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Peter Altenberg

S. Fischer , Ferlag^ Berlin 1913

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten. Copyright 1913 S. Fischer, Verlag, Berlin.

INHALT

Idylle 13

Bergeswelt 15

Bozen 16

Gartengedanken 17

Frühstück in Klagenfurt 21

Die Tänzerin 22

Zwei Skizzen 27

Erziehung 29

Poliere 31

Forellenfang 33

So wurde ich 35

Loca Minorum resistentium 37

Dolomiten 39

Mama 41

Moderne Annonce 43

Semmering 44

Winter auf dem Semmering 45

Vollkommenheit 46

Nachwinter 47

Heimliche Liebe 49

Das Kino 51

Lebensbild 52

Im Jänner, auf dem Semmering 53

Noch nicht einmal Gedankensplitter 54

Die Kostüme auf dem Semmering in der Silvester- nacht 57

Fortschritt 58

Abschied 60

Besuch 61

Buchbesprechung 63

7

Ein Brief . 65

Das Hotel-Stubenmädchen 67

Gespräch 68

Bobby 69

Psychologie 71

Hotelregisseure 73

Das Glück 75

Das Duell 76

Stammgäste T]

Sanatoriimi für Nervenkranke ^^

Die Romantikerin 1 83

Erbleichet! Errötet! 85

Ostermontag auf dem Semmering 86

Berghotel-Front 88

Landpartie 89

Psychologie 91

Vor- Vorfrühling 93

Gedenkblatt 95

Oberflächlicher Verkehr 97

Beaute 99

Die Spielereien der reichen Leute 100

Richtige, aber eben deshalb wertlose Betrach- tungen lOI

Die Probe 102

Ereignis 103

Ende 104

Nach abwärts 105

Abschied 106

Kranken-Toilette 107

Kusine 109

Lied iio

Echt III

8

Gespräch 112

Bilanz 113

Sehr geehrtes Fräulein! 115

Herbsthed 116

Ewige Erinnenmg 117

Gesang 118

Souper 119

Die Wagenfahrt 120

Konzertpause 121

Schönheits- Konkurrenz auf dem Semmering,

Sommer 1912 122

Auf Wache 123

22. August 124

Wie ist es?! 125

Vom Rendezvous 126

Examen 127

Les Lärmes 128

Testament 129

Aconitum Napellus 130

Manövers 131

Gift 132

Luftveränderung 133

Ein Nachtrag 135

Buchbesprechung 137

An— 138

Nekrolog (Fritz Strauß) I39

Erster Schnee 140

Der Maler 141

Betrachtungen 143

Ur-Seele 144

Frage 145

Letzte Unterredtmg 146

9

Landpartie 147

L'amour 148

Kleine Mittel 149

Nervenärzte 151

Plauderei 153

Richtig 154

Reminiszenzen 155

Werte 157

Zu den „Olympischen Spielen" 159

Brief vom Semmering 161

Fahrt 163

Lied 166

Abschied 167

Gespräch mit einer Baronin, Exzellenz-Frau,

über ihren herrlichen zwölfjährigen Sohn . . 168

Entzweit 169

Gespräch mit der sechsjährigen Sonja Dun-

gyersky 170

Gleich beim Hotel 171

Gespräch mit einer wunderschönen Dame von

30 Jahren . 172

Plauderei 173

Gegen 174

Rompe! 175

Waschungen 176

Respekt 177

Falzarego-Paß-Höhe 178

Enterbte des Schicksals 179

Frühhng 180

Erlebnis 181

Die Tänzerin 182

Meine Ehrungen 183

10

Klara 184

Berghotel-Terrasse, Semmering 185

Erkenntnis 186

Klara 187

Ein Komtessen-Brief 188

Märchen des Lebens 189

Worüber man noch immer weint, und ewig

weinen wird! 190

Besuch 191

Liebesgedicht 192

Das größte Kompliment 193

Le monde 194

Ein Regentag 195

In 24 Stunden 196

Hotel-Stubenmädchen 197

Modemer Dichter 198

Natur 199

Noch nicht einmal Splitter von Gedanken. . . 200

II

IDYLLE

Merkwürdig ist diese „bürgerliche Liebe", nie ein Höhepunkt, und alles überfüllt mit süßer Pflicht. Immer, immer schreiben sie sich, vergessen nie die kleinsten Details der täglichen Lebensführung. Zum Beispiel: ,, Denke Dir, Karl, heute mittag gab es Obers-Scheiterhaufen in Himbeersaft, Deine Lieb- lingsspeise!" Oder: ,, Gestern abend war mir nicht ganz wohl, aber heute morgen schon war es vorüber." Oder: ,,Du gehst mir halt an allen Ecken und Enden ab. Du zärtlich Besorgter!" Immer schreiben sie sich, um aus dem lauen Dauerbade ihrer faden Zusammen- gehörigkeit ja nicht herauszukommen! Ein ödes Nichts wird ihnen eine Lebensfrage, immer muß ein Teil den anderen erretten aus irgend einer schwierigen, fatalen Situation, zum Beispiel, wie man am besten die englischen Hemden hier zum Putzen geben könne,

ohne befürchten zu müssen . Ich verstehe

nur nicht, wie zwei Menschen diese Rolle durchführen können bis ans Lebensende ! ? Es ist ein mysteriöser Kitt vorhanden von unbedeutenden Wichtig- keiten, eine perfide Solidarität, ein Frontmachen gegen die Umwelt mit ihren hunderttausend Kompli- kationen, eine geniale Vogel-Strauß-Politik der Seele! Sie wollen nur sehen, was ihnen zu sehen frommt! Wenn es sich wenigstens um einen treuen Hund handeln würde; aber um Menschen, um Men- schen ? ! ? Liebe, die keine ist, Aufmerksamkeiten, die keine sind, Besorgnisse, ohne besorgt zu sein, Freuden, ohne freudvoll zu sein. Und beneidet wollen sie sein, anerkannt! Oscar Wilde, Paul Verlaine, und Ihr

13

anderen Ungetüme der Lebensführung, seid gepriesen und gesegnet! August Strindberg war ein Anar- chist, mit einer ,,bürgerHchen Seele"! Das war sein Verhängnis! Man muß ein Anarchist sein, mit einer anarchistischen Seele!

14

BERGESWELT

Bergesregionen, dort wo ,, nichts mehr gedeiht" als Krummholz, sturmgebogen, ist seit jeher meine ,, Märchen weit"! Nach 40 Jahren fand ich das wieder auf dem ,,Falzarego-Passe", ,,Tre Croce", ,,Pordoi- joch-Paß". Weißgraue Felstrümmer, schwarze trie- fende Erde, Zirbelkieferwälder bis an die Hotels herankriechend. Von Felsen träufelt, rieselt es, Nebel- fetzen überall. Nichts will gedeihen als die Edel- Einsamkeit. Vor dem Pordoijoch-Hotel grau- schwarze Wälder von dichtem Erlengebüsch, dem der Bergsturm nichts antut. Es braust nur und er- schauert. Daß hier nichts mehr gedeiht, ist die Düster- Romantik der Bergeswelt. Keine Farbe einer Blume, kein Schrei eines Vogels, kein Schmetter- ling, kein Käfer. Diese tönende Eintönigkeit! Eine schrieb ins Fremdenbuch ein: ,,Ohne Jemanden nicht leben können und wollen, selbst werm man es vorher bestimmt geglaubt hatte hier ver- gißt man darauf!"

15

BOZEN

Auf dem Hauptplatze in Bozen steht das Walther von der Vogel weide-Denkmal aus Sandstein. Er hat die Stellung des Wolfram von Eschenbach, bevor er das Lied singt an die selbstlos Geliebte. Das ist sehr gut. Denn auch Vogelweide war so Einer. Er besaß die Kraft, zu singen und zu weinen! Nun setzten sich gerade auf seine Kappe zwei Tauben, und pflogen emsig der Liebe! Vogelweide hielt ganz still dabei, in seine Träumereien versunken von Liebesleid, gönnte den Tauben ihr billiges, leicht erreichbares Vergnügen.

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GARTENGEDANKEN

Ich habe nichts hinzugelernt durch das ausge- zeichnete Buch „Gartengestaltung der Neuzeit", und dennoch habe ich das Höchste profitiert die Festi- gung meiner Intuitionen! Gärten wirkten seit jeher auf mich wie die Natur selbst; so eine eingefangene und dennoch freigelassene Natur, ein Extrakt der- selben! Unser Wiener Rathauspark ist mir ein Muster, nur fehlt ihm die romantische Verwendung von Wasser in Form von unregelmäßigen Bassins und Wiesen- bächlein samt Wasser- und Sumpfpflanzen! Ich schrieb schon vor 15 Jahren eine Skizze : „Der Farben- garten". Zum Beispiel Graufichte, Picea pungens glauca, graue Bodenbedeckungspflanzen, grauer Steinbrunnen und Rosen, Rosen, Rosen. Irgendwo an einem Baumast ein silberner großer Käfig mit einem grauen Papagei, Lori! Zwei-Farben-Gärten! Nun einige Anregungen: weite Rasenflächen sind still- aristokratisch, werden aber durch alte, knorrige, spär- lich unregelmäßig hingesetzte Obstbäume sofort be- wegt-romantisch! Es dürfte nie heißen: ein Garten, sondern immer nur: sein Garten. Goethe hat einen andern Garten als Victor Hugo.

Wasserpflanzen und Steinpflanzen erfordern Bas- sins und Mauern. Diese können aber nicht diskret bescheiden genug sein. Der Kurpark in Baden bei Wien entspringt gleichsam einer dunklen, echten Waldquelle, die die Wiesenabhänge herabstürzt, sich zerteilend und winzige Tümpel bildend. Hier ist die Natur am allerdiskretesten organisiert! Ein enragier- ter Feind jedoch bin ich seit jeher der Teppichbeete,

17

die mir wie als Smymateppiche mißbrauchte Blumen- pracht erscheinen. Man überlasse diese stilisierten Farbensymphonien den Webern und Knüpf ern. Ich bin gegen die Riesenlineale, Riesenzirkel, gespannten Stricke der Gartenkunst! Rhabarber erscheint im Gemüsegarten als Nutzpflanze, an Teichen jedoch als Wildstaude, pittoresk. Jeder Platz eine andere Welt!

Waldrebe, Klematis, ist, an alten Bäumen, unsre ,, Liane des Urwalds". Der Boden ist so reich, daß er auch noch die Schmarotzer in Üppigkeit erhalten kann, Immergrün als Bodenbedeckung ist ein natür- licher Rasen. Rasen braucht doch Schneiden, Spritzen, Walzen und Düngen. Rasen will ,, gepflegt, gehegt" werden. Immergrün ist einfach immer grün. Es läßt den Wurzeln aller andern Pflanzen das Regenwasser, das Gießwasser, das Tauwasser, das Schneewasser, während der Rasen sich vollsauft und andre ver- dursten läßt ! Selbst im Winter gibt Sedum spurium noch einen lebendigen brävmüchgrünen Bodenüber- zug, während unser Rasen dann nur ,, Winterlieder zum Cello" in der Seele hervorbringt. Sedum spurium wirkt körperlicher, plastischer, naturgemäßer, dich- ter, verworrener als Rasen, der mir stets den Eindruck von geschnittenem Samt und Plüsch hinterläßt.

Ich bin sehr für Trockenmauerwerk mit schmiede- eisernen Geländern und dicht bepflanzt mit Kapu- zinerkresse. Wie wenn die überstarke Natur auch da noch Stein und Eisen schmücken möchte mit Grün und Dunkelgelb. Zur Schlingpflanze gehört ihre Stütze. Man soll sie sehen, sie ist ein naturgemäßer Schmuck. Ihr Holzgitterwerk kann daher sogar aus Edelholz sein, oder in diskreten Ölfarben, Ocker, Ruß,

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steingrau. Ich weiß nicht, weshalb man nicht an niederen Ästen von exotischen Bäumen, Tulpen- baum, Trompetenbaum, herrliche Käfige mit exoti- schen Vögeln aufhängt , so als Urwaldstaffage ? ! Brombeere, Himbeere, Kletterrose sind mir ein sym- pathisches Dickicht, so Domröschen wald, undurch- dringlich einsam. Weshalb sind Villen nicht dicht bedeckt mit Bauerngärtengeranke ? ! Ein Überfluß der Reichen und der Armen.

Steinplattcnwege im Garten, in deren Fugen Blumen sprießen, sind romantisch. Das Haus ströme gleichsam in den Garten aus, erweitere sich, erhöhe sich zum Garten, verliere seine Bedachungen, an deren Stelle der blaue Himmel, die graue Wolke tritt. Ich sah an einem Lindenpark ein dickes rotes Backsteinportal mit eichener Holztür. Da können keine Talmimenschen wohnen, sondern nur gediegene. Grellrote Holzpforte zwischen Granitmauern. Gelbe Eschenholzpforte zwischen weiß-schwarzen Beton- mauem.

Weiße Rankrosen geben Märchenstimmung. Gar- tenlaube am Wasser, Nachmittagstraumplatz. Bu- chenjungwald, wunderbar im Vorfrühling und im Spätherbst. Ein Teppich von raschelnden braunen Blättern darunter. ,, Warte nur, balde, ruhest du auch!"

Weshalb bepflanzt man die Bergwiesen in Berg- gärten (Semmering) nicht dicht mit Wacholder, Rhododendron, Zirbelkiefer, das, was Rax und Schneeberg von selbst leisten in ihrem künstlerischen Naturgeschmack?! Stauden vor Gebüsch, ein ideales Ausklingen! Birken, Schlehen, Eriken, und schon

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ahnst du den Sandboden der „Mark". Mit gewissen Pflanzen kannst du ferne Gegenden herzaubern! Meine LiebHngsbäume : Lärche, Graufichte, Knieholz, Blutbirke, Rotbuche, Weide. Wasser, Wasser, fließend oder stehend, du bist der Dichter in dieser Realität: Landschaft !

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FRÜHSTÜCK IN KLAGENFURT

6 Uhr. Im Cafegarten stehen sechs uralte Kasta- nienbäiime. Über einer riesigen ganz flachen Brunnen- schale aus (iranit steht ein splitternacktes 15-jähriges Mädchen aus Bronze, die ihre Haare trocknet. Die Haare entlang, die mit den Händchen zusammen- gedreht sind, fließen langsam ununterbrochen Wasser- tropfen in das Granitbassin. Das lieblichste Antlitz erinnert mich an sie. Ich starre ihr Gesicht an, und dann, plötzlich, eine andere Stelle ihres herrlichen Leibes.

Siehe, ihr Gesicht ist sie, sie, von Allen unter- schieden. Das Andere aber sind Alle, Alle, Alle. Ich wiederhole diesen Blick -Wechsel, und erkenne die Tragödie unseres Lebens!

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DIE TÄNZERIN

Das Kind, allein in der Garderobe der Tänzerin, ordnet liebevollst alles .

Sie setzt sich dann in eine Ecke auf ein niedriges Stockerl, kauernd in sich versunken.

Die Tänzerin kommt, erhitzt, erregt vom Tanzen.

Sie setzt sich an den Toilettetisch.

Sie wendet sich um, erblickt das kauernde Kind.

,, Immer, Marie, kauerst du da in der Ecke in meiner Garderobe, stundenlang. Wird dir denn das nicht langweilig ? ! ? "

„Nie, Fräulein! Nur Menschen, die ich nicht lieb habe, langweilen mich. Menschen, die ich lieb habe, langweilen mich nie ! Wodurch soUten sie es ? ! ? Alles an ihnen ist mir wert und teuer. Ich könnte ihnen zuschauen von früh bis abends."

Die Garderobiere blickt herein:

,,Was ist das, Mizerl, schon wieder da?! Das Fräulein wird sich bedanken. Entschuldigen Sie, Fräulein, der Fratz ist gar so romantisch veranlagt. Der Vater sagt immer: ,Wie du zu uns ehrsamen Bürgersleuten kommst .' Gestern hat sie beim Nachtmahl gesagt: , Jetzt verbrenn' ich alle

meine dummen Märchenbücher ich habe eine

lebendige Fee gefunden!* So ein Fratz, was?! Man soUt's nicht für möglich halten. Aber bitt' Sie, lo Jahre!? Sie wird's schon billiger geben als mit den ,lebendigen'Feen'! Die Männer tun' uns beizeiten die Märchen austreiben ." Ab.

Das Kind : , .Meine Mutter blamiert mich vor Ihnen. Sie versteht gar nichts von meiner Andacht. Ich habe

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eine Andacht für Sie, obwohl Sie nur eine Tänzerin sind!"

Es klopft.

„Blumen abzugeben von einem Herrn von Wil- ligsdorf ."

Türe zu.

Es klopft.

„Ah. Max ."

„Ich bin entzückter von dir als je. Du hast dich, gestatte mir die konventionelle Phrase, selbst über- troffen. Aber das empfinde ich! Gott, daß diese kalten Kerls das mitgenießen dürfen ! ? Aber Gott sei Dank, sie könnens nicht! Nur ich kann es, nur ich kann es, nur, nur ich ! Wenn du mir das wenigstens glauben könntest, H61^n, nur das wenigstens. Es wäre fast alles! Mehr brauchte man ja eigentlich gar nicht!"

,,Ich glaube es dir, Max, sonst könntest du es unbedingt nicht so leidenschaftlich überhaupt vor- bringen!"

„Diese schönen Blumen! Irgend jemand versucht es mit 50 Kronen mein Lebensglück zu zerstören!"

„Jawohl, Max, alle versuchen das, andere wollen es sogar noch billiger unternehmen und geschickter. Aber alles hängt bei uns Frauen von unserem guten Willen ab; und den habe ich nur für dich! Es ist vielleicht ein Zufall, aber es ist so, Max!"

Er führt ihre Hand tief gerührt zum Munde. Das Kind steht auf, küßt ihm ehrerbietigst die Hand.

„Wer ist dieses Kind?!?"

,,Es ist das Töchterchen unserer Garderobiere! Sie kauert immer in der Ecke meiner Garderobe, hält

23

alle meine Sachen in bester peinlichster Ordnung t<

,,Hast du die Tänzerin auch so lieb wie ich ."

„Das kann ich nicht wissen ."

„Möchtest du ihr alles, alles verzeihen, sogar wenn sie dir ganz ohne Grund eine schreckliche Ohrfeige gäbe?!?"

,,Ja, ich möchte es ihr ganz gewiß verzeihen, wegen ihres Tanzens, das ich gesehen habe. Ich möchte mir nur denken : Weshalb tust du das einem Menschen an, der dich so lieb hat ? ! Wenn du eine Ohrfeige austeilen willst, gib sie doch lieber einem, dem du gleichgiltig bist! Der spürt es doch weniger

schmerzlich ."

,,Ich glaube, du bist eine gefährlichere Konkur- rentin für mich als die Herren, die Blumen schicken

(C

Ab.

Es klopft.

Der Theatermeister.

,,Herr Theatermeister, Sie haben wieder zu spät hell gemacht, wenn die Sonne bei meinem Tanze endlich sieghaft durchdringen sollte. Es ist schreck- lich. Ich glaube, Sie machen es absichtlich ."

„Fräulein, so etwas lasse ich mir von niemandem sagen. Das ist eine Gemeinheit, Sie verzeihen schon ."

Die Tänzerin legt ihren Kopf auf den Toilettetisch, beginnt bitterlich zu weinen. Das Kind erhebt sich langsam, macht einen Schritt gegen den Theater- meister, streckt sich, hebt den Arm, sagt: , .Hinaus, Sie roher Mensch!"

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Der Theatermeister geht langsam ab.

Das Kind kauert wieder in seiner Ecke. Die Tänzerin weint wie ein Kind. Dann trocknet sie ihre Tränen.

Sie wendet sich nach dem Kinde um.

„Niemand hat mich so Heb wie du, niemand

ii

Das Kind erhebt sich, steht kerzengerade: „Ich möchte alle töten, die Ihnen etwas Böses antun, Fräulein !"

Ein Diener bringt eine Karte.

„Bitte ."

Ein älterer Herr tritt ein.

,,Mein Sohn hat sich gestern erschossen, Ihret- wegen — . Konnten Sie ihm wirklich nicht helfen, daß er diese seelische Krankheit besiege?!?"

,,Nein, ich konnte es nicht, obzwar ich ihm dezi- diert sagte, daß er mir völlig unsympathisch sei!"

,, Vielleicht hätten Sie es ihm eben nicht so dezi- diert sagen sollen ."

,, Pardon, mein Herr, ich mußte es! Ich bin eine arme Tänzerin, ausgesetzt ununterbrochen allen Ge- fahren, die es überhaupt für eine Frau gibt! Über- lassen Sie mir das heilige Recht, gegen Eindringlinge, gegen ,,Buschklepper der Seele", ,, Rowdys der Seele", mich zu wehren!"

,,Ich bitte Sie um Verzeihung, Fräulein. Ich bin

aber der unglückselige Vater ."

Ab.

Das Kind stürzt zu den Füßen der Tänzerin hin: ,,Was haben Sie da angestellt, Fräulein?!?"

,,Kind, das verstehst du nicht, das verstehst du

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nicht . Das Leben stellt so viel Schreckliches

mit uns an, und wir, wir können es nicht hindern ((

Das Kind kauert weinend in seiner Ecke.

Der Theatermeister erscheint:

„Fräulein, es kommt gleich Ihr Tanz in der Krinoline ."

,,So, ich danke Ihnen. Bringen Sie aber die Be- leuchtung richtig diesmal."

„Gewiß Fräulein ."

,,Und du, Kind, warte auf mich hier. Ich kann

dich nicht mehr entbehren ."

Vorhang.

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ZWEI SKIZZEN

Das kleine Leben

Ich sah Arbeiter an einer Telegraphenstange ar- beiten, die im Hochwald der Nachtsturm zerbrochen hatte, von 7 Uhr morgens bis 6 Uhr abends. Es frap- pierte mich, wie sorgenlos sie waren, keine Spur eines Gedankens darüber, ob es denn dafürstehe, auf die Welt gekommen zu sein, um abgebrochene Telegraphen- stangen im Hochwald, der dem Fürsten gehört, wieder praktikabel zu machen. Im Gegenteil, sie schienen es für das Wichtigste von der Welt zu halten, daß die Telegraphenstange sobald als nur irgend mög- lich wieder hergestellt werde. Es waren Telegraphen- stangenärzte. Um sie herum waren Gimpel und Eich- kätzchen auf Altfichten, Regen kam, Nebel und wie- der Sonne ; aber immer war alles konzentriert auf die Errichtung der Telegraphenstange. Ihr gehörte ihre ganze Sorge, sie war ein Teil des Weltgetriebes. Es gab Genies unter diesen Arbeitern, die alles mit einem Schlag erfaßten, was zu tun war; dann waren Be- dächtige, Vorsichtige; und dann waren Tagarbeiter nach vorgeschriebener Pflicht. Die ganze Menschheit also war eigentlich um diese Telegraphenstange im fürstlichen Hochwald versammelt. Ich ging vorüber und verteilte Trabukos, a la Kaiser Josef, nur billiger. Weshalb nicht ? ! Das Prager Tagblatt hatte mir doch gerade für Nachdruckhonorare 9 Kr. geschickt. Nach' drucken ist doch schon Ehre genug. Das Geld setzte ich teilweise in Mäzenatentum und in Menschheits- beglückung um. Die Arbeiter waren ganz verblüfft. Einer sagte: ,,Auf der Liechtensteinstraße hat der

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Sturm einen halben Meter dicke Bäume abgeschla- gen!" Diese Mitteilung war eine Art von Revanche für meine Liebens\vürdigkeit. ,,Ist es möglich?!" sagte ich freundlich erstaunt, und ging befriedigt von dannen.

Liebesgedicht

Niemand beachtete dich, edle, verschwiegene Goldrote, in dienender Stellung

Ich zog dich hervor aus deinem Versteck und seg- nete dich.

Da wurden die anderen aufmerksam, schickten Blumen und Briefe ....

Da zog ich mich zurück. „Sind Sie eifersüchtig?!" sagte sie.

,,Nein, aber ich hasse die elende Dummheit der Männer, die erst einen alten kranken glatzköpfi- gen Bettler brauchen .... Wer, wer sagte mir, daß man um Sie sich grämen dürfe . . .?!?"

,,Aber um Gotteswillen, irgend jemand muß einen doch entdecken, wozu sind denn die Dichter da?! ?"

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ERZIEHUNG

Ich habe einen scharfen Bhck für Mütter, die die „PersönUchkeit" ihres gehebten Kindchens achten und berücksichtigen . Es sind das sogenannte Künst- lernaturen des Lebens selbst! Siebetrachten ihr Kindchen als ein von ihnen geschaffenes „lebendiges Kunstwerk", apart und vor allem den meisten un- verständlich, die mit dem Ausspruche: ,,ein ganz nettes Kind, nichts weiter", ihre künstlerische Un- fähigkeit klar erweisen. Merkwürdigerweise funk- tionieren so brutal-verallgemeinemd fast alle Väter, ciic immer nur den Herrn Hofrat wittern, der einst, in der Ferne, erscheinen soll und zu dem Kindchen sagen soll: ,,Du bist mein alles!" Daß das gar kein Kompliment sein wird für das Töchterchen, spüren sie nicht! Du bist mein alles, ja, aber wessen alles, darauf kommt es an! Viele Mütter hingegen haben eine künstlerische melancholische Zärtlichkeit. Sie teilen das Leben ihres Kindchens in ,, interessante, spannende, merkwürdige Lebenskapitel" ein, sind selbst äußerst gespannt, wie der Roman enden werde, während die Väter ein biblisches Dogma aufstellen, über das das Leben jedoch nur ein flüchtiges Lächeln hat. Mütter wissen, wie ihr Kindchen geht, steht, sitzt, wann es verlegen ist oder düster, Väter wissen höchstens, ob es ,, Stuhl" gehabt habe, und das wissen sie nicht einmal. Ein schreckliches Wort leitet sie durchs ganze Leben ihres Kindes, das Wort ,,gedie- gen". Alles soll ,, gediegen" sein, die Lehrer, die Gou- vernanten, der ,, Zukunft ige", der ,, Charakter". Das ganze kommt mir vor, wie das Wort ,, gediegenes

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Gold", das auszusprechen schon eine Art Berau- schungsmittel ist! Ich glaube nicht, daß Eleonora Düse, Sarah Bernhardt, Yvette Guilbert, Fanny Els- 1er, Adelina Patti, Bird Millman, Barbarina Cam- panini sehr ,, gediegen" waren, jedesfalls war es eine höchst nebensächliche Eigenschaft dieser Damen, deren Väter jedesfalls auch nur sich ,, Gediegenheit" erwünscht hatten für ihre Töchterchen! Mütter „beobachten" das Leben ihrer Kinder, Väter schreiben es ihnen vor! Sie sind selbst durch Beruf, Sorge, Eitelkeit, Ehrgeiz, Konkurrenz, Rück- sichten Geknechtete des Daseins, erwünschen das- selbe daher ihren Sprößlingen. Künstlerisch empfind- same Mütter hingegen trauern um ihr eigenes Le- bensgefängnis, möchten ihren geliebten Töchter- chen den weißen Flug gönnen ins ,, romantische Land"!

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POLIERE

Ein Märtyrer unserer , .Neubauten" ist der Polier. So ein stiller kleiner Feldherr, der alles Wichtigste überwacht, und den niemand, niemand kennt und anerkennt. Wir haben da den Bauherrn, den leiten- den Architekten, den verantwortlichen Baumeister mit seinem Stab, aber den Polier kennt niemand. Und doch, hier muß unbedingt ,,und doch" kommen, und doch ist er ebenso verantwortlich wie die, deren Namen man, wenigstens in Fachkreisen, mit Ehr- furcht ausspricht, oder mit Geringschätzung, was das- selbe ist. Die modernen Betonbauten bedürfen in jeglicher Minute den Sperber blick der Über- wachung! Freilich ist die gesetzmäßig verlangte zwanzigfache Tragfähigkeit eine Garantie. Aber ge- gen Schlamperei gibt es, wie eine jede gute Hausfrau aus Erfahrung weiß, keine Garantie. Der Poher muß zur Stelle sein, bei Tag und Nacht, und, obzwar es naturgemäß unmöglich zu sein scheint, noch dazu an mehreren Orten zu gleicher Zeit. Ja, sonst ist er kein brauchbarer Polier! Auch pflegt man ihm gern den Vorwurf zu machen, daß die Arbeit nicht vom Fleck rücke, und fragt ihn teilnahmsvoll, ob seine Arbeiter einen gesunden Schlaf hätten und die Mittagspausen auch hübsch einhielten, da das sehr hygienisch sei. Dem Polier gegenüber hat man stets den Ton eines vorwurfsvollen Erstaunens, man greift sich quasi an den Kopf, und kann sich nicht hineinfinden, daß die Sache so langsam vorwärts gehe. ,,Ein jeder Tag kostet uns Tausende", sagt man, während der Polier nicht beweisen darf, daß es schneller nicht gehe bei

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absolut sicherer Arbeit, und schuldbeladen etwas stammelt, was niemanden befriedigt, da man nicht zugehört hat. Die großen Herren machen Fehler, die man ihnen verzeiht, weil man sich nicht vor sie hinpflanzen kann und sagen: ,,Aber Herr, Herr, was ist Ihnen denn da wieder passiert?!" Die kleinen Poliere machen aber nie Fehler, das gehört ja eben zu ihrem Beruf, kei ne zu machen. Trotzdem ist man oft über sie ,, vorwurfsvoll erstaunt", und läßt sie indigniert mitten im Gespräche stehen.

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FORELLENFANG

75 Kilometer lang ist das gesamte Gebirgswasser in Naßwald. Es ist flaschengrün, weiß und graugrün; es steht mäuschenstill in winzigen Felsbuchten, es schäumt bösartig weiß, es zieht gemächlich graugrün über flachen Kiesboden. Hinter jedem Stein eine Forelle! Kein Stein ohne Forelle dahinter, es wäre denn, daß sie gerade weggeangelt wurde. Hinter jedem Stein also lauert der heimtückische Insekten- mörder. Plötzlich wird er von der Angelrute heraus - geschnellt im Bogen. Man sieht etwas herrliches Sil- bernes und schon liegt es auf der Wiese. Man schlägt es an dem Fußabsatz ab, wenn es ein Regenwurm- fang war, setzt es in den Botticli, wenn es ein Kunst- fliegenfang war. Es gibt berühmte Kunstfliegen- angler. Ihre Kunst besteht darin, die Kunstfliege so auf das Wasser hinzuwerfen, daß es wie eine echte aussieht. Das ist ja im Leben überhaupt oft so. So wird man berühmt. Man wirft den Köder aus, und

die Forelle nimmt es für eine echte, und man

hat sie! Forellenangeln und Naturfreund sein, ist eines! Denn man muß wandern, wandern von Stein zu Stein. Hinter jedem hockt eben eine. Und diese Wanderung befriedigt nur, wenn man die umgebende Natur herzlich lieb hat. Der Hecht verlangt keine Naturfreude vom Angler. Er steht irgendwo und man hat zu warten. Man wartet, wartet, bis das Ereignis ein- tritt. Dann beginnt die Geschicklichkeit. Aber mit der Natur hat es nichts zu tun. Es ist nur aufregend.

Der Forellenfänger liebt das Gebirgswasser leiden- schaftlich, er vergißt darüber Weib und Kind, oft

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sogar das Essen. Er versenkt sich in die Details der Umgebung, ein einziges Zeichen wirklichen Genießens! Denn ,,in Bausch und Bogen", ist es brutal und wertlos! Er zieht dahin, von Stein zu Stein, er sieht alles, alles. ' Und wenn er ermüdet heim- kehrt mit seiner reichen Beute, glaubt er etwas ge- leistet zu haben. Ja, denn er hat sich sogar einen ur- gesunden tiefen Schlaf verschafft!

