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Ludwig Tieck's

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Fünfundzwanzigſter Band.

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Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer. 1853.

K. 18

Ludwig Tieck's

geſammelte Novellen.

Vollſtändige auf's Neue durchgeſehene Ausgabe.

Neunter Band.

Berlin,

Druck und Verlag von Georg Reimer. 1853.

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Ludwig Tieck's

geſammelte Novellen.

Neunter Band.

Ha! ERW:

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Die große Haushaltung der Gräfin war ſeit einigen Tagen in vielfacher Aufregung. Man beſorgte ihren Tod. Und da die Kranke von jedermann geliebt war, ſo ängſtigten ſich alle, und die Nachbarn ſendeten fleißig, um ſich zu er⸗ kundigen, wie der Zuſtand der würdigen Frau beſchaffen ſei.

Ihre nächſte Umgebung war am meiſten in Trauer. Nur in den Augenblicken, wenn das Leben erlöſchen ſoll, wiſſen die Vertrauten, was ſie am Freunde beſaßen. Seine Tugenden treten uns dann erſt ganz ſichtbar hervor, und was oft Fehler genannt wurde, verſchwindet, oder die Ein- ſicht erwacht, daß dieſe Mängel die Grundlage der Vorzüge bildeten, oder nur die Schatten der bewunderten Tugenden ſelber waren. Dieſe hohe, vergeiſtigte Billigkeit iſt der edelſte Abſchied, den wir von dem Abreiſenden nehmen, der jetzt das unbekannte, räthſelhafte Reich betritt, dem wir alle im ſoge⸗ nannten Leben entgegen geführt werden. |

Der einzige Sohn, der Obrift, war entfernt und auf einer Dienftreife begriffen. Er wußte, daß feine Mutter krank ſei, er kannte ſie als eine ſtets Leidende, aber von ihrer nahe bevorſtehenden Auflöſung hatte er in der Ferne nichts er⸗ fahren können, weil ſeine Verſendung ihm nicht geſtattete, lange an einem Orte zu verweilen, und ſo wußte man in dieſem Augenblick nicht, in welcher Stadt er ſich eben auf⸗

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halten möchte. Sehnſüchtig erwartete ihn die Mutter, aber doch mit ergebener Faſſung.

Ungewöhnliche Stürme hatten in dieſem Frühjahr ge⸗ wüthet und in vielen Gegenden großen Schaden angerichtet. Der nahe Rhein war über ſeine Ufer getreten und hatte Bäume, Vieh und Häuſer weggeſchwemmt. Menſchen, die ſich von der Fluth hatten überraſchen laſſen, waren verun⸗ glückt und die Wetterkundigen ſagten fürchtend voraus, daß Wolkenbrüche von Neuem noch 850 die Saen und aa verwüſten würden. 1

Der Weltgeiſtliche, ein ſtiller beſcheidener Mann, war eben in vertrauter Unterredung mit der Kranken. Unter ihren Freunden war ihr dieſer der liebſte, und ſein Geſpräch ihr das lehrreichſte, weil ſeine milde Weiſe ihrem etwas hef⸗ tigen Temperament am meiſten zuſagte. Er hatte ihr eben aus einem Briefe vorgeleſen, welches Unheil die nördlichen Ströme in der Schweiz angerichtet hatten, und man ſprach die Beſorgniß aus, daß auch Freunde in den Landſchaften dort an ihrem Vermögen beſchädigt ſeyn möchten.

Oſtern, rief die Gräfin lebhaft aus, muß gutes Wetter ſeyn, davon bin ich innigſt überzeugt, und Sie wiſſen, Freund, wenn ich etwas ſo ganz beſtimmt glaube und 5 daß mein Vorwiſſen immer eintrifft. |

Kann ſeyn, gnädige Frau, antwortete der Geiſtliche aber Sie denken doch unmöglich daran, ſchwach wie Sie find; Ihre Oſtern in der Stadt zu feiern?

Ich gebe Ihnen mein Wort, ſagte die ink; und eine leichte Röthe überzog ihr leichenblaſſes Angeſicht, daß ich das hohe Feſt in Straßburg, in meinem geliebten Münſter, begehe.

Der alte Prieſter ſchüttelte wehmüthig lächelnd mit dem Kopf. Seit vier Wochen, ſagte er, haben Sie das Bett nicht verlaſſen dürfen, mit jedem Tage werden Sie ſchwä⸗

Der Schutzgeiſt u

cher, und der Arzt, ſelbſt wenn eine Anſtrengung ſcheinbar Ihre Kräfte erhöhte, würde niemals zu dieſer Reiſe er nume geben.

Ich werde meinen überklugen Herrn Doktor gar nich ene fragen, rief die Leidende mit ſo großer Lebhaftigkeit, daß ſie in dieſem Augenblick als eine Geſunde erſcheinen durfte. Von dergleichen, fuhr ſie fort, verſteht dieſer gelehrte Mann gar nichts. Glauben Sie mir nur, Krankheit, Ge⸗ ſundheit, Leben und Sterben hängen auch, zum Theil wenig⸗ ſtens, von unſerm Willen ab. Ich werde meine Oſtern⸗ Andacht im Münſter feiern, das weiß ich ſo gewiß, als daß Sie vor mir ſtehn und jene engliſche Uhr mir die Stunde richtig zeigt. 2

Jetzt trat der geſchäftige, redſelige Arzt herein. Die gewöhnlichen Krankenberichte, Ermahnung zur Ruhe fielen vor und wurden abgehandelt. Sie haben unſerm Freunde nichts von Ihrem Vorſatze mitgetheilt, fing der Geiſtliche an, nene der Arzt ſich entfernt hatte.

Davor werde ich mich wohl hüten, erwiederte die Gräfin, warum mich mit dem Rechthaber zanken, der mich ſchon ſeit einem Jahre wie einen Leichnam behandelt, der durch ſeine Kunſt nur noch in beigebrachten Springfedern ſich bewegt! Er würde mir die Unmöglichkeit beweiſen, denn er verſteht nichts von Seele und Geiſt, die er höchſtens auch nur für Gas, oder Electricität und Galvanismus hält.

Eine Fürſtin aus der Nachbarſchaft, die am Schloſſe vorgefahren war, ließ ſich jetzt melden. Man ſah, daß die Kranke verdrüßlich war, doch hielt ſie es für unmöglich, den vornehmen Beſuch abzuweiſen. Beim Eintritt der Dame entfernte ſich der Geiſtliche. Er ſetzte ſich, nachdem er durch den vordern Saal gegangen war, im Vorzimmer zum Arzte nieder. Die Fürſtin war klug genug, die Kranke nicht lange

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zu beläſtigen, und trat jetzt mit ihrer Hofdame zu den beiden Männern. Wie finden Sie die Kranke, Doktor? fragte ſie leicht hin. Sie iſt ihrem Ende nahe, ſagte dieſer beküm⸗ mert. Denken Sie, rief die Dame, daß ſich die Kranke feſt einbildet, ſie werde Oſtern drüben im Münſter ſeyn können.

Ach Gott, bicberte der Arzt man möchte faſt lachen, wenigſtens iſt ein Lächeln zu verzeihn. Glauben mir Durch⸗ laucht, die Aermſte wird Oſtern gar nicht erleben, ihr Lebens⸗ faden iſt ſo mürbe und ſo dünn, daß er in wenigen Tagen abreißen muß. Nenne man unſre Kunſt immerhin eine trügliche und ungewiſſe,, bei dieſen ganz unzweifelhaften Symptomen, bei dieſen längſt allgemein anerkannten Regeln können wir wenigſtens nicht irren. In drei Tagen iſt ſie nicht mehr. Und wenn auch: ſie drei, vier Meilen rei⸗ ſen? Vielleicht im Sturm? Ueber das Waſſer auf der Fähre ſetzen? Wenn ſie gar über Kehl reiſen wollte, wo ſie in die feindlichen Truppen gerathen möchte? Unſinn! Aber man laſſe ihr den Wahn, der ihr ſo lieb iſt. Sie wird in Schwäche ruhig einſchlafen und ihren Irrthum gar nicht gewahr werden, als jenſeit, wie wir uns Bun drücken pflegen.

Als die Dame ſich entfernt hatte, ſagte der Arzt: Tri rig für uns Männer der Wiſſenſchaft, daß wir fo oft bei unſern Kranken nicht bloß ihr Uebel, ſondern auch noch ihre Grillen zu bekämpfen haben. Und Sie glauben nicht, wie dieſe Grillen, unnütze Gedanken und Wünſche, Erhitzungen und Einbildungen in der Regel das Uebel vermehren und wohl gar eine unbedeutende Krankheit zu einer gefährlichen machen können. Menſchen, die dem Arzt, was die körper⸗ liche Diät betrifft, die gewiſſenhafteſte Folge leiſten, erlauben ſich Schwelgereien des Geiſtes, die den Organismus aus⸗

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höhlen und die letzten Kräfte vernichten. Bei unſerer Ster⸗ benden iſt es freilich eine andere Sache, dieſe darf ſich in dieſen letzten Tagen alles erlauben, denn hier kann nichts beſſer und nichts ſchlimmer werden, und genau genommen, bin ich ihr ſchon ganz überflüſſig.

Er ritt fort, um in der Nachbarſchaft einen Patienten zu beſuchen.

Der Geiſtliche ward wieder zur Kranken gerufen. Ich mißbrauche vielleicht Ihre Freundſchaft, verehrter Mann, ſagte ſie, aber gedulden Sie ſich bis Oſtern, dann ſind Sie mich los.

Sie ſcherzen, ſagte der Mann gerührt, aber wenn Sie eine wahre Freundin ſind, wie ich glaube, ſo möge auch ein ſolcher Scherz unter uns nicht ſtattfinden.

Setzen Sie ſich, ſagte ſie, gut, daß ich nicht mehr lange mit dieſen meinen Organen denken und phantaſiren werde, denn ſonſt, da ja die Wände Ohren haben, brächte ich Sie noch in den Ruf der Ketzerei. Wenn unſer Pater hier im Ort, oder der Biſchof der nächſten Stadt unſre Diskurſe hören könnten, was würden dieſe frommen Männer dabei denken? Oder ſie würden vielmehr nicht denken, ſondern nur verurtheilen und verdammen.

Iſt nicht, ſagte der Geiſtliche, von jeher alles mit dem Namen Ketzerei belegt worden, was unſer innerſtes Gemüth, die Erſcheinungen dort, die Bewegungen unſers Herzens, die eigentlichſten, wahrſten Gedanken unſers Selbſt ausſprechen will? Das iſt das Babylon unſrer angeſtammten Verwirrung, daß unſre Gedanken ſich nicht verſtehn. Daß ſogenanntes Wiſſen, Studium, Syſtem meiſt nur dahin ſtreben, unſern eignen Geiſt, die nächſten Gedanken zu verdämmern, die Freiheit der Seele, die ſie doch in dieſem Leben erſtreben ſoll, wenn ſie ſie auch nicht erringen kann, zu beſtricken und

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zu feſſeln, und das wird dann Rechtgläubigkeit, Ueberzeugung und Philoſophie genannt. Wer ſich dieſen Käfigen nicht fügen will, iſt Ketzer, unwiſſend, unfähig oder bösgewillt.

Ich glaube Sie zu verſtehn, ſagte die Kranke. Freilich iſt es mit der weltlichen Wiſſenſchaft nicht anders, wie mit der Religion und dem ſogenannten Glauben. Der grobe Zweifel iſt nur ein verſteckter Aberglaube und ſpringt oft plötzlich ſichtbar genug in dieſen über. Und was ſollen wir überhaupt Aberglauben nennen? Er iſt wohl, recht verſtan⸗ den, die Wurzel unſers Daſeins.

Nur die falſche Conſequenz, ſagte der Priester, ſollte man Aberglauben nennen. Die ins Unendliche gethürmten Schlußfolgen richtiger Wahrnehmungen und erlebter Erſchei⸗ nungen, durch die wir endlich, vom Lügengeiſt den Viſionen des Schönen und Heiligen entführt, in die Region der dümm⸗ ſten Dummheit, des Aberwitzes, der Verfolgung und Grau⸗ ſamkeit gelangen. Dies iſt die Geiſtergeſchichte, die immer⸗ dar in die Weltgeſchichte hinein wirkt. Meiſt fürchterlich und unmenſchlich. Wenn das Gefühl der Liebe ſich nicht genügt, wenn das, was unſichtbar bleiben muß und nur im Glauben beſeſſen werden kann, ſichtbar werden ſoll, eine Münze für Handel und Wandel, oder ein Geſpenſt, welches die geiſtige Entzückung in kraſſer Erſcheinung überbietet, ſo entſteht Schwärmerei, Religionskrieg, Marter, und die verirrte Liebe zündet Scheiterhaufen an, um die verletzte, nach ihrem Wahn gekränkte Gottheit zu ſühnen und zufrieden zu ſtellen.

Ja wohl, ſagte die Kranke, iſt das jenes Kapitel, wel⸗ ches wir ſo oft durchgeſprochen haben, der Text, der eine mündliche Auslegung in tauſend mannigfaltigen Geſtalten zuläßt. Ich hoffe, daß ich Vieles nach meiner Anſchauung heller ſehn und verſtehn werde. Denn eben das Organ, welches uns Menſchen gegönnt iſt, um uns dem Unendlichen

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zu nähern, beſchränkt uns auch wieder und hindert uns. Und es iſt gut, daß es ſo iſt; denn nicht bloß Fürwitz, auch der redliche Wahrheitstrieb würde ſonſt über dieſes Leben hinaus⸗ ſpringen.

Alles, fuhr den Geiſtliche ae muß auf dieſe Weiſe, um die Freiheit zu gewinnen, ſeine ihm zuerkannte Schranke und Hemmung ſuchen. Es iſt mit der eigentlichen Wiſſen⸗ ſchaft, welche die Erſcheinungen verſtehn und bewältigen will, nicht anders beſchaffen.

Gewiß, ſagte ſie. Welche vornehme Miene giebt ſich in unſern Tagen die Natur⸗Wiſſenſchaft. Sie ſpricht ohngefähr, wie früher die Philoſophie und in noch ältern Zeiten die Theologie, als wenn von ihr das Heil der Welt und die wahre Erlöſung der Menſchheit ausgehn würde und müſſe. Wie viel neue, große Entdeckungen ſind auch in der That gemacht worden! Der jetzige Wiſſende und Eingeweihte kann auf die Gelehrten voriger Jahrhunderte wie auf fähige, gut geartete Kinder hinabſehn. Er hat viel mehr Elemente, Gas, Oxyd, Minerale, Berfteinerungen als jener. Ganz andre ſo— genannte Naturgeſetze. Er ſpielt jetzt, experimentirt ſchärfer, vielſeitiger, reicher in Combinationen, als jener, ob am Ende tiefſinniger, mag dahin geſtellt bleiben. Denn keiner dieſer Weiſen der Gegenwart kann mir es erklären, was der Sturm iſt, oder woher er entſteht, was das Weſen der Electricität, oder der Galvanismus ſei; was der Magnet unfrer Erde bedeute.

Drum eben, fuhr der Geiſtliche fort, müſſen auch dieſe Wahrnehmungen, Erfahrungen und Hypotheſen oder Ein⸗ ſichten eine für ſich abgeſchloſſene, beſtimmte und beſchränkte Wiſſenſchaft bilden, die aus ihren menſchlichen, geiſtigen oder irdiſchen Schranken nicht hinaus kann und ſoll, um nicht, wie alles Hohe und Edle, Schwärmerei und Tollheit zu

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werden. Erleben wir doch auch, zu welchem Aberwitz die Entdeckung des Magnetismus, Hellſehens, und andrer halb geiſtigen Erſcheinungen führt. Hier muß ein Aberglaube an Wiſſenſchaft den ſchlimmeren Aberglauben des Wahns und der Schwärmerei feſſeln und unſchädlich machen.

Und eben ſo, erwiederte die Kranke, daß der gläubige Chriſt doch auch wohl die ehrwürdige Wiſſenſchaft der Theo⸗ logie anſehe. Das Unmittelbarſte, Geiſtigſte, das was nur erlebt werden kann, kann ſie eben ſo wenig lehren und zum Geſetz ſtempeln, wie Philoſophie, Philologie, oder Phyſik die Erſcheinungen und Geheimniſſe des Denkens, der Sprache, oder der Natur auf immer feſtſtellen und befriedigend löſen können. Aber, wie auch für Politik, muß eine Wiſſenſchaft da ſeyn, die alles Denkbare, alles in der Erfahrung Mög⸗ liche in ihre Schranken aufnimmt, und immer neue Fächer ausbaut, um alles Vorgefundene unterzubringen. Dieſe Bienenthätigkeit unſers Geiſtes, dieſe Kraft der Menſchheit iſt denn doch das Edelſte, was uns verliehen iſt.

Vereint mit jener unmittelbaren Offenbarung Gottes, ſagte der Weltprieſter, welche ſich nie erſchöpft, nie ruht, immer wieder für den frommen Menſchen Menſch wird. Dieſes unmittelbar Erlebte, dieſe Bewegung unſrer innigſten Schöpfungs- und Heilkräfte muß in die Sabbathſtille unſers Gemüths, in die heiligſte Kapelle gelegt und aufbewahrt werden, um dem Pöbel und Unverſtand nicht zum Mißbrauch zu dienen. Wer dieſe Kleinodien verwahrloſt, oder, mit ihnen geputzt, auf den Markt hinaustritt, um ſie auszubieten und ſich Anſehn zu erwerben, der wird eben Charlatan und fal⸗ ſcher Prophet, deren Anzahl unendlich iſt. Und ſehr oft waren es urſprünglich die edelſten Geiſter. Aber, Gräfin, dieſe Discurſe werden Sie ermüden und erſchöpfen.

Wie wenig kennen Sie mich, ſagte ſie lächelnd, wenn

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Sie das wirklich glauben. Sie, im Gegentheil ſind mein wahrer Arzt. Sprechen wir noch einige Tage ſo, ſo wird das mir die Kraft geben, meine Oſter-Reiſe ungehindert zu vollbringen.

Es war ein Brief vom Obriſten angelangt. Er ſchrieb, daß es ihm unmöglich ſei, ſo wie er ehemals verſprochen hatte, in einer beſtimmten Zeit zurück zu kommen. Der Mutter bangte ſehr nach ihm und der Geiſtliche war tief betrübt, weil er nun mit Gewißheit vorausſehen konnte, daß der Sohn die Kranke nicht mehr im Leben finden würde. Dieſe war ſehr nachdenkend und ſaß im Bette aufrecht, Stunden und Tage an den Fingern abzählend.

Ich werde ihn doch noch ſehn, ſagte ſie dann nach einer Pauſe. Es iſt doch ein ſeltſames Gefühl, wenn man, ſo nah an der Pforte des Todes, die Minuten faſt berechnen und geizig und knauſernd, wie die letzten Münzen eines Ber- armten, in Anwendung bringen muß: den Heller und Pfen⸗ nig dreimal umkehren und prüfend anſehn, ehe man ihn ausgiebt. Ich habe mir aber feſt vorgenommen, vor Oſtern nicht zu ſterben, und nicht, bevor ich meinen lieben Sohn wieder geſehn habe, und dabei wird es denn auch fein Der: bleiben haben. Sie ſehn mich verwundert an, und ſchüt⸗ teln mit dem Kopfe? Es wird ſich zeigen, wer ſich von uns beiden in ſeiner Rechnung irrt.

Als der Arzt wieder kam, erzählte dieſer umſtändlich von den mancherlei Unglücksfällen, die ſich durch die neulichen Ueberſchwemmungen in benachbarten Provinzen ereignet hät⸗ ten. Man kann, beſchloß er, die Natur und ihre Elemente immer noch nicht ſo bändigen, daß der Menſch nicht von Zeit zu Zeit von ihrem Humor leiden müßte. Stellt ſich

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die Natur einmal eigenſinnig oder erboßt auf die Hinter⸗ beine, jo, find unſre Dämme und Schleuſen, Brücken und Verwallungen nur Kinderſpiel. Das alles legen wir forg- fältig und mit Nutzen an, im Vertrauen auf den ſtillſchwei⸗ genden, aber niemals laut ausgeſprochenen Contract, daß die Alte ſich vernünftig betragen, daß ſie Lehre annehmen, daß ſie ſich geſittet aufführen würde. Sie iſt auch im Weſent⸗ lichen ſchon recht gut erzogen und hat ihre ſchlimmſten Un⸗ arten abgelegt; denn wie ungefüge ſie ſich in den früheſten Zeiten mag geberdet haben, davon können wir uns ſchwerlich eine Vorſtellung machen. Die kleinſten Späße ihrer wilden Kinderſpiele liegen noch als die Granitblöcke von tauſend Zentnern in den Feldern umher, die letzten wilden Waſſer⸗ ſtürze in der Schweiz und des Niagara und einige in Nor⸗ wegen, die noch nicht eingezogen ſind, um * Mühlen nr Fabriken dienſtbar zu machen.

Sie haben ſehr Recht, ſagte die Kranke. Oft iſt es, als wenn dieſe ſogenannte Natur in Schlaf verſunken wäre und ſaumſelig ſo hin träumte, ihrer ſelbſt nicht bewußt. Dann gedenkt ſie manchmal plötzlich ihrer Rieſenkräfte und verhöhnt die Anſtalten und den Hochmuth des kleinen Menſchenge⸗ ſchlechtes. Alle Sagen und Propheten träumen auch von einer Zeit, in der ſie ſich ihrer alten Stärke erinnern wird, und noch einmal wüthen und raſen, um ſich ſelber zu ver⸗ nichten.

Mit dem Menſchen, dieſem Mitrotosmus, ſagte der Prieſter, iſt es ja eben ſo beſchaffen. Auch den frömmſten, ſanfteſten, der ſich am meiſten gebildet hat, wie man ſich ausdrückt, kann die Raſerei der Leidenſchaft wieder einmal überraſchen, um ihn ſich völlig unähnlich zu machen.

Sehr oft, ſprach die Kranke, als der Arzt ſich verab⸗ ſchiedet hatte, indem ſie plötzlich in einen andern Ton fiel,

Der Schutzgeiſt. 15

iſt es uns, als ahndeten wir in näherer Anſchauung das eigentliche Weſen unfrer Seele. Wie wir uns ſelbſt, ſprich⸗ wörtlich, immer die nächſten ſind, im Erkennen, in der Aus⸗ bildung unſerer Talente, im Bewußtſein unſrer Kräfte: ſo iſt doch jenes ächte Bewußtſein, weshalb wir allen dieſen Reichthum beſitzen, wohin uns dieſe mannigfaltigen Fähig⸗ keiten führen ſollen, immerdar ein Räthſel, oder wir ſtellen uns vielmehr dieſe Frage nicht. Unſre Seele, unſer inner- ſtes Selbſt, ſteht uns ſo immerdar in einer unendlichen Ferne, wie unerkennbar, fabelhaft, und wenn wir denn im gewöhnlichen Leben ſo dreiſt von ihr ſprechen, von ihrer Be⸗ ſtimmung, Hoffnung, künftigen Seligkeit, ſo iſt das ganz mythologiſch, um nicht fabelhaft zu ſagen. Wir beruhigen uns dann an Bildern, Worten, ſind mit halben Geſtaltungen im blaßfarbigen Nebel zufrieden, um vor uns ſelber nicht zu erſchrecken, ja uns innigſt zu entſetzen. Wir ſterben viel⸗ leicht, müſſen wohl verſcheiden, wenn wir uns ſelbſt wahrhaft und ganz nahe gewahr werden. Wir gehn mit uns ſelbſt immer nur im Bilde um, wie mit einer dritten Perſon: daher iſt, ſo angeſehn, der Glaube an uns ſelbſt immer nur ein halber. Und es muß wohl ſo ſeyn, daß wir uns nur in einem Spiegelbilde erkennen, und doch, wenn wir uns be- ſinnen, es recht gut wiſſen, daß jene ſcheinbare Weſenheit nur eine Spiegelung iſt.

Sie helfen mir, ſagte der Geiſtliche, zu Ausdruck und Verſtändniß, die mir ſonſt nicht ſo deutlich aufgehn wollten.

Und dann, fuhr die Kranke fort, kommen wohl dieſe Momente, Blitze, Orakel, wo uns (wie mir es eben geſchah) aus dem tiefſten Unbewußtſein, jenem Urbenennen des Lebens und der Ewigkeit, ein Wort, ein deutliches, ſich ablöſet, em⸗ por tönt und unſer ganzes Sein, alle dieſe vielfachen Ringe, Netze und Fäden durchklingt, und die ewige nothwendige

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Täuſchung fällt nieder, und ich bin bei mir ſelbſt. Nun weiß ich auch, oder fühle, oder ſehe (hier paſſen die Worte gar nicht mehr), weshalb ich bin, und wohin ich gelangen ſoll. Aber wie kann unſre menſchliche Rede, dieſe Zwillingsſchwe⸗ ſter der Lüge, das, was ich in dieſen Momenten der Wahr⸗ heit erfahren habe, nur irgend ausſagen, oder andeuten?

Der Geiſtliche ſah ſie mit einem durchdringenden Blicke an und ſie ſchlug das große begeiſterte Auge vor ſeiner An⸗ frage nicht nieder, ſo daß ſich die Seelen im feinen Element des Lichtes begegnen konnten. Ja wohl, ſagte er nach einer langen Pauſe, iſt der Menſch ſchon als Menſch unausſprech⸗ lich glücklich. Könnte man dies nicht, ſagte er ruhiger, was wir jetzt erlebt haben, das ächte Hellſehen nennen? Das, was jetzt ſo ſonderbar betrieben wird, iſt mehr ein ſubtili⸗ ſirter Traum vom Traum, ein Vergröbern oder Vernichten unſerer Fähigkeiten, und den Kunſt⸗Kranken ſteht ihre Seele noch um tiefe Fernen weiter und unkenntlicher entrückt, als in ihrem gewöhnlichen Zuſtande.

Gewiß, antwortete ſie, giebt es von dieſer Krankheit auch tauſend Arten und Abarten. Und wo iſt der Arzt, in ihnen die höheren zu erkennen: wo der Magus, ſie zu ver⸗ edeln? So oft geht ſein Gemüth und Weſen bis auf Zu⸗ fälligkeit oder Rohheit in die Kranke über; oder ſie wird wieder kindiſch zum Kinde: alle Schatten verwundenen Aber⸗ glaubens verfinſtern wieder den Geiſt, und grobe Lüge hand⸗ thiert enthuſiaſtiſch in dem vibrirenden Netz der Krankheit aufgeregter Nerven.

Unſer Geſpräch, ſagte der Prieſter, erinnert mich leb⸗ haft an eine alte Geſchichte, ſoll ich ſie Abentheuer des Gei⸗ ſtes oder theologiſche Novelle (wie man denn, jetziger Mode nach, alles Novelle nennt) oder Metamorphoſe, Umgeſtaltung eines großen, mächtigen Geiſtes nennen?

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Erzählen Sie, ſagte die Kranke, und laſſen Sie Titel- ſchrift, Eintheilung und Namenregiſter fahren: ich bin in der Stimmung, mich durch eine ſolche Zerſtreuung zu erbauen.

Morgen, ſagte der Geiſtliche, indem er Abſchied nahm; Sie, Gräfin, bedürfen des Schlafes, und mich rufen einige kirchliche Geſchäfte in mein Haus. Ich habe die Erzählung vor einigen Jahren ſchon niedergeſchrieben, und morgen, wenn Sie noch denſelben Wunſch haben, werde ich ſie Ihnen mittheilen. Man kann ſich bei dieſer geiſtigen Begebenheit vielerlei denken, und in dieſer Stimmung, verehrte Freundin, Gedanken zu erzeugen und zu hegen, ſind Sie faſt immerdar.

Die Gräfin hatte in der Nacht nur wenig ſchlafen kön⸗ nen. Sie ſelber war ungewiß, ob die Schmerzen oder die aufregenden Geſpräche ſie munter erhalten hatten, aber ſie fühlte ſich am Morgen ziemlich wohl, und beſchloß alſo, ihrem zu redſeligen Arzte dieſe Schlafloſigkeit nicht zu klagen.

Der Geiſtliche begrüßte fie, und ſagte nach einigen ges wechſelten Reden: Der Gegenſtand unſers geſtern abge— brochenen Geſpräches iſt kein geringerer, als der berühmte große Tauler, ein wahrhafter Mann Gottes, einer von jenen Erleuchteten, an welchen ſich die Gnade vorzüglich kund ge— than hat. f

Ich habe, erwiederte die Gräfin, ſchon vor Jahren in ſeinen Predigten hie und da geleſen, weiß aber von ſeiner Geſchichte nichts. So weit ich feine tiefſinnigen Worte vers ſtehn konnte, die doch ſo klar und einfach lauten, iſt er ein ächter Prophet. Ich will damit ſagen, daß jeder ſeiner Sprüche eine von ihm ſelbſt erlebte Wahrheit iſt, und daß ſeine Seele zugleich mit allen ihren Kräften ſich ſo ſtill und ruhig hält, ohne Widerſetzung des Talentes oder gar Stolzes

Tieck's Novellen. IX. 2

18 Der Schutzgeiſt.

und Eigenwillens, daß die göttliche Kraft in ihm Raum findet, ſich im Worte zu äußern, faſt ohne andere Hülle, als wie ſie unſre ſterbliche Sprache nothwendig macht.

Ja wohl, erwiederte der Prieſter, und wie es zugleich die Zeit gebietet, die gewaltigſte Beherrſcherin unſrer Seele, wie wir dieſe in unſerm dermaligen Zuſtande kennen. Denn durch die Folge der Worte und Gedanken in der Zeit erfährt unſer Geiſt nur von ſich ſelbſt etwas, und nur ſo kann Ge⸗ fühl, Kraft und Ueberzeugung auf ihn einwirken; in Pulſen und ruhenden Zwiſchenräumen, wie Blutlauf und Athem⸗ holen. Nun nach einigen Momenten der Blitzſtrahl der höch⸗ ſten Entzückung, oder der wahren Idee, welcher Bewußtſein und den Wellenſchlag der Zeit auf einen Augenblick vernichtet. Oder die Idee und Entzückung leuchtet in uns auf, und der ordnende Geiſt richtet nun in Worten und Zeitfolge die himmliſche Erſcheinnng in fein Fachwerk des Gedankens ein, um ſich im Bewußtſein und Gedächtniß die Einwirkung der göttlichen Kraft zu erhalten: dauernd, aber auch nur wie nachſchattend, bis denn irgend einmal dieſe Gedankenfolge wieder in jenen Glanz des unmittelbaren Göttlichen zurück fliegt. |

Und fo werden wir, antwortete fie nachdenklich, auch wohl in Zukunft in der Zeit und ihren Pulſen leben müſſen, wenn uns auch die Gegenwart klarer und näher treten ſollte, die der Menſch eigentlich faſt ganz entbehrt, ſo wie das Thier nur in dieſer zu leben ſcheint. Doch jetzt zu Ihrer Er⸗ zählung oder Geſchichte.

Der Geiſtliche nahm einige Blätter aus ſeiner Taſche, indem er ſagte: Ich habe nur ausgezogen, was ſich weit⸗ läuftiger in den alten Ausgaben der Taulerſchen Predigten findet. Die Geſchichte iſt mir merkwürdig als ein Vorbild von dem, was ſich auf dieſe oder jene Art im Leben eines

Der Schutzgeiſt. a .

jeden Menſchen findet, und das ſich wohl nach dem Tode in der Seele derer entwickelt, die nicht dieſſeit die große Er⸗ fahrung gemacht haben. Er las:

Um das Jahr 1340 lebte ein hochberühmter Prediger, der Doctor der Theologie, Tauler, in Straßburg.

Ei! unterbrach die Kranke: ſehn Sie, Freund, was der Menſch ein ſchwaches und gebrechliches Weſen iſt! Da ſteht mir nun mein Geburtsort Straßburg, und in ihm der herr⸗ liche Münſter, das unendlich ſchöne Gebäude vor Augen, ſo daß ich gleich im Anfang mich von Ihrer Erzählung ab— wende. Alſo dort war dieſer große Mann einheimiſch? Ich muß nun auch von allen zufälligen Bildern abſtrahiren (ein Ausdruck, den mein wunderlicher Onkel immer brauchte) und Ihnen aufmerkſam zuhören.

Der Prieſter Theodor lächelte und las in ſeinen Blät⸗ tern alſo weiter: Der Ruhm dieſes Mannes war damals weit verbreitet, ſo daß viele gelehrte Theologen von fernen Gegenden kamen, um ihn predigen zu hören, ſich an ſeinem frommen Wandel zu erbauen und durch ſeine Geſpräche zu belehren. Es ſchien auch, als wenn durch ſeinen Mund ein Geiſt der Weihe redete, denn Seegen verbreitete ſich durch feine Ermahnungen und ſelber verſtockte Herzen erweichten ſich, von ſeinen erſchütternden Reden angerührt. Die Stadt war ſtolz darauf, den großen Mann den ihrigen nennen zu dürfen, und jeder Fremde von Bedeutung, der durch die Thore eintrat, machte es ſich zu einer wichtigen Angelegen- heit, dieſen Mann Gottes kennen zu lernen, oder im Tempel wenigſtens eine von ſeinen Predigten zu hören. Ä

So war es denn nicht auffallend, daß ſich aus einer entfernten Gegend ein Laie aufmachte, dieſen weitberühmten Mann, den großen, vielbegabten Tauler zu ſehn und die Worte ſeines geweihten Mundes zu vernehmen. Dieſer Laie

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20 Der Schutzgeiſt.

ging in die Kirche, zu welcher die Menge hinſtrömte, um die herrlichen Reden Taulers zu hören und ihr Gemüth für das Unſichtbare vorzubereiten. Als der Fremde den Prediger zurück gekommen glaubte, beſuchte er dieſen ſelbſt, um im mündlichen Geſpräch ihm näher zu kommen.

Er fand den berühmten Tauler als den ſauftmüthigſten und beſcheidenſten Mann, ſo daß er einſah, er möchte und dürfte mit ihm ganz aus vollem Herzen ſprechen. So bat der Laie denn, der Prieſter möge ſeine Beichte hören, und ihm darauf das heilige Abendmahl reichen. Das geſchah. Nach einiger Zeit, als der Meiſter den Laien als ſein Beicht⸗ kind angenommen hatte, und dieſer ſchon manche ſeiner Pre⸗ digten mit großer Aufmerkſamkeit angehört hatte, ſagte der Fremde in einer vertrauten Stunde zum Prieſter: Lieber Herr und Meiſter, ich bin aus weit entlegener Stadt über dreißig Meilen hieher gereiſet, um Euch zu ſehn und zu hören, Ihr habt mich auch freundlich und chriſtlich aufge⸗ nommen, mir auch manches aus dem Schatze Eurer Weisheit mitgetheilt, ſeit zwölf Wochen bin ich nun hier in Straß⸗ burg, und ich muß bald darauf denken, wieder in meine Hei⸗ math zu kehren, darum bin ich ſo dreiſt, Euch, als meinem Befreundeten, eine Bitte vorzaakrägen die mir zunächſt am Herzen liegt.

Rede, mein Sohn, antwortete Tauler, 10 was 5 ver⸗ mag, ſoll Dir gewährt ſeyn.

Schenkt mir noch eine Predigt, ſagte hierauf der Laie, die uns lehrt, wie der Menſch in dieſem Leben auf das Höchſte kommen, auf welche Art er zu Gott, ſo viel es irdiſch möglich, am nächſten gelangen möge.

Tauler ſah den Bittenden mit einem she Blicke lange an, dann ſprach er: Lieber Sohn, was ſollte das, wenn ich es vermöchte, uns beiden nützen? Denn, wenn mir dieſe

Der Schutzgeiſt. | 21

große Aufgabe gelingt, ſo möchteſt Du mich doch ſchwerlich verſtehn, weil Du in den Tiefſinn des göttlichen Wortes nicht eingeweiht biſt. Wenn es mir aber gelingen ſoll, viel⸗ leicht Manche meiner Gemeine zu dieſem allerhöchſten chriſt⸗ lichen Standpunkt hinauf zu führen, ſo muß ich mich lange zu dieſer Predigt vorbereiten und alle meine Kräfte ſammeln: ein Studium und eine Anſtrengung, die Zeit und Maßen des Gemüths erfordert.

Der Laie ließ aber nicht nach mit Bitten, daß Tauler endlich verſprach, jene Predigt bald zu halten, die er auch am Sonntage, als ſeine Gemeine in der Kirche verſammelt war, dieſer verhieß, als eine Anweiſung, den Weg zu finden, wie der Chriſt in dieſem Leben ſich zur höchſten Stelle er⸗ ſchwingen könne.

Dieſe tief durchdachte Rede, in welcher Tauler alle ſeine Kraft und Kenntniſſe niederlegte und allen Tiefſinn ſeines Geiſtes entwickelte, zeigte in vier und zwanzig Artikeln, was der fromme Glauben nur in ſeiner Seele und ſeinem Herzen thun müſſe, um jene hohe Staffel zu erklimmen, auf der ſchon im Leben der Menſch als himmliſch verklärt wird. Alle Frommen der Stadt waren erbaut und meinten, ſo hoch ver⸗ ſtändig, ſo tiefſinnig und eindringend habe der große Mann noch niemals gepredigt.

Am andern Tage kam der Laie zum Prieſter. Seid Ihr nun zufrieden, junger Mann? fragte dieſer: hat Euch mein Sermon Genüge geleiſtet? Der Laie antwortete: Hochwür⸗ diger Vater, ich habe die Nacht damit zugebracht, aus mei⸗ nem Gedächtniß Eure ganze Rede und alle die Artikel, welche ſie enthielt, genau aufzuzeichnen, ſeht ſelbſt dieſe Blätter durch, ob etwas mangelt, oder ob ich Euern Sinn verſtanden habe. Tauler nahm das Papier und las es mit wachſendem Er⸗ ſtaunen; als er geendigt hatte, ſagte er: Mein Bruder, ich

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hätte niemals geglaubt, daß Ihr ſo weiſe und gelehrt wäret, auch habt Ihr Euch niemals, weder im Geſpräch noch in der Beichte, etwas von Eurer großen Wiſſenſchaft merken laſſen. Der Laie antwortete hierauf nichts weiter, ſondern beurlaubte ſich, um nach ſeiner Heimath zurück zu kehren. Tauler aber, der den Fremden erſt jetzt lieb gewonnen hatte, da er zugleich ſeine Gelehrſamkeit achten und ſeinen Tiefſinn bewundern konnte, drang mit Bitten in ihn, zu bleiben, und verſprach, da er von jenem verſtanden werde, noch mehr, und vielleicht noch beſſere Predigten zu halten, an welche er mit voller Liebe ſeinen ganzen Fleiß wenden wolle.

Woher das, geehrter Meiſter? antwortete ihm der Laie. Ich bin Euch überflüſſig und Ihr könnt mir nichts helfen, denn Eure große Gelehrſamkeit, Euer Scharfſinn, die rüh⸗ rende Sprache, womit Euch der Himmel begabt hat, alles das iſt es nicht, was uns hinauf führt auf jenen Standort, welchen ich meinte, und der dem Chriſten durch die Gnade des Vaters, die Schrift und die Offenbarung des göttlichen Sohnes zu beſteigen gegönnt wird. Ihr freut Euch noch menſchlich andrer hoher Gaben, Ihr ſucht nicht Gott, ſon⸗ dern Euch ſelbſt: Euch iſt das Geheimniß noch nicht er⸗ ſchloſſen worden, durch Demuth, durch die Vernichtung Eurer ſelbſt den Ewigen und deſſen unergründliche Liebe zu finden. Ihr webt und lebt noch im Buchſtaben, im Wort, Ihr dient, ſo geiſtlich Ihr Euch dünkt, der Welt und ihrem Schimmer. Wenn Ihr in die Tiefe Eures Weſens ſteigt, ſo ergründet Ihr nur immer mehr und mehr Wohlgefallen an Euch ſelbſt, die Liebe, die Ihr zu Euch ſelber tragt, die Kräfte, die Ihr in Euch entdeckt, und die Euch wie Minen Goldes entgegen glänzen, rühren und erfreuen Euch innigſt, und Ihr wähnt dann, vom Strahl Gottes und ſeiner Liebe angefaßt zu ſeyn. Könnt Ihr nicht Alles, was Ihr bis

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jetzt gelernt und geſchätzt habt, von Euch werfen, ſo bleibt Euch der Weg zum wahren Heil verſchloſſen. Im Traum wurde ich in meiner Heimath von einer Stimme dreimal aufgerufen, hieher zu reiſen, um Euch aufzuſuchen, nachdem ich ſchon lange vorher von Euch, Eurem frommen Wandel, Eurer Gottesfurcht und Eurer unvergleichlichen Prediger⸗ Gabe gehört hatte. So ließ es mir keine Ruhe, bis ich Eure Worte vernommen und Eure Geſtalt geſehn hatte. Nun kann ich von Euch ſcheiden, weil ich es weiß, daß unſere Wege ganz und auf immerdar auseinander gehen. So lebt denn wohl, Meiſter, denn ich glaube faſt, Ihr ver⸗ ſteht meine Meinung nicht, denn Ihr ſeid, wie ſo mancher würdige Lehrer, wie ſo viele, die dennoch Nutzen ſtiften, nicht ein ſich ſelbſt Verleugnender, ſondern einer, der ſich ſelber ſucht, ein Phariſäer.

Die Vorleſung war hier unterbrochen worden, denn der ungeſtüme Arzt hatte ſich nicht abweiſen laſſen. Als er ein⸗ trat, ſagte er: Verzeihung, da ich aber doch zurückkehre, mußte ich Sie, theure Gräfin, noch einmal ſprechen. Er fühlte den Puls, ſchrieb ein Recept, ſprach und verordnete, und ging dann auf Nachrichten und Neuigkeiten des Tages über. Neben ſo vielem Unglück, das ſich jetzt zuträgt, fuhr er fort, iſt denn auch neuerdings eine widerwärtige Ge— ſchichte vorgefallen, die ich Ihnen lieber ſelbſt mittheilen wollte, damit nicht ein roher Menſch vielleicht Sie in Ihrer kranken Aufgereiztheit mit der lam Neuigkeit verletze

oder erſchrecke.

In jener großen deutſchen Handelsſtadt, die nicht ſo gar entfernt von hier liegt, iſt vor einigen Nächten ein furchtbarer Mord begangen worden. Ein Tiſchlermeiſter,

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der ſchon ſeit Jahren in ſeinem Gewerbe zurückgekommen und tief verſchuldet war, hat ſich der Verzweiflung ergeben. Er war Witwer, aber Vater von fünf Kindern, zwei Kna⸗ ben und drei Mädchen, alle unmündig, das älteſte zehn, das jüngſte kaum zwei Jahr alt. Den Nachbaren fällt es auf, daß ſeine Wohnung am Morgen ſo lange verſchloſſen bleibt, man bricht endlich die Thüren auf und findet ihn als Leiche, alle Kinder mit abgeſchnittenem Hals und einen Zettel, in dem er ſagt, daß er nicht anders ſich habe helfen können. Die Kranke ſeufzte tief auf, der Prieſter ſah bekümmert zu Boden und der Arzt fuhr entrüſtet fort: Alles die ſchreck⸗ lichen Folgen der Weichlichkeit unſers Jahrhunderts, einer falſchen Humanität. Hätten unſre Gerichte nicht ſchon ſeit lange alle Verbrecher und Mörder, wo es nur irgend aus⸗ langen mochte, für Geiſteskranke und Wahnſinnige ausge⸗ geben, ſo wäre jener moraliſche Schreck, der wohlthätige Schauder vor dem Geſetz im Volke geblieben. Seit es aber Mode geworden iſt, Mörder und Brandſtifter für poetiſch Aufgereizte, für Träumer oder Zerſtreute auszugeben, die oft einem ſtarken Antriebe, auch wenn ſie wollten, durchaus nicht widerſtehn können, ſeitdem hat ſich Alles, was wir ehemals mit ganzer Seele verabſcheuten, in eine Art von Curioſität verwandelt, die wir eben ſo neugierig, aber ohne moraliſchen Widerwillen, wie eine jede andere Rarität be⸗ trachten. Iſt nun beim gemeinen Mann das Gewiſſen erſt überwunden, ſo leiſtet ihm jene ehrwürdige grauenhafte Ge⸗ ſtalt des Geſetzes, der Schande, des allgemeinen Abſcheues keinen Widerſtand mehr, ja es giebt Menſchen, die aus Eitelkeit das thun, was vormals auf ein Jahrhundert den Menſchen zum verruchten Böſewicht ſtempelte. Man ſieht es aber auch endlich ein, denn die Gerichte haben ſich ſogleich verſammelt, für die armen Kinder ein chriſtliches, ſehr an⸗

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ſtändiges Begräbniß verordnet, wobei ſich der ganze Rath und eine angeſehene Bürgerſchaft eingeſtellt hat, der Mörder aber iſt, als wäre er noch lebendig, verurtheilt und ſein Körper vom Henkersknecht auf ein Rad des Hochgerichts ge— legt worden.

Die Kranke richtete ſich auf und ſagte: Iſt es nicht ſonderbar, daß ſich dieſelbe Geſchichte ſchon einmal, und in derſelben Stadt ereignet hat? Es werden jetzt ohngefähr zehn Jahr ſeyn, als ein Mord einer ganzen Familie gerade eben ſo geſchah, und der Rath es damals auch für nothwendig hielt, den unglücklichen Vater unter beſchimpfenden Ceremo⸗ nien auf das Hochgericht zu werfen. Dieſe That hat alſo damals doch auch nicht jenen heilſamen Schrecken erregt, der aus ihr folgen ſollte.

Der Arzt ſchlug es ab, im Schloſſe ſein Mittagsmahl einzunehmen, und als er ſich entfernt hatte, ſagte der Geift- liche: Dieſe Geſchichte, theure Gräfin, hat Sie mehr ange- griffen, als es der Doktor bemerkt hat.

Ja wohl, erwiederte ſie. Ich begreife die Menſchen nicht, die gerade bei ſo ungeheuern Vorfällen, die mein Weſen in allen Tiefen erſchüttern, gleich mit einem mora⸗ liſchen Urtheil ſo bei der Hand ſeyn können. Fühle ich mich in den Zuſtand des erbarmungswürdigen Vaters hinein, ſo vergehn mir alle Gedanken. Wie unſre Seele beim Anſchaun großer Tugend und Aufopferung vor Wonne erſchrickt und in einem Schwindel von Bewunderung hinauf entzückt wird, ſo geſchieht etwas Aehnliches bei ſolcher übermenſchlichen Un⸗ that. Wir wiſſen uns nicht zu faſſen und können nicht unterſcheiden, ob Grauen, Schreck, Mitleid, Staunen oder Haß in uns mächtiger wirken: und da Alles, was von Men⸗ ſchen geſchieht, auch als möglich in der eignen Seele ruht, ſo erfaßt uns ein Entſetzen vor uns ſelbſt, das auf lange

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allem Urtheil Laut und Stimme nimmt. In wiefern Geſetz und Richter anders fühlen und ſprechen dürfen, iſt eine andere Frage.

Ja, meine edle Freundin, ſagte der Prieſter, darum iſt auch der Stand des Geiſtlichen ein beneidenswerther, weil er eigentlich mit dieſen Juſtiz- und Moral-Fragen nie etwas zu thun hat. Er darf im Verbrecher nur den gefallenen verirrten Bruder ſehn, er vernimmt nur die Rede des Sün⸗ ders und antwortet mit Sprüchen des Troſtes.

Nur vergeſſen wir nicht, fiel ſie lebhaft ein, daß jene Hexenrichter und die Inquiſition, alle dieſe Foltern, Mar⸗ tern und Hinrichtungen im Namen der Religion auch von verbrecheriſchen verirrten Prieſtern ausgingen, die auf die⸗ fen Wege ſchon ſehr früh ihrem Berufe untreu wurden.

Der Geiſtliche konnte nur mit einem Seufzer antworten. Ja dieſe Menſchenopfer, ſagte er dann, die immerdar unter neuen Vorwänden wiederkehren, von denen keine Zeit und kein Volk ſich frei erhalten hat. Auch dieſer ſchreckliche Irr⸗ thum liegt tief in unſrer Seele und Wand an Wand mit der Wahrheit. Wie wohl immer. Und eben dadurch iſt der Fanatismus ſo gräulich und allmächtig. Dieſer arme Vater mordete ſeine Kinder in Verzweiflung, wie die Kirche Tauſende in wildem Eifer für das Weſen, welches ſie in Verruchtheit Gott ſchalten, mit kalten Formen und anmaß⸗ licher Vernunft und gemißbrauchtem Geſetz gemordet hat. Die Kirche wollte ſie auf ihrem Wege zur Seligkeit führen, und in ihnen den böſen Geiſt beſtrafen: dieſer unglückliche Vater mochte glauben und fühlen, daß ihm die eignen Kin⸗ der am nächſten ſtanden, daß fie ihm mehr als dem ſoge⸗ nannten Staate zugehörten. Die finſtre Stunde raunte ihm zu: daß wenn er es überdenken könne, was er that, kein fremdes Weſen darein zu reden habe. Sein Erbarmen mit

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den Knaben und den noch ärmern Mädchen rieth ihm, ſie gewaltſam und auf immer der Gemeinheit, der Schändlich— keit der Menſchen zu entraffen, damit ſie nicht ſein Schickſal, oder ein noch ſchlimmeres erleben dürften. Nur in der Ver⸗ nichtung ſah er noch Rettung, mit den kalten Todesarmen drückte er fie noch einmal an das brechende Herz, ihr Er- würgen war ſein letzter Troſt.

Das iſt das Elend der Menſchheit, erwiederte die Kranke, daß der Unglückliche mitten in der bewegten Geſellſchaft, die mit allen Wellen um ihn brauſt, oft ſo einſam ſteht, ſo ganz vergeſſen, ohne Anhalt, ohne allen Troſt und Hülfe. Für ihn iſt Senat und Stadt, Familie, Nachbarſchaft und Alles, was zum Wohlſein der Menſchheit gegründet und ſo künſt⸗ lich zuſammen gefügt iſt, oft gar nicht da; er iſt vergeſſener und verlaſſener, wie auf einer wüſten Inſel, ja die Geſell⸗ ſchaft, die ihm helfen könnte, wüthet gegen ihn als ein er⸗ grimmter Feind. Ich habe oft mit vielem Kummer darüber denken müſſen, wie ſchwer es iſt, vielleicht unmöglich, die ächte Humanität, die wahre Menſchenliebe unter den Menſchen einheimiſch zu machen. Talent, Schönheit, hoher Stand werden in der Perſönlichkeit aufgeſucht, geachtet und jeder⸗ mann ſchmeichelt dem Manne, der eines großen Rufes ge— nießt. Wie beeifern ſich alle, zu wohlthätigen Anſtalten, Armenhäuſern und dergleichen beizutragen. Es fängt ſchon an, eine Eitelkeit der Staaten zu werden, große, faſt pracht⸗ volle Gefängniſſe dem Fremden vorzeigen zu können, in de⸗ nen die Verbrecher zuweilen ſo gut verpflegt werden, daß ſie es beſſer haben, wie der arbeitende Bruder, deſſen Schweiß ſie ernähren muß. Man ehrt ſich, indem man dieſe Muſterwirthſchaften unterſtützt, läßt ſeinen Namen ein⸗ tragen und ſich beloben, Reiſende urtheilen von der Cultur, dem Wohlſtande und der Menſchenliebe des Volkes, je nad)-

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dem ſie dieſe Häuſer prächtig, groß, die innere Einrichtung behaglich finden, und wie ſich der Menſch in unfrer Zeit leicht und gern für einen ſolchen allgemeinen Begriff einer ſolchen Anſtalt begeiſtert, je weniger findet der einzelne Hülf⸗ loſe, der arme Menſch ſelbſt in ſeiner beſtimmten Erſchei⸗ nung Anſprache und Mitleid. Die ſchöne allgemeine Illuſion der großartigen Wohlthätigkeit wird durch ſein armſeliges Auftreten geſtört, man wendet ſich von ihm ab, und findet in der Regel die Proſa ſeiner Gegenwart unerträglich. Zu⸗ weilen begegnet es auch, daß der Troſtloſe, wenn er bei Reicheren Hülfe ſucht, deren Hartherzigkeit er ſchon ver⸗ ſchiedentlich erfahren hat, ſich durch Wein oder ein ſtarkes Getränk zu ſeinem ſauern Gange ſtärken will. Nun wittert der wohlhabende Helfer aus der Atmoſphäre nur einen Lüder⸗ lichen heraus, einen verſchwenderiſchen Säufer, und meint in ſeiner abſchlagenden herzloſen Kälte noch tugendhaft zu handeln, wenn er dem Laſter keinen Vorſchub gewährt. Und nachher wenn das Entſetzlichſte geſchehen iſt wen⸗ det man ſich mit Ekel und Grauen wieder ab, und ver⸗ urtheilt, verdammt, wo der Richtende vielleicht mit einer kleinen Hülfe wie ein rettender Engel in die Hütte des Elen⸗ des hätte treten können. O dieſe bittern Thränen, die jetzt aus meinen kranken Augen dringen, ſind das geringſte Zeichen meines Mitgefühls, was ich über den unermeßlichen Jammer unſrer Erde äußern kann. Wie wird ſich denn irgend einmal dies Weh ausgleichen können! Kommen wir, Freund, zu Tauler zurück. Es war doch wohl zu hart, daß der Laie ihn geradezu einen Phariſäer nennen durfte. Der Geiſtliche antwortete: Wir haben uns neuerdings angewöhnt, bei Phariſäer etwas gar zu Schlimmes zu den⸗ ken, nehmlich egoiſtiſche Heuchler und Lügner. In der Schrift iſt es aber nicht ſo gemeint. Der wahre Phariſäer kann

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ein redlicher, gelehrter und tiefſinniger Mann ſeyn. Er forſcht in der Weisheit, er meint von Gott begünſtigt zu ſeyn, er iſt ſelbſt begeiſtert und von frommer Ueberzeugung durchdrungen. So erfreut er ſich der Vorzüge, die er ge— nießt, er iſt ſtolz auf den Rang, den er unter den Gläubi⸗ gen und Wiſſenden einnimmt, er betet aus vollſter Seele und ſelbſt ohne Uebermuth: Ich danke Dir, Gott, daß ich nicht ſo unwiſſend bin, wie jener, nicht ſo einfältig, wie der, nicht ſo abergläubig, wie ein Thor, von Dir fühle ich mich geſegnet und erwählt, daß Du meinen Geiſt gewürdiget und erhoben haſt, und ſo bin ich ein von Dir ausgerüſtet Glücklicher und Ausgezeichneter vor Tauſenden. Ein ſol⸗ cher Phariſäer war nach der Meinung des Laien auch jener fromme und gottſelige Tauler. Er war noch nicht dahin gekommen, ſich ſelbſt aufzugeben, er war noch glücklich in ſeinem geiſtlichen Stolz.

Ich erſchrecke! rief die Kranke aus; nach dieſer Beſtim⸗ mung müßten wohl viele unſerer vortrefflichſten Theologen und ruhmwerthen Lehrer zu den Phariſäern gezählt werden. Und unſere neuern Frommen, nun gar die Pietiſten, Be⸗ kehrten, Begeiſterten, Chriſtusbrüder und wie ſie ſich alle nennen mögen wie weit möchten die allermeiſten unter dieſen zu laufen haben, bevor. fie ſich nur erſt zu den Pha⸗ riſäern zählen dürften.

Was der Laie verlangte, antwortete Theodor, und wohl an ſich ſelbſt erlebt hatte, dahin gelangen freilich nur wenige, und auch dieſe nur durch beſondere Gnade. Und ſo ward es, nach ſchwerem Kampfe zwar, dem Tauler, von dem ich Ihnen jetzt lieber in der Kürze weiter mündlich erzählen will, als jene Blätter leſen, die mir doch etwas zu weit⸗ läufig gerathen ſind. Durch die letzte Predigt, die dem Laien ſo wenig genügt hatte, war Taulers Ruhm in der

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Stadt noch mehr ausgebreitet worden. Er ſelber aber be— rieth ſich mit dem Laien, ſuchte dieſen zu verſtehn und begriff es endlich, daß er auf einem falſchen Wege gewandelt ſei, der ihn nur um ſo mehr vom Ziele entfernte, je näher er dieſem gekommen zu ſeyn wähnte. So verging ihm viele Zeit in innern Kämpfen. Jetzt erſt fing er an, gewahr zu werden, wer er ſelber ſei, und warum ſich ihm der Gott entzogen habe, mit welchem er ſich in ſo vertrautem Umgang zu ſtehn, in ſeiner Täuſchung vorgebildet hatte. Dieſes innere Erkennen geſchah nicht auf gelinde Weiſe, ſondern ihm war, als wenn ſein ganzes Weſen zerbrechen ſollte. Aller jener bunte, glänzende Trug fiel nieder, den er bisher für ſeinen Ruhm, für die herrliche Schönheit ſeines Weſens gehalten hatte, und er erſchrak vor ſeiner Nacktheit. Furcht, Zweifel, Bangigkeit, Leerheit und Verzweiflung bemächtigten ſich ſeines ganzen Herzens, je mehr ſich die Tiefen der Gott⸗ heit vor ihm aufthaten, und ihm war, als ſei die Liebe aus ihr auf ewig entwichen, ja ein furchtbarer Zweifel redete ihm zu, ſie ſei niemals geweſen, ſondern nur ein lieblicher Trug des menſchlichen Herzens, alles, alles ſei nur ſeit Ewigkeit in ſich ſelbſt beſchloſſene Nothwendigkeit. So ward Himmel und Hölle eins, und er ſelbſt in ſich ſelbſt ver⸗ nichtet, ein blindes Werkzeug ohne Freiheit und eigne Kraft, ein Athem der Unermeßlichkeit, ein blind dienender einge⸗ ſchmiedeter Ring in des Univerſums Kette des Aberwitzes und Unverſtandes, ein ſtummer, tauber, blinder Sklave einer unbekannten, unſichtbaren tyranniſchen Gewalt. In dieſer Verzweiflung ſeiner Seele, in dieſem Todesgrauen rang ſich eine ſanfte, ſchwebende Wehmuth empor, die auf ihren ſtets fließenden Thränen noch die ſchwache Erinnerung an die Liebe Gottes auf Waſſern einſog, und nur in der tiefſten Trauer war er ſich noch feines Lebens bewußt. Dieſe Er-

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ſchöpfung und Klage, dieſe Geſtaltloſigkeit, dieſer jammernde Tod der Hoffnung war jetzt ſeine Heimath.

Als ſein Geiſt in dieſer Gefangenſchaft ſchmachtete, ent— zog er ſich den Brüdern ſeines Kloſters und allen Menſchen. Predigen, Beichte hören vermochte er nicht, ſo daß alle, die in ſeine Nähe kamen, glauben mußten, er ſei blödſinnig ge— worden. Prieſter und Laien zogen ſich von ihm zurück, viele verachteten ihn, manche verlachten ihn, ſelbſt in ſeiner Nähe, ſo daß er ihren Hohn und Spott vernehmen konnte, der ihm in ſeiner Einſamkeit wie aus einer weiten Ferne tönte. In der Stadt wie im Lande ward von Schwätzern bald das Ge— rücht verbreitet, der große Gottesgelehrte Tauler ſei albern geworden, und ſeines Verſtandes nicht mehr mächtig, was manche Böswillige als Folge eines geiſtlichen Hochmuthes aus⸗ legten, andre es der zu großen Anſtrengung bei ſeinen Stu⸗ dien und den häufigen Nachtwachen zuſchrieben. Er ſelber kümmerte ſich weder um die Nahelebenden, noch Entfernten und er ſchien es kaum zu bemerken, wenn ſeine Brüder, die ihn vor Kurzem noch verehrt hatten, ihm kopfſchüttelnd, ftill- ſchweigend vorübergingen, keiner ihn begrüßte oder anredete.

So waren faſt zwei Jahre vergangen. Tauler war von den meiſten ſchon ganz vergeſſen, und er galt allen, wenn ſie von ihm ſprachen, für einen Blödſinnigen, deſſen Geiſt völlig verdunkelt ſei. In dieſer Stille hatte die Seele ſich aber ſelbſt wieder gefunden, und war in dieſer Demuth und Selbſtverläugnung gekräftigt und ſtark geworden. Er [er- kannte nun deutlich, warum ſein voriger Weg ein Irrwandel geweſen ſei, und Armuth bedünkte ihm jetzt, woran er ſich damals als an Reichthum erfreut hatte. Er hatte in ſeiner innerſten Seele erlebt, was in jener Zeit nur kalte Wiſſen⸗ ſchaft geweſen war, jetzt war ihm die Pforte der Ewigkeit erſchloſſen, und durch ſein Herz rieſelte und ſtrömte der

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Quell, welcher einzig den Durſt, der ſonſt immerdar brannte, löſchen kann. Die Geiſtlichkeit erſtaunte nicht wenig, als Tauler ſich nach ſo vielen Monden wieder anſagte, daß er beim nächſten Feſte eine Predigt zu halten gedenke. Er wies alle ihre Einwendungen zurück und beharrte bei ſeinem Ent⸗ ſchluſſe, und ſie, an ſeinem Weſen irre, gaben nach und ihre Einwilligung. Es ward in der Stadt bekannt, daß derſelbe Tauler, der ſo lange für geiſteskrank, ganz albern und blödſinnig gegolten hatte, wiederum als Lehrer und Verkündiger des Wortes zum Volke reden wolle. An dem beſtimmten Tage war der Tempel ſo angefüllt und von Zu⸗ hörenden bedrängt, wie ſonſt niemals, denn die Neugier war unendlich geſpannt, und es erſchien faſt wie ein Wun⸗ der, daß es der Blödgeſinnte wieder wagen wollte, vor einer großen Verſammlung als lehrender Prieſter aufzutreten. Tau⸗ ler ſelber war muthig, denn er fühlte den göttlichen Geiſt, welcher ihn bewegte. Er beſtieg die Kanzel, und ſah jetzt die große Verſammlung der Gläubigen, alle begierig, ein Wort des Lebens aus ſeinem geweihten Munde zu verneh⸗ men. Nun übermannte ihn das Gefühl, wie er ſonſt an dieſer Stätte gepredigt, wie unwürdig er damals geweſen, im Namen des Herrn zu lehren und ſeine Verheißungen auszulegen, wie er jetzt ſo großer Gnade ſei gewürdigt wor⸗ den und doch derſelbe ſchwache ſündige Menſch ſei, den die göttliche Kraft zum Werkzeug auserkoren, nun die ewige Liebe zu verkündigen. Da überfiel ihn eine ſo innige, durch⸗ dringliche Wehmuth, daß ihm ein Thränenſtrom aus den „Augen ſtürzte. Die verſammelte Gemeine ward auch gerührt, als ſie dies Zeichen ſeiner Demuth ſah, und Tauler ſuchte ſich zu faſſen, um die Gedanken wieder zu ſammeln, die zu ſeinem Vortrage nöthig waren. Je mehr er aber in ſich ſelber rang, um ſein Gefühl zu bewältigen und Worte und

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Accorde auszuſprechen, um ſo ſchmerzlicher ward ſein Ge— fühl, um ſo inbrünſtiger ſeine Wehmuth, ſo daß ſie ſein ganzes Weſen bewältigte und er in Thränen ſich aufzulöſen ſchien und man nur ſtatt der Reden ein lautes Schluchzen von ihm vernahm. Das währte ſo lange, daß die Gemeine endlich ungeduldig wurde und ein Mann aufſtand, welcher ihm zurief, er möge ſie nicht länger mit Verdruß warten laſſen, ſondern ihnen nun die verſprochene Predigt halten. Aber es dauerte noch eine geraume Zeit, bevor Tauler vor Schluchzen und Weinen irgend ein Wort finden konnte, bis er endlich mit ſchwacher Stimme ſagte: Lieben Kinder, ver- gebt mir, daß ich euch hier verſammelt habe, ich kann nicht zu euch ſprechen, ſo gern ich wollte, denn der Herr, dem ich mich ergeben muß, will es heut nicht zulaſſen, alle meine Gedanken gehen in Wehmuth unter. So heftig weinend ſtieg er von der Kanzel herunter und begab ſich in ſeine einſame Zelle, ganz und gar ſeinem Schmerz dahingegeben. Nun erſt hielten ihn die Brüder und Prieſter der Stadt ſo wie Bürger und Adel für einen Thoren, dem Geiſt und Vernunft völlig und auf immer entwichen ſei. Die Prieſter der Kirche ſchämten ſich ſeiner und machten ihm Vorwürfe, daß er ſie dem Volke ſo bloß geſtellt und ihren ehrwürdigen Stand beſchädigt, ja den Tempel des Herrn gewiſſermaßen beſchimpft habe. Er verantwortete ſich nicht weiter, ſondern vergoß nur ſtumme Thränen und fühlte, daß er dem Herrn folgen müſſe und dieſen gewähren laſſen, wenn er ihn zum Thoren vor der Welt machen wolle.

So verging wieder eine geraume Zeit, in welcher Tau⸗ ler ſtill in ſeiner Zelle bei Tage und in ſtillen Nächten mit dem Geiſte rang, eifrig im Gebet und in brünſtiger An⸗ dacht. Jetzt hatte er ſich völlig bezwungen, und eine ſtille Lauterkeit, eine Süßigkeit, wie aus dem Paradieſe, ein ſeli⸗ Tieck's Novellen. IX. 3

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ger Friede, wie er in den Chören der Engel herrſcht, quoll durch ſein Inneres und verklärte ſein Weſen. So ging er einfach und ohne Zagen zu den Brüdern und eröffnete ihnen, daß er geſonnen ſei, an einem der nächſten Feſttage wieder zu predigen. Dieſe erſtaunten nicht wenig über die Anmaßung und wollten ihm ſein Begehren als eine Unmöglichkeit rund abſchlagen. Er drang mit Bitten in ſie und unterwarf ſich gern einer Prüfung, um zu zeigen, daß er wohl zum Lehrer des Wortes unbedingt berufen ſei. So verſammelte ſich der Convent und er trug ihnen eine Lection vor, die ſo tiefſinnig, beredt und gelehrt war, daß ſie alle in Erſtaunen über die Kraft und Macht ſeines Geiſtes verſanken. Am nächſten Sonntage verkündigte der Prediger der verſammelten Ge⸗ meine, daß Tauler am Feſte wiederum die Kanzel betreten würde und daß man hoffen könne, er würde diesmal ſeinem Berufe genügen, weil er der Brüderſchaft einen tieffinnigen Vortrag gehalten und das Schwerſte auf einleuchtende Weiſe deutlich gemacht habe. Das Gerücht verbreitete ſich, und, wo möglich war der Tempel noch gedrängter mit Wißbegie⸗ rigen angefüllt, alle feſt in der Meinung, ſie würden wiederum als Zeugen der Unfähigkeit und Thorheit ihres ehemals ver⸗ ehrten Lehrers da ſitzen. Wie Tauler jetzt die Kanzel be⸗ trat, war es allen, als glänze ſein ehrwürdiges Antlitz von einem überirdiſchen Lichte. Er redete ohne Zagen, und ſo— eindringlich, ſo wunderbar, daß alle fühlten, dergleichen Worte hätten ſie noch niemals vernommen. Ein ſolches Entzücken ging durch die Verſammlung, eine ſo brünſtige Andacht be⸗ mächtigte ſich der Gemüther, daß viele nach der Predigt in. Ohnmacht ſanken, oder, wie von Krämpfen ergriffen, in Freude zitterten und nur einzelne Worte zu ſtammeln ver⸗ mochten. So war der Ruhm Taulers nun im ganzen Lande größer als jemals, und er lebte und wirkte noch lange zum Segen der chriſtlichen Gemeine. Der Laie verließ ihn jetzt

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und kehrte in ſeine Heimath, als er nun den frommen Mann in ſeinem chriſtlichen Weſen, in feiner wahren Gottergeben— heit befeſtigt ſah, und in der Ferne vernahm er noch, wie das Volk ihren Seelenhirten immer mehr verehrte, und durch deſſen Wandel und herrliche Beredſamkeit erbaut und gekräf— tigt werde.

Die Kranke hatte mit großer Aufmerkſamkeit zugehört. Und dieſer Laie, wer iſt er, was iſt aus ihm geworden? fragte ſie nach einer Pauſe.

Von dieſem, antwortete der Geiſtliche, kann ich keine Nachricht geben. Er muß ein wohlhabender Mann geweſen ſeyn, vielleicht ein vornehmer, der wohl in der Geſchichte je⸗ ner Tage unter einem andern Namen auftreten mag. Er erzählt nur noch am Schluß ſeines Berichtes, daß ihm nach Jahren auf einer Reiſe der Geiſt Taulers erſchienen ſei. Dieſer habe ihm gemeldet, daß ſein Krankenlager ein langes und ſehr ſchmerzliches geweſen ſei, unendliche Verſuchungen, Kämpfe und Zweifel habe er überſtehen müſſen, ſo daß ſelbſt ſeine Freunde an ihm und ſeiner Frömmigkeit irre geworden wären. Doch ſei dieſer lange Todeskampf, dieſes Ringen mit den böſen Geiſtern ebenfalls eine Gnade Gottes geweſen, denn dadurch habe er alle irdiſchen Schlacken völlig abge⸗ ſchüttelt, in dieſen ſchlimmen Tagen habe er alle früheren Sünden abgebüßt und ſei gewürdigt worden, gleich nach dem Tode ohne Fegefeuer vor das Angeſicht des Allerheiligſten zu treten.

Alle dieſe Berichte, ſagte die Kranke, bewegen mich zu vielfachem Nachdenken. Dieſes Durchdringen zu Gott, in⸗ dem der Menſch eine Zeitlang alle ſeine irdiſchen und gei⸗ ſtigen Kräfte fallen läßt und ſich unbedingt in den Willen des Unſichtbaren ergiebt, um die Liebe zu finden, kommt faſt bei allen Religionshelden, aber auch bei den meiſten Ketzern

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vor. Dieſer Quiestismus ift zur wahren Frömmigkeit un⸗ entbehrlich, und doch iſt die Linie ſehr fein, und verſchwindet vielen Augen wohl völlig, wo das Gebiet der Sünde, des Frevels, Wahnwitzes und der groben Verbrechen beginnt. Denn dicht an dieſer ſich vernichtenden Demuth liegt ein ſo furchtbarer Hochmuth, wie ihn die fromme Sage immer nur dem Fürſten der Finſterniß zuſchreiben kann. Die Lehre, daß der in Gott Vernichtete nicht mehr ſündigen könne, iſt die Lehre aller Erleuchteten, und doch führt die kalte Con⸗ ſequenz in ſchändliche Sinnlichkeit, Stolz, Lüge und Ver⸗ ſuchung, wie wir fo oft in den Geſchichten wahnſinniger Verbrecher oder wiederkehrender Irrender, die auch dieſe Verſuchung überwanden, lernen können. Den Chriſten ver⸗ ſuchen böſe Geiſter, wenn er ſich auf dem richtigen Wege zu Gott befindet, die Weisheit der Indier ſagt, daß die hohen Götter ſelbſt in Furcht ſtehen, daß der büßende Anachoret, der ſtrenge ascetiſche Einſiedler, durch ſeine Frömmigkeit eine der Mächte von ihrem Throne im Tode ſtoßen konnte, fie ſelber ſenden darum dem Büßenden die Verſuchung, um ihn zum Abfall zu reizen, wäre es auch nur die Verführung einer Sekunde. Die Heiligen dort glauben aber niemals, wie ſo mancher Ueberfromme der chriſtlichen Kirche, daß die Sinnlichkeit und der Fall mit einer ſchönen Nymphe ihrer Würde und Frömmigkeit nicht ſchade, ſondern eine irrende Minute vertilgt die Buße und den heiligen Wandel eines Jahrhunderts. Und ſo ſind es immer wieder Bilder, die uns entgegen treten, wenn wir in den einſamſten Hallen der abſtrakteſten Gedanken zu wandeln wähnen. Wie alles Ge⸗ ſchaffene, was uns umgiebt, uns Geſtalt und Form entgegen hält, wechſelnd, zerfließend, immer anders und doch eins, ſo iſt auch unſer Hoffen und Fürchten, unſre Andacht und der Glaube, das Unſichtbare und Undenkbare unerläßlich in Ge⸗

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ftalt und Form hineingebannt, und es ift mir lehrreich, wie dieſer Laie ſeinen Tauler noch einmal ſieht, als Geiſt oder Geſpenſt, um von ihm zu erfahren, daß ihm die Qual des Fegefeuers erlaſſen iſt. Dieſe Erſcheinung, dieſe Erklärung des Freundes war ihm und ſeiner Religion eine nothwendige Geſtaltung, er mußte ſie erleben und mag ich doch nicht ſagen, daß es Täuſchung war, er konnte in ſolcher Erſcheinung das nur faſſen und ſich ſelbſt wieder ſagen, was ihm das Göttliche war. Der Zuſtand nach dem Tode mag ſeyn, welcher er will, ſo erfordert er gewiß, daß der Menſch ſich zu ihm vorbereite, oder ſich dort in ihn finden lerne, um zum beſſeren emporzuſteigen oder den ſchlimmern zu er⸗ tragen. So hat die Lehre vom Fegefeuer, in ihrem bild⸗ lichen Ausdruck, Sinn.

Wie alles, fiel der Gale ein, was ſeit dem Beginn der Zeiten begeiſterte Gemüther geſchaut und in wandelbaren irdiſchen Worten ausgeſprochen haben. Wie alle Erſcheinung, alle Geſtaltung vergänglich iſt und gleichſam im Verſchwin⸗ den nur lebt, ſo iſt ſie doch eben dadurch auch ewig, denn bis zum Wurm hinab, bis zum dünnſten Mooſe auf der hohen Felſenklippe iſt alles nach einer Vorgeſtalt, nach einer unſterblichen Idee ſichtlich nach nothwendigem Geſetze empor gewachſen und jedes Fädchen der Schöpfung, jedes kleinſte Inſekt weiſet auf einen Grundgedanken zurück, das Abbild auf das Bild, das Vergängliche auf das Unvergängliche. So ſehn und wahrnehmen wir immerdar Orakel, und es iſt ein großes Wort, wenn wir den Unſichtbaren den Allgegen— wärtigen nennen, der uns in den Millionen Geſtaltungen immerdar ſichtbar iſt, und ſich als den Ewigen, Unvergäng⸗ lichen im ſcheinbar Vergänglichen uns offenbart. Und ſo iſt es mit der Offenbarung in Geſchichte, Poeſie, Gemüth, hei— ligen Schrift und Sage. Jedem tritt die ewige Liebe, wenn

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er ſie nicht von ſich weiſet, in der Geſtaltung entgegen, die ihm am vernehmlichſten iſt, auch in der Pflicht, Moral, der Arbeit, ſelbſt dem ſogenannten todten mechaniſchen Geſchäft. Der Wege zu ihr. find unendlich viele. Keiner darf zu ſei⸗ nem Nächſten ſagen, wenn dieſer einen wahrhaften Beruf gefunden hat, dem er ſich mit ganzem Herzen ergiebt: Auf dieſem Wege iſt Gott nicht zu finden! Alles, was der Menſch recht thut, mit aller Kraft ausübt, iſt ein Gottesdienſt. Die Offenbarung iſt ein gewaltig großes Buch, und kein Blatt, wo es auch immer aufgeſchlagen werden mag, iſt leer und ohne Inhalt.

Die Untergebenen der Herrſchaft waren ſehr unzufrieden, daß der bejahrte redſelige Geiſtliche fich fo viel und lange im Krankenzimmer aufhielt, denn ſie glaubten alle, daß er die Schmerzen der Leidenden erhöhe, und wohl gar ihren Tod beſchleunige. Der Arzt ſelbſt war nicht thätig, dieſes Vor⸗ urtheil, welches alle Diener laut äußerten, zu vernichten, da durch ſeine tadelnden Reden ſich dieſe Meinung im Hauſe zuerſt verbreitet hatte, denn ihm war es ſehr zuwider, daß die religiöſen oder tiefſinnigen Geſpräche, welche die Gräfin am meiſten liebte, und die ihm läſtig waren, ſeine Erzählun⸗ gen ſo oft verdrängen ſollten, vorzüglich ſeit die Kranke ihn einmal hatte merken laſſen, daß er wohl nicht ganz die Ver⸗ dienſte des Prieſters zu würdigen wiſſe.

Da er nun überzeugt war, daß keine menſchliche Hülfe den Gang der Krankheit ändern, oder den ganz nahen Tod aufhalten könne, ſo waren ſeine Beſuche im Krankenzimmer ſelten, auch kürzte er ſie ab, welches der Gräfin um ſo lieber war. Sie hatte ſich aus dem Bette erhoben und mit Hülfe ihrer Kammerfrauen in den Lehnſtuhl ſetzen laſſen, welcher

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im tiefen Bogenfenſter ſtand. Von hier konnte ſie weit in die Landſchaft hinausſehen und ſie freute ſich, daß bei dem wärmeren Frühlingswetter ſchon viele Bäume Knospen und kleine Blätter zeigten. Den Frühling, ſagte fie zum Geift- lichen, der zu ihr getreten war, erlebt man immer wieder zum erſtenmal: meine Seele erſtaunt immer von neuem über das Wunder, das ſich vor meinen Augen entwickelt. In meinen jüngern Jahren war es mein Entzücken, dieſes Er⸗ wachen der Natur von Minute zu Minute zu beobachten, oder bewußtvoll dieſen ſüßen Traum der Natur mit zu träu⸗ men. Es iſt ganz ein Anderes, die Natur wie ein Kunſt⸗ werk zu genießen, vor welches man von Geſchäften oder aus Zerſtreuungen plötzlich hintritt, um unſre gewohnten oft läſtigen Empfindungen zu unterbrechen, oder in dieſer Natur ſelbſt einheimiſch zu ſeyn, und ſo wie Blatt und Blüthe am Baum, das Herz mit ſeinen Fühlungen zu entfalten. So mit der Natur eins iſt der Beobachter, die Freude an und in ihr ein gewiſſermaßen bewußtloſes geheimnißvolles Schaf— fen, ein unendlich liebliches Weben in ihren Tiefen, die un- ſer ganzes Weſen, ihm alsdann entgegen kommend, in ſich aufnehmen. Die meiſten Menſchen wollen aber das, was ſie Schönheit nennen, nur wie im Blitz, im Vorübergehen, in neuer Zerſtreuung, die die alte ſtört, genießen, ſich aber nicht mit allem Geiſt und vollen Sinnen in das Geheim- niß, in dieſe Offenbarung auflöſen. Freilich können auf dem Wege, den ich gewählt habe, Träume entſtehen, Viſionen, die für andere Menſchen gar nicht exiſtiren und die ſie leugnen, wie alle Wunder und Erſcheinungen denn immer nur für den Wahrheit haben können, welcher ſie erlebt hat.

Gewiß, antwortete der Geiſtliche: und ſo können wir hieran wieder jene Betrachtung knüpfen, daß das, was der Menſch Wunderbares erlebt, eine Viſion, oder was daran

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gränzt, wiederum den Charakter der Eigenheit an ſich tragen wird, wie es grade für dieſes und kein Weſen möglich und wirklich wird. Die innerſte Seele des Menſchen tritt in ſichtbarer Erſcheinung vor ihn, und darum ſind jene Fragen und Unterſuchungen, ob dergleichen Täuſchung oder Einbil⸗ dung war, höchſt überflüſſig.

Die Gräfin dachte tief nach, indem ſie die großen blauen Augen niederſenkte. Ja wohl, ſagte ſie, dann iſt vielleicht in dem Leben eines jeglichen Menſchen ein ſolcher Lebens⸗ punkt, wo ſich ihm das, was wir das Unſichtbare nennen, ſichtbarlich offenbart. Zu erklären iſt es nicht, und bedarf auch keiner Erklärung: es iſt ein Erlebtes, was aber freilich nicht ſo, wie der erlebte Gedanke, wie die Erſcheinungen im Gemüth des Poeten ſeine Folge und Wirkung hat, ſondern unerklärt für ſich beſteht, oder auch auf die Sinnesweiſe und Lebensrichtung einen Einfluß übt, der oft mit dem Charakter oder dem Gedanken deſſelben Menſchen in Widerſpruch ſteht.

Vielleicht, erwiederte der Geiſtliche, iſt dies der Weg, billig gegen das Alterthum und deſſen wunderſame Legenden zu verfahren. Nur miſcht ſich freilich Lüge und Aberwitz, der Hang zum Ungewöhnlichen, Tollen und ganz Unzuſam⸗ menhängenden in dieſe Neigung, die jedes Gemüth in ſich hegt, und ſo entſteht in widerwärtiger Conſequenz jene ekel⸗ hafte Poeſie der tauſend Geſpenſtergeſchichten, der Frevel der Hexenproceſſe, das ganze Syſtem jener Dämonologie, die zur Schande einiger Jahrhunderte eine eigne, möchte man doch ſagen, Wiſſenſchaft bildeten. Und ſind wir nicht auch ſchon in dieſer abſcheulichen Lügenwelt verſtrickt? Sind nicht Hun⸗ derte, ja Tauſende, die ihren Sinn der Wahrheit verſchloſſen haben? Und ſelbſt Wiſſenſchaft, Philoſophie und Beobachtung der Natur, ſo wie die Offenbarung, müſſen ihnen dazu die⸗

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nen, fie in ihrer faſt thieriſchen Verblendung und Lüge zu beſtärken.

Sie ſind zu heftig, ſagte die Kranke: auch die Zeitalter ſind oft krank, und wenn dieſe Epidemie einmal da iſt, ſo hilft keine Vernunft, ſondern ſie muß ſich eben austoben. Bemitleiden müſſen wir das Menſchengeſchlecht, das, ſo wie es auch mit göttlichen Kräften ausgeſtattet iſt, doch ſo oft bejammernswürdiger Schwäche unterliegt. Oft entwickeln ſich aus dieſen Krankheiten die kräftigſten Geſundheits-Erſchei⸗ nungen, und ſo iſt die Zeit, oder das Jahrhundert, vielleicht ein noch größerer Zeitraum, wieder die Geſchichte eines In- dividuums.

Theure Gräfin, ſagte Theodor jetzt mit einiger Heftig⸗ keit, ſchon vor geraumer Zeit verſprachen Sie einmal, aus Ihrer frühern Jugend mir ein wunderbares, unerklärliches Ereigniß mitzutheilen; erſchüttert Sie es nicht zu ſehr, ſo iſt dies vielleicht der Augenblick, meine Neugier zu befriedigen. Denn ich theile mit allen Sterblichen den Hang zum Wun⸗ derbaren, und ein wahrhaft erlebtes Wunder, mir von den reinen Lippen der Wahrheit mitgetheilt, muß mir um ſo wichtiger und lehrreicher ſeyn.

Was ich Ihnen ſchon ſonſt einmal erzählen wollte, iſt nichts Erſchütterndes, ſagte die Kranke, und ich theile Ihnen das Ereigniß am liebſten mit, weil Sie mir glauben werden.

Sie müſſen wiſſen, daß ich ſeit meinem dritten Jahre eins der wildeſten und unbändigſten Kinder war. Mein Va⸗ ter verzog mich, ihn freute mein Eigenſinn, den er Charakter nannte, und ſo konnte es meiner ſanften und ſtillen Mutter, die ſich vor meinem Vater fürchtete, nicht gelingen, meinen Starrſinn zu beugen. Wie ich größer wurde, ſchien es mir natürlich, die Dienerſchaft und ſelbſt meine Eltern zu be⸗

herrſchen. Der Vater lachte nur, wenn ich mich recht un-

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gezogen zeigte. Was auch dazu beitrug, mich zu einem. hef- tigen Kinde zu machen, war mein Putz, der immer neu, immer geſucht war, und in Seide, in den glänzenden Far⸗ ben, dem Perlenſchmuck fand ich mich beſſer und klüger, als alle Welt. Wie die Kinder nur liebenswürdig ſeyn können, wenn ſie reinlich und ſauber gehalten werden, ſo bedenken viele Eltern nicht, wie zu prächtige und auffallende Kleider die Kinder lieblos, ſtolz und eitel machen können. Nur in einem Punkte war ich mit meiner lieben Mutter einverſtan⸗ den, in der Freude an Kirche und Gottesdienſt. Keine Spazierfahrt, kein Feſt konnte mir etwas Aehnliches von der Freude geben, mit welcher ich unſern weltbekannten Münſter betrat. Dieſe breiten Fenſter, das ſüßdämmernde Licht, die ſchlanken aufſtrebenden Säulen, die hohen Gewölbe waren mein Entzücken. Schon der Eintritt in die Kirche durch das herrliche Portal begeiſterte mich. Ich weiß nicht, inwiefern meine Eltern Unrecht hatten, wenn ſie mir in dieſer frühen Jugend ſchon viel Religion und Liebe zu Gott zutrauten, wenn ſie meinten, daß ich der Meſſe oder Predigt verſtändig folgen könnte: mir war es genug, ja mehr als alles, dieſe Säulen, Wölbungen und Mauern zu betrachten, und der liebliche Traum, die erhabnen Ahndungen, welche mich um⸗ fingen, genügten mir. Und fo, mein theurer Freund, iſt es eigentlich durch alle Jahre meines Lebens geblieben. Wie andere die göttliche Gegenwart am meiſten oder am nächſten in der Natur empfinden, wie andächtige Seelen ſich in die Tiefe der Myſtik verſenken, jener ſich dem Unbegreiflichen in der Entwickelung der Vernunft befreundet, ein andrer ihn in heiligen Legenden und Wundergeſchichten zu verſtehen wähnt, ſo genügte mir vor allen Erſcheinungen immer jene geheimnißreiche Architektur am meiſten, die unſre Vorfahren in einer großen Zeit zu unſrer Beſchämung ſo herrlich auf⸗

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zurichten vermochten. Dieſe Weihe iſt mein Bild und meine Offenbarung, denen ſich mein Gemüth am liebſten und leich⸗ teſten entgegen neigt. Man möchte das, was mich in dieſen Tempeln begeiſtert, eine Bezauberung nennen, denn ich kann keine Worte finden, um die Harmonie, Befriedigung und Seligkeit zu beſchreiben, die dieſe Linien und Mauern auf mich niederſenden.

Meine Eltern, um meinen religiöſen Trieb zu belohnen und aufzumuntern, ſchenkten mir ein ſehr koſtbares Gebet⸗ buch, welches auf der andern Seite meiner Eitelkeit wieder viele Nahrung gab. Nicht genug, daß es klar und anmuthig auf dem reinſten Pergament gedruckt und mit den feinſten und lieblichſten Miniaturen ausgeſchmückt war, die jedes Auge ergötzten, ſo war auch der Einband der theuerſte und köſtlichſte, den man ſehn konnte. Die Deckel waren von innen und außen von geſchlagenem Golde, in Azurblau und Gold prangte das Wappen unſers Hauſes, Blumen, von Edelſteinen gebildet, wetteiferten leuchtend mit ſchimmernden Perlen, ſo daß dies kleine Büchelchen, zum Gebrauch eines Kindes be— ſtimmt, gewiß mit großen Summen war bezahlt worden. Es war natürlich, daß auf dieſes ſchöne Buch von der Fa⸗ milie ſehr gehalten wurde und daß man mir empfahl, es vorſichtig zu behüten und in Acht zu nehmen. Ich ſelber aber war ſo erfreut über das koſtbare Geſchenk, daß ich es nie aus den Händen geben wollte, es auch dem Bedienten nicht vergönnte, das Buch mir nach der Kirche hin oder zurück zu tragen. Ich war auf dieſen Beſitz nicht wenig ſtolz und man hätte mich nicht härter beſtrafen können, als wenn man mir die Koſtbarkeit auf eine Zeitlang genommen und weg⸗ geſchloſſen hätte; auch machte es mir einen großen Eindruck, als meine Mutter, gegen welche ich mich vergangen Won: mir einmal damit drohte.

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Im Sommer war ein großes Kirchenfeſt. Die ganze Stadt war in Aufregung. Fremde, Vornehme wie Geringe, Fürſten und Militairs hatten ſich in der Stadt verſammelt, denn auch andre Feierlichkeiten und koſtſpielige Zurüſtungen hatten Tauſende von Reiſenden herbeigelockt. Noch nie war der Münſter ſo angefüllt geweſen, und noch niemals war mir das Gebäude ſo ehrwürdig erſchienen. Wir mußten uns durch die Schaaren drängen, die hin und her wogten. Es war ein ſonnenheller Nachmittag und meine Eltern waren nicht in die Kirche gegangen, weil ſie in ihrem Hauſe An⸗ ſtalten trafen, vornehme Gäſte zu bewirthen. Meine Kam⸗ merfrau und der Diener wurden von meiner Seite weg⸗ gedrängt, und ich benutzte im kindiſchen Uebermuthe die Ver⸗ wirrung, um mich immer weiter von ihnen zu entfernen, und mich endlich in einem dämmernden Winkel zu verbergen. Wie wohl fühlte ich mich, wie frei und unabhängig! So verging die Vesper, der Geſang erloſch, die Prieſter zogen ſich zurück und das Volk verließ die Kirche. Mir dünkte, ich ſah den Bedienten einmal in der Ferne, doch verſchwand ſein Kopf bald. Die Thüren wurden geſchloſſen und ich war in dem mächtigen Gebäude ganz allein.

Die Abendſonne, die durch die bunten Fenſter ſchien, meine Schritte, die in der Einſamkeit von den Gewölben wiederhallten, die unbedingte Freiheit, die ich genoß, als wenn der große Münſter mir ganz allein gehörte: dieſe neue Lage, mir war nie etwas Aehnliches geſchehn, machte mich ganz übermüthig und trunken. Ich wandelte durch alle Theile, betrachtete alle Bildniſſe und Denkſteine, las alle Inſchriften und hörte nur, wie aus trauriger Ferne, das Geräuſch der Welt auf den Straßen. Was manche Schwärmer vom Pa⸗ radieſe und deſſen Genüſſen geträumt haben, was andere Phantafirende von Viſionen der Heiligen erzählen, alles das

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erlebte ich in meiner kindiſchen Bruſt. Es giebt eine Freude, die ſo innig iſt, das Bewußtſein eines Beſitzes, das unſer ganzes Gemüth ſo vollſtändig ausfüllt, daß wir in dieſem Zuſtande kaum Wünſche kennen, daß die ſeligſte Beruhigung und die ſtürmende Freude eins und daſſelbe werden. Ja wohl war das Gebäu mir eine Wohnung des Allerhöchſten, des Unnennbaren, denn ich empfand ſeine unmittelbare Nähe, und die hohe Weihe dieſer Stunden iſt mir in meinem gan⸗ zen Leben nicht wieder entſchwunden, noch die Erinnerung daran erblaßt. Dieſe Wände und hohen Gewölbe, dieſe aufſtrebenden ſchlanken Säulen und alle ihre Linien und Kreiſe ſtrömten auf mich wie mit einem heiligen Feuer ein, und ich dachte mir kein größeres Glück, als in dieſem Tem⸗ pel Prieſter zu ſeyn, und alltäglich hier Stunden zu wohnen und zu wandeln, jene heiligen ſymboliſchen Gebräuche übend, die mir, je weniger ich ſie verſtand, um ſo ehrwürdiger er— ſchienen. Nun aber begann es zu dämmern, und ich erwachte gleichſam aus meinem Taumel. Ich fühlte mich plötzlich einſam und verlaſſen. Eine geſpenſtiſche Angſt überfiel mich. Ich begriff nicht, wovor ich mich fürchtete, da ich eben noch jo glücklich geweſen war. Dieſelbe Einſamkeit, die mich ent- zückt hatte, gab mir jetzt Entſetzen und ich ſehnte mich nach Menſchen und nach meinem Hauſe, das ich ſonſt ſo gern verließ. Es giebt in uns eine Furcht, die ganz ohne Gegen— ſtand iſt, und die ſich oft vorzüglich in der Jugend ohne alle Veranlaſſung meldet, ſo wie die Andacht, die plötzliche Freude an der Natur, oder ein großer Gedanke. Wie dieſe Gefühle und das Denken uns durch ihre Sonnenklarheit beglücken, ſo iſt jene dunkle Angſt eine ſtumme Verzweiflung.

Indem ich ſo umherirrte, kam mir aus einem der Gänge ein wunderſchönes Kind, ein Mädchen, entgegen. Sie ſchien

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von meinem Alter und lachte mich gleich ſo freundlich an, daß meine Angſt verſchwunden war. Ich weiß ſelbſt nicht, wie wir ſogleich in die vertraulichſten Geſpräche geriethen. Ich ſagte ihr Alles von mir und von meinen Eltern, was ich nur wußte, und ſie ermahnte mich ſo liebreich, gehorſam, fleißig und fromm zu ſeyn, daß ich mir vornahm, dem We⸗ ſen zu gefallen, mein eignes ganz umzuändern. Das ganz fremde Kind war mir gleich ſo vertraut wie eine Schweſter geworden, mit der man aufgewachſen iſt. So vergingen die Stunden und es war faſt ganz finſter geworden. Es iſt nicht auszuſprechen, wie lieb ich das ſüße Weſen hatte, deſſen himmliſche Schönheit in der Dunkelheit des ſpäten Abends leuchtete, und die mir mit jedem Worte, Blick und Hände⸗ druck einen beglückenden Troſt und die behaglichſte Zufrieden⸗ heit in die Seele flößte. Ich umarmte ſie endlich, drückte ſie an meine Bruſt und ſagte: Schweſterchen, Du mußt zum Andenken mein ſchönes Buch von mir nehmen. Wird es Dich nie gereuen? fragte ſie mit bewegter Stimme. Nein! nein! rief ich aus, und drückte ihr die koſtbare Gabe in die weiche zarte Hand, aber einen Kuß mußt Du mir dafür geben. Sie drückte einen Kuß auf meine Lippen und indem hörten wir Geräuſch, die Kirchenthür ward geöffnet und herein drang der Sakriſtan mit verſchiedenen Dienſtleuten meines Hauſes. Ich ging ihnen entgegen, ſah mich noch einmal um, und meine kleine Freundin war verſchwunden. Zu Hauſe hatte man mich erſt beim Feſte nicht vermißt, weil man glaubte, ich ſei mit der Kammerfrau zu einer Tante gegan⸗ gen, die ich oft beſuchte. Die Dienerin glaubte erſt, ich ſei mit einem der Leute zurückgekehrt; als ſie den Irrthum ge⸗ wahr ward, ſuchte ſie mich allenthalben. Die Eltern wur⸗ den unruhig, als ſie erfuhren, daß ich mich verloren habe, endlich fiel man darauf, auch den Münſter öffnen zu laſſen,

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und ſo kam ich, zur Beruhigung meiner trauernden Mutter, ſpät am Abend wieder nach Hauſe.

In der Familie wurden jetzt Unterſuchungen wegen des Gebetbuches angeſtellt. Ich ſagte in meiner Verlegenheit, daß ich es in dem großen Gedränge verloren haben müſſe. Man forſchte nach, man machte den Verluſt in den Zeitun- gen bekannt, doch, wie ſich begreift, ohne Erfolg. So mußte man den Verluſt verſchmerzen, und mein neues Meßbuch war von weit geringerem Gehalte, was ich aber gar nicht bedauerte. Ich wurde überhaupt ſtiller und ſchweigſamer, folgte meinen Eltern williger, lernte mit mehr Begier und fügte mich in alle Dinge, die man von mir verlangte, weil ich immer an meine wunderbare Geſpielin dachte, und wie ſie meine Aufführung loben ſolle.

So ging ein volles Jahr hin. Meine Eltern waren mit mir zufrieden und meine Mutter vorzüglich erfreute ſich über mein Weſen und Betragen. Man vertraute mir, in vielen Stunden erſchien ich mir ſelbſt ſolide und über mein Alter verſtändig. An einem Sommertage waren wir alle in unſerm Garten vor dem Thor verſammelt. Die Geſellſchaft fuhr zurück und man ließ mich dort. Die Kammerfrau ging mit ihrem Bräutigam lebhaft ſprechend und ihre nahe Ehe verhandelnd im fernen Lindengange auf und ab: ich ſaß auf einer Bank zwiſchen blühenden Roſengebüſchen. Es zeigt ſich nicht ſelten bei artigen Kindern, die im Zimmer ruhig und ſtill ſich verhalten, daß plötzlich, wenn ſie unvermuthet und bei ſchönem Wetter ins Freie kommen, ſie von der Natur, der Luft, den Gewächſen und dem Sonnenſchein wie in einen Rauſch und Taumel gerathen, die ſich ihrer fo ſehr bemäch⸗ tigen, daß ſie ſich nicht zu beherrſchen vermögen. So er⸗ ging es mir auch an dieſem Tage. Es war, als wenn mich ein Geiſt anrührte, alle meine Kräfte jauchzten empor, und

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ich vergaß mein voriges Leben völlig. Jubelnd ſprang ich umher, ich rührte lachend dieſe Blume, dann jene an, ſchlug mit der kleinen Hand in die Gebüſche und hätte mit der hohen blaſſen Lilie ſprechen mögen, oder vielleicht zanken, weil ſie ſo gerade aufrecht, wie meine alte Hofmeiſterin, vor mir ſtand. Das Gras, deſſen Spitzen ein zarter Wind kräu⸗ ſelte, ſo daß es kleine grüne Wellen ſchlug, ſchien mir, wie Spaß machend, entgegen zu lächeln, und ich drohte ihm mit dem Finger, und rieth ihm, ernſthaft zu ſeyn. Am wunder⸗ lichſten erſchienen mir aber mitten in dieſer grünen und far⸗ bigen Pracht einige ſteinerne Bildſäulen, die mir wie Fratzen, wie Weſen aus einem Tollhauſe vorkamen. Einen Cupido warf ich mit abgefallenen unreifen Früchten und kleinen Stei- nen, ein Apollo machte mir die Miene, wie im Hauſe ein alter Kater, der bei meiner Mutter oft auf dem Ofen ſaß. Indem ich ganz ausgelaſſen wurde und mit lauter Stimme ſang, befiel mich plötzlich in meiner Wildheit eine unaus⸗ ſprechliche Wehmuth, fo daß die Thränen meinen Geſang erſtickten. Ich wollte mich beſinnen, denn dergleichen war mir noch niemals begegnet, da fiel es mir aufs Herz, daß ich meine kleine unbekannte Geſpielin noch gar nicht wieder geſehn hatte, daß ſie es eigentlich ſei, die ich herbei wünſchte, um mich an ihrem freundlichen Angeſicht, an ihren ſchönen Augen wieder einmal zu erfreuen. Nachdenklich ging ich in die Laube zurück, und wie ich den Blick wieder aufſchlage, ſitzt das himmliſche Kind wirklich drin und auf meiner Bank. Ich kann es nicht ſchildern, wie entzückt, überraſcht ich war, mit welcher Freude ich das ſchöne Weſen in meine Arme ſchloß. Ich mußte ihr viel erzählen und ſie ſprach mit ſo lieblichen Tönen, ſo ſanft und zart, ſo ſinnige Worte, die ich doch alle verſtand, daß mein ganzes Herz überfloß und ſich ihrem Willen ganz ergab. So war eine geraume Zeit

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verfloſſen, ich liebte das Kind ſo innig, daß ich dies Gefühl mit keinem andern, auch mit der Zärtlichkeit zu meiner Mut⸗ ter nicht vergleichen konnte. Sie lobte mich auch, daß ich fleißiger und gehorſamer geworden ſei, daß ich meinen Eigen⸗ ſinn gebrochen und auch die Dienſtboten mit mehr Freund⸗ lichkeit, wie es ſich gezieme, behandle. Woher weißt Du denn das alles? fragte ich; kennſt Du denn meine Eltern? Haſt Du denn vorher vielleicht die Sabine geſprochen? Ich kenne Dich, ſagte ſie, bin oft bei Dir, weiß alles, was Du thuſt, und freue mich innig, wenn Du artig und folg⸗ ſam biſt. Ich ſah die Kleine ſcharf an, und wußte nicht, wie ich ihre Rede verſtehen ſollte. Aber ich war verſtimmt, denn ich wollte nicht, daß wer anders, als die Eltern, meine Lehrer und die Hofmeiſterin mich beobachten follten. So iſt es alſo ſehr unfreundlich, ſagte ich, daß Du nicht öfter zu mir gekommen und mit mir geſprochen haſt. Wo warſt Du? Das kann ich Dir nicht bezeichnen, antwortete ſie, genug, daß ich gern um Dich bin. Ja, rief ich aus, Du ſollſt aber meine Freundin, mein Liebchen ſeyn, und nicht meine Hofmeiſterin: mir wird ſchon von andern genug vor⸗ gepredigt, ſo daß ich oft die Geduld verliere. Und Du ſollſt nicht mit den Dienſtleuten klatſchen, wenn Du mein Herz⸗ blatt ſeyn willſt; denn nur von ihnen haſt Du das Alles von meiner Art und Unart erfahren. Die Kleine wollte ſich verantworten, aber ich gerieth immer mehr in Eifer und überſchrie im Zorn ihre zarte Stimme. Du biſt nun doch wieder recht unartig! ſagte fie, als ich endlich einen Augen⸗ blick ſchwieg. Und Du biſt Schuld daran! rief ich wie⸗ der mit Heftigkeit; Du kommſt nur her, mich zu ärgern, Du biſt ein boshaftes, ſchlechtes Kind! Und nun will ich auch mein ſchönes Gebetbuch wieder haben, das ich Dir da⸗ mals geſchenkt habe, denn Du verdienſt es nicht; es gehört Tieck's Novellen. IX. 4

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mir und ich will es auch behalten! Siehſt Du, ſagte jene, es gereut Dich jetzt, wie ich Dir damals ſagte: aber ſo wird Dich auch Dein jetziges Betragen wieder reuen. Nein! nein! ſchrie ich wie beſeſſen, und weinte ſchon vor Bosheit: Du biſt mein Feind, Du biſt ſchlecht! mein Buch gieb mir wieder, Du böſe Range! Ich ſchlug nach ihrem Geſicht⸗ chen mit meiner geballten Fauſt, aber mein Hieb traf nur einige groß aufgeblühte Roſen und die Dornen ritzten meine Finger. Ich ſah mich um, und das Kind war nirgend zu ſehn. Wie von einem böſen Geiſte beſeſſen, ſchlug und ſtampfte ich nun mit Händen und Füßen in die ſchönen Blumen hinein, riß aus und zerſtörte, was ich nur habhaft werden konnte, ſchrie und tobte, ſo daß ich bald vor Ermat⸗ tung nieder ſank. Nun war mein Schmerz und meine Reue nicht weniger heftig. Ich zerriß in Verzweiflung mein Haar, das aufgegangen und mir ins Geſicht gefallen war, ich wälzte mich auf dem Boden, dann rang ich die Hände und ſchrie laut, rief alle Namen, die mir beifielen, weil ich nicht wußte, wie ſich meine beleidigte Freundin nannte. Mein Schmerz war ohne Maß, ich möchte den Zuſtand dieſer Stunde Verzweiflung nennen. Ich wußte nicht mehr, was ich that, und warf mich wieder in die Geſträuche hinein, ich fühlte es nicht, wie die Dornen mein Geſicht zerriſſen, ich ſah es nicht, daß mein Blut aus Wunden floß, daß meine Kleider in Unordnung waren, denn manches Stück meines Anzuges war zerriſſen oder hing an den Büſchen. So fand mich meine Kammerfrau und war entſetzt. Wir fuhren nad; der Stadt und es war ihr Glück, daß ihre Hochzeit fo nahe war, ſonſt hätte meine Mutter ſie aus dem Dienſt entlaſſen, da fie mich fo unverzeihlich vernachläſſigt hatte. Denn da. ich nichts von meiner Geſpielin und dem Streit, den ich mit dem wunderbaren Kinde gehabt hatte, erzählte, jo begriffen.

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meine Eltern den Wahnſinn gar nicht, der mich mußte be= fallen haben, um mich ſelber ſo zu zerfleiſchen. Ich ſagte von der Fremden nichts, denn als mich die Leidenſchaft wie⸗ der verlaſſen hatte, ſchämte ich mich, auch ſchien es mir Un⸗ recht, die Unbekannte zu verrathen, denn ihre Freundſchaft erſchien mir wie ein heiliges Geheimniß, das ich nicht ent— weihen dürfe. Seitdem aber wurde ich ſtill, folgſam, und was man geſetzt nennt. Es war, als“ hätte dieſe Wuth in der höchſten Geſtaltung ſich noch einmal meines ganzen We— ſens bemeiſtern müſſen, um mich auf immer zur Ruhe zu bringen. Von jetzt an waren meine Eltern immer mit mir. zufrieden, auch ich war mit ihnen in allen Dingen einver- ſtanden, ſo daß zwiſchen ihrem Willen und dem meinigen niemals ein Widerſpruch ſtattfand.

