ mitteln und den Spirituosen Getränken zu, so wie den plötzlichen Temperaturveränderungen, denen sie ausgesetzt sind, nnd dem beschränkten Baume, in welchem sie schla¬ fen. Seine Behandlung besteht in frühzeitig gemachten In- cisionen, deren Nutzen auch uns längst bekannt ist, und die von keinem anderen Mittel übertroffen werden.

Das dritte Kapitel (S. 125) enthält viele mehr oder

in der Chirurgie. * '

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weniger merkwürdige Beobachtungen über verstellte Krankheiten, die sich jedoch in der Kürze nicht mitthei- len lassen. Die hier erwähnten verstellten Krankheiten sind: Geschwüre; Diarrhöe; Fieber; Krankheiten des Her¬ zens; Wahnsinn; Contracturen der Hände, der Ellenbogen und der Kniei), und Verlust der Kraft in diesen Theilen, oder Paralyse derselben ; Augenentziindung; Harnflufs; Er¬ brechen; Krankheiten der Lenden, vom Stofsen, Fallen oder Verrenken; Epilepsie; üdematöse Geschwulst der Extremi¬ täten; llaemoptysis; Haematemesis; Blasenstein; und Schmer¬ zen, Krämpfe und Krankheiten des Magens und der Gedärme. Besonders merkwürdig ist ein Fall, wo ein Matrose durch willkiihrliches Anziehen der Hoden einen Bruch fingirte, der Cremaster war hier in einen willkührlichen Muskel verwandelt!

Im vierte n Kapitel wird d er Ho s p i ta lb ra n d und das eiternde p h aged ä n is c h e Geschwür, welches auf Kriegsschiffen und in See - und Militärhospitälern vorkommt, abgehandelt. Der wahre Hospitalbrand kommt nur auf Schiffen und in See- und Militärspitälern vor. Zuerst ver¬ mindert sich die vorher gesunde Eitersecretion, auch wird sie dünn, mifsfarhig und scharf; die Oberfläche wird bläs¬ ser und glänzender, es erzeugen sich hier und da Bläschen oder kleine gangränöse Punkte. Die Entzündung zunächst der verwundeten oder verletzten Stelle ist sehr dunkel und hoch gefärbt, wird aber, je mehr sie sich vom Central¬ punkte aus nach allen Seiten hin verbreitet, immer blässer, bis sie spurlos in die gesunde Haut übergeht. Es gleicht diese Entzündung um den Mittelpunkt bei dem Hospital¬ brande derjenigen sehr, welche um das Kubpockenbläschen bemerkt wird, w'enn dasselbe auf seiner Acme sich befindet, nur mit dem Unterschiede, dafs sie dem Grade nach hefti¬ ger, extensiver, und mit einem stärkeren Schmerze, Span¬ nung und Geschwulst der benachbarten Theile verbunden ist. Den weiteren Verlauf des Brandes übergehen wir, als bekannt. Den eigenthümlichen Geruch vergleicht der Vcrf.

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IV. Praktische Beobachtungen

mit demjenigen sauren, höchst widerwärtigen Gerüche, den wir bei, mit Caries behafteten, schwärenden Zehen an-

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treffen. Nie beobachtete er, dafs das den Hospitalbrand begleitende Fieber demselben vorangehe. Bisweilen bemerkte er, dafs, wenn der Kranke mehr als eine Wunde oder Geschwür hatte, der Brand sich nur auf eins derselben be¬ schränkte, während das andere sein vollkommen gutes Aus¬ sehen behielt, selbst, wenn sie in keiner grofsen Entfer¬ nung von einander sich befanden! Nie kam ihm ein Fall vor, wo der Hospitalbrand die gesunde Haut ergriffen hätte. In Hinsicht der Ursachen desselben, so wie der dagegen zu treffenden Vorkehrungen und anzuwendenden Behandlung (die mehr in entzündungswidrigen und erweichenden Mit¬ teln, als in Reizmitteln besteht), liefern die hier mit— getheilten amtlichen Belege manches Interessante. Diesen schliefst sich S. 20/ der bereits bekannte Bericht von Por¬ tal und Deschamps über Delpcch’s Werk über den¬ selben Gegenstand an. Unter dem Namen des eiternden phagedänischen Geschwürs begreift der Verf. dasjenige, wrelchcs, während es an einer Seite ein gesundes Aussehen hat, als wolle es heilen, auf der andern immer mehr um sich frifst. lin zweiten Abschnitt dieses Kapitels spricht er über die Behandlung der Fufsgeschwüre durch Pflaster¬ streifen, nach Baynton’s Methode, rühmt dieselbe sehr, räth, vor dem Abnehmen der Ileftpflasterstreifcn dieselben stellenweise durchzusrhnciden , damit man die neugebildete zarte Haut nicht wieder abreifse, und bedauert, dafs man in England die Schiffsärzte so schlecht mit Heftpflaster ver¬ sorgt (Auffallend ist es allerdings, dafs man dort einer Fregatte der ersten Klasse nur'drei Pfund Heftpflaster jähr¬ lich zutheilt , während man für, dieselbe Zeit, und einem Schiffe derselben Klasse, z ehn Pfund China jährlich giebt, da doch von dieser kaum der zehnte Thcil gebraucht wird!) Der häufig vorkommenden Ulcerationen am Rande der Nä¬ gel erwähnt er nur beiläufig. Er streut hierbei Kupferfeii- späne auf die Oberfläche der ulccrirten Tbeile und zwischen

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in der Chirurgie.

die Nägel und die benachbarten Weichgebilde, und will durch dieses Mittel, das er von einem alten Schiffschirurgen anwenden lernte, wenn die Knochen und Gelenke nicht afficirt waren, stets schnelle Heilung herbeigefiihrt haben.

Im fünften Kapitel (S. 222) finden wir Bemer¬ kungen über die angeborne Versch liefsung des Afters, durch Fälle erläutert. Der Verf. räth 1 bis Zoll tief zu schneiden, und sich dann eines Troicarts zu bedie¬ nen, wenn man den Mastdarm noch nicht getroffen hat. Die Sectionsgeschichten zweier operirtcn Kinder beweisen, dafs man den äufseren Einschnitt und den Stich mit dem Troicart mehr nach vorwärts, in der Richtung nach der Blase zu, machen müsse, weil man in dieser Richtung siche¬ rer den Darm trifft.

Die im sechsten Kapitel (S. 241) mitgetheilten Fälle von Erkrankung des Gehirns durch äufsere Verletzungen, und deren Folgen, verdienen nachge¬ lesen zu werden. Besonders zu beachten bitten wir einen

Fall von Fractur des Hinterhauptbeines, die sich bis zum

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Foramen magnum erstreckte; das Hinterhauptbein wurde trepanirt, und selbst die Dura mater cerebelli, wegen eines Extravasats unter derselben, angestochen. Es beweist die¬ ser Fall offenbar, in so weit wenigstens, als überhaupt eine einzelne Thatsache einen Beweis führen kann, dafs die mit Depression und Effusion verbundenen Fracturen des Hinter¬ hauptbeines, wenn auch das Cerebellum sichtlich dadurch gedrückt wird, doch nicht so unbedingt lebensgefährlich seien, als man bisher meinte, und dafs auch hier mit Erfolg trepanirt werden könne!

Das siebente Kapitel (S. 267) liefert interessante Resultate über das im Verhältnifs seltenere Vor¬ kommen der Harnsteine bei den Seeleuten. Inner¬ halb sechzehn Jahren litten von der ganzen grofsen Masse, aus welcher die Flottenbemannung besteht, sie besteht im Durchschnitt jährlich aus 132,000 Mann actenmäfsig nur acht Männer an der Steinkrankheit. Die mannigfal-

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IV. Praktische Beobachtungen

tigcn und übereinstimmenden, hier aufgefiihrten Thatsachcn beweisen, dafs in dem Geschäft, der Nahrung, dem Ge¬ tränk und der Lebensweise der Seeleute überhaupt der Grund liegen müsse, warum diese Menschcnklasse weit we¬ niger, als jede andere, der Steinkrankheit unterworfen sei; besonders, dafs die thierische Kost, verbunden, mit einer gewissen Menge Kochsalz und mehligen Nahrungsmitteln, welche die Seeleute vorzüglich geniefsen, der Ansammlung steiniger Concremente entgegen wirke. Angehängt sind die¬ sem Kapitel: der Bericht über den glücklichen Ausgang eines Falles, in welchem die hohe Steinoperation verrichtet wurde; und der Fall einer Blutung in der Harnblase, welche aus einem fungösen Tumor der Vorsteherdrüse entsprang, und wobei, zur Entfernung desselben, der Blasenschnitt über den Schoofsbeinen erforderlich wurde. Der letzte lief unglücklich ah.

Im achten Kapitel (S. 307) erzählt der Verf. die Geschichte eines Falles von Aneurysma der Kniekehl¬ arterie, hei welchem eine neue Art, die Ligatur anzule¬ gen, versucht wurde. Diese neue Art bestand darin, dafs er, nachdem sechs Stunden seit Anlegung der Ligatur ver¬ flossen waren, dieselbe lüste; allein in weniger als einer halben Minute nach der Entfernung derselben wurde die Arterie vom Blute wieder ausgedehnt und die Pulsation in der Geschwulst wieder eben so stark, als vor der Opera¬ tion; das Gefäfs wurde deshalb etwas weniges nach aufwärts und abwärts isolirt, und an zwei Stellen bleibend unter¬ bunden. Am einundzwanzigsten Tage wurden beide Liga¬ turen entfernt, da sich aber nach dieser Zeit öfters bedeu¬ tende Blutungen eimtelllen , und da sich auch die Pulsation in der Geschwulst immer mehr verstärkte, so amputirte der Verf. das Glied. Der Kranke starb.

Zum Schlufs theilt der Verf. noch vermischte Fälle und Bemerkungen mit. Zuerst spricht er vom Nutzen der Sonde bei Unterbindung verletzter Arterien. Wenn Arte¬ rien blofs angestochen siud, so räth er, in die Üeffnung

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in der Chirnrgie.

eine Sonde einzubringen, mit ihr das Gefäfs in die Höhe zu heben, dasselbe loszupräparircn, und dann ober- und unterhalb der Oeffnung zu unterbinden. Ein guter Rath! Dann erzählt er die Geschichte eines aufserordentlichen Leberabscesses und eitler Sackgeschwulst, welche, wie es schien, an der Leber haftete, und die die ganze Unterleibs¬ höhle einnahm, und fast acht Gallonen gesunden Eiter ent¬ hielt, in welchem sich tausende von Hydatiden vorfanden. Dann einen Fall von Lendenabscefs, in welchem sich Aber- nethy’s Methode nützlich bewies; einen Fall eines nicht vereinigten Bruches des Oberarmknochens, in welchem das Haarseil nach Physic mit gutem Erfolge angewandt wurde, und zwei Fälle von künstlicher Nasenbildung nach Car- pue’s Methode. Auch erwähnt er noch seiner Methode Brei- oder Iloniggeschwülste auszurotten, die sich fast gar nicht von der bekannten Astley-Coop ersehen unter¬ scheidet, denn er öffnet erst den Sack, entleert ihn seines ‘Inhalts, und zieht ihn dann mit einer vorn etwas breiten Pincette aus. Zuletzt theilt er noch einige Fälle von Ne- crose, nebst Bemerkungen über /die Wiedererzeugung der Knochen mit. Sehr interessant ist der Fall, wo der Verf. fast die ganze vordere Fläche der Tibia theils mit der Tre- phine, theils mit Hay’s Säge fortnahm, um einen Seque¬ ster zu entfernen. Einige Wochen nach dieser Operation ging der Kranke schon von Woolwich nach London, um sein Bein zu zeigen und sich beim Verf. zu bedanken. Dieselbe Operation machte er sechsmal, und nur einmal mifsglückte sie! In den Bemerkungen zu diesem und noch einem anderen Falle behauptet er, dafs das Periosteum das am meisten thätige Organ bei der Bildung der neuen Kno¬ chenschale sei, dafs die Thätigkeit der Gefäfse desselben eigenthümlich sei, und sich nur auf dasselbe selbst und auf den Knochen beziehen, und dafs die Vereinigung ge¬ brochener Knochen, die Bildung des Callus und die Rege¬ neration des Knochens in der Necrose durch die specihsche Thätigkeit dieser Gefäfse bewirkt werde. Im Allgemeinen

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V. Geschwüre.

nimmt er, und wohl mit Recht, an, dafs hei allen Fractu- ren der Patella, so wie der Tbeile anderer Knochen, die zu ähnlichem Gebrauche bestimmt sind, und welche, wie z. B. die Patella, das Olecranon, der Kopf des Schenkel- knochens, kein Periosteum haben, die Vereinigung keine knöcherne, sondern eine ligamentÖse sei. Das Periosteum kalt er für eine Membrana sui generis, welche die Function einer Drüse verrichte und ihre Gefäfsc ermächtige, Kno- chenmaterie abzulagern, so dafs diese Gefäfse, nachdem sie durch das Periosteum gedrungen sind, bis zu einem gewis¬ sen Grade fähig seien, aus den gebrochenen Enden der Substanz des Knochens Knochenmasse zu secernircn. Die Kupfertafel dient zur Erläuterung der Ansichten Hutchi- son’s über diesen noch sehr streitigen Punkt.

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Die K unst, die Geschwüre za heilen. Nach den neuesten Erfahrungen und Berichtigungen in der Arznei- und Wundarzneikunst. Bearbeitet von I)r. Franz Christian Karl Krügelstcin, Herzoglich Sächsischem Amts- und Stadt -Physicus zu Ohrdruff. Gotha, Hcnnings’sche Buchhandlung. 1828. 8. 418 S. (1 Thlr. 16 Gr.)

Der Name des Yerf. vorliegender Schrift, die auch den litel führt: «Kunst, die äufserlicheu und chirurgischen Krankheiten der Menschen zu heilen. Elfter Theil,n be¬ rechtigte uns zu der Annahme, dafs wir in derselben eine brauchbrre Bearbeitung der Kunst, die Geschwüre zu hei¬ len, finden würden, und wir müssen gestehen, wir haben uns nicht geirrt. W ir empfehlen daher dieses Werk jedem Wundarzte, zumal niederer Categoric, für welche Klasse

von

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V. Geschwüre. 309

von Wundärzten überhaupt das Ganze geschrieben zu sein scheint. Dafs wir hier keine neuen Ansichten über die Dia¬ gnose und Therapie der Geschwüre suchen durften, ver¬ stand sich schon nach dem Titel von selbst. Der Verf. hat aber das über diese Gegenstände bisher Bekannte reiflich aus mehreren Schriften zusammengesucht und in einer pas¬ senden Ordnung zusammengestellt; dafs er hierbei vorzüg¬ lich den Ansichten eines Rust gefolgt ist, wird ihm nie¬ mand zum Vorwurf machen, vielmehr verdient er deshalb Lob, und um so mehr, da Rust’s Helcologie im Buch¬ handel gar nicht mehr zu bekommen ist. Dem Verf- von Kapitel zu Kapitel folgen wollen, hiefse eine unnütze Arbeit unternehmen, längst Bekanntes wiederholen; wir begnügen uns daher den Inhalt nur kurz anzugeben, und dann noch einiges, die eigenen Ansichten und Kurmethoden des Verf. betreffend, mitzutheilen.

Die Schrift zerfällt in neunzehn Kapitel. Im ersten Kapitel liefert der Verf. eine Definition der Geschwüre nach Rust und Langenbeck; dann stellt er den Unter¬ schied zwischen einem Abscefs und einer Wunde auf, be¬ schreibt die bei den Geschwüren vorkommenden Zufälle» erwähnt der Ursachen und der Eintheilung der Geschwüre, und beschreibt dann in diagnostischer Hinsicht das scorbu- tische, scrophulöse, gichtische, venerische, das Hautgeschwür, das Flechtengeschwür, Kopfgrind, Ansprung, das Krätz- und das Krebsgeschwür, das complicirte, entzündliche, asthe¬ nische, wuchernde, schwammige, callöse, fistulöse, ödema- töse und varicöse, faulige und cariöse Geschwür. Im zwei¬ ten Kapitel handelt er die Prognose, und im dritten die Heilung im Allgemeinen ab. Im vierten spricht er von der Heilung der einfachen Geschwüre, und erwähnt hier fol¬ gende Methoden: Einwickelung der Schenkel, Rowley’s Methode, Ulmenrinde, Theden’s Einwickelung, Under- wo od’s Methode, Baynton’s Methode und Wei n h o ld ’s Methode. Vom fünften bis achtzehnten Kapitel beschreibt er die Behandlung der complicirten Geschwüre, der inflam- XIII. Bd. 3. St. 21

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JlO V. Geschwüre.

matorischen und atonischcn, der schwammigen, der callösen und varirösen, der ödematösen, der fauligen uud brandigen, der fistulösen, der cariösen, der scorbutischen , der scrophu- lösen, der gichtischen, der syphilitischen , der impetiginösen Geschwüre und der Krebsgeschwüre. Im neunzehnten Ka¬ pitel endlich spricht er von einigen besondern Mitteln zur Heilung alter Geschwüre, und erwähnt folgende: Bonus Henricus. Plantago angustifolia. Millifoliurn. Bardana. Mcr- cur. China. Natrum murialicum und Calx muriatica. Opium. Jodine. Goldpräparate. Kupferpräparate. Salzsaurer ZiuJt. Blutegel. Bothcr Präcipitat. Ilungercur.

Nach des Verf. Ansicht gehört zur Entstehung des Krebses eine gewisse Disposition im Drüseosysteme, die sowohl angeboren sein, als durch eine später im Körper entstandene Dyscrasie, als syphilitische und scrophulöse Krank¬ heiten und Complicationen, erworben werden kann. Er kann* sich daher auch von der Existenz eines*)riinärrn krebs- giftes, das, wie das syphilitische, Jahre lang in dem Kör¬ per schlafen und bei Gelegenheit einer Krankheit oder einer climacterischen Umwandlung des Körpers, wie das Ausblei¬ ben der weiblichen Periode, erwachen und rege werden soll, nicht überzeugen, sondern hält vielmehr den Krebs anfänglich für ein, in einer dazu disponirten Drüse entste¬ hendes, örtliches Uebel, welches aber im Fortgang, wenn der Scirrhas sich als selbstständige Krankheit entwickelt, ein Virus sui generis, das Krebsgift, als Product der schon vorhandenen Krebskrankheit, entwickelt, welches nicht nur in dem eigenen Körper sich weiter verbreitet, sondern auch durch IJebertragung in fremden Körpern sich wieder erzeugt! Der \ erf. sah nie, dafs ein Geschwür durch eine sympathetische Kur geheilt worden wäre. Die Anwen¬ dung der Purganzen zur Heilung alter Ftifsgeschw iire tadelt er, er nennt sic zu empirisch, und meint, sie wären mit einem zu grofsen Nachtheil für die Digestionsorgane ver¬ bunden, als dafs ein rationeller Wundarzt sich ihrer bedie¬ nen könne! (Dafs sich hiergegen viel einwenden liefse,

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V. Geschwüre. 311

liegt am Tage.) Bei reizbaren und schmerzhaften Ge¬ schwüren empfiehlt er einen warmen Umschlag von Wai- zenkleie in Wasser gekocht, oder noch besser, einen war¬ men Kartoffelbrei; auch giebt er die praktische Kegel, jedes alte Geschwür zu Anfang der Behandlung einige Tage lang mit warmen Breiumschlägen zu fomentiren. Des Verf. Be¬ hauptung, dafs die Heftpflaster nach Bayton’s Methode erst dann mit Nutzen angewandt werden können, wenn das Geschwür auf dem Wege der Genesung in die Ver¬ hältnisse einer eiternden Wunde getreten ist, und wenn gesunde Granulationen, wie bei dieser, hervorschiefsen , fand Kec. nie bestätigt. Gerade bei torpiden, callösen Geschwü¬ ren sah Rec. stets die besten Erfolge von den Zirkelpfla¬ stern, die er immer alle 2 3 Tage, während welcher Zeit der Kranke immer liegen mufs, erneuern läfst. Zur Begränzung des wilden oder schwammigen Fleisches fand der Verf. alle dagegen gerühmten Mittel, zumal die wässerigen Auflösungen, weniger nützlich als ein Streu¬ pulver von Herba S^binae, dem er noch zuweilen einen Theil feingeriebenen Kampher zusetzte. Von absoluter Ruhe des Kranken bei chronischen Geschwüren will er nichts wissen ; er meint, eine mäfsige, das Glied nicht anstren¬ gende Bewegung sei nicht so schädlich, als man gewöhn¬ lich glaube. Auf die Anwendung der Arnica in der Form eines Umschlages will er häufig die Entstehung von Maden und Würmern in Geschwüren bemerkt haben, auch behaup¬ tet er, mehrere Wundärzte hätten ihm versichert, dieselbe Erfahrung gemacht zu haben ! Den fortgesetzten Gebrauch der Schwefelblüthen in kleinen Dosen bei der Scrofelkrank- heit rühmt er als ein Mittel, dessen Wirksamkeit bis jetzt nicht gehörig geschätzt worden ist, und das sich auch schon deshalb empfiehlt, weil es mit Zucker abgerieben von Kin¬ dern sehr gern trocken geleckt wird. Die Kastanienrinde hat er immer bei der atonischen Gicht, und zur Hebung der nach den Gichtanfällen zurückbleibenden Schwäche und Verstimmung in den Digestionsorganen aufserordentlich

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312 V. Gescliwiire.

wirksam gefunden. Die Behandlung der primären veneri¬ schen Geschwüre, ohne den äufseren und inneren Gebrauch des Mercurs, durch blofses Aufschlagen von kaltem Wasser (besteht die Behandlung jener Geschwüre ohne Quecksilber denn blofs hierin?!) wird, nach dem Verf. , bald wieder vergessen sein, da sie in der Privatpraxis, wo der Arzt nicht Herr über die Lebensart seines Kranken ist (ist er dies mehr, wenn er dem Kranken Mercur verordnet, und ist nicht während des Gebrauchs desselben auch eine strenge Diät nöthig?), gar nicht pafst. Das Kali causticum halt er für ein schickliches Präservativ gegen die venerische An¬ steckung, wenn man dasselbe in Form eines Wasch- und Injectionswassers nach jedem Beischlafe anwendet. (Sollten dergleichen Linspritzungen in die männliche Harnröhre nicht bisweilen sehr üble Folgen haben können?) Da der Mer¬ cur das gröfste Mittel ist, die Productionskraft zu deprimi- ren, und die Vegetation zu unterdrücken, so glaubt der Verf. auch, dafs er als ein solches Mittel den im Zellstoff hausenden Parasiten, die Lutsseuche, zerstöre und tilge. Den Calomel nennt er als das zweckmäfsigstc Mittel, um bei primären Schankern eine schnelle Heilung zu bewirken, und die Entstehung der allgemeinen Syphilis zu verhüten. VV ie er zu der Behauptung kommt, der Mercur. solubil. Hahnemanni habe den Gebrauch des Calomcls verdrängt, begreifen wir nicht. (Bei der Behandlungsart der veneri¬ schen Geschwüre hätten das Decoctum Zittmanni und Wein ho Id ’s Calomel auch wohl einer Erwähnung verdient, um so mehr da dies von andern, bei weitem weniger wirk¬ samen Mitteln, z. B. dem Decoctum Po llini geschehen ist!). Unter allen äufseren, gegen Krätzgeschwiire an¬ gepriesenen Mitteln hat sich dem Verf. noch keines hülf- reicher erwiesen, als das Ung. antipsoricum Werlhofii aus 3 j. Merc. praecip. alb. und 3 j. Ung. pomadin. ln hart¬ näckigen Fällen von Crusta lactea soll man ohne den Ge¬ brauch der Zink- und Bleimittel nicht viel ausrichten, die man auch bei einiger \ orsiebt um so sicherer anwenden

Y. Geschwüre.

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kann, da das ganze Geschäft der Haut jetzt eben nach anfsen, zur Ausscheidung, und nicht nach innen, zur Aufsaugung, gerichtet ist. Hie Exstirpation des Krebses hält der Verf. dann nicht fiir nöthig, wenn der Krebs die Folge einer örtlichen Ansteckung und diese noch ganz oberflächlich ist, ohne im Innern der Drüse schon eine Desorganisation be¬ wirkt zu haben. (Wird man dies immer bestimmt wissen können? Schwerlich!) Nach dem Verf. soll man das Cosmi- sche Pulver mit Wasser zu einem Brei zusammenrühren; Rec. glaubt, dafs dies der ursprünglichen Vorschrift nach nicht mit Wasser, sondern mit Speichel geschehen soll. Er zieht übrigens das Hellmundsche Mittel dem Cosmi- sehen vor, und aus guten, in der Praxis bewährten Grün¬ den. Denn, sagt er, 1) steigert sich bei der Hellmund- sehen Behandlung die Wirkung erst in einem Zeiträume von sechs Tagen bis zur Bildung eines feuchten Brand¬ schorfes, und hierbei wird die Secretion der Geschwürs¬ fläche nicht blofs fortwährend unterhalten, sondern sogar noch vermehrt; dagegen entsteht bei der Cosinischen Me¬ thode schon innerhalb acht Stunden ein trockener Brand¬ schorf, der die Secretion plötzlich auf 17 - 20 Tage un¬ terdrückt. 2) Die II. Methode wirkt milder und doch sicher, und 3) man kann mit derselben mehr nach der Tiefe hin, z. B. in die Augen- und Nasenhöhle, wirken. Die Belladonna soll bestimmt das sicherste Mittel sein, um anfangende, scirrhöse Verhärtungen aufzulösen, und beim offenen Krebs die Secretion zu verbessern, die Schmerzen zu stillen, und die Fortschritte des Hebels zu beschrän¬ ken. Dals der Dr. Dohlhoff in v. Gräfe’s Journal seine Erfahrungen über den Fucus Helminthothorton be¬ kannt gemacht hat, ist ein Irrthum des Verf.; denn der Dr. D. theilt dort nur einen Auszug aus O’Meara’s Schrift über diesen Gegenstand mit. Die Aqua antimiasmatica leistet nach de^ Verf. Erfahrungen weniger, als das salz* saure Gold, sie ist wenigstens nie im Stande, rein syphili¬ tische Affectionen zu heben.

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VI. Krankheiten des Uterus.

Ein alphabetisches Register würde die Brauchbarkeit dieser Schrift sehr erhöht haben. Das Papier ist schlecht.

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VI.

Neue Behandlungsmethode der Geschwüre, Ulcerati onen und Anschwellungen des Uterus. Von Samuel L$iir, der Heilkunde Doctor. Nach der zweiten Ausgabe des Originals aus dem Französischen übersetzt. Mit einer Ku¬ pfertafel. Weimar, 18‘iS. 8. VI u. 1 22 S. (18 Gr.)

Nicht blofs die hier beschriebene Behandlungsmethode dieser Schrecken erregenden Zufälle ist neu, sondern auch die Ansichten, auf welche sie gestützt ist, stehen mit den bisher als richtig angenommenen in offenbarem Widerspruch.' Der Verf. siebt überall, wo mau es bis jetzt mit Scirrhen zu ihun zu haben glaubte, nur Hypertrophie der Gebär¬ mutter, und behandelt dieses Leiden, laut den beigefügten vierzehn höchst interessanten Beobachtungen , die wir nach¬ zulesen bitten, mit vielem Glück. 500 Leichenöffnungen, von Frauenzimmern, die in den Pariser Hospitälern theils an Krankheiten des Uterus, theils an andern Krankheiten gestorben waren, überzeugten ihn von der Richtigkeit sei¬ ner Ansichten. Ls verdient daher diese Schrift unsere ge¬ naueste Beachtung! \ erhält sich alles wirklich so, wie es der 'S erf. behauptet, und warum sollten wir an dessen Wahrhaftigkeit zweifeln?, so haben diese Krankheiten viel von ihrer Furchtbarkeit verloren, und wir sind in der Er¬ kennung sowohl, als in der Behandlung derselben um ein Bedeutendes vorwärts gekommen.

Nachdem der Verf. vierzehn Krankengeschichten mit. gcthcilt hat, die alle für die Vorzüglichkeit seiner Behänd-

VI. Krankheiten des Uterus.

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lungsmethode sprechen, kommt er im ersten Kapitel zu den Atroph i een des Uterus und seiner Anhänge. Es soll dies eine ziemlich häufige, natürliche Disposition sein, welche bei manchen Frauenzimmern die Neigung zum Co- libat, die Gleichgültigkeit, die Aversion gegen die Vereini¬ gung der Geschlechter erklärt. Unter jenen 500 Leichen¬ öffnungen zeigte sich bei 35 ein deutlicher Grad von Atro¬ phie. Der Hals des Uterus ist dabei weich, sehr wenig hervorragend, sehr wenig entwickelt; seine Mündung ist eng; selten kommen aus ihr Flüssigkeiten, welche wir so häufig in der Hypertrophie und der Entzündung (stricte sic dicta?) finden. Die Vagina ist mit wenig Runzeln verse¬ hen; sie ist eng; der Mons veneris ist nicht sehr hervor¬ springend, nicht sehr mit Haaren bedeckt; die greisen und die kleinen Lefzen sind dünn, nicht sehr entwickelt; die Farbe des Os tincae endlich ist bleich. Zweites Kapi¬ tel. Hypertrophie des Uterus und seiner An¬ hänge. Unter den 500 Leichen waren 80 davon ergrit- fen, bei 30 zeigten sich die Kennzeichen einer Entzündung, die sich bis zur Vagina und den Muttertrompeten erstreckte. Die Hypertrophie giebt sich durch Neigungen zu erkennen, die denen bei der Atrophie angegebenen entgegengesetzt sind. Der Hals des Uterus bildet hier einen mehr oder weniger beträchtlichen und harten Vorsprung in der Scheide, . den man für Scirrhus halten könnte, allein er gehört einem gleichmäfsig harten und in seinem Umfange gleichrnäfsig ver- gröfserten Uterus an; spaltet man die Wände, so sieht man, dafs sie überall homogen sind, indem sie entweder weifs aussehen, und unter dem Messer knirschen, oder in¬ dem sie eine mehr oder weniger lebhafte rosenrothe Farbe haben und sich eben so zerschneiden lassen, als ein ganz gesunder Uterus. (Wie anders verhält es sieb nicht beim Scirrhus?!) Oft befinden sich an diesem Vorsprunge gleich¬ zeitig Ulcerationen, ohne dafs das Uebel deswegen Scirrhus ist. Dafs in diesen Fällen die Amputation des Mutterhalses nicht indicirt sei, leidet wohl keinen Zweifel, denn man

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VI. Krankheiten des Utcros.

würde nur einen Theil des Uebcls wegnehmen, also eine wenigstens unnütze Operation unternehmen! Drittes Ka¬ pitel. Von der Rothe im weiblichen Zeugungs¬ apparat. An 500 Subjecten fand der Verf. dies Phäno¬ men 130mal, und zwar in verschiedenem Verhältnisse, woraus er den #Schlufs zieht, dafs die Röthe der Totalität des Uterus und seiner Anhänge der Entzündung angehöre, dafs aber die Röthe in der Höhle des Uterus oft von der Function desselben abhängig sei. Wertes Kapitel. Von der Röthe im Zeugungsapparat, als Zeichen der Entzünd urig betrachtet. Fünftes Kapitel. Von der Röthe der Vagina, als Zeichen von Entzün¬ dung besonders betrachtet. Gleichzeitig mit der Rö¬ the ist Schmerz beim Touchiren, Aversion vor dem Bei¬ schlaf, und copiöse Seeretion von serös- muköser Flüssig¬ keit, die ein rahmartiges Aussehen hat, von der weifsen E'arbe bis zur grünlichen variirt, aber nur dann Kügelchen enthält, wenn Ulcerationen vorhanden sind. Sechstes Kapitel. ^ on der Röthe der Vagina, als Zeichen der Menstruationsepoche betrachtet. Röthe, Span¬ nung und Ausflufs sind hi^r auch vorhanden, aber die Röthe ist nicht sehr stark, erstreckt sich nicht leicht über das obere Drittel der Vagina hinaus, und nimmt von oben nach unten zu ab; die Spannung ist tiefer und der Ausflufs mehr serös. Siebentes Kapitel. Von einer Röthe der Vagina, welche anders ist, als die zwei vorher¬ gehenden. Der Verf. hat bisweilen Petechien von einer violetrothen Farbe in der Scheide gefunden. Diese Form soll nur deshalb Aufmerksamkeit verdienen, damit man sie nicht mit jenen beiden andern Arten verwechselt. Achtes Kapitel. Von der entzündlichen Röthe des Ute¬ rus. Vermittelst des Speculums soll man die Röthe des Mutterhalses sehr leicht entdecken können. Zu den ersten Symptomen, sagt der Verf., gehört fast immer ein tiefer Schmerz in der Mierengegend , der sich oft zu den Leisten¬ gegenden und den Oberschenkeln fortpflanzt, und iutermit-

VI. Krankheiten des Uterus.

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tirend oder anhaltend ist; dann folgt ein Gefühl von Schwere, Unruhe, Spannung, Anschwellung und dumpfer Schmerz im Uterus; gesellen sich Ulcerationen hinzu, so werden die Schmerzen bisweilen so heftig, dafs sie die organischen und vitalen Functionen verändern. Der Beischlaf ist schmerz¬ haft, bisweilen gleichzeitig Hysterie, Herzklopfen, Häufig¬ keit des Pulses. Die Menstruation behält ihre Periodicität

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oder wird unregelmäfsig, selten vermindert, noch seltener ganz unterdrückt, die Ausflüsse sind serös -mukös, anfangs farblos, später grünlich, gelblich. Beim Touchiren findet man, dafs der Hals des Uterus empfindlich, bisweilen resi- stirend ist, und einen höheren Wärmegrad besitzt, dies aber nur, wenn der Hals selbst hypertrophisch oder ent¬ zündet ist. Neuntes Kapitel. Von der Röthe des Uterus, als Zeichen der Menstruation. Die Men¬ struation zeigt sich gewöhnlich mit den Kennzeichen einer sehr leichten Entzündung des Uterus, die während des Men- strualflusses ganz verschwindet. Zehntes Kapitel. Von einer Röthe des Uterus, welche anders als die vorhergehende ist. Vorzüglich im Uterus fand der Verf. jene violetten Punkte, deren er auch bei der Vagina gedenkt. Ihr Vorhandensein soll mit keinem der Zeichen in Beziehung stehen, welche die Entzündung characterisi- ren. Elftes Kapitel. Von den Afterm e mb ran en, welche von dem Uterus und seinen Anhängen sich zu den verschiedenen Punkten des Beckens und der in ihm enthal¬ tenen Organe begeben, als ersten Ursachen der Obliquität, der Anteversion und der Retroversion des Uterus betrach¬ tet. Der Verf. behauptet, man würde selten eine Frauens¬ person von 30 bis 70 Jahren finden, die von diesen in Folge der Entzündung des die Beckenhöhle auskleidenden Bauchfells entstandenen Aftermembranen ganz frei wäre. (Wohl etwas zu viel behauptet, wie denn überhaupt der ganze Satz noch näherer Bestätigung bedarf.) Unter jenen 500 Subjccten waren 46, bei welchen der Uterus mehr oder weniger schief, auf die rechte oder auf die linke Seile,

318

VI. Krankheiten des Uterus.

sich neigte; bei 6 andern lag er schief nach vorn, und nur ein einziger lag schief nach hinten. Zwölftes Kapitel. Von den After in einbranen in der Mutterscheide, in dem Uterus und in den Muttertrompeten. Der häufigste Sitz derselben ist der Hals des Uterus, dessen tnge die Bildung derselben sehr begünstigt. Sie ver- schliefsen die Wege vollkommen oder unvollkommen. Das Hervordringen des Monatlichen ist nicht immer ein Beweis, dafs keine Aftermembran vorhanden ist, denn die Menstrua¬ tion kommt da blofs aus dem Halse des Uterus, welcher sich verlängert und sich erweitert, während der Körper die¬ ses Organs unverändert bleibt oder sogar kleiner wird, wenn nicht eine seröse, blutige oder eiterartige Ansammlung ihn zwingt, sich auszudehnen. Dreizehntes Kapitel. Ana¬ tomische Dispositionen der Geschwüre und Ul- cerationen in dem weiblichen Zeugungsapparat. Geschwüre nennt der Verf. diejenigen ulcerösen Affectio- nen, welche die Vagina oder den Uterus tief zerstört ha¬ ben, Ulcerationen dagegen diejenigen oberflächlichen ulce¬ rösen Affectionen , welche nur die Schleimmembran der Vagina oder des Uterus zerstört haben. (Was für Defini¬ tionen!) Unter jenen 500 Subjecten fand er 60 mit der¬ gleichen Affectionen, und unter diesen viel mehr mit UL cera, als mit Ulcerationen Behaftete, was wohl sehr natür¬ lich ist, da jene spätere Stadien desselben Uebels, als diese darstellen. Im Moment des Todes verschwinden die Fun- gositäten, welche gewöhnlich während des Lebens auf den Geschworen vegetiren, so wie die Anschwellung der Wände der Vagina gänzlich; die Fungositätcn stoLen sich wahr¬ scheinlich in den letzten Lebenstagen, wo der Ausflufs be¬ trächtlich und bräunlich wird, ab. Ist der Fungus hart und sondert er wenig Feuchtigkeit ab, so kann man ihn abschneiden oder abbinden, allein er kommt häufig wieder, dann zerstöre man ihn durch die Uauterisation und durch Cotnpression ; letztere bewirkt der Verf. vermittelst kleiner Schwämme, die er einen nach dein andern in die V agiua

VI. Krankheiten des Uterus.

319

einbringt, nachdem er sie in Bauist eingehüllt und an einen Faden gebunden hat, und die er auch wohl mit einer Auf¬ lösung von Chlorkalk befeuchtet. Die Cauterisation ist nach ihm nur da angezeigt, wo sechs Wochen oder zwei Monate seiner Behandlung fast jede Spur von Entzündung entfernt haben, und eine Ulceration noch vorhanden ist, die nicht vernarben will. Das vierzehnte Kapitel han¬ delt sehr umständlich von der Exploration der weib¬ lichen Zeugungsorgane. Wenn man einen geraden Catheter in die Blase einbringt (der Yerf. bedient sich dazu eines eigenen Instrumentes), seine Spitze auf die vordere und obere Flache des Grundes des Uterus stützt, und das äufsere Ende dieses Instruments in die Höhe hebt, so dafs es unter dem Schaambogen einen Stützpunkt erhält, so theilt man dem Uterus^ine solche Bewegung mit, wodurch sein Grund nach der Höhle des Heiligbeins und sein Hals nach der Höhle der Vagina hin zu stehen kommt, so dafs man ihn in dem Speeulum leicht sehen kann. Bei Ante- versio uteri sieht man den Hals nur, wenn man sich dieses Verfahrens bedient. Bei der Exploration per Vaginam wird vorgeschrieben, man solle die Kranke auf eine Art von Querlager bringen, und sich beim Untersuchen des Grundes der Scheide in Acht nehmen, die Wand, welche durch Geschwüre beträchtlich verdünnt sein und bisweilen nur ein einfaches, leicht zerreifsbares Gefäfsnetz darbieten kann, nicht zu perforiren. Immer soll man erst mit dem rechten Zeigefinger und dann mit dem linken, nie aber mit zwei Fingern touchiren, denn zwei Finger legen sich we¬ niger genau an die interessirten Theile an (?!). Zuletzt soll man noch in verticaler Stellung touchiren, weil der Uterus dabei, durch die Unterleibseingeweide gedrückt und durch sein eigenes Gewicht herabgezogen, tiefer steht und sich leichter erreichen läfst. Walten nun noch Zweifel über den Zustand des Uterus ob, so soll man den Finger in das Rectum einbringeu. Nur auf diesem Wege kaun man entdecken, ob die Ligamenta lata und das Zellgewebe

320

VI Krankheiten des Uterus.

des kleinen Beckens nicht eine cancröse Masse enthalten, ob die Ovarien nicht scirrhös sind, ob sich nicht fibröse Körper in den Wänden des Uterus entwickelt haben, ob die Muttertrompeten eine Ansammlung von Wasser oder Eiter enthalten, ob Absccsse oder Balggeschwülste sich in diesen I heilen entwickelt haben, ob nicht eine Peritonitis sie in eine einzige Masse zusammengeschmolzen hat, ob der Ute¬ rus voluminös sei oder nicht, lind ob er schief stehe oder nicht. Ucber die Gebrauchsart des Speculums läfst sich der 'S erf. hinreichend aus. (Er hat eine besondere Art er¬ funden, hier aber nicht abgebildet.) Er bringt dasselbe immer durch einen conischen Kopf aus elastischem Gummi, geschlossen ein. Um aach die Höhle des Uterus zu unter¬ suchen, bedient er sich der Larreyschen Hohlsonde, die er durch das Speculum einbringt und unten etwas, wie einen Catheter, biegt. Sollte eine Aftermembran dieser Sonde Widerstand leisten, so bringt er ein eigenes, zan- genformiges Instrument, das vorn zwei scharfe Haken hat, geschlossen ein, diese Haken fixirt er in die Wände der Gebärmutter, öffnet das Instrument und dehnt dadurch den nun fixirten Mutterhals so aus, dafs die Sonde gegen die Membran wirken kann. (Ob er sich dieses Instruments wirklich schon mit Nutzen bedient hat, wird nicht ange¬ rührt. Die scharfen Haken müssen die Wände der Gebär¬ mutter bedeutend verletzen, und daher leicht üble Folgen hervorbringen ! ) Fünfzehntes Kapitel. Physische, microscopische und chemische Charaktere von Flüssigkeiten, welche aus der Höhle des Uterus abflielsen. Sechzehntes Kapitel. Behandlung der Ulcerationen und der scirrhös aussehenden Hy¬ pertroph i e e n des Uterus. Die allgemeiuen Blütentzie- huugen passen nur, so lange sich allgemeine Plethora und Fieber zeigt. Die Häufigkeit des Pulses indicirt nicht im¬ mer die Venäsectionen. Blutegel beseitigen am besten die Entzündung und mit dieser die Hamorrhagiecn, die durch die EuUüudung der Schleimmcmbran verursacht werden.

VT Krankheiten des Uterus.

321

Die Blutegel müssen aber unmittelbar an den Hals des Ute¬ rus gesetzt werden, was am leichtesten durch das Speculum geschieht. Nachdem man dieses nämlich eingebracht und die Theile durch Einspritzungen oder die Douche gehörig gereinigt hat, bringt man eine Anzahl von Blutegeln in das Speculum, und verschliefst die äufsere Mündung desselben mit einem leichten Tampon. Nach den Blutegeln, deren Application übrigens die Menstruation nicht stört, kommt die Douche, zu deren Anwendung der Verf. eine eigene, dem Anscheine nach sehr zweckmäfslge Vorrichtung em¬ pfiehlt. Anfangs läfst er mit Eibischwasser douchen, später mit Auflösungen von Alaun, Opium, auch von Schwefel¬ leber. Dafs diese Douche viel kräftiger und regelmäfsiger wirkt, als blofse gewöhnliche Einspritzungen, versteht sich wohl von selbst. Sie zeigt, nach dem Verf., ihre Wir¬ kung zuerst dadurch, dafs sie die hypertrophischen oder angeschwollenen Theile erweicht, worauf eine mehr oder weniger schnelle Zertheilung folgt. Je beträchtlicher die Dauer, Kraft und Temperatur der Douche ist, desto leich¬ ter werden diese Phänomene hervorgebracht. Der Schmerz ist das einzige Hindernifs, welches abhalten mufs; indessen entsteht er immer, wenn die Temperatur der Douche höher als 32 Grad R. ist, wenn sie über 20 Minuten dauert, und wenn die Kraft die einer Wassersäule von 12 Fufs Höhe und einigen Linien Basis übersteigt. Man darf daher nur stufenweise zu diesen äufsersten Gränzen kommen, und mufs mit 10 Minuten Dauer, 3 Fufs Höhe der Säule und 26 Grad Temperatur anfangen, ln Fällen von bedeutender Hypertrophie, gleichzeitigen Ulcerationen und Allgemeinlei¬ den, und lymphatischem Aussehen der Kranken, verordnete der Verf. innerlich die Tinct. Jodinae mit dem besten Er¬ folge. Auch läfst er (siebzehntes Kapitel) Morgens und Abends, nachdem die Kranke Urin gelassen hat, ein Cataplasma aus geriebenen Mohrrüben, gehacktem Körbel und Leinsaamen mit einer vorn sehr weiten Spritze ein¬ spritzen, und durch mehrere Compressen und eine T Binde

322 VII. Geburtshilfliche Operationen.

zuruckhalten. Mit diesem, wie er cs nennt, « köstlichen * Mittel will er eine ziemlich grofsc Anzahl von Personen^ die lange an Schmerzen und Ausflüssen gelitten hatten, ge¬ heilt haben. Moxen setzt er nicht mehr auf die Lenden- gegend, wohl aber legt er Vesicatore, von welchen er be¬ hauptet, dafs sic dazu beitragen, die Heilung schneller und dauerhafter zu machen. Die Gesälsbäder verwirft er ganz, weil sie die Kongestionen zu den leidenden Thtilen beför¬ dern; dagegen empfiehlt er, jedoch nur weno sie keinen Blutverlust verursachen, öfters warme Bäder. Zur IWsie- guug der habituellen Hartleibigkeit, und um eine Ableitung im Darmkaual hcrzustellen, giebt er alle drei Tage 3 bis 8 Drachmen Ricinusöl. Er schliefst seine Schrift mit der Bemerkung: «AVer sich an die Kauterisation und die Am¬ putation, an das Opium und an die Cicuta, an das salzsaure Gold und an den Arsenik halten will, mag cs thun, doch hüte er sich da ein Urtbeil zu fallen , welches nur dem Versuch und der Erfahrung auszusprechen zukommt. Hof¬ fentlich werden deutsche Aerzte bald das Verfahren des Verf. am Krankenbette prüfen, und dann werden wir ja sehen, ob dasselbe wirklich das leistet, was es leisten soll.

Auf der beigefügten Kupfertafel finden wir alle er¬ wähnten Instrumente sehr instructiv abgebildet.

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VII.

Darstellung der geburtshilflichen Opera¬ tionen und ihrer Anzeigen. Nach den be¬ sten W erken und neuesten Grundsätzen, mit vor¬ züglicher Berücksichtigung der Bo ersehen Erfah¬ rungen, für angehende Geburtshelfer bearbeitet von Raphael Ferdinand liussiau, Operateur,

VII. Geburtshiilfliche Operationen. 323

Angenarzt, der Chirurgie und Geburtshiilfe Ma¬ gister, und ehemaligem Supplenten des Lehramtes der theoretischen Geburtshiilfe an der hohen Schule zu Wien. Mit einer Kupfertafel. (Auch unter dem Titel: Handbuch der Geburtshiilfe, von Hussian. Dritter und letzter Theil.) Wien, hei Carl Gerold. 1828. 8. XVI und 328 S. ( 1 Thlr. 12 Gr.)

Die geburtshilflichen Operationen sind in diesem Werke sehr genau beschrieben, und, was in jetzigen Zeiten, wo von mehreren Seiten her manchen Operationen, z. B. der künstlichen Frühgeburt, der Synchondrotomie, und dem Hebel, denen entweder sehr enge Grenzen angewiesen wer¬ den, oder die ganz der Vergessenheit übergehen werden sollten, das Wort selbst von Meistern der Kunst geredet wird, von besonderer Wichtigkeit ist, die Indicationen dazu sehr umsichtig festgestellt. Wir können daher dieses Buch, vorzüglich Anfängern , mit gutem Gewissen empfehlen, und auch schon in der Kunst Erfahrene werden es nicht aus der Hand legen, ohne sich gestehen zu müssen, dafs sie durch das Lesen desselben in ihren rationellen Grundsätzen noch mehr befestigt worden sind. Dafs der Verf. vorzüg¬ lich der Bo ersehen Schule ergeben ist, kann kein Vor¬ wurf für ihn sein, da er sich allenthalben nicht als ein blofser Nachbeter derselben zeigt, und da er auch die An¬ sichten anderer Geburtshelfer, wenn sie mit den seinigen übereinstimmen , gelten läfst. Auf der Kupfertafel finden wir Jörg’s Perforatorium und Boer’s Zange abgebildet, letztere nach einem Exemplar, das Bo er seihst zu diesem Zwecke dem Verf. verehrte. Es ist diese Abbildung für viele Geburtshelfer gewifs eine angenehme Zugabe, indem die Bo ersehen Zangen sogar in Wien von den Instrumen¬ tenmachern so verschieden angefertigt werden, dals sie der Prof. Bo er seihst für ganz andere Instrumente, an denen er keinen Antheil hat und haben mag, öfters erkannt hat.

324 YII. Geburtshulfliche Operationen.

In der Einleitung spricht der Verf. von den geburts¬ hilflichen Operationen überhaupt, ihrer Eintheilung und den im Allgemeinen zu beobachtenden Kegeln, und dann im ersten Abschnitt von jenen Operationen, welche zur Geburt vorbereiten oder diese veranlassen. Das erste Ka¬ pitel dieses Abschnittes handelt daher von der künstli¬ chen Erweiterung des Orificiums. Da dieselbe ein Verfahren ist, das am gewaltsamsten in das gesammte Ge¬ burtsgeschäft eingreift, so wird es mit Recht vom Verf. blofs auf solche balle beschränkt, welche mit augenschein¬ licher Lebensgefahr der Mutter oder des Kindes verbunden sind. Den Vorzug der Hand dabei vor den Instrumenten, namentlich vor dem O sia n d ersehen Dilatationswerkzeug, thut er sehr schlagend dar. Die von einigen empfohlenen Einreibungen von Opiatsalbe oder des llyoscyamusöls in die Lippen des Orificiums zur Hebung des Krampfes tadelt er; sie sollen durch die Friction schaden, was aber wohl nicht der ball ist, vielmehr haben sich uns Einreibungen von Extr. Belladonnae in ähnlichen Zuständen sehr wirksam be¬ wiesen. Zweites Kapitel. Von der künstlichen Eröffnung der Fruchtblase oder dem sogenann¬ ten W assersprengen. Alle dazu erfundenen Instru¬ mente werden verworfen. Nicht gut scheint uns der Rath, eine halte zu bilden und diese mit der Nabelschnurschere abzuschneiden, denn cs könneiv bei dem Schneiden leicht andere Thcile verletzt werden! Drittes Kapitel. Von der künstlichen \eranlassung einer Frühgeburt. Keinem Geburtshelfer, meint der Verf., sei für sich allein die künstliche Veranlassung einer Frühgeburt gestattet, stets sollen mehrere Geburtshelfer zu Rathe gezogen, und, im Beisein der ihnen Vorgesetzten Medicinalbehörde, genau un¬ tersucht werden, ob die Veranlassung einer Frühgeburt wirklich indicirt, und zu welcher Zeit sie zu veranlassen sei. Jeder gegen diese \ orschrift Handelnde soll als Uebertrcter der Gesetze angesehen und empfindlich bestraft werden. (Pia desideria!) Unter den aufgestellten Indicationen ver-

nus-

\ II. Geburtshülfliche Operationen. 325

missen wir die, dafs diese Operation nur da zu unterneh¬ men sei, wo wir uns von dem Vorliegen des Kopfes über¬ zeugt haben, denn die Erfahrung lehrt, dafs die Kinder fast in allen Fällen, wo ein anderer Theil vorlag und wo daher die Wendung auf die Füfse gemacht werden mufste, todt zur Welt kamen. Die Methode nach Wenzel und Reisinger, den Eihautstich, zieht der Verf. mit Recht der Davis-Hamiltonschen Methode und der Merriman- Klug eschen vor. Viertes Kapitel. Von der Wen¬ dung. Wendung an sich ist blofse Lageverbesserung der Frucht, und bestimmt von dem Ausziehen derselben an den Füfsen zu unterscheiden. Wendung auf den Kopf durch äufsere und innere Handgriffe. Den Kopf mit einem Hebel ins Becken zu leiten, wird aus guten Gründen getadelt. Wendung auf den Steifs. Wendung auf die Füfse. Der wirkliche Tod der Mutter nach dem vollendeten siebenten Schwangerschaftsmonate möchte wohl schwerlich, wie der Verf. will, dazu indiciren. Die besonderen Rücksichten, die man bei der Wendung auf die Füfse zu nehmen hat, so wie das Technische der Operation selbst, sind mit der gröfsten Genauigkeit geschildert. Gewundert haben wir! uns über den Rath, zum Einführen der Hand in die Va¬ gina den Moment während einer ContractiOn zu benutzen* da allgemein gelehrt wird, dies aufser einer Wehe zu thun, und gewifs aus guten Gründen! Besondere Regeln bei der Wendung auf die Füfse ertheilt der Verf. bei vorliegendem Kopfe, bei vorliegender vorderen, hinteren und Seiten-; fläche des Rumpfes, bei vorliegendem Steifse, und bei vor¬ handenen Zwillingen. r

Zweiter Abschnitt. Von jenen Operationen, durch welche die Ausscheidung des Eies oder'; einzelner Theile desselben künstlich bewerkstelligt wird. I.) Vomjenen Ope¬ rationen, durch welche die Ausscheidung des Kindes künst¬ lich bewerkstelligt wird. A.) Von jenen Operationen, welche die Ausscheidung des Kindes auf dem natürlichen Geburtswege bewerkstelligen. 1) Von der künstlichen Aus-

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XIII. Ed. 3. St.

326 VII. Geburtshilfliche Operationen.

Scheidung lies Kindes anf dem natürlichen Geburtswege, ohne Verletzung und Verkleinerung desselben. Erstes Kapitel. Von der Extraction des Kindes an «len Fiifse n, oder der s o g e n a n n t e n künstlichen Fufs- geburt. Bei der Angabe der Prognose wird ganz beson¬ ders die unvermeidliche Dehnung der Wirbelsäule und des Rückenmarks als schädlich für das Kind hervorgehoben. Den Haiti, den einige geben, man solle die Fiifse während des Anziehens so drehen, dals die Zehen nach rückwärts zu stehen kommen, um dadurch die ganze vordere Fläche des Kindes nach rückwärts zu drehen, hält der \ crf. mit Recht für überflüssig, selbst für schädlich, denn die Fiifse mögfeh im Recken stehen, wie sic wollen, so dreht sich der Steifs doch immer nach den günstigsten Durchmessern des Reckens, und während des Durchganges des Rumpfes immer so * däfs die vordere Fläche nach rückwärts gedreht wird. Aber jede an »den Füfsen angebrachte Drehung kann sich immer nur bi$ an das nächste Gelenk, und weiter nicht, er¬ strecken^ daher auch nicht im Stande sein, die Richtung des Rumpfes, und vorzugsweise des Kopfes, auf vorteil¬ hafte Weise zu ändern! Doch aber giebt es Fälle, die der Verf. seihst Ängiebt, z. R. wo wegen mangelnder Ute- rinthätigkeit keine Drehung von Seiten der Natur wahrzu¬ nehmen ivt,) in denen man die natürliche Drehung, so viel möglich, kfmvtlieh nathahmen mufs. Die Frage: w'ann sol¬ len die Arme künstlich gelüst werden? wird so beantwor¬ tet: <*< Ist der Reckenraum hinlänglich geräumig, das Kind, besonders dessen Kopf, nicht grofs, sind die \\ eben gut, und drohet in keiner Beziehung der Mutter oder dem Kinde Gefahr, so warte man ruhig ab.»* Die Art und

, 4 f _ * fl

Weise, den Kopf, nachdem der Rumpf geboren, zu ent¬ wickeln, ist' mit allen- möglichen Eautelen sehr instructiv angegeben*.' Z we i tes iK apite I. Von der Extraction des Kindes an den Kn i een, oder der sogenannten künstlichen Kniegehurt. Drittes Kapitel. Non der Extraction des Kindes an dem Stcifse, oder

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VII. Geburtshülf liehe Operationen. 3^7

der künstlichen Steifsgeburt. Hier empfiehlt der Verf. dringend das Anlegen einer geraden, mit einer ziemlich flachen Kopfkrümmung versehenen Zange, und zieht dies der Application des stumpfen S me 1 1 i e sehen Hakens vor. Seine Erfahrung spricht dafür. Viertes Kapitel. Von der Ausziehung des Kindeskopfes mittelst der Ge¬ burtszange. Der Verf. unterscheidet drei Gattungen von Zangen, nämlich die mit einer einfachen, einer doppelten und einer dreifachen Krümmung; jede dieser Zangenarten hat entweder gekreuzte oder ungekreuzte Arme, und ge¬ fensterte oder ungefensterte Löffel. Eine Kritik der Zan¬ gen lag aufser dem Vorhaben des Verf.; dagegen aber läfst er sich über die Wirkungsart der Zange hinlänglich aus, beschreibt die Eigenschaften einer guten Geburtszange sehr genau, und erklärt sich am Ende ausschliefslich für die Bo ersehe, meint jedoch, dafs mit jeder Zange glücklich operirt werden könne, und dafs Gewohnheit das meiste ausmache. Dann kommt er zu den Bedingnissen, unter denen die Zange indicirt sein kann, und welche daher vor Feststellung der lndicationen dazu ausgemittelt werden müs¬ sen; darauf zu den lndicationen und der Prognose, und endlich zu der Art und Weise, die Zange zu appliciren. Den Vorschlag, die Zange auch bei einem noch über dem kleinen Becken beweglich stehenden Kopfe anzuwenden, falls man denselben nur fassen kann, tadelt er mit Recht. Beträgt die Conjugata der obern Apertur nicht über, oder wenigstens drei Zoll, und sind die übrigen Durchmesser des Beckens nicht verhältnifsmäfsig grofs, so soll keine (?) Hoffnung vorhanden sein, ein Kind von normaler Beschaf¬ fenheit und gewöhnlicher Gröfse durchs Becken zu führen. Eine Zange mit Beckenkrümmung ist, wie der Verf. sehr wahr bemerkt, vermöge dieser nur dazu geeignet, nach der Richtung des queren oder schiefen Durchmessers, und nie¬ mals nach der Conjugata angelegt zu werden, während eine gerade Zange sich bei hinlänglich tief stehendem Kopie •mach jedem Durchmesser appliciren läfst und den Kopf lest-

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328 VII. Geburtshilfliche Operationen.

hält. Er empfiehlt daher in besonderen 1 allen eine gerade Smelliesche Zange, und will, jeder Geburtshelfer solle immer eine solche bei sich führen, ln Hinsicht der Bestim¬ mung des schicklichsten Moments zur Application der Zange behauptet er im Allgemeinen, so lange die Ausschliefsung des Kindes ohne Gefahr von der Thätigkeit der Natur möglich ist, soll man derselben die ihr gebührende Ach¬ tung schenken, jedoch aber nicht so lange einen müisigen Zuschauer abgeben, bis alle kraftäulserung verschwunden ist, oder sich schon gefährliche Erscheinungen anderer Art eingestellt haben. Nachdem er allgemeine Kegeln für die Extraction des Kopfes mittelst der Zange gegeben hat, lie¬ fert er noch besondere hei jener Art der llinterhauptslage, wo das Gesicht der vorderen Beckenwand zugekehrt ist; ferner bei vorliegendem Gesichte; hei schiefstehendem Kopfe; hei gleichzeitigem Vorgefallensein der Extremitäten oder des Naheistranges; hei querstehendeni Kopfe; hei zuletzt kom¬ mendem Kopfe; hei vom Kumpfe abgerissenem und im Ute¬ rus zurückgebliebenem Kopfe; bei gänzlich prolabirtem Ute¬ rus, uud hei eingekeiltem Steiise. Zuletzt spricht er auch von einigen Hindernissen, die sich hei dergleichen Gelegen¬ heiten einstellen köunen, als: von dem Nichtweichen des Kopfes von der Stelle, an welcher er aufgehalten ist; von dem Abgleiten der Zange; von dem Hervortreten von Schei¬ denfalten oder den Lippen des Orificiums neben dem Kopfe; und von heftigen allgemeinen krampfhaften Constrictionen des Fruchthalters. Fünftes Kapitel. Non der Aus¬ ziehung des Kopfes mittelst des Hebels. Heut zu Tage, sagt der Verf., ist die Anwendung des Hebels zur Extraction des Kopfes, wozu allein die Zange taugt, von jedem rationellen Geburtshelfer verbannt, und unbe¬ greiflich ist es, wie hei der gegenwärtigen Vervollkomm¬ nung der Zange es noch Geburtshelfer giebt, welche sich einfallen lassen können, Indicationen aufzustellen , unter denen der Hebel der Zange vorzuziehen sei!

