mm Wanderungen, Anbau und Agrarrecht \ öl ker Europas Qördlich der Alpen. Von Au^nsi SEeltzen. Erste Abtheilung: Siedelung und Agrarwesen der Westgermanen und Ostgermanen, der Kelten, Römer, Finnen und Slawen. 33oL22LCi I. lt< Hin 1899. Verl d W LI heim Hertz Becier'sche Buchhandlung. Ec.H (A, 515*3 &> Siedelung und Agrarwesen der Westgermanen und Ostgermanen, der Kelten, Römer, Finnen und Slawen. Von August Meitzen. Band. I. Mit 52 Abbildungen. t1' Berlin 1895. Verlag von Wilhelm Hertz Besser'sche Buchhandlang. .Dem vorliegenden Werke, dessen Absicht und Ergebnisse in Abschnitt I 1, 5 und XIII dargelegt sind, habe ich nur wenige per- sönliche Worte vorauszuschicken. Meine theuren Freunde und Lehrer G. Hanssen, A. v. Midden- dorff und K. Müllenhoff, denen die Schrift zu widmen gewesen wäre, sind vor deren Vollendung dahingeschieden. Ihrer und vieler Anderer Arbeiten, auf die ich mich zu stützen hatte, habe ich ein- gehend gedacht. Einem jüngeren Kreise aber möchte ich neben der Anerkennung solcher Vorarbeiten aussprechen, wie lebendig er im persönlichen Verkehr, auf gemeinsamen Studienreisen, oder im wissenschaftlichen Seminar, durch Nachrichten und frischen Gedankenaustausch meine Auffassungen gefördert hat. Mehr wohl, als ihnen selbst bewusst, bin ich Karl Lamprecht, Max Weber, George Hulin, Robert Hoeniger, Erich Liesegang, Johannes Peisker, Josef Paczkowski, Joan Barbovescu, Gustav Schmidt, Eduard Otto Schulze für solche Anregungen dauernd verbunden. Friedrich Grossmann hat überdies noch die Last auf sich genommen, jede der VI Korrekturen zu lesen. Viel verdanken diese auch dem Sprachsinn meiner Tochter Gertrud. Frl. Margarethe Lehmann-Filhes aber schulde ich die unerwartet schwierig zu erreichende genaue Ueber- setzung und dialektische Auslegung der nordischen Quellen und deren Kommentare. Schliesslich habe ich mit freundschaftlicher Hochschcätzung des Herrn Verlegers zu gedenken, der aus seinem persönlichen Verständniss den Muth schöpfte, mir die Veröffentlichung eines so weitaussehenden, kostspieligen und durch mein Alter unsicheren Unternehmens mit liberalem Entgegenkommen anzubieten. Berlin, im Juli 1895. A. M. Inhalt. I. Allgemeine Gesichtspunkte der Aufgabe. 1. Das Gebiet der modernen Weltkultur. S. 1. Die Entwicklung des Anbaues ist von den geographischen Verhält- nissen bedingt. Europa wird durch die Pyrenäen, die Alpen und den Hämus in einen süd- lichen Theil, den Sitz der antiken Kultur, und in einen nördlichen, den Sitz der modernen Weltkultur geschieden. 1. Die Kultur des Südens wurde schon in dunkler Vorzeit durch die erziehenden Anreize der an Gegensätzen reichen Natur des ^Iittelmeerbeckens gefördert. Sie erlangte neue Blüthe durch die Griechen.^8. Dem Becken der Nord- und Ostsee dagegen sind grosse Gleich- mäesigkeit in Boden und Klima, geringe Hülfsmittel und strenge Ansprüche an Arbeit eigenthürnlich. Der Vergletscherung folgte Steppe und "Waldwildniss. Alle Nutzpflanzen, Wirthschaftsbedürfnisse und Kunstfertigkeiten brachten die Einwandrer aus der Ferne mit. Näheres ergeben Geologie, Ethnographie und Sprachforschung. 5. Indess verzichtet die Untersuchung der Siedelung zu- nächst darauf, an diese Erkenntniss anzuknüpfen, sondern beabsichtigt die noch in der Gegenwart nachweisbaren wirtschaftlichen Thatsachen darzustellen, und von diesen zurückgehend den Zusammenhang mit den Anfängen des Agrarwesens aufzusuchen. 6. 2. Stellung von Land und Stadt im Kulturleben. S. 7. Die Landwirthschaft schliesst alle Anfänge des wirthschaftlichen Da- seins in sich. Handel und Industrie haben sich erst allmählich von ihr los- gelöst. 8. Selbständigkeit des Bauern. Abhängigkeit des Handels und der Industrie vom Absatz. Treibende wirthschaftliche und politische An- sprüche des städtischen Lebens an Gemeinsinn und Regierung. 9. Ein- greifen des Staates in das Agrarwesen durch die moderne Landeskulturgesetz- gebung. 10. 3. Zusammenbang der beutigen Zustände mit der ersten Ansiedelung. S. 10. Die erste feste Ansiedelung bleibt Grundlage für die gesammte Agrar- entwicklung. Auch dem Nomaden-, Jäger- und Fischerleben sind strenge Ge- VIII bietsabgrensungen, einiger Ackerbau und bleibende Wohnstätten bekannt. 11. Der Gegensatz der festen Ansiedelung als Form des Volksdaseins liegt in der dauernden Niederlassung eines Kreises von Stammesgenossen, der seine Lebenserhaltung auf Anbau in bestimmten Grenzen und als Gemeinwesen mit nachbarlichen Rechten und Pflichten begründet. 14. Die Bedingungen sind in Nordeuropa besonders klar erkennbar. 15. Gründe, weshalb deutliche der ältesten Einrichtung sieb unverändert bis auf die Gegenwart er- balt eii haben. 16. Die Spuren der alten Anlagen zeigen sieb in den be- stehenden Formen der Wohnplätze, der Vertheilung der Grundstücke zu Be- sitzungen und in der Art ihres gegenseitigen Rechts. 19. 4. Begründung der Agrargeschichte auf die Anschauung der Siedelungsformen. S. 19. .1. Mosers lange massgebende Auffassung der Einzelhöfe Westfalens. C. F. Eichhorn. 20. O. C. Olufsens Untersuchung der Dorffluren mit Gevvann- eintheilung erkennt G. Hanssen in ihrer wissenschaftlichen Bedeutung und Bchliesst das Bild des deutschen Agrarwesens an die Gehöferscbaften im Reg. -Bez. Trier an. 24. Die weiteren agrarbistoriseben Forschungen von A. v. Haxthausen, W. Röscher und G. Waitz, 25. von V. Jakobi, H. Landau, Fr. Seebohm, H. Ranke, K. Lamprecht. 27. 5. Grundlagen und Ziele der Darstellung. S. 28. Betheiligung des Verfassers an den bisherigen Forschungen. Befrie- digende Ziele sind nur durch die Erschliessung des allgemeinen nationalen und historischen Zusammenbanges der verschiedenen agrarischen Erscheinungen zu gewinnen. 29. Plan der Darstellung, zwei Abtheilungen: I. Siedelung und Agrarwesen der betheiligten Völker von ihrem ersten Auftreten nördlich der Alpen durch die Zeitläufe, während welcher ihre Entwicklung den Charakter der im wesentlichen bäuerlichen Kleinwirthschaft bewahrte. IL Die deutsche Kolonisation des Ostens, der Grossbetrieb und die Fortschritte und Aussichten der modernen Landwirth schaff. 31. IL Die nationalen Eigentümlichkeiten der Siedelung der Germanen, 1. Gebiet der volkstümlichen germanischen Siedelung. S. 33. Reste der ältesten nationalen Siedelung sind am sichersten bei den Ger- manen zu finden, weil diese allein Volksland besitzen, welches nie unter fremden Einfluss kam. Abgrenzung ihres Volkslandes. 34. Im Westen und Süden : gegen Kelten und Römer die Weser vom Meer bis zur Porta und die Höhen von Rothhaar, Westerwald, Taunus, Rhön und Thüringerwald; im Osten : uralter Grenzzug zwischen West- und Ostgermanen, Reckenitz, Tollense, Randau, Oder, Neisse, Sudeten bis Jablunka. 36. Er wird seit Attila von den Slawen überschritten. Karls d. Gr. Limes sorabicus: Regensburg, Fürth, Regnitz, IX li/, Saale, Elbe, Ohre, Ilmenau, Delvenau, Schwentine, Kieler Foerde. .'IT. Im Norden: gegen 'li«' Finnen Drontheim, Qedemarken, die Gebirge von Werme land und Dalarne, Bowie Balogaland. 38. 2. Die germanischen Ansiedelungen nach Gestalt und Grösse. S. 42. Schwierigkeil der Unterscheidung der alteren Ansiedelungen von den neueren. Ortsnamenforschung Arnolds. 43. Die typische Debereinstimmung der Durfanlagen ist aus den topographischen Karten zu beurtheilen. 45. I>ie Hnfendörfer des germanischen Volkslandes. 47. Jenseits der Grenzen des- selben liegen im Westen Marschdörfer längs der Nordseeküste (Aid. 86, tl8) 18; und Einzelhöfe in Westfalen (Aal. /, 1\ 69, 73, 89 und 92) 49; im Osten Reihendörfer der Gebirgskolonisation (Anl. 4, 1KJ, l'lo; 50; sowie slawische Runddörfer (Anl. -V, 107, 136, 138) 52, und Strassendörfer (Anl. 129, 134, t35, 139). Die Verschiedenheil der Dorfformen bedingt die Verschiedenheil des Wegenetzes (Anl. 4) 54, und der Grössenausdehnung des Kulturlandes. 55. Notwendigkeit auf den Zustand vor den Verkuppelungen der Neuzeit zurückzugehen, namentlich in Norddeutschland, Dänemark und Skandinavien. (Anl. 16, 17.) 56. 3. Wirthschaftseinrichtung und Betrieb. S. 60. Wesen uud Bedeutung der Flurkarten. 60. Gleichartigkeit der Eigen thumsvertheilung in den Dörfern des germanischen Volkslandes. Der Besitz des einzelnen Gutes gleichmässig über die Flur zerstreut. (Anl. 5—19.) 61. Viele Parzellen völlig unzugänglich. 62. Das Wegenetz später als die Acker- theilung entstanden. Bestimmungen der skandinavischen und der deutschen Gesetze über die Wege. 63. Notwendigkeit des Flurzwanges. 66. Ein- theüung des Ackerlandes in mehrere Wirthschaftsscbläge. Verbreitung der Felderwirthschaft. Beginn mit Brennkultur, dann Hackwirthschaft, wilde Feldgraswirthschaft 69, später regelmässige Schlag- und Felderwirthschaft. 70. Die einzelnen Wirthschaftsscbläge unter sich an Fläche ziemlich gleich, ebenso die Besitzstücke der einzelnen Bauern auf jeden Schlag gleichmässig ver- theilt. 70. Zwang gleichzeitiger Bestellung und Ernte verschärft durch das gemeinschaftliche Weiden des Viehs. Wirtschaftliche Bedeutung des Flur- zwanges. 71. 4. Die Hufenverfassung der Germanen. S. 72. Grundlage der Eigenthumsvertheilung ist die Hufenverfassung. Allge- meine Vorschriften Karls des Grossen über denHeerbann. 72. Begriff der Hufe. Wortsinn. 73. Grösse verschieden, aber in derselben Flur stets gleich. 75. Das Hufengut gilt als Persönlichkeit. 76. Auch Morgen, Acker, Tagwerk- verschieden. Wegen der Gewanne kein Bedürfniss fester Maasse. 17. Die verschiedenen Grössen, häufige Theilungen und Standesunterschiede der Tneil- besitzer führten zu neuer Klassifikation der Besitzungen. Höfe, Voll- und Halbhöfe, Kötter, Anbauer. Wiederherstellung der richtigen Hufenantheile in der Flur, erläutert durch die nordischen Gesetze des 13. Jahrhunderts über die Beebningsprozedur. 79. Hülfsmittel für die Ermittelung der Anzahl und der Grösse der Hufen in der Dorfflur. 81. 5. Grundsätze und Verfahren der Gewannmessung. S. 83. Einfachstes Verfahren rechteckige Gewanne abzugrenzen, jedes in soviel gleiche parallele StreifeD, als Hufen bestehen, zu theilen und diese nachdem zuzuweisen. Erleichterung durch das übliche Pflügen in Beete. 84. Die Geeren. 86. Raine oder Grenzsteine nicht üblich. Wo die Pflüge wenden mussten, entstanden Anwände. 87. S-förmiges Verpflügen der Ackerst reifen allgemein. (Anl. 5, 6, 7.) 88. Beseitigung der Grenzverwirrungen in Skandinavien durch die Reebningsprozedur, in Deutschland durch die Feld- geschworenen. 89. Die Messwerkzeuge. Verfahren regelmässiger Aufmessung nach Breiten. 91. Beispiele. (Anl. 5—7). Breitenmaasse. 95. Messungs- verfahren für unregelmässige Gewannstücke nach den Flächengrössen. 96. Beispiele. (Anl. 12—15). Flächenmaass sind Flur- oder Lagemorgen. 101. unentwirrbare Flächenverschiebung konnte nur durch Breitenmessung wieder berichtigt werden. 105. Die ältere Messung nach Flächen, die jüngere nach Breiten. 106. 6. Alter und Veränderungen der Gewanneintheilung. S. 106. Feldeintheilung nach Morgen erweisen auch die Urkunden als die älteste. 107. Hufen nach Morgen, jugera und carrada in kirchlichen Re- gistern und in den Reebningsgesetzen bezeichnet. 108. Regulirung durch Feldgeschworene und durch Reebning in langen Streifen nach Verhältniss- grössen. 112. Beide Verfahren nur juridisch, nicht praktisch verschieden. Auch grundherrliche Regulirungen bekannt. 113. Zusammenziehung meh- rerer Gemarkungen zu grossen Dorf- und Stadtfluren. (Anl. 18, 19) 114. Alle Regulirungen der einzelnen Flur lassen die wesentliche Grundlage der ursprünglichen Siedelung unberührt. 118. Dafür bleibt die Frage des Ge- meindebesitzes und der periodischen Ausloosungen unwesentlich. (Anl. 145, 151.) 118. Die Regulirungen gehen bis vor die Karolingerzeit zurück und stellen stets die Gewranneintheilung nach gleichen Hufen anrechten wieder her, welche schon der ersten festeu Ansiedelung angehört. (Anl. 20.) 119. 7. Marken und Markgenossenschaften. S. 122. Ausdehnung der unangebauten Ländereien auf dem Gebiete der natio- nalen Siedelung. 122. Verschiedenartigkeit der Besitzverhältnisse. 123. Marken im engeren Sinne stehen in genossenschaftlichem Eigenthume. 124. Organisation der Markgenossenschaften. Markgerichte. Holtdingsprotokolle. 125. Ihre Geschichte ist nur örtlich klar zu stellen. 126. Untersuchungen V. Hammersteins über den Bardengau. (Anl. 21.) 127. Fortschreitende Auf- lösung der Marken. 128. Marken und Gaue müssen auf verschiedenen Grundlagen beruhen. Marken sind Trümmer des alten Volkslandes, die An- rechte der Markgenossen Reste herkömmlicher Nutzungsrechte der Volks- genossen. 129. 8. Die Entstehung der Dörfer und der Marken. S. 131. Deutschland zur Zeit des Tacitus bereits fest besiedelt. Nicht lange vorher noch Nomadenthum vorherrschend. Angaben der Römer und Griechen. 132. Sueven, Bastarnen, Cimbern. 133. Die Uebervölkerung führte früh XI zu Wanderungen nach der Nordseeküste, Rheinland und Ungarn; später zur festen Ansiedelung. 134. Die festen Ansiedelungen sind nicht vereinzelt vorgeschoben oder allmählich entstanden, auch nicht als Bifänge. 136. Eine in einem Jahrhundert lebhaft fortschreitende Krisis des Volkslebens erzwang sie. 137. Nachrichten Cäsars. 139. Die ärmere Hauptmasse der Gemeinfreien wurde auf kleinem Kaum in Dörfern sesshaft und durch Acker- bau selbständig. Auf dem grossen Rest des Volkslandes bestand der bis- herige Weidebetrieb der Besitzer grosser Heerden fort. Nach deren Siedelung blieben die Marken übrig. 139. Erklärung durch die Hundertschaften. 140. Sie sind weder Geschlechter noch Heereskörper, sondern Weidegenossen- schaften von etwa 120 Familien oder 1000 Seelen. 141. Ihre Weidereviere sind in den Harden Dänemarks, Norwegens und Schwedens erhalten S. 142. Bedarfs- und Gebietsberechnung. 145. In Dänemark 2 bis 6 D Meilen. (Anl. 22.) 147. Im Suevenlande ebenso. 150. Anwachsen der Volkszahl zwingt zum festen Anbau. Entstehung der Dörfer. Bei der Anlage schon Abgrenzung des Dorf landes gegenüber dem Weidebetrieb und Regelung der Waldnutzungen nothwendig. 151. Voraussetzung sind überall vertragsweise Auseinandersetzungen in den Gaugemeinden. 152. Die Theilung des überwiesenen Dorflandes unter gleichberechtigte freie Anbauer ergab Hufenverfassung und Gewann- eintheilung. 158. Gemeinbesitz bestand für alles ungetheilte Land. Ob auch für das getheilte lässt Tacitus zweifelhaft. Für die Gesammtgestaltung der Anrechte und des Betriebes unerheblich. 160. 9. Almen den und Almendberechtigte. S. 162. Die zur Dorfmark gehörigen unvertheilten Grundstücke bilden die Al- mende. Unterschied zwischen Almende und Mark. 162. Verhältnis* der Almende zum Sonderland. Die Hufen ursprünglich ideelle Theile der Almende. Aus ihr das Hufschlagland ausgesondert, die Almende nirgends ganz aufgetheilt. 163. Der Nachwuchs der Bevölkerung wird in der Almende sesshaft, an Stelle der Hüfnergemeinde entsteht die Gemeinde der ansässigen Wirthe. 164. Almende im neueren Sinn des Wortes. Die alten Hüfner oft bevorrechtet. Auch gelten die Almenden als Bürgervermögen oder Eigenthum der politi- schen Gemeinde. 165. Einfluss der Gutsherrlichkeit in älterer Zeit. 165. In der Neuzeit wurden die Rechte der Dorfgenossen an der Almende meist zu Servituten. 167. Servitutsablösungen, Gemeinheitstheilungen. 168. 10. Bäckblick auf die germanische Siedelungsweise. S. 168. Gebietsgrenzen der germanischen Siedelungsweise. Anlage der Ort- schaften. Das zugehörige Kulturland. 169. Die einzelnen Besitzungen. Hüfner, Käthner, Gärtner, Fremde, Pfarrei, Dominium, Gemeinde. 170. Gewanne, ältere, jüngere, Flächengrössen , Regulirungen, 171. Bewirth- schaftung, Schläge, Flurzwang, gemeinsame Ackerwreide. Almende. 172. Gemeine Marken, Markgenossen, Marknutzungen, Abfindungen. Dorf- und Gutsgemeinden. 173. XII III. Nationale Siedelung und Agrarwesen der Kelten. 1. Die Kelten in Irland. S. 174. Lage and Bodenbeschaffenheil Irlands. 174. Besiedelung aus den Surveykarten deutlich. 175. Herkömmliche Landeintheilung in townlands zu je 1 quarters, jeder zu 4 oder 6 tates. Schon im 7. Jahrh. bestanden 184 Clane zu je o(> townlands. Die tates sind Einzelhöfe mit geschlossenem, blockförmig eingehegtem Grundbesitz. 176. Unveränderter Bestand unter der Bewirth- schaftung in Kleinpacht. 179. Aufschlüsse über Recht und Agrarverfassung. Quellenschriften über Irland und Wales. 180. 2. Die Clanverfassung und die Ständeunterschiede. S. 182. Clan, Bedeutung, Organisation und Verwaltung. 182. Väterliche Ge- walt des Häuptlings. Kein erblicher Grundbesitz der Clanmitglieder, nur Recht auf genügende Landausstattung. 183. Bauweise und Einrichtung der Häuser. (Aul. 23, 84.) 184. Hausgemeinschaften von je 16 Familien. 186. Entsprechende Theilung der Ländereien beim Uebergang zur Sess- baftigkeit. (Anl. 150.) 187. Schroffe Standesunterschiede. Stellung der Aristokratie. Die Kerne gegenüber dem Volk, den Fene, und den Sklaven. 188. Nicht Geburt, sondern Heerdenreichthum begründet den Adel. 189. Landes- regierung: 1 Oberkönig, 4 Könige, 184 Clanhäuptlinge. 190. 3. Der keltische Grundbesitz und seine Bewirtschaftung. S. 190. Die bekannten Townlands sind Ergebniss der festen Ansiedelung. Die alten Hirten -Clane entsprachen den germanischen Hundertschaften. 191. Bauten aus der Vorzeit. (Anl. 28.) Nachrichten über den Uebergang zur Sess- haftigkeit. 193. Seebohms Auffassung. 194. Durchführung der festen Ansiedelung um 600 n. Chr. 196. Verfahren bei der neuen Einrichtung. 197. Die Tates gleichen den Hufen in Deutschland. Fortdauer der patri- archalischen Stellung der Häuptlinge. 198. Verfall der Clanverfassung in Folge Erblichkeit des Besitzes. Gleiche Entwickelung in Wales. 199. 4. Dauernder Einfluss der Clanverfassung. S. 202. Vermehrung der Tates. 202. Die Häuptlinge vergeben ihr Demesnegut und das gemeinschaftliche Land des Clans gegen Rente. 203. Die Häupt- linge werden durch englisches Recht Grund- und Gutsherren. 204. Gavel- kind und Tanistrysystem. 205. Unter Jakob I. werden die Clanmitglieder per- sönlich frei, erlangen aber kein Eigenthumsrecht. 206. Das Landvolk wird Zeitpächter der Landlords, ausnahmsweise nach Ulster-Custom gesicherter. 207. 5. Das Runrigsystem und das Zusammenpflügen. S. 207. Begriff des Runrigsystems. 208. Beispiele. 209. Wesen und Noth- wendigkeit des Zusammenpflügens, cyvar. Verbreitung in Nordwales und Ir- land. 210. Das Runrigsystem steht nicht im Widerspruch mit der Einzel- hofsiedelung, ist auch kein Rest einer älteren Agrarverfassung. (Anl. 27.) 215. Erklärung seines Ursprungs 218. XIII 6. Die irischen Pachtzustände. S. 218. Die Pachtverhältnisse nach und nach immer drückender. I>as Bewnsstsein des alten Clanrechtes bleihl erhalten. 219. Versuche der Gesetzgebung die Besitzverhältnisse zu hessern. 220. 7. Das Volksthum der Kelten in Britannien, Gallien und Helvetien. S. 220. Nationale Eigentümlichkeiten des keltischen Wirthschafts- und Familien- lebens in Irland, Wales und Schottland. 221. Spuren analoger Verhältnisse in den von den Kelten besiedelten Gebieten Britanniens, Galliens und Süd- dentschlands. 222. Nachrichten Strabos und Caesars über Süddeutschland und Gallien. Dichte Bevölkerung. Viele Städte 223. Einzelhofsiedelung 224. Gebäude. (Aul. 28, 94.) 225. Ackerbau gut entwickelt. 227. Stellung des Adels und der Priesterschaft. 228. In Gallien vorgeschrittene Kultur ohne Spuren der Clanverfassung. 229. Die Verhältnisse in Britannien stehen den alt- irischen nahe. Beste der Clanverfassung. 230. Weibergemein schaff bei den Kelten, Mutterrecht. 231. IY. Grundbesitzverhältnisse , Kolonien und Landwirtschaft der Römer. 1. Die älteste Siedelung in Italien und in den Alpenländern. S. 233. Das Festhalten der Römer am Althergebrachten, ein Hilfsmittel für das Verständniss der ältesten Zustände. 234. Italien vor der römischen Herrschaft besetzt durch Ligurer und Siculer, später Italer, Etrusker und Gallier. 335. Die älteste Kulturentwicklung aus den Terramares zu erkennen. 237. Pfahlbauten Italiens und der Schweiz wahrscheinlich ligurisch. 241. Runde Hütten der Italer in Umbrien. 243. Dorfmässige feste Ortschaften mit Ackerbau und mit den Nutzpflanzen und Hausthieren der Neuzeit vor der Gründung Roms. 245. 2. Agrarische Alterthümer Borns. S. 246. Handelslage der Stadt. 246. Ursprung der landwirtschaftlichen Nieder- lassung. 247. Die Gebäude rund. Stroh- und Lehmhütten. (Anl. 28.) 248. Aelteste agrarische Einrichtungen. Bina jugera als heredium der einzelnen Bürger. 250. Des ager romanus Grösse, 251. Ertrag und Bedarf. 252. Er genügt als Weide 3000, bei Ackerbau 20000 Bürgern. 255. Bevölkerung Roms in älterer Zeit. 256. Eintheilung in Curien, Dorfgenossenschaften. 257. Landbesitz einer Familie und Vererbung desselben. Ver sacrum. Testamenti- factio. 259. Verschiedenheit des patrizischen und plebejischen Grundbesitzes. Entstehung der Dorfplebejer. 260. Sie waren Freigelassene unter patrizischen Patronen und verarmte freie Bauern, Pächter und Kolonisten. 261. Da- durch in derselben Gens Patrizier und Plebejer. 262. Grosser Viehbesitz der Patrizier, geringer Ackerbau der Plebejer. 263. Curiat- und Tributcomitien. 2G4. Wesen und Organisation der pagi. 265. Dorfmässige Niederlassung. Ent- XIV wicklang der gentes. 267. Begrenzte compascua. 268. Vergleich der alt- rOmischen and der germanischen Siedelung. 269. Entwicklung des Grund- es in den pagi. 270. Charakteristik der altrömischen Siedelangen. 271. 3. Die römische und die germanische Ackerbestellung. S. 272. Römischer Ilaken und deutscher Pflug. 273. Der Pflug schneidet den Ackerboden in krümelnde Streifen, der Haken durchwühlt ihn in Rinnen. 875. Plinios kennt den Pflug, das plaumoratuin, in Rhätien. Römische Be- stellung, das Querpflögen. 276. Daher das Ackermaass quadratisch. 277. Ackerinstrumente der Gallier. Maass des Arepennis. 278. Die gothische Boha. Alter des Pflugs bei den Germanen. 280. Ursprung des Wortes Pflog. 282. Die Verschiedenheit der Werkzeuge bedingt die Unterschiede der germanischen und römischen Ackerbestellung und Feldeintheilung. 284. 4. Die römischen Landmessungen und Flureintheilungen. S. 284. Schriften der römischen Feldmesser. 284. Messinstrumente der Römer, Stella, pertica, groma. 285. Die Karte, forma. Grenzversteinung. 286. Arten des vermessenen Landes. 287. I. Agri divisi et assignati. Decumani und Cardines. 288. Centurien. 290. Strigae et Scamna. 292. Unregelmässige Formen. 293. II. Agri mensura per extremitatem comprehensi. 298. III. Agri areifinii. 300. Staatliches Messungswesen in älterer Zeit. 301. Bei der Ansetzung von Kolonien eine Art von Verkoppelung. 303. Im ager Romanus sacrale Limitation mit Orientirung. 304. Wegeanlagen. 305. Durch Assignatio inter limites wird das Land res maneipi. 306. Indess der An- theil an der Centurie nur berechnet. Zusammenhang der Assignationen und der Tribuseinrichtung. 309. Controversia de modo und de loco. Usucapio. 311. Assignatio inter rigores in unregelmässiger Lage, eine Form des quiri- tarischen Eigenthums. 313. Spuren der römischen Flureintheilung noch heute im Wegenetz erkennbar. Beispiele. (Anl. 29—31.) 320. 5. Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung der nördlichen Provinzen. S. 322. Allgemeiner Charakter der römischen Provinzialherrschaft. 323. Orga- nisation und Verwaltung der nördlichen Provinzen. 324. Die civitates und munieipia im wesentlichen autonom. 326. Provinzialvertretungen, Lugdunum. 327. Grundbesitz milde behandelt. 329. Veteranenkolonien mit limitirtem ager assignatus hier sehr selten. 330. Bedeutung der allgemeinen Landesver- messungen unter Cäsar. Karten und Itinerarien. 331. Lasten der römischen Bürger. 332. Tributuni, Frohndienste, Pacht für Staatsland. 333. In den Provinzen Vasallenstaaten oder Civitates unter Decurionen. 335. Herkömm- liche Steuerverfassungen. Rekrutengestellung, sordida munera und Stipendium für das Heerwesen. Census. 336. Staatsland verpachtet gegen vectigal. Kleinpacht. 337. Grossverpachtung. Der Stand der possessores. 338. Steuer- verfassung Diocletians. Jugatio und Capitatio. 340. Steuerhöhe. 342. Steuererlasse. 343. Veranlagungsverfahren des Census. 344. Indictions- perioden, Registerrevisionen. 346. Einfluss der Provinzialbesteuerung auf das Agrarrecht. 347. Ausbildung der Grund- und Gutsunterthänigkeit. 348. XV 6. Recht und Betrieb der Pächter, Possessoren, Kolonen und Benefiziaten. S. 349. Charakter des römischen Pachtrechts. 350. Verpachtung des Staats landes an Kleinbesitzer. Einrichtungeines Decumatenhofes. (Avil. 32.) 352. Beste bäuerlicher Höfe im Decumatenland. (Anl. 33. 34.) 851. Durch die Raubzüge der Germanen verschwinden die wohlhabenden Bauerschaften. 354. Grosspacht und Grossgrundbesitz. Verpachtungen an Societäten. 355. Der Betrieb zwar auf eigne Rechnung, indess getheilt in kleine Höfe von 200 jugera unter je einem villicus mit Sklaven. 356. Wirklicher Grossbetrieb nur selten, z. B. auf den Hochäckern. (Aid. 35.) 358. Aenderung der Wirtschaftsweise nach dem Schluss der germanischen Grenze. 359. Ansetzung von Kolonen gegen Zins und Dienste. 360. Rechtsverhältnisse des Kolonats. 361. An- siedelungen der Barharen als Laeti. Aehnlich die alten beneficiati, navicularii, limitanei, ripenses. 365. Rechtsverhältnisse der Laeti. 366. Wirtschafts- weise. 368. Die ländliche Bevölkerung beim Verfall der Römerherrschaft. 36'». Civitates der peregrinen. 372. Sordida munera. 373. Verfall der Possessoren und Decurionen. Kleine Besitzer im patrocinium von Reichen und Beamten als deditieii. Die Kirche und ihre Benifiziatenverhältnisse. 375. Verschwinden der freien bäuerlichen Bevölkerung. Schwierige Lage der Possessores am Ende der Römerherrschaft. 376. Y, Suevisch - oberdeutsche Wanderungen und Agrarverhältnisse. 1. Wanderung der Westgermanen vor Errichtung des Limes. S.378. Einwanderung der westdeutschen Stämme. 379. Die ältesten Sueven- gebiete am Zusammenfluss der Saale und Elbe. 380. Vorzüge der Saale- gegenden. Salz und gute Weiden. Centum pagi der Sueven. 381. Wander- ungen elbabwärts, Ingvaeonen 882; nach Süden und Westen, Hermunduren, Chatten. Die Istvaeonen 384. Dreissigjährige Perioden des Vordringens der anwachsenden Bevölkerung. 386. Vorstösse der Römer und Kelten. Marko- mannen in Böhmen. Vanninische Sueven in Ungarn. 387. Seit Tiberius scheiden sich drei Gebiete für das Vordringen der Deutschen: 1. das suevisch- oberdeutsche, 2. das fränkisch-vandilische, 3. das sächsisch-friesische. 388. 2. Der oberdeutsche Limes und seine Anwohner. S. 388. Oberdeutschland von den Deutschen am frühesten in Besitz genommen und am meisten nationaldeutsch. 388. Zweck und Zug des Limes. 390. Der Grenzstein inter Toutonos bei Miltenberg. 392. (Anl. 36.) Die civitates der Germanen. Dienste der Deutschen als Auxiliaren. 394. Vorschieben des Limes über das Remsthal. 395. Befestigung des Limes. 396. 3. Alemannen, Juthnngen, Hermunduren und Bajuvaren. S. 396. Raubzüge der Alemannen im 3. Jahrhundert. Allmähliches Vordringen in den Elsass und nach Süddeutschland. 397. Grenzen der römischen Herrschaft. XVI 399. Ost lieh von den Alemannen die Juthuugen. 402. Schon seit Domitian bekannt. 403. Später ausgebreitet bis Hier und Lech. 404. Die Burgunden in Pannonien. 405. Im 4. Jahrhundert am Limes bei Schwäbisch Hall. Vor- dringen nach dem Kocher- und Jaxtgebiet. 406. Hermunduren. 407. 4. Entwicklung Schwabens und Bayerns in der Völkerwanderung. S. 408. Schicksale der Burgunden. Verpflanzung aus der Rheinpfalz nach Sa- voyen. 409. Bas alpine Rhätien, Tyrol, Noricurn. 410. Im 5. Jahrhundert Alemannien und Bayern unter fränkischer Herrschaft. 411. Staimnes- verbreitung der Deutschen in Oberdeutschland. 412. Grenze der Alemannen, Schwaben und Bayern. 413. Reste der Romanen in den Alpen. 414. 5. Die volkstümlichen deutschen Gewanndörfer in Oberdeutschland. S. 415. Charakter der Besiedelung Oberdeutschlands. 416. Bis zur Slawengrenze Dörfer, Weiler und Einzelhöfe. Kataster-Karten. 417. Verbreitung der volks- mässigen geschlossenen Dörfer mit Gewannfluren. Pfalz. (Anl. 34.) 418. Her- munduren. (Anl. 39, 40.) 422. Alemannen. (Anl. 33, 34, 41 und 44.) 424. Schwaben. (Anl. 38, 45, 46.) 428. Bayern. (Anl. 47, 48.) 429. 6. Die grundherrlichen Weiler und Dorfansetzungen. S. 431. Charakteristik der Weiler. Gegensatz ihrer blockförmigen Auftheilung zu der Gewannauftheilung. (Anl. 49—53), 432. Entstehung durch grund- herrliche Austhuung. Hufeneintheilung. 433. Namen. 434. Erweiterung zu Dörfern. (Anl. 54—60.) 436. Verbreitung der Weiler. 440. 7. Die alpinen und die romanischen Einzelhöfe und Weiler. S. 441. Reste keltischer Siedelung in den Weileranlagen. 442. Eigenthümlich- keit der alpinen Einzelhofsiedelung. (Anl. 61.) 445. Die älteste Besiedelung der Alpen. Pfahlbauer und sehr verschiedene Völkersplitter. 446. Erhaltung der romanischen Landbevölkerung. 448. Romanische Höfe im südöstlichen Bayern. (Anl. 62—64.) 449., Romanischer Hausbau. (Anl. 65, 122.) 452. 8. Die Besitz- und Wirthschaftsverhältnisse. S. 453. Die Volksgesetze erwähnen für die genossenschaftlichen Dörfer genea- logiae, vicini, commarcani. Das Erbrecht. 454. Genauer ist der ausgedehnte grundherrliche Besitz behandelt. 456. Fiskus, Kirche, Herren. Die Lage der bäuerlichen Bevölkerung. Der Wirthschaftsbetrieb. 459. Abgrenzungen, Wege. 460. Feldsysteme der einzelnen Landschaften. 461. 9. Unkultivirtes Land, Marken und Almenden. S. 464. Gegensatz der Besiedelung im alten Volkslande und in Oberdeutschland. 465. Verschiedener Charakter der Hundertschaften. 467. Oberdeutschland besitzt keine eigentlichen Marken. Der Waldbesitz beruhte auf Okkupation durch die Dorfgenossen oder durch den König. 469. Die Waldnutzungsrechte sind durch Verleihung oder Ersitzung erworben. 470. Lex Aleni. und Bajuv. über gemeinsame Grundstücke. 471. Nach den Weissthümern im Norden markenähnliche Organisationen für Wald- und Weidebenutzung, 472. im XVII Buden fast ausschliesslich Almenden oder Sondereigen. 475. Auf den Ahnen- den des württemhergischen Oberlandes finden Bicb Wechselacker Dach Loos oder Anwartschaft. 477. 10. Die Entwicklung der Alpenwirthschaft. 8. 478. Abgrenzung der Gemarkungen in den Alpen. 47!). Alpennutzung in alterer Zeit. 480. Eigentliche Alpenwirthschaft, Grossbetrieb seil dem 14. Jahr hundert. 481. Charakteristik. 482. Alpstuhlung. 484. Statistik der Alpen- wirthschafl der Schweiz und Tyrols. 4H5. Forstwirtschaft in den Alpen seil Ende des Mittelalters bis zur neusten Zeil. Forstgesetze. 487, Entwicklung der Alpenalmenden. 489. Alpengenossenschaften. 490. Organisation und Betrieb. 491. YI. Fränkisch -vandilisches Agrarwesen in Rheinland und Frankreich. 1. Das Auftreten der fränkischen Stämme in Deutschland. S. 494. Der Name Franken war Bundesbezeichnung für die Stämme rechts des Rheines. 495. Beziehungen und Kampfe der Urnner mit den Franken. 496. Ausbreitung in Gallien. 499. Entwicklung der salischen Franken. 500. Die Ripuaren. 502. Wirtschaftliche Zustünde in Gallien unter römischer Herr- schaft bis zum 4. Jahrhundert. 505. 2. Die Reiche der Westgothen, Burgunden und Franken. S. 506. Auftreten und Feldzüge der Sueven, Vandalen und Alanen in Gallien. 606. Niederlassungen der Westgothen, Alanen und Burgunden. 507. Die salischen Kranken im 5. Jahrhundert. 508. Sächsische, dänische und nor- wegische Raubzüge und Festsetzungen in Gallien. 513. Normannen. 514. 3. Die Gruppirung der Einzelhöfe und der Dorfanlagen auf fränkisch-vandilischem Gebiet. S. 515. Keine Spuren römischer Centuriateintheilung in Gallien. 515. Gegen- satz der Besiedelung in Einzelhöfen und geschlossenen Dörfern. (Anl. 66.) 516. Die Gebiete der gallischen und der deutschen Einzelhöfe. (Anl. 67, 68.) 517. Beide keltischen Ursprungs. (Anl. 23, 27, 69—73.) 518. Die Dorfanlagen rühren von Eingriffen der Germanen in das Gebiet der Einzelhöfe her. (Anl. 74 — 82.) 520. Aufnahme der Ostgermanen in die aquitanischen Einzel- höfe. 521. Die Festsetzung der Ingvaeonen und Istvaeonen in den Einzel- höfen von AVestfalen und Niederrhein gehört noch in deren Hirtenzeit. 522. Dorfbesiedelung der chattischen Marsen auf dem Hellwege. (Anl. 83.) 523. Spätere Dorfansiedelung der Franken in Frankreich. (Anl. 81, 82, 84.) 525. 4. Die Besitzverhältnisse der Westgothen und Burgunden. S. 526. Aufnahme der Ostgermanen als hospites in den Grundbesitz der Pro- vinzialbevölkerung. Einquartirungsgesetz. 526. Das Tertiaverfahren nach xvm der lex Wisigothorum, 527; nach der lex Burgundionuin. 529. Fortbestand der alten keltischen Einzelhöfe. 531. Dorfanlagen auf Eroberungsland. 532. Die Hafenverfassung der Westgothen. 533. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. S. 535. Unterschiede zwischen der Besitznahme auf dem fränkisch-chattischen und auf dem westgothiseh-burgundischen Einwanderungsgebiet. Die ge- schlossenen Dörfer im südlichen Gallien. 536. Im nördlichen Gallien sind die Dörfer durch Laeti und durch volksmässige deutsche Besitznahme ent- standen. (Anl. 66.) 538. Zeugnisse. Die Ortsnamen. Keltische und deutsche in Uipuarien 540, in Salfranken 545, in Thuringien, in Toxandrien 546, in Hasbanien 547, in Mempiscus 552, in Artois 553, in Nordfrankreich. 554. Fränkische Anlagen unter Chlogio und Chlodwig. 556. Einfluss der Grund- herrlichkeit. 557. 6. Grundbesitz, Feld und Forst im Ripuarenreich. S. 557. Geschichte des Ripuarenreiches. Geltungsgebiet der lex Eipuaria. 559. Wirth schaftsweise in Einzelhöfen. 562. Unterschied des dorfweisen und hof- weisen Betriebs nach der lex Ripuaria. 566. Keine volksmässigen Marken und Markgenossenschaften. 569. Waldungen grundherrlich. Hundertschaften. Almenden. 570. Bannwälder. 572. Unbestimmte Begriffe von Mark und Almende. 573. Waldrechte. 574. 7. Verfassungs- und Agrarzustände im Salier-Reiche. S. 576. Die lex salica im Allgemeinen. 577. Verfassungszustände. 578. Lebens- verhältnisse, Baulichkeiten. 581. Das Kulturland und seine Bewirtschaftung. 584. Die Vicini. 588. Das unkultivirte Land. 591. Viehhaltung. 593. Waldungen. 595. Königsland, Medem. 596. 8. Die fränkische Landwirthschaft bis auf Karl den Grossen. 8. 598. Wachsender Einfluss der Kirche. 598. Entwicklung des Bauwesens. (Anl. 94.) 599. Neue luxuriöse Ausgestaltung des häuslichen Lebens. Ver- mehrung der Dienerschaft. 601. Wirthschaftsbetrieb wird im Capitulare de villis und im Breviarium rerum fiscalium erkennbar. 603. Beschreibung der Kirchengüter und königlichen Pfalzen. 605. Verwaltung und Betrieb nach dem capit. de villis. 610. Die Fortschritte der Organisation herrschaft- licher Wirtschaftsverwaltung liegen nicht im eigentlichen Ackerbaubetrieb. 613. Aufblühen nach den Wanderungen. 614. Entwicklung eines neuen grund- herrlichen Adels. 616. Yerzeichniss der Figuren in Band I. Fig. 1 8. 47: Geusa, Kr. Merseburg, volksthümliche deutsche Dorfanlage. 2 = 48: Siebenhöfen, Kr. Jork, Marschhufen. = 3 = 49: KrechtiDg, Kr. Borken, westfälische Ginzelhöfe. 4 » 51: Frankenau in Sachsen, "Waldhufenkolonie. 5 = 52: Witzeetze, Kr. Lüchow, slawisches Runddorf. * 6 ' 53: Trebnitz, Kr. Merseburg, slawisches Strassendorf. = 7 * 58: Mesing in Jutland, verkoppelte Flur. * 8/9 « 85: Breitenmessung der Gewanne. « 10/11 * 87: Anwand zwischen den Gewannen. * 12 * 97: Mögliche Aenderungen im Gewanne. = 13 « 98: Uebliche Aenderungen im Gewanne. * 14/15 = 104: Flächenmessungen. 16/17 * 105: Gewannregulirungen. 18 * 170: Schema des deutschen Gewanndorfes. 19 * 178: Altirische Einzelhöfe und Feldeintheilung. 20/21 = 184: Irisches Stammhaus. 22/26 * 226: In Bibrakte aufgedeckte Häuserreste. 27 == 244: Terramare von Gorzano. 28/33 * 273: Altrömische Hakenpfiüge. 34 * 274: Moderner römischer Haken. 35 * 274: Altgriechischer Pflug. 36 * 274: Deutscher Bauernpflug. 37 « 280: Der Bonner Hunspflug. 38 * 282: Die litthauische Socha. 39/41 = 288: Fron tins Zeichnungen des ager per strigas et scamna limitatus. 42 * 291: Schema der Forma von Arausio. 43 * 297: Frontins Zeichnung des in unregelmässigen Stücken assig- nirten Ackers. 44/45 * 299: Frontins Zeichnung des ager mensura per extremitatem comprehensus. Reste des römischen Wegenetzes bei Padua. Rekonstruktion eines römischen Bauernhofes im Dekumaten- laude. Villa rustica des Vitruv. Blockförmige Flureintheilung zu Nehmetsweiler , Oberamt Ravensburg. Weiler Hinter-Dux in Tyrol. Häuser zu Wörgl in Tyrol. Blockförmige Flureintheilung zu Ellicum bei Maaseyk. 46 * 321 47 = 353 48 * 356 49 * 432 50 * 444 51 * 452 52 6 561 L Allgemeine Gesichtspunkte der Aufgabe. I. Das Gebiet der modernen Weitkultur. Die Entwickelung des landwirtschaftlichen Anbaues unseres Welttheiles findet für ihre Erklärung sichere Ausgangspunkte in der allgemeinen Gestaltung der geographischen Verhältnisse. Europa wird durch die charakteristischen, von West nach Ost verlaufenden Gebirgsketten der Pyrenäen, der Alpen und des Hänius, die noch im Kaukasus ihre Fortsetzung finden, in zwei sehr un- gleiche Theile geschieden; beide gruppiren sich um grosse Binnen- meere. Der südliche umfasst das Gebiet des Mittelmeerbeckens, Südeuropa, Vorderasien und Nordafrika, und war der Sitz der an- tiken Kultur. Im Norden breitet sich das Becken der Nord- und Ostsee von den Alpen bis zu den Orkneys und Kiölen aus, umfasst das gesammte Siedelungsgebiet der Germanen, Kelten und Slawen und ist das Hauptcentrum der modernen Weltkultur geworden. Jeder Versuch, in das Verständniss und die Voraussetzungen dieser beiden Phasen der Entwickelung der Menschheit einzudringen, ist zuerst auf die Frage hingewiesen, welche Bedingungen diese grossen Länderkreise dem Agrarwesen bieten. Denn alles Völker- dasein begann unstät, erreichte mehr und mehr planmässigen Ge- brauch der Früchte, die die umgebende Natur bot, und that durch die feste Ansiedelung den nächsten Schritt zu wahrhaft humanen Lebenszielen. Alle Kulturgeschichte findet also ihre Anfänge und Grundlagen in den Agrarverhältnissen, und nur von ihnen aus er- kennen wir den allgemeinen Zusammenhang der allmähligen Fort- schritte der Menschheit. Wir schliessen, dass der tropische Süden mit seiner mühelosen Existenz den Ursprung des Menschen zuliess, und dass seine bis heut noch nicht über die Kindheit hinausgekommenen Völkerreste Meitzen, Siedelung etc. I. 1 1. I»;i> Gebiet der modernen Wcltkultur. die ältesten Verhältnisse auf uns brachten. Nur anberechenbare Zeiträume machten die Scheidung der Hassen möglich, deren Staunens werthe Konstanz den einzigen festen Anhalt für die Vermuthungen vorgeschichtlicher Wanderungen bietet. Aus diesen frühen IV zuständen konnte auch kein anderer denkbarer Vorgang, als der Langsame stufenweise Fortschritt von Aeonen, wie ihn die ägyptische Ueberlieferung behauptet, zu der hohen, fast schon wieder im Sinken begriffenen Blüthe der Bildung führen, in der wir die Mittel- meervölker beim ersten Lichte beglaubigter Geschichte vorfinden. Auf der Höhe der damaligen Entwickelung Aegyptens und Mesopo- tamiens nutzte das klassische Alterthum mit der genialen Kraft phantasievoller energischer Fremdlinge nur zuletzt noch die Summe der aufgehäuften Arbeit Tausender von Generationen zu einer kurzen, überreichen Ideall »ildung. lieber die von jeher bestimmenden Einflüsse belehren uns die bleibenden Bedingungen der Natur. Diesen Erdstrich unter seinem selten getrübten Himmel charakterisiren die schmeichelnd zum Wagniss erziehenden Gewässer des Mittelmeeres, die Mannig- faltigkeit und Vereinzelung der Küstenländer, und der Wechsel zwischen Fels- und Sandöden und überschwellendem Reich thum des Bodens, zwischen Wüsten und breiten, jährlich wieder neu ver- jüngten Ueberschwemmungsflächen. Die grosse Verschiedenheit der Produkte und Bedürfnisse musste die Bewohner aus ihrer Sonderung unmittelbar zum Verkehre führen. Landbau aber fordert unter dieser Sonne zwar zu Zeiten harte, gern dem Sklaven überwiesene Arbeit, darf dagegen auch auf lange pfleglos bleiben. Die Massen der artenreichen Fruchtbäume und perennirenden Stauden, welche, einmal gepflanzt, auf Menschenalter ihre Gaben spenden, sind recht eigent- lich die Kinder dieser glücklichen Zone. Das Alter der so weit zurückliegenden Kulturanfänge bedingt jedoch, dass uns hier der Gang der Entwickelung im wesentlichen Rätheel, ja schwerlich jemals zu erforschendes Geheimniss bleibt, während auf dem nordischen Gebiete die besondere Verkettung der Umstände Hoffnung giebt, den Verlauf der Vorgänge, die es zum Centrum der modernen Welt gestaltet haben, im vollen Zusammen- hange von den frühesten Anfängen der Bewolmung bis zur lebens- vollen Gegenwart befriedigend aufgehellt zu sehen. Schon die Gestaltung des nördlichen Meeresbeckens tritt der Beobachtung in eigenartiger, leicht verständlicher Uebersichtlichkeit entgegen. Die Hochgebirge liegen auf den Aussengrenzen. Nach 1 l'as Gebiet der modernen Weltkultur. Innen senken Bich von allen Seilen breite, wenig bewegte Flächen allmählich wie in eine mächtige Ueberfluthung hinab. Diese weit verzweigten Meere haben Sache schutzlose Küsten, hohe Fluthen toben iit't über untiefe wechselnde Bande. Sturm und Nebel, und zu Zeiten eisige Gestade fordern vom Schiffer ein hingebendes, un belohntes tleldenthum. Auch das die Seeflächen umschliessende Land bietet geringen Anreiz zur Völkerverbindung. Es ist von überraschender Gleichförmigkeit. Von dem schneebedeckten Süd rande der Alpen stuft sieh das offene, überall baufähige Ackergebiet nach Norden über Hochebenen und immer niedriger werdende Höhenzüge allmählich in das weite Tiefland der Küsten ab, und die nördliche Abdachung gleicht für das Klima den Einflnss der Breiten zu wenig erhebliehen Unterschieden aus. Wo aber in Schuttland, Norwegen und Schwellen die Nähe des Polarkreises sich geltend machen würde, verbreitet der Golfstrom und die erwärmte Luft masse, die über ihm schwebt, eine so hohe Temperatur, dass die Winter Ungarns wesentlich kälter sind, als die Borgens und Dront- heims. In Norwegen gedeiht Weizen bis zum 64., Sommerroggen mit schwerem Korn bis zum 67. und Gerste sogar bis zum 71. Breitengrade. Im Meridian von Petersburg liegen diese Grenzen bei 60,5, 64 und 68°, und am Ural schon bei 58, 60 und 63° der Breite. Auf dem gesammten Länderkreise von den schottischen Hochlanden, den Kiölen und den finnischen Seen bis in die Alpen und Pyrenäen giebt es sehr wenig unnutzbares Oedland. Ueberall hallen Wald- und Grasmassen den Boden bedeckt. Alle Nahrungs- früchte aber, vor allem das Getreide, sind erst mit dem Menschen eingewandert, und der Getreidebau ist der Schwerpunkt der Land- wirthschaft geblieben. Für ihn sind die weiten Ackergefilde vor- zugsweise geeignet. Wenn südlich der Alpen die Vegetation um die Sonnenwende durch dörrende Hitze und Trockenheit unter- brochen wird, lassen ihr nördlich der Alpen die Sommerregen die Wärme des Mittsommers in vollem Maasse nutzbar werden, und der höhere Norden ersetzt die Kürze der Sommerzeit durch die in tensive Wirkung des langen Tageslichtes. Das gesammte Gebiet unserer nördlichen Kulturstaaten ist im Landwirtschaftsbetriebe fast ganz übereinstimmend. Auch der Weinbau bildet keine Aus nähme. Er überschreitet zwar jetzt selten noch den 50, Grad, war aber ruher, als man den Ertrag noch weniger beachtete, bis jen- seits der Ostsee ausgedehnt. Ueberdies beschränkt er wegen seines besonderen Standortes die Getreidefelder wenig. 1. P;is Gebiet der modernen AVeltknltur. Diese Uebereinstimmung des Anbaues giebt allen Landstrieben Europas nördlich der Alpen einen wesentlich ähnlieben Typus. I 'eherall herrschen die gleichen Hauptprodukte, fast jedes kleine Gebiet könnte unabhängig vom anderen bestehen. Die gleiche Boden- kultur wirkt auch tiefer auf gleichartiges Leben der Völker. Sie bedingt einen gleichen jährlichen Kreislauf der ländlichen Geschäfte, und fordert dabei eine gewisse stetige Fürsorge und Pflege. Für die Wirthschaft dieser Zone beruhen die Unterschiede der Erträge vor- zugsweise auf der Behandlung von Boden und Saat. Dadurch be- kommt die eigene Arbeit ihren Reiz und ihre Ehre, eine Besonder- heit, welche im gesammten Norden Sitte und Lebensauffassung eingreifend bestimmt. Wie die Oertlichkeit in ihren natürlichen Voraussetzungen, ist auch die Entwickelung der Kultur des Nordens aus den zwin- genden Bedingungen gegebener Verhältnisse viel leichter zu ver- stehen, als die des Südens. Seitdem uns Geologie und Paläontologie über die Eiszeit belehrt haben, wissen wir, dass in nicht allzu- ferner Vergangenheit, als die nördlichen Länder bereits in allem Wesentlichen ihre gegenwärtige Bodengestaltimg gewonnen hatten, aus unbekannten Gründen eine Vergletscherung eintrat, welche von den Kiölen, dem Schottischen Hochlande und dem Ural her Nord- und Ostsee ausfüllte und das Festland bis zu den Ardennen, den deutschen Mittelgebirgen, den Karpathen und der Platte von Charkow mit einer dichten nach dem Gefäll geebneten Eisschicht bedeckte, die am Riesengebirge noch 400 Meter Seehöhe erreichte. Ihr begegneten vom Süden bis tief in die Ebene vordringende starke Gletscher der Pyrenäen, Alpen und Mittelgebirge. Diese Eis- und Sehneemassen und das herrschende Klima vernichteten die vorher bestehende subtropische Flora und Fauna und schufen eine Polarwüste, welche erst nach mehreren Schwankungen schwand und noch lange nur öden Flugsand zurückliess. Es ist auch erwiesen, dass in dieser Zeit die südlicheren Regionen der Erde bereits von zahlreichen, bis zu einem gewissen Grade der Kultur vorgeschrittenen Völkern eingenommen waren. Denn schon auf dem zuerst vom Eise verlassenen Gletscherschutte finden sich die Spuren von Menschen, welche aus milderen Gegenden in dieses unwirthliche Dasein ver- drängt, hier noch den Polarthieren begegneten, und nur bei schon hinreichenden Kulturhülfsmitteln bestehen konnten. Wie der Mensch wanderte mit der Besserung des Klimas die heutige Pflanzen- und Thierwelt erst allmählig wieder ein. Die Wege dieser Einwanderung 1. Das Gebiet sind durch die fortschreitende Zugänglichkeit und Bewohnbarkeit gegeben, welche nothwendig auf den klimatisch gunstigsten Land strecken beginnen musste. Das Bild der Folge und des Zusammenhangs der Zuwande- rungen, welches Ethnographie und Sprachforschung aus der geo- graphischen Verbreitung und der sprachlichen Verwandtschaft der seit der ersten geschichtlichen Kunde aufgetretenen Völker ent- wickelt halien, ist leicht zu überblicken. Ihre Untersuchungen weisen auf die finnischen Stämme im Norden, die iberischen und ligurischen im Süden als diejenigen hin, welche als die ältesten zuerst eingedrungenen erkannt werden können. Später erschienen die Arier. Die wahrscheinlichsten Vermuthungen lassen sie als ein wandernde Nomaden aus einer centralasiatischen Heimath hervor gehen und als Kelten, West- und (Istgermanen, Lithauer und Slawen ihre bekannten Sitze in Mitteleuropa einnehmen. In Zwischenperioden diaugen auf dem gleichen Wege von Norden Italer in Italien, Grie- chen in die Hämushalbinsel ein. Dunkler ist die Ausbreitung der lllvrier, Rasener, Daken und Scythen. Besondere Bedeutung aber gewinnt für unseren Ideenkreis, dass die Sprachvergleichung aus den übereinstimmenden Wurzel- worten der indogermanischen Yölkersprachen einen ziemlich aus- gedehnten gemeinsamen Wortschatz zu erkennen vermag, welcher der Ursprache angehört, die den Ariern vor ihrer Trennung eigen war. Diese schon durch das Urvolk erworbenen Begriffe lassen eine Vorstellung von den örtlichen Verhältnissen und von den Kultur- zuständen zu, in welchen dasselbe gelebt haben muss. Sie geben ein Bild, das eine nähere Vergleichung mit den Zuständen, Sitten und Anschauungen gestattet, unter denen wir die weitverzweigten Nachkommen geschichtlich vorfinden. Dieses früheste Bild erhält auch einen Maassstab an der Lebensweise, den Gebräuchen und den Eigentümlichkeiten späterer Wanderstämme, die den Westen über- fiutheten, und es wird möglich, die Bedingungen dieses Daseins an den stammverwandten heutigen Bewohnern Centralasiens zu erkennen, welche neuerdings Beobachtern zugänglich wurden. Diese Vergleichung ergieht in hohem Grade überraschende Züge innerer Uebereinstimmung, und hat bereits zu überzeugenden Folgerungen und eingehenden Aufklärungen über das vorgeschicht- liche Bestehen und die Verknüpfung der fortschreitenden politischen und wirthschaftlichen Entwicklung der europäischen Kulturvölker 1. Pas Gebiet der modernen Weltkultur. mit den Lebensformen geführt, unter denen wir sie in den ersten geschichtlichen Zeugnissen auftreten sehen. So naheliegend es aber erscheinen kann, an diesen Vorstellungs- kreis über die Wanderungen der nordischen Stämme unmittelbar auch die Frage nach deren fester Siedelung und nach dem durch diese bedingten Agrarwesen zu knüpfen, gebt die Absicht der vorliegenden Untersuchung doch dahin, darauf zu verzichten. Sic will vielmehr die unmittelbar noch in der (regenwart nach- weisbaren wirthschaftlichen Thatsachen darstellen, und von diesen aus zurückgehend den Zusammenhang mit den Anfängen des Agrar- wosens aufsuchen. Aus diesem Zusammenhange hofft sie, wo mög- lich neues und selbstständiges Licht für die anziehenden Probleme der Vorzeit, aber auch klareres Verständniss für die agrarpolitischen Fragen unserer Tage und der Zukunft zu gewinnen. Es sollen also in den einzelnen Völkergebieten des nördlichen Europas die bestehenden Ansiedelungen nach der Art ihrer Anlage, Besitzvertheilung und Wirtschaftsweise näher charakterisirt und an der Hand der Geschichte nach ihrem nationalen Ursprünge unter- schieden werden. Daraus wird sich ergeben, welche ihrer Eigen- tümlichkeiten veränderliche, welche dagegen unveränderliche sind und schon der Begründung der festen Wohnplätze angehört haben müssen. Aus diesen thatsächlichen Grundzügen der ersten Anlage und Bewirthschaftung wird im Anhalt an die geschichtlichen Ueber- lieferungen Belehrung über die früheren Kultur- und Agrarzustände und über die eingetretenen Veränderungen zu suchen sein. Es wird sich auch nach den Gründen "der bisherigen Entwickelung und nach den Bedingungen künftiger Weiterbildung fragen lassen. Diese Art der Untersuchung ist keineswegs aussichtslos. Sie ergiebt zugleich die wesentlichsten Anhaltspunkte für eine Kultur- geschichte des platten Landes; denn die Kulturentwickelung der von Landwirthschaft lebenden, über das Anbauland verbreiteten Bevölkerung ist viel mehr, als es ohne nähere Erwägung scheinen kann, an den Charakter der ersten Ansiedelung und an die Be- sonderheiten der ersten Anlage der Wohnplätze und Besitzungen gebunden und bekommt durch die Bedingungen dieses ländlichen Lebens ihre bestimmte Stellung zu der allgemeinen Geschichte der staatsbürgerlichen Gesellschaft und der Leitung derselben. Dies wird am einfachsten aus dem Gegensatze des ländlichen und städtischen Erwerbslebens deutlich. 2. Stellung vmi Land uml StacH im Kulturleben. 2. Stellung von Land und Stadt im Kulturleben. Unbestreitbar war ursprünglich alle Wirthschafl des Menschen, alle Sorge für den Unterhalt der Familie eine landwirtschaftliche. Die Landwirthschafl enthält alle Anfänge des wirthschaitlichen Daseins in sich. Sic beginnl den Handel durch Austausch der Er Zeugnisse mit den Nachbarn und begründet die Industrie, indem sie die Fertigkeil entwickelt, Gegenstände aller Art für Gebrauch und Schmuck in ihrem nächsten Kreise herzustellen. Handel, Kunst und Industrie entstehen zunächst als Nebenthätigkeiten im Schoog e dos landwirtschaftlichen Lebens. Ganze Völker und grosse Bevölkerungsgruppen sind dauernd oder lange im Lediglich ländlichen Zustande verblieben. Auch bei uns hat bis nahe an unser Jahrhundert der Bauer last alle seine Be dürfnisse seihst beschafft, Lein und Wolle gezogen, gesponnen und gewebt, und für die Kleidung keine fremde Hand gebraucht, Brod gebacken, Bier gebraut, Graupe und Mehl auf dem Reibstein ge- wonnen, alle Ackerwerkzeuge, Geschirr und Wagenfahrt in der eigenen Schirrkammer gefertigt; er hat Leder gegerbt, Seife gekocht und selbst ßaseneisenstein geschmolzen und geschmiedet. Sogar sein Hans zimmerte, richtete, klebte und deckte er seihst, höchstens mit Hülfe der Nachbarn. Ganz ähnlich verläuft noch immer die Wirthschafl des höheren Nordens in Norwegen, Schweden und Finn- land, wo Unsicherheit der Ernten und Unwegsamkeit den Landmann auf seinem abgeschiedenen Hofe in Einfachheit und Selbstgenüg- samkeit erhalten. Nicht anders aber ist die Lage der Auswanderer und Settier, sei es im Westen Amerikas oder in anderen,- neu ZU besiedelnden kulturlosen Landstrichen. Handel und Industrie hohen sieh also erst allmählich als eigene wirtschaftliche Erwerbsweisen von der Landwirthschaft los- gelöst. Dass sie selbstständig wurden, war anfänglich vielleicht wenig beachtet, aber es bedeutete das Auftreten eines ganz neuen Volkselementes und einen erheblichen Fortschritt der Kultur, der tiei' in die sozialen Verhältnisse eingriff. Der Landwirth lebt auf und von seinem Grundstücke und kann nöthigen Falls allen Verkehr und allen Verkauf seiner Produkte entbehren. Die gewerbliche Bevölkerung dagegen ist schlechterdings auf Absatz und Umschlag ihrer Produktionsergebnisse angewiesen und drängt sieh in Mittelpunkte zusammen, welche diesen not- wendigen Verkehr möglichst erleichtern und unterstützen. v B. Stellung von Land und Stadt im Kulturleben. Die Städte entstehen durch Markt und Mauerschutz. Sie be- dürfen Münze, Maass und Gewicht, schnelle Rechtspflege, sichere und gute Land- und Wasserwege, Nachrichtenwesen, handhafte Po- lizei für die Strassen, nachbarliche Sitte, Ruhe und Ordnung in den Häusern und mancherlei Hülfen des Zusammenlebens. Der gewerb- treibende Hausvater muss täglich und dauernd Sorge tragen, dass er seine Familie aus dem Ueberschuss erhalten kann, den der Aus- tausch bestimmter Leistungen und gefertigter oder erworbener Werthe bringt. Jeder bedarf und beansprucht vom Gemeinwesen förderliche Mittel und Einrichtungen für diesen Verkehr. Der Unterschied gegen den Bauer ist ein principieller und macht sich, je einfacher und ursprünglicher die Zustände sind, um so mehr geltend. Die Landwirthschaft ist eine Lebenslage, das städtische Gewerbe eine stündlich sich erneuernde, wechselvolle und unsichere Unter- nehmung. Die Landwirthschaft kann erst durch städtische Bevölkerungen und deren Handelsbetrieb Absatz erlangen und zur geschäftlichen Unternehmung werden. Aber sie büsst dadurch Vieles von ihrem Charakter ein, und kann sich meist in diese Lage noch in unserer Zeit nicht finden. Allerdings hat der grundbesitzende Adel sich schon im Verlaufe des Mittelalters weit über das übliche ländliche Dasein emporgehoben, aber er stützte sich erst in neuer Zeit auf entwickelten Landwirtschaftsbetrieb, vielmehr gaben ihm militärisch- politische Leistungen und die Herrschaft über zahlreiche Zinsbauern seine Stellung. In den Städten dagegen ist schon mit ihrem ersten Aufblühen eine neue bürgerliche Gesellschaft entstanden, gegen deren unruhige Beweglichkeit und stets erhöhte konzentrirte Leistungsfähigkeit die landwirtschaftliche in sich abgeschlossene und weithin zerstreute in den Hintergrund treten musste. Der Landwirth mit seinen Be- dürfnissen und Produkten ist unbemerkt zum Objekt für Händler und Gewerbtreibende geworden. Was er wünscht und nöthig hat, wurde ihm mehr und mehr zugetragen, und damit sein kaum ver- meidliches Beharren in dem Kreise enger Lebenszustände in hohem Grade unterstützt und befördert. Zu diesem wirthschaftlichen Gegensatze kommt die Entwicke- lung des Staates und des öffentlichen Lebens. In einer Staatsorganisation, welche eine ausschliesslich ländliche Bevölkerung umfasst, werden sich noth wendig dieselben Charakter- züge zeigen, welche dem ländlichen Dasein als solchem eigen sind. 2. Stellung von Land and St:uÜ im Kulturlosen. Die obere Leitung wird mir die Qothwendigste Fürsorge für Friedens- und Rechtsschutz treffen, die meisten Wohlfahrtseinrichtungen werden der lokalen Selbstbestimmung überlassen sein und möglichst auf dem Standpunkt des Herkommens stehen bleiben. Handel und Gewerbe dagegen sind mit ihren Bedürfnissen und Ansprüchen auch das treibende Element im Staate. Sie treten an ihn auf den verschiedensten Gebieten heran. Im städtischen Erwerbe sammelt sich als eine natürliche und unentbehrliche Vit Stärkung der individuellen Kraft das Geldkapital. Leicht bewegliche Kredite gewähren dem Verkehr selten versagende Hülfsmittel. Da. mit haben die reichen Bürgerschaften ihre Macht erreicht, aber ebenso von jeher den Finanzbedürfnissen der Staatsverwaltungen gedient. Von den Städten gehen auch die entfernten Geschäftsbeziehungen im nationalen und internationalen Verkehre aus. Berechenbarkeit und Zuversicht der Unternehmungen sind aber von dauernder Sicher- heil und Gleichartigkeit des Rechts- und Finanzverfahrens bedingt. Deshalb haben die Städte das grösste Interesse an Einheitlichkeit der Gesetzgebung im eigenen Staate und an gleichmässigen Gesichts- punkten in der Politik gegenüber anderen. Nicht weniger machen sich in den städtischen Gewerben überall die Erfolge technischer und wissenschaftlicher Ausbildung geltend und fördern Unterricht und freie geistige Bewegung. Allen diesen Bestrebungen folgt der Staat, durch wen er auch ver- treten wird, autokratische Fürsten, Bureaukratie, oder demokratische Wahlbeamten. Die Regierenden werden in den Nexus der höheren Kulturbedürfnisse hineingezogen, Staat und Regierung gestalten sich auf dem Boden städtischen Lebens zum modernen Staatswesen. Diesem aber ist das Staatsgebiet mehr als Ackerareal, auch mehr als Verkehrsraum, es ist ihm Existenzmittel für die gesammte, immer stärker anwachsende Zahl der Staatsbürger. Stets erkannte die Staatsverwaltung, die erwachende Wohlfahrts- pflege, leicht, dass das Land nicht so ausgenützt wird, als möglich wäre, dass viel grössere Hülfsmittel aus dem Landgebiete zu ge- winnen wären, dass die bestehenden Anlagen, Einrichtungen, Rechte und Lebensgewohnheiten dem Fortschritt der Kultur, der Steigerung der Gütererzeugung und der Kraftentwickelung der Nation Hindernisse ent- gegensetzten. Diese Hemmungen aber sind auf die herkömmliche Lage der Dinge begründet, sie können kaum freiwillig behoben werden. Jeder Aenderung stehen wohlerworbene Rechte Einzelner entgegen. Daher drängte sich der Gedanke der gesetzlichen Abhülfe auf. 1< » 8. Zusammenhang der heutigen Zustände mit der ersten Ansiedelung. Wirkliches Eingreifen aber erfolgt der Natur der Sache nach immer eher zu späi als zu früh. Darin liegl der Grund, weswegen die Geschichte des Agrarwesens aller unserer Kulturstaaten his in das L9. Jahrhundert im Wesentlichen passiv verläuft und erst in der Zeit der modernen Umgestaltung mit einer Katastrophe endet, die wir als Durchführung der Landeskulturgesetzgebung hezeiehnen. Diese Gesetzgebung hebt im Sinne des allgemeinen Wohles zu Gun- sten der besseren Kultur des Landes, unter Befreiung des Indivi- duums und der Grundstücke und unter neuer Eintheilung des Besitzes die herkömmliche, dem Einzelnen unlösbar gewordene Ver- kettung der Rechte und Einrichtungen, sowohl der nachbarlichen wie grundherrlichen, soweit sie als schädlich erkannt sind, auf, sucht soviel als irgend möglich durch Entschädigungen jede fühlbare Ver- letzung des Einzelnen zu beseitigen, behebt aber im Wesen der Sache doch einen unerträglich gewordenen Konflikt der Zustünde auf Grund des Staatsgewissens zwangsweise und gewaltsam. Der Gegensatz zwischen den stabil gebliebenen Bedingungen der ersten Besiedelung und den Forderungen des wirtschaftlichen Lebens der Nation, also zwischen zwei entgegenstehenden Principien im Dasein jedes zur Kultur vorschreitenden Volkes, bildet mit dem Ergebnisse der erfolgten Ausgleichung den Inhalt der Geschichte des Agrarwesens aller modernen Staaten. Er ist zugleich ein wesent- licher und besonders einflussreicher Theil der allgemeinen Wirth- Bchaftsgeschichte überhaupt. 3. Zusammenhang der heutigen Zustände mit der ersten An- siedelung. Aus dem geschilderten Bedürfnisse der Staaten der Gegenwart, Landeskulturgesetze durchzuführen, wird erkennbar, welche Bedeu- tung für die gesammte Agrarentwickelung die erste feste An- siedelung besitzt. Ueberall, wohin sich der feste Anbau erstreckte, musste eine spezielle dauernde Vertheilung und Bewohnung des Landesgebietes und eine bestimmte Feststellung unstreitiger Wirth- schafts- und Nachbarrechte zur Durchführung kommen. Gegen diese frühe Grundlage aber konnten alle späteren Gestaltungen nur Ab- änderungenbieten, welche im Zweifel die Vermuthung für sich haben, von der früheren mehr oder wehiger beeinflusst zu sein. Näher erwogen sind allerdings die unterscheidenden Merkmale der Form des Volksdaseins, wrelche wir als feste Ansiedelung be- 3. Zusammenhang der heutigen Zustände mit der ersten Ansiedelung. 11 zeichnen, nicht so äusserlich und einfach erkennbar, als es scheinen kann. Zwar steht dieselbe in starkem Gegensatze zu den Zuständen des Noinadenthums, wie des Jäger- und Fischerlebens. Aber dieser Gegensatz beruhl weder darin, dass vor der festen Ansiedelung kein Anbau von Feldfrüchten, noch dass keine bestimmte Abgrenzung des Grundbesitzes stattgefunden habe, ja selbst nicht darin, dass vorher keinerlei bleibende Wohnstätten errichtet worden seien. Der Mensch ist von Natur so beschaffen, dass er nur von dem thranreichen Fleisch der Seethiere und der Fische bei hinreichender Gewöhnung ausschliesslich zu leben vermag. Die Produkte der Landthiere reichen zu seiner Ernährung nicht dauernd aus. Neben der Jagd nutzen deshalb südliche Völker wildwachsende Früchte aller Art. Die Jägerstämme der Polargegenden aber gemessen Wur- zeln und Rinden und die verschiedenen saftigen Beerenarten der Wälder und Haiden. Sie schweifen so vereinzelt umher, dass sie an diesen Zuspeisen keinen Mangel leiden. Den dichter zusammen- lebenden Nomaden, welche für ihre Heerden auf den wreiten Steppen Centralasiens bis zum Ural und Don Weide finden, bietet dagegen der Steppenboden keinerlei hinreichende vegetabilische Nahrung. Deshalb haben sie, soweit die Erinnerung zurückreicht, Getreidebau getrieben,1) allerdings nur durch ihre Knechte, und ohne dass sie sich den Sommer über bis zur Ernte um die auf geeigneten ein- gehegten Plätzen eingebrachte Saat kümmern. Aber ihr Anbau war nicht unbedeutend, und sie beschränken ihn erst in neuster Zeit mehr und mehr, seitdem sie von den benachbarten Russen und Sibiriern Getreide und Mehl gegen Hammel eintauschen können. Auch die Beduinen Arabiens müssen Gerste bauen, wo es ihnen nicht gelingt, regelmässige Lieferungen von ihren gegen Mesopo- tamien und das Hauran hin ansässigen stammverwandten Nachbarn zu erpressen. Der Landbau ist also den Nomaden keineswegs völlig fremd. Ebenso wenig leben sie ohne Landvertheilung. Schon die Fischer und Jäger nehmen gewisse Bezirke in Anspruch, in welche einzugreifen für Fremde wie für Genossen nicht ohne Gefabr ist. Bei den Nomaden Hochasiens aber ist keine auch der ödesten Steppenweiden ohne Herrn. Jedes ihrer Gebiete bildet den rechts- V W. Radioff, Observ. sur les Kirghis. Journ. Asiat. Bd. II, 18G3. — Erinne- rungen des Generals v. Blaramberg, Berlin 1876. — A. v. Middcndorfl', das Fcrghana- Thal, Sehr. d. Petersb. Akadem. Toni. 29, No 1, 1881. 12 3. Zusammenhang der heutigen Zustände mit der ersten Ansiedelung. verjährten Besitz eines bekannten Stammes, innerhalb dessen gewisse Gruppen von Familien unter einem der Familienhäupter bestimmte Reviere von meist sehr grosser Ausdehnung inne haben, und deren einzelne Strecken sie in fester, alterprobter, der Jahreszeit ange- passter Ordnung mit ihrem Vieh beziehen. Da jede Familie meh- rerer Hundert Stück nothwendig bedarf, die Heerden der Reichen aber bis zu vielen Tausenden steigen, ist die Besetzung der Weide- plätze Gegenstand sorgsamer Auswahl und scharfer Aufsicht. Die Grenzen dieser Weidereviere sind zwar nur dem völlig kundigen Auge erkennbar, aber jedem Nachbarn bekannt und deutlich, und er weiss, dass ein unbefugtes Ueberschreiten ihn mit der ganzen Strenge des Kriegsrechts bedroht. Feste Wohnungen errichten zwar die Steppennomaden nicht, sondern überstehen auch die härtesten Winter in Zelten oder Jurten, welche, am Morgen abgebrochen, auf Thieren und Wagen fortge- schafft, und zum Abend wieder an anderer Stelle errichtet werden können. Aber die Jäger und Fischer des hohen Nordens besitzen höhlenartige Erdbaue, in welche sie gelegentlich wieder zurück- kehren, ohne deshalb ihr umherschweifendes Dasein aufzugeben. Dazu kommt, dass schon bei Jägern und Fischern der gruppen- weise Betrieb leitende Führer, Häuptlinge und priesterliche Heil- und Sachkundige über die einzelnen Familien erhebt. Das Nomaden- thum aber vermag, wie das Mongolenreich erweist, sogar sehr selbstbewusste, vielfach gegliederte und wirksam durchgeführte Staats- organisationen zu entwickeln. Die Entstehung der festen Ansiedelungen fällt also begrifflich wie thatsächlich unter engere Gesichtspunkte. Ihr Wesen beruht in dem Entschlüsse des Familienvaters, sich für den Unterhalt seiner Familie dauernd an dieselbe Oertlichkeit zu binden, in ihr ein blei- bendes Heimwesen zu begründen und die Hülfsmittel seiner Lebens- fristung in der nächst umgebenden Natur von der festen Wohnstätte aus durch Anbau von Feldfrüchten mit entsprechender Viehhaltung zu gewinnen. Er verzichtet darauf, den Unterhalt der Seinen ohne berechnete Fürsorge von der gelegentlichen Jagdbeute oder dem un- sicheren Zuwachs obdachloser Heerden zu erwarten. In den Grenzen seines Besitzes entsteht also ein verändertes Leben, das durch dessen hinreichenden Ertrag planmässig gesichert werden muss. Auch bei den rohesten Anfängen muss ein gewisser Anschlag der Ernte vor- sehweben, und eine genügende Kenntniss der Bedingungen derselben erworben sein. Ueber Anbaufläche, Arbeitskraft, Aussaat, Erntezeit, 3. Zusammenhat)-.: im einzelnen Fall nicht Gegengründe ersichtlich werden, in der That die Ver- muthung Platz greifen darf, uerweg denselben kreuzt, durch vier Thore völlig geschlossen werden kann. Er sah auch bei seinen Kartirungen, dass, abgesehen von einigen kleineren Weidestücken oder Gemüseländereien das gesammte Ackerland der Dorfgemarkung zunächst in eine An- zahl ziemlich grosser, möglichst viereckiger Hauptabschnitte zerlegt war, denn Grenzen meist mit Unterschieden in der (Jute und Be- schaffenheit des Hodens zusammenfielen. Zwei dieser Hauptabschnitte lagen in der Regel so, dass der eine auf der einen, der andere auf der anderen Seite des Dorfes an die Gärten der Gehöfte anstiess, und sieh von diesen je bis an die Grenze der Feldflur ausbreitete. Die übrigen waren als mehr oder weniger regelmässige Parallelo- gramme von verschiedener Richtung an die Hauptgrundstücke an- geschlossen, wie es gerade die gleichmässig eben verlaufende Lage oder die gleichartige Bodenbeschaffenheit für jeden der Abschnitte zu empfehlen schien. Alle diese Abschnitte aber waren der Länge nach in viele meist schmale Parallelstreifen zerlegt. Es zeigte sieh auch, dass der Gesammtbesitz jedes dieser Dörfer in eine bestimmte Anzahl unter sich gleicbgrosser Hufen zerfiel, von denen indess der einzelne Bauer mehrere oder auch eine halbe oder einen anderen Bruchtheil besitzen konnte. In der Ackertheilung aber hatte jede Hufe in jedem Abschnitte nachweisbar ihren verhältnissmässigen Antheil erhalten. Ueber das Charakteristische, Gesetzmässige und Zweckent- sprechende dieser Anlagen konnte Oluffsen nicht im Zweifel bleiben. Es war klar, dass der Platz der Dorf läge schon von Anfang da ge- wählt war, wo die Gehöfte und ihre Gärten passenden Boden, Wasser und festen Wegegrund fanden, und wo sie das bessere Ackerland in möglichster Nähe hatten. In der Dorfmark aber wurde offenbar für 1 Fünf Vorträge in der Kopenhagener Gesellschaft der Wissenschaften von Oluft'sen zuaammengefasst als Bidrag til Üplysing om Danmarks indvortes Forfatning in de aeldre Tider isaer i det trettende Aarhundrede, 1821 Kopenhagen. Vergl. G. Hanssen, A. ü. Bd. I, S. 4 ff. 22 4. Begründung der Agrargeschichte auf alle Hufen gleiche Grösse und nahezu gleicher Werth hergestellt, wenn man die Flur nach der Bodenbeschaffenheit in Hauptabschnitte theilte, und jeder Hufe in jedem dieser Abschnitte je einen gleichen Antheil gab. In der Güte und selbst in der Entfernung der zu jeder Bauerhufe gehörigen Ländereien konnte dann kein wesentlicher Unterschied bestehen. Es musste also auch jede im Stande sein, gleiche allgemeine und grundherrliche Lasten zu tragen. Dabei konnte jedes schlagmässige System des Ackerbaues, z. B. Dreifelder wirthschaft, stets von allen Hufenbesitzern, vom einzelnen wie von der Gesammtheit, gleichmässig durchgeführt werden. Immer einer oder mehrere Hauptabschnitte bildeten zusammen einen Schlag und wurden übereinstimmend von allen Wirthen mit Winterung oder Sommerung bestellt, oder als Brache liegen gelassen. Es entstand dann trotz der Kleinheit der einzelnen betheiligten Grundstücke stets ein grosses Terrain, welches zu gleicher Zeit in gleicher Bestellung war, auf welchem also auch Bracharbeit, Saat und Ernte aller Wirthe in die gleichen Zeitpunkte fiel. Das Vieh des ganzen Dorfes konnte als eine gemeinsame Heerde in dem Brachschlage und in den Stoppeln gehütet werden, ja diese gemeinsame Heerde durfte fast ohne Hirten gehen, weil die bestellten Schläge durch vom Dorfe um ihre Grenzen fortlaufende Zäune, welche allerdings jedes Jahr ver- setzt werden mussten, von dem für die Hütung offenen Lande ge- schieden wurden. Die ursprüngliche Dorfanlage und Ackereintheilung zeigte sich also vollkommen im Einklänge mit den Gewohnheiten und Bedürfnissen der noch zu Oluffsen's Zeit üblichen Bewirth- schaftung. Bei der sehr speziellen Anschauung und Durchforschung dieses eigenthümlichen Besiedelungssystems , für welche er bei seinen ge- nauen Messungen und dem Zwecke der Verkoppelungsarbeiten nahe Veranlassung hatte, ergaben sich indess noch weitergreifende Mo- mente ganz besonders genauer und bewusster Ordnung und Gerech- tigkeit. Die Folge der Ackerstücke in jedem der Hauptabschnitte, Gewanne, entsprach in der Regel der Reihenfolge der Hausstellen an der Dorfstrasse. In der Grösse der Streifen des einzelnen Ge- wannes fanden sich hier und da Ausgleichungen, wenn die Güte wechselte, ohne dass deshalb ein besonderes Gewann ausgeschnitten worden war. Namentlich aber erwiesen sich solche Entschädigungen allgemein, wenn ein Besitzer durch einen an seinem Streifen der Länge nach vorbeiführenden Viehtrieb gefährdet war; ebenso dann, wenn an einen solchen Längsstreifen die Köpfe aller Streifen eines die Anschauung dei Siedekmgsformen. 23 Nachbargewannes senkrecht anstiessen, so dass er heim Wenden der Pflüge auf der Anwand mehr oder weniger betreten werden musste. Es ist nicht näher bekannt, aus welchen Theilcn Dänemarke Oluffsen die Grundlagen für seine Beobachtungen gewonnen hat Ihm— en hat Bchon bemerkt,1) dass seine Schilderung der Lage der Gehöfte, Gärten \u\^\ Dorfstrassen mit den unregelmässigen Dorflagen nicht übereinstimmt, welche die alten ursprünglich deutschen Dörfer Schleswig-Holsteins, Jutlands und der dänischen Inseln zeigen. Wohl aber stimmt das Bild, das er giebt, in jeder Einzelheit2) mit den üblichen Umgestaltungen slawischer Dörfer, sowie mit den meisten neuen Anlagen überein, welche seit dem 12. Jahrhundert von den deutschen Kolonisten in allen ebenen Theilen der Slavenländer öst- lich der Elhe, in Wagrien und Mecklenburg ebenso wie in den Marken. Schlesien, Pommern, Posen und Preussen in grosser Zahl ausgeführt worden sind. Es muss also angenommen werden, dass Oluffsen sich an einige Beispiele der Kolonisation von Wagrien oder Fehmarn gehalten hat. Indess haben seine Angaben gleichwohl auf die Beurtheilung der viel früheren, schon in der vorgeschichtlichen Zeit begründeten deutschen Dörfer grossen Einfluss geübt. Sie erläuterten in überzeugender Weise eine Anzahl Stellen des Erich -Seeländischen Gesetzes von 1290, des Jütisch low von 1240 und des Schonenschen Gewohnheitsrechtes von 1204- 121 5, welche bis dahin völlig unverständlich schienen, und auf welche im Ein- zelnen zurückzukommen sein wird. Die Bestimmungen dieser Gesetze fallen nicht genau unter die von Oluffsen gegebenen Gesichtspunkte. Sie behandeln vielmehr un- zweifelhaft uralte agrarische Vorkommnisse, welche bei der Samm- lung dieser Vorschriften in fester herkömmlicher Uebung standen. (»Heilbar hatten auch die Gesetzgeber nicht in Absicht, noch nöthig, über die allgemein bekannte und verbreitete Agrarverfassung, auf die sich ihre Aussprüche beziehen, eine nähere Erklärung zu geben. Die Festsetzungen bestimmen nur kasuistisch einzelne Punkte, welche häufiger streitig geworden sein mochten. Aber sie ergeben hin- reichend deutlich, dass dieses Herkommen in der Grundidee und in allen wesentlichen Punkten der Ausführung mit der von Oluffsen entwickelten Dorfverfassung übereingestimmt haben muss. ') Agrarhist. Unts. I, 41 a. 2) Nur bildet die gleiche Reihenfolge in jedem Gewann die Ausnahme, in der Regel ist die Untertheilnng jedes Gewannes besonders ausgelost. 24 4. Begründung der Agrargeschichte auf Gleich bedeutsam gaben diese mit thatsächlicher Bestimmtheit festgestellten agrarischen Einrichtungen eine nahe Anknüpfung an die leider sehr kurzen und vieldeutigen Aeusserungen des Caesar und Tacitua über die Siedelung und den Ackerbau der Germanen. Diese Uebereinstimmung der Grundgedanken erörterte eingehend G. Hanssen, der die Oluffsen'schen Entdeckungen zuerst allgemeiner in die wissenschaftliche Welt einführte. Er fand dieselben wie einen vergrabenen Schatz und bereicherte sie mit allen historischen und literarischen Beziehungen, die ihm damals zu Gebot standen. So liegen sie als »Ansichten über das Agrarwesen der Vorzeit« in zwei Abhandlungen in Falk's Neuem Staatsbürgerlichem Magazin, Bd. III 1835 und Bd. IV 1837, und neuerdings in den Agrarhistorischen Untersuchungen Bd. I vor. Sie wurden von Hanssen mit der sehr merkwürdigen Erschei- nung der sogenannten Gehüferschaften im Trierschen und auf Eifel und Hunsrück in Verbindung gebracht. Hanssen stellte zu- nächst aus Schriften von Schwerz und von v. Briesen, dann durch direkte Ermittelungen bei den im Verwaltungsdienst mit den Ge- höferschaften beschäftigten Landeskultur- und Forstbehörden, fest, dass hier in zahlreichen Dorffluren umfangreiche Landflächen bestanden, welche seit alter Zeit bis auf die Gegenwart periodisch jedes 3., 6. oder 12. Jahr neu in Gewanne eingetheilt und innerhalb jedes Gewannes an die berechtigten Stellen in bestimmten, den Anrechten verhält- nissmässigen Antheilen nach Massgabe des Looses zum Anbau zu- gewiesen wurden. Es waren dies zum Theil Lohhecken und Zwischen- nutzungen im Niederwald, vielfach aber auch dauernde Aecker und Wiesen, und es fanden sich Dörfer, in welchen fast alles Kultur- land diesem Wechsel durch periodische Verloosung unterlag. Er war durchaus berechtigt, in dieser alterthümlichen , durch Jahrhunderte fortgesetzten Praxis der Gewanneintheilung die letzten Reste der ursprünglichen Verfassung der in Gewannen angelegten Dorffluren überhaupt zu erblicken. Sie erschienen nicht allein als deutliche Beispiele zu des Tacitus: agri pro numero eultorum ab universis in vices oecupantur, quos mox inter se seeundum dignitatem partiuntur. Es lag auch nahe, mit ihnen als nähere Erklärung oder als den verständlichsten früheren Zustand die Angabe Cäsars über die Sueven: privati ac separati agri apud eos nihil est, neque longius anno remanere uno in loco incolendi causa licet, sowie die ähnliche über die Germanen (b. g. VI, 22) zu verknüpfen. Damit war also das Bild und der praktische Inhalt für die weitere Vorstellung und die Anschauung der Siedelungsformen. 25 den Schluss gewonnen, dass Bich bei den Germanen das private Grund- eigentum) erst allmahlig aus dem Gemeineigenthum grösserer p<» litischer Verbände, Verwandtschaften oder Markgenossenschaften und aus den an die Einzelnen ursprünglich nur auf Zeit zur Nutzung vertheilten Ländereien entwickelt hahe. Diese Auffassung fand sehr bald in A. v. Haxthausen neue Unterstützung. Haxthausen hatte anscheinend unabhängig von OlufFsen auch in Beiner Heimath die entsprechenden Hauptgedanken der Hufen und Gewann Verfassung aufgefunden und 1829 in der Schrift: »Ueber die Agrarverfassung in dem Fürstenthum Paderborn und Corvey« ausgesprochen. Zu einer Reise durch Russland berufen, veröffentlichte er als Resultat drei Bände »Studien über Russland (Berlin 1847 — 52). Die russische weit verbreitete Gemeinde \'cr fassung des Mir, die er vorfand und zuerst bekannt machte, stimmte mit den Gehöferschaften sowohl in der Gewanneintheilung als in den periodischen Ausloosungen überein, beruhte auf anerkanntem Gemeineigenthum und wurde von den Russen für die urslawische Volkssitte erklärt. In überraschender Weise gelang es dann W. Rosche'r aus ver- schiedenen Ländern der Welt, aus Russland, Polen und der Balkan- halbinsel, aus Schottland, Irland und Sardinien, ebenso auch aus China, Afghanistan und Indien, und selbst von den amerikanischen Indianern und aus dem Inkareiche, Beispiele oder Anklänge ähnlicher Agrarverfassung zusammenzutragen. Er erklärte sie 1859 in seinem »System der Volkswirtschaft«, für ein allgemeines soziales Prinzip, für eine Kulturstufe zwischen dem Nomaden- thum und der festen Siedelung zu Privateigenthum , welche wahr- scheinlich von den meisten Völkern durchlaufen worden sei, bei dem einen aber schnell und spurlos vorübergegangen, bei dem anderen dagegen durch Charaktereigenthümlichkeiten, Abgeschieden- heit und besondere Lebensbedingungen lange erhalten geblieben sein könne. Dadurch wurde dieser Gedanke auch für die Auffassung der deutschen Vorzeit zur allgemeinen Ueberzeugung , obwohl G. Waitz in seiner Untersuchung »über die altdeutsche Hufe« 1854 zeigte, dass, soweit als Urkunden zurückreichen, sich bei den Deutschen das private Grundeigenthum in Geltung findet. Von einer anderen Seite knüpfte Victor Jacobi an das that- sächliche Bild, das die Flurkarten der Gegenwart von dem Zu- 26 4. Begründang der Agrargeschichte auf stände der Dörfer geben, zur geschichtlichen Erläuterung der Be- siedelung und der Agrar Verfassung an. In den »Forschungen über das Agrarwesen des altenburgischen Osterlandes« (1845) zog er vor allem die Beziehung der Art der Dorfanlage zu der Abstammung ihrer Bewohner in Betracht. Mit glücklichem Takte fand er die charakteristischen nationalen Unterschiede der Lage der Gehöfte im Dorfe auf. Er wiess den ursprünglich von den Slawen gewählten sehr regelmässigen, entweder fächerförmigen, fast kreisrunden, oder Btrassenförmigen Plan für die gegenseitige Stellung aller Gehöfte und Hausgärten in der Dorf läge nach, und stellte ihn den bei den Deutschen üblichen Anlagen gegenüber. An letzteren unterschied er den unregelmässigen, haufenartigen Zusammenschluss des Dorfes, und die weite, meist durch die ganze Flur ausgedehnte Reihe, in welcher die Höfe fast vereinzelt stehen. Er wiess auch darauf hin, dass solche Reihendörfer der vorschreitenden Rodung und Ko- lonisation des Berg- und Hügellandes angehören, und dass bei ihnen vom Gehöft aus das gesammte Land der Hufe am Thalhang aufwärts bis zu der meist auf der Wasserscheide laufenden Flurgrenze in einem einzigen geschlossenen Streifen zusammenliegt, so dass sie den Charakter der Einzelhöfe haben, während sich mit der haufen- förmigen und der slawischen Gestalt der Dorflage in der Regel die Flureintheilung in Gewannen verbunden findet. Diesen Ermittelungen fügte Georg Landau in den »Territorien« (1854) seine Beobachtungen über die besondere Anlageform der Dörfer in den Marschen hinzu, deren Ländereien in der Regel in sehr lange, genau parallele und nur ruthenbreite auf beiden Seiten von tiefen Gräben eingefasste Streifen getheilt sind, von denen eine gewisse Zahl zu einem Hofe gehört. Die Gehöfte sind am Kopf der Streifen auf oder nahe dem Deiche, der die Marschen schützen muss, erbaut. Auch machte er zuerst auf Hufenbestand bei ganz unregelmässiger Lage der einzelnen Grundstücke aufmerk- sam. Alle bis dahin beschriebenen Dorfanlagen unterschied Landau in fünf Arten von Hufen, 1. den westfälischen Einzelhof, 2. die Königs- hufe, unter welcher er die gedachten deutschen Gebirgsdörfer ver- stand, und zu der er auch die Marschhufe zieht, 3. eine Hufenart, welche nur drei Stücke je eins in einem Felde besitzt, 4. die Hufe, deren Land gewannförmig aufgetheilt ist, endlich 5. diejenige Hufen- anlage, bei der die Hufengrösse nur durch das Mass bestimmt ist, die Ländereien der verschiedenen Hufen aber in ganz ungeregelter planloser Weise durcheinander liegen. die Anschauung der Siedelungsformen. 27 In neuerer Zeit hat Fr. Seebohm1) eine sehr eingehende Untersuchung an die Flurkarte von Hitschin bei London geknüpft. An der Hand der in England in völlig beweisendem Zusammen- hange erhaltenen Zins- und Hufenregister verfolgt er die unveränderte Dauer der durch die Gewanneintheilung und die Acker- und Hufen- maasse der Karte charakterisirten bäuerlichen Zustände bis zurück auf Eduard III. und I. und weiter durch das Domesdaybook in die angelsächsische Zeit, zu den Urkunden und Gesetzen Ethelreds und Edgars, endlich auch bis zum Erzbischof Egbert und bis zu den ins 7. Jahrhundert zurückreichenden, von König Alfred von neuem vi t öfifentlichten Gesetzen des Königs Ines. Dieser strenge Beweis des im wesentlichen gleichen Bestandes der Anlagen bis zurück auf die älteste Zeit ist ein sehr erwünschter wissenschaftlicher Gewinn. Aehnlich giebt Seebohm für die Siedelung und den Anbau der Kelten in Wales und Irland, indem er ebenfalls von der einzelnen Flurkarte ausgeht, ein bis dahin nicht gekanntes der Beurtheilung zugängliches Material. Er zeigt das Bild einiger der zahlreichen Townships oder Clanniederlassungen, in welche Irland getheilt war und zum Theil noch getheilt ist, beschreibt aus den reichen irischen Quellen ausführlich und anschaulich das Clanleben, und macht um- fassende Angaben über das keltische Agrarwesen, welches in den Bearbeitungen des irischen und wallisischen Rechtes hinreichend aufklärende Behandlung noch nicht gefunden hat. Auch H. Ranke vermochte die bayrischen Weiler Kreuz-Pullach, Oeden- Pullach und Daigstetten, südlich München, von der Kataster- karte aus bis ins 8. Jahrhundert und in die Zeitverhältnisse der Agilolfmger zur ückzu verfolgen. K. Lamprecht aber empfand für die Darstellung des mittelalter- lichen Wirtschaftslebens im Mosellande in gleichem Sinne das Bedürf- niss, seine auf die speziellsten Fragen der Topographie und Geschichte eingehenden Erörterungen der Agrarverfassung und des Landwirt- schaftsbetriebes nicht lediglich auf den Wortlaut der wenn auch sehr reich vorhandenen Urkunden zu begründen, sondern sie an die unmittelbar anschauliche Erläuterung durch die Katasterkarten aus den ersten Dezennien unseres Jahrhunderts anzuschliessen. Er führt den sichern Nachweis, dass die Entstehung der Gehöferschaften eine gutsherrliche und nicht früher als in das 12. Jahrhundert zu 1 The Englisb rillage Community (London 1883). Uebers. von Th. v. Bunsen (Heidelberg 1885). 28 5. Grundlagen und Ziele der Darstellung. setzen ist, und giebt Karten von Gewannfluren mit und ohne Ge- höferschafben. Auch zeigt er an Beispielen von Königshufen, die am Rhein unter sehr verschiedenen Gestalten auftreten, wie deutlich alle Hauptzüge der frühmittelalterlichen Anlage erhalten, und wie erkennbar und geringfügig die meist nur in Untertheilungen und Umtauschen bestehenden Veränderungen sind. Alle diese Forscher also stimmen darin überein, dass wir in den Hauptlinien der heutigen Ortslage und Grundstücksvertheilung innerhalb der Dorfschaften hinreichend sichere Anhaltspunkte für deren ursprünglichen Charakter besitzen. Jedes Dorf bildet einen lebenden Organismus, der zwar zunächst der Gegenwart genügen muss, der aber, ähnlich wie die Sprache, seine Grundlagen unter frühen, sehr ursprünglichen Beziehungen gewonnen hat, und be- merkenswerthe Züge dieses Ursprungs in sich bewahrt, für deren leichtes Verständniss es nur darauf ankommt, unser Auge zu schärfen. In der That wandeln wir in jedem Dorfe gewissermassen in den Ruinen der Vorzeit; und zwar in Ruinen, die an Alter die ro- mantischen Trümmer der mittelalterlichen Burgen und Stadtmauern weit hinter sich lassen. Bei jedem Schritt, überall in Hof und Feld können wir Spuren der ältesten Anlage begegnen, und das Karten- bild der Besitzungen ist eine eigenartige Schrift, die uns Ideen und Zwecke der Begründer wie in Hieroglyphen lesbar übermittelt. 5. Grundlagen und Ziele der Darstellung. An dem Verlaufe der vorstehend besprochenen Untersuchungen hat sich auch der Verfasser der vorliegenden Darstellung seit mehreren Jahrzehnten, nicht ohne lebhaften persönlichen Verkehr mit den gleichzeitigen Trägern derselben, namentlich mit G. Hanssen, betheiligt. Auch er bemerkte ähnlich wie v. Haxthausen, die ent- scheidenden Eigenthümlichkeiten der Flureintheilung zunächst bei langjähriger Amtstätigkeit als Kommissar für gutsherrlich-bäuerliche Auseinandersetzungen und benutzte sie als Hülfsmittel bei den- selben. Abkommen, Vergleiche und Prozesstreitigkeiten Hessen sich um so leichter erledigen, je einfacher die Vorschläge an die her- kömmliche Hufen Verfassung anknüpften. Zu eingehenderen Studien standen ihm dann die Karten und Akten der General-Kommission für Schlesien und die Urkunden des Provinzialarchivs offen. Für die Einführung in die reichen schlesischen Urkundenschätze weiss 5. Grundlagen und Ziele der Darstellung. 29 er. sich der bereitwilligen Leitung W. Wattenbachs zu besonderem Danke verpflichtet. Das ErgebnißS der Vergleichung dieser Materialien ist der IV. Band des Codex diplomaticus Silesiae »Urkunden schlesischer Dörfer zur Geschichte der ländlichen Verhältnisse und der Flurein theilung Insbesondere« (Breslau 1863). Der Zweck der Bearbeitung war, an einzelnen Beispielen zu zeigen, mit welcher Spezialität und Sicherheil Anlage und Zustand der deutschen Kolonien im 13. Jahr- hundert nachgewiesen werden kann, und unter welchen hesonderen Gesichtspunkten und Einwirkungen sie zu Stande kamen. Schon bei dieser Darstellung ergab sich indess die Notwendig- keit einer umfassenderen Behandlung der Frage. Die Flur von Domnowitz war ohne Kenntniss südslawischer und älterer west- slawischer Zustände nicht zu beurtheilen. Die fränkischen Hufen von Schönbrunn wiesen auf frühere Vorgänge in Franken, die llämi sehen von Zedlitz auf solche in der Altmark und in den Bremischen Marsehen hin. Die Erklärung für Krampitz, Tschechnitz und Domslau aber forderte Verständniss der verschiedenen Stadien der Germanisirung des sächsischen und thüringischen Saalelandes bis zurück zu den urgermanischen Siedelungen in Hessen und an der Unter elbe. Weitere Blicke endlich nach Westfalen und dem Rhein waren nothwendig durch genügende Einsicht in keltisches und römi- sches Agrarwesen vorzubereiten. Ueberhaupt musste einleuchten, dass zwar bereits ein weiter Kreis interessanter Einzelheiten und Gesichts- punkte bekannt geworden ist, dass aber das eigentlich befriedigende Ziel dieser Untersuchungen nur in dem Gewinn des allgemeinen historischen und nationalen Zusammenhanges der verschiedenen agrarischen Erscheinungen gefunden werden kann. Dieser aber fordert als Voraussetzung eine umfassende, möglichst lückenlose, fast stati- stische Beobachtung und räumliche und zeitliche Sichtung aller der verschiedenen Besonderheiten der Besiedelung auf dem gesammten Gebiete unserer modernen Kulturstaaten. An dieser Aufgabe hat sich der Verfasser seit mehr als einem Vierteljahrhundert mit dem Bewusstsein versucht, dass sie für ihn nur in sehr bedingten Grenzen lösbar sein kann. Aber er hat sich gesagt, dass, wenn einmal die Hauptlinien des Gesammtbildes mit einer gewissen Evidenz gezogen sind, es der weiteren unentbehr- lichen Lokalforschung erheblich leichter und sicherer möglich werden werde, Irrthümer und Lücken zu berichtigen und zu ergänzen. Diese begründenden Hauptlinien festzulegen schien ihm nur aus einer 30 5. Grundlagen und Ziele der Darstellung. und derselben Hand möglich. Er hat für dies sein Vorhaben auch immer wieder in dem ausnahmsweise günstigen Umstände eine Er- muthigung gefunden, dass es ihm in Verbindung mit dem Auftrage, den ■» Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des preussi- schen Staates in einem beschreibenden Werke darzustellen, ermöglicht war, alle preussischen Provinzen zu besuchen, und bei allen Behörden leichten und fördernden Eingang zu finden. Auch seine anderen Reisen im In- und Auslande sind benutzt worden, um Flur- und Kataster- karten, wo möglich im Zusammenhange grösserer Bezirke einzusehen, charakteristische Beispiele zu kopiren und die darüber sprechenden Register und Urkunden aufzusuchen und auszuziehen. Ueberall hat er bei den Kataster-, Finanz- und Landeskulturbehörden die ent- gegenkommendste Unterstützung gefunden, wie in Preussen, so auch in Lübeck, Eutin, Hamburg und Bremen, in Dresden, Koburg, München, Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt und Strassburg, und nicht weniger in Prag, Wien, Salzburg, Innsbruck und Zürich. Vielleicht ist für die, welche ähnliche Arbeiten vornehmen wollen, die Ver- sicherung besonders anregend und erfreulich, dass es wesentlich das an allen diesen Stellen leicht and schnell erwachende Interesse an der Sache selbst, und an den Aufschlüssen über die Natur der erfragten Erscheinungen war, welche ihm bei der Durchsicht einer nach und nach 10 000 erheblich übersteigenden Zahl von Flur- und Katasterkarten stets die freundlichste Aufnahme, bereitwillige Auskunft und mancherlei Hülfeleistung erfahren Hessen, für die er eine lebhafte, höchst angenehme und dankbare Erinnerung bewahrt. Auf diese Weise hat das hier veröffentlichte Kulturbild Gestalt gewonnen, dessen Ergebnisse inzwischen nur gelegentlich und den- noch in Einzelheiten verfrüht in kleineren Abhandlungen1) des Ver- ') Die Kulturzustände der Slawen in Schlesien vor der Kolonisation (Abh. d. Schles. Geselsch. für vaterl. Kultur. Phil.-histor. Abth. 1861, Heft II). — Ausbreitung der Deutschen in Deutschland und ihre Besiedelung der Slawengebiete (Conrad's Jahr- bücher für Nat.-Oek. u. Statist. Neue Folge Bd. I, Heft 1, Jena 1879). — Der älteste Anbau der Deutschen (Ebd. Bd. II, 1881). — Individualwirthschaft der Germanen (Ebd. Bd. VI, Heft 1, 1883). — Die deutschen Dörfer nach der Form ihrer Anlage und deren nationale Bedeutung (Zeitsch. d. Berl. Ges. für Anthropol., Ethnologie u. Ur- geschichte Jahrg. IV, 1872). — Landwirthschaft n. Theil in Schönberg's Hand- buch der politischen Oekonomie, II. u. III. Aufl., 1885 u. 1891. — Beobachtungen über Besiedelung, Hausbau und landwirtschaftliche Kultur, in A. KirchhofFs An- leitung zur Deutschen Landes- und Volkskunde, Stuttgart 1889. — Volkshufe und Königs- hufe in ihren alten Massverhätnissen, in der Festgabe für G. Hanssen, Tübingen 1889. — Artikel: Ansiedelung und Feldgemeinschaft im Handwörterbuch der Staatswissenschaften 5. Grundlagen und Ziele der Darstellung. 31 fassera benutzt worden sind. Auch jetzt erfolgt die abschliessende Darstellung nicht ohne ein gewisses Widerstreben. Es wäre offen- bar möglich, in manchem Punkte weiter zu gelangen, und manches hypothetisch Hingestellte zu entscheiden. Aber viele Jahre würden ihm dazu nicht mehr zu Gebote stehen, und die Hauptfragen dürften so weit beantwortet erseheinen, dass auch da, wo sichere Ergebnisse nicht erreicht werden konnten, gezeigt ist, welche Probleme bestehen, und auf welchen Wegen sieh ihre Losung hoffen lässt. Der Plan der Darstellung ist durch die Natur des Stoffes ebenso wie durch den Gang der Geschichte gegeben. Die Untersuchung musste sich auf den gesammten Umkreis unserer Kulturstaaten erstrecken. Dabei bedingte der nationale Charakter der Siedelung und die verschiedenartigen Uebereinanderschiebungen der volkstümlichen Siedelungsweisen die Gebiete der Beobachtung. Diese mussten bestimmt auseinandergehalten und in der Reihenfolge behandelt werden, in der jedes durch das vorhergehende Erläuterung findet. Die ursprünglich und ausschliesslich deutsch besiedelten und immer deutsch gebliebenen Landstriche waren deshalb zuerst ab- zugrenzen und in ihren Eigentümlichkeiten darzustellen. Dann war zu versuchen, ein Bild des un vermischt keltischen Agrarwesens zu gewinnen, um auf dieser Grundlage die Zustände derjenigen Gebiete vorzuführen, auf welchen die Berührung deutscher Agrarverfassung mit der keltischen ohne Dazwischenkunft römischer Landwirthschaft sich vermuthen lässt. Ebenso aber wurde erforderlich, die römischen Agrareinrichtungen an sich und in ihrem Einflüsse auf die keltischen zu beurtheilen und zu zeigen, wie weit die Deutschen auf dem kelto- romanischen Boden Veränderungen herbeigeführt haben. Ferner musste das Agrarwesen der Finnenstämme untersucht und die Kulturthätig- keit nachgewiesen werden, durch welche ihre Nordlande bewohnbar wurden. Endlich blieb die nationale Siedelung der am spätesten vordringenden Slawen zu schildern, sowie die Vorgänge, durch welche sie zum Theil von den Deutschen germanisirt wurden, und deren Kolonien bis tief nach Russland, Polen und Siebenbürgen ausge- breitet worden sind. Für alle diese Fragen boten die Wanderungen unserer Kultur- völker, namentlich die der einzelnen deutschen Stämme den haupt- sächlichsten historischen Anhalt, auf welchen die Darstellung als von Conrad etc. Jena. — Land und Leute der Saalegegenden in Zeitschrift d. Vereins für Volkskunde, H. II, Berlin 1891. 32 5. Grundlagen und Ziele der Darstellung. Beweismittel Bezug zu nehmen hatte. Dies wäre ohne die maass- gebenden Forschungen, die wir Zeuss, Waitz und Müllenhoff ver- danken, unmöglich gewesen. Deren Arbeit habe ich mich nur bemüht, richtig zu benutzen, und dabei zu zeigen, was an der Hand solcher Grundlagen die Vergleichung der Ansiedelungen Eigentümliches zu lehren vermag. Die hauptsächlichsten Schriften meines unvergess- lichen Freundes Müllenhoff haben leider von ihm selbst nicht ab- schliessend beendet werden können, und die sehr dankenswerthe Bearbeitung und Veröffentlichung seines Nachlasses ist noch im Werden. Wenn ich mich deshalb auf seine Anschauungen ohne Angabe der veröffentlichten Quelle beziehe, so geschieht dies auf Grund häufiger und ausführlicher Unterredungen, die von ihm in seinen letzten Lebensjahren mit mir ausdrücklich für die Zwecke meiner Bearbeitung geführt worden sind. Wo ich diese Ueberliefe- rungen benutzt habe, kann ich versichern, dass ich seine mir aus- gesprochene und jedenfalls letzte Auffassung richtig wiedergebe.1) Was ich anderen Bearbeitern einschlagender Fragen verdanke, ist überall in den betreffenden Abschnitten angegeben und nach dem Quellenverzeichniss aufzufinden. Der umfangreiche Stoff zerfällt seinem Inhalte nach in zwei Ab- theilungen. Die erste hat Siedelung und Agrarwesen der verschiedenen betheiligten Völkerstämme von ihrem ersten Auftreten auf den Gebieten Europas nördlich der Alpen an, während aller der Zeitläufe darzustellen, durch welche ihre örtlich und national bedingte Entwicklung den Charakter der im wesentlichen bäuerlichen Klein wir th schaff be- wahrte. Die zweite Abtheilung soll die deutsche Kolonisation des Ostens und die Umstände und weiteren Einflüsse zeigen, durch welche aus dieser der fabrikähnliche Grossbetrieb und die Fortschritte der modernen Landwirthschaft überhaupt mit ihren Aussichten für die Zukunft hervorgingen. ') Insbesondere stand bei Müllenhoff als grundlegende Ueberzeugung fest, dass alle ingväonischen und istväonischen Stämme aus den herminonischen hervorgegangen und aus deren Gebieten fortgewandert sind, sowie dass Frisonofeld, Engili und Wareno- feld von der ältesten Zeit her und anscheinend noch lange im Besitze der alten friesischen, anglischen und warnischen Stammesgenossen waren, und für deren Ursprung dauernd sprechende Zeugnisse bleiben. IL Die nationalen Eigenthümlichkeiten der Siedelung der Germanen, I. Gebiet der volkstümlichen germanischen Siedelung. Wenn man sich die Frage stellt, wo und bei welchem Volke in Europa nördlich der Alpen mit Sicherheit alle Reste der ältesten festen Besiedelung, welche auf die Gegenwart gekommen sind, den ausschliesslichen Charakter eines bestimmten Volksthums an sieh tragen müssen, so kann mir an die Germanen gedacht werden. Sie allein besitzen Volksland, welches nie unter fremden Einiluss kam. Den gesammten keltischen und römischen Süden haben in der Völkerwanderung Ost- oder Westgermanen in Besitz genommen und sind, wenn auch zum Theil romanisirt, dessen Herren geblieben. Die brittischen Inseln eroberten allmählich Angelsachsen und Dänen. Kussland kam früh in die Hände der "Waräger, dann in die der Tataren. Lappen und Finnen wurden von den Skandinaven unter- worfen. Die Westslawen aber sind, wo sie nicht auf altem römi- schem Boden sitzen, seit dem Ausgang des Mittelalters überall tief- greifend von der deutschen Kolonisation erfasst worden. Daraus darf nicht gefolgert werden, dass durch den fremden Einfluss die ursprüngliche nationale Siedelung völlig vertilgt oder unerkennbar gemacht worden sei. Aber im einzelnen Falle muss stets in Frage kommen, wie weit sich dieselbe noch rein und un- berührt darstellt, und wie viel von den älteren Verhältnissen die Einwirkung der übereinandergeschobenen Kulturweisen mit ver- schiedener Wirthschaft und Lebensanschauung dem Auge der Gegen- wart noch übrig gelassen hat. Auch die germanischen Stämme sind zwar in ihrem ursprünglichen Länderbesitz zeitweise erheblich beschränkt worden, aber sie haben Mcitzen, Siedelung etc. I. Q 34 II. 1. Gebiet der volksthümlichen germanischen Siegelung. noch heui bestimmte uralte Volksgebiete inne, welche sie selbst zu- erst besiedelten, und in welchen sich während des gesammten Laufes der Geschichte niemals eine andere Nation soweit festzusetzen ver- mochte, dass daraus eine Einwirkung auf die Gestaltung der An- siedelungen folgen konnte. Wo sich dieser nationale Boden abgrenzt, lässt sich aus be- kannten Ueberlieferungen und Vorgängen genügend beantworten. Tacitus, dem wir das erste geschlossene Bild der Ausdehnung Germaniens verdanken, standen hinreichend ausgiebige Nachrichten römischer Heerführer und in Rom lebender deutscher Grossen zu Gebote. Die Völkertafel, durch welche er die Geschichte des nörd- lichen Europas begründete, zeigt uns die damalige Verbreitung der Germanen vom Rhein und von der Donau bis zur Nordsee und Weichsel und jenseits der Ostsee bis zur Grenze der Finnen an der Dalelf. Dass aber anderthalb Jahrhunderte vorher das so begrenzte Gebiet noch nicht überall von Germanen bewohnt war, erweisen die Kriegsberichte Caesars, nach denen zu dieser Zeit das Land rechts des Rheins in den Gegenden der unteren Lippe, und nördlich der Donau bis zum Thüringer WTalde, noch in keltischem Besitz war. Dort lebten die Menapier, hier die Helvetier mit ihren Stammes- genossen schon seit lange in Ortschaften mit ausgebauten Gehöften. Somit bestand in ihren Landschaften bereits feste Besiedelung vor der deutschen Besitznahme. Gleichzeitig hatten die Bojer Böhmen inne. Wie weit die Ansiedelungen der Kelten ursprünglich vom Niederrhein nach Norden gereicht haben, darüber belehrt keine über- lieferte Nachricht. Die Sprachforschung erklärt aber, dass sämmt- liche rechtsseitige Nebengewässer des Rheins, ebenso die Ems und auch die Weser keltische Namen führen, die Weser allerdings nur einseitig, insofern Wirraha, Wiseraha die deutsche, Visurgis die kel- tische Bezeichnung ist. Auch soll Soest das keltische Susudata sein.1) Unter diesen Umständen ist es ohne näheren Beweis unzulässig, links der unteren Weser als erste und ursprüngliche Besiedelung eine national deutsche vorauszusetzen, vielmehr muss die Möglich- keit und Wahrscheinlichkeit keltischen Einflusses vom Unterrhein bis zur Weser und von der oberen Donau bis zu den Abhängen des Thüringer Waldes, so weit ihn nicht Caesar als wilden und unzugäng- lichen heidnischen Wald bezeichnet, anerkannt werden. Für die ') Müllenhoflf, Deutsches Alterthum Bd. II, S. 222. II. 1. Gebiel <1ir germanischen Ansiedelungen nach Gestall und Grösse. 43 Neuzeit oder im Bpäten Mittelalter bestimmt beglaubig ist. Dahin gehören die erst Beil L720 beginnenden Veenkolonien, und die o. 8. 26 gedachten im weiteren Znsammenhange näher zu behandelnden Marsch- and Waldhufen. Diesen ic germanischen Ansiedelungen nach Gestalt und Grösse. und Gräben mit ihrer Gefällrichtung. Sie geben ferner die Aus- dehnung der Wiesen, Weinberge, Laub- oder Nadelwaldungen, Büsche, Brüche, Torfmoore, Heiden, Sünde und Steinbrüche durch besondere gleichbleibende Signaturen an, so dass nur die Aecker als weisse Flächen erscheinen. Endlieh weisen sie auch die Höhenlage und die Gestalt des Terrains durch Bergschraffirung oder durch fort- laufende Linien äquidistanter Höhe nach. Die Zeichnung einer Karte im Maasstab von 1/50000 ist er- heblich deutlicher, als die der Karte von 1/100000, denn sie giebt der Fläche nach dasselbe Bild viermal grösser. Noch deutlicher er- seheint dasselbe auf den zur Aufnahme benutzten Messtischblättern, welche von mehreren Staaten im Maasstabe von 1/25 000 veröffent- licht werden, denn es wird durch sie auf der 16 mal grösseren Fläche gezeigt. Indess ist bei allen diesen Karten der Inhalt der Zeichnung nicht wesentlich reicher, weil die Messtischblätter die gemeinsame Quelle aller dieser Veröffentlichungen in verschiedenen Maasstäben sind. Dagegen wird die Uebersicht des Kartenbildes nothwendig in demselben Grade erschwert, als es sich auf grössere Flächen und zahlreichere Kartenblätter ausbreitet.1) Die Durchsicht dieses Kartenmaterials erweist, dass alle älteren Ansiedelungen des deutschen Volksgebietes in Dorf form angelegt sind. Der Hausbau ist verschieden, fränkisch, sächsisch oder nordisch,2) auch können je nach der Sitte der Gegend mehr oder weniger Baulich- keiten zu dem Gehöft einer Besitzung vereinigt sein. Die Gehöfte jeder Ortschaft aber sind in einer ziemlich eng geschlossenen Gruppe nachbarlich zusammengebaut, keines steht in weiterer Entfernung ausserhalb des Bereiches der Dorflage. Die einzelne Ortschaft ist von einer verhältnissmässig ausgedehnten Flur umgeben, welche lediglich als Acker, Wiese, Weide oder Wald genutzt wird. Die Karten lehren ferner, dass diese Dörfer auf dem gesammten deutschen Volkslande ein gewisses mittles Maass in der Zahl der Wohnstätten inne halten. Sie bestehen nicht weilerartig aus nur ') Die sogenannte Reymannsche Karte im Maasstab von 1/200 000 giebt leider die Gestalt der Orte nicht hinreichend an, ist aber für die Oricntirung über das Terrain und die Lage der Orte gegeneinander genügend, und empfiehlt sich als Hülfsmittcl der Studien durch die Möglichkeit, sie ohne übermässige Ausgabe in allen ihren Blättern anzuschaffen. "j A. Meitzen, Das deutsche Haus in seinen volksthümlichen Formen. Berlin 1882. R. Henning, Das deutsche Haus in seiner historischen Entwickelung. Strass- burg 1882. II. 2. Die germanischen Ansiedelungen nach Gestall und Grösse. 17 wenigen Gehöften, noch Bind in ihnen Btadtmässig Hunderte BÖlchei Wohnstellen zusammengedrängt. Auch liegen die Häuser dieser Ge- höfte, wie schon TacitUB aber die vici der Deutsehen von seinen Gewährsmännern belehrt worden ist, nicht wie in Italien städtisch Mauer an Mauer aneinander, Bondern die Gebäude jedes Gehöftes Ettehen einzeln, haben neben "der zwischen sich einen für die Wirth- schaftszwecke bestimmten Hofraum, und sind von einem kleineren oder grösseren eingehegten Garten umfasst. Die Vergleichung der Stellung dieser Gehöfte gegeneinander, also des (iesamnithildes der Dorflage, wie es beispielsweise Fig. 1, und ähnlich die Anlagen 5 — 17 in Bd. III wiedergeben, lässt 1 -3-_ . ...■ --^v^\ Fig. 1. Geusa (Beg.-Bez. und Kr. Merseburg, '/a Meile SW.). weiter erkennen, dass dieselben zwar in ziemlich gedrängter Ge- schlossenheit, aber doch durchaus verschiedenartig und unregel- mässig sowohl im Ganzen als in ihren einzelnen Gebäuden an- geordnet sind. Sie stehen in allen volksmässig angelegten Dörfern wie zufällig, zwar gedrängt, aber in verschiedenen Richtungen gegen- einander. Auch darin lässt sich der typische Charakter nicht verkennen. Wie das Wort Dorf, Turf, Trupp dem Sinne nach einen Haufen be- zeichnet, so ist auch haufenförmig oder Haufendorf der geeignetste Ausdruck für diese Art der Dorfanlage. Dass eine oder einige 4S II- 8. Die germanischen Ansiedelungen nach Gestalt und Grösse. Strassen die Ortschaft durchziehen, ist nothwendig, aber es gelingt nicht, für die Gesammtlage ein Gesetz oder einen ursprünglichen Plan aufzufinden. Selbst die Hauptwege laufen willkürlich nach verschiedenen Richtungen und das Ganze bildet im Aufrisse ein Netz von krummen und winklichen Gassen und Zugängen. Auch die Ab- grenzungen der Gehöfte stehen in keiner bestimmten Beziehung zu einander. Der Ueberblick des Ganzen lässt keinen anderen Schluss zu, als dass innerhalb der meist wenigstens in Resten noch vorhan- denen Bewehrung durch Hecke und Graben, wie sie der Sachsen- spiegel (IL 66 § 1) voraussetzt, sich zu Zeiten die anwachsende Be- völkerung enger als anfänglich zusammengedrängt und den von Beginn an planlos vertheiltcn Raum noch unregelmässiger zerstückelt hat. Fig. 2. Siebenhöfen (Reg.-Bez. Stade, Kr. Jork, s/4 Meile O. v. Stade). Auch ist zu vermuthen, dass die Gebäulichkeiten ursprünglich sehr viel weniger Platz einnahmen. Die Bauweise veränderte sich viel- fach und entwickelte sich erst spät. Durch das wachsende Bedürfniss der Vergrösserung der Räume in Haus und Hof aber entstanden die kleinen winklichen Sack- und Nebengässchen, die nur mit Schwierig- keiten der Wagenfahrt zugänglich sind, Schwierigkeiten, welche täglich empfunden werden, aber sich nur durch fast vollständigen Umbau des ganzen Dorfes beseitigen lassen würden. Dass in allen diesen Zügen charakteristische Eigentümlichkeiten der Besiedelung des germanischen Volkslandes erkannt werden müssen, ergiebt überzeugend die Vergleichung mit den Nachbargebieten. II. 2. Die germanischen Ansiedelungen nach Gestalt und Grösse. 49 Hier tritt zuerst an der Westgrenze des deutschen Gebietes längs der Nordseeküste auf jeder topographischen Karte die auffallende Erscheinung der Marschdörfer mit ihren eigentümlichen ruthen- breiten, dammähnlichen, zwischen tiefen Gräben schnurgerade und parallel fortlaufenden Beeten hervor. Diese mühevolle Anlage ist für die Entwässerung der überall unter der Höhe der Fluth liegenden Marschen ebenso nothwendig, wie die Eindeichung. Die Deiche müssen der Sturmfluthen wegen von grosser Stärke sein, sie bilden deshalb auch die Hauptstrassen. Dadurch ist gegeben, dass die Ge- höfte der Ortschaften meist an der inneren Böschung angebaut wurden. Sie bleiben dadurch selbst bei Deichbrüchen und Ueberschwemmungen Fig. 3. Krcchting (Rcg.-Bcz. Münster, Kr. Borken, l'/o Meile W.). noch zugänglich und gestatten wenigstens die Flucht. Das Bild einer solchen Ortschaft zeigt Fig. 2. Siebenhöfen in der Gemeinde Hollern (istlich von Stade. Wie aber schon der Name ergiebt, ge- hört Hollern mit Siebenhöfen zu den Holländerkolonien, welche im 12. Jahrhundert angelegt wurden. Die erste entstand in Vahr bei Bremen 1106. Die Marschhufen haben also für die älteren Verhält- nisse keine Bedeutung. Dagegen ist der Gegensatz der Dorf besiedelung des alten Volks- landes zu den Einzelhöfen jenseits der Weser ein jedenfalls uralter und von grosser historischer Wichtigkeit. Aus dem Kartenbilde ist Mcitzen, Sicdelung etc. I. 4 50 n. 2. Die germanischen Ansiedelunge* nach Gestalt und Grösse. .-owohl die durchaus abweichende Gestalt der Ansiedelungen, wie die scharfe Grenzlinie, welche beide Siedelungsformen scheidet, ohne "Weiteres erkennbar. Fig. 3 zeigt diese Einzelhöfe in ihrer gegenseitigen Lage. Charakteristisch ist bei ihnen nicht so sehr die Form der nicht überall sächsischen Gehöfte, als die Besonderheit, dass jedes der- selben im Wesentlichen von den zu ihm gehörigen Ländereien um- geben ist, und dass dieser Besitz in Kämpen, d.h. in quadratisch oder rundlich geformten Abschnitten liegt, deren jeder von Hecken oder Gräben eingezäunt ist. Dieser Geschlossenheit jeder der Be- sitzungen entspricht, dass dieselben vereinzelt über die gesammte Flur der Ortschaft liegen. Einem Dorfe des Volkslandes steht im Gebiete der Einzelhöfe ungefähr eine Bauerschaft gleich. Sie enthält aber nur ausnahmsweise auch eine dorf- oder weilerähnlich geschlossene Gruppe von Hausstellen, welche die Kirche oder einen Marktplatz umgeben, und diese Häuser sind in der Hauptsache nicht von Land- wirthen, sondern von Beamten und Gewerbtreibenden bewohnt, welche sich hier angebaut haben. Anlage 1. zeigt näher, wie scharf und deutlich die Weser die Haufendörfer des Volkslandes von den Einzelhöfen auf dem linken Ufer des Stromes scheidet. Ueber denselben schroffen Gegensatz auf .der gesammten Westgrenze des deutschen Volksgebietes belehren die Blätter 30 und 39 der Papenschen Karte, und Blatt 4, 10, 16/17, 24 der Generalstabskarte von Rheinland und Westfalen. Sie ergeben, dass er nicht allein längs des Stromes bis oberhalb der Porta, sondern auch auf der Grenze von Detmold und auf den Scheiden des Teuto- burger Waldes, der Rothhaar- und der Westerwaldketten bis zum Giebelwald bei Siegen besteht. Nur das Paderborner Land und der Hellweg bilden eine Ausnahme, welche im Laufe der Darstellung ihre Deutung finden wird. Diese Hochebene ist mit Dörfern wie Hessen besiedelt. Die hier ebenso unvermittelte Abgrenzung der- selben gegen die Einzelhöfe erweist die Anlage 2. Aber auch auf der entgegengesetzten Ostgrenze des Volkslandes gegen die Slawengebiete, wo keine Einzelhöfe, sondern überall ge- schlossene Dörfer bestehen, ergiebt sich ein ähnlich scharfer Unter- schied. Er beruht auf verschiedenen hier ersichtlich planmässigen Formen, in weichen diese geschlossenen Orte angelegt sind. Auf dem Thüringer Walde wird die Ostgrenze von den o. S. 43 gedachten Waldhufen berührt, welche sich weiter auf dem Erzgebirge II. 2. l>ic germanische« Ansiedelungen nach Gestall and Grösse. 51 und Lausitzergebirge und auf den Sudeten in grosser Zahl ausbreiten, Die C! estalt ihrer Anlage zeigt Fig. 4. Sie lassen sich, wie die Marechhufen, mit Recht als Reihen- dörfer bezeichnen und sind wir diese durch die weitläufige auf jeder topographischen Karte deutlich erkennbare Linie charakterisirt, in der die überall fränkischen Gehöfte die gesammte Gemarkung durch- ziehen, sowie dadurch, dass jedes Gehöft in der Regel auf dem zu- gehörigen Lande erbaut ist, welches in einem einzigen geschlossenen Fig. 4. Frankenall (Kgr. Sachsen, % Meile W. Mittwcida). Streifen von der Dorfstrasse im Thal zur Flurgrenze auf der Höhe, oder auch quer durch das Thal von einer Grenze zur andern ver- einigt liegt, wie dies Fig. 4 näher angiebt. Indess sind diese An- lagen auch hier erst im späten Mittelalter auf unkultivirtes Waldland gegründet worden. \, Dagegen gehören die Dörfer der an die Ostgrenze anstossenden Ebenen grösstenteils schon der Zeit an, in welcher sich die Slawen 4* 52 II. 8. Die germanischen AnsiedelungÄ nach Gestalt und Grösse. In diesen Gegenden festsetzten, und besitzen ihrerseits den Reihen- dörfern sehr unähnliche, aber ebenfalls durchaus eigenthümliche und von den Haufendörfern bestimmt verschiedene Formen. Diese Slawendörfer haben zwei bestimmte Grundpläne. Die einen sind fächerförmig, oder wie sie Victor Jacobi be- zeichnet hat, als Rundlinge angelegt. Fig. 5 zeigt sie näher. In diesen Runddörfern umgeben die Gehöfte stets einen runden oder ovalen, ursprünglich nur durch einen einzigen Weg zugänglichen Platz, auf welchem das Vieh stehen und Fig. 5. Witzeetze im Drawchn (Reg.-Bez. Lüneburg, Kr. Lüchow, l1/., Meile NW. leicht abgeschlossen werden kann. Die Höfe und Giebelseiten der Wohnhäuser drängen sich nach diesem Platze eng zusammen; hinter den Häusern aber breiten sich die nach Aussen mit hohen Bäumen bestandenen Gärten keilförmig aus, und schliessen mit einer das Ganze fast kreisförmig umziehenden Hecke ab. Dieser Plan überwiegt im Westen, im alten Sorbenlande.1) ') Vergl. die Uebersichtskarte Bd. III und die Anlagen, Diahrcn, Reddebeitz, Klein Heide, Domnowitz u. a TT. 2. Die germanischen Ansiedelungen nach Grestall und Grösse. ~>;\ Der andere Plan ist der des Strassendorfes, den Fig. 6 er- läutert. Diese Anlagen finden Bich westlich der Oder nur vereinzelt, herrschen aber theils klein, theils gross in der Ebene «'istlich der Oder ausschliesslich. Die Dorflage zeigt das Bild einer regelmässigen graden und verhältnissmassig kurzen Strasse, an welche die Gehöfte zu beiden Seiten in gedrängter rechtwinklicht gestellter Reihe an- Btossen. Die Strasse ist so breit, dase rechts und links vor den Ge- höften Wege fortlaufen, in der Mitte aber ein Anger bleibt, der nicht selten zu Kirche und Kirchhof benutzt ist, und fast ohne Ausnahme ausgegrabene Wasserlöcher zeigt, aus denen Bauich m genommen wurde und das Vieh getränkt werden kann. Die Hausstellen sind erheblich tiefer als breit. Von ihrem früheren slawischen Charakter haben sich nur im entfernten Osten Spuren erhalten. Das fränkische Haus ist in alle diese Dörfer offenbar schon mit der deutschen Kolonisation des , n * \ ÜJ ':. ^ .. lyLu Fig. C. Trebnitz (Reg.-T?ez. and Kr. Merseburg, \'i Meile SO.). L3. und 14. Jahrhunderts eingedrungen. In den grösseren Gehöften stehen sich Wohnhaus und Stallungen gegenüber, beide mit dem Giebel gegen die Strasse. Dazwischen liegt ein Hof, den ein Thor oder ein Thorhaus gegen den Dorfweg schliesst. Die Dachtraufen der Nachbarn berühren beinahe den Zaun, der stets die Gehöfte trennt. Hinter den Gebäuden liegt ein Garten von der gleichen Breite. Alle Gärten stossen mit der Hinterseite an eine in der Regel ziemlich gleichmässig fortlaufende, das Dorf zu einem oft sehr genau rechteckigen Parallelogramm abschliessende Hecke.1) Zu beiden Seiten öffnet sich die Dorfstrasse nach den Wegen auf das Feld; häufig wird ') Vergl. clie Anlagen Bd. III: Wach.au, Zeschwitz, Zahn, Domslau, Kram- pitz u. o4 II- 2. Die germanischen Ansiedelungen nach Gestalt und Grösse. sie noch durch einen zweiten "Weg in der Mitte gekreuzt. Feldwege aus der Rückseite des Gehöftes, welche die Dorfstrasse nicht be- rühren, sind durchaus ungebräuchlich und deuten auf besondere Um- gestaltungen der späteren Kolonisationszeit. Am Harz und in Thüringen greifen diese planmässigen Dorfformen der Slawen allerdings auch sporadisch auf das ursprünglich deutsche Gebiet herüber. Sie finden aber ihre Erklärung durch bekannte An- setzungen slawischer Kolonen und Höriger. Der charakteristische Unterschied bleibt deutlich. Wie scharf der Gegensatz zu den Haufendörfern des Volkslandes ist, und wie erkennbar er selbst bei der Verkleinerung der Generalstabskarte bleibt, zeigt Anlage 3 im Bilde der Umgebung von Halle. Links der Saale liegen die deutschen Haufendörfer Lettin, Cröllwitz, Boelau, Lieskau, Nietleben, Zscherben, Passendorf, Schiettau, zu denen noch Brachwitz, Giebichenstein und Bölberg auf den rechten Uferhöhen gehören. Rechts des Flusses aber lassen sich trotz der zahlreichen Anbauten aus neuerer Zeit die slawischen Runddörfer Maschwitz, Tornau, Braschwitz, Rabatz, Dolbau, Kugel deutlich erkennen, ebenso die Strassendörfer Sennewitz, Seeben, Metzlich, Zoebernitz, Diemitz, Schönnewitz, Stennewitz, Nauendorf, Canena, Zwintschoena, Bruckdorf und an der Saale Wörmlitz. Der- selbe Unterschied findet sich bei den beiden in Fig. 1 und 6 wieder- gegebenen Orten. Fig. 1 das Haufendorf Geusa liegt Va Meile westlich Merseburg nahe dem linken Saaleufer, Fig. 6 das Strassendorf Treb- nitz Vi Meile östlich Merseburg auf dem rechten Saaleufer. Auch sind die meisten Trebnitz benachbarten Dörfer slawische Runddörfer wie Fig. 5. Alle ihre Gehöfte aber sind fränkisch ausgebaut, während das ihnen im übrigen völlig entsprechende Witzeetze die unwesentlich modifizirten sächsischen Gehöfte des Wendlandes besitzt. Den auffallenden auf der Dorfform beruhenden Gegensätzen der Haufendörfer des alten Volkslandes gegen die Einzelhöfe an seiner Westgrenze und gegen die Slawendörfer an seiner Ostgrenze lässt sich noch ein weiterer aus dem abweichenden Kartenbilde der Wege an- schliessen. Die haufenförmig zusammenliegenden Gehöfte der ursprünglich deutschen Dörfer gestatten von ihrer unregelmässigen Lage aus leicht Ausgänge der Wege in direkter Richtung nach dem Punkte hin, der das Ziel des Weges ist. Da dies entweder die rings umherliegenden XiKhbarorte oder nahe Forsten sind, welche Anfuhr erfordern, ist das allgemeine Bild des Wegenetzes dieser Dorffluren, so weit nicht etwa steile Berge hindern, ein sehr regelmässig sternförmiges, wie IT. 2. Die germanischen Ansiedelungen nach Gestalt und Grösse. 55 es Anlage 1 und 2 und die topographischen Karten des gesammten Volkslandes erkennen lassen. Ein solches Zusammenlaufen der Wege zur Ortschaft wäre auf dem westlich jenseits der Weser beginnenden Gebiete der Einzelhöfe unmöglich. Hier durchziehen das Land, wie Fig. 3 und Anlage 1 wiedergehen, nur Hauptstrassen von Stadt zu Stadt, welche meist die Kirchplätze berühren, auf die einzelnen Höfe aber gar keinen Bezug haheii. sondern von diesen her auf meist sehr gewundenen Neben- wegen erreicht werden müssen. Fussteige, die in gerader Linie quer über Felder, Hecken und Gräben hinweg führen, bilden landesüblich die direkten Kommunikationen. Noch eigenthümlicher und auf jeder grösseren Karte erkennbar, ist das Wegenetz der Waldhufendörfer. Der lang fortgeführten weiten Reihe der Gehöfte, und dem in einem einzigen Streifen geschlossenen Besitze jeder Bauernstelle entspricht, dass von jedem Gehöft auch ein besonderer Weg durch dieses langgedehnte Besitztimm führt. Dadurch laufen, wie schon Fig. 4 erkennen lässt, die Wege in der Form eines Blattstiels mit seinen Rippen zusammen. Anlage 4, die zugleich den Gegensatz der Reihendörfer zu den slawischen ge- schlossenen Dörfern verdeutlicht, macht ersichtlich, dass, wo in einer Gegend die Waldhufen die Mehrzahl der Fluren einnehmen, ihr Bild sich sprechend mit Ulmen- oder Lindenblättern vergleichen lässt, die in verschiedener Richtung nebeneinander liegen. Aber auch die Runddörfer und ebenso die Strassendörfer be- dingen durch ihren Grundplan die Wege. Denn sie gestatten den- selben nur bestimmte Ausgänge aus der Dorf läge und beeinflussen dadurch auch ihren weitern Verlauf. Ein Theil dieser Wege muss sich in scharfen Biegungen aus den Dorfausgängen in die Richtung nach den "Nachbarortschaften wenden. Auch dies lassen die als Bei- spiele angezogenen Karten erkennen. Endlich ergeben die Generalstabskarten noch als charakteristische Eigentümlichkeit des deutschen Besiedelungsgebietes die weitgehende Uebereinstimmung der Dorftluren in der Grössen ausd eh nun g ihres Kulturlandes. Die Agrarstatistik der betheiligten Staaten gestattet nicht immer das Kulturland ortschaftsweise von den zugehörigen Wiesen-, Holz- und Weideländereien zu trennen. In der Regel sind die Kulturarten der Gemeindebezirke nicht nachgewiesen. Diese Bezirke schliessen sich aber auch nicht durchweg an die Lage des Ortes als eines Dorf- ganzen an, sondern beziehen sieh auf politische oder steuerliche Ein- 56 Tl. 2. Die germanischen Ansiedelungen nach Gestalt und Grösse. theilungen, umfassen deshalb oft mehrere Dörfer und verschieden- artige Wohnplätze, oder stellen Theile derselben, namentlich den Besitz grosser Güter, besonders auf. Deshalb empfiehlt sich für den vorliegen- den Zweck als das einfachste, die durchschnittliche Ausdehnung des Kulturlandes der einzelnen Dorfschaften nach dem Kartenbilde zu überschlagen, welches zugleich den Einblick in die speziellen Boden- viihältnisse gewährt. Da der Flächeninhalt des ganzen oder halben Blattes bekannt ist, lässt sich der verhältnissmässige Theil desselben ausscheiden, der nur Forst, Oeden oder Wasser oder auch Stadtfluren und sonst fremdartige Bestandtheile enthält. Der Rest ist dann auf die Zahl der Dorfschaften zu vertheilen. Im Grossen und Ganzen belehrt indess schon der blosse Ueber- blick der Karten, dass die Flächenausdehnung des die einzelnen Dürfer umgebenden Kulturlandes im volksthümlich deutschen Ge- biete gegenüber den Nachbargebieten eine mittle ist, und die Grössen unterschiede innerhalb desselben bei weitem nicht so bedeutend wechseln, als ausserhalb desselben. Die zunächst jenseits der Saale belegenen Slawendörfer sind bei der deutschen Besitznahme im späten Mittelalter zu gleichem Um- fange umgestaltet worden. Aber schon die slawischen Ortschaften im hannoverischen Wendlande erweisen sich erheblich kleiner. In noch höherem Grade drängen sich die den Slawen zuzuschreibenden Dürfer in Sachsen und Altenburg (Anlage 4), um Rochlitz, Lommatzsch, Meissen, Dresden und besonders um Bautzen und Kamenz zusammen. Andererseits umfassen die mehrerwähnten Reihendörfer der sächsischen und schlesischen Gebirge, ebenso wie die Marschdürfer ungleich grössere Gemarkungen. Auch der Vergleich mit den Einzelhüfen Westfalens und Oldenburgs zeigt die dortigen Bauerschaften über mehrfach so grosse Flächen ausgebreitet, als die Dürfer der rechts- seitigen Wesergebiete. Alle diese Besonderheiten der volksthümlichen deutschen Sie- delung lassen sich für das in Betracht kommende westgermanische Deutschland aus den topographischen Karten mit befriedigender Be- stimmtheit im Einzelnen erkennen. Weniger günstig für die kartographische Anschauung liegen die Verhältnisse nördlich der Elbe, in Schleswig-Holstein, Dänemark und Schweden, wo schon vor der Aufnahme der topographischen Karten wesentliche Veränderungen mit der alten Gestalt der Dürfer vor- genommen worden sind. In Schleswig-Holstein suchte nach G. Hanssen (I, 309) der Adel II. 2. ]>ic germanischen Ansiedelungen nach Gestalt und Grösse. 57 schon um 1G00 seine Ländereien aus der Feldgemeinschaft der Dorf- gemarkungen herauszuziehen, and legte auf ihnen Koppeln an, welche mit lebendigen Hecken eingefriedet wurden. Diesem Beispiele sind bald auch die Dauern theils freiwillig, theils auf Veranlassung der Gratsherren gefolgt, welche dadurch von der Hergabe des Holzes zu den Feldzäunen frei wurden. Dieser Vorgang hat sich fortgesetzt, bis um 17C>t*> die Verkoppelangen durch landesherrliche Verord- nungen allgemein und so energisch aufgenommen wurden, dass sie am Ablauf des Jahrhunderts bis auf wenige Streitsachen völlig durch- geführt waren. Bei diesem Verfahren ist keineswegs allein die Zu- sammenlegung des zerstückelten Besitzes in gut arrondirte und ein- gehegte Kämpe und die Herstellung der erforderlichen Zugangswege zur Ausführung gebracht worden, sondern auch in sehr grosser Aus- dehnung der Ausbau möglichst vieler Gehöfte aus den bis dabin enggedrängten Dörfern. Der gesammte Besitz jedes ausgeschiedenen Hofes wurde in grösserer Entfernung geschlossen zusammengelegt und das Gehöft auf demselben neu errichtet. Ganz entsprechend wurden auch im Königreich Dänemark von 177(1 — 1800 alle ländlichen Ortschaften durchweg unter zahlreichen Ausbauten verkoppelt. Nur in Norwegen sind die Verkoppelungen im wesentlichen erst durch Gesetze von 1821 und 1857 in Gang gebracht worden und im Ganzen nur langsam vorgeschritten. In Schweden1) dagegen wurde schon 1628 ein Landmesserkorps ursprünglich zu topographischen Arbeiten begründet, welches bald darauf den Auftrag erhielt, auf Antrag Betheiligter die zersplitterten Grundstücke einer Feldlage unter Vermessung und Graduirung durch Austausch zu besserer Bewirtschaftung zu arrondiren, auch zu be- fördern, dass der eine oder andere Bauer aus dem Dorfe herausziehe und sieh auf dem ihm zugetheilten Felde seine Wohnung errichte. Dieses Vcreinödungsverfahren hat das stark anwachsende Landmcsser- korps durch zwei Jahrhunderte geübt. Dadurch sind die Dorfschaften auf dem Lande immer mehr zersprengt worden. Ein Bauerndorf von 20 und mehr Nachbarn gehört gegenwärtig schon zu den Aus- nahmen, die schwedischen Dörfer bestehen gewöhnlich nur noch aus 5, 10 bis 15 Nachbarn. In Folge dieser Veränderungen zeigen die erst in neuerer Zeit ') Sietlenblath, Schweden, Statist. Mittheilungen für die Weltausstellung zu Wien 1873. 58 II. -■ Die germanischen Ansiedelungen nach Gestalt und Grösse. aufgenommenen und veröffentlichten topographischen Karten Schles- wig- Eolsteins, Dänemarks und Schwedens einen Zustand, der die alten Verhältnisse nur bei Kenntniss dieser Vereinödungsvorgänge vermuthen lässt. Ein Bild davon gewährt Fig. 7. Die alten Dörfer sind zwar erhalten, doch wesentlich gelichtet und von einer Anzahl Höfe in gewissen Entfernungen umgeben. Die Wege bilden jetzt in der Regel ein nach allen Seiten geradlinig ge- zogenes und in sich verbundenes Netz. Von dem früheren Zustande lassen sich auf den Generalstabskarten also nur noch die gegen- I s Fig. 7. Mesing (Jütland, '/a Meile N. Skanderborg). seifigen Entfernungen der ursprünglichen Mittelpunkte der Orte und die geringe Regelmässigkeit erkennen, welche die Lage der alten Gehöfte um diese Mittelpunkte noch immer behalten hat. Aber die frühere Geschlossenheit ist notorisch und geht aus den vorhandenen Akten und Karten der Verkuppelungen mit Bestimmtheit hervor. Dies ergeben schon die Kartenbilder von Anlage 16 (Olderup) und Anlage 17 (Winterhude). Es wird sich weiter zeigen, dass auch in allen anderen Beziehungen diese Dörfer mit denen zwischen Weser IT. 3. Wirthechaftseinrichtungen and Betrieb. 59 und Saale übereingestimmt haben. Selbst in Betreff der Ausdehnung des Kulturlandes ergiebt sich, dass zwar schon auf der eimbrischen Halbinsel und in noch viel höherem Maasse im Innern Schwedens die Dorfgemarkungen in ihrer Grösse erheblich weiter anwachsen, ohne dass sich die Zahl der Gehöfte vermehrt; dass die Ackerfluren alicr gleichwohl in Schleswig -Holstein und Dänemark denen südlich der Elbe gleichstehen, und erst im inneren Schonen grösser werden, auch im nördlichen Gothland und Smaland aber nur etwas mehr als die doppelte Fläche umfassen. Ein solches Mehrmaass ist nöthig, weil hier vieles lange zu Gras liegendes Land besteht und der ohnehin vom Klima benachteiligte Boden seiner überall felsigen Beschaffenheit wegen nur auf dem Doppelten oder Dreifachen der Ausdehnung den für den Hof erforderlichen Ertrag zu bieten vermag. 3. Wirthschaftseinrichtungen und Betrieb. Die bestimmten Gegensätze, welche aus dem Bilde der topo- graphischen Karten zwischen der Besiedelung der national -deutschen, und der der westlichen wie östlichen Nachbargebiete in der Gestalt und Grösse der Ansiedelungen nachgewiesen wurden, sind aller- dings nur äusserliche. Aber sie können nicht ohne innere Gründe gedacht werden. Sie müssen auf umfassenderen Beziehungen der agrarischen Grundanschauungen beruhen. Dieser eigentliche Sinn und Inhalt der Ansiedelungsweise lässt sich nur aus den wirtschaft- lichen Einrichtungen, aus der Besitzvertheilung innerhalb der Dorf- Auren und aus den Bedingungen und Verhältnissen des Betriebes erschliessen. Für eine solche Beurtheilung aber reichen nicht mehr die topo- graphischen, sondern nur die Parzellarkartirungen aus. Karten, welche die Wirthschafts -Verbände und die Vertheilung des Grundbesitzes im Einzelnen nachweisen, bezeichnet man als Flurkarten. Das Charakteristische solcher Flurkarten und der sie erläutern- den Dokumente ist jedem Geometer bekannt und überall überein- stimmend. Sie gründen sich auf spezielle Vermessung des Ortschafts- gebietes. Die Aufnahme im Felde erfolgte früher mit dem Messtische, oder mit der Boussole und Messkette, neuerdings auf trigonometrischer Grundlage. Die Ergebnisse der Winkel- und Linienmessung werden im entsprechenden verkleinerten Bilde, in der Regel nach dem Maass- stabe von nicht weniger als 1 : 5000 der natürlichen Länge, bei 60 TT. 3. Wirthschaftseinrichtungen und Betrieb. mittler Besitzzerthcilung von etwa 1 : 2500 und bei sehr starker Zer- stückelung bis 1 : 1250 und grösser auf das Papier aufgetragen. Der Flächeninhalt wird nur aus den Figuren berechnet, die auf dem Papier entstehen. Alle vorgefundenen Eigenthumsgrenzen , sowie alle Grenzen der Haupt kulturarten werden in die Zeichnung aufge- nommen. Sie ergeben ein Netz zahlreicher Kartenabschnitte, deren jetler eine fortlaufende Nummer erhält. Zur Erleichterung des Ueber- blicks ist auf manchen Karten der Nummer auch ein Buchstabe beigefügt, der den Eigenthümer bezeichnet. Das zur Karte gehörige Register (Vermessungs-Register, Flurbuch) weist nach dieser Nummernfolge für jeden der Kartenabschnitte Eigenthümer, Grösse und Kulturart nach. Ein besonderer Besitz nach weis (Besitzauszug, Extrakt, Erdbuch, Mutterrolle, Grundbuch) stellt für jeden Eigen- thümer (oder für jede Hypothekennummer) die Kartenabschnitte, die ihm gehören, zusammen, so dass sich die Grösse jeder Besitzung in der Flur nach ihren einzelnen Besitzstücken, sowie nach ihrer Gesammtfläche und nach der Fläche ihrer verschiedenen Kulturarten ersehen lässt. Ist mit der Vermessung auch eine Werthschätzung (Bonitirung) verbunden worden, so wird in den Registern neben jeder Flächenangabe auch die Werthangabe gemacht. Für die Beurtheilung der altherkömmlichen Flurverhältnisse können selbstredend nur solche Vermessungs- oder Katasterkarten mit ihren zugehörigen Registern dienen, welche vor dem Einwirken der modernen Landeskulturgesetzgebung, vor den Verkuppelungen, Zusammenlegungen oder Gemeinheitstheilungen, aufgenommen wurden. Wo also das Kataster später entstand, als die Zusammenlegung statt- fand, müssen die für die Zusammenlegungen aufgemessenen Karten ge- braucht werden. Auch von diesem bei den Auseinandersetzungsbehörden vorhandenen Kartenmaterial können aber nur die sogenannten Ur- karten oder Brouillonkarten benutzt werden, in welche der alte Be- sitzstand vor der Zusammenlegung verzeichnet ist. Das Aufsuchen und die Benutzung solcher Karten, welche den Einblick in die Sachlage vor den Zusammenlegungen gestatten, ist auf den in Rede stehenden deutschen Gebietstheilen zur Zeit noch ohne wesentliche Schwierigkeiten und in den meisten Fällen aus- führbar. Für Dänemark und Schweden (o. S. 57) scheint, wenn sich nicht Ausnahmen finden, darauf verzichtet werden zu müssen, das voll- ständige Kartenbild zu erlangen. Denn bei dem dortigen, schon in älterer Zeit in Uebung gebrachten Verfahren der Zusammenlegung wurden in der Regel Karten des alten Besitzstandes überhaupt nicht H. .'