Der Geiſtliche war im Nachſinnen verloren. Unſere Kirche, ſagte er dann, lehrt und glaubt die ſchützenden Gei- ſter oder Engel, welche den Menſchen begleiten und behüten. Da wir, wie ſchon geſagt, in Täuſchung nur leben können und von bunten Bildern umſtellt ſind, ſelbſt unſer Denken nicht ohne Bild und Figur ſeyn kann, ſo muß ſich auch wohl das eigne Innere, die geheimnißreiche Ahndung, oder ein Geiſt aus anderer Region uns als figürliches, unſerm Sinne verſtändliches Bild darſtellen. Im Gefühl der Liebe faſſen wir auch wohl dieſe geiſtige Offenbarung am richtigſten, ſo Sie in der Kindheit, die das Weſen als Freundin und Ge— ſpielin anerkannte. Dürfte ich mich eines Gleichniſſes be— dienen? Wären keine Inftrumente erfunden, fo würden Tau⸗ ſende niemals erfahren, welch ein Himmel von Melodie in ihrer Seele wohnte, und dennoch ſchliefe das Talent, wenn auch unausgebildet, die Viſion, in ihnen. Unendliches hat der Menſch erfunden, um ſeine Seelenkräfte zu manifeſtiren, aber das ſichtbare Offenbaren jener Geheimniſſe iſt unſrer

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Willkür nicht anheim gegeben, ſondern die Schickung hat es ſich vorbehalten, nur ſelten und nur wenigen die Decke des Vorhanges aufzuheben.

Wie immerdar, antwortete die Gräfin, wenn unſere Seele recht thätig iſt, ſei es in Andacht, Denken, Verſtänd⸗ niß der Kunſt, eine göttliche Kraft aus uns ſich entwickelt, der von jenſeit eine übermenſchliche göttliche Einwirkung ent⸗ gegen kommt, und in dieſer Vereinigung der Menſch ſeine höchſte Beſtimmung erreicht und auf Augenblicke einer wah⸗ ren Seeligkeit theilhaft wird: ſo giebt es vielleicht, ja wahr⸗ ſcheinlich, Zuſtände, in welchen ſich ohne dieſe erhobenen und verklärten Stimmungen, in einem Zuſtande, den wir gleich⸗ gültig nennen, uns ſichtbar und menſchlich befreundet das göttliche Geheimniß, ſo zu ſagen ſpielend, entgegen tritt. Unſer Geiſt, oder unſere Seele iſt gewiß oft thätig, ohne aufgeregt zu ſeyn, ohne ſich dieſer Thätigkeit bewußt zu wer⸗ den. In dieſer Unbewußtheit ſammelt die Seele wohl oft die allertheuerſten Schätze, die ſpäter erſt Gedanken und Ge⸗ fühle, Glaube und Ueberzeugung werden. Iſt es nun mein eigenes Inneres, was mir in der Geſtalt des Kindes ſo freundlich und ſeltſam begegnete? iſt es wirklich mir ſicht⸗ bare Vergegenwärtigung jener ewigen Liebe, die ich nur in dieſer Umgebung und Stimmung ſehn und zum Theil ver⸗ ſtehn konnte? Oder war es ein Prolog zu meinem Leben, und ſollte dieſe Erſcheinung auch noch auf andere Weiſe mir eine Gewähr leiſten, daß mein Gemüth auf den rechten Bahnen wandele?

Hier iſt es wohl unmöglich, zu entſcheiden, antwortete Theodor. Iſt Ihnen aber, geehrte Freundin, niemals dieſes Kind, oder eine andere Erſcheinung wieder vorgekommen?

Ich war im Begriff, in meiner Erzählung fortzufahren, ſagte die Kranke. Ich war nun ganz eine Tochter nach dem

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Herzen meiner Eltern, mein Eigenwille ſchien völlig gebro- chen. An Geſellſchaften, Bällen, Komödien und den Zer- ſtreuungen der Welt fand ich kein Wohlgefallen, die Einſam⸗ keit war mir lieb, das Leſen guter Bücher erfreute mich, aber mein Entzücken war, den Münſter zur Meſſe oder Vesper zu beſuchen, und meine Eltern, vorzüglich da meine Mutter viel kränkelte, ließen mich gewähren. So erſchien mir das Leben in einer ſehr ernſten Geſtalt und ich ging ohne alle Freundinnen oder Geſpielinnen in meiner Jugend ſo hin, da ich allen zu ernſt und langweilig erſchien. Am verwirrteſten erſchienen mir aber jene Zuſtände und Empfindungen, die ich ſo oft als Liebe und als das Höchſte des irdiſchen Lebens ſchildern hörte. Ich bedauerte alle Menſchen, die ſich dieſer Leidenſchaft überließen, um ſo mehr, da ich ſehr oft zu be⸗ merken glaubte, daß die meiſten nur eine willkürliche Eitel⸗ keit in dieſen Taumel hinein jagte. Als es meine Eltern für gut fanden, vermählte ich mich mit dem General, den ſie mir beſtimmten, einem edeln Mann, der natürlich kein Jüng⸗ ling war. Hätte ich ganz meiner Neigung folgen dürfen, ſo hätte ich mich der Kirche gewidmet, denn ich ſah dieſe Ver⸗ bindung als ein Opfer an, um mich dem Willen meiner Eltern zu fügen. Aber ich mußte meinen Gatten verehren, deſſen Erfahrung und Weisheit meine Lebensbahn um ſo ſicherer machte. Meine Liebe zu ihm, eine innige, wahre, geſtaltete ſich aber ganz anders, als ich ſie unter meinen Bekannten hatte beobachten können. Liebe und Ehe erſchienen mir als etwas Heiliges, daß nur durch dieſe geheimnißvolle Weihe, durch die Entfernung alles Leichtſinns und Muth⸗ willens jene ſonſt widrige irdiſche Verbindung, die Schrecken der Niederkunft, das Erniedrigende aller dieſer körperlichen und krankhaften Zuſtände eine edle Bedeutung erhalten konn⸗ ten. So gebar ich denn zur Freude meines Gatten meinen

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Sohn. Eine unausſprechliche Rührung durchdrang mich, wenn ich das hülfloſe zarte Kind betrachtete, eine ſonderbare Liebe, die bis dahin ſtumm in meinem Herzen gelegen hatte, trat jetzt mächtig, durchdringend, in mein Leben und Bewußt⸗ ſein. Ja wohl, Mutterliebe, Liebe zum Säugling, zum Kinde wie ſoll ich nur einen Ausdruck finden, der irgend dies höchſte aller menſchlichen Gefühle andeuten könnte? Was hat unſre Kirche damit ausgeſprochen, daß der Heiland als Kind, mit der Mutter ſcherzend oder an ihrem Buſen ſau⸗ gend, uns immer in Gebilden und Geſängen gegenwärtig iſt! Ein unausſprechlich, nie zu erſchöpfendes Geheimniß, eine nie erſättigende Süßigkeit waltet im Verhältniß der Mutter zu ihrem Kinde. Wie geheiliget iſt nun ihr Leben, wie iſt das geheimnißvolle Daſein noch geheimnißvoller und zugleich ſo klar. Das Allerfernſte, Göttlichſte, Unerreichte iſt nun ganz nah, und ſie hält es ſichtlich und fühlbar in ihren Armen. Mein Sohn war kaum drei Jahr alt, als er tödtlich erkrankte. Meine Sorge, Angſt um ihn, mein Nachtwachen, alle dieſe Anſtrengung, Qual und Liebe warfen mich auch auf das Krankenlager. Ich blieb zwar im Zimmer bei mei⸗ nem Kinde, aber ich konnte ſeinem Aechzen nur mit meinen Seufzern antworten. Ich konnte mich über ſeinen Zuſtand nicht täuſchen, auch gaben die Aerzte ſelbſt nur wenige Hoff⸗ nung. Ich rang mit taufend Schmerzen und vergaß mein Leiden über das meines Sohnes. Da ward mein Gemahl, ſchwer verwundet, in den Palaſt gebracht. Ich erfuhr es erſt, als man mir ſeinen Tod melden mußte. Warum, ſagte ich zu mir ſelbſt in der Verzweiflung, iſt uns Menſchen der Tod denn etwas ſo Entſetzliches? Müſſen wir denn nicht alle früher oder ſpäter ſterben? Das iſt ja von der Geburt an unſere räthſelhafte Beſtimmung. Ich konnte nicht weinen.

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Da vernahm ich, denn die Fieberangſt hatte mein Gehör geſchärft, wie mein Sohn dumpf ſtöhnte und ächzte und wie der alte Doktor zum jungen leiſe ſagte: Jetzt iſt es vorüber. Ein furchtbarer Unglaube wollte mein Herz zuſammen— preſſen. Da ſtand das Kind lächelnd und mit tröſtendem Auge an meinem Bett. Es reichte mir die Hand und ſagte: Jetzt iſt der Sohn gerettet, er lebt und auch Du wirſt wie⸗ der geſund werden; vertraue nur und überwinde Dein Leid. Wie ein Himmel von Entzücken und Troſt quoll es in mein müdes Herz hinein. Er wird geneſen! rief ich mit ſtarker Stimme den erſtaunten Aerzten zu. Jetzt war das Kind verſchwunden.

Mein Sohn beſſerte ſich von dieſem Augenblick und ich erholte mich ſo ſchnell, daß ich bei der Beſtattung meines Gemahles zugegen ſeyn konnte. Seitdem iſt mir das Kind niemals wieder erſchienen.

Gedankenvoll ging der Priester nach ſeiner Wohnung, und der Kranken war es vergönnt, nach dieſer langen Er- zählung in einen geſunden Schlaf zu fallen.

Es war nur wenige Zeit verfloſſen, als der Arzt, wie er im Palaſt anfragte, zu ſeinem Erſtaunen erfuhr, daß die Kranke an dieſem Morgen ſchon um drei Uhr abgereiſet ſei, um das nahe bevorſtehende Oſterfeſt in Straßburg zu feiern. Er war faſt eben ſo beſchämt als verwundert, weil er jedem Hausgenoſſen und Befreundeten mit der größten Zuverſicht geſagt hatte, daß die Gräfin dieſen Tag, an welchem ſie die Reiſe angetreten hatte, unmöglich erleben könne. Er ſtand lange in Betrachtung vertieft und ſagte endlich zum Haus⸗ hofmeiſter: Es iſt etwas Unbegreifliches mit dieſer Dame! Heut, wo ich Anſtand nahm, mein Pferd zu beſteigen, bei

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dieſem Sturme und rauhen kalten Wetter, abwechſelnden Regengüſſen, fährt ſie fort, ſie, die bis jetzt aus Schwäche das Bett nicht verlaſſen konnte: und wie haben Sie es nur zugeben können? Sie hätten ſie mit Bitten, ja Gewalt zurückhalten müſſen.

Als wenn die gnädige Frau uns jemals gefragt hätte, antwortete der Alte: auch wußte keiner im Hauſe etwas von ihrem ſeltſamen Vorhaben. Plötzlich, wir ließen es uns nicht träumen, war der Wagen angeſpannt und fuhr vor, die große Kutſche mit den beiden großen, ſtarken Rappen. Wir fuhren von den Betten auf, und dachten, daß etwa Gäſte ankämen. Und da ſchritt die gnädige Frau die Treppe herunter, als wenn ihr gar nichts fehlte, und ſtützte ſich kaum auf die Kammerfrau Dorothea, daß es nur eine wahre Luſt war, es anzuſehn. Im Wagen iſt außer den beiden noch der geiſtliche Herr, Herr Theodor, und drei Bediente auf dem Bock und hinten, weil die Wege noch dazu unſicher ſind. Wir glaubten, ſie morgen oder übermorgen begraben zu müſſen, und nun iſt ſie auf und davon, um ſich in Straß⸗ burg einen guten Tag zu machen. Zu wagen iſt ja über⸗ haupt nichts mehr, da fie doch, wie Sie ſchon lange ver⸗ ſicherten, nicht mehr zu retten iſt. Ob ſie hier oder in der Stadt verſcheidet, iſt doch auch daſſelbe.

Da das Wetter ſo ungeſtüm war, ließ der Doctor ſein Pferd in den Stall ziehn und beſtellte ſich ein gutes Früh⸗ ſtück und Mittagseſſen, um, wo möglich, gegen Abend zurück zu reiten. Dann begab er ſich in die Bibliothek und ſuchte ſich einige unterhaltende Bücher, um im bequemen Seſſel den Sturm und Regen abzuwarten.

Es war nicht zu verwundern, wenn der Geiſtliche, Theo⸗ dor, der auf dringendes Erſuchen der Gräfin dieſe begleitet hatte, bei dem fortwährenden und zunehmenden Sturme die

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Kranke erſuchte, wieder umzukehren, um ſich im ſichern Hauſe vor dem Unwetter zu ſchirmen. Als ſie ſich kaum eine Meile vom Gute entfernt hatten, kam ihnen ein Diener zu Pferde entgegen, der ſchon am frühſten Morgen war abgeſchickt worden, um die große Fähre zu beſtellen, damit man auf dieſe nicht warten dürfe. Der Wagen hielt und als der Diener ſeinen Bericht abgeſtattet hatte, ſeufzte die Gräfin und ſchwieg eine lange Weile, in tiefem Nachſinnen verloren. Zetzt glaubte der Geiſtliche mit Gewißheit, daß der Befehl zur Rückkehr erfolgen würde, denn der Reitende hatte be— richtet, daß die ungeſtümen Waſſer und der Sturm ſchon am vorigen Tage die Fähre zerbrochen und weggetrieben habe, woran freilich auch die Schiffsleute Schuld ſeien, die bei dem ſchlechten Wetter, da ſie auf keinen Reiſenden rech⸗ nen konnten, das Fahrzeug ganz außer Acht gelaſſen hatten. Jetzt hatte die Gräfin die Augen geſchloſſen, doch indem ſie ſie weit öffnete, rief ſie mit lauter Stimme: Wir fahren weiter, es müſſen ſich am Fluſſe ſelbſt Gelegenheiten finden, hinüber zu kommen, denn ich darf jetzt die Reiſe weniger als je unterlaſſen. Mit Grüßen an die Hausgenoſſen ging der Reitende nach dem Schloſſe der Gräfin zurück.

Alle erſtaunten und man fuhr langſam weiter, denn die Wege waren ſchlecht und aufgeweicht. Die Gräfin aber, welche die Verlegenheit und Verwunderung ihrer Begleiter bemerkte, war jetzt ſo heiter und geſprächig, daß es ſchien, als wenn ſie von ihrer Krankheit völlig geneſen ſei. Der Prieſter dankte Gott in ſeinem Herzen, daß ſo unvermuthet eine ſo auffallende Beſſerung eingetreten war. Nach einiger Zeit, da der Wind nicht nachließ, befahl die Gräfin, daß der älteſte Diener, welcher hinten auf dem Wagen ſaß, zu ihr einſteigen ſolle, um den vierten Platz auszufüllen. Der Mann weigerte ſich anfangs, mußte aber auf ihr Zureden

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Folge leiſten. Nun fuhr man weiter, und nachdem Alle lange geſchwiegen hatten, fing die Gräfin an: Sie können, würdiger Freund, meinen Entſchluß nicht begreifen, der Ihnen ſeltſam, ja vielleicht ungereimt dünkt. Indem ich aber vorher nachſann, was zu thun ſeyn möchte, überwältigte mich der Gedanke, daß ich dieſe Reiſe, die ich mir ſeit lange als ein heiliges und unverbrüchliches Gelübde auferlegt hatte, nicht aufgeben dürfe, um körperliche Unbequemlichkeit zu ver⸗ meiden. Im Sinnen tauchte aber plötzlich das Bild meines Sohnes auf, und die feſte Ueberzeugung, daß ich ihn noch heut, aber wohl in der Nacht erſt, in der Stadt ſehen werde. Das Gemälde des jungen Mannes ſtand in dunkler Um⸗ gebung, von ſeltſamen Geſtalten umringt, die ich nicht genau unterſcheiden konnte. Haben Sie darum Geduld mit mir, und ſtehn Sie mir in dieſer meiner Unternehmung bei, die Sie nicht Eigenſinn ſchelten müſſen. 8

Ich ehre alle Ihre Wünſche, Ueberzeugungen, Ahndun⸗ gen und ſelbſt Träume, erwiederte Theodor: ich glaube, daß, wenn auch dieſer Ihr Wunſch ſich nicht erfüllt, dieſe Reiſe, die andere krank machen würde, Sie zur vollkommenen Ge⸗ ſundheit herſtellt. Und auch das iſt für ein Wunder zu achten.

Glauben Sie das nicht, ſagte die Gräfin ſehr lebhaft, ich fühle es beſtimmt und deutlich, daß dieſe Aufreizung nur ſo lange dauern kann, bis ſich das erfüllt hat, was ich mir vorgeſetzt habe, nachher fällt die Maſchine, deren Kraft in Ueberſpannung gebrochen iſt, zuſammen. Und am Ende iſt Leben und Sterben ein eben ſo freiwilliger Aktus, wie alle unfre übrigen Handlungen. Alles hat feine Zeit, den richti⸗ gen Anfang und ein eben fo nothwendiges Ende. Warum will man denn nicht ſeine Einwilligung geben, daß, wenn das Schauſpiel wirklich beſchloſſen iſt, auch der Vorhang,

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ohne unnütze Zögerung, falle? Wahrſcheinlich ſind unſerem unſterblichen Geiſte doch vor der Geburt die Bedingungen des hieſigen Daſeins bekannt gemacht, er hat ſich dem Leben ergeben, laſſe er ſich, wenn das geſchehn, was er nur hier erfahren und einlernen konnte, ſterben, das iſt, neu geboren werden, zu einer andern Beſtimmung mit ihren Bedingungen. Denn ohne ſolche kann ich mir kein Daſein denken. Was heißt das Wort „Ewigkeit?“ Es iſt eben fo leer als all- umfaſſend; aber wir können das Bild nicht ertragen, weil unſer Geiſt in Allem Anfang und Ende will. Vor dem ewigen Daſein zittert er noch mehr, als vor der Vernichtung zurück: nur, daß die Menſchen ſich niemals mit Ernſt in dieſe ungeheure Betrachtung verſenken. Wir erleben es ſchon hier, daß ein Räthſel ſich nur ſcheinbar auflöſet, indem ein höheres, innigeres, noch unbegreiflicheres an deſſen Stelle tritt. Und ſo ſollte es nicht immerdar ſeyn? Giebt es für uns etwas Entzückenderes, als zu lernen? Und es ſollte nach den Klippſchulen, Gymnaſien und Univerſitäten endlich ein⸗ mal eine allerhöchſte Schule geben, die dann auch geſchloſſen würde? Wie verſtehn nur die Menſchen das Wort von der Allgegenwart Gottes immer ſo ſchlecht. Ach ja, wir ſpielen am liebſten und auch recht pedantiſch mit den ernſteſten Din- gen, und daß dies möglich iſt, iſt eben auch wieder ſo ſchön menſchlich. Wir entfliehen uns immerdar, um auch auf den ſeltſamſten Umwegen uns wieder zu finden. Wir können das Schöne, Erhabne und Göttliche nur im Gefühl der Bergäng- lichkeit faſſen: ein Ewiges, Dauerndes, Niewandelndes iſt für uns, wie wir geſchaffen ſind, ein völlig Unverſtändliches, Unfaßbares, und auch von jeder Entzückung müſſen wir uns in der Zerſtreuung, vom höchſten Leben im ſcheinbaren Nichtſein erholen.

Sie gelangten erſt eine Stunde vor Mittag an den

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hoch angeſchwollenen Strom. Als der Wagen anhielt, ſtieg die Gräfin raſch auf das Ufer hinaus und ſah einige Kähne und Fiſcherhütten ganz in der Nähe. Sie ließ die Leute herbeirufen, ging mit ihnen zu den kleinen Booten und Na⸗ chen und ſuchte die größten und ſtärkſten mit kundigem Blicke aus. Nun machte ſie den erſtaunten Fährleuten deutlich, wie ſie zwei der beſten Nachen zuſammen binden müßten, um ihre Kutſche an das jenſeitige Ufer zu ſchaffen. Das erklärten aber die Schiffer rund aus für eine völlige Un⸗ möglichkeit. Dem guten Willen iſt nichts unmöglich! rief fie- erhitzt. Sie ging mit den kräftigen Männern ſelber in ihre Hütten, man ſuchte Baſt und Stricke hervor, und nun zeigte ſie ihnen, wie an den Stellen, wo die Ruder eingelegt wür⸗ den, die beiden Nachen, die von gleicher Länge waren, zu⸗ ſammen gebunden werden müßten, um in dieſe verbundenen Kähne, die dann nur ein Schiff bildeten, den Wagen gleich⸗ förmig mit angeſtrengten Kräften hinein zu heben. Das be⸗ greifen wir wohl, ſagte der älteſte der Fiſcher, aber wie nachher auf dem Strom, wenn Sturm uns faßt, und Kutſche und alles umſtürzt: auch iſt es nicht möglich, das tobende Waſſer zu bezwingen, mit den ſchwachen Rudern und bei der künſtlichen Maſchine, die regiert werden ſoll. Chriſtoph, der ſich geehrt fühlte, und auch gerührt über das Wohlwollen ſeiner Herrſchaft, die ihn zu ſich in den Wagen genommen hatte, rief jetzt heftig: Es muß gehn: Ich bin wohl ſonſt auch dabei geweſen! Er legte nun eifrig mit Hand an und bald waren die Nachen mit ſtarken Ban⸗ den an einander befeſtigt. Die Gräfin hatte indeſſen abſeits mit dem oberſten dieſer Schiffer und Fiſcher ein Abkommen getroffen und ihre Freigebigkeit und freundliches Zureden brachte dieſe Menſchen jetzt dahin, daß ſie für ausführbar hielten, was ſie noch kürzlich für widerſinnig und unmöglich

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gehalten hatten. Jetzt galt es, den nicht leichten Wagen faſt in die Kähne hinein zu tragen, doch Chriſtoph, der verftän- dige mannhafte Kutſcher, noch zwei Diener und die Schiffer ſelbſt, machten es endlich möglich. Hierauf ließ ſich die Gräfin nicht abhalten, ſelbſt in den Doppel⸗Nachen zu fteigen und der Geiſtliche und die Kammerfrau begleiteten ſie. Sie vertheilten ſich künſtlich und warteten nur, bis die beiden Pferde, jedes in einen Kahn, gebracht waren. Dieſe ftampf- ten, ſchlugen aus und geberdeten ſich ſehr unwillig; doch gelang es dem Kutſcher und Chriſtoph, die Thiere zu be- ſänftigen, ſo daß ſie endlich verſtändig überſchritten und jedes zitternd in ſeinem Kahne ſtand. In einen vierten Nachen drückte ſich nun die übrige Dienerſchaft hinein und man ſtieß, nachdem die Schiffer ſich andächtig bekreuzt und gebetet hatten, vom Ufer ab. Alle waren in Lebensgefahr, denn der Sturm erhob ſich mit neuer Kraft. Der Schleier der Gräfin flog weit in die Luft hinein, wie ein wehendes Segel, und der Geiſtliche, der an dergleichen Anſtrengungen nicht gewöhnt war, verlor faſt ſeine Faſſung und befand ſich ſehr übel. Die Dienerſchaft war in ihrem Nachen, der am leich⸗ teſten zu führen war, voraus, und man ſah endlich, wie ſie jenſeit landeten, indeß die Kutſche noch nicht die Mitte des Stromes erreicht hatte, und die Pferde noch weiter zurück blieben.

Der Kahn, welcher die Diener gelandet hatte, wurde von den Schiffern wieder herbei gerudert, um dem Doppel⸗ Nachen Hülfe zu leiſten. Man rief ſich zu, aber der Sturm brauſete ſo laut, daß die Stimmen ſich im Wellengetöſe und dem Sauſen des Windes unverſtanden verloren.

Indeſſen kamen die Schiffer dem Wagen nahe, und zum Glück im Augenblick, wo ihre Hülfe am nöthigſten war, denn eine große Woge, die zugleich mit einem plötzlichen und hef⸗

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tigen Windſtoß den Nachen und Wagen packte, hätte faſt das künſtliche Fahrzeug umgeworfen. Die Schiffer ſtemmten ſich aber kräftig von der andern Seite gegen den Kahn, daß die Gefahr beſeitigt wurde. Die Kammerfrau ſchrie heftig auf und der Geiſtliche ſtürzte von dem gewaltigen Stoß in die Knie, nur die Gräfin blieb unerſchrocken.

Man kam, durch ungeheure Anſtrengung der Sciſen⸗ den, dem Ufer näher. Die Kähne, welche die beiden Pferde trugen, waren jetzt auch nicht weit vom Lande entfernt. Das Ausſchiffen des Wagens war aber nicht minder beſchwerlich, als deſſen Hineinſchaffen in die Kähne, da aber alles half, ſchob, trug, hob, ſo gelang es endlich: die Leute ſchrieen, um ſich zu ermuntern, oder ſich Zeichen zu geben, und mit einem lauten Krachen ſtand die Kutſche jetzt auf dem Lande. Darüber aber erſchrak der eine der Rappen, welcher ſich ſchon immer unbändig gezeigt hatte, ſo, daß er aus dem Kahn in das Waſſer ſprang, und als er das Ufer erreicht hatte, in den Wald hinein rannte. Als der Kutſcher, wel⸗ cher die Pferde mit der Leidenſchaft eines Kenners liebte, dieſe traurige Begebenheit wahrnahm, gerieth er in Verzweif⸗ lung. Ohne nur Abrede zu nehmen, oder auf die Worte ſeiner Gebieterin hinzuhören, ſetzte er ſpringend und mit Geſchrei dem flüchtigen Thiere nach, und bald waren beide im Walde verſchwunden.

Die Gräfin berieth ſich nun mit Chriſtoph, was ge⸗ ſchehen könne. Da man eine Weile gewartet hatte und der Kutſcher nicht wiederkehrte, ſpannte man das andere Pferd ein, und Chriſtoph faßte die Zügel. Er klagte nur darüber, daß er ſchwerlich durch den Wald die Wege zur großen Straße und zur Stadt finden würde, da er nur einigemal, und zwar in ſeiner Jugend, in dieſem Reviere gereiſet ſei, denn die Gräfin hatte beſchloſſen, unverzüglich, wenn auch

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langſam, weiter zu reiſen, da fie vorausſetzte, daß der ver— ſtändige Kutſcher ſein Pferd bald würde eingefangen haben und mit dieſem ſie früher oder ſpäter einholen würde. Außer ihrem großen vorausbedungenen Lohn erhielten jetzt die Schif— fer noch ein anſehnliches Geſchenk, worüber ſie ſo gerührt waren, daß der Kundigſte ſich freiwillig erbot, den Reiſenden als Wegweiſer zu dienen, da er überzeugt war, daß er die Nebenwege durch den Wald finden würde. Die Schiffer be⸗ urlaubten ſich dankend, um nach ihren Hütten jenſeit des Fluſſes zurück zu fahren, und die Reiſenden hatten ſich jetzt wieder eingerichtet, in der Hoffnung, Straßburg, wenn auch nur in der ſpäteſten Stunde, an dieſem Tage noch zu er⸗ reichen. Der Zug ging langſam fort, denn das eine Pferd, das auch von der langen Anſtrengung ſchon ermüdet war, konnte ſich nicht raſch fortbewegen, der Führer ging neben her, und die beiden Bedienten waren auch abgeſtiegen, theils um ſich im Gehen zu erwärmen und theils um die Laſt des Wagens zu vermindern.

Allen dünkte der dichte und dunkelnde Wald angenehm, weil fie hier vor dem Unwetter und den Stürmen mehr ge- ſchützt waren. Der Führer ſang ein fröhliches Lied und die Diener unterhielten ſich mit alten, ſonderbaren Geſchichten, die in dieſer Gegend vorgefallen ſeyn ſollten.

Der Prieſter, welcher wieder beruhigt an der Seite der Gräfin ſaß, ſagte zu dieſer: So wäre denn jetzt die eigent⸗ liche Gefahr, mit des Himmels Hülfe, überſtanden. Sie zürnen mir gewiß nicht, verehrungswürdige Freundin, wenn ich ohne alle Uebertreibung ſage, daß ich Sie heute habe be— wundern müſſen. Sie haben ſich nicht als Kranke, ſondern als Heldin gezeigt, und es dürfte wohl nur wenige Männer geben, die in allen bedenklichen Augenblicken ſo viel Faſſung, Kälte und beſonnene Entſchloſſenheit darlegten. Sturm,

BA. | Der Schutzgeiſt.

Kälte, Regen, die Näſſe der Wellen, Schreck und Gefahr, nichts ſcheint Ihnen etwas anhaben zu können. Ich wünſchte nur, unſer ſkeptiſche Arzt wäre zugegen geweſen, um auch an ſeinem Syſtem einmal irre zu werden.

Irren Sie ſich auch nicht? erwiederte die Gräfin mit einem leichten Lächeln. Was iſt unſre ſelbſteigne Kraft? Sie vergeſſen die ſchon ſprichwörtliche Ausſage, daß uns alles Gewaltige, Starke, alles, was die gewöhnlichen menſchlichen Kreiſe überſchreitet, von oben kommt. Die Wahrheit dieſes Ausſpruchs erfährt jeder an ſich, mag er ihn übrigens aus⸗ legen, wie er will. Die Alten nannten es oft einen Dämon, welcher ſie antrieb, das, was unmöglich ſchien, zu unter⸗ nehmen und mit Glück zu beendigen. Manche Neuern nen⸗ nen es geradezu Glück, ihren Stern, ein Schickſal, welches ſie führt und über Ströme und Klippen zu einem beſtimmten Ziele reißt, allen Gefahren vorüber. Alexander glaubte, mehr als Sterblicher, der Erzeugte eines Gottes zu ſeyn. Dieſe innere, unbegreifliche Leidenſchaft iſt es, die mir eine ſcheinbare Geſundheit auf wenige Stunden gegeben, die mich geſchützt, gegen Wind und Wetter unempfindlich gemacht hat; die mich aufrecht erhalten wird, bis ich mein Ziel erreicht habe. Es iſt uns zuweilen, als wenn wir aus Wald und Fels, aus Strom und Luft Kräfte in uns auf Augenblicke durch ſtarke Willkür zuſammenraffen könnten; oder als wenn ſich durch die Gewalt unſers Herzens Geiſter unſichtbar zu uns geſellten, um allenthalben mit Hand anzulegen, zu tra⸗ gen, zu heben, und vor allem, was droht, uns zu beſchützen. Darum glauben auch ſo viele, daß Gefahr, Unglück, Tod, Leiden und Krankheit, Verletzung und grauſame Vernichtung nur durch andre boshafte Geiſter herbei geführt werden. Der Glaube an Zauberei iſt ſchwachen Menſchen, wenn ſie mit Phantaſie begabt ſind, ſehr natürlich; und in manchen Stun⸗

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den überfällt uns alle dieſer Aberglauben. Erklären läßt es ſich auch kaum, wie dies und jenes, ein unglücklicher Zufall, eine Widerwärtigkeit, Leiden und Krankheit gerade in dieſem, dieſem Augenblick, und unter ſolchen Umſtänden, oft ſo un⸗ erwartet, eintreten. Da iſt unſre angewöhnte Folge von Ur⸗ ſache und Wirkung gar nicht wieder zu erkennen.

Ein Streit hatte ſich zwiſchen dem Wegweiſer und dem Pferde lenkenden Chriſtoph entſponnen. Man war ſchon ziemlich weit gefahren, der Abend fing an herein zu dunkeln, und der Weg wurde immer ſchlechter und bedenklicher, ſo daß Chriſtoph die Furcht äußerte, ſie möchten wohl gar auf einen Waldweg gerathen ſeyn, der zuletzt, mitten im dichteſten Gebüſch, ganz aufhören könne. Der Wegweiſer bekämpfte mit vielen Gegengründen dieſe Meinung, doch endlich hielt der Wagen, und Chriſtoph ſtieg vom Bock herab, um ſich zu überzeugen, indem er mit den Händen fühlte, ob das, was ſie unter den Füßen hätten, wirklich noch ein Weg zu nennen ſei. Es war fo dunkel geworden, daß dieſe Maß— regel des forſchenden Dieners nicht zu verwerfen war. Die Gräfin ließ das Fenſter nieder und fragte, welche Hemmung den unvermutheten Stillſtand veranlaßte. Ach! gnädige hohe Herrſchaft! rief der Wegweiſer in weinerlichem Ton, ich bin ganz verhext, ein Kobold hat es mir angethan, ich habe alle meine Merkmale, alle Marken im Walde nicht finden können, und nun ſind wir perplex und total verirrt.

Er hat uns immer tiefer in das Dickicht hinein vexirt, und nun mag der Teufel (Gott verzeih mir meine ſchwere Sünde!) ſich aus dieſem Leberrinde wieder herausfinden. Und noch dazu iſt das ganze Waldicht hier immer verdächtig geweſen, weil es oft voll Strauchräuber ſteckt, ſo daß man ungern am Tage, und noch viel weniger in der Nacht, ſich hier herum treibt.

Tieck's Novellen. IX. 5

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Gnädigſte Madame, rief der Wegweiſer, es iſt mir, mei⸗ ner Seel, angethan, denn ſo was geht nicht mit rechten Dingen zu. Mir war ſchon ſeit einer Stunde ganz dumm zu Muth, und wahr iſt es, daß hier oft Spitzbuben auf⸗ lauern, denn die Gegend und Gelegenheit iſt recht appetitlich dazu, weil ſich der Brühgant gleich in den Wäldern verſtecken kann, wo ihn ſelbſt kein Jagdhund wiederfinden würde.

Aber was zu thun? ſagte die Gräfin: wir müſſen durchaus weiter zu kommen ſuchen, bis wir irgend ein Ge⸗ bäude erreichen, um etwas auszuruhn; auch das arme Pferd zu erquicken, welches ſich kaum mehr fortſchleppen kann.

Aus jedem Buſch, ſagte Chriſtoph, kann eine Mordbeſtie hervortreten, wir müſſen uns alſo vorſehn. Er nahm ſeinen Hirſchfänger hinten vom Wagen und hängte ihn um, der Jäger nahm ſein Gewehr und gab das zweite dem Diener, nachdem er nachgeſehn hatte, ob beide noch geladen wären. Die geladenen Piſtolen ſteckten ſie in den Gürtel, und ſo, indem Chriſtoph unten beim Pferde blieb, zog dies langſam den Wagen Schritt vor Schritt weiter, die Diener ſich er⸗ munternd, die Augen wacker und in ihrem Gemüth auf alles gefaßt.

Nun bin ich wieder vernünftig, ſagte der Schiffer, die Augen ſind mir auch wieder friſch, und vorher lief ich neben dem Wagen her, als wenn ich eine Nachtmütze über das ganze Geſicht gezogen hätte. Man hatte ſich aber auf dem vertrackten Strome ſo abgerackert, daß man keinen Menſchen⸗ verſtand und Merksauf übrig behielt; und nachher noch die niederträchtigen Hexen zum Ueberfluß. Die alten Weibſen können doch nichts als Böſes ſtiften. Auf die armen Ane haben ſie es immer am meiſten abgeſehn.

Die Gräfin wendete ſich zum Geiſtlichen: Sie ſehn, ſagte ſie, daß wir noch nicht alle Gefahren überſtanden haben.

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Wer weiß, was uns noch bevorſteht. Sein wir nur muthig und auf alles gefaßt, denn morgen, das weiß ich, ſind wir doch im Münſter.

Die Vorſehung, ſagte der Geiſliche hat uns bis hieher geholfen, ſie wird uns auch jetzt nicht fallen laſſen.

Die Nacht war nun mit ſo tiefem Dunkel und mit ſo ſtarkem Regen herein gebrochen, daß es ganz unnütz war, ſich noch um den ſogenannten Weg zu bekümmern. Man ließ alſo das Pferd frei wandeln, wohin es nur wollte, und wo es zwiſchen den Büſchen noch irgend eine Oeffnung fand. Die Dienerſchaft war dafür beſorgt, allenthalben umzuſehn, ob nicht ein Graben oder Abgrund ſich plötzlich aufthue, in welchen der Wagen hinunter ſtürzen konnte.

So mochte man ſich etwa eine Stunde fortgequält haben, als Chriſtoph laut aufſchrie, weil er ein Licht in den Bäu⸗ men wollte entdeckt haben. Der Jäger ſah mit ſeinen ſchar⸗ fen Augen hin und beſtätigte nach wenigen Augenblicken den Ausſpruch des Alten. Dahin wurde nun gelenkt und alle waren von der Hoffnung erfriſcht, daß ihr trauriger Zuſtand jetzt ſein Ende erreicht haben würde. Mit neuem Muthe ging auch das Pferd jetzt raſcher vor und wirklich öffnete ſich der Wald, man ſah Licht hinter kleinen Fenſtern eines un⸗ anſehnlichen Gebäudes und vor den Reiſenden lag ein dunk— ler Fleck, welches eine Mauer und Zaun ſeyn mußte, was das Haus vom Walde und dem Wege trennte.

O weh! o weh! greinte jetzt der Schiffer, wir find viel zu weit, viel zu weit rechts gerathen, und das iſt hier die verruchte Plunderſchenke, wo ſich nur das ſchlechteſte Geſindel einfindet.

Man tappte umher und überzeugte ſich nach einiger Zeit, daß man vor einem ſogenannten Thorwege ſtehe, der

aber verſchloſſen war. Der Jäger wollte eben anpochen,

68 £ Der Schutzgeiſt.

als er entdeckte, daß die Thür im großen Thor, durch die ein Menſch eingehen könne, nur angelehnt ſei. Er meldete dies der Gräfin und beredete ſie, auszuſteigen, indem man, wenn ſie erſt ein Unterkommen gefunden, dann das Thor öffnen, für das Pferd ſorgen und den Wagen unterſtellen wolle. Der Geiſtliche und die Kammerfrau wollten der Gräfin folgen, man öffnete die Thür und ſah in einen wüſten, ſchmutzigen Hof, deſſen Traueranblick man durch die Lichtſtreifen, die von den wenig erhellten Fenſtern herab ſchimmerten, wahrnehmen konnte. Da lief der Wegweiſer herbei und ſtellte ſich dicht an die Reiſenden, die eben in den Hof hinein treten wollten, indem er mit ganz leiſer und furchtſamer Stimme ſagte: Bleiben Sie um Gottes Willen hier, meine Herrſchaften, dort ſteht des grauen Gottlieb ſeine Schecke an den Baum gebunden, der Mordbrenner iſt alſo mit ſeiner Bande hier, der Kerl, weil er gemordet und ge= raubt hat, jo iſt ſchon ſeit lange ein großer Preis auf feinen Kopf geſetzt. Aber wer iſt wohl ſo dreiſt, den zu verdienen? Wir ſind ihm und ſeinen Mordgeſellen ſchon manchmal be⸗ gegnet, wir danken aber Gott, wenn der Böſewicht uns nur zufrieden läßt. Man wollte ſich berathſchlagen, als ſie aus dem Walde her den Hufſchlag eines herantrabenden Pferdes vernahmen. Da kommen noch mehr von der Bande, ſchrie der beängſtigte Wegweiſer. Es war aber Niemand an⸗ ders als der Kutſcher, der jetzt zur Freude Aller mit ſeinem Rappen herbei eilte. Er war eben ſo erfreut, wie die übri⸗ gen, und ſagte: Das gute liebe Vieh hat gewiß die Witte⸗ rung von ſeinem Bruder da gehabt, daß es in der letzten Zeit ſo ſchnell machte. Er band, als er die Umſtände erfah⸗ ren hatte, ſein Pferd an den Wagen und vorſichtig und leiſe betraten Alle den Hof.

Als man einige Schritte gemacht hatte, ſah man im

Der Schutzgeiſt. 69

Hauſe eine Thür und auf eine ſteile Treppe fiel ein Licht⸗ ſtrahl, der aus einer offen gelaſſenen Stube oben zu kom⸗ men ſchien. Der Jäger, vorangehend, wollte ſchon die Treppe beſteigen, als die Gräfin, ihr ganz nahe, ein Aech— zen zu hören glaubte. Chriſtoph ſtolperte über etwas, als er ſich nähern wollte, und als man fühlend unterſuchte, waren es zwei Menſchen, die dort gebunden und geknebelt lagen. In dieſem kritiſchen Augenblicke zeigte die Kranke am meiſten ihre Faſſung und ihren umſichtigen Verſtand. St! St! ziſchelte ſie laut genug, daß es alle vernehmen konnten: haltet euch alle ganz ruhig, laßt die Männer dort jetzt liegen, damit nicht zu früh Lärm entſteht, das Wid- tigſte iſt das Zimmer dort.

So fand ſich's auch. Denn als ſie oben waren, ſahen fie nach geöffneter Thür eine wilde Geſtalt, die mit gezüd- tem blanken Meſſer ſich über einen gefeſſelten Offizier beugte, der in ſeiner Uniform auf einem ſchlechten Bette lag. Eine andere Geſtalt zog eine ſchwere Chatulle unter dem Kopf- kiſſen hervor, als der Jäger dieſen niederſtürzte und Chri⸗ ſtoph und der andere Diener den Offizier befreiten. Wunder⸗ bar erſchien dem Geiſtlichen wieder die Gräfin, die, indem man die beiden Böſewichter mit Stricken band, ſcheinbar ruhig auf das Lager zuſchritt, den Knebel mit ſtarker Hand vom Munde löſte, die Seile aufknüpfte und mit der lieb⸗ lichſten Stimme ſagte: Mein Sohn, mein geliebter Sohn! Ich wußte es ja, daß ich Dich heut noch ſehen mußte; ach, und daß ich Dich retten konnte, wie ſind dadurch alle meine Leiden vergütet. Nun kann ich erſt mit der höchſten Freude mein Oſterfeſt feiern. Gelobt ſei der Herr!

Als man ſich erſt beſinnen konnte, war die gegenſeitige Erkennung wunderbar und die Freude unausſprechlich. Es zeigte ſich, daß der Obriſt ſeine Mutter hatte überraſchen

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wollen. Ihm war ein Auftrag geworden, mit einer ſchwe⸗ ren Kaſſe voll Gold nach Straßburg zu gehn. Am Fluſſe erfuhr er, daß die gewöhnliche Fähre von der Gewalt des Waſſers zerſtört worden. Er kehrt um, wandert im Walde und wird von treuloſen Gaunern und Helfershelfern hieher in das verödete Haus gewieſen, wo Wirth und Wirthin fo wie Dienerſchaft dem Mordbrenner, dem ſogenannten grauen Gottlieb, unterthänig ſind. Der Obriſt hat kein Arges und verläßt ſich auf zwei ſtarke Soldaten, die ſeine Begleiter und Diener ſind. Man weiß aber, daß er eine große Summe in Gold mit ſich führt: es iſt vergeblich, es zu verſchweigen und den Schatz zu verſtecken. Unter dem Anſchein der Treu⸗ herzigkeit laſſen ſich die Begleiter von den Wirthsleuten hintergehn, von dieſen werden ſie trunken gemacht, und als ſie eingeſchlafen ſind, gebunden und geknebelt. Indeſſen kommt der graue Gottlieb, der ſchon alles wußte; eben will er den Obriſt ermorden und plündern, als dieſer in dem⸗ ſelben Augenblick auf wunderbare Weiſe gerettet wird.

Man bewachte die Böſewichter, die nachher den Ge⸗ richten ausgeliefert wurden. Die Mutter brachte mit dem Sohne glückliche Stunden in dieſer Nacht zu; der Geiſtliche ſuchte eine einſame Ruheſtelle, um ſich von den Beſchwerden des merkwürdigen Tages zu erholen. Die Gräfin ſchlief nicht und fuhr mit ihrem Sohne am folgenden Morgen als höchſtbeglückte Mutter in Straßburgs Thore hinein, indem die Glocken eben feierlich zur Meſſe einläuteten, und des hohen Feſtes wegen von den Thürmen mit Trompeten und Poſaunen geblaſen wurde.

Als man ſich der Stadt näherte, brach die Sonne her⸗ vor, und die Wolken verzogen ſich allgemach, ſo daß ein

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Der Schutzgeiſt. 71

heitrer Tag ſich über die Landſchaft verbreitete. Die Gräfin ſtieg auf kurze Zeit in ihrem väterlichen Hauſe ab, um ſich zu erholen und umzukleiden. Dann ging ſie, vom ſtattlichen Sohn und dem Geiſtlichen begleitet, nach dem Münſter. Als ſie um die Ecke der Straße bogen, und ihnen das Por⸗ tal des Domes in ſeiner ganzen Herrlichkeit entgegen leuch⸗ tete, bemerkte man, wie das Geſicht der Gräfin ſich in Freude verklärte. Der Tempel war ſehr von Menſchen angefüllt, alles war in Freude, die Muſik erklang, und die Kranke flüſterte ihrem Freunde Theodor zu: O wie bin ich hier ſo glücklich! Der Prieſter ſtand ihr nahe, aber etwas von der Seite, ſo daß er ſie und den Ausdruck ihres Geſichtes genau beobachten konnte. Nicht lange, ſo bemerkte er zu ſeinem Erſtaunen, daß ſich ein wunderſchönes Kind durch die Men- ſchenmenge drängte, oder vielmehr machte jeder gern, der es gewahrte, dem holdſeligen Weſen freiwillig Platz. Die Sonne fiel ſchräg durch die Fenſter, ſo daß ſein Antlitz leuchtete, ſo ſtellte es ſich lächelnd dicht an die Gräfin hin, welche mit einem großen Blick aufſah, als das Kind ſie begrüßte. Es hielt ein glänzendes, koſtbares Büchlein in der Hand, wel⸗ ches die Kleine der kranken Frau überreichte. Die Gräfin drückte das Buch inbrünſtig an die Lippen, ſprach dann einige Worte mit der Kleinen. Nun ertönte die Glocke des Meßners, zum Zeichen, daß das Hochwürdigſte erhoben würde, die Gräfin bekreuzte ſich und ließ den Kopf dann ſinken. In dieſer Stellung blieb ſie, und als Theodor den Blick von ihr erhob, konnte er das Kind nicht wiederfinden.

Die Menge verlief ſich, die Kirche war nach und nach leer geworden. Der Obriſt trat hinzu, um ſeiner Mutter aufzuhelfen; er fand ſie als Leiche, ein ſeliges Lächeln auf den Lippen, das koſtbare Gebetbuch hielt ſie feſt in der Hand. Der Obriſt nahm es und fand auf einem Blatte vorn

72 Der Schusgeift.

die Handſchrift feines Großvaters, deſſen Namen und den Wunſch, daß ſeine Tochter für dieſes Geſchenk an ihrem ſiebenten Geburtstage ſtets fromm, ü ee und den Eltern gehorſam ſeyn möge.

Als die Gräfin in der Gruft ihrer Vorfahren beigesetzt war, kehrte der Geiſtliche zum Schloſſe und ſeiner Gemeine zurück. Er fand ſich aber nicht berufen, ſeinen Bekannten dort von der letzten wunderſamen Erſcheinung zu erzählen. Die Erinnerung an dieſe und den Tod der Gräfin verſetzte ihn ſtets, wenn er dieſer ar ee gedachte, in die frömmſte wie heiterſte Stimmung.

8 N 2 Er Mr

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Es war faſt Mitternacht. Sie wird heut nicht mehr kommen, ſagte der junge Graf, das Schloß liegt ihr zu fern, das Wetter iſt ungewiß, die Wege ſind nicht die beſten.

Und, rief der junge Anſelm, was wetten wir, daß ſie dennoch erſcheint, trotz allen Ihren Befürchtungen? denn ſie reiſet gern in der Nacht, ſie hat es verſprochen und ſetzt alles an ihr Wort. ö

Wetten? antwortete Graf Theodor, in bin kein Freund davon, aber ich wünſche, daß Ihre Vorherſagung, Baron, die Sie ſo dreiſt ausſprechen, in Erfüllung geht; denn wir gewinnen Alle, wenn Sie Recht behalten.

Und tritt der Fall nicht immer ein? rief der hochmüthige Anſelm mit ſchnödem Tone.

Wenn Sie Ihrer Sache ſo überaus gewiß ſind, rief Theodor ihm entgegen, ſo thun Sie wenigſtens Unrecht, Wetten anzubieten.

Anſelm ſagte: wenn Sie es ſcheuen und vermeiden, Geld zu wagen, ſo ließe ſich ja auch die Frage anders ſtellen.

Theodor ſtand auf, als wenn er dem Redenden näher treten wollte, die Wirthin des Hauſes aber, welche dieſen Ungeſtüm der beiden jungen hochfahrenden Männer fürchtete, begütigte ſie beide, indem ſie das Geſpräch auf andere Ge⸗

76 Die Klauſenburg.

genſtände richtete. Sie forderte einen ältlichen, kleinen Mann auf, in der Geſchichte, welche zufällig war unterbrochen wor- den, fortzufahren, doch dieſer ſagte mit einer ſchlauen Miene: Verehrte Baronin, es möchte in dieſem Augenblicke zu ſpät ſeyn, denn vom Thale herauf höre ich ſchon ein Poſthorn klingen, und jetzt möchte ich auch darauf wetten, daß in we⸗ niger als einer Viertelſtunde die ſchöne Sidonie hier im Saale ſtehen wird. 8

Sie hören? ſagte Theodor; ich vernehme nichts, und es iſt nur eine Einbildung von Ihnen.

Herr Oberforſtmeiſter, rief der kleine Mann, allen Reſpect vor Ihren Talenten und den Gaben aller hier An⸗ weſenden, was aber Ohren betrifft, ſo meine ich, daß keiner der Verehrten hier ſich in Feinheit und Größe derſelben mit den meinigen wird meſſen können: und darum höre ich ſo richtig in die Ferne hinein.

Alle lachten, denn ſie kannten die Art und Weiſe des Alten, deſſen Scherz darin beſtand, ſich immer ſelber preis⸗ zugeben, und Blößen und Fehler an ſich zu erſinnen, die jeder andere, auch wenn er an ihnen litt, gefliſſentlich ab⸗ läugnete. Ein ſolcher Geſellſchafter iſt immer beliebt, weil er keiner Eitelkeit in den Weg tritt, und ſich geſchmeichelt fühlt, wenn man über ihn lacht. Der alte Freiherr Blom⸗ berg hatte aber Recht, denn ſo wie der Reiſewagen langſam den ſteilen Berg hinan fuhr, hörten alle das mahnende Poſt⸗ horn, bald ſchwächer, bald deutlicher, je nachdem der Weg ſich krümmte, oder der Wind die Töne über den Wald hin verwehte. Die Wirthin ſchellte, und die Bedienten eilten hinaus, um den edlen, wohlbekannten Gaſt zu empfangen.

Wer wettet jetzt mit mir, rief der alte Blomberg laut, daß Fräulein Sidonie ankommt?

Indem alle mit Heiterkeit dem Alten Beifall zunickten,

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ſtand Anſelm haſtig auf und rief: ſo wett' ich denn hundert Dukaten, daß ſie in dieſer Viertelſtunde noch nicht kommt!

So! rief Blomberg und hielt die Hand hin, in welche Anſelm einſchlug. Indem ſich alle noch verwundert und die beiden thörichten Menſchen faſt mit höhniſchen Blicken an⸗ ſchauten, riſſen die Diener die Thüren auf, und eine große, mit vielen Kleidern und Tüchern verhüllte Geſtalt folgte ihnen langſam und laut fluchend. Da Alle faſt erſchraken, nahm der Fremde Reiſemütze, Kopftuch und Mantel ab, und ein altes, blaſſes Geſicht kam zum Vorſchein, welches Allen, im erſten Augenblick, ganz unbekannt ſchien. Er ſah ſich etwas ſcheu im Saale um und rief dann: Nun? mir iſt, als wenn ich hier ganz unerwartet käme! Kein Menſch will mir will— kommen! ſagen? Und meine Nichte Sidonie iſt auch noch nicht hier?

Ei, Graf Blinden! rief die Wirthin jetzt aus, und eilte auf ihn zu: wie kommen Sie zu uns? wir hatten Sie nicht erwartet. Und freilich haben Sie ſich in den fünf Jahren verändert, in welchen ich Sie nicht geſehen habe.

Das läßt ſich denken, ſagte der Alte und nahm in einem Seſſel behaglich Platz, indeß ſich die übrige Geſellſchaft um ihn her ſtellte. Ich bin eben erſt von einer ſehr ſchweren Krankheit geneſen, ich reiſe in das Bad, und wollte mich bei Ihnen, Couſine, ein paar Tage ausruhen. Und ganz ähnlich ſieht das meiner Sidonie, daß ſie mich nicht gemel— det hat, wie ich ihr doch auftrug, denn ſie weiß es ſchon ſeit einer Woche, daß ich herkommen will.

Für den alten, von der Reiſe erſchöpften Mann wurde ſogleich Glühwein zubereitet, und der alte Blomberg hatte deſſen kein Hehl, wie verdrüßlich er darüber ſei, daß er ſo gegen alle Wahrſcheinlichkeit ſein Geld verloren hatte. Der ſchon übermüthige Anſelm triumphirte jetzt um ſo mehr, und

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als der Angekommene die ſonderbare Sache vernahm, neckte er den kleinen Mann mit ſeiner verlorenen Wette ſo ſehr, daß Blomberg endlich ausrief: Nun will ich aber beſchwören, daß unſere eigenſinnige Sidonie heute gar nicht mehr an⸗ langt! Sie ſetzt etwas darein, Alles immer anders zu thun, als die übrigen Menſchen, oder als man es erwarten darf.

Das weiß der Himmel, ſagte Blinden, indem er ſich am heißen Weine erquickte; das hat keiner ſo ſehr empfunden, als ich, ſo lang ich ihr Vormund war. Sie hat ein wahres Studium daraus gemacht, denen Menſchen, welche ſie ihre Freunde nennt, das Leben ſauer zu machen. Gnade Gott dem Aermſten, der ſich einmal zu ihrem Liebhaber aufwerfen möchte, oder noch ſchlimmer, wen fie einmal zu lieben vor⸗ geben ſollte. Lieber Galeerenſklave ſeyn.

Aller Blicke wendeten ſich in ſcharfer Beobachtung zu⸗ gleich auf den jungen Grafen Theodor, und Anſelm, der keine Gelegenheit vermied, ſeinen Uebermuth zu zeigen, lachte laut. Theodor, der ſchon gereizt war, ging auf den lachen⸗ den jungen Mann mit drohendem Auge zu, indem er über⸗ laut fragte: Darf man wiſſen, oder erfahren, was Sie zu dieſem übermäßigen Gelächter bewegt?

Nichts anders, erwiederte Anſelm ganz Ade als die Betrachtung, daß es doch immer wieder die Liebe iſt, die Alles verwirrt und in Bewegung ſetzt. So dachte ich denn eben, wie hübſch ſich die, fo oft nur allzulangweilige poli- tiſche Geſchichte ausnehmen müſſe, wenn man ſie einmal von dieſer Seite darſtellte, und alle jene unſichtbaren Fäden ſicht⸗ bar machte, die der ſogenannte Amor knüpft und löſt, häufig die ernſteſten Miniſter und Herrſcher an der Naſe führt oder gängelt, und, wie oft, hinter der Maske ſpielt, die der be- trogenen Welt ein ganz ehrbares Geſicht entgegen richtet.

Das iſt ja ſchon genug geſchehen, ſagte der alte Blom—

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berg, was Sie da wünſchen. Sie find nur, junger Herr, in Memoiren und Klatſchgeſchichten zu wenig beleſen. Was will man nicht Alles von Franz dem Erſten, dem dritten und vierten Heinrich, den Medicäern, Ludwig dem Vierzehn⸗ ten, von einigen ſpaniſchen Tyrannen und dem engliſchen Carl und Jakob dem Zweiten wiſſen. Wie Vieles auch wahr iſt, jo haben doch manche Zungen, die nur läſtern mögen, gerade dadurch die Sachen entſtellt, daß ſie bloß die Ausſchweifung als Motiv und Verknüpfung aller Begebenheit erzählten.

Sehr wahr! rief der alte Blinden: und wenn wir alle hier, die Beſten im Saale nicht ausgenommen, Regenten wären, wie viele Lügen würde man von uns erzählen, da wir ſchon in unſerm Privatſtande der Verläumdung nicht entgehen können. Erinnern Sie ſich, lieber Blomberg, was Ihre Neider in Ihrer Jugend ſich hinterrücks zuraunten, was man über mich läſterte, ja unſre ehrwürdige Wirthin wurde nicht verſchont, und es giebt ja böſe Menſchen genug, zu denen ich ſelbſt in manchen Stunden gehöre, die Sidon⸗ chen ebenfalls ſcharf hernehmen. |

Da die Baronin ſahe, daß Theodor ſchon wieder auf- fahren wollte, ſuchte ſie das Geſpräch auf einen andern Gegenſtand zu lenken, indem ſie ſagte: Aber Graf Blom⸗ berg könnte uns doch die Geſchichte zu Ende erzählen, die grade beim intereſſanteſten Punkte abgebrochen wurde.

Graf Blinden, welcher nicht ermüdet ſchien, fragte nach der Geſchichte und Blomberg ſagte: Lieber Freund, es iſt eine Art von Geſpenſterhiſtörchen, eine der Erzählungen, in welchen die guten redlichen Geiſter eben ſo verläumdet und verklatſcht werden, wie regierende Häupter oder angeſehene Menſchen. So, daß es ſcheint, es giebt nirgendwo Ruhe und Sicherheit vor dieſer allgemeinen Verläſterung.

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Wenn es die Geifter von namhaften Leuten find, ant⸗ wortete Blinden, jo iſt es leicht jenen Abgeſtorbenen ver- drüßlich, ſind es aber nur allgemeine anonyme Geſpenſter, ſo hat es gar nichts zu bedeuten. Und am Ende, was iſt das Schlimmſte, was man ihnen nachſagen kann? Daß ſie umgehn, keine Ruhe im Grabe finden, noch etwas des Hie⸗ ſigen an Neid, Bosheit, Geiz, oder ſo was mit hinüber genommen haben, und ſich nun ſo lange ſchütteln müſſen, bis alle dieſe Schlacken von ihnen abfallen. Was iſt daran nun Beſonderes?

Ei! ei! erwiederte Blomberg, boshaft lachend, hät⸗ ten Sie nur, theurer Mann, noch Ihre ehemalige Korpulenz und jene Frömmigkeit, mit welcher ich Sie vor zwanzig Jah⸗ ren gekannt habe, und Sie ſäßen meditirend in Ihrem Lehn⸗ ſeſſel, und plötzlich plötzlich

Nun, rief Blinden machen Sie mir nicht bange ich bin noch nervenſchwach von meiner Krankheit her.

Und plötzlich hätten Sie furchtbare Krämpfe, und fluch⸗ ten und läſterten ganz gegen Ihre gewohnte Weiſe, und zweifelten an Gott und Menſch und Schickſal, und betrügen ſich in allen Ihren Manieren wie der ausgemachteſte Atheiſt, und wären, mit einem Worte es zu ſagen, plötzlich ein ganz gottloſer Kerl geworden

Ach! rief Blinden, das ſind ſo von Ihren Albern⸗ heiten! Ich müßte ja von zwanzig Teufeln beſeſſen ſeyn.

Ja wohl, ſagte Blomberg ganz gelaſſen, ſo glaubte man ſonſt in der altfränkiſchen Art unſerer Vorfahren, aber durch die neueren und ſicheren Entdeckungen des nn Mag⸗ netismus

Ich will nichts von ſolchen Brutalitäten wiſſen, ſagte Blinden. Hilft nichts, fuhr Blomberg fort, wir mögen uns frän-

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ben, ſo viel wir wollen, ſo nimmt uns doch oft, ohne uns zu fragen, dieſe geiſtige Viehheit, oder verviehte Geiſtheit mit. Und in dieſem Zuſtande, in welchem wir durch Bretter, Mauern und Thürme, ſo wie in Vergangenheit und Zukunft hinein ſehen können, find wir doch ſo ſchwach, daß Verftor- bene, die ſich ſchon ſeit zwei⸗, dreihundert Jahren jenſeit mit ihren Zweifeln und Gottloſigkeiten quälen, in uns, ohne nur anzufragen, hineinſteigen mögen, um in unſerm Weſen ihr Sündenleben weiter zu führen, und ſich allgemach dann von unſerem Geiſte und unſerer frommen Ueberzeugung be— kehren zu laſſen. Dies, Freunde, iſt eine der intereſſanteſten und auch wichtigſten Entdeckungen der neuern Tage. Es iſt eine neumodige Anwendung des vormaligen Einquartierungs⸗ Syſtems, und es iſt nicht zu berechnen, wie viel ein ſolcher Gaſt, oder mehrere ſeines Gelichters von meinen guten und redlichen Eigenſchaften, den unentbehrlichſten Ueberzeugungen und den edelſten Geſinnungen mir wegzehren, wenn ſie ein⸗ mal meine Hoſpitalität ſo gewaltſam in Anſpruch genommen haben.

Und dieſe Tollheit, fragte Blinden, wäre authentiſch verifizirt? |

Sogar philoſophiſch argumentirt, antwortete jener, und verklauſulirt. Dagegen können nun Zweifelſucht und Phili⸗ ſterei nicht mehr auffommen. In den Annalen der Menſch⸗ heit macht dieſe Entdeckung eine Epoche, und es bleibt nur zu überlegen, welche Maßregeln man gegen dergleichen Ueber— rumpelung treffen könne. Die Philoſophie wird nun zunächſt entdecken müſſen, wie wir auf pſychologiſchem Wege und in körperlicher Rückſicht durch Diät unſern Geiſt und Leib in eine Feſtung verwandeln mögen, um uns vor derlei Ueber: fällen ſicher zu ſtellen. Denn es iſt ja begreiflich, bei den Tauſenden von vagirenden und vacirenden Seelen ehemaliger

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arger Sünder, welchen Appetit dieſe bekommen, wenn fie fo ſtille, fette, fromme, und in ſich behagliche Menſchen⸗Crea⸗ turen ſehen, ſich in dieſe hineinzuſtürzen, um ſie zu Bos⸗ heiten anzutreiben, oder ſich gleichſam in deren religiöſen Gefühlen und edlen Stimmungen zu baden und abzukühlen. So werden wir nach der Reihe Kerker und Zuchthaus, wo dieſes verbrecheriſche Geſindel ſeine Strafzeit abſitzt, und welches gebeſſert und zum ewigen Leben reif aus uns wieder hinaus ſtürzt. Und wir haben das Nachſehn.

Es ſchien, als wenn Graf Blinden um eine Antwort verlegen wäre, und Theodor, welcher nur halb auf die Re⸗ den Blombergs hingehört hatte, erinnerte dieſen, ſeine Ge⸗ ſchichte zu beſchließen, deren Ende die Baronin, die Wirthin des Hauſes, auch mit Neugier erwartete. Blinden fragte, wovon die Rede ſei, und Theodor nahm das Wort: Ich will Ihnen kürzlich das wiederholen, was uns Freund Blomberg vorgetragen hat, damit Sie wenigſtens den Zuſammenhang begreifen.

Es werden jetzt ohngefähr funfzig Jahr ſeyn, daß eine reiche Familie hier oben im Gebirge wohnte. Es iſt nicht weit von hier, wo man noch die Trümmer des ehemaligen Schloſſes ſieht, welches vom Gewitter und Feuer zerſtört, im Kriege ganz verwüſtet wurde, und jetzt nur noch zuweilen von Jägern oder verirrten Wanderern beſucht wird. Die Leute der Gegend nennen die Ruine die Klauſenburg. Geht man den einſamen Fußſteig hinan, durch den Fichtenwald, und klettert dann die wegloſe Klippe hinauf, ſo ſteht man vor einem alten, feſt verſchloſſenen Thore, deſſen Mauern der lebendige Felſen bildet. Außen am Thore iſt von Eiſen eine Stange mit einem Griffe, als wenn dieſe eherne Linie mit einer Glocke hinter dem Thore zuſammenhinge. Als id) einmal auf der Jagd dorthin gekommen war, zog ich an

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dieſer Eiſenſtange, aber kein Laut ließ ſich von innen auf dieſe Mahnung vernehmen. Da Niemand, als nur mit Beſchwer, zu dieſer einſamen Stelle gelangen kann, und es von der andern Seite wegen der Abgründe und ſchroffen Klippen faſt unmöglich iſt, hinüber zu klettern, ſo ſind im Munde des gemeinen Mannes viele Sagen und Mährchen von dieſer ſeltſamen Klauſenburg, deren Ueberreſte wirklich einen geſpenſtiſchen Anblick darbieten.

Nun lebte vor länger als hundert Jahren, ſo erzählt man ſich nehmlich, ein ſehr reicher Mann dort, der wohl- thätig, fleißig und daher von Freunden und Unterthanen ſehr geliebt war. Er hatte ſich ſchon früh aus dem Staatsdienſte zurückgezogen, um ganz der Bewirthſchaftung ſeiner Güter leben zu können, deren er verſchiedene im Gebirge hier be⸗ ſaß, ſammt Bergwerken, Glashütten und Eiſenſchmelzereien, die er aus ſeinen großen Forſten mit Vortheil bearbeiten konnte. War dieſer Mann von ſeinen Untergebenen geliebt, fo wurde er auch von vielen feines Standes gehaßt und be- neidet, von denen die Klügeren ihm zürnten, weil er ſie vermied, und ſie wohl einſahen, daß er ſie ihres Unfleißes wegen nur gering ſchätze: die Einfältigen glaubten aber, und erklärten es unverholen, Graf Moritz habe ein Bündniß mit dem Satan geſchloſſen, und deshalb gelinge ihm Alles ſo über Erwarten.

So albern dies Geſchwätz war, ſo that es dem fleißigen Manne doch in jener frühen Zeit Schaden: denn die Jahre lagen noch nicht ſo gar fern, als man wegen Hexerei und Pakt mit dem Böſen Männer und Frauen auf dem Scheiter⸗ haufen verbrannte. Der Graf alſo zog ſich mißmuthig im⸗ mer mehr in ſich und die einſame Klauſenburg zurück, und ihm war nur wohl, wenn er ſich von Geſchäften mit ver⸗ ſtändigen Bergleuten, Maſchinenmeiſtern oder Gelehrten unter⸗

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halten konnte. Da er es wußte, mit welchem Mißtrauen ihn die alten Prieſter betrachteten, die ſeinen Kirchſpielen vorſtanden, ſo zeigte er ſich auch nur ſelten in der Kirche, was aber auch nichts dazu beitrug, ſeinen Ruf in der Um⸗ gegend zu verbeſſern.

Es fügte ſich, daß eine Horde von Zigeunern, die da⸗ mals noch ziemlich ungeſtört in Deutſchland umher ſchwärm⸗ ten, in dieſe Gegend gerieth. Die Fürſten des Landes und die Regierung waren unſchlüſſig und ſaumſelig, dem Unfug zu ſteuern, mehrere Gränzen vereinigten ſich in der Nähe, und ſo geſchah es, daß dieſes Volk ungeſtraft, ſelbſt unbe⸗ wacht ſein Unweſen treiben konnte. Wo ſie nichts geſchenkt erhielten, raubten ſie; wo man ſich ihnen widerſetzen wollte, brannten in der Nacht Scheunen ab, und ſo gingen, da das Feuer um ſich griff, zwei Dörfer zu Grunde. Da vereinigte ſich Moritz mit einigen ſeiner Nachbarn, welche Entſchloſſen⸗ heit zeigten, und mit dieſen verfolgte und ſtrafte er das Geſindel aus eigner Machtvollkommenheit. Gefängnißſtrafe, Geißelung, Hunger und Schläge wurden angewendet, ohne die Gerichte weiter zu bemühen, und nur einige der über⸗ wieſenen Mordbrenner ſchickte er nach der Stadt, damit ſie dort nach dem Zeugenverhöre, und ihres Verbrechens über⸗ wieſen, am Leben geſtraft werden möchten.

Der Graf hielt ſich für den Wohlthäter des Landes. Wie gekränkt mußte er ſich alſo fühlen, als ſeine Neider und Verläumder gerade dieſe Umſtände benutzten, ihn der ſchwärzeſten Verbrechen, der abſcheulichſten Unbilden zu be⸗ ſchuldigen. Dieſem Undank wußte er nichts, als einen ſtillen Zorn und eine vielleicht zu großmüthige Verachtung entgegen zu ſetzen. Denn, wenn der edle Mann immer ſchweigt, ſo gewinnt bei Einfältigen und Charakterloſen Ver⸗ läumdung und Lüge um ſo mehr Glauben. Konnte er ſein

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Herz nicht zwingen, feinen Gegnern durch Geſpräch, Er⸗ zählung, Auseinanderſetzung der Umſtände in den Weg zu treten, ſo fühlte er ſich ganz entwaffnet, als er entdeckte, wie ſehr er in ſeiner eignen Familie und von dem Weſen, was ihm am nächſten ſtand, verkannt wurde. Er hatte ſpät erſt ſich vermählt, und die Gattin lag jetzt krank, weil ſie ihm vor einigen Tagen einen Sohn geboren hatte. Mit der leidenden Frau konnte er nicht ſtreiten, oder ihr heftig ant⸗ worten, als ſie ihm wegen ſeiner Grauſamkeit Vorwürfe machte, die er gegen ſchuldloſe arme Menſchen ausübe, die wohl ſein Mitleiden, aber keine unmenſchliche Verfolgung verdienten. Als ihm im Vorzimmer einige Baſen daſſelbe, nur in gemeineren Ausdrücken ſagten, mochte er ſeinen lange verhaltenen Grimm nicht länger zurück halten, ſeine zornig ſcheltenden Antworten, ſeine Flüche waren ſo heftig, die Ge⸗ berden des gereizten Mannes ſo übermenſchlich, daß die alten ſchwatzenden Weiber alle Faſſung verloren und einer Ohnmacht nahe waren. Er ließ ſie, damit die kranke Gat⸗ tin nicht Alles von ihnen ſogleich wieder erführe, mit Ge⸗ walt auf ein andres Gut bringen und ritt dann in das tiefe Gebirge hinein, theils um ſich am Anblicke der erhabenen Natur zu zerſtreuen und zu ſtärken, theils um ſich wieder zu ſeinem Streifzuge zu begeben, und als Anführer gegen die Bande der Zigeuner zu ziehen. Wie erſtaunte er aber, als er vom Oberförſter erfuhr, daß jene Edelleute, die ſich mit ihm dieſem Kriege gegen die Landſtreicher unterzogen hatten, alle ohne weitere Anzeigen entwichen und auf ihre Schlöſſer zurückgekehrt ſeien.

Er ließ ſich nicht irren, und es gelang ihm, wieder einige der Böſewichter zu fangen, die ſich grober Miſſethaten ſchuldig gemacht hatten. Er befahl, ſie gefeſſelt in einen ſichern Kerker zu werfen. Als er, da er alle Leute entfernt

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hatte, einſam und gedankenvoll nach der Klauſenburg zurück ritt, empfing ihn am Thore des Schloſſes ſein alter Caſtellan und übergab ihm ein großes Schreiben, welches aus der Stadt und von der Regierung eingelaufen war. Mit ahnden⸗ dem Verdruß öffnete er das Paket, war aber doch von dem Inhalte deſſelben überraſcht, ſo daß ſich ſein Zorn bis zur Wuth, ja faſt bis zur Raſerei ſteigerte. Die Briefe ent⸗ hielten nichts weniger, als eine peinliche Anklage auf Mord und Hochverrath, indem der Graf ſich durch Willkür und Anführung einer bewaffneten Schaar, der Regierung als Rebell gegenüber geſtellt habe. Faſt bewußtlos ließ er dieſe unſinnigen Briefe fallen, ſammelte ſich dann mit Gewalt und ging nach ſeinem Zimmer, um mach einiger Zeit dieſe Anklage ruhiger zu überleſen, und zu bedenken, wie er ſich ihr entgegenſtellen ſolle. Indem er vor dem Schlafzimmer ſeiner Gemahlin vorbei ging, hörte er drinnen reden und ihm unbekannte Stimmen. Haſtig öffnete er die Thür, und was er jetzt erblickte, darauf war er freilich nicht vorbereitet. Zwei ſchmutzige, in Lumpen gekleidete alte Zigeunerinnen ſaßen an dem Bette der Kranken, und prophezeiten dieſer ihr Schickſal, indem ſie widerlich ihre häßlichen Geſichter ver⸗ zerrten. Mit Recht entſetzte ſich die Wöchnerin, als ſie ihren Gemahl eintreten ſah, denn was er jetzt that, war unmenſch⸗ lich. Wuth ergriff ihn, und er wußte nicht, was er that. Bei den greiſen langen Haaren faßte er die Prophetinnen, riß ſie zur Thür, und warf ſie die hohe ſteile Treppe hinab. Seine Leute liefen zuſammen. Dieſen befahl er, ſie unten an der ſteinernen Säule feſt zu binden, ihnen den Rücken zu entblößen, und ſie ſo lange und ſo heftig mit Peitſchen zu züchtigen, bis den Dienern ſeiner Grauſamkeit die Kräfte entwichen. So geſchah es. Er hatte ſich in ſein Zimmer eingeſchloſſen, und als er zu ſich kam, erſtarrte er ſelbſt

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über ſich, zu welcher Unmenſchlichkeit er ſich habe hinreißen laſſen. Durch ein lautes Pochen an der Thür wurde er aus ſeinen Gedanken aufgeſchreckt. Er öffnete, und mit allen Zeichen der Angſt trat ein Diener herein, welcher ſagte: O mein gnädiger Graf, ich fürchtete, Sie ſeien krank, wohl gar todt, denn ich klopfe ſchon lange, und Sie müſſen mich nicht gehört haben. Was willſt Du? Die älteſte, antwor⸗ tete der Diener, von den garſtigen Hexen will Sie durchaus auf eine Minute ſprechen, bevor ſie das Schloß verläßt. Sie läßt ſich durchaus nicht abweiſen, und die härteften - Drohungen und Flüche fruchten bei dem alten Weibe nichts. So ließ der Graf denn die Gemißhandelte in ſein Zim⸗ mer herauf ſteigen. Der Anblick der Armen war zum Ent- ſetzen: der Graf ſelbſt ſchauderte zurück. Ganz mit Blut beronnen, Geſicht und Arme zerſchlagen, eine tiefe Wunde am Kopfe, die man noch nicht verbunden hatte: ſo trat ſie vor ihn. Ich danke Dir, ſo fing ſie an zu ſprechen, mein gütiger Bruder, für Deine chriſtliche Freundlichkeit, die ich in Deinem Schloſſe genoſſen habe. Ja wohl biſt Du ein tugendhafter Mann, ein Verfolger des Laſters, ein unpar- theiiſcher Richter und Beſtrafer der Unthaten. Nicht wahr, ein Racheengel im Dienſt Deines Gottes? Iſt es Dir denn bekannt, weichherziger Menſch, weshalb wir am Bette Dei- nes Weibes ſaßen? Ja, wir hatten ihr gewahrſagt, aber eigentlich wollten wir Dich ſprechen, und Du warſt nicht in Deinem gaſtlichen Hauſe. Wir hatten den Wunſch, uns von der Bande zu trennen, und ein beſcheidenes ehrliches Unterkommen zu ſuchen. Wir kennen den Schlupfwinkel, wo ſich der Haupt⸗Anführer verſteckt hält, jener ſo weit berüch⸗ tigte Mordbrenner, den Du ſo lange vergeblich geſucht haſt: den wollten wir Dir verrathen. Aber Du biſt ärger, als der Verruchteſte in unſerer Bande, und da Du uns ſo viele

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Liebe heute bewieſen haft, jo wird auch dafür der Fluch auf Dich und Deine Familie fallen, und auf Deine Nachkommen bis in das dritte und vierte Glied hinab!

Der Graf, der ſchon längſt ſeinen Jähzorn und ſeine Uebereilung bereute, wollte die furchtbare Alte beſänftigen, er ſprach ihr gütlich zu, und reichte ihr, um ſie zu verſöhnen, ſeine Börſe, die mit Gold angefüllt war. Einen giftigen Blick that die Alte wie gierig auf das Gold, und warf dann mit den Zähnen knirſchend den Beutel dem Grafen vor die Füße. Der Mammon da, ſchrie ſie, hätte mich und meine arme Schweſter glücklich gemacht, aber jetzt nach dem Mit⸗ tagsmahle, das Du uns gegeben haſt, will ich lieber die Rinde der Bäume nagen, als von Deiner vermaledeiten Hand dieſen Reichthum nehmen. So fuhr ſie fort, und war ſinnreich und erfinderiſch in Flüchen, die ſie ausſprach, und in Qualen und Unglücksfällen, die ſie ihm und ſeinem Hauſe verkündigte. Als ſie geendigt hatte, ging ſie wankend die ſteinerne Treppe wieder hinunter, und alles Geſinde floh vor ihr, wie vor einem Geſpenſte.

Von dieſem Augenblicke war der Graf ein verwandelter Mann. Seine Kraft war gebrochen. Er lebte ſeitdem wie ein Träumender, der keinen Willen hat, oder einen Entſchluß faſſen kann. Seine Umgebung konnte nicht erfahren, ob es ihn tief erſchütterte, als ſeine Gemahlin in der Mitternacht nach dieſem verhängnißvollen Tage ſtarb. Selten hörte man ihn von jetzt an ſprechen, oder einen Laut, ſelbſt Seufzer oder Klagen ausſtoßen. Er kümmerte ſich um nichts mehr, und es ſchien ihm gleichgültig, als die Regierung ſein größ⸗ tes Gut einzog, um ihn als Rebellen und Uebelthäter zu beſtrafen. In dieſer Stimmung ſeines Gemüthes gab er ſich ganz in die Hände jener Prieſter, die er vorher fo auf- fallend vermieden hatte; er beſuchte die Kirche fleißig und

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betete mit Inbrunſt. Er ſah ſich nicht um, wenn die Andern hinter ihm herriefen: Da kriecht der alte Böſewicht, der Landesverräther, der Mörder und Rebell wieder in das Gotteshaus hinein! So benutzten denn einige Verwandte ſeinen Blödſinn, um ihm in einem Prozeß ein zweites gro⸗ ßes Gut zu entreißen, und es hatte faſt den Anſchein, als wenn ſeinem einzigen Erben, einem ſchönen Knaben, nichts von den großen Beſitzungen ſeiner Vorfahren übrig bleiben würde, wenn ſich nicht ein verſtändiger Vormund des Kindes mit aller Kraft angenommen hätte.

So weit, beſchloß Theodor ſeinen Bericht, hat uns Freund Blomberg vorher die Geſchichte vorgetragen, als er von Ge⸗ ſprächen, und ſpäter durch Ihre Ankunft, Graf Blinden, unterbrochen wurde.

Man hatte unterdeſſen Erfriſchungen umher gegeben, und der Alte ſagte: Wollen wir die Fortſetzung nicht auf morgen verſparen? Die Wirthin ſtimmte am lauteſten die⸗ ſem Vorſchlage bei, indem ſie ausrief: Mir iſt es lieber, denn da noch die Rede von Geſpenſtern ſeyn ſoll, ſo brauche ich mich wenigſtens heut nicht mehr zu fürchten.

Man trennte ſich, und Theodor und Anſelm beſtiegen ihre Pferde, um noch in der Nacht in verſchiedenen Rich⸗ tungen nach ihrer Heimath zu kehren.

Am folgenden Tage war die ſchöne Sidonie wirklich an⸗ gelangt. So wie ihr Charakter ſich immer zeigte, blieb ſie ſich auch hier getreu, denn ſie ſagte ihren älteren Verwand⸗ ten keine Entſchuldigung darüber, weshalb ſie nicht früher erſchienen ſei; man nahm nur aus ihren Erzählungen ab, daß Launen und Eigenſinn ſie unterwegs länger aufgehalten hatten. Dieſe zufälligen Mittheilungen mußten der ehemalige

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Vormund, jo wie die Tante für Rechtfertigung ihres Betra⸗ gens gelten laſſen.

Es iſt eine ausgemachte Sache, fing der Freiherr Blom⸗ berg nach Tiſche an, daß wir auf Reiſen eigentlich niemals wiſſen können, wohin wir gerathen werden. Es ſind nicht immer die Pferde allein, welche keine Vernunft annehmen, ſondern Poſtillone, ja Poſtmeiſter ſind zuweilen noch ſchlim⸗ mer, des Wetters, der verdorbenen Wege und zerbrochenen Räder gar nicht einmal zu gedenken. Und wie es Unglück giebt, ſo oft auch im Elend ſelbſt ein unbegreifliches Glück. Es iſt noch nicht ſo lange her, daß ein Vetter von mir mit ſeiner jungen Frau und einem kleinen Kinde drüben auf mei⸗ nem kleinen Gute ankam, und der Wagen fiel im Hofe ſogleich um, indem ſie abſteigen wollten. Aber kein Wunder, denn er hatte nur drei Räder. Wir erſtaunten nur, daß die Reiſen⸗ den nicht früher umgeworfen hatten, und noch unbegreiflicher wurde die Sache, als die Diener im Walde, eine Viertel⸗ meile hinein, das fehlende Rad an einem Baume ganz nach⸗ läſſig angelehnt fanden. So hatte ſich alſo der Wagen, ohne daß irgend wer den Mangel bemerkte, von ſelbſt im Gleich⸗ gewichte gehalten, und die Freunde waren unbeſchädigt an⸗ gelangt. Und doch dürfte keiner deshalb ein viertes Rad am Wagen für ſo überflüſſig halten, wie jenes berüchtigte fünfte. In meiner Jugend war ich einmal gezwungen, in den kürzeſten Wintertagen eine ziemlich weite Reiſe beim ab⸗ ſcheulichſten Wetter zu machen. Einen eignen Wagen beſaß ich nicht, und ſo mußte ich mich mit jenen Fuhrwerken be⸗ helfen, die mir die Poſtmeiſter gaben, und die oft nichts weniger als bequem waren und ein ſeltſames Ausſehen hat⸗ ten. So lange ich in der wohlhabenden menſchenvollen Ge⸗ gend reiſete, war es noch erträglich. Aber nun gerieth ich ich Haidegegenden, wo Dörfer und Städte fehlten und Man⸗

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gel vollauf war. Mit der zunehmenden Kälte verwandelte ſich nun der Regen in Schnee, welcher in ungeheuern Maſſen aus den Wolken niederfiel, und Wege, Geſträuche, Gräben und alle Kennzeichen, an denen man ſich orientiren konnte, verdeckte. Weil es in dieſem Landſtriche keine Chauſſeen und große Heerſtraßen gab, war das Fortkommen mit tauſend Schwierigkeiten verknüpft und Geduld war das nothwendigſte Talent, um weiter zu gelangen und auszuhalten.

Hübſch und behaglich wohnte es ſich in der Nacht bei einem jungen Poſtmeiſter, der ſich erſt ſeit kurzem in dieſer Wüſtenei eingerichtet hatte. Wir ſchwatzten beim Abendtiſch, indem wir guten Wein tranken, fröhlich mit einander. Er wollte am folgenden Tage ſeine Braut in ſein Haus führen, die ſchon unterwegs war, um mit den Eltern des Mädchens die Hochzeit im ziemlich großen Hauſe zu feiern. Mein Herr, ſagte er zu mir, indem ich zu Bette gehen wollte, wenn Sie den Rath eines Wohlmeinenden annehmen wollen, ſo bleiben Sie wenigſtens morgen hier bei uns, und nehmen an un⸗ ſerer Freude Theil. Sie haben ſelbſt den Sturm gehört, welcher ſich ſeit einigen Stunden aufgemacht hat, er treibt die Schneemaſſen hin und her, und kein Weg läßt ſich unter- ſcheiden. Ich kann Ihnen leider nur einen kleinen, ganz off- nen Wagen geben, und die nächſte Station iſt weit, vier Meilen von hier. Dazu kommt noch, daß ein junger un⸗ erfahrner Burſche Sie führen muß, denn die älteren ſind fort, mir Eltern und Braut abzuholen. Sie ſparen Zeit und gewinnen, wenn Sie es ſich wenigſtens dieſen einen Tag bei mir gefallen laſſen.

Mein guter Herr, antwortete ich, ich würde Ihr gütiges Anerbieten annehmen, wenn ich nicht allzuſehr preſſirt wäre. Ein Freund erwartet mich auf der nächſten Station, dem ich mein Wort verpfändet habe, unfehlbar einzutreffen. Ich darf

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nicht ausbleiben. Meine Geſchäfte find von der Art, daß ich mit meinem Verwandten auch ſogleich von dort in der größten Schnelle weiter reiſen muß.

Der Wirth, indem er mir gute Nacht bot, ſah mich, wie etwas mißtrauiſch, von der Seite an, als wenn er mei⸗ nen Verſicherungen keinen rechten Glauben zuſtellte. Und er war mit ſeinem Argwohn auch auf keinem ganz unrechten Wege. Denn, mit Menſchenkenntniß ausgerüſtet, wie ich damals mir zutraute, nahm ich Alles, was der Mann mir ſagte, nur für Vorwand und Liſt, um mich länger in ſeinem Hauſe zu behalten. Er hatte bemerken können, daß ich das Geld nicht ſonderlich achtete, ich mochte ihm als reich er- ſcheinen, wofür man in der Jugend ſo gerne gilt, ich hatte ihn gezwungen, mit mir eine Flaſche und mehr von ſeinem theuerſten Weine zu leeren, ich hatte ein leckres Abendeſſen beſtellt, welches er mit mir verzehren mußte. Daher dünkte ich mich nicht wenig politiſch, als ich ſchon um fünf Uhr, lange vor Tage, Alles im Hauſe munter machte, und nach genoſſenem Frühſtück, beim Schein der Laternen, meinen dürftigen Wagen beſtieg. Ich lachte innerlich, indem ich von meinem Wirthe Abſchied nahm, der auch ſchon munter war, und dem jungen blonden Poſtillon alle mögliche Vor⸗ ſicht empfahl. Vom Schnee war eine gewiſſe dämmernde Helle verbreitet, und als wir im Freien waren, fragte ich den jungen Menſchen, ob er ſich getraue, mich bis zur Mit⸗ tagszeit auf jene Station zu liefern, und ob er auch des Weges recht kundig ſei. Er lachte und ſagte: Gnaden, ich bin ja von dort gebürtig und habe den Weg, ſeit ich hier in Dienſt ſtehe, ſchon über zwanzig Mal gemacht. Wie wünſchte ich mir ſelber zu meiner Klugheit und Conſequenz Glück, als ich dieſe tröſtlichen Worte vernahm.

Es ging auch allem Anſchein nach recht gut, wenigſtens

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im Anfange, und ich tröſtete mich um jo mehr, daß mit ein⸗ brechender Helle und dem Tageslicht jede Beſchwer völlig müſſe überwunden ſeyn. Mein Poſtillon ſang, pfiff und blies abwechſelnd, was auch dazu beitrug, meinen Sinn zu erheitern. Jetzt kamen wir in ein Fichtengehölz, in dem der kältere Morgenwind uns anblies und die Dämmerung etwas lichter wurde. Von einer Straße oder einem Wege war nirgend etwas zu ſehen, denn der Schnee hatte alle Spuren verdeckt. Als wir weiter kamen, fiel von neuem Schnee, und mit dem ſtoßenden Winde wurde er ſo hin und her gewir— belt, und nach allen Richtungen geſtreut und getrieben, daß ich in meinem widerwärtigen offnen Fuhrwerk bald alles Bewußtſein verlor. Wenn der Schnee jo ſtoßweiſe mir ent- gegen ſchlug, das Geſicht erkältete und die Augen blendete, ſo war es völlig unerträglich. Wir können es Alle ſchon bemerkt haben, daß ein ſolches Wetter, auch abgeſehen von Froſt und Schmerz, ſelbſt eine betäubende Kraft hat, eine Schwindel erregende, ſo daß man an ſolchem Tage auf viele Minuten oft das Bewußtſein ganz eigentlich verliert. Das begegnete uns denn auch, und ehe ich mich deſſen verſah, hatte mein Poſtillon mich, als wir wieder im Freien waren, in einen tiefen Graben geworfen. Wir hatten ihn nicht be⸗ merkt, und der verhüllende Schnee gab nach. Es koſtete Anſtrengung und Schweiß, das Fuhrwerk wieder in die Höhe und aus dem Graben zu bringen, und als es gelungen war und ich meinen Sitz wieder eingenommen, war ich eigentlich um nichts beſſer daran. Faſt kam mir ſchon die Reue, daß ich der Einladung des verſtändigen Poſtmeiſters nicht nach— gegeben hatte, doch nahm ich Zuflucht zum Stolze und einer conſequenten Ausdauer. So krappelten wir weiter und mein junger Fuhrmann ſchien auch von ſeinem frohen Muthe nach und nach etwas einzubüßen.

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Um nicht zu umſtändlich zu werden, ſage ich nur, daß wir langſam fortirrten, daß die Pferde im tiefen Schnee bald müde wurden, daß nach meiner Rechnung und wenigen Beſinnung die Mittagsſtunde ſchon vorüber ſeyn mußte, denn ich hatte vergeſſen, meine Uhr am Morgen aufzuziehn, und im Nebel und immerwährenden Schneegeſtöber konnte man vom Stande der Sonne nichts erfahren. Mich hungerte, meine Betäubung ging endlich in eine Schläfrigkeit über, gegen die ich mit Gewalt ankämpfen 2 um nicht am Ende gar zu erfrieren.

Es dürfte mir ſchwer werden, tient von dem Rechen- ſchaft abzulegen, was ich in dieſen Stunden dachte, denn mein Geiſt ſchlief wirklich, wenn ich auch meinen Körper noch ſo nothdürftig wach erhielt. Endlich kam es mir vor, als wenn ſich die Luft zum Dunkeln anſchickte, wenigſtens wurden Nebel und Schnee noch dicker. Keine Spur von Wohnung oder Menſchen. Die Pferde waren ganz matt, und nach meiner träumeriſchen Rechnung mochten wir dem Abend nahe ſeyn. Der junge Poſtillon war abgeſtiegen, um an den Strängen etwas zu knüpfen, die beim deutſchen Fuhrweſen immerdar ſchlecht und in Unordnung ſind. Als ich mich zu ihm hinbeugte, um mit ihm zu ſprechen und etwas Tröſt⸗ liches zu erfahren, ſah ich zu meinem Schrecken, daß der Burſche ganz unverholen weinte, und endlich gar laut ſchluchzte. Was iſt Dir? Ach! gnädiger Herr, lautete ſeine Antwort, mit den Pferden, und auch mit uns, iſt es völlig aus. Wir ſind ſchon ſeit ſtundenlang auf keinem gebahnten Wege mehr. Es hat mich einer behext, ich weiß nicht, wo wir ſind. Ich bin in die Wildewahl hinein gerathen. So nannte er, nach ſeiner Bauernſprache, unſre Verirrung.

Aber was anfangen? Wenn uns der Heiland nicht durch ein Wunder errettet, fo müſſen wir hier umkommen.

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Muth gefaßt, Kleiner! heut früh warſt Du fo dreiſt und luſtig. Ja, damals war ich noch nicht verhert. Wir können hier aber nicht bis zum Frühling halten. Ach Gott! wir müſſen hier umkommen. Und die heißen Thrä⸗ nen rollten wieder in den Schnee. |

Ich ſah, daß der Burſche alle Faſſung verloren hatte. Zum Glück hatte ich noch einen Reſt von ſüßem Wein bei mir, womit ich den ſchon ganz Verzweifelnden ſtärkte, und ſo ſetzte er ſich, etwas ermuthigt, auf den Bock, um auf gut Glück oder ſchlimm Unglück weiter zu fahren, indem die Dämmerung, und bald darauf auch die Finſterniß, wirklich hereinbrach.

Ich war jetzt weniger betäubt. Mit der größten An⸗ ſtrengung horchte ich umher, ob der Laut eines Menſchen, das Bellen eines Hundes mein Ohr träfe. Aber alles war ſtill wie die todte Mitternacht. Faſt mußte ich ſorgen, daß die Pferde, die immer häufiger ſtolperten, ohnmächtig nieder⸗ ſinken möchten. Ich ſprach, ſo gut es ſich bei dem Getöſe des Windes thun ließ, mit meinem Fuhrmann, damit er nicht einſchliefe, oder von neuem in ſein troſtloſes Weinen verfiele. Meine Situation war in der That keine beneidens⸗ werthe, und in ſtumpfer Reſignation war ich ſo tief geſun⸗ ken, daß ich ſchon auf den andern Morgen zu hoffen begann, obgleich ich es wußte, daß die Nacht nur feit kurzem be⸗ gonnen hatte.

Eine Art von Schimmer verbreitete in der ſchwarzen Nacht der fallende und liegende Schnee; dieſes Aufdämmern diente aber mehr, Augen und Sinne zu verwirren, als zu irgend einem Sehen zu verhelfen.

Endlich, ſo bildete ich mir ein, hörte ich etwas, wie aus weiter Ferne: es ſchien auch etwas Dunkles, Feſtes ſich in die Luft hinein zu erſtrecken. So war es auch, denn wir

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geriethen nun wieder in einen Wald. Immer eine Art von Gewinn, wenn wir die Nacht doch einmal im Freien zubrin⸗ gen ſollten. Jene Laute, die auch wohl nur eingebildet wa⸗ ren, ließen ſich nun aber nicht mehr vernehmen.

Nachdem wir eine Weile noch fortgeſtolpert waren, zeigte ſich wirklich ein Lichtlein ganz, ganz ferne. Ich wollte erſt meinen Augen nicht trauen, aber der Poſtillon entdeckte es ebenfalls. ——

Hier wurde der Erzähler unterbrochen, denn Anſelm, ſo wie Theodor, die eben vom Pferde geſtiegen waren, traten ein. Theodor wurde roth vor Freude, als er die ſchöne Sidonie erblickte. Er begrüßte ſie ſo lebhaft und leiden⸗ ſchaftlich, daß die Wirthin lächelte und Blinden herzutrat, um ebenfalls dem jungen Mann Willkommen zu ſagen und ihm die Hand zu bieten.

Sie kommen einen Augenblick zu früh, meine werthen Gäſte, ſagte die Baronin, denn ſo eben iſt unſer Blomberg bei der Entwickelung einer intereſſanten Geſpenſtergeſchichte, die er ſelbſt erlebt haben will.

Man ſetzte ſich wieder, und Blomberg ſagte verwun⸗ dert: Geſpenſtergeſchichte?

Nun ja, fiel Sidonie ein, was kann denn nur das räthſelhafte ferne Licht anders ſeyn, als die erleuchtete Kam⸗ mer einer Elfe, oder das Begräbniß eines wunderbar Er⸗ mordeten, deſſen Geſpenſt dort im Schein der Irrlichter umirrt und Buße thut, oder ſeinen Mörder auf ſchauerliche Weiſe anklagen will.

Sie haben Recht, ſagte Blomberg lachend, ſo ſollte eigent⸗ lich der Regel nach die Geſchichte fortfahren und mein Po⸗ ſtillon ſchien auch derſelben Meinung zu ſeyn; denn hatte er bis jetzt nur im Stillen geſchluchzt, ſo fing er jetzt vor

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Grauſen und Entſetzen laut zu heulen an und wollte anfangs meinen Fragen und Ermahnungen kein Gehör geben.

Immer rief der junge Menſch, als wir näher kamen: Nun ſind wir verloren! Lauter Hexen und Geſpenſter! Das iſt nicht die Station! Wir ſind in einem fremden Welt⸗ theile! f Ich konnte ihn nur mit Mühe dahin bringen, daß er die todmüden Pferde ſtärker antrieb, denn er zitterte und weinte.

Meine Neugierde ward geſpannter, als wir näher kamen. Es ſchien mir ein großes Haus, welches mir, hell erleuchtet, entgegen glänzte. Meine Phantaſie, indem ich von den viel⸗ ſtündigen Leiden alle meine Kräfte erſchöpft fühlte, bildete aus der breiten Maſſe bald einen großen feenartigen Palaſt, ich ſahe Säulen und glänzende Balkone, wunderliche Zinnen und Thürme, nebſt allen Zubehören eines Zauberſchloſſes. Nicht lange, ſo vernahm ich Muſik. Ganz wunderbare Töne ſchlugen an mein Ohr, und ich rüttelte mich endlich gewalt⸗ ſam auf, weil ich fürchtete, ich ſei eingeſchlafen und Alles nur ein Traum.

Nun, ſagte Graf Blinden, ſchlieft Ihr wirklich, Freund? Nichts weniger, antwortete Blomberg, Alles war wirklich. Wirklich? rief die Wirthin mit großem Erſtaunen aus.

Wenn ich ſage Alles, ſagte der Freiherr lachend, ſo meine ich damit, wie jener Hettmann der Koſacken, Einiges, und alſo bei weitem nicht Alles. Das hell erleuchtete große Haus blieb, die Muſik verſchwand ebenfalls nicht, wohl aber die prächtigen Balkone, die königlichen Säulen, die roman⸗ tiſchen Thürme und Zinnen des Mittelalters, welche ſich in ganz alltägliche Schornſteine verwandelten.

Aber ſo ſagen Sie doch endlich, was es nun war! rief Blinden.

Tieck's Novellen. IX. 7

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Mich wundert's nur, ſagte Blomberg ganz ruhig, daß Sie es noch nicht errathen haben. Ich war freudig und beruhigt, daß ich wieder zu Menſchen gerieth, mochten es ſeyn, welche es wollten, da meine Noth den höchſten Grad erreicht hatte, und ich jener unerträglichen, völlig hülfloſen Einſamkeit entronnen war. Es war mir daher nur erfreu⸗ lich, als mir aus der Thür des Hauſes jener Poſtmeiſter mit einem ſatiriſchen Lächeln entgegen trat, den ich heut morgen ſo überaus früh und in haſtiger Geſchäftigkeit ver⸗ laſſen hatte. Wir waren in dieſen vierzehn Stunden müh⸗ ſelig im Kreiſe rundum gefahren, um zerſchlagen, erfroren, ganz verhungert und übermüdet da wieder anzulangen, wo wir unſere Reiſe begonnen hatten. Sie hätten es bequemer haben können, ſagte der gutmüthige Mann, indem er mich wegen meines Unglücks, zugleich aber auch ſeine hinfälligen Pferde bedauerte. Ich mußte, da man auf mich nicht mehr gerechnet hatte, in einem kleinen Stübchen mich einrichten, und erſt am folgenden Tage konnte ich, ausgeruht, meinen Antheil an den Freuden der Hochzeit nehmen. Ich war aber nun ſo klug, daß ich das ſchlechte Wetter austoben ließ, und ohne mich zu übereilen, erſt nach vier Tagen weiter reiſete. Ein alter, erfahrener Poſtillon brachte mich zur 3 Station.

So waren wir denn, ſagte die Wirthin, getäuſcht, in⸗ dem wir eine Geſpenſtergeſchichte erwarteten. Wir dürfen Ihnen aber jene nicht ſchenken, deren Erzählung Sie noch nicht vollendet haben, und welche neulich Graf Theodor dem Hinzugekommenen erläuterte.

Man ſetzte ſich in einen Halbkreis und die übermüthige

Sidonie ſagte: Wenn ich auch wenig oder nichts von jenem Vorfalle weiß und ſo mitten hinein gerathe, ſo will ich den⸗

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noch Intereſſe nehmen, denn Geſpenſter und Alles, was da— mit zuſammenhängt, ſind meine Paſſion.

Recht ſo! rief Anſelm aus, kann man doch nicht wiſſen, ob wir nicht alle noch einmal umgehn werden, denn keinem ſteht es an der Stirn geſchrieben, ob er nicht aus eines Bäckers Tochter oder Sohn zur Eule wird.

O ihr junges Volk! ſagte der alte kranke Blinden mit einem tiefen Seufzer: euch fällt es doch niemals ein, daß ihr ſchon vor dem Tode zu Geſpenſtern werden müßt; denn was iſt der hülfloſe, mürriſche, runzelvolle Greis anders, wenn man das Bild jenes blühenden Jünglings zurückruft, welches er vor vierzig oder funfzig Jahren darſtellte. Wie wird unſer Sidonchen ausſehn, wenn ſie achtzig Jahr alt werden ſollte.

Ich bitte mir einen andern Discurs aus! wie manch⸗ mal der Wiener ſagt, rief Sidonie ganz empfindlich; Vormünder dürfen unhöflich ſeyn, und von dieſem erloſchenen Recht machen Sie noch immer Gebrauch.

Alſo denn, rief der kranke Graf, zu jenen wirklichen, ächten Geſpenſtern, lieber Blomberg, um uns von den imagi-

nären abzuwenden. Ihre idealiſchen ſind vielleicht angenehmer. | Blomberg fing an: Sie willen alſo, theuere Freunde, wie Graf Moritz mehr und mehr verarmte, und feinen Nach- kommen nur wenig von jenem großen Vermögen hinterließ, welches ihm durch Erbſchaft zugefallen war. Kriege brachen auch ein, doch erhielt ſich der nächſte Beſitzer der Klauſen⸗ burg und ſeine Familie und war in der Nachbarſchaft ans geſehen und geachtet. Fleiß, Glück, die Heirath mit einem wohlhabenden Fräulein brachten ihn wieder empor. Und ſo gelang es den Bemühungen jenes Erben, daß ſein Schloß noch einige funfzig oder ſechszig Jahre mit ſeinem alter⸗ thümlichen Schmuck in unſrer Nachbarſchaft glänzte, daß

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Freunde und Verwandte ihn gern befuchten, und daß er ſei⸗ nem einzigen Sohne, als er ſtarb, die übrig gebliebenen Güter im guten Zuſtande und noch bedeutende baare Summen hin⸗ terlaſſen konnte. Jener Fluch der Zigeunerinnen ſchien alſo gänzlich beſeitigt, erloſchen oder eingeſchlafen zu ſeyn. Der Graf und ſein Sohn hatten die frühere Begebenheit völlig vergeſſen, von dem Fluche mögen ſie auch vielleicht nichts erfahren haben.

Ich war ein munterer Knabe, als ich die Bekanntſchaft mit dem letzten jungen Erben, Franz, dort auf der Klauſen⸗ burg machte. Dieſer Franz, etwa um ein Jahr älter, als ich, war heiter, ſchön, liebenswürdig, die Freude ſeines Va⸗ ters, jenes thätigen Mannes, der den Glanz ſeiner Familie zum Theil wieder hergeſtellt hatte. Da mein Vater nur einige Meilen von hier auf ſeinem Gute wohnte, ſo kam ich oft von den jenſeitigen Bergen nach der Klauſenburg herüber, und habe auch oft Ihrer Frau Mutter, meine gnä⸗ dige Baronin, meine Aufwartung gemacht, zuweilen auch, als ein ungezogener Junge, hier vielen Unfug getrieben.

Ich war damals noch nicht geboren, ſagte die Wirthin.

In jenen Tagen, ſagte Graf Blinden, bin ich niemals in dieſe Berggegenden gekommen.

Dieſer mein Spielkamerad, Franz, fuhr Baron Blom⸗ berg fort, erwuchs nicht nur zur Freude ſeines Vaters, ſon⸗ dern aller Menſchen. Er war ſchön, witzig, beliebt, geſchickt als Tänzer und Reiter, und im Fechten konnte ſich Niemand mit ihm meſſen. Er hatte ſich dem Fürſten vorſtellen laſſen, deſſen Gunſt er auch durch ſein heiteres Weſen gewann, und in deſſen Dienſt war er nach wenigen Jahren zum Rath empor geſtiegen. Wenigen Menſchen auf Erden ſchien ein ſo glückliches Loos bereitet zu ſeyn. Alle Mütter und Tan⸗ ten in der Nachbarſchaft ſahen und wünſchten in ihm auch

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den künftigen Mann ihrer Töchter und Nichten, und in der Stadt war er auf den Bällen der vergötterte und verzogene Held der jungen Mädchen, fo wie der Gegenſtand des Nei- des und der Verfolgung aller männlichen Stutzer. Man begriff es nicht, daß der junge Mann ſo lange mit ſeiner Wahl zögerte, und lange wollte man den Gerüchten, die darüber umliefen, keinen Glauben ſchenken. Es hieß nehm⸗ lich, es habe ſich ein Verſtändniß mit der Tochter des Für⸗ ſten angeſponnen. Die beiden Liebenden warteten alſo, ſo erzählte man ſich im Vertrauen, auf irgend einen Zufall, auf eine Begebenheit, die ihnen zum Glück ausſchlagen möchte, um öffentlich ihre gegenſeitige Leidenſchaft und ihre Wünſche zu bekennen. Dieſer Fall ereignete ſich aber nicht und Jahre vergingen, und mit ihnen erloſchen die Gerüchte und jene mannichfaltigen Deutungen der vielklugen Politiker.