2) Von der Ausziehung des Kindes auf dem natür-

VII. Geburtshilfliche Operationen. 329

liehen Geburtswege, nach vorausgegangener Verletzung und Verkleinerung desselben. Erstes Kapitel. Von der Perforation. Die Frage, ob man auch ein lebendes Kind perforiren dürfe, beantwortet der Verf. sehr umsichtig, er sagt nämlich: Ehe man zur Perforation eines Kindes schrei¬ tet, von dessen Tode man noch nicht mit aller Bestimmt¬ heit überzeugt ist, ist es rathsam, vor der Hand zurück¬ zutreten, und es einem andern erfahrnen Geburtshelfer zu überlassen, die Gebärende durch Gründe und vernünftige Vorstellungen dahin zu bewegen, dafs sie den Kaiserschnitt gestatte, oder, wenn sie sich doch nicht demselben unter¬ ziehen will, die Angehörigen ihn nicht zugeben, und die Obrigkeit denselben nicht erzwingen will, kann, oder darf die Perforation auch schon dann vorzunehmen, wenn man von dem Tode des Kindes einen hohen Grad von Wahr¬ scheinlichkeit erlangt hat. Wäre jedoch kein anderer Ge¬ burtshelfer in der Nähe, oder wollte dieser die Perforation nicht vornehmen, so dürfte man dieselbe verrichten, um wenigstens die Mutter zu retten, weil, wenn nichts ge¬ schieht, Mutter und Kind verloren sind. Der Rath, so lange zu warten, bis die Zeichen vom Leben des Kindes verschwunden sind, ist tadelnswerth. Unter den zu diesem Behuf erfundenen Instrumenten empfiehlt der Verf. beson¬ ders Boer’s scherenförmiges Perforatorium , Jorg’s tre- paoförmiges Instrument, und Boers Excerebrationspincette. Dafs Fälle Vorkommen können, in denen man noch, nach gemachter Perforation, die Wendung auf die Füfse ver¬ richten und das Kind ausziehen müsse, wird nicht erwähnt. Einige besondere Fälle der Perforation werden zuletzt ab¬ gehandelt. Zweites Kapitel. Von der Zerstücke¬ lung des Kindes.

B.) Von den Operationen, durch welche die Ileraus- beförderung des Kindes auf einem ungewöhnlichen Geburts¬ wege bewerkstelligt wird. Erstes Kapitel. Vom Kai¬ serschnitt. In» Durchschnitt sterben von 20 Operirten 19. Die neuere Zeit hat ungleich weniger glückliche Ausgänge

330 VII. Geburtshillfliche Operationen.

des Kaiserschnittes aufzuweisen, als die frühere, was aber wohl darin seinen Grund haben mag, dafs man früher die unglücklich abgclaufcnen mehr, als jetzt, verschwieg! Indt- cationen, Prognose und das Technische der Operation seihst sind sehr genau angegeben. Die verschiedenen Vereini- gungsbinden, die graduirten Compressen, Bourdoncts und dergl. hält der Yerf. für entbehrlich; er räth, die Sutura clavata anzulegen, und diese durch lange Heftpflaster, die den Leib ein und ein halb mal umgeben, zu unterstützen. Das Bauchfell fafst er bei der Nath nicht mit, wodurch aber Anlage zu einem Bauchbruch bedingt wird. Die Yerstrei- chung des Orificiums bis zu einem gewissen Grade soll man, bevor man operirt, abwarten, was gewifs sehr zu rathen ist. Y\ o eine bedeutende Ausdehnung des Uterus vorhan¬ den ist, will der Yerf. die Blase vor der Operation spren¬ gen, damit sich nicht zu viel Wasser in die Bauchhöhle ergiefse, dann ist aber die Gefahr des Yorfallens der Ge¬ därme gröfser. Die verschiedenen Methoden werden rich¬ tig gewürdigt, nur vermissen wir eine Angabe der neuer¬ dings von v. Gräfe empfohlenen und gewifs sehr zwcck- mäfsigen Y'orsichtsmaafsregeln. Die Nachbehandlung ist ge¬ nügend auseinandergesetzt. Zweites Kapitel. Von dem Bauch schnitte.

C.) Von den Operationen, durch welche die künst¬ liche Lrweiterung des gewöhnlichen Geburtsweges bewerk¬ stelligt wird. Yon der Sc h oo fsb e in tre n n u n g. Aus sehr triftigen Gründen wird diese Operation ganz ver¬ worfen.

II. Yon den Operationen zur künstlichen Entwicke¬ lung der Nachgeburtstheile. Erstes Kapitel. Von der künstlichen Lösung der Placenta. Zweites Ka¬ pitel. Y'on der II in wegnah me der gelösten Pla¬ centa.

III. Y on der künstlichen Bewerkstelligung des ge¬ summten Geburtsgeschäftes. Die gewaltsame Entbindung,

VHI. Hydatidcnschwangerscbaft. 331

A c co ucli einen t force. Dieses Kapitel ist natürlich nur ganz kurz.

Druck und Papier sind sehr gut.

VIII.

Nene Nachforschungen über die Entste¬ llung, das W e s e n und die Behandlung der Blasen in ola oder Hy d ati d e n Schwan¬ gerschaft. Von Mad. Boivin, Oberbebamme, und Oberaufseherin der IVlaison royal de Saute zu Paris, Inhaberin der Preufs. goldenen Civil- Verdienstmedaille, Verfasserin mehrerer Werke, und Erfinderin verschiedener auf die Entbind ungs- kunst und Frauenzimmerkrankheiten bezüglichen Instrumente. Mit einer Abbildung. W eimar, 1828. 8. 72 S. (12 Gr.)

Dieses Schriftchen ist theils des an sich noch dunkeln Gegenstandes, theils der zwei darin mitgetheilten , sehr gut erzählten Krankengeschichten wegen interessant, und verdient daher wohl beachtet zu werden. Der Inhalt lälst sich auf folgende Sätze reduciren : Die Hydatidenmola ist nicht, wie heut zu Tage manche glauben, aus Blasenwür¬ mern zusammengesetzt. Niemand, ausgenommen der Prof. Percy, hat Bewegungen dieser Wasserbläschen gesehen. Diese Bläschen sind das Product einer degenerirten Con- ception. Sie sind die Folge einer krankhaften Disposition der Capdlargefäfse der Amnios, einer besondern Affection des Chorions oder der Placenta. (Dafs diese 1 heile zur llvdatidenbildung disponiren, ist bereits von vielen, z. I>. von Valisnieri, Blaneardi, Kuysch, Haller, Wris-

- »

. \ s l,

332 VIII. Hydatidenschwangerschaft.

berg, "N elpeau, Desormeaux, behauptet worden.) Mit der Ilydatidenmola sind bisweilen Rudimente vom Embryo oder vom hötus vermischt. Diese Mola schwankt nicht in dem Uterus, und die Ilydatiden adhäriren nicht unmittelbar an diesem Organe, sondern eine intermediäre Membran, welche der Decidua ähnlich ist, dient zum Mittel, wodurch der Uterus und die Mola miteinander vereinigt sind, und communiciren. Die keusch lebenden Mädchen und trauen sind dieser Krankheit nicht unterworfen. Es ist diese vasculöse Production von einer Affection der serösen Membranen der Iliille des Eies abhängig, denn cs ist im Uterus weiter keine seröse Membran vorhanden, als diejenigen, welche daselbst durch die Conception temporär abgesetzt werden. Die Krankheit ist fähig verschiedene Charaktere anzunehmen, jedoch zeigt sie sich oft unter der t orm von Blasenbildung. W ahrscheinlich ist dieser äulscre Charakter der Mola von dem ursprünglich veränderten Fle- mentartheile des Eies abhängig. Der Uterus ist übrigens nicht ausschliefslich der zur Entwickelung der traubenför- migen Ilydatiden bestimmte Ort, denn es kommen derglei¬ chen auch an den serösen Membranen des Gehirns und der Brust- und Bauchhöhle vor. Das Ovulum kann, wenn es noch an dem Ovarium angeheftet ist, von Krankheit er¬ griffen sein und dennoch durch einen fruchtbaren Coitus befruchtet werden (?). Eine krankhafte Disposition des Ovariums kann die ganze Zeit unbemerkt fortdauern, wo die Frau zu concipiren fähig ist, so dafs der befruchtende Coitus nur die Entwickelung eines ungestalteten, oder dem fraglichen Product ähnlichen Körpers zur Folge haben kann, wodurch man allerdings das sehr seltene Phänomen erklären könnte, dafs manche verheirathete Frauen nur Molen zur YV eit bringen. Die rationellen Zeichen dieser Schwan¬ gerschaft unterscheiden sich eben nicht von denen der Fötus¬ schwangerschaft. Man hat sie bei Weibspersonen von ‘20 bis 36 Jahren beobachtet. In dieser Schwangerschaft ist der Uterus vergröfsert, doch entdeckt man durch das Tou-

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VIII. Hydatidenschwangerschaft.

cMren weder die Bewegung eines freien, thätigen Körpers, noch die Gegenwart einer Flüssigkeit. Bas Nichtvorhan¬ densein dieser zwei sichern Zeichen einer Fötusschwanger¬ schaft, das Compacte der im Uterus enthaltenen Körper, und die Schnelligkeit ihres Wachsthums sind die am wenig¬ sten unsichern Zeichen einer Molenschwangerschaft. Der Abgang einiger Bläschen aus der Vagina aber ist das ein¬ zige sichere Zeichen einer Blasenmola im Uterus; doch geschieht es alsdann selten, dafs ihre gänzliche Austreibung erst spät nach folgt. Die Form, das Volumen, die Lage des Uterus zeigen nicht blofs in den verschiedenen Zeit¬ räumen, sondern auch in den derselben Art von Schwan¬ gerschaft entsprechenden Zeiträumen manche Verschieden¬ heiten. (Letzteres beweisen die beiden Krankengeschichten deutlich.) Die Länge des Mutterhalses, seine Richtung und Stellung scheinen von dem Zeiträume abhängig zu sein, in welchem sich im Moment der Exploration der Theile die Hydatidenschwangerschaft befindet. Die Unterschiede, welche man in Hinsicht der verschiedenen Verhältnisse des Uterus bemerkt, sind, abgesehen von dem Zeiträume der Schwan¬ gerschaft, auch von dem Volumen der im Uterus enthalte¬ nen Masse abhängig. Wenn man sich nicht durch mehr¬ maliges Touchiren von dem Volumen des Uterus überzeugt hat, so wird man leicht die Hydatidenschwangerschaft mit der Wassersucht der Muttertrompeten und der Ovarien verwechseln können. Der eine hier mitgetheilte Fall zeigt, dafs der Uterus nicht immer rund ist, und dafs er nicht immer die mittlere Gegend des Unterleibes einnimmt. Wenn endlich der Hals des Uterus verstrichen ist, wenn sein Ori- ficium offen steht, wenn die Wehen in der Schaamgegend und in der Ileiligbeingegend empfunden werden, wenn bei jeder Lontraction Blut ausfliefst, so ist die Austreibung der Hydatiden nicht fern. Der Tod des Fötus ist von dem Vorhandensein der Blasenmola unzertrennlich. Die Blasen¬ molenschwangerschaft kann für die Frau sehr schwere, selbst tüdtliche Folgen haben. Man hat oft dabei angreifende

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VIII. Hydatidcnschwangerscbaft.

Zufälle zu bekämpfen, als: Eebelkeiten, Erbrechen, einen < opiöseu Speicbelllufs, doch der häufigste und gefährlichste Zufall ist der Blutllufs aus dem Uterus. Die Vorsicht ge¬ bietet übrigens, nicht gewaltsame Mittel zu versuchen, um die Austreibung der Mola hervorzurufen, wofern man nicht, wie in der Fötusschwangerschaft, um ein grüfseres Uebel zu vermeiden, dazu genütbigt ist. Die gewaltsame Erwei¬ terung des Muttermundes vermittelst der Finger oder der Pince ä faut germe, deren Application von Levret em¬ pfohlen und angewandt ist (und wohin auch Osianders Instrument gehört), kann gefährlich sein, ohne zu nutzen. Da die lnjectionen in den Uterus nicht eindringen können, wenn seine Höhle von der Ilydatidenmasse ausgefüllt ist, so ist die Vorschrift, sie anzuwenden, unnütz. Nach der Austreibung der Hydatiden dagegen können die reizenden lnjectionen sehr wirksam sein, und sogar bei copiösem Blut- llufs, bei Trägheit des l terus und bei nicht völliger Ent¬ leerung dieses Organs durchaus nothwendig werden. Rei¬ zende lnjectionen aber dürfen nicht angewandt werden, wenn die Gebärmutter der Sitz eines schmerzhaften Kram¬ pfes ist. In dem Falle, wo die Blasenmola noch im Uterus enthalten ist, und wo die Trägheit dieses Organs zur Ilä- morrhagie Anlafs giebt, wirken die reizenden lnjectionen, welche empfohlen werden, um die Contractionen des Ute¬ rus hervorzurufen, besser, wenn sie in das Rectum, als wenn sie in die Vagina gemacht wrerden. Da die Folgen der Hydatidengeburt fast eben so sind, wie die einer na¬ türlichen Entbindung, so richtet sich die Behandlung nach dem vorhandenen Zustande der Kranken. Es bleiben übri¬ gens danach die Brüste angeschwollen, und die inneren und äufseren Zeugungstheile zeigen noch 20 bis 30 Tage Dach der Austreibung der Mola fast alle Zeichen einer kiirzlichen, zeitigen Entbindung.

In den Anmerkungen spricht die Verf. von den vier Species von Acepbalocysten nach Eaennec und Gloquct; dann erwähut sie der Werke, in denen sielt Abbildungen

IX. Taschenbuch der Geburtshülfe. 335

von Blasenmolen befinden ; berichtet von Versuchen , welche mit. den Hydatiden des Uterus gemacht worden sind, und führt elf Beispiele über die dieselben einhüllende Membran, so wie zwölf Beispiele über mit Fötusschwangerschaft verbun¬ dene Ilydatidenschwangerschaft, und einiges über die Stel¬ lung des Centralkerns dieser Molen an; dann theilt sie Zu¬ sammenstellungen mit über das Alter einer gewissen Anzahl Weiber, welche abortirt haben und von einer Hydatiden- mola entbunden sind; über die Zeit des ersten Blutverlustes, und über seine Dauer; über die Disposition und die Stel¬ lung des Collum uteri; über die Dauer der Ilydatiden¬ schwangerschaft an einer gewissen Anzahl (31) von Wei¬ bern; und Beispiele über die Gefahren und die tödtlichen Fälle von Hydatidengeburten. Zuletzt erklärt sie die beige¬ fügte Abbildung der sehr vollständigen Hydatidenmola. Diese Mola ging einer 28 Jahr alten Frau im achten Monat ihrer Sch wangerschaft unversehrt ab. Die 2 Pfund 6 Unzen schwere Masse hat die Form der Höhle des Uterus behal¬ ten. Die Mola ist etwas geöffnet, und läfst an dieser Stelle mehrere Bläschen heraustreten. Auf dem Schnitte unter¬ scheidet man zwei häutige Lagen; die erste, der Decidua ähnliche, ist die äufsere Membran; die zweite, eine dünne, durchsichtige Membran, scheint ein Rudiment des Chorion zu sein.

IX.

j. ii atin, Doctor der Medicin, Professor des Ac- couchements und der Frauenzimmerkrankheiten zu Paris u. s. w. Taschen bucli der Geburts¬ hülfe in allen schwierigen und naturwidrigen Fäl¬ len, oder systematisch -praktische Darstellung aller

336 IX. Taschenbuch der Geburtshülfe.

regelwidrigen Entbindungsfälle und der hierbei an- ruwendenden geburtshilflichen Handleistungen und Unterstützungsmittel. Für praktische Aerzte nach dem Französischen bearbeitet von I)r. Carl Fitz¬ ier, praktischem Arzte und Pbysicus zu Ilmenau. Ilmenau, bei Voigt. J 828. 8. XXVIII u. 1238 S. (18 Gr.)

Vorliegende Schrift beschränkt sich, laut der Vorrede des Ucbersetzers, auf eine systematische Ncbcneinanderstel- lung aller irgend erdenklichen anomlen Entbindungszu¬ fälle, mit Inbegriff der sie kenntlich machenden charakteri¬ stischen Merkmale, so wie auf die detaillirte Nachweisung der für jeden einzelnen Fall zweckdienlichen geburtshilf¬ lichen Handgriffe. Er empfiehlt sie daher angehenden oder minder geübten Entbindungsärzten, um sich in dein Geschäft des Accouchements fest zu machen und sie gewissermaafsen praktisch in dasselbe einzuweihen, und macht sie zu glei¬ cher Zeit, wozu sie sich auch vermöge ihres Formats qua- lificirt, zu einer Art von \ademecum der angehenden Ge¬ burtshelfer. Allein wir müssen nach genauem Durchlesen dieser Schrift gestehen, dafs der Uebersetzer seine Mühe hätte sparen können, denn theils besitzen wir Bücher, in denen das hier Gesagte wenigstens eben so gut, wo nicht besser, abgehandelt ist, und theils enthält die Schrift Anweisungen zum Operiren, die von keinem deutschen Geburtshelfer so leicht werden gebilligt werden. Um nur einiges zu erwähnen, bemerken wir, dafs bei den Knielagen stumpfe Haken und Schlingen empfohlen werden; zu letz¬ teren räth auch der Verf. bei Steißlagen; dafs man sich bei diesen einer Zange bedieneu könne, erwähnt er nicht; dem Hebel und dessen Gebrauch zum Einleiten des Kopfes giebt er ein eigenes Kapitel , entfernt ihn also nicht ganz aus der Geburtshülfe, was billigerweise geschehen sollte; und sogar handelt er die Synchoudrotomie als eine zulässige Operation ab. Dergleichen Verstöfsc gegen unsere deutsche rationelle

IX. Taschenbuch der Geburtshülfe. 337

Geburtshülfe hätten von dem Uebersetzer gerügt und ab¬ geändert werden müssen, wenn anders das Buch seinem Zwecke hätte entsprechen sollen. Anstatt dessen aber hat der Uebersetzer nur hier und da einige Anmerkungen, mei¬ stens aus v. Froriep’s geschätztem Handbuche der Ge¬ burtshülfe, hinzugefügt, und in einem Anhänge auf sieben Seiten das vom Verf. völlig mit Stillschweigen übergangene Accouchement force und die künstliche Frühgeburt, natür¬ lich beides sehr spärlich, abgehandelt.

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Den Inhalt dieses Schriftchens anzugeben, halten wir für völlig überflüssig und begnügen uns, zu bemerken, dafs der Verf. die naturwidrigen Entbindungen in drei Klassen tbeilt. In der ersten ist von den Fällen die Rede, die sich durch Hülfe der blofsen Hand beendigen lassen; in der zweiten von solchen, bei deren Vorkommen stumpfe Instru¬ mente in Anwendung zu ziehen sind; in der dritten von solchen, die blofs durch Hülfe gewisser an der Mutter oder dem Kinde unternommener Operationen vollendet werden können. (Diese Eintheilung ist nichts weniger als rationell!) Aufserdem schildert der Verf. im ersten Abschnitt das weib- liehe Becken und die wichtigsten Theile des Fötus, wür¬ digt aber die weichen Geburtstheile, die doch auch wichtig sind und der Geburt Hindernisse in den Weg legen kön¬ nen, gar nicht, und beschreibt den Mechanismus der natür¬ lichen Geburt. Der künstlichen Lösung der Nachgeburt erwähnt er zuletzt nur auf sechs Seiten, also oberflächlich.

Druck und Papier sind so, wie gewöhnlich in diesem Verlage, d. h. nicht sonderlich.

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X. Das Wochenbett.

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X.

Das Woche nbett und seine Krankheiten. INicbtärztcn höherer Bildung überhaupt, insbeson¬ dere aber zärtlichen Müttern, und die es werden . wollen, zur Belehrung und Beherzigung empfoh¬ len vom Dr. U*** Leipzig, bei Kollmann. 1828. 8. 147 S. (12 Gr.)

Es reiht sich diese Schrift an die früher von demsel¬ ben Dr. U*** über Schwangerschaft und Geburt heraus¬ gegebene an. "Wir müssen sie für überflüssig halten; denn weswegen soll ein Laie die verschiedenen Perioden des Kindbetterinficbers , oder die Symptome der w'eifscn Scheu- kelgeschwulst, der Fäulnifs der Gebärmutter u. s. w. ken¬ nen? und weswegen soll sich eine Frau mit allen mög¬ lichen Uebeln, die ihr in Folge des Wochenbettes zustofsen können, bekannt machen? Ist sie vorher noch nicht ängst¬ lich gewesen, so wird sie es nach Lesung dieses Luches gewifs erst werden. Für Nichtärzte sow'ohl, als für zärt¬ liche Mütter und solche, die es werden wollen, reicht es vollkommen hin, wenn sie in Schriften belehrt werden, w'ie sie sich in diätetischer Hinsicht wahrend der Schwan¬ gerschaft und im Wochenbett zu verhalten haben, und an solchen Schriften leiden wir keinen Mangel. Alles Uebrige ist vom Uebel! Meistens verweist der Verf die Kran¬ ken an den Arzt, erlaubt sich aber oft anzuführen, der Arzt müsse so und nicht anders handeln. Wozu das? Handelt der Arzt nun doch anders, und ein Kranker wollte sich nach diesem Buche richten, so würde er Mifstrauen in die Verordnungen seines Arztes setzen und diese vielleicht nicht befolgen. Auch müssen Verordnungen von heftig wirkenden Mitteln aus dergleichen Schriften ganz wegblei¬ ben; Opium daher gegen Nachwehen zu empfehlen, wie cs hier geschehen ist, ist unrecht, denn leicht kann dadurch Unheil gestiftet werden.

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XL Chirurgische und geburtshilfliche Notizen. 339

XI.

Chirurgische und gcburtshiilfliche Notizen.

1. Ein 26 jähriger Mann vertrieb sich die Zeit damit, dafs er in seine Nase das dicke Ende einer mit einem Faden versehenen Nähnadel einführte. Unglücklicherweise machte er während dieses Spieles plötzlich eine Bewegung nach hinten, wobei ihm die Nadel entwischte und in den Hals hinabfiel. Alsbald empfand er Beschwerden beim Schlucken und beim Athmen, so wie ein stechendes Gefühl unter einem leisen Druck auf den Kehlkopf. Zwei Tage später bekam er heftige Hustenanfälle, unter welchen die beiden Enden des Fadens hervorkamen. An diesen machte er selbst einige Versuche, die Nadel hervorzuziehn , welche indessen nur das stechende Gefühl vermehrten. Blardin, wel¬ cher zu Rathe gezogen wurde, führte den Faden in die Bellocsche Sonde, theils um sich von der Lage derselben zu überzeugen, theils um mit dieser sie vielleicht (zp ent¬ fernen. Als dies nicht gelang, schritt er zur Laryngqtprqie. Nachdem er den Schnitt bis zur Membrana crico -thyrioidea geführt hatte, entstand eine Blutung, welche ihn nöthigte, mit der Operation einige Zelt inne zu halten; hierauf durch- schnitt er den Schildknorpel mit einem geknöpften Bistouri der Länge nach, und zog die Wundränder von einander, ohne die Nadel zu finden. Am folgenden Morgen lag die Nadel auf dem Bette, welche wahrscheinlich während eines Hustenanfalles herausgeflogen war. (Nouvelle Bibliotheque.

1828. 8.) r

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2. Eine dreifsigjährige Frau, welche seit einigen Mo¬ naten eine Unregelmäfsigkeit in ihrer Menstruation wahr- genommen hatte, bemerkte in der -Regio hypogastrica eine immer gröfser werdende Geschwulst (so dafs sie sich schwan¬ ger wähnte), und klagte über ein Gefühl von Schwere im

340 XI. Chirurgische und gcburtshiilfliche Notizen.

Mittclfleisch, Dysurie, Stuhlvcrstopfung, über Schmerzen im Unterleibe, Infiltration der untern Extremitäten. Bei einer genauen Untersuchung ergab sich, rlafs die Blase und der Uterus nach oben gedrängt, und dafs die Vagina und der Mastdarm durch eine elastische Geschwulst von einander getrennt waren. Bei der Leichenöffnung dieser nach fünf Monaten verstorbenen Frau fand man in dem Epiploon gastro - splenicum eine mit der Milz zusammenhängende fibröse Sackgeschwulst, welche eine gelbliche, eiterähnliche Flüssigkeit enthielt, in der Ilydatiden herumschwammen. Zwischen dem Rectum und der Gebärmutter war noch eine gröfsere, mit Ilydatiden angefüllte Geschwulst, welche das ganze Becken ausfüllte und bis zum Nabel hinaufreichte; die Gedärme waren nach oben, der Uterus nach der Seite gedrängt und abgeplattet. Es ist wohl keinem Zweifel un¬ terworfen, dafs diese letztere Geschwulst die Unordnungen der Menstruation und die übrigen Zufälle veranlafst hatte. (Ebendaselbst.)

3. Bei einem ausgetragenen Kinde fehlte äufserlich jede Spur eines Afters. Das Rectum endigte in einem wei¬ ten I>lindsacke auf dem Promontorium des lleiligenheins. Von dem vorderen Theile des Mastdarms ging ein haarför¬ miger Kanal durch den oberen Theil der 1*1X161313 in die Harnröhre, da, wo diese aus dem Blasenhalse heraustritt. Man hatte umsonst versucht, in der Weiche einen künst¬ lichen After zu (jilden. (Ebendas.)

4. Ein 53 jäh riger, an einem Schenkelhalsbruch lei¬ dender Mann, wurde nach Dupuytren ’s Methode durch Anbringung von Kiesen behandelt, so dafs der Schenkel zwei Plana inclinata bildete. Die Unfolgsamkeit des Kran¬ ken hatte eine Verkürzung von fiinftchalb Zoll zur Folge; zugleich war das Knie und die Ftifsspitze nach innen ge¬ kehrt. Bei der Section dieses späterhin an einer Unterleibs¬ krankheit gestorbenen Mannes fand man nicht allein ciucu

noch

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XI. Chirurgische und gehurtshiilfliche Notizen. 341

noch nicht vereinigten Bruch des Schenkelhalses, des grofsen und kleinen Trochanters, und eine fibröse Masse, welche die Bruchtheile umgab und zum Theil auf Kosten der be¬ nachbarten Muskeln sich gebildet hatte, sondern auch ein neues Gelenk, das in Folge der Berührung des obern Endes vom Femur an der Bruchstelle mit den vom Knochen <re-

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trennten Theilen des grofsen und kleinen Trochanters ent¬ standen war. (Ebend. 1827. 8.)

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5. Velpeau empfiehlt in allen Fällen von Erysipelas phlegmonodes den Gebrauch einer Druckbandage. Er theilt acht Beobachtungen mit, wo der weiteren Ausbreitung der Entzündung und Eiterung auf diese Weise Schranken ge¬ setzt wurden, und glaubt in Folge seiner Erfahrungen annehmen zu können, dafs die namentlich von Rust em¬ pfohlenen Einschnitte durch eine zweckmäfsig angebrachte Bruckbandage überflüssig gemacht werden. (Archives gene¬ rales. Juin. 1826.)

6. J. Cloquet verletzte ziemlich stark bei der Ope¬ ration eines eingeklemmten Leistenbruchs das vorgefallene Darmstück. Sogleich machte er von dem von Jobert vor¬ geschlagenen Verfahren Anwendung, das zum Zweck hat, die Bauchhaut so an die Wundlefzen des verletzten Darms anzulegen und zu befestigen, dafs die genaue Vereinigung derselben möglich wird. (Nouv. Bibi. 1827. Novembre. )

7. Segalas d’Etchepare versichert, dafs zur Un¬ tersuchung der Harnröhrenverengerungen kein Instrument geeigneter sei, als ein einfacher silberner Drath, der sphä¬ risch endet. Er nennt dasselbe Stilet urethro-cystique, und behauptet, mit Hülfe desselben nicht allein die Urethra und Blase genau untersuchen, sondern auch bestimmen zu können, welchen Umfang und welche Form die Verenge¬ rungen haben, und ob sie krampfhafter oder entzündlicher Natur sind, oder ob sie organische Entartungen sind, xni. Bd. n. St. . 23

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342 XI. Chirurgische und gebnrtslüilflichc Notizen.

8. Pailloux sah im Pariser Hotel -I)icii einen 45 jäh¬ rigen Mann, der wegen heftiger, dem Anscheine nach rheu¬ matischer Schmerze» im Hüftgelenk, mit Blutegeln und Zugpflastern nicht ohne Erfolg behandelt worden war. Li¬ nes Tages empfand der Kranke, heim Niedersetzen auf sein Bette, ein gewaltiges Krachen im linken Schenkel, worauf sich sehr bald die heftigsten Schmerzen einstcllt.cn. Einige Tage später erlitt er 'dieselben Zufälle bei einer unvorsich¬ tigen Bewegung auf einer Tragbahre. Bei der Untersu¬ chung fühlte man beide Schenkel unter den grofsen 1 ro- chanteren fracturirt. Bei der Section dieses unter einer Febris hectica verstorbenen Mannes fand P. die Schenkel¬ knochen an der Bruchstelle erweicht und carcinomatüs be- schaffen. Auf ähnliche Weise desorganisirt zeigten sich die correspondirenden Theile der Beckenknochen, mit dem Muse, iliacus. (Nouv. Biblioth. 4. 1827.)

9. Nach Jobert entstehen zuweilen am achten, neun¬ ten, zehnten bis zwölften Tage nach der Operation des Steinschnitts mit dem Apparatus lateralis Blutungen aus der Art. bulbosa, den Art. prostaticis und aus den Art. peri- naei, in Folge welcher die Kranken nicht selten ihren Geist aufgeben. J. sieht vorztigsw'cisc die zu raschen Bewegun¬ gen des Kranken im Bette, so wie die Abwaschungen mit lauwarmem Wasser (?), als die Ursachen dieser gefähr¬ lichen llämorrhagicen an. Ist die äufsere Wunde schon ge¬ schlossen, so dafs das Blut durch die Wundränder nicht mehr abflielsen kann, so bezeichnen ein eigenthümliches Gefühl von Wärme um den Blasenhals, ein Blutharnen, eine Auftreibung der Regio hypogastrica , Schmerzen am Ende des Penis, Ohnmächten, ein Gefühl von Kälte die innere Blutung. Die dagegen versuchten Mittel, als: Ad¬ stringentia, die l nterbiodung, die (Kauterisation und die (Kompression werden oft erfolglos angewandt, und lassen sich oft gar nicht in Anwendung bringen. Jobert em¬ pfiehlt, die Uompression mit einem Stück Feuerschwamm

XI. Chirurgische und geburtshilfliche Notizen. 343

*

vorzunehmen, das mit Hülfe eines gefensterten Röhrchens auf das blutende Gefäfs gebracht und erhalten werden mufs. (Gewifs noch immer ein unsicheres, schwer durchzuführen¬ des Verfahren.) (Nouv. Bibi. 1827. 5.)

10. Doucet in New-York theilt drei Fälle von Tris¬ mus traumaticus mit, wo die kalten Douchen einen ent¬ schiedenen Nutzen hatten. Gleich nach der ersten kräfti¬ gen Anwendung derselben empfanden die Kranken einen auffallenden Nachlafs der Erscheinungen, und eine drei- bis viermalige Wiederholung derselben reichte hin, die Krank¬ heit für immer zu beseitigen. (? Ebend. 1828. 3.)

11. Bekanntlich hat schon Ambrosius Pare wie¬ derholt die Bleiplatten zur Heilung atonischer Geschwüre versucht, ln neuerer Zeit war es Re veil le Parise, der der Pariser Academie de med. eine Abhandlung über die Resultate vorlegte, welche er von dem Bedecken einer fri¬ schen Wunde mit einer Bleiplatte gesehen. Ivan und Meron haben eine Menge atonischer Geschwüre, die jeder andern Behandlung widerstanden, durch das Auflegen einer dünnen Bleiplatte geheilt, die täglich weggenommen und nach Reinigung der Wunde wieder aufgelegt und mit Hülfe einer Binde befestigt wurde. Sechs bis acht Wochen pfleg¬ ten zur gänzlichen Heilung eines Geschwürs, selbst wenn es callöse Ränder hatte, hinreichend zu sein. Silber-, Gold- und Zinnplättchen zeigten sich nicht minder wirksam, ein Beweis, dafs man den Erfolg dieses Verfahrens nicht den chemischen Eigenschaften des Bleies zuschreiben darf. (Ar- chives generales. 1828. 5.)

12. Dupuytren unterband im Jahre 1816 bei einem 45jährigen Exmilitär die Arteria iliaca externa wegen eines Aneurysma von der Gröfse einer Birne, das in Folge einer heftigen Körperanstrengung entstanden war und sich vier Zoll unter den Schaambogen erstreckte. Er machte zu

23 *

344 XI. Chirurgische und geburtshilfliche Notizen.

diesem Zwecke einen Einschnitt, der über der Spina supe- rior anterior ossis ilei anfing und sich bis zum äulscrsten linde des Baucbrings erstreckte, die Blofslegung der Arterie gelang nicht ohne Mühe, eben so die Unterbindung, die mit Hülfe einer llohlsonde und einer g^ofsen Nadel bewerk¬ stelligt ward, wahrend ein Gehülfe von Zeit zu Zeit die Aorta descendens cömprimirte. Die Ligatur fiel am 1 fiten Tage ab, am 23sten entstand eine Hämorrhagie, die durch Compression der herabsteigenden Aorta beseitigt wurde. Der Kranke war nach 11 Jahren vollkommen wohl, (Eben- das. 1827. 6.)

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13. Mathias Major schlägt die Entfernung des krebs¬ artigen Muttermundes mit Hülfe der Unterbindung vor. Das Verfahren und die hierbei nüthigen Instrumente sind so zu sagen dieselben, deren man sich zur Beseitigung eines Mutterpolvpen zu bedienen pflegt. Bcrücksichtigensw erth erscheint dieses Verfahren besonders in sofern, als der Ope¬ rateur des Herabziehens der Gebärmutter in die Vulva überhoben ist, und keinen ßlutlluls befürchten darf. (Eben¬ das. 1828. 1.)

11. Beobachtung einer glücklichen Entbindung mit¬ telst eioer Sectio perinaei, von H. Krieger Schumer, Chirurg und Geburtshelfer zu Amsterdam.

Wie einfach die Operation bei dieser Entbindung auch scheinen mag, so entschlofs ich mich doch auf dringendes Ersuchen einiger meiner Kunstgenossen, dieselbe bekannt zu machen, indem sie, so viel mir-bekannt, auf diese Weise noch nie verrichtet worden ist.

Die Frau, an welcher ich diese Operation zu machen genüthigt war, wurde als Kind in einem Alter von drei Jahren von einem Scharlachfieber ergriffen, das plötzlich metastatisch verschwand, so dafs eine heftige Entzündung entstand, die schnell in Gangrän überging, und den Ver¬ lust der Labia, Nymphae, Clitoris , des ganzen Mons vene-

XI. Chirurgische und geburtshilfliche Notizen. 345

ris, des Hymen und eines 3 heiles der Vagina verursachte. Hie Zerstörung ging so weit, dafs man den Arcus pubis ganz entblöfst liegen sah.

Nach einem schrecklichen Leiden, wovon man nur ein übeles Ende vermuihete, hatte Hr. Chirurgus van Aal de¬ ren, unter dessen Behandlung sie sich befand, das Glück, diese unglückliche Dulderin zu heilen, doch so, dafs sich statt der verlorenen Theile eine sehr feste und zusammen- gezogene Masse bildete, in deren Mitte man eine runde Oeffnung fand, welche durch Wieken offen gehalten wurde, und der übrig gebliebene 3 heil der Vagina war. - Diese Oeffnung hatte den Umfang eines holländischen Guldens, war von einem dicken Rande umgeben, und konnte auf keine Weise ausgedehnt werden.

Obschon die Frau von einer schwachen und empfind¬ lichen Constitution war, so genofs sie nach ihrer Genesung doch eine ziemlich gute Gesundheit, und heirathete in ihrem 23sten Jahre.

Nach ihrer Heirath zeigten sich ihre Regeln nur noch einmal, worauf sie dann schwanger wurde.

Ihre Schwangerschaft verlief, unbedeutende Ungemäch¬ lichkeiten abgerechnet, ziemlich regelmäfsig bis zum 17. März dieses Jahres, wo sich in der Nacht die ersten Wehen zeigten.

Morgens um 6 Uhr wurde ich ersucht, ihn zu Hülfe zu kommen, und fand bei der Untersuchung den oben be¬ schriebenen Zustand der äufseren Zeugungstheile. Der Ge- bärmutterrnund war ungefähr in der Gröfse eines kleinen Zolles geöffnet, und während der Schmerzen bemerkte ich, dafs die Häute sich trennten und der Kopf andrang.

Ich beruhigte sie und versprach, gegen 8 Uhr zurück¬ zukommen; in dieser Zwischenzeit ging die Arbeit regel¬ mäfsig ihren Gang, so dafs bei meiner Zurückkunft die Eröffnung beinahe vollkommen war; ungefähr halb 11 Uhr

brachen die Haute, und der Kindeskopf drang auf das Pe-

...

rinaum an.

34t) XI. Chirurgische und gebnrtshnlfliche Notizen.

Ich * hoffte . noch immer, dafs die Oeffnung oder der handartige King, vor welchem der Kopf sich jetzt befand und wodurch die Kopfhaut etwas geschwollen hervorragte, durch die starken Wehen, welche kurz auf einander folg¬ ten, sich ausdehnen sollte; doch hierin wurde ich ganz ge¬ täuscht, so dafs ich mit Wahrheit bezeugen kann, dafs, bevor ich mich zur Operation entschlofs, diese Oeffnung keine zwei Linien im Umfange weiter geworden war.

I)a die W eben heftig fortdauerten, die Frau geduldig war, und die Kräfte nicht sehr abnahmen, so liefs ich sie auf diese Art, immer noch in der Hoffnung eines guten Erfolges, bis zwei Uhr Nachmittags fortarbeiten, wo sie mich ersuchte, ihr zu helfen, und ich auch überzeugt wurde, dafs von der Natur allein nichts zu erwarten stand.

Ich beschlofs daher, das Perinäum mit dem Messer zu durchschneiden , wählte dazu das geknöpfte Bistourie von Pott, und bediente mich dessen auf die folgende Weise:

Während die Frau auf ihrer linken Seite lag, stellte ich mich vor das Bett an das Fufsende, führte den vor¬ dersten Finger meiner rechten Hand zwischen dem Kindes¬ kopfe und dem Perinäum ein, nahm das Bistouri in die linke Hand, und leitete es auf dem in der Vagina befind¬ lichen Finger, mit der Schneide dem Perinäum zugekehrt, ein, wartete eine Wehe ab, worauf ich während derselben einen senkrechten Einschnitt machte, in der Richtung nach dem Anus, in der Länge eines grofsen Zolles.

Zum Leiter dieses Einschnittes nahm ich meinen Fin¬ ger, um mich versichern zu können, nichts anderes, als was ich wollte, zu durchschneiden ; hierauf zog ich Finger und Bistouri zurück, in der Hoffnung, dafs das Perinäum auf diesen Einschnitt sich ferner erweitern sollte, doch ich wartete hierauf vergebens; es spannte sich wie Pergament, aber an Ausdehnung war nicht zu denken.

Ich beschlofs daher, einen zweiten ähnlichen Ein¬ schnitt zu machen, der auch eben so gut als der erste glückte, und wovon die Frau auch nicht das mindeste

XI. Chirurgische und geburtshülfliche Notizen. 347

gefühlt zu haben mich versicherte, was sich auch wohl aus der einfachen Organisation und Gefühllosigkeit der Narbe, welche Gefühllosigkeit durch die starke Spannung noch um vieles vermehrt wurde, erklären läfst. Dieser zweite Ein¬ schnitt, in derselben Richtung als der erste, wurde bis auf den Abstand eines halben Zolles vom Anus fortgeführt.

Jetzt hoffte ich wiederum, dafs die Kraft der Wehen den Widerstand überwinden sollte, und hierin wurde ich nicht betrogen; denn bald nachher drang der Kopf regei- mäfsig durch, und die Frau gebar einen lebenden Sohn.

Die Placenta folgte bald, und die Frau genas völlig ohne Nath, so dafs ich sie nach drei Wochen verliefs, wo der Einschnitt völlig geheilt war, und die Frau ohne Hin¬ derung schon einige häusliche Geschäfte verrichtete. (Ge- neeskundige Bydragen. Deel II. St. 1. 1827.)

15. Pre is- Abhandlung, gekrönt von der Gesellschaft zur Beförderung der Chirurgie zu Amsterdam. Theil VII. Stück II. Amsterdam, bei R. J. Berntrop. 1827. 8. f

In dem Programm des Jahres 1825 gab genannte Ge¬ sellschaft folgende Fragen zur Beantwortung auf: « Welches ist die Ursache der gewöhnlichen unregelmäfsigen Wehen bei schlecht geformtem Becken?" «Was ist ihr eigen^ thümliches Kennzeichen?" «Sind sie unter den gegebenen Umständen behiilflich oder nachtheilig zur möglichen Be¬ förderung der Geburt einer lebenden Frucht?"

II r. Prof, van Solingen hat diese Fragen seiner wür¬ dig beantwortet, und den Preis erhalten. Er untersucht in der Einleitung die nächste Ursache der Geburt, spricht als¬ dann über die regelmäfsigen Wehen im Allgemeinen, und über die unregelmäfsigen bei wohlgeformtem Becken, und endlich über die unregelmäfsigen Wehen bei Frauen, deren Becken schlecht geformt ist.

v. S. glaubt, dafs die nächste Ursache der Geburt in einem gänzlichen Verschwinden der Stützpunkte, die wäh¬ rend der Schwangerschaft die Frucht hielten, zu suchen sei,

348 XI. Chirurgische und geburtsliulfliche Notizen.

und bemerkt, dafs bis jetzt weder Analogie, noch Experi¬ mente eine "Wirkung der Nervenkraft bei den regelmäfsi- gen Wehen dargethan haben. Er erklärt diese auf fol¬ gende Weise: Die Zusammenzieljungen der Fasern der Gebärmutter (die Wehen), verstärkt durch das Prelum abdominale und durch die anderen bekannten Ursachen, werden durch den Stimulus der Frucht erregt; sie hören auf und setzen aus in Folge der Erschöpfung, und sie wer¬ den endlich austreibend durch die Entfernung der Stütz- punkte, die während der Schwangerschaft die Frucht hiel¬ ten, während der sic begleitende Schmerz durch die Span¬ nung der aponeurotischen Auftreibungen, welche die Sym- pbyses sacro-iliacae bekleiden, verursacht wird (??). Hierin können wir dem Yerf. nicht beistimmen, da im Anfänge der Arbeit der Sitz des Lendenschmerzes viel höher ist, als die genannte Stelle, in dem weiteren Fortgänge der Entbin¬ dung bei dem Durchdringen des Kopfes nämlich durch den M uttermund, und durch die oberste Enge sinkt der Schmerz erst tiefer bis zu den Sympbyses sacro-iliacae.

v. S. nimmt sechs Arten von unregelrnäfsigen Wehen bei Frauen mit wohlgebauten Decken an: 1) solche die zu stark sind, und zu schnell auf einander folgen; 2) solche, die zu langsam folgen; 3) die völlig aufhören und erst Dach einiger, bisweilen sehr langer Zeit wiederkehren;

4) die nicht wirksam, und zu wenig austreibend sind;

5) die mitten in der YVehe, oder allzuschnell nach dem Anfänge der Wehe abbrechen; und 6) endlich Schmer¬ zen, unter dem Namen der falschen Weben bekannt.

Da wir dem V crf. in das Einzelne nicht folgen können, so bemerken wir nur, dafs diese unregelrnäfsigen Wehen auch bei Frauen mit schlecht gebauten Decken Vorkommen. Aber als eine vorzügliche Ursache der unregelrnäfsigen Wehen bei mifsgestaltetem Decken betrachtet der Yerf. die Schieflage der Gebärmutter, die er in eine natürliche und nicht natürliche unterscheidet. Die erste Art von Schief¬ lage geht gewöhnlich in die zweite Art über, wenn das

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XI. Clilrnrgische und gcburtshülfliche Notizen. 349

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Becken mifsgestaltet ist, weil durch den Vorsprung der Lendenwirbel in diesem Falle der Uterus über die meist immer eingezogene vordere Wand des Beckens fällt. Man nimmt bei einem mifsgestalteten Becken unregelmäfsige We¬ ben, auch bei der gewöhnlichen und natürlichen Sc hieflage der Gebärmutter wahr, weil im ersten Falle der vordere Rand derselben zwischen dem Kopfe und dem vorderen Rande der oberen Enge eingeklemmt wird, wodurch der Uterus auf dieser Seite seine Kraft nicht ausüben kann. Eine zweite Ursache der Unregelmäfsigkeit der Wehen liegt in dem Aufschwellen (meist durch Blut) und Dickbleiben der auf diese Weise eingeklemmten vorderen Wand der Gebär¬ mutter. Da die Wehen jetzt nur durch die bihtere Wand der Gebärmutter bewirkt werden, so wird der Kopf nicht mit dem kleinsten Umfange in das Becken getrieben. Ist die Verengerung grofs, dann verwendet die Natur ihre Kräfte ganz fruchtlos, welches dann eine dritte Ursache der Unregelmäfsigkeit der Wehen abgiebt; und endlich viertens wird das Nervenvermögen so durch die genannten Ursachen erschöpft, dafs die Arbeit bisweilen während Stunden und Tagen ganz aufhört. Findet dieses alles bei einer natür¬ lichen Schieflage der Gebärmutter bei engerem Becken statt, so müssen die genannten Unregelmäfsigkeiten der Wehen bei einer nicht natürlichen Schieflage um so stär¬ ker sein.

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Die Antwort auf den ersten Theil der Frage: Welches ist die Ursache der unregelmäfsigen Wehen bei engem oder mifsgestaltetem Becken? liegt zum Theil in dem Forherge- gangenen. Die Verengerung nämlich des Beckens selbst, ist die vorzüglichste Ursache der unregelmäfsigen Wehen.

Die Verengerung hindert den Kopf, in und durch das Becken zu treten; die Zusammenziehungen des Uterus sind fruchtlos, die Wehen werden verhindert ihre Wirkung bis auf den Muttermund auszudehnen; dieser kann dadurch nicht gehörig geöffnet werden, und unterdessen wird die Nerven- kraft der Gebärmutter erschöpft, welches als die Ursache

350 XI. Chirurgische und geburtshilfliche Notizen.

des endlichen gänzlichen Aufhörens der Wehen betrachtet werden rnufs. Alles dieses ist wiederum die Ursache man¬ nigfaltiger Zufälle, deren erste Ursache in der Klemmung des Uterus zwischen dem Kopfe und Becken zu finden ist.

Die eigenth lim liehen Kennzeichen der unregelmäfsi^en Wehen bei engem und mifsgestalletcm Becken, die den zweiten Theil der Frage ausmachen, sind folgende: Zuerst sinkt die Gebärmutter vom Anfänge der .\rbeit an, nicht oder nur sehr wenig in das Becken hinein. ( Dieses kommt Bef. dunkel vor, denn dadurch würde die vorzüglichste Ursache der Unregelmäßigkeit der Wehen Wegfällen, näm¬ lich die Einklemmung des Uterus zwischen Jvopf und Becken.) Ferner wird die 5 agina weder wie hei wohlgestaltetem Be¬ cken erweitert, noch bemerkt man auch jlcn gewöhnlichen blutigen Schleim. Drittens verbreiten sich die Wehen nicht, oder sehr spät in die Leisten, Hinterbacken und Glied- maafsen, sondern bleiben auf die Lenden beschränkt. Und viertens ist ein vorzügliches Kennzeichen der hohe Stand des Os uteri. Genannte Kennzeichen zusammengenommen, machen das Diagnosticum aus. Doch das wichtigste Kenn¬ zeichen ist der unregelmäfsige Verlauf der Wehen seihst, da sie gewöhnlich endlich mit einer Ohnmacht endigen, und die gefährlichsten Folgen für Mutter und Kind fürchten lassen.

Der dritte Theil der Frage verlangt: eine Angabe der günstigen oder nachtheiiigen Folgen der unz weckmäfsiger^ Wehen. Diese setzt der Verf. theils in Störungen der Ner¬ ven wirkung, uud theils in die l uordnung in dem Laufe der Flüssigkeiten, welche beide Umstände nicht allein für das Leben der Frucht, sondern auch für die Mutter höchst gefährlich sind.

Schnell tödtlich für Mutter, und meist auch zugleich für die Frucht, sind die empfindlichen Wehen , wobei die Gebärmutter so durch ihre Zusammenziehungen überspannt wird, dafs dieselbe, ihrer Eiasticität beraubt, zu jeder wei-

XI. Chirurgische und geburtshilfliche Notizen. 351

teren Wirkung gänzlich unvermögend ist; die Folge davon ist der Tod durch heftige Blutung.

Bisweilen sind die gewaltigsten Beleidigungen des Ute¬ rus, durch Druck, Congestion und Entzündung verursacht, Folgen dieser unregelmäfsigen Wehen, ja bisweilen Zer- reifsung dieses Eingeweides. Andere Nachtheile fliefsen aus derselben Quelle, als: theilweise Abstofsung der Placenta, Druck des ganzen Körpers der Frucht, oder des Nabel¬ strangs, welches wiederum das Leben der Frucht in Ge¬ fahr setzt. Nicht weniger auffallend sind die Nachtheile, welche ein entzündeter Uterus auf die Ernährung des Kin¬ des ausübt, aber am meisten wird noch das Leben der Frucht gefährdet durch die heftige Quetschung des Kopfes gegen das Becken, deren Folge ein apoplectischer Tod ist.

Zuweilen sind die Folgen nicht immer so unglücklich, im Gegentheile haben regelmäfsige Wehen bei mifsgestal- tetem Becken auch ihre Yortheile. Der erste \ ortheil der Wehen ist ihre lange Dauer, die in Intermissionen auf hö¬ ren, so dafs die erschöpfte Nervenkraft der Frau zum Theii erneut, und das Leben der Frucht verlängert wird. Hier¬ durch gewinnt die Natur zugleich Zeit, um den Kopf zu mouliren, und die Kunst bekommt Gelegenheit, es sei durch Blutentleerungen , abspannende oder andere nützliche Mittel, luilfreich sein zu können.

Ein anderer Vortheil ist die Eigentümlichkeit der un¬ regelmäfsigen Wehen, wodurch der Geburtshelfer in Stand gesetzt wird, seine Behandlung zu regeln, und den rechten Zeitpunkt zu bestimmen, wenn er kunstmäfsig die Entbin¬ dung verrichten mufs, oder, wenn er Zeit habe, dieselbe der Natur zu überlassen.

352

XII. Augcniirztliche Schriften.

xn. .

Auge n ärztliche Schriften.

1. Scriptores ophthalmologici minores. Volumen secundum. Edidit Justus Radius, Phil. Med. et Chir. Dr. in Acad. Lipsiensi, Med. P. P. E. Orphanotrophci et Lrgast. St. Georgii Chirurgus, Soc. Nat. ('ur. Lipsi'ens. Rihl ioth. Acad. Caesar. Carol. Leopoldin. Societ. med. Londin. et infra Rhenanae, Linneanae Paris. Histor. nat. Oslerland, et Erancofurth. Rotanic. Ratisbon. nec non Oeconom. Lipsiens. et Marchicae Sodalis. C. Tab. aen. II. Lipsiae, sumt. Leopoldi Vossii. 1828. 8. 216 S. (I Thlr. 8 Gr.)

"N on der mit gebührender Anerkennung in diesen An¬ nalen (Mai 1827) erwähnten Sammlung der Scriptores ophthalmol. min., hat Rec. das Vergnügen, den zweiten Rand hiermit anzuzeigen. Derselbe enthält folgende vier treffliche ophthalmologische Arbeiten: 1) Tourtual l)e mentis circa visum efficacia. (Es ist dieses eine sehr ver¬ mehrte und verbesserte Ueberarbeitung der vom Vcrf. im Jahre 1823 unter demselben Titel in Rerlin herausgegebe¬ nen Inauguraldissertation, in der mit grofser Relesenheit und vielem Scharfsinne dieser für die Anthropologie und Physiologie wichtige Gegenstand abgehandelt wird. 2) Phil, a Walther Praecepta et monita de fistula et polvpo sacci la^rymalis. (Diese für die Augenheilkunde wichtige Ab¬ handlung eines unserer ersten Meister ist hier nicht blofs nach der zuerst in Rerlin 1822 von Hubert Neifs her¬ ausgegebenen Inauguraldissertation abgedruckt, sondern von dem berühmten \ erf. durchgesehen und vermehrt. Die VV ahl dieses Gegenstandes hält Ref. für sehr glücklich, da v. V alther’s Rekanntmachungen immer Rercichcrungcn der Wissenschaft sind.) 3) M. G. Martini (jetzt Director

«

353

*

i *

XII. Angenärztliche Schriften.

der Irrenanstalt in Leibus in Schlesien) De fili sericei usu in quibusdam viarum lacrymalium uiorbis. (In dieser treff¬ lichen Abhandlung wird der von Dr. Schmalz in Pirna vielfach erprobte Nutzen des seidenen Fadens bei Blennor- rhöen des Thränensackes u. s. w. als Setaceum durch den geöffneten Thränensack und den Nasenkanal vermittelst einer eigenen sehr zweckmäfsigen Vorrichtung geführt, näher beschrieben. Die Sache ist zu wichtig, um nicht die Auf¬ merksamkeit aller der Aerzte, die sich mit der Operativ¬ chirurgie beschäftigen, zu verdienen. Auch die Wahl die¬ ser Dissertation ist sehr zu billigen.) 4) A. F. Schhiidt,

De Trichiasi et Entropio. (Diese wichtige Streitschrift er¬ schien im Jahre 1823 in Berlin. Sie bespricht einen Ge¬ genstand der Augenheilkunde, um den v. Gräfe, grofse Verdienste hat, mit Gründlichkeit und Umsicht.) Und so hätten wir denn in diesem Bande drei wichtige praktische Abhandlungen, an denen drei der gröfsten deutschen Augen¬ ärzte, v. Walther, v. Gräfe und Schmalz wichtigen Antheil haben , und endlich die Abhandlung eines Mannes, der in jugendlicher Kraft neben einem Müller, Purkinje, Treviranus u. s. w. das Gebiet der vergleichenden Phy¬ siologie der Sinne mit grofsem Scharfsinne und lleifse be¬ arbeitet. Wer würde demnach die Wahl des Herausgebers nicht gut heifsen? Sein Name, wie der des Verlegers, bür¬ gen für eine schnelle Fortsetzung dieses löblichen Unter¬ nehmens! Papier und Kupfertafeln lassen nichts zu wün¬ schen übrig; auch erleichtert ein sehr genauer Index den Gebrauch des Werkes.

Sollte Rec. noch einen Wunsch aussprechen, so wäre es der, dafs der Hr. Herausgeber hauptsächlich die kleinen Schriften berücksichtigen möchte, welche die, leider noch sehr in der Wiege liegende, pathologische Anatomie des A Auges betreffen! Auch dürften ophthalmologische Schriften des Auslandes, z. B. C. Appiani De Phaco hymenitide,

Paviae 1824, die Aufmerksamkeit des Verf. verdienen. Er fürchtet um so weniger von dem Herausgeber hierdurch

354 XII. Augenärztliche Schriften.

mifsverstanden zu werden, je freundlicher der letztere die von ihm in der Anzeige des ersten Bandes gemachten Vor¬ schläge in der Vorrede zum vorliegenden Bande prüft, hofft vielmehr, ohne mit demselben über die dort gegebenen Gegengriindc zu rechten, eine baldige Erfüllung seines 'V unsches, den mit ihm viele seiner Collegen theilen !

v. Ammon,

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2. Der Rathgeber für die Erhaltung der Augen. Gebildeten Nichtarzten gewidmet von C. Petit pierre, Opticus Sr. Majestät des Königs, academischem Künstler, und Mechanicus zu Berlin. Mit einer Vorrede von Dr. C. A. F. Kluge, Königl. Geheimen Medicinalrath, und Professor. Nebst drei Kupfertafeln in Querfolio. Ber¬ lin, bei A. Hirschwald. 1828. 8. XIV u. 138 S. (Ui Gr.)

Die nächste Veranlassung dieser zeitgeiuäfsen Abhand¬ lung fand der llr. Verf. darin, dafs er fast täglich Personen Rath ertheilen mufste, die sich bei der Wahl eines zvveck- mäfsigen Augenglases an ihn wandten. Zu gleichem Zwecke wollte er den Personen nützlich werden, die ohne Brillen u. s. vf. ihre fehlerfreien Augen zu erhalten wünschten. Aerzte, die sich viel mit Augenkrankheiten und deren Hei¬ lung beschäftigen, und Physiker, finden freilich wohl nur das Bekannte; allein es giebt doch viele Aerzte, denen Kenntnisse dieser Art, die sie häufig für zu trivial halten, abgehen, und oft Augenkranken ebenfalls Rath ertheilen sollen, für diese wird die Schrift ein willkommener Leit-

4

faden sein, den Rec. mit voller Uebcrzeugung empfehlen kann. Die Schrift wurde vom ^ erf. in französischer Sprache geschrieben, und vom llrn. Dr. S ie d in ogr o d z k i lliefsend übersetzt.

Rec. wird einiges aus der Schrift unsern Lesern mit¬ theilen.

355

XII. Augenärztliche Schriften.

Die Abhandlung zerfallt in vier Abschnitte. Der erste enthält die einzelnen Lehren aus der ph ysica li¬ sch en Betrachtung des Lichtes, so wie dieses mit dem Sehen in näherem Bezüge steht, und die anatomi¬ sche und physiologische Beschreibung des Auges und seiner Nachbargebilde. Beides können wir, da es nur das Bekannte dieser Lehren, aus angegebenen Schrif¬ ten gut zusammengestellt, enthält, übergehen.

Der zweite Abschnitt giebt die Lehre von den fehlerhaften Zuständen des Auges, und deren Ursachen. Eine der wichtigsten Schädlichkeiten, die das Auge in optischer Hinsicht betrifft, ist die unzweckmäfsige Einwirkung des Lichtes. Auch der fehlerhafte Gebrauch der Augen, durch Angewöhnung alle Gegenstände nur in der Nähe, oder nur nur in der Ferne zu besehen; ein Auge vorzugsweise zu gebrauchen; der Mifsbrauch der Augen¬ gläser, der seit längerer Zeit zur Mode geworden zu sein scheint, gehört zu den Ursachen, welche fehlerhafte Zustände der Augen hervorrufen, die den Gebrauch eines Glases erfordern. Zu ihnen rechnet der Verfasser: 1) Presbyopia, die Weitsichtigkeit. Kleine Gegenstände müssen sich über 18 Zoll vom Auge entfernt befinden, um deutlich gesehen zu werden. (Die Sehweite (Horopter) eines gesunden Auges nimmt man *zu 12 bis 18 Zoll an.) Weitsichtig sind fast alle Alten, vorzüglich aber die am grauen Staare Operirten (wenn sie nicht früher kurzsichtig waren. Bec. ). 2) Myopia. Kurzsichtige können nur dann

kleine Gegenstände deutlich sehen, wenn sie ihnen näher als 12 Zoll vor die Augen gebracht sind. Meistens zeich¬ nen sich die Augen derselben durch bedeutende Wölbung und Fülle aus. 3) Strabismus. Mit dem Schielen soll gewöhnlich noch Doppeltsehen verbunden sein, welches sich aber nach Bec. selten findet, und bist immer ein be¬ deutendes Hirnleiden anzuzeigen pflegt. 4) Das un¬

gleiche Brechungsvermögen beider Augen. Zu¬ weilen ist das eine Auge ganz gesund, zuweilen beide weit-

356

XII. Augeniirztliche Schriften.

sichtig oder kurzsichtig, aber nur in verschiedenen Graden, oder das eine ist kurz-, das andere weitsichtig. 5) Pho- tophobia. Hierher gehört nur die Lichtscheu der Albi- iio’s. Auch die fehlerhaften Zustände der Augen, wo die Anwendung der Brillen entweder unnütz oder gar schädlich ist, führt der \ erfasser mit einer kurzen Beschrei¬ bung derselben auf. Sie sind: Amblyopia, Arnaurosis, Ile- miopia, Myodesopsia, Nyctalopia, Hemeralopia, Cataracta, Glaucoma, Obscuratio Corneae, Pannus (Pterygium), Oph¬ thalmitis.