!. Wirthschaftseinrichtungen und Betrieb. Gl aufgenommen. Man begnügte sich damit durch Messung und Kar- tirung das Bild und die Grösse der Hauptabschnitte zu gewinnen, stellte das Verhältnisß der Theilnahme und die Art der Abfindung eines jeden Betheiligten durch Abkommen unter denselben, und so- weit nöthig durch Verwaltungs- Entscheidung, fest, und verzeichnete dann in der Karte nur die neue fortan geltende Phinlage. (Vgl. An- lage 16.) Indess gewähren hier andere historische Zeugnisse die nöthige Ergänzung. Die Durchsicht der vorhandenen Flurkarten grosser zusammen- hängender Bezirke des deutschen Gebietes, erläutert durch die zu Gebote stehenden aktenmässigen und urkundlichen Nachweise und durch Auskunft der Katasterbeamten und erfahrener Feldmesser, welchen die Vermessungen in verschiedenen Orten der fraglichen Landestheile lange obgelegen haben, ergeben nun überzeugend, dass auch die Eigenthumsverth eilung auf den Fluren der national- deutschen Besiedelung eine überall gleichartige ist. Wie die Beispiele der Anlagen 5 — 19 näher anschaulich machen, lag das Kulturland aller älteren deutschen Dorfgemarkungen in auf- fallender Zerstückelung und liegt, wo die neuere Zeit nicht ein- gegriffen hat, noch gegenwärtig so. Diese Zerlegung des Ackerlandes in zahlreiche Parzellen ist all- gemein, nur die Grösse der Parzellen ist verschieden. Auf der einen Flur und an der einen Stelle geht sie, wie die Beispiele zeigen, zu solcher Kleinheit und Schmalheit herab, dass die Nutzbarkeit des Grundstückes bezweifelt werden kann, auf anderen Fluren oder an anderen Stellen finden sich grössere und ziemlich regelmässige Stücke abgegrenzt. Im allgemeinen zeigen dieselben indess streifenförmige Figuren von geringer Breite bei häufig grosser Länge. Schon aus der Summe der Parzellen und der der Besitzungen im Dorfe geht hervor, dass erstere ausserordentlich viel zahlreicher sind, als die letzteren. Sucht man aber, wie es in den Beispielen ge- schehen ist, für eine Besitzung von mittler Grösse im Dorfe sämmt- liche zugehörige Grundstücke auf, und bringt auf der Karte ihre Lage zum Ueberblick, so zeigt sich dieser Besitz stets in überraschender Weise über die gesammte Gemarkung zerstreut und ver- einzelt. Allerdings lassen sich hier und da Gründe dieser Zerstückelung und zerstreuten Lage wahrnehmen. Sie ist stärker im Gebirge als in der Ebene, und die einzelnen verschieden durcheinander laufenden Gruppen sind zum Theil durch nasse und trockene Lage, durch den ß2 Tl. 3. Wirthschaftseinrichtungfen und Betrieb. Wechsel guten und schlechten Bodens oder durch die wenn auch viel- leicht nur geringe Abhängigkeit des Ackers für den Wasserabfluss bedingt. Aber wenn man auch der fortgeschrittenen Kultur die Ver- wischung manches früheren Bodenunterschiedes zuschreiben kann; es linden sich bei genauer Durchsicht der auf den Karten verzeich- neten WerthschätzuDg und bei Besichtigung an Ort und Stelle nach dem Urtheile der Lokal- und Sachkundigen sehr viele solcher Ab- schnitte, welche wirtschaftlich aus irgend einem Nützlichkeitsgrunde schlechterdings nicht erklärt werden können. Dabei liegt sehr nahe und wird durch den Vergleich älterer Karten1) bestätigt, dass diese Zerstückelung und damit auch die gleichmässige Verbreitung der Grundstücke derselben Besitzung in früherer Zeit noch grösser sein musste, als sie der verhältnissmässig moderne Zustand der Dinge in den vorliegenden Beispielen zeigt. Denn es ist klar, dass jeder Besitzer eher danach getrachtet haben wird, durch Umtausch oder Ankauf Grundstücke, die an die seinigen angrenzten, zu erwerben, als davon entfernt liegende. Zwar ist es, wenn Erb- oder andere Theilungen einer ganzen Besitzung eintraten, im Allgemeinen Gebrauch gewesen, alle einzelnen Grundstücke der- selben zu theilen. Häufig aber ist noch an der Lage der beiden Theil- besitzungen zu erkennen, dass einzelne Parzellen ganz der einen Partei, andere der anderen zugefallen sind, denn jede der Theil- besitzungen schied damit aus einem Abschnitte des Feldes völlig aus, ist dagegen in einem anderen, gegenüber gleich grossen Be- sitzungen, doppelt stark vertreten. Betrachtet man auf den Kartenbildern die Lage der zerstreuten Parzellen welcher Besitzung immer näher im einzelnen, so muss vor allem auffallen, dass eine sehr grosse Zahl völlig unzugäng- lich belegen ist. Sie sind, wie die Beispiele erweisen, von den Nach- bargrundstücken nach allen Seiten so umgeben, dass nur über diese hinweg Pferde, Wagen und Menschen zu ihnen gelangen können. Für die Zugänglichkeit sind also die Wege nicht Bedingung gewesen, sie muss auf gegenseitigen Berechtigungen, auf Ueberfahrt und Uebergang über die Nachbargrundstücke, beruht haben, und diese Rechte bestanden in der That überall bis zu den modernen Zu- sammenlegungen. Auch die Lage der vorhandenen Wege lässt kaum zweifel- l) Z. B. des Kurhessischen Parzeilarkatasters von 1764/90 mit dem gegen- wärtigen. II. .">. Wirthschaftseinrichtungen and Betrieb. G3 haft erscheinen, dass auf* sie liei der Eintheilung des Grundeigen- thunis keinerlei Rücksicht genommen worden ist. Die Wege durch- schneiden die Parzellen auf das ungünstigste. Oft liegen auf der einen Seite des Weges grössere Flächen derselhen, jenseits des Weges nur ganz kleine, kaum irgend wie nutzbare Ecken. Manche Parzelle wird durch den Weg so zugespitzt, dass das Pflügen sehr erschwert sein mußS. Zwei oder mehrere Xachbargrundstücke sind sämmtlich mitten zerschnitten, obwohl sich in der einfachsten Weise die Hälfte auf der einen, die andere Hälfte auf der anderen Seite hätte arrondiren lassen. Diese unwirtschaftlichen Sonderbarkeiten können dadurch nicht abgeschwächt werden, dass die Wege auch häufig den Grenzen der Parzellen entlang laufen. Dies müsste bei allen Wegezagen der Fall sein, wenn man annehmen wollte, dass das Wegenetz mit der Acker- cintheilung gleichzeitig ausgelegt worden sei. Es würde auch die vernunftgemässe Anordnung sein, wenn die Wege schon früher als die Ackereintheilung bestanden hätten. Man kann also nur urtheilen, dass das Wegenetz erst später als die Ackertheilung ent- standen ist, und dass ursprünglich überhaupt kein Bedürfniss für Wege vorhanden war. Es lässt sich auch denken, dass die Wege als Fuss- oder Reit- stege begannen, welche, wie noch jetzt Fusswege, jährlich verackert und erst von denen, die sie gebrauchen, wieder festgetreten wurden, dass sie sich also erst allmählich zu den dem Pfluge widerstehenden festen Fahrwegen entwickelten, als welche wir sie heut vorfinden. Noch immer gilt bei diesen das Recht, dass man auf den Acker ausweichen darf, wenn der Weg unpassirbar geworden ist. Darin ist die Erklärung für den oft ganz unverständlich unregelmässigen Lauf dieser Wege zu suchen. Die Erwägung aber, dass im Wesentlichen die Wege eine Last und der Dorfschaft selbst nicht nöthig erschienen, verknüpft sich auf das natürlichste mit gewissen Bestimmungen der schon o. S. 23 erwähnten alten dänischen Gesetze. In diesen Gesetzen wird deut- lich ausgesprochen, dass die öffentliche Gewalt ihrerseits den Durchzug durch das Dorf, und ausserhalb des festen Zaunverschlusses der Ortschaften die nothwendigen Kommunikationswege zu den nächsten Orten erzwang. Nach dem Erich -Seeländischen Gesetz von 1290 (H, 53) und dem Jütisk low von 1240 (I, 51)1) lag in einem ') Kolderup Rosenvinge, Sämling of gauüe denske Lowe, 1827. [\\ II. 3. Wirthechaftseiiiricht\jngen und Betrieb. Dorfbereich der Anger, das forta, als Hauptpassage. Niemand durfte meinen Hof nach dem forta hin erweitern, noch ein Haus auf dem- selben erbauen. Nur wenn das ganze Dorf abgebaut werden sollte, wurde auch das bisherige forta, weil es nicht länger als Anger ge- braucht wurde, unter die Interessenten wie anderes Land vertheilt (Jüt. low I, 51, 8). Das forta musste wenigstens 12 Faden, d. h. 72 Fuss breit sein. Die Ausgänge des Dorfes sollen mit Gattern, Gitterthüren (Gadeledder im Erich- Seel. Ges.) versehen werden, und zwischen den Ausgängen musste ein Hauptzaun fortlaufen, dass also das Dorf ein geschlossenes Ganze bildete.1) Was die Aussenwege betrifft, so gehörten nach dem Jütisk low (I, 56) von Alters vier Wege zu jedem Dorfe.2) Diese Bestimmung muss gegenüber der Lage der Ackerstücke nothwendig als ein Schutz gegen die Verackerung der Wege erscheinen, da die Wege, wie ge- zeigt, nicht für die Bewirthschaftung nöthig oder erwünscht waren, sondern nur für die Landeskommunikation. Neue Wege wurden nach dem Jütisk low (I, 56, 5) im Gegensatz zu den alten ausdrück- lich eingeschworen. Dass es sich bei diesen Wegen um den Verkehr nach aussen handelt, zeigen die Anordnungen über innere Verbindungswege. Das Jütisk low sagt I, 48 und 56, 6, dass, wer in das Feld abgebaut ist, auch einen Weg haben muss, aber in terra propria ad forta et feegangh, das will sagen zu Dorfanger und Viehtrieb (oder zu dem gemeinen Wege). Auch das Erich -Seeländische Gesetz (II, 56) schreibt vor, dass der Abbauer für seinen eigenen Weg selbst sorgen muss. Während also die vier Wege Niemand verackern darf, ver- mag der Abbauer dagegen einen Weg über fremdes Land nicht zu erzwingen. In den deutschen Rechtsquellen erscheint die landespolizeiliche Fürsorge für die Wege im Wesentlichen nur auf die viae publicae oder regiae, die grösseren Landstrassen, an denen die Zollstätten lagen, gerichtet. Von diesen und namentlich von den Brücken, die sie nöthig machten, handeln die Volksgesetze und die Kapitularien und ebenso die späteren Konstitutionen der Kaiser häufig, und auch der Sachsenspiegel II, 66 beschränkt sich auf die Heerstrasse. In- dess unterscheiden doch schon die lex Burgundionum im Tit. XXVII ') Hansscn I, 39 meint zwar im Innern um das forta, nicht aussen, aber der Anger reicht immer so weit als die Gartenzäune. ^ Die viereckige Form der Dörfer ist nicht damit gemeint, denn sie findet sich nur bei den Wenden und den Kolonien im Slawenlande, o. S. 50 und Hansscn I, 41. II. :;. Wlrthschafteeinrichtungeii und Betrieb. 65 und die Lex Bajuwariorum im Tit. X X. 20, von den viae publicae die viae vicinales oder convicinales und pastorales. Beide Gesetze fordern nur v<»n dem. der diese widerrechtlich Bperrt, die Oeßhung unter einer Busse von 12 bezw. <> Solidi. (Mon. Germ. LL. 111, p. 5 l l ii. 310.3 Diese Bestimmung kehrt bei Benedictus Levita in cap. 353 u. 354 des 5. Buchee der Kapitularien fränkischer Könige wieder Mon. Germ. LL. Jl. '1. p. 67). Auch darin liegt, wie in den dänischen Gesetzen die Auffassung, dass ein Schutz der Feld wege nicht nöthig, weil sie durch Ueberfahrtsrechte ersetzbar sind, der Kommunikationsweg von Ort zu Ort dagegen Landespolizei- Bache bleibt. J)ass diese Auffassung auch auf dem Boden des deutschen Volkslandes bestanden und bis in die Neuzeit fortge- dauert hat, wird durch einige Weisthümer helegt. Der Schöffen spruch aus Liebenscheid im Oberwesterwaldkreise hei Marienberg von 1559 (Grimm W. IV, S. 587, (i) sagt: »Wo jemant were, der rechte Wege zumachte und ohnrechte Wege öffnet oder uffthete, weiset der Scheffen nach altem Rechten ein solchen Theter oder Frevler unsern gnädigen Herrn in die Buss.« Also das Schult- heissengericht straft nicht, sondern der Graf von Nassau. Die Ur- theile im (iohe zu Velilen hei Büekehurg ((Trimm W. III, S. 313 ff.) be- antworten die Frage: »Was de gogreve für sinen gohanern und honer wederumb tho donde schuldigkV Darum schal he verpflichtet sin, tho befordern, dat wege und Stege gebetert und in Wolstande geholden werden. < Ferner wenn über jemandes Ackerbreite ein Voigtsteg gelegt worden und vorher kein Voigtpfad darüber gegangen sei, verfällt der, der nicht den rechten Weg behalten hat, dem gnä- digen Herren zu Schaiunburg »in eine sülft'walt«, will sagen in eine Busse nach dessen Ermessen. Schon die Ausdrücke Voithstich und Voithpat sind charakteristisch. Das Landrecht des Edagser Gohes, im Westen von Hildesheim, vom Jahre 1557 (Ebd. IV, S. 659) fragt zu 7. »Wo breit eine gemeine Heerstrate sin schulle und wo feer man der blieven schulle"? Dat ein Rüther könne im Wege holden und mit der Btangen, so he föret, umher wenden. 8. Wo wiet ein !) Die lex romana Bnrgondionam Mon. Germ. LL. III, p. 107' sagt über die Wege und Wegerechtigkeiten viel eingehender, aber nach nur wenig modifüirten römischen Grundsätzen, im Tit. XVII: Viam pnblicam, vel inter agros communiter divisam, nee possideri, nee intercludi nee exurari posse. Quod si factum fuerit, auetorem facti ad ejus munitionem solum compelli, et ad munitionem viarum pro modo patrimonii nullum penitus excusari", und „Viam, iter, actum, hoc est, ubi car- penta vel carra conversari possunt, biennio adquiri et amitti posse. Meitzen, Siedelung etc. I. 5 gß II. 3. Wirthsrhaftseinni'htungen und Betrieb. gemeiner Kerkweg sin schulde? Dat ein Man mit Biner Fruwen könne gähn, dat se de Dau (der Thau) nicht beschütte im Wege. 11. Ein gemeiner Holt weg, wo breit de sin sehulle? Drey Wagen- spoer breit sol hei sin. 12. Wen nun einer bei solchen Wege land her hette, ob man sehulle nicht up dem Lande herfahren, so lange desülve sins wert, solchen fchom wege ligen tho latende? Wen man solches befände, mag man upen lande herfahren. 13. So ein Weg durch dat körn gehet, wer de horde (Zäune) schulde holden, dat kein Schade gescheige? obs der negiste thun solle? Es soll it thon de ganze gemeine, so in dem sulvigen Felde Ackerbuw hefft. In dem Weisthum von Sandweiler aus 1604 § 841) kehrte sogar wieder: dasa in dem Dorf Sandweiler und jederem anderen . . Dorferen 1 Weg sein sollen, die man nennet die Landstrassen, und eine jede 32 Schue breit sein, auch von dem einen Ban zu dem anderen gehen müssen, die auch die landfürstliche Meier und Schoflen ausweisen und marken.« Diese 4 Wege sind hier wie in den dänischen Gesetzen nur ein Rechtssprüchwort und scheinen, wie Lamprecht treffend be- merkt, auf alten rechtssymbolischen Vorstellungen im Hinblick auf die 4 Windrichtungen zu beruhen. — Die nahe liegenden Vermuthungen über die ursprünglichen Ver- hältnisse der Siedelungsanlagen und über das Alter der Ackerein- theilung, welche sich aus dem Laufe der Wege durch die Acker- gewanne und aus dem späteren Wegerechte ergeben, dürfen vorläufig dahin gestellt bleiben. Für die Erkenntniss der dauernden Wirth- schaftseinrichtungen ist dagegen von der grössten und bis zur Gegen- wart entscheidenden Bedeutung, dass dieser völlig typisch auf dem gesammten alten Volksgebiete bestehende Mangel an Wegeverbin- dungen für den Wirthschaftsbetrieb die Noth wendigkeit des Flur- zwanges begründet. Der Flurzwang hat auf allen diesen Gemar- kungen seit Menschengedenken und bis zum Eingreifen der Landes- kulturgesetze bestanden, und hätte wegen der mangelnden Wege ein- geführt werden müssen, wenn er nicht schon mit der Idee der ganzen Anlage gegeben gewesen wäre. Die Notwendigkeit, dass fast alle Nachbarn über Grundstücke anderer zu gehen und zu fahren hatten, um die ihrigen zu bestellen, zu besäen und abzuernten, bedingte, dass Bestellung, Saat und Ernte für ganze Feldlagen gleichzeitig beginnen und enden mussten. Da dies aber nur bei dem Anbau gleicher Fruchtarten möglich ist, wurde ') Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben Bd. II, S. 237. II. 3. Wirthschaftseinrichtangen und Betrieb. 67 dadurch auch Wahl und Folge der anzubauenden Früchte einem nur durch gemeinsame Entschlüsse zu verändernden Herkommen unter worfen. Dieses Hierkommen bedarf selbstverständlich einer gewissen Leitung durch den Gemeindevorstand. Den Zwang ahn- übt es durch die Natur der Sache aus. Wer ihm nicht folgen wollte, würde sich seihst unausbleiblichen Schaden zugefügt haben. (Sachsenspiegel II, 18.) Die nothwendig durch den Flurzwang geforderten Einrich- tungen, welche auf dem gesammten Volksgebiete in Ucbung waren, und in den südlichen Gebirgsgegenden desselben noch in der Gegenwart bestehen, greifen daher sehr tief ein und sind oft erörtert. Alles Ackerland niusste ohne nähere Beziehung auf die gedachte speziellere Besitzvertheilung in eine Anzahl ziemlich gleiche Wirth- Bchaftsschläge eingeordnet werden. Am verbreitetsten waren schon seit dem frühen Mittelalter die drei »Schläge der Dreifelderwirthschaft. Sie herrschte in weiten Landstrichen, wie in Thüringen, Hessen und Ost Talen, fast ohne Ausnahme. Es hat aber auch, wie Haussen I. 271) näher nachgewiesen, im Hildesheimischen, Calenbergischen und Erfurtischen alte Vier- und Fünffelderwirthschaft, auf der nord- hannöverischen Geest Einfelderwirthschaft, am Nordhang des Süntel Zweifelderwirthschaft und am Harz, wie es scheint, Feldgraswirth- schaft bestanden. Letztere nimmt Haussen mit Grund als ursprüng- lich sehr weit verbreitet an. In Schleswig -Holstein und Dänemark hat sich zwar durch die Verkuppelungen überall eine moderne freie Koppel- und Feldgraswirth- schaft eingeführt. Vorher war indess mit der Gemenglage der Flur- zwang auch hier allgemein. So wird in Berichten von 1768 zur Vorbereitung der Einkoppelungs -Verordnung im Amte Segeberg1) ge- sagt: »Hier hat fast Niemand unbefriedete Ländereien, sondern alles liegt in Kampschlägen,2) worauf die Gemeinschaft herrscht, und der eine sich nach dem andern richten muss.« »Die sogenannten Pfiug- und Ackerländereien sind durchgängig in gewisse sogenannte Acker- schläge eingetheilt, welche wegen des sehr sandigen Bodens alle 3 Jahre wechseln, und ein Theil davon nur besaamt, ein anderer aber wieder zur Ruhe und Erholung frischer Kraft in Weide liegen ') Denkschrift des Reg.-Raths Vezin in den Akten des Landwesensbureaus unter dem früheren Ministerium für Holstein betr. die Landwesensverhältnisse des Amtes Segeberg von 1858. 2) Will sagen: Gewannen, der Sprachgebrauch schwankt leider. In der Regel und richtiger wird mit Kamp nicht ein unter die Hüfner getheiltes, sondern ein einem Ein- zelnen gehöriges eingehegtes Feldgrundstück von abgerundeter Figur bezeichnet (o. S. 50). 5* II. o. Wirthscliaftscinrichtungen und Betrieb. bleibt. In diesen Feld- oder Ackerschlägen ist einem Jeden nach Pflugzahl sein Antheil, je nach Grösse der Sehläge mit ein oder zwei Stücken, wechselsweise beigelegt. Auch linden sich hin und wieder solche Ackerfelder, die alljährlich besaamt werden. Auch bei ihnen ist gleichfalls eine solche weit auseinander liegende und besondere Abtheilung geschaffen, und daneben eine solche Verschiedenheit der Güte des Bodens anzutreffen, dass die schon in älterer Zeit ange- stellten Versuche, die in diesen Feldern einem jeden zustehenden Theile in engere Bezirke und näher aneinander zu bringen, stets vergeblich gewesen.« »Die Ackerländereien liegen in grossen Kämpen, in diesen hat jeder Hüfener seinen Strich Landes oder mehrere nach Pflugzahl der Länge nach und neben einander abgetheilt. Dieser ist sein Eigenthum, aber in der Bewirtschaftung ist er an die Dorf- regel gebunden. Der Wechsel der Saatfolge ist ein gemeinschaft- licher, ebenso ist die Brache von allen gleichzeitig zu beobachten. Im Herbst nach der Ernte dient der Kamp zur gemeinschaftlichen Viehweide, ebenso in der Brache.« Für die nach dem üblichen dänischen Verfahren verkoppelten Fluren lässt sich wie bei Olderup (Anlage 16) gezeigt ist, nur aus den Protokollen über die Antheilsrechte und über die Planvertheilung die alte Lage der im Gemenge liegenden Parzellen ersehen. Indess kann auch ein Beispiel einer solchen nördlich der Elbe liegenden Flur vorgeführt werden, welche auf Hamburgischen Gebiete liegt, und in welcher vor der Verkuppelung eine Parzellarkarte aufge- nommen worden ist. Es ist dies das Dorf Winterhude1) (Anlage 17). Hier bestanden im 13. und 14. Jahrhundert zwei verschiedene durch eine Grenze geschiedene Gerichtsbarkeiten. Zu der einen gehörten die Höfe 1 , 2 und 3 mit dem zugehörigen Lande , welches schon vor 1700 in grösseren arrondirten Kämpen lag. Die andere Gerichts- barkeit aber besass die Höfe 4 bis 7, welche erst nach dem Jahre 1779 verkoppelt worden sind. Die nach dem Stande des Jahres 1700 gezeichnete Karte erläutert anschaulich die obigen Angaben des Segeberger Berichtes über die herkömmlichen gesonderten Ge- wanne und deren Untertheilung für die einzelnen Hufen, sowie über die Unzugänglichkeit dieser Theilstücke und die daraus folgende Notwendigkeit des Flurzwanges innerhalb des einzelnen Feldtheiles. ') Dr. W. Hübbe, Einige Mittheilungen über Kulturverhältnisse, Sitten und Ge- bräuche im Landgebiete Hamburgs. Zeitschr. des Vereins für hamburgische Geschichte. N. F. II, S. 429. Hamburg 1865. TT. .'5. Wirthschaftseinrichtungen and Betrieb. 69 In Schweden und Norwegen ' ) aber ist man nicht ohne Erinne rung, dasa die älteste Landwirthschafi in der Brennkultur be- stand. Der Wald wurde gehauen oder gestürzt, und EJolz und Wurzeln, soweit die Stämme nicht benutzi wurden, in Haufen verbrannt. Dann wurde das Land geebnet, eingefriedet und mit Eloggen besäet. IuVs Verfahren des Getreidebaus ist noch gegenwärtig hier und da in Wermeland und einigen anderen Waldgegenden in (Jebung. Den oächsten Fortschritt bildete die Rackwirthschaft. Die Räumden wurden mit der Hacke bearbeitet, dabei die Steine herausgehoben und in grösseren oder kleineren Haufen zusammen geschichtet, das aufge- brochene Land dann aber alljährlich besäet, so lange es Getreide trug. Wenn es die Saat nicht mehr durch ziemlich reichlich bean- spruchte Ernten vergalt, wurde es der Natur wieder überlassen. Es bedeckte sich dann mit Wald, in welchem die Steinhaufen und die Reste von Abzugsgräben die alte Bearbeitung bezeugen. Je nach den Umständen ging aus diesem Anbau auch eine einfache Feldgraswirthschaft hervor, die in den nördlichen Länen, wo Winterung nicht gebaut werden kann, noch sehr ver- breitet ist. Das urbare Land wird jährlich mit Sommerkorn, Kar- toffeln oder Flachs bestellt, und wenn sich dies nicht länger lohnt, als Grasland zu Wiese und Weide liegen gelassen, nach einer Reihe von Jahren aber von neuem zu Acker aufgebrochen. Diese Wirthschaft findet sich indess gegenwärtig nur noch auf dem Boden der mehr und mehr zur Rodung gekommenen und vor- zugsweise in Einzelhöfen kultivirten Gebirgswaldungen. Wro genossenschaftliche Dorfanlagen begründet sind, auf den ebe- neren alt besiedelten Gebieten im Süden, besteht meist Schlagwirth- Bchaft, Zwei- oder Dreifelderwirthschaft, an manchen Stellen aber auch verschieden geordnete Wechsel- und Koppelwirthschaft. Zwei felderwirth.8cb.aft ist sehr allgemein in den Landschaften, die den Mälarsee umgeben, in Upland, Westmanland und Södermanland. Die Dreifelderwirthschaft kommt am verbreitetsten in Oster- und Wester- gothland, in Nerike, auf Oeland und Gotland, sowie in den Länen Gelle- borg, Westernorrland und in einigen Gegenden von Kopparberg vor. Vierfelderwirthschaft ist seltener, sie wird aber in Falbygden und gewissen anderen Gegenden von Westergothland und Dalsland, sowie ') Sicdenblath, Schweden für die Weltausstellung zu Wien 1873 S. 40 nach Prof. Arrhenius. — Schübeier, Die Kulturpflanzen Norwegens mit Anhang über die alt- norwegische Landwirthschaft, Christiania 1862. — Strödda Utkast rüvande Svenska Jordbrukets historia af P. v. Müller, Stockholm, 3 Hefte. "70 tt 3. Wirthschaft Seinrichtungen und Betrieb. in Smaland, Blekinge und Roslagen, auch in den Vogteien Nedan- mul Of van -Sil jan vom Län Kopparberg, hier neben der Dreifelder- wirthschaft, gefunden. Wechselwirthschaften kommen allgemein in Schonen sowohl auf Gütern wie bei Bauern vor, in den mittleren Provinzen nur auf den Gütern. Koppelwirtschaften bestehen am meisten in Wermeland und Dalarne und zwar mit mehrjährigem Klee und mit Grasfeldern. Hier dient auch der Hafer als Brodfrucht. In dem Gebiet der Dörfer ist dagegen überall Roggen die Haupt- frucht, nur in dem unfruchtbaren Smaland wird Hafer zu Knäkebrod verwendet. Im höheren Norden in Norrland ist die Gerste die Brotfurcht. Für Norwegen war gesetzlich vorgeschrieben, dass der 4. Theil des urbaren Landes jedes Jahr brachliegen solle; diese Be- stimmungen stammen schon aus der Zeit Olafs des Heiligen , wurden im 13. Jahrhundert aufgezeichnet und auch in die späteren Gesetze Christians IV., Norsge low VI, 8 und Christians V. 3. 14. 42 über- nommen. Obwohl für das westgermanische Volksgebiet bestimmte Zeug- nisse mangeln, darf man doch annehmen, dass die in Skandinavien, wegen des dortigen Bodens und Klimas bis auf unsere Zeit erhaltenen unentwickelteren Betriebsarten auch im alten Deutschland die ur- sprünglichen und lange geübten waren. Keine dieser Wirthschaftsweisen aber, auf welchem Gebiete des Nordens oder Südens immer sie getrieben wurden, auch nicht die Feldgraswirthschaft mit langjährigem Wiesen- und Weidelande, war mit der Einrichtung bestimmter Schläge in der Gemarkung unver- einbar; im Gegentheil sie forderte sie als unentbehrlich, wenn auf der Gemarkung der Grundbesitz einer grösseren Anzahl Nachbarn nicht in Koppeln, sondern im Gemenge durch einander lag und nur durch Ueberfahrten zugänglich war. Aus der wirthschaftlichen Natur und Absicht dieser Schlageintheilung folgte weiter, wie sich überall that- sächlich bestätigt, dass nicht allein diese Wirthschaftsschläge im Ganzen, so viele es nach dem Brauch des Ortes waren, unter sich ziemlich gleiche Fläche hatten; sondern auch der Besitz des ein- zelnen Nachbarn dem Verhältniss seines Gesammtbesitzes ent- sprechend in jedem Schlage annähernd gleich vertheilt lag. Dies wird durchaus nothwendige Bedingung, weil jeder Wirth für seine Wirthschaft in jedem einzelnen Jahre ungefähr gleiche Ernten der üblichen Früchte wünscht, und stets wünschen muss, um nicht von Jahr zu Jahr verschiedene Einrichtungen und ungleiche Zahl von Gespannen und Arbeitskräften nöthig zu haben. Wie zer- Tl. 3. Wirthschaftseinrichtüngen ohd Betrieb. 71 Btückell and auf verschiedene Gewanne verstreut also auch seine Grundstücke in < h-m einzelnen Schlage liegen mochten, für deren Vertheilung über die ganze Flur musste zutreffen, dass er in jedem Schlage ziemlich gleichviel Land besass, weil die Schlaggrenzen mit ihrer Fruchtfolge feststanden. Dies kam ebenso bei allen Veräue rangen und Theilungen in Betracht, denn trotz einer Verkleinerung oder Vergrösserung bliel» für jede Wirthschaft Bedürfnies, jährlich gleichen Betrieb und gleiche Erträge erwarten zu können. — Dieser Zwang gleichmässiger Bestellung, der auf den W'oge- gerechtigkeiten beruhte, wurde überdies wesentlich durch die ge- rn ein sann1 Weide verschärft. Die Weide für die Heerden der Dorfgenossen galt um so mehr als eine Bauptgrundlage der Wirthschaftseinrichtungen , als die Ge markungen häutig dem Vieh keinen sehr reichen Futterstand boten. Deshalb sollte die Grösse der Heerde jedes Wirthes in gleichem Verhältnisse zu der Ausdehnung seines Grundbesitzes stehen, und jedes Grundstück in der Gemarkung ausser Haus und Garten galt als weidepflichtig, sofern es nicht aus besondern Gründen davon freigegeben war. Die Ackerschläge blieben entsprechend nur so lange weidefrei, als Frucht darauf stehen durfte, denn auch Brach- und Stoppelweide waren gemeinsam. Wo die Schläge nicht, wie in Holstein, mit natürlichen Hecken umgehen waren, wurde der Acker gegen das Weidevieh bei auf- gehender Saat mit einem den gesammten Schlag umziehenden Holz- zaun geschützt, welcher jährlich nach Verhältnise des Besitzes er- richtet werden musste. Nachdem aber die Ernte angesagt, und die für ihre Beendigung geltende Frist abgelaufen war, wurden die Zäune entfernt, und wer seine Ernte nicht eingebracht hatte, verlor sie ebenso, wie er auf die Bestellung seines Ackers verzichten musste, sobald die Zeit der offenen Wegegerechtigkeiten verstrichen war. Diese Einzäunung war so verbreitet und noth wendig, dass nach ihr die Schlüge auch Zeigen (von Teig, Ast , Stabholz, Heckenstock) be nannt wurden. — Es ist klar, dass die im Flurzwang liegenden Bedingungen des Wirthschaftsbetriebes die Uebelstände der Zerstückelung wesentlich verringerten. Er ermöglichte, dass die Wege zu Gunsten der beackerten Fläche erspart wurden, und riss mit treibender Ge- walt den Trägen, Leichtsinnigen und Unverständigen zu vernünftiger Arbeit fort. Aber er gestattete auch kaum irgend einen Fortschritt, IT. 4. "Die Hufenverfassttng der Germanen. sondern hielt Alle auf der Stufe gleicher, vielleicht behaglicher, aber nothwendig abstumpfender Mittelmässigkeit. Wo das Wirtschafts- system, wie es die Dreifelderwirthschaft leicht thut, dem Boden zu viel zumuthete, lag auch die Gefahr allmählicher Verarmung nahe. 4. Die Hufenverfassung der Germanen. Die eigentümlich enge Verkettung der Besitz- und Betriebs- verhältnisse aller Genossen der germanischen Dörfer lässt nahe Be- ziehungen zu ähnlich verknüpften Eigentumsrechten erwarten. In der That führt die nähere Untersuchung des Charakters der Eigenthumsrechte auf grundlegende und gleichartige bis in frühe Vorzeit zurückleitende Besonderheiten. In allen diesen Dörfern ist die Hufenverfassung die Grund- lage der Eigenthumsvertheilung. Dass dieselbe in grösster Verbreitung auf dem gesammten Ge- biete südlich der Elbe bestand, ergeben zahlreiche urkundliche Er- wähnungen von den Fuldischen und Corveyischen Traditionen an bis auf die späteste Zeit. Däss sie aber auch schon im frühen Mittelalter als selbstver- ständliche und ganz allgemein nothwendige Grundlage der politischen und agrarischen Verfassung anerkannt war, beweisen die Vor- schriften Karls des Grossen über den Heerbann. (Mon. Germ. LL. Sect. II, Capit. regum Franc. Tom. I 8. 134. 137.) Das Memoratorium Karls von 807 erleichtert, trotz des grossen Bedarfes seiner vielen blutigen Kriege, die durch die Entfernung dieser Heereszüge drückend gewordene Heerbannlast dadurch , dass es anordnet: »Alle, die Lehen haben, sollen zum Heere kommen. Welcher Freie fünf Hufen zu Eigenthum hat, soll gleichfalls kommen; ebenso wer vier Hufen hat, und wer drei Hufen hat. Wo aber zwei gefunden werden, von denen jeder zwei Hufen hat, soll einer den andern ausrüsten, und wer von beiden am besten kann, kommen. Wo zwei gefunden werden, von denen einer zwei Hufen hat und der andre eine, sollen sie sich ebenso vereinigen, einer den andern ausrüsten und welcher besser kann, kommen. Wo aber drei gefunden werden, von denen jeder eine Hufe hat, sollen zwrei den dritten aus- rüsten, so dass wer am besten kann, auszieht. Von denen aber, welche halbe Hufen haben, sollen fünf den sechsten ausrüsten. Wer aber so arm gefunden wird, dass er weder einen Hintersassen noch eigenen Grundbesitz hat, aber fünf Solidi an Werth besitzt, von TT. 4. Die Hufenverfassung der Germanen. 7.") denen sollen fünf den sechsten ausrüsten, von denen aber, welche kleine Landbesitzungen haben, zwei den dritten. Und v len ge dachten Annen, welche keinen Landbesitz haben, sollen fünf Solidi für jeden von ihnen, der zum Beere zieht, zusammengebrachl werden. <>1> dies«' Anordnung nur für Feldzüge jenseits der Seine getroffen ist, kommt nicht in Betracht. Las folgende Capitulare von 808, welches die-. 'Ihr Pflichl bezüglich der je vierton Hute ausspricht, hat überdies ohne Zweifel allgemeine Geltung. Die Hufenverfassung bezeugen beide gleichmässig, dabei beziehen sich die Vorschriften des iVfemoratoriums ausdrücklich nicht bloss auf die Franken, sondern auch auf die Sachsen, lieber die Friesen alter wurden andere Be- stimmungen ge trollen. Da bei lel^teren wenigstens in der älteren Zeit die Bufen Verfassung unbekannt war, beruht die Anordnung ersieht lieh auf durchaus hewusster Unterscheidung der in dieser Beziehung bestehenden Verhältnisse. In einem Kapitulare von 805 (Ebd. S. 123) wird angeordnet, dass Jeder, der 12 Hufen besitzt, einen Brustharnisch halten und im Heere tragen solle. Die allgemeine und schon vorkarolingische Verbreitung der Hufen in dem eben erst unterworfenen Sachsen geht auch aus der Capitulatio de partibus Saxoniae (Ebd. 8. 69, XV) hervor, welche an- ordnet, dass die Insassen des Sprengeis zu jeder Kirche ein Gehöft und 2 Unten Land und auf je 120 Adlige, Freie oder Liten einen Knecht und eine Magd der Kirche zu geben hätten. Allgemeiner spricht das Capitulare ecclesiasticum Ludwigs des Frommen (Ebd. S. 277, X) aus, dass festgesetzt sei, jeder Kirche stehe eine volle Hufe frei von jeder Leistung zu. Der alte Bestand der Hufenverfassung östlich der Weser und der Zusammenhang mit der sonst kaum zu erklärenden Art der Vertheilung der Ackerflur in den Dörfern des deutschen Gebietes ist also nicht zu bezweifeln. — Den Begriff der Hufe bat schon Justus Moeser als den einer Aktie an dem Gemeinwesen einer Bauerschaft aufgefasst.1) G. Waitz aber erklärt in seiner eindringenden Untersuchung über die altdeutsche Hufe aus den ältesten vorkarolingischen Quel len- . dass man sie in ihrem eigentlichen Sinne als den Komplex von Land und dazu gehörigen Rechten auffassen müsse, den regel- ') J. Moeser, Patriotische Phantasieen. Stück 20. 2. Aufl. 1778. 2) Bd. VI der Al.li. d. K. Ges. d. Wissensch. zu Güttingen 18Ö4. S. Id. II. 4. r>ie Hufenverfassung der Germanen. massig clor Einzelne hat, und dessen er für seine Bedürfnisse als Landbauer bedarf, genug, um die Arbeit eines Landbauers mit einem oder zwei Knechten in Anspruch zu nehmen, und um ihn und die Seinen ausreichend, wie es die Gewohnheit fordert, zu ernähren. \V;iitz ist auch mit Landaus Erklärung (o. 8. 26) einverstanden, das Wort Hufe bezeichne ein landwirtschaftliches Gut, welches mit einem Pfluge bestellt werden kann, und demnach der Arbeitskraft einer Familie entspricht. Die Klassifikation der Freien in der karolingischen Heerbanns- ordnung nach solchen, welche 5, 4, 3, 2, 1 und Va Hufe besitzen, beweist indess, dass mindestens schon damals die Hufe mit dem Besitzthum eines Einzelnen keinesweges übereinstimmte, dass viel- mehr unter Hufe eine von der Grösse der Besitzung und der Wirth- schaft des Einzelnen ganz unabhängige, hinreichend gleiche Einheit verstanden wurde, ein ideelles Theilstück einer Gemarkung von ungefähr gleicher öffentlicher Leistungsfähigkeit wie alle anderen Hufen, so dass diese gleichen Besitzeinheiten thatsächlich als eine Art Landeskataster zu dienen vermochten. Dass auf diesen Begriff auch die volksthümlich gebrauchten Be- zeichnungen führen, zeigt Waitz eingehend und mit Bezugnahme auf Müllenhoff. Das Wort Hufe, hoba, huoba, huba auch oba, hopa, hova, oder hobo, hobonia, hobunna lässt sich mit Hof nicht identi- fiziren. Die Wortformen gehen in einander über, aber die Sprache seihst unterscheidet sie. Auch die Ableitung von uoban (bearbeiten, anlegen) ist nicht zutreffend, denn das h fehlt sehr selten, und er- scheint als wurzelhaft. Eher giebt Müllenhoff eine Verbindung mit dem Stamme hab zu, also, was Jemand hat, besitzt, oder eine Ab- leitung von hefan, huob, gihoban (heben). Dann würde Hufe zu- nächst das Ackerland bezeichnen. Neuerdings hat indess Müllenhoff bestimmt erklärt und festgehalten, dass das Wort aus dem in »Behuf« enthaltenen Stamme erklärt werden müsse, der Behuf, das was Jemand zukommt, der Antheil oder das Anrecht, also auch sein Loos.1) Dem entspricht das deutsche hluz,2) das lateinische sors, ebenso auch pars, portio. Diese Bezeichnungen deuten alle auf den gleichen Sinn. Gleich- wohl bestätigen sie zugleich die Besonderheit, dass Hufe nicht ein l) Vgl. Schindler, Bayrisches Lexikon unter Hube. 2. Aufl. Bd. I, S. 1039. *) G. Landau, Territ. S. 11. — G. L. v. Maurer, Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof- und Dorfverfassung, S. 54. II. 4. Die ffofenverfaBsting der Germanen. 75 ursprünglicher und ausschliessender Ausdruck für den Begriff ist, für den er in Deutschland ganz allgemein gebraucht wurde. In Schweden heisst sie Mantal, Mannstheil. In Dänemark und in Schonen wurde sie bool, boele genannt, womit wahrscheinlicher, als Brett "der Balken, eine Grube, Heide, der älteste Wohnplatz be zeichnet ist. Die Angelsachsen brauchten in England den Ausdruck livd oder liyde, von goth. hiva, heiva, Hausherr; angls. hiva, Haus genösse; bind, Kerl, Bauer; hyde, higede, Familie, welche Bedeutung aich auf die \\u\'r übertragen hat. Die katastermässige gleiche Würdigung der Hufen aber ist überall anerkannt. In England wurde schon von 1003 bis ins 12. Jahrhundert die Danegilte mit 1 Schilling auf die Hufe erhohen. In Dänemark kamen 1231 bei der Landeinschätzung, die dem Erdbuch Waidemars II.1) zu Grunde liegt, die Hufen gleichmässig zu 1 Mark- Goldes in Ansatz. Ebenso ist die Pflugsteuer Erichs IV. 1241) nach der Boole umgelegt. Es wurden also auch hier, wie für den Heer- bann Karls, und entsprechend fast für alle mittelalterlichen Lasten und Steuern der deutschen Landschaften, die Hufen als im Wesent- lichen in gleichem Maasse leistungsfähig betrachtet. Für alle Hufen- arten galt dieselbe Auffassung, dass ihr Besitz an Hof und Garten, an Acker in der Flur und an Anrechten am Gemeinland genüge, eine bäuerliche Familie zu ernähren, und sie zu befähigen vermöge, die nöthigen öffentlichen Lasten zu tragen, auch wurden für die Be wirthschaftung und Bearbeitung die Kräfte der Familie als aus reichend erachtet. — Dass dabei die Grösse der Hufen je nach Ort und Um- ständen eine sehr verschiedene gewesen ist, hat Waitz schon aus den urkundlichen Angaben über die Zahl der Morgen festgestellt, welche in einzelnen Fällen auf die Hufen gerechnet, werden. Es ergiebt sich ebenso aus der Fläche solcher Gemarkungen, für welche in älteren Urkunden die Hufenzahl erwähnt ist. Dagegen waren die Hufen derselben Gemarkung bei den volksmässigen Anlagen stets gleich gross. Dies lag im Wesen der Genossenschaft. Es zeigt sich nirgends ein Grössenunterschied der mansi ingenuiles und serviles, des Besitzes der Edelinge, der Freien, Liten oder Unfreien. Ein solcher Unterschied wäre auch ') Langenbcck Script, rerum ilanic. VII. 1792. — Schlegel, Ueber den Zustand des Ackerbaues und der LandwiithschaCr in Dänemark vor und unter den ersten Waide- maren. (Falcks Neues staatsb. Magazin Bd. II, 735.) — Faleks Beiträge zur Geschichte der Schlesw.-Holst. Landwirtschaft, Kiel 1847. IT. 4. "Die Hufenverfassnng der Germanen. gar nicht aufrecht zu erhalten gewesen, weil Freiheit und Unfreiheit nach dem Zeugniss der Volksgesetze und der zahlreichen Eigengabe- und Freilassungsurkunden ebenso häufig in der Person des Besitzers Belbst wechselte, als der Stand der Besitznachfolger bei Veräusserungen, Vergebungen und Verleihungen des Gutes. Die Nobiles und Schöffen- 1 unfreien besassen nicht grössere Hufen,1) sondern eine grössere An- zahl von Hufen, als die gewöhnlichen Freien. Vom Schöffenbarfreien wird nach dem Sachsenspiegel (III, Art. 81) ein Eigenthum von drei Hufen oder mehr gefordert. Jede Hufe eines Edlen oder Freien konnte aber von demselben auch stets an Censualen oder Hörige vergeben werden. Der Wirth trat sogar vor dem Hufengute in Hintergrund. Viel- fach gab es ihm selbst den Namen. Es galt als eine Persönlich- keit mit bleibenden wirtschaftlichen Rechten und Pflichten, im wesentlichen unabhängig davon, ob sein Wirth persönlich Eigen- thümer, Zinsmann, Pächter oder Verwalter, edel, frei, hörig oder eigen war, und ob das Gut in Theilen oder im Ganzen die ver- schiedenen Besitzer wechselte. Da nun die Hufe ursprünglich ein verhältnissmassiger Antheil an der Dorfmark war, musste es von dem Fortschreiten der Vertheilung der Ländereien abhängen, welche Grösse zu gegebener Zeit der Umfang des privaten Landes jeder dieser Hufen hatte. Jeder Hüfner durfte den verhältnissmässigen Theil des noch gemein- sam gebliebenen Grundes seinem Besitze zurechnen. Aber die alte Wirtschaftsführung hatte wegen der Schwierigkeit oder Unmöglich- keit einer auswärtigen Verwerthung der Produkte kein Bedürfniss, das zu bearbeitende Kulturland über eine gewisse, sicher schon früh erreichte Grenze auszudehnen. Nachdem die Anforderungen des Unter- haltes für die einzelnen Haushaltungen erfüllt waren, vermochte die gemeinsame Wald- und Weidenutzung des vorhandenen Restes der Dorfmark den bestehenden wesentlich auf Viehzucht gerichteten Wirth- schaftszwecken und Lebensgewohnheiten leicht hesser, als dessen Theilung, zu entsprechen. Auch lagen Einsprüche gegen weitere Rodung zu Gunsten der bequemeren Wirthschaft nahe, weil alle be- rechtigten Dorfgenossen in weitere Aufteilungen einwilligen mussten. ') Ueber ersichtlich missbräuchliche, nach Hajek angeblich von Ottokar ange- ordnete, anscheinend im 16. Jahrhundert in Böhmen angewendete verschiedene Masse rergl. Cod. dipl. Siles. IV Einl. S. 48 n. 3. Die für Fiskus, Geistlichkeit, Adel und Zinsbauern um den 11., 10. und 8. Theil verringerte Furchenzahl der Messung wird hier nur durch die gleiche Aussaat gerechtfertigt. II. 4. Die TIul' ung der Germanen. 77 Es ergab sich also für den einzelnen Ort ein gleiches, für die ver- schiedenen Ortschaften aber ein Behr verschiedenes Hufenmass. — Dasselbe fand seinen Ausdruck in Morgen. Morgen, auch A-cker, jugerum, bedeutet eine Fläche, diu an einem Vormittage ge pflügt werden kann. Tagwerk, jurnale, bezieht sich auf den ganzen Tag, der aber in alter Zeit nur bis Mittag gerechnet wurde. Diese Maassbezeichnungen wechseln, wie die Anlagen zeigen, nach den einzelnen Gegenden. Auf dem alten Volksgebiete ist Tagwerk Aus- nahme, Acker herrseht in Hessen und Thüringen vor, im Allgemeinen wird Morgen gebraucht. Bei dem Sehwanken der Grössen ist aber ein konsequentes Auseinanderhalten dieser Bezeichnungen nirgends vorauszusetzen. Diese Maasse kommen schon in den frühesten Ur- kunden hei Landverleihungen und Yerüusserungen einzeln und in .Mehrheit, wie in Halbirungen häutig vor. Sie sind in den meisten Fällen als Bruchstücke von Hufen anzusehen, und dies ist um so erklärlicher, als die Hutenantheile , wie sich zeigen wird, in den älteren Gewannen in der Regel je einen ganzen, zuweilen auch einen halben Morgen hetrugen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Morgen und seine verwandten Maasse von der gepflügten Fläche her- genommen sind. Sic wurden auch gelegentlich durch «las Maass der darauf gewöhnlichen Aussaat bezeichnet. Ans diesem Grunde hatten sie thatsäehlich selbst innerhalb derselben Flur keine genau be- stimmte Grosse.1) Sie waren für guten Boden in der Regel etwas kleiner als für schlechteren, für Waidboden grösser als für Acker- land, und wenn auch gegendweise gewisse Durchschnitte für das Maass geltend wurden, so wich dasselbe auch wieder in verschiedenen benachbarten Landstrichen nicht unerheblich ab. Daraus ergiebt sich aber, dass ebenso das Hufenmaass nicht nur an sich, sondern auch bei seiner üblichen Angabe nach der Morgen- oder Ackerzahl selbst da sehr verschieden blieb, wo für das Maass das Zuhehör an nicht aufgetheilten Almendgrundstücken nicht mehr in Betracht kam. Wirklich gleiche Hufenmaasse lassen sich, wie daraus ersichtlich ist, für die alten volkstümlichen Dorfanlagen, seihst in nahe benachbarten Orten niemals erwarten, und waren auch kein Bedürfniss. Es kam nur darauf an, dass die einzelnen Hufen der Genossen desselben Dorfes ohne jeden Streit und Zweifel aus- geglichen waren. Das aber wurde durch die Gleichheit der Antheile in jedem der einzelnen Gewanne vollkommen erreicht. ') Hanssen, Agrarhist. Abhandlungen II, S. 254 ff., 293 ff. 7 s II. 4. Die Hufenverfassung der Germanen. Bestimmte Eufenmasse und Aufmessungen von Hufen .sind /war urkundlich bereits im 7. Jahrhundert bekannt, sie gehören aber Vorgängen auf den Eroberungsgebieten der Völkerwanderung an, und halien sich auf die volksthüinlich besiedelten Theile Deutsch- lands nur vereinzelt unter Bedingungen, die besonders zu erörtern sein werden, übertragen. Die Ungleichartigkeit der Hufen des alten Volkslandes hat aber später dazu beigetragen, den amtlichen Ver- waltungen bei dem fortschreitenden Streben nach grösserer Genauig- keit die allmähliche Durchführung allgemeiner Landesmasse unent- behrlich zu machen, welche die örtlichen Hufenmasse verdrängt und zum Theil in Vergessenheit gebracht haben. In manchen Gegenden hat auch die häufige Theilung der Hufen eine neue Klassifikation der Besitzungen nach Höfen, Voll- höfen und Halbhöfen; oder Vollbauern, Halbbauern, Viertelsbauern; Vollspännern, Hall »spännern, Wirthen, und ähnlichen Bezeichnungen verbreitet. Stellen, welche wenigstens theilweis aus Bruchtheilen der alten Hufen gebildet sind, aber nicht mehr in die Reihe der Bauern gezählt wurden, erhielten in der Regel die Namen Kötter, Kott- sassen. Dies geschah ersichtlich nicht wegen ihres geringeren, meist allerdings weniger als XU Hufe betragenden Besitzes, denn es gab Rest- bauern von wenigen Morgen. Auch knüpfte sich die Unterscheidung nicht an den Hof, denn Kötter besitzen sehr häufig alte Bauerguts- gehöfte. "Wahrscheinlich dürfen die Kötter ursprünglich als Hinter- sassen der Hüfner gedacht werden, sodass eine niedere Standesstufe begründet war. Sie verschwand bis auf die neueste Zeit auch dann nicht, wenn ein Kötter seinen Besitz weit über das Maass einer Bauerhufe vergrösserte. Stellen, die auf einzelnen Morgen, auf den Angern oder auf Grundstücken aus der Almende oder auf Forstland begründet wurden, werden Anbauer, Brinksitzer, Häusler genannt. Alle diese Erschei- nungen aber gehören der späteren Entwickelung an, und vermögen zum Verständnisse des Wesens der ursprünglichen Siedelungsverhält- nisse nichts beizutragen. — Für die Erklärung der älteren Zustände und namentlich der Einzelheiten der Hufenverfassung und der Gesichtspunkte des Hufenrechtes sind dagegen die o. S. 63 schon erwähnten nordischen Gesetze des 13. Jahrhunderts1) von besonderem Werthe, weil sie sich, ') Zu den dänischen vergl. die schwedischen: Corpus juris Sueo-Gotorum antiqni. Sämling af Sweriges Gamla Lagar utgiven af H. S. Collin o. C. J. Schlüter. Bd. I II. 4. I'i.' lliifi'ii Verfassung der Germanen. 79 u.i- Bonsl nirgends überliefert ist, über die Wiederherstellung der Grenzen alter Hufeneintheilungen , und die Art der Dorfanlage auf dem Volkslande bestimmt aussprechen. Das Erich- Seeländische Gesetz von 1290 giebt ganz aus- führliche Bestimmungen darüber, dase jeder Dorfinteressenl ein gleiches Loos haben solle, und dass die Gleichheit der Land stellen, nämlich nach ganzen, halben und viertel« Hufen, erforder liehen Falles zu jeder Zeit durch die sogenannte Reebningspro zedur, d. h. eine neue Regulirung durch Aurmessung mit dem Messseil restituirt werden könne. Bei einer solchen Neuaufmessung soll auch den Toften, d. h. den Hof- und Gartenstücken in der Dorf- lage, auf denen die Gehöfte stehen, eine beliebige Grösse gegeben werden können, wenn Stimmeneinheit der Nachbarversammlung darüber herrsche, sonst habe deren alte Verfassung die Vermuthung der Richtigkeit für sich. Auch solle bei ungleicher Bodenbeschaffen- heit die Gleichheit dieser Toftstellen durch die grössere oder ge- ringere Breite derselben bewirkt werden. Die Reihenfolge der Tofte im Dorfe solle ausgeloost, dieselbe Reihenfolge aber nach dem Laufe der Sonne im Kamp (in den Gewannen) festgehalten werden (Solfall).1) Die Reebningsprozedur habe auf sachkundiges Gutachten von Harde- männern bei Grenzverwirrung und bei grosser Zerstückelung einzu- treten. Dem entsprechen genauere Anordnungen des Jütisk low von 1240. Von solchen neuen Regulirungen sollen die Haustofte und der Dorfanger und ebenso die Wege ausgeschlossen werden, soweit sie von Alters bestanden. Neue Haustofte müssen aus dem Acker aus- geschwiiren werden (Svorne Tofte). Wer ein Haus auf seinem bis- her besessenen Acker gebaut hat (also ausserhalb der Dorflage) und es nicht hergeben will, muss sich gefallen lassen, dass der, dem dieser Acker zufällt, sich dafür eines seiner andern Ackerstücke nach Belieben aussucht. Wiesen werden mit getheilt, können aber auch jährlich dem Koppelwechsel unterliegen. Auch Holzungen können ungetheilt bleiben. Sind die Antheile nicht zu ermitteln, soll die Theilung nach dem Abgabenverhältniss erfolgen. Cod. juris Vestrogotici (1827). Bd. II Cod. juris Ostrogotici (1830). Bd. III Cod. juris Uplandici (1834), sämmtlich mit lateinischen Vorreden und Indices, sonst nordisch. ') Es ist allerdings bestritten, ob nicht Sol das Seil, reeb, und nicht Sonne be- deutet. Das Jütisk low I, 65 spricht von solskifting als Reebningsverfahren. In der Sache würde selbst dadurch nichts geändert, wenn, wie in Deutschland, jedes Gewann für sich ausgeloost worden wäre. K. Anscher, Danske Lovhistorie 1783 Bd. I, S. 529. ^ii TT. -i. Die Hufen Verfassung der Germanen. Auch eine Stelle im Schonenschen Gewohnheitsrecht, welches bereite L204 L215 vom Erzbischof Andreas Sunesen latei- nisch bearbeitet ist, lautet: Cujus (funiculi) dimensione tota villa in aequales redigitur portiones, (juas materna lingua vulgariter Boel appellant, et nos in latino sermone Mansos possumus appellare, earum fundis inter se prediisque inter se fundis ipsis adjacentibus, adaequandos.1) Dass die Hufen der verschiedenen Orte auch im Norden sehr ungleich, bis zum zwei- und mehrfachen der gewöhnlichen Crosse waren, zeigen amtliehe Ermittelungen, die noch neuerdings in Schles- wig-Holstein angestellt worden sind.2) Schweden nmfasst für die Verwaltung noch gegenwärtig <)7 77<> Mantal (Manntheil) oder Hemman (Mannsheini) d. h. Hufen, welche in früheren Zeiten den Höfen entsprachen, die von einer Bauernfamilie hewirthschaftet wurden, mit der Länge der Zeit und dein Furtschritt des Anbaus aber zur Theilung gekommen sind und nunmehr nur ideelle Einheiten bilden.3) Von diesen Hufen können kleinere »Gelegenheiten« theils auf immer, theils auf eine gewisse Zeit, abgesondert werden, wodurch besondere Köthenerstellen (Torp) entstehen. Da an Acker und anderem Kulturland in Schweden rund 3,9 Mill. Hekt. vorhanden,4) so würde sich eine alte Hufe auf 57 h Kulturland durchschnittlich berechnen, wozu meist sehr ausgedehnter ') Lcges provinciales terrae Scanicac ante 400 annos latine redditae per Andreum Simonis arrhiepiscopum Lundenensem, Hafniae 1540. Westfalen Monum. Cinibric. Tom. IV, p. 2029. 2) Nach, diesen Ermittelungen, welche zwar ohne Anrechnung von Wald vor- genommen sind, für welche indess dennoch in Betracht kommt, dass in der Kegel dem alten Hufenlande grössere oder kleinere, möglicherweise sogar sehr grosse Stacke aus in älterer und neuerer Zeit aufgeteilten Gemeinheiten zugewachsen sind, enthielt eine Hufe in Hectar: a) im Kreise Flensburg: in Eggebeck 95,0, Jollerup 96,8, Nordhackstedt 68,3, Tarup 44,5, Niehaus 30,6, Gammelby 49,0, Jerrishoe 28,6, Jöri fi7,7, Boltoft 47,4, Flatzby 17,0; b) im Kreise Eckernförde: Broderaby 22,3, Tüllendorf 37,8, Winnemark 44,8, Holzdorf 52,8, Hammelfeld 125,6, Thumby 26,8, Olpenitzdorf 31,4, Hab} Lehmrick 124,8, Borgstedt 104,4; c) im Amte Pinneberg: Bökel 59,7, Heedc 22,7, Quickborn 75,6, Schneisen 187,2, Uetersen 26,8, Grossen- dorf 133,6, Langein (Vollhufe) 44,7, Kummerfeld 148,8, Wedel 45,0, Hasloh 200,0, Thesdorf 78,2, Garstedt 276,8, Neuendeich 27,1, Bevern 76,3, Ellerhoop 72,5, Oster- horn 32,2, Eichholt 74,0, Morrege 28,0, Hastenbeck 46,7, Haselau 23,3, Ellerbeck 148,8, Qnickborn 133,2, Appen 160,0, Haseldorf 19,0, Othmarschen 24, n, Kostenmoor 102,0, Brande 50,0, Westerhorn 72,0, Niendorf 144,0, Bökel (Vollhufe) 71,0 h. 3) E. Sedenblath, Schweden, S. 39. 4) J. E. Wappaeus, Handbuch der Geographie u. Statistik, Bd. III, Abth. I, S. 452. EL 4. Die Qafenverfaesung der Germanen. 81 Almendebesitz tritt. Es werden jetzt in Schweden etwa oüOüOO be- sessene Anbauer, d. h. Stellen, in denen eine Haushaltung von wenigstens drei arbeitsfähigen Personen ihr Auskommen haben kann, und 185 000 Köthenerstellen gezählt. — Diese Ausführungen erweisen für das gesammte alte Volksgebiet der Germanen, dass die Besiedelung überall die Form von Dorf- gemarkungen hatte, und dass jede Dorfgemarkung in eine gewisse Zahl unter einander gleich gedachter Hufen zerfiel, welche ihrem Wesen nach ideelle Antheile an den zur Kultur vertheilten, wie an den ungetheilten Ländereien der Gemarkung bildeten.2) Solehe gleich- werthige Antheile würden sich aber bei sehr verschiedenartigen Feld eintheilungen denken lassen, und kommen, wie sich zeigen wird, auch thatsäehlich bei ihnen vor. Die wesentlich charakteristische Eigentümlichkeit ist also, dass diese Hufenantheile auf dem altger- manischen Kulturlande stets in Gemenglage als verhältnissmässige Untertheile zahlreicher Gewannabschnitte ausgewiesen wurden. Diese Eintheilung in Gewanne gestattet häufig noch einen Schritt weiter zu gehen. Für Fluren, auf welchen nicht besondere meist erkennbare Zerrüttungen eingetreten sind, wird es in der Regel mög- lich , aus den Grössenverhältnissen der Untertheile in den einzelnen Gewannen die Zahl der in ihnen gemachten gleichen Antheile, und aus der Uebereinstimmung dieser Zahl in den verschiedenen Ge- wannen die Anzahl der Hufen im Dorfe festzustellen. Die Hufenzahl ist zwar für die meisten Ortschaften in den Landbüchern des 14. oder wenigstens in den zahlreichen Zinsregistern und Gerichtsbüchern des 15. und 16. Jahrhunderts, für einzelne auch in sehr alten Urkunden erwähnt, und es bildet stets eine wesentliche Erleichterung, von einer solchen Angabe ausgehen zu können. Indess lassen dieselben in der Regel Zweifel und erlangen nur durch anderweite Bestätigung volle Sicherheit. Schon die Identi- lizirung der Oertliehkeit ist oft schwierig. Nicht bloss, dass zwischen gleichen und ähnlichen Namen mit mehr oder Aveniger verderbter Schreibweise zu entscheiden ist. Es fragt sich, ob nicht der Bestand der Ortschaft nach der Urkunde ein wesentlich anderer, als der nach der Karte ist. Die Urkunde kann Nachbarorte, ausserhalb hegende Frohnhöfe, Wüstungen oder Kolonien einschliessen , oder sie kann sieh nur allein einen solchen Theil oder auf eine der Gerichtsbarkeiten, in welche die meisten Dörfer in älterer Zeit zerfielen, beziehen. 2) Vergl. O. Gicrke, Das deutsche Genossenschaftsrecht Bd. II, S. 76. Mcitzen, Siedelung etc. I, u IL 4. Die Hufenverfassung der Germanen. Auch darf bei feststehender Übereinstimmung der Oertlichkeit die für das Dorf genannte Ilufenzahl im Zweifel nur als eine Minimal- zahl betrachtet werden, bei der unklar bleibt, ob nicht lediglich gewisse Hufen, z. B. die zinsbaren, ohne die in eigener Wirthschaft des Gutsherrn stehenden, oder ohne die zur Pfarrei gehörigen, ge- nieint sind. In späterer Zeit wurden auch oft statt der alten grösseren Hufen die halben als ganze Hufen gerechnet, die Hufen also durch- weg an Zahl verdoppelt, oder es wurde überhaupt nur eine aus der Fläche nach Landesmaassen berechnete Hufenzahl angegeben. Es bleibt deshalb immer die Untersuchung der Gewanne auf ihre gleichen Untertheile der sicherste Anhalt für die Feststellung der Hufenzahl. In der Regel ist bei einer oder mehreren Besitzungen ihr Be- stand als herkömmliche Hufen, sei es als Ganze oder Mehrfache, oder als Bruchtheile wie Halbe oder Viertel, durch Register oder Be- nennungen überliefert, auch nach Umständen aus der Lage der Hof- stelle und der gleichmässigen Vertheilung des Besitzes in der Flur genügend zu erkennen. Die Erhaltung einer solchen Hufenbesitzung ist namentlich da zu vermuthen, wo durch das Meierguts- oder das Stammgutssystem der alte Gutsbestand auf lange hinaus unverändert bleiben musste, oder wo die Höfe durch Hörigkeit oder Leibeigen- schaft dauernd in der Hand des Grundherrn verblieben, und von ihm von Wirth auf Wirth ungetheilt und unverändert weiter ver- geben wurden. Sie lässt sich auch da mit einiger Zuverlässigkeit erkennen, wo im Dorfe neben den gewöhnlichen Zinshufen, erb- liche Scholzenhufen oder besondere Freihufen unterschieden wurden. Namentlich aber ist von jeher der Besitz der kirchlichen Stiftungen so bestimmt gewahrt worden, dass der Pfarreihof und sein zuge- höriger Grundbesitz mit grosser Sicherheit, im Sinne der auch in späterer Zeit immer wieder geltend gemachten karolingischen Be- stimmungen (o. S. 72), als der Maasstab für die Grösse von einer oder zwei der ursprünglichen Hufen benutzt werden kann. Indess ist schlimmsten Falls die wahrscheinliche Zahl der Hufen auch aus den Grössenverhältnissen der Gewanntheile zu berechnen, wenn für ein Gewann oder mehrere, welche eine hinreichend feste, schwer ver- änderliche Abgrenzung durch die Lage der Nachbargewanne besitzen, die Grösse einiger Antheile zu dem muthmasslichen Hufenverhält- nisse stimmt, und sich durch eine grössere Anzahl von Gewannen eine gleiche Zahl verhältnissmässiger Antheile ergiebt. Selbstverständlich kann aber auf allen diesen Wegen nur fest- II. 5. Grundsätze und Verfahren der Gewannmeseung. g3 gestellt werden, wie gross die Zahl der Hufen oder der gleichberech- tigten Antheile an der Flur zu der Zeit gewesen ist, in welcher die von dem vorliegenden Bilde der Karte wiedergegebene Eiutheilung der Gemarkung geschaffen wurde. Ueber den Ursprung dieser Art der Anlage lässt sich daraus nicht unmittelbar Näheres entnehmen. Schlüsse auf die Dauer dieses Bestandes oder gewisser Hauptver- hältnisse desselben können nur aus einer auf die Einzelheiten ein- gehenden Prüfung und Unterscheidung des Charakters der Gewann- anlagen nach den Bedingungen und Eigenthümlichkeiten ihrer Auf- messung und, soweit historische Anhaltspunkte vorhanden, aus deren Beziehung auf diese Messungen versucht werden. 5. Grundsätze und Verfahren der Gewannmessung. Die Planmässigkeit der Gewanneintheilung ist aus den Karten- bildern einleuchtend. Die einzelnen Gewanne aber weichen in Grösse, Gestalt und Unterteilung so erheblich ab, dass sich aus der Ver- gleichung mit Grund weitere Aufklärungen über maassgebende Ideen oder bestimmende Umstände der Einrichtung erwarten lassen. Für diese Betrachtung ist der Schlüssel in der Technik der Messung zu suchen. Im Sinne gleichmassiger Zuweisung des Anbaulandes nach solchen in eine bestimmte Zahl gleicher Theile zu zerlegenden Abschnitten war offenbar das natürlichste und einfachste Verfahren, jedes Gewann möglichst als ein Rechteck von gleichwerthigem Boden abzugrenzen. Dann konnten dessen zwei gegenüberliegende Seiten je in so viele gleiche Theile eingetheilt werden, als Hufen berechtigt waren, und es Hessen sich zwischen je zwei entsprechenden gegenüberliegenden Theilungspunkten ohne Weiteres mit dem Pfluge die geforderten Grenzlinien ziehen. Alle Hufen, wie auch ihre Reihenfolge festgestellt wurde, erhielten auf diese Weise gleichgrosse und gleichwertige Theil- stücke. Zugleich bildete jedes dieser Theilstücke einen Parallel- streifen, welcher gleich viele Pflugfurchen von einem Ende bis zum anderen durchzuführen erlaubte. Die mögliche Ungleichheit, welche dabei zwischen den einzelnen Theilen in Bodengüte und Entfernung bestehen blieb, konnte nie- mals so gross sein, dass sie nicht, nach der allgemein germanischen Sitte, strcitlos durch das Loos auszugleichen gewesen wäre. 6* 34 II- 5. Grundsätze und Verfahren der Gewannmessung. Dieses Loosen hat schon Tacitus1) beschrieben und Hohmeyer hat überzeugend nachgewiesen, dass die Nachricht allgemeinere Be- deutung hat, als die einer Schilderung, wie die Germanen Orakelsprüche erfragten. Vielmehr galt jedes Loosen gewissermassen als eine höhere Entscheidung, der sich alle fügten. Es fand bei Landtheilungen allgemein statt, und hat sich sogar genau in der von Tacitus be- richteten Form des Looses bis auf die Gegenwart erhalten. Der Gebrauch der kleinen Zweigstückchen, in welche Hausmarken oder entsprechende persönliche runische Zeichen geschnitten wurden, blieb, wie es scheint, unter der bäuerlichen Bevölkerung zu jeder Zeit die volksthümliche Art der Ausübung. Im Sinne von Luthers Ausspruch: »Man stellt's im Loose frei dahin auf Gottes Berat«, war stets ein Jeder, wie auch das Loos fiel, sich zu fügen gewohnt und gehalten. Ob nun die Gewanntheile für jedes einzelne Gewann besonders verloost, oder nach einer für die ganze Flur geltenden Loosung den einzelnen Berechtigten zufielen, begründet ebenso wenig einen Unter- schied, als die nicht selten erkennbare Mehrbewilligung von Land, wenn für die ungünstige Lage eines Antheiles Ausgleichung nöthig erschien. Diese Theilungsweise der Gewanne in parallele Streifen ent- sprach ebenso der angemessensten und leichtesten Handhabung des Pfluges, als dem in der alten deutschen Landwirthschaft ganz allge- meinen Gebrauch der Beete. Ueberall und auf jedem Boden war Sitte, den Acker in Rücken von 4 — 8 meist aber etwa 6 Fuss Breite zu pflügen. Sie stiegen beträchtlich an, und erhielten zu beiden Seiten tiefe Wasserfurchen, weil der Boden beim Pflügen stets von den Seiten aus durch 4 — 6 Furchen nach der Mitte hin geworfen wurde, ohne dass man ihn wieder auseinanderpflügte. Der Zweck war, bei Nässe und Trockenheit, wie bei starkem Wind und Schneelager wenigstens auf der Höhe, der Tiefe oder auf einer Seite des Beetes eines Theils der Frucht sicher zu sein. Auf nassen Heiden wurden die Rücken auch erheblich breiter und tiefer gepflügt. Reste dieser Beete finden sich noch gegenwärtig auf unseren Bauernäckern, namentlich aber in Heiden und Waldungen, in denen der Ackerbau ') Germ. 10. „Virgam frugiferae arboris decisam in surculos amputant, eosque notis quibusdam discretos super candidam vestem temere ac fortuito spargunt. — C. Ho- meyer in den Verhandlungen der Berliner Akademie d. W. von 1853, S. 747 „Uebr das germanische Loosen" und in der Abhandlung „Die Loosstäbchen" in den Symbolae Bethmanno Ilolhvegio oblatae. Berlin 1868. II. 5. Grunds&tze und Verfahren der Gewannmessung. sä wieder aufgegeben wurde. Sie sind zum Theil so alt, dass schon Saxo Grammaticus an ihnen die von den Angelsachsen vor ihrem Auszüge nach England besiedelten Landstriche erkennen will.1) — Die rechteckige Gestalt der Gewanne ist indess nach dem Zeug- niss der Karten zwar häufig, aber weder die ausschliessliche noch iil mi wiegende. Sie lässt sieh auch nicht allgemein in denjenigen Lagen linden, welche man zur ersten Kultur nach Boden und Oert- lichkeit besonders geeignet vermuthen könnte. Wenigstens wäre die Annahme nicht gerechtfertigt, es sei anfänglich zunächst das freie Feld, der Bequemlichkeit und Zeitersparniss wegen, nach ziemlich regelmässigen Quadraten oder Oblongen in Besitz genommen worden, und dadurch erst später die Notwendigkeit entstanden, die da- zwischen liegen gebliebenen Lücken durch unregelmässigere Formen der Fintheilung auszufüllen. So häufig es ist, dass solche ursprüng- lich gemeinsam verbliebene Ländereien an geringerem Heide- oder Bruchboden, an steileren Hängen oder auch an Wiesen und Vieh- ß 6 Fi". 8. Fi". 9. triften, später in sehr kleinen oder sehr unförmlichen Stücken zur Vertheilung kamen, so wenig zeigen doch die zweifellos älteren und ältesten Gewanne überall die regelmässige Gestalt. Fbenso wenig ist der Parallelismus der Untertheilung innerhalb des einzelnen Gewannes ein allgemeiner. Schon die sehr häufigen sogenannten Geren machen eine solche Ausnahme. Es sind dies Figuren, welche dann entstehen, wenn das Gewann Trapezform hat. Es muss dann entweder so wie in Fig. 8 verfahren werden, dass man zunächst ein Rechteck mit Parallelismus herstellt, und in dem übrigbleibenden Dreieck die Grundlinie in ebenso viele gleiche Theile, als im Rechteck zu machen sind, eintheilt; werden dann von allen Theilungspunkten Pfiugfurchen nach der Spitze des Dreiecks ge- zogen, so entsteht die gleiche Zahl wirklicher Spitzen, Geren (Lanzen- spitzen). Oder es können, wie in Fig. 9, die beiden gegenüber- ') Dass damit nach der ganzen Art ihrer Anwendung die sogenannten Hoch- äcker nicht zusammenzuwerfen sind, darüber vergleiche die Darstellung der Hochäckcr in den Anlagen Bd. III. gß II. 5. Grundsätze und Vorfahren der Gewannmessung. stehendeo Seiten des Trapezes, die kürzere wie die längere, in gleich viele gleiche Theile getheilt werden; dann erhält jeder Antheil eine Bich nach der kurzen Seite zuspitzende Form. Auch diese pflegt man als Gere zu bezeichnen, und sie bedingt nicht viel geringere Srhwierigkeiten, als die völlig spitzen, weil bei beiden die gleiche Zahl von Pflugfurchen und entsprechend von Beeten nicht durch die ganze Länge des Grundstückes fortgeführt werden kann. Diese Geren setzen indess kein anderes Messungsprinzip als die Parallelen im Rechteck voraus. Wenn dagegen die Gestalt des Gewannes eine unregelmässige ist, können gleiche Theile durch. Parallelen von gleicher Breite nicht hergestellt werden, sondern es bedarf dazu die Berücksichtigung der ungleichen Länge der entstehenden Streifen, es muss also eine wirk- liche Flächenberechnung eintreten. Obwohl nun im Allge- meinen schon des Pflügens wegen Grundsatz ist, alle Ackerstücke womöglich so aufzumessen, dass die zwei ihrer Seiten, welchen der Pflug folgen soll, unter einander parallel sind, so sind doch alle diese Parzellen danach unterschieden, ob ihre gleiche Grösse für die Zuweisung durch blosse Breitenbestimmung oder nur durch Flächen- berechnung erreicht werden konnte. Die Bedeutung dieses Unter- schiedes wird sich noch im Einzelnen ergeben. — Als Grenzbezeichnung der Gewanntheile sind weder Raine, d. h. etwa zwei Fuss breite unbeackert gelassene Streifen des gewachsenen Bodens, noch das Setzen von Grenzsteinen althergebracht und üblich. Wo sie gefunden werden, sind sie als eine Einführung der neueren Zeit zu erachten.1) Ueberhaupt findet sich allgemein auf den Fluren des alten Volks- gebietes, dass für die feste Abgrenzung der einzelnen Besitzstücke äusserst wenig gesorgt ist. Es giebt Grenzbäume, Grenzwege und Grenzraine, aber sie bestehen in der Regel nur Nachbarfluren gegen- über. Innerhalb der eigenen Flur sind selbst die Gewanne nur zu- fällig durch unbebaute Landstreifen gegeneinander abgegrenzt. Wo nicht ein natürlicher Abschnitt, eine Bodensenkung, ein Wasserlauf, ein Wiesengrund oder ein Viehtrieb zwischen ihnen liegt, stossen die Aecker der verschiedenen Gewanne unmittelbar aneinander. Wo die Beete ohne Wechsel im Terrain gleichlaufen, wie in ') Auf dem Kolonisationslande des Ostens sind Raine dagegen seit dem 12. Jahr- hundert allgemein, und wo die Deutschen mit den Römern in Berührung kamen, wie hei den Angelsachsen und nach der lex Iiajuvariorum bei den Bayern, kommen sie, wie zu zeigen sein wird, schon in der frühesten Zeit ebenso vor, wie Grcnzversteinung. Tl. 5. Grundsätze un>l Verfahren der Gewanmnessufig 87 1- i _r LO, besteht kein«- Scheide als die sogenannte Anwand, d. 1). die Stelle, auf welcher die Pflüge umgewendet werden (aa). Wenn dagegen /.weidewanne bo aneinander grenzen, dass die Ackerstreifen in entgegengesetzter Richtung liegen, wie in Fig. 11, müssen alle Pflüge des einen Gewannes (A) auf «lein letzten Streifen (aa des anderen Gewannes (B) wenden. Deshalb pflegt man diesem Streiten aa ein Uebermaass von etwa r> Fuss Breite zu gewähren. Wenn aber wie in Fig. 10 die Streifen der Gewanne B und C jenseits der Gewanngrenze von A in derselben Richtung lauten, wendeten 1 »eid< -rseits die Pflüge auf der Grenze aa, bb. Es entstand dort in der Regel eine kleine Bodenerhöhung, und es kam vor, dass dieses Grenzland mit der beiderseitigen Anwandslast einer kleinen Stelle oder einem der Betheiligten als Entschädigung für irgend eine Forderung, die er an die Gemeinschaft hatte, al)getreten, dass es der Schule oder einem Neubauer überlassen, oder anderweitig ver- äussert wurde. In Westdeutschland bezeichnete man ein solches . ah ab S ■A- 10. Für. 11. Zwischenstück als Vorjard. Der Flurzwang machte für den Besitzer die Verpflichtung, innerhalb gewisser Fristen das Wenden der Pflüge darauf zu gestatten, wenig fühlbar. Hatten die Streifen eines Gewannes eine sehr grosse Länge, so pflegte man auch auf dem eigenen Stücke nach Zurücklegung einer gewissen Entfernung zu wenden. Wenn dies von allen in dem Ge- wanne Betheiligten an der gleichen Stelle geschah, musste auch hier eine merkbare Anwand durch das Anpflügen des Bodens entstehen, und dieselbe konnte als Gewanngrenze erscheinen, obwohl sie es ihrer Natur nach nicht war. Die Länge eines Gewendes hängt von Umständen ab. Wo mit Ochsen gepflügt wird, pflegt es viel kürzer zu sein, als für Pferde- gespann. Auch wird dies vom Boden bedingt. 250 Meter ist selbst für Pferdegespann ein langes Gewende. Die Ackerdienste der Bauern waren in späterer Zeit häufig nach Gewenden normirt, und es war ein Gegenstand der Beschwerde, dass die grundherrlieben Gewende zu lang seien, dass man aus vier fünf machen solle u. dgl. Der gg II. 5. Grundsätze und Vorfahren der Gewannmessung. einzelne Besitzer theilte seinen Streifen für das Wenden jedenfalls in deiche Theile. Wenn nun die Streifen der Nachbarn ungleiche Länge hatten, oder auch nur in schräger Richtung liefen, trafen diese Ge- wendetheilungen und die dadurch angehöheten Anwände auf den Nachbarstreifen nicht an dieselbe Stelle. Daraus entstehen die eigen- thümlichen verschieden, wie treppenartige Absätze liegenden Ab- schnitte in den Streifen sehr langer Gewanne, die dadurch oft um so auffälliger werden, dass bei Erb th eilungen oder bei theilweisen Vcräusserungen solcher Streifen, die willkürlich entstandenen An- wände häufig als Grenzen der Parzellirung angenommen wurden. Vcrgl. z. B. Anlage 9 Bischleben und 18 Grossengottern. Zwischen den einzelnen Besitzstücken der Nachbarn bestand das sogenannte Schw'engel recht, die Berechtigung beim Pflügen das Pferd und Pfluggestell halb auf des Nachbars Grundstück hin- gehen zu lassen. Beiden Nachbarn war die Grenzfurche gemeinsam. — Der Grundsatz aber, dass überall nur diese Grenz furche und das unter den Nachbarn bekannte Maass im Gewann als genügende Sicherung des Besitzes galt, hat die gesammte Entwickelung der volksthümlichen Flurverfassung wesentlich beeinflusst. Es besteht nämlich praktisch eine erhebliche Schwierigkeit für den Pflüger, eine Ackerfurche genau gradeaus in immer gleich- bleibender Richtung nach einem bestimmten Punkte zu fahren. Der alte deutsche Pflug mit seinem zur rechten Seite der Schaar grade und senkrecht stehenden hölzernen Streichbrette, welches den Boden mehr bei Seite schiebt, als umwendet, wird sehr leicht abgelenkt. Diese Ablenkung geschieht fast gesetzmässig so, dass der Pflug zu- erst beim Einsatz zu weit nach links gedrängt wird, dann zur Kor- rektur eine W7endung nach rechts bekommt, und endlich wieder nach links ausläuft; die Furche muss dann die Figur eines umgekehrten S zeigen. Dass dies eine konstante Regel ist, die sich nur mehr oder weniger stark äussert, erweist das Bild aller Flurkarten; und sie würde sich noch deutlicher aussprechen, wenn nicht die Feldmesser die Messung nur auf einzelne Punkte beschränkten, und beim Auf- tragen möglichst gerade Linien zwischen denselben zögen. Etwas unebenes Terrain verstärkt die Verschiebung. Durch höhere Beete ist dieselbe offenbar in gewissen Grenzen gehalten und jedenfalls verlangsamt worden, indess wie alle Karten erweisen, keineswegs ver- hindert, Hat die erste Furche diesen Fehler gemacht, so wieder- holen ihn alle anderen , denn der Pflüger hat vor allem darauf zu II. 5. Grundsätze und Verfahren der Gewannmessung. 89 achten, dasa jede Furche der anderen möglichst parallel läuft. Ein Nachbar drängt auf diese Weise auch den anderen seitwärts. Wenn der nächste nicht streiten will, schliesst er sich an die letzte Furche raten an. In dem nächsten Jahre hält jeder schon die etwas schräg gewordene Grenzfurche als die richtige fest; und im Laufe der Zeit kann das ganze Gewann eine umgekehrt S förmige Lage be- kommen. Solche Verpflügungen können auch weiter greifen. Auf einem wüsten, oder von auswärts, unter Vormundschaft, oder von einem kranken oder nachlässigen Wirthe bewirtschafteten Gute, kann ein Ackerstreifen, der von einer Seite abgepflügt wird, an der anderen Seite aber an eine feste Grenze oder an einen widerstrebenden und hartnäckigen Nachbar stösst, nach und nach so viel Land verlieren, dass er sich mehr und mehr zu einer Gere zuspitzt, oder an einem Ende auch ganz aus der Reihe herausgedrängt wird. Beispiele hier- von zeigen die meisten als Anlagen beigefügten Flurkarten, z. B. Anl. 5 Eyckse (Ia, IX c, Xe, VIII m), Anl. 6 Gretenberg (XIV i, XVIII a), Anl. 7 Einem (7d, 30 f, 32 c, besonders 34). Die Art der Untertheilung mancher Gewanne lässt sich gar nicht anders als durch ein solches Vordrängen übermächtiger Nachbarn erklären. — Dass nun dagegen eine wirksame Hülfe vorgesehen sein musste, gebot die Natur der Sache. Sie lag in der Berechtigung jedes Nach- barn, sein bekanntes Maass im Gewanne zu fordern, also die Wieder- herstellung der verhältnissmässigen Theilung herbeizuführen. Die Beseitigung der Grenzverwirrungen durch neues Aufmessen der Antheile im Gewann sprechen für Dänemark die o. S. 63 er- wähnten Gesetze ausdrücklich aus, hier erfolgte sie durch die soge- nannte Reebningsprozedur, welche nöthigen Falls bis zur völligen Neueintheilung, gewissermassen bis zur Neuanlage der gesammten Feldflur gesetzlich nach Ermessen der Hardesmänner erzwungen werden konnte. In Deutschland sind ähnliche Vorschriften nicht bekannt. Wohl aber bestand hier auf dem alten Volksgebiete in allgemeiner Ver- breitung das Amt der Feldgeschworenen oder der Märker, Pfahl- herren, Pfähler, Steinsetzer, Gemeindemesser. Sie waren einge- schworene und hinreichend kundige Männer, deren, wie es scheint, im Wesentlichen in jeder grösseren Dorfgemeinde einige angerufen werden konnten, und welche in ähnlicher Weise, wie es die däni- schen Gesetze angeben, die verwischten oder streitig gewordenen Grenzen herstellten. Ihr Ausspruch galt so unbedingt, dass keine 90 IL 5. Grundsätze und Verfahren der Gewannmesßung. gerichtliche Anrufung gegen einen solchen bekannt ist. Das ganze [nstitut war überhaupt ein lediglich dorfnachbarliches, und es erscheint in keiner Behördenreihe, obwohl es in reger und wohlthätiger Wirk- samkeit stand.1) Die Feldgeschworenen pflegten sich bekannter sehr einfacher Messwerkzeuge zu bedienen. Sie besassen Stäbe, auf welche die aliquoten Theile eingeschnitten wurden, so dass sie den verkleinerten Maasstab der Theilung darstellten. Das Maass selbst war in alter Zeit der Spiess oder die Gerte, Ruthe. Je nach der Grösse des üblichen Fusses enthielt die Ruthe 12 — 16 Fuss, und hatte die Länge der Ritterlanze, die halbe Ruthe aber war der Jagdspiess, Schecht, Schaft, Skift. Daher kommt der nordische Ausdruck Skiften für Verkoppeln. In späterer Zeit führten die Geschworenen den soge- nannten Erdzirkel, einen zirkelartigen Rahmen, oder eine Latte mit einem Griff in der Mitte. Beide fassten zwischen zwei Spitzen genau die Länge von Va Ruthe. Diese Spitzen markirten im Boden die Messung, die der Feldgeschworene vornahm, indem er sich sprungweise mit dem Instrument auf der Messungslinie fortbewegte. Das Seil, funi- culus, scheint erst im 12. Jahrhundert in Gebrauch gekommen zu sein, und die Kette erst im 16. Anerkannt war, dass durch ihr Eingreifen die Gewanne in befriedigender Ordnung gehalten werden konnten. Bei Parallelis- mus der Ackerstreifen wurde die ursprüngliche verhältnissmässige Breite jedes dieser Streifen im Gewanne wieder hergestellt. Wo die Streifen zwischen parallelen Grenzen des Gewannes gleiche Länge hatten, war dies sehr einfach. Die den einzelnen Antheilen ent- sprechenden Breiten konnten durch verhältnissmässige Untertheilung einer einzigen Querlinie ermittelt werden. Auch wo durch schräge oder gekrümmte Aussengrenzen ungleiche Längen für die nebenein- ander liegenden Parallelstreifen bedingt waren, vermochte eine solche blosse Breitenbestimmung dem Zwecke zu genügen, weil durch die richtige Breiteneintheilung jeder Besitzer mit seinem Streifen wieder an die ihm zukommende Stelle, also auch zu der richtigen Länge gelangte.2) In den meisten Fäden standen, wie sich annehmen lässt, ') Noch in neuester Zeit erachteten nach den Akten die Bewohner von Pudcr- Btedt im hannoverischen Eichsfeld ganz unzulässig, dass sich prozessirende Angrcnzer aus preussischen Gemeinden der Entscheidung der Pfahlherren nicht widerspruchslos unterwerfen wollten. 2) Vergl. die Urtheile zu Vchlen (Grimm, Weisth. III, S. 315). Wen eine brede Landes lege, oh auch morgen, dronc, forlinge, von brede und lenge gleich syn? Sie moiten glich sin mit der brede, mit der lenge wil die wände wohl uthwisen. TT. 5. Grandsätze and Verfahren der Gewannmessung. 91 überhaupt nicht die gesammten Stücke eines Gewannes oder an- grenzender Gewanne in Frage, sondern es stritten einzelne Nachbarn, und es konnte versucht werden, an erkennbar gebliebene Punkte der alten Grenzen möglichst anzuschliessen und die Flüchen durch Alt- schreiten oder durch Messung nach Länge und Breite zu berichtigen. Indess zeigen die Flurkarten aller Gegenden, dass diese Maass- regeln nicht überall angewendet wurden oder gelangen. Vielmehr blieben in grosser Verbreitung Unordnungen innerhalb der Ge- wanne bestehen, welche theils aus den Mängeln des Verfahrens, theils aus den Umständen zu erklären sind. Hatte Vernachlässigung oder Vergewaltigung durch längere Zeit gedauert, war Krieg, Verwüstung oder auch nur hartnäckiger »Streit und Widerstand die Ursache, dass die Feldgeschworenen ihr Amt nicht immer versahen, oder dass sie die in der Regel unbedingte Folge nicht fanden, so konnte die Verwirrung wohl verjähren und Bilder erzeugen, welche unbedingt die Vermuthung gegen sich haben, dem ursprünglichen Zustande zu entsprechen.2) Dennoch hat das Eintreten der Feldgeschworenen in jedenfalls ganz überwiegendem Maasse den Erfolg gehabt, die Eintheilung der Fluren und die Anrechte der einzelnen Besitzer vor völliger Rechts- unsicherheit und Zerrüttung zu sichern. In neuerer Zeit ist ihr Verfahren mehr und mehr auf Schieds- sprüche eingeschränkt und durch die viel höheren Anforderungen der Messung, sowie dadurch verdrängt worden, dass die Gerichte im Mangel des Gegenbeweises lediglich den Besitzstand als richtig an- erkannten. — Aus der speziellen Betrachtung bestimmter Beispiele wird näher verständlich, welche Veränderungen durch alle diese Einwirkungen in der Feldeintheilung eintraten, und welche Grundlagen derselben dauernd erhalten blieben. Es ist ein glücklicher Zufall, dass sich von der Flur Eyckse an der Fuse eine der ältesten Parzellarkarten mit vollständiger Aus- führung erhalten hat, deren Aufmessung von dem gewöhnlichen Messungsverfahren abweicht. Sie ist 1740 nicht von einem Land- feldmesser, sondern von einem Artillerie-Offizier aufgenommen worden, und hat, wie es scheint, aus diesem Grunde Eigen thümlichkeiten 2) Wie z. B. in Anlage 5 Eyckse Gewann VI und X; in Anlage G Gretcnbcrg Gewann XXIII; in Anlage 7 Einem Gewann 23 oder 34: in Anlage 5 Ilaimar der grösste Theil der Flur. (>"> II. 5. Grundsätze und Verfahren der Grewannmessung. aufbewahrt, welche sich in der gewöhnlichen feldmesserischen Praxis verwischt hätten. Die Messung (Anlage 5 in Bd. III) giebt nicht allein die richtigen Antheile der einzelnen Hufen in jedem der Gewanne wieder, sondern sie zeigt auch, dass diese Hufenantheile nicht im Ganzen, sondern in kleineren Zutheilungseinheiten ausgewiesen wurden. Von diesen kleineren Einheiten liegen in der Regel 2 oder 3, die zu der- selben Hufe gehören, nebeneinander. Sie sind aber ebenso, als ob sie verschiedenen Besitzern gehörten, individuell als besondere Par- zellen begrenzt. Ihre Abgrenzung kann nicht in Rainen bestanden haben , denn mehrere dieser Untertheile sind bis zu völliger Zu- spitzung verpflügt, was bei Rainen nicht denkbar ist. Aus dem- selben Grunde können sie aber auch nicht bloss gedachte oder rech- nungsmässige Untertheile sein. Vielmehr müssen die an mehreren Stellen ersichtlich durch Verrückung falsch gewordenen Zwischen- grenzen, die ein anderer Feldmesser als überflüssig voraussichtlich überhaupt nicht aufgemessen hätte, weil sie nur den Besitz desselben Eigenthümers schieden, auf dem Felde nothwendig erkennbar ange- zeigt gewesen sein. Auch die Unterschiede der Flächengrössen er- geben, dass sie dem Befunde nach einzeln aus der Messung berechnet wurden. Dieselbe Grundlage einzelner Stücke zeigt die Tab. B, Eyckse, in der Art der Vertheilung der 7 Hildesheimischen Hufen unter 6 Kötter. Die Grösse dieser Stücke ist sehr ungleich. Ihre Fläche beträgt in Gewann IV nur 82,5, in Gewann VI 201 D Ruthen, und schwankt in den übrigen zwischen diesen Extremen. Diese Grössenverschieden- heit ist indess nur durch ihre Länge bedingt. Abgesehen von wenigen durch Verpflügen entstandenen Ausnahmen ist ihre Breite in allen Gewannen 2 Ruthen. Zwischen je 2 Ruthen Breite muss also überall eine Theilungsgrenze gedacht werden, welche dauernd festgehalten wurde. Eine solche vom Besitzer unabhängige Stückabgrenzung ist gegen- wärtig ganz in Vergessenheit gerathen. Es finden sich aber dafür weitere Bestätigungen. Für das Calenbergische ist die Sitte bekannt, auf den grossen Ackerstücken zwischen je 4 Ruthen eine tiefe Furche zu ziehen. Nach v. Hammerstein -Loxten, der Bardengau (S. 628), wurde im Gohgericht Verden noch 1597 das Weisthum gefunden: »Acker in einer Bauerschaft sollen gleich breit sein, und jede Breite soll 2 Acker geben, und für jede abgepflügte Furche muss 1 Thlr. an den Herrn gebüsst werden.« Auch das schon oben S. 65 gedachte Landrecht des Eldagser Gohe von 1557 sagt zu 10.: »Wenn einer drei II. ;"). Grundsätze and Verfahren «l»-r Gewanninessung. 93 Stücke Lands hette bei einander liegende, ob sie nicht schullen glieke breit .sin? Sie schullen glieke breit sin.« Weitere Aufklärung über diese Art der Theilung giebt das Bei spirl von Gretenberg. Gretenberg ist, wie Anlage 6' nachweist, eine sehr alte Ortschaft, deren Besitzungen nach Anlage 20 (Die Freien vor dem Walde) in die vorkarolingische Zeit der Gemeinfreiheit zurück- reichen. Auf der Flur sind deshalb andere Veränderungen, als sie das volksthümliche Gewohnheitsrecht gestattete, nicht vorauszusetzen. Das Messungsverfahren, nach welchem 1853 die in der Anlage 6 verkleinerte Karte der Flur aufgenommen wurde, ist das damals vorschriftsmässige für die amtlichen Feldmesser. Die wirklich vor- gefundenen Eigenthumsgrenzen sind mit Kette und Boussole ge- messen, und die in das Vermessungsregister verzeichneten Grund- stücksgrössen nach den auf die Karte aufgetragenen Figuren be- rechnet worden. Das Kartenbild zeigt auch überall die umgekehrt S-förmig verpflügten Ackerstreifen. Der Feldmesser hat indess, wie der Rezess besagt, den herrschenden Anschauungen der Interessenten Rücksicht getragen. Er hat sie protokollarisch über die sich nach der Breite gleichenden oder nicht gleichenden Stücke eines jeden Betheiligten befragt, und diese Angaben anerkennen lassen, auch die für jede Parzelle angegebene Zahl der Stücke in Karte und Register verzeichnet. Die in Tab. B Gretenberg gegenübergestellten Zahlen einer- seits der Stücke, andrerseits der Flächengrössen und der verhältniss- niiissigen Hufenantheile erweisen, dass diese Stückzahl gleichwohl auf die Messung und Berechnung des Feldmessers keinerlei Einfluss geübt hat. Die Stückzahl stimmt zwar in einigen Gewannen, wie XX, XIX, X, nahezu mit den Hufenantheilen überein, in den meisten aber weicht sie, möglicherweise wegen allmählich eingetretener Grenz- verwirrung, erheblich ab. Die Stücke sind auch in den verschiedenen Gewannen sehr verschieden gross, zwischen 66 und 183 Q Ruthen. Ihre Unterscheidung und früher wohl auch bestandene Abgrenzung aber bezieht sich, wie in Eyckse ersichtlich, auf ihre Breite, denn die meisten sind 4 Ruthen oder beinahe 4 Ruthen breit, und die äussersten Breitenextreme sind nur 3,3 und 5 Ruthen. Als weiteres Anzeichen der grundsätzlichen Uebereinstimmung der Eintheilung von Gretenberg mit der von Eyckse tritt besonders der Umstand hervor, dass nur ausnahmsweise in zwei Gretenberger Gewannen der Antheil der einzelnen Hufe eine einzige geschlossene Parzelle bildet. In allen andern Gewannen ist jeder einzelnen Hufe ihr Antheil am Gewann in der Regel in vier oder fünf derart auseinanderliegenden 94 II. 5. Grundsätze und Verfahren der Gewannmessung. Stücken zugetheilt, dass an einen früheren geschlossenen Zusammen- hang derselben nicht gedacht werden kann. Ein drittes Beispiel für die Flurtheilung und das Messungsver- fahren giebt Einem (Anlage 7). Einem grenzt an die Stadtflur von Hildesheim und reicht ebenfalls in sehr hohes Alter hinauf. Die Gemarkung ist 1845 noch zum Theil nach dem herkömmlichen ein- fachen Verfahren der Breitenbestimmung aufgemessen. Der Feld- messer sagt ausdrücklich : »Die auf dieser Feldmark liegenden Acker- ländereien messen sich theilweise der Breite nach in einem gewissen Verhältnisse j wohingegen die übrigen Ackerländereien der jetzigen Lage nach zur Aufmessung gekommen sind. Es ist dieserhalb auf der Karte die Verhältnisszahl der Grundstücke, die sich nach be- stimmtem Verhältnisse messen müssen, eingetragen. Wieder andere Ackerstücke messen sich nur theilweise mit den benachbarten, wäh- rend der übrige Theil der jetzigen Lage nach aufgemessen worden ist.« Die Karte in Anlage 7 und die Tab. B Einem verzeichnen die vom Feldmesser in die Flurkarte eingetragenen Breitenzahlen und ihren Wechsel, so wie diejenigen Stücke, welche er nach ihrer Lage aufgemessen hat. Sein Verfahren ging im wesentlichen dahin, dass er von allen Gewannen die Aussengrenzen wirklich so aufmass, wie er sie im Felde fand. Ebenso kartirte er innerhalb des einzelnen Gewannes alle Stücke, für welche er Breitenbestimmungen nicht er- halten hatte, nach ihrer wirklichen Lage. Endlich nahm er alle die Grenzen auf, welche Besitzstücke trennten, für deren Bestimmung verschiedene Breitenmaasse in Anwendung kommen sollten. Zwischen den auf diese Weise innerhalb des einzelnen Gewannes erhaltenen festen Linien trug er aber die bestehenden Grenzen derjenigen Besitz- stücke, welche das Einfache oder Mehrfache derselben Breite besitzen sollten, nicht nach der vorgefundenen Lage ein, sondern bestimmte diese Zwischengrenze rechnungsmässig nach der verhältnissmässigen Breite. Dabei kam es selbstverständlich nur auf die aufgemessenen festen Grenzen an, ob diese gleichen Breiten zwischen genauen Pa- rallelen verliefen, oder ob sie an dem einen Ende des Streifens breit, an dem anderen schmal wurden. Sämmtliche Stücke konnten auch mehr oder weniger die Form von Geren erhalten. Aus diesem Verfahren ist erklärlich, dass das Kartenbild von Einem ziemlich regelmässige Streifen in den Gewannen zeigt, dass dieselben aber gleichwohl selten gerade verlaufen, weil sie allen durch das Verpflügen entstandenen Krümmungen der im Gewanne aufgemessenen festen Grenzlinien folgen mussten. (Vgl. Geren in 36, 37, Verpfiügungen in 23, 24.) II. .">. Grundsätze and Verfahren der Gewannmeesung. 95 Es ergiebt aber auch hier die Tab. B Einen), wenn in derselben Lediglich diejenigen Besitzstücke berücksichtigt werden, für welche Breiten angegeben wurden, dass die Grösse der Stücke sehr ungleich ist, und zwischen 102 und 228 □Ruthen in verschiedenen Ali stufungen schwankt, dagegen scheint den Breiten im Allgemeinen die Breite von 2 Ruthen, wie in Eyckse, zu Grunde zu liegen. Denn es geht ihr Maass in einigen ^Gewannen zwar bis auf 1,4 Ruthen herab, und steigt bis zu 2,8 Ruthen; in 3 von diesen 13 Gewannen beträgt es aber genau 2 Ruthen und die meisten anderen stehen dem sehr nahe. Die Hufenantheilc liegen auch in Einem nicht selten in mehrere Stücke getrennt im Gewanne. — Aus den Messungsergebnissen dieser Beispiele zeigt sich also, dass bei der l'ntertheilung der Gewanne den berechtigten Hufen ihr Antheil nicht nothwendig oder in der Regel in einem einzigen Stücke zugewiesen wurde. Vielmehr stand im Wesentlichen ein Prinzip der Gewanntheilung nach gleich breiten Parallelstreifen in Geltung, deren mehrere entweder nebeneinander oder in getrennter Lage den Hufen antheil bildeten. Darin lässt sich ein Mittel erkennen, die Hufen- antheilc durch eine Mehrheit von Stücken gleicher Breiten aber ver- schiedener Länge zu gleicher Fläche auszugleichen. Wie weit kleinere Unterschiede, sei es durch geringe Verbreiterungen, sei es durch die verschiedene Lage im Gewann Berücksichtigung fanden, ist bei der Unsicherheit der meist etwas verpflügten Grenzen schwer zu ent- scheiden. Die weite Verbreitung des Grundgedankens dieses Messungs Ver- fahrens wird durch den volksthümlichen Gebrauch der entsprechenden Maass Verhältnisse und durch auf ihm beruhende Maassbezeich- nungen bezeugt. Im Calenbergischen heisst ein Stück in Breite von 4 Ruthen eine Breite, ein Stück von 3 Ruthen ein Dreier, von 2 Ruthen ein Acker oder auch ein Schwadteiscnstück, von IV2 Ruthen ein Helver- ling oder halber Dreier, von 1 Ruthe eine Gert (Gerte). In Thüringen wird das Gewann mit Geschrote bezeichnet, und ein Ackerstreifen von 4 Ruthen Breite heisst ein Gelänge, von 3 Ruthen eine Drei- gerte, von 2 Ruthen eine Sottel, von 1 Ruthe ein Striegel oder Strichel, ein Grundstück aber, welches 4 Ruthen Breite übersteigt, Gebreite. Völlig genaue Breite von 4 Ruthen für das Gelänge ist indess nicht gefordert. Es giebt grosse und kleine Gelänge, welche etwas mehr oder etwas weniger als 4 Ruthen breit sind. Bei der Verschiedenheit der Ruthen in den verschiedenen Orten stimmen mi; II. ."). Grundsätze und Verfahret! der Gewannmessung. alle diese Maasse nicht genauer überein. Aber in demselben Ge- wanne sind die Gelänge von gleicher Breite, »sie breiten sich mit einander«; und es kommen Feldmarken vor, in welchen alle Ge- wanne bo nebeneinander liegen, dass sich die Nachbarn über die gesammte Flur in gleichen Breiten messen. Dies ist z. B. in Sachsen- burg und in Cannawurf, Kr. Eckartsberga, der Fall, und zeigt sich annähernd im Bilde der Anlage 18, Grossengottern. Passelbe Verfahren der Gewannmessung ist auch für Skandi- navien bezeugt. Die Nachrichten über die dortigen älteren Ver- messungen, welche Testrupp's Kriegsarmatur (S. 413 ff.) mittheilt, sprechen ausschliesslich nur von den Breiten der Grundstücke. — Gleichwohl genügt der Ueberblick über die Anlagen 5 — 15, zu erweisen, dass dieser Theilung der Gewanne in parallele oder sich gleichmässig zuspitzende Ackerstreifen (Riemen, Flaggen) eine andere unregelmässige Aufmessung gegenübersteht, welche sowohl Form und Lage der einzelnen Theilstücke als die äussere Gestalt und Abgrenzung der Gewanne betrifft. Bei näherer Vergleichung zeigen die Kartenbilder dieser Anlagen eine deutliche Reihenfolge. Die in Eyckse, Gretenberg und Einem noch fast ausschliesslich regelmässigen Gewanne haben in den fol- genden Beispielen eine immer grössere Zahl unregelmässiger neben sich, welche schon in Laazen (12) überwiegen, in Geismar (13) und Barum (14) völlig herrschen, bis in Maden (15) (abgesehen von einer modernen Waldabfindung c) regelmässige Gewanne überhaupt nicht mehr aufzufinden sind. Man muss sich nun allerdings sagen, dass gewisse Unregel- mässigkeiten kaum vermeidlich scheinen, und dass auch mancherlei Ursachen ursprünglich regelmässige Gewanne zu unregelmässigen um- zugestalten vermögen. Unvermeidlich erscheint die Unregelmässigkeit überall da, wo zwischen der ursprünglichen Anlage regelmässiger Gewanne kleine Stücke unaufgetheilten Landes liegen geblieben sind, und zu irgend einer späteren Zeit die Auf theilung der Reststücke wünschenswerth wird. Das Kartenbild von Eyckse (Anl. 6) giebt dafür hinreichenden Anhalt. Falls die gemeinschaftlich gebliebenen Grundstücke A, B, C, D vertheilt werden sollten, würde eine gleiche Vertheilung unter 10 Hufen nach parallelen Streifen gleicher Breite der genügenden Ausgleichung so grosse Schwierigkeiten entgegenstellen, dass man jedenfalls die Längen im Einzelnen in Rücksicht ziehen müsste. Es würde also Flächenberechnung erfolgen müssen. Dann bestände aber kein II. 5. Grundsätze und Verfahren der Gewannmessung. 97 zwingender Grand, die Streifen der zu bildenden Gewanne alle in gleicher Richtung nebeneinanderzulegen, Bie konnten mit besserer Rücksicht auf die BodenbeBchaffenheit auch verschieden gerichtet und ungleich gestaltet werden. Solche Fülle Lassen dch erkennen. In Gretenberg füllt Ge wann XXI unter diesen Gesichtspunkt. Es bildet die Ausfüllung einer hiieke der alteren Auftheilung und ist zwar nach Streifen, die sieh breiten, getheilt worden, aber dieselben mussten wegen ihrer verschiedenen Lungen nach der Flüche ausgeglichen werden, und sind gruppenweise in drei verschiedenen Richtungen gelegt. Gewann IV ebenda ist überhaupt nur nach Flächen getheilt. In Einem sind di. Gewanne 6, 17, 30, 33 in verschieden belegenen Streifen, 24, 27 , 28 nach Flächen vertheilt. Auch die anderen Beispiele zeigen die engen und ungleichen Hänge, Wiesen und Triften, welche zwischen den älter kultivirten Ackerländereien erst nach und nach zur Thei- lung gekommen sind, selten in gleichmässigen Parallelstreifen. Nur für ausgedehnte Weide- und Bruchländereien ist die einfachere Parallel- Theilung die natürliche und übliche. Alle solche Theilungen von Nebenland blieben aber immer nebensächliche. Die Fläche war offen. Unbequeme Absplisse konnten als Gemeinland liegen bleiben oder wie andere Almendstücke zu Zins vergeben werden. Neben den alten Hufen wurden meist auch andere Stellen betheiligt. Von wirklicher Bedeutung für das Prinzip der Flurverfassung ist desshalb nur, ob unregelmässige Gewanne, die auf alten Kultur- stücken der Ackerflur vorkommen, aus der Umwandlung von regel- müssigen hervorgegangen sind? Diese Frage, was da geschah, wo man nicht mehr freie Hand hatte, ist eine sehr wichtige und bedarf eingehender Erwägung. Bei Erwähnung der Gewende ist (o. S. 87) darauf hingewiesen, dass zwischen zwei Gewannen Fig. 10, A und B, deren Parallelstreifen in derselben Richtung diesseits und jen- seits der Grenze zusammenstossen, die nothwendige Anwand a in fremden Besitz übergehen, und dadurch ein dem Gedanken der Theilung anschei- nend völlig widersprechender Zwischen- streifen von entgegengesetzter Rich- tung entstehen kann. Es lässt sich denken, dass auch, wie Fig. 12 durch b andeutet, etwa wenn dort schon die Bodenbeschaffenheit auf allen Streifen in A wechselt, über alle oder über einen Theil der Mcitzen, Siedelung etc. I. y ^L "!"&! iB: Fig. 1! gg II. 5. Grundsätze und Verfahren der Gewannmessung. Streifen der Erwerb eines zweiten der Anwand parallel liegenden Grandstückes gelingen kann. Andererseits ist möglich, dass der Be- sit/rr des Streifens 2 vorzieht, mit seinen Nachbarn 1 und 3 seinen Streifen so zu tauschen, dass er den breiten Block c übernimmt, und 1 und 3 dafür Ersatz durch den Rest von 2 in d und e erhalten. Auch konnte bei Erbtheilungen oder Parzcllirungen ein Theil des Streifens, z. B. aus 6 zu i, vom Nachbar übernommen werden. Bei solchen und weiteren arrondirenden Umtauschen konnte auch die Absicht leitend sein, der Pflugfurche eine andere, dem allmählich trockener gewordenen Boden mehr entsprechende Richtung zu geben. Alle diese Veränderungen konnten vorkommen, und einzelne Gewanne durch sie eine der alten Auftheilung sehr unähnliche Ge- stalt gewinnen. Aber die allgemeine Erfahrung spricht dafür, dass sie durchaus ungewöhnlich und sehr selten waren. Praktisch stand solchem Wechsel nicht bloss die Schwierigkeit, die Nachbarn dazu zu bewegen und die Scheu vor den Weiterungen der Gerichtsbarkeit entgegen, sondern namentlich der Umstand, dass dadurch neue unbe- rechtigte Anwände nöthig i wurden, welche die An- . grenzenden gefährdeten. p Der gewöhnliche Grund- Stücksverkehr übte dagegen Fig.j3. keinen wesentlichen Ein- fluss. Kaufte oder erbte ein Besitzer des Nachbars Stelle, und ver- einigte ganz oder theilweise deren Grundstücke mit den seinigen, so änderte dies den Charakter der Gewanntheilung nicht. Theilungen der Hufen oder der Grundstücke kleinerer Stellen fanden bis minde- stens zum Strich, d. h. zur Breite von 1 Ruthe überall durch Spalten der Sottein, Acker und Breiten statt. Auch halbe Ruthenbreite, d. h. Besitz nur eines Beetes, ist sehr häufig. Konnte oder sollte indess der Streifen nicht mehr in die Länge gespalten werden, so strumpfte man, d. h. man theilte ihn quer. Aber der Zuwachs, den ein Nachbar durch den Ankauf eines solchen Theilstückes ge- winnen konnte, war unbedeutend. Die so entstandenen, wie in Fig. 13 in Haken ausspringenden Verbreiterungen sind auf den Karten- bildern häufig genug, um zu zeigen, dass sie die Theilung im Ge- wanne nur geringfügig und leicht erkennbar veränderten. Häufiger haben hier und da die Gutsherren seit der Einrichtung grösserer Wirthschaften Umtausche ihrer im Gemenge liegenden Grundstücke mit bäuerlichen, theils als Obereigenthümer , theils II. 5. Grrundsat/.t' und Verfahren der ( iewaniuuessimj ',(»,1 wegen der besseren Kultur der Dominialäcker freiwillig, von den Bauern erreicht Aber dabei kamen nicht Theile einzelner Streifen im Gewann, sondern ganze Streifen von gleicher Grösse in Frage. Wenn indese immerhin zweifelhaft bleiben kann, wie weil auf Feldmarken, welche eine gewisse Anzahl regelmässiger Gewanne zeigen, die nelien diesen bestehenden unregelmässigen aus einem oder ans der Kombination mehrerer der angeführten Einflüsse hervorgegangen sind, so ist doch ausgeschlossen, dass ganze Fluren, welche durchweg aus Gewannen mit ungleichmässigen Aussen- grenzen und verschiedengestalteter innerer Untertheilung bestehen, auf eine totale Umgestaltung aus einer regelmässigen An- lage zurückgeführt werden dürfen. Vielmehr muss untersucht werden, ob Bich nicht auch bei ihnen ein bestimmtes, ihre Unregelmässigkeit grundsätzlich erklärendes Verfahren der Auftheilung ermitteln lässt. Unter diesem Gesichtspunkte ist von den vorliegenden Beispielen Maden (Anlage 15) als das entscheidende zu erachten. Maden, das alte Mattium, besitzt als die einzige von Tacitus ge- nannte deutsche Ortschaft den Vorzug gesicherten hohen Alter- thums. Maden blieb unbestritten die höchste Gerichtsstätte des pagus Hassiae. Sollte sich trotzdem die Identität mit Mattium be- zweifeln lassen, und an das nahe Dorf Metz gedacht werden, so lässt sich aus der Einsicht der Flurkarten versichern, dass die Auftheilung von Metz, sowie die aller Gudensberg benachbarten Orte völlig mit der von Maden übereinstimmt. Maden entspricht ferner allen Anforde- rungen, welche eine solche Untersuchung, wenn sie Willkürlichkeit vermeiden soll, voraussetzt. Einerseits treten die Figuren der Ge- wanne ungewöhnlich scharf und entschieden aus ihrer Umgebung heraus. Der grösste Theil ihrer Grenzzüge lässt sie an sich schon als solche deutlich erkennen. Die Gewannabgrenzungen sind aber überdies bei der Vermessung dem Feldmesser durch die bäuer- lichen Besitzer ausdrücklich so vorgewiesen worden, wie sie die Karte und das Register verzeichnet. Andererseits besteht über die Zahl der in der Flur vorhandenen Hufen seit alter Zeit kein Zweifel. Dies sind Bedingungen, welche, wie gezeigt worden ist, für Fluren mit regelmässigen Gewannen durch gewisse einfache Anzeichen er- setzt werden können, bei unregelmässiger Gewanntheilung aber un- entbehrlich sind. Denn wenn die Rechnungsgrundlage fehlt, welche der gleichmässige Parallelismus bietet, muss sie durch die festen Anhaltspunkte der Gewanngrenzen und der Hufenzahl gewonnen werden, welche leider sehr selten zu beschaffen sind. 100 E- 5. Grundß&tee und Vorfahren der Gewannuiessung. Für Maden kommt noch hinzu, dass der etwas gebirgige Boden deutlich bestimmte Unterschiede hat, und der Wechsel der Be- schaffenheit hei einer grossen Zahl der Gewanne mit den Gewann- grenzen genau zusammenfällt, Diese Umstände haben, wie Anlage 15 in der Tab. C nachweist, die Feststellung und spezielle Berechnung der 40 Gewanne ermög- licht, welche die alte Anlage von Maden bilden. Diese Berechnung ergiebt, dass jedes dieser 40 Gewanne, ohne dass über ihre Grenzen hin weggegriffen wird, oder Lücken zwischen ihnen entstehen, in 1(5 gleichgrosse Hufenantheile zerfällt, welche nach ganzen, halben oder Viertelhufenantheilen sich in bestimmten Grenzen vorfinden. Diese Flächen können nicht immer völlig die richtige Grösse haben, dass zwischen ihnen keinerlei Verkleinerungen oder Vergrösserungen durch Abpflügen und Grenzverwirrung eingetreten seien, ist undenkbar, im Allgemeinen aber stimmen ihre Maasse mit oft ganz über- raschender Genauigkeit. Die Anforderungen der volkstümlichen Gewannverfassung sind ganz klar und zweifelfrei erfüllt und bis heute gewahrt. Dabei ergiebt sich aber aus der Art der Vertheilung deutlich, dass die Unterteilung der Gewanne nicht durch linearen Paral- lelismus, d. h. durch Breiten, sondern lediglich durch wirkliche Flächenfeststellung geschehen sein konnte. Es hat also für Anlagen dieser Art thatsächlich ein Prinzip der Theilung nach Flächen- grössen bestanden, und dasselbe kann ebenso wie in Maden, in allen anderen Fluren zur Anwendung gekommen sein, wo die Ge- wanne eine ähnlich unregelmässige Gestalt haben. Man ist daher bei unregelmässigen Gewannen keineswegs genöthigt, die schwierig zu erklärenden Umwandlungen aus einem früheren regelmässigeren Zustande zu vermuthen, sondern darf im Zweifelfall die ursprüng- liche Theilung nach Flächen voraussetzen. Darüber führt die Berechnung der Madener Flur auch zu be- stimmteren Anschauungen. Es zeigt Tab. C, dass alle diese Ge- wanne verhältnissmässig klein sind. Nur bei einem derselben erreicht der einzelne Hufenantheil 35 Ar. In den meisten beträgt der Antheil der einzelnen Hufe 28— 33 Ar, oder die Hälfte 16—17. Daneben kommt eine Anzahl Gewanne vor, in denen der Antheil 22—26 Ar enthält. Nur einmal geht diese Grösse auf 12 Ar herab. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Theilung ein Maass von ungefähr 31 Ar zu Grunde gelegt worden ist, welches in ganzer, drei Viertels- und halber Grösse angewendet wurde. Jedenfalls ist keine dieser Flächen Tl. 5. Grundsätze and Verfahren if Entstehung <1•_' III. 2. Die Clanverfassung und die Ständeunterschiede. eines Unbekannten: The description of Ireland and the state there- of, as it is in anno 1598, (London 1878) herausgegeben hat, und die angeführten Berichte Sir John Davies, die in dem Calendar of the state Papers relating to Ireland of the reign of James I 1606 bis 1608 (London 1874) enthalten sind, sowie desselben Historical tracts or Discovery of the state of Ireland (London 1612). Diese ausgiebigen Quellen sind in Deutschland von Lappen- berg, Geschichte von England, Hamburg 1834, und von Ferdinand Walter, Das alte Wales, Bonn 1859, in England aber u. a. von Johnston and Roberts, the historical geography of the Clans of Scotland, London 1872, 0' Curry, Manners and customs of the ancient Irish, eingeleitet von Sullivan, Dublin 1873, Skene, Celtic Scotland, a history of ancient Alban, Edinburg 1876, neuer- dings aber von Seebohm, English village Community, London 1883, eingehend bearbeitet worden. 2. Die Clanverfassung und die Ständeunterschiede. Aus den urkundlichen Ueberlieferungen der Iren ergiebt sich als eigenartige und bedeutsame Grundlage der volksthümlichen Lebensanschauung die Clanverfassung, deren Gedanken in erkenn- barer Weise auf die wirthschaftlichen und politischen Verhältnisse bis zur Gegenwart fortgewirkt haben. Clan bezeichnet Kinder, Nachkommen, Familie, und es ist be- kannt, dass alle Mitglieder des Clanes von demselben Ahnherrn ab- zustammen meinten, denselben Namen trugen und ihr Gebiet als gemeinschaftlichen Familienbesitz betrachteten. Einem solchen Clan oder Sept stand ein Häuptling (Cean Cinneth, Cean Finne) vor, der seine Rechte an Würde und Land aber nicht vererben konnte. Viel- mehr wurde für ihn schon bei seinen Lebzeiten durch Zustimmung oder Wahl der Stammesgenossen ein geschäftskundiger Nachfolger (Tanaist) ernannt, welcher nicht immer einer der Söhne des Häupt- lings wrar, in der Regel aber aus dessen Geschlechte stammen musste. Die Clanhäuptlinge waren innerhalb eines gewissen Distriktes dem angesehensten unter ihnen untergeordnet. Als Hauptdistrikte zerfiel Irland in ältester Zeit in Fünftel (Coiced), unter diesem Namen bestehen noch heut die vier Königreiche Lagenia (Leinster), Ultonia (Ulster), Connacia (Connaught) und das aus Momonia und Midia vereinigte Munster. Je einer der Oberhäuptlinge der vier Reiche war Herrscher über ganz Irland. Temair (jetzt Tara), wo die Grenzen, III. 2. Die Clanverfassung und die Ständeunterschiede. 183 wie noch heut, zusammenstiessen, war gemeinsames Gebiet als Ver- sammlungsort und als Sitz der Verwaltung des jedesmaligen Ober- königs. Die Gewalt des Clanhäuptlings war weniger eine obrigkeitliche als eine patriarchalische. Er leitete, wie aus väterlicher Gewalt, den Stamm. Die Art der Verwaltung des Clanes und die Berechtigungen der übrigen Clanmitglieder lernen wir in der Gesetzgebung und Litteratur zunächst aus der Zeit kennen, in welcher die ganze Insel bereits fest besiedelt war, und die in ihren eigenthümlichen topo- graphischen Verhältnissen o. S. 175 geschilderte Vertheilung des Landes schon überall bestand. Denn in diesen Ueberlieferungen tritt gleichmässig als geltende Rechtsanschauung auf, dass Niemand erblichen Grundbesitz hatte, aber jedem Clanmitglied das Recht auf genügende Ausstattung mit Grund und Boden zustand. Für diese Vertheilung des Landes unter die Stammesmitglieder hatte der Häuptling Sorge zu tragen. Die Benutzung der überwiesenen Be- sitzung stand jedem wenigstens dem Grundsatze nach lebenslänglich zu. Indess scheinen auch sonst Veränderungen in der Vertheilung nicht ausgeschlossen gewesen zu sein. Nach dem Tode aber fiel das Land an den Clan zurück und wurde durch die Hand des Tanaist, als des dazu beauftragten und sachkundigen Vertreters des Clanhauptes, neu vergeben. Nur das bewegliche Vermögen eines Familienvaters wurde vererbt, und zwar unter völligem Ausschluss der Töchter von jedem Erbrechte, an alle seine Söhne zu gleichen Theilen. Dabei erbten nach der Sitte des sogenannten Gavelkind uneheliche Söhne stets gleich den ehelichen. Dem Häuptling stand ausser seiner patriarchalischen Macht- stellung die ausschliessliche Verfügung über das sogenannte Demesne- land zu, auf welches er seine Knechte ansetzen konnte. Die Mit- glieder des Clanes aber mussten seinem Aufruf zum Kriegsdienste Folge leisten, und ihm verschiedene Naturallieferungen zu seinem und seiner Gehülfen Unterhalt und zu den sonstigen Bedürfnissen des Gemeinwesens gewähren, namentlich hatten sie ihn und sein Ge- folge auf Reisen aufzunehmen und zu bewirthen. Persönliche sowie Ackerdienste waren dagegen unbekannt. — Ausser diesen, aus der Masse der gedachten Schriften als gel- tendes Recht entnommenen Grundgedanken der nationalen Clan- verfassung haben sich nach zwei Richtungen thatsäcb liehe Anhalts- punkte ergeben, welche in lebensvollen Zügen auf die ursprünglichere Gestaltung in der Zeit vor der festen Besiedelung zurückführen. 184 III. 2. Die Clanverfassung und die Ständeunterschiede. Fr. Seebohm hat für das Clanleben einen bestimmteren Vor- stellungskreis durch die Ueberlieferungen erlangt, welche sich über das häusliche Dasein der Stammesgenossen ermitteln Hessen.1) Auf dieses wirtschaftliche Leben wirft namentlich die eigentümliche Hauseinrichtung der Iren deutliches Licht. Die Iren wohnten nach den Brehon laws wenigstens für den Winter in grossen Häusern, welche eine beträchtliche Anzahl Familien gemeinsam aufnahmen. Diese Häuser wurden für die Häuptlinge, wie für die gewöhnlichen Stammesgenossen und selbst für Knechtsfamilien nach demselben Muster erbaut. Sie ruhten, wie Fig. 20 und 21 veranschaulichen, in sehr einfacher Weise auf einem Gerüst von 6 starken Säulen, welches unmittelbar das Dach trug. Es wurden 6 gerade Stämme frisch geschlagener Waldbäume von ungefähr gleicher Grösse in gleichen Abständen, je 3 in 2 Parallel- reihen, in die Erde eingelassen. Von je 2 gegenüberstehenden Für. 20. ^L B H ^ Fig. 21. Stämmen wurden die oberen Enden, oder, wie es scheint, die ge- eigneten stehengelassenen Aeste, in Spitzbogengestalt gegeneinander ge- bogen und zusammengebunden. Auf ihre Kreuzungen konnte des- halb der Firstbaum (nen bren), eine lange gerade Stange, aufgelegt werden, an welchen das grosse breite Zeltdach von Aesten, Rohr und Stroh befestigt wurde. Die den Dachbaum stützenden Stämme werden Gabeln (Gavaels) oder Säulen (nen fyrch oder colovyn) genannt. Sie bilden das Hauptschiff. Dasselbe hat zu beiden Seiten je eines der Nebenschiffe neben sich, welche durch das weite Ueberhängen des Daches gebildet und von Einfassungen aus Pfählen und Flechtwerk (bangor) abgeschlossen werden, auf denen der untere Theil des Daches ruht. In die grosse Halle zwischen den Säulen gewähren geflochtene ') Fr. Seebohm a a. 0. S. 223, 239. Vergl. Sullivans Einleitung zu O'Curry, Manners and customs of tlie ancient Irish, p. 296 u. 345. m. 2. Die Clanverfassung und die Ständeunterschiede. 185 Gitter zu beiden Enden Zutritt. Längs der beiden Nebenschiffe, also zwischen der Halle und den äusseren niedrigen Seitenwänden, liegen Binsenlager, auf denen die Bewohner schliefen. Bretter am Fuss- ende der Ruhelager zwischen den Säulen bildeten am Tage ihre Sitze. In der Mitte des Hauptschiffes zwischen den Mittelsäulen brannte auf offenem Heerde das Feuer. In den Häusern der Häuptlinge lief ein Schirm zwischen den Mittelsäulen und der Giebelwand und sonderte theilweise das obere Ende, wo der Häuptling, der aire, und die vornehmsten Angestellten ihre bestimmten Plätze hatten, von dem unteren Ende ab, wo die bescheideneren Mitglieder des Haus- haltes in genauer Ordnung folgten (Ancient laws of Wales I, p. 11). Die Strafbestimmungen der Gesetze zeigen die allgemein überein- stimmende Form der Bauweise. Denn nach diesen Festsetzungen (Ebd. p. 293) ist bei Zerstörungen an dem Hause des Häuptlings für jede Gabel (Gavael), die das Dach stützt, 40 den., für das Dach 80 den.; an dem Hause des uchelwer (des freien Genossen) für jede das Dach stützende Gabel 20 den., für das Dach 40 den.; an dem Hause eines ailt oder taeog (eines Unfreien) für jede das Dach stützende Gabel 10 den. zu büssen. An anderer Stelle (Ebd. p. 721) wird angegeben, dass am Winterhause für den Dachbaum 30 den. und für jede Gabel, die ihn stützt, 30 den. zu büssen, sowie (Ebd. p. 288, dass zu einem Sommerhause drei Dinge nothwendig seien, ein Dach- baum, tragende Gabeln und umgebende Geflechte (bangor). Von den Säulen einer königlichen Wohnung pflegte man, um ihnen ein stattlicheres Ansehen zu geben, die Rinde abzuschälen. Es hiess dann das weisse Haus (Ebd. p. 3). Auch wurden die Säulen zum Schmuck mit Metallblech bekleidet. Um zur Ruhe zu verweisen, hatte der Silentiarius eine derselben mit seinem Stabe anzuschlagen. Ueber dem Bette oder Sitze des Häuptlings erhebt sich zuweilen ein metallener Traghimmel. In seiner Hand ruht ein goldener Stab, ihm an Höhe gleich und so dick wie sein kleiner Finger. Er speist auf einem goldenen Teller, breit wie sein Gesicht, und so dick wie der Daumennagel eines Ackerers, der 7 Jahre mit dem Pfluge um- gegangen ist. Um das Haupthaus reihten sich in den zum Tyddyn (Täte) ge- hörigen Höfen, dem Kornhof und dem Viehhof eine Küche, eine Darre, eine Scheuer, ein Backhaus, ein Schweine-, ein Kälber- und ein Schaf stall. Auch standen innerhalb der Einhegung die kleineren Sommerbuden (biwrd hovedar), welche anscheinend, wie bei den Süd- slawen zu zeigen sein wird, als Schlafräume im Sommer für eine ein- 1 86 m. 2. Die Clanverfassung und die Ständeunterschiede. Keine Familie bestimmt waren, während das Haupthaus im Winter sämmtliche Haushaltsgenossen in demselben für alle berechneten Räume bei Tag und Nacht aufnahm. Diese Sommerbuden und kleineren Nebengebäude waren, wie Sullivan in der Einleitung zu O'Curry, p. 296, zeigt, oft rund mit geflochtenem Kuppeldach, wie sie Strabo [V c. 4 beschreibt. Sie dürfen hier ausser Betracht bleiben. Die Anc. laws I, p. 293 wiederholen ausdrücklich, dass im Hause des Könige und des Freien wie des Unfreien die 6 Gavaels das Dach trugen. Die runden Hütten (vgl. Anlage 28) sind ein allgemeinerer Typus, das Säulenhaus aber entsprach auch ohne Nebenräume einer eigenartigen Organisation des frühen keltischen Hirtendaseins. Auf der Einrichtung des Haupthauses liegt also das nationale Gewicht. Das Haus eines geringen Freien wird auf 27 Fuss ange- geben (Anc. laws of Irl. IV, p. 309), aber auch für das Haus eines Häuptlings macht die natürliche Länge der Hölzer eine viel grössere Ausdehnung als 40 Fuss im Geviert unmöglich. Ein solcher Raum genügte indess bei der volksthümlichen Ausnutzung, den Hausstand aufzunehmen, von welchem die Quellen sprechen. Dieser Kreis von Hausgenossen wurde nach den gwelys, den Binsenlagern in den Nebenschiffen, als ein gwellygord bezeichnet. Das Wort gwely, gwele, wele bedeutet auf walisisch ein Lager, ein Bett, und wird lateinisch mit lectus wiedergegeben. Die 4 Ein- theilungen, welche durch die 6 Gavaels in den Nebenschiffen ent- standen, übertrugen sich auch auf die Mitglieder der baile oder des Townlands, die deshalb in 4 gavaels zerfielen. Jede gavael im Hause aber theilte sich wieder in 4 randirs oder gwelys, Betten, wie sie Fig. 21 andeutet, und dasselbe war mit den Mitgliedern jeder Gavael im Townland der Fall. Noch lange nach dem Verfall des ursprüng- lichen Stammeslebens pflegte die Besitzung eines früheren Stammes- angehörigen unter seinen Nachkommen nach gavaels und weiter nach gwelys, weles oder randirs vertheilt zu werden. Es war also ersichtlich im ursprünglichen Haupt- oder Stammhause einer baile Raum für 16 Familien vorgesehen, und die dauernd festgehaltene Eintheilung der Mitglieder eines solchen gemeinschaftlichen Haushaltes, sowie des demselben zustehenden Landbesitzes, weist darauf hin, dass dieser Raum auch wirklich mit 16 Familien besetzt wurde. Da nach den Angaben aus dem 6. oder 7. Jahrhundert (o. S. 177) die baile oder das Townland je einen der 30 Untertheile jedes der 184 Clane bildete, und auf die baile damals 300 Kühe gerechnet wurden, welche in 4 Heerden in dem Lande derselben herum- schweiften, ist aus den praktischen Verhältnissen gut erklärlich, III. 2. Die Clanverfassung und die Ständeunterschiede. 187 dass diese Zahl Mitglieder für die Bedürfnisse eines solchen gemein- samen Hanshaltes unentbehrlich war, und dass dieses gemeinsame Wohnen in grossen Stammhäusern bereits der Zeit des Hirtenlebens angehört, auf dessen Zwecken es beruhte. Ein Viehstand von 300 Kühen, der die wesentliche Grundlage des Lebensunterhaltes seiner Besitzer bildet, kann nicht sich selbst überlassen bleiben. Für den Auftrieb auf die Weide, die Beaufsichtigimg und Bewachung durch Tag und Nacht, und für die Besorgung der Molkerei und der Aufzucht des Jungviehs sind bei einer solchen Heerde 16 Familien- väter nur unter Beihülfe ihrer Frauen und Angehörigen als zureichend zu erachten, wenn man noch die übrigen Anforderungen des Haus- wesens, einigen Ackerbau, Herstellung von Geräthen und Bauten, Ansprüche des Kriegs- und des Polizei- und Gerichtsdienstes, Kultus- und andere Feste in Betracht zieht. Es konnte sich also eine solche Hausgemeinschaft nicht aus einer zufälligen Zahl von Verwandten zusammensetzen, sondern der leitende Hausvater, der Häuptling, musste dafür sorgen, dass der Kreis der ihm nothwendigen Gehülfen immer vollzählig war. Er musste die entstehenden Lücken ergänzen. Andererseits konnte ohne Vergrösserung des Viehstandes und des zur Verfügung stehenden Weidegebietes auch die Zahl der Hausgenossen nicht vermehrt werden. Wenn die Bezirke der bailes also durch die Verhältnisse der Insel beschränkt waren, konnte auch das Stammhaus diese feste, dauernd auf seine 16 gwelys eingerichtete Form bewahren. Ein Ueberschuss der Bewohner über etwa 90 Köpfe musste auswärts anderweites Unter- kommen suchen. Die Theilung in 4 gavaels mochte vielleicht auch der Versorgung der 4 Heerden entsprechen. Als aber die Weidewirthschaft in festen Ackerbau überging, erklären diese Gruppen das Zerfallen des kommu- nistischen Besitzes in kleinere Ackerwirthschaften. Es entstanden auf das natürlichste auf dem Lande der baile nach den 4 Gavaels die 4 Quarters und aus den 4 gwelys der gavaels die 4 Tates, die noch in der heutigen Landeintheilung vorhanden sind. Die Theilung der Ländereien war nur das Abbild des bisherigen Wohnens, und die Bedürfnisse des Hirtendaseins und der zur Ernährung erforder- lichen Viehzucht müssen als die eigentliche und ursprüngliche Grund- lage dieser herkömmlichen Zahlenverhältnisse angesehen werden. — Als eine andere Eigenthümlichkeit dieses älteren Volksdaseins haben die Studien H. d'Arbois de Jubainville's x) ergeben, dass ') H. d'Arbois de Jubainville, Etudes sur le Senchus Mor in Nouvelle Revue historique de droit francais et etranger, Bd. V 1881, S. 1. Jgg III. 2. Die Clanverfassung und die Ständeunterschiede. innerhalb des Clanlebens in sehr charakteristischer und schroffer Weise Standesunterschiede zur Geltung kamen. Dass nicht nur der König, sondern schon der Clanhäuptling, der 30 bailes unter sich hatte, eine übermächtige Stellung einnahm, ist bekundet. Zu Reichthum und der Leitung aller Angelegenheiten kam die Sitte. Sein Haus war besonders gross und geschmückt, stand auf einem erhöhten Platz und war mit einem Rath, d. h. mit einer festen Umzäunung umgeben, welche Wall und Graben umschlossen. Sein Demesneland und die Zahl seiner angesetzten Knechte waren bedeutend. Er überliess seinen Verwandten sein überflüssiges Jung- vieh und übergab ihren Frauen seine Kinder zur Erziehung. Dagegen wurden alle heranwachsenden Söhne in sein Gefolge eingereiht. Unvermeidlich musste schon früh ein anerkannter Standesunterschied zwischen ihm und den anderen Clanmitgliedern entstehen, der sich mehr und mehr auch auf die näheren Verwandten des Häuptlings übertrug, namentlich auf diejenigen, die er als sogenannte Takesmen, als dienstleistende Gehülfen gebrauchte. Die bestimmten Nachrichten der Brehon laws führen aber auch darauf, dass die Clanverfassung trotz ihrer wesentlich sozialistischen und demokratischen Grundlagen die Begründung einer viel tiefer ein- greifenden, sehr subtil abgestuften und nicht auf Geburt sondern auf Reichthum begründeten Aristokratie nicht verhindert hat. Im Allgemeinen nennen sich die Irländer Fene. Das Wort kommt von fian = venös, Heros. Schon Ptolemaeus 1. II, c. II § 3 nennt Ovsvvtxviot, Söhne des Vennos, ein Volk in Nord-Irland. Es bedeutet aber auch fene das gewöhnliche Volk und wird den Neme, Vornehmen, und ebenso den Flaith, Reichen, gegenübergestellt. Die Neme umfassen ausser den Flaith noch die fer dana, d. h. die Priester und Rechtskundigen, Musiker, Schmiede, Zimmerer und Waffenkundigen. Ihr eigentlicher Stamm aber sind die Flaith. Flaith bedeutet Besitz von Vieh, Reichthum, dann Macht, Regierung, Souveränität. Die Abstufung dieser Klassen zeigt sich im Wergeide (Enech-laun) bei Beleidigungen. Die Flaith zerfallen in 7 Slicht (Flaith-slechta) : x) 1. Könige, und zwar Ri ruirech, Oberkönig mit 168 set (oder mittlen Stück Rindvieh) Wergeid; Ruirech, König mit 126, und Ri-tuaithe, das Haupt eines der 184 tuaths oder Clane, Gaue, civitates, mit 42 set Wergeid; ') Ancient laws of Ireland, Tom. III p. 42. III. 2. Die Clanverfassung und die Ständeunterschiede. 189 2. Aire - forgill , soll 25 Vasallen besitzen und hat 30 set Wer- geid bei Beleidigung (Aire heisst ein Erhabener, ein Erster); 3. Aire-tiusi, mit 15 Vasallen und 20 set Wergeid, dem 10 Stück Kühe gleichstehen; 4. Aire-ard, 10 Vasallen und 16 set Wergeid; 5. Air-desa, 5 Vasallen und 10 set Wergeid; 6. Bo-aire, soll 12 Kühe besitzen, hat 5 set Wergeid und ist anscheinend ein Lehnsmann; 7. Og-aire, soll 7 Kühe besitzen, hat 3 set Wergeid und ist anscheinend ebenfalls Lehnsmann. Unter diesen Klassen der Flaith stehen die Fene oder fer mid- bad , die gewöhnlichen Freien mit 1 set Wergeid. Niedriger als die Freien stehen die Taeogs, die hörigen, indess nicht zu Diensten ver- pflichteten Bauern. Sie finden sich ausschliesslich oder doch vorzugs- weise in der Hörigkeit der Häuptlinge, welche sie auf ihrem Hof- lande ansetzten. Die Stellung der Fene gegenüber den Neme war jedenfalls sehr untergeordnet. Aus den Ancient laws I, 112 ersieht man, dass, wenn ein Fene von einem Neme eine Schuld nicht bezahlt erhielt, er kein anderes Mittel hatte, als sich respektsvoll an die Thür seines Schuld- ners zu setzen und dort zu hungern, bis der Neme zahlte. Es war schicklich, dass auch der Schuldner so lange hungerte, wie der Gläubiger. Der Fene kann sich aber unter genau festgestellten Leistungen und Gegenleistungen zum Vasall eines Neme machen. Er kann entweder frei bleiben als sein Genoss, dann heisst er Soer- cele (oder Aithec, Armer), oder er kann vom Lehnsherrn sein Wer- geid (den Preis seiner Ehre) annehmen, dann wird er doer-cele, Eigener, und steht dem Sklaven nahe. Der Sklave kann gekauft und verkauft werden, er ist ganz Waare. Mug heisst der männliche Sklave, Cumal der weibliche, und in Cumal wird Wergeid ebenso bezahlt, wie in Set: 1 Cumal ist gleich 6 Set, d. h. Stück gewöhnliches Rindvieh, 1 Kuh gilt 2 Set, eine Sklavin also 3 Kühe. Innerhalb dieser ständischen Stufenleiter fehlten die Beziehungen der Verwandtschaft nicht, denn es gab verschiedene konventionelle Verwandtschaften, die nur auf Fiktion beruhten, wie Adoption. Die Stellung eines Pflegevaters zu dem Kinde, das er aufzieht, genügte, um den Gliedern ihrer beiderseitigen Familien unter einander die Ehe zu verbieten. Ebenso schaffte die Pathenschaft (gossipred) zwischen dem Pathen und dem Täufling eine geistige Verwandt- 190 m. 2. Die Clanverfassung und die Standeunterschiede. schaft und brachte dieselben Folgen mit sich, welche sie früher in der gesammten christlichen Welt hatte.1) Aber es ist doch wohl dem Einflüsse des Clangedankens zuzu- schreiben, dass die Idee des Geburtsadels den Iren ganz fremd zu sein scheint. Darüber sagt der Senchus Mor ausdrücklich:2) »Zwei Personen sind von gleichem Stande, falls sie beide das gleiche Ver- mögen besitzen« und »wer sein Vermögen verliert, verliert seinen Rang«. So wenig günstig sonst die Sittenschilderungen sind,3) scheint in Bezug auf Rang und Stand grosse Strenge geherrscht zu haben. Vergleicht man mit dieser Abstufung der Aristokratie die er- wähnte Eintheilung des Landes in 184 Tricha ceds, so ergiebt sich, dass andere Häuptlinge als solche, die an der Spitze eines dieser 184 Clane stehen, nicht genannt werden. Es werden also auch nur diese 184 Tricha ceds als wahre Clane betrachtet, obwohl Unterclane vorkommen mögen. Der Clanhäuptling aber wird als König an- gesehen, der nur einen König der 4 Reiche und den Oberkönig über sich hat. Die unter diesen 184 Clankönigen abstufenden Adels- klassen werden ebenfalls, obwohl der Reichthum der Grund ihres Ranges ist, nach der Herrschaft über 25, 15, 10 und 5 Vasallen unterschieden. Darauf folgen noch als Reiche die Besitzer von 12 Kühen und von 7 Kühen. Nimmt man das Wergeid zum Maass- stab, so müssen 5 Vasallen ungefähr 24 Kühen, 10 Vasallen 38 Kühen, 15 Vasallen 48 Kühen, 25 Vasallen 72 Kühen gleichstehen, während der Häuptling eines Tricha ceds gleich 100 Kühen anzuschlagen wäre. Diese Gedankenreihe schliesst, wie sich zeigt, jede Beziehung auf Grundbesitz aus; sie beruht noch ganz und gar auf den Zu- ständen und Besitzverhältnissen des herkömmlichen Hirtenlebens, und erhält dadurch keine andere Deutung, dass die Angaben, welche O'Curry a. a. O. Bd. III, S. 26 zusammenstellt, den Klassen des Adels auch einen näher zu erörternden Grundbesitz zusprechen. 3. Der keltische Grundbesitz und seine Bewirtschaftung. In der Ueberlieferung des 6. oder 7. Jahrhunderts (o. S. 177) über den Bestand der 184 Tricha ceds oder Clane wird mit dieser Einthei- lung des Volkes zugleich mit voller Bestimmtheit eine Eintheilung der ') Summer Maine, Lectures on the early history of Institutions (eh. III) 1875. 2) H. d'Arbois de Jubainville a.a.O. S. 13. *) Strabo IV, 5. St. Hieronymus, Adversus Jovinianum lib. II, III. 3. Der keltische Grundbesitz und seine Bewirtschaftung. 191 Insel in ebenso viele Weidereviere für die je 9000 Kühe des ein- zelnen Clanes ausgesprochen. Es ist ganz unmöglich, irgend welche Angaben oder Andeutungen in den Brehon laws über die Verhält- nisse des privaten Grundbesitzes der Clanmitglieder auf diese ältere Zeit zu beziehen. Wenn also der Clan in 30 bailes, d. h. unter einem Unter- häuptling stehende Hirtenwirthschaften von 16 Familien getheilt er- scheint, und die bailes auch Townlands hiessen, so kann diese Bezeichnung keinen andern Sinn haben, als class damit das Land im Zaun, der auf kurz oder lang eingehegte Wohnplatz für Menschen und Vieh, von dem offenen Lande unterschieden wird. Strabo (IV, 5) sagt auch von den Britanniern ausdrücklich: »Sie zäunen mit gefällten Bäumen einen geräumigen runden Platz ein, und errichten auf dem- selben Hütten für sich und ihr Vieh, aber nicht auf lange Zeit.« Zwar vermögen solche kraalartige, nur vorübergehend benutzte Wohn- plätze immerhin nur geringe Spuren zu hinterlassen. Doch finden sich die Reste von mehreren Tausenden runder Verwallungen noch gegenwärtig auf den Surveykarten verzeichnet, und sind auch auf den Anlagen 23 — 26 in verschiedenen Beispielen zu erkennen. Wenn die- selben aber für die Niederlassung von 16 Familien und für die Auf- nahme von 300 Kühen innerhalb der Verzäunung genügen sollten, mussten sie ziemlich umfangreich sein. Man wird deshalb die kleineren, auch ohne Mauern häufig sehr starken und hohen Burg- wälle den gedachten, von einem Rath umschlossenen Häuptlings- sitzen, oder überhaupt den späteren im Sinne des frühen Mittelalters in Holz ausgebauten festen Burgen zuschreiben müssen.1) ') Die Iren besassen auch schon früh in weiterem Zusammenhange Anlage 28 erwähnte Steinbauten. Die Befestigungen mit cyklopischen Mauern und die vereinzelten runden und hohen steinernen Thürme weisen in die vorchristliche Zeit zurück. Giraldus Topogr. Hibern. distr. II c. 9 und 34 erwähnt deren 65 in verschiedenen Theilen der Insel. Viel älter als diese wohlgefügten Bauten müssen die Cromleaches, die nicht seltenen und oft ausgedehnten Steinsetzungen aus unbehauenen Felsblöcken, an- genommen werden, innerhalb welcher die Brehons Recht gesprochen haben sollen. Auch sind zwar gemauerte Reste in Burgwällen nur selten, aber die merkwürdigen Duns, Caisels und Cathairs in Südirland, sowie die Schilderungen der Königsburgen Aileach in Donegal unfern der Grenze von Derry, Eamain nahe bei Armagh, Cruachan in Connaught und Themair oder Tara in Meath, welche die Annalen des Tigernach schon zum ersten Jahrhundert nennen, führen auf sehr alten fremden Einfluss hin. (Sullivan a. a. O., p. 305. — G. Petrie, Griana Aileach im Ordnance Survey of the County of Londonderry Vol. I p. 217 und History etc. of Tara Hill, Dublin 1839. — Transact. of the Kilkenny archaelog. society, jährl. — M. Stokes, Early Christ, archi- tecture in Ireland 1818.) 192 HI. 3. Der keltische Grundbesitz und seine Bewirtschaftung. Aber offenbar kann keine baile ein solches Townland, ein ver- zäuntes Lager, entbehrt haben, von dem aus die Weidewirthschaft betrieben wurde, und innerhalb dessen Umzäunungen auch wohl der nöthige Getreidebau stattfand. Im Townland wurde von den vereinten Kräften leicht das grosse Haus für die 16 Hirtenfamilien errichtet, welche gemeinsam unter dem Hausvater für die Heerde und den Haushalt sorgten. Menschen- und Viehzahl waren gegeneinander ausgeglichen. Neben den gemein- samen 300 Kühen mochten noch einige weitere Stücke im Eigenthum des einzelnen Familienvaters stehen, weil 7 oder 12 Stück den Besitzer schon zum Neme, zum Reichen, machten. Da aber 7 und selbst 12 Kühe nicht hinreichen würden, eine Familie zu erhalten, lässt sich dieser Viehbesitz nur als ein Ueberschuss über den gewöhn- lichen Antheil an der Heerde des Townlands auffassen. Der Ertrag von 300 Kühen kann nach dem Boden und Klima Irlands für 16 Familien, welche bei diesem Zusammenwohnen nur zu 5 oder 6 Köpfen angeschlagen werden dürfen, als ausreichend erachtet werden. Er würde auf den Kopf etwa 2000 Liter Milch und 120 kg Fleisch ergeben, dazu wären, abgesehen von dem Ertrage des etwa sonst gehaltenen Viehes und von Jagd und Fischerei, noch 50 kg angebautes Getreide zu rechnen. Die Erhaltung von 300 Kühen, zu denen der Bedarf einiger Reitpferde und Zugochsen hinzutritt, würde aber auf der Fläche eines Townlands, wie dieselbe sich nach den Angaben Davies und nach der Surveykarte (o. S. 175) berechnet, nicht denkbar sein, denn die gewöhnlichen kleineren Townlands enthalten nur 259,2 h Land. Die Kuh würde also auf 0,8 h Bodenfläche ihr Futter finden müssen. Wird eine Kuh, die den hier berechneten Ertrag geben soll (o. S. 146), auf 8 kg gutes und 5 kg geringes Heu täglich angeschlagen, so müsste jede Hektare durchschnittlich 5930 kg Heu im Jahre ge- währen. Dies ist zwar auf einzelnen vorzüglichen Fettweiden der Fall, der Durchschnitt des thatsächlich in den Townlands vorhan- denen Landes steht aber dagegen so weit zurück, dass auch bei hohem Anschlage das Dreifache der Fläche schwerlich für die völlige landwirthschaftliche Durchfütterung eines Stückes genügen würde. Daraus ergiebt sich, dass die gegenwärtig noch in ihren Grenzen vorgefundenen Townlands nicht als die alten Weidereviere der Hirten- zeit betrachtet werden können, sondern dass sie erst das Ergebniss der festen Besiedelung sind. Diese konnte kein andres als das inner- halb der alten Clanreviere vorhandene, zur Kultur geeignete Land in III. 3. Der keltische Grundbesitz und Beine Bewirthschafturig. 193 Betrieb nehmen, nicht das ausgedehnte Sumpf-, Moor- und Bergland. Der Umfang der alten Weidebezirke war also, da ganz Irland in die frag- lichen 184 Tricha Ceds zerfiel, vorher erheblich grösser. Von den 1493 □ Meilen, welche Irland umfasst, ist allerdings 7.5 als sehr geringes, last wüstes Land in Abzug zu bringen, immerhin aber bleibt für jedes der 184 Clangebiete eine Fläche von durchschnittlich 6,7 O Meilen oder 38 684 h zur Benutzung. Danach waren thatsächlich für jede der 9000 dem Clan zugeschriebenen Kühe 4 h an Weidefläche vor- handen. Zu guter Ernährung würde indess auch diese Fläche wegen des gebirgigen und sumpfigen Landes immer noch einen hohen durchschnittlichen Weideertrag und viele räume, schon einigermassen gepflegte Hutungen voraussetzen. Dies führt auf die Vermuthung, dass der Anschlag von 9000 Kühen für den einzelnen Clan nicht aus sehr alter, sondern erst aus der Zeit herrührt, in welcher die Nothwendigkeit , zur festen Ansiedelung überzugehen, schon nahe bevorstand. Dafür fände sich eine befriedigende Bestätigung, wenn, wie es scheint, Tricha Ced nicht anders übersetzt werden kann, als 30 Hunderte.1) Denn daraus würde hervorgehen, dass in der früheren Zeit, in der diese Bezeichnung der Clanbezirke entstand, der durch- schnittliche Heerdenbestand eines Clanes nicht auf 9000, sondern nur auf 3000 Kühe angeschlagen wurde, und sich erst mit der wachsenden Bevölkerung die Zahl der Townlands und des Viehes erhöht habe. Der alte Clan stände dann ungefähr der germanischen Hundertschaft gleich (o. S. 144 ff.), 10 bailes zählten etwa 900 Seelen. — Auch über den Uebergang zur festen Ansiedelung sind uns einige aufklärende Nachrichten erhalten. Eine irländische Handschrift von 1100 hat das vom Abte von Clanmacnois im 7. Jahrhundert verfasste »Buch von der schwarz- braunen Kuh« (Lebor na Huidre) überliefert. Dasselbe besagt, dass es bis zu den Tagen der Söhne von Aed Slane (im 7. Jahrhundert) weder einen Graben noch einen Zaun noch einen Steinwall um Grund- stücke gab, sondern Alles ebenes Land (smooth fields) war.2) Diese Bemerkung wird im liber hymnorum (einem Manuskript aus dem 11. Jahrhundert) durch die Angabe ergänzt: »Sehr zahlreich waren um diese Zeit (der Söhne Aed Slane's) die Einwohner Irlands und ihre Menge war so gross, dass sie bei der Theilung nur 3 Antheile von 9 Immaire Landes erhielten, nämlich 9 von Sumpf land, 9 von Waldland und 9 von Ackerland.« Noch heut wird im Gälischen ') Seebohm a.a.O. S. 221. 