Plötzlich, als kein Menſch mehr dieſer Sache dachte, ward mein Jugendfreund durch die Ungnade ſeines Fürſten vom Hofe und aus der Stadt verbannt. Alle ſeine ehemali⸗ gen Freunde wichen von ihm zurück. Noch ſchlimmer, daß ihm die von oben beſchützte Chikane einen gefährlichen Pro⸗ zeß an den Hals warf, der ihn mit dem Verluſt ſeines gan⸗ zen Vermögens bedrohte. So ſah ſich der geſchmeichelte, bewunderte und von aller Welt geliebkoſ'te Franz in der ſchlimmſten Lage und mußte ſich geſtehen, daß ſein Lebens⸗ lauf beſchloſſen, und alle glänzenden Ausſichten für immer verdunkelt ſeien.

Ich ſah ihn um dieſe Zeit wieder. Er ertrug ſein Un⸗ glück wie ein Mann. Noch war er jugendlich ſchön und die Heiterkeit ſeines Humors hatte nur wenig gelitten. Wir be⸗ reiſeten die hieſige Gegend, und da die Klauſenburg faſt ſchon eine Ruine geworden war, ſo hatte er nicht gar weit davon, am Abhange eines Berges ſich ein niedliches Haus

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gebaut, von welchem er der ſchönſten Ausſicht genoß. Es iſt daſſelbe, das eine halbe Meile von hier liegt, und jetzt dem alten kranken Förſter, dem verarmten Matthias, gehört.

Jenes, rief plötzlich Theodor aus, vor dem ſogenannten Eibenſteige? |

Daſſelbe, antwortete Blomberg. N

Daſſelbe? wiederholte Theodor faſt mechaniſch, und wie in Gedanken verloren.

Aber, warf Anſelm lebhaft ein, was kümmern uns alle dieſe Dinge? Sorgen wir doch lieber, daß die einlei⸗ tende Erzählung zu Ende kommt, damit wir nur an den Anfang der Geſpenſtergeſchichte gelangen. Das neue Haus, welches wir, wie ich glaube, alle kennen, iſt eben das neue Haus, und jene veraltete Klauſenburg iſt das Geſpenſterneſt. Und von dieſem ſollten wir etwas mehr erfahren.

Sie machen mich irre, ſagte Blomberg verdrüßlich, denn wenn ich erſt weiter vorgerückt bin und im Namen und der Perſon meines Freundes Franz erzählen werde, darf ich noch weniger unterbrochen werden, und muß mich noch mehr vor Zerſtreuung hüten. Alſo, ich fand dieſen Franz ziemlich heiter und verſtändig. Er vermied es, von ſeinen früheren Verhältniſſen zu ſprechen, doch war er eines Abends ſehr gerührt, als ihm ein Brief den Tod der jungen Fürſtin meldete, die am gebrochenen Herzen verſchieden war, oder die, wie man ſpäter behaupten wollte, willkürlich ihren Tod geſucht hatte, weil fie die Laſt eines verbitterten Lebens nicht mehr ertragen konnte.

Ich ſah wohl, daß eine ſtille Melancholie meinen Freund in den meiſten Stunden beherrſchte, indeſſen war er nicht gemüthskrank, es zeigten ſich bei ihm keine Spuren von Lebensüberdruß; ſo daß ich hoffen durfte, ſein Unglück und die Schickſale, die er erlebt hatte, würden dazu dienen, ſeinen

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Charakter zu läutern und ihm die ächte Haltung zu geben, die auch dem Unangefochtenen nothwendig iſt, wie vielmehr dem, welcher ſchwere Prüfungen durchzugehen hat.

Es lebte damals ein verwildertes altes Weib in den hieſigen Gegenden, und trieb ſich bettelnd und halbwahn— ſinnig in den Dörfern herum. Die Vornehmeren nannten ſie ſcherzend nur die Sibylle, und die gemeinen Leute trugen kein Bedenken, ſie geradezu für eine Hexe auszugeben. Man wußte nicht eigentlich, wo ſie wohnte, auch mochte ſie wohl keine Hütte oder eine ihr zugehörige Einkehr beſitzen, weil man ſie ſtets auf den Landſtraßen traf und ſie allenthalben in der Provinz umherſchwärmte. Einige alte Jägersleute wollten behaupten, ſie ſei noch ein Nachkomme jener berüch⸗ tigten Zigeunerbande, welche Graf Moritz vor Jahren vers folgt und zerſtreut hatte.

Indem wir in einem ſchönen Buchenwalde in Geſprächen wandeln, die uns ganz von der Außenwelt abziehn, ſteht plötzlich, bei einer Wendung des Fußſteiges, dieſe alte häß⸗ liche Sibylle vor uns. Wir waren verwundert, aber auf keine Weiſe erſchreckt, denn wir waren beide in einer heitern Stimmung. Als wir die freche Bettlerin lachend mit eini⸗ gen Münzen beſchenkt hatten, kam ſie, nachdem ſie ſchon fortgeſprungen war, in Eile zurück, indem ſie ſagte: Wollt ihr denn für euer Geld nichts prophezeit haben? Wenn es was Gutes iſt, erwiederte ich, ſo kannſt Du Dir noch einige Groſchen verdienen. Ich hielt ihr die Hand hin, die ſie mit Aufmerkſamkeit betrachtete, und dann höhniſch ſagte: Ihr habt, guter Geſell, eine ganz miſerable Hand, an der jeder, auch der beſte Prophet, zu Schanden werden muß. So ein mittelmäßiges Geſchöpf, wie Ihr es ſeid, iſt mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen: weder klug noch dumm, weder böſe noch gut, weder glücklich noch un⸗

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glücklich. Ohne Leidenſchaften, Geiſt, Tugend oder Bosheit, ſeid Ihr ſo recht einer der ABC-Schüler von unſers Herr⸗ gotts dummen Jungen, und Ihr werdet nicht einmal das kleine Verdienſt haben, jemals in Eurem Leben Eure eigene Erbärmlichkeit einzuſehen. Aus der elenden Hand und dem nichtsſagenden Geſicht iſt gar nichts zu prophezeien, denn ein ſolcher trockner Baumſchwamm, wenn er nicht erſt präparirt und gebeizt iſt, kann keinen Funken in ſich aufnehmen: ſo könnt Ihr, Hans von Unbedeutend, in Eurer ſtumpfen Natur auch nichts erleben. c

Hier erhob ſich im Saale von allen Zuhörenden ein lautes Gelächter. Daß Sie dieſe Recenſion ſo auswendig behalten haben, ſagte Anſelm, macht Ihnen alle Ehre. Nun, iſt denn dieſe Prophezeiung in Erfüllung gegangen?

Der gutmüthige Blomberg hatte mit den übrigen ge⸗ lacht und ſagte nun etwas empfindlich: Jetzt, Herr Baron, ſind bei uns dieſe Wahrſager ausgeſtorben, ſonſt könnten ſich unſere jungen Leute auch Raths erholen, um an Selbſt⸗ kenntniß zuzunehmen. Ich trage dieſe unbedeutende Begeben- heit als Geſchichtsſchreiber mit der gehörigen Treue vor, und es kann dabei von der Kritik meines eignen Selbſt nicht die Rede ſeyn.

Sehr wahr, ſagte die freundliche Wirthin: Sie, Baron, ſind die Güte ſelbſt; und wenn man ſo über ſich ſelbſt zu ſcherzen verſteht, ſo haben die jungen Leute keine Urſach, aus dieſem Scherz Ernſt machen zu wollen.

Ich glaube gar nicht, ſagte Sidonie mit geſpitztem Tone, daß das alte Weib ſo zu unſerm Freunde geſprochen hat, ſondern ich meine vielmehr, er improviſirt dieſen Pane⸗ gyrikus, damit wir ihm alle widerſprechen und ſein Lob in den lauteſten Tönen ſingen ſollen.

Dann hat er ſich aber über die Maßen verrechnet, meine

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ſchnippiſche Schönheit, ſagte Graf Blinden, denn ein ſolches beifälliges Lachen, wie er es erregt hat, kann gewiß nicht für Widerſpruch gelten. Fahren Sie fort, Freund, und hören Sie auf die Jünglinge gar nicht hin.

Blomberg erzählte: Mein Freund Franz lachte nicht über meine Charakteriſtik und die Ausſprüche des alten Wei⸗ bes, ſondern weil er mich liebte, ward er im Gegentheil böſe und fuhr ſie mit heftigen Redensarten an. Eben ſo unbillig, als über die Worte der alten Vettel Schadenfreude zu empfinden! Sie hörte ihm ganz ruhig zu und ſagte dann: Warum ſo böſe? Wenn Ihr mir für meine Be⸗ mühung und Weisheit nicht noch etwas ſchenken wollt, ſo laßt mich ruhig gehn. Denn die Menſchen können es frei⸗ lich nicht gut vertragen, wenn man ihnen ſo ihr eigenes Inneres an das Tageslicht zieht. Was kann ich denn dafür, daß in Deinem Freunde da nicht mehr und Beſſeres ſteckt? Er iſt nicht mein Sohn, noch mein Zögling. Sehn Sie, meine Freunde und Zuhörer, ſo wollte die Wahrſagerin ihre vorige Grobheit durch eine neue gut machen und rechtfertigen. Franz war auch wieder beſänftigt und gab der Bettlerin einen Dukaten, indem er ſagte: Pflegt Euch, Alte: wo wohnt und hauſet Ihr?

Wo ich bin, antwortete ſie, mein Dach wechſelt ſo oft, daß ich nicht ſagen kann, wie es ausſieht: nicht ſelten iſt es offen, und mein Camrad der Sturmwind. Natur nennen ſie's, wo die Menſchen nichts hingebaut haben. Aber ich danke und muß Euch Eure Freundlichkeit vergelten. Mit Gewalt faßte fie ſchnell die widerſtrebende Hand des Freun— des, hielt fie zwiſchen den knöchernen Fingern feſt und bes trachtete ſie lange, dann ließ ſie den Arm mit einem tiefen Seufzer fallen und ſagte mit einem Tone, der tiefe Trauer ausdrückte: Sohn! Sohn! ei, Du ſtammſt aus einem böſen

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Blut, von ſchlimmen Vorfahren ein ſchlimmer Sproß. Aber zum Glück biſt Du der letzte Deines Stammes, denn Deine Kinder würden noch ſchlimmer werden. Was einmal böſe angefangen hat, muß auch ein böſes Ende gewinnen. Ei! ei! und Deine Phyſiognomie! Deine Mienen! Dein ganzes Geſicht! Iſt mir doch faſt zu Muthe, als wenn ich einen Mörder vor mir ſähe. Ja, ja! Du haſt ein junges, ſchönes und vornehmes Mädchen umgebracht. Auf ihrem Sterbebette hat fie lange mit Gram und Angſt gerungen. Könnt ihr denn nicht treu ſeyn und eure Schwüre halten, ihr Böſe⸗ wichter? Nicht Meſſer, Degen und Flinte tödten und ſchnei⸗ den. Auch Blicke, auch ſüße Worte: o die verführeriſchen Reden und all das lügenhafte Schönthun! Nun bricht die glänzende Hülle zuſammen und wird der Verweſung gegeben, die erſt euer dummes Auge blendete. Schönheit! o du un⸗ glückſelige Gabe des Himmels! Und auch Du, Mordgeſell, biſt ſchön genug, um noch andere umzubringen. Die Flüche des Vaters verfolgen Dich nun, Du magſt nun hier im Walde, oder in Deinen ſchön tapezirten Stuben ſeyn. Meinſt Du nicht, fühlſt Du es nicht, wie ſie, recht aus dem Herzen kommend, das Unglück und Elend auf Dich hinwehen, wie der Sturmwind die dürren Blätter in die Tiefe des Ge⸗ birges hinſtreut? Wo iſt Deine Ruhe, Dein Glück, Dein Vertrauen? Alles zerſtiebt wie Flugſand in der dürren Ebene; keine Frucht kann hier Wurzel faſſen.

Mit einemmale jauchzte die Wahnſinnige laut auf und lief ſchreiend und widerwärtig ſingend in den dichteſten Wald hinein. Als ich mich umſah, erſchrak ich, denn mein Freund war todtenbleich geworden; er zitterte ſo heftig, daß er ſich auf einen Grashügel wie ohnmächtig niederſetzen mußte. Ich ſetzte mich zu ihm und ſuchte ihn zu tröſten und zu be⸗ ruhigen. Iſt dieſe Beſeſſene, rief er aus, von der Wahrheit

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begeiftert? Sieht fie wirklich Vergangenheit und Zukunft? Oder ſind es nur wahnſinnige Laute, die ſie in thieriſcher Gedankenloſigkeit herausſtößt? Und wenn dies iſt, ſind dieſe zuſammengewürfelten Worte nicht vr die ächten Orakel aller Zeiten geweſen.

Er überließ ſich den Thränen und lauten Wehklagen, er rief jetzt laut in die Lüfte, was er bis dahin ſo ſorgſam in ſeinem Innerſten geheimnißvoll verſchloſſen hielt. Ja Fluch, Fluch! rief er aus, allem Talent, der Rede, der An⸗ muth und allen Gaben, die uns ein ſchadenfrohes Schickſal mittheilt, um uns und andere zu verderben! Konnt' ich nicht dem erſten ihrer freundlichen Blicke aus dem Wege gehn? Warum ließ ich mich bethören, Blick mit Blick und nachher Wort mit Wort zu erwiedern? Ja, ſie war liebenswerth, edel und ſchön, aber in meinem Herzen erhob ſich mit den beſſeren Gefühlen auch die Eitelkeit, daß gerade ſie, die höchſte es war, die mich ſo auszeichnete. Nun trat ich näher, dreiſter, beſtimmter, und mein geläutertes, hochgeſtimmtes Gefühl überraſchte und gewann ſie. Sie ſchenkte mir ihr Vertrauen. Ihr Herz war ſo ſchön und groß; ach! alle dieſe Jugendgefühle ſo zart und innig; es war ein Paradies, was ſich uns beiden aufthat. Wir glaubten, kindiſch genug, es könne kein höheres Glück auf dieſer Erde uns geboten werden, dieſe himmliſche Gegenwart, der Moment genügte uns. Nun erwachte aber in meinem Herzen die Leidenſchaft. Das hatte fie nicht erwartet, fie erſchrak und zog ſich zurück. Das ſtachelte meine Eigenliebe, ich fühlte mich unglücklich, zerſtört, der Krankheit nahe. Das erbarmte ſie, ſie kam mir wieder näher. Durch eine vertraute Kammerfrau ward es uns möglich, uns oft ohne Zeugen zu ſehn und zu ſprechen. Unſer Verſtändniß war inniger, unſre Liebe gewiſſer und zärtlicher, aber da dieſe Gefühle in Worte gefaßt und be⸗

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wußtvoller ausgeſprochen wurden, fo war auch auf immerdar jener paradieſiſche Hauch, jener überirdiſche Duft verſchwun⸗ den. Es war ein Glück, aber ein anderes, irdiſcher, freund⸗ licher, vertraulicher, aber nicht von jener Magie umgeben, die mich in der früheren Zeit entzückt hatte, ſo daß ich mich wohl oft im Stillen fragen konnte: Biſt Du denn glücklich? Ach! mein Freund! indem wir uns oft ſahen wie viel Entwürfe, thörichte und wahnſinnige, wurden da ge⸗ macht! Es war von unſerer Zukunft die Rede, an welche der ſchwärmend Liebende in den erſten Zeiten ſeiner Ent⸗ zückung niemals denkt. Einmal ſchien eine Gelegenheit ſich anzubieten, ſie zur Ehre des Hauſes zu vermählen. Da er⸗ wachte Wuth und böſer Hader in mir. Sie ward von mei⸗ nem Zorn bis in das innerſte Herz mißhandelt, da es ſchien, als wenn ſie dieſer glänzenden Verbindung nicht abgeneigt wäre. Ich war ſchlecht in meiner Leidenſchaft, und tief fühlte ſie meine Entartung, mehr in ihrer Liebe um meinet⸗ willen, als ihrer Schmerzen wegen. O, ſie hat dieſes Bild meiner Raſerei niemals wieder in ihrer Seele vertilgen können. Um mir die Schmerzen gut zu machen und mich ganz zu verſöhnen, ſtieg ſie zu meinem geringern wildern Weſen herab. Unſre Herzen hatten ſich wieder ganz ausge⸗ ſöhnt, aber mit Sehnſucht ſah ich aus den ſchwefelgelben Gewitterwolken, die mich jetzt umgaben, nach jener Himmels⸗ klarheit zurück, die mich anfangs ſo blendend angeſtrahlt hatte. Wir lebten in unſerm Dünkel wie Verlobte und träumten von unſerer Vermählung, von unerwartetem Glück, von Freuden aller Art und Wendungen des Schickſals, die niemals eintreffen konnten. Aber wir tappten im Nebel um⸗ her und hielten das Unmöglichſte für nahe und natürlich. Dieſe Angewöhnung in unſrer Liebe vertilgte allgemach die nöthige Vorſicht. Die Augen der Späher erwachten und

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ſchärften ſich an unſrer Unvorſichtigkeit. Gerüchte entſtanden, die den Herrn ſelbſt vielleicht niemals erreicht hätten, wenn nicht ſein eigener Blick unſer Verhältniß geahndet und er⸗ rathen hätte. Nun vernahm er auf ſeine halben Fragen mehr, als er wiſſen wollte, und weit mehr, als mit der Wahrheit verträglich war. Er ließ mich zu ſich kommen, ganz allein in ſein Kabinet. An dieſem feierlichen Abend enthüllte ſich mir die Schönheit ſeiner großen Seele. Ohne mir Vorwürfe zu machen, maß er ſich ſelbſt die nächſte Schuld meiner Anmaßung bei, daß er mich mit zu großem Vertrauen faſt wie einen Sohn behandelt habe, daß er für mich ſo viel vom Herkommen und der Etikette nachgelaſſen, daß er ſich ſelber thöricht gefreut, daß ſeine Tochter durch meinen Umgang ſich bilden und von mir lernen könne. Als er ernſter wurde, und ich dem erſchütterten Vater der Wahr⸗ heit gemäß bei meiner Ehre und bei Gott betheuern konnte, daß unſere Leidenſchaft uns zu keinem Verbrechen hingeriſſen habe, daß unſer Genius uns nicht verlaſſen, ward er wieder milde, und ſagte und verbot mir nur, was ich mir ſelber ſagen konnte. Ich durfte die Tochter niemals wieder heim⸗ lich ſehn, ich ſollte durch Verſtand und Charakter ſie allge- mach von dieſer kranken Leidenſchaft heilen, die ich thöricht in ihr entzündet hatte, und mich dadurch ſeines Vertrauens und ſeiner Liebe von neuem würdig machen.

Mir war, ſo fuhr Franz fort, plötzlich wie eine Decke von meinem Angeſicht genommen. Ich kann wohl ſagen, daß durch dieſe eine Unterredung mein ganzes Weſen ver— wandelt war. Die Wahrheit, die Wirklichkeit war nun end⸗ lich mit ſiegender Gewalt auf mich eingedrungen. Manche Lebensperioden ſind einem lebhaften, wunderſamen Traume zu vergleichen, man erwacht zur Nüchternheit, aber man fühlt

ſich doch erwacht.

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| O mein Freund, dieſe Wahrheit aber war, oder erzeugte mir die Hölle. Mein Geiſt gab dem edeln Vater in allen Dingen nach, er hatte Recht, im vollkommenſten Sinne des Wortes. Wenn ich Juliane bewunderte und ihren Werth erkannte, wenn ſie mir Freundin war, und ich ihr wichtig genug, daß ich ihr Daſein erhöhen konnte, was hatte das mit der Leidenſchaft, mit dem Ringen nach ihrem Beſitz zu thun? Von dieſer Ueberzeugung war ich jetzt durchdrungen und dieſes Gefühl that mir wohl. Wie anders aber war es mit ihr! Wenden ſich die Verhältniſſe ſo, ſo werden in der Regel dann die Frauen in das verzehrende Feuer der Leiden⸗ ſchaft treten. Welche Briefe erhielt ich von ihr, nachdem ich ihr meinen Entſchluß und den Rath, ſich der Nothwendigkeit zu fügen, mitgetheilt hatte! Ich ſagte ihr faſt nur dieſelben Sachen, die ich früher, als mein Ungeſtüm in ſie drang, aus ihrem ſchönen Munde gehört hatte. Aber ihr Ohr war jetzt ein anderes, als damals. Taub jedem Rath, gefühllos jeder Freundlichkeit, unzugänglich jeder Ueberzeugung, hörte ſie nur die wilden Eingebungen ihrer Leidenſchaft. Meine Vernunft ſchien ihr Feigheit, meine Reſignation nannte ſie Nieder⸗ trächtigkeit. Sie, einzig und allein ſie ſollte bei dieſer Frage, die jetzt in meinem Herzen war erörtert worden, berückſich⸗ tiget werden. Kurz, ſie ſpielte jetzt dieſelbe Rolle, die ich ihr früher dargeſtellt hatte. Da ich auf mein Betragen ſpäter mit Reue und Beſchämung blickte, ſo glaubte ich, durch ruhiges Beharren ſie auf denſelben Punkt allgemach führen zu können. Aber meine Hoffnung erfüllte ſich nicht. Selt⸗ ſam, daß ich jetzt deshalb geängſtigt war, weil ich das im übervollen Maß beſaß, was ich ehemals für mein höchſtes Glück gehalten hätte: und daß ſich jetzt mein innigſter Wunſch nur erſtreckte, fie zur Ruhe, ja Kälte, und Gleich⸗ gültigkeit zurückführen zu können. So wunderlich behandeln

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uns oftmals die Götter in Austheilung ihrer Gaben. Meine Briefe verletzten ſie, ſo ſah ich aus ihren Antworten, immer tiefer. So kam es denn, daß ich ſelbſt wünſchen mußte, wieder einmal eine vertraute Unterredung mit ihr in ein⸗ ſamer Abend⸗ oder Nachtſtunde haben zu können, deren mir ehemals ſo viele zu Theil geworden waren. Es gelang durch Beſtechung, Bitte, Erniedrigung. Aber, o Himmel! wie war dieſe Juliane eine andere, als jene, die mich ehemals entzückt und begeiſtert hatte! Sie glich in ihrem Schmerz, verletztem Gefühl und beleidigten Stolz einer raſenden Bacchantin. Ich ſagte mir, ſo wie ich zu ihr trat: Zu dieſem Bilde alſo hat ſie deine Liebe, Eitelkeit und Redekunſt erniedrigt! O ihr Männer, die ihr durch eure Kraft dieſe weichen Weſen zu Engeln erheben, oder zu wildſinnigen Trunkenen verwan⸗ deln könnt! Doch dieſe Betrachtungen kamen zu ſpät. Wa⸗ ren ihre Briefe ſchon leidenſchaftlich geweſen, ſo waren die Reden ihres Mundes noch viel ungeſtümer und ſtürmiſcher. Nur meine Liebe, nichts weiter in der ganzen weiten Welt verlangte ſie. Für ſie gab es keine Rückſichten mehr. Flucht in die Welt hinein, Verletzung ihres Rufs, Kränkung des Vaters und ihres Hauſes, Alles war ihr jetzt recht und er- wünſcht. Ich erſchrak vor dieſem Taumel, der keine Scheu mehr anerkennen wollte. Je milder ich war, je mehr ich ihr die unabweisliche Nothwendigkeit deutlich machen wollte, um ſo wahnſinniger ward ihre Rede und Geberde. Gleich wollte ſie mit mir entfliehn. Es bedurfte nur, das fühlte ich, des ausgeſprochenen Wunſches, ſo ergab ſie ſich mir in dieſem Taumel ganz und unbedingt. Ich war im tiefſten Herzen elend, ja vernichtet in allen meinen Kräften.

Ich erfuhr, daß der Fürſt nur in Andeutungen mit ihr geſprochen hatte: das Wichtige wußte ſie nur aus meinen Briefen. Sie ſchalt auf mich, ihren Vater und das Schick⸗

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fal, und erſt, als fie einen Strom von Thränen vergofjen hatte, war fie etwas mehr beruhigt. Ich mußte ihr ver⸗ ſprechen, nach einigen Tagen wieder zu kommen, um dann die Mittel zu unſerer Flucht verabreden zu können. Alſo war es nun fo weit gekommen, daß ich mich vor dieſer an- gebeteten Juliane fürchten, ja daß ich ſie verachten mußte. Und doch war ſie dieſelbe, und nur dieſe unſelige Leidenſchaft, die ich aus meinem Herzen in das ihrige gegoſſen hatte, machte ſie zu dieſem furchtbaren Wahnbilde. Ich zitterte, ſie wieder zu ſehn. Ich wußte nicht mehr, welche Worte ich ihr ſagen, welchen Aufſchub, oder welche Entſchuldigung ich erſinnen ſollte. Einige Wochen vergingen ſo, in denen wir nur Briefe wechſelten. Um zu endigen: ich ging wieder zu ihr. Sie ſchien mir krank, aber noch in derſelben Aufregung, die keine vernünftigen Gründe zulaſſen wollte. Sie hatte einen Wagen beſorgt, ihre Juwelen verpackt, an der Gränze Anſtalten getroffen, Päſſe angeſchafft, Beſchützer in fernen Gegenden in Anſpruch genommen, kurz Alles gethan, was der Wahnſinn einer unbegränzten Liebe nur immer unter⸗ nehmen mag. Ich behandelte ſie als Kranke, die um ſich nicht weiß, und gab ihr in allen Ausſchweifungen Recht und lobte alle ihre höchſt wunderlichen Plane. So glaubte ſie dann mit mir einig zu ſeyn, und in acht Tagen, während einer glänzenden Maskerade, indem alle Menſchen beſchäftigt und zugleich unkenntlich waren, wollten wir entfliehn. Ich bewilligte Alles, um ſie nur für den Augenblick zu beruhigen, nahm mir aber im Stillen vor, den Hof und die Stadt zu verlaſſen. Indem wir noch ſo unſere höchſt vernünftigen Projecte verhandelten, gewahrte ich plötzlich den Fürſten hin⸗ ter mir, der ſchon eine geraume Zeit unſerer Unterredung zugehört hatte. Die Scene, welche nun vorfiel, mag ich nicht beſchreiben. Des Vaters Zorn überſtieg alle Gränzen, weil

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er mich wortbrüchig vorfand, und der Ueberzeugung war, ich ſei ganz mit dem wilden Plane feiner Tochter einver⸗ ſtanden. Sie warf ſich zu ſeinen Füßen; ganz dem früheren ſchönen Bilde unähnlich, war fie, wie von Federn eine me- chaniſche Figur in gewaltſame Bewegung geſetzt wird, eine Geſtalt, deren Leben ſich nur in den krampfhafteſten Geberden kund thut. Es iſt zu verwundern, daß man manche Momente überlebt. Ich ward verbannt, mußte in die Einſamkeit entfliehn, und hörte lange nichts von der Stadt und den dortigen Begebenheiten, weil ich alle Menſchen vermied. Als ich wieder zur Beſinnung kam und den Anblick von Freun⸗ den ertragen konnte, vernahm ich denn, daß ſie an einer un⸗ heilbaren Krankheit leide und von ihren Aerzten ſchon auf⸗ gegeben ſei. Wie wunderlich ſpielt das Schickſal mit dem Menſchen und allen menſchlichen Abſichten. In dieſer höch⸗ ſten Noth, ſo ſagte man mir, hätte mir der Vater gern ſeine Tochter gegeben, wenn er dadurch ſein geliebtes Kind nur hätte retten können. Er wollte ſich über die Meinung der Welt und über die Einrede ſeiner Familie hinwegſetzen, wenn ihm durch dieſen feſten Entſchluß ſeine Juliane nur könne gerettet werden, durch deren Krankheit er erſt erfahren hatte, wie er ſie liebe, wie ſie mit ſeinem Herzen verwachſen ſei. Alles war umſonſt, ſie ſtarb in Schmerzen und nach mir rufend, und der troſtloſe Vater rief mir feine Flüche nach, die mich auch einholen werden, o ja, fo wie ihre Verwün— ſchungen.

So ungefähr äußerte ſich damals die Leidenſchaft meines unglücklichen Freundes. Er erzählte mir noch zum Beſchluß, daß ſein ganzes Vermögen verloren gehe, wenn ſich nicht ein Dokument vorfände, das er ſchon ſeit lange ſuche, aber nirgend, in keinem ſeiner Schränke entdecken könne.

Es giebt Leiden, bei denen es thöricht iſt, nur den Ver⸗

Tieck's Novellen. IX. 8

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ſuch zu machen, um Troſt einzuſprechen. Solche Schmerzen müſſen ſich ſelbſt durchleben, ſie gehören zum Menſchen, und wer ihnen nicht erliegt, wer ſie überſteht, wird ſpäterhin ein⸗ ſehen, daß dieſe hohe Schule durchzuarbeiten zu ſeinem Heile nothwendig war.

Ich bin überzeugt, ſagte mein Freund nach einigen Tagen, als ich von ihm Abſchied nahm, daß dieſe Flüche, dieſe Prophezeiungen der Furie mich finden werden. Mein Leben wird ſich in Krankheit, Elend, Wahnſinn und Armuth verzehren. Der Geiſt der Abgeſchiedenen wird auf meinem Pfade in meine Fußtapfen treten und Gift ſäen, wo vielleicht noch eine Freude aufſprießen möchte. ö

Jetzt fing ich an zu tröſten und aus allen Gegenden Hoffnung und Beruhigung herbei zu rufen, weil dergleichen Befürchtungen nur allgemein poetiſche ſind, die ſich bekämpfen laſſen. Die Hoffnung iſt wenigſtens noch unendlicher, als die weitumgreifende Ahndung dieſer geſpenſtiſchen Furcht. Wir trennten uns, und ich erfuhr lange nichts von meinem Franz. Ich war im Auslande und kehrte erſt nach einigen Jahren zurück.

Wir hatten uns nicht geſchrieben, und als ich nun wie⸗ der in meinem Wohnſitze mich behaglich fand, wie überraſchte und erfreute mich ſein erſter Brief. Keine Spur mehr der alten Leiden; alles war vergeſſen. Durch die Zeit und das Glück war mein Franz zu einem wahrhaft neuen Menſchen geworden. Er ſchrieb mir nehmlich von ſeiner bevor⸗ ſtehenden Hochzeit. Das ſchönſte Mädchen der Provinz, jung, heiter und unſchuldig, hatte ihm ihre Liebe zugewendet: er hatte an demſelben Tage, nach Jahren, jenes ihm ſo wich⸗ tige Dokument aufgefunden, als das ſchönſte Brautgeſchenk. ſeines vollendeten Glücks. Jene trübe Zeit, ſo meldete er mir, ſei in ſeinem Geiſte nun völlig erloſchen, eine neue Ju⸗

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gend blühe ihm auf und er fange jetzt erſt an zu leben. In acht Tagen ſollte ſeine Hochzeit gefeiert werden, und er lud mich dringend ein, zu ihm zu kommen, um Zeuge ſeines Glückes zu ſeyn. |

Gern wäre ich dieſem Rufe gefolgt, wenn mich nicht mein Oheim, der auf dem Sterbebette lag, vierzig Meilen weit von hier hinweg gerufen hätte. Der Fürſt, der unſern Freund am meiſten haßte und verfolgte, war auch ſeitdem geſtorben, und ſo ließ es ſich denn nach aller menſchlichen Ausſicht und Berechnung ſo an, daß alles Ahndungsvolle, Drohende, Unheilbringende, verlöſcht, eingeſchlafen und ver- geſſen ſei, und ſich Geiſter des Glückes und der Luſt vor den Lebenswagen unſers Freundes ſpannen würden.

Hier ſchwieg der Erzähler und Graf Blinden fragte: iſt denn damit die Geſchichte aus?

Wie Sie wollen, antwortete Blomberg.

Wie Sie wollen? rief Sidonie heftig: Sie ſind mit Ihren weit ausgreifenden Reden unausſtehlich, wenn jetzt nicht noch ganz andere Sachen kommen.

Ich will mich erſt am Thee erquicken, erwiederte Blom⸗ berg ruhig, nachher, wenn der Abend ſo recht ſtill geworden iſt, wollen wir ſehen, ob die Geſchichte noch eine Fortſetzung zuläßt.

Wenn die übrigen nur neugierig ſchienen, ſo konnten alle bemerken, daß ſich der junge Graf Theodor in der größten Spannung und Aufregung befand. Anſelm wandte von dieſem kein Auge, und ſchien eine Art von Schadenfreude zu empfinden, daß Theodor von der Erzählung ſo ergriffen war. Er wechſelte Blicke mit der ſtets lebhaften Sidonie, die auch den Grafen Theodor mit ihren ſchönen Augen prüfte, als wenn dieſe Begebenheiten, die vorgetragen waren, auf ihn eine beſondere Beziehung hätten.

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Als man ſich um den Theetiſch verſammelt hatte, am Theodor der ſchönen Sidonie nahe zu kommen.

Er ſprach leiſe und ſehr eifrig mit ihr und Graf Blin⸗ den beobachtete indeſſen Anſelm, der ſtill und fein über dieſe lebhafte Unterredung lächelte. Wie kann man nur ſo drin⸗ gend ſeyn? ſagte Sidonie endlich laut.

Wovon iſt denn die Rede? fragte der alte Blinden; wenn es erlaubt iſt, ſich darnach zu erkundigen.

Mein junger Freund, ſagte Sidonie, will mich berauben, und fordert mit Ungeſtüm eine meiner Locken, die ich ihm, wie er behauptet, ſchon feit lange verſprochen habe.

Sie können es nicht leugnen, Sidonie, ſagte Theodor mit lauter Stimme, und ich muß mein Recht behaupten, da aus meiner Privatangelegenheit einmal ein en Prozeß gemacht worden iſt.

Wollen Sie mich zum Schiedsrichter i rief jetzt Anſelm lachend.

Sie, Baron, am wenigſten, antwortete Theodor mit einiger Bitterkeit: Sie möchten zu ſehr Partei werden. Auch iſt es wohl paſſender, wenn die ſchöne Sidonie ſelbſt und allein das Richteramt vertritt.

Es wird ſich Alles finden, ſprach Sidonie, nur müſſen wir nichts übereilen wollen. Wenn der Richter frei und hei⸗ ter ſtimmen ſoll, ſo muß man ihm nicht durch reer und Vorwürfe die heitere Laune verderben.

Die Wirthin, welche das Verhältniß der beiden jungen Leute kannte, und wie ſehr Theodor eine Verbindung mit Sidonien wünſchte, ſuchte durch eine Erzählung alle zu zer⸗ ſtreuen, weil ſie immerdar Anſelms eiferſüchtigen Ungeſtüm fürchtete, der ſich keine Mühe gab, ſeine ziemlich feindliche Stimmung gegen Theodor zu verbergen.

Mit dem Abend trat ein ſonderbares Wetter ein. Dunkle

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Wolken jagten ſich durch den Himmel, plötzliche Finſterniß wechſelte mit Helle; zuweilen klatſchte der Regen gegen die Fenſter, dann vernahm man wieder Windesbrauſen, welches über die Wälder dahin fuhr. Das iſt eine ſchauerliche Wit⸗ terung, ſagte Blinden, die paßt ſo recht, daß man ſich am Kamin etwas gräßliche Geſchichten erzählt. Wenn man auf den großen Teich da unten hinblickt, der nur von Zeit zu Zeit ſichtbar wird, ſo hat er auch, wie der Wind ſtoßend drüber hin kräuſelt, vor innigem Schauer eine Gänſehaut. Lieber Blomberg, jetzt wäre die rechte Stunde, Ihre Ge— ſchichte zu endigen.

Die Bedienten hatten bei der naßkalten Witterung ein Feuer im großen Kamin gemacht, welches jetzt laut kniſternd hell aufloderte. Anſelm ſprach heimlich mit Sidonien, und jetzt beobachtete Theodor ihre Blicke und Mienen. Indem er ſich nahte, ſagte das Fräulein: Nachher, lieber Theodor, ſprechen wir mit einander, laſſen Sie jetzt den Baron in ſeiner Erzählung fortfahren, und ich wünſchte nur, daß er uns recht zu fürchten macht, denn ich liebe dergleichen.

In wahren Geſchichten, warf Anſelm dazwiſchen, wofür ſich dieſe doch ausgiebt, kommt dergleichen nicht vor. Denn was wir bis jetzt von dieſer Zigeunerin, der Sibylle, dem väterlichen Fluch und dergleichen mehr vernommen haben, macht keinen großen Eindruck. Alles dieſer Art iſt nur von einer zweideutigen Wirkung, denn der Leſer oder Zuhörer muß dem Erzähler ſchon mit gutem, ja ſogar dem beſten Willen entgegen kommen, damit nur eine Täuſchung, ge⸗ ſchweige ein tiefer erſchütternder Eindruck möglich werde. Jene Poeſieen und Mährchen aber, die darauf ausgehen, uns Schauder und Entſetzen zu erregen, verabſcheue ich ge— radezu, und ſie waren mir ſchon in meiner Kindheit verhaßt Giebt es etwas Unſinnigeres, als daß ich mir freiwillig ein

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Gefühl errege, welches mich peinigt, ängſtigt und quält? Ich verlange von der Dichtung, daß ſie mich in einen behaglichen Zuſtand verſetze, der mich die Wirren und Aengſten des wirklichen Lebens vergeſſen macht. Darum rühren mich auch jene phantaſtiſchen Mährchen niemals.

Weil es Ihnen wohl an Phantaſie gebricht, verſetzte Theodor. Wer bloß Schreck und Angſt empfindet, und wem in jenem ſüßen Grauen ſich nicht das Räthſel des Lebens in einem halbverſtändlichen Wunder darlegt, der kann freilich zu jener geiſtigen Region keine Einlaßkarte bekommen.

Da gerathen wir, ſagte Anſelm höhniſch, freilich auf jene bahnloſen Schmuggler-Pfade, auf welchen ſo viele äſthetiſche Contrebandiers verdächtige und verbotene Waare aus dem Gebiet des Unſinns in das Land der Vernunft hin⸗ über paſchen wollen. N

Theodor wollte wiederum antworten, aber die alte Ba⸗ ronin nahm das Wort, indem ſie freundlich ſagte: Meine Freunde, wir Frauen perſtehen nichts von dieſen gelehrten Dispüten, Sie müſſen uns erlauben, uns an dergleichen wie die Kinder zu ergötzen. O es iſt gar ſo hübſch, in guter Geſellſchaft ſich ſo recht zu fürchten, vor dem Schatten an der Wand zu erſchrecken, uns bei jedem Geräuſch umzuſehen, und endlich mit Grauen und Angſt in das Bett zu ſteigen. Wird man recht übermannt, jo muß wohl gar unter aller: hand Vorwänden die Kammerjungfer in derſelben Stube ſchlafen, und man ſpricht und fragt, um ſich zu überzeugen, daß ſie noch da iſt. Wir ſterblichen Menſchen haben gar ſeltſame und mannigfaltige Vergnügungen, und wen ſoll man darum ſchelten, daß wir ſo eingerichtet ſind?

Meine Freunde, fing Blomberg jetzt, indem ſich alle in der Gegend des Kamins niedergelaſſen hatten und das Zim⸗ mer nur von zwei Kerzen und dem flackernden Feuer erhellt

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war, mit einiger Feierlichkeit an: wie meine Erzählung wir- ken, ob ſie intereſſant ſeyn mag, kann ich nicht verbürgen, ich kann nur bekräftigen, daß ich ſie für wahr halte, und daß ich, wie Sie geſehn haben, einiges davon ſelber mit er⸗ lebt habe. Wie man es auslegen, in wiefern man mir glau⸗ ben mag, welche Conſequenzen man daraus ziehen will, ob dieſer und jener es für Erfindung erklären möchte, alles dies kümmert mich nicht ſonderlich.

Der Aufenthalt bei meinem todkranken Oheim zog ſich in die Länge. Seine Qual währte länger, als ſeine Aerzte es vermuthet hatten, und es war mir beruhigend, daß meine Gegenwart ihm ſo tröſtend und hülfreich ſeyn konnte. Als er geftorben war, hatte ich viel zu thun, feine Verlaſſenſchaft zu ordnen, mich mit den übrigen Verwandten, da mir ein Theil des Vermögens zufiel, zu einigen, und Alles ſo einzu⸗ richten, daß wir alle befriedigt und ohne Streit auseinander gingen. Ueber dieſe Angelegenheit, da das Geſchäft zugleich verſchiedene Reiſen nothwendig machte, war mehr als ein Jahr, faſt achtzehn Monate waren darüber verfloſſen. Die Reiſen hatten mich weit von dieſer Gegend hinweg geführt, und geſteh' ich es nur, in dieſen Verhältniſſen und im Drang der Geſchäfte hatte ich meinen Franz fo gut wie ver⸗ geſſen. Er hatte mir nichts geſchrieben, ich hatte nichts von ihm vernommen, und ſo war ich denn überzeugt, daß es ihm gut gehe, daß er verheirathet ſei und ſich in ſeiner neuen Lebensbahn glücklich fühle. Ich machte hierauf, weil ich ein⸗ mal der Schweiz nahe war, noch in dieſer eine Reiſe zu meinem Vergnügen, und beſuchte nachher ein Bad am Rhein, zu welchem mir mein Doktor ſchon ſeit lange gerathen hatte.

Hier überließ ich mich den Zerſtreuungen und genoß auf Spaziergängen die ſchöne Natur. Mir war lange nicht ſo wohl geweſen. Indem ich an der Wirthstafel die Badeliſte

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zufällig in die Hand nehme, ſehe ich, daß mein Freund Franz ſchon ſeit acht Tagen im Bade ſich mit ſeiner Gattin auf⸗ hält. Ich verwunderte mich ſehr darüber, daß er mich nicht ſogleich aufgeſucht hatte, da ihm in der Liſte mein Name doch aufgefallen ſeyn mußte. Indeſſen ſagte ich zu mir ſel⸗ ber, er hat die Blätter vielleicht nicht mit Aufmerkſamkeit geleſen, er hat mich nicht nennen hören, er iſt vielleicht ernſt⸗ haft krank und ſieht nur wenige Geſellſchaft. So beruhigt, ſuchte ich ihn in ſeiner Wohnung auf, und man ſagte mir, er ſei nicht zu Hauſe. Ich hoffe, ihn auf dem Spaziergange zu treffen, aber ich werde ihn nirgends gewahr. Als ich am folgenden Tage wieder bei ihm vorfrage, dieſelbe Ant⸗ wort er ſei ausgegangen. Ich gebe meine Karte ab, mit dem Erſuchen, er ſolle zu mir kommen, oder ſchicken, um welche Zeit er meinen Beſuch annehmen wolle. Ich erfahre nichts. Früh gehe ich wieder bei ihm vor, und der Bediente ſagt mir wieder mit einem bekümmerten Geſicht, ſein Herr ſei ſchon ausgegangen.

Nun ſah ich wohl ein, daß Franz mich nicht ſprechen wolle, und daß er ſich vor mir verleugnen laſſe. Ich ging alle meine Erinnerungen durch, ob und wie ich ihn könne beleidigt haben, aber auch bei der überſtrengen Nachforſchung fand ſich auch nicht der kleinſte Flecken, in Hinſicht ſeiner, in meinem Gewiſſen. Ich ſchrieb ihm alſo einen etwas empfindlichen Brief, und forderte es, nicht bloß als Zeichen der Freundſchaft, ſondern der Achtung zugleich, die er ſich ſelbſt ſchuldig ſei, daß er meinen Beſuch annehmen ſolle und müſſe.

Man öffnete mir, als ich wieder vor der Thür erſchien. Als ich im Zimmer eine Weile gewartet hatte, kommt aus der Schlafkammer ein Fremder herein, kein Mann, ſondern ein wankendes, zitterndes Gerippe, mit eingefallenem leichen⸗

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blaſſen Antlitz, das, wenn nicht die brennenden Augen ge- weſen, man für einen Todtenſchädel hätte halten können. Großer Gott! rief ich mit Entſetzen aus, denn ich erkannte nun in dieſem Geſpenſt meinen Franz, dieſen ehemals ſo ſchönen, ſo liebenswürdigen Mann. |

Ich war erſchreckend in einen Seſſel geſunken und er ſetzte ſich jetzt ebenfalls zu mir nieder, nahm meine Hand in fein ecürre, und ſagte: Ja, fo, mein Blomberg, ſehn wir uns wieder, und Du begreifſt jetzt wohl, warum ich Dir dieſen traurigen Anblick erſparen wollte. Ja, Freund, alle jene Flüche find in Erfüllung gegangen, das Elend hat mich ein⸗ geholt, ſo rüſtig ich ihm auch voran geeilt war, ich bin zum Tode krank, meine junge Frau, die ein Muſterbild der Schönheit war, nicht minder, ich bin ein Bettler, und Alles iſt vorüber.

Ich konnte mich immer noch von meinem Erſtaunen nicht erholen; nach jenem eiſigen, erſten Schrecken trat jetzt das tiefſte Mitleiden, ein unausſprechliches Erbarmen in meine Seele, und der unglückliche Freund ſah meine Thränen fließen. Aber wie, wie iſt alles dies möglich geworden? rief ich aus, ſprich! erzähle! theile Dich Deinem Freunde mit. Verſchone mich, ſagte er mit matter Stimme, werfen wir einen Vorhang über alle dieſe Trauer, denn was kann es Dir frommen, das Wie und Warum zu erfahren. Du wür⸗ deſt nicht begreifen, nicht glauben und noch weniger kann Dein Rath und Troſt etwas helfen.

Ich konnte nichts erwiedern, ſein Elend ſchien ſo groß, daß er vielleicht vollkommen Recht hatte. Reden, Erzäh— lungen und Klagen ſind oft nur Stacheln in der Todes⸗ wunde. Ich bat ihn, mich mit ſeiner Frau bekannt zu ma⸗ chen. Er führte ſie herein, ſie war eben ſo leidend, wie er, aber man ſah, daß ſie ſchön mußte geweſen ſeyn. Sie war

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groß und edel gebaut, ihr blaues Auge von einer durchdrin⸗ genden Klarheit und ihre Stimme hatte den lieblichſten, ſeelenvollſten Klang. Nach wenigen Geſprächen nahm ich Abſchied, weil der Doctor herein trat, und ich bedang mir nur aus, daß Franz den Freund künftig nicht mehr abweiſen dürfe. I}

Ruhe war mir nöthig, mich zu ſammeln, und ich ſuchte den einſamſten Platz auf, um mich in meinen Gedanken und Gefühlen wieder zu finden. Wie ſonderbar erſchien mir in dieſen Augenblicken das menſchliche Leben, Liebe, Freund⸗ ſchaft, Tod und Geſundheit. In meiner Träumerei wurde ich durch eine freundliche Stimme unterbrochen, die mich an⸗ redete. Es war der Badearzt, ein gutmüthiger, nicht mehr junger Mann, welcher ſich zu mir ſetzte. Ich habe erfahren, begann er, daß Sie ein Jugendfreund unſers armen Kran⸗ ken ſind, und ich habe Sie aufgeſucht, um mit Ihnen über ſeinen eben ſo kläglichen als räthſelhaften Zuſtand zu ſpre⸗ chen. Mir iſt noch keine ähnliche Krankheit vorgekommen, ich verſtehe ſie nicht, und deshalb tappe ich auch nur mit meinen Mitteln im Dunkeln, und weiß auch nicht, ob ihm das hieſige Waſſer irgend heilſam ſeyn kann, ihm, oder der kranken Frau, die an demſelben Leiden dahin ſchwindet. Ich habe keinen Namen für dieſes Fieber der Auszehrung, wel⸗ ches allen bisherigen Geſetzen ſpottet. Nach manchen Stun⸗ den möchte ich ſie beide für wahnſinnig halten, wenn ſich nicht die Vernunft in ihnen unwiderleglich offenbarte. Sollte ihr Verſtand aber auch nicht verletzt ſeyn, ſo unterliegt es doch keinem Zweifel, daß beide gemüthskrank ſind. Und das Schlimmſte iſt, daß der Graf nicht ſpricht und erzählt, ſon⸗ dern im Gegentheil allen Fragen über ſeinen Zuſtand, jeder Erörterung über die Urſache, den Anfang deſſelben, ängſtlich ausweicht. Erzürnen kann und mag ich ihn nicht, und meine

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Fragen und Forſchungen haben ihn ſchon einigemal aufge- bracht, und doch ſcheint es mir nöthig, die Geſchichte der Krankheit von ihm zu erfahren. Und das iſt meine Bitte an Sie, geehrter Herr, daß Sie, als ſein Vertrauter, Ihren Einfluß auf ihn dahin wenden, daß er Ihnen und mir die Entſtehung ſeines Uebels bekennt. Erfahre ich dieſe, ſo iſt es vielleicht erſt möglich, ihm und der Frau Hülfe zu ver⸗ ſchaffen. Kommt die Krankheit aus dem Geiſte, wie ich faſt ſchon überzeugt bin, ſo kann der Arzt nur etwas ausrichten, wenn er im Vertrauen iſt; wird ihm dieſes verſagt, ſo kann er nicht nur durch ſeine Vorſchriften, ſelbſt durch ein unbehütetes Wort zum Mörder werden. Ich beſchwöre Sie alſo, Alles zu thun, damit der Leidende ſich uns eröffne.

Ich verſprach, zu verſuchen, was der vernünftige Mann verlangte, denn ich ſelber hatte mir ſchon daſſelbe ſagen müſſen. Als ich aber dem Freunde am folgenden Tage des⸗ halb Vorſtellungen machte, fand ich die Aufgabe viel ſchwie— riger, als ich fie mir gedacht hatte, denn er er war in die⸗ ſem Punkte unzugänglich. Erſt als ich meinen Bitten Thränen zugeſellte, als die leidende Frau endlich ſelbſt auf meine Seite trat, weil der Wunſch in ihr lebendig war, daß der Arzt ihrem Gatten helfen möchte, gab er nach; doch bedang er ſich aus, daß, was er uns vortragen werde, im ſtillen Zimmer bei mir geſchehen müſſe, von keinem Diener geſtört, denn er könne feiner Frau nicht anmuthen, bei der Erzäh— lung zugegen, oder nur in der Nähe zu ſeyn.

So ward es auch eingerichtet. Mein Gartenſtübchen war ſo ſtill und einſam, daß keine Störung zu beſorgen war, nach dem mäßigen Abendeſſen ſendete ich die Diener fort und befahl, mich jedem möglichen Beſuch zu verläugnen. Bei der Kranken blieben ihre Kammerfrauen: und eine Dame

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war auf mein Geſuch ſo freundlich, ihr in Abweſenheit des Mannes etwas Leichtes und Erfreuliches vorzuleſen. |

Nun ſaßen wir alfo in meinem trauten Zimmerchen, beim Scheine zweier Kerzen, indeſſen draußen vor dem Fen⸗ ſter die Bäume im Sommerwinde lieblich ſäuſelten.

Aber jetzt, geehrte Freunde, ſagte der Baron Blomberg mit erhöhter Stimme, mache ich von der Freiheit Gebrauch, im Namen meines Freundes ſelbſt, und nicht in der dritten Perſon zu erzählen. Ich ſchrieb damals jenes ſeltſame Be⸗ kenntniß ſogleich nieder, deshalb ſind mir noch jetzt alle Um⸗ ſtände gegenwärtig. Ich habe bisher dieſe Erzählung noch Niemand mitgetheilt, jetzt, nach ſo manchem verfloßnen Jahre, kann ſie, in dieſem Kreiſe vorgetragen, keinen Anſtoß er⸗ regen, oder irgend jemand auch nur einen leichten Verdruß verurſachen.

Theodor ſtand auf und putzte die Kerzen, Anſelm legte Scheite Holz in den Kamin, die Wirthin ſetzte ſich begierig in ihren Lehnſeſſel zurecht, Sidonie ſah erwartend um ſich, und der kranke Graf Blinden nahm das Barett vom Haupt, um noch beſſer hören zu können.

Alſo denn, begann Blomberg, der kranke Freund ſaß auf meiner Stube im Sofa, der Arzt und ich waren ihm gegenüber, und langſam, oft pauſirend, weil ihm das Spre⸗ chen ſauer wurde, und er mehr wie einmal der Ruhe be⸗ durfte, begann Franz auf folgende Art, denn in ſeiner Perſon erzähle ich, und ich ziehe es vor, unmittelbar aus der Erinnerung zu ſprechen, ſtatt jene Blätter Ihnen vor⸗ zuleſen.

Ja, mein Freund Blomberg, krank und ſterbend ſiehſt Du mich wieder, eben ſo elend iſt meine Gattin, die noch

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vor zwei Jahren ein Muſterbild der Geſundheit und Schön- heit war. Die Klauſenburg iſt zur wüſten Ruine geworden, die uns einigemal ſo traut und heimiſch bewirthete, Gewitter und Brand haben ſie zerſtört, und was von Holzwerk und brauchbaren Steinen übrig blieb, haben meine grauſamen Gläubiger, mir zum Hohne, herausgeriſſen und für geringes Geld verkauft. Du weißt es, mein Freund, welcher Glaube oder Aberglaube mich verfolgt, doch braucht davon unſer lie⸗ ber Arzt nichts zu erfahren, denn dies hat äußerlich keinen Einfluß auf mein nächſtes Schickſal, auch habe ich von mei⸗ nen neueſten Begebenheiten ſo viel Sonderbares vorzutragen, daß es hinreichen wird, den gelehrten Doctor mehr als voll— kommen zu überzeugen, daß ich wahnſinnig ſei.

Bei dieſer Einleitung begegneten ſich meine Blicke mit den forſchenden des Arztes, dann betrachteten wir beide wie⸗ der prüfend den bleichen Kranken, welcher jetzt mit größerer Lebhaftigkeit alſo fortfuhr: .

So jung ich auch noch war, ſo hatte ich mein Leben doch ſchon aufgegeben, denn ich hielt es für völlig beſchloſſen. Wie aber zuweilen wohl die Kraft eines ſchönen Frühlings einen abgeſtorbenen Baum von neuem belebt, daß ſeine Zweige wieder grünen, und aus dem Laube eine Blüthe wiederum hervorquillt, ſo begegnete es auch mir. In men⸗ ſchenfeindlicher Stimmung reiſete ich im Lande umher, und verweilte in einer kleinen Stadt, welche in einer anmuthigen Gegend liegt, und in welcher ich, als ich meine Briefe ab— gab, intereſſante Menſchen kennen lernte. Ein freundlicher Mann, ein ſehr weitläufiger Verwandter, führte mich in das Haus ein, wo ich meine theure Eliſabeth zum erſten— male ſah, und ſchon beim zweiten Beſuch mein Herz und meine Ruhe verloren hatte. Wozu Beſchreibung von Reizen und Vollkommenheiten, welche verſchwunden ſind? Ich war

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bezaubert, und ſchmeichelte mir bald, daß man meine Ge⸗ fühle verſtand, und nach einiger Zeit, daß man ſie vielleicht erwiedern könne. Eliſabeth lebte im Hauſe einer alten Tante, beide waren nicht wohlhabend, aber von gutem alten Adel. Ich ſetzte mich über das Geſchwätz und die Verwunderung der Kleinſtädter hinweg, daß ich ſo lange in dieſem unbe⸗ deutenden Orte verweilte, wo es weder ein Theater gab, um mich zu zerſtreuen, noch große, glänzende Aſſembleen, oder Feſte und Bälle, um mich zu beſchäftigen. Ich war ſo glücklich, daß ich nur den Tag und die Stunde genoß. Die Familie war ſehr muſikaliſch, Eliſabeth eine wahre Vir⸗ tuoſin auf dem Fortepiano, ihre Stimme war gebildet, voll und ſchön, und ſie überraſchte mich freundlich dadurch, daß ſie meinen vielleicht einſeitigen Geſchmack für ältere Muſik mit mir theilte. Wohllaut, Kunſt, freundliche Blicke der ſchönſten Augen, alles bezauberte mich ſo, daß Wochen wie Tage, und Tage wie Stunden in dieſem poetiſchen Taumel verſchwanden.

Ich ſprach von der Familie. Auch die Tante war mu⸗ ſikaliſch und accompagnirte uns auf dem Inſtrument, wenn wir beide ſangen. Es that mir nebenher auch wohl, mich meiner Talente wieder bewußt zu werden, welche zu üben ich ſeit langer Zeit vernachläſſiget hatte.

Ja wohl, Talente, Liebenswürdigkeit, geſellige Gaben, Feinheit des Betragens u. ſ. w. ſo fuhr Franz nach einer Pauſe fort, in welcher er ganz in ſich verſunken ſchien dieſe Eitelkeit, dieſe Vorzüge zu beſitzen, haben von je mich und andere unglücklich gemacht. Wenn ich nun von der Familie ſpreche, ſo muß ich jetzt von einer älteren Schweſter Eliſabeths, von Erneſtine reden. Die Eltern meiner Ge⸗ liebten waren ſchon früh geſtorben. Sie hatten, entfernt von jener kleinen Stadt, in einer Reſidenz gelebt, und, wie

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man es jo nennt, ein großes Haus gemacht. Dies geſchah, ohne ihr Vermögen zu Rathe zu ziehen, und ſo waren ſie ſchon früh verſchuldet und verarmt. Wo dieſe Verwirrung einreißt, wo die Noth des Augenblicks immer wieder die Sicherheit von Tagen und Wochen verſchlingt, da haben die wenigſten Menſchen Stärke und Haltung genug, um in dem Sturme des wiederkehrenden Wirbelwindes das Steuer feſt zu halten. Und fo war denn in dieſen zerſtörten Haus- halt die wildeſte und regelloſeſte Wirthſchaft eingeriſſen. Die Eltern zerſtreuten ſich nicht nur an Gaſtmählern, Putz und Schauſpielen, ſondern gewiſſermaßen ſelbſt an neuen und ſonderbaren Unglücksfällen. Auf dieſe Weiſe beſchäftigte ſie ihre älteſte Tochter Erneſtine. Das arme Weſen war als dreijähriges Kind bei Gelegenheit eines wüſten, tobenden Gelages, wo Niemand auf die Kleine achtete, über eine Flaſche ſtarken Getränkes gerathen, hatte die betäubende Flüſſigkeit in ſich geſchlürft und war dann trunken, ohne es zu wiſſen, eine hohe Treppe hinuntergeſtürzt. Das Unglück war kaum bemerkt worden, und als man es nachher inne wurde, nahm man die Sache leichtſinnig. Der Arzt, ein luſtiger Freund des Hauſes, ſcherzte mehr über den Vorfall, als daß er die richtigen Heilmittel angewendet hätte, und ſo zeigten ſich denn am Kinde die Folgen bald, die es ſpäter⸗ hin der Liebloſigkeit ſeiner Eltern mit Recht zur Laſt legen konnte. Bruſtknochen und Rückgrat waren verſchoben, ſo wie die Arme wuchs, wuchs ſie immer mehr in die Mißge⸗ ſtalt hinein. Sie war ziemlich groß, aber um ſo auffallen⸗ der war ihr doppelter Höcker, die Arme waren übermäßig dürr, ſo wie die Hände, Finger und Arme von einer er— ſchreckenden Länge. Auch der hoch ausgeſtreckte Körper war dürr, und das Geſicht vom ſonderbarſten Ausdruck. Die kleinen lebhaften und klugen Augen konnten kaum unter der Knochen⸗

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wölbung der Stirn und der breit gequetſchten Naſe hervor blicken, das Kinn war lang und die Wangen eingefallen. So war die Unglückſelige eine ſonderbare Folie für ihre Schweſter Eliſabeth. Die Tante, als ſie von dem gänzlichen Verfall des Hauſes hörte, war hinzugetreten und hatte ge⸗ holfen, ſo viel ihre beſchränkten Kräfte vermochten. So ward die jüngere Tochter gerettet und blieb geſund, indem die Schweſter des Mannes ſchon vor dem Tede der Eltern beide Kinder zu ſich nahm, um ſie zu erziehen und auszubilden. Die körperliche Pflege kam für Erneſtine zu ſpät, aber ihr Geiſt ward gebildet, ihre Talente wurden geweckt. Sie zeigte ſich verſtändig, lernte leicht und behielt, was ſie gefaßt hatte. Sie übertraf offenbar die Schweſter an Witz und Gegenwart des Geiſtes. Da ſie gern philoſophiſche Schriften las, ſo übte ſie ihr Urtheil, und zeigte einen ſo durchdringenden ſcharfen Verſtand, daß ſelbſt Männer oft vor ihren kecken und ſchroffen Urtheilen erſchraken. Denn da Schönheit und Anmuth ſie nicht mit ihrem Geſchlecht verbanden, ſo übte ſie nicht ſelten eine Gewalt aus, die mehr als männlich war. Was aber an das Wunderbare gränzte, war ihr großes muſikaliſches Talent. Niemals hatte ich ſo das Fortepiano behandeln hören. Alle Schwierigkeiten verſchwanden, und ſie lachte nur, wenn man ihr von ſchweren Paſſagen ſprach. Freilich half es der Unglückſeligen ſehr, daß ihre Hand und Fingerſpannung alles übertraf, was geſunden Clavierſpielern möglich iſt. Sie war aber auch in der Kunſt des Satzes erfahren, und componirte mit Leichtigkeit große Muſikſtücke, die wir dann oft zu ihrem Ergötzen ausführten.

Konnte ein ſolches Weſen nicht auf ihm eigne Art glück⸗ lich ſeyn? Gewiß, wenn ſie ſich reſignirte, wenn ſie vergeſſen konnte, daß ſie ein Weib ſei. Unglücklicherweiſe vergaßen es alle Männer, die in ihre Nähe kamen, ſie aber konnte ſich

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über dieſe Gränze, bis zur Männlichkeit oder Geſchlecht⸗ loſigkeit nicht erheben.

Dieſes ſeltſame Weſen zog mich durch ſeine Vorzüge, ſo wie durch ſeine Widerwärtigkeit auf eine eigene Weiſe an. Wir muſtzirten, ich ſang ihre Compoſitionen, und wenn fie ſo aufgeregt war, blickte aus dem kleinen Auge ein wunder— bar poetiſcher Geiſt, wie ein verhüllter, zum Staube er- niedrigter Engel mit einem freundlichen, und doch erſchrecken— den Glanze. Ich vergaß faſt immer, daß ſie die Schweſter meiner Eliſabeth ſei.

Eliſabeth hatte früher ſchon einige Freier abgewieſen, die ſich ſehr ernſtlich um ſie beworben hatten. Als ich ein⸗ mal unangemeldet in das Vorzimmer trat, hörte ich die bei⸗ den Schweſtern lebhaft ſprechen und mein Name wurde ge— nannt. Dieſen wirſt Du doch etwa nicht annehmen? rief Erneſtine: er ſagt Dir und uns nicht zu; ſehr reich ſoll er auch nicht ſeyn: aber er iſt ſo hochmüthig, ſo in ſich ſelbſt genügſam, jo von feiner Vortrefflichkeit überzeugt und durch⸗ drungen, daß er mir Widerwillen erregt, ſo wie er nur zu uns tritt. Du nennſt ihn liebenswürdig? edel? Rechthaberiſch, eigenſinnig iſt er, und glaube mir, ſeine Geiſtesgaben ſind nicht von dem Gewicht, wie Du ſie anzuſchlagen ſcheinſt.

Eliſabeth nahm mit ſanfter Stimme meine Vertheidi— gung, aber jene erörterte alles Schlimme meiner Natur nur um ſo mehr und ging das Regiſter aller meiner Fehler durch. Da ſo ſehr von mir die Rede geweſen war, wollte ich nicht ſogleich hinein treten, um ſie nicht zu beſchämen, und ſo hatte ich gegen mein Erwarten entdeckt, welchen Widerwillen die ältere Schweſter gegen mich gefaßt hatte. Ich nahm mir vor, durch Freundlichkeit und Wohlwollen die Unglückliche mit mir auszuſöhnen, deren Leben ſo wenig Reiz und Freude hatte. Als man ſich beruhigt hatte, trat ich ein und wir

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nahmen ſogleich, wodurch ich meine Verlegenheit am beſten verbarg, unſre muſikaliſchen Uebungen vor, ſo wie die Tante gekommen war.

Nach einigen Beſuchen gelang es mir aten Bi nen freundlicher zu ſtimmen. Wenn fie mit mir allein war, vertieften wir uns zuweilen in die ernſthafteſten Geſpräche und ich mußte ihren Geiſt wie ihre Kenntniſſe bewundern. Ich mußte ihr beiſtimmen, wenn ſie in mancher Stunde von jenen Männern mit Verachtung ſprach, die am Weibe einzig und allein den flüchtigen und wandelbaren Reiz achten und lieben, der mit der Jugend verſchwindet. Sie ſchalt auch nicht ungern auf die Mädchen, die ſo häufig ſich nur als Erſcheinung geben und nur als ſolche gleichſam als Mode⸗ puppen oder Kleiderhalter gefallen wollen. Sie entfaltete ohne Affectation den Reichthum ihres Gemüths, ein tiefes Gefühl, großartige Gedanken, ſo daß ich, über dieſe mäch⸗ tige Seele in Bewunderung aufgelöſt, mich kaum ihrer ver⸗ krüppelten Geſtalt mehr erinnerte. Sie drückte mir freund⸗ lich die Hand, und ſchien ganz glücklich, wenn wir eine Stunde fo weggeſchwatzt hatten. Ich freute mich ebenfalls, als ich zu bemerken glaubte, wie ihre Freundſchaft zu mir mit jedem Tage wuchs. a

Es fiel mir als eine Schwachheit meiner Geliebten auf, daß ſie mit dieſer Vertraulichkeit unzufrieden war. Ich be⸗ griff dieſe kleinliche Eiferſucht nicht, und tadelte ſie im Stil⸗ len als zu große weibliche Schwäche. Mir war es im Gegentheil erwünſcht, wenn mir Erneſtine jetzt deutliche Beweiſe ihres Wohlwollens gab, wenn mein Eintreten ſie erfreute, wenn ſie ein Buch, ein Muſikſtück für mich zurecht gelegt hatte, oder mir ſagte, wie fie ſich ſchon auf ein Ges ſpräch mit mir über einen wichtigen Gegenſtand vorbereitet habe. Dieſe ächte Freundſchaft ſchien mir ſo wünſchenswerth,

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daß ich mich ſchon im voraus freute, wie fie in der Ehe die ſchönſte Ergänzung der Liebe im gegenſeitigen Vertrauen bil⸗ den würde. Die Tante hatte meine Verbindung mit Eliſa⸗ beth gebilligt, die Verlobung war jetzt gefeiert. Bei dieſer war Erneſtine nicht zugegen, denn ſie war an dieſem Tage krank. Ich ſah ſie auch am folgenden Tage nicht, und als ich ſie aufſuchen wollte, ſagte meine Braut: Laß ſie noch, Lieber, ſie iſt ſo außer ſich, daß es beſſer iſt, ihre Leiden⸗ ſchaft austoben zu laſſen. Was iſt denn begegnet? fragte ich erſtaunt. Sonderbar „antwortete Eliſabeth, daß Du es nicht ſchon ſeit lange bemerkt haſt, welche glühende Liebe zu Dir ſie ergriffen hat. Ich war ſtumm vor Schreck und Erſtaunen. Dies Wort erſchütterte mich um ſo mehr, weil ich, ſeltſam genug, eine Leidenſchaft in dieſem verſtän⸗ digen Weſen für ganz unmöglich gehalten hatte. Als wenn die Leidenſchaft nicht immerdar gegen Möglichkeit, Wahrheit, Natur und Vernunft anrennte, wenn dieſe ſich ihr wider⸗ ſetzen wollen, wie ich es ja ſelbſt, auf ähnliche Weiſe, in meinem eignen Leben erfahren hatte. Ja, fuhr Eliſabeth fort, faſt zur nehmlichen Zeit, als Du erſt in unſer Haus trateſt, bemerkte ich dieſe Hinneigung zu Dir. Deutlicher zeigte ſich ihre Vorliebe, als Du an⸗ fingft mich auszuzeichnen, als Du mir freundlich wurdeſt und ich Dir mein Vertrauen ſchenkte. Lange Zeit verbarg fie ihre Neigung unter einem vorgegebenen Haß, eine Ver⸗ ſtellung, die mich nicht täuſchen konnte. O Geliebter, der Geiſt und die Gefühle, Enthuſiasmus und Leidenſchaften dieſes wunderbaren Weſens ſind von ſo ungeheurer Kraft und Innigkeit, daß ich fie, ſeit ich zun Beſinnung kam, eben ſo ſehr bewundern mußte, wie ich ſie fürchte und vor ihrer Rieſenſtärke erſchrecke. Als ich vor Jahren meinen Unter⸗ richt in der Muſik nahm, und nach dem Zeugniſſe meines 9 *

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Lehrers raſche Fortſchritte machte, lachte fie nur über mein kindiſches Weſen, wie ſie es nannte. Sie hatte früher nicht daran gedacht, Muſik zu treiben, jetzt warf ſie ſich mit Hef⸗ tigkeit auf dieſe Kunſt. Tag und Nacht übte ſie, der Lehrer genügte ihr nicht, ſie benutzte die Anweſenheit eines berühm⸗ ten Componiſten und ward ſeine Schülerin. Ich begriff dieſe geiſtige wie körperliche Kraft nicht, daß ſie Tag und Nacht, faſt ohne Schlaf und ohne etwas zu genießen, immer nur mit unermüdlichem Eifer der Uebung ihrer Kunſt ſich widmen konnte. Nun lernte ſie den Satz und der Meiſter lobte und bewunderte ſie. Es währte nicht lange, ſo tadelte ſie den Lehrer, ſie meinte, ſein Vortrag ſei nicht feurig, nicht enthuſiaſtiſch, er in Compoſitionen nicht originell und leidenſchaftlich genug. Er gab ſich gefangen und ihr Recht. Alle Menſchen, pflegte ſie wohl zu ſagen, liegen immerdar im halben Schlaf, ſie ſind faſt immer wie betäubt und bei⸗ nah der Pflanze ähnlich und verwandt, die auch wächſt, blüht und ſchön iſt, Geruch ausſtreut und Kräfte beſitzt, ohne darum zu wiſſen. Was müßten die Menſchen ver⸗ mögen, wenn ſie in ihrem wachen Zuſtande wahrhaft wach⸗ ten! Und ſo gab ſie ſich denn auch der Philoſophie hin, las mediziniſche, anatomiſche und andere Bücher, die ſonſt den Frauen zu gelehrt oder widerwärtig ſind. Wir alle, auch ihre Bekannten mußten ſie anſtaunen. Und ſo, lieber Franz, wird ſie gewiß auch in dieſer Leidenſchaft der Liebe raſen und ſich zu Grunde richten.

Eliſabeth ſchilderte mir nun auch wirkliche alle jene Aus⸗ ſchweifungen, die ſie begangen, als ſie von unſerer Ver⸗ ‚lobung gehört hatte; fie wollte erſt ſich und nachher die. Schweſter umbringen; dann wieder hatte ſie geſagt, ſie würde mich zu zwingen wiſſen, daß ich fie liebe und Elifa- beth verlaſſe, denn fie ſei verſtändiger und beſſer als jene.

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Hier, ſagte Blomberg, machte Franz in feiner Erzäh- lung eine Pauſe, um etwas auszuruhen, und fuhr dann ſo fort: Daß dieſe Nachrichten mich betrübten, iſt natürlich, ich fühlte ja auch, wie unklug ich gehandelt hatte, mich Erneſtinen ſo freundlich zu nähern, daß ich mich bemüht hatte, ſie zu gewinnen. Etwas beruhigt war ich, als mir Eliſabeth nach einigen Tagen erzählte, wie die Schweſter ihr unter vielen Thränen alles abgebeten habe, was ſie im Zorn geſprochen, wie ſie ſie beſchworen, mir nichts von dieſen Verirrungen mittzutheilen, und wie ſie nur darum flehentlich bitte, uns nach unſerm künftigen Wohnſitz begleiten zu dür⸗ fen, weil ſie es nicht faſſe, wie ſie ohne meine und der Schweſter Geſellſchaft, ohne unſere Geſpräche und muſikali⸗ ſchen Uebungen noch leben könne.

So wurden denn Plane gemacht, Einrichtungen getrof— fen, die Tante begleitete uns und wir kamen auf der Klauſen⸗ burg an, um hier, von wenigen Vertrauten umgeben, eine kleine, ſtille Hochzeit zu feiern, da Eliſabeth von je allem Prunk und Geräuſch beinah übertrieben abhold war. Ich hatte einige Zimmer und den Saal in der Klauſenburg, ſo gut es ſich thun ließ, einrichten laſſen, denn der größte Theil des alten Gebäudes war ſchon Ruine. Eliſabeth aber hatte eine poetiſche Vorliebe für alte Schlöſſer, einſame Ge— birgsgegenden und die geſchichtlichen oder poetiſchen Sagen, die ſich an dieſe knüpfen. Nach der Hochzeit wollten wir dann das nahegelegene neue Haus am Eibenſteig beziehn, und nur gelegentlich uns tage- oder ſtundenlang in der Klauſenburg aufhalten.

Wir kommen an, das Thor wird uns aufgethan, und das Erſte, was uns im Hofe aus den Epheuranken, die die hohen Mauern hinauf wachſen, entgegenſpringt, iſt jene tolle, alte Sibylle, die Du, Freund Blomberg, vor einigen Jah-

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ren haft kennen lernen. Meine Frau erſchrak und ich ſchau⸗ derte. Gegrüßt! Gegrüßt! ſchrie die Alte, indem ſie wider⸗ wärtig herum hüpfte, da kommt der Menſchenwürger, der Mädchenmörder, und bringt ſeine beiden Bräute mit, die er umbringen wird. Wie kommſt Du hieher? ſchrie ich auf. Sie muß, ſagte der Thürhüter, von jenſeit die Klippen hinunter geklettert ſeyn, die die letzte Mauer des kleinen Gartens dahinten formiren, und ſich nachher in den Geſträuchen und Ruinen verſteckt haben. Ja wohl! Ja wohl, kreiſchte die widerwärtige Alte, da wohnt ſich's gut. So ſehr wir erſchrocken waren, ſo luſtig Me Erneſtine, denn ſie hörte nicht auf zu lachen.

Während der Tage, in welchen wir das Feſt begingen, zeigte ſich Erneſtine nicht, ſie war verſchwunden und wir waren ſehr um ſie beſorgt, ſendeten Leute aus, ſie zu ſuchen, als ſie am dritten Tage zu Fuß heiter und fröhlich zurück⸗ kam. Sie erzählte, daß ſie dem Hange, im Gebirge umher⸗ zuſtreifen, nicht habe widerſtehen können, da ſie von Jugend auf dergleichen gewünſcht. Aber ſo allein, ohne es uns zu ſagen? ſprach Eliſabeth. Allein? antwortete ſie, nein, ich bin immer in Geſellſchaft geweſen, mit jener alten Pro⸗ phetin, die ihr ſo unfreundlich weggeſchickt habt. Da habe ich auch ganz neue Sachen gelernt, die ich noch in keinem Buche fand; wir ſind recht gute Freunde geworden.

Eliſabeth und ich ſahen uns mit großen Augen an. Ich faßte den Glauben, ohne ihn auszuſprechen, Erneſtine ſei wahnſinnig geworden. So unheimlich, grauenhaft war der Eintritt in unſre Wohnung, ſo traurige Vorbedeutungen kamen uns entgegen, daß ich, trotz meines Glückes, kein Vertrauen zum Leben, und Eliſabeth keine ſichere Heiterkeit gewinnen konnte.

Sonſt fügten wir uns und genoſſen die Gegenwart und

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die Schönheit der Wälder und Berge. Mit den wenigen Gäſten hatte uns auch die Tante verlaſſen und wir konnten in froher Einigkeit uns in der ſchönen Einſamkeit genügen, wenn ich nicht bemerkt hätte, daß Eliſabeth ſich von ihrer Schweſter zurückzog, ſo ſehr es die Umſtände nur erlaubten. Als ich ſie darüber zur Rede ſtellte, ſagte ſie nach einigem Zögern: Liebſter, ich fürchte mich vor ihr, die Erneſtine iſt boshaft geworden, wozu ſie ehemals gar keine Anlage hatte. Wo ſie mich ärgern, wo ſie etwas verderben, ja ſelbſt was Gefährliches herbei führen kann, ſo daß ich erſchrecke, ſtolpere oder wohl falle, wenn von oben Steine niederſtürzen, wie neulich die Gardine meines Bettes brannte, dem ſie mit dem Licht zu nahe gekommen war, zeigt ſie immer die größte Schadenfreude. Sie ſelbſt hat es mir mit Lachen erzählt, daß man in der Provinz davon ſpreche, wie Reiſende und Förſter an einſamen Stellen, bei Mondſchein und Morgen⸗ dämmerung zwei Geſpenſter wollten wahrgenommen haben, die ſie auch als ſchreckliche fratzenhafte Weſen beſchrieben. Sie ſei es nebſt jener Prophetin geweſen, und ſie wünſche nur, daß in einem Blatte der Vorfall erzählt würde, damit ſie im Druck, mit ihres Namens Unterſchrift, als Erneſtine, Fräulein von Jertz, die Lüge von den Geſpenſtern wider⸗ legen und ausſagen könne, daß ſie die eine Spaziergängerin war. Iſt das alles nicht fürchterlich?

Liebes Kind, ſagte ich jetzt, ich will! Dir vertrauen, wie ich glauben muß, fie ſei wahnſinnig geworden. Iſt jede leidenſchaftliche Bosheit etwas andres als Wahnſinn? bemerkte hierauf Eliſabeth ganz richtig.

Wir verließen mit dem Herbſt die Klauſenburg, um das neue bequeme Haus zu beziehen. Denn zu meinem Er⸗ ſchrecken entdeckte ich eine Anlage zur Melancholie an meiner Gattin, für welche die Einſamkeit dort nicht heilſam war.

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Wir gingen einſt durch die alten Zimmer, durch den ziemlich erhaltnen gothiſchen Saal und indem unſre Tritte im ein⸗ ſamen Gemach wiederhallten, zuckte meine Gattin plötzlich zu⸗ ſammen und ſchauderte. Ich fragte. O es iſt grauſig hier, ſprach ſie zitternd, ich habe das Gefühl, als wenn Geſpenſter unfihtbar hier umgingen. Ich erſchrak, und der Gedanke ſah mich mit grauen Augen eines Ungethüms an: daß auch der Verſtand meiner Eliſabeth vielleicht wie der der Schwe⸗ ſter möchte gelitten haben.

Als wir in dem neuen Hauſe am Eibenſteige wohnten, vermißten wir oft Erneſtine und erfuhren, daß ſie in der Klauſenburg und in den Ruinen des alten Schloſſes ver⸗ weile. Da es einmal zu dieſer Mißhelligkeit gediehen war, hatte ich ſowohl, wie die Frau, ein beſſeres Gefühl, wenn wir die Arme nicht bei uns ſahen. Aber wie verſchieden war mein Leben doch von jenem, wie ich es mir vorgebildet hatte, als ich um die Hand meiner Eliſabeth warb!

Noch anderes häusliches Unglück geſellte ſich zu unſeren Leiden, um unſern Gram zu vermehren. Jenes Dokument, welches eigentlich mein Vermögen, mein Daſein begründete, jener Beweis, daß Summen bezahlt ſeien und ich noch welche zu fordern hatte, alle dieſe Akten und Papiere, die ſchon nach dem Tode des Grafen Moritz waren als Beweisthümer in Anſpruch genommen worden, dieſe wichtigen Blätter, die ich nach langem mühevollen Suchen wieder gefunden und die ich nur kürzlich noch in Händen gehabt hatte, waren ver⸗ ſchwunden. Ich hatte ſie immer aufmerkſam behütet und verſchloſſen gehalten, ich hatte ſie jetzt meinem Advocaten ausliefern und ſelber mit dieſen höchſt wichtigen Beweiſen, die mir meine Güter frei machten und wieder ſchafften, nach der Stadt reiſen wollen. Und ſie waren fort, und wie ich dachte und ſann, konnte ich weder ergründen, ja ſelbſt keine

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Spur auffinden, wie es möglich geweſen, ſie mir zu entwen⸗ den. Als ich endlich in meiner Herzensangſt meiner Frau meine Sorge mittheile, iſt ſie ſcheinbar ganz ruhig und ſagt mit kalter Stimme und Faſſung: Und Du kannſt noch zwei⸗ feln? Ich kann es nicht. Erneſtine hat einen Augenblick der Abweſenheit Deiner, des offnen Pultes, oder wer weiß, welches augenblickliche er benutzt, um dieſe Papiere Dir zu rauben.

Nicht möglich! rief ich im Entſetzen. Möglich? wie⸗ derholte ſie; was iſt ihr unmöglich? Da dieſe Documente fehlten, ging jener uralte Prozeß nur ſehr langſam vorwärts und ich konnte es mir ſelber ſagen, daß ich ihn durchaus verlieren müſſe, wenn es irgend einmal zur Entſcheidung käme. Ich benutzte daher eine Gelegenheit, als ihn die Ge⸗ richte ſelbſt niederzuſchlagen vorſchlugen, um den wahren Beſcheid auf künftige Jahre möglich zu machen. Ich konnte aber nicht unterlaſſen, Erneſtine zu befragen, und ihr mei- nen Verdacht mitzutheilen. Die Haare richteten ſich mir empor über die Art und Weiſe, wie ſie dieſe Anmuthung, die jedes unſchuldige Herz empören mußte, aufnahm. Als ich meine Verlegenheit überwunden, und ihr die Sache vor- getragen hatte, fing ſie ſo laut und heftig an zu lachen, daß ich alle Faſſung verlor. Als ich mich geſammelt hatte, und in ſie drang, mir zu antworten, ſagte ſie mit ſchneidender Kälte: Mein guter Herr Schwager, hier ſind, wie Sie ſelbſt, trotz Ihrer Bornirtheit, einſehen, nur zwei Fälle möglich. Entweder ich bin ſchuldig, oder unſchuldig. Nicht wahr? Wenn ich den Raub begangen habe, fo mußte ich durch wich tige Urſachen bewogen ſeyn, oder durch Bosheit, oder was es ſei, zu dieſer Handlung geſtachelt. Und dann ſollte ich ſagen: ja, ich habe es gethan, nehmen Sie es doch ja nicht übel? Sie müſſen ſelbſt geſtehn, das wäre dümmer als

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dumm. Wenn ich alſo blödſinnig wäre, hätte ich es vielleicht ſo ohne alle Abſicht gethan, um das Küchenfeuer damit an⸗ zuzünden, oder auch weil mir die rothen Siegel gefielen, und ich ſpräche nun: da nehmen Sie die hübſchen Papiere zurück, weil ich ſehe, daß ſie einen Werth für den liebwerthen Herrn Grafen haben. Blödſinnig aber bin ich bis dato noch nicht, und wenn ich boshaft bin, ſo bin ich natürlich nicht ſo einfältig, die Sache einzugeſtehen. Oder aber, der zweite Fall, ich bin unſchuldig. Und Herr Schwager, widerſprechen Sie ja nicht, dann find Sie der Gimpel, dieſe fo. ganz un⸗ geziemenden Fragen an mich zu thun.

Ich konnte dem geſpenſtigen Weſen nichts e Als ich in unſrer Einſamkeit jetzt gar nicht mehr meine Eliſabeth beim Fortepiano beſchäftigt ſah, das ich eigen für ſie vom Auslande hatte kommen laſſen, und ich ſie darüber zur Rede ſtellte, ſagte ſie klagend: Lieber, wenn ich nicht tödtlichen Verdruß haben will, darf ich nicht mehr ſpielen. Wie ſo? Weil mir es Erneſtine geradezu verboten hat. Sie ſagt, in einem Hauſe, wo eine ſolche große Virtuoſin wie ſie ſelber lebe, könne ſie nicht zugeben, daß irgend jemand anders auch nur einen Ton anzuſchlagen wage. Dieſe Anmaßung ging über alle Geduld hinaus. Ich lief nach ihrem Zimmer hinüber, und forderte ſie im ironiſchen Tone auf, mir etwas vorzuſpielen, da ſie es andern ſchwachen Sterblichen nicht erlauben wolle, das Inſtrument anzurühren. Sie folgte mir laut lachend. Und es iſt wahr, ſie ſpielte mit ſolcher Meiſterſchaft, daß mein Zorn ſich in Bewun⸗ derung und Entzücken verwandeln mußte. Nun? ſagte ſie ganz ernſthaft, als ſie geendigt hatte; das kann man in ſei⸗ nem Hauſe haben, den Genuß, nach welchem Kenner funfzig Meilen herreiſen würden; und doch kann man ſich auch mit jener Stümperei, dieſem Hin⸗ und Herklappen und Tap⸗

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ſen unfähiger Finger zufrieden ſtellen? O ihr Thörichten und Aberwitzigen! Da ſchwatzen ſie von Kunſt, die Schäker, und meinen den Dunſt, nur nippen können ſie vom Himmels⸗ trank und das Wunder wird in ihren groben Händen zum Plunder und Zunder. Wenn mich nicht das Leben immer⸗ dar anekelte, wenn die Menſchen mir nicht widerwärtig wä⸗ ren, würde ich gar nicht mehr zu lachen aufhören.

Seitdem ſpielte ſie oft mit uns, und erlaubte höchſtens Endet und mir, zu ſingen, obgleich ſie behauptete, daß wir weder Schule noch Methode beſäßen. So ging der Winter hin. Ich war ſchon arm, und hatte die Ausſicht vor mir, ganz zum Bettler zu werden, Eliſabeth kränkelte, und mir war die Heiterkeit des Lebens verſchwunden.

Es war faſt eine Erleichterung unſers Daſeins zu nen⸗ nen, als mit dem nahenden Frühling Erneſtine krank und kränker, und endlich gar bettlägerig wurde. Sie ward, ſo wie ihre Krankheit zunahm, immer unleidlicher. Am meiſten zürnte ſie darüber, daß ſie nicht nach der Klauſenburg konnte, welche ſie ſehr lieb gewonnen. An einem warmen Tage ließ ich ſie hinfahren, und ſie kramte lange in den Gemächern, trieb ſich lange zwiſchen den Ruinen und den Geſträuchen umher, und kam uns dann viel kränker zurück, als ſie uns verlaſſen hatte.

Franz ruhte wieder eine geraume Zeit und fuhr dann ſo fort: Jetzt ſah man wohl, daß die Arme nicht wieder aufkommen würde. Der Doktor meinte, er begriffe die Krank— heit und den Zuſtand der Leidenden nicht, denn die Lebens⸗ kraft ſei bei ihr ſo ſtark, daß alle jene Symptome, die ſonſt einen nahen Tod verkündigten, bei ihr ſich nicht zeigten, und ſie wahrſcheinlich bald geneſen würde. Aber nach einigen Tagen ließ er ſelbſt alle Hoffnung fahren.

Wir ſahen eigentlich einer ruhigeren Zukunft entgegen.

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Wenn uns die Unglückliche auch dauerte, ſo konnten wir es uns doch nicht ableugnen, daß ſie ſtörend in unſer Leben und das Glück unſrer Liebe hinein gebrochen war. Wir hörten, ſie liege im Sterben, und da ſie beim Arzt und ihren Pfle⸗ gern es ſich eigen bedungen hatte, daß wir ſie nicht beläſtigen ſollten, ſo hatten wir uns fern gehalten. Jetzt verlangte ſie plötzlich dringend, mich zu ſehen, bedang ſich aber dabei aus, daß die Schweſter nicht zugegen ſeyn dürfe. Ich ging hin⸗ über und ſagte, ſo wie ich eintrat: Liebe Freundin, Sie wol⸗ len gewiß ſo gut ſeyn, mir jene Dokumente wieder auszu⸗ liefern, die Sie, um mich zu necken, aus meinem Pulte ge⸗ nommen haben. Sie ſah mich bedeutend mit den ſterbenden Augen an, die jetzt viel größer und verklärter als vormals leuchteten. In ihrem Blick war etwas ſo Seltſames, Leuch⸗ tendes, Grünfunkelndes, daß man nichts Entſetzliches, Unbe⸗ greifliches zu ſehen braucht, wenn man dergleichen erblickt hat. Haben Sie, Schwager, ſagte ſie nach einer Pauſe, immer noch dieſe Narrenspoſſen im Kopfe? Doch freilich, lebt jeder ſo hin, wie er leben kann. Setzt Euch, Freund; fügte ſie dann mit einer verächtlichen Miene hinzu, und ich ließ mich an ihrem Bette nieder.

Ihr glaubt, fing ſie dann mit einem widerwärtig ſchar⸗ fen Tone an, ihr werdet mich jetzt los. O täuſcht euch ja nicht, und ſchmeichelt euch nicht allzufrüh. Sterben, Leben, Nichtſein, Fortdauer. Welche unnütze, nichts ſagende Worte! Ich war faſt noch ein Kind, als ich lachen mußte, wenn die Menſchen ſich ſo um ihre Fortdauer nach dem Tode ängſtigten. Da ſchleppen ſie Beweiſe auf Beweiſe zuſammen und zim⸗ mern ſie thurmhoch hinauf, Wahrſcheinlichkeiten und Wünſche, Bitten und Gebete, des Ewigen Barmherzigkeit und wie ſo manche gute liebe Anlagen in ihnen hier dieſſeits, wie ſie es nennen, unmöglich ausgebildet, geſchweige zur Reife gebracht

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werden könnten, und alle die Anftalten nur, um ihre niederträchtige Feigheit, ihre Furcht vor dem Tode etwas zu beſchwichtigen. Die Armſeligen! Wenn ich mich ſammle, mir nach allen Richtungen hin meiner vielfältigen Kräfte be⸗ mußt werde, und der Ewigkeit, dem Schöpfer und den Mil- lionen Geiſtern der Vorzeit und Zukunft entgegenrufe: Ich will unſterblich ſeyn! ich will! was braucht's da weiter, und welche Allmacht kann einſchreiten, um meinen ewigen allmäd)- tigen Willen zu vernichten? Was braucht der Menſch, der irgend Beſinnung hat, noch für eine andere Gewähr, daß er unſterblich und ewig ſei? Wie, auf welche Art, das iſt eine andere Frage. Welch Poſſenſpiel und welche Fratze, welcher bunte Haarbeutel, welch höckerartiges Labyrinth von Eingeweiden und Liebesorganen uns wieder eingeſetzt wird, welche Etikette und Hofſitte von Häßlichkeit und Schönheit eingeführt mag werden, das ſteht dahin, da, ins Unendliche, Dumm⸗Weiſe, Geregelte, Abgeſchmackte und ewig Tolle hin- ein, wie Alles. Aber, ihr guten Freunde, wie meine eigene Kraft, ohne weiteres, mich unſterblich erhält, ſo kann dieſelbe Stärke und derſelbe Willenstrotz mich zu euch zurück— führen, wann, und wie oft ich will. Glaubt es mir nur, ihr Narren, die Geſpenſter, wie ihr ſie nennt, ſind nicht ge— rade die ſchlimmſten oder ſchwächſten Geiſter. Mancher möchte gern wiederkommen, aber er hat dort eben fo wenig Charak- ter als hier. Und Du Ausbündiger, Schelmiſcher, Eitler, Liebenswürdiger, Talentreicher, Du Tugendknospe, Du Schön- heits⸗Mäkler, daß ich Dich ſo innigſt, innigſt habe lieben müſſen, müſſen, trotz dem innerſten Kern meiner Seele, der mir jagte, daß Du es nicht verdienteſt, Dir glatthäuti⸗ gem, gerade gewachſenem Menſchenthier werde ich immer, das kannſt Du mir glauben, ganz nahe ſeyn. Denn dieſe Liebe, Eiferſucht, dieſe Wuth nach Dir und Deinem Athmen

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und Deinem Gefpräd wird mich nach der Erde hinreißen, und das wird, wie ſich ein Frommer ausdrücken würde, mein Fegefeuer ſeyn. Alſo, ohne Abſchied, auf Wiederſehn!

Sie reichte mir die kalte Todtenhand. Als ſie ver⸗ ſchieden war, ging ich zu Eliſabeth, hütete mich aber wohl, ihr von den tollen Phantaſieen der Verſtorbenen etwas mit⸗ zutheilen, da ihre Nerven ohnedies ſchon auf ängſtigende Weiſe aufgeregt waren, und ſie oft an Krämpfen litt.

Ich lebte jetzt mit meiner Gattin in ſtiller Ruhe und in einer ländlichen Einſamkeit, die wohl ſchön werden konnte, trotz unſerer Verarmung, wenn ich nicht hätte bemerken müſ⸗ ſen, daß die kränkelnde melancholiſche Stimmung Eliſabeths im Zunehmen ſei. Sie ward blaß und mager, wenn ich in ihr Zimmer trat, fand ich ſie oft in Thränen. Sie ſagte, ſie wiſſe ſelbſt nicht, was ihr fehle, ſie ſei immerdar gerührt, ohne ſagen zu können weshalb, wenn ſie allein ſei, fühle ſie ſich ſo unheimlich, es ſei ihr ſchrecklich, daß die Schweſter in dieſer wahnſinnigen Leidenſchaft habe ſterben müſſen, und oft, wenn ſie im Zimmer allein ſitze, in die Kammer trete, ſei es, als wenn Erneſtine nahe ſtehe, ihr dünke, ſie höre den Gang, ſie ſpüre den Athem wehen, als wollten Blicke aus der leeren Luft dringen.

Ich beruhigte ſie, ich war viel mit ihr, um ſie nicht allein zu laſſen, ich las ihr vor, wir gingen aus und beſuch⸗ ten zuweilen die Bekannten in der Nachbarſchaft. Sie ward ruhiger, erholte ſich und ihre ſchöne Farbe begann allgemach wieder zu kehren. Als ich einmal mich unwohl fühlte, und ſie mir eine intereſſante Geſchichte vorlas, indem ich behag⸗ lich auf dem Sofa ausgeſtreckt ruhte, ſagte ich: Wie ſchön und wohlklingend iſt Deine Stimme, willſt Du denn nicht einmal wieder ſingen? Du haſt ſeit lange alle Deine Muſik⸗ bücher nicht aufgeſchlagen, Dein Klavier bleibt auch verſchloſ⸗

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fen, und die ſchönen Fingerchen werden am Ende ganz un⸗ gelenk werden.

Du weißt, antwortete ſie mir, wie mir in den letzten Monaten die Schweſter es geradezu verbot, Muſik zu trei⸗ ben, wir mußten ihrer Krankheit nachgeben und ſo habe ich mich wirklich entwöhnt. Singe jetzt, rief ich, durch die Neuheit des Genuſſes wird er mir um ſo größer ſeyn. Wir ſuchten ein heitres, wohlgefälliges Muſikſtück aus, um dem Trübſinn ganz aus dem Wege zu gehn, und mit wahr— haft himmliſcher Stimme ergoß Eliſabeth die klaren lichten Töne, die beſeeligend durch mein Herz gingen. Auf einmal ſtockte ſie und fiel wieder in jenes heftige, krampfhafte Weinen, das mich ſchon ſo oft erſchreckt hatte. Ich kann nicht, rief ſie tief bewegt, alle dieſe Töne ſtehn wie feind⸗ ſelig gegen mich auf: immer fühle ich die Schweſter, ganz in meiner Nähe, ihr Gewand rauſcht an dem meinigen, ihr Zürnen entſetzt mich. Ich fühlte es aper mein und ihr Leben ſei gebrochen.

Unſer Doktor, ein verſtändiger Mann, war zugleich un⸗ fer Freund. Als fie ihm alle dieſe Gefühle, ihr Zittern und die Angſt bekannte, die in ihrem Innern faſt immerdar ar⸗ beiteten und ihre Geſundheit aushöhlten, wandte er alle Mittel an, um ſie körperlich und geiſtig zu beruhigen. Sein redlicher und vernünftiger Zuſpruch that gute Wirkung, auch ſeine Medikamente ſchienen heilſam. So waren wir denn, als es Sommer war, viel im Freien. Wir waren zu einem Bekannten auf deſſen Gut gefahren, und er hatte die Ab- ſicht, auf feinem Schloſſe von Freunden und einzelnen Vir— tuoſen ein muſikaliſches Feſt zu geben. Meine Frau, deren großes Talent bekannt war, hatte ſich anheiſchig gemacht, auch zu ſpielen und zu ſingen, denn ſie war in der fremden Umgebung, geſchmeichelt von vielen Männern und Frauen,

144 Die Klauſenburg.

einmal wieder in einer fröhlichen Stimmung. Mir was er um ſo lieber, da unſer Arzt es mit zu den Vorſchriften ſeiner Diät rechnete, daß ſie allen dieſen dunkeln Gefühleu und dieſer hypochondren Aengſtlichkeit mit Gewalt widerſtreiten müſſe. Sie hatte ſich vorgenommen, ihm Folge zu leiſten. Recht heiter und vergnügt kehrten wir in unſer Häuschen zurück. Eliſabeth ging mit Eifer die ſchweren Muſikſtücke durch, und ich freute mich, daß ſie auf dieſem Wege ihre fristen Jugend vielleicht wiederfinden möchte.

Nach einigen Tagen las ich einen angekommenen Brief, als plötzlich die Thür aufgeriſſen wird, und mir Eliſabeth todtenbleich und wie ſterbend in die Arme ſtürzt. Was iſt Dir? rufe ich, vom tiefſten Entſetzen ergriffen. Ihr Auge irrte wild umher, ihr Herz klopfte, als wenn es die Bruſt zerſprengen wollte, ſie konnte lange Athem und Stimme nicht wiederfinden. O Himmel! rief ſie endlich, und jedes Wort war vom Ausdruck des Grauſens begleitet, drinnen, als ich mich übe, ganz heiter geſtimmt bin zufällig werfe ich den Blick in den Spiegel und ich ſehe hinter mir Erneſtinen, die mich mit jenem Lächeln, dem ſelt⸗ ſamen, anſchaut, die langen dürren Arme über der Bruſt gefaltet. Ich weiß nicht, ob ſie noch dort iſt, ich begreife nicht, wie ich hieher gekommen bin.

Ich übergab ſie ihrer Kammerfrau, ſie legte ſich zu Bette, nach dem Doktor ward eilig geſendet. Ich ging in das andere Zimmer hinüber. Die Notenbücher lagen unter dem Klavier verſtreut, Eliſabeth mußte ſie im Schrecken her⸗ untergeriſſen haben.

Was halfen Vernunft, Scherz und Troſt, Diät und Medikamente gegen den vollendeten Wahnſinn? So ſagte ich zu mir ſelber, und doch mußte ich jener Worte der Ster⸗ benden gedenken, mit denen ſie uns gedroht hatte.

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Die Klauſenburg. 145

Man hörte auf dem Schloſſe, daß meine Frau krank geworden ſei. Dies drohte das Muſikfeſt zu ſtören. Die Frau des Hauſes kam alſo mit einer Sängerin nach einigen Tagen ſelber zu uns, um ſich nach dem Befinden Eliſabeths zu erkundigen. Da wir nicht einmal dem Doktor von jener Erſcheinung etwas geſagt hatten, die Eliſabeth wollte geſehn haben, ſo ſprachen wir noch weniger zu Fremden von dieſer ſeltſamen Begebenheit. Meine Frau war wieder auf und hatte ſich, dem Anſchein nach, völlig von ihrem Schrecken erholt. Man erging ſich alſo mit den Beſuchenden in un⸗ ſerm kleinen Garten, ſprach vom Feſt, und endlich wollten ſich die Baronin und jene Sängerin ein Geſangſtück einüben, in Gegenwart meiner Frau, um ihren Rath anzuhören, wenn ſie auch vielleicht nicht ſelber mitſingen könne. Wir kehrten alſo in das Zimmer zurück und da es ſchon ſpät geworden, wurden die Kerzen angezündet. Die Sängerin ſaß vor dem Klavier, um den Geſang zu begleiten; neben dieſer rechts die Baronin, vor dem Notenbuche; neben dieſer, etwas rück⸗ wärts, hatte ich mich geſetzt, und meine Frau ſaß links, nahe an der Sängerin. Wir mußten im Duett die Stimme die⸗ ſer, ſo wie den Geſang der Baroneſſe bewundern. Die Muſik ward immer lebhafter und leidenſchaftlicher, und ich hatte es ſchon einmal verfehlt, das Blatt der Dame zur rechten Zeit umzuſchlagen. Indem die Seite wieder zu Ende geht, legt ſich ein langer, knöcherner Finger auf das Muſik⸗ buch, die Melodie bewegt ſich fort, und das Blatt wird ſchnell und a tempo umgeſchlagen. Ich ſehe zurück, und die ſchreck⸗ liche Erneſtine ſteht dicht an mir, hinter der Baronin. Ich weiß nicht, wie ich die Faſſung behalte, prüfend, beinah kalt das entſetzliche Geſpenſt zu betrachten. Sie lächelte mich an, mit jener boshaften Miene, die auch im Leben ihr Geſicht ſo widerwärtig entſtellen konnte. Sie war in ihrem gewöhn⸗

Tieck's Novellen. IX. 10

146 Die Klauſenburg.

lichen Hauskleide, die Augen feurig, das Geſicht kreideweiß. Ich verſenkte mich faſt mit Genuß in ein dunkles Grauen, blieb ſtumm, und war nur froh, daß Eliſabeth die Erſchei⸗ nung nicht bemerkte. Plötzlich ein Angſtſchrei, und meine Frau ſtürzt ohnmächtig nieder, indem der dürre Finger eben wieder das Notenblatt umſchlagen will. Die Muſik war natürlich zu Ende, meine Frau fieberkrank, und die Fremden fuhren nach dem Schloſſe zurück. Sie hatten n Unheim⸗ liches geſehn und bemerkt.

Hier machte der Kranke wieder eine Pause Der Badearzt ſah mich bedeutſam an und ſchüttelte den Kopf. Und Sie haben, fragte er dann, auch jetzt Ihrem Doktor nichts von dieſer Geſpenſter-Erſcheinung geſagt?

Nein, erwiederte Franz, nennen Sie es Schaam, Furcht vor ſeinem kalten und ſcharfen Menſchenverſtande, taufen Sie meine Schwäche, wie Sie wollen, genug, ich konnte es nicht über mich gewinnen, ihm dieſe Mittheilung zu machen.

Es war aber ſehr nothwendig, ſagte der Arzt, denn wie konnte er ohne dieſe Nachweiſung Ihre aan richtig beurtheilen?

Seit dem, fing Franz mit matter Stimme ih an, war es fo gut wie beſchloſſen, jene Gegend zu verlaſſen, weil wir hoffen konnten, daß uns das wilde Geſpenſt nicht jen⸗ ſeit der Berge und Flüſſe verfolgen werde. Aber im Hauſe ſahen wir ſie nun oft, am meiſten im Muſikzimmer. An einem Morgen war der Doktor bei uns. Er ſetzte ſich an das Klavier, und ſpielte ſo in Gedanken hin einige Paſſagen. Plötzlich ſtand die Entſetzliche wieder am Seſſel meiner Frau, und legte dieſer die dürre kalte Hand auf die Schulter. Krämpfe, Ohnmachten waren wiederum die Folge.

Und hat ſie Ihr Doktor diesmal auch geſehn?

Nein, ſagte Franz, er hatte der Erſcheinung den Rücken

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Die Klauſenburg. 147

zugekehrt. Aber ich ſahe ſie deutlich, am hellen Tage, und nachher, wie oft. Es durfte einer nur die Taſten des Flü⸗ gels berühren, ſo ſtand ſie da, ſo daß es wie eine Citation war, einen Ton anzuſchlagen. Als ich einmal wieder die alte Klauſenburg beſuchte, ſaß ſie dort auf einem Stein und ſah mich groß an. So verfolgt, geängſtigt, in ſteter Furcht, in beſtändigem Schauder und Angſt ſind wir zum Tode reif geworden, und der Arzt hat uns endlich, ſelbſt verzweifelnd und ohne Rath und Hülfe hieher geſendet, ob die hieſigen Bäder vielleicht unſerer ganz zerſtörten Geſundheit wieder aufhelfen könnten. Aber bis jetzt ſehe ich auch noch nicht den mindeſten Erfolg. Und wer ſteht uns dafür, daß das Geſpenſt ſich auch nicht hier einmal zeigt? Sie will uns vernichten, und ihrem ſtarken Willen iſt das Unbegreiflichſte möglich. Ich glaube, wir dürften nur es wagen, auch hier in dieſer Entfernung ein Lied zu ſingen, oder eine Sonate zu ſpielen, ſo ſtände ſie wieder unter uns.