Der dritte Abschnitt enthält die Augenpflege. In der allgemeinen Augendiätetik warnt P. vor dem zu vielen Lichte, und schlägt bei den Arbeiten in dem¬ selben einen grofsen, leichten, grünen, seidenen Augen- schirm vor. Schädlich ist aber auch den Augen das zu wenige Licht (Arbeiten in der Dämmerung), die ungleich- mäfsige Vertheilung des Lichts (hierin wird am meisten gefehlt, und viele sind schon durch Schirmlampen erblin¬ det. Nie dar! der Schirm das Licht ganz umgeben. Am besten ist ein Schirm, der nur ein Secbstheil oderein Vier¬ tel der Lampe umgiebt, von grünem Tafft), schnelle Abwechselungen verschiedener Lichtgrade; grelle (beson¬ ders beleuchtete) Farben, und die Beleuchtung von unten. Zuträglich ist dem Auge eine reine, mäfsig warme, tro¬ ckene, nicht stark bewegte Luft. Gegen feinen Staub hilft nichts besser, als das öftere Auswaschen der Augen. Aber auch vielseitige Ausbildung der Augen, und Mäfsigkeit im Gebrauche, erfordert die Erhaltung derselben. Diäte¬ tik für schon geschwächte Augen. Der Weitsich¬ tige kann durch Uebung sein Auge noch oft verbessern. Gebraucht er aber täglich mehr Licht, um deutlich sehen können, werden seine Augen bei geringen Anstrengun¬ gen müde u. s. w. , so ist ihm eine Brille nöthig. Auch Kurzsichtige müssen sich durch Vermeidung von Be¬ schäftigungen mit kleinen Gegenständen und allmähligc Ent¬ fernung von dem Gegenstände seiner Betrachtung weit-

sich-

357

XII. Angenärztliche Schriften.

sichtiger zu machen suchen; aber bei zunehmender Licht¬ scheu, bei zu convexer Hornhaut u. s. w. sich der Brillen bedienen, da sonst die Sehkraft selbst mit leiden würde. Das Schielen ist oft nur Angewöhnung, und kann dann bei Aufmerksamkeit verbessert werden; sonst eine Schiel¬ brille. Bei Augen mit ungleichem Brechungsvermö- gen ist es oft hinreichend, durch öfteren Gebrauch des geschonten Auges, dieses zur gleichen Sehweite des andern zu bringen. Die Lichtscheu der Kakerlake erfordert immer Brillen, die das Licht milder machen.

Vierter Abschnitt. U e b e r die o p t i s c h e n H ii 1 fs - mittel beim Sehen. 1) Ueber die Instrumente zum Sehen im Allgemeinen. Der Brasilianische Kie¬ sel und der Bergkrystall sind die besten Materialien für Augengläser, doch zu theuer. Der Verfasser verarbeitet die Gläser der Neustädter Hütte, die zwischen Flint- und Kronglas in der Mitte stehen, durch Schleifen in metal¬ lenen Schalen. Schädlich sind für die Augen die gegosse¬ nen Gläser. Um diese von jenen unterscheiden zu können, theilt der Verfasser Folgendes mit: Hält man ein con¬ vexes, geschliffenes Glas in mäfsiger Entfernung vom Auge und von einem Gegenstände, z. B. einem gedruckten Blatte, so wird man durch jenes sowohl in der Mitte, als an allen Stellen gegen den Rand des Glases zu die Buch¬ staben gleich scharf, deutlich und grofs erblicken. Ist es dagegen ein gegossenes Glas, so werden die Buchstaben, durch die Stellen nach dem Rande des Glases zu gesehen, undeutlich, nicht scharf, gleichsam verwischt und von un¬ gleicher Gröfse erscheinen. Sieht man dagegen durch ein in mäfsiger Entfernuug vom Auge gehaltenes convexes, geschliffenes Glas nach einem etwas fern aufgestellten Gegenstände, z. B. einer Büste u. s. w., so erscheint die Gestalt dieses, durch die Mitte wie durch die Stellen am Rande des Glases gesehen, ganz gleich, während die Ge¬ stalt des Objects an jedem Punkte des gegossenen Gla-

24

XIII. Bd. 3. St.

358

XII. Aügenarztlichc Schriften.

scs, durch welche man es betrachtet, sich verändert und wahre Verzerrungen erleidet.

Zu den st rahlenbrechen den Brillen rechnet man nur die von concaver oder convexer Oberfläche, erste für Kurzsichtige, letzte für Weitsichtige. I m eine pafs- liche Brille zu finden, hat der V erf. eine einfache Vorrich¬ tung, um die Sehweite der Augen genau zu bestimmen. Für Auswärtige stellt er mehrere zweckmäfsige Fragen auf, die dieselben ihm bei Forderung eines passenden Augen¬ glases beantworten, und zugleich die durch einen Faden gemessene Sehweite einsenden müssen. Ueberdies halt er ein Buch, worin jeder eingetragen wird, welche Nummer der Brille, und wann er sie bekommen habe. Mufs nach längerem Tragen der Brille der zu sehende Gegenstand weiter oder näher dem Auge gebracht werden, fühlt sich das Auge nach Arbeiten mit der Brille angegriffen, erschei¬ nen die durch die Brille gesehenen Gegenstände trübe, oder zu helle, so ist es Zeit, sich ein neues Augenglas anzu¬ schaffen. Um eine gute Brille gut zu conscrviren, mufs man sie nicht mit unreinen Fingern anfassen, und nicht mit groben Tüchern oder gebrauchtem Leder abwischen. Ohne Futteral mufs man sie nie bei sich tragen, am besten ist es, wenn sie in Seide oder Ledereindrücke gelegt wer¬ den kann. Vor dem Gebrauche wischt man sie mit reinem, weichen Leder ab. ln dem Folgenden giebt der Verf. die Brillen für Schielende, und die schützenden Brillen, gegen Licht, Staub u. s. w. an. . r

Lorgnetten sind durch das Schwanken, hinsichtlich der Fntfernung und ihres Standes vor den Augen, schäd¬ lich; das nämliche gilt von dem anhaltenden Gebrauche der Lesegläser. Nach längerem Gebrauche einer Loupe lasse man das Auge sich in der freien Natur erholen. Man ge¬ brauche nie nur das eine Auge, sondern wechsele mit den Augen ab. Kurze Bemerkungen über die Theaterperspective und das einfache astronomische Fernrohr, beschliefseo die recht gut gedruckte Schrift.

XIII. Carbo animalis gegen Scirrhus u. Krebs. 359

Angehängt ist ein Verzeichnis optischer Apparate und Instrumente, welche fiir heigesetzte Preise bei dem Yerf. zu haben sind. Die Preise sind billig. So kosten z. B. ein Paar weifse convexe oder concave Gläser aus feinem Neu¬ städter Glase nur 16 Gr. Preufs. Cour. ; dagegen freilich dieselben aus brasilianischem Kiesel 5 Thlr.

JB ehr.

XIII.

Zwei Beobachtungen

v \ *

über

die Wirkung des Carbo animalis bei ange¬ hender Scirrhosität der linken Brust

und

beim offenen Nasenkrebse;

von

Dr. Friedrich August W a g n e r ,

Kreisphysicus in Schlieben.

Als mir das Werkchen über die Zurückbildung der Scirrhen und Polypen und über die Heilung der Krebsge¬ schwüre durch Carbo animalis, vQm Dr. Weise auf Kö¬ nigstein in Sachsen, 1829 *) in die Hände fiel, las ich sol¬ ches zwar mit Bedacht, konnte aber der Sache keinen son¬ derlichen Geschmack abgewinnen, noch weniger dem Mit¬ tel selbst mein Zutrauen in Hinsicht auf seine ihm zuge- schriebene Wirkungskraft schenken, wenn ich die etwani- gen chemischen Bestandtheile desselben berücksichtigte. Zu-

1) S. Bd. XIII. St. 2. S. 255. d. A.

24*

360 XIII. Carbo animalis

4

fällig hatte Ich einen Kranken, ehien Herrn R. aus Thü¬ ringen, welcher schon fünf Jahre lang am offenen Nasen¬ krebse, nicht syphilitischen Ursprungs, gelitten hatte, und wodurch ihm schon ein grofser Theil der Nase verloren gegangen war, ungeachtet er lange fruchtlos sehr bedeu¬ tende Aerztc gebraucht, und Exstirpationen mancherlei Art, ohne erwünschten Erfolg erduldet batte. Durch gewalt¬ same Aetzmittel gelang es mir zwar im verwichenen Jahre, denselben herzustellen, allein die Sache war nicht von Dauer. Gerade, als ich ihn wieder von neuem zu behan¬ deln halte, kam mir das Ruch vom Dr. W eise zu Ge¬ sicht. Wenn der Mensch in grofser Verlegenheit, und zu fallen, in Gefahr ist, ergreift er auch das letzte Rettungs- mittel, so schwach es ihm auch scheinen mag, und sucht sich daran festzuhalten. So dachte auch ich, und griff bei meinem Kranken nach dem Carbo animalis. Zu zwei Gran früh und Abends gegeben, und später noch urn» einen Gran damit gestiegen, so wie auch äufserlich nach Vorschrift in Anwendung gebracht, schien mir derselbe anfangs vortreff¬ liche Wirkung zu thun. Der Schade reinigte sich, an allen Orten erschienen junge, gute Fleisch wärzchen; der Umfang verringerte sich, und der Eiter nahm eine bessere Re- schaffcnheit an. Lei dieser glänzenden Aussicht blieb es aber. Das Mittel noch d^ei Wochen lang fortgebraucht, veränderte nichts weiter, daher ich mich cntschlofs, das . Acidum sulphuricum concentratum abermals stark in Anwen¬ dung zu bringen, und damit das Ganze wiederum, wie im vorigen Jahre, bis auf den Grund auszurotten; worauf, als die entzündlichen Zufälle vorüber waren, die Heilung schnell erfolgte, und jetzt nur noch eine ungeschlossene Stelle , io der Gröfse einer ganz kleinen Linse, übrig ist, hier aber die gänzliche Heilung etwas stockt.

Ob nun hierbei dem Carbo animalis die scheinbar gute' Wirkung zugeschrieben werden könne, oder ob diese zu¬ fällig eingetreten sei;’ Diefs überlasse ich dem Urtheile einsichtsvollerer Aerztc.

gegen Scirrlius und Krebs. 361

9

Der zweite Fall war folgender: Mad. S. in D., einem sehr reizbaren Wesen, einige zwanzig Jahre alt, und welche bereits dreimal entbunden worden war, wobei sie jedoch aus Mangel hervortretender Warzen, bei den ersten beiden Niederkünften, einen Versuch ihre Kinder zu stillen, nicht gemacht hatte, fiel es ein, bei der dritten Niederkunft dies zu erzwingen. Alle mögliche, auch mitunter wohl sehr kneifende und quetschende Versuche, wurden gemacht die Warzen hervorzulocken, aber vergebens. Dabei entzün¬ dete sich die linke Brust mächtig, und es fieberte die S. bedeutend.

Man erwartete Vereiterung und wandte dabei eine Menge, bald zweck-, bald unzweckmäfsiger Mittel an. So vergingen viele Wochen; die Entzündung verschwand, und die Brust vereiterte nicht, sondern bildete einen steinhar¬ ten, bergigen Körper, welcher die andere Brust an Gröfse einmal überstieg. Später öffnete sich zwar eine kleine Stelle an derselben, aber nur oberflächlich, und es lief, statt Eiter, eine gelbe, wässerige Feuchtigkeit heraus. Auch diese Wunde schlofs sich bald, und statt dafs die Brust dadurch weicher und kleiner werden sollte, nahm sie an Härte und Gröfse zu. Schmerz hatte die Kranke nun nicht mehr. Die Drüsen unter der linken Achsel waren dabei noch von Anschwellung frei, und in der anscheinend völlig scirrhüsen Brust, wurde nicht über einzelne, feine Stiche geklagt. Ein Arzt im Orte, ein sehr würdiger, erfahrener und der Sache gewachsener Mann, verliefs jetzt aus Grün¬ den, die mir nicht genau bekannt geworden sind, wohl aber in der Reizbarkeit der Kranken mehr, als in der Empfindlichkeit des Arztes zu suchen sein mochten, die Kranke. Man vertraute sich daselbst einem jüngeren, aber ebenfalls sehr geschickten Manne an, der auch einige Wochen lang alle seine Kräfte auf bot, um die bergige, aber ganz verhärtete Brust zu zertheilen, und liefs auch den gewöhnlichen alten Schlendrian, die Cicuta nicht un¬ versucht, aber vergebens. Jetzt wurde ich abermals hinzu-

362

XIII. Carbo animalU

gerufen, wie dies schon mehrere Wochen früher einmal der Fall gewesen war, und ich fand die llrust, wie ich sie oben geschildert habe, und nach meiner Ansicht völlig scirrhös. Obgleich die Achseldrüsen noch frei waren, und das eigene Gefühl in der Verhärtung noch fehlte, welches allen völlig krcbshaflen Scirrhen eigen sein soll, so stellte ich mir doch kein gutes Prognosticon. Die Kranke litt bedeutend am Schleichfieber, war sehr niedergeschlagen, und ahncte nichts Gutes, weshalb auch gewifs die traurigste Vorstellung ihren Geist niederdrückte. Dabei fand eine kaum zu schildernde F.rregbarkeit statt, so dafs auch die unbedeutendste Kleinigkeit das Gemiith derselben aufregte und zur Alteration Veranlasung gab. Im Ganzen mochte der sehr bedenkliche, übele Zustand 10 bis 12 Wochen ge¬ dauert haben.

Ob mir die Sache gleich höchst bedenklich schien, und mir gerade nicht wohl dabei zu Mutbe war, so suchte ich dennoch ihre ganz gesunkene Geisteskraft aufzurichten, und den Nerven dadurch eine bessere Stimmung zu geben, dafs ich, gegen meine Ueberzeugung, ihr das Leiden ganz un¬ bedeutend, und dafs es leicht zu heilen sei, vorstellte. Dies gelang mir, allem Anschein nach, sehr gut, wozu der Umstand beitrug, dafs die Patientin ein unbegräoztes Zu¬ trauen zu mir zu haben schien.

Jetzt wandte ich mich zu deren Hausarzt, und erfuhr, dafs dieser seine Pflicht in vollem Maafse getban, und mir nichts übrig gelassen hatte, als zur Jodine zu greifen. Dies spitzige Messer aber bei einem so übertrieben reizbaren, schwächlichen und abgemagerten, schon am Schleichfieber leidenden Körper anzuwenden, war mir gleichwohl sehr bedenklich. Ich schlug daher zuvörderst einen Versuch mit dem innerlichen Gebrauche des Carbo animalis vor, welches mein Herr College auch einging, ob ihm gleich dies Mittel noch unbekannt war. Da man nicht verlangen konnte, dafs es schon in der Orts- Apotheke getroffen wurde, ob ich es gleich in den beiden llaupt- Apotheken

363

gegen Scirrhus und Krebs.

meines Kreises bereits eingeführt hatte, so schickte ich die Vorschrift zur richtigen Anfertigung dahin, worauf es auch in der dasigen Officin sofort bereitet wurde. Jetzt bekam die Kranke Morgens und Abends zwei Gran mit Zucker abgerieben. Da nach vierzehntägigem Gebrauche noch keine sonderliche Einwirkung auf die kranke Brust statt fand, so stieg der Hausarzt mit meinem \ orwissen und meiner Zu¬ stimmung bis auf drei Gran. Nun kamen schnell bedeu¬ tende Veränderungen zu Tage; die Verhärtung zertheilte sich mit jedem Tage mehr, wobei bald Frohsinn, Efslust, Verdauungskraft und Zunahme des Körpers täglich sichtba¬ rer wurden. Jetzt, da nun dies Mittel vier Wochen lang gebraucht ist, findet sich eine Brust der andern im Um¬ fange und an Weichheit fast gleich, und es ist keine Scir- rhosität mehr in derselben wahrzunehmen.

Ob nun gleich i.die Naturkraft oft viel thut, und bei dergleichen Beobachtungen nicht selten irre führt, welches auch hier ein möglicher Fall sein konnte, und daher noch nicht mit aller Bestimmtheit festzustellen war, dafs schon krebsartiger Scirrhus hier wirklich statt fand; so geht, nach meiner Ansicht, doch so viel aus diesen meinen Beobach¬ tungen hervor, dafs dieses Mittel einige Aufmerksamkeit verdient, und anderweitige Versuche damit angestellt wer¬ den sollten, zumal es ohne grofse Vorsicht, und ohne alle Gefahr, bei jedem Körper in Anwendung kommen kann. Auch dürfte dieses Mittel noch um so mehr zu empfehlen sein, da überhaupt mit der Jodine schon viel Schaden an¬ gerichtet worden ist, und die Frage entsteht, ob der Nach¬ theil, der oft verborgen bleibt, den Nutzen bis jetzt nicht übersteigt? Die Jodine kann auch nicht bei allen Naturen, und bei jedem Körper, angewandt werden, so vortrefflich sie sich auch in der Wirkung, hier und da in Zurückbil¬ dung der Scirrhen schon gezeigt haben mag, und alle son¬ stige frühere, uns zu diesem Zweck bekannt gewordene Mittel die Probe nicht gehalten haben.

364

XIV. Dissertationen.

XIV.

D issertat

o li c n .

I. Der Universität Leipzig.

Observationes quaed am de Nosocomio militari Methenensi ac praecipuis, qui in ipso (hoc) ob- vii fuerunt, morbis, quas pro impetrandis summis in medicina et chirurgia honoribus facultatis medicae Lipsien- sis indultu d. Hl. mens. Octobr. A. R. S. 1828. publice proposuit Auctor Joannes Augustus Kduardus Bor- ipann, Dresdanus. Lipsiae. 4. pp. 22.

Diese Abhandlung macht dadurch eine grofse Ausnahme von den gewöhnlichen Inauguraldissertationen, daCs der Ver¬ fasser derselben seinen Gegenstand nicht compilatorisch und descriptiv behandelt, wozu die meisten angehenden Aerzte durch die Natur ihrer Verhältnisse gezwungen sind, son¬ dern dafs er fern von aller Büchergelehrsamkeit eine Art von nfilitärärztlichem Rapport über seine Erfahrungen in einem Hospitale Griechenlands während des griechischen Feldzugs in dem Jahre 1826 giebt. Reine Liebe zur Sache, und der Wunsch, durch seine ärztlichen Kenntnisse den Kämpfern für Griechenlands Freiheit zu nutzen, veranlafs- ten den Verf. im Jahre 1826, von Marseille aus sich nach Griechenland einzuschiffen. Er diente als Arzt bei dem Fabvierschen Corps, und übernahm dann eine Zcitlang (6 Monate hindurch), da alle Aerzte theils krank, theils abwesend waren, allein die Besorgung einer Art von Mili¬ tärhospital zu Methena, einem kleinen Dorfe auf der Halb¬ insel gleichen Namens. Die Beschreibung, welche der Vcrf. von diesem Hospitale macht, ist sehf kläglich, denn es fehlte demselben nichts mehr, als Alles. Die Kranken und Verwundeten lagen in den einzelnen Häusern, oder vielmehr Hütten vertheilt. Anfangs fehlte cs selbst an Stroh,

XIV. Dissertationen.

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um die Kranken zu lagern, bis endlich im August 1826 Leinewandsäcke aus Frankreich ankamen, die mit Stroh oder Heu gefüllt die Lager der Kranken abgeben mufsten; aufser- dem warea weder die nüthigen chirurgischen Instrumente, noch Medicamente vorhanden, an Rettungsmitteln fehlte es ebenfalls häufig; die vorhandenen Krankenwärter waren mei¬ stens unbrauchbar. Nichts destoweniger starben während der Monate September, October und November 1826 von 97 Griechen nur drei, und von dreizehn Nichtgriechen zwei; von 16 Verwundeten verloren drei das Leben. Die Praxis unter diesen Leuten war, ihrer abergläubischen Vorurtheiie wegen, sehr schwer.

In den Monaten August, September und October 1826 war die Febris inflammatoria das Hauptleiden, das die Grie¬ chen wie die Philhellenen befiel, diese aber gewöhnlich star¬ ker, als jene. Unter den hervorstechenden Symptomen war ein nicht unbedeutender Schmerz in der epigastrischen Ge¬ gend das Hauptzeichen; die übrigen Begleiter dieser Krank¬ heit waren die gewöhnlichen. Das Fieber endigte gewöhn¬ lich b ei einer nach den Umständen modificirten antiphlogi¬ stischen Behandlung am siebenten Tage. Die Pteconvales- cenz war bei strenger Diät sehr rasch. Dreiunddreifsig Kranke wurden ohne Medicin geheilt.

Das gastrische Fieber zeigte sich in den von dem Verf. beobachteten Fällen fast immer als eine entzündliche Reizung der inneren Auskleidung des Magens und der be¬ nachbarten Leber; die Behandlung ward danach antiphlo¬ gistisch eingerichtet, und der Verf. war nur sehr selten genöthigt, nach Application von Blutegeln oder nach einer Venäsection, zum Brechmittel zu schreiten. Sehr erschö¬ pfende Durchfälle, nicht selten gegen das Ende der Krank¬ heit eintretend, machten den Gebrauch des Opiums nöthig. Ausländer litten am gastrischen Fieber länger und heftiger, als die Griechen; bisweilen, jedoch selten, ging das Leiden in eine Intermittens über. Mehrere Ausländer (zwei Fran¬ zosen), die sich nicht gut hielten, und bei denen die ent-

366

XIV. Dissertationen.

zündliche Reizung der Eingeweide chronisch ward, ver¬ fielen, wahrscheinlich hei sich ausbildendcn Geschwüren auf der inneren Schleimhaut und hei sich bildenden Verhärtun¬ gen der mesenterischcn Drüsen, in einen hectischen Zustand, der sie nach mehreren Monaten hinwegraffte. Durchfälle blieben nicht selten als Reste der Krankheit zurück; meh¬ rere Ausländer, die hieran litten, verloren dieses lästige Uebef nicht eher, als bis sie in ihr Vaterland zuriickgekchrt waren. Ein sehr häufiges Leiden war in den Monaten No¬ vember und December 1826 der Rheumatismus in Folge heftiger W inde und sehr kalter Nächte, die auf heifse Tage folgten. Er trat gewöhnlich mit sehr starken Kopfschmer¬ zen, einem beschleunigten harten Pulse, grofser Hitze, hef¬ tigem Durste und nächtlicher Exacerbation auf; dabei war die Zunge schmutzig belegt, der Geschmack war bitter, öfters Durchfall, nicht selten Verstopfung. ln diesen Fällen verlangten alle Griechen, sehr an Venäsectionen gewöhnt, ein Aderlafs, und der Verfasser sah dasselbe meistens von grofsem Nutzen; ward die Ader nicht geöffnet, so erschien gewöhnlich heftiges Nasenbluten. Dabei reichte er den Tartarus emeticus in refracta dosi (gr. ij. gr. iij. Solve in Aquae font. ^ viij. Alle halbe bis ganze Stunden einen Efs- lüffel); derselbe machte in dieser Gabe sehr häufig einen, den Zustand des Kranken erleichternden gallichten Vomitus nach den ersten Efslöffeln, und führte dann sehr bald Kri¬ sen durch Schweifs und Urin herbei, so dafs die Reconva- lescenz am vierten oder siebenten Tage eintrat. Dies ge- lang seltener bei Ausländern, bei denen der acute Rheuma¬ tismus sehr leicht in einen chronischen überging, ja biswei¬ len selbst einen arthritischen Ausgang nahm, eine Krank¬ heit, der maft in Griechenland sehr selten begegnet.

Wechselfieber kamen selten unter den Soldaten vor, bei weitem häufiger unter den Einwohnern, die in Folge des Krieges allen Einflüssen der Noth und des oft rauhen Wetters ausgesetzt waren; allein später, in Folge der vie¬ len Bivouaks u. s. w., befielen sie auch viele Soldaten; die

XIV. Dissertationen. 367

*

Tertianen kamen am häufigsten vor. Der Verfasser verordn nete gewöhnlich anfangs Salmiak mit einer strengen Diät, und erst nach dem dritten oder vierten Paroxysmus, in ge¬ brochenen Gaben, 8 bis 12 Gran schwefelsaures Cinchonin, an dem es nicht fehlte, und wodurch er gewöhnlich seinen Heil zweck erreichte. Die Febris perniciosa intermittens

beobachtete der Verf. nur einmal, er sagt nicht, unter wel-

/

eben Umständen. Sehr zu bedauern ist es, dafs der Verf. seine chirurgischen Beobachtungen gänzlich mit Stillschwei¬ gen übergeht.

II. Der Universität Berlin.

72. De Tendinis Achillis Buptura et congluti- natione. D. i. patbologic. Chirurgie, auctor. Carol. Frideric. Hoffendahl, Megalopolitan. Def. d. 20. De- cembr. 1828. 4. pp. 22. Acced. tab. aen.

Der Verf. eröffnet seine Abhandlung mit Erörterung des Bekannten über den Bau und die Vitalität der Sehnen, beschreibt die Achillessehne besonders, und wendet sich dann zu den Krankheiten und Verletzungen der Sehnen, der Symptomatologie und der Diagnose der Zerreifsung der Achillessehne, die er nach den besten Mustern darstellt, beleuchtet die Ursachen, und spricht ziemlich ausführlich über die Art der Wiedervereinigung derselben durch abge¬ lagerten verhärteten Zellstoff mit sehr unvollkommener Re¬ generation der Sehnenfasern , und gewifs nicht seltene, spä¬ terhin eintretende Ablagerung von Knochenmaterie, auf deren Vorkommen in unverletzten Sehnen zweckmälsig hin¬ gedeutet wird. Was dieser Dissertation das meiste Interesse giebt, ist die anatomische Beschreibung einer vor vielen Jahren zerrissen gewesenen und durch Zellstoff und Kno¬ chenmasse wieder vereinigten Achillessehne, die unter den pathologisch- anatomischen Präparaten des hiesigen Museums aufbewahrt wird. Die beigegebene Abbildung ist sehr an¬ schaulich. Den Beschlufs der Arbeit macht eine Darstellung

368 XIV. Dissertationen.

t

der verschiedenen Methoden, die Zerreißung der Achilles¬ sehne zu heilen.

1. De Gangraena nosoc omiali. D. i. Chirurgie, me- dic. auctor. Thoro. Petr. Thortscn, Hafniens. DeF. d. 7. Januar. 1829. 8. pp. 42.

Eine wolrlgeschriebene Abhandlung über den Ilospital- brand, die durch eine umsichtige Vergleichung der Frühe¬ ren mit den im hiesigen Charitekrankenhausc im Jahre 1827 gemachten Beobachtungen sehr an Interesse gewinnt. Eine sorgsame Angabe der benutzten Quellen gewährt einen Ueberblick über die hierher gehörigen Leistungen der Schrift¬ steller.

2. De Ilydropc cystico sinuum frontalium. D. i. Chirurgie, med. auctor. Jul. Guilelm. Brunn, Anhal¬ tin. DeF. d. 13. Januar. 1829. 8. pp. 22. Acced. tabb. 2.

phic.

. . . 1

Boi der geringen Bearbeitung, die die Krankheiten der

Stirnhöhlen bisher erfaliren haben, sind einzelne Beobach¬ tungen in diesem Zweige der Pathologie von um so höhe¬ rem Interesse. Eine solche hat F. Jäger in Wien dem Yerf. zur Bekanntmachung mitgetheilt, und wir erhalten sie in der vorliegenden Dissertation. Ein neunjähriges zartes, bis dahin immer gesund gewesenes Judenmädchen bekam nach Unterdrückung der Krätze einen heftigen Kopfschmerz, und zugleich eine Geschwulst def linken Augenbraunenge¬ gend, die bei allmahligcr Zunahme das Auge sichtbar her¬ abdrückte. Bis zum vierzehnten Jahre, in dem das Kind noch so wenig entwickelt war, dafs man es für ein zwölf¬ jähriges hätte halten können, geschah nichts. Prof. Jäger, dem die Kranke jetzt zuerst vorgestcllt wurde, fühlte, dafs die, wenn auch harte Geschwulst, dein Fingerdrucke wich, und mit einem Geräusch, als wenn eine eingedrückte Me¬ tallplatte zurückspränge, ihren vorigen Umfang wieder ein¬ nahm, wenn dieser nachlicfs. Dabei waren aufser der Ent-

s

XIV. Dissertationen.

369

Stellung selbst lind einem zu unbestimmten Zeiten eintre¬ tenden Kopfschmerze keine krankhaften Erscheinungen zu bemerken. Einige hinzugerufene Aerzte stimmten mit Hrn. Prof. Jäger überein, dafs die Geschwulst, von der es je¬ doch nicht feststand, ob sie blofs in der Stirnhöhle ihren Sitz hätte, oder sich auch in die Schädelhöhle erstreckte, geöffnet werden müfste. Als dies bei der Dünnheit der überliegenden sehr erweichten Knochenplatte durch eine ein¬ fache Operation geschehen war, flofs eine grofse Menge blutiges Serum aus, und es zeigte sich eine durch zarte Häute in viele Zellen getheilte Höhle; ob vielleicht auch die innere Platte des Stirnbeins mit der harten Hirnhaut angegriffen sei, konnte für jetzt nicht ausgemacht werden. Die Wunde entzündete sich stark, so dals, bei noch ander¬ weitigen Symptomen heftiger Reaction eine streng-antiphlo¬ gistische Behandlung nothwendig wurde, die indessen bei fortwährendem Ausflufs von übelriechendem Serum, und dem eintretenden Schwächezustande der Kranken bald in eine stärkende übergehen mufste. Der Ausflufs hörte auf, und die Oeffnung verheilte unter dem Gebrauch der ge¬ wöhnlichen örtlichen Heilmittel, ohne dafs die Geschwulst irgend an Umfang verloren hätte. Die Kranke war jetzt mehrere Monate lang in dem Zustande wie vor der Ope¬ ration , und litt bedeutende Beschwerde von dem öfters eintretenden Kopfschmerz. Jetzt stellte sich aber Bleich¬ sucht ein, und die schnelle Zunahme der Geschwulst konnte vermittelst eines durchgezogenen Haarseils nicht mehr ge¬ hemmt werden, wiewohl tagtäglich eine grofse Menge stin¬ kender Jauche abflofs. Die Kranke blieb bei vollem Be-

wufstsein, und das bervorgetriebene Auge behielt ungeach¬ tet der starken Dehnung des Sehnerven seine Sehkraft, bis etwa acht Tage vor dem Tode eine heftige Entzündung seiner äufsern Theile die Hornhaut trübte. Endlich erfolgte der Tod unter zunehmendem hectischen Fieber, im fünf¬ zehnten Jahre der Kranken. (Die Zeit von der Operation bis dahin ist nicht angegeben.) Die Dimensionen der Ge-

370

XIV. Dissertationen.

schwulst waren zuletzt: in der Länge 5 Zoll 8 Linien, in der Breite 4 Zoll 5) Linien, in der Höhe 4 Zoll 3 Linien. "Wir übergehen hier die nähere, sehr genaue pathologisch- anatomische Beschreibung, indem wir nur noch hinzu fügen, dals die linke Nasen- und Oberkieferhöhle bedeutend veren¬ gert waren, und wegen Ausdehnung der Geschwulst nach hinten auch das Gehirn seine Lage verändert hatte, so dafs der vordere Lobus die Stelle des mittleren einnahm, und die Verschiebung der ganzen linken Hirnhälfte noch hinter den Sehbügeln merklich war. Im übrigen war weder die innere Lamelle des Stirnbeins durchlöchert, noch zeigte die harte Hirnhaut, aufser einer gröfsern Vascularität, irgend eine bemerkbare Affection. Bei Eröffnung der Geschwulst zeigte sich eine grofse, mit Wasserblasen angefüllte Höhle, und jene enthielten rothes, oder bläuliches, oder farbloses, sehr klebriges Serum. Der Bau der ausgedehnten Knochen¬ platten glich dem der Hirnschalknochen eines neugebornen wasserköpfigen Kindes. Sie waren sehr verdünnt, stellen¬ weise bis auf eine Viertellinie, und knorpelartig erweicht, jedoch nicht aller Knochensubstanz beraubt. Die aufsere Platte war glatt, die innere inwendig mit einer faserig- knorpeligen, ziemlich weichen, hier und da feine Knochen- körner enthaltenden Substanz überzogen, die hier und da Hervorragungen von der Gröfse von Linsen, Erbsen oder Bohnen, so wie stumpfe Kämme bildete. Die Dicke der gröfsten Massen dieser Art mochte wohl einen Zoll betra¬ gen, und mit diesen Hervorstehungen waren die Häute der Wasserblasen fest verbunden. Diese Blasen oder Zellen waren glänzend und von verschiedenen, sehr lebhaften Far¬ ben; am besten liefs sich der Bau des Ganzen mit dem der Tunica hyaloidea vergleichen. Einige Zellen enthielten kaum eine Drachme, andere wohl eine oder zwei Unzen Flüssig¬ keit; mehrere von den kleineren waren isolirt, die größe¬ ren standen aber durch feine Oeffnungen in den Zwischen¬ wänden miteinander in \ erbindung. \on den beigegebenen Abbildungen ist die erste recht anschaulich, die zweite aber,

XIV. Dissertationen.

371

die die Basis cranii darstellt, weniger deutlich. Zu beiden sind die Zeichnungen nach den in Weingeist aufbewahrten Präparaten angefertigt.

3. De Febre puerperali. D. i. m. auctor. Francisc. Anton. Köchling, Guestphal. Def. d. 2. Februar. 1829.

8. pp. 21.

4. Primae Iineae Philosophiae medicae. Pars prior, sistens Specimen systematis scientiarum

naturalium in Studium medicum introducen-

» *

tium. D. i. med. thcoretic. auctor. Maurit. Kalisch, Vratislaviens. Def. d. 6. Februar. 1829. 8. pp. 33.

Man überzeugt sich leicht, und auch ohne in das an¬ gehängte Curiculum vitae gesehen zu haben, dafs der Verf. durch ein längeres, vielseitiges Studium der Wissenschaften eine Reife erlangt hat, deren Merkmale in den akademischen Schriften nur allzuoft vermifst werden. Sehr richtig be¬ merkt er in seiner Vorrede, man könne von jedem Candi- daten der Medicin verlangen, dafs er wisse, worauf es in seinem Fache ankomme, und mit welchen Kenntnissen er

f '

beim Antritt seines Berufs ausgerüstet sein müsse. Da er es nun ohne die nöthige Erfahrung verschmähete, einen praktischen Gegenstand zu bearbeiten, so wollte er lieber eine philosophisch bearbeitete Encyclopädie der medicini- schen Wissenschaften und ihrer Hülfsfächer liefern, von der wir in dieser Abhandlung das erste « Macrocosmus » überschriebene Kapitel erhalten. Es ist in demselben von der Physiographie und der Physik die Rede. In dem zwei¬ ten Kapitel verspricht der Verf. unter der Ueberschrift « Mi- crocosmus M die theoretischen Fächer der Heilkunde, und in

dem dritten die praktischen abzuhandeln,

r . 1 *

5. De Petechiis in febribus acutis occurrentibus.

D. i. m. auctor. Joseph. Hermann, Sigena.-Boruss. Def. d. 9. Februar. 1829. 8. pp. 29. *

*6. De Acre intestinal i. D. i. physiol. pathologic.

372

XV. Medicitiiscbe Bibliographie.

auctor. Eduard. Scheib ler, Rhenan. I)ef. d. 11. Fe¬ bruar. 1829. 8. pp. 38.

Eine mit vielem Fleifse ausgearbeitete Abhandlung über den bezeichneten Gegenstand, in der der Verf. nichts We¬ sentliches übergangen und sich bemüht hat, unsere noch ziemlich unvollkommenen Kenntnisse in diesem Thcilc der Physiologie und Pathologie zu einem Ganzen zu vereinigen. §. 4. S. 7. wo angeführt wird, dafs man von jeher den Ur¬ sprung der Intestinalluft verschieden erklärt habe, sind Ref. die YY orte aufgefallen: «Quid quod cum animo et vi vitali confunderentur flatus. Offenbar bat der \ erf. hier an die Hippokratische Schrift « de Ilalibus M gedacht, und sich durch die unstatthafte Uebersetzung des <pv<retr zu dem Mifs-

griffe verleiten lassen, das, was der llippokraliker über »len Luftgeist spiritus) lehrt, auf die Intestinalluft zu

beziehen!

XV.

Medicinische Bibliographie.

Alexa nder, Kosmetik, oder die Kunst, den menschlichen Körper zu verschönern und schön zu erhalten; nach ra¬ tionellen Grundsätzen, mit besonderer Rücksicht auf die Erhaltung der Gesundheit, für Nichtärzte und Aerzte bearbeitet. 8. Berlin. Enslinsche Ruchhandlung in Coinmis-

sion. 98 S. geh. . 12 Gr.

Frank, L. F., der Arzt als Hausfreund, oder freundliche Belehrungen eines Arztes an Väter und Mütter bei allen erdenklichen Krankheitsvorfällen in jedem Alter. Vierte, durchgängig vermehrte und verbesserte Auflage, gr. 8. Leipzig. Fr. Fleischer. 296 S. geh. 18 Gr.

Kaiser, K. L., die homöopathische Heilkunst im Einklänge mit der zeitberigen Mcdicin, und den Gesetzen derselben untergeordnet. 8. Erlangen. Palm und Enke. XVI und 160 S. 18 Gr.

Sammlungen, neue Rreslauer, aus dem Gebiete der Heil¬ kunde; herausgegeben von der medicinischen Section der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. IrRd. gr.8. Breslau. Gosohorsky. XVIII u. 414 S. 2 Thlr. 8 Gr.

Troja, M., neue Beobachtungen und Versuche über die Knochen. Aus dem Italienischen von l)r. J. J. Albrecht ,von Schönberg. Mit 5 Kupfertafeln, gr. 4. Erlangen. Palm und Enke. 3 Thlr.

I

Ueber den angeborenen, theilweisen und gänz¬ lichen Mangel der Regenbogenhaut.

Yorl Dr. K. Behr,

pract. Arzte in Bernburg und correspondirendem Mitgliede der medici- nisch - chirurgischen Gesellschaft zu Berlin.

(Vorgelesen in der Versammlung deutscher Naturforscher und

•i

Aerzte zu Berlin am 18. September 1828.)

/

Eine der merkwürdigsten, aber auch wohl seltensten Er¬ scheinungen in anatomischer und physiologischer Hinsicht scheint wohl das Fehlen der Regenbogenhaut hei vollkom¬ mener Sehkraft, als Vitium congeuitum zu sein. Durch mehrere Beobachtungen der verschiedenen Grade dieses interessanten Augenfehlers hin ich im Stande, auch mein Scherflein zur genauen Kenntnifs desselben beizutragen. Indem ich die früheren Beobachtungen, so weit sie mir zur Kenntnifs gelangten, mitzütheilen , mir die Ehre gebe, will ich nur bezwecken, die noch statt findenden Zweifel über die Existenz dieses Naturspiels zu beseitigen. Die Zweif¬ ler stützen sich auf folgende Beobachtung S chmidt’s £):

<c Bei Untersuchungen solcher amaurotischen Augen, bei denen die Krystalllinse nicht merklich verdunkelt ist, kam

1)

Bd. III.

II im ly und Schmidt ophthalmologischc

St. 1. S. 171.

Bibliothek.

/

XIII. Bd. 4. St.

25

#

374

I. Mangel der Regenbogenhaut.

es Schmidt mehrmals vor, als oh er djle ,Iris ausge¬ breitet lief hinten in den Glaskörper hin ei «ge¬ zogen sähe. Im Sommer ISO! brachte ihm der Prosector Ilg das rechte Auge eines ihm bekannten Mannes, der sich durch Zerschmetterung des Schädels seihst entleibt hatte, mit der Bemerkung, dnfs man die Iris an diesem Auge ver¬ misse, obschon dasselbe unverwundet und in völliger Inte¬ grität sei; und in der I hat war es also, die Iris war bis auf einen kaum bemerkbaren Saum verschwunden , wie es bei der Amaurose sehr oft geschieht. Schmidt konnte durch die Hornhaut hindurch bei den verschiedensten Bich- tungen des Bulbus nach dem Lichte auch nicht eine Spur der Iris in der Tiefe des Auges Entdecken. Er legte nun den Augapfel in ein flaches Kelchglas, und löste die Horn¬ haut ringsum ab. Nach Ablösung der Hornhaut drängte sich die Krystalllinse aus der wahrscheinlich durch die Er¬ schütterung des Kopfes zersprengten Kapsel ein wenig ent¬ gegen; aber Schmidt konnte nun durch die Einse die Iris concav ausgebreitet deutlich im Glaskör¬ per eingesenkt sehen. Er brachte sogleich ein feines Häkchen durch die Einse bis zum Glaskörper, und da ihm auch der Pupillenraum der Iris sichtbar war, so führte er das Häkchen durch die Pupille, fafste die Iris hinter ihrem Rande und erhob sie so, dafs sie über die Krystalllinse zu liegen kam, und dafs er ihren ungestörten Zusammen¬ hang mit dem Ciliarligamcnte bestimmt sehen konnte. Vier Stunden nachher hatte sie sich wieder hinabgesenkt, aber Schmidt zog sie im Beisein Carl Schell in g’s mittelst einer feinen Pincette noch einmal empor. »

Rudolph i r) sagt bei Anführung dieser Stelle; «»Sollte nicht etwas Aehnliches in den Eüllen gewesen sein, die kürzlich von Pönitz zusammcngestellt sind, und wo auch von der Iris nichts, oder sehr wenig zu sehen war? u

1) Grundrifs der Physiologie. Berlin 1823. Bd. II. Abth. E S. 221.

375

I. Mangel der Regenbogenhaut.

Wenn wir die mitgetheilte Erzählung Schmidt’s ge¬ nau durchgehen, so wird es sehr klar, dafs nur durch die gewaltsame Todesart, durch die Erschütterung des Kopfes, welche Zerreifsung der Linsenkapsel bewirkte, die Disloca¬ tion der Regenbogenhaut verursacht wurde; denn früher war der Augenfehler gewifs nicht dagewesen, indeih ihn sonst der scharf beobachtende Augenarzt Schmidt bei dem ihm bekannten Manne gewifs bemerkt haben würde. Ueber- dies sind diese Dislocationen der Iris von Schmidt nur hei amaurotischen Augen bemerkt, gehören also zu der oft beobachteten Mydriasis; allein nie fand sich bei angeborenem Mangel der Regenbogenhaut, wie später erhellen wird, auch nur das geringste Zeichen von Amaurose. Auch kam das Fehlen der Iris immer als Vitium congenitum, und auf beiden Augen zugleich vor.

Den Uebergang zu dem gänzlichen Mangel der Re¬ genbogenhaut scheinen die öfters beobachteten, angeborenen Veränderungen der natürlichen Gestalt der Pupille zu ma¬ chen. Die geringste Abweichung ist die längliche per- pendiculäre Pupille ( Ka tz e n p up i 1 1 e) , die sich sel¬ ten findet. Meistens kommt sie in beiden Augen zugleich vor. Ich selbst sah sie nur einmal und fand, dafs die Pu¬ pillen mit ihrem unteren Ende etwas nach der Nase hin-, gerichtet waren, wie der gewöhnliche Stand der Pupillen bei den Raubthieren ist. In dem von Beer r) beschriebenen Falle hatten auch die Augenliedspalte und die Umgebungen des Auges etwas katzenartiges. Die Pupille ist hier verzo¬ gen, und es fehlt nur ein geringer Theil des unteren Seg¬ ments der Iris, indem man noch einen schmalen Streifen der Regenbogenhaut an der Verbindung der Cornea mit der Sclerotica bemerkt. Die Bewegungen der Regenbogen¬ haut scheinen nicht von denen im normalen Zustande ab¬ zuweichen.

Bedeutender ist die Spaltung der Iris vom unteren

25 *

I) Das Auge. Wien 1813. S. 62.

7

376 I. Mangel der Regenbogenhaut.

Pupillarrnnde bis zu der Verbindung der Cornea mit der Sclcrotica. Nur sehr selten ist die Iris nach der inneren Seite gespalten, am seltensten nach oben. Riese Spaltung, von v. Walther J) Coloboma iridis genannt, findet in beiden Augen, noch häufiger aber nur in einem Auge statt. I£ie mir bekannt gewordenen Fülle dieser Art will ich hier zur Vervollständigung kurz mittheileo.

Hagström ?) sah in beiden- sonst gesunden Augen eines Mannes eiförmige Pupillen, deren spitzige Enden auf- ünd abwärts gerichtet waren. Aufscrdem waren sie so nie¬ drig, dafs zwischen dem unteren Rande der Pupille und dem Weifsen im Auge nicht das geringste von der Regen¬ bogenhaut zu sehen war. Dieser Fehler war dem Kranken angeboren, und einer seiner Vorfahren hatte denselben auch gehabt. Der Mann sah übrigens sehr gut, nur wenn er schnell nach etwas blickte, konnte er den Gegenstand nicht sogleich erkennen, vermuthlieh weil sich die Pupille sehr langsam erweiterte und zusammenzog.

Acrel J) versichert, dafs dergleichen Fehler der Pu¬ pille selten das Gesicht hindern.

Bloch 1 2 3 4) kannte einen Mann, der eine längliche und unbewegliche Pupille hatte, und dennoch sehr gut sah. Zu gleicher Zeit fand sich auch Mangel des Pigments. An einem sehr hellen Orte zieht der Kranke die Augenlieder zusammen, und ersetzt dadurch die Bewegungen der Iris. Auch die Kinder und Geschwister des Manoes hatten die¬ sen Augenfehler.

1) ▼. Grafo und v. VY a Ith er’« Journal für Chirurgie und Augenheilkunde. Bd. II. S. 598.

2) Schwedische Abhandlungen. 1773. Band 36. S. 151. Cf. Richter’« chirurg. Bibliothek. Bd. VJI. S. 105.

3) Schwed. Abhandl. Bd. 36. S. 156. Richter’« chir. Bibi. Bd. VII. S. 11)6.

4) Medicinische Bemerkungen. Berlin 1774. S. 2. Cf. Rich¬ ter’« chir. Bibi. Bd. II. 4. S. 59.

377

I. Mangel der Regenbogenhaut.

Tode *) sah eine angeborene längliche, nicht in der Mitte, sondern in der unteren Hälfte der Regenbogenhaut befindliche Pupille eines Mannes, der gut, aber niedrige Gegenstände besser als erhabene sah.

Ausnehmend grofs und eiförmig sah man sie bei einem Knaben 1 2).

Conradi 3) kannte zu Nordheim eine Familie, wo Vater, Tochter und Grofsvater eine Pupille haben, die am Rande wie ausgeschnitten ist, so dafs sie nach aufsen spitz zuläuft.

Kühn 4) beobachtete die längliche Pupille eines gut sehenden Mädchens, die wenig durch den Eindruck des Lichtes verändert wurde.

Sy bei 5) kennt einen Mann, dessen Augen beim er¬ sten Anblicke, eines unbekannten Etwas wegen, äufserst auffallend sind; genauer betrachtet, findet man im rechten Auge die Pupille nach unten spitz zulaufend, und im lin¬ ken ist sie zwar rund, aber fängt mit ihrem oberen Rande in der Mitte der Iris erst an, so dafs diese unten kaum merkbar ist. Eeide stehen überdies der Nase um vieles näher, als es gewöhnlich der lall ist.

Ph. v. Walther 6) sah bei einem jungen Manne fol¬ genden angeborenen Bildungsfehler der Regenbogenhaut: Hie Pupille geht bis zum Boden der vorderen Augenkam-

1) Societatis med. Ilavn. Collect. Vol. II. 1/75. p. 146. Richter’s chir. Bibi. Bd. IV. S. 230.

2) Ephemerid. natur. curios. VIII. p. 132.

3) Handbuch der pathologischen Anatomie. Hannover 1/96. S. 517.

4) Naturhistorische Bemerkungen. St. 21. S. 192.

5) Hiss, inaug. de quibusdam materiae et formae ocub ab- errationilms in statu nonuali. Ilalae 1799. In Reil’s Archiv für Physiologie. Bd. V. S*. 1. S. 63.

6) Abhandlungen aus dem Gebiete der praktischen Medi- cin, Chirurgie und Augenheilkunde. Eandshut 1810. 8. /2.

378

I. Mangel der Regenbogenhaut.

mer herab. Der obere Hand derselben steht etwas niedri¬ ger, als auf dem andern Auge, und als dies bei wohlgebil¬ deten Menichenaugen der Fall ist. Dabei ist die Pupille nicht vertical- oblong, sondern von gewöhnlicher Breite. Die l arbe der Regenbogenhaut ist dunkel. Der Mann sieht aut diesem Auge nicht nur vollkommen gut, sondern selbst besser als auf dem andern Auge. Später kamen v. Walther r) mehrere Fälle dieser Art vor, und seine Beschreibung und Bemerkungen darüber sind so bezeich¬ nend, dafs ich sie zur genaueren Keontnifs dieses angebo¬ renen Augenfehlers hier wörtlich mittheile:

« Es fehlt der untere mittlere T heil der Iris; der un¬ tere Band der Pupille steht auf dem Boden der vorderen Augenkammer auf, oder vielmehr: dieser Pupillarrand Et nicht vorhanden. Der obere Band der Pupille ist auf die gewöhnliche \\ eise gerundet. Die Iris bildet zwei senk¬ recht stehende Platten, welche nach oben in der Median¬ linie des Augapfels vereint sind und unter sich Zusammen¬ hängen, nach unten aber getrennt bleiben und eine bis zum unteren Bande der Hornhaut herabgehende breite Spalte zwischen sich übrig lassen. Da, wo dieser Bildungsfehler vorhanden ist, laufen die beiden seitlichen Ränder der Pu¬ pille gewöhnlich senkrecht und in parallelen Linien bis zum Strahlenbande herab; in zwei Fällen unter sechsen diver- girten sie aber nach unten mit gleichsam ausgespreizten Schenkeln, so dals die Breite der Pupille nach unten grüfser war. Meistens steht der obere Pupillarrand in der gewöhn¬ lichen Höhe. In einigen Fällen aber ist er etwas herunter¬ gedrückt, die Pupille steht, bezugsweise zu dem gröfsten Querdurcbmesser des Augapfels, tiefer, und der Ring der Iris bat oben an Rreite gewonnen. Immer aber hat der obere Rand des Sehloches seine gewöhnliche Rundung; niemals läuft dasselbe nach oben in eine Spitze oder in eine

1) v. Gräle und v. V\ a 1 1 h er* » Journal für Chirurgie und Augenheilkunde. Bd. II. S. 598.

379

I. Mangel der Regenbogenhaut.

senkrecht stehende ovale Spalte aus. ln einigen Fällen ist aufser diesem Bildungsfehler kein anderer vorhanden. Alle Theile des Augapfels sind normal gebildet, ohne sicht¬ bare Spur einer anderweitigen Hemmungsbildung. Meistens aber hat doch das untere Segment der Kugel, welche der Augapfel bildet, eine geringere Wölbung, als das obere. Der Augapfel ist nach unten wie zusammengedrückt, als hätte die untere Hemisphäre desselben irgend ein Hinder- nifs ihrer freien Evolution erfahren.» Wahrscheinlich täuscht sich hier v. Walther. Es sieht anfangs allerdings so aus, als wenn die obere Hälfte des Augapfels grüfser als die untere wäre, doch liegt dies nur in der veränder¬ ten Stellung der Pupille, die nach unten gestellt, dem un¬ teren Theile des Augapfels eine zusammengedrückte Form aufprägt. Allein macht man einen Durchschnitt am oberen Pupillarrande, der bei diesem Augenfehler der Mitte der Pupille im normal gebildeten Auge entspricht, so wird man finden, dafs derselbe den Augapfel in zwei gleiche Theile trennt. Doch ich kehre zu der Beschreibung v. Wal- thef’s zurück. 1

t< In einigen Fällen ist auch die ganze Entwickelung des Augapfels mangelhaft. Derselbe ist auffallend kleiner, in Vergleichung mit dem Apfel des zweiten, nicht verkrüp¬ pelten Auges gestellt: die Hornhaut ist flacher, weniger aufgewölbt; das Pigment ist weniger ausgebildet und unstät, rotirende Bewegungen, nur in geringerem Grade, wie an den Augen der Blindgeborenen, sind zugegen. Wenn der beschriebene Bildungsfehler der Regenbogenhaut für sich allein existirt, ohne anderweitige Verkrüppelung des Augapfels, so ist die Sehkraft gut und ungeschwächt. Auch sehen die damit Behafteten in der Dämmerung nicht besser, als im vollen Tageslichte. Ich habe sogar den ball beobachtet, wo der Kranke mit dem verbildeten Auge bes¬ ser sah, als mit dem zweiten gesunden, an welchem ich keinen sichtbaren Fehler der Organisation bemerkLe (der oben angeführte Fall). Sind aber die eben angegebenen

380

I. Mangel der Regenbogenhaut.

Bildcmgsfehler damit verbunden, so ist das Sehvermögen schwach, besonders der Gesichtskreis des Kranken beschrankt, das Auge aber unfähig, eine nur etwas andauernde Anstren¬ gung zu ertragen. Immer sind bei diesem Bildungsfeh- ler, auch wenn er rein für sich, ohne Complication vor¬ kommt, die Bewegungen der Iris träger, als im gesunden Zustande; der Unterschied in der \k eite des Sehlochs im stärksten Liebte und bei der schwächsten Beleuchtung ist geringe. Bei dem l ebergange von dem einen zum andern bemerkt man zwar Oscillationen an dem oberen normal ge¬ bildeten Pupillarrande; die unteren seitlichen Bänder aber bleiben in Buhe. Nur in einem Falle unter sechsen, sah ich diesen Bildungsfehler auf beiden Augen; in allen übrigen ist er nur einseitig vorhanden; und in der Organisation des zweiten Auges ist nichts regelwidriges. Niemals sah ich noch den umgekehrten Bildungsfehler , nämlich eine ange¬ borene Spaltung der Iris nach oben bis zum Strahlenbandc, bei gerundetem unterem Pupillarrande ; auch nie eine voll¬ kommene, von oben bis unten in der Medianlinie hindurch gehende Spaltung derselben. Der Bildungsfehler kommt öfter in dunkelgefärbten, als in hellgefärbtcn Augen vor. Unter den sechs von mir beobachteten Fällen gehöre« vier dem weiblichen, und nur zwei dem männlichen Geschlechte an. Ich möchte diesen Bildungsfehler Coloboma iridis nennen. »

M agner r) kennt drei Fälle dieser Mifsbildung. Zwei beobachtete er selbst, und beide kamen beim männlichen Geschlechte vor, und bei beiden fand nur an einem Auge die 'S erbildung statt. Der obere Pupillarrand stand wenig¬ stens bei einem dieser Menschen merklich tiefer als gewöhn¬ lich. Die seitlichen Bänder der Pupille liefen bei diesem Menschen nach unten convergirend herab, so dafs die Breite der Pupille oben am gröfsten war. Den dritten Fall kennt

I) Horn, Nasse, Henke und W agner, Archiv für mcdicinischc Erfahrung. 1821. Sept. Oct. S. 256.

381

L Mangel der Regenbogenhaut.

er aus einer genauen Zeichnung aus England, die er auch mittheilt. Bei einem 44 Jahre alten Seefahrer kam der Fehler auf Leiden Augen vor, und die Pupille befand sich unterhalb der Mitte eines jeden Auges. Am rechten Auge laufen die Ränder der Pupille senkrecht herab, am linken dagegen divergiren sie nach oben. Es fanden meist nur träge Bewegungen der Iris statt. Die Sehkraft war unge¬ stört, nur fortgesetzte Anstrengung der Augen wurde in einem Falle nicht ohne Schmerzen ertragen.

Helling 1 ) nennt diesen Augenfehler wegen seiner Gestalt: Kometenpupille. Er theilt zwei Fälle dieser Art mit Abbildungen mit. Der erste betraf ein 22 jähriges Mädchen, das den Fehler am linken Auge hatte. Im rech¬ ten Auge sieht man ganz deutlich, dafs der Fehler hatte beginnen sollen, aber nicht zur völligen Ausbildung gekom¬ men ist. In beiden Augen findet sich Cataracta centralis. Im Sehen war das Mädchen nur unbedeutend gehindert, sie erkannte einen Menschen auf 100 Schritte und mehr genau, und machte die feinsten weiblichen Arbeiten. Nach des Mädchens und ihrer Mutter Aussage hatte der Vater der ersten denselben Fehler in beiden Augen gehabt, der auch ihm bei seinem Geschäfte als Mechanicus nicht hinder¬ lich gewesen war, und wobei er bei einem sonst guten Gesichte das 59ste Jahr erlebt hatte. Allem Vermuthen nach war der Mann, von welchem Blochj (siehe oben S. 376) spricht, der Grofsvater obigen Mädchens.

Den zweiten Fall sah Helling 2) bei einem Schnei¬ dergesellen. Die Schweife der Pupillen sind hier nach oben, und von aufsen nach innen dergestalt gerichtet, dals wenn man sie bis über die Nase verlängert, sie dort in einem stumpfen W inkel Zusammentreffen würden. Die Pupillen waren übrigens in beiden Augen völlig rein, und das Seh-

1) Praktisches Handbuch der Augenkrankheiten. Berl. 1821. Bd. I. S. 283. Tab. I. Fig. 3. und 4.

2) Ebendas. Fig. 5. und 6.

38'2 1. Mangel der KcgenbogenhauL

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vermögen ziemlich gut, doch war die Beweglichkeit der Regenbogenhaut bei beiden Individuen, so wie auch bei den übrigen, die Helling sah, sehr geringe.

Erdmann ') erzählt: «In Dorpat lebt ein Goldar¬ beiter ü. von 46 Jahren, der erwähnte Deformität auf bei¬ den Augen trägt. Am rechten Auge desselben fehlt die Iris unterhalb der Pupille in der Breite einer Linie ganz, nur runden sich die senkrechten Ränder des Ausschnittes am Boden der vorderen Augenkammer ein wenig nach in¬ nen zu ab. Am linken Auge scheint dieser Fehler auf den ersten Anblick von gleicher Beschaffenheit zu sein. Bei genauer Untersuchung aber findet sich Her unterste Theil der Iris in dem Ausschnitte bis auf den dritten Theil noch erhalten, jedoch so dünn, dafs das schwarze Pigment der inneren Seite sehr stark durchscheint, und daher auch die¬ sem Auge fast ganz das Ansehn des ersten giebt. Die Seh¬ kraft des Mannes war dabei bis vor 16 Jahren nicht im geringsten geschwächt, noch ihre Aeufserung durch den YV echsel des Lichts auf irgend eine Weise gestört. Später batte sich zwar eine gewisse Schwäche der Augen einge¬ stellt, die der Leidende indessen blofs der Anstrengung der¬ selben beim Kerzenlichte zuschrieb, und die im Ganzen so

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unbedeutend ist, dafs er mit Hülfe einer Brille immer noch die feinsten und ausgezeichnetesten Arbeiten in der Stadt liefert.

Aufser diesem Bildungsfehler habe ich von den, nach Hrn. v. Walther meistenteils gleichzeitig statt findenden Deformitäten des Auges in Beziehung auf seinen Umfang, seine Wölbung und die Stellung seiner Theile, in dem vor¬ liegenden Falle nichts wahrnehmen können, höchstens mochte der obere Rand der Pupille dem Mittelpunkte der Cornea um ein Weniges, doch kaum merklich näher gerückt sein. Von einer rotirenden Bewegung des Augapfels habe ich

1) Zeitschrift für Natur- und Heilkunde. Dresden. Bd. IV. Heft 3. S. 501.

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I. Mangel der Regenbogenhaut.

ebenfalls nichts beobachtet, und die Bewegung der Pupille schien wenigstens von daher nicht gehemmt.« Der Vater hatte sechs Kinder, vier Knaben und zwei Mädchen. Zwei Söhne hatten den Augenfebler. Diner davon lebte noch und trug den Fehler vollständig an beiden Augen ohne alle Störung der Sehfunction. Eben so hafte der verstorbene Knabe den fehler auf beiden Augen gehabt. Die Augen bei diesem fehler waren von hellbrauner färbe. Auch Erdmarin konnte durch den krankhaften Ausschnitt, ober gleich fast die Breite des Pupiüendurchmessers hatte, eben so wenig a 1 > v. Walther das Corpus ciliare oder die Pro¬ cessus ciliares erkennen.