2) S. o. Seebohm S. 225; Sullivan a.a. O. S.304, Anm. übersetzt: »only level plains«. Meitzen, Siedeluug etc. I. 13 194 HI- 3. Der keltische Grundbesitz und seine Bewirthschaftung. imir oder iomair (nach Skene: Celtic Scotland III, p. 381) für ridge, Ackerstreifen von etwa 1 acre Fläche, gebraucht. Danach war also um 500 n. Chr. die Bevölkerung des Landes auf dem Punkte angelangt, dass die alte Weidewirthschaft mit geringfügigem Ackerbau zum Unterhalte nicht mehr ausreichte, sondern die Notwendigkeit er- kannt wurde, zu regelmässiger Ackerbestellung in dauernden, fest eingezäunten, also auch der allgemeinen Weide nicht mehr zugäng- lichen Kämpen überzugehen, wie sie uns noch heut überall auf den irischen Flurkarten begegnen. Da der üblich gewordene Quarter 120 acres irisch hatte und die Täte des Häuptlings einen Ueber- schuss erhielt, bilden 27 acres auch das ganz entsprechende Maass für die gewöhnliche Täte. Seebohm (S. 225) hat die Angabe des Abts von Clanmacnois allerdings anders aufgefasst. Er glaubt ihr entnehmen zu müssen, dass vor dem Auftreten der Zäune und Mauern auf dem ebenen Felde Feldgemeinschaft bestanden habe, d. h. die von ihm rundale oder Runrigsystem genannte Gemenglage der Grundstücke der ein- zelnen Besitzungen. Dieselben hätten in einzelnen immaires, also in Flächen von acre -Grösse gewannartig durcheinander gelegen. Eine solche Gestaltung der Feldlage würde völlig der entsprechen, welche, wie gezeigt wurde, überall auf dem national deutschen Gebiete ent- stand, und bis auf unsere Zeit gekommen ist. Zu dieser Meinung ist Seebohm dadurch veranlasst worden, dass sich diese gewann- förmige Auftheilung der Feldfluren mit Feldgemeinschaft, welche in jeder Beziehung, auch in ihrer strengen Hufenverfassung, mit der deutschen Besiedelungsweise übereinstimmt, in England mit Sicher- heit schon bei den Angelsachsen in weiter Verbreitimg vorfindet, und dass ihm dort einige Spuren davon auch schon aus römischer Zeit zu stammen scheinen. Ferner sind in Wales, Schottland und Irland eine Anzahl Beispiele von Feldgemeinschaft, theils auf ganzen Fluren, theils auf Almendeland, bekannt, von denen einige sogar noch neuerdings in Schlagwirthschaft mit wechselndem Besitze der Streifen in den Schlägen bewirtschaftet worden sind. Will man jedoch voraussetzen, dass vor dem uns bekannten festen Gefüge der Townlands, Quarters und Tates eine alte Felderwirth- schaft mit Gewanneintheilung bestand, so muss man vor allem fragen, welche Besitzungen es sein konnten, deren Grundstücke in dem Gemenge dieser Feldgemeinschaft gelegen hätten. Darauf lässt sich nur antworten, dass im Townland der Hirten überhaupt nur eine einzige Besitzung bestand, welche etwa 90 Personen bewohnten, und III. 3. Der keltische Grundbesitz und seine Bewirtschaftung. 195 deren nöthiges Ackerland nach der obigen Bedarfsrechnung 3 oder 4 Hektar nicht überstieg. Dies konnte in oder bei den Zäunen des Townlands bestellt werden. Aber dächte man sich auch, dass die 1 Gavaels des alten Stammhauses bereits in 4 durch Grenzen ge- sonderte Quarters auseinandergefallen wären, so musste doch nach wie vor für jeden Quarter eine Heerde von 75 Kühen Weide rinden, und die wenigen Hektar Ackerland, ob sie benachbart oder vereinzelt lagen, mussten dagegen verschwinden. Seebohm geht aber auch bei seinem Gedanken davon aus, dass die Grenzen der Townlands unter Feldgemeinschaft keine anderen, als die noch jetzt bestehenden gewesen seien. Auf diesen Townlands- gebieten war indess die Erhaltung von 300 Kühen bei Feldwirt- schaft ebenso wenig möglich, Avie bei Weidewirthschaft. Denn bei ersterer hätten auf dem einzelnen Townland wegen der Ackerbestellung, welche, wie sich erweisen wird, nur mit 8 Ochsen vor dem Pfluge landesüblich durchgeführt werden konnte, ausser den 300 Kühen und abgesehen vom Kleinvieh, ungefähr 100 Zugochsen oder Pferde gehalten werden müssen. An die Ernährung eines solchen Vieh- standes wäre gar nicht zu denken gewesen. Thatsächlich stützt sich die Interpretation Seebohms auch nur auf die Angabe, dass vorher smooth fields, round land vorhanden gewesen, dann aber ditch, fence, stonewall, also Gräben, feste Ein- friedungen und Steinwälle, entstanden seien. Dass aber smooth fields etwas anderes als die glatte freie Weidefiäche bedeuten solle, ist durch nichts angedeutet. Wenn man dem Ausdrucke eine ab- weichende Bedeutung beimessen will, müsste es vor allem darauf ankommen, ob die Uebersetzung aus dem Irischen zutreffend ist. Jedenfalls muss indess der Gegensatz zu festen Einfriedungen in dieser Bedeutung zum Ausdruck gelangen. Grade dieser Gegensatz aber ist auf die Felder der Feldgemeinschaft nicht anwendbar, denn auf diesen hat stets das in den Halmen stehende Getreide eingehegt werden müssen, weil alles andere Land, auch Brache und Stoppeln, der gemeinsamen Viehweide offen stand. Ueberall, wo Vieh und Wild zum Acker gelangen konnten, mussten gemeinsam errichtete starke Zäune (o. S. 71) vom Frühjahr bis zur Ernte sorgsam er- halten werden. Es mussten also grade bei solchen sogenannten open fields allgemein um alle Ackerfelder Zäune gestanden haben. Aus diesen Gründen ergiebt sich also keine Veranlassung, den nach der Natur des Orts und der Umstände einfachsten Gedanken abzu- weisen, dass die Weidewirthschaft in Irland bis zur Anlage der Einzel- 13* l>Mi III. 3. Der keltische Grandbesita und seine Bewirtschaftung. höfe bestanden hat, und diese Theilung, wie die Nachrichten besagen, eintrat, weil die stark angewachsene Bevölkerung dazu zwang, zum festen Anbau überzugehen. Indess lässt sich allerdings nicht verkennen, dass die einzige, obwohl doppelt gebrauchte Zeitbestimmung des Aufhörens der Weide- wirthschaft, nach den Söhnen des Aed Slane, in der Schrift des Abts von Clanmacnois und im liber hymnorum möglicherweise sagenhaft ist. Der Wandel könnte schon früher eingetreten sein. Diese Verschiebung, selbst um mehrere hundert Jahre, hätte jedoch keine andere Bedeu- tung, als dass um ebenso viel früher die agrarische Kultur durch die Iren erworben wurde, welche zur Anlage der Einzelhöfe gehörte, welche aber die Gallier schon zu Caesars Zeit besassen, und dass deshalb auch die Aristokratie der erblichen Grundherren, welche in Gallien ebenfalls zu Caesars Zeit schon allgemein bestand, eine längere Frist der Entwickelung bis zu ihrer Bekundung durch die brehon laws ge- habt hätte. Eine Notwendigkeit besteht indess weder für das eine, noch für das andere. Vielmehr hat die Durchführung der festen Ansiedelung um 600 viel grössere Wahrscheinlichkeit, als in einer früheren Periode. Denn alle älteren Berichterstatter, Caesar, Strabo, Mela sprechen nur von Weidewirthschaft. Noch Agricola hörte nach Tacit. c. 24 von einem vertriebenen, ihm befreundeten irischen Fürsten oft, dass die ganze Insel mit einer Legion erobert und behauptet werden könne. Um 250 aber erfolgte die Auswanderung der Scoten zur Eroberung des für Iren keinesweges besonders einladenden Schottlands. Etwa 360 folgten ihnen bereits Pictenschaaren, mit denen die Römer ernste Kämpfe hatten (Ammian. Marc. 26, 4 und 27, 8). Zum Jahre 480 aber berichten die Annales Ultonienses von starker Zunahme der Be- völkerung, und 500 findet die zweite sehr zahlreiche Auswanderung der Picten statt. Zu gleicher Zeit aber gewinnt das Christenthum Eingang. Es werden im Norden die ersten Klöster gegründet und verbreiten sich bis 600 beträchtlich. Sie werden so eifrige Bildungs- stätten, dass Columban schon 590 mit 12 Brüdern Missionen in Gallien, der Schweiz und Italien beginnt. Die Klöster aber wollten feste Niederlassungen mit bleibendem Anbau gründen, und forderten ausschliesslichen Landbesitz. Ein wesentlicher Theil der Kloster- bildung war auf landwirthschaftliche Kultur gerichtet. Die Mönche waren auch mit dem auf Einzelhöfen beruhenden Anbau in Gallien und dessen hoher Entwickelung durchaus bekannt. Offenbar war also die Zeit ihres grössten Einflusses bei den Königen und Haupt- III. 3. Der keltische Grundbesitz und seine Bewirtschaftung. 1 97 lingen Irlands die für einen so durchgreifenden Wechsel und dessen bedeutende Anforderungen (o. S. 154) günstigste. Weil dieser Ueber- gang zur feston Siedelung für die gleiche Bevölkerung erheblich weniger Land beanspruchte, deutet auch der Umstand, dass nach der Zeit von 500 kenne Massenaus Wanderung der Iren mehr bekundet wird, auf die Richtigkeit der Ueberlieferung hin. Da die Clanhäuptlinge über ihre Clangenossen, über die Häupt- linge aber die vier Könige und über diese der Oberkönig mit dem Beirath der Häuptlinge unbedingte väterliche Gewalt übten, konnte die einheitliche Durchführung der Landvertheilung, wenn sie Be- schluss der Landesversammlung war, keinen wesentlichen Schwierig- keiten begegnen. Die Häuptlinge befahlen über den gesammten Wirth- schaftsbetrieb so unbedingt, dass sich jeder andere fügen musste. Sie waren dabei die einzigen, welche ein entgegenstehendes Interesse haben konnten, denn alle ihre Hausgenossen gewannen, wenn die Ackerarbeit unvermeidlich war, durch dieselbe wenigstens an Selbst- ständigkeit und behaglichem häuslichen Leben. Die Anlage der Einzelhöfe schloss sich unmittelbar an die Ein- heit der im alten Clanhause zusammenwohnenden Familien, mit ihrer Scheidung in 4 Gavaels an. Das Townland erhielt nach der Boden- güte die bestimmte Landfläche, jedes derselben aber wurde als Ein- heit von 4 Quarter aufgefasst. In der Regel theilte sich der Quarter nach den 4 randirs oder gweles in 4 Tates, möglicherweise auch hier und da in 3 seisrighs. Letztere werden auch als plouglands be- zeichnet, und können, wo 6 Tates vorkommen, in je 2 Tates getheilt worden sein. Das Wesen der neuen Einrichtung spricht sich schon darin deutlich aus, dass Quarters und Tates in festen Grenzen bis auf unsere Zeit gekommen sind. Sie bildeten unveränderliche, geschlossene Landgebiete, und lassen sich darin mit den o. S. 51 gedachten, eben- falls grundherrlich angelegten Waldhufen in Deutschland vergleichen. Obwohl die Waldhufen eine gestreckte, die Tates eine abgerundete Form ihrer Planlage besitzen, sind doch die bei der Anlage ge- zogenen Abgrenzungen bekannt und unverändert, ganz gleich, ob die ursprünglich als einheitliche Landgüter gedachten Hufen vollständig parzellirt in die Hände vieler Besitzer kamen, oder ob mehrere solcher Hufen von demselben Wirthe erworben wurden. Die Wald hufen haben auch fast genau dieselbe Grösse von 32 h, wie die Tates in Monaghan und anderen ungünstigen Theilen Irlands, während die gewöhnlichen halb so grossen Tates der günstigen (98 IH- 3. r>er keltische Grundbesitz und seine Bewirtschaftung. Gegenden der Insel mit 16 h den üblichen Landhilfen Deutsch- lands entsprechen. Augenscheinlich sind ursprünglich auch die Tates, wie die deutschen Hufen als solche Landgüter gedacht, welche einer bäuer- lichen Familie ausreichenden Unterhalt sichern. Dies allein konnte den Familienvater, der bisher in einem der Randirs des Townlandes sein und der Seinigen Leben gesichert fand, zufriedenstellen. Ihm wurde nunmehr ein solches Landgut zur Bewirthschaftung zugewiesen. Damit löste sich die unhaltbar gewordene alte Weidewirthschaft auf. Der Milchviehstand des Townlands musste wesentlich beschränkt werden. Die einzelne Täte brauchte etwa 8 Zugochsen, einige Pferde und Schweine und wird deshalb nicht mehr als 4 oder 6 Kühe haben halten können. Nahrung für Menschen und Vieh musste durch Getreidebau erzielt werden. Die Häuptlinge erhielten ausser dem Demesneland bei ihrer Täte wahrscheinlich noch entfernte Berg- weiden, Wald- und Sumpfländereien, welche sie durch Knechte und Verarmte mit Rindvieh und Schafen betreiben lassen konnten. Die Hauptmasse der Clanmitglieder musste sich aber geregeltem Acker- bau zuwenden. Dass dadurch das patriarchalische Verhältniss des Hausvaters und des Clanhäuptlings zu seinen früheren Hausgenossen wesentlich verändert worden sein sollte, ist wenigstens für die älteren Zeiten nicht anzunehmen. Die Tates vertraten nur die Randirs. Wer die Randirs vergab, konnte auch die Tates vergeben. Jeder Familien- vater des Randir mag anfänglich seine Täte auf Lebenszeit erhalten haben, wie es die Clanverfassung überliefert. Die heranwachsenden Söhne blieben im Hause des Vaters, konnten sie aber beim Ableben desselben nicht durch ganze Tates befriedigt werden, so musste der Tanaist zur Theilung der Tates schreiten. Seitdem erst können alle die eigenthümlichen gleichen Anrechte der Clanmitglieder an den Grundbesitz und die gleichwohl bekundeten sehr ungleichen Zer- stückelungen desselben entstanden sein. Hierher gehören ersichtlich die Angaben O'Curry's (o. S. 190), nach denen der Og-aire und Bo- aire nur der 4. Theil eines Pfluges, erst der Bo-aire Geusa einen ganzen Pflug besitzen, und noch des Aire-desa Haus, der auf Freiland vom Grossvater her sass, nur 8 Betten hat. Ob aber die Tates früher oder später in verschiedene Theile zerlegt werden mussten, änderte den Bestand des alten Hauptgutes nicht. Da der Rang durch den persönlichen Reichthum bedingt war, und mit diesem gewonnen und verloren wurde, auch Vasallenthum und Knechtschaft wesentlich von III. 3. Der keltische Grundbesitz und seine Bewirtschaftung. 199 Schuldverhältnissen abhängig waren, der Grund und Boden aber nur in lebenslänglicher Nutzung stand, konnten dem Anscheine nach auch die verschiedenen Adels- und Hörigkeitsstufen neben dem neuen Grundbesitze und unabhängig von demselben bestehen und wechseln. Aber allerdings gaben schon die Häuptlingsfamilien selbst das Vorbild des erblichen Besitzes, und es war kaum zu vermeiden, dass es durch Reichthum und Einfluss auch anderen Mächtigen ge- Lang, mehr und mehr von dem abhängigen Kleinbesitz in ihrer Hand zu vereinigen und unter gewissen Formen dauernd festzuhalten. Nähere Anhaltspunkte für diese Entwickelung ergeben die aus Wales bekannten Verhältnisse. Wales besitzt in den leges Molmutinae ebenfalls Rechtstriaden von frühem Ursprung, und in den Venedotischen , Gwentischen und Dimetischen Gesetzbüchern Reste der Gesetze der drei alten König- reiche, in welche Wales zerfiel.'1) Diese Gesetze sind um 940 von Howel dem Guten gesammelt2) und mit seinen Rathgebern nicht ohne christlichen und römisch - rechtlichen Einfluss umgearbeitet worden. Sie sind auch erst aus Handschriften von 1300 bekannt, welche bis dahin noch Einfügungen erhalten haben. Indess behielt König Howel die alten Landeintheilungen bei. In dieser Beziehung besteht nun zwar in Wales nicht wie in den Ueberlieferungen Irlands volle Klarheit über den Bestand der ('kmbezirke, welche hier Llewyth, Cenedl oder wie es scheint auch Cantrev genannt werden. Es ist ein grosser Unterschied zwischen Nord- und Südwales. Denn nach dem Nordwalisischen Venedotian code (Anc. laws of Wal. I, p. 187) hat der cantrev, d. h. 100 trevs, 2 cyrnwd, der cymwd oder comote 12 maenols und 2 überschüssige trevs, der maenol 4 trevs, 1 trev 4 gavaels; 1 gavael 4 randirs; 1 randir 4 tyddyns oder Heimstätten, und 1 tyddyn 4 erws. Dies erw ist das moderne wälische Wort für acre, im alten Wälisch bedeutete es einen zwischen Rainen von 2 Furchen Breite liegenden Ackerstreifen von unbekannter, aber anscheinend etwas kleinerer Fläche als ein Statute acre.3) Die cymwds standen unter einem maer und einem ') Venedotia und Gwynedd, welche zur Römerzeit von den Ordovices und Silures bewohnt wurden, bilden Nordwales, Demetia ist Südwales, es wurde ebenso wie Damnonia, Westwales, zur Römerzeit von den Demetes bewohnt. 2) R. Schmid, Gesetze der Angelsachsen, 1. Aufl. 1832. Einl. § 3. 3) Der Gwentian code (Ebd. p. 769) sagt zwar: »Es waren 18 Fuss in der Ruthe Howels des Guten, und 18 solche Ruthen waren die Länge des Erw und 2 Ruthen die Breite,« aber die Fläche von etwa 1 1 ar, die sich danach berechnet, ist zu klein und muss bezweifelt werden. 200 HI- 3. Der keltische Grandbesitz und seine Bewiithschaftung. cangkellor, einem Beamten des Häuptlings, der die Gerichtsbarkeit besass. Von den 12 maenols sollte deshalb ein freier dem Maier und ein freier dem Kanzler zustehen, 6 sollten im Besitz von uchelwers oder Freien, die eine bestimmte Abgabe zahlten, stehen, und 4 sollten eingetragene mit Tafelgaben an den Häuptling belastete Wirthschaften von aillts oder taeogs sein. (Ancient laws of Wales I, p. 189). In Südwales ist die Eintheilung eine ganz andere. Es sollen hier 4 randirs im trev sein, von denen des Königs Abgabe (gwesta) zu zahlen ist (Ebd. I, p. 767), im randir aber sollen zusammen 312 erws sein, Rodeland und Heide, Wald und Feld, trockenes und feuchtes Land eingerechnet (Ebd. I, p. 769). Dabei wird in der lateinischen Uebersetzung bemerkt, dass die über 300 gezählten 12 erw im randir für Gebäude bestimmt seien (Ebd. II, 852). Seebohm a. a. 0. p. 204 nimmt von je 4 dieser 12 erw 3 für Gehöfte an. Nach den Bestim- mungen des Gwentian Code sollen nun 13 solcher trevs in jedem maenol sein, und der dreizehnte derselben ist der überzählige trev, von dem eine irische Glosse sagt, dass er ein trev des uchelwer sei »withaut an officer over it, wiihaut an officer from it.« Danach besitzt der trev, der ersichtlich dem irischen Townland von 640 — 1280 acres gleichsteht, in Südwales 1248, in Nordwales dagegen nur 256 erw eigene ihm überwiesene Ländereien. In Südwales stehen 12 trevs, im Gebirge 13, unter einem maer, erscheinen als freie trevs, und haben ihren eigenen Gerichtshof. Ausserdem aber giebt es taeog- maenols. Es waren im taeog- maenol 7 taeog-trevs, jedes trew hatte 3 randirs, und zwar 2, auf welche je 3 taeog-tyddvns kamen, während das 3. für die beiden anderen Weideland war. Es waren daher 6 taeog-stellen in jedem taeog-trev (Anc. laws of W. I. 769). Diese Unterschiede, die sich aus der Wirthschaftsweise noch erläutern werden, zeigen gleichwohl darin Uebereinstimmung, dass wenigstens für die Freien eine regelmässig von Viertheilung zu Vier- theilung fortschreitende nach Maassen festgestellte Abgrenzung der Güter im Clanbezirke ähnlich wie in Irland bestand, dass also auch hier diese festbegrenzten Landbesitzungen von etwaigen Landtheilungen unter die Clanmitglieder in ihrem Bestände nicht berührt wurden. Seebohm zeigt nun, dass die 3 wälischen Gesetzsammlungen gleichmässig Hof und Land des freien Wallisers als einen Familien- besitz darstellen. So lange als das Haupt der Familie lebte, lebten alle seine Nachkommen bei ihm, anscheinend auf demselben Hofe, falls nicht neue Wohnungen für sie daneben errichtet wurden. Jeden- falls gehörten sie sämmtlich als Glieder zum gemeinsamen Haushalt, III. 3. Der keltische Grundbesitz und seine Bewirthschaftung. 201 an dessen Spitze er stand (Anc. laws of W. I, p. 81). Starb ein freier Stammesgenosse, das Haupt eines Haushaltes, so wurde sein Besitz- thum nicht getheilt, sondern während drei Menschenleben von seinen Erben gemeinsam besessen. Es führte den Namen: das Grundstück der Erben des N. N. An diesen Gemeinbesitz hatten die Söhne gleiches Anrecht; jedoch blieb der jüngste Sohn im alten Hause wohnen, und seine Brüder erhielten andere tyddyns auf dem Familien- lande. Sämmtliche Söhne aber besassen gleiche Rechte an den Aeckern und Weiden der Besitzung und hatten gleiche Antheile des Familiengutes inne. Wenn alle Brüder gestorben waren, fand, falls es gewünscht wurde, eine Wiedervertheilung statt, um die Miterben, die nunmehr Vettern ersten Grades waren, gleichzustellen. Nach dem Tode der Vettern ersten Grades konnte nochmals eine Verthei- lung stattfinden, um die Miterben gleichzustellen, die jetzt Vettern im zweiten Grade waren. Hiermit aber hörte das Erbrecht auf. Der Vetter zweiten Grades begann also mit seinen Grundstücken eine neue Besitzerreihe, die bis zu seinen Urenkeln reichte. Starb Jemand ohne Leibeserben, und fanden sich keine Verwandten innerhalb der obigen Grade, so fiel das Grundstück an den Häuptling, als den Vertreter des Stammes, zurück. Den Urgrossvater pflegte man dem- nach als den gemeinsamen Ahnen zu betrachten, und seinen Namen führte das Grundstück, welches seine Urenkel gemeinsam inne hatten. Das Familienband verknüpfte diese mit dem Urgrossvater; allein bis auf die weitere Nachkommenschaft reichte es nicht hinab (Venedotian Code II c. 12: The laws of Brothers for land, Anc. laws I, p. 167, vergl. Ebd. II, p. 291 und 687). Es ist klar, dass auf diese Weise Familien- erbrecht an den bestehenden Gütern statt der nur lebenslänglichen Nutzniessung des alten Clanlandes getreten war. Was aber in Wales Gesetz werden konnte, ist in Irland sicher in häufiger Uebung gewesen. Die entstehende Erblichkeit entsprach durchaus dem natürlichen Gange der Entwickelung. Es giebt aber auch in den irischen Gesetzen Hinweisungen auf ähnliche Verhält- nisse. Denn sie sprechen den Grundsatz aus, die fines (d. h. die Familien) erhalten sich selbst. Sie bilden eine geschlossene Einheit nach aussen hin, ihr Grundeigentum ist zwar vertheilt, aber jeder zeitweilige Besitzer eines solchen Grundstückes ist den Seinigen da- für verantwortlich. Er darf es nie verkaufen, verheimlichen, weg- geben oder Bussen oder Schulden damit bezahlen.1) ', Henry Summer Maine, Lecturcs on the early history of institutions. London 1875. 202 HI- 4. Dauernder Einfluss der Clanverfassung. 4. Dauernder Einfluss der Clanverfassung. Trotz des durch das Eindringen der Erblichkeit unvermeidlichen Verfalles der Clanverfassung erhielt sich doch eine bleibende Nach- wirkung derselben. Nachdrückliche Ansprüche auf Betheiligung am Clanlande waren auch in späterer Zeit Seitens der Clanhäuptlinge anscheinend immer noch ohne besondere Schwierigkeiten zu befriedigen. Der für den Anbau geeigneteste Theil des Landes war zwar vertheilt. Berechnet man aber nach den durch die Surveykarten verbürgten Flächen- angaben den fest gewordenen Grundbesitz, so zeigt sich wie grosse Strecken Landes noch vorhanden waren, aus denen die nöthigen Grundstücke an Berechtigte abgegeben werden konnten. Es scheint dies nöthigen Falls durch Ausweisung neuer Townlands auf bisher nicht kultivirtem Boden geschehen zu sein. Denn nach den Angaben für das 7. Jahrhundert bestanden damals 5520 Townlands zu je 4 Quarters und diese enthielten zu je 4 oder 6 Tates zusammen un- gefähr 10 000 beackerte Heimstätten. Das Areal der Heimstätte betrug in der Regel 30 acres, in einigen Gegenden wie in Monaghan aber 60. Werden letztere zum 4. Theile angeschlagen, so umfassen die damals bestehenden Heimstätten ein Areal von 3 750 000 irischen oder 5 000 000 Statute acres. Davon wäre nach der Angabe der alten Ueberlieferung Vs auf Ackerland zu rechnen. Gegenwärtig werden 6 Mill. acres Ackerland in Irland gezählt. Es ist nicht unange- messen, dass davon im 7. Jahrhundert nur 1660 000 bebaut waren, aber das Verhältniss zeigt, dass neben den Ländereien der damals vorhandenen Tates noch zahlreiche ähnliche Heimstätten auf kultur- fähigem Boden vergeben werden konnten. Dies ist auch in der That geschehen, denn die Zahl der Town- lands war bis 1598 von 5520 auf 6814 angewachsen. Es waren also 20 704 Tates mit mindestens 800000 Statute acres Land mehr angesiedelt. Daneben hatten aber die Häuptlinge Gelegenheit gehabt, in weniger strenger Form auf ihrem Demesneland taeogs und sonstige Anbauer anzusetzen, und es stand ihnen sicher frei, auch auf anderem unvergebenen Lande solche Ansiedelungen zu gestatten. Wenigstens erfahren wir für Schottland noch aus dem Jahre 1746, bis zu welchem die schottischen Clane fortbestanden, dass dort der einzelne Clanberechtigte, obgleich er von den Häuptlingen als ein Höriger betrachtet wurde, dennoch für seine Person frei war, und III. 4. Dauernder Einflues der Clanverfassung. 203 mit seinem beweglichen Eigenthum auswandern konnte. Er besass eine Steinhütte und ein mit einem Steinwall umgebenes Stück Land und leistete dafür einige Dienste und Abgaben an Fellen, Federn, gedörrten Fischen, Schafen und ähnliches. Dafür konnte er seine Wohnung im Clan aufschlagen, wo es ihm anstand, und Fischerei, Jagd, Weide oder Forstnutzung war ihm überall erlaubt.1) Je früher hinauf desto sicherer ist dieser Kreis von Berechtigungen der Clan- mitglieder auch für Irland anzunehmen. Zu solcher Lebensweise war neben dem den Tates zugewiesenen Lande noch Raum genug. Es geht aber auch aus Anc. laws of Irl. I, p. 152 hervor, dass mindestens im 11. Jahrhundert sich in Irland bereits eine Art Pacht - verhältniss für die Clanmitglieder auf dem vom Häuptling zu ver- gebenden Lande eingeführt hatte.2) Es heisst dort: »Die 3 Renten sind rackrent, von einer Person eines fremden Clans, fair rent, von einer aus dem Clan, und stipulated rent, welche in gleicher Weise von Mitgliedern des eigenen wie des fremden Clans gezahlt wird.« Es war also genügend Land vorhanden, um auch Pächter aus anderen Clanen aufzunehmen, und es konnten mit diesen wie mit den Mitgliedern des eigenen Clans beliebige Abkommen über die zu zahlende Rente getroffen werden. Als Regel aber scheint das Mit- glied des eigenen Clans das Vorzugsrecht ausgeübt zu haben, Pacht- land gegen fair rent zu beanspruchen, d. h. gegen eine billige und massige, eine niedrigere als die rackrent. Unter rackrent aber wurde nach Seebohms Meinung3) eine Rente verstanden, welche gegen den vollen Ertrag abgemessen, dem Pächter nach Abzug der Auslagen und Kosten nur einen der üblichen Lebensweise angepassten Ver- dienst übrig zu lassen vermag. Die fair rent sollte also dem Clan- mitgliede im Verhältniss zur Pacht günstigere Lebensbedingungen gewähren. Thatsächlich waren somit im Clan zwar feste nach Erbrecht theilbare, den wohlhabenden Familien gehörige Besitzungen entstanden, das diesen nicht überwiesene gemeinschaftliche Land des Clans aber wurde vom Häuptling, der ja auch nach der ältesten volkstümlichen Auffassung die Vertheilung wie ein Patriarch nach Ermessen vor- zunehmen befugt war, an Ansuchende gegen Renten überlassen, bei denen am wahrscheinlichsten die herkömmlichen Leistungen der Clan- ') Skene, Celtic Scotland, Th. III, p. 155. *) Henry Summer Maine Village Communities. London 1871, S. 186. 3) The historical Claims of tenant right. The Nineteenth Century, monthly review. Jan. 1881. •J04 TU. 4. Dauernder Einfluss der Clanverfassung. mitglieder den Maasstab gaben. Die Pacht hatte also grosse Aehnlichkeit mit der von Alters her üblichen Ansthimng des Hoflandes des Häupt- lings an Taeogs und andere Schützlinge. Der Häuptling trat aber durch sie immer mehr in die Stellung des Grund- und Gutsherrn über das Clanland. — Ob dabei die nominelle Unterwerfung Irlands durch Heinrich IL 1169— 1170 einen Einfluss geübt hat, kann dahin gestellt bleiben. Der unmittelbare Besitz des englischen Königs erstreckte sich nur über Leinster, Meath und Waterford mit der Küste von da bis Dungervan. Hier wurde das normannische Lehnssystem durchgeführt. Aber im öffentlichen Staatsrecht galten auch die anderen Häuptlinge der Krone gegenüber als Vasallen und Lehnsträger des gesammten Clanlandes, worin sie später ein Gesetz von 1570 ausdrücklich bestätigte. Die Kämpfe unter Heinrich VIII., Maria und Elisabeth, welche Anfangs den Charakter politischer Fehden hatten, mehr und mehr aber zu Religionskriegen wurden und bis zur Vernichtung ganzer Clane führten, haben die Beziehungen der Häuptlinge zu den Clan- mitgliedern, die ihre Mannschaft bildeten, jedenfalls enger geknüpft und die Häuptlinge veranlasst, den volksthümlichen Anschauungen und Ansprüchen möglichst wenig entgegenzutreten. Auch mochten die mörderischen Feldzüge so viele Besitzungen wüst und erblos machen, dass das Recht auf Verleihung wieder häufig zur Ausübung kommen konnte. Daraus erklärt sich wahrscheinlich, dass in Sir John Davies Berichten die Erinnerungen an das Clanrecht mehr hervortreten, als sich in den Thatsachen selbst, die er mittheilt, ausgesprochen findet. Diese Thatsachen zeigen im Wesentlichen nur die augen- scheinlichen Folgen der erbrechtlichen, nicht der clanrechtlichen Thei- lung- der Besitzungen. Davies aber sagt gleichwohl: »Nachdem irischen Herkommen des gavelkind waren die geringeren Güter (the inferior tenancies) unter alle Männer des Sept theilbar, und wenn nach voll- zogener Vertheilung ein Angehöriger des Sept starb, so fiel sein Antheil nicht an seine Söhne, sondern das Haupt des Sept veran- staltete eine neue Vertheilung aller Ländereien, die jenem Sept an- gehörten, und gab jedem seinen Antheil nach seiner Anciennität (antiquity).« Er meint auch: »dass in der Unsicherheit des Besitzes die wahre Ursache der trostlosen Wirthschaft und der Barbarei in diesem Lande zu suchen sei.« Andererseits berichtet er, »dass bei seinen Feststellungen des Besitzstandes einige Schriftkundige oder Gelehrte, die er zugezogen, alle Septs und Familien der Gegend, und III. 4. Dauernder Einlluss der Clanverfassung. 205 alle ihre Abzweigungen, und die Würde eines jeden Sept im Ver- gleich zu den übrigen, gekannt hätten, auch welche Familien oder Personen Oberhaupt eines Sept sind, und welche andere ihnen zu- nächst folgen, und welche dritten Ranges sind u. s. w. bis zum allergeringsten Manne. Sie hätten es sogar unternommen, anzugeben, wie viel Land ein jeder Mann nach dem Herkommen ihres Landes besitzen solle, welches eine Art Gavelkind ist. Dieser Einrichtung wegen seien, da die Septs oder Familien sich vermehrten, ihre Be- sitzungen von Zeit zu Zeit vertheilt und wieder vertheilt und in so viele kleine Stücke zerlegt worden, dass fast ein jeder Morgen Landes seinen eigenen Besitzer hat, der sich »Herr« nennt, und seinen Antheil als sein Land (his country) bezeichnet. Nichts desto weniger gebe es Häupt- linge für jeden Sept, und gewisse Dienste, Pflichten und Domainen, die immer auf das Oberhaupt (Tanaist) des Septs übergingen und nie der Vertheilung unterlägen.« (Seebohm, engl, village com. p. 218.) Als 1606 ein Sept der Grahams unter dem Häuptling Walter, dem Gude man von Hetherby, Störungen an der schottischen Grenze verursachte, wurde der ganze Clan aus Cumberland nach der irischen Grafschaft Roscommon hinüber verpflanzt. Die Verfügung zeigt, dass er aus 124 Personen bestand, die fast alle den Zunamen Graham führten. Sie zerfielen in Familien, von denen 17 als Besitzer von 20 Lstr. und mehr verzeichnet sind, 4 von 10 Lstr. und mehr, 6 als ärmere und 6 als Unvermögende, während als Abhängige 4 Diener Namens Graham und sonst noch ein Anhang von etwa 12 Leuten angeführt werden. In Roscommon erhielt nur jeder vornehmere Hausstand ein Quarter Landes im Umfange von 120 acres ange- wiesen, die andern nach Verhältniss weniger (Seebohm, ebd. p. 220). Auch diese Verschiedenheiten hätten gar nicht entstehen können, wenn nicht an die Stelle der alten gleichmässigen Vertheilung der Ländereien an alle Clanmitglieder, abgesehen vom Häuptlinge, längst für einen sehr grossen Theil der Besitzungen die familienrechtliche Vererbung eingetreten gewesen wäre, welche den ärmeren Clanmit- gliedern wenn nicht unmöglich, so doch wenig erfolgreich erscheinen Hess, auf Ausweisung von Antheilen an dem übrigen Lande zu bestehen. Dabei kann gleichwohl, vielleicht auch verschieden in den ver- schiedenen Clanen, die Gefahr, ihren Besitz durch Einwilligung des Häuptlings in neue Theilungen zu verlieren, über einer grösseren oder kleineren Anzahl der Insassen geschwebt haben. Jedenfalls waren alle gegen Rente überlassenen Ländereien kein fester Besitz. — 206 III. 4. Dauernder Einfluss der Clanverfassung. Sir John Davies zeigt durchaus richtige Erkenntniss der wahren Be- dürfnisse der Bevölkerung. Schon 1605 hoben in seinem Sinne obere richterliche Entscheidungen den Heimfall der Grundstücke beim Tode des Besitzers und die neue Vertheilung des Landes nach dem Ermessen des Tanaist, das sogenannte Tanistry- System, als überall ungültig auf und erklärten den Grundsatz, dass das von dem Einzelnen be- sessene Land fortan sein freies vererbliches Eigenthum sei. Zugleich wurde das »fälschlich« Gavelkind genannte gleiche Erbrecht der un- ehelichen Söhne beseitigt. Auch die damaligen acts of settlement, durch welche ausgedehnte Landstriche, deren Häuptlinge vertrieben worden waren, an englische Grosse und Korporationen zur Besiede- lung überlassen wurden, schrieben eine angemessene Ueberweisung der Ländereien an Ansiedler zu Eigenthum vor. Jacob I. Absichten waren die besten und eines Königs von Eng- land würdig. Er wollte die gewaltthätige Macht der irischen Häupt- linge brechen, und dem Einzelnen aus dem Volke die Freiheit des Engländers geben. Aber leider verkehrten sich diese Ideen in ihr Gegentheil. Die persönliche Freiheit wurde allerdings erreicht. Aber sie blieb eine Vogelfreiheit, denn die Gewährung von Eigen- thums scheiterte völlig. Es ist traurig, aber erklärlich, dass dieses Mittel, welches Irland vielleicht als ein glückliches Land auf unsere Zeit gebracht hätte, von allen Seiten Widerstand fand. Die Häupt- linge, Landlords und Ansiedelungsgesellschaften verfochten ihr mög- lichst unbeschränktes Verfügungsrecht über das Land , das Volk empörte sich wegen der Neuerung, welche gegen die herkömmlichen Anschauungen und die wenn auch imaginären Anwartsrechte ver- stiess, die Richter aber sahen in ihr ein Unrecht und waren über- dies gefährlichen Bedrohungen ausgesetzt. Es fand sich kein Ge- richtshof, der die Anordnungen ins Leben führte. Je mehr in allen nachfolgenden Wirren bis unter Cromwell und Wilhelm v. Oranien der irische Adel niedergeworfen und durch englischen ersetzt wurde, desto mehr breitete sich das Verhältniss des Landlords als Grundherr des Bodens, und des Landvolks als Pächter im Sinne der gedachten Rentenvertragspflicht aus, und bildete schliesslich die fast allein herrschende Form des Besitzes. Dabei wurde die Härte dieser Umgestaltung allerdings nur allmählich, in ihrer vollen Unerträglichkeit eigentlich erst im Laufe unseres Jahr- hunderts fühlbar. Im Norden Irlands war die Provinz Ulster schon von Jacob I. mit schottischen Bauern besiedelt worden, welche die Forderung der III. 5. Das Runrigsystem und das Zusammenpflügen. 207 fair rent weiter zum sogenannten Ulster Custom entwickelten und denselben mit zähem, oft blutigem Widerstände bis zur Gegenwart festhielten. Sein Inhalt ist, dass zwar die fair rent nach Umständen gesteigert werden kann, gleichwohl aber ein Recht auf fixity of tenure oder fix rent besteht, d. h. die Pacht ist dauernd, nur an die Bedingung der Zahlung der fair rent in den Jahren, die einen Ernteertrag liefern, geknüpft. Nur wer, obgleich er aus der Ernte eine Ein- nahme gehabt hat, die Pacht nicht zahlt, darf entsetzt werden, in- dess hat der Landlord auch in letzterem Fall niemals das Recht, ihn ohne Entschädigung auszutreiben, vielmehr ist die Pachtung auch free, der nachfolgende Tenant muss dem fortgehenden die Farm ab- kaufen, d. h. eine nach der Gegend und Zeit wechselnde Abstands- summe leisten, dann erst ist nach Ulster Custom oder Tenant right verfahren . x) Diese Rechte bilden die sogenannten 3 F, welche das übrige Irland vergeblich erstrebt hat. Ausserhalb Ulster hat sich mit wenigen Ausnahmen überall die Jahreszeitpacht mit um so verderblicheren Folgen verbreitet, weil nach englischem Pachtrecht nur der Grund und Boden Gegenstand der Pacht ist, der Pächter Inventar und Gebäude selbst beschaffen muss, und nach Ablauf der Pacht nur wieder fort- nehmen kann, dabei auch auf eine Entschädigung für ausgeführte Verbesserungen kein Rechtsanspruch bestand. Dies war im Wesentlichen der Zustand der agrarischen Ver- hältnisse, welcher sich aus der alten nationalen Clanverfassung, wie sich gezeigt hat, nicht durch einen fremden, von Aussen wirkenden Einfluss, vielmehr mit einer gewissen Nothwendigkeit aus ihrem inneren Gegensatze zu den Ansprüchen des Individuums entwickelte. Diese Ansprüche mussten sich unvermeidlich mit der fortschreitenden Kultur geltend machen, sobald auch nur Einzelnen, wie den Häupt- lingen oder dem reich gewordenen Adel, die Macht zu Gebot stand, sie zu verwirklichen. 5. Das Runrigsystem und das Zusammenpflügen. Nach dem gewonnenen Ueberblicke lassen für Irland, wie für Wales, die thatsächlichen Anzeichen und Ueberlieferungen und die wirtschaftlichen Gründe nur den Schluss zu, dass vor dem allgemein verbreiteten System umzäunter Feldkämpe und geschlossener Land- ') Henry Dix Hutton, handybook of farm Tenure and Purchase under the Land- lord and Tenant (Ireland) Act. 1870, Dublin 1872 p. 8. •_'< (8 III. 5. Das Runrigeystem und das Zusamraenpflttgen. eintheilung in Townlands, Quarters und Tates nicht eine anders ein- gerichtete Feldeintheilung, sondern nur allgemeine Weidewirthschaft mit geringem sporadischem Anbau bestanden hat, und unter allen Umständen muss seitdem jede Art des Besitzes und des Wirthschafts- betriebes innerhalb der Townlands der Feldeintheilung in feste ver- zäunte Kämpe untergeordnet, oder doch nicht im Widerspruche mit ihr gewesen sein. Gleichwohl sind in beiden Ländern und ähnlich auch in Schott- land agrarische Einrichtungen bekannt, welche mit dem obersten Grandsatze der Einzelhofwirthsehaft, der Unabhängigkeit ihres Be- triebes von den Nachbarhöfen, in unvereinbarem Gegensatz zu stehen scheinen. Es werden Beispiele unzweifelhafter Feldgemeinschaft be- kundet und in nachgewiesenen Fällen solche gemeinsame Ländereien auch zu periodischem Nutzungswechsel unter den Betheiligten ver- lorst. Diese Erscheinungen werden als das Runrigsystem oder als runrig oder rundale bezeichnet. Es fragt sich, wo ihr Ursprung zu suchen, und ob in ihnen ein Rest alten volkstümlichen Gemein- besitzes zu sehen ist. Unter Ridge oder rig versteht man, wie o. S. 194 zeigt, ein Ackerstück von etwa 1 acre Fläche. Ein irish acre, ein Statute acre oder ein erw wird ein ridge, wenn er in geringer Breite und verhältniss- mässig grosser Länge abgemessen wird. Ein Statute acre umfasst 160 Droods, er zerfällt aber auch in 4 roods. Dies erweist, dass die übliche Weise ihn im Felde abzustecken dahin geht, einen Streifen von 4 roods Breite, deshalb also von 40 roods Länge, als acre auf- zumessen. Er enthält dann 160 G roods und zerfällt, wenn der Breite nach je eine Ruthe abgemessen wird, in 4 Viertel. Ein Acker in dieser Form ist ein ridge oder rig. Er bleibt dies aber Avegen seiner Gestalt, auch wenn der Streifen nur einen halben Acker enthält. Runrigsystem bedeutet nun eine Ackereintheilung, welche aus solchen Streifen besteht, dem Begriffe nach wird aber dafür weiter gefordert, dass diese Streifen einem laufenden Besitz- wechsel unterliegen, so dass sie jährlich oder in mehrjährigen Perioden einem anderen Besitzer zum Anbau zufallen. Dass solcher Anbau in Irland vorkommt, ergiebt sich aus einigen in allen Einzelheiten festgestellten Beispielen. G. L. Gomme (The Athenaeum Jahrg. 1883 I, p. 278) berichtet. »Die von Richard I. zur Stadt erhobene Gemeinde Keils (8 geog. Meil. NW. von Dublin) in der Grafschaft Meatb besitzt 312 acres, welche in 6 Schläge getheilt sind, und folgendermaassen benützt werden. Die III. 5. Das Runrigsystem und das Zusammenpflügen. 209 Schläge werden einer nach dem andern in bestimmter Reihenfolge um- gepflügt und während 4 Jahren bestellt. Vor dem Umpflügen begeben sich die Stadträthe mit einem Landmesser hinaus, und das Feld wird in gleiche Antheile zerlegt, je nach der Anzahl von ortsansässigen Mitgliedern der Körperschaft. Jeder Freie (resident freeman) erhält einen Antheil, jeder Bürgermeister zwei Antheile und der Bezirks- amtmann fünf. Ein Stück des Feldes, gewöhnlich 5 — 6 acres wird zum Verpachten abgesondert, der Pachtzins dafür dient zur Be- zahlung der Zehnten und Steuern für das Ganze. Die Antheils- besitzer behalten ihre Antheile 4 Jahre für sich und bebauen sie nach Belieben. Am Schlüsse des 4. Jahres wird das Feld wieder Weideland, und es wiederholt sich alsdann der nämliche Vorgang der Theilung auf einem anderen Schlage. Inzwischen werden die übrigen 5 Felder abgeweidet. In das Weiderecht theilen sich die Mitglieder der Bürgerschaft gerade so wie in das Ackerland, d. h. für jede 2 Stück Vieh des Bürgermeisters, oder für jedes Stück Vieh des Einzelbürgers darf der deputy sovereign 5 Stück Vieh (bolls genannt) weiden lassen, nur dass die Wittwe eines Bürgermeisters gleichen Anspruch hat, wie ein Bürger, eine Bürgerswittwe halb so viel. An dem Ackerland haben letztere keinen Antheil.« Ein anderes Beispiel führt Summer Maine (in Village commu- nities in East and West S. 95) aus dem Flecken Lauder in der Grafschaft Berwick in Schottland an, der zu dem von Eduard I. er- bauten Schlosse Thirlestane, dem Stamm schloss der Grafen von Lau- derdale gehört. Nach dem Return of Boroughs or Cities in the United Kingdom possessing common Land (Appendix I, House of commons Aug. 10, 1870) waren dort innerhalb der Grenzen des Königlichen Bezirkes des Burgfleckens von Lauder 105 besondere Grundstücke, genannt Bürgeräcker. »Dieselben schwankten in ihrer Grösse von 172 acres zu 37a acres. Ueber jeden dieser Aecker gab es eine fortlaufende Buchführung, und diese »acres« waren das pri- vate und unbeschränkte Eigenthum des einzelnen Besitzers. Niemand wurde bis jetzt als Bürger des Fleckens zugelassen, der nicht Eigen- thümer eines dieser Bürgeräcker war. Der Landbesitz des Fleckens aber bestand aus dem Lauder Common, welches gegen 1700 acres enthielt, und welches, soweit die Erinnerung reicht, als Gemeingut besessen wurde. Ein Theil desselben war dazu bestimmt, periodisch, etwa ein- mal in fünf oder sieben Jahren umgebrochen und während dieser Zeit gepflügt zu werden, am Ende dieser bestimmten Zeit aber wieder in Gras und Weide mit dem anderen Lande liegen zu bleiben. Dann Meitzen, Siedelong etc. I. 14 210 III. 5 Das Runrigsvstem und das Zusammenpflügen. winde in derselben Weise ein anderer Theil der Gemeinheit aufge- brochen und gepflügt , und lag darauf wieder in Gras. Der so auf Zeit unigebrochene und beackerte Theil der Gemeinheit hatte neuer- dings ungefähr 130 acres Fläche. Bei der Verloosung dieses Stückes des Gemeinlandes wurde jedem Besitzer eines der 105 Bürgeräcker, sei es dass er ein Bürger des Fleckens war oder nicht, auf jeden dieser Aecker ein Loos zugewiesen. Das zur Kultur ausgesetzte Stück wurde zunächst in die Zahl der erforderlichen Loostheile ein- getheilt und der Antheil jeder Person durch das Loos festgestellt. Die Bedingung, welche an die Uebernahme eines solchen Grund- stücks geknüpft war, war Einwilligung in ein vom Stadtrathe vor- geschriebenes System des Anbaues und Zahlung einer kleinen Bei- steuer, welche in der Regel grade genügte, den Flecken für die auf Wege, Gräben u. dgl. zur Erhöhung des Anbauwerthes gemachten Ausgaben zu entschädigen. Diese Loose sind »hill parts« genannt worden, und der durchschnittliche Werth eines jeden ist 1 Lstr. für das Jahr. Der gesammte Rest des Gemeindelandes wurde als Hutung benutzt, und folgendermaassen gebraucht : Jeder Bürger, der im Flecken wohnhaft ist, weidet im Gemeinland 2 Kühe oder entsprechendes Vieh und eine gewisse Zahl Schafe, gegenwärtig und für einige Jahre 15; und jede Wittwe eines Bürgers, die im Flecken wohnt, weidet im Gemeinland eine Kuh oder entsprechendes Vieh und eine gewisse Zahl Schafe, gegenwärtig und für einige Jahre 12.« Neuerdings ist noch ein Beispiel solcher periodischer Neuloosungen aus Schottland bekannt geworden. In: More leaves from the Journal of a life in the highlands from 1862—1882 (London 1884) wird p. 303 erzählt: Achnagoul und Achindrain bei Inverary sind zwei Hoch- landsdörfer, in denen alle Häuser aneinandergeschlossen gebaut sind, und wo bis zum Jahre 1847 der alte Gebrauch noch bestanden hat, dass die Auftheilung, in welche das Ackerland zerfiel, alljährlich im Wege der Verloosung stattfand. Zu jener Zeit waren in Achnagoul 16 Familien, und jede derselben bebaute vielleicht 20 verschiedene Parzellen Ackerland, eine von der andern getrennt. Das Ackerland wurde, nachdem die Familien mit vielen Schwierigkeiten dazu über- redet wurden, 1847 verkoppelt, so dass die Pachtungen jetzt nach besseren Systemen bebaut werden können, das Dorf aber blieb, wie es gewesen, und ist eines der wenigen dieser Art, die noch in den Hochlanden übrig blieben. Man sagt, dass nur noch Achindrain ebenso liegt. Die Einwohner sind sehr exklusiv und verheirathen sich hartnäckig nur unter sich aus ihren eigenen zwei Ortschaften.« III. 5. Das Runrigsystem und das Zusammenpflügen. 211 Ele haben sich in den Hochlanden auch noch viele Stücke von Weiden und Hügelland, welche gemeinsam von mehreren Crofters be- nutzt werden, erhalten. Unter Croft versteht man ein eingezäuntes, als Bauland oder Weide dienendes, in der Nähe eines Hauses liegendes Grundstück (die Koppel oder den Kamp). Crofter sind Besitzer kleiner Stellen von Haus und Gärtchen. Insbesondere hat Skene1) ein lebendiges Bild von einzelnen solcher ackerbauenden Ge- nossenschaften gegeben, die dort nach dem Runrigsystem wirt- schaften und gemeinsame Weide haben. Namentlich sind nach Skene unter den Crofters der Westküste Schottlands manche Bei- spiele einer gewissen Art von Almende oder Gemeinheit anzutreffen, wo selbst auf Ländereien, die erst in der neuesten Zeit gepachtet worden sind, die Methode des Runrigsystems mehr oder weniger angewendet wird. Aber auch für Irland erklärt Summer Maine, dass dort noch heut das Rundalsystem auf Wiesengründen bestehe, die von einer Gruppe von Familien gemeinschaftlich besessen, und deren einzelne Stücke unter ihren Besitzern regelmässig, zum Theil jährlich wechseln, ein System, welches sich vor 50 Jahren auch noch auf Aecker er- streckt habe. Mit solchen zweifellosen Fällen des Runrigsystem verbindet Seebohm noch eine andere eigenthümliche und sehr alte Erscheinung, das sogenannte Zusammenpflügen , das in Wales mit cyvar be- zeichnet wird. In den dem Dyvnmal Moelmud zugeschriebenen Triaden heisst es: Freigeborene Wralliser sind durch 3 Bänder zu einer Gemeinschaft verbunden, durch cyvnawdd (Gemeinwehr), cyvar (Zusammenpflügen) und chyvraith (gleiches Gesetz) (Ancient laws of Wales II, p. 491). An anderer Stelle heisst es: Jeder Freie ist zu dreierlei Dingen be- rechtigt, zu 5 erw, zur gemeinsamen Urbarmachung des unbebauten Landes (cyvar gobaith) und zur Jagd (Ebd. p. 517). Das Alter dieser Triaden ist zwar sehr zweifelhaft, manche sind gewiss sehr alt, manche ziemlich jung. Sie sind nur in einer Ab- schrift von frühestens 1429 erhalten. Aber gleichwohl dürften die vorstehenden ein altes Zeugnis enthalten. Der Venedotian code giebt nun darüber die nähere, sehr anschau- liche Erklärung. Er zeigt in Buch IH, cap. XXIV2), dass es sich, ') Celtic Scotland III, eh. 10. Vgl. James Loch, Account of Improvements on the Estate of Sutherland, London 1820. 2; Ancient law of Wales I p. 315 ff. Vergl. Seebohm S. 120 ff. 14* 212 Ett 5. Das Runrigsystem und das Zusammenpflügen. wie auch die Triade andeutet, um eine Art Gesellschaftsvertrag über das Pflügen des in Wales ebenso wie in Irland und einem grossen Theile von England sehr schweren Ackers handelt. Die Pflugarbeit erfordert namentlich bei Neubruch von Grasland sehr starke Pflüge und höchst kräftiges Gespann. Es ist üblich, mit 8 Ochsen zu pflügen, von denen je 4 neben einander in ein Joch gespannt werden. Des- halb ist allerdings erklärlich, dass nicht jeder Bauer einen Pflug und so viel Zugvieh besass, und dass man an gegenseitige Hülfe denken musste. Die daraus erwachsenden Vertragsverhältnisse sucht nun das Gesetz ersichtlich nach der Richtung zu ordnen und zu schützen, dass sie bindend und unstreitig wurden und wirklich den Zweck der Beendigung der Pflugarbeiten erreichten. Es sagt also: »1. Wer immer eingehen wird auf Mitbeackerung mit einem anderen, für den ist es Recht, Sicherheit zu geben für die Durch- führung und gegenseitig die Hände zu vereinigen, und nachdem sie dies gethan haben, darauf zu halten, bis die Verbindung vollständig ist. Eine solche Verbindung sind aber 12 erws. 2. Das Maass eines erws ist es nicht bereits vorher festgesetzt? 3. Der erste Acker gehört dem Ploughman, der 2. für die Eisen, der 3. für den äusseren Rain-Ochsen, der 4. für den äusseren Rasen- Ochsen, damit das Joch nicht gebrochen wird, und der 5. für den Treiber, und so werden die zugewiesen an die Ochsen, von da fort- schreitend von Thier zu Thier, bis das Joch zwischen ihnen auf- hört bis zum letzten. Und nach diesem der Pflugacker, welcher ist genannt des Plough- boten Cyvar (d. h. co-ploughing). Und dies ein- mal im Jahr 10. Jeder hat seine Sachen zu dem Pflüger zu bringen, ent- weder Ochsen oder Eisen oder andere Dinge, die dazu gehören. Und nachdem jedes Ding dazu gebracht ist, hat der Pflugmann und der Treiber für das Ganze sorgfältig zu sorgen, und es zu benutzen so gut, als wenn alles sein Eigen wäre. Der Treiber soll die Ochsen aufmerksam einjochen, so dass sie nicht zu dicht gehen noch zu lose, und sie so antreiben, dass sie nicht ihren Muth verlieren; und wenn ihnen bei dieser Gelegenheit Schaden passirt, muss er denselben ersetzen, oder schwören, dass er das Thier nicht schlechter gehandhabt, denn sein eigenes 12. Der Pflugmann hat für die Ochsen nicht zu zahlen, ausser wenn sie von ihm geschlagen werden, und wenn er einen oder afle schlägt, muss er zahlen oder sich selbst entlasten. Der Pflugmann III. 5. Das Runrigsysteni und das Zusaninienpflügen. 213 hat den Treiber zu unterstützen im Einjochen der Ochsen, aber er hat nur die beiden kurzgejochten zu lösen. 13. Nachdem das Zusammenpflügen beendet ist, soll jeder seine Sache wieder mit sich nach Hause nehmen. . . . 16. Wenn aber Streit entstehen sollte wegen schlechten Pflügens zwischen zwei Zusammenpflügern , so soll man den erw des Pflug- manns prüfen, sowohl auf die Tiefe, als die Länge und Breite der Furchen, und es soll jedes anderen erw dem völlig gleich sein 28. Wer aber die Eisen haben soll, soll sie so in Ordnung halten, dass der Pflugmann und der Treiber nicht gehindert werden, und dass dafür keine Hülfe nöthig wird. Der Treiber soll die Bogen an dem Joch mit wythes (Kissen, Kummtkissen) liefern, und wenn es ein langer Gespannzug ist, die kleinen Ringe und Pflöcke zu den Bogen.« Es waren also der Pflüger, der Schmied, der Treiber, der Pflugbote und die Besitzer von 8 Ochsen, welche sich zusammenthaten und ver- pflichteten, 12 erw d. h. etwa 12 acres Land zu pflügen. Der Charakter des Vertrages, den sie schlössen, geht deutlich aus dem Gesetz hervor. Er ist ein freiwilliger zwischen zufällig zusammentretenden Personen und nur für den einzelnen Fall geschlossen. Die Zahl der 12 erws ist durch die erforderliche Entschädigung oder Ablohnung für die Be- schaffung der 12 nothwendigen Hülfsmittel der Arbeit gegeben. Aber diese Hülfsmittel können von jedem Betheiligten beschafft werden, und nach Verhältniss dessen erhält er eine oder mehrere geackerte erw zur weiteren Bestellung. Dieses Zusammenpflügen konnte verschieden angewendet werden, und lässt sich auch auf Runrigäckern denken. Der nordwalisische Venedotian Code aber hat am wahrscheinlichsten den Anbau auf frei- liegendem Gemeindelande im Auge. Seebohm bringt diese Vorschrift mit Recht mit Weidewirthschaft und der o. S. 199 gedachten Bestimmung in Verbindung, nach der der Tyddyn oder die Täte, die sich in Irland auf 30 — 60 irish acres und in Südwales auf 78 erw berechnet, in Nordwales nur 5 und später sogar nur 4 erw eigenes Land enthielt. Hier war also noth- wendige Voraussetzung, dass die Viehzucht auf gemeinsamen Weiden den Hauptunterhalt der Wirthschaften zu decken hatte. Auch weiterer Kornbedarf der Tyddyns aber musste aus diesem Gemeinlande des Clans, also im deutschen Sinne aus Acker auf der Almende, beschafft werden. Nordwales enthält die rauheren und höheren Gebirge und zu- gleich die anerkannt vorzüglichsten Weiden an den Hängen des Snowdon 214 HI- 5- I^as Runrigsystem und das Zusainmenpflügen. Stockes. Es war daher örtlich begründet, dass hier die feste Zuthei- lung von Rodeland und Heide, Wald und Feld, trockncm und feuchtem Lande, wie sie für Südwales (Anc. laws I, p. 767) ange- geben ist, nicht stattfand. 5 oder nur 4 erw Hofacker entsprachen der von Giraldus Cambrensis ausführlich bezeugten Gebirgswirthschaft, in welcher das Vieh die Hauptsache bleiben musste. Wenn der Erw auch etwas kleiner wäre, als der Statute acre, so würde auf 4 erw immer noch für die einzelne Familie das Brotkorn zu erbauen gewesen sein. Wenn der Bedarf aber grösser war, stand der Anbau im Gemeinlande dem zu, der dafür die nöthigen Kräfte aufbringen konnte, lieber die Aecker selbst bemerkt das Gesetz, dass der einzelne Erw vom andern durch einen Rain von zwei ungepflügten Furchen getrennt werde (Seebohm, engl. v. c. p. 119 n. 1). Deshalb lässt sich denken, dass, wenn auf den geeigneten Stellen des Gemeinlandes eine Anzahl solcher gemeinsam gepflügter Erws abgeerntet war, sie in dieser Begrenzung durch Raine liegen blieben, und im anderen Jahre wieder von denselben oder von andern Anbauern in gleicher Weise benutzt wurden. Ob dies aber Runrig zu nennen, steht dahin. In Irland finden sich ebenfalls Hindeutungen auf das Zusammen- pflügen. Es wird im Senchus Mor erwähnt (Anc. laws of Irl. III, p. 17, vgl. Seebohm S. 226 a. 3). Auch ist o. S. 198 gezeigt, dass viele der Freien geringeren Standes nur einen Theil des Zubehörs eines ganzen Pfluges besassen. Nach der Schrift Crith Gablach (Ebd. IV, p. 300) besitzt eine Klasse den 4. Theil einer Pflugeinrichtung, d. h. einen Ochsen, einen plough-straw, einen Stachel, einen Zaum (p. 307), eine zweite die Hälfte der Mittel zum Pflügen (p. 309); eine dritte einen vollständigen Pflug (p. 311). Diese Rangklassen waren Wohl- habenheitsklassen, auch die Grösse der Wohnung und die Höhe ihrer Abgaben stufte ebenso ab, wie die Rangstellung im Stamme. Wie die Tates mussten auch die Pfluggespanne getheilt werden. Die Aermeren besassen nur die einzelnen Stücke und stellten sie zum Pflügen zusammen. Der schwere Pflug und das starke Gespann waren für Neuland nöthig, ebenso wenn das Dreeschland, welches mehrere Jahre in Gras zur Weide gelegen hatte, aufgebrochen werden sollte. Aecker, die im Gange waren, konnten dann, wie Seebohm für Schott- land mittheilt, mit weniger Gespann bestellt werden. Fasst man alle diese Angaben in Betreff des Runrigsystems zu- sammen, so geben sie den unzweifelhaften Beweis, dass zwar der ge- meinsame Besitz gewisser Grundstücke, mit periodisch wechselnder, nach dem Loose vertheilter Nutzung in Irland wie in Wales und III. 5. Das Runrigsystem und das Zusammenpflügen. 215 Schottland bis zur Gegenwart vorkommt, und in früherer Zeit viel- leicht eine ziemlich weite Verbreitung hatte. Aber es lässt sich doch bei näherer Erwägung genügender Anhalt gewinnen, dass alle diese, nur von der Theorie System genannten Vorgänge weder im Wider- spruch mit der allgemeinen Eintheilung des Landes in Einzelhöfe erscheinen, noch als der Rest einer älteren Feldverfassung angesehen werden können, welche vielleicht zwischen der Weidewirthschaft und der Einrichtung der Townlands, Quarters und Tates mit ihren fest verzäunten Kämpen durchgeführt worden wäre. Zunächst ist völlig erklärlich, dass in den Küstenstädten, von denen wenigstens Eblana (Dublin) schon in ältester Zeit genannt und auf die Phönizier zurückgeführt wird,1) dann mehr und mehr in allen Orten, welche durch ihre Lage und ihre Markt-, Industrie- und Ver- kehrsverhältnisse in den Kreis des städtischen Lebens hineingezogen wurden, unter dem Schutze ihrer Mauern und der englischen Krone, Sliultbürgerrecht und städtisches Grundeigentum erwuchs. Die Stadtverfassungen können in ihrer inneren Gliederung Modi- fikationen zeigen, in ihren wesentlichen Grundzügen sind sie überall gleich, wo Mauerschutz, Markt und gewerblicher Verdienst eine waffen- fähige Einwohnerschaft zu Selbstregiment und Selbstvertheidigung und zu einer gewissen wirthschaftlichen Einsicht und Wohlhabenheit erstarken lassen. Innerhalb ihrer Mauern haben alle Städte persön- liche Freiheit und privates Grundeigenthum als Grundforderungen ihres Verkehrslebens entwickelt. Nach Aussen konnten sie je nach der Art ihrer Erwerbsquellen, auf ein grösseres ihren Bürgern zur Verfügung stehendes Weichbild bis zum Besitz grösserer Güter der Umgegend Gewicht legen, und dies Gebiet durch ihren Reichthum und ihre militärische Kraft vor Eingriffen wahren, oder sie konnten sich mit geringen Flächen Weide-, Wiesen- oder Ackerlandes für die Erhaltung des nöthigsten Nutzviehes begnügen. Dass im letzteren Falle die Antheile an der Nutzung des Gemeindelandes wie in Keils und Lauders, wechselnd und nach dem Loose vergeben wurden, ist völlig in der Sachlage begründet. Die durch bestimmten Grund- besitz und durch Amtsstellung, durch Wittwenthum u. dgl. begrün- deten Anrechte änderten sich, die Zahl der Bürgerschaft konnte sich vergrössern oder vermindern, eine feste Ueberweisung der Antheile würde der Bürgerschaft den Fortbestand ihres Gemeinlandes ersicht- ') Ptolem. kennt es bei den Kblanoi ; auch in Schottland nennt er Devana (am Dee) bei den Taezali, und Horrea bei den Venicrates am Tay forth. Zeuss S. 200. 216 III. 6. Das Runrigsystem und das Zusammenpflügen. lieh gefährdet haben. Die periodischen Feststellungen der Anrechte und die streitfreie Befriedigung der Ansprüche durch das Loos waren deshalb der natürlichste Ausweg. Daraus einen Schluss auf eine frühere besondere Art der Feldeintheilung zu ziehen, ist völlig unmöglich, auch wenn man von der späten Entstehung der beiden genannten Städte absehen wollte. Ganz dieselben Verhältnisse aber können da üblich werden, wo in Landgemeinden viel Gemeindeland, aber wenig eigene Aecker der einzelnen Bauern bestehen. Dass in den freiwilligen Verträgen des cyvar oder Zusammenpfiügens nur praktische Bedürfnisse, kein Zug des Runrigsystems gesehen werden kann, bedarf keiner besonderen Ausführung. Aber auch wenn in Nordwales die im Cyvar verfahren bestellten Gemeindeländereien nach dem Loose unter den Be- rechtigten gewechselt hätten, würde dies mit der Theilung in Cantrev, maenols, gavaels und tyddyns (o. S. 199) ohne jedes besondere Feld- system durchaus vereinbar gewesen sein. Derselbe Gesichtspunkt muss indess auch gelten, wo es sich nicht um Gemeindeland, sondern um Ländereien handelt, welche einem Grundherrn gehören, der sie gegen Zins an die unter seiner Herr- schaft stehenden Landleute vergiebt. Er kann dabei sogar zur Er- haltung ihres Wohlstandes und ihrer Leistungsfähigkeit genau ebenso verfahren, wie dies bei der Schlossgemeinde von Lauders im ein- zelnen angegeben ist. Er kann Wiesen wie Aecker einer solchen, nach den Umständen der Besitzer wechselnden Loosung unterwerfen. Ja er kann auf seinem Lande Kolonien ansetzen, deren Landwirt- schaft ganz und gar auf solche in Jahrespacht oder in längeren Pe- rioden wechselnde Grundstücke angewiesen ist. Deshalb ist weder der Landwechsel bei den crofters in Schott- land, noch in den beiden Dorfschaften Achnagoul und Achindrain für ein altes, von der volkstümlichen Gestaltung abweichendes Feld- system beweisend. Die vereinzelten Orte Achnagoul und Achindrain können nach ihrer besonderen Bauart und ihrem Connubium, sehr wohl Kolonieen dänischer, norwegischer oder sonstiger Auswanderer oder Kriegsgefangener sein. Dass ihr Land nur Pachtung ist, wird ausdrücklich gesagt. Ein weiterer Grund für Runrig aber, der zugleich erklärlich machen würde, wenn dasselbe innerhalb der einzelnen Tates, und überhaupt häufiger, als es den Anschein hat, in Irland aufträte, ist in der bestimmt bekundeten, o. S. 198 erörterten weitgehenden Zer- stückelung der Tates unter zahlreiche Miterben zu sehen. III. 5. Das Runrigsysteru und das Zusammenpflügen. 217 Unter dem gemeinsamen Besitz der Tates durch die Erben bis zum Grossvater zurück ist man keineswegs berechtigt, sich stets einen völlig kommunistischen Haushalt vorzustellen. Eine solche gemein- schaftliche Wirthschaft ist nicht ausgeschlossen, aber die verschiedenen betheiligten Familien konnten auch , je grösser die Besitzung war, die Grundstücke zu privater Arbeit und Nutzung unter sich vertheilen. Da dieselben gleichwohl im gemeinsamen Eigenthum standen, lag der Gedanke ziemlich nahe, die schwer zu vermeidende Verschieden- heit der gemachten Theile dadurch auszugleichen, dass sie nach dem Loose periodisch wechselten. Es war sogar nicht unmöglich, dass ein solcher Wechsel bestehen blieb, oder verabredet wurde, wenn die völlige Theilung unter den Vettern wirklich eintrat. Dass Wiesen- grundstücke in dieser Weise zur Theilung gebracht wurden und ihre periodische Verloosung durch alle Jahrhunderte fortbestanden hat, ist auch in Deutschland (o. S. 79, 163) neben den germanischen Gewannen sehr allgemein. Sie wäre sogar zwischen allen Tates eines Town- lands nicht unzweckmässig gewesen. Ob aber solche gemeinsam gebliebene Grundstücke häufig gewesen seien, müsste erst festgestellt werden. Seebohm S. 229 erkennt selbst an, dass man kaum im Stande sei, Spuren der Eintheilung eines ganzen Quarters in gleiche Ackerbreiten nachzuweisen, und auch die Karte von Scari ff (Anlage 24), welche den Besitzstand im Einzelnen angiebt, spricht nicht dafür, obgleich sie eine wahrscheinlich erst spät getheilte Hutung in sich fasst. Ein die Sachlage näher erläuterndes Beispiel giebt aber An- lage 27. Diese Karte theilt Seebohm (S. 228) aus dem von Lord Dufferin in The Irish Emigration and Tenure in Ireland (London 1867) wiedergegebenen Berichte der Devon Conimission mit. Der Ort, den sie darstellt, und die Gegend, aus der sie herrührt, sind nicht angegeben. Aber die Devon Commission erklärt, dass sie das Bild der Theilung des Besitzes in einem irischen Townland des Runrigsystems sei. Durch die Grösse von nur 205 engl, acres ist ausgeschlossen, dass die Karte ein ganzes Townland wiedergiebt. Für einen Quarter der guten Grafschaften scheint die Fläche zwar zu gross, für einen solchen der schlechten zu klein. Indess umfasst in Anlage 26 im Townland Balleglankee der Grafschaft Monaghan die Täte Drumniell (K) eben- falls 205 acres, vielleicht sind beide Häuptlingstates. Von dem ge- wöhnlichen Bilde der irischen Fluren, auch von dem der Anlagen 23 bis 26 weicht dies Beispiel dadurch ab, dass die Gehöfte zu einer 218 HI. 6. Die irischen Pachtzustände. ziemlich eng geschlossenen Gruppe vereinigt sind. Solche Häuser- grappen kommen aber auch anderwärts vor, und konnten in einer parzellirten Täte sehr leicht entstellen. Unter den Ackerlagen zeigen sich einige Streifensysteme, die den volksthümlichen deutschen Ge- wannen nahe kommen. Auch muss es allerdings als etwas Unge- wöhnliches erscheinen, auf dieser Fläche den Anbau von 422 Par- zellen durch 29 Landwirthe vorzufinden. Aber die überwiegende Zahl der Besitzstücke liegt in sehr unregelmässigen Kämpen, und die An- theile der drei besonders kenntlich gemachten Besitzer sind durchaus ungleichmiissig über die Flur vertheilt. Es liegt also gleichwohl keine andere Thatsache vor, als dass in der kleinen Besitzung eine besonders weitgehende Parzellirung eingetreten ist, und die Besitzer der Par- zellen deshalb sehr im Gemenge liegen. Dabei zeigt die Karte, dass im Ganzen für die Zugänglichkeit gut gesorgt ist. Jedoch ist wohl möglich, dass eine gewisse Anzahl Parzellen der Wegegerechtigkeiten nicht entbehren konnte, und dass überhaupt auf einem grösseren oder geringeren Theil der Flur die Hebung von Flurzwang und Weide- gemeinschaft nothwendig geworden ist. Es scheint fast, als ob die Devon Commission in diesen Umständen schon den Begriff des Run- rigsystems erfüllt gesehen hätte. Dass ein periodischer Wechsel des Besitzes der Aecker hier stattgefunden habe, wird nirgend aus- gesprochen, die Lage der 3 Besitzungen macht dies auch, wenn nicht geradezu unmöglich, doch in hohem Grade unwahrscheinlich. Wenn er aber auch bestanden hätte, wäre er durch die Verhältnisse des Parzellenbesitzes befriedigend erklärt. Diese Erwägungen dürften hinreichend erweisen, dass, selbst wenn der Runrigbesitz häufiger, als es bis jetzt geschehen, auf dem Boden des alten Keltenlandes vorgefunden werden sollte, er weder mit der volksthümlichen Ansiedelung in Einzelhöfen und Kämpen unvereinbar, noch der Beweis eines vorher bestandenen älteren Feld- systemes sein würde. 6. Die irischen Pachtzustände. Die geschilderten Reste der Clanverfassung und die Rechte der der Bevölkerung völlig fernstehenden Landlords wirkten in gleicher Richtung zusammen, um im Laufe der Zeit die Pachtverhältnisse immer allgemeiner und immer drückender zu gestalten. Die Be- völkerung versank durch dieselben mehr und mehr in grössere Ver- armung, Hilflosigkeit und Niedrigkeit. III. 6. Die irischen Pachtzu stünde. 219 Desto lebhafter und beharrlicher scheinen gleichwohl die Er- innerungen des alten Clanrechtes von ihr festgehalten worden zu sein. A rthur Young schreibt schon 1774: »Die direkten Nachkommen der alten Familien kann man nun im ganzen Königreich als Hütten- bewohner auf dem Lande arbeiten sehen, welches einst ihr eigen war. Es ist eine Thatsache, dass in den meisten Theilen des König- reichs die Nachkommen der alten Landeigener regelmässig testa- mentarisch das Gedächtniss ihres Anrechtes an jene Güter, welche einst ihren Familien gehörten, weiter übertragen.«1) Noch aus der neuesten Zeit erzählt Frei,2) dass man bis heut nicht bloss das Recht aus dem Pachtvertrage, sondern auch die Farm selbst als erkauft, oder ererbt zu behandeln pflegt; dass die Pächter die Rente wie einen ihrem chieftain schuldigen Tribut und sich selbst wie die Eigenthümer des Bodens, den sie bearbeiten, ansehen; dass sie mit Wissen des Verpächters das Land vertheilen, es als Mitgift an ihre Töchter geben, oder an ihre Söhne vererben, immer unter der selbstverständlichen Bedingung die Rente weiter zu bezahlen, und dass sich in vielen solchen Testamenten, welche genau erfüllt werden, der Ausspruch findet: »Dem Lord gehört die Rente, und uns gehört das Land!« Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts organisirte sich mehr und mehr ein System von Generalpächtern, Unterpächtern und Agenten, welche bei der steten Abwesenheit und Unzugänglichkeit der meisten Landlords die Pächter durch Parzellirung der Pachtungen, wucherische Behandlung und Steigerungen bei jedem Anzeichen fortgeschrittenen Erwerbes, wie bei Ankauf von Vieh, Besserungen am Hause, im Anzug u. dgl. zu äusserster Armuth und Hoffnungs- losigkeit herabdrückten. Die Hungersnoth von 1847 brachte die trost- losen Zustände zur öffentlichen Kenntniss. Die Regierung ergriff zunächst das Mittel, die Auswanderung von 2 Millionen Iren zu ermög- lichen. Seitdem wurde durch Armengesetzgebung und durch Wohl- thätigkeit Erleichterung zu schaffen gesucht, und es kamen grosse Meliorationsanlagen auf Staatskosten zur Durchführung. Die Versuche der Besserung in den Besitzverhältnissen aber stiessen auf unüber- windlich scheinende Schwierigkeiten. 1849 wurde durch die Begründung des Incumbered Estates Court die Möglichkeit wesentlich erleichtert, verschuldete Güter der ') Seebohm, The historical Claims, p. 31. 2) In G. Schmoller's Jahrbuch für Gesetzgebung etc. Neue Folge Bd. IV, S. 460. 000 III. 7. Das Volksthum der Kelten Landlords durch Subhastation schuldenfrei in die Hände kapital- reicherer Grundbesitzer zu bringen, von denen man eine bessere Be- handlung der Pächter hoffte. Aber so wenig daraus, als aus der Yeriiusserung von Kirchengütern, welche bei der Aufhebung der irischen Staatskirche durch Gladstones Bill von 1869 (32/3;i Victoria eh. 42) eintraten, erwuchsen merkliche Fortschritte. Das erste direkte Gesetz war die irish Landact von 1870 (33/s4 Victoria eh. 46), welche den Ulster Custom für Ulster zur gesetzlichen Vorschrift machte, und dessen Anwendung auch für andere Landes- tbeile ermöglichte, allgemein aber eine Entschädigung bei Besitz- störungen festsetzte, welche die Pachtzeit des Pächters verkürzten, endlich auch Vorschüsse der Regierung an solche Pächter vorsah, welchen der Landlord das Gut zu verkaufen bereit war. 1881 ist die sehr einschneidende landlaw (Ireland) act (Victoria uUb eh. 49) gefolgt. Sie setzt besondere Gerichtshöfe nieder, welche auf Antrag des Pächters die Rente desselben auf einen angemessenen Betrag festzustellen und ihm eine Lease für 15 Jahre über seine Pachtung auszufertigen haben. Diese Lease kann auf weitere 15 Jahre unter fernerweiter Regulirung des Pachtzinses verlängert werden. Dadurch wird ein 30 jähriger fester Besitz erreichbar, der zweifellos die Verhältnisse des Pächters, wie des Pachtgutes wesentlich ver- bessern würde. Anscheinend würden auch der Verleihung von Land- eigentum in der Mittellosigkeit der Pächter grössere Schwierigkeiten entgegenstehen. Leider aber lassen die zumeist politischen, mit Gewaltthätigkeiten verbundenen Agitationen zunächst Erfolge der Pachtverbesserungen nicht aufkommen. Wie weit die neuesten Bestrebungen der Gesetz- gebung, welche vorzugsweise auf Ankauf von Land durch die Pächter vermittelst Staatsvorschüssen gerichtet sind, durchdringen werden, ist noch nicht erkennbar. 7. Das Volksthum der Kelten in Britannien, Gallien und Helvetien. Aus den uns in Irland, Wales und Schottland erhaltenen Resten des keltischen Alterthums hat sich als volksthümliche Grundlage der Siedelung und des Agrarwesens das Clanleben erkennen lassen. Die Clane gehen zwar von der Idee eines Familiendaseins unter patriarchalischer Leitung aus, welches Privateigenthum an beweg- in Britannien, Gallien und Helvetien. 221 liehen Dingen, aber keinen erblichen Grundbesitz, sondern nur lebenslängliche Nutzungen an demselben kennt. Nähere Betrachtung aber zeigt, dass dieses Familienleben in seiner gesammten Organisation durch wirtschaftliche Anforderungen bedingt wurde. Seine erste Gestaltung gewann es im Hirtendasein. Nicht die Verwandtschaft gewisser Grade, welche gross oder klein sein und wechseln kann, sondern das Bedürfniss eines nothwendigen Kreises von Hülfskräften für die Weidewirthschaft bestimmten die Zahl der Hausgenossen, welche mit Weib und Kind unter dasselbe Dach aufgenommen wurden und von dem Ertrage der gemeinsamen Heerde ihren Unterhalt gewannen. Aus dem Zwecke dieses, von seinem Vorstande mit väterlicher Gewalt geleiteten Haushaltes er- gab sich die auffallende gleiche, zahlenmässig feststehende Grup- pirung des Volkes, wie der Heerden und der in Weidereviere zer- fallenden Landgebiete. Alle diese Zahlen bedingten sich gegenseitig und Hessen unter dem einmal als geeignet erkannten, üblich ge- wordenen Brauche keine wesentlichen Verschiedenheiten zu. Die Gleichförmigkeit der Sitten und Einrichtungen im ganzen Volke wurde überdies durch den Einfiuss und die Weisungen der bis zu einem gemeinsamen Oberkönige aufsteigenden patriarchalischen Hierarchie befördert und geregelt. Was uns in Lied und Sage von höherer Kultur der Häuptlinge überliefert wird, sind zwar grösstentheils Er- innerungen aus dem Heroenzeitalter im Gewände viel modernerer Zustände. Indess müssen doch nach diesen Zeugnissen die Königs- höfe schon früh, wie wir dies auch aus dem klassischen Alterthume und ebenso von Attila und von den Nomadenchanen Centralasiens wissen, für Bauten und Befestigungen und für mancherlei Luxus und Kenntnisse unter dem Einflüsse fremder Abentheurer, Händler und Künstler gestanden haben. Später brachte die Kirche Bildung. Deshalb war, als die auf die Insel beschränkten Hirtengruppen wegen der anwachsenden Volkszahl von der Weidewirthschaft zum Acker- bau übergehen mussten, die oberste Leitung hinreichend entwickelt, um eine wohlgeordnete Eintheilung des geeigneten Landes in gleiche und ausreichende Heimstätten für die berechtigten Volksgenossen zu schaffen. Der Gedanke der Anlage dieser Heimstätten schloss sich an volksthümliche , aus dem Hirtendasein unverändert festgehaltene Ideen an. Dem eigenartigen grossen Clanhause mit seiner drei- schiffigen Eintheilung, seiner Mittelhalle, und den 4 mal 4 Familien- betten unter dem über die Seitenschiffe herabgezogenen grossen Dache muss man mit Recht einen nationalen Charakter zuschreiben. Ihm 222 III. 7. Das Volksthum der Kelten entsprach die neue Theilung des Landes. In die als Einzelhöfe arrondirt gelegenen, einer häuerliehen Familie ihren selbstständigen Unterhalt bietenden Landgüter konnte sich zunächst auch Jeder wirth. achaftlich leicht einleben. Ihre Eintheilung in Kämpe, ihre Ein- friedung durch Hecken, Gräben oder Mauern, die vor Stürmen schützt, den Hirten für das Weidevieh erspart, und selbst ohne Waldbesitz das Brennholz zu sichern vermag, wird als sehr zweckmässig erachtet, und fast im gesammten westlichen Europa bis zur Gegenwart an- gewendet. Dass später von allen diesen bäuerlichen Hofwirthschaften durch Parzellirung und durch den Untergang der älteren Rechts- und Besitzverhältnisse gewissermaassen nur das äussere topographische Gerüst übrig blieb, ändert nichts an dem volksthümlichen Charakter dieser von der germanischen bestimmt verschiedenen irischen und wallisischen Siedelungsweise. Auf Grund dieses Kreises nationaler Eigenthümlichkeiten lässt sich also fragen, wie weit dieselben auch auf den übrigen ursprüng- lich von Kelten besiedelten Gebieten Britanniens, Galliens und Süd- deutschlands ihre Bestätigung finden. Diese Frage ist nach zweierlei Richtungen zu beantworten. Einerseits fragt sich, welche ursprünglichen und volksthümlichen Zustände die Römer in Helvetien, Gallien und Britannien vorfanden, andrerseits steht in Frage, ob und welche Spuren dieses älteren Volksthumes, die römische Herrschaft und die wenige Jahrhunderte später folgende deutsche überdauert haben, und noch gegenwärtig erkennbar sind. Diese zweite Frage lässt sich erst aus den Vor- gängen der deutschen Besitznahme beantworten. In Betreff der vorrö mischen Verhältnisse aber können vor allem die Nachrichten in Betracht gezogen werden, welche wir durch Caesar und durch Strabo besitzen. Strabo entnahm seine Angaben vor- zugsweise von Posidonius von Massilia, der als ein sehr glaubwürdiger Zeuge 135 bis 51 v. Chr. lebte, also ein Zeitgenosse Caesars war. — In Süddeutschland und Gallien, in welche Caesar zuerst ein- drang, bemerkte er offenbar wenig Besonderheiten, die ihn über- raschten. Wir ersehen aus seinen Aufzeichnungen, dass er die durch- zogenen Gebiete bereits überall stark und fest besiedelt vorfand. Strabo sagt über Gallien ausdrücklich: keine Gegend ist ohne Anbau, ausser wo dieser der Wälder und Sümpfe wegen nicht mög- lich ist. Doch auch solche Gegenden sind bewohnt, mehr wegen grosser Menschenmenge, als wegen ihres Fleisses. Diese grosse Bevölkerung wird von Caesar sogar mit einiger in Britannien, Gallien und Helvetien. 223 statistischer Grundlage bezeugt: Nach bell. gall. II, 4 hatten die Remi die waffenfähige Mannschaft der Belgae ermittelt und fest- gestellt, dass die Bellovacer 100000, die Suessiones und Nervii je 50000, die Atrebaten 15 000, die Ambiani 10000, Morini 25 000, Menapii 7000, Caleti, Veliocasses und Viromandui je 10 000, die Aduatici 19 000 und die germanischen Condrusii, Eburones, Caeroesi und Paemani zusammen 40000 Mann stellen konnten; im Ganzen berechnen sich also 346 000 Waffenfähige auf c. 1600 geogr. O Meilen. Nach Alesia wurden aus einem grossen Theilc Galliens (Vll c. 75) Mannschaften zusammengezogen. Berufen waren dahin aus den Völkerschaften der Aeduer und Averner mit ihren Klienten je 35000, Sequaner, Senonen, Bituriger, San tonen, Rutenen und Carnuten je 12 000, Bellovacen 10 000, Pictonen, Turonen, Parisier, Helvetier je 8000, Ambianen, Mediomatricer, Petrocorier, Nervier, Moriner, Nitio- broger, Aulercer und Cenomanen je 5000, Atrebaten und Veliocassen je 4000, Lemovici, Aulerci und Eburovici je 3000, Rauricer und Bojer je 2000 und von den gesammten Armoricern 30 000, im Ganzen 276 000 Mann aus einem Gebiete von c. 6000 geogr. D Meilen. Bei den Helvetiern zählten die von Caesar aufgefundenen Listen (b. g. I, c. 28) 368 000 Seelen der Bevölkerung, Greise, Weiber und Kinder eingeschlossen, und unter diesen 92 000 Waffenfähige, also lU. Dies Verhältniss wird für die Bevölkerung der Heimath durch die Einrechnung der Sklaven und Zurückgebliebenen auf Vs oder Ve zu erhöhen sein. Wird danach für Gallien die Bevölkerungszahl auf das Sechsfache der Waffenfähigen angeschlagen, so würden sich bei den Beigen 1300 Seelen auf die geogr. O Meile berechnen. Für die Zahlen des allgemeinen Aufgebotes lässt sich der Pro- zentsatz desselben nicht ersehen. Bei den Bellovacen und Nerviern beträgt er nur Vio, bei den Atrebaten Vi, bei den Veliocassen V5, bei den Morinern Ve der erstgenannten Zahlen. Nimmt man an, dass V4 der Mannschaft herbeigerufen ist, so würde sich eine Bevölkerung von 1100 Seelen auf der geogr. D Meile für das gesammte mittle und nördliche Gallien berechnen. — Ein Hauptunterschied gegen die germanische Besiedelung liegt im Vorhandensein ziemlich zahlreicher Städte. Die Bellovacer zählen bei 100000 Waffenfähigen 12 oppida, und wie die ausführlichen Erzählungen Caesars im II. Buche zeigen, sind diese oppida keines- weges, wie die deutschen, nur Zufluchtsorte oder feste Verstecke, sondern bewohnte Ortschaften, und selbst kleinere wie Bibrax, Noviodunum, Bratuspantium, Gergovia (VH, 47) u. a. werden von starken nur durch 224 m- 7. Das Volksthum der Kelten Widder angreifbaren Mauern aus Bruchsteinen und Gebälk um- schlossen. Auch die kleinen Völkerschaften haben eine solche Stadt zum Hauptorte. Wie sehr aber das Stammesbewusstsein an diese Mittel- punkte geknüpft gewesen sein muss, ergiebt sich daraus, dass die Namen, die sie unter der in ihnen reich entwickelten römischen Verwaltung führten, mit derselben fast ohne Ausnahme verschwunden sind und den alten Stammesnamen wieder Platz gemacht haben, unter denen wir sie heut noch kennen. So bedeuten Amiens Am- biani, Rhenus Remi, Soissons Suesiones, Trier Treviri, Paris Parisii, Vannes Veneti, Nantes Nemetes, Poitiers Pictones, Limoge Lemovici, Perigueux Petrocorii, Saintes Santones, Bordeaux Bituriges-Vivisci, Auch Ausci, Rodez Ruteni, Langres Lingones, Dijon Mandubii, Bourges Bituriges-Cubi u. a. m. Ueber die Bewohnung des flachen Landes bleiben wir un- sicherer, indess sind auch hier Anzeichen, dass die Verhältnisse den ältesten deutschen nicht entsprachen. Caesar sagt I, c. 28: in den oben gedachten im Lager der Helvetier vorgefundenen Tabellen sei in griechischen Buchstaben mit Namens- angabe eine Berechnung aufgestellt gewesen, welche Anzahl von Hause fortgezogen, die die Waffen tragen konnte, und abgesondert, wie viel Knaben, Greise und Frauen. Diese Zahlen hätten für die Helvetier allein, abgesehen von den andern Völkerschaften, 263 000 Seelen ergeben. Im lib. 1, c. 5 erklärt er, dass diese 263 000 Helvetier alle ihre Oppida in Zahl gegen 12, ihre vici in Zahl gegen 400, und ihre reliqua privata aedificia anzündeten, um fortzuziehen. Wie hoch man auch die Bevölkerung der oppida und vici anschlagen mag, es bleibt stets eine sehr beträchtliche, auf mindestens die Hälfte zu berechnende Zahl übrig, welche die reliqua aedificia bewohnten. Des- halb hat man an eine ausgedehnte Sitte der Einzelhöfe zu denken.1) Dieselbe Ausdrucksweise wendet Caesar aber auch auf alle Gegenden an, die er in Gallien durchzieht. So vici et aedificia bei den Remi (II, 7), bei den Morinern und Menapiern (III, 29), bei den Menapiern und Sigambren (IV, 4 [19]), bei den Menapiern und Eburonen (VI, 6 [43]), den Aeduern und Biturigi-Cubi (VII, 14) und bei den Aeduern und Bojern (VII, 17). Mehrere Angaben bezeichnen diese Aedificia auch näher, als grössere zerstreut liegende Gehöfte, so bei den Aeduern und Bojern (VII, 14), bei den Biturigi-Cubi (VIII, 3. 10 [24]), bei den Bellovacen (VIII, 10) und bei den Ebu- ') L. Erhardt, Aelteste germanische Staatenbildung, Leipzig 1879, S. 33, Anm. In Britannien, Gallien und Helvetien. 225 ronen das Haus des Ambiorix (VIII, 24). Diese, wie bei den Bello- vacen (VIII, 10) ausdrücklich gesagt wird, rara et disjecta aedificia, aus denen Futter requirirt wird, und die zum Schrecken der Feinde von den herumschweifenden Reitern niedergebrannt werden, lassen sich nicht wohl anders denn als Einzelhöfe denken, die in verhältniss- mässig grosser Anzahl neben den Weilern und Städten über das Land zerstreut liegen. Dem Baue nach könnte man allerdings versucht sein, diese Ge- bäude nach Strabos Bezeichnung (IV, 4) für blosse Hütten zu halten, weil er von den Kelten sagt, sie machten ihre Hütten geräumig aus Brettern und Ruthengeflecht, kuppeiförmig mit hohem Dache. Wie Anlage 28 unter D mit den Belägen näher ausführt, zeigt ein an- scheinend aus der Zeit des Trajan herrührendes Relief eine solche von einem Barbaren vertheidigte, mit senkrecht gestellten Lagen Schilf verkleidete, bienenkorbartige, runde und kuppeiförmig mit Stroh ge- deckte Stroh- oder Schilf hütte, auch sind in Aquitanien durch Castagnie, bei seinen Untersuchungen der gallischen oppida im De- partement Lot, Reste von Steinhäusern in runder Form aufgefunden worden. Deshalb wird mit Recht anzunehmen sein, dass diese Tu- gurien Strabos im Süden Galliens nicht selten gewesen sein mögen. Dass sie aber im nördlichen Gallien nicht üblich waren, dafür sprechen sowohl Baureste, wie die Berichte Caesars. Die zahlreichen Ausgrabungen auf der öden Stätte des alten Bibrakte haben stets viereckige, niemals runde Gebäude ergeben. Diese in die Zeit Caesars zurück zu datirenden Bauten sind, wie das in der Note *) mit Worten und Zeichnungen mitgetheilte, durchaus sachkundige Zeugniss J. G. Balliots erweist, zum Theil in Stein- J) Mr. J. G. Balliot, der Präsident der Societe eduenne de lettres, sciences et arts, schreibt unter dem 6. Dez. 1883, bevor er Fr. Seebohms Abhandlung über das keltische Stammhaus, o. S. 184, kannte, über diese Ausgrabungen: Ma recolte n'est riche, mais au moins est eile inedite. Vous trouverez sous ce pli le plan de cinq maisons gauloises, des plus rudimentaires , prises dans les fouilles du mont Beuvray (Bibracte). Ces plans re'presentent des fondations en maconncrie de 1 — 2 metres de haut, creussees dans la pente de la montagne. Le surplus ctait en bois et en pise, couvert habituellement en paille. Pas de chaux mais un mortier de terrc dans les maconneries. Charpentes portees sur de poutrcs debout, fichees dans le sol ou inter- calees dans la maconnerie. Ces specimens sont pris dans un quartier de Bibracte affecte aux metallurgiste et nomme aujourd'hui la Come-chaudron. Come a le sens de Combe, Vallon etroit, qui repond a la Situation. La maison Fig. 22 est de plus curieuses, la toiture portait sur six poteaux, Vous la restituerez facilement en elevant un pignon sur la facade ouverte, et que devait etre fermee en bois et pise. Elle a une porte de sortie a l'arriere. L'intervalle M t-itzen, Siedelung etc. I. 15 226 III. 7. Das Volksthmn der^ Kelten mauerwerk mit Mörtel, zum Theil in Fachwerk mit Holzpfosten ausgeführt gewesen. Zum Theil entsprachen sie aber auch, was sehr beachtenswerth, durch Aufbau auf 6 in zwei Reihen geordnete Holz- säulen und durch den Mangel an Umfassungsmauerwerk und inneren Scheidewänden, sowie durch die in Fig. 22 und 23 wiedergegebenen entre les poteaux n'cst pas une muraille, mais une simple garniture de moellon applique contre le terrain du dehors. L'arriere de la maison soumis ä la poussee du terrain est seul defendu par un rnnr regulier de 0,60 m d'epaisseur. Er- Fig. 22. '/„ Fig. 23. x/m Fig. 23, petite maison sur quatre poteaux dont les intervalles n'ont qu'une gar- niture de moellons superposes. La facade etait en maconnerie de 0,60 m d'epaisseur dans la partie escavie; car ces maisons sont toutes plus ou moins creusees dans le sol. Elle etait precedee d'un auvent porte sur quatre poteaux. m/W//////^///////////////Ma Fig. 24. »/« Fig. 25. '/« Fig. 24, Les deux facades et les murs interieurs sont en maconnerie plaine. Ceux des pignons sont coupe's Tun par six poteaux, l'autre par cinq, qui portaient la charpente du toit. La maconnerie ne depassait guere le sol. Le surplus etait en pise. Fig. 25, hangar ou maison en maconnerie sur trois cötes; poteau a chaque extremite de la facade, ouverte ou close en pise disparu. WWW/ Fig. 26. V« Fig. 26, petite maison gauloise composee de deux pieces avec bases en maconnerie et fermee d'un cour, dont les murs en pierre et mortier de terre avaient deux metres de haute. II y a absence de maisons rondes, et je n'ai jamais rencontre dans les fouilles de l'oppidum de Bibraete la forme d'urne cineraire imitant une maison ronde. in Britannien, Gallien und Melvetien. 227 Dimensionen von 38 bis 42 Fuss Länge genau den o. S. 184 auf Grund der Brehon laws dargestellten irischen Stammhäusern. Caesar aber, der sich aufmerksam mit dem Bauwesen der Gallier beschäftigte, spricht von runden Strohhütten offenbar niemals. Viel- mehr unterscheidet er bei den Carnuten (VIII, 5) ausdrücklich die verlassenen oppida und vici von den tolerandae hiemis causa repente exiguis ad necessitatem constitutis aedificiis. Die aedificia, die Caesar gesehen hat, haben für ihn nichts Auffälliges und von der gewohnten Form Oberitaliens Abweichendes. Nur dass sie mit Stroh gedeckt sind, scheint ihm neu. Denn er spricht V, 43 von casae im Lager, quae more Gallico stramentis erant tectae. Er unterscheidet also die Casae bestimmt von den Aedificia, sieht aber in der Stroh- bedachung eine besondere allgemeine Sitte. Das Haus des Ambiorix (V, 30), konnte von dessen Familiären vertheidigt werden; und die Häuser der Menapier (IV, 4), die er wie jenes aedificia nennt, können ebenfalls nicht als leichte Strohhütten gedacht werden, weil er erzählt, dass die Usipeter und Tencterer, nach vernichtender Niederlage der Menapier und Eroberung der Ortschaften der- selben, sich in deren Häusern festgesetzt und den Winter in ihnen zugebracht hätten. Es sind dies dieselben Gegenden, über welche auch Tacitus mit Rücksicht auf die Hausbauten der Germanen be- richtet. Er würde gewiss zu einer Bemerkung Veranlassung gefunden haben, wenn ein charakteristischer Unterschied zwischen den ger- manischen und gallischen Ortschaften zu erkennen gewesen wäre. Ueber den Ackerbau der Gallier1) werden wir von Plinius XVIII, 28, 48 und 72 dahin belehrt, dass sie nicht bloss den Räder- pflug, sondern auch die Egge (crates dentatae) besassen, ebenso eine Art Mähemaschine, grosse auf 2 Rädern von Gespannen durch das Getreide gezogene Futterschwingen, welche am Rande mit beweg- lichen Zähnen versehen waren, so dass die Aehren abgerissen wurden und in die Schwinge fielen, wie dies bei Palladius VII, 2 (s. Dickson de l'agriculture des anciens, trad. de l'anglais, Paris 1802, Bd. II, p. 348) näher beschrieben ist. Hirse ernteten sie mit einem Hand- kamme und machten Siebe aus Pferdehaar. Sie kannten auch Erd- mischung behufs Bodenverbesserung und Mergel-, Aschen- und Kalk- düngung, ebenso den Wechsel des Anbaus von Getreide und Futter- kräutern. (Plinius XVIII, 30.) Ihre Schaf- und Schweinezucht war ') Cambry, notion sur l'agriculture des Celtes, Paris 1806, und Reynier, de l'e'cono- mie publique et rurale des Celtes, des Germains etc., Paris 1818. 15* > III. 1. Das Volksthum der Kelten so umfangreich, dass sie nach Strabo nicht bloss Rom, sondern fast ganz Italien mit wollenen Mänteln und mit gesalzenem Schweine- fleisch versorgten. Wir müssen uns also den Landbau gut entwickelt, und nach Plinius Bemerkung über die Mähemaschinen bereits auf Latifundien betrieben denken. Obwohl nun auch die Gallier, wie dies wenigstens dem Polybius (II, 17) von den oberitalischen Senonen erklärt wurde, ursprünglich kein Privateigenthum kannten, berichten Caesar und Strabo von Kommunis- mus nichts mehr. Vielmehr scheint nach ihren Beobachtungen eine fast uneingeschränkte Herrschaft des Adels zu bestehen. Caesar sagt (VI, 13): der Adel lag früher jährlich in Fehde, und Jeder hat nach Geschlecht und Vermögen möglichst viel Gefolge und Klienten um sich, nicht allein in allen Staaten und in allen Gauen und ihren Theilen, sondern fast in jedem Hause sind Par- teiungen. Die Häupter dieser Parteien sind die, die nach dem Urtheil derselben das meiste Ansehen haben. Nach deren Entschei- dung und Meinung richtet sich der ganze Gang der Dinge und jeder Plan. Die Plebejer aber werden beinahe wie Sklaven geachtet. Sie wagen nichts für sich allein und werden zu keiner Berathung zugezogen. Viele, wenn sie von Schulden oder von Misshandlung Mächtiger be- drückt werden, geben sich den Vornehmen in Knechtschaft, denen dann alle Rechte über sie zustehen, wie Herren über Sklaven. Dies entspricht überzeugend den o. S. 188 gemachten Angaben über die irischen Neme und Fene. Strabo bestätigt, dass die gallischen Staatsverfassungen meist aristokratisch waren, bemerkt aber, dass das Volk früher alle Jahre einen ersten Vorsteher wählte, und dass ebenso der Anführer für den Krieg vom Volke bestimmt wurde. Beide jedoch sprechen davon, dass neben dem Adel auch die zahlreiche Priesterschaft zu den Vornehmen gehörte, und Strabo theilt die Priester in Barden (Sänger), Vates (Opferer) und Druiden, welchen letzteren meist die privaten und öffentlichen Streitigkeiten zur Entscheidung überlassen waren und grosse Achtung gezollt wurde. Sie standen unter einem gewählten Oberhaupte und hatten ein Zentralheiligthum bei den Carnuten. Dabei erwähnt er, dass zwar die öffentliche Sittlichkeit nicht zu loben sei, dass aber nicht bloss Einzelne, sondern ganze Gemeinden sich auch des Unterrichts an- nähmen und sich Sophisten, nicht bloss für ihr Haus, sondern auch in Britannien, Gallien und Helvetien. 229 für das Gemeindewesen, wie auch Aerzte hielten, und das Zusammen- leben zahlreicher Priester für eine Gegend als Segen gelte. Alle weiteren Nachrichten ergeben über die Gestaltung der länd- lichen Verhältnisse nichts Näheres. Sie bestätigen nur, dass die Gallier bei Ankunft Caesars sowohl in Landwirthschaft, als in Handel und Gewerbe, in Bergbau, Metallverarbeitung, Salinenbetrieb, Flachs- und Wollenweberei, Waffen- und Schmuckverfertigung und im Schiff- bau bereits eine ziemlich hohe Stufe erreicht hatten, und dass ein lebhafter Handelsverkehr zu Lande, wie auf den Strömen und zur See bestand, der für den Binfluss Massilias und Italiens spricht. Daraus ist ersichtlich, wrie die vorgeschrittene Kultur sowohl die religiösen als politischen Zustände den durch die Iren bekannten alten volksthümlichen Grundlagen bereits völlig entrückt hatte. Als Er- innerung an diese Vorzeit fällt nur auf, dass Caesar (VI, 13) von den Druiden erzählt, sie erachteten ihre Lehren aus Britannien nach Gallien übertragen und reisten noch damals zum Studium dorthin. Sie müssten hier eine grosse Menge Verse lernen, die nicht aufge- schrieben werden dürften, obwohl man sonst griechisch schreibe. Dies spricht für den inneren Zusammenhang der nationalen Ideen und für das Alter und für die Bedeutung der Triaden. Von der Clan- verfassung aber ist in Gallien keine ersichtliche Spur mehr erhalten. Dagegen erinnert an die irischen Viertheilungen, dass die Helvetier (Mommsen, im Hermes, Bd. XIX S. 316) in 4 Pagi und die 3 nach Gallatien vorgedrungenen Stämme der Tolistoagen, Trogmer und Tectosagen (Plinius h. n. V, 32) in je 4 Tetrarchien zerfielen. — Ueber Britannien vermögen Caesar wie Strabo noch weniger als über Gallien zu berichten, indess machen sie doch einige Be- merkungen, welche die Verhältnisse als den altirischen wesentlich näher stehend zeigen. Caesar sagt (V, 12 und 14): Britannien Avird im Innern von denen bewohnt, welche, soweit die Erinnerung reicht, auf der Insel geboren sind, die Küstengegenden von denen, die der Beute und Fehde wegen aus Belgien herüberkamen, und welche nach dem Kriege dort blieben und Aecker zu bebauen anfingen. Sie werden fast alle mit den Namen der Staaten benannt, aus denen sie stammen. Die Menschen- menge ist überaus gross, auch die Zahl des Viehs bedeutend. Die Gehöfte sind sehr zahlreich und den gallischen ähnlich. Sie benützen als Geld Erz oder eiserne, auf ein gewisses Gewicht abgewogene Stücke. Im Süden wird Blei, Eisen an der Küste gefunden, indess nur wenig. Das Erz, das sie brauchen, ist eingeführtes. Holz be- HI. 7. Dm Yolkstlium der Kelten sitzen sie von jeder Art wie in Gallien, ausser Buchen und Fichten. Hasen,1) Hühner und Gänse zu essen, erachten sie für Unrecht, sie halten sie jedoch zum Vergnügen. Das Klima ist gemässigter, mit weniger Frost als in Gallien. Die kultivirtesten sind die Bewohner von Cantium an der Küste, welche wenig von gallischer Sitte abweichen. Im Innern säen viele kein Getreide, sondern leben von Milch und Fleisch und kleiden sich in Felle. Alle Britannier streichen sich mit Waid an, was ihnen eine schwarzblaue Farbe giebt, so dass sie um so schrecklicher in der Schlacht aussehen. Sie haben lang herabhängende Haare, und sind ausser Kopf und Schnurrbart rasirt. Eine Stadt (oppidum) nennen sie, wenn sie verhauene Wälder mit Wall und Graben befestigen, wohin sie sich gegen den Einfall des Feindes zurückziehen können. Strabos (IV, 5) oben S. 191 gedachte Bemerkungen über die Wohn- stätten sind dem völlig entsprechend, aber besonders dadurch wichtig, dass er die Errichtung dieser mit gefällten Bäumen umzäunten Plätze als nicht auf lange Zeit beabsichtigt bezeichnet. Darin lässt sich mit Recht eine Beschreibung der irischen Townlands sehen. Die Menschen findet Strabo grösser als in Gallien und weniger rothhaarig, aber von schwammigerem Körperbau. In ihren Sitten seien sie zwar den Galliern ähnlich, aber noch einfältiger und bar- barischer, so dass einige, die doch Ueberfluss an Milch haben, nicht einmal Käse machen, weil sie es nicht verstehen. Sie wissen auch nichts von Gartenbau und anderen landwirtschaftlichen Beschäfti- gungen. Er spricht sogar von Kannibalismus, welchen Hieronymus (adv. Jovinianum II) für Irland aus eigener Anschauung bestätigt. Auf die Clanverfassung lässt sich bei Strabo nur die Bemer- kung beziehen: Es herrschen daselbst einzelne Häuptlinge. Da- gegen hat Caesar die charakteristische Angabe: Sie haben je 10 bis 12 unter sich gemeinschaftliche Frauen, am meisten Brüder mit ihren Brüdern, und Eltern mit ihren Kindern. Die aber von diesen geboren werden, werden als deren Kinder angesehen, denen sie zuerst als Jungfrauen gefolgt sind. Dies wird nun dadurch erläutert, dass einerseits Strabo (IV, 5) von den Iren sagt : Sie vermischen sich öffentlich nicht nur mit anderen Weibern, sondern auch mit ihren Müttern und Schwestern, !) Die bei den Lappen und aus den gefundenen Skeletten auch bei den Höhlen- enschen beobachtete Sitte, die Hasen nicht als Jagd- und essbare Thiere zu be- handeln, ist also nicht eine bloss lappische, sondern auch eine keltische, in Britannien, Gallien und Helvetien. 231 so habe ich dies erzählen hören, ohne jedoch glaubwürdige Zeugen dafür zu haben. Andererseits lä.sst Dio Caesius (XLII, H) die Run duica sich rühmen : Ich herrsche über britannische Männer, die sich zwar nicht auf den Bau der Aecker und auf Künste verstehen, aber der Werke des Krieges kundig sind, und so nicht nur alles Andere, sondern auch Weiber und Kinder gemeinschaftlich haben, und ich herrsche so auch über deren Weiber, die damit die wahre Kraft der Männer besitzen. Auch Hieronymus sagt von den Skoten (Zeuss, 569) uxores proprias non habent. Damit wird allerdings ein eigenthümliches Licht auf die gweles im Stammhause geworfen. Die Meinung besteht offenbar bei den römischen Schriftstellern, welche Nachrichten über das Leben der alten Kelten gesammelt haben, dass bei diesen volle Freiheit des Ge- schlechtsumganges herrsche. In Betreff des Zusammenlebens im Stamm- hause und innerhalb der Gavaels wird dieser Zug auch als glaubhaft erachtet werden dürfen, denn er wird durch das o. S. 183 u. 205 genannte Gavelkindsystem bestätigt.1) Die Sitte, dass uneheliche Kinder wie ') Diese Zustände sind nach dem Vorgange Morgan's durch das sogenannte Mutterrecht erklärt worden. Allgemein wird aber anerkannt werden müssen, dass nach dem Bau und den Funktionen des weiblichen Körpers eine Gynaekokratie niemals möglich war, und dass die erste Erhaltung und Lebensweise der Menschen nur wie die der Heerdenthiere verstanden werden kann. Deshalb handelt es sich um die zwingenden Sorgen der Mütter. Wie dem Leitthiere der Heerde stand dem Häuptlinge, der jedem Andern überlegen war, jede Frau zu Gebote, die er zur Zeit vorzog, und frei- willig oder gezwungen folgten die Frauen auch anderen Männern. Jeder Wechsel aber wandelt Liebe leicht in Hass, und es ist Unkenntniss der Vaterschaft ebenso natür- lich, wie dass die Frau Schutz für sich und ihre Kinder bei ihren mütterlichen Ver- wandten, Brüdern und Vettern suchte. Diese waren durch lange Zeiträume, bis die Ehen feste Gestalt erlangten, ihr einziger Anhalt. Die zweite Stufe war, dass Besonnenheit und Erfahrung, als ärztliche und priesterliche Hülfe und Rath, Einfiuss gewannen. Den Weisen wurden die Nachtheile der Vergewaltigung von Kindern und Geschwistern bewusst, und es gelang ihnen, ein Verbot, ein Tabu, zur Geltung zu bringen. Dazu half ihnen die natürliche Empfindung und religiöse Ahnung, aber hauptsächlich mystische, zauberhafte Drohung, in der sie zugleich die Erhöhung ihres eigenen An- sehens, ihrer Sicherheit und ihres Erwerbes erlangten. Das Tabu nimmt nothwendig und überall die Gestalt priesterlicher Aufsicht, Strafe, Reinigung, ausnahmsweiser Zu- lassung und erkaufter Ablässe an. Deshalb ist es auch erfahrungsmässig völlig unberechenbar und kann mit der wachsenden Macht der Priesterschaft zu den sonder- barsten Konsequenzen und Abwegen führen Innerhalb der Beziehungen des Connubiums war es jedoch eines der frühesten und segensreichsten und musste durchgreifende Bedeutung für die Bildung der Gentes haben. Aber die Verschiedenheiten in der Gestaltung der Gentes, welche Morgan vorführt, erschöpfen alle überhaupt denkbaren Kategorien und Gegensätze und zeigen dadurch deutlich , dass dabei nicht an natur- gesetzliche Regeln zu denken ist. Auch wirken später nicht allein die sittlichen 232 III. 7. Das Yolkstluun der Kelten iu Britannien, Gallien und Helvetien. eheliche galten, Hess sich nicht ausrotten. Das Christenthum ver- mochte nichts über sie. Solche Kinder hiessen nicht uneheliche, sondern Gavelkinder, Bett- oder wohl gemeinsame Bettkinder. Dass aber diese Sitte den Engländern ein solcher Gräuel war, und von ihnen durch-' uns die Abstellung gefordert wurde, lag schwerlich in dem Charakter als Konkubinenkinder, denn Bastarde waren auch in England häufig, sondern in dem mit dem Clanhause wirklich oder angeblich ver- bundenen nationalen Herkommen einer gewissen Weibergemeinschaft. Entsprechend dieser ungünstigen Grundlage des Volksdaseins war auch die Erziehung. Die Kinder des Häuptlings wurden den Familien der Untergebenen zum Aufziehen übergeben. Die Knaben dagegen kamen in einem gewissen Alter an die Hofhaltung des Häuptlings und wurden einem der Mannen zur Lehre überwiesen. Bei der Aufnahme unter die Männer wurde jedem eine Harfe und ein Brettspiel mitgegeben. Offenbar ist das Leben phantastisch, wie Recht und Kunst. Reden, Gedichte und Sophisten wiegen vor. Die Ideenwelt erscheint in starkem Widerspruche mit der realen Wirk- lichkeit, und die volksthümlichen Wünsche und Ansprüche verfallen bei der Durchführung in ihr Gegentheil. Ideen der Zulässigkeit, sondern wesentlich wirtschaftliche. Es wird entscheidend, ob die Kinder als Erwerb der mütterlichen Gens gelten, oder ob die Frau für die Gens geraubt oder gekauft wird, endlich ob Frauen Vermögen haben, oder sogar Grund- stücke erben können. Alles dies aber hängt von Macht nnd Anschauungen ab und bestimmt die weitere Entwickelung in zufälliger Weise. Für die Iren steht das Connubium zwischen den gentes überhaupt nicht in Frage, da kein Eheverbot in oder ausserhalb der Gens gilt, sondern sogar der Umgang mit Vätern und Müttern gestattet erscheint. Man hat also nur die Wahl, ob man ihre Zustände als den Rest des rohesten Heerdendaseins , oder gegenüber den gleichzeitigen Sitten der übrigen Arier, als Entartung betrachten will. IY, Grundbesitzverhältnisse, Kolonien und Landwirtschaft der Römer, I. Die älteste Siedelung in Italien und den Alpenländern. Das grosse, früher keltische Gebiet nördlich der Alpen, das in Süddeutschland bis zum Main, in Gallien bis zum rheinischen Limes und in Britannien bis zum Pikten wall reichte, hat durch mehr als 400 Jahre unter dem Einfiuss römischer Herrschaft und römischer, vorzugsweise auf Landwirthschaft gerichteter Betriebsamkeit gestanden. Die Art und Weise, wie die Römer mit der Eintheilung und Be- Avirthschaftung von Grund und Boden in den Provinzen vorgingen, lässt sich jedoch nicht in dem Sinne als national bezeichnen, wie es die keltischen und germanischen Zustände waren, in die sie eingriffen. So sehr auch die Sage die früheste Zeit Roms verschleiert, ist doch nicht zu bezweifeln, dass es erst spät von Albalonga aus ent- stand, und zwar nicht als dessen Kolonie, sondern durch Ver- triebene und Abenteurer, welche sich auf dem Palatin festsetzten und seine Umgebung zu behaupten wussten. Ebenso ist sicher, dass die kleine, günstig belegene und energisch geleitete Niederlassung rasch ihr Gebiet erweiterte und eine verhältnissmässig zahlreiche, ge- mischte Bevölkerung aufnahm, die sich aus losgelösten Gliedern mehrerer, seit lange sesshafter Nachbargemeinden verschiedener Natio- nalität zusammensetzte. Dies erklärt die eigenthümlich selbstständige und ideenmässige Entwickelung des neuen Staatswesens. Alles ist Auswahl des Zweck- mässigen und Logischen aus der bereits vorhandenen, erheblich älteren, latinischen, etrurischen und griechischen Kultur. Fast mehr noch als die Staaten grosser Völker aus dem volkstümlichen Be- 234 IV- l« ^i(' Mteste Siedelang in Italien und den Alpenlandern. wusstsein ging »las römische Weltreich in beharrlicher Konstanz und Gleichartigkeit der Erscheinungen aus dem politischen Gedanken hervor. Mit der bestimmtesten Konsequenz und Planmässigkeit wurden die zur Geltung gekommenen Ideen und Einrichtungen fest- gehalten . starr und formal aus sich selbst weiter gebildet und als feste Regeln bis in die fernsten Theile des Weltkreises übertragen. Auf agrarischem Gebiete beruhten die Kulturbedingungen, welche die Römer in den weiten nördlichen Keltenländern geschaffen haben, wesentlich auf der eigenartigen Entwickelung der Grundbesitzrechte und Wirthschaftszustände während der letzten Zeit der Republik. Sie erhielten ihren besonderen, nahezu merkantilen Charakter durch die schnell gewonnene Herrschaft über Italien und über die mehr und mehr anwachsenden Provinzen. Schon die Blüthe der Kaiserzeit empfand die Schwierigkeit, den fremdartigen Verhältnissen und Be- dürfnissen dieser Eroberungsländer mehr als nur äusserlich zu ent- sprechen. Seit Gibbon verfolgt die Forschung die fast unerschöpf- liche Aufgabe, aus den Rechtsbüchern und dem dauernd sich mehren- den Inschriftenschatze die Frage zu beantworten, wie weit es der römischen Verwaltung gelungen, die hergebrachten Gesichtspunkte des Staatsgebäudes gegen das Schwergewicht der neuen Umstände in Geltung zu erhalten, und welche Einrichtungen desselben so tiefen Boden fassten, dass sie den Verfall des Weltreiches überdauerten und in den Neubildungen des Mittelalters und der modernen Kulturstaaten erkennbare Spuren hinterliessen. Indess erweist sich doch neuerdings das konsequente und pietätvolle Festhalten der Römer an althergebrachten Ideenverbin- dungen und verschiedenen, selbst sehr unwesentlichen Gebräuchen, Einrichtungen und Bezeichnungen als ein unerwartetes Hülfsmittel für das Verständniss ältester Siedelungs- und Agrarzustände. Die lange zum grossen Theil für sagenhaft geachteten Nachrichten über die ursprünglichen Ackervertheilungen und Abgrenzungen, über die agrarischen Heiligthümer und Kulthandlungen und über die politischen Beziehungen ländlicher Genossenschaften verknüpfen sich mit der sorgfältigen Erforschung tatsächlicher Fundstätten und der kritischen Durchdringung der römischen Gesetzgebung mehr und mehr zu einem Bilde der altrömischen Agrarentwickelung, wie es nur bei einem solchen Reichthum alter und zusammenhängender Ueber- lieferungen möglich ist. Da diese Entwickelung die frühesten Er- innerungen an die arische Zuwanderung nach Italien einschliesst, deren vorgeschrittenste Staatenbildungen zur Zeit der Begründung Roms IV. 1. Die älteste Siedelüfig in Italien iiml den Alpenländern. 235 die latinische und die etrurische wann , vermag sie auch zur Auf- hellung der Siedelungserscheinun^fii Europas nördlich der Alpen wesentliche und verwandte Züge beizutragen. — Als die ältesten Arier Italiens lassen sich die Italer erkennen. Die Zeit ihrer Anwauderung ist aus ihrer geographischen Stellung zu Kelten und Germanen zu beurth eilen. Die Kelten hesetzten von Osten her auf dem gradesten Wege die für Nomaden günstigsten Theile Mitteleuropas, die weiten und meist ehenen Gefilde jenseits der Karpathen im Donau- und Rheingehiet. Ihnen wichen die Germanen schon vor den Karpathen nach Norden aus, die Italer aber wandten sich nach Süden der unteren Donau zu, und müssen dann durch das schmale Savethal zwischen den Kärnthnischen und Julischen Alpen über den Karst nach Italien gelangt sein. Diesen Weg aber hätten Nomaden nicht genommen, wenn ihnen Ungarn offen gewesen wäre. Jenseits des Karstes im Friaul fanden sie bereits eine viel ältere Bevölkerung vor. Unter den Aboriginern Italiens werden Sicaner, Japygen, A puler, Daunier, namentlich aber im Norden Ligurer und im Süden Siculer genannt. Dass diese beiden desselben Stammes waren, kann zwar bezweifelt werden. Die übereinstimmend benannten Orte Segesta, Eryx, Entella in Sicilien und an der Riviera können fremde Gründungen sein. Indess schreibt Verrius Flaccus1) auch die Umgegend von Rom ursprünglich den Ligurern und Siculern, Dionysius v. Halicarnass (I. 9) den Siculern, (I. 41) den Ligurern zu, und ligurische Namen, besonders häufig Alba, sind über ganz Italien verbreitet. Die übrigen alten Stammnamen sind möglicher Weise nur landschaftliche Bezeichnungen. Jedenfalls sind die Ligurer als das Hauptvolk zu betrachten, welchem die Italier zunächst im nörd- lichen Italien begegnen mussten.2) Dem östlichen Oberitalien bis an den Fuss der Alpen blieb seit der ersten Besitznahme durch die Italer bis in späte Zeit der Name Umbrien erhalten. Aus dem Stammvolke gingen allmählich Osker, Sabiner und Latiner mit allen ihren bis nach Apulien reichenden Verzweigungen und Vermischungen ') In Fcstus ed. Müller p. 320. 2) Vergl. Müllenhoff, Deutsches Alterthum I, 191, III, 173 ff. Die ebenfalls unter den Aboriginern genannten Messapier erklärt Mommsen (Ueber die unteritalischen Dialekte, 1850) für arisch, und wie das I. Buch des Dionysius zu belegen scheint, sind von den gräcischen und scytischen Ariern der Balkanhalbinsel reine oder gemischte pelasgische Stämme auch nach Italien übergegangen. Aber sie verschwinden ohne Bedeutung unter der latinischen Bevölkerung, und es spricht Nichts für eine Vermuthung, dass sie vor den Italern eingewandert seien. 236 ^ • 1- Die älteste Siedeltmg in Italien und den Alpenländern. hervor. Diese sind das Zeugniss für beträchtliches Anwachsen und frühe.- Ueberwiegen der italischen Bevölkerungselemente auf der gesammten Halbinsel. anscheinend noch vor 1000 wurden sie jedoch durch die eben- falls arischen Rasener oder Etrusker von Rhätien aus sowohl in der Poebeue und in der Aemilia, als jenseits des Apennins bis ungefähr zur Tiber unterworfen. Die Etrurier aber unterlagen wieder seit lol dem Einbrüche der Gallier, welcher die gesammte oberitalische Ebene mit der Aemilia. und zuletzt auch noch die im umbrischen Besitze verbliebene Küste zwischen dem Rubicon und dem Aesis keltisch bevölkerte. So liegen schon vor der römischen Herrschaft nördlich des Apennins mindestens vier Schichten verschiedener Völker übereinander, deren Zustände sehr verschieden waren und keineswegs ein stetiges Fortschreiten der Kultur voraussetzen lassen. Alles, was Diodor (V, 39) aus den Berichten des Posidonius über das mühevolle Jäger- und Holzhau erleben der Ligurer in den Seealpen mittheilt, ist bei der sommerlichen Benutzung der Hoch- alpen durch die Natur der Verhältnisse geboten und erweist ihre besondere Rohheit ebensowenig, wie seine Bemerkungen über das kühne Befahren des Mittelmeeres mit den elenden Fahrzeugen ihrer Handelsleute. Hundert Jahre vor Posidonius führten die Römer langjährigen Kriege mit den Ligurern, weil sie nach Etrurien und gegen Massilia in gefährlichen Zügen einfielen. Dabei erwähnt Livius (35, 11. 21. 39, 1. 2. 32. 40, 19) mehrmals ihre oppida, vici und castella, auch ihre Weinberge und Getreidefelder. Indess die alten oben genannten Städte und der ausgedehnte Handel von Genua gestatten bereits für viel frühere Zeit hinreichend sicher den Schluss, dass die von jeher in Italien ansässigen Ligurer, welche lange vor aller bekannten Geschichte nicht ausser Berührung mit den uralten Kulturvölkern des Mittelmeerbeckens zu denken sind, gegen die aus den kaspischen und politischen Steppen herangekommenen Italer an Kultur nicht zurückgestanden haben. Ebensowenig lässt sich annehmen, dass die Etrurier, deren frühere Wohnsitze in den rhätischen Alpen zu suchen sind, in diesen weit höhere Bildung erlangten, als die Italer, denen schon lange vor ihrer Unterwerfung die Kunsterzeug- nisse und Kunstfertigkeiten Phöniziens und Syriens wenigstens in den Küstenlandschaften nicht unbekannt geblieben sein können. Die Etrurier sind noch in römischer Zeit vorwiegend ein herrschender, zum Theil abenteuernder Adel, und ihre Industrie wie ihr Alphabet, IV. 1. Die älteste Siegelung in Italien und den Alpeniänderh. 23? die sich nicht höher als um 800 v. Chr. hinaufrücken lassen,1) waren nicht ausschliesslich ihre nationale Schöpfung, sondern sind auch den unter anspruchsvollen Herrschern erklärlichen Fortschritten der älteren arbeitenden Bevölkerung und dem durch die griechischen Kolonien verstärkten Einflüsse des Orientes zuzuschreiben. Die Gallier aber standen um 400 wieder gegen die Entwiekelung der blühenden Städte Etruriens, die sie zerstörten, weit zurück, wie noch Polybius (II, 17) bezeugt. Da aber der Eroberer als Machthaber die Hülfs- mittel und Erzeugnisse der Unterworfenen in reichlichem Maasse und unter leichten Bedingungen erlangen kann, ist es natürlich, dass der Luxus des herrschend gewordenen Volkes leicht und schnell steigt , und es erscheinen kann , als habe dieses selbst die Kultur mit sich gebracht, die es nur ausgiebiger ausnutzt. — Wenn also in der Gegenwart in Oberitalien eigenartige Bau- reste und Gebrauchsgegenstände aus dem Schutte von Jahrtausenden aufgedeckt worden sind, ist es schwierig zu sagen, welchem dieser alten Völker sie angehören. Indess liegt das grössere Gewicht auf dem Verlaufe der Kulturentwickelung, der sich aus den aufgefundenen Resten erkennen lässt. Diese Funde sind in überraschender Ausdehnung gemacht worden. In dem alten Umbrien zwischen den Alpen und dem Apennin wurden zahlreiche Trümmer fester Ansiedelungen aufgefunden und mit grosser Aufmerksamkeit beobachtet. In weiterem Zusammenhange aber hat Wolf gang Heibig alles über dieselben Bekannte in der Schrift: Die Italiker in der Poebene, 1879, sorgfältig gesammelt und erläutert. Durch die von Gastaldi 1861 begonnene Untersuchung der von den Bauern sogenannten Terramare oder Terramarina, d. h. düng- ende Stoffe enthaltende Erdschichten im Ackerlande, ist man bis 1879 bereits auf 89 von Heibig speziell kartirte Pfahldörfer gestossen, welche nördlich des Po von Legnago zum Gardasee bis gegen Brescia, südlich des Po aber von Cremona über Parma, Reggio und Modena bis um Bologna in ziemlich eng gedrängten Gruppen verbreitet sind, und voraussichtlich in den zwischenliegenden Gegenden, soweit sie nicht von Wasser bedeckt waren, in ähnlicher Weise aufgefunden werden könnten. Diese Dorfanlagen standen nur zum geringeren Theil in Sümpfen oder Seen, die meisten, namentlich die der Aemilia, auf trockenem Boden, wenn auch immer in der Nähe von Flussläufen. Sie sind als ') Heibig a. a. 0. S. 100 u. 103. ■j;;» IV. 1. Die älteste Siedelnng in Italien und den Alpenländern. geschlossene Dörfer dadurch gekennzeichnet, dass sich die Umzäunung durch einen Graben und einen bisweilen durch Holzwerk unter- stützten Erdwall deutlich erkennen lässt. Ihr Flächeninhalt umfasst in der Regel o bis 4 Hektar, schwankt aber auch von 1 bis 10 ha, und die Form ist stets ein ziemlich regelmässiges Oblong, dessen Schenkel nach den 4 Himmelsrichtungen orientirt sind. Das Holz- werk des Walles ist in Gorzano als eine äussere und innere Palli- sadenreihe, in Castione als zwei gegen einander gelehnte Pfahlreihen, welche mit Erde beschüttet waren, festgestellt worden. In Castione zog sich auf der inneren Wallseite ein aus horizontal über einander gelegten Balken kastenartig konstruirter , im Innern mit Thon und Reisigbündeln ausgefüllter und oben mit einem Estrich von Sand und Kieseln belegter Wallgang hin. In einer Anlage führte ein er- höhter, aufgeschütteter Weg durch die Mitte von Nord nach Süd, in einer andern von West nach Ost. (Heibig, S. 60.) Innerhalb des von dem Walle umgebenen Raumes fanden sich, wie Heibig (S. 12) beschreibt, Reihen von 2 bis 3 Meter langen Pfählen in den Boden eingerammt. Diese Pfahlreihen waren der Länge wie der Breite nach durch horizontale Balken verbunden, und auf den letzteren ruhte eine Lage von Bohlen. Ueber die Bohlen- lage aber sind dann, um eine möglichst ebene Fläche zu erzielen, Schichten von Sand, Kieseln und Thonerde ausgebreitet, und hierauf die Wohnstätten der Insassen des Dorfes errichtet worden. Die einzelnen Wohnstätten selbst waren Hütten der primitivsten Art. Weder Stein noch Ziegeln finden sich vor, dagegen öfters Stücke von aus Lehm oder aus einer Mischung von Lehm und Stroh aufgeführten Wänden, Bruchstücke, welche mehr oder minder gebogen sind, und deshalb auf Hütten von rundlicher Form schliessen lassen. In der Regel enthalten diese Anlagen nicht nur einen, sondern mehrere, und zwar gewöhnlich drei übereinander errichtete Pfahl- baue. , Der Erdwall entspricht der ganzen Höhe derselben , und es ist möglich, dass die jedesmalige Erhöhung der Wohnstätten von einer entsprechenden Erhöhung des umgebenden Erdwalles begleitet war. Auf der Fläche, von der aus sich die oberen Pfahlbauten über die unteren erhoben, und an den Balken der unteren Pfahlbauten selbst sind bei genauer Untersuchung Spuren von der Wirkung des Feuers beobachtet worden. Feuersbrünste mögen leicht entstanden sein. Sie werden durch die unverletzten Utensilien bestätigt, die im Schutt vorkommen. Auf den unter den Pfählen befindlichen Boden warfen die Insassen der Hütten Speisereste, alte Gerätschaften und IV. 1. Die älteste Siedelung in Italien und den Alpenländern. 239 was ihnen sonst im Wege war, von dem Pfahlbau herab, so dass sich die Abfälle bis zur Plattform aufthürmen konnten. Aus den in diesen Massen erhaltenen Knochen ergiebt sich, dass besonders Rinder, nächstdem Schweine und auch Ziegen, sowie einige Schafe gehalten wurden. Ausserdem sind zwei Spezies von Pferden und Hunden nachgewiesen. Reste wilder Thiere sind sehr selten. Es sind Knochen und Geweihe von Hirschen und Rehen, sowie von Wildschweinen, und zwei Bärenzähne aufgefunden. Beachtenswerth er- scheint, dass nur ein einziger Fischrest, und nirgends ein Angel- haken gefunden wurde, obgleich der Po und seine Nebenflüsse sehr fischreich sind. Neben der Viehzucht war danach weder Jagd noch Fischfang, sondern der Feldbau Nahrungsquelle. Nach den Resten zu schliessen, baute man Weizen (triticum vulgare, hibernum und turgidum), Bohnen (faba vulgaris), Flachs (linum usitatissimum) und die Rebe (vitis vinifera). Von Obst sind nur Aepfel (malus communis) und Schlehen, wilde Kirschen, Kornelkirschen, Waldbrombeeren, Haselnüsse, Flieder, Pimpernuss und Eicheln nachgewiesen, aber keine Kastanien. Ge- spinstpflanzen wurden benutzt. Es sind Seile und Faden aus Flachs und aus dem Bast der Clematis vitalba, sowie eines Ginsters, nicht selten. Nebst den wirtelartigen Utensilien aus Thon, Stein oder Hörn finden sich auch die für Webergewichte gehaltenen Gehänge , und da recht zierlich aus Ruthen geflochtene Korbreste erhalten sind, wird sich auch die Herstellung von Geweben annehmen lassen. Die Thongefässe, vorwiegend Töpfe, Schalen und Näpfe, sind lediglich mit der Hand, ohne Drehscheibe gearbeitet und an der Sonne oder bei offenem Feuer getrocknet. Ein halbmondförmiger Henkel, der sich anderwärts nicht findet, ist besonders üblich. Die Waffen und Geräthe aus Stein und Knochen entsprechen den all- gemeinen Typen, ebenso die aus Bronze hergestellten Aexte, Sicheln, Messer und Friemen, Kämme und Nadeln. Dagegen fehlen Schwerter, und bronzene Fibeln, Armbänder, Ringe und Beschläge. Alle Bronze ist nur Guss, nicht geschmiedet, aber Gussformen für Herstellung am Orte selbst sind aufgefunden. Eisen, Glas, Smalte, Silber und Gold wurden nicht nachgewiesen, wohl aber einige Bernsteinperlen. Die Ornamente in Thon und Bronze sind Kreise, Dreiecke, krumm und grade, auch symmetrisch eingeritzte Linien, aber keine in sich abgeschlossenen ornamentalen Schemata. Einige rohe Fragmente aus Thon gekneteter Thierfiguren haben sich gefunden. Aber Götter- idole, überhaupt alle Andeutungen eines Kultus, fehlen gänzlich. •j.jii IV. 1. l>ic älteste ßiedelung in Italien lind den Alpenländern. Während von Hütten auf den Pfahlbauten bis jetzt nur Spuren gefunden sind, haben in freiem Lande günstige Umstände entsprechende deutliche Reste derselben erhalten. Auf dem umbrischen Gebiete in der Aemilia und im Thale der Vibrata sind mehrere Hunderte runder Hütten aufgedeckt, deren gruppenweises Zusammenliegen auf den Bestand kleiner Dörfer schliessen lässt. Namentlich in und um Bologna waren 1879 bereits 172 solche Bauwerke festgestellt und näher untersucht.1) Der übereinstimmende Charakter aller dieser Wohnstätten ist, dass der Durchmesser ihres inneren Raumes in der Regel zwischen 3 und 4 m schwankt und niemals 6 m überschreitet. Derselbe ist etwa 0,8 m in den Erdboden eingegraben. Um den Rand der Grube rinden sicli die Spuren von Pfählen, welche die Aussen wand stützten. Diese runde Wand war, nach den erhaltenen Fragmenten zu schliessen, aus Reisig und Lehm hergestellt. ' Der Raum, den sie einschloss, ist zu klein, als dass man an innere Scheidewände, oder an andere Oeffnungen als eine Thür und ein in der Bedachung angebrachtes Rauchloch denken könnte. Bisweilen aber sind zwei benachbarte Hütten durch einen in die Erde gegrabenen Gang mit einander verbunden.2) Da Ephorus (bei Strabo V c. 244) erzählt, dass die Kimmerier am Avernersee in unterirdischen Woh- nungen hausten und vermöge Gräben mit einander verkehrten, so erscheint die Bestimmung dieser Gräben nicht zweifelhaft. Verschieden dagegen sind die in den Hütten gefundenen Manu- fakte.3) Bei weitem in den meisten sind sie völlig primitiver Art und die halbmondförmigen Henkel der noch mit der Hand gearbeiteten Thongefässe stellen die Gleichartigkeit mit den Hütten der Pfahlbau - dörfer hinreichend fest. In einigen haben sich indess auch mit Spiralen ornamentirte und mit der Drehscheibe gearbeitete Gefässe gefunden, ebenso aes rudis, Bronze und Eisen. In Bologna, der alten Etruskerhauptstadt Felsina, aber sind sogar Hütten entdeckt worden, welche Fragmente rothfigurirter griechischer Vasen enthielten. Diese Hütten unterscheiden sich nur durch einen etwas längeren, bis zu 6,5 m ausgedehnten Durchmesser und dadurch, dass die Erdwände der unterirdischen Theile bisweilen durch eine Art von Sockel aus rohen, ohne Mörtel zusammengesetzten Luftziegeln, einmal auch aus unbe- hauenen Feldsteinen gebildet sind. Wie in Bologna sind zu San- ') Zanoni, scavi della Certosa, Bologna 1876, p. 42. Heibig, S. 47. *) Archivio per l'antropologia II p. 348. 3) Ebd. p. 486. IV. 1. Die älteste Siedelang in Italien und den Alpenländern. 241 polo d'En'za in ganz gleichen Hütten die Fragmente griechischer Vasen, ausserdem Scherben mit eingekratzten etruskischen Inschriften gefunden worden.1) Es niuss also angenommen werden, dass sich auf der Ostseite des Apennins, wohin der griechische Einfluss erst später und weniger wirksam vordrang, das Wohnen in den primitiven Hütten mindestens bis Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. erhalten hat.2) Deshalb ist völlig erklärlich, dass neben den runden Hüttenresten auch drei viereckig angelegte solche Baue zu Bologna auf der via del Pratello aufgedeckt worden sind. Der eine näher untersuchte bildete ein Quadrat, dessen Schenkel gegen 5 m lang waren. Da der Boden in einer Entfernung von 1,37 — 1,42 m von der Südwand Spuren von Pfahllöchern zeigte, ergiebt sich, dass das Dach besonders gestüzt war. Man errichtete auch bereits, wie dies die Hausurnen in Anlage 28 D näher andeuten, eine Art Vestibulum. Die in den drei viereckigen Hütten gefundenen Manufakte waren zahlreicher und zum Theil sorgfältiger gearbeitet, als die der runden Hütten der- selben Periode, so dass Zanoni sie als Wohnstätten wohlhabender Familien beurtheilt. Ohne Zweifel charakterisiren diese Reste mit •ziemlicher Deut- lichkeit die einfachen Lebenszustände einer festangesiedelten , in Dorfschaften vereinigten, landbauenden Bevölkerung, deren Wirt- schaftsweise, Bedürfnisse und Sitten sich seit ziemlich früher Zeit bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts nur unwesentlich und in sehr langsamem Fortschritte geändert haben können. Diese Constanz der Lebenslage und der Kulturansprüche ist für eine ackerbauende Be- völkerung nicht überraschend, und wenn es auch auffallend ist, dass in der berühmten Hauptstadt der Etrusker bis 450 so einfache Zu- stände bestanden, ist doch bis auf den heutigen Tag gewöhnlich, dass wenigstens auf dem Lande die ärmlichsten Hütten neben stolzen, mit allem Luxus der Zeit ausgestatteten weltlichen und geistlichen Prachtbauten erhalten bleiben. — Wenn man aber die vorliegenden Thatsachen im Einzelnen prüft, geben sie doch zu mancherlei näheren Erwägungen Anlass. Die nächste Frage knüpft sich an die Pfahlbaureste. Ganz entsprechende, aus künstlich eingerammten Pfahlreihen und verbundenen Balken errichtete Gerüste, welche die Hütten der Bewohner tragen, waren den Forschungsreisenden in Ostindien, auf *) Zanoni a. a. 0. p. 44. *) Heibig a. a. 0. S. 49. Meitzen, Siedeluag etc. I. 1.6 242 1V- '■ ,>ie Wtesle Siedelung in Italien und den Alpenländern. Borneo, Celebes, Neuguinea, Neuseeland und den Karolinen, utid ebenBO in den Stromgegenden des nördlichen Südamerika seit lange bekannt. Sie sind von den wilden Bewohnern überall erbaut, um bei jährlichen wie bei plötzlichen Ueberschwemmungen gesichert zu sein, und um Schutz gegen feindliche Ueberfälle, gegen wilde Thiere und Ungeziefer, wie gegen Miasmen zu haben. In dem trockenen Winter von 1853/54 wurden aber zu allgemeiner Ueberraschung ganz ähnliche Pfahlreihen mit Bauresten und Kulturschichten von Keller im Zürcher See bei Meilen entdeckt. Nachdem einmal das Auge dafür erschlossen war, gab es bald keinen der Schweizer Seen ohne bestimmten Nachweis solcher Anlagen, welche z. B. bei Wangen im Bodensee bis zu 40000 Pfähle nebeneinander umfassten. In den meisten dieser Anlagen zeigten sich ebenfalls zwei oder drei Bauten über einander, ebenso waren die Zwischenräume genau wie in den Terramare durch Abfalle aller Art gefüllt, und die Schichten meist durch Brand- sporen getrennt. In den untersten, also ältesten Schichten hatten die Artefakte nur den allereinfachsten Charakter. Metall fehlte in ihnen gänzlich. Roh geschlagene Steinbeile und Pfeilspitzen, ohne Drehscheibe oder Verzierungen hergestellte halbkugelförmige Gefässe und zugespitzte Knochen und Plornstücke bildeten die Geräthe, bei gleichwohl ziemlich gut gearbeiteten Gespinnsten und Geweben. Für diese dienten Bast, indess auch Flachs als Material. Lein und Gerste waren bereits Kulturpflanzen, aber die einzigen; von benutzten wilden Früchten fanden sich nur Holzäpfel und Waldbeeren. Die grösste Be- deutung aber beanspruchten die Reste der Fauna. Sie ergaben vor- zugsweise das Rennthier, Elenn und den Auerochs, die vielleicht schon zahmen Rinder, bos trochocerus, primigenius und braehycornis, sowie, ausser dem Wildschwein, das kleine Torfschwein. Damit also er- wies sich ihre sehr frühe, den Terramare erheblich voraufgehende, nahe an die Eiszeit heranreichende erste Anlage. Aehnliche Pfahlbaue sind dann auch westlich vom Gardasee im Lago Maggiore bei Mercurago, in den Seen von Varese und Brianza in Savoyen, im See von Paladru im Departement d'Isere, und ebenso in grosser Ausdehnung in den Pyrenäen entdeckt worden. Im Osten aber sind sie, an die Schweizerseen anschliessend, im Wurmsee, im Attersee und im Laibacher Moor in Kärnthen aufgefunden. Noch weiter nach Osten schildert Herodot (V, 16) die gleichen Pfahlbauten der Paionier im Prasiassee am Strymon. Auch in Rumänien sind in den zahlreichen linksseitigen Sumpfgegenden der Donau und an den in diese mündenden Nebengewässern derartige Pfahlbaureste bemerkt IV. I. Die älteste Siedelung in Italien und den Alpenländern. 243 worden.1) Daraus ergiebt sich, dass die Pfahlbauten an sich nichts für [Tmbrien Charakteristisches sind. Ihr Gedanke und ihre erste Er- richtung kann keinem nomadisirenden Volke angehören, denn sie bildeten ihrer Natur nach feste Ansiedelungen. Dass sie auch nicht lediglich des Fischerlehens wegen erbaut wurden, zeigt der Umstand, dass schon in den ältesten Resten die Gerste und der Flachs, und zwar in Gegenden gefunden wurden, wo ihre wilde Heimath nicht gedacht werden kann, wo beide also Kulturpflanzen waren. Da wir nun die Italer ursprünglich als Nomaden heurtheilen müssen, die Ligurer aber als sesshaft und als Ackerbauer kennen, welche sehr weit in die Alpen und selbst bis in die Cevennen und in die Provence verbreitet waren2), wird die erste Errichtung der Pfahlbauten den Ligurern oder einem anderen südlichen, nicht einem von Nordosten angewanderten Volke zugeschrieben werden müssen. Dem steht nicht entgegen, dass nicht überall, wo Ligurer wohnten, Pfahlbauten bekannt sind, denn der Pfahlbau knüpft sich an die Oertlichkeit, die ihn zweckmässig erscheinen lässt. Auch darin liegt kein Bedenken, dass in Umbrien noch keine älteren Pfahlbauten entdeckt worden sind, als solche, deren Bewohner bereits ausschliess- lich das noch heut in unserer Landwirthschaft übliche Vieh züchteten, denn es giebt auch in der Schweiz eine ganze Anzahl solcher, in jüngerer Zeit erst angelegter Pfahlbauten, z. B. Unter -Uhldingen, Supplingen, La Thun, Burg bei Vilters, Windisch, Ebersberg bei Berg u. a.3) Dagegen unterscheiden sich die umbrischen Pfahlbauten von allen sonst bekannten durch die runden Hütten und die Erd- umwallung. Die Hütten der Pfahlbaubewohner haben bis jetzt alle Beobachter dieser Anlagen als viereckige, mehr oder weniger lang- gestreckte Wohnräume aufgefasst.4) Viereckig sind auch die in Ostasien und sonst noch gegenwärtig bestehenden. Zweifellos ist baulich durch die parallelen Pfahlreihen am natürlichsten begründet, dass die oberen Enden der Pfähle zum Einbau der Wohnräume benutzt ') Die norddeutschen Pfahlbauten in den mecklenburgischen Torfmooren bei Gägelow und Wismar, im Persanzigsee und in einigen Sümpfen der Mark Branden- burg gelten mit Recht als späte slawische Anlagen zum Schutz von Tempeln und Burgwällen, oder nur als Fischereieinrichtungen der Slawen. 2) Müllenhoff a. a. 0. I, S. 191. III, S. 173. ^ 6 Berichte von Keller im 9. Band der Mitth. der antiquar. Gesellschaft zu Zürch, 185 5. — Rütimeyer, Fauna der Pfahlbauten, Zürch 1861. — R. Hartmann, über Pfahlbauten, Zeitschr. für Ethnologie, Berlin 1870. 1871. *) Hartmann a. a. 0. 1870, S. 19 m. Abbd. 16* 2 j J IV. 1. Pie älteste Siedelung in Italien und den Alpenländern. werden. Hier genügt schon schwaches Zwischengeflecht und ein Stroh- dach, um eine Hütte herzustellen, welche dann nothwendig 4 Ecken hat. Eine runde Hütte aber lässt sich nicht an die Pfahlreihen an- fügen, sondern fordert selbstständigen Auf hau auf der Plattform. Ebenso sind die Erd wälle his jetzt nur hei den umbrischen Pfahlbauten bekannt. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass, wie dies Heibig und die gelehrten italienischen Beobachter annehmen, die umbrischen Dorf- anlagen gleichwohl den Italern angehörten. Sie können auf alten Pfahlbaugrundlagen errichtet sein. T)ass die Italer, wie die Griechen, nachdem sie aus den politischen Steppen herangewandert, im Donau- thal und auf der Balkanhalbinsel sehr viel früher zum Ackerhau übergehen mussten, als die Kelten und Germanen, denen die weiten Weidegebiete des Westens und Nordens offen standen, wird aus der beschränkten Fläche und der gebirgigen Beschaffenheit Mösiens und der Balkanhalbinsel ersichtlich. Hier hätte eine grosse Zuwanderung von Nomaden ihren Unterhalt seihst dann nicht gewinnen können, wenn das Land unbesetzt war. Beide aber fanden diese Landes- strecken bereits zum grossen Theil bewohnt und seit lange fest be- siedelt. Sie mochten durch ihre nordische Kraft leicht über die alten Bewohner Sieger hleihen, dennoch war nichts noth wendiger und zugleich einfacher, als dass sie ihre nomadische Lebensweise auf- gaben und sich zunächst durch den Landbau der Unterworfenen er- nähren Hessen. Damit lässt sich sehr wohl vereinigen, dass sie die vorgefundenen Pfahlbauanlagen mit Befestigungen versahen und auf ihnen Platt- formen herstellten, die für ihre übliche Lebensweise in runden Hütten geeignet waren. Ein Blick auf die leider einzige veröffentlichte Skizze einer solchen Terramare macht dies deutlicher. Fig. 27 zeigt die von Coppi in den Abhandlungen: Monografia ed iconografia della terramare di "3i.iÖ£»&_3 Fig. 27. Terramare von Gorzano. a. Kapelle und einzelnes Gehöft, b. Etwa 3 Meter aufgehöhter Hügel der Terramare. c. und d. Abgrabungen desselben, e. 13 Pfahle, deren Spitzen sich im Schutte der Terramare bis in den natürlichen Boden getrieben gefunden haben, f. Höhe des Mühlgrabens, g. Höhe des Baches Tiepida. h- Strasse Vandelli. IV. 1. Die älteste Siedelang in Italien und den Alpenländern. 