Dafür ſtehe ich Ihnen, geehrter Herr Graf, rief der Doktor jetzt mit feſter Stimme aus, einem ſolchen boshaften Unthier weiß unſre mediziniſche Polizei am beſten die Wege zu weiſen.

Wir ſorgten jetzt dafür, daß der Kranke in einer Sänfte nach ſeiner Wohnung gebracht wurde, und ich begleitete den verſtändigen Arzt. |

Und hiemit ift die Erzählung zu Ende? fragte Sidonie?

Sie haben Ihr Wort gelöſet, theurer Freund, fing die

alte Baronin an: jenes Grauen, das ich ſo gern habe, ha—

ben Sie erregt, und die Erzählung hat ſich endlich wirklich

zu einer Geſpenſtergeſchichte geſtaltet. Und Franz und Eli⸗

ſabeth? Sind ſie geſtorben? War noch eine Heilung möglich? 10 *

148 | Die Klauſenburg.

Es wird Zeit, ſchlafen zu gehen, fiel Blinden ein, ſollte die Erzählung noch nicht ganz zu Ende ſeyn, ſo machen Sie es nur kurz, lieber Blomberg.

Nein! noch nicht ſchlafen! rief die Wirthin mit liebens⸗ würdigem Zorn, wir müſſen nun noch eine Weile beiſammen bleiben, um dieſes Grauen zu überwinden und zu vergeſſen. Haben Sie, Baron Blomberg, noch etwas zu Waun ſo lenken Sie wieder ein.

Ich bin zaghaft, ſagte der alte Mann, den Schluß zu berichten. Doch es ſei! Indem ich durch die ſtille Nacht mit dem Badearzte durch die finſtern Baumgänge dahin wandelte, ſagte dieſer: Geehrter Herr, wir ſind beide ſo aufgeregt, daß wir doch jetzt nicht mehr ſchlafen können. Be⸗ gleiten Sie mich auf mein Zimmer, ein kräftiger aromati⸗ ſcher Cardinal ſoll uns munter erhalten, und ich will Ihnen dort meine Gedanken über unſre beiden Kranken mittheilen, an deren Geneſung ich jetzt, nach dieſen Erzählungen, zum erſtenmale glaube. Ich möchte verſichern, daß ich ſie nach zwei Monaten ziemlich geſund zurück ſchicken werde.

Ich erſtaunte, denn ich hatte meinen Jugendfreund völlig aufgegeben. Das ſtark gewürzte Getränk machte uns völlig munter und der Doktor ſprach: Dieſe Seelenkrankheit Ihres Freundes iſt mir eine der intereſſanteſten pſychologiſchen Er⸗ ſcheinungen, die mir nur bekannt geworden ſind. Er ſo wie ſeine Frau ſind von einem ſeltſamen Wahnſinn befangen, und wenn es uns gelingt, dieſen erſt zu ſtören, dann zu ſchwächen und zu verdunkeln, und endlich ganz zu vertreiben, ſo wird ſich auch die körperliche Geneſung ganz von ſelbſt einftellen. Ohne Ihren Freund früher gekannt zu haben, kann ich mir aus ſeinen Mittheilungen ſeinen Charakter und ſeine Schickſale genau und wahr konſtruiren. Er iſt von Natur ein guter, weicher Menſch, etwas zu weich, und wie

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Die Klauſenburg. 149

alle Menſchen dieſer Art, der Eitelkeit mehr als die ſtärkeren ausgeſetzt. Er iſt ſchön geweſen und liebenswürdig, hat Talente und Suada beſeſſen, und war ſo allenthalben will⸗ kommen, wo er ſich nur zeigen mochte. Allenthalben beliebt und geſchmeidig, mag er manchem ſchönen Kinde Kopf und Herz verdreht haben. Nun kam ihm ſeine ſchöne Gattin entgegen, er will ſich zum Ehemanne umgeſtalten, und ſeine reizbare nervenſchwache Frau freut ſich, den liebenswürdigen, feinen Mann den ihrigen nennen zu können. Wie es den Schwärmenden immerdar ergeht, ſo auch hier. Sie finden das überſchwengliche Glück in der Ehe nicht, welches fie er- wartet haben, und eine leiſe Verſtimmung legt ſich über die zarten Nervenſaiten, die mit Ungeduld neue Schwingungen erwarten. Die häßliche verwachſene Schweſter empfindet, wie faſt alle Perſonen dieſer Art, Neid und Mißgunſt gegen die vorgezogene, geſchmeichelte und geliebkoſ'te Braut und Gattin. Sie läßt deutlich ihren Widerwillen merken, und geſteht, daß ſie den jungen Edelmann haſſe. Der liebens⸗ würdige Herzensbezwinger ſetzt nun alle ſeine Künſte daran, auch dieſe Widerſpenſtige zu überwältigen. Es gelingt ihm, und die arme Getäuſchte glaubt wohl gar Empfindungen in ihm erregt zu haben, indeſſen er nur ſeine Eitelkeit einen Triumph feiern läßt. Dieſe Herzloſigkeit mußte die unglück⸗ liche Erneſtine kränken und empören. Eine innere Wuth verzehrt ſie, ſie wird ein Opfer ihrer unglücklichen Leiden⸗ ſchaft, und im Sterben ſpricht ſie jene Drohung aus, die Ehegatten auf alle Weiſe zu verfolgen. Dies iſt offenbarer Wahnſinn. Es iſt eine ſchon alte Bemerkung, daß dieſer oft im Blute ſteckt, und Verwandte, Brüder, Schweſtern und Kinder davon ergriffen werden, wenn er ſich in einem Glied der Familie manifeſtirt. So auch hier. Der zärtliche Graf iſt wohl auch nicht ſo ganz verſchwiegen gegen ſeine Gattin

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geweſen: fie kränkelt ſchon, fie brütet über Gedanken und ſchleicht mit neugieriger Aufmerkſamkeit dunkeln Gefühlen ihrer Nerven nach, was iſt natürlicher, als daß ſie bei der erſten Gelegenheit die mißgeſtalte Schweſter zu ſehen glaubt? Die Angſt der Frau theilt ſich ihm mit, die böſe Laune über Unglück hat ſeine Phantaſie geſteigert und er ſieht ebenfalls die Geſpenſtererſcheinung. So geht es denn fort, bis beide ſich aus reiner Phantaſie beinahe vernichtet haben. Zerſtört man dieſe böſe Einbildung, ſo werden ſie geſund. |

Liebſter Doctor, erwiederte ich, ich kann nicht jagen, ob ich einen zu vorwiegenden Hang zum Aberglauben habe, aber Ihre Gründe genügen mir nicht. So vieles, was uns Sage und Schrift aufbewahrt, kann in dieſem ſonderbaren Gebiete, ſo vernünftig man ſich auch entgegenſetzt, nicht bloß Phantaſie, oder Erfindung ſeyn. Es giebt wohl Stimmungen, Krank⸗ heiten, Nervenzuſtände, in welchen dieſem oder jenem etwas fihtbar wird, was ſich allen übrigen verhüllt. Was iſt Geiſt? Was ſollen wir uns bei dem Worte vorſtellen? Iſt uns die Eigenſchaft, das Talent, oder die Kraft bekannt, welche dieſe Millionen verſchiedenartiger Seelen nach Abſtrei⸗ fung der irdiſchen Hülle beſitzen? Was dieſer und jener ſtarke Geiſt durch Macht ſeines Willens, oder ängſtigende Reue, oder ſüß marterndes Heimweh für Möglichkeit findet, aus Imagination wieder eine ſcheinbare Hülle zu bilden, wie er ſie vormals trug?

Und wenn Sie ganz Recht hätten, was wäre damit für Sie gewonnen? rief der eifrige Doctor. Wenn ein Verſtimm⸗ ter, Aufgeregter, etwas ſieht, ſo ſieht er ja doch nur immer ſeine eigne Phantaſie, ſeine eigenen inneren Geſtalten, die ſich nun ſichtbar vor ſein körperliches Auge hinſtellen. Das begegnet jedem zuweilen. Man hat am Morgen einen leb⸗

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haften Traum. Man erwacht plötzlich und ſieht noch einen Augenblick das Kind, nach dem man ſich ſehnte, die Lilie, oder Roſe, an der man ſich erfreute, den alten Freund, der hundert Meilen entfernt iſt, vor ſich. Es iſt wohl noch nie vorgekommen, daß einem der vielen Geiſterſeher ſein greiſer Vater oder Großvater als Jüngling oder Bräutigam, der Mörder als Knabe in Unſchuld, das wilde Geſpenſt einer alten Giftmiſcherin als blühende Jungfrau erſchienen iſt. Warum wechſeln denn dieſe Geſpenſter nicht einmal ihre Ge⸗ ſtalten?

Weil ſie vielleicht, warf ich ein, ihre Imagination nur in ihrem letzten Zuſtande, der ihnen noch am nächſten liegt, ausprägen können.

Ah was! rief der ungeduldige Mann, geben Sie ſich lieber ruhig gefangen, als daß Sie jo unbehaglich im Netze zappeln. Helfen Sie mir lieber bei der Heilung Ihres Freundes.

Und die Art und Weiſe?

Nur durch etwas Gewaltſames kann ein glücklicher An⸗ fang gemacht werden. Glauben Sie mir, in den innerſten Tiefen unſers Gemüthes wächſt noch immer etwas von jenem Unkraut der Eitelkeit, von dem wir uns gerne weiß machen, daß es nur in der äußerſten Oberfläche, um zu wuchern, ſeinen Boden anträfe. Auch im Schreck, im Todes⸗Entſetzen, in marternder Krankheit kitzelt uns das Bewußtſein: du er⸗ lebſt doch bei alle dem was Apartes, du ſiehſt Erſcheinungen, die dich ängſtigen. Man geht weiter: man wünſcht ſie wie⸗ der zu ſehn und lockt ſie gleichſam hervor. Das ſchmieg⸗ ſame, fügſame innere Weſen, die faſt unbegreifliche Phantaſie gehorcht, und wieder ſteht ein ſolcher Popanz vor uns. Stehn Sie mir alſo darin bei, die Kranken zu überreden und zu ſtimmen, daß entweder im Zimmer des Grafen, oder

152 Die Klauſenburg.

bei Ihnen Muſik gemacht werde, ſchaffen wir ein Fortepiano an, und da die kranke Eliſabeth nicht ſingen kann, ſo wird ſie uns wenigſtens eine Sonate ſpielen. Damit die beiden Wahnſinnigen kein Scandal erregen, wenn ſie vielleicht doch von ihrem Wirrſal befangen werden, ſo muß Niemand Fremdes zugegen ſeyn, nur Sie und ich, und höchſtens die Kammerfrau, falls die Gräfin ſich doch wieder vergeſſen ſollte. Es wird aber in meiner Gegenwart, da ich mein geſundes Auge allenthalben werde herumſchweifen laſſen, nicht ge⸗ ſchehn. Dadurch werden die Kranken Sicherheit und Be⸗ ruhigung gewinnen, und wir fahren dann jeden Tag fort, und brauchen immer ſtärkere Mittel, um die irre Phantaſie zu kuriren.

Und, wenn nicht, ſagte ich, mit faſt furtfamen

Ausdruck. | Nun, beim Himmel, rief der unterſetzte Mann mit lau⸗ tem Lachen, wenn ich, ohne vorher etwas viel getrunken zu haben, etwas ſehe, nun jo So? | |

So will ich ein Narr ſeyn und bleiben, Baron, wie wir es denn, beim Licht beſehen, alle von Hauſe aus ſchon 18

So verließen wir uns, und es koſtete viel W meinen angſtvollen Freund dahin zu bringen, daß er zu dem bevorſtehenden Experiment ſeine Einwilligung gab. Die Frau war, zu meinem Erſtaunen, viel leichter gewonnen. Sie ſagte nicht unvernünftig: Ich fühle es, mein Leben iſt beſchloſſen, alle Hülfe iſt vergeblich, je näher der Tod, mir um ſo lie⸗ ber. Kann ein neuer Schreck mich wie ein Blitz nieder⸗ ſchmettern, um ſo erwünſchter. Und tritt das Ereigniß, das ich für möglich halte, gar nicht ein, nun ſo ſind meine letzten Tage wenigſtens von dieſer Furcht und dem angſtvollen

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Grauen befreit, ich kann mich unterhalten und zerſtreuen, und in der Hand der Allmacht liegt es dann, ob ich und mein Gatte noch wieder Hoffnung auf Geneſung faſſen ſollen.

Man ſetzte den dritten Tag für die Muſik feſt, und zwar die ſpätere Abendſtunde, weil Eliſabeth, wie ſo manche Fieberkranke, ſich um dieſe Zeit am ſtärkſten fühlte, ſich auch dadurch die Nacht abkürzte, indem ſie erſt in der Regel gegen Morgen ihren Schlaf fand. Ein Fortepiano war alſo auf das Zimmer geſchafft worden, mehr Kerzen, als nöthig waren, brannten, auch die Schlafkammer, die unmittelbar an das Wohnzimmer ſtieß, war hell erleuchtet worden, damit kein räthſelhafter Schatten ſich irgendwo im Dunkel erzeugen koͤnne. Im Wohnzimmer ſtand außer Seſſel und Sofa noch ein eigentliches Ruhebett, auf welchem die Kranke ſich oft bei Tage ausſtreckte. Das Fortepiano war an eine Wand zwiſchen zwei Fenſter geſtellt, die die Ausſicht auf Gärten und nicht gar ferne Weinhügel hatten. Nach dem Thee hatte man die Thür des Eingangs verſchloſſen und die Aufwärter und Diener für dieſen Abend verabſchiedet. Die junge ſtarke Kammerfrau war zugegen, und wir alle erſuchten ſie, ſich ja recht munter zu erhalten.

Eliſabeth ſaß am Flügel. Der Doctor ſtand ſeitwärts neben ihr, um ſie und Zimmer und Schlafſtube zugleich be⸗ obachten zu können, ich ſaß und ſtand abwechſelnd auf der andern Seite der Kranken; Franz ging im Schlafrock und weichen Pantoffeln leiſe hinter der Spielenden hin und her, und die rüftige Kammerfrau lehnte an der offnen Thür des Schlafzimmers.

Eliſabeth ſpielte erſt matt, ungewiß und ängſtlich. Bald aber riß ſie die Schönheit der Compoſition und das Bewußt⸗ ſein ihres Talentes hin, und ſie trug mit Präciſion und

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Feuer das humoriſtiſche, melodienreiche Werk vor. Ihr Auge glänzte, ihre Wange röthete ſich beim Spiel und ein ſeelen⸗ volles Lächeln ſchwebte auf dem vormals ſchönen Munde. Der Arzt warf mir triumphirende Blicke zu und da die Räume ſo hell und heller wie am Tage waren, ſo konnte man Miene und Geſichtszug eines jeden deutlich erkennen. Alle lobten die Spielerin und der Arzt, der ſich vorbereitet hatte, gab ihr etwas zur Stärkung. Sie ſelbſt war wie neu⸗ geboren und geſtand, daß ſie ſich ſeit einem Jahr nicht ſo wohl gefühlt habe. Der leidende Franz war entzückt, und ſeine feuchten Blicke ſprachen Hoffnung aus. 8

So ward denn, mit derſelben Anordnung, zum zweiten Muſikſtück geſchritten. Eliſabeth ſpielte noch ſicherer und leichter. Bravo und Applaus begleiteten ſie, da plötzlich ließ ſich ein entſetzlicher Aufſchrei hören wie ſoll ich ihn beſchreiben? nie war mein Ohr von ſolchem gräß⸗ lichen Ton zerriſſen worden erſt nachher ward ich inne, daß Franz ihn ausgeſtoßen hatte und die Lichter brannten blau, aber doch blieb es hell genug welch Schau⸗ ſpiel! Franz mit ſchäumendem Munde und weit hervorgetrie⸗ benen Augen hielt ſich mit einem entſetzlichen Geſpenſt um⸗ faßt. Er rang mit der dürren ſcheußlichen Geſtalt. Du oder ich! ſchrie er jetzt, und ſie umklammerte ihn mit den dürren Armen ſo feſt, drückte den krummen verwachſenen Körper ſo feſt an den ſeinigen, preßte ihr bleiches Antlitz ſo feſt auf ſeine Bruſt, daß wir alle es hörten, wie in dieſem Ringen ſeine Gebeine erkrachten. Die Kammerfrau war zu Eliſabeth geſprungen, welche in Ohnmacht lag. Der Arzt und ich kamen herbei, als der Kranke das Geſpenſt wie mit Rieſenkraft auf das Ruhebett niederwarf, welches von dem ſchweren Fall in ſeinen Fugen knackte. Er ſtand aufrecht. Wie eine Wolke, wie eine dunkle Decke lag es auf dem Bett,

Die Klauſenburg. 155

und als wir nun ganz nahe traten, war auch jeder Schein verſchwunden.

Franz fühlte ſich nun wie in allen Gebeinen zerbrochen, ſeine letzte Kraft war vernichtet, er war nach dreien Tagen verſchieden, und der Arzt fand blaue Flecken auf Rippen und Bruſtbein. Sie erwachte aus ihren irren Phantaſieen nicht wieder, und folgte zwei Tage ſpäter dem geliebten unglüd- lichen Gatten in ſein frühes Grab.

Nun? fragte ich den Arzt, als wir uns wieder vom Schrecken, der Trauer und der Betäubung etwas erholt hat- ten. Die Kur iſt nicht gerathen, Sie, der Kaltblütige, hat geſehn, wogegen er erſt mit voller Ueberzeugung ſchwur. Ein Bild Ihres Innern, oder des meinigen, da wir Erneſtine nie geſehen haben, war es gewiß nicht: den Kranken ſahen und hörten wir mit dem Geſpenſte ringen. Eine innere Phantaſie hat ihm, dem Geſtorbenen, gewiß Bruſt und Rip⸗ pen nicht ſo erkrachen machen.

O mein ſchönes Syſtem! ſeufzte der Doctor; da ent⸗ ſteht nun eine ſchreckliche Lücke, ein herber Widerſpruch mit allen meinen Ueberzeugungen und Erfahrungen, die ich wahr⸗ lich nicht zu verſöhnen, oder zu ergänzen weiß. Aber, mein theurer, verſtändiger Freund, im Namen der Menſchheit und bei deren Wohl beſchwöre ich Sie, halten Sie ja die ganze Sache geheim, verſchweigen Sie gegen jedermann die Ge⸗ ſchichte, denn ſonſt eröffnen wir ja dem Aberglauben Thüren und Thore. Der Menſchheit und der Wiſſenſchaften wegen müſſen wir die ſeltſame Geſchichte vertuſchen.

So habe ich denn auch bis jetzt geſchwiegen, denn dies iſt das erſtemal, daß ich Ihnen hier dieſe wunderbare Ge— ſpenſtergeſchichte erzählt habe.

Es entſtand eine lange Pauſe. Endlich ſagte Graf Blinden: Und Sie haben wirklich die Sache ſo geſehn?

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Wie ich ſie erzählt habe, antwortete Blomberg, und das kann ich vor jedem Gericht, wenn es nöthig wäre, beſchwören. Aber, beſter Graf, Geſpenſter kann man nicht unter die Lupe und das Mikroſkop bringen und ſie noch weniger ſeziren und anatomiren. Ich ſah das Geſpenſt, wie man es beſchrieben hatte, auf dem Ruhebette war es nur noch eine unkenntliche Maſſe und bald darauf völlig verſchwunden. Die Nutzan⸗ wendung und Moral der Sache überlaſſe ich andern, und ich ſelbſt wünſche auch nicht, eine ſolche een zum zweiten. male zu machen.

Ich könnte mich wohl entſchließen, ſagte der junge Theodor, mit dieſer Geiſterwelt in Verbindung zu treten, denn jede Erfahrung, die wir machen, bereichert unfre Seele, und eine ſo ſeltſame, denke ich mir, muß die W Folgen erzeugen.

Gar keine, rief Blomberg, dergleichen bleibt ganz einzeln ſtehn, und erklärt weder vorwärts noch rückwärts irgend etwas. Wer nicht ganz beſonders zum Denken und Philo⸗ ſophiren ausgerüſtet iſt, hüte ſich ja vor dem Conſequenz⸗ Machen. Ein Einfall bleibt unſchuldig oder geiſtreich, aber die ſchlimmſten aberwitzigen Syſteme haben ſich immer aus ganz richtigen Wahrnehmungen entwickelt. Eine ſtille frag⸗ mentariſche Dummheit bleibt unſchädlich, aber aus dem Beſten, Wahrſten und Richtigſten haben geiſtreiche Männer wohl ſchon das Abſurdeſte durch ſtrenge Conſequenz und lo⸗ giſche Kunſt hergeleitet.

Mag ſeyn, antwortete Theodor, ich habe aber gewiß auch nicht Unrecht, wenn ich behaupte, daß das Gelüſt nach einer Bekanntſchaft mit über: oder doch außerirdiſchen Weſen ein natürliches und verzeihliches ſei, und ich wüßte nicht, was ich darum gäbe, um auf irgend eine Weiſe in jene Zirkel eingeführt zu werden.

Die Klauſenburg. 157

Theodor! rief jetzt Sidonie, und erhob ſich von ihrem Sitz, Sie werben um meine Gunſt und um meine Hand. Ich darf es hier wohl geſtehn, weil alle Welt es weiß. Sie haben mir immer eine Probe Ihres Muthes geben, Sie haben immer etwas für mich thun wollen. Sie wiſſen, die Sage geht, daß beim Vollmond in der Mitternacht es ge⸗ fährlich ſei, jene Eiſenſtange dort vor der Klauſenburg anzır- ziehen, die ehemals mit der Glocke den Pförtner rief. Wir

Ee Vollmond, in zwei Stunden iſt Mitternacht, verſuchen

ie Ihr Heil, und wenn Sie morgen zurück kommen, ſo

ſollen Sie mindeſtens als Unterpfand jene Haarlocke empfan⸗ gen, um welche Sie mich dringend gebeten haben.

Nicht mehr? ſagte der junge Mann lachend: morgen in der Frühe ſehn Sie mich wieder, nur beklage ich im voraus, daß ich nichts werde zu erzählen haben.

Er ging, weil die Zeit ihn drängte, denn die Ruine war faſt eine Stunde entfernt. Als er das Zimmer ver⸗ laſſen hatte, ſagte Anſelm: Mich wundert's, Blomberg, daß Sie in ſeiner Gegenwart dieſe Familiengeſchichten erzählten: er iſt ja durch eine Seitenlinie ein Neffe des letzten Grafen Franz, und wenn der ſo lange ſchwebende Prozeß zu ſeinen Gunſten entſchieden, wenn jenes verlorene Dokument ſich wieder finden ſollte, ſo würde er die bedeutenden Güter erben und ein reicher Cavalier ſeyn.

Blomberg ſchlug ſich mit der flachen Hand heftig vor die Stirn und rief aus: O verdammte, verdammte Vergeß⸗ lichkeit! Darum wurde er auch einigemal ſo nachdenkend. Freilich mag ihn dieſes und jenes verletzt haben, doch kommt in allen dieſen Erzählungen nichts vor, was ihn beleidigen konnte. Ja, er könnte reich werden, wenn jene dunklen Punkte ſich aufklärten. Aber er wird es auch ohnedies in ſeiner jetzigen Stellung. Die Miniſter und der Fürſt ſelbſt

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zeigen dem jungen Mann das größte Vertrauen, und ohne Zweifel wird er es weit bringen.

Man ſprach noch hin und her, und Anſelm vorzüglich war in eifrigen Geſprächen mit Sidonien. Es fiel den Uebrigen nicht auf, weil er für eiferſüchtig und für den Nebenbuhler Theodors galt. Anſelm verließ das Schloß und die übrigen begaben ſich ohne Furcht zur Ruhe und in ihre einſamen Kammern, weil ſie durch die letzten Geſpräche wieder gehörig waren abgekühlt worden. |

In jenem neuern Haufe am ſogenannten Eibenſteige, welches Franz und ſeine kranke Gattin einige Zeit bewohnt hatten, hielt ſich jetzt der alte Förſter Matthias auf, welcher ſchon ſeit zwei Jahren an der Gicht erkrankt faſt immer auf ſeinem Bette lag. So lange war es ungefähr, daß Theodor durch die Gunſt des Erbprinzen ſeine Stelle als Ober⸗ jägermeiſter, oder Vorſtand aller Forſten im kleinen Lande erhalten hatte. Dieſen bequemen Platz, wo das Geſchäft des Alten ohne Nachtheil von jungen Burſchen beſorgt werden konnte, hatte Theodor dem Kranken aus Wohlwollen gegeben, damit er und ſeine Tochter Hannchen ohne Noth und Sorge leben könnten. 5

Hannchen war faſt immer mit dem Vater beſchäftigt. Bald ſang ſie ihm etwas, bald las ſie ihm vor, dann er⸗ zählte ſie ihm Geſchichten, oder was ſie erfahren hatte, ſie bereitete ſelbſt die Speiſen, die ſeine Krankheit nothwendig machte, und zeigte ihm immerdar, um ihn zu zerſtreuen, die größte Heiterkeit, wenn ſie auch ſelbſt an einem ſtillen Kummer litt.

Jetzt war, weil der Vater ſchon ſchlief, im andern großen Zimmer ein junger Mann bei ihr, der ſie faſt täg⸗

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lich beſuchte. Eine Meile von dort war ihm durch Theodor eine einträgliche Förſterſtelle geworden, und früher hatte er bei Matthias, Hannchens Vater, die Jägerei erlernt.

Ich kann nicht fort, ſagte er jetzt, bevor Sie mir nicht, liebes Hannchen, ein freundliches Wort geſagt haben.

Lieber Herr Werner, antwortete Hannchen, ich bin Ihre wahre Freundin, Sie haben es ſelbſt geſehn, wie ich mich über Ihre Beförderung, über jene einträgliche Stelle gefreut habe, die Sie ſchon, ſo jung noch, verwalten; die anſehnliche Erbſchaft, die Ihnen neulich zufiel, macht mich glücklich. Was wollen Sie mehr?

Sie wiſſen es recht gut, ſagte der Jüngling. Aber frei⸗ lich, ich weiß es wohl, ich begreife es auch, daß Ihr Herz immer noch dahin hängt, ſo unrecht, undankbar, ja ſchlecht ſich auch der junge Mann gegen Sie und Ihren Vater be- nommen hat.

Hannchen war glühend roth geworden und rief jetzt im Unwillen: Ludwig! Sie machen mich böſe. Graf Theodor iſt edel, mein Vater hat ihm Alles zu danken, er hat auch Ihr Glück gegründet. Nein, mein Freund, wir müſſen nicht ungerecht ſeyn. Es giebt Dinge im Leben, die wir Schick⸗ ſal nennen müſſen. Ich kann mich über den jungen Grafen nicht beklagen, als daß er liebenswürdig iſt und mit ſüßen Reden, Blicken und ſeiner Anmuth mein junges unerfahrenes Herz verſtrickte und verwundete. Er hat mir niemals mit ausdrücklichen Worten geſagt, daß er mich liebe, noch weniger hat er um meine Hand geworben. Er war oft hier, immer freundlich, zuthätig; nachher iſt er weggeblieben. Weshalb ſoll ich denn alſo auf ihn ſchelten?

O liebes Hannchen, rief der Jüngling aus, Sie führen ſeine Vertheidigung nur ſchlecht. Braucht ein Mann von Ehre das Wort gerade auszuſprechen, wenn er weiß und

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160 Die Klauſenburg.

fühlt, was recht ift und ſich geziemt? Einen ſolchen bindet ein bedeutender Blick, ein zärtlicher Händedruck, ein Seufzer und ein zartes Gedicht weit mehr, als den trocknen Alltags⸗ menſchen ausgeſprochenes Wort und Schwur. Die Liebe zweier edlen Weſen iſt keine Verhandlung.

Er iſt Graf, ſagte das Mädchen, und ich eine Bür⸗ gerliche.

Um ſo ſchlimmer, rief Ludwig, deſto mehr BER er ſich zuſammen nehmen, damit ſeine Zärtlichkeit und ſcheinbare Hingebung keine Wünſche und Hoffnungen erregte. Ich habe es ja ſelber mit angeſehen, wie er mit Ihnen umging. Wie ein Bräutigam mit ſeiner Braut, und zwar mit einer ſol⸗ chen Ergebung, als wenn Sie die Vornehme und er der ein⸗ fache Bürgersmann wäre. Er hat Ihnen Briefchen, Ge⸗ dichtchen zugeſteckt, er hat Ihre Liebe und Zuneigung nicht mißverſtehen können. Sehn Sie, darum bleibe ich bei mei⸗ nem Satz, er hat ſchlecht an Ihnen gehandelt.

Sie wollen mich durchaus zum Weinen bringen, ſagte Hannchen, und dann ſagen Sie doch wieder, daß we mir gut ſind.

Weil ich Ihnen gut bin, rief Ludwig, ſo übermenſchlic gut, daß ich es in ordinäre Worte gar nicht faſſen kann. Das iſt ja eben mein Elend, daß ich meine Reden nicht ſo zu ſetzen weiß, wie der Herr Theodor. Und warum, wes⸗ halb hat er Ihr ſchönes Herz ſo leichtſinnig aufgegeben? Nicht aus Hochmuth, nein, ſo ſchlecht will ich von ihm nicht denken, ſondern aus einer elenden Schwachheit. Ja freilich wird daraus unſer Schickſal zuſammengeflochten, unſre Strafe, unſre Geißel, wenn wir jedem Gelüſte nachgeben, wenn wir uns von jedem Schimmer blenden laſſen. Böſe wird ſie es ihm danken, die Coquette, die ihn mit ihrem ſchönen Ange⸗ ſicht und den blonden Locken ſo gefeſſelt hat, ſo den Verſtand

Die Klauſenburg. 161

und die Augen benebelt, daß er nicht mehr aus und ein, und nicht mehr weiß von ſchwarz zu unterſcheiden weiß. Und dieſe Sidonie, dieſe Falſche ſie kann keinen Menſchen lieben. Erſt hat fie ſich mit dem Baron Anſelm herumge⸗ ſchleppt, im vorigen Jahre, wie ſie auch zum Beſuche hier war, nun iſt ihr der nicht mehr gut genug. Vom Grafen Theodor denken alle, daß er noch einmal eine große Rolle ſpielen wird, darum muß der jetzt mit ihr den Vortanz halten. f AR.

Man jagt ja, fiel Hannchen ein

Ja, es heißt, ſagte Ludwig, die Verlobung würde bald erklärt werden. Wenn nicht unterdeß ein noch Vornehmerer ſich meldet. Nun Glück zu! Und Sie, Hannchen, Sie verſchmähen ein ehrliches, treues Herz, weil ach! ich weiß nicht, was ich rede.

Wie kamen Sie nur heut von jener Seite? fragte Hannchen, um nur ein anderes Geſpräch auf die Bahn zu bringen. |

Ich hätte bald den Hals gebrochen, ſagte Ludwig halb lachend. Sie wiſſen ja, wie mich die ſchöne Sidonie manch⸗ mal zum Botenlaufen braucht, oder mißbraucht. Und ich bin eben ſo ein Narr, wie der Theodor, daß ich ihr ſo in allem Folge leiſte. Aber es iſt wahr, wenn ſie einen ſo bittend anſieht, ſo kann man ihr nichts abſchlagen. Ich hatte ſchon einen Brief für ſie, einen wichtigen, wie es hieß, von einer alten Bürgersfrau da unten im Städtchen, was dort im Grunde liegt, ein einſames fatales Neſt. Weiß der Henker, was die alte und junge Hexe für Geheimniſſe mit einander haben, und warum ich mich zum Zwifchenträger brauchen laſſe. Aber kurzum, wie ich den Brief hinaufbrachte, bat Sidonchen ſo ſchön und ſagte, ſie könnte ſich keinem, als mir allein anvertrauen, und dieſer Gang nach dem dummen

Tieck's Novellen. IX. 11

162 Die Klauſenburg.

Städtchen ſollte auch mein letzter Gang ſeyn. So läßt man ſich denn immer wieder beſchwatzen, und ich nehme ihren Brief an, das Antwortſchreiben an die alte Gertraud. Die Schöne ſagt mir denn ſo mit ihrem allerliebſten Lächeln recht viel Süßes, daß ſie wohl wiſſe, wie ſie mich nicht belohnen könne, wie es ſchimpflich ſei, mir, dem wohlhabenden Manne, etwa Geld anzubieten, ſie wolle mir bei Gelegenheit eine Börſe ſtricken, oder mit eignen Händen eine ſchöne Weſte ſticken, wobei ich ihrer gedenken ſolle, und ſo weiter. Kurz, ich ging in dem ſchlechten Regenwetter und bei dem Winde, und ärgerte mich nur der fatale weite Weg, der an manchen Stellen, wenn es regnet, grundlos iſt. Da fiel mir denn ein, daß, wenn man den Wald und die Klippen hinter dem alten Neſt, der Klauſenburg, hinaufklimmt, man zwei ganze Stunden näher geht, auch von dort aus, über den Hochwald, auf den Fußſteigen die Wege ſteiler, aber beſſer ſind, als dort unten im Moorgrunde. Gedacht, gethan. Ich renne hier vorbei, und da der Regen wieder anfängt, iſt es mir lieb, hinter der alten Klauſenburg mich durch den Wald und über die alten Steine hinweg, empor zu quälen. Aber der Buchenwald ſchützte mich doch ziemlich vor dem Regen. Nun war es ſchon finſter geworden, da wir aber Mondſchein ha⸗ ben, war mir Tag und Nacht gleich. Wie ich nun oben bin, tritt der Teufel ſelbſt ſichtbar auf mich zu.

Was ſagen Sie, Ludwig? ſagte Hannchen betreten.

Nun, nun, antwortete er, das heißt nur: ſo zu ſagen; es iſt nur ſo eine Redensart. Denn wie ich da droben ſtand, und mich unter einer Buche vor dem Regen nieder⸗ duckte, fiel mir ein: Hannchen iſt nicht glücklich, Hannchen wird mich doch vielleicht niemals lieben, ſie hängt nun ein⸗ mal an dem Theodor. Wie nun, wenn ich dieſen Brief Sidoniens, die verdächtige Correſpondenz, dem jungen Gra⸗

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Die Klauſenburg. 163

fen auslieferte? Vielleicht, daß er die ſchöne Verführerin dann fahren ließe, und zu meinem Hannchen zurückkehrte. Sehen Sie, ſolche verteufelte Einfälle hat der ehrlichſte Menſch auch zu Zeiten. Aber, dachte ich wieder, wenn das Schreiben nur Liebes und Gutes enthält, das ihr wohl gar Ehre macht? Und wird er als Edelmann wohl den Brief ſo geradehin aufreißen? Vielleicht wenn er ihn ungeſehn ſo auf der Straße fände, aber nicht, wenn er ihn aus meiner Hand bekömmt, und ich nun ſein Mitwiſſer bin. Er läuft mit dem Schreiben vielleicht ſo gerade zur Sidonie hin und ſagt ihr, welch ein Spitzbube ich bin. Ja, ja, zur Schel⸗ merei gehört auch Geſchick und wenigſtens eine Art von Sicherheit, daß ſie zum Ehrlichen hin ausſchlagen könnte. Freilich alſo, wenn ich wüßte, was in dem fatalen Brief ſtünde, dann wäre es eine ganz andere Sache. Wenn der Herr Theodor dadurch etwas recht Boshaftes erführe, wenn ſich ein Complott entdeckte, wenn wenn und mein Seel, da neſteln meine Finger ſchon an dem Siegel herum, und ich bin ganz nahe daran, das Petſchaft entzwei zu brechen. 5

Herr Werner! rief Hannchen, vor Schrecken blaß ge— worden; ein verſiegelter Brief! Von einer Perſon, die ge- rade in Sie ſo großes Zutrauen geſetzt hatte. Vielleicht in einer wichtigen Sache. Der Sie verſprochen hatten, alles genau zu beſorgen.

Sie haben ganz Recht, Netiihes Kind, erwiederte der junge Maun. Der Teufel ſelbſt iſt manchmal in einer ehr⸗ lichen Laune und reißt in eigner Perſon das Handgeld dem armen Sünder und Höllen⸗Rekruten wieder weg. So machte er es mit mir. Mit einmal lag neben dem rothen Siegel, hart an meinem Finger ein dürrer, deſſen Todtenkälte ich fühlte. Wie ich aufſah, ſtand ein abſcheuliches häßliches

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164 Die Klauſenburg.

Weib vor mir, bucklicht, mit grünen Augen und verzerrten Mienen. Dieſe hob jetzt ihre langen dürren Arme drohend gegen mich auf und ſchrie: Was machſt Du da, mein Sohn? Ich bin nicht Euer Sohn! rief ich in Schreck und Bosheit, was wollt Ihr von mir? |

Brief aufbrechen? ſchrie fie wieder und faßte mich an. Ich wehrte mich und ſtemmte mich gegen einen Baum. Nun ward es mir deutlich, daß ſie mir ſelber den Brief weg⸗ nehmen wollte, und ſie hatte ihn ſchon in ihrer klapperdürren Hand. Aber ich wehrte ſie gewaltig ab und ſo riſſen wir uns hin und her, ſo daß der Brief dabei zu Schaden kam, ich fühlte, wie er aufgegangen war und mit einemmal ra⸗ ſchelte das Blatt hinunter in die alten Ruinen der Klauſen⸗ burg hinein, denn über dieſer ſtanden wir dicht, und hart am Abgrund in unſerer Balgerei. So wie ich mir noch das freche Weibsbild recht ausſchelten will, iſt ſie auch ſchon auf und davon. Ich kann nicht begreifen, wo ſie geblieben iſt, ſo daß ich faſt wie der gemeine Mann daran glauben möchte, daß dorten Geſpenſter umgehn. Nun liegt der auf⸗ geriſſene Brief da drunten, wer weiß zwiſchen welchem Stein, Moos und Gras; morgen früh bei Tage will ich nur gleich in das alte Schloß und nachſuchen. Finde ich ihn nicht, ſo muß ich alles der Sidonie bekennen, oder auch, wenn ich ihn ſo aufgeriſſen wieder antreffe.

Aber, lieber Herr Werner, Sie leſen ihn dann nicht; nicht wahr ?

Gewiß nicht, Hannchen, ſagte der junge Mann, Sie haben ganz recht, und ich bleibe immer nur ein unnützer Burſche. Nun will ich alſo dahinten in der Wald⸗ ſchenke übernachten, damit ich morgen früh genug hei den Beinen bin.

Man hörte aus dem innern Zimmer eine Klingel. Mein

Die Klauſenburg. 165

Vater bedarf meiner Hülfe, ſagte das Mädchen: der Himmel geleite Sie, lieber Ludwig. Schlafen Sie geſund, ſagte der Burſche: ich ſehe wohl, daß Sie mir niemals gut werden können. Die letzten Worte ſagte er, indem er ſchon in der Thüre war.

Nachdenkend und von ſeltſamen Empfindungen bewegt, war Theodor unten am Fuße des Schloſſes angelangt. In dieſem Zuſammenhange hatte er noch niemals die ſeltſame Geſchichte ſeiner Vorfahren und Anverwandten gekannt. Seine Jugend ging noch einmal in ſeinem Gemüthe auf und mit Trauer und Bangen dachte er an ſeine Zukunft. Nun fiel ihm wieder eiu, wohin er gehe und weshalb, und dieſe Aufgabe, welche ihm eine verehrte Geliebte zugetheilt hatte, erſchien ihm lächerlich und läppiſch. Vielleicht, ſagte er zu ſich ſelbſt, hat fie Menſchen dorthin geſendet, die mich er⸗ ſchrecken ſollen, denn ihrem Leichtſinn und Uebermuthe iſt⸗ alles möglich. Sie will mich wohl gar dem Spott eines Anſelm Preis geben, jenem Widerwärtigen, mit dem ſie im⸗ mer ſo viele Geheimniſſe hat, ſelbſt dann, wenn ſie mir ſchmeichelt und freundlich gegen mich iſt. Ich muß mich gegen alles waffnen.

Die Nacht war ſeltſam wechſelnd. Bald hell, bald finſter: die Wolken jagten ſich durch den Himmel, ſanken bald in die ſchwarzen Wälder an den hohen Bergwänden hinein, bald erhoben ſich von der andern Seite neue mäch⸗ tige Rauchſäulen, um als Wolken empor zu ſchweben. Oft trieb der Regen, dann ſtürmte der Wind, und nun trat wieder eine ſanfte, feierliche Stille ein. Sollte dies ein Bild von meinem Leben ſeyn? fragte ſich Theodor. Mein Wunſch war immer, recht einfach dahin zu wandeln, mir

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und wenigen Vertrauten genügend, ohne Furcht und ohne ausſchweifende Hoffnung, aber freilich, dann hätte ich; nicht in den Zauberkreis dieſer Sidonie gerathen müſſen. Sie wird vielleicht mein Leben glänzend, aber auch ſtürmiſch machen. |

In den Erzählungen dieſes Abends war er aber auch an jenes Haus am Eibenſteige gemahnt worden, in welchem er ſo viele glückliche Stunden verlebt hatte. Ihn quälte die Erinnerung an das einfache liebenswürdige Mädchen, und er konnte mit ſich nicht einig werden, ob er ihr Unrecht ge⸗ than habe, oder nicht. Aber ſchon dieſer Zweifel, ſagte er, beweiſt dann, daß ich ſie in ihrem ſchönen Vertrauen ver⸗ letzt habe.

Er war jetzt der Wohnung Hannchens nahe gekommen. Der Himmel hatte ſich wieder verfinſtert. Er ſah das Licht durch ihre Fenſter glänzen. In dieſer Einſamkeit, die den fernen Anwohnern des Gebirges, den Förſtern, Jägersmän⸗ nern und Bergleuten ſo ſicher ſchien, verſchloß man die Häu⸗ ſer nicht ängſtlich, und ſo hatte auch Hannchen die Läden vor den hohen breiten Fenſtern, die tief zum Fußſteig nieder gingen, nicht vorgeſchoben. So ſtellte ſich Theodor dicht an das Fenſter, und verwunderte ſich darüber, daß das Mädchen noch nicht zu Bette gegangen ſei. Er ſah in die wohlbe⸗ kannte Stube hinein, alles drin war noch fo, wie ſonſt, Sef- ſel und Armſtuhl, Tiſch und Schrank ſtanden noch an der⸗ ſelben Stelle, und er ſehnte ſich mit Rührung und ſüßem Schmerz in dieſen behaglichen Raum hinein. Es ſtand nur ein Licht auf dem alten runden Tiſch von Eichenholz, und die Schnuppe war lang und finſter, denn Hannchen ſaß am Tiſche, und achtete, tief verſunken, nicht darauf, das Licht zu putzen. Theodor ergötzte ſich an dem lieblichen Bilde, das wie ein ſchönes Gemälde von Schalken ſich ihm zeigte. Die

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Die Klauſenburg. 167

ganze Stube war finſter, und nur ihre Figur und ein kleiner Raum in ihrer Nähe mäßig erleuchtet. Sie hatte ſich ſchon zu Bett legen wollen und war halb entkleidet, der ſchöne weiße Buſen zeigte ſich halb, und lange volle Flachshaare ſchwebten herab, und verdeckten Schulter und Hals auf der einen Seite: das feine Händchen hielt, mit dem Ellenbogen auf den Tiſch geſtützt, den Kopf und die gekrümmten Finger hatten ſich in das dicke, niederfließende Haar verwickelt. Sie las eifrig ein Blatt, und war ſo vertieft, daß ſie darüber die Finſtre des niedergebrannten Lichtes nicht bemerkte. Noch nie war die Geſtalt, das Angeſicht und der Ausdruck des Mädchens dem Jüngling ſo ſchön erſchienen, aber zugleich mit dieſer liebenden Bewunderung empfand er eine ſeltſame Eiferſucht, denn er hatte von dem Werben Ludwig Werners gehört, und war überzeugt, daß dieſes Blatt, in welchem das liebe blaue Auge ſo vertieft war, ein zärtlicher Brief ihres Verlobten war. Indem warf eine Sturmwolke einen Regen⸗ guß plötzlich nieder und er klopfte mit der Hand an die Scheibe. Sie erſchrak, und ihre erſtes war, das theure Blatt tief in ihren Buſen zu verbergen, dann warf ſie die ſchim⸗ mernden Haare durch eine heftige Bewegung des Kopfes zurück, band ſchnell das Mieder zu und eilte an das Fenſter. Laſſen Sie mich nur auf einen Augenblick ein, rief der junge Mann, bis dieſer Regenguß vorüber iſt, ich will Sie dann nicht länger beunruhigen. Sie verſchwand und öffnete die Hausthür. Als ſie in das Zimmer getreten waren, ſagte ſie, die Hände im Erſtaunen zuſammen ſchlagend: Ei, lieber Gott! Graf Theodor wieder einmal in unſerer Stube! Sie ging an den Tiſch, um das Licht zu putzen, und Theodor ſah ſich allenthalben um, betrachtete die Flinten an der Wand, die alte Uhr und ſetzte ſich dann gedankenvoll an den Tiſch. Er konnte wohl bemerken, wie aufgeregt Hannchen war und

168 Die Klauſenburg.

in welcher Bewegung fie ſich befand. Setzen Sie ſich zu mir, Sie herzlichſtes Kind, ſagte er zu ihr, ſo gut iſt es mir lange nicht geworden. Sie wußte nicht, was ſie ant⸗ worten ſollte, und dieſe kindliche Verlegenheit machte ihre Erſcheinung noch lieblicher. Theodor rückte ihr näher und faßte ihre Hand mit der ſeinigen. Sie zittern ja, Hannchen, ſagte er dann. Es iſt kaltes Regenwetter, antwortete ſie und ſchon tief in der Nacht. Ja wohl, und Ihnen graut wohl manchmal hier in der Einſamkeit, fuhr er fort: geben Sie mir das andere liebe Händchen auch. So hielt er kriegs⸗ liſtig die beiden Hände des Mädchens in ſeiner ſtarken linken Hand, und indem ſie ihn mit fragenden Blicken anſah, griff er nach dem Blatte, das ſo ſchön verwahrt war, entfaltete es und las. O Theodor! ſagte das ſchöne Kind weinend, das war ſehr, ſehr Unrecht von Ihnen. Sie ging weit von ihm weg und ſetzte ſich in den fernſten Winkel, das Köpfchen mit ihren Händen bedeckend. Aber wie ward ihm, als er jetzt eins ſeiner Gedichte las, die er vor einem Jahre im Frühling einmal dem unſchuldigen Mädchen in einer trau⸗ lichen Stunde gegeben hatte. Er ſah es wohl, wie oft das Blatt war geleſen worden, einige Buchſtaben waren halb verlöſcht, vielleicht von Thränen, vielleicht auch weggeküßt, und er ſelbſt ließ jetzt, von plötzlicher Rührung gewaltſam ergriffen, eine große Thräne auf das Blatt fallen.

Er riß die Uhr heraus und ſah, daß er nun, ſein wun⸗ derliches Verſprechen zu erfüllen, eilen müſſe. Er ſprang auf, ging zu Hannchen, gab das Blatt ihrer zitternden Hand zurück und ſagte dann mit der zärtlichſten Stimme: Bitte! bitte! nicht böſe. Sie ſtand auf und ſah ihn mit weinendem Auge durchdringend an. Er konnte ſich nicht bezwingen, und nahm ſie in die Arme und drückte einen herzlichen Kuß auf ihre Lippen, dann, ohne ein Wort zu ſagen, eilte er hinaus

Die Klauſenburg. 1 69

und rannte auf dem Fußſteige fort, um zu rechter Zeit vor der alten Pforte der Klauſenburg anzulangen. Andem er davor ſtand, hörte er unten im tiefen Thale die Glocke des Dorfes Zwölfe ſchlagen. Er zog gedankenlos an dem Eiſendrahte, der wie verhöhnend aus alter Zeit an der moosbewachſenen Mauer niederhing. Aber er kam auf unerwartete Weiſe zum Bewußtſein, denn ein ſonderbarer Ton erklang laut gellend im Innern, das Getön hallte noch in die Ferne hinein, aus dieſer erwachte eine zweite Glocke, und nach dieſer noch entfernter eine dritte, alle ſo ſeltſam geiſterhaft, daß ihn ein Schauer erfaßte.

Jetzt öffnete ſich das Thor, er trat hinein: ein altes gebücktes Mütterchen ſtand mit einer Laterne da, er ſchritt in den Hof, und das Thor ward hinter ihm wieder ver⸗

ſchloſſen.

Theodor kam aber am folgenden Tage nicht auf das Schloß zurück. Es ſchien, als wolle er alle Verbindung mit ſeiner bejahrten Verwandtin, der freundlichen Baroneſſe, ganz aufgeben, denn er ließ ſich dort in mehreren Wochen nicht erblicken. Dagegen fiel ganz unerwartet eine große Ver⸗ änderung mit Sidonien vor. Sie hatte, wie man glaubte, von Theodor ſchon am folgenden Morgen ein großes Brief- paket erhalten. Sie erbrach es in Gegenwart der übrigen Gäſte, und war ſchon nach dem erſten flüchtigen Anblick der Blätter außer aller Faſſung. Dies mußte um ſo mehr auf⸗ fallen, da ſie ſonſt in allen Lagen des Lebens einen un⸗ erſchütterlichen Gleichmuth bewieſen hatte. Sie war jetzt ſo erſchüttert, daß ſie ohne allen Vorwand die Geſellſchaft ver⸗ ließ und ſich in ihrem Zimmer verſchloß. Die Tante war ſo neugierig, wie ſie noch nie geweſen war, um zu wiſſen,

170 Die Klauſenburg.

was dieſe außerordentliche Veränderung der Nichte habe ver⸗ urſachen können. Blinden war gleichgültig und Blomberg, welcher den Zuſammenhang zu ahnden ſchien, wollte keine Vermuthung oder Meinung von ſich geben.

Sidonie hatte in größter Eil einen reitenden Boten ab⸗ geſendet, ohne zu ſagen, wohin. Er mußte aber, ſo ſahe man, zu Anſelm geeilt ſeyn, weil dieſer ſich ſchon vor Tiſche einſtellte, und lange mit Sidonien, obgleich das Wetter nicht angenehm war, im Garten am Abhange des Berges in den lebhafteſten Geſprächen auf und nieder wandelte, und ſich endlich ſogar mit ihr in den alten Pavillon begab, der wegen ſeiner Baufälligkeit ſonſt nicht gern beſucht wurde. Nach zwei Tagen verließ Sidonie, in Begleitung des Grafen Blinden, der noch einmal die Rolle des Vormundes über⸗ nehmen mußte, mit Anſelm das Schloß, und kaum war eine Woche verfloſſen, ſo meldeten beide ihre Verlobung und Ver⸗ mählung. Sie verließen aber die Landſchaft und kauften ſich in einer weit entlegenen Gegend an. Auch erfuhr man, daß aus jener kleinen Stadt, welche abſeits im Thale lag, eine alte Frau ihnen gefolgt war, welche die Verpflegerin eines kleinen einjährigen Kindes geweſen, deſſen Herkunft Niemand wußte.

So gab es in der Provinz viel über jene ſo auffallen⸗ den Veränderungen zu reden. Auch Graf Theodor gab Stoff zum Verwundern. Er hatte jene verſchwundenen Dokumente aufgefunden und eine reiche Erbſchaft war ihm zugefallen. Beim regierenden Fürſten galt er mehr als je, ſein Gehalt war vermehrt und ihm ein größerer Wirkungskreis angewie⸗ ſen worden. Mit dem Erbprinzen war er ebenfalls inniger befreundet, und beide Fürſten lobten ihn, daß er ſein Ver⸗ hältniß mit Sidonien ſo beſtimmt und ſchnell aufgelöſt habe. Der alte Herr war beſonders darüber erfreut, daß die ver⸗

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dächtige Schöne das Land ganz verlaſſen hatte, weil es ihr ſchon einmal gelungen war, ſeinen Sohn durch ihre Reize zu feſſeln. Das Erſtaunen der kleinen Provinz ſtieg noch höher, als Graf Theodor, nachdem alles beſeitigt war, ſeine Vermählung mit einem armen und bürgerlichen Mädchen erklärte, und Hannchen, die Förſterstochter, auch vom wohl- wollenden Regenten mit ausgezeichneter Gnade aufgenommen wurde. i

Dieſes ſchöne liebende Gemüth wurde für ihre Treue durch die höchſte Glückſeligkeit überraſcht, und über alle ihre Wünſche und Träume durch die Wirklichkeit erhoben. An jenem Abend, als Theodor ſeine ehemalige Geliebte noch ſo ſpät beſuchte, hatte er gefühlt, wie viel er vormals an dieſem reinen Herzen, an dieſem kindlichen Weſen beſeſſen hatte.

Nach zwei Monaten kam Graf Theodor mit ſeiner jun⸗ gen Gemahlin wieder auf das Schloß der alten Baronin, um einige Wochen bei ihr in der ſchönen Gebirgsgegend zu wohnen. Er fand nur den alten gutmüthigen Blomberg bei ihr. Die alte Verwandte behandelte das ſchöne liebenswür⸗ dige Hannchen mit der zärtlichſten Freundlichkeit und Blom⸗ berg war über die Wendung entzückt, welche das Schickſal ſeines Freundes Theodor genommen hatte.

Da wir nun hier im vertrauten Kreiſe ſitzen, fing der Alte an, da es wieder Abend geworden iſt und kein Bedien⸗ ter und noch weniger ein Beſuch uns jetzt ſtören wird, fo könnten Sie, mein Freund, uns wohl mittheilen, was Ihnen in jener Nacht, als Sie uns verließen, in der Klauſenburg begegnet iſt, oder ob Ihnen gar nichts zuſtieß, das der Rede verlohnte. Doch will mich bedünken, als habe jene Nacht Ihr Leben entſchieden.

So iſt es, ſagte Theodor, und da gutmüthige Freunde mir zuhören, ſo will ich auch erzählen, was mir begegnet iſt,

172 Die Klauſenburg.

doch verlange ich ſelbſt von Ihnen nicht, daß Sie mir un⸗ bedingt glauben, und bitte deshalb, daß meine Mittheilung nicht über Ihre Lippen kommen möge.

In einer ſonderbaren Stimmung verließ ich dies Haus, um die Probe zu beſtehen, die mir lächerlich dünkte. Sido⸗ niens Betragen hatte mich verletzt, und ich konnte mein In⸗ neres nicht deutlich ergründen, ob ich ſie wirklich liebe. Als ich, von einem Platzregen überraſcht, zu Hannchen eintrat, erwachte meine vormalige, ächte Liebe in ihrer ganzen Kraft und ich wurde völlig verwirrt. So kam ich an das ver⸗ wüſtete Schloß, und trat in der Mitternacht vor die Pforte. Schon als Kind hatte ich zuweilen an jenem Eiſendraht ge⸗ zogen und ſo wenig, wie andre Neugierige, eine Wirkung verſpürt. Mißmuthig griff meine Hand in den Ring, ich zog ſcharf und ein lauter, wunderlicher Ton erklang, den ich nicht beſchreiben kann. Er wiederholte ſich in der Ferne und dann wieder in größerer Weite, und das alte verroſtete Thor that ſich auf. Ich trat hinein, es verſchloß ſich hinter mir und ich war mit einem alten blaſſen Mütterchen allein, die mir mit einer Laterne in das Geſicht leuchtete, dann winkte ſie mir, ihr zu folgen. Und von jetzt an, wie ſoll ich den Zuſtand beſchreiben, welcher mich jetzt beherrſchte? Es war keine Betäubung, aber auch kein deutliches Bewußtſein. Faſt wie ein Taumel, oder Rauſch, oder eine Annäherung zum Schlummer. Und ſo folgte ich der krummen Alten. Der Hof war aber nicht der Hof; das Geſträuch, die Moos⸗ wände, der Epheu und das wilde Geſtrüpp zwiſchen dem umherliegenden Geſtein war verſchwunden, wir wandelten durch alte hohe Zimmer und Säle. In dem einen Zimmer war ein Bett und auf dem Tiſch eine brennende Kerze. Die blaſſe Alte verließ mich. Das dunkle Gemach war ſparſam erhellt, und der Mond ſchien bleich durch das trübe Fenſter.

Die Klauſenburg. 173

In einer Niſche des Zimmers ſtand die Büſte eines alten Mannes, wie aus Mormor gearbeitet. Indem ich mich ſo umſehe, ſchreitet das auf mich zu, welches ich für ein ſteiner⸗ nes Bruſtbild gehalten hatte. Ich bin Dein Vorfahr Mo⸗ ritz, ſagte die hochaufgerichtete Geſtalt, und mein Grauen vor ihm war nur ſchwach und verſchwand. Du ſollſt Friede und Ruhe genießen und ſo werden wir alle die Ruhe finden. So tönte es dumpf, mir aber verſtändlich, aus ſeinem kreide⸗ weißen Munde. Er winkte und hinter dem Seſſel wickelte ſich eine ſcheußliche Geſtalt hervor, ganz ſo im Anſehn, wie uns jene Erneſtine beſchrieben wurde. Sie hatte einen offnen Brief in der Hand: Lies! krächzte ſie, und ich ergriff mit zitterndem Ungeſtüm das Blatt. Oeffne den Schrank! ſagte der Alte. Sie that es und nahm viele Papiere her⸗ vor. Ich nahm ſie. Verſöhnt! riefen beide, und zwei holde Geſtalten, die der Alte Franz und Eliſabeth nannte, ſchwebten vorüber. Rund umher ſtanden jetzt viele bleiche Erſcheinungen, die Wände und Fenſter zu verdecken ſchienen. Alles ſchwirrte, fliſterte, lispelte mir wie Flügelſchlag, wie ein feines Brauſen und Säuſeln dazwiſchen. So weit reicht mein Bewußtſein, meine letzte ſchwache Erinnerung war, daß ich mir einbildete, ich ſei auf das Bett geſunken.

Ein Froſt erweckte mich. Es war klarer Morgen und ich lag auf einem Stein in der Ruine, der vom Regen und Morgenthau naß war. Ich hätte jetzt Alles für Traum er⸗ klärt, wenn ich nicht jene lang vermißten Dokumente, die mir das Erbe zuſicherten, in Händen gehalten hätte, ſo wie jenen Brief, den mir die verzerrte Geſtalt auf den Befehl meines Ahnherrn übergeben hatte. Er war von Sidonie, und entdeckte mir ein inniges Verhältniß mit Anſelm und wie man künftig meine Schwachheit und meinen Einfluß auf den jungen Fürſten hatte mißbrauchen wollen. Indem ich

174 Die Klauſenburg.

noch las, ſann und ſtaunte, arbeitete ſich der junge Forſt⸗ mann Werner durch die Klippen und Geſträuche, um jenen Brief zu ſuchen, den ihm am Abend, wie er erzählte, ein Geſpenſt entriſſen hatte.

Ich ſchickte dieſen Boten mit jenem Schreiben und einem Briefe von meiner Hand an Sidonien zurück. Ich ging zu Hannchen, von dort in die Reſidenz, und alles fügte ſich zu meinem Glück.

Jetzt werde ich jene alte verwüſtete Klauſenbutg wieder aufbauen, die Wege dort herſtellen, und mit der Frau, mei⸗ nem alten Schwiegervater, meinen zukünftigen Kindern, und ſo lieben Freunden, wie Sie beide es mir ſind, recht oft und lange dort hauſen und im Genuß der Liebe und Freund⸗ ſchaft ſo glücklich ſeyn, wie es uns ſterblichen Menſchen nur irgend vergönnt iſt.

So ſchloß Theodor ſeinen Bericht, uch ‚alles erfüllte ſich ſpäterhin fo, wie er es gewünſcht und. gejagt hatte.

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Der Sohn war von ſeinen Reiſen zurückgekehrt. Warum nun gerade im Winter? ſagte der Vater zu ihm, als ſie am lodernden Kaminfeuer ſaßen. Lieber Vater, ant⸗ wortete dieſer, ich wollte noch das gute Wetter in Italien und der Schweiz genießen, und ſo meinte ich, es ſei gut ge⸗ than, in Regen und Schnee durch dieſe unſere faſt immer unfreundlichen Gegenden zurück zu reiſen.

Es mag gut ſeyn, ſagte der alte Baron in etwas grä⸗ melnder Weiſe; aber, wenn Du mich nicht mehr getroffen hätteſt, und war es doch nahe daran, daß die letzte Krank⸗ heit mich wegraffte, ſo hatteſt Du das Nachſehen und ich lag dort im Gewölbe, wo man keine Viſiten mehr annimmt.

Der junge Mann ſtand auf und umarmte den Alten. Zürnen Sie nicht länger, rief er lebhaft aus. Ihr Verdruß ſchneidet mir durchs Herz. Iſt doch alles ſo ſchön gewor⸗ den, Sie haben das ſtrittige Gut erlangt, um welches der ewige Prozeß geführt wurde, und den Sie ſchon verloren ga⸗ ben; meine Schweſter iſt Braut und einem liebenswürdigen jungen und wohlhabenden Manne verlobt; Ihre Geſundheit iſt beſſer als je, und der Präſident hat mir gleich geſtern bei meiner Ankunft die Verſicherung gegeben, daß er an mich denken wolle, und Sie wiſſen, wie ſehr er unſerm Hauſe er⸗ geben iſt.

Tieck's Novellen. IX. 12

178 Abendgeſpräche.

Alles gut, ſagte der Vater, aber es könnte noch beſſer ſeyn, wenn Du nur ein halbes Jahr früher gekommen wärſt: Du wäreſt ſchon befördert, oder hätteſt eines meiner Güter übernommen, oder wärſt ſchon verheirathet, oder wir hätten noch ein Gut angekauft, drüben Schornheim, was damals zu einem ſehr wohlfeilen Preiſe wegging, und das jetzt unſer Landrath mit Verſtand bewirthſchaftet, oder wir hätten noch hundert andere Dummheiten unternehmen mögen, die uns in vielfachen Verdruß und Händel hätten ſtürzen können, und nun muß ich darüber verdrüßlich ſeyn, daß ich hier in aller Ruhe ſitzen muß, und ich mich nur über Dich ärgern kann.

Der junge Bräutigam, der Lieutenant von Lehndorf, trat zu ihnen. Ei! wie gerufen! rief der Alte, helfen Sie mir ein bischen zornig ſeyn, denn Sie haben ein n Talent.

Ueber was, ſagte der Amate lachend, befehlen Sie, daß ich wüthen ſoll?

Ueber meinen Eduard da

Und, ſoll ich ihn fordern und ihn gleich vor Ihren Augen maſſakriren, den Böſewicht? rief der Lieutenant in ſcheinbarem Zorn.

Halt! ſchrie der Alte und riß dem jungen Menſchen den Degen aus der Hand, ſind Sie denn raſend? Sie Hitzkopf!

Er ſetzte ſich etwas beſchämt nieder, als er die beiden ſich lachend umarmen ſah. Thoren! ſagte er dann, doch das Volk iſt freilich jung, und ich bin alt, und in ihren Jahren war ich beinah eben ſo.

Iſt denn meine Braut, fing jetzt der junge Offizier an, noch immer nicht von der alten Tante zurück? Dieſe fatalen Beſuche verderben mir auch meine Laune und mein Leben. Das hat immer kein Ende. Nun iſt es ſchon dunkel, Abend, der Wind ſtürmt draußen, ſie wird ſich erkälten.

Abendgeſpräche. 179

Muß denn das nicht auch ſeyn? ſagte der Alte grä— melnd: wovon ſollten denn ſonſt die jungen Weibſen krank werden? Worüber könnten ſie klagen? Sie iſt ſehr ungern hingefahren, die Tante Brigitte findet den Beſuch gewiß ſehr läſtig, weil ſie von ihren Gebetbüchern und Katzen aufgeſtört wird. Meine Pferde müſſen nun auch im Naſſen ſtehn und warten, ſie erkälten ſich ebenfalls, darüber mault mein Kut⸗ ſcher nun mit mir Wochen lang der Alte kriegt auch den Schnupfen und doch hat der Beſuch gemacht werden müſſen. So iſt nun einmal unſere verkehrte Welt.

Ja wohl, ſagte der Offizier, die Tante würde wüthen, wenn ſie von Adelheid nicht wäre geſtört worden, und Sie, Schwiegervater, hätten mit der Tochter gezankt, wenn ſie die Tante vernachläſſiget hätte, und Adelheid, die ſich vor Verdruß ſeufzend in die Kutſche ſetzte, hätte ſich mit mir überworfen, wenn ich ſie hätte zurückhalten wollen, und Ihr Kutſcher hätte ſich aus Eitelkeit und Amtspflicht gar dem Teufel ergeben, wenn das ſchlanke ſtarke Mädchen mit einem Bedienten die Stunde Wegs durch den Wald zu Fuß hätte machen wollen. So iſt nun einmal unſre verkehrte Welt.

Alle lachten und der alte Mann ſagte hierauf: das wäre ſo ein Thema für unſern zerſtreuten Baron, der immer fin⸗ det, daß alle unſre Sitten und Einrichtungen, Moden und Bequemlichkeiten, Kleider und Möbeln ſo ſind, als wenn ſie von lauter Verrückten erfunden und eingerichtet wären.

Iſt er ſelbſt nicht aber etwas thöricht oder geſtört? fragte der Sohn. Dieſer Mann hat mir geſtern, als ich ankam, den ſonderbarſten Eindruck gemacht. Er ſcheint im⸗ merdar zerſtreut, ſitzt immer in Gedanken, antwortet auf alles verkehrt, und weiß doch nachher genau, was in den Geſprächen iſt verhandelt worden. Wo iſt er her? Wie ſind

12%

180 Abendgeſpräche.

Sie an ihn gerathen, ſo daß er hier im Hauſe wan un wie lange iſt er ſchon bei Ihnen?

Das iſt viel auf einmal gefragt, antwortete der Baron. Haſt Du nie in Deinem Leben einmal recht tüchtige Langeweile empfunden? Aber jene meine ich, die zentner⸗ ſchwer, die ſich bis auf den tiefſten Grund unſers Weſens einſenkt und dort feſt ſitzen bleibt: nicht jene, die ſich mit einem kurzen Seufzer oder einem willkürlichen Auflachen ab⸗ ſchütteln läßt, oder verfliegt, indem man nach einem heitern Buche greift: jene felſeneingerammte trübe Lebens - Saum- ſeligkeit, die nicht einmal ein Gähnen zuläßt, ſondern nur über ſich ſelber brütet, ohne etwas auszubrüten, jene Leut⸗ ſeligkeit, ſo ſtill und öde, wie die meilenweite Leere der Lüne⸗ burger Haide, jener Stillſtand des Seelen-Perpendikels, ge⸗ gen den Verdruß, Unruhe, Ungeduld und Widerwärtigkeit noch paradieſiſche Fühlungen zu nennen ſind.

Ich bin wohl noch zu jung, antwortete der Sohn, um ſo tiefſinnige Erfahrungen des reiferen Alters ſchon gemacht zu haben: auch will ich nicht zu früh der Weisheit meiner künftigen Jahre mit Fürwitz vorgreifen.

Alſo, fuhr der Alte fort, Du kamſt immer noch im Spätherbſt nicht an, obgleich ich Dich ſchon im Frühjahr er⸗ wartet hatte; ausgewettert und ausgedonnert hatte ich mich völlig, und Deine Schweſter ſagte in ihrer naſeweiſen Art, meine Flüche fingen an gar zu alltäglich zu werden, und es ſei kein Athem von Originalität mehr in ihnen zu entdecken. Ich wollte mich nicht lächerlich machen, und da mir nun auch mein allerletzter Zeitvertreib fehlte, quartierte ſich jene furcht⸗ bare hölliſche Langeweile bei mir ein. Die trieb mich durch alle Zimmer bis auf den Boden hinauf: aber ich fand nir⸗ gend Zerſtreuung. Im abſcheulichſten Wetter treibe ich mich

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denn in meinem Park herum, ich dachte, ich würde doch hier oder da etwas finden, worüber ich mich ärgern könnte, denn mein Gärtner iſt, wie Dir noch erinnerlich ſeyn wird, manch⸗ mal betrunken. Nichts! der dumme Menſch iſt vernünftig und Alles in der beſten Ordnung. Da höre ich von ferne etwas jodeln und ſchreien. Um näher zu kommen, gehe ich durch meine immergrünen Gebüſche der Anhöhe zu: es war mir eigentlich fatal, zu ſteigen, da ich ſchon müde war, aber meine Neugier war doch ſtärker, denn das Jolen dauerte noch fort, und wurde immer ſtärker, je näher ich kam. Wie ich um die Ecke biege, und faſt oben bin, wo man zwiſchen den Steinen die ſchöne Ausſicht genießt, ſehe ich in einem grauen Kleide einen ältlichen ſchlanken Mann, der da oben auf der Spitze meines fabrizirten Gebirges herum ſpringt und tanzt, wie beſeſſen, und dazu ſo laut ſingt und ſchreit, wie er es nur aus der Kehle bringen kann. Von unten ſchreie ich zu ihm hinauf: Mein fremder Herr Solotänzer! Meinen Sie denn hier einen Montblanc etwa zu allererſt erklettert zu haben, um in ſo unziemlichen Hymnen hinaus zu brechen? Das iſt mein Terrain hier und ich verbitte mir dergleichen Jubel, weil mein künſtlicher Chimboraſſo darunter leiden könnte, da der eine Stein dort ſchon ſeit lange wackelt. Worüber, in des Teufels Namen, ſind Sie denn ſo ausneh⸗ mend luſtig?

Nichtsweniger als luſtig, bin ich, rief mir der Tanzende von oben herunter entgegen, indem er immer noch hin und her ſprang; Sie ſehn im Gegentheil einen höchſt trübſeligen Menſchen in Ihrem Eigenthum, wenn der Kürbis von Hü⸗ gel, wie Sie mir ſagen, Ihr Grund und Boden iſt.

Er iſt es, ſchrie ich faſt außer Faſſung, und ſtieg vollends zu ihm hinauf, aber donnern, rammen und trampeln Sie mir nicht mein arkadiſches Gebirge ſo unbillig zuſammen, es

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wird ſo unkenntlich, daß ſich kein Geograph künftig wird zu⸗ rechtfinden können. Halt! Beſter! |

Er hielt inne und ich fuhr fort: Da Sie aber nicht ausgelaſſen luſtig ſind, warum jolen, ſchreien und ſpringen Sie denn ſo ganz nichtsnutzig hier an dieſer ernſten, melan⸗ choliſchen Stelle?

Mein lieber Eigenthümer, ſagte der graue Mann, Sie ſcheinen das innerſte Weſen der Schwermuth noch niemals begriffen zu haben, die eben, wenn ſie extravagant iſt, nie a plurali eine Baſis ſucht, um ſich ihrer ſelbſt auf freie Weiſe bewußt zu werden. So ſpringe ich denn hier auf meinen Beinen herum, um die Stelle auszufinden, wo es ſich mit Sicherheit melancholiſiren läßt, denn nicht jeder Grund und Boden taugt dazu. Wo Pilze wachſen, oder gar Trüffeln, auch Schlüſſelblumen, oder Himmelſchlüſſel, wie der gemeine Mann ſie nennt, Schafgarbe, Thymian, oder wo ein Kalkgebirge unter uns iſt, da rathe ich keinem, auf eine gründliche Art melancholiſch ſeyn zu wollen, denn es wird gewiß mißrathen.

Hier ſtehn Sie auf Sand, ſagte ich, mit Granitblöcken verſchönert, und durch eine Lage Lehm unten geſtützt, den ich habe herauffahren laſſen.

So iſt es recht, ſchrie der Phantaſtiſche, das iſt der wahre Reſonanz⸗Boden der Schwermuth; wo ſich dergleichen findet, da können die Talente ſich üben. Meilenweit hier herum iſt es mir nicht ſo gut geworden.

Ich verbitte mir hier aber, rief ich wieder, alles Tan⸗ zen und Springen, ohne meine Erlaubniß: sobre ſoll es hier zugehn!

Teufel noch einmal! ſchrie der Fremde, ich will hier luſtig ſeyn, oder in Verzweiflung fallen, wie es mir gut dünkt, und, wenn Sie mir zu ſehr in die Quere kommen,

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ſo ſchieße ich mich auf dieſem Flecke hier todt, ſo müſſen Sie mir noch ein Monument ſetzen laſſen, eine Urne mit einer Thränenweide darüber.

Das wäre mir gerade recht! rief a von neuem erzürnt. Jetzt ſtand ich ihm ganz nahe, gerade gegenüber, und ſahe ihm Auge in Auge. Er hatte nur kleine, graue und matte Augen. Nein, Grauslieschen, fing ich nun an, nichts von Thränenweiden auf dieſer Gebirgshöhe, auf dieſem poetiſchen Zuckerhut der Landſchaft; hängen Sie ſich, jo fol zum An⸗ denken eine Pinie oder ordinaire Kiefer die denkwürdige Stelle bezeichnen.

Sie beleidigen mich, rief jener wieder, ich bin kein Freund vom Hängen. Iſt ſolche Aufforderung überhaupt wohl gaſtfreundlich zu nennen, wenn Sie nicht geſonnen ſind, dem berüchtigten Timon eins ſeiner menſchenfeindlichen Epigramme abzuborgen? Doch jo dürftig, armſelig, impo⸗ tent werden Sie ja nicht ſeyn, ſo deutlich Ihr Elend zu manifeſtiren.

Ich wußte jetzt nicht, ob der fremde Alpentänzler mir eine grobe Sottiſe oder freundliche Schmeichelei ſagte, in dieſer Verlegenheit warf ich mich wieder in meinen Ver⸗ druß und rief: Kurz und gut, ſei's wie's ſei, aber ich bin zornig!

Ich auch! ſchrie jener.

Ich wüthe! tobte ich heraus und ſtampfte mit den Füßen.

Mordelement! rief der Fremde, da zerſtampft der unter⸗ ſetzte dicke Menſch den ſchönen Raſen! Schämen Sie ſich, Allerweltsbrummbär.

Schämen Sie ſich! zürnte ich ihm entgegen: Sie Flau⸗ ſenmacher! Und wenn Sie denn einmal wüthen wollen, ſo kommen Sie zu mir da unten in meine warme Stube; da können wir uns bei einem Glaſe Wein die prächtigſten Grob⸗

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heiten ins Geſicht ſagen, denn hier bläſt der Wind, und es fängt wieder an zu regnen, nichts nimmt ſich hier aus, keine von unſern attiſchen Feinheiten oder urbanen Redens⸗ arten kann hier gedeihen.

Wein! ſagte der: nur keinen Feanpöfifihen Es iſt doch ein guter kräftiger Rheinwein, bei dem wir uns zanken wollen?

Topp! rief ich, ſo ſei's, unbekannter Zankender! Und Arm in Arm gingen wir den Hügel hinunter, hier in dieſes Zimmer hinein, wo wir uns an das Kaminfeuer fetzten. Und lange war mir nicht ſo behaglich und wohl geweſen, als im Geſpräch mit dieſem grauen, ſchlanken, wunderlichen Baron Geiersberg, denn das iſt ſein Name. Seitdem, das werden jetzt vier Wochen ſeyn, wohnt er bei mir, und er hilft mir recht angenehm die Zeit vertreiben. Wir zanken uns faſt immer, aber auf eine erfreuliche Art, bald behalte ich Recht, bald er. Er hat Urſache, mit ſeinen Verwandten ſehr unzufrieden zu ſeyn, ſo daß er ihnen ſogar mit einem Prozeß droht, nach ſeiner Erzählung haben ſie ſich ſehr un⸗ dankbar gegen ihn betragen, und dies, und daß er vor Jah⸗ ren Frau und Kinder ſchnell hinter einander verloren, hat ihn ſo mißmüthig gemacht, daß er im ſchlechteſten Wetter zu Fuß im Lande umher ſtreifte, in meinen Garten, der von allen Seiten offen iſt, gerieth, und auf der Spitze meines Rieſengebirges da oben in Verzweiflung einen Tanz auf⸗ führte, der, wie es mir ſchien, aus den künſtlichſten Ballet⸗ Sprüngen beſtand. Seitdem haben wir uns recht gut mit einander vortragen, er erzählt viel und gut, iſt ein Freund meiner Tochter und wird mitunter ganz aufgeräumt. Auch hat er eine hübſche Stimme zum Geſang und fo muſiziren die drei Leute oft recht angenehm und zu meiner Ergötzung. Jetzt fuhr ein Wagen vor, der Bräutigam eilte hinaus

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und hob ſeine Geliebte aus der Kutſche. Sie ſetzte ſich auch an das Feuer, und als die Bedienten den Thee brachten, erheiterten ſich unter Geſprächen alle Geſichter. Es fiel ihnen nicht ein, durchaus nur geiſtreiche Sachen, Epigramme, oder witzige Verleumdungen vorzutragen, und darum war ihnen dieſe Abendſtunde in der Regel ſo behaglich, weil jeder ſich in ſeinem Weſen gehen laſſen durfte, und doch wußte, daß er von keinem der Anweſenden der Langeweile angeklagt werden würde. Auch der grämelnde Wirth vergaß alles Verdruſſes, und als jetzt der grau gekleidete Fremde hereintrat, erhöhte ſich die ſtille Luſt der Geſellſchaft noch mehr.

Wir ſollten jetzt einige Geſchichten erzählen, fing der alte Baron an, denn es iſt heut beim garſtigen Wetter draußen hier im Zimmer ſo heimlich. Indem trat ein zier⸗ licher Jokei herein, welcher dem Sohne des Hauſes ein Billet überreichte. Der Knabe entfernte ſich gleich wieder und der Vater fragte: Giebt es etwas Neues, mein Sohn? Von drüben, vom jungen Grafen, erwiederte dieſer: ich ſoll mich zu einer Jagd einſtellen, zu der er viele Freunde geladen hat. Ich habe aber gar keine Luſt, mich dieſem Wetter auszuſetzen, um vielleicht einen Haſen an mir vorbeilaufen zu ſehn. Wären die Jagdgeſchichten nicht, in welchen die unglücklichen Jäger vorzüglich ſo freie Poeſie entwickeln, ſo wäre das Geſchäft für denjenigen, der nicht fanatiſirt iſt, völlig troſtlos.

Es iſt mir lieb, ſagte der Vater, wenn Du bei uns bleibſt, und Deine Schweſter und den künftigen Schwager, mich und den Baron Geiersberg mehr kennen lernſt, da Du die Familienglieder auf Deiner zweijährigen Reiſe faſt vergeſſen haſt.

Wo haſt Du nur den hübſchen Jokei her? fragte jetzt die Schweſter. Ich möchte ſagen, mir ſei noch niemals ein

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ſo anmuthiger junger Burſche vorgekommen. Nur kleidet es ihn ſchlecht, daß er ſo dicke ſchwarze Haare, ſogar ohne Locken, von allen Seiten dicht in ſein Geſichtchen hinein⸗ trägt. Man kann ſo das hübſche Köpfchen kaum recht er⸗ kennen. |

Mache nur Deinen Bräutigam nicht eiferſüchtig, ant⸗ wortete der Sohn, der hitzige Offizier ſcheint mir nicht we⸗ nige Anlage dazu zu haben. Der junge Menſch iſt mir von einer ehrwürdigen Perſon ſehr dringend empfohlen worden, von meiner mütterlichen Tante, die ſchon ſeit lange oben in jener Seeſtadt wohnt. Das gab ein langes Hin- und Her⸗ reden, ein Ermahnen, den Menſchen gut zu halten, ſo daß ich ſie am Ende lachend fragte, ob die junge Brut ſie etwa näher angehe. Darüber wurde ſie ſo böſe, daß nur wenig fehlte, ſie hätte mir ins Geſicht geſchlagen. Ä

Der Vater lachte und fagte dann: So recht! Die jun- gen übermüthigen Herren ſollten nur oft ſo ankommen, daß ſie ſich wieder in den Reſpekt für das Alter einlernten. Aber dieſen langen Beſuch bei dieſer Tante, die uns ſeit Jahren ganz aus den Augen gekommen iſt, Deine Umwege auf den Reiſen, Deine ſeltenen unbeſtimmten Briefe, alles das iſt mir noch jetzt ſo unklar, hat mich damals ſo böſe gemacht, daß ich mir wohl über dieſe maten eine Aufklärung ausbitten möchte.

Ach! liebſter Vater, ſagte der Sohn mit einem komi⸗ ſchen Seufzer: Nicht wahr? In der Jugend iſt man eigent⸗ lich jung, die Ausnahmen abgerechnet, die ſich als frühe Greiſe herumtreiben? Die dummen Streiche, die Ueber⸗ eilungen und Thorheiten laufen einem ordentlich nach, und wenn man ſich retten will, und in die Arme der Vernunft werfen, ſo iſt dieſe oft, beim Licht beſehn, eine noch ſchlim⸗ mere Albernheit. Soll ich denn im vertrauten Kreiſe hier

EZ

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meine Bekenntniſſe ablegen, ſo waren es hauptſächlich zwei Liebſchaften, die mich auf meiner Reiſe fo lange aufge⸗ halten und meine Zurückkunft unbillig verzögert haben.

So? ſagte der unwillige Vater, und die Schweſter lachte, indem der Bräutigam ausrief: Dergleichen iſt die beſte Entſchuldigung und Rechtfertigung. Aber zwei, Freund! Das iſt bedenklich. Ja wohl, ſetzte der fremde alte Baron hinzu: unſchuldiger wäre es, wenn es fünf, ſechs, ſieben wären, aber gerade zwei! Da muß es ſchon ernſter herge⸗ gangen ſeyn, und eine wahre Untreue iſt gegen die eine oder die andere verübt worden. |

Nicht ſo ganz, oder nur uneigentlich, erwiederte Eoukrh. Sie wiſſen, lieber Vater, daß Sie mir Empfehlungen nach der nächſten großen Stadt mitgaben. Der Bankier, der mir die nöthigen Summen, nebſt Creditbriefen einhändigte, hatte eine ſehr ſchöne Tochter, der Sie mich zwar nicht empfoh⸗ len, um deren Gunſt ich mich aber dennoch mehr, als um die ihres Vaters bewarb. Sie war auch freundlich gegen mich, und ſo gingen ergötzliche Stunden und anmuthige Tage hin, ohne daß ich die Zeit berechnete, oder meinen Aufent⸗ halt zu lang gefunden hätte, ſo ſehr ich mir auch früher einbildete, mein Genius dränge mich unaufhaltſam nach Ita⸗ lien und deſſen Alterthümern hin. Wir lachten, ſangen und philoſophirten mit einander, ich und die Tochter nehmlich, ſo daß wir uns einbilden konnten, wie große Fortſchritte wir in der ächten Bildung machten. Wenn wir neue franzöſiſche oder deutſche Autoren rezenſirten, merkte ich wohl, daß ſie mir oft gegen ihre Ueberzeugung Recht gab, und es war eine ganz natürliche Gefälligkeit, da ſie ſehn mußte, wie oft ich ihrer Meinung beifiel, wenn ich auch oft ganz anders dachte. So logen wir uns hin und her vielerlei vor, auch über Menſchen, Tugenden, Zeitgeiſt, Bedürfniſſe der Welt, Fort⸗

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ſchritte der Menſchheit, und ich ſorgte nur dafür, daß in allen großen Ideen meine Liebe durchgriff und ſich geltend machte. Die Familie beſaß ein elegantes Gartenhaus vor dem Thore, und ſie wußte es ſo einzurichten, daß wir auf einem Spaziergang, auf welchem wir eine Freundin abholen wollten, dieſe vergaßen und uns ſo aus dem Thor und nach dieſem Garten hinſtahlen. Keins machte das andre aufmerk⸗ ſam darauf, daß etwas ganz anderes geſchah, als wir uns in Gegenwart der übrigen Familie vorgeſetzt hatten. Wir ſetzten uns in eine Laube, und ſo angenehm verging uns die Zeit, ſo abwechſelnd und doch in Harmonie waren unſere Geſpräche, daß wir auf die Stunden und den Untergang der Sonne nicht achteten. Ich wüßte nicht zu ſagen, wenn ich ganz nach meinem Gewiſſen ſprechen ſollte, wer von uns den an⸗ dern zuerſt mit ausdrücklichen Worten und nach den herge⸗ brachten Geſtändniſſen ſeine Liebe, Verbindung und Herzens⸗ Entzündung erklärte. Und als es geſchehen war, wußte ich ſelbſt nicht, ob mein Herz erleichtert oder beſchwert war. Die Küſſe, die wir wechſelten, waren für mich mehr betäu⸗ bend als berauſchend. So gingen wir in der Dämmerung nach Hauſe, und, das kann ich von mir betheuern, unſchul⸗ diger, als wie ich das Haus verlaſſen hatte.

Ein hitziger Bruder war in der Familie, der meinem Umgange mit ſeiner Schweſter ſchon immer etwas in den Weg hatte legen wollen: denn bald ſtörte er am Klavier unſre zärtlichen Duette, bald kramte er über Literatur Anſichten aus, die den unſrigen völlig entgegengeſetzt waren, und zwar bloß in der Abſicht, um mir zu widerſprechen; bald führte er plötzlich einen jungen Mann in die Geſellſchaft, welchen er beſchützte, und der ſich ebenfalls um die Gunſt der reizenden Antonie bewarb. An dieſem Abend war der junge Bertram ſo ungezogen, daß ich unmöglich ſchweigen

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konnte, ich entfernte mich, nachdem ich ihm heimlich Platz und Stunde beſtimmt hatte, wo wir uns am folgenden Tage treffen könnten. Ein ſehr ſolider junger Mann, der mit mir denſelben Gaſthof bewohnte, und deſſen Freundſchaft ich gewonnen hatte, ſchlug es mir nicht ab, mein Sekundant zu ſeyn. Warum aber, fügte er nachher hinzu, verlieren Sie Ihre Zeit mit dieſer herzloſen Kokette, die Sie aus Eitelkeit an ihrem Siegeswagen fortführen will, die keines Gefühls fähig iſt, die die Achtung vor Menſchen nicht kennt? Jetzt wagen Sie Ihr Leben für fie und erfüllen dadurch end— lich den heftigſten Wunſch ihrer gemeinen Eitelkeit. Mag der Streit ausgehn, wie er will, ſo ſpricht die Stadt von ihr, ihre Schönheit hat die Veranlaſſung gegeben, und bei allen übrigen Verehrern ſteigt fie im Preiſe. Ob Sie fal- len, oder der Bruder, iſt ihr völlig gleichgültig.

Ich war im Begriff, auch gleich wieder dieſen Sekun— danten zu fordern, doch bezwang ich meine jähe Hitze, weil mein eignes Herz mir im Stillen ſchon ähnliche Worte zu⸗ geraunt hatte. Ich machte im Gegentheil Anſtalt, nach dem Duell, wenn es für mich glücklich ausfiel, die Stadt ſogleich verlaſſen zu können.

Himmel und Erde! rief der Vater jetzt aus: was macht ein junger Bengel für unnütze Streiche, wenn ſein Vater den Rücken gewendet hat! Duelliren, morden, um Dumm⸗ heiten! Nun, wie fiel es denn aus?

Leidlich genug, antwortete der Sohn; ich kam mit einer unbedeutenden Bleſſur davon, aber mein Gegner wurde ſchwer verwundet zwiſchen Achſel und Bruſt, und vom Platze reiſete ich gleich fort und habe nur nachher erfahren, daß der Händelmacher nach einiger Zeit wieder hergeſtellt iſt. Als ich in der Seeſtadt angekommen war, ſchickte mir mein voriger Hauswirth Briefe nach. Unter dieſen war eine zweite

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Ausforderung von einem jungen Offizier, welcher ſich für meinen Nebenbuhler ausgab. Dieſem antwortete ich, daß ich ihm zu Dienſten ſtehn würde, ſobald ich von meiner Reiſe zurückgekehrt wäre; hätte er aber zu große Eile, ſo möchte er die Güte haben, mich dort, am Ende von Deutſch⸗ land, aufzuſuchen. Hierauf aber erhielt ich keine Antwort, was mir eben ſo lieb war, denn ich fing an, jene Liebſchaft zu vergeſſen. Und zwar nur deswegen, weil hier mein Herz auf eine ganz andere Art in Anſpruch genommen wurde, denn ich lernte jetzt erſt die eigentliche Liebe kennen.

So ſagen ſie immer, die jungen Leute, murmelte der Vater für ſich.

Ich ſah Cäcilien, fuhr der Sohn fort, im Hauſe mei⸗ ner Tante. Hier lernte ich einen edlen einfachen Charakter, ein ſtilles, züchtiges Weſen kennen, ganz jener Koketterie und dem Reiz, der jedermann gefallen will, entgegen geſetzt. Wie ſehr ich im Recht war, dies ſchöne junge Weſen zu verehren, beweiſt, daß meine tugendhafte Tante dieſe Nei- gung billigte und meiner Leidenſchaft auf keine Weiſe Hinder⸗ niſſe in den Weg legte.

Indem war der hübſche Jokei ſchon einigemal durch das Zimmer gegangen. Er erregte die Aufmerkſamkeit der Ge⸗ ſellſchaft, indem es faſt ſchien, als mache er ſich ſelbſt un⸗ nöthige Geſchäfte, um vielleicht vom Geſpräche etwas zu er⸗ horchen. Der Offizier bemerkte: Lieber Freund, wenn Du Dir einmal einen Jokei halten willſt, ſo kann ich es gar nicht billigen, daß Du ihn in ſolchen unſcheinbaren Ueber⸗ rock kleideſt. Ein ſolcher Burſche muß wie ein kleiner Huſar ausſehen, oder komödiantiſch in Tricots gekleidet ſeyn.

Ich bekümmerte mich nie um die Ausſtaffirung meiner Domeſtiken, antwortete Eduard, ſie mögen darin ihrem eig⸗ nen Geſchmacke folgen. Sonſt iſt das Kind ſo folgſam und

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gehorſam, daß es nur eines Winkes von mir bedürfte, um ihn als Harlekin oder Pierrot erſcheinen zu laſſen. Ich habe mich nie von ihm bedienen laſſen, ſondern ihn nur der Tante zu Gefallen mit genommen. Ich ſehe ihn wenig, in der letzten Stadt war er faſt immer im Hauſe des Bankiers, denn Antonie und die kleineren Kinder ſpielten mit dem Bur⸗ ſchen den ganzen Tag. Ich will ihn nun, da ich ihn gar nicht brauchen kann, zurück ſchicken. |

Fahre in Deiner albernen Gefchichts- Erzählung fort, rief der mürriſche Vater.

Was iſt viel zu erzählen, antwortete der Sohn, als daß ich unglücklich bin? Ich wurde dort in jener Stadt ſehr verdrüßlich, da ich zu bemerken glaubte, daß Cäcilie nicht geſtimmt ſei, meine Leidenſchaft auf irgend eine Weiſe zu erwiedern. Die Tante, welche als eine kluge Frau meine Gefühle und Abſichten längſt errathen hatte, gab mir nur ſchlechten Troſt, ſie ſagte mir nehmlich, daß mich Cäcilie für einen ganz leichtſinnigen Menſchen halte; mein Berhält- niß zu der Tochter des Bankiers, ja ſogar mein einfältiges Duell ſei ihr nicht unbekannt geblieben, ſie meine alſo, ich ſei ein Menſch ohne Charakter, auf deſſen Freundſchaft und noch viel weniger auf deſſen vorgebliche Liebe man nicht im mindeſten trauen könne.

Sie hat Dich aber in der kurzen Zeit der Bekanntſchaft ſehr richtig bezeichnet, warf der Vater ein.

So war nun, fuhr der Sohn fort, in dieſen beiden Städten ſchon viel von der Zeit verlaufen, welche ich für dieſe italieniſche Reiſe beſtimmt hatte, ſo daß ich mit Sicher— heit berechnen konnte, die Monden würden mir in jenem ſüdlichen Lande, ſo wie die Gelder ausgehen, und ich in jedem Fall mit meinem Vater in verdrüßliche Verlegenheiten und Streit gerathen.

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Wie es denn auch eingetroffen iſt, ſagte der alte Baron. |

Sie laſſen ihn aber gar nicht in Ruhe erzählen, fiel hier der Fremde ein, der bis jetzt immer nur ſchweigend zugehört hatte. Die Geſchichte kann unmöglich einen Ein⸗ druck machen, wenn ſie immer auf dieſe Weiſe unterbro⸗ chen wird.

Auf meinen Beutel und meine Launen, antwortete der Hausherr, hat dies unnütze Herumlungern meines Sohnes Eindruck genug gemacht. Da es aber der alte Herr zu wün⸗ ſchen ſcheint, ſo magſt Du jetzt ohne Unterbrechung Deine klägliche Liebeshiſtorie zu Ende führen.

Der junge Mann ſeufzte und nach einer Pauſe fuhr er fort: Gewiß iſt die Geſchichte kläglich. Ich mußte ſchreiben und erhielt verdrüßliche Antworten, Vorwürfe, Anmahnun⸗ gen, mit Drohungen und empfindlichen Redensarten gemiſcht. Ich mußte Anſtalten zur Abreiſe treffen, und mein Schmerz war um fo größer, als es mir ſchien, daß Cäcilie meiner Neigung etwas mehr entgegen kam, wenigſtens wurde ſie zutraulicher und offener, erzählte mir von ihrer Jugend, von den Verwandten und machte mich mit einem alten kran⸗ ken Onkel bekannt, den ſie einſt, wie ich wußte, beerben würde, und gegen den ſie alſo viele Rückſicht zu nehmen hatte. Sie pflegte ihn und endlich verſprach ſie ihm ſogar, ihn nach Nizza zu begleiten, wohin die Aerzte den alten Podagriſten ſchicken wollten, ſobald es ſein Zuſtand nur er⸗ laubte. In der Hoffnung alſo, die Geliebte bald wieder zu ſehn, reiſete ich endlich ab und richtete meinen Weg gerade nach Nizza, wo ich viele Wochen hindurch die Theure ver⸗ gebens erwartete. Wenn ich zuſammen rechnete, wie ſelten ich ſie in der ganzen Zeit geſehn hatte, wie geſtört dieſe Minuten oder Viertelſtunden geweſen waren, ſo daß mir

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ſelbſt ihr Bild oft wie verdunkelt war, ſo hätte ich wanne feln mögen.

Endlich kam ſie an, pit, ee ich ſchon alle Hoff⸗ nung aufgegeben hatte, ſie wieder zu ſehn. Mein Entzücken war um jo größer, als die Trennung fo viel länger ges dauert, als ich erwartet hatte. Aber hier konnte ich ihres Umgangs viel weniger als dort in der finſtern Stadt genießen, denn der alte verdrüßliche Mann nahm ihre ganze Zeit in An- ſpruch und ich mußte die Geduld des Engels bewundern, die ſich unermüdet um den alten Griesgram bemühte, denn dieſe Cäcilie war niemals von den ganz unerträglichen Launen des Alten auch nur aufgereizt oder empfindlich. Ich aber deſto mehr, denn er machte gar kein Hehl daraus, wie ihm meine Gegenwart unangenehm war, und es fehlte nur wenig, ſo hätte er mir geradezu die Thür gewieſen.

So recht, rief der alte Vater aus; der alte Mann geht ſeiner Geſundheit wegen in das wärmere Land und muß ſeine Pflege immer von einem Naſeweis geſtört ſehn, der mit unnützen Liebesgeſchichten in ſeine Krankheits-Anſtalt hinein bricht.

Baron! rief der graue Mann ſehr lebhaft aus, Sie brechen den Contract mit Ihren unnützen epiſodiſchen Paren⸗ theſen. Sie ſind für das Verdrüßliche zu parteiiſch, Ihre zänkiſche Welt⸗Anſicht iſt eine ſehr beſchränkte.

Wir hatten alſo wenig Freude an einander, fuhr der Sohn fort, und Cäcilie wurde mir auch recht im Ernſte böſe, weil ich ſie nach ihrer Meinung mit Unrecht beſchul⸗ digte und ihr unverdiente Vorwürfe machte. So ſehr mich dieſes ſchmerzte, ſo tröſtete ich mich doch dadurch, daß dieſes Zanken ein Beweis ſchien, wie wir uns näher gekommen waren. Oft wünſchte ich, daß der Alte nur fein Elend erſt

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möchte überſtanden haben, damit ich als Cäciliens Begleiter ſie durch das ſchöne Italien nach ihrer Heimath zurückführen könne.

Hier ſtand der Vater höchſt unmuthig auf, und wan⸗ delte im Saale auf und ab, auch der graue Baron erhob ſich und rannte ſchnell aus einer Ecke in die andere, indem die beiden Alten, ſo oft ſie ſich begegneten, wunderliche Grimaſſen machten. Zu toll! rief der Vater! Gottlos! ſagte der Baron: den Alten wollen ſie lieber gar aus der Welt ſchaffen, um nur amoureuſe Diskurſe führen zu kön⸗ nen! Dafür, rief der Baron dazwiſchen, habe ich, auch ein alter kranker Mann, mein ſchweres Geld hergeben müſ⸗ ſen! Das ſoll nun Bildung vorſtellen! rief der Baron noch lauter: Bildung! der alte Mann iſt ja im vollſtändig⸗ ſten Recht!

Donnerwetter! ſchrie jetzt der Vater, Sie find ein ſchar⸗ manter Mann, Baron, daß Sie mir ſo beiſtehn; die Junge Brut taugt nichts!

Die jungen Leute lachten, der Offizier führte den ee den, und die Tochter den Vater wieder auf ihre Lehnſtühle zurück und der Bediente ward gerufen, um mehr Holz für den Kamin herbeizuſchaffen. Nach einer Weile fuhr Eduard fort: Es währte nicht gar lange, ſo kam dem alten Herrn die Grille, nach Neapel zu gehn, und zwar zu Schiffe, um Zeit und Unbequemlichkeit zu ſparen. Er ſchiffte ſich wirklich mit Cäcilien ein, und ich, um die Sache nicht zu auffallend zu machen, trieb mich eine Zeitlang in der Lombardei um⸗ her, und begab mich dann auch in der größten Eile nach Neapel. Hier war die Noth aber noch viel größer. In der Zwiſchenzeit und ſchon auf der Reiſe hatte ſich der Alte ganz beſtimmt gegen meinen Umgang erklärt, als wenn er ihm durchaus nicht zuſage, ſein Leben verbittre, die Krankheit

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und deren Schmerzen vermehre und Cäcilien in ihrer Pflicht ſtöre. Ich war außer mir. So quälte ich mich denn hin, in einzelnen flüchtigen Momenten die Geliebte zu ſehn, wenn er ſchlief, oder der Arzt bei ihm war, oder Cäcilie irgend einen Vorwand erſinnen konnte. Aber auch dieſes trübſelige Verhältniß dauerte nicht lange. Plötzlich waren fie ver- ſchwunden, die Geſunde mit dem Kranken. Von einer alten Dienerin brachte ich nach vielem Bitten und Gelde nur ſo viel heraus: daß der alte Murrkopf immerdar auf mich ge⸗ ſcholten habe, daß er mich haſſe, daß er behauptete, ich werde noch ſeinen Tod veranlaſſen, und daß er es künſtlich einge- richtet, plötzlich mit Cäcilien in irgend eine einſame Gegend hinzureiſen, um dort ungeſtört ſeiner Heilung zu pflegen. Der Kranke habe es ſo verſchmitzt angefangen, daß die Pflegetochter ſelbſt von der Reiſe nichts vorher erfahren habe.

Nun war ich beſchäftigt genug. Den Arzt, den Ban⸗ kier des Alten, den Hauswirth, einige Diener, alles ſetzte ich in Bewegung und fragte, forſchte, bat, flehte, zankte und drohte, erfuhr aber nichts. Ich nannte ſie treuloſe, grauſame Böſewichter, Hinterliſtige, Diebe und Mörder, und was mir des Unſinns mehr in den Mund kam; denn als ich etwas ruhiger wurde, mußte ich den Glauben faſſen, daß ſie wirklich nichts von der eiligen Flucht gewußt, und auch den Ort nicht kannten, wohin ſich der tückiſche Alte begeben hatte.

Stündlich faſt ging ich jetzt zur Poſt, weil ich hoffte, Cäcilie würde mir wenigſtens ſchreiben; Alles vergeblich. Ich war der Verzweiflung nahe. Als ich jo Wochen ver— loren hatte, begab ich mich endlich auf die Reiſe und durch⸗ ſtreifte die Nachbarſchaft von Neapel.

Erſt in der Nähe. Oft erſchien ich den Leuten, das merkte ich wohl, wie ein Wahnſinniger. Denn hundert Gärt⸗

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ner, alte Caſtellane, Poſtboten, Vetturinen und Reiſende frug ich aus, beſchrieb die Perſonen und erfuhr oft halbe Nachrichten, täuſchende, ſcheinbare, und rannte nun nach den Gärten, Villen, Gaſthäuſern oder einſamen Gehöften, in denen ich niemals fand, was ich ſuchte. An manchen Tagen glaubte ich, daß mich eine tödtliche Krankheit erfaſſen würde, weil ich oft bis zum Tode ermattet war, wenn ich ohne Raſt und Erquickung im Sonnenbrande, nicht ſelten durch öde Steppen oder zwiſchen hohen Mauern umhergewandert war und mir keine Ruhe, keine Erfriſchung gönnte, weil ich feſt überzeugt war, durch unabläſſige Bemühung müſſe ich die Verlorene wieder auffinden. Die ſeltſamſten Häuſer ent⸗ deckte ich auf dieſen meinen Wanderſchaften, die wunderlich⸗ ſten Menſchen, da ich aber ſo verſtimmt war, konnte ich die Reize nicht genießen, die mir Heiterkeit und ruhige Freiheit vielleicht würden verſchafft haben. Als ich nun die Um⸗ gebungen der Stadt durchforſcht hatte, begab ich mich in die ſchöne Laudſchaft. Die Inſeln Capri, Iſchia, dann Sor⸗ rent, Päſtum, alles umher wurde durchſucht, und weil mein Gemüth ſo aufgeregt war, konnte mir die ſchöne Natur kaum flüchtige Blicke abgewinnen. Verworrene Berichte trieben mich dann in das einſame Calabrien hinein. Klöſter, Meier⸗ höfe, Hütten, Einſiedeleien, allenthalben fragte ich, ſuchte ich und nirgend erhielt ich deutliche und beſtimmte Nachricht. Nun erkrankte ich wirklich in einem kleinen abgelegenen Neſt, wo mich, der ich ohne Arzt und Pflege war, nur meine ſtarke Natur und Jugend retten konnten. Krankheiten haben das Eigne, daß ſie die Leidenſchaft dämpfen, und dadurch ge⸗ wiſſermaßen mit der Vernunft verſchwägert ſind, denn aller⸗ dings erſchienen mir auf meinem einſamen Lager und nach⸗ her, als ich mich der Geneſung näherte, meine Verhältniſſe und Beſtrebungen in einem ganz andern Licht. Ich kam er⸗

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nüchtert nach Neapel zurück. Eine Summe von Wochen und Monaten war vergangen. Ich erſchrak, als ich berechnete, wie viele Zeit, wie viel Geld, ja wie viel ich von meiner Geſundheit verloren hatte. Jetzt wollte man bei meinem Bankier wiſſen, mein alter Feind ſei längſt nach ſeinem Va⸗ terlande zurückgekehrt. Ohne Anſtand ſetzte ich mich zu Schiffe, denn die Briefe meines Vaters drangen auf meine Rückkehr. Ich kam in jener nördlichen Seeſtadt nach vielen Beſchwerden an, ſuchte meine Tante auf, und erfuhr, daß mein alter Feind im Sterben ſei, konnte aber nicht von ihr erlangen, mir ſeinen oder Cäciliens Aufenthalt zu nennen. Jetzt ſtand der Vater wieder auf und rannte mit noch größeren Schritten eiliger durch das Zimmer. Der grau— gekleidete Baron ging ihm eben ſo ſchnell nach und fing einen ſeiner Arme, die ſich heftig ſchlenkernd bewegten. Nun? ſagte der Fremde, ſchon wieder unwirſch? O, ſchrie der Haus⸗ herr, auf meinem großen Hengſt, auf dem Rappen möchte ich ſitzen, und ſo hier über die Theemaſchine in einem küh⸗ nen Satze wegſpringen, und, wenn es ſeyn müßte, Hals und Beine dabei brechen! Nun ſtellte er ſich mit untergefchla- genen Armen vor den Sohn hin, ſah ihn lange mit ſtarren Augen an und ſagte dann mit leiſer, faſt bebender Stimme: So iſt ja alſo erlogen, was Du mir noch heut Abend ſagteſt; Du haſt Dich in der Schweiz nicht verweilt? Biſt nicht ein⸗ mal dort geweſen? Nein, ſagte der Sohn zögernd; ich wollte nur bei Ihnen mein langes Verweilen entſchuldigen. Und in Rom warſt Du auch gar nicht? Nein. Haſt auch Florenz nicht geſehn? Nein. Genua, Venedig mit keinem Auge erblickt? Eben ſo wenig.