Nur zum Theil gehört hier wohl noch her die Mit¬ theilung des Dr. Pönitz ') über einen angeborenen, sehr unvollkommenen Zustand der Augen, welcher von selbst sich verbessert, ln dem Auge eines anderthalbjährigen Kna¬ ben erblickt man hinter der unvollkommenen Hornhaut in dem inneren und unteren Theile der Iris eine Pupille, die etwa den fünften Theil des Feldes der ganzen Hornhaut einnimrnt, und ganz das Ansehn einer durch Trennung des Irisrandes vom Ciliarligamente gebildeten hat. Mir scheint, trotz der Ansicht des Dr. Pönitz, diese Verbildung auf einer statt gefundenen Entzündung im Fötuszustande des Knaben zu beruhen, da ja dergleichen Zustände, auch io späteren Jahren entstanden, durch die Heilkraft der Natur öfters verbessert werden.

Auch ich beobachtete drei Fälle von dem Coloboma iridis. Der erste kam bei einem jungen Landwirthe vor, dessen Eitern gesunde Augen besagen. An beiden Augen, die durch einen unsichern Flick etwas Auffallendes zeigten, fanden sich die Pupillen etwas gröfser, als gewöhnlich, und mehr nach unten gestellt. Am unteren Pupiilenrande war eine Spalte io der sonst gesunden, braun gefärbten Regen-

i ) Zeitschrift für Natur- und Heilkunde. Dresden. Bd. II.

Heft 1. S. 60.

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I. Mangel der Regenbogenhaut

bogenhaut, die ungefähr zwei Drittel des Durchmessers der Pupille hatte, und sich bis zur Verbindung der Cornea und Sclerotica erstreckte. Die Spalte war perpendiculär und convergirte etwas nach innen. Beide Augen hatten dieselbe Form der Iris. Grelles Licht war den Augen empfindlich und bewirkte ein Ein- und Unterwärtsdrehen des Augapfels. Die Stirnmuskeln und obern Augenlieder waren, um dem hellen Lichte den Eingang zu verwehren , zusammengezo¬ gen. Die Bewegung der Regenbogenhaut war trage und verengerte die Spalte nicht, wohl aber den obern Theil der Pupille. Nahe und kleine Gegenstände konnten nur mit Anstrengung, und dann doch nicht mit Genauigkeit gese¬ hen werden. Seit zehn Jahren habe ich die Pupillen und die Sehkraft des Mannes unverändert gefunden. Er ist jetzt verheirathet, bat aber seinen Kindern den Augenfehler nicht vererbt.

Die zweite Beobachtung betrifft einen 19 jährigen Pfer¬ deknecht. Das Coloboma iridis findet sich im linken Auge, und hat einen gröfseren Umfang als das vorige. Die Pu¬ pille ist von grüfserem Durchmesser, als im natürlichen an¬ dern Auge, und nur wenig schmaler ist die Spalte. Auch hier fehlt der untere Theil der Regenbogenhaut. Diese, in dem gesunden Auge dunkelbraun gefärbt, hat eine gleich- mäfsige gelbliche Farbe, und sieht einer durch Entzünduug veränderten dunkelbraunen Iris ähnlich. Allein weder der Kranke, noch dessen PLltern erinnern sich einer das Auge befal¬ len habenden Krankheit, wohl aber versichert die Mutter, den Augenfehler bald nach der Geburt ihres Sohnes entdeckt zu haben. Merkwürdig ist die Behauptung derselben, dafs die Pupille bei abnehmendem Monde kleiner, bei zunehmendem grüfser werde. Zur Zeit meiner mehrtägigen Beobachtun¬ gen war Vollmond, ich werde deshalb den Menschen ferner beobachten, um mich von der wahrscheinlichen Täuschung zu überzeugen. ' Lichtscheu fand sich bei dem Menschen durchaus nicht, auch ist die Sehkraft auf diesem Auge so, gut, als auf dem fehlerfreien. Die Bewegung der Regen-

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I. Mangel der Regenbogenhaut.

bogenhaut geschieht auf dem verbildeten Auge träge, auf dem andern wie gewöhnlich. Der Vater hat braune, die Mutter blaue Augen.

Den dritten Fall sah ich an einem reisenden Schneider¬ gesellen. Er fand auch nur an einem Auge, ebenfalls dem linken statt, und verhielt sich wie in dem eben erzählten. Die Sehkraft war sehr gut.

Fast alle diese mitgetheillen Fälle kommen in der Bil¬ dung der widernatürlichen Pupille darin überein, dafs die Spalte der Iris in dem unteren Theile statt findet. Nur Conradi sab dieselbe nach aufsen, und Helling nach innen gerichtet. Nach oben fand sie sich in keinem Falle. Die Sehkraft war nur sehr selten verringert, meist der im gesunden Auge gleich, einmal bei v. Walther in dem verbildeten Auge sogar besser, als in dem gesunden.

Den angeborenen gänzlichen Mangel der Re¬ genbogenhaut finden wir zuerst von Klinkosch r) be¬ obachtet; allein hier war er mit mancherlei Fehlern des Auges und des ganzen Körpers verbunden. Es fand sich bei allgemeiner mangelhafter Entwickelung des Schädels, wo an der Stelle des rechten Auges und der Augenlieder nur eine Spur einer kleinen Narbe wahrgenommen wurde, das linke Auge sehr grofs, von den verwachsenen Augen¬ liedern bedeckt, tiefer als das rechte gelegen und gröfsten- theils aus der Augenhöhle hervorragend, übrigens von nor¬ maler Gröfse, aber nur aus einer durchsichtigen Haut, ver- muthlich der unvollkommen entwickelten, harten gebildet, einer grofsen Wasserblase ähnlich. Es enthielt einen Glas¬ körper und eine Linse, an die ein Theil des Strahlenkran¬ zes geheftet war, aber keine Spur der Aderhaut, der Blendung, der Netzhaut. Eben so fehlten gänzlich alle Nerven, Muskeln und äufseren und inneren Thränenorgane.

Der erste Fall des angeborenen gänzlichen Man-

1) Prograrnma, quo sect. et demonstr. indicit. Prag 176ü. Vergl. Meckel’s pathol. Anatomie. Bd. I. S. 395.

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I. Mangel der Regenbogenhaut.

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gels der Iris ohne alle Complication ist durch Alex. Morisson r) zu London, der Societe du cercle medical zu Paris mitgetheilt. Die Augen des sonst gesun¬ den dreijährigen Sohnes eines Sattlers auf einem Dorfe in der Umgegend von London zeigten grofsc, unbewegliche und helle Pupillen, hinter denen der Grund der Augen so beleuchtet war, dafs man die röthlich gefärbte Choroidea übersehen konnte; ein grelles Licht schmerzte die Augen, ein mäfsiges durchaus nicht; im Dunkeln glänzten sie, wie die der Katzen und anderen Thiere. Der kleine Knabe sah recht gut gröfsere Gegenstände, als Tische, Stühle u. s. w. und vermied sie beim Gehen. Kleinere Gegenstände, als Messer, Löffel u. s. w. erkannte er nur mit Anstrengung. Bei genauerer Untersuchung der Augen war nicht die ge¬ ringste Spur von Iris an ihnen zu finden, so dafs die Pu¬ pille den ganzen Umfang der Hornhaut bis zur Sclerotica einnahm. Die rothe Farbe der Choroidea erklärt Moris¬ son für das Product des zu grofsen Lichtreizes, welcher die Thätigkeit der Gefäfse so sehr gesteigert habe, dafs rothes Blut selbst in diejenigen eingedrungen sei, welche eigentlich nur farblose Fluida führen (?). Eine Com¬ mission der Societe du cercle medical hat ihr Urtheil über diese Beobachtung dahin gefällt, dafs sie nicht genau und ausführlich genug von Morisson mitgetheilt sei, und glaubt, dafs jener angeborne Fehler in den Augen nicht sowohl in einem gänzlichen Mangel der Iris, als vielmehr in einer nicht minder merkwürdigen angeborenen Mvdriasis bestehe, weil Morisson nichts erwähnt habe, weder von der Art, wie sich die Choroidea am Ciliarrande endet, noch von der Beschaffenheit w des Ciliarkörpers und der Ciliarfortsätze, welche bei einem gänzlichen Mangel der Iris zu sehen gewesen sein müfsten. Es scheint hieraus,

1) Nouveau Journal dr Medccine.' Tome VI. Oct. p. 105 Vergl. v. (»räfe und v. Walther’* Journal für Chirurgie und Augenheilkunde. Bd. I. St. 3. S. 381.

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I. Mangel der Regenbogenhaut.

dafs die Commission den Ciliarkörper und die Ciliarfortsätze nach der künstlichen Trennung der Iris von) Ciliarbande schon einmal gesehen hat, obschon nichts davon bekannt geworden ist!

Baratta l) beschreibt zwei Augen, denen die Iris fehlte: « C. Lattuada, 22 Jahre alt, kam im Jahre 1811 zu mir, und klagte Uber eine sehr grofse Schwäche, die von der Geburt an auf beiden Augen bemerkbar war, wes¬ halb der Patient die Gegenstände in der Ferne schwer un¬ terscheiden konnte, ln der Nähe sah er etwas besser, doch auch nicht gut. Als ich die Augen untersuchte, fand ich

zu meinem Erstaunen keine Regenbogenhäute, so dafs der

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Grund des Auges ganz schwarz erschien. Meinem Gesichte nicht trauend, zeigte ich den Fall den Herren Professoren Assalini, Monteggia und Paletta, und alle stimmten darin überein, dafs die Iriden fehlten. Im nächsten Jahre kam der Mann wieder und sagte mir, dafs sich das Sehen des Un¬ ken Auges etwas verbessert, dafs sich aber im rechten innerlich ein weifser Fleck gebildet hätte, welcher sich bewegte und das Sehvermögen sehr störte. Als ich die Augen genau betrachtete, fand ich, dafs die Linse des rechten vollkom¬ men verdunkelt, der fehlenden Iris wegen aber in ihrem ganzen Umfange sichtbar war, dafs sie bei jedem Blinken des Augenliedes und jeder Bewegung des Sehorgans zitterte, und deshalb dem jungen Manne sehr beschwerlich fiel. Nach einem Monate trennte sich der Staar noch mehr von seiner Umgebung, so dafs sich, wenn der junge Mann auf¬ recht stand, die Linse nach dem Glaskörper zu lehnte, und sich beständig bewegte. Senkte er aber den Kopf nach vorn, so kam der Staar an die Hornhaut zu liegen. Diese Beweglichkeit machte mir wahrscheinlich , dafs aufser dem Mangel der Iris, auch der Glaskörper fehlen, und an seiner

1 ) Praktische Beobachtungen über die vorzüglichsten Au¬ genkrankheiten. Aus dem Italienischen übers, von Güntz. Leip¬ zig 1822. Th. 2. S. 211.

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I. Mangel der Regenbogenhaut.

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Stelle der ganze Bulbus mit wässeriger Feuchtigkeit ange¬ füllt sein möchte. Der Kranke wollte von dem Febel be¬ freit werden, und jenen dunkeln Körper fixirt haben. Als ich aber die Sache überlegt hatte, vertröstete ich ihn auf die Zeit der Auflösung des Staars, welcher auch wirklich nach einigen Monaten sehr verkleinert wurde. Da keine Anzeige zur Depression vorhanden war, w-eil ein fester Gegenstand wie der Glaskörper fehlte, in welchen man den Staar dauernd versenken konnte, so hätte man nur die Ex- traction versuchen können; allein der Gedanke an den völ¬ ligen Ausllufs des Augapfels reichte hin, um mich zijr Guterlassung dieser Operation zu bewegen. Im linken Auge war Linse und Kapsel verdunkelt; beide salsen jedoch un¬ beweglich an ihrem Platze. Da aber auch hier die Regen¬ bogenhaut fehlte, so war ein linienbreiter Ring im Um¬ fange des Staars frei, weshalb der Mensch recht gut sehen konnte. Die seltene Beschaffenheit dieser Augen und Staare, die Begleitung der angeführten Symptome, uud der Umstand, dafs sich bei keinem anderen Schriftsteller, so viel ich weifs, ein ähnlicher Fall vorfindet, sind die Bewegungs- griinde, welche mich zur Bekanntmachung dieser Geschichte

veranlassen. »

Dzondi *) sagt: «Merkwürdig und noch nicht beob¬ achtet, so viel mir bekannt ist, war die angeborene Abnor¬ mität eines gänzlichen Mangels der Regenbogenhaut bei einen» jungen Frauenzimmer, der Dem. Letzius aus Bal- lenstädt. Ob sie gleich ein grofses Auge und eine verhält- nifsmäfsig grofse Cornea hatte, und sehr viel Licht in das Auge fallen mufstc, so war sie doch dadurch nie im Sehen beschränkt worden, noch der Lichtscheu unterworfen gewe¬ sen, sondern konnte selbst jetzt noch schreiben, ob sie gleich auf dem einen Auge mehrere leucomatöse Vcrdunke-

lun-

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1) Rnst’s Magazin für die gesautnite Heilkunde. Bd. VI. St. 1. S. 33.

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I. Mangel der Regenbogenhaut. 389

Jungen, und im Mittelpunkte des andern einen undurchsich¬ tigen Körper hatte. Dieser undurchsichtige, weifslÄ?hr, zackige' und unregelmäfsige Körper, welcher drei bis vier Linien nach verschiedenen Richtungen im Durchmesser hielt, einer zackenformig crystallisirten Anschiefsung von Kalk glich, und sich im Mittelpunkte des Glaskörpers befand, war gewifs nichts anderes, als phosphorsaure Kalkerde, da die Kranke an gichtischen Beschwerden litt, und lange ge¬ litten hatte. 5>

Den neuesten Fall des gänzlichen Mangels der Blendung erzählt uns Pönitz *) in Dresden. Er findet sich an beiden Augen eines 17jährigen Mädchens, aus Wils¬ druff, Namens Pietsch mann, und ist angeboren. Die Mutter versichert, in ihrer Schwangerschaft über einen Mann mit sehr auffallender schwarzer Brille, welcher ihr schnell entgegentrat, sehr erschrocken zu sein. Sie hat noch 12 Kinder mit normal beschaffenen Augen geboren. Die Augen dieses Mädchens waren bis vor zwei Jahren völlig klar, und das Gesicht auf beiden Augen so gut, dafs cs wie andere Kinder die Schule besuchte, auch lesen und schreiben lernte. Es wurde von hellem Lichte nicht mehr geblendet, als andere Kinder, und sali in der Nähe scharf, auch mit völliger Ausdauer. Weniger gut, doch auch nicht schlecht, war das Gesicht in die Ferne. Seit zwei Jahren aber verdunkelte sich allmählig der Krystallkörper beider Augen; war jedoch zur Zeit der später gemachten Operation in beiden, und ist selbst jetzt in dem nicht ope- rirten noch nicht ganz undurchsichtig. In diesem Auge sieht man den verdunkelten Krystallkörper in seinem gan¬ zen Umfange von einem schwarzen, klaren, die Breite einer halben bis ganzen Linie haltenden, ununterbrochenen Kreise umgeben, durch welchen ungetrübtes Licht ins Auge fällt und dem Sehen durch den sehr trüben Krystallkörper zu

1) Zeitschrift für Natur- und Heilkunde. Dresden. Bd. II. St. 2. S. 214.

XIII. Bd. 4. St.

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390 I. Mangel der Regenbogenhaut.

Hülfe kommt; sonst wurde dieses Mädchen wohl kaum seihst in) hellsten Sonnenscheine haben gehen und das alles sehen können, was es sah, und auch jetzt mit dem cata- raetösen Auge noch immer sieht; denn der bemerkte klare, vom Krystnllkörper nicht erreichte Kreis bildet eine peri¬ pherische Pupille , welche zwar schmal, aber von grolscr Ausdehnung, vorzüglich zum Sehen ins Grofse nützt. Den¬ noch machte die durch zunehmende Verdunkelung des kry- stallkörpers verursachte Untüchtigkeit zu den meisten Ile Schädigungen die Herstellung der Klarheit und Deutlichkeit * des Gesichts sehr wünschenswert!). Pönitz fand bei der Zerstückelung die verdunkelte Linse lederartig, hart und zähe. Sie liefs sich ohne beträchtliche Schwierigkeit nur in vier Stücke trennen. Nach vierzehn Tagen war bereits mehr als die Hälfte resorbirt. Da Pönitz 21 Wochen spä¬ ter keine Verminderung des Biestes mehr bemerkte, so führte er durch dieselbe Stelle der Hornhaut nochmals die Nadel ein, und suchte die noch vorhandene Staarmasse möglichst zu zerstückeln. Nach sechs Wochen war alles bis auf zwei Stückchen verschwunden, deren gröfsercs man zwölf Wo¬ chen nach der Operation in der Gröfse einer sehr kleinen Erbse nach unten und aufsen noch sieht. (Aus dieser Pe¬ riode ist die von Carus gemachte Zeichnung beider Augen.) Sechs Wochen später war es gänzlich verschwunden, und das Gesicht hatte sich bis zum Unterscheiden der Buchsta¬ ben mäfsiger Gröfse (und zwar ohne Brille) gebessert. Das Mädchen kann mit Hülfe dieses Auges schnell und sicher allein gehen. Auch ist keine Spur von Lichtscheu zu be¬ merken. Das linke Auge zeigt sich nun hinter der Horn¬ haut, und zw'ar in einem Umfange, wde diese ihn hat, schwarz. Man sieht durch die Hornhaut in den ganzen Augapfel hinein, bemerkt jedoch durchaus nichts, als. eine mattschwarze Höhle. Später wollte Pönitz auch das an¬ dere Auge operiren; allein bis jetzt ist die Fortsetzung der Beobachtungen dieser Augen, die er mitzutheilen versprach, nicht erschienen.

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I. Mangel der Regenbogenhaut.

Ich komme nun zu dem von mir beobachteten Falle dieser merkwürdigen Missbildung. Caroline Schwabe’ in den letzten Tagen des Jahres 1826 in Rosrhwitz, einem Dorfe hei Bernburg geboren, zeigte bald nach der Geburt eine so bedeutende Lichtscheu, dals sie heftig schrie, wenn Lichtstrahlen in ihre Augen fielen. Die Mutter, ein noch ziemlich junges Mädchen, sah durchaus nichts an den Au¬ gen, als dafs sie nicht roth, wie sie vermuthete, sondern dunkelschwarz waren. Am 26. April 1827, als ich dem Kinde die Kuhpocken impfte, konnte ich, obschon früher auf die sonderbaren Augen des Kindes aufmerksam gemacht, dieselben bei aller Mühe nicht sehen, da die Impfung in einer hellen Stube bei starkem Sonnenscheine geschah, und hier das Kind sehr weinte.- Acht Tage darauf liefs ich das Kind sogleich in eine dunkle Stube tragen, und fand bei der Untersuchung der Augen diese nicht geröthet, aber ohne eine Spur von Regenbogenhaut. Die Augen der Mutter waren regelmäfsig und von blauer Farbe, die des wahrscheinlichen, viel älteren Vaters eben so gut ge¬ formt, und ebenfalls blau. Die Schwangerschaft der Mut¬ ter war normal verlaufen. Die Mutter konnte sich an

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nichts erinnern, welches wohl eine Vermuthung zu dem so häufig angegebenen Versehen hätte geben können. Aufser diesem Augenfehler könnte ich an dem Kinde keine bedeu¬ tende Abnormität entdecken; es schienen nur die Kopfhaare und Augenbraunen schwach, dünn und blond, die oberen Augenlieder dick und wulstig. Die Haut des Kindes war zart und weich anzufühlen, und das gut gebaute Kind ge¬ dieh sichtbar. Nur sehr unvollkommen liefsen sich jetzt und in den darauf folgenden Besuchen des Kindes Augen beobachten; oft mufste ich mich begnügen, die dunkle, schwarze Pupille, aus der das ganze Auge zu bestehen schien, mit einem schnellen Blicke gesehen zu haben. Bald nachher verheirathete sich die Mutter, und zog nach Bern¬ burg, wodurch ich Gelegenheit erhielt, das Kind öfters zu sehen.

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392 I. Mangel der Hegcnbogcnhaut.

Nach und nach schien sich die Kleine an das Licht zu gewöhnen, allein noch immer war das Beobachten der Augen schwer, da dieselben so unstät waren und «las Kind, wahrscheinlich wegen unsicheren Sehens, ‘ängstlich und scheu war. Bei stark einfallendem Lichte schien noch ein Rudiment der Iris da zu sein, welches sich aber später als inneres Blatt der Sclerotica erwies. Die Hornhaut war etwas gewölbter als gewöhnlich. Zu dieser Zeit schrieb ich meinem Freunde Las per eine kurze Notiz über diese Augen, die dieser auch in Rust s und seinem Reper¬ torium mittheilte. Bei genaueren Beobachtungen fanden sich mehrere Abweichungen von dem früher Mitgetheilten, eben so auch Mittheilungen früher bekannt gemachter Fälle dieses Augenfehlers. Zufällig entdeckte ich auch bei mei¬ nem Besuche gegen Abend, dafs des Kindes Augen wie Feuer leuchteten, doch konnte ich dem Kinde wegen Licht¬ scheu die Stellung nicht wieder geben, in der mir das Leuchten erschien.

Im November 1827 erkrankte das Mädchen bei der heftigsten Lichtscheu an gutartigen Masern, bekam nach einer Erkältung heftige Bronchitis, die durch Antiphlogi- stica gehoben wurde.

Jetzt, im Anfänge des Septembers 1828, hat das Kind dieselbe Gröfse und gleiche Fähigkeiten, als andere Kinder von 1 £ Jahren. Seine Haut ist weich und w'eifs, die Kopf, haare sind dunkelblond, und die Augenbraunen weifslich und schwach. Ein etwas scheues Betragen gegen Kinder seines Alters rührt wohl daher, dafs es wegen Lichtscheu die gewöhnlichen Spiele derselben nicht theilen konnte. Es verliert sich aber dasselbe mit der Abnahme der Licht¬ scheu; aber immer sieht das Kind finster aus wegen der ctw'as gerunzelten Stirn und der wulstigen, dicken oberen Augenlieder , hinter welchen sich die Augen zu verbergen suchen. Leim Aufwärtssehen verschwindet auch noch der kleine Theii des sichtbaren Ciliarrandes des oberen Augen¬ liedes. Die Stellung der uoruhigen Augäpfel ist meistens

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I. Mangel der Regenbogenhaut.

nach unten, die des linken mehr nach unten und dem Na- senwinkel zu. Durch Zureden wird es jetzt möglich, dals das Kind die Augen fixirt, und dann sieht man die bläu¬ lich gefärbte Sclerotica, die dunkelschwarze grofse Pupille, aber nichts von Regenbogenhaut. Die Cornea ist in die Sclerotica eingesetzt, und der äufsere Falz der letzteren giebt dem Auge das Ansehn eines mit einem Gerotoxon behafteten Auges. Stellt man sich vor das in den Hinter¬ grund der Stube gestellte Kind, und läfst durch die Fen¬ ster Licht in die Augen des Kindes fallen, so entsteht in denselben ein rothes Leuchten, das dem Auge das Ansehn eines leuchtenden Rubins giebt. Die Augen des Beobach¬ ters müssen aber fast ganz parallel mit den einfallenden Lichtstrahlen nach den Augen des Kindes sehen. Unter der Sehaxe in dieser Stellung die Augen des Mädchens be¬ trachtet, ist das Leuchten derselben verschwunden, und es erscheint dann nur noch an der Verbindungsstelle der Sclerotica mit der Cornea gleich über dem unteren Augen¬ liedrande ein rother Streifen, der nach und nach gröfser wird, je höher man über die Sehaxe der Augen den Kopf hebt. Einigen Beobachtern, und auch mir, schien deshalb das Leuchten nur von der unteren Fläche der Choroidea herzurühren; allein bei gehöriger Stellung der Augen des Mädchens leuchtete auch die obere Hälfte. Es ist zu dem Beobachten dieses Leuchtens nicht erforderlich, dafs in ein ganz dunkles Zimmer Sonnenstrahlen einfallen; es erfolgt schon in einer ziemlich hellen Stube bei gewöhnlicher Be¬ leuchtung, wenn nur das Kind etwas entfernt von dem Fenster hingestellt wird. Ja selbst, wenn Mondschein in eine dunkle Stube nach den Augen des Kindes fällt, er¬ scheint das Leuchten, nur von geringerer Intensität, da es am Tage wie von einer glühenden Kohle herzurühren scheint. Durch diese rothe Farbe unterscheidet es sich auch von dem Leuchten der Katzen- und Eulenaugen, in¬ dem dieses mehr ahn gelbliches, grünliches, phosphorisches Licht wahrnehmen läfst.

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L Mangel der Regenbogenhaut.

Die Sehkraft des Kindes scheint ungestört zu sein,

und oft ist die Lichtscheu wie verschwunden. So stellte

ich mehrmals das Kind auf einen Fleck, auf den durch die

Fenster die helle Mittagssonne fiel, mit dem Gesichte gegen das Fenster, legte vor dasselbe auf einen Stuhl ein Bilder¬ buch , und liefs mir die ihm bekannten Bilder zeigen. Nach kurzem Zögern suchte das Kind die Katze, das Schaaf, die Kuh und das Pferd auf, obschon auf die Bilder die Sonnen¬ strahlen fielen. Auf den Fufsboden warf ich eine Steck¬ nadel, die cs auch nach einigem Suchen aus einer von der Sonne beschienenen Stelle herausnahm. Nach diesen Kxpc- rimenten schienen die Augen eben nicht angegriffen zu sein. Dessenungeachtet scheint das Kind in der Dämmerung am wohlsten sich zu befinden, es ist dann munter, spielt und läuft mehr herum. Unaufgefordert zeigte sie mir dann ihre Bilder, leichter fand sie dann die in Sand geworfenen Steck- und Haarnadeln. In fast gänzlicher Dunkelheit, wo meine im Hellen und Dunkeln scharf sehenden Augen kaum noch die Umrisse der bemalten Holzschnitte sahen , erkannte das Kind die Figuren ziemlich schnell, obschon es das Bil¬ derbuch nicht lange besessen hatte, und es vielleicht sonst ein mehr mechanisches Aufsuchen und Finden gewesen sein könnte. Ueberhaupt trennt es sich ungern von den mit leb¬ haften Farben bemalten schlechten Holzschnitten seines Bil¬ derbuches und seiner bunten Puppe. Die brennendsten Far¬ ben in Koth und Gelb sind dem Kinde in Bildern und Blu¬ men die liebsten, es sucht sich dieselben immer aus, und . verlangt sie mit Heftigkeit. Hat es dieselben erlangt, so betrachtet es sie lange mit freundlicher Miene, und hebt sie sorgfältig auf. Kleinere Gegenstände bringt sie ziem¬ lich nabe an die Augen, aber nie der Sehaxe gegenüber, sondern unter dieselbe. Am unangenehmsten ist dem Kinde das Aufwärtssehen , auch bei geringer Beleuchtung; es wen¬ det dann die Augen sehr bald zur Seite, am liebsten aber nach unten. Alle änderet) Sinnorgane sind gesund; beson¬ ders das Gehör ausgezeichnet.

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I. Mangel der Regenbogenhaut. 395

Interessant wird die fernere Entwickelung sein, und ich werde deshalb meine Beobachtungen eifrig fortsetzen.

Aufsfcr diesem Falle sah ich auch die von Dzondi be¬ schriebene Augenkrankheit der Dem. Lezius in Ballenstädt. Die Kranke, jetzt 47 Jahre alt und gehörig inenstruirt, war in der Kindheit immer gesund, und konnte bei ihrem ange¬ borenen Augenfehler die feinsten Arbeiten machen. Nach leidenschaftlichem Tanzen, im zwanzigsten Jahre, bekam sie rothe entzündete Augen, zu deren Heilung nichts versucht wurde, und seit dieser Zeit eine noch jetzt statt findende Verdunkelung der vorderen Linsenkapsel des linken Auges. Die Verdunkelungen der Cornea sind grüfstentheils an der gröfsten Wölbung dieser Haut, und die leichte Trübung der Basis derselben läfst noch so viel Licht in beide Augen fallen, dafs die Kranke ihre häuslichen Arbeiten verrichten kann. Selbst die Verbindung der Cornea mit der Sclerotica läfst sich hier wie bei der Caroline Schwabe erkennen. Sie findet auf gleiche Weise wie bei dieser statt. Die Unruhe der Augäpfel ist auch hier sehr auffallend, und scheint jetzt, wo nicht zu viel Licht in die Augen fällt, mehr Angewöhnung als wirkliches Bedürfnifs zu sein. Die Augenlieder sind ganz normal.

Es sei mir noch erlaubt, einige Folgerungen über mehrere, noch immer der Beleuchtung bedürftige, anato¬ misch-physiologische Gegenstände aus den an diesen Augen ohne Iris, angestellten Beobachtungen mitzutheilen.

Das Entstehen des Mangels der Iris kann sich nur er¬ eignen, während der Organismus in der ersten Periode der Bildung begriffen ist, wo sich jedes Organ gestaltet und beinahe jede Form annehmen kann; nie kann ein neuer Bil- dungsprozefs eingeleitet werden, um diesen Fehler zu er¬ setzen. Er gehört deshalb zu den Mifsbildungen, den Feh¬ lern der ersten Bildung, wie Meckel l) sie nennt. Die Nothwendigkeit, auf eine besondere Art milsgebildet zu

I) Pathologische Anatomie. Bd. 1. S. 6.

396

I. Mangel der Regenbogenhaut.

werden, erklärt sich vorzüglich ans der Entwickeluogsge- schichte eines jeden Organs, indem sich aus dieser, mit der (beschichte der Mifsbildungen verglichen , ergieht, dafs hei weitem der grüfstc Theil der letzteren Hemmungen auf einer früher normalen Bildungsstufe der Organe steht l 2 3 *), deshalb die Persistenz der Pupillarmembran , die mehrmals

beobachtet wurde 9). Kme der seltenen Ausnahmen von

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dieser Regel aber findet bei dem Fehlen der Regenbogen¬ haut statt. I)ic von Wachendorf entdeckte Membrana pupillaris entspringt als eigene Haut mit ihrem äufseren Rande vom innern der Blendung, und füllt die Pupille so vollständig aus, dafs sie die beiden Augenkammern gänz¬ lich trennt. Sie ist straff ausgespannt, ziemlich fest, aber sehr zart, dünn und durchsichtig, so dafs sie, wenn ihre Rlutgefafse nicht ausgespritzt sind, nur durch Erhärtung des Auges in Weingeist deutlich wird. Sie besteht aus zwei Blättern, von denen das vordere eine Fortsetzung der die vordere Fläche der Blendung bekleidenden serösen Haut ist, das hintere gefäfsreiche mit der Uvea zusammenhängt* Ihre Arterien erhält sie von denen der Iris und der Lin¬ senkapsel; Venen sind in ihr noch nicht bestimmt nachge¬ wiesen. Vor dem dritten Monate ist sic nicht deutlich sichtbar, bis zum fünften gallertähnlich und gcfäfslos; im siebenten ist sie am deutlichsten; gegen das Ende des ach¬ ten fängt sie gewöhnlich von der Mitte nach aufsen, also an der gefäfslosen Stelle zuerst, an zu verschwinden , so dafs man im neunten Monate gewöhnlich nur frei vom Rande der Pupille herabhängende einzelne Flocken als Spu¬ ren von ihr findet *). Vermut h lieh ist in den Fäl¬ len von fehlender Iris die Pupillarmembran mit der Blendung so innig verbunden, dafs diese

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T) Meckel, Pathologische Anatomie. Bd. I. S. 15.

2) Meckel, ebendaselbst S. 396.

3) Meckel, Handbuch der menschlichen Anatomie. Halle

und Berlin 1620. Bd. IV. S. 114.

397

I. Mangel der Regenbogenhaut.

beim Aufsaugungsprozesse der Pupillarmembran mit verzehrt wurde. Theitweise mag dies ebenfalls bei den» Coloboma iridis der Fall sein J). Diese Ver- muthung scheint wohl wahrscheinlicher, als die Erklärungs¬ weise von v. Walther1 2), der das Coloboma iridis wie die Hasenscharte und andere angeborene Trennungen in der Medianlinie des menschlichen Körpers entstehen läfst. Es soll, wie der ganze Thierleib aus zwei seitlichen Hälften besteht, die erst, nachdem sie einen gewissen Grad der Ausbildung und Entwickelung erreicht haben, auch jedes besondere Organ, selbst die doppelt vorhandenen in der Medianlinie zusammen wachsen. Bis jetzt ist aber am mittelsten Auge der dreiäugigen Mifsgeburten die Iris grö- fser gewesen, und soll nach Sybel 3) ganz deutlich die Entstehung dieses Auges aus zweien gezeigt habeu. Me¬ ckel 4) sagt: Bei der Verwachsung beider Augen zu einem, rückt das zusammengeflossene Auge genau in die Mitte, und ist auch in Hinsicht auf seinen Bau symmetrisch ange¬ ordnet. Die Erblichkeit des theilweisen Mangels der Regenbogenhaut spricht auch für die des gänzlichen; es liefert daher dieser Augen fehler wieder einen Beweis für Me ekel5 s 5) Ansicht, dafs Mifsbildungen dieser Art nie durch mechanische Ersachen entstehen können. Wenn der¬ selbe aber sagt 6), dafs wenn eine Mifsbildung Spuren einer

1) Krukenberg sagte mir in Berlin, nachdem ich die Geschichtserzählung des Fehlers ohne Iris vorgetragen hatte, dafs er ein Kind kenne, wo nach und nach die Iris verschwunden sei. Bis jetzt habe ich noch keine nähere Nachricht von Kr. erhalten, und ich ersuche ihn daher, diesen interessanten Fall zur Bekanntmachung zu bringen.

2) v. Gräfe und v. Walther, Journal für Chirurgie u.

s. w. Bd. II. p. 602. j

3) Sy b el a. a. O. S. 64.

4) Handbuch der Anatomie. Bd. IV. S. 120.

5) Pathologische Anatomie. Bd. I. S. 29.

6) Ebendaselbst. S. 25.

398 J. Mangel der Regenbogenhaut,

unvollkommenen, mangelhaften Entwickelung trogt, sich diese häufig nicht blofs auf einzelne äufsere Organe erstrecke, sondern mehr oder weniger durch den ganzen Körper greile, so ist dieser l all eine Ausnahme dieser Kegel, denn es fin¬ det sich bis auf dis Fehlen der Iris und die Veränderung der Ghoroidea, welche vielleicht nur als Hiilfsmittel zum Sehen von der Natur hier auf die noch später anzugebende Weise eingerichtet wurde, kein einziger abnormer Zustand des Organismus des Kindes. Auch die Dem. Leeius ist normal gebaut, und hat nur den Augenfehler.

Anmerkung. Das Analogon der Kegenbogenhaut im Gehörorgane, das Trommelfell x), ist, so viel ich auch bei Meckel, Morgagni, Kaillie u. s. w. nachgesucht habe, jetzt zum ersten Male fehlend gefunden. Im Tübin¬ ger Clinicutn zeigte sich bei einem Kinde ein angebor- ner Mangel des Trommelfells. An beiden Ohren war nur ein kleines Stück von dieser Ilaut vorhanden, die Gebörknochen , vielleicht mit Ausschluß des Steigbügels, fehlten, und man konnte deutlich «len äufseren Gehörgang bis auf die ungleiche hintere Wandung der Trommelhöhle sehen 1 2).

Aber einzelne Veränderungen in den Umgebungen des Augapfels finden sich doch, sie scheinen aber ebenfalls von der Natur dem Kinde zum Ersätze für «las Fehlen der Ke¬ genbogenhaut hervorgebracht zu sein. So hat die äufsere Umgebung des Augapfels, bis auf die Farbe, die gröfste Aehnlicbkeit mit dem Mohrenauge. Die Augen braunen sind dünn und zart, nicht gekräuselt, und ragen nur wenig über die Augeulieder hervor. Die obercu Augenliedcr sind

1) W i 1 1 i s de anima brutorum; vergl. Iliioly: Der Streit der Sinne, in seiner Bibliothek liir ( )phlhalmologic , Kcnutnils und Behandlung der Sinne überhaupt in ihrem gesunden und kranken Zustande. Hannover 181*5. 15 d. 1. St. 1. S. 6.

2) Klsässer in II uleland 's und Osann's Journal der praktischen Heilkunde. iS— S. Juli. S. 1—3.

399

I. Mangel der Regenbogenhaut.

wie geschwollen, die Augenliedspalte enger; nur die lan¬ gen, dunkelgefärbten Augenwimpern sind wie bei Kindern gleichen Alters. Das Mohrenauge gleicht auch in sofern diesem Auge ohne Iris, als in jenem die Iris so einfarbig und dunkelbraun tingirt ist, dafs man in einiger Entfernung die Pupille nicht unterscheidet, sondern die ganze Blendung wie ein runder schwarzer Fleck erscheint r). Die Entfer¬ nung der Augenhöhlen aber ist bei dem Kinde, wie bei dem europäischen Kindesauge, Durch diese Aehqlichkeiten mit dem Mohrenauge ist es dem Auge ohne Iris möglich die blendendsten Sonnenstrahlen, wie jenes zu ertragen.

Ferner scheint mir die wregen Fehlen der Blendung sichtbare Verbindung der Hornhaut mit der Sclerotica einiger Erwähnung bedürftig, da Rudol- phi 1 2 3) behauptet, dafs sie nur auf die Art geschehe, in¬ dem die Sclerotica die Hornhaut so aufnimmt, dafs sie die¬ selbe schräg auslaufend etwas umfafst, oder die Hornhaut etwas hinter ihr vorderes Ende tritt. Die genaueste

Beobachtung des mitgetheilten Falles (und des der Dem. Le- zius) von angeborenem Regenbogenhautmangel zeigt aber, dafs sich hier die bei Menschen seltenere Form der Verbindung der Cornea mit der Sclerotica findet, nämlich die zweite Art nach Müller 5) und Meckel4), die letzter so be¬ schreibt: Beide Flächen der Hornhaut verkleinern sich all— mählig, und die Hornhaut schiebt sich daher in einen, durch das Auseinanderweichen der harten Haut an ihrem

1) v. Söramerring, Abbildungen des menschlichen Au¬ ges. Frankf. a. M. 1801. S. 6.

2) D iss. de oculi quibusdam partibus. Grryph. 1801. 4. Ferner: Anatomisch - physiologische Abhandlungen. S. 1 - 30. Desgleichen: Grundrifs der Physiologie. Iid. II. Abth. 1. Berlin 1823. S. 172.

3) Anatomisch -physiologische Darstellung des menschlichen Auges. Wien 1819. 8: 46.

4) Handbuch der menschlichen Anatomie. Bd. IV. S. 75.

400

I. Mangel der Regenbogenhaut.

vorderen Rande gebildeten Falz. Diese beiden Blatter oder Falze der Sclcrotica sieht man hier deutlich, beson¬ ders «las hinterste Blatt, bei starker Beleuchtung der Augen, so dafs ich anfangs dadurch getäuscht wurde und es für ein Rudiment der Regenbogenhaut, das durch das Finfallen des starken Lichtes kräftig zur Expansion aufgeregt wurde, hielt. Wahrscheinlich findet sich immer beim Fehlen der Iris diese Verbindungsart der beiden Häute, da sie bei der gewöhnlichen, von Rudolphi angegebenen Art durch «las Anhcftcn der Iris Festigkeit bekommt, deren sie bei dem Mangel derselben ganz entbehren würde. Dafs man bei diesem Kinde die Verbimlungsart dieser'Häute so genau se- ben kann, scheint mir noch ein Beweis mehr Air das wirk¬ liche Fehlen der Regenbogenhaut zu sein, da diese bekannt¬ lich gerade hier befestigt und hierdurch den Forschungen hinsichtlich dieser Verbindung beim Leben des mit norma- len Augen begabten Menschen ein Ziel gesetzt wird.

Wenn es möglich wäre, im lebenden Auge das unge¬ fähr eine Linie breite, weifsliche S trab len band oder den Faltenkranz zu sehen, so miifste es wohl in diesem dun- kelschwarzcn Auge «1er Fall sein, da die Iris hier den Un¬ tersuchungen an keiner Stelle hinderlich ist. Nie habe ich selbst mit gut bewaffnetem Auge auch nur das geringste davon gesehen. So bemerkte man ja auch noch nie, das Ci¬ liarligament nach der gliicklichst ausgerührten Coredialvse gesehen zu haben, wo die neugebildete, schwarze Pupille eben¬ falls dazu geeignet wäre. Auch v. Walther bestätigt dieses. Er gab .sich die gröfste Mühe, dasselbe bei dem Coloboma iridis oder nach der Trennung der Regenbogen¬ haut vom CiliailAmde aufzufinden, allein vergeblich. Hier¬ aus folgt wohl, dafs die Einwendung der Commission der Societe du cercle medical in Paris gegen die Beobachtung

1) v. Grafe und v. Walther, Journal der Chirurgie u.

5. w. Bd. II. S. 60 1.

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V " j

I. Mangel der Regenbogenhaut. 401

Morisson’s vom Fehlen der Irls, ohne praktische Erfah¬ rung gemacht worden ist.

Vorzügliche Berücksichtigung bedarf wohl ferner die Betrachtung des durch Choroidea, Uvea und Processus ci¬ liares abgesonderten schwarzen Pigments, das bekanntlich durch alle Thierklassen verbreitet und hier in Menge vor¬ handen und von der dunkelsten Schwärze ist, weshalb auch die Sclerotica ins Bläuliche schimmert, im Gegensätze mit dem gänzlichen Fehlen desselben bei den Kakerlaken, bei denen ebenfalls im Gegensätze bei hier fehlender Iris, diese fast in steter Expansion ist, also fast immer Myosis pupillae statt findet. Auffallend ist das reichlich vorhandene Pigment bei diesem sonst blonden Kinde, denn es pflegt nur bei Brünetten, vorzüglich aber bei Mohren von so bedeutender Intensität und Quantität zu sein J).

Am merkwürdigsten aber ist das Leuchten der Au¬ gen, welches für ein das Pigment überziehendes Tapetum lucidum spricht. Nach den von Prevost2) und Edler3) ge¬ machten Erfahrungen läfst sich jetzt nicht mehr bezweifeln, dafs die Rückstrahlung des Lichtes von der Tapete die Ur¬ sache des Leuchtens im Auge ist, welches unter gewissen Umständen sich bei Raubthieren, Wiederkäuern, Pachy- dermen, Cetaceen, Eulen, Crocodilen, Schlangen, Rochen und llayen findet. Durch das wahrscheinliche, oder viel¬ mehr wohl gewisse Dasein de$ Tapeti lucidi in Augen ohne Blendung, wird Blumenbach ’s 4) Vermuthung : dafs das Tapetum lucidum dazu diene, um weniger Licht zu absorbiren, sondern es vielmehr an die davor liegende Markhaut zurückzuwerfen, nicht

/

v. Sömmerring a. a. 0. S. 6.

Biblioth. britannique A. 1810. Tom. 45.

Kastner’s Archiv für Naturlehre. Bd. 8. S. 394.

*

Handbuch der vergleichenden Anatomie. Göttingen 1805.

v

1)

2)

3)

4) S. 389.

402 I. Mangel der Regenbogenhaut.

ganz bestätigt, und die Ansicht Rudolph Fs 1 ), welcher sagt: « Bei Filieren , die bald in grofsc Ferne sehen, bald den Kopf zur Erde halten, um ihr Futter zu suchen, ist die grofse Beweglichkeit der Iris gewifs sehr wichtig, und um so mehr, als ihr Auge durch die Tapete zu eben dem Zwecke so sehr empfindlich gegen das Eicht sein m u fs, als richtig erwiesen. Es giebt zwar mehrere mit Tapetum lucidum versehene Thierarten, die auch bei dem heilsten Sonnenlichte recht scharf sehen, und wieder andere, denen die Tapete fehlt (Nagethiere, Heder- mäuse, Igel und Maulwürfe), haben ein so empfindliches Sehorgan, dafs sie fast nur des Nachts ihrer Nahrung nach¬ gehen, und selbst bei der grüfsten Finsternifs zu sehen scheinen. Wahrscheinlich ist es aber, wie auch Trevi¬ ranus2) angiebt, dafs diese letzteren eine so reizbare Netz¬ haut haben, um nur bei sehr geringer Beleuchtung sehen zu können. Spallanzani 's bekannte Versuche mit ge¬ blendeten Fledermäusen könnten für einen neuen, dem Ge¬ sichtssinne analogen, ihn unterstützenden Sinn sprechen, allein es läfst sich diese Erscheinung durch Annahme der gesteigerten Empfindlichkeit der Netzhaut w’ohl am genü¬ gendsten erklären. Aber alle jene Thiere mit Tapetum lucidum, die auch Lei starker Beleuchtung sehen können, haben nur eine th eil weise Verbreitung der Tapete auf der Choroidea; es ist nur die obere Fläche derselben bis zum hinteren Ende der inneren Augenaxe von ihr bedeckt. Bei Cetaceen, Eulen, Amphibien und Fischen erstreckt sie sich- über die ganze Choroidea. Auch in den beiden Fallen der leuchtenden Augen ohne Blendung, die von Morisson und mir mitgctheilt sind, findet sich die Tapete wahrschein*

1 ) Grundrifs der Physiologie. Berlin 1823. Bd. 11. Abth. 1. S. 222.

2) G. R. Trcvirann j, Beitrage zur Anatomie und Phy¬ siologie der Sinneswerkzeuge der .Menschen und Thiere. Bremen

1828. Fol. L S. 73.

I. Mangel der Regenbogenhaut 403

lieh wie hei den Eulen verbreitet, und deshalb schmerzte die Kinder ein grelles Licht. Die mitgetheilten Fälle von Daratta, Dzondi und Pönitz sprechen von keinem Leuchten, aber auch von keiner Lichtscheu. Allein hier waren Verdunkelung der Linse, und in einem Falle, der Hornhaut zugegen, wodurch vielleicht die genaue Beobach¬ tung gehindert wurde. So konnte auch ich bei genauester Beobachtung kein Leuchten in den Augen der Dem. Le- zius finden, allein, wie schon gesagt, bedeutende Verdun¬ kelung der Hornhaut verhindert hier das völlige Eindringen der Lichtstrahlen.

In der Verwandtschaft des kleinen Mädchens ohne Iris ist ein 12 jähriges Mädchen, dessen Augen ebenfalls im Dun¬ keln leuchten sollen. Vater und Mutter des Kindes ver¬ sicherten auf das Bestimmteste, dafs wenn das Kind im Dun¬ keln stände, und Licht in die Augen fiele, diese, wie die Augen der Kakerlaken, auch roth würden. So viel Wege ich auch nach dem Orte machte, so konnte ich doch dies nicht sehen, und auchi die Eltern wunderten sich über das Fehlen dieser so oft gesehenen Erscheinung. Auffallend war die grofse Beweglichkeit der Iris dieses Mäd¬ chens, und ein gewisses Unstätsein der grünlichen Augen, deren Pupillen eine bedeutende Schwärze bei genauer Be¬ trachtung hatten, obschon dieselben bei der Stellung nach dem Lichte eine anscheinend rothgraue Färbung bekamen. Die Selikraft im Hellen und Dunkeln weicht nicht vom

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Normalen ab. Oder nimmt dieses Leuchten mit den Jahren ab? Bei dem ^jährigen Kinde fand ich dieses nicht, wohl eher Zunahme. Oder haben die genannten Schrift¬ steller dieses nur bei einer bestimmten Stellung des Auges gegen das Licht zu bemerkende Leuchten zufällig nicht gesehen? Kaum ist dieses von dem sonst so scharfen Beob¬ achter Pönitz zu erwarten. In dem Falle von Monsson wird die Farbe der Pupille gar nicht erwähnt; war hier vielleicht Mangel des Pigments, da Morisson von hellen Pupillen spricht, hinter denen der Grund der Augen so

404

I. Mangel der Regenbogenhaut.

beleuchtet war, dafs man die röthlich gefärbte Choroidca übersehen konnte? Die rothe Farbe erklärt er für das Product des zu grofsen Lichtreizes, welcher die Thätigkeit der Gefafse so sehr gesteigert habe, dafs rothes Blut selbst in diejenigen eingedrungen sei, welche eigentlich nur farb¬ lose Fluida führen; allein dergleichen Gefäfse giebt es in der aus Blutgcfäfscn und Zellgewebe bestehenden Choroi- dea nicht, weshalb die Hypothese in ihr Nichts zurückfällt. G. R. Treviranus ') giebt folgende physiologische Erklä- rung über den Nutzen der Tapete: Von jedem Punkte des äufseren Raumes, wovon Strahlen zu ihr (der Tapete) ge¬ langen können, werden diese auf ihr durch die durchsich¬ tigen Theilc des Auges vereinigt, und sie wirft die sümmt- lichen vereinigten Strahlen wieder nach der Linse zurück. Die letztere verbindet dieselben zu einem einzigen Kegel, der die Augenaxe zur Axe hat, und dessen Spitze nach aufsen gerichtet ist. Die sehr convergenten Strahlen dieses Kegels werden mehr divergirend bei ihrem Uebergange aus der Linse in die wässerige Feuchtigkeit, und aus dieser in die Luft oder das Wasser. Die Spitze des Kegels fällt endlich in den Punkt des deutlichsten Sehens: denn in die¬ sem haben alle Strahlen, die aus dem Innern des Auges zur hintern Fläche der Linse gelangen, ihren Brennpunkt. Der K^gel ist vollständig, wenn die Tapete sich über die ganze Choroidca erstreckt. Es fehlt die obere Hälfte des¬ selben, wenn jene nur die obere Hemisphäre dieser Haut einnimmt. Die Tapete ist bei allen Thieren, deren Aufent¬ halt und Lebensweise von solcher Art sind, dafs die untere Hälfte der Netzhaut von dem hellen Tageslichte unmittel¬ bar getroffen wird, auf die obere Hülfic der Choroidca «ingeschränkt, aus dem einfachen G runde, weil das Thier, wenn die Rückstrahlung des hellen Lichtes von der untern Hälfte des letztem geschähe, geblendet werden ndifste.

Sie

1 ) A. a. O. S. 74.

I. Mangel der Regenbogenhant. 405

's* -*■

Sie bedeckt den ganzen Hintergrund bei den Eulen, Ceta- ceen u. s. w., weil diese Thiere an dunkeln Oertern oder im Wasser, einem wenig erleuchteten Medium, ihren Aufent¬ halt haben, oder nur Nachts ihrer Nahrung nachgehen.” So hält es auch Treviranus für eine noch nicht so ausge¬ machte Sache, ob nicht zuweilen auch ein phosphorisches Licht von der Retina oder Choroidea ausgehe, und greift hier also wieder eine ältere, neuerlich von einem Unbe¬ kannten r) vertheidigte Ansicht von dem eigenthümlichen Lichte des Auges wieder auf, obschon sie, meiner Meinung nach, durch Rudolphi<1 2) hinlänglich widerlegt ist.

Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, der pathologischen Lichterscheinung im menschlichen Auge zu gedenken, die Beer 3) unter dem Namen amau¬ rotisches Katzenauge zuerst beschrieb, und undeutlich, wie er selbst gesteht, abbilden liefs. Im Hintergründe des Auges, sehr weit von der Pupille, entwickelt sich ganz deutlich eine concave, bleichgraue, oder weifslich-gelbliche, oder in das Röthliche schillernde Verdunkelung, bei der das Gesicht verworren ist, indem alle kleineren Gegen¬ stände bei genauer Betrachtung in einander laufen. Je mehr sich die Amaurose entwickelt, desto stärker ist die helle Stelle und im Halbdunkel das Leuchten sichtbar. Die Farbe der Regenbogenhaut erbleicht dann immer mehr. Die Ur¬ sachen dieser Krankheitsform sind nicht aufzufiuden. So sah ich sie bei einem Knaben von zehn Jahren in Beer’s Klinik im Jahre 1817; ein seltener Fall, da sie sonst meist bei älteren Personen vorzukommen pflegt. Das Kind hatte Amblyopia amaurotica; das Auge schien nur bei dem hel-

1) Schwcigger’s Journal für Chemie und Physik. Bd. 16. St. 2. S. 121 157.

2) Grundrifs der Physiologie u. s. w. Bd. II. Abtheil. 1. S. 209.

3) Lehre von den Augenkrankheiten. W ien 1817. 8. Bd. II. S. 495.

XIII. Bd. 4. St. 27

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406

I. Mangel der Regenbogenhaut.

lesten Sonnenlichte seine frühere Sehkraft zu empfinden, und der Knabe konnte nie in der Dämmen/ng mit demsel¬ ben sehen; ein Beweis, dafs eine eigentümliche Paralyse der Retina, vielleicht von der Choroidea ausgehend, das Wesen der Krankheit ist. Nicht unwahrscheinlich ist mir, dafs das Leuchten hier durch Phosphorescenz des Pigments entsteht. Dafs dieses aber nicht der Fall Lei dem Kinde ohne Iris sei, geht wohl aus der Vergleichung der verschie¬ denen Art des Leuchtens und der völligen Abwesenheit der Amaurose Lei der Caroline Schwabe hervor. Gegen¬ teils ist hier gesteigerte Empfindlichkeit der Netzhaut, die sich nach und nach verliert.

Pönitz *) glaubt, dafs man nicht wohl annehmen könne, dafs die den» Sehen bestimmte Nervenmassc wohl weniger reizbar sein möge, und deshalb selbst viel Licht vertragen werde, weil dieses Mädchen auch bei schwachem Lichte so gut sah, als andere. Ja das kleine Mädchen, die ich so oft beobachtete, konnte bei ziemlich bedeutender Dunkelheit Farben und Umrisse erkennen, die meine schar¬ fen Augeu nur schwach und mit grofser Mühe entdecken konnten. Es mufs also etwas anderes sein, was die bei fehlender Iris nothwendig vorhandene Lichtscheu verrin¬ gert. Viel wird, wie immer, die Gewöhnung ans Licht, und die dadurch verminderte Empfindlichkeit der Netzhaut dazu beitragen. Deshalb hatten die Kinder Lichtscheu (ob¬ schon sich seit kurzer Zeit diese bei der Carol. Schwabe bedeutend verringert hat), die erwachsenen Menschen nicht mehr. Allein hinreichend ist wohl die Annahme der Ge¬ wöhnung an das Licht nicht. Pönitz beschreibt daher die Art und Weise, wie nach seiner Meinung, die ich auch zur meinigen machen mufs, diese Individuen den Mangel der Iris zu ersetzen suchen. Es ist ein gelinder Druck, welchen bei zu stark einwirkendem Lichte die den Bewc-

1) A. a. O. S. 221.

407

I. Mangel der Regenbogenhaut.

4

I

gungen des Augapfels dienenden Muskeln auf denselben aus¬ üben, wodurch das innere eigentliche Sehorgan unempfäng¬ licher für das einwirkende Licht, so lange dieser Druck dauert, werden mag. Denkbar ist es Pönitz, dafs die die¬ sen Druck durch ihre Zusammenziehung ausübenden Mus¬ keln der Augen dieses Mädchens durch frühzeitige, wohl schon bei mäfsigem Lichte veranlafste Uebung eine ganz vorzügliche Kraft, ihn zu bewirken und lange zu unterhal¬ ten, können erlangt haben. Und so würden sie, so lange dieser statt findet, auch in sehr hellem Lichte gut sehen; in schwächerem aber, bei unwillkührlich dann aufgehobe¬ nem Drucke und dadurch hergestelltem Grade der eigent¬ lichen Empfänglichkeit auch genug leisten.« Höchst er¬ freulich ist es mir, durch meine mitgetheilten Beobachtun¬ gen die so scharfsinnige Hypothese Pönitz’s zu bestäti¬ gen; denn schon früher bemerkte ich die bedeutende Zu¬ sammenziehung der Augenlieder, die den wahrscheinlichen Druck der Augenmuskeln verstärken, so dafs bei stark ein¬ fallendem Lichte diese so heftig wirken, dafs die Hornhaut dadurch hervorragender gemacht wird.

Zuletzt sind noch zu berücksichtigen, die bei diesen Individuen im späteren Alter fast immer vorgekommenen Cataracten. Auch hier zeichnete sich der deutsche Arzt vor dem italienischen aus, indem dieser es nicht wagte, dem staarblinden Manne das Gesicht durch eine Operation wieder zu verschaffen. Pönitz schlofs sehr richtig, dafs die Extraction hier wegen gänzlich fehlenden Wider¬ standes, welchen in normal beschaffenen Augen die Iris den hinter ihr befindlichen Gebilden des Auges bei geöff¬ neter Hornhaut entgegenstellt, nicht anwendbar sei. Von der Depression und ähnlichen Methoden war ebenfalls nur ein unvollkommener Zustand des Gesichts zu erwarten, da der verdunkelte Krystallkörper nicht ganz aus der Sehaxe entfernt werden konnte. Also blieb keine andere übrig, als die Zerstückelung des Staars durch die Hornhaut, die Pönitz ausführte und die mit so herrlichem

27*

408

I. Mangel der Regenbogenhaut.

Erfolge gekrönt wurde. Also wieder eine Indication zur, Zerstückelung der Linse mehr!

Das öftere Erscheinen des Staars bei dieser Krankheits¬ form liegt zum Theil w'ohl in der, die Linsenkapsel hei heftigen Erschütterungen schützenden, hier aber fehlenden Iris, wodurch die Kapsel mit der Linse aus ihrer Verbin¬ dung mit dem Glaskörper gelöst, und wegen fehlender Er¬ nährung verdunkelt wurde. \ ielleicht ist aber die heftige, durch die Expansion der Iris nicht verringerte Einwirkung des Sonnenlichts Lrsache zur Verdunkelung des Krystall- körpers.

Die zwei Abbildungen enthalten:

A. ) Den obern Theil des Gesichts der Carol. Schwabe;

die Augen sind in der Stellung, wenn das Kind geradeaus- und etwas nach oben blickt. Man sieht hier die etwas gerunzelte Stirn, die dicken, wulsti¬ gen oberen Augenlieder, deren Ciliarrand fast ganz verschwunden ist, und die schwachen Augenbraunen. Am Rande der grofsen Pupille erblickt man die et¬ was über die Cornea geschobene Sclerotica.

B. a.) Das linke Auge in natürlicher Gröfe drückt die

ruhige Stellung desselben aus, wenn das Kind in dunkler Stube steht und Tageslicht ins Auge fällt. So viel als möglich wurde das Glühen und Leuchten im Auge ausgedrückt.

b. ) Das nämliche Auge bei derselben Beleuchtung, bei

Anstrengungen des Kindes, nach oben zu sehen und das Auge zu fixireu.

c. ) Das rechte Auge vergröfsert, mit <jer gewöhnlichen

k arbe der Pupille; der etwas bläuliche Rand bezeich¬ net die Stelle der "\ erbindung der Cornea mit der Sclerotica.

II. Zweifelhafte Seelenzustände.

409

' II.

Beiträge zur Erkenntnifs und Beurtliei- lung zweifelhafter Seelen zu stände; von Dr. Johann Christian August Clarus, Ko- nigl. Sächsischem Hof- und jVIedicinalrathe, des Königl. Sächsischen Civilverdienst- und des Kai- serl. Russischen Wladimir-Ordens vierter Klasse Ritter, ordentlichem Lehrer der Klinik, des Kreis¬ amtes, .der Universität und der Stadt Leipzig Phy- sicus, Arzte am Jacohshospital, mehrerer gelehrten Gesellschaften und der Kaiserl. Russischen Uni¬ versität zu Charkow Ehrenmitgliede. Leipzig, hei Gerhard Fleischer, 1828. 8. XVIII und 332 S. ( l Thlr. 12 Gr.)

Die Leipziger medicinisclie Facult'at erwarb sich von jeher ein ausgezeichnetes Verdienst um die Begründung der psychischen Legalmedicin , sowohl durch systematische Bearbeitung derselben, als durch öffentliche Bekanntmachung von ihr abgefafster Gutachten, welche eine glückliche Mitte zwischen richterlicher Strenge und übelverstandener Huma¬ nität haltend, durch die Umsicht, Reife und Gediegenheit ihrer Urtheile sich als Muster zur Nachahmung empfehlen. Noch jetzt gelten Platner’s vortreffliche Quaestiones me- dicae legales de vesania als Autorität, auf welche Gerichts¬ ärzte bei schwierigen Entscheidungen sich berufen, und man mufs es ihnen auch im Allgemeinen nachrühmen, dafs in ihnen ein acht philosophischer Geist weht, welcher mit freiem Blick das Verbal tnifs der moralischen und physischen Ursachen bei Ilervorbringung von Gemüthsstörungen rich¬ tig aufzufassen sich bestrebt, wenngleich gelegentlich sich ein hypothetischer Begriff, z. B. von der Amenlia occulta eingeschlichen und auf die Gültigkeit eines bewährten Er¬ fahrungssatzes Anspruch gemacht hat. Auch von diesem

I

' 410 II. Zweifelhafte Seelenzustände.