246 Gorzano (I — III, 1871 — 1876), sorgfältig dargestellte Abgrabung der Terramare von Gorzano in der Provinz Modena. Wahrscheinlich hat sich der Bach gegen die älteste Zeit etwas mehr eingeschnitten, um einige Meter aber war die Lage der An- siedelung schon bei der Gründung über das umliegende Terrain erhöht. Sie hat, wie es scheint, immer Bewohner angezogen, denn es sind hier ganz alte Knochen-, Hörn- und Steinwerkzeuge und die gedachten Henkelgefässe gefunden, ebenso aber auch Bronzen, und zwar keine griechischen, aber römische Töpferwaaren mit Inschriften, und Münzen des Augustus, der Porcia und des Claudius Gothicus von 270 n. Chr. Die runden Hütten, welche, wie Anlage 28 B zeigt, den Nomaden charakteristisch sind, haben die Umbrer bis in die späte Etrusker- und Römerzeit beibehalten. Dass sie ihrerseits auch Pfahlbauten er- richtet hätten, ist dagegen nicht erweisbar. Die Orientirung der Befestigungen und damit die Anlage der Erdwälle aber lässt sich mit besserem Grunde als ihnen den Etruskern zuschreiben, weil wir nur von diesen, nicht von den sabellischen Volksstänimen wissen, dass die rechteckige Limitation und Orientirung zu ihren Ge- bräuchen und religiösen Weihen bei Bauten gehörte. Jedenfalls sind nach der deutlichen Schilderung der Beobachter die einzelnen Elemente dieser Anlagen nicht nothwendig aus derselben Hand und Zeit hervor- gegangen und können von den aufeinander folgenden Bewohnern ver- schiedener Nationalität ihren Sitten gemäss eingerichtet sein. Nie- mand wird sich dem Eindrucke verschliessen , dass mindestens die Anfänge der Pfahlbaue Oberitaliens in den allgemeinen Zusammen- hang der merkwürdigen Kulturerscheinung der alpinen Pfahlbau- anlagen gehören, deren wesentlicher Charakter die bis zur Fauna der Eiszeit zurückreichende, dem Landbau gewidmete feste dorf- genossenschaftliche Ansiedelung ist. Die Italer könnten dieselben unter allen Umständen nur übernommen oder nachgeahmt haben. Für die Beurtheilung des geschichtlichen Agrarwesens Italiens vermag indess die durch die Terramares sicher gewonnene Erkenntniss zu genügen, dass diese ältesten Siedelungsspuren lange vor der Be- gründung Roms und schon zur Zeit der arischen Einwanderung die Existenz dorfmässiger fester Ortschaften erweisen, deren Wirthschafts- betrieb bereits den Anbau der wichtigsten unter unseren heutigen Nutzpflanzen und die Zucht aller bis zur Gegenwart gehaltenen Hausthiere zum Gegenstande hatte. Dem Anbau gegenüber ist auf die unvollkommene Ausübung der Keramik und der Metallarbeit wenig Qrewicht zu legen. Nach diesen Arbeiten lässt sich der allgemeine 2 1 1 1 IV. 2. Agrarische Alterthümer Roms. Zustand der etrurischen Kunstfertigkeit um 450 nicht bemessen. Die Dorfbewohner und das niedre Volk von Felsina mochten sich noch mit solchem Geräth begnügen. Die Industrie der etruri- schen Haupstädte aber kann damals unmöglich hinter der Roms zurück- gestanden haben, dessen Bildung wesentlich auf etrurischer Grund- lage ruhte, und das schon 100 Jahre vorher die servische Mauer baute, und die gleichmässige Panzerbewaffnung seiner Heerestheile durch- geführt hatte. Vielmehr stellt die Ernährung der Bevölkerung durch den nachgewiesenen Landbau und durch entsprechende Wirth- Bchaftßführung von geschlossenen Dorfschaften aus an die Kultur der Anbauer sehr bestimmte Anforderungen, welche o. S. 12 und 154 ausführlich erörtert sind. Ackereintheilung, Flurordnung, Hütungs- und Wegerechte, Feststellung der Nachbarpflichten, Rechtssprechung, Gemeindeverwaltung setzen in dem Gemeinwesen viel mehr Bildung und Einsicht voraus, als die nur von Wenigen abhängige, mehr oder weniger sorgfältige Herstellung der erforderlichen einfachen Ge- räths'chaften. Wenn uns deshalb auch die einzelnen Züge dieses altitalischen Agrarwesens nicht näher bekannt sind, ist doch die Sicherheit über seinen allgemeinen Charakter ein fester Anhalt für das Verständniss der zerstreuten Andeutungen, die uns über die ältere römische Agrar- verfassung erhalten sind. 2. Agrarische Alterthümer Roms. Unzweifelhaft hat sich Rom schon früh und vor der Gründung der Republik zu einer einflussreichen Handelsstadt erhoben. Es darf zwar nicht mit grossen Verhältnissen dabei gerechnet werden, denn die eigne Produktion kann nur auf einige Handwerkerwaaren ausgedehnt gewesen sein. Die Etrusker aber besassen zahlreiche eigne Häfen und im Arno ihre Hauptstrasse. Die Latiner beherrschten ihrerseits den Liris und Volturnus. Daher war es nur das zwar lang- gestreckte, aber ziemlich schmale Tibergebiet, welches das Hinter- land Roms bildete. Den Verkehr auf dem Tiber vermochte die neu entstandene Stadt allerdings völlig zu schliessen. Da es ihr gelang, das wegen seiner ungünstigen Beschaffenheit bis dahin wenig beachtete Gebiet auf beiden Seiten des Flusses vom Anio bis zum Meere in Besitz zu nehmen und gegen die Nachbarn zu behaupten, war sie in der Lage vieler kleiner Küstenstämme in allen Welttheilen. Sie vermochte den Binnenhandel ganz in ihre Hände zu bringen, oder IV. 2. Agrarische Alterthümer Roms. 247 wenigstens durch Zwischenabgaben und Zölle auszunutzen. Aber von grosser Ausdehnung lässt sich dieser Verkehr kaum denken. Holz, Holzkohlen, Felle, Wolle, Lein, auch Wein, grobe Holzwaaren, Körbe, Lanzen, Pfeilschäfte, starke Gewebe, vielleicht Sklaven mögen zur Küste gebracht worden, und dafür von den damaligen Kulturvölkern Kunsterzeugnisse, Gefässe, Waffen, Schmuck und Salz ins Land ge- gangen sein. Letzteres sollen die Römer seit Ancus Marcius bei Ostia gewonnen haben. Auf sehr frühe Beziehungen zu den Ar- givern, welche nur in Handel und Kampf gegen Seeraub gesucht werden können, deutet die von Mommsen1) erläuterte, der vorservischen Kultverfassung angehörende jährliche Opferung der Argeer. Wie sehr die herrschenden Geschlechter der Stadt den Handel von der See her zu pflegen, aber auch die Fremden von dauernder Festsetzung an der Küste abzuhalten strebten, lässt der Handelsvertrag mit Karthago, sei es, dass er 509 oder erst 348 abgeschlossen wurde,2) genügend erkennen. Die Könige und einzelne Familien konnten schon früh verhältnissmässig grosse Gewinne erreichen. Aber dass die Ernährung der Bevölkerung auch nur vorwiegend hätte auf dem Handel beruhen können, daran lässt sich nicht denken. Noch weniger aber darf für sie Gewicht auf Raub bei den Nachbarn ge- legt werden, schon weil durch häufige Beunruhigung der Handel sehr bald aufgehört haben würde. Die erste Thätigkeit der neuen Staatsbürger musste vielmehr nothwendig die Landwirthschaft sein, und die ersten Anfänge der Stadt fordern, von allen Sagen abgesehen, unter dem Gesichtspunkte einer landwirtschaftlichen, im Wesentlichen aus latinischen und sabinischen, d. i. italischen Volkselementen hervorgegangenen Nieder- lassung zum Vergleich mit den geschilderten umbrischen Ansiede- lungen auf. Dieser ergiebt, dass kein Stadttheil Roms auf einem Pfahlbau steht, dies war jedoch bei dem grössten Theil der alten Dörfer um Bologna ebensowenig der Fall. Die Begrenzung des Palatins bildete zwar nahezu ein Viereck, sie war indess nicht orientirt und schwer- lich durch die Idee der Anlage, sondern augenscheinlich durch die Form des Hügels bedingt. Dagegen findet sich die Befestigung durch einen Erdwall, sowohl bei der ersten Gründung, als auch bei der späteren Erweiterung über die Velia nach den Carmen wieder, denn auch hier wird ausdrücklich terreus murus erwähnt.3) Erst die dem ') Mommsen, Rom. Staatsrecht III, 123. Man stürzte 30 Binsenpuppen in den Tiber. 2) Mommsen, Rom. Chronolog. S. 320. Nissen in Fleckeisen. Jahrb. 1867 S. 321. '■) Varro de lingua lat. V, 48. 'J4S IV. 2. Agrarische Alterthümer Roms. Senilis zugeschriebene Mauer wurde von Steinen erbaut, und ihre späte Anlage hat sich durch griechische Scherben erwiesen, welche unter ihren Fundamenten gefunden worden sind.1) Am bedeutsamsten ist die Aehnlichkeit der Gebäude, weil über die Errichtung selbst der wichtigsten und heiligsten Baulichkeiten im alten Rom, als runde, von Geflecht und Lehm hergestellte und mit Stroh gedeckte Hütten, bestimmte Zeugnisse erhalten sind. Auf dem Palatin lag oberhalb des zum Circus maximus herabführenden Abhanges die casa Romuli, eine aus Rohr und Stroh aufgeführte, auch als tugurium Faustuli er- wähnte Hütte.2) Ein ähnlicher, ebenfalls mit Romulus und Faustulus in Beziehung gebrachter Bau befand sich auf dem Capitol.3) Als Hütten (xaXed, xaXidg) werden auch ausdrücklich die auf dem Palatin gelegene curia saliorum und die römischen Capellen der lares com- pitales bezeichnet.4) Ebenso erwähnt Plutarch (Numa 8) xahddag isqovs in seiner, wie es scheint, Varro entnommenen Schilderung einer dem Numa zugeschriebenen Kultusweise. Alle diese heiligen Hütten aber wurden, wie Heibig a. a. 0. S. 51 und 52 im Einzelnen nachweist, von der bildenden Kunst als Rundbauten wiedergegeben. Ebenso war die Aedes Vestae nach Abbildungen ein Rundbau. Ovids Fasten (VI, 261) sagen ausdrücklich : Quae nunc aera vides, stipula tum tecta videres, et paries lento vimine tectus erat. Die Wände waren also aus Flechtwerk, das Dach aus Stroh, und beim Umbau des Heiligthums wurde seine runde Form beibehalten. Heibig weist darauf hin, dass wegen dieser Form der Vesta- tempel nach Varro (bei Gellius XIV, 7. Vergl. Nissen, Templum p. 5) auch der auguralen Consecration entbehrte. Denn die Auguren weihten einen Platz nur vermöge der Limitation, welche durchaus vom Viereck ausging, bei runden Anlagen aber unzulässig war. Sicher als Rundbaue bezeugt sind ferner die aedes divae deae,5) das in die Vorhalle der Kirche St. Cosmae et Damiani verbaute \ Heibig a. a. 0. S. 46. 2) Ovid. Fasti III, 183. Quae fuerit nostri, si quaeris, regia nati, aspice de canna viminibusque domum. Dionys. I, 79. Schwegler Rom. Gesch. 1853 I, p. 3f0. 3) Vitruv II, 1. Item in capitolio commonefacere potest et significare more vetustatis Romuli casa et in arce sacrorum stramentis tecta. Isidor Etymol. XV. 8, 4 sagt ganz allgemein: culmina dicta sunt, quia apud antiquos tecta culmo tegebantur, ut nunc rustica. Schwegler Rüm. Gesch. I, p. 394 ff. Rubino Beiträge zur Vorge- schichte Italiens, 1868, p. 231 ff. 4) Plutarch Camill. 32. Dionys. I, 57. 5) Henzen, scavi nel bosco sacro dei fratelli arvali p. 105 ff. ; tav. IV, V ; acta fratrum arvaliam exord. p. XXII. Beibig a. a. 0. S. 54. IV. t. Agrarische Alterthümer Roms. 24 Ö Heiligtum der Penaten,1) und die aedes Herculis in foro boario,2) endlich auch das älteste Heiligthum des Jupiter Feretrius auf dem Capitol. lieber letzteres berichtet Dio Cassius, dass es Augustus für ein anderes zum Muster genommen habe, welches er dem Mars Ultor erbaute, und welches auf den Münzen deutlich als ein von einer Kuppel überwölbter Rundbau charakterisirt ist.3) Alle diese alten Heiligthümer werden, wie das der Vesta, stets als aedes, nie als templa bezeichnet4) und haben deshalb, wie anzunehmen, gleich der aedes Vestae keine augurale Weihe erhalten. Zu diesen zahlreichen Ueberlieferungen des ursprünglichen Wohnens der Menschen und Gottheiten in runden Hütten von Flecht- werk und Lehm mit Strohbedachung dürfen noch des Dionysius Angaben (II, 23) über die alten hölzernen Tische und irdenen Schalen als Tempelgefässe gezogen werden, denen ähnliche Erwäh- nungen aus Plinius, Apulejus, Cicero, Valerius Maximus u. a. (Heibig S. 78) zur Seite stehen. Dass alle genannten Heiligthümer nicht limitirt waren, erweist, dass sie einer älteren Periode der Kultverhältnisse angehörten. Des- halb wird richtig sein, was die Etrurier behaupteten5) und die Römer nicht in Abrede stellen, G) dass Etrurien die Mutter des Augurenwesens, der auguralen Weihen und der Idee der Limitation und der Orien- tirung war, und dass diese Anschauungen und Gebräuche erst mit der etrurischen Zuwanderung oder der Herrschaft der Tarquinier nach Ruin übertragen wurden. Aus gleicher Zeit werden auch für andere italische Städte ähnlich einfache Zustände angedeutet. Das Heiligthum der Penaten zu Lavinium, *) Becker, Handbuch der römischen Alterthümer I, 1843, p. 249. 2) Heibig a. a. 0. S. 54 Anm. 3. ^ Dio Cassius 54, u. Heibig ebd. 4) In Betreff des ebenfalls als Rundbau ausgeführten Tempels des Augustus be- merkt Heibig S. 55, dass das erste Heiligthum des Augustus wahrscheinlich deshalb ein Rundbau gewesen ist, weil die Verehrung des Augustus anfänglich eng mit dem Kultus der Lares compitales verknüpft war. Als bei Lebzeiten des Kaisers die Reor- ganisation dieses Kultus stattfand, wurde verfügt, dass von nun an in jeder Compital- kapelle neben den Laren auch der Genius Augusti verehrt werde. Nach dem Tode des Kaisers verordnete der Senat seinen Kultus als den einer besonderen Gottheit, und es wurde in Rom das erste ausschliesslich diesem Dienste geweihte Gebäude aufgeführt. (Preller röm. Mythologie p. 495, 775.) Hatte aber einmal die Verehrung des Augustus in Rundbauten begonnen, dann lag es bei dem konservativen Prinzip der römischen Staatsreligion sehr nahe, davon, wie bei der aedes Vestae, nicht abzuweichen. 5) Vegoia in Blume, Lachmann u. Rudorff, Schriften der röm. Feldmesser, I, p. 350. '',) Etruria mater omnium superstitionum. Fcstus. Varro ebd. I, p. 27. Liv. 5, 1. •j.mi IV. 2. Agrarische Alterthümer ItomS. das als des Aeneas erste Gründung galt, war eine ähnliche runde Strohhütte, wie die Kapellen der lares compitales.1) Die Sage von der Demolirung von Albalonga durch Marcus Horatius am Tage der Verhandlungen mit Metius Fuffetius, wie sie Dionys. III, 30 erzählt, konnte ohne die Vorstellung so leichter Bauten gar nicht entstehen, und diese wird dadurch unterstützt, dass es nicht gelungen ist, irgend welche Trümmerspuren der alten Stadt aufzufinden. Das samnische Aeclanum hatte noch im Bundesgenossenkrieg hölzerne Mauern.2) Hierher zu ziehen sind auch die charakteristischen Ab- bildungen primitiver Wohnhäuser , welche die in den Albanerbergen bei Marino gefundenen Hausurnen uns überliefert haben. Diese Hausurnen sind in Anlage 28 D nach den künstlicher und den weniger künstlich geformten Beispielen gezeichnet und beschrieben. Sie zeigen wegen ihrer Sparrendächer schon einen etwas entwickelteren Typus als die ältesten Strohbauten Roms. Aber alle Umstände, die griechischen Ornamente und Formen der Gefässe, die mit ihnen ge- funden worden sind, sowie der Vergleich mit den ebenfalls in An- lage 28 dargestellten etrurischen Hausurnen, lassen keinen Zweifel, dass die Vorbilder dieser Grabgefässe ihrem Wesen und ihrer Zeit nach der einfachen Bauweise während der Periode der römischen Konige angehörten. Ob die ersten römischen Könige als historische Personen, oder nur als mythische Repräsentanten ihres Zeitalters gelten dürfen, kann hier, wie für alle weiteren Betrachtungen, keinen wesentlichen Unterschied begründen. Es ist also für Rom, ehe die servische Mauer aus Stein errichtet wurde, die Königshäuser auf der Velia entstanden3) und die ersten Tempelbaue begannen,4) eine Lebensweise in solchen Stroh- und Lehm- hütten von grosser Aermlichkeit und Einfachheit vorauszusetzen, und dieser entsprechend müssen auch die Anfänge der Stadtanlage, der Strassen- und Wegeführung, der Abgrenzungen, der Grundstücks- und Ackervertheilung und des Agrarwesens gedacht werden. — In Betreff dieser ersten agrarischen Einrichtungen erklärt nun Varro (de re rustica I, 10) : Apud nos in agro Romano ac Latino metiuntur jugeris. Jugum vocant, quod juncti boves'uno die exarare possint. . . Jugerum quod quadratos duos actus habeat. Actus qua- dratus qui et latus est pedes CXX et longus totidem. . . Bina jugerum, ') Heibig a. a. O. S. 52. 2) Appian bell. civ. I, 51. 3) Livius I, 41. 45. 4) Die Cloaca maxima wird anfänglich nichts anderes, als ein stromab gezogener, hinreichend tief eingeschnittener Graben gewesen sein, der erst mit der Stadtmauer der Ueberwölbung bedurfte. IV. 2. Agrarische Alterthürner Roms. 251 quot a Romulo primum divisa (diccbantur) viritim, quae heredem sequerentnr, heredium appellarunt. Plinius (hietor. nat. 19, 19) bemerkt über das heredium: In XII tabulis legum nostrarum nusquam nominatur villa, semper in significatione ea hortus, in horti vero heredium. Es wird also noch um 450 nicht ein Haus als der wesentliche Bestandtheil eines herediums betrachtet, sondern ein Garten. Plinius bezeugt dabei ebenso wie auch Cato (de re rustica c. 156 u. 157), dass auf den Garten grosser Werth gelegt wurde. Ihn pflegte vorzugsweise die Hausfrau, und an seinem Zustande wurde eine gute Wirthin erkannt. Er wurde mit Gemüsen, namentlich mit Kohl und Gewürzpflanzen, bebaut, und succidia (Speckschwarte) genannt, weil es darauf ankam, daraus zu jeder Zeit etwas auf den Tisch bringen zu können. Man könnte sich also denken, dass die leichten Strohhütten der Bürger ursprünglich innerhalb der Erdumwallung des Palatins gestanden, und die einzelnen Berechtigten in dem umliegenden ager romanus, also in der Almende der Ansiedelung, je 2 jugera Sondereigen zugewiesen erhalten , das übrige Almendland aber in gemeinsamer Weidenutzung oder vielleicht in theilweiser Pacht gehabt hätten. Eine so einfache Verfassung passt wahrscheinlich auf zahlreiche der umbrischen Dorfschaften. Für Rom aber stehen ihr unabweisliche Anstände entgegen. Die Grenzen des eigentlichen ager romanus , den die Römer als antiquus bezeichneten x), sind zwar nicht näher überliefert. Aber die Eroberungen unter den Königen und die Oertlichkeiten, welche davon als Kolonien ausgeschieden blieben, sind uns hinreichend be- kannt, um zu wissen, wie weit sich der ager romanus äussersten Falles erstreckt haben kann. Diese weitesten Grenzen reichten am Meere, von Ostia, wo sich inzwischen eine bedeutende Anlandung erzeugt hat, nach Norden nahe an das etrurische Fregenae, nach Süden nahe an Laurentum, die Küstenlänge betrug also etwa 20 Kilometer. Auf der rechten Tiberseite umfassten sie den ager vaticanus, schnitten den Strom unterhalb Fidenae und liefen von ihm nördlich des Anio gegen Ficulea und Nomentum, deren Gebiete jedoch, wie die von Antemnae und Caenina, nur theilweis einverleibt wurden. Hier hielten sie eine Strecke den Anio inne, und führten dann westlich von Collatia und Gabii nach der Grenze von Latium, die durch den fünften Meilen- stein an der Fossa Aemilia, anscheinend der heutigen Maranna, und '; Momrasi-n, Römisches Staatsrecht 1887; III, 824. 252 tV« ~- Agrarische Alterthümer Roms. durch den Küstenpunkt nahe bei Laurentum genau bezeichnet ist. Crustumerium, Nomentum, Collatia, Gabii und alle latinischen Städte, ausser Antium, waren lange nur Kolonien oder Bundesgenossen, die bis zum Bundesgenossenkriege kein römisches Bürgerrecht hatten, auch wenn sie mit römischen Kolonisten besetzt waren. Der ager romanus, der schon früh erobert war, umfasste also etwa 50 000, im höchsten Fall (50 000 ha oder 240000 jugera. Unter diesem Besitze fand sich zwar auf allen Seiten der Stadt zum Anbau gut geeignetes Land. Aber es ist keinerlei Grund anzunehmen, dass dasselbe bessere und ausgedehntere Ackerflächen dargeboten hätte, als gegenwärtig. W. Sombart hat in der Schrift : Die römische Campagna (Leipzig, 1888), ein sehr gründliches Bild der wirthschaftlichen Zustände des gegenwärtigen agro romano gegeben, und urtheilt (S. 21), dass durchschnittlich sein Boden immerhin noch guter Mittelboden sei. Dieses heutige Stadtgebiet von Rom umfasst indess (Ebd. S. 8) 200000 ha, zwischen dem Meere, den Sabatinischen und den Albaner Bergen. Davon bilden die 60000 ha des alten ager romanus nur den mittlen, bei weitem ungünstigsten Bruchtheil zu beiden Seiten des Tiber. Auch ist Boden, den wir Mittel- boden nennen, für frühe Kulturzustände nur geringer. Die Ansprüche an das Anbauland waren im Alterthum sehr hoch. Wo diese befriedigt werden konnten, bestanden schon seit alter Zeit Ansiedelungen. Dass die latinischen und etruskischen Niederlassungen dies Gebiet frei- gelassen hatten, beweist am besten dessen ungeeignete Beschaffenheit, welche sommerliche Dürre, steiniger Untergrund, zäher Boden und weit reichende Ueberschwemmungsgefahr und Versumpfung noch heut bekunden. Das nächste gut brauchbare Land lag am Anio. Es war deshalb schon angebaut und musste erst erkämpft werden. Auch von diesem Anbaulande konnten indess 2 jugera, d. h. 50,38 ar, bei weitem nicht hinreichen, um eine Bürgerfamilie zu ernähren und für ihre öffentlichen Pflichten leistungsfähig zu erhalten.1) Gleichwohl l) M. Voigt hat im Rheinischen Museum für Philologie (N. F. 24, Jahrg. 1868 S. 52) in einer Abhandlung: Ueber die bina jugera der ältesten römischen Agrarver- fassung, in dankenswerther Weise die Angaben zusammengestellt, welche über die Bewirthschaftung der Ackerloose und über das Bedürfniss der angesiedelten Familien in den Schriften der Alten überliefert sind. Daraus berechnet er ohne ersichtlichen Trugschluss, dass 2 jugera zu der Ernährung einer bäuerlichen Familie durch Weizen- anbau durchaus unzureichend gewesen seien, dagegen bei Bestellung mit Dinkel, welcher nach Plinius (h. nat. 18,7) in den ersten 300 Jahren als ausschliessliche Feld- frucht der Römer gelten darf, hingereicht hätten, das Bedürfniss einer Familie von ä'/a erwachsenen Personen zu decken. Dieses Krgebniss ist durchaus unmöglich. Der IV. 2. Agrarische Alterthümer Roma 253 blieb eine Anstauung mit nur zwei jugera Sondereigen, soweit sich erkennen liisst, auch bei KolonieaußBendungen his zum Beginn des 1. Jahrh. v. Chr. die allein übliche. Erst als 389, nach der Er Irrthura liegt wahrscheinlich darin, dass die Dinkelrationen hei Gellius XX, 1, 45, Liv. V, 47. VI, 17. VII, 37 und Hör. Sat. I, 5. 67 in Mehl oder Schrot, nicht in Körnern gedacht sind, was hei Dinkel wegen seiner mehrblättrigen Hülsen sehr erklär- lich ist; auch nia<4 Juvenal (XIV, 166), wie seine Zeitgenossen überhaupt, in ihrer Beur- theilung der unter August mit Vorliebe gepriesenen ältesten Zustände durch die Lage ■ Irr kleinen Grundbesiter um Rom beeinflusst worden sein, welche zu seiner Zeit, wenn sie geschickt waren, von dem Anbau von Gemüsen und Delikatessen auf 2 jugera nicht bloss leben, sondern recht wohlhabend werden konnten. Die zahlenmässige Berech- nung der alten ursprünglichen Wirthschaft ist schwierig, weil der Ertrag von Weizen ebenso wie von Dinkel je nach Boden, Anbau und Jahrgang schlecht und gut sein und bis zum Vierfachen schwanken kann, auch lässt sich die örtliche Tragbarkeit Mittelitaliens ebenso wenig wie Arbeit und Bedarf der Menschen jener alten Zeit genau anschlagen. Die Angaben der Römer über Aussaat und Ernte und über Tages- und .Tahresrationen , welche Voigt seiner Aufstellung zu Grunde legt, sind aber hin- reichend deutlich und sicher. So darf für den gewöhnlichen Fall als zutreffend aner- kannt werden, dass, da ein juger um als Brache liegen blieb, das bebaute jugerum durch- schnittlich 60 modii Weizen, also, nach Abzug» von 5 modii Saat, 55 modii Weizen lieferte, und ebenso, dass der Ertrag an Dinkel 120 modii ergab, und nach Abzug von 10 modii Saat, 110 modii zum Verkauf blieben. Dies besagt, dass auf 25,19 ar 4,81 hektol. Weizen oder 9,62 hektol. Dinkel-Ertrag gewonnen wurden. Es wird auch nach den Angaben von Cato (de re rustica, 56) und Polybius (VI, 39) richtig sein, dass der Jahresbedarf eines erwachsenen Sklaven oder Soldaten 51 modii tritici oder 4,46 Hektoliter Weizen war. Da 1 Hektoliter marktgängiger Weizen 74,6 kg schwer ist, und nach Abzug von 3% Holzmasse oder Hülsen 72,2 kg Nähr- stoffe enthält, beträgt dieser Jahresbedarf 322 kg Weizenmehl. Der Nahrungswerth des Dinkelmehls ist etwas geringer als der des Weizenmehls. Wird dieser Werth aber auch gleichgesetzt, so ist doch der Hektoliter marktgängigen Dinkels nur 40,9 kg schwer, und es sind auf seine Hülsen 16,5% Holzmasse abzuziehen, er behält also nur 34,2 kg Nährstoffe. 322 kg Dinkelmehl erfordern danach 9,42 Hektoliter oder 108 modii Dinkel, während Voigt nur einen Bedarf von 23,81 modii Dinkel berechnet und dem- selben 51 modii tritici gleichstellt. Es zeigt sich daraus, dass er in dieser etwas künst* liehen Berechnung Coeffizienten zur Anwendung gebracht haben muss, welche das Resultat um das 4*4 fache erhöhen. Zur Sache selbst aber ergiebt sich, dass, wie es das Wahrscheinliche ist, auch in der ältesten Zeit Roms der Ertrag von Weizen und Dinkel wie heut ziemlich gleich standen , und der Uebergang von einer Frucht zur andern für den vortheilhafteren Weizen nur etwas grössere Ansprüche an Boden und Betrieb machte. Zwei jugera aber mussten, trotz Juvenal, zur Erhaltung einer bäuer- lichen Familie bei Dinkelbau ebenso durchaus ungenügend sein , wie bei Weizenbau. Sie konnten nach den Anschlägen der Alten bei beiden Früchten nur zur völligen Ernährung eines einzigen starken Mannes hinreichen. (Die hier gebrauchten technischen Verhältnisszahlen finden sich mit den nöthigen Nachweisen zusammengestellt in A. Meitzen, der Boden und die landwirthsch, Verhältnisse des Preuss. Staats, Bd. II, S. 215, 216 und 221.) '.,) TV. 2. Agrarische ÄSlterthümer Roms. oberiing von Veji, die Masse der Plebejer beruhigt werden sollte, be- schloss (nach LiviusV, 30) der Senat, »jedem Plebejer sieben jugera vom ager Vejentanus anzuweisen, und dabei nicht bloss die Hausväter zu berücksichtigen, sondern auch alle Freigeborenen in jedem Hause; sie möchten auf diese Aussicht hin Familienväter werden.« Damit scheint das Maass bezeichnet zu sein, welches damals für das Leben einer Familie auf einer kleinen ländlichen Stelle für ausreichend er- achtet wurde. Da die Höhenböden gegen Veji hin gut und die Nahrungs- ansprüche der Südländer ziemlich gering sind, ist ein bescheidenes Auskommen bei 7 jugera allerdings nicht zu bezweifeln. Dass die- selben jedoch der geltenden Auffassung von dem üblichen Ansprüche einer politisch vollberechtigten patrizischen Familie an Landbesitz keinesweges entsprachen, zeigen schon die Licinischen Gesetze von 386, nach denen Niemand mehr als 500 jugera Staatsländereien be- sitzen solle. Ganz bestimmt aber spricht sich die geforderte Grösse patrizischer Bauergüter in den Maassen der neuen Kolonien und der Yiritanausstattungen römischer Bürger aus. Die Ackeranweisungen im ager Latinus, Privernatis, und Falermus 338 v. Chr., sowie in Anxur (Tarracina) 327 enthielten nur 2V2, 33A und 2 jugera,1) also unzweifelhaft noch ungenügende Loose, die im ager Sabinus um 289, im Samnis, Bruttius und Apulis 277 und weiter im Samnis 274 wurden , wie bei Veji, mit 7 jugera, also anscheinend als kleine Landstellen, angesetzt.2) Dagegen wurden 191 in der latinischen Kolonie Copia den pedites 30, den equites 60 und einigen nachträglich noch deduzirten pedites 20, den equites aber 80 jugera angewiesen. Aehnlich erhielten 190 in der Kolonie Valentia die pedites 15, die equites 30 und in der colonia latina Bononia die pedites 50, die equites 70 jugera.3) Darauf wurden wieder 183 für Parma 8, für Mutina 5, für Saturnia 10, 182 für die latinischen Kolonien Potentia und Pisau- rum nur 6 jugera und 179 für Gravisca 5 jugera als Loosgrösse be- stimmt.4) In demselben Jahre aber erhielten in der latinischen Kolonie Aquileja die pedites 50, die centuriones 100 und die equites 140, und im Jahre 175 in der colonia civium Luna jeder Bürger 54 V2 jugera.5) Gleichwohl wurden in derselben Zeit wieder vom ager Ligustinus und Gallicus jedem cives nur 10, jedem Latinus ') Liv. VIII, 11 und 21. Auch für Labici 411 und Satricum 383 waren nur 2 jugera beabsichtigt. Liv. IV, 48 u. VI, 16. *) Columella de re rustic. I, praef. et. cap. III. 3) Liv. 35, 9; 45, 40; 37, 57. *) Liv. 39, 44. 55; 40, 29. l) Liv- 40, 34; 41, 13. IV. 2. Agrarische Altertlnimer Roms. 255 sogar nur 3 jugera zugewiesen.') 133 aber gab (Gracchus in Afrika seinen Kolonen bis zu 200 jugera, welche Sie. Flaccus als das grösste Maass bezeichnet, das der Besitzer Belbsl bebauen könne.8) Die Vergleiehung dieser Zahlen lässt keinen Zweifel darüber, dass als Besitz eines vollberechtigten Bauern ein Gut von 30 bis 70, auch 140, jugera galt, und dass plebejische Kleinstellen von 7 bis 20 jugera zur Ansetzung kamen. Wo das Maass des zugewiesenen Sondereigens aber unter 7 jugera betrug, rauss nothwendig Gelegenheit zu Nutzungen vorhanden gewesen sein, welche den Ausfall am Bedarfe der Familie zu ersetzen vermochten. Diese Nutzungen lassen sich nur auf in der Nähe belegenem, nicht zu Sondereigen vertheiltem, gemeinsamem oder Staats -Lande denken. Da nun in der gesammten Zeit der Könige und, wie es scheint, bis 389 v. Chr. weder an Patrizier noch an Plebejer dem pater familias mehr als 2 jugera Sondereigen zugewiesen worden sind, muss der alte ager romanus, ganz abgesehen von den späteren über die Grenzen des Königsstaates hinausgreifenden römischen und latinischen Kolonien, schon den ersten Ansiedlern in beträchtlicher Ausdehnung zur Benutzung, sei es durch Weidevieh oder sporadischen Ackerbau, offen gestanden haben. Unter welchem Rechte dies geschah, und ob er dafür in Bezirke getheilt war, kommt zunächst nicht in Frage. Wohl aber ist in Betracht zu ziehen, dass, wenn auch nur 7 jugera Ackerland als das nothwendige Bedürfniss für die Ernährung einer Familie angeschlagen werden, der Ertrag der der einzelnen Stelle neben den 2 jugera heredium fehlenden 5 jugera, falls er nicht auf Acker aus dem Gemeindelande erlangt wurde, sondern Ersatz durch Weide- vieh finden sollte, je nach der Bodenbeschaffenheit das 10 bis 20 fache an Weideland erforderte. Danach berechnet sich, weil von der Gesammtfläche der überhaupt vorhandenen 240000 jugera mindestens die Hälfte als geringwerthige Weide angenommen werden muss, als ein allerdings nur sehr unsicherer Ueberschlag, dass von dem ganzen ager romanus nur wenig mehr als 3000 landwirtschaftliche Familien leben konnten, wenn sie jede nicht mehr als 2 jugera anbauten, dass sich aber nahezu 20000 Familien zu ernähren vermochten, wenn sie die halbe Fläche anbauten und nur die übrige Fläche als Weide benutzten. ') Liv. 42, 4. ') Schriften der röm. Feldmesser, Bd. I, 136, ^öß IV. 2 Agrarische Alterthümer Roms. |)icsc Berechnung, obschon sie, ähnlich wie die Anschläge o. S. 146 und 193, nur das denkbar Mögliche umgrenzen soll, genügt doch für die Kritik der Bevölkerungsangaben, welche Dionysius (II, 16) macht, wonach Romulus mit 3000 Mann zu Fuss und weniger als 300 zu Pferde Rom gegründet, bei seinem Tode aber darin 46 000 Mann zu Fuss und nicht viel weniger als 1000 zu Pferde zurückgelassen habe. Das rasche Anwachsen der Bevölkerung der Stadt durch die bereit- willige Aufnahme immer neuer Bürger, welche von allen Schriftstellern als Hauptgrund der starken Machtentwickelung gepriesen wird, wird man allerdings nicht gering anschlagen dürfen. Der Palatin um- fasst nur 15 ha, worauf höchsten Falles 4000 der geschilderten umbrischen Strohhütten stehen konnten. Die Ausbreitung der Bauten über Velia, Carinen, Subura und Capitol bis gegen den Pons sublicius aber nahm schon das 5 fache an Areal in Anspruch und die servische Mauer umschloss bereits, abgesehen vom Aventin, 340 ha, also das 22fache des Palatin. Auch ist die Zahl der 1000 Tities, lOOORamnes. und 1000 Luceres, welche in 30 curien zu je 10 gentes, jede gens in 10 Familien zerfallen sein sollen, zweifellos eine Anwendung heilig geachteter Zahlenverhältnisse, für welche E. Huschke mannigfache Nachweise gegeben hat.1) Aber sie scheint eine nicht unangemessene Ueberlieferung. Mit der massigen Zahl von ungefähr 3000 ansässigen Bürgern wird man immerhin schon früh rechnen dürfen. Von den sonstigen Angaben werden die meisten auf Vs» ja Vs zu reduziren sein. Wurden aber, wie es als alte überkommene Erinnerung erhalten scheint, diesen 3000 Bürgern je 2 jugera Anbauland als heredium im ager romanus überwiesen, so waren dazu ohne die Zugangswege 1500 ha geeigneter Boden erforderlich. Dieser kann nur für einen Theil der Berechtigten in der Nähe der Stadt und so gelegen haben, dass es leicht oder überhaupt möglich war, ihn von dieser aus zu bewirtschaften. Mag auch ursprünglich die Stadt zwischen Carinen und Capitol nur ein sehr viel kleineres Septimontium, als das spätere, eingenommen haben, wir wissen, dass eine sehr grosse Fläche des um die Stadt belegenen Landes nicht zu der Ackerauftheilung gehört haben kann. Der Quirinal. scheint schon früh eine Vor- oder Neustadt. Den mons Caelius vertheilte erst Hostilius an Unangesessene (Dionys. III, 1). Der campus martius, der nahezu 100 ha umfasst, wurde nach der Vertreibung der Tarquinier auf einem Acker des Königs einrichtet. ') Mommsen (R. St.-R. III, 1 1 2) zeigt, dass ein Decimalsystem herrschte, welches in allen römischen Municipien einfach (z. B. 10 Carien), in Rom aber je 3 fach wiederkehrt. IV. 2. Agrarische AlterthÜmer Roms. 257 Die Scipionen be.sassen ein mit Wald bestandenes Grundstück, welches von der Tiber bei dem .späteren Grabmal Hadrians bis auf den Mons Vaticanus reichte. Der Aventin wurde erst 455 v. Chr. zum Anbau frei- gegeben.1) Schon diese zufälligen Erwähnungen zeigen, dass für die Bürgeräcker nur wenig Anschluss an die Stadt bleiben konnte. Dazu kam der ganze Tiberlauf mit seinen Wiesen und seinem breiten Ueber- schwemmungsgebiete. Da nun Jedem neben dem geringen Acker der 2 jugera noch erhebliche Viehnutzung nöthig Avar, lässt sich nur denken, dass ein sehr grosser Theil der landbauenden Bürger ausser- halb der Stadt wohnte. Bei der Sitte, in so leichten Hütten zu leben, konnte es auch keinerlei Schwierigkeiten haben, ein zweites Heim in der Stadt zu besitzen, jedenfalls bot zu Zusammenkünften und im Kriegs- oder Nothfall die feste Stadt Unterkunft. Die Gestaltung und Entwickelung dieser ländlichen Zustände fasst indess Dionysius allzusehr als bestimmte Begelung auf, wenn er (II, 7) erzählt, dass Ilomulus das Land in 30 gleiche Loose zer- schnitten und jeder Curie ein Loos gegeben, nachdem er einen hin- reichenden zum Religions- und Tempeldienste bestimmten Theil aus- genommen und ein gewisses Stück Gemeingut übrig gelassen. Der Ge- danke, dass der ager romanus in örtliche Curienbezirke zerfallen sei, ist wahrscheinlich erst der späteren örtlichen Tribuseintheilung ent- nommen. Die Curien, denen der einzelne Bürger persönlich ein- ordnet wurde, waren, wie Mommsen (Rom. Staatsrecht Bd. ni, S. 94) erläutert, vor allem Gruppen, von denen für das einzelne erforder- liche Heer je 100 pedites und 10 berittene celeres gestellt werden mussten. Sie lassen sich also nicht als Bevölkerung dauernd gleich abgegrenzter örtlicher Bezirke denken. Auch für die Curiatcomitien, welche rechtmässig sogar lediglich durch 30 Lictoren vertreten werden konnten, scheint wenigstens in späterer Zeit die Gruppirung in 30 Curien erst innerhalb der Erschienenen für den Zweck der Ab- stimmung vorgenommen worden zu sein. Da aber jeder Curie vom Könige ein Curio als Priester vorgesetzt war, und sie eine Stätte in einem heiligen Gebäude für jährliche sacrale Feste besass, wird man an ein ursprünglich engeres persön- liches Band der Curialen denken müssen, welches namentlich nicht die Dorfgenossenschaft derselben Niederlassung trennte, sondern so lange ein Wechsel nicht nothwendig wurde, die Nachbarn zu der- selben Curie vereinigte. J) Uv. II, 5. 10. 13; III, 31. Meitzen, Siedelang etc. I. 17 25$ IV. 2. Agrarische Älterthümer Roms. Eine solche Scheidung in einzelne Dorfgenossenschaften findet einen bestimmteren Anhalt schon in einem Umstände, den Dionysius (II, 65) mit Recht als heachtenswerth hervorhebt, dass nämlich die aedes Vestae nicht innerhalb des Palatins , sondern ausserhalb der alten Mauer desselben, nahe dem Forum, errichtet war. Er stimmt der Ueberlieferung bei, dass es aus diesem Grunde nicht Romulus, sondern Numa gewesen, der den Platz, auf welchem das heilige Feuer bewacht wird, der Göttin weihte. »Denn den Tempel der Göttin des gemein- schaftlichen Heerdes setzt Jedermann gerade in den besten Platz der Stadt, ausserhalb der Mauer Niemand. Also Romulus erbaute weder der Vesta einen öffentlichen Tempel, noch übertrug er den Jungfrauen den Dienst derselben, sondern er errichtete in jeder der 30 Curien einen heiligen Heerd, worin die jeder Curie Angehörigen opferten, und machte nach den Sitten der Griechen, die sich noch in ihren ältesten Städten erhalten haben, die Vorsteher der Curien zu ihren Priestern. Numa hingegen schaffte zwar beim Antritte seiner Re- gierung die den Curien eigenen Heerde nicht ab, aber errichtete einen gemeinschaftlichen im Zwischenräume des Capitols und des Palatinus, welche beide Hügel schon durch eine einzige Ringmauer zur festen Stadt vereinigt waren, und in ihrem Mittelpunkte den Markt hatten, auf dem der Tempel erbaut wurde.« Auch erzählt Dionys. (II, 23) genauer, was er ebenfalls dem Romulus zuschreibt, dass die Opfe- rungen sehr passend unter die Curien vertheilt, einer jeden die von ihr immer zu bedienenden Götter und Dämonen bezeichnet, und die Ausgaben dafür, die ihnen aus dem öffentlichen Schatze gereicht werden sollten, festgesetzt worden seien. »Die Curien opferten, wie er sagt, mit den Priestern die ihnen zugetheilten Opfer und speisten an Fest- tagen am Heerde der Curie, denn jede Curie hatte ihren eigenen Speisesaal und zugleich mit diesem war den Curien nach Art der griechischen Prytaneen ein gemeinschaftlicher Heerd gewidmet. Diese Säle heissen, wie sie selbst, Curien und heissen noch so.« In Ueber- oinstimmung mit der ältesten Heeresorganisation lässt sich deshalb annehmen, dass die Curien anfänglich die vorhandenen mit heredia angesessenen ungefähr 3000 patres familias in 30 ziemlich gleiche Abtheilungen schieden, und dass dabei als das Natürlichste möglichst ganze Niederlassungen und Nachbarschaften, sowie ganze Gentes, welche von diesen Verbänden am deutlichsten hervortreten, zusammen- gefasst worden sind. — Wie weit die Bewohner der verschiedenen Niederlassungen als Genossenschaften oder als einzelne Familien den ager romanus nutzten, IV. 2. Agrarische Alterthümer Roms. 259 bedarf weiterer Untersuchung. Rechnet' man für das allgemeine Bild zunächst nur, wie viel von dem geflammten gemeinsamen Staatsgebiete jedem einzelnen Familienvater durchschnittlich zur Verfügung stehen konnte, so ergeben sich nicht mehr als 80 jugera. Der Landbesitz einer Familie würde also neben 2 jugera heredium 78 jugera Antheil am gemeinsamen Lande betragen haben, wovon indess ein unbekannter Theil, vielleicht ein Viertel, für Kultzwecke in Abzug zu bringen ist. 60 jugera entsprechen 15 ha und haben in Mittelitalien, auch wenn nur die Hälfte als anbaufähig, die Hälfte als Weideland gerechnet wird, doch mindestens die doppelte wirtschaftliche Be- deutung, wie eine gleich grosse Bauerhufe in Deutschland. Deshalb konnte ein solches Familiengut, da sich sein Vieh und sein Anbau von dem kleinen heredium aus auf das Gemeinland aus- zudehnen vermochte, unter den bestehenden einfachen Verhältnissen genügend sein, dem Zuwachs einiger Generationen Unterkunft und Unterhalt zu gewähren. Häufige Kriege, mangelhafte Pflege und miasmatische Seuchen machen einen starken Nachwuchs an sich zweifelhaft. Schon in ältester Zeit sind aber auch bewusste Mittel nur zu klar erkennbar, durch welche einer zu starken Belastung der Familien guter abgeholfen werden sollte. Besonders bemerkbar scheint früh die Kindesaussetzung überhand genommen zu haben. Denn Dionysius (H, 15) schreibt schon dem Romulus ein Gesetz zu, alle Kinder männlichen Geschlechts und von den Töchtern die erstgeborenen aufzuziehen, und keine Leibesfrucht unter 3 Jahren zu tödten, es sei denn, dass das Kind gleich bei der Geburt krüppelhaft oder missge- staltet wäre. Anscheinend von den Sabinern war das dem Zeus ge- weihte Opfer des Ver sacrum nach Rom überkommen, welches mit den im März und April geborenen Hausthieren ursprünglich auch die Kinder ergriff. Statt dessen wurden schon in früher Zeit diese Kinder, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht hatten, mit verhülltem Haupt über die Grenze geführt und veranlasst, eine neue Heimath zu suchen. Bald trachtete auch der Staat selbst den Volksüberschuss durch die bereits bei den ersten Eroberungen der Städte am Anio erwähnten Kolonieansetzungen zu versorgen, für deren jede angeblich 300 Bürger aus dem römischen Gebiete ausschieden. Der Bestand des einzelnen alten bäuerlichen Fundus war nur geschützt, so lange er in einer Hand blieb, oder die Erben den Besitz gemeinsam fortführen wollten. Es gab anscheinend kein Mittel, Erb- theilungen zu verhüten. Dies wurde durch die Testamentifactio ge- 17* 2G0 IV. 2. Agrarische Aiterthümer Roms. fanden. Schon früh galt bei den Römern der Satz des XII Tafel- gesetzes: uti pater familias legassit super pecunia tutelave suae rei, ita jus esto. Dies Testament musste in comitiis ealatis vor den, wenn aucli nur fingirt vertretenen Curien erklärt werden. Im Streit- falle lag denselben dabei- mindestens die erste Entscheidung ob, und es ist wahrscheinlich, dass sie in ältester Zeit weitergreifenden Einfluss auf die Vererbung der heredia zu nehmen vermochten. In der testamentifactio liegt aber ihrem Wesen nach, dass der Vater einen ausschliesslichen Nachfolger im heredium zu bestimmen in der Lage war, indem er seine übrigen oder alle seine Kinder exheredirte. Auf diese Exheredatio hat kürzlich Max Weber als sehr beachtens- werte hingewiesen.1) Ist seine Vermuthung, wie es scheint, begründet, dass der Gegensatz der assidui und proletarii der servischen Verfassung die mit heredium Angesessenen von der proles, den Nachkommen, welche kein heredium überkommen hatten, unterschied, so liegt nahe, dass Recht und Brauch der exheredatio schon vor Servius bestand und, menschlicher als die Kindesaussetzung, von den Gentilen geübt wurde, um doch wenigstens einem der Söhne durch das leistungsfähige Gut Stellung und politische Macht in der gens zu bewahren. Es vermochten also nach den Sitten der Zeit die patres familias, welche heredia in Besitz hatten, trotz der Lasten des Kriegsdienstes und der Staats- und Kultusansprüche, den erforderlichen Nahrungs- zustand auf den Familiengütern aufrecht zu erhalten. Gleichwohl entstand eine erweisliche Verschiedenheit des patrizischen und plebejischen Grundbesitzes auch innerhalb der alten heredia. In dieser Beziehung ist kein Zweifel, dass die patricii aus den wohlhabenderen und angeseheneren patres hervorgingen, welche schon bei der ersten Begründung des Staates Einfluss gewannen und natur- gemäss den Senat des Königs bildeten. Die Plebs aber lässt sich nicht unmittelbar als deren Gegensatz, als das übrige freie Volk, auf- fassen. Ihre Entstehung ist noch keineswegs sicher aufgeklärt, nicht deswegen, weil für dieselbe keine anerkannten Gründe bezeichnet werden könnten, sondern im Gegentheil, weil unzweifelhaft sehr ver- schiedene Ursachen zusammenwirkten. Eine Plebs ohne quiritarischen Grundbesitz ist leicht zu erklären. Seit der Gründung des Staates muss die Zahl der Sklaven durch Kriegsgefangenschaft, Geburt und Verschuldung stark angewachsen ') M. Weber, Die römische Agrargeschichte in den Beziehungen zum Staats- und Privatrecht. Stuttgart 1891. S. 68. IV. 2. agrarische Alterthiiiner Roms. 261 sein. Von ihnen kam je früher desto leichter eine gewisse Anzahl zur Freilassung. Sein- gross war nach allen Berichten die Menge der zwar freien, aber zu unvollkommenem Recht in Rom aufgenom- menen Zu waudcrcr. Dazu kamen alle ohne heredium aus der väter- lichen Gewalt entlassenen und alle exheredirten Familiensöhne. Dass für diese Besitzlosen in der Staats -Verwaltung und Vertretung in alter Zeit keine Stelle war, ist nicht zu bezweifeln, sie vermochten aber auch trotz ihrer Freiheit keinen genügenden Rechtsschutz zu erlangen, so dass, wie Dionysius (II, 9) sagt, der König die Plebejer der Obhut der Patrizier anvertraute, und Jedem aus dieser Volksklasse erlaubte, sich einen Patron nach eigenem Belieben als Schutzherrn zu erwählen. Schon früh wird deshalb in der Stadt unter den Augen und unter dem Schutze des Königs ein heimathloser , armer und unsteter Haufe Biedern Volkes entstanden sein, dessen Dionysius (II, 62) erwähnt. Aus ihm konnten indess durch Handel und Gewerbe auch Wohlhabende und Einflussreiche hervorgehen. Auf dem Lande aber werden die patrizischen Patrone leichter eine strenge Einordnung in Haus- und Ortsrecht erzwungen, und die freien Besitzlosen als Klienten und Hörige in der Lage von Meiern und Pächtern oder Instleuten für die landwirtschaftliche Arbeit festgehalten haben. Je grösser aber unter allen diesen die Zahl derjenigen war, die aus freien Familien hervor- gegangen, desto natürlicher war ihr Streben nach Vollfreiheit und politischer Anerkennung, welche die servische Verfassung, wenigstens den Wohlhabenderen in einem gewissen Grade gewährte. Das Be- streben der Masse richtete sich jedoch sehr erklärlich viel weniger auf politische Rechte, als auf Gewährung von Land. Deshalb konnten die Kolonien, obwohl sie nur launische waren, immer wieder Befrie- digung schaffen, und auch für diejenigen, welche römische Bürger bleiben und nicht auswandern wollten, fand sich die Gelegenheit zur Ausstattung mit ager publicus, wofür der Acker von Veji das entscheidende Beispiel ist. Diese Vorgänge mussten den Zusammenhang innerhalb der ein- zelnen gentes wesentlich beeinflussen. Es entstand ein Standes- unterschied der reichen und vornehmen Patrizier und der ihnen unter- geordneten armen Plebejer. Wie Ständescheidungen meist, wurde auch diese vorzugsweise in der Aufhebung des Connubiums wirksam. Diese Trennung mag dadurch erleichtert worden sein, dass innerhalb der einzelnen römischen gens der Sitte nach überhaupt kein Connubium bestanden zu haben scheint, soweit nicht Erbtöchtern oder Wittwen ihres Grundbesitzes und Vermögens halber die Heirath in eine andere gß2 ItV« - Agrarische Alterthümer Roms. gens versagt wurde.1) Sie musste andrerseits oft um so lebhafter empfunden werden, weil nicht allein im Namen, und in den Opfern, sondern sogar im Erbrecht der Zusammenhang der Gens dauernd festgehalten worden ist. Noch Cicero (de orat. I, 39) erzählt, dass zu seiner Zeit die patrizischen Claudier die erblos gewordene Erb- schaft eines Freigelassenen der zur Gens gehörigen plebejischen Marceller vor den Centumvirn auf Grund des anerkannten Rechtes der Gens auf erblose Verlassenschaften der Gentilen in Anspruch nahmen. Dasselbe gesetzliche Recht im Falle des Minucius gebrochen zu haben, wirft Cicero (in Verr. II, 45) dem Verres vor. Durch diese Stellung der aus dem alten Besitzrecht an den ur- sprünglichen Fundis ausgeschiedenen Plebejer ist aber die zweifelhaft gebliebene, sowohl politisch als namentlich agrarisch wichtigste Frage nicht entschieden, in welche Lage die Erben der alten heredia kamen, ob auch von diesen erblichen Eigenthümern ein Theil in die Plebs herabsinken musste. Diese im ager romanus seit der ersten Besitznahme mit Höfen und Nutzungsrechten angesessenen Heredes waren unzweifelhaft ur- sprünglich voll- und gleichberechtigte Volksgenossen. Allerdings hob hergebrachtes Ansehen, Tapferkeit, Klugheit und Geschick, vor allem aber reichere Mittel und die Möglichkeit der Freigebigkeit einen kleinen Kreis zu Einfluss, zum Senat, zu Aemtern und zum Königs- gefolge empor. Die Gleichberechtigung der Bürger von gleichem Grundeigen mit gleichen Lasten für den Staat war aber an sich natür- lich, lag im Gedanken der Curien und der Curiatcomitien, und spricht sich auch in der Ueberlieferung der gleichen 2 jugera und der Ein- teilung der Curien lediglich in gentes und familiae aus. Ebenso unzweifelhaft aber ist, dass der stete Fortbestand der Gleichheit unter diesen altangesessenen vollberechtigten Volksgenossen unmöglich war. Es bedingen dies schon die dargestellten Grössen- verhältnisse des ager romanus. Man musste sonst annehmen , dass die Zahl der assidui in der Königszeit niemals im wesentlichen grösser gewesen sei als 3000, und dass keines der heredia über 60 jugera angewachsen wäre. Das Bestehen einer solchen festen Masse ge- schlossener Bauernstammgüter , welche dem ganzen Staate ihren Charakter hätte aufdrücken müssen, ist aber weder irgendwo über- liefert, noch mit der servischen Verfassung und den bekannten Ver- änderungen der gentes vereinbar. f) Livius 39, 19. Fr. Engels Ursprung der Familie 1892, S. 120. IV. 2. Agrarische Alterthümer Roms. 263 Glaubhaft ist im Gegentheil nur eine sehr frühe Scheidung in grosse und kleine Besitzungen und das entspreehende politische und bürgerliche Herabsinken der Inhaber der letzteren. Alle die alten heredia von 2 jugera müssen als Hofstellen oder Wurthen angesehen werden, an welche für die Familien der Besitzer das gleiche Recht, ihren weiteren Lebensbedarf aus dem ager romanus zu beschaffen, geknüpft war. Aber die Ausübung dieses Rechts hing nothwendig zunächst vom Vi eh besitze (pecunia) des einzelnen Fa- milienvaters ab. Wer Glück in seinem Viehstande oder in Handels- geschäften, in Kriegsbeute oder Königsdienst hatte, kurz, wer wohl- habend wurde und nicht verschuldete, sondern in dessen Schuldpflicht Andere verfielen, dessen Heerde wuchs, und er konnte die Weiden des ager romanus besser als andere Gentilen ausnützen. Je mehr Vieh er besass, desto angesehener und übermächtiger wurde er in seinem Bezirk und im Staate überhaupt, desto mehr Klienten konnte er nicht bloss erwerben, sondern auch beschäftigen, desto leichter vermochte er sich auch gut zu bewaffnen und den Reiterdienst des eques zu übernehmen. Wer aber nicht glücklich war, sondern sein Vieh theilweis oder ganz verlor, konnte nur anderes gegen Zins oder Dienst leihen, oder den Ausfall durch Ackerbau zu ersetzen suchen. Solcher Anbau war nun entweder sporadisch, im Sinne der o. I, S. 136 gedachten Bifänge oder Beunden, durch Einhegung kleiner Neubruchstücke ausführbar, welche wieder in die Gemeinweide zurück- fielen, wenn der Zaun nicht erhalten wurde oder der Anbau auf- hörte. Oder es mussten bleibende Feldanlagen gemacht werden. In beiden Fällen kamen die Rechte der Genossen und Nachbarn in Frage. In verschiedener Weise konnte das gegenseitige Verhältniss geordnet werden, aber streitig bleiben durften weder Ansprüche noch Abgrenzungen. Bei jedem solchen wirtschaftlichen Abkommen ist der Mächtigere und Reichere indess in natürlichem Vortheil. Die Weiden wurden für die grösseren Besitzer frei, der Anbau aber ging in diesen einfachen Zuständen seinem Wesen nach nicht über die Arbeitskraft und den Bedarf der arbeitenden Familie hinaus. Der Ackerbauer konnte zwar selbstständig, aber bei seiner Wirtschafts- weise und Gebundenheit doch nur in besonderen Glücksfällen wohl- habend werden, durch Missernten, Kriegsdienst oder Verwüstungen aber nur zu leicht verschulden. Daraus ergiebt sich, dass sich die alten gleichberechtigten Assidui innerhalb derselben gens nicht blos in Patrizier und Plebejer schieden, sondern dass auch nach einigen Jahrhunderten, ohne dass dabei eine gesetzliche Anordnung nöthig -j(v| IV. 2. Agrarische Älterthümer Roms. gewesen wäre, der kleine. Ackerstellenbesitz als plebejisch, der Besitz des vollen ursprünglichen Erbgutes mit seinen alten oder noeh er- weiterten Nutzungen an Ackerstücken und Wald, mit seiner Bewirt- schaftung durch die Arbeitskräfte der Klienten und Sklaven als patrizisch aufgefasst werden konnte und musste. Unzweifelhaft besassen also nicht blos Patrizier, sondern auch Plebejer alte heredia. Dies setzt auch Dionys. (II, 9) voraus, indem er Romulus zuschreibt, dass er die Plebejer theils wegen ihrer Uner- fahrenheit, theils wegen des Mangels an Müsse, zu dem sie ihre Dürftigkeit nöthigte, von öffentlichen Geschäften befreit und ange- wiesen habe, das Feld zu bauen und sich auf Viehzucht zu legen. Die plebejischen kleinen Stellen mussten sich auch durch Theilung der ursprünglichen heredia, je ärmer die Besitzer wurden, desto leichter vermehren. Dieser Rest alter Fundi in den Händen der Plebejer, der mit den Ackerverleihungen an die Plebs ausserhalb des ager romanus keinerlei Beziehung hatte, wird auch durch die politische Gesetz- geltung bestätigt. Als 492 v. Chr. che Plebejer durch die Vereinbarung auf dem Mona sacer das Recht der Wahl von Tribunen und der Fassung von Plebissciten erlangt hatten, fanden, wie Mommsen (Rom. Staatsr. III, 148 ff.) zeigt, diese Wahlen und Beschlüsse im Rahmen der Curiat- comitien in der Weise statt, dass dabei die Patrizier ausgeschlossen blieben. Da aber in den Curien alle freien Bürger, auch die unan- gesessenen, gleiches Stimmrecht hatten, behielten gleichwohl die Pa- trizier, wie Livius (ü, 56) ausdrücklich berichtet, durch die Stimmen ihrer Klienten die Macht, nach ihrer Wahl die Tribunen zu bestimmen. Um ihnen diesen Einfluss zu entziehen, setzte der Volkstribun Publicius Volero bereits im Jahre 469 v. Chr. durch: ut plebeji inagistratus tributis comitiis fierent. Tribus, vom umbrischen Toefo, heisst schon dem Wortsinne nach örtlicher Bezirk, Gemeindeflur. Die Bezeichnung ist möglicher- weise in frühester Zeit auf die Gebiete der Tities, Ramnes und Luceres angewendet worden. Die spätere Tribuseintheilung begann Servius mit der Feststellung der 4 Tribus urbanae als Stadtbezirke. Daneben bestand eine Anzahl Landbezirke, welche indess, wie es scheint, an- fänglich nur nach der älteren Eintheilung in pagi bezeichnet wurden. Nicht lange darauf, wie Mommsen (a. a. 0. IDI, S. 68) erklärt, mindestens vor 493, treten als Landbezirke 16 Tribus auf, welche den städtischen gleichgestellt waren, und später in sich niemals ver- IV. 2. Agrarische Alterthümer Roms. 265 ändert worden sind, sondern nur einige geringe Erweiterungen er- fuhren, dagegen allmählig bis 240 v. Chr. einen Zuwachs von 15 anderen Tribus auf neu erworbenem privatem Lande, erhalten haben, durch welchen die endgültige Zahl von 35 Tribus erreicht wurde. In den Tributcomitien zu stimmen waren nur die im Bezirke der Tribus mit quiritarischem Grundeigentum angesessenen freien Bürger berechtigt. Durch das Gesetz von 469 wurden also alle Plebejer vom Wahlrecht ausgeschlossen, welche solches Grundeigen nicht besassen. Da dies Gesetz schon fast 100 Jahre vor Verleihung des ager Vejentinus an die Plebejer und vor der ersten Erweiterung der 16 alten Tribus um 5 neue aus Gebieten ausserhalb des alten ager romanus erging, kann es nur die Plebejer im Auge gehabt haben, welche zur Zeit assidui auf alten Fundis oder ihren Theil- stücken im ager romanus waren. Daraus erweist sich, dass noch im 4. Jahrhundert im ager romanus neben den Patriziern ein auf den ursprünglichen heredia angesessener, freier plebejischer Bauernstand bestanden haben muss, welcher zwar gegenüber den patrizischen Klienten in der Minderzahl, aber doch zahlreich genug war, um zu Tributcomitien vereinigt zu werden, und die politische Vertretung der gesanimten Plebs bean- spruchen zu dürfen. — Diese nur allgemeinen und vorzugsweise rechnungsmässig ge- wonnenen Grundlagen für die Beurtheilung des Bestandes der fundi im ager romanus lassen schliesslich die Frage zu, ob sie nicht auch Anhalt für eine bestimmtere Auffassung der Art der Niederlassungen und der Entwicklung des Grundbesitzes zu gewähren vermögen. In dieser Beziehung bieten die Nachrichten über die Pagi die deutlichste Anknüpfung. Die Pagi sind alte ländliche Flurbezirke, während die Stadt früh •in Montes zerfiel. Pagus ist, wie Mommsen (a. a. 0. III, 114) sagt, »dem Wortsinn nach, wie pagina, der geschlossene Raum. Der Pagus bildet den Gegensatz gegen die Stadt, anfänglich vielleicht gegen das städtische Hauseigenthum, späterhin gegen den durch die Stadtmauer abgegrenzten Raum. Der Pagus erstreckt sich auf Acker-, wie auf Weideland, auf Gemeinde-, wie auf Privatbesitz. Einen ört- lichen Mittelpunkt für seine Sacra hat er sicher gehabt. Die Be- nennung der »Kreuzweg«, das Compitum, mag dem städtischen, wie dem ländlichen Nachbarschafts- Gottesdienst eigen sein. Vor allem aber gehören zum Wesen des Pagus festbestimmte Grenzen, die beim jährlichen Flurfest umgangen und lustrirt werden. Die Eintheilung 266 rV. 8 Agrarische Alterthümer Roms. iUs Gebietes in pagi ist nicht blos römisch, sondern allgemein italisch und wird von den Römern auch auf nichtitalische Territorien übertragen.« Dionysius erwähnt die Pagi schon früh, denn er erzählt (II, 76) von Nuina, dass er aus Fürsorge für die nöthigen Lebensmittel das ganze Feld in sogenannte Pagi getheilt, und über jeden Pagus einen Vorgesetzten als Aufseher und Bannwart seines Bezirkes gesetzt habe. Diese wären öfters das Feld umgangen, hätten die gut und schlecht gebauten Aecker bezeichnet und dem Könige ihren Bericht darüber gemacht, der dann den sorglichen Landmann mit Lob und Huld aufgenommen, den trägen bedroht und gestraft und zu besserer Bearbeitung des Feldes angetrieben habe. Allerdings berichtet er (IV, 15) auch, dass Servius »das Land in wie viel Theilen immer, in Abschnitte, die er mit griechischem Namen Pagus nannte, gegen die Anhöhen getheilt und die Hügel, welche den Bauern die beste Sicher- heit gewähren konnten, zu Zufluchtsorten eingerichtet habe. Dahin flüchteten sich alle aus dem Felde bei jedem feindlichen Einfall und übernachteten oft daselbst. Diese Pagi hatten ihre Vorgesetzten, denen es oblag, die Namen der Bauern, welche in einem und demselben Bezirke ihre Abgaben zu liefern hatten, und deren Nahrungsquellen zu kennen. Trat der Fall ein, die Dorfbewohner unter die Waffen zu rufen, oder Geldbeiträge kopfweise einzusammeln, so riefen sie die Leute zusammen und trieben das Geld ein. Damit aber auch diese alle nicht schwer aufzufinden, sondern leicht zu zählen und offen- kundig würden, befahl er ihnen, den Schutz- und Schirmgöttern Altäre zu bauen, und verordnete, sie in einer allgemeinen Versamm- lung mit gemeinschaftlichen Opfern jährlich zu verehren. Er setzte daher ein sehr heilig zu begehendes Fest, die sogenannten Paganalien, ein, und schrieb über diese Feierlichkeit Gesetze nieder, welche die Römer noch heute streng beobachten.« Dies bezieht sich indess nicht auf die älteren Pagi, sondern, wie er ausdrücklich bemerkt, auf die Bezirke, aus denen die oben gedachten 16 alten Tribus rusticae hervorgingen. Von den früh genannten Pagi aber, obwohl entsprechende kleine ländliche Gaue unter Vorstehern für Polizei und Kultübung bei allen italischen und griechischen, ja überhaupt bei den meisten acker- bauenden Völkern in ganz ähnlichen Formen, wenn auch in sehr ver- schiedenen Grössen, vorkommen, ist nicht vorauszusetzen, dass ihr Bestehen auf die Zustände vor der Gründung Roms und vor der Besitznahme des ager romanus zurückgehe, und dass überhaupt eine IV. 2. Agrarische Alterthümer Roms. 267 irgend erhebliche feste Besiedelung der unteren Tibergegend von den Römern vorgefunden worden sei. Es ist möglieh, dass einzelne ältere Ansiedelungen bestanden, sie mussten aber unter der übermächtigen Eroberung verschwinden. Es ist vielmehr nur anzunehmen, dass sich die römische Besitznahme im offenen Lande nach den hergebrachten italischen Sitten, und den unabweisbaren Bedürfnissen der Familien, die sich an den geeigneten Stellen festsetzten, einrichtete. — Dieser italischen Sitte entsprach, wie sich o. S. 241 gezeigt hat, das dorf weise Zusammenleben. Es war die den Umständen angemessenste Art der Niederlassung. Auf die dorfmässige Ansiedelung deutet die uralte Entwickeluug der Gentes. Die Gens beruht auf der Anerkennung gleicher Ab- stammung und einer zu gegenseitiger Hülfe verpflichtenden Ver- wandtschaft. Schon innerhalb der ersten Schaar, die sich auf dem Palatin festsetzte, müssen solche Verwandtschaftsverbände gedacht werden. Sie Hessen sich bei der Besitznahme des ager romanus nachbarlich nieder und waren bereit, ihren Besitz mit vereinter Kraft nicht weniger gegen jeden Eindringling, wie gegen feindliche An- griffe, zu schützen. Auch wenn der einzelne Familienvater durch seine Angehörigen eine Gens begründete, musste diese Nachkommenschaft das für den Unterhalt der Ihrigen nöthige Land in Besitz nehmen, und war ebenso veranlasst, sich dasselbe gegenseitig zu verbürgen. Ihr schon gedachtes gemeinsames Erbrecht hing vor allem an ihrem ursprünglich gemeinsamen Gebiete. Die Mitglieder einer Gens brauchten nicht überall einen ganzen Pagus auszufüllen, und konnten ebenso mehrere besetzt haben. Der Pagus als solcher hatte keinen notwendigen Zusammenhang mit der Gens, denn ihn bedingte vor allem das Terrain. Aber, dass die Gentilen ganz überwiegend in nachbarlichen Dorfverbänden zusammensassen , liegt in der Natur dieser älteren, auf Selbsthülfe angewiesenen Zustände. Die, Anerkennung des Staates, dass dem einzelnen Familienvater 2 jugera als heredium zuständen, kann nicht als ein anfänglicher, in die älteste Zeit fallender Akt beurtheilt werden. Sie war zwar eine Rechtswohlthat , weil sie das unbeschränkte und geschützte Eigen- thum für das Grundstück des damit begabten Familienvaters und die Begründung eines gleichberechtigten Fundus durch dasselbe aus- sprach. Aber sie enthielt zugleich die wesentliche Einschränkung, dass der übrige okkupirte Besitz von der Staatsgewalt nur als ein prekärer betrachtet werde. Indess, wenn auch die Inhaber der heredia die Staatsgewalt nicht in der Hauptsache selbst in Händen gehabt vJt;£ IV. 8. agrarische Uterthüm'er Roms. hätten, konnte diese; Rechtsfeststellung keinen wesentlichen Einfluss auf die thatsächlichen Verhältnisse üben. l>as heredium bildete nur einen ldeinen Theil des Fundus, denn dieser umfasste ausser dem heredium die Anrechte am Gemeinländ, welche mindestens zur Ernährung einer Familie hinreichen muBsten. Dass nun auch für diese Nutzungen, also im vorbehaltenen ager romanus, Abgrenzungen bestanden, darauf hat Max Weber (a. a. 0. S. 120) durch seine Ausführung über die Compascua aufmerksam gemacht. Compascua sind Grundstücke, auf welchen genossenschaftliche Mit weiderechte ruhen. An solche alte Compascua bestehen auf den durch die Agrimensoren vermessenen und zu quiritarischem Eigen- thum assignirten Fluren allerdings nur noch Erinnerungen. Aber der Begriff ist sicher. Als Pascua wurde das gesammte unbenutzte, lediglich okkupirte oder nur pachtweise oder sonst prekär zur Nutzung verstattete Staatsland, der ager publicus, bezeichnet. Auf den Com- pascua aber stand nur bestimmten, nach der Assignation meist nur den angrenzenden (proximi), Grundstücksbesitzern das Recht der Weide zu. Dasselbe wurde gemeinsam geübt, galt als Pertinenz ihrer Grundstücke und ging mit denselben an den Besitznachfolger über. Auch muss für dieses Weiderecht ein besonderer Rechtsschutz bestanden haben, denn Cicero (Top. 13) sagt bestimmt: Si compaseuus ager est, jus est compascendi. Frontin (de contr. Lachm. I, 15) er- klärt: Est et paseuorum proprietas pertinens ad fundos, sed in com- mune, propter quod ea compascua multis locis in Italia communia appellantur, quibusdam in provineiis vero indivisa. Das Recht eines Fundus, die Weide über den ganzen ager romanus, so weit er nicht als heredia Eigenthum war, auszuüben, hätte niemals mit wirtschaftlichem Nutzen und ohne immer wieder- holten Streit verwirklicht werden können. Es hätten sich die Heerden der 3000 heredia auf den besten Weiden zusammengedrängt und sie bald vernichtet, jeden Anbau aber ernstlich bedroht. Auch wäre nur Grossweidebetrieb, kein bäuerlicher, möglich gewesen. Der Bauer muss, wie o. S. 152 gezeigt ist, sein Zug- und Nutzvieh täglich mehrmals zur Arbeit und zur Molkerei bei seiner Wirthschaft zur Verfügung haben. Er muss also sicher sein, dass dasselbe in der Nähe seines Hofes die nöthige Weide findet und von derselben nicht durch fremde Hirten und Heerden verdrängt wird. Deswegen muss entweder den einzelnen Hof sein Weideland als ausschliesslicher Be- sitz umgeben, oder es müssen für eine bäuerliche Genossenschaft IV. 2. Agrarische Alterthüirier tioms. 2G9 genügende Weidegrundstücke in der Nähe ihres Dorfes zu ihrer alleinigen gemeinsamen Benutzung bestehen. Letzteres Verhältniss spricht sich in den Compascua aus. Daraus liisst sich verstehen, wenn Dionys. (II, 74) sagt: Numa gebot einem Jeden, sein Eigenthum zu ummarken und Steine an die Grenzen zu setzen, heiligte diese Steine Jupiter, dem Grenzen- hüter, befahl Allen, jährlich an einem bestimmten Tage an dem- selben Orte zusammen zu kommen und zu opfern, und erhob diesen Tag zu einem hohen Ehrenfeste der Grenzgötter. Die Römer nennen es Terminalienfest von den Termini. Er verordnete ferner, dass. wer die Grenzsteine wegnehmen oder versetzen würde, jenem Gotte ver- fallen sei, und dass ihn Jeder, wer wollte, nicht nur ohne Gefahr, sondern auch ohne Sühnung, als Heiligthumsschänder tödten dürfe.1) Dieses Gesetz gab er nicht nur für das Privateigenthum , sondern auch für das Eigenthum des Staates, und umfasste auch jenes mit Grenzscheiden, damit die Grenzgötter der Römer Land von benach- bartem und das Gemeingut von Privatgut unterscheiden möchten.« Dies kann sich nicht auf die 2 heredia Gartenland bei jedem Fundus bezogen haben, welche sicher umzäunt waren, und der Ver- steinung nicht bedurften. Sondern die Ueberlieferung zeigt, dass bereits Abgrenzungen gesonderten Feldbaues und bestimmter Com- pascua, die paseuorum proprietas, von der Frontin spricht, vor- handen waren, welche feste und geheiligte Grenzen, auch gegen das Staatsland, forderten. Die grosse Aehnlichkeit dieses Bildes der altrömischen Siedelung mit der germanischen lässt sich nicht verkennen. Auch die deutschen Dörfer waren in der Regel von Sippen, Genealogien, Gentes, be- wohnt. Ihr ältestes Sondereigen bildete gleichfalls das Gartenland, auf dem die Gehöfte errichtet waren. Sogar der Umfang dieser Gärten ist für die Hufe ursprünglich meist mit xl% ha dem der 2 jugera gleich. Ebenso entspricht die für den einzelnen Fundus verfügbare Fläche von etwa 60 jugera der alten deutschen Landhufe, und dieses Land wurde hier wie dort nur bis zur Befriedigung des in Italien auf viel geringerer Fläche erreichten Bedarfes angebaut, im übrigen diente es zur gemeinsamen Weide- und Holznutzung. Der Unterschied ist nur, dass sich bei den Germanen überall das Hüfenerdorf mit bestimmt begrenzter Almende und einer festen An- zahl Hufenantheile von dem als gemeine Mark unter der Verwaltung *) Vergl. Pauli Sentent. Hb. 5 de poenis. 270 IV. 2. Agrarische Alterthümer Roms. von Markgenossenschaften (o. S. 124) stellenden alten Volkslande aus schied. Falls dagegen die römischen Dorfschaften mit ihren der Ahnende entsprechenden Ackerfluren und Compascuis in den Ab- grenzungen nicht zusammenstiessen, sondern zwischen denselben Land frei blieb, stand dieses als ager romanus dem gesammten römischen Volke zu, vielleicht bildeten auch die Almenden dem gemeinsamen Rechte des Volkes gegenüber prekären Besitz. Die Verhältnisse der alten römischen Pagi mit ihren heredia und fundi dürfen gleichwohl den germanischen Dörfern sehr nahe verwandt aufgefasst werden. Die Zahl der Pagi war zwar ohne Zweifel eine viel geringere, als die der ursprünglichen Patriziergeschlechter, sie war aber auch sicher grösser, als die der Tribus, durch welche sie in den Hinter- grund gedrängt wurden, so dass in einem Tribusbezirk eine grössere Anzahl Pagi zusammengefasst worden sind. Die Pagi aber bestanden, wie Mommsen (a. a. 0. S. 117) näher zeigt, nicht allein als sacrale Verbände für die paganalien und ge- wisse Spiele fort, sondern es wurde, obwohl die Bezeichnung des oder der Vorsteher, magister oder magistri, eine priesterliche ist, doch der Flurbezirk auch für Verwaltungszwecke benutzt. Wie diese Communalthätigkeit schon Dionys in bedeutender Ausdehnung für Numas Zeit bezeugt, geschieht ihrer auch später noch bei Wege- bauten, wie bei Transporten und Lieferungen der Flurgenossen Er- wähnung, und die Fürsorge für die Aufrechthaltung der Flurgrenzen blieb eine dauernde. — Ueber die Entwickelung des Grundbesitzes in den Pagi sind nur wenige Andeutungen erkennbar, die sich an die politische Organisation anschliessen. Festus sagt (ep. ed. Müller 2, p. 115) ausdrücklich : Lemonia tribus a pago Lemonia appellata, qui est a porta Capena via Latina. Die übrigen alten Tribusnamen sind Aemilia, Cornelia, Fabia, Horatia, Menenia, Papiria, Sergia, Veturia, Claudia, Camilia, Galeria, Pollia, Popinia, Romilia und Voltinia. Es sind sämmtlich Namen von gentes, meist von sehr bekannten, manche sind später verschollen. Sie erweisen, dass schon in der Königszeit unter den gentes der später zu Tribus vereinigten Pagi je eine gens an Besitz, Zahl und Bedeutung so weit vor den anderen emporge- wachsen war, dass es zulässig erschien, den ganzen Pagus und die ganze Tribus nach ihr zu benennen. Mit dem Census und seinen Klassifikationen scheint aber aller- dings die politische Stellung, welche die Fundi ursprünglich ihren IV. 2. Agrarische Älterthümer ftoms. 2?1 Inhabern gaben, und damit die Betheiligung der Patrizier innerhalb der Pagi und das Interesse an der eigenen Bewirtschaftung der patrizischen Stammgüter mehr und mehr gemindert worden zu sein. Wenn sich auch ein Theil der patrizischen Landgüter erheblich ver- größert haben mag, blieben sie der Mehrzahl nach doch verhältniss- mässig klein und mögen immer weniger gegen den italischen Land- besitz und gegen die grossen Vermögen, welche die reichen Familien aus Staatspachten ausserhalb des ager romanus, aus Beute, Sklaven, Aemtern und Schuld- und Geldgeschäften zu erwerben vermochten, in Betracht gekommen sein. Gleichzeitig ist, wie es scheint, die Zahl der senatorischen Familien mehr und mehr zusammengeschmolzen. Denn nach Festus (v. qui patres, p. 254) und Plutarch (Publ. 11) wurde nach der Vertreibung der Könige der Senat durch Eintritt von 164 Plebejern wieder auf 300 Mitglieder gebracht. Dies be- stätigen die Quellen wenigstens in so weit, als aus ihnen (Mommsen a. a. O. S. 12) in republikanischer Zeit höchstens 60 Patrizier- geschlechter nachweisbar sind. Auch muss bei der Lebensweise der Patrizier die Verwaltung der Stammgüter in die Hände von Meiern oder Instleuten übergegangen sein, von denen als paganis gesprochen werden konnte. Die eigene Bewirtschaftung ihrer väterlichen Land- güter durch vornehme Römer wird stets bei allen Schriftstellern sehr belobt. Der vom Pfluge hergeholte Cincinnatus gilt als Muster bürger- licher Einfachheit. Dies erweist genügend, dass um 460 die Zu- stände bereits völlig verändert waren, und dass das XII Tafelgesetz nur noch die Reste der alten Agrarverfassung in Rücksicht zu ziehen hatte. — Aus diesen immerhin nur spärlichen Andeutungen über die alt- römischen Agrarverhältnisse ergiebt sich im Rückblick, dass die erste Besiedelung des römischen Gebietes schon mit uralter Kenntniss des Anbaues der noch heute üblichen Hauptgetreide- und Gespinnst- pflanzen und der Zucht aller unserer Hausthiere erfolgte. Für den Anbau nahmen die streitbaren Bürger das Land in einer ziemlich grossen Anzahl Niederlassungen in Besitz. Ihre kleinen Dörfer wurden in der Regel von einem Kreise verwandter freier Familien bewohnt, welche gleichwohl alle ihren politischen Mittelpunkt und Zufluchts- ort in der Stadt Rom sahen. Jede dieser Familien lebte auf einer Hofstätte, auf welcher ihre Hütte errichtet war und die nöthigsten Garten- und Brotfrüchte gebaut werden konnten. Diese Wohnstätte war vom Staate in Grösse von 2 jugera als ihr heredium, ihr erb- liches Eigenthum, anerkannt. Im übrigen blieben die Insassen für 072 IV- 3. r>io römische und <1io germanische Ackerbestellung. ihren and ihres Viehes Bedarf auf die Nutzung des umliegenden ager romanus angewiesen, aus welchem für jede der Ortschaften ein gemeinsamer almendartiger Bezirk zur Abgrenzung kam. Die Flüche, die dem einzelnen pater familias neben seinen festen 2 jugera in diesem gemeinsamen Lande durchschnittlich zur Verfügung stehen konnte, berechnet sich auf etwa 60 jugera theils an baufähigem Grunde, theils an geringer Weide. Es war also thunlich, in der Nähe der Ort- schaften den Anbau sporadisch auf das gemeinsame Land auszu- dehnen, oder mit Einwilligung der Genossen das private Land des einzelnen Hofes um mehr oder weniger jugera dauernd zu vergrössern. Je sicherer aber durch eine solche Ausdehnung des Anbaues der Bedarf der einzelnen Besitzungen gedeckt wurde, desto leichter vermochten Reichere die ausschliessliche Nutzung grösserer Stücke der gemein- samen Almende durch Vereinbarung, oder als allmählig verjährtes Anrecht, in ihre Hand zu bekommen. Mit der Zeit wurden die Höfe der von Staatsgeschäften und Vermögensverwaltung in Rom in Anspruch genommenen Patrizier durch Kauf1) oder Aussterben zu grösseren Besitzungen zusammengeschlagen und den hörigen Klienten zur Bewirthschaftung überlassen. Neben ihnen blieb eine grössere An- zahl kleiner bäuerlicher Ackernahrungen bestehen, deren Umfang nur hinreichte, der Familie, die sie bearbeitete, den nüthigen bescheidenen Unterhalt zu gewähren. Diese Lebenslage drückte ihre Besitzer politisch und sozial in eine niedrige plebejische Stellung und durch Unfälle und Kriegs- und andere Lasten in Schuldabhängigkeit herab, welche ihren Besitz und ihre Freiheit ernstlich bedrohten. Die wirthschaftliche Entwickelung fällt mit der der Betriebs- einrichtungen und des agrarischen Rechtes zusammen. Ihre Be- sonderheiten können am besten von der Beurtheilung der römischen Ackerbestellung und Landmessung aus aufgesucht werden. 3. Die römische und die germanische Ackerbestellung. Aehnliche Bedeutung, wie die agrarischen Alterthümer Roms für das Verständniss des Ursprungs und frühesten Zustandes der festen Ansiedelung in den Alpen und den ihnen nördlich vorliegen- den Gebieten haben, besitzt auch die Ackerbestellung und Feld- eintheilung der Römer für die Beurtheilung der ersten Grundlagen landwirtschaftlicher Technik in jenen Länder strecken. ') Einen Fall der Veräusserung erzählt Livius II, 23. IV. 3. i)Je römische und die germanische Ackerbestelluüg. 2?B Bei allen Völkern führt der Gedanke, die Bodenbeackerung durch Anwendung einer Zugkraft zu erleichtern, zunächst zur Umwandlung der Hacke oder des Spatens in einen bespannten Haken. Da- mit entsteht ein Geräth, welches durch den Gang der ziehenden Menschen oder Thiere eine fortlaufende Furche in den Ackerboden einreisst. Durch gleichmässig und eng neben einander gezogene Furchen kann der Haken erheblich leichter und schneller als die Hacke oder der Spaten die gesammte Oberfläche eines Feldes aufbrechen und, soweit zum Einbringen der Saat erforderlich ist, lockern. Be- spannte Haken der einfachsten Art sind, wie deren Abbilder auf Denkmälern erweisen, von den Römern bis in die späteste Zeit be- nutzt worden. Die Figuren 28 bis 33 *) geben von der kunstlosen Form dieses Geräthes hinreichende Anschauung. Fig. 28. Fig. 29. Fig. 30. Fig. 31. Fig. 32. Fig. 33. Plinius2) nennt als römische Werkzeuge nur verschieden zuge- spitzte Haken, dabei auch solche mit Sech (culter) und solche mit ') Die Abbildungen sind nach R. H. Rau's Geschichte des Pfluges, Heidelberg 1845, S. 19 ff. wiedergegeben. Fig. 28 ist einem römischen, Fig. 29 einem Denkmal aus Arezzo, Fig. 30 einem römischen Grabstein entnommen. Fig. 31 gehört einer älteren römischen Münze, Fig. 32 einer Münze des Jul. Caesar, Fig. 33 einer solchen der Gens Sempronia an. Auch Fig. 34 und 35 theilt Rau mit. *) Histor. nat. XVIII, 48 (18): Vomerum plura genera: culter vocatur inflexus praedensam priusquam proscindatur terram secans futurisque sulcis vestigia praescribens incisuris, quas resupinus in arando mordeat vomer. Alterum genus est volgare rostrati vectis. Tertium in solo facili, nee toto porrectum dentali, sed exigua cuspide in rostro. Meitzen, Siedelang etc. I. 18 274 IV. 3. Die römische und die germanische Ackerbestellung. der tabula aratro adnexa, einem Streichbrett, das aber nur zur Aus- breitung der Erde über die Saat diente. Fig. 34 ist der noch heut in der Umgegend von Rom allgemein gebrauchte Haken mit langem Haupt, und zugleich das genaue Abbild der von Plinius hervor- gehobenen vierten Art der Pflugschaar. Gleichwohl haben die Römer alle Elemente des o. S. 83, 88 und 105 gedachten, in Fig. 36 wiedergegebenen Pfluges der Ger- manen gekannt. Dies geht aus den Worten des Plinius über das Plaumoratum deutlich hervor. Es ist bei diesem Geriith nicht das Rädergestell, sondern die spatenähnliche Schaar, deren Breite die Rasenstücke umwendet, sowie die Nutzungsweise charakteristisch. Fig. 36. Dasselbe wurde, wie Plinius sagt, wesentlich auf eigentlichem Acker-, Brach- und Dreschlande gebraucht, in den gewendeten Boden als- bald der Samen ausgeworfen, und nur noch durch gezahnte, bei den Römern ebenfalls nicht übliche Eggen untergebracht. Diese Ackerbestellung entspricht ebenso, wie dieser rhätische Pflug selbst, völlig der Weise der üblichen germanischen Bodenbehandlung. Latior haec quarto generi et acutior in mucronem fastigata eodemque gladio scindens solum et acie laterum radices herbarum secans. non pridem inventum in Raetia Galliac, ut duas adderent tali rotulas, quod genus vocant plaumorati. Cuspis effigicm palae habet. Serunt ita non nisi culta terra et ferc nova. Latitudo vomeris eaespites versat. Semen protinus injiciunt cratisque dentatas supertrahunt. IV. 3. Die römische und die germanische Ackerbestellung. 275 Für diesen altüberlieferten Gegensatz des römischenHakens und des deutschen Pfluges kann es weder auf das Sech, noch auf das bei den Römern nur kleine und meist doppelseitige J) Streich- brett, noch auch auf das Rädergestell ankommen. Alle diese Zuthaten können am Haken wie am Pfluge ange- bracht werden. Auf einem geschnittenen Jaspis findet sich ein alt- griechischer Pflug, den Fig. 35 wiedergiebt, und der bereits Sech und Radgestell besitzt. Andrerseits sind zwar in Deutschland soge- nannte Schwingpflüge ohne Vordergestell im Mittelalter unbekannt gewesen, doch ist ohne dasselbe Pflug wie Haken nur schwieriger in gleichmässigem Tiefgange zu erhalten. Noth wendig ist auch dem Pfluge das Rädergestell nicht. Dagegen liegt der entscheidende Unterschied in der durch die Form- und Grössenverhältnisse und durch die Stellung der einzelnen Theile des Geräthes hervorgebrachten Wirkung auf den Ackerboden. Der deutsche Pflug schneidet mit dem Sech in den Boden senkrecht und so tief ein, wie die Spitze der Pflugschaar liegt, macht dann mit der flachen und nach rechts gewendeten, breit auslaufenden Schaar rechtwinklig zum Sechschnitt einen breiten wagerechten Schnitt im Unterboden und drängt mit dem Haupt, an dem die Schaar sitzt, und dem grossen, nur rechts angebrachten Streichbrett die losgelöste Erd- masse seitwärts so weit in die Höhe, dass sie nach rechts überstürzt. Nachdem der Pflug gewendet und die zweite Furche längs dem anderen Rande des Ackerbeetes in entgegengesetzter Richtung gezogen worden ist, führt der Pflüger die dritte Furche so neben der ersten hin, dass ein gleich breiter Bodenstreif durch die Schaar abgeschnitten und nach rechts übergestürzt wird. So setzen sich die Furchen von beiden Seiten fort, bis der Rücken des Beetes erreicht ist. Ueberall ist dann der Oberboden bis zu der Tiefe, welche beabsichtigt war, durch die Schaar völlig vom Untergrunde abgetrennt, und durch das Ueberstürzen der abgeschnittenen Streifen gekrümelt und umgedreht. Alle hakenartigen Geräthe reissen dagegen nur eine Rinne in den Oberboden ein, in welche hinter dem Instrument die gelockerte Erde zum grossen Theil wieder zurückfällt. Da aber die am tiefsten eindringende Spitze schmäler als der breite Schuh ist, mit dem die konische Hakenschaar am Krummholze befestigt wird, bleibt zwischen zwei vertieften solchen Rinnen stets ein mehr oder weniger ') Varro de re rustica I, c. 29 und Virgil Georg. I, v. 172 erwähnen nur tabellae und binae aures am Haken, die auf beiden Seiten die Erde ausbreiten. 18* 'JTö IV. 3. Die römische und die germanische Ackerbestellung. starker Grad unberührten Bodens stehen. Dieser kann mit dem spitzen Instrument durch enggedrängtes Parallelfahren nur so mühsam und unsicher gefasst werden, dass es viel einfacher und wirksamer ist, mit dem Haken erst der Länge und dann der Quere nach zu arbeiten, so dass die Rinnen sich kreuzen. Der Pflug also schneidet den gesammten Oberboden in zer- krümelnde Streifen, der Haken durchwühlt ihn, aber mehr die Ober- fläche als die Tiefe. Dieser Unterschied der Bestellungstechnik ist ein prinzipieller und sehr eingreifender. — Zunächst lässt sich die Entwickelung bei den Römern aus ihren bestimmten Ueberlieferungen übersehen. Die Römer haben, wie die Abbildungen zeigen, den ursprünglichen Haken zu keiner Zeit wesent- lich anders als durch stärkeren Eisenbeschlag verändert. Das schon von Cato bezeugte sorgsame Streben nach verbesserter Ackerkultur muss also die Richtung auf das Verfahren, auf die Arbeit genommen haben. Dass dies in der That, und zwar durch doppelte Ackerung in Längs- und Querfurchen geschehen ist, wird bestimmt bekundet. Plinius spricht (XVIII, 49. 4) ausdrücklich aus: Omne arvom rectis sulcis, mox et obliquis subigi debet. Dass obliquis sulcis als wirkliche Kreuzung zu verstehen ist, bestätigt der Satz (ebd. 20): Aratione per traversum iterata occatio sequitur, ubi res poscit, crate vel rastro et sato semine iteratio, haec quoque ubi consuetudo patitur crate contenta, vel tabula aratro adnexa, quod vocant lirare, operiente semina. Also erst wenn das Pflügen in die Quere wiederholt ist, folgt das Eggen mit Hürdengeflecht oder durch ein an dem Pfluge befestigtes Brett, welches den Samen bedeckt. Dies ist das lirare. Darin lag gegen die älteste Zeit eine wesentliche Veränderung und Verbesserung der Bodenbestellung. Wie o. S. 250 gezeigt, kennt Plinius (18, 3) die Erinnerung noch sehr wohl, dass ursprünglich das jugerum das Acker- maass war, welches wie der demselben an Grösse entsprechende Morgen mit einem jugum, einem Joch Ochsen, an einem Tage ge- pflügt werden konnte.1) Varro und Plinius aber rechnen für ihre Zeit mit einem 3- und 4 fachen Beackern, und Columella stellt die Zeitberechnung (lib. II, c. 4 und XI, c. 2) im einzelnen dahin auf, dass ein jugerum erfordere auf leichtem Boden, auf schwerem zum Umbrechen .... 2 Tage 3 Tage zum Wenden (Querpflügen) . 1 2 - ') Varro de re rast. I, 10 sagt dies ausdrücklich nur von dem jugum als spanischem Ackermaass. IV. 3. Die römische and die germanische Ackerbestellung. 277 auf leichtem Boden, auf schwerem zum Ruhren (Planpflügen) . 3A Tag 1 Tag zum Saatunterpflügen (lirare) lU - V2 also eine Gesammtarbeit, je nach dem Boden, von 4 bis 6Va Tagen. Der deutsche Bauernpflug bewältigt die Bestellungsarbeit des Morgens, einmal Umbrechen und einmal Ruhren, durchschnittlich gut in IV2 Tagen, so dass mit dem Eggen nur 2 Tage zu rechnen sind. Diese Mehrarbeit des Hakens wird erforderlich, wenn mit ihm die gleich tiefe und vollständige Durchlockerung hervorgebracht werden soll, wie sie der Pflug bewirkt. Für das Querpflügen würde aber die Benutzung schmaler und langer Feldstücke durchaus unzweckmässig und fast unmöglich ge- worden sein. "Wenn man in der einen oder anderen Richtung die Thiere nach wenigen Schritten wieder wenden lassen musste, entstand nicht blos unnöthige Mühe und Zeitverlust, sondern auch eine ganz unverhältnissmässige Belastung der Nachbarn durch die o. S. 87 näher behandelten Anwände. Die römischen Theilstücke der Acker- flur mussten deshalb eine blockartige, womöglich quadratische Form erhalten und ihre Länge und Breite so weit ausgedehnt sein, dass sie die hinreichende Entwickelung des Furchenzuges nach beiden Rich- tungen hin gestatteten. Daraus ergiebt sich die Erklärung, weshalb das Ackermaass der Römer nicht wie bei den Germanen durch Flächen von 4 oder auch nur 2 Ruthen Breite (o. S. 103) bei 30 oder 60 Ruthen Länge, sondern durch Quadrate gebildet wurde, welche einen actus, dessen Bedeutung der des deutschen Gewendes gleich kommt (o. S. 87), von 120 Fuss Länge und ebenso einen actus Breite hatten. Da ein solches Quadrat nur eine Fläche von 12,59 ar, also etwas weniger als die Hälfte eines deutschen Morgens umfasste, der Gedanke aber, dass das Ackermaass der Pflugarbeit eines Tages entsprechen müsse, lange vor dem Querpflügen galt, setzten die Römer das jugerum aus zwei solchen Quadratactus zusammen. Ihr Morgenmaass enthält deshalb 25,19 ar in einem Rechteck von doppelter Länge gegen die einfache Breite. Offenbar wäre es ebenso leicht gewesen, das jugerum in gleicher Grösse als ein Quadrat von 170 Fuss Länge und Breite auf- zumessen. Deshalb muss in der That für das Quadratmaass von 120 Fuss der entscheidende Grund gewesen sein, dass diese Länge die erfahrungsmässig richtige des Gewendes, d. h. der Zugstrecke, war, nach deren Zurücklegung die Ochsen ruhen mussten. Ihre Ruhe war dann auch am besten und mit dem geringsten Zeitverluste zum 278 IV' ;>)- Die römische und die germanische Ackerbestellung. Wenden zu benutzen. Es lässt sich nur der geringeren Hitze des Klimas und der Beschaffenheit des ältesten hölzernen Pfluges zu- Bchreiben, dass schon die ursprünglichen deutschen Gewende min- destens die 3 fache Lunge hatten als der römische actus. — Leider vermögen wir das Acker -Instrument der Gallier Dicht hinreichend zu heurtheilen. Dass die Iren für gewöhnlich nicht kreuz und quer gepflügt haben, geht aus den Angaben o. S. 190, 208, 212 hervor. Die Landmasse des Tir-cumaile und des aircenn (ancient laws of Ireland I, 335 und IV, 126 und 139) sind so gross, dass sie kein Urtheil zulassen.1) Das Tir-cumaile enthält 14,7 ha., umfasst also, wenn in ') Herrn Professor II. Zimmer ist darüber folgende Erklärung zu verdanken: „Die ursprüngliche Bedeutung des altgallischen arepennis (weiter aripennis noch arapennis sind sprachlich korrekte Formen) scheint aus dem Irischen und der Etymologie voll- kommen klar. In den altirischen Gesetzen ist tir-cumaile, d. h. Land (tir) im Werth einer cunial (= 3 Kühe = l Sklavin), ein Landmaass. Die Länge des forrach ist nach ancient laws of Ireland (Bd. I, S. 335) 12 rod zu 12 Fuss, also 144 Fuss. Ein tir-cumaile aber hat eine Länge von 12 forrach und eine Breite von 6 forrach. Au einer parallelen Stelle wird nun gesagt, dass das aircenn eines tir-cumaile gleich 6 forrach sei. Aircenn ist also die Breitseite oder Kopfseite des Ackers vom Um- fange eines tir-cumaile. Dem entspricht die Etymologie: aircenn (airchenn) heisst wörtlich „am (air) Kopf (Ende cenn)". Dem irischen air entspricht altgallisch are (z. B. are morica am Meer) , und irisch cenn ist altgallisch penn. Dem irischen air- cenn entspricht also Laut für Laut altgallisch arepennis. Aircenn ist aber nach den altirischen Gesetzen auch die Bezeichnung eines Landmaasses. O'Donovan erklärt in ancient laws of Ireland IV, 126 Anm. 2) aircenn = half a tir-cumaile, doch dürfte diese Behauptung, Mangels der Belegstelle, sehr zu bezweifeln sein. Nach den Worten des Gesetzes (Ebd. IV, 139. 15) hat das Ackennaass, genannt aircenn, 3 forrach (also 3 X 144 Fuss) in der Breite. Fragt man sich nun, wie man dazu kommen konnte, eine bestimmte Ackerfläche mit aircenn, dem Namen für die Kopf- oder Breit- seite des gewöhnlichen tir-cumaile, zu bezeichnen, so liegt die Vermuthung nahe, dass man es deshalb that, weil seine Langseite die Länge des gewöhnlichen aircenn, also der Breitseite des tir-cumaile hatte. Dann wäre aircenD als Landmaass 6 forrach lang und 3 forrach breit, also '/, eines tir-cumaile. Dies könnte Licht auf das gallische arepennis = semijugerum werfen. Es hat seine Bezeichnung daher, weil seine Breitseite gleich war der Breit- oder Kopfseite (arepennis) eines gewöhnlichen grösseren Ackermaasses. Welches die Kopfseite des arepennis war, ist etymologisch unbestimmbar. Am natürlichsten scheint die Annahme, dass bei dem arepennis (sc. ager), dem Kopfseiten- (Breitseiten-) Acker, eben die Langseite der Breitseite gleich war und daher sein Name kommt." Diese Darlegung des H. Prof. Zimmer ist nach dem Inhalte der ancient laws of Ireland unanfechtbar. Auch ist die Erläuterung S. 139 damit gut vereinbar, dass forrach ein Landmaass, welches ungefähr 552 yard enthalte, sei, denn die irische Rechnung des forrach würde 1628, die englische 1656 Fuss ergeben. Die erwähnte Angabe IV. 3. Die römische und die germanische Ackerbestellung. 279 den wenigen Aufzeichnungen kein Irrthum liegt, beinahe eine ganze bezw. eine hallte Täte. Das aircenn beträgt dann, wie es seheint, 3,7 ha. Für Gallien ist nur der arepennis bekannt. Columella (V, 1) bezeichnet das Wort aripenniß als ein gallisches, und er, wie ein alter Autor de liraitibus agrorum (Lachm. I, 372) sagen: aripennis quam Bemijugerum dieunt, id estj quod et actus major, habens undique versuni pedes 120, perticas vero 12. Isidor bemerkt (Ebd. S. 367): actus quadratus undique finitur pedibus 120, hunc Baetici aripennem dieunt. Danach wäre der arepennis 12,59 ar gross, völlig dem rö- mischen Quadratartus gleich und deutete wie dieser auf Kreuz- und Querpflügen. Papias, der allerdings erst um 1063 schrieb, sagt da- gegen in seinem Commentarium doctrinae rudimentum: aripennii agri illi dieuntur, qui non in toto quadrati, sed in longo sunt. Danach würde also das semijugerum des arepennis nicht einen quadratischen Actus, sondern einen Streifen von 24 perticae Länge und 6 perticae Breite gebildet haben und zum Querpflügen schon sehr schmal ge- wesen sein. Das von den Römern übernommene Maass des arepennis scheint aber der Fläche nach durchaus bestimmt. Auch Gregor v. Tours (I, 6) rechnet den arepennis als Längenmaass 5 auf 1 Stadium, also 120 Fuss zu je 0,296 m. Gleichwohl zeigen die Ausführungen des Herrn Prof. Zimmer (»S. 278 Anm.), dass das irische Maass, wie man es auch rechnet, mit dem römischen nicht übereingestimmt haben kann. Die Angaben, welche Du Gange unter arapennis aus den ältesten Coutumes verschiedener Theile Frankreichs macht, bestätigen die örtlichen Verschiedenheiten des Rlaasses <\v^ arepennis auch in Gallien. Als Längenmaass hat danach der arepennis im Nivernois 2880 Fuss, O'Donovans wird aber um so zweifelhafter, weil sie Bd. IV, S. 126 lautet: Aircenn a piece of land containing 7776 feet or half a tir-cumaile. Danach enthielte das tir- cumaile nur 14,8 ar. Ferner ergiebt sich die Frage von grossem Interesse, welche Be- deutung tir-cumaile hat. Nähme man nach o. S. 176 u. 192 an, dass eine baile oder townland der guten Counties von 259 ha, wie der geringen von 518 ha, das Land für 300 Kühe sei, so würde ein tir-cumaile den hundertsten Theil oder 2,6 ha u. bezw. 5,2 ha bilden müssen, 14,7 ha also viel zu gross sein. Bezieht man dagegen die Bezeich- nung darauf, dass sie das für 1 cumal oder 3 Kühe nöthige Weideland bedeute, so Würde die Fläche von 14,7 ha damit nach der o. S. 195 aufgestellten Berechnung ziemlich genau übereinstimmen. Indess ist nicht zu verkennen, dass dem blossen Weidelande gegenüber die genauen Maassbestimmungen sehr künstlich erscheinen. Da nun die verschiedenen gallischen Maasse des arepennis auf höchstens l/2 ha führen, lassen die, wenn auch unverständlichen Bemerkungen des in seinem Vaterlande wahrscheinlich hinreichend sach- und sprachkundigen O'Donovan gleichwohl den Zweifel offen, ob nicht in den Aufzeichnungen oder Auffassungen der kurzen Worte des Gesetzes irgend ein Irrthum obwalte. 280 rV- &• Die römische und die germanische Ackerbestellung. in Pertdcensis 2400, in Duncnsis und Montargensis 2000, in Marches- noir 2200, in Clermont nördlich Paris 2600, örtlich auch nur 1872, in Burgund für Wälder 5280, für Aecker und Wein 4320 Fuss. Ueberdies kommen für diese Angaben noch die verschiedenen Längen des Fussmaasses in Betracht. An Flächenmaassen werden angegeben in Armorica 46 080 DFuss, in Poitier 6400 Q Schritt und für Paris 4S 400 DFuss, während der Arpent der neueren Zeit 32 400 Pariser DFuss oder 34,19 ar enthält. Welche Deutung diese, wie die irischen Maasse aber auch erlangen können, es ist aus ihnen kein Schluss auf die Ackerungsweise zu gewinnen. Dagegen liegt darauf Gewicht, dass kein dem deutschen Ausdruck Pflug oder der Bezeichnung des Plinius Plaumoratum entsprechendes Wort irgendwo in Gallien oder dem modernen Frankreich bekannt ist, und sich auch kein verwandter keltischer Wortstamm finden lässt. Die Furche heisst hier bezeichnend sillon vom lateinischen sulcus der Graben, das Ausgewühlte. Der sehr verbreitete Hakenpflug wird binot, binoirs von binae aures genannt, und das in Fig. 37 wiedergegebene Geräth, der sogenannte Kölner Wessel oder der Bonner Hunspflug, Fig. 37. ist mit geringen Abänderungen auf dem linken Rheinufer von Kreuz- nach bis nach Belgien hinunter allgemein im Gebrauch. Wie Rau1) darthut, stellt die langgespitzte gewölbte Schaar desselben, den vectis rostratus des Plinius, den wühlenden Rüssel dar, die zwei zurück- gelegten zapfenartigen Streichbretter vertreten die aures. Die Rück- beziehung auf die altrömischen Pflüge ist nicht abzuweisen. — Bis in welches Zeitalter der Pflug bei den Germanen zurück- reicht, ist des Namens wegen zweifelhaft. Die Bemerkung, welche Plinius über den Pflug in Rhätien macht, geht nur dahin, dass derselbe dort nicht lange vor seiner Zeit mit einem Radgestelle verbunden worden sei. Das Geräth selbst scheint in Rhätien älter. Aus Italien konnte ') Abhandlung über die Zochen. und Betrachtungen über die Entstehung der Pflüge überhaupt. Annalen der Landwirtschaft 1861, Jhrg. 19, Bd. 37, S. 327. IV. 3. Die römische und die germanische Ackerbestellung. 281 es dahin nicht gekommen sein, weil es völlig anders, als die italischen, konstruirt und benannt war. Dagegen sassen Germanen hereits in Rhätien. Zunächst kommt der Pflug auch wieder unter Deutschen im Edictus Rothari von 644 mit seinem deutschen Namen vor, und zwar brachten die Longobarden das Wort nicht aus Rhätien, sondern aus den Eibgegenden mit, von denen sie weit über das ostgermanische Ungarn nach Italien kamen. Der Nachweis des Gebrauches des wirklichen deutschen Pfluges ist indess mit Sicherheit überall nur aus dem Vor- kommen der flachen und breiten, mehr als handgrossen, eisernen Schaar zu führen, welche seine wesentlichste Eigentümlichkeit ist, und welche ohne die übrigen charakteristischen Bestandtheile des Ge- räthes keinen Zweck hat. Grade aus dieser Schaar aber lässt sich für seinen Gebrauch bei den Germanen ein immerhin hohes Alter be- weisen. Denn die lex Anglorum et Werinorum c. 5 schreibt vor: Si mulier maritum veneficio dicatur occidisse. . ., si campionem non habuerit, ipsa ad novem vomeres ignitos examinanda mittatur. Ebenso bestimmt das Capitulare von 803 und mehrere folgende : si negaverit, se illum occidisse, ad novem vomeres ignitos judicis dei examinandus accedat (Mon. Germ. LL. S. II, 1, 113).1) Auf den Gedanken dieses Gehens auf Pflugschaaren konnte man aber nur kommen, wenn sie bereits die uns bekannte flache und breite Form hatten. Zugleich aber setzte ein solches gesetzliches Beweismittel voraus, dass man überzeugt war, an jeder Gerichtsstätte vorkommenden Falls neun derartige Pflugschaaren zur Hand zu haben. Auch muss der Aufnahme eines solchen Beweis- mittels in das Gesetz ein gewisses volksthümliches Herkommen voraus- gegangen sein. Die ausgedehnte Verbreitung der deutschen Pflug- schaar und damit des deutschen Pfluges fällt also mindestens schon vor die Karolingerzeit. Allerdings lässt sich daran nicht der Gedanke knüpfen, dass die Germanen bereits bei ihrer ersten festen Ansiedelung mit eisernen Schaaren gepflügt hätten. Auch ohne des Tacitus (Germ. 6): ne ferrum quidem superest, wäre nur anzunehmen, dass zu dessen Zeit die Germanen hölzerne Pflüge gebraucht haben. Vielleicht waren sie schwer mit Schneiden von Stein, denn es sind in Skandinavien und in Deutsch- land nicht selten dreikantige, über handgrosse, schaarartige Quarzite gefunden worden, deren abgeschliffene Spitze auf den Gebrauch als ') In der lex salica erscheint noch als ähnliches Ordal (c. 14, 2, c. 16 § 3 und c. 56, 1), nur ad inium (aeneum) ambulit, der Kesselfang, das Herausholen eines Gegen* Standes aus einem Kessel siedenden Wassers, 282 ^V. 3. Die römische und die germanische Ackerbestellung. A.ckerinstrumeni deutet. Nach und nach mag der Metallbeschlag eingeführt worden sein. Jedenfalls haben die Germanen, wie ihre Feldeintheilung überall beweist, niemals eine ändere Methode der A.ckerbearbeitung als das Ziehen fortlaufender, verhältnissmässig langer Furchensysteme gekannt, welche auf dem Acker dauernd dieselbe Richtung behielten und ziemlich schmale parallele Beete bildeten. Sie sind also von der Aussaat in die einfachen Furchen, welche ein hakenartiges Geräth zieht, unmittelbar und wahrscheinlich schon früh zu der verbesserten Furchen- und Beetbestellung mit dem breit* schaarigen Pfluge übergegangen. Der Ursprung des niederdeutschen Wortes Pflug, altd. pluoc, altn. plögr, schwed. plog, dän. ploug, altengl. plow, welches unbestritten bereits in plaumoratum auftritt, bietet deshalb ein sehr schwer zu lösendes Problem. Es gehört allen westlichen und nördlichen germanischen Stämmen und Dialekten, und zwrar, soweit bis jetzt bekannt, ausschliesslich an. Auf die Slawen und Finnen ist es erst spät von den Deutschen übertragen. Die Gothen dagegen kennen es nicht, sie brauchen dafür hoha. Dies Wort ist schwerlich anders, als durch das vorzugsweise von den Litthauern gebrauchte, durchaus eigenartige Instrument, die socha, zoche, stagutt, Fig. 38, zu erklären. Sollte es aber auch, wie Kuhn Fig. 38. muthmasst, von skr. koka, Wolf, herrühren, würde dies gleichwohl ge- nügend erweisen, dass der Ausdruck Pflug nicht von einem östlichen Volke her zu den Westdeutschen gedrungen ist. Es ist nun schon oben gezeigt, dass weder von Gallien,1) noch von Italien aus, wo sich nirgend, weder in der Sache, noch im Namen, Anklänge finden, eine ') Das volksthümliche Ackerinstrument der Basken ist ein doppelzinkiges, einer Stimmgabel ähnliches Brecheisen, dessen zwei meisselfürmige Zacken von Quadratzoll- stärke 2 Fuss Länge haben, und in einen eisernen Griff auslaufen, mit dem sie beim Auflockern des Bodens regiert werden, IV. 3. Die römische und die germanische Ackerbestellung. 283 Uebertragung anzunehmen ist. Hätten aber die Rhätier, an die wegen des Plaumoratums im rhätischen Gallien am ersten zu denken wäre, den Pflug ihrerseits erfunden und benannt, so würde bei den Vor- theilen des Intrumentes, namentlich auf den oberitalischen Böden, in der etrurischen Sprache und Wirthschaffc die Erinnerung daran nicht verloschen sein. Das heutige romanische plogo, tyrol. plof, und lombard. pio erklärt sich durch die Longobarden. Müsste dennoch sprachlich angenommen werden, dass der deutsche Ausdruck ein fremdes Lehnwort enthalte, so gäbe es kein Volk, aus dessen Sprache die Entlehnung leichter und natürlicher stattgefunden haben könnte, als das der Westfinnen, der Lappen. Sie sind in allen Spuren der ger- manischen Einwanderung die trolls, die stein- und metallkundigen, meist überlegen klugen Gnomen. Sie waren böse Unholde, aber auch gutmüthige Diener. Nothwendig müssen sie die Knechte der Deutschen gewesen sein und irgend ein Ackerinstrument besessen haben, um ihren Knechtsdienst zu thun. Tacitus unterscheidet sie der Kultur nach nicht von den Germanen, und die Sage giebt noch von ihrem letzten Sitze in Upsala Bilder, welche sie ebenso schildern. Da sie von Mitteldeutschland bis zum hohen Norden mit Deutschen zusammen- stiessen und immer weiter von ihnen unterjocht oder vertrieben wurden, würde ihr Einfluss am leichtesten erklären, dass sich das Wort bei allen westdeutschen Stämmen gleichmässig wiederfindet. Aber freilich haben Thomsen und Koskinnen im Einzelnen nachzuweisen vermocht, dass die Lappen und Finnen die auf den entwickelten Pflug bezüglichen Benennungen erst mit der grossen Zahl deutscher Kulturworte aus dem Deutsch des frühen Mittelalters aufgenommen haben, auf welche noch näher zurückzukommen bleibt. Es käme also auf die Frage an, ob das Wort Pflug aus Wurzelwörtern ihrer eigenen Sprache zu erklären wäre, und ob sich insbesondere bei dem agglutinirenden Charakter des Finnischen die gehäuften Konsonanten in passender Weise auflösen Hessen. Da man nun nicht Völker und Sprachen vermuthen darf, von deren Sein und Auftreten man keinerlei Spur kennt, so bleibt, wenn auch der Gedanke der Entlehnung von den Finnen aufgegeben werden müsste, nur übrig, an einen alten conser- virten Rest der gemeinsamen indogermanischen Sprache zu denken, wie ihn J. Grimm (Geschichte der deutschen Sprache S. 40) in skr. plava und griech. nXolov , navis, anklingen hört. Für diesen Bezug aber hat viel mehr Wahrscheinlichkeit, dass das Durchfurchen des Bodens mit einem hakenförmigen Werkzeug die ältere Anschauung sei. auf der der Wortstamm ruht, als das Durchbrechen der Wasserober- J84 IV. 4. Die römischen Laiulmessungen und Fekleintheilungen. fläche mit dem Bug eines Schiffes, denn letzere Auffassung fordert viel entwickeltere Voraussetzungen. In jedem Falle hat das allein auf die Germanen des Westens und Nordens beschränkte Auftreten des Pfluges kulturgeschichtlich grosse Bedeutung. Mit Sicherheit aber ergiebt bis heut die Flurverfassung, dass sich in der Ackerbestellung der Germanen und der Römer wegen der Verschiedenheit ihrer Ackerinstrumente ein wesentlicher Unterschied entwickelt hat. Die Deutschen besassen ein für die meisten Böden besseres Geräth, welches sie schon früh ohne Weiteres auf die alte Feldeintheilung nach Längsfurchen übertragen konnten, und sie ver- mochten deshalb, abgesehen von der Düngung und Entwässerung, alle nöthigen Fortschritte durch allmählich tieferes Eingreifen in den Boden, durch Tieferpflügen, herbeizuführen. Die Römer dagegen er- strebten die Verbesserungen nicht durch das Ackergeräth, sondern durch die mehrfache, kreuz und quer versuchte Anwendung desselben, und wurden dadurch unmittelbar zu der nunmehr näher zu betrach- tenden eigenartigen Entwickelung ihres Messungswesens und zu ein- greifenden Umgestaltungen ihrer Feldeintheilungen veranlasst. 4. Die römischen Landmessungen und Flureintheilungen. Das römische Landmessungswesen wird uns in seinen Einzel- heiten nicht früher bekannt, als nachdem die sorgfältige Ackerbestellung und mancherlei Gedanken verbesserter Bodenbenutzung seit lange ihren Einfiuss auf das Verfahren der Agrimensoren geübt hatten. Wirklich anschauliche Angaben über dasselbe macht erst eine aus dem 6. oder 7. Jahrhundert n. Chr. abschriftlich erhaltene, vielfach über- arbeitete Sammlung verschiedener Bruchstücke ausgewählter feldmesse- rischer Schriften. Keine dieser Schriften aber geht über die Zeit des Domitian zurück, und die Sammler und Abschreiber haben ältere und jüngere Stücke vermischt, gleichnamige Verfasser nicht unterschieden und die Texte, wie die in den Handschriften mitgetheilten Zeichnungen, keines- wegs sicher überliefert. Gleichwohl ist diese Sammlung von ausser- ordentlichem Werthe. C. Lachmann hat die Textrecension der Gromatici veteres meisterhaft durchgeführt, und durch Blume, Lachmann und Rudorff sind sie mit Erläuterungen, auch von Mommsen, als »Schriften der römischen Feldmesser«, Berlin 1852, herausgegeben worden. Da die in diesem Codex in Frage kommenden Gromatiker nur vom Standpunkt der agrimensorischen Technik schrieben und, ebenso wie die Sammlung selbst, ganz unmittelbar Anweisungen für die IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintlieliungeü. $85 praktische Thätigkeit der amtlichen Feldmesser geben wollten, be- dingt die Beschaffenheit der Ueberliefernng , dass sie hauptsächlich die Verhältnisse der besten Kaiserzeit berücksichtigt. Der Unterschied zwischen römischem und peregrinischem Boden war längst weggefallen, Bürger-Kolonien wurden nicht mehr ausgesendet, die gewaltthätigen Landverschenkungen an die Soldaten der Bürgerkriege hatten aufgehört und erschienen nur noch als eigenartige, aber feste Rechtsgrundlagen innerhalb der betroffenen Gemeinwesen. Alle Erinnerungen und Nach- richten aus älterer Zeit standen für diese Techniker unter der Auffassung der neuen bestimmten Verwaltungszwecke, und Vieles, was seit der Zeit der Republik veraltet erschien, ist gar nicht erwähnt oder doch nicht hinreichend erklärt. Dagegen fanden solche Fragen nähere Beach- tung, welche für die Organisation und die wirtschaftliche Verwerthung der Provinzen, unter denen namentlich die Grenzländer gegen Ger- manien unerwartete Fürsorge nöthig machten, seit Augustus erheb- lich wurden. Da nun diese Gesichtspunkte der Gromatik die ent- scheidenden für die Beurtheilung des Einflusses sind, den die römische Landwirtschaft auf die Siedelung und das Agrarwesen der unter- worfenen Keltenländer ausübte, lässt sich das amtliche Messungs- wesen, welches für diese Provinzen in Betracht kommt, gegenüber den ungleich verwickeiteren Verhältnissen der allmählichen Romanisi- rung Italiens in sehr vereinfachtem Bilde auffassen. — Erste und entscheidende Grundlage rönnscher Messungstechnik ist das Messinstrument, und zwar als ein anerkannt aus der ältesten Zeit überkommenes. Dies Werkzeug war die Stella, welche grade das erreichte, was dem germanischen Verfahren fehlte, die ganz ein- fache und sichere Herstellung von Quadraten jeder gewünschten Grösse. Sie war ein hölzernes Visirkreuz aus zwei rechtwinklig ver- bundenen Latten mit eingeschnittenen Visirlinien. Wagerecht auf einen Stab aufgesteckt ermöglichte es, von dem Punkte aus, auf dem es stand, rechte Winkel nach vier Seiten hin mit Stangen (metae oder signae) abzustecken. Wurden auf zwei solcher Linien mit der lOfüssigen Messruthe (pertica) 120 Fuss abgemessen, und die Stella dann weiter auf einem solchen Abschnittspunkte in einer der Visir- linien aufgestellt, so ergab sie die genau parallele Coordinate zu der anderen, dieselbe kreuzenden. Auf dieser Ordinate Hess sich dann bei 120 Fuss Länge der 4. Endpunkt des Quadrates festlegen, welches genau das halbe jugerum enthalten musste. Wurde dies Maass 20 mal nach jeder Richtung abgemessen, so musste es ein Quadrat von 200 jugera Fläche oder eine Centurie, ergeben. >n IV. 4. t)le römischen Lanclmessungen und FeldeintheÜungen. Pas Instrument ist später dadurch verbessert worden, dass es ein eisernes Stativ (ferramentum) erhielt, auf dem es sich drehen liess, und dass an den vier Cornicula des Linialkreuzes Lothe ange- bracht wurden, nach denen es in genau wagerechter Stellung für die Peilung von Steigungen und Höhen eingerichtet werden konnte. Zum Visiren haben diese Lothe nie zu dienen vermocht, das Instrument wäre zu hoch geworden und das Ferramentum im Wege gewesen. Das Msiren im offenen Einschnitt war auch ganz zweckmässig. In- dess wurden Diopter, welche vielleicht feine Fäden in ihrem Schlitze hatten, auf die Cornicula aufgesetzt. Der Name Groma, von yvwfJKov, norma, deutet auf den griechischen süditalischen Ursprung dieser Verbesserungen. Die Griechen verdankten dem Heron die vollstän- dige Konstruktion unseres Theodolithen , sofern für denselben Fern- röhre entbehrlich sind.1) Die Römer aber haben mit dem Groma und der Pertica für alle ihre ausgedehnten Landmessungen bis in die späteste Kaiserzeit ausgereicht. Bei der verhältnissmässig sehr sicheren, weiteren oder engeren, übrigens auch in oblongen Rechtecken leichten Quadrirung, die sie im Innern jeder gegebenen Figur ört- lich ausführen konnten, vermochten sie den Inhalt derselben bis auf diejenigen Quadrate genau anzugeben, wTelche von einer unregel- mässigen Abgrenzung der Figur durchschnitten wurden. Für die Flächenbestimmung dieser Grenzabschnitte (subseciva) konnte dann, so weit nöthig, eine halbe oder viertel Quadrirung oder auch eine Dreiecks- berechnung, event. eine annähernde Sehätzung angewendet werden. Bei den Assignationen sind die subseciva indess in der Regel aus- geschlossen worden. (Lachm. 21, Rud. II, 390.) Die Agrimensoren vermochten also ganze Landbezirke, einzelne Gemarkungen, wie kleine Sondergrundstücke ziemlich einfach und genau aufzumessen. Es war auch möglich, die Messungsergebnisse kunstlos durch eine Art Kartirung zu fixiren. Denn man konnte einen sehr verkleinerten ungefähren Aufriss, forma, des gemessenen Landes nach seinen Grenzen auf Erz oder Leinwand zeichnen und ent- weder nur die Gesammtfläche desselben oder die Grösse der örtlich vorhandenen und verzeichneten Hauptabschnitte nach der Zahl der Quadrate angeben, welche bei der Messung in dieselben gefallen waren; oder es Hessen sich, was das genauere und gewöhnliche war, ') Vergl. in Heronis Alexandrini geometricorum et stereometricorum reliquiae ed. Hultsch, Berlin 1864, die schon 215 v. Chr. gebrauchten Nivellirungsinstruniente mit Wasserwaage. tV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 28? die Hauptlinien der Quadratur eintragen und die Coordinaten von zwei als Basis angenommenen Hauptkreuzungslinien, dem Decumanus und Kardo maximus, nach allen Richtungen beziffern, so dass jedes einzelne Quadrat nach seiner Entfernung und Grösse in Zeichnung und Oertlichkeit vollkommen festlag. Ueberdies aber dehnte sich die o. S. 269 erwähnte frühe Uebung der mit sakralen Gesichtspunkten verknüpften Grenz ver steinung auf alle Messungen der römischen Agrimensoren aus. Jede gemessene Fläche wurde mit zum Theil sehr künstlich ausgedachten Steinformen und inschriftlichen Bezeichnungen versteint. Auf den Hauptlinien der aufgemessenen Quadrate wurden die Steine an Kopf und Seiten nach der Zahl der vom Decumanus und Kardo maximus aus in be- stimmten Abständen folgenden Parallelen bezeichnet, so dass sie sich gegenseitig kontrollirten und leicht aufgefunden und wiederhergestellt werden konnten. Unregelmässige Grenzlinien aber wurden fortlaufend mit Angabe von Richtung und Entfernung der Steine, nicht selten unter Zufügung von Inschriften, die ihren Zusammenhang ergaben, versteint. Solche Steine oder andere Grenzzeichen konnten, so weit es nöthig war, auch auf der forma vermerkt werden (Mommsen, Herrn. 27). — Nach dieser Messungspraxis unterschieden die Gromatiker drei Arten feldmesserisch behandeltes Land: agri divisi et adsignati, d. h. gemessen, mit Wegen versehen, versteint und den einzelnen Be- sitzern in Maassen oder in Grenzen zugewiesen, die sich aus der forma ermitteln Hessen; agri mensura per extremitatem comprehensi, d. h. nach dem Flächeninhalte vermessen, versteint, im Ganzen zu- gewiesen, meist auch in eine forma gebracht, aber nicht eingetheilt; endlich agri areifinii, qui nulla mensura continentur, d. h. überhaupt nicht gemessene, sondern nur in wiederherstellbarer Weise abgegrenzte. Ausserdem gab es natürlich solches Land, auf dem der Feldmesser noch gar nicht thätig gewesen war, oder das er wieder aufgegeben hatte. Das letztere pflegte gromatisch als in soluto oder in absoluto bezeichnet zu werden. Ueber das eingetheilte und assignirte Land sagt Frontin, der nach Lebensstellung und Schreibweise unbedingt als der kenntniss- reichste und klarste dieser Schriftsteller zu erkennen ist (Lachm. 2) : Ager divisus assig natus est coloniarum; hie habet condiciones duas; unam qua plerumque limitibus continetur, alteram qua per proximos possessionum rigores adsignatum est, sicut in Campania Suessae Aruncae. Quidquid autem seeundum hanc condicionem in longitudinem est delimitatum per strigas appellatur, quidquid per 28$ IV- 4. t)ie römischen Landmessungeü und Feldeintheilungen. latitudinem per scanina: (fig. 39). Ager ergo limitatus hac simili- tudine deeimanis et cardinibus continetur: (fig. 40). Ager per strigas et per scanina divisus et adsignatus est more antiquo in hanc simili- tudinem, qua in provineiis arva publica coluntur: (fig. 41). Fig. 39. Fig. 40. Fig. 41. Frontin unterscheidet also mit Bestimmtheit nur zwei verschie- dene Verfahren für die Auftheilung und Zuweisung der Grundstücke zu römischem Sondereigenthum, die Assignation zwischen limites und die zwischen rigores. Die erstere, die assignatio zwischen decu- mani und kardines, bezeichnet er als die gewöhnliche. Für diese war üblich über den umbilicus perticae, den angenommenen Mittel- punkt des zu assignirenden Landes, auf dem das Groma zuerst auf- gestellt wurde, die erste Grundlinie, den decumanus maximus, in der Richtung zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang zu ziehen. Doch konnte die Richtung auch nach der Oertlichkeit eine andere sein. Den decumanus maximus kreuzte rechtwinklig der kardo maximus, also gewöhnlich von Süd nach Nord. Beide pflegten als Wege von 20 pedes Breite ausgelegt zu werden und gehörten dem Staate, wenn ihre Fläche von der Berechnung der assignation aus- geschlossen wurde. An diese Hauptlinien schloss sich das Netz der parallelen, sich kreuzenden limites, in welchem bei quadratischer An- lage die decumani minores oder limites prorsi und ebenso die kar- dines minores oder limites transversi in gleichen Abständen von IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 289 20 actus folgten, so dass jedes ihrer Quadrate die gewöhnliche Centurie cinschloss. Der je 5. Limes vom decumanus und kardo maximus wurde als quintarius oder actuarius, auch als decumanus und kardo quintarius hezeichnet. Das Quadrat, welches solche quintarii einschlössen, umfasste daher 25 centurien oder 5000 jugera und wurde gromatisch ein saltus genannt. Statt der Auftheilung in Quadraten kam unter Uniständen auch eine in oblongen, für dieselbe Flur gleichen Recht- ecken vor, deren Seiten im Verhältniss von 20:24; 20:40; 20:21, auch 16 : 25 oder 16 : 80 actus von einem limes zum andern stehen konnten. Danach schlössen die entsprechenden Centurien 240, 400, 210, 200 oder 640 jugera, die Saltus je das 25 fache ein.1) Auf den limites actuarii liefen stets öffentliche Wege von 12 Fuss unter Umständen auch von grösserer Breite. Sie wurden den vicini abgezogen, und mussten von diesen mit Kies und Sand bedeckt und für die öffentliche Benutzung unterhalten werden. Für die 4 Linearii, welche zwischen je zwei Actuarien lagen und die einzelnen Centurien abgrenzten, setzte diesen Charakter als öffentliche Wege erst die von Caesar erlassene Lex Mamilia, Roscia, Peducea, Alliana, Fabia (Lachm. 263) ausdrücklich fest. Dies beweist, dass sie vorher diesen Charakter nicht hatten, dass also nicht Jeder aus dem Volke be- rechtigt war, sie zu begehen oder zu befahren, und ihre Offenlegung und Unterhaltung von den vicinis zu erzwingen. Andrerseits zeigt das Gesetz das anerkannte Bedürfniss solcher Wege auf diesen limites, und dass auf ihnen bereits fahrbare Wege bestanden, ist überall da nicht zu bezweifeln, wo nicht etwa ganze Saltus oder noch grössere Flächen assignirten Landes in dieselbe Hand eines Possessors ge- kommen und in Wald oder Weide verwandelt worden waren. Denn wo die gewöhnlichen kleinen Fundi von nur 60 bis 20, ja nur 7 jugera Fläche bestanden, musste ein einziger Umfassungsweg für je 5000 jugera schlechterdings unzulänglich sein. Die Limites linearii heissen auch in Italien, ausserhalb dessen vor Caesar nur wenige Landassignationen stattfanden, subruncivi, d. h. abgeräumte, freigelegte Limites. Sie mussten also offen erhalten werden und mindestens den vicini zum Zugang und zur Zufuhr auf alle diejenigen Grundstücke dienen, welche dieselben innerhalb der 5000 jugera des saltus besassen. Diese leichte Zugänglichkeit zu verwehren, oder auf 5000 jugera durch Flurzwang zu ersetzen, wäre bei den verschiedenen Früchten und l) M. Voigt, über das römische System der Wege im alten Italien. Berichte über die Verhdl. der k. sächs. Ges. der Wissenschaften zu Leipzig. Phil. hist. Klasse Bd. 24, 1872. Meitzen, Siedelung etc. I. 19 290 I^ • 4. Hit- römischen Landinessungen und Feldeintheilungen. und Erntezelten Italiens unmöglich gewesen. Es ist deshalb anzu- nehmen, dass sie auch unter den Begriff* der viae vicinales fielen, für welche schon das 12-Tafelgesetz bestimmt, dass sie 8 und in den Kreuzungen 16 Fuss Breite haben sollten. Da das Netz dieser Limites subruncivi der Regel nach je 200 jugera als ganzen Block zusammen- J'asste, blieb für alle kleineren Besitzungen oder Besitzstücke stets erforderlich, weitere Zugangswege, wie sie Frontin nach Fig. 41 an- deutet, zu schaffen, welche als confinia oder Feldraine zu den einzelnen Grundstücken führten und sie von den benachbarten abschieden. Diese Grenzwege mussten sich die anstossenden Loosbesitzer , die amtermini, gegenseitig gewähren, und sie blieben in deren Miteigen- thum. Sie dienten ihnen als Weg, waren 5 Fuss breit, konnten auch als viae duum communes, als Feldwege, breiter sein, standen aber ausser den Adjacenten Niemandem offen, der darauf nicht ein Servitut- recht für iter, actus oder via, für Gehen, Treiben oder Fahren, er- worben hatte. Innerhalb der Centurien konnten vom Mensor aber auch nach Bedarf noch Limites intercisivi, Zwischenwege zwischen den Limites, in offenbar beliebiger Richtung angelegt werden. Die Einweisung der Berechtigten in den Besitz erfolgte, abgesehen von gewissen Weidegrundstücken, stets zu Sondereigen, nie zum Mit- eigenthum. Der Agrimensor musste also völlige Klarheit über den An- theil eines jeden innerhalb der Centurie Berechtigten erreichen. Schied er aus der Fläche der Centurie loca relicta aus, welche als unbrauch- bar nicht zur Vertheilung kommen konnten, so musste er vorweg deren Lage und Grösse feststellen, welche auch ohne Abgrenzung unter allen Umständen leicht wieder aufzufinden waren. Für die zu vertheilende übrige Fläche der Centurie aber kam es darauf an, ob die Vertheilung nach dem Werth oder nach dem blossen Flächenmaass stattfinden sollte. Nach dem Werthe zu vertheilende Centurien mussten einer Boden- würdigung, Bonitirung, unterliegen. Es war dann unumgänglich, die Loose nach der Bodenverschiedenheit zu berechnen und an bestimmter Stelle örtlich abzugrenzen. Das Bedürfniss, der Unzufriedenheit der Veteranen wenigstens durch ersichtliche Unparteilichkeit bei der Ver- theilung zuvorzukommen, führte für die Zuweisung des Landes zu sehr komplizirten Ausloosungssystemen mit doppelter Loosung, nach grösseren Loosen und Untertheilen. Auch konnte das Loos des Ein- zelnen in verschiedenen Centurien liegen. War aber die Bodenbeschaffenheit der Centurie gleichmässig, oder war sie, wass für die ältere Zeit als das Gewöhnliche gelten darf, IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 291 überhaupt nur nach der Fläche zu vertheilen, so wurde nur nöthig, die Antheile oder Anrechte zu ennitteln, es konnte genügen, die Zahl der jugera festzustellen, welche der einzelne Berechtigte aus der Cen- time zu fordern hatte, und es durfte den Betheiligten selbst über- lassen bleiben, die Abgrenzung sofort herbeizuführen, oder sich über die thatsächlichen Besitzverhältnisse später auseinander zu setzen. Die Versteinting bei der Ueberweisung nach Antheilen wurde S D XJ CK IX zt S J? • X ■ C ■ K IX S J>JX- CK- IX. Ost jford- m Su^l SD ■ IX C A' • X 5.D.JX-. C. K.Xl Fig. 42. Fragment der Forma von Arausio (Orange). nur für die ganze Centurie an ihren 4 Endpunkten vorgenommen. Bei jeder Einzelanweisung der Loose aber schritt der Agrimensor auch zur Versteinung der Zwischengrenzen. Da nun über eine solche Zuweisung stets ein Protokoll aufgenommen wurde, welches die näheren Umstände vermerkte, Hess sich in beiden Fällen die Eintragung in die Forma auf die Angabe beschränken, wie viele jugera dem ein- zelnen Berechtigten innerhalb der Centurie zustanden. Diese war durch die Linien der 4 limites und durch deren Zählung als prorsi oder trans- 19* 292 I^ • 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. versi und dextri oder sinistri vom decumanus, und als ultra oder citra vom kardo maximus bestimmt bezeichnet. Fig. 42 giebt das einzige, bisher zum Vorschein gekommene Abbild einer solchen Forma wieder. Sie zeigt, dass in das einzelne Rechteck die Lage und Zahl des decu- manus und kardo, eine Notiz über den Charakter der erfolgten Assig- nation und die Namen der in der Fläche des Rechtecks betheiligten Besitzer mit der Zahl ihrer jugera auch, wie es scheint, wenigstens in gewissen Fällen assignirten Provinziallandes, die in Anschlag ge- brachten Werthklassen des Bodens, sowie die von demselben als Zins oder Grundsteuer zu leistenden Lasten notirt sind.1) — Dieser gewöhnlichen Assignation zwischen limites stellt Frontin die divisio und assignatio per strigas et scamna gegenüber, und zwar mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass sie nicht zwischen limites, sondern per proximos possessionum rigores stattfinde. Nach seinen Figuren 39 und 41 kann man strigae und scamna nicht anders als in der Gestalt oblonger Rechtecke von ungleicher Grösse verstehen, welche, wenn sie in derselben Assignation nebeneinander vorkommen, in ihrer Richtung rechtwinklig von einander abweichen.2) Auch sie ergeben deshalb, wo die schräge Grenze über das Rechteck hinaus geht, subseciva, wie die zwischen limites aufgemessenen Ländereien, o. S. 286. Auch sind diese Rechtecke nach der Zeichnung im Einzelnen wie im Ganzen von Grenzwegen umzogen, offenbar sind dies die proximi rigores possessionum. Frontin giebt aber noch weitere Erläuterungen. Er sagt, der Acker wurde in strigae und scamna nach alter Sitte getheilt und assignirt; ferner, diese im Bilde wiedergegebene Auftheilung stimme mit der überein, nach welcher in den Provinzen (also für ihn neuerdings) die arva publica angebaut wurden. Endlich weist er noch auf das Beispiel von Suessa Aurunca in Campanien hin. Ueber Suessa besagt nun das liber coloniarum I (Lachm. 237)3) ') Die nähere Erklärung dieser Karte vgl. Anlage 31 und M. Weber a. a. O. S. 279. 2) Hygin sagt (Lachm. 110): Strigatus ager est, qui a septentrione in longitudinem, in meridianum decurrit, scamnatus autem, qui eo modo ab occidente in orientem crescit. ^ Mommsen hat in Lachm. I, S. 143 ff. gezeigt, dass das Liber Coloniarum auf der als klassisch zu erachtenden Grundlage einer um 180 n. Chr. zu setzenden Arbeit des Baibus beruht, deren expositio ad Celsum (Lachm. I, S. 91 ff.) erhalten ist. Was als Register aber gegenwärtig vorliegt, ist in den Zeiten Alarichs und Geise- richs unter mancherlei Zusätzen und nach inzwischen veränderten Bezirkseintheilangen auszugsweise zusammengestellt worden. Mommsen erklärt, dass den Redaktoren viele Verderbniss durch gedankenlose Verkürzung, Vertauschung, Irrung und Leichtfertigkeit zugetraut werden darf, und dass wenig für sie darauf ankam, ob eine italische Stadt IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 293 aus einem Kommentar des Claudius Caes. (229): Suessa Aurunca, muro ducta, lege Sempronia est deducta. Iter populo non debetur. Ager ejus pro parte limitibus intercisivis et in lacineis est assignatus. Es kommt also darauf an, ob sich der Begriff der Lacineae fest- stellen lässt. Direkt erwähnen ihn die Gromatiker nicht. Die son- stigen Angaben über Lacineae im liber Coloniarum sind in der Note zusammengestellt1.) Dabei zeigt sich durch Venafrum 4) und Inter- amna 11), dass die limites intercisivi auch in Suessa nicht im Gegen- satz zu lacineae stehen, sondern die lacineae durchziehen. Trotzdem also in Ostia 13) die strigae anscheinend von den lacineae unter- schieden werden, kann Frontin doch in beiden keine beachtenswerthe Verschiedenheit erkannt haben. Beide müssen, im Gegensatz zu der Assignation zwischen Limites, zu der Assignatio inter rigores gehören, richtig als Kolonie angegeben war oder nicht, ob Deduktionen Caesars oder Augusts, der Triumvirn oder Kaiser verwechselt wurden u. dgl., so dass die historischen An- gaben nachweisbar sehr unsicher sind. Aber er hat doch (Ebd. S. 182) für glaublich erachtet, dass die Verderbniss der rein gromatischen Angaben, fyei denen die Epitomatoren im Allgemeinen weder fehl gehen konnten, noch täuschen wollten, davon weniger be- troffen worden sind, als die historischen, wie denn auch, soweit die geringen Mittel der Kontrole reichen, die Angaben der Verzeichnisse sich überall in gromatischer Beziehung als richtig erwiesen haben. Deshalb sind in dem Auszuge der Belegstellen neben den gromatischen Angaben nur diejenigen Bemerkungen aufgenommen worden, welche, wenn auch nicht gesichert, doch Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen. Die von Lachmann in das Liber Col. II gestellten Textstücke sind in den Noten in Klammern gebracht. ') Lacineae. l) Antium (Lachm. 229) ager ejus in lacineis est ass. 2) Ardea (231) ager ejus in lacineis est ass. 3) Laurum Lavinia (234) lege et consecratione veteri manet. Ager ejus ab impp. Vespasiano, Trajano et Adriano in lacineis est ass. 4) Venafrum (239) oppidum quinque viri deduxerunt sine colonis. ager ejus in lacineis limitibus intercisivis est ass. iter populo debetur ped. XX. 5) Ferentinum (234) ager ejus perennis limitibus pro parte in jugeribus et in lacineis est ass. 6) For- mia opp. (234) triumviri sine colonis deduxerunt, ager ejus in absoluto resedit, pro parte in lacineis est ass. 7) Provincia Brittiorum (209) centuriae quadratae in jugera CC et cetera in laciniis sunt praecisa post demortuos milites. 8) Privernum (236) oppidum, muro ducta colonia miles deduxit sine colonis, iter populo debetur ped. XXX, ager ejus pro parte cultu in jugeribus est ass. ceterum in lacineis vel in soluto remansit. 9) Suessa Aurunca (237) muro ducta lege Sempronia est deducta, iter populo non de- betur, ager ejus pro parte limitibus intercisivis et in lacineis est ass. 10) Afile oppidum (230) lege Sempronia in centuriis et in lacineis ager ejus est ass., iter populo non debetur. 11) Interamna opp. (234) ager ejus militi metyco est ass. in lacineis limitibus inter- cisivis. 12) Atina (230) opp. deduxit Nero Claudius, ager pro parte in lacineis et per strigas est ass. 13) Ostensis ager (Lachm. 236) ab impp. Vespasiano, Trajano et Iladriano in precisuris, in lacineis et per strigas colonis eorum est assignatus, sed postea impp. Verus, Antoninus et Commodus aliqua privatis concesserunt. 294 IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. und Frontin muss die Assignatio per strigas et scamna auch im weiteren Sinne auf die in lacineis ausdehnen. In Betreff der Assignation nach strigae und scamna im engeren Sinne wird der Lösung beizustimmen sein, welche Weber (a. a. 0. S. 22) den schwer verständlichen Worten des Hygin (Lachm. 204) über die Aufmessung des ager vectigalis in den Provinzen nach strigae und scamna innerhalb Decumanen und Kardinen giebt. Dieselbe ist indess nur durch die von Hygin selbst aufgestellten Voraussetzungen erschwert, dass zwischen je 2 limites transversi 2 scamna und 1 striga, zwischen 2 limites prorsi aber 4 scamna und 4 strigae zu legen und die Kreuzung dieser limites um die Hälfte länger als breit 7.u machen, zugleich aber auch, wie anzunehmen, den strigae und scamna unter sich gleiche Flächen zu geben seien. Diese speziellen Bedingungen erscheinen als ein besonderer Zwang, den sich Hygin in seiner Absicht, die Messungen des steuerpflichtigen Provinzial- landes zu sichern, auferlegte. Seine Vorschläge konnten auf freiem und ebenem Provinzialboden allerdings ebenso gut ausgeführt werden, wie die Aufmessung genau quadratischer Centimen, und mochten um so an- nehmbarer erscheinen, als, wie Weber bemerkt, auf dem von Hygin vorausgesetzten ager vectigalis auch bei der gewöhnlichen Limitation die Einzelanweisung der Zinspflicht wegen nicht entbehrlich war. Aber Hygins Vorschrift stimmt weder mit Frontins Definition und Abbildung der Assignation in strigae und scamna (Fig. 39 und 41) noch mit den Angaben des liber Coloniarum überein. Es ist möglich, dass die strigae und scamna gelegentlich zwischen Decumanen und Kardinen eingeordnet wurden, der Regel nach aber dürften sie gerade deshalb zur Assignation angewendet worden sein, weil eine regel- mässige Limitation nicht thunlich war. Die Zusammenstellung der wörtlich wiedergegebenen Nachrichten des liber Coloniarum *) ergiebt , dass der ager Aequiculanus 1) und ') Strigae et scamna. [l) Ecicylanus ager (Lachm. 255) per strigas et scamna in centuriis est assignatus.] [2) Nursia (257) ager ejus per strigas et per scamna in centuriis est ass.] [3) Reate (257) ager ejus per strigas et per scamna est ass.] 4) Bovianum (231) opp. lege Julia milites deduxerunt sine colonis, iter populo debetur ped. X. ager ejus per centurias et scamna est ass. [5) Afidena (259), iter populo debetur ped. X; milites eam lege Julia sine colonis deduxerunt. ager ejus per centurias et scamna est assignatus. Termini Tiburtini sunt oppositi limitibus intercisivis.] [6) Istoniis (260) colonia. ager ejus per centurias et scamna est ass.] 7) Alatrium (230) colonia populus deduxit iter populo non debetur. ager ejus per centurias et strigas est ass. 8) Anagnia (230) colonia, jussu Drusi Caesaris populus deduxit, iter populo non debetur. ager ejus per strigas est veteranis ass. 9) Colonia Sutrium (217) ab oppidanis est deducta. ante IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 295 Nursia 2) ausdrücklich in centuriis per strigae et scamna assignirt worden sind. Deshalb lässt sich nicht wohl bezweifeln, dass auch die Ausdrucksweise per centurias et scamna oder et strigas in Bovianum 4) Aufidena 5) Histonium 6) und Aletrium 7) dieselbe Bedeutung hat, und nicht als eine Anlage theils in centurien, theils in scamna auszulegen ist. Danach würde sich dann auch in Reate 3), obwohl hier Centurien nicht erwähnt sind, der Assignation per strigas et per scamna der- selbe Sinn beilegen lassen. Besonders bedeutsam für das Verständniss erscheinen aber die Angaben über die Kolonie Sutrium 9). Sie zeigen hinreichend deutlich, dass hier rechtwinklige (gammati) und oblonge (scamnati) agri von den Feldmessern deshalb angewiesen wurden, weil die Natur der Oertlichkeit , der Höhen und Kuppen, die regel- mässige Ausführung der beabsichtigten und bereits begonnenen Limi- tation nicht gestatteten. Es lässt sich hier noch die fernere bei Ostiensis ager 13) er- wähnte Art der Assignation in praecisuris heranziehen. Nach Lachm. 190, 299 und 301 ist praecisura mathematisch ein Abschnitt. Die sonstigen Erwähnungen bei den Gromatikern sind in der Note1) zusammengestellt. Daraus erweist sich, dass in Apulien und Kalabrien gewisse loca der besonderen Fruchtbarkeit wegen praecisirt wurden. Aricia 2), Casinum 3) und Signia 4) wurden in praecisuris assignirt, und zwar letzteres mit den bei den Kolonien der Triumvirn üblichen limites. Terebentum 5) wurde in praecisuras et strigas assignirt, limites contra Orientalen! recturam dirigebantur. postea ex omni latere sunt extenuati. et licet omnes agri ad modum jugerationis sint adsignati, tarnen pro parte naturam loci sccuti artifices agros censuerunt, id est fecerunt gammatos et scamnatos, riparum et coronarum natura, et juga collium sunt emensi. Terminos autem pro parte lapideos posuerunt, alios vero ligneos, qui sacrificales pali appellantur, qui distant a se ped. CCCC, p. D, p. DC, ped. DCC, ped. DCCC, ped. DCCCC, ped. M et ped. MCC, ceterum pro natura loci designatum est in ripis. ') Praecisurae. [l) Quando terminavimus provinciara Apuliam et Calabriam (Lachm. 261) secundum constitutionem et legem divi Vespasiani, variis locis mensurae actae sunt et jugerationis modus collectus est. Cetera autem prout quis occupavit posteriore tempore censita sunt et possidenti assignata. Alia loca pro aestimio ubertatis praecisa sunt, finiuntur enim terminibus, rivis, fossis, arboribus. . .] 2) Aricia (230) opp lege Sullana est munita, ager ejus in praecisuris est assignatus. 3) Casinum milites legion. dedux. (232) eidem militi ager ejus in praecisura est assignatus. 4) Signia (237) a militibus et triumviris munita, ager ejus in praecisuris limitibus triumviralibus est ass. 5) Terebentum oppidum (238) ager ejus in praecisuras et strigas est ass. post tertiam obsidionem limitibus Julianis. [6) Cornnius ager (260) limitibus maritimis et montanis, in centuriis singulis jugera CC. finitur terminis Tiburtinis et rivis, arboribus peregrinis vel ante missis, monumentis, viis nymphis Ager ejus in praecisuris est assignatus.] 