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Nicht einmal Bologna, Verona, Mantua?

Auch nicht.

Der Stab iſt über Dich gebrochen! ſchrie der Vater, Du verdienſt nicht mein Sohn zu ſeyn! Du verdienſt nicht ein Menſch zu ſeyn! Nicht einmal Scylla und Charybdis hat der Bengel für mein ſchweres Geld geſehn! Nicht einmal un⸗ ter die Banditen iſt er gerathen! Himmel-Tauſend⸗ Wen das heißt reiſen! das ſoll Bildung vorſtellen!

Mit feierlicher Geberde führte der Fremde den Haus⸗ herrn in ſeinen Seſſel zurück, drückte ihn in dieſen nieder und ſagte dann: Freund! Verehrungswürdiger! dasjenige, was mir in dieſer Begebenheit ſo ausnehmend gefällt, wollen Sie ſo bitter tadeln? Sie erzürnen ſich über das, was Sie er⸗ freuen ſollte? Wie alltäglich und abgenutzt ſind alle jene Beſchreibungen von Italien, den Städten und Alterthümern, wo in allen mehr oder minder daſſelbe verzeichnet iſt, und ein herkömmlicher Enthuſiasmus ſich in hundert abgeblaßten und durchlöcherten Phraſen bemüht, irgend nur eine nagel⸗ breite Neuigkeit vorzutragen. Der junge eifrige Forſcher da iſt nun allen den weltberühmten Allerwelts⸗Sachen vielmehr aus dem Wege gegangen, um nicht in die Trivialität zu ge⸗ rathen, und er hat ganz neue Dinge geſehn und entdeckt, auf welchen bis jetzt noch kein Auge hat verweilen können. In Paris, London, Berlin, Dresden, ja was ſage ich, gewiß in Treuenbrietzen, Coswig oder Zerbſt giebt es Stellen, an welche der rüſtige, bewegliche Einwohner ſelbſt (die zufälligen Nachbarn ausgenommen) niemals hingekommen iſt; da hört man denn den Ausruf: Nein, wahrlich, obgleich ich hier in dieſer Stadt geboren und erzogen bin, an dieſem kurioſen Platz bin ich noch niemals geweſen! Das ſieht ja hier ſo ſchnurrig, ſo ganz einzig aus, ſo unbeſchreiblich, und mir wird ſo zu Muth, wie ich es gar nicht ausſprechen, oder

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deutlich machen kann. Dergleichen alte Gehöfte, wüſte Mauer⸗ plätze, ſtinkende Schutthaufen, wo Staub und Geröll von Jahrhunderten liegt, Schmutz⸗Parthieen, eingefallene Wände, mit tauſend Spinnweben überzogen, verfallene Höfe, wo ſich Sümpfe gebildet haben, Teiche ohne Abfluß, mit drei Fuß dickem Entengrün, jene bröckligen kleinen Hügel, an denen vor funfzig Jahren ein Fußſteig hinlief, fo allerliebſte Pa⸗ villons, wo, wenn man hinein tritt, der morſche Fußboden zuſammenbricht, jene Grotten, die in altem Mauerwerk der Regen ausgehöhlt hat, alles dieſes, und mehr der Art, auf welchem das Auge des gewöhnlichen Menſchen niemals weilt, hat der Sohn, dieſer originelle Reiſende, in genaue Betrachtung genommen, und wenn ſeine geübte Feder uns nur von dieſen Entdeckungen einmal eine Beſchreibung geben wollte, ſo würden wir alle über die wunderſame Mannig⸗ faltigkeit unſers Erdballs erſtaunen. So Viele reiſen, große und berühmte Männer zu ſehn: wie weit würden die from⸗ men Juden wandern, wenn ſie wo ihren Meſſias anzutreffen glaubten; viele Naturforſcher haben in unſern Zeiten in allen Winkeln das freie Weib geſucht, nun gut, dieſer hoff- nungsvolle Sohn ſuchte die ächte wahre Geliebte und durch⸗ ſtöberte alles Kehricht nach ihr. Der unſterbliche Amor nahm ihn unter ſeine Fittige und ſtieß ihn über manche Haufen alter Kohlſtrünke, Rüben⸗Abfall und führte ihn leiſe und behutſam durch ſo manchen ſchmutzigen Winkel, ſo daß der Scholar nur froh ſeyn mußte, ſo ziemlich ohne Flecke und mit heiler Haut davon zu kommen. Wer reiſet, der muß auch wiſſen, daß er Zeug und Kleider zerreißt; wer die Welt ſehn will, muß auch Geld ſehn laſſen und ausgeben; Erfah⸗ rung wird nicht immer durch ein Kutſchen⸗Fahren gewonnen, oft muß man ſie ſich erlaufen und erkriechen, da man ſie ächt ſelbſt nicht einmal im Luftball erfliegen kann. Sein Sie

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uns daher, erſter ächter Winkelforſcher, hier in unſerm ge⸗ müthlichen Vaterlande begrüßt, und inniger ungeheuchelter Dank Ihnen, daß Sie alle die fatalen nicht klaſſiſchen Stel⸗ len gefliſſentlich vermieden haben, die unſer deutſches auf⸗ wallendes Herz doch eigentlich immer kalt laſſen. So lau⸗ tet meine Meinung.

Es entſtand eine lange Pauſe und 1 er der Vater: Und ohne Bildung bekommen, ohne die ſogenannte Geliebte nur wieder geſehn zu haben, ohne Geld und bei⸗ nah auch ohne Geſundheit kamſt Du nun ſo von der alten verdrüßlichen Tante in meine liebevollen väterlichen Arme zurück? 1 Höchſt verdrüßlich antwortete der Sohn: Indem ich ſo im ſchnellen Auszuge den Bericht von dieſen zwanzig oder vier und zwanzig Monaten meines Lebens erſtatte, ſehe ich freilich, wie ich ſo ganz meine Zeit verloren habe. Aber die Leidenſchaft, die bis zum Wahnſinn ſtieg, mag mich einiger⸗ maßen entſchuldigen. Meine verdrüßliche Tante, wie Sie ſie nennen, fand ich bei meiner Ankunft in ſehr guter Laune, außer daß ſie mir über Cäcilien keine Auskunft geben konnte oder wollte. Sie redete mir zu, ich möchte ſie lieber gar vergeſſen oder mir aus dem Sinne ſchlagen. Immer ſprach ſie mir von der Tochter jenes Bankiers vor, die ich längſt vergeſſen hatte. Sie erzählte mir von dieſer, wie ſie an Schönheit zugenommen und völlig jener Koketterie entſagt habe, wie vortheilhaft mir und der Familie dieſe reiche Par⸗ thie ſeyn könne; ſie machte mir es zur Pflicht, wenigſtens einige Zeit in dieſer Stadt wieder zu verweilen, das Haus wieder zu beſuchen, und ihr Nachricht von meiner Geſinnung zu geben.

Nun, fuhr der Vater auf, Du haſt ja auch ver alten

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Frau ihr närriſches Begehren erfüllt, und biſt länger als zwei Wochen dort geweſen.

Jetzt ſtand der fremde Baron auf, ſuchte im Saale um⸗ her und rief dann nach einem Bedienten in das Vorzimmer hinein. Der niedliche Jokei trat herbei und der Alte ſchien ihm allerhand Aufträge zu geben, indeſſen Eduard feinem Vater auf folgende Art antwortete: Ja, wohl habe ich in der Stadt verweilt und war auch viel im Hauſe des reichen Handelsherrn. Man nahm mich ſo freundſchaftlich auf, als wenn gar nichts vorgefallen wäre, um ſo mehr, da der choleriſche Sohn ſich im Auslande befand. Die Tochter hatte jetzt den beſten Ruf, ſie war noch ſchöner, als damals, ich ſah es deutlich, daß ſie ſowohl wie die Familie eine Ver⸗ bindung mit mir wünſchten, denn ich ward bei jeder Gelegen⸗ heit ausgezeichnet, und die reizende Antonie war ſo zuvor⸗ kommend und freundlich, als es nur Sitte und Anſtand er⸗ laubten. Jener Offizier, der mir damals als Nebenbuhler ſchrieb, war ſchon vermählt und alſo friedlich geſinnt. Ich war ſo in meinen Träumen und Erinnerungen verſunken, immer ſtand mir Cäcilie vor Augen, und dadurch war ich ſo verſtimmt und zerſtreut, daß mir endlich, wie ich es wohl bemerken konnte, die Familie ihre Gunſt wieder entzog. So reiſete ich denn hieher, um mich mit meinem lieben Vater zu zanken, und ihm eine aufrichtige Abbitte wegen aller mei⸗ ner Vergehungen zu thun. a

Verzeihung, ſagte der alte Geiersberg jetzt, der kleine Jokei hatte mir wieder meine Brieftaſche verpackt. Geh jetzt, mein Sohn, ich habe ſie hier in der Taſche, und ſei ver⸗ ſichert, ich werde ſie nicht wieder fo liegen laſſen, daß Du fie mir verſtecken kannſt. Der junge Burſche ging fort, indem er laut lachte. Er will ſich umziehn, der dumme Menſch,

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ſagte der Baron, ſie haben ihn drüben in Krummfeld, glaube ich, zu einem Domeſtiken-Ball gebeten. |

Ball! rief der Hausherr aus: da fällt mir eine Schnurre aus meinen Jugendjahren ein, und es iſt vielleicht nicht un⸗ eben, die Thorheit vorzutragen, um mir meine bisherige fa⸗ tale Unterhaltung nur aus dem Halſe zu ſpülen. Ich war denn, als ich noch Lieutenant war, auch verliebt. Es war, ſo zu ſagen, meine erſte Liebe, aber nicht zu meiner theuren Frau und Deiner lieben Mutter, denn die erſte Liebe, weil ſie eben zu früh und unflügge iſt, führt ſelten oder nie zur Ehe. Ich hielt mich damals für den ſchönſten aller Jüng⸗ linge, auch meine Kameraden waren faſt alle der Meinung, und nur ein junger unreifer Burſche, ein Fähndrich Arnſtein trat meiner Anmaßung entgegen, indem er ſich klüger und ſchöner zu ſeyn rühmte, als alle ſeine Kameraden. Auf den Bällen waren wir beide die Tonangeber und waren beide ſo trunken in unſrer Eitelkeit, daß wir es gar nicht bemerkten, wenn unſer ſogenannter freier Ton ſich bis zur Ungezogen⸗ heit ſteigerte. So war es denn auch nicht unnatürlich, daß wir beide einem und demſelben Mädchen den Hof machten. Das muthwillige Kind ließ es ſich auch recht gut gefallen, und ſah es nicht ungern, wenn wir eiferſüchtig auf einander waren. In der kleinen Garniſon fehlte es nun nicht an Neckereien; alles, was geſchah, projektirt oder gehofft wurde, war ein öffentliches Geheimniß. Wir Offiziere hatten nicht Ruhe, bis wir einen Ball zu Stande gebracht hatten, und zwar ſollte dieſer, jo war die Bedingung, ein maskirter ſeyn, auf welchem Niemand ohne einen beſtimmten charakteriſtiſchen Anzug erſcheinen dürfe. Alle kleinen Intriguen, Spionkünſte, Beſtechungen und ſo weiter wurden nun in Thätigkeit geſetzt, um zu erfahren, wer und wie jeder dort erſcheinen würde. So glaubte ich denn meiner Sache gewiß zu ſeyn, denn die

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Kammerjungfer hatte mir Alles verrathen, die Maske, das Kleid, die Abzeichen bis auf die kleinſte Nebenſache; auch ver- traute ich meinem Herzen ſo viel, daß es die Geliebte auch ohne allen dieſen Verrath erkennen würde, indem ich mir zu⸗ gleich damit ſchmeichelte, daß unſre gegenſeitige Sympathie uns nothwendig zu einander führen müßte. So war es denn auch. Schon beim Eintreten hatte ich ſie ausgefunden und ſie kam mir ohne alle Ziererei freundlich entgegen. Ich ſah mich nach meinem Nebenbuhler um, konnte ihn aber nirgend entdecken, und ich war nun um ſo glücklicher, weil ich hoffte, von ihm in meinen Bewerbungen nicht geſtört zu werden. Wir tanzten, ſprachen, ſcherzten, und ſie ſchien mir eben ſo begeiſtert, wie ich es war. Jeder Händedruck, jedes freund⸗ liche Wort entzückte mich, und ſie lachte nur, als ich ſie fragte, woran ſie mich denn gleich bei meiner erſten Anrede erkannt habe. So unter Schwatzen, vom Jagen erhitzt, begaben wir uns in eins der Nebenzimmer, die unmittelbar an den Tanz⸗ ſaal ſtießen. Hier ward mein Beſtreben, da wir ungeſtört waren, noch ungeſtümer und meine Zärtlichkeit dreiſter. Ich redete ihr mit allen Kräften meine Rhetorik zu, mir doch endlich jenen widerwärtigen Nebenbuhler aufzuopfern, und ſich von dem nüchternen Fant auf immer los zu machen. Was können Sie nur, fuhr ich im Eifer fort, an dieſem kleinen zierlichen Affen Liebenswürdiges finden, der kaum etwas von einem Manne hat? Mögen Sie ihn nur mit ſeinem faden Geſchwätz um ſich dulden? Sie ſehn ja auch, geliebteſtes Weſen, daß er Ihren hohen Werth nicht zu ſchätzen verſteht, da er ſo unermüdlich nur an den Blumen flattert, die gegen Ihre Herrlichkeit doch nur wie wilde Feld⸗ gewächſe erſcheinen. Glauben Sie mir, er iſt eigentlich dumm, und ſucht ſeine geblümten Redensarten aus den ſchlechteſten Romanen zuſammen. Wenn Sie ihn als Narren in Ihrem

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Gefolge behalten wollen, ſo kann ich Sie darum nicht tadeln, denn er iſt in ſeiner Art komiſch genug: nur als Neben⸗ buhler, als einen Menſchen, der Ihnen den Hof machen darf, der mir und meiner glühenden Leidenſchaft entgegen treten will, ſollten Sie ihn nicht um ſich dulden. Ich wurde immer beredter, denn ſie drückte immer inniger und herzlicher meine Hand. Und nun, fuhr ich begeiſtert fort, ſoll denn nicht endlich dieſe läſtige Maske fallen? Soll denn nicht endlich, nach meinem langen Werben, der erſte beſeli⸗ gende Kuß mich unter die Götter des Olymps verſetzen? Ich kann Ihnen, edelſter Geliebter, nichts abſchlagen, ſagte ſie mit zitternder Stimme. Die Maske fiel, ich drückte meine heißen Lippen auf ihren Mund, ſie erwiederte mit demſelben Eifer meinen herzlichen Kuß, aber indem ſie noch mit lautem Lachen mich anſah empfing die Geliebte die kräftigſte Maulſchelle, die ich ihr nur in meiner dermali⸗ gen Stimmung zu verabreichen vermochte, denn Niemand anders als jener verhaßte Fähndrich lag an meiner Bruſt. Nun Getöfe, alles lief herbei, natürlich Duell am folgenden Tage, Bleſſuren, Arreſt, Unwille meiner Vorgeſetzten und von der Stadt verſpottet, denn ohngeachtet jener empfange⸗ nen Ohrfeige hatte er die Lacher auf ſeiner Seite. Er war nun, als er ſeines Arreſtes los war, der erklärte Günſtling meiner vorigen Geliebten. Ich ward, wie ich es wünſchte, verſetzt, hatte aber immer, bis ich quittirte, Neckerei und Verdruß von dieſer dummen Geſchichte.

Die Tochter, die ſich bis jetzt noch gar nicht in das Ge⸗ ſpräch gemiſcht hatte, ſagte: Papa, das iſt beinah wie eine Geſpenſtergeſchichte. Solche Ueberraſchung muß wahrhaft fürchterlich ſeyn. Wenn es vorbei iſt, und man betrachtet nach Monaten die Begebenheit, ſo iſt ſie freilich auch komiſch.

Immer, fing der Lieutenant jetzt an, war es mein herz

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licher Wunſch, einmal ein Geſpenſt oder eine Erſcheinung zu ſehn. Ich beneidete die Menſchen, die fo etwas von ſich er— zählen konnten, und ich trieb mich oft um Mitternacht auf einſamen Kirchhöfen, oder verrufenen Orten umher, und mehr wie einmal rief ich die böſen Geiſter, oder die Verſtorbenen, mit allen Kräften meines Gemüthes auf, daß ſie ſich mir darſtellen ſollten, aber immer vergeblich. Wenn ich auf mei- nem Zimmer in der Nacht ſchauerliche Geſchichten las, ſo daß ſich mir die Haare aufrichteten, ſo lauſchte ich geſpannt und überzeugt, nun müſſe ein Spuk oder irgend ein Teufel, wenigſtens ein Kobold oder eine halb gräßliche, halb komiſche, Fratze ſich herbei machen, um mich zu ängſtigen und meinen Glauben zu beſtärken. Ich war auf alles gefaßt, aber mir begegnete nichts, was auch nur den fernſten Anſchein eines Wunderbaren oder Uebernatürlichen angenommen hätte. Ein älterer Mann, dem ich mein Leiden klagte, wollte mir es ſo erklären: Meine Spannung, meine Sucht nach dem Geſpen— ſtigen, meine Fähigkeit, mich in Schauer und Bangigkeit auf— zulöſen, alles dies beweiſe ihm, daß mir das Talent völlig abgehe, Geiſter zu ſehen, oder daß ich es durch das Gelüſt nach dem Grauſen in mir zerſtört habe. Eine gewiſſe naive Unbefangenheit, eine gleichgültige Unwiſſenheit oder Nicht- beachten ſei wahrſcheinlich die Grundlage, auf welcher jenes ſonderbare Organ ruhe, oder welches jene Sympathie errege, durch welche Geſpenſter in unſere Nähe gezogen würden. In den meiſten Geſchichten kommen darum auch die Geiſter ganz unerwartet; der, den ſie plagen, denkt an alles andere, nur nicht an ſie, und jene Angſt, Grauſen, Schauer, die man ſo gern aufſuche, errege den Geſpenſtern, wenn ſie ſogar un— ſichtbar neben uns ſeien, ein ſolches Entſetzen, daß ſie in Furcht und Beben ſelber nicht wagten, ſichtbar zu werden. Denn einem ächten Geſpenſt ſei gewiß die Gegenwart eines

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gewöhnlichen Menſchen eben ſo furchtbar, als die Erſchei⸗ nung dem Sterblichen, und darum faſſen ſie nur Muth her⸗ vorzutreten, wenn ſie fühlen, daß ihr Ueberraſchen alle Kräfte des Menſchen erlahme, oder daß dieſer den ſichtbar gewor⸗ denen Geiſt gar nicht für ein Geſpenſt anſprechen würde. So lautete ohngefähr die Theorie des Mannes über dieſen Gegenſtand. |

Drei Meilen etwa von der Reſidenz liegt in einem ſchönen Walde, auf einem grünen friſchen Wieſenfleck, die ſogenannte Waldſchenke, ein unbedeutendes ſchlichtes Wirths⸗ haus, in welchem nur Kärrner, Fußgänger und Handwerks⸗ burſchen einkehren. Der Wirth, ein ſtarker, behaglicher und jovialer Mann erinnerte mich immer an jenen Bekannten Fallſtaffs in den luſtigen Weibern, und ich ritt gern zuwei⸗ len nach dieſer Schenke, um im Walde dort der ſchönen fri⸗ ſchen Luft zu genießen, mit dem Dicken zu ſchwatzen und mich am einfachſten Mahl zu ſtärken. Es iſt für den Städter eine ganz eigne Luſt, einmal die Geſellſchaften, Theater, Thee⸗ geſpräche, Wachtparaden und das Geſchwätz der Kameraden zu vergeſſen, um ſich dem einfachſten Verhältniß auf einige Stunden hinzugeben. Kömmt man von der Reſidenz aus durch Fichtenwälder und mehrere angeſehene Dörfer, ſo liegt dann links vom Wege, eine ziemliche Strecke entfernt, am Walde gelehnt, die Schenke mit ihrer Scheuer und dem Vieh⸗ ſtall, rund umher ein Wald von Buchen und Eichen. Ich war lange nicht dort geweſen und in dieſem Frühjahr nahm ich mir vor, mich wieder da umzuſehn, aber diesmal wollte ich zu Fuß beim ſchönen Wetter hinaus wandeln, um mir einmal einen ganzen Tag ſelbſt zu leben, vielleicht ſogar in dem einfachen Hauſe zu übernachten. Meine Sehnſucht nach der Natur war um ſo ſtärker, weil ich eben von einem Nervenfieber geneſen war, das mich einige Wochen an Bett

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und Zimmer gefeſſelt hatte. Es war der ſchönſte Maimor⸗ gen, als ich ſchon um fünf Uhr meine Wanderung antrat. Alle Kraft, zu genießen, zu denken und zu fühlen, iſt nach der Krankheit geſtärkt und erfriſcht, und ich ſog die Früh⸗ lingsluft, den Duft der Bäume, das Säuſeln leichter ſanfter Winde mit unendlichem Behagen in alle meine Sinne ein. Von meiner geliebten Braut hatte ich auch vor wenigen Ta⸗ gen den erſten Brief erhalten, aus welchem mir tauſend Luſt und Freundlichkeit entgegen gequollen war. An dieſe und ihre Schönheit dachte ich und trällerte friſchweg ein Lied, zu welchem mich die aufſteigende Lerche ermunterte. Ich über⸗ legte, ob ich die Nacht in der Schenke bleiben, was ich dort zu Mittag finden würde und ob ich nicht vorher irgendwo einkehren und mich erquicken ſolle, da ich ſchon, bei der höher ſteigenden Sonne, anfing müde zu werden. Nach meiner Rechnung hatte ich noch ohngefähr zwei Stunden zu wan- dern, bevor ich den anmuthigen Waldplatz erreichte, und meine Gedanken wieder auf die Geliebte lenkend, ein Gedicht an ſie herſagend, deſſen Verſe mir ganz von ſelbſt in den Mund fielen, ſah ich auf und erſtaunte, und ganz mit Recht, denn ich war ſchon nahe an der Schenke, der Wirth ſtand in der Thür und pfiff, wie er zu thun pflegte; auf einer Latte des Daches ſaß der Hahn und bewegte ſeine Flügel; Hühner trippelten vor der Schwelle des Hauſes, alles dies war wie immer das Außerordentliche war aber, daß das Haus dicht an der Landſtraße lag, und zwar an der rechten Seite, ſtatt links, kein Wieſenplatz daran, kein Wald dahinter. Wie es uns geht, wenn alle unſere Vorſtellungen ſich unerwartet und plötzlich verwirren, daß man am Ausgemachteſten zwei⸗ felt, ſo dachte ich für den Augenblick, daß ich doch eine falſche Vorſtellung von der Lage des Hauſes gehabt. Wie der Wirth mir winkte, ſprang ich über den Graben der Landſtraße zu

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ihm, und wieder wurde ich irre, denn ſo konnte ja ohne Sprung oder Umweg Niemand zu ihm. Ich lag im Gra⸗ ben, denn ich war zu kurz geſprungen, und indem ich mit dem Argwohn, wie der Schadenfrohe mich auslachen würde, aufblickte, war Wirth und Haus, ſammt Hahn und allen Hennen verſchwunden, und ich hatte wirklich noch zwei volle Stunden, bevor ich die wirkliche Schenke mit ihrem korpu⸗ lenten Wirthe erreichte. Das iſt die einzige Geſpenſter⸗ geſchichte, die ich erlebt habe.

Der fremde Baron Geiersberg nahm das Wort: Ich glaube Ihnen, junger Herr, daß Sie ganz die Wahrheit ge⸗ redet und erzählt haben, denn nur als wirkliche Begebenheit kann dergleichen einiges Intereſſe haben. Ich mag nicht ſa⸗ gen, daß Ihr überſtandenes Nervenfieber die wunderliche Erſcheinung einigermaßen erklärt, denn eine Veranlaſſung kann nicht Erklärung heißen. Das Bild der Gegend und des Hauſes ſchwebte Ihnen vor, war auch unbewußt in Ihrer Phantaſie und begleitete Sie als Hintergrund aller Ihrer Gedanken und Vorſtellungen. Mit welchem Zauber und welcher überzeugenden Wirklichkeit ein Bild, welches vielleicht im tiefſten Winkel unſerer Phantaſie, uns ſelbſt unbewußt, ſchläft, ſich urplötzlich äußerlich, als wahrhaftes Gebilde vor uns hinſtellen kann, iſt noch von keinem Forſcher und Beob⸗ achter erörtert, und kann auch wohl niemals deutlich gemacht werden. Aber nur dieſe Annahme, die noch bei weitem keine Erklärung iſt, kann uns einigermaßen dieſem wunderbaren Zauber unſrer Imagination näher bringen. Denn freilich möchte darüber das Kriterium der Wahrheit und ächten Wirk⸗ lichkeit auch etwas in die Dämmerung gerathen.

Nun erzählen Sie uns aber auch etwas, ſagte der Offi⸗ zier, wenn auch keine Geſpenſter-Geſchichte oder Wirthshaus⸗ Erſcheinung. Es wäre ſchrecklich, wenn alle jene eingegan⸗

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genen niederträchtigen Schenken, in welchen nur ſaures Bier zu haben war, als Revenants noch einmal wieder auftauchen ſollten, weil ſie keine Ruhe im Grabe hätten, aus Angſt der Erinnerung, wie viele arme Wandersleute ſich in ihren ſchmutzigen Stuben vormals den Magen verdorben hatten.

Ich wohnte lange, fing der fremde Mann an, in der Seeſtadt, und da mein Gut in der Nähe liegt, war ich oft dort bei Freunden und Bekannten. Da alle wußten, wie ſehr ich an Zerſtreuung leide, jo hatten fie viele Geduld mit mir, wenn ich die Zeit der Mittagstafel nicht beobachtete, oder auch manchmal die Beſtellung ganz und gar vergaß. Mein Rechtsfreund, noch von der Univerſität her mir ver⸗ traut, verhütete, daß mir aus meiner Krankheit, oder dieſem Laſter (wie ſoll ich es nennen?) kein bedeutender Schaden erwüchſe. Dieſer treffliche Mann, der Rath Bauer, iſt der, dem ich die Erhaltung meines Vermögens, meiner Geſund— heit, ja mein Leben zu danken habe, denn meine Verwandten waren mehr wie einmal auf dem Wege, mich in Obhut neh⸗ men zu laſſen, als wenn ich unfähig wäre, das Meinige zu verwalten. Seit ich nun ganz einſam ſtand, ohne Frau und Kinder, und ſie die Ausſicht hatten, daß ich ihnen nichts vermachen würde, da ich über mein Vermögen ſchon dispo⸗ nirt habe, ſo machte ſie dies noch zorniger. Doch, dies ge⸗ hört eigentlich nicht hieher. Vergeſſen wir dergleichen Ver⸗ drüßlichkeiten lieber. |

Am liebſten bin ich von Jugend auf ganz allein und ohne alle Begleitung ſpazieren gegangen. Ich mag nicht gern ſprechen, wenn ich im Freien bin. ö

Aber wohl ſingen und tanzen, warf der Hausherr ein. Nur in einer gewiſſen Aufregung, fuhr der Alte ruhig

fort, denn es iſt dem Menſchen nicht vergönnt, alltäglich ſo viele Lebenskräfte auszuſpielen. Alſo, wie geſagt, in der

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Natur vermeide ich gern die Geſellſchaft, um in meinen traumartigen Beobachtungen nicht geſtört zu werden. So ſind mir Baum, Strauch, Feld, Luft und Sonnenſchein die lehrreichſten Geſellſchaften. Am liebſten ging ich am Geſtade des Meeres auf und ab. Hier hat man den Zug der Wol⸗ ken, die Friſche des Waſſers, den Strom der Luft, mit einem Wort das, was man Wetter nennt, recht im Großen. Aber auch wieder im Einzelnen erzählt und bildet eine jede Woge eine beſondere Geſchichte. Wie ſie ſich wälzt, näher ſchwebt, überſtürzt wird, ſich wieder hebt und zuletzt am Ufer zer⸗ bricht, und eine andere und wieder eine folgt, die eine ruhig, jene ſchäumend, eine dritte hoch aufbauſchend, wieder die an⸗ dere früh zerplatzend. Und dann dieſes Murmeln, Plau⸗ dern, Schwatzen, Schreien und Toben, je nachdem ſie der ſpielende oder zürnende Wind erregt. Und auch die hellen Lichter, oder die ſchwarzen Schatten. Das dumpfe Brauſen, das Schelten in der Nacht. Der wunderſame Mondglanz über die bewegte Fläche hin, und das zauberhaft erfriſchende Morgenroth. Ich hatte oft die Abſicht, mir ein Haus dort nahe am Ufer zu bauen, und nur der Verdruß mit meinen Verwandten, alle die Störungen, der Zank mit ihnen, doch, das gehört nicht hieher, und wir wollen es lieber mit Stillſchweigen übergehn. |

An einem Nachmittage überraſchte mich am Seegeſtade ein ſchlimmes Unwetter. Ich hatte ſchon immer einen alten verwitterten Thurm etwas landeinwärts bemerkt, der ſchon aus ältern Zeiten daſtehn mochte, und vielleicht die letzte Ruine einer verſchwundenen Befeſtigung war. Ein alter Landmann, den ich einmal fragte, berichtete mir, er ſei noch, als er ein Kind war, bewohnt geweſen, und habe wohl zum Sommer⸗Vergnügen dienen ſollen; fo viel ihm bewußt, ſtehe das Ding aber nun ſeit ſehr lange ſchon ganz wüſt. Der

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ſchneidende Strichregen, die empfindliche Kälte des Windes, das Rauſchen der Wogen, die einen Sturm ankündigten, brachten mir in dem weiten leeren Gefilde den Thurm in das Gedächtniß und ich eilte dem alten Mauerwerke zu. Was ich ich nicht erwartet hatte, die alte eichne, mit Eiſen beſchlagene Thür ſtand offen, und ich duckte in dem ſchmalen Eingang unter. Nur wer ſich viel und in allem Wetter ſtundenlang im Freien umtreibt, weiß die Wohlthat auch des geringſten Obdachs zu ſchätzen. So war mir hier im feuch— ten kellerartigen Raume unendlich wohl, indem der Sturm draußen alle ſeine Kräfte losließ, ſo daß das gepeitſchte Meer laut brüllte, und das Zwiegeſpräch der ſtreitenden See und des Sturmes ſich in meinem Verſtecke behaglich anhörte. So wie ich mich noch tiefer hinein vor dem Regen ſchützen wollte, ſtieß ich an die Wendeltreppe. Die erſten Stufen waren noch erhalten, und ich klimmte in der Finſterniß hin⸗ auf. Hier war ich vor dem Unwetter ganz geſichert, aber in der Dunkelheit erwachte meine Neugier und ich ſtieg hö— her empor. Die Treppe war, was ich nicht erwartet hatte, ganz gut erhalten. Durch eine Scharte, in welche der Luft⸗ zug hineinſtürmte, gewann ich einen Ausblick auf den finſtern Schrecken der empörten See. Um dem ziehenden Winde aus⸗ zuweichen, klimmte ich weiter hinauf und fand mich nach un— gefähr zwanzig Schritten vor einer Thür. Da ich nun ein⸗ mal ſo weit gekommen war, klinkte ich das verroſtete Schloß der braunen Thür auf, in der Ueberzeugung, in der Stube, oder was ich finden würde, einſam auszuruhen, um den Sturm abwarten zu können. Aber wie erſtaunte ich, als ich in dem runden, dämmernden und ziemlich niedrigen Zimmer einen alten Mann antraf, der an einem wurmzerfreßnen Tiſche ſaß, und in einigen geſchriebenen Bogen las. Sein Geſicht war aſchfarb, die Augen erloſchen, er trug einen 14 *

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ganz grauen Anzug, und hatte weißes Haar. Sie ſehn mich alle ſo an, meine werthen Freunde, weil dieſe nehm⸗ liche Schilderung ſo ziemlich auf mich ſelber paßt: ich ver⸗ ſichre Sie aber, daß ich meine kurze Erzählung nicht mit der Ueberraſchung ſchließen werde, daß ich ſelber, bei Licht beſehn, jenes graue Männchen geweſen ſei. Auch gebe ich Ihnen mein Wort, daß der fremde Mann mir nicht etwa ſo übermäßig gefiel, daß ich mich ſeitdem in Kleidung und Geſichtszügen nach ihm gebildet hätte. Nein, meine Freunde, ſchon früh habe ich, lange vor dieſer Zeit, dieſen grauen Anzug gewählt; mein Geſicht, wie es nun auch ſeyn mag, habe ich gleichſam von Natur, und dieſe grauen Kamaſchen und dieſen unſcheinbaren Rock habe ich vor Jahren meinen Verwandten zum Poſſen angelegt, die mich damit ärgerten, daß ich in Staatskleidern an den Hof gehen ſollte. Doch das gehört eigentlich nicht hieher. Uebergehn wir dergleichen.

Wie ich alſo in das Stübchen trat, und gegen mein Erwarten einen alten Herrn dort fand, zog ich höflich mei⸗ nen Hut ab und entſchuldigte mich mit dem Sturmwetter, welches mich in den Thurm getrieben, daß ich aber nie gewagt hätte, ihn zu ſtören, wenn ich irgend jemand in der alten Ruine hätte vermuthen können. Der Alte ſah freundlich auf, nickte mir zu und wies auf einen Stuhl am Fenſter hin, in welchen in mich niederlaſſen ſollte. Ich ſah, er wollte nicht geſtört ſeyn, und gehorchte ſeinem Wink. Er ſah mich noch einmal von der Seite an, und machte ſich wieder über ſeine Schriften her. Das kleine Fenſter, an welchem ich ſaß, gab mir die Ausſicht auf die See, und mich erfreute der An⸗ blick, da ich hier beobachten konnte, wie ſich die Sturmwolken nach und nach verzogen, und das Licht erſt blaß und wie furchtſam, nach und nach aber ſich ſtärker ausbreitete, bis endlich der volle Sonnenglanz blendend auf dem Meere lag.

Abendgefpräche. 213

Als ich mich wieder im Zimmer umſchaute, ſah ich, wie mein Alter ſeine Akten, oder was es ſeyn mochte, in einen Wandſchrank packte, und aus dieſem wieder andre Papiere herausnahm, dieſe mit Aemſigkeit ordnete, wieder las und oft bedenklich das Haupt ſchüttelte. Nach einiger Zeit, als ich mein Auge von der Landſchaft abwendete, war mein Alter nicht mehr zugegen und ich vermuthete, er ſei durch eine an⸗ dere Thür gegangen, die in der Nähe des kleinen Wand⸗ ſchrankes ſich befand. Ich erwartete ihn eine Weile, um Ab⸗ ſchied zu nehmen, da er aber nicht wieder kam, ging ich lang⸗ ſam und vorſichtig die Treppe wieder hinunter und von da nach meinem Hauſe.

Als ich nach einigen Wochen wieder am Seegeſtade ſpazieren ging, hatte ich dieſe kleine Begebenheit eigentlich ganz vergeſſen. Indem ich die Augen aufhebe, ſteht der Thurm im Sonnenglanz, wie in einer Glorie da. Das zog mich hin. Ich glaubte nun ſchon bekannt zu ſeyn, und ſtieg ſchneller und mit mehr Beſtimmtheit die Wendeltreppe hin⸗ auf. Oben klopfte ich an die alte Thür, da aber keine Ant⸗ wort erfolgte, klinkte ich behutſam auf, und trat langſam hin⸗ ein. Es war Niemand zugegen. Ich ſetzte mich in das Fenſter, ergötzte mich, ſo trübe auch die Scheiben waren, an der weiten Ausſicht, und als ich mich wieder umſehe, ſitzt mein graues Männchen wieder am Tiſch bei feinen Schrif⸗ ten. Ich ſtand auf und entſchuldigte meine Dreiſtigkeit, freundlich und lächelnd begrüßte er mich mit abwehrender Geberde, als wenn er ſagen wolle, ich ſollte mit ihm keine Umſtände machen, ich könne die Stube, ſo oft es mir be⸗ liebte, beſuchen. Ich war es nun ſchon gleichſam gewohnt, daß der Graue nicht ſprach, ſondern ſich nur durch Zeichen verſtändlich machte. So war ich denn auch ganz ungenirt, und fühlte mich in dem engen Raum, im Genuß der ſchönen

214. Abendgeſpräche.

Ausſicht, vor Wind und Wetter geſchützt, ganz behaglich. Der Alte kam und ging, ich entfernte mich, wenn es mir gefiel, und da er kein Freund von Complimenten zu ſeyn ſchien, ſo trat ich oft ein, ohne ihn eigentlich zu begrüßen, wenn er ſchon zugegen war. So vertrugen wir uns eine Zeitlang ganz gut mit einander. An einem Nachmittage, als im Herbſt die Sonne ſchon dem Untergehn nahe war, wollte ich mich entfernen, ohne den Alten zu begrüßen, der diesmal noch eifriger über ſeinen Dokumenten ſtudirte, als ſonſt. Da ich ſchon die Thür in der Hand hatte, ſtand er von ſeinem Tiſche auf, wies auf die Papiere, und erklärte mir mit Zeichen, daß ich, wenn ich ſie angeſehn, ſie in den Wandſchrank legen möchte. Hierauf ging er durch jene zweite Thür, die neben dem Wandſchrank befindlich war. Ich las in den Schriften, welche Familien-Angelegenheiten betrafen, ohne den Inhalt ganz zu faſſen, und wollte ſie in jenen kleinen Schrank packen, als mir einfiel, daß mir der Eigen⸗ thümer wohl etwas mehr und warum er mich zum Vertrau⸗ ten mache, ſagen könne. Ich ging alſo nach jener Thür, die er hinter ſich zugemacht, öffne ſie, und wäre faſt vom hohen Thurm heruntergeſtürzt, denn ſie ging in das leere Freie. Ich erſchrak. Wahrſcheinlich hatte dieſer Thurm von hier ehemals mit einem andern Gebäude zuſammen gehan⸗ gen. Mir war unheimlich zu Muthe und ich entfernte mich ſchnell aus der verdächtigen Wohnung. Ich konnte mit mir ſelber nicht einig werden, wie ich mir das erklären ſollte, was ich erlebt hatte.

Ich ſchämte mich, die Sache meinen Freunden und Be⸗ kannten mitzutheilen, denn einem Zerſtreuten, wie mir, ver⸗ ſchwindet in kritiſchen Momenten, wo er ſeine Ueberzeugung in Frage ſtellt, immerdar die Wirklichkeit und der Glaube an alles wahrhaft Erlebte. Der fremdeſte Menſch kann mich

Abendgeſpräche. 215

irre machen, wenn er bezweifelt oder abftreitet, was ich erft geſtern mit eignen Augen geſehn, oder ſchon als Knabe in der Schule erlernt habe. So oft ich an die Begebenheit dachte, überlief mich ein leichter Schauer, und nach einiger Zeit ſuchte ich ſie ganz aus meinem Gedächtniß zu entfernen. Den Thurm ſelbſt beſuchte ich aber nicht wieder und richtete meinen Gang jetzt immer nach der entgegengeſetzten Seite, um nicht in Verſuchung zu gerathen und ein Gelüſte in mir zu erwecken. Kann ſeyn, daß ich den Vorfall völlig vergeſſen hätte, wenn mir nicht eine Nachricht, die mir zu Ohren kam, plötzlich wieder das Andenken erneuerte. Der Magiſtrat nehmlich, der ſchon ſeit lange Beſitzer der Strecke war, auf welcher die Ruine ſtand, hatte die Abſicht, den Thurm ab— tragen zu laſſen, um irgend ein öffentliches Gebäude, ich weiß nicht zu welchem Gebrauch, dort zu errichten.

Da fielen mir die Schriften ein, in welchen ich den Grauen hatte blättern und leſen ſehn, die ich ihm hatte ver- packen müſſen. Mir ſchienen es wichtige Dokumente und Briefe zu ſeyn, doch konnte ich mich des Inhalts nicht mehr deutlich erinnern, weil ich ſie nur kurze Zeit in Händen ge⸗ habt hatte. Ich ging nun zu Bauer, meinem rechtsgelehrten Freunde, und, ohne ihm von dem Geſpenſt etwas zu ſagen, erzählte ich ihm, wie ich in jenem Thurm einmal Schutz vor dem Wetter geſucht, und oben in einem Schranke Schriften entdeckt hätte, die vielleicht von Bedeutung wären, und die man wohl beim Abbrechen nicht verderben und untergehn laſſen müſſe. Mein Freund, der mich genau kannte, ſah mich erſt mit bedenklicher Miene an, weil ihm dieſe Sache ſehr unwahrſcheinlich vorkommen mochte, indeſſen da ich in ihn drang, ihm einiges mittheilte, was ich geleſen zu haben glaubte, ſo beſchied er nach einigem Beſinnen noch einige Herren vom Rathe zu ſich, und es ward beſchloſſen, am fol⸗

2 16 Abendgeſpräche.

genden Tage in der Frühe hinauszugehn und gerichtlich dieſe Papiere zu übernehmen und zu unterſuchen. So geſchah es. Unter meiner Führung wanderten die Rathsherren hinaus, der Notarius war unſer Begleiter. Alles ſollte förmlich auf⸗ genommen, verzeichnet und verſiegelt werden. Mit einigem Herzklopfen ſtieg ich die ſchmale Wendeltreppe hinauf, weil ich nicht wußte, ob ich den verdächtigen alten Mann nicht oben finden würde. Die Herren ſtiegen mir nach, und als ich ihnen, oben angelangt, die Thür öffnete, wunderten ſich alle, ein noch ſo ziemlich wohl erhaltenes Zimmer zu finden, denn kein Menſch hatte ſich je um dieſen Thurm bekümmert. Der Alte, um den ich mich doch geängſtigt hatte, obgleich ich diesmal in ſtattlicher Begleitung erſchien, war nicht zu⸗ gegen. Das trübe Fenſter, welches nicht groß war, hatte noch alle ſeine Scheiben unverſehrt, die beiden Stühle, und noch mehr der Tiſch, waren von Würmern durchlöchert und drohten bald in Staub zu zerfallen, die Wände des runden Gemaches waren ſchwarz von Staub und Rauch und nach⸗ dem man alles gehörig examinirt hatte, fragte man mich nach jenem Wandſchrank, von welchem ich ſo viel geſprochen hatte. Ich ſtand ſtumm und höchſt beſchämt da, denn er war nirgend zu ſehen, ja keine Spur einer ſolchen Einrich⸗ tung zu entdecken. In der höchſten Verlegenheit, indem die Herren ſchon heimlich über mich zu lachen anfingen, riß ich die Schubladen des Tiſches auf. Aber nur Motten flogen mir entgegen, und die in ihrer Arbeit geſtörten Holzwürmer rannten zwiſchen dem gelben Staub hin und her. Meine Verlegenheit war unbeſchreiblich, denn ich mußte den Ge⸗ richtsmännern als ein Thor oder Lügner erſcheinen. Ich tappte an den Wänden umher, und erinnerte mich deutlich, wie kenntlich der Wandſchrank mir erſchienen war, und jetzt wollte er ſich nirgend zeigen. Indem wir im engen Gemach

Abendgeſpräche. 217

umher gingen, öffnete einer der Herren die zweite Thür und erſchrak, ſo wie ich damals, als er nur freie Luft und den Abſturz vor ſeinen Füßen ſah. Ich zog ihn zurück und in⸗ dem ich mich, um feſt zu ſtehn, an die Mauer lehnte, be⸗ rührte meine Hand ein faſt unſichtbares kleines Knöpfchen, welches an der farbigen Mauer ganz unſichtbar war, und eine kleine Thür that ſich plötzlich dem Druck der Feder auf und alle Augen ſahen nun in der Mauer die tiefe Höhlung. Alle erſtaunten und ich las jetzt in allen Mienen, daß mir Abbitte geſchah. 5

Man nahm alle Papiere, zählte und regiſtrirte ſie in Gegenwart aller Zeugen, es waren Dokumente und verſchie⸗ dene Briefe, und ich bemerkte, daß mein Freund Bauer, in⸗ dem er ſie nur flüchtig angeſehn hatte, bedenkliche Mienen machte, als wenn ihm die Sachen bedeutend erſchienen. Ich ging wieder die Treppe abwärts voran, weil ich durchaus nicht die Bekanntſchaft mit meinem grauen Männchen er⸗ neuern wollte, der mich vielleicht noch aufgehalten hätte, wenn ich allein oben zurück geblieben wäre.

So vergingen nun einige Wochen. Man fing an, den Thurm abzutragen, und die ſonſt ſo einſame Gegend ward jetzt von mannigfaltigen Arbeitern belebt. Ich ſah das Trei⸗ ben nur aus der Ferne, denn mir war jener Punkt, konnte ich doch ſelber nicht ſagen, weshalb, fatal geworden. Als ich nun wieder meinen guten Bauer beſuchte, ſagte mir dieſer: einige Familien würden mir großen Dank ſchuldig werden, denn etliche alte Prozeſſe würden nun zum Vortheil der Be⸗ ſchädigten entſchieden werden können. Ein ehemaliger reicher Gutsbeſitzer, der in hieſiger Gegend geſtorben ſei, habe widerrechtlich durch Beſtechung und ſchlechte Mittel Doku⸗ mente an ſich gebracht, wodurch er einige Güter erworben, die ihm nicht zukamen, dies gehe auch aus einigen Briefen

218 Abendgeſpräche. a

hervor, die ſich neben dieſen unterſchlagenen Dokumenten ge⸗ funden hätten.

In ſeinem Hauſe war eben eine Verſammlung von Rechtsgelehrten, die dieſe Entdeckung verhandelten und im Begriff ſtanden, den Advokaten jener Edelleute zu ſchreiben, deren Vermögen durch jenen Mann beſchädigt worden. Er ging in jenes Zimmer zu den berathenden Herren zurück und ich betrachtete eben die Kupferſtiche an den Wänden, als mir war, als wenn jemand hinter mir ſtehe. Ich drehe mich ſchnell um, und gewahre zu meinem Entſetzen mein graues Männchen, welches mich freundlich anlächelt, und mit der Hand die Geberde macht, als wenn er mir für meine Be- mühung herzlich danken wolle. Er ſtand ganz klar und be- ſtimmt im Strahl der untergehenden Abendſonne: noch nie⸗ mals hatte ich ihn ſo genau ſehen können, aber auch noch niemals hatte ich einen ſo gewaltigen Schreck empfunden, ein Entſetzen, welches mein ganzes Weſen durchbebte.

Als ich mich etwas gefaßt hatte, war das Geſpenſt ver- ſchwunden. Mein Freund fand mich halb ohnmächtig und in einem fieberhaften Zuſtande. Jetzt erzählte ich ihm Alles. Er war weniger erſtaunt, als ich es von dem verſtändigen Manne erwartet hätte. Ich mochte es Ihnen damals nicht ſagen, ſo ließ er ſich gegen mich aus, daß von jenem Thurm ſeit lange ſchon unter den gemeinen Leuten ſeltſame Sagen umgehn. Er galt ſchon immer für geſpenſtiſch, und vor vielen Jahren wollte man jenen grauen Mann dort gejehn haben, weshalb die Landleute auch das Gebäude und die Gegend umher vermieden. Man erzählt ſich, daß ungerecht erworbenes Gut ihm im Grabe keine Ruhe laſſe. Sonder- bar bleibt es immer, wie ſich von Zeit zu Zeit dieſer Aber- glaube zu beſtätigen ſcheint, und, ſollen einmal unter gewiſſen Umſtänden die Geiſter Abgeſchiedener wieder ſichtlich auf

Abendgeſpräche. 2 19.

Erden erſcheinen können und dürfen, ſo iſt es, wenn man dieſen Glauben einmal faſſen kann, nicht ſo ganz thöricht anzunehmen, daß manche dieſer Geiſter auf ihrem Wege zur Beſſerung durchaus das Unrecht, das ſie begangen, ſo viel als möglich wieder gut machen wollen. So äußerte ſich mein Freund, und, um ſich und mich noch gewiſſer über die Erſcheinung zu machen, führte er mich in das Haus eines Nachkommen, in welchem dieſer Großoheim ſich im Bilde befand. Es war genau dieſelbe Geſtalt, in welcher ſich die Erſcheinung gekleidet hatte, und mir ſchauderte vor dem Portrait faſt eben ſo ſehr, als vor dem Geſpenſte ſelbſt. Dieſer alte Freiherr von Rupertsheim

Still! ſtill! unterbrach hier der Hausherr mit der größ— ten Lebhaftigkeit den Alten dieſer Name und der Rath Bauer, und mein Prozeß, den ich jo unerwartet ſeitdem ge- wonnen und aber die Lampe iſt ausgegangen, die Lichter brennen ſchwach, das Feuer im Kamin erliſcht, ich werde den Bedienten klingeln, denn wir ſitzen ja hier in einer ängſtlichen Dunkelheit. |

Er wollte nach der Klingelſchnur faſſen, ward aber aus Schreck daran verhindert, denn der Offizier, ſein junger Schwiegerſohn, ſprang wüthend auf, ſtampfte mit dem Fuß und ſchrie: Lügen! Verleumdung! Dieſer Rupertsheim iſt von mütterlicher Seite auch mein Großoheim! Er war immer ein unbeſcholtener Mann und ich werde nicht dulden, daß von ihm, dem braven längſt verſtorbnen Mann ſo ge— ſprochen werde! Daß man ſolche Mährchen von ihm unter die Leute bringe! Das iſt frech!

Der Schwiegervater wollte ihn begütigen und ihm er⸗ zählen, daß ſich allerdings jene Documente vorgefunden, daß ihm Rath Bauer von dem ſeltſamen Ereigniß geſchrieben, daß ſein Vermögen dadurch bedeutend vergrößert, daß der

220 Abendgeſpräche.

eigne Vater ihm oft von dieſer Sache und dem ungerechten Verluſt des Vermögens klagend geſprochen habe, alles umſonſt. Stampfend und in Wuth ging der Offizier im Saale auf und ab, weinend folgte ihm die Braut, deren Warnungen und Bitten er von ſich wies; der Hausherr ging ihm nach, nun auch zornig werdend, und Eduard, der mit lauter Stimme alle zufrieden ſtellen und verſöhnen wollte, wurde gar nicht gehört. Der Baron Geiersberg fing im Zorn, da man ihm ſo unhöflich widerſprach, ſeine ſonder⸗ baren Sprünge der Verzweiflung zu tanzen an, als Alle plötzlich verſtummten, und jeder, wie durch Zauber, in ſeiner Stellung feſtgehalten wurde. So ſtanden ſie, ſteinernen Bildern gleich, ſtumm und bewegungslos, indeß ein kleines graues Männchen unter den Gruppen langſam hinging. Er blieb einen Augenblick vor dem Offizier ſtehn, ſah ihn ernſt⸗ haft an und erhob drohend den Finger: dann wandte er ſich mit grüßender Geberde; zum Hausherrn, beſchaute einen Augenblick die Tochter und den Sohn und ging dann zum alten Baron, der etwas rückwärts ſtand, neigte en die Hand zu ihm und war verſchwunden.

Man blieb noch ſtille und ſchweigend ſtehn 110 nach einer Pauſe ging der Hausherr zur Klingel und ließ von den Bedienten einige Kerzen herein bringen, um das Gemach wieder zu erhellen. Nun ſahen ſich alle mit dem Ausdruck der Verwunderung an, der Offizier aber nahm die Hand des Fremden und ſagte: Verzeihung, alter Herr, ich that Ihnen Unrecht, dieſe Heftigkeit liegt einmal in meiner Natur.

In meiner auch, ſagte der Fremde, auch hat dergleichen nichts weiter zu bedeuten. Unſer Incognito⸗Rezenſent hat uns ſo eben zurecht gewieſen, und ich denke, Ihr jahrelanges Gelüſt, einmal was Unerklärliches zu ſehn und zu erleben, iſt nun in Erfüllung gegangen. Ich hoffe aber, es iſt die

Abendgeſpräche. 224

letzte Viſite, die mir der Graue abgeſtattet hat, denn alles in Anſehung der Güter und des Prozeſſes iſt ja nun in Ordnung. |

Der Offizier ging zu feiner Braut, um fie zu beruhi⸗ gen, Eduard aber ſagte zum Vater: Papa, Sie legen ſich auf Ihre alten Tage ſonderbare Bekanntſchaften zu. Der Vater aber ſchüttelte nachdenklich und tiefbewegt mit dem Kopfe und ſagte: Zwinge Dich nicht, mein Sohn, jetzt Spaß zu machen, denn Dir iſt doch nicht ſo um das Herz. Ich hoffe, es ſoll uns allen kein Unglück bedeuten. Ich bin noch jo betäubt, daß ich eigentlich nicht weiß, was uns be- gegnet iſt.

Alle verloren ſich in tiefes Sinnen, waren aber be⸗ ruhigt, da die Tochter ſich von dem Eindruck des Entſetzens bald wieder erholt hatte. Man ſah ſich wie mißtrauend einander an, jeder fühlte, es ſei Zeit, ſich zur Ruhe zu be⸗ geben, da keine Unterhaltung wieder aufkommen würde, und doch ſcheute ſich jeder, die Geſellſchaft zu verlaſſen, weil er ſeinem Muth in der Einſamkeit nicht vertraute.

Alle fuhren daher mit einem freudigen Erſchrecken auf, als noch ſo ſpät in der Nacht ein Wagen durch das Thor fuhr und vor dem Hauſe ſtill hielt. Die Bedienten gingen mit Lichtern hinaus und alle waren in geſpannter Erwar⸗ tung. Die Thüre öffnete ſich und zwiſchen den Lichtern trat eine alte Dame herein, die höflich auf den Hausherrn zu⸗ ging, um ihn zu begrüßen, indem der Sohn überraſcht heftig ausrief: Wie? die theure Tante Philippine?

Der Vater umarmte ſie, und ſie ſagte: Lieber Vetter, Vergebung, daß ich Sie ſo in der Nacht überfalle; ein Un⸗ fall verzögerte mich auf der letzten Station, und da hier weit und breit kein Unterkommen zu finden iſt, ſo mußte ich wohl ſo unhöflich ſeyn, noch ſo ſpät bei Ihnen einzuſprechen.

222 Abendgeſpräche.

Man verſtändigte ſich und die Tochter eilte hinaus, um die Küche zu beſtellen, ein Zimmer und Bett herrichten zu laſſen, und eilig, da die Neugier ſie ſpornte, kam ſie zur Geſellſchaft zurück. Alle ſaßen ſchon um den neu genährten und freundlich flammenden Kamin, die Tante ſagte aber: Nun, Neffe Eduard, wo hat Er denn den lieben Jokei, den ich Ihm damals ſo ſehr empfohlen habe, ich habe den Bur⸗ ſchen ja noch nirgend geſehen.

Er iſt heut auswärts, und hat ſich dieſe Nacht frei er⸗ beten, um einem Balle beizuwohnen. \

Hat er denn Ballkleider? fragte die Tante; bift Du denn gar nicht neugierig, ihn in ſeinem Tanz⸗Anzuge ein⸗ mal zu betrachten?

Ich weiß nicht antwortete Eduard etwas verlegen ich habe mich nie ſo ſehr um ihn bekümmert.

Unrecht genug! fiel die Tante mit großer Lebhaftigkeit ein. Nun wart! Ich will ihn Dir ſelber zeigen, da Du ſo gleichgültig und unbekümmert biſt.

Sie ging in ihrer raſchen Weiſe aus dem Saal, um des jungen Menſchen Kammer aufzuſuchen; Eduard wollte ſie begleiten und ihr den Weg zeigen, aber ſie wies ihn, ſchon über die Schwelle geſchritten, mit ſonderbarem Ernſt zurück. Alle, den fremden Baron abgerechnet, welcher wie in tiefer Zerſtreuung auf ſeinem Stuhle ſaß, ſahen ſich ver⸗ legen an, nicht wiſſend, ob dies Betragen der alten Frau als Scherz oder Ernſt zu nehmen ſei. Als ſich die Thür wieder öffnete, ſtand der fremde Zerſtreute auf, um der Alten entgegen zu gehn, welche eine junge ſchöne blonde Dame an ihrer Hand führte, deren Schönheit ſo auffallend war, daß die Tochter des Hauſes ſo wie der Vater erſtaunte. Aber die Verwunderung ſtieg noch höher, als Eduard ſich mit dem Ausruf: Meine Cäcilie! zu ihren Füßen ſtürzte.

Abendgeſpräche. 223

Der Vater betrachtete die Gruppe, Cäcilie hob den Knieenden auf und die Tante ergab ſich einem lange anhal- tenden Lachen. Er iſt angeführt! Neffe! ſagte ſie dann, Seine Geliebte iſt einige Wochen um Ihn, in Seinem Zim⸗ mer und Er kennt ſie nicht, Er ſieht ſie kaum an? Die⸗ ſelbe, um welche Er Himmel und Erde bewegte, der er nach— reiſete, Italien und deſſen Herrlichkeiten über ſie verſäumte. Ja, ja, dieſe Probe mußte Er überſtehn, Cäcilie mußte ſich ſelber überzeugen, ob Du ihr, der ehemaligen Liebſchaft gegenüber, treu bleiben würdeſt. So hatte ich es mit dem kranken Onkel eingerichtet.

Wie? rief Eduard: Cäcilie war ſo lange in meiner Nähe und ich ahudete es nicht?

Nun, Baron Wächter! rief die Tante dem Fremden zu: haben wir nun nicht unſer Projekt zu Ende gebracht?

Baron Wächter! rief der erſtaunte Vater aus Sie heißen ja Geiersberg: Sie ſind doch nimmermehr

Doch, doch, nahm der Fremde das Wort, der Onkel dieſer hübſchen Cäcilie, der alte Wächter, den ſie ſo redlich gepflegt hat, um den ſie ſogar ihren Liebſten aufgeben konnte, deſſen wunderlichen Launen und jäher Hitze ſie niemals widerſprochen hat, die nun aber auch dafür ſeine einzige rechtmäßige Erbin und hoffentlich bald mit ihrem entzückten und durchaus verwirrten Liebhaber vereinigt wird.

Ein neues allgemeines Erſtaunen. Eduard rannte von Cäcilien weg und ſtellte ſich vor den Baron Wächter hin. Sie alſo, rief er aus, Sie, alter Mann, ſind alſo der, den ich ſo hundertmal verwünſcht habe, deſſen Tod ich vom Himmel erflehte? Und ich habe Sie nicht wieder erkannt? Nun freilich ſah ich Sie nicht oft, und immer waren Sie Ihrer Leiden wegen ſo eingehüllt und vermummt, daß ich kaum Ihre Naſenſpitze entdecken konnte.

224 Abendgeſpräche.

Seh' einer die Spitzbübereien und Intriguen! rief der Hausherr lachend im frohen Muthe aus, und in einer Nacht tragen ſich zu Verlöbniſſe, Zank, faſt Duell, Verſöh⸗ nung, Beſuch, unerwarteter von alten und jungen Damen, Geſpenſter und Geiſter, alte und junge, Confuſion und Auf⸗ löſung. | | Man blieb bis zum Morgen beiſammen, in der über⸗ müthigen Laune wurde gleich die Verlobung Cäciliens und Eduards gefeiert und der Vater ſagte, nachdem er das Paar geſegnet hatte: Ich vermuthe ſchon, daß Du nun, mein Sohn, mit dem Frühjahr in der Geſellſchaft der jungen Frau nach Italien reiſen wirſt, um das Verſäumte nachzuholen.

* 5

Un wenn fie uns nicht das Wenige bezahlt, was fie uns ſchuldig iſt? fragte das junge blonde Mädchen mit höchſt bekümmertem Ton.

In dem Fall, ſagte die Mutter trübſelig, wüßte ich mir gar nicht mehr zu helfen. Wenn nicht der alte Oheim

Denken wir nur an den alten Geizhals nicht, rief die lebhafte Henriette, halb im Weinen und halb im Zorn; er thut nichts für uns, wenn er uns auch ſterben ſieht, das hat er ja ſelber oft genug geſagt.

Schelte nur nicht auf ihn, antwortete die Mutter zu⸗ rechtweiſend, er hat freilich etwas mehr als wir, aber er iſt doch ebenfalls arm. Und ſein eigner Bruder, Dein Vater, Kind, hat ihn zu Grunde gerichtet; und darum iſt es auch natürlich, daß ihm von Zeit zu Zeit das wieder beifällt und er auf uns böſe iſt.

So muß ich alſo, in dieſer Hitze, noch einmal über die Brücke laufen, ſagte Henriette, um die gnädige Frau drüben um die paar Groſchen zu mahnen, die fie mir ſchon fo lange für die mühſelige Stickerei ſchuldig iſt. Und wer weiß noch, ob ich ſie zu Hauſe treffe.

Schlimmer, ſagte die Mutter, wenn ſie es übel nehmen ſollte und künftig gar nicht mehr bei uns arbeiten läßt, oder gar andere Reiche und Vornehme vor uns warnt, als wenn

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228 wWunderlichkeiten.

wir ſchlecht erzogene und unverſchämte Leute wären. Das iſt das Entſetzliche bei den Reichen, daß ſie es nicht faſſen, wie wichtig dem Armen ſo oft ein paar Groſchen ſind, die ſie in ihrem Leichtſinn immer und immer wieder vergeſſen.

Wenn nur, ſagte Henriette ganz in Trauer aufgelöft, unterdeß der grobe Wirth nicht heraufkommt, uns aus⸗ pfändet und aus dem Zimmer wirft, wie er uns neulich ge⸗ droht hat.

Er wird doch nicht, ſagte die Mutter beſänftigend; ſolche Leute ſagen auch oft mehr, als ſie ausführen wollen, um ſich vor ihren Schuldnern ein rechtes Anſehen zu gebn Man muß ihnen das zu Gute halten.

Aber im Stillen war die Mutter ganz von derſelben Furcht erfüllt; ſie wollte nur der jungen, unerfahrnen Tochter nicht den letzten Muth rauben, und darum nahm ſie eine heitere Miene an, betrachtete ihr Kind lächelnd, die ſich ſchon die ſchwarze, wohlgeſchonte tafftne Schürze vorband, um auf der Straße im hellen Sonnenlicht ſo anſtändig als möglich zu erſcheinen.

Dieſe Scene des Kummers fiel in einem engen niedri⸗ gen Dachſtübchen vor, deſſen Fenſter auf einen beſchränkten Hof herabſahen. Man hörte in dieſer Höhe nur ſelten etwas von dem Geräuſch, das unten im Eingange erregt wurde, von der Straße vernahm man gar nichts. Zwei Stühle von Stroh, ein kleiner Tiſch waren das dürftige Mobiliar, in der noch kleineren Kammer ſtanden die Betten für Mutter und Kind. Ein kleiner Spiegel in ſchwarzen Rahmen ge⸗ faßt, war an der ſchiefen Wand zwiſchen den Fenſtern be⸗ feſtigt. Eine Stadt im Kupferſtich, roth und grün mit Waſſerfarben illuminirt, verzierte, ohne Glas, in braunes Holz eingelegt, die größere Wand, und gegenüber zeigte ſich, verdunkelt und geſchwärzt, ein ziemlich altes Bild, in welchem

Wunderlichkeiten. e

man nur nach einiger Anſtrengung eine Kreuztragung heraus⸗ finden konnte, ſo ſtark hatten Rauch und Staub auf dieſes Alterthum eingewirkt, über welches Henriette doch wohl zu- weilen gelacht hatte, wenn ſie die zu dünnen und langen Beine der Kriegsknechte, oder die zu großen und dicken Thränen der klagenden Frauen im Gefolge mit weltlicher Kritik recen⸗ ſirte. Die Mutter tadelte auch jedesmal dieſen Leichtſinn, der ſich, nach ihrer Meinung, bei einem jo heiligen Gegen- ſtande nicht gezieme, wo die fromme Geſinnung die Haupt⸗ ſache ſei und ſomit von ſelbſt jede Einrede abweiſe.

Indem Henriette die Thür aufmachte, hörte man von unten herauf ein lautes Lachen und männliche und weibliche Stimmen durcheinander. Die Tochter blieb in Verwunde⸗ rung ſtehen und die Mutter war auch vom ſtrohgeflochtnen Stuhl aufgeſtanden, denn auch im Elend findet der Menſch in der aufgeregten Neugier und ihrer Befriedigung Troſt und Erheiterung. Indem die Alte nach der Thür eilte, traten zwei fremde Frauenzimmer ſchon herein und begrüßten die Verwunderten mit vieler Freundlichkeit. Auch die Frem⸗ den ſchienen Mutter und Tochter, und die Aeltere machte in großer Eile die Thür zu, um vielleicht das laute Gelächter, welches noch ertönte, weniger zu vernehmen. Verzeihen Sie, ſagte die alte Frau dann, wenn wir Sie gleichſam überfallen und Schutz bei Ihnen ſuchen, um uns der Rohheit unge- zogener Menſchen zu entziehen.

Die Wirthin war in Verlegenheit, indem ſie die Frem⸗ den zum Sitzen nöthigte, weil ſie nun ſelber ſtehen mußte, indeſſen vereinigte man ſich nach einigen Höflichkeiten dahin, daß die beiden alten Frauen die Stühle einnahmen und die jungen Mädchen ſich an den Tiſch lehnten, denn Henriette war aus Neugier nun auch geblieben, um abzuwarten, was dieſer unerwartete Beſuch zu bedeuten haben könne.

Wunderlichkeiten.

Als ich unten auf der Straße dieſem Hauſe vorbeiging, fing die Fremde nach einigem Zögern an, befiel mich eine ſonderbare Ahndung, ein Zucken, ein Anmahnen, oder wie ſoll ich es nennen, das mich zu meinem Glücke oftmals auf⸗ regt und dem ich immer Folge leiſten muß. Dann wird mir innerlich nicht, wie es wohl manchem Andern geſchehen iſt, Unglück, ſondern Glück geweiſſagt. Wollte ich dieſem Winke nicht Folge leiſten, ſo würde ich nachher in tiefe Be⸗ trübniß, wohl gar in eine gefährliche Krankheit verſinken. Ich verſäumte alſo nicht, unten die große Treppe hinaufzu⸗ ſteigen und mich dort bei den reichen und vornehmen Leuten zu melden. Ich fand aber durchaus nicht, was ich ſuchte, indeſſen ward ich doch mit Höflichkeit entlaſſen. Nachher ward mir nicht mehr dieſelbe feine Behandlung, aber doch noch keine Beſchimpfung, indem man mir, zwar ungern, die Erlaubniß gab, alle Zimmer zu durchforſchen. Nun aber gerieth ich an jene rohen Menſchen hier im oberſten Stock, unmittelbar unter Ihrer Wohnung. Nicht genug, daß man mir kaum die Zimmer öffnete, mir nur kurze Zeit gönnte, mich umzuſehen, ſo verfolgte mich auch noch, wie Sie es ſelbſt gehört haben, ein ſchallendes Gelächter. Nun bin ich bei Ihnen, und gewiß, und ich ſehe ſchon, daß es ſo wird, eine beſſere Aufnahme zu finden.

Und worin kann ich Ihnen dienen? fragte die Mutter.

Ich bin überzeugt, begann jene wieder mit neuer Leb⸗ haftigkeit, da ich alle Zimmer des großen Hauſes durchſucht habe und dieſes das letzte iſt, daß Sie etwas beſitzen, was Sie mir wohl gern verkaufen werden, denn mein ee kann mich nicht trügen.

Und was wäre dies?

Irgend ein Gemälde, das für Sie keinen Werth hat und mir ſehr erwünſcht ſeyn wird; antwortete die Fremde.

wunderlichkeiten. 231

Die Mutter und die Tochter ſahen ſich verwundert an, endlich ſagte die Alte zögernd: Wenn Sie da die gute Stadt Regensburg belieben ſollten, ſo könnte ich Ihnen dieſe, ob⸗ gleich es ein Geſchenk meines Schwagers iſt, um ein Billiges verkaufen.

Die Fremde erhob ſich ſehr lebhaft und ſtellte ſich mit forſchendem Auge an die Wand. Liebe, ſagte ſie, das iſt kein Gemälde, ſondern ein ſchlechter Kupferſtich, der mit gro⸗ ben Farben illuminirt iſt und gar keinen Werth hat.

So? ſagte die Alte kurz und wandte ſich ab. Nur die Tochter verſtand die ganze Troſtloſigkeit dieſer kurzen Sylbe, da ſchon im Auge der Mutter ein Strahl von Hoffnung auf⸗ geleuchtet hatte, das bunte Bild um eine kleine Summe ver⸗ kaufen zu können. Die Fremde ſah ſich mit einem Seufzer noch einmal in dem Stübchen um, und jetzt fiel ihr Auge auf die beſchattete Wand, an welcher jenes ganz verdunkelte Bild befeſtigt war. Was haben Sie denn da? rief ſie mit der größten Lebhaftigkeit. Ach! antwortete die Wirthin mit gedämpfter Stimme, ein ganz altes verſchwärztes Ding, das wohl etwas aus der Leidensgeſchichte unſers Herrn vor⸗ ſtellen ſoll. Die Beſuchende war indeſſen näher an die Wand getreten. Friederike! rief ſie aus, und die Tochter ging zu ihr. Hatte mein mahnender Geiſt nicht Recht? ſprach ſie mit einer Stimme, die vor Freude zu beben ſchien: ſieh da! hier iſt der Schatz, den wir unten im Hauſe thöricht bei den Thörichten ſuchten. Was wollen Sie, liebe Frau, für dieſes Gemälde haben, wenn es Ihnen anders verkäuf⸗ lich iſt? ſo wendete ſie ſich an die verwunderte Alte. Ja, mein Gott, ſagte dieſe höchſt verlegen, wenn Sie es irgend brauchen können, was meinſt Du, Henriette?

Die Tochter, welche dreiſter war, trat näher und ſagte keck: Um einen Thaler ſteht es zu Ihren Dienſten. Um

232 wunderlichkeiten.

einen Thaler? rief die Fremde. Nein, ſagte die Mutter, die den Uebermuth der Tochter nicht begriff, wir im es Ihnen auch wohl um die Hälfte, oder

Frau! Frau! ſprach die Fremde wie begeiſtert, schämen Sie ſich, jo unvernünftige Preiſe nur über Ihre FR zu bringen.

Nun, ſo taxiren Sie es ſelber, erwiederte die Mutter beinahe weinend, ſo viel Groſchen Sie wollen.

Ich will Ihre Unwiſſenheit nicht mißbrauchen, ſagte die Fremde, die jetzt ſelber gerührt wurde, denn ich ſehe wohl, daß Sie keine Kennerin von Gemälden ſind. Wäre ich reich, ſo würde ich Ihnen eine große Summe anbieten, aber ich bin arm und kann nur wenig geben. Doch hintergehen will ich Sie nicht. Sie können vielleicht, wenn Sie es abwarten, wenn reiche Kenner zu Ihnen kommen, etwas Bedeutendes für dieſes Bild erhalten: ich frage Sie alſo, ob Sie von mir dieſe drei Louisd'or annehmen wollen, da ich Ihnen nicht mehr bieten kann. Aber freiwillig müſſen Sie ein⸗ ſtimmen, gute Frau, denn ich will Ihre Unkenntniß nicht mißbrauchen.

Die Alte war wie im Traum, die lebhafte Tochter aber hatte die Tafel ſchon von der Wand losgemacht, wiſchte den Staub ab und gab ſie der Fremden. Dieſe drückte der Mutter die drei Goldſtücke in die Hand und entfernte ſich mit ihrer Begleitung.

Nachdem die Fremden ſchon die Treppe hinuntergegan⸗ gen waren, konnten die Zurückgebliebenen, die ſich lange im ſtummen Erſtaunen angeſehen hatten, erſt die Worte wieder⸗ finden. Die Mutter war auf den Stuhl geſunken und rief: Iſt es nicht wie ein Wunder? Nun ſind wir ja auf einmal aus aller Noth. Ach! Jettchen! ich hatte wirklich Angſt, ſie würden uns Betten und Alles nehmen. Auf lange ſind wir

Wunderlichkeiten. 233

gerettet, und nachher findet ſich vielleicht wieder unvermuthete Hülfe.

Die Tochter umarmte fröhlich die beglückte Mutter, in⸗ dem ſie ausrief: Wer hätte denken können, daß das uralte geſchmierte Weſen da uns einmal ſolchen Dienſt leiſten könnte! Man ſoll nichts verachten, denn oft iſt uns das der beſte Freund, worüber wir gelacht und geſpottet haben.

Es kam jetzt ein ſchwerer Fußtritt die Treppen langſam herauf. Das iſt der Schwager! rief die Mutter; ich weiß nicht, ob es nicht beſſer iſt, ihm den Vorfall zu verſchweigen.

Der alte Simon ſchob ſich mit feiner Schwerfälligfeit durch die enge Thür und warf ſich ſogleich auf einen der Stühle, ohne nur ſeinen breiten Hut abzunehmen, der ihm faſt das ganze Geſicht verſchattete. Er dehnte ſich gähnend, indeſſen ſich die Tochter auf eine Fußbank in ſeiner Nähe niederließ. Da die beiden Frauenzimmer von ihrem großen Glücke noch zu bewegt waren und der alte träge Mann nur ungern ſprach, ſo konnte ſich lange kein Geſpräch entwickeln, und in dieſem Stillſchweigen wurde Simon immer verdrüß⸗ licher. Man fragte ihn nach ſeinem Befinden, und er fand es nicht der Mühe werth, dieſe unnütze Anrede zu beant⸗ worten. Nach einer Pauſe ſagte er endlich: Wenn mein Doctor mich das fragt, ſo ſtrecke ich nur die Zunge heraus; bei euch hier wäre das unartig.

Jetzt nahm er den breiten runden Hut ab und hängte ihn über die Lehne ſeines Stuhles, ſchob ſich die graue Pe- rücke zurecht und ſagte nach einem ſtarken, anhaltenden Gäh⸗ nen: Ihr ſeid heut unausſtehlich, Menſchenkinder, und ich werde wieder gehen, ſobald ich etwas ausgeruht habe. Aber, fing er bald darauf wieder an, ich weiß gar nicht, was mir in eurer Stube heut hier fehlt, warum mir ſo ſonderbar iſt; es ſtört mich was, es iſt nicht Alles wie ſonſt.

234 wunderlichkeiten.

Teufel! wo habt ihr denn das alte Bild hingethan? Darum iſt die Wand ſo kahl und die Stube ſo fatal weitläufig und ausgeräumt; das Auge findet in dieſer Unendlichkeit keinen Ruhepunkt. Der Troſt der Kunst geht uns ab in dieſer unabſehbaren Wüſtenei.

Ich will Ihnen die Sache nur bekennen, lieber Schwa⸗ ger, ſagte die Mutter furchtſam, und ſo fing ſie an, von ihrer großen Noth und dem unvermutheten weiblichen Be⸗ ſuch zu ſprechen. Der Schwager Simon ſchüttelte ſein gro⸗ ßes Haupt und ſagte dann: Und was haben Ihnen dieſe Bilderſtürmer dafür gegeben? Geſtehen Sie es mir nur un⸗ verholen, denn ich gebe Ihnen mein Wort, ich will nichts davon haben, wie Sie vielleicht glauben; nein, ich will Sie gewiß mit ſolchen Anforderungen nicht quälen. Als ihm die Summe genannt war, rief er aus: Seid ihr denn beſeſſen, daß ihr euch in eurer Einſiedelei hier noch im ſpäten Alter ſo auf die Spitzbüberei verlegt? Schelmenpack ihr! Bethörer ſo dummer Weibsbilder, die mit ihrem Verſtand Schiffbruch gelitten haben! Schämt euch tief in euer Gewiſſen 1 und beſſert euch!

Die Mutter wurde empfindlich und ſetzte ihm nun das ganze Abentheuer auseinander, das ſie ſelbſt wie eine unbe⸗ greifliche, wundervolle Begebenheit überraſcht habe, und Si⸗ mon ſagte dann: Alſo entſchuldigte ſich das dumme Weibſen noch, daß ſie nicht mehr hat geben können? Seht, wenn ſie für die gute Stadt Regensburg zwei Groſchen gab, ſo war ſie noch um einen Groſchen betrogen: aber zehn Bilder, wie jenes war, wiegen den Zinnober hier auf den lieben Dächern noch nicht auf, und der leere Fleck an der geräucherten Wand, der jetzt ſo bläßlich ſchimmert, iſt ein großes Original⸗Kunſt⸗ werk gegen jene abſcheuliche Schmiererei, die ihr ſo unter dem Preiſe in euerm ſündlichen Leichtſinn losgeſchlagen habt.

Wunderlichkeiten. 235

Der braune Quark kommt nun wohl auf die Gallerie und wird den Spitzbübinnen mit tauſend Goldſtücken als ein Wunderwerk und einziges Exemplar bezahlt; denn ich wenig⸗ ſtens habe noch nirgend, weder in dem Muſeum noch auf dem Trödel etwas geſehen, was ſich mit der alten Schwarte nur von ferne vergleichen ließe.

Sie lachten, und nach einer Weile fuhr der Schwager ſo fort: Ihr habt mich immer gedauert, und doch war ich auf euch böfe, und fo ſetzte ich meinem Gewiſſen eine Frage, ob ich mich ganz von euch losreißen, euch umkommen laſſen, oder euch helfen ſollte. Geſchah in dem Termin, der heut zu Ende ging, nichts für euch, jo hatte der Himmel beſchloſ— ſen, daß ihr unterginget, ich zog dann ganz meine Hand von euch ab und ihr ſaht mich nie wieder. So kam ich denn, um nachzufragen. Aber der Himmel hat euch wie durch ein Wunder geholfen, er hat ſich durch die närriſche Geſchichte ganz ausdrücklich für euch erklärt, und ſo ſollt ihr denn auch meine brüderliche Liebe und Hochachtung genießen. Wir machen jetzt gemeinſame Wirthſchaft. Ich habe in der Lot⸗ terie was Anſehnliches gewonnen, das theilen wir mitein⸗ ander, und eure Hälfte iſt groß genug, daß ihr jetzt ohne Sorgen ſeyn könnt. Nach meinem Tode ſeid ihr meine Erben.

In dem kleinen Dachſtübchen, welches ſie ſchon in den nächſten Tagen mit einer beſſern Wohnung vertauſchen woll⸗ ten, war ſtatt der Noth und Verzweiflung Freude und Ent⸗ zücken eingekehrt.

Die Frau Mühlen ging mit ihrer Tochter fröhlich nach Hauſe. Das neu erworbene Bild hatte ſie in einen Rauſch des Entzückens verſetzt. Sogleich verfügte ſie ſich nach dem

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größten Zimmer ihrer beſchränkten Wohnung, wo Gemälde an Gemälde hing und viele noch mit und ohne Rahmen am Boden gegen die Wand gelehnt ſtanden. In dieſes Heilig⸗ thum, welches, wegen Mangel an Raum, zugleich das Schlaf⸗ gemach der Mutter war, durfte niemals ein Fremder treten; ja ſelbſt die jüngere Tochter Lucie wurde nur ungern zuge⸗ laſſen. Darum verſchloß die Mutter auch hinter ſich das Zimmer und ſie und die ältere Tochter Friederike ſuchten jetzt einen ſchicklichen Platz für das Kunſtwerk aus. Es war ſchwer, zwiſchen den dicht gedrängten Schildereien einen Raum zu ermitteln, und es ward nur möglich, indem man einen kleinen Correggio an der gegenüberſtehenden Wand mühſam einfugte. Wie habe ich mich, fing die Mutter bei ihrer Be⸗ ſchäftigung an, ſeit Jahren darnach geſehnt, einmal einen Johann van Eyck zu beſitzen, und nun gelingt es mir, un⸗ vermuthet einen ſo koſtbaren für eine Kleinigkeit zu erwer⸗ ben. Putzen muß ich aber das Kleinod bei Gelegenheit ein wenig, damit die Schönheit der Farben wieder herausleuchte. Hätte ich der armen unwiſſenden Frau für ihren Schatz nur mehr anbieten können! Ich habe ihr wenigſtens meine ganze Baarſchaft gegeben und es lieber unterlaſſen, auf dem Trö⸗ delmarkt nachzuſehen, wo auch ſchon ſeit lange nichts Bedeu⸗ tendes anzutreffen war. Was thut es, daß wir uns wieder etwas einſchränken müſſen? Man lebt ja doch fort und die Zeit vergeht.

Ich finde mich wohl, ſagte Friederike; aber Lucle, die ſo ganz weltlich denkt, iſt mit dieſen Anſtalten immer unzu⸗ frieden. Und, liebe Mutter, auch ich möchte klagen; darf ich denn meinem Eduard nichts von unſrer Gemäldegallerie ſa⸗ gen? Er könnte uns auch vielleicht helfen; er will ſich ja ſelber der Malerei ganz widmen.

Still, mein Kind! rief die Mutter: von ms Ge⸗

wunderlichkeiten. 237 |

heimniß muß für jetzt noch kein Menſch etwas erfahren. Man wäre ja im Stande, mir meine kleine Penſion zu neh⸗ men, von der wir doch einzig leben. Es könnte geſchehen, daß man von Staats wegen meine Bilderſammlung confis⸗ cirte und einzöge. Kein Menſch würde begreifen, wie ich arme alte Frau zu dieſem Schatz, der eine Million werth iſt, gekommen, und Keiner würde glauben, wie mühſam und wie wunderbar ich alle dieſe Meiſterwerke des Veroneſe, van Dyk, Titian, Correggio, Domenichino und alle dieſe Land— ſchaften und Alterthümer errungen habe. Doch ſieh nur, unſer neue van Eyck ſchlägt den ſonſt ſchönen Carracci, der neben ihm hängt, völlig todt; wir werden auch dieſem lieben Annibal eine andere Stelle ſchaffen müſſen. O über dieſes Bild! Ueber dieſe neue Eroberung! Ich bin nur begierig, in welchem Stadtviertel ich nun nächſtens wieder neue Ent⸗ deckungen machen werde.

Man verſchloß das Zimmer, und im kleineren kam ihnen Lucie triumphirend entgegen, indem ſie einen Brief in die Höhe hielt. Vom Bruder! vom Bruder! rief ſie freudig: ſo werden wir wohl erfahren, daß es ihm wohl geht, daß er ſeine Stelle angetreten hat.

So hätte ich denn, ſagte die Mutter, heute zwei große Freuden erlebt. Der junge Mühlen war nehmlich nach Brüf- ſel gereiſet, um dort in einer reichen proteſtantiſchen Familie Hauslehrer bei zwei ziemlich erwachſenen Söhnen und einer kleinen Tochter zu ſeyn. Die Bedingungen waren glänzend und der Sohn, Martin, hatte die ziemlich weite Reiſe in der Hoffnung gemacht, ſeine Familie von dort unterſtützen zu können und durch die Protection des reichen Bankiers wohl auch ſeinen Weg im Leben zu machen.

Die ältere Tochter hatte jetzt den Brief erbrochen und

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las ihn den beiden ſehr geſpannten Zuhörerinnen laut und deutlich vor:

' „Geliebte Mutter,

Leider find meine Hoffnungen, indem ich hier anlangte, auf keine Weiſe erfüllt worden.“

Das Blatt entſank der Leſerin und die Mutter wurde blaß vor Schreck. Lies nur weiter, rief Lucie; ſo kann es nicht bleiben, das Beſſere kommt vielleicht nach.

Friederike fuhr fort: „Das große Haus war wenige Tage vor meiner Ankunft bankrott geworden, der Hausherr hatte ſich entfernen müſſen und die Gläubiger waren ſehr erboßt, daß man ihnen einen ſchlechten Vergleich anbot. Sie werden ihn aber doch wohl annehmen, um ſchnell und gleich nur etwas zu erhalten, da ſie bei einem Prozeß wohl lange hingehalten würden. Nun ſagte mir ein Pfiffiger, wahr⸗ ſcheinlich würden die Leute nun erſt recht reich werden, und wenn auch nicht grade in Brüſſel, doch etwa in Antwerpen oder Paris ein noch größeres Haus, als bisher, etabliren. Bei ſolchen Leuten mag ich aber nicht Hauslehrer ſeyn, wenn ſie mich ſelbſt haben wollten, denn da käme ich mit meiner hausbacknen ſchlichten Ehrlichkeit nur übel an. Eine Dame, die ich kennen lernte, wollte mich verſichern, daß auch ohne Bankerott ich doch in eine miſerable Lage würde gerathen ſeyn, denn der Handelsherr habe keinem Menſchen auf Erden noch ſein Wort gehalten, und mit den ſogenannten Hofmei⸗ ſtern mache man eben gar keine Umſtände; hundert oder zweihundert Dukaten würden verſprochen, und die jungen Leute müßten froh ſeyn, wenn ſie nachher nur funfzig oder vierzig richtig und baar erhielten. Mit meinem Flachskopf, fuhr dieſelbe Dame dann fort, mit meiner etwas kindiſchen, faſt jungfräulichen Phyſiognomie, mit meinem linkiſchen Be⸗ nehmen könnte ich nun den Leuten vollends gar nicht impo⸗

Wunderlichkeiten. 239

niren, und ſo hätten mir Söhne und Tochter, die Lakaien und Handlungsdiener abgerechnet, doch nur auf der Naſe geſpielt. Das war nun Alles ein ſchlechter Troſt. Dabei wurde ich auch etwas empfindlich über die große, ſtarke Ma⸗ dame, die mir alles das ſo ungenirt hinſagte, als wenn ich mich noch darüber zu freuen hätte. So war denn meine Exiſtenz eine recht kummervolle hier, und ich wußte nicht, wovon ich den Wirth in dem vornehmen Gaſthofe bezahlen ſollte, da mein Vorſchuß ne auf der Reiſe war verzehrt worden.“

Der arme Martin! ſagte die Mutter e

Friederike las: „Im erſten Stock hier wohnt ein Graf von Liangon, ein feiner Mann, der deutſch und franzöſiſch ganz ausbündig ſpricht, ſehr reich und vornehm iſt und alle Tage mit ſeiner prächtigen Equipage über Land fährt, oder in der Stadt Viſiten macht. Den wollte neulich ein junger Freund abholen, der kam aber nicht, und ſo geht der anſehn⸗ liche charmante Graf über den Vorplatz, ganz verdrüßlich, indem ich daſtehe und vor Langerweile und Verdruß an den Nägeln kaue. Wollen Sie mit mir ausfahren, junger Menſch? ſchreit er mich laut an, aber doch freundlich; ich fahre nicht gern allein! Ich ließ es mir nicht zweimal ſagen, und ſprang gleich die Treppe hinunter, ihm nach, fo daß ich ſogar mei⸗ nen Hut vergaß, worüber er lachte, mich aber doch ſo in ſeine Kutſche ſteigen ließ. Als wir im Freien waren, fragte er mich nach meinen Umſtänden, und ſo hatte ich denn Ge— legenheit, einem ſo gütigen Herrn mein ganzes Herz auszu— ſchütten. Er ſchien mit meinem Bericht zufrieden, ſah mir ein paar Mal ſcharf in die Augen, und ſo nahm er mich gleich als Secretair in ſeinen Dienſt, und giebt mir noch mehr, als mir der großmäulige Bankrottier angeboten hatte.

So bin ich denn verſorgt und angeſtellt, und ich hoffe,

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Ihnen, geliebte Mutter, bald etwas ſenden zu können, denn der Graf iſt ein ſehr freigebiger Herr. Er achtet Silber und ſelbſt Gold nicht ſonderlich, ſpielt oft und immer hoch, und iſt ebenſo vergnügt, wenn er verloren, als wenn er ge⸗ wonnen hat. Mir hat er auch ſchon einen ſchönen Ring mit einem ziemlich großen Diamanten oder Brillanten geſchenkt. Auch gegen ſeine Domeſtiken iſt er ſehr generös. Man muß ihn lieben. Dabei iſt er faſt immer luſtig. Ich habe wenig zu thun, ich möchte ſagen, gar nichts. Er meint aber, es würde ſich in Zukunft ſchon Arbeit für mich finden.

Das iſt aber noch nicht Alles, liebe Mutter. Sie wiſ⸗ ſen es ja, welche Sehnſucht ich von Jugend auf hatte, weite Reiſen zu thun und fremde Länder zu ſehen. Dazu war bisher keine Ausſicht für mich. Aber mein Graf hat auch eine Paſſion für das Reiſen, und da haben wir uns ſchon einen Abend vor die Landkarten hingeſetzt, und bald England, bald Italien, dann wieder Spanien und Portugal vorgenom⸗ men, um die Zeit und die Wege zu berechnen und Alles ein⸗ zutheilen, zu bedenken, wo wir uns am längſten aufhalten könnten, wo wir am meiſten lernen, oder uns am vorzüg⸗ lichſten ergötzen würden. Sehen Sie, Verehrte, ſo iſt ohne mein Zuthun mein Lieblingstraum zur Wirklichkeit geworden und mein kühnſter Wunſch in Erfüllung gegangen.

O beſte Mutter! hier in den Landen giebt es auch allenthalben ſchöne Bilder, wo ſehr viele Ihrer Sammlung gut anſtehen würden. Aber ſie ſind ſo theuer, daß nur die vornehmſten Menſchen ſie erwerben können. Wie denn über⸗ haupt hier viel Geld ſeyn muß, weil man immerdar davon

reden hört. Es iſt alſo möglich, daß, wenn wir unſere Reiſe an⸗ treten, wir bald in Ihre große, mächtige Stadt gerathen.

Wunderlichkeiten. 241

Ich hoffe, Sie und meine Schweſtern dann geſund und wohl zu finden.

Ich leſe viel unter Anleitung meines Grafen. Er meint, ich müſſe Italieniſch und Spaniſch lernen, mein weniges Eng⸗ liſche cultiviren, um in der Welt eine größere Rolle ſpielen zu können. Mir ſchwindelt oft vor den mannigfaltigen Pro⸗ jekten. Eine ſonderbare Liebhaberei hat mein vornehmer Freund und Beſchützer. Eins ſeiner Lieblingsbücher iſt der bekannte Gil Blas, von Leſage. Den habe ich ihm in den Abendſtunden vorleſen müſſen. Er meint, in dieſem luſtigen Buch ſei eigentlich die wahre Weltweisheit, oder die Weis⸗ heit der Welt, um durch dieſe zu kommen, ſein Glück zu machen und niemals betrogen zu werden, enthalten. Für mich ſtudire ich den Guzman Alfarache, den ich nach Leſage's Bearbeitung ſchon mit dem ſpaniſchen Original vergleiche. Ich hoffe bald von dem curioſen Buche mehr zu verſtehen. Der Lazarillo de Tormes iſt auch luſtig genug, ſowie der Eſtevanillo Gonzalez. Die Spanier haben einen Ueberfluß an dieſen ſchnurrigen Romanen, wo Alles immer auf Prel⸗ lerei, Betrug, Diebſtahl, Lüge und künſtliche Bettelei hinaus⸗ läuft. So ſteht auch die Picara Juſtina vor mir, die ich ganz im Spaniſchen leſen ſoll, und wirklich hat der Graf, indem ich an dieſem Briefe ſchreibe, ſchon einen Lehrmeiſter angenommen, der mich in dieſer ſchweren Sprache unterrich⸗ ten ſoll. Der wundert ſich auch über meine kleine Biblio⸗ thek. Er meint, man müſſe mit Cervantes Novelas exem- plares anfangen; davon will aber der Graf nichts wiſſen. Nach dem Gil Blas habe ich ihm in den Abendſtunden den Count Fathom von Smollet vorleſen müſſen. So lerne ich dabei von ihm die richtige engliſche Ausſprache, denn er redet alle europäiſchen Sprachen in der größten Vollkommenheit. Unſer Leſen dauert oft lange bis nach Mitternacht, und dann

Tieck's Novellen. IX. 16

242 Wunderlichkeiten.

ſchläft der Graf wohl bis zehn Uhr in den Morgen hinein. Noch ein Buch ſoll ich ihm nachher Engliſch vorleſen, das Leben einer Moll Flanders. Das ſcheint ſehr moraliſch; es iſt die Geſchichte einer Diebin, die nur durch glücklichen Zu⸗ fall der Hinrichtung entging und ſich beſſerte. Viele Men⸗ ſchen verachten dieſe Erzählung ganz und gar, aber mein Graf hält ſie ſehr hoch, und behauptet, ſie ſei in ihrer Art ebenſo gut, wie der bekannte und beliebte Robinſon Cruſoe, und der Verfaſſer dieſes Romans, ein gewiſſer De Foe, habe auch dieſe Erzählung geſchrieben.

Der Herr iſt auch, wie wir, von der proteſtantiſchen Religion; er meint aber, in der katholiſchen könne man viel leichter ſein Glück machen, weil für die jüngern Söhne aus großen Häuſern, oder auch, wenn ſie Protection fänden, für Bürgerliche, Präbenden, geiſtliche Stellen und dergleichen im Ueberfluß wären. Er ſelbſt lebt aber wie ein Prinz und bewirthet zuweilen bei ſich die vornehmſten Leute von der Stadt. Einmal bin ich auch zugegen geweſen, was mich, wie ihr wol denken könnt, in große Verlegenheit geſetzt hat. Man darf aber nur Dreiſtigkeit gewinnen, ſo geht es ſchon mit allen Menſchen, auch den ganz curioſen. Ich habe ja ſchon wahre Lumpe gekannt, die ſich hochmüthiger anſtellten wie hier Prinzen und Grafen. Ich glaube immer, mein Herr wird ſich bald mit einer der vornehmſten Damen ver⸗ mählen. Kurz, ich bin glücklich und kann mich oft noch nicht darauf beſinnen, wie ich denn dazu gekommen bin. Näch⸗ ſtens ein Mehres, der Himmel erhalte Sie, Mean Mutter, ſo wie meine Schweſtern.“

Die Freude war übergroß, als man dieſen Brief gele⸗ ſen hatte, und die Mutter ſagte: Es iſt wie ein Wunder. Sage man, was man immer wolle, man muß an Magie und unbegreifliche Naturkräfte glauben. Man ſieht, unſer

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wunderlichkeiten. 243

Martin wirkt auf ſeinen Grafen durch eine ſtarke Sympa⸗ thie, durch ein Uebergewicht des Geiſtes oder eine kräftige Verwandtſchaft des Gemüthes. Er hat von meiner Natur etwas geerbt, und wie ich von ſelbſt tiefverſteckte herrliche Gemälde durch meinen Inſtinkt entdecke, ſo erwirbt er ſich Freunde und Beſchützer. Ich weiß es ja, wie er hier ſchon alle Welt durch ſeinen Umgang bezauberte; ich habe ihm nie, wenn er ſo recht bat, etwas abſchlagen können; ihr habt ihm in jedem Streit nachgeben müſſen, und ich bin überzeugt, wenn er einmal heirathen will, wird ihm kein Frauenzimmer widerſtehen können.

Wir haben ihm wohl nachgeben müſſen, warf Lucie, die jüngſte Tochter, ein, weil Sie ihm, liebe Mutter, immer bei⸗ ſtanden, zuweilen ſelbſt, wie es mir vorkam, auf eine un⸗ billige Weiſe.

Da biſt Du ſehr im Irrthum, mein Kind, antwortete die Mutter. Ich war zuweilen eher grauſam gegen den lieben Martin.

Lucie ſagte: Die Sache mit dem Bruder kommt mir ſo bedenklich vor, daß ich Alles nur für eine Schnurre halten möchte, die der gute Martin aus ſeinen Büchern genommen hätte, um uns etwas weißzumachen. Aber er iſt ſo redlich und gut, daß er niemals zum Windbeutel werden kann. Und darum iſt es mir auch unbegreiflich, was dieſer Graf für ein Geſchöpf ſeyn mag, das einem ordinairen menſchlichen kaum mehr ähnlich ſieht.

Weil Du nicht an Wunder glauben kannſt, erläuterte die Mutter, darum iſt Dir auch Alles, was ſich nur aus dem Gemeinen erhebt, unbegreiflich. Du haſt Dich nun doch von meiner prophetiſchen Gabe (oder wie ſoll ich ſie nennen) überzeugen können, wie ich bei meiner Armuth einen Schatz höchſt koſtbarer Bilder zuſammengebracht habe; wie ich es

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fühle, wenn in einer Gaſſe, dann im Hauſe und endlich im Zimmer ein Bild ſeyn muß, das ich brauchen kann. Das haſt Du nun ſeit Jahren faſt alle Tage beobachten können, aber das hilft Dir in Deinem Gemüthe nicht weiter, denn Deine Zweifelſucht iſt ſtärker, als Deine Fähigkeit zu glauben.

Ich begreife aber auch dieſe Ihre Gabe nicht, antwor⸗ tete Lucie. Die Sache iſt wahr und kann nicht geleugnet werden, aber ich möchte ſie gern faſſen. Und wenn ich ſchon an dieſer einen Wundergabe genug zu tragen habe, ſo will ich mir nicht noch neue aufpacken laſſen, denn mein Rücken iſt vielleicht zu ſchwach für ſo vielfache Laſten.

Still! rief Friederike, laßt uns jetzt einen andern Dis⸗ curs anfangen, denn mir däucht, ich höre Eduards Schritte. Der muß von allen dieſen Dingen noch nichts erfahren.

Du haſt ſehr Recht, ſagte die Mutter, er iſt uns noch zu fremd, wir müſſen ihn erſt näher kennen lernen, bevor wir ihm vertrauen dürfen. Er iſt ein wilder junger Menſch, der noch keinen Charakter hat.

Eduard trat herein, mit freier Bruſt und fliegenden Haaren. Ei! Herr Winter, rief die Mutter ihm entgegen, wie Sie nun wieder ausſehen! Das ſoll Genie vorſtellen, aber es iſt doch ganz unſchicklich. Wird guter Leute Kind wohl ſo auf den Straßen herumlaufen? Und dann wollen Sie mir wieder ſagen, Sie wären meiner Friederike gut.

Nicht böſe, Mütterchen, rief der Jüngling, es iſt das letztemal, daß ich mich ſo zeigen darf, denn von morgen bin ich ein ſolider Mann, ja, was noch mehr iſt, ein angeſeſſener.

Wie ſoll ich das verſtehen? fragte die Mutter.

Ich bin nehmlich von Großvater und Onkel verſtoßen und enterbt, der Luft und den Winden preisgegeben, für vogelfrei erklärt, und ſo iſt es denn alſo ganz natürlich, daß ich mich auf eigne Hand häuslich niederlaſſe.

wunderlichkeiten. 245

Sprechen Sie wie ein vernünftiger Menſch, ſagte Frie⸗ derike mit dem Ausdruck des höchſten Unwillens.

Mein Gott! rief Eduard in komiſcher Entrüſtung, ich bin ja nur allzuvernünftig, das iſt ja mein Unglück. Iſt es etwa nicht Vernunft, Halstuch und dergleichen Ueberflüſſig⸗ keiten abzulegen? Verdrüßlich darüber, daß ich wie ein un⸗ nützer Menſch leben ſoll, will ich mir einen Beruf wählen. Studiren kann ich nicht, ich habe kein Vermögen und bin ſchon zu alt, wenn ich es hätte, auf der Schule und Univer⸗ ſität anzufangen. Schreiber werden, wie der Großvater will, widerſteht mir. In einem Kaufmannsladen ſtehen, oder bei einem Gewürzkrämer die Schmierereien abwiegen, wie mein Onkel verlangt, iſt mir ekelhaft. Gärtner ſeyn, oder Land— mann, wie ein andrer ſolider Bekannter wünſcht, iſt meinem Genius ebenſo zuwider. Weil ich nun ein großer Maler werden will, haben ſie mir Alle den Kauf aufgeſagt, und mich aus dem Hauſe geſtoßen. Als wenn es eine Schande wäre, ein Rafael oder Michel Angelo zu ſeyn. Mein Far⸗ benkleckſer nun, bei dem ich ſchon ſeit einiger Zeit lerne, weil er nicht nur ein berühmter, ſondern auch ein einſichts— voller Mann iſt, hat gleich meinen Beruf zur Kunſt erkannt und mich dem Prinzen Xaver empfohlen. Der Herr, auch ein verſtändiger Mann, hat ebenfalls meinen Werth einge— ſehen und iſt mir gleich mit einer Verſorgung entgegen ge— kommen.

Verſorgung? rief die Mutter; wieder ein Wunder!

Ja, ſagte Eduard, der poſſierliche Menſch, nachdem er mich ſo obenhin beſichtigt hatte, ſagte: Sie müſſen vor allen Dingen eine Halsbinde tragen und ſich die Haare verſchnei⸗ den laſſen; dann ziehen Sie unten in das geräumige Stüb⸗ chen am Thorwege, laſſen Alles aus und ein, wenn geklin⸗ gelt wird, nehmen Briefe und Packete an. Manchmal löſt

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Sie der Alte ab, der jetzt etwas zu ſtumpf iſt, und ſo be⸗ halten Sie Freiſtunden genug, um ſich im Zeichnen zu üben. Ihr Gehalt reicht für Nahrung und Kleider hin. Ich bin es eingegangen, und fo könnten wir uns, mein Rielchen, heirathen, wir ſäßen dort zuſammen und Du könnteſt zu Zeiten meine Funktion übernehmen.

Halt, mein junger Herr, ſagte die Mutter etwas hoch⸗ fahrend; Sie werden alſo beim Prinzen Das, was ſie in Wien einen Hausmeiſter, in Paris einen Portier nennen. Sie ſind ein Domeſtik, und ein ſolcher kann meine Tochter niemals heirathen.

Das iſt nur die erſte Staffel zu meinem Malerruhm! rief Eduard unwillig aus: kann ich von meiner Warte nicht alle Geſichter der Aus- und Eingehenden, Vornehm und Ge⸗ ring, ſtudiren? Muß ſich nicht Jeder bei mir zuerſt anmel⸗ den? Was ſagen Sie, Friederike?

Ich denke wie meine Mutter, ſagte dieſe, und der auf⸗ gebrachte junge Menſch lief fort, indem er rief: Ich komme als ein Titian, oder gar nicht wieder!