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so WURDE ICH

Ich saß im 34. Jahre meines gottlosen Lebens, Details kann eine Tageszeitung unmöglich bringen, ich saß im Cafe Central, Wien, Herrengasse, in einem Räume mit gepreßten englischen Goldtapeten. Vor mir hatte ich das ,, Extrablatt" mit der Photographie eines auf dem Wege zur Klavierstunde für immer ent- schwundenen fünfzehnjährigen Mädchens. Sie hieß Johanna W. Ich schrieb auf Quartpapier infolge- dessen, tieferschüttert, meine Skizze , »Lokale Chro- nik". Da traten Arthur Schnitzler, Hugo von Hof- mannsthal, Felix Saiten, Richard Beer-Hofmann, Hermann Bahr ein. Arthur Schnitzler sagte zu mir: ,,Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie dichten!? Sie schreiben da auf Quartpapier, vor sich ein Porträt, das ist verdächtig!" Und er nahm meine Skizze ,, Lokale Chronik" an sich. Richard Beer-Hofmann veranstaltete nächsten Sonntag ein ,, literarisches Souper" und las zum Dessert diese Skizze vor. Drei Tage später schrieb mir Hermann Bahr: ,,Habe bei Herrn Richard Beer-Hofmann Ihre Skizze vorlesen gehört über ein verschwundenes fünfzehnjähriges Mädchen. Ersuche Sie daher dringend um Bei- träge für meine neugegründete Wochenschrift ,Die Zeit!'" Später sandte Karl Kraus, auch der Fackel- Kraus genannt, weil er in die verderbte Welt die Fackel seines genial-lustigen Zornes schleudert, um sie zu verbrennen oder wenigstens ,,im Feuer zu läutern", an meinen jetzigen Verleger S. Fischer, Berlin W., Bülowstraße 90, einen Pack meiner „Skiz- zen", mit der Empfehlung, ich sei ein Original, ein

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Genie, Einer, der anders sei, nebbich. S. Fischer druckte mich, und so wurde ich! Wenn man bedenkt, von welchen Zufälhgkeiten das Lebensschicksal eines Menschen abhängt! Nicht?! Hätte ich damals, im Cafe Central, gerade eine Rechnung geschrieben, über die seit Monaten nicht bezahlten Kaffees, so hätte Arthur Schnitzler sich nicht für mich erwärmt, Beer- Hofmann hätte keine literarische Soiree gegeben, Hermann Bahr hätte mir nicht geschrieben. Karl Kraus freilich hätte meinen Pack Skizzen unter allen Umständen an S. Fischer abgeschickt, denn er ist ein , »Eigener", ein ,, Unbeeinflußbarer". Alle zusammen jedoch haben mich ,, gemacht". Und was bin ich ge- worden ? ! Ein Schnorrer !

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LOCA MINORUM RESISTENTIUM

Jeder Organismus hat seine sogenannte „Achilles- ferse", das heißt eine Stelle, an der er besonders leicht und empfindlich verwundbar ist! Ich zum Beispiel habe meine Achillesferse im Gehirn, aber nicht, wie meine boshaften und heimtückischen Freunde (Feinde sind viel milder gestimmt, indem sie einen in Bausch und Bogen ein für allemal verurteilen) glauben wer- den, in meinen Denkpartien, sondern in jener mysteriö- sen Partie des Gehirns, wo die Eifersucht ihren Höllensitz aufgeschlagen hat, und zwar die Eifersucht in bezug auf Männer, die mehr Haare, mehr Geld und weniger Intelligenz als ich besitzen, also drei den Frauen besonders wertvoU erscheinende Eigenschaf- ten! Sobald ich nur ein solches Ungetüm irgendwo erblicke, das mehr Haare, mehr Geld und weniger Intelligenz besitzt als ich, bekomme ich sofort, wie der technische Ausdruck lautet, einen sogenannten ,, roten Kopf", und ich denke nur mehr an Browning- pistolen, Arsenik oder die Hundspeitsche, natürlich für den anderen! Ich betrachte meine mich bisher fanatisch vergötternde Geliebte als bereits endgültig verloren, und treffe Anstalten, sie grundlos durch- zuprügeln! Das sind also meine ,,loca minorum resi- stentium", das heißt zu deutsch, jene Partien unseres komplizierten Organismus, die auf Reizungen beson- ders empfindlich reagieren, und zwar sofort! Solche Partien haben viele Menschen Kellnern gegenüber oder Raseuren, die sie schlecht bedienen; obzwar in solchen weniger gefährlichen Fällen ein erhöhtes Trinkgeld meistens gute Dienste leistet.

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Die ,,loca minorum resistentium" haben in neue- ster Zeit einen besonderen Wert gewonnen für die Herren Ärzte; denn jede Partie des Körpers, über die ein Patient sich heutzutage beklagt, wird vom Arzt sogleich ernst und verständnisvoll als: ,,Aha, das sind

Ihre loca minorum resistentium, mein Lieber !

bezeichnet, worauf der Patient sich, zwar nicht ge- heilt, aber um ein Bedeutendes, vor allem um das ärztliche Honorar erleichtert, entfernt. Viele Damen haben solche loca minorum resistentium in ihrem Organismus, im Augenblick, wo sie an einer Dame einen kostbarem Pelz bemerken, als sie selbst besitzen. Aber hier fange ich bereits an banal zu werden, und deshalb schließe ich hiermit rasch diese immerhin interessante Plauderei.

DOLOMITEN

Ich hatte mein ganzes Leben lang von den Dolo- miten gehört, einem „Märchen der Natur". Nun kam ich, per Auto, halb 8 Uhr abends, ii. August, in Toblach an. Eine riesige ungepflegte, ja verwahrloste Bergwiese, die ein feenhafter Berggarten leicht hätte sein können. Ich ging ein paar Schritte die Fahr- straße entlang, die ins Gebirge, Monte Cristallo, führt. Ich sah in die weiße Waldstraße hinein, und war ganz ergriffen. Jahrelang im ,,Cafe Central", Ecke Herrengasse Strauchgasse, und nun am Eingang in die ,, Dolomiten"! Ich sah Wälder im Abendschatten und in der Feme einen leuchtenden riesigen Felsen. Ich kehrte zurück und dachte mir die riesige schreck- lich ungepflegte Bergwiese vor dem Riesenhotel, be- wachsen mit Zirbelkiefer, Rhododendron, Speik, so ein botanischer Berggarten, mit Murmeltieren und Schneehasen. Aber Toblach begnügt sich, ein , .Ein- gang" zu sein, und selbst die Geschäftsläden erinnern an ,,Praterbuden". Nur irgendwo sah ich in einer Ansichtskartenbude eine 14jährige Verkäuferin. Ich blickte sie an: „Du, du allein paßt in diesen Dolo- miten-Märchen-Eingang ! " Da ich den schönen grauen Gems- Kaiser-Lodenhut auf hatte und sehr gebräunt war, blickte sie mich freudig-erstaunt an. Ich wollte etwas sagen, das heißt, ich wollte eben gar nichts sagen, aber als die Ansichtskartengeschäfte abge- wickelt waren, blickte ich sie noch immer gerührt an. Sie sagte auch nichts, aber sie spürte ihre Wirkung auf mich. Es war nicht sehr lange, und doch vielleicht oder wahrscheinlich eine besondere Welt, die nie nie

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mehr wiedererstehen wird. Es ging nicht an, sie länger anzublicken. Und infolgedessen ging ich. Ich lüftete nicht den Hut, damit sie nicht sehe, daß ich kahlköpfig sei ; denn ich mußte auf ihre Träumereien Rücksicht nehmen, daß ein verhältnismäßig apart aussehender Herr sie beim Ansichtskartenverkaufe

liebevollst angeblickt hatte . So wie wenn er

ihr Glück wünschte zu ihrem künftigen Schicksale und sie getreulich segnete mit seinen Augen. Sie hat gewiß niemand davon erzählt, was gab' es auch darüber zu erzählen?! Und doch blieb es in ihr. Und doch wird sie, unmittelbar vor einem ersten Kuß der Jugendsinne fühlen: „Nein! Ich sehe nicht auf Deinem Antlitz, Mann, den Zug von Rührung, den der fremde Herr mit dem grauen Gems-Kaiser-Lodenhute

damals hatte ." Am nächsten Morgen ging

es nach Cortina. Rotgraue Bergwelt, sei bedankt, gesegnet! Es türmt sich auf, lichtgrau und rosig, es wächst ins Himmelblau hinein und überall ist Friede .

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MAMA

Meine Mama wollte ,,ein großes Haus" führen, um ihre wunderschönen Töchter reich zu verheiraten. Das nahm ich ihr übel. Denn, wenn es gelingt, ist es wie ein Haupttreffer auf eine in der Tabaktrafik ge- kaufte Promesse. Ich bin gegen das ,, Spiel" im Leben. Man riskiert zu viel. Das ist es. Also, wie gesagt, ich war sehr dagegen. Aber in meiner Kindheit hatte ich einen vollkommen krankhaften Fanatismus für sie, und meine Liebe zu ihr war keine ruhig-selbstver- ständliche eines guten anhänglichen Kindes, sondern zehrte an mir, wie wenn ich ein unglücklich Liebender wäre, der an ,, inneren Zärtlichkeitsgefühlen" zu- grunde geht, während doch Mama mich sehr, sehr, sehr lieb hatte und meinen ,, kindlichen begeisterten Hlick" zu würdigen verstand. Oft sagte sie: ,,Du dummer Kerl, was willst du denn, ich hab' dich ja so wie so riesig gern und außerdem bin ich mit dir sehr zufrieden, der Hofmeister, die Gouvernante, der Violinlehrer und Mr. Palotta, alle, alle loben und

lieben dich ." Aber meine Zärtlichkeit für

Mama zehrte an mir. Vor ihr niederknien und den Saum ihres Kleides mit den Lippen berühren, daran dachte ich nicht. Ich sah sie an und war voll über- triebener Zärtlichkeit, als ob ich noch überhaupt be- wußtlos in ihrem Schöße läge, von ihren Kräften innerlichst behütet, genährt, gepflegt, so vorzeitig herausgestellt in eine Welt, in die ich noch nicht hineingehörte! Mama! Mama! Als ich mit zehn Jahren, gerade der Primus im Gymnasium, an einer Fußbeinhautentzündung schwer erkrankte, hatte sie

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ein Jahr lang ihr Bett neben dem meinen und nahm nächtelang meine Seufzer in ihr Herz auf. Nach- mittags sang sie im Nebenzimmer Schubertlieder. „Ihre Stimme klingt etwas ermüdet !" sagte der liebe- volle junge Gesangsmeister. „Mein Sohn hat heute Nacht wieder sehr gestöhnt" erwiderte sie. Eines Tages sagte Professor Dittel: „Es muß geschnitten werden, der Fuß ist ganz in Eiterung." Da saß sie nachmittags an meinem Bette und zupfte aus Lein- wandfetzen Charpiewolle. „Was machst du da, Mama?!" ,Daß die Zeit vergeht" erwiderte sie. Am nächsten Tage sagte Professor Billroth: ,,Ich pflege in einem solchen Falle noch nicht zu schneiden, es wird sich aufsaugen!" Da kniete meine Mama vor meinem Bette nieder, aber nur für einen Augenblick. Dann ging sie ins Nebenzimmer und spielte und sang am Klavier die ,, Forelle" von Schubert. Der Gesangs- meister sagte: „Heute klingt Ihre Stimme frischer. Sie dürften gestern eine ruhigere Nacht gehabt haben!" „Nein," sagte sie, ,,aber ich werde sie heute nacht haben!"

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MODERNE ANNONCE

Semmering, looo Meter Höhe.

Page 69: „C'est ä Saint-Gervais que je devais faire ce que les Allemands appellent: „Die Nachkur", et 4 laquelle ils attachent ,nonsansraison, une grande importance."

Die Nachkur ist wichtiger als die Kur!

Eine meiner Thesen, auf die ich mir mehr einbilde als auf alle meine Dichtungen zusammen, obzwar alle Ärzte sie seit lange, die These nämlich, kennen.

Die Kur ist der melancholische und mühselige Versuch, eine gebrochene Maschinerie zu reparieren. Höchstens bringt man sie da mit Müh' und Not wie- der auf gleich, kleistert sie zusammen. Aber die Nachkur ist bereits eine freudige künstlerische Angelegenheit : man ist daran, einer wiederhergerich- teten Maschine höchste Energien, Spannkraft, Be- wegung, Elastizität, Lebendigkeiten zu verleihen! Aus einem Invaliden einen neuen feurigen Kämpfer zu machen!

Die Kur ist eine ernste Notwendigkeit, die Nach- kur ist ein heiteres Fest! Gerade der erst kürz- lich gesundete Körper bedarf bei seinen zarten Ver- narbungen allerzärtlichster Rücksicht. Geld und Zeit für die N ach kur sind wichtiger als für die Kur, Keine Kur ohne Nachkur! Die Nachkur ist erst die Kur! Semmering, 1000 Meter Höhe.

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SEMMERING

Es wurde wieder Winter, November 1912. Über- flüssig, die Berglandschaft zu schildern. Das können Russen, Schweden, Dänen viel, viel besser. Sie ken- nen das Gepräge jedes Baumes, und wie der Schnee sich ansetzt, je nachdem. Sie kennen die Eintönigkeit und ihre Poesien, sie kennen die Melodie der Stille, und der Krähen Mißton wird ein schaurig-melancho- lisches Leitmotiv: Winter! Ich liebte den Sommer, weil ich gesund war, und seinen Symphonien von Farben, Düften lauschen konnte, unbeirrt durch etwas, was mich drückt und niederzwingt. Nun ist es Winter. Ich sehe alles nur so, wie wenn ein gütiges Schicksal den Abschied mir nicht schwer machen wollte. Eine einzige Begeisterung ist geblieben und ringt sich durch, wie wenn mein Bestes mir erhalten bleiben sollte. Ich sah meine kleine Heilige im roten Wintersportkostüm. Der Wintertag leuchtete auf ihrem geliebten Antlitz. Ich sah sie rodeln, ich hörte ihr geliebtes jauchzendes Gekicher, sie flog davon, den scharfen Kurven nach im weißen Ficht enwalde. Ich hatte sie gesehen! Ich ging zurück ins Zimmer und versank in düsteres Sinnen . . . Und es ward Winter iqi2!

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WINTER AUF DEM SEMMERING

Ich habe zu meinen zahlreichen unglückhchen

Lieben noch eine neue hinzubekommen den

Schnee! Er erfüllt mich mit Enthusiasmus, mit Melancholie. Ich will ihn zu nichts Praktischem be- nützen, wie Scheemgleiten, Rodeln, Bobfahren; ich will ihn betrachten, betrachten, betrachten, ihn mit meinen Augen stundenlang in meine Seele hinein- trinken, mich durch ihn und vermittelst seiner aus der dummen, realen W'elt hinwegflüchten in das so- genannte ,, weiße und enttäuschungslose Zauber- reich"! Jeder Baum, jeder Strauch wird durch ihn zu einer selbständigen Persönlichkeit, während im Sommer ein allgemeines Grün entsteht, das die Per- sönlichkeiten der Bäume und Sträucher verwischt. Ich liebe den Schnee auf den Spitzen der hölzernen Gartenzäune, auf den eisernen Straßengeländern, auf den Rauchfängen, kurz überall da am meisten, wo er für die Menschen unbrauchbar und gleichgültig ist. Ich liebe ihn, wenn die Bäume ihn abschütteln wie eine unerträglich gewordene Last, ich liebe ihn, wenn der graue Sturm ihn mir ins Gesicht nadelt und staubt und spritzt. Ich liebe ihn, wenn er in sonnigen Waldlachen zerrinnt, ich liebe ihn, wenn er pulverig wird vor Kälte wie Streuzucker. Er befriedigt mich nicht, ich will ihn nicht benützen zu Zwecken der süßen Ermüdung und Erlösung, ich will nicht krei- schen und jauchzen durch ihn, ich will ihn anstarren in ewiger Liebe, in Melancholie und Begeisterung. Er ist also eine neue letzte ,, unglückliche Liebe" meiner Seele !

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VOLLKOMMENHEIT

Vollkommenheit ist ein heutzutage ganz mißver- standenes Wort. Man sagt: Gustav Klimt, der voll- kommene moderne Maler ; Frau Bahr-Mildenburg, die vollkommene Wagner-Darstellerin; Oberbaurat Otto Wagner, der vollkommene Architekt ; Peter Altenberg, der vollkommene Skizzenschreiber ! Aber vollkommen kann ein jeder sein, in jeglicher Sache! Ein Orangen- verkäufer kann vollkommen sein, wenn er den Ge- schmack, denSaf tgehalt , den Zuckergehalt j ederOrange oder Mandarine schon von außen, gleichsam durch die Schale hindurch, erkennt mit unfehlbarer Sicherheit! Ein Kastanienbrater kann vollkommen sein, wenn er das Gefühl dafür hat, wann und unter welchen Um- ständen seine Kastanien schön gleichmäßig goldgelb ge- braten sind, ohne bräunliche schwarze harte Stellen zu bekommen. Ein Bar-Mixer kann vollkommen sein, eine liebende Frau, ein stichelhaariger Foxterrier, eine Hemdenputzerin, ein Kommis, in seiner Art zu bedie- nen, ein Koch, eine Stenographin, kurz: alle, alle, alle, insofern sie in ihrer Sache das Vollkommenste leisten ! Pereant die protokollierten Firmen des allgemeinen suc- cös ; es leben hoch die Unbekannten, die göttlich singen beim Waschen und Anziehen, ohne an der Hofoper en- gagiert zu sein! Es leben die exzeptionellen Weber und Tuchfabrikanten, es lebe die kroatische, bosnische, ungarische, schottische, irländische, dänische, schwe- dische Hausindustrie! Was vollkommen ist, ist voll- kommen, worin immer es sich auch betätige ! Nur das Unvollkommene, und sei es noch so sehr eine „proto- kollierte, akkreditierte Firma", pereat, pereat, pereat!

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NACHWINTER

9. März. Mein 53. Geburtstag. Es ist schon wieder Schnee gefallen die ganze Nacht, Hochwinter im März. Man kann noch nicht „rodeln", denn der Schnee ist noch flaumig wie flaumige Eiderdaunen. Aber das Auge weiß davon nichts. Nur die Fußspuren sind braungrau. Es hat null Grad im Schatten. Es ist ein Winterbild, an das man nicht recht glaubt. So Nach- züglereiner Armee,, Winter" ! Meine Schneeschuhe, ein Geschenk des berühmten Architekten Adolf Loos, vor fünf Jahren, sind mir gestern abhanden gekommen. Der anständige Dieb hat wahrscheinlich nicht mit diesem Winter-Rückfall gerechnet, der mich nun in Verlegenheiten bringt! Sie waren mir teuer, obzwar sie mich nichts gekostet haben. Ich hatte fünf Jahre lang den Ehrgeiz, sie mir weder vertauschen, noch stehlen zu lassen. Der Kellner sagte mir oft : ,, Lassen Sie Ihre Schneeschuhe ruhig irgendwo stehen, es ge- schieht ihnen nichts!" Nun, es ist ihnen wirklich nichts geschehen, sie haben nur ihren Besitzer ge- wechselt. Möge er sie ebenso zärtlich rücksichtsvoll behandeln wie ich, und möge ich eine neue Seh nee - schuh-Wurzen baldigst finden! Einer machte schon eine leise Anspielung, aber es stellte sich heraus, daß er mir nur mitteilen wollte, dieser Nach- winter könne ja ohnedies nicht mehr von langer Dauer sein, und da genügten dann gewöhnliche Ga- loschen. Als ich bemerkte, daß ich auch solche nicht besitze, erklärte er, Galoschen seien ungesund und verhinderten die Hautausdünstung. Also, in dieserWin- terpracht feiere ich meinen 53. Geburtstag. Es wird

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kein Geld regnen, da ich keine Danae bin. Aber in die schlechte Bilanz des Jahres 1912 muß ich doch den Plus-Kontoposten meines Lebens einrechnen: „Nach- winter im März auf dem Semmering, und eine roman- tische „Petrarca- Liebe!"

Hier ist es friedvoll, vertauschte Haselnußberg- stöcke, vertauschte Schneeschuhe, vertauschte Frauen sind das einzige bemerkenswerte Ereignis. Aber man findet sich in alles. Eine Dame sagte mir: ,, Sehen Sie, dieser von Ihnen gestern so gepriesene Herr ist doch kein Gentleman. Er trägt abends zu Lackpantoffeln, pumps, Wollsocken!" ,, Pardon," erwiderte ich, ,,ich habe das im Drang meiner Begeisterung über- sehen!" — „Ein so scharfer Beobachter wie gerade Sie, Herr Altenberg?!" ,,Ja, auch wir sind nur irrende Menschenkinder!"

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HEIMLICHE LIEBE

Wir müssen von den Gefühlen unserer eigenen Seele leben können! Das ist die ,,neue Religion" für unsere, sonst zum Leiden verurteilten impressio- nablen Nerven. Man kann uns alles wegnehmen, alles rauben, alles verhindern, alles verbieten

nur nicht unsere Gefühle, die wir für geliebte

Menschen haben! Hier beginnt unsere unbesieg- bare Macht unserer Seele! Man wünscht es, unsere Tränen nicht zu sehen, nicht zu spüren, nichts darüber

in alle Ewigkeit zu vernehmen und sie rinnen

dennoch auf den Kopfpolster, zum Preise der Ent- fernten! Könnt Ihr uns verbieten, in dem Berg- kirchlein für ihr Heil zu beten?! Könnt Ihr uns es verbieten, im Schnee des ,, Hochwegs" ihre Fußspuren zu ahnen?! Vielleicht sind es fremde, gleichgültige. Aber wir, wir träumen sie uns als die ihrigen, ver- mittels der Kraft unserer unzähmbaren, unbesieg- baren Seele! Kann sie zu uns sprechen: ,,Knie vor meinen Fußspuren nicht in den Schnee hin!?!" Nein, das kann, das darf niemand zu uns sprechen. In diesen ,, Gefilden der entrückten Seele" verliert die verbietende Menschenstimme ihre Macht und Gott sagt: „Du darfst!"

Ich habe Dein Glas in mein Zimmer mitgenommen, aus dem Du getrunken hast. Ich habe dem Kellner gesagt: ,,Ich habe ein Glas zufällig zerbrochen, da haben Sie zwei Kronen dafür!" Er sagte: ,,Auf ein Glas mehr oder weniger kommt es, bitte, bei uns nicht

an ." Also besaß ich das „geheiligte Glas"

umsonst. Ich ließ ihm ein Postamentchen machen

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aus Zirbelholz, ließ eingravieren: „Deine Lippen be- rührten es," Kann mir das irgend jemand verbie- ten?! Niemand kann mir meine Leiden ver- bieten, er kann sie nur steigern, und das ist gut

für meine Seele . Wen, wen wollt Ihr

schützen vor meinen Tränen, die niemand, nie- mand sieht?!

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DAS KINO

Ich schleudere hiermit meinen Bannfluch gegen a 1 1 e j e n e , die , in , .bestgemeinter Absicht ' ' oder aus Ge- schäftsinteresse, sich in neuerer Zeit gegen die Ki no- t h e a t e r wenden ! Es ist die beste, einfachste , vom öden IchablenkendsteErziehung, besser jedenfalls, tausend- mal besser als die bereits als „freche Gaunerei" ent- larvte,, Kunstdarbietung", ausgeheckt in ehrgeizigen, verdrehten Gehirnen und präpariert für den ., seelischen Poker-Bluff"; infame Düpierung einfach-gerader Menschenseelen! Im Kino erlebe ich die Welt; und selbst die erfundenen Sketches sind schon, der Natur der Sache nach, auf edel- primitive Wirkung hin gearbei- tet , Seelenkonflikte ala,,3und2macht5", nicht aber absichtlich 6 oder 7 ! DasVolk soll sich erheben für die Kinotheater und sich nicht neuerdings in klein- sten und belanglosesten Angelegenheiten beschwat- zen und betören lassen von den,, psychologischen Clowns" der Literatur ! Meine zarte 15 jährige Freun- din und ich, 52 jähriger, haben bei dem Natursketch: „Unter dem Sternenhimmel", in dem ein armer französischer Schiffzieherseine tote Braut flußaufwärts zieht, schwer und langsam, durch blühende Gelände, heiß geweint ! Wehe euch , deren ,,trockenenGeist" wir ,,trockenen Herzens" angeblich begeistert ge- nießen müssen! Wir müssen und wollen nicht!

Ein , »berühmter Schriftsteller" sagte zu mir: „Wir sind jetzt unter uns, was finden Sie eigentlich Besonderes an den Kinovorstellungen ?!? "

„Nein," sagte ich, „wir sind nicht unter uns, sondern Sie sind unter mir!"

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LEBENSBILD

Wesen der Engländerin:

,,0, mein geliebter Freund, was nützte mir denn deine ganze tiefe Liebe, wenn du mir bei der Tür nicht den Vortritt ließest?!?

Wesen der Amerikanerin:

,,Natürlich zu sein, so wie man eben einfach ist!"

Dies schrieb ich einer jungen, edlen Amerikanerin ins Stammbuch.

,,0," sagte sie, ,,sehr, sehr schön; und vor allem sehr, sehr wahr! Aber, bitte, was würden Sie einer jungen Engländerin in ihr Stammbuch hineinschrei- ben?!?"

,,Ich? Natürlich gerade das Umgekehrte!"

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IM JÄNNER, AUF DEM SEMMERING

25. Jänner. Die Sonne versucht es, den Schnee zu schmelzen. Da und dort wird er grau, löst sich anf, bereitet den Frühling vor. In Gloggnitz wachsen Schneerosen, stoßen sich durch den Schnee hindurch. Sonst ist alles, alles begraben, still. Auf das bereifte Glas eines Auslagekastens schrieb ich mit der Stahl- spitze meines Bergstockes einen Mädchennamen. Welchen?! Was kümmert es euch?! Meine Seele leidet. Ich beherberge ein Marienkäferlein seit vier Tagen. Es lebt an der Warmwasserheizung unter einem Glase. Es spannt sogar die Flügel aus. Ich werde ihm einen Mimosenstrauß kaufen, gelbe, duf- tende Blüten mit graugrünen Blättchen. Wie hat es bis jetzt überwintern können, alle Schrecknisse durcherleben können?! Ich weiß es nicht. Es gab doch schon 18 Grad Kälte, ohne Beschützer P. A. ? ! Wie habe ich selbst alles durcherleben können?! Ich weiß es nicht. Ich schreibe in das bereifte Glas eines Auslagekastens auf dem ,, Hoch weg" einen Mädchennamen ein. Welchen?! Was kümmert es euch?!? Meine Seele leidet, also sie lebt, sie lebt! Das Marienkäferlein unter dem Glase denkt: ,,Ha, ha, ha, hier ist es warm, aber wenig zu essen; nun, warten wir noch bis zum Februar; da dürfte sich

schon irgendetwas finden ." Für Tierchen

findet sich immer etwas.

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NOCH NICHT EINMAL GEDANKEN- SPLITTER

Wenn deine Ausdünstung, o Frau, mich un- glücklich macht, kann deine Seele mich nicht glück- lich machen! Von deinem heiligen Leibe strömt die Kraft aus deines Mysteriums!

Sie wählte einen Hut, wie alle noblen Frauen ihn

tragen könnten und ich war verzweifelt!

Sie wählte einen Hut, wie nur sie ihn tragen konnte und ich war selig!

*

Sie sagte: ,, Dichter, Tyrann, ich will endlich ein- mal ,mein eigenes, mein ganz eigenes Leben' leben!"

Da lebte sie das Leben aller Millionen Gänse!

*

Sie wollte zu sich selbst kommen, im Wirbel

des Lebens; da ging sie zu ihm! Da verlor sie sich

ganz und fand sich!

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Eine ,, Weltdame" sein, heißt, lieber mit Männern verkehren, die ihre hundert eleganten An- züge schuldig bleiben, als mit solchen, die einen einzigen uneleganten Anzug bar bezahlen!

Wenn du gute Zähne hast, genügt laues Wasser; und wenn du schlechte hast, versagt sogar ..Odol"!

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Mefiez vous des bottines et des gants chers, mes- dames! Les beaux pieds, les mains fines n'ont pas besoin de cercueils elegants!

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,,Wenn man seinen Zwicker mit seinem Taschen- tuche putzt und er wird nicht reiner, so ist nicht der Zwicker daran schuld, sondern das Taschentuch!" So geht es mit manchen Dingen im Leben, sagt der Philosoph, der sich immer darauf verläßt, daß man seine Aussprüche tiefer auslegt, als er selbst es kann!

*

Ich habe in fremden Hotels ein Mißtrauen gegen ,, Gutsbesitzer". Wenn jemand mir hingegen sagt, er sei ein Hausierer, so glaube ich es ihm, sogar, wenn er ein Automobil besitzt. Aber von einem „Gutsbe- sitzer" habe ich stets die jedenfalls übertriebene Idee, er könne mich um lo K. anpumpen!

*

Damen haben zwei ganz praktische Ausdrucks- weisen für ihre Geschmacksverirrungen: ,,Er ist häß- lich, aber geistreich!" und ,,Er ist blöd, aber schön!"

*

Eine jede Sache, die man ernstlich lieb hat, muß für den Liebevollen zu einer ,,Idee fixe" auswachsen, mit einem Wort ein Irrsinn werden der Seele! Es wäre denn, daß etwas einen wirklich reellen Wert hätte. Aber das gibt es nicht. O doch, mein Hasel- nußstock, auf den ich mich stütze!

*

Ältere Damen mit kleinen Füßen und schmalen Gelenken sind am medisantesten ! Sie wollen mit

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diesem Minimum von Anziehungskraft alle jungen

Schönen besiegen!

*

„Weshalb schwärmen vSie so sehr für kurze Stumpfnäschen?!" . . . ,,Da habe ich die Sicherheit, daß sie in vorgerückteren Jahren sich nicht senken können!"

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DIE KOSTÜME AUF DEM SEMMERING IN DER SILVESTERNACHT

Ich sah ein ockergelbes Miissehnkleid-Hemd, mit breitem lila Samtband geputzt. An der Brust eine große lila- weiße Kamee. Dann sah ich an dem herr- lichen Fräulein Schw . . . eine weiße seidene Wolke, am Rande bestickt mit grellem vSilberschimmer aus viereckigen Silberplättchen. Dann sah ich an der braunen Frau S. eine schwarze Tüllrobe, mit schwar- zem Hut, mit einer schwarzen samtenen Tulpe an der Brust. Kardinalfarbene Seidenrobe, bestickt mit kardinalfarbigen Glasperlen. Eine staubgraue, nebel- graue Tüllrobe, mit breiten ockergelben Samtbändern. Eine erbsengrüne Tüllrobe, mit hechtgrauen Glas- perlen bestickt; braungelbe Orchideen an der Brust.

Frauenschuh. Dann sah ich eine da wußte

ich gar nicht, was sie anhatte; denn ich sah nur ihr Antlitz, ihr süßes, süßes Antlitz, mit den klaren

schimmernden Madonnenaugen . Da sagte

eine ältere Dame zu mir: ,, Nicht wahr, das bemerke ich sofort, die Toilette dieser jungen Dame ist ganz nach Ihrem etwas aparten und übertriebenen Ge- schmack !?! " ,, Jawohl", erwiderte ich,

,,obzwar ich gar nicht sah, was sie anhatte ."

„Ja, Sie urteilen eben auch nur nach dem Äußeren, mein Lieber, sehen Sie wohl?!? " ,,Ja, leider", er- widerte ich und starrte die Madonnenaugen an .

Sie hieß Kl. P. und dennoch kann niemand ahnen, wer es ist -.