296 ^V' 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. und Corfinium 6) erhielt in den einzelnen centurien je 200 jugera, obgleich auch sein Acker in praecisuris assignirt wurde. Danach scheinen die praecisurae den strigae und scanina sehr nahe zu stehen, und ihre Assignation ebenso, wie die der laciniae, mit der nach strigae und scamna ohne wesentlichen Unterschied zusammen- zufallen. Frontin, der ebenso wenig als die übrigen Gromatiker diese Benennungen erwähnt, ist wenigstens unzweifelhaft der Meinung, dass es keinen anderen assignirten Acker giebt, als entweder solchen, der zwischen decumani und kardines eingetheilt, oder solchen, der strigirt bezw. scamnirt worden ist. Wenn also einer von diesen beiden Arten der Assignation diejenige nach lacineae und nach praecisurae zuge- rechnet werden muss, so kann dies nach dem Zusammenhang der vorhandenen Erwähnungen nur die strigatio und scamnatio in ihrem weiteren Sinne sein. Ueberblickt man nun alle diese Angaben über die Assignation nach strigae und scamna und die dieser gleichzustellende nach lacineae und praecisurae, so finden sich decumani und kardines in keiner derselben erwähnt, sondern überall nur centuriae, und dabei nur einmal ausdrücklich solche von 200 jugera. Auch limites werden bezeichnet, aber nur die limites trium virales der praecisurae von Signia könnten als decumani und kardines aufgefasst werden, meist werden nur limites intercisivi erwähnt, welche auch bei der eigent- lichen limitation nur einen zufälligen Charakter haben. In Feren- tinum ist allein der ager perennis mit limitibus und zwar zum Theil in jugera, zum Theil in lacineae assignirt worden. In Corfinium werden limites maritimi und montani erwähnt, d. h. solche, welche auf die Küste oder auf das Gebirge zuführen. Zugangs wege mussten bei jeder Assignation angelegt werden, und dass man dabei, so weit möglich, dem üblichen Schema der limi- tation folgte, ist erklärlich. Aber die blosse Angabe, dass in Cen- turien assignirt worden sei, lässt, wenn dies per strigas oder scamna geschehen, keinen Schluss auf ein regelmässiges System von decu- mani und kardines zu, sondern besagt nur, dass Feldabschnitte von je 200 oder so vielen jugera, wie man mit ziemlich grossen Abweichungen als eine Centurie zu bezeichnen pflegte, in strigae, scamna, lacineae oder praecisurae zur Assignation gekommen seien. Strigae und scamna verdeutlichen Frontins Zeichnungen, Fig. 39 und 41. Sie waren danach rechtwinklig aufgemessen und von einem Grenzwege oder Grenzrain umgeben, aber offenbar von ganz verschiedener Grösse. Ob diese immerhin noch regelmässige Gestalt auch für die IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 297 Assignation von lacineae und praecisurae nöthig war, ist unbekannt. Wenn man aber verschieden grosse Grundstücke von ungleichen Längen und Breiten bei den Assignationen fest abgrenzte, war dies offenbar auch bei noch unregelmässigeren möglich. Der Grund, weshalb solche unregelmässige Grundstücksformen statt der viel einfacheren der quadratischen Limitation angewendet wurden, ist durch Sutrium, wie o. S. 295 zeigt, überzeugend bezeichnet. In der That war die Anlage regelmässiger Centurien zwischen parallel sich kreuzenden Decumanen und Kardines, auch wenn man verschiedene loca relicta, pascua u. dgl. ausschied, nur in nahezu ebenem und wenig wechselndem Lande wirklich gut und zweckentsprechend auszuführen. Man musste deshalb daneben ein System der Assignation haben, welches sich mehr der Oertlichkeit anpassen Hess. Dies war nur durch ungleichartige Grundstücksformen zu erreichen. Wahrscheinlich gehört auch die assignatio in Tetragonon des ager Amiternus, Avejas, Corfinius und Solomontinus hierher, möglicherweise aber ebenso ein grosser Theil der Assignationen, welche lediglich als in jugeribus geschehen bezeichnet sind, wie: circa Portum Tiberis, Forum Populi, Cumis, Minturnae, Neapolis, Puteoli, Praeneste, Sinuessa, Tibur, Fidenae, Teramne u. a. Allerdings war bei der Ausführung einer solchen Assignation in un- regelmässigen verschieden geformten Besitzstücken erheblich grössere Mühe der Messung und Abgrenzung erforderlich, als bei der Assignation zwischen Decumanen und Kardines. Dies war aber auch bei strigae und scamna und überhaupt in jedem Falle unvermeidlich, in welchem die Abgrenzung der einzelnen Besitzer per proximos possessionum rigores stattfand. Es musste dann die Berechnung im Einzelnen in die Forma eingetragen werden, wenn der Zweck der assignatio erreicht werden sollte. Wie dies geschah, wird allerdings kaum völlig klar werden, so lange nicht ein inschriftlicher Fund, wie der von Arausio darüber belehrt. Indess hat der gromatische Codex in Fig. 43 F.5EI ACERl KAB INM ;-Nt SEXTJLANVi VtIMNIAN-KABET \S|MIUTERETP.EU^a. jvg.L-NoTatanr Fig. 43. einen zweifelfreien Auszug aus einer solchen Forma überliefert, auf den sich Frontin (üb. I de controver. agr. Lachm. 15, Fig. 17) be- 298 IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. zieht, indem er sagt: de proprietate controversia est plerumque, ut in Campania cultorum agrorum silvae absunt in montibus ultra quartum aut quintum forte vicinum. Propterea proprietas ad quos fundos pertinere debeat disputatur. Es liegen hier die assignirten Besitzstücke des Sejus Agerius, Sextilius und Vennius noch durch andere Nachbargrundstücke von den zugehörigen Waldcasae geschie- den. Die nur beispielsweise Inscription in die Forma besagt an- scheinend: Fundus Seji Agerii habet in monte jugera X. X not. 0. Yennianus habet jugera L notata NR. Sextilianus habet jugera XXX. Similiter et reliqua (formae). Die im ager Campanus selbst assig- nirten Grundstücke der Genannten sind nicht nach ihrer Fläche eingetragen. Deutlich ist aber, dass sie, wie die Abschnitte zeigen, in ganz unregelmässigen Gestalten angewiesen und, wie es scheint, zwischen einige, der gromatischen Messung an gehörige Parallel grenzen an einander geschoben sind. — Die anderen von Frontin unterschiedenen Arten gromatischer Behandlung der Ländereien sind leicht zu verstehen. Agri mensura per extremitatem comprehensi, deren Grenzzug und Flächeninhalt festgestellt, auf denen aber weder eine Wegeanlage, noch eine Vertheilung im Einzelnen vorgenommen wurde, bezeichnet Frontin näher dahin: Ager est mensura compre- hensus, cujus modus universus civitati est assignatus, sicut in Lusitania Salmatiensibus , aut Hispania citeriore Palatinis et compluribus pro- vinciis tributarium solum per universitatem populis est definitum. Dieses dem politischen Zwecke der Organisation von civitates dienende Verfahren betraf diejenigen Theile des Reiches, in welchen der alte Verband der früheren Staaten nicht fortbestand. Es setzt die Unter- werfung des Landes und die Umgestaltung seiner Verwaltung in eine provinziale voraus, bestätigt aber die übliche Politik der Römer. Sie griffen auf den Gebieten dieser, meist nur aus einem Hauptort mit der denselben umgebenden Landschaft hergestellten civitates in die vorgefundene Grundbesitzvertheilung nicht ein, soweit nicht Theile des früheren Besitzes als Staatsland ausgeschieden oder mit Militärkolonien besetzt wurden. Dieser ager mensura comprehensus findet sich auch bei Staats- und Tempelgütern, deren Besitzstand dadurch festgestellt wurde. Frontin aber sagt weiter, indem er die Figuren durch seine eigene Bezugnahme beglaubigt: Eadem ratione et privatorum agrorum mensurae aguntur: (fig. 44). Hunc agrum multis locis mensores, quamvis extremum mensura comprehenderint, in formam in modum limitati condiderunt: (fig. 45.) IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 299 Diese Worte geben den Figuren besonderes Interesse. Fig. 44 zeigt, wie Frontin die gelegentlich vorkommende Gestalt der Privat- grundstücke vorschwebt, die nur im Ganzen, nicht im Einzelnen, der Vermessung unterworfen und abgegrenzt worden sind. Dass bei dieser Messung der Zug eines Grenzraines angenommen ist, ergiebt die Figur ebenfalls. Fig. 45 enthält ein Bild, wie ein solcher nur Fig. 44. Fig. 45. im Ganzen, nicht im Einzelnen, ausgemessener Complex von Privat- grundstücken in der Forma erscheint. Auch hier ist der Grenzrain um diesen Complex angedeutet, im Innern aber sind, an Stelle der unbestreitbar fortbestehenden Abgrenzungen der Privatgrundstücke gegen einander, die bei der Messung gezogenen Linien der limites prorsi und transversi angedeutet, durch welche die Zahl der jugera der Gesammtfläche berechnet worden war und auch nach der Forma wieder berechnet werden kann. Sollte die Zeichnung wirklich so von Frontin herrühren, wie sie uns durch die späten Abschriften des Codex überliefert ist, so hat Frontin, vielleicht um die Unterscheidung von den wirklichen limites der Figur 40 hervorzuheben, die Zeich- nung der Forma perspektivisch gegeben. Denn eine solche rauten- förmige Lage der limites kann weder durch das Groma hergestellt, noch zur Berechnung der Fläche benutzt werden. Es müsste noth- wendig die Höhe der Rauten rechtwinklig gemessen werden. Gleich- wohl bestätigt die Zeichnung, Avas sich auch nicht anders denken lässt, dass die Messung solcher Grundstückscomplexe ohne Rücksicht auf die Zwischengrenzen durch ein Netz von Coordinatenlinien erfolgte, 300 I^T- 4. Die römischen Landraessungen und Feldeintheilungen. und dass auch für die Eintragung in die Forma nicht ausgeschlossen war, ausser dem äusseren Umriss des Grenzzuges alle diese Coordi- natenlinien neben einander zu verzeichnen, obwohl in der Oertlichkeit weder entsprechende Wege noch Grenzen festgelegt worden waren. In Betreff der dritten Art des Landes, der arcifinalen, sagt Frontin (Lachm. 5): Ager est arcifinius, qui nulla mensura con- tinetur; finitur secundum antiquam Observationen! fluminibus, fossis, montibus, viis, arboribus ante missis, aquarum divergiis et, si qua loca1) a vetere possessore potuerunt obtineri. Nam ager arcifinius, sicut ait Varro, ab arcendis hostibus est appellatus, qui postea inter- ventu litium, per ea loca quibus finit, terminos accipere coepit. Der Ager arcifinius war also überhaupt nicht vermessen, sondern ur- sprünglich nur durch örtlich bekannte Grenzen, später durch be- stimmt geformte, der Gegend nicht angehörige Steine und ähnliche Festpunkte, in der Regel auch durch Altäre oder Kapellen der Terminalgottheiten abgegrenzt. Die amtliche Feststellung dieser Grenzen geschah überall in Italien, wie in den Provinzen, um die- selben für die Zwecke der Verwaltung erkennbar zu machen und vor Verletzungen und Uebergriffen zu schützen. — Wie weit sich nun die amtlichen, die Wege und Besitzgrenzen neu festsetzenden Messungen in Italien ausdehnten, davon giebt der Liber Coloniarum einige Anschauung. Sein Inhalt umfasste nur die damaligen Bezirke Lucanien, Brittium, Apulien, Calabrien, Sicilien, Tuscia, Picenum, Valeria, Campanien, Dalmatien und Samnium, Oberitalien fehlt. Aber die Angaben über die einzelnen Orte und die Berichte über ganze Bezirke, wie sie die Noten auf S. 293, 94 u. 95 in Beispielen wiedergeben, erweisen, dass es überall nur sehr wenige Orte gewesen sein können, in deren Umgebung in der Zeit Hadrians das anbaufähige Kulturland der Assignation nicht unterworfen war. Die meisten erwähnen die Anordnung durch Sulla, Caesar, die Trium- virn, Augustus oder spätere Kaiser. Mögen dabei auch nach der o. S. 292 Anm. gedachten Entstehung des Liber Coloniarum mancherlei Irrthümer mit untergelaufen sein, die Angaben lassen doch keinen Zweifel, dass seit Sulla der Regel nach die Eintheilung und Ein- weisung zwischen Decumanen und Kardines stattgefunden hat. Es werden aber keinesweges nur Militärkolonien oder überhaupt aus- schliesslich Kolonien aufgeführt. Marsus (?), Abella, Cales, Cereatae- Mariana, Divinos, Trebula, Castellanae werden ausdrücklich als Mu- ') Bedeutet besondere Grenzpunkte, Denkmale, Gräber, Altäre. IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 301 nicipia bezeichnet. Von Sutrium (o. S. 294, 9) ist gesagt, dass die Kolonie durch die Oppidanen selbst deducirt sei. Bei den oppidum Venafrum (ebd. 4) ist bemerkt, dass die Quinqueviri ohne Kolonen deducirten. Einige dieser Registeraufzeichnungen führen aber auch ersichtlich in weit frühere Zeiten zurück. Es wird ausdrücklich angegeben, dass die alte Grundbesitzeintheilung bestehen geblieben ist, und nur Wege durch dieselbe gezogen worden sind. Zu ager Marsus (229) erfahren wir in diesem Sinne: Municipium licet consecratione veteri maneat, tarnen ager ejus intercisivis limitibus est assignatus. Im Gebiet von Sentis (258), Salvia und Tolentinum (226) sind ebenso zwar limites gezogen, jedoch haben die Besitzer die loca hereditaria behalten. Bei anderen aber fehlen die üblichen Angaben über die Urheber der Assignation, und bei näherer Vergleichung wird bemerkbar, dass dies vorzugsweise die alten Orte Mittelitaliens in der Umgebung Roms sind, und dass diese früh unterworfenen und kolonisirten Städte, wie Antium, Fidenae, Antemna, Tibur, Praeneste und die zahlreichen übrigen o. S. 251 u. 252 besprochenen benachbarten, fast ohne Aus- nahme den unregelmässigen Assignationen nach strigae und scamna, lacineae, praecisurae, tetragona und jugera angehören. — Diese Beziehungen leiten unmittelbar zu der o. S. 272 vorbe- haltenen Frage zurück, welche Entwickelung der Agrarverfassung sich in den Pagi und Gentilbezirken des ager romanus erkennen lasse? Die Natur der wirthschaftlichen Verhältnisse bringt es mit sich, dass die späteren Erscheinungen unter dem massgebenden Einflüsse der ältesten Ideen und Einrichtungen gestanden haben müssen. In Betreff dieser frühesten Gestaltung des Grundbesitzes kann nicht daran gedacht werden, dass die Ueberlassung von 2 jugera Erbeigen an die Patres der römischen Gentilen unter Zumessung durch die amt- lichen Agrimensoren und nach ihrem später geübten Verfahren statt- gefunden habe. Für die Ueberweisung der ersten heredia genügte der gesetzliche Anspruch des Rechtes. Sie konnte den Curialen selbst und ihren Vorständen überlassen bleiben. Sie hatten nur jedem Ge- nossen diese kleinen Gartenflächen um sein Gehöft zu umschreiten, und die Nachbarn, nöthigenfalls unter Anrufung des Königs, angemessen gegenseitig abzuscheiden. Auch die später erwähnten pagi und einzelnen Gentildörfer , bedurften nur der sakralen Weihe ihrer Feldgrenzen, keiner Vermessung. Da sich der Anbau nothwendig schon früh um die einzelnen Gruppen der Gehöfte ausgebreitet hatte, war zunächst nicht der Curiatverband , sondern nur die einzelne Dorfschaft dabei 302 IV« 4. Die römischen Lärmmessungen und Fekleintheilungen. interessirt, dass die sporadischen Bifänge einzelner oder mehrerer den vorhandenen Raum für die anderen Dorfgenossen nicht allzusehr beschränkten. Es ist aber auch anzunehmen, dass aus demselben Beweggründe die Felder auf dem geeigneten Boden sehr bald von jedem Genossen nach gleichem Anrecht beansprucht wurden, so dass sie in bleibenden Besitz kamen. Dass der Idee nach, wie o. S. 267 gezeigt, der gesammte populus romanus das Recht behielt, diese nicht als heredia zugestandenen Läudereien eintretenden Falles wieder einzu- ziehen, kann für die nutzungsweise Besitznahme keinen Unterschied ge- macht haben. Die Erweiterung des Anbaues musste allgemein eintreten. Dagegen waren allerdings schon in ältester Zeit Abkommen zwischen den Genossen der verschiedenen Gentildörfer und der Pagi darüber nothwendig, wie weit gemeinsame Weiderechte fortbestehen sollten, und innerhalb welcher Grenzen jede einzelne Dorfschaft von der Gemeinweide frei und befugt sein solle, Anbau und die not- wendige nahe Hutung des Zug- und Milchviehes ausschliesslich aus- zuüben. Innerhalb dieser engeren Abmarkung des Dorfes läset sich also die Besitznahme des nöthigen Anbaulandes auch nicht ohne Ab- messungen denken. Es müssen dabei gleiche oder verhältnissmässige Anrechte zur Geltung gekommen sein, nach welchen die Grundstücke festgestellt und vertheilt wurden. Aber daraus können nur ganz ähnliche Vorgänge gefolgert werden, wie sie o. S. 101 für Maden ausführlich erörtert worden sind. Hier wie dort waren bestimmte Genossenanrechte am Boden streitfrei zu befriedigen. Das wäre durch die quadrirte Centurieneintheilung des der Dorfschaft benachbarten Bodens ganz unmöglich gewesen. Die erste Grundbedingung einer solchen Auseinandersetzung war die gleiche und geeignete Boden- beschaffenheit bei gleicher Fläche und möglichst gleicher Lage und Entfernung. Es konnte also nicht einfacher und überhaupt nicht anders als in Maden verfahren werden. Man musste für die Ver- theilung wirklich in sich gleichartige Abschnitte der Flur von nur massiger Grösse aufsuchen, damit sich in jedem dieser Abschnitte für jeden fundus ein anerkannt gleich gutes Feldstück von 1 oder auch nur Va jugerum Fläche abgrenzen Hess, welches Jeder, wie auch das Loos fiel, ohne Benachtheiligung übernehmen konnte. Durch diese ein- zelnen kleinen Abschnitte entstanden also Gewanne, die sich anein- anderreihten, wie in Maden. Dabei war unerheblich, ob die Form der Gewannantheile mehr lang oder mehr quadratisch war. Es bedurfte auch unter solchen Umständen keiner künstlichen Messungsarbeiten. Die Genossen selbst konnten die Stücke mit genügender Sicherheit durch IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 303 Abschreiten oder Schätzen feststellen, und zogen dies sicher vor, selbst wenn ein besseres technisches und amtliches Messungsverfahren damals bereits bekannt und zu erlangen gewesen. Siculus Flaccus (Lachm. 152) bezeugt noch zu seiner Zeit solche alte Feldlagen: In multis regionibus comperimus, quosdam possessores non continuas habere terras, sed particulas quasdam in diversis locis intervenien- tibus complurium possessoribus: propter quod etiam complures vicinales viae sint, ut unusquisque possit ad particulas suas jure pervenire. . . Quorundam agri servitutem possessoribus ad particulas suas eundi redeundique praestant. Quorundam etiam vicinorum aliquas silvas quasi publicas, immo proprias quasi vicinorum, esse comperimus, nee quemquam in eis cedendi pascendique jus habere nisi vicinos, quorum sint, ad quas itinera saepe, ut supra diximus, per alienos agros dantur. Damit stimmen die Angaben über die Compascua o. S. 268 völlig überein. — Indess muss das staatliche Messungswesen schon unter den Königen eine bestimmte technische Entwickelung gewonnen haben, weil es bei der Ansetzung von Kolonien nicht entbehrt werden konnte. Die Zahl der Kolonisten wird vielleicht zu hoch auf je 300 an- gegeben, aber sie durfte ihrer persönlichen Sicherheit wegen nicht klein sein. 2 jugera für jeden nahm also immerhin einen beträchtlichen Theil der alten Flur der unterworfenen Stadt in Anspruch, und es konnte den Kolonen nicht überlassen bleiben, sich auf derselben selbst Recht zu verschaffen. Auch war dauernder Streit nicht zu vermeiden, wenn nicht eine Neuordnung des Besitzstandes der alten Bürger eintrat. Eine Art von Verkuppelung der bisherigen Ackerflur musste also nothwendig erfolgen. Da die Betheiligten unter dem Recht des Siegers standen, war sie freilich gegen unser modernes Verfahren vereinfacht. Gewisse Züge desselben, das Zusammenwerfen der Grund- stücke, die Feststellung der Antheilsrechte, die Regelung der neuen Planlage und ihre Eintheilung und Zuweisung muss die Kolonisation aber gehabt haben. Da deshalb zur Ausführung eine einheitliche grosse Machtvollkommenheit gehörte, sind die Triumviri coloniae deducendae wahrscheinlich eine sehr alte Einrichtung. Die Bestim- mungen über das o. S. 254 erwähnte Maass der Zuweisungen an die Kolonisten ergeben, dass die Triumvirn selbst Mensoren waren, oder solche zur Hülfe herbeizogen. Indess wenn uns auch das Verfahren dieser Triumvirn bekannt wäre, würde der Versuch vergeblich sein, den eigentlichen Sinn des Staatsmessungswesens aus Massregeln und Rechtsfolgen entnehmen 304 I^'- 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. zu wollen, welche für Anlagen ausserhalb des Staates galten. Viel- mehr lässt sich darüber nur aus Erscheinungen Aufschluss erwarten, welche uns im alten Staate noch vor der Vertreibung der Könige entgegentreten. In diesem Sinne bleiben wir durch das 12 -Tafelgesetz nicht ohne näheren Anhalt. In demselben äussern sich gewisse wirt- schaftliche und rechtliche Beziehungen der Landmessungen schon in fast veralteter Form, so dass sie in ihrer wahren Grundlage nur in der Königszeit und auf dem ihr angehörigen alten ager romanus entstanden sein können. — Der zunächst erkennbare, in frühe Königszeit hinaufreichende Beweggrund, welcher die Anwendung der Landmessung auf das alte Land des ager romanus forderte, war der sakrale Charakter, unter welchem Abgrenzung und Zugänglichkeit aufgefasst wurden. Es ist o. S. 249 gezeigt, dass die Konsekration der zu Tempel- bauten zu verwendenden Grundstücke von einer auguralen Limi- tation abhängig war, dass aber die älteren Rundbaue der Heilig- thümer diese Konsekration nicht erhalten hatten. Dadurch stellt sich der Zeit nach das erste Auftreten der kunstmässigen Messung in Rom annähernd auf die Regierung des älteren Tarquinius fest. Das Verfahren derselben zeigt sich auch von Anfang an mit dem etruskischen Augurenwesen eng verknüpft. Sein Ursprung ist religiös, aber die den Göttern geheiligte Oertlichkeit gab Rechte und Pflichten. Sie musste bestimmt begrenzt und zugänglich sein. Eine regelmässige Form der Abgrenzung war zugleich die anschaulichste und würdigste, und liess am leichtesten Beziehungen zur Gottheit und schützende priesterliche Auslegungen zu. Bei sehr vielen Völkern gilt dies für Tempel, Lagerplätze, Dorf- und Stadtanlagen. Auch die Orientirung der Dörfer in Umbrien (o. S. 238) weist darauf hin. Nach dem etruskischen Brauch wurde die Messung einzelner zu weihender Grundstücke, ebenso wie auch die ausgedehnterer Lände- reien mit der Orientirung begonnen (Frontin, Lachm. 17). Der Priester wendete sich gegen die aufgehende Sonne und bestimmte danach den Decumanus maximus, die Grundlinie, von welcher links der Pol, der unbewegliche Punkt des Sternenlaufs und die Sitze der Götter, rechts nach Süden, wohin sie blicken, die vordere Seite (antica), nach Norden die hintere, postica, liegen. Diese Sonnenlinie kreuzt der Kardo maximus, der Weltachse entsprechend. Er hatte, nach der antica gesehen, links den glücklichen Osten, rechts den unglücklichen Westen. Die römischen Gromatiker änderten zwar den älteren Brauch. IV. 4. Die römischen Landinessungen und Feldeintheilungen. 305 Sie sahen von Ost nach West, dextra war Norden, sinistra Süden, citra cardinem maximum östlich, ultra westlich. Aber die religiösen Gesichtspunkte gingen keineswegs verloren. Auch alle parallelen limites wurden als Grenzlinien geheiligt und unverletzlich gedacht. Für diese aber gab es keine bessere Feststellung und Sicherung, als auf sie einen öffentlichen oder vicinalen Weg zu legen. Solche Wegeführungen empfahl und erleichterte zugleich der ersichtliche Nutzen für die Bewirthschaftung und für den Verkehr. Wie also schon bei der älteren Konsekration geheiligter Grundstücke mit der Limitation nothwendig die Fürsorge für die Zugänglichkeit verbunden war, musste sich den Mensoren auch bei den Landmessungen der Gedanke, die limites als Wege anzulegen, unmittelbar aufdrängen. Es hat sich nun allerdings bei den germanischen Siedelungen, o. S. 62, erwiesen, dass für den alten Landbau Wege ursprünglich nicht als Bedürfniss galten. So lange man im wesentlichen nur Ge- treidebau und Feldgras wirthschaft trieb, war am natürlichsten, im Flurzwang die Zugänglichkeit innerhalb der im Gemenge liegenden Felder durch Ueberfahrtsrechte der Dorfinsassen zu bewirken. Ver- kehrswege zu den Nachbarorten und den Hauptplätzen des Landes führte erst die Staatsgewalt ein, soweit es die allgemeinen Zwecke forderten. Daran lässt sich ursprünglich auch für den ager romanus denken. Siculus Flaccus erwähnt (s. o. S. 303) Gemenglage und Ueberfahrtsrechte ausdrücklich. Aber eigentlicher Flurzwang kann in Mittelitalien weder grosse Ausdehnung, noch lange Dauer gehabt haben, weil hier Wein und Obst, sowie perennirende Gemüse, und andere im Süden ungleichmässig reifende Früchte in Frage kommen, deren Kultur das Betreten und Befahren der bebauten Grundstücke zu verschiedener Zeit nothwendig machte und feste Feldwege forderte, die dann auch der öffentlichen Kommunikation zu dienen vermochten. Die sakrale Offenhaltung der Wege um die Stadt erweist schon der Dienst der lares compitales, welcher (o. S. 248) vor die Zeit der Limitationen fällt. Der Kult der Termini in den Dorfbezirken deutet allerdings nicht nothwendig auf feste Wege. Indess finden sich in der Rechtsgeschichte bestimmte Zeugnisse, dass die Limitation mindestens schon vor dem 12-Tafelgesetz auf den Aeckern der römischen Bürger sehr weit verbreitet gewesen sein muss. — Nach dem vom 1 2-Tafelgesetz zusammengefassten Rechte gehörten die praedia rustica ebenso wie die urbana zu den res mancipi. Sie konnten vor 7 römischen Bürgern, per aes et libram, ohne Tra- dition verkauft werden. Jedoch war die Bedingung, dass sie im vollen Meitzen, Siedelung etc. I. 20 306 IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. quiritarischen Eigenthum standen, d. h. dass sie Steuer- und servitut- freies Land und assignirt waren. Ager assignatus aber konnte nur der- jenige sein, welcher ausgemessen und in die Forma gebracht war, von der eine Kopie im Archiv zu Rom lag, so dass sie dort als Beweis- mittel zu dienen vermochte. Die S. 260 gedachte Schrift M. Webers weist nun S. 25 u. 66 weiter nach, dass diese Aufmessung und Assignirung des steuerfreien römischen Ackers amtlich nicht mit einer Eigenthumsabgrenzung verbunden war. Vielmehr wurde über den zu vermessenden Acker vom Mensor das oben beschriebene Netz der sich kreuzenden Limites gezogen. Diese bildeten, wie gezeigt ist, Wege von bestimmter Breite und be- stimmtem Recht. Innerhalb der so entstandenen quadratischen Fi- guren aber wurde in der Regel nur die Anzahl der jugera, welche dem einzelnen an der betreffenden Fläche Betheiligten zustand, fest- gestellt und in die Forma eingetragen. Die wirkliche Vertheilung blieb wenigstens offiziell Sache der Berechtigten.1) Es ist nun sicher, dass durch dies Verfahren die nothwendigen Anforderungen des öffentlichen Rechtes zu befriedigen waren. Denn der Censor forderte zwar die Angabe des quiritarischen Landbesitzes, aber für ihn genügte der durch die Forma oder durch die dieselbe ergänzenden Mancipationszeugen oder -Urkunden geführte Nachweis, dass der Censit die angegebene Anzahl jugera besass. Dieser Nach- weis des Landbesitzes erreichte zugleich den, wie schon aus dem Namen hervorgeht, mit der Zeit wesentlichsten Zweck der praedia, dem Censor als Bürgschaft bei öffentlichen Landverpachtungen zu dienen. Endlich war auch bei Streitigkeiten über den thatsächlichen Besitz etwas Weiteres nicht erforderlich. Denn wenn der Kläger be- hauptete, die ihm innerhalb 4 Limites laut Forma zustehende Zahl jugera seien ganz oder theilweis von seinen Nachbarn in Besitz ge- ') Hygin de contlicionibus agrorum (Lachm. 121) sagt: Nuper ecce quidam ad- vocatus Augusti, vir militaris disciplinae, professionis quoque nostrae capacissimus, cum in Pannonia agros veteranis ex voluntate et liberalitate imp. Trajani Augusti Germanici adsignaret, in aere, id est in formis, non tantum modum, quem adsignabat, adscribsit et notavit, sed et extrema linea unius cujusque modum compraehendit : uti acta est mensura assignationis, ita inscribsit longitudinis et latitudinis modum. Quo facto nullae inter veteranos lites contentionesque ex his terris nasci poterunt. namque antiqui plurimum videbantur praestitisse, quod extremis in finibus divisionis non plenis centuriis modum formis adscribserunt. Paret autem quantum hoc plus sit, quod, ut supra dixi, singularum adsignationum longitudinem inscribserit, subsicivorumque, quae in ceteris regionibus loca ab adsignatione discerni non possunt, posse effecerit diligentia et labora suo. IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 307 nommen, hatte der zugezogene Feldmesser nur zu erklären, wie viel ihm fehle, und wer das Mehr im Besitz habe. Handelte es sich dann nur um einen Grenzstreifen von 5 Fuss Breite, so ordnete der Feldmesser die Sache als controversia finium regundorum örtlich selbst. Sofern die Besitzüberschreitung aber weiter griff, und die Nachbarn sich nicht gutwillig einigten, konnte die Klage nur auf das Geldinteresse des Klägers verfolgt werden.1) Je nach der Ent- scheidung änderte sich die neu festgestellte Zahl der jugera jedes Betheiligten gegenüber der Forma, ähnlich wie bei den Mancipationen. Dass das starre Recht befriedigt wurde, lässt sich also anerkennen, aber dass es sich in dieser Form ausbilden konnte, führt zu dem begründeten Schlüsse, es liege hier eine Entwickelung vor, zu der es ohne allmählich eingetretene völlige Veränderung der wirtschaft- lichen Zustände nicht kommen konnte. Der althergebrachte bäuer- liche Familienbesitz und Familienzusammenhalt war grossen Unter- schieden des Reichthums und des merkantilen Erwerbes gewichen. Die Lebensweise und Lebensanschauung der Angesehenen und Ueber- mächtigen im Staate hatte sich aus dem engen ländlichen Dasein dem bewegten Treiben des städtischen zugewandt. Zwar lässt sich nicht bezweifeln, dass die ursprünglich mit je 2 jugera heredium im Pagus ansässigen patres familias der Gentes noch gleiche hufenartige Anrechte an dem übrigen weit überwiegenden Gemeinlande hatten, denn ihre Fundi wurden rechtlich durch das heredium und das gleiche Nutzungsrecht am Gemeinlande gebildet. Es ist aber ebensowenig zweifelhaft, dass bezüglich der Ausübung dieser Nutzungen schon in der Königszeit und noch mehr unter der harten und willkürlichen patrizischen Herrschaft bereits vor der Aufstellung der 12 Tafeln entscheidende thatsächliche Verschiedenheiten eingetreten waren. Wie o. S. 263 gezeigt, hatte sich eine zahlreiche Masse armer plebejischer Gentilen von einem kleinen Kreise reicher patrizischer Gentilverwandten geschieden. Beide sassen noch auf ihren alten herediis und waren Inhaber ursprünglich gleichberechtigter Fundi. Aber die Verarmten erhielten sich bei geringem Viehinventar vorzugsweise von dem Anbau ihrer heredia und weniger in der Nähe derselben in Be- sitz genommener Aecker. In den Patriziern aber war ein in Aemtern, Kriegsdienst und kaufmännischen Geschäften lebender Adel erstanden, der durch Glück und Einfluss reich geworden, nicht bloss die Mittel hatte, durch Sklaven und Knechte mit seinem zahlreichem Vieh das ') Frontin (Lachm. 45): nihil impediet, secundum formas aestimatum petere. 20* 308 Iv\ 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. Gemeinland auszunutzen, sondern auch mehrere Fundi und ausge- dehntes Staatsland in einer Hand vereinigen konnte, während die Plebejerfamilien sich auf ihren Höfen zusammendrängten, sie wenn nicht theilten, doch von denselben als gemeinsamem Eigenthume leben mussten, und durch Verschuldungen und übernommene Dienst- leistungen bei den Patriziern mehr und mehr in deren Hörigkeit geriethen. Das Verfahren der Assignation, wie wir es allerdings erst aus später Zeit durch die Gromatiker kennen, war ausser der Limitation stets dahin gerichtet, den Besitz des Einzelnen in der pertica Be- theiligten zu einem geschlossenen Planstücke, einem ager continuus, zusammenzulegen. Dasselbe konnte zwar durch den Limes getrennt in zwei benachbarten Centimen liegen. Entferntere Beigaben aber, wie die casae genannten Waldparzellen, wurden, was Frontins Er- klärung o. S. 298 ausdrücklich erweist, nur in besonderen Fällen zugelassen und als unvermeidliche Ausnahmen hervorgehoben. Es lässt sich nicht annehmen, dass dieser Gedanke nicht auch bei den älteren Assignationen als gewöhnliche Regel zur Geltung gekommen wäre. Es lag bei ihnen sogar um so näher, weil das Gebiet der Gentildörfer, abgesehen von den heredia, ager romanus war, welche der König oder das römische Volk assignirte, die auf die zeitweilige Nutzungs weise keine Rücksicht zu nehmen hatten. Wenn deshalb der Besitzwechsel nicht thatsächlich durch eine amtliche Abgrenzung realisirt wurde, sondern den Berechtigten über- lassen blieb, ihn nach ihrem Guthalten zu vollziehen, mussten doch die Antheile der einzelnen Fundi innerhalb der assignirten Centurien rechtlich festgestellt werden. Es geschah dies wahrscheinlich nur durch einen Ueberschlag des brauchbaren und unbrauchbaren Landes und Theilung des ersteren unter die Anzahl der Fundi. Indess auch das einfachste Verfahren erforderte Flächenberechnungen und einen Planentwurf, dessen Ergebniss in seinen Maassen in die Forma ein- getragen werden konnte. Es fand also dem Rechte nach gleich- wohl eine Verkuppelung im modernen Sinne statt, mit welcher sich gewiss auch in vielen Fällen die thatsächliche Durchführung nahe verknüpfte. Der Versuch der Verkuppelung führt aber bis auf die neueste Zeit überall zu dem starken Widerstände einer grossen Zahl der betheiligten Grundbesitzer. Es kommen für sie nicht bloss die ge- waltsamen Eingriffe in die Eigenthums- und Besitzrechte in Betracht, sondern auch die unvermeidlichen wirtschaftlichen Folgen , die S törung , der Zeitverlust und die neu erwachenden nachbarlichen IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 309 Streitigkeiten, vor allem aber der Umstand, dass die einzelnen Wirthe, auch wenn sie wider Erwarten den befriedigend gleichen Werth ihrer alten Grundstücke wiedererhalten, wegen der veränderten Lage und Bodenbeschaftenheit ihrer Abfindung ihre Wirthschaft wesentlich anders einrichten und über die zweckmässigste Art der Bestellung erst neue, mit mancherlei Opfern verbundene Erfahrungen sammeln müssen. Es ist nun sehr wahrscheinlich, dass diese Schwierigkeiten bei den noch unentwickelten Zuständen gegenüber der politischen Be- deutung zurücktraten, welche die Durchführung der Tribuseintheilung hatte. Während die Curien ihrem Wesen nach persönliche Genossen- schaften waren und blieben, deren Mitgliedschaft auch ohne Grund- besitz und am entfernten Orte fortbestand, wurden die ländlichen Tribus als lokale Bezirke errichtet, in denen nur die betheiligten Grund- besitzer politische Rechte auszuüben hatten. Es kam also auf den Nachweis, und wegen der Zugehörigkeit zu den Centurien auch auf den Umfang des Grundbesitzes der Tribulen an. Deshalb mussten alle patres familias der verschiedenen Gentes, sowohl die ärmeren, wie die reicheren, geneigt sein, sich einem Verfahren zu unterwerfen, welches diesen Nachweis führte, indem es ihre Anrechte feststellte, und ihnen zugleich, durch Zutheilung des bis dahin über die heredia hinaus nur okkupatorisch besessenen ager romanus, sicheres quirita- risches Eigenthum an dem benutzten Lande gewährte. Aber wenn auch dieser enge Zusammenhang der Assignationen mit der Tribuseinrichtung bezweifelt werden könnte, würde gleichwohl die Assignation mit Grund als eine Massregel angesehen werden dürfen, welche beiden Parteien, den Plebejern sowohl, als den Patriziern, wünschenswerth erschien und zur Befriedigung gereichte. Dies ist für die Plebejer leicht erklärlich, da sie statt ihrer bis dahin nur beschränkt ausgeübten Nutzungsrechte, wahrscheinlich den vollen verhältnissmässigen Antheil ihres Fundus am ager romanus er- hielten. Ein solcher Fundus umfasste, wenn, nach o. S. 256, die ur- sprünglich angegebenen 3000 Gentilen in Anschlag kommen, etwa 60 jugera Acker- und Weideland. Während also der Plebejer bis dahin wahrscheinlich wenig mehr als 7 jugera in Bewirtschaftung gehabt hatte, von denen nur 2 jugera sein sicheres Eigenthum waren, fiel ihm jetzt, selbst wenn ausgedehnte loca relicta und subseciva als gemeinsam ausgeschieden worden sein sollten, doch mindestens das 5 fache zu dauerndem quiritarischem Eigenthum zu. Damit konnte er seine Schulden decken, seine Familie ausstatten und seine Wirthschaft wesentlich verbessern. 310 rV\ 4. Pie römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. Ein Widerstreben war also viel eher von den Patriziern zu er- warten, welche offenbar in ihren bisherigen Nutzungen erheblich beschränkt wurden. Da ihnen aber vor wie nach der Vertreibung der Könige die entscheidende Stimme über solche Anordnungen zu- stand, zeigt sich, dass sie mit der Massregel einverstanden waren. Ihr Vortheil ist auch ersichtlich. Die Beschränkung der gemeinsamen "Weide wurde ihnen durch die völlig freie Verfügung über das er- hebliche ihrem Fundus zufallende Land und die Veräusserlichkeit aller assignirten Grundstücke ersetzt, denn sie erlangten nun an den Ländereien der Plebejer als deren Gläubiger sichere Pfandobjekte, die sie auf Grund des Pfandrechts oder durch Ankauf erwerben konnten. Vor allen Dingen aber hatten sie politisch wie vermögens- rechtlich ein grosses und dringendes Interesse, sich über ein be- stimmtes im Grundbesitz vorhandenes Kapitalvermögen ausweisen zu können. Dazu drängte die servische Centurienverfassung mit ihren Vermögensklassen und das mit dem Beginn der Pacht- und Kauf- geschäfte von Staatsland in jener Zeit fühlbar werdende Bedürfniss an Zahlungsmitteln. Für diesen Geschäftsverkehr, der für die Patrizier die Quelle immer höher steigenden Reichthums wurde, war Vieh ebenso ungeeignet, als das wenige umlaufende Kupfergeld. Deshalb vertrat grössere Geldbeträge das praedium, das, entsprechend dem Besitz- nachweis auf Grund der Forma, als öffentliche Bürgschaft galt. Es bildete eine Art Hypothekendepot und erlaubte allmähliche Abwicke- lung der Zahlungen durch Rechnung und Gegenrechnung. Dies sind bei näherer Erwägung so wichtige Beweggründe, dass sich schon aus ihnen ein Volksbeschluss, der zur Durchführung der Assignation ermächtigte, erklären lässt. Denn seit Servius Tullius be- durfte ein solcher im Wesentlichen nur der Genehmigung der oberen 97 Centurien, die Einwilligung der Curien kam kaum in Betracht. Ueberdies ermöglichte die Assignation, da sie nur nach dem blossen Maasse ohne Durchführung der neuen Abgrenzungen stattfand, die mildeste Form der Ausführung, welche sich nach Lage der Ver- hältnisse denken lässt. Dass der bestehende Anbau im Gemenge vieler Gewanne geführt wurde, darf ebenso vorausgesetzt werden, wie dass die neuen Besitzungen meist zusammenhängende Flächen erhalten sollten. Die Schwierigkeit bestand also darin, alte und dauernd nachhaltige Kulturen, wie Obst- und Weinanlagen, oder gut bestellte Felder, gegen geringer bestellte, noch nicht tragbare oder Neuland auszugleichen. In dieser Beziehung aber konnte der Umstand wesent- liche Erleichterung gewähren, dass die Assignation alle Vortheile des IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 311 censusfähigen Eigenthnms gewährte, wenn auch der nutzbare Besitz noch wie bisher in den Händen des früheren Anbauers blieb. Er konnte mindestens durch Anordnungen des Mensors oder durch pacht- ähnliche Abkommen so lange geschützt werden, bis der Fruchtstand die Umwandlung ohne Ungerechtigkeit gestattete. — Auch die Fortbildung dieser agrarrechtlich höchst merkwürdigen Eigenthumsverhältnisse, und die Art der Umgestaltung dieses ideal assignirten Besitzes in real begrenzten lassen sich übersehen. Der Vorgang ergiebt sich deutlich aus den Ausführungen Webers S. 71 ff. über die Controversia de modo und de loco. Die Controversia de modo war der schon gedachte Streit über den richtigen Besitz der nach der Forma einem Betheiligten in der Centurie zustehenden jugera. Die Klage konnte, wenn begründet, im Prozesswege nur durch Geldentschädigung zum Austrage gebracht werden, weil es kein Exekutivverfahren auf Rückgabe gab. Die Controversia de loco dagegen war auf die Anerkennung des Besitzrechtes innerhalb be- stimmter Grundstücksgrenzen gerichtet. Ein solcher Schutz ' des that- sächlichen Besitzes lag eigentlich ausserhalb des Prozessrechtes, stand aber dem Könige und Jedem zu, der Polizeigewalt hatte. Er wird deshalb auch im Sinne der Ordnung und des Friedens von jeher und viel früher geübt worden sein, ehe sich ein Praetor innerhalb der Jurisdiktion entschloss, durch Interdikt zu erklären, gegen welche Störungen er die Besitzer schützen und seiner Entscheidung im Be- weisverfahren Nachdruck geben werde. Zur Zeit des 12 -Tafelgesetzes muss man aber schon die Unnah- barkeit des Zustandes empfunden haben, der nur die Controversia de modo gestattete. Denn das Gesetz selbst führte für den quiritarischen Grundbesitz die Usucapio ein. Ursprünglich galt sie dann, wenn der Eigenthümer, ohne mancipirt zu haben, seinen Acker veräussert und tradirt hatte. Sie trat ein, wenn der Besitz auf Grund dieses justus titulus 2 Jahre gedauert hatte. Auf dem ager romanus sollte sie also nur die Mancipation vertreten. Später wurde sie hier wie auf bonitarischem Eigenthum auch gegen den Eigenthümer, der nicht tradirt hatte, gewährt. In jedem Falle aber hatte sie die Wirkung, dass das usucapirte Land bei der controversia de modo in sofern unbetheiligt blieb, als es zum modus dessen gerechnet wurde, aus dessen Antheil die Usucapion stattgefunden hatte. Es war dies, wie Weber (S. 85 u. 86) bemerkt, die Behandlung des o. S. 109 gedachten Stuflandes bei dem nordischen Reebnings verfahren. Es ist aber klar, dass wenn dieser Usucapionsbesitz seiner gesicherten Abgrenzung 312 rV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. wegen sich weiter verbreitete, er die Controversia de modo schliess- lich unanwendbar machen musste. Dass dies geschah, sagt Hygin (Lachm. 130) ausdrücklich: Constabit tarnen rem magis esse juris, quam nostri operis, quoniam saepe usucapiuntur loca, quae in biennio possessa fuerint. Obwohl, wie Weber S. 79 zeigt, die Contro- versia de modo im alten Sinne bis in das justinianische Recht in Erinnerung blieb, war sie praktisch doch antiquirt und fiel mit der de loco zusammen. Die alten idealen Antheile der den deutschen Hufen entsprechenden Fundi der Gentilen sind also, wie jene, früher oder später zu festabgegrenzten Grundstückskomplexen geworden, und die Reste alter gemeinsamer Weide- und Waldgrundstücke kamen als Com- pascua oder relicta und extraclusa in Privatbesitz oder in das gemein- saipe Eigenthum einiger Anliegenden. Im Allgemeinen machten Theilungen und Aufkäufe, vor allem aber die Verarmung und Hörigkeit der Einen und der Reichthum und ausgedehnte Landbesitz der Anderen die Erhaltung der alten Fundi als Familienstammgut zur Zufälligkeit und Liebhaberei. — Dieser schon aus den anfänglichen Zuständen herzuleitende Ent- wicklungsgang des vollberechtigten Grundeigentums darf für den überwiegenden Theil des alten Gentilbesitzes im ager romanus gelten. Mit Grund aber lässt sich fragen, ob die nur antheilsweise Assig- nation zwischen der Kreuzung der Decumanen und Kardines die einzige ursprüngliche Form des quiritarischen Grundeigenthumes war. Die Beantwortung dieser Frage ist dadurch erschwert, dass politische Vorgänge den Grundgedanken der Assignation durchbrachen. Schon die lex agraria von 111 v. Chr.1) verwandelte die von der lex Thoria in Erbpacht umgeschaffenen Okkupationen im gesammten ager publicus in volles römisches Privateigenthum. Wenige Jahrzehnte später aber erhielten nach dem Bundesgenossenkriege alle bisher zu latinischem Rechte lebenden Kolonien und Municipien das volle römische Bürgerrecht und wurden in eine der 35 Tribus eingeschrieben. Dadurch erlangten auch ihre Grundstücke den Charakter des wahren römischen Privateigenthums. Keine dieser beiden Entstehungsarten desselben setzte indess Limitation und Assignation voraus, oder lässt ähnliche Formen denken. Es scheint vielmehr, dass der Mangel der Limitation den Triumvirn als eine Berechtigung erschien, ihre Veteranen in vielen dieser Stadtfluren anzusetzen. Denn, wenn für den römischen Grundbesitz die Assignation gefordert war, und die- ') Mommsen, Corp. Inscr. Lat. Vol. I, p. 175—200. IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 313 selbe mit ihrem Verkoppelungsverfahren , mit Wegeanlagen und ge- schlossenen Besitzungen, als ein öffentlich rechtlicher wie privat - wirthschaftlicher Vortheil galt, konnten diese Fluren nunmehr als römische der amtlichen Messung und Umlegung unterworfen werden. Dabei aber war ein solcher Ueberschuss an Fläche durch die Auf- teilung der Gemeindeländereien vorauszusehen, dass daraus ein Anspruch auf die Einführung von Kolonisten hergeleitet worden sein kann. Waren diese Schenkungen aber auch lediglich Gewaltthat, so können die Kolonen doch nicht ohne gewisse Umgestaltungen der alten Lage der städtischen Grundstücke angesetzt worden sein. Es lassen sich deshalb die Angaben des Liber coloniarum für die früheren Verhältnisse nicht ohne Weiteres verwenden, und auch für die Unter- scheidungen des Frontin ist zu berücksichtigen, dass er eine Trennung des quiritarischen und latinischen Bodens nicht mehr kennt. Gleichwohl ist soviel klar, dass Frontin nur von wirklich assig- nirtem Lande spricht, also von solchem, welches unter allen Um- ständen, mochte es auf römischem oder latinischem Boden liegen, durch die Assignation die Eigenschaften des quiritarischen Eigenthums erhalten hatte. Bestanden also auf alten latinischen Stadtfluren die Grundbesitzungen, obwohl sie römisches Eigenthum wurden, ohne Assignation in alter Lage fort, so bleibt uns ihre Besitzein theilung nach wie vor unbekannt. Fluren in solcher alter herkömmlicher Verfassung sind die o. S. 301 angeführten Städte Marsus (?), Sentis, Salvia und Tolentinum, über welche der Liber coloniarum ausdrück- lich bemerkt, dass sie ihre alten erblichen Besitzungen behalten haben, und dass lediglich limites durch deren Aecker gezogen wurden. Solche Wegeanlagen waren, nachdem die Ländereien zu römischem Eigenthum geworden, auch ohne Assignation möglich und zweck- mässig und konnten im« öffentlichen Interesse erzwungen werden. Es war dabei auch eine Ausgleichung des abgetretenen Landes und ein Austausch der Absplisse der durchschnittenen Besitzstücke nicht ausgeschlossen, wie ihn die moderne Landeskulturgesetzgebung als die sogenannte Gewannregulirung1) kennt, und wie er den rö- mischen Feldmessern und Landbauern ebenso nahe liegen und ver- ständlich sein musste als den heutigen. Wo aber die Assignation ausdrücklich bekundet wird, muss sie nach Frontins Unterscheidung entweder zwischen limites geschehen sein, ') G. Schünberg, Handbuch der politischen Oekonomie, 3. Aufl., Tübingen 1891, Bd. II, S. 181. 314 IV- 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. wobei eine reale Begrenzung der Besitzungen nicht erforderlich war, sondern nur ihre Feststellung nach dem modus; oder es musste eine Abgrenzung und Kartirung der einzelnen Besitzungen nach den rigores der Nachbarn, und zwar in der Form von strigae, scamna, oder wie o. S. 296 gezeigt, lacineae, praecisurae, tetragona oder jugera stattgefunden haben. In beiden Fällen durfte die continuitas agri, der geschlossene Plan, der Regel nach nur aus besonderen Gründen, wie bei den casae, unterbrochen sein. Limites dagegen werden zwar nicht selten gezogen worden sein, waren aber, wie es scheint, nicht unerlässliche Bedingung. Denn die Anlage von limites wird für einige Fluren ausdrücklich angeführt, für andere nicht, sie galten also nicht als selbstverständlich. Jeden- falls schlössen sich diese limites nach Frontins Beispielen nicht nothwendig zu einem strengen Coordinatensysteme zusammen. Jedoch ist auch solcher quadratischer Abschluss bei der assignatio inter rigores nicht ausgeschlossen. Es ist vielmehr zu beachten, dass eine Gestalt der einzelnen Besitzstücke, welche nicht theilweis einer der erwähnten Formen der assignatio inter rigores entsprochen hätte, auch bei der assignatio inter decumanos et kardines in späterer Zeit kaum vorkommen konnte. Als Gegensatz von strigae, scamna oder noch unregelmässigeren Figuren lassen sich nur strenge Quadrate denken, wie dies Hygins Vorschläge o. S. 294 unwiderleglich er- weisen. Aber solche strenge Quadrate konnten nur entstehen, wenn die Centurie von 200 jugera ohne alle loca extraclusa in 100 X 2 jugera, zu je 4 Quadratactus , in 25X8 jug. , in 20X1272 jug., oder in 4X^0 jugera1) zerfallen durfte. Bei allen anderen Theilungen blieb eine Anzahl strigae oder scamna oder sonstige Figuren unvermeidlich. Es war weder eine Theilung in 7 jugera, noch die sehr häufige in Drittheile zu 662/s jugera in quadratischen Formen möglich. Ausser den ältesten Ueberweisungen von je 2 jugera musste sich also im Wesentlichen immer eine der von Frontin unter stri- gatio oder scamnatio zusammengefassten Eintheilungen auch inner- halb der limitirten Centimen ergeben, sobald in ihnen statt der idealen Theilung nach modus die reale Abgrenzung der Besitzstücke durch- geführt wurde. Dass nun solche reale Assignationen unter Begrenzung der Be- sitzungen durch die rigores mindestens seit der Zeit der Triumvirn ') Bei nicht quadratischen Centurien war diese Möglichkeit noch beschränkter, z. B. 20 actus lang 24 breit, oder 240 jugera, erlaubt als Quadrate nur 120 X 2 und 30 X 8 jugera. IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 315 oft gemacht worden sind, beweist der Liber coloniarum mit Sicher- heit. Es ergiebt sich auch aus Hygin (o. S. 294), dass diese spezielle Vermessung, Versteinung und Verzeichnung nach rigores, namentlich die derartige Neumessung in strigae und scamna, da vorgenommen wurde und vorgenommen werden musste, wo dem Grundstücke selbst vectigal, d. h. eine als Naturalzehnt zu erhebende Grundsteuer auf- gelegt wurde, wie z. B. dem ager privatus vectigalis in den Provinzen. Damit war also keine Assignation römischen Eigenthums verknüpft, weil das Provinzialland wenigstens noch zu Hygins Zeit diese Eigen- schaft nur erhielt, wenn ihm ausnahmsweise das jus italicum ver- liehen wurde. Andrerseits bestand auch nicht überall Grundsteuer- pflicht, wo in strigae oder scamna aufgetheilt war, denn es müssten dann alle die unzweifelhaften Militärkolonien grundsteuerpflichtig ge- wesen sein, welche wie Bovianum, Afidenum, Anagnia in strigae oder scamna (o. S. 294, Anm. 4 — 8) oder wie Laurum Lavinia, Formias, Interamna, Atina, Aricia, Signia, Terebentum in lacineae und ver- wandten Formen (o. S. 293 u. 295 in Anm.) assignirt worden waren, während wir vectigal bei Militärkolonien nur in den Provinzen kennen. Wenn es sich aber fragt, ob eine solche Assignation zwischen rigores auch schon in älterer Zeit vor den gracchischen Gesetzen in der Weise zulässig war, dass sie quiritarisches Eigenthum gab, so ist dafür das Beispiel der 12 latinischen Städte belehrend, welche nach Livius (29 c. 15) im Jahre 204 v. Chr. wegen ihres Abfalles mit Stipendium und einem besonderen Census durch römische Censoren bestraft wurden. Es sind Nepete, Sutrio, Ardea, Calibus, Alba, Carseolis, Sora, Suessa, Setia, Circeiis, Narnia und Interamna. Ihnen wird auferlegt: Stipendium in millia aeris asses singulos imperari exigique quotannis; censumque in iis coloniis agi ex formula ab Romanis censoribus data, dari autem placere eandem, quam populo Romano, deferrique Romam ab juratis censoribus coloniarum, prius- quam magistratu abirent. Dadurch wird bestätigt, dass eine spezielle römische Grundbesteuerung, welche eine strigatio des Kolonialbodens hätte erforderlich erscheinen lassen können, in den latinischen Ko- lonien nicht bestand, wie dies schon die Konsequenz ihrer Stellung als foederati fordert. Die Beantwortung der Frage, ob die assignatio inter rigores schon in früher Zeit neben der inter limites geübt wurde, kann also nur auf dem alten ager romanus geschichtliche Anhaltspunkte finden. Dazu bieten sich die Angaben über Ostia und Antium dar. Zwar wissen wir nicht, wann die Assignation der Ländereien von Ostia erfolgt ist. Aber Ostia 316 IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. war auf dem alten ager romanus gegründet. Sein Boden war als solcher steuerfrei, die Stadt auch nur mit römischen Bürgern besetzt, und der Liber coloniarum (Lachm. 236) sagt über deren Flur: Ostensis ager ab impp. Vespasiano, Trajano et Hadriano in praeci- suris, in lacineis et per strigas colonis eorum est assignatus. Dass aber vorher die römischen Bürger der Stadt seit den Tarquiniern bis zum Bürgerkriege quiritarisches Grundeigentum entbehrt hätten, ist ebenso wenig anzunehmen, als dass die genannten Kaiser die alte Eintheilung verändert und ihre Kolonen in unregelmässige Grund- stücke eingewiesen hätten, wenn vorher bereits eine regelmässige Cen- turiateintheilung zwischen Decumanen und Kardines bestand. Man darf also in den praecisurae, lacineae und strigae den alten hergebrachten Besitzstand sehen. In dem 310 v. Chr. kolonisirten Antium ist dies ganz sicher, denn seine Bürger, auch die früheren, wurden für römische Bürger erklärt. Es wurde, wie Ostia, gewissermassen Vor- stadt von Rom, sein ager galt als ager romanus, es ist nie eine weitere Kolonie hingeführt worden, und keinerlei Veränderung be- kannt. Der Liber coloniarum besagt auch nur: populus deduxit, ager ejus (Antii) in lacineis est assignatus. Es sind nun allerdings die Bürger von Ostia und Antium nach Livius (27, 28 und 36, 3) zwar nicht vom Seedienst, aber vom Kriegsdienst frei, wenn der Feind in Italien steht, und haben dann die Pflicht, nicht länger als einen Monat ausserhalb ihrer Mauern die Nacht zuzubringen. Diese Pflicht war aber eine allgemeine der Kolonialstädte. Dagegen be- standen in Ostia in späterer Zeit eine Anzahl collegia, welche mit der annona, der Getreide Versorgung Roms, zusammenhingen. Indess waren die anderen Getreidehäfen neben Ostia, Puteoli und Turris Libisonis.1) Für Antium ist nichts von dieser letzteren Pflicht be- kannt. Man müsste, was wenigstens für Antium ausgeschlossen scheint, diese Verhältnisse als eine der Grundsteuer ähnliche, auf den ein- zelnen Grundstücken haftende dingliche Verpflichtung ansehen, wenn man nicht gelten lassen wollte, dass in Ostia und Antium echter steuerfreier ager romanus in lacineis assignirt worden sei. — Es wird aber auch einer strengen urkundlichen Beweisführung nicht bedürfen, denn es liegen hinreichende praktische Gründe vor, welche eine Abgrenzung des Einzelbesitzes auch auf altem steuerfreiem Boden als erklärlich, ja unvermeidlich erweisen. ') Puteoli und Turris Libisonis waren, wie es scheint, deshalb in städtische Tribus eingeschrieben, für Ostia ist streitig, ob es nicht in die Tribus rustica Voturia gehörte. Die grosse Mehrzahl der Inschriften scheint es aber in die Palatina zu weisen. IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 317 Entscheidend ist dafür vor allem das Terrain. Dass die Limites überall thatsächlich als Wege, nicht bloss als Messnngslinien durch das assignirte Land gezogen worden sind, ist o. S. 289 erörtert worden. Auch wenn sie nicht öffentliche Wege waren, waren sie doch subrun- civi, gerodete und freigelegte, welche mindestens den Vicini des ge- sammten Saltus für alle An- und Abfuhr offen stehen mussten. Diese Fahrbarkeit war aber bei einem quadratischen Netz von regelmässig 2400 Fuss Abstand nur unter günstigen Verhältnissen zu ermög- lichen. Allerdings Hessen sich Centuriensysteme in verschiedener Richtung nebeneinander legen. Dies aber setzte stets die Einrich- tung einer praefectura, einer besonderen Gemeindeorganisation mit einem besonderen Beamten, voraus (Weber a. a. 0. S. 58), weil die Pertica, das einzelne Centuriensystem , auch in ihren Kommunal- lasten, ihrer Polizeiverwaltung, ihrem Wege- und Wasserbau, sowie den sordida munera, den Dienstleistungen für den Staat, an die idealen Antheile innerhalb ihrer Limites gebunden war, und über- dies eine sakrale , um ihren umbilicus gruppirte Genossenschaft bildete. Da für jede Pertica also dieser Verhältnisse wegen eine grössere Ausdehnung in Aussicht zu nehmen war, müssen unebene und von Wasserläufen durchschnittene Oertlichkeiten für eine solche Anlage ganz ungeeignet gewesen sein. Wie wollte man fahrbare Limites in regelmässigen Abständen ziehen, wo steile Abhänge, Felsen, Ein- schnitte, reissende und wechselnde Bäche, oder Sümpfe und Ueber- schwemmungsflächen die graden Linien auf kürzere oder längere Strecken durchschnitten. Statt grosser, mühevoller und schwer zu unterhaltender Bauten zog man da unter allen Umständen, wenn die Assignation nicht ganz unterbleiben sollte, eine andere Art ihrer Durchführung vor. Der Bericht über Sutrium (o. S. 294, Anm. 9) spricht dies ganz ausdrücklich aus. Musste man sich wegen der Fahrbarkeit der Limites entschliessen , die regelmässigen Quadrate oder Oblongen zu verlassen, und die Wege im Bogen, oder so zu führen, dass sie keine rechteckige Figur abschlössen, so war auch die Assignation nach dem blossen Modus unmöglich. Wenn also die Bürger nicht die Vortheile des quiritarischen Eigenthums für Census und Mancipation aufgeben wollten, mussten die Besitzstücke im Einzelnen abgegrenzt, gemessen und verzeichnet werden. Es giebt aber auch andere weniger zwingende, aber gewiss nicht selten bestimmende Zweckmässigkeitsgründe für die assignatio inter rigores. Warum sollen nicht in manchen Fällen alle Bethei- ligten vorgezogen haben, statt der unbestimmten Assignation die 318 IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. Grenzen ein für allemal festzusetzen? Den Feldmessern muss durch- aus nicht immer leicht geworden sein, den Modus innerhalb einer Centurie so zu ermitteln, dass er wirklich nach Fläche und Werth ihrer Ueberzeugung hinreichend entsprach und die Berechtigten be- friedigen konnte. Wenn ihnen aber eine gerechte Auseinandersetzung gelungen war, lag als das Beste nahe, sie dauernd zu fixiren. Auch pflegen dies die Betheiligten nicht mit Unrecht zur Bedingung ihrer Einigung zu machen. Der vorschwebende Zweck konnte also unter Umständen durch feste Abgrenzung viel sicherer, als durch die allge- meinen Maassangaben erreicht werden. Auch der Einfiuss der Theilungen kommt in Frage. Wenn auf einer Anzahl Fundi das in Besitz genommene Kulturland schon rechtlich oder faktisch zersplittert war, und dasselbe, wie dies o. S. 264 be- gründet ist, auf den kleinen Theilstücken eben deshalb bereits in inten- siverem, speziell auf die Lebensweise und den Erwerb der Familien be- rechnetem Anbau stand, musste die Aussicht des Einzelnen mit wenigen jugera in die allgemeine Masse einer Centurie eingeworfen zu werden, und dieselben bei Grenzverwirrungen oder eintretenden Uebergriffen der Mächtigeren irgendwo, nur nach dem gleichen Maasse oder dem üblichen Durchschnittswerth ersetzt zu erhalten, ohne Frage ernstem und begründetem Widerstände begegnen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in solchen Fällen, oder auch überhaupt häufiger bei der Assignation in praecisuris, lacineis oder jugeris, auf die conti nuitas agri ver- zichtet wurde. Aber es konnte schon die feste Sicherung wenigstens des hauptsächlichsten Besitzstückes unter Austausch des angrenzenden Ackers nach bestimmt zu beurtheilenden Werthsverhältnissen, sowie die Beschaffung voller Zugänglichkeit viel leichter Bereitwilligkeit, oder, der Autorität der Mensoren gegenüber, wenigstens streitfreie Füg- samkeit finden. Da die Messung überall mit dem Groma geschah, mussten die ausgeglichenen Besitzstücke, die dem bisherigen Besitz- stande angepasst werden sollten, abgesehen von den unvermeidlichen Subseciven, zwar in verschiedenen Längen und Breiten, aber doch in rechtwinkligen Oblongen, je nachdem sie lagen, nebeneinander zur Abgrenzung kommen. Es entstand dadurch also genau die Gestalt und Lage der Grundstücke, welche Frontin in seiner Figur 41 (o. S. 288) angiebt und als strigae und scamna bezeichnet. Bei der Anwendung von Tetragona und Jugera konnte eine mehr quadratische aus einzelnen Quadratactus zusammengestellte Form der Grundstücke erreicht werden. Dass es aber auch thunlich gewesen ist, die Besitz- stücke in erheblich unregelmässigeren, nicht quadratischen Gestalten IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 319 abzugrenzen und zu assigniren, erweist die o. S. 297 wiedergegebene Forma in Fig. 43, welche Frontin als Verdeutlichung der Contra- versia de proprietate in Bezug nimmt. Da sie weder in der Gestalt der strigae oder scamna, noch der tetragona oder quadratischer jugera gezeichnet ist, kann man in ihren unregelmässigen Grundstücksformen nur das Bild einer Assignation in lacineae oder praecisurae sehen. — Fragt man schliesslich, ob die verschiedenen Arten der römischen Grundeintheilung der Besiedelung einen bestimmten, dauernd er- kennbaren Charakter zu geben vermochten, so lässt sich dies weder von der Abgrenzung der einzelnen Besitzungen, noch von den Wohnstätten sagen, denn die Dörfer lösten sich durch die schon in der Assignation begründete völlige Umgestaltung der Besitzverhältnisse und in der späteren Zeit durch die Municipalverfassung mehr und mehr auf. Die Hauptmasse der Bevölkerung lebte in den ummauerten Städten, und die landwirtschaftlichen Gehöfte ausserhalb der Mauern waren vereinzelt auf den zugehörigen Landbesitz abgebaut worden. Dagegen können von den alten römischen Anlagen in dem Ver- lauf der Wege deutliche Spuren übrig geblieben sein. Die quadra- tisch und oblong assignirten Centurien und alle im Sinne Hygins ähnlich aufgeteilten Besitzstücke im ager vectigalis müssen grosse Strecken des anbaufähigen Landes mit ihrem dem Auge sofort er- kennbaren Wegenetze bedeckt haben. Man kann allerdings nicht behaupten, dass diese rechtwinkligen Wegekreuzungen für die Bewirtschaftung und für den Verkehr wirklich zweckmässig gewesen seien. Sie waren nur durch das Groma und die Art der Berechnung und Zuweisung gegeben. Praktisch war die Hypothenuse stets ein kürzerer Weg als die beiden Katheten. Es wäre also erklärlich, wenn diese Wegeverbindungen in späterer Zeit gegenüber natürlicheren verschwunden wären. Ohne den Fort- bestand der o. S. 289 geschilderten Rechte an den ausgelegten viae publicae und vicinales war die Erhaltung derselben jedenfalls zu- fällig. Auch kann das Wegenetz, wenn sich die Besitzungen ver- grösserten, unnütz und, wie Weber (65 u. 110) für Gravisca (Lachm. 220) uud für Praeneste (Gellius 16, 13) schon aus der Zeit des Tiberius vermuthet, durch seinen öffentlichen Charakter unbequem geworden sein. Aber dass sich auch bei völliger Zerstörung immer noch bis zur Gegenwart weitgehende Spuren durch Lokalforschung feststellen lassen müssen, ist nicht zu bezweifeln. Namentlich würden sie sich sicher in den Benennungen der Wege, Flurstücke und Gehöfte finden. Wenn auch mehr oder weniger von der Volkssprache umgestaltet, 320 IV- 4. Die römischen Landmessimgen und Feldeintheilungen. werden die Erinnerungen an die zahlreichen technischen Bezeichnungen auf keiner Limitation in den örtlichen Namen völlig verwischt sein. Es sind aber auch die alten Wegenetze selbst gewiss noch häufig in deutlichen Resten erhalten und auf den topographischen Karten erkennbar. Ein Beispiel davon giebt die in Anlage 29 mitgetheilte Karte der Umgebung von Capua. Hier besteht die von Caesar (nach Sueton D. Jul. 20) 59 v. Chr. in sehr gewaltsamer Weise an 20 000 Bür- ger, welche 3 oder mehr Kinder hatten, durchgeführte Viritan- assignation des ager Stellatis und eines grossen Theils Campaniens in dem quadratischen Wegenetze eines Bruchstückes von mindestens 25 Centimen bis zur Gegenwart. Nach der Karte berechnet sich jede derselben zu 50,6 ha. Es ist sehr wohl möglich, dass sogar die auf der Zeichnung wiedergegebenen Weinbergsmauern und Zäune, welche die Untertheile der Centurien scheiden, vielfach noch auf den alten Grenzen der Viritanantheile stehen. Ein anderes Beispiel ist Anlage 30, welche das Bild der Commune von Villanova di Cam- posampiero bei Padua nach dem Zustande von 1870 wiedergiebt. Auch hier liegt noch heut das alte Wegenetz für 23,5 Centurien zu anscheinend je 49,1 ha. Die Messung ist, wie auch die der Assignation um Capua, ziemlich genau, weil 200 jugera 50,38 ha enthalten. Es handelt sich also wirklich um limitirte und assignirte, in Centurien zu 200 jugera aufgemessene Grundstücke. Aehnliche Reste assig- nirter Wegekreuzungen zeigen sich auf den italienischen, im Maass- stabe von 1 : 100000 aufgenommenen Generalstabskarten der Poebene, wie es scheint, ziemlich häufig, nur sind hier die zahlreichen und weit- verbreiteten Reisfelder und ähnlich bewässerte Aecker meist in qua- dratischer Form angelegt, so dass ohne nähere Untersuchung nicht auf Centurien geschlossen werden darf. Für Mittelitalien fehlen die Karten noch. Unteritalien ist völlig kartirt, seine Strassenanlagen lassen sich aber ausser in Campanien nur an wenigen Punkten, wie um Taranto, Bari und Chieti an der Küste, und um Sepino, Venafro und Pontecorvo im Innern, auf alte Assignationen deuten. Indess erscheinen solche Wegereste auf den topographischen Karten selbst bei dem kleinen Maassstabe von 1:333 333 wenig- stens noch soweit in Spuren, dass örtliche Untersuchungen Aussicht auf Erfolg versprechen. Dies ergiebt Fig. 46. Sie ist der in der Annali di statistica Ser. IV Heft 37 (Rom 1890) gebrauchten Karte der Provinz Padua entnommen. Die in derselben enthaltenen Wege sind in einfachen oder Doppelstrichen wiedergegeben, dagegen die in Anlage 30 und die in der topographischen Karte der Provinz IV. 4. Die römischen Landmessungen und Feldeintheilungen. 321 Padua von Morelli (1882) im Maassstabe von 1:50000 enthaltenen Feld- und Fusswege punktirt eingetragen. Die Vergleichung bestätigt deutlich, dass die auffallenden Wegekreuzungen, Parallelstrassen und Zickzackwege der kleinen Karte, in der That die zum Theil sehr gut erhaltenen Reste dreier Perticae sind, welche anscheinend bei St. Fig. 46. Römisches Wegenetz bei Padua 1882. Giorgio delle Pertiche, Piombino Dese und Cittadella ihre Mittel- punkte hatten. Solche erkennbare Reste altrömischer Anlagen in Italien müssen entsprechend auch für die Frage bestimmend sein, welchen Einfluss die römischen Landmessungen und Flureintheilungen auf die volks- tümlich keltische Besiedelung der Provinzen nördlich der Alpen gehabt haben. Meitzen, Siedelung etc. I. 21 322 IV« 5. Verwaltung, Venverthung und Besteuerung 5. Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung der nördlichen Provinzen. Wie die Municipien Italiens dem römischen Staatskörper nur angegliedert waren und fremdartige Aussentheile blieben, welchen noch Caesars lex municipalis ihre selbstständigen Eigentümlichkeiten in Verfassung, Recht, Polizei und sakralem Dienste sicherte, trat Rom auch nur sehr äusserlich die Herrschaft in den Provinzen an. Das römische Staatswesen langte, wie Guizot bemerkt, für decentralisirte Völkermassen nicht aus. Die gewissermassen vormundschaftliche Art der Verwaltung wurde dadurch erleichtert, dass in allen Staaten- gebilden des Alterthums entweder überhaupt nur selbstständige Gau- gemeinden in Frage kamen, oder diese kleineren Verbände in grösseren Staaten nur sehr schwach mit der oberen Leitung verknüpft waren. Sie erfüllten gegen ihre Herrscher bürgerliche Pflichten, unter Umständen selbst sehr schwere und ungeregelte Leistungen, waren im Uebrigen aber autonom und bedurften der Regierung kaum weiter, als der Schutz des Friedens bedingte. An Stelle dieser Herrscher trat der römische Staat, vertreten durch eine überraschend kleine Zahl von Beamten. Die lex Julia de provineiis vom Jahre 63 v. Chr. stellte genau die Leistungen fest, zu welchen die Provinzialen dem Statt- halter gegenüber verpflichtet waren. Wo römische Ansprüche in Frage kamen, sahen sich die Unterworfenen in ihren herkömmlichen Einrichtungen und Sitten rücksichtslos beschränkt, und den römischen Bürgern war voller Schutz ihrer heimischen Rechte und der Berufung nach Rom gesichert. Im Uebrigen aber blieb alles Herkömmliche möglichst unverändert. Es ist nun nicht zu verkennen, dass diesen Umständen gemäss unter der Republik, wie in der Kaiserzeit die römische Besitznahme der Provinzen politisch und wirthschaftlich nur einseitige Zwecke verfolgte und ihre Wirkungen sehr ungleich waren. Die Umge- staltungen, die sie in den Verhältnissen herbeiführte, können gleich- wohl leicht unterschätzt werden. Es kann so erscheinen, als ob die administrative und militärische Organisation, welche die beherrschten Gebiete überzog, das bürgerliche Leben wenig berührt habe. In der That aber muss in ihr eine das gesammte Dasein der Völker in den Provinzen wesentlich ordnende und erleichternde Verbesserung der politischen und wirthschaftlichen Zustände erkannt werden. Alle Ansprüche und Exzesse der Legionare und alle Ungerechtigkeiten und Erpressungen der hohen und niederen Beamten können schwer- der nördlichen Provinzen. 323 lieh auch nur entfernt in Vergleich mit den Gräueln unausgesetzter Fehden und den wüsten Gewalttätigkeiten kommen, welche vorher unter den grossen und kleinen unruhigen und räuberischen Dynasten dieser Staatengebilde als natürlicher Zustand galten. Neben diesem wohlgeschützten Landfrieden musste eine weit verbesserte, die Verwerthung des Provinziallandes und der Provinzial- kräfte für den Staat ins Auge fassende Finanzwirthschaft fühlbar werden. Allerdings wurde der Steuerdruck bald ein sehr starker, obwohl zunächst ausgedehnte Ländereien direkt als Staatsgut zur Ver- wendung kommen konnten. Aber er beruhte nicht auf einem willkürlichen Raubsysteme. Von bekannten Missbräuchen abgesehen, muss die Steuerverwaltung der unterworfenen Gebiete eine bis in das Einzelnste durchgeführte, praktisch fungirende gewesen sein. Ungeordnete unerträgliche Massenkontributionen lassen sich zwar von einer Bevölkerung unter dem Zwange drohendster Gewaltthat zu Zeiten einmal beitreiben. Aber in der steten Folge der Jahre können einigermassen hohe Steuern ohne angemessen entwickelte Organisation nicht irgendwie regelmässig eingehen. Es ist auch möglich, dass sie sehr verschieden und ungleich vertheilt sind, und dass viele Beträge in den Händen der Erheber bleiben, und mancherlei Nebenlasten durch bezügliches Verfahren und Bestechung entstehen. Aber bei allen denkbaren liebeln und Mängeln der Ausführung können bei hoher Besteuerung systematische und spezielle Grundlagen für die Erhebung und damit eine vernünftige und die Wahrheit wenigstens erwägende Berücksichtigung der Steuerfähigkeit nicht entbehrt werden. Diese durchgebildete Steuerverfassung würde genügen, um die bei allen Gebrechen hohe Kultur und klare, sichere Arbeit der Beamten zu erweisen. Letztere schufen aber auch aus den erhobenen Mitteln für den Staat und zum allgemeinen Nutzen und Gebrauch ein bewunderungswürdiges Netz von Kommunikationslinien, von Strassen, Brücken und Kanälen. Sie richteten Botenverbindungen, Vorspann- stationen, Unterkunftstellen und Schiffergesellschaften ein. Ihr Ver- Avaltungs- und Sicherheitsdienst war seiner Sache so gewiss, dass es möglich wurde, die Truppen schon in kurzer Zeit aus ganzen Län- dern herauszuziehen und nur auf die von aussen bedrohten Punkte der fernsten Grenzen zu legen. Die Städte wurden bis in weit ab- gelegene Sitze der Regierung mit Prachtbauten ausgestattet, und man verstand in geschickter Weise Tempelbau, Tempeldienst und religiöse Feste mit der Gründung zuverlässiger politischer Genossenschaften zu verknüpfen. 21* 32 \ TV. 5. Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung Dieses vielfach eingeschränkte Lob mag nur für die ersten Jahr- hunderte gelten. Später hat privilegirtes, fruchtlos prassendes Streber- wesen die Provinzen mehr und mehr verödet. Aber lange Zeit hin- durch konnte nicht fehlen, dass die zweckmässige Vertheilung der Hülfsmittel und die konsequente Aufrechterhaltung der Ordnung allen Standes- und Erwerbsverhältnissen Sicherheit und bestimmte Richtung gab, und privatwirthschaftlichen Unternehmungen vortheilhafte Wege bahnte, namentlich aber dem Landbau in hohem Grade förderlich war. Alle diese günstigen Umstände sind den nördlichen Provinzen in besonderem Maasse zu Gute gekommen. Die Eroberung Galliens und der Länder jenseits der Alpen fällt so nahe mit der Entstehung des Kaiserreichs zusammen, dass die Einrichtung der Verwaltung dieser Provinzen sich ganz vorzugsweise der Einsicht und Sorgfalt der vorzüglichen Staatsmänner dieser Zeit zu erfreuen gehabt hat. Mommsen hat diese Organisation in seiner römischen Geschichte (Bd. V, S. 71) eingehend dargelegt. Während die Provinz Narbo schon in der gracchischen Zeit und Massilia seit 40 v. Chr. im Wesentlichen in die italische Municipal- verfassung gebracht worden waren, blieb das von Caesar unterworfene Gallien und Germanien bis zur Regierung des Octavian unter mili- tärischer Verwaltung, welche, trotz der Betheiligung der meisten Legionen an den Bürgerkriegen, das Land zu halten wusste. Agrippa schuf 38 und 37 einsichtsvoll Ordnung, und 27 v. Chr. brachte Augustus selbst Gallien in bürgerliche Verwaltung. Er nahm hier auch den ersten Census auf. Indess erwuchsen mancherlei Schwierig- keiten, welche Agrippa und der Kaiser, sogar in dem mehrjährigen Aufenthalt von 16 bis 13 v. Chr., nicht befriedigend beizulegen ver- mochten. Die Durchführung der Organisation und Besteuerung wurde nur allmählich durch die in die Hände des Drusus, Tiberius und Ger- manicus gelegten Statthalterschaften erreicht, nachdem schon die weiteren Pläne auf Gründung einer erheblich grösseren Provinz Ger- manien aufgegeben waren. Da Narbo, Massilia und das Gebiet der Allobroger mit Vienna, von den Cevennen und dem Lacus Lemanus bis zur See, bereits 22 v. Chr. dem Senate zur Verwaltung überlassen worden waren, wurde Lugdunum, welches erst 43 v. Chr. an wohlgewählter Stelle als Niederlassung der von den Allobrogen aus Vienna vertriebenen Italier gegründet worden war, zum Sitze der kaiserlichen Verwaltung ge- wählt, und von ihm aus eine nahezu fächerförmige Eintheilung des Landes in verhältnissmässig kleine Statthaltereien vorgenommen. Von der nördlichen Provinzen. 325 diesen umfasste Aqvtitanien alle iberischen Landestheile und einige keltische Gebiete von der Garonne bis in die Nähe des grossen Bogens, welchen der Lauf der Loire von den Cevennen aus beschreibt. Provincia Lugdunensis reichte nördlich dieser Grenze vom Rhonethal in der Umgebung von Lyon bis zum Plateau von Langres und von diesem nördlich der Seine bis zum Meere bei Dieppe. Belgica schloss ebenfalls das Plateau von Langres mit Bar aus, südlich Toul lief aber seine Nordgrenze zur Höhe der Südvogesen, deren Kette sie nach Norden durch das Saargebiet folgte, die Mosel auf der halben Entfernung zwischen Trier und dem Rhein schnitt und sich über die Eifel und die nördlichen Ardennen zur mittlen Sambre und der Scheidemündung wandte. Diese Provinzen hiessen die drei Gallien. Von ihren Ostgrenzen reichte Germanien bis über den Rhein hinaus. Wie weit sein Gebiet sich jenseits des Rheins ausdehnen sollte, wird durch die Unternehmungen des älteren Drusus zur mittlen Elbe und zur Eibmündung angedeutet. Genauer bestimmte es sich erst, als wenige Jahre nach Varus' Niederlage Tiberius den Thron bestieg und den Limes romanus als die Grenze des Weltreiches feststellte. Dieser wurde später nur über den Neckar unbedeutend vorgeschoben, auch nur noch in wenigen vorübergehenden Feldzügen überschritten. Der lange Grenzstreif aber am Ober- und Unterrhein erhielt von der Eifel aus durch die Linie des Vinxtbaches eine Scheidung in Ger- mania superior und inferior. Die Eroberung der Alpen, selbst der meisten südlich ausmündenden Thäler, und ebenso die des nördlich ausgebreiteten Rhätiens, Vinde- liciens und Noricums war ebenfalls erst ein Werk der Kaiserzeit. Augustus nahm 38 v. Chr. den von Caesar geplanten Angriff gegen Illyrien auf, avo bis dahin nur wenige vereinzelte römische Küstennieder- lassungen bestanden. Er eroberte Dalmatien und schob die römischen Besatzungen nach den Pannonischen Orten Emona und Siscia vor. Im Jahre 15 erreichte Drusus von der Etsch, Tiberius von Ligurien und Helvetien her durch die Alpenthäler den Bodensee. Nach wenigen Gefechten unterwarfen sich alle rhätischen Landschaften bis jenseits der Donau. In den Westalpen und Noricum hielten sich einige kleine Klientelfürsten. Bald aber stand Rhätien, Vindelicien und Noricum unter kaiserlichen Prokuratoren, und es genügten die ge- ringen Standlager zu Yindonissa und Poetovio, um die Ruhe der Provinzen gesichert erscheinen zu lassen. Auch der bedrohliche dal- matinische Aufstand der Jahre 6 und 7 n. Chr. hat an dieser Sach- lage nichts geändert. 326 IV- 6. Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung In diesem ausgedehnten Keltengebiete von Pannonien bis zum Britannischen Meere bildeten Noricum, Vindelicien und die beiden Germanien Grenzprovinzen mit militärischer Besatzung. In den o Gallien war Lugdunum die einzige Stadt mit römischem Bürger- recht und ständiger Garnison. Es erhielt auch die einzige Münz- stätte und wurde als Knotenpunkt des gallischen Strassennetzes Centralstelle des ganz Gallien umfassenden Grenzzolles. Obwohl nur der lugdunensische Statthalter hier seinen Sitz hatte, blieb es durch Jahrhunderte die anerkannte Hauptstadt Galliens und Germaniens. Das städtische Gebiet von Lyon war aber nur klein. Das weite Provinzialland zerfiel im Uebrigen in von den Römern abgegrenzte Civitates. Es waren dies nicht die alten Völkerschaften, deren Caesar etwa 37 angiebt. Auch nicht kleinere Ortsverbände, für welche Josephus (Bell. Judaic. II, 16. 4) 305 Gaue mit 1200 Städten zählt, sondern es waren Municipalverbände , welche von Tacitus (Annal. III, 44) auf 64, von Ptolemaeus ebenso, und zwar 17 für Aqui- tanien, 25 für Lugdunensis und 22 für Belgica, angegeben werden. Obwohl diese Civitates also erhebliche Gebiete umfassten, waren sie doch im Wesentlichen den italischen Municipien entsprechend or- ganisirt. Ihre Bürgerschaften schieden sich nach den alten S. 228 dargestellten Verhältnissen des keltischen Adels in vollberechtigte Herren und in Klienten von verschiedener Abhängigkeit. Sie wurden aber nach römischer Einrichtung durch Decurionensenate der Ange- sehendsten regiert, die ihre Magistrate wählten, und waren in ihren eigenen Angelegenheiten soweit selbstständig, als sie nicht gegen Anordnungen verstiessen, welche der römische Staat im öffentlichen Interesse zu treffen für gut fand. Zu letzteren gehörten zunächst die Privilegien und Exemtionen, die er für seine Beamten und Beauftragten aufstellte, die Berufung auf römisches Pvecht und römische Gerichtsbarkeit, welche jedem römischen Bürger zustand und das Eingreifen bei Kapitalstrafen und gewissen politischen Vorgängen. Ferner lagen die Militärangelegenheiten in der Hand der römischen Verwaltung. Es war Sache der Civitates, eine gewisse Anzahl von Rekruten zu stellen, und allen Hausbesitzern lag, soweit sie nöthig wurde, die Einquartierung der Truppen ob. Für die letztere galt, dass der Metator das Haus zu bezeichnen und den Namen des Auf- zunehmenden anzuschreiben hatte. Der Wirth eines Offiziers hatte seine Wohnung in zwei Hälften zu theilen, von denen der Offizier eine für sich wählte; für den gemeinen Soldaten aber theilte der Wirth in Drittheile, behielt eines und Hess den Hospes zwischen den der nördlichen Provinzen. 327 beiden andern wählen. Ausser kleinen Handreichungen war der Wirth zu Weiterem nicht verpflichtet. Die Verbote, Salgamum zu fordern und zu geben *), zeigen aber, dass Unterhalt oder Geschenke Sitte wurden. Mit der Militärlast berührten sich die sogenannten sordida oder ex- traordinaria munera, die im römischen Gebiete die Staatskasse be- schaffte. Sie bestanden aus Boten- und Fuhrengestellung, Brücken- und Wegebau, Errichtung und Unterhaltung der öffentlichen Gebäude und der Tempel und aus allerhand Frohndiensten für Beschaffung von Bau- und Brennmaterial, sowie für das Mahlen von Mehl und das Backen von Brot, sämmtlich im Wesentlichen für die Zwecke der Be- festigung und der Armeeunterhaltung.2) Sie sollten nur so weit gefordert werden, als ein öffentliches Bedürfniss dafür vorlag und stellten dem Gedanken nach Dienste dar, welche im Nothfall jeder Bürger dem Staate leisten muss. Für gewöhnlich hatte die Civitas für die geforderten Lasten zu sorgen und war in der Lage, sie in gerechter Weise zu vertheilen. Der wichtigste und eingreifendste Anspruch lag im Steuerwesen. Indess wurden die bereits erwähnten Grenzzölle wahrscheinlich nur den Kaufleuten fühlbar und leicht ertragen. Die von Augustus den gallischen Provinzen auferlegte Abgabe von jährlich 40 Millionen Sestertien (c. 9 Mill. M.) hatten dieselben anscheinend nach ihren eigenen Steuereinrichtungen unter sich aufzubringen. Es ist möglich, dass in der Art der Erhebung eine Veranlassung zu dem Aufstande der Gallier vom Jahre 21 n. Chr. lag, an welchem auch die Ger- manen theilnahmen. Tacitus (Annal. III, 40) schreibt denselben, der magnitudo aeris alieni, den Schuldverhältnissen, nicht der Be- steuerung zu. Die Höhe der letzteren konnte nicht drücken. Es war auch für die Möglichkeit einer Verständigung und Aus- gleichung gesorgt. Schon Augustus bestimmte für Gallien eine Ge- sammtvertretung aller Civitates. Zum Sitz dieses keltischen Landtages der drei Provinzen und der sich an denselben knüpfenden politischen und religiösen Institutionen, wurde, im Gegensatze zu dem feind- seligen Druidischen Antricum Carnutum, Lugdunum bestimmt. Hier weihte, ungefähr an der Stelle der heutigen Kathedrale von Lyon, am 1. August des Jahres 12 v. Chr. Drusus der Roma und dem Genius des Herrschers den Altar, an welchem jährlich am gleichen Tage diesen Göttern durch einen von den Vertretern sämmtlicher Civitates J) Cod. Theod. VII, 8 und 9. Cod. Just. XII, 41 und 42. 2) Cod. Theod. XI, 19 de extraordinariis sive sordidis muneribus. 328 IV. 5- Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung gewählten Priester der drei Gallien feierliche Opfer gebracht und Festspiele gehalten werden sollten. Die Landesvertretung hatte eine eigene Vermögensverwaltung mit selbst gewählten Beamten und be- Bass und gebrauchte das Recht der Beschwerdeführung über die in Gallien fungirenden Reichs- und Hausbeamten. Sie wirkte auch bei der Repartirung der Steuern mit, da diese für Gallien insgemein umgelegt wurden und die Schätzung durch Kommissare für die einzelnen Landschaften erfolgte.1) Obwohl der Kaiser in allen Provinzen ähnliche feierliche Ver- sammlungen mit dem Recht der Bitte und Beschwerde ins Leben gerufen hatte, entsprach doch die Verwaltung Germaniens, Rhätiens und Noricums der Galliens weder in Durchführung noch Gewicht. Auch waren die Civitates der beiden Germanien, mit alleiniger Aus- nahme der Ubier, in Lugdunum vertreten. Die Ubier, welche 38 v. Chr. von Agrippa über den Rhein in die Ebene von der Ahr bis zur Erft herübergenommen waren, opferten an einem eigenen Augustus- altar, welcher in der späteren Colonia Agrippina zu Köln errichtet war. Rhätien und Vindelicien waren von Augustus zu einem einzigen Verwaltungsbezirke vereinigt, und Noricum noch weit gegen Pannonien hin erweitert worden. Ein eigentlicher Centralpunkt wurde für Rhätien indess erst durch Hadrian geschaffen, indem er das römische Stadtrecht an Augusta Vindelicorum verlieh, wrelches bis dahin, trotz seiner Lage an der Hauptstrasse durch die Alpen zur oberen Donau, nur als Marktflecken galt. Noricum erhielt durch alte Handels- verbindungen, durch seine Bergwerke und die lebhaften Verkehrs- beziehungen über Aquileja und Emona in kurzer Zeit eine wesent- lich romanisirte Bevölkerung. Deshalb organisirte Claudius das gesammte norische Gebiet, selbst den nördlichen durch die Tauren- kette vom Donauthal getrennten Theil, nach italischer Gemeinde- verfassung. Im Allgemeinen aber änderten diese, sowie manche später ein- getretenen Verschiedenheiten wenig an der bürgerlichen Lage der Provinzialen in den römischen Gebieten nördlich der Alpen. Sowohl die Civitates wie die Municipia wurden der Hauptsache nach in ihren aus vorrömischer Zeit hergebrachten inneren Einrichtungen, in der gewohnten Verwaltung ihrer communalen Angelegenheiten, in ihren Familien-, Staats- und Privatrechten und Gewohnheiten, vor Allem aber in ihrem Eigenthum und Besitz an Grund und Boden ') Mommsen, Rom. Gesch. V, S. 85. der nördlichen Provinzen. 329 und in der Art der Bewirthschaftung desselben, ungestört in selbst- ständiger Verfügung belassen. — Diese Milde in der Behandlung des Grundbesitzes verzichtete nicht völlig auf den Vorbehalt, wenn es zweckmässig schien, auch tief in die Besitzverhältnisse der Gemeinden einzugreifen. Aber dem in vorrömischer Zeit meist geübten harten Kriegsrechte gegenüber beruhte es auf dem Bewusstsein dieser Schonung, dass keinerlei Schwierigkeiten aus der Beschlagnahme des öffentlichen und des noch nicht okkupirten Landes als Staatseigenthum, und aus der Verpachtung oder Verleihung dieser Ländereien an Römer oder an Einheimische oder Fremde, namentlich an übersiedelnde germanische Volksstämme, entstanden. Einzelne Strecken, insbesondere Ländereien jenseits des Niederrheins, mussten gänzlich geräumt werden. Dieses Staatsland vermehrte sich durch Konfiskationen herrenlos gewordener oder als Strafe verfallener Güter Einzelner und Gebiete ganzer Ortschaften und Gemeinden. Alle diese fiskalischen Grundstücke standen zur Ansetzung von Veteranenkolonien offen. Auch trug man niemals Bedenken, für solche Anlagen in das Gebiet geeigneter grösserer Orte einzugreifen. Indess finden sich in den nördlichen Provinzen nur wenige Kolonien erwähnt. Abgesehen von der Provincia Narbonensis werden in Gallien nur Lugdunum, Augusta Rauracorum (Äugst), Basilea (Basel), Aven- ticum (Avanches), Augusta Trevirorum (Trier) und C. Morinorum (Teruanne) genannt; bei den Belgae: Lugdunum Batavorum (Leyden); in England: Camalodunum (Maldon) und Eboracum (York); in Ger- mania: Bonna (Bonn), C. Trajana (Xanten), C. Agrippina (Köln) ; in Rhätien: Constantia (Constanz), Augusta Vindelicorum (Augsburg), Augusta Tiberia (Regensburg); in Noricum: Juvavia (Salzburg), Lau- riacum (Lorch), Ovilia (Welz), Celeja (Cilli) und Solva (Solfeld); in Pannonien : Emona (Laibach) und Sabaria (Stein am Anger). Doch ist auch bei diesen unsicher, ob sie, wie es von den Kaisern häufig ge- schah, nur den Namen und die Rechte der Kolonie erhielten, oder ob ihnen Veteranen zugeführt wurden. Indess dürften in beiden Fällen die Grundstücke zwischen Limites in der Weise der Militär- kolonien assignirt worden sein.1) Wie es scheint, sind aber solche formal geregelte Anlagen im Laufe der Zeit immer seltener erfolgt. Die letzte bekannte wurde von Gallienus 265 in Verona auf Tra- janischer Grundlage ausgeführt. Dass die Veteranen in manchen l) Weber a. a. O. S. 35. 330 rV- 5- Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung Fällen nur Geld und eine Ausstattung an Saatgetreide und Zugvieh erhielten und ihnen die Erlaubniss ertheilt wurde, sich anzusiedeln, wo sie unbesetztes Land (terrae vacantes) finden konnten, ist durch die Verordnungen im Codex Theodosianus aus den Jahren 320 und 364 (Lib. VII, Tit. 20, 3 u. 8) ausdrücklich bezeugt. Solche agri occu- patorii konnten sie dann in beliebiger unregelmässiger Gestalt und ohne Zuziehung von Agrimensoren in Besitz nehmen. Dies scheint auch schon zur Zeit des Siculus Flaccus, der um 100 n. Chr. lebte, vorgekommen zu sein.1) Auxiliartruppen oder aus germanischen oder keltischen Bevölkerungen ausgehobenen oder geworbenen Legio- naren gab diese Abfindung die Freiheit, sich nach Wunsch in ihrer Heimath Wohnsitze zu suchen. Für die sogenannten Laeti, kriegsgefangene oder durch Landver- sprechungen beruhigte Barbarenschaaren, welche mit der Verpflichtung zu dauernder Kriegsbereitschaft angesiedelt wurden, war eine Land- anweisung in der künstlichen Weise der agrimensorischen Zutheilung überall unausführbar, sobald sie in grösserer Zahl zu versorgen waren. Wenn Probus, wie berichtet wird, neben anderen Ansetzungen an verschiedenen Orten, allein in Thracien 100000 Bastarnen aufnahm, musste die Herstellung spezieller Parzellenzuweisung viel längere Zeit erfordern, als die Ankömmlinge mit dem Beginn ihres nothwendigen Anbaues abwarten konnten. Ebenso w'enig sind solche Anlagen denk- bar, wenn die Laeti unter ihren eigenen Fürsten oder in ihrem Stamm verbände das Siedelungsland übernahmen. Deshalb lässt sich nicht erwarten, dass die Anlage von Kolonien mit limitirter Assignation auf die Gestaltung des Grundbesitzes und seiner Bewirthschaftung in den nördlichen Provinzen wesentlich ein- gewirkt habe. — Dagegen kommt in Frage, ob nicht die unter fiskalischen Ge- sichtspunkten erfolgte Verwerthung und Besteuerung der Provinzen durch die Einwirkung des amtlichen römischen Messungswesens und durch die Anschauungen des römischen Grundbesitzrechtes, wesent- liche Umgestaltungen der vorhandenen Besiedelungsformen und agra- rischen Rechtsverhältnisse herbeigeführt habe. Schon die erste Organisation einer eroberten Provinz forderte hinreichende Kenntniss der Grenzen und der Grösse der einzelnen Verwaltungsbezirke. Deshalb ist erklärlich, dass sich an die um- fassende Thätigkeit Caesars Nachrichten über eine neue und be- ') Lachmann I, p. 136, 138. der nördlichen Provinzen. 331 sondere Aufnahme des Landmessungswesens auch in den nördlichen Theilen des Reiches knüpfen. Pläne für ausgedehnte Messungen sind ihm sicher zuzuschreiben. Wie er durch den ägyptischen Astronomen Sosigenes den Kalender verbesserte, zog er auch, wie von Julius Honorius in dem sogenannten Aethicus über- liefert ist, alexandrinische Geometer heran.1) Die näheren Angaben sind indess, wie Marquardt und Müllenhoff nachgewiesen haben, höchst widerspruchsvoll und unglaubwürdig. Wie man sie aber auch auffassen will, an eine katasterartige gromatische Flächenauf- messung, welche Limites geschaffen und die einzelnen Besitzungen durch Umlegung verändert hätte, ist unter keinen Umständen zu denken. Dazu würden für ganze Schaaren von Feldmessern weder die kürzeren noch die längeren angegebenen Fristen hingereicht haben. Ebenso wenig sind damit die Aeusserungen und Vorschläge Hygins und anderer Gromatiker über die im Provinziallande erst vorzunehmenden Vermessungen vereinbar. Auch würde, wenn das Ergebniss dieser Arbeiten überhaupt eine Flächenermittelung gewesen wäre, in dem Testament des Augustus neben der Angabe der Einwohnerzahlen der Umfang des Weltreiches gewiss nicht unerwähnt geblieben sein. Wohl aber können die etwa 20jährigen Arbeiten der 4 mit der Messung nach je einer Weltrichtung Beauftragten in der Feststellung, Bereisung und Längenmessung der für Heereszüge und Handel brauchbaren Strassenzüge mit Angabe der Hauptstationen und unter Bericht- erstattung über verschiedene für Armee und Verwaltung erhebliche Lokalverhältnisse bestanden haben. Es ist möglich, dass die soge- nannte Wreltkarte des Agrippa von den erlangten Nachrichten Nutzen gezogen hat. Denn Agrippas Schwester Polla baute noch im Jahre 7 v. Chr. an der Säulenhalle, in welcher nach Agrippas Weisungen eine Karte der Welt in der Form einer grossen Sphära in Marmor aus- geführt und dem Gebrauche des Publikums dienstbar gemacht wurde.2) Diese KaTte ist indess in verschiedene Nachbildungen der Mittelalters übergegangen, so dass sie sich hinreichend beurtheilen lässt. Sie war im Wesentlichen auf Eratosthenes gestützt, fusste auf sehr wenig erweiterter Kenntniss der geographischen Längen und Breiten und war auch, ganz abgesehen von den fernen Welttheilen, in der Lage ') Fragmente der Cosmographie des Aethicus in Riese Geograph! Latini minores S. 21 ff. u. 72 ff. — Marquardt, Römische Staatsverwaltung, Bd. II, S. 209. — Müllenhoff, Deutsch. Alterth. III, S. 216. 2) Plin. h. nat. 3. 17. — Dr. Philippi, Zur Rekonstruktion der Weltkarte des Agrippar Marburg 1880. 332 IV« &• Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung der Strome und Gebirge innerhalb des römischen Reiches so un- sicher und unrichtig, dass ihr die nothwendig der Wirklichkeit einiger- massen entsprechenden Aufrisse einer örtlichen Vermessung nicht zu Grunde gelegen haben können. Am wahrscheinlichsten bleibt, dass diese Messungen die Grund- lage geordneter Itinerarien zu bilden bestimmt waren. Diese Auf- gabe war die nächstliegende und erklärt auch am ersten, dass die Messungen nur vier einzelnen Männern durch eine so lange Zeit zuge- schrieben werden. Dass ihre Ermittelungen nicht weiter gegangen und nicht genauer gewesen seien, als die Tabula Peutingerana, lässt sich allerdings nicht annehmen. In dieser dürfen wir nur ein eng zu- sammengedrängtes, für den gewöhnlichen Gebrauch der Armeeoffiziere berechnetes Uebersichtsblatt der Hauptrouten sehen.1) Gleichwohl dürfte sie am ersten ein Bild davon geben, was wir uns unter den von Caesar unternommenen Landesmessungen zu denken haben. — Neben solchen ideelleren Zielen mussten aber auf den neu erwor- benen Gebieten schon unter Augustus dringende praktische Aufgaben der Territorialabgrenzungen und der Flächenmessungen für Landvergebun- gen und für Steuerzwecke entstehen. Ihre Bedeutung für die gesammte Verwaltung wird nur durch einen Blick auf die Art der Befriedigung der Staatsbedürfnisse im alten Mutterstaate verständlich. Dem römischen Bürger lagen seit der ältesten Zeit nur zwei Arten von Lasten auf, welche jedoch nicht eigentlich als Steuern auf- gefasst werden können. Die eine war die Kriegslast. Der Einzelne hatte nicht nur den persönlichen Dienst zu leisten, sondern auch Bewaffnung, Unterhalt und alle sonst erwachsenden Kosten zu beschaffen. Schon unter Servius Tullius wurden indess die Ritterpferde vom Staate bezahlt (Livius I, 43). Früh trafen auch die Kriegskosten nicht mehr den Eingestellten selbst, sondern wurden (nach Dionys. IV, 19) auf die Tribus vertheilt, und durch diese auf alle Dienstpflichtigen umgelegt. Daher hiess diese Last tributum. Bei glücklichen Kriegen wurde sie aus der Beute zurückerstattet, jedoch bestand hierauf kein Anspruch, und ihre Höhe konnte sehr erheblich werden. Dazu kam, dass der Census der Um- lage des Tributum zu Grunde gelegt wurde, welcher wesentlich poli- tische und militärische Zwecke hatte, für Besteuerung nach seinen Ver- mögensangaben aber durchaus unzulänglich erscheint. Denn diese er- ') Dr. Philippi, de Tabula Peutingerana, accedunt fragmenta Agrippae geogra- phica. Diss. Bonn 1876. der nördlichen Provinzen. 333 gaben nur die res mancipii d. h. praedia urbana und rustica mit ihren Servitutberechtigungen , und Sklaven, Last-, Zug- und Weidevieh, ausserdem noch gemünztes Gold und Silber, Schiffe und Bergwerke. Dagegen blieben Schulden und alles bonitarische Eigenthum, sowie alle Pachtungen ausser Betracht. Indess hatte dies keine Bedenken mehr, nachdem die Kriegslast 406 v. Chr. an Stelle der Tribus auf die Staatskasse übernommen, und das Tributum nur aushülfsweise, wie eine Anleihe, erhoben wurde. Seit 167 hörte es für die römischen Bürger und seit 89 für ganz Italien auf. Augustus forderte zwar im Jahre 3 n. Chr. die Vermögensangaben des italischen Census noch, aber nur, um festzustellen, wer 200 000 Sextertien besass und danach in die Richterdecurien und in die Ordines der Senatoren und der Ritter einzureihen war. Die andre Last der römischen Bürger waren die S. 327 ge- dachten munera, die Frohndienste für die verschiedenen Bedürfnisse des Staates. Diese Spann- und Handdienste waren je nach dem Besitzstande des Einzelnen zu leisten. Auch sie kommen indess nur in früher Zeit in Betracht, weil die Leistungen an die Mindestfordern- den vergeben und auf die Staatskasse übernommen wurden. Die Möglichkeit, den Bürgern diese Lasten abzunehmen, lag in dem im Laufe der Zeit immer mehr anwachsenden Besitze von Staatsgütern. Soweit die eroberten Gebiete nicht ihren alten Besitzern nach Bundesgenossenrecht belassen, oder an italische Kolonien ver- geben wurden, waren sie ager publicus. Nur ein kleiner Theil des- selben wurde an römische Bürger zu quiritarischem Recht vertheilt und die Besitzer in die Tribus eingeschrieben. Die Hauptmasse blieb zur Verfügung des römischen Volkes, und stand, wie gezeigt, zwar jedem Bürger zur Nutzung offen, die reichen Patrizier allein aber waren in der Lage, durch Heerden und Sklaven von diesen Nutzungen Gebrauch zu machen. Sie vermochten dieselben auch vorweg in Beschlag zu nehmen und diesen Besitz durch ihre Herrschaft gegen die Plebejer zu sichern. Als Cassius Viscellinus 484 v. Chr. an letztere Landvertheilungen vornehmen wollte, wurden dieselben hintertrieben, auch schlug Appius Claudius vergeblich vor, die possessionen, die sich durch Okkupation gebildet hatten und bilden würden, zwar zu ge- statten, aber mit Zins zu belegen. Diese Weigerungen und die fort- gesetzte freie Ausnutzung durch Reiche blieben Gegenstand steter agrarischer Unruhen. Das Gesetz des Licinius Stolo von 367 be- stimmte endlich , dass Niemand an Acker und Bauland mehr als 500 jugera vom ager publicus besitzen und mehr als 100 Stück grosses 334 rV- 5. Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung und 500 Stück kleines Vieh auf die Weiden treiben dürfe. Die Nutzung solle im übrigen jedem Bürger freistehen und eine Abgabe dafür erhoben werden. Privateigenthum konnten diese Ländereien nur durch ein aus- drückliches Gesetz werden. Alle Anordnungen des Senates und der Beamten waren also nur zeitweilige. So durfte in dringenden Fällen der Quaestor Land zur Nutzung verkaufen, dessen Kaufpreis im Falle der Rücknahme zu erstatten war. Solcher ager quaestorius zahlte ein geringes Rekognitionsgeld. Andrer ager publicus wurde dem, der ihn übernehmen wollte, gegen den Zehnten vom Ackerertrage und gegen ein Fünftheil von den Baumfrüchten überlassen. Die Einhebung dieser Naturalien wurde verpachtet. Den grössten Theil der neu erworbenen Ländereien verpachtete derCensor unter dem Namen der pascua seinem Rechte nach nur auf seine Amtszeit, also auf 5 Jahre, thatsächlich dauerten aber in der Regel die Pachtungen von Lustrum zu Lustrum fort. Auch diese Pachtungen konnten indess grösstentheils nur von wohlhabenden Publicani oder ihren Societäten übernommen werden, und wurden durch Unterpächter oder durch Sklaven und grosse WeidewTirthschaft verwerthet. Im übrigen blieb das Licinische Gesetz ohne wesentliche Wirkung, und es wurde ebenso wenig durchgeführt, als es Sempronius Gracchus 133 v. Chr. erneuerte. Die Gracchen gingen an diesem Versuche unter. Die bereits eingesetzten Triumviri agris dividundis wurden durch Widerstand gehindert, und die Lex Thoria bestimmte 108 v. Chr., dass die Staatsländereien unter der Verpflichtung festzustellender Ab- gabenzahlung den derzeitigen Besitzern dauernd und erblich ver- bleiben und niemals nach der Lex Sempronia vertheilt werden sollten. Damit ging der ager publicus Italiens fast ohne Ausnahme in Privathände über, und es bildete sich der neue Begriff des ager privatus vectigalisque. Abgesehen von den calles publicae, den Triften in Apulien, blieb im wesentlichen nur der ager Stellatis und Cam- panus als publicus erhalten, von welchem Anlage 29 näher handelt. Er war auf Volksbeschluss von 162 durch den Praetor urbanus P. Lentulus aufgekauft worden, um als ein besonders werth volles, im Kleinen verpachtetes Gebiet dem Fiskus, wie eine Art Staatsschatz, zu dienen. Von einer Reihe folgender, zum Theil nur dem Namen nach bekannter Agrargesetze scheinen allein die in Wirksamkeit ge- treten zu sein, welche die Vertheilung der o. S. 313 gedachten städtischen Gebiete als Militärkolonien an die Truppen des Sulla, des Marius und der Triumvirn gestatteten, bis endlich durch Caesars Lex Julia der nördlichen Provinzen. 335 von 59 v. Chr. auch der vorbehaltene ager Stellatis und Campanus zur Vertheilung kam. Bei diesen Assignationen an Veteranen und Bürger blieben nur noch die Subseciva, soweit sie nicht als compascua den Fundis überwiesen waren, zur Verfügung des assignirenden Populus. Auch sie aber verschenkte schliesslich Domitian sämmtlich an die angrenzenden Nachbarn. Damit verschwand in der Kaiserzeit auf dem römisch-italischen Gebiete der gesammte Staatsgrundbesitz, und es blieb nur eine Anzahl von Zehnten, Zinsen, Erbpacht- und Pacht- geldern an Naturalien und Geld übrig, welche mit Zöllen, Hafen- geldern, Markt- und ähnlichen Abgaben als vectigalia zusammen- gefasst wurden. — Obwohl danach das Steuerwesen des römischen Mutterstaates beinahe ganz veraltet und abgestorben war, ehe eine geordnete Ver- waltung der Provinzen eintrat, erweist sich doch, dass auch auf den Provinzialgebieten, welche mehr und mehr alle Staatskosten zu tragen hatten, die fiskalischen Nutzungs- und Besteuerungseinrichtungen nur unter besonderen Umständen von den Grundgedanken abwichen, die in der Zeit des Aufblühens des Staates zur Geltung gekommen waren. In den Provinzen gab es nach der Art ihrer Unterwerfung steuer- freie Vasallenstaaten, civitates liberae et immunes, denen abge- sehen von mancherlei erheblichen Geschenken und Ehrengaben, über welche mehrfach berichtet wird, nur die Stellung von Hülfstruppen oblag. Das zur eigentlichen Provinzialverwaltung gezogene Territoriuni schied sich, wie die geschilderte Organisation Galliens ergiebt, in die Gebiete derjenigen civitates, welchen innerhalb der ihnen gegebenen Abgrenzungen ihre selbstständige herkömmliche Verfassung, nament- lich auch in Betreff der Aufbringung der Steuern, belassen worden war, und in die vom römischen Staate selbst eingezogenen und nutz- bar verwalteten Ländereien. Die kommunal selbstständigen Civitates hatten ausser den o. S. 327 gedachten Lasten der Rekrutenstellung und der sordida munera auch eine eigentliche Steuer zu tragen. Als solche galt das Stipendium, eine Abgabe, aus welcher vornehmlich der Sold und die annona, die Getreidelieferung, für die Truppen bestritten werden sollten. Diese Leistung war auf die einzelnen Civitates vertheilt, innerhalb jeder derselben mussten die Decurionen für die Aufbringung solidarisch haften, die Umlage konnten sie nach ihren hergebrachten Steuereinrichtungen bewirken. 336 IV. 5. Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung Diese Steuer Verfassungen waren im hohen Grade verschieden. In Sieilien bestanden sehr entwickelte Steuerrollen und Fortschrci- 1 umgen. Die meisten griechischen Städte besassen noch von ihrer Selbstständigkeit her eigenartige regelmässige Censusfeststellungen. Aegypten führte schon seit den Pharaonen genaue Spezialkataster. In anderen Haupttheilen von Afrika waren mit der Umgestaltung der Gracchischen Assignationen die Possessores unmittelbare Staats- pächter geworden, so dass hier Civitates erst in der Kaiserzeit ent- standen. Auch in Syrien und Gallien lässt sich nur grosse örtliche Ungleichmassigkeit denken. Aber die Durchführung der Erhebungen und der Eingang der geforderten Leistungen waren überall hinreichend gesichert. Die Ein- künfte konnten aus eigentlichen Grund- und Vermögenssteuern oder aus Zehnten, Gewerbe- oder Kopfsteuern bestehen, auch verpachtet sein oder nicht. Alle in Geld oder Getreide eingehenden Beträge wurden auf das zu zahlende Stipendium angerechnet. Gleichwohl verzichtete die römische Verwaltung niemals auf die thunlichst genaue Kenntniss der steuerfähigen Personen und Liegen- schaften und auf wirksames Eingreifen in die Grundsätze und das Ver- fahren der Umlage. In allen neu erworbenen kaiserlichen Provinzen wurde mit der ersten Organisation die Aufnahme eines Census ver- bunden und, wie es scheint, auch periodisch wiederholt. Wenigstens wird bekundet, dass der Census Galliens 27 v. Chr. von Augustus, 12 v. Chr. von Drusus, 14 — 16 n. Chr. von Germanicus, 61 von Nero und um 84 von Domitian aufgenommen wurde. Ob es möglich war, diese Censusgeschäfte überall nach der von Ulpian (Dig. 50, 15, 4) angegebenen Forma censualis durchzuführen, ist wohl zu bezweifeln. Jedenfalls aber musste ein hinreichender Ueberblick über Volkszahl und Vermögen erreicht werden, um die Leistungen für die Armee und die Staatskasse auf die einzelnen Civitates vertheilen zu können. Viel leichter konnten in den älteren senatorischen Provinzen, in welchen seit lange geordnete Steuereinrichtungen bestanden, und der Census schon in den Zeiten der Kepublik durch zahlreiche delegirte Censoren geübt worden war, die Censuales, welche meist mit den Verhält- nissen bekannte Municipalbeamte waren, die Fortführung der Steuer- listen unter einer regelmässigen Ueberwachung seitens des Proconsuls besorgen. Für Sieilien, wo 73 v. Chr. 130 Censoren erwähnt werden, von denen 2 in jeder Stadt gewählt waren (Cicero in Verr. II, p. II, c. 53, 55), wissen wir, dass bei Streitigkeiten zwischen den römischen Pächtern gewisser Leistungen und den Verpflichteten, und für Streit- der nördlichen Provinzen. 337 fülle zwischen den Gemeinden untereinander besondere Rekuperatoren- gerichte in Thätigkeit traten. Die das Stipendium unter Solidarhaft zahlenden Gemeinden durften schon zu Vespasians Zeiten keine neuen Auflagen ohne Genehmigung machen. Das eigentliche Staatsland in den Provinzen war, soweit es nicht wüst lag, ager vectigalis. Die Zinspflicht bezog sich sogar regelmässig auch auf alle an Militärkolonien vergebenen Grund- stücke. Nur die wenigen Kolonien und Municipien, welche mit italischem Recht beliehen wurden , erlangten damit ausnahmsweise auch Freiheit vom vectigal. Das Vectigal war in den Provinzen ausschliesslicher, als das o. S. 335 gedachte in Italien, seiner Natur nach ein Pachtzins, der in Geld oder Naturalien erhoben und als feste Zinsung oder als Zehnt festgesetzt sein konnte. Dem alten Brauche entsprechend hat sich für diese Verpachtungen auch in den Provinzen die 5jährige Periode von Lustrum zu Lustrum erhalten. Welchen Umfang die befristete Kleinpacht von Grundstücken namentlich in den nördlichen Provinzen erreichte, ist schwer zu beur- theilen. Am sichersten gehörten die agri decumates zwischen Rhein und Neckar dazu. Die Aeusserung Hygins (Lachm. I, 204) über den ager vectigalis deutet anscheinend schon auf Umwandlung in ager privatus vectigalis. Die Worte: Agrum arcifinium vectigalem ad mensuram sie redigere debemus, ut et recturis et quadam determi- natione in perpetuum servetur, scheinen dies einzuschliessen. Er erklärt aber auch weiter : Agri vectigales multas habent constitutiones, in quibusdam provineiis fruetus partem praestant certam, alii quintas, alii septimas, alii peeuniam, et hoc per soli aestimationem. Certa enim pretia agris constituta sunt, ut in Pannonia arvi primi, arvi seeundi, prati, silvae glandiferae, silvae vulgares, pascuae. His Om- nibus agris vectigal est ad moduni ubertatis per singula jugera con- stitutum. Horum aestimio, ne qua usurpatio per falsas professiones fiat, adhibenda est mensuris diligentia. Nam et in Phrygia et tota Asia ex hujus modi causis tarn frequenter disconvenit, quam in Pannonia, propter quod hujus agri vectigalis mensuram a certis ri- goribus conprehendere oportet ac singula terminis fundari. In den ununterbrochen ruhigen Zeiten Hygins vor dem Marco- mannenkriege mögen solche Einzelbesitzungen, deren Dauer die Sitte genügend sichern konnte, als die für den Fiskus oder die Kasse des Kaisers einträglicheren, verhältnissmässig häufig gewesen und deshalb auch entsprechend vermessen worden sein. Meitzen, Siedclung etc. I. 22 338 TV- 5. Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung Je länger hin, desto mehr wurde indess die Grossverpach- tung die einfachere und für viele Länderstrecken die einzig durch- führbare Verwerthung. Namentlich wo grosse Wüstungen oder Wal- dungen erst in Kultur gebracht werden mussten, ehe sie einen Ertrag in Aussicht stellten, konnte nur auf Grosspächter und Gesellschaften von Publikanen gerechnet werden. Dabei musste aber eine kurze Frist und überhaupt die Möglichkeit wechselnder Bedingungen die Angebote im hohen Grade benachtheiligen. Deshalb führte sich auf diesen Ländereien die Erbpacht mit festem Canon und bestimmten vertragsmässigen Leistungen ein. Die Emphyteuse ging ihrem ganzen Wesen nach aus diesen grossen Staatspachtungen hervor. Sie gewährte dem Staate feste, durch den Heimfall bei 2 jährigem Verzuge gesicherte Zinsungen und eine Betheiligung am Veräusserungswerthe durch die 2procentige Besitzveränderungsabgabe wie durch das Vorkaufsrecht. Der Emphyteuta wurde allerdings frei von allen Verfügungsbeschrän- kungen des Zeitpächters, konnte das Gut veräussern, verpfänden, mit Dienstbarkeiten beschworen und hatte vollständiges Klagerecht für dasselbe, aber er musste auch alle Lasten tragen und durfte keinerlei Anspruch auf Nachlässe machen. Der Staat erlangte nicht allein ganz klare, sondern auch völlig einfache Rechtsverhältnisse. Die fiskalische Verwaltung wurde durch die den Eigenthümern nahezu gleiche Stellung der grossen Erbpächter im höchsten Grade er- leichtert. Auf dem kaiserlichen Domainenbesitze vergab der Kaiser zinsbares Land im Grossen auch aus persönlichen Gründen als Gnade. Ueberdies gestalteten sich die bestehenden Kleinpachten durch die all- gemein eingeführte Verpachtung der Zehnten, Zinsungen und Leistungen an Unternehmer schon dann unmittelbar in Grossbesitzungen um, wenn dem Abgabenpächter das betreffende Gebiet der Kleinpächter ohne neue Fristfestsetzungen, also zu dauernder Verwaltung, überlassen blieb. Auf diese Weise scheint mit der Zeit der grösste Theil des nutzbaren Staatslandes der Provinzen, soweit es nicht als Kolonieland vergeben war, im Grossgrundbesitz aufgegangen zu sein. Solcher Grossbesitz war bereits in alten Latifundien und Staats- pachten der Republik vorbanden. In der Kaiserzeit entstand aber auf ihm ein Stand von Possessores, welche neben den Civitates als Inhaber coordinirter Kommunalbezirke, als Leiter selbstständiger grosser Güter oder Herrschaften auftraten. Diese Possessorengewalt hat sich, wie sich zeigt, zuerst in Afrika entwickelt, wo keine Civitates gebildet worden waren. Sie wird aber auch in anderen Provinzen schon früh daran erkennbar, dass der einzelne Possessor, wie die De- der nördlichen Provinzen. 339 curionen für die Civitates, so er seinerseits für die Hintersassen seines Grossbesitzes die Steuern und Lasten dem Fiskus verbürgen und beschaffen muss und auch in die Lage kommt, sie vorzuschiessen. Es scheint, dass die Possessoren eifrig bestrebt waren, von der So- lidarhaft der Civitates befreit zu werden, und dass der Staat zu solchen Befreiungen bereit war.1) — Nachdem seit 162 die Einfälle der Chatten, die Siege der Marco- mannen und Quaden und die gleichzeitigen Kämpfe der Parther und Caledonier mit den auf sie folgenden schmählichen Friedensschlüssen des Commodus die Scheu vor den römischen Waffen gebrochen hatten, begann eine Periode steter Raubzüge und weitgreifender Verwüstung und Zerrüttung namentlich der nördlichen Provinzen. Zugleich stei- gerten Luxus und Veruntreuung die finanziellen Bedürfnisse. Bei dem bestehenden mannigfachen und undurchsichtigen Herkommen der meisten provinziellen Steuereinrichtungen muss deshalb in vielen Landestheilen die Beitreibung der Leistungen häufig unmöglich ge- wesen sein. Ebenso weniger waren letztere gegenüber dem Ausfall in den gefährdeten Theilen des Reiches wirksam zu erhöhen. Caracalla war einer der leichtsinnigsten, gleichgültigsten und verschwenderischsten Fürsten. Aber noch fanden sich in Rom staats- männische Kräfte, wie Ulpian, welcher damals sein Buch de censibus schrieb, Cassius Dio und Papinian, und es muss Männer in der Verwaltung gegeben haben, welche eine Reorganisation des Steuer- wesens auf neuen Grundlagen für durchführbar erachteten. Nur diesem Gedanken lässt sich die Verordnung von 212 zuschreiben, welche allen Freien im römischen Reiche das gleiche volle Bürger- recht zusprach. Durch diese anscheinende Wohlthat wurde offenbar möglich, ohne Rechtsbruch auch alles bisherige Peregrinenrecht in den Civitates der Provinzialen, soweit es zweckmässig schien, nach allge- meinen Gesichtspunkten des römischen Reichsrechts zu beseitigen und umzugestalten, und es konnten damit gewisse Unterschiede und Un- gleichheiten in der Besteuerung wegfallen, aus deren Beseitigung man Vortheil für die Staatskasse hoffte. Wie weit solche Zwecke noch unter Caracalla erreicht wurden, lässt sich mit Ausnahme der von 5 auf 10 Prozent erhöhten Erbschaftssteuer und der zu Gunsten des Fiskus ergangenen Beschränkung der Intestat- erbfolge nicht erkennen. Aber die Plünderung, Verwüstung und Verarmung grosser Länderstrecken und der allgemeine Verfall der ') Die Verhältnisse der Possessoren klargelegt zu haben, ist ein Verdienst M. Webers, a. a. 0. S. 171 und 250 ff. 22* 340 IV. 5. Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung bisherigen Rechtsordnung griffen unter seinen Nachfolgern, trotz deren zum Theil grossen militärischen Strenge und energischen Kriegs- iuhrung unaufhaltsam um sich. Ob inzwischen schon bestimmte Anordnungen oder vorbereitende Schritte geschahen, darf auch dahin gestellt bleiben. Jedenfalls ist die Thatsache erklärlich, dass Diocletian (284 — 304) mit einer ein- heitlichen Steuerverfassung eingriff. Wie es scheint, stellte dieselbe die gewöhnliche Grund- und Personalbesteuerung, also namentlich Stipendium, Tributum und Kopfsteuer nach im wesentlichen überall gleichen Grundsätzen fest und Hess nur die übrigen besonderen Steuern und Lasten, wie nament- lich die Erbschafts- und Gewerbesteuern, die Vectigalia verschiedener Art und die sordida munera fortbestehen. Die Form der neuen Steuer war die der jugatio und capitatio. Der Begriff des jugum kommt schon in den verrinischen Reden vor. Cicero spricht II, lib. III, 27 von sicilischen Bauern in singulis jugis. Auch erscheinen unter August bereits juga als Landloose, welche eine bestimmte Steuer zu zahlen hatten. Ein solches jugum um- fasste in der Regel 25 jugera, indess war nicht allein die Fläche, sondern auch die Bonität zu berücksichtigen.1) Dasselbe Princip ist das der Diocletianischen jugatio. Die bebauten Ländereien waren von den Besitzern im Einzelnen nach Lage und Werth zu bezeichnen, und der Censitor fasste so viele dieser Grundstücke desselben Cen- siten oder seiner Nachbarn in ein Ganzes zusammen, dass sie nach der vorgenommenen Schätzung den Werth von 1000 Aurei erreichten. Dies war ein jugum im Sinne der Steuer, also eine Steuerrechnungs- einheit. Für die Schätzung wurden ähnliche Klassenunterschiede ge- macht, wie sie Hygin (o. S. 337) schon aus Trajans Zeit bezüglich des Vectigal erwähnt. Nach der syrischen Uebersetzung einer ost- römischen Gesetzsammlung von 501, welche 1878 aufgefunden und von Sachau und Bruns (Berlin 1880) herausgegeben worden ist, wurden bei der Diocletianischen Veranlagung in Syrien auf das jugum je 5 jugera (oder 10 plethra) Weingärten, oder 20 jugera urbares Land erster Güte, oder 40 jugera zweiter Güte, oder 60 jugera Gebirgsland, d. h. Acker dritter Güte, ebenso je 225 Stämme Oelbäume erster Klasse, oder 450 Oelbäume zweiter Klasse gerechnet. Auch Pascua werden unterschieden. Solche Unterscheidungen stellten also bestimmte Schätzungsverhältnisse für ganze Provinzen oder Landes- l) Mommsen, Staatsrecht der Römer, Bd. III, S. 229. der nördlichen Provinzen. 341 theile fest. Auch für Gallien galt nach Eumenius (grat, act. Const. c. 5) eine communis formula. Neben der jugatio war die capitatio vorgesehen, welche die bis- her zu einer Kopfsteuer herangezogenen Hintersassen der Possessores, Männer vom 15., Weiber vom 12. und beide bis zum 65. Jahre, ergriff, und mit ihnen die Sklaven, Zugthiere und das Grossvieh, möglicherweise auch das Kleinvieh eines oder mehrerer Besitzer nach einer ähnlichen Schätzung zu einem, wie für die Grundstücke, auf 1000 Aurei angenommenen Steuerwerthe zusammenfasste. Das caput bildete also eine gleiche mit demselben Steuersatze belegte Steuer- einheit, wie das jugum. In der Hauptsache beruhte die Besteuerung ähnlich wie der alte Ccnsus der Stadt Rom auf der Steuerfähigkeit der res mancipi, soweit sie auf dem Lande vorkommen.1) Die jugatio besteuerte nach der von Augustus auf Agrippas Rath festgehaltenen Vorschrift nur das- jenige Land, ubi falx et arator ierit. Pascua und silvae wurden ange- geben, ob sie aber nicht lediglich durch die capitatio des Weideviehs besteuert waren, ist zweifelhaft. Die capitatio, die deshalb auch capitatio plebeja genannt wird, erfasste neben der Grundsteuer alle verwendbaren Arbeitskräfte an Menschen und an Viehinventar. Ihr Gedanke ist steuerpolitisch sehr bedenklich, wenn der Steuersatz eine geringe Höhe übersteigen soll. Aber das Gesetz hielt sich an die greifbaren Gegenstände. Diese Steuerverfassung wurde über das ganze Reich ausgedehnt. Dies erweist sich aus der gedachten Steuerverordnung des syrischen Gesetzbuches, ferner daraus, dass 320 die Veteranen bis zu gewisser Höhe vom caput befreit wurden (Cod. Theod. VII, 20. 4), dass Constantin 326 die Rectores der Provinzen anwies, die sordida munera per singula capita auszuschreiben (Ebd. XI, 16. 4), 356 Ammianus Marcellinus (16. 5) die Herabsetzung des Steuersatzes der capita für Gallien berichtet, und 377 die Bekleidungslieferung für die Armee in den Provinzen von Thracien, Scythien, Moesien, Aegypten und im Orient, Asien und Pontus je auf eine bestimmte Anzahl juga seu capita ausgeschrieben wurde (Cod. Theod. VH, 7. 3). Noch 412 ordneten Honorius und Theodosius an: per Bithyniam ceteras- que provincias possessores et reparationi publici aggeris et ceteris ejusmodi muneribus pro jugorum numero vel capitum, quae possidere J) Ob auch praedia urbana betheiligt sein konnten, ist nach Cod. Theod. IX, 16, G nicht völlig klar. 342 IV. 5. Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung noscantur, adstringi cogantur (Ebd. XV, 3. 5). Dass aber diese allgemeine Durchführung über das ganze Reich auch schon von Diocletian beabsichtigt und ins Werk gesetzt wurde, dafür spricht entscheidend ihre bereits 292 erfolgte Ausdehnung auf Italien, das seit der Kaiserzeit völlig steuerfrei war. Ohne gleichzeitige Besteuerung aller übrigen Provinzen lässt sich an die Italiens nicht denken. Der Schritt erschien so unerhört, dass Aurelius Victor (de Caes. 39, 31) zu diesem Jahre erklärt: huic denique parti (Provinz) Italiae invectum tributorum ingens malum. Lactantius (de mort. persec. 10) aber sagt 305 von Galerius: cum statuisset, censibus institutis orbem terrae devorare, ad hanc usque prosiluit insaniam, ut ab hac captivitate ne populum quidem Romanum vellet immunem. Dabei bemerkt er ausdrücklich (23) agri glebatim metiebantur, vites et arbores munera- bantur, animalia omnis generis scribebantur , hominum capita nota- bantur. Italien dürfte indess bevorzugt gewesen sein. Denn das jugum wurde in Italien auch millena genannt. Da nun für italische Vermessungen schon Frontin (Lachm. 46, 47) je 1000 jugera zu- sammenfasse und noch Majorians Novelle (VII, 16) ausdrücklich sagt: per juga singula, seu per singulas millenas, scheint es, dass die Steuerhufen Italiens bei Annahme dieser nahezu 40 fachen Grösse auch im Steuersatz gegen die des übrigen Reiches erleichtert wrurden. Die jährliche Abgabe durfte auf einmal oder in 3 viermonatlichen Terminen erlegt werden. Die Zahlung wurde in Geld, indess auch' bis zu beträchtlichem Theile in annona ausgeschrieben, als Zuschläge kommen noch Extraordinaria besonderer Art vor. Die Steuerhöhe der Reichssteuer Diocletians wird zu 10 Aurei (ca. 120 RM.) auf das jugum oder caput, also zu 1 % von dem allerdings wohl niedrig angeschlagenen Kapitalswerthe angenommen. Sichere Nachrichten bestehen indess nur über Schwankungen der Erhebung, nicht über die Regel. Ammianus Marcellinus (16, 5) be- richtet um 356, dass Julian den Tribut für jedes caput im Gebiet der Gallier auf 25 Aurei angesetzt gefunden und auf 7 Aurei, munera universa complentes, herabgesetzt habe. So auffallende Wechsel er- geben sich auch aus anderen Ueberlieferungen. 296 rühmte Eumenius (grat. act. 11) von Constantius mit Bezug auf eine civitas Aeduorum : septem millia capitum remisisti, quartam amplius partem nostrorum censuum; ferner: remissione ista Septem millium capitum viginti quinque millibus dedisti vires, dedisti opem, dedisti salutem. 395 schreiben Arcadius undHonorius (Cod. Theod.XI, 28. 2) : 528 402 jugera, quae Campania provincia juxta inspectorum relationem et veterum der nördlichen Provinzen. 343 monumenta chartarum in desertis et squalidis locis habere dignoscitur, iisdem provincialibus concessimus et Chartas superfluae descriptionis cremari censemns. 408 erklären dieselben Kaiser (Ebd. 4) : Ab omni intra Italiam jugatione, quam munere annonariae functionis absolvimus, etiam glebalem pensionem jubet serenitas nostra removeri. 413 (Ebd. 7 u. 11) wird dem grössten Theil Italiens gleichwohl wieder der 4. Theil aller Leistungen auf 5 Jahre und 418 Campanien der 9. und Picenum und Tuscien der 7. Theil des Tributum erlassen. 422 (Ebd. 13) sollen die Register des proconsularischen Afrika dahin berichtigt werden, dass 9002 Centurien und 141 jugera zahlen sollen, 5700 Cen- turien und 144 V2 jugera aber gestrichen werden, in der Provinz Byzacena 4460 Centurien 180 jugera zahlen, 7615 Centurien 3 V2 jugera aber zur Streichung kommen. Endlich wird 430 (Ebd. 20, 6) an- geordnet: Eorum jugerum, sive capitum, sive quo alio nomine nun- cupantur privati juris, vel patrimonialis, sive civilis, sive templorum, quae a principio imperii div. recordat. Arcadii genit. m. ex petitionibus diversorum vel ultro datis, annotationibusque in praesentem diem qualitercunque relevati sunt, vel adaerata levius, vel de patrimoniali jure ad privatam, vel in aurariam, aerariam atque ferrariam praestatio- nem translata, quinta pars commodi, quod ex eo beneficio ad dominos fundorum pervenit ex codem tempore exacta, pro aestimatis per singulos annos habitis, arcae et sacrarum largitionum viribus ex aequo societur; exceptis bis, quae in capitatione humana atque animalium diversis qualicunque concessa sunt. Dabei soll von dem Nachlass für 400 juga sive capita wieder die Hälfte gezinst werden, höhere Erlasse sollen, wie es scheint, bis zu weiteren 200 juga oder capita in Geltung bleiben, alle darüber hinausgehende aber gänzlich wegfallen. Die letzte Anordnung bestätigt, was sich an sich schon annehmen lässt, dass auch zahlreiche Steuererlasse zu verschiedenen Zeiten erfolgt sind, welche im Gesetzbuch nicht erwähnt werden. Indess genügen die wenigen Angaben zu zeigen, wie unter Rücksichten aller Art die Steuern ganzer Provinzen um mehr als das 3 fache höher oder niedriger angesetzt, auch grosse Beträge erlassen und dennoch in kürzerer oder längerer Zeit in einem Umfange wieder erhoben worden sind, welcher mit einem geordneten Steuersystem ebenso wenig vereinbar ist, als mit dem wirthschaftlichen Gedeihen der Besteuerten, sich vielmehr nur aus den wirren Zuständen des zunehmenden Verfalles des Welt- reiches erklärt. — Dennoch bleibt auch wieder aus denselben Erwähnungen der Eindruck, dass die Steuerveranlagung und Fortführung eine so , 344 rV- 5. Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung ungeordnete und lückenhafte nicht gewesen sein kann, wie man nach den Zeitläufen anzunehmen geneigt sein möchte. Es ist freilich sehr schwierig, sich von diesen Geschäften ein hinreichend klares und praktisch mögliches Bild zu machen, und die Wirkungen dieser Steuer- verfassung auf die Grundbesitzverhältnisse zn erkennen. Fragt man, ob unter Jugatio die wirklich katastermässige Special- messung der einzelnen Besitzungen mit Klassenschätzung, Kartirung und Registrirung zu denken ist, welche nach römischen Messungs- grundsätzen auch die Zusammenlegung der Besitzstücke des einzelnen Eigenthümers gefordert haben würde, so muss ein solches Unternehmen ausgeschlossen erscheinen. Denn es würde auch unter der Voraus- setzung überaus zahlreicher Arbeitskräfte bei der ungeheuren Aus- dehnung und den Kommunikationsschwierigkeiten des damaligen Weltreiches mindestens ein Jahrhundert in Anspruch genommen haben. Seine Durchführung wäre auch bei den unausgesetzten inneren und äusseren Kriegen schon deshalb schwerlich möglich geworden, weil bei ihr die technische und polizeiliche Mithülfe des Militärs ganz unentbehrlich erachtet werden muss. Die nähere Erwägung der überlieferten Anordnungen führt auch auf ein sehr viel einfacheres Verfahren. Es ist an keiner Stelle bei der jugatio von einer Forma, immer nur von chartae die Rede. Forma aber bezeichnet, wie o. I S. 286 zeigt, unser Kartenbild. Charta dagegen heisst nur ein Schriftstück, eine Urkunde, eine Beschreibung. Descriptio ist auch ausdrücklich im Codex Theod. (XI, 28. 2) die Bezeich- nung ihres Inhaltes. Die chartae superfluae descriptionis werden bei dem Steuererlass für Campanien verbrannt. Chartas omnes, quibus debitorum nomina et debita continentur, flammis jubemur aboliri, wird Ebd. 3 vorgeschrieben. Ebd. 6 ist gesagt: Chartis abolitis, quibus debita publica continentur. Ebd. 13 heissen die chartae auch polyptica. Sie können also nur Register gewesen sein, in welche die einzelnen juga mit der Zahl der jugera der verpflichteten Besitzer und unter Klassifikation nach der Professio, gemäss der Feststellung der leitenden Censualen verzeichnet waren. Eine solche Verzeichnung ist zwar nicht ohne örtliche Besichtigung zu denken. Auch können Handrisse aufgenommen und bei zweifel- haften Angaben einige Messungen ausgeführt worden sein. Die Kon- trole der Flächengrössen aber war hinreichend aus den Aufmessungen des ager arcifinius mensura comprehensus zu gewinnen, welche schon früh bei der Feststellung der Civitates für deren Grenzen und Haupt- abschnitte durchgeführt worden waren. Nach ihnen war ein allere- der nördlichen Provinzen. 345 meiner Ueberschlag möglich. Für die Vertheilung zwischen den soli- darisch haftenden Besitzern konnten die gegenseitigen Angaben über ihre Grundstücke in den einzelnen Flurtheilen und ihre Anerkennung der Antheile innerhalb des geschätzten und abgesteckten jugums genügen. Einer eigentlichen agrimensorischen Thätigkeit bedurfte es deshalb für das Censusgeschäft nicht. Jedenfalls sind juga emensa nur unter besonderen Umständen zu denken. Wo eine Assignation von Ländereien oder eine Aufmessung von ager privatus vectigalis stattgefunden hatte, werden die Flächenbestimmungen in sofern benutz- bar gewesen sein, als die limitirten Centurien ganz bestimmte Ab- schnitte von wenigen 100 jugera bildeten. Aber die juga konnten wegen der Klassifikation nach Kulturarten in die Centurien nicht eingepasst werden. Sie mussten als besondere, durch den wechselnden Anbau bedingte Abschnitte zusammengefasst werden. Diese schätzungs- weise gewonnene und örtlich ungleiche Lage und Grösse der juga wird durch den Charakter der bekundeten Ausnahmen bestätigt. Eine solche Ausnahme bildete Aegypten und ein unbestimmter Theil des Orients. Hier sind festbegrenzte juga anzunehmen. Denn der er- wähnte Erlass von 377 (Cod. Theod. VII, 7. 3) schreibt vor: Con- ferant vestem per Aegyptum et Orientis partes in triginta terrenis jugis. Er unterscheidet diese Landestheile dadurch von den übrigen, welche die Leistung per juga et capita umzulegen haben. Da wir aber wissen, dass Aegypten ein seit der Königszeit fortgeführtes Specialkataster besass, so erweist auch diese Ausnahme, dass die jugatio der übrigen Provinzen die Grundlage eines solchen Special- katasters nicht besass. Aus diesen Gründen ist sehr wahrscheinlich, dass das Geschäft der jugatio sich in vielen Civitates und namentlich auf den Besitzungen der selbstständigen Possessores ziemlich einfach gestaltete. Denn das eigentliche Interesse der römischen Behörden war befriedigt, wenn die Anzahl der zu besteuernden juga feststand. Dies war also, wenn die Professio annehmbar erschien, durch Anerkennung derselben, oder sogar unmittelbar durch ein blosses Abkommen der Betheiligten mit dem leitenden Beamten zu erreichen. Man darf aus den erwähnten Edikten, welche die Fläche ganzer Provinzen bis auf ganze und halbe jugera genau anzugeben scheinen, keineswegs schliessen, dass diese Zahlen der Wirklichkeit entsprochen hätten. Sie bildeten den Abschluss des Registers, und alle Einthei- lungen oder Erlasse führten ebenfalls nur zu Operationen mit dem Zahleninhalte dieser Verzeichnisse. Wenn es, wie die obigen Erlasse 346 W- 5. Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung zeigen, möglich war, eine grosse Anzahl juga im Kegister unter Ver- brennen der bezüglichen Theile des Verzeichnisses lediglich zu streichen, musste auch möglich sein, diese Zahl von Anfang an oder im Laufe der Zeit durch Uebereinkommen festzustellen. In allen Fällen, in denen, wie gezeigt, die Zahl der juga oder der capita durch die Gnade des Kaisers herabgesetzt war, konnte sie ohne be- sondere Zulassung auch nicht vermehrt werden. Das deutlich vorge- schriebene Verfahren, nach welchem die Lasten einzelner Civitates oder Possessores durch verringerten Ansatz der Zahl der juga erleichtert, oder durch vergrösserten Ansatz auch wieder erhöht wurden, schneidet jeden Gedanken daran ab, dass auf die Abgrenzung, also auch auf die Ab- messung der einzelnen juga dauernd Werth gelegt worden sein könnte. Die erste Feststellung geschah sicher so, wie sie das syrische Gesetz- buch fordert. Es mögen auch Anmeldungen vorgeschrieben gewesen sein, durch welche sich die Zahl der jugera bei Veränderung der Kulturart erhöhen oder bei Anerkennung einer eingetretenen Verschlechterung vermindern konnte. Für das Steueramt aber war immer nur wesent- lich, dass die Zahl der juga und capita nachweisbar feststand, nach welcher die Umlegung der Lasten unter die verpflichteten Körperschaften vorgenommen werden sollte. Diese Vertheilung erfolgte für das Tri- butum ebenso wie für die extraordinären Lasten und die sordida munera nach denselben Registern, also stets nur rechnungsmässig. Cod Theod. XI, 17, 4 sagt von der constructio murorum: universi pro portione suae possessionis jugationisque ad haec munia coarctentur. Daher kam es auch, dass Veränderungen in der Abgrenzung dieser Steuerbezirke untersagt waren. Ebd. 22, 4: Habeat unaquaeque civitas consortem munerum, quem habuit in professione collegam. Jugatio omnis ubi est antiquitus adscripta permaneat, redeat ad se alio, in fraudem munerum, translata jugatio. Discant ordines, dis- cant reliqui possessores, mutato eo, quod non est recte impetratum, quem participem possidendi cognoverint, esse etiam in omnibus socium functionibus. Gleichwohl ist nicht zu bezweifeln, dass Revisionen der Register unter Erhebung neuer Professionen stattfanden. Die Grundlage der Schätzung der capita war so veränderlich, dass man jährliche Er- hebungen für erforderlich erachten könnte. Aber auch in Betreff der juga zeigt Eumenii grat. act. Constant. c. 5, dass die S. 342 ge- dachte Civitas der Aeduer erschöpft war, weil eam novi census exanimaverat acervitas, dass sie sich aber gleichwohl nicht mit Grund beschweren konnte, cum et agros, qui descripti fuerunt, der nördlichen Provinzen. 