Am andern Tag fuhr in einem zierlichen Wagen der Maler Reishelm vor das große Haus, welches der Prinz Xaver bewohnte. Er ſtieg ab, ſendete den Wagen zurück, zog die Glocke und das große Thor öffnete ſich. Eduard Winter guckte von ſeinem Fenſter herab, der Maler begab ſich nach der Treppe, indem er leicht und freundlich den jun⸗ gen Mann im Vorbeigehen begrüßte. Plötzlich kehrte er um, und da das Fenſter ſchon wieder geſchloſſen war, rief er: Portier! Niemand ließ ſich ſehen, er wiederholte alſo den Ausruf, und da ſich Niemand zeigte, zog er den innern Glockenzug. Mit der Nachtmütze auf dem Haupte warf ſich

Wunderlichkeiten. 247

jetzt der junge Mann mit halbem Leibe aus ſeiner Loge und ſchrie laut: Der Teufel iſt Ihr Portier! Ich bin Ihr Schüler, Sie erhabner Farben-Miſchmaſch, und ſo können Sie mich „Eduard!“ oder „Winter!“ oder „Hundejunge!« rufen, oder wie Sie wollen, Zögling, Schüler, Genie, Affen⸗ geſicht oder Maulaffe mich nennen, denn alles dies bezeichnet meine Abhängigkeit von Ihnen, oder Vertraulichkeit; ſo kön⸗ nen Sie mich Du, Er, Sie, Ihr, tituliren aber Rache ſei Ihnen geſchworen, ewige, unbegrenzte, wenn ich das „Portier“ noch ein Mal aus Ihrem Munde vernehme. Schon gut, ſchon gut, Eduard, ſagte der Maler; ich bitte, das Packet, welches für mich kommen wird, an ſich zu nehmen; ich werde es, wenn ich wieder wegfahre, meinem Bedienten übergeben. Haben Sie die Güte, Herr Winter, denn es möchten zerbrechliche Sachen in der Schachtel ſeyn. So gehört es ſich, antwortete Eduard. Ich werde es mir zur beſondern Ehre rechnen, die Sachen, die dem größ- ten Künſtler unſeres Jahrhunderts angehören, unter mein wachſamſtes Auge zu ſtellen. In allen Angelenheiten haben Sie nur über Ihren unterthänigſten Diener zu befehlen. Der Maler zog den Hut ab und ging lachend die Treppe hinauf. Er hat doch Ambition, ſagte er zu ſich ſebſt, viel⸗ leicht kann noch etwas aus ihm werden. Oben war im ge⸗ räumigen Zimmer ſchon Alles zum Malen eingerichtet, das Fenſter auf die gehörige Art verhängt und die Staffelei auf⸗ geſtellt. Auch das junge Frauenzimmer erſchien, deſſen Por⸗ trait von dem geſchickten Künſtler gefertigt werden ſollte. Maria war nicht mehr in der erſten Jugend, aber ſchön und edel gebaut, ihr braunes Auge war ausdrucksvoll, ihr Lächeln reizend, und wenn ſie ſprach, war ihre Phyſiognomie an⸗ muthig belebt. Ihre Stellung im Hauſe des Fürſten war ſo unbeſtimmt, daß ſie ebenſowol für eine Freundin als

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Dienerin gelten konnte. Die Gemahlin Kavers, die Fürſtin Adelaide, war mit ihr in vertrauten Stunden wie mit einer Schweſter, und ſie würde das verſtändige Weſen auch in Ge⸗ ſellſchaft noch mehr ausgezeichnet und herzlicher behandelt ha⸗ ben, wenn manche der ſtolzen Verwandten nicht einen Anſtoß daran genommen hätten, wodurch der ſtille, leutſelige Fürſt, der gern mit aller Welt in Frieden lebte, veranlaßt wurde, ſeine Gemahlin zuweilen zu ermahnen, daß ſie ſich weniger hingeben und auf ihren Stand und ihre Stellung zur Welt mehr Rückſicht nehmen ſollte. Die Fürſtin fügte ſich nur ungern dieſen Einſchränkungen, weil ſie nicht bloß in der Einſamkeit des Zimmers oder auf dem Lande ihrem Herzen folgen wollte und ihre junge Freundin wirklich eben ſo ſehr achtete wie liebte. Genoß Maria dieſes Vorzuges, ſo traf es ſich auch wohl, daß ſie einer Demüthigung ausgeſetzt war, wenn der ſtolze Graf, der Schwager des Fürſten, ihr ein⸗ mal in den Zimmern begegnete, denn er gab ſich ganz die Miene, ſie als eine Kammerjungfer zu behandeln. So ward das Glück, welches die Arme in dieſem großen Hauſe genoß, ihr zuweilen auf empfindliche Art verkümmert.

Sie ſetzte ſich jetzt fo, wie es der Maler von ihr ver- langte, und indem das Licht auf das ſchöne volle Antlitz fiel, rief der Künſtler aus: O wenn doch ein Titian dieſes friſche, edel belebte Angeſicht jetzt auf die todte Leinwand hinfärben könnte! Meine Kunſt iſt viel zu ſchwach, dieſe Reize wieder⸗ holen und nachſchreiben zu können. Bedenke ich nun vollends, daß dieſes Bruſtbild wahrſcheinlich für einen entzückten Lieb⸗ haber und Bräutigam beſtimmt iſt, ſo möchte ich vollends verzweifeln.

Sie fangen mit Schmeicheln an, erwiederte Maria, wahrſcheinlich um mir ſo die beſte Stimmung zu erregen, wie Sie glauben, und mich zum freundlichſten Ausdruck zu

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zwingen. Indeſſen kann ich Sie verſichern, daß Ihre Vor⸗ ausſetzung eine falſche iſt, denn mein Bildniß iſt edlen Freunden beſtimmt, in deren Andenken ich gern fortleben möchte.

Die Fürſtin trat herein, um den Maler arbeiten zu ſehen und ihrer Freundin Geſellſchaft zu leiſten. Indem die beiden Frauen jo maleriſch neben einander ſaßen, konnte der prüfende Künſtler ſich nicht entſcheiden, welche er für die ſchönere halten ſollte. Das Angeſicht der Fürſtin war feiner und gleichſam durchſichtiger; die bläſſere, zartere Wange war nur mit einem leichten Roſenſchimmer wie überflogen; der Mund war unendlich lieblich und von einem beinah ſtehenden melancholiſchen Lächeln umſpielt. Das klare blaue Auge war von langen dunkeln Wimpern beſchattet, was dem durchdrin⸗ genden Blicke einen ſüßen Zauber gab. O wie glücklich würde ich ſeyn, rief der entzückte Maler aus, wenn ich dieſe beiden Geſtalten, ſo ſchweſterlich vereint, in dieſem lieblichen Contraſte, einmal zeichnen und malen dürfte!

Das könnte ſich ja wol fügen, erwiederte die Prinzeß; ich wünſche es ſelbſt, ſo im Bilde wie im Leben mit meiner holden Freundin verbunden zu ſeyn.

Maria küßte ihr die Hand, worüber der Maler unzu⸗ frieden war, welcher bat, bei dieſer erſten Sitzung die Stel⸗ lung nicht zu verändern. Jetzt trat auch der Fürſt mit leiſen bedächtigen Schritten in das Zimmer und lehnte ſich über den Stuhl feiner Gemahlin. Unſer Freund Reishelm, be- gann Adelaide, wünſcht, mich auf ein zweites Bild, ſo wie wir hier ſitzen, zu bringen. Wäre es Ihnen, Fürſt, nicht auch erfreulich?

Das blaſſe ernſte Geſicht Xavers verfinſterte ſich, indem er dieſem Vorſchlage nachſann. Kann ſeyn, ſagte er endlich mit zögerndem Ton, indem er die Hand von der Lehne des

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Stuhles zurückzog und ſich in einen Armſeſſel niederließ; es würde ſich artig ausnehmen, nur wäre es mir erfreulich, wenn Sie etwa dann Beide als Schäferinnen oder Gärtne⸗ rinnen gekleidet erſchienen. Das Allegoriſche oder Verblümte iſt immer unter ſolchen Umſtänden das Schicklichſte. Ein ſolches Gemälde erhält auch dadurch einen poetiſchen Werth, weil man es ſonſt, ohne derlei Zuthat, leicht für Familien⸗ bildniß nehmen könnte.

Maria wurde roth und die Fürſtin war verſtimmt. Der Maler, welcher die Verhältniſſe kannte, erzählte mit geläufiger Zunge einige Stadtneuigkeiten und ging dann zu luſtigen Anekdoten über. Von dieſen war der Fürſt, ob er gleich niemals lachte, ein großer Freund. Der Maler, der in der Stadt berühmt war, daß er das Talent beſitze, das Komiſche gut vorzutragen, und deſſen treffliches Gedächtniß eine Un⸗ zahl von Schwänken und Seltſamkeiten aufbewahrte, war auch deshalb vom Fürſten ſehr geliebt. So ſchwatzend und malend verging die Zeit, und das Geſicht Xavers, das von Natur einen finſtern Ausdruck hatte, wurde mit jeder Minute mehr erheitert.

Als der Maler anfing, von einem merkwürdigen Dieb⸗ ſtahl zu erzählen, der die Stadt ſeit einigen Tagen in Be⸗ wegung ſetzte, rief der Fürſt: Nein! Freund! ſprechen wir nicht von dergleichen Gegenſtänden. Seit, jetzt wird es et⸗ was über ein Jahr ſeyn, der koſtbare Schmuck meiner Ge⸗ mahlin auf ſo unbegreifliche Art entwendet wurde (ein Ver⸗ luſt, den ich immer noch nicht verſchmerzen kann), mag ich von ſolchen Geſchichten nichts mehr wiſſen und hören. Nicht allein, daß ein unſchätzbares Gut unſers Hauſes verloren gegangen iſt, habe ich auch den Verdruß erleben müſſen, daß man dem Uebelthäter niemals auf die Spur gerathen iſt.

Wir müſſen es vergeſſen, ſagte die Fürſtin, und ich

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habe mich deſſen ſchon ſeit lange entſchlagen. Auch ſchien es Ihnen, mein Gemahl, damals ſelbſt eine Gewiſſensſache, dem Raube zu gründlich nachzuforſchen.

Ja wohl, meine Geliebte, ſagte der Fürſt mit einem Seufzer; ich war dazumal in eine ſeltſame, mir jetzt unbe⸗ greifliche Gemüthsſtimmung verſetzt. Theils Ihre Bitten, theure Adelheid, da Sie bei Ihrer zu weichen Stimmung eine Entdeckung beinahe zu fürchten ſchienen, theils das Ein⸗ reden meines Beichtvaters, eines zu frommen Mannes, brach⸗ ten mich dahin, die Unterſuchung nach einiger Zeit fallen zu laſſen. An dieſem Schmuck, den ich von meiner Mutter erbte und den ich Ihnen bei unſrer Verlobung überreichte, nachdem er neu gefaßt war, an dieſen herrlichen Juwelen, die Ihre Schönheit noch glänzender heraushoben, hing mein menſchlich thörichtes Herz zu ſehr, und dies wollte mir nun eben jener fromme Mann zur Sünde machen. Er ſei mir, ſo legten wir es uns aus, entriſſen worden, daß er mich nicht noch mehr verſtricke und meine Seele dem Heil ent- fremde; auch ohne mein Nachforſchen würde jener Räuber und Sünder offenbar werden, und ich erhielte, wenn mein Gemüth ſich erſt geläutert und vom Irdiſchen mehr abge- zogen hätte, den Schmuck alsdann von ſelbſt zurück. Auch meine fromme Gemahlin beſtärkte mich in dieſer Anſicht, ſie, die in zu großer Weiche ſchon vor dem Gedanken zitterte, daß der Entwender geſtraft werden könne.

Die Sache hatte ſchon zu viel Aufſehen gemacht, ſagte Adelheid, und ich war erſt beruhigt, ſeitdem man ſie zu ver⸗ geſſen anfing.

Doch bin ich bei jedem großen Hoffeſte gekränkt, erwie⸗ derte Kader, wenn ich Sie in dem gewöhnlichen Schmucke ſehen muß; denn wahrlich, den vorigen verlorenen werde ich

252 Wunderlichkeiten.

niemals wieder auf irgend eine Weiſe erſetzen konnen. Er

war fürſtlich, königlich.

| Sehr wahr, antwortete Adelheid, W hat ihn mir auch manche Prinzeß beneidet. Es ſchimmerte wohl bei man⸗

chen hohen Damen eine kleine Schadenfreude durch die be⸗

trübte Miene, als ſie mit mir den Verluſt beklagen und mich

tröſten wollten.

Ein großer Mann trat jetzt mit einiger Heftigkeit durch die ſchnell aufgeriſſene Thür. Ah! mein lieber Bruder! rief die Fürſtin aus: ſo unerwartet ſchon von Deiner Reiſe zurück?

Ja, geliebte Schweſter, ſagte der Eintretende, indem er den Fürſten umarmte; ich höre, Du läſſeſt Dich malen, und ſtürme deshalb ſo ee herein. Er ſtellte ſich dem Maler zur Seite. Aber nein! rief er überraſcht; es iſt ja nur die Mamſell! Ei, die Jungfer laſſen ſich von unſerm trefflichen Reishelm portraitiren. Oder iſt es ein Studium, Profeſſor, welches Sie machen wollen? Auch an hübſchen Griſetten iſt immer etwas zu lernen.

Mein Bruder, ſagte die Fürſtin, Maria ſitzt dem Herrn, weil ich ſie darum erſucht habe; denn ich wünſche ihr Bildniß zu behalten, wenn ſie einmal unſer Haus ver⸗ laſſen ſollte.

Wie ſo? ſagte der Graf; geht ſie in einen andern Dienſt? Sollte ſie irgend eine Urſach haben, hier unzu⸗ frieden zu ſeyn?

Maria war abwechſelnd bald roth, bald blaß geworden.

Jetzt ſtürzten ihr die Thränen aus den Augen, und mit einem lauten Seufzer, der ihrem beklemmten Herzen Luft machen ſollte, ſtand ſie auf, verbeugte ſich, indem ſie zitterte, vor dem Fürſten und ging mit ſchwankenden Schritten in ein anderes Zimmer. Jetzt erhob ſich auch die Prinzeß und

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Wunderlichkeiten. 253

ſagte bloß zum Bruder, dem ſie einen bedeutenden Blick zu⸗ warf: Auf Wiederſehen! Der Maler legte die Palette in ſein Käſtchen und empfahl ſich. Unten im Thorwege rief er: Herr von Winter! Eduard guckte angekleidet ſchnell aus ſeinem Fenſter herunter und ſagte ſehr höflich: Ei! zu viele Ehre, mein gnädiger Herr und berühmteſter Kunſtpatron, ich werde Ihnen gleich das angekommene Packet überreichen. Nehmen Sie vielmehr dies Käſtchen, mein lieber Eduard, ſagte der Maler freundlich, und geben Sie beides meinem Bedienten, den ich ſenden will. Er lernt Manieren, fagte der junge Menſch, er fügt ſich und gewiß ſoll er mich, er mag wollen oder nicht, zu einem großen Maler machen.

Im Zimmer oben ſahen ſich Prinz Xaver und der Graf lange ſchweigend an. So iſt es alſo wahr? Es iſt dahin gekommen, daß man mich, mich, einem Dienſtboten auf⸗ opfert? Je älter meine Schweſter wird, je unwürdiger be⸗ handelt ſie mich. Und Sie dulden das?

Lieber Bruder, ſagte Prinz Xaver verlegen und ſtotternd, erlauben Sie mir, zu bemerken, daß Sie den Streit faſt gefliſſentlich aufſuchen. Meine Gemahlin achtet, liebt und verehrt Sie, wie es der Schweſter zum älteren Bruder ge- ziemt, Sie verlangen aber, daß ſie im Innern ihres Hauſes ſich nach Ihnen und Ihren Grundſätzen geniren ſoll. Sie verletzen ein Frauenzimmer, das von guter Fa⸗ milie iſt, wenn auch bürgerlich entſproſſen, welches Adelheid gern hat, ſie liebt und immer wie eine Freundin behandelt. Sie hat Ihnen ſchon in ſo weit nachgegeben, daß ſie dieſelbe allen größern, beſonders den förmlichen Geſellſchaften ent⸗ zieht, aber im eignen Hauſe und Zimmer darf ſie doch ver⸗ traut mit ihr umgehen.

Vertraut! das iſt es eben, rief der verſtimmte Graf. Hat meine Schweſter nicht Tanten und Couſinen? Drängen

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ſich nicht die Vornehmſten und Edelſten zu ihr? Sie darf nur wählen. Das iſt aber die neue Art und Weiſe, die immer mehr überhand zu nehmen droht, daß der Vornehme und Adelige ſich mit dem Bürgerlichen gemein macht: und dieſer dankt es jenem nicht, ſondern wird unverſchämt, und ſucht, wenn erſt eine Schranke überſtiegen iſt, alle zu über⸗ ſpringen. |

Sie mögen nicht Unrecht haben, Graf, antwortete der Prinz; ich kann aber gegen meine Gemahlin, die ich hoch verehren muß, nicht den Tyrannen ſpielen. Und, ich muß es ſelbſt geſtehen, iſt dieſe Marie nicht ſchön, wohlgeſittet, von feinem Betragen, mißbraucht ſie je die Güte und das Vertrauen meiner Gattin? Iſt ſie nicht beſcheiden, ſanft und verſtändig? Was können Sie nur gegen ſie haben?

Das mag Ihnen Alles ſo vorkommen, ſagte der Graf mit ſcharfem Ton, es mag ſich ſelbſt Alles ſo verhalten, aber ich kann ſie nicht leiden.

Sie können ſie nicht leiden? Aber Ihre Gründe?

Ich habe gar keine Gründe, aber ſie iſt mir unausſteh⸗ lich. |

Ei! ei! ſagte der Prinz und klopfte dem Schwager leiſe auf die Schulter, Sie ſind ſonſt kein Feind der ſchönen Mädchen, ſo wenig wie es Ihr Herr Vater war. Nicht?

Geſtehen Sie! Sie ſind von unſerm Mariechen wohl ein⸗

mal abgewieſen worden? Denn ſie hält ſtreng auf ihre Tugend.

Welche Gedanken! ſagte der Graf unwillig, und fühlte, wie eine leiſe Röthe über ſeine Wangen zog. Solch Miß⸗ trauen möchte mich faſt gegen Sie argwöhniſch machen. Er lachte auf gezwungene Weiſe. |

Herr Schwager! ſagte der Prinz kurz und heftig, in- dem das magere blaſſe Geſicht voller Runzeln war und

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Wunderlichkeiten. 255

die ſchwarzen Augen leuchteten: das kann unmöglich Ihr Ernſt ſeyn.

Bitte, bitte um Vergebung, ſagte der Graf faſt de⸗ müthig; ich vergaß in einem Augenblick, daß Ihre ſtreng geprüfte Tugend, Ihre wahre Frömmigkeit auch nicht den leiſeſten Scherz über dieſe Gegenſtände duldet. Ich bin ein armer Sünder gegen Sie und bekenne mich als ſolchen. Aber auf jene Marie zu kommen, glauben Sie mir nur, denn unmöglich kann mein Gefühl ſich ſo ſehr irren, daß Sie es Beide noch einmal bereuen werden, Ihre Güte und Ihr Vertrauen ſo weggeworfen zu haben. Dies braune Auge der Perſon, welches ſo Viele ſchön finden wollen, iſt mir unerträglich ſtechend und hinterliſtig; ich leſe Betrug und Lüge in dieſem dreiſten Blick, der ſich immer vergeblich be⸗ ſtrebt, ſcheu und ſittſam zu ſeyn. Dann ihre Art zu hor⸗ chen, aufzulauern; der höhniſche Mundwinkel dieſer etwas zu vollen Lippen, das eigne Naſenrümpfen, das ich noch bei keinem Menſchen in dieſer Art geſehen habe. Und am ärg⸗ ſten treibt ſie alles dies, wenn einmal die vornehmſten Per⸗ ſonen zugegen ſind. Sie erhält Briefe, Packete, kein Menſch weiß woher; fie verſchickt andere Sie fragen nicht, wo⸗ hin? Sie lebt wie eine Fürſtin in Ihrem Hauſe, ganz un⸗ abhängig, und Sie, und ſelbſt meine Schweſter dürfen nach ihren auswärtigen Verbindungen nicht einmal fragen. Schickt ſich das für ein abhängiges Weſen? Sehen Sie, Prinz, ſo hätte ich Ihnen bei alle dem Gründe genug angegeben, warum mir dieſe Perſon fatal iſt.

Nur ein Liebhaber oder ein Feind kann ſo ſcharf beob: achten, ſagte Xaver; doch bitte ich noch einmal, wie ich es ſchon öfter that, mäßigen Sie ſich, um Ihrer Schweſter Willen. Als ich vor ſechs Monden etwa, auf Ihr Anſuchen, mein Bruder, meiner Gemahlin vorſchlug, die arme Gräfin

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Betty, die entfernte Couſine, als Geſellſchafterin zu uns zu nehmen und Marien zu entlaſſen, da machte mir Adelheid eine Scene und eine Erſchütterung, wie ich ſie noch niemals erlebt habe. Darum ſtehen Sie ab von dieſer Verfolgung, denn Sie gewinnen damit nichts und kränken nur Ihre Schweſter. Es muß Ihnen, als einem erfahrenen Manne, ja auch einleuchten, daß Adelheid vielleicht ihre Marie nur um ſo mehr beſchützt, je mehr ſie von Ihnen und andern Verwandten verfolgt wird.

Kann ſeyn, brach der Graf kurz ab und entfernte ſich mit kalter Begrüßung. Der Prinz ging, um ſeine Gemahlin aufzuſuchen.

Dieſe war indeſſen in Sorgen um die ſchwer gekränkte Marie und ſuchte dieſe durch Liebkoſungen zu tröſten und zu beruhigen. Marie hatte es tief gefühlt, wie ſie ſagte, daß ihre Beſchützerin zu einer Nothlüge ihre Zuflucht habe neh⸗ men müſſen, daß ſie das Bildniß für ſich malen laſſe. Nein, ich muß fort, rief fie aus, je mehr Gnade, Güte, ja Freund⸗ ſchaft und Liebe Sie mir beweiſen, um ſo mehr muß ich mich gedemüthigt fühlen. Und ſoll ich den Zwiſt in Ihrer Fa⸗ milie begründen? Es muß doch einmal dahin kommen, daß ich aufgeopfert werde; alſo jetzt geſchehe es, je früher je beſ⸗ ſer, denn unmöglich können Sie ſich Ihrem leiblichen Bruder entziehen.

Trockne endlich Deine Thränen, ſagte die Fürſtin trö⸗ ſtend; Du ſiehſt, wie ich Dich liebe, wie mein Gemahl Dich achtet. Du ſelbſt ſagteſt, das Bild wäre für Freunde be⸗ ſtimmt; warum ſollen wir nicht dieſe ſeyn? Und ſo war meine Erklärung ja keine Nothlüge und Unwahrheit.

Von meiner Seite doch, gnädige Frau, rief Maria aus; ja! denn, meine angebetete Freundin, Sie müſſen es erfah⸗

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wWunderlichkeiten. 257

ren: ich bin ſo gut wie verſprochen und dieſes Bildniß war für meinen Geliebten beſtimmt.

Himmel! ſagte die Prinzeſſin, was muß ich hören? O Maria, das fällt mir ſchwer wie ein Stein auf das Herz. Du mir entriſſen? Du verheirathet? Sonderbar, daß ich dieſen Gedanken bis jetzt niemals habe denken können! Die Möglichkeit iſt mir nicht eingefallen. Aber, Liebſte, doch kein Unwürdiger? Keiner aus der armen und niedern Volks⸗ claſſe? Doch kein Roher aus den höhern Ständen? Wer? Sprich! meine Neugier wird bis zur Augſt geſteigert.

Als Zeichen Ihrer Gnade, ſagte Marie, als Beweis Ihrer Huld und Freundſchaft, beſchwöre ich Sie, Verehrteſte, gönnen Sie mir noch einige Tage mein Geheimniß. Wenn ich es entdecken darf, werden Sie gewiß meine Wahl billi⸗ gen. Nur, um des Himmels Willen, keinen Wink davon Ihrem Herrn Gemahl oder irgend einem Menſchen. Auf den Knieen möcht' ich Sie bitten.

Thörichtes Kind, ſagte die Fürſtin lächelnd, ich verſpreche Dir, weder zu forſchen, noch einem Andern davon zu ſagen. Aber, Dich verlieren bleibſt Du in dieſer Stadt?

Bitte! ſagte Marie mit flehender Geberde und die Für⸗ ſtin brach ſchnell ab, indem ihr Gemahl feierlich hereintrat. Dieſer näherte ſich Beiden und gab Marien die Hand, in⸗ dem er ſagte: Vertrauen Sie uns, liebe Marie, wir werden Sie ſchützen, es mag Ihnen zu nahe treten, wer es auch jei. Ja, geliebte Adelheid, ich habe fo eben Ihrem Bruder ſein Unrecht verwieſen, und ich hoffe, ich habe in Ihrem Sinne gehandelt. Er wird gewiß ein ander Mal vorſich⸗ tiger ſeyn, und deshalb, Marie, laſſen Sie allen Kummer fahren, denn Sie ſind in meinem Hauſe, meine Gemahlin ehrt und liebt Sie, und Sie ſtehen, als eine Perſon, die

Tieck's Novellen. IX. 17

258 Wunderlichkeiten.

unſer volles Zutrauen verdient, unter meinem unmittelbaren Schutze. | Marie wollte die dürre feine Hand in dankbarer Rüh⸗ rung an ihre Lippen drücken, welches der Prinz aber nicht zuließ, ſondern, faſt zärtlich ihre Finger ſtreichelnd, dieſe be⸗ trachtete, ihr dann die andere Hand, beinah wie ſegnend, auf das Haupt legte, ſich zierlich verbeugte und dann das Zim⸗ mer verließ, indem er ſeiner Gemahlin den Arm bot und ſie mit einiger Feierlichkeit in den en me Marie folgte ihnen nachdenkend.

In einer anſtändigeren Wohnung war jetzt die arme Witwe mit ihrer Tochter Henriette eingerichtet. Das Quar⸗ tier war geräumig, die Ausſicht auf die Gaſſe, und der alte Simon, der Schwager der Mutter, der ſie hier einlogirt hatte, war jetzt ein ganz anderer Mann geworden. Seit er die Summe in der Lotterie gewonnen hatte, durch welche er, nebſt ſeinem Erſparten, für einen wohlhabenden Mann gel⸗ ten konnte, war er eher zu freigebig, als daß er, wie man ihn früher dafür anſah, für einen Geizigen gelten konnte. Er hatte nicht nur ſeine Schwägerin und Nichte gut einge⸗ richtet, ſondern er hatte auch den Vater ſeines früh geſtor⸗ benen Stiefbruders, einen alten Müßiggänger und Tauge⸗ nichts, mit in die Genoſſenſchaſt aufgenommen. Dieſer ſon⸗ derbare Greis, der noch alle Geſinnungen ſeiner frühen Jugend wie eine Naturſeltenheit in ſich aufbewahrt hatte, war ein Schwätzer, Aufſchneider und höchſt ſonderbarer Mann, der, weil er ſchon alt und ſtumpf war, von den Mei⸗ ſten überſehen wurde. Simon und Walther waren ſchon mehrere Jahre alt, als ihre verwitwete Mutter ſich zum zweiten Mal mit dieſem ſchon damals bejahrten Emmrich

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verheirathete. Emmrich hatte aus voriger Ehe einen erwach⸗ ſenen Sohn, welcher, nach manchen Abentheuern davon ging und als Matroſe in ſeinen beſten Jahren ſtarb. Er ließ den Eduard als Kind zurück, deſſen ſich Simon und Walther annahmen. Sie ſtarb im Kindbett und Walther heirathete die Frau Irmgard, deren Tochter Henriette war. Dieſer Walther hatte erſt ſein Vermögen, dann das ſeiner Gattin, und nachher Alles, was ihm der gutherzige Simon geben wollte, verzehrt, um nach kurzer Friſt in das Ausland zu entweichen, wo er nach einigen Jahren ſtarb. Dieſer Emm⸗ rich, der Stiefvater Simons, war alſo jetzt auch Theilnehmer der neuerworbenen Wohlhabenheit, und obgleich er bis jetzt in ſeiner Verfinſterung als Bettler gelebt hatte, war er den⸗ noch nicht dankbar, oder fühlte ſich dem gutmüthigen Simon verpflichtet, der ihn ſeinem Jammer entriſſen hatte.

Menſchen, die viele Jahre hindurch Armuth und Elend ertragen haben, ſtehen ſelten mit denen, welchen ſie nachher Wohlthaten erzeigen, in genauer Rechnung. Darum wun⸗ derte ſich auch Simon gar nicht, als der ſteinalte leichtſinnige Emmrich ihn und Irmgard und Henriette ſo behandelte, als müſſe Alles ſo ſeyn; er nahm jetzt die Wohlhabenheit, an welcher man ihn Theil nehmen ließ, mit nicht mehr Dank⸗ barkeit auf, als ehemals den Groſchen, welchen man ihm aus Erbarmen ſchenkte.

Dieſe Verwandte waren jetzt verſammelt, und Emmrich, der auf einem Spaziergange geweſen war, trat zu ihnen. Nicht wahr, Simon, ſagte er, Ihr habt den jungen Eduard, meinen Enkel, Euern Neffen, verſtoßen und ihm obendrein Euern Fluch gegeben?

Ja wohl, ſagte der grollende Simon, weil er ver⸗ zeiht, Oheim Emmrich, ich wollte ſagen, weil er auf dem Wege iſt, ein Taugenichts zu werden.

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Sprecht es nur aus, mein guter, jugendlicher Simon, antwortete der kleine, magere und eisgraue Emmrich, ein Taugenichts, ſo wie ich; ein Taugenichts, ein Müßiggänger iſt noch gar nicht ſo ein ganz ſchlimmes Kraut; wenn wir zu Mördern, Brandſtiftern und dergleichen Geſellen hinauf⸗ ſteigen, kann er noch für einen leidlich tugendhaften Chriſten gelten. Nun alſo, unſer Eduard iſt uns aus der Lehre ge⸗ laufen, die wir ihn zu einem brauchbaren Menſchen machen wollten. Er will nicht nützen, er will phantaſiren, und das dürfen wir ihm freilich nicht geſtatten. Ihr wißt, ihr lieben jungen Kinder, daß ich in meiner Jugend auch die Malerei trieb. Ich trieb ſie mit ſolcher Gewalt, daß ſie immer wei⸗ ter, weiter und eiliger vor mir hinwegfloh, und ich war mit der Peitſche ſo eifrig hinter ihr drein, daß ſie meinem kurz⸗ ſichtigen Auge bald ſo weit entrückt war, daß ich jedes Vieh am Wege für ein ſogenanntes Ideal anſprach. Kurz, es gelang mir nur mittelmäßig, und ich konnte mich kaum mit einem Annibal Carracci oder Domenichino, ja nicht einmal mit einem Julio Romano in dieſelbe Reihe ſtellen. Darum gab ich das Ding auch ganz auf, und wurde nachher, was ich auch lange blieb, ein ächter Menſchenfreund, ein Tugend⸗ beförderer. Denn meine Kinder, was iſt der Menſch, der gar nicht arbeitet, nie etwas vor ſich bringt, weder ſpart, noch zu Rathe hält und doch nichts erwirbt, aber viel braucht, der alſo immerdar bitten und betteln, mahnen und borgen, lügen und heucheln muß, was iſt der anders, als ein ächter Tugendbeförderer, der das Mitleid, die Gutwilligkeit, Men⸗ ſchenfreundſchaft und Mildthätigkeit ſeiner Mitmenſchen im⸗ merdar in Thätigkeit ſetzt? Denn gäbe es gar keine Men⸗ ſchen, wie ich ſeit ſo vielen Jahren einer geweſen bin, woran fände denn das Mitleiden und die chriſtliche Liebe Gelegen⸗ heit, ſich zu üben? Ohne mich und meines Gleichen müßten

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die edelſten Tugenden gewiſſermaßen abſterben. Alſo ich wollte nur ſagen, weil ich eingeſehen, wie die Malerei das Unnützlichſte ſei, was ein junger Menſch nur treiben könnte, fo bin ich nicht ſaumfelig geweſen, und habe mir die Ehre gegeben, meinen Fluch für meinen Enkel und Euern Neffen und Vetter dem Deinigen, mein Freund Simon, noch beizu⸗ fügen. Aber was hilft es? Der große Mann, der reichſte, mächtigſte, der berühmte Prinz Xaver hat den Bengel ſeit vorgeſtern, als wir ihn aus dem Hauſe ſtießen, adoptirt oder an Kindesſtatt angenommen. Es ſoll keine Ausſicht ſeyn, daß der Prinz noch Kinder erzeugt, und ſo hat er denn un⸗ ſern Ungerathenen angenommen, ihn legitimirt, ſo daß in zehn oder zwölf Jahren der krausköpfige Bengel ein großer Fürſt ſeyn kann, ein Herr von Millionen, was freilich beſſer iſt, als ein ſchlechter Maler.

Sollt' es möglich ſeyn? rief Simon aus; alter Mann, Ihr bindet uns da wieder ein Mährchen auf, wie es wohl ſo Eure Art iſt.

Nein! rief der alte Emmrich, es iſt ſo, und wir leben ja in den Zeiten der Wunder. Gebt nur Acht, das Wort nmmöglich“ wird bald aus unſerer Sprache ganz und > ausgeſtrichen werden.

Aber, lieber Himmel, ſagte die Mutter Irmgard, ſo haben wir uns ſchlimm gebettet, daß wir ihm ſo unhöflich begegnet ſind damals, als er ſo übertrieben freundlich zu meiner Henriette that.

Freilich, ſagte der Großvater, denn er iſt doch immer euer Neffe und Vetter, und mir beſonders geht er näher an als euch, denn als ich damals mit Eurer Mutter, Simon, die mir Euch und den Walther ſchon ins Haus als Kinder brachte, mich verband, hatte ich ſchon längſt meinen nachher ertrunkenen Seekapitän erzeugt, und ſo blieb uns der Eduard,

262 Wunderlichkeiten.

der Nachkomme des großen Seehelden, und ich that für den Jungen auch Alles, was in meinen ſchwachen Kräften ſtand, ſo lange ich ſelbſt noch einen Groſchen im Vermögen hatte. Von mir hat er ja auch ſeinen Enthuſiasmus für die Ma⸗ lerei, der auch ſein Leben lang nicht von ihm loslaſſen wird. Aus Gefälligkeit für Euch, Simon, der Ihr mir nur zuge⸗ bracht, nur Stiefſohn ſeid, habe ich Euern Fluch noch mit dem meinigen verſtärkt, denn ich bin immer ein ſehr ge⸗ fälliger Charakter geweſen, und nun werde ich eben⸗ falls unſchuldigerweiſe wegen meiner Complaiſance zu leiden haben. I

Schwätzer und kein Ende! rief Simon ungeduldig aus; Eduard, der Windbeutel, vom Prinzen adoptirt! Ein Tauge⸗ nichts zum Prinzen gemacht! Nein, das iſt in der ganzen großen Weltgeſchichte noch niemals vorgekommen.

Aber, Mann! ſagte der Greis ganz entrüſtet; das ganze große Hotel von Xaver wird ja heut Abend mit tauſend und tauſend Lampen illuminirt, und über dem Thorweg, wo man hineinfährt und geht, über dieſem Portal brennt Eduards Namenszug in Brillantfeuer. Die ganze Stadt iſt auch ſchon aufgeregt und auf den Beinen; es wird ein fürchterliches Gedränge in dem Stadtviertel geben. Wenn nur nicht Men⸗ ſchen bei den vielen Equipagen zu Schaden kommen.

Henriette, ſagte die Mutter, ziehen wir uns ein wenig an, denn das müſſen wir Alles ſehen. Es wird ſchon finſter, und die Illumination muß nun ſchon fertig ſeyn. Himmel! wer hätte gedacht, daß in ſo kleiner Zeit mit unſrer Familie eine ſo große Veränderung vorgehen könnte.

Ja wohl, ſprach der greiſe Emmrich, nun kann er ſich ſelber eine Gemäldegallerie anlegen, anſtatt ein Maler zu ſeyn; nun kann er dem hochmüthigen Reishelm, dieſem Di⸗ rector der Akademie, ein Schnippchen ſchlagen, und der ga⸗

Wunderlichkeiten. 263

lante Allerweltskerl muß ihm die Hand küſſen, wenn unſer Eduard ſich von ihm malen läßt.

Simon nahm ſeinen großen Knotenſtock aus dem Winkel und ſetzte murrend den breitkrempigen runden Hut auf. Mich geht die Dummheit eigentlich nichts an, ſagte er, aber der Neugier halb will ich doch auch mitlaufen.

Die Frauenzimmer ſtanden ſchon wartend, und jo ver- ließen die vier Perſonen ihre Wohnung, welche Frau Irm⸗ gard, die ſo kürzlich erſt dem tiefſten Elend entriſſen war, immer noch mit Entzücken betrachtete. Sie ſtieg jetzt mit großer Selbſtgefälligkeit die breite bequeme Treppe hinunter. Auf der Gaſſe war Alles ruhig und die wenigen Menſchen, welche vorübergingen, wandelten langſamen Schrittes. In den Hauptſtraßen, vor den Kaffeehäuſern war Geräuſch, hier und da lebhaftes Geſpräch, aber nirgend war eine Aufregung der Neugier zu ſpüren. Simon ſchüttelte immerdar ſein großes Haupt und man ſah, wie in der Finſterniß ſein brei⸗ ter Hut ſich mißbilligend bewegte. Jetzt waren ſie dem Quartier, in welchem das mächtige Haus des Prinzen Xaver ſtand, ſchon ziemlich nahe; aber hier war die Stadt ſchon wieder ruhiger als in jenem belebteren Theile, und als man nun vor dem Palaſt ſelber ankam, war Alles ganz ſtill, die Fenſter waren nicht erleuchtet und nur ein einziges kleines, unmittelbar über dem Thorwege, die Loge des Portiers, ſchimmerte vou einem beſcheidenen Lichtlein erhellt. Als ſie nun da ſo einſam vor der breiten und langen ganz ver⸗ finſterten Maſſe des Gebäudes ſtanden, brach der mürriſche Simon in ein lautes boshaftes Gelächter aus. Nun, alter Emmrich? fragte er dann?

Es muß doch anders ſeyn, als ich es geglaubt habe, antwortete dieſer, denn wirklich machten ſie ſich vorher hier mit einigen Lampen zu thun. Es iſt aber auch möglich, daß

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nn ma nun

fie dieſe zu der Marionettenbude trugen, in der fie, dort im Winkelgäßchen, ſeit einigen Tagen ſpielen. Ich habe dem Principal ein Drama angeboten, das ſchon ſeit zehn Fahren in meinem Pulte liegt; der Narr meinte aber, die Zeiten wären ſeitdem ſo vorgeſchritten, daß eine ſo alte an nicht mehr gefallen könne.

Hansnarr! brummte Simon, und ſo wendete man um, um den Rückweg anzutreten, als der Thorweg des Prinzen ſich mit Geräuſch öffnete und eine ſchlanke Geſtalt ihnen eilig vorüberlief. Das war ja wohl Eduard? ſagte die Mutter Irmgard. Eduard ſtand ſtill, und als ſie näher kamen, ſagte er: Ei! da iſt ja die ganze hochlöbliche Com⸗ pagnie beiſammen. Wollt ihr mir nicht auch hier r öffent⸗ liche Straße verbieten?

Du wohnſt alſo doch hier? fragte Simon. Ich wohne, wo ich will, und thue, was ich kann, erwiederte Eduard, und von meiner ganzen verehrten Familie nehme ich nun künftig keine Notiz mehr. Das iſt das Neueſte vom Jahr. Mit dieſen Worten ſprang er fort.

Er muß doch was geworden ſeyn, ſagte die Mutter, ſonſt wäre er nicht ſo grob.

Ja wohl, ſagte Emmrich, er bringt es gewiß un weit; denn als ich geſtern bei dem Handelsmann einige eee einkaufte, traf ich einen alten Capitain im Laden. Der ver⸗ ſicherte, der Profeſſor Reishelm habe neulich bei Hofe, in Gegenwart aller Großen des Reiches, erklärt, ein ſolches Malertalent, wie das unſers Eduard, ſei ſeit Rafael 21 unſrer Welt nicht zum Vorſchein gekommen.

Geht es ſchon wieder los? ſchrie Simon und ſtampfte mit ſeinem großen Prügel auf das Steinpflaſter. Er ſtieß noch einen heftigen Fluch aus und eilte dann nach ſeiner

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Wohnung zurück, unbekümmert, wie früh oder ſpät ihm die Uebrigen nachfolgen würden.

Eduard rannte indeſſen durch viele Gaſſen, bis er vor das Haus kam, in welchem die Witwe Mühlen wohnte. Als er in das Zimmer trat, wo Friederike der Mutter und Schwe⸗ ſter eben aus einem unterhaltenden Buche vorlas, rief ſie ihm entgegen: Guten Abend, Titian!

Warum nennen Sie mich ſo? fragte der junge Mann.

Sie ſagten ja, antwortete das Mädchen ſchnippiſch, Sie würden gar nicht, oder nur als Titian Acne Es iſt aber ſchnell damit gegangen.

Und nur, wenn es ſchnell damit zugeht, ſagte Eduard lachend, kann es mir etwas nützen. Aber ich bin wenigſtens geadelt worden, denn der Reishelm hat mich ſchon Herr von Winter titulirt, ſo wird das Uebrige wohl bald nachfolgen.

Wie können Sie aber heut Ihren Poſten verlaſſen? fragte Frau Mühlen.

Alles im Hauſe iſt krank, ſagte Eduard, man will früh ſchlafen gehen, es iſt auch kein Beſuch- und Geſellſchaft⸗ Abend, und ſo ſitzt der alte vorige Portier, der jetzt eine Art von emeritirtem Kammerdiener vorſtellt, in meinem Thronſeſſel, bis ich wiederkomme. Er kann dort ſchlafen und träumen, denn heut wird er gewiß nicht geſtört werden, bis ich ſelber die Glocke ziehe. Das iſt ein curioſer und merk⸗ würdiger Mann, dieſer Elias; ſie ſagen nehmlich, er ſei ein⸗ mal, es wird ein Jahr her ſeyn, vergiftet worden.

Vergiftet? rief die erſtaunte Lucie aus: ei! das iſt ja ſo was, wie wir ſo eben in dem Roman da geleſen haben.

Es iſt eine weitläufige und verwickelte Geſchichte, fuhr Eduard fort. Ein Fremder hatte ein Geſchäft im Hauſe, die Fürſten gaben einen großen Ball, doch war die Gemah⸗ lin des Herrn unwohl, wie ſie es oft iſt, und tanzte nicht:

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Der Fremde kam zurück, fragte beim Portier nach etwas und nahm einen Brief wieder, den er ihm aufzuheben ge⸗ geben hatte. Die Dienerſchaft brachte dem Alten, weil es im Hauſe ſo luſtig herging, eine Flaſche köſtlichen Weins. Der fremde Menſch war herablaſſend, ſie tranken mit ein⸗ ander und waren guter Dinge. Am Morgen entſtand großer Lärm, denn es fehlte der koſtbare Juwelenſchmuck der Für⸗ ſtin, den ſie noch auf dem Ball getragen, dann ſelbſt in das Käſtchen gelegt und dieſes mit eigner Hand abgeſchloſſen hatte. Man dachte nun auf den Fremden; aber wie? Die Möglichkeit? Es war aber der Argwohn natürlich, denn der alte Portier war betäubt, ſchlaftrunken, er konnte ſich lange nicht erholen und iſt auch ſeitdem dumm geblieben. Von dem Fremden glaubte man nun, er müſſe ein vorneh⸗ mer Mann geweſen ſeyn. Nun wurde ins Unendliche hinein gefabelt und gelogen. Die nächſten Verwandten ſollten in den Diebſtahl verwickelt ſeyn, die Fürſtin ſelber einen Bru⸗ der, der ungeheuer im Spiel verloren, mit dem Schmuck ge⸗ rettet haben, und dergleichen mehr. Alles dies habe ich früher, und noch mehr ſeit ich im Hauſe wohne, von männ⸗ licher und weiblicher Dienerſchaft gehört. Bedenklich iſt es, daß die Unterſuchung, nachdem ſie kaum angefangen war, niedergeſchlagen wurde. Der alte Portier war ſo ſchlaf⸗ trunken geweſen, daß er ſich nicht erinnern konnte, wie lange jener Fremde bei ihm geweſen ſei, was er mit ihm geſpro⸗ chen, wann er fortgegangen. Das Wahrſcheinlichſte iſt, daß er dort blieb, dieſer Unbekannte, die abfahrenden Equipagen aus dem Thore ließ und daß er nachher, als Alles im Schlafe lag, auf unbegreifliche Weiſe Mittel gefunden hat, ſich jenen ſorgfältig verſchloſſenen Schmuck anzueignen. Nach der Beſchreibung des Portiers ſei jener Fremde ein feiner, ſchöner und gewiß vornehmer Mann geweſen.

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Wenn aber die Fürſtin, warf die kluge Friederike ein, irgend von dem ſcheinbaren Raube gewußt hätte, ſo waren ja dieſe überklugen und künſtlichen Anſtalten und das Be⸗ täuben des Thorwächters gar nicht nothwendig.

Sie haben Recht, Geliebte, ſagte Eduard aber was kümmern wir uns um dieſe Abſurditäten? Warum ſprechen wir nicht von unſerer Liebe? Sie ſehen wenigſtens, Müt⸗ terchen, welchen wichtigen Poſten man mir interimiſtiſch an⸗ vertraut hat, und welchen Mann der Prinz in mir ausge⸗ wählt hat, damit ein ſolcher Schabernack ihm nicht zum zweiten Mal paſſiren kann.

Zeichnen Sie auch fleißig? fragte Lucie.

Tag und Nacht, erwiederte Eduard, und ſeit ich an allen Anklopfenden die Phyſiognomik ſtudire, mache ich ganz unglaubliche Fortſchritte. So habe ich mich jetzt auf das Viehweſen gelegt; ich copirte erſt Viehſtücke, Hammel, Rind, Schwein, Gans, Ente ꝛc. nach den berühmteſten Meiſtern. Nun ging ich aber weiter und componirte frei und genial. Das heißt: ich ſetzte Menſch und Vieh künſtlich und ſo, daß es jeder kennen muß, zuſammen. Meinen Prinzen, den ernſt⸗ haften trübſinnigen Xaver, ſtellte ich in feiner Dürre als Windſpiel hin; wenn ſie das Bild ſtechen, wie es iſt, ſo muß jeder Menſch auf den erſten Blick meinen Mäcen er⸗ kennen. Die eine Kammerfrau bei uns ſteht als Ente da, und ein gewiſſes Fräulein Marie, die Geſellſchafterin der Fürſtin, als große ſchöne Cyperkatze; aus dem Grafen, dem Bruder der Prinzeß, habe ich einen kräftigen Bullenbeißer oder Schlächterhund gemacht und, um die Sammlung zu krönen, aus meinem Meiſter in der Malerei einen Seehund.

O pfui! Herr Winter! Wie können Sie ſich ſo ver⸗ gehen! rief die Frau Mühlen, beinahe weinend, aus. Wenn die Herren das nun erfahren ſollten.

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Still, Mütterchen! ſagte lachend der junge Menſch, das Genie muß ſich ungehemmt ſeine freie Bahn brechen. Dem Herrn Reishelm habe ich ſein Portrait ſelber hingeſchickt und deutlich darunter geſchrieben: Der Director der be mie, Herr Reishelm, als Seehund.

Ich falle in Ohnmacht, ſagte die Mutter.

Unnöthige Mühe, ſagte Eduard; der einſichtsvolle Mann hat mir einen verbindlichen Brief geſchrieben und mir ge⸗ ſagt, ich wäre ein verwünſcht geiſtreicher Spitzbube, die Sache ſei aber ſo hübſch gerathen, daß er nicht böſe werden könne; wenn ich das Blatt aber in den Kupferſtich gäbe, möchte ich wenigſtens ſeinen Namen nicht darunter ſetzen. Wenn della Porta und Lavater und viele einſichtige Män⸗ ner gepredigt haben, daß die Menſchen den Thieren ähnlich ſehen, ſoll denn der Künſtler nicht dieſe Ueberzeugung und Anſchauung in Thatſache verwandeln, um die nn populair und allgemein zu machen?

So verging der Abend unter mannigfaltigen Geſprächen, bis der Glockenſchlag den jungen Mann erinnerte, daß er ſich wieder auf ſeinen Poſten begeben müſſe.

Am folgenden Morgen hatte die Mutter die große Freude, daß ſie wieder einen Brief von ihrem Sohne aus ne empfing. Er lautete ſo:

„Ich weiß nicht, Geliebte, ob ich dieſen Brief noch bier; oder unterwegs endigen werde, denn es kann ſeyn, daß wir morgen, oder ſelbſt heute von hier abreiſen. Auf jeden Fall bin ich in weniger Zeit Ihrer Heimath näher, ja ich glaube vorherſehen zu können, daß ich Sie in acht oder zehn Tagen (wie glücklich ich!) an meine Bruſt drücken und, von Ihnen umarmt, Ihnen ſagen kann, wie ſehr ich Sie liebe.

Der Graf, deſſen Secretair ich bin, wie Sie wiſſen, iſt noch immer ganz Güte und Freundſchaft für mich. Außer

wunderlichkeiten. 269

jenem koſtbaren Ringe hat er mir noch eine Buſennadel mit einem großen Diamanten geſchenkt, deren Werth, wie man mir ſagt, noch den des Ringes weit übertreffen ſoll. Es iſt jetzt ſo ziemlich ausgemacht, daß ich mit ihm nach Portugal oder nach Italien reiſe. Das Letzte wäre mir noch lieber.

Jetzt habe ich denn auch verſchiedene Briefe für ihn ab⸗ ſchreiben müſſen, andere hat er mir dictirt; alle von ſehr wichtigem Inhalt. Er ſteht in Verbindung mit den aller⸗ vornehmſten Perſonen, und ich könnte Ihnen Manches er- zählen, wenn es nicht ſchändlich wäre, ſein Vertrauen ſo zu mißbrauchen. Sie verlangen dergleichen, das weiß ich, auch nicht von mir. Wenn wir aber in die Reſidenz zu Ihnen kommen, ſo wird mein edler Beſchützer und Freund (ich darf ihn wohl ſo nennen) auch Sie beſuchen, und Sie werden ihn perjönlich kennen lernen, denn er hat mir ſelbſt gejagt, er müſſe die würdige Frau ſehen, die einen ſo liebenswürdigen Sohn zur Welt gebracht und ihn ſo vortrefflich erzogen habe. Ich ſchreibe Ihnen das ſo einfach hin, weil er es mir ganz ſo, mit denſelben Worten geſagt hat. Und das iſt keine Ziererei bei ihm, wie es wohl bei ſo manchen andern Vor— nehmen oft der Fall iſt. Er beträgt ſich überhaupt gegen unſer eins ganz ſchlicht, wie ein Bürgerlicher, und hat nach⸗ her wieder gegen Große einen jo vornehmen, ſelbſt majeftä- tiſchen Anſtand, daß man ihn für einen Prinzen halten könnte.

Der hieſige Gouverneur, die Fürſten, Herzoge und Gra— fen hier ſind alle mit ihm verbunden und mehr oder minder ſeine Freunde. So hat man ſeinetwegen an den herrlichen Kaiſer, Joſeph den Zweiten, geſchrieben, in deſſen Dienſte er auch wohl treten wird. Denn dieſer Kaiſer iſt auch nicht wie die übrigen Potentaten, er weiß die Menſchen wohl zu unterſcheiden und brauchbare, aufgeklärte Männer auf ſolche

270 Wunderlichkeiten.

Poſten zu ſtellen, wo ſie ihm und der Welt am nützlichſten ſeyn können. Wenn der Kaiſer von Paris zurückkommt, wird ihm der Graf entgegenreiſen, um ſich ihm perſönlich vor⸗ zuſtellen.

Ueber die vielen Geſchäfte iſt nun das Studiren der ſpaniſchen Sprache etwas bei Seite gelegt. Ich habe ihm in dieſer Zeit auch nur ſelten etwas vorgeleſen, denn er iſt jetzt immer in Geſellſchaften, wo ſehr hoch geſpielt wird, und er erſt gegen Morgen nach Hauſe kommt. Er gewinnt faſt immer. Die Herrſchaften ſagen ihm nach, er ſei der groß⸗ müthigſte Spieler auf der Welt, und den Damen, die am lei⸗ denſchaftlichſten ſind, ſieht er immer durch die Finger. Das iſt in der großen Welt was Abſonderliches, daß ſo kleine Schelmereien oder Spitzbübereien nicht ſehr in Anſchlag kom⸗ men oder ſonderlich geachtet werden. Unbeſchreiblich reich muß mein Graf ſeyn, weil er das Geld, auch große Summen, ſo gar nicht achtet.

Wenn er erſt ſein hohes Amt bekommen hat, ſo iſt es ihm ein Leichtes, mir auch zu einer anſehnlichen Stelle zu verhelfen, von da ich denn leicht durch ſeinen Schutz von einer Staffel zur andern emporſteigen kann. Er hat es mir verboten, es irgend laut werden zu laſſen, daß ich eigentlich Theologie ſtudirt habe und eine Art von Geiſtlicher bin; er ſagt, das könne mir bei vielen Leuten ſchaden und bei mei⸗ nem Emporkommen hinderlich ſeyn, denn die meiſten Großen und Vornehmen affectirten zwar eine beſondere Ehrfurcht vor dem geiſtlichen Stande, als vor einem hohen und nothwen⸗ digen, achteten aber die Individuen, die ſich dieſem Berufe widmeten, in der Regel nur geringe, weil ſie meinen, daß bloß Armuth und dringende Noth die Menſchen zwingen könne, ſich dieſem Stande zu widmen, weil jeder irgend Wohlhabende lieber Juriſt und Mediciner würde. Das ſei

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Wunderlichkeiten. 271

freilich in der katholiſchen Kirche ein ganz anderes Ding, wo die reichen Abteien, Biſchofswürden, Cardinalſtellen und der⸗ gleichen die Leute lockten und Talente belohnten. Und ſelbſt in England ſtehe die Geiſtlichkeit in einem ganz andern An⸗ ſehen. Dieſe Redensarten gingen mir erſt ſehr empfindlich ein, aber ich wußte ihm doch auch nichts Reelles zu antwor⸗ ten. Denn, liebe Mutter, ſo demüthig ich auch von Hauſe aus bin, ſo beſcheiden ich ſeyn mag, ſo kriegt man in dieſen vornehmen Umgebungen doch auch nach und nach von dem Hochmuth dieſer Welt etwas ab. Ich werde es künftig die⸗ ſen Leuten nicht mehr ſo ſehr wie bisher übel nehmen, wenn ſie Bürgerliche oder Arme nur geringe achten, denn ich habe mich ſelber ſchon mehr als einmal auf dieſer Empfindung ertappt, der ich doch ſo gar nichts, und obenein ganz arm bin, meinen Ring und die Buſennadel abgerechnet.

Das ſeh' ich wohl, er will mich zu einem Diplomaten machen. Er meint, das ſei die Carriere, die meinen Talen⸗ ten gezieme. So würde ich denn vorerſt vielleicht bei ihm Attaché, oder zweiter Seeretair, dann fein wirklicher, nach- her kann mir, wenn ich mich eingearbeitet habe, der Titel als Legationsrath nicht entgehen; hat die Regierung zu mir Vertrauen, habe ich einige wichtige Sachen ausgearbeitet, mich ausgezeichnet, ſo gelingt es mir wol, wirklicher Ge⸗ ſandter zu werden, oder in den geheimen Rath zu kommen, wozu, um dies zu erlangen, ich mich aber vorher wahrſchein⸗ lich müßte adeln laſſen, und nachher dann noch Excellenz, Ordensband und große Sterne, nicht wahr? liebe Mut⸗ ter, das iſt denn doch ein weniges anders, als auf einem dürren unbekannten Dorfe oder in einem kleinen Neſt von Städtchen als Pfarrer zu ſitzen, und die Bauernjungen mit bloßen ſchmutzigen Füßen um ihn her ſtehend, die er zu Chriſten und Menſchen machen ſoll?

272 WunderlichFeiten.

Doch ich verfteige mich in Träume hinein, die aber doch nicht ganz der wahrſcheinlichen Erfüllung entbehren.“

Jetzt lachte Lucie laut auf und ſagte: Unſer Bruder Martin iſt ein hübſcher Narr geworden unter ſeinen verrückten Menſchen da.

Warum? fragte Friederike, wenn er Glück haben ſoll, wenn es ihm beſtimmt iſt, ſo kann alles dieſes ſehr wohl eintreffen. Durch Protection wird der Menſch Alles, ſelten nur etwas durch Talent und Verdienſte. Unſer Martin iſt vielleicht ein Glückskind, und ich habe immer geglaubt, er ſei für einen Prediger zu gut.

Sprich nicht ſo ſündlich! ſagte die Mutter, Frau Müh⸗ len, eifernd; das war immer mein Lieblingswunſch und meine ſchönſte Ausſicht, daß mein Martin einmal eine gute einträg⸗ liche Dorfpfarre in einer ſchönen Gegend erhielte und daß ich dann zu ihm ziehn und ſo in ländlicher Einſamkeit meine letzten Tage ruhig verleben könnte.

Auf einer Dorfpfarre? ſagte Friederike; in einer fernen Gegend, in einem kleinen Hauſe? Und wo bliebe dann Ihre ſchöne Bildergallerie? Und die wollten Sie auch niemals vermehren? 1

Die Mutter ſeufzte. Es läßt ſich freilich in unſern irdiſchen Verhältniſſen nicht Alles vereinigen. Vielleicht nähme der Staat meine Sammlung dann für eine große Summe an ſich, die uns auf immer aller Noth enthöbe und Martin und auch uns wohlhabend machte. Aber gut, daß Du mich erinnerſt. In der Nacht habe ich das beſtimmte Vorgefühl gehabt, daß ich in der Blaſien⸗Vorſtadt ein Bild finden werde, welches unſerer Sammlung noch fehlt. Dahin müſſen wir nachher ſogleich eilen, damit kein Anderer es vielleicht zufällig antrifft. Ich ahnde ſo was von Rubens;

wunderlichkeiten. 273

mich dünkt, es wird auch ziemlich groß ſeyn. Dann weiß ich aber wirklich noch gar nicht, wohin wir es placiren wollen.

Können nicht Bilder, ſagte Lucie, ebenſo wie Bücher, doppelt geſtellt werden?

Es wird wohl dahin kommen müſſen, antwortete die Mutter; aber wir wollen doch unſern Brief nicht ganz ver⸗ geſſen. Sie las weiter:

„Unſre Abreiſe von Brüſſel macht ſich noch ſchneller, als ich es vermuthet hatte, denn ich habe meine Sachen ſchon alle gepackt, die Bedienten ſind für den Grafen in eiligſter Thätigkeit geweſen, und wir fahren ſchon in dieſer Nacht. Ich ſchreibe, ſo lange ich ruhig bin, und ſende von einer andern Station meinen Brief ab. Wie geſagt, das unglückliche Spiel und die vornehmen Damen, und das ganze Unweſen, was mir ſchon immer ängſtlich war, hat uns denn auch den gehörigen Verdruß gemacht. Mein Herr lacht zwar nur darüber und ſpielt den ſtarken Geiſt; ich fühle es ihm aber doch an, daß er innerlich ganz erboßt iſt, und zwar auf ſich ſelber, und das auch nicht mit Unrecht.

Eine Herzogin, die ich nicht nennen will, hatte ihn mit ihrem Vertrauen beehrt. Ich will nicht ſagen, daß es irgend eine Liebesgeſchichte war, aber ſie waren Beide recht gute Freunde mitſammen. Dieſe Dame hat nun ungeheuer im Spiel ver⸗ loren, wovon mein Graf einen anſehnlichen Theil mag ge- wonnen haben; ſie macht ein großes Haus, ſie giebt Bälle und Diners kurz, ſie iſt hier in der allerhöchſten Stel⸗ lung. Dieſe Dame alſo läßt meinen Herrn erſuchen, zu ihr zu kommen, weil ſie ihm etwas zu entdecken habe. Wie er kommt, bekennt ſie ihm, halb mit Lachen, halb im Verdruß, ihre quälende Verlegenheit. Sie muß Geld haben, und zwar eine recht große, recht bedeutende Summe, und das im Augen⸗ blick; da iſt kein Aufſchub möglich, denn ſie muß an einen

Tieck's Novellen. IX. 18

274 wunderlichkeiten.

zudringlichen Prinzen eine Spielſchuld bezahlen. Sie ſagt dem Grafen, wie ſie ſich an moraliſirende Verwandte und grämelnde Oheims, die ihr ſchon immer ihren Lebenswandel vorgerückt hätten, nicht wenden könne, ſich mit Wucherern, wenigſtens unmittelbar, nicht einlaſſen wolle, um ihrem Cre⸗ dit und guten Namen nicht zu ſchaden; ſo habe ſie denn zu meinem Grafen ſchon ſeit lange ein unbedingtes Vertrauen, ſie übergebe ihr Wohl daher ſeinen Händen, er möge ihr die Summe eiligſt ſchaffen, wie und auf was für Art er wolle, und dafür beim Bankier oder reichen Juden einen Ring ver⸗ pfänden, deſſen Solitair allein, die umfaſſenden Steine ab⸗ gerechnet, jene Tauſende weit aufwiege, die ſie in dieſem Moment nöthig habe. Mein galanter Graf küßt die ſchöne Hand, ſagt, ſein eignes ganzes Vermögen ſtehe zu ihrem Befehl, es brauche keiner Vermittlung, denn er ſei ſelbſt glücklicherweiſe ſo gut verſehen, daß er dieſe Summe entbeh⸗ ren könne. Die Herzogin möge alſo die Gnade haben, ihn ſelbſt als ihren Bankier oder Hofjuden anzuſehen, und er wolle ſich nur darin auszeichnen, daß er ihr keine Zinſen anrechne, auch das koſtbare Unterpfand niemals annehmen wolle, weil ihr Wort ihm genüge, und dieſer Dienſt, den er ihr leiſten könne, ihn glücklich mache. Nicht wahr, liebe Mutter, recht nobel, und ganz wie ein Cavalier? Sie aber, die Herzogin, erkennt mit Dank und Rührung ſeinen Edelmuth, ſie will aber auch im hohen Sinne nicht zurück⸗ bleiben, und zwingt ihm den Stein auf, den er endlich an⸗ nehmen muß. So weit iſt nun Alles recht ſchön und gut, und ich mußte mich mit dem Herrn freuen, als er mir dias Sache in ſeinem Entzücken erzählte.

Der Teufel läßt ſich aber das Spiel nicht immer ganz verderben. Hüte man ſich, wenn man ſo eben recht tugend⸗ haft, großmüthig und edel gehandelt hat, daß irgend ein

Wunderlichkeiten. 275

böſer Geiſt uns nicht beim Ohrläppchen erwiſcht und ſo lange kneift, bis wir uns erinnern, daß wir nur arme, ſchwache, elende ſterbliche Menſchen ſind. Der Graf konnte nicht müde werden, den großen herrlichen Stein in ſeinem ver⸗ pfändeten Ringe zu betrachten. Ob er gleich ſelbſt ſehr ſchöne Juwelen hat, ſo verdunkelte dieſer Ring doch Alles, was er irgend nur beſitzt. Am Abend iſt großer Ball beim Ge⸗ ſandten, welcher durchreiſet; die ganze vornehme Welt iſt eingeladen, und der Graf auch. So wie er in den Wagen ſteigen will, kehrt er noch einmal um, ſo prickelte ihn der Satan, geht an ſein Pult, holt das Käſtchen heraus und ſteckt richtig den großen glänzenden Stein an ſeinen Finger.

Immer drängen ſich Herren und Damen an ihn, es kann nicht fehlen, der Ring wird bemerkt. So etwas Rei⸗ ches, ja Einziges hat man noch niemals an ſeiner Hand ge— ſehen, man fragt, will ſich unterrichten, er aber ſchweigt und ſpielt den Geheimnißvollen. Galt er ſchon für ſehr reich, erhöht dies Kleinod noch die vorgefaßte Meinung. Es ſind aber auch einige Damen und Herren zugegen, die den Ring kennen. Einige necken ihn boshaft, als wenn er der begün⸗ ſtigte Liebhaber, wohl gar der künftige Gemahl der ſchönen Witwe ſei; wieder halbe Antworten und Drittel-Verneinun- gen; der eine Vetter der Dame will aber direkten Aufſchluß haben, und mein Herr mochte es nun wohl ſchon bereuen, daß er ſeiner ganz thörichten Eitelkeit ſo nachgegeben hatte. Noch ſchlimmer aber, die Herzogin ſelbſt, die erſt nicht hatte kom⸗ men wollen, neigt ſich ihm plötzlich über die Schultern, um den Gegenſtand des Disputs kennen zu lernen, und was ihr zuerſt in die Augen fällt, iſt ihr Ring. Sie ſagt empfind⸗ liche Worte, der Graf will und kann nicht antworten, er iſt verlegen, bittet um Vergebung und entfernt ſich ſchnell. So kam er zu mir, außer ſich, ohne alle Faſſung, denn er ſah

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276 wWunderlichkeiten.

wohl ein, wohin das führen müſſe. Schon am frühen Mor⸗ gen kam der Haushofmeiſter der Herzogin und brachte die geliehene Summe, indem er ohne alle Höflichkeit den anver⸗ trauten Ring zurückforderte. Der barſche Mann erklärte auch, er habe den Auftrag, mündlich zu ſagen, da man nicht wiſſen könne, wie ſelbſt ein kleines Billet durch Indiseretion gemißbraucht werden könne, wie ſich die Herzogin nicht nur jeden Beſuch in Zukunft verbitte, ſondern auch ſtreben würde, den Credit des Herrn Grafen und das Vertrauen, welches man ihm geſchenkt habe, in allen Cirkeln, welche ſie beſuche, zu untergraben und zu vernichten. Sie ſage ihm dies jetzt eben fo unverholen, wie fie ihn bis dahin Dee und mit dem beſten Willen beſchützt habe.

Als ſich der Mann entfernt hatte, ging mein Graf lange im Zimmer auf und ab, indem er ſich mit der flachen Hand heftige Schläge an die Stirn gab, ſo daß der Puder der Friſur in Wolken weithin in den Saal flog. Dabei rief er immer mit der größten Erbitterung aus: Dumm⸗ kopf! Dummkopf! Sage ſelbſt, Martin, ſo redete er mich nach einer Weile an, habe ich mich nicht wie ein Menſch betragen, der gar noch nicht in der großen Welt gelebt hat?

Er ſchickte mich aus, und als ich wiederkam, that er, als wenn gar nichts vorgefallen wäre; er lachte über ſich und nannte den Vorfall eine ordinaire Betife. Aber es wurmt ihn, das iſt nur allzuklar, und wir reiſen mit dem Abend. Er ſagt mir aber nicht, wohin. Ich fürchte nur, dieſe Albernheit wird ſeinem und meinem Schickſale einen fatalen Stoß verſetzen, denn ſein Credit leidet gewiß durch den einfältigen Streich.

Wir ſind nun hier auf dem Wege zu Ihnen, und ich bin ſehr verdrüßlich, daß ich nicht zu Ihnen habe fliegen können, da ich hier in einem kleinen Neſte träge und ohne

wunderlichkeiten. 277

Beſchäftigung wie ohne Zeitvertreib fige, um meinen Grafen zu erwarten, der mit der größten Eile vorangereiſt iſt, um ſich dem Kaiſer Joſeph vorzuſtellen. Ob er ſeinen Zweck er⸗ reicht? Ich zittre, wenn mich der Zweifel übermannt, denn ob er gleich für mich ſorgen wird, ſo weiß ich doch, da ich in ſeinem Vertrauen bin, daß er ganz unglückſelig ſeyn wird, wenn er eine abſchlägige Antwort erhalten ſollte. Er hat nun einmal ſein Augenmerk und auch ſein Herz auf dieſen Staatsdienſt gerichtet, und am heilſamſten wäre ihm ein Ge⸗ ſandtſchaftspoſten. Ich denke immer, er ſetzt es durch, denn ſeine Empfehlungen ſind gar zu gut, auch empfiehlt er ſich ſelbſt durch ſeine Perſon am allerbeſten; die kürzlich began⸗ gene Dummheit wird ja auch nicht gleich auf den Flügeln der Winde in alle Welttheile getragen werden.

Ich lerne jetzt das Portugieſiſche mit aller Macht, da doch immer die Wahrſcheinlichkeit vorherrſcht, daß man ihn dahin ſenden wird. Das iſt eine curioſe Sprache, die mir noch immer ſo kindiſch vorkommt. Menſchen, die das R wohllautender als das L finden, welches ſie beinah ganz aus ihrer Sprache verbannt haben, ſind mir ganz unbegreiflich. Freilich jagt man, daß fie das R auch faſt gar nicht aus⸗ ſprechen, wie ſie es auch beinah ebenſo mit dem N machen. So verſchluckt der Portugieſe faſt Alles, und ſpricht und ſeufzt mehr innerlich, als daß er Mund und Lippen die Sil⸗ ben austönen läßt. Die meiſte Beſchäftigung hat noch die Naſe, weit mehr als ſelbſt im Franzöſiſchen. Das klingt freilich wie Ferkel und Saugeſchweinchen. Aber mein Graf iſt ganz vernarrt in dieſe allzuweiche Sprache. Nach dem Spaniſchen, das, die X und J und G abgerechnet, ſo voll lautet, iſt ſie mir beſonders widerwärtig. Die Spanier und Portugieſen haben ſich auch niemals leiden können, was ich ſehr begreiflich finde.

278 wunderlichkeiten.

Hier habe ich einen alteu Edelmann zufällig auf dem Kaffeehauſe kennen lernen. Es iſt ein Baron von Flinter. Herzensgut, aber ganz einfältig. Er iſt auf das Schachſpiel ganz verſeſſen, und weil ich zufällig der Einzige hier war, der damit etwas Beſcheid weiß, ſo machte ich ſeine Partie. Ich ſpiele nicht ſonderlich, das wißt Ihr noch von alten Zei⸗ ten her, aber dieſem Herrn gegenüber konnte ich für einen außerordentlichen Virtuoſen gelten. So ſchlecht er ſpielt, fo zieht er es ſich doch ſehr zu Gemüthe, wenn er verliert, und ſo war er dem Weinen ganz nahe, als ich ihn nach unge⸗ fähr zwanzig Zügen matt geſetzt hatte. Die Umſtehenden erſtaunten über meine ungeheure Virtuoſität in dieſem ſchwe⸗ ren philoſophiſchen Spiel, wie ſie es nannten. Bis ich mit ihm hier geſpielt habe, hat er immerdar gewonnen und galt für unüberwindlich. Ich weiß nicht, was das für Stümper geweſen ſeyn müſſen, die ſich vorher bei ihm für Schach⸗ ſpieler ausgegeben haben. Wie ich nun ſeine Schwachheit kennen gelernt hatte, ließ ich den guten Mann immer ge⸗ winnen. Er merkt es nicht, daß ich vorſätzlich ſchlecht ſpiele, und iſt ganz entzückt über ſein großes Ingenium. Zugleich aber hat er mich in Affektion genommen und beſtürmt mich wahrhaft mit einer recht zärtlichen Liebe. Er ſchwört, daß er noch niemals einen Freund gehabt, mit dem er ſo innigſt ſympathiſiren könne. Er ſagt allenthalben, daß ich der größte Gelehrte und angenehmſte Geſellſchafter ſei. Der Mann iſt reich und gutmüthig, er beſitzt in dieſer Landſchaft hier die ſchönſten und einträglichſten Güter. Ich weiß nicht, wie ich mich in ſo weit im vertrauten Geſpräch verſchnappt habe, da mein Graf es mir doch ſo ſtrenge verboten, daß ich mich verlauten laſſen, ich ſei eigentlich ein Candidat der Theolo⸗ gie, der alle ſeine Examina ſchon überſtanden habe. In der Stube ſprang der alte Baron herum und tanzte und ſang

wunderlichkeiten. 279

vor Freuden. Ich müſſe ſein Paſtor werden, das ſchwor er hoch und theuer, der jetzige Seelſorger ſei ſchon alt und ſteif, und werde froh ſeyn, wenn er auf mäßige Penſion geſetzt werde. Ich bin ein reicher Mann, rief der Baron in ſeiner Extaſe aus, es kommt mir auf ein paar hundert Thaler nicht an, und der alte Narr ſoll es durch meine Verpflegung nachher recht gut haben. Aber die Wonne, junger Freund! mit Ihnen zu converſiren, mit einem ſolchen Meiſter Schach zu ſpielen! Er berechnete mir, daß die Pfarre, weil ein nahes, ſehr großes Filial dazu gehöre, ſich auf funfzehnhun⸗ dert Thaler belaufe, die Wohnung natürlich und das freie Holz nicht einmal eingerechnet; was in einer fo wohlfeilen Gegend, wie die hieſige es iſt, ſehr viel ſagen will. Er ließ mir auch keine Ruhe, ich mußte mit ihm auf ſein herrliches Gut hinausfahren und Alles ſelber in Augenſchein nehmen. Er hat keine Kinder, iſt aber noch ſtark und rüſtig, ſo daß er noch lange leben kann, ja, es iſt die Frage, ob er nicht noch heirathet, um allen ſeinen habgierigen Vettern einen Strich durch die Rechnung zu machen. Ich fand an Ort und Stelle, daß er gar nicht übertrieben hatte, der Einkünfte ſind eher mehr als weniger, das Pfarrhaus ſo geräumig, groß, ja elegant, wie man es nicht leicht anderswo finden wird. Das Filial iſt nur einen Spaziergang weit entfernt, und der Pfarrer hat ſo viel, daß er auch Wagen und Pferde halten kann. Und liebe Mutter der Pfarrer hat eine Nichte, Annchen geheißen nun, ich will nicht beſchrei⸗ ben, ich will meine lieben Schweſtern nicht böſe machen, aber ich habe in meinem Leben noch nichts ſo Anmuthiges geſehen. Sie iſt noch ſehr jung, und wie der Baron und der alte Prieſter fie immerdar neckten und mich ihr als ihren Zus künftigen vorſtellten, ſah und merkte ich es wohl, daß ich dem kleinen allerliebſten Weſen, dem holdſeligen Kinde als

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nicht uneben erſchien, daß ihr meine Erſcheinung auch eine erfreuliche war. Der Baron drang auf meinen Entſchluß, die andere Woche, übermorgen, morgen könne ich in die Pfarre einziehen, er, der Baron, mein enthuſiaſtiſcher Gönner, habe das unbeſchränkte Patronat, ich ſolle nur Ja ſagen, ſo habe ich in Händen, wonach Hunderte vergeblich ausſehen.“

Hier ließ die Mutter die Hand mit dem Briefe in den Schooß ſinken. Himmel! rief ſie gerührt aus, wenn der gute liebe Martin doch dieſen Vorſchlag annehmen wollte; das iſt ja, als wenn ein Menſch das große Loos in der Lotterie gewinnt. Konnt' ich mir jemals früherhin etwas ſo Glückſeliges für ihn träumen? Ach! wenn er dieſe herrliche Verſorgung doch angenommen hätte. Ich fürchte immer, alles Andere ſind doch nur Hirngeſpinnſte.

Sie ſammelte ſich und las weiter: „Nicht wahr? Alles das war anlockend genug? Wo blieben aber die Orden, die Sterne, die Excellenzen und das Reiſen in fremde weit⸗ entlegene Länder hinein? Auch muß ich bedenken, daß der wunderliche Baron deshalb ſo freigebig gegen mich war, weil er mich mit meinem Grafen in ſo prächtiger Equipage hatte ankommen ſehen, weil er wußte, daß ich der Seeretair des angeſehenen Herrn war und die ganze Welt mir zu Ehren und Würden offen ſtände. Wäre ich als ſuppliciren⸗ der Candidat hier angelangt, ſo würde mein Patron wohl eine ganz andere Sprache gegen mich geführt haben. Kurz, ich ſchlug es ihm rund ab, ein für allemal, was ihn herz⸗ innigſt kränkte und auch die kleine Annchen ſo betrübte, daß ſie ſtill fortging und ich ſie nachher nicht aasee habe. /

Verrückt iſt Bruder Martin! rief jetzt die lebhafte Sucie aus; völlig ausgetauſcht ift er. Nun geben Sie Acht, Mut⸗

wunderlichkeiten. 281

ter, wenn wir ihn einmal wiederſehen, iſt er ein Dummerjan geworden. Da bringen ſie ihm das ſchönſte Erdenglück wie auf einer filberen Schüſſel entgegen, er dankt aber und wen⸗ det ſich von dem Gerichte ab, als wenn es ihm Ekel er⸗ regte. Das wird der Himmel nicht ungeſtraft laſſen.

Jetzt zum Schluß des Briefes, ſagte die Mutter ſeuf⸗ zend. Sie las: „Der Graf iſt froh und glücklich zurückgekommen. Der Kaiſer iſt ihm ſo huldreich geweſen, daß es ſeine kühnſten Erwartungen übertroffen hat. Er iſt zum Geſandten nach Portugal deſignirt. Gleich ließ der neue Geſandte ſeinen ganzen Haushalt zuſammenkommen und ſtellte mich ihnen Allen als ſeinen wirklichen Geſand⸗ ſchafts⸗Secretair vor, denn auch dieſe Gnade, mich zu die⸗ ſem Poſten ernennen zu dürfen, iſt ihm vom Kaiſer gewährt. Nun, liebſte Mutter, werden wir ſehr bald in Ihren Mauern ſeyn und ich werde auf einige Jahre von Ihnen und meinen guten Schweſtern Abſchied nehmen. Von meiner Vaterſtadt reiſen wir nach Wien, wo ſich mein Geſandter von dem großen Kaiſer noch einmal perſönlich beurlauben will. Bei dieſer Gelegenheit werde ich ihm auch wohl vorgeſtellt, und ich bin dann ſo glücklich, dem größten Mann des Jahrhun⸗ derts in die hellblauen Augen zu ſchauen. Wo bleibt gegen dieſen doch Friedrich der Große von Preußen, der nun ſchon anfängt alt zu werden? Wo bleibt vollends der hieſige Fürſt, das gute Männchen, der es gut meint, aber mir faſt ſo vor⸗ kommt wie mein Protector und ſchachſpielender Freund, der wunderliche Baron. Nein, die Bedienten des Hauſes nennen mich jetzt ſchon Herr von, und zeigen ſubmiſſe Devotion, ich trete in die große Welt, ich werde mit Fürſtlichkeiten ver⸗ traut umgehen, ich lerne die ächte Politik kennen, ſehe die Fäden und helfe an ihnen ziehen und lenken, wodurch die Begebenheiten der Welt hervorgebracht werden. Für das

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kleine, enge, häusliche Glück bin ich nun für immerdar ver⸗ dorben und verloren. Ja, meine Lieben, die Empfindung könnt Ihr freilich nicht begreifen, wenn ſich uns die weite, große, unendliche Welt eröffnet. Hier treten, ſo wie andere Pflichten, ſo auch andere Tugenden auf uns zu und nehmen uns in Anſpruch. So iſt denn die Galeere flott gemacht, ſegle ſie nun mit glücklichem Wind und aufgeſpannten Se⸗ geln, wohin ihr Cours gerichtet iſt. Leben Sie wohl, Mut⸗ ter, ich küſſe die Hand; meine herzlichen Grüße den * ſtern. Martin.]

So iſt er nun doch ſchon, gegen alles Verhoffen, Lega⸗ tionsſecretär, ſagte Friederike. Und wie ihm dies gelang, ſo wird er auch Legationsrath und nachher Miniſter werden.

Still, Kinder, ſagte die Mutter, hier iſt noch eine kleine Nachſchrift: „Iſt es nicht traurig, daß der herrliche Kai⸗ ſer Joſeph dort in den Niederlanden ſo allgemein verhaßt iſt? Wie ſoll es ein Herrſcher dem verwirrten Menſchen⸗ volke nur recht machen? Läßt er Alles beim Alten, ſo mau⸗ len ſie, macht er nützliche Aenderungen, ſo klagen ſie, und ſucht er gar die Inſtitutionen zu erneuen, den Geiſt zu wecken, Alles in raſche Bewegung zu bringen, ſo werden ſie wüthend und raſen nach Gelegenheit gegen ihr eignes Fleiſch. Die babyloniſche Confuſion iſt allenthalben ausgeſäet und wird wohl bei warmem Wetter in die Höhe ſchießen. Darum nach Portugal, wo das vorige Jahrhundert bis jetzt noch ſo hübſch ſtehen geblieben iſt.

Ich habe mir auch ganz neue und ſchöne Kleider ma⸗ chen laſſen. Der Graf giebt mir ein recht anſehnliches Ge⸗ halt. Ich lebe wie ein Baron.“

Nach dieſen frohen Nachrichten war die Frau Mühlen um ſo mehr begeiſtert, jenes Gemälde aufzuſuchen, von wel⸗ chem ihr die Vorahndung geſagt hatte. Friederike, auch von

Wunderlichkeiten. 283

neuem ermuntert, begleitete ſie, wie es immer bei dieſen abentheuerlichen Zügen geſchah. Der innere Geiſt meldete fi) nicht, bis fie in der Blaſien⸗Vorſtadt ſich vor einem mittelmäßigen Hauſe befanden. Ein Mann ſtand in der Thür deſſelben, der in allerhand Papieren kramte, die er zu ordnen ſchien. Die Mutter fragte, ob er in das Haus ge⸗ höre und ob hier vielleicht Bilder anzutreffen wären. Bil⸗ der? antwortete der unanſehnliche Mann; hier ſind welche, aber ſie ſollen erſt in Kupferſtich gebracht werden. Rare Sachen! Er zeigte einige Blätter vor und die alte Frau bemerkte mit Erſchrecken, daß es diejenigen ſeyn müßten, von denen ihnen der leichtſinnige Eduard geſprochen hatte. Sie entſetzte ſich, als ſie ſah, daß unter jedem Bilde ein Name ſtand und der Haupttitel der Sammlung lautete: Viehbeſtand der Reſidenz, oder vornehme Menagerie der großen Welt. In einem Anhang fand ſie ſich ſelber, mit der Unterſchrift: Frau Mühlen, als Kaffeekanne.

Zitternd gab ſie dem Alten die Blätter zurück und ſagte, als dieſer ſich entfernt hatte: Der Menſch iſt ein Pasquillant geworden. Im Hofe kam ihr ein kleiner Mann entgegen, den ſie ebenfalls befragte, ob ſie das Haus beſehen könne und ob es vielleicht Gemälde enthalte.

Bis auf wenige Zimmer ſteht das Haus leer, erwiederte der Alte, und der Beſitzer wünſcht ſo bald wie möglich zu vermiethen. Wollen Sie aber bei dem Schneidermeiſter ein- treten, jo will ich erſt bei dem ſerupulöſen Manne anfragen und Sie anmelden.

Er ging und Friederike war auf ihren anmaßlichen Liebhaber ſo böſe, daß ſie die Thränen nicht zurückhalten

konnte. Er iſt ein Böſewicht! rief ſie aus und ſtampfte mit dem kleinen Fuße. Der alte Mann kam zurück und führte fie behutſam in die ſtille Familie des gewiſſenhaften Schnei⸗

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284 wWunderlichkeiten.

dermeiſters hinein. Alle, der Mann ſowie Frau und Töch⸗ ter und Geſellen, waren in Arbeit. Als man ſich begrüßt hatte, ſah die Mühlen an allen Wänden umher, ob ſie ein Bild entdecken könne, es zeigte ſich aber nichts, worauf fie ſich die Erlaubniß erbat, auch die Schlafkammer beſichtigen zu dürfen. Bilder ſuchen Sie, ſagte der blaſſe Meiſter, in⸗ dem er von ſeinem Arbeitstiſche aufſtand; was denken Sie auch, Sie alte gute Frau? Mit des Teufels Blendwerken, mit dem Sündenſchund ſollte ich meine weißen unſchuldigen Wände behängen? Ich bin ſo ſtrenge, daß ſich auch nicht einmal in unſern Andachtsbüchern eine Zeichnung oder Kreu⸗ zigung und dergleichen befinden darf, denn alle dieſe Sinnen⸗ täuſchung lockt uns nur ab vom einzig richtigen Wege und macht die enge Pforte, durch die wir eingehen ſollen, immer enger. Wehe Dem, durch welchen Aergerniß kommt! Ken⸗ nen Sie den Spruch? Durch dieſe Sudler aber wird ſie hauptſächlich in die Welt gebracht.

Frau Mühlen empfahl ſich dem Aeg Manne und fragte ihren Begleiter, ob wirklich ſonſt nichts im Hauſe ſei. Auf meine Ehre, erwiederte der Alte, Sie finden in allen Stuben nichts als die leeren weißen Wände.

Das iſt das erſte Mal, ſagte die Mutter, daß ich ſo bin getäuſcht worden. Hätte ich doch darauf ſchwören wol⸗ len, daß ich hier im Hauſe einen Rubens antreffen würde.

Gewiß! rief der Alte aus, der iſt auch hier, da ganz weit ab im Hofe, im Hintergebäude, die Stube geht nach dem Waſſer hinaus.

O bringen Sie uns gleich hin! rief die Mutter.

Er iſt jetzt nicht zu Hauſe, ſagte der Greis, Sie haben ihn eben vorher hier auf dieſer Stelle geſprochen. Er han⸗ delt mit allerhand, auch manchmal mit Bildern. Der heißt Ruben; er ſoll ein Jude ſeyn, oder wenigſtens ſonſt den

Wunderlichkeiten. 285

Glauben bekannt haben. Wenn er aber auch ein Chriſt ge⸗ worden iſt, ſo iſt er doch ein Schelm und Taugenichts ge⸗ blieben. Er lügt abſcheulich und hat immer mit verdächtigem Volke zu thun. Ich dachte ſchon, Sie wollten vorher auch einen Handel mit ihm treffen. Nach Gemälden ſuchen Sie? Er hat es auch viel mit Bildermachern zu thun und Kupfer⸗ ſtechern, und wie die Leute alle heißen. Er giebt den ganz Verarmten manchmal Vorſchüſſe. Aber die müſſen ihm dann auch recht bluten. Aber mit dem Malen wird jetzt eine große Unzucht getrieben, das hört man von allen Seiten. Es iſt mehr Nachfrage nach dem Zeuge als jemals, und die Staaten, Könige und Regierungen fangen auch an, Alles aufzuſammeln. Nun geht auch darüber in unſerer Stadt hier ein gar ſeltſames Gerücht umher. Bedenken Sie ein⸗ mal, ſchon ſeit dreihundert Jahren ſoll eine unentdeckte Gal⸗ lerie, oder ein Muſeum beſtehen, oder wie man das Ding nennen will, das ſeit vielen, vielen Jahren kein menſchliches Auge geſehen hat. Ein alter Geiſterſeher und Goldmacher hat es in jener finſtern Zeit begründet. Dabei ſoll ihm zuerſt ein gewiſſer Bonrott, ein Maler, und ſpäter ein anderer Kunſt⸗ mann, Carraſch, geholfen haben. Mitten in der Stadt iſt nun dieſe große Sammlung, aber vor allen Augen verſiegelt, denn kein Menſch kann ſie finden. Iſt das nicht recht wunderbar? Alle Gemälde, die dem Karl von England gehörten, demſel⸗ ben, dem ſie den Kopf abſchlugen, ſollen hieher geflüchtet ſeyn, die allerkoſtbarſten Sachen, die man nirgend in Europa findet. Ein unſchuldiges Kind hat einmal durch das Schlüſſel⸗ loch geguckt und dann ausgeſagt, der Saal ſei ganz von ge⸗ diegenem brennendem Golde, das Gewölbe vom ſchönſten Himmelblau. Wie ich es mir erkläre, alles von Lapis La- zuli, oder wenigſtens mit Ultramarin gemalt. Das Kind hat aber auch die Gaſſe und das Haus niemals wiederfinden

286 wunderlichkeiten.

können. Unſere Akademie denkt darauf, einen hohen Preis auszuſetzen, den Der erhält, der dieſen Palaſt entdeckt, der aber auch vielleicht von außen nur ein ganz ſchlechtes Wohn⸗ haus ſeyn kann. Nun entſteht Bosheit auf Bosheit, denn weil der kleine Fluß durch unſere Stadt und nebenweg fließt, ſo rathen einige witzige Menſchen dazu, eine Flotte auszurüſten, um am Nord⸗ oder Südpol dieſe unſichtbare Bildergallerie zu finden. Den böſen Witz und Spaß hat neulich der Director der Akademie verboten, aber was geſchieht? Nun geben ſie den würdigen Mann im Bilde heraus, mit der deutlichen Unterſchrift: Der Director der Akademie als Seehund. Der Geſchwätzige würde noch nicht geendigt haben, wenn ſeine Zuhörer ihm länger hätten Stand halten wollen. Frau Mühlen aber eilte ſchnell mit ihrer Tochter fort, wie ge⸗ ängſtigt vor dieſem Alten, der ihr einen furchtbaren Eindruck machte. Ich fürchte, ſagte die Mutter, man iſt meiner Gal⸗ lerie auf der Spur, und dieſes unſinnige Mährchen, welches ſchon der Pöbel ableiert, iſt in ſeiner tollen Uebertreibung die Vorrede zur Unterſuchung und Entdeckung. Und dieſer elende Eduard! Haſt Du ihm denn vielleicht etwas anver⸗ traut?

Friederike, die auch ganz verſtimmt war, verſicherte das Gegentheil. Sie kennen mich ſeit ſo lange, Mutter, ſagte ſie, und können mir eine ſolche Unbeſonnenheit zutrauen? Indem ging Eduard ihnen vorbei, aber ſie thaten, als kennten ſie ihn gar nicht, erwiederten ſeinen Gruß nicht und ſetzten unter mancherlei Gedanken und Bekümmerniſſen ihren Weg fort. N

Es war nicht ſo gar viele Zeit verlaufen, als ſich im Palaſt des Prinzen die innern Verhältniſſe anders geſtalten

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Wunderlichkeiten. 287

wollten, denn die Fürſtin war außer ſich, als ihr Maria er⸗ klärte, daß ſie ihr Haus binnen kurzer Zeit verlaſſen würde. Jetzt empfand Adelaide erſt, wie tief das Freundesgefühl in ihrem Herzen eingewurzelt war, als die Ausſicht ihr nahe trat, die Herzensfreundin vielleicht in wenigen Wochen für immer zu verlieren. Außer dieſem Schmerz, der die Fürſtin durchdrang, war ſie aber zugleich gekränkt, oder beleidigt, wenigſtens empfindlich aufgereizt (ſie wußte dieſe Verſtim⸗ mung nicht zu benennen), daß trotz ihrer gegenſeitigen Ver⸗ traulichkeit Maria dringend bat und flehte, daß ſie nicht nach dem Namen und Stand ihres Geliebten forſchen ſolle; ſie behalte ſich vor, ſo ſagte ſie, die erlauchte Freundin plötzlich mit ihrem Bräutigam zu überraſchen, und ſie ſei überzeugt, daß ſie ihre Wahl billigen würde.

Das Portrait war ſo gut wie vollendet und alle Freunde des Hauſes fanden es vortrefflich und lobten die Kunſt des Malers nicht minder als die Schönheit des Gegenſtandes. Nur der feindſelige Graf, der Bruder der Fürſtin, vermied es zu ſehen, wie er denn überhaupt ſeit der neulichen Scene die Familie nur ſelten beſucht hatte.

Maria hatte dem Maler Reishelm die letzte Sitzung gegeben, bei welcher die Fürſtin, die an ihrer Migraine litt, nicht hatte zugegen ſeyn können. Xaver war noch am Schluß der Sitzung hereingetreten, um die große Kunſt des Malers zu loben, und als ſich dieſer entfernt hatte, bat Maria um die Erlaubniß, den Fürſten zu einer Unterredung in ſein Kabinet begleiten zu dürfen.

Setzen Sie ſich, Freundin, ſagte der feierliche Mann, und tragen Sie mir vor, was Sie mir zu ſagen haben.

Gnädiger Herr, begann Maria, Sie wiſſen, daß mein Schickſal mich bald von Ihnen entfernt. Ich war Ihre Dienerin und glaube mich ſo betragen zu haben, daß mich

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kein Tadel treffen und keine Verleumdung in Zukunft ein⸗ holen kann. Aber dennoch wünſchte ich, wie ich dies Ver⸗ langen ſchon öfter ausgedrückt habe, von Ihnen, mein Prinz, ein eigenhändiges Zeugniß meines Wohlverhaltens. Dies iſt meine unterthänigſte Bitte, um deren Erfüllung ich Sie innigſt erſuche.

Das Geſicht des Prinzen nahm einen Ausdruck an, daß man faſt hätte vermuthen lönnen, er lächle. Meine liebe Maria, ſagte er dann, Sie wiſſen es ſelbſt am beſten, daß Sie wie Freundin, wie vertraute Freundin in unſerm Hauſe gehalten wurden. Meine Gemahlin hat nie durch das lei⸗ ſeſte Zeichen, durch die kleinſte Aeußerung auf irgend ein Dienſtverhältniß hingewieſen, und, ſo weit ich mich ſelber kenne, möchte ich mir auch daſſelbe Zeugniß geben. Darum habe ich Ihren Wunſch, ſo ein gewöhnliches Atteſtat von meiner Hand zu beſitzen, immer nur für einen Scherz ge⸗ halten; da ich aber ſehe, daß es Ihr wirklicher Ernſt iſt, ſo bin ich gern bereit, Ihnen auch hierin zu willfahren. Denn, nicht wahr, auch Grillen muß man in ſeinen Freunden reſpectiren?

Er ſetzte ſich an den Schreibtiſch, nahm bedächtig eine Feder, hielt ſie gegen das Licht und ſagte dann: Die Sache kommt mir aber doch in der That gar zu kindiſch vor. Wiſſen Sie, wie ich dies Certifikat oder Atteſt einrichten werde? Ich ſchreibe einen Brief, an einen Freund, den Oberpoſtdirector der Provinz, deſſen Hülfe und Bekanntſchaft Ihnen jedenfalls auf Ihrer Reiſe ſehr nützlich ſeyn kann, und melde dieſem, wie leid es mir und noch mehr meiner Gemahlin thut, daß eine ſo vortreffliche Perſon, wie unfre Marie, mit den und den Tugenden überflüſſig ausgeſtattet, und ſo weiter, deren Betragen und Wandel als Muſter gel⸗ ten konnte, die uns das Leben erheiterte und ſo weiter, uns

wunderlichkeiten. 289

verlaſſen wolle. Sie haben nicht nöthig, dieſen eigenhändigen Brief abzugeben, ſo dient er, von außen mit meinem Siegel petſchirt, Ihnen allenthalben, oder wo Sie es nöthig finden, als das vollgültigſte Zeugniß. Er ſchrieb und Maria beobachtete ſein blaſſes ſonder— bares Geſicht aus der Ferne. Dieſer Ausdruck von Gut⸗ müthigkeit und Adel in der Vermiſchung mit Melancholie und Beſchränktheit erregte, wie ein altes, fleißig gemaltes Bild, der Betrachtenden vielfache Gedanken. Indem Marie ſich dieſer Beobachtung überließ, zuckte es plötzlich, wie ein Blitz, durch ihr ganzes Weſen; ſie ſtand ſchnell auf, ging zum Prinzen und ſagte freundlich bittend: Verehrter Fürſt, da Sie ſich einmal für mich bemühen, ſo haben Sie die Gnade, auch Das noch einzufügen, daß wegen jenes Raubes der Juwelen niemals der kleinſte Verdacht mich geſtreift habe. Wunderliches Kind, ſagte der Prinz mit ſeiner lei⸗ ſen Stimme, davon hat ſich ja auch nie ein Gedanke gemel⸗ det; indeſſen es ſei, wie Sie es wünſchen. Indem ſich Marie jetzt über ihn hinbeugte, ſah ſie, wie die Ader an der Schläfe angeſchwollen war und ſich blau von dem dür⸗ ren weißen Schädel abhob. So langſam er anfangs ge⸗ ſchrieben hatte, ſo ſchnell endigte er jetzt, nahm ein Couvert, legte das Blatt ein und drückte, ohne die Umhüllung zu ſchließen, ſein großes Siegel darauf. Nun können Sie es ſelbſt ſiegeln oder offen laſſen, wie Sie wollen. Leſen Sie, ob Sie zufrieden ſind. Maria las, beugte ſich dann und küßte die Hand, die in der ihrigen zitterte.

Eine Bitte für die Ihrige, ſagte der Fürſt: verlaſſen Sie doch heut und morgen meine arme Gemahlin nicht, die ſo ſchwer leidet. Sie ſchlagen es mir nicht ab. Marie verſprach, und verließ gerührt das Zimmer.

Als ſie ſich entfernt hatte, ſtand der Prinz eine Weile

Tieck's Novellen. IX. 19

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ſtill, dann öffnete er das Vorzimmer und machte ſeinen Leu⸗ ten das bekannte Zeichen. Alle entfernten ſich hierauf von dort und verſchloſſen das Vorgemach, weil ſie wußten, daß der Prinz jetzt auf eine Stunde ganz ungeſtört ſeyn wollte. Viele glaubten, daß er in dieſen Zeiträumen geiſtliche Uebun⸗ gen vornehme und Gebete recitire, Andere hielten ihn für eine Art von Geiſterſeher. Xaver aber, der feit vielen Jahren ſeine Heftigkeit in ſeinem Innern verſchloſſen hatte und der Welt immer als kalt, gefühllos und phlegmatiſch erſchien, war einer der reizbarſten, aufwallendſten und jähzornigſten Menſchen. Früh hatte er es gelernt, Alles in ſich zu ver⸗ bergen, ſeine Gefühle nicht zu äußern und jede Aufwallung zu bezähmen. In Augenblicken, wo er ſich aber gar nicht mehr bezwingen konnte, verſperrte er ſich vor allen Menſchen, damit ſie ſeinen geſtörten Gleichmuth nicht wahrnehmen ſollten, und er, der in Geſellſchaft nur wenig und leiſe ſprach, ließ dann in lauten Ausrufungen und oft langen Selbſtgeſprächen ſeiner Leidenſchaft den Zügel ſchießen. Ein ſolcher Moment, wo er ſich nicht mehr bezähmen konnte, war jetzt eingetreten, und deshalb verſchloß er auch noch zum Ueberfluß die Thür ſeines Kabinets, ging in ſeinem Zimmer heftig auf und ab, indem er mit lauter Stimme rief: Him⸗ mel! Was hab' ich jetzt erleben müſſen! Wie war es nur möglich, daß ich in dieſen entſetzlichen Minuten meine Faſſung behalten konnte? Sie alſo, ſie, Marie, die wir wie ein Kind, wie eine Schweſter hegten und pflegten, ſie alſo iſt die Diebin! O Adelheid, welch ein ungeheurer Schlag droht Deinem ſanften, weichen Herzen.

Seine kleinen Augen leuchteten von einem wilden Feuer, die Wangen und ſelbſt die Stirn waren geröthet. Er ſtand ſtill und ſtampfte heftig mit dem Fuße. Und auf welche Weiſe ihr dieſe ſchreckliche Entdeckung, dieſe verzweifelnde

Wunderlichkeiten. 291

Enttäuſchung mittheilen? Seit drei Jahren iſt dieſe Marie alle unſre Gedanken kennt ſie Adelheid fühlt ihr eignes Herz faſt nur in dem dieſer verworfnen Heuch— lerin.

Er warf ſich in den Seſſel und eine Thräne rann über die erhitzte Wange. Alſo doch doch iſt es wahr, was mir der Schwager immer im Zorn vorhergeſagt hat. O wir Erbarmenswürdigen! Mit unſers Gleichen Lange⸗ weile, Neid, Mediſance, Herzenskälte mit dieſer Klaſſe Betrug, Raub, Lüge.

Er fühlte, daß er weinte. Gewaltſam unterbrach er ſich und rief: Nein! ſo ſind ſie nicht, ſo ſind ſie nicht Alle! Aber freilich, ſcheint es doch ein Naturgeſetz, daß man ſich zu ſeines Gleichen halten ſoll. Und ein Wink des Himmels, ein Befehl von ihm iſt es, daß ich dieſe ergreifen und ſtrafen ſoll, daß ich nun jene Unterſuchung wieder auf⸗ nehme, die ich damals aus Seelenſchwäche fallen ließ.

Doch fie fie Adelheid? Sie muß einwilligen fie muß fühlen, was fie ſich ſelber und ihrem Stande ſchuldig iſt. Wenn fie, nur nicht darüber zu Grunde geht. O die Verruchte! die ſich mit nichtswürdigen Kün⸗ ſten dieſe feſte Wohnung in dieſem ſchönen Herzen aufgebaut hat! Mit dieſen Händen könnt' ich ſie zerreißen.

Vorbereiten muß ich ſie, und bald. Wie hat mich dieſe Entdeckung erſchüttert, und was iſt ſie mir? Und die Freundin ſoll ſich nun geſtehen, daß ſie an eine Verworfene ihre Liebe vergeudet hat! Es iſt, als wenn der Erdball nicht mehr feſtſtünde und der leichte Bau eines Sommerhauſes bis in das Centrum ſinken müßte. Soll uns dergleichen nicht erſchüttern, ſo müßten wir gar keinen Funken von Liebe in uns haben. Bis zum Wahnſinn

könnte man kommen, wollte man dieſer Sache recht nach⸗ 19 *

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fühlen und recht nachdenken. Wer aber handeln will, darf ſich von ſeinen Empfindungen nicht zerſtören laſſen.

Er riegelte auf, ſchellte und ſein älteſter Kammerdiener erſchien. Er befahl die Equipage anzuſpannen. Er fuhr zu ſeinem Freunde, dem Herzoge, ſchickte ſeine Leute zurück, und erſuchte denſelben, den Präſidenten des Tribunals zu ſich zu beſcheiden. Dieſem verſtändigen Manne eröffnete er ſich, bedang ſich aber aus, daß Alles ein Geheimniß bleiben ſolle. Im Wagen des Herzoges fuhr er nach ſeinem Palaſt und allen ſeinen Dienern erſchien er wieder der ruhige, kalte Mann, der er immer war.

Marie war in einer ſonderbaren Stimmung. Es war wie eine plötzliche Eingebung über ſie gekommen, daß ſie dem Prinzen jene zweite Bitte vortrug. Bei Menſchen, die ſich ſeit lange kennen, waltet ein geheimnißvoller feiner Inſtinkt, der ſie nicht täuſcht. Sie hatte es gefühlt, wie bei dieſem Anſuchen Prinz Xaver erſchrocken ſei, die Ader an der Stirn, das Zittern der Hand war ihr aufgefallen; ihr Geiſt ſagte ihr, wie von dieſem Moment ſich der ſeinige ihr abgewendet habe. Wie wunderbar fühlte ſie ſich jetzt in der Nähe der kranken Freundin. Es ward ihr ſchwerer wie ſonſt, dieſer Troſt einzuſprechen, und ihr feines Gefühl ahndete, daß ſie der Prinzeß auch anders als ehemals erſcheinen müſſe. Alles, was ihr heut ſo ſchwer ward, was ſie wie eine müh⸗ ſame Rolle ausführte, war ihr bis dahin ſo leicht geworden, war ihr ſo natürlich geweſen. Von dieſem drückenden Zu⸗ ſtande fühlte fie ſich erlöſt, als Prinz Xaver in das Zimmer trat. Dieſer hatte jetzt ſeine Wallung, jenen moraliſchen Schreck völlig überwunden und war wieder Meiſter ſeiner ſelbſt. Die vieljährige Uebung, ſich ſelbſt zu überwinden, hatte es ihm möglich gemacht, ſo völlig Herr ſeiner Geber⸗ den, Blicke und ſeines Tones zu ſeyn. Marie, die ihn un⸗

Wunderlichkeiten. 293

bemerkt ſcharf beobachtete, ließ ſich fo ſehr täuſchen, daß fie keine Veränderung in ſeinem Weſen wahrnahm, ſondern ihn ganz ſo ſah, wie er immer geweſen war. Dadurch ward die Unterhaltung wieder heiter und ungezwungen und der Fürſt zeigte ſich für ſeine Gemahlin liebevoll beſorgt und ſehr freundlich und zuvorkommend gegen Marie, die er in den zarteſten Worten und Wendungen erſuchte, heut und morgen die Kranke nicht zu verlaſſen. Als man ungefähr eine Stunde ſo mit leiſen Reden, liebevoller Aufmerkſamkeit und Sorgfalt zugebracht hatte, verließ der Prinz die Kranke wie⸗ der, indem er ihr eine beruhigende Schlafſtunde wünſchte. Als die beiden Frauen jetzt allein waren, ſetzten ſie mit mehr Leichtigkeit ihre Unterhaltung fort, und Marie richtete ſich ein, dieſe Tage ganz und unbedingt der kranken Freundin zu opfern. Sie las und ſchrieb im Krankenzimmer, ſprach mit der Leidenden, wenn dieſe ſie zu ſich winkte, und erzählte ihr Geſchichtchen, die ſie erlebt hatte, oder was ſich in der Stadt zugetragen, denn Adelheid hatte es ſich ausdrücklich verbeten, ſo lange ſie unwohl ſei, der nahe bevorſtehenden Trennung zu erwähnen.