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FORTSCHRITT

Es gibt Leute, die heutzutage nicht mehr auf den Boden eines Kaffeehauses spucken können, und solche die es noch ganz gut können. Diese Zweiteilung ist ein Zeichen eines wenn auch geringen allgemeinen Fortschrittes. Es gibt Leute, die selbst bei einer auto- matisch von selbst schließenden Tür ängstlich hinter sich blicken, ob die Maschinerie auch wirklich funk- tioniere. Das sind bereits ,,Gentlemen der Entwick- lung". Beim ,, Sport" darf man keiner Dame helfen, irgendwie behilflich sein in einer schwierigen Situa- tion. Dadurch gewöhnt man sich allmählich auch das sklavische ,, Pakettragen" oder ,, Schirmaufheben" oder ,,Zigarettenanzünden" ab. Wieder ein kleiner Fortschritt! Jetzt fehlt noch der hohe englische Fußschemel beim Friseur, und die Ventilatoren in jeder Fensterscheibe, wobei niemand rufen darf: „Es zieht!" Preise an Schriftsteller-Millionäre zu vergeben, ist noch rückschrittlich. Mit Geld kann man nur Künstler ehren, die keines haben! Turbot samt seiner dunklen schuppigen Haut essen und noch dabei behaupten, das gebe dem edlen Fische erst den Geschmack, ist eine mittelalterliche Zurückge- bliebenheit, die man eventuell einem eisengepanzer- ten Recken oder Drachentöter nachsehen könnte! Eine übertrieben deutliche Schrift haben, ist einer der wenigen zu begrüßenden Snobismen. Man schreibt für den, der es lesen soll! Eine Frau in der Weise bewundern, daß es dem zugute kommt, dem sie angehört, und nicht dem, der sie bewundert, ist , .höchste Kultur"! Mehr als zweimal im Tag mit-

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teilen, man habe im rechten Knie beim Drücken einen Schmerz, ist nicht ,,fortschritthch". ,,Tamar Indien Grillon" anpreisen, ist höchste Kultur. Aber auch hierin gibt es zarte Grenzen. Ich hörte einmal an einem herrlichen Herbstmorgen einen jungen Grie- chen eine junge Serbin fragen: ,,0h bonjour, made- moiselle, combien de pilules ,, Purgen" est-ce-qu'on ose prendre ä la fois?!" ,,36" erwiderte die junge Dame schlagfertig, worauf man den Griechen acht Tage lang nicht mehr erblickte. Leute ins Gespräch ziehen, um ihnen Ansichten herauszulocken, zum Zwecke, sie ihnen widerlegen zu wollen, ist un- kultivirt. Um ,,Proselyten" zu machen, gehört mindestens die Entschuldigung eines „heiligen Fana- tismus". Zwischen Tee und ,, kleiner Bäckerei" hat solches nicht stattzufinden! ,, Anonyme Briefe" sind eine Gemeinheit. ,, Nicht anonyme Briefe" sind eine noch größere Gemeinheit. Man hat zu schreiben: ,,Ich verehre Sie!" Im allgemeinen aber zeigt sich doch in der ,,vie quotidienne" ein beträchtlicher Fort- schritt. ,,In der Nase bohren" findet man sogar bei Kindern verhältnismäßig nur mehr selten, obzwar es noch vor 20 Jahren zu den sogenannten ,, billigen Freu- den des Daseins" gehörte ! Häufiger kommt es vor, daß Liebesleute vor Fremden sich gegenseitig zu blamieren, zu desavouieren suchen, kurz den Anschein eines Täubchen Verhältnisses zu bewahren, für Augenblicke außer acht lassen. Den , »Dritten" dabei als Richter an- zurufen, ist aber eine der allergrößten Infamien, be- sonders falls er auf die Frau ein oder mehrere Augen bereits geworfen hat. Es gibt also noch immer eine An- zahl von verbesserungsbedürftigen Dingen !

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ABSCHIED

Herr Altenberg, ich danke Ihnen noch zuletzt für alles, für alles!"

, »Wofür, das verstehe ich nicht ."

,,Das kann man nicht so sagen, wofür man Ihnen in einem wochenlangen Verkehr zu danken hat ! Man ist gleichsam von sich selbst erst zu sich selbst ge- kommen, erblickt das Leben einfacher, selbstver- ständlicher und klarer als bisher. Deshalb muß man zu Ihnen sagen: ,,Ich danke Ihnen für alles, für alles obzwar man durchaus nicht weiß, worin es be- steht!"

Es war der tiefste Abschied, eigentlich aber ein ewiges Zusammenbleiben !

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BESUCH

Mein Freund, der Doctor philosophiae aus Heidel- berg, schrieb mir, er sei in tief deprimierter Stimmung, wolle in den Frieden ,,der Berge flüchten", höchst moderne Ausdrucksweise, und vor allem beim Dichter eine Art von ,, seelisch-geistigen" Reinigungsbad neh- men. Als er ankam, begann ich daher von Rax und Schneeberg, Pinkenkogel und Sonnwendstein zu schwärmen. Er erwiderte: ,, Lasse gefälligst diese Marlittiaden einer überwundenen Epoche und zeige mir lieber eine Dame, mit der man stundenlang über Ibsen, Hofmannsthal, Stephan George und ähnliche Geschöpfe seine endgültigen Ansichten los werden kann." Er war glücklich, als ich ihm mitteilte, daß ich zufälligerweise gerade jetzt drei solcher Damen auf Lager habe, leider aber eine jede in einem anderen Berghotel. Er meinte, er wolle gern den Wagen be- zahlen, und wir sollten von einer zur anderen fahren. Auf dem Wege könne man ohne weitere Schwierig- keiten die Schönheit, den Frieden der Bergwelt, aber ohne Exaltationen über jeden einzelnen Baum, son- dern in Bausch und Bogen genießen. Dieser annehm- bare Plan wurde zu allgemeiner Zufriedenheit aus- geführt. Eine vierte Dame, die sich anschloß, konnte wegen Zeitmangels nicht ins Gespräch gezogen werden über die Philosophie in der Musik des Debussy. Der Doktor sagte zu mir: ,,Ist es also wirklich wahr, daß man nur bis ii Uhr abends hier Getränke bekommt ? !' ,,Nein," erwiderte ich, ,,das ist eine Verleumdung, man erhält bis Mitternacht Limonade und Soda- Himbeer!" ,Esel," sagte er, ,,ich meine schweren

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Burgunder!" Er schlug nun vor, schon um 7 Uhr abends anzufangen, damit man bis zur Schank- Sperrstunde das Nötige absolviert haben könne. Ich erklärte ihm, daß ich seit anderthalb Jahren Anti- alkoholiker sei und daher vor halb 8 Uhr abends nicht anfangen könne! Er sagte, er sei einverstanden, da er mich von meinen schwer errungenen Grundsätzen nicht abbringen wolle. Im Laufe des Abends ge- sellten sich einige Herren zu uns, die er in liebens- würdigster Weise anstänkerte, indem er sie fragte, ob sie sich ernstlich von der Bergluft und der Enthalt- samkeit eine Heilung ihrer anscheinend doch unheil- baren Leiden erwarteten ? ! ? Bald waren wir allein, und später erklomm er mit meiner Bergführerhilfe die Treppe. Er sagte noch: Rax, Schnee berg, Sonn wend stein, Pin ken ko gel . . ., dann verschwand er hinter der gepolsterten Tür.

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BUCHBESPRECHUNG

Ich lese jetzt Tolstois „Chadschi Murat", aus dem Nachlaß. Es ist immer dieselbe Art, plastisch-histo- risch, lebendig gewordene Wachsfigurenkabinette, psychologische Wachsfiguren, z. B. der großartig geschilderte wachsbleiche fette Kaiser mit dem nichts- sagenden streng-starrenden Antlitz, der weiß, daß er nichts weiß, und dennoch die Geschicklichkeit besitzt, sich immer, in jeder Situation, es einzureden, daß er ,,zum Heile und zur Ordnung der Welt" unentbehr- lich sei. Aber auf Seite i6i fand ich ein besonderes imd bisher, vor allem mir, unbekanntes Sprichwort : ,,Der Hund bewirtet den Maulesel mit Fleisch und der Maulesel den Hund mit Heu in- folgedessen bleiben beide hungrig!" Ich finde das wunderbar; es ist ein Bild unseres ganzen tra- gischen Lebens, besonders dessen zwischen Mann und Frau! Ein jeder bewirtet uns mit einer Kost, die für ihn die beste, für den Bewirteten meistens jedoch die allerschlechteste ist!

Einer meiner sogenannten ,, Freunde", andere als ,, sogenannte" gibt es nämlich hienieden nicht, würde natürlich sagen, daß dieses Sprichwort einen natürlich ganz anderen Sinn habe als den ihm von mir willkürlich unterlegten, ferner, daß es längst allgemeinst, vor allem ihm selbst, bekannt sei; daß es schon im ,, Sanskrit" erwähnt werde und nichts anderes bedeuten könne als die „Güte des Schöpfers allen seinen Kreaturen gegenüber" ! Du Esel! Trotz- dem halte ich das erwähnte Sprichwort für überaus wertvoll und sinnvoll und glaube nicht, daß ich bis

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Seite 203, Ende, etwas annähernd Tiefes finden werde.

Wenn man einmal so weit ist, die Menschen des übrigens alltäghchen Lebens ebenso scharf aufs Korn zu nehmen, wie Tolstoi es tut in seinen Romange- bilden, oder wie Charles Dickens und Thackeray in milderer Form, so verringert sich naturgemäß die Distanz zwischen Künstler und Leser. Der Leser weiß einfach ganz dasselbe, ohne sich die lächer- liche Mühe zu nelimen, es niederzuschreiben!

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EIN BRIEF

Sehr geehrte gnädige Frau! Sie wollen „glückhch" sein? Das ist schrecklich! Beethoven, Schiller, Hugo Wolf, Novalis, Lenau waren nicht glücklich. Mit welchem Rechte wollen Sie also glücklich sein? Mit dem Rechte der ,, In- feriorität?" Aber darauf haben Sie keinen legitimen Anspruch, da Sie es doch nicht sind! Sie erzählen mir, daß irgend jemand um Sie bange war, um Sie geweint hat? Erzählen Sie mir doch lieber, daß Sie um irgend jemand besorgt waren, geweint haben! Sie sagen mir, was man von Ihnen halte ? Sagen Sie mir doch lieber, was Sie von den andern halten! Sagen Sie mir, von wem Sie schwärmen, und sagen Sie mir nicht, wer von Ihnen schwärmt! Ihre eigene Welt ist gerade so wie sie ist, aber die Welt der andern, der ,, Nicht-Sie-Seienden", die ist eine Bereicherung Ihres Denkens, Ihres Fühlens! Zeugnisse mit aus- gezeichneten Referenzen sich von Nichtverst ehern ausstellen lassen, ist eine allzu billige Befriedigung! Sind Sie die Düse, die Yvette Guilbert, die Else Leh- mann! Nun also! Sagen Sie stets: „Ich verehre!" sagen Sie niemals: ,,Ich werde verehrt!" Ein ,, labiles Selbstbewußtsein" ist an und für sich ,, unkünstle- risch"! Sei, der du bist! Nicht mehr, nicht weniger! Wenn Sie vom ,, Russischen Ballett" schwärmen, von Nidjinsky, von der Karsawina, von der Nieder- metzelung der Haremswächter, von den russischen Volksmelodien, von den Damen in den Logen und den Silberreifen um ihre süßen Lockenköpfe, von Samthemden in Violett und Grasgrün, die alles ver-

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bergen wie edel-verschwiegene schwere Portieren dann, dann sind Sie Sie selbst ! Eine Auf saugerin der Schönheiten der Welt, eine Bereicherte! Aber wenn Sie von sich selbst sprechen, werden Sie arm- selig! Eine, die erzählt, man habe ihr ein Almosen gegeben; eine Bettlerin an der Brücke, die hinüber- führt ins „Versorgungshaus des Lebens"!

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DAS HOTEL-STUBENMÄDCHEN

Sie saß nachts, ganz zerpatscht von Stiegensteigen, Sorgsamsein für fremde Menschen, Aufmerken auf fremde Wünsche, in der Portiersloge, zählte einen Haufen Trinkgelder in ihre Schürze. Ich wußte, daß sie ein entzückendes dreijähriges Mäderl habe, und der Gatte war verschollen.

Ich sagte: „Woher sind Sie, Marie?!"

,,Aus Kärnten."

„Sie müssen ja die Dorfschönheit gewesen sein

((

„Das war ich!"

,,Und alle Jünglinge müssen sich um Sie beworben haben ."

„Das haben sie getan."

,,Und da haben Sie sich den gerade aussuchen müssen?!"

,,Er mich!"

,,Und Sie sind so ruhig, so gesichert ."

,,Da kann man nicht aufbegehren. Es ist das Schicksal!"

,,Nein, die Dummheit war es, die Borniertheit

, Das ist ja unser Schicksal!"

Später sagte sie: ,, Rühren Sie mich nicht an, es paßt mir nicht. Weshalb streicheln Sie meine Haare ? ! An mir ist nichts mehr zum Streicheln ."

Ich schenkte ihr eine Krone.

„Wofür geben Sie mir das?!"

„Gewesene Dorfschönheit!" erwiderte ich. Da begann sie zu weinen.

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GESPRÄCH

,,Sie, sagen Sie, mein lieber Peter Altenberg, wie lang sind Sie eigentlich schon da, auf diesem Sem- mering?!?"

„Elf Wochen?!"

„So? No, und das können Sie so aushalten, so ganz ohne Weiber?!?"

„Nur ohne Weiber! Mit Weibern könnt' ich's gar nicht aushalten!"

„Komischer Mensch, was Sie sind!"

„Weshalb komisch?!?"

,,No, Sie sind doch der größte Troubadour für die Weiber, was wir haben heutzutage?!?"

,,No, könnt' ich denn ihr größter Troubadour sein, wenn ich alleweil mit ihnen beisammen war'?!?"

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ßOBBY

Ich habe sowieso nichts mehr zu vediereii, nichts mehr zu gewinnen, ich stehe vor der „großen Ab- rechnung" meines Lebens. Jetzt erkläre ich, daß ich die weiße, hellbraungefleckte echtrassige Foxterrier- hündin Bobby, mit ihren acht rosigen Brust- und Bauchwarzen (selbst die edelsten Damen haben nur deren zwei), für schöner, graziöser, liebenswürdiger, herzlicher, menschenfreundlicher halte als die meisten Frauen. Sie erregt nie in mir Eifersuchtsqualen und Verzweiflung, hat eine unbeschreibliche Freude, wenn ich nett zu ihr bin, sagt nie bei einer solchen fein- fühligen Gelegenheit: ,,Zahr lieber an Kaviar und laß die billigen Faxen ." Denn erstens frißt sie Gott sei Dank gar nicht Kaviar, und zweitens , »fliegt sie" grad auf meine , »billigen Faxen", d. h. meine seelische Verehrung, Anerken- nung und Liebe!

Ich ziehe also Bobby allen Frauen vor, freilich sage ich das erst öffentlich am Ende meiner soge- nannten ,, Liebeslaufbahn", mit einem Wort: nach meiner Schlacht von Sedan. Bobby hat um mich geweint, gewinselt, sich gekränkt, den Appetit ver- loren. Die übrigen Weibchen hatten gerade in meiner Gesellschaft stets einen riesigen Appetit, während ich kaum die Absicht hatte, ihnen ein ,, Kalbsgulasch" zu bezahlen. Und dann, Bobby hat noch einen großen Vorteil, sie gehört nämlich gar nicht einmal mir, son- dern einer reizenden bekannten Dame, der die Für- sorge für sie obliegt. Ich selbst schmeichle mich nur bei Bobby ein, um ihre zärtliche Freundschaft zu

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genießen. Ich will keine Spesen haben, und „äußerln" führe ich auch nicht. Frauen haben immer irgend- welche Bedürfnisse! Aber ich bin nicht in der Lage,

sie zu befriedigen . Das nimmt zu viel Kräfte

weg und Zeit ! Liebe ohne alle Spesen ist meine letzte Erkenntnis auf Erden.

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PSYCHOLOGIE

Mich interessiert an einer Frau meine Beziehung zu ihr, nicht ihre Beziehung zu mir!

*

Daß ich ihr eine exzeptionelle Achatbrosche

schenken darf, macht mich glücklich, nicht daß sie

es gerührt annimmt!

*

Ich küsse ihre Haarlocke in meinem Zimmer an- betend, aber ihre braunroten Haarsträhne mögen im Winde flattern für alle Welt!

*

Sie hat Migräne, und ich renne nachts in die Apotheke. Für mich hat sie Kopfweh, da ich be- sorgt bin, es ihr zu lindem!

*

Wenn sie ,, Wintersport" treibt, zittere ich um ihre zarten geliebten Gazellenglieder! Für mich allein betreibt sie daher „Wintersport"!

*

Ein Hut, der ihr schlecht steht, macht mich unglücklich, ein Hut, der ihr zu fesch-kokett steht, macht mich ebenfalls unglücklich! Für mich al- lein also trägt sie alle, alle ihre Hüte!

Die Speise, die ihr nicht schmeckt, macht mich unglücklich, die Speise, die ihr schmeckt, macht mich glücklich. Für mich, für mich allein daher ißt sie!

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Der Blick, mit dem sie einen anderen liebens- würdig anschaut, macht mich, mich allein unglück- lich! Daher gehört dieser Blick mir, mir, und nicht ihm, dem eitlen Laffen.'

Mir, mir allein gehört alles, was von ihr kommt, Böses und Gutes, denn ich, ich allein empfinde es!

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HOTELREGISSEURE

Ich schlage vor: Hotelregisseure. Natürlich meine ich da vor allem mich. Wie in einem bestge- leiteten Theater soll nunmehr in einem erstklassigen, bestgeleiteten Sommerhotel oder VVintersporthotel ein Regisseur sein, unabhängig vom Besitzer, Direk- tor, und ebenso aber vom Publikum. Ein Hotel- führungsidealist neuester Art, dem das Hotel als sol- ches lieb und betreuenswert erscheint! Sein Gehalt muß minimal sein, wegen der absoluten ,, inneren Un- abhängigkeit" vom Besitzer und vom Publikum! Freie Station, freie Getränke (Bier), freies Logis und ein Taschengeld für ,, repräsentatives Äußere in Klei- dung, Wäsche, Chaussure" usw. usw. Kurz, ein unab- hängiger Gentleman! Er belausche die Wünsche, die Beschwerden der Gäste, erkenne einen jeden seiner Individualität nach, mit femblickendem Sperberblick, Turmfalkenblick. Er versuche es, sanft- diplomatisch, alle Beschwerden dem Besitzer des Etablissements begreiflich zu machen, da er eigentlich von Unpartei- lichkeit lebt. Da ist es schon gar keine Kunst, ein Cato zu sein, wenn Logis, Essen und Getränke frei sind.

Zum Beispiel, ein reicher Graf murrt darüber, daß eine Salzgurke eine Krone kostet, während sie am Markte zwanzig Heller, in Ungarn jedoch minus NuU koste, ja man direkt fast für die Erstehung derselben noch etwas darauf bekomme, wie bei Wassermelonen oder in China bei überflüssigen Töchtern. Da muß dann eben der Hotelregisseur intervenieren und trotz aller sich ergebenden Schwierigkeiten es durchsetzen,

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daß die Salzgurke auf achtzig Heller reduziert werde. Das Wort ,,eine Krone" irritiert bereits nämlich die meisten Menschen, während man in Hellem ihnen Unsummen entlocken kann. Zu allen diesen Finessen gehört also heutzutage in einem klassischen Hotel ein Hotelregisseur, und niemand wird nach Durchlesung dieser flüchtigen Zeilen daran zweifeln, daß ich ein solcher sein könnte. Es werden infolgedessen in aller- nächster Zeit zahlreiche Gesuche an mich gelangen. Ich werde sie sichten, prüfen, begutachten. Ich werde mich dem ergeben, der nicht den für mich günstigsten, sondern den für die Menschheit zweckdienlichsten und idealsten Antrag enthält. In der Getränkefrage frei- lich bin ich schwach, aber auch das kann durch strenge Selbstzucht überwunden werden.

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DAS GLÜCK

Ich erwartete das Glück vergeblich Jahre und Jahre lang. Endlich kam es und setzte sich zutraulich an mein Bett. Es hatte gelbbraunen Teint wie die Java- nerinnen, schmale, lange Hände und Finger, Gazellen- beine und bewegliche lange Zehen. Ich sagte: ,,0, bist du wirklich, wirklich endlich das Glück, das lang ersehnte, tief entbehrte?!?" ,,Ich werde es dir morgen schreiben, ob ich es wirklich bin oder nicht. Du wirst selbst urteilen ."

Am nächsten Morgen fand ich einen Zettel, auf dem geschrieben stand: ,, Adieu, auf Nimmerwieder- sehen ." Ja, es war also wirklich und wahr- haftig ,,das Glück" gewesen!

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DAS DUELL

Ich, als „Outsider" der Gesellschaft, die sich an- maßend und fälschlich die ,,gute" nennt, begreife überhaupt naturgemäß nur eine einzige Art, zum Duell seine Zuflucht zu nehmen. Das ist, wenn man in bezug auf eine Frau in seinem Lebensglücke so sehr geschädigt wurde, daß man unbedingt zum Mörder und nachher zum Selbstmörder werden will ! Da hat man im ,, Duell" die Chance, den Kerl umzubringen und nach ,, vollendet er Sühne" sogar ganz fröhlich am Leben zu bleiben und zu sagen: ,,Sixst' es, Annerl, Mauserl, Herzerl, jetzt wirst net so bald wieder dich einlassen, einer von die Herren Kavaliere is schon kalt geworden trotz deiner heißen Liebe!"

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STAMMGÄSTE

Die „Stammgäste" eines Hotels haben eine eigen- tümliche Art von Sicherheit, die ein wenig an „Grö- ßenwahn" erinnert. Sie haben die Ansicht, daß alles glücklich sei, daß sie wieder da sind, und daß bisher in dem gesamten Hotelbetrieb eine Art von empfind- licher Stockung eingetreten sei, die nun glücklicher- weise schwinden werde! Sie haben eine ,, falsche Lie- benswürdigkeit" mit dem Bedienungspersonal, erkun- digen sich nicht ungern nach Dingen, die sie nichts an- gehen. Auch ihre eventuellen ,, Beschwerden" gegen die Hotelusancen bringen sie in einem gütig-väterlich- wohlwollenden Tone an, als wollten sie das ganze Etablissement vor dem Ruine schützen! In J. war ein reicher Stammgast, der jeden ,, Eingeborenen" mit der Frage beglückte: ,,Nun, wie war der Winter bei Euch heuer?!" Obzwar ein jeder darauf mit Freuden geantwortet hatte: ,,Schmecks!", so sagten doch alle, mit Rücksicht auf Trinkgelder, die niemals stattfanden: ,, Heuer besonders hart, gnä' Herr ." Worauf der Stammgast leutselig erwiderte, daß da- für der Sommer zur Erholung, nämlich für ihn, diene !

Trotz aller dieser Eigenheiten möchte dennoch keine Gegend ihre Stammgäste missen, denn sie ge- hören dazu und machen das Ganze sogar heimlich, wie die Schwalben, Störche und anderes stets wieder- kehrendes Getier!

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SANATORIUM FÜR NERVENKRANKE

(aber nicht die, in denen ich mich befand!) Morgenvisite.

Der Doktor sitzt, wie ein Staatsanwalt ernst blickend und forschend, an einem riesigen Schreib- tische.

Der Delinquent (Patient) tritt ein.

,, Bitte, nehmen Sie Platz ."

Pause, in der der Staatsanwalt (Arzt) den Ver- brecher mustert, ob Paralyse oder Simulation vor- handen sei .

,,Also, mein lieber Peter Altenberg, ich keime Sie nämlich schon seit langem aus Ihren interessanten Büchern, und erlaube mir daher den konventionellen Titel ,,Herr" bei einem berühmten Manne wie Sie wegzulassen. Ihre Verehrerinnen apropos sollen Sie ja direkt mit ,P. A.' titulieren!? Diese Ehrenab- kürzung wage ich bisher noch nicht .

Aber zur Sache! Also, mein lieber Peter Alten- berg, was werden wir denn zum Frühstück nehmen ? ! ? "

„Wir?! Das weiß ich nicht. Aber ich selbst nehme Kaffee, hellen Milchkaffee ."

„Kaffee?! So?! Also Kaffee, hellen Milchkaffee ?!? Also schön, Kaffee !"

„Ja, bitte, es ist mein gewöhnliches Getränk, an das ich seit dreißig Jahren gewöhnt bin ."

„Ganz gut. Aber Sie sind eigentlich hier, um sich von Ihrer bisherigen Lebensweise, die Ihnen an- scheinend bisher nicht besonders genützt hat, zu entwöhnen, vielmehr die nötige Energie zu

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akquirieren, solche Veränderungen Ihrer gewohn- ten, ja vielleicht allzu gewohnten Lebensweise allmählich wenigstens vorzunehmen!?! Nun, blei- ben wir also vorläufig beim Milchkaffee. Aber wes- halb diese dezidierte Aversion gegen Tee?! Man kann auch Tee mit Milch verdünnt trinken ?!'

,,Ja, aber ich pflege Milchkaffee zu trinken ."

,, Haben Sie, Herr Altenberg, einen bestimmten Grund, den Genuß von Tee des Morgens für Ihre Nerven für unzukömmlich zu halten?!?"

„Ja; weil er mir nicht schmeckt ."

,,Aha, das wollte ich eben nur wissen. Also, mein lieber Herr, was nehmen Sie denn zu Ihrem so geliebten und anscheinend unentbehrlichen Milchkaffee dazu?!?"

„Dazu?! Nichts!"

,,Nun, irgend etwas Konsistentes müssen Sie doch dazu nehmen! Ein leerer Kaffee schmeckt einem ja gar nicht ."

,,Nein, ich nehme nichts dazu; mir schmeckt nur ein leerer Milchkaffee ."

„Nun, mein sehr geehrter Herr, bei uns geht das eben nicht. Sie werden mir freundlichst die Kon- zession machen müssen von zwei Buttersemmeln ((

,,Ich hasse Butter, ich hasse Semmeln, aber noch mehr hasse ich Buttersemmeln!"

,,Nun, diesen Haß werden wir schon noch be- siegen! Ich habe schon schwierigere Kunst- stücke fertiggebracht, mein Lieber . So,

und jetzt begeben Sie sich stillvergnügt zu Ihrem

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Frühstück in der Veranda. Noch eins: Pflegen Sie nach dem Frühstück auszuruhen?!?"

, Je nachdem ."

„Je nachdem gibt es nicht. Entweder Sie ruhen oder Sie machen Bewegung ."

„Also dann werde ich ruhen ."

„Nein, dann werden Sie eine halbe Stunde lang gehen !"

Der Delinquent verläßt wankend das Amtszim- mer und begibt sich zum Strafantritte auf die Veranda zum Frühstücke, verschärft durch zwei Buttersemmeln.

Einige Tage später. Der Staatsanwalt: ,,Nun, sehen Sie, mein lieber berühmter Dichter, Ihr Ge- sichtsausdruck ist schon ein viel freierer, ich möchte sagen, ein menschlicherer, nicht so präokkupiert von fixen Ideen . Haben Ihnen die zwei Butter- semmeln geschadet?! Na also!"

Nein, sie hatten ihm nicht geschadet, denn er hatte sie täglich im Hühnerhofe verteilt .

N ach mit tags vis ite.

,,Herr Peter Altenberg möchten sogleich zum Herrn Direktor kommen ."

„Setzen Sie sich, bitte.

Ich habe Ihnen den Alkoholgenuß strengstens untersagt ."

,, Jawohl, Herr Direktor ."

,, Kennen Sie diese ganze Batterie von leeren Sliwowitz-Flaschen ? ! ?"

,, Jawohl, es sind die meinen ."

„Man hat sie heute unter Ihrem Bette aufgefun- den ."

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,,Ja, wo sollte man sie denn sonst auffinden?! Ich habe sie ja dort deponiert ."

„Wie haben Sie sich das Gift in meiner Anstalt verschafft?!"

,,Ich bestach jemanden. Sein ehrliches Gewissen ließ es bei zwei Kronen nicht zu. Da offerierte ich ihm drei Kronen."

„Sie sind also unschuldig an der ganzen Sache, sondern der ungetreue Diener ist der Schuldige! Ich werde ihn zur Rechenschaft ziehen, obzwar er bereits fünfundzwanzig Jahre im Hause ist und er sich, soweit ich es übersehen konnte, stets einer tadellosen Konduite erfreut hat ."

,,Herr Direktor, Sie haben mir doch noch gestern gesagt, daß ich in Ihrer Anstalt und durch das regel- mäßige solide Leben hier mich um zwanzig Jahre direkt verjüngt hätte und fast gar nicht mehr wieder- zuerkennen sei ? ! ?"

,,Das sagte ich aus pädagogischen Gründen, um Ihr Selbstbewußtsein zu stärken ."

,.Herr Direktor, darf ich mir die leeren Sliwowitz- Flaschen bei Ihnen später abholen lassen ? ! ? Ich bekomme nämlich für jede sechs Heller retour ."

Direktor zu dem unredlichen Angestellten: ,,Sie Anton, wie konnten Sie sich unterstehen, nach fünf- undzwanzig tadellosen Dienst Jahren, einem Patienten, und sei es auch ein berühmter Dichter mit Eigen- heiten, solche Mengen Branntwein gegen Bestechung zu verschaffen?!?"

,,Aber Herr Direktor, wenn ich das nicht schon seit Jahren bei hundert Alkoholikern getan hätte- wäre uns ja ein jeder schon am dritten Tag davon

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gegangen, und wir hätten unsere Anstalt leer stehen gehabt!"

„Nun gut, Anton, aber sorgen Sie wenigstens dafür von nun an, daß die leeren Flaschen nicht ge- funden werden ."

,,Herr Direktor, das hat mir der Diener Franz angetan, aus Rache, weil ich mir soviel nebenbei ver- diene ."

Direktor zum Diener Franz: ,,Sie, Franz, küm- mern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten! Sie verdienen genug, indem Sie unsere Alkoholiker mit unseren Hysterikerinnen ein wenig , anbandeln'

lassen . Ein jeder hat sein Ressort. In einer

Anstalt muß Ordnung herrschen!"

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DIE ROMANTIKERIN I.

Ich hielt diese Fünfzehnjährige wirklich für ein Ideal slawischer Schönheit, Stumpf nase natürlich, aschblondes Haar, hechtgraue oder taubengraue Augen. Alles an ihr gefiel mir, und nichts an ihr miß- fiel mir. Ihr Schweigen war düster-merkwürdig, ihre Interesselosigkeit an den Dingen des Lebens erschien mir wie die versteckte Weisheit eines vorausahnenden, gleichsam seherischen jungen Geschöpfes, an das doch heutzutage, wie die Dinge einmal stehen und liegen, sich in jedem Augenblick irgendeine Nie- derträchtigkeit heranschleichen könnte! Aber vorläufig war sie geborgen, beschützt, geborgen! Nun, trotz alledem war ich nur ein kühler Beobachter, den das alles absolut gar nichts anging, und der sich höchstens einmal zu einem Veilchensträußchen für 60 Heller aufschwang. Ich sagte zwar, es habe eine Krone gekostet, aber mit gutem Recht, da die Pro- zente, die mir die Blumenhändlerin als einem Dichter gab, eine Privatangelegenheit bilden für sämtliche Beteiligte. Nun, eines Tages bat mich die Süße, ob sie für ein Stündchen in meinem Zimmerchen aus- ruhen dürfe, während ich auf dem Spaziergang be- findlich wäre. Ich erlaubte es ihr. Als ich abends mein Zimmer betrat, lagen, nett angeordnet im Kreise, sieben Haarnadeln auf der weißen Marmorplatte meines Nachtkästchens, als stiller Dank für die Be- herbergung. Seitdem bin ich ein anderer Mensch ge- worden. Diese kindlich-zarte, spielerisch-nette Ro- mantik hat mich gerührt. Diese sieben Haarnadeln sind etwas Positives von ihr, sie befanden sich vordem

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in ihren aschblonden seidenweichen Haaren. Ich empfand es als eine kolossale Belohnung, ich bewahrte die Haarnadeln in Seidenpapier und schrieb das Datum darauf. Ich nehme sie oft heraus und be- trachte sie. Ich bin kein objektiver Beurteiler mehr seitdem. Ich denke immer, wie nett sie diese sieben Haarnadeln im Kreise angeordnet hatte, wie eine Zeichnung für Anfänger, strahlender Stern. Ich werde mich schon wieder ,,zur Objektivität" durch- ringen, denn es ist das Einzige, was man hat, wenn man gar nichts hat !