347 haberemus, et Gallicani census communi formula teneremur. Dass es aber möglich gewesen, allgemein in allen Provinzen des Reiches in regelmässig wiederkehrenden 15jährigen Perioden solche Neu- aufnahmen eintreten zu lassen, ist wegen der Störungen durch die unausgesetzten inneren und äusseren Unruhen schlechterdings ausgeschlossen. Da also die 15jährigen Indiktionsperioden seit 312 für die chronologische Datirung in Gebrauch kamen, wie Mar- quardt (Römische Staatsverwalt. II, S. 245) im Einzelnen zeigt, muss für dieses Zählen von der ersten bis zur 14ten Steuerumlage die 15te einen wirklich festen regelmässig wiederkehrenden Anhalt gewährt haben. Daher Hesse sich nur an Registererneuerung, Rechnungsrevisionen, oder Abschriften, welche jedes 15 te Jahr dem rector provinciae ein- zusenden waren, oder an ähnliche innerhalb der Behörden selbst stets zu bestimmten Terminen ohne wesentliche Schwierigkeiten ausführbare Massnahmen denken, nicht an neue, von so vielen äusseren Um- ständen, von friedlicher Ruhe, Arbeitskräften und Geldmitteln, ab- hängige allgemeine Censusaufnahmen. — Das Bild, welches durch diese Betrachtung von dem Wesen und dem Verfahren der jugatio und capitatio gewonnen werden konnte, genügt, um mit Bestimmtheit erkennen zu lassen, dass diese Steuerverfassung, obwohl sie ihrem Gedankeninhalte nach nahe mit den ältesten Gesichtspunkten der vorzugsweisen Steuerfähigkeit der res mancipi zusammenhing, keinerlei Beziehungen zur Limitation hatte, und durch keine ihrer Massnahmen in der äusseren Erschei- nung der Besitzungen oder der Ansiedelungsform bemerkbar werden konnte. In der Wegekreuzung von Decumanen und Kardines können die juga in den Provinzen nur da gelegen haben, wo aus anderen Gründen Assignationen von Kolonialland oder spezielle Zumessungen von ager vectigalis stattgefunden hatten. Die jugatio hat zu deren Ausbreitung nicht beigetragen. Dagegen hat sich gezeigt, dass das System der Provinzial- besteuerung von ihrer ersten Organisation an erheblichen Einfluss auf das Agrarrecht gewinnen musste. Der Gedanke der Solidarhaft der Decurionen, als der zahlungsfähigsten Grundbesitzer, für alle Steuern und Lasten der Civitates, und das mehr und mehr unentbehr- liche Vorschiessen der Zahlungen durch diese zwangsweise verpflichteten Gemeindevorstände musste, je höher die Lasten stiegen und je häu- figer Krieg und Verwüstung die Regelmässigkeit der Rückgewährung beeinträchtigten, zur Abhängigkeit der übrigen Bevölkerung von den Curialen führen. Bei dem fast ausschliesslichen Erwerb durch Land- 34S IV« 6« Verwaltung, Verwerthung und Besteuerung bau nahmen aber Klientel und Hörigkeit wesentlich die Natur der Grund- und Gutsunterthiinigkeit an. Dies war noth wendig in noch erhöhtem Grade bei den Staats- und Domainenpächtern der Fall. Es scheint allerdings, als sei auf den kaiserlichen Domainen die Austhuung zur Kleinpacht, als die finanziell vortheilhaftere , immer wieder versucht worden. Indess ge- fährdete schon die Ueblichkeit, die Erhebung der Natural- und Geld- zinsen der Kleinpächter an Unternehmer, die einen bestimmten Er- trag sicherten, zu verpachten, die Lage der Kleinpächter. Durch die Steuereinrichtungen aber kamen sie bei der wachsenden Ungunst der Zeiten in dieselbe Stellung zu den Generalpächtern, wie die Bürger der Civitas zu den Curialen. Da bei der Zeitpacht der Ver- pächter die öffentlichen Lasten und Steuern zu tragen hatte, bei der Erbpacht dagegen nicht, und da den Generalpächtern ihr ganzer Pacht- bezirk einfach und vortheilhaft in Erbpacht oder als zinsbare Pos- sessio verliehen werden konnte, ist erklärlich, dass sich zu Diocletians Zeit keine Anzeichen solcher selbstständiger Kleinpächter von Staats- land mehr finden. Sie sind hinter den Grosspächtern verschwunden und die Hintersassen von Possessores geworden. Weil aber das alte Staats- und Domainenland in der Regel ausserhalb der Civitates lag, hatten diese Possessores um so bestimmter den Charakter der Guts- herrlichkeit. Es lässt sich nun allerdings von den emphiteutischen Possessoren nicht annehmen, dass ihre Heranziehung zur jugatio beabsichtigt gewesen sei. Der Cod. Theod. X, 3. 1—7 und XI, 19. 3 und 4 beschäftigt sich eingehend mit ihnen als einer besonderen Klasse der Besitzer, und Valentinian verordnet noch 372 ausdrücklich: Curialibus omnibus conducendorum rei publicae praediorum ac sal- tuum inhibeatur facultas. Indess der capitatio konnten sie sich der ursprünglichen Kopfsteuer der Hintersassen wegen schwerlich ent- ziehen. Vielleicht wurde auch der Canon auf die jugatio in An- rechnung gebracht. Jedenfalls trat später eine Vermischung ein. Die Gesammtlasten scheinen bei der zunehmenden Zerrüttung des Reiches so hoch oder wenigstens so unerschwinglich geworden zu sein, dass die Zahlungen eine gewisse Grenze des Möglichen erreichten. Die Mehrforderungen, welche rückständig blieben, mussten, wie die erwähnten Dekrete im Cod. Theod. zeigen, immer wieder periodisch, meist von jedem der schnell wechselnden Kaiser erlassen werden. Dazu kamen die zahl- reichen und wechselnden Exemtionen, welche durch Hof- und Kirchen- der nördlichen Provinzen. 349 Stellungen, durch den Erwerb des senatorischen Ranges und durch Militär- und andere Dienste entstanden. Trotz der Absicht, die Steuer nach bestimmten Ansätzen umzulegen, müssen sich die Verschieden- heiten unabweislich gesteigert und für Personen und Besitzungen immer weiter individualisirt haben. Unter diesen Umständen konnte es nicht mehr wesentlich darauf ankommen, auf welchem ursprünglichen Rechtstitel die Belastung des einzelnen Possessors beruhte. Es ver- schmolzen mehr und mehr die auf den Grund und Boden bezogenen Lasten zu einem allgemeinen tributum soli, während die capitatio wenigstens als Kopf Steuer der Hintersassen und Sklaven, als capitatio humana oder plebeja, dauernder ihren Charakter bewahren konnte. Diese Sachlage ergiebt die völlige Umgestaltung der persönlichen und dinglichen Rechte der Landbevölkerung, die sich unter dem Einflüsse der Provinzial -Verwaltung und Besteuerung vollzog, und welche um so mehr von Interesse ist, als sie durch ihren Zusammen- hang mit den Verhältnissen der ländlichen Arbeitskräfte Betrieb und Produktion des Landbaues der Provinzen wesentlich bestimmte. 6. Recht und Betrieb der Pächter, Possessoren, Kolonen und Benefiziaten. Alles Grundeigenthum beruht auf der Anerkennung des Staates. Die römischen Grundeigenthumsrechte aber erhielten ihren beson- deren Charakter durch den bewusst festgehaltenen Gedanken, dass das gesammte römische Staatsgebiet durch das römische Volk im Wege der Eroberung als Staatseigenthum erworben sei. Ohne gül- tiges Staatsgesetz konnte Niemand wahres Grundeigenthum im Staats- gebiete erlangen. Dagegen stand die Nutzung des nicht vergebenen Staatslandes so lange jedem Staatsbürger frei, als der Staat dasselbe nicht für sich selbst zur eigenen Nutzung oder zur Vergebung an andere in Anspruch nahm. Aus dieser Grundauffassung wird das römische Pachtrecht verständlich. Die ursprüngliche Anschauung der Germanen, die sich bis auf die Gegenwart im englischen Pachtrecht erhalten hat, geht von dem Gedanken aus , dass der Verpächter sein Land dem Pächter aus Gnade verstattet. Der Pächter darf gegen Zins das Grundstück be- stellen und die Ernte einbringen. Wenn aber nichts anderes ver- einbart ist, ist die Pacht Jahrespacht, d. h. ihr Gegenstand ist das Recht eine Ernte zu nehmen. Auch löst sie der Tod auf Seiten 350 I^T- *>. Röcht und Betrieb der Pächter, lies Verpächters wie des Pächters. Der Pächter erhält das Grund- stück leer, Alles darauf gebrachte, auch die Gebäude, kann er wieder fortnehmen, für das Zurückbleibende wie für Verbesserungen steht ihm kein Entschädigungsanspruch zu. Das römische Pachtrecht dagegen, das aus der Staatspacht ent- wickelt ist, stellt eine Verwerthung des Staatslandes zu Gunsten der Staatskasse dar. Diese Verpachtung war, wie o. S. 333 zeigt, erst das Ergebniss heftiger und langwieriger Kämpfe gegen die okku- patorische Besitznahme des Ager romanus durch die übermächtigen Patrizier. Die Verpachtung war die Form, die Nutzniesser des Staatsgutes, ihren eigenen Angeboten entsprechend, zur Erleichterung der Staatslasten der Gesammtheit heranzuziehen. Deshalb ist das römische Pachtrecht, auch wie es zwischen Privaten gilt, von an- scheinend besonderer Milde und gewährt dem Pächter wichtigen Schutz.1) Der Verpächter haftet ihm für sein Interesse, das Pacht- stück inne zu haben, also auch dafür, dass er es ihm nicht durch Veräusserung entwindet. Der Verpächter muss dasselbe, soweit nichts anderes verabredet ist, seinerseits selbst in gutem, brauchbarem Zu- stande erhalten und die darauf haftenden Lasten tragen, auch hat er Nachlass am Pachtgelde zu gewähren, falls der Fruchtgewinn durch aussergewöhnliche Unglücksfälle erheblich geschmälert ist. Der Pächter kann das Grundstück auf seine eigene Gefahr ohne Ein- willigung des Verpächters weiter verpachten. Er zahlt seine Pacht erst nach gemachtem Gebrauch oder nach Ablauf der festgestellten Zeit. Sein Pachtrecht verfällt ausser nach Ablauf der Pachtzeit nur, wenn er das Pachtstück ersichtlich missbraucht oder mit der Pacht zwei Jahr im Rückstand bleibt. Der Tod der Parteien hat auf die Pacht keinen Einfluss. Ist über die Beendigung derselben nichts verab- redet, so ist sie, sofern dem Censor gegenüber nicht das 5jährige Lustrum Voraussetzung bleibt, Jahrespacht, aber der Pächter kann Mangels des Widerspruchs die Pacht fortsetzen, und das Verhältniss unterliegt dann einer ortsüblichen Kündigungsfrist. Diese Bestimmungen sind allerdings dadurch wesentlich zu Un- gunsten des Pächters beeinträchtigt, dass der römische Prozess keine Klage auf die Sache, also in diesem Falle auf den Pachtbesitz kennt, sondern nur das in Geld auszudrückende Interesse zuspricht. Der Eigenthümer kann also den Pächter unter allen Verhältnissen ent- fernen und sein Pachtland zurücknehmen, wenn er nicht zu be- ') Windscheidt, Lehrb. des Pandektenrechts §§ 399 rt'. Possessoren, Kolonen und Beneflziaten. 351 fürchten braucht, dass derselbe mächtig und ausdauernd genug ist, eine Klage auf erheblichen Schadenersatz anzustellen und damit durchzudringen. Uebcrdies fehlt dem Pächter Dritten gegenüber jede Rechtshülfe, selbst gegen gewaltsame Vertreibung, soweit dieselbe nicht lediglich polizeilich zu erlangen ist. Diese Nachtheile waren indess dem Staate gegenüber von ge- ringer Bedeutung. Die Staatspacht aber kam von jeher hauptsächlich in Betracht, und die in den Provinzen häufige Pacht kaiserlicher Domainengüter stand der Staatspacht gleich. Die o. S. 294 ange- führten Aeusserungen Hygins erweisen, dass zu seiner Zeit das Staatsland in vielen Provinzen in grosser Ausdehnung an Klein- besitzer von bäuerlichem Charakter ausgegeben war. Denn seine Vorschläge und Forderungen, diese Pachtländereien limitirt aufzu- messen und den Pächtern nach Strigae und Scamna in bestimmter Abgrenzung zu überweisen, beabsichtigten (Lachm. I, 206) ausdrücklich limites transversi zu ziehen, inter quos bina scamna et singulae strigae interveniunt , und ebenso limites prorsi, inter quos scamna quatuor et quatuor strigae cluduntur. Sei es nun, dass er, wie Weber a. a. 0. S. 22 zeigt, Centimen zu 20 und 24 actus oder zu 20 und 30 actus, also 240 oder 300 jugera, zu Grunde legt, immer wird die Centime in 2 scamna und 1 striga zu je 80 oder 100 jugera ge- theilt. Diese Theile hätten keinen Sinn, wenn sie nicht besondere Pachtgüter bilden sollten. Vergleicht man damit, dass das für den gemeinen Legionsveteranen übliche Maass Vs der Centime von 200 jugera oder 662/3 jugera war, welches nur in seltenen Fällen erheblich, aber selbst ausnahmsweise in Emerita nicht über 400 jugera, er- höht worden ist, so bestätigt sich, dass Pachtstücke in Frage stehen, auf welchen der Pächter durch seine und seiner Angehörigen eigene Arbeit seinen Unterhalt finden konnte; aber nicht in der Lage war, sich durch den Landbau wesentlich über ein bäuerliches Dasein zu erheben. An Oertlichkeiten , in denen ein solcher Pachtbesitz bestanden haben kann, ist uns keine andere hinreichend bestimmt bezeichnet, als die der agri decumates, auf welche Tacitus (c. 29) mit den Worten hinweist: Non numeraverim inter Germaniae populos, quamquam trans Rhenum Danubiumque consederint, eos, qui decumates agros exercent. Levissimus quisque Gallorum et inopia audax dubiae possessonis solum occupavere, mox limite acto promotisque praesidiis sinus imperii et pars provinciae habentur. Es kann nach der Orts- bestimmung kein Zweifel sein, dass diese Ländereien zwischen dem H.VJ IV. (j. Recht und Betrieb der Pächter, Rhein und dem Remsthale in der fruchtbaren Ebene des mittlen Neckars Lagen. Die nördlich und südlich anstossenden Gebirgs- gegenden konnten Ansiedler aus Gallien nicht anziehen. Die Land- schaft zwischen Schwarzwald und Odenwald aber war nach dem Ab- züge der Markomannen frei geworden. Dass sie Pachtland, ager vectigalis, wurde, spricht die Bezeichnung agri decumates aus. Von diesen Besitzungen sind uns Spuren erhalten. Allerdings kein Wegenetz, welches auf eine limitirte Anweisung deutete. Diese würde auch Tacitus' Auffassung nicht entsprechen. Wohl aber die Reste einer grossen Anzahl ländlicher Höfe, von denen nähere Nach- forschungen wahrscheinlich noch sehr viele aufdecken könnten. Diese Reste und die über ihre Untersuchung erstatteten sachkundigen Be- richte sind in der Anlage 32 näher behandelt. Die ausgegrabenen Mauern mit den erhaltenen Räumen von Kellern und Hypokausten und den im Schutt gefundenen Baustücken von Fussböden und Stückwänden sowie von Säulen, Widerlagern, Dachziegeln und Thür- steinen genügen, um die Beschaffenheit der Bauten hinreichend be- urtheilen und im Wesentlichen die Gebäude und übrigen Einrich- tungen ganzer Hofstellen rekonstruiren zu können. Das in dieser Weise von Herrn Bauinspektor J. Na eher hergestellte Bild eines Hofes in Hagenschieswald bei Pforzheim giebt Fig. 47 wieder. Es zeigt die übereinstimmenden Züge aller dieser Anlagen. Eine über- mannshohe Mauer umschloss einen Raum von 1 bis 3 oder 4, wie es scheint, sogar bis 7 ha. In demselben wurden nicht weniger als 5 und nicht über 13, in der Regel 8 bis 10, einzelstehende Gebäude vorge- funden. Unter ihnen stand, stets in freier, beherrschender Lage mit der Aussicht in die Thalsenkung und vor dem Hauptwinde geschützt, das Wohnhaus. Sein Innres enthielt ein geräumiges Atrium mit einer Halle und war durch ein Vestibulum zugänglich. Auf beiden Seiten des letzteren lagen durch Hypokausten geheizte Wohnräume, ein Speisezimmer mit absisartig hervortretender Nische, Schlafräume, Küche, Keller und einige Vorrathsgelasse. Alle Wände, auch die der bescheidensten Gemächer waren gemalt. Häufig sind auf rothem Grunde Linien, Arabesken, Blumen oder architektonische Zeichnungen aufgetragen. Die Fussböden waren nur ausnahmsweise durch einfaches Mosaik, meist aber mit Plattensteinen oder geschliffenem Estrich bedeckt. Zu den übrigen Gebäuden gehörten in der Regel ein wohl eingerichtetes heizbares Bad, ein Wirthschaftshaus für die Auf- seher und die Sklaven, ein Speicher und Ställe für verschiedene Nutzthiere. Alles dies wirft ein günstiges Licht auf die Lebenslage Possessoren, Kolonen und Benefiziaten. 353 des Besitzers, zeigt aber auch, dass sein Wirthschaftsbetrieb nicht auf den von der Hofmauer umschlossenen Raum, selbst wenn er mehr als 4 ha Flüche hat, beschränkt gewesen sein kann. Vielmehr sind Wohngelasse, Wirthschaftsräume und Ställe für so viele Arbeiter und Nutzviehstücke vorhanden, dass die obengedachte Fläche von 100 jugera eher klein als gross erscheint, und vielleicht häutig das Hoppelte betrug. Näheren Anhalt gewährt Anlage 33. Sie zeigt, dass auf der in sehr fruchtbarer und ebener Gegend, 1 Meile südöstlich von Ludwigsburg und dem Hohenasperg, ziemlich in der Mitte des Dekumatengebietes belegenen Feldflur von Münchingen, die Ruinen von sieben derartigen Villen aufgefunden sind. Die Flur umfasst lost: *S» ^Sfe *\ r> ML^A-^ -^^^h-^tik ^Mffiir'^ Fig. 47. Römischer Bauernhof im Dekumatenlande. 680 ha. Einige der Villen liegen der heutigen Flurgrenze sehr nahe, ihr Besitz wird also über dieselbe hinausgereicht haben. Vier von ihnen aber sind in der Nähe des Dorfes so gedrängt neben einander belegen, dass im römischen Sinne geschlossene Besitzungen von mehr als 100 jugera nicht füglich jede derselben umgeben haben können. Auf der Flur von Friedberg Anlage 34 sind die Reste von vier Villen ähnlicher Art bekannt. Zahlreiche andere sind über die Nachbarschaft zerstreut aufgefunden. Sie lagen im Schutze des be- deutenden, bis heut in seinen Mauern erhaltenen Kastells von Fried- berg, welches wahrscheinlich das vom älteren Drusus in monte Tauno angelegte Arataunon ist. Diese Villen scheinen jede ungefähr eine Meitzen, Siedelung etc. I. 33 ; , I IV. 6. Rechi und Betrieb der Pächter, Centurie eingenommen su haben. Von ihnen allen ist nicht zu bei zweifeln, dass ßie schon zur Zeit Marc Antons oder bald nachher Ruinen wurden. Andererseits Lässt sieh wenigstens von den Baulich* keiten im Neckargebiete nicht anneinnen, dass sie so, wie wir sie vor- gefunden hahen, vod den armen, gallischen Auswanderern und Flücht- lingen, welche Tacitus erwähnt, errichtet worden seien. Die Wohn gebäude in Gallien zur Zeit des Cäsar und Augustus sind o. S. 226 näher besprochen. Dort sind Grundrisse von Gebäuden in Bibracte wieder gegeben, deren Zerstörung auf Cäsars Zeit zurückgeführt wird.1) Anlage :i'2 enthält auch den Grundriss einer der canabae hei der Salburg und bei Domitian's Villa. Mit diesen Baulichkeiten verglichen, sind die Villen in Württemberg sehr viel reicher, obgleich sie als einlache, nur auf das Nothwendigc beschränkte Heiniwesen erscheinen. Doch tragen sie in jeder Beziehung so völlig römisch-italischen Typus, dass sie mit vollem Recht Römern zugeschrieben werden müssen, welche nach Feststellung des Limes in der Zeit des Tiberius oder Domitian diese nach Boden und Lage günstigen Ländereien an sich brachten, und sie während der Blüthezeit Baden-Badens, des Lieb- lingsaufenthaltes Caracallas, über 100 Jahre in Ruhe besessen haben können. Solche Bauernschaften vermochten allerdings ihre Selbstständig- keit auch General] »ächtern ihrer Zehntleistungen gegenüber zu wahren; überdies gieht der Naturalzehnt wenig Veranlassung zu Schuldresten. Den wohlhabenden Bauernschaften werden auch die vectigalpflichtigen Militärkolonien gleichgestanden hahen. Während aber die letzteren, soweit sie nach S. 329 bekannt sind, in der nächsten Umgebung fester Städte mit starken Garnisonen angelegt waren, und deshalb noch längere Zeit hinreichende Sicherung gegen die Einfälle der Barbaren gefunden haben mögen, waren die im offenen Lande verbreiteten Wirtschaften der Pachtbauern den Plünderungen schutzlos Preis ge- geben. Die mittle Donau und Save, der Oberrhein und Niederrhein und bald auch alle atlantischen Strommündungen waren die Einbruchs- thore, durch welche sich die in Sieg wie Flucht gleich verwüstenden, in kurzer Zeit wiederkehrenden Raubzüge tief ins Innere des Landes, häufig bis nach Oberitalien erstreckten. Damit war der Bestand wohlhabender Bauernschaften untergraben. Die Bemittelteren zogen in die festen Städte, der Rest verarmte und verschwand unter der Masse der abhängigen ländlichen Bevölkerung, welche als Hinter- Xapuleoii III., Geschichte Caesars, 2. 66. Possessoren, Kolonen and Benefiziaten. 355 sassen und Arbeiter der Grossgrundbesitzer die freien Eigenthümer and Pächter schon früh an Zahl weit überwogen haben muss. — Der Grossgrundbesitz ging im ager* publicus der Grosspacht lange voraus. Wie sieh die Patrizier über diese Besitzergreifungen auseinander gesetzt haben, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich hielten die Kosten der Beschaffung von Sklaven und Vieh und die Aus- rüstung und Erhaltung von Klienten und Verwaltern dem Nutzen so weit das Gleichgewicht, um nur den Reichen anzuziehen. Dass Viehzucht den Hauptbetrieb bildete, ergehen die licinischen Gesetze. Die Lex Thoria (o. S. 334) aber zeigt, dass dahei wenigstens zu ihrer Zeit nicht mehr an gemeinsame Weidenutzungen zu denken ist, sondern dass die einzelnen Possessionen gegen einander abgegrenzt waren. Denselben Charakter müssen die für die neueren Erwerbungen allgemein durchgeführten Verpachtungen Seitens des Censors getragen halten. Alle Verpachtungen konnten nur für bestimmt begrenzte Grundstücke und an bestimmte Personen oder Sozietäten stattfinden. Diese Sozietäten kennt Cato, der 149 v. Gh., 85 Jahr alt, starb, schon in althergebrachter Uehung. Ihr Entstehen erklärt sich am natür- lichsten aus der immerhin nur geringen Morgenzahl der praedia qui- ritisehen Grundeigens, mit welcher die einzelnen Patrizier dem Cen- sor für Pachten Bürgschaft zu leisten vermochten. Später mögen auch Ue hereinkommen sich gegenseitig nicht zu überbieten, und die Vertheilung des Geschäfts -Risikos bestimmend geworden sein. Die Socii schössen im Sinne der modernen Aktiengesellschaft Geld auf gemeinschaftlichen, pro rata berechneten Gewinn und Verlust zu- sammen und zogen daraus erheblichen Nutzen1). Zu eigener Wirt- schaft aber waren die Verbände nicht geeignet. Sie werden im Wesent- lichen nur vorhandene Pächter oder Zinspflichtige , seien es Land- bauer oder Hirten, durch Grosspacht ihrer Zehnten und Zinsen über- nommen, oder selbst solche Hintersassen angesetzt haben. Die Schriftsteller der Landwirthschaftskunde von Cato bis Palladius gehen keine andere Weisungen als solche für den einzelnen Guts- herren, der als politisch beschäftigter Staatsmann von seinem Land- besitz entfernt lebend gedacht ist. Er wird belehrt, wie er von seinen Landgütern den grössten Nutzen ziehen kann. Dabei ergeben sich nach den Perioden, in denen diese Schriftsteller geschrieben haben, die Eigentümlichkeiten des landwirtschaftlichen Betriebes auf den grossen Besitzungen. ') Niebuhr, Rom. Gesch., 2. Aufl., Th. II, S. 185. 785. Liv. VI. 34, Dio Cass. Fragm. XXXI, Dionys. IL 7. Varro I. 2, § 9. 23* 356 IV. 6. Recht und Betrieb der Pachter, Die ländlichen Zustände der älteren Zeit bis auf Tiberius charakterisiren Cato, Varro, der 116 bis 28 v. Ch. lebte, und Vitruv, dessen Sebrii'l de architectura um das Jahr 13 v. Ch. geschrieben ist und sich auch auf die landwirtschaftlichen Anlagen erstreckt. Die durch- aus auf die Praxis ihrer Zeit gerichteten Rathschläge dieser Männer gehen übereinstimmend von sehr grossem Landbesitz in den Händen Einzelner und davon aus, dass derselbe im Wesentlichen durch Sklaven zu bewirtschaften ist. Als die hauptsächlichste Form des Betriebes erscheint bei ihnen che villa rustica, von etwa 200 jugera Flüche, im modernen Sinne ein Vorwerk, welches von einem be- währten Sklaven, dem villicus, geleitet wird, dem in der Regel neun andere Sklaven als Arbeiter untergeben sind. Der villicus ist mit der villica verheirathet , welcher die Pflichten der Aufsicht über die weiblichen Arbeiter obliegen. Ihm ist auch ein peculium gestattet. Die übrigen Sklaven stehen in strenger Knechtschaft ohne eheliches Zusammenleben, wohl aber wird die Erzeugung von Kindern bei den Sklavinnen, als dem Herren vortheilhaft, begünstigt. Von dieser villa rustica giebt Vitruvs Plan (Buch VI, c. 6) folgendes nähere Bild: """"" rmrtJl S Fig. 48. Villa rustica des Vitruv. a ist die Wohnung des villicus, darunter der Weinkeller und das ergastulum, das Gefängniss für die Sklaven; b ist die Küche; c die Wohnung der Sklaven; d das Bad und darüber der, Apotheke ge- nannte, Lagerraum für Vorräthe, Utensilien, Wein, Oel u. dgl. ; e der Ochsenstall; f der Hofraum, in welchem leichte Ställe für Pferde und anderes Vieh und Feimen oder Scheunen für Getreide stehen, und das Federvieh gehalten wird ; bei g sind die Durchgänge. Die Woh- nung des villicus ist nach Süden orientirt. Vitruv rechnet für 200 jugera 3 Joch Ochsen, 3 Ochsenknechte und 6 Arbeiter, servi, und spricht ausser von dem villicus noch von einem actor, Rechnungs- führer, und von operum magistri, Aufsehern, welche zu der Gesammt- leitung des Latifundiums gehören, und die Vermittler zwischen dem villicus und dem Gutsherrn sind. Letzterer, der in der Stadt oder auf einem entfernten luxuriösen Landhause, einer villa urbana, lebt, wird ermahnt, wenigstens von Zeit zu Zeit einmal nach seinem Be- Possessoren, Kolonen und Bonefiziaten. 357 sitze zu sehen und durch hartes Auftreten den Sklaven zu iinponiren, jedenfalls denselben so wenig als möglich nachzugeben oder zu be- willigen, da sie alles Nothwendige ohnedies durch Betrug und Dieb- stahl zu erlangen wissen würden. Losgekaufte Verbrecher, welche in Fesseln arbeiten mussten, werden für billigere und bessere Arbeiter erachtet als gewöhnliche Sklaven, und auch für letztere wird als zweckmässig empfohlen, sie von Zeit zu Zeit zu strafen und in das Ergastulum zu sperren, damit sie nicht übermüthig und unzufrieden würden. Als Grundsatz gilt, dass nicht mehr Sklaven, als stets be- schäftigt werden können, in der Wirthschaft gehalten werden; für Einbringung der Ernte und sonst eintretende Bedürfnisse sollen fremde Lohnarbeiter angenommen werden. Der Anbau erscheint schon bei Cato und ebenso bei Varro nur so weit auf Getreide ge- richtet, als der eigene Bedarf der Sklaven und Arbeiter des Guts- betriebes erfordert. Verkaufsgegenstände sind, abgesehen von Vieh und unbrauchbar gewordenen Sklaven und Geräthen, nur Wein und Oel.1) Letztere erscheinen durchweg als die Hauptanbaufrüchte. Diese Schilderung der grossen Güter enthält das bestimmte Zeugniss, dass der Betrieb noch Eigen wirthschaft mit dem Zwecke möglichst hohen Ertrages war. Die ungeheuren Reichthümer, die bei der Eroberung und Verwaltung der Provinzen und in Pacht- und Handelsgeschäften gewonnen wurden, drängten dazu, ebenso wie Viele Geld in Sklaven anlegten, es namentlich auch durch Ankauf von Grund und Boden zu verwerthen. Dabei aber war ersichtlich nicht der Gedanke einer Herrschaft über Land und Leute bestimmend, sondern der landvvirthschaftliche Erwerb. Es wurden Ländereien aller Art und wahrscheinlich auch Bauerngüter aufgekauft, aber nicht Bauern. Im Gegentheil, der bessere Ertrag der Wirthschaft wurde davon er- wartet, dass nur die zu den laufenden Arbeiten nothwendigsten Sklaven auf dem Gute gehalten würden, alle zeitweisen Arbeiten aber möglichst von freien nur vorübergehend angenommenen Tagelöhnern besorgt werden sollten. Dass diese überall als unangesessene Leute aus den Städten in genügender Zahl zu erlangen gewesen sein sollten, ist nicht anzunehmen. Sie mussten Landarbeit verstehen. Es ist also nur an einen noch ziemlich zahlreichen und weit verbeiteten Bestand selbstständiger kleiner ländlicher Stellenbesitzer zu denken. Der Wirthschaftsbetrieb selbst wurde vom Gutseigenthümer auf eigene Rechnung geführt. Aber das Gutsareal zerfiel in eine Masse ') Vergl. Näheres bei Weber a. a. 0. S. 225 ft". 358 IV- 6- Recht und Betrieb der Pächter, einzelner Ilüi'e, welche nicht grösser, als das Muster der grössten Fundi (o. S. 255) waren, und unter besonderen Verwaltern standen. Es giebt allerdings auch Andeutungen von viel grösseren Betriebs- einheiten, die sieb indess auf Provinzialland beziehen. Schon aus Ciceros Verrinischen Reden wissen wir, dass in Sicilien Grosspächter öffentlicher Ländereien zweckmässig fanden, bedeutende Massen In- ventar, Sklaven, Vieh, Geräthe und Saatgetreide zu beschaffen und damit aus eigener Hand die gepachteten Ländereien zu bewirtschaften. Eine ähnliche Wirthschaft mit massenhaften Gespannen und Arbeits- kräften muss auf den sogenannten Hochäckern zwischen Isar und Lech geführt worden sein. Sie bilden den merkwürdigen Rest einer den Römern zuzuschreibenden Eigenwirtschaft vom grössten Umfange, welchen Anlage 35 wiedergiebt. Sie zeigt in weitem Zusammenbange Ackerungen breiter und bober Beete in den unfruchtbaren, ebenen, mit Sand, Lette und Geschieben gefüllten Flussbetten der zur Donau abmessenden Alpengewässer. Diese breiten Bruchländereien lassen sieb bis zur Karolingerzeit zurück als öde, von Wald und Haide bedeckte Domainenreviere nachweisen und sind weder von der deutschen noch von der keltischen Besiedelung in Anspruch genommen worden. Anlage 35 weist nach, dass dieser ausgedehnte, schwerlich lohnende Anbau am wahrscheinlichsten der ersten Zeit der Eroberung des rhätischen Galliens durch Tiberius und Drusus zuzuschreiben ist. Indess dürfte solcher wirklicher Grossbetrieb nur unter beson- deren Umständen als vortheilbaft gegolten haben. Er konnte nur auf ausgedehnten Getreidebau gerichtet werden. Dieser aber war, wenigstens in Italien, welches die älteren Schriften über das Agrar- wesen fast ausschliesslich im Auge haben, der auswärtigen Zufuhr wegen nicht mehr zweckmässig. Die lange Küstenentwickelung machte Italien dem vortrefflichen Getreide Aegyptens und des übrigen Nordafrikas, sowie Siciliens und der Narbonnensischen Provinz überall leicht zugänglich. Auf ziemlich weite Umgebung von Rom aber schloss die amtliche Versorgung der Stadt mit ausländischem Getreide einen lohnenden Markt in derselben für inländisches aus. Mit dem übermässigen Reichthum Roms wuchs auch das städtische Proletariat in immer steigendem, bedrohliebem Verhältnisse an. Die Aedilen sorgten deshalb nicht allein durch verschiedene begünstigend»1 Massregeln stetig für die zur See am leichtesten zu sichernde Zufuhr, sondern sie hielten dabei auch die Preise möglichst niedrig. Die Largitionen einzelner Beamten, besonders aber die seit den Graceben wiederholten legee frumentariae leiteten ein von den Triumviren und ßossessoren, Kolonen und ßenefiziaten. 359 den Kaisern /.war eingeschränktes, aber gleichwoh] mit grossen Opfern fortdauerndes System von Schenkungen an die niedere Bevölkerung der Stadt ein, welches den Absatz italienischen Getreides nach Rom im Wesentlichen ausschloss. Dieser Ausfall in der Nutzung der Lati- fundien wurde so sein' anerkannt, das- schon 11 v. Ch. den neu erworbenen gallischen Provinzen die Ausfuhr von Wein und Oel ver- boten wurde. Es lässt sieh nicht bezweifeln, dass ein massenhafter Getreidehandel sich unter diesen Verhältnissen in Italien nicht ent- wickeln konnte, und damit auch die Massenproduktion unmöglich war. Dabei wird man sich indess sagen müssen, dass hei den Trans- portschwierigkeiten lies offenen Landes weite Zufuhren in das Innere nur auf den wenigen Wasserstrassen ermöglicht werden konnten, und deshalb der Absatz im Kleinen in den zahlreichen, nicht unerheb- lichen Hauptorten der Civitates den gewöhnlichen Landwirtschaften immerhin hinreichenden Nutzen gewährt halten mag. Auch wird in manchen Gregenden das Bedürfnis der annona für die Truppen nicht unerhebliche Lieferungen gefordert haben. Sein- gut aber erklären sich aus der Sachlage zwei Erscheinungen, einerseits die häufigen Hinweisungen und Klagen, dass besonders seit den Bürgerkriegen ausserordentlich grosser Grundbesitz in wenigen Händen vereinigt worden sei, andererseits, dass die Anzeichen der Wirthschaftsführung und der Erträge des Landes nicht auf Gross- wirthschaft, sondern auf Kleinbetrieb deuten. Die Grossbesitzer, die bis zu 20000 Sklaven im Besitz hatten, bewirtschafteten durch die- selben nur eine sehr grosse Zahl kleiner villae, aus welchen sie durch raffinirte Behandlung der billigen Arbeitskräfte ihre Anlagekapitalien verwertheten. Die noch im Beginn der Kaiserzeit betriebene Wirtschaftsweise der Grossgrundbesitzer, welche wesentlich auf regelmässige, aber möglichst sparsame Sklavenarbeit unter aushülfsweiser Heranziehung freier Lohnarbeiter begründet war, änderte sich indess, wie Weher a. a. O. S. 242 näher ausführt, als sich nach dem Schlüsse der germanischen Grenze durch den limes des Tiberius und durch den ein- getretenen längeren Frieden ein wesentlich verminderter Zutiuss von Sklaven geltend machte. Bis dahin ergaben die steten Kriegszüge jährlich grössere oder kleinere Schaaren Gefangener. Seit den letzten Kriegen der Republik hatte sieb für sie eine Art kaufmännische Intendanz entwickelt, welche die Heere begleitete und den Feldherrn *der Schwierigkeit überhob, die Gefangenen zu bewachen und zu er- nähren. Es wurde den Unternehmern der Kopf für einen sein- 3ßO IV. 6. Hecht und Betrieb der Pächter, geringen Preis überlassen, und sie machten sich dann für ihre Fürsorge ans dem Verkauf bezahlt. Diese Quelle billiger Arbeits- kraft versiegte. Schon unter Tiberras war der Ausfall an Sklaven so fühlbar, dass die Klagen über Menschenraub auf den öffentlichen Strassen allgemein wurden, und der Kaiser sich veranlasst sah, eine Kommission niederzusetzen, welche die Ergastula der grossen Güter durchsuchen und widerrechtlich Eingesperrte und zu Sklaven Ge- machte befreien sollte. Gleichzeitig nahmen die Zustände in Rom, am Hofe wie im Staate und im Beamtenleben, einen so widerwärtigen und gefährlichen Charakter an, dass sich die besseren Elemente der alten Familien aus der Stadt auf ihre Güter zurückzogen. Auch mochte Manchen die Beraubung und der Verfall seines Vermögens zwingen , sieh der Bewirtschaftung seines Landbesitzes zu widmen, wenn er auch in entfernten Gegenden lag. Dieser Zeit gehört Fron- tins Bemerkung (Lachm. 53) an: Frequenter in provinciis habent autem in saltibus privati non exiguum populum plebejum et vicos circa villam in modum munitionum. Saltus hatte bereits die Bedeu- tung einer ausgedehnten Rodung erhalten. — Columella (I. 7) erwähnt nun zum erstenmal, aber als etwas durch- aus selbstverständliches, dass auf den Latifundien Kolon en angesetzt seien. Allerdings sagt er auch I. 9, dass die Wirthschaft von je 10 zum Betriebe eines Gutsabschnittes vereinigten Arbeitern die übliche geblieben sei. Classes etiam non majores, quam denum hominum faciendas, quas Decurias appellaverunt, antiqui et maxime probaverunt. Ein Fragmentum jur. rom. vatican. (Huschke, S. 774) ergiebt näher, dass man ein derartiges Stück Land zur besonderen Bewirtschaftung und eine solche Dekurie von Sklaven vorzugsweise Freigelassenen zuzuweisen pflegte. Der Vertrauensbruch eines solchen als selbst- ständiger Wirthschafter angesetzten libertus wurde durch die Er- niedrigung desselben in die frühere Sklavenstellung und durch die Rücknahme der 10 Sklaven auf das Herrengut bestraft. Da nun schon Varro solche Freigelassene kennt und die Frage erörtert, ob es an- gemessener sei, die Wirthschaft mit Sklaven, mit Freigelassenen oder mit beiden zu betreiben, der Kolonen aber nicht erwähnt, muss ihm die Wirthschaft des Herren mit Kolonen noch unbekannt gewesen sein. Diese inzwischen eingetretene Veränderung im Betrieb der grossen Landbesitzungen spricht sich auch in des Tacitus, des Zeitgenossen Columella's, Aeusserung, Germ. 25, aus, in der das Kolonat bereits als eine ganz verbreitete Form der Wirthschaft behandelt ist. Colu-" mella stellt die Kolonen den Servi gegenüber und meint (I. 7), es Possessoren, Kolonen und Benefiziaten. 361 wäre angenehmer mit Kolonen zu thun zu haben, und es sei leichter Arbeit als Zahlungen von ihnen zu bekommen. Sie würden eher um Nachlass der letzteren als der ersteren bitten. Insbesondere Hessen sich entfernte Grundstücke, wo Korn angebaut werde, mit geringerer Mühe durch freie Kolonen bewirtschaften als durch Sklaven unter einem villicus. Sklaven seien träge und unehrlich, vernachlässigten das Vieh und vergeudeten den Ertrag. Die am Ertrage Antheil habenden Kolonen dagegen besässcn das gleiche Interesse wie der Gutsherr. Die besten Kolonen aber seien die auf dem Gute ge- borenen und durch ererbte Bande an das Gut geknüpften. Damit ist die weitere und bei Weitem wichtigste Form des Be- triebes berührt, welche das römische Agrarwesen in den Provinzen annahm, das Kolonat. Ursprünglich waren die Kolonen Freie aus verschiedenen Lebenslagen, welche fremdes Land bebauten. Der Colonus des alten römischen Rechts erscheint lediglich als ein freier Pächter. Die Stelle des Columella aber beweist hinreichend, dass es auf den grossen Gütern Pächterfamilien gegeben haben muss, die vielleicht aus Freigelassenen oder Verarmten hervorgegangen, an eine Veränderung ihrer jedenfalls recht bescheidenen Lage gar nicht dachten oder denken konnten. Wenn er solche Kolonen als durch ererbte Bande an das Gut gefesselt bezeichnet, so muss dies Ver- hältniss bereits ein herkömmliches und häutiges gewesen sein. Sie erscheinen schon weniger zur Zahlung von Pachtzins als zur Abgabe von Ernteantheilen und dabei zu Arbeiten auf dem Herrengute ver- pflichtet. Tacitus erwähnt, Germ. 25, zwar solcher Arbeiten nicht, sieht aber auch seinerseits in dem Kolonen nicht mehr den freien Pächter, wenn er von dem deutschen Sklaven sagt: Jeder von ihnen waltet in eigener Wohnung am eigenen Heerde, der Herr legt ihm, wie einem Kolonen, eine Abgabe an Getreide, Vieh oder Kleider- stoff auf, weiter geht die Unterthänigkeit nicht. In diese Verhältnisse hat nun Mommsen durch seine Deutung des in Afrika aufgefundenen agrarischen Gedenksteins, des Saltus Burunitanus, neues Licht gebracht.1) Die Inschrift dieses Steines ent- hält ein Gesuch zahlreicher Kolonen einer kaiserlichen Domaine, welche cives romani sind. Aus ihrer Bitte geht hervor, dass sie unter Conductoren stehen, denen sie Abgaben verschiedener Art und jährlich 6 Frohntage auf dem Pachtgute des Conductors zu leisten haben, nämlich 2 aratorii, 2 sartorii und 2 messarii dies. Die Con- J) Mommsen, Dekret des Commodus etc. (in Hermes XV, 390). 362 IV. <;. Recht und Betrieb der Pächter, ductores haben diese Leistungen erhöheu wollen, und als die Kolonen sich geweigert, sind sie gezwungen und geschlagen worden. Sie haben sich deshalb an den Prokurator der Domaine, welcher deren Ver- pachtung zu beaufsichtigen hat, klagend gewendet, sind aber von demselben abgewiesen worden. -letzt gehen sie an die Gnade des Kaisers und bitten diesen um Abhülfe. Die Antwort besteht in einem Marginal- dekret des Kaisers, welches der Inschrift beigefügt ist. Es besagt, dass die Lasten dieselben bleiben sollten, wie sie unter seinem Vater festgesetzt seien. Dies erweist, wie Mommsen erläutert, dass den Kolonen, obwohl sie freie Bürger, nicht allein Frohndienste auferlegt waren, sondern dass sie auch wegen ihrer Kolonatsverhältnisse den ordentlichen Richter nicht angehen durften. An dessen Stelle hatte vielmehr der Prokurator zu eidscheiden, gegen dessen Bestimmung nur die Gnade des Kaisers angerufen werden konnte. Darin liegt zunächst, wie Weher a. a. 0. S. 253 im weitern Zusammenhange nachgewiesen hat, die Bestätigung der o. S. 338 erwähnten Stellung solcher Do- mainen- und Staatsländereien ausserhalb der Civitates. Ihr Inhaber, sei es der Kaiser seihst, oder ein Possessor, der vom Kaiser oder vom Staate gepachtet oder erworben hatte, war dadurch gezwungen, für die Verwaltung der niederen Gerichtsbarkeit und der Polizei selbst Sorge zu tragen. Damit aber brachte er seine Hintersassen, auch wenn sie ursprünglich freie Eigenthümer von ager privatus vectigalis waren, um so leichter und zweifelloser in eine hofrechtliche Stellung, weil er für sie die Steuern zu vertreten und vorzuschiessen hatte. Auch dem Gemeinderechte nach gehörten die Insassen dem Orte der Geburt an, und der Staat hatte sogar der Steuern wegen Interesse, sie örtlich zu binden. Die thatsächliche Abhängigkeit des auf der Besitzung geborenen und pachtweise wirtschaftenden Kolonen war damit ohne Weiteres gegeben. Die Frohndienste, zu welchen sich die Kolonen des Saltus Burunitanus für Ackerbestellung, Ernte- schnitt und für Jäten oder Behacken verpflichtet anerkennen, hängen nicht mit dvn allgemein bestehenden sordida munera zusammen. Sie zeigen vielmehr, dass auch die Conductores selbst auf herrschaftlichen Länderen gesessen haben müssen, welche mit diesen Diensten zu be- stellen waren. Nach den o. S. 276 angegebenen Verhältnissen würden zur Ackerbestellung 1 jügerums mindestens 4 Tage Gespannarbeit, auf jedes zu ackernde jugerum also 2 Kolonen zurechnen sein. Ein herrschaftliches Gut von 200jugera würde somit 200 Kolonen erfordert haben. Da jeder dieser Kolonen, um Gespann halten zu können, durchschnittlich 30 jugera bedurfte, hätten 6000 jugera Kolonenland Possessoren, Kolonen and Benefiziaten. 363 dazugehört, am ein Herrengut von 200 jngera zu bewirthschaften. Das berechtigte Vorwerk würde also kaum hingereicht haben, um den für Aufsicht und Rechnungswesen bei 200 (Colonen aöthigen Beamten Unterkunft zu gewähren« Cndess ist nicht ohne Grund anzunehmen, dass die Kolonen auf dem kaiserlichen Saltus Burunitanus als freie Bürger, welche vielleicht noch mit den alten afrikanischen Land- verleihungen in Beziehung standen, besonders gut gestellt und gering belastet waren. Weniger freie, auf verliehenem Lande sitzende Ko- lonen hatten wahrscheinlich mehr als nur (> Frolmtage im Jahre zu leisten, wie die Mehrforderung der burunitanischen Conductores zu bestätigen seheint. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass in der friedlichen Periode bis zum Marcomannenkriege grosse Eigenwirth- schaften fortbestanden haben, welche in der Hauptsache mit Sklaven- arbeit betrieben wurden, und durch die starken Frohndienste der Kolonen lohnend blieben. Seit den steten Einbrüchen der Barbaren aber lassen sieh solche kostspielige Betriebe in den nördlichen Provinzen kaum mehr denken. Ohne feste Schlösser, die wir aus der Römer- zeit nicht kennen, wären sie nicht zu halten gewesen. Alle, welche die Mittel dazu hatten, suchten hinter den Mauern der Städte Sicher- heit. Die Kolonen waren an ihren Landbau gebunden, und konnten ihre Kleinwirthschaft immer wieder herstellen. Wenn sie auch ver- armten, waren sie doch in günstigen friedlichen Jahrgängen im Stande, die Zinsforderungen der Actoren für den in der Stadt lebenden Possessor zu befriedigen. . Diese Umstände mussten sich den Sklaven gegenüber ähnlich geltend machen. Auch sie konnten nicht zweckmässiger und leichter auf dem Gute beim Landbau festgehalten werden, als durch Zuweisung kleiner zinsbarer Wirtschaften. Dann fesselte sie ihr eigenes Interesse an solche Grundstücke. Damit wurde ihre persönliche Stellung gehoben, während die der Kolonen herabgedrückt schien. Beide kamen durch die Verhältnisse in thatsächlich gleiche, bald auch vom Staate aufrecht erhaltene abhängige Lage. Dies erweist die spätere Rechtsauffassung, welche keinen Unterschied zwischen aus Sklaven hervorgegangenen und ursprünglich freien Kolonen mehr sieht. Obwohl frühere Vorschriften nicht bekannt sind, enthält der Cod. Theod. V Tit. IX. 1 offenbar als selbstverständlichen Ausdruck des hergebrachten Rechts eine Constitution Constantins von 332 de fugitivis colonis, inquilinis et servis an alle Provinciales, in welcher, ohne der lnquilinen und Sklaven weite]- Erwähnung zu thun, ledig- lich gesagt ist: Apud qnemeunque colonus juris alieni fuerit inventns, 364 IV. 6. Recht und Botrieb der Pächter, is ikdi solum eiindem origini suae restituat, verum super eodem capitationem temporiß agnoscat. Ipsos etiara colonos, qui fugam meditantur, in servilem conditionem ferro ligari conveniet, ut officia, quae liberis congruunt, merita servilis condemnationis compellantur implere. Es wird also der Kolone als ein freier, oder mindestens als ein Freigelassener vorausgesetzt, und dennoch ist er bei Strafe der Sklaverei zur Erfüllung seiner Dienstpflichten bei einem Herrn ver- bunden, dem er, wie es scheint, als von Geburt angehörig betrachtet wird. Durch ein weiteres Edikt von 386 wird die Verheimlichung eines colonus juris alieni mit starken Geldstrafen bedroht (Ebd. 2). 410 aber zeigt sich in der Const. de inquilinis et eolonis des Honorius und Theodosius die glebae adscriptio der Kolonen bereits als allgemein gesetzlich. Cod. Theod. Lib. V, Tit. 10, § 1 sagt: Quodsi quis (colonus) originarius intra triginta annos de possessione discessit, Bive per fugam lapsus, seu sponte, seu sollicitatione traductus, neque de ejus conditione dubitatur, eum, contradictione submota, loco, cui natus est, cum origine jubemus sine dilatione restitui. Erst nach 30 Jahren war das Recht der Rückführung verjährt. Der Codex Justinian. XI, Tit. 22, 167 gestattet sogar dem Herrn, bei dem Tode des Colonus den Sohn desselben, obwohl er zu Lebzeiten seines Vaters dem Dominus terrae keine Dienste geleistet hatte und mehr als 30 oder 40 Jahre abwesend gewesen war, zur Rückkehr und zur Verrichtung der auf dem Grundstücke lastenden Dienste zu zwingen. Dagegen enthält derselbe Codex X Tit. 49 1. 1 auch ein Verbot, die dem Colonus obliegenden Abgaben willkürlich zu erhöhen. Die Sorge der Kaiser und aller Provinzial- und Kommunal - Behörden, der Entvölkerung des Landes vorzubeugen und die Zahl der Pflichtigen für die immer drückender werdende Steuerlast nicht zu schwächen, erklärt diese so wenig im Sinne des römischen Rechtes gedachten Vorschriften. Eine Vermehrung des Kolonates bildeten auch in den nörd- lichen Provinzen die in das Innere des Reiches aufgenommenen Barbaren. Auf Kriegs- und Raubzügen hegte die Mehrzahl derselben keinen lebhafteren Wunsch, als zu Landbesitz zu gelangen. Wo sich eine Schaar festsetzte oder Reste zurückblieben und gefangen wurden, konnten sie nicht besser als durch Landzuweisung beruhigt und un- schädlich gemacht werden. Im Grosswirthschaftsbetriebe waren diese Leute indess schwer zu behandeln. Wenn nicht gefährlich, waren sie jedenfalls sachunkundig und störrisch. Das Kolonatsverhältniss da- Possessoreq, Kolonen unrl Benefiziaten. 365 gegen erfüllte alle ihre Wünsche. Zins zu zahlen waren sie bereit, die persönliche Rechtslage, in die sie kamen, wurde ihnen schwer- lich klar, und erschien kaum drückend. Als Gefangene oder Unter- worfene hatten sie auch in der Heimath keinen Anspruch auf Freiheit. Die Zahl der in dieser Weise von den Possessores verwendeten Alemannen, Chatten und Franken scheint im 3. und 4. Jahrhundert erheblich gewesen zu sein. Noch 409 sagt ein Edikt des Honorius und Theodosius (Cod. Theod. 5, 4. 3): Scyras barbaram nationem maxi- mis Hunnorum, quibus se conjunxerunt, copiis fusis imperio nostro subegimus. Ideoque damus omnibus copiam, ex praedieta gente hominum agros proprios frequentandi, ita ut omnes sciant suseeptos non alio jure, quam colonatus apud se futuros; nullique licere ex hoc genere colonorum ab eo, cui semel attributi fuerint, vel fraude aliquem abducere, vel fugientem suseipere. — Jedoch sind die Barbaren als Kolonen nur vereinzelt oder in kleinen Ansiedelungen zu denken. Grosse Massen derselben wurden dagegen in geschlossenem Zusammenhange als sogenannte Laeti an- gesiedelt. Während die Kolonen aus der Entwickelung der Lati- fundien hervorgingen, bildeten die Laeti ein neues wirthschaftliches Element. Sie wurden unter besonderen Rechten mit Staatsland be- gabt, und können am Besten als Belehnte mit den beneficiati zusammengefasst werden. Solche Belehnungen mit Land gegen Uebernahme bestimmter Verpflichtungen, welche grundsätzlich die Unveräusserlichkeit dieses Landbesitzes ohne Einwilligung der beleihenden Staatsgewalt ein- schlössen, waren schon dem alten Rom nicht fremd. Es gehören zu ihnen die o. S. 316 bei Ostia erwähnten Navicularii. Sie bestanden dauernd fort, wie die zahlreichen Vorschriften des Cod. Theod. 13, 5 und 6 über ihre Verhältnisse und Güter erweisen. In ähnlicher Weise wurden die Limitanei auf Land angesetzt. Sie waren Grenz- soldaten, welche Constantin errichtete, damit die stehenden Truppen- körper das Innere des Landes zu besetzen vermochten, und denen er agri limitrophi oder fundi limitrophi zum Anbau anweisen liess. Ihnen stehen die Ripenses, die Küstenvertheidiger, und, wie es scheint, auch die Burgarii, die bleibenden Garnisonen gewisser Kastelle, gleich. (Cod. Theod. VII, 14 und 15.) Unter ähnlichen Gesichtspunkten lassen sich die Laeti betrachten. Die deutschen Volksstämme in Gallien wurden schon von Caesar thatsächlich als Unterworfene betrachtet, indess wie Foederati be- handelt und in grosser Zahl als Auxiliarii zum Heeresdienst verwendet, 366 IY- 6- Redil and Betrieb der Pächter, Dazu waren sie stets bereit, so dass eine Verpflichtung festzusetzen kaum oöthig erschienen sein wird. Bei der Organisation der gallischen und germanischen Provinzen in Civitates wurde die Pflicht der Re- krutenstellung allgemein, und die Auxiliaren erhielten den Charakter neben den Legionen angeworbener Söldner. Bald nach dem Wieder- ausbruch der Kämpfe mit den lange Zeit ruhigen deutschen Stämmen jenseits des Limes wird von Marc Anton zum ersten Mal berichtet, dass er die Kriegsgefangenen des Markomannenkrieges von der öst- lichen Donau unmittelbar nach Britannien zur Einstellung in die dortigen Truppen gesendet habe. Diesem Beispiel folgt Probus in sehr ausgedehnter Weise. Er füllt die Ducken seiner eigenen Cohorten mit den überwundenenen Lygiern, Burgunden, Vandalen, Alemannen und Franken. Viele derselben sendet er nach Britannien, grosse Massen aber siedelt er auch im Innern an, wie o. S. 330 erwähnt ist. allein in Thracien 100 000 Bastarnen. Bald nach Probus werden derartig angesiedelte Franken, welche Maximian um 288 in die Gebiete der Nervier und Trevirer verpflanzt hatte, zum ersten Mal direkt als Laeti bezeichnet. Eumenius sagt 296 im Panegyr. Constantio Caesari dict. c. 21: Tuo Maximiane Auguste nuto Nerviorum et Trevirorum arva jacentia Daetus postli- minio restitutus et reeeptus in leges Francus exeoluit. Eumenius rühmt auch c. 9, dass die früher von den Bello- vaci bewohnte Umgegend von Amiens und Beauvais und die Heimath der Tricasser und Lingonen um Troyes und Langres von Franken, Chamaven und Friesen bevölkert worden sei, die nun Bebauer der von ihnen verwüsteten Felder, und Streiter in den Legionen Roms geworden wären. Liti oder Dassen heissen zwar bei den deutschen Stämmen solche Dandsassen, welche als Unterworfene mit verminderter Freiheit und als Zinspflichtige in ihrem alten Grundbesitz belassen worden sind. 1 >ie Aehnlichkeit des Verhältnisses mit dem der Laeti ist aber so gering, dass es sehr zweifelhaft erscheinen muss, ob das deutsche Wort in die Bezeichnung Laeti übergegangen sein kann. Gefangene und Unter- worfene, welche statt Knechtschaft Land erhielten, das sie erstrebten, und die auferlegte Verpflichtung zum Kriegsdienst, die ihre wesent- lichste Last wurde, gern übernahmen, konnten von den Römern leicht als Laeti bezeichnet werden. Die Befriedigung war offenbar eine beiderseitige. Bald traten auch Barbarenschaaren mit ihren Fürsten, und ersichtlich im Sinne des Bündnisses, in dieses Verhältniss, wie die Stellung des Alemannenfürsten Erocufi in Britannien erweist, Possessoren, Kolonen und Benefiziaten. 3()7 welcher Constantin zum Kaiser ausrief. Auch aus der gefährlichen Lage, in welche diese Ansiedler Julian 356 versetzten, erkennt man ihre bald gewonnene Bedeutung. Als er nach glücklichen Kämpfen gegen, die einfallenden Alemannen den Winter in Sens zubrachte, sah er sich dort von den germanischen Laeti so eingeschlossen, dass er, wie er sagt, nur praeter spem Liberatus est, und einen Feldzug gegen sie unternehmen musste, der erst durch eine siegreiche Schlacht bei Lyon endete. Dabei blieben die Laeti stets Peregrinen ohne Connubium. Noch 365 wurde den Römern die Ehe mit ihnen ausdrücklich verboten (Cod. Theod. III, 14). Der Laetus Alemannus aber sollte so wenig, als der Sarmata vagus und der Filius veterani, wenn er nicht die voll- erfüllte Dienstpflicht nachweisen konnte (nach Cod. Theod. VII, 20. 12 von 400), als Veteran mit Fand oder Sold begabt werden. Eine Konstitution Gratians, Valentinians und Theodosius von .">N<> (Cod. Theod. III, 20) belehrt andrerseits darüber, dass unter den Laeti niilites gewisse optimae turmae aufrecht erhalten wurden, in welche bei strenger Strafe und der Pflicht 3 nobiliores tirones für einen zu stellen, untersagt war, Sklaven, Kellner, Köche, Müller, Missgeformte oder aus den ergastulis Hervorgegangene einzureihen. Nach Zosimus (2, 54) stammte sogar der Kaiser Magnentius 350 von den Laeti. Eine Verordnung Valentinians von 3GU (Cod. Theod. lib. VII, c. 20) zeigt, dass praepositi laetorum als Civiladministratoren dieser An- siedelungen eingeführt worden waren, denn für diese Beamten waren eigene Kriegsdienste nicht nothwendige Bedingung. Die Notitia digni- tatum lässt durch die Angabe des Sitzes der Praefecten der Laeti einen Feberblick zu, welche Ausdehnung noch vor der Theilung des Reiches diese militärischen Kolonien gewannen, sie nennt: Praefeetus Laetorum Teutoniciarum, Carnunto Senoniae Lugdunensis ; Praefeetus Laetorum Batavorum et gentiliuni Suevorum, Bajocas et Constantiae Lugdunensis seeuhdae; Praefeetus Laetorum gentilium Suevorum, Cenomanos Lugdunensis tertiae ; Praefeetus Laetorum Francorum, Redones Lugdunensis tertiae; Praefeetus Laetorum Lingonensium, per di versa dispersorum Belgicae primae; Praefeetus Laetorum Actorum, Epuso Belgicae primae; Praefeetus Laetorum Nerviorum, Fanomartis Belgicae seeundae; Praefeetus Laetorum Batavorum Nemetacensium, Atrebatis Belgicae seeundae; Praefeetus Laetorum Batavorum Contra- ginensium, Xoviomago Belgicae seeundae; Praefeetus Laetorum gen- tilium Remos et Silvanectas Belgicae seeundae; Praefeetus Laetorum 3(>8 IV. 6. Recht und Betrieb der Pächter, Lagensium, prope Timgros Germaniae secundae; Praefectus Laetorum gentilium Suevorum, Arvernos Aquitaniae primae.1) Die Stationen dieser Praefecten erstrecken sich zwar über einen nehr grossen Theil von Gallien, gleichwohl ergiebt sich schon daraus, dass keiner dieser Beamten für Britannien genannt ist, deren ausnahms- weise Stellung. Sie sind nur da zu denken, wo Grösse und Gefähr- lichkeit dieser Ansammlungen waffengeübter Schaaren eine besondere Aufmerksamkeit nöthig machte. Die Wir th schafts weise aller dieser deutschen Barbaren, so weit sie nicht einzeln als Kolonen von römischen Possessoren aufgenommen worden waren, sondern in Masse selbstständig auf ihrem Lande sassen, kann in den meisten Fällen nur als ihre heimathliche, als die volks- mässige, beurtheilt werden. Ihre Festsetzung auf römischen Gebieten fällt 200 Jahre später, als die der Vangionen, Nemeter und Triboker, so- wie die der Ubier. Sie bringen also die alterprobten Erfahrungen und Regeln der deutschen festen Ansiedelung mit in ihre neue Lage, und konnten in ihre Besitzungen auch durch römische Agrimensoren nicht be- stimmter eingewiesen werden, als durch äussere Abgrenzung des ge- wissen Gesammtheiten abgetretenen Landes. Eine spezielle Zuweisung würde nicht bloss viel zu lange Zeit in Anspruch genommen haben, ehe die Bestellung der Aecker beginnen konnte, sie würde auch Wider- spruch und mannigfache Verwickelungen gegenüber den heimischen Sitten und der Ausgleichung der gegenseitigen Ansprüche hervor- gerufen haben. Die überwiesenen Ländereien, waren, wie Eumenius erklärt, verwüstet und öde. Eine solche Laetenkolonie war eine Neu- siedelung und bildete, wie andere aus Staatsland erworbene Besitzungen, eine von der Civitas exemte Possessio. Sie konnte deshalb ebenso gut wie ein deutscher Gauverband unter der genossenschaftlichen Leitung der Ansiedler stehen, oder unter der Herrschaft eines Fürsten, wie ihn die Kriegsführung forderte. In das lockere Gefüge der römischen Provinzial -Verwaltung reihte sie sich ebenso leicht ein, wie die alten in ihrer Grundbesitz -Verfassung und ihren Personal- rechten aus der Keltenzeit erhaltenen Peregrinen-Civitates. Und wie die Kelten ihre hergebrachte Landwirthschnft von der römischen Steuerverfassung ungestört fortzusetzen vermochten, so waren auch die Laeti nicht gehindert, vielmehr unmittelbar darauf angewiesen, ') Aehnlich finden sich dieselben in der Notitia oeeident. ed. Boecking p. 104 u. 120. Die verschiedenen Ansiedelungen von Barbarenschaaren hat A. W. Zumpt „Ueber die Entstehung und Entwicklung des Kolonatcs" (Rheinisch. Museum 1846) zusammengestellt. Possessoren, Kolonen und ßenefizlatefl. 3(39 Oasen deutscher Siedelungs- und Wirtschaftsweise im kelto-römischen Gallien zu begründen. — So stunden unter der politisch und kulturell noch lange völlig unbestrittenen Herrschaft der Reimer in den Provinzen nörd- lich der Alpen drei charakteristisch verschiedene Formen der Anlage der Wohnstätten und der Eintheilung des Grundbesitzes neben einander, welche den Kelten, den Körnern und den Deutschen eigen- thümlich, jede auch in der Weise des Betriebes dem mit der Siede- lungsform eng verknüpften nationalen Herkommen folgte. Wie sie der zunehmende Verfall des Weltreiches berührte, ist noch näher zu' betrachten. Am wenigsten haben unter den unausgesetzten Kämpfen der rasch wechselnden Cäsaren und unter den immer mächtigeren und verwüstenderen Einfällen der Deutschen die Laeti gelitten. Nicht dass an irgend eine nationale Schonung zu denken wäre, sie waren und blieben römische Soldaten und wurden in kurzer Frist romanisirt. Vielmehr waren Sitten, Gewohnheiten und Bedürfnisse auf den Kriegszustand eingerichtet, und sie zogen von demselben durch Plünderung und Beute ebensoviel Gewinn wie ihre Gegner. Ein blühender Zustand ihrer Kolonien lässt sich nicht annehmen, ebenso wenig aber eine solche Bedrückung, wie sie den gewöhnlichen unbe- waffneten Landmann, ganz abgesehen von den Kriegsunfällen, auch in friedlicher Zeit traf. In Betreff der gewöhnlichen Lage des Landvolkes werden die vorzugsweise römischen Gebiete von den keltischen Civitates zu unterscheiden sein. Die römischen und keltischen Theile der nörd- lichen Provinzen lassen sich genügend auseinander halten. Am meisten romanisirt war Noricum, welches bis zur Donau von Claudius die italische Munizipalverfassung erhalten hatte. Hier lagen in den breiteren Thälern die bedeutenden Städte Jovavum, Teurnia, Virunum, Celeja mit ihren Stadtfiuren. Im Uebrigen be- dingte die Natur des Landes die Besiedelung mit bäuerlichen Höfen, welche dort schon vor den Römern bestanden und bis zur Gegen- wart mit zahlreichen Anklängen keltischer Namen erhalten geblieben sind. Aehnlich waren die Verhältnisse in Krain, dem westliehen alpinen Theile Pannoniens mit Emona, Neviodunum, Siscia und Poetovio. Darüber hinaus in den breiten Ebenen aber lag die Deserta Bojorum und der Kampfplatz der Dacen, Quaden und Ostgermanen. Erst weiter nördlich gaben wieder die festen Garnisonstädte an der Donau, Aquincum, Bregetio, Carnuntum, Vindobona, auf einem je Meitzen, Siedelung- etc. I. 24 370 I^*- 6. K^'l't und Betrieb der Pachter, nach den Zeitläufen engeren oder weiteren Umkreise Sicherung. Ge- schützter war das Donauthal in Noricnm mit Comagene, Lauriacum, Ovilava , Lentia bis zu den Vindelicischen Garnisonen Castra Batava und Regina. Wie weit sich hier neben dem Handel und dem Landbau welche von den Bürgern der Munizipalstädte betrieben wurden, grössere landwirtschaftliche Unternehmungen verbreiteten, ist zunächst nicht zu erkennen, urkundlich linden wir indess noch zur Carolinger Zeit, wie sich zeigen wird, eine ziemlich grosse Zahl einzelner romanischer Höfe von bäuerlichem Charakter vor. Ein Hauptsitz römischer wirtschaftlicher Kultur wurde das Rhein- land. Indess ist zu beachten, dass hier von der ersten Zeit der Römer- herrschaft an in die ebeneren, für den Landbau besonders geeig- neten Gegenden deutsche Stämme aufgenommen wurden, deren natio- nale Ansiedelungen bis auf den heutigen Tag erhalten sind und er- sichtlich jedem Einflüsse römischer Betriebsweise unzugänglich blieben. Dahin gehören die Gebiete der Triboker, Nemeter und Vangionen, von Breisach rheinabwärts bis Bingen, und das der Ubier vom Vinxtbach bis zur Erft und Gelduba. Alle diese Stämme legten deutsche Gewann- dörfer an. Weiter rheinabwärts lebten die Gugernen und Bataven in den bis heut bestehenden Einzelhöfen, welche offenbar keltischen Ursprungs, den irischen völlig entsprechen. Ein Einfiuss der Römer ist bei ihnen ebenso wenig erkennbar. Die Deutschen bauten jedoch weder Städte, noch mochten sie dieselben bewohnen. Die Gründung der Rhein- städte Argentoratum , Noviomagus, Borbetomagus, Moguntiacum, Bingium, Autumnacum, Rigomagus u. a. ist keltisch, nur wenige, wie Colonia Trajana, Colonia Agrippina, Confluentes, Tabernae, sind römisch. In ihrer Umgebung haben sich Castra und andere Militär- anlagen, sowie römische Landhäuser der Beamten und Kaufleute er- halten, aber für eine erhebliche Ausbreitung römischer Landwirthschaft über die massig grossen Stadtfluren hinaus spricht kein Zeichen. Da- gegen wurde das Land der Trevirer zum Mittelpunkte höchst entwickelten römischen Kultur- und Geschäftslebens. Kein Provinzialgebiet ist soweit romanisirt worden, wie das Moselland. Hier waren die Römer, wie Ausonius zeigt, völlig heimisch, und es sind Villenanlagen auf- gedeckt, welche wegen des Luxus ihrer Räume und ihrer kunstvollen Mosaikfussböden als villae urbanae des Vitruv angesehen werden müssen. Trier beherrschte zugleich durch seine Lage und Zugäng- liehkeit den weiten Halbkreis von Hügelland und Waldgebirgen, welcher die drei Gallien von den zwei Germanien schied. In Germanien waren also die Rheinufer deutsch, in Gallien blieb Possessoren, Kolonen und Benefiziaten. 371 die Mitte und der Süden von Kelten und Iberern sehr stark bevölkert, und auch hier ist bei der Fruchtbarkeit und dem alten Anbau dieser Länderstrecken wenig wahrscheinlich, dass die Römer viel freies Land fanden , welches sie für den Fiskus in Anspruch nehmen konnten. Dagegen verfügte auf dem ausgedehnten Grenzgebiete Galliens und Germaniens der Staat über ausserordentlich grosse Ländereien. Hier wird sich sehr bald die römische Kapitalmacht und die Uebung in grossen Landgeschäften , in Pachtungen von Staatsland und in von Sklaven betriebenem Latifundienbesitze geltend gemacht haben 1). Diese Geschäfte waren viel zu hoch entwickelt, als dass auch in entfernten Landestheilen einem vortheilhaften Projekte die Mittel zur Ausführung hätten fehlen können, oder dass die Kräfte nicht vor- handen gewesen wären,. jedes Hinderniss zu beseitigen, welches in Ver- einsamung, Unzugänglichkeit oder fremden Einsprüchen hätte liegen können. Deshalb entstanden, wie wir aus Namen und Ruinenfunden wissen, gerade auf diesem Staatslande in grosser Anzahl sowohl umfang- reiche, wie auch kleinere Landwirthschaften. Die Münzfunde in den aufgegrabenen Mauern bekunden, dass diese Anlagen schon bei den ersten Barbareneinfällen vernichtet wurden. Ueber die Trümmer ist Wald gewachsen und spät erst der germanische Pflug gegangen, aber die Schuttschichten lassen erkennen, dass in gesicherteren Gegenden Ver- suche gemacht worden sind, ärmliche, öfter wieder zerstörte Hütten auf ihnen aufzurichten. An der Maas und Sambre hat sich ergeben, dass dort eine sehr grosse Zahl ausgedehnter reicher Villenbauten be- stand, in denen sich keine jüngeren Münzen als die des Commodus auffinden Hessen. Auch in den Resten der ländlichen Hütten, welche diese älteren Trümmer bedeckten, sind die spätesten Münzen, welche gefunden wurden, die des Gallien von 258. 2) Unter solchen Umständen können die Possessores nur noch in den meist weit entfernten Städten gesucht werden, und die Ländereien müssen steigender Entwerthung verfallen sein. Ob die, die das Land bebauten, Sklaven oder Kolonen waren, war bei dieser Sachlage weder für den Possessor, noch für ') Ein Zeugniss dafür giebt Paulus noch um 225 in L. 11: D. de evictionibus et duplae stipulatione. 21. 2, Lib. VI responsorum : Lucius Titius pi-aedia in Germania trans Rhenum emit et partem pretii intulit; cum in residuam quantitatem heres emptoris conveniretur , quaestionem retulit dicens, has possessiones ex praeeepto principali par- tim distraetas, partim veteranis in praemia adsignatas. *) Charles Deborc, Annales du cercle archeologique de Mons tom. XV, p. 542 ff. A. Schuermann, Bulletin de commiss roy. d'art et d'archeol. Lie"ge. Annal. Inst. arch. Arlon Bulletin de la societe d'art et d'histoire de Liege. Versch. Abhandl. 24* 372 IV- 6- Recht und Betrieb der Pächter, die Landleute selbst von fühlbarem Unterschiede. Trotz aller Edikte hielt die Anbauer nur das Interesse ihres eigenen Unterhalts am Grund- stück fest und veranlasste sie auch zu Gegenleistungen. Frei oder unfrei, hörig oder schollenpflichtig gelangten sie thatsächlich in die Stellung erblicher Zinshauern, von denen der Herr kein Uehermaass der Leistungen fordern konnte. Er musste zufrieden sein, wenn sie nach Brand und Plünderung ihre Hütten wieder aufhauten und ihre Aecker wieder für die nächste Ernte hestellten, von der sie nur zinsen konnten, wenn sie ihnen nicht geraubt wurde, und die andrer- seits den Herren nichts kostete, falls er nicht für gut fand und in der Lage war, durch Beihülfen den Betrieb schneller wieder für beide Theile einträglich zu machen. Zugleich aber war bei Besetzung mit solchen Kolonen die Verwaltung sehr ausgedehnter Ländereien durch wenige Agenten durchzuführen, welche auch in den unruhigen Jahren das Wagniss leicht übernehmen konnten, die Ortschaften zu bereisen und so viel als thunlich von den Zinsungen beizutreiben. Unter solchen wirtschaftlichen Zuständen wird man sich das rö- mische Staatsland der nördlichen Provinzen zu denken haben, gleich, ob es nominal noch Pachtland oder wirkliches Eigenthum der Herren ge- worden war. Vom dritten Jahrhundert ab werden schon sehr grosse Flächen als weite Waldungen und Einöden liegen geblieben sein, Avelche höchstens hier und da als Weideplätze dienten. — Weniger rasch und eingreifend erweist sich der Verfall der Land- wirtschaft innerhalb der Civitates der Peregrinen. In jeder der Civitates war der angesehenste und reichste Adel zu dem Senatorenkreise der Decurionen herangezogen worden, und hatte darin wahrscheinlich lange wesentlich die Ehre gesehen. Als aber durch die wiederholten Unruhen und Plünderungen die Wohl- habenheit und Zahlungsfähigkeit der Steuerverbände sank, trat die Verpflichtung der Decurionen, für den Eingang der Steuern aufzu- kommen, in den Vordergrund. Es wurden nach und nach die strengsten Massregeln getroffen, dass sie weder aus dem Decurionen- stande austreten, noch sich oder ihr Vermögen der Pflicht, die Steuern zu decken, entziehen konnten, und sie erschienen mehr und mehr als ein schwer belasteter Stand, dem als Ersatz auch manches Recht eingeräumt und Nachsicht in seiner Geschäftsführung gewährt wurde. Es war natürlich, dass, da schon anfänglich ein grosser Theil des Provinzialgrundbesitzes ihr Eigenthum war, durch Kredit- und Vorsehussgeschäfte immer mehrere Güter in ihre Hände kamen. Diese Erfahrung, dass sie im Wesentlichen den Grossgrundbesitz an Possessoren, Kolonen und Benefiziaten. 373 sich gezogen hatten, ebenso wie die Rücksichten, die man ihnen zugestand, zeigt eine Verfügung Constantins von 319 im Cod. Theos, lib. XI, Tit. VII. 2, in welcher trotz des allgemeinen Prinzips, dass die Decurionen der Civitas solidarisch für die Steuern verhaftet seien, verordnet wird: Unusquisque decurio pro ea portione con- veniatur, in qua vel ipse, vel colonus, vel tributarius ejus convenitur et colligit, neque omnino pro alio decurione vel territorio conveni- atur. Id enim prohibitum esse manifestum est, et observandum deinceps, quo, juxta hanc nostram provisionem nullus pro alio patiatur injuriam1). Zugleich ergiebt sich daraus, dass auch der CJ rundbesitz der Decurionen von Kolonen und Zinsbauern bewirt- schaftet wurde. Es sind aber auch Anzeichen da, dass sich eine gewisse An- zahl der Provinzialen noch längere Zeit als kleinere ländliche Grund- besitzer zu erhalten vermochten. Dies geht aus den Anordnungen über die Leistung der oben S. 327 gedachten sordida munera hervor. Für die Vertheilung dieser sordida munera, welche ursprünglich schwerlich drückend waren, musste der Kreis der Verpflichteten ent- scheidend sein. Der Cod. Theod. lib. XI, Tit. 16 de extraordinariis sive sordidis muneribus bezeichnet im 4. Jahrhundert die Forderungen im Einzelnen: 18 (a. 390) a. cura conficiendi pollinis, excoctio panis, pistrina obsequia (Mehl- und Brotlieferung für das Militär), b. operae atque artifices, excoquendae calcis sollicitudo, c. ligna tabulata conferre, d. paraveredi et perangariae (neben der Heerstrasse) 2) (insbesondere: quas Rhetiariarum limes, expeditiones Illyricae, pastus translatio militaris vel pro necessi- tate, vel pro solennitate deposcunt), e. carbonis illatio (welche: vel monetalis cusio vel an- tiquo more necessaria fabricatio poscit armorum), f. publicarum aedium vel sacrarum constituendarum reparandumque sollicitudo, g. pontium vel viarum constructio, ') Vergl. auch die Potentiores Potentes in Cod. Theod. XI. 7. 12 von (.383) und Cod. Just. III. 25. 1, § 1 (von 439). 2) Angarius ist nach dem persischen Vorbilde der Postbote, veredus, das Post- pferd. Herod. VIII. 98; Xenoph. Cyrop. 8. 17. Für die Heerstrassen ist dieser Dienst besonders geordnet in der Vorschrift Cod. Theodos. lib, VIII, Tit. 5 : de cursu publico, angariis et perangariis. 374 IV« 6. Recht und Betrieb der Pächter, h. temonis vel capituli onera (Geld statt der Rekruten), i. allectis vel legatis in collationis sumtuum numerare. Es wird nun zwar ausdrücklich vorgesehrieben : 7 {a. 356). Sola jubemus exigi, quae factis a nobis indictionibus aliisve praeceptis continentur, et quae anniversaria con- suetudine antiquitus postulantur aut, si inexcusabilis necessitas quiddam novum exigat, nee dilationem publica utilitas pati- atur, referri a ceteris judieibus ad viros clarissimos prae- fectos praetorio et eorum arbitrio flagitanda deposei, statim- que id nostrae intimari clementiae. Itaque judicem, qui ultra jussa aliquid postulaverit , duplum jubemus inferre, officiuni vero ejus quadruplum. Diese Vorschrift aber gestattete eher Ungewöhnliches zu fordern, als dass sie es verhinderte. Es kam nur auf den Bericht an, und selbst die Strafe für einen Exeess war nicht nennenswerth. Die Hauptgefahr für die möglicherweise wenig zahlreichen Ver- pflichteten einer gewissen Gegend, in welcher eine Leistung nöthig werden konnte, lag in den ausgedehnten Exemptionen. Darüber sagt derselbe Titel 16, lib. XI: 5 (a. 343). Privatas res nostras ab universis muneribus sordi- dis placet esse immunes, neque earum conduetores nee colonos ad sordida vel extraordinaria munera vel superindictiones aliquas conveniri. 6 (a. 346). Palatini et Constantinopolitani cives pro capitis seu jugis suis tantum pensitationem atque obsequia recognos- cant, extraordinariis et temonariis oneribus liberati. 14 (a. 382). Eos, qui cum honore comitum, nomine magistrorum, memoriae praefuerint, vel epistolis, vel libellis, item eos, qui ibidem peragendis, signandisque responsis nostrae mansue- tudini obseeundant, omnium vilium munerum ac totius capi- tulariae sive, ut rem, quam volumus intelligi, communi denuntiatione signemus, temonariae funetionis fieri jubemus exsortes ita ut eorum uniuseujusquam adscriptio excusetur. Dass die gerechte und schonende Vertheilung eine sehr zweifel- hafte war, lässt schon 326 der Cod. Theod. XI, 16, 4 deutlich er- kennen. Denn er schreibt vor, dass Extraordinaria munera von den rectores provinciae mit eigener Hand auszuschreiben und auf die Einzelnen so zu vertheilen seien, ut primo a potioribus, dein a medio- cribus atque infimis quae sunt danda praestentur. Neque unquam sationibus vel colligendis frugibus insistens agricola ad extraordinaria Possessoren, Kolonen und Benefiziaten. 375 onera trahatur, cum providentiae sit, opportuuo tempore his necessi- tatibus satisfacere. *) Es handelte sieh also keines weges um alle Dienstfähigen, etwa um Kolonen oder Laeti, sondern nur um die nicht exempte Provinzial- bevölkerung. Je mehr diese aber zusammenschrumpfte, je mehr berechtigte oder unberechtigte Ausnahmen gewährt wurden, je mehr die leitenden Beamten die Last auf bestimmte Oertlichkeiten häuften, desto gefährlicher und unerträglicher musste sie werden. Die Frei- heit der verpflichteten Provinzialen, wie ihre schwer bedrückte Lage werden dadurch bestätigt, dass viele derselben sich selbst und ihre Besitzungen den benachbarten Grossgrundbesitzern, Decurionen wie auch römischen Beamten, als Schutzherren unterwarfen. Es zogen also freie Provinzialen und solche Pächter von Staatsland, welche Immunität nicht erweisen oder erlangen konnten, vor, auf ihre Frei- heit zu verzichten und sich den Beamten selbst oder anderen Mäch- tigen als Kolonen oder Tributarn zu unterwerfen. Das Patrocinium über Einsassen des eigenen Amtssprengeis des Beamten wurde zwar schon 365 mit Strafe bedroht2), aber die Com- mendatio , die Hingabe von Person und Gut an Beamte eines be- nachbarten Bezirkes oder einen sonstigen Grundbesitzer war erlaubt und war in den nördlichen Provinzen um so natürlicher, als sie mit dem S. 228 gedachten keltischen Brauch und Herkommen überein- stimmte. Um 450 — 490 bezeugt Salvian de gubernatione Dei lib. 5, cap. VI — VIII ausdrücklich, dass schon unter der Römerherrschaft auch die freien römischen Landanbauer ihre Besitzungen an die Reichen oder die Steuereinnehmer abtraten, um sich vor den Er- pressungen zu retten, wenn sie nicht vorzogen bagaudae, Räuber und Aufständige, zu werden, welche schaarenweise vorhanden waren- Die sich hingaben, wurden Dediticii, also den im Kriege Unterworfenen gleich. Von ihrem Besitze mussten sie fortan Zins zahlen, gleich- wohl war er ihnen nur auf Lebenszeit gesichert (VIII : hoc enim pacto aliquid parentibus temporarie attribuitur, ut in futuro totum filiis auferetur). Es stand bei dem Herrn, ob er den Erben das Grund- stück beliess, und es ist anzunehmen, dass er es nur an einen, nicht an alle Erben weiter verlieh. Salvian sagt ausdrücklich : Diejenigen, die ihr Grundstück ganz verliessen und ein anderes von Reichen ') Ueber die Provinzial- und Communalbeamten vergl. J. R. Madvig , Die Ver- fassung und Verwaltung des römischen Staates, Leipzig 1882, II, S. 110 ff., 123 ff. *) Cod. Theodos. Lib. XI, Tit. XI. 1 ; Tit. XXIV. 3. 4. (395), (399). 376 ^ ■ ''• Recht und Betrieb der Pächter, pachteten, seien besser daran, denn sie verlören nicht alles, was sie halirn, und dazu ihre Freiheit, sondern sie würden durch die Pach- tung freie Kolonen der Grossen. Allerdings war, wie gezeigt ist, auch diese Freiheit der Kolonen, seihst für ihre Nachkommen, eine sehr bedingte. Als seit Konstantins Zeit die Kirche mehr und mehr für ihre Ausstattung sorgte, waren es nicht allein Schenkungen Grosser, son- dern auch zum nicht geringen Theil Hingahe Vieler als Dediticii, dass sie sich in kurzer Zeit den grossen Grundbesitzern als einer der be- deutendsten anreihen konnte. Sie trat, als die Munizipal vorstände an den Staatszuständen verzweifelten , durch zwei Jahrhunderte fast ganz an deren Stelle1) und hat dauernd bis in die Karolingerzeit zum Fortbestande und zur weiten Ausbreitung dieser lockeren Leih- verhältnisse am meisten beigetragen. Denn sie fasste die dauernde Yeräusserung ihr überlassener Güter als wider das Kanonische Recht streitend auf, und überliess solche Besitzungen deshalb nur als praecarium in Anlehnung an den römisch rechtlichen Begriff des- selben2) ohne bestimmte Bindung, in der Regel aber auf 5jährige Fristen, zunächst dem Dediticius selbst und später, wenn auch meist unter erhöhter Belastung, seinen Kindern. Innerhalb dieser Benefiziat- verhältnisse hielten die Kirchenvenvaltungen ein gewisses mildes und vorsorgendes Maass inne, doch waren sie auch besonders geeignet, ihre Untergebenen zu gleichmässiger und williger Leistung aller der Zin- sungen und Arbeiten anzuhalten, welche herkömmlich mit der Natur des übernommenen Verhältnisses verbunden waren. Die einfluss- reiche Oberleitung, die Reisen und der häufige Wechsel der Mit- glieder der geistlichen Körperschaften führten zugleich überein- stimmende Gesichtspunkte und Massnahmen in der Bewirtschaftung ihrer Güter herbei. Daraus vor allem ist zu erklären, dass sich in den Lasten der Hörigen, wie dies M. Weber und Fr. Seebohm näher gezeigt haben, die Tradition des Kolonenrechtes der Kaiserzeit fort- pflanzte, und dass sie in den verhältnissmässig ruhiger werdenden Zeiten unter der befestigten Herrschaft deutscher Fürsten wieder in über- raschender Verbreitung auftrat. Die Gesammtheit dieser Umstände begründet hinreichend die Annahme, dass beim Untergange der Römerherrschaft in den nörd- ') Cod. Just. Tit. 4 de episcopali audientia § 26 und § 30. Tit. 55 de defen- soribus § 8. 2) Dig. 43. 26 de precario, Cod. 8. 9 de precario et Salviano interdicto. Possessoren, Kolonen und Benefiziaten. 377 liehen Provinzen die freie bäuerliche Bevölkerung des Ilaehen Landes fast gänzlich untergegangen und jedenfalls in tiefen Verlall gerathen war. Die Verhältnisse der grossen Grundeigenthümer aber erscheinen deshalb ebenfalls keinesweges günstig. Ihre Einnahmen waren höchst unsicher, und wie es bei solchen kleinpachtähnlichen und durch Agenten betriebenen Landleihen an arme, ausgesogene, von allen Hülfsmitteln der Landwirthschaft entblösste Anbauer überall der Fall ist. dieselben wurden immer geringer. Der Grundbesitz musste im Werthe wesentlich sinken und mehr und mehr in die Hände Reicher und Vornehmer kommen, bei denen sich die Ausfälle aus- gleichen oder anderweit Ersatz finden konnten. Alle solche Eigen- thümer sind in jener Zeit nur in den festen Städten zu suchen. Dies ist das ungefähre Bild der ländlichen Bevölkerung beim Ausgange der Römerherrschaft. Es ist entscheidend für die Beur- theilung der Verhältnisse, in welche die in der Völkerwanderungszeit unwiderstehlich vordringenden Deutschen eingriffen. ¥, Suevisch - Oberdeutsche Wanderungen und Agrarverhältnisse, I. Wanderungen der Westgermanen vor Errichtung des Limes. Süddeutschland, Tyrol und die Schweiz, — Frankreich und Rhein- land, — Westfalen, Friesland, Holland und England sind die Länder- gehiete, welche für die Frage in Betracht kommen, ob sich unter römischem und deutschem Einflüsse nationale keltische Besiedelung erhalten hat, oder welche Neugestaltungen das fremde Volksthum hervorrief. Jeden Punkt zwischen dem Thüringerwald, Taunus, Westerwald, Osning, der Weser und der Nordsee im Norden, den italischen Alpen, dem Mittelmeer und den Pyrenäen im Süden, und von der Enns und dem Böhmerwald nach Westen bis zum Kaledonischen Wall und dem atlantischen Ozean haben die Römer, ebenso wie die Ger- manen, zeitweilig unter ihrer Herrschaft gehabt. Aber Dauer und Absichten dieser Herrschaft und die Zeitumstände und politischen und wirtschaftlichen Kräfte, unter denen diese Herrschaft wirkte, waren in hohem Grade verschiedenartige. Die Wechselwirkung der drei Völker mit den natürlichen Grundlagen der Besiedelung muss deshalb im Verlauf der Vorgänge eine sehr grosse Mannigfaltigkeit der Erscheinungen herbeigeführt haben, und das Urtheil über die Ent- wicklung ist fast ausschliesslich nur aus den auf die Neuzeit ge- kommenen agrarischen Thatsachen und baulichen Spuren zu gewinnen. Die nationalen Ideen der Siedelungsweise jedes der betheiligten Völker gehen indess von so charakteristischen Eigentümlichkeiten aus, dass sich versuchen lässt, die wirthschaftlichen Anlagen nach den hauptsäch- V. 1. Wanderungen der "NYestgeriuanen vor Errichtung des Limes. 379 lichsten Besonderheiten in bestimmte, der geschichtlichen Anschauung Anhalt gebende Gruppen zu sondern. Die Römer unterzogen, wie sich gezeigt hat, ihrerseits das Pro- vinzialland keiner durchgreifenden Aenderung der Orts- imd Flur- anlagen. Wo sie dies aber in der Weise ihrer kolonialen Land- aufmessungen thaten, ist ihre Einwirkung eine in so hohem Grade eigenartige, dass sie selbst in geringen Spuren mit Leichtigkeit sowohl von den national -keltischen als national -germanischen Flureinthei- lungen unterschieden werden kann. Die nächste Frage richtet sich also auf die Ausbreitung der Deutschen über den keltorömischen Boden. Erst wenn aus den ge- schichtlichen Ueberlieferungen Belehrung darüber gewonnen ist, durch welche Schritte die Deutschen das Keltenland in Besitz nahmen, kann weiter geprüft werden, ob die Veränderungen, die sich auf dem- selben gegen die nationale ursprüngliche Siede! ungsweise der Kelten vorfinden, dem deutschen Einflüsse zuzuschreiben sind oder einer anderen Erklärung bedürfen. — Ueber das erste Auftreten der westdeutschen Stämme, über ihre Wanderungen zwischen Oder und Rhein und über die schon früh beginnende Besitznahme von Keltengebieten vermögen wir ein Bild zu gewinnen, welches die Vorgänge in befriedigendem Zu- sammenhange mit der Lage der Dinge zeigt, in der sich Tiberius zum Verzicht auf weitere Eroberungen in Deutschland entschloss. Tacitus findet noch fast ein Jahrhundert nach Tiberius die Sueven als den mächtigsten Völkerbund der Westgermanen aner- kannt, und unter ihnen beanspruchen wieder die Semnonen der älteste und edelste Stamm zu sein. »Ihr Alterthum«, sagt er (c. 39), »wird durch heilige Gebräuche beglaubigt. Zu festgesetzter Zeit kommen durch Gesandtschaften alle Völker von gleichem Blute zusammen in einem Walde, heilig durch Weihung der Väter und Ehrfurcht heischendes Alter. Sie beginnen mit öffentlichem Menschenopfer des barbarischen Götterdienstes schauervolle Festlichkeit. Auch eine besondere Verehrung wird dem Hain erwiesen. Niemand geht anders als gebunden hinein, zum Zeugnisse der Unterwürfigkeit vor der Gottheit Allmacht. Stürzt Einer nieder, so darf er weder aufstehen, noch sich aufrichten lassen , sondern wälzt sich auf dem Boden heraus. Die gesammte Feierlichkeit deutet dahin, dass hier die Wiege des Volkes, hier der Herrscher des Weltalls, Gott, alles Andere unterwürfig und dienstbar sei. Diesen Glauben unterstützt 38< I V. 1. Wanderungen der Westgermanen vor Errichtung des Limes. der Senmonen Glück, hundert Gaue bewohnen sie, und ihre Volks- menge macht, dass sie sich als das Haupt der Sueven ansehen.« Ihre Sitze sind nach Tacitus' Angaben um den ZusanmienHuss der Saale und Elbe zu suchen. Hier finden sich auch die o. S. 133 gedachten Namen der ältesten Stammgebiete, deren Ursprüng- lichkeit durch die in weite Entfernungen und entgegengesetzte Rich- tungen zerstreuten Niederlassungen fortgewanderter, gleichnamiger Stammesgenossen bekundet wird. Frisonofeld am Ostharz im Mansfeldischen umfasst etwa 18 D Meilen, Ambergau am Nordharz etwa 12, ebensoviel Engili an der Sehmücke und Hainleite. Vielleicht mehr als die doppelte Fläche erreichte Warenofeld zwischen Saale und Pleisse und ihm mindestens gleich war der Hassagau an der unteren Saale. Reiht man zwischen und neben diese Landschaften die Sitze der Sem- nonen und der anderen alten Stämme ein, deren fortgewanderte Absplisse sich nach entgegengesetzten Seiten so verbreitet finden, dass sie auf dasselbe Zentrum hinweisen, wie der Juthungen, Teu- tonen, Sedusen, Haruden, Chasuaren, so schliesst sich um die untere Saale ein Kreis von 25 bis 30 Meilen Durchmesser, dessen Mittel- punkt ungefähr in die Gegend von Halle fällt. Bei näherer Erwägung ergeben sich nun aus der geographischen Lage thatsächliche Bedingungen, welche diese Landschaften als die ganz vorzugsweise geeigneten für eine solche erste Wiege des Volkes erscheinen lassen. Es ist o. S. 140 — 150 eingehend gezeigt worden, eine wie ver- hältnissmässig bestimmte und klare Vorstellung wir uns von dem Hirtenleben der deutschen Stämme und der Sueven insbesondere aus der allgemeinen Grundlage der Hundertschaften zu machen be- rechtigt sind. Die Auffassung lässt sich nicht abweisen, dass die Indogermanen schon vor ihrem Aufbruche aus der fernen Heimath nicht als Wilde, sondern in geordneten Ehe- und in Geschlechts- verbänden unter Häuptlingen, reges, Richtern und Vornehmen lebten, ausgerüstet mit allen unseren Hausthieren, mit der Kenntniss des einfachen Haushaltes und des Ackerbaues der Steppennomaden, und dass sie ihre Weidewirthschaft in Lagergenossenschaften von un- gefähr 120 Familien oder 1000 Köpfen, jede mit dem zu ihrem Unter- halt nöthigen Vieh betrieben, dessen Ertrag für jede etwa dem einer Heerde von 3600 guternährten Stück Grossvieh gleichkommen musste. Denkt man sich solche Nomadenstämme aus Asien und über die russischen Ebenen im vorschreitenden Weidegange allmählich V. 1. Wanderungen der Westgermänen vor Errichtung des Limes. 381 durch das Thor zwischen den Karpathen und den unergründlichen Pripetßümpfen heranziehend, so trügt sich, welche Oertliehkeit sie veranlassen konnte, Halt zu machen. Alle Umstünde lehren leicht, dass dazu die Saale gegen den am meisten einladen mussten. Wenn sie dem Fusse der Karpathen und Sudeten folgten, fanden sie keinen schöneren und fruchtbareren Boden als den Ostharz und die Magdeburger Börde. Aber noch ein anderer Vorzug vermochte sie hier festzuhalten, das Salz. Alle Weidegegenden Turkestans und Ostrusslands haben Ueber- fluss an Salz. Zogen sie weiter, so mussten sie es entbehren. Ob bei Wielitzka an der Sula schon damals Solquellen bemerkbar waren, ist unsicher. Jedenfalls war der weitere Weg durch Schlesien und die Lausitzen wieder ohne Salz. Dann aber kamen sie an die Saale, nach Halle, an den salzigen See, an die Selke, deren Namen schon zeigen, dass eine feine Zunge den Salzgehalt empfand. Diese Stätte bot aber noch andre1 Vorzüge. Nach allen Seiten öffneten sich reiche und fruchtbare Thäler. Nach der Pleisse und oberen Saale, nach der Unstrut, der Helme, nach der Wipper, Selke, Bode, Unterelbe, Nuthe, Untersaale, Oberelbe und Mulde. Schon von der Natur war den Hirtenstämmen hier die Vertheilung in die einzelnen Weidereviere geboten, in denen sie sich nicht störten und reiches Genüge fanden. Die Verbände der Stämme mochte Verwandtschaft bestimmen, die stets von der gleichen Zahl gedachten und bezeichneten Hundert- schaften aber konnten sich nicht nach Geschlecht oder Familie richten, sondern waren durch den Bedarf an Hirten und Arbeits- kräften bedingt. Deshalb darf man vielleicht die schwer erklärlichen 100 Pagi der Sueven einer uralten Erinnerung der frühesten Landes- theilung in Weidereviere zuschreiben ; denn die oben begrenzten etwa 600 Q Meilen der ersten Besitznahme boten grade Raum für 100 Hundertschaften. Diese Reviere konnten bei einiger Kultur durch grössere Wald- rodungen, Schonung der guten Weiden, steigenden sporadischen Getreidebau allmählich das Doppelte, auch nach der Bodenbeschaffen- heit das Dreifache der Bevölkerung aufnehmen, aber bei weiterem Anwachsen musste entweder die Weidewirthschaft aufgegeben oder, was in älterer Zeit das Natürliche war, zur Auswanderung ge- schritten werden. Wir wissen nicht, mit welcher Volkszunahme wir für diese ursprünglichen Verhältnisse zu rechnen haben. Sie war wahrschein- 382 V. 1. Wanderungen der Westgeraanen vor Errichtung des Limes. lieh sehr schwankend und durchschnittlich nicht besonders hoch. Aber in längerer oder kürzerer Zeit nrusste Ueberfüllimg eintreten. Rechnet man nur Verdoppelung im Jahrhundert, so musste nach 200 Jahren schon die Auswanderung etwa in gleicher Zahl wie die ursprüngliche Einwanderung heginnen. Es konnte also die Neu- gründung eines ganzen Volkes, ähnlich der des alten, erfolgen. — Der nächste von der Natur gegebene Weg für eine solche Wanderung führte elbeabwärts. Hier lagen wenigstens auf der rechten Seite des Stromes überall ziemlich fruchtbare, grasreiche und leicht zugängliche Landstriche. Es ist deshalb erklärlich, wenn Pytheas um 320 v. Chr. die Deutschen bereits an der Eibmündung und längs der Nordseeküste findet. Einen bereits lange Zeit dauern- den Besitz setzt dies nicht voraus. Pytheas' Guttonen und Teutonen umfassen die Juthungen und mehrere kleinere Stämme, welche Tacitus und Ptolemaeus nennen, unter ihnen Haruden, Angli und Suardones. Sie reichten rechts der Elbe auf beiden Küsten nach Norden zum Skagerrak. Für das Ge- biet links der Elbe lässt die geographische Stellung der Friesen auf dem schmalen Küstenstriche im alten Keltenlande von der Weser bis zu den Rheinmündungen nur den Gedanken zu, dass sie als die am meisten nach Westen vorgeschrittenen , auch die am ersten an- gekommenen dieser frühesten Auswanderer gewesen seien. Unmittel- bar in ihrem Rücken, zwischen der Hunte und Wapel, ebenfalls schon auf Keltengebiete, finden sich die Ammeri, und zwischen Weser und Elbe, bis an die Küste reichend, die Chauken. Hinter diesen im Innern des Landes nennt Tacitus die Angrivarii und Brukterer, welche, wie näher zu zeigen bleibt, ebenfalls diesen nörd- lich gewanderten Stämmen angehören und mit ihnen den von Tacitus erwähnten Völkerbund der Ingvaeonen bildeten. Sie be- sassen , wie er erzählt , als gemeinsames Heiligthum auf einer Insel im Ozean einen Hain, in welchem der Nerthus, ein von den Kelten übernommener Gott der Schifffahrt und des Handels, verehrt wurde. Dadurch war eine in ihrem Wesen nicht näher bekannte Scheidung der Ingvaeonen von dem älteren Völkerbunde der Herminonen bedingt, welcher an dem Kulte des Irmin auch in seinen den Ingvaeonen später nach Norden folgenden Stämmen der Cherusken, Chasuaren, Dulgibener, Longobarden und Warnen festhielt. In Irmin darf man den allen Indogermanen angehörigen Zeus oder (nach c. 2 der Germania) eine jüngere Personifikation desselben sehen. Die Auswanderung suevischer Stämme nach Süden war V. 1. Wanderungen der Westgermanen vor Errichtung des Limes. 383 durch die breiten Massen der deutschen Mittelgebirge erschwert, die vom linken Ufer der Weser zum Westerwald ziehen und das rechte Ufer des Rheins und Mains 1 »is zum Böhmerwalde einnehmen. Sie waren dicht bewaldet und bis in ihre Südhiinge herrschten die Kelten. Die Thäler dieser von Caesar als besonders wild und un- zugänglich geschilderten wirren Bergketten sind indess von Norden offener als von Süden, und wenn sie auch der Weidewirthschaft viel grössere Hindernisse entgegensetzten als die nördlichen Ebenen, müssen doch Hermunduren und Chatten schon früh in sie einge- drungen sein. Erstere sind aus den Anglen und Warnen hervor- gegangen, wie noch durch die lex Anglorum et Werinorum, id est Thuringorum, bezeugt wird. Die Chatten tragen denselben Namen wie der Hassagau. Beide haben sehr ausgedehnte Gebiete besetzt, die Hermunduren östlich, die Chatten westlich von Eichsfeld, Rhön und Spesshart, beide erscheinen aber im 2. Jahrhundert v. Chr. auch schon jenseits des Hercynischen Waldes. Ueber das Auftreten der Hermunduren südlich des Mains be- stehen allerdings nur unsichere Andeutungen. Livius (21, 38) er- wähnt zum Jahre 218 semigermanae gentes in den peninischen Alpen. Schon 220 kämpft M. Claudius Marcellus mit insubrischen Galliern und Germanen, was auf dieselbe Oertlichkeit hinweist1). Aethicus giebt (in der Ora marit. 666) nach Phileas an, dass im vallis penina von der Quelle des Rhodanus ab die Tylangii gewohnt, dann die Daliterni, die Chabilci und Temenici bis zu dem weiten Sumpfe Accios, also bis zur Mündung der Rhone in den Lacus Lemanus. Diese 4 Völkerschaften erklärt Zeuss (226) sprachlich für Deutsche. Caesar traf dieselben hier nicht mehr an, sondern (d. b. g. III, 1) an ihrer Stelle die gallischen Veragri, Seduni und Nantiates. Aber als die Chabilci nennen anscheinend Plinius und Ptolemaeus die Calu- cones am Vorderrhein, und für die Tylangii findet Caesar die Tulingi unter den Helvetiern (I, 5. 25. 28. 29) mit einer Volkszahl von 36 000 Köpfen. Dass diese Tulingi ein Stamm der Turingi oder Hermunduri sind, ist nicht zu bezweifeln. Ebenso bezieht sich die durch Gellius (16, 4) aus Cincius de re militari erhaltene Kriegserklärung der Römer an die Hermunduli auf die Hermunduren, und der Vorfahr des Cin- ') Fasti Capitolini ad. a. 532 de urb. Corp. J. L. 1, S. 458. Die Angabe ist nach Mommsen (Waitz, Deutsch. Verf. Gssch. Bd. I, 1 880, S. 26) auf die Quelle der Fasten, auf Annalen der Sullanischen Zeit zurückzuführen. Die Lesart: de Galleis Insubribus et Germ[an]. ist nicht zweifelhaft, und statt dessen Gaesatis zu vermuthen, kein ersichtlicher Grund. gg4 V. 1. Wanderungen der WestgerTnänen vor Errichtung des Limeß. eins, Cinciua Alimentus, der von Hannibal gefangen genommen wurde, beschrieb dessen Zug über die Alpen und könnte immerhin die Formel seinem Nachkommen in den Familienpapieren überliefert haben1). Allerdings ist das Wahrscheinlichere, dass der Volksname von dem späteren Cincius nur als ein beispielsweiser genannt wird. Wohl aber steht ausser Frage, dass an andere Germanen als die Hermunduren zu Hannibals Zeit in diesen südlichen Gegenden nicht füglich zu denken ist. Denn sie waren den Alpen von allen Deutschen die nächsten und hatten von ihrem Werinogo bei Würzburg ans am leichtesten Anreiz, jenseits des Mains Abenteuer und Land zu suchen und Be- ziehungen nach Süden anzuknüpfen. Derselben Richtung folgten später die Sueven und Markomannen des Ariovist. Von diesen Schaaren erhielten noch vor der Niederlage des Königs die suevischen Vangionen, Nemeter und Triboker ein Drittheil des Landes der Sequaner oder Mediomatricer, das linke Rheingebiet aufwärts von der Nahe bis gegen Argentoratum, welches ihnen auch unter Caesar und in der späteren Zeit dauernd verblieb. Weiter nach Südosten wanderten aus dem Suevenlande die Quaden und Bastarnen (o. S. 133) fort. Alle diese unmittelbar über die Südgrenze Sueviens hervor- brechenden Stämme bewahrten dabei den Zusammenhang mit dem alten herminonischen Völkerbunde und den Kultus der Sueven. Auch die Chatten sind stets Bundesglieder der Herminonen ge- blieben. Ihr Volksüberschuss, der sich in ihren rauhen Waldgebirgen wahrscheinlich früh fühlbar machte, hat jedoch seine natürliche Aus- breitung über die Wied, Sieg, Ruhr und Lippe nach dem Nieder- rhein und der Ems genommen. Hier begründeten die Chatten- zweige, in naher Berührung mit dem inzwischen hoch kultivirten Gallien, den Istvaeonischen Völkerbund als den jüngsten. Er verehrte den Wodan als Stammesgott, der eine Kulturerscheinung ist, ein Kriegsgott, aber ein runenkundiger, kenntnissreicher, milder, besonnener, dabei ein frivoler Freigeist, ein Abglanz überlegener Bildung. Unter den Istvaeonen haben sich bei den Bataven, welche Caesar zwischen Rhein, Maas und dem Meere vorfand, nach Tacitus (Germ. 29) bestimmte Erinnerungen davon erhalten, dass sie von den Chatten ausgewandert seien. Tacitus (c 2) erzählt auch, dass die Tungerer, welche damals Germanen genannt worden seien, zuerst über den ') Da die Tylangii nach Phileas am Simplon sassen, den schon 117 v. Chr. ein römisches Heer überschritt, ist eine fetialische Kriegserklärung an die Hermunduli, wenn sie wirklich statt hatte, beim Kampf mit Hannibal viel besser denkbar, als später. V. 1. Wanderungen der Westgerrnanen vor Errichtung des Limes. 385 Rhein gezogen wären und die Gallier vertrieben hätten, und dass durch diese ihr Name auf alle Deutschen übertragen worden sei. Caesar aber findet (bell. Gall. II. 4, VI. 32) mit dem Namen Ger- mani die Condrusi, Eburones, Caeroesi, Paemani und Segni benannt, welche wie die Tungerer am Nordabhang der Ardennen die Maas entlang sassen, und von denen die Eburonen anscheinend mit den Tungern identisch sind. Er zählte sie ebenso wie die westlich an- grenzenden Nervier zu den Belgae und erfuhr dem entsprechend, »dass mehrere Stämme der Belgae von den Germanen abstammten, welche in alter Zeit den Rhein überschritten, sich wegen der Frucht- barkeit des Bodens hier niedergelassen und die Gallier, welche diese Oertlichkeiten bewohnten, vertrieben hätten. Sie seien die Einzigen, welche den Ruhm erworben, die Cimbern und Teutonen von ihren Grenzen abgewiesen zu haben.« Ihre Einwanderung muss also spätestens gegen Ende des 2. Jahrhunderts fallen. Dass sie auch nicht erheblich früher zu denken ist, scheinen die keltischen Orts- namen, nach denen sie sich nennen, und das Bestehen keltischer Städte in ihrem Gebiete, wie das anscheinend (b. g. 2. 29) mit den Cimbern verbündete Aduatuca, zu beweisen. Nördlich von den Bataven an der Issel, .Vechte und Ems sassen die stammverwandten Hattuaren und Ansivaren. An sie schlössen sich, südlich und östlich der Brukterer, die Chamaven und zwischen der Ruhr und der Sieg die Sigambren, alle den Chatten nahe ver- wandt. Sie umgaben in weitem Bogen die letzten Stämme der kel- tischen Menapier rechts des Rheins, deren Sitze Caesar noch an der unteren Lippe vorfand und wieder herstellte. Denn die Menapier waren aus denselben bereits von den suevischen Tubanten, Usipiern und Tenkterern vertrieben worden, welche den Mittelrhein entlang durch das Land der Ubier über Ruhr und Lippe vorzudringen ver- mochten. Schon 38 v. Chr. nahm Agrippa die Ubier aus dem rechts- rheinischen Gebiete der unteren Lahn und Wied auf die linke Seite des Stromes hinüber. Ihre Grenzen wurden hier im Norden die Erft und Gelduba (Gellep, 2 Meilen unterhalb Neuss), im Süden der Vinxt- bach jenseits des Ahrthales. In den Gegenden zwischen den Bataven und Ubiern sassen nach Tacitus (hist. 5, 14) die ebenfalls ger- manischen Gugerni oder Guberni. Tiberius gelang es 16 v. Chr., einen Theil der Sigambern in ein nicht näher bezeichnetes, wahr- scheinlich an der Maas belegenes Gebiet überzusiedeln, daher ist un- sicher, ob diese selbst die Gugerni sind oder deren Nachbarn wurden. M citzen, Sicdulung etc. I. 25 386 V. 1- Wanderungen der Westgermanen vor Errichtung des Limes. Jedenfalls kam durch diesen Zuzug die deutsche Bevölkerung vorn Limes bis zu den Ardennen in ununterbrochenen Zusammenhang, obwohl sie mit Kelten gemischt zu denken ist. Da eine Ausdehnung der Westgermanen über die von den Sueven (s. o. S. 36) aufrecht erhaltene öde Grenzlinie längs der Recknitz, Randow, Oder und Neisse und des Sudetenzuges bis zu den Beskiden so wenig in Frage kommt, als eine Zuwanderung oder nur ein Druck von den jenseitigen Ostgermanen her, andere Angriffe von Aussen aber kaum möglich waren, sind die geschilderten Be- wegungen innerhalb der westgermanischen Stämme lediglich ihrer inneren Entwicklung zuzuschreiben. Soweit sich die Wanderungen auf bestimmte Zeitpunkte beziehen lassen, ergiebt sich, dass Pytheas 320 bereits die Ingvaeonen im Besitz der Nordseeküste findet, ohne dass sich während der nächsten Jahrhunderte ein erhebliches Drängen ihrer .Stämme nach einer Erweiterung ihres Gebietes bekundete. 218 leben nach Livius halbgermanische Stämme in den peninischen Alpen, am wahrscheinlichsten hermundurische Sueven. 180 ziehen die Bastar- nen nach Ungarn, um 150 die Eburonen und ihre Nachbarn an die Maas. 113 dringen Cimbern und Teutonen, welche nicht an der Nord- see, sondern im bojischen Böhmen auftreten, über Mähren und Dlyrien zur obern Donau und zur Rhone vor. Etwa 110 gelangen die Bataven und 70 die verschiedenen Suevenstämme Ariovists auf das linke Rheinufer. 38 erscheinen im Osten die Quaden. Gleichzeitig treten die Ubier, und 16 bis 8 v. Chr. Sigambern, Her- munduren und die später als Alemannen vereinigten Usipier, Tenkterer, Tubanten u. a. friedlich in das römische Reichsgebiet über. Daraus ergeben sich nahezu 30 jährige Perioden für das Vor- dringen solcher Auszüge aus dem Innern Deutschlands. Sie sind durch die Kleinheit des Gebietes und das den Römern wohlbekannte starke Anwachsen der Bevölkerung völlig erklärt. Aber ihre Wiederholung bezeugt zugleich, dass ihre Quelle nicht versiegte, dass die Mutter- stämme dieser fortwandernden Volksmassen vielmehr dauernd im Besitze ihrer alten Heimath blieben. Die ersten Vorstösse der Römer über den Rhein galten seit Caesar zunächst den Sigambern, welche in ihrer Existenz bedroht, durch ihren tapfern Widerstand einen gefürchteten Namen erhielten. Im Uebrigen fanden ernste Kämpfe mit den Istvaeonen nicht statt, vielmehr stand ein Theil derselben im Dienste der Römer. Unter den Ingvaeonen erschien den Friesen ersichtlich vortheilhaft, die Flotten der Römer als Führer und Hülfskräfte zu unterstützen, die Chauken rühmt Tacitus wegen V. 1. Wanderungen der Westgermanen vor Errichtung des Limes. 387 ihrer Friedlichkeit und Gerechtigkeit, und auf dem Gebiete der ßrukterer wird als auf einem befreundeten Aliso angelegt. Die Feldzüge der Römer galten also wesentlich den Herminonen und zwar den Chatten und Cheruskern Da aber die schleunigen und erfolglosen Märsche zur Elbe nur als Entdeckungszüge in das unbekannte Land gelten können, spielte sich der eigentliche Krieg vorzugsweise um Marsberg und am Ufer der mittlen Weser ab und überschritt kaum die Grenze des Feindes. Durch die keltischen Gebiete nördlich der Alpen fand in der Zeit um 278 v. Chr., ungewiss ob in näherer Beziehung mit den seit 404 begonnenen Auswanderungen keltischer Stämme nach Ober- italien, der o. S. 229 erwähnte Zug der Gallier nach Griechen- land und Kleinasien statt. Auch die bojischen Kelten in Böhmen, welche die Kimbern abzuweisen vermochten, und von denen Tacitus (c. 28) sagt, dass sie noch zu Caesars Zeit hinter den Helvetiern gesessen, und dass ihr Name an Bojohemum hänge, scheinen doch schon während der Feldzüge Caesar's zu den Norikern und Tauriskern über die Donau gezogen zu sein (Caesar b. g. I, 5). Eine ihrer Abtheilungen wurde in die Niederlage der Helvetier verwickelt und von den Aeduern in deren Gebiet aufgenommen (ebd. I, 28; VII, 14). Die östlicheren Bojer kamen mit den Dacen in Kämpfe und wurden schon 42 v. Chr. soweit vernichtet, dass sich davon die Deserta Bojorum am Neusiedlersee herleitet. Von den durch Caesar zurück- geworfenen suevischen Schaaren Ariovists setzten sich die Reste unter dem Namen Markomannen am mittlen Main fest, bis sie der am Hofe des Augustus erzogene Marbod 10 v. Chr., um den Römern auszuweichen, an die Mainquellen und nach dem von den Bojern verlassenen Böhmen führte. Marbod hielt ein grosses suevisches Völkerbündniss aufrecht, welches sich weit nach Nord und Ost er- streckte und nach Tacitus (Ann. II, 45) auch Semnonen und Longo- barden umfasste. Es dauerte noch fort, nachdem ihn im Jahre 19 der von ihm vertriebene Gothe Katwalda durch Bestechung seiner Herrschaft beraubt hatte. Auch dieser wurde sehr bald wieder von den Hermunduren verjagt, und Tiberius verwies Marbod nach Ravenna, Katwalda nach Frejus. Der jüngere Drusus aber veran- lasste die Ueberfühiung der suevischen Gefolge Beider nach Ungarn und setzte den Quaden Vannius über sie. Dadurch wurde das Reich der Vanninischen Sueven begründet, welches aus kleinem Anfange in kurzer Zeit zu einer ansehnlichen Macht emporwuchs. Dies war die Stellung der deutschen Völker und ihrer Nach- 25* 388 ^ • 2. Der oberdeutsche Limes und seine Anwohner. barn, als Tiberius die Grenzen des Römerreiches auf der ungefähren Linie des Limes abstecken liess. Seitdem scheiden sich für die genauere Betrachtung des weiteren Vordringens der Deutschen drei grosse, scharf begrenzte Gebiete, welche der Schauplatz nach Charakter und Zeit so verschiedener Vor- gänge wurden, dass ihre Abgrenzungen bis auf den heutigen Tag als Stammes- und Volksgrenzen deutlich erhalten sind. Sie können im Allgemeinen als 1. das suevisch- oberdeutsche, 2. das fränkisch -vandilische und 3. das sächsisch -friesische Gebiet bezeichnet werden. Die Grenze zwischen Oberdeutschland einerseits und Rheinland mit Lothringen andererseits bilden Nahe und Glan, die Vogesen, die Ausläufer des Jura, die Aar und die Simme. Zwischen den fränkischen Rheinlanden und Sachsen liegt von der Sieg aus der offene , noch gegenwärtig bestehende Grenzzug zwischen West- falen einerseits und der Rheinprovinz und Holland andererseits, der vom Bourtanger Moor nach Groningen und von da längs der Kuinder in den Zuidersee und auf der Grenze der Provinz Holland zur Scheide- mündung fortläuft. Von der Scheide aus ist diese Grenze über die Nordsee hinaus so zu ziehen, dass England und Südschottland bis zum Kaledonischen Wall mit Ausschluss von Wales dem sächsischen Volks- gebiete zugewiesen werden. 2. Der oberdeutsche Limes und seine Anwohner. Von den drei grossen deutschen Stammesgebieten, welche sich seit der Abgrenzung des Römerreiches durch Tiberius auf kelto- römischem Boden zu entwickeln begannen und mehr und mehr durch deutschen Zuzug erstarkten, ist Oberdeutschland das am frühesten in Besitz genommene und bis zur Gegenwart am reinsten nationale. Die Gründe liegen darin, dass die Römer Rhätien im Vergleich zu Gallien für erheblich weniger werthvoll und seiner Lage nach wenig gefährdet ansahen und den Deutschen nördlich der Donau fast ganz freie Hand Hessen. Gleichwohl sind von Oberdeutschland die ersten Bewegungen ausgegangen, welche den gehofften Frieden, und die Festigkeit der Römerherrschaft überhaupt untergruben. In der That lag für die römische Verwaltung in Oberdeutsch land geringer Grund zur Beunruhigung vor. Links des Rheins waren die Triboker, Nemeter und Vangionen schon seit Caesar zuverlässige Hülfsvölker der Römer, und rechts des Rheins bewährten sich seit dem Abzüge der Markomannen die Hermunduren als friedliche An- V. 2. t)er oberdeutsche Limes und seine Anwohner. 389 siedler auf dem ihnen überwiesenen Gebiete. Erst hinter ihnen nach Osten sassen die schwachen Varisten und Marwingen und vereinzelte Markomannen, welche nicht an dem Uebergange nach Böhmen Theil genommen hatten. Es schien also nur nöthig, die Lücke am unteren Main zwischen dem Rheinknie und dem Spesshart gegen die Chatten und gegen Einbrüche über die Buchonia aus dem Innern des suevi- schen Germaniens zu sichern, sowie die kleineren, herumschweifenden und Land suchenden Schaaren in fester Hand zu behalten, deren Zuzug sich vom alten, bereits römisch gewordenen Ubiergebiete her geltend machte. Tiberius war sich offenbar seiner vollkommenen Uebermacht so bewusst, dass er für den Zug des Limes eine ernste Durcharbeitung der Einzelheiten nicht für erforderlich erachtete. Es kam darauf an, dass die Linie, wie sie Tacitus' Bemerkung über die Hermun- duren schildert, die Ueberwachung der Strassenzüge und des täg- lichen Verkehres, sowie die des Zolleinganges ermöglichte, und dass die Grenzwachen über die vom Vorlande her drohenden Unruhen recht- zeitig an ihre Vorgesetzten Kunde zu geben vermochten. Der Theil des Limes, der von der Höhe des Taunus gegenüber Bingen die Wetterau bis Grüningen und Arnsburg umschliesst und über Allstedt den Main bei Gross-Krotzenberg erreicht, hatte in diesem Sinne nicht allein den Zweck, diese vorzügliche und schon unter dem älteren Drusus besetzte Landschaft der römischen Betriebsamkeit zu sichern, sondern bildete in dem Grenzsystem einen vorgeschobenen Posten, von dem aus die Legionen in den Standlagern zu Friedberg, Heddern- heim und Mainz einem etwaigen Angriffe aus dem Innern des Chatten- oder Suevenlandes so zeitig begegnen konnten, dass ein Vordringen bis zum Rhein nicht zu fürchten war. Jedoch unter dem Gesichts- punkte, dass die Limeslinie eine Befestigung bilden sollte, war sie viel zu fehlerhaft gezogen. Dies gilt selbst für die Wetterau, wo z. B. der in den Händen der Chatten belassene und von ihnen äusserst stark befestigte Hausenberg südwestlich von Butzbach den Limes so nahe berührt und überhöht, dass man aus den Bergschanzen Steine über ihn werfen kann und seine Vertheidigung ganz unmög- lich wäre. Südöstlich der Wetterau galt von Gr.-Krotzenberg strom- aufwärts bis Wörth oder Miltenberg nur der Main als Limes. Von ihm zog dann eine Grenzlinie wieder über das offene Land gegen W impfen zum Neckar, der sie weiter noch Süden fortsetzte. Für Rhätien scheint noch zu Tacitus' Zeit, wenigstens den Hermunduren gegen- über, als Limes allein die Altmühl oder die Donau gegolten zu haben, 390 V. 2. Der oberdeutsche Limes und seine Anwohner. weil er nur von einem Flusse spricht, über welchen sie nach Rhätien und Augusta Vindelicorum ungehindert hinübergelassen würden. Wie nun die Verhältnisse der deutschen Stämme angesehen wurden, von denen wir wissen, dass sie sich rechts des Rheins innerhalb des Limes und zwischen dem Limes und den Hermunduren ausbreiteten, ist nicht klar zu ersehen. Wahrscheinlich wurden sie als solche betrachtet, die sich damit selbstverständlich unter römische Oberhoheit begaben, und ihr Land ebenso aus Gnade besassen, wie die Hermunduren das ihre aus der Hand des Ahenobarbus ange- nommen hatten. Als solche Völkerschaften werden in der Wetterau die Mattiacen genannt. Sie sitzen, wie Tacitus (hist. 4, 37 und Germ. 29) bezeugt, um das schon von dem älteren Drusus errichtete Castellum in monte Tauno, das auch als Arataunon bezeichnet und als das spätere Heddernheim x) aufgefasst wird. Namen, Lage und Reste weisen indess mit grösserer Wahrscheinlichkeit auf das in Anlage 34 näher behandelte Friedberg hin. Ptolemäus, der die Mattiacen nicht kennt, führt verschiedene andere Namen auf. Die Vangionen der Rheinpfalz haben sich auch auf dem rechten Rhein- ufer am Main verbreitet. Zwischen ihnen und den Ingrionen an der Wied nahmen die sonst unbekannten Karitni und Intuergi die früheren Sitze der Ubier ein. Oestlicher neben den Chatten nennt Ptolemäus die Tubanten. Zwischen Odenwald und Main folgten Usipier. Auch die Tenkterer, die steten Genossen der Usipier, sind bei Ptolemäus schon nicht mehr am Niederrhein, wo Caesar beide Völker zurückschlug, sondern nördlich der Ingrionen an der oberen Wied verzeichnet und scheinen später den Usipiern auch in die Land- schaft zwischen Main und Neckar gefolgt zu sein. Die Notitia dignitatum (bei Seeck, p. 253) sagt über diese Stämme: Nomina civitatum trans Renum fluvium quae sunt: Usi- phorum, Tuvanium, Nictrensium, Novarii, Casuariorum: istae omnes civitates trans Renum in formulam Belgiae primae reductae trans castellum Montiacense, nam LXXX leugas trans Renum Romani possederunt. Istae civitates sub Gallieno imperatore a barbaris occu- patae sunt. Die abweichende Schreibweise lässt gleichwohl erkennen, dass hier bis auf Galliens Zeit und später dieselben Völkerschaften am unteren Main sitzen geblieben sind.2) Es war also nach dem ') E. Hübner, Neue Studien über den römischen Grenzwall, Bonn 1885, Heft 86 der Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande (S. 60). 2) Der Alemannenkönig Hariobaudus (Aramien 16, 12) erinnert auch an die V. 2. Der oberdeutsche Limes und seine Anwohner. 391 Abzüge der Ubier und der Markomannen eine rückläufige Verschie- bung der zu Caesar' s Zeit nach dem Niederrhein strebenden kleinen, suevischen Stämme in die am Mittelrhein offen gewordene Lücke eingetreten, und in dieser hatten sie dauernde Sitze gefunden. Wie weit sich die von ihnen besessenen Liindereien ausdehnten, lässt sich insofern bestimmen, als wir aus Tacitus wissen, dass zwischen Odenwald und Schwarzwald grössere Schaaren Auswanderer und Flüchtlinge aus Gallien nach der römischen Besitznahme die fruchtbaren Landstriche gegen Pacht besiedelt hatten, dass sie aber mit diesen Ansiedelungen auch über die Grenzlinie des Tiberius hinausgegangen waren, so dass sie erst durch die kurz vor Tacitus' Bericht unter Domitian erfolgte Vorschiebung des Limes ins Rems- thal bis zu der Linie Miltenberg -Oehringen-Lorch in Schutz kamen. Diese Deeumatenhöfe können nur im Remsthalgebiete selbst gedacht werden. Südlicher hatten schon in Rotenburg (nach Dio Cassius 77) die keltischen Cennen ihren Hauptort, das später zur Kolonie erhobene Summolucenna, und östlich von ihnen wohnten vom Nordufer der Donau gegen die Rems hin die ebenfalls keltischen Armalausen. Es lässt sich also für die ältere Zeit eine Ausbreitung der erwähnten deutschen Stämme vom unteren Main her nur bis gegen die nörd- lichen Höhen des Remsthales annehmen. Auch im Rheinthale, zwischen dem Odenwalde und dem Strome, müssen die Deutschen, wenigstens südlich Worms und des Neckars, ausgeschlossen gedacht werden. Denn diese Landstrecke hatten die Römer selbst besetzt. Zwischen dem Laufe des Rheins und den ziemlich steilen Abhängen des Schwarzwaldes, Kaiserstuhles und Odenwaldes bestand damals nur ein schmaler Streif zugänglichen Landes, weil die Gebirgsbäche, wie zum Theil noch heut, nur schwierig den sehr unregelmässigen, zwischen Sand- und Schutt- massen fortziehenden Stromlauf des Rheins erreichten, so dass sich in dem tiefen, oft weit überschwemmten Vorterrain eine fast zusammen- hängende, breite Sumpfzone bildete. Gleichwohl hatte hier Hadrian schon die Civitas Aurelia Aquensis, das heutige Baden-Baden, aus- gebaut, das Caracalla's Lieblingsaufenthalt wurde, und es lagen ver- schiedene römische Orte am Fusse der Berge. Auch führte eine Strasse von Augusta Rauracorum nach Norden über Heidelberg nach Lupodunum (Ladenburg) und anscheinend südlich des alten Neckar- laufes nach Borbetomagus (Worms). Haruden, von denen 24 000 dem Ariovist nachfolgten. Per ITauptsitz der Chasuaren war an der mittlen Weser, nahe Idistavisus, neben Cherusken und Dulgibenevn. 392 V. 2. Der oberdeutsche Limes und seine Anwohner. Vom Rheingau und der stark besetzten Wetterau abgesehen, blieb also für diese unstäten Suevenstämme links des Mains und des erweiterten Limes von Miltenberg nach der Rems nur eine Land- fläche von nicht mehr als 120 O Meilen, auf denen, ohne Anbau von festen Ansiedelungen, aus keine grössere Zahl als 30000, und bei guter Ausnutzung der Weidewirthschaft etwa 60000 Seelen ihren Unterhalt zu gewinnen vermochten. Danach war dieser Einwanderung in der That keine besondere Bedeutung beizumessen. — Einige weitere Belehrung scheint ein Grenzstein zu gewahren, der auf der letzten Anhöhe am Main bei Miltenberg, zu welcher der Limes führte, noch in seiner ursprünglichen Stellung gefunden worden ist. Er bildet, wie Anlage 36 im Einzelnen zeigt, eine 4,65 m lange Steinnadel aus dem örtlichen Gestein, welche nahe der höchsten Kuppe des Greinberges, unmittelbar südlich über Miltenberg und wenige Meter östlich einer auf dem Greinberge nachgewiesenen kleinen, römischen Militärstation aufgerichtet ist,1) Die Inschrift, welche die Anlage 86 in der Form ihrer Zeichen genau wiedergiebt, lautet: Inter Toutonos C. A. H. F. Es lässt sich annehmen , dass auf der Linie des Limes auch noch mindestens ein anderer solcher Grenz- stein stand, denn 15 Kilometer südlicher bei Walldürn, wo der Grenz wall mehr oberhalb des Kastells Alteburg im stumpfen Winkel aus der nördlichen in die nordwestliche Richtung übergeht, findet sieh ein Feldtheil, welcher seit unvordenklicher Zeit und ohne son- stigen Grund »am langen Markstein« heisst, und damit auf einen ähnlichen charakteristischen Grenzstein hinweist.2) Es wäre deshalb nicht ausgeschlossen, dass die letzten 4 Buchstaben ein Theil der bei den römischen Feldmessern üblichen Grenzinschriften seien, welche eine Reihe aufeinander folgender Grenzsteine umfassten und Entfernung und Richtung der nächsten Grenzsteine erkennbar machten. Indess erscheint als das bei weitem Wahrscheinlichste, dass sie nach der Deutung des Herrn K. Christ3) zu lesen sind: Civitas Alisinensis hie finivit. Eine solche Civitas Alisinensis ist auch anderweit be- ') E. Hübner, Beiträge zu den römischen Akerthiimern der Rheinlande, in den Jahrbüchern des Vereins der Alterthumsfreunde in Rheinland, Heft LXIV, S. 46. Vgl. Heft LXXX, S. 66 (1885). 2) Nach dankenswerther Mittheilung des Herrn Kreisrichters a. D. Conrady zu Miltenberg. 3) Im Korrcspondenzblatt des Gesammtvereins der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine, 30. Jhg., 1882, No. 3. V. 2. Der oberdeutsche Limes und seine Anwohner. 393 kannt,1) als ihr Mittelpunkt ist Neckarburken an der Elz, der Alisa, oder Neckargmünd am Klsenzbaeh (Alisontia) anzusehen. Die Ab- grenzung einer hier begründeten Civitas gegen den Main und bei Miltenberg entspricht durchaus den geographischen wie den politischen Verhältnissen. Denn die vollen Worte der Inschrift »inter Toutonos« beschränken sich auf nur einen Nachbarnamen und bekunden dadurch, dass der andere Nachbar als selbstverständlich galt, also das Römergebiet war, wie auch aus dem Standorte des Steines im Limes klar ist. Wer diese Toutoni sind, kann zunächst ausser Frage bleiben, sicher ist, dass damit das angrenzende Volk ausserhalb des Limes bezeichnet wird. Auch kann nicht daran gedacht werden, dass der Stein etwa den Punkt am Limes anzeige, an welchem zwei Völkerstämme der Toutoni durch eine nach Osten laufende Grenze geschieden wurden, denn eine solche Grenzlinie würde sich mit der Stellung des Steines unmittelbar am Mainufer nicht vereinigen lassen. Wenn aber die Römer durch diese Grenzzeichen nur das Reichs- gebiet von einem östlichen Nachbarvolke abgegrenzt haben, ist durch- aus unwahrscheinlich, dass sie einen oder mehrere solche Steine in die Linie des bereits befestigten Limes als Zeichen der Reichsgrenze gesetzt haben sollten. Diesem Zweck diente der befestigte Limes selbst viel besser. Es lässt sich deshalb nur annehmen, dass die Steine bereits vorher standen, ehe der Limes auf der Grenze, die sie bezeichneten, gezogen wurde. Es wäre denkbar, dass sie dazu dienen sollten, dem beabsichtigten Ausbau des Limes die Richtung zu sichern. Die Buchstaben findet Hübner ihrer Form nach etwa der Zeit des Domitian angehörig. Wenn er aber für nicht aus- geschlossen erklärt, dass sie auch erst unter Marc Aurel eingehauen sein könnten, so ist durch diese immerhin nicht mehr als 100 Jahre spätere Frist wenigstens abgelehnt, dass man für diese Abgrenzung etwa auch an die Zeit des Posthumius oder Julian denken könnte, für welche ein solcher Grenzstein auf dem fast zerstörten Limes wieder hätte Bedeutung haben können, indess, wie sich zeigen wird, wenigstens unter Julian im Namen nicht mehr zutreffend war. Man wird den Stein daher in die Zeit vor dem Ausbau des Limes setzen müssen. Dass er jedoch erst mit dem Vorrücken des Limes in die Linie Miltenberg -Remsthal zusammenfalle, durch ') Der Name erscheint in einer Bonfekler Inschrift. Ebd. Korrespondbl. 1879, Anm. S. 6, 37. 394 V. 2. Der oberdeutsche Limes und seine Anwohner. welches die agri decumates pars provinciae wurden, ist nicht noth- wendig. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass schon vorher ein Reichsgrenzstein beiMiltenberg gesetzt worden sein sollte, wenn Tiberius seine ursprüngliche Grenze von Wörth nach Wimpfen gezogen hat, Aber die Annahme dieser Linie Wörth -Wimpfen gründet sich nur darauf, dass von Wörth aus Reste eines befestigten Limes gegen Erbach und südlicher, längs dem Fusse des Odenwaldes, gefunden worden sind. Da nun der Limes vor Domitian nur eine offene Grenze bildete, lassen sich diese Befestigungen nach den Bemerkungen des Tacitus über die agri decumates der Zeit vor der Anlage und Befestigung der Linie Miltenberg -Remsthal nicht zuschreiben. Sie können nur ein späterer Ersatz für diesen bereits durchbrochenen Limes sein, wie solche Bauten unter Posthumius und Lollianus bekundet werden. Unter diesen Umständen hat viel grössere Wahr- scheinlichkeit, dass der Grenzzug des Tiberius dem Main nicht bloss bis Wörth, sondern bis nach Miltenberg stromauf folgte und von da nach Wimpfen gezogen war. Dieser Verlauf entspricht der geo- graphischen Lage und wird auch durch die in Anlage 36 mit- getheilte Karte des Limes bei Miltenberg, die Herrn Conrady zu ver- danken ist, bestätigt. Denn der vorgeschobene Limes läuft von Murrhardt über Oehringen bis nach Walldürn in ganz unentwegt gerader Linie, hier aber, wo sich das gedachte Feldstück »am langen Markstein« befindet, folgt bis Miltenberg ein in mehreren Winkeln ein- und ausspringender Grenzzug, der im Gegensatz zu der süd- licheren Anlage dem Terrain angepasst ist und auf dem Laufe einer älteren, natürlicheren Grenze fortgeführt zu sein scheint, bei der an Befestigung noch nicht gedacht war. Indess auch abgesehen von diesen Annahmen zeigt die amtliche Steinsetzung und schon das Vorhandensein der so weit östlich aus- gedehnten Civitas Alisinensis im Vergleich zu den oben genannten Civitates Aurelia Aquensis und Lupodunum, dass nicht lediglich das Thal des Rheines, sondern auch die nothwendig zwischen Main und Odenwald zu suchenden Gebiete der Usipier, Tenkterer, Tubanten, Chasuaren u. a. in Civitates einbezogen waren. Sie müssen deshalb auch den allgemeinen Lasten der Civitas und ihrer geordneten Verwaltung bis zu einem gewissen Grade unterstellt gewesen sein. In welcher Weise dies wirksam durchführbar wurde, ist freilich zweifelhaft. Als Unterworfene wurden sie betrachtet und waren auch that- sächlich beherrscht, weil innerhalb ihrer Gebiete in Mainz, Fried- berg und den zahlreichen Limeskastellen dauernd die Legionen lagen. V. 2. Der oberdeutsche Limes und seiue Anwohner. 395 Wie es nach der notitia dignitatum scheint, waren ihnen, ähnlich wie den Belgae, keine Staatslasten, sondern nur die Pflichten des Kriegsdienstes auferlegt, welche ursprünglich den Charakter der Ver- abredung gehabt haben mögen. Auch bot der Dienst als Hülfs- völker ihnen erwünschte Vortheile an Sold und Beute und fand Biete Bereitwilligkeit, In ihren sonstigen Sitten und Einrichtungen wurden sie, so lange sie sich ruhig hielten, nicht gestört. Triboker, Nemeter und Vangionen müssen die Germanen gewesen sein, welche Caesar schon vor Alesia zur Verfügung standen. Denn nach seiner Angabe (VII, 70. 63) sahen sich die Trevirer von ihnen aus grösserer Nähe bedroht, als die Lingonen und Remi. Auch Suevos und Frangones nahm er bereits (nach Ciceros epist. X, lib. XIV ad Attic.) in sein Heer auf. Die Mattiacen erscheinen unter Drusus und Germanicus als Hülfs- truppen, später die Tubanten und um 83 (Agric. c. 28) die Usipier. Für die Gebiete jenseits des Limes haben die Römer, wie die in Bithynien gefundene Grabschrift eines procurator ywQai ^ofxsXoxtvvrjaiag xal vnsQXcixcTdvTjg etwa aus Domitians Zeit (Mommsen, R. Staatsr. III, p. 830, n. 4) zeigt, gewisse höhere Beamte stationirt. Indess spricht sich Tacitus über die Verhältnisse der Grenzvölker nur dahin aus, dass die Hermunduren den Römern anhänglich seien, was sich durch die Landbewilligung des Ahenobarbus begründet, und dass Marko- mannen und Quaden unter Königen, sogar unter Ausländern, ständen, welche ihre Macht und Herrschaft römischer Einwirkung verdankten, aber selten durch die Waffen, öfter durch Geld unterstützt würden. Er spielt damit wohl auf Katwalda und Vannius an. — Es ist leicht erklärlich, dass diese politischen Beziehungen mit der Zeit schwieriger wurden. Mit dem Steigen der eignen Kriegs- geübtheit der Auxiliaren musste das militärische Ansehen der Legionen sinken. Dabei Hess der Friede im Innern die anfänglich schwache Volksmenge anwachsen und erschwerte den Unterhalt aus dem wenig entwickelten Anbau. Da nun das Reich verschlossen war, und die Stämme ausserhalb des Limes dem Druck der freien Volksmasse im Innern Deutschlands ausgesetzt blieben, waren mancherlei Reibungen auch mit den Römern unvermeidlich. Im Jahre 90 schlugen die Markomannen und Daken einen An- griff Domitians an der Donau zurück. Die Zeit dieser Unruhen ist als die späteste für das Vorschieben des Limes nach dem Rems- thale anzusehen. Denn Tacitus sagt (Germ. 29) schon 98 : Non nu- meraverim inter Germaniae populos quamquam trans Rhenum, Danu- biumque consederint, eos, qui decumatos agros exercent. Levissimus 396 ^ • 3. Alemannen, Jutbungen, Hermunduren und Bajuvaren. quisque Gallorum et inopia audax dubiae possessionis solum occu- pavere. Mox limite acto, promotisque praesidiis, sinus imperii et pars provinciae habitur. 83 hatte Domitian, obwohl anscheinend ohne Grund, Kriegszüge gegen die Chatten unternommen. Mit diesen wird die Befestigung des Limes begonnen haben. Denn Frontin (I, 3, 10) sagt: Imp. Caes. Domitianus Aug., cum Germani more suo ex saltibus et obscuris latebris subinde impugnarent nostros, totumque regressum in profunda silvarum haberent, limitibus per centum viginti millia passuum actis, non mutavit tan tum statum belli, sed subjecit dicioni suae hostes, quorum refugia nudaverat. Sicher ist, dass 120, zur Zeit der Anwesenheit Hadrian's in Ger- manien, der Limes nicht mehr lediglich als bewachter Grenzzug, sondern als Befestigung betrachtet wurde, weil Spartian (Hist. Aug. Hadr. 12) ausdrücklich bemerkt: in plurimis locis, in quibus barbari non fiu- minibus sed limitibus dividuntur, stipitibus magnis in modum muralis saepis funditus j actis atque connexis barbaros separavit. Hadrian hatte keine Unruhen beizulegen, sondern ordnete diese Bauten nur bei Gelegenheit seiner Besichtigungsreisen zur grösseren Sicherung der Grenzen an, die er also für bedroht hielt. Gleichwohl verfloss noch ein halbes Jahrhundert ohne jede ernste Störung. Die römische Organisation genügte, um in Oberdeutschland überall den Frieden zu sichern. Noch wagte kein deutscher Stamm die Grenzen des Weltreiches zu durchbrechen. 162 aber wird ein erster Einfall plündernder, als Chatten be- zeichneter Schaaren berichtet, der seinen Weg durch Germanien nach Khätien nahm. Mit ihm begann der Markomannenkrieg, welcher 166 zu erheblicher Gefahr für Vindelicien und Noricum anwuchs und sich lange mit wechselndem Glücke hinzog, bis 180 Commodus einen Frieden erkaufte, der zwar die alten Grenzen herstellte, jedoch in seinen Folgen einer schweren Niederlage gleich kam. 3. Alemannen, Juthungen, Hermunduren und Bajuvaren. Die entscheidende Bedeutung des Markomannenkrieges lag darin, dass die in sich zerspaltenen deutschen Grenzvölker, welche bisher im Banne der Idee unerschütterlicher Uebermacht der römischen Herrschaft lebten und nur nach Landbesitz und kommunaler Freiheit trachteten, zum Bewusstsein ihrer Stärke bei vereinten Kräften, und ihrer Fähig- keit selbstständig aufzutreten kamen. Ihre Stämme vereinigten sich, sie gaben sich Gesammtnamen. Es entstanden Verbände, die durch V. 3. Alemannen, Juthungen, Hermunduren und Bajuvaren. 397 ihre gemeinsamen Unternehmungen allmählich eine innere Organi- sation gewannen und sich weniger als Feinde Roms als der römischen Heeresmacht fühlten. Sie dachten dabei nicht an eine Zertrümmerung des angestaunten Kolosses, wohl aber an eine ihren Waffen ent- sprechende Benutzung der Vortheile, die das wohlbebaute Land und die in demselben aufgehäuften Reich thümer ihnen ebenso wie den Legionen bieten konnten. Die in langem Frieden aufgeblühten Pro- vinzen blieben seitdem der Gegenstand eines lebhaften, bis dahin kaum wachgewordenen Begehrens der inzwischen durch ihren eigenen Nachwuchs bedrängten, zu kleinen Königreichen entwickelten Stamm- genossenschaften. Anfänglich schien ihr Zweck nur der beutelustige, abenteuernde Raubzug. Auch wirkliche Siege römischer Heerführer waren nicht im Stande, diesen oft bis nach Italien ausgedehnten Plünde- rungen Einhalt zu thun. Doch milderte sich das Uebel einiger- massen durch das den Deutschen eigentümliche Streben nach festem Landbesitze. Konnten sie diesen , unter welchen Formen immer er- langen, so beugten sie sich auch der römischen Herrschaft. Selbst ihre Fürsten nahmen keinen Anstand, obwohl Sieger, sich als Vasallen in das ganz unvermeidlich und noth wendig erscheinende Gefüge des Weltstaates einzureihen. Um 200 wird ein neuer Einfall der Chatten nach Germanien und Rhätien erwähnt.1) Da er nach Süden und Südosten gerichtet ist, müsste er die sehr feste und stark besetzte Wetterau entweder übermannt oder nördlich und östlich umgangen und von den Buccino- banten und Hermunduren aus den Mainlimes bei den Usipiern und ihren Nachbarn durchbrochen haben. Es ist das Wahrscheinlichste, dass überhaupt nicht die westlichen Chatten, sondern die Stämme zwischen Main und Neckar betheiligt waren. Denn hier auf demselben Boden und mit gleicher Richtung des Zuges traten, offenbar nur unter neuem Namen, schon 213 zum ersten Mal die Alemannen auf. Das Wort kann nichts anderes als Gemeinschaft, die Vereinigung der dort benachbart lebenden Stämme, bedeuten. Asinius Quadratus er- klärt schon im 3. Jhrh. ihren Namen durch Zvyxlvdsg "aviyqwTiot xal itcyddeg. Zunächst vereinigten sie sich über gemeinsame Führung im Felde. Aurelius Victor c. 21 nennt sie eine gens populosa, ex equo mirifice pugnans, wie das von den Tenkterern schon bekannt war. Caracalla zog 214 von Rhätien aus gegen sie. Augenscheinlich sind die Cennen, welche Dio Cassius 77 c. 13 als die nennt, gegen die ') Capitolinus, M. Antonin. Thilos, c. 8. 398 V- 3. Alemannen, Juthungen, Hermunduren und Bajuvaren. der Feldzug gerichtet war, vielmehr das Volk, dem er zu Hülfe kam. Von Augusts Vindelicorum führte eine gesicherte Strasse über Guntia nach Summolucenna. Von da nördlich gelangte Caracalla ins Land der Alemannen und mag sie in der Nähe des Mains geschlagen haben. Dann aber wurde er von ihnen und den schlecht behan- delten Cennen oder von den Chatten, deren Bethätigung indess nur auf Annahmen beruht, gezwungen, den Frieden zu erkaufen. Dio Cassius bezeichnet ebenso deutlich die geographische Stellung der Alemannen, wie ihre geringschätzige Auffassung der römischen Macht. Seitdem gelang es nur selten einmal ihre Einfälle zurückzuweisen. Alexander Severus wird beim Beginn eines 235 von Mainz aus gegen sie ge- richteten Zuges ermordet, indess sein Nachfolger Maximin führt den- selben mit ausgedehnten Verwüstungen des Landes durch.1) Nach zwei Jahrzehnten innerer Kämpfe der Caesaren wird 259 wieder be- richtet, dass die Alemannen Oberitalien plünderten und bei Mailand geschlagen wurden. 261 trieb sie Posthumius aus Gallien zurück. Er war zum dux limitis transrhenani et praeses Galliae ernannt und verstärkte während der 7 Jahre seines Oberbefehles die Be- festigungslinien, die zwar nach seinem Tode alsbald zerstört, indess von Lollianus wieder hergestellt wurden. Am wahrscheinlichsten ist, dass sich Posthumius in Alemannien, wie Zeuss meint, auf die Grenz- linie zwischen Wörth, Erbach und Neckarbecken beschränkte, deren fester Ausbau sich sonst schwer erklären lässt. Sie deckte den Ab- schnitt des Odenwaldes bis zum Neckar, in welchem die Römer bis auf Constantin erweislich festen Fuss behielten. Durch diese Befestigungen wurden die Raubzüge allerdings ebensowenig gehindert, als durch die angeblich entscheidenden Siege des Claudius Gethicus 268 am Gardasee und des Aurelian 271. Als Probus3) endlich die Ale- mannen 277 aus zahlreichen Städten Germaniens und Galliens ver- trieb, die sie besetzt hatten, und angeblich 40 000 tödtete, vermochte er sie gleichwohl nur bis ultra Nicrum flumen et Albam (die schwäbische Alp) zurück zu drängen. Seine Wiederherstellung römischer Städte und Kastelle auf dem Boden der Barbaren ist also nur für das linke Neckarufer zu verstehen. Dagegen empfing er die Unterwerfung von 9 deutschen regulis ex diversis gentibus, von denen er Zins und die Verpflichtung forderte, dass sie ihre Streitigkeiten auch ausserhalb ') Acl. Lampridius Alexander Sever. c. 59. Jul. Capitol. in Maximin. c. 7. Jornand. 15. 2) Treball. Pollio trig. Tyrann, c. 3 u. 5. Zeuss, S. 306. 3) Vopisc. Probus c. 12. 14. 15. V. 3. Alemannen, Juthungen, Hermunduren und Bajuvaren. 399 der römischen Reichsgrenze nicht mit dem Schwerte entscheiden, sondern Recht und Schutz vom römischen Kaiser erwarten sollten. Der damit bezeichneten geographischen Stellung der Alemannen entspricht, dass die Tabula Peutingerana Alemannia zwischen Suevia und den Annalausi im Osten des Schwarzwaldes angiebt.1) Probus mag diese Barbaren auf römischem Boden noch in einer gewissen Abhängigkeit erhalten haben. Nach seinem Tode tritt zwar links des Rheins immer allgemeiner das vermittelnde Verhältnisa ein, dass die in das Innere des Reichs dringenden germanischen Schaaren ob Sieger oder .Besiegte, das Ziel ihrer Wünsche, dauernden Landbesitz, erreichen. Es beginnt die Ansiedelung der oben S. 365 gedachten Laeti, in deren Lage nur geringe, schwer festzustellende Unterschiede zu denken sind, ob sie als Unterworfene ins Innere verpflanzt werden, oder als Uebermächtige Land und Ansetzung er- trotzen. Die rechtsrheinischen Gebiete aber wurden seitdem mehr und mehr von den Deutschen in festen, selbstständigen Besitz genommen. 239- bezeichnet Mamertin unter Maximian schon gelegentlich den Rhein als die Grenze des Reiches. Eumenius (c. 7) sagt da- gegen genauer, dass unter Constantius Alemannien sich von der Rheinbrücke bei Mainz bis an den Donauübergang bei Guntia (Günz- burg) und südlich bis zur Donauquelle ausgedehnt habe. Daraus er- giebt sich, dass die Nordostgrenze der Alemannen nicht mehr ganz bis zum Limes reichte, dagegen vom Remsthal nach Günzburg die schwäbische Alp überschritt, so dass sich Alemannien, wie noch gegenwärtig, in der Nähe von Ulm nur bis zur Donau erstreckte. Gleichwohl war nach Westen das Rheinthal wenigstens längs der west- lichen Abhänge des Odenwaldes noch in der Gewalt der Römer. Dies wird gegen Mamertins' Angabe besonders durch den Bau der Ba- silika Constantins des Grossen zu Trier bewiesen. Die vier Ungeheuern Granitsäulen dieser Basilika Hess Constantin auf dem Felsberg im Odenwald zwischen Auerbach und Reichenbach2) arbeiten. Die ') Es sind hier 2 Redaktionen der Tabula unverkennbar.. Die ältere nennt, wie Caesar, das Ghattcnland Suevia, zwischen Suevia und den Armalausen haben bereits die Alemannen ihren Platz, aber weder Juthungen noch Hermunduren sind genannt, sondern neben den Arnudausen sitzen nördlich der Donau die Markomannen, dann die Quaden. Mit anderer Hand und anderer Farbe sind dann im Osten die Juthungen in den engen Raum zwischen Quaden und die Donau eingetragen, eine Stellung, in der sie sich indess nur auf einem vorübergehenden Feldzuge befunden haben können. Dass sie vorher auch nicht unter Suevia vermuthet werden dürfen, bedarf keiner Ausführung. 