Fehler hat sich der hochgeehrte Verf. vorgenannter Schrift frei gehalten, und von den geläutertsten Grundsätzen aus¬ gehend, seinen mitgetheilten Gutachten eine Evidenz und Bündigkeit zu verleihen gewufst, welche ihm die Zustim¬ mung aller unparteiischen Sachkundigen zusichern wird. Erhöht wird der Werth dieser dankenswerten (iahe durch die wichtigsten Folgerungen, welche der Verf. aus jedem einzelnen Gutachten ableitet, und die um so gewisser zur Schlichtung mannigfacher Conl roverspunkte beitragen wer¬ den, da sie nicht «Jas Ergelmifs einer vagen Speculation, sondern aus einer klaren Anschauung des objectiven Sach- verhältnisses hervorgegangen sind.

In der Einleitung rechtfertigt sich der Verf. darüber, dafs er es überall vermieden hat, den von den meisten Ge¬ richtsärzten anerkannten Freiheitsbegriff als den Maafsstab bei seinen psychisch -gerichtlichen Entscheidungen in An¬ wendung zu bringen, indem er zu beweisen sucht: 1) dafs die Notwendigkeit und Ilinlänglickeit des Begriffs von Frei¬ heit zum Behuf gesetzlicher Bestimmungen, richterlicher Fragen und gerichtsärztlichcr Entscheidungen auf einer Täu¬ schung beruhe, und dafs der Zweck des Gesetzgebers und Bichters bei Untersuchungen dieser Art, auch ohne Einmi¬ schung des l- reiheitsbegriffs , vollständig erreicht werden könne; 2) dafs die öftere Verfehlung dieses Zwecks aus anderen Ursachen, als aus dem Mangel oder Nichtgebrauch eines vermittelnden Princips herrühre, und 3) dafs sich die verschiedenen Meinungen über diesen Gegenstand auf eine ungezwungene Art vereinigen lassen. Um allen Mifsver- standnissen vorzubeugen, und die Verwechselung des Frci- beitsbegriffs im juridischen Sinne mit dem metaphysischen oder trnnscendeutalen zu verhüten, definirt der Verf. den ersten als den Zustand des Menschen, in dem der unbe¬ dingte und letzte Bestimmungsgrund zu seinem Handeln in einem von ihm allein abhängigen Entschlüsse enthalten ist, und indem es mithin in seiner Macht steht, die Vorstel¬ lung von dem, was ihm selbst und anderen zukommt, in

II. Zweifelhafte Seelenzustande.

411

sich zu erwecken und wirksam zu machen, und demgcmäfs Handlungen zu unternehmen und zu unterlassen. Um nun da rzuthun, dafs die Freiheit nicht die höchste Bedin¬ gung desjenigen Zustandes sei, den der Gesetzgeber bei denen, die das Gesetz beherrschen, und der Strafrichter bei denen, welche die Strafe treffen soll, voraussetzt; und dafs das, was der Begriff der Freiheit hier ausdriicken soll, durch einen andern, für diesen Zweck deutlicheren und zugleich gangbareren Ausdruck bezeichnet werden könne, gebt der Verf. auf das Wesen der Vernunft zurück, die er in einem licht pragmatischen Sinne als den Inbegriff aller Eigenschaften der menschlichen Seele bestimmt, die den Menschen zum Menschen machen, und ihn vom Thiere un¬ terscheiden. Demnach offenbart sich die Vernunft in dem Bedürfnifs und Streben nach Harmonie (d. L nach Zusam¬ menhang, Ordnung, Zweckmäfsigkeit, Wahrheit, Recht, Licht und Einheit) im Erkennen und Handeln, und ist bei allen Aeufserungen der Seelenthätigkeit nach beiden Richtungen zugleich thätig, so wie im Organismus die Re- ceptivität und das Reactionsvermögen , oder im Universum die Anziehung und Abstofsung nothwendig zu einander ge¬ hören. Der Begriff von Freiheit drückt also nicht die in¬ nere, höchste Ursache oder Bedingung des gesetzmäfsigen Handelns, sondern nur die Wirkung des durch die Ver¬ nunft geleiteten Willens in der aufseren Erscheinung aus, oder mit anderen Worten: Die Freiheit ist weder die Ver¬ nunft selbst, noch neben der Vernunft, noch ein Th eil der Vernunft, sondern nur eine Aeufserung derselben. Wenn man daher die Freiheit als die höchste Bedingung der Selbstbestimmung einsah, so täuschte man sich, in sofern man die Wirkung für die Ursache nahm, und im Grunde idem per idem zu erklären suchte. Der Freiheitsbegriff ist folglich unzureichend, sobald man sich genöthigt sieht, aut die inneren Bedingungen des selbstständigen Handelns zu¬ rückzugehen, welche allein in der Vernunft enthalten sind. Der Verf. erläutert die vorgetragenen Sätze durch ein vom

412

II. Zweifelhafte Scclcnznstände.

physischen Leben hergenommenes Beispiel. Vergleicht man die organische und psychische Sphäre mit einander, so kön¬ nen die Begriffe: Organismus und Seele, Erregbarkeit und Vernunft, Receptivität und Verstand, Reactionsvermögen und \\ illc, Gesundheit und Freiheit, Ungesundheit und Unfreiheit, jede Reihe als in gleichen Bedingungen unter¬ einander stehend, einander gegenüber gestellt werden. Da¬ her kann auch die Lehre von der psychischen Natur des Menschen, oder irgend ein Theil derselben, eben so w'enig auf den Begriff der Freiheit gebaut werden, als die Lehre von seiner physischen Natur auf den Begriff der Gesund¬ heit, und der Ausspruch, dafs der Mensch bei Begehung eines Verbrechens unfrei gewesen sei, genügt zur Beur- theilung desselben nicht mehr, und nicht weniger, als die F.rklärung, dafs ein Mensch ungesund sei, zur Beurthei- lung einer Krankheit. Da nun unter Zurechnung irn •juridischen Sinne das l rlheil verstanden wird, dafs ein Mensch, mit Bewufstsein und Einsicht des Zweckes, der Mittel und der Folgen, die selbstständige Ursache einer positiven oder negativen W irkung geworden sei, die in ihrer Beziehung zum äufsern Rechtsgesetz betrachtet werden soll; so schliefst dieser Begriff, um dessen Anwen¬ dung es eigentlich dem Richter zu thun ist, abermals sowohl das \ ermögen des Verstandes, die verschiedenen Zwecke, Mittel und Folgen der Handlungen zu erkennen, zu ordnen und zu vergleichen, als den Akt des Willens in sich, welcher sich auf das Vermögen gründet, zwischen mehreren Möglichkeiten nach Grundsätzen der Vernunft zu wählen, und die zur Ausführung nöthigen Kräfte des Geistes und des Körpers selbstthätig auf die Ilervorbrin- gung des seJbstgewählten Zwecks zu richten. Die Bezie¬ hung der Freiheit auf die W illensäufserung allein würde daher den Begriff der ersten in weit engere Gränzen, als wie derselbe oben als allgemeines Entscheidungsprincip auf¬ gestellt wurde, einschliefsen , daher die Juristen auch jeder¬ zeit fragen: ob der Inquisit mit Verstand und Willensfrei-

I

II. Zweifelhafte Seelenzustände. 413

heit gehandelt habe. Die Ursache der häufigen Mifsver- ständnisse zwischen Aerzten und Richtern liegt indefs nicht in d(em Mangel eines vermittelnden Princips, nach welchem bestimmt wurde, was von der einen Seite gefragt, und von der andern geantwortet werden soll, sondern nach der Er¬ fahrung des Verf. in ganz anderen Bedingungen, namentlich

darin, dafs die Verfasser ärztlicher Gutachten nur zu oft

V

wissenschaftliche , und besonders philosophische Bildung, Sachkenntnis , Erfahrung und Uebung, gründliche und vorurtheilsfreie Untersuchung des Gegenstandes, logische Ordnung des Inhalts und Präcision des Vortrags vermissen lassen. Aber eben so oft fällt den Juristen die Schuld an¬ heim, wenn der Zweck solcher Untersuchungen verfehlt wird, indem sie den Aerzten dazu nicht eine hinreichende Gelegenheit verschaffen, von denselben die Exploration des gegenwärtigen Gemüthszustandes eines Inquisiten , ohne alle Rücksicht auf die früheren Verhältnisse desselben, verlan¬ gen. Musterhaft ist die Umsicht und Sorgfalt, mit welcher der Verf: in solchen Fällen zu Werke geht, worüber er ausführlich Auskunft giebt. Auch verlangt er von den Ju¬ risten, dafs sie den Aerzten nicht kurzweg den Auftrag geben, «ein pflichtmäfsiges Gutachten über den Seelenzu¬ stand eines Menschen zu eröffnen,” sondern ihnen zugleich andeuten sollen, in welchen Beziehungen derselbe zu beur- theilen, ob von der Zurechnung einer That, oder von der Fähigkeit zu irgend einem Geschäft, oder von einer Siche- rungsmaafsregel die Rede sein. Ueberhaupt lassen sich, wie der Verf. überzeugend darthut, zwischen dem Geschäft des Richters und Arztes gar keine scharfen Gränzen ziehen, beide müssen Kenntnisse auf dem benachbarten Gebiete be¬ sitzen, um sich gegenseitig verstehen, und die Iland bieten zu können. Als Folgerungen aus dem Vorgetragenen wer¬ den nachstehende Ilauptregeln aufgestellt: Die Untersuchung mufs zur Abfassung und Beantwortung einer Frage reif sein; die Frage mufs den Befragten in den Stand setzen, die Umstände, welche zur Begründung des Urtheils beitra-

414

II. Zweifelhafte Scclcnznstiinde.

gen können, vollständig zu benutzen; sie mufs alle einzel¬ nen Punkte umfassen, über die man belehrt zu sein wünscht, und selbige auf einen allgemeinen Begriff, welcher den Grund des von dem Kichter zu fassenden Entschlusses ent¬ hält ( ’S ernunft oder Vernunftgebrauch ), beziehen; alle Aus- -^drücke, Wendungen und Wortfügungen müssen vermieden werden, die an und für sich dunkel, oder einer zweideuti¬ gen Auslegung fähig sind. Die Wreise, wie der Verf. nach Anleitung der rnitgetheilten Sätze eine Ausgleichung der widerstreitenden Lehren von der Zurechnungsfähigkeit zu Stande bringt, mufs lief, dem Leser im Werke selbst nach¬ zusehen überlassen. Eben so sind die meisterhaften Gut¬ achten keines Auszuges fähig; doch mögen hier die Ueber- schriften derselben folgen:

1) Brandstiftung, im Zustande geistiger und körper¬ licher Abstumpfung durch fortgesetzten Mifsbrauch geistiger Getränke, nach vorausgegangenen Visionen und epileptischen Anfällen, in der Absicht verübt, um sich zu einer Versor¬ gung im Zuchthause zu verhelfen; 2) Geschichte eines Todtschlages, der bei Abstumpfung des Verstandes und des Gefühls, nach vorausgegangenen Visionen und phantastischen Einbildungen, unter Umständen, welche einen Einflufs des Hungers und der Schlaftrunkenheit auf die Seelenstimmung als möglich erscheinen liefsen, im Zustande der Erbitterung durch höhnische Vorwürfe und vermeinter Nothwebr be¬ gangen worden, mit Beantwortung der Frage; ob hierbei vollkommene oder unvollkommene Zurechnungsfähigkeit an¬ zunehmen sei? 3) Behelligung der Behörden im Zustande der Narrheit; 4) Anmaafsung fremden Eigenthums im Zu¬ stande vorübergehender Benommenheit durch hämorrhoida- lische Congestionen; 5) Verheimlichte Geburt und Verdacht, den Tod des unreifen, nachher heimlich vergrabenen Kin¬ des, durch absichtliches Versäumen der nüthigen Hilfslei¬ stungen veranlafst zu haben; (i) Todesursache eines, in den Abtritt gestürzten, neugebornen Kindes, und Verschuldung der Mutter desselben bei diesem Vorfälle.

II. Zweifelhafte Seelenznstande.

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Die den Gutachten angehängten Erläuterungen ver¬ breiten sich über mannigfache Gegenstände der psychischen Legalmedicin , deren Beurtheilung besonderen Schwierigkei¬ ten unterliegt; mit vorzüglicher Sorgfalt wird die Trunken¬ heit (ebrietns) und Trunkfälligkeit (ebriositas) aus gerichts¬ ärztlichem Gesichtspunkte betrachtet. Von jener, wrelche die verschiedenen Grade der Berauschung in sich begreift, unterscheidet der Yerf. die letztere als die anhaltende Wirk ung des fortgesetzten Genusses hitziger Getränke in ihrer Beziehung auf das Seelenleben. Diese Trunkfäl¬ ligkeit stellt sich unter folgenden vier verschiedenen For¬ men dar:«

1) Als trunkfällige Entartung der Sitten (Inhumani- tas ehriosa), hervorgehend aus einer durch den anhaltenden Genufs starker Getränke bewirkten Verstimmung der Em¬ pfänglichkeit für physische und moralische Eindrücke und Bedürfnisse, wodurch die menschliche Gesinnung und Hand¬ lungsweise herabgewürdigt, der Säufer kalt und gleichgül¬ tig gegen seine Pflichten, dagegen aber höchst reizbar ge¬ gen alles wird, was seinem Willen und seiner, vorzugs¬ weise auf niedere Bedürfnisse gerichteten Sinnlichkeit wider¬ spricht. Der Yerf. entscheidet mit Recht, dafs der Zustand trunkfälliger Entartung an und für sich allein keinen Ent¬ schuldigungsgrund für die in demselben verübten Vergehun¬ gen und Verbrechen abgiebt, da der Mensch durch sie nicht aufser Stand gesetzt wird, Recht und Unrecht zu un¬ terscheiden, seinen Willen zu zügeln, und überhaupt seine Seelenkräfte, nach dem ihm zugetheilten Maafs derselben, selbstständig zu gebrauchen. Die Herrschaft über den Wil¬ len ist nur erschwert, aber nicht beschränkt, das ist: zum Theil unmöglich gemacht worden.

2) Irunksucht (Polydipsia, Dipsomania ebriosa) nennt der Verf. ein mit dem zur Gewohnheit gewordenen Mifs- brauche berauschender Getränke oft verbundenes krank- ha ft es und unwiderstehliches Bedürfnifs nach densel¬ ben. Diese Trunksucht soll ihrem Wesen nach in einer

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II. Zweifelhafte Seelenzuständc.

durch anhaltenden Mißbrauch geistiger Getränke erzeugten krankhaften Beschaffenheit der Absonderungswerkzeuge des Unterleibes bestehen, verbunden mit einer Verminderung und Mischungsveränderung der Verdauungssäfte und einem cachectischen Zustande der gesammlen Ernährung, so wie mit einer Verstimmung der gesammten Nerventätigkeit, die ein Gefühl der Erschöpfung hervorbringt, und dadurch den unwiderstehlichen Trieb nach einem durchdringenden Reiz erzeugt. Der Verf. räumt nun zwar selbst ein, dafs dieser krankhafte Trieb keinesweges eine Krankheit der Seele sei, da dergleichen Menschen das Nachtheilige und Enteh¬ rende ihrer abscheulichen Gewohnheit fühlen , und daher den festen Vorsatz fassen, ihrer» Trieb zu bekämpfen; doch sei die Trunksucht ein zu krankhafter Höhe gesteigertes, körperliches Bedürfnifs, welches in sofern eine äufsere und partielle Beschränkung der Willensthätigkeit mit sich führe, als es dem Kranken unmöglich sei, diesem beson- dern Anreiz zu widerstehen. Der Trunksüchtige sei also für den ihm inwohnenden krankhaften Trieb, für die un¬ willkürliche Befriedigung desselben, für die daraus entste¬ hende Irunkenheit, und für die während derselben ver¬ übten gesetzwidrigen Handlungen nur in sofern verantwort¬ lich, als er selbst durch eine lasterhafte Gewohnheit diesen 1 rieb verschuldet habe; folglich werde die Zurechnung zwar nicht aufgehoben, aber doch die Schuld vermindert. Rcf. hält dafür, dafs, so lange noch ein freies Selbstbewufst- sein besteht, der Kranke für alle seine Handlungen und Unterlassungen durchaus verantwortlich sei, nie sich mit der Unbezwinglichkcit seiner sinnlichen Triebe entschuldi¬ gen könne. Wie leicht oder schwer ihm die Selbstbeherr¬ schung werde, danach kann nie gefragt werden, weil es dafür keinen Maafsstab giebt; läfst man aber gar den Trunk¬ süchtigen, die sich durch ihr schändliches Laster ohnehin jeder schonenden Milde unwürdig gemacht haben, ihre ver¬ schuldete Charakterschwäche als eine Ausflucht gelten, so thut man der heilsamen Strenge der Gesetze Abbruch,

II. Zweifelhafte Seclenzuständc. 417

welche jeder verderblichen Entartung der Menschheit enge Schranken setzen müssen.

- - *

3) Eine höhere Stufe der Trunkfälligkeit nimmt die Sinnestäuschung und der Sinnenwahn (sensuum fallacia und hallucinatio ebriosa) ein. Der Verf. unterscheidet hier die Sinnestäuschung, bei welcher der Verstand den Sin¬ nentrug als solchen anerkennt, ihm keinen Einflufs auf das Wollen und Handeln gestattet, von dem Sinnenwahn, wobei das den Sinnen vorgespiegelte Bild sich der Einbil¬ dungskraft dergestalt bemächtigt, dafs sie sich selbiges als einen Gegenstand der wirklichen Welt vorstellt, und dafs Verstand und Wille in ihren Urtheilen, Bestrebungen und Entschliefsungen sich nach demselben richten. Diese Unter¬ scheidung ist in der Natur gegründet, und in sofern wich¬ tig, als sie, wie man leicht sieht, den gröfsten Einflufs auf die Zurechnung hat. Wenn aber der Verf. von dem Sin¬ nenwahn, der nach ihm von den Sinnen ausgehen soll, die, in Folge einer krankhaften körperlichen Reizung, die Phantasie zu isolirten, irrigen Vorstellungen verleiten, ohne dafs dabei in den Gesetzen, nach denen der Mensch denkt, empfindet und handelt, etwas verändert wird, den Wahn¬ sinn absondert, weil dieser aus einer krankhaft erregten Phantasie entspringen soll, die, in Folge einer inneren Stö¬ rung der Gesetze des Seelenlebens selbst, ein krankhaftes Product erzeugt, welches nicht nur mit den Sinnesanschauun¬ gen zu falschen Formen und Beziehungen zusammenfliefst, sondern auch die Ordnung und den Zusammenhang, die Einheit und Harmonie des Denkens stört und verrückt; so scheint dies eine erkünstelte Subtilität, durch welche der Verf. mit sich selbst in Widerspruch geräth. Denn seine Charakteristik des Sinnenwahns sagt ja nichts anderes aus, als eine Aufhebung des freien Selbstbewufstseins, an welches alle Denkgesetze geknüpft sind; unstreitig denkt eine Seele unrichtig, die das subjective Spiel der Phantasie für einen Reflex der objectiven Wirklichkeit hält. Der EVsprung des Sinnenwahns aus verkehrter Thätigkeit der

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II. Zweifelhafte Seelcnzuständc*

Sinnorganc allein läfst sich nicht rechtfertigen , da hei un¬ gestörtem Wirken des Scelenorgans aus jener hlofse Sin¬ nestäuschungen entstehen würden; andererseits bleibt es jetzt noch unentschieden, ob nicht auch eine perverse Aufregung der Sinnorgane zur Verwirrung der Phantasie beiträgt. J)als die Sinnestäuschungen an und für sich nur allein in der Zurechnungsfähigkeit und Rechtsgültigkeit der Handlungen im Allgemeinen gar nichts ändern, weil die Seele durch sie nicht verhindert wird, vernünftig zu urtheilen, und die Täuschung als solche zu erkennen, darin muls man dem Verf. unbedingt beipflichten; wenn er aber eine gleiche Strenge gegen den Sinnenwahn gelten lassen will, unge¬ achtet derselbe nach seinem eigenen Ausspruch den "\ er¬ stand und Willen im Urtheilen und Entschliefsen irre lei¬ tet, so scheint er mit seinem eigenen Princip in Wider¬ spruch gerathen zu sein, da es unmöglich seine Absicht sein kann, das getrübte, befangene, verkehrte Selbstoewufstsein dem freien und besonnenen rücksichtlich der Imputabilität gleich zu stellen. Der Verf. widerruft seine Meinung auch sogleich im nächsten Satze, wo er die Zurechnu ngsfähig- keit und Rechtsgültigkeit einer Handlung für aufgehoben erklärt, wenn ihre unmittelbare Abhängigkeit von einem unverschuldeten Irrthume, oder von eiocr krank¬ haften Täuschung der Sinne, oder von Sinnenwahn nachgewiesen werden kann.

4) Die Trunkfälligkeit ist endlich auch sehr oft mit Seelenstörung (Vesania ebriosa) verbunden, die sich zu den bisher betrachteten Formen derselben meistens langsam und allmählig gesellt, zuweilen aber auch, besonders bei jungen Säufern, sich schneller entwickelt. Es kommt die¬ selbe unter allen Formen von Geisteskrankheiten, als Wahn¬ sinn, Verrücktheit, Tollheit, Melancholie und Blödsinn vor. Die sie veranlassende körperliche Umstimmung bezeichnet der Verf. theils als permanent andauernde Turgescenz der Gefäfse, besonders der Venen, theils als vermehrte Span¬ nung und krankhafte Empfänglichkeit des Nervensystems,

II. z wcifelhafle Seelcnzustände.

419

die von den Ganglicnncrven ausgeht, und sich von da dem Gehirn mittheilt. Dahin wirkt täglich mehrmals wieder¬ holte Berauschung, vorzüglich mit Branntwein, wenn im¬ mer ein neuer Rausch entsteht, ehe noch der vorhergehende gänzlich verllogen ist, besonders wenn es dabei an geord¬ neter körperlicher Thätigkeit in freier Luft fehlt. Dabei ist aber, wie der Verf. sehr richtig bemerkt, nicht zu über¬ sehen, dafs eine* solche Lebensweise schon einen hohen Grad von moralischer Verworfenheit und Entartung voraus¬ setzt, daher sie vorzüglich bei denen bemerkt wird,, die früher bei leichtem, oft unredlichen Gewinn, das Glück und den Zweck ihres Lebens darin gesucht hatten, sich keinen sinnlichen Genufs zu versagen, später aber, bei ge¬ sunkenem Wohlstände, weder Lust noch Kraft besafsen, um durch Fleifs und Anstrengung ihre Lage zu verbessern, dabei ihre häuslichen und bürgerlichen Pflichten immer mehr vernachlässigten, und zuletzt, auf der tiefsten Stufe des Elends, den Branntwein wählten, um ihr Elend zu vergessen. Ref. möchte diese vortreffliche Bemerkung be¬ sonders denen zur Beherzigung empfehlen, welche die Gei¬ stesstörungen für rein somatische Leiden halten, an welchen kein Zwiespalt des freien Selbstbewufstseins mit den übri¬ gen Gemüthsbewegungen Theil nimmt. Vorzüglich ist man geneigt, den trunkfälligen Wahnsinn für durchaus physisch begründet zu halten, da sich bei ihm ein organisches Lei¬ den der Nerven -Blutgefäfse und der Verdauungswerkzeuge allerdings nachweisen läfst. Aber diese Bedingungen erklä¬ ren den Wahnsinn eben so wenig allein, als sie oft gar nicht denselben, und immer erst in Verbindung mit obge¬ dachten moralischen Veranlassungen hervorrufen. Ref. mufs sich enthalten, die ferneren wichtigen Bemerkungen des Verf. im Auszuge wiederzugeben, und er beschränkt sich nur auf die eine Notiz, dafs der Kartoffelbranntwein vor¬ züglich reich an dem Fuselöl ist, so dafs dasselbe in Frank¬ reich hin und wieder als Brennöl benutzt wird, und dafs in diesem Umstande wahrscheinlich die ungleich nachtheili-

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III. Rölheln.

geren Wirkungen des ersten begründet sind, so dafs fran¬ zösische Soldaten, welche dem nordischen Feldzüge bei¬ wohnten, glaubten, er enthalte Vilriolöl. Man hat selbst bemerkt, dafs ungereinigter Kartoffelbranntwein eine heftige Trommelsucht veranlafste, von welcher Franzbranntwein, Rum und selbst gereinigter Kartoffelbranntwcin die Leiden¬ den befreite.

Der Mangel an Raum verbietet es, <tfe übrigen höchst lehrreichen Erläuterungen durchzugehen, und Ref. erlaubt sich nur noch, sie namhaft zu machen: In wiefern es ärzt¬ lichen Collegien zustehe, den ihnen vorgelegten Fragen, wenn sie, aus ärztlichem Gesichtspunkte betrachtet, ihrem Zwecke nicht entsprechen, eine demselben angemessene Deu¬ tung zu geben. Zurechnungsfähigkeit^ Rechtsgültigkeit und polizeiliche Berücksichtigung der Handlungen fallsüch¬ tiger Personen. Beleuchtung der Frage: Ist die An¬ nahme eines somatisch -psychischen Mittelzustandes, der die Zurechnung zwar nicht vollkommen gestattet, aber auch nicht vollkommen aufhebt, praktisch nützlich und noth- w endig?

W. F.

m.

%

Die R ö t h e 1 n ,

als für sich bestehende Krankheit.

Vom

Herrn Dr. W agner in Schlichen,

Physicus des Schweinitzer Kreise*.

Bei dreifsigjähriger, sehr starker Stadt - und Landpraxis, richtete ich stets mein besonderes Augenmerk auf das Schar- lacbfieber und die Masern, mit Rückblick auf die sogenann¬ ten.

III. Rütheln.

421

ten, für eine Mittelkrankheit gehaltenen Rütheln, welche Krankheiten hier auf dem Lande in der Regel von 6 zu 6 Jahren, zuweilen auch in kürzeren Zwischenräumen epi¬ demisch erscheinen. Wiederholt kam mir bald mit, bald

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nach diesen Epidemieen, bald in den Zwischenzeiten, ein eigener gutartiger Ilautausschlag, mit geringem Fieber ver¬ bunden, vor, der auf einer Seite viel Aehnlichkeit mit den Masern hatte, a'uf der anderen aber dem Scharlach sehr nahe kam, nach welchem ich aber doch nie Hautwasser¬ sucht, noch andere, dem Scharlach und den Masern oft eigene, übcle Folgen wahrnahm. Da die Krankheit über¬ dies stets sehr gelinde war, nie mit Hirnentzündung, noch

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anderen schwer entzündlichen Zufällen eintrat, noch sich später damit vereinigte, so erkannte ich sie bald für eine sehr gutartige Abart von den Masern, bald für dieselbe vom Scharlach, und gewann die feste Ueberzeugung nicht, dafs es eine für sich bestehende, vom Scharlach und den Masern ganz verschiedene Krankheit sei. Diese Ansicht fafste um so festere Wurzel, weil ich bei älteren Schriftstellern, wo ich mir Rath holen wollte, ganz unbefriedigt blieb, und bei neueren nichts, als Widersprüche antraf, wenn ich deren Schilderungen miteinander verglich. So beschreibt H ecker die Rütheln anders, als Heim, Ziegler anders, als Seile, Sprengel und Richter von einander abwei¬ chend, Conspruch wieder anders, als Jahn, Filitz und Reil, u. s. w. ; kurz, keine Beschreibung steht mit der anderen völlig irn Einklänge. Die gröfsten Aerzte stimmen darin überein, dafs Rütheln eine Abart des Scharlachs seien. Dieser Meinung blieb auch ich viele Jahre treu. Einzelne Fälle, die mir vorkamen, dafs Kinder und Erwachsene, die unter meinen Augen Scharlach und Masern überstanden hat¬ ten, auch einen dritten, epidemisch umherziehenden Haut¬ ausschlag- mit bekamen, den ich bald für Masern, bald für Scharlach hielt, brachten mich von dieser gefafsten An¬ sicht um so weniger ab, da ich früher bei einem und demselben Subjecte die wahren Menschenpocken (nicht XIII. Bd. 4. St. 28

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422

III. Rüthcln.

geimpft) wiederholt wahrgenommen hatte, folglich die Natur hier wohl auch ihr Spielwerk treiben, und Masern, so wie Scharlach, wiederholt an einem Menschen Vorkommen las¬ sen könnte. Doch blich ich, bei diesem mir stets sonder¬ bar vorkommenden Umstande, immer aufmerksam. Ich merkte mir gauz genau, welche Körper in meinem Wir¬ kungskreise ächte Masern , oder Scharlach , oder Masern und Scharlach überstanden hatten, und wann dies der Fall ge¬ wesen sei, um zu beurtheilen, ob dadurch die Anlage zu den sogenannten Rötbein (wenigstens in den mehresten Fällen) aufgehoben sei, und diese Körper solche in epide¬ misch vorkommendem Falle, insgesammt, oder doch wenig¬ stens häufig mitbekommen würden, oder nicht?

Dies zu beobachten, gab das Wintcrquartal des Jahres 1828 volle Gelegenheit in meinem nicht geringen Wirkungs¬ kreise. Hier zeigte sich ein acuter, mit Fieber verbunde¬ ner contagiöser, sich schnell an vielen Orten allgemein ver¬ breitender Ilautausschlag , der zwar nichts weniger als bös¬ artig war, aber Kinder und Erwachsene ohne Unterschied in vielen Häusern überfiel. Alle Subjecte (nur mit der Ausnahme, wie es dem Scharlach eigen ist, welcher immer eine Zahl übrig läist und solche ganz verschont, oder nach Jahren erst wieder aufsucht und sich in solchen Fällen, wo sich Gelegenheit zur Ansteckung findet, aufdringt), die den ächten Scharlach und die wirklichen Masern vor einigen und mehreren Jahren, wie ich mir nun genau gemerkt hatte, richtig überstanden hatten, wurden mit der Krankheit eben so regelmälsig überfallen, als diejenigen welche nur eins von beiden, oder gar keins gehabt hatten, doch schien sich die Anlage nicht über das 20ste Jahr hinauf zu erstrecken. Hunderte sah ich davon ergrilfen, die die beiden anderen eben genannten, ihm ähnlichen Krankheiten schon einst er¬ duldet hatten.

Dieser acute Ilautausschlag trat mit Halsweh, Schnu¬ pfen und sehr mäfsigem lieber begleitet ein, und brach sehr gewöhnlich am Halse und im Gesiebt zuerst aus; er

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III. Rüthein. 423

war den Masern ähnlicher als dem Scharlach, sah wie ein gewöhnliches blafsrothes, nicht zu kleinpunktiges Friesei aus, dessen Pusteln mit geringer Röthe umkränzt und in der Mitte ein wenig erhaben waren, und das Ansehn hat¬ ten, wie Hr. Geh. lxath Heim die Rötheln beschreibt (nämlich so, als wenn man einen Punkt mit blafsrother Tinte auf nals gemachtes und wieder halb trocken gewor¬ denes Papier macht), jedoch selten zusammenliefen. Husten war, wie bei den Masern, weder dessen Vorbote, noch Begleiter. Die Augen befanden sich in keinem Falle so stark angegriffen, entzündet und reizbar, als es dort der Fall gewöhnlich ist, sondern es bestand das Augenleiden nur in einem Grimmen der Augenlieder, die auch zuwei¬ len, wie das ganze Gesicht, ein wenig aufgedunsen zu sein schienen, wovon das vorletzte Symptom besonders charak¬ teristisch hervorstach. Hatte dieses Leiden Abschuppung zur

i

Folge, womit dasselbe, wie beim Scharlach, nicht allgemein begleitet wurde, so war dies Zeichen etwas mehr in . die Sinne fallend, als bei den Masern, aber geringer als beim Scharlach. Selten traf der Ausschlag den ganzen Körper, sondern blofs Gesicht, Hals, einen Theil des Rückens und der Brust. Schon das Mitergriffensein der obern und un¬ tern Gliedmaafsen schien nicht mehr regelmäfsig. Noch seltener befiel er den ganzen Körper, wenigstens keines- weges an allen Theilen zugleich. Die Dauer desselben war drei bis acht Tage.

Dieser acute Hautausschlag, den ich von nun an als eine für sich bestehende, weder mit den Masern, noch mit dem Scharlach in Verwandtschaft stehende Krankheit aner¬ kenne, und für wahre, nicht mit den andern beiden Krank- heitep zu verwechselnde Rötheln halte, hat mit den Masern gemein: dafs er häufig zuerst im Gesicht erscheint, wobei die Augen mit leiden, wohl auch das Gesicht mitunter et¬ was aufgedunsen ist, das Ansehn des Ausschlags selbst sich den Masern besonders nähert, und dals derselbe mit Schnu¬ pfen, einzeln auch mit leichten Catarrhalzufällen eintritt

28 *

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m

III. Rötheln.

i

und begleitet wird. Mit dem Scharlach theilt er die Hals- affection, und das zuweilen damit verbundene gröbere Ab- sehuppen, als bei den Masern, welches ich jedoch hier nur am Halse und an den Händen bemerkt habe.-11 Hautwasser- sucht hatte diese Krankheit nie zur Folge, sa wie ich mich nicht erinnern kann, dafs sie jemals irgend eine bedeutende Nachwehe gehabt hätte, und zwar auch bei denen nicht, die gar keine Rücksicht darauf nahmen, und sich der streng¬ sten Kälte dabei aussetzten; ja es hat mir sogar geschienen, als wären letztere noch leichter davon gekommen, als die, welche ich ängstlich einsperren liefs. Uebcrhaupt ist das Ganze eine Krankheit, die keinen Arzt bedarf, und deswe¬ gen wohl häufig übersehen werden mag, dennoch aber Für sich bestehend da ist.

Noch mehr wurde ich von dieser meiner Ansicht über¬ zeugt, als im Spätherbst, hier und da in Orten, wo im Monat Januar, März und April die Rötheln ihren Besuch abgestattet hatten, wieder das Scharlach im reinen Bilde, bald mit seiner Halsbräune gehörig begleitet, bald verkappt, als solche allein, hier mit geringem, dort mit sehr heftigem Fieber und sehr vermehrter thierischer Wärme sich blicken liefs und schnell verbreitete, auch diejenigen, wobei sich mein eigener siebzehnjähriger Sohn befand, nicht verschonte, die nur vor einem halben oder drei Vierteljahren die ge¬ schilderten Rötheln, und weit früher die Masern gehabt, und nur bei solchen, mit wenig Ausnahme, vorbei ging, welche drei dergleichen Krankheiten, nämlich den Scharlach, die Masern und die Rötheln früher überstanden hatten. Dabei ertönten bald die Glocken, die bei den Rötheln vollkom¬ mene Ruhe hatten, und kündigten unverkennbar öffentlich an , dafs nicht die Rötheln, sondern der ■wahre iirgengel: Scharlach, im Orte sei, was auch dessen besonders gelieb¬ ter Nachzügler: die Hautwassersucht , bewies, die in ein¬ zelnen k allen folgte, die Rötheln aber nicht hinter sich herziehen iiefsen.

Nun habe ich zwar, nach langjähriger Aufmerksamkeit

Ilf. Rüth ein.

425

auf diesen Gegenstand, die Ueberzeugung erlangt, dafs Rö- theln, als Mittelding zwischen Masern und Scharlach, nicht nur wirklich Vorkommen, sondern auch diese Krankheit, wie ich bereits erwähnt habe, eine für sich bestehende ist; allein die Symptome, welche sie von ihren beiden Neben¬ buhlerinnen unverkennbar scheiden, wage ich mit der Feder nicht zu schildern. Nur der praktische Blick kann dies geben, und auch dieser reicht, nach meiner Ansicht, nicht stets hin , es mit aller Zuversicht zu bestimmen, wenn man sich aus seinem praktischen Wirkungskreise gerissen befin¬ det, und einen dergleichen Kranken, ohne zu wissen was um und neben ihm vorgebt, oder vor Jahren mit diesem selbst vorgegangen ist, zur sofortigen sicheren Beurtheilung vorgestellt bekommt. Bas Aeufsere des Hautausschlages selbst entscheidet nichts, man sage auch was man wolle. Scharlach kommt in sehr abwechselnder Gestalt vor, des¬ gleichen die Masern, und so auch die Rötheln. Alle drei Krankheiten verlaufen darin in einander, und vyer sich auf diese Stütze verläfst, fällt! Nur das Vorhergehende, das Folgende und die Schwere der Krankheit (wenn zuweilen auch nur in sehr einzelnen Fällen), ohne alle Rücksicht auf die Beschaffenheit der Ausschlagsform , oder des gänz¬ lichen Wegfalenls desselben in einzelnen Fällen, giebt einen etwas sicheren Stützpunkt ab. Z. B: Hat der Kranke Schar¬ lach und Rötheln schon gehabt, und er bekommt einen dritten, diesen Krankheiten ähnlichen, epidemisch herrschen-

t

den, acuten Ausschlag, der sich übrigens noch mit Husten und Catarrhalzufällen ankündigt, zuerst vielleicht auc h gar im Gesicht, besonders an der Stirn ausbricht, breit läuft u. s. w., so kann es nicht fehlen, dafs es die Masern sind, die überhaupt auch ohnedies leichter von den übrigen bei¬ den Krankheiten, wenn sie irgend regelmäßig, wie doch gewöhnlich, auftreten, zu unterscheiden sind. Weit schwe¬ rer unterscheiden sich Rötheln vom Scharlach, weil letzte¬ rer mit Halsaffection ein tritt, und erstere auch. Bas Hals¬ leiden der ersteren Krankheit habe ich zwar nie bedeutend,

426

III. Rütteln.

und weder Innerlich noch aufserlich mit stark entzündlichen Zufallen und besonderer Anschwellung der Halsdrfisen und des ganzen Halses gefunden; aber auch bei manchen Schar- lachepidemieen (aufser in einzelnen Fallen, die blofs weit umfassende Praxis liefern kann) habe ich oft nichts mehr davon gesehen. Aus diesem Grunde bleibt dieses Svmptom, aus dem Zusammenhänge gerissen, unzuverlässig. J)afs sich eine von beiden Krankheiten, wie Hr. Geh. Rath Heim bemerkt hat, durch einen besonderen Geruch von der an¬ dern unterscheide, habe ich nie gefunden, lndcfs spreche ich dieses Symptom keinesweges ab; denn anders kann eine Krankheit an grofsen Orten, anders auf dem platten Lande und in kleinen Städten auftreten. So viel folgt indefs dar¬ aus, dafs auch dieses Zeichen keinesweges die Probe hält und ein sicherer Wegweiser ist.

Die Schälung, oder das Abschuppen, geschieht bei den Rötheln in geringerem Grade, als beim Scharlach, und fällt zuweilen ganz weg. Welcher alte praktische Arzt, der einer umfassenden Praxis sich rühmen kann, hat denn nicht gefunden, dafs viele Scharlachkranke, bei einer und derselben Epidemie, sich gar nicht schälen > und andere in Familien, wo Scharlach wüthete, sich wieder völlig häu¬ teten, die weder Scharlachausschlag gehabt, noch sich sonst krank gefühlt hatten? Mithin ist auch dieses ein die Probe nicht vollkommen bestehendes Zeichen, ob es gleich als eins der sichersten von allen anerkannt werden mufs.

Die Hautwassersucht, welche dem Scharlach oft, den Masern nur in höchst seltenem Falle, den ächten Rötheln aber, wie ich gefunden, nie nachfolgt, kann nach meinem Ermessen noch das beste Anhalten gewähren, um während der Dauer einer Scharlach- und Röthel -Epidemie mit einiger Zuverlässigkeit zu entscheiden, ob man ächten Scharlach, oder die Rötheln vor sich habe. Stark entzünd¬ liche I lalsleiden und schnelle lodesfäile, wenn auch die Epidemie noch so gutartig ist, geben gleich hell zu erken¬ nen, was man behandelt. Kommen dann hier und da starke

III. Rüthein.

427

Abhäutungen, wenn auch nur an Händen und Füfsen hinzu, auch wohl einzeln bei Kindern und Erwachsenen, die von einer Krankheit gar nichts wufsten und die Schlinge un¬ sichtbar uni den Hals trugen, so unterscheidet sich dadurch das Scharlach immer gewisser von jeder anderen Krankheit. Am allersichersten und gewissesten aber kann man diese Krankheiten, selbst bei einer ganz neu eintretenden Epide¬ mie, nur dadurch auf den ersten Blick von einander unter¬ scheiden, wenn man seine ganze Umgebung genau kennt und weifs, was jedes Individuum gehabt hat, und also von diesen drei Krankheiten nur noch diejenige zu ertragen übrig sein dürfte, welche noch nicht da gewesen ist, und welche sich dermalen zeigt. Richtet man dabei noch sein Augenmerk auf die von weitem etwa nach und nach heran¬ nahende Epidemie, was sich durch Kunde immer schon vor¬ her verbreitet, so wird und kann man nicht fehlen. Einen andern Leitfaden weifs ich wenigstens nicht zu geben, um bei Scharlach und Röthein nicht zu irren. Die feineren Svmptome übergehe ich ganz, denn sie leiten den, der die Krankheiten nie sah, noch mehr irre, zumal sie bei jeder Epidemie abweichend erscheinen, oder wohl ganz fehlen. Mit der Masernkrankheit verhält es sich anders. Ohne auf den Ausschlag Rücksicht zu nehmen, zeigt diese oft schon fünf bis acht Tage vorher, was da kommen soll und mufs. Der eigene Husten, als der gewöhnliche, sichere Vorgän¬ ger, macht sie schon kenntlich genug. Nicht so ist es bei Scharlach und Rötheln. O! wie oft habe ich viele Jahre lang selbst geirrt, und meinen Irrthum lange aus Ueber- zeugung, um später keine Blülse zu geben, damit bemän¬ telt, dafs man das Scharlachfieber auch zweimal bekommen könne, und der vorliegende Fall ein abermaliger Beweis sei! Der wahrhaft praktische Arzt, welcher hierbei aul den ersten -Blick immer gleich wulste, was er vor sich hatte, werfe den ersten Stein auf mich!

Jedem jungen Arzte, er sei auch noch so gelehrt, wüusche ich, dafs er hierbei nicht strauchle. Ein Glück,

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IV. Wasserkrebs.

dafs der Irrthum nicht leicht sonderlichen Schaden bringen kann, da nichts auf den rechten Namen der Krankheit, son¬ dern alles auf die richtige Behandlung des damit verbunde¬ nen Fiebers ankommt. Ist er ungewifs , so laufe er ja nicht zu früh, um nicht wieder umtaufen zu müssen und zu er¬ leben, von manchem alten Dorfbarbier verlacht und verspot¬ tet zu werden, der wenigstens weifs, was jedes Kind im Orte gehabt hat, und nicht annimmt, dafs man von diesen drei Krankheiten eine, höchst seltene Fälle ausgenommen, zweimal bekommt.

Die gröfste Vorsicht ist nüthig, wenn zwei von diesen hitzigen Ilautausschlägen zugleich herrschen, was nicht sel¬ ten der Fall ist. Weifs der Arzt da nicht, was das kranke, ihm vorstehende Subject schon von allen dreien überstan¬ den hat, so kann er am allerleichtesten auf Irrwege kom¬ men, und bei vorschnellem Urtheile selbst von den Eltern die Antwort bekommen: Hr. Dr., das kann es nicht sein, denn diese Krankheit haben unsere Kinder schon vor Jah¬ ren gehabt. Ist der Arzt also im Ilause fremd, so mag er sich bei hitzigen Exanthemen wohl erkundigen, was frü¬ her da war, bevor er dem Kinde einen Namen giebt.

Beobachtungen über den Wasserkrebs.

^ on einem praktischen Arzte.

In einer hiesigen wohlthätigen Anstalt, in der nur junge Kinder vom zweiten Jahre an, aber eine grofsc An¬ zahl dieser Kleinen sich befinden, sind seit dem Bestehen derselben (8 Jahre) sechs Kinder, drei davon im letzten

IV. “W asserkrebs.

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429

Jahre (1827), am Wasserkrebs gestorben. Von diesen waren 5 Mädchen zwischen 2 und 3 Jahren, und nur ein Knabe von 5 Jahren, die meisten scrofulös, zwei nur ganz gesund, besonders der Knabe, der sich, als schon eine be¬ deutende Geschwulst die Backe ergriffen hatte, beständig noch unter den anderen Kindern aufhielt. Zwei wurden in Folge von Masern, und drei in Folge von Keuchhusten befallen.

Am 2ten November vorigen Jahres übernahm ich für einen meiner Ilrn. Collegen die Behandlung der kranken Kleinen in der oben angegebenen Anstalt, und fand daselbst die Louise II., ein schwächliches, drei Jahre altes Kind, das , so lange es in der Anstalt war, fast nicht aus der Krankenstube gekommen war, an einem heftigen Keuch¬ husten, mit bedeutendem Blutauswurfe, lefdend. Es wurde deswegen nöthig, obgleich es schon früher geschehen war, noch einmal zwei Blutegel an die Brust zu legen, innerlich aber wurde eine Auflösung von Extractum Hvoscyami ge¬ reicht. - Der Blutauswurf hörte hiernach bald auf, und das Kind befand sieh am zweiten Tage leidlich, nur stellte sich Diarrhöe ein. Am dritten Tage zeigte mir die Wär¬ terin schon bei meinem Eintritt in das Haus mit grofser » Angst an (denn ein jeder in dieser Anstalt geräth in Furcht, sobald sich nur irgend ein Leiden an dem Munde eines der Kinder zeigt), dafs unserer Kranken die Lippen geschwol¬ len seien. Ich fand eine sehr bedeutende Geschwulst^ dieser Theile, jedoch keine wunde oder geschwürige Stelle, noch einen Schorf oder sonst etwas, das mir einen Fleck, als den wo Brand entstehen würde, bezeichnete. Mit dem häufigen Vorkommen der Krankheit in dieser Anstalt be¬ kannt, verordnete ich sogleich innerlich eine Auflösung von Chininum sulphuricum mit Tinctura Opii, was mir bei dem grofsen Schwächezustande, dem noch fortdauernden Keuch-* husten und der Diarrhöe am besten zu passen schien. Aeufscrlich wurde eine Mischung von Acidum pyrolignosum und Mel rosatum (ein Theil auf 6 Theile) angewandt. Am

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IY. Wasserkrebs.

folgenden Tage war das Zahnfleisch über den oberen Schnci- dezähnen wund, hatte ein schlechtes, den scorbutischen Ge¬ schwüren ähnliches Ansehen, blutete leicht, und verbreitete einen, widerlichen Geruch. Den hierauf folgenden Tag zeig¬ ten die Mundwinkel Geschwüre von demselben Ansehen. Auf diese wurde Charpie, mit dem angegebenen Mittel be¬ feuchtet, gelegt. Eine bedeutende Menge Speichel flofs jetzt fortwährend aus dem Munde. Die Geschwüre be¬ kamen nach und nach ein besseres Ansehen, besonders die am oberen Zahnrande, bluteten aber immer noch leicht.* Auch das Allgcmeinleiden schien sich bessern zu wollen, die Diarrhöe hörte auf, der Husten liefs nach, der Puls hob sich etwas, das Kind verlangte zu essen und die, sonst verweigerte, Arznei zu nehmen, nahm auch Theil an allem, was in seiner Nähe vorging; so dafs wir fast glaubten, unsere Furcht sei ungegründet gewesen.

Bald jedoch veränderte sich leider die Scene. Nach Verlauf von ungefähr acht Tagen entstand eine Geschwulst der rechten Backe, und bald zeigte sich in der Gegend der hintersten Backzähne, an der inneren Seite der Backe, ein brandiger Fleck. Dabei sank der Puls; die Extremitäten aber waren warm, jedoch nicht spröde- trocken; die Aus¬ leerungen und der Appetit ziemlich natürlich; der Husten liefs nach. Es schien also hier kein Grund vorhanden, das Verfahren zu ändern, sondern es wurde nur mit der Mi¬ schung aus Acidum pyrolignosum die Stelle so oft als mög¬ lich gepinselt. Auch hier schienen die brandigen Thcile sich abstofsen zu wollen, und der bis jetzt noch nicht sehr bedeutend üble Geruch abzunehmen. Dessenungeach¬ tet sanken die Kräfte immer mehr und mehr, der Appetit verlor sich wieder, doch blieb das Auge klar und das Be- wufstseiu ungestört. Das unglückliche Kind verlangte im¬ mer noch von Zeit zu Zeit die Arznei. Die Geschwulst der Backe nahm bedeutend zu, sie wurde glänzcndroth und steinhart, so dafs ein Erscheinen des Bebels auf der äulse- ren Haut, und, wie dies gewöhnlich der ball gewesen, das

IV. "Wasserkrebs.

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Ende der Scene zu erwarten stand. Leider batten wir

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uns nicht getäuscht. Am 20. November Morgens um 2 Uhr war die Epidermis geplatzt, und als ich gegen 11 Uhr das Kind sah, scjion eine brandige Stelle vom Umfange eines Zweigroschensliicks vorhanden. Das Acidum pyrolignosum wurde sogleich auch hier angewandt, später über dasselbe noch Fomentationen aus aromatischen Kräutern gemacht, und die Arznei in gröfseren Gaben gereicht. Zu einem anderen Mittel, namentlich zu Säuren, konnte ich mich, des immer noch fortdauernden Hustens wegen, nicht ent- schliefsen. Am Abend dieses Tages waren die obern Extremitäten kalt, am andern Morgen jedoch zwar wieder¬ um warm, doch, wie die unteren, pergamentartig trocken; eben so die Zunge. Der Puls schnell, doch nicht iiber- mäfsig klein, auch nicht sehr schwach; das Auge klar, das Bewufstsein ungetrübt; die Ausleerungen fast normal. In zwei Tagen hatte die brandige Zerstörung fast die ganze Backe ergriffen, sie erstreckte sich nämlich von dem auf¬ steigenden Aste des Unterkiefers bis zu dem Mundwinkel, und nach oben bis an das Os zygomaticum, und verbreitete einen unausstehlichen Gestank, doch aber zeigte sich an dem Umkreise des Geschwürs, besonders nach vorne zu, ein Rand der nicht brandig war. Es hatte hier das Anse¬ hen eines schlechteiternden Geschwüres. Verbunden wurde mit einer Salbe aus Unguentum de Styrace mit Pul¬ vis carbonis, Myrrha, Acidum pyrolignosum und Oleum Terebinthinae.

Aller angewandten Mühe aber ungeachtet, schritt die brandige Zerstörung unaufhaltsam fort, und die Hoffnung, dafs sich eine Demarcationslinie bilden würde, hatte uns leider getäuscht. Das ganze Gesicht fing jetzt an odematös zu schwellen; die Kräfte sanken immer mehr, ja am 24sten zeigten sich schon Brandflecke an den Genitalien. Dabei hatte die Abmagerung den höchsten Grad erreicht. End¬ lich, am 25. Nov. , berstete die Epidermis in der Gegend des Os zygomaticum, und später auch am Mundwinkel, und

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IV. Wasserkrebs.

eine bedeutende Menge brandiger Jauche ergofs sich aus dieser Wunde, und um Mitternacht desselben Tages ent¬ schlief das Kind.

Bemerkenswerth scheint mir noch, dafs sowohl bei die¬ sem, als bei allen den Kindern, welche der Anstalt durch dieses Uebel geraubt wurden, durchaus keine Gehirnaffectionen zugegen zu sein schienen; wenigstens war das Bewußtsein bis auf den letzten Augenblick ungetrübt; ja, unsere Kleine batte sich noch am letzten Tage selbst aufgerichtet, und gegessen.

* .

Aehnlich, und nur mit unwesentlichen Modificationen, war der Verlauf dieses fürchterlichen Uebels bei allen Kin¬ dern. Die meisten starben sehr schnell, sobald sich erst die brandige Zerstörung nach aufsen zeigte. Nur bei dem ersten der Kinder, das die Anstalt verlor, so wie bei dein, das ich beobachtete, war der Verlauf ein wenig langsamer; ja bei dem ersten Kinde entstand der Brand zuerst an den Genitalien, und erst nachdem er fürchterliche Verwüstun- gen, auch im Gesiebte, angerichtet hatte, starb das Kind. - Bei den meisten waren übrigens die Zerstörungen bei wei¬ tem gröfser, als bei dem, das unter meiner Behandlung starb; namentlich hatten die mehresten fast alle Zähne ver¬ loren, und das Zahnfleisch nicht nur, sondern auch der Zahnrand hatte sich beim Reinigen des Mundes in bedeu¬ tenden Stücken gelöst.

Die Section wurde, so viel ich w'eifs, nur hei dem ersten Kinde unternommen. Die Resultate derselben sind mir aber unbekannt. Bei dem jetzt verstorbenen Mädchen fand sich, bei der 39 Stunden nach dem Tode unternom¬ menen Leichenöffnung, folgendes:

Der Brand im Gesicht erstreckte sich von dem Ohre bis auf die llälftc der Lippen und des Kinnes, hatte aber die Nase nur in einem sehr geringen Theile ergriffen; von dem unteren Augenliedc bis ungefähr einen und einen hal¬ ben Querfinger breit unter den Rand des Unterkiefers, ln

IV. Wasserkrebs.

433

der Gegend des Jochbeins am Mundwinkel befanden sich Rupturen der Oberhaut, die erste von 1~ Zoll, die andere von 1" Länge. Die Scheide war auch gröfstentheils brandig. Die Zeichen der beginnenden Verwesung wa¬ ren schon 12 Stunden nach dem Tode sehr deutlich. Da¬ bin mufs auch wohl die Erscheinung gerechnet werden, dafs zu derselben Zeit schon, bei einer Temperatur von 3 bis 4 Graden unter dem Gefrierpunkte, die Leichenstarre gänz¬ lich verschwunden war. Die Leiche war im höchsten Grade abgemagert. *

In der Brusthöhle wurde nichts Bemerkenswerthes ge¬ funden, als eine grofse Menge von Wasser im Herzbeutel. Die Eingeweide dieser Höhle waren ganz gesund, nur sämmtliche venösen Gefäfse stark mit Blut gefüllt, und die Lungen än mehreren Stellen durch ziemlich feste und lange Bänder mit der Pleura verbunden. - In der Unterleibs¬ höhle fiel sogleich die sehr grofse Leber in die Augen. Ihr linker Lappen reichte bis an die Rippen der linken Seite, und der rechte einige Querfinger unter den kurzen Rippen hervor. Die Farbe war normal. Der Darm¬ kanal war gesund, nur in der Mitte des Ileum fand sich eine Intussusception von ungefähr einem Zoll Länge. Die Mesenterialdrüsen waren fast alle etwas vergröfsert und verhärtet. Das Gehirn konnte nicht untersucht werden.

Ganz natürlich drängte sich hier wohl die Frage auf: Woher kommt diese, sonst so seltene Krankheit, in dieser Anstalt gerade so häufig vor?

Das Öftere Erscheinen des Uebels in diesem Jahre er¬ klärt sich wohl daraus, dafs es sich auch aufser der Anstalt, meist in Folge von Masern oder Scharlach , hin und wieder zeigte. Mindestens hat der Schreiber dieses einige Fälle, deren Verlauf w'cnig anders, und nur einigemale glücklicher war, zu sehen Gelegenheit gehabt, und weifs, dafs einer seiner Hrn. Collegen, der ein benachbartes Armenrevier verwaltet, auch einige Kinder an dieser Krankheit verlor.

Als Ursachen des Wasserkrebses geben alle Schrift-

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IV. Wasserkrebs.

steiler einstimmig feuchte, kalte, dumpfe Wohnungen, schlechte, verdorbene, mangelhafte Nahrungsmittel , und un¬ reine, eingeschlossene Luft an. Deswegen komme das Uebel ausschließlich nur hei den ärmeren Volksklas>cn vor, und zwar am häufigsten in nafskalten, feuchten und sumpfigen Ländern, und zuweilen endemisch in schlechten l in- delhä usern 1 ).

Oh nun von diesen Ursachen einige statt finden, mag das Folgende lehren.

Die Anstalt liegt zwar in der Stadt, jedoch in einer ziemlich freien Gegend, und hat vor dem W ohpgebäude einen schönen, mit Baumen bepflanzten Spielplatz. Zwar liegt dieser an einer ungepllasterten und im höchsten Grade schmutzigen Strafse, indefs wohnen doch an dieser sehr viele, meist sehr arme Menschen, in Wohnungen und un¬ ter Umständen, die nach dem Obigen ganz zur Urzeugung des Uebels geeignet sind; nie aber ist mir in dieser Ge¬ gend die Noma zu Gesichte gekommen.

Die Spiel- sowohl, als Schlafsäle, sind hoch und ge¬ räumig, und ich habe beide immer, so wie auch die Bet¬ ten, die Wäsche und die Kleidung der Kinder (die sich durch ein sehr gesundes Ansehen vorteilhaft vor den Kin¬ dern aus anderen Anstalten auszeichnen), sehr reinlich, auch nie nur den geringsten Geruch in den Zimmern ge¬ funden. Zwar sind beständig viele Kinder in einem Zimmer,

1) van S wicten, Comment. in Herrn. Boerhaav. Aphorism. Tom. I. §. 423 et 432.

A. G. Richter’« Anfangsgrüude der Wundarzneikunst. Bd. IV. §. 142.

A. G. Richter’« Therapie. Bd. V. S. 824.

llenke’s Handbuch inr Erkenntnifs und Heilung der Kin¬ derkrankheiten. Bd. 2. S. 263.

Sichert, Leber den W asserkrehs der Lippen, in Hufe-, land’s Journal. 1818. December. S. 74.

Fischer, ebendaselbst. 1811. Juli. S. 90.

IV. Wasserkrebs. 435

imlefs findet dies doch auch in anderen ähnlichen Instituten, und wohl kaum unter so günstigen Umständen statt.

Die Diät der Kinder ist folgende: Im Sommer des Morgens um 5, im Winter um 6 Uhr stehen die Kleinen auf. Sie werden alsdann gewaschen, und ihnen der Mund gereinigt. (Die gröfseren Kinder thun dies na¬ türlich selbst, von diesen aber braucht hier gar nicht die Rede zu sein, da bei ihnen sich die Krankheit bisher noch nicht zeigte.) Hierauf erhält ein jedes der Kinder eine Tasse Eichelkaffee und, je nach dem Alter, eine halbe oder ganze Semmel, und gegen zehn Uhr ein Stück gut ausge¬ backenes, nicht frisches, sogenanntes gemengtes Brot. Das Mittagsbrot, das um 12 Uhr gereicht wird, besteht aus einem Löffel voll klein geschnittenem Rindfleisch, und einem mit Fleischbrühe gekochten Gemüse. Diese sind im Winter: Reifs, Graupe, Kartoffeln, allein oder mit Mohr¬ rüben, Weifskohl, Kohlrüben u. s. w. , und wöchentlich einmal Backobst. Von Hülsenfrüchten werden nur Linsen, auch wöchentlich einmal, gekocht. Nachmittags um 2 Uhr bekommt jedes der kleineren Kinder eine Tasse Milch mit Semmel, und späterhin ein Stückchen Brot mit Syrup; zum Abendbrot aber einen Tag Mehlsuppe, den andern Gries in Milch gekocht. Dabei werden die Kinder im Sommer wöchentlich einmal gebadet, im Winter aber nur gänzlich gewaschen; doch sollen sie jetzt, auf meinen Wunsch, auch im Winter wenigstens alle vier bis sechs Wochen gebadet werden.

Man sieht hieraus wohl, dafs wenigstens keine der ge¬ wöhnlich angegebenen Ursachen hier statt findet. Wollen wir auch zugestehen, dafs es bei einer so grofsen Menge von kleinen Kindern nicht möglich ist, die Reinlichkeit so zu beobachten, als dies in einzelnen Familien geschieht, so mufs man doch eben so auch zugeben, dafs sie auch in an¬ deren Anstalten, aus eben dem Grunde, nicht so grofs sei, als in den Familien, und in diesen kommt doch die Krank¬ heit so selten vor, namentlich wurde sie im hiesigen Wai-

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IV. 'Wasserkrebs.