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ERBLEICHET! ERRÖTET!

Ich kann es immer nur wiederholen und wieder- holen: „Suchet Zugluft auf!" Es gibt eine ganz ein- fache Art für reiche Leute, 150 Jahre alt zu werden, das ist, neben dem Chauffeur, bei jeglichem Wetter, mit freiem Halse und ohne Hut durch die Welt zu fahren, und nur nachts in ruhigen Zimmern, bei weit geöffneten Fenstern, zu rasten. Zugluft ist das Heilmittel! Alles daran zu setzen, sie vertra- ge n zu können, ist das Wesen des modernen „Höchst- kultivierten"! Angst vor Rheumatismus oder Bron- chialkatarrh ist das absolut untrügliche Zeichen eines tief rückständigen unaristokratischen Or- ganismus! Da helfen weder Ahnen, noch sogenannte künstlerische Qualitäten! Der betreffende Or- ganismus ist in jeglicher Beziehung ,, geschnapst". Ein Sänger, der seinen Kragen hochstellt, ist kein Sänger. Seine Kunst kann ihn in jedem Augenblick im Stiche lassen! Regen, Sturm müssen dem echten Sänger Labsal, ja Erquickung sein! Er setze sich auf dem herrlichen Plateau der Rax tagelang dem Ge- brause aus! Was die Legföhre aushält und das Rho- dodendron, gerade eben dasselbe muß auch er aus- halten! Abgehärtete Frauen sind bereits dadurch allein schon in einer „höheren Rangsklasse"! Ver- wöhnte sind Gänse, in jeder Beziehung! Ich kenne alle Seelen und Gehirne der nicht absolut abgehärteten Menschen. Es ist Talmi und Pofel! Schein- Existenzen !

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OSTERMONTAG AUF DEM SEMMERING

Die Lärchenbäume haben sich jedenfalls noch nicht verändert. Sie sind gelb-grau geblieben wie im Winter. Sie lassen keine Hoffnung zu. Bis alles ge- schehen sein wird, der geordnete sichere Frühling, dann erst werden sie ernstlich ,, ergrünen". Sie sind ,, voraussichtige Genies" unter den Gewächsen, so Bismarcks, Moltkes der Pflanzenwelt. Andere sind allzu hoffnungsvoll, stecken den Kopf heraus, glau- ben, es wird sich schon machen, zum Teufel!, und, hast du nicht gesehen, sie verwelken! Aber die Lär- chenbäume sagen: ,,Wenn wir einmal anfangen, grün zu werden, dann, dann gibt es kein Zurück mehr, verstanden ? ! Und dann bis in den Spätherbst hinein, hurra!" Der rote Vogelbeerbaum macht etwas Ähn- liches, erhält sich sogar mit weißen Schneehütchen seine grellroten Vogelbeeren, die letzte Nahrungs- stätte der gedrungenen farbigen Gimpel!

Ostermontag. Ein Arbeiter spielt auf der Harmo- nika, und eine Frau ruft: ,,Zum Essen!" Irgend etwas Besonderes gibt es heute, etwas, was die ,, ge- wöhnlichen Ausgaben" übersteigt! Romantik des Feiertagsessens! So hatten wir in unserer Kindheit Sonntags stets „Juliennesuppe", Poulard mit Erd- äpfelsalat, und Karamelpudding mit Himbeersaft. Der Himbeersaft war nie gewässert, verdünnt, wie stets in anderen Bürgerhäusern; denn meine Mama hatte die Absicht, eine jede Hausfrau zu demütigen, zu blamieren, indem sie erklärte, in ihrem Hause werde der Himbeersaft, direkt aus der Original- flasche, unverdünnt serviert ! Viele Damen hielten

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sie infolgedessen für verschwenderisch, ja sogar in gewisser Hinsicht für exzentrisch. Andere aber be- wunderten sie als eine Art von zwar unverständlichem, aber dennoch höherem Wesen; Himbeersaft direkt aus der Originalflasche ! ?

Vor meinem Fenster ist ein Reh in einem Holz- verschlage. Es ist so ein Plakat für ,, Wildreichtum der umliegenden Waldungen"! Es schnuppert wie eine Ziege, es denkt : ,,Die Freiheit habe ich eingebüßt, da will ich wenigstens kulinarisch genießen!"

Im ,,Kino" schießt ein kleiner Knabe alles aus einer von einem Onkel geschenkten Büchse zusam- men. Zuletzt schießt er den schweren Lüster vom Plafond herunter. Da sagte ein dreijähriges Mäderl neben mir: ,,Ist der Lüster jetzt gestorben ? !" ,,Nein," erwiderte ich, ,,er hat sich nur ein bißchen weh getan!"

Es ist Ostermontag. Ein jeder glaubt es zu spüren direkt, weil er es nach dem Kalender weiß! Morgen, 9. April, ist ihr zwölfjähriger Geburtstag. Aber ich darf ihr nicht gratulieren; erstens, weil die Herren Eltern es nicht erlauben, zweitens, weil ich weder ihren Namen noch ihre Adresse weiß ! Aber ich habe sie gehen gesehen, das genügt für meinen Turm- falkenblick! Ich würde ihr schreiben: ,, Dante Alighieris Beatrice, 1912"! Aber wozu?! Bin ich Dante?! Nach 500 Jahren soll man sie mit mir in Beziehung bringen! Siehe, meine Seele hat Zeit, über ihren eigenen Tod hinaus zu warten!

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BERGHOTEL-FRONT

Sechs Uhr morgens . Ein nebeHger J ulimorgen .Alles duftet nach feuchtigkeitsdurchsogenem Waldboden. Alle Fenster sind geschlossen, bis auf die der jungen Schönheit, die vor den Toren der Lungentuberkulose angelangt ist. An diesem Fenster hängt, vom gestri- gen Abendprunke, ein tiefblau seidenes Gewand, bewegt sich im Morgenwinde. Irgendwo singt eine Kinderfrau ein Kindchen wieder in den unterbroche- nen Morgenschlaf ein. Ein Hund kriecht vorüber, als käme er von einer Sündennacht außer Hause. Ich denke: „Klara, Franziska, Sonja ", und be- lausche ihre geliebten Kinderatemzüge, die ich nicht höre!

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LANDPARTIE

Ich bin „radikal" geworden. Ich mache mit einer mir sympathischen Dame eine Eisenbahnfahrt von 25 Minuten nach M. Wenn sie nicht am Fenster lehnt und in die Landschaft hinausstarrt, bin ich bereits enttäuscht, nicht mehr ganz ,,ä mon aise". Sie er- wartet also ,, anregende Konversation", pfui! Wenn sie sagt: ,,Es zieht, machen Sie, bitte, das vis-a-vis- Fenster zu", bin ich mit ihr fertig. Rheumatismus zieht nicht bei mir, das ist schlechtrassig, so 1870, zur Krachzeit. Wenn ich ihr in M. das herzige, brausende, dunkle Flüßchen zeige, muß sie entzückt sein, ja sie muß, sie muß, sie muß ! Wenn ich ihr den Frieden der langen Dorfstraße zeige, muß sie selbst ,,friedevoir' werden ! Wenn ich ihr das niedere, schneeweiße Haus zeige mit den schwarzen Eisengittern und den vergol- deten Schleifen und sage: ,,Hier hatten die Generäle Napoleons des Ersten Quartier ! " , so muß es ihr wie hei- liger Schauer über ihren rosigen Rücken laufen ! Bil- liger gebe ich es nicht. Es sind schlechte Zeiten ange- brochen für wirklich zarte Seelen, und daher muß man prüfen, ehe man ewig Landpartien macht! Wenn sie in dem kleinen, traulichen Dorf-Kaffeehaus ihren Tee selbst bezahlt, ist es gut. Wenn nicht, ist es be- denklich. Wenn sie den Soimenuntergang nicht be- achtet, sondern lieber von einem erzählt, der sie einst sehr, sehr geliebt hat, ist es vollkommen verfehlt. Auch der Rauch der Lokomotiven sogar hat sie zu interessieren. Wenn sie sagt: „Ich möchte nicht gar zu spät nach Hause kommen", so ist es falsch. Mit mir kommt man immer zu früh, und nie zu spät

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nach Hause. Auf der Rückfahrt hat sie eine andere zu sein wie auf der Hinfahrt! Wie sie das macht, ist ihre Sache! In dem „langen Tunnel" hat nichts zu geschehen! Aber sie hat es innerlich zu bedauern, daß es so war! Ich bin „radikal" geworden. Eine Fahrt von 25 Minuten; Aufenthalt; retour; und ich weiß alles!

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PSYCHOLOGIE

Ich beurteile schon seit längerer Zeit die Menschen nach den Gegenständen, die sie tragen, lieb haben und für hübsch finden. Das ist ein ,,biografical essay" über ihr eigenes . Wesen ! Zum Beispiel sind mir Männer höchst suspekt, die Stöcke tragen mit oxydierten Silbergriffen, die irgend etwas vorstellen, wie Hundekopf, Schlange oder gar ein reizendes Frauenköpfchen mit Lockengewirr. Freilich haben die Kerls dann die Ausrede, sie hätten es von einem lieben Freund geschenkt erhalten; aber erstens hat man keine solchen geschmacklosen Freunde eben nicht zu haben (zwei Verneinungen geben leider eine Beja- ung), und zweitens kann man das Geschenk einem guten Freund auch über den Schädel hauen. Über- haupt bin ich unter kultivierten Menschen nur für ,,Bons" in einem bestimmten Geschäft! Suspekt ist mir auch rosa, hellblaue und grellrote Seide, während Atlas, Samt oder Damast bereits zu den ,, leichten Vergehen wider die Sittlichkeit" zu zählen sind. Bedruckte, nicht gewebte Krawatten, erregen ziemliches Bedenken, obzwar hier die ,,Natur-Bauem- muster" noch zu pardonnieren sind. In , .einer einzigen Farbe" gekleidet sein, vom Hut bis zu den Schuhen, ist ,, letzte Aristokratie" 1913! Schirme haben nur Naturgriffe zu haben. Ein freier Hals ist edelrassig. Hohe Kragen sind ein Non- sens, außer für Störche. In einem Kleidungsstücke nicht sämtliche Bewegungen eines erstklassigen Parterreakrobaten im ,, Apollotheater" machen zu können, ist schlechtrassig! Hosen können nie

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breit genug sein, und sind immer noch viel zu eng! Letzte Knöpfe am Gilet offen zu lassen, ist eine miserable Vergeßlichkeit. Jemandem, der sagt, er wolle nicht auffallen, dem erwidere ich, daß auch Beethovens Adagios auffallend waren, nämlich auf- fallend schön! ,,Die Herde ist das, wovon man sich in allem zu unterscheiden hat!" ,,Man trägt jetzt " ist ein hundsordinärer Blödsinn.

,, Guten Morgen, mein Herr, wie steht Ihr wertes Befinden?!" sagte ich zu einem Fremden, der auf dem ,,Semmeringer Hoch weg" mit Zylinder spa- zieren ging.

„O sehr gut, in dieser herrlichen Gebirgswelt; aber woher kennen Sie mich denn?!"

,,Ich kenne Sie seit Ihrer Geburt wie meine eigene Tasche, da ich sehe, daß Sie hier einen Zylinder tragen "

„Ich bin das meiner Stellung in der Welt schuldig, mein Herr "

„Auch das habe ich sogleich bemerkt, daß Sie irgend jemandem irgend etwas schuldig sind ! "

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VOR-VORFRÜHLING

II. Februar. Semmering. Ich versuchte es, nach drei Wochen Krankheit auszugehen. Alles schwamm in Nebel und Nässe. Die Rodel wege waren nicht mehr vorhanden, ein grauer Schlamm mit ein wenig Glatt- eis waren an ihrer Stelle. Alles war schmutzig, un- gepflegt, bereitete sich vor für sonnige F"rühlingstage, die trocknen, fegen und beleben sollten, vor allem aber mit der Winterwirtschaft ein Ende machen. Denn weshalb noch hinziehen, was ohnedies vergehen soll?! Um jedes Gebüsch herum waren tiefe Schnee- löcher, die Dächer trieften vor glänzender Nässe, ebenso die eisernen Straßengeländer. Schneerosen- knospen wuchsen überall, man stellte sie in Gefäße, aber sie erblühten nicht, aus irgendeinem versteckten Grund. Man bedauerte die Vögel nicht mehr, Krähen und Gimpel, obzwar sie jetzt ebensowenig zu fressen hatten wie im starren Winter. Die, die das überstehen hatten können, würden auch das noch überstehen. ,,Ein miserables Wetter", sagen alle, obzwar es in seiner Miserablität gerade rührend schön ist. Die Menschen ziehen sich zurück, wie vor einem Menschen, der nicht mehr ,,sein Bestes" leistet. Es ist nicht Fisch, nicht Fleisch, sagen sie einfach. Nein, aber es ist rührendes Patschwetter. Ich finde es nicht, daß es weniger anziehend ist als der starre Winter und der helle, klingende Frühling. Der zerrinnende Schnee ergreift mich. Er war einst so herrschsüchtig, so un- erbittlich, so zäh-fest. Die ,, Champions" liebten ihn, nun sind sie von ihm abgefallen. Sie können ihre überschüssigen Lebenskräfte nicht mehr an ihm er-

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proben, schwächlich geworden, sucht er, gleichsam verlegen, in Bächlein abzurinnen, zu verschwinden. Und man hatte ihn doch so sehr geliebt, direkt ver- hätschelt, als er noch brauchbar war. Jetzt könnte man singen:

,, Schnee, du wirst grau und schmutzig

was ist mit dir?!

Zu nichts mehr bist du nütze .

Willst du vielleicht sogar meinem geliebten Kinde einen Schnupfen bringen?!?

Du Schnee, dann, dann mag ich dich auch nicht mehr, verschwinde!"

Uiid im Gelände werden bald Primeln und Veil- chen stehn,

und ich werde sie pflücken und sie dir nicht geben, das heißt äußerlich, vor den Menschen. Aber vor Gott!

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GEDENKBLATT

Es ist merkwürdig in meinem Leben. Immer das- selbe. Als ob ich nicht älter, nicht reifer würde. Und ich bin doch schon uralt und todeskrank. In meinem 35. Lebensjahr, an meinem heißgeliebten Gmundener See, schlössen sich zwei Kinder, von 9 und 11 Jahren, mit ihren zarten Seelen leidenschaftlich an mich an. Dadurch entstand meine überhaupt erste Skizze, die ich je geschrieben habe, in der Nacht nach dem Ab- schied der Kinder von mir, ,,9 und 11". Eines Abends erklärte die 9jährige unter Tränen, indem sie das Nachtessen verweigerte, sie würde nichts mehr essen, bis ich nicht zu ihnen ins Haus zöge. Daraufhin schrieb mir der Vater, er verbitte sich von nun an jeglichen mündlichen und brieflichen Verkehr, ja sogar den Gruß auf der Straße, da er meinetwegen doch nicht auswandern wolle. Und so geschah es, strikte nach seinem Befehl. Acht Jahre später er- schien nach einer Burgtheaterpremiere der Vater mit seinen, zu herrlichen Geschöpfen erblühten Töchtern an meinem Stammtisch im ,, Löwenbräu". „Ich komme zu Ihnen, denn mein Töchterchen A. hat sich gerade so, von selbst, entwickelt, als ob Sie wirklich, ihrem heißen Wunsch gemäß, damals zu uns gezogen wären; eine weltenferne Träumerin!"

Drei Tage später traf sie in der Kämtnerstraße, bei ,, Schwarz und Steiner", der Gehirnschlag. Sie hatte gerade vorher gesagt: ,,Da geht mein Loge- Sänger ,,Schmedes", mit seinem gazellenfüßigen, herrlichen Töchterchen . . . !" Sie wankte und war tot.

Ich fuhr mit den Eltern im Trauerwagen.

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Da sagte der weinende Vater, der nun auch schon tot ist: ,,Wenn ich das hätte ahnen können, hätten Sie vor acht Jahren unbedingt zu uns ziehen müssen !"

,,Nein", erwiderte ich, ,,auch wenn Sie das hätten ahnen können, wäre Ihnen eine tote Tochter heber gewesen als eine, die den Dichter verehrt!"

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OBERFLÄCHLICHER VERKEHR

Ein Herr, den ich zehn Jahre lang nicht gesehen liattc, kam im Berghotel per Automobil an und sagte zu mir: „Gut. daß ich gerade Sie hier begrüßen kann. Sie kennen sich doch auf dem Semmering gewiß gut aus. Wo ist hier der Rase ur ? !" „Gleich im Hause daneben", erwiderte ich. „Ich wußte es ja," sagte er beglückt, ,,daß ich mich an die richtige Adresse gewendet habe; adieu ."

Ein Herrschreibt mir aus Prag: ,, Teurer verehrter Meister, in Ihrem Buche ,,Prodromos" ist ein eng- lischer Reibhandschuh angepriesen. Kann ihn in ganz Prag nicht finden. Bitte auch um genaue Angabe des Preises!" Ich schrieb zurück: ,, Bürsten sind nur in Eisenhandlungen zu finden, Preis i Krone und IG 000, je nach der Qualität!"

Eine Dame, die mir ausnehmend gut gefiel, sagte mir : ,,Ich habe ein diskretes Anliegen an Sie. Können Sie mich nicht mit Ihrem reizenden Freunde bekannt machen?!" ,,Nein!" erwiderte ich schlagfertig.

Ein Herr aus Berlin schrieb mir: ,,Wie lange wollen Sie noch uns Leser mit Ihren Brocken von angeblicher Seelentiefe anöden?!" Ich erwiderte, ich sei zwar schon ziemlich abbröckelnd, aber den genauen Zeitpunkt des definitiven Endes könne ich nicht angeben, er möge sich noch ein wenig ge- dulden .

Jemand fragte mich, wo denn eigentlich meine Bücher zu haben seien ? ! Worauf ich erwiderte : ,,Ich glaube, der Bäckermeister oder der Schuster dürfte noch einige Exemplare auf Lager haben ."

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Jemand schrieb mir aus Klein-Höflein, wo ich nie gewesen war und auch niemanden kenne: „Falls Sie nicht innerhalb acht Tagen Ihre Schuld von II Kronen 60 Heller bezahlen, werde ich die Sache meinem Advokaten übergeben!" Infolgedessen be- zahlte ich II Kronen 60 Heller nach Klein-Höflein. Wenn ich nur wüßte, wo dieser Ort liegt?!

Jemand sagte zu mir; ,,Ah, Sie sind der berühmte Herr Paul Altenberger, über den so viele gute Witze kursieren?!" Ich sagte, ich hätte noch andere Quali- täten, und entfernte mich hoheits voll-gelassen.

Eine junge Dame sagte zu mir : ,, Einmal und nicht wieder!" Ich hatte sie nämlich ihr Nachtmahl selbst bezahlen lassen. Freilich hatte ich die vergebliche Hoffnung gehabt, sie würde auch meines gleich mit- bezahlen .

Eine reiche Familie, der ich es mitteilte, daß heute, 9. März, mein Geburtstag sei, sagte im Chore, daß man es mir wirklich gar nicht ansehe, ich schaute aus wie ein guterhaltener Fünfziger. Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte den ,, Fünfziger" gut er- halten !

Das sind lauter oberflächliche Bekanntschaften, nichts Solides dahinter, kein Gemüt und kein Geld. Es ist sehr, sehr schwer, Menschen zu finden, die sich wirklich und ernstlich an einen anschließen .

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BEAUTE

So wenig also hältst du von der Schönheit deines nackten weißen oder braunen Edelleibes, daß du dich verpflichtet fühlest, ihn zu schmücken, sagen wir , .behängen" und ,, belasten" mit hundert Edel- fellchen wertvoller Tierchen??

Stolz nennst du die Summe, die es gekostet hat .

Erhöht es deinen Wert, daß man für dich be- zahlte?!

Du weißt, die Besten gehen in geflickten Kit- teln,

ihr Pelz ist Demut und Bescheidenheit.

Oder sie tragen das heilig-einfache Gewand der Pflegeschwestem.

Schwarz weiß und eine große Brosche in Email mit einem Kreuz,

zierten euch mehr! -

Von innen strahlt der Wert nach außen aus,

mit Mardermänteln bleibst du roh und nichtig!

Ich hasse jene Männer, die euch lieben,

in eurem stinkenden Prunke!

Nein, ich hass' sie nicht,

denn ihre Liebe ist derselbe Schein wie Eure Fetzen,

sie lieben nicht sie hassen und ver- achten Euch

vielleicht noch mehr, berechtigter als ich!!! Jedoch, sie müssen!

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DIE SPIELEREIEN DER REICHEN LEUTE

In einem ersten „Cercle" der Residenz kam man auf die Idee, einen Preis von lo Flaschen Champagner auszuschreiben für die allerstupideste Frage. Ein Graf gewann den Preis mit der Frage: ,,Comment mi homme de tacte et de goüt doit-il se comporter, lorsqu'il rencontre la nuit dans une foret un accent circonflexe?!"

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RICHTIGE, ABER EBEN DESHALB WERTLOSE BETRACHTUNGEN

Es ist eigentlich ganz widersinnig, auf eine Frau eifersüchtig zu sein, die einem noch gar keine Kon- zessionen gemacht hat. Denn je mehr Konzessionen sie den anderen macht, desto größer ist die Chance, daß sie einem dieselben mache, und even- tuell noch größere! Es ist die falsche ewige Hoff- nung, sie für sich allein erlangen zu können! Aber das kann man nicht. Denn es hängt nicht von dem ab, was sie gewähren, oder nicht gewähren will, sondern von der ewigen Reizung ihres Nervensystems, daß tausend Männer das und das von ihr sich er- sehnen! Das allein läßt sie nicht ,,zur Treue" kommen. Es wäre denn, daß man alle anderen über- biete! Aber solche ,, Coups" gelingen selten auf der Lebensbörse!

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DIE PROBE

Es gibt, eine sichere Probe für Sympathie . Ich denke mir alle schönen Mädchen hier in dem Berghotel, die mir gefallen, der Reihe nach quer über eine breite weiße Landstraße aufgestellt. Plötzlich rast von einer scharfen Kurve her ein riesiges Automobil. Welche wirst du instinktiv zurückreißen, erretten ? ! ? Von allen nur Klara, Franziska und die blonde 13 jährige süße Ungarin!

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EREIGNIS

x\m 24. Juli haben sie die Bergwiesen ge- mäht

hingeschnitten die diskreten Farben eines alten Perserteppifhs

die Duft-Symphonien abgebrochen unserer „mu- sikalischen Nasen"! Wie ein Kapellmeister „ab- klopft".

Frischer einfacher Heuduft wurde sogleich, und schon ahnte man feiste Kühe mit den Stampfmühlen ihrer feuchten Mäuler für die rosigen Euter es vor- bereiten !

Wie Urkraftrausch wäret ihr, Bergwiesen, bis zum 24. Juli.

Es dröhnte von Hummeln ; es schimmerte braun- wolkig, distellila, schafgarbenweiß, königskerzen- gelb, arnikagold; es roch wie ,, Menagerie", ,, Apo- theke"; wie Bienenhonig schmeckt, so roch es im vorhinein.

Es betäubte süß und belebte.

Es vermittelte: sanft einschlummern, frisch er- wachen !

Nun ist es nicht mehr.

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ENDE

Vom 17. September 1911 bis 19. Oktober 1912 war sie seine kleine Heilige. Sie war geboren 9. April 1900.

Dann erzählte ihr eine Dame der sogenannten ,, guten Gesellschaft", daß er ein Säufer sei, und schon zwei Jahre im Irrenhaus interniert gewesen sei.

Hatte er sie seitdem weniger lieb?! Das war ja unmöglich.

Aber sie schämte sich seitdem seiner Vereh- rung .

Die Liebe eines besoffenen Tollhäuslers?! Pfui Teufel!

Da wollte er ihr das ersparen, und mied sie von nun an.

Hie und da hörte er in den Korridoren des Hotels ihre geliebte jauchzende Kinderstimme.

Da schloß er denn die beiden Türen seines Zim- mers und warf sich, in unmeßlichen körperlichen und seelischen Qualen, auf sein Sofa hin.

So endete eines seiner schönsten, seiner tiefsten Lebensgedichte, das viel Leid, viel Begeisterung und viel, viel Liebe in sich ein Jahr lang geborgen hatte !

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NACH ABWÄRTS

Niemand beschrieb noch körperhchc Qualen

weißt du, wie Brandwunden sind am zarten Fin- gerballen?! So brennt es dir im ganzen Leibe,

und keine Linderung durch aufgelegtes Leinöl;

es brennt Tag und Nacht.

Wie eine mittelalterliche Folter, der du unter- liegst; die Folterknechte aber sind im Innern; und unsichtbar ereignet sich das Schreckliche.

Scheinbar friedlich sitzest du in deinem Zimmer- chen,

und draußen ist der braune Bergwald.

Er kann dir nicht mehr helfen, er, der dir einst half zu den Begeisterungen, dem besten Mittel, jung und stark zu sein!

Und nachmittags irr' ich in den langen, schmalen, düsteren Korridoren,

das Antlitz meiner kleinen Heiligen zu sehn.

Wenn ich sie erschaue, ergreift mich der Gram.

,,Wie geht es Ihnen heute?!" sagt sie sanft, und blickt erstaunt auf diese menschliche Ruine, die ihr fast täglich tiefe Hymnen singt .

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ABSCHIED

Mein geliebter Pinkenkogel, hart an meinem Fenster aufsteigend,

ich sage dir Adieu!

Ich muß nun wieder ins Exil hinter vier Mauern; die Menschen wollen „langsam Sterbende" nicht sehn. Und diese wieder nicht die Menschen!

Dazu sind diese „Institute" da, daß nur der weite stark die Klagen höre.

Der ,, Pfleger" sieht die Träne ungerührt. Wo kam' er hin, wenn er sich rühren ließe?!

Geliebter Pinkenkogel, lebewohl .

Und sag' auch ihr

wie liebt sie deine Bäume und deine Pfade auf- wärts zu der Alm

und sag' auch ihr

nein, sag' ihr nichts!

Sie weiß, daß unter allen Abschiedstränen

die qualvollste für sie vergossen ist .

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KRANKEN-TOILETTE

Wenn die Anverwandten zu Besuch kommen, wird der Kranke „herausstaffiert". Das geschieht nicht etwa aus irgendeinem Versuche, die Verwandten über den Zustand des Kranken irrezuführen, sondern aus einem ganz einfachen Grunde: Man läßt den Kranken eben solange als möglich in seinem ihm not- wendigen, ja zuträglichen Zustande von Apathie, Man zwingt ihn zu nichts, wartet es geduldig ab, bis er von selbst wieder zum gewöhnlichen Leben er- wache. Aber gerade den Anverwandten darf man diesen Zustand von organischer und infolgedessen nützlicher Apathie des Kranken nicht vor Augen füh- ren. Denn hierin ersehen sie nur eine traurige Stag- nation des Leidens, was ihnen in Anbetracht ihrer Sorge und ihrer eventuellen Geldopfer, auch Zeit ist Geld, sagt der Engländer, nicht erwünscht sein kann. Auch erhofft sich der Pfleger ein größeres Trinkgeld, falls der Patient den Eindruck von ,, rücksichtsvoll- ster Pflege" macht. Das ist doch ganz natürlich und selbstverständlich. Es ihm zu verübeln, wäre albern. Infolgedessen wird der apathische Kranke aus seiner wohltuenden Ruhe plötzlich aufgescheucht, gesäu- bert, rasiert und nimmt sich in seinem frisch über- zogenen Bette aus, wie ein krankes Geburtstagskind. Alle Besucher sind einig darüber, daß er sich fabel- haft erholt habe, und schauen voll Bewunderung und Rührung einmal auf den bescheidenen Arzt, und ein- mal auf den stolzen Pfleger. Nach dem Besuchtage verfällt der Kranke wieder. Gesundheit, Lebens- fähigkeit, Energie hängen leider nicht von Besuchs-

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tagen ab der Anverwandten. Man schleppt sich hin, eine zerbrochene Maschine, und eines Tages steht

man auf und ist gesund. Oder man steht

nicht mehr auf. Dann ist auch wieder Besuchstag. Man ist gewaschen, rasiert, Hegt in einem frisch über- zogenen Bette wie ein Geburtstagskind, aber wie ein totes. Nein, das sind Utopien. Bei Nacht wird man insgeheim weggeführt, denn niemand in der Anstalt soll wissen, daß ,, etwas sich ereignet" hat, was keine Hoffnung zuläßt .

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KUSINE

Mit 52 Jahren stürzte meine Kusine ab vom See- kofel, beim Blumenpflücken.

Mit 16 erhielt sie ihr erstes Ballkleid von „Maison Marisson".

„Sie muß die Schönste sein!" sagte die Direktrice des Ateliers zuversichtlich.

Zum ersten Male dichte Rüschen in gelbem Musselin. Bis dahin trug man nur weiße Ballkleider.

Sie war die Schönste. Sie erregte Neid. Sie glaubte, ein Prinz werde kommen oder etwas Ähn- liches, z. B. ein Bankdirektor. Was hätte sie anderes sich erträumen können, in gelben Musselin-Rüschen von der , .Marisson", und entouriert von allen?!

Zum Souper meldeten sich 14 Herren.

,,Ich hab' nur eine rechte Seite und eine linke", sagte sie glückstrahlend.

Mit 52 Jahren stürzte sie vom Seekofel ab, beim Blumenpflücken .

Was sie erlebt, von 16 bis 52, ich weiß es nicht. Ich kenne nur ihren ersten Triumph und ihren letzten Absturz . Dazwischen dürfte so eine Me- lange gewesen sein von beiden!

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LIED

Was nützt des Herbstes braune Symphonie?!

Ich bin zu krank.

Sonst sah ich alles mit dem Blick der Liebe, dem Blicke einer namenlosen Zärtlichkeit.

Ich wußte wie die Buche sich verfärbt im frühen Froste,

und wie ihre Röte allmählich erbräunt.

Die Amsel raschelte im dürren Laub, die schwarze Schnecke zog über die Wege.

Du sagtest mir, holdestes Kind, du müßtest nun in ein Institut, für 2, 3 Jahre .

Ja, es ist Herbst geworden, und ich bin zu krank.

iio

ECHT

Ich bin sehr skeptisch in bezug auf Empfin- dungen. FestUche Stimmung bei Geburtstags j ausen , bedenkhche Gesichter bei schweren Krankheitsfällen können mir noch lange nicht imponieren. Ich kenne diese „Rolle" wohlerzogener Leute. Darüber mehr zu sagen, wäre eine Banalität, obzwar auch dieses wenige schon eine beträchtliche ist. Aber eine Empfindung gibt es, die nicht unecht ist, das ist das klägliche Aufheulen, ähnlich wie Hunde beim Klavierspielen, der allernächsten Angehörigen, in dem Augenblicke, da der Sarg aus dem Schlafzimmer hinausgetragen wird. Da gibt es kein Schluchzen, kein adieu, kein Lebewohl, kein oh und kein ach. Da gibt es nur ein klägliches erschreckendes Auf- heulen, ein Winseln, wie wenn man den liebevollen Hund aussperrt, ihm die Türe vor der Nase zuschlägt. Freilich ,,derfangt" man sich sogleich wieder, von den ,, nicht allernächsten" Verwandten liebevoll ge- stützt, und wankt zu Hut, Handschuhen und Schirm. Der Leichenwagen wartet nämlich.

Aber dieser eine kurze Augenblick ist echt, da der Tote sein Schlafzimmer verläßt, getragen von vier fremden Männern. Da sagt man nämlich wirk- lich Adieu und heult auf, und winselt und spürt es daß eigentlich alles, alles auf der Welt nicht dafür- steht .

III

GESPRÄCH

„Wie ist das also, Peter, mit dem ,Geben', wie Sie immer behaupten, das seliger sein soll als das ,Nehmen'?! Wie ist das ?!"