Der Fürſt aber ſorgte im Stillen und ohne daß es einer feiner Leute bemerkte, dafür, daß Marie nicht unbe⸗ obachtet blieb. Ein greiſer Haushofmeiſter, welcher ſchon lange alle ſeine eigentlichen Geſchäfte aufgegeben hatte und ſorglos und behaglich im Hauſe lebte, beſaß des Fürſten unbeſchränktes Vertrauen. Dieſer Mann war ein Erbſtück des Hauſes und als Kind war Xaver ihm einige Jahre un⸗ bedingt übergeben geweſen, als die Eltern ſich auf Reiſen befanden, wodurch der ehrwürdige greiſe Melchior noch etwas vom Charakter eines väterlichen Hofmeiſters behalten hatte. Mit dieſem verſchloß ſich Prinz Xaver und vertraute ſich ihm ganz, wie er die Ueberzeugung hege, daß Marie die Diebin

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der Juwelen ſei, und wie nun Alles darauf ankomme, den Schmuck wieder herbeizuſchaffen, das ganze Komplott zu ent⸗ decken und die Verbrecherin zu beſtrafen. Am wichtigſten aber ſei es, ihr die Flucht unmöglich zu machen; doch müſſe man in dieſen erſten Tagen, bevor die Prinzeſſin um die Sache wiſſe, Alles ſo einrichten, daß Marie nicht fühle und merke, daß ſie bewacht werde. Melchior war ſo alt gewor⸗ den, hatte ſo Vieles erfahren und beobachtet, daß ihn keine Begebenheit in Erſtaunen verſetzte; daher erſchrak er auch über dieſe unvermuthete Entdeckung ſeines Herrn nicht, ſon⸗ dern übernahm ruhig und mit Sicherheit den ſchwierigen Auftrag. Weil er keine Geſchäfte hatte, konnte er eben überall ſeyn, mit allen Leuten ſprechen, alle Fremden beob⸗ achten und, da er ſo viel Autorität hatte, Vieles im Namen des Herrn anordnen. Melchior war jetzt viel in den Zim⸗ mern des Hofes, von wo er Alles beobachten konnte, er war in der Nähe der fürſtlichen Schlafzimmer, um es unmöglich zu machen, daß Marie durch dieſe unbemerkt gehen und ſo das Thor erreichen könne: er nahm ſich vor, ſie, falls ſie ausfahren würde, wie oft geſah, unter einem anſcheinlichen Vorwande zu begleiten und es ſo auf jede Weiſe zu verhin⸗ dern, daß die Verdächtige irgend einmal aus dem Hauſe ſchlüpfen könne.

Marie aber, ob ſie gleich ihre Befürchtung ſo ziemlich überwunden hatte, wünſchte dennoch die Stunde herbei, in welcher ſie auf immer den Palaſt verlaſſen dürfe.

Der Graf Liangon war indeſſen mit feinem Seeretair, Martin Mühlen, und ſeinen Leuten auf der Reiſe nach Martins Geburtsſtadt begriffen, wo der Seeretair von feiner Familie Abſchied nehmen und der Graf einige dringende

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Geſchäfte abmachen wollte, bevor er ſich nach Liſſabon ein⸗ ſchiffte. |

In einer ziemlich großen Stadt angekommen, traf der Graf, indem er ausging, einen Oberſten, mit welchem er ehemals umgegangen war. Die Freude, ſich ſo unvermuthet wiederzuſehen, war groß. Sie müſſen mit auf den Ball gehen, rief der Offizier, den die Gräfin, die erſte Dame der Stadt, heute giebt, wo ſich Alles verſammelt, was von Adel hier befindlich iſt. Ich übernehme es, Sie vorzuſtellen, und ich bin überzeugt, Sie werden willkommen ſeyn. Man klei⸗ dete ſich um, und der junge Secretair begleitete ſeinen Ge⸗ ſandten, der ſich in ſeine beſten Kleider geworfen und die koſtbarſten Ringe an ſeine Finger geſteckt hatte. Als er die Säle betrat, erregte ſeine Figur und ſein Weſen ſogleich die allgemeine Aufmerkſamkeit. Der Oberſt machte ihn mit der ſchönen Gebieterin des Hauſes, ſo wie mit vielen andern Damen bekannt, und der Secretair bewunderte, wozu er ſchon oft Gelegenheit gefunden hatte, die Gewandtheit, Geiſtes⸗ gegenwart und den Witz des feinen Weltmannes. Unter Gelächter und Scherz trat jetzt ein großer Mann näher, an deſſen Bruſt ein großer Stern glänzte. Er war von hohem Adel und gab ſich die Miene, die Dame des Hauſes zu be⸗ ſchützen. Gewohnt, ſich immer als den Erſten in dieſen Cirkeln behandelt zu ſehen, mochte es ihm empfindlich wer⸗ den, daß ein Fremder auf ſo lange die Aufmerkſamkeit der ganzen Geſellſchaft feſſelte. Er trat, im vollen Gefühl ſeiner Würde, näher und muſterte mit kritiſchem Blick den Rei⸗ ſenden. Er miſchte ſich hierauf in die Geſpräche und zeigte ſich als ein Mann von Erfahrung und Kenntniß, nur war ſeine Manier ernſt, beinah feierlich, und es ſchien ihn faſt zu verdrießen, daß die Scherze des Fremden immer wieder die Umſtehenden zu heitrem Gelächter aufforderten. Wenn

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ich recht gehört habe, fing er endlich an, ſo nennen Sie ſich Graf Liangon? So iſt es, antwortete der Geſandte. Das iſt eins der älteſten Geſchlechter, fuhr jener fort: eine Gräfin des Namens iſt in der nahen Reſidenz dem Prinzen Xaver vermählt, und den Bruder der Fürſtin bin ich fo glücklich zu meinen Freunden rechnen zu dürfen. Von dieſem Hauſe ſind Sie aber nicht. Doch, Herr Graf! es giebt keinen Nebenzweig dieſes Stammes, wie Sie auch vielleicht wiſſen werden. N

Der Graf betrachtete den Redenden mit großen Augen und ſagte dann nach einer Pauſe: Sonderbar, daß der Graf, ſo oft ich ihn auch in früheren Zeiten geſehen habe, nie, nie⸗ mals von Ihnen geſprochen hat.

Sehr natürlich, erwiederte der Fremde; Sie wiſſen es ja, wie es die ältern Brüder ſo oft machen, ſie nehmen un⸗ gern von den jüngeren Notiz, beſonders wenn ſie den Arg⸗ wohn faſſen, daß dieſe vielleicht auf die Erbſchaft hoffen. Er ſitzt im Majorat und iſt ſehr reich; er iſt aber Witwer, hat keine Kinder, und darf vielleicht auch keine erwarten, wenn er wieder heirathen ſollte. So ſieht er mich denn natürlich mit ſehr mißgünſtigen Augen an.

Der Graf wurde nun um Vieles höflicher, in ſeiner freundlichen Stimmung behandelte er den Geſandten mit großer Freundlichkeit und Beide ergingen ſich in Familien⸗ geſchichten und Erinnerungen der Vorzeit. Sie ſchieden als herzliche Freunde, und der Geſandte war ſo übermüthig ge⸗ worden, daß er ſeinen jungen Secretair, um zu Abend zu eſſen, in eine Reſtauration zog, wo er ſich ein beſonderes Zimmer geben ließ.

Vom Wein noch mehr erheitert, ſagte er zu dieſem: Siehſt Du, mein kleiner Martin, wie man es in der Welt machen muß? Der große breite Mann, mit dem Orden

Wunderlichkeiten. 397

und den Sternen, die bis zum Bauch hinuntergingen, wollte mir imponiren, und das Ende vom Liede iſt, daß er mein Freund wird und ſich von mir tauſend Albernheiten aufheften läßt, die er auf geraume Zeit in aller Treuherzigkeit glauben wird. Denn, Freundchen, ich bin nichts weniger als ein wirklicher Graf von Liangon. Nach der Strenge führe ich nur einen bürgerlichen Namen, ob ich gleich ein Viertels⸗ oder Achtelsrecht auf den gräflichen Titel habe. Denn aller⸗ dings war der Vater der Prinzeſſin Xaver und ihres gräf- lichen Bruders auch mein Vater aber, verſtehſt Du? aus einer wilden Ehe. Der Graf war ausgelaſſen, meine Mutter bürgerlich, aber ſchön, und mein Erzeuger hat dieſer auch eine anſehnliche Summe übermacht. Du ſiehſt nun, wie ich meinen Weg in der großen Welt mache, wie ich mich be— nehme, mit Allen wie mit meines Gleichen umgehe, und jetzt, dieſe feſte Anſtellung, dieſes bedeutende Amt des Reprä⸗ ſentanten einer großen Monarchie wird mich noch höher heben. Mögen ſie ſpäterhin muthmaßen, oder auch erfahren, wer ich eigentlich bin, ſo habe ich doch feſten Fuß gefaßt, ſo geht das in der großen verwirrten Welt, vollends im Aus⸗ lande, weit entfernt, ſo mit auf und das Illegitime legitimirt ſich unmerklich. Und das Geld iſt es doch eigentlich, vor dem ſich dieſe Großen am meiſten neigen, und darum habe ich es ſo eingerichtet, daß mir immer große Summen zu Gebote ſtehen und mich eine Ausgabe niemals in Verlegen⸗ heit jest. Und Portugal! da, Freundchen, mußt Du auch auf irgend eine Weiſe Dein Glück machen, Dich verheirathen, oder ein Vermögen erwerben: nur imponiren mußt Du lernen, Dir die Leichtigkeit des Umganges zu eigen machen, dreiſt ſchwatzen, erzählen, niemals in Verlegenheit kommen, mit allen Leuten, wenn ſie nicht allzuhoch ſtehen, vertraut und bekannt thun; Dich hindert aber immer noch

298 Wunderlichbeiten.

die verdammte theologiſche Aengſtlichkeit; Du biſt verlegen, gegen die Vornehmen, beſonders die Weiber, allzu demüthig. Der Räuber, der dem Wanderer ſeine Börſe abfordert, wäre wohl ſehr lächerlich, wenn er ſchüchtern ſich anſtellte. Und, ſo viel wirſt Du doch wohl ſchon gelernt und eingeſehen haben, daß das ganze Getreibe, Markten, Drängen und Stoßen auf dieſer Bühne der ſogenannten großen Welt ein feineres, anſtändigeres Raubſyſtem iſt. Haben, erringen will Jeder, feſthalten und vermehren, was er beſitzt. Wer ſich aus dem Wege ſtoßen, wer ſich unter die Füße treten läßt, der iſt eben darum verloren, weil er was Reelles, wohl gar Tugendhaftes und Edles erwartet.

Martin, dem ängſtlich zu Sinne wurde, merkte wohl, daß der ſtarke Wein auf den Redenden wirke, deſſen er auch ſchon unter Scherzen und Lachen in der Ballgeſellſchaft leicht⸗ ſinnig genoſſen hatte. Ihm fielen Gil Blas, Guzman Alfa⸗ rache, der Graf Fathom und alle jene Studien wieder bei, und er mußte es ſich geſtehen, daß ſein Gebieter nichts weiter als ein glücklicher Abentheurer ſei. Ihm ſchwindelte vor dem Gedanken, daß man ihm anmuthen könne, auch eine ſolche Rolle zu übernehmen. Ihm graute vor der Vorſtellung, daß das Leben dergleichen oder ähnliche Grundſätze vielleicht nothwendig machen dürfte, und er ſah mit Reue nach ſeiner aufgegebenen Theologie und der ſtillen Landpfarre zurück. Der Geſandte merkte auch wohl an dem ſtillen Nachſinnen ſeines Zöglinges, daß er zu weit gegangen ſei, er lenkte all⸗ gemach wieder in tugendlichere Geſpräche ein und ſuchte die vorige Anſicht wenigſtens in ein milderes und mehr komiſches Licht zu ſtellen.

Es war ſchon ſpät geworden, als ſie zum Gaſthofe zurückkehrten. Der Graf hatte Anſtalten getroffen, fünf oder ſechs Tage an dieſem Orte zu verweilen, weil er hier, wie

wunderlichkeiten. 299

er gegen Martin geäußert hatte, Briefe erwarten wolle. Der Wirth lief ihm beim Eintritt mit der Meldung ent⸗ gegen, daß eine Staffette mit Schriften für ihn eingetroffen ſei. Er nahm den Brief und begab ſich eilig auf ſein Zim⸗ mer, und indem ihm Martin ſchnell die Kerzen anzündete, erbrach der Geſandte das Schreiben. Kaum hatte er die erſten Worte geleſen, als der Brief ſeinen Händen entfiel und er ſelbſt leichenblaß in einen Seſſel ſank. Martin war erſtaunt, wollte reden, fragen, mußte ſich aber auf einen ſtummen Wink und eine leidenſchaftliche Geberde ſeines Ge— bieters aus dem Zimmer entfernen. Der erſchrockene Martin hörte, wie der Geſandte nach einiger Zeit das Zimmer verriegelte, heftig auf und nieder ging, und bald die Hände an einander ſchlug, bald einzelne, unverſtändliche Töne und Worte ausſtieß. Martin begab ſich bald auf ſein Zimmer, damit ſein Beſchützer nicht, wenn er die Thür öffne, auf den Gedanken gerathe, er habe ihn behorchen wollen. Eben wollte er ſich nach einer halben Stunde entkleiden, um ſich zum Schlaf niederzulegen, als der Graf ganz heiter und mit lachendem Angeſicht in ſein Zimmer trat. Biſt Du nicht vielleicht vor mir erſchrocken, liebes Kind? fing er an; ich habe mich heut in Deiner Gegenwart wie ein Thor betragen. So geht es! wenn man des ſtarken Weines zu viel genießt. Hätte ich mir nur die Ruhe ge⸗ geben, die Briefe zu Ende zu leſen, fo würde ich ſogleich ge- ſehen haben, daß Das, was mir zuerſt Verdruß erregte, gar nichts zu bedeuten hat. Jeder Menſch, vorzüglich aber ein Geſandter, müßte jeden Brief, welcher fatal anfängt, erſt ruhig zu Ende leſen, um zu wiſſen, ob er Urſach hat, auf die gehörige Art zu wüthen und zu toben. Mein Söhnchen, wir werden nun, ſtatt länger zu verweilen, morgen früh von hier reiſen. Nimm nur das Nöthigſte, Geld, Koſtbarkeiten, etwas Wäſche mit, denn wir kehren ſehr bald nach dieſer

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Stadt zurück, um von hier dann nach Wien zu gehen. Du wirſt Deine Familie ſehen, mir aber auch dort einen kleinen Dienſt leiſten können. |

Am Morgen war Martin erftaunt, daß der Graf ohne Bedienten fuhr, daß er ein gewöhnliches Kleid trug und am nächſten Städtchen, als er befragt wurde, einen fremden, bürgerlichen Namen abgab. Ich habe einen Spaß vor, ſagte er zu Martin, der Alles dies mit Erſtaunen bemerkte. Wir ziehen ganz incognito in Deine Vaterſtadt ein, ich bereite Dir und einigen meiner Verwandten eine fröhliche Ueber⸗ raſchung. Es iſt wirklich eine kleine Komödie, die wir auf⸗ führen wollen, und ich rechne dabei auf Dein Talent und Deinen Witz. Iſt der Spaß zu Ende geſpielt, ſo magſt Du dann auf einen oder zwei Tage Deiner Familie ganz ange⸗ hören.

So kamen ſie an, und Martin war ſehr bewegt, die Thürme und wohlbekannten Gebäude wieder zu ſehen. Man wird eben nicht älter, bemerkte er; iſt mir doch, als hätte ich erſt geſtern dieſe Mauern verlaſſen. Und dann fühle ich wieder, als wenn die wenigen Monate meiner Abweſenheit eine unendliche Kluft von Zeit ausmachten.

Ja, mein Sohn, ſagte der ältere Freund, ſo geht es uns immerdar im Leben. Unſere Erlebniſſe, Gefühle und Gedanken ſind ein Maß, an welchem die Zeit ſich geſtaltet; an ſich ſelbſt iſt ſie nichts.

Im Thore gab ſich der Graf für einen bürgerlichen Einwohner der Stadt, der von einer Spazierfahrt zurück⸗ komme. Man ließ den Wagen im Gaſthof und Martin be⸗ gab ſich, von ſeinem Beſchützer begleitet, zu ſeiner Mutter. Die Freude dieſer und der Schweſtern war groß und im Anfange wurde der fremde vornehme Mann ganz vergeſſen.

Nach und nach machten die freudigen Ergießungen ge⸗

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wöhnlicheren Geſprächen Platz. Der Geſandte hatte ſo viele Gewandtheit und wußte ſo gutmüthig und ohne Affektation freundlich zu ſeyn, daß ſich die Verlegenheit der bürgerlichen Familie bald verlor. Von der Zukunft ward geſprochen, vielfache Entwürfe wurden erbaut, von Liſſabon und Wien war die Rede, die Möglichkeit lag ganz nahe, daß der Sohn ſeine Familie mit bedeutenden Summen würde unterſtützen können. |

Meine Freunde, ſagte endlich der Geſandte, eines Fa⸗ milienſpaßes wegen, der Alle dort erfreuen wird, iſt es nöthig, daß unſer Freund Martin heut noch auf eine Viertel- ſtunde im Palaſt des Fürſten Xaver die Geſellſchafterin, Fräulein Marie, ſpreche. Weil aber die Ueberraſchuug weg⸗ fiele, wenn er ſich öffentlich melden ließe, ſo muß er zu ihr eingeführt werden, ohne daß es die Herrſchaften erfahren. Diefe müſſen erſt hernach, wenn es an der Zeit iſt, herbei— gerufen werden. Er muß alſo dorthin gehen und ſehen, wie er durch Hülfe des Portiers unbemerkt in das Zimmer der Dame eingelaſſen wird. |

Friederike machte ſich ſogleich etwas vorlaut herbei, in⸗ dem ſie ſagte: Ich will den Bruder begleiten, und ſo wird, wenn ich ihn darum bitte, Eduard, der jetzt dort gleichſam den Portier vorſtellt, keine Umſtände machen, unſern Martin in das Zimmer der Dame einzulaſſen. 8

Vortrefflich! ſagte der Geſandte, helfen Sie zu unſerm Scherz, mein ſchönes Kind; der Prinz und ſeine Gemahlin werden Ihnen dankbar ſeyn, und der Geliebte (denn ich merke, daß dieſer Eduard es iſt) wird um ſo früher zum glücklichen Bräutigam.

Sie ging mit Martin und der Graf begleitete ſie durch einige Straßen. Mein Freund, ſagte dieſer unterwegs, es hängt mehr davon ab, als Du denkſt, daß Du mir meinen

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gut erſonnenen Scherz auch gut und richtig ausführen hilfſt. Du kannſt Dir denken, daß ich mit dem Prinzen immer auf einem freundlichen Fuß geſtanden habe, noch mehr mit der Fürſtin, obgleich mich Beide nicht öffentlich als ihren Bruder anerkennen möchten. Biſt Du alſo eingeführt, ſo mache ein Zeichen, daß die Dame ſich nicht verrathen ſoll und kein Ge⸗ räuſch erregen; dann gieb ihr ſtillſchweigend dieſes Billet und thue und richte dann ganz buchſtäblich aus, was ſie von Dir verlangt. Martin verſprach, ſich pünktlich nach dieſen Vor⸗ ſchriften zu richten, worauf ſich der Geſandte entfernte und die beiden Geſchwiſter nach dem Palaſt gingen.

Dort war der Prinz eben in einem freundſchaftlichen Streit mit dem alten Melchior begriffen. Nein, alter lieber Vater, ſagte er mit beſtimmtem Ton, ich verlange jetzt von Ihnen, daß Sie wieder ruhen. Sie haben in dieſen Tagen genug gethan, um mir beizuſtehen. In einer halben Stunde etwa kommen die Herren des Gerichts, Marie iſt in ihren Gemächern eingeſchloſſen und wagt es nicht, herauszugehen, da ſie geſehen hat, wie jeder Verſuch, ſich zu entfernen, un⸗ möglich war. Ich benutze dieſe halbe Stunde, meine Ge⸗ mahlin auf Alles vorzubereiten, und kommt das Gericht, ſo iſt es überhaupt nicht mehr möglich, die Sache zu verſchweigen. So ging der Greis zur Ruhe und Xaver zu den Ge⸗ mächern Adelheids. Indeſſen kamen die Geſchwiſter, Martin und Friederike, vor den Palaſt, und Eduard öffnete den Beiden das Thor. Er verwunderte ſich erſt über die An⸗ muthung Martins; da er ihn aber kannte und Friederike bat und ihm verſprach, ſo lange, bis Martin wieder käme, ihm in ſeinem Zimmer Geſellſchaft zu leiſten, ſo kam er herab, öffnete im Flügel des Hofes eine Thür und ließ Martin ein.

Alſo auf ſolche Art, fing nachher Eduard an, kann ich

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Ihren Beſuch erhalten? Und was haben denn die Menſchen⸗ kinder vor? Iſt denn Ihr Brüderchen etwa ein Liebhaber von dem ſogenannten Fräulein dort?

Friederike wollte ihn ſchelten, daß er wahrſcheinlich von der Gemäldegallerie der Mutter irgendwo geſchwatzt habe, Eduard aber ſpielte ſo wenig den Reuigen oder den Be— kenner, daß er vielmehr zum Ankläger wuͤrde und Friederiken beſchuldigte, daß ſie ihn verleumde. Als dieſe von den pasquillantiſchen Figuren anfing, die er durch den Kupfer⸗ ſtecher wollte verbreiten laſſen und in welchen ſelbſt ihre eigene Mutter figurirte, lachte der ungezogene Menſch nur und ſagte: Kann es denn wohl etwas Unſchuldigeres als eine Kaffeekanne geben? Iſt ſie nicht das ächte Bild aller Legitimität? das Symbol der Treue? Iſt denn nicht ſelbſt eine Kaffeeſchweſter ſchon viel verdächtiger?

So ſtritten ſie hin und her und vergaßen ganz, daß Martin zu Marie gegangen war. Die Mutter ſo wie Lucie hatten ſich jetzt in die Nähe des Palaſtes begeben, auch den Geſandten ſah man dort wandeln. Martin trat nun endlich aus Mariens Zimmer; Friederike, die ihn ſah, eilte aus der Loge, das Thor ward geöffnet, und der Sohn, der an Zahn⸗ ſchmerzen leiden mochte, winkte nur ſeinen Angehörigen einen Gruß mit der Hand, indem er das Tuch vor das Geſicht hielt. Ein Wagen ſtand dort mit zwei muthigen Rennern beſpannt; der Geſandte hob feinen Seeretair in die Kutſche, rief der Mutter und den Schweſtern aus dem Schlage zu: Morgen! und fort rannten die Pferde in der ſchnellſten Eil.

Mit ſchwerem Herzen ging der Prinz Kaver jetzt zu ſeiner Gemahlin, um ihr feinen Verdacht, ja feine Ueberzeu⸗ gung, daß ihre Freundin eine Verbrecherin ſei, mitzutheilen,

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und wie die Gerichte noch in dieſer Stunde ihre Unterſuchung beginnen würden.

Er traf die Fürſtin heitrer als gewöhnlich und ſie kam ihm mit den Worten entgegen: Lieber, ich mache die ſelt⸗ ſame Erfahrung, daß wir uns an Alles gewöhnen können. Ich erſchrak früher vor dem Gedanken, mich von Marie trennen, ſie mir wohl gar in fremden, entlegenen Landen denken zu müſſen; jetzt, nach manchen Kämpfen, iſt mir dieſe Ausſicht nicht mehr ſo betrübend. Es erheitert mich, daß ſie nun eine feſte, beſtimmte Stellung in der Welt gewinnen wird, daß ihr eignes Glück auch das meinige ſeyn muß, daß ich Briefe von ihr empfange, die mir Heiteres berichten, und daß ich auf dieſe Weiſe auch immer noch gemeinſchaftlich mit ihr leben kann.

Ja wohl muß man ſich an Alles gewöhnen, antwortete der Fürſt: das iſt ja der tragiſche Inhalt unſers Lebens. Sind wir nicht eine Harfe, auf der zarte Geiſterhände die wunderſamen Melodien mit ſanftem Anſtrich ertönen laſſen? Aber auch irdiſche Finger greifen plumper hinein, Mißton aller Art erklingt, und ſo kann das edle Inſtrument auch in tölpelhafte Fäuſte gerathen, daß Unſinn, Schreckenslaute reißend herausgeſchlagen werden, und ſelbſt die Saiten ſprin⸗ gen und ſpäter nie wieder ertönen können. So verfährt das Schickſal oft mit uns, und Keiner kann ſagen: dies und das werde ich nicht erleben.

Die Fürſtin betrachtete ihren Gemahl verwundert und mit einer gewiſſen Scheu, denn es war ſonſt niemals ſeine Art, ſich ſo poetiſch auszudrücken; ſie rief daher ſchon er⸗ ſchreckt aus: Sie haben mir gewiß etwas ganz Beſonderes anzukündigen.

So iſt es, ſagte Xaver, und ich muß bitten, mir Ihre ganze Aufmerkſamkeit zu ſchenken, ſo wie ſich mit der ganzen

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Stärke Ihrer Seele zu waffnen. Er erzählte ihr nun, wie ſich Marie ſo ſeltſam vergeſſen habe, wie er aus dieſer wunderſamen Uebereilung die Ueberzeugung ihres Verbrechens gewonnen, wie er die Gerichte angerufen und das erſte Ver- hör jetzt ſogleich in ſeinem Hauſe vorgehen ſolle.

Die Fürſtin war einer Ohnmacht nahe. Wenn ich mich davon überzeugen ſoll, ſagte ſie nach einiger Zeit, ſo wär' es mir erwünſchter, jetzt gleich, in dieſem Augenblick, wo noch ein Zweifel in meiner Seele ſchwebt, zu ſterben. Aber, wie iſt es möglich, Theurer, Verehrter, daß Sie aus dieſem einzigen Wort dieſe furchtbare Folgerung ziehen?

Bedenken Sie es ſelbſt, ſagte der Fürſt eifernd, ſetzen Sie ſich ganz in das Verhältniß und die Seele Ihrer vor⸗ maligen Freundin hinein, und jeder Zweifel wird auch Ihnen ſchwinden. Fiel wol der fernſte Gedanke, eine Ahndung, das Atom eines Argwohns damals, als die That entdeckt wurde, auf dieſe Marie? Selbſt der roheſte der Domeſtiken, Leute, die ſonſt ohne Schonung urtheilen, war auch im Fernſten nicht aus Bosheit oder Gemeinheit auf dieſen Argwohn ge⸗ rathen. Die Freunde und Juriſten, mit denen ich mich be⸗ rieth und die die ganze Einrichtung unſers Hauſes kennen, die alle Diener damals, ſogar bis auf meinen lieben alten Melchior ausfragen wollten, fielen niemals auf den Vor⸗ ſchlag, die ſchweſterliche Hausfreundin nur zu vernehmen. Der Bruder, der die Perſon haßt, der ſie verfolgt, hat ſich im Zorn nie die Silbe eines Argwohns verlauten laſſen. So ſtark wirken auch auf die ſtärkſten, auf feindſelige Seelen, Verblendung und Vorurtheil. Denn, überlegen Sie Alles jetzt mit kaltem Blut, iſt der Raub wohl anders begreiflich, als nur dadurch, daß ſie ihn begangen haben muß? Und nun nennen Sie dieſe unmittelbare Regung ihres Gewiſſens, die ſie, indem ſie ſich nicht bewachte, zu jener Bitte trieb,

Tieck's Novellen. IX. 20

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ein Wort, ein unbedeutendes, gewöhnliches Wort? Das Ge- ſtändniß war es, Liebe, nur in einer andern Form. Und warum ſchlug denn nun dieſes Erſuchen wie ein Blitz durch mein ganzes Weſen? Weil ich ſo urplötzlich meine Verblen⸗ dung abſchüttelte und dieſe Marie mir in ihrer ganzen Ver⸗ worfenheit in einem Seelenaufblick vor meinem innern Auge ſtand. O hier war in ihr, wie mir, mehr als Wort, es war eine plötzliche, unmittelbare Offenbarung. Und das ſind jene ſonderbaren Zuſtände, in welchen ſich ſchon oft dem Kundigen Räuber und Mörder gegen ihren Willen offenbart haben.

Jetzt brachen die Thränen aus den Augen der Fürſtin, unter Schluchzen ſagte ſie: Ach! was iſt der Menſch, wenn dieſe Anklage Grund hat? Der Gedanke, Xaver, will mir das Herz abſtoßen. Hat ſie es gethan, ſie, die ich ſo lieben mußte, deren Gemüth und Seele ich ſo ganz zu verſtehen glaubte, ſo bin auch ich einer ſolchen Schändlichkeit fähig.

Sie kämpfen jetzt mit ſich, meine edle Adelheid, ſagte Xaver, Sie thun ſich ſelbſt Unrecht, um das Unrecht der feindſeligen Freundin zu mindern. Sie werden ſich wieder⸗ finden und dann ſehen, daß nur ein freier, verworfener Wille, der niedrige Entſchluß eines verweſeten Gemüths ſolcher Thaten fähig iſt, nicht die klare, lautere Unſchuld.

Und wenn ſie es geſteht? fragte die Fürſtin furchtſam; was haben Sie in dieſem Fall beſchloſſen? Nicht wahr, Sie laſſen Gnade für Recht ergehen und verſchweigen

Nein! rief Xaver erzürnt, zu dieſer feigen Schwäche ließ ich mich damals verleiten, und das hat die Folge gehabt, daß der Pöbel allerdings flüſtert, meine Gemahlin müſſe wohl ſelbſt um dieſen Raub gewußt haben. Nicht der Werth der Diamanten iſt hier das Wichtigſte, nicht ihre Wiedererſtattung die Hauptſache, ſondern daß der Giftmiſcher, der die heiligen

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Bande der Geſellſchaft zerftören, Vertrauen, Redlichkeit, die fromme Scheu vernichten will, dem Geſetze anheimfalle, da— mit alle Schwachen, Unſichern, halb Verführten vor ſich ſelber erſchrecken und in religiöfer Furcht, mit neugekräftigtem Wil- len, zum Altar des Rechtes und der Treue flüchten, um ſich vor ſich ſelber zu retten. Dieſe Feigheit, das Schlechte, weil es uns Höheren nahe tritt, weil wir vielleicht Beſchämung erleiden, zu verhehlen und zu verſchweigen, iſt ein wahrer Meuchelmord, an der Tugend begangen. Dieſe Schwachheit untergräbt die Pfeiler des Staates und der Geſellſchaft eben ſo ſehr wie Verrath, Lüge und Beſtechlichkeit, und um ſo ſchlimmer, weil wir unſre dürftige Unentſchloſſenheit wohl gar noch Großmuth und chriſtliche Milde taufen, die niedrige Menge es auch oft fo betrachtet und Das verehrt und lob— preiſet, was in uns Laſter iſt.

Bedenken Sie aber, ſagte die Fürſtin mit ſchwacher Stimme, die ſtarke, nahe Verſuchung.

Hier erſcheint ſie, ſagte Xaver ſtrenge, eben am abſcheu⸗ lichſten. Wenn ein roher, gemeiner Menſch dieſer Ver— ſuchung unterliegt, wenn der Habgierige, Geizige zugreift, der Dürftige, von Noth Gepeitſchte die lüſterne Hand aus⸗ ſtreckt, ſo liegt noch vielleicht eine Art von Entſchuldigung in der Verſuchung. Aber ſie, die Vertraute, die Tochter des Hauſes, Diejenige, in welcher die Seele einer Adelheid gleich— ſam wohnte fühlen Sie nicht, daß hier eine Abſcheulichkeit obwaltet, die ſchlimmer iſt, als Worte es auszudrücken ver⸗ mögen? f

Und Sie haben alſo beſchloſſen?

Ja, rief Xaver, dem Recht und Geſetz feinen Lauf zu laſſen. Meinem bloßen Verdacht nach, habe ich ſie noch nicht dem Gefängniß übergeben; ſo wie ſie heut aber vor den Richtern nicht beſteht, wird ſie dem Gericht überliefert.

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Gewiß iſt ihr ſogenannter Bräutigam, deſſen Namen ſie nie hat entdecken wollen, ihr verbündeter Gehülfe. Sie, Geliebte, müſſen ſich faſſen und dieſen Irrthum, dieſen Mißverſtand Ihrer Liebe aus Ihrem Herzen reißen. Der Himmel wird Ihnen helfen. |

Er reichte ihr die Hand und entfernte ſich. Adelheid kannte ihren Gemahl genug, um zu wiſſen, daß jede Bitte jetzt vergeblich ſei, denn ſo ſchwach der Prinz im gewöhn⸗ lichen Leben erſcheinen konnte, ſo feſt und unerſchütterlich war er, wenn er Das, was er für nothwendig hielt, beſchloſſen hatte.

Eine todte Traurigkeit, eine dumpfe Reſignation hatte ſich jetzt der Fürſtin bemächtigt. Sie dachte, wünſchte und fühlte in dieſen Augenblicken nichts. Früh dem älteren Manne vermählt, ohne um ihren Willen gefragt zu werden, hatte ſie ihr Herz und die Liebe nicht kennen lernen, ihre Ehe war nicht durch Kinder geſegnet, ihre Sittlichkeit und das Schickſal hatte fie bewahrt, irgend ein lockendes Ver⸗ hältniß mit einem jüngern Manne anzuknüpfen, der Stolz und die Rohheit des Bruders hatten dieſen von ihr entfernt, und ſo war es begreiflich, daß ſie eine übertriebene, glühende Liebe und Freundſchaft faſt willkürlich in ihrem Herzen für dieſe Marie entzündet hatte, die ſie verachten ſollte, von der ſich plötzlich ihr Gemüth mit Abſcheu abwenden mußte.

Der Fürſt hatte ſich jetzt ſeinem Seeretair eröffnet und dieſer machte es der Dienerſchaft bekannt, daß Marie, die Geſellſchafterin der Prinzeß, in ihrem Zimmer als Arre⸗ ſtantin verſchloſſen ſei. Ein allgemeiner Schreck bemächtigte ſich des ganzen Haushaltes, weil die Gefangene, durch die Gunſt der Herrin, faſt mehr Gewalt als die Fürſtin ſelbſt über alle Diener ausgeübt hatte. Waren Alle beſtürzt, ſo erſchrak doch Eduard am meiſten, der eben noch ſeinen zu⸗

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künftigen Schwager in Hoffnung ſo im Geheim zu dieſer Marie gelaſſen hatte, von den 1 mg Friederikens dazu verleitet.

Jetzt erſchien der Wagen, welcher die Richter und den Schreiber des Gerichts in den Palaſt führte. Sie waren in der Amtskleidung und Eduard und ein Diener öffneten ihnen die Zimmer, in welchen ſich Marie aufhielt, und ent⸗ fernten ſich dann wieder.

Die Richter nahmen feierlich Platz, der Schreiber ent⸗ faltete ſeine Blätter und der ältere Mann, welcher die weib⸗ liche Geſtalt, die ſich in einen Winkel des Saales zurück⸗ gezogen, mit ſeinen Blicken geprüft hatte, ſagte zu ſeinen Collegen heimlich: Ich kann die vielgeprieſene Schönheit an ihr nicht bewundern, ſie ſieht vielmehr fade und unbedeutend aus; der Wuchs iſt auch nicht ſonderlich. Und ſehen Sie nur, wie linkiſch ſie dort kauert, halb ſitzt, halb ſteht.

Das böſe Gewiſſen, Herr College, antwortete der Zweite, entſtellt den Menſchen ganz gewaltig. Iſt ein Ver⸗ brecher auch eigentlich von Haufe aus hübſch und wohlge⸗ bildet, ſo wird er doch nach und nach, durch das Bewußtſein ſeines Frevels, durch die Angſt, die ihn immerdar foltert, zu einer häßlichen Larve. Der Fall iſt ſchon oft vorge⸗ kommen.

Warum treten Sie nicht näher, Mademoiſelle? fragte jetzt der oberſte Richter.

Weil man es mir noch nicht befohlen hat, war die Antwort.

Nun wohl, ſo wird es Ihnen jetzt befohlen!

Das Frauenzimmer trat lächelnd näher, kam an den Tiſch und betrachtete die Richter mit prüfenden Blicken, dann ſagte ſie lachend: Das Coſtum iſt recht hübſch und täuſchend.

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Wie meinen Sie das? fragte der Jüngere.

Recht artiges Komödienſpiel wird das geben, ſagte ſie: und wann kommen die Zuſchauer?

Wer ſind die?

Nun der Prinz, die Fürſtin, der Geſandte, der Graf und wer ſonſt noch an dem Spaße Theil nehmen will.

Die Richter ſahen ſich ungewiß einander an und der Schreiber wußte nicht, ob er alles das protokolliren ſollte. Endlich ſagte der alte Mann im feierlichen Ton: Mein Kind, hier Spaß machen wollen, iſt völlig am unrechten Ort. Es handelt ſich hier um gar ernſthafte Dinge. Unter Anderm iſt hier die Rede von Auspeitſchen, an den Pranger ſtellen, Brandmarken und vieljährigem Einſperren in das gemeine Zuchthaus. Dies kann vielleicht um etwas gemildert werden, wenn Sie freiwillig und gütlich Alles bekennen, uns die Mittel angeben, wie der Raub wiedergefunden werde, uns Ihre Complicen nennen und, wie geſagt, uns den Prozeß leicht machen und die Entſcheidung beſchleunigen.

Sonderbare Menſchen! rief ſie laut lachend aus; Alles das paßt ja zu der Maskerade durchaus nicht, welche wir vorhaben; dazu will ſich die Rolle, die ich übernommen habe, nicht eignen. Kommen denn die andern Spieler bald?

O ja! die Büttel und der Kerkermeiſter mit den Ketten! rief unwillig der alte Mann.

Menſchenkinder, ſagte das Frauenzimmer, ſprecht nicht ſo dummes Zeug! Ihr wißt euch ja gar nicht in eure Rollen zu finden. Statt einen gutmüthigen komiſchen Pantalon zu agiren, wie euer Anzug doch verkündigt, ko⸗ miſchen Spaß zu machen und euch zur Ergötzlichkeit vor⸗ zubereiten, ſprecht ihr lauter Unſinn. Wenn es nicht anders kommt und ihr nicht einlenken wollt, werde ich gar nichts mehr ſagen, bis die Herrſchaften ſelber ein⸗

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treten, die zu ihrer Verkleidung aber auch ſehr lange Zeit brauchen.

Himmel! rief der Alte, ſie iſt aberwitzig! Sie hat den Verſtand völlig verloren.

Wahrſcheinlich, ſagte der Jüngere, fingirt ſie nur dieſen Wahnſinn, um das Gericht irre zu führen. Oder ſie ſchmei⸗ chelt ſich wohl gar, daß ſie uns überreden will, ſie ſei von jeher unklug geweſen und daher nicht zurechnungsfähig. Das kommt in neueren Zeiten auch oft vor, ſeitdem man das pſychologiſche Mitleiden gegen die Verbrecher erfunden hat, von denen in manchen Staaten viele unter dem Galgen wegſchlüpfen, weil die Herren Richter ſelbſt eine krankhafte Vorliebe für rare Narrheiten und Aberwitzigkeiten haben.

Alſo für unſinnig wollen Sie mich halten? rief die An⸗ geklagte jetzt, nun der Spaß mag fürs Erſte ſo mit hin⸗ gehen. Sie ſang laut, tanzte im Saal und faßte endlich die Hand des Schreibers, mit dem ſie unter lautem Lachen im Saale herumwalzte. Dann warf ſie ſich ermüdet in ihre Ecke und lachte wieder.

Herr Secretair! ſagte hierauf der alte, verdrüßliche Mann, gehen Sie unverzüglich zu Seiner Durchlaucht und melden dem Herrn, was ſich hier zuträgt und daß wir un⸗ möglich mit einer unklugen Perſon ein Verhör anſtellen können.

Der Schreiber verließ das Zimmer, indem er ſich den Schweiß von der Stirn trocknete. Sollen wir uns hier mit der tollen Creatur aufhalten und unſere Zeit verderben? ſagte der ältere Richter; ſtellt ſie ſich nur verrückt an, ſo wird man ſtrengere Maßregeln ergreifen müſſen, um ihr ihren Verſtand wiederzuſchaffen.

Jetzt trat der Prinz Xaver, dem der Secretair folgte, in den Saal. Wie? rief er, verrückt? Unmöglich! und was

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könnte ihr auch die Verſtellung nützen? Jetzt trat er näher und rief in der größten Beſtürzung, indem er des Frauenzimmers anſichtig ward: Himmel! was iſt das für eine Creatur?

Die Richter hatten ſich erhoben und Alles umgab jetzt die Unbekannte, die, da ſie erſt in ein lautes Lachen ausge⸗ brochen war, jetzt in Verlegenheit gerieth und die Blicke niederſchlug. Wo iſt Marie? rief der Prinz entrüſtet. Sie wird ſogleich zurückkommen, ſagte die Fremde; mich wundert, daß ſie nicht ſchon da iſt, denn mit der Verkleidung iſt ſie längſt fertig, die ihr auch recht hübſch ſteht.

Verkleidung? rief Xaver: wozu? Was hat das zu be⸗ deuten?

Nun, zur komiſchen Maskerade, ſagte Jene, zu der Ko⸗ mödie ex tempore, die wir ſpielen ſollten und mit der wir den Prinzen und ſeine Gemahlin überraſchen wollten.

Mich überraſchen? rief Xaver; nun ich bin jetzt über⸗ raſcht genug.

Wenn Sie der durchlauchtige Herr find, ſagte die fremde Perſon, ſo iſt freilich unſer Endzweck verfehlt, und mich ver⸗ drießt, daß Fräulein Marie immer noch nicht zurückkommt, um mir meine Kleider wiederzugeben; denn, da die Komödie nicht vor ſich geht, ſo ſchäme ich mich, vor Leuten, die nicht mitſpielen, mich in dieſem unziemenden Coſtum zu zeigen.

Setzen wir uns, meine Herren, ſagte der Fürſt, indem er einen Seſſel einnahm, wir wollen wenigſtens von dieſer Creatur erfahren, wie die Sache zuſammenhängt; alſo: wer ſeid Ihr? |

Ich habe gar nicht nöthig, ſagte die Unbekannte, meinen Stand und Namen zu verleugnen: ich heiße Martin Mühlen und bin Geſandtſchaftsſecretair beim Grafen Liangon, welcher nach Liſſabon als Geſandter vom Kaiſer Joſeph beſtimmt iſt.

Wunderlichkeiten. 313

O über die unerhörte Lüge! rief der Prinz aus, mein Schwager lebt jetzt auf ſeinen Gütern und es giebt keinen andern Grafen Liangon.

Er iſt, ſagte Martin, eigentlich der natürliche Sohn des Herrn Grafen, hat aber jenen Titel angenommen.

Der? ſagte der Prinz mit gedehntem Ton; dieſer un⸗ ſelige Abentheurer? Jetzt fängt mir Alles an klar zu wer⸗ den. Unglücklicher! wie ſind Sie in ſeine Geſellſchaft ge⸗ rathen? | |

Ich habe ihn in Brüſſel kennen lernen und er wurde dort mein Wohlthäter und Beſchützer. Er war dort mit allen Vornehmen in Verbindung, und durch ſie hat er auch jene Beförderung erlangt. Er iſt in der Stadt und wird mich bei meinen Eltern erwarten, wenn er nicht, wie er ver⸗ ſprach, hieher kommen ſollte.

Und Sie merken noch immer nicht, ſagte der Prinz, daß man Sie hintergangen und gemißbraucht, daß er, der Lügner und Räuber, längſt mit ſeiner verruchten Geſellin, dieſer Marie, die Thore der Stadt hinter ſich hat? Wie kom⸗ men Sie in dieſe Kleider? |

Martin erzählte: In der nächſten Stadt erhielt mein Beſchützer durch eine Staffette einen wichtigen Brief, der ihn erſt außer ſich verſetzte, dann ſammelte er ſich wieder und reiſte incognito hieher. Als wir angekommen waren, gab er mir ein Billet, ſetzte es durch, mich heimlich hier in dies Haus zu ſchaffen, und ſagte mir, ich ſolle buchſtäblich alles Das thun, was mir eine Dame hier anbefehlen würde, denn es ſei auf ein häusliches Feſt, eine Maskerade, eine Art Komödienſpiel abgeſehen, um den Prinzen Xaver und ſeine Gemahlin angenehm zu überraſchen. Als man mich eingeführt hatte, traf ich eine ſchöne große Dame, die mir erſt ſehr betrübt ſchien, dann aber, als ſie das Billet des

314 wunderlichkeiten.

Geſandten geleſen hatte, ſich erheiterte. Sie begrüßte mich nun freundlich und ſagte mir, daß wir künftig viel mit ein⸗ ander leben würden, heute aber müßte ich noch ſchnell zu einer kleinen Familienféte beitragen. Es ſei nöthig, daß ich mich als Frauenzimmer ankleide und daß ſie ſchnell meinen männlichen Anzug anlege. Sie ließ mir keine Zeit, zu über⸗ legen oder mich zu verwundern, denn ſie rannte ſchnell in das Cabinet, legte mir in zwei Secunden dieſen Habit, den ich jetzt trage, zurecht, ſtieß mich hinein, wo ich mich ſo ſchnell umkleiden mußte, daß ich kaum dieſe koſtbare Buſen⸗ nadel retten konnte. Nun ergriff ſie meine Sachen, und wie durch einen Zauber trat ſie nach zwei Minuten angekleidet aus dem Cabinet, ſah ſehr hübſch aus, umarmte mich und ſagte, ſie würde gleich wiederkommen, wo dann die Komödie oder der Maskenſpaß ſeinen Anfang nehmen würde.

Junger Mann, fing jetzt der ältere Richter an, Sie haben keine Anlage zu einem Diplomaten, denn als ſolcher haben Sie eine miſerable Rolle geſpielt. Wozu hatten Sie ſich vorher beſtimmt, ehe Sie dieſem Abentheurer in die Hände geriethen?

Eigentlich, ſagte Martin verlegen, bin ich ein Candidat der Theologie. N

Ein ſchöner Anzug, ſagte der Richter, für einen jungen Geiſtlichen und angehenden Prieſter. Sie ſehen in dem Habit aus wie eine jener unglückſeligen Fräulein oder Curti⸗ ſanen, die ſich im Dunkeln auf unfern Gaſſen umtreiben. Verzeihung, Durchlaucht, wenn ich etwas Ungeziemendes aus⸗ geſprochen habe.

Martin war jetzt ſo beſchämt, daß er es nicht wagte, die Augen aufzuheben. Ihm wurde es nach und nach ganz deutlich, daß er ſich als ein einfältiger Menſch betragen habe und wohl zur Theilnahme an einem Verbrechen verleitet worden ſei.

wunderlichkeiten. 318

Der Fürſt hatte ſchon längſt ein feſtes Auge auf die Tuchnadel Martins geheftet, die feine Halsverhüllung zu⸗ ſammenhielt. Zeigen Sie mir einmal das Juwel, ſagte er jetzt. Martin überreichte es ihm. Kein Zweifel! rief Xaver, man hat ſich nicht einmal die Mühe gegeben, das Käſtchen wegzunehmen, und bloß die Nadel iſt angeheftet worden. Sehen Sie, meine Herren, ſagte er jetzt, indem er ſich an die Richter wendete, ich habe dieſe Nadel eben nur berührt, ich bitte aber auf dieſen Punkt zu drücken, und Sie werden unten, indem die feine Goldplatte ſich aufthut, meinen und meiner Gemahlin Namenszug inwendig erblicken.

So wies es ſich aus. Dieſe Nadel, fuhr der Prinz fort, war nehmlich vormals ein Ring; ſie gehört zu jenem Schmuck, der uns im vorigen Jahre geraubt wurde. Es iſt jetzt klar, daß Marie ihn entwendete, was ihr bei dem un⸗ bedingten Vertrauen meiner Gemahlin nicht ſchwer wurde, und daß ſie dieſe unſchätzbaren Juwelen dann jenem Aben- theurer auslieferte, der ſie verkaufte, oder umfaſſen ließ, um durch die Summen, die er löſte, im Auslande den großen reichen Herrn zu ſpielen und ſich mit dem geſtohlnen Gut Freunde zu machen, iſt deutlich genug.

Die letzten Schleier fielen jetzt von den Augen des un⸗ glücklichen Martin herunter. Er ſah ſein ganzes Elend ein und erſchien ſich verächtlich. Der Fürſt ſchien ihn faſt zu beklagen, und die Sache hätte ſich vielleicht jetzt ſchon be⸗ ſchloſſen, wenn der junge Eduard Winter nicht mit einer neuen Klage hervorgetreten wäre. Man hatte ihn vorge— laden, um ſich über den Punkt zu verantworten, daß er gegen den Befehl den fremden Martin zur verdächtigen Marie gelaſſen hatte.

Gnädiger Herr, fing er an, ich bitte um Gnade, wenn ich gewiſſermaßen widerſpreche. Der Befehl war nicht ſo

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gar klar und deutlich, und die Anweiſungen, die ich von dem ehrwürdigen Herrn Melchior erhielt, dienten mehr dazu, mich confus zu machen, als mich aufzuklären. Er wollte ſelbſt Alles beſorgen, ſelber nach Allem ſehen, und ſo erfuhr ich ungefähr nur, daß die Geſellſchaftsdame nicht ausgehen würde, weil ſie unpaß ſei. Die klare, deutliche Nachricht, daß die bemeldete Dame ſich in eine Arreſtantin und Verbrecherin umgeſetzt habe, wurde erſt ſpäterhin deutlich ausgeſprochen, als fie ſchon in ihrer künſtlichen Verkleidung, als ein Herr Martin, entwichen war. Jetzt, nach der Entwickelung ſehe ich wohl ein, daß ich einen großen Fehler begangen habe, meinen Schwager in Hoffnung, den dummen Menſchen, hier heimlich in dies Gemach einzuſchwärzen. Aber, durchlauch⸗ tigſter Herr, was vermag die Liebe über uns arme Sterb⸗ lich nicht? Dieſe göttliche Naturkraft hat mich ſo über den Tölpel geſtoßen, daß ich mich dieſes ſchweren Vergehens ſchuldig gemacht habe. Eine gewiſſe Friederike, die Schwe⸗ ſter jener ſo lächerlich verkleideten Perſonnage, wußte mir ſo zu ſchmeicheln, ſagte mir ſo viele ſchöne und artige Sachen vor, daß ich in dieſen bethörten Augenblicken meinen Ver⸗ ſtand aufgab. Ich ſehe es aber wohl ein, gegenwärtig, daß es mit dieſer Liebe und Zärtlichkeit nicht ernſthaft gemeint war, und daß man mich nur hinterging, ungefähr ſo wie jenen verkleideten Einfaltspinſel dort. Habe ich mich nun vergangen, ſo kann ich mein Verſehen durch eine große, eine höchſt bedeutende Entdeckung wieder gut machen. Ich glaube nehmlich jetzt, daß die Mutter des Patrons da tief in das Complott verwickelt iſt, daß ſie um den Raub der Juwelen und Alles genau gewußt hat, daß ſie Hehlerin war und ihr ein ſehr bedeutender Gewinn von dieſem ungeheuern Dieb- ſtahl nicht kann entgangen ſeyn.

Martin erhob ſich entrüſtet und der Fürſt ſah den

Wunderlichkeiten. 317

Redenden ſcharf an. Wie beweiſen Sie Ihre Anklage? fragte der Richter.

Sogleich, meine verehrten Herren, antwortete Eduard. Wenn ich aber nicht Unrecht habe, ſo wird es ſich auch wohl ausweiſen, daß jener flachsköpfige Burſche nicht ein ſolcher Gimpel iſt, wie er einer zu ſeyn ziemlich künſtlich vorgiebt und ihn auch natürlich genug darſtellt.

Faßt Euch kurz, ſagte der Fürſt, und laßt das unan⸗ ſtändige Schelten. s

Durchlaucht, fuhr Eduard fort, ohne ſich ſtören zu laſſen, wenn es ſich zeigt, daß er ein ausgemachter Spitzbube iſt, ſo iſt es ja noch viel ſchlimmer, als wenn er nur ein Dumm⸗ kopf wäre. Ich meine aber jetzt, die ganze Familie dieſes zu blonden Liſſaboner Geſandtſchafts⸗Secretairs iſt, Weiber und Kinder, Mannſen und Weibſen, nichts als ein einziges großes Gaunerneſt.

Und der Beweis? fragte der Fürſt.

Kein ſtrenger Beweis, fuhr Eduard fort, aber die aller⸗ größte Wahrſcheinlichkeit. Schon lange munkelt man davon, und ſeit einigen Tagen weiß ich es auch aus der ſicherſten Quelle, aus dem Munde meiner ſo ſcheinbar zärtlichen Frie⸗ derike, der Schweſter des Delinquenten da, daß die Mutter des armen Sünders, die Frau Mühlen, eine unſchätzbare Gemäldegallerie beſitzt, in der ſich Meiſterwerke der Caracci, des Domenichino, Correggio, Titian, Julio Romano, nebſt vielen der herrlichſten Niederländer, unter andern ein ganz einziger Van Eyck befinden, die Landſchaften des Claude und Pouffin, die Rembrands, die ausgeführten Bildchen eines Gerard Dow gar nicht einmal mitgerechnet. Woher kommt nun, fragt ſich jeder Verſtand, eine arme Bürgersfrau, die ſich und ihre Familie von einer Penſion erhalten ſoll, die etwa nur vierhundert Thaler beträgt, zu einer Gemälde⸗

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gallerie, wenn fie nicht zu den natürlich hohen Preiſen von geſtohlnem Gelde eingekauft iſt? Iſt dies Geld nun ge⸗ ſtohlen, und unſer Martinchen iſt ein Hauptfreund des Spitz⸗ buben, und der Spitzbube ein Bräutigam der Räuberin, und Martin hat Juwelen von ihm, und die Mama Martins hat eine ungeheuer koſtbare Bildergallerie, ſo möchte man doch darauf ſchwören, daß der geſtohlene Schmuck zum Theil in Bilder umgeſetzt ſei, und daß, wenn der Frau Mühlen vielleicht die Bilder nicht ſo ganz eigenthümlich gehören, ſie doch die Hehlerin iſt und ihren Theil vom Raube bekommen hat. Meine verehrte Herren, ich liebe die ſchelmiſche Frie⸗ derike immer noch herzinnigſt, obgleich ſie zu dieſer Natter⸗ brut gehört, aber die Tugend ſteht in meinem Herzen höher als die Liebe, dieſe opfere ich jenem allerhöchſten Gut, wenn auch mit blutendem Herzen, denn, wie die Weltweiſen ſagen |

Genug! rief der Prinz und Eduard verbeugte ſich ver- ſtummend. Er ſah die Richter an und der ältere ſagte: So ſonderbar dieſer Handel auch ausſieht, ſo mährchenhaft der Bericht auch von dieſer merkwürdigen Bildergallerie klingt, ſo iſt es doch wohl unſre Pflicht, Erkundigungen über dieſe Sache einzuziehen, denn die Frau Mühlen, wenn es ſich nach der Ausſage des jungen Mannes irgend ſo verhält, kann wohl im Verhör von dem entflohenen Räuber oder den Juwelen Nachricht geben.

Er ſchickte den Secretair fort, um heimlich die Arre⸗ ſtation der Frau Mühlen zu verfügen. Jetzt weinte Martin laut, daß ſeine Mutter zugleich mit ihm ſo beſchimpft werden ſollte. Der Fürſt betrachtete ihn aufmerkſam und ſagte dann: Geben Sie Ihrem Schmerze nicht ſo nach, junger Mann, es ſoll nur jo viel geſchehen, als unumgänglich noth- wendig iſt. Es iſt möglich, daß Sie unſchuldig ſind und

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daß die Vermuthungen meines geſchwätzigen Portiers ſich als ungegründet erweiſen.

Bei dem Worte „Portier“ fuhr Eduard Winter haſtig mit dem Kopfe auf, als wenn er heftig antworten wollte, vor dem ſtrengen Blicke des Fürſten aber ſenkte ſich ſein über⸗ müthiges Auge. Der Fürſt fuhr fort: Es trifft ſich, daß der Profeſſor Reishelm eben mit einigen andern Künſtlern bei meiner Gemahlin, die Zerſtreuung bedarf, ſich befindet; ſie zeichnet und betrachtet Bilder. Dieſe Herren aber werden am beſten geeignet ſeyn, die ſogenannte Gallerie zu beſichti— gen und ihren ungefähren Werth zu beſtimmen. Die Herren Richter haben wohl auch die Güte, ſich dorthin zu verfügen, um dort vorläufig, wie ſie die Umſtände finden, eine Unter⸗ ſuchung anzuſtellen.

Der Prinz, welcher den jungen Martin die Zeit über nicht ohne Rührung betrachtet hatte, hatte den Haushof⸗ meiſter herbeigerufen und dieſer führte den trauernden Can⸗ didaten in ein Nebengemach, wohin er einen ſaubern und vollſtändigen männlichen Anzug ſchaffte, damit Martin nicht ſo lächerlich vor ſeiner Familie erſcheinen dürfe.

Es wäre der alten Frau Mühlen vor einigen Tagen noch nicht eingefallen, daß fie dazu geeignet ſei, eine Be⸗ ſchützerin vorzuſtellen. Sie erſtaunte daher nicht wenig, als ein ganzer Zug von Menſchen ſich bei ihr einftellte, die ſich ihrer Gnade und ihrem Einfluß empfahlen. Durch Eduards Geſchwätz, durch Friederikens Leichtſinn und der Mutter Gutmüthigkeit war es in mehreren Familien der ärmeren Claſſe bekannt geworden, daß der junge Martin Mühlen, ein vormals unbedeutender Menſch, jetzt der Liebling eines einflußreichen Geſandten, eines höchſt vornehmen Mannes

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jet, eines Millionairs, der Taufende fo wegwarf, wie Andere den Groſchen ausgeben. Seit der alte Simon ſeine ganz verarmte Schwägerin und deren Tochter Henriette in einen gewiſſen Wohlſtand verſetzt hatte, waren dieſe beiden Frauen⸗ zimmer mit Eifer darauf bedacht, ihre Lage noch mehr zu verbeſſern. Eduard hatte ihnen erzählt, in welchen Erwar⸗ tungen und Ausſichten Martin Mühlen lebe, und nun meinten ſie, und der alte Simon ließ ſich endlich von ihrem Geſchwätz auch zu dieſem Glauben überreden, es hange nur von der Vorſprache dieſer Frau ab, den mißrathenen Eduard auch als Secretair oder Rendanten oder Freund des Grafen Liangon nach Liſſabon zu verpflanzen und ihm, der doch ge⸗ wiß klüger als Martin ſei, eine glänzende Laufbahn zu er⸗ öffnen. Simon, der mehr die Welt kannte, ging auf dieſe Anſicht deswegen ein, weil er meinte, nichts ſei ſo wirkſam, einen ſchon verlornen Windbeutel zu curiren, als eine Ent⸗ fernung aus feinem Vaterlande. Der alte Großvater Emm: rich war nur darüber erfreut, daß es wieder einmal ein Thema gab, über welches er unermüdet ſchwatzen konnte. Er ſah, nach ſeinen Reden, wenn der Geſandte nur die erſten Schritte für Eduard gethan hätte, dieſen ſchon als Staats⸗ mann, General oder Minifter in den allerhöchſten Stellungen wirkſam und regierend.

Der ganze Zug dieſer Familie machte ſich alſo auf, um die beſcheidene Wohnung der Frau Mühlen aufzuſuchen, ſich ihr zu empfehlen und um ihren Schutz zu bitten. Die alte

Mühlen erſtaunte über dieſe Anmuthung, aber man ver⸗ wunderte ſich noch mehr, als man ſich gegenſeitig erkannte. Jene Mutter und Henriette empfahlen ſich dem Schutze der Frau, welche den Verarmten jenes Bild neulich abgekauft hatte, das die Kennerin mit ihrem ſichern Auge für eins der vorzüglichſten des Van Eyck erkannte. Simon machte dieſen

Wunderlichkeiten. 321

Geſprächen ein Ende, indem er mit kurzen Worten das Ge⸗ ſuch vortrug, wie Frau Mühlen und Friederike und Lucie, vor Allen aber der edelſte Sohn, Herr Martin, höflichſt ge⸗ beten würden, ſich für den verwilderten, aber darum doch nicht verlornen Eduard bei dem mächtigen Geſandten zu ver⸗ wenden. Am meiſten, nachdem die Andern vollendet hatten, verbreitete ſich der alte Großvater über dieſes Thema, der immer noch, ſo viel er es vermochte, die Partei dieſes Eduard genommen hatte. Wir, ſagte er zum Schluß, die ganze Fa⸗ milie hier, haben ihm zwar vor einiger Zeit unſern feier⸗ lichen und einſtimmigen Fluch gegeben. Ich wollte anfangs nicht mit in dieſen Strängen ziehen, da ich aber überſtimmt wurde, ſo fügte ich mich denn auch dem allgemeinen Wunſche. Unſern Segen geben konnten wir ihm nicht, ſo wie er ſich bis dahin aufgeführt hatte: und ſo iſt denn freilich Etwas beſſer als Nichts, und darum bekam er den Fluch; was ich freilich einigermaßen übelnehmen konnte, denn es geſchah hauptſächlich deswegen, weil er ſich nun ganz und unbedingt der Malerei widmen wollte. Das war unſerm Simon fa⸗ tal. Ich bin aber ſelbſt in meiner Jugend ein großer Maler geweſen, und es iſt gewiß nur mein Blut und verkanntes Genie, was jetzt ſo in dem jungen Menſchen arbeitet und drängt. Kurz, mit dem Fluche läuft er jetzt herum. Und dieſen müſſen wir ihm auch bei Gelegenheit wieder abnehmen, weil ihn das ſonſt incommodirt. Am beſten, daß Sie und der Geſandte und Kaiſer Joſeph ihn zu etwas machen.

Als Frau Mühlen ihr Erſtaunen überwunden hatte, er⸗ klärte ſie, daß ſie in dieſer Hinſicht gewiß nichts vermöchte und nur dankbar ſei, daß ihren Sohn ſo ganz unverhofft ein ſo großes Glück betroffen habe. Eduard ſei ſich aber ſelbſt am meiſten hinderlich, denn wenn er die pasgquillantiſchen

Tieck's Novellen. IX. 21

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Kupferſtiche, wie er ſich vorgeſetzt habe, noch herausgeben wolle, fo ſei er gewiß der ſchwerſten Verantwortung aus⸗ geſetzt.

Ein Pasgquillant! rief ni; der Großvater; worin beftehen die Pasquille?

Frau Mühlen erzählte ihm Einiges, und in welcher Ge⸗ ſtalt ſie ſelber in jener ſaubern Sammlung vorkomme. Ach was! rief Emmrich, Windſpiele, Seehunde, Kaffeekannen, das ſind ganz unſchuldige Geſchöpfe. Kein Menſch kann es übel⸗ nehmen, denen verglichen zu werden; ja, wenn es Eſel, Affen, oder gar Schweine wären, das ſind einmal die hergebrachten Thiergeſtalten, mit denen man eine Beleidigung ausdrückt; aber die Vergleichung mit den edleren ſoll ih kein Menſch zu Gemüthe ziehn.

So ſchwatzte er fort, bis ihm Friederike ſagte: Sie kommen auch in der Sammlung vor. Und wie? fragte Jener. Als Brunnen. Wie hat er das angeſtellt? Es ſteht ein Pfeiler da mit einem alten Kopf, ganz der Ihrige, auf dem iſt eine Schellenkappe und zwei Eſelsohren. Aus dem Munde der kenntlichen Figur läuft ein Waſſerſtrahl, in dem geſchrieben ſteht, was Sie ſo am liebſten an Redens⸗ arten gebrauchen. Das unermüdliche Waſſer fließt in ein großes Becken, in dem plätſchert eine Ente und eine Gans. Die Ente iſt Henriette dort und die Gans die verehrens⸗ werthe Mutter. Außerhalb grunzt ein großes Schwein, das einen breiten Hut auf hat und murrt: Fluch! Fluch ihm! Fluch! Und drunter ſteht mit deutlichen Worten geſchrieben: der Großvater Emmrich, nicht als Jungbrunnen, ſondern als unerſchöpflicher Narrenbrunnen, Jettchen als Ente, Mama als Gans und Onkel Simon als Eber. Was ſagen Sie dazu? | N

wunderlichkeiten. 323

Daß ich wenigſtens nun meinen obigen Fluch verdopple! ſchrie der Großvater ergrimmt und lief fort, ohne Abſchied zu nehmen. Simon ſtampfte mit den Füßen und brummte: Ein ungerathener Bube! Jettchen aber trocknete ſich die Augen und ſagte: Er iſt mehr als das, er iſt undankbar; wie oft hat ihn die Mutter mit dem Letzten, was ſie nur in ihrer kleinen Wirthſchaft hatte, erquickt.

Die Fremden wollten ſich entfernen, als der Großvater zitternd wieder in das Zimmer ſtürzte. Es iſt aus! rief er bleich und athemlos; wir ſind Alle verloren! das iſt nichts weniger draußen als eine Pulververſchwörung wie die damals in London. Das Haus und die ganze Straße hier wird in die Luft geſprengt werden.

Warum nicht gar! rief Simon; ſchwatzt der Alte nicht immer unſinniges Zeug?

Die Ausgänge ſind verſperrt, rief der Greis, zwei Com⸗ pagnien mit geladenen Flinten halten Wache, und zwei Feld⸗ ſtücke voll Kartätſchen ſind auf dem Flur.

Unſinn! ſagte Simon, fette feinen breiten Hut auf und ging hinaus. Er kam aber gleich wieder zurück und ſagte verwirrt: So viel iſt wahr, das Haus iſt von Wache um⸗ zingelt; was es zu bedeuten hat, mag der Himmel wiſſen.

Alle erſtaunten, es blieb ihnen aber keine Zeit, zu fra⸗ gen und zu erzählen; denn in der ſchwarzen Amtstracht und mit feierlichem Geſicht traten die beiden Richter herein, vom Secretair begleitet. Ihnen folgte, von Dienern des Gerichts eingefaßt, der ganz niedergeſchlagene Martin, und zum Be⸗ ſchluß trat Reishelm, der Director der Akademie, mit zwei andern Malern herein, an die ſich mit naſeweiſem Anſtande der Verräther Eduard drängte.

Die Frauen waren beängſtigt, und Keiner wußte, wie 21 *

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er ſich dieſe unvermuthete Erſcheinung auslegen ſollte. Wer iſt hier die Frau Mühlen? fragte der alte Richter. Ich, ſagte die alte, verwirrte Frau. Sind Sie die Tochter Friederike, fragte der Director Reishelm ſchnell, ſich zu Henriette wendend. Nein, ſagte dieſe ſchüchtern er⸗ röthend, ich bin hier im Hauſe fremd, dort ſteht meine Mutter. Reishelm betrachtete ſie noch eine Weile und ſchien von dem lieblichen Ausdruck des unſchuldigen Geſichtes gerührt.

Hier iſt, fing der Richter wieder an, ein berühmter Maler, ein großer Künſtler mit uns gekommen, der Herr Director Reishelm. Antworten Sie, Frau Mühlen, dieſem Herrn kurz und bündig, was er Sie fragen wird, ohne Zö⸗ gerung und ganz der Wahrheit gemäß.

Reishelm betrachtete nun auch die übrigen Figuren, die im kleinen Zimmer gedrängt an einander ſtanden. Er ging zur Alten, ſah ihr ſcharf in die Augen und ſagte ſchnell: Sie beſitzen eine Bildergallerie.

Wie ſollte ich arme Frau zu ſo etwas ee ant⸗ wortete ſie geängſtigt.

Keine Ausrede! rief Reishelm, das Haus iſt mit Wache umſtellt, wenn Sie nicht die Wahrheit ſagen, folgen Sie dieſen Herren ſogleich von hier in das Gefängniß.

In dieſem Augenblick ſprang die behende Friederike hervor und in den letzten Winkel des Zimmers hinein. Man hörte laut eine Ohrfeige ſchallen. Eduard war es, welcher ſie empfangen hatte. Verräther! ſagte das Mädchen dann, und ging, nicht ſonderlich erregt, auf ihre erſte Stelle zurück.

Nun ja, ſagte zögernd und mit Pauſen Frau Mühlen: ich habe wenn Sie es ſo nennen wollen eine Bilder⸗ gallerie.

Und wie viel Stück ungefähr? fragte Reishelm.

Wunderlichkeiten. 325

An dreihundert, einige mehr oder weniger, ſagte die alte Frau, jetzt ſchon weinend.

Und Sachen von Werth darunter? Pouſſin? Claude Lorrain? Selbſt Tizians? Domenichinos und ſo weiter?

Ach ja! und Julio Romano, und Berghem, und Cor— reggio, und Rubbens, und Salvator Roſa.

Und wer gab Ihnen das Geld? Doch wohl der ſoge— nannte Graf Liangon? Oder Ihr Sohn, der es von dieſem erhielt? Oder Marie, die Geſellſchafterin der Prinzeſſin Raver?

Ei, bewahre! meinen Sohn abgerechnet, habe ich nie= mals eins von dieſen genannten Leuten gekannt.

Haben Sie dieſe Gallerie denn geerbt?

Nein.

Gekauft alſo?

Ja, nach und nach, in einer Reihe von Jahren.

Sind Sie denn ſo reich?

Bewahre, ich habe nur ein ſehr mäßiges Einkommen.

Wie haben Sie alſo ſo koſtbare Bilder zuſammenkaufen können? 8 |

Durch Prophezeiung.

Was verftehen Sie darunter?

Sehen Sie, Herr Director, fagte die Mühlen, ich habe die wunderbare Gabe, daß ich es weiß, wo es gute, ſeltene Bilder giebt. Sei es auf dem Trödel, in einer ſchlechten Boutike, oder irgendwo in einem unanſehnlichen Hauſe. Dieſe alle habe ich billig erhalten, und ſo iſt meine Gallerie entſtanden. Dieſe Frau kann mir bezeugen, wie ich vor einiger Zeit von ihr einen unſchätzbaren Van Eyck für drei Goldſtücke erſtand, der wohl zweitauſend werth iſt. Sie hätte ihn mir für Einen Thaler gelaſſen.

326 wunderlichkeiten.

Reishelm ſah die andern Maler mit einem forſchenden Blicke an und dieſe erwiederten ihm mit Achſelzucken. So geben Sie mir, ſagte er dann, den Schlüſſel zu dieſer Ihrer Gallerie. Die Frau zögerte, doch der Richter fügte mit ſtren⸗ gem Tone hinzu: Es iſt unumgänglich nöthig, und ich er⸗ ſuche, keine Umſtände zu machen, ſonſt werden Sie doch zu Dem gezwungen, was Sie jetzt noch freiwillig thun können. Die Alte fand ſich in die Nothwendigkeit, ſie ging ſeufzend und mit ſchwerem Herzen voran, um gegenüber des Wohn⸗ zimmers das größere aufzuſchließen, in welchem alle Bilder enthalten waren. Alle waren geſpannt, vorzüglich drückten die Geſichter der Maler die größte Erwartung aus. Mit Zittern ſteckte die Beſitzerin den Schlüſſel in die Thür, ſie drehte den Riegel zurück, das Gemach that ſich auf und Alle traten mit weit geöffneten Augen in den bunten Raum, wo Bild an Bild hing und Rahmen den Rahmen drängte. Wie es zu geſchehen pflegt, daß nach geſpannter Erwartung ein ſtummes Staunen, ein wortloſes ſtumpfes Verwundern die Sinne hinhält und das Bewußtſein, welches ſich noch nicht wiederfinden kann, faſt auflöſet: ſo geſchah es auch hier. Die Maler ſahen ſich um, waren ganz ruhig, beſchauten wieder die Wände, und indem jetzt Reishelm den prüfenden Blick von den Bildern zurückzog und ſeine Kunſtgenoſſen mit einer wunderbarlichen Miene anſah, brachen Alle in ein fo lautes und unauslöſchliches Gelächter aus, daß der älteſte dieſer Maler ſich auf das dort ſtehende Bett fallen ließ, um in der angreifenden Erſchütterung nicht auf den Boden zu ſtürzen. Eine Pauſe trat ein und nach dieſer wieder ein ſchallendes Lachen, ein kleiner Ruhepunkt, und zum dritten Male ertönte in den mannigfaltigſten Tönen das ſeltſame Chor dieſes Gelächters. Die Frau Mühlen ſtand als eine

Wunderlichkeiten. 327

Bildſäule der Verwunderung da, weil ſie ſich dieſe uner⸗ ſchöpfliche Ergießung der Luſt durchaus nicht erklären konnte, und Martin, der die Urſache dieſer Exploſion zu begreifen ſchien, verſank noch tiefer in Demuth und Beſchämung.

Jetzt ſagte der Director Reishelm, indem er die Thrä⸗ nen von den Augen trocknete: Verzeihen Sie, liebe Frau, dieſen Ausbruch, welchen uns die getäuſchte Erwartung er⸗ regte. Sein Sie nicht gekränkt, denn über den erſten Affect hat man niemals hinreichende Gewalt. In dem ruhigen, ungeſtörten Beſitz dieſer Gallerie werden Sie immerdar verbleiben können. Wir glauben Ihnen gern, daß Sie für dieſe Bilder nur weniges Geld gegeben haben, und ich fürchte ſogar, daß Sie zu den allergeringſten Preiſen noch viel zu theuer bezahlten. Macht es Ihnen Vergnügen, dieſe Dinge da für wirkliche Gemälde zu halten, ſo laſſen Sie ſie ruhig hängen, ſonſt rathe ich Ihnen, ſie wieder auf den Trödel hinzuſchaffen und ſich zu freuen, wenn Sie für den ganzen Kram nur wenige Groſchen wiederbekommen.

Die alte Frau war vernichtet. Der alte Emmrich, der ſich indeſſen umgeſehen hatte, trat jetzt hervor und ſagte: Sacht! ſacht, Herr College! wer wollte doch ſo abſprechend und übereilt urtheilen. Zu meinem freudigen Erſtaunen finde ich hier ſo manche meiner Jugendarbeiten wieder, die ſchon längſt meinem Gedächtniß entſchwunden waren. Und wie gut iſt Alles an dieſen Sachen von mir gedacht, wie wacker ausgeführt, die Conception poetiſch und die Arbeit liebe⸗ voll und fleißig, die Zeichnung richtig, die Gewandung großartig und das Colorit ganz der alten Meiſter würdig. Die Zeit und der Staub haben nun noch die gehörige Bräune hinzugefügt, ſo daß dieſe Werke meiner Phantaſie allerdings wohl für Galleriebilder gelten können. So iſt hier dieſe

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treffliche Kreuztragung, mein allererſter Verſuch, als ich es noch nicht einmal verſtand, die Farben auf die Palette zu ſetzen. Kann man von einem jungen Genie mehr verlangen?

Friederike trat hinzu. Dieſes? fragte ſie. Allerdings, antwortete der Alte. Das iſt daſſelbe, verſetzte ſie mit ihrem lebhaften, aufdringlichen Ton, welches wir neulich von der fremden Frau für drei Goldſtücke kauften und für einen ganz vorzüglichen Van Eyck hielten. Der greiſe Emmrich bückte ſich ſehr höflich vor der Frau Mühlen und ſagte: Hat Aehnlichkeit, nur iſt es in der Zeichnung correcter. Sie, liebe Frau, ſcheinen bei alle dem einen feinen Sinn e die Kunſt zu beſitzen.

Nach wenigen Fragen des Richters, welcher jett Alles aus einem andern Geſichtspunkt anſah, ergab ſich die völlige Unſchuld der Familie Mühlen, den Sohn Martin mit ein⸗ gerechnet, welcher geſtraft genug wurde, indem er von allen Staffeln ſeiner Hoffnungsleiter, die ihn ſo hoch zu tragen ſchien und die unter ihm zerbrochen war, bis tief auf den Boden hinuntergeſtürzt war.

Man verabſchiedete ſich von der Witwe, und der Richter ſowohl wie der Profeſſor Reishelm begaben ſich zum Fürſten Xaver, um dieſem die Reſultate ihrer Unterſuchung ae theilen.

Es waren nach dieſen Vorfällen ungefähr zwei Jahre verfloſſen. Um dieſe Zeit erhielt Frau W folgenden Brief von ihrem Sohn Martin:

„Geliebte Mutter! Wie ich Sie damals, bald nach der betrübenden ame ſtrophe verließ, wie ſehr wir Alle in Trauer waren, alles

wunderlichkeiten. 8

dies mag ich Ihnen kaum wiederholen, um Sie nicht von neuem zu betrüben. Ja, wir Alle waren damals recht zer— ſchlagen und enttäuſcht. Daß mein fo groß ſcheinender De- ſchützer ein gemeiner Abentheurer, Lügner und falſcher Spie- ler, ja ſogar ein Dieb und Räuber war, das Alles war zu trübſelig; daß ich mit angeklagt war, in den Verdacht, wenn auch nur auf kurze Zeit, eines theilnehmenden Schelmes ge— rieth, war für mein ehrliebendes Gemüth noch die aller⸗ ſchmerzlichſte Wunde. Und nun wurde zugleich der Glaube an Ihre Gallerie ſo grauſam zerſtört, in welcher wir ein Palladium, ein ſicheres Rettungsmittel für alle Zufälle und gegen die drohende Armuth zu beſitzen glaubten. Was wäre aus uns ohne die beiſpielloſe Großmuth des edeln Fürſten Xaver geworden? Daß er mir nicht nur jenen Ring und auch die koſtbare Tuchnadel, Theile jenes abſcheulichen Rau⸗ bes, ließ, ſondern mir noch obenein beide Stücke nach der höchſten Taxe abkaufte, dadurch erhielten Sie, Geliebte, ein recht anſehnliches Capital zur Dispoſition, denn die Sachen hatten einen weit höhern Werth, als wir es jemals in unſrer Unwiſſenheit glauben konnten. Ich fand dadurch Mit- tel, eine neue Laufbahn zu beginnen und in die redliche Bahn des Lebens wieder einzuſchreiten. So habe ich denn auf immer meinen unnützen Hochmuth überwunden, als Diplomat glänzen zu wollen, und Sie haben auch zu Ihrem Glück die Krankheit überſtanden, aus allen Ecken und Orten Bilder zu einer Gallerie zuſammenzukaufen. Und ſo iſt es denn Allen gut ergangen, außer jenem fatalen Eduard Winter, auf den meine Schweſter Friederike immer noch zu viel hält, und der, wie Sie mir in dem einzigen Briefe melden, den ich von Ihnen in Liſſabon erhalten habe, in eine Strafan⸗ ſtalt zu ſeiner Züchtigung gethan iſt. Denn die Frechheit

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war ohne Zweifel zu groß, den Profeſſor Reishelm als See⸗ hund und den Prinzen Xaver als Windſpiel in Kupfer ſtechen zu laſſen, und noch dazu die Namen und Stand und Würde darunter zu ſchreiben. Wie liebevoll vom Himmel, daß ſich nun der Fürſt Xaver und ſeine edle Gemahlin endlich eines Erben erfreuen. Dieſer theure Sohn iſt ihnen gewiß ein reichlicher Erſatz für jenen Schmuck, der ihnen auf immer entriſſen iſt.

Sie erinnern ſich, liebſte Mutter, wie traurig wir ſchie⸗ den, als ich nach Liſſabon die weite Reiſe antrat. Ich ſollte nun doch nach dieſem Lande kommen, das war einmal meine Beſtimmung; aber unter wie andern Bedingniſſen geſchah es nun. Ich hatte mich mit dieſen ſüdlichen Sprachen ſehr ge⸗ quält, um ſie einzulernen, der Menſchen, die ſie reden und handhaben können, ſind in unſern Ländern nicht ſo gar viele. Der kranke Baron alſo, der ſeiner Geſundheit wegen mit ſeiner noch kränkeren Gemahlin des warmen Klimas halber nach Portugal geſchickt wurde, und welche ihre zwei Kinder auch mitnahmen, ſahen mich als einen glücklichen Erwerb an, um ſie zu begleiten, da außerdem der gute Prinz Xaver mich ihnen empfohlen und mir das beſte Zeugniß gegeben hatte.

Ich habe Ihnen damals nur in einem kurzen Briefe meine glückliche Ankunft in der wunderbaren Stadt gemeldet. Es fand ſich nachher keine Gelegenheit, Ihnen zu ſchreiben, denn wir waren auf dem Lande, und als wir wieder in die Stadt kamen, hatte es die Ausſicht, als ob ich mit jedem abgehenden Schiffe wieder zurückſegeln könne; denn die gute Baronin wurde immer kränker und der Gemahl verwünſchte den Gedanken, daß er ſein Vaterland verlaſſen hatte.

Wie ich erſt in Portugal ſelbſt war, ſah ich wohl ein,

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wunderlichkeiten. 331

wie Weniges ich noch von der Sprache ſelber wußte. In⸗ deſſen, wenn man nur im Lande iſt, hilft Luſt und Noth ſchon nach, und ich konnte den Eltern, die kein Wort ver⸗ ſtanden, doch immer nützlich ſeyn. Die Kinder, die meiner Aufſicht ganz und gar übergeben waren, ließen ſich auch ſehr gut an, und ſo war mein Leben ein ganz leidliches.

Als wir wieder in der großen Stadt lebten, begegnete mir etwas recht Wunderbares. Ein ganz verhülltes Frauen⸗ zimmer (wie es Sitte iſt, daß ſie ſich hier ſo tragen) redete mich auf dem Platze an und beſchwor mich, ihr zu folgen. Man darf dergleichen Aufforderungen nicht trauen, und ich weigerte mich lange Zeit. Sie weinte und flehte, und ich ließ mich endlich bewegen, mit ihr zu gehen. Sie führte mich in das gemeine Stadtgefängniß, wo die Menſchen, wegen Schulden oder niedriger Diebereien und dergleichen Verbrechen, eingeſperrt werden. Hier war es nun, wo ich einen Mann finden ſolle, der mich durchaus ſprechen müſſe.

Ich trete in das Gefängniß zwiſchen viele Miſſethäter und arme Verſchuldete hinein, und wer iſt es, der abſeits auf einer Bank liegt, vermagert, bleich, in elenden, ſchmutzigen und zerriſſenen Kleidern? Wer anders, als mein ehemaliger Geſandter? Sie können ſich mein Ent⸗ ſetzen denken, das mich bei dieſem Anblick ergriff. Das war denn freilich ein ganz anderer Mann als jener, der mir zuerſt in Brüſſel auf dem Vorſaal des Gaſthofes begegnete. Ich kann nicht beſchreiben, wie gewaltig mich ein Erbarmen ergriff und tief durchſchütterte. War er auch ein Räuber und Verbrecher, ſo war er doch jetzt leidend, und gegen mich wenigſtens hatte er ſich immer ſehr gutthätig erwieſen. Ich gab ihm ſogleich Alles, was ich irgend entbehren konnte, und durch Hülfe und Vorſprache unſers Geſandten, ſo wie durch

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die Beihülfe meines gutmüthigen Barons wurden ſeine Schul⸗ den bezahlt und er aus dem Gefängniß befreit.

Seine Marie war nicht mehr ſchön und reizend. O Himmel, wie kurz iſt doch der Sommer ſo mancher Men⸗ ſchen, die Aufſehen in der Welt machen! Der Schmuck, ſo geſtanden ſie mir ſelbſt, war bald bis auf den letzten Stein durchgebracht geweſen. Da an jedem ein Grauen hing und eine furchtbare Erinnerung, ſo ließ er um ſo lieber jedes Angedenken aus ſeinen Händen fliegen. Er war auch unter Spieler gerathen, die dieſe Künſte noch beſſer verſtanden als er ſelber, und dieſe hatten ihn geplündert. Dann hatte er den Fecht⸗ und Sprachmeiſter gemacht und im Franzöſiſchen Unterricht gegeben; er fand auf dieſem Wege ſeinen reich⸗ lichen Unterhalt, wenn ihn nicht das Spiel und die thörichte Wuth, das Verlorene wiederzugewinnen, von Neuem dem Elend überliefert hätte. Nun war er aber befreit und er kehrte zu ſeiner vorigen Beſchäftigung zurück, natürlich unter einem ganz andern Namen. Ich habe es auch hier Niemand offenbart, daß ich ihn ſchon früher kannte, ſondern mich ſeiner nur, wie man glaubte, als eines Landsmannes angenommen. Wie wohl iſt es Einem doch eigentlich, im Mittelſtande zu leben, wo weder großes Glück noch ungeheures |. den Menſchen trifft! 3

Die Baronin wurde immer kränker, und es war augen⸗ ſcheinlich, daß im hieſigen heißen Klima keine Heilkraft für ſie ſei. Der Mann, der ſeine Frau zärtlich liebte, mußte ſie zu ſeinem Jammer ſo hinſterben ſehen. Als ſie begraben war, hatte er keine Ruhe mehr und ſo ſchifften wir uns ein.

Da er ſein liebſtes Gut nicht mehr mit zurückbrachte, ſo kam es ihm nicht darauf an, ſchnell in ſein Vaterland zurückzukehren, es war ihm im Gegentheil ein Umweg, der

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ihn zerſtreuen konnte, lieber. So reiſten wir denn nach Neapel und kehrten durch Italien in das Vaterland zurück. Er hat auf dieſen Reiſen feine Geſundheit völlig wiederbe⸗ kommen, die Kinder ſind blühend, und ich habe, ſo wenig ich es noch hoffen durfte, auch meine Luſt gebüßt, fremde Länder zu ſehen.

Zurückgekommen, ſchien es mir nun Zeit, auf irgend eine Stelle und Verſorgung zu denken. Mein guter Baron hatte einen General hier als vertrauten Freund; ſie fanden ſich auch unvermuthet wieder. Dieſer General, ein etwas rauher Mann, hat mich bei feinem Regiment als Feldpre⸗ diger angeſtellt. Er meint, es müſſe ſich nach einiger Zeit in der Stadt oder auf dem Lande wohl eine paſſende Pfarre für mich finden, und ſo verrichte ich in dieſer Hoffnung mein ziemlich beſchwerliches Amt, weil die jungen Herren Offiziere es nicht an Neckereien fehlen laſſen. Der gute Baron hat mich vor ſeiner Abreiſe nach ſeinen Gütern dem General noch einmal dringend empfohlen, und da dieſer angeſehene Mann bei Hofe und bei dem Minifterium Freunde von Macht und Einfluß hat, ſo iſt meine Hoffnung, wohl bald befördert zu werden, nicht auf Sand gebaut; wenigſtens kein ſolcher luftiger Traum als damals, wo ich mich ſchon mit Stern und Ordensband herumlaufen ſah.

Liebſte Mutter! Der Brief war liegen geblieben, und es iſt mir um ſo lieber, weil ich Ihnen nun etwas Be⸗ ſtimmteres von meinem künftigen Leben und Schickſal melden kann. Auch der Geringſte der Menſchen wird von der Hand der Vorſehung wunderbar geführt. In unſern Gegenden war viel Gerede von einer Begebenheit, und da eben in der großen Welt ſeit lange nichts Neues vorgefallen war, ſo machte eine in der nächſten Feſtung vorgefallene Sache um

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ſo mehr Aufſehen. Es hatte nehmlich ein Lieutenant ſeinen Hauptmann erſtochen, der Mörder war verhört, gerichtet und verurtheilt worden und ſollte nun binnen Kurzem enthauptet werden. Manche Militairs, ſelbſt mein General, nahmen die Partie des Mörders, oder entſchuldigten wenigſtens ſeine That auf gewiſſe Weiſe. Der Lieutenant war ein Fremder und durch Protection im Regiment eingeſchoben. Das ver⸗ droß ſchon einige Fähnrichs und jüngere Unterlieutenants; da indeſſen der fremde Mann viele Conduite zeigte und ſchon im reiferen Mannesalter ſtand, ſo fanden ſich die jungen Menſchen bald darein, daß dieſer ihnen vorgezogen wurde. Die Hauptleute aber waren noch mehr aufgebracht, weil ſie fürchteten, dieſer Mann, der ſich der Protection von angeſehenen Männern erfreute, der viele Kenntniſſe beſaß und ſich durch ein vornehmes und edles Betragen auszeich⸗ nete, würde auch ihnen bei erſter Gelegenheit vorgezogen und in einen Poſten eingeſchoben werden. Ein roher Menſch unter dieſen Hauptleuten, den eigentlich Alle gern los ge⸗ weſen wären, machte ſich nun ein Geſchäft daraus, dem fremden Mann alles Mögliche in den Weg zu legen und ihn recht eigentlich zu chikaniren, fo oft er mit ihm i in Dienſt⸗ verhältniſſen ſtand.

Das ging eine Weile ſo hin. Einmal in Geſellſhaft aber war der Hauptmann ſo ausfallend, ſuchte ſo gefliſſent⸗ lich Händel, daß der Lieutenant ihn forderte. Der Capitain aber behauptete, er, als Vorgeſetzter, brauche ſich nicht zu ſtellen und deshalb werde er ſich nicht mit ihm ſchlagen; Jener habe kein Recht, ein Duell zu verlangen, denn es ſei noch gar nicht einmal ausgemacht, ob der Herausfordeker von ächtem Adel ſei.

Hier iſt nun der Punkt, wo die Herren Offiziere ſelbſt

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verſchiedener Meinung find. Viele, unter andern mein Ge⸗ neral, behaupten, der Lieutenant dürfe Jenen allerdings for⸗ dern, und der Hauptmann müſſe ſich ſtellen, wenn er nicht für einen Feigen und Ehrloſen gehalten ſeyn wolle, beſon⸗ ders da er jenen Mann gekränkt und beleidigt und ſeine Ehre verletzt habe. Manche der jüngeren Herren gaben aber dem unverſchämten Hauptmann Recht und der Streit wurde ſo heftig, daß nur wenig fehlte, ſo hätte die Sache auch bei unſerm Regiment Duelle herbeigeführt. Kurz, es kommt ſo weit, da der Hauptmann ſeine Beleidigungen nicht unterläßt, ſich aber hartnäckig weigert, dem Andern Genugthuung zu geben, daß in einem heftigen Gezänk der Lieutenant ſich vom Zorn ſo ſehr übermannen läßt, daß er ſeinen Gegner an der Wirthstafel niederſticht.

Nach dem Geſetz war der Thäter des Todes ſchuldig. Unſer alter General iſt aber darüber böſe, daß die andern Offiziere in der Feſtung den Krakeler nicht dazu gezwungen haben, ſich dem Lieutenant im Duell zu ſtellen, oder, wenn er ſich durchaus geweigert, daß ſie nicht erklärten, nicht mehr mit ihm dienen zu wollen.

Als der Lieutenant verurtheilt war, binnen wenigen Tagen enthauptet zu werden, begehrte er in feinem Gefäng⸗ niß den Troſt eines proteſtantiſchen Geiſtlichen. Der Feld⸗ prediger dort war ſelber krank und die Stadt katholiſch, ſo erging an meinen General und mich das Erſuchen, daß ich hinüberkommen möchte. Ich unterzog mich gern dieſem Ge⸗ ſchäft, weil ich wußte, daß ich einem verirrten Bruder in ſeinen letzten Stunden tröſtlich und hülfreich ſeyn würde. Die Geiſtlichen dort waren böſe, weil der Gefangene ihre Beſuche zurückgewieſen hatte.

Man führte mich in das Gefängniß ein. Ein anſtän⸗

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diges Zimmer war es, die Fenſter vergittert und Schild⸗ wachen vor der Thür. Liebſte Mutter, ich konnte mich nicht zurückhalten, laut weinend fiel ich dem Verurtheilten um den Hals, denn es war wieder Niemand anders als jener unächte Graf Liangon. Er war auch verwundert, mich in dieſer Geſtalt wiederzuſehen, freute ſich aber dann über die Wen⸗ dung ſeines Geſchicks, daß ich es grade ſeyn mußte het ihm feine legten Stunden erheitern ſollte.

Der Mann war außerordentlich gefaßt. Er ſah ſich ſelbſt nicht mehr ähnlich, denn er hatte ganz den vornehmen Leichtſinn, der ihn früher ſo angenehm charakteriſirte, abge⸗ legt. Er war ernſt und ſeine Haltung ganz edel, ſo daß man Achtung vor ihm haben mußte. Meine Marie iſt auf der See geſtorben, ſo erzählte er mir: iſt es nicht wunderbar, daß jenes einzige Wort, jene Unbeſonnenheit unſer ſcheinbares Glück auf immerdar vernichtete? Denn ich ſah ein, als ich dieſe Nachricht von ihr empfing, daß ich nun meine Stellung, die ich mir durch Liſt, Klugheit, Betragen, Beſtechung und Verſchwendung mühſam errungen hatte, nicht mehr halten konnte. Dies Wort, das wie eine Pulverent⸗ zündung das vieljährige Vertrauen des Prinzen in einem Nu zerſchmettert hatte, war mein Urtheilſpruch, zurückzutreten und künftig in unbedeutender Dunkelheit unter anderem Na⸗ men zu leben. Ich hielt es für Gewinn genug, die arme, von mir verführte Marie retten zu können. Das Vermögen, das ich noch beſaß, ward von mir gehaßt, es war wie ein Fluch, der am Golde und den Juwelen haftete. Ich verlor Alles, und nun lernte ich erſt kennen, was ein redlicher Er⸗ werb zu bedeuten habe.

Mit meiner Beſchäftigung, da ich endlich das wilde Treiben abgeſchüttelt hatte, gelang es mir, edle und einfluß⸗

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reiche Männer für mich zu intereſſiren. Als ich hier ange- kommen war, meinen Namen wieder hatte ändern und mir mit Kunſt Zeugniſſe meiner Familie ſchaffen müſſen, fühlte. ich recht innig, wie glückſelig der Redliche ſei, ſelbſt in ganz beſchränkten Kreiſen, in enger, dürftiger Lage, der geradeaus wandeln und jedem ſein Antlitz gerade aufrecht entgegenhalten könne. Marie, die Aermſte, war nicht mehr; ſie war auf der See der Krankheit und dem Grame unterlegen, die längſt an ihrem Weſen genagt hatten. Nichts tödtet ſo ſchnell als die Selbſtverachtung. Hier angeſtellt, ſchien mir das Glück wieder lächeln zu wollen; die höchſten Perſonen begnadigten mich mit ihrem Schutze, und ich erhielt die ernſteſten Ver ſicherungen, bald in einer höhern Sphäre angeſtellt zu wer— den. So geſchieht es nun auch. Und glauben Sie nicht, daß ich ſo verblendet bin, mir einzubilden, dieſer einfältige, rohe Capitain ſei es, welcher mich geſtürzt habe. Nein, eine höhere Hand hat ihn nur gebraucht, damit jenes verhüllte, jetzt wohl vergeſſene Verbrechen in dieſer Geſtalt an mir ge- ſtraft werde; die Vergeltung iſt meinen Schritten nachgegan⸗ gen und nimmt dies zum Vorwand, jenes ſchwerere an mir zu ahnden. Darum beuge ich mich, auch ohne nur zu mur⸗ ren, dem Geſetz, und mein Buſen empfand nach langer Zeit den Durſt, mich an den Tröſtungen der Religion, die ich ſonſt immer gering geſchätzt habe, zu erlaben und zu kühlen.

Ich, liebe Mutter, war von Allem ſo erſchüttert, daß es faſt das Anſehen gewann, als wenn er mir Troſt zu- ſpreche, damit ich nur meine Faſſung wiederfände.

Ich kann wohl behaupten, ich bin ſelten in einer from⸗ men und herzlichen Predigt ſo erbaut worden als in dieſen Geſprächen mit dem verurtheilten Verbrecher. Ich betete mit ihm und las ihm Vieles vor aus der heiligen Schrift, was

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er Alles mit Rührung und frommer Ergebenheit in ſein ganz geläutertes Herz aufnahm. Ich konnte die Erinnerung nicht abweiſen, wie ich ihm vormals tief in der Nacht aus jenem von ihm hochbelobten Gil Blas vorlas und er lachend dieſe Schelmereien pries und ſich an ihnen ergötzte, ja mir ſogar anmuthete, meine jugendliche Unerfahrenheit an dem leichtfertigen Buche zu bilden und Lebensweisheit aus ihm zu ſchöpfen. |

Der veredelte Menſch iſt als ein WS N frommer Chriſt geſtorben. Ich habe ihn nicht verlaſſen und ſein letzter Blick, bevor ihm die Augen verbunden wurden, traf dankbar in mein thränendes Auge.

Er hatte mir es geſagt (und Menſchen, die 0 ſterben, ſind oft den Propheten zu vergleichen), die Segnung des Himmels würde mir bei meinem einfachen und redlichen Streben, bei meiner ſchlichten Menſchenliebe nicht fehlen, und ſo hat es ſich nun auch ſchon erwieſen.

Es waren zu dieſer Hinrichtung Menſchen aus allen Gegenden herbeigeſtrömt, weil dergleichen, was jo viel Auf- ſehen gemacht hatte, lange nicht vorgefallen war. Als ich erſchüttert in meinen Gaſthof zurückgekommen war und mich anſchickte, zu meinem Regimente zurückzureiſen, ſagte man mir, daß ein alter Herr ſehr eifrig nach mir gefragt habe, der mich durchaus ſprechen müſſe. Als ich ihn erwartete, ſah ich nach einiger Zeit den guten Baron Flinter eintreten, von dem ich Ihnen auch ſchon erzählt habe, jenen Schach⸗ ſpieler, der mich durchaus als Pfarrer auf ſeinen Gütern haben wollte. Soll ich noch weitläufiger ſeyn? Ich bin mit ihm gereiſet, ich habe meine Probe- und Antrittspredigt mit allgemeinem Beifall gehalten, ich wohne in meiner ſchönen Amtswohnung, bin reichlich verſorgt und mit der

* Wunderlichkeiten. 339

Nichte des alten Predigers (der ſich immer noch ſo durch die Jahre hingekrüppelt hat), mit dem lieben Annchen, die ſeit⸗ her noch ſchöner geworden iſt, verlobt.

Nun fehlt alſo nichts, als daß Sie zu mir ziehen, ver- ehrte Mutter, um mein Leben ganz als ein Glücklicher führen und beſchließen zu können.

Dieſe Erfüllung traf nun auch nach wenigen Wochen ein. Baron Flinter hatte im Schachſpiel etwas zugelernt, und Martin, der auf ſeinen weiten Reiſen keine Gelegenheit gehabt hatte, ſich zu üben, hatte einige Feinheiten vergeſſen, ſo daß jetzt der Gutsherr in der Regel ſiegte, ohne daß ſein Prediger ſein Spiel zu maskiren brauchte. Als die Mutter einzog, brachte ſie noch einige ihrer liebſten Bilder aus der ehemaligen Gallerie mit, die übrigen überließ ſie dem Auctio⸗ nator; doch, ſagt man, habe ſie keinen knee Gewinn aus Ver Verſteigerung gezogen. | Nach einiger Zeit, als Eduard feine Strafzeit überftan- den hatte, kehrte er milder und als ein gebeſſerter Menſch zur Geſellſchaft zurück. Martin vermochte über ſeinen Patron, den Baron Flinter ſo viel, daß der jetzt moraliſch gewordene Eduard die Stelle eines Schulmeiſters im Dorfe erhielt. Er verheirathete ſich mit Friederike und führte ein ſehr an⸗ ſtändiges häusliches Leben und man konnte bemerken, daß die Dorfjugend alles Das von ihm einſammelte, was er ſelbſt erſt im Lehren lernte.

Lucie, die ſich mit einem Krämer in der Stadt verfpro= chen hatte, heirathete dieſen bald nachher und beſuchte nun zuweilen Mutter und Bruder.

Der Director und Profeſſor Reishelm hatte jene kleine

22

340 wunderlichkeiten.

Henriette ſo anmuthig gefunden, daß er ſich, ungeachtet Oheim Simon und Großvater Emmrich keine anmuthigen Zugaben waren, mit dem lieblichen Kinde in der Ehe ver⸗ band. Faſt vier und einen halben Tag, oder ungefähr hun⸗ dert Stunden, war in der Reſidenz viel von dieſer Mesalliance die Rede. Prinz Xaver und feine Gemahlin Adelheid nah⸗ men aber die Frau des Mannes, den ſie hochachteten, gern in ihren einſamen vertrauten Cirkel auf, wenn grade Graf Liangon oder andere ihm Aehnliche nicht zugegen waren. Martin blieb auf gewiſſe Weiſe noch in entfernter Ver⸗ bindung mit dem Hauſe des Fürſten. Er las jetzt, ſtatt des Gil Blas, mit Frau und Mutter, zu ſeiner Erbauung, Goldſmiths Dorfprediger von Wakefield. |

Brunn

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ei Der Rath Eßling war ſchon ſeit länger als einem Jahre mit ſeiner Cäcilie verheirathet. Die beiden Menſchen waren glücklich, und um ſo mehr, da die wackern Freunde, der Profeſſor und der geheime Rath, mit ihnen an demſel⸗ ben Orte geblieben waren und ſich dem jungen heitern Ehe⸗ paar immer näher anſchloſſen.

Die Freunde, welche die Erzählung vom „Waſſermen⸗ ſchen“ ) geleſen haben, werden ſich vielleicht noch erinnern, daß die Mutter Cäciliens ſich von dem liebenden jungen Rath Eßling ausbedungen hatte, daß er ſie mit Erzählun⸗ gen, Abentheuern und Novellen unterhalten ſolle, die ihr hoffentlich mehr, als die gedruckten Bücher dieſer Gattung zuſagen würden.

Der junge Mann hatte im vertrauten Kreiſe ſeitdem vielerlei vorgetragen, da ihm die Erfindung leicht wurde, er auch, wenn er in Verlegenheit gerieth, in ſeinen improviſir⸗ ten Romanen abbrechen konnte, wo und wenn es ihm be⸗ quem war. Oft trug er Erinnerungen und komiſche Vor⸗ fälle aus ſeinem eignen Leben oder dem ſeiner Jugendfreunde vor. Zuweilen erſtattete er einen kurzen Bericht aus dicken Büchern, die den Verfaſſern zu weitläufig gerathen waren, und zur Abwechslung las er auch vor, was ihm anziehend genug dünkte. Ä

*) S. Band V. S. 3.

344 Die Glocke von Aragon.

So abweichend die Anfichten der Mutter auch von denen des Erzählers ſeyn mochten, ſo konnte ſie ſich doch nicht verhehlen, daß ſie wirklich ſich unterhalten fühlte, und daß die langen Winterabende durch die Darſtellungsgabe ihres Schwiegerſohns anmuthig hinſchwanden, der nur ſelten Ge⸗ ſellſchaften beſuchte, ſondern lieber regelmäßig, ſo wie er nur ſeine Arbeiten vollendet hatte, dem kleinen Kreiſe der Familie und der vertrauten Freunde als Mährchendichter präſidirte. Er begriff jetzt mehr als ehemals, wie dergleichen Leute in Verſammlungen und Kaffeehäuſern des Orients ſo fließend und ohne Anſtrengung, ſelbſt ohne Unterbrechung ſtundenlang erzählen können, denn mit jedem Monate ward ihm dieſe Aufgabe leichter. Auch ergötzte er ſich daran, daß er zuweilen ſchon vorgetragene Mährchen als neue einſchwärzte, indem er einige Umſtände und Situationen veränderte und neue Perſonen einſchob. So hatte er aus dem „Novellenkranz von 18344 in einigen Abenden den Tod des portugieſiſchen Dichters Camoens “) vorgetragen, welcher die Frauen ſenti⸗ mental geſtimmt hatte. Als man Verſchiedenes hin und her geſprochen, nahm die Schwiegermutter das Wort und ver⸗ wunderte ſich darüber, daß der Verfaſſer jener Novelle nicht etwas mehr von jener Glocke von Vilella in Aragonien ge⸗ ſagt hatte. Es iſt immer hübſch, bemerkte ſie, wenn ſolche wunderliche Dinge noch vorfallen oder wenigſtens geglaubt werden, das putzt, ſo zu ſagen, das alltägliche Leben wie mit grellen Farben auf, die nicht bloß von Kindern an Pup⸗ pen und Spielzeug geliebt werden. Mir däucht, in unſern alten deutſchen Büchern wird weit mehr wie in neuern darauf Rückſicht genommen, und doch wollen wir uns immer poetiſch und romantiſch nennen.

*) S. Band III. S. 189.

Die Glocke von Aragon. 345

Während dieſer Rede war der Profeſſor in die Geſell⸗ ſchaft getreten. Er nahm jetzt das Wort, als der Rath eben erwiedern wollte. Wenn dieſe Glocke, ſagte er, immer das Unglück der Spanier hat vorher ſagen wollen, ſo iſt es wohl ſehr natürlich, daß man in unſern Zeiten gar nicht mehr von ihr ſprechen hört, denn ſie muß ſich längſt todt geſchrieen haben und von lauter unnützer Wahrſagung geborſten ſeyn. Sonderbar iſt es immer, daß vielleicht keine andere Abgeſchmackt⸗ heit durch unverdächtige Zeugen ſcheinbar ſo ſehr bekräftigt iſt.