«enbause noch nicht bemerkt. Und warum ist denn dieses schreckliche Uebcl nicht unter der armen Klasse, deren Kinder in den dumpfigsten Wohnungen, häufig in finsteren Kellern, unter einer Menge Menschen, in der abschreckend¬ sten Unreinlichkeit, von der sich niemand einen llegrilf machen kann, der sich nicht durch den Augenschein davon überzeugt hat, leben, warum, sage ich, zeigt sich beb die¬ sen Kindern die Krankheit so sehr selten?

Ein mangelhaftes Reinigen des Mundes, was als Ur¬ sache der Krankheit in dieser Anstalt angegeben worden, kann wohl kaum als solche betrachtet werden, wenn es auch wirklich statt fände, was doch nicht der Fall ist, wie ich mich gehörig davon überzeugt habe. Eine wie grofse Menge von Kindern müfste nicht dann von diesem Uebel hinweggerafft werden, da gerade das Reinigen des Mundes bei der ärmeren Volksklasse fast beständig versäumt wird.

Eine Ansteckung kann auch der Grund des häufigen Vorkommens dieser Krankheit nicht sein; ob gleichwohl ein solcher Verdacht entstehen könnte, da das letzte Kind vierzehn Tage später als ein anderes Kind an demselben Uebel gestorben war, davon ergriffen wurdö, Denn nicht nur verllossen oft Jahre, ehe wieder Kinder davon befallen wurden, sondern es geschah dies auch in ganz anderen Zimmern, ja die daran Erkrankten wurden nicht nur so¬ gleich von den übrigen isolirt, sondern auch alle Geräth- schaften, deren sich ein solches Kind bedient hatte, ver¬ nichtet, so wie die Kleidungsstücke, Eeib- und Bettwäsche desselben verbrannt. Den deutlichsten Beweis aber da¬ von, dafs das Uebel nicht ansteckend ist, liefert wohl der oben angeführte Knabe, der, als die Krankheit schon eine geraume Zeit bestand, sich noch immer unter den gesunden Kindern aufhielt, weil das Uebel nicht erkannt wurde, ohne dals eines derselben von der nämlichen Krankheit be¬ fallen worden wäre. Trotz dem sind die Krankenzimmer, in denen die letzten beiden Kinder erkrankten und starben, jetzt geräumt, und in denselben werden täglich Guyton-

Mor-

V. Praktische Notizen.

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Morveausche Räucherungen gemacht. Eben so we¬ nig kann wohl das Verfahren des Arztes zur Entstehung des Uebels beigetragen haben, weil es sich unter der Be¬ handlung von vier verschiedenen Aerzten zeigte.

Ich kann mir nun keine andere Ursache dieses Uebels denken, als dafs durch das Zusammenleben so vieler Kinder einerlei Alters sich ein Miasma entwickelt, das in den schon durch Scrofelkrankheit oder durch einen bedeutenden Grad von Schwäche dazu disponirten Kindern diese Krank¬ heit erzeugt, wie man überhaupt beobachtet hat, dafs weit leichter durch das Zusammenleben von Menschen von einer¬ lei Alter und Geschlecht sich Miasmen entwickeln, als unter Menschen von verschiedenem Alter und Geschlecht. Das Nichterscheinen der Krankheit in anderen Anstalten, in denen nicht so viele und so junge Kinder sich befinden, scheint für diese Erklärung zu sprechen. Indefs mufs ich gestehen, dafs 'sie mir auch nicht ganz genügend scheint, aber eben deswegen habe ich sie hier öffentlich mitgetheilt, damit sie von erfahreneren Aerzten, wenn sie es der Mühe werth halten, mich zu belehren, widerlegt oder bestätigt, und ich in Stand gesetzt werde, die Anstalt vor dem Wei¬ terumsichgreifen des Uebels zu schützen.

V.

Praktische Notizen.

1. Dr. Meniere entwirft in einer interessanten Ab¬ handlung über die Hydrophobie bei Menschen , nachdem er sieben Krankengeschichten mitgetheilt, folgendes Bild von dieser Krankheit:

Die Section sämmtlicher unter den Erscheinungen der Ilundswuth verstorbenen Individuen giebt wenig genügende XIII. Bd. 4. St. 29

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V. Praktische Notizen.

Resultate. Das Gehirn unil Rückenmark pflegt rosenroth injicirt zu sein, wie in einer Entzündung der Hirnhäute und der Hirnsubstanz. Das Herz i>t weich, erweitert und mit JJlut überfüllt, die Aorta rosenroth, die rechte wie die linke Lunge in der Regel mit Rlut überfüllt, aber kni¬ sternd, zuweilen emphysematisch. Im Munde, dem Pharynx, im Darmkanal und in der Speiseröhre fehlen selten die Zeichen der Kntziindung. Die IÜfsstellcn sehen in der Re¬ gel blau aus, und sind mit Krusten bedeckt. Offen fand sie M. nie beim Ausbruch der Krankheit. Das kleine Ge¬ hirn war in einigen Fällen ungewöhnlich weich.

Line schnelle Zersetzung und Fäulnifs bemerkte der Verf. nie an den Leichen Ilydrophobischer, wiewohl in mehreren Fällen die Autopsie erst nach 18 Stunden und noch später vorgenommen wurde. Rei einem der Kranken hatte man die Wunde unmittelbar nachher mit einem glü¬ henden Eisen ausgebrannt, und aufserdem ihn einer Re- handlung unterworfen. Rei den meisten waren die Zähne des Thiers durch verschiedene Kleidungsstücke in die Haut gedrungen, ein Rewvis, dafs diese nicht geeignet sind, den Ansteckungsstoff zurückzuhalten. In den meisten Fällen erfolgte der Ausbruch der Hundswuth eine bis drei W o- chen nach dem Risse, was in Rezug auf die Intensivität der Krankheit und auf ihre Dauer durchaus ohne Einflufs war. Rei den Frauen entwickelte sich das Uebel nie zu einem so heftigen Grade, als hei den Männern.

Der Verlauf der Krankheit ist gewöhnlich sehr rapide, und selten währt sie von dem Augenblicke an, wo die cha¬ rakteristischen Erscheinungen auftreten, noch länger, als vierundzwanzig Stunden. Eine Reihe von Vorboten gehen stets dem Ausbruche des Uebels voran, namentlich pflegt sieb eine grofse Traurigkeit, ' eine nicht zu beschreibende Unbehaglichkeit, Schmerzen im Rücken und in den Glie¬ dern, Kopfweh, Mangel an Efslust, und nicht selten Schmer- zen in der Rifsstelle, unruhiger Schlaf oder Schlaflosigkeit der Kranken zu bemeistern. Mehrere klagten über ilals-

V. Praktische Notizen.

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weh, in welchem Falle auch noch andere Zeichen einer Angina vorhanden zu sein pflegten.

Wird unter solchen Umständen vom Kranken und vom Arzte die Natur dieser Erscheinungen begriffen, so läfst sich von einer eingreifenden Behandlung ein Erfolg erwar¬ ten, der nicht auf Blutentziehungen und Zugpflaster be¬ schränkt sein darf (??).

Die Krankheit bricht gewöhnlich in Folge einer Ueber- raschung aus, von welcher Art diese auch sein mag. So sah M. sie dadurch zum Ausbruch kommen, dafs ein vor längerer Zeit gebissenes Individuum plötzlich vom Winde angeweht wurde. Erstickungszufälle, krampfhafte Bewe¬ gungen des Auges und der Brustmuskeln, bezeichnen den Anfang der Krankheit. Oft steigern sich alle Zufälle beim Anblick einer Flüssigkeit, oft ist dies nicht der Fall. Im hohen Grade des Uebels stellt sich ein heftiger Speichel- Aufs ein.

Alle Erfahrungen sprechen für ein mächtiges Ergrif¬ fensein des Nerven- und Gefäfssystems , daher auf diese auch besonders zu wirken ist. Einige Infusionsversuche, die in dieser Beziehung Dupuy tren und Magen die machten, fordern zu neuen auf (??!), die nach M. anfangs aus reinem Wasser, nachher aus Aqua laurocerasi bestehen sollen. (Arcbives generales. 1828. Decembre.)

2. Dr. Pourche rühmt den äufserlichen und inner¬ lichen Gebrauch des Broms bei Geschwülsten scrofulöser Natur und beim Kropf. Aeufserlich bedient er sich einer Salbe, die Hydriodate de brome enthält, oder Umschläge, die mit einer wässerigen Auflösung dieser Substanz be¬ feuchtet sind. Zum innerlichen Gebrauche nimmt er eine Auflösung von einem Theile Brom in vierzig Theilen de-* stillirtem Wasser, von welcher er vier bis fünf Tropfen in einem Glase Wasser nehmen läfst. (Journal de Chimie et Med. 1828. 12.)

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V. Praktische Notizen.

3. Die Versicherung Co Iso n ’s, in dem Blute und in dem Speichel solcher Personen, die langwierige Mercu- rialcurcn überstanden, vermöge chemischer Analysen Queck¬ silber entdeckt zu haben, bestimmten Devergie, diese Untersuchungen mit dem Blute und dem Speichel von Kran¬ ken zu wiederholen, die noch in der Mercurialbehandlung begriffen waren. Die Resultate, die D. bekommen, sind durchaus von denen des ersten Arztes verschieden, indem es ihm nicht gelang, auch nur die geringste Spur von Queck¬ silber aufzufinden. (Nouv. Biblioth. Ls2S. Octobrc. )

4. Bei einem neunzehnjährigen Mädchen, das an Mc- nostasic litt, stellten sich alle Monate zu der Zeit, wo die Menses erscheinen sollten, schmerzhafte Contractionen der unteren Extremitäten ein, so dafs die Hacken sich gegen die Schenkel lehnten und durch keine Gewalt in ihre natür¬ liche Lage zurückgebracht werden konnten. Die monat¬ liche Reinigung wiederherzustellen, waren eine Menge Heil¬ mittel lange vergebens versucht worden. Fa llot von Na- mur, der diese Kranke zuletzt behandelte, vermuthete, dafs eine starke Congestion des Blutes nach dem Rückenmark, wo die Schenkelnerven entspringen, jene Contractionen zur Menstrualzeit veranlasse; er versuchte in dieser Vor¬ aussetzung, die Congestion durch Ansetzen von Blutegeln zu beseitigen, und erlangte nach einem zweimaligen ’S er¬ suche einen vollkommen guten Erfolg. (Journal complcni.1 1828. 2.)

5. Bei einem Kranken, der Jahre lang anDiarrhöeen gelit¬ ten hatte und dabei sehr abgemagert war, bildete sich in der rechten Seite zwischen Crista ossis ilei und den Rippen eine harte, ungleiche Geschwulst, welche späterhin eine seltene Gröfse erlangte, und der Sitz reifsender Schmerzen wHJide. Der Kranke starb unter den Symptomen einer völligen Ent¬ kräftung. Bei der Seetion fand n».m auf «lern vorderen und inneren Tbciie des Blinddarms und auf dem Colon asccndcns

V. Praktische Notizen.

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eine lappenartige, halbdurchsichtige, krebsartige Geschwulst. Der Seitentheil des Mastdarms war ebenfalls krebsartig affi- cirt. (Nouv. Biblioth. 1828. Mars.)

G. Lecourt de Cantilly behandelte eine Frau, welche anfangs an einem viertägigen Wechselfieber, und späterhin an Ascites litt, innerhalb dreizehn Monaten sah L. sich genüthigt, der Kranken das Wasser abzuzapfen. Bei der Section boten sich folgende Erscheinungen dar: Die äufseren Bauchdecken waren hart, das Epiploon fast gänzlich verschwunden , das Peritonäum mit einer dicken, perlmutterartigen und glänzenden Seitenmembran bedeckt, drei grofse Geschwülste füllten wenigstens zwei Drittel der Unterleibshöhle. Die grüfste dieser drei Geschwülste war das deformirte rechte Ovarium, welches bis zum Diaphragma hinall freichte , dieses zurückdrückte, und viel Flüssigkeit enthielt. Die sehr kleine Leber bedeckte einen Theil die¬ ser Geschwulst. Die mittlere Geschwulst, die ebenfalls Flüssigkeit enthielt, war der entartete Uterus. Der Grund und der Körper der Gebärmutter waren carcinomatös. Die dritte Geschwulst, die kleinste von diesen dreien, war das durch ein Convolut von Hydatideu entartete linke Ovarium. Die Milz zeichnete sich durch ihre Kleinheit auffallend aus, so wie alle Unterleibsorgane nicht den natürlichen Grad der Entwickelung hatten. (Ebend. Avril.)

7. Ein Mann, der während drei Monaten einen hef¬ tigen Schmerz im Unterleibe empfunden hatte, verfiel plötz¬ lich in einen Zustand von Lähmung der unteren Extremitä¬ ten, der Urinblase und des Mastdarms; aufserdem klagte er über einen quälenden Schmerz im Bücken. Bei der Section fand man Eiter zwischen den Bückenmuskeln, eine er- weichte tubcrculöse Masse von der Gröfse eines Eies auf dem fünften, sechsten und siebenten Bückenwirbel, welche sämmtlich erweicht waren und eine Communication zwischen der Bückenmark- und der Brusthöhle, und zugleich auch

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V. Praktische Notizen.

nach aufsen gestatteten. Das Rückenmark selbst war auf dieser Stelle in eine rotbe, weiche Masse verwandelt, und uiit Eiter bedeckt. (Ebend. AoiU.)

S. Catania am Fufse des Aetna ist, nach Professor Fulci, wahrend des Herbstes und Frühlings der Schauplatz s<*hr widerspenstiger Weehselfiebcr, die unter den mannig¬ faltigsten Formen an einem Orte auftreten , wo der 'Wech¬ sel der Temperatur bei einem übertriebenen Gebrauche der Seebäder als das alleinige ursächliche Moment dieser Krank- . beiten angesehen wird. Fulci beschreibt den Verlauf eines in Folge eines unreinen Reischlafes entstandenen Trip¬ pers, der in allen seinen Erscheinungen einen Tertiantvpus annahm, eine Neuralgia ccrvi -brachialis, die unter dem Quotidiantypus auftrat, und eine Melancholia intermittens tertiana. (Ebend. Mars.)

9. Monod4 fand bei der Section eines 72jährigen Mannes, der an einem chronischen Erbrechen und Obstructio alvi gelitten, die untere Hälfte des Oesophagus, den Magen, den Zwölffingerdarm und den oberen Theil vom Jejunum mit einer gelbbraunen, stinkenden Flüssigkeit angefüllt. Ein conisch gestalteter Gallenstein, dessen Durchmesser einen Zoll und zwei Linien betrug, war so zwischen den Darm¬ häuten eingeprefst, dafs die Contenta nicht zum Dick -'und Masttarm gelangen konnten. Ueher dem Gallenstein war das Jejunum sackförmig ausgedehnt, unter demselben enger, als im natürlichen Zustande. Von den Valvulis conniven-

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tibus war unmittelbar über dem Gallenstein keine Spur. Die Schleimhaut war nach dem Magen zu gelb, unter dem Gallenstein violettschwarz; das Duodenum und die Pars asrendens coli waren mit der Gallenblase verwachsen. Rei näherer Untersuchung entdeckte Monod eine Oeffnung an dem Iiiserlinnsponkte des Zwölffingerdarms, so dafs man mit einem Finger aus d*m Darm bequem in die Gallenblase gelangen konnte. Iu dieser Oeffnung selbst steckte ein

V. Praktische Notizen.

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pyramidalisch gestalteter Gallenstein. Die Gallenblase batte sehr verdickte scirrhöse Wände, an ihrem Grunde fand M. einen Abscefs ; der Ductus cysticus war verstopft. (Eben¬ daselbst.)

10. Zufolge Hut in ’s Untersuchungen über das Rücken¬ mark im kranken und im gesunden Zustande gehört die Atrophie, die Verhärtung und die Hypertrophie, eine krebs¬ artige Entartung, Blasenanhäufungen, und durch Austiefung des Blutes hervorgerufene Lähmung (Apoplexie de la moeile 4piniere) zu den Krankheitserscheinungen, welche ziemlich häufig im Rückenmark wahrgenommen werden.

Die Atrophie soll entweder die Folge einer vernach¬ lässigten Bewegung (Atrophie par defaut d’action) (?), oder aus inneren unbekannten Ursachen entstanden (Atrophie spon- tanee) (?), oder das Product einer anhaltenden Compres- sion sein (Atrophie mecanique). Kälte und Lähmung der Glieder bezeichnen nach II. immer einen solchen Zustand des Rückenmarks, welcher tödtlich wird, wenn die obere Partie des Rückenmarks leidet.

Die Verhärtung und Hypertrophie des Rückenmarks kommen nach H. in der Regel zusammen vor. Eine er¬ höhte Sensibilität in denjenigen Partieen des Körpers, welche von den leidenden Theilen des Rückenmarks die Nerven empfangen, (Konvulsionen, Zuckungen, veitstanzartige Be¬ wegungen, epileptische Zufälle bei einer auffallenden Muscu- larschwäche, sollen die charakteristischen Zeichen der Ver¬ härtung und Hypertrophie des Rückenmarks sein. (Eben¬ das. Janvier et Fevrier. )

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11. Meniere beobachtete wiederholt bei Individuen, deren Lebensweise einen feindlichen Einflufs auf die Ver- daunngsorgane üben mufste, namentlich bei Metallarbeitern, Stubengelehrten, Steinhauern, besonders wenn diese bei schlecht bereiteter Nahrung den geistigen Getränken erge¬ ben waren, in der Regio iliaca dextra eine phlegmonöse

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V. Praktische Notizen.

Geschwulst, welcher eine mit Diarrhöe abwechselnde Stuhl- verstopfung, Kolikschmerzen in der rechten Darmgegcnd^ eine auffallende Empfindlichkeit, Wochen und Monate lang voranzugehen pflegten. Ein fixer Schmerz und eine bedeu¬ tende Auftreibung bei heftigem Fieber bezeichneten dann den Moment, in welchem die Geschwulst sich zu bilden anfing. Zuweilen gesellt sich eine Entzündung des Bauch¬ fells h inzu, in 'welchem Falle die Krankheit immer einen tüdtlichen Ausgang nahm. Ein antiphlogistisches \ erfahren bei strenger Diät zeitig in Anwendung gebracht, verhinderte in der Hegel den Uebergang in Eiterung. M. beobachtete einen Fall, wo der Eiter sich nach innen ergofs, und spä¬ terhin per anum entleerte. (Archives generales. 1828. 6.)

12. Salgues sah bei einem im vierten Monate schwan¬ geren Mädchen die ganze Oberfläche des Körpers wie bei der Hose angeschwollcn, schmerzhaft gegen jede Berührung, stark geröthet, heifs und hart. Diese Erschei¬ nungen waren auf der Conjunctiva und auf den Lippen be¬ sonders ausgesprochen, der Puls klein, weich, kaum fühl¬ bar, die Hespiration kurz, beschleunigt, von einem Angst¬ gefühl begleitet, die Bewegung der Glieder im höchsten Grade gehindert. Salgues nennt diesen Zustand eine Apo¬ plexie cutam'e, welcher Ausdruck indefs nicht ganz schick¬ lich erscheint, indem die bezeichnten Erscheinungen wohl eher auf eine Entzündung der Ilaut und des Zellgewebes hindeuten. Die von Salgues verordneten Blutentziehun¬ gen halten einen günstigen Erfolg. ( Academie des Sciences cet. de Dijon.)

13. Um zu ergründen, in wiefern die allgemein ange¬ nommene Ansicht richtig sei, dafs die auf Schiffen, in Hospitälern und in Gefängnissen einheimischen bösartigen Fieber aus der Zusammenwirkung einer ungesunden, schwer verdaulichen Nahrung, mit einer feuchten, eine schlechte Luft einschliclsenden Wohnung hervorgehen, hat Scou-

VI. Angina. 445

tetten verschiedene Thiere dem Einflüsse der bezeichneten Schädlichkeiten preisgegeben, und nach Verlauf von einiger Zeit gefunden, dafs dieselben vorzugsweise die innere Fläche des Tractus intestinal, afficiren, an deren Foiliculis er die untrüglichen Spuren einer Entzündung entdeckte. (Eben¬ daselbst.)

14. Paillard hat verschiedene Versuche mit der to-

' '!

pischcn Anwendung des Phosphors gemacht, welche dar- thun, dafs dieser Arzneikörper ein sehr kräftiges äufser- liches Reizmittel ist, welches die Moxa nicht allein voll¬ kommen ersetzt, sondern sogar in den Wirkungen noch übertrifft. Paillard bringt ein Stück Phosphor, von der Gröfse einer Linse, auf irgend eine Hautpartie und zündet es an, wodurch er einen weit heftigeren Schmerz, als durch das Anbrennen eines Cylinders von Baumwolle bewirkt. Auf diese Weise heilte P. mehrere alte und widerspenstige AI- gien, krebsartige Geschwüre, die er mit Phosphor bestreute und anzündete, chronische Lungencatarrhe, Rheumatismen und andere veraltete Uebel, gegen die man eine Menge anderer Heilmittel vergebens angewandt hatte. (Nouvelle Bibliothecpie, 1828. Mai.)

VI.

i \

(Jeber Angina. Von Dr. Wilhelm Sachse. (Aus dem zweiten Bande der medicinisch- chirur¬ gischen Encyclopädie besonders abgedruckt.) Ber¬ lin, bei J. W. Boike. 1828. 8. 136 S.

Die encyclopädisch - lexicalische Bearbeitung der Heil¬ kunde, zu der in der neuesten Zeit eine entschiedene Vor¬ liebe rege geworden ist, hat ungeachtet der Ordnungslo- sigkeit der alphabetischen Reihenfolge und ihrer sonstigen

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YI. Angina.

oft gerügten Mängel, Her Wissenschaft wesentliche, Hie letzten hei weitem überwiegende Vortheile gebracht. Wir rechnen zu diesen vor allen die Verbreitung gediegener Kenntnisse durch die leichtere Zugänglichkeit von Gegen¬ ständen, die in tausend Werken zerstreut sind, und deren Vereinigung zu einem Ganzen die bei den meisten Aerzten unterbleibende Anlage einer grofsen Bibliothek erfordern würde. Was die Litteratur der Zeitschriften für die Ge¬ genwart, das leisten in gewisser Rücksicht die bin cyclo pä- dicen für die aus der Vorzeit hervorgegangene Wissen¬ schaft. In Frankreich, wo dieser Zweig der Litteratur zu¬ erst gepflegt wurde, dann in England und in Deutschland, haben die gelehrtesten Aerzte keinen Anstand genommen, den Encyclopädieen ihre Zeit und ihr Nachdenken zu wid¬ men, und es hat sich dadurch mannigfache Anregung zu gediegenen Arbeiten gefunden, denen schon oftmals die Heil¬ kunde wesentliche Fortschritte verdankt hat. Mag immer¬ hin der Andrang des Mittelmäßigen zu grofsen, viele Fe¬ dern erfordernden Sammlungen unvermeidlich sein, die Ab¬ handlungen vielerfahrencr und gelehrter Aerzte bilden in diesen die Ecksteine, an die die minder gediegenen Mate¬ rialien sich anlehnen. Das in Berlin seit 1S28 erscheinende und im zweiten Bande bereits bis zu « Antimonium » fort¬ geschrittene encyclopädische Wörterbuch der medicinischen W issensebaften hat Abhandlungen dieser Art in überwie¬ gender Anzahl aufzuweisen. Einmüthig werden zu ihnen unsere Leser die vorliegende, in besonderem Abdruck er¬ schienene rechnen, und es als einen wahren Gewinn für #

die praktische Heilkunde betrachten, dafs der vielverdiente Erbe von Wichmann’s Ruhm seine Aufmerksamkeit einer Krankheit zugewandt hat, deren vielfältige Formen und Charaktere einer neuen Sichtung bedurften.

Nachdem der Verf. eine Definition von Angina gege¬ ben. die alle Entzündungen der nicht zu den Schluck- und Athmungswerkzeugen gehörigen Tbeilc ausschlicfst, und die allgemeinen Zeichen dieser Krankheit aufge führt bat,

wen-

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VI. Angina.

det er sieb sogleich zu den Einteilungen , denen er zwi- . seliendurch diagnostische Bemerkungen hinzufügt. I. ln

Rücksicht der leidenden T heile werden unterschie-

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den: 1. Angina palatina, 2. A. uvularis, 3. A. ton¬ sillaris, 4. A. epiglottidea, 5. A. pharyngea, Oe- sophagitis, denen endlich noch die Prunella oder Herz¬ bräune der älteren Aerzte beigezählt wird. Der Verf. hat diese mehr chronische Entzündung, welche sich von der Zungenwurzel bis zu den Präcordien erstreckt, und auf jener einen weifsen Ueberzug, in diesen ein Brennen ver¬ ursacht, nur einmal beobachtet. Auf der Zunge, zeigen sich dabei zuweilen schmerzende Risse. Diese Entzündung gesellt sich oft den bösartigen Fiebern zu, und vorzüglich hat das ungarische Fieber dadurch getödtet. Die Ent¬ zündungen der Luftwege werden an einer andern Stelle erörtert.

II. Die Einteilung nach den Ursachen (und Cha¬ rakteren) in Angina arthritica, rheumatica, vene- rea, exanthematica u. s. w. würde Ref. lieber mit der folgenden 111. in Rücksicht des Fiebers, in A. in- flammatoria, catarrhalis, biliosa, putrida und in¬ te r mitte ns zusammengenommen haben, von der sie nicht wesentlich getrennt ist. IV. In Rücksicht der Dauer: A. acuta und chronica.

Hierauf folgen die Erscheinungen und der Ver¬ lauf der Bräunen mit Entzündungsfieber. Zuvör¬ derst ist hier von den Entzündungen der Schluckorgane die Rede, von denen der Verf., wie wir von ihm erwar¬ ten dürfen, ein vollständiges und lebendiges Bild entwirft, nicht ohne belehrende Ilindeutungen auf die Vorarbeiten bewährter Beobachter. Oft sind ihm auf den entzündeten Mandeln wirkliche, von den mit Schleim angefüllten Ver¬ tiefungen deutlich zu unterscheidende Geschwürchen vorgekommen , die von den meisten übersehen worden sind, v.iew’ohl sie schon Aretäus kannte, und von den brandi-

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gen Geschwüren unterschied. Sie entstehen als kleine gelbe

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VI. Angina.

Krdtzpusteln, die bald platzen, ganz oberflächlich bleiben, bevor sie platzen oft nicht wenig brennen, aber doch kei¬ nen iibe!n Geschmack iin Munde, keinen stinkenden Athein verursachen, sich selbst dann, wenn viele da sind und sich in eine Fläche vereinigen, noch milde verhalten, nicht in die riefe fressen, keine grauen, pappartigen Stellen bekom¬ men, sondern vielmehr die Quellen des weifsen Ueberzuges werden , der entweder die ganze Drüse, aber keineswege« borkenartig, sondern wie mit einer Pseudomembran bedeckt, oder doch noch viele rolhe Stellen zwischen sich läfst. iSach der Trennung dieser weifsen Decke erblickt man dann eine hochrothc, sehr empfindliche Fläche, oder wo jene Decke sich gar nicht bildet, oft eine sehr empfindliche Ero- sion der ganzen Mandel. A iele Frühere haben diese Geschwüre als oberflächliche gutartige Eiterung der Man¬ deln beschrieben; sie kommen im Scharlach und in Catar- rhalbräunen nicht selten vor, und werden gewöhnlich mit Schwämmchen verwechselt; zuweilen nehmen sie unter un¬ günstigen Umständen einen bösartigen, fauligen Charakter an, und häufig bleiben sie nach der Zertheilung noch eine Zeitlang mit mäfsigen Beschwerden zurück. Die ver¬ schiedenen Ausgänge der entzündlichen Bräune geht der Verf. ausführlich durch, mit Hinweisung auf das Unge¬ wöhnliche, z. B. die Bildung eines Abscesses im Schlunde, die Dodonäus beobachtet hat. Der Uebergang in Brand möchte doch bei diesem Charakter der Entzündung mit C ul len zu bezweifeln sein. Bef. sind keine reinen Fälle dieser Art bekannt geworden, und die Scharlachhalsentzün¬ dung, die von den Schriftstellern gewöhnlich in dieser Be¬ ziehung angeführt wird, kann aus triftigen Gründen nicht zur rein inllammatorischen gerechnet werden. Bei Gele¬ genheit des oft beobachteten Uebcrganges in Lungenent¬ zündung erzählt der Verf. einen interessanten hierher gehö¬ rigen Fall, der tödtlich ablief, und wo die Leichenöffnung die Spuren der Entzündung in den Leichen deutlich zeigte. Schon vor dem Ausbruch der Lungenentzündung war Eite-

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VI. Angiua.

rung in den Mandeln erfolgt, Ilr. Geh. R. S. liefs daher die Gelegenheit nicht unbenutzt, die Quellen des Eiters zu untersuchen. Er fand die Mandeln nur ein wenig dicker, als natürlich, und ihre sonst bei der Entzündung so erwei¬ terten Oeffnungen für die Ausführungsgänge im ganz na¬ türlichen Zustande, wie einen Nadelkopf grofs, und mittelst einer feinen Sonde leicht zu durchdringen. Dagegen wa¬ ren die Oeffnungen, welche den Eiter ergossen hatten, lappen förmig zerrissen, so dafs die einge¬ sunkenen Hautstückchen sich an die innere fläche der Drüse anlegten, aber leicht in die Höhe zu heben, so dafs die Sonde im Umfange tiefer eindringen konnte. Dies scheint ihm die Oeffnung mittelst eines Einstiches zu empfehlen, der schneller heilenden Schnittwunde wegen, so wie die Vermeidung fester, krümlicher Kost, damit sich dergleichen nicht einsacke, und Anlafs zu längeren Eiterungen und Fisteln geben möge. Den Beschlnfs dieser Darstellung macht die Aufzählung der Ursachen.

Die entzündlichen Bräunen in den Luftwe¬ gen sind entweder ohne Ausschwitzung, Tr ach eit is muscularis, profunda, sicca, oder mit Ausschwitzung, Angina membranacea. ' Jene hat ihren Sitz in den Muskeln und Bändern der Luftröhre, diese in der Schleim¬ haut derselben. Charakteristisch und lehrreich ist die dia¬ gnostische Parallele, die der Verf. zwischen diesen beiden Entzündungen zieht, viele Leser werden hier Gelegenheit finden, ihre Kenntnisse zu läutern oder zu bereichern, auch ist die ausführlichere Darstellung des Verlaufs des Croups bei der hohen Wichtigkeit des Gegenstandes ganz an ihrem Orte. Nach Erörterung der Ausgänge, und der Ursachen des Croups und der Tracheitis muscularis wendet sich der Verf. zu der Prognose aller entzündlichen Bräunten, die er in bewährten Aphorismen darstellt, dann zum Leichenbe¬ funde und zur Behandlung. Hier kommen nun wieder zu¬ erst die Entzündungen der Schluckorgane an die Reihe. Sämmtliche Hauptmittel werden durchgegangen: das Ader-

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450 VI. Angina.

lals, die örtlichen Blutentziehungen (die Bronchotomie bei¬ läufig erwähnt), die inneren Antiphlogistica, die kühlenden und Mercurialabfiihrungen , die Brechmittel, die Breium¬ schläge, die Einreibungen, die Blasenpflaster, die übrigen Ableitungsmittei , die Gurgelwässer, die Dämpfe und die Einspritzungen durch Mund und Nase. E.r verweilt dann noch besonders bei der Behandlung der Angina suppurato- ria und der Folgeübel. Bei zurückbleibenden Anschwel¬ lungen und Verhärtungen der Mandeln (der Verf. führt

hier die gewöhnlichen Mittel an) hat Bef. mehrmals mit ausgezeichnetem Erfolge die lleringskur, täglich nüchtern einen halben oder ganzen Hering, oder auch nur die Milch davon genossen, angewandt, und zieht sie dem gewöhnlich unwirksamen Gebrauche der Gurgelwässer unbedingt vor. Es versteht sich von selbst, dafs sie lange genug fortgesetzt werden mufs, wozu sich indessen die Kranken gewöhnlich bereitwillig finden lassen, indem schon nach kurzer Zeit

das Unangenehme dieser Kur durch die Gewohnheit sich sehr vermindert, und namentlich der anfangs sehr lästige Durst nach acht bis zehn Tagen fast ganz verschwindet.

Bei der Behandlung der Luftröhrenbräunen berücksich¬ tigt der Verf. vorzüglich den Croup, spricht von den Blut¬ ausleerungen, den allgemeinen sowohl wie den örtlichen, den inneren Kühlungs- und Schwächungsmitteln, und kommt dann auf den Gebrauch der Brechmittel. W ir haben die Grundsätze hierüber bei einer früheren Gelegenheit erör¬ tert ( Bd. IX. 1 1 ft. 3. S. .348 d. A.), und bitten die Leser, die angeführte Stelle nachzusehen. Der Verf. trat bekannt¬ lich mit Jurine und Formey gegen Albers auf, der die Brechmittel gleich zu Anfang des Croups, ohne vorherge¬ gangene Blutausleerungen angewandt wissen wollte. Sachse und die ihm zur Seite stehenden Aerzte verwarfen sie durch¬ aus nicht ganz, sondern verlangten nur, dafs der Entzün¬ dungsreiz erst durch Blutentziehungen gemindert werde, n Der Streit läfst sich schlichten , so lauten die eigenen W orte des \erf., «sobald man in bedeutenden Catarrhen

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VI. Angina.

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auch schon den Anfang des Croups (wie A Ibers) sieht, da können sie allerdings das Uebel oft allein heben; wo sich aber der Croup wirklich schon ausgebildet hat, da schaffen sie, ohne vorgängige Blutausleerung, wenn sich nicht gar Verschlimmerung zeigt, nur kurze Zeit, durch Abspannung Nutzen. » Im catarrhalischen Stadium war es denn auch, wo wir ihnen, und gew'ifs mit Beistimmung aller vorurteilsfreien Aerzte, eifrig das Wort redeten. «Der Grundsatz mufs feststehen, »so fährt der Verf. fort, u wo sich die Krankheit sehr leicht zeigt, wo man über die wirkliche Existenz des Croups noch unentschieden ist, der Kranke schwach, scrophulös ist, vorher viel gegessen bat, da mag man zuerst den Körper durch ein Brechmittel reinigen, vielleicht kann man noch dadurch die Krankheit coupiren; w?o sich aber der Croup als wirklich ausgebildet zeigt, mufs allemal die Blutentziehung voraufgehen. » Hrn. G. B. S. scheint es hiernach vorzüglich auf die Reinigung des Körpers anzukommen, gewifs ist es aber eine günstige Umstimmung des ganzen Organismus, die sich in dem Grade, wie durch das Brechen, durch kein anderes Mittel herbei¬ führen läfst, die Beseitigung der vorwaltenden Plasticität im Blute und in den Gefäfsenden, auf die wir hier noch weit mehr Rücksicht zu nehmen haben. Durch diese Wir¬ kung vermag das Brechmittel selbst Schlundentzündungen im gelinderen Anfangsstadium zu beseitigen, wie ja auch seröse und rosenartige Entzündungen an andern Theilen damit glücklich bekämpft werden können. Im Verlaufe des Croups kann der Verf. die Brechmittel nicht genug preisen, wie ihm denn bekanntlich die meisten hierin bei¬ stimmen.

Es folgen nun mehr oder minder ausführliche Bemer¬ kungen über den JVIercur, die Klystiere, die Vesicatoria, die erweichenden Umschläge, die Einhauchungen warmer Dämpfe, die allgemeinen und Fufsbäder, die kalten Be- giefsungen, die schweifstreibenden Mittel, die Antimonialia, das Ammoniacum und die Senega, die Naphthadämpfe, die

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VI. Angina.

mechanischen Reizungen, die Niesemittel, das flüchtige Lau¬ gensalz, die Schwefelleher, die krampfstillcnden und nar- cotischen Mittel, und die Rronchotomie, Gegenstände, über die der \erf. die wichtigsten Angaben in seinem bekannten Werke (Das Wissenswürdigste über die häutige Bräune. 2 Bde. Lübeck und Hannover. 1810 12. 8.) belehrend zusammcngestellt hat. Die Abhandlung über den Croup sch liefst mit praktischen Fingerzeigen über den sthenischen und gastrischen Charakter desselben, und über seine Ver¬ bindung mit Scharlach, Rose, Aphthen, Masern, Pocken u. s. w.

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Nächstdem werden die A. catarrhalis, A. habitualis, A. varicosa und biliosa abgehandelt, dann wendet sich der Verf. zur brandigen Bräune, Angina gangraenosa. Die Be¬ schreibung dieser grofsen Krankheit entspricht der hohen W ichtigkeit des Gegenstandes; am Schlüsse derselben war es nothwendig, die von mehreren behauptete Identität der brandigen Bräune mit dem Scharlach zu beleuchten. Es möchte schwer halten, hierüber zu einer sichern Ueberzcu- gung zu gelangen, wenn es indessen nur auf Meinungen ankommt, so möchte sich doch wenigstens eine ziemlich nahe \ erwandtschaft beider Krankheiten aus den bisherigen Beobachtungen erkennen lassen. Der Verf. entscheidet sich aus mehreren hier aufgeführten Gründen nicht für die An¬ nahme einer solchen, einige ältere Fpidemieen sind jedoch der Scharlachnatur in hohem Grade verdächtig, so dafs die Beziehung ihrer Beschreibungen auf das Scharlach nahe liegt, andere sind dagegen weit davon entfernt, so dafs die Existenz einer selbstständigen brandigen Bräune aufser Zwei¬ fel gesetzt werden kann. Gewifs haben die älteren Beob¬ achter vieles untereinander geworfen, gewifs sind Jahrhun¬ derte vergangen, ehe man das Scharlach erkannte, denn in den Beschreibungen der Ausschlagskrankheiten hinken die Aerzte der Natur lange nach. Gerade hier ist die Ehre der griechischen Aerzte mit dem allgemeinen Ausspruche, dafs sie gute Beobachter gewesen, und einen so wesent- . - liehen

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VI. Angina.

liehen Zufall, wie die Scharlachröthe der Haut, nicht ver¬ gessen haben würden, schwer zu retten. Sie haben das Wesen der Hautausschläge wenig erkannt, und ihre For¬ men durchweg schlecht oder mittelmäfsig beschrieben, wo nicht ganz übergangen, wo sie erwähnt werden mufsten. Schon zu Ende des sechsten Jahrhunderts waren die Pocken erweislich in Europa ausgebrochen, zu Anfang des zehnten waren sie in Syrien und Mesopotanien so häufig, dafs‘, wie

Rhazes versichert, kaum Einzelne von ihnen verschont

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wurden, und wo sind die Beschreibungen der griechischen Aerzte von diesem Exanthem, aufser der magern und aus einem arabischen Werke abgeschriebenen des Synesius? Dieses wunderbare Beispiel der Fahrlässigkeit der Aerzte im Ueberliejern von Beobachtungen mufs in der That da¬ von abschrecken, Krankheiten blofs deshalb für späteren Ursprungs zu halten, weil sie von den Früheren nicht be¬ schrieben worden sind; dieselbe Fahrlässigkeit unserer Vor¬ fahren macht es aber auch unmöglich, die vorliegende Frage entscheidend zu beantworten, und die Gränzen der obigen Meinung auf der einen oder der andern Seite zu über¬ schreiten. Der Verf. hat seine Gründe gegen die Annahme einer Identität der brandigen Bräune und des Scharlachs sehr scharfsinnig entwickelt, wir ersuchen die Leser, sie in der Schrift selbst nachzusehen. Nächst der ausführlich erörterten Behandlung der brandigen Bräune folgert nun noch die Angina exanthematica, intermittens, aphthosa, venerea, mercurialis, rheumatica, haemorrhoidalis und men- strualis.

Wir halten cs für einen wesentlichen Vorzug dieser Schrift, dafs der Verf. seinen Gegenstand historisch bear¬ beitet, und mit einer, in praktischen Werken ungewöhn¬ lichen Gründlichkeit, seinen Lesern einen weiten Üeber- blick über die Litteratur der Halsentzündungen gewährt hat. Der Zweck einer Encyclopädie, schnelle Belehrung und Anregung zum weiteren Studium, wird durch diese Art der Bearbeitung unstreitig am sichersten erreicht. Viel-

xrif. Ra. 4. St. JO

454 VII. Mineral -Magnetismus.

leic^ wlire es besser gewesen, sämmtliche Citale unter den Text zu bringen, wodurch die häufigen Unterbrechungen des Vortrags vermieden worden wären; auch würde der Verf. , wenn er den Druck selbst hätte besorgen können, durch bessere systematische Anordnung der Ueberschriften der einzelnen Abschnitte gewifs seine Abhandlung übersicht¬ licher gemacht haben.

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VII.

Der mineralische Magnetismus, nnd seine Anwendung in der Heilkunst; von Chri¬ stian August Becker, M. D., Ritter des ei¬ sernen Kreuzes zweiter Klasse. Mühlhausen, Ver¬ lag von Friedr. Heinrichshofen. 1829. 8. 202 S.

Zu den merkwürdigsten Erscheinungen in der Geschichte der Medicin gehört es gewifs, dafs die W irkungen der Im¬ ponderabilien auf den lebenden Organismus ungleich weni¬ ger erforscht worden sind, als sie es ihrer hohen Bedeu¬ tung wegen verdienen. Sie stellen sich uns nicht nur als die nothwendigsten äufseren Lebensbedingungen dar, son¬ dern haben auch höchst wahrscheinlich eine so nahe Ver¬ wandtschaft mit den Lebenskräften selbst, dafs letztere durch eine sorgfältig durchgefiihrte Analogie mit ihnen, nament¬ lich mit der galvanischen Elektricität der Deutung ungleich zugänglicher werden, als durch die mechanischen und che¬ mischen 1 heoriecn. Leberdies hat die Erfahrung uns be¬ reits eine Menge der wichtigsten Thatsachen über den wobl- thätigen Einflufs der Elektricität auf den kraiiken Körper an die Hand gegeben, so dals es nur eines glücklichen Ueberblicks über dieselben bedürfte, um uns zum Bewufst- sein des grofsen Schatzes, den wir an ihnen besitzen, zu

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VII. Mineral - Magnetismus.

verhelfen. Dennoch ermangeln wir so gänzlich einer be¬ stimmten und lebendigen Erkenntnifs von dieser hochwich¬ tigen Angelegenheit, dafs sich auch noch nicht ein allge¬ meiner Satz über sie aufstellen läfst, der dem praktischen Arzte als Leitstern dienen könnte. Erwägt man dabei, dafs es sich um ein heilkräftiges Agens handelt, das uns aus der Noth helfen könnte, wo uns alle übrigen Arzneien fast durchaus im Stiche lassen, nämlich bei den idiopathischen Nervenkrankheiten, die schon tausendfältig, und gewifs nicht mit Unrecht, mit den elektrischen Strömungen ver¬ glichen worden sind; so verdient eine solche unverzeihliche Vernachlässigung wohl die bitterste Büge.

Dafs der Magnet noch weniger beachtet wurde, läfst sich noch eher entschuldigen: seine Thätigkeit schien den früheren Physikern ein isolirtes, nur selten in der Erschei¬ nungswelt vorkommendes Phänomen zu sein; seine heilkräf¬ tigen Eigenschaften wurden durch den übelberüchtigten Pa¬ racelsus, und durch Mesmer, marktschreierischen Anden¬ kens, vielmehr in Mifscredit gebracht, und gewichtigeren Stimmen, die Unger, An dry, Thouret und Klär ich nebst wenigen anderen, zu seinen Gunsten laut werden liefsen, verhallten in einer streitsüchtigen Zeit. Seitdem aber durch Coulomb die Allgemeinheit der magnetischen Erscheinungen in jeder Substanz, und durch Oerstedt die nahe Verwandtschaft des Magnetismus und der galvanischen Elek tricit ät erwieset! worden ist, können und dürfen die Aerzte des ersten hohe Bedeutung für den menschlichen Körper nicht länger verkennen, und man mufs es unserm Verf. Dank wissen, sie mit rühmlichem Eifer wieder gel¬ tend gemacht zu haben. Er widmete diesem Gegenstände ein sorgfältiges Studium, zu welchem die Göttinger Biblio- thek ihm alle Quellen eröffnete, machte sich vorzüglich mit der physikalischen Theorie des Magnetismus vertraut, stellte selbst zahlreiche Versuche mit demselben in verschiedenen Krankheiten an, und beschenkt uns jetzt mit der Ausbeute seiner Forschungen, die zwar noch zu keinem feststehenden

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VII. Mineral -Magnetismus.

Erfahrungssatz führen, aber hoffen t lieh zu weiteren Bemü¬ hungen anregen werden.

Die erste Hälfte seiner Schrift nehmen die wichtigsten Satze aus der physikalischen Lehre vom Magnetismus ein, die der Arzt inne haben mufs, um vorn letzten einen rationellen Gebrauch machen zu können, hier aber billig übergangen werden. Dann folgt eine Geschichte der medicinischcn Anwendung desselben, und den Beschluß machen die vom Yerf. selbst gesammelten Erfahrungen.

Die Reihe der magnelisirenden Acrzte beginnt mit Paracelsus, aus dessen Lehren der Verf. folgende zwei wichtige Sätze ableitet: 1) Die Magnete müssen mit ihren freundschaftlichen Polen gegen einander auf die Peripherie des Krankheitsfocus gelegt werden, wodurch die magneti¬ sche Kraft nicht nur nach dieser Richtung hin determinirt, sondern auch verstärkt wird (eben so wie man bei der Anwendung der Elcktricität ihre beiden Pole zu beiden Seiten des leidenden Organs anbringl); 2) der Magnetis¬ mus erhöht durch directen Einflufs auf das Nervensystem die Energie desselben, und bringt dadurch dessen Recepti- vität gegen die excentrischen Wirkungen des Krankheits¬ heerdes zur natürlichen Temperatur; er bewirkt also, dafs die kritischen Prozesse der erkrankten Vegetation nicht durch Nervcnunruhen unterbrochen werden. Bapt. v. Ilelmont, wenn auch sonst hochverdient, flirte nur meta- physische Träumereien hinzu. Hierauf ruhte der Magne¬ tismus, bis Kästner iro März l/tio in einer Y crsammlung der Göttinger Socictät der Wissenschaften eine Erfahrung über den Nutzen des Magnets gegen Zahnschmerzen er¬ zählte, und dadurch den Hofmcdicus Klär ich veranlafste, ähnliche Versuche anzustellen, die derselbe den 27. Juli mittheille. Er hatte 1 JO Personen, die an Zahnschmerzen litten, magnetisch behandelt; von diesen halten nur IS ihre Schmerzen wiederbekommen, und es ergab sich, dafs als¬ dann eine Geschwulst oder ein Geschwür vorhanden gewe¬ sen war. Aufserdem war dies Mittel bei Gicht, Glieder-

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Vif. Mineral - Magnetismus.

schmerzen versucht, und bei Fehlern des Gehörs mit grofsem Nutzen gebraucht worden. Dr. Weber heilte einen Mann von 72 Jahren, der nach einem heftigen Zorn alles doppelt und dreifach sah, und dem dabei das Auge thränte und schmerzte; dagegen bemerkte er, dafs der Magnet eine, wahrscheinlich catarrhalische Augenentzündung, die ein ge-» sunder, 18 jähriger Mensch sich durch Erkältung zugezogen batte, verschlimmerte. Eine bejahrte Frau, welche nach heftigem Flufsfieber und starken Kopfschmerzen in den an¬ scheinend unverletzten Augen empfindliche Schmerzen, Fun¬ kensehen, Lichtscheu zuriickbehalten hatte, wurde von ihm geheilt, desgleichen ein CO jähriger Mann, der fast immer mit Katarrhen belästigt war, und seit 20 Jahren fast gar nichts mit dem rechten Auge sehen konnte. Reichel stellte in seiner Dissertation (De Magnetismo in corpore humano. Lips. 1772.) die praktische Regel auf, dafs der Magnet bei Fiebern, Entzündungen und Blutungen nicht anwendbar sei, sich mehr für chronische als acute Krank¬ heiten eigne, nnd unter diesen wieder mehr für Krankhei¬ ten einzelner Theile, als des ganzen Körpers. Zwei Jahre später kam der Magnetismus in Wien in Aufnahme, als der Patqr Ilell damit eine Dame vom Magenkrampf befreit hatte; die wichtigste daraus entspringende Folge war, dals Mesmer dadurch zu weiteren Versuchen veranlafst, und somit auf eine Bahn gebracht wurde, auf welcher er so grofsen Unfug getrieben hat. Nur die an Harsu in Genf von ihm verrichtete Cur verdient ausgezeichnet zu werden, da sie von Tissöt bestätigt wurde; sie beseitigte zwar nicht eine seit fünf dahren bestehende vollkommene Lähmung der unteren Extremitäten, rief aber in letzteren die enthobene Wärme zurück, stellte die gehemmten oder verminderten Ausleerungen durch Haut, Darm und Nieren wieder her, bildete eine seit 20 Jahren beinahe unterdrückte Gicht in dem grofsen Zeh aus, und heiterte den Kopf auf. llarsu seihst machte vielfältigen Gebrauch vom Magne¬ tismus, den er für eins der stärksten eröffnenden und auf-

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Vll. Mineral -Magnetismus,

losenden Mittel hielt, «Jessen Wirkung indefs durch Abfüh-

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rungen unterstützt werden müsse. Kr sah glückliche Kr- folge nicht nur bei gichtischen, rheumatischen und Nerven¬ krankheiten, sondern auch bei Scropheln, Khachitis, Krö¬ pfen, Frostbeulen, 'Sackgeschwülsten (?). Unzcr machte •eine wichtige Beobachtung bekannt, w'onach eine Frau, welche nach ihrer vierten Niederkunft aus gröfser Schwäche an Ohnmächten, Zittern und Konvulsionen litt, innerhalb 5 J agen von allen Beschwerden fast gänzlich befreit wurde, wahrend Stuhlgang und Urin zur natürlichen Beschaffenheit zurückkehrten, und ein sehr reichlicher Schweifs sich ein¬ stellte. brimann heilte eine 55jährige Frau in Zeit von 11 Tagen, die seit 1*2 Wochen an vollkommener Lähmung des linken Arms und Taubheit des linken Ohrs litt. ln Paris stellte der Abt Le Noble unter den Augen der Academie Versuche mit dem Magnet an, von welchen die Kommissorien derselben, Andry und Thouret, den be¬ kannten günstigen Bericht abstatteten, der unter dem Titel: « A. u. Th. Beobachtungen und Untersuchungen über den Gebrauch des Magnetismus in der Arzneikunst, Leipzig 1785.» ins Deutsche übersetzt wurde, und unstreitig als das wich¬ tigste Actenstück angesehen werden mufs. Der Verf. theilt von den darin enthaltenen Beobachtungen einige mit, welche meist den bereits geschilderten Fällen ähnlich sind, und unter denen sich auch einige Beispiele von geheiltem Ge¬ sichtsschmerz, Nierenkolik, Brustkrämpfen und Herzklopfen vorfinden. Von den Bemerkungen und Schlüssen, welche die Berichterstatter aus den aufgeführten Thatsachcn zogen, dürften folgende die wichtigsten sein: Die Wirkungen er¬ folgen oft im Augenblick; zuweilen wurden die Schmerzen nur von einer Stelle zur andern getrieben; in einigen Fäl¬ len wurden die Beschwerden verschlimmert, oder neue her¬ beigeführt; die Wirkungen waren nicht blofs local, manche fühlten ein allgemeines Wohlbefinden darnach; die Nerven¬ krankheiten, bei welchen sich der Magnetismus heilsam bewies, schienen besonders solche zu sein, in welchen ent-

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VII. Mineral - Magnetismus.

weder die Sensibilität, oder die Mobilität, oder die Span¬ nung der Nerven übermäfsig erhöht war. Zur ersten Reihe gehörten Kopfschmerz, Gesichtsschmerz, Zahnweh, Nieren¬ schmerzen, Magenweh, Gliederreifsen, hysterische Beschwer¬ den; zur zweiten Brustkrampf, Magenkrampf, Gliederkrampf; zur dritten Herzklopfen, Krampfhusten , krampfiges Erbre¬ chen, hysterische Convulsionen. Aber auch bei andern Nervenkrankheiten, denen eine Schwäche oder Mangel an Energie der Nerven zum Grunde lag, leistete der Magnet gute Dienste. Von der Art waren Zittern, Schwindel, Betäubung, Ohnmacht, Schwäche des Gesichts, schwere Sprache, Schwäche des Magens, Kälte, Frösteln. Bei1 den materiellen Nervenkrankheiten hob der Magnetismus oft nur die Nervenzufälle, vermochte aber nichts gegen die Ur¬ sache der Krankheit. In der Epilepsie war er ganz und gar ohne Nutzen. In manchen Fällen beobachtete man Wiederkehr der natürlichen Wärme, Vermehrung der Haut¬ ausdünstung und Beförderung des Stuhlgangs. Endlich führt der Verf. noch an, dafs Laennec beim fixen nervö¬ sen Brustschmerz und krampfhaften Asthma gute Wirkun¬ gen vom Magnetismus sah, den er noch mehr bei dem ner¬ vösen Herzklopfen und der Angina pectoris empfiehlt. Na¬ mentlich soll derselbe bei letzter Krankheit das Angstgefühl und die Schmerzen um das Herz vermindern; mehr ist aber auch wohl bei der ihr zum Grunde liegenden Verknöche¬ rung der Herzschlagadern nicht zu erwarten.

Bef. hat sich geflissentlich jedes Räsonnements enthal¬ ten, um den -ihm zugemessenen Raum mit einer vollständi¬ gen Aufzählung aller in der Schrift enthaltenen wichtigen Beobachtungen zu füllen, und dadurch den Leser zur eige¬ nen Prüfung derselben einzuladen. Daher übergeht er auch die von dem Verf. als Einleitung zu den Ergebnissen sei¬ ner eigenen Forschung aufgestellte Theorie von der Ver¬ wandtschaft der elektrischen und der Lebenskräfte, mit wel¬ cher er zwar im Allgemeinen einverstanden ist, die ihm aber nicht glücklich ausgeführt zu sein scheint, da sie zwar

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VII. Mineral- Magnetismus.

auf dm elektrischen Zustand einzelner Organe hiudeutet, aber sieb weder darüber erklärt, in wiefern dieselben als Leiter oder Erzeuger derselben anzusehen sind, noch auf die allgemeinen electromotoren Gegensätze hinweiset, ohne deren nähere Bezeichnung, in wiefern sie die gemeinsame Quelle aller Erscheinungen des bewegenden Lebens abge¬ ben, die ganze Lehre höchst unfruchtbar bleibt, wie sich dies auch bei der von dein Vcrf. versuchten Kintheilung der Krankheiten, je nachdem in ihnen die Klektricität ver¬ mehrt, vermindert, oder ungleich vertheilt ist, deutlich zeigt, da sie höchst hypothetisch hingestellt, und mit den früheren Sätzen gai nicht in Zusammenhang gebracht wor¬ den ist. Als Leitfaden bei den anzustcllcnden magnetischen Versuchen konnte ihm allerdings ein Rückblick auf das, was durch die analogen elektrischen Euren geleistet worden ist, dienen, die bei allen Formen von Nervenkrankheiten sich hülfreich bewiesen, in einzelnen Fällen alle Secretio- nen: Menstruation, Ilautausdünstung, Absonderung des Spei¬ chels, der Darmsäfte, des* Harns, Ohrenschmalzes beförder¬ ten, nicht selten aber auch, besonders bei reizbaren Sub- jecten, Schla! losigkeit, Schwäche, Zittern der Glieder und Neigung zu Krämpfen zurücklielsen, und während der Men-

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struation und Schwangerschaft, bei Fieber, Entzündung und grofser Vollblütigkeit unbedingt schadeten. Die nicht be¬ deutende Zahl von Erfahrungen, welche der Verf. einsam- meltc, setzte ihn freilich nicht in den Stand, wichtige all¬ gemeine F oJgerungcn aus ihnen zu ziehen; dafür wäre aber zu wünschen gewesen, dafs er bei den einzelnen Beobach¬ tungen den Erfolg nicht beinahe ausschließlich nur in dem V orkonnnen und V ersclnvinden mannigfacher Empfindungen, die so oft auf blofse .Täuschungen hinführen, sondern auch in anderen Veränderungen der Lcbensthäligkcit, von denen er nur einzelne Beispiele aumerkt, aufgesucht hätte. Inte¬ ressant ist jedoch, was er an sich selbst nach lange und ununterbrochen iortgesetzter Anwendung. des Magnets wahr- nalun. Er litt seit 10 Jahren an Obstructionen und kalten

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VII. Mineral - Magnetismus.

Fiifsen, konnte sich nie warm genug kleiden. Zu diesen Beschwerden, die sich bei angestrengtem Studieren ver¬ mehrten, gesellte sich des Morgens ein lästiger Heifshunger, der nur durch Wasser und Wein gestillt werden konnte, aber nach dem Genufs von Speisen Eingenommenheit und Hitze des Kopfes, die zum Arbeiten unfähig machten, , zur Folge hatte. Der Yerf. legte alle Abend einen Hufeisen¬ magnet von 10 Pfund Kraft unter das Kopfkissen. Danach stellte sich allmählig regelrnäfsige Leibesöffnung ein, der Heifshunger verlor sich, die Fiifse wurden warm. Nach sechswüchentlichem Gebrauche liefs er den Magnet weg, mufste ihn aber bald wieder anwenden, da die Beschwerden wiederkehrten , bis ihn endlich vermehrte Bewegung unnö- thig machte. Der Yerf. beschreibt hierauf die verschiede¬ nen Arten der Anwendung desselben, wie er sie vom Dr. Keil lernte, der nicht nur in der Yerfertigung sehr kräf¬ tiger Magnete eine grofse Geschicklichkeit besitzt, sondern auch viele glückliche Versuche mit ihnen gemacht hat, über welche indefs nichts mitgetheilt wird. Ref. bittet den dafür sich interessirenden Leser, nähere Belehrung darüber in der Schrift selbst zu suchen. Als allgemeine Hegeln stellt der Yerf. nur folgende auf: Der Magnetismus ist ein äufserst wirksames Mittel bei rein nervösen Schmerzen, besonders wenn sie schon längere Zeit gedauert haben; er hilft nicht, und schadet vielmehr, wenn Entzündung oder sonstige Auf¬ regung des irritabeln Systems damit verbunden ist; er ist unsicher bei ganz frischen Krankheiten, weil dabei so leicht maskirte Fieberbewegungen Vorkommen. Unter den mitge- theilten Beobachtungen zählt er zuerst einige Fälle von fieberlosem Rheumatismus auf, die er mit dem Magnete heilte; dann einige Beispiele von hysterischem Kopfschmerz, der nur bei einer Frau, die zugleich an Fieberwallungen litt, und schwanger war, nicht weichen wollte, vielmehr nach vorübergehender Erleichterung sich verschlimmerte, und den Gebrauch kühlender und abführender Mittel noth- wendig machte. Nur langer dauernde Zahnschmerzen wichen

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VII. Mineral - Magnetismus.

dem Magnete sicher, dagegen frisch entstandene sich leicht danach verschlimmerten. Einmal beseitigte derselbe ein hef¬ tiges Ohrenbrausen, dagegen er in einem anderen Falle* dasselbe vermehrte, und zugleich ein Pulsircn im Ohre ver- anlafste, welches den Verf. bewog, Kongestionen des Blu¬ tes vorauszusetzen, und Blutegel anzulegen, welche auch ballen. Lin so eben entstandenes rheumatisches Lendenweb verschlimmerte sich nach dem Gebrauch des Magnets, und mulste durch Laugenbäder und Colocjuinthen geheilt wer¬ den. Dagegen leistete er wieder recht gute Dienste bei einer Paralysis mcdullaris rheumatica eines 12 jährigen Mäd¬ chens, welche sich dies Uebel während eines aus Erkältung entstandenen Nervenfiebers durch abermalige Erkältung zu¬ zog, wodurch eine, jede Bewegung verhindernde Spannung des Kückens, nebst klonischen Krämpfen der Glieder und Bewufstlosigkeit entstand. Nur durch den Genufs des Wei¬ nes aus der Kose im Kathskeller zu Bremen konnte das Leben erhalten werden, aber es blieb bei grofser Aufregung des Gemiiths der Kranken eine lähmungsartige Steifheit des Rückens, welche jede Bewegung unmöglich machte, weil jeder Versuch dazu Brustkrämpfe, Zuckungen und Ohn¬ mächten zur Folge hatte. Es wurde jetzt eine beständige Garnitur aus fünf magnetischen Platten angebracht, von denen eine vorn auf den Leib und vier auf den Rückgrat!» zu liegen kamen; dazu wurde täglich zweimal eine Viertel¬ stunde hindurch ein fünffacher starker Magnet mit beiden Polen an das Kiickgrath, und ein anderer gegenüber an den Leib gehalten. Danach nahm die Steifigkeit des Kückens immer mehr ab, der Stuhlgang, welcher bisher immer durch Arzneien bewirkt werden mulste, erfolgte nun leicht von selbst, und die Kranke genas zuletzt vollkommen. Doch ist nicht aufser Acht zu lassen, dafs sie innerlich täglich Extr. chin. frig. par. nebst Gelatm. lieh, island. und zuletzt 1 inet, fei n acet. aether. nahm, welche gewiis wesentlich zu ihrer Herstellung beitrugen. Ein 50 jähriger Mann, der seit mehreren Jahren am Gonagra/ litt, empfand anfangs

VIII. Der Krampf. 463

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nach der Anwendung des Magnets zwar bedeutende Linde¬ rung, mufste aber zuletzt doch durch andere Mittel von seinem Uebel befreit werden.