,,Das ist also so : wenn du an einem Bettler vorbei- gehest, und du bist nur erfüllt, gehoben, durchwärmt von dem Gefühle, eine exzeptionelle Freude jemandem bereiten zu wollen, die in deiner Macht steht, sie zu spenden, und du schenkst ihm da eine Krone, während er dich ansieht, anstarrt, als hättest du dich nur in der Münzsorte vergriffen, du aber gehest, ihm zu- nickend, hinweg das ist: Geben ist seliger

denn nehmen! Wenn du aber denkst: ,,Pfui, diese Belästigung! Dieser alte zerfetzte, demütige Hund!" Und du gibst ihm dennoch 20 Heller, so hochnäsig- widerwillig, dann, dann ist: Geben unseliger denn nehmen!"

,, Peter, also da hast du 20 Heller! Nein,

ich habe nur Spaß gemacht. Ich will dir eine Krone schenken, hole sie dir heute nacht von meinem Nacht- kästchen ab ."

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BILANZ

Es gibt Dinge, die unvergeßlich sind. Mit diesen hat man seine Seele zu beschäftigen und alle anderen Dinge zurücktreten, verblassen, ver- schwinden, also allmählich absterben zu lassen. Unvergeßlich ist das Vöslauer laue Schwimmbas- sin mit Lindengeruch. Dann der „Lackaboden", Alm vor dem Schneeberg; die Bodenwiese mit den Kolröserln; Austern ä discretion, also sechs Dutzend ; die kleine ,, Veilchenfeld", die kleine Magda S., Evelyn H., Klara und Frantzi P, und Eva Leo- pold und Sonja Dunjersky. Dann Richard Wagner, Beethoven, Mozart, Bach, Grieg, Hugo Wolf, Ri- chard Strauß, Johannes Brahms, Puccini, Massenet. Dann die ,, Topfen -Pastete" und ,, Filet de Sole ä la Momy" und ,,Poires bonne femme" und ,,pommes concierge". Dann ,, Hamsun", ,,Strind- berg", ,, Maeterlinck", ,, Gerhart Hauptmann". Dann „Van Dyck" als ,,Des Grieux" in ,,Manon", ,, Ma- ria Renard" als ,, Lotte" in ,, Werther", ,, Her- mann Winkelmann", in allen seinen Rollen. Dann der ,,Semmering", zu allen Jahreszeiten. Man muß ,,Buch führen" über ,, reelle Werte", im sonst leicht ,, passiv werdenden" Dasein! Frauen haben eine perfide Geschicklichkeit, ,, unreelle Werte", wie Schmuck, Pelz, Kleider, in ihr ,, Plus-Konto" des Lebens frech einzutragen. Da müssen sie halt die ganze Bilanz plötzlich durch einen ,, feschen Offi- zier" wieder ins Gleichgewicht bringen! Auch ,, un- glückliche Spieler" legen sich plötzlich eine ,, Ge- liebte" zu, um sich es in ihrem falschen Buch-

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Konto zu verrechnen, daß sie „an ihr" zugrunde gegangen sind!

Eine richtige, anständige, ehrhche ,, Bilanz des Daseins" führen nur die Selbstmörder. Aber wie wenige, helas, gibt es noch heutzutage ? !

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SEHR GEEHRTES FRÄULEIN!

Sie lieben also Albert ! ?

Sie suchen also eigentlich einen Mann, dem Sie ,,sein Alles" sind; der durch Sic es vergißt, daß die Welt erfüllt ist von herrlichen, merkwürdigen, an- mutigen und originellen Geschöpfen ! ? Sie suchen also einen Idioten! Einen, dem Sie die Schmach antun, ihn in einen Zustand zu versetzen, wie der Auerhahn auf der Morgenbalze. Einen, der vor Ge- fühl nichts anderes mehr sieht und hört um ihn herum! Um ihm etwas bieten zu können, rauben, stehlen Sie ihm seine Weltenseele, und für eine Haar- nadel aus Ihren Haaren gibt er das Glück von Tau- senden eventuell hin! Und diese Scheuklappen- politik nennt Ihr dann ,, Liebe"! Ein verdoppelter Egoismus, dem zum , »heiligen Dreibund" nur noch der miserable Köter ,,Putz" fehlt, an den Ihr Euch gemeinsam attaschiert !

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HERBSTLIED

Die Ahornblätter sind wieder goldgelb, man kann die einzelnen goldenen Bäume zählen im dunklen Forste. Also ist es Herbst.

Gerade vor einem Jahre sah ich sie, 25. September 1911.

Sie war 11 Jahre alt. 11! Was macht es?!?

Der Wald bot damals alles, was er heute bietet, und immer bieten wird .

Nur ich bin düsterer geworden, weil ich zuviel an ihre Zukunft denke.

Als ich sie damals sah, da ging ich in den Wald, um mir es einfach jauchzend mitzuteilen: ,,Du hast das Herrlichste erschaut!"

Jetzt aber, tieferfüllt von ihr, seh' ich im düsteren Herbstwald dunkle Schatten kommender Eroberer!

Oh, Gnade, Gnade, Ihr Herren, für mein geliebtes Kindchen !

Tut ihr nichts!

Die Ahomblätter sind wieder goldgelb geworden, man kann die goldenen Bäume einzeln zählen im dunklen Forste. Also ist es Herbst.

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EWIGE ERINNERUNG

Von Kortina brachen wir auf, Automobil, 9 Uhr morgens, und schlängelten uns hinauf, auf den Fal- zaregopaß, 21 17 Meter. Hinter dem Hotel pflückte ich ,,Speik", diese weiße duftende Bergblume, Kind- heitserinnerung. Der Boden war schwarz, weich und und feucht ; und überall rieselte Schneewasser. Und dann hinab ins Tal. Und von da aus sogleich wieder auf den Pordochjochpaß, Kristomanos-Schutzhaus, 2250 Meter. Da gab es gar keine Blumen mehr, wie herrlich. Der starre Sturm verbat sich alles Blühen. Er stöhnte und beherrschte ! Wie wenn man als Kind eine große Seemuschel ans Ohr dicht anlegt, so brauste es. Nur sagt man in jenem Falle, das Tosen des Meeres sei in der Muschel eingefangen. Hier aber ist nichts eingefangen; man sieht das Brausen über die kahlen gelb-braunen Wiesen; ganz aus erster Hand vernimmt man den Sturm. Im wunderbar warmen geschützten Speisezimmererker, nahm ich ihr Bild heraus (Kl. P.), betrachtete es lange. Ich dachte: ,,Mit dir hier zu sein!" Aber es wird nie, nie, nie, nie sein . Wie schade.

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GESANG

In allem hatte sie treffsicheres Urteil.

In allem. Nur sein Gesang gefiel ihr,

obzwar die Töne wie laues Regenwasser seinem geziert ovalen Mund enttropften.

Er sang mit ihr, sie spielte das Klavier, er sang für sie!

Und deshalb fand sie seine Stimme lieblich,

obzwar sie selbst das C-moll-Adagio Beethovens unaussprechlich zärtlich spielen konnte,

und für alles sonst aristokratisch-feine Ohren hatte.

Und einmal sagte sie zu mir:

,,Ist es Ihr Ernst, daß Sie seine Stimme für tonlos halten, oder steckt da etwas dahinter. Lieber?!"

,,Es steckt etwas dahinter!" sagte ich, ,,das Vor- urteil des dummen Weibchens!"

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SOUPER

Es war ein Nichts .

Immer ist es ein Nichts, aus dem zuletzt ein Etwas wird!

Törichte Frauen, die ihr mit dem Leben tändelt, mit uns und mit euch selbst!

Er sagte einen dummen Scherz,

so um den Bann zu brechen öder Stimmung.

Da gössest du aus deinem Glase ein wenig Wasser ihm auf sein Gewand .

,,Zur Strafe!" sagtest du lächelnd.

Koketter Kerkermeister!

Jede Intimität ist eine perfide Brücke zu einer Seele oder zu unedleren Teilen.

Er fühlte sich geehrt durch das Begießen,

und seine Augen sagten gleichsam: ,, Es kam von dir!"

Es war ein Nichts

immer ist es ein Nichts, wie Frauen nämlich denken, ein Nichts, das uns tief unglückselig macht !

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DIE WAGENFAHRT

Alle sagten zu ihm sehr bald „Herr Peter" oder „Peter". Aber sie sagte nach langer Bekanntschaft „Herr Altenberg". Er schrieb ihr das. Sie sagte weiter wie bisher: „Herr Altenberg", obzwar er eine zärtliche Freundschaft für sie hatte. Eines Tages fuhren sie im Wagen durch seine geliebte Berggegend. Da erzählte sie von der Krankheit ihres Kindchens, erzählte, weinte, erzählte, weinte, verstummte. Er sagte: ,,Ich liebe hier jeden Strauch, ich kenne jeden

Acker, jeden Wiesenzaun ." Beim Abschied

sagte sie: ,, Adieu, Peter ."

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KONZERTPAUSE

Gerade hatte Germaine Schnitzer den Todesritt Mazeppas von Liszt gespielt. Ich war begeistert, ent- führt in wilde Welten. Da brachte mir der Diener deine Karte, daß du draußen wartest.

Im Berg-Nacht-Sturm warst du heraufgekommen, um mich ängstlich zu fragen, ob ich dir noch freund- lich gesinnt sei. Ich sagte: ,,Ich komme von einem Todesritte, ich hörte ein keuchendes, sterbendes Pferd! Komtesse Esterhazy trug eine aschblonde Krone, aber es waren ihre eigenen Haare. Die Lieb- lichste!"

Da sagte sie: ,,Und für mich haben Sie nichts mehr übrig?! Ich kam in Nacht und Sturm!"

Da reiste er denn wieder zurück ins Land der milden Freundschaft .

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SCHÖNHEITS- KONKURRENZ AUF DEM SEMMERING, SOMMER 1912

Preisrichter: Herr Peter Altenberg.

Hors concours: Klara Panhaus, Stella S., kleine Leopold (6 Jahre), 3 kleine Simon, die ,, Unbekannte", Frau Machlup, Wilma Kempf, Ada Königsgarten, die Tennisspielerin.

I. Preis:

Der Preisrichter prämiierte keine, die prämiier- bar war!

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AUF WACHE

Er wußte, daß ihr brauner Leib

er liebte jedes Härchen ihrer dunklen Achsel- höhlen, die er ein einziges Mal bei ausgestrecktem

Arm und weiten Seidenärmeln erblickt hatte

er wußte, daß ihr brauner Leib in Zärtlichkeiten triefte bei dem anderen. Dies nahm er als unabwendbares Geschick, wie Verarmung, Krankheit, Sterben. Ja, es erzeugte sogar der süßen Selbstlosigkeit bittere Wollust!

Er war gewappnet, stand, ein düsterer Ritter, an den schweren Toren ihrer leichten Seele!

Doch, als sie dem Dritten aus seinem Wermut- glase den Zwiebackbrocken mit dem Finger fischte, und jener den geheiligten Wein ihr zutrank, da wurde er entwaffnet, zog sich zurück von seinem gefahrvollen Posten am schweren Tore ihrer leichten Seele,

ging langsam die weiße Landstraße hinab, und seine Schritte zogen müd dahin .

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22. AUGUST

In deinen geliebten Augen lag ein milder Schim- mer von Edeltraurigkeit.

Du lauschtest ernst den Melodien meines alten Herzens, das zu dir sang.

Und immer blieb der milde Schimmer.

Wie wenn du in Fernen blicktest kommender Tage,

du Zwölfjährige,

lauschtest du bei mir Alten dem Frühlings jauch- zen zukünftiger Kavaliere!

Wenn Dichter sich dir nah'n in deinem zwölften Jahre,

wirst du dem Kavalier in holder Demut zum Lebensbunde deine Finger reichen,

die jener schon gerührt besungen hat!

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WIE IST ES?!

Wie ist es?! Soll man ein besonderes schönes Mädel,

in strenger, grauer Härte halten!?

„Immer zu früh noch wird man sie verwöhnen", fühlen die Eltern.

Siehe, eines Tages strömt plötzlich das Licht in der Bewunderung,

das ihre ungewohnten Augen blendet, schädigt!

Wäre sie gewohnt, seit ihrem zehnten Lebensjahr, an dieses Licht des Lebens,

ertrüge sie nun das gesteigerte blendende,

in edler Fassung und dankbar gerührt!

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VOM RENDEZVOUS

Sie ging den steilen Wiesenpfad hinab, zum Rendezvous,

Ich sah braune Stauden ihre Röcke streifen. Ich sah ihr nach.

Bald kam Himbeergebüsch, das sie begrub.

Um V4I sollte ich sie erwarten.

Sie kam zurück, von Küssen ganz bedeckt.

Wie wenn die rechte Hand geheiligt wäre,

reichte sie mir die linke,

die ich an die Lippen hielt,

solang bis Wehmut kam und übertropfte .

12 D

EXAMEN

Ich unterwarf sie einer strengen Prüfung:

Die Hände?! Die Augen?! Die Stime?! Die Schultern?! Die Füße?! Die Zehen?! Die Stimme ? ! Die Bewegung ? ! Der Teint?! Die Seele?! Die Intelligenz?! Die Brüste?!

Vollkommen

Nicht vorhanden.

Endresultat : Vollkommen !

127

LES LÄRMES

Also, nach vielen Jahren, habe ich wieder geweint.

Freilich war es bei dem Liede von Johannes Brahms: „Sapphische Ode".

Aber ich hätte nicht geweint, wenn ich sie nicht kennen gelernt hätte .

Ich wäre entzückt gewesen, gerührt, ergriffen.

Aber geweint hätte ich nicht .

Also weinte ich dennoch ihretwegen!

128

TESTAMENT

Er hatte in sein Testament (der Ertrag seiner neun Bücher nach seinem Tode) die 12 jährige Schön- heit mit der jauchzenden, khngenden, bezaubernden Stimme eingesetzt. Aber da sie Milhonärstöchterlein war, hatte er bestimmt, daß von dem Gelde soge- nannte ,, Geschenke eines Verstorbenen" zu kaufen seien, außergewöhnliche Dinge, z. B. eine be- sondere Bergkristalldruse, oder ein besonderes holz- geschnitztes Christuskreuz. Da erfuhr er, daß man eine Kollekte gemacht hatte im intimen Kreise für einen V^^interrock seines Bruders, eines modernen Diogenes. Da stieß er das Testament um, bestimmte nur, daß der Bruder an jedem 9. April, dem Geburts- tage seiner kleinen Heiligen, derselben eine exzep- tionelle Sache als ,, Geschenk eines Verstorbenen" zu senden habe! Der Bruder dachte Tag und Nacht über solch ein Geschenk nach. Da schrieb die Heilige : ,,Ich will Ihnen Ihre Mission erleichtern. Schenken Sie mir nur das Manuskript des ,,Ein schweres Herz". Er nahm es aus dem Schreine von gelbem Eibenholz, küßte es innig, und schickte es fort. Erfühlte: ,, Ich bin der Vermittler eines letzten Willens. Sie hat mir meine Aufgabe erleichtert, indem sie sie erschwert hat! NurOpfer belohnensich! Ich hatte schon eine herrliche Bergkristalldruse aus den Tauern erstanden, mit Kristallen wie geschliffenes, gefrorenes Bergwasser. Aber das ist nun also für den nächsten 9. April!" Sie schrieb: ,,Nunhabe ich das Herz Ihres Bruders!" ,,Nein", fühlte er, ,,irh habe es, indem ich es weggegeben habe!"

0 129

ACONITUM NAPELLUS

In meiner letzten Verzweiflung körperlicher Qua- len nahm ich Aconitum Napellus, Ich hatte ihn vor acht Wochen blühen gesehen, auf dem Wege von Schluderbach nach Misurinasee, von dort nach „Tre croce", von Kortina auf den Falzaregopaß. Überall hatte ich diese giftige Bergblüte gesehen, oft in Men- gen wie kleine Felder. Und eigentümlich haftete mein Auge auf diesen Blüten, als ahnte ich, daß ich sie bald in meinem Zimmerchen als winzige durchschei- nende Kügelchen, als letzte Hoffnung sterbender Nerven schlucken würde! Damals erlebte ich sie als Zeichen der Bergflora, neben Rhododendron und Legföhre. Wie romantisch kam mir die Blüte vor in ihrer mysteriösen Giftigkeit. Nun aber schlucke ich zwei PiUen, viertelstündlich. Wird es nützen?! Ich gedenke der herrlichen Tage, da ich die Blüte be- wundern durfte, in Höhen, wo es karg ist und der Nachtsturm braust .

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MANÖVERS

Die Herren „Verehrer", die wie Toreros aussehen oder wie kühne Cowboys oder wie französische Ritter ausdem i8. Jahrhundert, sei es von dem Bug ihrer Nase Gnaden oder von Schneiders ; die treten selbstsicher- nonchalant auf, sitzen oft mit dem Rücken gegen die Dame und sagen sogar, daß dieser oder jener Spazier- gang ihnen nicht konveniere und sie es daher vor- zögen, sich nicht anzuschließen und lieber in Ruhe ein gutes Buch zu lesen ! Wenn man eine schöne Nase hat, kann man das allerdings wagen. Aber die Mißge- wachsenen müssen eine andere Taktik einschlagen. Pa- kete tragen. Schirme aufheben und zu allem ,,Amen" sagen, ist ihre kleine, süße Aufgabe. Auch damit kann man nette Erfolge einheimsen, und Opfer sind für ,, Op- ferfähige" nicht allzu groß. Im ganzen genommen sind die armen Damen von einer wohlberechneten ,, Rou- tine" umgarnt, wie die italienischen Singvögel von den feinmaschigen Netzen. Selten schlüpft eines der herzi- gen Vögelchen durch, durch die engen Maschen, die ihrer Eitelkeit gelegt sind. In dieser Gesellschaft von Eroberern sticht besonders hervor der immerhin selte- nere ,, Salonplattenbruder", der ,, seelische" Mes- serstecher. Erstichtgleich in die Ehre, in den Ruf , in das Glück hinein, macht sich nichts aus drei Monaten Kerker, wollte sagen, aus Frauenverachtung. Diese ,, Verachtung " sind seine , .Geschäftsspesen ' ' . Dafür hat er sie ,, gehabt"! Einer drang um i Uhr nachts in das Zimmer ein : , ,Ich sage in j edem Falle morgen , Fräulein , daß Sie mich bestellt haben! Also ist es schon ganz egal für Sie!"

Das leuchtete ihr ein .

9' 131

GIFT

Es gibt ein Gift, das ewig wirkt,

ja sich vertausendfacht in seiner ^^^irkung

durch unablässiges Erinnern.

Das sind die deplaziert liebenswürdigen Worte der Geliebten zu fremden Männern.

Es ist ja richtig, sie hat sich nichts Besonderes da- bei gedacht.

Doch weshalb hat sie nicht an das Besondere ge- dacht, uns tief zu quälen?!

Ihre gekränkte Miene bei unserm Vorwurf

kann uns nicht eines Besseren belehren,

so daß wir tief zerknirscht von hinnen schleichen.

Ein jeder Apotheker ist verpflichtet, das Gift zu kennen, das er uns reicht!

Und so die Frau.

Will sie uns vergiften?!

Vielleicht, für Augenblicke, um uns dann, in ihrer Gnade, Gegenmittel zu verabreichen!

Erinnern ist ein Gift, das ewig wirkt,

und sich vertausendfacht in seiner Wirkung,

durch unablässige Erinnerung!

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LUFTVERÄNDERUNG

Es ist merkwürdig, wie sich Familienangehörige in Kurorten begrüßen, die vielleicht kaum acht Tage lang getrennt waren voneinander. Als ob sie von einer monatelangen Weltreise gekommen wären! Ein ganz neuer Ton von zärtlicher Freude, von intensivstem Interesse wird angeschlagen. ,, Findest du unser Püppchen besser aussehend, Papa?" ,,Na, ich bin noch nicht so ganz zufrieden, sie ist halt ein .Zarterl', was, Minnerl?" „Kinder, laßt euch in euren Gewohnheiten (von acht Tagen) ja nicht stören, ich werde mich allem akkommodieren (alter Jesuit!)."

,,Baby will hier das zweite Ei zum Frühstück nicht essen, ich habe ihr gedroht, ich würde es Papa melden (haste wichtige Meldung!), wenn er kommt!" ,,Nun, das macht wahrscheinlich die Luftverände- rung!" In besserer Luft kann man also kein zweites Ei essen? Auch die Bonne wird netter, rücksichts- voller behandelt als zu Hause. ,,Was, Marie, hier ist

es schön?" ,,Bitt', gnä' Herr, ja ." Eine

ewige Sorge um Paletots, Jacken, Schals, als ob alle plötzlich tuberkulös geworden wären. ,,Annie häkelt hier (weshalb plötzlich hier?) schon so nett, sogar ohne Aufforderung (sie scheint also hier zu ver- blöden!)." — ,, Schlaft ihr hier nach dem Speisen?'* Auf einmal weiß er nicht, ob seine Familienmitglieder schlafen oder nicht. Die Luftveränderung scheint ihm nicht gut zu tun, dem Erhalter und Ernährer.

Man verkehrt miteinander wie Fremde bei einer Jour-Jause. , .Angenehme Nachrichten?" fragt man

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bei der Morgenpost. Der Kassier ist ihm durchge- gangen. „Alles in schönster Ordnung zu Hause, mein Täubchen!" Der Arzt hat nämHch gesagt: „Zwanzig Bäder kosten zweihundert Kronen. Aber vor allem keinerlei Aufregung, darauf muß ich strengstens be- stehen!" Nämlich auf den zweihundert Kronen.

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EIN NACHTRAG

Ich habe letztes Mal, wahrscheinlich vor einigen Jahren, etwas geschrieben zur ,, Psychologie der bür- gerlichen Liebe". Es war ein ,, Torso". Wenn ich nur wüßte, was ein Torso ist. Aber viele einsichts- volle Menschen sagten es mir direkt ins Gesicht hinein, daß es ein ,, Torso", wenn auch ein sehr wert- voller, gewesen sei. Nun, infolgedessen muß ich die Nachtragsbemerkung machen, daß ,, jemanden wirk- lich zärtlich lieb haben", unmöglich eine fort- dauernde Sache sein könne, sondern eine durch Haß-, Verachtungs- und vor allem Gleichgültig- keits-Stadien (Stadien ist gut!) unterbrochene, sagen wir, sogar angenehm unterbrochene Angelegenheit der Seele und der übrigen verfügbaren Sinne sein müsse ! Man kann niemanden auf die Dauer gleich- mäßiggernhaben! Das sollte in goldenen Lettern auf der Fassade eines Venustempels prangen, in deutlicher Adolf -Loos-Schrift, so wie von Vorzugs- schülerinnen in Schreibheften! Die bürgerliche Ge- sellschaft will etwas äußerlich, ä tout prix (das ist französisch!) erzwingen, was es in der Welt aber tat- sächlich nicht gibt! Nämlich eine anständige Stetigkeit und Verläßlichkeit der Gefühls- welt, ja sogar der Sinnen weit, was eine noch ent- setzlichere Stupidität ist! Die ,, Mehrheit" will uns eben blöde machen! Strindberg ist tot, Ibsen, Bjömson, Tolstoi. Ja, da müssen wir Flöhe uns halt aufraffen, und stechen und Blut saugen, wo und wie wir nur es können! Wir können auch verwun- den, ohne Genies zu sein ! Wir haben den gesunden

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Menschenverstand! Das ist auch eine Waffe, wenn auch eine zartere, Uebenswürdigere als die Maximkanonen der Genies, die meistens doch nur Idioten waren! Und ich sage euch daher, ihr Glücklichen, ihr wart niemals auch nur eine Stunde lang wirklich glücklich! Geschäfte habt ihr. gemacht und Bilanzen berechnet! Ihr ,, Ak- tiven" seid ewig ,, passiv" gewesen!

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BUCHBESPRECHUNG

Ich habe mir das Buch schenken lassen vom Ver- ^^g J- J- Weber, Leipzig: „Rosen und Sommer- blumen". Ich lese es, ich betrachte die i6o Photo- graphien, wie ein Werk von Maeterlinck! Jede Rose erblüht mir, als wandelte ich in einem Märchengarten. Alles wird Wirklichkeit. Ich sehe die Kletterrosen über alle Mauern, Wände, Gitter sich hinaufschwingen, blühend rosigweiße Pracht verbreitend über kahle, harte, notwendige Dinge ! Ich sehe das Kletterröschen : ,, Maidens blush, Mädchens Erröten", ich sehe die Immergrünrose: ,,Felicite et perpetuite". Ich sehe ,,soleil d'or", goldgelb mit rosigen Rändern. Ich sehe , .Memorialrose ' ' ,f ürGrabdenkmäler , , ,Minnehaha" , die mich an Wedekinds herrliches Buch erinnert, das von der Nackterziehung erlesener Geschöpfe handelt, ich sehe die Rose ,, Katharina Zeimet", mit Wildrosen- charakter, wie manche scheinbar zarte Frauen, die Rose ,, Konrad Ferdinand Meyer", die ,,Beauty of the Prairies", die weiße Rose ,,Frau Karl Druschki", die Bourbonrose , ,Sou venir de la Malmaison " (in der Todes- stunde getauft der Kaiserin Josefine). Ich sehe Rank- rosen in düsterem Hohlweg glühen ; Crimson Rambler- rose in riesigen rostrot lasierten ausgebauchten Töpfen, Japan vorzaubemd und seine Gärten; vergeblich suche ich eine Rose ,,KronprinzessinCecilie"! Rosen- züchter, dichtet mir in der ganzen weiten Welt eine Rose, die dieser Herrlichsten wert wäre! ,, Kron- prinzessin Cecilie", du müßtest einen Platz erhalten im Garten, daß man schon von weitem deine deutsche und dennoch internationale Pracht verspürte!

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AN -

Ich liebe dich .

S' ist keine Frage mehr.

Solange ich dich sah und sah und sah, und sah,

wüßt' ich es nicht, könnt' ich es nicht wissen!

Nun, da ich dich den ganzen Vormittag nicht sah, zum ersten Male,

und ich auch nicht weiß, ob ich des Abends dich wiedersehen werde,

nun ist die Bangigkeit in mir!

Mit wem bist du?! Wer nützt die Pause aus?!

Kommst du vielleicht jetzt eben zur Besinnung, daß es noch heißere Leidenschaften gibt

als die meiner Bewunderungsblicke?!

Oh, wärst du hier, ich sänke dir zu Füßen,

du würdest spüren, was ich bisher nicht wußte,

und was doch war, vom ersten Tage an !

Und was du vielleicht wußtest, eh' es war!

Was liegt dir dran, vielleicht freut es dich doch!

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NEKROLOG (FRITZ STRAUSS)

Siehe, es sind schon Leute gestorben, denen ich hätte nachtrauern sollen, und ich tat es nicht. Andere wieder sind noch am Leben und ich wünsche ihnen

nur nicht gleich fluchen ! Aber um einen mir

verhältnismäßig ganz Fremden trauere ich jetzt. Er- stens sehe ich gar nicht ein, weshalb gerade ein 24 jähri- ger Millionärssohn weggerafft werden soll, der genug Kultur hatte, Geld in wirkliche Werte, ohne Pflanz, umzuwandeln. Zweitens besaß er Humor, obzwar er wußte, daß es mit ihm schief gehen könne bei einer zweiten Operation. Er war ein ,, Gentleman-Musi- cal-Clown", so benannte ich ihn sogleich. Jeden Abend nach dem Souper erfreuten er und Herr H., der es auch ,, nicht nötig" hatte, das elegante Publikum des Sanatoriums ,,Wolfsbergkoger' mit ihren unübertreff- lichen Knock-about-Einf allen, bei Klavier und Violine. Sie ersetzten eine ganze Varietevorstellung. Die reichen Damen vergaßen ihrer Leiden, was ihnen umso leichter fiel, als sie gar keine hatten; die kranken Herren ver- gaßen, den kranken Damen den Hof zu machen. Das Lachen war da, das Lachen, in diesen heiligen, ernsten Gesundheitsräumen, und die Langeweile der Liege- kuren, dieser neuen Art, sich noch mehr auf sein armes Ich zu konzentrieren, war vergessen, gelöscht! Ich bat den jungen Mann, doch ja als ,, Gentleman- Champion" in großen Varietes, ohne Gage, aufzu- treten, und er sagte es mir lächelnd zu. Nun ist er tot. Um den trauere ich. 24 Jahre alt, unabhängig, mit Humor gesegnet, begnadet, gutmütig, bescheiden. Der hätte bleiben dürfen! Nur der!

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ERSTER SCHNEE

12. September 1912. Es regnete und es schneite zugleich. Der Sonn wendstein war bedeckt mit Schnee. Das war ein Lokalereignis. Jedermann be- sprach es eifrig. Die herrliche 14jährige, wie eine Venetianerin aus dem 18. Jahrhundert, stellte sich an die Fensterscheibe und sah hinaus. Alles andere ward sogleich dagegen lächerlich und gleichgültig. Für sie war Schnee gefallen auf dem Sonnwendstein denn sie interessierte sich dafür. Ich hätte ihr zwei Meter hohen Schnee gewünscht, ganze weiße Hügel und Abgründe, damit sie sich besser amüsiere bei dem Anblick! Sie sah hinaus, und ich beneidete die Fen- sterscheibe um den Hauch ihres unbeschreiblich schön modellierten Mundes. Überall zogen Nebel- fetzen dahin, dorthin, zerfetzten, verwischten die Landschaft, ertränkten sie in Grau. Das junge Mäd- chen begann sich zu langweilen. Es wird ein öder Tag werden in diesem Berg-Hotel. Mir erschien er licht und wertvoll! Sie setzte sich hin, um mit einem Kinde ein Spiel mit gelben, grünen, lila Würfelchen zu spielen. Sie ließ das Kind absichtlich gewinnen. Das Kind sagte: ,,Mit dir spiele ich nicht mehr, du spielst zu schlecht, immer verlierst du, du Unge- schickte!"

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DER MALER

Die kleine 6jährige Tatarenkönigin Sonja D. sagte zu dem Dichter, der sie anbetete: „Mein Bruder Bogdan und ich, wir schlafen immer mit einem geöff- neten Jagdmesser, einem Kindergewehre für Schrot und einer Pistole mit echten Kapseln, unter dem Kopipolster! Aber die Banditen wollen nicht kom- men, sich abschlachten zu lassen! Die Feiglinge!" Der Dichter nahm das vergötterte Königinchen in seine zärtlichen Arme .

Der Maler kam. Da sagten die Damen:

,,Was finden Sie denn so Besonderes an dieser 6jährigen Sonja Dungyersky, die Sie jetzt malen für 500 Kronen? Sie ist doch viel unliebenswürdiger, eigenwilliger, unsanfter als die meisten anderen rei- zenden Kindchen hier?"

Der Maler: ,,Ich male sie von heute an umsonst, verstehen Sie mich, umsonst! Für mich und für die Welt! Also ausnahmsweise diesmal nicht um- sonst! Ich werde sie malen auf einem niedrigen, schmiedeeisernen, schweren Trone, mit ihren braunen Gazellenbeinen und ihren braungoldenen Locken! Umgeben von gebleichten Tatarenschädeln! Einer muß an einer goldenen Kette herabbaumeln und in einer Ecke muß ein Jüngling den grünen Giftbecher trinken und sie anblicken. Das Ganze heißt: , Kleine winzige Tatarenkönigin, Wildkatze, Besiegerin!' Wie aus einer entschwundenen Zeit von Kraft, Trotz, Schönheit, Unbesiegbarkeit stammt sie, und dennoch könnte man über ihre Anmut, über ihre Stimme, ja über ihre zarten Handbewegungen allein

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schon tagelang weinen und sich momentan hin- opfern!"

So sprach der Maler; und die Mütter der wohl- erzogenen, folgsamen Kinder erbleichten und schli- chen fast krank von dannen!

Am nächsten Tage schrieben sie: „Wollen Sie unser Kindchen für 2000 Kronen malen?"