2) Vergl. Anlage 60. 400 V. 3. Alemannen, Juthungen, Hermunduren und Bäjuvaren. Granite können nach ihren Eigentümlichkeiten in Farbe, Korn und Festigkeit nirgends anders herstammen, und es findet sich noch gegenwärtig eine fünfte, genau entsprechende, doch nicht ganz fertig behaltene solche Säule am Thalweg nach Reichenbach. An das Auf- suchen, Anfertigen und Transportiren so kolossaler Baustücke im Feindeslande hätte kein Baumeister für seinen Plan denken können. Es muss also damals die römische Verwaltung zwischen Trier und Worms und bis in den Odenwald noch in hinreichender Ruhe be- standen haben. Allerdings scheint jedoch schon Constantin bei seinen Kämpfen mit Maxentius und Licinius und ebenso nach ihm Constantius nicht bloss das rechte, sondern auch das linke Rheinufer im Oberelsass und in der Schweiz den Alemannen Preis gegeben zu haben. Con- stantius führte zwar noch 350 einen Zug gegen die pagi Lentienses alamannici, indess derselbe ging schon in die Nähe des Bodensees, wo später der Lenzgau an diese Pagi erinnert. Julian aber schreibt, »er habe die Barbaren bereits 357 auf einem Streifen von 8 deutschen Meilen längs des linken Ufers des Rheins von den Quellen bis zum Ozean angesiedelt und dreimal so viel weiteres Land in eine Wüste verwandelt gefunden, die römischen Grenzstädte aber seien zerstört oder lägen wie Inseln in germanischer Umgebung. Die südlichen Alemannen sässen auf dem Flachlande des Elsasses und bauten ihre Saaten, die Vogesenpässe aber hätten sie durch Verhaue gesperrt.«1) Dagegen waren die nördlichen, Mainz gegenüber sitzenden Alemannen unter König Suomar den Römern befreundet. Erstere schlug Julian 357 bei Strassburg und nahm die Könige Chuodomar, Hederich und Agenarich gefangen. Obwohl er nun Kähne und mittels derselben auch schon eine Rheininsel in Besitz hatte, ging er gleichwohl bei Strassburg nicht über den Strom, sondern zog sich bis nach Mainz hinab, um ihn zu überschreiten. Von hier aus soll er dann erst die feindlichen Aecker verwüstet haben. Dies erweist hinlänglich, dass die Alemannen bereits das gesammte rechte Rheinufer im Be- sitz hatten. 359 überschritt Julian von Mainz aus zum dritten Mal den Rhein, umging die Grenzen des Suomar südlich und gelangte durch das Gebiet des Hortarius ad regionem, cui capellati vel Palas nomen est, ubi terminales lapides Alamannorum et Burgundionum confinia ') Zosimus II, 53. Julian epist. ad Athenas (Ilertlein I, p. 369). Libanius iKix&tpioq bk UouXtavw (Reiske I, p. 532). Ammian. Marcell. XVI, 12. 4. Socratis hist. eccl. III, 1. Hieronym. Epist. III ad Rufinium (Migne XXII, p. 332). Ausonii clarae urbes XIV v. 6. Symmachi orat. I, 7. V. 3. Alemannen, Juthungen, Hermunduren und Bajuvaren. 401 distinguebant. Die Ausdrucksweise lässt erkennen, dass der Limes selbst längst zerstört war, und nur auf die Gegend sein Name im Volksmunde übertragen und erhalten geblieben ist. Capellatium ist weder aus der lateinischen noch aus der deutschen Sprache zu er- klären, sondern gehört wahrscheinlich zu dem o. S. 184 gedachten keltischen Worte gavael, Säule. Palas hält W. Scherer *) für deutsch, Zeuss in Pfahl für nur verdeutscht aus dem von Plinius (o. S. 273 n. 2) gebrauchten pala, Grabscheit, oder dem von naaaaXog, paxillus, hergeleiteten militärtechnischen palus, Pfahl. Die Oertlichkeit muss, wie sich aus den Sitzen der Burgundionen ergeben wird, in der Nähe des Grenzsteines inter Toutonos gesucht werden. Auf seinem Zuge dort- hin huldigen Julian die Könige Macrianus und dessen Bruder Hario- baudus. Sie waren an der Schlacht bei Strassburg nicht betheiligt und werden nördlich des Neckars gesessen haben, denn Julian durch- zieht dann neckaraufwärts das Gebiet der Könige Urius , Ursicinus und Vestralpus, welche bei Strassburg mitgekämpft hatten. Vado- marius aber, der am Schwarzwald herrschte und persönlich nicht im Kampfe war, obwohl sein Volk sich betheiligt hatte, erscheint vor ihm, um Frieden für diese seine nördlichen Nachbarn zu erbitten. Julian befreit bei diesen Verhandlungen 20 000 römische Gefangene. Schon 360 aber muss er in einem 4. Zuge gegen Vadomarius ein- schreiten und nimmt ihn gefangen. Durch alle diese Angaben wird die geographische Ausbreitung der Alemannen und ihre Vertheilung unter kleine Gaukönige hin- reichend klar. Dass ihnen trotz ihrer Unterwerfung durch Julian kein erheb- licher Schrecken eingeflösst worden war, zeigt sich daraus, dass sie schon 366 wieder auf den Catalaunischen Feldern von Florian zurück- geschlagen werden müssen und 368 Mainz zerstören. Valentinian setzt deshalb über den Rhein, bringt ihnen bei Solicinum (Schwetzingen) eine Niederlage bei und befestigt das ganze Rheinufer mit Kastellen.3) Dabei wird erwähnt, dass Valentinian über die Buccinobanten den ') E. Hübner, Neue Studien über den römischen Grenzwall, Bonn 1885, S. 76. 2) Als deutsche Bezeichnung ist Pfahlgraben, Pfahl bis auf den heutigen Tag für diese Grabenzüge des Limes allgemein im Gebrauch, welche nach ihren Resten und nach den Abbildungen der Trajanssäule selten mit Mauern , meist mit Palissadcn besetzt waren. Capellatium vermuthet Zeuss S. 312 als keltisch. Die Beziehung auf gaveln, Säulen, findet eine Analogie in den montes gavellini bei Cappeln, nördlich von Osnabrück, auf denen sich langgedehnte ähnliche Grabenzüge und Reste von Verhauen hinziehen, welche vielleicht fälschlich Karl dem Grossen zugeschrieben werden. 3) Amm. Marc. 28. 2, 30. 3 Cod. Theodos. 30 de cursu publ. Meitzen, Siedelung etc. I. 26 402 V. 3. Alemannen, .Tuthungen, Hermunduren und Bajuvaren. Fraomarius an die Stelle des Macrianus als König eingesetzt habe, welcher letztere sein Gebiet bedrohlich nach Nordwesten erweitert hatte. Die Buccinobanten können also damals nicht mehr in der Buchonia, sondern nur zwischen Neckar, Odenwald und Main, vielleicht auch noch im Spesshart gesessen haben. Das alemannische Volk des Saomar aber ist nördlich des Mains bis gegen Mainz zu suchen. Auch die Wetterau haben, wie die Ortsnamen schliessen lassen, nach den Römern Alemannen in Besitz genommen. Alle diese nördlichen Alemannen scheint bald nach Vertreibung des Fraomar Macrianus unter seine Herrschaft gebracht zu haben, denn er griff nach Ammian 30. 3 rheinabwärts die Franken an und ging durch Kriegslisten des Königs derselben, Mellobaudus, zu Grunde. Darauf schlägt Gratian 378 mit demselben Mellobaudus oder Merobaudus (Merowaeus) gemeinsam bei Argentaria im Elsass die Lentienses, die in Gallien eingefallen sind. Endlich giebt, kurz ehe Stilicho die Grenzen des Reiches öffnet, die Notitia imperii noch ein letztes Bild von der Lage der Dinge. Sie zeigt, dass östlich vom römischen Südufer des Bodensees Brigantium (Bregenz), Vemania (Immenstadt) und Campodunum (Kempen) noch römische Städte waren, aber Augusta Vindelicorum (Augsburg) nicht mehr, und dass nördlich des Sees die Lentienses ihre Sitze hatten, westlich derselben im Breis- gau die Brisgavi seniores und juniores und im Norden von diesen die Buccinobanten, die in den Alemannen aufgehen. — Spärlicher als über die Alemannen sind Nachrichten über ihre östlichen Nachbarn, die Juthungen überliefert. Diese südlichen Juthungen werden erst 271 ausdrücklich ge- nannt, indem Aurelian ihnen an der Donau eine Niederlage bei- bringt, als sie von einem Raubzuge zurückkehren.1) Es bedarf kaum der Widerlegung, dass die Juthungen an der Donau die der Cimbrischen Halbinsel sein könnten. Die Cimbrischen Juthungen, Eutingen, Jutingen sind noch heut in den Juten erhalten. Dagegen muss Müllenhoff's Ansicht als die richtige erachtet werden, dass beide Stämme aus dem Herzen Deutschlands von den Hermino- nischen Sueven ausgegangen sind. Es kommt also für die Frage nach der Wanderung der südlichen Juthungen darauf an, ob sich nicht Anhaltspunkte für die Bestimmung der Zeit finden lassen, zu welcher sie zuerst in Oberdeutschland erschienen sind. In dieser Be- ziehung ist zu beachten, dass die Wessobrunner Handschrift die ') Dexipp in Exe. legatt. ed. Bonn, p. 11. Zeuss S. 313. V. 3. Alemannen, Juthungen, Hermunduren und ßäjuvaren. 4();] Juthungen sowohl Snapa (Suavi), als auch Cyuvari (Ziuvari) nennt, und dass diese von ihr allein noch aufbewahrte Bezeichnung in dem Ptolemaeischen TewovoaQioi ebenfalls wiederklingt. Dieser Name Ziuvari deutet mit solcher Bestimmtheit auf das Wahren des Zeus irmin, dass sie als die Hüter des in Tacitus' Ueberlieferungen geschilderten hei- ligen Haines, und damit als der Kern der Semnonen betrachtet werden müssen. Wohin man nun das Herminonische Stammheiligthum auch verlegt, jedenfalls stand der Weg durch Thüringen den Ziuvaren offen. Um an den Main und den Limes zu gelangen, konnten sie ihren Durchzug zwischen Chatten und Hermunduren nehmen. Wenn sie an der oberen Saale oder Ilmenau den Thüringer Wald über- schritten, bot ihnen die fränkische Saale, an der (nach Tac. Ann. XIII, 57) die Chatten und Hermunduren grenzten, die geradeste und bequemste Linie, längs derselben zum Main und weiter am Ufer des Mains in gleicher Richtung nach Miltenberg zu gelangen. Fanden sie sich hier, was erklärlich ist, an der Ueberschreitung der Grenze des Reiches und der Civitas Alisinensis gehindert und setzten sich ausserhalb derselben fest, so findet die Inschrift des Steines: inter Toutonos, ihre befriedigende Begründung. Dass das Wort Toutoni gleich Teutoni aufzufassen ist, darüber sind alle Beurtheiler einig. Zeuss (S. 149) erklärt Toutoni, Teutones und Juthungi als völlig übereinstimmend. Müllenhoff aber bemerkt (im n. Bande seiner Alterthumskunde, S. 115), dass der Teutonen- name nach dem vorletzten Jahrhundert v. Chr. in Deutschland an keinem Volke oder Volksstamme hafte, wenn auch die Römer ihn gebrauchen und zu fixiren suchen. Bezüglich des Miltenberger Grenz- steines aber weist er in Hübner's o. S. 392 gedachter Abhandlung darauf hin, dass bei Ptolemaeus (Geogr. II, 11. 22) die am Abnoba genannten Tovqcovoc möglicherweise Teutones zu lesen seien. Viel- leicht würde er bei eigener Herausgabe und abschliessender Be- arbeitung seines Manuskriptes diese Frage noch klar gestellt haben. Doch schon nach seiner Hindeutung auf die TovQ(avot, die damals am Abnoba bereits weit südlicher sassen und am besten mit den Arma- lausen oder den Cennen in Verbindung zu bringen sind, hat Müllen- hoff offenbar selbst den Eindruck, dass die Inschrift: inter Tou- tonos, den Gedanken an eine nur allgemeine Bezeichnung der Grenz- nachbarn als Teutonen im gewöhnlichen Sinne von Germanen, gleich- gültig welchen Stammes, nicht zulasse. ■ Da wir nun wissen, dass der Name Teutones mit dem Stamme der Juthungen verknüpft gewesen ist, und dass diese suevischen 26* 404 V. 3. Alemannen, Juthungen, Hermunduren und Bajuvaren. Juthungen ungefähr an der Stelle des Grenzsteins am Limes er- schienen sein müssen, um die Sitze zu erreichen, in denen sie schon im 3. Jahrhundert bekannt und dauernd bis auf die Gegenwart als Schwaben in Blüthe geblieben sind, hat der Gedanke, dass eine Namensverwechselung mit irgend einem anderen Stamme stattgefunden, allzu geringe Wahrscheinlichkeit. Es bleibt also nur die Frage, ob diese Wanderung in der frühen Zeit des Domitian bereits erfolgt sein kann, der sie nach den obigen Ausführungen angehören müsste. In dieser Beziehung lässt sich sauen, dass keinerlei Grund bekannt ist, weshalb dies nicht ge- schehen sein sollte. Das frühe Erscheinen der Juthungen am Main wird sogar dadurch wahrscheinlich, dass nach Dio Cassius (67, 5) bereits um das Jahr 70 Masyos ein König der Semnonen, also ver- muthlich der in Frage stehenden Ziuvaren, einen Besuch bei Domitian in Rom machte und dann wieder zurückkehrte. Der Landstrich , in welchem hier die Juthungen ausserhalb des Limes südöstlich von Miltenberg gesessen haben müssen, war indess keinesweges besonders fruchtbar und einladend. Es ist anzunehmen, dass sie möglichst bald, sowie die römische Verteidigung des rhätischen Limes schwächer wurde, gestrebt haben werden, nach Süden an Hier und Lech vorzurücken. Dies wird ihnen seit dem Markomannen- kriege leicht gelungen sein, und sie werden sich häufig auch an den Zügen der benachbarten Alemannen betheiligt haben. Dabei aber verschwanden sie für die Römer hinter den bekannteren Feinden, und sie scheinen in den römischen Berichten meist mit den Ale- mannen zusammengeworfen worden zu sein. Indess bezeichnet sie Ammian (17. 6) bei der Erwähnung eines Einfalles nach Rhätien zu Constantin's Zeit zwar ausdrücklich als pars Alamannorum, aber kennt sie doch als besonderen Stamm. Ausonius (Epigr. 4 und 5, Idyll. 6) nennt sie um 390 allein, oder wahrscheinlicher mit den Alemannen zusammen, zuerst Sueven, und stellt bereits Franken und Sueven ein- ander gegenüber (Idyll. 8 v. 29). Indess werden auch noch später im 5. u. 6. Jhrh. Juthungen oder Sueven von den Alemannen ganz be- stimmt unterschieden, was nur wenig hervortritt, weil sie mehr und mehr in die Alemannen eingerechnet wurden. Ambrosius er- zählt, dass Maximus um 387 die Juthungen gegen Rhätien aufreizte, Valentinian aus Rache die Hunnen und Alanen, auf ihrem Wege nach Gallien, durch die Alemannischen Gebiete zu ziehen veranlasste, und dass die Hunnen Alemannien verwüsteten. 430 besiegte Aetius die Juthungen und Nori, man kann Baumann's Meinung zustimmen, nicht V. 3. xUemannen, Juthungen, Hermunduren und Bajuvaren. 405 in Noricum, sondern in der Franche Comte. 473 unterscheidet Jor- danis c. 53 — 55 Alemannen und Sueven bei ihrem unglücklichen Feldzuge gegen den Ostgothen Theodemir in Pannonien. Auch weiter giebt er allerdings die Grenzen für die Sueven so an, dass sie Ale- mannen und Sueven umfassen, sagt aber ebenso wieder, dass Theo- domir tarn Suavorum gentem quam etiam Alamannorum utrasque ad invicem foederatas devicit, vastavit et pene subegit. Noch be- stimmter spricht Procop (bell. goth. I, 12) aus: 2ovaßot, te vnhq QoQiyyow xal 'Ala/uavol löxvqä 'stfoiq.1) — Um 280 erscheinen die Burgunden an den Grenzen der Ale- mannen. Sie sind keine Westgermanen, werden vielmehr von Plinius unter den Vandili aufgezählt, von Ptolemaeus aber in die Mitte zwischen die Semnonen und die Weichsel gesetzt, südlich von den Turcilingischen Gothen, nördlich von den Lygiern. Im Beginn der Wanderungen der Ostgermanen traten auch sie zuerst in Ungarn in der Nachbarschaft und in steten Kämpfen mit Gothen und Vandalen auf.2) Probus schlägt 277 Burgunden und Vandalen3) an der Donau in Pannonien. Von da werden die Burgunden anscheinend durch die Vandalen nach Westen gedrängt und gelangen von der Donau4) aus zum Limes südlich des Mains. Ihre Grenzen bezeichnet Ammian 359 bei dem 3. Zuge Julian's gegen die Alemannen hinreichend er- kennbar. Nach Ammian (18, 2) findet Julian die Burgunden unmittelbar jenseits des Limes und will ersichtlich mit ihnen nicht in Kampf kommen,5) sondern lagert am Limes und zieht dann den Neckar aufwärts durch das Alemannengebiet. Dabei ist die Bemerkung !) Dass Baumann (Forschungen Bd. XVI, S. 217) zuviel beweisen will, geht aus seinen eigenen historischen, wie dialektischen Angaben hervor. Es kann ihm aber zugegeben werden, dass schon vom Beginn des Mittelalters an Alemannen und Schwaben, die nahe Stammverwandte waren, mehr und mehr verschmolzen, dass man sich ge- wohnte Alemannien und Schwaben als gleiche Begriffe zu gebrauchen, und dass erst die späteren politischen Gegensätze und die neuere wissenschaftliche Auffassung den kaum mehr fühlbaren Unterschieden neues Leben gegeben haben. Grimm's Aeusse- rungen in d. Gesch. d. deutsch. Sprache 535 bis 593 entscheiden nicht, führen viel- mehr zu dem Schlüsse, dass die Tubanten wahrscheinlich ebenso in Zweige gespalten auftraten, die nördlichen in Twente, die südlichen am Neckar, wie dies ähnlich o. S. 380 von mehreren suevischen Stämmen erwähnt ist. 2) Jornand. 17. 3) Zosim. p. 68. 4J Mamertin: Paneggr. 1. 5. 5) Er scheint mit den Burgunden schon die Beziehungen angeknüpft zu haben, welche Valentinian gegen die Alemannen benützte. Amm. Marc. 26. 27. 406 V. 3. Alemannen, Juthungen, Hermunduren und Bajuvaren. Ammians (2S,5) von Interesse, dass salinarum fmiurnque causa Ale- mannis saepe jurgabant Burgundii. Als solche Salzquellen können nur die an dir fränkischen Saale um Kissingen oder die am Kocher bei schwäbisch Hall in Betracht kommen. Es ist indess nicht zweifelhaft . dass es sich um Hall handelt. Hall liegt ganz nahe jenseits des Limes, an welchem Julian stand. Da jetzt die Bur- gunden bei Miltenberg an den Limes grenzten, wo früher die Juthungen sassen, waren letztere bereits am Limes nach Süden in die noch heut schwäbischen Distrikte bis zu der Grenze bei Hall abgezogen oder von den Burgunder! verdrängt. Sie suchten dort die Salinen aus dem natürlichen Grunde des Salzbedarfes festzuhalten. Dass das Gebiet nicht alemannisch, sondern suevisch war, geht aus Eumenius (s. o. S. 399) und aus Julians Zuge hervor, da die Be- zeichnung Alemannen auch für die Juthungen galt. Von diesen nahen Grenzstreitigkeiten Kenntniss zu nehmen, war für Julian nicht un- wichtig. Kämpfe und Grenzveränderungen an der entfernten, weit nordöstlichen fränkischen Saale hätte er schwerlich beachtet. Ueber- dies ist aus Tacit. Annal. XHI, 57 bekannt, dass 59 n. Chr. von den Hermunduren ein Versuch der Chatten, die Salinen an der fr linkischen Saale zu besetzen, in einer grossen Schlacht, die zur völligen Vernichtung des Chattenheeres führte, zurückgewiesen wurde. Das Land zwischen der fränkischen Saale und dem Mainknie bis jenseits zum Steigerwald gehört zu den fruchtbarsten Strichen, welche die Hermunduren inne hatten. Alles Land zwischen Spesshart und den Hassbergen ist uralt thüringisch. Es treten dort besonders viele alte Ortsnamen auf, die Gaue sind klein, und unter ihnen klingt der Werinogo. Weringawe, an den alten thüringischen Stamm der Warnen an. Die Sitze südlich des Mains neben den Markomannen aber haben die Hermunduren bereits zu Augustus' Zeit durch Ahenobarbus gewonnen und zu keiner Zeit wieder aufgegeben. Die Burgunden hätten also in den Besitz dieser Gegenden nur durch heftige Kämpfe und durch die Unterwerfung der Hermunduren gelangen können. Dafür liegt gar kein Anzeichen vor. Dagegen ist das Vordringen der Burgundionen von der Donau nach dem Jaxt- und Taubergebiete ohne grosse Volkskämpfe leicht denkbar. Sie mussten der Donau stromaufwärts folgen, und es wäre möglich, dass sie sich rechtsseitig neben den römischen Be- satzungen durchgeschlagen oder Abkommen über freien Durchzug getroffen hätten. Das Wahrscheinlichste aber ist, dass sie längs des linken Donauufers zogen, das unbesetzt war, Denn alles Grenzland V. 3. Alemannen, Juthungen, Hermunduren und Bajuvaren. 407 vor dem Limes wurde, so weit es unter den Augen der römischen Wachen lag, von den Deutschen gemieden, und brauchte doch von den Römern auch nicht vertheidigt zu werden. Jedenfalls hatten die Burgundern wenn sie südlich oder nördlich der Donau in die Gegend von Kehlheim gelangten , nur die Nordseite des limes rhäticus zu verfolgen, um in die nördlichen Plateaus der schwäbischen Alp und nach Hall und Miltenberg zu gelangen. Es ist hier sogar um die Jaxt- und Kocherquellen noch ein alter Name: Waldus Vurgundia erhalten, der passend einem der von ihnen besetzten Landstriche angehört. Diese gesammte Grenzgegend vor dem Limes lag wahr- scheinlich auf grössere Strecken öde, und ist ungleich unfruchtbarer, als die nördlich und südlich anstossenden Landstriche , sodass die Hermunduren und Schwaben ihn den Burgunden vielleicht durch gutwilliges Abkommen einräumten. Die Letzteren haben ihn auch sobald als möglich wieder verlassen. — Mit dieser Auffassung stimmt das überein, was über Thüringer und Bayern, die östlichsten Stämme auf oberdeutschem Boden bis zum Böhmerwald, bekannt ist. Die Hermunduren (o. S. 383) kennt zwar Ptolemaeus nur jenseits der hercynischen Sudeten, aber Tacitus giebt die von ihnen südlich des Thüringer Waldes einge- nommenen Landstriche bestimmt an. Er begrenzt sie auch näher nach Süden, denn er spricht zwar vom Verkehr der Hermunduren über die Donau, sagt jedoch nur, dass sie dem römischen Grenzflüsse nahe waren. Darauf erklärt er (c. 42), dass neben ihnen die Varisten, weiter- hin die Markomannen und die Quaden sitzen, und bezieht die Be- merkung, dass deren Länder gleichsam die Vormauer Germaniens längs der Donau hin bilden, nicht mit auf das Hermundurenland. Die Varisten reichten bis Regensburg, die Hermunduren nur bis in das Ansbachische. Der Name der Hermunduren verschwindet indess seit dem Markomannenkriege. Erst im 5. Jahrhundert tritt die Be- zeichnung Thüringer an seine Stelle und umfasst dann eine Zeit lang auch Markomannen und Varisten, bis um 531 Thüringer und Bayern geschieden werden. Varisten, welche vom Regen, aus dem Gau Stadevanga stammten, kommen zuletzt 430 vereint mit Juthungen in der burgundischen Freigrafschaft vor, wo sie Aetius schlägt. Die Markomannen erscheinen zwar nach dem Markomannen- kriege noch durch 2 Jahrhunderte unter Caracalla, Valerian und Aurelian mehrmals als RaUbschaaren auf dem römischen Gebiete südlich der Donau, dass sie sich aber jenseits derselben festgesetzt hätten, wird durch nichts angezeigt, und im 4. Jahrhundert scheinen 4Q3 V. 4. Die Entwickelung Schwabens und sie keine Einfälle mehr gemacht zu haben. Die Notitia imperii von 404 beweist, dass Juvavum (Salzburg), Castra Batava (Passau) und Castra regina (Regeiisburg) von den Römern dauernd gehalten wurden, dagegen war südwestlich Augusta Vindelicorum verloren gegangen. Obwohl dies also früh in die Hände der Sueven fiel, muss das öst- liche Vindelicien ebenso wie Noricum noch bis auf Odoacer unter römischer Gewalt gedacht werden. 4. Die Entwickelung Schwabens und Bayerns in der Völkerwanderung. Als Stilicho 402 die Legionen zur Verteidigung gegen Alarich aus den Provinzen zog, hinderte die Alemannen nichts mehr, tiefer nach Gallien und in die Schweiz einzudringen und sich dort dauernd festzusetzen. Das Gebiet der Rauracer und die Ebenen und Vorberge vom Rhein bis jenseits der Aar waren, wie es scheint, seit lange kaum mehr vertheidigt und grossentheils verödet. Aventi- cum hatten die Alemannen schon 307 zerstört, Augusta Rauracorum wird seit der Mitte des 4. Jahrhunderts nicht mehr erwähnt. Jetzt geht der Rhein über die Trümmerstätte. Der Durchzug der Vandalen, Alanen und Sueven,1) welche 407 über den Rhein nach Gallien einbrachen, berührte Oberdeutschland nur vorübergehend. Sie eilten in das reiche Römerland. Dagegen zogen die Burgundern deren Anmarsch o. S. 405 erörtert ist, wie es scheint, schon unter Valentinian mainabwärts und versuchten sich am Vangionischen Mittelrhein festzusetzen. 407 überschritten auch sie den Rhein, nahmen 413 Mainz und Worms und errichteten in deren Umgebung auf beiden Ufern ein organisirtes Königreich. ') Dabei sind die neben den Alemannen sitzenden Sueven völlig unbetheiligt. Es dringen lediglich Schaaren der in den fernen Waag- und Grangegenden ange- sammelten Suevenstämme nach Westen. Die o. S. 387 gedachten Sueven des Vannius, östlich der Quaden, wurden zwar durch Vibilius (Weibling), den Hermundurenkönig, besiegt, welcher auch Katwalda vertrieben hatte. Vibilius setzte aber die Schwester- söhne des Vannius, Vibilius, Vangio und Sico zu Königen dieser Sueven ein. Ihnen gelang es binnen 50 Jahren eine Herrschaft zu errichten, welche Tacitus ein dives regnum (Tacit. Ann. 12. 29. 30), Ptolemaeus unter dem Namen Balfxot, ui-fa s&vo? nennt. Plinius (4. 12) kennt sie westlich der Bastarnen in Pannonien und Mähren und bezieht anscheinend ihren Namen auch auf die Quaden. Capitolinus (290 — 330) nennt sie (in Antonin. phil. 22) in der Reihenfolge Quadi, Suevi, Sarmatae. Vopiscus (in Aurelian c. 18) spricht nur im Gran- und Marchlande wieder von Sueven, während Antonin dort die Quaden nennt. Es ist kein Zweifel, dass beide Stämme als nahe verwandt zusammengeworfen wurden. Dagegen bedeuten Sueven, Vandalen und Alanen Bayerns in der Völkerwanderung. 409 Zu derselben Zeit warfen sich in Gallien verschiedene römische Anführer zu Imperatoren auf. Die Burgunden unterstützten den in Mainz 411 ausgerufenen Jovinus. Derselbe wurde zwar 412 von Athaulph für Honorius besiegt, die Burgunden aber blieben im Be- sitz von Germania inferior, bis Aetius, welchen Valentinian als magister militum nach Gallien sendete, sie in den Jahren 435 und 436 in wiederholten Kämpfen besiegte und unterwarf. Die Folge dieser Niederlagen war ein Vertrag, welchen die Tironische Chronik zum Jahre 443 zwar nur dahin ausdrückt: Sabaudia Burgundionum reliquiis datur cum indigenis dividenda, welcher die Burgundenkönige jedoch, wie aus ihren erhaltenen späteren Correspondenzen mit den Kaisern hervorgeht,1) zum Lehns- oder ähnlich aufgefassten Kriegsdienste für die letzteren verpflichtete, denn sie nennen sich darin einen miles des Kaisers. Für die Entwickelung der Verhältnisse in Oberdeutschland war diese Verpflanzung der Burgunden aus der Rheinpfalz nach Savoyen in sofern von Bedeutung, als sie, was vorbedachte Absicht des Aetius scheint, den Alemannen das Vordringen dorthin verlegte. Attila setzte 451, wie es scheint, vom Remsthal aus über den Rhein, zer- störte Mainz und vernichtete das Heer und das Königsgeschlecht der Burgunden bei der Verteidigung eines ihrer Gebirgspässe. Sie erstark- ten indess schnell wieder und dehnten ihre Herrschaft bald darauf bis jenseit Avenches nahe an die Aar,2) den Niesen und die Gemmi aus, wo drei sehr verschiedene Völker. Die Sueven sind Westgermanen, die Vandalen Ost- germanen, die Alanen gehören wahrscheinlich nicht zu den Germanen, sondern zn den Dacen und Geten, also zu den skythisch- iranischen Stämmen. Unter den Vandalen sind Lygier und Silingen einbegriffen , wie sich in Spanien zeigt. Den Ostgermanen gegenüber hatte aber kein westgermanischer Name grösseres Ansehen, als der der Sueven, die von ältester Zeit her die Nachbarn der Silingen und Vandalen gewesen waren. Es ist daher erklärlich, dass während des Zuges nach Spanien die Quaden unter den Sueven mit inbegriffen wurden. Dies zeigt Hieronymus Epistol. ad Ageruch. ausdrücklich, der statt der Sueven die Quaden als die am Anfang des 5. Jahrhunderts Gallien verwüstenden Schaaren nennt. Andererseits sind auch die Sueven aus ihren Sitzen an Waag und Gran um 400 nur zum Theil fortgegangen, denn sie schlagen 454 die Befreiungsschlacht am Netad gegen die Hunnen, unterliegen dann aber den Gothen und 506 den Longobarden, mit denen sie, wie es scheint, 568 nach Italien ziehen. Die Alanen treten nirgends als geschlossenes Volk auf Sie erscheinen wie einzelne mit fortgerissene Splitter der skythischen Völkermasse. ') E. Gaupp, Ansiedlungen der Germanen, S. 293. 2) Der Ufgau, das Thal der Sense und Simme, war, wie Menke gezeigt hat, wegen der Grenze des Klosters Rougemont contra Alamannos ursprünglich ebenfalls alemannisch, ist aber schon vor Errichtung der Lausanner Diözese an Burgund ver- loren gegangen. 410 V. 4. Pie Entwicklung Schwabens und sich die Grenze der alemannischen Oberdeutschen bis zur Gegenwart unverändert erhalten hat. Durch diese Stellung der Burgunden wurde die Ausbreitung der Alemannen in andere Richtungen ge- wiesen. Theils machten ihnen die furchtbaren Verwüstungen der Hunnen im Mosel- und Maaslande in den südlichen Hängen des Hunsrücks, der Eifel und der Ardennen eine breite Zone zu An- siedelungen frei, theils wurden sie in die Ostschweiz gedrängt.1) — I>as alte, lediglich alpine Khätien, welches 15, im gleichen Jahre wie Vindelicien , von Drusus und Tiberius unterworfen worden war, wurde um 100 mit diesem zur Rhaetia prima und seeunda vereinigt und zur Verwaltung von Italien gezogen, weil die beiden gangbaren Pässe, über den Septimer nach dem Rheinthal und Brigantium, und über den Brenner und Veldidena nach Partanum (Partenkirchen), ver- hältnissmassig leichte und geschützte Verbindungen dorthin bildeten. Dieses Verhält niss ist trotz der Stürme des 4. Jahrhunderts bis auf Odoacer aufrecht erhalten worden. Schon 406 begann die Verwüstung mit der Zerstörung sämmtlicher Städte Tyrols: Veldidena, Matrejurn, Vipitenum, Sebatum, Litanum, Aguntum und Tridentum, durch Radagais. Als dieser bald darauf von Stilicho vernichtet worden war, folgten die Einbrüche Attilas. Später eroberten, wie wir aus dem Leben des heiligen Severin wissen, die Rugischen Fürsten die Donaustädte Noricums, und nur noch die Cohorte in Passau hielt sich mit Mühe und ohne Sold. Nach 470 zogen dann Sueven und Alemannen in Rhätien umher, verwüsteten Mittel Noricum und zerstörten Passau. Die Rügen besiegte zwar ihr Stammesgenosse Odoacer, veranlasste aber gleichwohl seinen Bruder, wegen des Druckes, den Noricum durch die Rügen von Osten und durch die Alemannen und Thüringer von Westen erlitt, die römischen Bewohner von dort nach Italien zurückzuführen. Bald darauf besetzten die Thüringer Noricum ripense, die Ost- gothen aber, mit denen sich die Rugier zum Zuge nach Italien ver- bunden hatten, nahmen Noricum mediterraneum in Besitz. Erst mit Theodorich dem Grossen trat wieder Ruhe ein. Als er mit Einwilligung Zenos Odoacer gestürzt und sich 493 in den Besitz von ganz Italien gesetzt hatte, hielt er auch Noricum meridionale und Rhätia prima fest. Er baute Trient wieder auf und setzte in Rhätien einen eigenen Herzog ein, dem er seine Pflichten als Wächter dieser Grenze sehr ' Die alemannische Niederlassung in Rhätia seeunda, Dr. Fr. Lud. Bau mann. Zeitschr. des Historisch. Vereins für Schwaben und Neuburg, Jahrg. II, 1875, S. 172, 188. Bayerns in der Völkerwanderung. 411 angelegentlich vorschrieb. Da Rhätia secunda verloren war, konnte er nur über Rhätia prima gesetzt sein. Der Befehl Theodorichs an seinen obersten Hof beamten Festus ist erhalten. Er soll namentlich für die Verpflegung der in angustiis Augustanis stationirten Soldaten Sorge tragen, deren Zahl auf 6000 angegeben wird. Indess ist auch sonst erkennbar, dass Theodorichs Herrschaft nicht über Rhätia prima hinausreichte. Denn als das Rugische Reich zerfiel, und die Heruler nach der Einnahme von Joviacum Nachbarn der Thüringer und der hier einmal wieder genannten Warnen (s. o. S. 383) wurden, sah Theodorich in diesen Eroberungen keine Bedrohung, sondern forderte beide Völker in Voraussicht des Kommenden auf, mit ihm und den Burgunden dem Vordringen Chlodwigs von Franken Einhalt zu thun,1) der durch den Sieg über die Alemannen (496) Rhätien ganz nahe gerückt war. Allerdings starb sowohl Chlodwig als Theodorich, ehe die befürchtete Katastrophe eintrat, aber schon im Jahre 531 wurde nach einer Reihe von Treulosigkeiten das Thüringische Reich von dem Australischen Theuderich I. mit Hülfe einer Sachsenschaar zer- stört, und dessen Sohn Theudebert konnte dem Kaiser Justinian berichten, die Thüringer seien glücklich unterworfen und ihre Pro- vinzen erobert, ihre ehemaligen Könige getödtet und die fränkische Herrschaft längs der Donau und der Grenze Pannoniens bis zum Strande des Meeres ausgedehnt (Duchesne 1, 862, Bouquet 4, 59). So übertrieben das sein muss, wird sich doch nicht anders inter- pretiren lassen, als dass Rhätia secunda, soweit es nicht alemannisch war, um 500 als eine Provinz Thüringens betrachtet wurde. Alemannien war nach der 496 in der Nähe des Rheins im Osten von Toul erfolgten Entscheidungsschlacht von Chlodwig dem fränkischen Reiche nur bis zur Murg einverleibt worden, weil es Theodorich der Grosse vor völligem Untergange zu schützen wusste.2) Die Alemannen mochten sich auch schon vorher mehr südlich gezogen haben, und die Gegenden um den Odenwald überwiegend in chattische Hände gekommen sein. Nach Theodorichs Tode wurde ganz Ale- J) Cassiodor Variar. 3, 3. 2) Man kann v. Schubert (S. 200) wohl beistimmen, dass sich Theodorich dabei auf das Recht des römischen Reichs berief. Chlodwig war der Sieg über die Ale- mannen schwer genug geworden, dass er nicht zugleich mit Theodorich zu kämpfen wünschte. Auch mag Theodorich dann in Alemannien manches gethan, das Bisthum Vindonissa als Theodoricopolis wieder aufgerichtet haben und ähnliches. Aber dass die Murg bis dahin nicht wirklich noch als Grenze des römischen Reiches festgehalten worden ist, wird v. Schubert nicht bestreiten. Dann konnte auch der Rhein inzwischen aufgegeben gewesen sein (Unterwerfung der Alemannen unter die Franken, 1884), 4 1 2 V. 4. Die Entwicklung Schwabens und mannien von den Ostgothen förmlich an Theuderich abgetreten. Wenn also Theudebert in seiner Herrschaft bis mich Pannonien kein Zwischenglied fehlte, so nmss auch Bayern damals unter fränkische Herrschaft gekommen sein. Dies bestätigt sich durch die Zugehörigkeit Bayerns zu Thüringen. Während die Histor. miscella (Murat. rer. Ital. 1, p. 97) unter den Völkern in Attilas Heere noch Markomannen nennt, führt Sidonius Apollinaris nur Toringi aus diesem Landstriche auf. Ebenso kennt Eugippius nach Attilas Tode nur Thüringer, und der Geographus von Ravenna, welcher ins 7. Jahrhundert zu rechnen ist, nennt die Flüsse Bac und Reganus im thüringischen Lande. Nachdem das thüringische Reich zerstört war, führten die ihm unterworfen gewesenen Stämme nicht mehr den Gesammtnamen, sondern wurden wieder mit ihrem eigenen genannt. Dabei wird allerdings nicht auf den alten Markomannennamen zurückgegangen, wohl aber auf Bojoheim-, Baejawahrer, und es tritt im Kanzleistyl der Name Bajuvarii auf, im Volksmunde Paigira, Baiern. Dieser Name Bajuvarii wird in der fränkischen Völkertafel, welche Müllenhoff in das Jahr 520 setzt, zuerst gebraucht. 551 sagt Jordanis (c. 55): regio illa Suevorum ab Oriente Baibarios habet, ab occidente Francos, eine Angabe, die einer Notiz Cassiodors von 534 entnommen ist. Venantius Fortunatus (c. 1) bezeichnet kurz nach dieser Zeit seinen Reiseweg von Italien nach Gallien dahin: transiens Dravum Norico, Oenum Breonis, Liccam Bajoaria, Danubium Alemannia, Rhenum Germania. Auch erwähnt er Bajoarii noch mehrmals. Es erklärt ferner die unter Dagobert um 650 revidirte lex Baju- variorum in der Einleitung: Theodoricus rex Francorum, cum esset Catalaunis, legit viros sapientes, qui in regno suo legibus antiquis eruditi erant. Ipso autem dictante jussit conscribere legem Francorum et Alamannorum et Bajuvariorum unicuique genti, quae in ejus potestate erant, secundum consuetudinem suam (Mon. Germ. L. L. III, 259). Endlich erweist sich auch eine wirkliche Herrschaft der fränki- schen Könige über Bayern, wenn man Riezler (Geschichte Bayerns, Bd. I, S. 72) beipflichten darf, dass die Agilolfinger kein marco- mannisches oder bajuvarisches, sondern ein fränkisches Geschlecht waren. — ■ Bei zusammenfassender Erwägung muss anerkannt werden, dass auf dem gesammten Gebiete Oberdeutschlands seit der Auflösung der römischen Verwaltung die Stammesverbreitung der Deutschen Bayerns in der Völkerwanderung. 413 und die Gestaltung ihrer politischen Herrschaft sich in überraschend einfacher Weise vollzog. Die Grenze der deutschen Bewohnimg gegen Süden bildete noch am Anfang des 2. Jahrhunderts der Donaulimes von Passau bis zum Knie am Remsthal, und von dort nach Westen eine etwas nördlich ausbiegende Linie zum Rhein nach Strassburg und den benachbarten Vogesen. Im Laufe von drei und einem halben Jahrhundert gingen Alemannen, Schwaben und Bajuvaren über diese Linie hinaus nach Süden bis in die Thäler der Alpen vor. Die Grenzen der Alemannen blieben nach Westen Vogesen, Jura und Aar, nach Süden die Berge des Berneroberlandes, des Gotthards, Tödi, Glärnisch und Sentis bis nahe der Rheinmündung in den Boden- see. Streitig ist, wo im Berneroberland die Grenze der Burgunden und der Walliser lag, und nicht ohne Wahrscheinlichkeit wird behauptet, dass in Uri und Schwyz sich Reste der Ostgothen zusammengezogen und in ihrem Volksthum erhalten hätten.1) Die W'estgrenze der Schwaben ist über die Alb zur Donau und längs der westlichen Wasserscheiden der Hier nach dem Ried zum Schüssen zu ziehen. Jenseits des Bodensees liegt sie von der Steinach bis zum Hohenkasten links des Rheins, überschreitet diesen an der 111 und läuft über den Freschen zum Schaaf- und Arlberg und zu den rechtsseitigen Wasserscheiden des Lech. Diese östlichen Wasserscheiden des Lech bis zur Donau, die dem Strome meist sehr nahe liegen, sind dauernd die schon von Venantius Fortunatus bezeichnete Ost- grenze der Schwaben gegen Bayern geblieben. Nördlich von der Donau östlich der Alb ist Schwaben noch das Wernitzgebiet mit dem Ries zuzurechnen. Im Altmühlgebiet aber haben die Thüringer den Pfahl überschritten und ein, wenn auch nur kleines, Gebiet gegen die Donau hin gewonnen. Oestlich des Lechgebiets und südlich der Donau dehnten sich dagegen die Bajuvaren aus. Die bayerische Hochebene und das Donauthal bis an die Enns zur Grenze der Slawen und Avaren ge- hört ihnen vollständig. Was dort von andern deutschen Elementen eingedrungen sein kann, ist unter ihnen verschwunden. Zweifelhaft ist nur die Stammverbreitung in den Alpen. Politisch wurde auch Churrhätien am obern Rhein und Inn immer zu Ale- ') Nach der Todesschlacht von Nocera am Fusse des Vesuvs erklärte am 3. Tage der Rest von 1000 Gothen, sich nie ergeben, aber mit den Waffen und ihrer Habe aus Italien abziehen und sich anderen Germanen jenseits der Alpen anschliessen zu wollen. Dies gestattete Narses. 414 V- 4. Die Entwicklung Schwabens und mannien gerechnet, obwohl die fremde Nationalität der romanisirten Rhätier nie bestritten war. Ebenso gehörte politisch ganz Tyrol nahezu in seinen heutigen Grenzen zu Bayern. Ausgenommen war allein das Tridentinische mit der Giudicaria und dem Brentathal bis oberhalb Trient zwischen Mezzo Lombardo und Deutschmetz und ebenso das Quellgebiet der Drau oberhalb Lienz mit Ausnahme von Innichen. Obwohl aber Vitiges alle seine Ostgothen nach Italien gerufen hatte, sassen im bayerischen Tyrol doch manche andere in früherer Zeit hingedrungene Deutsehe. Vor allem war die alte rhätisch-ladinische Bevölkerung offenbar nur aus den Haupthälern tiefer in die Alpen gedrängt. — Die Völkerwanderung muss sich als eine so rücksichtslos ver- wüstende und Jahrhunderte lang ganze Generationen durch Krieg, Mord und Entbehrungen vernichtende Bewegung geltend gemacht Indien, dass auch die grossen Massenzüge eher Menschenleere und Oeden, als irgendwo starke Bevölkerungen oder gar einen Ueberschuss an Menschen zurückliessen. Das Wiederanwachsen der Bevölkerungen ist erst späteren ruhigeren Zeitläufen vorbehalten geblieben und konnte je nach der Gunst oder Ungunst der Umstände lokal oder national sehr verschieden sein. Deshalb ist aus späteren Bevölkerungsverhält- nissen auf die Ausdehnung der einzelnen Volksbestandtheile in jener früheren Zeit schwer ein Schluss zu ziehen. Im allgemeinen aber ist anzunehmen, dass in den Alpenländern, unter den Alemannen wie unter den Bayern, die in den offeneren Thälern ihrer Gebiete angesiedelten Deutschen anderer Stämme bald assimilirt wurden. Dagegen hielten sich in Alemannien die Romanen Churrhätiens und in Tyrol auf den Thalhöhen des Grödener-, Fassa-, Enneberg-, Buchenstein- und Ampezzothales, die Ostiadiner. Auch hier ist die romanische Haussprache zum Theil noch erhalten oder doch erst seit 50 oder 60 Jahren mit der deutschen vertauscht worden, und die alten rhätischen Bevölkerungsreste sind durch alle Jahrhunderte ziemlich unvermischt im Besitz geblieben. Dasselbe ist von den Westladinern des Münsterthaies in Teufers zu sagen1). Die Bayern gelangten leicht in das Innthal, über den Brenner aber, wo ihnen die erst 600 unterworfenen Brennen noch als eine geschlossene keltorömische Bevölkerung gegenüber gestanden haben müssen, gingen sie anscheinend nur langsam vor. Herzog Garibald I. ') Steub, Drei Sommer in Tyrol, 1871, und Zur räthischen Ethnologie, 1854. — Studien zur Anthropologie Tyrols und der Sette Communi v. Dr. Fr. Tappeiner, Innsbruck 1883, S. 21. Bayerns in der Völkerwanderung. 415 drang erst etwa zu derselben Zeit in das Eisak-, Puster- und Etschthal bis Deutschmetz ein, während welcher die Longobarden von Italien aus die Etsch heraufkamen und ihr Herzogthum Trient mit der Grenze bei Mezzo Lombardo errichteten. 573—595 war Herzog Erwin longobardischer Statthalter in Trient und Schwiegersohn des Bajuvaren- herzogs Garibald I. Unter diesem gingen die Bayern von der Etsch aus nordwärts bis Meran und im Unter -Vinschgau bis Spondinig, am Einfluss des Suldenbachs in die Etsch, vor. Die Grenze bei Deutsch- metz wurde zwar 678 zu Gunsten der Long« »bürden bis Maja Meran zurückgeschoben, doch stellte König Desiderius 769 die alte wieder her, und 788 wurde mit der Abdankung Tassilos IL Tyrol in unveränderten Grenzen dem fränkischen Reiche einverleibt. Damit schliesst im wesentlichen der Verlauf der allmählichen Festsetzung der Deutschen in Oberdeutschland seit der ersten ge- schichtlichen Zeit bis zum Eingreifen der Karolinger ab. 5. Die volkstümlichen deutschen Gewanndörfer in Oberdeutschland. Die Verschiebung der Bevölkerungen verschiedener Nationalität und die Besonderheiten der Herrschaft während der vorschreitenden deutschen Besitznahme Oberdeutschlands mussten von eingreifendem Einfluss auf den Charakter der Besied elung des Landes werden. Die Deutschen setzten sich hier in einem Ländergebiete fest, welches sie in allen seinen bewohnbaren Theilen bereits mit festen Ansiedelungen bedeckt fanden. In dem gesammten Norden waren Kelten , zum Theil auch Römer verbreitet. Für den gebirgigen Süden ist schwer zu entscheiden, wie weit er ebenfalls in kelto- römischen Händen wrar, oder wie weit sich noch der Besitz von Rasenern, ülyriern und Italern und von viel älteren, anscheinend ligurischen Volkstheilen erstreckte. Alle wurden nach und nach von den Deutschen unterworfen. Aus welchen Gegenden jedoch die älteren Bevölkerungen völlig verdrängt wurden, in welchen anderen sie sich in ihrem Besitz und in ihrer Nationalität unter der deutschen Herr- schaft zu erhalten vermochten, und wo durch die gegenseitigen Be- ziehungen Neugestaltungen der Siedelung entstanden, diese Fragen müssen ihre Lösung vorzugsweise aus der topographischen Unter- suchung erwarten. In der That gewährt der Ueberblick, den die Generalstabskarten erlauben, der Beurtheihmg einen gewissen allgemeinen Anhalt. Die 4 IG V. 5. Die volksthümliclien deutschen 0. S. 46 ff. geschilderten volksthümlichen deutschen Dörfer finden sich in ihrer geschlossenen Form, in der gegenseitigen Lage der Gehöfte, der Art des Wegeverlaufes und der Ausdehnung des Kulturlandes unverkennbar auch auf ausgedehnten Gebieten Ober- deutschlands. Sie liegen im Norden und Westen in grossen Massen zusammen, gegen Osten erstrecken sie sich mindestens bis zu den Flussläufen der Itz, der Regnitz und der Pegnitz, zu der Grenze, hinter welcher slawische Fluss-, Berg- und Ortsnamen und die S. 52 ff. Charakter isirten slawischen Dorfanlagen beginnen. Diese auch historisch genügend bekannte Slawengrenze führt von der Pegnitz nicht nach Süden, sondern nach Osten über Amberg und Nabburg zum Böhmerwalde und läuft auf dessen Höhe zum Donauufer, überschreitet den Strom an der Enns und verfolgt deren Lauf aufwärts bis Mandling, wo sie vor den Tauern in das Lungau übergeht. Im Lungau zieht sie vom Südfusse der Tauern nach Westen bis Windisch - Matrey und weiter bis in die Nähe von Innichen und verlässt Tyrol ungefähr an der Quelle der Piave auf der Scheide der Cadorischen und der Kärntnischen Alpen. Oestlich dieser Linie sind durch die Slawen Veränderungen ein- getreten, welche im Zusammenhange mit ihrem geschichtlichen Auf- treten erörtert werden müssen. Eine zweite, weniger bestimmte Grenze lässt sich für die deutsche Besiedelung Oberdeutschlands da ziehen, wo ungefähr mit dem Fusse der Vorberge Einzelhöfe beginnen, welche die engeren Thäler der Alpen ausschliesslich einnehmen. Dass dieselben noch zum grossen Theil aus der Zeit vor der deutschen Besitznahme herrühren, ist nicht zu bezweifeln. Inmitten der so abgegrenzten, deutlich erkennbaren Massen deutscher volksmässiger Dörfer finden sich ähnlich wie im alten deut- schen Volkslande alle die verschiedenen S. 42 erwähnten Anlagen der neuesten und neueren Zeit, welche für den älteren entscheidenden Charakter der Besiedelung nicht in Betracht kommen. Namentlich sind auf dem Schwarzwald, Odenwald, Spesshart und dem Franken- walde die o. S. 51 besprochenen Waldhufenanlagen in nicht unbe- deutender Zahl vorhanden. Doch neben den schon der deutschen Besitznahme zuzuschreiben- den geschlossenen Dorfformen Oberdeutschlands zeigt die Generalstabs- karte noch andere, theils vereinzelt, theils in weiterem Zusammenhange liegende Ortschaften von fremdartiger, im alten Volkslande unbe- kannter Form. Es sind dies Gruppen von 3 bis 10 ziemlich nahe i Gewanndörfer in Oberdeutschland. 41 7 und unregelmässig benachbart liegenden Höfen, Weiler, welche auch häufig durch ihren Namen als Weiler bezeichnet sind, und zu welchen der geringen Zahl ihrer Gehöfte entsprechend nur kleine Feldfluren gehören. Ihre Lage ist derartig, dass man das Oede- bleiben ausgedehnter Landstriche annehmen müsste, wollte man be- zweifeln, dass sie mit den geschlossenen Dörfern gleichzeitig entstan- den sind. Der Ueberblick der Karte macht den Eindruck, dass die Anlagen der Dörfer in den ebenen, die der Weiler in den hügeligen Landstrichen vorherrschen, und dass sie sich von dem nördlichen Flachlande aus nach Süden in die offeneren Thäler und zwischen die älteren Einzelhöfe des Alpenlandes ausgebreitet haben, schliesslich indess durch den alten Bestand und die örtliche Zweckmässigkeit dieser Einzelhöfe die Grenze weiteren Fortschreitens finden mussten. Nähere Aufklärung über diese Verhältnisse lässt sich nur aus dem genauer festgestellten typischen Bilde der baulichen Anlagen und der Feld- und Besitzvertheilung dieser verschiedenen Siedelungs- formen erwarten. Einem solchen Einblicke bieten sich auch für den grössten Theil von Oberdeutschland besonders günstige, leicht zu benützende Hülfsmittel dar. Das gesammte in Betracht kommende Gebiet ist in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in allen seinen Kultur- und Eigenthumsparzellen zusammenhängend katastrirt worden, und die Fluren haben nur ganz ausnahmsweise und an bekannten Punkten vor der Katastrirung der Verkoppelung unterlegen. Die Katasterkarten geben deshalb das volle Bild der althergebrachten Besitzverhältnisse. Diese Karten sind in Bayern, Tyrol, Württem- berg und Elsass- Lothringen in vollen, nach dem Gradnetz in fortlaufen- den Blättern lithographirt und können in Innsbruck, München, Stutt- gart und Strassburg ihrer Reihenfolge nach eingesehen werden. Dabei lassen sich aus den auf diesen Katasterbureaus vorhandenen Registern Grössen und Besitzer aller verzeichneten Parzellen ermitteln, und da die Blätter einzeln käuflich sind, geeignete Fluren leicht bearbeiten. So sind die Grundlagen für die Beispiele gewonnen, welche die Anlagen Bd. III mittheilen. In der Schweiz sind die Katasterkarten mit ihren Registern wenigstens in den Kantonshauptstädten vorhanden. In Baden und Hessen liegen sie dagegen bei den Gemeinden, die Katasterbehörden besitzen hier nur verkleinerte Kopieen ohne Par- zellarregister, so dass sich zwar die Formen der Feldeintheilung leicht beurtheilen lassen, die Feststellung der Besitzverhältnisse aber nur bei den Gemeinden selbst ausgeführt werden kann. Dieses ganz Oberdeutschland umfassende zusammenhängende Meitzeu, Siedelung etc. I. 27 418 V. 5. Die volksthümlicheu deutscheu Kartenbild bestätigt zwar im Einzelnen den Eindruck der General- stabskarte. Es zeigt indess, dass nicht alle geschlossenen Dörfer die, im alten deutschen Volkslande allgemeine, Fekleintheilung in Ge- wanne mit längerer oder kürzerer, streifenförmig gestalteter Unter- theilung besitzen. Vielmehr finden sich in verschiedenen Gegenden Ober- deutschlands Dörfer, deren Fluren in viereckige oder unregelmässig abge- rundete, blockartige Besitzstücke eingetheilt sind. Sie stehen dadurch den Weilern nahe, bei denen die Gewanneinth eilung zwar ausnahms- weise vorkommt, die allgemeine Regel aber eine blockartige Ver- theilung des zugehörigen Grundbesitzes bildet. Bei den Einzelhöfen ist diese Anordnung des in der Hauptsache den Hof umgebenden Besitzes durch die Natur der Verhältnisse geboten. Sie vereinigen sich aber auch der Oertlichkeit wegen hier und da zu Gruppen, die den Weilern nahe entsprechen. Für die nähere Betrachtung sind deshalb die volksthümlichen genossenschaftlichen Gewannfluren , die blockartig liegenden Weiler und Dorfansetzungen, und die Einzelhöfe und Weiler von wesentlich alpinem Charakter zu unterscheiden. — Was zunächst die geschlossenen Dorfanlagen mit deutsch volksthümlicher Eintheilung der Feldflur betrifft, so geben die Anlagen 37 bis 41 von ihnen charakteristische Beispiele. Alle zeigen die haufenförmige Lage der Gehöfte, die in Ge- wanne zerstückelte Flur und den Mangel der Zugänglichkeit der ein- zelnen Besitzstücke. Auf allen besteht deshalb auch thatsächlich der Flurzwang, und alle zerfallen in eine nachweisbare Zahl unter sich gleicher Hufen. Die Art, wie das Kulturland einer oder meh- rerer dieser Hufen sich über die Gewanne vertheilt, ist auf den Karten hervorgehoben. Die völlige Uebereinstimmung mit den alt- germanischen Dörfern unterliegt keinem Zweifel. Im Einzelnen belehren diese Flurbilder darüber, dass sich auch nach Oberdeutschland die Verschiedenheit der Aufmessung übertragen hat, deren Entstehung aus dem unvollkommenen mittelalterlichen Mes- sungswesen S. 99 ff. dargelegt worden ist. Auch unter den ober- deutschen, überall zu bekannter Zeit entstandenen Ansiedelungen finden sich sehr viele solche, deren Gewanne ungleichmässig in Ecken, Krümmungen und Einsprängen gegeneinander abgegrenzt und im Innern ebenso unregelmässig untergetheilt sind. Die einzelnen Hufen- antheile haben zwar gleiche, meist einem Morgen entsprechende Fläche, und ihre Form ist in der Regel die eines parallel verlaufen- den Streifens, wie ihn der Pflug fordert, aber sie folgen nicht in Gewanndörfer in Oberdeutschland. 4 1 0 gleichem Parallelismus im Gewanne, sondern liegen nach verschie- denen Richtungen, theils der Länge nach, theils quer, sind ungleich lang, häufig in einander geschoben und bilden auf diese Weise eine sonderbare scheinbar willkürliche Figur, die sich nur, wie bei Maden S. 101 und S. 106 gezeigt wurde, als das Ergebniss des ersten Beginnes der Theilung erklärt. Dass dabei auch einzelne Gewanne regelmässigere, ziemlich rechtseitige Abgrenzungen und innere Parallel- theilung aufweisen, ist sehr erklärlich und hindert nicht, diese Anlagen unbedenklich als die ursprünglichen anzusehen, denn sie beruhen ebenso bei regelmässigen wie bei unregelmässigen Gewannen auf dem Grund- gedanken der Lagemorgen (o. S. 101), und die einzelnen Hufenantheile enthalten nur einen, höchstens zwei Morgen an Fläche. Diesen offen- bar ältesten Fluranlagen steht auch in Oberdeutschland eine beträcht- liche Zahl solcher gegenüber, deren Gewanne nicht dieses kleine morgenweise Gefüge haben, sondern sich aus grossen, weithin regel- mässig verlaufenden Parallelstreifen zusammensetzen, und in der Mehr- zahl als Figuren von gleichmässiger Länge abgegrenzt sind, so dass die Hufenantheile durch die Abmessung der verhältnissmässigen Breite genügend bestimmt werden können. Bei letzteren ist auch das Messen nach Breiten, wie im alten Volkslande (o. S. 90), überall bekannt, ebenso sind die Feldgeschworenen eine allgemein verbreitete bäuer- liche Behörde. Es ist deshalb nicht zu bezweifeln, dass auch hier die regelmässigen Feldeintheilungen, sei es ganzer Fluren oder nur einzelner Theile derselben, im Wesentlichen das Ergebniss von geo- metrischen Regulirungen sind. Sie wurden wie dort bei Grenzver- wirrungen nothwendig, wenn die Wiederherstellung des alten Zustandes nicht mehr möglich war, oder die Neuregulirung als das zweckmässigste Mittel erschien, die entstandenen Streitigkeiten zu schlichten. Bei der typischen Uebereinstimmung aller dieser Anlagen mit denen des alten deutschen Volkslandes bedürfen dieselben weder in Betreff ihrer Einrichtung noch ihres Wirthschaftsbetriebes eingehender Erörterung. Besondere Bedeutung aber erhalten sie durch die nahezu bestimmte Zeit ihrer Anlage. Sie gestatten deshalb innerhalb be- grenzter Gegenden klarere Einsicht in den Vorgang der Ansiedelung. Die älteste feste Ansiedelung deutscher Völkerschaften in Ober- deutschland ist die der sue vischen Vangionen, Nemeter und Triboker. Sie gehörten zu den Schaaren des Ariovist und es war ihnen schon vor der Ankunft Caesar's der dritte Theil des links- rheinischen Gebietes der Sequaner oder Mediomatricer zwischen der Nahe und der Moder eingeräumt worden. Dieser Besitz, auf dem 27* ±>20 V. 5. Die volkstümlichen deutschen die alten keltischen Städte fortbestanden, und die neuen Bewohner selbst einen Theil der Namen beibehalten haben, umfasste einschliess- lich der dort noch heut von den Gebirgen bis an den Rhein ausgedehnten Waldungen etwa 120 Q Meilen. Jeder der drei Stämme hatte also nur 40 Q Meilen zur Verfügung und konnte, wenn er unter Weide wirthschaft leben wollte, nach S. 147 nur 12 Hundertschaften von je 1000 Seelen oder 2400 Waffenfähige stark sein. Da einige Jahre später von den durch sie besiegten Aeduern und Sequanern, lediglich als ein Theil der noch vorhandenen Waffenfähigen, 47 000 Krie- ger nach Alesia aufgerufen wurden, ist nicht denkbar, dass 7200 Deutsche so starke Völker zur Landabtretung hätten zwingen können, oder nicht wenigstens nach Ariovists Niederlage aus der von den Aeduern schwer beklagten Eroberung alsbald wieder vertrieben worden wären. Die Deutschen müssen also sehr viel zahlreicher und deshalb genöthigt gewesen sein, für ihre Erhaltung unmittelbar zum Anbau und zur festen Ansiedelung zu schreiten. Für die gewöhnliche Form dieser linksrheinischen Dörfer, soweit sie nicht in der tieferen Rheinebene liegen, ist Schwedelbach, An- lage 37, in der Feldeintheilung, ein völlig zutreffendes Beispiel. Nur wurden die Dorflagen in der offenen Ebene meist enger gedrängt zu- sammengebaut. Die kleinen und zahlreichen Gewanne sind , wenn man die Verkeilungen der Wiesen und engeren Thalgründe ausser Betracht lässt, ziemlich regelmässig, ohne dass sie den Eindruck durchgängiger Regulirung machen. Die Flur enthält der Berechnung nach 15 Hufen, welche indess, wie in Maden, in 30 halbe zerfallen sind. Je 8 ha Anbauland auf die Hufe erforderten für die früheste Eintheilung bald nach der Besiedelung nur 120 ha. Dafür reichten die auf sanften Hängen nordwestlich und südöstlich des Dorfes aus- gelegten Gewanne zwischen dem Kiefernkopf, Goldberg und Hains- berg vollkommen aus. Von den 595 ha Gesammtfläche der Gemar- kung blieb also jeder Hufe rund 32 ha Almendantheil. Schritt dann nach Befriedigung des ersten Bedürfnisses der Anbau der 15 Hufen um weitere 120 ha in die Almenden vor, so konnte die Bevölkerung von 120 Seelen auf 240 anwachsen. Später behandelte man diese 15 Hufen von 16 ha Anbau und 24 ha Almendeland als 30 Hufen von je 8 ha Anbau und 12 ha Almendeland. Da nun gegenwärtig noch 165 ha in Wald, Weiden und Oedungen bestehen, und die in den Thaleinschnitten belegenen 50 ha Wiesen ebenso wie 80 ha Wald in den hellen Eichen- und Waldstücken, anscheinend erst in neuerer Zeit vertheilt sind, wurde möglich, wie es geschehen ist, durch Gewanndörfer in Oberdeutschland. 421 ... / , die Einschränkung desAlmendelandes auf 6 — 7ha für jede der 30 Hufen, 150 ha für die 55 kleineren Stellen abzugeben, welche im Laufe der Zeit mit weiteren 350 Seelen zu der Hufengemeinde hinzugekommen sind. Von letzteren besitzen gegenwärtig vier sogar jede so viel Land als ein Hüfher, Nach diesem Maasstabe von Schwedelbach be- rechnet, konnten die Vangioneh, Nemeter und Triböker auf ihren 120 D Meilen statt nur 36 000 Seelen durch Weidewirthschaft zu er- nähren, durch feste Besiedelung sofort eine Bevölkerung von 137 000 Köpfen ansässig machen. Sie konnten auch unter gleicher Lebens weise auf 275 000 Köpfe anwachsen , und durch Uebergang auf kleinere Stellen und zu handwerksmässiger Thätigkeit eine Volkszahl von 675 000 Seelen erreichen. Schwedelbach hat nur massigen Boden und einfachen landwirt- schaftlichen Betrieb. Die 2900 Parzellen der Flur sind durchschnitt- lich und meist auch im Einzelnen nur 14,4 ar gross. Ihre Breite ist in der Regel 10 m, d. h. 2 Ruthen, häufig auch 5 m oder nur 1 Ruthe, die Länge also 30 oder 60 Ruthen. Es giebt indess nur wenige Gewanne, welche in nur 15 Antheile von 14,4 ar zerfallen. Die meisten bestehen aus 30 solchen Hufenantheilen , und da sehr häufig zwei Stücke von je 14,4 ar nebeneinander demselben Besitzer gehören, lässt sich schliessen, dass die ursprüngliche Auftheilung in Gewannen von ganzen Morgen zu je 28,8 ar stattgefunden hat. Dies aber ist die Grösse des noch heut üblichen Morgens in Thüringen, dem muth- m asslichen Heimathlande der Sueven Ariovists. In Koburg hält der Feld- acker 28,9 ar, ebensoviel in Meiningen, und 28,5 ar in Weimar- Eisenach. Da sich die unzähligen uralt abgeschrittenen Morgenflächen zu keiner Zeit ändern konnten, wurden auch die Morgenmaasse keine anderen. Während man also in Schwedelbach und den seiner Feldlage entsprechenden weit verbreiteten Dörfern des Hügel- und Bcrglandes die . alte und ursprüngliche Form der Besiedelung sehen darf, ist dies in der Rheinebene, je näher dem Strom, desto weniger angänglich. Hier liegen die Ortschaften meist an den kleinen Gewässern, welche unter einander fast parallel dem Strome zufliessen. Dieser Lage ent- sprechend sind auch die Gewanne fast ganz regelmässig und ziem- lich gross. Die Ackerstreifen haben nicht nur in derselben Flur, sondern meist weithin in einer langen Reihe benachbarter Fluren völlig gleichlaufende Parallellage. Sie entsprechen dem Bilde von Gög- gingen (Anl. 38). Gleichwohl zeigt sich bei ihnen wie bei den alt- germanischen Fluren überall, dass die Besitzer trotz der ebenen Lage und der fast durchaus übereinstimmenden BodenbeschafFenheit 499 V. 5. Die volksthümlichen deutschen keinesweges danach gestrebt haben, die Flur in genügend grosse Gewanne zu theilen, um dem Antheil der einzelnen Hufe in jedem Gewanne eine irgend namhafte Breite, auch nur von 20 oder 30 Ruthen, zu geben, was sehr gut möglich gewesen wäre. Die verhältnissmässig grössere Fläche der Gewanne wird vielmehr nur durch die Länge der Ackerstreifen erreicht. Ihre Rreite ist mit seltenen, wahrschein- lich durch späten Ankauf entstandenen Ausnahmen sehr gering. Allerdings sind gegenwärtig die alten Hufen stark parzellirt. Ganze Hufen bestehen fast gar nicht mehr, selbst halbe finden sich nur noch selten in ihrem alten Zusammenhange. Doch wenn man nach diesen Viertel- und Achtelhufen rechnet, überschreitet der Antheil der ganzen Hufe kaum irgendwo 8 Ruthen Rreite, denn die meisten der vorhandenen Ackerstreifen sind besonders in diesen ebenen Fluren nicht über 1 Ruthe, viele nur Va Ruthe breit. Ihre grosse Länge, oft von Grenze zu Grenze, schliesst nicht aus, dass das Gewann ursprünglich nur zu einer gewissen Gewendelänge angenommen und ausgelegt worden ist, dass also mehrere GeAvanne der Länge nach aneinander stiessen. Viele der Streifen haben gleichwohl auf ihrer ganzen Länge denselben Resitzer. Diese sehr regelmässige Gestaltung der Theilung kann nur durchgreifenden Regulirungen zugeschrieben werden, zu welchen in der Rheinebene allerdings schon in früher Zeit Veran- lassung war. Mindestens seit dem Reginn des 4. Jahrhunderts blieb sie der Schauplatz immer wiederholter feindlicher Einfälle. Es giebt hier Dörfer, welche noch heut mit Mauer und Graben, weniger in der Weise einer befestigten Stadt, als vielmehr nach dem Rüde eines römischen Castrums umgeben sind. Vor allem müssen jedoch die in jedem Jahrzehnt wiederholten, weit über das versandete Strom- bett und die flachen Ufer ausgebreiteten Ueberschwemmungen des Rheins, die noch in unserer Zeit trotz aller Vorkehrungen erschreckend auftreten, immer auf's neue Zerstörungen und Grenzverwirrungen .ver- ursacht und Neuordnungen nöthig gemacht haben. — Rechts des Rheins waren die Römer jenseits ihrer festen Stellung bei Mainz niemals stärker, als zu der Zeit, in welcher Marbod vorzog, ihrer Machtentfaltung auszuweichen, und in die von ihm verlassenen Gegenden am Mittelmain Ahenobarbus, der an der Donau befehligte, eine Schaar Hermunduren, welche neue Wohnsitze suchte, auf ihre Ritten aufnahm. Die Grenzen des ihnen überlassenen Landstriches ergeben sich theils aus Tacitus' Reschreibung (o. S. 407), theils aus dem Kampfe um die Salinen an der fränkischen Saale (o. S. 406), theils endlich aus der Natur des Landes, welches gegen den Frankenwald, Gewanndörfer in Öberdeut6chland. 423 die Altmühl und die schwäbische Alp hin für Anbau ungeeignet ist, weil auf den Höhen das Tageswasser in den Kalkschichten versinkt und deshalb Wassermangel herrscht. Das damals erworbene Gebiet haben sie durch alle folgenden Jahrhunderte im Besitz behalten. Auf den besseren Böden desselben sind ihre Ansiedelungen eng zu- sammengedrängt und zeigen die altertümlichste Form. Dafür ist Höttingen (Anlage 39) ein charakteristisches Beispiel. Leider ist bei Fluren mit so unregelmässigen Gewannen die Berech- nung unmöglich, wenn weder die herkömmlichen Gewanngrenzen, noch die Hufenzahl bekannt sind. Die grosse Aehnlichkeit der Ein- theilung mit der von Maden ist jedoch unverkennbar. In einigen der leider wenig sicher abgeschlossenen Feldabschnitte lassen sich 14 gleiche Theile zählen. Mit der Annahme von 14 Hufen würde sich auch die Lage der Gehöfte im Dorfe gut vereinigen. Die Flur hat eine Fläche von 463,27 ha und zerfällt in 2331 Parzellen; die Parzelle ist also durchschnittlich 20 ar gross. Die Auftheilung ist zwar, wie die Karte zeigt, verschieden. Längs des Baches und in der Ein- senkung im Osten des Dorfes liegen zahlreiche Gräserei-, Weinbergs- und andere sehr kleine Grundstücke, gegen die West- und Nord- grenze der Gemarkung aber werden die Parzellen erheblich grösser. Alle diese Abschnitte kommen indess für die ursprüngliche Anlage nicht in Betracht. Die älteren Ackergewanne, die das Dorf um- geben, liegen fast durchweg in Parzellen, deren Grösse sich auf 320 bis 340 bayerische D Ruthen oder die Hälfte oder ein Mehrfaches dieses Maasses berechnen. Da die bayerische ORuthe 8,52 Qm enthält, ist also das Grundmaass des Lagemorgens auf 27,1 ar an- zunehmen. Dies erinnert wieder an die bei Schwedelbach ver- glichenen thüringischen Morgenmaasse. In Nordhausen ist der Morgen 27,61, im Untereichsfeld 27,3, in Erfurt 26,4 ar gross. War Höttingen wirklich mit 14 Hufen gegründet, so betrug der Antheil der Hufe 33 ha, und wenn der erste Bedarf von 112 ha Anbauland befriedigt war, blieben noch 350 ha Almenden übrig. Gegenwärtig werden 23 Bauern von 42 ha bis herab zu Restgütern von 1 ha gezählt, ausserdem aber noch 12 zum Theil bis 12 ha grosse Kötter- stellen. Dass dies durch Vertheilung der Almende ohne Beschrän- kung des Lebensbedarfes möglich war, ist bei Schwedelbach gezeigt. Während aber dort nooh erhebliche Almendeländereien erhalten ge- blieben sind, ist in Höttingen und auf weiten Strecken im gesammten Hermundurenlande das Almendeland fast ganz verschwunden. Die Gemarkungen greifen gegenwärtig, wie dies Höttingen und jo^ V. 5. Die volksthürnliehen deutschen zum Theil auch Maden zeigt, mit rechtwinkelig abgegrenzten Acker- stücken in Ecken und Einsprängen vielfach ineinander ein. In dieser Grenze dürfen selbstredend nur die ungefähren Linien der alten Alniendeabgrenzungen gesehen werden. Dieselben verwischten sich nach Auftheilung der Almende. Seit alter Zeit haben namentlich die später angesetzten Stellen- besitzer durch Erbschaft, Zinsübernahme oder Ankauf Parzellen aus den Almenden, wie aus dem Hufschlaglande von Nachbargemeinden erworben. In Höttingen fanden sich 1836 an Forensen, d. h. an auswärtigen der Nachbargemeinde angehörigen Grundbesitzern, 11 aus Allersheim mit 5,3 ha; 34 Forensen aus Luthardt, Euerhausen und Gaurettersheim mit 15,4 ha und 20 Forensen aus Götzingen, Tiefenthal und Simeringen mit 14,9 ha. Wenn die Almende derart vertheilt war, schwand das Interesse an der alten Grenzlinie. Die Besitzstücke sonderten und theilten sich nach den Besitzern. Erst die modernen Gemeindeordnungen haben die Grenzen annähernd unter Ausgleichung des in den Einzelheiten oft streitig gewordenen Verlaufes nach der vorliegenden Gestalt wieder hergestellt. Ein anderes Beispiel aus dem Hermundurenlande ist Beuerfeld (Anlage 40), westlich von Koburg. Die Flur umfasst 400 ha und war nach den Frohnregistern in 1572, nach der Dorf läge und den Ge- Avannantheilen in 16 Hufen getheilt. Die Hauptverhältnisse entsprechen denen von Höttingen völlig. Auch in Beuerfeld ist die Almende bis auf 29 ha Gemeindeland zur Auftheilung gekommen. Es sind darin 20 bäuerliche Höfe von 11 bis 27 ha Fläche, 18 kleine Stellen mit 53,23 ha und ausserdem 40 Forensen mit 30,86 ha Grundbesitz. Dagegen ist die Gestalt der Gewanne und ihre Untertheilung eine andere. Statt dass sie in Höttingen klein und unregelmässig sind, sind sie in Beuerfeld gross und systematisch, die meisten Parzellen enthalten viel mehr Fläche als einen thüringischen Morgen. Es ist deshalb an ziemlich eingreifenden Gewannregulirungen auf dieser Flur nicht zu zweifeln. — Viel schwerer zu verstehen als die Siedelung der linksrheinischen Sueven und der Hermunduren, ist die der verschiedenen kleinen Schaaren, welche, wie o. S. 390 gezeigt, zum Theil schon vor Tiberius in das Land zwischen Neckar und Main aufgenommen wurden, und aus denen später die Alemannen hervorgingen. Das Land nordwestlich vom Odenwald bis zum Main und Rhein ist noch heut ein unfruchtbares und sehr wenig angebautes Haide- und Forstland und am Rhein, wo der Boden besser wird, verheeren- Gewanndörfer in Oberdeutschland. 425 den Ueberschwemmungen ausgesetzt. Deshalb führte die rechts- rheinische Strasse von Baden ans zu Caracalla's Zeit nordwärts nur bis Ladenburg und dann am Südufer des damaligen Neckarlaufes entlang nach Worms. Vom untern Neckar zum Main sassen Vangionen. Jenseits des Mains lag die Civitas der Mattiaeen. Im Süden zwischen Odenwald und Schwarzwald und bis zum Remsthal verbreiteten sich die agri deeumates. Ueber den Miltenberger Limes nach Osten hinaus bestand (o. S. 392) keine römischdeutsche Civitas mehr. Das Gebiet der ersten Festsetzung der Alemannen umfasste also unter August bis auf Marc Aurel etwa 120 GMeilen und war inner- halb dieses Flächenraumes noch durch die geringe Beschaffenheit des nördlichen Abschnittes wesentlich beschränkt. Auch vermochten sie bis auf Caracalla, der gegen sie durch das Land der Cennen zu Felde zog, ihre Sitze nicht weiter, als um höchstens 40 GMeilen auf einen Theil der agri deeumates auszudehnen. Gleichwohl wurde 211 Caracalla von ihnen, wenn nicht besiegt, doch zum baldigen Rückzug genöthigt. Sie müssen also bis dahin starke Volkszahl und damit auch dichte Ansässigkeit erreicht haben. Diese wurde durch die Errichtung und die römische Verwaltung der Civitas Alisinensis erleich- tert, und ist durch die seit 162 auf dem rechten Rheinufer beginnen- den Raubzüge so wenig bei den Alemannen wie bei den schon seit Caesars Zeit angesiedelten Chatten ausgeschlossen. 357 spricht Aui- mianus Marcellinus (XVII, 1) ausdrücklich von den schon in römischer Weise sorgfältiger gebauten Landbesitzungen in der Nähe des Rheins. In dieser Zeit war, wie er selbst angiebt, die Wetterau bereits von den Römern verlassen. Nur ein trajanisches Kastei, wahrscheinlich Heddernheim, wurde damals von Neuem errichtet. Am oberen Rhein, nicht bloss auf dem rechten Ufer, auf welches sie Julian zurück- zuweisen versuchte, sondern auch im Elsass und in der Schweiz, hatten sich schon lange vorher zahlreiche alemannische Schaaren festgesetzt. Für die Wetterau ist Fried.be rg (Anlage 34) ein klares Beispiel, wie die Alemannen römisches Kulturland in völlig alterthümlicher Art volksmässig besiedelten. Die Flur umfasst 2747 rheinische Morgen zu 25,5 ar und ihre Parzellenzahl ist ungefähr der Morgenzahl gleich. Sehr viele Parzellen sind genau 1 Morgen gross. Das Flur- bild zeigt noch heut, dass die Vertheilung innerhalb der römischen Anlage und doch ohne Rücksicht auf dieselbe geschehen ist. Einige für die deutsche Einrichtung ganz unnöthige Wegezüge, die zum Theil eingeackert und nur noch in Spuren durch Unebenheiten und 426 V. 5. Die volksthümlichen deutschen Steine bemerkbar sind, kreuzen sich quadratisch wie die limites der Militärkolonie. Eine Centurie von 50 oder 60 ha liegt noch deut- lich durch ein solches Wegerechteck eingeschlossen, daneben sind die Reste anderer erhalten. Nur die Decumana, welche in die noch erhaltene Porta des Castrums hineinführt, blieb als Verkehrsstrasse bestehen, welche neuerdings zur Chaussee verwendet wurde. Ueber die anderen Wege sind die deutschen Ackermorgen nach verschie- denen Richtungen hinweggezogen worden. Ersichtlich aber blieben die Trümmerstellen von 4 römischen Villen ausgespart, von denen eine später noch zu einer Kirche ausgebaut werden konnte, die anderen nach und nach unter dem Boden verschwanden und erst neuerdings aufgedeckt worden sind. An dem Aussetzen der Gewanne im Flurbilde hätte man ihre Stätte ohne Weiteres erkennen können. Aehnliche Fluren mit unregelmässigen, kleinen Gewannen bedecken in grosser Zahl alle ebenen Gegenden des alemannischen Gebietes, sowohl die rechtsrheinischen Landschaften bis zum Limes und der Hier, als die linksrheinischen des Elsass und der Schweiz bis zum Jura und der Aar und bis Churrhätien. Beispiele dafür sind Marbach (Anlage 41), Hailtingen (An- lage 42), dessen ursprüngliche Ortschaft alterthümlich, der mit der Kirche angelegte neuere Theil aber in regelmässigen Gewannen liegt, endlich Münchingen (S. 353, Anlage 33), das überall regulirte Gewanne zeigt. Das ebenfalls hierher gehörige Dorf Wietikon (Anlage 43), stösst unmittelbar an die Stadt Zürich an. Seine Flur bildete das am nächsten und geeignetsten belegene Anbauland für das alte bedeutende castrum Turecum, dessen römische Mauerreste noch er- halten sind. Nach allen anderen Richtungen umgeben die Stadt Berge oder der See. Nur an der Limmat abwärts konnte sich das Kulturland ausbreiten. Nachdem sich die Alemannen desselben be- mächtigt hatten, setzten sich ihre Hufenbauern auf ihm fest. Es ver- schwand jeder Rest römischen Anbaues bis auf einen Theil der Römerstrasse, welche noch heut, wie in Friedberg, den Hauptweg bildet, und es wurde ohne allen Zusammenhang mit der Stadt ein Dorf begründet, dessen heutiger Name Wietikon auf den älteren patronymischen Wietinghausen deutet. Auch die Bildung des Orts- namens entspricht also, wie die Flureintheilung, der von Münchingen, und die ununterbrochene Regelmässigkeit der Gewanne lässt hier ebenso annehmen, dass sie erst das Ergebniss späterer Regulirungen sind, durch welche die anfänglich ausgeschlossenen Trümmerstätten jn die Erweiterung des Anbaues mehr und mehr hineingezogen wurden. Gewanndörfer in Oberdeutschland. 427 Besonderes Interesse hat das Beispiel von Heiteren (Anlage 44) dadurch, dass für seine Flur der Nachweis einer solchen Regulirung historisch erbracht werden kann. Heiteren liegt bei Neubreisach zwischen der 111 und dem Rhein und hat mit seinen Nachbarorten oft von den Rheinüberschwemmungen zu leiden gehabt. In alter Zeit lag zwischen Heiteren und Nambsheim da, wo noch eine Kapelle erhalten ist, das 1282 genannte Dorf Thierheim und reichte mit seiner Gemarkung weit in die gegenwärtige von Heiteren hinein. Durch Hochwässer von 1391 und 1394 wurde Thierheim völlig zer- stört, die Einwohner zogen nach Heiteren, und auch die Gemarkung von Thierheim wurde ganz oder grösstentheils zu Heiteren gezogen. 1582 wird sie noch als zu Heiteren gehörig erwähnt. Die Acker- lagen der Karte zeigen, dass weder von Thierheim noch von Heiteren die alte Feldeintheilung erhalten geblieben sein kann, denn es findet sich nicht allein keinerlei Abgrenzung, sondern die Gewanne laufen ganz regelmässig fort, und der Besitz der einzelnen Hufe in Heiteren er- streckt sich über alle diese Gewanne, wie die auf der Karte hervor- gehobene Besitzung zeigt. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn sich die Thierheimer nur, wie es bei B den Anschein hat, neben A das Dorf Heiteren angebaut, ihre Aecker aber behalten hätten. Es muss also eine durchgreifende Regulirung stattgefunden haben. Allerdings aber ist es möglich , dass diese Regulirung zu irgend einer späteren Zeit in Verbindung mit der Herstellung von Zugangswegen stattgefunden hat. Wie das Kartenbild zeigt, sind alle einzelnen Parzellen in Heiteren durch Feldwege zugänglich gemacht. Dies wäre ohne eine regelmässige Zusammenlegung der Gewanne nicht durchführbar ge- wesen. Wann diese Umänderung geschehen ist, ist nicht bekannt. Doch muss hier eine Massregel von allgemeinerer Verbreitung durch- geführt worden sein, denn auf allen Nachbarfluren bis auf weite Entfernung hin liegen die Gewanne in ähnlichen schmalen und parallelen Streifen, welche auf beiden Seiten von Zugangswegen ein- geschlossen sind. Die in den Beispielen der Anlagen 33 und 41 — 44 verdeutlichten volksthümlichen Dorfanlagen mit haufenartig zusammenstehenden Ge- höften und in zahlreiche mehr oder weniger regelmässige Gewanne aufgetheilten Fluren haben die Alemannen allerdings weithin ver- breitet, aber wie ihr Land durch zum Theil hohe und nur zu Forst geeignete Gebirge und durch sumpfige Wiesenstrecken unterbrochen ist, so sind es auch ihre volksmässigen Ansiedelungen durch die be- reits erwähnten, besonders darzustellenden Weileranlagen. ■— * 42R V. 5. Die volkstümlichen deutschen Viel gleichmässiger haben die Juthungen die althergebrachte Siedelungssitte über ihr Gebiet zwischen Donau, Hier, Lech und Bodensee durchgeführt. Hier liegen die Dörfer fast ausschliesslich in der alterthümlichsten Form des deutschen Volkslandes. Ellikofen (Anlage 45) ist dafür ein Beispiel, welches genau mit Maden (An- lage 15) übereinstimmt. Tlnn gegenüber steht als eine völlig regulirte Flur die von Göggingen (Anlage 38) bei Augsburg. Aehnlich wie Wietikon bei Zürich nimmt Göggingen den nächsten Raum ein, auf dem sich der Anbau von Augusta Vindelicorum ausbreiten konnte. Der Orientirung solcher römischen Anlagen entsprechend, nahmen die Felder die dem Feinde abgewendete Seite der Stadt am Ausgange der porta decu- mana ein und bildeten ohne Zweifel die aufgetheilte Ackerflur der Bürger. Man glaubt auch die Römerstrasse auf der Flur noch zu erkennen, zu welcher alle Besitzstücke rechtwinkelig laufen. Drei Beunden, a, der Besitz des Majrbauers, sind bis zur Gegenwart aus- geschlossen geblieben. Die Regelmässigkeit der Auftheilung aber ist noch grösser als in Wietikon und Münchingen und setzt nothwendig Regulirungen voraus. Auch hier ist das Dorf gesondert von der Stadt und unter patronymischem Ortsnamen begründet. Auf dem Gebiete der Juthungen haben sich früher die volks- tümlichen Dörfer auch über die Bezirke von Kempten, Immenstadt und Bregenz hinweg bis an die Hänge der Hochalpen erstreckt. Die Kartenbilder zeigen hier gegenwärtig allerdings nur alpenmässige Einzelhöfe. Doch sind diese das Ergebniss einer seit der Mitte des 16. Jahrhunderts durchgeführten vollständigen Verkoppelung mit Ab- bau der Gehöfte. Die Durchführung dieser auf Einigung der Be- theiligten beruhenden Auseinandersetzungen ist im Einzelnen bekannt und bis zum Anfang unseres Jahrhunderts fortgesetzt worden.1) Für den früheren Bestand der Gewanne giebt indess die Karte von Aulwangen (Anlage 46) ein noch erkennbares Zeugniss. Auf seinem Flurbilde sind die alten Gewannabgrenzungen und die Ge- wanne, wie Oesch, Oeschle, Langeoesch, Ebnetoesch, Mittelesch, noch erhalten. In diesen Gewannen bildeten früher die einzelnen Hufen- antheile zum Theil recht lange und fortlaufende Parallelstreifen, welche wegen des feuchten Grundes durch kleine Wassergräben ab- gegrenzt waren. Die Reste dieser Gräben sind zur Zeit der Auf- messung der vorliegenden Karte noch so tief gewesen, dass sie als ') H- Ditz, Geschichte der Vereinödung im Hochstift Kempten 1865, S. 18. Gewanndörfer in Oberdeut.scliland. 429 Grasland im Acker in die Karte eingetragen werden mussten und dadurch das Bild der alten, ziemlich regelmässigen Feldeintheilung überliefert haben. — Die Bajuvaren nahmen am spätesten südlich der Donau in dem eigentlichen Ober- und Niederbayern östlich des Lech Besitz. Ihr älteres Gebiet, nördlich der Donau, ist nur klein und wurde von ihnen, wie Böhmen, grossentheils verlassen, als im 5. und 6. Jahr- hundert die Macht der Slaven in ihrem Kücken erheblich anwuchs. Auch in der Siedelung haben sie die alte Volkssitte am wenigsten festgehalten. Dass sie dieselbe jedoch kannten und ursprünglich von ihr ausgingen, ist deutlich zu erkennen. Die geeignetsten und sicher zuerst besiedelten Striche sind in der nationalen Weise angebaut. Die überall gleichartigen Gewanndörfer vom Main bis zum Steigerwald müssen allerdings den Hermunduren zugeschrieben werden. Ganz Ober- franken aber bis an die Rezat und Rednitz südlich Nürnbergs, sowie die nördliche Oberpfalz bis gegen Amberg und Nabburg unterlagen der Umgestaltung durch die slawische Besitznahme. Ausserdem sind nördlich der Donau grosse Strecken des Landes noch heut mit Forst bedeckt, und von sehr ausgedehnten Gebieten im Böhmerwald und in dem gesammten Bayrischen Walde ist bekannt, dass sie erst im 11. Jahrhundert gerodet und mit Dörfern besetzt worden sind. Es bleiben also nördlich der Donau nur beschränkte Abschnitte, welche die Spuren der Besiedelung der Markomannen, der Varisten oder der Marwingen aus der Zeit tragen können, in welcher Vindelicien noch römisch war. Diese offenen und zur Ansiedelung einladenden Striche sind aber auch durchweg mit den charakteristischen Gewannfluren bedeckt. Sie liegen um Nabburg und das Nabthal abwärts. Auf der linken Seite der Nab haben sie nur geringe Ausbreitung, dagegen sind sie rechts über die Hänge des fränkischen Jura bis gegen die Altmühl hin innerhalb der noch heut dort sehr umfangreichen Wal- dungen in solchen Oertlichkeiten zahlreich angelegt worden, wo sich die Schwierigkeit des Wassermangels nicht fühlbar machte. Südlich der Donau treten die Gewannfluren und Haufendörfer zunächst in der weiten Aue der Donau von Kehlheim abwärts, um Regensburg bis über die Vils auf, soweit nicht Höhen das Thal ein- engen. Auch in der Aue aller Nebenflüsse, der Paar, Ihn, Laber und Isar setzen sich diese Anlagen fort. Dagegen sind die dazwischen liegenden Hügelreihen der Tertiär-Formation, durch Weiler, also, wenn auch nicht später, doch in anderer Weise in Besitz genommen. Besonders reich an alten Gewanndörfern ist die Umgegend von 430 V. 5. IMe volkstümlichen deutschen München. Davon giebt Aibling, dessen hohes Alter bezeugt ist, ein Heispiel (Anlage 47). Von dieser mittlen Isargegend aus haben die volksthümliehen Dörfer über das Gebiet der Amper und oberen Paar kaum unterbrochenen Zusammenhang mit den entsprechenden schwä- bischen Dürfern, welche bis auf die Wasserscheiden des Lech reichen. Unter ihnen findet sich auf dem Uferrand der Flussläufe und anstossend an die nassen Haiden, die diese begleiten, eine Anzahl sehr grosser und langgedehnter, regelmässiger Anlagen von der durch Göggingen verdeutlichten Form mit weithin parallelen, ziemlich langen und schmalen Streifen in den Gewannen. Ausserhalb der Flussauen da- gegen fehlen diese auf der Generalstabskarte deutlich erkennbaren, grossen Dörfer, deren Feldlagen ersichtlich durch die Ueberschwem- mungsgefahr bedingt und nur allmählich mit der Abtrocknung des Bodens durch bessere Entwässerung erweitert wurden. Das welligere Land zeigt überall kleinere und in verschiedenen Richtungen liegende Gewanne. Nach Osten und Süden aber, jenseits der Grenzen des näheren Gebietes von München und der beiden Landkreise München I und II, verschwinden mit diesen älteren, unregelmässigen Gewann- fluren die Dörfer überhaupt bis auf seltene Ausnahmen. Eine dieser Ausnahmen ist so charakteristisch, dass sie besondere Beachtung fordert. Es ist dies das Dorf Vagen an der Mangfall, dessen Bild Anlage 48 wiedergiebt. Es ist schon früher behauptet und von Riezler (o. S. 412) hin- reichend wahrscheinlich gemacht worden, dass die Agilolfinger eine frän- kische, durch die Unterwerfung Bayerns unter die Frankenkönige zur Herrschaft gelangte Herzogsfamilie waren. Dies entspricht der lex Baju- variorum XX, 3. Dagegen sind die 5 dort genannten Geschlechter, quasi primi post Agilolfingas, Huosi, Drozza, Fagana, Hahiligga und Aeunion, wie es scheint als alte suevische Königsfamilien, jeden- falls als diejenigen Adelsgeschlechter zu betrachten, welche die Füh- rung des Volkes bei der Besitznahme Bayerns hatten, und unter deren Oberleitung die Gaueinth eilung und die Besiedelung vor sich ging. Denn es wurde nach den Huosi der Huosigau im Gebiet der Paar, lim, Glan und Amper benannt, und von den Fagana ist be- kannt, dass sich ihr Gebiet zwischen Isar und Inn, im Südosten Bayerns befand. Hier, schon in der Nähe des Gebirges, an der von der Mannigfaltigkeit ihres Laufes benannten Mangfall liegt Vagen. Es ist nicht zu bezweifeln, dass es der Familiensitz der Fagana war. Dieselben erscheinen 751 als Genealogia, quae vocatur Fagana, id sunt Ragino, Anulo, Wetti, Wrmhart et cuncti participes eorum. Gewanndörfer in Oberdeutschland. 43t Auch erhielten sich die Fagana lange als ein altes Adelsgeschlecht, als dessen letzter Sprosse Heinrich v. Vagin 1255 urkundlich er- wähnt wird. Nach dem Flurbilde ist das Urtheil begründet, dass die Fagana die Ansiedelung ihrer eigenen Familie noch in der alten volks- thümlichen Art auszuführen für gut hielten, obwohl sich auf die son- stige ihnen zugefallene Landschaft solche Anlagen nicht ausdehnten. Vagen blieb das letzte Gewanndorf nach Südosten, und auch nach Süd und Nord ist die gesammte Umgebung fast ohne Ausnahme in anderer Weise besiedelt. Die Verbreitung der volksmässigen Gewanndörfer in Oberdeutsch- land scheint danach überzeugend darzuthun, dass alle eindringenden deutschen Stämme, die Sueven Ariovists, wie die Alemannen und Ju- thungen und die Bajuvaren, bei der ersten stürmischen Besitznahme der keltorömischen Landgebiete die Besiedelung unter den alten nationalen, aus der Heimath hergebrachten Ideen ausführten. Diese aber beruhten wesentlich auf genossenschaftlicher Grundlage und entwickelten überall, wo sie zur Geltung kamen, geschlossene Dörfer, Gemenglage der Grundstücke und gleiche Hufen in der Flur. Solche Dörfer finden sich deshalb mit allen ihren Besonderheiten in sämmt- lichen Landschaften vom Norden bis zu den Hochalpen und sogar noch im offenen Innthale Tyrols. Am Inn Hegen sie sowohl in der Stromaue, wie Radfeld, Aster, Wiesing, Vomp, Kolsass, als auch auf den südlichen Hängen, wie Igls, Patsch, Lans, Aldrans nahe Inns- bruck. Die Uebersichtskarte (Bd. III, Einl.) giebt für die Verbrei- tung dieser Fluren in Oberdeutschland die näheren Abgrenzungen. 6. Die grundherrlichen Weiler und Dorfansetzungen. Die ungleiche Vertheilung der volksthümlichen, genossenschaftlich angelegten Hufendörfer in Oberdeutschland giebt bei ihrer grossen Anzahl der Frage Bedeutung, weshalb diese gewohnte Art der länd- lichen Siedelung sich nicht mit den deutschen Eroberungen überall da verbreitete, wo sie zu dauernder Besitznahme führten. Der Grund, weshalb andere Siedelungsformen nach Lage der Verhältnisse den Vorzug erhielten, muss aus dem Wesen dieser Neugestaltungen her- vorgehen. Nicht mit Unrecht kann man vorweg sagen, dass die Gebirgszüge und die ungleiche Fruchtbarkeit des Landes eine durchaus überein- stimmende Besiedelungsweise erschwerten. Aber die Vergleichung der 432 V. 6. Die grundherrlichen Weiler und Porfansetzungen. Bodenbeschaffenheit des altnationalen Gebietes belehrt, dass darin kein genügender Grund für die Verschiedenheit der Besiedelung gesehen werden darf. Auch ist in Oberdeutschland selbst der Wechsel der Anlagen keineswegs überall an Unterschiede des Bodens geknüpft. Von den neu auftretenden und in ihrer Art modernen Siedelungs- formen ist die wichtigste und allgemeinste die Gestaltung der schon gedachten Weiler, deren Bild Fig. 49 wiedergiebt. m ^ Fig. 49. Nehmcts weiler, Obei'amt Ravensburg, l'/2 M. NW.') Die charakteristische Eigentümlichkeit derselben ist, dass eine regellos gestellte kleine Gruppe von wenigen, in der Regel nur 3 bis 5 oder 6 Höfen die Ortschaft bildet, welche von dem zu diesen Höfen gehörenden Lande in ebenfalls unregelmässigem Gemenge umgeben wird. Andere Beispiele alemannischer Weiler sind aus sehr grosser Zahl: Bischmannshausen (Anlage 49) und Eiselau (Anlage 50), J) Die Karte zeigt den Besitz der 6 Höfe: a von 111,6; b 73,8; c 50,4; d 8,1; e 60,4; f 94,8: zusammen von 399,1 württ. Morgen (zu je 31,52 ar), durch Schraf- firung unterschieden. Vergl. Mustei-pläne zu Feldwegeanlagen, Feldeintheilung und Zu- sammenlegung, hrgb.v. d.Kgl.Centralstelle für Landwirtschaft, Stuttgart, I 1852, II 1868, V. 6. Die gründherrlichen Weiler und Dorfansetzungen. 433 ebenso bajuvarische : Pettenbrunn (Anlage 51), Kreuz- und Oeden- Pullacli (Anlage 52) und Loifering (Anlage 63). Ihre Karten- bilder zeigen deutlich, dass sie von den alten volkstümlichen Gewann- fluren nicht allein in der geringen Zahl der Gehöfte, sondern wesentlich auch in der Besitzvertheilung abweichen. Die einzelnen Besitzungen in diesen Weilern werden, wie in den Dörfern, nach Hufen unterschieden und bezeichnet. Auch bei ihnen wurde also die Vertheilung der öffentlichen und privaten Lasten der allgemeinen volksthümlichen Verbreitung der Hufenverfassung ange- passt, und die Höfe enthalten dabei entsprechend den üblichen ein- fachen Verhältnissen 1, 2, 3 Hufen, oder zerfallen in Va, V*, Vs der- selben. Obwohl häufig statt Hufe das Wort Hof gebraucht wird erweisen doch die weitverbreiteten Bezeichnungen Hubenbauer, Huber ohne oder mit Personen- oder Ortsnamen davor, wie Seidelhuber, Matz huber oder Thalhuber, Bühlhuber, ebenso Hub, Hubacker und ahn liehe, dass dabei die Bedeutung der wirklichen Hufe zu Grunde liegt Aber dennoch ist klar, dass das Prinzip der Zuweisung des Besitzes an jede der so klassifizirten Besitzungen ein von dem volks thümlich genossenschaftlichen ganz abweichendes gewesen sein muss Die volksthümliche Gewannauftheilung ist, wie sich gezeigt hat, darauf berechnet, dass nach Verhältniss der Antheile unter den Genossen möglichste Gleichheit, sowohl in der Fläche, als in der Bodenbeschaffen- heit und in der Entfernung vom Gehöft, damit also auch im Werthe und der Leistungsfähigkeit, hergestellt werden sollte. Durch die Grundsätze des Verfahrens selbst war jede Klage über Bevorzugung und jeder denkbare Streit über die Theilung ausgeschlossen, oder doch nach der offenkundigen Sachlage leicht von der Gemeinschaft der Genossen befriedigend zu entscheiden. Ein Blick auf die innere Eintheilung der Weiler dagegen lässt sofort erkennen, dass sie durch- aus ungeeignet gewesen wäre, diesem Ansprüche zu genügen. Man könnte meinen, bei den Weilern seien die Antheile an der Flur erst gemeinsam festgestellt, dann ausgeloost worden, und daraufhin habe sich, wie bei den Gewannfluren, Jeder zufrieden geben müssen. Die nähere Erwägung wird incless leicht zu der Ueber- zeugung führen, dass Ausloosungen zwar hinreichen konnten, um Streit über die Lage der Streifen im einzelnen Gewanne zu vermeiden, dass aber eine Ausloosung so verschieden gelegener Besitzstücke unter gleichberechtigten und gleiche Werthe verlangenden Genossen niemals hätte zum Ziele führen können. Darüber kann jeder noch so un- bedeutende bäuerliche Rechtsstreit wegen Grund und Boden im vollen Meitzei), Siedclung etc. I. 28 434 V. 6- Die grundherrlichen Weiler und Dorfansetzungen. Maasse belehren. Durch Uebereinkommen unter gleichstehenden Ge- nossen, deren Zustimmung erlangt werden musste, wäre es nie mög- lich gewesen, eine derartige Theilung zu Stande zu bringen. Sie lässt sich nur so decken, dass ein Machthaber, der die ganze Flur besass, dieselbe nach seinem Ermessen theilte, einem Ermessen, dem sich Jeder zu fügen hatte. Ein Vater konnte vielleicht seine Söhne so begaben. Ein Weisthum von Pfronten bei Füssen sagt z. B. : »§ 19. ob einer neun Söne hat, die er gesetzen wollt uf wisen oder uf acker, und er daruf oder darab kommen mag, andern leuten an schaden, die mag er allesampt wol zu ihm in die ehaften niedersezen« (v. Maurer, Marken verf., Anhang). Da aber auch bei einer solchen Kindestheilung so ungleiche Theile, wie sie am häufigsten sind, in den thatsächlichen Verhältnissen und den geltenden Rechtsanschauungen vielfache Schwierigkeiten gehabt hätten, bleibt der Gedanke der nächstliegende, wahrscheinlichste und einfachste, dass der Besitzer der Flur dieselbe stückweise oder ganz an Freie oder Hörige gegen Zins ausgethan hat. Jedenfalls musste die Uebernahme der einzelnen Besitzungen solche Voraussetzungen haben, dass es nicht auf gegen- seitige Gleichstellung der Antheile ankam, sondern nur darauf, ob die einzelne Besitzung, wie sie lag, dem Uebernehmer den Bedin- gungen zu entsprechen schien, die ihm dafür auferlegt wurden. Diese Entstehungsart der Weiler wird nun durch mancherlei Umstände bestätigt. Schon der Name spricht dafür. Weiler ist eine alemannische Bezeichnung, die in unzähligen Ortsnamen der Alemannen auftritt, und von ihnen in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch über- gegangen ist. Die Form des Wortes war ursprünglich vilare. Es ist unbestritten von dem lateinischen villa hergenommen. Man könnte damit unmittelbar an die römischen Villen anknüpfen, welche in ihrer Lage und Einrichtung S. 353, in Anlage 32 und auf den Karten von Friedberg und Münchingen dargestellt sind. Ein solcher römischer Gutshof würde offenbar geeignet gewesen sein, in seinem vollen Be- stände von dem deutschen Sieger übernommen zu werden. Seine Ge- bäude hätten genügt, um neben dem Hofe des neuen Herrn noch die nöthigen Wohnstätten für einige Familien von Söhnen oder Knechten zu gewinnen. Dafür geben jedoch die Trümmer dieser villae nicht den geringsten Anhalt. Sie sind ausgeraubt und absichtlich zerstört, aber zeigen keine Spur eines Gebrauches durch fremde Hand. Es kann nicht anders angenommen werden, als dass sie der Deutsche als feindlich und unheimlich dem Untergange weihte und seine Holz- V. 6. Die grundherrlichen Weiler und Dorfansetzutigen. 435 hütte bei weitem vorzog. Gleichwohl haben wir ein klassisches gleichzeitiges Zeugniss, dass die Alemannen ihre vilare in einer der römischen vergleichbaren Weise einrichteten. Ammian erzählt (XVII, 1) als Augenzeuge mit grosser Lebendig- keit, wie Julian nach der Schlacht bei Strassburg vorzog, den Rhein erst bei Mainz zu überschreiten, und hier unvermuthet die Barbaren zu überfallen. Dabei sammelten sich die Alemannen zuerst Angesichts des Stromes in den bekannten Sperrwerken am Feldberg und Alt- könig, dann aber eilten sie über den Main und suchten auch das Gebiet am Odenwald zu schützen, weil Julian von den Schiffen aus stromauf und stromab nach allen Seiten Einfälle in das Land machen Hess. Es war also eine beträchtliche Strecke des Rheingaus auf beiden Seiten des Mains gefährdet, lieber die Verwüstung derselben bemerkt nun Ammian: »Nach der Entfernung der Feinde gewannen unsere Krieger freien Spielraum und plünderten die an Heerden und Feldfrüch- ten reichen Landgüter ohne alle Schonung. Auch wurden die Leute in ihren Wohnungen selbst aufgehoben, als Gefangene weggeführt, und ihre Gebäude, die sämmtlich schon mit besserer Sorgfalt und nach römi- scher Sitte aufgeführt waren, durch Feuer der Zerstörung preisgegeben. Als man nach einer Entfernung von ungefähr 10 000 Schritten bei einem ungeheuren dunklen Walde angekommen war, blieb man lange unentschlossen stehen, weil man aus dem Berichte eines Ueberläufers erfahren hatte, dass in verborgenen unterirdischen Oertern und weit- verzweigten Gräben zahlreiche Haufen versteckt lägen. Dessen un- geachtet hatten die Unsrigen alle Muth genug, sich zu nähern, fanden aber durch Verhaue von Eichen, Eschen und starken Tannenstämmen die Zugänge verrammelt. Sie zogen sich deshalb mit Vorsicht wieder rückwärts, indem sie bemerkten, dass sie nur auf langen und steilen Umwegen weiter vorwärtsschreiten konnten.« Ammian will mit seinem Bericht den Caesar offenbar über den wenig rühmlichen Verlauf hinwegschmeicheln. Seine Schilderung ist jedoch durchaus klar. Die grösseren Ansiedelungen der Alemannen lagen zu beiden Seiten des Mains hinter starken Verhauen gedeckt, welche die Römer nicht zu durchbrechen vermochten. Vor diesen Verhauen gegen den Rhein zu bestanden aber im offenen Lande bereits zahlreiche, sorgfältiger und nach römischer Sitte eingerichtete, an Vieh und Getreide reiche Landgüter, welche geplündert und niedergebrannt wurden. Dass dabei nicht von den üblichen, dicht gedrängten Dörfern die Rede ist, wie sie in Alemannien ebenso volks- thümlich waren, als im alten Volkslande, ist ersichtlich. Diese Land- 28* .| ;,; V. 6. Die grundherrlichen Weiler und Dorfansetzuugen. guter waren ausserhalb der Landwehren angelegt und konnten keine Vertheidigung erwarten. So wenig wie deutsche Dörfer waren sie aber keineswegs alte römische Villen. Sie zeigen offenbar den neuen Gedanken des vilare. In solchen Höfen schoben sich jetzt die Deutschen ebenso in das offene Land gegen den Feind vor, wie früher die Gallier auf den agri decumates. Gelang es dem Besitzer, sich zu halten, so wurde der Hof ein anwachsender Weiler, der Gründer konnte weiterziehen und sein Gut an Zinspflichtige vergeben. Wurde der erste Bau zerstört, so konnte die Stätte entweder zur Anlage eines neuen Weilers oder auch zu der eines Dorfes verwendet werden, und der alte Name oder die Bezeichnung als Weiler konnte daran hängen bleiben, ohne dass die neue Feldeintheilung von den volksthümlichen Gewannen abwich. Ein solches Dorf darf man in Reitweiler (Anlage 54) vermuthen. Ammians Ueberlieferung lässt schon schliessen , dass die Weiler ursprünglich nicht von Genossenschaften gegründet, sondern Anlagen Einzelner waren. Der grundherrliche Charakter der Weiler, die ur- sprüngliche Erwerbung der ganzen Flur in eine Hand, sei es durch Okkupation oder Beleihung, tritt auch in mehrfacher Weise hervor, wenn man nur die auf uns gekommenen Zustände in Betracht zieht. Häufig, wie z. B. in Pullach, finden sich in solchen Weilern Haupthöfe, denen die anderen zinspflichtig sind. Vielfach zeigen die Ländereien des Weilers eine Theilung, bei welcher die Absicht einer Ausgleichung oder Verhältnissmässigkeit der Besitzantheile überhaupt nicht denkbar ist, sondern jeder Besitzung sehr ungleiche Landflächen je nach einer bestimmten Richtung hin im Zusammenhange zu- gewiesen sind. Ein Beispiel dafür ist das sehr alte Pettenbrunn. Eine Bestätigung alten Sondereigens ist auch, dass sich noch gegen- wärtig eine nicht geringe Zahl von Höfen findet, welche als Einöd- höfe bezeichnet werden, und, wie Kreitmayer in seinen Anmerkungen zum bayerischen Landrecht (Bd. V, c. 28, § 1 k) ausspricht, »obwohl sie nur Bauernhöfe sind, nicht nur physice, ihrer natürlichen Lage nach, sondern auch moraliter, weil sie mit keinem Dorfe in Gemeinschaft stehen, für ganz besondere corpora zu consideriren sind.« Der Cha- rakter dieser Höfe ist durch die neueren Gemeindeordnungen ver- wischt worden. Soweit dieselben aber zu Kreitmayer's Zeit, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, noch ausserhalb jedes Gemeinde- verbandes lagen, können sie nicht als neue Riedlingen oder Austhuungen von landesherrlichen, gutsherrlichen oder Almendeländereien betrachtet werden. Die Vermuthung spricht vielmehr für ein sehr hohes Alter V. 6. Die grundherrlichen Weiler und Dorfansetzungen. 437 und eine gewisse ursprüngliche Besitznahme oder eine königliche Verleihung, welche der Gemeinfreiheit keinen Eintrag that. Eine solche grössere Hofwirthschaffc durch alle Zeit his zur Gegenwart zu behaupten, war indess selten möglich. Es gehörte dazu, dass die einzelne Familie stets kräftig genug hlieb, ihre Nachkommen- schaft in genügender "Weise zu versorgen, und nicht im Drange der Umstände zu einer Theilung des Gutes schritt. Dies war bei dem auch in Bayern geltenden Recht der Theilung zwischen Söhnen oder zwischen deren Stirpes nicht leicht vermeidlich. Es wird deshalb erklärlich, dass statt solcher ursprünglich einzeln angelegter grösserer Höfe gegenwärtig überwiegend Weiler gefunden werden, welche früher oder später aus solchen alten Sitzen freier Bauern hervorgegangen sein dürften. Manche solche Weiler haben sich auch, wie aus den Feldlagen zu entnehmen ist, durch Ansetzung zahlreicherer Stellen, Zersplitterung in kleinere Besitzstücke und Ausgreifen in zugehörige oder benachbarte Waldungen, Haiden oder Moose zu Dörfern vergrössert. Ein Beispiel dafür giebt Haindlfing (Anlage 55). Das Bild der Karte zeigt den zerstreuten Besitzstand der einzelnen Wirthe, die überwiegende Lage der Grundstücke mehrerer Hauptgehöfte nach bestimmten Richtungen und den Mangel jeder gleichmässigen Vertheilung über die Flur. Aehnlich ist das Bild der verschiedenen Weiler in Göttin g (Anlage 56). Wie bei letzteren finden sich auf den Fluren der Weiler ziemlich häufig auch noch Höfe ausserhalb des näheren nachbarlichen Verbandes vereinzelt auf einem Komplex zugehöriger Grundstücke belegen. Sei es aber, dass dieselben ursprünglich auf einer solchen Stelle angesetzt oder erst auf sie abgebaut worden sind; in jedem Falle spricht auch diese Erscheinung für das allgemeine Prinzip, dass alle diese Anlagen nicht auf genossenschaftlichem Ursprünge beruhen. Gewanne bestehen auf keiner dieser Fluren. Die Aehnlichkeit der Auftheilung mit der der Gewanndörfer, welche bei grösseren Weilern oder weilerartigen Dörfern die Unterscheidung schwer macht, rührt bei denselben nur von Parzellirungen und dem Bedürfnisse her, die Theilstücke des leichten Ackerns wegen in parallele Streifen abzugrenzen. Indess kommen bei den gutsherrlichen Weilern und Dörfern auch Fluren vor, auf denen die Ackerstreifen nahezu verschwinden, die Besitzstücke vielmehr fast ohne Ausnahme quadratisch oder oblong in Blöcke von verschiedener Grösse eingetheilt und ohne jeden ersicht- lichen Plan durcheinander geschoben sind. Beispiele geben dafür als kleiner Weiler Eiselau (Anlage 50) Und als grosser dorfähnlicher 438 V- 6. Die grundherrlichen Weiler und Dorfansetznugen. Hasenweiler (AnInge 57). Die Urkunden über Hasenweiler gehen, wie die Anlage näher ergiebt, bis ins 8. Jahrhundert zurück. Es befand sieh ein festes Schloss mit einem für römisch geltenden Thurme im Dorfe und 2 andere Burgen in der Nähe. Die Ver- gleichung der Besitzstände in Eiselan wie in Hasenweiler lässt keinen anderen Schluss zu, als dass sie das Ergebniss freier völlig unbe- hinderter Abgabe von Grundstücken seitens des Grundherren sind, und dass die durch dessen Ermessen gegebenen Grundlagen auch durch spätere Erbtheilungen und Veräusserungen keinen wesentlich anderen Charakter erhalten konnten. In ähnlicher Weise zeigt der auf dem Schwarzwalde belegene Bann Bleybach (Anlage 58) sehr deutlich seine Entstehung aus einzelnen verliehenen Rodlandgrund- stückcn. Entsprechende Fluren sind auch in den Vogesen sehr ver- breitet, z. B. Stossweier, Sulzern, Mühlbach, Sondernach, Lindthal, Rimbach, Lauberg, Lambach, für welche Burbach (Anlage 59) als typisch zu betrachten ist. Der bestimmte Beweis, dass die in blockförmigen Grundstücken aufgetheilten Dorffluren aus der Hand von Grundherren hervor- gegangen sind, lässt sich durch die Flur Reichenbach im Odenwalde (Anlage 60) führen. Reichenbach ist in der nächsten Nähe des so- genannten Felsenmeeres belegen, in welchem, wie o. S. 399 erwähnt, noch eine nicht völlig bearbeitete Granitsäule gefunden ist, wie deren 4 genau entsprechende zu der Basiliea Constantins in Trier verwendet sind. Der Weg, auf welchem diese Säulen nach Trier geschafft werden mussten, führte noth wendig durch die Oertlichkeit, welche Reichenbach einnimmt. Das Dorf liegt am besten Zugangswege und auf der nächsten zu einem Wohnplatz für die Steinarbeiter geeigneten Stelle. Unzweifelhaft war hier eine römische Ortschaft vorhanden. Das Bild der Karte lässt indess durchaus keinen Zug römischen oder keltischen Anbaues erkennen, wohl aber könnte es, im Allge- meinen überblickt, als das eines deutschen Gewanndorfes erscheinen. Es sind auch Register von 1738 vorhanden, welche zeigen, dass das Dorf in Hufen aufgetheilt war, und dass wegen der offenbaren Un- zugänglichkeit der Besitzstücke Flurzwang bestand. Vergleicht man jedoch den Besitz der einzelnen Hufen nach dem Zustande von 1738 näher, welchen die aus dieser Zeit herrührende Karte wiedergiebt, so ist deutlich .zu ersehen, dass an Gewanne nicht gedacht werden kann, sondern dass die Auftheilung ganz den eigenthümlichen Charakter der Weiler hat. Gleichwohl besteht hier eine Erbachsche Frohnhufe, welche mit Bestimmtheit beweist, dass es sich bei den V. 6. Die grundherrlichen Weiler und Dorfansetzungen. 439 registrirten Hufen nicht um ein Hufenmaass, sondern um wirkliche Hufenverfassung handelt. Auch die Pfarrhufe und die festgehaltene Zugehörigkeit der einzelnen veräusserten Grundstücke zu derselben schliessen aus, dass der der Pfarrei üherlassene Besitz erst später nach irgend einem Maasse als Hufe berechnet worden wäre. Wenn es also gegenüber der zahlreichen urkundlichen Erwähnungen noch eines besonderen Beweises bedürfte, dass die Weiler, sowohl die kleineren als die grösseren, der Volkssitte und der Zweckmässigkeit entsprechend in Hufen an die Anbauer zugewiesen worden sind, würde er durch Reichenbach geführt sein. Ebenso klar ist es auch, dass diese Zuweisung in Hufen sich nicht auf das alte genossenschaftliche Prinzip grundsätzlicher durch das ganze Verfahren der Aufmessung gewährleisteter Gleichheit, son- dern auf das Bedürfniss der Organisation gründete. Die Sitte, alle privaten wie öffentlichen Zinsungen, Abgaben und Leistungen bis zum Heerbann hinauf nach der Wirthschaftseinheit der Hufe oder deren Bruchtheilen festzustellen, beherrschte das gesammte deutsche Agrarwesen vom frühen Mittelalter bis auf die Neuzeit. , Die Anfor- derung einer solchen dauernd gleich massigen Grundlage für die Be- rechnung und Erhebung der Lasten veranlasste die Grundherren, welche ihr Land an Zinspflichtige austhaten, allgemein, als die ein- fachste und verständlichste Regelung aller öffentlichen und privaten Beziehungen, dasselbe zugleich in eine gewisse Hufengrösse und Hufen- eintheilung einzupassen,1) und den Beliehenen dieser Hufen und Hufentheile verhältnissmässige Leistungen aufzuerlegen. Da diese Feststellung lediglich durch die Anordnung des Grundherrn erfolgte, wurde sie bei jeder Feldeintheilung und Wirthschaftseinrichtung mög- lich, sowohl bei einer neu gestalteten, als bei einer aus älteren und fremden Zuständen erhalten gebliebenen. Die Verbreitung der Weiler, unter denen die weilerartigen Dörfer nur in geringer Zahl auftreten, lässt sich aus den Generalstabskarten und aus den Ortschafts Verzeichnissen der betheiligten Staatsgebiete entnehmen. Letztere geben die Zahl der Wohnhäuser in jedem Wohn- platze, der einen besonderen Namen führt, an und unterscheiden die Orte in der Regel nach Städten, Dörfern, Weilern und einzelnen Ge- höften. Am besten werden beide Hülfsmittel verglichen. Soweit es ') Ein durch Urkunden und Karte sehr deutliches Beispiel hat L, Frohnhäuser in der Abhandlung: Das grosse Hubgut des Wormser Andreasstiftes in der Mark Lamperts- heim gegeben (Archiv für Hessische Geschichte und Alterthum Bd. XV, Heft 1, S- 126). 4-Jo V. 6. Die grundherrlichen Weiler und "Dorfansetzungen. lKicli diesem Material möglich wird, giebt die Uebersichtskarte in der Einleitung zu Bd. III ihre Verbreitimg an. Im Allgemeinen zeigt sich, dass die am besten und offensten belegenen Landstriche Oberdeutschlands von den volksthümlichen Gewannfluren eingenommen sind, und die Weiler meist die durch geringere Fruchtbarkeit oder Unebenheit ungünstigeren Oertlichkeiten inne haben. Iridess ist dies doch mehr in den nördlicheren als in den südlicheren Gegenden des in Frage stehenden oberdeutschen Gebietes der Fall. Nördlich der Donau sind die Weiler vorzugsweise im Odenwalde bis zum Neckar, auf dem grossen Plateau vom Mainthal bei Milten- berg bis zur Tauber, über den mittlen und obern Lauf von Jaxt und Kocher, die Hohenloher Ebene, den Welzheimer Wald, Hardtfeld und Aalbuch bis Ulm verbreitet. Diesem benachbart liegt jenseits des Tauberthaies ein zweites Weilergebiet, welches vom Steigerwald bis an den oberen Lauf der Altmühl und Rezat reicht und über Schillings- fürst mit dem ersteren zusammenstösst. Von beiden Gebieten ist also im Norden das fruchtbare Main- und Tauberthal ausgeschlossen. Nach Westen und Süden lässt ihre Grenze sich kaum schärfer und sicherer als durch die Linie des limes transrhenanus und rhäticus bezeichnen. Sie überschreitet den Limes nur auf der kleinen Strecke des Welz- heimer Waldes und Aalbuchs gegen Ulm, ohne übrigens hier wie auch nördlicher die Gewannfluren völlig auszuschliessen. Ein drittes Gebiet liegt östlicher, jenseits der Nah. Es reicht von Nabburg und den linksseitigen Uferhöhen der Nah über das gesammte Flussthal des Regens bis zu dem erst im Mittelalter besiedelten Bayrischen Walde und endet südlich auf der Linie zwischen Regensburg und Passau, auf dem überall ziemlich schroff zur Donauaue abfallenden Plateaurande. Alle diese nördlichen Weilergebiete stehen in der That hinter den neben ihnen liegenden Gebieten der volksthümlichen Gewann- dörfer in der Bodenbeschaffenheit erheblich zurück. Im Westen haben, abgesehen vom Schwarzwalde, Weiler und Gewannfluren überhaupt keine ähnlich scharfe Abgrenzung gegeneinan- der. Die Weiler überwiegen bei den deutschen und den schweizerischen Alemannen am Abhang der Gebirgszüge, und die Gewannfluren breiten sich mehr in der Ebene aus. Der Wechsel zwischen Thal und Berg ist allerdings auf dem speziell alemannischen Gebiete ein besonders grosser, dennoch bleibt eigenthümlich , dass Schwaben trotz der nicht wesentlich abweichenden Terrainbeschaffenheit die Weiler nur in den höchsten Alpen Vorarlbergs kannte, ehe die Vereinödung im V. 7. Die alpinen und die romanischen Einzelhöfe und Weiler. 441 Kreise Kempten um sich griff. Die freiwillige Durchführung dieser modernen Umgestaltung ist zugleich ein sprechendes Zeugnisa dafür, dass die Gewannfiuren häufig der Oertliehkeit keinesweges besonders angemessen waren. Auch im eigentlichen Bayern besitzen die grossen Flächen, auf welchen die Gewannfiuren vom Lech und der Donau bis jenseits München fast ausschliesslich verbreitet sind, sehr lohnende Acker- ländereien. Indess umfassen sie auch die bekannten sogenannten Moose, nasse, lettige und moorige Heideflächen, welche der Kultur nur schwer und undankbar zugänglich sind. Dagegen ist mit wenigen im Innthale belegenen Ausnahmen der ausgedehnte Landstrich, welcher sich vom Algäu aus durch die offeneren Thäler und die Vorberge der bayerischen und salzburgischen Alpen bis in das niederöster- reichische Donauthal zurEnns erstreckt, fast ausschliesslich von Weilern oder zu Dörfern erweiterten Weilern eingenommen. Die nördliche Grenze dieses Weilergebietes bildet eine Linie, die sich etwa von Lechbrück unterhalb Füssen zur Südspitze des Starnberger Sees und von dieser zum nördlichen Knie der Mangfall ziehen lässt, dann aber fast genau nach Norden bis in die Nähe von Landshut zu der Wasserscheide zwischen Isar und Vilz läuft und diese bis zur Donau begleitet, wo sich die gegenüberliegenden Weiler des Regengebietes anschliessen. Dazu ist noch eine zwar kleine, aber interessante Erweiterung zu rechnen, welche sich von Landshut westlich über die sehr früh besiedelte Umgebung von Freising erstreckt. Das Ge- biet der anscheinend grundherrlichen bajuvarischen Weiler umfasst also die grössere Hälfte von Ober- und Nieder -Bayern und dringt von hier aus südlich und östlich in die offeneren Thäler ein. Der Grund dieser Verbreitung kann nicht in der Beschaffenheit des Landes gesehen werden, denn die Weiler liegen im Südosten Bayerns viel- fach auf vortrefflichem Grunde und nehmen sehr viele für volks- mässige Dörfer völlig geeignete Gelände ein. Andererseits sind solche Dorfanlagen im Innthale bis in die Gegend von Innsbruck vorge- drungen. Es lässt sich deshalb nur fragen, ob nicht nähere Auf- klärungen durch die Vorgänge der alpinen Besiedelung geboten werden. 7. Die alpinen und die romanischen Einzelhöfe und Weiler. Rhaetien, Vindelicien und Noricum waren zu Caesars Zeit, mit Ausnahme einiger Theile der Hochalpen, von Kelten bewohnt und überall mit festen Ansiedehmgen bedeckt. Diese Länder waren von 4 12 v- 7. Die alpinen und die romanischen Einzelhöfe und Weiler. ihnen auch keinesweges, wie Oberitalien, erst seit wenigen Jahr- hunderten oder auf der in Kleinasien endenden Rückwanderung kel- tischer Stämme in Besitz genommen. Vielmehr bekunden die Fluss- uamen, welche vom südlichen Russland his zum Atlantischen Ozean das Andenken an das Vordringen der Kelten von Asien bewahrt haben, dass auch das gesammte Gebiet der Donau, wenigstens das flachere Stromthal, zu dem alten Bereiche ihrer Herrschaft gehörte. Auch in den Alpen giebt es keinen der vielen Nebenflüsse der Donau, der nicht keltisch benannt wäre. Ueber die Art der Besiedelung lassen die Nachrichten Caesars nach den näheren Ausführungen o. S. 224 keinen anderen Schluss zu, als dass auch auf diesem Keltengebiete die Gehöfte des überwiegen- den Theiles der Wohnplätze in zerstreuter und vereinzelter Lage über das offene Land vertheilt waren, so dass dadurch auch die S. 178 dargestellten volksthümlichen Einzelhöfe angedeutet scheinen. Diese Einzelhöfe sind überall da, wo sich die Deutschen mit ihren genossenschaftlich in Gewannen angelegten Dörfern festsetzten, ohne Zweifel spurlos beseitigt worden. Dagegen lässt sich bei der Vergleichung der irischen Flurkarten (Anlagen 23 bis 27) mit den in Anlagen 49 bis 57 wiedergegebenen Feldlagen der alemannischen und bajuvarischen Weiler der Gedanke nicht unbedingt abweisen, dass in letzteren hier und da Reste der alten keltischen Acker- abgrenzungen erhalten geblieben sein können. Ein solcher Kamp des keltischen Hofes war nicht hloss von festen Grenzen umgeben, sondern auch innerhalb derselben gleichmässig kultivirt. Es lag also nichts näher, als dass der neue deutsche Grundherr ihn unverändert an einen seiner Hintersassen vergab. Die Form der Ackerpläne widerspricht dem nicht. — Ein wirklicher Beweis, dass die keltische Art der Besiedelung auf die gegenwärtig bestehenden Anlagen wesentlichen Einfluss ge- übt habe, könnte am sichersten auf dem dritten der oben unterschie- denen Siedelungsgebiete Oberdeutschlands erwartet werden, wo die Einzelhöfe und Weiler in nahezu geschlossenen Massen grössere Land- striche einnehmen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass hier eine ins Einzelne gehende örtliche Untersuchung dafür überzeugende Anhalts- punkte fände. Sie müsste dieselben aber vorzugsweise in geschicht- lichen und in sprachlichen Thatsachen erlangen, denn die agrarischen Besitzformen lassen in diesem Alpengebiete den Schluss auf ein be- stimmtes Volksthum nur sehr unsicher und ausnahmsweise zu. Der Grund ist auch bei unzweifelhaft keltischen Anlagen darin V. 7. Die alpinen und die romanischeil Einzelhöfe und Weiler. 443 zu sehen, dass die Natur der Alpen eine so gleichartige und regel- mässige Landvertheilung, wie sie sich in Irland als volksthümlich erwiesen hat, nur in seltenen Fällen zulassen würde. Die Natur der Hoehalpen fordert zwar in dein überwiegenden Theile ihrer bewohnbaren Bodenstreeken allerdings eine gewisse Vereinzelung der Hofanlagen, aber sie unterwirft sie bezüglich der zugehörigen Ländereien völlig anderen Bedingungen, als sieh aus den Surveykarten für die irischen Tates ergehen. Die Oertliehkeiten, welche in den Hochalpenthälern die Erriehtung von Wohnplätzen gestatten, sind in der Regel von felsigen und oft gefahrdrohenden Abhängen und von schnell an- wachsenden Gebirgswässcrn eingeengt, und die YVirthschaftseinrichtung muss sich den Besonderheiten der Lage anbequemen. Das wenige Kulturland genügt häufig nur einem einzigen Wirthe, oder es können mehrere Nachbarn nicht anders als nach Abschnitten, die das Terrain vorschreibt, mit Nutzen daran Theil nehmen. Auch das im verhält nissmässig ausgedehnte Land, welches unkultivirbar, als Weiden und Waldungen, an den Berghängen und auf den Höhen liegen bleiben muss, ist durch die schwierige Zugänglichkeit und die noth wendig nach der Jahreszeit und nach den Viehgattungen wechselnde Be- nutzungsweise zur Theilung in Privatbesitz selten geeignet, sondern fordert gemeinschaftliche, wenn auch nach Antheilen geregelte Be- wirtschaftung. Dadurch sind die Bedingungen der ersten Anlage wie der Wirthschaftseinrichtung und des Betriebes lokal bestimmt gegeben. Später aber vermögen Erben und Nachfolger so wenig als fremde Zuwanderer oder Eroberer die alte Form der Besitzungen wesentlich umzugestalten. Eine durch alte nationale Ideen oder Gebräuche gestaltete Siede- lungsweise von erkennbarem Charakter lässt sich deshalb nur in den offeneren Alpenthälern suchen, in welchen hinreichender Raum für eine grössere Anzahl Wohnstätten vorhanden ist, ohne dass, wie im Leeh- und Innthale, die bestimmt ausgeprägten Gewanndörfer und guts- herrlichen Weiler der Deutschen in dieselben eingedrungen sind. Das Beispiel einer solchen Lage giebt für die Ortschaft Hinter- oder Wilden -Dux die Fig. 49 landschaftlich. Die Karte in Anlage 61 zeigt, wie diese Lage die Ackervertheilung bedingte. Der Weiler liegt sehr versteckt hinter dem 7000 Fuss hohen, aber leicht übersteigbaren Duxer Joch, in noch 5000 Fuss Seehöhe, hat von jeher zu Steinach an der Brennerstrasse und kirchlich bis 1483 zur Pfarrei Matrei, nicht zu dem ziemlich entfernten Vorder- Dux im Zillerthal gehört, welches ursprünglich nur eine salzburgische Alpe 444 V. 7. Die alpinen and die romanischen Einzelhöfe und "Weiler. war. Ethnographisch gehört also Hinter- Dux zu dem Gebiete der Brennen. Diese bildeten auf dem Nordabhange des Brenners eine starke durch ihre Tapferkeit und Ausdauer angesehene Völkerschaft; welche /war von den Römern besiegt wurde, sich aber in einer ge- wissen Selbstständigkeit und Geschlossenheit bis in das 9. Jahr- hundert erhalten hat (Zeuss S. 237 und 586). Es bestehen zwar Zweifel, ob sie Rasener oder Kelten waren. Die Namen, wie der des Volkes selbst und der von Matreja (Matrei), sprechen jedoch für Kelten. Auch gleicht in Hinter- Dux die Bauart der Häuser, wie Fig. 50. Hinter- oder Wilden-Dux in Tyrol. Anlage H H näher nachweist, weder dem romanischen Charakter der sogenannten Heidenhäuser, noch dem alemannischen Hause. Es lässt sich sogar, den Viertheilungen (o. S. 176, 200 und 229) gemäss, ein Zug alter keltischer Volkstümlichkeit darin sehen, dass in der Ortschaft ursprünglich, wie verschiedene Urkunden und noch der Albeinigungs- Vertrag von 1756 bestätigen, nur 4 selbstständige Bauernhöfe be- standen haben, deren im alten Ortsbereich belegenes privates Kultur- land durchschnittlich je 14 ha betrug. Aber ein Blick auf die Karte belehrt, dass irgend eine Aehnlichkeit mit der Gestalt eines irischen Quarters weder in der Lage der Höfe noch in der Vertheilung des V. 7. Die alpinen und die romanischen (üinzelhöfe und Weiler. 445 zugehörigen Landes oder in der Gestalt der einzelnen Grundstücke gefunden werden kann. Den wesentlichsten Unterschied gegenüber den irischen Agrarzuständen bietet indess der gemeinsame Besitz von 1228 ha nach bestimmten Antheilen zu benützender Weiden und die weitere Berechtigung an 153 ha Gemeindeland. Denn nach 8. 177 ist der Besitz der irischen Tates ein innerhalb ihres Townlands völlig abgeschlossener. Wenn auch anzunehmen ist, dass dem Könige, und den Häuptlingen der einzelnen Townlands, Weide- und Holzberechti- gungen, ja vielleicht sogar Besiedelungsrechte an dem unkultivirten, nicht aufgetheilten Lande zustanden, ist doch von solchen Rechten der einzelnen Tates nichts bekannt. Die Nutzungen der Duxcr Höfe beruhen auf einem durchaus verschiedenen, dem Almendrecht ent- sprechenden Gedanken. Die verhältnissmässigen Anrechte an der Almende haben zwar eine gewisse Aehnlichkeit mit den Nutzungs- Ansprüchen der Bürger von Keils und Lander an dem städtischen Gemeindebesitz (o. S. 208), erscheinen aber nicht allein der länd- lichen Agrarverfassung Irlands, sondern sogar der S. 213 dargestellten von Nordwales gegenüber durchaus fremdartig. Indess hat schon oben die Frage vorbehalten bleiben müssen, ob die Anlage von Ortschaften, selbst wenn ihre Bewohner durch die Römer unzweifelhaft als Kelten bekannt sind, wirklich einer keltischen Völkerschaft zuzuschreiben ist. Bei Hinter-Dux wird dies wegen seiner besonders abgeschiedenen Lage in einem Schlupfwinkel des Brennenlandes wohl anzunehmen sein. Aber im Allgemeinen ist für keine dieser Alpengegenden mit hinreichenden Gründen voraus- zusetzen, dass Kelten die ersten festen Ansiedelungen in denselben begründeten. — Es darf für diese älteste Siedelung von Deutschen ganz abge- sehen werden. Wo Alemannen, Bajuvaren oder Longobarden dauernd Besitz ergriffen, oder auch nur Gothen, Rugier, Heruler u. a. vorüber- gehend das Land beherrschten, haben sie sich als Sieger sicher in bereits bewohnten und kultivirten Oertlichkeiten festgesetzt. Selbst die o. S. 383 gedachten Germanen in den Penninischen Alpen, welche von den Kelten vertrieben worden zu sein scheinen, kommen als erste Ansiedler nicht in Betracht. Kelten und Germanen waren Nomaden und blieben es, solange sie nicht die Landnoth zum festen Anbau zwang. Wurden versprengte Schaaren in die unzugänglicheren Alpenthäler verdrängt, so werden sie dort Senn- und Ackerwirth- schaften gegründet haben. Aber dies lässt sich für Kelten immer- hin erst spät, für Germanen jedenfalls nicht früher als im 3. Jahr- 440 V. 7. Die alpinen und die romanischen Einzelhöfe und Weiler. hundert vor unserer Zeitrechnung denken. Dagegen ist o. S. 242 gezeigt, dass die Alpenländer bis tief in die später alemannischen und bajuvarischen Gebiete hinein schon verhältnissmässig früh nach der Eiszeit, noch ehe aus ihnen die Polarthiere verschwunden waren, von den festen Ansiedelungen der Pfahlbauer besetzt wurden. Diese Bevölkerung, welche nothwendig eine südländische war, kam schon mit der Kenntniss des Getreide- und Flachsbaues und der üebung ilcs Spinnens und Webens und mannigfacher Lederarbeit, überhaupt mit einer Kultur hierher, welche ihr die Anlage der Pfahl- haue und das Leben zahlreicher Menschen in derselben geschlossenen Ortschaft möglich machte. Wir können auch die fortschreitende Ent wickelung dieser Kultur bis mindestens zum Auftreten der mas- siliotischen Münzen deutlich verfolgen. Es ist möglich, class die Pfahlbaustämme um diese Zeit mehr und mehr dem Andringen der keltischen und germanischen oder italischen Zuwanderer erlagen, oder dass sie von ihnen in die höheren Alpen vertrieben worden sind. Es kann aber auch die höher gestiegene Kultur aus Siegern und Besiegten Mischvölker geschaffen haben, welche für ihre Ernährung darauf hingeführt wurden, die Alpennatur ausgiebiger auszunutzen. Je mehr benachbarte wie entfernte Völker anwuchsen, und je eingreifender von Süden und Norden her Wanderungen und Kriegs- züge die schwächeren Völkerschaften beunruhigten, trennten und mit Vernichtung bedrohten, desto mehr wurden die Alpen, wie wir es ebenso vom Kaukasus wissen, die natürliche Zuflucht sehr verschie- dener und schwer zu sondernder Völkerabsplisse. Die Ligurer haben einen grossen Theil der westlichen Alpen dauernd behauptet. Als Ligurer sind auch die Taurisker an der oberen Enns anerkannt, und Cato bezeichnet als solche ebenfalls die Lepontini im Val Levantina am obern Tessino. Nach Strabo waren die Lepontini, Tridentini und Stoni, im Val d'Ossola und weiter öst- lich, als alte Tuscen aus dem Polande bekannt. Rasener müssen einen grossen Theil der Tyroler Alpen im Besitz gehabt haben. Keine Kelten, sondern Tuscer oder Umbrer waren auch die Euganei um den Gardasee, die Triumpilini im Val Trompica und die Camuni im Val Camunica. Oestlicher traten in den Julischen Alpen Illyrier auf, zu denen die Veneti, die Liburni und die Pannonii gehören. Im Norden der Alpen wird eine grössere Anzahl rhätischer, vinde- licischer und norischer Völkerschaften nach den auf einem Trophaeum des August (Zeuss 239) erhaltenen Namen unterschieden. Es besteht indess kein Zweifel, dass sie sämmtlich keltischen Ursprunges waren. V. 7. Die alpinen und die romanischen Einzelhöfe und Weiler. 44? Je nach der freieren oder bedrängteren Lage, in der diese Stämme einwanderten, und je nach der Beschaffenheit der Thäler, in denen sie vorzudringen vermochten, konnten sie sieh in ihrer Eigenart fester erhalten oder unterlagen mächtigeren Nachharn. Die Herr- schaft der Römer brachte steigenden Verkehr und machte für den- selben die Kenntniss der lateinischen Sprache nothwendig. Die Brennerstrasse wurde zum Haupthandelsweg, der von Veldidena hei Innsbruck über Partenkirchen nach Vindelicien ging, aber auch den Inn abwärts zur Salzach und in die Salzwerke von Reichenhall und Hallein führte. Die Gebirge in der Umgegend von Salzburg waren wegen des Salzes für die Römer ebenso wichtig, wie die des süd- lichen Steiermark an der mittlen Mur wegen des Eisens. Die römische Verwaltung führte als Beamte, als Truppen und als Sklaven sehr verschiedene Volkselemente, namentlich auch Deutsche herbei. Nach der Schlacht bei Naissns 290 n. Chr. sollen Aurelian und Claudius Tausende gefangener Gothen in den Alpen als Kolonen angesiedelt haben. Noch in später Kaiserzeit, bis Odoacer und Theodorich, blieben hier Strassen offen und Stationen besetzt, deren Namen in Nona, Mar zoll, Hallein (Alauni), Cucella u. a. erhalten sind. Die Völkerwanderung mit ihren weiten Verwüstungen, schnellen Besitznahmen und plötzlichen Räumungen ganzer Gebiete brachte neue Flüchtlinge und neue Mischung der Bevölkerungen. Deshalb ist erklärlich, dass sich die Spuren der einzelnen Völkerschaften des Alpengebietes, wo sie sich nicht in sehr abgelegenen und schwer zugänglichen Hochthälern abgeschlossen hatten, mehr und mehr ver- wischten und bei dem Ueberwiegen der italischen Kultur eine romanische oder ladinische Volksmasse entstand, welche sich den Deutschen gegenüber als eine ältere, mit der Sprache auch den römischen Sitten und Erinnerungen zugewandte, gleichartige Natio- nalität fühlte. Sie wusste sich noch unter römischer Herrschaft und stand den Deutschen zugleich als die ansässige und als die christ- liche Bevölkerung des Weltreiches gegenüber. Die Folge war, dass die Romanen als Besiegte und Unterworfene behandelt wurden, und dass es von den sich geltend machenden Bedürfnissen und Auffassun- gen abhing, ob die Führer der Deutschen sie vertrieben und das Land ihren Schaaren in volksthümlicher Weise zur Besitznahme und Vertheilung überliessen, oder ob sie die Erhaltung der vorgefundenen Landbevölkerung in ihrem Besitze unter Verpflichtung zu gewissen üblichen Zinsungen und Leistungen für zweckmässig und angänglich erachteten. — 448 V. ?• Die alpinen und die romanischen Einzelhöfe und Weiler. Die Erhaltung der romanischen Landbevölkerung hat, wie sich crgiebt, im Gebiete der alpinen Einzelhöfe in verhältnissmässig sehr grosser Ausdehnung stattgefunden. Sie ist, wie es seheint, mit ihren vorher schon zins- und dienstpflichtigen Höfen von den neuen Macht- habern ziemlieh unverändert übernommen worden. Das Bistimm Chur, die grosse, geschlossene, romanische Sprachinsel, welche immer zu Alemannien gerechnet wurde, ist bis auf unsere Zeit gekommen. Ebenso haben in Tyrol die Ladinei in den Hochthälern von Grö- den, Fassa, Enneberg, Buchenstein und Ampezzo und ähnlich in Teufers und im Münsterthal ihre Sprache wenigstens bis in das laufende Jahrhundert erhalten. Ihren Besitz haben sie seit unvor- denklicher Zeit inne, und es ist das Wahrscheinlichste, dass sie mehr und mehr in diesen Hochthälern und Berghängen zusammengedrängt wurden und ihre Ansiedelungen allmählich auch auf die zum Theil recht ungünstigen Lagen ausgedehnt haben. Es spricht nichts dafür, dass sie dieselben irgendwo etwa vorher schon im Besitz befindlichen Kelten abgenommen hätten. Aber je grösseren Schwierigkeiten des Terrains ihre Kolonisation begegnete und je verschiedeneren Zeiten sie angehören kann, desto weniger lässt sich in ihr ein nationaler, in ihrer früheren Heimath entwickelter Typus der Anlage und Ein- richtung erwarten. Es ist nicht zu verkennen, dass namentlich die Romanen des Rheinthaies, die bei ihrer sehr geringen Volkszahl vielfach von volksmässig angesiedelten Deutschen durchsetzt wurden, und ihren Haupterwerb der Berührung mit dem Fremdenverkehr über ihre Pässe verdankten, in Sitten und Einrichtungen wesentlich von der alemannischen Schweiz beeinflusst worden sind. Landwirtschaft- lich bedingen die Hochalpen das allgemeine Vorherrschen des Sennerei- betriebes. Die grösseren geschlossenen Dörfer in dem ausgedehnten Gebiete von Obersaxen und Langenburg sind den Sachsen und den Alemannen zuzuschreiben. Ausschliesslich in Einzelhöfen, die von ihrem zugehörigen Lande ohne Vermengung mit dem Nachbarbesitz umgeben sind, haben sich die im lo. und 14. Jahrhundert von den Herren von Vaz, den Grafen v. Werdenberg, Sargans und Vaduz und anderen Grundherren herangezogenen bürgundischen Walliser ange- siedelt.1) Sie sind nach Davos, und nach dem Praetigau, in Flins, in Langwies, Mutten und Stürwies, in grosser Zahl auch auf den Triesenerberg, in das grosse Walserthal und Silberthal, sowie an den Valser Rhein aufgenommen worden. Im Allgemeinen herrschen jedoch ') Die Alpwirthschaft im Fürstenthum Lichtenstein, ihre Anfänge, Entwickelung und gegenwärtiger Bestand von Dr. v. Klenze, 1879. V. 7. Die alpinen lind die romanischen Einzelhöfe und Weiler. 449 in Graubünden die kleinen, nachbarlich zusammenliegenden Weiler vor, und ea darf für die Ortslage wie für Feldeintheilung und Almend- verhältnisse derselben Hinter-Dux auch hier als ein charakteristisches Bild der altherkömmlichen Besiedelung gelten. Von einem Einflüsse der Römer auf die landwirthschaftliche Kultur sind keinerlei Spuren zu bemerken. — Dagegen reichen im südöstlichen Bayern Erinnerungen an die frühere römische Bewirtschaftung mit einiger Bestimmtheit weit in die ebeneren Landstriche hinein und gehen zugleich bis in späte Zeit. Entscheidenden Anhaltspunkt bietet hierfür die durch die er- haltenen Urkunden und Register der Salzburger Kirche1) feststehende Thatsache, dass allein die Agilolfinger derselben noch 324 Höfe ehe- mals römischer Provinzialen durch Schenkung zu überweisen ver- mochten. Diese Zahl setzt noch für das 7. und 8. Jahrhundert eine so weite Verbreitung der bäuerlichen romanischen Bevölkerung voraus, dass derselben mindestens diejenigen Ortschaften mit Sicherheit zu- geschrieben werden dürfen, welche durch ihren Namen eine romanische oder Avelsche Bevölkerung bekunden. Da das Wort welsch, wale, hochdeutsch walh, mittelhochdeutsch walch, das aus Gallus hervor- gegangen sein soll, erst im deutschen Munde entstanden ist, bezeugen diese Namen um so sicherer, dass in diesen Orten noch zur Zeit der festbegründeten deutschen Herrschaft eine von den Deutschen be- stimmt unterschiedene romanische Bevölkerung bestand. Eine dieser Ortschaften ist Wal lg au an der oberen Isar, 1 Meile südlich vom Walchensee. Es wird als Walhogoi, als Dorf der Wahlen, schon 795 genannt (Meichelbeck No. 12). Die Anlage 62 giebt das Bild der Flur wieder. Es kann beim ersten Anblick überraschen. Denn es scheint, als seien die quadratischen Centimen der Römer und die limites als Wege ziemlich deutlich in demselben ausgesprochen. Wenn man aber die Flächen nachrechnet, ergiebt sich, dass jedes dieser allerdings nahe übereinstimmend grossen, wenn auch nicht ganz ge- ordnet' aneinanderstossenden Quadrate nicht mehr als 5 ha oder etwa 20 jugera Flächeninhalt hat. Es kann also von einer Centurien- auftheilung nicht die Rede sein, denn diese kleinen Quadrate könnten nur Untertheile von Centurien sein. Für eine Centurie lassen sich aber weder limites erkennen, noch ist die Fläche für sie vorhanden. Noch weniger lässt sich an eine ganze pertica denken. Letzterer ') Indiculus Arnonis und Breves Notitiae Salzburgenses ed. Fr. Keinz, München 1869. — H. Peetz, die Chiemseeklöster, Stuttgart 1879, S. 8. — L. Steub, die Walchen- dörfer im östlichen Bayern, Kleine Schriften III, 156. Meitzen, Siedelung etc. L 29 450 V. 7. Die alpinen und die romanischen Einzelhöfe und Weiler. Umstand steht auch der Auffassung als assignirter ager scamnatus entgegen. Ebensowenig aber zeigt die Flur Einzelhöfe, sie ist viel- mehr durchaus nach dem allgemeinen Charakter der bayerischen Weiler eingetheilt. So ähnlich die Theilung einer nach Gewannen erfolgten scheint, so ist doch nirgend ein Gewann zu finden. Einige Stellen, wie z. B. 1, 5 und 6, ferner 31 und 32, auch vielleicht 24, 27 und 29 werden anfänglich zusammengehört haben und erst später getheilt worden sein. Im Ganzen liegt der Besitz der einzelnen Stellen nicht im Gemenge, sondern ist nach bestimmten Pachtungen und in ganz ungleichen Stücken ausgetheilt. Eine deutsche volksmässige, genossenschaftliche Vertheilung könnte also nicht in Frage kommen, auch wenn der Ursprung der Bewohner als unterworfener Romanen sie nicht von selbst ausschlösse. Ein anderes solches Dorf ist Traunwalchen, IV2 Meile NO. vom Chiemsee. Es wird in den Breves notitiae um 800 erwähnt, dass an Salzburg in pago Trunwalha, qui dicuntur Romani tributales LXXX geschenkt worden seien. Hier aber lässt sich nach Anlage 63 die erfolgte Neutheilung des Landes in keiner Weise bezweifeln, denn sie ist, obwohl die Bauern romanische Hörige waren, ganz in der Weise einer Gewanneintheilung ausgeführt. Als ein alter romanischer Einzelhof ist der Weiler Walchenberg (Anlage 64) zu betrachten, obwohl er zu irgend einer späteren Zeit gewannähnlich unter mehrere Besitzer parzellirt worden ist. Dass es sich bei dieser Auftheilung in der That nur um eine Parzellirung im Sinne des Mittelalters handelte, davon überzeugt man sich leicht durch die Vergleichung der benachbarten Höfe Arie ting und Seh mi ding, welche ebenso wie Walchenberg nur in je 2 Besitzungen getheilt sind und durch ihre deutschen patronymischen Bezeichnungen deutlich bekunden, dass sie Höfe eines Arie und eines Schmid waren, welche auf spätere Nachkommen getheilt übergegangen sind. Die Theilung ist auf jedem dieser drei Höfe gleichmässig in der Art erfolgt, dass die Besitzer zur Hälfte theilten, aber nicht lediglich in jedem der drei Felder jede Besitzung die Hälfte als ihren verhältnissmässigen Antheil in einem Stück erhielt. Vielmehr wurde jedes der Felder zunächst noch nach Lage und Güte des Bodens in Abschnitte zer- legt. Dann ist, wie anzunehmen, um jede Ungleichheit möglichst zu ver- meiden und um auch die Schäden zu vertheilen, welche durch Hagel, Frost, Sturm oder Schneelager eine Feldlage vorzugsweise treffen können, jeder dieser Abschnitte wieder in kleine streifenförmige Be- sitzstücke zerschnitten worden, und erst diese sind stets abwechselnd den V. 7. Die alpinen und die romanischen Einzelhöfe und Weiler. 