W. F.

VIII.

Der K rampf, insbesondere der Wundstarr¬ krampf, in nosologischer und therapeutischer Hin¬ sicht dargestellt von C. Grötzner, Dr. der Med. und Chir., prakt. Arzte in Breslau u. s. w. Bres¬ lau, im Verlage von A. Gosohorsky. 1828. 8. 104 S. (14 Gr.)

Ob der billigste Kritiker es auf sich nehmen dürfe, eine Schrift willkommen zu heifsen, in welcher ein im höchsten Grade vernachlässigter Styl, eine wenig edel ge¬ haltene Sprache, ein schleppender Periodenbau, eine wi¬ drige, den Sinn nur zu oft entstellende Breite, bei den Haaren herbeigezogene Episoden (wie des Verf. Auslassun¬ gen über den Mutterkrebs arn Ende des ersten Abschnitts), Unklarheit und Verstöfse, wie syonim S. 17, feces S. 24, ehelig, Mancherlei statt mancherlei S. 25, antispasmotica S. 26, paroxismus S. 28, mehrerer Mitteln S. 29, Früh statt früh S. 43, Völle statt Fülle, Therapeuticer S. 53, u. s. w. gefunden werden, darüber mag das Urtheil des Lesers entscheiden.

Abgesehen von dieser Schattenseite, ist die Schrift nicht ohne Werth für die Praxis, wenigstens verdienen die vom Verf. mitgetheilten Beobachtungen, so wie die hier erör¬ terten Ansichten des M. R. Dr. Hanke über diese Krank¬ heit beachtet zu werden.

Die Schrift besteht aus zwei Hauptabteilungen. In der ersten handelt der Verf. vom Krampfe überhaupt, in der

464

V III. Der Krampf.

zweiten von der Entstehung des Wundstarrkrampfes, seinen Formen und seiner Behandlung.

Des V erf. Bemerkungen über den Krampf im Allge¬ meinen haben im Ganzen einen mäfsigen Werth, obwohl sie als Spröfslinge der von Clarus ausgesprochenen An¬ sicht über diese Krankheitsform gellen können, dessen er mit ‘gebührender Achtung erwähnt.

In der zweiten, dem \\ esen und der Behandlung des Wundstarrkrampfes gewidmeten Abtheilung der Schrift ta¬ delt der V erf. zunächst, dafs man dem von Stütz angege¬ benen Heilverfahren in allen Fällen ohne Ausnahme gehul¬ digt habe, was in sofern nicht ganz richtig ist, als ver¬ schiedene Aerzte des Auslandes (und nicht Dr. Beck, wie der Verf. S. 61. meint), den Wundstarrkrampf als den Re¬ flex einer Rückenmarksentzündung betrachtend, allgemeine und örtliche Blutentziehungen verordnet haben.

In wie weit die von Hanke entlehnte Einteilung des W undstarrkrampfes in .Trismus traumaticus stricte sic dictus seu nervosus*, I rismus träum, acutus und Trismus träum, chronicus je nachdem der Starrkrampf unmittelbar nach der Verletzung, oder gegen den zwanzigsten oder den vier¬ zigsten Tag eintritt in Bezug auf die Behandlung, Werth hat, werden künftige Beobachtungen darthun; nur so viel erlaubt sich Ref. zu bemerken, dafs an die Stelle der Be¬ nennung 1 rismus traumaticus nervosus, passender Trismus traun), pcracutus gesetzt werden könnte.

Diesen bezeichnet Gr. als eine von den verletzten Nerven pci consensum auf die übrigen sich fortleiteude rein dynamische Nervenaffection , welche besonders bei reiz¬ baren Individuen unmittelbar nach einer \ erwuodung ent¬ stelle. (Verletzungen gewisser Rückenmarktbeile bringen bekanntlich, wie die Expcrimenlalphysiologie lehrt, beson¬ ders dann Starrkrampf hervor, wenn das verletzende Mo¬ ment eine Erschütterung mit sich führen mufstc will dies der V erf. auch tune rein dynamische Nervenaffection nennen i ) Schwächlichen und abgezehrten (blutarmen'.’)

i

/

IX. Rhinoplastik. 465

Individuen soll man nach G. den Mohnsaft anfangs in klei¬ ner, und nach und nach in gröfserer Gabe, innerlich und in Klystieren reichen. (Wird zum Steigen mit den Dosen dem Arzte Zeit bleiben können, da viele Beispiele lehren, dafs der Tod innerhalb weniger Stunden erfolgt?) Die Wunde selbst räth G. zu erweitern, und mit Ol. amygd. amar. zu verbinden.

Der Trismus träum, acutus soll auf einer Entzündung in den Nervenscheiden beruhen, und namentlich nach Wun¬ den tendinöser Theile, nach Exstirpationen von Balgge¬ schwülsten, eines Iloden u. s. w. entstehen, besonders wenn

*

Verhältnisse obwalten, die auf die Eiterabsonderung un¬ günstig influiren, daher er hier allgemeine und örtliche Blutentziehungen , abführende Mittelsalze, Einreibungen aus der grauen Quecksilbersalbe, warme Bäder und einen sorg¬ fältigen Verband der Wunde anempfiehlt.

Die dritte Form, der chronische Wundstarrkrampf, vom Verf. auch wohl der asthenische genannt (so dafs man fast glauben sollte, sthenisch und acut- chronisch und asthenisch seien in seinen Augen syönym), soll besonders bei Wunden mit Substanzverlust und sehr copiöser Eite¬ rung entstehen, und nach der Stützschen Methode durch Opium in starken Gaben bekämpft werden.

Warum der Verf. alle aus einer fremden Sprache ent¬ lehnten Wörter mit römischen Buchstaben, und warum er bei denen, die eine deutsche Endigung haben, diese hat deutsch drucken lassen (wie S. 56 suffocatorifd)), begreift Rcf. nicht, da dies keinen angenehmen Eindruck auf den Leser macht.

Heyfelder.

ix.

Beiträge zu n o p 1 a s t i k

d c n E r fahr u n g e n ü her die R h i - nach der deutschen Methode,

466 IX* Rhinoplastik.

vf>n Dr. T. \Y. G. Benedict. Nebst vier Ta¬ feln in Steindruck. Breslau, bei F. E. Leuckart.

1828, VI n. 86 S. (12 Gr.)

In sofern es Pflicht des Kritikers ist, zwischen Autor und Leser vermittelnd aufzutreten, und wie ein Cicerone dem letzten zur Hand zu gehen, so beginnt Ref. mit der Bemerkung, dafs nicht sowohl des seligen Klein abspre¬ chendes Urtheil über die verschiedenen Methoden der Rhi¬ noplastik, als die engen Gränzen, welche um diese Opera¬ tion durch die Erfinder selbst gezogen wurden, und die häufig genug ohne Erfolg gemachten Versuche, sobald man über diese Gränzen sich hinausgewagt hatte, der Opera¬ tionslust in dieser Beziehung Zügel angelegt haben. Auch der Verf. ist nicht innerhalb dieser Schranken geblieben, auch er hat nicht blofs da operirt, wo der Verlust der Nase durch eine mechanische Ursache bedingt war, sondern auch in Fällen , wo bösartige Hautübel die Nase zerstört hatten, und hier hat er den Weg betreten, den gleichzeitig mit ihm bei abwechselndem Erfolge Lisfranc, Dclpech und Lai lern and gewandelt. Dank verdient er, dafs er diese mit Glück durchgeführten Versuche und die durch beson¬ dere Umstände geforderten Abänderungen in den Hand¬ griffen dem ärztlichen Publikum mitgetheilt hat.

Bei der Bereinigung des Armhautlappens mit dem Na¬ senstumpfe ist B. ganz den von v. Gräfe gegebenen Regeln gefolgt, nur räth er, vom Nasensturnpfe möglichst viel ab¬ zutragen (um so eine recht breite Wundfläche des Stum¬ pfes zu gewinnen), den noch vorhandenen Stumpf des Septums ebenfalls blutig zu machen, und die Nadeln in wei¬ terer Entfernung von den Rändern, als. v. Gräfe angiebt, durchzustechen. Die von v. Gräfe angegebenen Ligaturstäb¬ chen benutzte ß. bei der Nasenbildung nicht, da sie ihm die Aussicht auf die Wunde beschränkten, und den Ver¬ band mühsamer machten. (Grofse Vortheile gewährt in dieser Beziehung die von Dieffenbach veränderte um-

467

IX. Rhinoplastik.

wundene Nath mit den Insectennadeln, da das Gelingen der Operation gröfstentheils davon abhängt, dafs die *Wund- ränder des Arinlappens und der Nase sich genau berüh¬ ren. Ref. )

Was der Verf. über das Verhalten des Armhautlappens und die Veränderungen desselben bis zum Schlüsse der Ope¬ ration anführt , ist naturgetreu und enthält manches Eigen- thümliche, worauf andere noch nicht aufmerksam gemacht haben. Bemerken will nur Ref. , dafs die Lostrennung des Armlappens besser mit einer Schere, als mittelst eines Mes¬ sers geschieht, wie B. gejhan, indem dann eher die Zer¬ rung vermieden, einer Blutung vorgebeugt wird, und der Schnitt nicht so leicht ungleich ausfällt. Zur Bildung des Septums und der Nasenlöcher bezeichnet der Verf. den¬ jenigen Zeitpunkt als den geeignetsten, wo an den Rän¬ dern des Lappens einzelne Vernarbungspunkte sich zeigen, und wo die äufseren Ränder sich nicht mehr über die hin¬ tere Fläche des Lappens hin ausbreiten. In dem einen hier beschriebenen Falle hatte sich zu dieser Zeit der Schei¬ dewand des Nasenstumpfes gegenüber auf der hinteren Fläche des Lappens eine Falte gebildet, welche sogar mit dem vorhandenen Septum verwachsen war.

Bei dem Verbände, welchen der Verf. nach Anheftung des Armlappens an den Nasenstumpf und vor seiner Los¬ schneidung vom Arme wählte, suchte derselbe vorzugsweise folgende Indicationen zu erfüllen: Jeden Druck auf den

Lappen zu verhüten, den freien Anblick auf ihn sich zu

/

erhalten, und den Verband leicht wechseln zu können. Deshalb belegte er die innere Fläche des Lappens nicht mit Charpie^ sondern beschränkte sich darauf, diese nur wiederholt zu reinigen, während er die Armwunde mit einer in Oel getränkten Compresse bedeckte, und, um den Lappen gleichmäfsig gegen die Nase angedrückt zu erhal¬ ten, einige schmale Streifen des englischen Pflasters auf die Vereinigungsstelle des Armlappens mit dem Nasenstumpfe anbrachte. Das Herausnehmen sämmtlicher Hefte nach Ver-

4C8

IX. Rhinoplastik.

lauf von drei Tagen hält ß. für gefährlich, daher er am oberen und an den Seitenrändern dieselben immer noch einige Tage länger liegerV liefs.

Nach der Trennung des Lappens belegte er die innere Fläche desselben mit geölten Plümaceaux, und die äufscrc mit einer feinen Contpresse, auf welcher er ein Stück \\ atte mit Hülfe einiger Ileftpllasterstreifen und einer T Binde be¬ festigte, um so das Warmhallen des Lappens möglichst zu sichern.

In Bezug auf die Behandlung der Armwunde räth der Verf. , die zurückbleibende Wuqpcl mit einem breiten, zir- kelformig angelegten Ilcftpflaslerstreifen zusammenzudrücken, um zu verhindern, dafs sie bei der Vernarbung der Wunde eine unangenehme und schmerzhafte Hervorragung bilde,

Der nach der Bildung des Septums uud der Nasen¬ löcher vom Verf. gewählte Verband hat zum Zweck, das Wiederverwachsen der letzten und Zusammensinken des Septums zu verhüten.

Die von B. vorgeschlagene Veränderung in der Zusam¬ mensetzung der Ta gl i a co z-zo - Gr ä feschen Kappe, welche zum Zweck hat, die durch den ausgeflosseneu Eiter ver¬ schmutzte Kappe theiiweise zu entfernen und durch ein reines Exemplar zu ersetzen, verdient beachtet zu werden.

Dafs die nach Abschneidung des Armlappeus und Zu¬ rücksinken des Armes in seine natürliche Lage sich einfin¬ denden Schmerzen im Schultcrgelenk nicht durch Einrei¬ bungen init der Ammoniumsalbe beseitigt werden, lafst sich a priori begreifen, da ein nothwendig veranlagter Blutan¬ drang wohl eher zu entzündungswidrigen Mittel«, zu Ein¬ reibungen mit der grauen Quecksilbersalbe und zu Bädern auffordern.

Zwei Opcrationsgcschichten machen den Beschlufs die¬ ser Schrift, die Bef. mit Vergnügen gelesen und mit dein Bekenntnifs aus der Hand legt, recht vieles Belehrende darin gefunden zu haben. Verschiedenemal findet der Verf. Gelegenheit, der deutschen Methode unbedingt den Vorzug

469

X. Eingeweidebriicko.

vor der Ca rpu eschen zu gehen, ohne diesen, in den Au¬ gen des lief, gewagten, Ausspruch mit Gründen zu unter¬ stützen. . - i .

* Ileyfelder .

x.

r ' V , *

v

Die Lehre v o n dcnEingeweidebr U chen, von Dr. A. K. Hcsselbac b. Erster Tbeil : Entste¬ hung und Ausbildung der Brüche. Würzburg, bei Karl Strecker. 1829. XII u. 251 S.

Kein Theil der Wundarzneikunst hat so grofse und glänzende Vorlheile aus den gründlichen Forschungen im Gebiete der Anatomie gezogen, als die Lehre von den Her¬ nien, und allein in dieser Beziehung werden die Namen Hesselbach, Oken, Langenbeck, Scarpa, Beclard, Jules Cloquet u. s. w. in den Annalen der Chirurgie mit Achtung genannt werden.

A orliegender erster Band beginnt mit einer historischen Skizze der llerniologie, und einer sehr vollständigen An¬ gabe der Litteratur, in welcher wir nur die Namen Be¬ clard und Riehe ran d vermissen, die freilich in keiner Monographie ihre beachtenswerthen Ansichten ausgespro¬ chen haben.

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Brüche, wendet sich unser Verf. zur Anatomie derjenigen Ünter- leibstheile, an welchen Ilernieen entstehen, ein Abschnitt, der durch Klarheit, Gründlichkeit und Einfachheit sich höchst vorteilhaft vor ähnlichen Arbeiten auszeichnet, so dafs man es wohl dem Ganzen ansieht, dafs II. nach viel¬ seitigen Untersuchungen mit dem anatomischen Messer erst die Feder in die Hand genommen hat. Besonders lehrreich wird der Verf. da. wo er von dem normalen und abnor-

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XIII. Bd. 4. St.

470

X. Eingewcidehriiclie.

mm Verlaufe der Rlutgefäfse dieser Partieen handelt, und Bemerkungen ausspricht, die für den praktischen Chirurgen von grofsem und unläugbarem Wcrthe sein dürften.

Hiernächst handelt der Verf. von den Gelegenheitsur- sachcn der Hernien, wozu er natürlich alles rechnet, was ein Pressen und Drängen der Unterleibseingeweide veran¬ lagt; dann von den vorbereitenden Ursachen, wohin das Offenbleiben des Nabelrings, eine schlaffe Körperbeschaffen¬ heit, Zusammenschnürung der oberen Hälfte des Unterleibes, Schlaffheit der Bauchwände und des Bauchfells, bedingt durch Wassersucht, Schwangerschaft, plötzliche Abmage¬ rung fetter Individuen gehört; endlich giebt er die allge¬ meinen Kennzeichen der Brüche und ihre Eintheilung an.

Die Leistenbrüche sind entweder äufsere, oder in-

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nere. Erstere, die häufigsten unter allen Hernien, haben entweder einen langen, oder einen kurzen Hals, was in praktischer Beziehung wichtig ist, da die kurzhaLigen we¬ niger leicht von einem inneren Leistenbruche zu unterschei¬ den sind. Sie entstehen immer allmablig, haben eine schiefe Richtung von der Mitte der Leistengegend nach innen zum Schaamhöcker hinunter. Wenn auch späterhin diese schiefe Lage immer mehr oder weniger verschwindet, und dadurch es schwieriger wird, den äufseren vom inneren Leistenbruch zu unterscheiden, so kann man doch annehmen, dafs die hintere Mündung des äufseren Leistenbruchs immer etwas weiter von der weifsen Linie entfernt ist, als die des inneren Leistenbruchs. Auch seine Lage und sein Verhältnis zum Hoden und Saamenstrang, welcher letztere an der hinteren Wand des Bruchsacks sich befindet, während der Ilode den Grund desselben einnimmt, sichert vor einer Ver wcrhselung.

In Bezug auf den Bruchsack bemerkt 'der Verf., dafs bei Individuen im mittleren Alter, welche ein nnzweck- mäfsiges und schlecht angelegtes Bruchband getragen hallen, der Hals des Bruchsacks nicht selten beträchtlich zusammen- f^eaogen und verdichtet sei, und dann in einem bedeutenden

471

' X. Eingewcidebrüdhe.

Lmfange jeder Ansdehnung in einem weit höheren Grade widerstehe, als der Bauchring selbst. Bei solchen Subjeefen glich, wie die Leichenöffnung bewies, der Bruchsackhals bald einem dichten, einen Zoll langen Kanäle, bald sogar einem dicken Ringe.

Der rechte äufsere Leistenbruch enthält in der Regel ein Stück des Dünndarms, oder den Blinddarm mit seinem Anhänge, oder den Processus vermiformis allein; bei weib¬ lichen Individuen fand II. hier zuweilen einen Lierstock und eine Tuba. Der linke äufsere Lei.^tenbruch enthält dage¬ gen häufiger ein Stück vom herabsteigenden Colon und vom Netze.

Die Einklemmungsstellen sind der Bruchsackhals, der vordere und der hintere Leistenring. Linklemmungen in den Leistenringen entstehen besonders bei kleinen und fri¬ schen Brüchen, Einklemmungen im Bruchsackhalse bei alten Hernien. Die untere Arteria epigastrica liegt in der Regel auf der inneren Seite des hinteren Leistenringes, mithin auf der inneren Seite der hinteren Bruchmündung.

Der innere Leistenbruch, welcher bekanntlich am inneren Winkel der dreieckigen Leistenfläche entsteht, und an der inneren Seite des Saamenstrangs plötzlich nach einer heftigen Gewalt, und nie ohne Schmerz hervortritt, hat anfangs eine kleine ringförmige Mündung, die. späterhin sich erweitert und die Ringform verliert. Anfangs bildet er eine runde Geschwulst, und gleicht dann der Hälfte einer Kugel, späterhin steigt er schief nach aufsen, und gleicht dann dem äufseren kurzhalsigen Leistenbruche. Auf der rechten Seite enthält er gewöhnlich das untere Ende des Dünndarms, und zuweilen das Netz, auf der linken eine Partie vom Dünndarm und Netz, hin und wieder einen Theil der Harnblase. Die untere Bauchdeckenarterie liegt hier auswärts von der inneren Mündung des Bruchs.

In ähnlicher Weise, und nach gleichen Grundsätzen, handelt H. von den Schenkelbrüchen, wobei er daraut aut- merksam macht, dafs, wie vielfältige Leichenöffnungen ihn

31 *

472

XI. Gebrauch der Mineralwasser.

überzeugt haben, in den meisten Fällen entweder die Art. obturatoria, oder der aus der Epigastrica hervorgehendc Ramus communicans bei dem vorderen Rande des hinteren Schenkelrings seinen \ erlauf nehme und die vordere und innere Seile eines vorliegenden inneren Schcnkelhruchhalses, wie ein Kranz umgehe, welcher verletzt werden mufs, wenn man die einschnürenden Theile von hinten' nach vorn durchschneide.

Durch Klarheit in der Darstellung und durch lehr¬ reiche Bemerkungen, die nur das Resultat strenger anato¬ mischer Forschungen sein können, zeichnen sich die übri¬ gen Abschnitte aus, in welchen der Verf. die Nabelbriichc, die Brüche in dpr weifsen Linie, die Bauch- und Mittel- Reischbrüche, und die des Ilüftbeinloches abhandelt.

Möge Ilr. II. den zweiten Thcil dieses Werkes, wel¬ cher die Behandlung der Ilernien enthalten wird, recht bald erscheinen lassen.

Der Druck und das Papier ist in vorliegender Schrift um vieles besser, als wir es in den zu Würzburg erschei¬ nenden Werken zu sehen gewohnt sind.

II eyf v l (Je r.

\v

LJeber den Gebrauch der natürlichen und künstlichen Mineralwässer von Karlsbad, Embs, Marienbad, Eger, Pyrmont und S p a a. \ on I ) r. Friedrich Ludwig Krcysig, Königl. Sachs. Leibarzt, Hof- und Medicinalrath, Kitter des Königl. Sachs. Livilordcns für \ eichenst und Treue, Professor an der chirurgisch -niedici- nischen Acadeinie zu Dresden u. s. w. Zweite,

I

XI. Gebrauch der Mineralwässer. 473

verbesserte Anfrage. Leipzig, bei J. A. Brockbans. 1828. 8. XVIII u. 330 S. ( f Tblr. 8 Gr.).

Von allen Seiten ist dem vorliegenden, zuerst 1825 erschienenen Werke unseres Hrn. Hof- und Med. Raths Kreysig eine so gebührende Anerkennung seiner Gedie¬ genheit und vorzüglichen praktischen Brauchbarkeit zu Theil geworden , dafs bereits nach drei Jahren die zweite Auflage desselben nothwendig wurde. Der Unterzeichnete kann mit voller Ueberzeugung nur in die Lobsprüche der früheren

Recensenten einstimmen, und wird sich, da es der Zweck

/

dieser Annalen ist, die wahren Fortschritte der Heilkunst auszuzeichnen, vornehmlich darauf beschränken, den Inhalt dieses, den deutschen Aerzten lieben und werthen Werkes darzulegen.

ln der Vorrede spricht sich der Hr. Verf. über die Entstehung seiner Schrift aus. Es war vom Anfänge seiner bedeutenden Praxis, und ist ihm noch die nähere Erfor¬ schung und eitle zuverlässige Heilart der langwierigen Krank¬ heiten das vorzüglichste Ziel seines Bestrebens, und er hat besonders in Dresden, einem Ruhepunkte für die nach und von den böhmischen Bädern kommenden Kranken, eine groise Anzahl längere Zeit behandelt und später die Wirk¬ samkeit der künstlichen Heilwässer in der Anstalt von Struve genau beobachtet. Er bezeugt nochmals (früher in der Vorrede der Schrift von StTuvc über die Nachbil¬ dung der natürlichen Heilquellen., Dresden 1824.), dafs er die vom Dr. Struve bereiteten Mineralwässer für äufserst kräftige Arzneien, für sehr gelungene Nachbildun¬ gen der Natur, und seine Entdeckung in diesem wichtigen Zweige der Arzneimittellehre als höchst wohlthätig für die leidende Menschheit anerkenne. Beiläufig erwähnt er auch der Veranlassung zur Entstehung der Struveschen Ent¬ deckung, die aus reinem Eifer für die Wissenschaft ent¬ stand, und auf dringendes Verlangen' des Publikums eine gröfsere Ausdehnung erhielt, als es früher der Entdecker

ä

474 XI. Gebrauch der Mineralwässer.

selbst im Sinne hatte. Dabei rügt der Ilr. Verf. die Bemerkung des ungenannten Hecensenten der erwähnten Struveschen Schrift in Rust s kritischem Repertorium für die gesammte Heilkunde, als habe ein Dresdner Ar/.tf den» die österreichische Regierung verboten habe, in den böhmischen Bädern zu prakticiren, den Dr. Struvc erst aufgefordert, die Bereitung künstlicher Mineralwässer zu erfinden; und der Ilr. Verf. beruft sich dabei auf den Aus¬ spruch Vogel s in Rostock (Recens. ebendaselbst.) über die Nützlichkeit derselben; indem er auf solche Beschuldi¬ gungen nicht antworten werde. tra bei der noch im¬ mer dauernden Verschiedenheit der Ansichten Uber chroni¬ sche Krankheiten, die Regeln zur Anwendung der Heil¬ wässer genauer zu bestimmen, wird der Ilr. Verf. in der ersten Abtheilung die s einigen geben, die auf die neueren physiologischen Grundsätze Bezug hat.

Erster, allgemeiner T h e i I. 1. Allgemeine Be¬ stimmung des VV erthes der Mineralwässer als Heilmittel. Obschon sie ihren Ruf wohl meist der ver¬ änderten Lebensart u. s. w. an der Quelle verdanken, so lälst. sich doch nicht leugnen, dafs sie auch versandt grolse heilsame Umänderungen und Heilungen schwerer Krankhei¬ ten bewirken, obschon sie manche ihrer Haupttheile durch Absetzen in den Flaschen verlieren. II. Allgemeine An¬ sichten und Grundsätze zur Beurtheilung der heilsamen Wirkungen der Mineralwässer. Die höchst leicht zersetzbaren Mineralwasser sind gewijs alte- ri re nde Heilmittel und zeigen oft ihre vorzügliche Wir¬ kung nach der Sättigung der Säfte, die der Hr. Neri, so beschreibt; « Das Blut verräth die deutlichsten Zeichen einer thätigen Expansion und gröfseren Spannung; das Gesicht wird röther, es tritt leicht auf, der Puls wird gespannter, der Schlaf unruhig, unterbrochen, oft die Glieder schwer und träge, der Leib aufgetrieben , wenn wenig Oeffnung folgt, der Kopf leicht eingenommen, schwer, schmerzhaft; die Leibesöffnung wird oft jetzt erst gehemmt bei Personen,

f

XI. Gebrauch der Mineralwasser.

475

die früher, seihst bei Krankheiten der Organe der Ver¬ dauung, nicht zur Verstopfung geneigt waren. Die Kran¬ ken kommen zuweilen auf eine Höhe des Uebelbefindens, welche sie von dem Fortgehrauche des Wassers fast ab¬ schreckt, und es tritt nach zwei oder drei Wochen, manch¬ mal später, mit einem Male eine Krise durch Stuhlauslee¬ rungen ein, welche eine schnelle allgemeine Erleichterung gewährt, und dasselbe Wasser wirkt von nun an unter gemäfsigten Ausleerungen wohlthätig auf die Krankheit und das Gelühl des Kranken. Aber es sind auch die Mine¬ ralwässer starke heroische Heilmittel, die von Seiten des

, *

Arztes mit Vorsicht bei den verschiedenen Krankheiten, und

der Kranken, mit Beachtung der nothwendigen Diät ange¬ wandt werden müssen. Der Hr. Verf. macht hierbei auch den gelinden und längere Zeit fortgebrauchten abführenden Mitteln, die als auflösend und in langwierigen Krankheiten oft heilend wirken, Lobeserhebungen, die mit dem Ref. gewifs mancher praktische Arzt gern unterschreiben wird. 1JI. Allgemeine Grundsätze über die Anwendung der M in eral wässer. Nach dem Heilzwecke, den man sich bei der Anwendung derselben vorsetzt, kann man sie als restaurirend - stärkende (Spaaj und Pyrmont) und verbessernde (Karlsbad, Marienbad und Embs) auf-

"pf

fassen. Das Egerwasser steht in der Mitte (deshalb wird jetzt wieder eine Zeit kommen , in der das Egerwasser, welches seit der stationären entzündlichen Krankheitsconsti¬ tution zugleich mit Spaa und Pyrmont, wenig gebraucht wurde, wieder mehr hervorgesucht werden wird, indem die Veränderung der entzündlichen Constitution in die ner¬ vöse anfängt allgemeiner zu werden , Ref.) Hieraus ergiebt sich schon die Anwendbarkeit derselben. Die ersten werden angezeigt sein, bei wahrer Schwache des Nervensystems; die letzten bei Fehlern der Säftemasse, welche die Vege¬ tation leidet und ein besserer Lebenszustand des Blutes und des Markes (als der zwei Pole und gemeinschaftlichen I rd- ger des Lebens) hervorgebracht werden soll. Der Ilr. ^ erf.

476

XL Gebrauch der Mineralwasser.

spricht nun von den scheinbaren Leiden des Nerven¬ systems, die noch immer zu oft als wahre in Folge der Bemerkungen und Behauptungen der Solidarpathologen an¬ gesehen werden, und zeigt sich den Ansichten der älteren Ilumoralpathologen geneigter, obschon er behauptet, dafs die Wahrheit in der Mille liege: denn alle Krankheiten sind der Hauptsache nach bedingt von Abänderungen in den Assiniilations- und \ e g e t a t i o n s p r o z e s s c n uud deren Produkten, oder in einem ursprüngli¬ chen nnd tiefen Kranksein des Nervensystems; und weil beide Seiten des Lebens (das Blut selbst als Blut und das Mark als solches, und unabhängig von ihren Hül¬ len sind die sinnlich dargestelllen Pole der Kraft des Le¬ bens) in einem gemeinschaftlichen Prinzipe sich vereinen, so sind alle Krankheiten als Kränkung des Lebens überhaupt anzusehen. (Bef. gesteht, seit langer Zeit keinen so klar gedachten und durchgeführten Satz gelesen zu haben, und macht vorzüglich auf diesen und einige der folgenden Ab¬ schnitte des Buches aufmerksam.) Der Hr. Verf. kann aber nicht zweifeln, dafs das Leben des Menschen in der Regel weit öfter von der niederen irdischen Seite her beein¬ trächtigt wird, als vom Gemüthe aus. Her Heilplan des Arztes ist daher das Resultat einer Lombinationsrechnung, worin der Antheil der inneren ursächlichen Momente, de¬ ren letztes Resultat eine besondere Form von Erkranken ist, nach eines jeden wahrem Werthe und Gehalte genau und richtig abgeschätzt worden ist. IV. Winke und allgemeine Grundsätze über die Natur langwie¬ riger Krankheiten. Die chronischen Krankheiten sind noch viel zu wenig ergründet. Der Verlauf der Krankheit ist nur eine von den vielen gemeinsamen wichtigen Eigen¬ schaften, und in dieser Beziehung ist cs wichtig zu wissen, von welchen Bedingungen es abhänge, dals eine Krankheit schnell oder langsam verlaufe. Es giebt aber keine langsau verlaufende Krankheit, die nicht einen Typus hätte, denn die Natur ruht nie, aber sie wirkt in Pulsen, und sie kann

XI. Gebrauch der Mineralwässer.

477

nur ein und dasselbe Gesetz in der Entwickelung der Krank¬ heit befolgen; aber leider kennen wir diese Gesetze und den Typus nicht genau; deshalb fordert der Hr. Verf. drin¬ gend auf, genaue und lange Beobachtungen ohne "Vor- urtheil für Theorieen und mit Mifstrauen gegen sich selbst zu machen. Der Arzt soll die Gliederreihe der inneren Abänderungen durchschauen, an denen die Krankheit, gleich¬ sam wie an einem letzten Ringe der Kette, die aus vielen Gliedern von verschiedenem inneren Gehalt und VVerthe besteht, hängt. Die obersten Glieder der Kette bilden die kranken Zustände des Blutes nebst der Lymphe, oder die des Nervenmarks. Beide Potenzen können nun entweder ursprünglich und primär durch krank machende Ein¬ flüsse in ihrem innern Leben gekränkt werden, oder es kann dieses secundär und schon zufolge früherer Ab¬ änderung des Lebens in andern Theilen geschehen, beson¬ ders zufolge örtlicher Krankheiten. Alle allgemeine in¬ nere Grundkrankheiten oder Anlagen, welche als die letzten wesentlichsten Objecte der Heilung ange¬ sehen werden müssen, lassen sich auf Dyscrasieen des Bluts und der Lymphe (die wir nicht anders als nach empirisch richtig erkannten Merkmalen auffassen können), und auf In firmitäten des Marksystems zurückführen. Bei letzteren mufs man ja genau untersuchen: die Natur dieser Affectionen, den Grad der Beeinträchtigung des Ner- venlebens, und den eigentlichen Sitz des Fehlers im Mark- systeme; man mufs berechnen, ob das Erkranken des Mar¬ kes ein primäres, ursprüngliches, oder ein durch kranke Prozesse der Vegetation erst nachentstandenes ist. (So sind sehr häufig Neuralgieen im Unterleibe Fol¬ gen von örtlicher Vollblütigkeit, z. B. Hämorrhoiden u. s. w. Ref.) Der Hr. Verf. nennt letzten Zustand: Um¬ dämmerungen des Marklebens. .Er theilt dann einige (wie zu erwarten war, höchst praktische) Beiträge zur richtigen Diagnose des Erkrankens des Marksystems mit. Das Marksystem verleugnet die Natur eines organischen

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XI. Gebrauch der Mineralwässer.

Wesens nicht, und dieses verschmilzt nur im Tbiere mit dem niederen Organismus desselben zu einem Ganzen. Des¬ halb können wir das Erkranken des Marklebens nach »1er Analogie des Krkrankens der vegetativen Seite des I hier- organismus behandeln. Man kann ftir jedes Erkranken drei Stadien annehmen. Das erste umfalst das primäre ur¬ sprüngliche Erkranken, wo das gesunde Leben zunächst von aulsen her, direct oder indirect, schnell oder langsam in einen Grad von Störung versetzt worden ist, welcher durch Natur oder Kunst ausgeglichen werden kann. Das secun- däre Stadium ist das eigentliche dritte; es besteht in blei¬ benden Produkten* des in kranker Bildung begriffenen Le¬ bens. Das intermediäre, zweite Stadium, Lebergangs¬ stufen von dem ersten zum dritten, liegt in der Milte bei¬ der Extreme, und ist noch einer Rückbildung fähig. Die erste Stufe des Krkrankens des Markwesens findet sich bei sogenannten con sensuellen Leiden (Uindämmerung des Marklebens) und bei idiopathishem primären Erkranken desselben, dessen wesentlichster Grund in einer primären Abänderung des Marklebens liegt, wo es jedoch noch nicht zu einem Producte gekommen ist. Die dritte Stufe besteht in Verbildung der Marksubstanz, Verdickung, Erweichung, Einsinkung, Schwinden, Eiterung; das mittlere charakteri- sirt sich durch habituell gewordene kranke Stim¬ mung, die so schwer zu tilgen, weil das Markleben hier tief ergriffen ist, obschon die Anatomie kein Licht darüber giebt. Deshalb können w.ir nur durch die pathologische Anatomie bei Grundübeln des Marks, die in die secundäre Reibe geboren, belehrt werden. Uoi über die Gegen¬ wart einer Zerrüttung des Markleben», als Grundlage einer Krankheit gründlich uilheilen zu können, uiufs 1) die Ab¬ wesenheit der Ilonptgrundlage desselben iu der vegetativen Sphäre constatirt sein. 2) Sehr wichtig ist dann die ge¬ naue Kenotuifs »1er Konstitution , die oft vermöge der ihr eigenen natürlichen Zartheit» des Marksystems den Grund enthält, dals aus den leichtesteu Graden \on Kränkung des

XI. Gebrauch der Mineralwässer. 479

niedern Lebens sogleich sehr heftige und scheinbar schwere

Nervenkrankheiten hervorgehn, welche das Bild jeder an-

/

deren Krankheit gar sehr trüben und umdüstern, und daher leicht zu Fehlschlüssen verleiten. 3) Die genaue Untersu¬ chung der Entstehungs- und Bildungsweise der Krankheit aus äufseren und inneren Momenten, wozu aber eben so sehr Fertigkeit im Untersuchen, als auf reelle Kenntnisse gegründetes reifes Urteilsvermögen gehört; so wie die ge¬ naue Beobachtung des Entwickelungsganges der Krankheit; 4) In zweifelhaften Fällen selbst die verständige Prüfung der Krankheit -durch gereichte Arzneien. Hieraus er¬ hellet, dals das Nervensystem wohl den Wesentlichsten Grund von chronischen Krankheiten enthalten kann, aber dieser weit häufiger in kranker Abscheidung oder kranker Vege¬ tation liegt. Der Hauptpunkt bei Behandlung der chro¬ nischen Krankheiten (die auf denselben Grundsätzen wie bei Fiebern beruht) ist, dafs der Arzt?* den Grundfehler auffasse mit Rücksicht 1) auf das Stadium der Krank¬ heit und ihre Epochen, 2) auf die Natur und Function der vorzüglich leidenden Organe, 3) auf den Zustand des Marksystems, im Ganzen oder in einzelnen Provinzen des¬ selben, Für die beiden ersten Fälle ist die Kunst hinläng¬ lich im Besitze sicherer Methoden und Mittel; weit schwie¬ riger ist aber die Beurtheilung und Behandlung örtlicher Krankheitsformen. Ueberhaupt mufs das Handeln des Arztes bei chronischen Krankheiten abwechselnd, bald mehr bald weniger thätig und kräftig, bald beschränkend, bald nega¬ tiv sein. Bei Krankheiten, die mit hartnäckigen Versto¬ pfungen des Stuhlgangs verbunden sind, ist es gewifs höchst wichtig, diese Function so lange durch Kunst zu unerhal- ten, als die inneren Bedingungen, wovon sie abhängt, nicht hergestellt sind. (Es folgen hierüber herrliche Bemerkun¬ gen, die jetzt so selten berücksichtigt werden, da man fast bei jedem örtlichen Nervenleiden, Entzündung u. s. w. sieht. Ref. ) Auch der Zustand des Kopfes und der Brust¬ organe erfordert Aufmerksamkeit, und bei dahin zu stark

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XI. Gebrauch der Mineralwässer.

gerichteter Naturthätigkcit, Ableitung. Endlich mufs der Zustand des Marksystems bei chronischen Ucbcln vorzüg¬ lich beachtet werden. Ganz richtig bemerkt der Hr. \erf., dafs seit 30 Jahren die Kunst chronische Krankheiten zu heilen, eher Klick- als Fortschritte gemacht hat, welches aber auch wohl in der Vermehrung und den gröfscrcn 'S er- wickelungen der jetzigen Nervenkrankheiten liegen mag. V. Allgemeine Grundsätze und Kegeln über die Anwendung der Mineralwässer zur Heilung chro¬ nischer Krankheiten. Die auf lösenden und Ausleerun¬ gen durch Stuhl und Urin fordernden Wässer, Karlsbad, Maricnb ad und zflm Theil Embs, sind da angezeigt, wo die Functionen des Umlaufs der Säfte, der Ausscheidung, der Verdauung träger von statten gehen, zufolge innerer Unvollkommenheit der bildenden Säfte und daher rührender Stockung und Ausschwitzung derselben in das Parenchym der Eingeweide, der Drüsen oder des Gekröses, Anschwel¬ lung der Venen des Unterleibes, so dafs die daraus resulti- rende kranke Ernährung sich durch unreine Hautfarbe und Gedunsenheit kund giebt , die Verdauung leidet, und Ner- venzufalie aller Art, besonders gedrücktes Gefühl u. s. w. daher entsteht. Je mehr die Functionen der Verdauung bedrängt sind, besonders die Darmauslcerung, desto mehr sind die ausleerenden, Karlsbad oder Marienbad angezeigt; je zarter die Constitution, desto inehr Embs. Sind ein¬ zelne Organe der Leber, Milz, die Drüsen des Gekröses angeschwollen und vergröfsert, so sind jene Wässer eben¬ falls angezeigt, nur verlangen diese Uebel theils eine Vor- bereitung durch zweckmäfsige Mittel vor der Cur, theils eine genaue Aufsicht auf den Grad der Evolution, der bei ihnen statt findet. Nähert sich ihr Zustand dem der chro¬ nischen Entzündung, so mufs dieser vorher beschwichtigt sein; tritt er beim Gebrauche der Wässer ein, so müssen diese beschränkt oder selbst auf einige Zeit ausgesetzt und mit abspannenden Mitteln vertau§cht werden. Sind Pro¬ dukte kranker Absf heidung, Lcsomlers Steine der Nieren-

XL Gebrauch der Mineralwässer. 481

und Gallenblase zu beseitigen, so finden sie auch hier statt, und Karlsbad hat sich hierin als das oft heilsamste Mittel ausgezeichnet. Sind schon Verbildungen in den Orga¬ nen entstanden, es seien Scirrhen oder Knoten in den Lun¬ gen oder den lymphatischen Drüsen, oder Metamorphosen in den Lierstöcken, der Mutter, dem Magen, den Därmen oder dem Herzen und deri grofsen Arterien, so ist der Gebrauch dieser Wässer höchst zweideutig und wird leicht gefährlich; und das sanfte Embs findet noch Anwendung, und verdient in zweifelhaften Fällen noch versucht zu werden. Die stärkenden Stahl wässer sind da ange¬ zeigt, wo das lebendige Vermögen der Säfte und des Ner- venmarks mehr wahrhaft vermindert, als durch Fremdartig¬ keit umdämmert angesehen werden mufs; wo wenigstens das erste den vorwaltenden Grund der Krankheit enthält, und das zweite nur Folge ist, aber doch weit weniger vor¬ sticht, als das erste. Finden beide Umstände verbunden und fast in gleichem Grade statt, so passen sie schon nicht, oder höchst unvollkommen. Sind Producte einer kranken Assimilation, oder Abscheidung, oder Vegetation zu über¬ winden, so schaden sie vielmehr, oder man kann sie nur in kleinen Gaben und nur für den ersten Zweck, um die Kräfte einigermaafsen zunächst zu heben, behutsam versu¬ chen. (Hier das Egerwasser in kleinen Gaben allein, oder mit Milch versetzt.) Diese Wässer sind aber vorzüglich da an ihrer Stelle, wo das Blut in seinen edlen Bestand- theilen (durch Blutflüsse oder Verschwendung edler Säfte, durch Bauchflüsse oder lange Krankheiten) sehr verarmt ist, oder wo die Lebensthätigkeit des Marks zufolge jener Krank¬ heiten oder durch Kummer reell geschwächt ist, ohne dafs dabei die soliden Organe in ihrer Textur gelitten haben. Daher öfters als Nachcur nach den lösenden Wässern, je¬ doch mit grofser Vorsicht. VI. Praktische Anlei¬ tung üb er die Art und W eise, wie die Mineral¬ wässer zum Behuf einer Our angewandt werden müssen. Am besten ist im Frühjahre eine Vorcur; bei

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XI. Gebrauch der Mineralwässer.

eingewurzelten Verstopfungen der l 'nterleihsorgane die frisch atisgeprefsten Säfte von T^raxacum, Chelidonium oder auch Mellag. gramin., oder Taraxac. 1 bis 1* Pfund Molken täglich. Bei vollblütigen Personen, besonders wenn sie nach dem Karlsbade gehen sollen, ist oft ein Aderlais nöthig. Zur Sommercur gehört wenigstens ein Zeit¬ raum von vier Wochen. (Schon Marcard in seinem klas¬ sischen Werke über Pyrmont Tb, 2. S. 274 klagte, dafs die meisten Kranken glaubten, in 11, höchstens 21 lagen die Cur vollenden zu müssen, obschon oft 8 AVochen dazu ge¬ hörten. Auch in uusern l agen glauben sehr viele Kranke mit einem dreiwöchentlichen Aufenthalte in einem Bade oder an einer Quelle, oder mit Trinken eines Brunnens zu Hause, jahrelange Leiden oder die in den übrigen 49 Wochen auf- gesammelten Sünden zu tilgen. Bef.) Der 1 Ir. Verf. meint, dafs bei stärkenden Brunnen dieser Zeitraum von vier Wo¬ chen hinreichend sgi, aber im Karlsbade u. s. w. müsse er oft auf sechs bis acht Wochen, vielleicht mit einer Unter¬ brechung (die am besten durch eine kleine, nicht mit Müh¬ seligkeiten verbundene Heise ausgefüllt werden kann. Bef ) von höchstens 8 14 Tagen, gesetzt werden. Man trinkt in den Frühstnndrn des Morgens, nachdem man am Abend vorher wenig oder gar nichts gegessen hat, hei be¬ ständiger und sanfter Bewegung im Freien, bald mehr bald weniger nach Vorschrift des Arztes, und läfst zwischen zwei Bechern W asser 15 Minuten verstreichen. Gewöhn¬ lich werden von den stärkenden Wässern 4,6 8 Becher (er enthält an diesen Quellen gewöhnlich 5 bis 6 Unzen, Bef), von den schwächenden, z. B. Marienbad, 6 S, und Karlsbad 8, 10 bis 15 Becher (die meisten 6, 8 bis 10 Unzen enthaltend, Bef.) getrunken. Tritt Verstopfung dabei ein, so giebt inan Abends vorher ein leichtes eröff¬ nendes Mittel, oder Morgens ein halbes Loth Karlsbader Salz. Line halbe Stunde narb dem vollendeten Trinken kann der Kr nke etwas Kaffee oder Thce mit Milch, oder eine lasse Uhocoladc oder Bouillon mit etwas W eifsbrodt

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geniefsen. (Oft ist es nöthig, besonders bei den kalt zu trinkenden Wässern, des Morgens vor dem Anfänge des Trinkens eine Tasse Kaffee u. s. w. zu erlauben, weil sehr viele Kranke nur zu sehr daran gewöhnt sind, und ohne eine Tasse Kaffee gleich nach dem Aufstehen aus dem Bette den ganzen Tag über Kopf- oder Magenschmerz klagen. Werden von schwachen hysterischen, öfters am Magenkrampf leidenden Frauen die kalten Eisenwässer auch so nicht vertragen (so hat Himly in Göttingen besonders bei dem Pyrmonter Wasser die Erfahrung gemacht, dafs es von solchen Personen fast immer nicht vertragen wird), so läfst man von einem guten bitteren (Baierschen) Biere den vierten bis halben Theil ' zugiefsen, und macht da/.u etwas Zucker. (Es wird hierdurch mehr kohlensaures Gas entbun¬ den, und deshalb dem Magen verträglicher gemacht, lief.) Anstrengungen des Geistes und Körpers müssen vermieden, leichte Bewegungen gemacht werden. Die Bekleidung si¬ chere vor Erkältung. Eine sehr mäfsige, gesunde und nahr¬ hafte, aber leicht verdauliche Kost ist die zweckmäfsigste in langwierigen Krankheiten und bei dem Gebrauche der Mi¬ neralwässer. VII. Geber den Gebrauch von Arz¬ neimitteln und Bädern bei d e r Anwendung der Mineralwässer. Die Arzneimittel müssen nur selten an¬ gewandt werden. Greift "das Wasser den Magen an, und verliert sich der Appetit, so kann man eine Stunde vor dem Mittagsessen ein erwärmendes Magenelixir nehmen las¬ sen; fehlt Leibesöffnung, gelinde Abführungsmittel. Bä¬ der müssen oft in Pyrmont, Eger u. s. w. angewandt wer¬ den, wenn der Magen den Brunnen nicht vertragen lernt. Kalte Bäder, von 10 Grad Reaum. und mehr, rufen durch Entziehung der Wärme eine allgemeine gröfsere Ile- action hervor, deren Resultat Harmonie der noth wendig immer verbundenen iServen- und Blutthätigkeit ist. Lau¬ warme Bäder, von 24 28 Gr. R. , sind in den mei¬ sten Fällen langwieriger Krankheiten höchst wohithdtig. Heifsc Bäder können sehr oft schaden, und sind wegen

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XI. Gebrauch der Mineralwässer.

der starken Aufregung des Lebens zur Mobilmachung von krankhaften Prinzipien, z. 1*. zurückgetretener Gicht, Aus¬ schlägen u. s. w. heilsam. Man mufs aber den Gebrauch der Lader bei dem inneren Gebrauche der Quellen aufge¬ ben: 1) sobald sie zu sehr ermatten und angreifen; 2) wenn sie Congestionen nach edlen Thcilcn erregen; 3) wenn sie örtliche innere Leiden aufregen, die Gefahr drohen könn¬ ten, B. Brustschmerzen u. s. w. Man mufs sie auch nicht gleich zu Anfänge der Cur nehmen lassen, sondern sie später vorsichtig versuchen lassen, und dann wo möglich drei bis vier Stunden nach dem Trinken der Wässer.

Zweiter, besonderer Th eil. Heber den Ge¬ brauch der natürlichen oder künstlichen Mine¬ ralwässer von K a r 1 s b a d , E in b s , Marienbad, E g e r , Pyrmont und Spaa insbesondere. Man kann sie, nachdem sie warm oder kalt sind, ob sie der Hauptsache nach mehr verbessernd oder rein stärkend sind, be¬ trachten. Karlsbad und Embs sind als warme Quellen viel ein dringend er, machen viel tiefer gehende Wir¬ kungen, als die kalten. Als Repräsentant der kalten steht Pyrmont, welches die meiste Luftsäure und den grüfsten Gehalt an Eisen hat, obenan. I. Ueber die Anwen¬ dung der Karlsbader Wässer. Die Geschichte der Entstehung, Beschreibung der verschiedenen Brunnen, ihrer Bestandteile, besonders nach Berdel ius (in vielen deut¬ schen Journalen) u. s. w. , setzt Ref. als bekannt voraus und bemerkt nur noch, dafs der berühmte Berzclius im Mai d. J. noch kohlensaüres Lilhion in dem ihm nach Scbwe- den geschickten Karlsbader Wasser fand. (S. Schweig- ger’s Journal für Chemie und Physik. N. Reihe XIV. 1. S. 127.) Die allgemeinen von dem so scharf beobachten¬ den Hrn. Verf. angegebenen Wirkungen der Karlsbader Wässer sind ein gelindes, meist mehr dünnes Laxircn, ohne die geringste Kolik, ein vermehrter Schweifs und Urinab¬ gang. Das Blut wird gleichzeitig in starke Bewegung ge¬ setzt, weshalb öfters ein Aderlafs gemacht werden mufs,

damit

XI. Gebrauch der Mineralwässer.

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damit nicht stürmische Ergiefsung des Blutes durch den Mastdarm, die Lungen, oder gar Schlagflufs entsteht. Häufig entsteht in der Mitte der Cur Aufgetriebensein des Unter¬ leibes, Appetitlosigkeit, "Verminderung der Darmfunction, Mattigkeit u. s. w. , wodurch viele Kranke geängstigt wer¬ den. Es ist dies die Periode der Lösung, des lieilpro- zesses der Natur. I n t er curri r e n d e Krankheiten sind gewöhnlich entzündlich, oder es treten örtliche Entzün¬ dungen, z. B. der Leber, der Lungen u. s. w. hinzu. Nach vollendeter Cur hört die Mattigkeit auf, der Kranke fühlt sich leicht und gesund, welches er auch bleibt, wenn er sich noch einige Wochen vor grofsen Anstrengungen des Geistes und der Verdauungsorgane hütet. Ist die Krankheit nicht gehoben, so werden die Beschwerden wohl noch stär¬ ker, zuweilen verschwindet sie dann nach einer Krise, die mit Brechen und Durchfällen, oder auch wohl mit einem Fieber eintritt. Die Formen von Krankheiten, gegen die das Karlsbad ausgezeichnete Wirkung zeigt, sind: alle Stockungen des Unterleibes, besonders der Leber, Milz, Gebärmutter, Drüsen, des Pfortadersystems u. s. w. . sto¬ ckende Hämorrhoiden, Gallen- und Nierensteine, Gicht. Auch bei Nervenkrankheiten, z. B. Hypochondrie, Melan¬ cholie, schwarzem Staar hat es sich einen vorzüglichen Kredit erworben. Schädlich ist es bei Anlage zur Was¬ ser- und Lungensucht, die dadurch hervorgerufen werden; wahre Verhärtungen der Eingeweide und Drüsen gehen in bösartige Eiterung über; die Dyscrasie der Säfte, besonders der Scorbut wird verschlimmert; bei inneren Eiterungen, Fiebern, bei wahrer allgemeiner Schwäche und grofser Zartheit des Nervensystems, Schwäche der Verdauungsor¬ gane, Neigung zum Durchfall u. s. w. schadet es; endlich verträgt es sich nicht mit der Syphilis, deren Zufälle es entlarvt oder verschlimmert.

Die Wirkungsweise der Karlsbader W'ässer ist 1) we¬ der an sich schwächend, noch einfach laxirend, sondern 2) alter irend, in den Prozefs der Assimilation

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XIII. Bd, 4. St.

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XI. Gebrauch der Mineralwasser.

eingehend, ihn, und folglich die Mischung der lebendigen Säfte abändernd, thätige Prozesse in ihnen bedingend, bei welchen die Tendenz nicht zu verkennen ist, in eine Ab¬ schäumung der Säfte, in Lostrennung und Ausstofsung von ihierischcn Stoffen auf verschiedenen Wegen sich zu en¬ den. Eigentlich schwächend wirken diese W ässcr nur bei unzweckmäßigem Gebrauche, Diätfehlern, bei tiefer Ausartung der Unterleibseingeweide, Scirrhen u. s. w. Auf die physische Beschaffenheit der Faser und auf die Säfte wirken sie expandirend, auflockernd, folglich in einem ge¬ wissen Grade erschlaffend und scheinbar schwächend. Die linuptanwendung findet statt bei den Dyscrasiecn der lebendigen Säfte, besonders denen, die sich primär durch unzweckmäfsige Einflüsse der Luft und Nahrungsmit¬ tel, zumal bei sitzender Lebensart erzeugt haben; dahin gehört die atrabilarische und phlegmatische Constitution. Die Dyscrasie der lebendigen Säfte äufsert sich sehr oft vorzugsweise an der thierischen Lymphe, man nennt sic die scrofulöse Anlage, die oft angeboren, oder spät durch dumpfe, feuchte, nicht erneuerte Luft, und zu viele und zu grobe (mehlige und fette) Nahrungsmittel erzeugt wird; doch hüte man sich ja, wenn die Drüsen in Scirrhen oder chronische Entzündung und Eiterung übergehen wol¬ len, die Karlsbader Wässer anzuwenden, indem man nur dadurch, wie schon erwähnt, diesen Zustand beschleunigt und Gelegenheit zur knotigen Lungensucht, Darrsucht u. s. w. giebt. Bei Kindern darf man sie gar nicht, oder nur höchst vorsichtig gebrauchen. Dyscrasiecn von spe- cifischen Vergiftungen (z. B. durch Quecksilber, Ar¬ senik, Kupfer, nicht vollkommen entschiedene contagiöse Krankheiten) können gar nicht, wie die von Quecksilber, oder nur unter höchst beschränkten Bedingungen die An¬ wendung der ässer vertragen, sie bekommen zuweilen, wenn der allgemeine Lebenszustand nicht zu sehr gesunken ist, bei Kupfervergiftungen recht gut. Kann das Le¬ ben des Marks von kranken Zuständen im niedern Leben

XI. Gebrauch der Mineralwasser. 487

als um dämmert angesehen werden, so findet ihre An¬ wendung statt, Lei primären Krankheiten des Marks durchaus nicht. Bei ersteren liegt sehr häufig ein schwe¬ res, partielles Erkranktsein des Verdauungsapparats zum Grunde. Bei kranken Zuständen der festen or¬ ganischen Theile, Lei denen das Gewebe der Organe an Umfang, Dichtheit, Form u. s. w. gegen die Regel ab¬ geändert ist, und wir gewohnt sind, diese Zustände als Wirkungen einer Erschlaffung der Fasern und Lebens¬ schwäche derselben anzusehen, Lei denen das Blut in den Gefäfsen sich anhäuft, letztere ausdehnt, und selbst in das zellige Gew'ebe der Organe ausschwitzt (den Verstopfungen der Eingeweide, Stockungen des Blutes in den Venen, be¬ sonders des Unterleibes u. s. w.), welche Zustände man auch Hemmungen des Lebens nennen kann, ist der Gebrauch des Karlsbades ganz ausgezeichnet, nur mufs noch keine wirkliche Verbildung (siehe oben) da sein. Der Hr. Verf. kann nicht oft genug gegen den Gebrauch des Karls¬ bades sprechen, wenn grofse Metamorphosen, besonders Scirrhen u. s. w. sich schon ausgebildet haben, aber auch nicht genug die ausgezeichnete Wirkung loben, wenn diese Zustände in Verstopfung oder Hemmung, in dem fehler¬ haften Umtausche ihrer Säfte bestehen. Die specielleren Angaben hierüber müssen in dem Werke selbst nachgele¬ sen werden. Die Migräne, besonders wenn sie mit tehlern der V erdauungswerkzeuge, mit Anlage zur Gicht u. s. w. in Verbindung steht, wird oft durch Karlsbad ge¬ heilt. Vorsichtig mufs man mit dem Gebrauche desselben sein, wenn etwa Verknöcherungen in den venösen Be¬ hältern u. s. w. der Grund zu den halbseitigen Kopfschmer¬ zen sind. (Auffallend war es dem Ref. , nichts über die in Rust’s Magazin u. s. w. Bd. I. St. 1. erwähnte Beobach¬ tung des Hrn. Dr. Bieske zu lesen. Dieser bemerkte näm¬ lich, dafs sich während des Gebrauches des Karlsbades kein Callus bildete, und dieser sich sogar auflöste, obschon er nach einem Bruche des Oberarms sich schon völlig ausge-

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bildet und vollkommen formirt batte. Sollte nicht diese Beobachtung einen Wink geben, um das Karlsbad bei Ver¬ knöcherungen der Häute, z. B. der Dura mater, der Blut¬ gefäße, z. B. der venösen Behälter im Kopfe, der mannig¬ faltigen \ erknücherungen am Herzen u. s. \v. , freilich mit der höchsten Vorsicht, vielleicht bei gleichzeitigem Gebrauche öfterer Blutentziehungen anzuwenden? Gewifs würde der Hr. \ erf. allen praktischen Aerzten einen grofsen Dienst erzeigen, wenn er hierüber seine Meinung gäbe, und über¬ haupt bemerkte, ob ihm nicht bei seinen vielen über das Karlsbad gemachten Erfahrungen ähnliche Fälle über das Zurückschreiten der Knochenbjldung vorgekommen wären.)