Und er schrieb zurück: „Nein!"

Aber am dritten Tage schrieb er zurück: ,Ja!"

Und er malte die Kindchen und alle Tanten und Kusinen, und die Großeltern waren entzückt!: ,,Ja, ja, so ist unser Schätzchen, unser liebes, goldiges Geschöpfchen! Die Sanftmut schaut ihr aus den Augen heraus !"

Ja, es waren sanfte Kälber von dummen Kühen, richtig porträtiert ! Und ein jedes Kälbchen kostete 2000 Kronen, billigst berechnet!

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BETRACHTUNGEN

Der Schlitten war leicht wie eine Nußschale, aus braunem Stroh; die Landschaft prangte weiß in weiß, die roten Ebereschen und die bunten Gimpel, die schwarzen Krähen bemalten sie diskret und vornehm, fast nach japanischem Geschmacke. Ich sprach mit der edlen Dame über zarte Dinge des Lebens. Die edlen rehbraunen gedrungenen Pferde gaben die be- kannten Verdauungsgeräusche von sich, schienen also nicht nach ,,Prodromos" sich zu ernähren, son- dern viel Unnötiges, BeschwerHches zu sich ge- nommen zu haben, wie Hafer samt den Spelzen, fi donc!

Wir überhörten gleichsam diese Geräusche, und dennoch kam es wie ,, allgemeine Unzulänglich- keit" der Lebewesen über uns, eventuell sogar fana- tisch geliebter Damen. Ich liebte einst ein wunder- bar schönes I3jähriges Schlossergesellentöchterchen, die mir einst sagte: ,,Behalten's Ihre Briefe, es steht ja eh immer nur dasselbe drin, ich weiß schon, Sie haben wieder wegen mir die ganze Nacht geweint! Hab' i Ihnen was angetan ? ! Na also, nur g'scheit sein! Kaufens mir lieber V2 Kilo Ringlotten, wann's mich schon so gern haben!" Bei einer solchen Ge- legenheit ließ sie dann in der herzlichsten Weise kleine kurze fast piepsende Geräusche hören, infolge des Ringlottengenusses. Ich sagte: ,,No, no, was sind denn das für Liebeserklärungen?!" Sie erwiderte: ,,Ah da schau' her, wär's Ihnen lieber, i sollt's in mein Baucherl behalten, daß's mich druckt?! A schöne Lieb' is das!"

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UR-SEELE

„Herr Peter", sagte die herrliche 5 jährige- zu mir, ,, weshalb beschenken Sie Stella immer?! Stella ge- hört mir, ich bin eifersüchtig."

,,Auf wen?!"

,,Auf überhaupt ."

,,Du solltest dich doch darüber freuen, wenn Stella beschenkt wird?!" sagte ich.

,,Ja, ich sollte. Aber ich freue mich eben nicht, sondern ich bin nur eifersüchtig!"

,, Würdest du Stella dieselben Geschenke nicht geben, wenn du Geld hättest?!"

„Nein, Stella soll mich von selbst heb haben. Ich habe sie auch von selbst lieb, sie braucht mir gar nichts zu schenken!"

,,Aber Kind", sagte die Großmutter, ,,du bist sehr herzlos und ungezogen!"

,,Aber was braucht der Herr Peter meine Stella zu beschenken ? ! Meine Stella gehört mir, sie braucht nichts geschenkt, ich habe sie lieb!"

,,Du solltest dich freuen, wenn ."

,,Ich sollte mich freuen, ich sollte mich freuen, aber ich kränke mich!"

Sie weint. Worüber?! Niemand weint um- sonst .

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FRAGE

Was ist ein Dichter?!

Einer, der schon weinen kann,

wenn noch die andern trockenen Herzens sind

Einer, der die sechsjährige Prinzessin Sonja Dun- gyersky

so zärthch lieb hat wie die eigene Großmama sie heb hat!

Einer, der abends im Gebirge den eingefangenen Oleanderschwärmer

auf das einzige Oleanderbäumchen setzt im Garten,

das ihn aus femer Ebene hierhergelockt hat!

Einer, der die braune Nacktschnecke behutsam

vom Waldweg ins Gebüsch trägt .

Einer, der Rosen schenkt und sie bezahlt mit seinem Nachtmahlgelde .

Einer, der die geliebte Hand berührt vmd dabei Hochzeitnächte spürt von Seligkeiten!

Einer, der leidet, leidet

und alle sagen: ,,Was fehlt ihm denn zu seinem Glücke?!"

Einer, der die Schale kauft, aus der sie Kakao getrunken hat.

Einer, der ein ,, innerer Bomben werfer" ist,

und dabei doch so sanft, so mild verständnisvoll für alles!

Einer, den alle verlachen,

und um den sie trauern, wenn er nicht mehr ist!

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LETZTE UNTERREDUNG

„Peter, was ist Ihnen?! Sie schauen so verzwei- felt aus, und vor allem so bleich ."

Er schweigt.

„Peter, ist es wegen des jungen Architekten?!"

Er schweigt.

„Peter, Sie lieben mich seit meinem 12. Lebens- jahre. Von Eltern, von Gouvernanten, vernahm ich nur: ,,Du mußt, du sollst!"

In Ihren Augen lag von jeher eine unermeßliche Zärtlichkeit. Das darf ich Ihnen nicht vergessen, Peter. Es war der Lichtblick meiner düsteren Kind- heit. Und oft wenn ich dachte: Wozu bist du?! da dachte ich sogleich: Er hat mich lieb! Von Ihrem Blicke lebte ich, das sag' ich Ihnen nun."

Er senkt das Haupt .

,, Peter, ich kann erst ganz glücklich sein, bis Sie mich wieder anschaun, lichten, liebevollen Antlitzes, wie eh und je ."

Da schaute er sie an, an, an, lichten, liebevollsten Antlitzes, wie eh und je, so wie sie es brauchte und verlangte .

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LANDPARTIE

Wir fuhren im Automobile von Mürzzuschlag nach Mürzsteg. Täler öffneten sich, weiteten sich, schlössen sich wieder unmerklich. Und immer kamen neue Über- raschungen. Z. B. Wiesen mit lauter goldgelben Blu- men, dann solche mit safrangelben, mit roten, mit lila Blumen, mit weißen, dann ganz grüne Wiesen, eine war schöner als die andere . Und die Täler öffneten sich , wei- teten sich, ließen Bäche durchrinnen oder blieben trok- ken und schlössen sich, verschwanden. Wir fuhren hin und staunten. Irgendeiner sagte : ,,Nehmen's mich mit bis Edlach!" Und er fuhr mit und sagte, der Weg sei länger als man glaube, aber in Edlach wäre ein feines Restaurant für reiche Leute. ,,Können's mehr fressen als sie fressen können ? ! Na also. Bitt' um Vergebung.

Ich weiß auch was sich schickt ." Hermine

lachte nicht. Sie sah die Wiesen, gelbe, weiße, rote, blaue, lila und ganz grüne. Sie sagte: ,,Gebt ihm doch ein Trinkgeld!" ,,Wofür?!" ,, Nun, über irgendetwas

scheint er doch verletzt zu sein ." Da gab

man dem blinden Passagiere zwei Kronen. Hermine fühlte: „Dieser Mann kann die Wiesen nicht be wun- dem, weil er kein Geld hat. Und wenn er Geld hat, trinkt er Schnaps und schimpft auf uns. Er kann nicht klar schauen, er hat einen düsteren Blick. Man kann ihm nicht helfen, sondern nur sich den An- schein geben als könnte man momentan .

Ich habe Sympathie für diese Leute, ich gehöre also eigentlich zu ihnen, öbzwar meine Kleider looo Kro- nen kosten . Wohin gehöre ich denn also?!

Zu den Enterbten, denen es glänzend geht !"

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L'AMOUR

„Mir geht es sehr, sehr schlecht."

„Gestern mittags war eine wunderbare russische

Pastete."

„Das Adagio der C-moll-Sonate ist herrUch."

„Meine grüne Seidenbluse ist zerrissen."

„Ich habe heute ein Gedicht gemacht : ,Früh-Spät-

herbst'!"

„Was wirst du mir zum Geburtstag schenken?" „Der Arzt sagt, ich brauche große Schonung." ,,Ich weiß nicht, ob man heuer Sealskin noch

wird tragen können?"

,,Der Graf hat uns eingeladen!" ,,Der Graf?

O, da werden wir also gemeinsam hingehen!"

1:48

KLEINE MITTEL

Das Leben, um Gottes willen, ist sowieso schwer genug, mit tausend unberechenbaren Komplika- tionen, z. B. ein Bleistift bricht dir ab mitten im Niederschreiben eines , .göttlichen Gedankens", Weißt du, ob er noch da ist, bis du ihn gespitzt hast?! Ich meine, ob der Bleistift noch da ist, bis du den göttlichen Gedanken gespitzt hast!? Deshalb sollte ein jeder das wunderbare einzige französische papier gomme, ich darf die Marke nicht nennen, weil es sonst so aussieht wie eine Reklame, auf seinem Schreibtische liegen haben, ein nettes kleines Röll- chen zum Abwickeln. Denn wenn man schon keine beschädigten Hundertkronenscheine zum völligen un- kenntlichen durchscheinenden Reparieren hat, so klebt man doch gerne Skizzen, a drei Kronen Wert, in ein Büchlein ein, um es später in ,, Buchform" zu verwerten! Die , »Verwertung" soll mir nicht schaden. Aber immerhin dieses Röllchen, dieses Röllchen soll jeder auf seinem Schreibtische liegen haben. Es kann auch im Notfalle als „Englisch Pflaster" bei Ver- wundungen dienlich sein, denn die eventuelle Blut- vergiftung, die daraus resultiert, kann doch heutzu- tage soviel versteckte und geheimnisvolle Ursachen haben, z. B. der Urgroßvater hat liederlich gelebt, daß man dem unschuldigen Klebepapierchen keine Schuld beimessen wird. Auch sollst du stets Englisch Violet Carhou, ich darf die Firma leider nicht nennen, obzwar man einen ganzen Frühlingsveilchenwald da- durch in den Mund bekommt, immer auf deinem Schreibtisch liegen haben. Nicht wegen der geistigen

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Arbeit, sondern falls zugleich dabei ein Mädchen einen herzhaften Kuß von dir verlangt. Bei weniger herzhaften wird sie Bier, Zigaretten, Schnaps nicht so spüren. Es gibt so viele kleine Mittel, die einem dieses schwierige Problem ,, Leben" erleichtem, ja lösen helfen!

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NERVENÄRZTE

Kein Nervenarzt sagt: ,,Ich verstehe leider nichts davon!" Denn davon, daß er das nicht sagt, lebt er und seine ganze Familie!

Symptome einer tieferen unerforschlichen Er- krankung will man wegbringen, und so den armen Idioten von Kranken irreführen, vor allem aber ihm ein unberechtigtes Honorar entreißen! Ek- zeme z. B. sind Mitteilungen des genialen Organis- mus, daß im Innersten nicht alles so recht mehr stimme! Also eine , .liebevolle Warnung" der Natur, die immer , .christlich vergebend, warnend vorsichtig" ist. Aber der Arzt ,, unterdrückt" das ,,Ekzem", wie wenn man im alten Rom die armen warnenden Gänse abgeschlachtet hätte, die vor der Mauererstürmung des Feindes, nächtlich mit ihrem Gekacker gewarnt haben! Die Gänse, die Gänse, das sind die warnen- den Symptome, und der Arzt ist der Ochs! Er beachtet nicht die Symptome der Krankheit, er dreht ihnen den Hals um, damit sie nichts ver- raten darüber, daß er von inneren beginnenden Desorganisationen absolut nichts versteht! Der Körper will sich um Gottes willen ,,Luft machen", erzeugt Fieber, Ekzeme, Geschwüre, um die Gifte in sich los zu werden! Nein, der Arzt aber unter- drückt das alles, um den herbeigeführten Tod durch ,,Fügung höherer Mächte", in frecher Weise zu entschuldigen! Symptome einer Krankheit be- seitigen wollen, ist eine feige dumme Gemein- heit. Eine ,, Honorarerpressung"! Eine Krank- heit muß ich an , .ihrer Wurzel" fassen können, oder

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ich erkläre mich anständigerweise für inkom- petent! Einem jungen, schönen, blühenden Millio- närssohn verschrieb man für eine ,, unglückliche Liebe" zu einem armen Mädchen, eine ,,Welt reise" als Heilmittel. Er kam zurück und erschoß sich! So funktionieren unsere Ärzte. Aber sie haben es „gut gemeint" nämlich mit dem Hono- rare!

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PLAUDEREI

Rs kommt der Augenblick träge herangeschlichen, da man nichts mehr wird schreiben können. Man hatte doch etwas zu sagen, was dem anderen nützte. Und wäre es nur: „Schlafet bei weit geöffneten Fenstern!" Man hatte unbedingt eine Mission, eine winzige, eine nichtige Mission, aber eine Mission! Das hält einen in Zusammenhang mit allen Menschen, die man nicht kennt. Den Bekannten gegenüber hat man ja keine Mission. Für die ist man ein Narr oder ein Schwindler. Manche sagen sogar: ,,Nein, diese Ehre tun wir ihm ja doch nicht an !" Wofür also halten sie uns ? ! Ich könnte meine Sachen widerrufen, aber Tausende würden sie als Wahrheiten in sich aufnehmen. Ich könnte es verkün- den : ,,Nein, die Frauenseele ist doch nicht so, wie ich sie sehe!" Aber Tausende würden jammern: ,,0, bitte, wir sind doch so!" Mein Talent war klein, aber mein Fühlen war groß. Die meisten haben kein Talent und kein Gefühl, nämlich für allgemeine Dinge, obzwarsie im besonderen, in ihrem trauten Nestchen, beträcht- liche Gefühle aufbringen, die irgend jemandem mit Vor- und Zunamen recht sehr zugute kommen. Jemand schwärmte mir immer und immer von seinem Ciarten vor, schilderte ihn mit wirklicher Liebe und Begeiste- rung. „Ja," sagte ich, ,,aberauf der Strecke so und so der Bahn so und so habe ich einen noch viel schöneren Garten geseh'n." ,,Und was haben S' davon?!" , .Nichts", erwiderte ich. Es gibt Menschen, die schöne Gärten lieben, und es gibt solche, die ihre schönen Gärten lieben! Das ist der ganze Unterschied. Na, und was haben s' davon?! Nichts!

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RICHTIG

Ich verkehrte mit einer sehr intelligenten, gebilde- ten Dame, die viel mit Aristokraten beisammen war. Da sagte mir eine andere Dame, mit der die Aristo- kraten nicht verkehrten: ,, Peter, wenn Sie nicht der Peter wären, würde die Dame auch Sie nicht so oft in ihrer wunderbaren Equipage abholen!" Ich erzählte das meiner Freundin. Sie erwiderte : ,, Sicher- lich ; weshalb sollte ich nicht lieber mit einem feinfüh- ligen Dichter als mit einem Kommis beisammen sein wollen ? Der Kommis kann gewiß ebenso intelligent und wertvoll sein, aber ich lerne ihn nur kennen als den, der mir Seide anpreist. Den Dichter kenne ich im voraus aus seinen Werken. Beide könnten mich im Nahverkehre gleichmäßig enttäuschen. Aber von dem einen habe ich dann wenigstens seine Werte noch in meinem Bücherschranke und kann bei der Lektüre vergessen, daß er ein gemeiner Kerl ist!"

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REMINISZENZEN

Eine angenehme Abwechslung während des Ler- nens war das Anzünden der Öllampe am Wintemach- mittage. Draußen sah man undeutlich graue Häuser wie fremde Welten. Da kam das Stubenmädchen und zündete die Öllampe an. Vorsichtig nahm sie die Milchglaskugel ab, den glänzenden Zylinder aus Glas. Sie drehte den bereits vormittags richtig abgeschnit- tenen Docht hoch mit der Messingschraube, legte zwei fadendünne harz-imprägnierte Hölzchen (eine ganz neue Erfindung der Technik) im Kreuz über den gelben Docht und zündete diese an den Enden an. Oft brannte der Docht, oft brannte er nicht. Endlich brannte er. Da stülpte das Stubenmädchen vorsich- tig den Glaszylinder auf und dann die Milchglas- kugel. Nun wurde noch ein wenig an der Messing- schraube, auf welcher der Name ,,Ditmar, und zwei Merkurflügel" waren, hin und her gedreht, damit die Lampe nicht rauche. Endlich brannte sie mit einem dottergelben matten Schein. Da saß man denn, und schrieb die Einleitung zu dem Aufsatze: ,, Charakter des Wallenstein": ,,Wenn wir die großen Helden ver- gangener Zeiten an unserem geistigen Auge vorüber- ziehen lassen "

,,Sie, Marie, der Docht raucht auf der linken Seite "

,,Aber junger Herr, das ist eine Sekkatur. Ich habe ihn heute vormittags ganz gerade abgeschnit- ten."

Charakter des Wallenstein: ,,Auf der Höhe seiner Macht angelangt, überfiel ihn wie die meisten Sterb-

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liehen die Sehnsucht nach noch Höherem, Unerreich- barem "

Die Lampe brannte mit dottergelbem, mattem Schein, und richtig, links rauchte sie ein wenig und schwärzte sogar den Glaszylinder an.

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WERTE

Ich finde, daß die Dichter so „ästhetisch-sentimen- tale" und übertrieben eingebildete, und von ihrer so- genannten Aufgabe, rekte ,,idee fixe", besessene , .Er- zieher der Menschheit" sind, die doch bis heute durch sie nicht um ein Stückchen vorwärtsgekommen, das heißt, von irgendeinem Leid befreit worden ist! Die wirklichen großen Wohltaten jedoch über- sieht man, hält sie für nichts und ist vor allem nicht dankbar. Als mein geliebter Vater 69 Jahre alt ge- worden war, gaben ihn sämtliche Professoren infolge von unheilbaren Alterserscheinungen für verloren, und meine Mama, die seit zehn Jahren tot ist. weinte sich die Augen aus. Da sandte ich meinem Vater zwei Schachteln „Tamar Indien Grillon", mit der Auf- forderung, jeden Morgen vor dem Frühstück un- bedingt eine Pastille zu nehmen.

Seitdem ist er ein Jüngling geworden, ist 83 Jahre alt, hat nicht eine einzige Beschwerde des Alters. Verdauung jünglingshaft, ewiger Appetit, rosige Laune, Schlaf zehn Stunden ohne Unterbre- chung. Er fühlt nicht, daß er alt ist. Sein einziger Kummer ist, daß er nicht mittags und abends, aus ökonomischen Gründen, besondere Leckerbissen ha- ben kann, wie Rebhühner, Rehrücken kalt, kalte Poularden, Straßburger Gänseleberpastete, Kaviar, Krebse usw. usw. Er liest von morgens bis abends französische Romane (deutsche versteht er nicht, sie sind ihm zu ,,vertrackt"), ohne Augenglas, geht nie aus seinem Zimmer, und bedarf absolut keiner Bewegung. Schmerzen, Melancholie, Schwächege-

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fühle und Langeweile kennt er nicht. Jetzt schrieb er mir kurz: „Du, ich nehme noch immer pünkt- lich Dein berühmtes „Tamar". Es ist besser als Deine Dichtungen; die sind für mich ganz unver- daulich. Du hättest doch vielleicht Mediziner werden sollen!"

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zu DEN „OLYMPISCHEN SPIELEN"

Ich lese lauter Ratschläge, die vollkommen wert- los und daher stupid sind! Dieses Wort „Training" ist ein Unglückswort. Mehr kann man aus dem Organismus bei bestem Willen eben nicht heraus- pressen an Lebensenergien als darin aufgestapelt, auf Lager sich befindet! Die Zentrale „Rückenmark und Gehirn" muß im , »Training" sein, nicht die aus- übenden Organe! Eine einfach künstlerisch-minu- tiöse Sorge um den gesamten Verdauungsapparat ist die Quelle der Akkumulation von Milliarden Lebenspotenzen ! Keine Speise darf genossen werden, die nicht, fast ohne Rückstand, in i 3 Stunden vollkommen verdaut ist! Essen und verdauen ist an und für sich, unter allen Umständen, eine Schwä- chung, eine verhindernde lähmende Tätig- keit für die Energien des Gesamt Organismus. Von anderen angeblich notwendigen Niaiserien gar nicht zu reden! Nur der vollkommen nüchterne pur- gierte, restlos ausgeschlafene, keusche Or- ganismus ist zu ganz exzeptionellen, ja fast exzentrischen Leistungen an Elastizität, Kraft, Aus- dauer befähigt ! , .Training" aber ist bei uns, aus einer Maschine, die nicht mehr leisten kann als sie eben kann, durch ,, Arbeit" mehr herausschinden wol- len! So wird man nicht Sieger in Olympia-Stock- holm! Aus der Zentrale ,, Rückenmark-Gehirn" müssen die unerschöpflichen Energien von selbst der Motor sein, der an Herz, Lunge, Arme, Beine seine Kräfte hinaussendet! Bei uns will man es von der Peripherie aus richten! Das ist eine grausame

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Stupidität. Man will seinem Organismus Opfer auferlegen, aber von außen durch Bewegung, nicht von innen in bezug auf Essen, Trinken, Purgieren und noch etwas anderes. Man will nichts unterlassen, sondern ,, trainieren", ein entsetzlicher Blödsinn, nur geeignet für Schwergewichtsstemmer und Ringer, nicht aber für ,, Marathon-Lauf er"! Schlafe bei weit geöffneten Fenstern lo 15 Stunden lang, bestäube deinen Leib mit Menthol-Franzbranntwein, nähre dich von Erbsenpüree, Kartoffelpüree, weichgekoch- tem Karolinen-Reis, Fisch, rohen Eidottern, Sana- togen, Gelees, Biocithin, Gervais, Neufchateller, Spi- nat, Topfen, saurem Obers, mürbem Geflügel, mürbem Wild usw. usw., nimm täglich nach dem Frühstück eine halbe Pastille ,,Tamar Indien Gril- lon" und liebe die Frauen ohne Erfolg, in zehrender Sehnsucht und du wirst Milliarden von Le- bensenergien in deinem Organismus aufstapeln ! Mehr als mit dem öden , »Training", und wirst, jedenfalls in Sprung und Lauf und Dingen, die nicht von „Go- rilla- Kräften" abhängen, eher ein Olympiasieger werden, als durch die faden Ratschläge, die nur überwundene, gestorbene, verweste Vorurteile in sich bergen! Die Zentrale des Lebens, Gehirn und Rückenmark, muß man ,, trainieren", die ausübenden Organe tun dann ihre Exzeptionsleistung ganz von selbst!

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BRIEF VOM SEMMERING

Liebe Frau Lotte Fr.,

habe Ihre beiden Bücher erhalten, freue mich be- sonders auf Sehet Sjchrin. Er kann aber auch Schtedrin heißen. Hier auf dem Semmering hegt jetzt, im März, ,,unbe nützbarer" Schnee. Man schaut gleichmütig zu, wie er grau zerfließt. Alle Stubenmädchen der Hotels haben in Wassergläsern Schneerosen stehen, und irgendeine teilt mit: ,, Meine san schon aufgeblüht!" Als wir von Mariaschutz Weidenkätzchen (Palmkatzerln) nach Haus brachten, meinte jemand pathetisch, das bedeute einen schlech- ten Sommer, daß sie schon heraußen seien, so ,, Früh- geburten" der voreiligen, schwächlichen Natur! Vor März dürfe es keine ,, Palmkatzerln" geben, alles sei eben schon dekadent veranlagt. Man kann hier viel lernen von den natürlichen Menschen, nämlich daß sie noch blöder sind als die unnatürlichen. Gestern sagte eine wunderbar gewachsene junge Dame zu mir: ,,Herr Dichter, darf ich auf eine schöne wert- volle Stunde in Ihrer Gesellschaft hoffen?!?" ,,Für Sie oder für mich?!" erwiderte ich schlagfertig.

Die meisten Leute hier sprechen darüber, daß, falls sie vor 20 Jahren den ganzen Semmering aufge- kauft hätten, sie heute ,, nichts mehr zu arbeiten brauchten", wie der technische Ausdruck lautet von Leuten, die überhaupt nie in ihrem ganzen öden Dasein etwas gearbeitet haben! In einer stockfin- stem Nacht, Va^^, traf ich einen verwilderten Mann mit einer kleinen Eisenbahnwächterlateme an einer langen Stange. Ich bot ihm eine Krone an, mich ins

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„Hotel Panhans" zu geleiten, da ich nicht wieder auf dieselben vier Rippen auffallen wollte, die ich mir vor sechs Wochen gebrochen hatte.

Er erwiderte: ,, Barmherzigkeit, gnä' Herr, ich bin der Wächter vom großen Semmeringtunnel, mein neugeborenes Kind verblutet sich, von der Nabel- schnur aus ."

Ich erwiderte: ,,Ist es ein Knabe oder ein Mäd- chen?! Für Knaben habe ich nämlich keinerlei Interesse. Die sollen verbluten!"

,,Es ist ein Mädchen, gnä' Herr, helfen's mir an Arzt suchen!"

Natürlich war es ein Knabe, und der Mann hatte mich schmählich betrogen. Zola hätte diese Sache schildern müssen, auf 4000 Druckseiten. Bei mir ist alles schon zu Ende, bevor ich recht anfange, alles! Der Himmel ,, blaut" heute wie an der ,,Riviera"; da er aber keine Monatsrenten bezahlt, hat er für mich keinerlei Interesse. Die roten Vogelbeeren waren der allerletzte Winterschmuck, sie waren so zäh, selbst bei minus 10° hielten sie sich noch tapfer als Nahrung für verhungernde Vögel. Wie die Ja- paner für ihr Vaterland. Ein wunderschönes Mäderl verkauft Schneerosen an der Straße für 10 Heller. In sieben Jahren wird sie schon eine höhere Taxe haben. Ihr ergebener

Peter Altenberg.

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FAHRT

Ich bin nicht gereist, ich weiß bis heute es nicht, wie ein Schlafwagen ausschaut, verstehe nichts da- von, daß man nachts in seinem Bett, auf einem Kopf- polstcr, unter einer Decke und mit anderen nützhchen und bequemen Utensihen, durch die Welt getragen wird und morgens, ganz ausgeruht, irgendwo sich befindet, wo man, mit Respekt zu melden, noch niemals auch nur annähernd gewesen ist. Nun brachte man mich an einem frischen Julimorgen, per Automobil, 70 Kilometer die Stunde, nach Wiener- Neustadt. Alle Wiesen begossen uns fortwährend mit ihren Parfüms. Wind und Duft, das allein spürte man. Lioschka sagte nur einmal: ,,Wenn etwas ge- schieht, gehen die Splitter der Autobrille vorerst in die Augen und zerreißen sie!" Dann nahm sie lang- sam die Autobrille ab. Dann sagte sie : ,,Ihre geliebten weißen Kartoffelblütenfelder! Früher habe ich mich nicht getraut, sie schön zu finden! Es hätte sich auch nicht für mich geschickt!" Dann sagte sie: ,, Haben Sie auch den roten Mohn in den Wiesen gern, obzwar es ein Unkraut ist und schädlich für die armen Kühe?!"

Ich berührte leise ihre Hand in den hellbraunen Rehlederhandschuhen. In Wiener-Neustadt setzte man mich ab. Gerade fiel einer von einem Gerüste, brach sich das Genick. Ich kaufte mir Bergblumen- ansichtskarten und fünffarbige Hülsen für Bleistifte. Ich ließ mir ein Zimmer aufsperren im Hotel neben dem Bahnhof, um zu schlafen. Alle Bediensteten waren wie besorgte Kindermädchen, obzwar ich nicht

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nach „reichlichem Trinkgeld" aussah. Aber der Schein trügt. Das ist vielleicht die letzte Philosophie dieser dienenden Menschen.

Er ist vielleicht doch ein reicher Narr! Das letz- tere stimmte. Man brachte mir alles, das heißt zehn Flaschen Pilsner Bier. Das ist doch alles! Ja und einen Roßhaarpolster. Wenn ich nur wüßte, weshalb man noch nicht auf polierten Granitsteinen schläft ? ! Diese Eiderdaunen aus zusammengedrückter Watte sind doch nur für die ,, Prinzessinnen in den Kinder- märchen"! Wir Erwachsenen wollen hart schlafen, wie die Kaiser in ihren einfachen Feldbetten im Kriege. Amen I

Ich erwachte und fuhr sogleich auf den Semmering zurück. Aus dem Dunst ins Gebirge. In Pottschah stieg eine ein, in einem braungrün schillernden seide- nen Bauemkostüme. Die hatte ein Gesicht wie eine 14jährige Eleonora Düse. Aber in Payerbach stieg sie wieder aus. Sie sah meinen Blick nicht voll Trauer und Verzweiflung. Besser für sie und mich. Vielleicht hätte sie gedacht: „Alter Hund!" Die Lokomotive ,, pustete", wie man zu sagen pflegt, in die Bergwelt- kurven hinauf. Man glaubt immer, daß sie es nicht überwältigen wird. Aber das ist ein laienhafter Irr- tum. Sie ist dazu geschaffen, konstruiert und aus- probiert. Gerade so ist es wie mit der ,, unglücklichen Liebe". Unser Herz ist dazu konstruiert. Manchmal zerbricht es. Das sind ,, unvorhergesehene Fälle", die auch der genialste Maschinentechniker nicht voraus- berechnen kann. Die Luft wurde immer frischer, und ich gedachte des genialen Erbauers dieser Bahn, Ritter von Ghega, der sie in die Felsen mit Gewalt

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hineinbohrte, damit der Naturfreund alles genieße, Abgründe, Urwälder, Ausblicke, kurz die Dekoration der Bergeswelten ! Auf dem Semmering dachte ich : ,,In Pottschah ist eine eingestiegen, in einem braun- grün schillernden seidenen Bauernkostüme. Weshalb hat sie meinen Blick nicht gesehen von namenloser Begeisterung ? ! Vielleicht hätte er sie geschützt vor dem Herrn so und so, dem sie jetzt unbefangen die Hand reichen wird zum ,, ewigen Bunde"?! Unsere Blicke sind nicht da, um zu ,, zünden", sondern um zu ,, schützen", vor Blicken, die ,, seelisch stargrau" sind! Wir sind nicht da, um zu ,, erobern", sondern um zu ,, schützen"! Ein jeder hat seine Aufgabe im Leben! Er erfülle sie!

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LIED

Die I5jähnge Anna war sein Ideal. Strohgelbe leuchtende Weizen wogen ihre Haare!

Franziska hieß die jüngere Schwester.

Annas Lachen war wie tausend jubilierende Her- zen .

Franziska hieß die jüngere Schwester.

Immer war Anna vorhanden, in seiner Seele, noch mehr, wenn sie abwesend war .

Franziska hieß die jüngere Schwester.

Anna bekam den ,, Scharlach". Er wurde bleich.

Franziska bekam auch den Scharlach.

Anna genas .

Doch er blieb bleich.

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ABSCHIED

Nun bist du fort .

Nun wirst, nun kannst du mich nicht mehr quälen.

Ich sehe deinen Bhck nicht mehr, der ins Leere starrt,

das heißt, auf alle Männer, die sich gerade finden!

Ich sehe nicht mehr, daß du frech ,, schachern" willst,

mit dem immerhin geringen Kapitale, das dir mitgegeben !

Und daß du ,, Wucherzinsen" begehrst für einen annehmbaren Leib!

Ich bin erlöst, weil ich dich nicht mehr sehe.

Was du mir bist, kannst du niemandem sein!

Das aber kannst du erst verstehen,

bis du allen, allen nichts mehr sein wirst!

S' ist eine Frage nur der Zeit, der Monate, der Stunden .

Und ich kann warten.

Ich habe die Tränen kraft, zu warten.

Und wenn du weinend zu mir flüchten wirst,

werde ich, trocknen Auges, deine zerstörte Seele schützen, schirmen!

Denn irgend etwas bleibt doch stets unzerstört

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GESPRÄCH MIT EINER BARONIN, EX- ZELLENZ-FRAU, ÜBER IHREN HERR- LICHEN ZWÖLFJÄHRIGEN SOHN

,,Je crains dejä maintenant nuit et jour les fem- mes qui viendront plus tard !"