Ei! Liebſter! rief der Geheimerath lachend aus; wo ge— rathen Sie hin? Haben Sie den Pater Gaßner und deſſen Teufelsbeſchwörungen und Wunderkuren vergeſſen? Die Zeichen, welche Caglioſtro ſehen ließ? Und nun gar alle die Spukgeſchichten, Teufelsbeſitzungen, Unbegreiflichkeiten, die vor unſern Augen vorgehen?

Sie haben gewiſſermaßen Recht, antwortete der ruhige Profeſſor, und ich bin nicht im Unrecht, denn ich habe mich nur etwas unbeſtimmt ausgedrückt. So ein lebloſer Wahr⸗ ſager, wie es eine Glocke aus Metall doch iſt, und der eine Rolle im Volksglauben ſpielen und ſelbſt Vornehme und Ge⸗ bildete, wie ſie heißen, für ſich gewinnen kann, Zeugniſſe, be⸗ ſchworne, von Notarien beſtätigte, für ein Wunder, das ſich am hellen Tage, in Gegenwart vieler Menſchen ereignet, eine Abſurdität dieſer Art, wollte ich ſagen, iſt meines Wiſ⸗ ſens noch niemals ſo ſtark beglaubigt worden. Denn daß der aberwitzigſte Schwärmer durch ſeine Perſönlichkeit und Unverſchämtheit Hunderte und Tauſende begeiſtert und mit ſich fortreißt, iſt auf vielen Blättern der Geſchichte zu leſen: wunderthätige Marienbilder, an die geglaubt wurde, fanden ſich auch oft, doch half hier die Kirche und die Geſammtheit der Kleriſei, jo wie die Feierlichkeit des Tempels dem vor⸗ eilenden Glauben.

340 Die Glocke von Aragon.

Nun, ſagte die ungeduldige Mutter, ſo erzählen Sie uns von dieſer Wunderglocke etwas Beſtimmteres, da Sie die Umſtände derſelben zu wiſſen ſcheinen.

Nicht zu weit von Saragoſſa, ſagte der Profeſſor, liegt oder lag ein Flecken mit einer mäßigen Gemeine Vilella. Hier ſtand auf der Höhe ein Glockenthurm mit zwei Glocken, welche frei zwiſchen drei Pfeilern hingen. Dieſes freiſtehende Glockenhaus mag nicht gar hoch geweſen ſeyn, wie man aus den nicht ganz deutlichen Beſchreibungen vermuthen möchte; es hing, wie in den ſüdlichen Ländern faſt immer, mit der Pfarrkirche nicht zuſammen, ſondern war wohl in einiger Entfernung von dieſer errichtet. Von dieſen beiden Glocken nun war die kleinere eine gewöhnliche, ganz proſaiſche, die größere aber eine Wunderglocke, die, ohne geſchlagen oder bewegt zu werden, von ſelbſt, ohne alle äußere Veranlaſſung zu Zeiten auf wunderbare Weiſe heftig läutete und ſtürmte, mit grellen Tönen Unglück des Landes ausſchrie und ver⸗ kündete, indem die Glocke ſelbſt, ſo wie es ſcheint, ſtill ſtand und nur der Klöppel bald nach den vier Himmelsgegenden hier oder dort anſchlug, oder ſich heftig umſchwingend, den ganzen Umfang der Glocke, mit einem grauſamen, erſchrecken⸗ den Getöſe, anklirrend, kratzend oder reibend, gewaltſam be⸗ rührte, und ſo zuweilen, ohne ſich Ruhe zu gönnen, ſtunden⸗ lang einen Lärmen verführte, daß die Einwohner benachbarter Dörfer das Getöſe mit Schrecken vernahmen.

Dieſe Wunderglocke ſoll ſehr alt ſeyn: manche behaup⸗ teten, der erſte Erfinder der Glocken habe ſie ſchon gießen laſſen. Ihre wahrſagende Kraft ſoll ſich, wie andere vor⸗ geben, ſchon in den älteſten Zeiten bewährt haben; ſie woll⸗ ten ein uraltes Gemälde geſehen haben, auf welchem mehrere Andächtige auf ihren Knieen dieſe Glocke, die in Bewegung iſt, verehren. Doch kann, wenn ein ſolches Bild ja exiſtirte,

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Die Glocke von Aragon. 347

es vielleicht ſpäter gemalt worden ſeyn, als in der Umgegend und nachher im Lande von dieſer Glocke mehr die Rede war. Denn im Jahr 1435 giebt es zuerſt ein Zeugniß, daß man dieſe Glocke habe freiwillig läuten hören, und da immer in einem großen Lande oder den angrenzenden Pro— vinzen ſich irgend ein Unglück zuträgt, ſo iſt es auch niemals ſchwer, eine Beziehung zu entdecken. Im Jahre 1667 war es das letzte Mal, daß ſich die unheilverkündende Glocke vernehmen ließ, und der Aberglaube hatte alſo nach kurzen Pauſen über zweihundert Jahre viele Menſchen geängſtigt und in Bewegung geſetzt. Lächerlich ſind die Urſachen, die manche Wundergläubige erſannen, um ſich die Erſcheinung zu erklären. So meinten einige, in die Glocke ſei einer der Silberlinge verſchmolzen, für welche Judas Iſcharioth den Heiland verrathen; andere glaubten, die Sprüche und Heiligen⸗ bilder auf dem Metall gegraben, wären die Urſache. Für ein Blendwerk böſer Geiſter, was ſonſt immer das wohl⸗ feilſte Auskunftsmittel iſt, wollte es keiner bei einer geweihten und getauften Glocke ausgeben. Daß Erderſchütterungen, Sturm oder Wind die Glocke von Zeit zu Zeit in Bewegung ſetze, ward von vielen und glaubwürdigen Zeugen abgewieſen, weil man, wenn ſie freiwillig tönte, alles verſucht hatte und beobachtet, um die Möglichkeit von dergleichen Einflüſſen zu ermitteln. Und warum ſchlug die dicht daneben hängende, viel kleinere Glocke niemals an, außer wenn ſie von den Läutenden in Bewegung geſetzt wurde?

Im November 1564 machte die Unbändige einen ſo großen Lärmen, und in ſo auffallend neuer Art, daß, wie Autoren verſichern, ſich den Hörenden die Haare vor Ent⸗ ſetzen aufſträubten. Doch geſchah nichts im Lande ſon⸗ derlich Trauriges, außer daß Soliman gegen Malta zog, deſſen Vertheidigung aber, da der Sultan wieder ab⸗

348 Die Glocke von Aragon,

ziehen mußte, den Namen des Großmeiſters unſterblich machte. |

Im Jahre 1568 wiederholte ſich das Wunder zur Er⸗ bauung und zum Schrecken vieler Gläubigen. Jetzt ward aber die unerklärliche Erſcheinung von Notarien, Prieſtern und Edelleuten ſchriftlich beſtätigt und mit Unterſchriften vieler angeſehener Namen bezeugt. Was man ſo gemeinhin Betrug nennt, konnte nicht wohl ſtattfinden, denn alles ge⸗ ſchah am hellen Tage. Nur waren die Gemüther vorbereitet und übermäßig aufgeregt, ſo daß ſie wohl nicht kalt und unparteiiſch genug waren, um ruhige Beobachtungen anzu⸗ ſtellen. Denn der eine fromme und verehrte Prieſter war ſo innig bewegt, daß er in die Kniee ſtürzte und in der An⸗ betung des Wunders ohnmächtig wurde. Man mußte ihn forttragen und er litt mehrere Wochen an einem Fieber, welches ihm Schreck und Angſt zugezogen hatten. In dieſem Jahre erhoben ſich die gedrückten und chikanirten Morisken in Granada und dem Gebirge der Alpuxaren, gegen welche Philipp der Zweite eine Armee und ſeinen Ruhm in einem traurigen Kriege auf das Spiel ſetzen mußte. Hurtado de Mendoza hat dieſen Feldzug muſterhaft beſchrieben. Man thut einen tiefen Blick in die Zerrüttung Spaniens, die ſich ſchon damals dem ſchärfern Auge offenbarte. Seit dieſem Kriege und Aufſtande der Morisken wurden dieſe von über⸗ triebenen Patrioten und der Mehrzahl der Geiſtlichkeit mit andern Augen betrachtet. Man hatte geſehen, was möglich ſei, wenn ſie ſich vereinigten und mit fremden Mächten ver⸗ bänden. Viele Exaltirte waren der Meinung, dieſe fleißigen Unterthanen, dieſe reichen und nützlichen Morisken könnten niemals gute und wahre Chriſten ſeyn, ſie würden durch Verſchwörung die Kirche und das Königthum in Spanien ſtürzen, und es gäbe nur ein Mittel, alles zu retten, ſie

Die Glocke von Aragon. 349

nehmlich völlig auszutilgen und aus dem Lande zu vertreiben. Es ſcheint, daß der behutſame Philipp der Zweite dieſen Meinungen und Einflüſterungen kein Gehör leihen wollte. Die Schwachheit ſeines jugendlichen, unerfahrenen Nachfol⸗ gers wurde aber von den bigotten Enthuſiaſten benutzt, um den König Philipp den Dritten für jene ungeheure Maß— regel der Vertreibung aller Morisken zu ſtimmen. Nun ließ ſich auch ſchon 1601 die verhängnißvolle Glocke von Vilella vernehmen, lauter, ungeſtümer und häufiger als jemals. Und diesmal wußte man auch ſchon beſtimmter als vor Zeiten, was ihr Lärmen bedeute; ſie warnte nehmlich vor dieſen ge— fährlichen Mohren. Sogar nach Rom, Paris und andern Orten wurde diesmal von dieſem Wunder und Vorzeichen, wie von einem offenkundigen, berichtet. Man erzählt ſich, daß in einem Vilella nahe liegenden, von Mohren bewohnten Dorfe, dieſe, als ſie das ungeſtüme prophetiſche Läuten und Anſchlagen vernommen, ausgerufen hätten: Wird denn nicht endlich einmal das Plaudermaul ſtill ſchweigen? Dem Könige ward von einem Richter eine Schrift übergeben, die alle Erſcheinungen meldete und zugleich die Nutzanwendung hinzufügte. Doch verfloſſen noch einige Jahre, und erſt 1609 erließ der König den grauſamen Befehl zur Vertreibung ſei— ner nützlichen Unterthanen, der vom Adel und den Behörden mit barbariſcher Härte ausgeführt wurde. Das Land ver- armte, aber der Fanatismus war ſo verbreitet, daß ſelbſt der edle verſtändige Cervantes in ſeinen reifſten Jahren dieſe abſcheuliche Maßregel mehr als einmal in ſeinen Schriften lobt.

Und Sie wiſſen, fragte die Mutter, die Sache oder das Wunder, vielleicht den Betrug, auf keine Weiſe zu erklären? Denn es ſcheint ja doch, daß das Faktum ſelbſt nicht abzu⸗ 3 iſt.

350 Die Glocke von Aragon.

Die eigentliche Erklärung bleibt aus, antwortete der Vor⸗ tragende. Iſt es aber nicht ſo oft bei manchen Dingen der Fall, wo wir klüger thun, uns beim Faktum und an der Erſcheinung zu begnügen, als den Urſachen und dem wahren Zuſammenhang nachzuforſchen? In ſeinem kritiſchen Theater hat der gelehrte Geiſtliche Feijo eine anziehende Abhandlung und Unterſuchung dieſer wunderſamen Glocke geliefert, aber indem er alle Zweifel und Einwürfe dagegen und alle Zeugniſſe für die Seltſamkeit einführt, bringt er es doch zu keinem Reſultate, tadelt aber den Aragoniſchen Chro⸗ niſten Zurita, der es von Saragoſſa doch unterſuchen konnte, daß er ſagt, er würde dies Wunder nicht glauben, wenn er es auch mit den Augen ſähe und ſeinen Ohren vernähme. Dieſe katholiſchen Autoren, vorzüglich wenn ſie Prieſter waren, mußten ſich, wenn ſie eine ſolche Region berührten, immer mit einer gewiſſen gläubigen Unbeſtimmtheit aus⸗ drücken, obgleich dieſer Feijo einer der aufgeklärteſten und gelehrteſten Männer ſeiner Zeit war, der manchen Aber⸗ glauben und viele Vorurtheile, vorzüglich in der Phyſik zer⸗ ſtörte. Um 1750 war er berühmt und wurde noch gegen Ende des Jahrhunderts viel geleſen, und es war mir immer unbegreiflich, daß Bouterweck von den vielen Bänden dieſes ausgezeichneten Mannes gar keine Notiz genommen hat. Er ſcheint ihn gar nicht gekannt zu haben. Auf jeden Fall iſt er ein ganz anderer Schriftſteller, als ſein ſpäterer Zeitge⸗ noſſe Clavijo, der durch Beaumarchais und uns Deutſchen noch mehr durch Göthe ein vertraulicher Bekannter geworden iſt, und der, ſo ſchwach er war, doch faſt um dieſelbe Zeit vielen ſeiner Landsleute bedeutend erſchien. Im Jahre 1612 ließ der Prieſter Xavier den vierten Theil der Geſchichte der Päpſte drucken, in welcher er natürlich auch von den Begeben⸗ heiten anderer Reiche und den Thaten der Monarchen ſpricht.

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Die Slocke von Aragon. 351

Dieſer verbreitet ſich ſehr naiv und weitläufig über das Läuten der Glocke im Jahre 1601, welches er natürlich auch als eine Warnung vor den Morisken deutet. Mehr als vier- tauſend Zeugen haben nach feiner Ausſage das Wunder in, den Tagen, an welchen es ſich wiederholte, geſehen und ver- nommen, unter dieſen anſehnliche Geiſtliche, Barone, Edel— leute, Männer und Frauen aus den höchſten Ständen. Nach ihm war eine allgemeine Verſchwörung und Rebellion aller Morisken oder neuen Chriſten im Werk. Ich erwähne dieſen Mann aber jetzt, weil er einem andern religiöſen Autor fol⸗ gende wunderliche Geſchichte nacherzählt. In einem Kloſter an der Rhone, welches einen Fiſchteich beſaß, befanden ſich nur gerade ſo viele Fiſche, nicht mehr und nicht weniger, als Mönche im Kloſter waren. Erkrankte nun ein Mönch, ſo zeigte ſich matt ſchwimmend ein Fiſch oben auf dem Waſſer und ſtarb in derſelben Stunde, in welcher der Geiſtliche ſein Leben vollendete. Dieſe Thorheit erzählt er ganz ernſthaft, und fügt hinzu, daß, wenn die Wunderglocke von Vilella ſich nur in Italien befände, ſo würde jene kleine Kirche ſchon längſt eine weltberühmte ſeyn, zu der tauſend Wallfahrten geſchähen, da aber Aragonien ſo reich an großen Dingen ſei, ſo würde der Ort nicht ſo geachtet, wie er verdiente. Die Sache war übrigens ſo populär und allgemein bekannt geworden, daß, als Covarrubias 1611 ſein Lexikon der ſpa⸗ niſchen Sprache herausgab, er unter dem Worte Campana auch dieſer Wunderglocke erwähnt. Doch, ich bemerke, daß wir wie in einer gelehrten Geſellſchaft eine Vorleſung mit- theilen, die die Frauen nicht intereſſiren kann, und ich bitte deshalb um Verzeihung.

Der Geheimrath fügte hinzu: Ich habe dieſelbe Erzäh— lung in einem katholiſchen Buche, das ſchon vor mehr als hundert Jahren gedruckt iſt, geleſen. Männer im Amt,

352 Die Glocke von Aragon.

Geiſtliche und ſelbſt ein Cardinal hatten die Wahrheit der Ausſagen beſtätigt und bezeugt. |

Alle lachten und die Mutter ſagte: Ich möchte nur wiſſen, wie man die Fiſche zählen konnte, um ſich in der Summe nicht zu irren: von den Kloſterbewohnern konnten ſie freilich genau die Anzahl wiſſen, aber die Nachrechnung und Uebereinſtimmung war wenigſtens auf dem trocknen Wege, um mit der Chemie zu ſprechen, nicht zu erlangen.

Ich ſehe aber, fuhr die alte Dame fort, daß Sie ein Papier, ein Manuſcript hervorgeholt haben, und ich vermuthe oder hoffe, daß Sie uns etwas anderes mittheilen werden, das ein mehr poetiſches Intereſſe erregt.

Kann ſeyn, antwortete der Schwiegerſohn freundlich daß meine Bemühung nicht ganz unfruchtbar geweſen iſt, eine Begebenheit, einen wunderlichen Vorfall aufzuzeichnen, welchen alte Chroniken erzählen, dem die Geſchichtſchreiber, als einem zu unwahrſcheinlichen, widerſprechen und welchen die Poeten eben deshalb in Schutz nehmen. Manche alte, verleumdete Sagen ſind durch neuere Unterſuchungen gerechtfertigt und wieder zu Ehren gebracht worden, manche ausgemachte Ge⸗ ſchichtserzählungen hat man wieder geleugnet und als Lüge Rgeſtempelt, obgleich viele Generationen fie glaubten und Zeit⸗ genoſſen ſie beglaubigten. Das Unwichtige ward jetzt oft als ein Bedeutendes hervorgezogen und das ehemals Wichtigſte als Kinderei behandelt. Und ſo nehmen Sie, ohne geſchicht⸗ liche Kritik, dieſe Novelle gütigſt auf, die ich neulich im Ton der Romanze niedergeſchrieben habe, und welche ebenfalls, wie jene von Vilella, den Namen führt:

Die Glocke von Aragon. 353

Die Glocke von Aragon.

N 1 Don Pedros Sieg. 0 Vor Huesca ſtand Don Sancho, Starker Held und mächt'ger König, Er das Schrecken aller Mauren, Die dem falſchen Glauben fröhnten.

Viele Schlacht war ſchon geſchlagen, Hundert Siege ſchon bekrönten Held Don Sancho, Chriſt und Ritter, Aragoniens ſtarken König.

Zu den Thürmen von Huesca Ritt der Held, ob er erſpähe, Wo die Mauern zu erſtürmen, Wo die Ritter möchten kämpfen.

Da flog her von einem Bogen Schnell ein Pfeil, von ungefähr nur,

Und es ſank der große Ritter Raſſelnd von dem Roß; im Herzen

Stak das Eiſen. Kurze Zeit nur Lebt der Held; im Todesröcheln Floh ſein Geiſt, nur wenig ſprach er, Man vernahm andächtig Beten.

Und das Heer, die Großen, Helden, Alle lähmt der Todesſchrecken, Nur der eine hält ſich aufrecht, Pedro, ſeiner Söhne ält'ſter.

Er beſtattet fromm den Vater, Zur Verſammlung nachher redet Kurz ſein Mund; ſein Flammeneifer Wie ein Sturmwind all' erreget. Tieck's Novellen. IX. 23

354

Die Glocke von Aragon.

Muthig ſtehn ſie ihm zur Seite, Seine Krieger, ſeine Helden, Und er ſieht die Schaaren wachſen, Kriegesmuth die Wangen röthen.

Alle dringen, flehen, fordern Schlacht und Kampf, dem Feind entgegen Strebt die Jugend, wie das Alter, Siegen! ruft man, oder ſterben!

Da die Sonne ſchon geſunken Und die Nacht das Dunkel breitet, Mahnt der Held ſie all, zu ruhen, Morgen ſoll ſich Kampf erheben.

Einſam ſitzt im Zelt Don Pedro, Er erwägt die Macht des Feindes, Rund umſchloſſen iſt ſein Lager Von den Mauren. Jedem Streiter

Stehn zehn Feinde gegenüber, Und die Stadt iſt feſt, bewehret Noch von tauſend, tauſend Kriegern, Alle trotzig, kampfgerüſtet.

Sollen wir denn hier erliegen? Klagt der Held, und dieſe Felder Unſre Leichen rings bedecken Und der Ruhm der Spanier ſterben?

Dies Huesca, dieſe Veſte, Nannte ſchon im Heldenmuthe Sein mein Vater, und er träumte Saragoſſa zu erkämpfen.

Da erglänzt vom heitern Lichte, Blendend faſt des Königs Auge, Rings das Zelt, und recht im Schimmer Steht das Bildniß eines Helden. ö

Die Glocke von Aragon.

Goldne Rüſtung, Schild und Speer Dräut in ſeinen kräft'gen Händen, Majeſtätiſch blickt ſein Auge,

Und Don Pedro kniet in Andacht.

Muth, mein Sohn! ruft die Erſcheinung, Morgen werd' ich mit Dir kämpfen, Und die Chriſten werden ſiegen, Ruhm ſoll Dir die Kränze flechten.

Und entzückt noch ſtarrt der König, Als das Wunder längſt entſchwunden, Und er läßt die Feldherrn rufen, Daß ſie wiſſen, was er ſah.

Sie verkünden's den Getreuen, Jeder Krieger ungeduldig Ruft nach Kampf, und noch im Dunkeln Reiht das Heer ſich, ſchon geordnet.

Mit dem Morgenroth, als alle Flehend auf die Händ' erheben, Steht im Glanz der Ritter wieder, Und: Sanet Jago! rufen alle.

In die Feinde dringt die Schaar, Lauten Rufs, die Banner fliegen Und man ſieht die goldne Rüſtung Und den Glanz des heil'gen Kriegers.

Und ein Schreck, ein Graun befällt Rings die Schaar der wilden Horden, Laut Geheul, Geſchrei, Getümmel, Flucht und Angſt und gräßlich Morden.

Leichen auf der Wahlſtatt liegen, Durcheinander Feldherrn, Krieger, Und der Spanier jauchzt im Siegen, Und der Feind heult, überwunden. 23 *

Die Glocke von Aragon.

Weiber, Männer, Greiſe, Kinder, Stehn auf Mauern, Wällen, nnn Ganz Huesca klagt, verzweifelt, Händeringend, hüftenſchlagend.

Denn ſie ſehn die Väter, Brüder Blutend da im Staube liegen, Und wie Schrecken alle Schaaren Treibt und jagt zum eil'gen Fliehen.

Kaum noch ſchützt die feige Wache Jene feſt verſchloſſ'nen Thore, Krachend öffnen ſich die Flügel Und Huesca liegt beſieget.

Heil Don Pedro! ruft der Krieger, Tauſend Heil dem tapfern König! Ja, ſpricht dieſer, nur Sanct Jago, Er half uns die Feinde ſchlagen.

Wer denn war der tapf're Krieger, Fragt entwaffnet jetzt der König, Der voran ſtets unermüdlich In den dichtſten Schaaren kämpfte?

Kaum zu glauben iſt das Wunder, Spricht Don Sancho, Glut im Auge, Als er ſein Viſir gelüftet,

Sah' ich deutlich Haupt und Antlitz;

Denn mein Oheim war's, Moncada, Er der Tapferſte der Tapfern, Wie? ſo ruft entſetzt der König, Welche Wunder zeigt der Herr uns!

Er, der hohe, rieſ'ge Krieger, Der vor allen Rittern ragte, Kämpft zur Stund' in Paläſtina, Um Jeruſ'lem zu erſtreiten.

Die Glocke von Aragon.

Und der Herr vergönnt, daß dieſer Auch hier kräftig mit uns kämpfe, Um der Mohren Stolz zu dämpfen, Und Huesca zu erobern?

Alle preiſen nun im Tempel Dankbar und mit hoher Inbrunſt, Wie der Herr für ſie geſtritten, Welche Wunder er geſendet.

Und mit neu geſtärkten Schwingen, Wie der Adler nach dem Bade, Hebt die Hoffnung ſich empor, Saragoſſa zu gewinnen.

2. Des Königs Tod.

Aber ſchon war es beſchloſſen In dem hohen Rathe Gottes, Daß der Sieger von Huesca Nicht die große Stadt erringe.

Saragoſſa mächtig, groß, Diente noch dem Mauren⸗König Und der Moslem, ſtolz und prächtig, Lachte nur des kecken Wunſches.

War doch auch der Cid geſtorben, Er, deß Name bis nach Perſien Den Ungläubigen Angſt und Schrecken, Troſt und Kraft den Freunden gab;

Cid, der nur vor wenig Jahren Sich Valencia erobert, Das, ſo wie er ſtarb, den Mohren Nun von neuem dienſtbar wurde.

Die Glocke von Aragon.

Und in Aragoniens Fluren Weht die ſchwarze Trauerfahne, Daß der edle König hinſank, Auf die Leichen ſeiner Kinder.

Gram war ſeines Herzens Meiſter, Daß die blüh'nde ſchöne Tochter, Daß ſein Sohn ihm, der Infant, Beide jung entriſſen wurden.

Und Alonſo rief er zu ſich, Ihn, den tapfern, mächt'gen Bruder, Reicht' ihm ſterbend ſeine Hand Und das Scepter Aragons. N

Alle ſehn, erſtarkt und hoffend, Auf die Kraft des neuen Königs, Der beſchwört, das zu vollenden, Was ſein Bruder kühn begonnen.

3. König Don Alonſo. Und ſo war es. Neuer Muth, Kampfesluſt, Eroberungsgier

Stachelt auf die ſpan'ſchen Helden, Rachſucht brennt in allen Kriegern.

Weit und breit nur Kriegsgeſchrei, Und wie Sturmwind fährt das Heer Durch die Felder, Dörfer, Städte, | Und der Feind entmuthigt, flieht.

Wo man nur Alonſo ruft, Zittert ſchon der Mohr exblaßt; Und, der Cid, der Cid erſtanden! Schreit das Volk im Freudentaumel.

Die Glocke von Aragon.

Alſo ſteht Alonſo jetzt, Mit dem Heer vor Saragoſſa, Und die ſtolze, thurmbewehrte Beugt ſich vor dem Ruhm des Helden.

Auf thun ſich die Thor' ihm alle Und die Stadt empfängt ihn jauchzend, Alle Mohren ſind entflohen,

Adel, Prieſter, Bürger huld'gen.

Abgeriſſen von Moſcheen

Sinkt der Mond, nicht fürder glänzend,

Und die prangenden Gebäude Weiht die Kleriſei zu Tempeln.

In Caſtilien ſtirbt der König, Und Alonſo, groß im Stolze, Nimmt die Wittib ſich zum Weibe Und nennt ſich von Spanien Kaiſer.

Doch die Kirchen wie die Klöſter Klagen, daß der wilde Krieger Nicht die Heiligthümer ehrte Und ſie ihres Schmucks beraubet.

4. Don Ramiro.

Don Ramiro, jüng'rer Bruder, Weilet in der Kloſterzelle, Nur der Büßung, nur der Andacht Lebend im begränzten Raume.

Sein Erquicken, wenn die Andacht, Das Gebet, die Bußübung, Ihn ermüdt, ſind die Blumen Seines kleinen Kloſtergartens.

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Die Glocke von Aragon.

Dieſe pflegt er, tränkt die durſt'gen, Freut ſich, wie ſie ſich entfalten, Wie ſie dann in Blüthe gehen Und in Farben dankbar leuchten.

Leonardo, Freund und Lehrer, Mahnt ihn an zu allen Stunden, Und der Fürſt beugt ſich gehorſam Jedem Wort des greiſen Mönches.

Leonardo wandelt ſinnend, Tritt jetzt in das Refectorium, Und er ſieht den Fürſten dort Mit dem Beſen alles ſäubern.

Tiſch und Bank, Fußboden, Mauer, Eifrig, daß der Schweiß ihm trieft Von der hohen edeln Stirne, Und er ſchon ermüdet ſcheint.

Laßt! mein Bruder, ruft der Mönch, Derlei will ſich nicht geziemen, Daß ein Fürſt von hoher Abkunft Alſo ſich erniedern ſoll.

Inne hält der Mönch Ramiro Und erwiedert drauf mit Sinnen: If die Demuth nicht, mein Vater, Wurzel aller Chriſtentugend?

Sind wir ſelbſt nicht Staub und Aſche, Wie wir uns auch ſtolz gebärden? N Und die Zeit, der große Rein'ger Fegt uns all' einſt ins Vergeſſen.

Wozu Denkſtein, Monumente, Säulen doch und goldne Injchrift ? Wer kann ſagen, wo ſich Samſons, Cyrus, ja Nebucadnezars

Die Glocke von Aragon.

Leichnam erſt in Staub gewandelt? Unkenntlich, vermiſcht mit Bettlern, Mit Verbrechern und mit Heil'gen Liegen ſie als trüber Kehricht.

Jetzt iſt noch der wackre Stiel Hell umſpielt vom Birkenlaube, Und die grüne Bürſte duftet

Frühlinsgkühl und ſanft erquicklich;

Schon löſt ſich durch den Gebrauch Hie und da ein Blatt des Buſches, Und verflattert und vertrocknet,

Bald bleibt dürrer Strauch nur übrig:

Der auch ſchrumpft nachher zuſammen,

Und verliert die Kraft und Stärke, Und ſo nutzt der Reiniger Ab ſich zum unreinen Kehricht,

Den ein neuer Beſen wegfegt, Stolz und grauſam dem Verwandten, Seine Zukunft nicht erkennend,

Wenn er neugrün prangt und duftet.

Wenn nun alles iſt vergänglich, Und nur da iſt ein Verſchwinden, Was iſt noch in Weltgeſchäften Hohes, Niedres aufzufinden?

Nur in Demuth iſt Befried'gung, Krank und raſend iſt der Stolze, Unerbittlich ſteht die Zeit Hinter ihm und lacht des Wahnſinns.

Nicht ſo grübeln, frommer Bruder, Alſo ſprach zu ihm Lenardo, Treibt Ihr gern die niedre Arbeit, Thut ſie ſtill hin ohne Denken.

361

362 Die Glocke von Aragon.

Er geht fort und Don Ramiro Trocknet von der Stirn den Schweiß, Stellt, da alles iſt vollendet,

An die Wand den grünen Beſen.

Er iſt matt vom Beten, Faſten, Auch gewacht hat er die Nächte, Und des Sommers heißer Athem Saugt hinweg des Mannes Kräfte.

Vor das Krucifix hinknieend, Säuſelt Schlaf um die Gebete, Was er noch als Andacht wähnet, Iſt ſchon Schlummer, ſüß betäubend.

Leonardo kommt zurücke, Seinen jungen Freund zu ſuchen, Findet ihn zuſammgeſunken, ie Keuchend, bleich, in ſchweren Träumen.

Auf nun fährt der junge Fürſt, Und erſchrickt faſt vor dem Greiſe; Dieſer hebt ihn tief bekümmert Auf vom Boden, ſetzt ihn nieder.

Ruht, mein junger Freund, ſo ſpricht er, Was iſt Euch jetzt widerfahren, Daß Ihr geiſterbleich und zitternd Noch nach Euern Träumen greift?

Vater, ſpricht Ramiro, Vater, Ach verzeiht dem ſchwachen Sünder, Wohl war dieſe Zeit dem Schlaf nicht, Dem Gebete nur geweihet.

Doch mich nahm der Geiſt gefangen, Der den Menſchen nächtlich feſſelt, So vergaß ich meine Pflichten, Ganz entrückt der jetzigen Stunde.

Die Glocke von Aragon.

Und da ward ich überſchattet Plötzlich von Geſtalt und Wunder, Und mein Fühlen und mein Denken War in Fremdes mir verwandelt.

Denn vom hohen Chor der Kirche Schritten Fürſten, Granden, Krieger, Alle neigten ſich voll Ehrfurcht,

Viele küßten das Gewand mir.

Nun erſcholl ein Jubeltönen, Auf dem Boden knieten Alle, Und einſtimmig klang ihr Jauchzen, Heil dem König Aragoniens!

Ich entwand mich ihren Händen, Wollte flieh'n, doch Erzbiſchöfe, Geiſtliche, die Ritter alle,

Sie beſchworen mich mit Thränen.

Und ein Engel, licht gekleidet, Schwebte aus der Wölbung nieder, Setzte ſelbſt die goldne Krone Mir auf das geſalbte Haupt.

König war ich, und Hoſannah Klang im Tempel, Weihrauchwolken Stiegen kräuſelnd zum Gewölbe, Und das Volk war hochbeglückt.

Iſt dies Demuth? rief der Prieſter, Nicht von Gott ſind ſolche Träume, Nein, es ſendet ſie des Hochmuths Dämon in das ſünd'ge Herz.

Und Ramiro beugt dem Alten Tieferſchüttert Haupt und Kuiee, | Und mit Thränen und mit Schluchzen Duldet er die Kirchenſtrafe.

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Die Glocke von Aragon.

Faſtet wieder, wacht die Nächte, Geißelt ſtündlich ſeinen Rücken, Bis der greiſe Leonardo Ihn der Bußen losgeſprochen.

5. Beſuch des Königs im Kloſter.

Früh am Morgen, als die Sonne Durch die dichte Waldung flimmert, Und des kleinen Kloſtergartens Blumenfelder licht beglänzte,

Trabt ein ſtolzer Zug durchs main Ihm voran der ſchöne König, N Und die Ritter ſtehn geordnet Draußen vor der Kloſterpforte.

Angemeldet dort dem Abte, Geht dem Fürſten der entgegen, Und Lenardo folgt den Prieſtern, Doch Ramir weilt in der Zelle;

Aengſtlich vor dem Waffenſchmucke Zagend vor dem Kriegerglanze, Birgt er ſich in enger Klauſe Und verriegelt ſeine Thüre.

Doch Alonſo will ihn ſprechen, Sehn den vielgeliebten Bruder, Ihn nach langer Zeit umarmen, Und gerührt ans Herz ſich drücken.

Auf thut ſich dem ſtrengen Worte Des Lenardo ſchnell die Zelle, Und der König, tief beweget, Weint am Halſe ſeines Bruders.

Die Glocke von Aragon.

Sei willkommen! großer König, Spricht Ramiro, Siegesfürſt, Du Erob'rer Saragoſſa's, Du, der ſelbſt ſich Kaiſer nennet.

Darf ein armer Mönch und Bruder Warnend zu dem Mächt'gen ſprechen, O ſo wahr' Dein Herz, das ſchwache, Vor zwei ſündhaft ſchweren Dingen.

Laß nicht Hochmuth Dich berauſchen, Denn Du biſt ein Menſch wie andre, Nicht'ger Staub in Glanz und Größe, Und ein Sklave nur des Todes.

Warum ſollen Dich die Völker Mit dem Titel Kaiſer ſchelten? Kaiſer kann nur einer leben, Der des heil'gen röm'ſchen Reiches.

Dann hab' ich mit Gram vernommen,

Wie Du gern die Prieſter ſchmäheſt, Heil'ge Tempel ſelbſt entweiheſt Roß und Krieger ein dort ſtalleſt:

Raubſt die heiligen Gefäße, Deine Knechte zu beſolden, Biſchofſitz', Abteien plünderſt, Daß die rohen Haufen ſchwelgen.

Brünſtig betend vor dem Altar, Lag ich Nächt' und lange Tage, Unheil von Dir abzuwenden,

Daß der Blitz Dich nicht erſchlüge,

Dich die Erde nicht verſchlänge, Peſt die Heerſchaar nicht verzehrte, Oder Wahnſinn Dich ergriffe, Denn der Herr iſt ſtreng und zornig.

365

Die Glocke von Aragon.

Demuth ſei fortan Dein Seepter, Süß' Bereuen Deine Krone, Einfalt mag als Fürſtenmantel Sich um Deine Glieder ſchmiegen.

Dann wird Gott ſich zu Dir neigen, Seegen ſprießt da, wo Du ſchreiteſt, Denn der größte Sieg bleibt immer: Selber ſich beſiegen können.

Darum iſt mein Preis und Glücke, Daß ich einſam hier, vergeſſen, Nur als ſchwacher Mönch darf führen Solch ein ſtilles, ruh'ges Leben.

Und Alonſo drauf ſpricht alſo: Freund und Bruder, frommer Prieſter, Darauf muß ich Dir erwiedern Wenig, wie mein Herz es heiſchet.

Denn Du ſprichſt von fremden Dingen, Die Dein Sinn niemals begriffen. Wer dem Himmel lebt und ſtirbet, Dem ſind fremd die Weltgeſchäfte.

Wer zum Herrſchen ward geboren, Den treibt ſtets ſein Genius höher, Nenn' es Schickſal, ſei's Begeiſt'rung, Nur nicht Stolz und leerer Hochmuth.

Thron und Herrſchermacht und Seepter, Majeſtät, der hehre Name, Eint ſich nicht mit ſtillem Wirken Eines häuslich frommen Mannes.

Will ein ſolcher dem entſagen, Was das Volk als Stolz mag ſchelten, Reißt er ſelbſt die Schwingen aus, Die ihn auf zur Sonne tragen.

Die Glocke von Aragon.

Wird doch auch kein Papſt als Herrſcher,

Erzbiſchof und Biſchof, Abt, Je ſein Regiment beſchränken, Seine Würde ſich verkümmern,

Sei er ſonſt auch ſanft, gefällig, Und in Demuth eingekleidet, Wie er ſich lebt in der Zelle, Ziemt nicht auf dem Fürſtenſtuhle.

Wen'ger noch dem König; handfeſt Trägt ihn nur der kräft'ge Wille; Seinen Völkern zu genügen,

Wird der Einz'le oft beſchädigt.

Soll der hohe Wald gedeihen, Kränkeln niedrige Geſträuche; Was den Waſſerſturz berechtigt, Darf ſich nicht der Bach erlauben.

Wenn ein Heer, ermattet, krank, Das den Sieg errang, und Hitze, Froſt und Hunger lang erduldet, In der Nacht im Feld gelagert,

Endlich naht den Freundesſchlöſſern, Jenen Klöſtern und Abteien, Die der blut'ge Sieg gerettet, Und von allen reichen Prieſtern

Keiner der Verwundeten, Keiner denkt der Kleiderloſen, Die vor Durſt und Hunger ſchmachten, Und ſie all' die Pforten ſchließen,

Als ein hochgeweihtes Heilthum, Deſſen Rechte zu verlegen, Todesſünd' iſt und Verbrechen:

O mein Bruder, da ergrimmet

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Die Glocke von Aragon.

Auch die Bruſt des frommſten Kriegers, Und man zieht in ihre Säle, 1 Die geweihten Tempelhallen Werden Lager, Hoſpital;

Denn den Sterbenden zu pflegen, Den Verwundeten zu heilen Und den Hungrigen zu ſätt'gen, Iſt auch eben Chriſtenpflicht.

Will nun jeder Prieſter nehmen 5 Und kein Abt und Biſchof geben, Ja, ſo ſteht in des Soldaten Herz die Raubſucht auf und Bosheit.

Mehr dann nimmt er wohl als nöthig, Künft'gen Mangel jetzt erſetzend, Und er lacht, wenn jene klagen, Und er jubelt, wenn ſie ſeufzen.

Aber dann geht er zur Kirche, Fromm in Reu' zur Beichte wieder, Und der Pfaff muß abſolviren, Mag er auch im Stillen fluchen.

Niemals muß der Herrſcher dulden, Daß der Prieſter ihn beſchränke; Denn die Hand einmal geboten, Kommt der ganze Arm in Knechtſchaft.

Hat denn dies nicht zum Entſetzen Jüngſt Italien wahrgenommen, Als dort in Canoſſa's Hofe Vor dem Papſt demüthig kniete

Jener kühne vierte Heinrich, Der in Schlachten glorreich ſiegte, Dort im Sünderhemdchen frierend, Zitternd, flehend gleich dem Bettler?

Die Glocke von Aragon.

Nein, mein Bruder, alſo zähmlich Wirſt Du niemals mich erblicken, Freunden Freund, dem Trotzer trotzig, Will ich König ſeyn und bleiben.

Sei Du ſtiller Mönch und Prieſter, Bete Du für meine Waffen, Das iſt Dein Beruf, nicht Rathen, Kloſter kennt ſich nicht mit Feldſchlacht.

Und von neuem ſich umarmend, Trennen ſich verſtimmt die Brüder, Jeder allzu ungleich jenem,

Nur ihr Herz kann ſie vereinen.

Don Ramiro wirft ſich trauernd In der Zelle betend nieder, Nicht kann er die Welt begreifen, Ihn Alonſo nicht verſtehen.

6. Don Ramir os Gebet.

O mein Vater, Du Allweiſer, Iſt es denn Dein heil'ger Wille, Daß Dein Menſch nur Kampf und Streiten, Mordſucht hegt in ſeinem Herzen?

Nein, der Böſe hat den Menſchen Hinterliſtig umgeſchaffen, Er nur ſchürt die Glut der Bosheit, Er nur ſchärft das blanke Eiſen.

Sonſt ja wär' es Dir ein Leichtes, Statt des Fleiſches, das verletzbar, Ihn mit Panzern zu umgürten Wie den Krebs, die Armadille, Sie's Novellen. IX. 24

360

370

Die Glocke von Aragon.

Daß er wandl' in ſeinem Schilde Unzerſtörbar wie die Kröte, Daß ſein Fell ſo hart und ſteinern Wie Rhinoceros ihn hülle.

Doch die Liebe, die allgüt'ge, Nahm ihm ſcharfe Klau'n, die Kräfte Des Gezahns des Löwen, Tigers, Und des Elephanten Schwere.

Aber jener Geiſt, der ew'ge, Der in Liebe ſollte walten, Ihn erkennen, der ihn ſchuf, Und in Andacht zu ihm beten,

Der erſinnt die Eiſenrüſtung, Die das zarte Fleiſch umſchließet, Der wetzt Schwerter, ſchnitzt die Bogen, Giebt dem Pfeile Todesſchnelle.

In das Erz kriecht Haß und Bosheit, Blutdurſt treibt den armen Menſchen, Und er mordet ſeine Brüder,

Wähnt ſich nun als Held begeiſtert.

Und ſo würgt, viel grimmiger, Als es Leu vermag und Tiger, Menſch den Menſchen, Arm und Bein, Bruſt und Rücken nur zum Tödten

Ganz ein einz'ger feſter Harniſch, Fremd und mißgeſtalt verwandelt, Daß der Schöpfer ſelber nicht mehr Sein Geſchöpf erkennen möchte.

Vater, Heiland, o Maria, Ach bewahret für und für mich, Daß durch mich kein Tropfen Blutes Oder um mich ſei vergoſſen.

Die Glocke von Aragon. 371

Mir erſtarrt das Herz, es weinet Des Entſetzens Flut mein Auge, Wenn ich ſo das Ebenbild i Meines Gottes ſeh verſtümmelt.

Nimm in Deinen heil'gen Schutz mich, Daß ich wie des Feldes Blume, Wie die Pflanze auf mich ranke Zu dem ſüßen Himmelslichte.

Eine Rebe laß mich werden, Die hinauf zur Ulme ſtrebet, Und von Sommerluft gewieget, Von dem klaren Licht umfangen,

Aus ſich ſelbſt in ſtiller Wonne Traubenſüße ausgebieret, Freud' und Troſt den armen Menſchen, Und von Prieſterhand geweihet

Siegeszeichen, Blut des Heilands, Inbegriff des brünſt'gen Glaubens, Herz und Kern des Chriſtenthums. Alſo betete Ramiro. NM

J. Alonſo's Tod. Kriegesaufruhr in Caſtilien, Kriegsgetöſ' in Aragonien, Blut'ge Fehd' in aller Landſchaft, Siegesbotſchaft, Trauerkunde.

Und Alonſo ſtürmt voran, Immer ſchwebt der Sieg weit glänzend Um die Banner ſeiner Schaaren, Und ſein Herz lacht der Gefahren. 24 *

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Die Glocke von Aragon.

O du Sicherheit, du ſtolze, Die mit Uebermuth die Herzen Panzerſt und die dichten Nebel Um das Licht der Augen webeſt!

Nicht mehr hört er Rath und Warnung, Lacht der Vorſicht, nennt ſie Feigheit, Sucht im tollkühnen Vermeſſen Die Gefahr, die Wurfgeſchoſſe.

Als wenn unverwüſtbar Erz, Und nicht zartes Fleiſchgewebe Sei der Leib, den Luft und Wärme Oft in Fieberglut zerſtören.

Plötzlich regt ſich's auf den Bergen, Und die Felſen ſind lebendig, Und gus Wäldern ſtürmen Schagren, Aus den Thälern hebt ſich's dräuend.

Rings umzingelt von Ungläub'gen, Hergeſandt vom klugen Feinde Aus der fernſten Gegend, ſieht er Von dem Waffenglanz der Moslem

Sich umlagert wie von Mauern, Rings umſtarrt vom Dräu'n der Lanzen: Alle Chriſtenſchaaren bangen,

Nur Alonſo höhnt die Schrecken,

Jauchzend, wuthentbrannt, mit Heulen Stürzt die Menge zahllos, wimmelnd, Immer neue Haufen dröngend Auf der Chriſten wankend Kri 2

Und wie Hagelſchau'r im Kornfeld Praſſelnd niederſchlägt die Halme, So fällt blind Entſetzen, Grauen, Schauder in das Heer der Chriſten.

Die Glocke von Aragon.

Flucht nach allen Seiten, doch ſie Rennen gegen andern Feind nur, Statt der Rettung ſpießen flüchtend Sie ſich in die Todesſtachel.

Und inmitten der Verwirrung Steht der Held Alonſo aufrecht, Kühn und dräuend, unerſchrocken, Und dem Anblick bebt der Sieger.

Todt liegt da ſein gutes Schlachtroß, Und er kämpft zu Fuß, und rufend Will er ſeine Freunde ein'gen, Will er hemmen die Verzweiflung.

Auch ſein Schild iſt ihm zerſchlagen, Und der Helm wom Schwert geſpalten, Neben ihm ſteht noch ſein Knappe, Der den König ſtrebt zu ſchirmen.

Doch der Arme giebt verloren Seinen Herrn, und wuthentzündet Kämpft er blind und will den Einen Nur noch retten, doch unmöglich.

Plötzlich, wer kann faſſen, ſagen, Wie es nur geſchah das Wunder —? Iſt der König ihm entſchwunden, Auf klafft unter ihm der Boden,

Und die Erde ſchließt ſich wieder, Keine Spur auf ihr noch Spalte, Todtverwundet ſinkt der Knappe, Weit umher nur Chriſtenleichen.

Todte, Sterbende, nur Wunden, Aechzen, Jammer ſieht und hört man; Wie man ſucht, nicht aufgefunden Wird der König Don Moni.

374

Die Glocke von Aragon.

8. Die Königswahl.

Nun Verwirrung, Frage, Zweifel, Alle Krieger nun landflüchtig, Alle Mächt'gen nun in Sorgen, Und das Volk in Todesängſten.

Wer ſoll helfen? rufen alle, Jetzt, da unſer Stern erloſchen, Alle Hoffnung uns entſchwunden, Da der ſtarke Held verloren?

Wer kann das Zerſtreute ſammeln, Wer das Aufgelöſte binden? ® Untergehn muß Reich und Adel,

Und das Volk als Sclaven betteln.

Nur der Eine kann uns retten, Der vom Königsſtamm entſproſſen Aus Navarra, er der Kühne, Pedro heißt er von Atares.

Alſo redeten die Bürger, Alſo rief der mächt'ge Adel, Und zum hohen ſtarken Manne Sah der Bauer auf getröſtet.

Und ein andrer Pedro rief laut, Pedro Tizon, ſelbſt ein mächt'ger Rico hombre, dem unzählbar Weit umher Vaſallen dienten:

Laßt uns ihn zum König wählen, Er wird die Verwirrung ſchlichten, Klug iſt er, geehrt von allen,

Und ein Held in allen Schlachten.

Die Glocke von Aragon. 375

Ja Atares! riefen alle, Und ein Zug mächt'ger Vaſallen Wandert zum Palaſt Don Pedro's, Ihn zum König auszurufen.

Doch verſchloſſen ſind die innern Räume, und die Diener bitten, Daß man noch verweilen möge, Denn ihr Herr ſei nicht zu ſprechen.

Pedro Tizon frägt: was treibt er? Er ſitzt jetzt im warmen Bade, Nach dem Waſchen ſchläft er gerne, Dann darf keiner ihn verſtören.

Doch die Männer lachen laut auf! Eine Krone zu gewinnen, Bricht man einmal ſich den Schlaf ab, Sagt man doch, daß Glück im Schlaf kommt.

Vorwärts ſchreiten ſie, die Tritte Dröhnen laut vom ſteinern Boden, Und ſie pochen an die Thüren Ungeſtüm der Badekammer.

Auf! mein König, ruft der Stärkſte, Deiner harren die Vaſallen, Tritt als Fürſt in unſre Mitte, Daß wir Dir in Demuth huld'gen.

Und es donnern nun die Fäuſte An die erzbeſchlagne Thüre; Aufgemacht, Pedro Atares! Nicht iſt länger Zeit zum Schlafen!

Da hört man den Riegel klirren, Und die Thür wird aufgeriſſen, Und hervor tritt nackt und glänzend Pedro's großer Heldenkörper.

376

Die Glocke von Aragon.

König ſoll ich werden, ſpricht er,

Zürnend runzelnd Wang' und Stirne,

Und ihr ſchreit mich auf vom Lager, Wie man Sclaven weckt zur Arbeit?

Wollt ihr mir Vaſallen werden, Meinem Willen unterthänig, | O fo lernt zuerſt gehorchen Des Gehorſams ſtrengen Pflichten.

Jagt man Kön'ge auf wie Wildpret, Mit Geſchrei und wildem Lärmen? Achtet meine ruh'gen Stunden Nichts, und nichts des Herrſchers Launen

Wartet dort in meiner Halle, Schweigend, ernſt und ehrerbietig Eures Königs, eures Fürſten,

Bald erſchein' ich reich und feſtlich,

In dem ſammtnen Mantel, glänzend Von viel goldgeſtickten Blumen, In dem Hauptſchmuck mit Demanten, Wie es großen Kön'gen ziemet.

Sei euch dann verziehn die Unart, Und dies widerſpenſt'ge Weſen, Denn ihr ſeht, ich bin ein andrer, Als ihr wohl vordem gewähnet.

Ohn' auf Antwort noch zu harren, Schlug er wieder zu die eichne Große Thür, die erzgeſchmückte,

Und ſchob innen vor den Riegel.

Thürenſchlag und Riegelklirren Tönten wie die letzten Silben Seiner kräft'gen Königsrede, Und die Herren ſtanden ſinnend,

Die Glocke von Aragon.

Sahen ſtarr und wie verlegen Einer in des Andern Auge, | Alle Augen weit geöffnet,

Mancher Mund zum Zorn verzogen.

Manche Lippen zuckten lächelnd, Und der eine ſagte fröhlich: Löwen aus dem Schlummer wecken Iſt nicht heilſam für den Jäger.

Sind wir ſeine Hund' und Knechte, Rief ein andrer zorningrimmig, Der Tyrann, hat er vergeſſen, Wer wir ſind, wir Reichsvaſallen?

Nackt und roh ſtellt er ſich vor uns, Schilt uns läſternd, wie man Dienern Thut, die wegen Mißverhalten Man fortjagt aus ſeinen Dienſten.

Und fie alle gingen murrend: Herrſcht er ſo uns an, ſo gröblich, Da er unſrer noch bedürftig,

Wie als Herr würd' er gebahren?

N. Andres Beginnen.

Früh am Morgen, als die Sonne Durch die dichte Waldung flimmert, Und des kleinen Kloſtergartens Blumenfelder licht beglänzte,

Trabt ein ſtolzer Zug durchs Blachfeld, Glänzend, hochgemuth, die Reiter Steigen von geſchmückten Roſſen,

Stehn jetzt vor der Kloſterpforte.

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378

Die Glocke von Aragon.

Leonardo tritt entgegen, Fragt in Demuth ihr Begehren, Und vernimmt, daß all' einmüthig Don Ramiro, letzten Sprößling

Ihres Königes, erwählten, Um das Reich jetzt zu beherrſchen, Und daß alle Kronvaſallen Kommen, ihn zum Thron zu führen.

Deß erſchrak der Mönch Lenardo, Denn er ſah den Ernſt der Herren, Zittern fiel auf ſeine Glieder, Bebend ſucht' er auf Ramiro.

Wieder kam er, bleich und ſtotternd, Meldete den Kriegeshelden, Daß die Zelle ſei verſchloſſen, Keine Antwort zu vernehmen.

Und ſie alle, zweifelnd, zürnen, Dringen in des Kloſters Stille, Und ſie brechen auf die Thür dann, Suchen, forſchen, ſpähen, nirgend

Finden ſie den frommen Prinzen. Iſt er wohl in Angſt entwichen? Schweift er wohl im Kloſtergarten? Hat er ſich im Wald verborgen?

Auguſtin, ein muntrer Jagdmann, Eilt hinab mit ſeinem Spürhund, Der durchſtöbert rings den Garten, Der ſchaut auf zu allen Bäumen.

Recht, Geſell! ruft ihm der Herr zu, Heute gilt's ein hohes Jagen, Mehr als Hirſch und Reh und Reiher, Nach dem König wird gewittert.

Die Glocke von Aragon.

Wohl iſt Noth in Aragonien, Daß man jetzt die ganze Landſchaft Gern aufböte, daß die Treibjagd Unſern König nur aufſtöbre.

Nun zu Wald, mein treuer Hugo! Denn im Garten iſt er nirgend, Hinterm Buſchwerk, wie der Haſe, Sitzt gekauert wohl der Fromme.

Klug ſchaut auf den Herrn der Bracke, Und ſie gehn in Eil zu Walde,

Hugo ſpürt, die Schnauz am Boden, Auguſtin rollt ſchnell das Auge

Rechts und links, dann aufwärts, ſeitwärts, Nirgend Spur, in aller Richtung Läuft das kluge Thier und ſchnuppert, Findet keine Königs⸗Witt'rung.

Und ſie gehn vom Walde heimwärts: Tritt im Kloſtergarten zürnend Auf ſie zu Bermudez, ſprechend: Nirgend iſt er zu entdecken.

Alle klagen wie verzweifelnd, Wo iſt Rath, wo Hülfe irgend, Wie nach unterird'ſchen Schätzen Suchen wir nach unſerm König.

Noth wär' uns faſt ein Beſchwörer, Der den Zauberbann auslegte, Daß er ſich im mag'ſchen Netze Selbſt gefangen müßte geben.

Giebt's doch keine Wünſchelruthen, Die auf Fürſten, die verſteckt ſind, Schlagen können, und vergeblich Ritten wir den ſchlimmen Bergweg.

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Die Glocke von Aragon.

All' in Mißmuth gehn die Beiden Zu der ſtillen Kloſterzelle, N Und der kluge Hund begleitet Ungefragt den Jägermeiſter.

Mit den Augen ſpürt er, wittert, Sucht umher ringsum am Boden, Kriecht dann mühſam unters Bette, Springt hervor und ſtellt ſich aufrecht,

Bellt und lärmt, und unermüdlich Strebt er nun empor zu klimmen. Durch die offne Thür gehn viele, Aller Blick' empor gerichtet.

Einen Menſchenfuß erſpähn fie, Oberhalb der hohen Bettſtatt;

Wo ein Dach das Lager ſchirmet,

Liegt verborgen Don Ramiro.

Auf der Leiter klimmt empor jetzt Bermudez, und niederſteigen Muß beſchämt jetzt Don Ramiro. Und des Landes Adel ſinket

In die Kniee, den Herrn verehrend, Den das Schickſal und die Wahl jetzt Ihnen gab mit ſeinem Erbrecht,

Als rechtmäß'gen wahren König.

Don Ramiro weint und bittet, Andern Herrn zum Thron zu rufen, Er unfähig, nur geübt

In Gebet und Horaſingen.

Doch Lenardo ſelbſt, der greiſe, Räth ihm ernſt, ſo mächtigen Ruf des Schickſals und des Himmels In Gehorſam anzunehmen.

Die Glocke von Aragon. 381

Jubelnd mit Trompetenſchalle Kehrt der frohe Zug zurücke, Auf dem Thron ſitzt Don Ramiro Und ihm huld'gen die Vaſallen.

10. Ramiro als Krieger.

Alle Städte ſind in Freuden, Denn gekrönt iſt jetzt der König, Und die Prieſterſchaft ſingt Pſalmen, Denn ein Mönch war Don Ramiro.

Diooch die Folge zu beſtät'gen, Muß der König ſich vermählen, Und der Papſt ſchickt die Dispenſe, Und die ſchöne Braut erſcheint bald.

Freud' und Wonn' im ganzen Lande, Ein Infant wird nach neun Monden Den entzückten beiden Eltern.

Und der Friede weht und ſtärket

Mit dem Blumenfittig ringsum Die Gewerbe und den Landbau. Nur ein ſolcher Fürſt iſt heilſam, Der kein Held iſt, kein Erobrer!

Alſo ruft der Stadtbewohner Wie der Bauer hinterm Pfluge, Sicher ſind weithin die Straßen, Die das Laſtthier ruhig wandelt.

Nur die Mächtigſten des Landes Murren leis und bald auch lauter,

r- allen Unterthanen, ühlen ſie von ihm gekränkt ſich,

382 Die Glocke von Aragon.

Der den Bürger auch vernehmen, Auch den Bauer will beglücken, Der den Geiſtlichen verehret,

Mehr als alle Ricos hombres.

Friede macht die Rüſtung unnütz, Wohlſtand Bürger übermüthig, Selbſt der Bauer darf es wagen, Rittern ins Geſicht zu ſchauen.

Iſt ein ſolches Thun erträglich, Darf ſolch Freveln unbeſcholten, Ungeſtraft das Land verwirren, Alle Privilegien ſtürzen?

Graf und Ritter ſind laut jubelnd, Da der Muſelmann den Frieden Wieder bricht und wilde Schaaren Raubend übers Land hinſtürmen.

Aufgeregt vom Caſtilianer Fahren ſie im Kriegesmuthe, Und die Großen Aragoniens Schaaren ſich um ihren König.

Don Ramiro naht verlegen All' dem Glanz' der Helm' und Fun Nie hat er ein Roß beſtiegen, Nie die Lanze noch geſchwungen.

Und er ruft den großen Ritter Don Antonio zu ſich her. Zeige mir, Du treuer Mann, Wie ich mich zum Krieg gehabe.

Nichts iſt leichter, ſpricht der a Angeboren iſt dem Adel m: Schwertſchlag, Lanzenſchwung, doßtummen, Friſch ſteigt in den Bügel, hebt Euch.

Die Glocke von Aragon.

Auf dem Schlachtroß ſitzt der König.

Nehmt nun in der Linken zierlich Dieſen Schild, rechts tragt die Lanze. Und der König thut's, da fällt ihm

Aus der linken Hand der Zügel. Weh! mein Freund! womit regier' ich Nun das Roß, das wild ſchon ſtampfet?

Und der Uebermüth'ge ruft laut: Nun nehmt in den Mund den Zügel, So gehorcht Euch wohl der Rappe, Kluges Wort regiert die Welt ja!

Und der fromme König ſchaut nun Rings die fröhlichen Geſichter, Er erröthet, denn nie ſah er Reiter, die dem Roſſe ähnlich

In dem Mund den Zügel trugen. Tief beſchämt nimmt mit der Linken Unterm Schild er jetzt den Leitzaum, Und das treue Pferd gehorcht ihm.

Antonio der Uebermüth'ge Schlägt dem Blick ſein Auge nieder, Der vom König ihm begegnet. Doch die andern Ritter alle

Lachen laut, als ſich der Zug nun Durch das Feld, die Wälder hinwälzt. Iſt Ramiro auch kein Ritter,

Sind die Feinde doch geſchlagen.

Und im Land erzählt man jubelnd, Wie den Zaum im Mund der König Kühn vorangeſprengt den Schaaren,

Schwert rechts, links die Tartſche ir,

383

Die Glocke von Aragon.

Dem noch nie geſehnen Anblick Sei der Feind entmuthigt worden, Vor der Wuth des Zähneknirſchers Sei der Tapferſte geflohen.

RM Der Gerichtstag.

Pater Leonard beſuchte Seinen nun gekrönten Zögling In Huesca, wo die Großen Seines Reichs um ihn verſammelt.

Pedro Atares der mächt'ge, Lope auch de Luna mit ihm; Auch Garcia da Vidaure,

Und noch viele Ricos hombres.

Nieder wirft ſich Don Ramiro, Bittet um Lenardo's Segen, Der gerührt, erſchreckt, erhebt ihn Und erfleht ihm Glück vom Himmel.

Selbſt den Seſſel ſtellt Ramiro Für den hochverehrten Vater, Während alle Thronvaſallen Herrn und Ritter ſtehn und warten.

Und den Prieſter fragt der König Nahgebückt, vertraulich ſprechend, Nach dem Kloſtergarten, nach den Bienen, wie die Frucht gediehen.

Legt die Hand ihm auf die Schultern, Liebkoſt ihn, den Viel verehrten, Und die Herren ſehn mit Staunen Ihren Rang und Stand mißachtet.

Die Glocke von Aragon.

Welch ein König! raunt Don Pedro In das Ohr der Mißvergnügten; Nur den alten Prieſter ehrt er,

Der da ſitzt, wir ſtehn vernichtet!

Er war Mönch und iſt's geblieben, Spricht Garcia, jene Sonne, Die den Herrſcher muß umſtrahlen, Jener Kranz von Scheu und Ehrfurcht,

Der die Majeſtät und Hoheit Schmückt, dem Unterthanen zittern, Den mit Furcht nur ſieht der Ritter, Alles mangelt unſerm Fürſten.

Mit den Bauern, Prieſtern, Bürgern, Iſt ihm immerdar am wohlſten, Waffenrüſtung, Kriegsruhm, Stolz,

Der dem Adel ziemt, verächtlich

Dünkt ihm dies, was er nur weltlich, Eitel und vergänglich nennet; Kann ein ſolcher uns gebieten, Der ſich vor dem Mönch erniedrigt?

Auf ſteht jetzt der fromme König: Iſt nicht heut Gerichtstag eben? Und der Schreiber Sanchez meldet: Draußen warten die Parteien.

Laßt ſie vor! gebeut der König; Und Ihr, Sanchez, mein Vertrauter, Faßt das Urtheil, das ich ſpreche, Sorgt, daß man es gleich erfülle.

Und ein junger Mann, gekräuſelt, Aufgeſchmückt in bunten Farben, Tritt herein, ihm folgt beſcheiden Dann ein Diener, ſtill demüthig.

Tieck's Novellen. IX. 25

386 Die Glocke von Aragon.

In der Mohrenſchlacht von neulich, So beginnt des Throns Geheimrath Sanchez, ward des Jünglings Vater Von dem Feind getödtet, doch

Kam ſein edles Roß, der Schimmel, Wohlbehalten aus dem Schlachtfeld, Und das Thier, die Heimath kennend, Kommt voll Trauer hin zum Stalle;

Findet dort das Thor verſchloſſen, Und da's nicht gelernt mit Händen, Wie es ziemlich, anzupochen, Rennt es mit der Stirn dagegen.

Dem Gedonner wacht alsbald auf, Beides, ſo der Herr wie Diener, Und der junge Edelmann hier Kommt hinab mit ſeinem Stecken:

Wie? du Unart! ruft er zürnend; Ohne meinen Vater kommſt du? Wagſt vor Augen mir zu treten? Renegat, du feig' Meineid'ger!

Wer's vermag in Tod und Leben Treulos ſeinen Herrn zu laſſen, Iſt ein Böswicht und Verräther, Unwerth, je ins Haus zu treten.

Und er geißelt ohn' Erbarmen, Schlag auf Schlag den edlen Schimmel, Der weiß nicht, wie ihm geſcheh'n ſei, Schaut mit Zweifelblick den Herrn an.

Doch da der noch nicht ermüdet, Bis der Stecken ihm zerbrochen, Flüchtet er ins Feld, zu Walde, Rückwärts oft die Blicke werfend.

Die Glocke von Aragon. 387

Weinend ſieht der Knab' hier alles, Spricht: O gnäd'ger Herr, nicht alſo, Dies das Lieblingsroß des Vaters, Wiſſen wir doch nicht, wie traurig,

Wie im Gram der Schimmel ſeyn mag, Weinen kann ſolch' armes Thier nicht, Sprechen mit Vernunft viel wen'ger.

Daß er mit dem edlen Haupte

So an unſer Stallthor pochte, War wohl Heimweh, Herzensgram, Daß ſein edler Herr getödtet;

Daß er einſam wiederkehrte.

Stoßt Ihr ihn nun in die Wildniß, Muß das edle Thier verſchmachten,

Wenn nicht Wölfe es zerreißen,

Oder daß ein Bauersmann

Ein ſich fängt das hohe Streitroß, Daß es ihm muß tagelöhnern, Seinen Pflug ihm knechtiſch ziehen, Daß zum Klepper es verwildert.

So verliert's den Stolz, wird ſchwach und Niederträchtig, daß kein Ritter Das entartet arme Weſen Künftig zu beſteigen würdigt:

Darum, Gnäd'ger, ſeid barmherzig, Nehmt Ihr an die große Erbſchaft, Schlöſſer, Wälder, Eures Vaters, Rechnet noch hinzu den Schimmel.

Doch der junge Ritter, eifernd, Zürnend ob dem Widerſpruche, Nahm den Stumpf des ſtarken Stockes Und zerbläu'te Rücken, Lenden

25 *

388 Die Glocke von Aragon.

Des weichherz'gen, mitleidvollen Dieners, bis er niederſtürzte, Und der Stab auch ſelbſt zerbrochen; Da erſt war der Ritter fröhlich.

Einſam lag im Stalle klagend, Weinend nun der Knabe, ächzend Um den eignen Leib, ſo wie um Den verjagten ſchönen Schimmel.

Euch, Herr König, iſt nunmehr Dieſe Klagſchrift übergeben, Drum entſcheidet den Prozeß jetzt Zwiſchen Roß, Stallbub' und Ritter.

Wohl bemerkte Don Ramiro Des Geheimſchreibers Geſpötte, Und der Granden feines Lächeln; Doch er ſprach mit Ernſt und Würde:

Edel und faſt menſchlich zeigte Sich das Roß, die Heimath ſuchend, Deshalb ſei es eingefangen Und auf ſieben Monat’ nehm! es

Sein Quartier dort in den Stuben, Die der Vater ſonſt bewohnte, Speiſ' am Tiſch des todten Ritters, Schlaf' in ſeinen weichen Betten.

Wenn das Thier ſich menſchlich zeigte, Und der Menſch zum Thier geworden, Darf man wohl die Rollen tauſchen, Um Verirrte zu erziehen.

D'rum befehl' ich, an die Krippe Soll man dort den Jüngling binden, Auf dem Stroh im Stall ſein Lager, Brot und Waſſer ſeine Nahrung,

Die Glocke von Aragon.

Bis die ſieben Mond' entſchwunden, Halt' ihn alſo jener Diener, Auch des Roſſes ſoll er pflegen, Und des Kämmrers Lohn empfangen.

Strenge ſprach das Wort der König:

Mochten ſie ſich auch verwundern, War doch keiner dreiſt genug, Offen ihm zu widerſprechen.

Kläger wie Verklagter gingen Aus dem Saal, herein nun traten Mit Verdruß im Angeſichte Zwei bejahrte ernſte Männer.

Dieſer Bauer, ſpricht der Schreiber, Iſt Beſitzer eines Weinbergs, Den er pflegt mit Schweiß und Mühe, Seine Kinder zu ernähren.

Da betrifft er in den Reben Einen fremden Hund, der alles, Was er faſſen kann, verwüſtet, Ausrauft Kraut, Blum' und Gemüſe.

So ergreift er denn den fremden Eindringling, und ohne weitres Als ein Beiſpiel, abzuſchrecken, Hängt er auf den Uebelthäter.

Dieſer zappelt ſich zu Tode:

Nun kommt hier der Herr des Jagdhunds,

Sagt, daß ohne Recht und Urtheil Man den Unterthan getödtet.

Er iſt Pfarrer der Gemeinde, Und verlangt Erſatz des Schadens, Mind'ſtens funfzig baare Thaler, Wo nicht mehr noch von dem Mörder.

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390

Die Glocke von Aragon.

Denn das Hündchen ſei zum Jagen

Mühſam abgerichtet worden,

Und er fing dem Pfarrer jährlich Viele Haſen, wie Kaninchen.

Ei, wie thöricht! ruft der König: Was macht auf der Jagd der Prieſter? Die Gemeinde ſoll ſein Wild ſeyn, Das er für den Himmel einfängt.

Deshalb ſoll er nichts erhalten, Weder wenig, weder vieles, Nebenher ſei ihm verboten Alle Jagd auf Thier und Vogel.

Ob mit Recht und ob mit Unrecht Jener Hund ſei hingerichtet, Bleibt wohl unentſchieden, wenn nicht Die Verwandten des Verbrechers

Klag' erheben ob der Blutſchuld, Bis dahin ſei abgewieſen Alles, was den Bauer kränke Und ſein Eigenthum verletze.

D'rauf trat ein ein dicker Pächter, Den ein Mohr verklagen wollte, Und der Schreiber las die Klage: Neulich hat es ſich begeben,

Daß ein Stier des Pächters, ohne Anzufragen, in des Mohren Hof geſtiegen, ſo ergab ſich, Daß aus dieſer Anmaßung

Jenes Mohren Kuh geworfen Hat ein Kalb, ſtark, gut gewachſen, Und der Chriſt verlangt nun eben Von dem Kalb als ſein die Hälfte.

Die Glocke von Aragon. 391

Will die Kuh es ihm gewähren, Sprach der König, mag er's nehmen, Denn ihr Mutterrecht entſcheidet, Sonſt ſoll nichts der Chriſt erhalten.

Sonderlich iſt der Gerichtstag, Nur von Pferd und Kalb und Hund wird Heut verhandelt, man muß denken, Wir ſind in der Arche Noäh.

Auf nun ſtand König Ramiro Halb mit Lachen, halb mit Zürnen, Ungewiß die Granden alle,

Ob er thöricht ſprach, ob weiſe.

Aber ſeine Freunde zürnten, Und er ſelbſt begriff es deutlich, Daß, ſein ſpottend, man dem Volke Ihn verächtlich machen wolle.

12. Ramiro's Brief. An dem Hofe war ein Zwerglein, Von den Großen wohl gelitten,

Gern geſeh'n an ihren Tiſchen, Mit dem Spaß das Mahl bezahlend.

Auch der fromme, gute König Hörte lächelnd ſeine Scherze, Oft den tiefen Sinn bewundernd, Den der Zwerg im Blödſinn ausſprach.

Denn wer immer ſpricht und ſchwatzet, Ohne Rückſicht, Scheu und Schäme, Ohne Furcht auch zu beleid'gen,

Der ſtößt oft auf Witz und Tiefſinn.

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Die Glocke von Aragon.

Nahe liegt im Menſchengeiſte Weisheit an der Thorheit, ſtündlich Schlägt ein Funke aus dem Dunkel, Und erleuchtet hell das Wirrſal.

Und im Lachen und Verſpotten Dünkt der Thor uns ein Orakel, Weil ſolch Geiſtesſpielen Unſinn Mit der Weisheit Farbe ſtempelt.

Oftmal gab der Geiſt des Königs

Erſt den Sinn dem Wort des Narren.

Scheint doch auch im Waldesrauſchen, Quellenmurmeln Spruch zu wandeln.

Eingeladen war das Närrchen Nach dem Schloß von einem Großen, Der nicht weit vom Kloſter hauſte, Wo der Mönch Leuardo wohnte.

Dieſem unverdächt'gen, kleinen, Stillpoſſierlich dummen Zwerge Gab der König einen Brief mit, Welcher alſo ſprach: Mein Trauter,

Da ich Mönch hieß, war ich ee Fu

Seit ich König, bin ich elend, O was frommt mir Hoheit, Würde, Mein Gemahl, mein Sohn, mein Erbe?

Von der Welt entfernt, unkundig Aller Händel, nur befliſſen Meiner Seele Heil zu fördern, Den zu kennen, ihn zu lieben,

Der vom ew'gen Tod uns löſte, Der der Inbegriff der Liebe, Deſſen Glanz ſich hüllt in Schönheit, Seine Weisheit ſchlichte Einfalt.

Die Glocke von Aragon.

O im Herzensbrand wie ſelig, Wenn ich flehte, ihn erſchauend, Wenn ich ſelbſt mir ſelbſt entrückt ward, Und mein Geiſt zur Liebe wurde.

Ja noch grünt und blüht uns Eden, Wenn wir ſelbſt uns ſelbſt ertödten, Und in ihm nur ſind und wirken, Der uns ſchuf zum Ebenbilde.

O mein Freund, mein theurer Vater, Tief betrübt iſt meine Seele, Wie in einem dunkeln Kerker Sitzt fie trauernd und gefeſſelt.

Ihr ſaht ſelbſt, geliebter Vater, Wie man meiner jüngſt geſpottet, Und ſo iſt mir Kraft und Freiheit,

Selbſtvertrauen ganz zernichtet.

Zag' ich doch, ein Wort zu ſprechen, Schäme mich, zu fragen, zittre, Spott nur, groben Hohn zu hören, Oder nur Verweis in Bosheit.

So wird Majeſtät geſchändet, Deſſen, den ich ſoll vertreten, Deſſen Bild mit Kron' und Seepter Ich im Purpurmantel ſeyn ſoll.

Alle, die ich reich begabte, Zeigen ſich als Undankbare. Wer was zu erringen denket, Iſt noch höflich und ergeben.

Nach dem Kriege, den ich führte, Freut' ich mich, ſie zu belohnen, Was ich mir aneignen durfte,

Was ich noch beſaß als eigen,

393

394 Die Glocke von Aragon.

Gab ich gern, frei, ohne Sorgen, Rückhalt, Argwohn, und ſie alle Prieſen meine Königs-Großmuth, Meinen hohen Sinn, ſo edel.

Nun ich wieder Hülfe ford're, Rings bedrängt von Chriſtenfeinden, Zeigt ſich keiner frei, großmüthig, Selbſt die nächſte Pflicht verweigernd.

Jener Grande ſagt mir deutlich, Mit den großen Ländereien, Die ich ihm zum Lohn geſchenket, Hab' er auch ein höh'res Vorrecht,

Mir die Hülfe zu verweigern, Denn er dürfe nicht mit Folien Hohe Privilegien, die ich Mit dem Land ihm gab, verletzen.

Alle dieſe Ricos Hombres, Dieſe großen Kronvaſallen, Dieſe nächſten meinem Throne, Feindlich ſind ſie, faſt Rebellen.

Viel konnt' ich mir vom beſiegten Feinde damals ſelber eignen, Ihrer Fügſamkeit und Eifer, Mir zu dienen, gab ich alles.

Armuth, Ohnmacht und Verhöhnung Iſt die Ernte, die ich mühſam Eingeſammelt meinen Scheuern, Undank iſt mein ſtärkſtes Einkomm'.

Was nun thun? Erfahrner Alter, Rathe mir mit treuſtem Sinne, So nicht kann ich mehr regieren, Ja nicht fürder alſo leben.

Die Glocke von Aragon. 395

Mein klein Zwerglein giebt Dir dieſes, Er iſt unverdächtig, harmlos Achten ihn ſo Groß, wie Niedrig, Man wird nicht in ihm den Boten

Eines Königes vermuthen, Ihm nicht Taſchen unterſuchen: Denn ſie kränken mich nach allem Noch mit unverdientem Argwohn:

Klagen, daß ich ſie beſchäd'ge, Land und Leut' ihnen nicht gönne, Ihre Rechte will verletzen, Ford're, was mir nicht geziemet.

Ja, noch mehr! ſich nicht entblödend, Schelten ſie mich gar Tyrannen, Meinen, daß dem Land ein andrer Fürſt und Herrſcher ſei von Nöthen.

Schon im Volk geht um ein Murmeln, Blind Gerücht von ſchimpflicher Abſetzung und daß ein milder Herr, der frei das Wohlthun übe,

Gerne ſchenke, Dienſt belohne, Der die Privilegien achte, Der nicht geizig, nicht habſüchtig, Alles ſelber zu ſich eigne;

Dieſer ſoll den Thron beſteigen, Um mein Geizen zu vergüten: Wohl in unentdeckten Landen Müſſen ſie den König finden.

Durch den Blödſinn, der dies reichet, Sollſt Du Weisheit überſenden, Denn wenn einer mir kann rathen, So biſt Du's in meinem Reiche.

396 Die Glocke von Aragon.

Du, der keinen Lohn empfangen, Der noch lebt in vor'ger Armuth, Der von mir nie was gefordert, Dem ich Gold nicht ſchenkt' und Würde,

Der in ſelber Zelle wohnet, Wo er mich belehrt, erbauet Und geſtrafet, der noch täglich Selbſt im Gärtchen gräbt und ſchaufelt.

O Du Aermſter, Gottergebner, Wie ſo reich biſt Du und frei Deinem König gegenüber,

Wie ſo glücklich und geſegnet:

Denn Dich lieben alle Brüder, Ehren Dich als ihren Aelt'ſten, Sind gehorſam Dir in Demuth, Folgen Deinem Rath und Willen.

Alſo müßt' ich, wenn die Rechte Herrſchten, ſtehn in meiner Würde, Achten müßten die Vaſallen Mich nicht minder, dankbar treu

Meinem Wort gehorchen, ſcheuen, Irgend meine hohe Würde Zu verletzen, ſie wie Kinder, Ich ihr hochverehrter Vater.

Doch die Liebe, Wahrheit, Treue, Kindlicher Gehorſam, Frommheit, ' Sind zum Himmel all' entwichen, Angſt nur blieb uns zur Geſellin.

Bete mit mir, treuſter Vater, Daß der Herr vom hohen Himmel Dieſe Wächter aller Thronen Uns zurücke ſende gnädig.

Die Glocke von Aragon. 397

13. Wiederkehr des Boten.

Früh am Morgen, als der König, Noch im Beten war und eifrig Zum Erlöſer ſeine Worte, Daß er helfen möge, ſandte:

Stand der kleine Zwerg, poſſierlich, Bückte ſich nach allen Seiten, Stammelte und lachte ſeltſam,

Und der König war ihm freundlich.

Sprich, mein Bote, ſahſt ihn ſelber? Haſt mein Schreiben übergeben? Bringſt Du Antwort mir nun ſchriftlich? Hat kein Unglück Dich betroffen?

O mein König, da der Alte In der finſtern ſtillen Klauſe Iſt mit ſeiner frommen Weisheit Mehr ein Narr noch als ich ſelber.

Denn, mein gnäd'ger Herr, verſichert Seid nur, ſagt es dreiſt mir nach, Daß mehr Dummheit in der Welt iſt, Als wir beide glauben mögen.

Wie ich ankam, will der Pförtner Mir den Einlaß gar verwehren, Sagt, daß es ſich nimmer ſchicke, Weil ich klein bin, einzutreten.

Dummer Menſch! ſag' ich erboßt ihm, Wär' ich rieſengroß, ſo dick auch, Daß ich eure Mauer ſprengte, Weil das Thor zu niedrig wäre:

398

Die Glocke von Aragon.

Dann hätt's meinen Beifall, daß ihr Mir die Thür ſchlößt vor der Naſe. Aber da ich leicht und winzig, Durch die Bein' euch ſchlüpf, iſt's Unſinn!

Zwiſchen ſeine Kniee wutſcht' ich Nun hindurch, wie Wieſel ſchlüpfen, Und ſo kam ich in den Kreuzgang, Wo ſie neue Noth mir brachten.

Meine bunte Schellenkappe Sei alldort was Niegeſeh'nes, Die ſollt' ich nur draußen laſſen, Um die Andacht nicht zu ſtören.

Schaut's, ihr Herren! rief ich zornig, Das ſind nun von euren Streichen, Aberglauben oben, unten,

Nirgend philoſoph'ſche Einſicht.

Habt ihr ſelber doch auch Guggeln, Die ihr über Ohren ziehet, Zwar ſind ſie nur braun, nicht fleckig, Aber doch zu ſelbem Dienſte.

Haltet dieſe meine Kappe Nur in Ehren, denn ſie diente Mir zur Sicherheit und Schutze Faſt ſo wie ein Heroldsmantel.

Laßt den Narren, der ſo harmlos, Doch nur wandern, riefen alle, Wenn die Wächter mich befragten, Oder feſt mich nehmen wollten.

Was mich ſo beſchirmt, wie faſt nur Heilige Reliquie konnte, Laſſ' ich mir nicht nehmen oder Dies mein Wappen je beſchimpfen.

Die Glocke von Aragon. 399

Und nun lachten die Einfält' gen, Als wenn ich der Dumme wäre, Brachten dann mit Spott und Necken So mich zu dem Greis Lenardo.

Der beſah mich auch vom Kopf bis Zu den Füßen, wollte lachen, Und verbiß ſich das zum Lächeln, Weil er würdig ſcheinen wollte.

Habt mich nicht zum Narren, ſagt' ich, Denn ich bin des Königs Bote, Der läßt freundlich Euch begrüßen, Eurer Freundſchaft auch gewärtig.

D'rauf der Alte: Sonderbarlich! Hat der König keine Fürſten, Keinen würd'gen Abt und Biſchof, Und muß mir 'nen Narren ſenden?

Daraus ſah ich, daß der Alte Mehr ein Narr ſei, als ich ſelber, Und ich ſprach ergrimmt: kein Edler, Hätte wohl den Brief getragen:

Oder that er's, wurd' er kläglich Von den Liſt'gen weggefangen, Weil ich Narr war und beliebt auch, Ließen mich die großen Narren.

Griesgram wurde nunmehr freundlich, Ließ ein Frühſtück geben, Honig, Weißes Brot und ſüßen Wein auch, Was mir nach dem Wandern wohlthat.

Nun, wo ſind denn Deine Briefe? Da löſt' ich das Band des Schuhes. Tölpel! rief der Prieſter, denn er War ein Narr mehr, als ich ſelber.

Die Glocke von Aragon.

Meint Ihr, ſchrie ich, daß ich ſolches Darum thu', nur Euch zu ärgern, Mich als gröblichen Geſellen Ohne Lebensart zu zeigen?

Dreimal hielten ſie mich feſte, Suchten in der Reiſetaſche, Selber in dem Brotkorb emſig, Ob ſie was erwiſchen möchten.

Davon hatt' ich früh ein Einſeh'n, Denn ein Bote muß verſtehen⸗ Sein Gewerbe, und ſo ſtand ich Mit Verſtand die ganze Reiſe

Auf dem Brief, her lief ich emſig, Und das iſt auch kein Vergehen, Weil ich nur durch ſolch' Verſtändniß Für Euch ſo den Brief gerettet.

Und er las ihn und war traurig, Sah bald mich an und das Brieſchen, Schüttelte das Haupt und ſeufzte, Fing zuletzt an gar zu weinen.

Und wo iſt die Antwort, die Du Mir von ihm ſollſt überbringen? Habe kein', und darum iſt er Größ'rer Narr noch als ich ſelber.

Schreibt was, ſagt' ich; ſtumm blieb jener, Schüttelt wieder und ich glaube, Daß er nicht verſteht zu ſchreiben, Daß er dumm iſt, ohne Wiſſen.

Den um Rath zu fragen, wahrlich, War höchſt überflüſſig, traurig, Wenn die Einfalt bei der Narrheit, Thor bei Dummheit Rath will holen.

Die Glocke von Aragon. 401

Und kein mündlich Wort zum Abſchied? Nichts, Herr König, als wenn plötzlich Er vom Leſen ſtumm geworden, Schwieg fortan das alte Herrlein.

Aber daß er Narr und Dummer, Hat er noch zuletzt bewieſen, Denn er ging mit mir zum Garten, Wo Gemüſe ſtehn und Blumen,

Grüne Kräuter aller Arten, Krauſemünz und Rosmarin, Und verworrnes Zeugs mitſammen, Mir ſchien manches ſelbſt nur Unkraut.

Wie wir ſo ſtillſchweigend wandeln, Nimmt der alte Narr ſein Stäbchen, Worauf er ſich wankend ſtützte, Denn er iſt recht ſchwach geworden;

Und haut um ſich in die Lilien, Die ſo ſtolz und herrlich ſtanden, Rother Mohn erhob die Häupter, Alle die ſchlug er zu Boden,

Daß die weißen Lilienblumen, Und vom Mohn der volle Purpur, Zwiſchen Unkraut und den Gräſern So wie Mond und Sterne lagen.

Das iſt, was wir mal geleſen, Dorten im latein'ſchen Buche. Alſo ſpricht der fromme König Und ſitzt nieder zur Betrachtung.

Winkt dem Zwerg, der geht nach Hauſe Und empfängt den Beutel Goldes; Still iſt's im Gemach des Fürſten, Nur ſein lautes Seufzen hört man.

Tieck's Novellen. IX. 26

402 Die Glocke von Aragon.

14. Die Glocke.

Jetzt verſammeln ſich die Großen Oftmals und auf vielen Schlöſſern; Ihren König zu vernichten,

Iſt ihr Rath und eifrig Streben.

Ungewiß nur, wer dann herrſche, Streiten ſie, denn jeder Stolze Will der Erſte ſeyn von allen, Keiner dem Geſetz gehorchen.

Pedro ruft: Ich ſprach Ramiro, Unſern ſchwachen, blödgeſinnten Prieſter, und des wen'gen Geiſtes Iſt er nunmehr ganz beraubet.

Wie geht's meinem König? fragt' ich; Er erwiedert: Gut und leidlich, Nur bin ich jetzt Tag und Nacht Auf ein großes Werk befliſſen.

Eine Glocke will ich bilden, Deren Klang man weit vernehme, Solch' ein Werk, daß es als Denkmal Unſern ſpäten Enkeln bleibe. N

Alle lachen und verſpotten Schlimm wetteifernd ihren König, Und Bermudez eilt zu Roſſe In die Stadt hin zu Ramiro.

Iſt es wahr, mein hoher Herrſcher, Was die Freunde mir gemeldet, a Daß Eu'r Hoheit eigenhändig Eine mächt'ge Glocke gießet?

Die Glocke von Aragon.

Ja, mein Guter, und ich hoffe, Daß ſie bald vollendet werde. Wie iſt's möglich, da Ihr niemals Dort im Kloſter dies gelernet?

Noth wohl iſt der beſte Meiſter, Und oft ſind in uns die Gaben, Die wir ſpäter nur erkannten, Wenn Gebrauch ſie von uns fordert.

Doch wie habt Ihr denn ſo heimlich Euer Gießhaus eingerichtet? Wo das Handwerkzeug, die Erze? Sind Gehülfen bei dem Werke?

Alles dies wird bald ſich kund thun, Wen'ge Tage ſeid geduldig: Schon zu euern Freunden ſandt' ich. Wenn ſie all' verſammelt, zeig' ich

Euch das Kunſtſtück, zum u e Aller Welt iſt es formiret, Und da es ſo weit gediehen, Sollt ihr alle daran helfen.

Wie? Nein wir ſind nicht Gewerker, Nicht zur Handarbeit gewöhnet, Lüſtet's Euch, als Tagelöhner

Euch zu müh'n, will ich's nicht hindern.

Und wozu das ganze Werk denn? Was ſoll's frommen, wozu nützen? Sind doch Glocken g'nug in Städten Und in Dörfern oft zu viele.

Daß man vor Gebimmel, Bummel Oft das Ohr ſich möchte ſtopfen, Und bei großen Kirchenfeſten Werd' ich ſchwindlig und betäubet.

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Die Glocke von Aragon,

Aber dieſe meine Glocke j Wird, glaubt mir, viel weiter klingen,

Als je eine noch ſo mächtig

Ihre Klänge ließ ertönen:

Denn ſie ſoll mit lautem Rufen Ueber Aragon erſchallen, Daß ſie hört ringsum die Landſchaft, Und auch ſelbſt die Nachbarländer:

Und wie ihr auch jetzt euch weigert, Weiß ich doch, auf dringlich Bitten Seid ihr mir zum Werk behülflich, Iſt's vollendet, habt ihr Ruhe.

Zu den Freunden eilt Bermudez, Die zur Jagd ſich ſchon verſammelt: Unſer König raſ't! jo ruft er, Reif geworden iſt ſein Wahnſinn.

Sancho und Antonio, Pedro, Andres, Jago, Luis, Alberto, Friedrich, alle Großen eilen Uebermüthig hin zu Walde.

Sie beſchließen ſchon im Geiſte, Den Irrſinn'gen zu verwahren, Doch ihn erſt noch ſeine Tollheit, Seine Glocke fert'gen laſſen,

Daß er ſo wie der Erwachſ'nen, Auch der Spott der Kinder werde, Daß es einſt ein Sprichwort gelte, Albern⸗Thörichtes bezeichnend,

Immerdar alsdann hohnlachend Dieſes Raſen, jenen Unſinn Und das Dumme zu bezeichnen: Das iſt Aragoniens Glocke.

Die Glocke von Aragon.

15. Erfüllung.

Arbeitſam und fleißig weilte Don Ramiro im Palaſte, Und die Granden und die Ritter Waren an den Hof beſchieden.

Drin im Stillen ſich berathend, Ließ er einen nach dem andern Durch den Pförtner zu ſich kommen, Feierlich, geheimnißvoll.

Nun wird endlich ſich doch zeigen, Was das Wunderwerk bedeutet, Sprach Don Pedro, er der Letzte, Den berufen ließ der König.

Dann, es war die eilfte Stunde, Und zum Mittag ſchritt die Sonne, Ließ er rufen Vetter, Söhne, Enkel jener reichen Männer.

Um ſich ſchaart er alle Freunde, Die ihm bieder treu geblieben, Ihre Zahl nicht groß, doch willig,

Selbſt mit Blut den Herrn zu ſchützen.

Aufgethan ſind alle Thore,

Und die Schaar der Männer, Kinder,

Jünglinge, wie auch des Volkes Dringt hinein zum großen Saale.

Was erſchau'n ſie? Zum Entſetzen!

Eine große ausgeſpannte Glocke, ganz von ſchwarzem Tuche, Unten iſt der Reif von Eiſen.

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Die Glocke von Aragon.

Und am runden Reife hängen Blutend noch die Häupter Friedrichs,

Und Alfonſo's, Luis, Sanchez,

Aller jener hohen Ritter,

Die dem König höhnend trotzten, Die ihn zum Geſpött' entwürdigt; Und als Klöppel ſchwankt das große Mächt'ge Haupt des ſtarken Pedro.

Furcht und Wehgeſchrei und Aengſten, Staunen, Schreck im bleichen Antlitz, Zittern aller und Entſetzen, e Stehn Geſpenſter dort im Saale.

Auf erhab'ner blut'ger Bühne Liegen der Entſeelten Leichen, Und in ſcharlachfarbnen Kleidern Neben ihnen Henkersknechte.

Seht die Glocke! ruft Ramiro, Die ich meinem Land verſprochen: Tönt ſie nicht gewalt'gen Schalles? Schreit nicht ſchneidend durch die Herzen?

Wie Geläut des Thurm's die Gläub'gen Zum Gebet ruft und zur Andacht, Zur Verehrung heil'ger Tempel Und zur Gegenwart des Gottes,

Vor dem wir in Liebe knieen Und auch zitternd ihn verehren: So daß Läſt'rung wird, wer Prieſter, Tempeldienſt verlachen wollte:

Alſo ſchallt von dieſen Häuptern, Stärker als von Menſchenſtimmen, Daß ihr ſollt den König ehren,

Und des Herrn Geſalbten fürchten.

Die Glocke von Aragon.

Liebend ſollt ihr ihm gehorchen, Ehrfurcht ſoll ihm Rath ertheilen, Auch der Tadel naht in Demuth Und der König wird auch Menſch ſeyn,

Freundlich gern den Freund vernehmen. Aber Gottes Abbild ſchänden, So wie dieſe höhnend thaten, Iſt am Heil'gen Hochverrath nur.

Schaut, ihr Söhn' und Enkel, dorthin, Prägt dies tief in Herz und Sinn, Daß ihr lernt, wie man gehorche, Lernt, was euer und des Königs.

Ehrfurchtsvoll verſtummen alle, Draußen jubelt laut die Menge, Nicht mehr fürchtend die Tyrannen, Die ſie ſonſt in Staub getreten.

Und die Enkel, Söhne, Vettern Jener hingewürgten Edlen, Fürchten nun des Königs Anſehn, Folgen willig den Befehlen.

Viele weggeſchenkte Güter, Reiche Schlöſſer nimmt Ramiro Wieder, als ihm heimgefallen, Und erkräftigt ſein Beſitzthum.

Nun gehorchen ſie mit Liebe, Der wird wohl geliebt vor allen, Der viel Gut beſitzt zum ſchenken, Mehr wirkt Hoffnung als Geſetze.

Und im Krieg auch ſiegt der Herrſcher, Lernt das Schwert, die Lanze führen, Und das Volk iſt reich und glücklich, Mild regiert Ramiro's Scepter.

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408 Die Glocke von Aragon.

Und der Adel kraftvoll, mächtig, Fühlt ſich ſtärker durch den König, Treu bewahrt er ihre Rechte, Treu erfüllen ſie die Pflichten.

So kann er das Reich beruhigt Seinem Sohn dann übergeben, Und er geht zurück ins Kloſter, Einſam ſeinem Gott zu dienen.

Aber lange, lange klang noch Laut hin über ſeine Länder Dieſe Glocke Aragons,

Die der König ſelbſt gegoſſen.

Es entſtand eine Pauſe. Wiſſen Sie denn auch, ſagte die Mutter nach langem Bedenken, daß das eine ganz abſcheuliche Geſchichte iſt, die Sie da ausgearbeitet haben? Eben ſo unpoetiſch wie unmoraliſch.

Der große Dichter Lope de Vega, erwiederte der Vor⸗ leſer, hat nicht ſo gedacht, weil er aus dieſer alten Volksſage ein eignes Schauſpiel zuſammengeſetzt hat. Die ſpaniſchen Geſchichtſchreiber, wie ich ſchon erwähnt habe, leugnen die Begebenheit und halten ſie für unmöglich. Der hohe Adel hat in allen europäiſchen Reichen den Königen in früheren Zeiten immer viel zu ſchaffen gemacht und zuweilen half ſich der Fürſt dann wohl durch ſo grauſame Einſchnitte, damit das faule Fleiſch nur nicht ganz das geſunde verzehre. Peter der Grauſame ging durch ſeinen Adel ſchmählich unter, ſo wie Eduard der Zweite von England und Richard der Zweite. Aehnliches geſchah in der ältern franzöſiſchen Ge⸗ ſchichte. Es iſt daher zu verwundern, daß neuerdings ſo oft

3 Die Glocke von Aragon. 409

wiederholt wird, der Adel ſei zu allen Zeiten die wahre Stütze und Sicherheitspfeiler der Thronen geweſen. 7

Die Geſchichte, ſagte die freundliche Gattin, die nur ſelten etwas kritiſch erörterte, iſt ſehr in die Sinne fallend, ſchroff, ſeltſam und unerwartet iſt der Ausgang. Sollte es denn nicht möglich ſeyn, daß von dieſer alten Sage erſt ſpäterhin die Glocke von Vilella ihren Ruf erhalten hat? Vielleicht zu einer Zeit, als man jene Begebenheit ſchon ver⸗ geſſen hatte. Es iſt immer wunderlich, daß die beiden Selt⸗ ſamkeiten einer und derſelben Provinz angehören und unter demſelben Namen laufen. Gut aber, daß mein Mann die Romanze oder die Novelle nicht drucken läßt. Ein junger Rezenſent hätte es gar zu bequem, wenn er aus dem Ge⸗ dicht nur abſchreiben dürfte: daß man alles Törichte und Alberne „die Glocke von Aragon“ nennen möchte.

Jetzt ſagte der Profeſſor: Man erlaube mir noch, da wir Zeit haben, eine Kleinigkeit vorzuleſen. Nicht etwa ein Blatt von mir, ſondern ein mir Eingeſendetes, das freilich an ein ſehr hübſches kleines Mährchen von Novalis, „Roſenblütchen und Hyacinth“ erinnert.

Die Rückkehr.

Eine ganz kurze Erzählung.

Ich war auf einem Dorfe nicht weit von der Seeküſte geboren. Eine hohe waldige Bergwand trennte uns Land- leute von dem Meere und der weiten Ausſicht über daſſelbe. Oft rannte ich als Knabe fort und ergötzte mich von oben an dem ungeheuern Anblick der unermeßlichen Waſſerfläche. Meine Eltern waren ſehr unzufrieden mit meiner Art und

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Weiſe. Sie wollten mich ruhiger, und daß ich mich ganz in ihre Lebensordnung finden ſolle.

Als ich größer wurde, entwickelte ſich mein Chlracter immer ungeſtümer. Nichts war mir recht und die Beſchäf⸗ tigung meiner Eltern, ſo wie der Befreundeten erſchien mir unwürdig. Nur das Ferne, ganz Fremde und Weitentlegene war in meiner Phantaſie edel. Nur dort war das Wunder⸗ bare, Schöne, Große.

Wie ärgerte mich die kleine Kirche mit ihrem Geläute. Die Wieſen umher, der Buchenwald, alle die bewäſſerten Triften, die fruchtbaren Kornfelder, alles war mir verhaßt.

Störrig, wie ich war, ſchalt ich auf Frühling und auf Herbſt; auch die Atmoſphäre nannte ich ungeſund. Ich hörte auf keine Ermahnung, jede Zurechtweiſung, auch die freund⸗ lichſte, war mir unerträglich. Wüthend ward ich, wenn man mir zeigen wollte, daß ich ſelbſt nicht wiſſe, was ich denn verlange.

So verging viele Zeit. Man ward es am Ende an mir gewohnt, ſo wie ich war, und ließ mich gewähren.

Am meiſten hatte von mir eine junge, hübſche Muhme zu leiden. Ich war ihr eigentlich ſehr gut, und doch zankte ich mich beſtändig mit ihr. Sie ſchien mir nicht ganz abge⸗ neigt, aber freilich wendete ſie ſich wieder oft von mir ab, weil ich ihr das Leben gar zu ſauer machte. Wenn ich den Leuten ſo recht beſchwerlich fiel, kam ich mir ſelbſt am liebens⸗ würdigſten vor, und ſo beſtärkte ich mich recht gefliſſentlich in meiner Bosheit oder in meiner Thorheit, nenne man es, wie man will.

Als ich mir vollkommen ausgewachſen vorkam und mit vollſtändiger Klugheit ausgerüſtet dünkte, raffte ich alles, was ich mit Recht das Meinige nennen konnte, zuſammen und ging in die weite Welt. Ungern zwar, aber doch gaben mir

Die Glocke von Aragon. 411

meine Eltern ihren Segen mit. Der Abſchied von der Muhme war empfindlich, denn ſie wies mich mit Hohn. zurück, als ich ihr vorſchlug, daß ſie mich aufs Ungewiſſe und in eine unbeſtimmte Fremde hinein begleiten ſollte.

So rannte ich denn fort, ſchnell, und je weiter von meinem väterlichen Dorfe, je lieber wurde mir die Gegend. Aber immer war mir Welt und Natur noch nicht wunderbar genug. Ich verweilte hie und da, erwarb durch Arbeit, fand Freunde und wohlwollende Menſchen, aber nirgend wollte es mir ſo gefallen, daß ich an einer Stelle meine Heimath hätte gründen mögen. So kam ich an einen See⸗ hafen und ſchiffte mich ein, um recht weit nach fernen Welt⸗ theilen, nach einer ganz neuen Natur zu gelangen. Denn alles hatte mich bisher jo unbefriedigt gelaſſen.

Die Fahrt ging glücklich und ſchnell. Aber im Schiffe ſelbſt brach eine Krankheit aus. Der Steuermann war das erſte Opfer. Wir waren weit entfernt von befreundeten Küſten. Auch der Kapitain ſtarb. Das Schiffsvolk wurde meuteriſch. In einem Aufſtande ermordeten ſie ſich unter einander. Nun war guter Rath theuer. Keiner verſtand es, das Schiff zu regieren, und wir wußten gar nicht mehr, wo wir uns befanden. So gerieth das Fahrzeug auf eine Klippe und zerbarſt. Die wenige Mannſchaft, die noch übrig war, hatte ſich ſo im Wein übernommen, daß ſie das Unglück kaum bemerkten und durchaus nicht im Stande waren, vernünftige Anſtalten zu ihrer Rettung zu treffen. Indem ſie ein Boot losarbeiteten und in die See hinabließen, ſtürzten ſie kopf⸗ über in die Flut und ertranken. Es gelang mir, in das Boot zu ſpringen, und ſo mußte ich mich dem Winde und den Wellen überlaſſen.

Lange trieb ich herum. Endlich, als meine Nahrung zu Ende war, ſah ich Land und ein hohes Gebirge vor mir.

412 Die Glocke von Aragon.

Das Wetter war ganz ruhig, der Himmel hell und klar. Ich ſtieg aus und erfreute mich der Landſchaft, die mir ſo groß und wunderbar ſchien, wie ich noch keine bis jetzt geſehen hatte. Ja, ſagte ich zu mir ſelbſt, weit hinein in eine un⸗ bekannte, fernliegende Welt bin ich doch nun wenigſtens ge⸗ rathen, und ſo viel Unfälle ich auch erlitten habe, ſo iſt doch mein hauptſächlichſter Wunſch mir erfüllt worden. Ja dieſe Felſenwände, dieſe Waldgründe hier wie verſchieden von denen meines Vaterlandes!

So dachte ich, indem ich die hohe ſchöngeformte Bergwand hinaufkletterte. Als ich oben war, eröffnete ſich zu meinen Füßen jenſeits eine Ebene, ſo grün, fruchtbar, voll Wald und Hügel, ſo entzückend, daß ich meinen Taumel kaum be⸗ wältigen konnte. Je mehr ich abwärts ſtieg, je herrlicher erſchien mir die Gegend. Freudethränen vergießend, ſetzte ich mich auf einen kleinen Raſenhügel, von wo ich deutlich alle ſchönen Theile der Gegend überſehen konnte. Und in⸗ dem ich den friſchen Athem der Natur einſog, da erklang ein abendliches Geläute von der kleinen Dorfkirche unter mir. So etwas hatte ich noch nie vernommen; fo rührend, meh- müthig miſchten ſich die ſanften Töne mit dem Waldesge⸗ räuſch und dem Murmeln der Bäche und Quellen, die nahe an meinem Ruheplatze munter in das Thal hinabhüpften. Hab' ich nicht einmal gehört oder geleſen, ſagte ich zu mir ſelber, daß eine Glocke in Aragon zuweilen ſo ſeltſame zauberhafte Töne von ſich giebt, daß die Menſchen im Traume des Entzückens ſich in Thränen der Wehmuth auf⸗ löſen möchten? Hier iſt alles dies und mehr.

So beſeligt, durch und durch erfriſcht und von poetiſchen Träumen wie von goldnen Netzen umſponnen, ſtieg ich hinab. Schon nahte ich mich den Hütten, wie vom Inſtinet ge⸗ trieben gehe ich durch den Garten öffne die Thür

Die Glocke von Aragon. 413

und bin im Hauſe meiner Eltern. Ich blieb glücklich und zufrieden, alles freute ſich, und mein Mühmchen war eines andern, eines würdigen Mannes Gattin.

Dieſe kleine unbedeutende Geſchichte, ſagte der Pro— feſſor, nachdem er geendigt hatte erhält nur Bedeutung, vorzüglich für uns, wenn ich Ihnen den Verfaſſer nenne. Mit einem weitläufigen Briefe hat ſie mir unſer verwilderter und jetzt bekehrter Florheim zugeſendet, der ſich ſchon auf der Rückkehr hieher befindet. Er ſchreibt mir, daß er in der Fremde erſt ſein Vaterland habe achten und verſtehen lernen. Dort in Paris ſei für diejenigen, die Deutſchland und deſſen Glück verkennen, eigentlich die beſte Heilanſtalt. Dieſes unſer deutſches Glück, welches uns ein günſtiges Schickſal beſchieden, könne man anerkennen und genießen, ohne in fanatiſcher Uebertreibung die Mängel und Gebrechen, an denen alle Staaten leiden, zu überſehen oder ſie gar für Vorzüge auszugeben. Jeder ſollte nur für den nächſten Kreis Gutes wirken, ſo würde ſich allgemach die ächte Ver⸗ beſſerung der Zuſtände finden und die wahre Freiheit, die bei uns noch nie verloren war, mit erhöhtem Glanze herr⸗ ſchen. Kurz, meine Freunde, der ſchwärmende Jüngling iſt ein verſtändiger Mann geworden.

Dieſe unerwartete Nachricht erhöhte die frohe Laune der Geſellſchaft und in liebenswürdiger Heiterkeit ward dieſer Abend von allen genoſſen, mit der Ausſicht, die trauliche Verſammlung bald durch einen Gaſt, den man ſchon ſonſt geliebt hatte, vermehrt zu ſehen.

Tieck's Novellen. IX. 27

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Schritten. Vol. 25. (Gesanẽmel te Novellen. vol. 9)

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