Ueber die Wahl der verschiedenen Quellen des Karlsbades. Die Quellen unterscheiden sich Vorzug- lieh durch ihren Wärmegrad, aber nicht durch den gröfse- ren oder geringeren Salzgehalt (welches auch durch die Analysen des berühmten Berzelius bestätigt wird. Ref. ). Je kühler sie werden, desto mehr entschwindet ihnen das Eisen, wovon der Theres ienbrunnen nur wenig hat. Der Mühlbrunnen schmeckt salziger, und purgirt auch mehr als die andern, welches aber auch nur von seinem v geringeren Wärmegrade abzuhängen scheint. Der Spru¬ del schmeckt am wenigsten salzig, purgirt gewöhnlich we¬ niger, wirkt aber erhitzender. Der Ncubrunnen ist als der mittlere anzusehen, er ist mäfsig warm und purgirt gelinde. Den Müblbrunnen läfst mau gern die ersten Tage zu ^wei bis vier Bechern trinken, um die Därme aus¬ zuleeren und zu beobachten, wie die Quellen dem Kran¬ ken bekommen, oft auch dann, wenn die anderen Quellen verstopfen. Der Kranke trinkt dann jeden Morgen einige Becher davon, vielleicht auch ein bis zwei Drachmen Karls¬ bader Salz dazu. Den Theresien- und Schlofsbrun- nen läfst man Kranke trinken, die sich auch noch nach dem Mühlbrunnen zu sehr erhitzt fühlen, deshalb auch bei Kindern, bei Kranken, deren Lungen verdächtig scheinen, bei Neigung zu stark 'fließenden Hämorrhoiden oder Regeln,

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bei grofser Empfindlichkeit des ganzen Nervensystems und der Därme. Mit dem Sprudel, der kräftigsten Quelle, sei man ja vorsichtig, er hat schon manchem Kranken, für den er nicht pafste, das Lehen gekostet. Am besten ist es bei dem Gebrauche der Quellen, mit der schwächsten an¬ zufangen, und zuletzt einige Becher Sprudel hinzuzusetzen, denn vom Anfänge der Cur vertragen die Kranken den letzten selten. Finden hei Kranken keine Bedenklichkeiten statt, so kann man ihnen für die ersten acht Tage den Mühl- und Neubrunnen anempfehlen, sie fangen mit 2 4 Bechern an, steigen täglich um 1 2 Becher, und bleiben bei 8 10 stehen. Täglich müssen die Kranken 1 2 Lei¬ besöffnungen haben, und nach diesen und dem auf das Trin¬ ken erfolgenden Grade der Erwärmung richtet man sich in Absicht der Zahl der Becher. Gestattet es der Grad der

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Erwärmung, so gehe man zu dem Neubrunnen allein über, wird auch dieser gut vertragen, so kann man in der dritten W oche 1 2 Becher Sprudel nach dem Neu¬ brunnen trinken lassen, indem man eben so viel Becher von diesem abbricht. Wird auch der Sprudel in dieser Quantität gut vertragen, so läfst man mit der Zahl der Becher steigen, und weniger Neubrunnen trinken. Diese Cur wird vier bis sechs Wochen fortgesetzt, indem man zu Ende derselben bis auf vier bis sechs Becher fällt. Hinsichtlich des Badens sei man vorsichtig. (Ref. , der einige Male als Gesunder in Karlsbad badete, um die Wir¬ kung davon an sich selbst zu erfahren, kann nicht genug warnen. Er selbst sehr robust, vielleicht mit bedeutender Anlage zum Schlagflufs und häufigen Congestionen nach dem Kopfe, die sich durch Nasenbluten vermindern, konnte mehrere Tage nach dem Bade vor Andrang des Blutes nach dem Kopfe keine Ruhe finden, und fürchtete im Bade selbst einen Schlagflufs zu bekommen; das zweite Mal möfsigte er diese Zufälle durch Uebergiefsungen des Kopfes mit kaltem W asser. ) Der Hr. \ erf. rath die Bäder bei unterdrückter Gicht und Ausschlägen, bei Hautschärfen, bei Contracturen

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XI. Gebrauch der Mineralwässer.

der Glieder , und widerrat!) sic bei gleichzeitigem inneren Gebrauche der Wasser Becker (in seiner klassischen Schrift über Karlsbad) glaubt, dafs es gut sei, wenn die Kranken acht läge baden, und dann wieder acht Tage trin¬ ken, welches auch der Ilr. % erf. billigt, nur müsse der Wärmegrad des Bades höchstens 25 28 Gr. I\. sein. Kr meint auch, dafs die Karlsbader Bäder grofse Vorzüge vor denen zu Tepl itz haben.

II. K eher die Anwendung der W ä s s e r von Kmbs. Das Wasser der seit 1.355 gekannten Quellen ist warm, höchst klar, von einem feinalkalischen Gerüche und einem gclind säuerlichsalzigen Geschmacke. Ks wird von dem Magen ganfc gut vertragen, fördert meist Urinausschei¬ dung und Hautausdünstung, aber nicht den Stuhlgang. Bei dem Trinken empfindet der Kranke nach und nach eine gewisse Hinfälligkeit, Ermattung, die früher oder später in ein Wohlgefühl übergeht. \ on jeher ist Embs als grofses Heilmittel a) bei Krankheiten der Lungen, und besonders bei drohender und angehender Klingensucht; b) bei Ner¬ venschwäche und davon abhängenden Beschwerden ; c) bei der Unfruchtbarkeit angesehen worden. Die Quellen besitzen überhaupt das ^e^mögen, eine grofse Umänderung der thicrischen Mischung zu bewirken, Kmd deshalb in allen ballen, wo es auf Nerdünnung, V erbesserung der Säfte, Freimachung von Stockungen ankommt, z. B. bei Scrofeln, Gicht, Bluthemmung im Unterleibe, Gallen- und Nieren¬ steinen, also gerade in solchen Zuständen, in denen Karls¬ bad so vorzüglich ist, heilsam zu sein. Im Allgemeinen kann man Embs in den ballen allwenden, in denen Karls¬ bad empfohlen ist und wo es zweifelhaft ist, ob dieses nicht zu stark wirken möchte; daher 1) bei hohen, Graden von Schwächung, durch Krankheiten oder andere Ursachen herbeigeführt; 2) bei grofser Nervenreizbarkeit, sie sei der Constitution eigen oder Folge langer Krankheit, oder einer örtlichen Krankheit in einem inneren Theile, z. B. von einer chronischen Entzündung scrofulöser Drüsen

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im Unterleibe; 3) bei der Furcht, dafs ein örtliches Uebel schon zu weit vorgerückt sei, um Karlsbad noch rathen zu können, z. B. Scirrhen u. s. w. Hieraus ergicbt sich die richtige Anwendung der Wässer bei Krankheiten der Nerven, wo Entfremdung der thierischen Säfte zum Grunde liegt, nach moralischen Ursachen, Verlust von Säf¬ ten, zu starker oder unnatürlicher Befriedigung der Ge¬ schlechtslust u. s. w. ; bei vorhandener scrofulöser Anlage und krankhafter Mischung des Blutes, Anlage zur Bleich¬ sucht, bei Verschleimung des Blutes, bei Hemmung dessel¬ ben im Unterleibe, bei daraus entstandener Gicht- oder Steinanlage, Hämorrhoidalbeschwerden ; deshalb besonders bei scrofulösen Kindern und zärtlichen oder geschwächten Frauen. In Krankheiten der Lungen, ja in der Lungensucht hat Embs einen bedeutenden Ruf, besonders bei chronischem Husten und Engbrüstigkeit, wenn die Krankheit auch schon die Form der Schwindsucht angenommen hat, hauptsächlich wenn scrofulöse Anlage die Grundursache ist. (Ausgebil¬ dete Lungensucht geht in der Regel durch, oder besonders nach dem Gebrauche von Embs schneller zum Tode, über, welches Ref. durch mehrere Fälle beweisen könnte.) Bei gewissen Zuständen der weiblichen Geschlechtsteile, be¬ sonders um Unfruchtbarkeit zu heben, wird die Bubenquelle sehr häufig besucht, ferner bei stockenden, irregulären Re¬ geln, Leucorrhöe u. s. w. Man bedient sich zweier Quellen zum inneren Gebrauche: des Kränchens und des K esselbrunnens; erster hat 23 Grad R., letzterer 38 Gr. R. Man wähle die Quelle, die der Constitution in Beziehung auf die Wärme am besten entspricht; denn die Bestandteile beider sind sich gleich. Man trinkt zu 4 bis 6 Unzen auf einmal, und wiederholt dies alle Viertelstunden 4, 6 lOmal. (Osann, in Ilufeland’s Supplementhefte 1824, zieht den Kesselbrunnen dem Kränchen fast in allen Fällen vor. Ref.) Hie Bäder machen in Embs fast den Haupttheil der Cur aus; sie werden Vormittags zu 28 Grad Reaum. genommen. Der Ilr. Verf. macht zugleich noch

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auf die klassische Schrift: Diel, über den Gebrauch der Thermalbäder zu Embs, Frankf. a. M. 1825, aufmerksam *).

III. IJ eher die Anwendung der Wässer von Marien ha d. Diese Quellen sind kalt und gehören zu den alcalisch -salinisch -eisenhaltigen kohlensauren Wässern. Ks sind vier Quellen da: der Kreuz- und Ferdi nandsbr u n- nen, die Karolinen- und Ambrosiusquelle. Letzte sind mehr reine Eisenwässer, mit reichlichem Gehalte an kohlensaurem Gase; daher bei der Beschreibung der eisen¬ haltigen Wässer die Anwendung ihres Gebrauchs erkannt werden wird. Der Kreuz- und Ferdinandsbrun neu sind krystallhell , ohne Geruch, von Geschmack angenehm prickelnd -säuerlich , salzig und zuletzt adstringirend. (Auch

in dem Kreuzbrutinen fand im Mai d. J. Berzelius koh-

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lensaures Lithion, fast ein Centigramm in jeder Flasche, 1 ir Centigramme auf 1000 Gran Wasser. Auch Spuren von Jodine, obschon iiufserst geringe, fand er darin. Ref.) Der Mariakreuzbrunnen ist einer der reichsten an Glaubersalz und Soda, er enthält überdies noch Magnesia und sich leicht trennendes Kisen. Der Ferdinandsbrun¬ nen enthält weniger Salze und mehr Eisen, und weniger kohlensaures Gas als der Egerbrunnen. Erster ist daher als ein lösender und abführender vorzuziehen, letzter nä¬ hert sich mehr dem Egerbrunnen, indem er aber nicht so reizend wirkt. Hieraus erdicht sich die Art ihrer Anwen¬ dung bei den verschiedenen Krankheiten. Die sinnlichen Wirkungen der Quellen sind: Der Magen nimmt sie gern auf, und verträgt sie sehr gut. Zu vier bis sechs Gläsern (zu fünf bis sechs Unzen das Glas) getrunken, bringen sie laxirende Stuhlgänge hervor, und bei dem Fortgebrauche leeren die Kranken meist grüne und dunkelgefärbte Massen von zähem Schleim, oder zersetztem Blute ähnliche Stoffe, oft auch Blut und Schleim, Würmer, Galle, harte Knol- *en von Excrementen, die ott mit geronnenem häutigen

1) Bd. II. H. 3 S. 326. d A

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Schleime umwickelt sind, aus. Die Urinausscheidung wird,

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zumal anfangs, sehr vermehrt. Hierbei fühlen sich die Kranken durchaus nicht matt, sondern munter, haben mehr Appetit, und die erregende Eigenschaft der Wässer auf Blut und Nerven tritt sehr gemäfsigt hervor. Man kann diese Quellen, jedoch nur mit Einschränkung, ein kaltes Karlsbad nennen, jene wirken nicht so erhitzend, und auch nicht so tief eingreifend, als diese. Der Hr. Verf. führt nun dieses weiter aus, ohne wieder die Krankheiten her¬ zuzählen, welches er schon bei dem Karlsbad^ that, und Ref. verweist auf das Werk. In Marienbad ist der Ge¬ brauch der Bäder ziemlich allgemein, und nicht allein der Bäder aus dem Mineralwasser, sondern auch der Gas- und Moorbäder. Die mineralischen Bäder müssen nur lau-

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warm gebraucht werden, und sind vermöge ihres Reich¬ thums an Luftsäure belebend und stärkend, und besonders anwendbar, wo man entweder Folgen von nach innen ab¬ gelagerten Krankheitsprinzipien aufheben, oder durch Stär¬ kung der Haut ihre Function auf eine höhere Stufe der Vollkommenheit heben, und dadurch das gestörte Gleich¬ gewicht mit den inneren Organen hersteilen will. Oft wird man auch durch kühle Bäder voh 20 Gr. R., beson- ders bei Personen, die durch Verschwendung edler Säfte ihre Gesundheit zerrüttet haben, zur Stärkung nützlich wir¬ ken. Die Moorbäder sind gewifs höchst wirksam, des-, halb mufs man sie auch mit Vorsicht anwenden. Sie be¬ stehen aus Resten von Pflanzenstoffen , Schwefel, salzsaurem Natrum, schwefelsaurem Talk und Kalk, Eisenoxyd, Kiesel¬ erde, Extractivstoff und verkohlbarem Pflanzen stoff. Sie erregen die Thätigkeit der Haut, und haben sich daher bei langwierigen Geschwüren, Flechten, Steifigkeit der Gelenke nach Wunden, bei partiellen Krämpfen einzelner Theile, Lei schmerzhaften Zufällen aus rheumatischer Ablagerung, sehr hiilfreich erwiesen. Bei Stockungen der Eingeweide, z. B. der Milz, Leber, Drüsen, sei man sehr vorsichtig mit ihrer Anwendung. Die Gasbäder erregen nach Heid ler

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und Scheu ein Gefühl von Wärme auf der Oberfläche des Körpers, am meisten an den Geschlechtsteilen , ver¬ mehrte Ausdünstung, zuweilen ein leises Knebeln, wie Ameisenlaufen. Bei Neigung zu Entzündungen und Blut- llüssen darf man sie nicht anwenden, aber wohl da, wo letzte unterdrückt sind. Die örtliche Anwendung dersel¬ ben ist gewifs höchst heilsam bei Lähmung oder partiellen Krämpfen, oder Schmerzen einzelner Theile, wo ein ein¬ zelner Nerv sehr geschwächt oder durch Ablagerung von Krankheitsstoffen schwer gedrückt ist.

IV. Ueber die besondere Anwendung der Wässer von Franzensbrunn bei Eger. Sie bilden die erste Stufe zu den stärkenden Quellen. (Auch in ih¬ nen fand Kerze lius köhlensaures Liihion. Ref. ) Ueber die Wirksamkeit der kalten kohlensauren Stahlwässer iin Allgemeinen spricht sich der I Ir. Yerf. besonders dahin aus: dals sie nur dann stärkend wirken, wenn die Verdauungs¬ organe in dem Zustande sind, dafs die Wässer gut assimi- lirt werden können, und wenn das Eisen dem Bedürfnisse der Natur eigentlich entspricht, das ist, wenn es mit der Entstehungsweise der Infirmität des Lebens einen Gegen¬ satz bildet, und es derjenigen Seite des Organismus ent¬ spricht, von deren Beeinträchtigung die Infirmität desselben ausging. Die Erfahrung hat auch schon hinlänglich über die arzneilichen Wirkungen des Eisens entschieden. Gegen anzei gen sind: 1) Wenn an sich eine Anlage da ist zu erhöhter Thätigkeit im Blute selbst oder in dem ar¬ teriellen Systeme. 2) Wo die Krankheit von der Natur ist, dafs der Körper eine Anspannung nicht verträgt, folg¬ lich in den Fällen, wo das organische Leben in seinen Quellen, dem Blute und der Lymphe von Fremdartigkeit umdämmert und tief befangen ist, so dafs die Säfte deshalb in einzelnen Provinzen des Körpers sich hemmen und die Blutvertheilung dadurch ungleich gemacht wird, ln liiesen Fällen vermehrt es die (Kongestion nach andern Theilen. 3) Wo die Verdauung durch Fehler ihrer Organe zerrül-

XI. Gebrauch der Mineralwässer.

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tet ist. Gegentheils ist das Eisen eins der herrlichsten Heilmittel, wo die Infirriiität des Lebens einfach ist und wesentlich aus einer unkräftigen Beschaffenheit des Bluts oder der Nerven zugleich hervorgeht; daher bei Schwäche nach Blutfliissen, schweren Krankheiten, Säfte- Verlust u. s. w. Die Kohlensäure in den eisenhaltigen Wäs¬ sern macht das Eisen dem Magen weit verträglicher, des¬ halb sind diese auch da überall anzuwenden, wo das Eisen in Substanz angezeigt ist. Man mufs aber sehr sorgfältig die an chronischen Uebeln leidenden Kranken studiereny ehe man sie zu Eisenwässern, die so sehr leicht schaden können, schickt. Sehr zu beherzigen sind die vortrefflichen praktischen, in der Schrift selbst nachzulesenden Bemerkun¬ gen des Hrn. Verf. über diesen Gegenstand. Eger ver¬ dient oft den Vorzug vor Spaa und Pyrmont, wenn zwar nicht sehr tief sitzende Fehler in dem niedern Leben wal¬ ten, aber doch die plastische Seite des Lebens zugleich, wenn auch in einem geringeren Grade als das Markleben erkrankt erscheint. Der Hr. Verf. macht auf die gehaltrei¬ chen Schriften von Osann, die Mineralquellen zu Kaiser Franzensbad bei Eger, Berlin 1822, Marcard über Pyr¬ mont, welche letztere noch immer unübertroffen bleibt, und auf den Mangel einer guten Schrift über Spaa auf¬ merksam.

V. Ueber die besondere Anwendung des Pyr- monter- und Spaawassers. Die Anzeigen zu dem Ge¬ brauche dieser Wässer kommen mit denen des Eisens und denen des Egerbrunnens überein. Das Pyrmonterwas- ser von 10 Gr. R. ist eins der reichsten an kohlensaurem Gase und Eisen, von welchem letztem es in einem Pfunde 0,792 Gran nach Westr u mb hat, dazu noch Glauber-

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und Kochsalz, Gyps, und Schwefel- und kohlensaure Ma¬ gnesia. Es ist der König der Stahlwässer und bewirkt zu einigen Gläsern schnell hinuntergetrunken eine Art von flüchtigem Rausche, ein Gefühl von Wohlsein und Mun¬ terkeit; der Puls wird ohne fühlbare Erhitzung beschleu-

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XI. Gebrauch der Mineralwässer.

nigt. In Menge getrunken, befördert es Darm- und Urin- ausleerungen. Es ist das erste Heilmittel bei* allen Krank¬ heiten, denen Mangel an rothem Blute, eine krankhafte N crdünnung r eine der scorbutischen ähnliche Dyscrasie zum Grunde liegt, daher bei Bleichsucht, bei allgemeiner Schwäche nach bedeutenden Krankheiten, Hypochondrie und Hysterie, die auf reinem Nervenleiden beruht. Das Spaa wasser hat weniger Eisen und Kohlensäure, seine übrigen Bestandteile sind kohlensaurer Kalk und kohlen¬ saure Magnesia, aber wenig Natrum. Man trinkt vorzüg¬ lich den sogenannten Pouhon, der auch versandt wird. Er wird oft wegen seiner schwächeren Wirkung noch dann gut vertragen, wenn Stahlwässer angezeigt sind, und Eger und Pyrmont nicht bekommen. Der Hr. Verf. bemerkt noch zum Schlüsse in Beziehung auf alle stärkenden Wäs¬ ser, dafs die daraus bereiteten lauen Bäder niemals bei dem inneren Gebrauche versäumt werden sollten. Ihre Wirksamkeit ist so grofs, dafs sie oft, wenn der innere Gebrauch der Y\ ässer bei zärtlichen Kranken durchaus nicht vertragen wird, noch allein helfen.

Der Leser wird aus dieser Relation ersehen, wie reich¬ haltig das Werk des Hrn. Kreysig ist. Bef. kann nicht genug zu dem wirklichen Studiren desselben anrathen, und schliefst mit den wichtigen W orten des Hrn. Verf. (S. 241): Meine Geberzeugungen sind aber nicht das Product einer 1 heorie oder eines Vorurtheils für diesen oder jenen Brun¬ nen, sondern das Resultat einer grofsen Zahl von ver¬ gleichenden Beobachtungen über die W i r k s a m - keit verschiedenartiger Heilwässer nicht nur allein in Ucbeln von gleicher Art, sondern sehr oft auch in den¬ selben Individuen zu verschiedenen Jahren; ferner von einer langen Erfahrung über langwierige Krankheiten.

B c h r.

XII. Medicinische Statistik der Niederlande. 497

XII.

Recherches sur la population, les nais- sances, les deces, les prisons, les depots de men di eite dans le royaume des Pays- bas, par Mr. A. Quetelet, secretaire de la Com¬ mission de statistique etc. Bruxelles chez H. Fär¬ ber, rue de la Montagne No. 306. 1827. 90 S.

Der durch mehrere treffliche Arbeiten im Gebiete der Statistik berühmte Verf. tritt in vorliegender Schrift mit neuen statistischen Untersuchungen, das Königreich der Niederlande betreffend, hervor, die in vielfacher Beziehung eben so sehr die Aufmerksamkeit des Arztes, als des Sta¬ tistikers und des Philanthropen verdienen.

Nach Quetelet betrug 1825 die Bevölkerung des Königreichs der Niederlande 5,992,666 Seelen, und der jähr¬ liche Zuwachs war seit 1816 ungefähr 12,4, oder 1,77, während man in Frankreich denselben auf 6,36, also nur auf die Hälfte anschlägt. D ie Fruchtbarkeit ist hier in einem gleichen Grade, wie in Frankreich, wo man auf 100 Ehen 476 Geburten rechnet, während man in den Niederlanden auf 100 Ehen 480 Kinder annimmt. In den südlichen Pro¬ vinzen ist sie stärker, als in den nördlichen, denn in jenen rechnet man auf die Ehe 5,21 Kinder und in diesen nur 4,87. Die männlichen Geburten verhalten sich zu den weib¬ lichen wie 1000: 938 in Frankreich, und wie 1000 : 945 in den Niederlanden. In Frankreich ist von 138 Menschen, in den Niederlanden von 130 schon einer verheirathet.

Die Sterblichkeit ist in den Niederlanden geringer, als in Frankreich, indem sie im ersten Lande sich wie 1 : 42, im letzten wie 1:39,67 verhält. Nach Villerme hat die Wohlhabenheit und Reinlichkeit einen grofsen Einflufs auf die geringere Sterblichkeit, daher in einem Lande, wo die Bedürfnisse nicht die Einkünfte der Einwohner übersteigen,

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498 XII. Mcdicinischc Statistik der Niederlande.

die Bevölkerung wächst. Trotz dem ist in den reichen Gegenden der Niederlande die Sterblichkeit gröfser, als in den ärmeren Provinzen, was Quetelet dem feuchten Klima, der Nähe des Meeres und dem Zusammenwohnen zu vieler Menschen in einer Stadt zuschreiht. Zugleich hat Q u e- telet gefunden, dafs ip den Provinzen, die sich durch eine gröfsere Sterblichkeit auszeichnen, auch mehr Kinder gebo¬ ren werden. Dieselbe Beobachtung machte der Verf. rück¬ sichtlich der verschiedenen Monate. In Brüssel z. B. kom¬ men die meisten Sterbefälle im Januar vor, die wenigsten im Julius, die meisten Geburten im Januar und Februar, die wenigsten im Julius. Dasselbe Resultat gaben die Un¬ tersuchungen in Amsterdam, Gent, Rotterdam, Antwerpen, Haag, Tournai und Leroy, ferner die von Gordini und Orsini angestellten Nachforschungen in Livorno. Dem- gemäfs halten die Sterbefälle und Geburten gleichen Schritt mit dem Thermometerstande, der, wie Quetelet, Gor¬ dini und Orsini sich überzeugten, am niedrigsten im Ja¬ nuar und am höchsten im Juli ist.

Quetelet spricht sich über diese Erscheinung dahin aus, dafs in den Wintermonaten die Gesundheit der Men¬ schen leichter leide, indem der weniger wohlhabende 1 heil nicht so leicht sich durch Arbeit die nöthige Pflege, Be¬ quemlichkeit und eine gesunde Nahrung verschaffen, und wegen Mangel an Arbeit nicht tiir die Befriedigung der nüthigen Bedürfnisse seiner Familie sorgen könne. Solche Verhältnisse sind allerdings auch geeignet, ihm die Lust zur Zeugung zu nehmen, welche mit dem Friihlingc steigt, wo die Hoffnung zur Beschäftigung und zu besserem Erwerb wiederkchrt, daher im April, Mai und Juni auch die mei¬ sten Empfängnisse statt finden, wie eine von Quetelet beigefügle allgemeine Tabelle lehrt. In katholischen Län¬ dern iofluirt noch die Fastenzeit, weil in dieser wenig oder gar keine Ehen geschlossen werden.

Nach Vil lerme’s Untersuchungen in der Pariser Ma- ternite und nach den von Guiette (Arzt an der Matcrnit6

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XII. Medicinischc Statistik der Niederlande. 499

de l’Höpital St. Pierre in Brüssel) von X81I bis zum Ende des Jahres 1822 angestellten Beobachtungen erfolgen die meisten Geburten von 10 bis 11 Uhr Abends, und die wenigsten von 11 bis 12 Uhr Nachts und von 11 bis 12 Uhr Mittags. Eben so finden die meisten Todesfälle von 10 bis 11 Uhr, und die wenigsten von 11 bis 12 Uhr Nachts statt.

Wie in Frankreich und in andern Ländern bemerkt ward, eben so berechnet auch Quetelet, dafs fast der vierte Theil der Neugebornen schon im ersten Jahre, und namentlich vor verlebtem ersten Monate stirbt. In Brüssel findet folgendes Verhältnis statt: im ersten Monate nach der Geburt sterben 1044, im zweiten 390, im dritten 231, im vierten 185, im fünften 156, im sechsten 156, im sie¬ benten 162, im achten 152, im neunten 140, im zehnten 153, im elften 142, und im zwölften 140 Kinder, mithin sterben innerhalb der drei ersten Monate mehr Kinder, als in den neun folgenden. * ,

Nach Beroiston de Chateauneuf sterben von 100 Kindern, die durch ihre Mütter genährt werden, 18 im ersten Jahre, während von 100 durch Ammen genährten 29 schon im ersten Lebensjahre eine Beute des Todes wer¬ den (was doch ja alle Aerzte beachten mögen!).

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In den Findelhäusern hat die Sterblichkeit seit 1815, wo sie sich wie 1 : 7 verhielt, abgenommen, indem schon im Jahre 1822 sie sich wie 1 : 11 verhielt.

In gleichem Grade hat man auch in den niederländi¬ schen Armenanstalten eine verminderte Sterblichkeit wahr¬ genommen. In den sieben Armenhäusern: Bruges, Mons, Hoogstraeten, Reckheim, Namur, Hoorn und La Cambre wurden im Jahre 1821 verpflegt 2022 Individuen, von wei¬ chen 447 das 65ste Lebensjahr überschritten hatten und als durchaus unfähig angesehen werden mufsten, durch Ar¬ beit sich den Unterhalt zu verdienen, 445 waren zwischen dem sechsten und zwölften und zwischen dem 50 und 65sten Lebensjahre, mithin halb zur Arbeit unfähig, und 1063 Se" suud und zur Arbeit tüchtig. Von den zur Arbeit fäbi-

500 XII. Medicinische Statistik der Niederlande.

» - ’■

gen Bettlern verweilt ein jeder gewöhnlich sechs Monate in der Armenanstalt, welche Zeit nicht als lange genug gelten kann, um in ihm die Liebe zur Thätigkeit zu erwecken, und um ihn seine Kräfte gehörig anwenden zu lehren, da¬ mit er in der Zukunft selbst es verstehe, für seinen Unter¬ halt zu sorgen.

In den 117 Gefängnissen des Königreichs befanden sich 1821: 10,557 Gefangene, 1819: 11,353, und 1817: 11,729. Die dem Civiistande angehürigen Gefangenen wa¬ ren 1821: 8618, nämlich 6337 Männer, 2030 Frauen und 251 K inder, und die Gesammtzahl der Gefangenen machte 0,00185 der ganzen Bevölkerung aus, während die Gesammt-N zahl der in den Armenanstalten verpflegten Individuen (2022) 0,000355 der Bevölkerung betrug. Unter den Ver¬ urteilten waren wegen Wiederholung ihrer Vergehungen 1539 aus dem Civiistande, und 793 Soldaten, mithin war der vierte Theil schon einmal verurteilt worden.

Unter den Verurteilten waren 139 des Mordes ange¬ klagt und überwiesen, 110 der Notzucht, 37 wegen Brand¬ stiftung, 11 wegen Entführung, 10 wegen Falschmünzerei, 13 wegen Kindermord, 1 wegen \ergiftung, 6200 wegen Diebstahl u. s. w.

In den Armenanstalten reicht das aus der Arbeit der Armen gezogene Geld nicht zum Unterhalt hin. Jedes In- hividuum kostet hier täglich 29,75 Cents, während die Ko¬ sten für den Unterhalt eines Gefangenen nur 27,07 Cents betragen.

Aufser den Armenhäusern bestehen in den Niederlan¬ den noch W ohlthätigkeitsanstalten , in welchen 1822 ver¬ pflegt wurden: 7988 Kranke, 9463 Greise, 4345 Krüppel, 8893 Kinder, im Ganzen 30,689 Individuen. Man zählte aufserdem 10,720 gefundene und 2500 ausgesetzte Kinder, und verpflegte in ihren Wohnungen 635,991 Ilülfsbedürf- tige. Im Ganzen kann man aunehmerf, dafs in diesem Jahre 0,12 von der Bevölkerung auf Kosten ihrer Mitbür¬ ger lebten.

Die

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XII. Medicinische Statistik der Niederlande. 501

, \ /

Die Elementarschulen wurden 1825 von 557,211 Schü¬ lern besucht, was den elften Theil der Bevölkerung aus¬ machte, und man kann dies auf den zehnten Theil ausdehr nen, wenn man zu jener Zahl noch 76,648 Kinder zählt,

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welche theils in Privatanstalten, theils in sogenannten Ar¬ beitsschulen unterrichtet wurden. Dies Verhältnis ist viel günstiger, als Charles Drepin es für Frankreich angiebt, wo in den nördlichen Provinzen von 1000 Einwohnern 57, und in den südlichen nur 21 Kinder vom Elementarschul¬ unterricht Gebrauch machen. In den Mittelstädten werden die Schulen am fleifsigsten besucht, namentlich während des Winters; in der Provinz Ostflandern wird der Unterricht am wenigsten benutzt.

Rücksichtlich der Universitäten gilt folgende Propor¬ tion: in den nördlichen Provinzen kommt auf 7494 Ein¬ wohner, in den südlichen auf 7712 ein Recbtscandidat, in den ersten auf 21,162 und in den letzten auf 14,555 ein der Medicin Beflissener, in den ersten auf 51,9444 Ein¬ wohner und in den letzten auf 21,272 einer, der die Wis¬ senschaften, in den nördlichen auf 1869 und in den süd¬ lichen auf 3065 einer, der Philosophie studiert.

Ref. übergeht die vom Baron von Keverberg beige- fügten Erläuterungen, die allerdings als interessante Belege zu Quetelet’s Untersuchungen angesehen werden müssen, und hier nur deshalb wegbleiben, weil sie zu sehr die Oeconomie politique berühren und in sofern ein gerin¬ geres Interesse für den Arzt haben.

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XIII. Bd. 4.S«.

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XIII. 1. Biographie der Aerzte.

XIII.

1. Biographie der Acrztc. Aus dem Französischen, mit einigen Zusätzen von August Ferdinand Briigge- mann, INI. D. Erster Band. Erstes Heft, llalberstadt, bei C. Brüggcniann. 1829. 8. VIII u. 136 S.

Wir besitzen kein vollständiges Werk, das für unser Zeitalter wäre, was für das vorige Jahrhundert Kest- ner’s medicinisches Gelehrten -Lexicon war, eine über¬ sichtliche und wohlgeordnete Sammlung von Lebensbeschrei¬ bungen der berühmtesten Aerzte aller Zeiten, deren Brauch¬ barkeit noch immer anerkannt werden mufs, wenn auch die Schreibart von 1740 viele veranlassen mag, den würdigen Quartanten zu den veralteten Büchern zu schieben. Ohne Zweifel hat die Schwierigkeit, gute Biographieen von Aerz- ten zu sammeln und sie zu einem Ganzen zu vereinigen, die gelehrten Forscher abgeschreckt, Kestner’s Werk entweder umzuarbeiten oder ein neues von gleichem Werthe an dessen Stelle zu setzen, und so haben wir seitdem nur Einzelnes erhalten, das noch der Vereinigung zu einem Gan#en harrt. Die Biographie der Aerzte kann in ihrem Verhältnisse zur Geschichte der Heilkunde, und zu den me- dicinischen Doctrinen überhaupt nicht gering angeschlagen werden. Geistvoll bearbeitet, zeigt sie uns die Bearbeiter der Wissenschaft unter dem Einflüsse ihrer Umgebungen, und giebt Aufscblufs über ihre ersten Anregungen zu fol¬ genreichem Bestreben. Sie ergründet und beleuchtet die menschlichen Verhältnisse, wo sie irgend auf die V\ issen- schaft eingewirkt haben, und ohne die Ergebnisse der Be¬ mühungen Einzelner so aufstellen und ordnen zu dürfen, wie dies der historischen Forschung zusteht, welche die Ent¬ wickelung der Ideen mehr abgesondert vom Drange des bestandlosen Lebens zum Zwecke hat, nimmt sie doch Tlieil an den Schwierigkeiten dieser Forschung, ja es mufs ihr diese vorausgegangen sein, wenn sie irgend ersprießlich

503

XIII.i 1. Biographie der Aerzte.

sein soll für das Studium der Heilkunde. Schwerlich möchte jemals höhere Vollkommenheit in einer Gesammtbiographie der Aerzte erreicht werden können. Das Leben grofser nner wird oft schon von ihren Zeitgenossen durch un¬ begründeten Tadel, und noch mehr durch iibermäfsiges Lob entstellt. Wichtige Nachrichten über sie gehen bald nach ihrem Tode verloren und können nicht einmal durch Selbst- biographieen ersetzt werden, die vou den Würdigeren nur selten verfafst werden. Aber auch selbst bei dieser unver¬ meidlichen Mangelhaftigkeit im Einzelnen, bleibt doch die¬ ser Zweig der Litterärgeschichte von hoher Bedeutung, und wir sind unserm Hrn. Dr. Brügge mann zu dem gröfsten Danke verpflichtet, dafs er sich der Bearbeitung und An¬ ordnung eines umfassenden medicinisch biographischen Wer¬ kes unterzog. Fast zu bescheiden, ein Tadel, zu dem sich nur selten Gelegenheit darbietet, wollte er lieber ein vor¬ handenes fremdes W erk seinen Arbeiten zum Grunde legen, als ein neues liefern, ohne dafs ihm hierdurch eine erheb¬ liche Erleichterung zu Theil werden konnte. Denn die als Anhang zu dem grofsen Dictionaire des Sciences mödicales bei Panckoucke erschienene Biographie medicale ent¬ spricht strengeren Anforderungen nur wenig. Sie ist «höchst ungleich, in den ersten Bänden ermüdend weitlauftig und grölstentheils höchst flüchtig bearbeitet, wie nur irgend von einem Verein nicht genugsam unterrichteter, mit Anmaafsung eompilirender Mitarbeiter erwartet werden konnte, die nicht unter der Oberleitung eines gelehrten Geschichtfqrschers, sondern unter der eines industriösen Buchhändlers standen. Die von gebildeten und gelehrten Aerzten ausgearbeiteten Artikel machen in diesem übereilten und unkritischen Werke die Minderzahl aus. Sehr richtig bemerkt Dr. Br. in sei¬ ner Vorrede, dafs der B.aum, den man den einzelnen Schrift¬ stellern zugetheilt hat, nicht nach ihren Verdiensten, son¬ dern nach der Menge der Nachrichten, welche sich von ihnen gefunden haben, abgemessen ist, und dafs theils auch Namen aufgenominen worden sind, von denen gar nicht ein-

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XIII. 2. Ga H's Leben.

/.usehen ist, wie sie in eine Biographie medicinischer Schrift¬ steller kommen. Er hat lange Artikel fiir weniger bedeu¬ tende Schriftsteller abgekürzt, und diejenigen, welche gera¬ dezu dem Zwecke des Werkes nicht entsprechen, weg¬ gelassen. Er hat keinen bedeutenderen Artikel geradezu übersetzt, sondern, so weit es ihm möglich war, überall verglichen und Fehlendes eingeschaltet. Einzelne untaug¬ liche Biographieen in den letzten Bänden sollen ganz um¬ gearbeitet werden. Ausgelassene Artikel verspricht Hr. i)r. B. in einem Supplemente nachzuliefern. So viel über die Anordnung des Ganzen, in die einzelnen Artikel können wir hier nicht füglich eingehen. Die Darstellung ist durch¬ weg der Würde der Sache angemessen, die Weitläufig¬ keit vermieden, und überall ein rühmenswerthes Bestreben sichtbar, dem Ganzen durch bezeichnende Kürze und Ge¬ nauigkeit in den literarischen Anführungen die möglichste Uebersichtlichkeit und Brauchbarkeit zu geben. Möchten wir bald von der Fortsetzung dieses wichtigen und beifalls- w'erthen Unternehmens Nachricht geben können.

II.

2. Johann Joseph Gail, geboren 1758 im Grofs- herzogthum Baden, besuchte nach beendigten Studien in Baden nnd Bruchsal die Universitäten Strasburg und Wien, wo er im Jahre 1/85 zum Doctor der Medicin promovirt ward. Die Hindernisse, welche in letzter Stadt ihm von Seiten der LmOichkeit und der Regierung in den Weg gelegt wurden, nachdem er angefangen, seine auf Studium und Beobachtung gegründeten Ansichten über die Functio¬ nen des Gehirns auszusprechen, bewogen ihn, Wien zu verlassen, und nachdem er Norddeutschland und die nordi¬ schen Staaten durchreist hatte, Paris zu seinem ferneren Aufenthalte zu wählen (1807).

Mit ungelheiltem Eifer setzte er hier seine Untersu¬ chungen über die Anatomie und Physiologie des Gehirns

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XIII. 2. Gail s Leben. 505

fort, welche er theils in seinem bekannten Werke (in sechs Blinden), theils in öffentlichen Vorlesungen mittheilte, die mit grofsem Beifall von Aerzten und Philosophen aller Nationen besucht wurden. Aber auch hier verfolgte ihn der Ilafs der Geistlichkeit, die die von ihm ausgesproche¬ nen Ansichten der Staatsreligion für gefährlich erklärte, und ein Verbot gegen seine Vorlesungen bewirkte.

Seit dem dritten April v. J. litt er wiederholt am Schwindel, seine Kräfte fingen an abzunehmen, seine Ver¬ dauung wurde täglich schwächer, so dafs er jede Speise ausbrach; endlich war er auf der ganzen rechten Hälfte des Körpers gelähmt, in welchem Zustande er am 22sten Au¬ gust im 71sten Jahre auf seinem Landhause zu Mont¬ rouge starb.

Bei der am 24sten August in Gegenwart von Fou- quier, J. Cloquet, Dannecy, Fossati, Sarlan- diere, Fabre-Palaprat, Londe, Costello, Gau¬ be r t , Casimir Broussais, Robouanne, Vimont, Jobert und Marotti vorgenommenen Section ergab sich folgendes :

Fs fand ein hoher Grad von Abmagerung statt, die Schädelknochen waren drei Linien dick. Zwei Unzen eines blutigen Serums fand man zwischen der harten und weichen Hirnhaut, eine gleiche Quantität zwischen der pia Mater und dem Gehirn. Auf der dura Mater, unmittelbar über dem Sinus der rechten Seite, entdeckte man ein gestieltes, graues, warzenartiges Gewächs von der Gröfse einer Wall- nufs. Hie Hirnsubstanz war fest und normal gebildet, die Blutgefäfse der Oberfläche waren ein wenig injicirt, die Gehirnarterien nicht verknöchert. Das ganze Gehirn wog 2 Pfund, 10 Unzen, 1~ Drachme. Die Bestattung der Leiche geschah am 27sten August; an seinem Grabe spra¬ chen Broussais, Fossati, Bouillaud, Londe.

Fine gedrängte und klare Zusammenstellung von Gall’s Lehre ist in dem vor einiger Zeit erschienenen Pre- cis analytique du Systeme de M. le Docteur Gail sur les

v.

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XIV. Vermischte Schriften.

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facultes de l’liommc et les fonctiöns du eerveau, vulgaire ment cranioscopie, ä Paris chez Mlleret 1828, enthalten.

(Nach der Revue encyclopedique. Aoiit 1828.)

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XIV

Vermischte Schriften.

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1. Discours sur l’union des Sciences medicales et leurindependance reciproque, par Mr. R. De la Pr ade; Professeur de clinique cet. Lyon 1827. 47 Seiten.

Der Zweck dieser kleinen Schrift ist die Widerlegung der Lehre von der Irritation, welche die Basis von Brous- sais’s Theorie bildet, in dessen Augen jeder als ein Igno¬ rant oder als ein Anhänger des verwitterten Feudalsystems dasteht, der nicht zu seiner Fahne schwört. Miquel’s Lcttres a un medecin de province hat unter den zahlreichen in Frankreich wider Broussais und dessen Lehre erschie¬ nenen Schriften in unsern Augen den meisten Werth, in¬ dem hier mit Gründen und Ruhe die jetzt nicht mehr neue Lehre bekämpft wird.

Der Yerf. sucht in der Vorrede den Vorwurf abzu¬ weisen, den man ihm machen könnte, als sei seine Bro¬ schüre in dem Geiste Miquel’s geschrieben; wir würden ihm Glück wünschen, wenn es ihm gelungen wäre, die in Miquel’s Schrift ausgesprochenen Wahrheiten in nuce wiederzugeben. Ref. findet in dieser 47 Seiten langen Schrift sechszehn Seiten mit Fntschuldigungen, überflüssi¬ gen Noten, Anreden an die Zöglinge der Lyoner medicini-

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XIY. Vermischte Schriften.

sehen Schule angefiillt, und die übrigen mit Declamationen reichhaltig gespickt.

Anerkannt auch, dafs mit dem Scalpell in der Hand es nie gelingen wird, die Gesetze des Lehens zu ergrün¬ den, so geht der Verf. doch zu weit, wenn er Seite li) vom Studium der Anatomie sagt, dafs es unnütz sei, und nicht unverdient dürfte er von Broussais für diese Aeufse- rung un homme, qui n’est pas de mon siede et qu’il faut renvoyer aux tems barbares de la feodalite genannt werden.

Bekanntlich ist Broussais’ s Theorie nicht viel inehr, / als der umgekehrte Brownianismus , gegründet auf einige anatomisch -pathologische Beobachtungen, dieBichat, wenn er erwachte, vindiciren dürfte. De la Prade will nun Broussais durch die Behauptung widerlegen, dals Anato¬ mie, Physiologie, Pathologie und Therapie einander ganz heterogene, nicht einem und demselben Stamme entwach¬ sene und an demselben fortgriinendc Wissenschaften seien, so dafs es absolut unmöglich sei, dafs die eine durch die Fortschritte der andern etwas gewinne.

Dafs die Bro ussaissche Theorie uns am Krankenbette im Stich läfst, ist durch andere ebenfalls schon, und viel¬ leicht genügender dargethan worden; wir dürfen nur zum Beweise ihrer Unhaltbarkeit an die Syphilis und an die in- termittirenden Fieber erinnern, wo Broussais selbst nicht ansteht, Sublimat und China zu reichen. Freilich betrach¬ tet Broussais diese beiden Medicamente als Contrastimu¬ lantia, die durch Ableitung (par revulsion) wirken, in¬ dem sie durch Erregung einer Irritation in einem anderen Organe, die krankhafte Irritation auf heben. In welchem Organe bewirkt indefs die China beim Wechselfieber die Irritation, das ja nach Broussais ebenfalls auf einer Irri¬ tation der Magenschleimhaut beruht?

Der Verf. schliefst mit einer kurzen Geschichte der Medicin, um zu beweisen, dafs Philosophie und Theorie der eigentlichen Medicin schädlich seien, und ärgert sich,

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XIV. Vermischte Schriften.

dafs man Sy den ha ms Namen vor Ba i I Io u s Namen nenne wie der V crf. behauptet, aus Anglomanic, die sich der französischen Aerztc bemeistert habe.

, llcyfelder.

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U e s p r e j u g e s s u r I a m e d e c i n e consider£e comme seien ce, 'discours lu a la srance publique de la societe des Sciences mcdicales du departement de la Moselle, le 11 Septembre 1827, par II. Scoutetten, Docteur etc. Metz 1827. 24 S.

Der \ erf. nimmt in einer wohlgeordneten und elegan¬ ten Sprache die Arzneiwissenschaft gegen die Spötteleien in Schutz, welche, durch einige französische Witzlinge in Umlauf gesetzt, hinreichend waren, bei den für Witzeleien so empfänglichen Franzosen Wurzel zu schlagen; er begeg¬ net den Angriffen , welche von der einen und von der an¬ deren Seite geschehen, und weist auf die Wohlthaten hin, welche die V ölker der Medicin verdanken. Namentlich ge¬ denkt er ries Umflusses der Vaccine, des Ganges und des bösartigen Charakters der Krankheiten und Upidemieen in einem Lande, wo die Arzneiwissenschaft noch in der Kind¬ heit ist im Vergleich zu denjenigen Gegenden, wo die Aerzte sich durch eine allgemeine wissenschaftliche Bildung auszeichnen. Wohl war es hier angebracht, zu erwähnen, dafs man in Frankreich im Jahre 1780 auf 30 Lebende jähr¬ lich einen lodesfall zählte, während gegenwärtig nur von 39 Umwohnern einer vom Tode weggerafft wird; dafs im vierzehnten Jahrhunderte in Paris von l(i Umwohnern, im siebzehnten von 25, und jetzt nur von 32 Uinwohncrn jährlich ein Individuum stirbt.

Als das sicherste Mittel, in einem Lande die Vorur- theile gegen die Mcoicm auszurotten, schlägt er strenge 1 riitungen liir diejenigen vor , welche sich der Ausübung der Medicin widmen wollen, so wie die Einführung eines

XIV. Vermischte Schriften.

509

allgemeinen Concours bei Besetzung der Stellen und Aem- ter so wie er schon in Paris, Lyon, Marseille, Mont¬ pellier und Strasburg besteht indem die Erfahrung bis jetzt noch nicht gelehrt habe, dafs der Zufall und Begün¬ stigungen stets die fähigsten Subjekte wählen.

Dafs es Broussais und seiner Lehre Vorbehalten sein sollte, die Medicin besonders in den Augen des Publikums zu heben, wie der Verf. vermuthet, möchte Bef. bezwei¬ feln, indem diese wohl geeignet sein dürfte, den Laien die Arzneiwissenschaft als etwas sehr leichtes zu zeigen, das weder eines umfassenden, noch eines gründlichen Studiums bedarf.

Heyfelder.

3. Supplement ä la Bibliographie de l’histoire medicale des marais, par J. B. Monfalcon, Mede- cin de l’Hötel Dieu, Inspecteur des eaux minerales de Lyon cet. Paris 1827.

Der Verf., dessen treffliches Werk über die Sümpfe und die durch die Sumpfausdünstungen bedingten Krankhei¬ ten wir in diesen Annalen (Octoberheft 1825, und Juni¬ heft 1827) vollständig angezeigt, giebt in vorliegenden Sup¬ plementbogen eine kritische Anzeige der Schriften, die neuerdings über die Fieberepidemie in Groningen, vorzugs¬ weise von holländischen Aerzten, dem medicinischen Publi¬ kum vorgelegt worden sind. Mit Vergnügen bemerkt Bef., dafs der gelehrte Verf. bei dieser Gelegenheit auch noch die Arbeiten deutscher Aerzte benutzt, manche Lücke in der Litteratur über die Sumpfkrankheiten ausgefüllt, und so seinem Werke einen Platz unter den klassischen medi- cinischen Schriften seines Vaterlandes verschafft hat.

Heyfelder»

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XV. Dissc r Unionen.

XV.

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o n e n .

I. Der Universität Breslau.

De fistula sacci lacrymalis. Diss. inaug. chir. Def. d. 11. Nov. 1828. Auct. Franc* VVelzel* Keinercen- sis. 8. pp. 40.

Nach Angabe der gewöhnlichen Heilmethoden für die¬ ses Uebel, setzt der Verf. die in dem chirurgischen Clini- cum zu Breslau gebräuchliche auseinander, zufolge welcher nach Durchschneidung der Fistel geeignete örtliche Arz¬ neien mit grofsem Frfolge angewandt werden, welchen sechs angehängte Beispiele bestätigen.

Meletemata quaedam circa Opium. Diss. inaug. med. Def. d. 19. Dec. 1828. Auct. Anselm. Davidson, Vratisl. 8. pp. 31.

Versuche an Kaninchen, welchen der Verf. Opium in Substanz reichte, schienen ihm eine ursprünglich herabstira- mende Wirkung zu erweisen, auf welche erst eine erre¬ gende folge. So wenig wir hierin beistimmen, überzeugt, dafs man die Wirkung des Opiums nicht unter die einfache Formel von Beizung und Herabstimmung bringen könne, so erkennen wir um so mehr zwei andere aus jenen \ er¬ suchen hervorgehende Folgerungen an, dafs nämlich Kanin¬ chen verhältnifsmäfsig viel Opium vertragen, und dafs die Gewohnheit die "NA irkung desselben bedeutend vermindere.

Sphygmologiae Avicennae conspectus. Diss. inaug. med. Def. d. 31. Dec. 18JS. Auct. Alexander Schaul, Vratisl. 8. pp. 26.

Der Verf., des Arabischen kundig, schildert die dem Galen nachgebildete Fulsiehre des Avicenna nach dem Gruudtexte der Schriften desselben.

XV. Dis sertationen.

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De Luce. Diss. inaug. med. Def. d. 16. Febr. 1829. Auct. Jos. Tyc, Varsoviensis. 8. pp. 27.

De placentae solutione et de justo subligandi funiculi umbilicalis tempore in partu normal i. Sectio prior. Quam pro impetranda venia le¬ gendi d. 18. Febr. 1829. defendit Auctor Maurit. Kuestner, M. D. , instituti regii obstetricii director se- eundarius, magister obstetricum primarius etc. 4. pp. IV et 52. s

Der Hr. Verf., ein durch amtliche Stellung wie durch ausgebreitete Privatpraxis sehr erfahrener Geburtshelfer, stellt den von ihm praktisch durchgeführten Grundsatz auf, dafs man bei der regelmäfsigen Geburt durchaus nichts zur Entfernung des Mutterkuchens thun, und das Kind erst dann von dem Nabelstrange trennen dürfe, wenn der Mut¬ terkuchen durch die Naturkräfte ausgestofsen worden. In mehr als 1800 Fällen ist dieses Verfahren von ihm als nütz¬ lich für Mutter und Kind beobachtet worden. Hingegen - beobachtete er 429 Fälle, wo nach den gewöhnlichen Be¬ mühungen der Hebammen zur baldigen Lösung Lebensge¬ fahr entstand; 69 liefen tödtlich ab. Die Lösung der Nach¬ geburt wird daher auf die Fälle beschränkt, wo durch un¬ geschickte Bemühungen zur Lösung Gefahr herbeigeführt worden. Von der ganz der Natur überlassenen Nachgeburt hat der Verf. nie Nachtheil beobachtet. Ein Urtheil über diese, den physiologischen Gesichtspunkt ansprechende und zum Theil auch schon anderweitig vorgetragenen Grund¬ sätze, müssen wir den besonderen Bearbeitern dieses Faches überlassen.

II. Der Universität Berlin.

7. De Graviditate extrauterina. D. i. physiologic. pathologic. auctor. Joann. August. Gotthardt, Neo-

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XV. Dissertationen.

marchic. Def. d. 13. Februar. 1829. 4. pp. 26. Acc. tab. aen.

Diese Dissertation schliefst sich der in dem diesjährigen Januarhefte S. 121 angezeigten de graviditale oarica von Rahts an, der sie in Rücksicht der Bearbeitung des inte¬ ressanten Gegenstandes nach den vorhandenen Beobachtun¬ gen füglich zur Seite zu stellen ist. Der Verf. spricht zu¬ erst von der Diagnose der Extrauterinschwangerschaft irn Allgemeinen, wo er sich denn vorzüglich an Josephi hält, dann besonders von der Graviditas ovaria, tubaria, abdominalis, substantiae uteri, vaginalis, vesicae urinariae. In allen diesen Abschnitten gewinnt der Leser einen umfas¬ senden Ueberblick über die früheren Arbeiten, das Sichere ist von dein Zweifelhaften sorgfältig geschieden, und ein¬ zelne frühere Beobachtungen sind, wo sie als Belege für allgemeinere Aussprüche dienen können, zweckmäfsig her¬ vorgehoben. So erzählt der Verf. die beiden überhaupt nur vorhandenen Fälle von Graviditas vesicae urinariae, die immer eine secundaria ist, ausführlich. Die beiden letzten Abschnitte sind über den Ausgang der Extrauterinschwan¬ gerschaft, und über die Ilülfsleistungen bei sicherer Dia¬ gnose derselben. Der Verf. entscheidet sich für die Gastro- tomie, ohne jedoch den bisherigen Verhandlungen über die¬ sen vielbesprochenen Gegenstand neue Gründe dafür hinzu¬ zufugen, die Zweifel über die Anwendbarkeit dieser Ope¬ ration irgend zu beseitigen, oder die Diagnose, worauf es doch hauptsächlich ankommt, fester begründen zu kön¬ nen. Angehängt ist ein hier beobachteter Fall von Eierstocksschwangerschaft , den wir seiner Seltenheit wegen hier kürzlich mittheilen wollen. Eine dreiunddreifsigjährige, schon im siebzehnten Jahre verheirathcle Frau, die bereits sechs Kinder geboren hatte, und nachdem sie ihren Mann verlassen, ein ziemlich ausschweifendes Leben im Goncubi- nat führte, wurde zum siebenten Male schwanger und ver¬ fiel alsbald nach der Empfängnifs in heftige Krämpfe, in Folge welcher sie das Bett sieben Monate lang nicht ver-

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lassen konnte. Sie lag am bequemsten auf dem Rücken, mehr nach der rechten Seite, mit angezogenen Schenkeln, und vermochte sich nicht ohne fremde Hülfe zu rühren. Die Menstruation trat mehrmals mit Erleichterung der Schmerzen ein, und die letzten zwei Monate flofs eine grofse Menge übelriechendes Wasser aus der Scheide. Vier¬ zehn Tage vor dem Tode besserte sich die Kranke so weit, dafs sie aufstehen und umhergehen konnte. Ihrem Arzte, der die Extrauterinschwangerschaft nicht erkannte, sondern in der Krankheit nur eine Gebärmutterwassersucht sah, ge-

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lang es in dieser Zeit, den Ausflufs des Wassers auf einige Tage zum Stehen zu bringen, doch erfolgten darauf so¬ gleich heftige Krampfanfälle. Drei Tage vor dem Tode stürzte das Wasser wieder reichlich hervor, und endlich erfolgte dieser unter starken Convulsionen. Bei der Section (die Leiche wurde auf das anatomische Theater gebracht) fand sich im rechten Eierstocke ein Fötus von un¬ gefähr sieben Monaten, mit unversehrten Eihäuten. Die beigefügte gute Abbildung des Eierstockes mit dem Fötus und den übrigen inneren Geschlechtstheilen, bei denen wir jedoch genauere Angaben über den Zustand des Uterus vermissen, giebt dieser Dissertation einen bleiben¬ den Werth.

8. Diss. inaug. pathologic. anatomic. sistens Casum sin¬ gulärem de Amaurosi cranii osteosarcomate e f - fecta, auctor. Adolph. Albert. Guilelm. Rhodius, Guestphal. Boruss. Def. d. 16. Februar. 1829. 4. pp. 20. Acc. tab. aen.

Ein sehr ausgezeichneter Fall von organischem Kopf¬ leiden, wo nach vielfältigen Irrungen in der Diagnose ein bedeutendes Osteosarcom an der rechten Seite des Keilbeins

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bei der Section entdeckt wurde, das die Sehnerven gedrückt und verschoben hatte. Kurze Zeit vor dern lode war Lähmung der linken Seite erfolgt. Die Amaurose fand sich nach mannigfachen Leiden erst später ein. Der Verf.

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XV. Dissertationen.

erzählt die Krankengeschichte in einer wohlgefälligen, leben¬ digen Sprache, und hat das Krgebnifs der Leichenöffnung, wie der Falles verdient, durch eine gute Abbildung ver¬ sinnlicht.

9. Theoria auditus. I). i. m. auctor. Siegbert Rcy- mann, Siles. Neostadiens. Bef. d. 20. Februar. 1829. 8. pp. 35.

Der \erf. stellt die bisherigen Ansichten der berühm¬ testen Physiologen und Physiker über das Gehör mit vieler Klarheit dar, ohne jedoch seinem Gegenstände eine neue Seite abzugewiunen.

10. De Gausis mechanicis ad menstrifationem re-

tentam con ferentibus. D. i. med. chir. auctor. Ca¬ ro 1. Eduard. Friese, Primislaviens. Def. d. 2. Mart. 1829. 8. pp. 42. ' -

Der Verf. rechnet zu jenen mechanischen Ursachen vorzüglich die Atresie der Scheide und des Muttermundes, worüber er das Bekannte mittheilt. Durch zwei Kranken- geschichten, eine Retentio menstruorum durch erworbene Atresia vaginae, und ein Hymen claustim betreffend, erhält diese Abhandlung Interesse.

11. De Vestitu humano. D. i. auctor. Bartholom. Carol. Ferrari, Paderan. Guestphal. Def. d. 6. Mart. 1829. 8. pp. 21.

12. Diss. inaug. pathologic. anatomic. de Cerebri tu- moribus, auctor. David. Meyer, Berolinens. Def. d. 16. Mart. 1829. 4. pp. 22. Acc. tab. aeo.

Nach einer allgemeinen Abhandlung über die organi¬ schen Veränderungen des Hirns und seiner Häute, in der neun, gröfstentheils in älteren Werken enthaltene Beobach¬ tungen über die lolgen von Geschwülsten in und am Ge¬ hirn mitgetheilt werden, beschreibt der Verf. eiue Geschwulst

XV- Dissertationen.

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an der Basis des Geliirns einer alten Frau, über deren

Structur jedoch nichts näheres erhellt. Die beigegebene

Abbildung ist ganz deutlich, und die ganze Beobachtung

würde, da der Trigeminus sehr geschwunden, und weder

vom Gesichtsnerven, noch vom Gehörnerven irgend eine

Spur aufzufinden war, ein ungewöhnliches Interesse gewäh-

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ren, wenn von den diesen Zustand betreffenden Erschei¬ nungen während des Lebens irgend etwas zu ermitteln ge¬ wesen wäre.

13. De Methodo diuretica. D. i. m. auctor. Gustav. Carol. Anton. Otto, Erfordiens. Def. d. 30. Mart. 1829. 8. pp. 34.

14. De Dolore capitis. D. i. pathologic. therapeutic. auctor. Francisc. Puellenberg, Lügdens. Guestphal. Def. d. 1. April. 1829. 8. pp. 27.

*15. Observatio quaedam de Fluxu coeliaco syphili- tico. I). i. m. auctor. Carol. Rasche, Berolinens. Def. d. 3. April. 1829. 8. pp. 22.

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über den Flu¬ xus coeliacus, die das Bekannte enthalten, theilt der Verf. , die erwähnte Beobachtung mit. Die Kranke war eine öffentliche Person, die wegen syphilitischer Ansteckung mehrmals im Charitekrankenhause behandelt wurde. Es stand zu vermuthen, dafs der Fluxus coeliacus, der sie zu¬ letzt heimsuchte, von Trippergift verursacht worden war, doch liefs sich diese Annahme keinesweges zur Gewifsheit erheben. Die Section war auch in anderer Rücksicht, als auf die Auflockerung und Excoriationen , so wie Drüsen¬ anschwellungen des Mastdarms interessant, indem beide Ova¬ rien sich wassersüchtig zeigten, und die Menstruation den¬ noch bis wenige Monate vor dem Tode regelmäfsig geblie¬ ben war. Tuberkeln fanden sich in den Lungen uftd im Gekröse, die Aeufserung aber, dafs die Tuberkeibildung in

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XV. Dissertationen.

den Lungen auf scrofulöser Affection derselben beruhe, sollte man bei unserer gegenwärtigen Kenntnifs dieses krank¬ haften Prozesses kaum noch erwarten dürfen.

16. De Ilerniis, speciatim i ncarcera t is. D. i. med. Chirurgie, auctor. Carol. Ferdinand. Rupp, Dube- nens. Def. d. 6. April. 1829. 8. pp. 37.

Eine kurze Darstellung der Hernien mit den bekannten Unterscheidungen, in der jedoch auf die pathologisch -ana¬ tomischen Erweiterungen der Lehre von den Rrüchen zu wenig Rücksicht genommen ist. Der Name Hesselbach sollte gegenwärtig in keiner Abhandlung dieser Art fehlen.

17. D e Phthisi pulmonum vera. D,'i. pathologic. med. auctor. Joann. Carol. Albert. Krebs, Massoic. Wilinaburgens. Def. d. 10. April. 1S29. 8. pp. 44.

Eine Darstellung der Tuberkelschwindsucht nach den neueren, allgemein anerkannten Erfahrungen, mit umfas¬ sender Angabe der Litteratur.

C. rdrmkl bei A. W. Schade in Berlin

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