„Eh, madame, craignez donc les hommes qui viendront plutot!"

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ENTZWEIT

Oft sagte ich ihr, was mir an ihr nicht recht war

ganz verzweifelt starrte sie mich mit bösem Blicke an.

Ein Abgrund öffnete sich; meine Liebe und ihre Freundschaft aufzunehmen.

Dunkel ward's und kalt.

Hilflos ist die Frau in solchen Augenblicken, glaubt stets sich etwas zu vergeben, falls sie milde wird,

fällt der bangen Stunde hilflos stumm anheim.

Ich sagte: ,, Hörst du die Holzfäller, den Schwarz- specht, riechst du der feuchten Wurzelstämme brau- nen Moder, siehst du die Bläue des letzten Enzians, fühlst du meinen Schmerz?"

Sie sagte: „Mit solchen Reden wollen Sie mich versöhnen?!"

,,Mit solchen Reden nicht, doch überhaupt. Und irgendetwas muß gesprochen werden, sei's dies, sei's

jenes. Vielleicht findet sich ein Wort . Es

muß ein Wort einfach gefunden werden, das sich wie eine Notbrücke von meiner Seele zu der deinen spannt!"

Und sie: , .Siehst du, du bereust .

,,Ja, ich bereue, daß meine Liebe größer als meine Sehnsucht, dich zu bessern, ist!"

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GESPRÄCH MIT DER SECHSJÄHRIGEN SONJA DUNGYERSKY

,,Das ist ein Pastellstift zum Malen. Oh, ich weiß alles, sehen Sie! ?"

,, Alles, alles weißt du, angebetetes Kindchen, aber wie sehr ich dich lieb habe, das, das weißt du doch nicht !"

,,Und gerade das weiß ich. Sie haben mich sogar lieber als meine Großmama mich lieb hat ."

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GLEICH BEIM HOTEL

Gleich beim Hotel, links von der weißen Straße

ist eine abschüssige Wiese, die niemand betritt.

Im Urzustände ist das vielfarbige Fleckchen.

Auf roten Disteln wiegte sich der Distelfink,

und graue Brennesseln bargen gelbe Schnecken.

Es war ein Gewirr von braun und grau und weiß,

mannshoch und dicht. Im Mondlicht lag es düster.

Hier erschaute ich der holden Jahreszeiten holden Wechsel.

Oberhalb wurde gebaut mit hunderttausend weißen Beton würfeln,

und unten war das Bahngeleise nach Triest.

Hier aber, auf dem abschüssigen unzugänglichen Wiesenfleckchen, gab ein Monat dem anderen die Tür.

Ein jeder kam in seinem Prachtge wände.

Und jeden grüßte ich dankbaren Blicks.

Es war mein Kalender. Ich erkannte jeden Monat, jede Woche, ja jeden Tag an den Veränderungen.

Als alles blühen wollte, sah ich es voraus;

ich sah voraus, als alles sterben mußte!

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GESPRÄCH MIT EINER WUNDER- SCHÖNEN DAME VON 30 JAHREN

,,Nach kaum 14 Tagen wollen Sie schon wieder vom heiligen Semmering abreisen, Sie mit Ihren empfindlichen N er ven ? ' '

,Ja, ich spüre es, daß der Semmering mir nicht hilft ."

„Ein berühmter Homöopath hat gesagt: ,,0, Mensch, die Heilprozesse deiner Krankheit dauern immer gerade so lange, alsduZeit gebraucht hast, siedurchdeineSündenzuakquirieren !"

,,Mein lieber Herr Altenberg, 16 Jahre lang kann ich nicht auf dem Semmering bleiben! "

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PLAUDEREI

Ausspruch eines fünfjährigen Mäderls:

,,Wenn man alleweil brav ist, wissen die Leut' dann gar nicht mehr, ob man noch auf der Welt ist!"

Die Eltern tragen mir ununterbrochen Anekdoten über ihre vergötterten Kindchen zu. Sie sind tief überzeugt davon, daß es gerade mich interessiere! Ich interessiere mich auch wirklich dafür, daß sie alle so tief überzeugt davon sind, daß ich mich dafür interessiere! Denn diesen schönen Schein zu erwecken, heißt eben ein Dichter sein! Und als das möchte man doch gerne gelten, wenn man schon weder Beruf noch Geld hat, nicht?!?

„Mein Knabe sagte mir gestern", ,,mein Mäderl sagte mir vorgestern", höre ich alle Tage zehnmal. Ob eines dieser kleinen Mistviecherl einmal zu der reichen Mama den genialen Ausspruch täte: ,,Mama, wenn du mich wirklich lieb hast, dann gibst du diesem entzückenden alten kranken Dichter eine Monatsrate von fünfzig Kronen !"

Ausspruch eines sechsjährigen Mäderls beim Ab- schied vom Semmering: ,,Ach, wie werde ich für der ohne meinen geliebten Pinkenkogel und Sonnwend- stein existieren können?!"

Ich hätte gerne geantwortet: ,,Sehr gut wirst du fürder existieren können, indem ich dir fürder für jeden affektierten, verlogenen, manierierten Aus- spruch deinen Hintern aushauen werde !"

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GEGEN

Es ist eine der infamsten Lügen der „Moder- nen", daß es ,, ewigen Fortschritt" gäbe! Wenn ich das schon sage, will es etwas heißen! Die Kremoneser Geigen, die Amati, Guameri, sind nicht zu übertref- fen, ja nicht einmal ihr „Spiegel- Lack" und ihre ,, Schnecke". Der Seiltänzer Blondin, der vor 40 Jahren über den Niagara tanzte und mitten über dem Katarakte auf einem zusammenlegbaren Sparherde sich eine Eierspeise kochte und aß, auf einem Klapp- sessel sitzend, ist nicht zu übertreffen. Ebenso nicht die Koloratur der Adelina Patti, die Lack- arbeiten, Seidenstickereien der Japaner und Goethes Gedichte. Aber diese Herren, nomina sunt bekannt, wollen in Malerei, Musik und Dichtkunst ,, ewige Fortschritte" uns einreden ? Und gerade ausgerech- net sie? Schmeck's!

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ROMPE!

Bevor nicht jeder deiner einstigen Kavaliere von dir sagt:

,,Was ist an ihr? Sie ist gewöhnhch, dumm und ohne Anmut, ohne Reiz",

glaub' ich dir deine absolute innere Treue nicht!

Zu deinen Feinden mußt du sie erst machen wollen,

um mir zu zeigen, daß du mir gehörst!

Solange sie siegreich Besiegte sind,

die Waffe senkend schwärmerischen Blickes,

bin ich besiegter Sieger!

Treibe sie zum Hasse, zur Verachtung!

Dann erst liebst du mich!

Und so geschah's.

Nur einer von den Rittern sagte zu mir, nach langem Schweigen, eines Abends:

,,Und wissen Sie, was ihre größte Tugend ist? Daß sie Sie liebgewonnen hat, und uns den Laufpaß gab!"

Ich sagt' ihr das.

Und sie erwiderte: ,,Der Arme, Gute. Ich hab' ihn vorgemerkt. Nach Ihnen kommt er dran!"

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WASCHUNGEN

„Ich wasche mich täghch unmittelbar nach dem Aufstehen vom Kopfe bis zu den Zehen, zuerst lau und dann kalt," sagte das wertvolle moderne Mäd- chen zu mir.

„Sehr gut," erwiderte ich, ,,aber ich glaube nicht, daß Jeanne d'Arc dazu immer Zeit hatte, als sie in die Schlacht mußte, um Frankreich zu erretten!"

Als ich sehr krank lag, nahm es mich immer ,, Wunder", daß meine Gehebte, nach einer durch- wachten und durchsorgten Nacht, noch immer die Energie fand, sich morgens vom Kopf bis zu den Zehen einzuseifen und abzuspülen.

Sie sagte zwar: ,,Das tue ich, um mich für dich frisch zu erhalten!"

Aber, siehe, ich glaubte ihr das nicht.

Es war das ,, gottlose Weibchen" in ihr, das trotz allem und unter allen Umständen, sich appetit-

hch erhalten wollte! Für wen?! Nun für

alle!

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RESPEKT

Er war immer, immer gerührt, ergriffen durch ihre „PersönHchkeit", die auch die lange Krankheit nicht in ihr vernichten konnte. Er hatte immer die Idee, sie würde mit dem letzten Atemzuge noch einen über- aus herzigen und aparten Clowntrick machen, und z. B. sagen: ,,0, Peter, ich werde also, wenn ich hinkomme morgen, den Petrus bitten, er soll, wenn du ankommst, dir deine vielen Sünden verzeihen, schon weil du sein Namensvetter bist!"

Infolgedessen konnte er sich nicht enthalten, sie im Gespräche hie und da zärtlichst bei der Hand, am Arme, am Haupte, anzurühren. Wie ein süßes Kind- chen.

Da sagte sie eines Tages: ,,Frau Lilly rührst du nie an, obzwar du sie auch sehr gern hast! Du hast aber mehr Respekt vor ihr! Siehst du?"

Seitdem habe ich die süße kindliche Frau nie mehr angerührt.

Einmal sagte sie zu mir: ,,Hast du mich also nicht mehr so gern wie früher, Peter? "

,,0 ja, aber ich habe Respekt vor dir bekom- men!"

,,Du dummer Mensch!" sagte sie und lächelte

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FALZAREGO-PASS-H ÖHE

2250 Meter. Also zum erstenmal seit meiner jauchzenden Kindheit wieder auf steinbesäter Berg- alm mit dunklen Latschenkiefern, weißem Speck und Geruch von Ziegen.

Irgendein Wässerlein tropfte, sickerte von aus- gelaugten Felsenplatten. Meine Hand berührte zärt- lich die polierten Nadeln des Zirbelholzes. Ich lauschte dem Rauschen im Legf Öhren walde. Das Knie- holz schwankt nicht im Bergföhnstöhnen. Die Stämme sind wie Kautschuk. Der schwarze Weg ist feucht und klebrig.

Ich gedachte des ,, Ochsenbodens" auf dem Schnee- berg, Märchen meiner Kindheit. Wie liebte ich diese fahlen blumenlosen Matten mit Geruch von weiden- den Tieren!

Wie wenn der Kreis sich schlösse meines Daseins. Auf Bergmatten begann es mit unbewußtem Jauchzen, auf Bergmatten endet es mit ernster Wehmut. Falza- rego!

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ENTERBTE DES SCHICKSALS

Sie hatte eine kleine reizende Blumenhandlung im Berghotel. Das heißt, sie hatte sie nicht, sondern sie war nur Verkäuferin. Die Besitzer waren in Wien, reiche Leute.

Sie liebte die Blumen, die man ihr von den un- gangbaren Felsgraten brachte, sie liebte die Blumen, die man ihr aus Ziergärten schickte in Watte und Holzbaumwolle. Alles, alles mußte sie aber doch ver- kaufen. Ihre besten Kunden waren die ,, Hotel-Don Juans" und die ,, Neuvermählten". Und sogenannte notwendige Abschiedsbuketts, von denen man dachte : ,,Ich will nicht, aber ich muß!" Diese verkaufte sie am liebsten, schlug, so weit es ging, mit dem Preise auf, unerbittlich. Abschied ohne Abschieds- tränen muß teuer bezahlt werden! Einmal kam ein Dichter, bestellte für die sechsjährige Sonja Dungyers- ky einen Strauß von hellrosigen ,,Rosa Crimson Rambler". Diesen ließ sie sich nicht bezahlen. „Weshalb denn nicht?!" fragte der Dichter. ,,Wir wollen doch auch um Gottes willen einmal eine Freude haben! Etwas miterleben!" erwiderte die Verkäufe- rin; ,,auf die Blumenbörse gehen wir ja von früh bis abend!"

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FRÜHLING

Also jetzt weiß ich alles zuerst kommen

die Kätzchen der Haselstaude, dann kommt primula acaulis, dann gentiana brachyphylla, dann kommt ein grüner Schimmer über die Birken, dann kommt Leontodon taraxacum, dann kommt ein weißer Schimmer über die Birnbäume, dann erwachen die Kastanienbäume, und zuletzt die Lärchen. Jetzt weiß ich alles, so wird es! Hotels werden gebaut aus weißen Betonziegeln, und man projektiert ein Ton- taubenschießen. Gleichsam ein lebendiger Protest gegen das Massakrieren von lebenden Tauben. Frei- lich der Turmfalke, der Sperber, der Wanderfalke, die Eule?!? Aber die tun es aus Instinkt, den wir Gott sei Dank verloren haben. So viele Leute jedoch ersehnen sich ihn wieder. Sie haben aber leider noch genug davon!

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ERLEBNIS

Ich kaufte mir für eine Krone eine PorzeUan- kaf feeschale mit gemalter Ansicht: ,,Semmering, Hotel Panhans", steckte eine große Rolle Papier hinein, auf dem geschrieben stand: ,,Das sind die ,, Andenken", die die reichen Damen ihren un- glücklichen Dienstboten vom Semmering mitzu- bringen pflegen!

Und das Dienstmädchen sagt gerührt: „Aber gnä' Frau, nein so was !"

Aber sie meint: ,,Nein, so was Billiges, Scheuß- liches!"

Kaum hatte ich die Sache auf meinem Tische auf- gestellt, besuchte mich ein reicher Gutsbesitzer. „Großartig," sagte er, ,,wir fahren heute weg. Meine Frau hat drei solcher Kaffeeschalen für unsere Dienst- boten gekauft! Und ich sag' Ihnen doch, mein lieber Altenberg, solche Leut' freut das am meisten!" „Ja, Schnecken!" wollte ich sagen, aber ich sagte: ,, Selbst- verständlich, sicherlich." Dann sagte er: ,, Zeigen Sie's doch meiner Frau, vielleicht gift' sie sich."

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DIE TÄNZERIN

Ja, gut, ich war von meinem achten Jahre an bis zu meinem siebzehnten eine englische Tänzerin in Varietes.

Aber darf ich nur denen sagen, die es als meine Ehre betrachten, daß ich schön tanzte und mir mein Geld verdiente und meiner Mutter davon gab, näm- lich Geschenke. Sonst nahm sie nichts.

Aber den Damen darf man es nicht sagen, die kalt und bös im dummen Leben stehn! Sie wissen nichts von unserer hohen Ehre, daß wir der Kunst gedient und dennoch stets Herrinnen geblieben sind über uns selbst! Sie glauben, man müsse im Kampfe unterliegen, denn siehe, sie imt erlägen im ersten Vorposten - gefecht!

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MEINE EHRUNGEN

Die Frau eines berühmten Operettenkomponisten sagte zu mir: „Herr Altenberg, Sie wissen doch alles von den wichtigen Sachen im Leben, ich bitte, soll man Rhabarber in einem Garten anpflanzen?"

,,Nein, unter keiner Bedingung! Rhabarber ver- braucht alle Bodenkraft ringsumher, er ist, gleich dem Rasen, der Egoist in der Pflanzenwelt!"

Die Frau eines berühmten Schriftstellers sagte zu mir: ,,Ich bitte sehr, soll man den Reis schon die Nacht vorher einweichen in einem Wasserwandel?"

,, Jedenfalls! Reis bedarf der Vorbereitung, wie jede zarte Sache!"

Eine dritte Dame sagte: ,, Alles was in Ihren Büchern ist, ist längst vorher in unseren Herzen! Aber wir sind feig, behalten es bei uns. Es ist gut, daß jemand den Mut habe!"

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KLARA

Es gibt Mädchen, deren ewige Verehrer wir bereits sind durch die Art wie sie ihre Haare zurück- streichen an den Schläfen. Eine unermeßHche Anmut ist es, eine kindlich-lässige, nichts bedeutend und für uns ein Schicksal!

Hätte ich nicht gesehen, wie sie ihre Haare

zurückstreicht aber ich habe es gesehn und

bin verloren!

Von nun an für sie beten und weinen .

V^ie hob sie die Arme, wie hielt sie die Schultern, wie waren ihre Hände, ihre Finger, wie stand sie da, und wie besiegte sie alle Nixenreigen im Mond- lichte am Waldsee der Märchen?!

Sie strich die aschblonden Haare zurecht, eine Be- wegung, die so natürlich, selbstverständlich ist wie Atmen, Gehen, Sprechen. Ich aber beugte mein Knie vor Gottes Weite nanmut, die er mich Armseligen in seiner unerschöpflichen Gnade, an einem Juli- vormittag erschauen ließ!

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BERGHOTEL -TERRASSE, SEMMERING

Daß ich da bin, ist mir ein ewiges Rätsel .

Ich war schon in der Gruft, durch Schuld der Ärzte !

Heimtückische Mörder ihr, nein, schrecklicher, Idioten!

Nun hab' ich den Bergwald vor meinem Fenster,

und die Stimme der K. P. jauchzt und singt und spricht Gesänge; bloß wenn sie nur sagt, was alle Menschen sagen; Gewöhnlichstes wird zum ewigen Ereignis. Wie man es sagt, ist alles, was, ist nichts !

Und die Komtesse schreitet, fliegt, schwebt, schlängelt sich über die Terrasse .

Das süße Kindchen Sonja Dungyersky steht da in braunen Locken und ihre Beine sind dünn und braun wie von Gazellen .

Daß ich noch bin, ist mir ein ewiges Rätsel. Gott, schütze mir die, deren Schönheit mich berauscht! An denen ich krank werde und gesund zugleich!

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ERKENNTNIS

Alle Frauen rächen sich am Manne für irgendeine Unzulänglichkeit, die sie besitzen! Häßliche Finger- nägel machen sie bereits boshaft und gereizt. Von einem „unidealen Busen" gar nicht zu sprechen! Da begehren sie Tag und Nacht auf mit dem grausamen Schicksal, verzehren sich in Leid, und lassen sich's nicht merken! Deshalb muß eigentlich jeder Mann milde sein, gerührt, gestimmt zum Ver- zeihen! Wenn eine die Genialität hätte, es zu sagen: ,,Ich bin unglücklich über mich selbst!" Aber das wagen sie nicht, es sich selbst einzugestehen. Sie verlassen sich auf die Güte des Mannes, der sich „sekieren, quälen, ungerecht behandeln" läßt! Sie haben aber recht, denn seine Liebe ist von Gott eingegeben, und ihr Schicksal ist irdisch und ein bißchen vom Teufel! Er hat die göttliche Kraft zu leiden mitbekommen, sie die irdische Schwä- che, glücklich sein zu wollen!

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KLARA

13. Juli, vormittag. Sie ging, in weißem Kleide, langsam den Wiesenweg hinauf. Ich sah sie ; und sah sie wieder nicht. Sie grüßte, und ein Gebüsch ver- deckte sie. Dann sah ich sie wieder. Langsam sah ich ihr weißes Kleid und ihre blonden Haare dem Wald zuschweben. Ich stand gebannt und grüßte nicht. Sie wußte, wie mir zumut war. Sie grüßte noch einmal. Wenn man sagte: ,,Du bist der erste, der gebannt steht und es vergißt, zu grüßen !"

Sie wußte dennoch nichts von ihrer heiligen, schrecklich-süßen Macht. Ich aber warf mich aufs

Bett und weinte . Dann kam sie zurück. Ich

sah ihr weißes Kleid und ihre blonden Haare. Ge- büsch verbarg sie, mochte sie entschwinden. Dann sah ich sie wieder. Ich verneigte mich. Sie ging vorüber; und wie eine Regenwolke kam es über die lichte Landschaft .

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EIN KOMTESSEN-BRIEF

Lieber Peter Altenberg,

weshalb sagen Sie mir das über die „göttliche Vollkommenheit meines Leibes", den Sie unbedingt unter allen Hüllen nackt sehen?! Ich habe doch schon alle Untugenden, die unser Stand, unsere Sorgenlosigkeit, unsere Verwöhnung von früh bis abends, mit sich bringen ohne unser Hinzutun ! ? Jetzt kommt noch die Begeisterung eines Dichters hinzu, also eines Menschen, der nichts will als be- geistert, berauscht, gerührt sein ? ! So ein Beschenker ! Sie werden mich nicht eitel machen, Edler, ich werde nur denken: ,, Vielleicht verhilft es ihm zu einem Ge- dichte, das wieder anderen hilft, wenn sie es lesen! ?" Und dennoch habe ich mich abends in dem Steh- spiegel angeschaut und gedacht: ,, Dichter wissen alles!"

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MÄRCHEN DES LEBENS

Der größte Beweis von Kultur und Takt einer Frau ist es, sich die ihr immerhin ganz angenehme Verehrung eines ungchebten Mannes gefallen zu lassen, ohne ihn je zu kränken! Eine Dame ließ sich durch sechs Wochen meine schwärmerische Be- geisterung sanft lächelnd gefallen. Beim Abschied bat ich sie, doch den Rehlederhandschuh abzustreifen, damit ich zum ersten- und zum letztenmal ihre ge- liebte Hand küssen könne .

,,Schau'ns, Peter, was haben's davon, nix. Das hat gar keinen Zweck. Hab' ich recht?!"

, »Vollkommen", erwiderte ich.

,, Leicht sind Sie getröstet!" erwiderte sie.

„Im Gegenteil, ich bin untröstlich darüber, daß Sie in Ihrer Kindheit zu wenig französische und eng- hsche Gouvernanten gehabt haben!"

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WORÜBER MAN NOCH IMMER WEINT, UND EWIG WEINEN WIRD!

Die Frau verließ den Mann .

Hundert Millionäre lagen ihr zu Füßen. Da bekam ihr Kindchen Scharlach. Ihr Mann schrieb ihr: „Marie schreit auf aus tiefem Schlaf, ruft Deinen Namen!" Da kam sie. Und bheb!

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BESUCH

Nun gut, ich bin ewig begeistert, trotz meiner 53 Jahre und meiner Krankheit, die doch schheßlich unmerkhch die Kräfte wegfrißt wie ein irrsinniger Jaguar, der nie genug hat und im Blute wühlt und trinkt ganz ohne Durst ! Mir gegenüber, auf Zimmer 142, 143, wohnt seit gestern ein kleines Mädchen, Ungarin, Bulgarin oder Serbin; im Nationalkostüm mit ganz nackten, herrlichsten Beinen geht sie. Als ich sie heute auf der Stiege traf, lächelte ihre Mama über mein begeistertes Gesicht. Ich stand und schaute. Weshalb reisen, wenn die fremden Länder in ihrer Märchenpracht sich zu uns bemühen ? ! Das Hotel- stubenmädchen ließ mich in das unaufgeräumte Zimmer. Ich kniete an dem Bett des Kindes nieder, küßte das Linnen, auf dem ihr heiliger Leib geruht! Das Stubenmädchen sagte: ,,VVann sollen denn die Menschen schön sein als so lang sie klein sind?! Später , .wachsen sie sich aus", da wird eine wie die andere ."

Ich schenkte ihr zwei Kronen, denn sie war meine Mitarbeiterin geworden an dieser Skizze, die zwar noch nicht angenommen und bezahlt ist. Aber man muß etwas riskieren .

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LIEBESGEDICHT

Ich wußte es, sie hatte mich betrogen .

Betrogen? Nein. Sie hatte nur vergessen, es mir zu sagen, es mir mitzuteilen .

Denn ich hätte es ihr gestattet; wie einem Kind- chen Kugler-Gerbauld-Bonbons, von denen man nicht wissen kann, wie zart sie schmecken .

Das Stubenmädchen brachte mir ihren, meinen armsehgen Ring, zehn Kronen, den sie auf Zimmer 109, im Bett gefunden hatte.

Dann ging ich in die Bergwiesen, in den Wald, zu unserem heiligen Ruheplätzchen.

Hochgelbe Arnika wuchs, weißer Klee, braune Schuppenwurz, lila Orchideen, ein Liebesteppich.

Sie hatte mich betrogen. Nein.

Dort, siehe, war es ein weißes Bett gewesen wie tausend Betten . Ein weißes, weißes, nichts- sagendes Bett.

Hier aber war Bergwiesen-Liebesteppich , in Gottes bunter Pracht! Hier blieb sie mir treu!

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DAS GRÖSSTE KOMPLIMENT

(Der Komtesse T. W. geweiht.)

Einige Herren saßen beim Frühstück auf der herrlichen Bergterrasse, sprachen über die junge Gräfin.

Der erste: ,,Sie ist so hebreizend, daß man krank und gesund zugleich wird bei ihrem Anblick!"

Der Zweite: ,,Ich habe ein Gedicht gemacht, es ist das erste in meinem Leben. Puccini will es mir in Musik setzen."

Der Dritte: ,,Ich schrieb an meine geliebte alte Mutter nur über sie, acht Ouartseiten ."

Der Vierte: ,,Sie ist da, und selbst der Bergwald ist seitdem schöner, melancholischer, düster-verhäng- nisvoll geworden!"

Der Fünfte: ,,Wenn sie abends 8 Uhr, beim Kon- zerte, in den Speisesaal treten würde, splitter- nackt, sich hinsetzen, essen, trinken, sprechen würde, so würde der ganze Saal es für natürlich, selbstverständlich finden, als ob man längst darauf gewartet hätte! Man spürte es direkt als etwas Un- schickliches, daß sie früher angekleidet gekommen war!"

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LE MONDE

Die Schaukel war weitausgebaucht und braunrot.

Im Winter sah sie nach nichts aus, im Sommer wurde sie mir eine hebte Welt! Klara, Franziska schaukelten darin, vormittags, nachmittags bis zum Abend, in weißen Batistge wandern, mit blondgolde- nen, wehenden Seidenhaaren.

Im Winter sah die braunrote Schaukel nach nichts aus, im Sommer wurde sie mir eine lichte Welt .

Dann kam der Herbst und dann der erste Schnee. Da blickte ich denn oft dankbar hinaus zur Schaukel, so tief dankbar für das einst Gebotene.

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EIN REGENTAG

Es regnet. 9. Juli 191 2, nachmittags 5 Uhr. Ganze dichte graue Schleier ziehen über den Berg- vvald vor meinen Fenstern. Alles trieft, ist unter- getaucht in Nebel. Die Blumen haben ihre Farbe verloren, die Blechdächer glänzen, sind von Staub gereinigt, naß-poliert. Die Schaukel, die Schaukel. Vormittags schaukelte noch die sonnigste Frau, die blondgelichtete, die musiksprechende, in der Sonne! Ich sah sie schweben und weinte. Mir ist nichts anderes geboten als zu weinen. Ich kann keine Lieder komponieren zum Preise, wie Brahms, Hugo

Wolf, Grieg. Ich kann nur eine Melodie

weinen. Klara, Klara. Es regnet. Graue Schleier ziehen über den Bergwald vor meinem Fenster. Es duftet nach nassem Wald natürlich. Alles ist wie er- tränkt. Klara, Klara, du sitzest in deinem Zimmer, lernst wichtige Dinge, fürs nächste Jahr, für die Prüfung, für das Leben. Deine blonden Lockenwol- ken streifen das weiße Papier, auf dem du schreibst . Du sagst: ,,An einem solchen faden Nach- mittag ist's noch am besten zu lernen !"

13*

IQ5

IN 24 STUNDEN

,,Ich bitte, nehmen Sie mich um Gotteswillen heute nacht in Ihr Zimmer!"

„Was interessiert Sie an meinem Zimmer?! Sie haben es doch schon oft bei Tag besichtigt?!"

„Bei Nacht muß es viel schöner sein!"

„Mein Mann wird Sie erschießen!"

„Das macht nichts!"

„Mein Mann wird mich erschießen!"

Infolgedessen sah er nie ihr Zimmer bei Nacht.

Nun werdet ihr mich fragen: „Und bei Tage?!"

Frauen sind so kindlich, das Tageslicht als neu- tralisierend zu betrachten; die Sonne kann mit ihrem lichten Strahl die dunklen Sünden bleichen! Sie läßt sich erzählen und beichten! Und verzeiht!

Nur die Finsternis ist heimtückisch, macht zur Verbrecherin und verrät! ,, Kommen Sie, mein Herr, bei Tageslicht!"

iq6

HOTEL-STUBENMÄDCHEN

Ich sagte zu meinem Hotel-Stubenmädchen: „Jo- hanna, Sic werden von Tag zu Tag unaufmerksamer gegen mich. Gestern waren sogar keine Zündhölzer vorhanden." Sie sagte: „Jetzt wird es schon wieder besser werden. Ich habe nämlich meine Schwester, 27 Jahre alt, verloren, man hat ihr zum Schluß das ganze linke Bein abgenommen. Sie hat gesagt: „Ich möchte auch mit einem Bein leben!" Aber es ist doch nicht gegangen." Sie brachte mir zehn Pakete Zündhölzchen. Sie sagte: „Wenn man nur wüßte, wofür man so schwer bestraft wird ! ? Die Dame auf Nr. 32 hat sicherlich mehr gesündigt als wir, und wie fein lebt sie?!"

Ich sagte: ,, Johanna, wenn es auf Erden richtig zuginge, brauchten wir ja nicht die Hoffnung aufs Himmelreich "

Sie sagte: ,, Entschuldigen Sie vielmals die zahl- reichen Versäumnisse der letzten Tage. Meine arme Schwester hat ausgerungen. Jetzt kann ich wieder meine Pflicht erfüllen!"

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MODERNER DICHTER

In unserm Leben gibt's so viel Nuancen

Die eine sagt: „Arzt meiner kranken Seele!"

Die andre sagt: „Wie schrecklicher nur aussieht!'

Die eine lauscht begierig der Persönlichkeit,

die andre sieht pikiert den Gegensatz zu den

andern !

Die eine schreibt : „Darf ich zu Ihnen kommen ? !"

Die andre hält's für zynisch, wenn er im Gespräch

sanft -zärtlich ihre Hand berührt.

Die eine sagt: „Ein Romantiker ohne Herz!"

Die andre sagt: „Ein Herzlicher ohne Romantik!'

Und eine jede sieht ein „für "und „wider"

und keine spürt, daß ,,für" und „wider" eins ist in einem, in dem ,,für" und ,, wider" zugleich sind!

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NATUR

Naturempfinden ist wie die Mutterliebe eine ewige rastlose Emotion. Man kann nicht sagen : Hier ist es schön! Man muß erfüllt sein, krank, von allem anderen losgelöst, begeistert, gerührt, dankbar und erstaunt! Man muß sich sagen: Wie komme ich da- zu, das zu erleben, zu erschauen?! Es muß ein ,, Nervenrausch" sein, sonst ist es nichts, nichts! Es darf keinerlei Zweck haben für die werte Gesundheit, es muß von selbst wirken und beglücken, wie das Antlitz der jungen Mutter, die sich über die Wiege des soeben erwachten Kindchens beugt. Ein Glücks- schimmer ist da über seinem Antlitz, weshalb, das weiß niemand. So muß die Natur wirken! Sie ist kein hygienisches Heilmittel, pfui, sie ist ein Myste- rium. Nimm gewisse Vögel aus dem Wald, und sie sterben vor Gram. Gib sie zurück, und sie zwit- schern Dankgebete. So ist das Naturempfinden. Eine heiße, süße, zehrende Leidenschaft der Seele! Sport und Hygiene sind Börsenmanöver, die die modernen Menschen mit dieser Kirche ,, Natur" effek- tuieren !

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NOCH NICHT EINMAL SPLITTER VON GEDANKEN

Dialog

„Sie haben erklärt, ich hätte die f einstmodellier- ten Nasenlöcher, die es gäbe ? ! Das ist nicht sehr viel ."

,,Nein, es ist nur Edelrassigkeit ! "

Extrakt eines Königinnenlebens: „Die Königin fühlte sich am wohlsten, wenn sie bei einer edlen Zigarette, mit Gräfin P. A. über ihr Lieblingsthema, die Krankenpflege, plaudern konnte."

Die Philosophie:

Sie war die Lieblingsschülerin des berühmten alten Professors E. in Pr. Und dennoch sagte sie: ,,Zu braunem Musselinkleide gehören eben unbedingt braune Strümpfe, braune Schuhe, brauner Schirm!" Dennoch?! Nein, deshalb!

Leben des Alternden Immer bissiger und innerlich immer voller Tränen !

Leben des reichen Mädchens ,,Ohne Beschäftigung könnte ich es nicht aus- halten. Man muß es sich doch beweisen, daß man auch ein Mensch ist!"

Es gibt Frauen, die von der Natur so luxuriös ausgestattet wurden, daß sie sich den Luxus

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der I.iixuslosigkeit erlauben dürfen! (Komtesse T W. E.).

Aus dem „Englischen'*:

„Man sieht, wie wenig Gott von (ield hält, an den Leuten, die er damit ausstattet!"

Aus dem ,, Wienerischen":

,,Sö haben gar ka Idee, wie unangenehm i werd'n kann, wann i will!"

„Versuchen Sie es einmal, es nicht zu wollen!"

Aus dem ,, Französischen":

Um ganz Pariserisch zu sprechen, braucht man es nur ununterbrochen ganz einfach innezuhaben, daß es vier e gibt, das e muet, das e grave, das e egu, das e circonflexe, und sich danach zu richten! Aber das kann nur der geborene Pariser!

Als ich dem jungen Offizier mitteilte, ich hielte ihn für den Typus des ,, Eroberers" und beneidete ihn um sein Glück bei Frauen, erwiderte er : ,,Schau'ns Peter, schau'ns, Glück gibt's nicht! Die, bei denen man Glück hat, da ist es doch kein Glück. Die hat man von selbst. Dort erst wäre es erst ein Glück, wo man kein Glück hat. Und grad' da hat man kein Glück!"

Das Geständnis auf dem Sterbebett.

28./8. 1912.

Aus Nyiregyhaza wird gemeldet : Das Mitglied des Munizipalrates und Direktor der Volksbank Anton F. wurde verhaftet. Seine Frau hat auf ihrem Sterbe-

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bette gestanden, daß er vor vier Jahren ein Haus in Brand gesteckt habe, um die Versicherungssumme zu erhalten für ihren Sommeraufenthalt!

Konklusion: Weihe deine Frau in nichts ein, sie könnte aus Rache oder religiösem Bedenken oder aus allgemeiner Stupidität dich verraten!

*

Moderne Gemäldegalerie der Armen: Farbiger Kunstdruck der ,, Jugend", 50 25 Zentimeter, Emil Hoess: Rehe. Text von P. A.: ,,Es gibt Menschen, die sich an der Anmut dieser edlen Tiere berau- schen! Es gibt Menschen, die der Leidenschaft der Jagd ergeben sind! Es gibt Menschen, die, ohne Rausch und Leidenschaft, gern Rehrücken mit Sauce Cumberland fressen! Es gibt Dichter, Don Juans und normale Männer!

*

Nur mit dir, Geliebte, hat das Leben für mich noch einen Reiz, aber ohne dich hat es noch mehr Reiz!

*

Sie bewunderten sich gegenseitig da war

es ein Mißton! Sie bewunderten gemeinsam einen

Schildkröt-Schirmgriff da war es ein Akkord!

*

,, Haben Sie mich noch gern?!" fragt sie immer innerlich nach der ersten Umarmung. Weshalb fragt der herrliche Idiot nie: ,, Haben Sie mich noch gern?!"

Schamgefühl ist ,,ein Schutz für Unzu- länglichkeiten". Man verbirgt, was zu verber-

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gen ist! Treue ist auch ein Schutz. Wenn ich nur

wüßte, wogegen?! Ah, ja, gegen die (jefahren der

Treulosigkeit !

*

Essen, um das Vergnügen zu haben, zu essen! Hungern, um das Vergnügen zu haben, zu essen! Hungern, um das Vergnügen zu haben, zu hun- gern!

Philister, Lebenskünstler, Dichter! «

Es gibt kein laues Bad von 27 Grad und keine gute Kernseife, die nicht jede Sünde der Frau hinweg- wüschen !

Eine Frau, der ich ihr Alles bin pfui

Teufel !

*

Sie sagte: ,,Nie, nie, nie, werde ich Ihnen genug dankbar sein können!"

,,0h ja, Fräulein, wenn Sie mich Ihre Achsel- höhlen küssen lassen!"

*

Das Schrecklichste ist, irgendeinen pathologischen Zustand, wie Rausch oder Eifersucht, nicht ,,aus- schlafen" zu können! Denn dazu ist ja der Schlaf da, daß man wieder „zur Besinnung" komme, daß man ,,ein Vieh war"!

Schlaf ist der Verzeiher aller Sünden, die man dem armen Körper antut! Man darf daher nicht mehr Sünden begehen als man Schlaf hat! Einige

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Sünden jedoch lassen sich nicht „ausschlafen", z. B. zähes Fleisch mit Kohl. Auch die „Sünde der Faul- heit" läßt sich schwer ausschlafen. Je mehr man begeht, desto schläfriger wird man!

Es gibt zwei Sorten modemer Musiker die

Ehrlichen, das sind die, die den Richard Wagner bestehlen! Und die Unehrlichen, das sind die, die originell sind!

*

Es gibt Dinge, die man nicht ,, modernisieren" kann, z. B. den Kuckucknif. Oh ja, man macht ein Rabengekrächze und nennt es ,, Kuckuckruf"!

*

,,Der gute alte Richard Wagner", sagen schon

manche Vorge-trottelten !

*

Mit 82 Jahren ist man mit dem Tode schon so befreundet, daß er einem die unangenehmsten Wahrheiten ungeniert ins Gesicht sagt!

*

Ein Gymnasialdirektor sagte zu jedem Abiturien- ten beim Abschiede: ,, Werden Sie General!" Er meinte, in jedem Berufe könne man es zum General bringen !

Es war direkt interessant, wie völlig uninteressant die Dame war!

Es gibt keinen größeren Idealismus als den einer zärtlich liebevollen Mama. Selbst eine unangenehme

204

Erkenntnis hat bei ihr noch die Gloriole von roten Herzbluttropfen !

Millionäre trösten uns immer damit, man könne sich auch an Austern „überessen". Aber in diesen Zustand eben einmal zu gelangen, ist ja das Glück!

*

Ich fahre lieber in einem gefährlichen Automobil als in einem ungefährlichen Omnibus.

*

Man ist häufig genötigt, in der guten Gesellschaft das Wort ,, entzückend" auszusprechen. Ich habe daher im Tonfall dabei bereits so viele Nuancen mir zurechtgelegt, daß eine Dame mir einmal, als ich etwas ,, entzückend" fand, sagte: ,,Sie grober unver- schämter Kerl! So ekelhaft ist es ja doch nicht, wie Sie es finden!"

Als der Kutscher uns liebenswürdig die Gegend erklärte, notierte ich bei jedem Bergnamen zehn Heller Trinkgeld. Als er die ,,Hohe Veitsch" nannte, waren es bereits theoretisch 3 Kronen 70. Wir run- deten es auf I Krone 50 ab!

*

Die Art deines Gehens, o Fraue, wenn du eine Hoteltreppe langsam hinauf-, langsam heruntersteigst , ist bereits dein ,,Biografical essay", eine Offenbarung deiner wirklichen untrüglichen Werte!

*

Ich sah sie im Speisesaal eine Zigarette rauchen und war entzückt. Ich wußte noch gar nicht, was

205

und wie sie sprechen würde. Sie hätte ewig schweigen

dürfen, sitzen, rauchen, bücken .

*

Das, was die Menschen uns nicht vortäuschen

können, nicht vortäuschen wollen, das sind sie!

Ich habe Kinder gesehen, bei denen das ,,Nießen"

sogar entzückend war!

*

Man kann auch elegant zanken, elegant verzwei- felt sein, man kann elegant langweilig sein, und sogar elegant ungezogen! Aber das ist das schwerste!

*

Sie bezahlte Champagner und beleidigte mich durch die Art, wie sie es tat!

Ich zahlte Champagner, und sie versöhnte mich durch die Art, wie sie es annahm!

Eine Dame sagte: ,,Ich bitte, Herr Peter, welches ist das idealste Mundwasser?!"

,,Ein idealer Zahnarzt! Denn dann braucht man gar kein Mundwasser, ja nicht einmal eine Zahn- bürste!"

*

Der Luxus der Frauen steht theoretisch im um- gekehrten Verhältnis zur Vollkommenheit ihres Leibes! Dem Leinenkleide für 25 Kronen entspricht der Leib der Pauline Bonaparte! Eine Dame sagte zu mir: ,, Diese blöden teuren Fetzen! Mich müssen's nackert sehen! Sachen verschan- deln einen ja nur!"

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Wenn ein Blumenmädchen in einem Vergnügungs- lokale an deinen Tisch tritt, dir für deine Dame eine Rose anzubieten, so muß die Dame sofort erklären, daß sie keine wünsche. Sonst macht sie sich eben- falls einer Erpressung schuldig!

*

Wenn in einem Geschäfte eine Kundschaft nach einer Ware sich erkundigt, die nicht vorhanden ist, so haben die Verkäufer nicht stolz-abweisend zu erklären; ,,Nein, das führen wir nicht !", sondern zerknirscht-reuevoll.

*

Weshalb erhält man bei uns hölzerne Fuß- schemel nur in den Spielereihandlungen, wäh- rend die Geschäfte für Kücheneinrichtungen sich beharrlich sträuben, dieselben zu führen ? ! Fuß- schemel sind keine Spielerei, und in der Küche braucht man Schemel . Das sind unergründliche Ge- heimnisse der Geschäftswelt!

*

In Berlin kann man von März bis Oktober die riesigen Spiegelscheibenfenster in die Keller hinab- lassen, und man sitzt im Lokal gleichsam im Freien in guter Luft. Bei uns kann man das nicht. Wundert

Sie das?! Mich nicht!

*

Unsere Auslage-Arrangeure wollen immer so viel als möglich vom Lager hinauszwängen, während gerade ein einzelnes, besonderes Stück die ganze Führung des Geschäftes, seinen Geist be- reits dokumentierte!

207

Die Klosettfrauen sollten gezwungen werden, lose, einzelne Seifenblätter zu verkaufen. Die gemein- same Seife erinnert fast an ein ,, gemeinsames Zahn- bürstchen"!

*

Alle Menschen leben ,,über ihre Verhältnisse", über ihre ökonomischen, sexuellen und vor allem über die ihres Verdauungsapparates! Daher ihre ewige Reizbarkeit und Unduldsamkeit. Irgend etwas be- drückt sie!

*

Ich sagte einst einem befreundeten jungen Restau- rateur in G.: ,,Vor allem nimm jede nicht konvenie- rende Speise zurück, selbst im Falle einer krassen Ungerechtigkeit. Du machst immer noch das bes- sere Geschäft, wenn du dieses eine Mal bei dem Hundskerl draufzahlst. Sonst redet er dir noch Hunderte ab!"

In den gutgehenden Geschäften sind die Be- dienenden nervös, weil zu viel zu tun ist, und in den schlechtgehenden, weil zu wenig zu tun ist!

*

Wenn ein Zyniker in der Gesellschaft von Damen zynisch ist, so ist er es n u r , weil alle diese Damen ihm keinerlei Hochachtung einflößen. Ich kann mir einen jeden Zyniker denken, der vor einer ,,inner- Hchen Kaiserin des Daseins" verstummte! Tut er es aber auch in diesem Falle nicht, dann ist er ein Zyniker !

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,,Ich verehre Euch, Meister Altenberg, seit Jahren. Aber wozu die Worte?! Ich möchte Euer letztes Werk erstehen. Was kostet es?!"

,,Fünf Kronen."

,,Für drei Kronen würde ich es nehmen .

Aber eine schöne ,, persönliche Widmung" erbitte ich mir natürlich!"

Ich schrieb eine persönliche Widmung: ,,Sie haben mirzweiKronen abgehandelt ,i c h habe es mir abhandeln lassen ; j etzt wissen Sie, was an I h n e n und an m i r ist ! "

3 jähriger Wahrheitsfanatiker, aus dem noch was werden kann:

,,Wen hast du denn besonders lieb, Bubi?! Die Mama?!"

,, Nicht besonders ."

, ,Dein Schwesterchen ? ! "

,, Nicht besonders ."

,,Wen also hast du besonders lieb?!"

„Die Schokolade!"

* Liebesbrief :

,,0h, ich habe ein so grenzenloses Vertrauen zu

Ihnen, daß ich es auch dann nicht verlieren könnte,

wenn Sie es mißbrauchen würden!"

Höchstes Lob (Frau Dr. Eugenie Schw.): „Mein lieber Peter Altenberg, mit keinem der sogenannten ,, Modernen" könnten Sie sich ver- tragen! Mit Gottfried Keller hätten Sie sich ver- tragen, obzwar Ihr von früh bis abend erbittert gestritten hättet!"

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Ausspruch :

„Wissen'.i, bei uns in derHofoper, ich mein' beim Ballet, teilen wir die Künstlerinnen, Sängerinnen, natürlich nicht ein nach dem, was sie können, das is uns Tänzerinnen doch ganz egal, sondern nach dem, ob sie ,,betamt" (liebenswürdig-menschenfreund- lich) oder ,,unbetamt" sind! Die Jüdinnen also sind alle unbetamt natürlich, aber es gibt sogar unbetamte Christinnen bei uns! Und die sind noch ärger!"

*

Für 500 Kronen Honorar erklären dir die Ärzte, du habest „eine leichte Blutzirkulationsstörung". Es sei nichts von Bedeutung. Für drei Kronen erklären sie dir, es sei ein leichter Schlaganfall. Die Haupt- sache wäre, er solle sich ja nicht wiederholen!

*

Ein genialer Arzt verlor seine Stelle und erschoß sich, weil er sich iungen Patientinnen gegenüber schamlos benommen hatte. Sie fragen mich, was ich über den Fall dächte?! Ich rechne mir es aus: 57 Patientinnen in ihrer ,,Ehre" gekränkt, 57 Tausend durch den Verlust des genialen Arztes effektiv ge- schädigt !

*

,,0, Herr von Altenberg, wie geht es Ihnen?! Noch immer nicht verheiratet ? ! Woran arbeiten Sie jetzt momentan?! Schwärmen Sie noch immer für schöne schlanke 15-Jährige?! Und überhaupt, was gibt es Neues in Ihrem reichbewegten Leben?!"

,, Genehmigt!" erwiderte ich gelassen und ent- fernte mich.

210

Jemand sagte zu mir (jeden Tag ist es ein anderer) : „Sie sind der glücklichste Mensch! Sie haben keine Bedürfnisse!"

„Nein, ich habe keinerlei Bedürfnis, Bedürfnisse zu haben, die ich ja doch nicht befriedigen kann!"

Die Forelle, der Hecht sind gefährliche, ewig auf der Raublauer liegende Tiere. Aber man fängt sie geschickt mit irgendeinem Köder. Bei Frauen macht man es aber ungeschickt. Meistens reißen sie sich los und verspeisen nur den Köder!

*

Die Prinzessin sagte: ,,Man macht dem Suder- mann immer den Vorwurf, daß er theatralisch sei. Das finde ich ungerecht. Wenn man das meinem Cousin, dem Louis Liechtenstein, nachsagen dürfte, so wäre es gerecht. Denn der hat's nicht nötig. Aber der arme Sudermann, der ist doch dazu da, theatra- lisch zu sein!"

Ich sandte dem herrlichen ii jährigen Kinde Margit Kr. einen selbstgebundenen Strauß von hellblauen Skabiosen und gelben Teerosen. Die Mama sandte den Strauß zurück mit dem Bemerken, ihr Töchterchen sei noch minderjährig. Ich schrieb: ,, Gnädige Frau, wann erfolgt die Volljährigkeitserklärung für Schön- heit und Anmut?! Gott, Jesus Christus imd die Dichter verstehen nichts von Kalenderberechnung!"

Das mystisch schöne Kind hatte eine unschöne Mama. Alle Damen sagten zu mir: ,,Sie wird der

'4* 211

Mutter nachgeraten!" Endlich kam der wunderbare Vater an, wie ein Sieger-Torero. „Für einen Mann ist er viel, viel zu schön!" sagten alle Damen. ,,Nun und das Kind?!" sagte ich. ,, Weshalb soll es gerade ihm nachgeraten?! Weil Sie es sich erwünschen?! ?" Bestien !

Zwei Schwestern.

,,Die eine kenn' ich noch nicht so genau, ich hab' noch nicht so viel mit ihr gesprochen .

Die andere kenn' ich ganz genau, ich hab' noch

nicht so viel mit ihr gesprochen ,"

Je lustiger, je übermütiger die Geliebte, desto ver- stimmter der Geliebte. Alles geht auf seine Kosten, Unkosten. Aber manche Männer nehmen regen An- teil an diesem Diebstahl vor ihren Augen!

Amüsement ist ,, Ablenkung des Herzens!" Gut- mütigkeit des Mannes verbrecheri- scher Idiotismus!

*

Was nützt es dir, o Jüngling, daß du mit Sorgfalt und Geschmack ein Bukett zusammenstellest aus herrlichen Bergblumen und Gartenrosen ? ! Die Dame fühlt: ,,Die Bergblumen kosten nichts, und die sieben Rosen je eine Krone!"

*

Nur Juden haben die Ungezogenheit, mich zu fragen, weshalb ich stets an dickem, grünem, seidenem Kordon zwei herrliche Automobilpfeifen, Sirenen, trage!? Christen fragen das nie. Sie denken gleich:

212

„Weil er ein Narr ist!" Die Juden lassen sich durch die Frage noch wenigstens die Hoffnung offen!

Mein Gehirn hat Wichtigeres zu leisten als darüber nachzudenken, was Bernard Shaw mir zu verbergen wünscht, indem er mir es mitteilt!

*

Die modernen Damen verlängern sich die Finger- nägel statt des Gehirnes. Das erstere scheint leichter

zu sein!

*

Die Männer suchen ihre Damen von 8 Uhr mor- gens bis II Uhr nachts bei guter Laune zu erhalten! Wahrscheinlich wegen der übrigen Stunden!

*

Körperliche Vollkommenheit verpflichtet zu jeder anderen, geistig-seelischen Vollkommenheit! Aber glücklich die, die zu dieser Verpflichtung verpflich- tet sind!

Ein runder Rücken ist nicht nur ein runder Rücken. Es bedeutet auch einen flachen Brust- kasten !

Weshalb dieses unintelligente Sträuben gegen Nährmittelpräparate wie ,,Sanatogen"?! Jedenfalls wird es euch mehr nützen als Rostbratl mit Erd- äpfelsalat ! Ihr fürchtet euch vor zu viel Kräften ? ! Na ja, ihr müßt es ja wissen, wofür ihr sie dann doch nur verwendet!

213

Nährmittel haben zur Voraussetzung „eine ganze verfeinerte Kultur". Sonst bleibe man bei dem a la Hunnen auf dem Sattel weichgerittenen Roastbeef!

*

Ich habe gelesen: Den Engländern fehlen leider zwei Sachen: Sinn für „feine zarte Küche" und Sinn für „feine zarte Musik". Jetzt weiß ich, weshalb sie die Welt unterjocht, viel Geld und viel Ehre gemacht haben!

Ich habe meinen Gatten lieb, weil er mich reich

ausstattet! Ich habe meinen Geliebten lieb, obwohl

er mich nicht reich ausstattet ! Wie lieb hätte ich erst

einen Geliebten, der mich reich ausstattet! Aber das

gibt es ja gar nicht; der hat das doch nicht nötig, das

wäre ja ein idiotischer Verschwender, den man unter

Kuratel setzen müßte!

*

„Ich denk' über so viele Sachen nach, Gustav, und da werd' ich ganz blöd. Wann ich einmal gar nicht nachdenk', und was ganz Blödes sag', dann sagen die Leut', daß es riesig g'scheit is. Aber unbewußt sagen sie. Das heißt also, daß es doch blöd is, nicht, Gustav?!"

Die 5 jährige Edith sagte abends beim Abschiede zu mir: „Also wann, wann, wann ?!"

Da ergänzte die Mutter: ,, werden Sie morgen wiederkommen ? ! "

,,Aber geh', Mutti, das weiß er ja, was ich gemeint hab'!"

*

214

Je tiefer die seelische Liebe der Frau, desto geringer ihre „physiologische" Erregbarkeit. Das scheint schauerlich paradox zu sein! Die „Liebe" verteilt ihre Erregung auf den Gesamt Organismus, während minderwertige Gefühle nicht diese Kraft haben, sondern sich lokalisieren!

*

In jeder schönen Frau, in jeder wohlgestalteten, steckt die ,,Hure". Sie kann nicht anders als Tag und Nacht von dem Gefühle gereizt, gekitzelt, erregt zu werden als dem: ,,Ich könnte jeden Mann selig machen, ihn in die letzten Räusche bringen!" Eine Frau von diesem Weltenempfinden weg auf sich konzentrieren wollen und können, ist das Wesen der glücklichen Liebe! Ich bezweifle, daß es bei einer wirklich vollkommen schönen Frau gelinge! Aber wie viel solcher gibt es ? ! Also gibt es doch viele ,, glückliche Liebende". Und dann: die Frau rechnet mit ihrem allmählichen ,, schäbig- werden". Das ver- mehrt die Chancen der Idioten! Übrigens

gibt es noch die sogenannte ,,gute Erziehung". Ja, die Idioten haben Chancen!

,,Ich bin gewitzigt'', heißt: ,,lch bin gewitzigt über die Dinge, über die ich gewitzigt bin. Aber über die Dinge, über die ich noch nicht gewitzigt bin, über die bin ich noch nicht gewitzigt!"

,, Glauben Sie, daß ich die Dinge nicht ebenso wenig ernst nehme, wie Sie, Dichter?!"

„Ich glaube es, weil Sie kein Dichter sind!"

*

215

Ist denn nur das „sich nicht mehr anschmieren lassen", im Leben wertvoll?!

Nein, man kann auch wissentlich einem alten schäbigen Hausierer für ein Paar Hosenträger fünf Kronen bezahlen!

,,Sie reizen uns unnötig auf mit Ihren anar- chistischen Theorien!" sagte eine junge Dame zu mir.

Wie würde ich es erst tun, werm ich es für nötig hielte!

Ich zeigte jemandem, der mich besuchte, mein geliebtes Ansichtskartenalbum. Auf einer Seite waren : Napoleon, Hugo Wolf , Beethoven-Totenmaske, Peter Altenberg.

,,Was, gut plaziert!?" sagte ich.

„Gewiß!" erwiderte verlegen und verbindlich lächelnd der Gast.

„Woher nehmen Sie ununterbrochen Ihre Be- geisterung für Frauen, Kinder, die Natur?!" sagte jemand zu mir.

„Von Abführmitteln! Tamar Indien Grillon! Von meiner ,, inneren Unbeschwertheit"!

,,Sie scherzen!"

„Gewiß. Denn Sie würden davon nur Diarrhöen kriegen!"

,,Wir sind eben noch keine „chemischen Retor- ten! Schauen Sie doch die ,, Roßknödel" an auf der

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Straße, woraus das Pferd seine ganze riesige Kraft gezogen hat! ?"

,,Ja, es ist eine wahre Roßnatur!"

*

„Was verstehen Sie eigentlich unter „Kunst"?!" sagte ein Herr um Mitternacht, bei Champagner, zu mir.

,,Da müssen Sie noch ein bisserl was bar drauf- zahlen, wenn ich Ihnen die Frag' jetzt beantworten

soll!"

*

Wenn jemand magenkrank ist, so muß ein moder- ner Arzt ihn sogar fragen: ,, Haben Sie mit Ihrer Wäscherin nie so ,, leichte Konflikte", oder verkehren Sie nicht mit ärmeren Leuten als Sie sind, oder schläft Ihre Geliebte nicht gern bei anderen?!" Solche Kleinigkeiten schon können einen über- empfindlichen Organismus aus dem sogenannten Gleichgewichte bringen.

Was du nicht willst, daß man dir tut, das tu' geschwind den andern an, denn sie tun dir's jedenfalls an!

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Druck der Spamerschen Bucbdruckerei in Leipzig

WERKE

VON PETER ALTEN BERG

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Wie ich es sehe

Siebente vennehrte Auflage. Geh. 5 Mark, geb. 6 Mark.

Was der Tag mir zuträgt

Vierte vermehrte Auflage. Geh. 5 Mark, geb. 6 Mark.

Prodromos

Dritte Auflage. Geh. 3.50 Mark, geb. 4.50 Mark.

Märchen des Lebens

Vierte vermehrte Auflage. Geh. 4 Mark, geb. 5 Mark.

Die Auswahl aus meinen Büchern

Vierte Auflage. Geh. 3 Mark, geb. 4 Mark.

Neues Altes

Dritte Auflage. Geh. 3,60 Mark, geb. 4,50 Mark.

Wie ich es sehe

Es ist ein schönheitstrunkenes Evangelium raffiniert gesteigerten und doch kindlich -reinen und seelenvoll- heiteren Lebensgenusses der Sinne und des Geistes. Und dabei eine ganz neue Gattung in Stil und Vortrag. Die Ausdrucksweise subtilster Gefühlsregungen ist dadurch wesentlich bereichert worden. Schattierungen im Emp- findungsleben spricht es aus, die bisher unausgesprochen waren, in deutscher Sprache wenigstens. Dadurch gewinnt das Buch eine besondere Bedeutung. Die Mittel der Dar- stellungskunst werden ganz einfach dadurch erweitert. Es ist wie ein neues Instrument, mit Saiten, die man noch nicht kennt und die, nur leise und linde berührt, eine ganze Welt von Tönen hören lassen, (Grazer Tagespost)

Was der Tag mir zuträgt

Um seine Altenbergereien, seine eigenen Nuancen, von Humor, von Liebe, von Heldenverehrung, von Sinnlichkeit, von Trauer gut auszudrücken, hat Peter Altenberg seine persönliche Kunstform erfunden, und sie feiert in diesem Band voll bunter, amüsanter, zusammengetragener kleiner Skizzen wieder große Triumphe. Er läßt eine Tischrunde ruhmhungeriger junger Leute eine Zeitschrift begründen und den Herausgeber mit der großen Brieftasche um- schwärmen; da zittert und schwirrt es bei scheinbar sach- lichen Gesprächen nur so durcheinander von allen mög- lichen Ober- und Untergedanken der ungeduldigen Jüng- linge. Oder er liest einem jungen Mädchen, das den ersten Tag seines Dienstes am Postschalter hat, die ganz und gar nicht zur Sache und zum Dienst gehörigen, zwischen Federeintauchen und Auskunftgeben vorüberblitzenden Vor-

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Stellungen ab. Ganz ohne Romantik, wie sie früher in solchen Fällen beliebt war früher hätte eine solche Postnovize zumindest ein sterbendes Kind zu Haus gehabt ganz ohne äußeren Aufputz ; ganz den wirklichen Beobachtungen und ihren verborgenen Geheimnissen entsprechend; ganz wie der Tag es ihm zuträgt. (Die Zeit, Wien)

Prodromos

Peter Altenberg gibt in seinem neuesten Aphorismen- werk eine Anleitung zum Lebensgenuß. Er sagt uns, was wir essen und trinken sollen, wie wir unseren Körper pflegen sollen, indem er die Behaglichkeit und die Beweglichkeit des Seelenlebens schildert, die wir dadurch gewinnen. Es sprüht in diesem Buch auf allen Seiten, und dieser Funken- regen eines lustigen Philosophen zerstört die lasse Moral eines satten PhiUstertums so unerbittlich, wie die Müdig- keit einer Nur-Ästhetik. Es ist ein Lebensbuch von uner- schöpflicher Klarheit, eine ganz moderne Philosophie von Leib und Seele, wie sie gleich einheitlich nur im Athen eines Plato oder im Rom des Neuplatonismus geschrieben werden konnte, wie sie in den Religionen Buddhas und Alexandrias vorherrscht, er baut den Vorhof zu einem

Tempel der zukünftigen Menschheit. (Leipziger Neueste Nachrichten)

Märchen des Lebens

Im Hinhören, im Aufmerken, in einer neidenswerten Fähigkeit des Staunens liegen Altenbergs ursprünglichste Dichtergaben. Die Welt ist so reich. Jeden Tag sehen wir ja, wie kann man das alles aufzälüen? , wir sehen Wolken über den Himmel gehen, ein Füllen auf der Weide springen, eine Blume blühen, eine schöne Frau lächeln. Aber wenige von uns haben die Gabe, über das alles nach

Gebühr zu staunen. Vielleicht muß man vom Leben etwas zur Seite gestellt sein, um das alles so gierig, so dankbar, so heiß und schmachtend aufzufassen, wie es Peter Altenberg tut. Wir gehen die Straße des Lebens, ungeduldig, präokkupiert von der Sehnsucht nach den großen Sensationen. Wir suchen am Horizont nach den gewaltigen Gebilden der Berge. Peter Altenberg aber bückt sich indes, hebt einen Kiesel von der Straße auf und weist ihn lächelnd, liebevoll, mit einer fast preziösen Geste dar. Und siehe da, der Kiesel ist ein wahres Wunder, und wir müssen tun als sähen wir ihn zum ersten Male. Liegt es nur an der preziösen, entzückten Geste, mit der er dar- gereicht und uns endlich einmal eindringlich ins Bewußt- sein gerückt wird ? {Münchener Neueste Nachrichten)

Die Auswahl aus meinen Büchern

über Peter Altenberg ein Urteil in gemessenen Zeilen abzugeben kann ich mich nicht erkühnen. Man kann über diese personifizierte Absonderlichkeit denken, wie man will, verweilen wird man bei ihr müssen. Er hat die feinsten Nerven in ganz Wien. Darum muß man ihn lesen, ablesen wie einen Thermometer, Barometer, Hydrometer, kurz wie irgendein Kunstwerk physikalischer Feinmechanik. Viel- leicht gehört das Urteil über Peter Altenberg wirklich der Zukunft? Vielleicht hat er instinktiv das getan, was nur er sich erlauben durfte: seinem Buche eine Selbstanzeige mitgegeben, eine Selbstanzeige, worin es heißt: ,,Ich habe vier Bücher herausgegeben: ,Wie ich es sehe', ,Was der Tag mir zuträgt', .Prodromos', .Märchen des Lebens'. Ich hielt dieselben für , Extrakte', für Extrakte meines eigenen Innenlebens und eigentlich des Lebens überhaupt!

Ich hielt mich für das kurzgefaßteste Herz, für das kurz- gefaßteste Gehirn eines modernen Schriftstellers, für das Unbelästigendste, Zeit nicht Raubendste, das es gäbe! Aber ich habe mich geirrt. Man kann aus den vier Büchern noch die .wertvollsten' Perlen herausfischen und so dem einen Leser die Mühe ersparen, überhaupt je wieder etwas von mir zu lesen, den anderen jedoch dazu verführen, nun alle Werke zu erstehen! Man warnt also menschenfreund- lichst dadurch seine Nichtversteher, während man mit seinen Verstehem ein glänzendes Geschäft vielleicht zu machen in der Lage ist I Deshalb, aus Menschenfreund- lichkeit und Gewinnsucht zugleich, veröflfentüche ich die , Auswahl'!" . . . Hat man die feinen Sächelchen, diesen Seelenhauch gelesen, scheint das Leben eine unüberwind-

Üche Brutalität. (Wiener Abendpost)

Neues Altes

Eben habe ich ein wundervolles Buch gelesen, keines für Philister, die finden nichts darin, keine Geschichten, keine Moral und keine Unmoral. Es sind Perlen und wieder nicht Perlen, wie man sie sich gewöhnlich vorstellt, sondern wie sie aus der Hand einer feinen, innerlich vor- nehmen Klavierspielerin aus den Tasten oder über die Tasten des Flügels rollen, unsagbar rund, unsagbar matten Glanzes reine Kunst. Das Buch ist von Peter Altenberg und heißt , Neues Altes'. Was drin steht sind Briefstellen, Tagebuchnotizen, Skizzen, manchmal nur eine Bücher- widmung, selten mehr als eine Seite lang, oft ein paar wenige Zeilen, ein Nichts für den Philister, eine Perlenschnur

für den Liebhaber. (Nationalzeitung, Basel)

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