451 beiden Bauerstellen überwiesen. Darin zeigt sich die bewusste Konse- quenz der alt herkömmlichen, o. S. 85 u. 103 dargestellten deutschen Ge- wannmessimg. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass diese Thei- lung erst in deutscher Zeit erfolgte, und dass wir in Walchenberg, von der Theilung abgesehen, einen der 324 romanischen Höfe, wie sie zur Zeit der Agilolfinger bestanden, vor uns haben. Die beiden Be- sitzungen in Walchenberg umfassen zusammen 130 Tagewerk 157 □ Ruthen, oder 45,2 ha, d. h. ungefähr 181 jugera. Arleting ent- hält 54,2 ha, Schmiding 50,1 ha. Ihre Grösse stimmt also ungefähr mit 200 jugera überein, welche von Siculus Flaccus (o. S. 255) als das grösste, zur eigenen bäuerlichen Bewirthschaftung geeignete Maass bezeichnet werden. Vergleicht man damit die Grösse der oben als Beispiele auf- geführten alemannischen und bajuvarischen gutsherrlichen Weiler, so enthält Nehmetsweiler 125,7 ha, Bischmannshausen 320,1, Eiselau 264,1, Pettenbrunn 336,6, Kreuz-Pullach 227,1, Oeden-Pullach 190,8, Loifering 118,0 ha. Auch die 3 Göttinger Höfe haben mit 193,9, 80,6 und 113,2 ha noch ein erheblich grösseres Maass. Dagegen dürfte nicht ausgeschlossen sein, dass die IV2 Meil. östlich von Salzburg, der alten Juvavia, am Brunnbach belegenen Höfe von Anger (Anlage 65) ebenfalls zu den aus römischer Zeit erhaltenen romanischen Zinshöfen gehören. Von ihnen besitzen der Lonbauer und die beiden Pichelbauer zusammen 41,2 ha, die beiden Höfer zusammen 20,2, die beiden Wichlehn 21,0 ha Fläche. Der zwischen den ausgeprägt germanischen Bajuvaren in der Um- gegend von Salzburg hier und da auftretende fremdartige Menschen- schlag ist nicht unbekannt. Hoher graziöser Wuchs bei kleinem wohlgeformten Kopf und dunklen sprechenden Augen zeichnet ihn aus. Namentlich wird derselbe in der Gegend die Salzach aufwärts, der auch Anger angehört, gefunden, insbesondere aber glaubt man in den Orten Hallein, Kücheln und Colling nach Körperbildung und Gebräuchen in der Mehrzahl der Bewohner noch Romanen zu er- kennen. Es ist auch zu beachten, dass noch bis zum Attersee die Namen Strasswalchen, Reitwalchen und Seewalchen weiter leiten. — Solche Erinnerungen in Grundbesitz und Bevölkerung lassen anscheinend erwarten, dass in diesen Gegenden auch Reste römischer Bauten aufgefunden worden seien. Derartige Reste sind in den städtischen Orten wie Veldidena, Juvavia, Virunum, Celeja nicht selten, ebenso sind Römerstrassen und Meilensteine über die Alpen, wie über die Thäler und Ebenen des Vorlandes verbreitet. Aber 29* 452 V. 7. Die alpinen und die romanischen Einzelhöfe und Weiler. Spuren von landwirtschaftlichen Gebäuden, etwa wie um Friedberg und Münchingen, sind auf dem grossen alpinen und ostbayerischen Weilergebiete nirgends entdeckt. Dass alle Gebäude auf den zahl- reichen romanischen Höfen, welche zweifellos von Stein und Mauer- werk errichtet waren, völlig zerstört worden sein sollten, ist bei dem noch im 8. Jahrhunderte bekundeten Fortbestande dieser Wirth- scbaftsbetriebe schlechterdings nicht anzunehmen. Der Mangel bau- licher Reste im Boden, und die nahe Verwandtschaft des in Tyrol Fig. 51. Häuser zu Wörgl in Tyrol. und Südbayern vorherrschenden Haustypus mit dem norditalienischen, führt vielmehr zu der Vermuthung, dass zwar nicht die eigentlich römische bäuerliche Villa, wie sie im Decumatenlande mit Grund sich denken lässt, wohl aber das alte keltorömiscbe Haus und Gehöft in Rhätien und Noricum dem noch heut in Niederbayern und Tyrol überwiegenden Hause nahe entsprochen, und letzteres sich auf der Grundlage des ersteren entwickelt habe. Da sich hier die Bajuvaren erst fast zwei Jahrhunderte später festsetzten, als die Alemannen im Westen, ist wohl denkbar, dass von ihnen damals die Trümmer der V. 8. Die Besitz- und Wirthschafts -Verhältnisse. 453 römischen Ansiedelungen schon nicht mehr als so völlig unheimlich und unverwendbar verworfen worden seien, wie von den Alemannen grund- sätzlich geschehen ist. Die Bajüvaren dürften vielmehr die alten Grund- mauern benutzt und sich in denselben häuslich niedergelassen haben. Die Frage, wie sich der Typus des grössten Theiles der nieder- bayerischen und alpinen Häuser zu dem mitteldeutschen des frän- kischen und alemannischen Hauses verhält, ist in Anlage 66 im weiteren Zusammenhange eingehend behandelt. Den schweren, mas- siven, kubischen Bau der alpinen Gebäude, welche in mehreren Stock- werken zahlreiche, für den Wirthschaftsbetrieb kaum verwendbare Gelasse darbieten, soll hier nur, im Gegensatz zu dem Bilde der Bau- lichkeiten in Hinter-Dux, Fig. 51 aus Wörgl anschaulich machen. Wörgl ist ein unzweifelhaft römischer Ort an der Gabelung der Inn- und Salzachstrasse, in dessen Namen furcula noch erhalten ist. Solche Häuser herrschen auf den südlichen Alpen von Genf bis Lai- bach fast ausschliesslich vor, sind in der alemannischen Schweiz und im Algäu sehr selten, verbreiten sich dagegen rechts des Lech, nur hier und da abwechselnd mit der alemannischen Bauweise und in Misch- formen mit derselben, bis zu einer Linie, die sich vom Klosterthal an der Ammer nach Dachau und weiter über Straubing nach Cham zum Böhmerwalde ziehen lässt. Diesem folgt sie östlich zur Donau nach dem Salzburgischen und schliesst dann über Kärnthen wieder an Italien an. Die Volksmeinung führt diesen Hausbau, wie erwähnt, durch die Bezeichnung Heidenhäuser nicht eigentlich auf Italien, sondern ausdrücklich auf die Kömer zurück, obwohl deren Besitzer offenbar früher christlich als die der deutschen Häuser waren. Vielleicht vermöchten nähere Untersuchungen den römischen Charakter des Mauerwerkes in manchen Hausfundamenten noch nachzuweisen. 8. Die Besitz- und Wirthschafts -Verhältnisse. Die Formen der Besiedelung haben gezeigt, dass Oberdeutschland auf ausgedehnten Gebieten volksmässig angelegte genossenschaftliche Dörfer besitzt, die den Gewannfiuren des alten Volkslandes völlig ent- sprechen. Zwischen diesen Gebieten sind mehrere nicht unbeträcht- liche Landstriche verbreitet, deren Ortschaften sich als grundherrlich angelegte Weiler und Dörfer mit blockförmig vertheilten Fluren er- kennen lassen. Endlich werden die Alpen und die südöstlichen Ab- schnitte Oberbayerns fast ausschliesslich von alpinen und romanischen Einzelnhöfen und Weilern eingenommen. ^54 V. 8. r>ie Besitz- und "Wirthschafts -Verhältnisse. Diesen Verschiedenheiten entsprechen auch die Besitz- und Wirth- schaftBverhältnisse, die aus älterer Zeit bekannt sind. Urkundliche Ueberlieferungen führen auf den oberdeutschen Gebieten nicht weiter, als in die Zeit der Aufzeichnung der Volks- gesetze zurück. Die lex Alamannorum entstand um 717 — 719 unter Herzog Landfrid nur zum geringen Theil aus dem älterem Recht der Pactus, und obwohl die lex Bajuvariorum sich auf Theuderich und auf Chlotar und Dagobert beruft, ist sie doch jünger als die lex Alamannorum, etwa 743 — 749, zu setzen, ja es gehen Zusätze und Emendationen bis in die Karolingische Zeit herab.1) Damit fallen schon die Urkunden des 8. und 9. Jahrhunderts für Lorsch,2) Weissen- burg3) und St. Gallen4) in Alemannien, und für Regensburg,5) Frey- sing6) und Salzburg7) in Bayern nahe zusammen. Für die genossenschaftlichen Dörfer sind die Andeutungen allerdings sehr geringfügig. Indess geht doch aus ihnen hervor, dass das Bewusstsein der genossenschaftlichen Besitznahme noch nicht erloschen, ja vielleicht in weiter Verbreitung noch lebendig war. Die wichtigste Stelle ist Tit. 80 der lexAlamann.8): »Si qua contentio orta fuerit inter duas genealogias de termino terrae eorum et unus dicit: hie est noster terminus, alius revadit in alium locum et dicit: hie est noster terminus, ibi presens sit comis de plebe illa et ponat signum ubi iste voluerit, et ubi ille alius voluerit terminum, et girent ipsam contentionem. Auf das Verfahren kommt es nicht an, es heisst : (genealogiae) spondeant inter se pugnam duorum, und je nach dem Ausgange fällt das streitige Stück der einen zu. Die Bedeutung liegt darin, dass die Besitzer der Dorfflur eine genealogia genannt werden, was ganz der der Fagana in Vagen (o. S. 430) entsprechen würde. Die verschiedenen Fluren gehören im Wesentlichen je einem Geschlechte, wobei die Betheiligung von Liti und Hörigen nicht ausgeschlossen ist. Das vicinium der Flur kommt im Tit. XLV, c. 2 der lex Alaman. (cod. Carl.) vor: Si in campo, ubi prius pugna orta fuerit, ibi restant super mortuum suum, et non sunt secuti in domum et postea mit- tunt in vicinio et congregant pares et pausant arma sua etc., ebenso ') H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I, 1887, S. 311, 318. 2) Cod. dipl. abbatiae Laurishamensis ed. Lamey, 1768. 3) Traditiones possessionesque Wizemburgenses ed. Zeuss, 1 842. 4) Urkundenbuch der Abtei St. Gallen ( — 1360) ed. Wartmann, 1863—82. 5) Ried, Cod. diplomatic. episcopat. Ratisbonens. 1816 — 17. 6) Meichelbeck, Historiae Frisingensis III, 1724 — 29. 7) Indiculu.s Arnonis und breves notitiae Salzburgenses ed. Kainz, 1869, 8) Monum. Germ. LL sect. II, tom. V. 1 (nach cod. Lantfr.). V. 8. Die Besitz- und Wirthschafts -Verhältnisse. 455 in der lex I Bajuv. Tit. X, e. 22, 23 : Wer einen Brunnen vergiftet oder verunreinigt, stelle ihn her und zahle 6 sol. Busse. Si autem pluri- morum in vicinio puteus fuerit, compositione inter se multentur. Vicini werden von demselben Gesetze Tit. XII, c. 3 erwähnt, wo ein ausgeackerter Grenzstein vicinis praesentibus wieder restituirt werden soll. Die populäres leges Tassilonis von 774 e. III (Mon. G. LL. III, p. 464) bestimmen : Wer ein Haus untergräbt, oder dessen Dach ab- deckt, oder als Dieb befunden und dabei getödtet wird, bleibt ohne compositio, sed homicida tarnen ea tria genera homicidiorum debita signa vicinis suis et his qui adsistunt, insignet; Append. IV, c. 2 (Ebd. p. 337) sagt: De his qui propriam alodem vendunt vel quascunque res, et ab emptore alter abstrahere voluerit et sibi sociare in Patrimonium, tunc dicat emptor ad venditorem: terram aut quas- cunque fuerit res, abstrahere mihi vult vicinus meus. Schon in letzterer Stelle fällt auf, dass nur an einen vicinus und seine antecessores, ohne Berufung auf die vicinitas gedacht ist. Auch nach den übrigen Vorschriften aber wäre die Annahme eines an der Flur bestehenden gemeinschaftlichen Besitzes, oder auch nur gegen- seitiger Anrechte der vicini an den Besitzungen, oder des Rückfalls- rechtes an besitzlos gewordener Ländereien durch keine Andeutung gerechtfertigt. Dreimal kommen zwar auch commarcani vor, Tit. XII, c. 8, XVII, 2 und Tit. XXII, c. 11. Die Stellen erwähnen aber nur, dass erworbenes Privateigenthum zwischen zweien streitig ist. Ueberall, soweit es sich nicht um Schenkungen des Princeps an die ihm zu besonderer Treue Verpflichteten handelt, ist lediglich von unbeschränktem Privateigenthum die Rede. Dasselbe kann durch eine Urkunde oder vor Zeugen nach dem Alemannischen Gesetz jeder- zeit, nach dem Bajuvarischen, sobald die Abfindung der Söhne statt- gefunden hat (Tit. I, c. 1), unanfechtbar veräussert oder verschenkt werden. Die Söhne theilen das Erbe des Vaters. Sind keine Söhne vorhanden, so erbt nach dem Alemannischen Gesetz die Tochter auch die Grundstücke. Ob in Bayern dasselbe gilt, ist nicht ausgesprochen. Wohl aber sagt hier Tit. XV, c. 10: Quod si maritus et mulier sine herede mortui fuerint et nullus usque ad septimum gradum de pro- pinquis et quibuscunque parentibus invenitur, tunc illas res (omnes facultates) fiscus adquirat. Hier fehlt also ebenfalls jede Spur des Anrechts der vicini. Die Heerbanns -Verordnungen Karls d. Gr. (s. o. S. 72) genügen auch für Schwaben und Bayern zu erweisen, wie gross und allgemein verbreitet die Zahl der freien Hufenbesitzer gewesen sein muss. Auch 456 V. 8. Die Besitz- und Wirthschafts -Verhältnisse. gelten für Oberdeutschland alle die Bemerkungen über Hufen, ihre Theilung und ihre Bezeichnung nach Morgen, welche o. S. 107 ff. für das Volksland auf Grund der Fuldischen und Corveyischen Tra- ditionen gemacht worden sind. Die Volksgesetze aber haben offenbar wenig Veranlassung, sich mit den Beziehungen des Grundbesitzes in den Gewanndörfern näher zu beschäftigen. — Dagegen sind die Verhältnisse des grundherrlichen Besitzes in einer sehr grossen Zahl von Bestimmungen zum Ausdruck gebracht. Vor allem zeigt sich, dass der Herzog über viele Ländereien, sei es als solcher, sei es als Fiskus verfügt. Der Begriff des Volks- landes ist nirgend auch nur angedeutet. Da, wie erwähnt, unbeerbtes Land dem Fiskus als herrenlos anheimfällt, ist zu schliessen, dass überhaupt alles herrenlose Land ihm zusteht. Die Dekrete Tassilos sagen c. 8 (a. a. 0. p. 460) : De eo, quod pa- rentes principis quodcunque praestatum fuisset nobilibus intra Baju- varios, hoc constituit, ut permaneret, et esset sub potestate uniuscujus- que relinquendum posteris, quamdiu stabiles foedere servassent apud principem ad serviendum sibi, et haec firma permanerent: ita constituit. Es waren also an Vornehme und Lehnsleute erhebliche Güter vergeben. Wie ausgedehnt der herzogliche Grundbesitz grade in dem Theile Bayerns, welcher vorzugsweise von Weilern und Höfen eingenommen ist, gewesen sein muss, ergiebt die Zusammenstellung, welche v. Inama1) über die der Zeit von 690 — 788 angehörigen Schenkungen an das Bisthum Salzburg gemacht hat. Die Herzöge überliessen dem selben allein im Salzburggau 1 Stadt, 1 Burg, 4 Dörfer, 3 Kirchen 6 Herrenhöfe, 501 Hufen mit Kolonen und ausserdem 117 Kolonen in den benachbarten Gauen aber 4 Dörfer, 4 Herrenhöfe, 114 Zins höfe, 227 Hufen mit Kolonen und 10 Kolonen, dazu Weinberge Alpen und Wälder, im Pongau allein 3 Milliaria Forst. Dazu kamen in derselben Zeit aus diesen Gauen an herzoglichen Benefizien 160 Güter, an Gütern der Ortskirchen 122 Hufen und an Eigengütern der Freien 346. Die Erwerbungen, welche die Kirche durch Eigengabe der Freien an deren Gütern machte, können sehr ausgedehnt gewesen sein. Beide Volksgesetze sichern ausführlich die Möglichkeit solcher Hingabe und beseitigen bei formal richtigem Verfahren jeden Anspruch der Erben. Da es Sitte war, diese liberi ecclesiae oder coloni ecclesiae wenigstens auf Lebenszeit im Besitz ihrer Güter zu belassen , trat ') Deutsche "Wirtschaftsgeschichte, Bd. I, S. 497. V. 8. Die Besitz- und Wirthschafts -Verhältnisse. 457 dadurch kaum eine Veränderung in der Abgrenzung der Grundstücke ein. Es bestanden aber auch andere coloni, lidi, servi und mancipia, welchen Land gegen Zins und Leistungen übergeben war. Die von v.Inama (I, 500) sorgfältig zusammengestellten Angaben über den Besitz der grossen Stifter in jener Zeit lassen nach dem Wortlaut der Ur- kunden allerdings vielfach Zweifel , ob die aufgeführten Aecker und Leute neben den angegebenen Hufen vorhanden sind, oder deren Bestand bilden. Indess besitzt Lorsch (No. 3066) eine terra indomini- cata cum 1 manso, 15 mansi und 36 lidi, servi oder mancipia; (No. 3272) mansum indominicat. c. casa, 12 mansi, 2 petias silvae und 20 Leute; (No. 3167) mans. 1 indom., 6 mansi und 10 Leute; (No. 2862) basilicam, 1 curt. indom., 4 mansi, 14 hubae und 7 Leute. Ebenso ist Freysing (562) im Besitz von 120 jugera Acker und 180 carr. Wiese selilant bei 6 Hufen, 1 Walde und 31 Leuten; (No. 126) von einer curtis mit Haus und 3 Speichern, von 3 Kolonistenhufen und von 19 Leuten, 9 mancipia infra domum unter 5 Hufen; sowie (No. 206) von 1 curtis mit 9 Hufen und 52 Leuten. Diese und ähn- liche Beispiele können nicht anders gedacht werden, als dass von Herrenhöfen Land, in ganzen oder Bruchtheilen von Hufen, an Leute zur Bewirthschaftung ausgegeben ist. In der lex Alaman. Lantfr. Tit. 23, c. 1 ist auch ausdrücklich auf die coloni regis hingewiesen. Es heisst in diesen der älteren Zeit zugeschriebenen Bestimmungen: Liberi autem ecclesiastici , quos co- lonos vocant, omnes sicut et coloni Regis ita reddant ad Ecclesiam. Im Unterschied von diesen Kolonen setzt Tit. 22 für die servi Ecclesiae fest: Tributa sua legitime reddant, quindeeim siclas de cervisa, porcum valentem tremisse uno, panem modia duo, pullos quinque, ova viginti. Ancillae autem opera imposita sine neglecto faciant. Servi dimidium sibi, dimidium in dominico arativum reddant. Et si super haec est, sicut servi ecclesiastici ita faciant tres dies sibi, et tres in dominico. Hier zeigen sich also auch die servi mit Land beliehen, und es wird zwischen servi ecclesiastici und anderen servi der Kirche im Ackerdienst auf herrschaftlichem Lande kein Unter- schied gemacht. Die lex I Bajuv. I, 13 (p. 278) giebt aber über diese Kolonen der Kirche ganz ausführliche, anscheinend den ersten Pipiniden ange- hörige Vorschriften, welche zugleich ein überzeugendes Bild von der Gesammtlage der abhängigen bäuerlichen Bevölkerung und von dem Wirthschaftsbetriebe selbst erschliessen , wenn auch einzelne Bestim- mungen in Ausdruck und Textkritik zweifelhaft bleiben, »De colonis 458 V. 8. Die Besitz- und Wirthschafts -Verhältnisse. vel servis Ecclesiae qualiter serviant, vel quäle tributa reddant: Hoc est agrario, secundum estiniationem judicis, provideat hoc judex, secundum quod habet, donet. De triginta modus tres doiiet et pas- cuario dissolvat secundum usum provinciae. Andecenas legitimas, hoc est, pertica decem pedes habentem, quatuor perticas in trans- verso, quadraginta in longo arare, Seminare, claudere, colligere, trahere et recondere. A tremisse (s. h. Dreikorn) unusquisque accola ad duo modia sationis excollegere, Seminare, colligere et recondere debent; et vineas plantare, fodere, propaginare, praecidere, vindemiare. Red- dant fasce de lino, de apibus 10 vasa, pullos quatuor, ova quindecim reddant. Parafretos donent, aut ipsi vadant, ubi eis injunctum fuerit. Angarias cum carra faciant usque quinquaginta lewas, amplius non minentur. Ad casas dominicas stabilire, fenile, granica, vel tunino recuperanda pedituras rationabiles accipiant; et quando necesse fuerit, omnino componant. Calce furno, ubi prope fuerit, ligna aut petras quinquaginta homines faciant, ubi longe fuerat, centum homines de- beant expetiri; et ad civitatem vel ad villam ubi necesse fuerit, ipsa calce trahantur. »Servi autem ecclesiae secundum possessionem suam reddant tributa. Opera vero tres dies in ebdomada in dominico operent, tres vero sibi faciant. Si vero dominus ejus clederit eis boves aut alias res quod habet, tantum serviant, quantum eis per possibilitatem im- positum fuerit; tarnen injuste neminem obpremas.« Diese Bestimmungen lassen erkennen, dass für die Kolonen ein gleichmässiger Besitz vorausgesetzt ist. Da der Kolon denselben nicht überall thatsächlich gleich erhalten haben kann, ist auch hier nur an die Hufe zu denken, die dann in Mehrheit oder Bruchtheilen be- sessen werden konnte. Ob die Lasten denen der früheren römischen Kolonen entsprechen, ist nicht im einzelnen festzustellen, der Ver- gleich mit den Kolonen des saltus Burunitanus (o. S. 363) und mit den sordida munera der römischen Provinzialen (o. S. 373) ergiebt aber unverkennbare Aehnlichkeit, sowie dass die Kirche, der Herzog und ebenso der sonstige Adel die ursprünglich dem Staate zustehenden Leistungen nunmehr allgemein als grundherrliche behandelten. Die Sklaven werden, wie in der lex Alamannorum, mit Grundbetitz beliehen vorausgesetzt, und es ist angenommen, dass sie, wie die Kolonen, eigenes Inventar besitzen, da ihre Dienste nur dann unbegrenzte werden sollen, wenn der Dominus ihnen auch das Inventar stellt. Tit. XVI, c. 6 und 7 zeigen auch, dass der servus peculium haben konnte, andererseits aber, dass es dem Herrn gehörte. — V. 8. Die Besitz- und Wirthschafts -Verhältnisse. 459 Einige andere Vorschriften der Gesetze ergänzen das Bild des Wirth Schafts betrieb es. In der Lex Alu in. Ldfr. tit. I, 7(> — 81 werden Hengste, Stntenheerden, marescalci über 12 Pferde, Kuhheerden von 12 und mehr, Schweine- heerden von 40, Schaf heerdea von 80 Stück erwähnt, in der L. I Baj. IX, 11 auch Glocken, welche den Pferden, Rindvieh und kleinem Vieh nicht gestohlen werden sollen. Die Gewährsmängel beim Vieh- kauf sind ebd. Tit. XVI, c. 9 klar behandelt. Der Diebstahl am Mühl- eisen ist 1. Alam. Tit. 96 und die Zerstörung der medela, wohl des Karren- rades, sowie des Pfluges und der Egge Tit. 92 unter Strafe gestellt. Vom Pfluge heisst es ebenda: si carruga involat aut rumpit de rotas de davante sie, ut diem opera tricet, solidos tres componat. Die lex I Bajuv. spricht schon in dem älteren auf Dagobert und das Westgothenrecht weisenden Theil besonders ausführlich über Grenzverletzungen und zeigt, dass im Gegensatz zum alten Volksgebiete, unverkennbar von der Römerzeit her, Ackerraine und Grenzsteine in weit verbreitetem Gebrauch standen. Tit. XII, c. 1 — 4 sagt de ter- minis ruptis: Si quis limites complanaverit aut terminos fixos fuerit ausus evellere, si ingenuus est, per singula signa vel notus vicinos cum sex solidis componat; si servus est, per singula signa quinquaginta flagella suseipiat. Si quis dum arat, vel plantat vineam, terminum casu non voluntate evellerit, vicinis praesentibus restituat terminum, et nulluni damnum patiatur. Quotienscunque de terminis fuerit orta contentio, signa quae antiquitus constituta sunt, oportet inquirere, id est, agere (aggerem) terrae, quem propter fines fundorum antiqui tunc apparuerint fuisset ingestum, lapides etiam, quas propter iudicium ter- minorum notis evidentibus sculptis vel constituerint esse defixos. Si haec signa defuerint, tunc in arboribus notas, quas decorvos vocant, convenit observare, si illas quae antiquitus probant incisae. Diese undeutschen Raine, lapides und notae sculptae waren offenbar nur durch die romanischen Höfe bekannt. Aber dass sich eine solche erkennbare Abgrenzung auf die gutsherrlich in unregel- mässigen Stücken ausgethanen Höfe und Weiler übertrug, ist erklärlich, weil ein Verfahren der Breitenmessung oder der Feststellung durch Lage- morgen, wie es für die Gewannfiuren (s. o. S. 90, 101) allgemein bestand, für diese unregelmässigen Austhuungen im Wesentlichen unanwendbar war. Merker oder Feldgeschworene werden indess auch in der lex Bajuv. Tit. XII, c. 4 und 5 erwähnt, ebenso dass gegen .Grenzverdunkelung keine Verjährung lief: Quodsi intra terminos alienos per absentiam aut per ignorantiam domini parteni aliquant forte possederit, statim 4h(> V. 8. Die Besitz- und Wkthschafts -Verhältnisse. eam, cum antiqui et evidente inspectoribus finis agnoscuntur, amittat domino reformante. Nee contra signa evidentia ulluni longae possesso- pis fcempua obponat, nisi conparavit de aliquo, tunc venditorem ostendat, et seeundum legem definiant. Nemo novum terminum sine consensu partis alterius aut sine inspectore constituat. Wenn Commarcani im Mangel aller Zeugen über ihre Eigen- tbumsgrenzen in Streit bleiben, soll ihr Kampf, wie in Alemannien entscheiden. Will aber Jemand auf dem streitigen Grenzlande bauen, und der Hof ist noch nicht umzäunt, wenn der Einspruch erfolgt, soll er vor Austrag des Streites nur das Recht haben, soweit sein Beil- wurf reicht den Zaun zu ziehen, c. 10: jactet securem quae saica valente contra meridiem, orientem, atque oeeidentem, a septemtrione ut umbra pertingit amplius non ponat sepem, nisi determinata fuerit contentio. Tit. XIII, c. 6 aber sagt bezüglich des einfachen Abpflügens: Si quis messem vel pratum alterius araverit usque ad tres in longo jugere vel in transversa sex sulcos cum tribus solidis componat. Et si negare voluerit, juret cum 1 sacramentale. Warnungszeichen zum Schutz von Grundstücken sind Tit. X, c. 10 — 18 durch Strafe gesichert, ebenso die öffentlichen Wege Tit. X, c. 19 — 21 im Sinne der Ausführungen o. S. 63 : Si quis via publica, ubi [Rex vel] Dux egreditur, vel via equale alieujus clauserit contra legem, cum 12 solidis componat, et illam sepem tollat, et si negare voluerit cum 12 sacramentales juret. De via convicinale vel pastorale qui eam alicui clauserit, cum sex solidis componat et aperiat, vel cum 6 sacramentales juret. De semita convicinale quis eam clauserit cum tribus solidis conponat, aut cum 1 sacramentale juret. — In welcher Weise Ackerbetrieb und Feldsystem der ältesten Zeit zu denken sind, und welche Erinnerungen daran noch bestehen, ist für die ältesten Zeiten des alten Volkslandes o. S. 66 ff. dargestellt. Es ist kein Zweifel, dass überall zuerst das schon bestehende kulti- virte oder wenigstens räume Land in Anspruch genommen wurde. Wo dies nicht ausreichte, mussten Rodungen stattfinden und für diese kommen auch in Oberdeutschland die unentwickelten Betriebs- arten der Brennkultur und der wilden Feldgraswirthschaft je nach Umständen zweckmässig zur Anwendung. Da die fruchtbareren und ebeneren Theile des Landes vorzugs- weise von den deutschen Gewannen bedeckt sind, zeigt sich, dass die herandrängende Volksmasse auf die Kultureinrichtungen der Römer und Kelten keine Rücksicht nahm. Das Land war auch wohl meist wüst geworden. Mit diesen volksthümlichen Gewannen V. 8. Die Besitz- und Wirthscliafts-Verhältnisse. 461 müssen sie auch eine auf denselben nothwendige Schlagwirthschaft eingerichtet haben, dafür ist zunächst ebenfalls an Feldgraswirth- schaftsbetrieb zu denken. Wo der einzelne Deutsche aber einen romanischen Hof über- wiesen erhielt, lernte er nothwendig dessen Betriebsweise kennen. Wie zerstörend und verwüstend man sich auch das Auftreten der Deutschen denken mag, erleichterter Unterhalt, vereinfachte Arbeit und bessere Werkzeuge werden nicht leicht völlig übersehen und übertragen sich schnell auch von Feind zu Feind. Zudem haben die Deutschen, wie Julians und Anderer Nachrichten ergeben (s. o. S. 401), zahlreiche römische Gefangene als Sklaven zurückbehalten, und die bis in die Karolingerzeit fortbestehenden romanischen Höfe beweisen, dass sie die bisherigen Anbauer sogar in nicht geringer Verbreitung als Sklaven oder Kolonen ihre Wirtschaften fortbestellen Hessen. Daraus lasst sich schliessen, dass in verhältnissmässig kurzer Zeit der nicht bloss bei den Römern, sondern, wie wir wissen, auch bei den Kelten (o. S. 227) bereits hoch entwickelte Landbau auch für die deutsche Ackerwirthschaft in gewisse Geltung gekommen ist. Das Gebirgsland ist indess überhaupt nur beschränkt zu höheren Kulturweisen benutzbar und bleibt in der Hauptmasse auch in der Gegenwart nur zu Wald, Weide und Gras geeignet. Da nun die Weiler und Höfe der vom Fürsten mit Land beliehenen Herren überwiegend auf solchem ungünstigerem oder unkultivirtem Boden gegründet zu sein scheinen, mussten hier auch von deren Leuten einfachere Be- triebsarten angewendet werden. Brennkultur und wilde Feldgras- wirthschaft sind daher noch lange und selbst bis auf unsere Zeit in den oberdeutschen Gebirgen bekannt geblieben. Daraus aber sind keine Schlüsse auf eine lange Periode solchen untergeordneten Anbaues in den breiten, fruchtbaren Ebenen und Thälern zu ziehen. — Ebensowenig lässt sich für diese besseren Gegenden ohne Weiteres die Dreifelderwirthschaft voraussetzen. Sie war jedoch in Ober- deutschland schon früh weit verbreitet und konnte auch gute Erfolge haben, weil die dortigen Gegenden meist ein gutes Wiesenverhältniss besitzen und ziemlich graswüchsig sind. Die ältesten Angaben über ihr Bestehen auf deutschem Boden kommen aus Oberdeutschland1), aber erst aus dem Jahre 771. Der Cod. Lauresh. (n. 662) sagt: Unum mansum de terra araturia, 27 *) Joh. Meyer, Die 3 Zeigen (Progr. der Thurgauischen Kantonsschule 1879/80, Frauenfeld 1880), S. 10. 462 V 8. Die Besitz- und AVirthschafts -Verhältnisse. rarnales in tribns loci* sitos. Gleichzeitig werden auch die Zeigen als singulae araturae, culturae, auch locus, satio, sicio, plaga, campus, ager, so bezeichnet, dass dies nicht missverstanden werden kann. Der Grund ihrer weiten Verbreitung aber muss gleichwohl mehr in den grundherrlichen und geistlichen Zinsen und Zehnten, als im eigenem Bedarf der Wirthschaften gesehen werden. Für die Schweiz ist bekannt, dass sich mit den Befreiungskämpfen des 14. Jahrhunderts unmittelbar eine ausgedehnte Verringerung des Getreidebaues ver- knüpfte. Die Zinsungen an Grundherren und Stiftungen wurden theils aufgehoben, theils zur Abfindung gebracht, und die frei- gewordenen immer mehr durch den Söldnerdienst beschäftigten Grund- besitzer legten die Aecker in Grasland um und trieben Vieh- und Sennwirthschaft, die auch ohne ihre Anwesenheit fortgestellt werden konnte.1) Eine ähnliche Umwandlung trat, wie S. 428 erwähnt ist, im Beginn des 16. Jahrh. im Hochstift Kempten ein und verbreitete sich mehr und mehr über den gesammten schwäbischen Landabschnitt zwischen dem oberen Lech und dem Schüssen. Das konsequente Zerschlagen der bis dahin geschlossenen Dörfer, wie sie das Beispiel von Aulwangen (Anlage 46) erläutert, hatte wesentlich seinen Grund in der Absicht, an die Stelle der unter Flurzwang betriebenen Drei- felderwirthschaft die den Alpengegenden vorzugsweise angemessene Gras- und Weidewirthschaft zu setzen, und diese auf den um die neu geschaffenen Einödhöfe eng geschlossenen Grundstücken unter mög- lichst günstigen Umständen frei behandeln zu können. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass in der Region der Weiler und Einzelhöfe des südlichen Bayerns und Tyrols, wo die zerstückelte Gemenglage weniger durchgeführt war, die heutige regelmässige Gras- wirthschaft unmittelbar aus dem älteren, ungeordneteren Feldgras- betriebe hervorgegangen ist. Gegenwärtig besteht die verbesserte Feldgraswirthschaft, wie Hanssen dargethan hat2), im Innern Tyrols im Pusterthal und Unterinnthal, in den Vorbergen dagegen fast all- gemein im Salzburgischen, um Berchtesgaden , Reichenhall, Inzell, Traunstein, Prien, Miesbach, Benedictbeuren , Murnau, Füssen und weiter im Allgäu, Wangen, Leutkirch und im Ravensburgischen, über- haupt auf beiden Seiten des Bodensees. Es folgen bei ihr hier all- ') Pat. Martin Kiem, Prof. in Sarnen, Abh. im Geschichtsfreund Mittheilungen des histor. Vereins der 5 Orte der Urschweiz, Bd. XXI, 1866. — Die Verdrängung des Ackerbaus durch die Alpwirthschaft in schweizerischen Hochgebirgsthälern von Dr. G. Meyer v. Knonau. %) Agrarhistorische Untersuchungen Bd. I, S. 135. V. 8. Die Besitz- und WirthschaftS -Verhältnisse. 4C3 gemein nach dem Bau von einigen Jahren Sommerung mit einiger Winterung meist sehr lange Grasperioden, die je nach dem Boden von 4 bis zu 20 Jahren sich ausdehnen. Ueberwiegend wird sie als Egartenwirthschaft betrieben, bei der ein grosser Theil des Grases zu Heu geschnitten wird. In manchen Thälern Tyrols und Voral- bergs sind aber die Bauern auch vom Egartenbetrieb zur reinen Graswirthschaft übergegangen, so weit sie nach Klima und Lage möglich ist. »Sie erspart ihnen jede Ackerarbeit. Allgemein wird nach Haussen bei der Feldgraswirthschaft des nördlichen Tyrols seit der Mitte unseres Jahrhunderts eine Verminderung der Ackerfelder zu Gunsten der Heu- und Weidenutzung bemerklich. Im gesammten südlicheren Tyrol dagegen, wo das ackerfähige Land sehr beschränkt ist, dagegen ausgedehnte Alpen weiden zur Verfügung stehen, kann Feldgraswirthschaft nicht angewendet werden. Vielmehr ist hier üblich, das wenige Kulturland unausgesetzt zu der nach seiner Lage geeignet- sten Frucht zu verwenden. Der vortreffliche und leicht auszu- düngende Boden gestattet auf einigen solchen Grundstücken Jahr aus Jahr ein Mais, auf anderen immer Weizen zu säen, auch mit Sommer- und Wintergetreide derselben Art zu wechseln oder im Herbst als Nachfrucht Buchweizen einzuschieben. In der schwäbischen Alp und im Schwarzwalde sind nach Görizs umfassenden Untersuchungen1) die Verhältnisse sowohl in Boden als Klima ungleich ungünstiger. Hier besteht in den höheren Lagen noch eine wilde Feldgraswirthschaft mit mehrjährigem ungedüngtem Haferbau und vieljähriger Dreesch. Dieselbe wird auf den Aussen- feldern mancher Fluren der Oberämter Reutlingen und Ehingen und auf dem Aalbuch getrieben. Auf dem Schwarzwald finden sich in den Oberämtern Calw und Neuenbürg auch sogenannte Wildreviere oder Kohläcker (von Kohlen, Brennen). Auf diesem Wildlande werden 400 bis 500 Reisigbüschel auf den Morgen ausgebreitet, mit den abgeschälten Rasenstücken zugedeckt und dann angezündet. Nach- dem die Haufen 1 bis IV2 Tage geglimmt haben, wird die Asche sammt den nicht völlig verbrannten Rasenstücken untergepflügt oder untergehackt und darauf Winter- oder Sommerroggen und ein- oder zweimal Hafer gesäet. Dann bleibt das Land wieder durch lange Jahre zu dürftiger Weide liegen. Je tiefer nach den Thälern, desto mehr ist eine bessere Feldgraswirthschaft entwickelt. Die Grenze der Dreifelderwirthschaft bildet nach Süden die Eschach, wo sie sich ') Göriz, Die im Königreich Württemberg üblichen Feldsysteme und Frucht- folgen, 1848, S. 172. |,;4 V. <». CTnkultivJrtes Land. Marken und Atmenden. oberhalb Rottweil in den Neckar ergiesst und auf dem nördlichen Schwarzwald und der schwäbischen Alp begegnen sich beide Systeme auf denselben Feldmarken als Aussen- und Binnenfelder. Im All- gemeinen aber liegt die Feldgraswirthschaft auf dem Buntsandstein, die Dreifelderwirtschaft auf dem Muschelkalk und Jura. Aehnlich stehen im Odenwalde beide Wirthschaftsweisen neben einander. Indess beherrscht die Dreifelderwirthschaft in Oberdeutschland nicht ausschliesslich das von der Feldgraswirthschaft nicht einge- nommene Gebiet. Im Elsass und in der Rheinpfalz bestehen viel- mehr auch reiche Fruchtwechselsysteme, welche Schwerz und Rau übereinstimmend auf eine alte Zweifelderwirthschaft zurückführen, also auf einen ursprünglich stattgehabten Wechsel zwischen Getreide- frucht und Brachweide. Diese scheint durch Besömmerung der Brache und Theilung des Getreidefeldes eine immer entwickeltere Frucht- folge gewonnen zu haben und anfänglich 4-, dann 8- und mehr- schlägig geworden zu sein. Von dieser Zweifelderwirthschaft giebt Magerstedt1) an, dass sie um Verona und Mantua der gewöhnliche Betrieb gewesen sei, und auch Fraas2) nimmt an, dass die Römer sie in die eroberten Provinzen eingeführt haben. 9. Unkultivirtes Land, Marken und Almenden. Das für Oberdeutschland aus den Besitzverhältnissen und der Bewirthschaftung des Kulturbodens gewonnene Bild hat gezeigt, wie neben den genossenschaftlichen von den vordringenden Volksheeren begründeten Ansiedelungen neue fremdartige Anlagen entstanden waren, welche aus massgebenden Anordnungen von Grundherren hervorgingen, und in den Vorgängen und Anforderungen der Er- oberung des Landes durch die erstarkende Königsgewalt ihre Be- gründung finden. Weniger äusserlich erkennbar, aber durch den gleichen Gegen- satz beherrscht, erweisen sich auch die Beziehungen, unter welchen das unkultivirte Land zur Benützung kam. Zugleich aber spricht sich in ihnen noch deutlicher die Verschiedenheit der Grundlage aus, auf welcher die Besiedelung Oberdeutschlands ihrem Wesen nach gegenüber der der alten Stammesheimath beruht. Von den ursprünglichen Stammesgebieten der Germanen ist der ') Feld- und Wiesenbau der Römer, Sondershausen 1852, S. 226. 2) Geschichte der Landwirthsch. 1852, S. 717 ff. V. 9. Unkultivirtes Land, Marken und Ahnenden. 4ß5 Begriff des Volkslandes untrennbar. Bis in welche Zeiten man auch die nomadische Besitznahme hinaufrücken, und wie man die Ueber- gänge zur festen Ansiedelung und ihre endliche allgemeine Durch- führung denken will, immer bleibt die Noth wendigkeit in gleicherweise Ausgangspunkt und sicherer Anhalt der Beurtheilung, dass die An- siedelungen inmitten der bestehenden Weidereviere der Hundert- schaften begründet wurden. Sie beschränkten diese Weidereviere zu Gunsten der einzelnen Ansiedlergruppen. Da nun die Ansiedler aus der Gesammtheit der bisher Besitzenden und Berechtigten hervor- gingen, konnte nur eine friedliche Auseinandersetzung mit dieser Gesammtheit und eine Feststellung über die Ausübung der Nutzungs- rechte an dem verbleibenden unkultivirten Lande die Durchführung der festen Niederlassung möglich machen. Der im genossenschaft- lichen Besitze verbleibende Rest des alten Volkslandes und das Ein- verständniss der bisher Betheiligten über die weitere Benutzung und Verwaltung dieser Ländereien erklären den Ursprung und die Eigen- thümlichkeiten der Marken auf den deutschen Volksgebieten (o. S. 153). Von diesen Vorbedingungen muss also auch jede Beurtheilung der späteren Veränderungen in den Marken, der Eingriffe der Königs- und Territorialgewalt, wie der fortgesetzten Theilungen und der damit zusammenhängenden Umgestaltungen in Anrechten, Gerichtsbarkeiten und Verwaltungen ausgehen. Damit ist von selbst gegeben, dass das eigenartige Wesen der Marken des deutschen Volkslandes nicht auf die ursprünglich kelti- schen und römischen Gebiete übertragbar ist, in welchen sich die Deutschen in Oberdeutschland festsetzten. Alle Bedingungen waren hier andere. Rechte früherer Besitzer kamen überhaupt nicht, wenig- stens nicht am unkultivirten Lande in Frage. Alles hatte den Cha- rakter der Okkupation. Auch folgte der Einwanderung möglichst bald die feste Besiedelung. Wo überhaupt dauernder Besitz ergriffen werden konnte, war die erste Forderung Ackerland und beschleunigter Anbau. Genügende Erträge schon der nächsten Ernte waren unum- gängliche Anforderung für die Ernährung dieser zahlreichen mit Weib und Kind herandrängenden Schaaren. Ueberall bedeckten sich deshalb die zuerst zugänglichen fruchtbaren, leicht anbaufähigen Länderstrecken ganz in der heimischen volksthümlichen Weise mit genossenschaftlich angelegten Dörfern. Auf dem alten Volksgebiete aber entstanden diese Dorfanlagen im Frieden. Sie waren nur dann durchführbar, wenn von äusseren und inneren Feinden keine Störung drohte. Deshalb wurde, wenn der Meitzen, Sierielung etc. I. 30 4G6 Vi 0. Unkültivirtes Land, Marken und Ahnenden. Entschluss der Hauptmasse einer Stammes- oder Gaugenossenschaft einmal feststand, das gleichmässige zweckentsprechende Vorgehen und die Beseitigung entstehender Hindernisse leicht erreichbar. Für Oberdeutschland dagegen lässt sich an so ruhige Vorgänge nur auf sehr wenigen Gebieten denken. Die Vangionen, Nemeter und Triboker besetzten, wie Caesar berichtet, abgetretenes und ge- räumtes Land, und ebenso überkamen die Hermunduren verlassene Landstrecken am Main und Steigerwald. In diesen Gebieten liegen darum auch die Orte mit gewannfürmig getheilten Fluren sehr gleich- massig nebeneinander und ihre Feldlagen berühren sich meist ohne Unterbrechung. In den südlicheren Gegenden Oberdeutschlands aber wogten durch mehrere Jahrhunderte verwüstende Kämpfe und nicht allein die Herrschaft wechselte, sondern es veränderten sich auch Anschauungen und Verfassung der allmählich als Sieger vorschreiten- den deutschen Stämme. Schon in den Erzählungen von der Strass- burger Schlacht wird ein Gegensatz des Königs und der Adels- geschlechter gegenüber der Masse der Freien erkennbar, der nicht mehr auf den Heeresherzog oder auf das Gefolgschaftswesen in seiner älteren Form zu begründen ist. Mehr und mehr entsteht eine dauernde Königsgewalt und die Auffassung, dass sie mit der Führung von Heer und Verwaltung auch die Vertretung und die Persönlichkeit von Staat und Fiskus vereinige. Von ihr ist zugleich eine Aristo- kratie unzertrennlich, welche statt des blossen Ansehens unter den Volksgenossen eine bevorzugtere Stellung zum Könige für Dienste, Zahlungen und Rathschläge erhielt, die sie ihm geleistet, welche nach seinen Weisungen Aemter in Krieg und Frieden verwaltete und durch Landdotirungen belohnt wurde. Die Zeit vom Auftreten der markomannischen , suevischen und alemannischen Könige bis zur Eroberung Tyrols durch die Agilolfmger umfasst die gesammte Ent- wickelung vom alten Volkskönigthum bis zur völlig übermächtigen, fast autokratischen Gewalt des fränkischen Königs. Neben ihm steht die in Wirklichkeit weit über die Auffassung in den Gesetzgebungen hinausragende Macht seiner Vertreter, der Herzöge, Grafen und anderen Beamten. Wann und wo die einzelnen Stufenfolgen dieser Entwickelung sich thatsächlich äussern, ist kaum nachzuweisen. Die römischen Nachrichten berühren diese Verhältnisse nicht näher, sie lassen keine genügende Unterscheidung zwiscben dem Könige als Heerführer und dem als Territorialherrn zu. Die ältesten deutschen Quellen aber sind im wesentlichen fränkische und zeigen den Herrscher bereits in seiner landesherrlichen Macht, und zugleich V. 9. Unkultivirtes Land, Marken und Almenden. 467 den fremdartigen Einfluss, den auf seine und seiner Hofleute Auf- fassung vom Künigsthuni bereits römische und biblische Gesichts- punkte übten. — Die Spuren früherer, nicht lediglich mit der Königsherrschaft ver- knüpfter Geltung einer Territorialgewalt lassen sich auf dem deutschen Eroberungslande anscheinend in den Hundertschaften erkennen. Unzweifelhaft sind, wie o. S. 141 erörtert ist, die Hundertschaften nach Oberdeutschland, wie nach den Rheinlanden von dem alten Volks- lande her übertragen worden. Im Volkslande waren sie aus den alten Weiderevieren durch die feste Besiedelung und das Anwachsen der Bevöl- kerung zu Unterabschnitten der Gaue geworden. Sie hatten hier ihre ursprünglichen Grenzen von durchschnittlich etwa 6 Q Meilen und die mit ihrer genossenschaftlichen Weidewirthschaft nothwendig gegebene polizeiliche und gerichtliche Bezirksverwaltung unter ihren natürlichen, den Nomadenchanen zu vergleichenden Vorständen, den Hunnen, be- wahrt. Diese Bezirke sind, wie Anlage 22 ergiebt, zum Theil bis auf unsere Zeit gekommen. In die keltorömischen Gebiete war zwar eine Uebertragung der ältesten genossenschaftlichen Wirthschaftsvveise un- möglich, aber es konnte die Herstellung einer Bezirksverwaltung nicht entbehrt werden. Für diese die gewohnte der Hundertschaften zum Muster zu nehmen, lag um so näher, je weniger sich bei der Zersplitterung und Mischung der einzelnen Völkerschaften alsbald grössere Gauverbände zusammenzuschliessen vermochten. Es werden nun in Alemannien allerdings erst aus dem 8. Jahr- hundert eine Anzahl Hundertschaften in bestimmten Grenzen über- liefert,1) welche ausdrücklich als Huntare bezeichnet sind, und deren Grösse mit der durchschnittlichen der dänischen Haereds (o. S. 142) übereinstimmt. Es sind Glehnhuntare von 5,5 G Meilen um Weil, westlich von Stuttgart, Hattenhuntare von gleicher Grösse um Mössin- gen und Hechingen, am Fusse der schwäbischen Alp, Munigises- huntare von 5 Q Meilen um Münsingen auf der Alp, Shwerzenhuntare mit 6 O Meilen um Schwörzkirch bei Ehingen, Ruadolteshuntare mit 4 Q Meilen, von letzteren nur durch die Donau getrennt, um Bier- lingen, Muntherishuntare mit 3,5 D Meilen um Munderkingen, end- lich Goldineshuntare mit 10 G Meilen um Mengen. Ueberdies werden 814 die benachbarten Landschaften Erecgow von 8 G Meilen um Buchau, und Apphon oder Affa von 7 G Meilen um Hayingen als Centenae bezeichnet. Alle diese Centenen gehören unzweifelhaft ') Baumann, Die G au graf schatten im württembergischen Schwaben. 1879. 30* 4(38 V. 9. Unkültivirtes Land, Marken und Ahnenden. Alemannien an, wenn auch Hattenhuntare möglicherweise eine ur- sprünglich chattische Niederlassung birgt. Doch reicht keine derselben in das alte Gebiet der Alemannen nördlich des Remstbales, sondern Glenhuntare am Glenbach liegt im besten Theil des Decumatenlandes, alle anderen im Lande der Cennen und Armalausen zwischen Neckar und Donau. Sie können also frühestens im 3. Jahrhundert begründet sein, und werden wahrscheinlich schon der Zeit der kleinen Könige angehören, welche in derselben Gegend während Julians Feldzügen auftreten. Diese reguli mögen Hunnen solcher Hundertschaften sein, obwohl keiner ihrer bekannten Namen in den Benennungen der über- lieferten Centenen wiederklingt. Man hat die Wahl, diese auch erst der fränkischen Herrschaft zuzuschreiben. Aber in welches Jahr- hundert man sie auch setzen will, immer schliessen die Namen Munigises-, Muntharis-, Ruadoltes-, Goldineshuntare mit ihrem un- zweifelhaften Bezug auf bestimmte machthabende Personen die volks- mässige Organisation dieser Verwaltungs: und Gerichtsbezirke aus, und weisen entweder auf Fürsten, oder auf einen vom Fürsten eingesetzten Beamten hin, der die Verwaltung des alten Verbandes fortführte. — Ein modernerer Sinn muss dagegen den ebenfalls im 8. und 9. Jahrhundert bekannt werdenden Gebietsbenennungen Peratholdes- para und Albuinespara beigelegt werden. Para wird von Bar, Schranke, Gerichtsstätte, abgeleitet und ist unmittelbar als Gerichts- bezirk zu deuten. Alemannien südlich des Remsthales zerfiel um 740 — 760 in diese beiden Bezirke, von denen sich Peratholdespara auf etwa 190, Albuinespara auf 100 D Meilen berechnet. Ersterer war 785 Amtsbezirk des Grafen Pirihtelo und hiess Perihtilin para, doch auch pagus Pirihteloni. Von 763 — 775 wird Adalhart als Graf der westlichen Beratholdespara genannt, welcher Theil der alten Bar 769 auch als Adalhartespara bezeichnet ist. Von dieser Bar lösten sich schon im 8. Jahrhundert der Nagoldgau und wahrscheinlich auch der Gau Burichnica und der Sülichgau ab, später bis zum 11. Jahrhundert trennten sich noch die. Grafschaften Sulz und Rottweil, Nidinga, Scherra, Haigerloch und die Hattenhuntare, so dass als Bertholdsbar nur die Grafschaft Aseheim übrig blieb. Die Albuinesbar, innerhalb welcher zunächst noch die Forcholtes- bar auftritt, zersplitterte sich mit dieser ebenfalls im 8. Jahrhundert in den Rammagau, Heistergau, Eritgau, Ratoldesbuch oder Goldines- huntare, Affa, Munigiseshuntare , Swerzenhuntare, Ruadolteshuntare und Muntrichshuntare , so dass die Huntaren selbstständige Graf- schaften wurden und mehrfach ausdrücklich Comitatus genannt werden. V. 9. Unkultivirtes Land, Marken und Almenden. 469 Damit ist die fränkische Gerichtsverfassung zu vergleichen, bei welcher in der ältesten Ueberlieferung des salischen Rechtes der Centenar als der Vorsitzende des Gerichts in der Hundertschaft er- scheint, später aber der Graf der regel massige, vom Könige ein- gesetzte Richter in allen Hundertschaften seiner Grafschaft war, und der Centenar nur als ein zugezogener Sachkundiger erscheint (Waitz, D. Verf.-Gesch. II, 467). Darüber sagt speziell die lex Alani. Lantfr. 35, 1 : Ut conventus secundum consuctudinem antiquam fiat in omne centena coram comite aut suo misso et coram centenario, und Ebd. 2 : donet ad illo misso comiti vel ad illo centenario, qui praeest. Diese Nebenstellung des Centenars erweist ebenso wie die Umgestaltung der Huntaren in Comitatus, dass der Centenar ursprünglich eine selbst- ständige Stellung als Richter und damit auch als Vorstand der Hundertschaft gehabt haben muss, aus der er durch den Grafen verdrängt worden ist. Dieser Wechsel kann nur durch die Macht und im Interesse der Königsgewalt erfolgt sein, welche den Grafen einsetzte. Neben der militärischen war offenbar die fiskalische Ver- waltung der Hauptgrund für die Ueberordnung dieses Beamten, der gegenüber den lokalen Machthabern mit der Machtvollkommenheit eines Vertreters des Königs eingriff. Man wird nicht irren, wenn man das Aufkommen des Grafengerichts jin den Centenen weit weniger unter dem Gesichtspunkte eines Strebens nach erweiterter Gerichtsgewalt, als unter dem der Vermehrung und Sicherung der Früchte derselben auffasst. Die Rechtssprechung stand nach wie vor dem Volke selbst zu. Es handelte sich um die Vollstreckung, um Bussen, Strafen, Konfiskationen und Gebühren. — In diese Wandlung der Gewalten gehört als wesentliches Glied der neue Gedanke, dass das herrenlose unkultivirte Land dem im Könige oder Herzoge personifizirten Fiskus gehöre. Ob sich dieser Gedanke mehr auf das Eroberungsrecht oder mehr auf die Staatsgewalt und das Staatsbedürfniss gründete, ist unwesentlich. In den Volks- gesetzen hat die freie Verfügung des Landesherrn bereits unbedingte Geltung, und unter allen sonstigen Befugnissen des Grafen steht ihm stets auch die Aufsicht und Verfügung über die Forsten zu. Daraus ergiebt sich für die ausgedehnten Waldungen, Weiden und Oeden Oberdeutschlands, welche in der Gegenwart noch gegenüber dem Kulturlande 48% der Gesammtfiäche bilden,1) ein durchgreifen- der Gesichtspunkt. Dem Vorschreiten der ansiedelnden Volks- ') Die einzelnen Landestheile zeigen nach den Landesstatistiken folgendes Ver- hältniss; Die deutschen Staaten Oberdeutschlands von 120 162 qkm 36 200; die 470 V« 9- Unkultivirtes Land, Marken und Almenden. genossen in die Waldungen und Oeden trat nicht bloss der Feind, der zu vertreiben, oder die Nachbarn, mit denen eine Einigung zu treffen gewesen wäre, entgegen, sondern schon früh der König, der diese Ländereien um so bestimmter in Anspruch nahm, als in ihnen in Ermangelung sicherer Beisteuern der eigentliche wirtschaftliche Boden seiner Gewalt und Verwaltung gewonnen war. Sie waren das Kapital, durch welches alle Kosten der neuen Staatsgebilde bestritten werden konnten und mussten. Deshalb folgten Verleihungen auf Ver- leihungen, welche den Staatsbesitz schmälerten, aber auch um so mehr eine Beaufsichtigung und Verwaltung desselben forderten. In der Hauptfrage wird damit klar, dass die den alten wahren Marken des Volkslandes ähnlich benutzten Waldungen, auch wenn sie in Oberdeutschland Marken genannt werden, einen völlig umge- kehrten Prozess als erstere durchzumachen hatten. Die Marken und Waldnutzungen der alten Volksgebiete beruhten auf der ursprünglichen Weidewirthschaft des gesammten Stammes, waren älter als jede feste Ansiedelung und zerfielen nur vertrags- weise mehr und mehr. Die Nutzungen waren der Rest des Rechtes jedes freien Volksgenossen. Die Wälder und Weiden Oberdeutschlands dagegen erwarb in der Regel ursprünglich der König als fiskalisches Land. Er konnte vielleicht den in der Nachbarschaft angesiedelten Volksgenossen nicht in jedem Falle die ihnen wünschenswerthen Nutzungen daran verweigern. Auch war nicht allgemein zu verhin- dern, dass solche Servituten allmählich durch blossen Gebrauch ent- standen. Alle diese Nutzungen hatten anfänglich nur geringfügigen Werth. Die unbesetzten Gebiete konnte der König selbst, wie seine Getreuen oder die Kirche, denen er das Land verlieh, nur an Bauern oder eigene Leute zur Kultur austhuen. Diese Bauern be- durften zur Unterstützung ihrer Wirthschaft mehr oder weniger aus- gedehnte Nutzungen auch an dem nichtkultivirten Boden, und erhielten sie auch. Solche Nutzungen werden also bei der Gründung grund- herrlicher Höfe, Weiler und Dörfer als selbstverständlich betrachtet worden sein. Immer waren sie jedoch das Ergebniss einer Verleihung oder Ersitzung und werden häufig auch nur den Charakter von Präcarien gehabt haben. Ein altes Volksrecht daran konnte nicht bestehen. — Unter diesen grundlegenden Voraussetzungen kommt vor allem in Frage, wie die Volksgesetze das Verhältniss der Wohnplätze zu Schweiz von 41339 qkm 30 200; Tyrol von 26 725 qkm 21890; Vorarlberg von 2602 qkm 1963; Salzburg von 7166 qkm 5673 Wald, Weide und Oeden. V. 9. Unkultivirtes Land, Marken und Almenden. 471 dem unangebauten Wald- und Oedlande auffassen, und ob sie über letzteres Bestimmungen treffen, welche es dem Ahnend- oder dem Markenlande des Volksgebietes vergleichbar machen. Die lex Alam. Lantfr. nimmt im Tit. 80 (o. S. 454) bestimmt auf die Einwohner eines von einem Geschlechte freier Genossen bewohnten Dorfes Bezug, wie dies den Dörfern im alten Volkslande entspricht. Andrerseits deutet sie auch in den Titeln 71 bis 76 und an verschiedenen Stellen auf ziemlich reich mit Gebäuden, Dienerschaft und Nutzthieren ausgestattete Höfe hin. Wälder und Waldnutzungen aber erwähnt sie überhaupt nur bei der Schweinemast in Titel 93; und auch hier nicht in Betreff irgend einer Gemeinschaft; ja sie spricht von Gemeinschaft nicht einmal für das Weiden der Heerden; es ist stets nur von einem Dominus der Heerde die Rede. Die lex I Bajuvariorum dagegen kennt Commarcani, und zwar ausdrücklich im Sinne von gemeinsam an einem Walde Berechtigten. Tit. XXII, 11 sagt: Ut nullus de alterius silva, quamvis prius in- veniat, aves tollere praesumat, nisi ejus commarcanus fuerit, quem calasneo dicimus.1) Tit. XVII, 2 erklärt, vielleicht weil er schon der älteren Gesetzgebung angehört, deutlicher: Si (quis homo) suum vo- luerit vindicare illum agrum aut pratum vel exaratum, . . . taliter vin- dicet: Juret cum sex sacramentales et dicat: Ut ego in tua opera priore non invasi contra legem . . ., quia mea opera et labor prior hie est, quam tum Tunc dicat ille, qui quaerit. Ego habeo testes, qui hoc sciunt, quod labores de isto agro semper ego tuli, nemine contradicente exaravi, mundavi, possedi usque hodie, et pater meus reliquid mihi in possessione sua. Ille homo, qui hoc testificare vo- luerit, commarcanus ejus debet esse, et debet habere sex solidorum peeunia et similem agrum. Handelte es sich um eine Okkupation auf einer res nullius, so müsste zum Beweise der Priorität jeder qualifizirte Zeuge genügen. Es ist aber der Commarcanus erfordert, weil ein Stück Mark oder Almende streitig ist, bei welchem nur die Mitberechtigten wirklich wissen können, ob in der That der eine oder der andere ohne Einspruch gerodet, geackert und geerntet hat. Dass also solche gemeinsame Grundstücke vorhanden waren, bestätigt das Volksrecht. Es hat indess ebenso wenig, als die späteren in Oberdeutschland besonders zahlreichen Weisthümer, Hofrechte und Alpbriefe, Veranlassung den grundlegenden Unterschied im Ursprung ') Grimm, Rechtsalterthümer S. 498, liest gemäss dem Angelsächsischen laeso paseuum, calasueo, dass er als dem commarcanus genau entsprechend erklärt. 472 V. i». Unkultivirtes Land, Marken und Almenden. der Marken und Almenden des alten Volkslandes gegenüber den in Oberdeutschland als solche bezeichneten Besitzthümern deutlich her- vortreten zu lassen. In der Sachlage selbst finden sich jedoch für den Gegensatz mannigfache Hinweise. Zieht man die nördliche Grenze Oberdeutschlands genauer nach den Gebieten, welche Römer, Kelten und Slawen inne hatten, so fällt von den durch Grimm gesammelten Weisthümern, welche gesonderte Wald- und Weidegebiete behandeln, der grösste Theil derer, die aus der Wetterau und Franken stammen, noch nördlich auf deutsches Volksland. Die Marken von Altenhaslau, Salbold, Büdingen, Ober- kleen, Werheim, Rodenbach, Grossenlinden, Markstädt und Fulda (Wetterau III, 410. 418. 426. 498. 500. und V, 251. 268. 275. 323), ebenso die Assenheimer und bis zu einem kleinen Abschnitt auch die Cent zu der Eiche (Franken VI, 71 und LU, 553) liegen nördlich noch ausserhalb des Pfahlgrabens, sowie rechts des Mains im Spesshart und können deshalb wahre alte Volksmarken sein. Der Reichswald zu Nürnberg (III, 609, VI 97) (jetzt St. Laurentii Forst) zwischen Nürnberg und Altdorf war seit dem 6. Jahrhundert in den Händen der Slawen. Er wurde ihnen erst 805 von Carl dem Grossen ab- genommen und verblieb noch lange dem Reiche. Ebenso gehörte das Bamberg'sche Grabengericht zu Vilseck an der Nab (VI, 106) zum früheren Slawengebiete. Beide können also nicht in Frage kommen. Von den bestimmt das früher keltorömische Gebiet betreffenden Weisthümern zeigen zwar die in der südlichen Wetterau und zwischen Main, Neckar und Rhein entstandenen noch fast durchweg den Charakter der im alten Deutschland als Markenweisungen und Holz- gerichtsprotokolle in ausgedehnter Verbreitung vorhandenen. Die Urkunden über die Karber Mark, über das Vilbeler Ried, die Seul- berger, Rodheimer und Heldenberger Mark (Wetterau III, 462. 473. V, 248. 253), sämmtlich um die Waldhöhe von Burggrafenrode gruppirt, ebenso die über die Russelheimer Mark südlich des Mains und die anstossenden der Oberrodener, Babenhauser, Auheimer und üieburger, Bibrauer und Steinheimer, endlich auch die der Roden- steiner und Bensheimer Mark entsprechen nach Form und Inhalt ganz den eigentlichen Markenprotokollen. Indess die Karber, Rodheimer und Seulberger Mark zwischen Friedberg und Heddernheim liegen, wie Anlage 34 zeigt, in einer vorzugsweise mit römischen Villen bedeckten Gegend, und auch auf den Vangionischen und Alemannischen Ge- bieten südlich des Mains schliesst der seit Caesar wechselnde Besitz Vermuthungen des Fortbcstandes alter ächter Marken aus vorrömischer V. 9. Unkultivirtes Land, Marken und Almenden. 473 Zeit aus. Es kann sich nur um Uebertragung der herkömmlichen genossenschaftlichen Sitten der Verwaltung solcher Gemeinländereien handeln. Aber dadurch erlangen die Rechtsverhältnisse dieser Wald gebiete eigenartiges Interesse. Dasselbe verknüpft sich zugleich mit der bestimmten Kenntniss, welche wir von der Einrichtung des königlichen Wildbannes und der allmählichen Entstehung einer grossen Anzahl von Dorfschaften in diesen Waldungen besitzen. Der Dreieicher Wildbann , dessen Weisthümer Grimm (I, 498, VI, 395) abdruckt, reichte nördlich des Mains von Vilbel über das Frankfurter Gebiet westlich zur Mündung und östlich zu dem oberen Knie des Stroms bei Hanau; südlich des Mains aber breitete er sich bis zu einer Linie aus, die von Stockstadt am Main quer durch den Odenwald über Reinheim bis nach Stockstadt am Rhein zu ziehen ist. Er umschloss alle Waldungen der hier genannten Marken mit Ausnahme der Rodensteiner und Bensheimer. Die gewiesenen Waldnutzungen be- standen in diesem Gebiete trotz des Königs Wildbann und können un- möglich jünger sein, als die Bannlegimg. Das Alter dieses Wildbanns ist etwa in die Merowingerzeit hinaufzuführen, wenn auch die Er- bauung der Burg Hagen bei Dreieichenhain erst Carl dem Grossen zugeschrieben wird, und der Schultheiss von Frankfurt Richter im Wildbann war. Nahe an Dreieichen schloss sich südlich auf der Höhe des Odenwaldes das schon von den Burgunden her sagen- berühmte Gebiet der sogenannten Mark Rodenstein an. Zu ihr gehörten als Märker Neunkirchen, Steinau, Kleingumpen, Winterkasten, Lan- denau, Fränkisch-Krumbach, Güttersbach, Erlau, Eberbach, Bierbach und Michelbach. Von diesen Orten entstand indess der grösste Theil erst nach 1012 auf dem 773 der Abtei Lorsch mit der Villa Heppen- heim verliehenen ausgedehnten Besitze, dessen Abgrenzungen Landau (Territorien, S. 121) ausführlich behandelt hat. Die 795 erneuerte descriptio marchae, sive terminus silvae, quae pertinet ad Hephen- heim sicut semper ex tempore antiquo sub dueibus et regibus ad eandem villam tenebatur, stimmt mit der des Wildbannes nicht völlig überein, welcher 1012 dem Kloster ebenfalls überlassen wurde. Es ist auch deutlich, dass diese marcha nicht als Mark im Sinne eines Nutzimgsverbandes zu verstehen ist. Die Markennutzungen hatten, wie die WTeisthümer von Rodenstein und Bensheim (I, 467) zeigen, ganz andere Abgrenzungen. Vielmehr erhielt Lorsch das Landgebiet, inner- halb dessen der königliche Wildbann bestand. Dieser aber mag zwar schon über die frühe fränkische Zeit in die burgundische hinaufreichen. Er schloss jedoch offenbar nicht aus, dass diese Waldungen seit dem 474 V. 0. Unkultivirtes Land, Marken und Ahnenden. ersten Entstehen deutscher Ansiedelungen durch deren Bewohner einer gewissen streitfreien und rechtsverjährten Benutzung unterworfen waren. Den Marken ähnlich sind auch die sogenannten Haingeraide- waldungen auf dem linken Rheinufer, deren Erstreckung von Diirk- lieini an der Hart bis nach Wanzenau im Südost von Hagenau an- gegeben wird. In Bezug auf diese ist aus einer leider noch nicht wieder zum Vorschein gekommenen Urkunde bekannt,1) dass Dago- bert I. (f 638) die aus früherer Zeit stammenden gemeinsamen Eigenthmns- und sonstigen Nutzungsrechte in diesen ausgedehnten Waldungen bestätigte und ordnete. Sie waren ursprünglich in 16 Geraiden abgetheilt, zu deren jeder mehrere Dorfschaften gehörten, die einen bestimmten Walddistrikt gemeinsam besassen und benutzten. Jede Gemeindegenossenschaft hatte ihren eigenen Geraide- oder Ge- richtsstuhl, vor welchem durch die Geraidebeamten die Waldfrevel und sonstigen Streitigkeiten entschieden wurden. Von diesen Ding- stätten sind die meisten noch nach Ort und Namen bekannt. Bei vielen derselben finden sich bis heut Galgenplätze und Galgenäcker. Dagobert begabte auch seine Stiftung der Abtei Weissenburg mit den ausgedehnten sogenannten Mundatswaldungen (Immunitätsforsten), die noch gegenwärtig im NW. der Stadt bestehen. Ebenso dotirte er die von ihm gegründete Abtei Klingenberg mit Waldbezirken, welche bis dahin zu den Gemeindewaldungen gehört hatten. Daraus geht hervor, dass er gleichwohl das Recht in Anspruch nahm, über die Geraide zu verfügen. Später ist wenig mehr in diese Geraide eingegriffen worden. Die betreffenden Gemeinden sind noch gegenwärtig in deren ungestörtem Besitz und Genuss, obwohl seit 1820 die Waldungen getheilt wurden. Dagobert aber ist in steter grosser Verehrung geblieben, und, wie es scheint, in älterer Zeit bei den Gerichtstagen durch kleine fusshohe Bildsäulen vertreten gewesen. Grimm veröffentlicht (I, 767) eine Urkunde Kaiser Rudolphs von 1291, nach welcher der neu begrün- deten Stadt Landau dasselbe Recht in der Landauer Haingeraide zugesprochen wird, wie den umliegenden Dörfern, und 1295 geloben die Burgmannen, Schöffen und Gemeindebürger von Landau, alle die Einungen und Rechte zu halten, die diese Dörfer von alters gehabt. Ihre Rechte sind im Einzelnen aufgeführt. Weitere Erklärungen giebt 1577 ein Geraidespruch der 4 Dörfer Maikammer, Kirchweiler, St. Martin und Diedesfeld zwischen Neustadt und Edenkoben (VI, 415). ') Bavaria IV, 2, S. 609. V. 0. Unkultivirtes Land, Marken und Almenden. 475 Die grossen Forsten der Stadt Kaiserslautern gehörten früher zur dortigen kaiserlichen Burg und wurden 1303 von Kaiser Albrecht I. der Stadt geschenkt. Auch aus dein »Schwarzwalde linden sich noch einige Weis- tlh'uner, welche genossenschaftliche Verwaltungen der dortigen Wal düngen charakterisiren. Ueber den Wald von Hägbach im Kinzig- thal (Gr. I, 397) wird 1487 erkannt, dass der Graf zu Geroldseck Jagd- und Blutbann habe, die Holznutzung aber Almend der beiden Dörfer Uebel und Langenbach sei. Ebenso erweisen die Oeffnungen des St. Blasien'schen Waldamtes von 1383 und 1467 und die EckerichsOrdnung des Luszhartwaldes bei Bruchsal von 1434 (Gr. IV, 487, V, 223 u. IV, 519) den Wald im grundherrlichen Eigen- thuni und nur gewisse Nutzungen als Rechte benachbarter Ort- schaften. Sehr ähnlich einer volksmässigen Markenverfassung zeigt die Waldordnung von Scherzheim (1492, IV, 517) auch die Verhältnisse dieses bei Lichtenau am Rhein belegenen Forstes. Die Gerechtigkeit des sogenannten österreichischen Waldgedinges von 1429 (V, 233) lässt die Rechtsverhältnisse nicht näher erkennen. Das Weisthum von 1484 über des Schwarzwaldes Freiheiten, Rechtungen und Ge- wohnheiten handelt von Waldrechten nur mittelbar, zeigt dagegen, dass hier unter österreichischer Herrlichkeit Walddörfer auf Rodungen entstanden sind, deren Insassen sich als freie Leute bezeichnen durften. Sie bilden unter den landesherrlichen Amtleuten und Untervögten des Waldes eine Art Landgemeinde, welche jährlich einen Einungs- meister und Rath wählt. Diese sind, sofern dem Recht der Amtleute und Waldvögte kein Eintrag geschieht, auch ohne dieselben zuzu- ziehen, zu beschliessen berechtigt. Die Waldvögte müssen schwören, nach Herkommen Recht zu thun, und führen im Kriege die Bauern an. Das eigentliche Wild und gewisse Fischereien stehen allein der Herrschaft zu. — Diesem auf einen verhältnissmässig engen Raum mittelrheinischer Gebirge beschränkten Kreise markenähnlicher Einrichtungen steht indess das gesammte übrige Oberdeutschländ fast leer an gleichartigen Gestaltungen gegenüber. Im Unterelsass und Oberelsass treten nur im Walde bei Blenne (Pleigne,V338) an der Schweizergrenze 1393 die österreichischen Freien, ähnlich wie 1484 im Schwarzwalde, auf. In Schwaben und Bayern giebt es überhaupt keine anderen Weisthümer, als Ho fr echte und Ortsrechte, wobei, Wald- und Weidenutzungen nur innerhalb der Grenzen des Hof- oder Ortsgebietes erwähnt werden, 476 V. 9. Unkultivirtes Land, Marken und Almenden. Aus Tyrol erklären die Weisthümer von Partschins bei Meran (Gr. 111. 738) 1380 und von Schlanders im Vintschgau um 1400 übereinstimmend, dass nur dem, der in das Dorfrecht gehört, un- verwehrt ist, nach Bedarf Holz zu sehlagen. In Partschins soll er i a nehmen nach des Dorfmeisters und der Besten Rath, in Schlan- ders dagegen bedarf er die besondre Erlaubnis* des Richters. Das Weisthnm aus dem Chiemseer Dorfe Umhausen im Oetzthal (III, 734) sagt bezeichnend: Wer Alpen hat, die er nicht besetzen kann, soll andere Klosterleute gegen Zins auf sie treiben lassen. Auch in der Schweiz zeigen sich aus zahlreichen Weisthümern nur seltene Spuren, dass Wald- oder Weiderechte das Gebiet einer einzelnen Gemeinde überschritten. Der Alpbrief des Hochgerichts Kloster Innern Schnitzes (V, 211) im Prättigau von St. Gallen besagt: Wir haben beschlossen, für unsere 3 Gemeinden und Nachkommen, dass wir sollend Alpae, Al- meinen und Wald g'mein han bis in Ewigkeit. Es sollend auch die Alpae nit witer sich theilen, dann von Zit zuo Zit, wie dan die drei Gemeinden das eine wärdend. In der Oeffnung von Starkenschwil (V, 96) in Argau heisst es: Das Rotrisz ist ein Urhou der 4 Dörfer Starkenswil, Rordorf und Fislisbach, und darin soll niemand hauen, denn das er mit ihm heim führt. Jedoch schon hier ist nach dem sonstigen Inhalt zweifelhaft, ob nicht jedem Dorf sein Theil abgegrenzt war. Im Weisthum von Tatweil 1456 (IV, 348) ist dies ganz ausdrücklich erklärt, und die Grenzen nach den Wasserscheiden, wie der Schnee abfliesst, festgesetzt. Für Köllikon im Argau (um 1400) (V, 67), Rogwil (14. Jhrh.) und Wynau in Bern (I, 178) und Burenwald in St. Gallen 1481 (V, 166) ergeben sich Waldrechte nur innerhalb des Ortsgebiets, und es wird auch für diese noch theilweis der Schein einer Gewährung aus Gunst und Gnade aufrecht erhalten. — Nach allem diesem finden sich markenähnliche Organisationen in Oberdeutschland im wesentlichen nur in einem wenig ausgedehnten nordwestlichen Landstriche. Auf den übrigen Gebieten scheinen Wald- und Weideländereien, an welchen die Einwohner verschiedener Ortschaften Nutzungsrechte ausüben, und für welche eine besondere genossenschaftliche Verfassung und Verwaltung besteht, überhaupt nicht in Frage zu kommen. Im bestimmten Gegensatze zu den alten Volksgebieten hat das unkultivirte Land Oberdeutschlands von früher Zeit der Besitznahme an durch wirthschaftliche Sitte und durch das Eintreten der Landes- und Grundherren den Charakter der V. 9. Unkultivirtes Land, Marken und Almenden. 47? Almenden oder von Sondereigen gewonnen. Waldungen und Oeden fanden entweder bestimmten Anschluss an die einzelnen Dorf- oder Ortsgemarkungen, oder blieben, wo dies nicht der Fall, im ausschliess- lichen grundherrlichen Besitze. Abgesehen von den Theilen Ober- deutschlands, welche noch in der Blüthe der römischen Kaiserzeit, vor der Entwickelung der deutschen Königsgewalt, volksmässig be- siedelt wurden, haben also in Oberdeutschland Gemeindeforsten unter Almenderecht, die umfangreichen Staats-, Stiftungs-, und Privatforsten aber bis auf die Neuzeit unter eigenen, genossenschaftliche Antheile ausschliessenden Verwaltungen gestanden, und spezielle Grundgerechtig- keiten sind an ihnen nur durch Verleihungen, Entgelt oder Ersitzung erworben, sonstige Nutzungen lediglich pacht-, zins- oder bittweise geübt worden. Diese Auffassung stimmt mit allem überein, was die Karten und Urkunden erkennen lassen. Sie wird auch dadurch bestätigt, dass in Schwaben und Bayern der Sprachgebrauch allgemein mit Mark, wie schon in commarcani (o. S. 455), die gesammte Ortsgemarkung bezeichnet, genossenschaftlich benutzte Wald- und Weidegrundstücke aber mit Almende oder Almein, Allment, Allmet, Allmy, Gemeind. Solche Almendeländereien haben in Oberdeutschland völlig die- selben rechtlichen Verhältnisse, wie sie oben S. 162 für die Almenden des Volkslandes erörtert sind, wirthschaftlich bestehen Besonderheiten. Nach ortskundigen Ermittelungen1) hat im württembergisehen Ober- lande jedes der dort fast ausschliesslich verbreiteten volksmässigen Dörfer drei-, oder auch zweimal drei Esche, und zwar durchweg nach der Dreifelderwirthschaft wechselnd einen Dinkelesch, einen Haber- esch und einen Brachesch. Neben diesen Eschen oder Feldern be- steht gesondert die Ahnend. Diese Almende aber ist nur sehr selten ihrer Beschaffenheit wegen noch in gemeinsamer Nutzung zu Weide oder Wald. In der Regel ist sie als Ackerland völlig unter die Ge- meindemitglieder vertheilt, wenn auch oft erst in neuerer Zeit. Dabei besteht indess auf sehr vielen dieser Fluren als eine beachtenswerthe Erinnerung an den ursprünglichen Almendecharakter die Eigenthüm- lichkeit, dass die Almendtheile nicht in wirkliches Privateigenthum übergegangen sind, sondern einer Wechselnutzung unterliegen. Ent- weder werden die Besitzer nach Ablauf einer oft nur kurzen, oft auch längeren Reihe von Jahren periodisch durch das Loos bestimmt; oder jeder an Jahren jüngere Besitzer, welcher als solcher ein Briefliche Mittheilungen des Pastors von Thailfingen an Leverkus. 478 ^ 10- I)ir Entwickelnng der Alpenwirthschaft. schlechteres Theil bei der Veitheilung erhalten hat, rüekt nach dem Tode eines älteren Besitzers in dessen besseres Theil auf. Bei dieser letzteren Art der Wechselnutzung ist also der Besitz des besten Al- niendtheiles ein lebenslänglicher, und der Wechsel geschieht nach der Reihenfolge des Alters immer nur bei einem Todesfall. Wer einen besseren Almendtheil erhält, überläset seinen schlechteren dem jüngeren Anwärter, der entweder überhaupt keinen oder einen noch schlechteren erhalten hatte. Eine Vererbung eines bestimmten Al- mendtheiles auf die Kinder des zeitweiligen Besitzers findet natürlich überhaupt nicht statt, weil an demselben kein Sondereigenthum be- steht. Für die besondere und dabei späte Entwicklung dieser Almend- benutzung spricht, dass die Eigenthümer der Stücke auf den Eschen an den Zwang der Dreifelderwirthschaft gebunden sind, die wechseln- den Besitzer der Almendstücke dagegen dieselben beackern und be- säen dürfen, wie sie wollen. Die dargelegten Gesichtspunkte gelten für die Nutzung der unkultivirten Ländereien Oberdeutschlands so weit, als die deutsche Besiedelung die frühere keltorömische im wesentlichen beseitigt hat. In den Alpengebieten ist dies nur ausnahmsweise der Fall gewesen. Vielmehr hat hier die Alpennatur selbst eigenartige wirtschaftliche Verhältnisse bedingt, welche vorzugsweise den unkultivirten Boden betreffen und einer besonderen Betrachtung bedürfen. 10. Die Entwickelung der Alpenwirthschaft. Auf den ausgedehnten alpinen Gebieten des Allgäus und der bayerischen Seen bis in die Hochalpen der Schweiz und Tyrols haben die natürlichen Bedingungen des Gebirges und die Anforde- rungen der Volksernährung aus dem unkultivirten Lande ausgedehnte, dem Kulturlande an Wichtigkeit keineswegs nachstehende Wirthschafts- körper entwickelt, welche auch besondere, dem Kreise der Almenden zuzurechnende genossenschaftliche Besitzverhältnisse und Selbstver- waltungen mit sich brachten. Die Thal sohlen der Alpen sind durch die plötzlichen Ueber- fiuthungen der reissenden und schon aus den Gletscherköpfen mächtig ausströmenden Gebirgswasser sehr gefährdet, häufig auch Lawinen und Steinstürzen ausgesetzt. Die älteren Orte lagen deshalb in die weniger bedrohten Schluchten eingebettet auf den Halden des Berg- schuttes. Hier an den Höhen entlang zogen auch die alten Strassen. Selbst das breite Innthal ist erst spät besiedelt. Die Mutterpfarre V. 10. Die Eritwickelung der Alpenwirthschaft. 479 von Hall liegt in Absom, die der Stadt Rattenberg im Dorfe Renth, die von Knß'stein in Zell. Auch in Obwalden waren nach Kiem1) die Abdachungen von Alpnach, Schwarzenberg, Schwändi, Gismil, Sachsein, Lungern, Melchthal und Kerns früher kultivirt, als die Thalsohlen zwischen dem Alpnacher-, Sarner- und Rudenzsee. Aus dieser Lage der alten Orte erklärt sich ebenso ihr Zusammenschluss zu bestimmten Gemeinden, wie die scharfe und dauernde Abgrenzung ihres Gemeindebezirks. Letzterer umfasst in der Regel ein sehr ausgedehntes Terrain. Von den überall nur beschränkten für den Anbau geeigneten Lagen, auf denen die Wohnstätten je nach der Räumlichkeit als Einzelhöfe oder als mehr geschlossene Ortschaften angelegt worden sind, ziehen sich die Gemarkungsgrenzen einerseits abwärts zu den Gewässern im Thalgrunde, andrerseits umfassen sie das gesammte Gebiet der mehr oder weniger offenen Schlucht bis zur Höhe des Gebirges, meist zwischen zwei schwer zu passirenden Berggraten, die es einschliessen. Doch auch wo der Zugang möglich ist, entscheidet die Wasserscheide auf das Einfachste, ob der Nachbar die Grenze überschreitet, jenseits der ihm kein Recht mehr zusteht. Zwischen seinen Graten am Rigi hinauf bis zur Scheidegg bildete das kleine Oertchen Gersau bis auf die neueste Zeit einen eigenen Staat, der mit Schwyz Kriege führte und seine Staatsverträge schloss.2) Die Schweizer Urkantone be- trachteten sich jeder als eine einzige Landgemeinde, die auch in der That deren Charakterzüge trug, dabei aber ebenso das Recht des souveränen. Staates besass und ausübte. Wo das grössere Staats- wesen in geistliche und weltliche Herrschaften, Städte und freie oder unfreie Bauerschaften zerfiel, bestand überall ein strenges Gemeinde- recht, das nur durch Geburt oder Einkauf erworben werden konnte, und ebenso streng schieden sich entsprechend die Gemeindegrund- stücke und Gemeindenutzungen. In allen Gebirgen überwog die Fläche des Wald-, Gras- und Wildlandes und der völligen Oeden den acker- baren Boden bei Weitem. Wurde letzterer bei der Besitznahme von freien Bauerschaften besetzt, so war die Wildniss naturgemäss ihre Almende. Ergriff der Landesherr oder seine Grossen Besitz, so fielen ihnen auch die Einöden als fiskalisch oder grundherrlich zu. Für die weitere Entwickelung überwogen mehr die Natur- als die Besitz- verhältnisse. Es kam vor allem darauf an, wie weit erstere zweck- mässige Wirthschaftsbetriebe gestatteten. — ') Die Alpenwirthschaften in Obwalden, Geschichtsfreund, Bd. XXI, S. 167, ') Landrecht von Schwyz v. Bluntschli. 4S0 V- 10, Die Entwirkelung der Alpen wirtliscliaft. Schön aus der frühen Zeit der lex Burgundionüm wissen wir, da8S damals zahlreiche grosse und kloine Ackerwirthschaften be- standen, und dass sich wenigstens in den Savoyer Alpen bereits umfangreiche Widder und Weiden im Privatbesitze befanden. Daneben war ein erheblicher Theil dieser Ländereien in Händen von Gemein- den und Genossenschaften. Anscheinend war für diese der Inhalt des Tit. XXVIII der Lex (M. G. LL. III, p. 545) altes Herkommen, wonach jeder Volksgenosse, der keinen Wald besass, das Recht üben durfte, von den liegenden oder den nicht Frucht tragenden Bäumen, mit Ausnahme der Fichten und Tannen, in jedes Anderen Walde Holz zu seinem Gebrauche zu entnehmen. Vielleicht aber ist die Bestimmung erst im Sinne der burgundischen Anschauungen gegeben. Die Zeiten nach der Völkerwanderung waren zunächst weder der Landeskultur überhaupt, noch einer pfleghaften Behandlung der Wälder günstig. Erst die Carolingerzeit brachte stärkeren Zuwachs der Bevölkerung und einsichtigere wirthschaftliche Bestrebungen, die indess nur zu bald wieder in den Gräueln der Normannen- und Ungarnkriege untergingen. Alle älteren Nachrichten riiachen den Eindruck, dass in diesen Zeitläufen die durch alle Länder der da- maligen Welt wechselnden Mitglieder der Klöster, Kapitel und kirch- lichen Verwaltungen einen weiten Austausch der landwirthschaftlichen Ideen herbeiführten und dadurch auf den ausgedehnten Besitzungen der Kirche überall übereinstimmende Methoden des Getreide-, Garten-, Obst- und Weinbaues verbreiteten. Diese gleichen Methoden bevor- zugten den Körnerbau und die Dreifelderwirthschaft und sind an sich schon nicht überall als die zweckmässigsten zu denken. Vor allem waren sie der Natur der Verhältnisse nach wenig geeignet, eigenartige, an besondere Oertlichkeiten gebundene Kulturweisen, wie die der Alpenwirthschaft , zu entwickeln und zu fördern. Die Be- nutzung der Alpen scheint bis in die Hohenstaufenzeit eine sehr un- geordnete gewesen zu sein. Erst als im 11. und 12. Jahrhundert die Volksmassen stärker anwuchsen und in einem energischen und fast übereifrigen Ansturm die letzten, bis dahin für untragbar erach- teten Hochflächen und Hänge der Gebirge der Rodung und Siedelung unterworfen wurden, scheinen auch die Oedländer der Alpen für regelmässigen Betrieb in Anspruch genommen worden zu sein. Doch sind Anzeichen dafür vorhanden, dass dies zuerst durch Ansetzung von Ackerhöfen geschah. Zahlreiche tyroler Weisthümer lassen übereinstimmend ersehen, dass sich in gewisser Entfernung von dem älteren Orte Einzelhöfe finden, deren jeder in Mitte der zu V. 10. Die Entwickelung der Alpcnwirthschaft. 481 ihm gehörigen Grundstücke liegt, und welche im Weisthum aus- drücklich als von jeder Mitnutzung an der sie gleichwohl umgeben- den Almende ausgeschlossen erklärt werden.1) Es ist dies ein Vor- gang im Kleinen, wie er bei der ersten Besiedelung des Volkslandes der alten Stammgebiete im Grossen stattgefunden hat. Die Höfe erhielten von den Gemeindegenossen die Erlaubniss des Anbaues auf der Ahnend und wurden deshalb von weiteren Nutzungen an der- selben ausgeschlossen. Sie geben ein klares Abbild der alten vertrags- weisen Siedelung in den deutschen Gauen, o. S. 154. Manchem dieser Höfe mögen auch wohl je nach der Einigung gewisse Almend- rechte geblieben sein. Der übliche Ausschluss von der Almende ist indess ein Zeugniss, dass zur Zeit des Hofbaues noch keine Alpen- wirthschaft bestand. Denn bei deren Betrieb wäre die Anlage für beide Theile unzweckmässig gewesen, Almendgemeinden konnten dann die verhältnissmässig besten Hänge nicht weggeben, und die den Alpen am nächsten belegenen Höfe durften sich am wenigsten von denselben ausschliessen lassen. Dass neben dem Getreidebau Viehzucht und Alpweide ebenso von den alten gutsherrlichen Höfen, wie von den freien Hüfnern der alten Bauerngemeinden von jeher getrieben wurde, lässt sich nicht bezweifeln und die Almendehutung mit gemein- samer Heerde ist im Wesen dieser Hüfnergemeinden begründet. — Die wirklich lohnende wirtschaftliche Benutzung der Alpen kann jedoch ohne einen gewissen Grossbetrieb nicht gedacht werden. Diese eigentliche Alpenwirthschaft war deshalb erst das Ergebniss entwickelterer Verhältnisse. Sie erfordert beträchtliche, der Beschaffen- heit und Ausdehnung der Alpen angepasste Heerdenbestände ver- schiedener Viehgattungen und ein zahlreiches, in bestimmter Ord- nung und Methode arbeitendes Personal. Wegen dieses Kapitalbedarfes hat sie einen industriellen Charakter, rechnet auf Absatz und muss gleichmässig verkäufliche Produkte liefern. Diese Bedingungen muss ihre Organisation erfüllen können, ob sie nur von einem einzelnen Privaten oder von einer Genossenschaft geleitet wird. Die ersten Nachrichten über einen solchen Betrieb enthalten die Acta Murensia.2) Das Kloster Muri muss danach im 13. oder wenig- 1) v. Inama Sternegg, Untersuchungen über das Hofsystem im Mittelalter in bes. Beziehung auf deutsches Alpenland. Inspr. 1872, S. 92 ff. Oesterreichische Weisthümer. Bd. II, Tyrolische von v. Inama Sternegg. Terfens, p. 185. Kiem, p. 228. Stans, p. 169. Telfs, Bd. III, No. 2. Aldrans, II, 247. Weerbergll, 176. Baumkirchen, II, 190. Weer, II, 169. Patsch, II, 248. Rietz, III, 54. 2J A. v. Miaskowsky, Die Agrar-, Alpen- und Forstverwaltung der deutschen Meitzen, Siedelung etc. I. 31 482 V. 10. Die Entwicklung der Alpenwirthsehaft. stena im 14. Jahrhundert auf seinen in den Gebirgen von Zug, Schwyz und Unterwaiden gelegenen Ländereien ausgedehnte Senn- wirthschaften betrieben haben. Die ältesten Satzungen und Alpbriefe enthält eine Urkunde von 1382 aus Obwaldcn,1) ein Alpbrief aus Krauchthal von 145S und einer aus Wartau von 1541. Die Alpbriefe sind genossenschaftliche Reglements, wie ein solches die Alpeinigung in Hinterdux (Anlage 60) von 1756 im einzelnen mittheilt. Sie setzen die Zeit der Alpen- Auf- und -Abfahrt, den Umfang und die Art des zulässigen Besatzes, die Räumungspflicht u. dgl. fest. Schon in der Zeit des ersten Bedarfes solcher Verträge muss die Alpenwirthschaft die Ausbildung und feste Verfassung gewonnen haben, welche sich, wie es scheint, gleichartig über die Schweiz und Tyrol ver- breitete und bis in die Mitte unseres Jahrhunderts im wesentlichen unverändert geblieben ist. Sie hat die ausgedehnten Hochgebirgs- massen, die dem fremden Auge als unberührte Natur und fast un- bekannte Wildnisse und Einöden erscheinen, in einen völlig geordneten Betrieb mit kaum sichtbaren, aber genau feststehenden Abgrenzungen, wohlberechneten Schlägen und einer sorgfältig nach dem Jahres- laufe veranlagten, wochen- und monatsweise wechselnden Ausnutzung des vorhandenen Futters verwandelt. Hier ist im Kleinen ein Abbild der roheren, doch auf denselben Grundbedingungen beruhenden No- madenwirthschaft der Steppenvölker, welche die Hunderttausende von Quadratmeilen Centralasiens unter einem zwar unsichtbaren, doch an jeder Stelle festen , mit dem Schwerte gesicherten Betriebs- netze hält. Die Weide des Alpviehes beginnt im Frühjahr auf den bis zu 4000 Fuss über Meeresfläche reichenden Voralpen, Vorsässen, Magersässen, die in Glarus und auch sonst Berge genannt werden. Im Sommer wird der Weidegang gewöhnlich vom Monat Juni bis zum August und September auf den bis etwa 6000 Fuss reichenden und in 2 — 3 Staffeln, Läger, abgetheilten Mittelalpen, Kuhalpen, Kuhbergen, fortgesetzt, auf denen sich nur einzelne Sennhütten und Ställe befinden. Während die grössere Menge des Viehs auch im Hochsommer in dieser Zone verbleibt, beweidet ein Theil desselben, einiges Jungvieh, namentlich aber Schmalvieh, Schafe und Ziegen, die bis 8000 Fuss reichenden Hochalpen, Schafalpen. Im August oder im September wird der Rückweg in derselben Folge angetreten, so dass Schweiz. Basel 1878. (S. 41) und — Die schweizerische Almend in ihrer geschicht- lichen Entwickelung, Leipzig 1879, Bd. III, Heft 4 der Schmollerschen Forschungen. \ Kiem, Geschichtsfreund, XXX, 235. V. 10. Die Entwickelung der Alpenwirthscliaft. 483 die Heerden vor dem Beziehen der Winterställe zuletzt noch einige Wochen, gewöhnlich bis Michaelis oder his Mitte Oktobers, auf den Voralpen und auf den Weiden der Wrintergüter im Thal zu- bringen. Die Voralpen werden häufig 2 Mal gemäht und 2 Mal geätzt und erfreuen sich gewöhnlich sorgfältiger Reinigung, reichlicher Düngung und guten Schutzes gegen Bodenschaden. Zwischen den Wintergütern und den Voralpen liegen in einigen Gegenden Bergwiesen mit oder ohne Wohnungen, gewöhnlich mit kleinen Holzhäusern zur Aufbewahrung des Heus, sogenannte Bergrieder oder Rossheugüter. Die Alpenwirthscliaft steht überall in enger Verbindung mit der Land wirth schaff der Thäler. Wenn die Bevölkerung die Alpen im Sommer mit eigenem Vieh ausnutzen will, muss sie dafür sorgen, das Winterfutter für so viel Stück Vieh aufzusammeln, als im Sommer auf den ihr gehörigen Alpenweiden ernährt werden können. Je nach der Ausdehnung und Graswüchsigkeit der Alpen einer Gemeinde kann deshalb die Notwendigkeit des Futterbaues weit über das Bedürfniss des eigentlichen Wirthschaftsviehes hinausgehen, und den Getreidebau unverhältnissmässig einschränken. Umgekehrt wirken höhere Getreidepreise, oder vermehrter Bedarf an Milch und Butter und Ausbreitung der Industrie in den Thalorten auf die Sennerei zurück. Wo die Industrie Fuss fasst, entstehen zahlreiche Ansiedelungen mit mehr bürgerlicher als ländlicher Haushaltung. Gartenbau, Gemüse- und Obstzucht und unausgesetzte Stallfütterung für den täglichen Bedarf treten an die Stelle der herkömmlichen Wirthschaft der Wintergüter. Bessere Preise veranlassen die Bauern, ihren Anbau mehr dem Markte anzupassen. Sie verkaufen das Futter nicht mehr an die Senner, sondern verbrauchen es vorteilhafter in der eigenen intensiveren Wirthschaft. Beispielsweise zeigen Oberemmenthal, Interlaken, Schwyz schon die deutlichen Beispiele, wie aus diesem Grunde die Voralpen bis zur Seehöhe von 3000 — 4000 Fuss neuerdings in Bauer- güter umgewandelt werden. Diese neuen Höfe übernehmen statt der alten Wintergüter das frühere Verhältniss derselben zu den Sennereien, welche deshalb ihrerseits durch die Verkleinerung ihres bisherigen Areals auf eine niedrigere Viehzahl und geringeren Bedarf an Winterfutter beschränkt werden. Alle solche Schwankungen beruhen auf den grösseren Vortheilen, welche nach Lage des Absatzes die eine oder die andere Wirtschaftsweise bietet. Im Ganzen berühren indess diese Kulturverschiebungen, wie v. Miaskowsky erklärt, kaum mehr als die Peripherie des alpenwirth- schaftlichen Gebietes. — 31* 4g4 V; 10. Die Entwickelung der Alpemvlrthschaft. Schon früh ist das Bedürfhiss anerkannt worden, die Bewirth- Schaffung der Alpen durch Feststellung des angemessenen Besatzes theils in dem zu erwartenden Ertrage richtig zu heurtheilen , theils übermässigen Auftrieb und Verschlechterung der "Weide zu verhüten. Diese Taxationen sind vorzugsweise von Korporationen vorgenommen worden. Einer solchen Stählung oder Legung der Alp wird als Ein- heit die für Ernährung einer Kuh während der Alpzeit erforderliche Fläche zu Grunde gelegt, und auf diese Einheit (Stoss, Kuhstoss, Kuhsommerung, Kuhrecht, Kuhschwere, Kuhessen, Klöbentaxe) der Bedarf des übrigen Viehes zurückgeführt. Die ältesten Spuren einer solchen Alp stuhlung sind aus dem Kanton Obwalden bekannt. Aus einem Geschwornen - Urtheil von 1454 für Giswil - Kleintheil ergiebt sich, dass bereits damals die Korporationsalpen gestuhlt und die Thalgüter geschätzt waren, so dass z. B. ein Kirchgenosse, der 16 Kühe gewintert hatte, nur 8 davon auftreiben durfte. Auch der schon gedachte Alpbrief von Krauchthal aus 1458 zeigt die Stuhlung, und dass sie hier wie in Obwalden aus der Anordnung der Alpgenossen hervorging. Indess nicht allein die Genossen trachteten durch Festsetzungen dieser Art dahin, dass ihre oft komplizirten Anrechte beim Auftrieb in richtiger Weise zur Geltung kamen. Früh schritten auch die Landesbehörden ein und legten das Resultat ihrer Schätzung in sogenannten Urbarien, Alprödeln, nieder. Das älteste, sämmtliche, die privaten, wie die korporativen Alpen des Landes umfassende Urbar gehört Glarus an und ist wahrscheinlich im Jahre 1547 aufgenommen. Allgemeine Re- visionen des alten Urbars durch obrigkeitlich beauftragte Personen fanden hier 1679, 1710, 1772, 1809 und 1843 statt. Die Kontrole über die richtige Bestossung der Alpen wurde nach den Alpbriefen des 15. Jahrhunderts durch den Landamman oder den Weibel in Verbindung mit sogenannten Alpleitern, seit dem 16. Jahrhundert aber von beeidigten Alpzählern geübt, welche im Auftrag der Obrigkeit durch die Gemeinde gewählt wurden. Die Stuhlung darf in einigen Kantonen kraft ausdrücklicher Satzung überschritten werden, sofern nur für den Uebersatz eine erhöhte Auf- lage bezahlt wird, wrelche zur Verbesserung der Alp verwendet wer- den soll. Gleichwohl scheint nicht zu bezweifeln, dass in historischer Zeit das Gebiet des nutzbaren Alpenbodens nach Umfang und Ertrags- fähigkeit abgenommen hat. Es stützt sich diese Behauptung nicht allein auf die bekannten Ueberlieferungen, dass das Berner Oberland V. 10. Die Entwickelung der Alpen wirthschaft. 485 seit Menschengedenken wesentlich stärker vergletschert sei, worauf allerdings zahlreiche Ortsnamen jetzt völlig unwirklicher Alpen, wie Stierenberg, Stierenlager, Ochsenlager, Rinderhorn, und Reste von Bewaldung und gepflasterten Alpenwegen deuten. Sie gründet sich auch auf beweisende Dokumente. So umfassten die Glarner Alpen, nach den gedachten Urbaren, im Jahr 1636 noch 13 ÜUO Kuhweiden oder Stösse, 1843 dagegen nur noch 9740, von denen gleichwohl 934 unbesetzt waren. Es fand also in 207 Jahren, trotz der Ver- grösserung der Alpweiden durch die fortschreitende Lichtung der Hochwälder, eine Verminderung der Ertragsfähigkeit um 32,2 °/0 statt. In Meiringen und Guttannen sind seit 1778 von den dortigen 15 Alpen 8, 'welche damals 259 Kühe trugen, nur noch mit Schafen, und die 7 anderen um 141 Kühe weniger besetzbar geworden. Die Gründe sind, schwerlich ausschliesslich klimatische, sondern mindestens nicht weniger auf die Bodenentblössung durch sorglosen Holzschlag mit allen seinen Folgen und auf Bodenerschöpfung auf den abgewascheneh und flach gewordenen, zertretenen Hutungen zurückzuführen. Für die als Wiese regelmässig gemähten Heuberge, welche ihren Ertrag als Winterfutter in das Thal abgeben müssen, ohne einen Ersatz zurückzuerhalten, ist die allmähliche Abnahme der Heuerträge erfahrungsmässig und sehr erklärlich. Die daraus erwachsenen Befürchtungen und die erhöhte Auf- merksamkeit der Bundesverwaltung haben zu genaueren Feststellungen über die Lage der schweizerischen Alpenwirthschaft geführt. Die Ergebnisse sind in der schweizerischen Alpenwirthschaftsstatistik von 1864 wiedergegeben. Aus ihr berechnet sich der Antheil der Korporationen, Gemein- den und Genossenschaften an den Alpen der deutschen Schweiz auf 65°/0 nach der Zahl der Stösse und 57,8 °/0 nach dem Kapitalwerth. Der grosse Rest von 34°/0 und bezw. 42,2 °/0 in den Händen von Privaten zeigt, dass in der Einträglichkeit, wie in der Schwierigkeit anderer Verwendung genügende Gründe liegen, die Alpenwirthschaft zu erhalten. Dagegen wechselt je nach der vortheilhafteren Rech- nung Jungviehzucht durch Aufkauf von Kälbern, mit Milchwirth- schaft und Käse- oder Butterfabrikation. 1864 waren von sämmt- lichen 4560 Alpen der Schweiz nur 14,7 °/0 nicht mit Kühen besetzt. Von den 85,3 °/0 Sennalpen wurde auf 21,8 °/0 Milch zum direkten Konsum gewonnen, auf 31,2 °/0 aber Futter, auf 10,2 °/0 Halb futter, auf 19,7 °/0 magerer Käse und Butter und auf 2,4 °/0 ausschliesslich Butter hergestellt. Im Ganzen berechneten sich die Schweizer Alpen 436 V. 10. Die Entwickelung der Alpenwirthschaft. 1864 auf 270389 Stösse, die zu einem Kapitalwerth von 7,7 Mill. Fr., und für don Stoss zu durchschnittlich 40,5 Fr. Ertrag, sowie zu 12,5 Fr. Bergzins angeschlagen wurden. Die Ertragsanschläge schwankten indess zwischen 18 Fr. und 102 Fr., je nach der Lage, und die Bergzinsen zwischen 4 und 48 Fr. Von den 292 371 Kühen dir Schweiz kamen nur 153 320 auf die Alpen. Da die Stösse um 2 °/0 übersetzt waren, muss also die Haltung von Jungvieh, Ziegen und Schafen beträchtlich sein. Auch in Deutschtyrol haben spezielle Erhebungen über die Alpen- wirthschaft stattgefunden, deren Ergehnisse v. Inaina- Sternegg im IX. Jahrgang der statistischen Monatsschrift, Wien 1883, veröffent- licht hat. Danach besitzen die 527 politischen Gemeinden Deutschtyrols 2482 Alpen von 689 786 ha Fläche. Davon ist ein Drittel bewaldet. Sie werden von 156 575 Rindern, d. h. 50% der Gesammtzahl des Rindviehs und 137 659 Schafen oder 63% der Gesammtzahl der Schafe Deutschtyrols beweidet. Durchschnittlich werden 4,96 ha auf eine Kuhweide oder Kuhgras gerechnet. Die Gesammtzahl der Kuh- gräser ist auf 165 905 angeschlagen. Der Ertrag des Hektars schwankt indess von 118 kg Heu im Lech- und Etschthal auf 100 im Oberinn- und Eisackthal und erhebt sich im Unterinnthal auf 305 kg. Auf der Hälfte der Alpen wird spätes und sehr gutes Futter angenommen, indess zeigt auch die Hälfte gefährliche Stellen. Die Weidezeit hat eine mittle Dauer von 90 Tagen, im Innthal 95, in den südlichen Alpen, Avelche durchschnittlich um 500 m höher liegen, nur 75. Von der Gesammtfläche der Alpen sind 122 649 ha in Privathänden, 256181 ha gehören Gemeinden und 310 955 ha Almendinteressenten. Die Privatalpen werden als die am besten, die Gemeindealpen als die am schlechtesten bewirthschafteten beurtheilt. Im Unterinnthal, welches in jeder Beziehung die ausgedehntesten und vorzüglichsten Alpen wirthschaften besitzt und namentlich Milch- sennerei treibt, sind viele Alpen verlassene Bauernhöfe, die sich der ertragreicheren Alpenwirthschaft und dem blossen Heugewinn gegen- über nicht vortheilhaft genug erwiesen. Andere Gehöfte haben die äusseren schlechteren Theile der Gemeindegemarkungen übernommen, welche nur durch sorgfältige Behandlung im Zusammenhange mit planmässiger Viehwirthschaft lohnend sein können. Die gute Er- nährung und Mästung des Alpviehes ist zur Hauptsache aller dieser Betriebe geworden, doch gehört eine sehr wohlüberlegte Anordnung der Wirthschaft und der entsprechende Erwerb und Besitz von Thal- V. 10. Die Entwickelung der Alpemvirthschaft. 487 ländereien zur gedeihlichen Durchführung, weil wegen der Durch- winterung de« Alpviehes in der Nähe der »Stammgehöfte viel Futter- bau getrieben werden muss. — Obwohl nun in der Schweiz wie in Tyrol die Waldungen der Sennwirthschaft gegenüber als das Untergeordnete erscheinen mussten, und die meisten Forsten als Weide dienten, ist die Forstwirth- schaft doch nicht völlig verdrängt worden. In Tyrol blieben die beliehenen Grundherrschaften und Stifter im ungestörten Besitz ihrer grossen Waldareale und gingen, wie die Weis- thünier zeigen, am Ende des Mittelalters, wie allgemein in Deutsch- land, zu geordneterer forstwirtschaftlicher Pflege der Waldungen und zu genauerer Aufsicht auf die Benutzung durch die Servitutsberechtigten Bauern und Insassen über. In der Schweiz reichen die quellenmässigen Nachrichten über die Forsten nur bis zum lo. Jahrhundert zurück und zeigen überall betheiligte Gemeinden und Almendgenossenschaften, überwiegend aber waren Klöster und Kirchen, sowie weltliche Herren im Besitze der mit mehr oder weniger Nutzungsrechten belasteten Waldländereien. Es kommen auch Reichsforsten vor. Mit der Schwächung der Grundherrschaften und der gleichzeitigen Hebung namentlich derjenigen Gemeinden, welche zahlreiche Herr- schaftsrechte an sich zogen, und zu Trägern der Landeshoheit wurden, hängt die Umwandlung der früher herrschaftlichen Waldungen in Gemeinde- und Staats Waldungen zusammen. Gewöhnlich wurden die grossen Landgemeinden als Staaten Eigenthümer, und die einzelnen Wirthschaftsgemeinden erhielten servitutarische Berechtigungen, indess trat auch das umgekehrte Verhältniss ein, dass die einzelne Gemeinde Eigenthümerin und der Staat, d. h. die Gesammtheit der Bürger, servitutberechtigt wurde. Erst im 19. Jahrhundert gelang es, durch eine entsprechende Ablösungsgesetzgebung auf eine völlig klare Schei- dung der verschiedenen Interessenten hinzuwirken. Quellen, welche einen Rückblick auf die Art der Benutzung der Wälder gestatten, stammen in der Hauptsache erst aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Sie zeigen, dass die Nutzung der Wälder durch Unberechtigte in der älteren Zeit unter Androhung allzu geringer Bussen verboten war, so dass diese nur als in recognitionem do- minii festgesetzt erscheinen können. Für die Berechtigten galt in Gemeinwäldern überall der Freiholzhieb, d. h. es schlug Jeder seinen Bedarf, wann, wo und wie er wollte, und zwar ganz unentgeltlich oder gegen eine sehr niedrige Stumpenlösung. Noch bis in das 4S8 V' 10- Die -Entwickelung der Alpenwirthschaft. 16. Jahrhundert galten Rodungen zu Acker, Wiese oder Weide ziem- lich allgemein als verdienstlich, weil dadurch Bauland geschaffen, die Raubthierzahl vermindert, das Klima verbessert und die Ver- sumpfung beseitigt werde. Dass die Behandlung also, wie die Quellen sich ausdrücken, »wüstlich« gewesen, lässt sich denken. Sie zeigen deshalb mehr und mehr Forstmassregeln, sowohl der genossenschaftlichen Autonomie, als der Vogteigewalt oder der Landeshoheit. Sie wollen dem Holzmangel in den anwachsenden Gemeinden, oder den Gefahren vorbeugen, welche in Folge der Blossen für Gebäude, Liegenschaften und Strassen durch Steinschutt, Wasser, Lawinen und Erdrutschungen entstanden. Es begann die Bannlegung oder Verbannung ganzer Wälder oder ein- zelner Waldbestände durch sogenannte Bannbriefe, welche in der Regel jeden Holzbezug, selbst die Wegnahme der dürren und zusammen- gebrochenen Bäume für bestimmte oder unbestimmte Zeit verboten. Auch sonst Avurde die Holzausfuhr untersagt, der Freiholzhieb be- schränkt, und der Holzbezug zu Zäunen, Schindeln, Brunnenleitungen und Hausbauten aus den Gemeinwäldern erschwert, dagegen begünstigte man Hecken, Lebhäge, Steinmauern, Schiefer- und Ziegeldächer und Haus- und Gadenbau aus Steinen. Ebenso wird bereits die schonende Ausübung der Nebennutzungen am Walde, namentlich der Ziegenweide, des Streurechens, Grasens, Wurzel- und Asthauens, und vereinzelt auch schon das Unterlassen der Rodungen angeordnet. In Bern ergingen 1725 und 1787, in Luzern 1764 Forstordnungen. — Thatsächlich scheint der Bestand der Wälder erst seit der Zeit der französischen Herrschaft ernstlicher gefährdet worden zu sein. Theils verursachte der Krieg Verwüstungen, theils wurden Auftheilungen und Rodungen häufig, theils trat rücksichtslose Uebernutzung ein. Vor allem begann ein fortgesetzt aus den Thälern in die Gebirge weiter greifender Holzhandel im Grossen und Kleinen. Die grösste Ausdehnung gewann namentlich die Ausfuhr nach Italien. Für diesen Handel wurden bei steigenden Preisen grosse Kahlschläge aus- geübt, ganze Hänge entholzt, und das gesammte Geschäft, Auf- arbeitung und Transport, Holzkäufern überlassen, welche keinerlei Rücksicht auf die Zukunft, auf Wiederergänzung, Bodenerhaltung, Schnee- und Wasserschutz u. ähnl. nahmen. Die Ueberschwemmungen des Jahres 1834 und später die von 1839, welche grosse Verwüstungen in Berg und Thal anrichteten, brachten indess die Bedeutung der Wälder zum Bewusstsein und machten so tiefen Kimlnirk, dass sie die Annahme und zum Theil auch die V. 10. Die Entwickelung der Alpenwirthschaft. 489 Durchführung von Massregeln herbeiführten, gegen die man sich bisher mit allen Kräften gesträubt hatte. Es ergingen seit 1840 zahlreiche Forstgesetze , Waldreglements und Forstpolizeiordnungen. 1858 wurde »ine allgemeine Untersuchung der Hochgebirgsfbrsten durch den schweizerischen Forstverein vorge- nommen. 1868 erschreckten neue grosse Wasserverheerungen die immer noch säumigen Kantonsregierungen. Endlich wurde in der revidirten Bundesverfassung von 1874 dem Bunde das Recht der Oberaufsicht über die Wasserbau- und Forstpolizei im Hochgebirge gegeben, und 1876 das Bundesgesetz erlassen, welches alle Staats-, Gemeinde- und Korporationswaldungen ohne Unterschied, und von den Privatwaldungen die als Schutzwälder zu betrachtenden, unter strenge Aufsicht und wirksame Eingriffe der Bundesgewalt stellt. Gegenwärtig befinden sieh von dem auf 786 456 ha veranschlagten Waldareal der gesammten Schweiz 540 000 oder 70,2 % im Eigen- thum der Gemeinden, Korporationen und Genossenschaften, 196 000 ha oder 25,1% im Eigenthum einzelner Privaten und nur 32 400 ha oder 4,2% im Eigenthum der Staaten. — Die Entwickelung des Bestandes der eigentlichen Ahnenden ist in Tyrol wie in der Schweiz dahin gegangen, dass der Theil des Gemeindebezirkes, der nicht dem Staate oder den betheiligten Guts- herrlichkeiten, sondern der alten Hüfnergenossensehaft gemeinschaft- lich zustand, allmählich weniger durch Umwandlung in Sondereigen, als durch Verallgemeinerung und Zerstückelung der Anrechte um- gestaltet wurde. Namentlich für die Schweiz haben wir genauere Kunde, wie in Wechselwirkung mit den politischen Zuständen die Nutzung einzelner Almendstücke zu Garten-, Acker-, Reh- und Wiesland grösseren Um- fang annahm. Schon mit den siegreichen Kämpfen der Eidgenossen traten an die Stelle der alten Gemeinden die Grundbesitzer, freien Landverbände, Gemeinden und Korporationen, in denen jeder männliche Genosse, anfangs von seinem 14. oder 15., dann wenigstens vom 16. oder 18. Lebensjahre ab vollberechtigt war. Dabei erfolgte die Wahr- nehmung der Gemeinde- und Landesangelegenheiten in einigen Land- schaften, wie Schwyz, Uri, Entlibuch, Oberhasli, durch ein und den- selben Körper. Das dadurch erzeugte und gehobene Selbstgefühl der Genossen, sowie der in den Gebirgskantonen herrschende trotzige, demokratische Sinn für Freiheit und Gleichheit erschütterten die Stellung der grundbesitzenden Klasse der Bevölkerung als der allein 490 v- 10- T*ie Entwickelung der Alpenwirthschaffc'. an der Almendnutzung berechtigten. Aehnlich wirkten in den grösseren Kantonen der Befestigung von realen Nutzungsrechten die seit der Reformationszeit und seit dem Erlass der Annen- und Bettel- ordnungen neben den alten Bauer- und Dorfschaften erstarkenden persönlichen Gemeindeverbände entgegen, sowie die Umwandlung der auf der Konzession der Grundherren beruhenden hofrechtlichen Ver- bände in autonome Bürgergenossenschaften. Je wohlhabender diese Ortsbürgerschaften durch Reislaufen und auswärtigen Handel wurden, desto leichter bemächtigten sie sieh der gleichen Rechte. Schlössen sich aber auch häutig die zu einer gewissen Zeit berechtigten Alt- bürger zu neuen ausschliesslichen Almendgenossenschaften zusammen, so kamen sie doch nach Zeit und Umständen immer wieder in die Lage, ihre Ansprüche durch den gleichen Prozess an die anwachsende Ortseinwohnerschaft zu verlieren. Diesen Vorgängen entsprechend wurde nach und nach Sitte, die Almendenutzungen nicht mehr an Haus und Hof, selbst nicht mehr an den örtlichen Wohnsitz zu binden. Sie wurden vielmehr über- wiegend von den Stellen abgelöst und frei verkäufliche, vererbliche und vertauschbare ideelle Antheile, welche einerseits in Bruch theile der Anrechtseinheit zerlegt, andrerseits auch in einer Mehrheit von Einheiten besessen werden durften. Diese veränderten Gesichtspunkte führten dazu, dass unter manchen Verhältnissen selbst der Begriff der Ahnend kaum mehr verstanden und in sehr widersprechender Weise angewandt wurde. Je nach der Ortschaft wird häufig nur das Korporationsland in Boden und Berg, nicht der genossenschaftliche Wald und das genossenschaftliche Wiesen- und Pflanzland (Gärten und Aecker), unter Ahnend verstanden, oder es werden nur die Gemeindeweiden im Thal, anderwärts wieder nur das in Gemeineigenthum stehende Pflanzland, nicht die Alpen oder Wälder, in Baselstadt sogar nur Brücken, öffentliche Wege u. dgl. mit Almend bezeichnet. — Deshalb kann überraschen, dass der Zusammenhang der Almend- berechtigungen mit den alten Erbengenossenschaften sich gleich- wohl nicht selten deutlich erkennbar erhalten hat, wie dies v. Miaskowski eingehend darstellt. In einigen Theilen des Kantons Bern und in einzelnen Gemeinden der Kantone Solothurn, St. Gallen und Zürich bestehen noch bis zur Gegenwart ausschliessliche Realberechtigungen. In einer Anzahl von Gemeinden der Kantone Zürich und Argau, und sporadisch in Gemeinden von Appenzell A.-Rod., Zug, St. Gallen, Luzern und Thurgau knüpfte sich noch spät im 18. Jahrhundert das V. 10. Die Elitwickelung der Alpenwirthschaft 491 Nutzungsrecht so eng an die Haushofstätte, dass es ohne sie keine Berechtigungen gab, und mit deren Verlust zugleich auch die Ge rechtigkeit an Wonn und Weide verwirkt wurde. Seit dem 16. Jahr- hundert, mit dem Auftreten der neuen Bürger, wurde diese Berech- tigung ausserdem von der persönlichen Zugehörigkeit zum Gemeinde- Verbände und vom Wohnsitz im Gemeindebezirk abhängig gemacht. Es wurden die alten Hofstätten innert Etters als: Ehhofstätten, Ehe- haftenhofestätten , rechte Haushofstätten, deren Besitz allein die Almendberechtigung gewährt, von den neueren, meist ausser Etters angelegten Häusern bestimmt abgeschieden, welche auch nicht Haus- hofstätten heissen sollten. Dieser Rest historischen Rechtes wird da- durch eher verstärkt als abgeschwächt, dass Verbote gegen das Theilen solcher Hofstätten unter mehrere Eigenthümer und gegen Veräusserung einer Hofstätte ohne die Gerechtigkeit, oder der Gerechtigkeit ohne die Hofstätte, die Zersplitterungen nicht immer verhindern konnten. Die Organisation und Gebahrung dieser alterthümlichen Kor- porationen, die von den Bürger- und Einwohnergemeinden zwar offen- bar in ihren alten Nutzungsrechten vielfach beschränkt, in ihrer herkömmlichen Verfassung aber schwerlich gestört worden sind, werden namentlich durch die Alpgenossenschaften deutlich. Die Alpgenossen treten zu regelmässigen Versammlungen zu- sammen. Das Stimmrecht des Einzelnen richtet sich in denselben entweder nach der Zahl der von ihm besessenen Kuh- oder Hütten- rechte, oder ist unabhängig von der Besitzgrösse ein für alle Genossen unter gewissen Modifikationen übereinstimmendes, wie z. B. in Nidwaiden, wo schon der Besitz eines halben Rindes eine Stimme, der Besitz mehrerer Rinder aber nicht mehr als eine Stimme giebt. Die Versammlungen werden gewöhnlich im Frühjahr, ehe das Vieh auf die Alp getrieben wird, und im Herbst, nachdem dasselbe von der Alp zurückgekehrt ist, ausnahmsweise auch zu anderer Zeit, berufen. In ihnen wählen die Berechtigten die Alpvorsteher (Alpleiter, Alp- meister, Bannwarte, Alpvögte) und die diesen beigegebenen Alp- kommissionare, Alpschreiber, Aktuare, Bannwarte, Waldvögte u. clgl. Durch die Versammlung werden die Uebertretungen der Alpgesetze gebüsst, die verhängten Bussen eingezogen, die Rechnungen geprüft, die Vergütungen für die Alpbeamten festgestellt, und die auf die einzelnen Genossen entfallenden Ueberschüsse vertheilt. Sie regeln auch den Zeitpunkt der Alp-Auf- und -Abfahrt, ebenso werden von ihnen Bestimmungen über die Stuhlung der Alpen, den Bau von Sennhütten und Ställen, das Räumen, Reuten und Schwänden, das 492 V. 10. r>it> Entwickelung der Alpenwirthschaffc. Holzschlagen, die Berstellung und Unterhaltung von Wegen, die Aus- breitung des Düngers u. ähnl. gegeben. Die Genossenschaftsbeamten, insbesondere die Alpvorsteher, haben über die Ausführung dieser Be- stimmungen zu wachen, Vorschläge zu Verbesserungen der Alpen zu machen, die Uebertretungen der Statuten zu ahnden u. dgl. Von diesen genossenschaftlichen Straferkenntnissen kann gegenwärtig all- gemein an die kantonalen Gerichte appellirt werden. Die Namen der einzelnen Alpgenossen, sowie die Zahl der den- selben zustellenden Kuhrechte werden im Kanton Bern in eigene von öffentlichen Beamten geführte Seybücher eingetragen, welche das Gesetz vom 23. März 1854, über die Errichtung von Alpseybüchern, mit den zugehörigen Instruktionen geregelt hat. Aehnliche, zum Theil auch gesetzlich angeordnete Alpbücher bestehen in anderen Kantonen, wie Nidwaiden, Appenzell I.-R. und A.-R. Die Weide- und Sennberechtigungen reguliren sich durch die vom Vorstande den einzelnen Anrechten gemäss überwachte Ordnung des Auftriebs. Aehnlich findet die Benutzung der zu den Almenden gehörigen Forststücke statt. Die Holznutzung kann den Almendberechtigten, soweit kein besonderer Bedarf zu befriedigen ist, entweder zum eigenen Einschlag zugewiesen werden, wobei in der Regel das Loos für die Vertheilung entscheidet, oder das Holz kann auf gemeinsame Rechnung eingeschlagen und nach dem Haufen vertheilt werden. Verwickeitere Verhältnisse entstehen bei der Nutzung der Almend- ländereien, die nicht zum gemeinsamen Auftrieb, sondern zu Acker- oder Pflanzland vergeben werden. Die Vertheilung von Almenden zu solcher Nutzung kann nicht wohl auf kurze Zeit geschehen, sie er- folgt der Regel nach auf eine Reihe von mindestens zehn Jahren. Mehr und mehr hat sich auch die Zuweisung auf Lebenszeit eingeführt, ja sogar der Uebergang von Vater auf Sohn, so dass erst nach dem Aussterben des Mannesstammes, oder »wenn der Besitzer Feuer und Licht auslöschen lässt«, der. Rückfall an die Genossen- schaft eintritt. Dabei wird auch auf Reservestücke für später heran- wachsende Anwärter Bedacht genommen. Zurückgefallene, noch nicht wieder untergebrachte Loose werden vom Almendvorstand bewirt- schaftet und Berechtigte, die zur Zeit kein Loos erhalten können, bis zur Zuweisung eines solchen durch Geldentschädigung abgefunden. In dieser Vertheilung von Grund zur Sondernutzung liegt für die unbemittelten Genossen die bei weitem zweckmässigste Art ihre Be- rechtigung auszuüben, namentlich wenn sie kein oder verhältniss- mässig zu wenig Vieh für den Weideauftrieb besitzen. Sie ist eines V. 10. Die Entwickelung der Alpenwirthscnaft. 493 der Mittel, einen Ausweg aus dem Kampfe zwischen den sogenannten Hablichen and Nichthablichen, der wegen solcher Missverhältnisse in der Weidenutzung entstand, zu linden. Verschiedene andre Wege sind für den gleichen Zweck eingeschlagen worden. Man hat die Begüterten in der Besetzung der Weiden mit Kühen auf ein Maximum beschränkt; auch ist von einer gewissen Zahl von Kühen aufwärts ein, oft progressiver, Aufschlag in Geld erhoben worden; oder es wurde den Nichthablichen gestattet, ihr Nutzungsrecht, wenn sie es nicht ausüben konnten, an Habliche gegen Entgelt abzutreten, oder endlich man hat nahegelegene Almendstücke, namentlich Wiesen, zu Weiden für die in den Dürfern bleibenden, nicht auf die Alp ge- triebenen .Heimkühe bestimmt, und dadurch die Armen begünstigt, welche solche Weiden durch ihr Heimvieh oder durch ins Haus ge- nommene fremde Lohnkühe ausnutzen konnten. Schon als eine tiefgreifende Neuerung erscheint es aber, wenn die ärmeren, kein Vieh besitzenden Genossen die Erlaubniss erlangen, die Gemeinweide mit einer gewissen Anzahl fremden, gepachteten Viehes befahren zu dürfen, oder wenn, wie in Gemeinden der Kan- tone Appenzell, Glarus, Unterwaiden, Schwyz und Uri vielfach ge- schehen, die Nichthablichen durchsetzen, dass aus dem Erlöse des gedachten Aufschlages für mehr aufgetriebenes, nicht berechtigtes Vieh Geldantheile gebildet und denjenigen gezahlt werden, welche die Gemeinweide in Ermangelung von Vieh nicht gehörig benutzen können, oder wTelche aus dem Walde nur Brennholz entnehmen, weil sie keine eigenen Häuser und deshalb auch keinen Nutzholzbedarf haben. Aus solcher Geldwirthschaft entspringt dann auch hier und da die Umwandlung der Almendenutzung in Verpachtung an den Meist- bietenden, wobei selbst auswärts wohnende Genossen und alle solche leicht betheiligt werden können, deren Anrechte sich als ideelle An- theile vom Grundbesitze völlig losgelöst haben. Diese reiche und vielseitige Entwickelung der schweizerischen Almenden zeigt auf breitem Boden deutlich die Natur und die Wirkungen der ihren Betrieb bestimmenden wir th schaftlichen Inter- essen. Das Bild dieser Nutzungsweisen und Genossenschaftsrechte ist sehr geeignet, die entsprechenden eigenartigen Erscheinungen in den nichtalpinen Gemeinden Oberdeutschlands anschaulicher zu machen, von denen o. S. 477 ein Beispiel gegeben werden konnte. Beide aber erweisen, wie mannigfache Gestaltungen auch das o. S. 162 geschil- derte Almendwesen des deutschen Volkslandes zuliess. VI. Fränkisch -Yandilisches Agrarwesen in Rheinland und Frankreich, I. Das Auftreten fränkischer Stämme in Deutschland. Rheinland und Frankreich bilden mit einem kleinen Abschnitte der südwestlichen Schweiz das zweite Gebiet der grossen, früher keltischen und römischen Ländermasse nördlich der Alpen, welches innerhalb der o. S. 388 bezeichneten Abgrenzung durch die deutsche Völker- bewegung im Verfall des römischen Weltreiches einen eigenartigen, bis auf die Gegenwart zu unterscheidenden Charakter der Bevölke- rung und der Agrarverhältnisse erhalten hat. Die deutschen Stämme, die dabei mitgewirkt haben, standen in ausgesprochenem Gegensatze. Die Franken waren Westgermanen, schritten seit der ersten ge- schichtlich bekannten Zeit von ihren nördlich benachbarten Stammes- genossen aus langsam vor, und setzten sich in allmählich erweitertem Besitze fest, ohne vor dem letzten Zusammensturze des römischen Reiches jemals ernstlich an dessen Bestände zu rütteln, rissen dann aber unerwartet rasch die Herrschaft über ganz Gallien an sich. Die Vandilier dagegen gehörten den ostgermanischen Völkern an, welche erst seit dem Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. die Ostseeküste und die Ebenen der Oder und Weichsel verlassen und sich in den Kar- pathen und den von ihnen umschlossenen Theiss- und Donaugegenden angesammelt hatten. Von hier strebte ihre Abenteurerlust im 4. Jahr- hundert anfänglich dem schwarzen Meere und Byzanz, dann den reicheren Gefilden Westroms zu. Ihr Einbruch nach Gallien über den Oberrhein und über die Seealpen eröffnete das eigentliche Ringen um die politische Herrschaft, das sich noch vor Ablauf des Jahrhunderts VI. 1. Bas Auftreten fränkischer Stämme in Deutschland. 495 zu ihren Ungunsten entschied. Da ihr Zug indess erst 404 erfolgte, so theilt er die geschichtliche Betrachtung der deutschen Besitznahme Galliens in eine Vorzeit, in welcher nur die Franken auftraten, und in ein späteres Jahrhundert, in welchem Franken und Vandilier in Gegenwirkung neue Bevölkerungs- und agrarische Zustände schufen. — Der Name Franken erscheint zuerst auf der Tabula Peutingerana. Er kann also bis in die Zeit Marc Antons oder des Antonin zurück- reichen. Auch er ist wie der ziemlich gleichzeitig bekannte Name der Alemannen eine Bundesbezeichnung. Ausser den Sigambern im Sallande westlich der Issel nennt die Tabula ausdrücklich auch die Chamaven im Hamalande östlich der Issel: »et Franei«. Ausserdem aber bezeichnet sie auch das Land zwischen Ruhr und Sieg, die alte Heimath der »Sigambern, als Francia. Hier waren damals schon die Ansivaren und Hattuaren wieder erstarkt, aus denen, im Gegensatz zu den Salischen, die Ripuarischen Franken hervorgingen. Da nun auch das Volk der Bataven im 3. Jahrhundert hinter den Franken verschwindet, umfasst die gemeinsame Bezeichnung alle die Ist- vaeonischen Stämme, welche sich rechts des Rheins in einer gewissen Unabhängigkeit von den Römern erhalten hatten. Man wird darin nicht den alten Sinn des Istvaeonenbundes sehen dürfen. Denn so wenig wir von dieser Ueberlieferung, die bei Tacitus am deutlichsten erscheint, wissen, ihr Zweck war jedenfalls ein anderer, als der der Franken und Alemannen. Ingvaeonen wie Istvaeonen konnten andere Bundesgottheiten und Kulte, als den des Irmin-Zeus ihrer Mutterstämme, nur im Gegensatz gegen den alten ursprünglichen Volksverband der suevischen Herminonen annehmen. Die Aufstellung und Anrufung einer anderen leitenden und schützen- den Gottheit lässt sich nicht anders erklären, als durch das unabweis- bare Bedürfniss, welches nur bei feindlichen Berührungen mit den Stämmen der alten Heimath entstehen konnte. Eine solche Be- gegnung aber ist leicht verständlich und war kaum vermeidlich, weil aus der alten Heimath immer neue Stämme in den Besitz der früheren Auswanderer nachdrängten. Die Ingvaeonen hatten sich gegen Che- rusker, Dulgibener und Warnen, die Istvaeonen gegen Cimbern, Tu- banten, Tenkterer und Usipier und anscheinend auch gegen die Marsen zu vertheidigen. Ausserdem lagen sie mit den vorrückenden Ingvaeonen im Kampf. Diese Beziehungen wurden indess für die Istvaeonen durch die Römer verändert. Die Herrschaft der Römer, der sich die Istvaeonen in kurzer Zeit fügten, und der Limes des Tiberius brachten den 496 ^h 1- &as Auftreten fränldscnar Stämme in "Deutschland. • grössten Th'eil der Istväeonen in Schutz. Es ist möglich, dass die Befestigung dos untergermanischen Limes wegen des Rheinstromes als unnöthig und durch dessen Bewachung leicht zu ersetzen, unter- blieben ist. Wir haben seit Tiberius keine Kunde von .Kastellen jenseits des Rheins ausser dem Brückenkopf Deutz und Ultrajectum im Batavenlande. Dass Tiberius jedoch die Reichsgrenze des Limes in erheblicher Entfernung vom Rhein gezogen hatte, steht ausser Zweifel. Denn, wenn man auch in des Vellejus (II, 120) »limites aperit«, deutsche Landwehren sehen kann, sagt doch Tacitus Annal. I, 50 ausdrücklich: At Romanus agmine propero silvam Caesiam limitemque a Tiberio coeptum scindit; castra in limite locat, frontem ac ter- gum vallo, latera concaedibus munitus. Daraus geht hervor, dass Tiberius im Jahre 14 mit dem Limes an der Grenze der Marsen bereits begonnen hatte, und dass auf den Höhen nordöstlich der Lippe seine Anlage beendet war. Auch bestand die Linie nicht in einer Be- festigung oder einem Verhau, den Germanicus erst herstellen lässt, wohl aber war sie in ihrer Lage hinreichend erkennbar, also jedenfalls durch einen fortlaufenden Graben bezeichnet. Es ist deshalb glaub- lich, dass solche Grabenzüge des Limes an der oberen Issel von Emmerich her auch bei Schermbeck, sowie im Westen von Essen, bei Elberfeld und bis nach Wipperfürth aufgefunden worden sind (Hübner a. a. 0. S. 136. vgl. o. S. 390). Dann muss die Limeslinie des Tiberius auch irgendwo in der Nähe der Wied ihren Anschluss an die oberger- manische gefunden haben. Da ausserdem der Drususkanal und die untere Issel bis zur Mündung des Flevus in römischen Händen waren, so hielt Tiberius hier ein nicht unerhebliches rechtsrheinisches Gebiet als zum römischen Reiche gehörig fest. Dies wird dadurch be- stätigt, dass der 47 von Corbulo unterdrückte Aufstand der Friesen entstand, weil sie durch die dortigen römischen Beamten misshandelt wurden. Auch lassen sich wegen dieses Feldzuges des Corbulo die Besatzungen rechts des Rheins, welche Claudius zurückzunehmen be- fiehlt, nicht lediglich am Flevus und bei den Friesen denken. Viel- mehr war der Befehl ein allgemeiner. Gleichwohl bedeutete auch dieses Zurückziehen der Truppen hinter den Rhein keinesweges ein Aufgeben des Gebietes selbst, denn noch 59 vertrieb hier (nach Tac. Ann. XIII, 54) Dubius Avitus die Friesen aus Ländereien, auf welche sie die junge Mannschaft durch Wälder und Sümpfe, das unkriege- rische Alter über die Seen (also über den Osten des Flevus) bis an das Rheinufer geführt hatten. Sie hatten hier schon Häuser auf- gerichtet, die Aecker besät und wie eigenthümliches Land angebaut, • Vi. 1. Das Auftreten fränkischer Stamme in Deutschland. 497 schickten auch ihre Anführer nach Ron), es 7\\ erbitten. Dennoch wurde ihnen dasselbe, als den römischen Soldaten zur Weide vor- behalten, verweigert, und die Räumung schliesslich zwangsweise durchgeführt. In dasselbe Gebiet drangen bald darauf die Ansivaren ein, und wurden ebenso abgewiesen. Bojocalus, ihr Führer, erklärte bei den Verhandlungen: »Es sei Land genug da, dass die Soldaten ihre Rinder und Schafe darauf treiben könnten. Diese Fluren hätten vormals die Chamaven, dann die Tubanten, nachmals die Usipier inne ge- habt.« Daraus ergiebt sich, dass sie schon ziemlich weit östlich, nahe der Lippe, gesucht werden müssen. Das Auftreten der Ansivaren giebt auch noch weiteres Licht. Tacitus sagt (Ebd. 55), dass sie ein bedeutsamer Volksstamm seien, nicht bloss an Menschenzahl, sondern wegen des Mitgefühls der be- nachbarten Völker, als sie durch die Chauken vertrieben und heimaths- los um einen sicheren Ansiedelungsort baten. Die Ansivaren sassen (o. S. 385) in älterer Zeit an der mittlen Ems. Doch ihren Namen Ampsi- varen zu schreiben und auf Amisia, die Ems, zu beziehen, verwirft Müllenhoff bestimmt. Vielmehr sieht er, ähnlich wie in den Ziuvaren die Wahrer des Zeuskultus, in den Ansivaren die Wahrer des ist- vaeonischen Ans- oder Wodansdienstes. Sie hätten also das führende Volk der Istvaeonen gebildet. Es lässt sich auch nicht verkennen, dass sie, wie Tacitus andeutet, ein gewisses Stammesansehen ge- nossen. Adel und Königsgeschlecht der ripuarischen Franken sind ansivarisch, ebenso anscheinend auch die Familie der Pipiniden, welche selbst von den Saliern anerkannt wurden. Tacitus erzählt nun, dass nach der Abweisung durch Avitus die Ansivaren die Brukterer, Tenkterer und noch entferntere Stämme als Verbündete zum Kriege aufriefen. »Avitus schrieb deshalb an Curtilius Mancia, den Legaten des obergermanischen Heeres, er solle über den Rhein setzen und seine Truppen in deren Rücken zeigen. Er selbst führte die Legionen in das Gebiet der Tenkterer und drohte ihnen Vernichtung, wenn sie nicht vom Bunde abständen. Als dies geschah, schreckten die Brukterer aus gleicher Furcht zurück, und auch die Uebrigen, welche fremde Noth abwehren sollten. Daher zog das alleingelassene Volk der Ansivaren rückwärts zu den LTsipiern und Tubanten. Aus deren Land vertrieben, wandten sie sich an die Chatten, dann an die Cherusker, und auf der langen Irrfahrt, bei den einen als Gäste und Dürftige, bei den anderen als Feinde, Meitzen, Siegelung etc. J. 33 4|)g VI. 1. Dafi Auftreten fränkische^ Stämme in Deutschland. wurde ihre Jugend niedergemacht, und das wehrlose Alter als Beute vertheilt. Ueber diesen Untergang der Ansivaren befindet sich Tacitus ebenso im Irrthum, wie über die Vernichtung der Brukterer (Germ. 33). Vielmehr ist es das Land nördlich der Sieg, in welchem die Ansi- varen hinreichend Raum und Ruhe gefunden haben müssen, um all- mählich wieder su erstarken, denn Julian muss hierher gegen die Franci, 4110s Ansivarios vocant, den Rhein überschreiten, und bald darauf begründen sie von hier aus die Macht des ripuarischen Franken- reiches. Also war es die alte Heimath der Sigambern, auf deren Süd- grenze Mancia ihr weiteres Fortziehen verhindern sollte. Es ist nun wohl möglich, dass sie im Siegerlande noch Theile der Sigambern antrafen. Aber da dieselben in ihnen aufgegangen sein müssten, kann die Verschiebung der Hauptmasse der Sigambern in das Salland westlich der Issel, in welchem sie die Tabula Peu- tingerana kennt, nicht viel später als diese Aufnahme der stammver- wandten Ansivaren gedacht werden. Tiberius hatte bereits 40 000 Sigambern zur Uebersiedelung jenseits des Niederrheins in die Nähe der Betuwe bewogen. Es liegt nahe, dass auch der Rest des Volkes geneigt war, aus dem keineswegs besonders günstigen, und seit lange den übermächtigen Zügen der Usipier, Tenkterer und Tubanten aus- gesetzten Siegerlande ihren Stammesgenossen nach dem Niederrhein zu folgen, wie dass die Römer vortheilhaft fanden, dem befreundeten Stamme das Land an der Issel zu überlassen. Ebenso werden die Chamaven, wenn sie das Hamaland besetzen durften, gern bereit gewesen sein, dem Drucke der Brukterer und Angrivaren auszuweichen. Tacitus ist nach dem Eingange des Cap. 33 der Germania über diese Verhältnisse offenbar nicht gut unterrichtet. Er bezeichnet die Sitze der Chamaven nur höchst unbestimmt, die der Sigambern nennt er gar nicht, und erwähnt ihren Namen überhaupt nur als einen alten Stammnamen der Gambrivier. Dies spricht eher dafür, dass er sie nicht mehr in Deutschland fand. Will man aber die Uebersiedelung beider Stämme auch erst in das 2. Jahrhundert setzen, jedenfalls muss sie in die Zeit vor dem Markomannenkriege gefallen sein. Sie erfolgte also in einer Periode, in der die Besitznahme der Batavien benachbarten Landschaften unmittelbar am Rhein nur mit Einwilli- gung der Römer geschehen konnte. Ihre Unterwerfung kann auch der Grund sein, weshalb bei dem Aufstande des Civilis von den rechtsrheinischen Germanen nur Tenkterer auftraten. Die Herrschaft der Römer galt als so notfi- VI. 1. Das Auftreten fränkischer Stumme in Deutschland. 499 wendig, dass in der wegen eines vorgeschlagenen gallischen Reiches herufenen Volksversammlung der Remi gefragt wurde: Was soll werden, wenn Rom nicht mehr herrscht, sollen wir den Trevirern oder den Bataven dienen? Nach der Unterwerfung des Civilis war die römische Macht nur umsomehr befestigt. Durch das ganze 2. Jahrhundert hören wir von keinem Konflikt mit Sigamhern, Cha- maven oder Franken. Noch 191 sieht sich Albinus zu einem Zuge gegen die Friesen veranlasst, der das Frankenland anscheinend ohne Feindseligkeit berührte. Indess schon wenige Jahrzehnte später machen sich die Franken durch wiederholte Raubzüge und stark angewachsene Macht bemerk- bar. 234 muss Alexander Severus, 250 Decius, 254 Postumus, 274 Aurelianus und 277 Probus heftige Kämpfe südlich der Maas be- stehen, um sie von der unaufhörlichen Beunruhigung der innern Provinz abzuhalten. Zu Probus' Zeit hatten sie sich fast ganz Galliens und einer grossen Anzahl fester Städte bemächtigt, Die Zustände wurden durch diese Plünderungszüge und durch den Druck, der auf den Provinzialen lastete, so unerträglich, dass auch die Siege des Probus sie nicht wesentlich zu bessern vermochten. Viele Rusticani der nordwestlichen Gegenden zogen damals vor, ihre Heimstätten zu ver- lassen und in Schaaren als Bagauden vom Raube zu leben. Diese Bagauden bekämpfte Maximian in den Jahren 285 und 286 mit grosser Mühe. Zu derselben Zeit hatte der Menapier Carausius als Präfekt der römischen Flotte die Kanalküsten gegen die überhandnehmenden fränkischen und sächsischen Seeräuber zu schützen, die das ganze Mittelländische Meer unsicher machten. Er wurde jedoch des Einver- ständnisses mit denselben beschuldigt, und bemächtigte sich 286 zu seiner Sicherheit Britanniens1). Dadurch erhielten die Franken Ge- legenheit, unter seiner Begünstigung Batavien und das Land jenseits der Waal bis an die Scheide zu besetzen. Carausius endete 293 durch Ermordung. Gegen seinen Nachfolger Allectus zog Constantius, eroberte 296 Britannien und vertrieb die Franken wieder aus ihren neuen Besitzungen. Als er dann 306 in Eboracum (York) starb, und Erocus, der Fürst der alemannischen Hülfsvölker in Britannien2), gegen den Wunsch des Galerius, Constantin zum Caesar ausrief, sicherte dieser seine Stellung vor allem durch einen energischen ') Eumenius Paneggr. 4, 18. Zosimus 1, 71. Eutrop. 9, 15. *j Sext Aurel. Victor Epitome. . 33* 500 VX 1. Das Auftreten fränkischer Stämme in Deutschland. Feldzug, der das gesammte Frankenland bis jenseits des Rheins sieg- reich zur Unterwerfung und auf die alten Grenzen zurückbrachte. Durch die erlittenen schweren Verluste war indess das Streben der Franken nach weiterer Ausbreitung jenseits der Maas nicht dauernd unterdrückt. Denn schon 357 greift Julian wieder fränkische Volkstheile in Sitzen an der Maas an. 358 aber unternimmt er nach einem schwierigen Rückzuge bis Paris einen Feldzug gegen sie, weil sie sich auf römischem Boden in Toxandrien festgesetzt hatten. Er führt zum Schein Verhandlungen mit ihnen, überfällt sie unerwartet, nimmt aber dann die erbetene Unterwerfung an, und gestattet ihnen, ihre Sitze in Toxandrien beizubehalten. Die Chamaven zwingt er, in ihre alten Grenzen zurückzugehen. Aus Zosimus (3, 6) ist zu entnehmen, dass Julian den Franken das Vorrücken oder wohl das Beibehalten der Ansiedelungen in Toxandrien gestattet habe, weil sie durch das Fortschreiten der Sachsen von der See her aus ihren Sitzen verdrängt wurden. Sei es wegen dieser Politik, sei es wegen der dringenden Abwehr weiterer räuberischer Einfälle der Sachsen, die westlichen Franken hielten nun Ruhe bis über die Zeit Stilichos hinaus. — Bei Gelegenheit dieser Feldzüge Julians erwähnt Ammian (15, 8) zum erstenmal die Salier. Er nennt die Franken, welche Toxandrien besetzt hatten, eos videlicet quos consuetudo Salios appellavit. Salii oder Franci Salii und Sigambri bezeichnet dasselbe Volk (Zeuss 329). Der Name Salii lässt sich nicht anders als von der Isala oder Sala herleiten, wie die Issel nach Cluvers Germ, antiqua II, 18 und Cellarius notitia orbis antiqui II, 3, 18 benannt wurde. Bis auf den heutigen Tag besteht der Name Zaalland (Salland) für den Land- strich an der Issel, nordöstlich von Deventer1). Zeus zieht ein von Folke edirtes Diplom von 997 an, in welchem gesagt sein soll: in pago Salon et in flumine Isula2). In diese alte Heimath weist auch die consuetudo zurück, auf die sich Ammian schon 351 für den Namen beruft. ') Vergl. Spruner und Th. Menke N. 31 Deutschlands Gaue N. I. Die Be- zeichnung Isloi gehört schwerlich einem Gaue an, sondern ist auf einen bewaldeten Landstrich zu deuten. 2) Salius vom Meeresstrande abzuleiten, würde voraussetzen, dass die Franken denselben innegehabt hätten. Dies war aber nicht der Fall, da die Zuidersee erst im 12. und 13. Jhrh. aus dem geschlossenen See Flevus entstanden ist. Von der Nordsee sind die Franken auch nach Carausius noch durch die Westfriesen abgeschlossen ge- wesen, überdies durch die Cannincfaten, die erst spät unter fränkische Grafen kamen. Auch von Sala, der Saal, kommt Salius nicht her. Terra salica ist das erb-! VI. 1. Das Auftreten fränkischer Stämme in Deutschland. 501 Oestlich der unteren Issel in den Ufergegenden des Rheins bis gegen die Lippe und nördlich in Thuente sassen in dem dauernd Hamaland genannten Landstriche die Chamaven. Ihre nördliche Grenze ist unsicher, weil einerseits Salland sich im Norden von Deventer ziemlich weit östlich der Issel ausbreitete, andrerseits die Meinung nicht unberechtigt scheint, dass der Name Thuente auf die Tubanten zurückzuführen sei, welche zwar, wie o. S. 390 u. 405 gezeigt, von Ptolemaeus wieder bei den Chatten verzeichnet werden, und sich 213 bei den Alemannen befinden, von denen indess auch ein Theil westlich in die Moorgebiete der untern Vechte verschlagen worden sein kann. Es mag auch unentschieden bleiben, ob salische oder chamavische Franken über Thuente hinaus nach Threante und bis Groningen vordrangen. Jedenfalls blieben diese Gegenden von der westfälischen Grenze bis einschliesslich Groningen mit dem grössten Theile des Vreedewaldes und dem linken Ufer des Kuinderflusses dauernd fränkisch. Die Hochmoore links der Ems schützten sie gegen die Sachsen. Die Lage der Sache wird auch dann keine wesentlich andere, ■wenn man mit Schröder die Salier aus den Bataven hervorgehen lassen, und den Chamaven das gesammte rechtsrheinische Franken- land zuweisen will. Wahrscheinlicher ist nach dem Sinne der Ueber- lieferungen, dass die Salfranken schon ziemlich früh die Bataven aus der äusserst fruchtbaren, mit der Feiuwe nicht zu vergleichenden Betuwe verdrängt haben. Die Caninefaten im Westen spricht v. Richt- hofen unbedingt dem friesischen Stamme zu, und dies ist auch des- halb anzunehmen, weil die Friesen von Westfriesland aus über die Fley und das Kemmenerland die Küstengegenden der Nordsee bis zur Waal und an deren Ufer abwärts bis zur Mündung der Singfala ins Meer noch während der Karolingerzeit festzuhalten vermochten. eigene Land der salischen Franken, sein persönliches Gut, nicht das zur Sala gehörige Land. Sala, Saal, angs. sal, alts. seli, domus, nord. salr, atrium (Graff VI, 176), kommt im Edict Rothar. 643, de sala propria exire, und Urk. 763, sala cum curtile, vor. Bei den Franken war sala zwar bekannt, hatte aber anderen Ton. Dies zeigen die Worte selane und salina (nach Müllenhoff von saljan). Sala für Hof war am Nieder- rhein anscheinend nicht im Gebrauch. Die lex salica braucht casa und domus, die malb. Glosse das mit sala gleichbedeutende alah, goth. alhr, angels. alh (Graff I, 235). Deshalb lässt salius, salicus, eine Beziehung auf sala nicht zu. Wenn eine Ableitung des Salius von Sala möglich gewesen wäre, würden die Ausleger dem Königs- volke gegenüber gewiss nicht zu salire oder saltare ihre Zuflucht genommen haben, wie es schon Sidonius Apollinaris (carm. 7, v. 237) thut, der der alten Zeit noch so nahe steht. 502 VI. 1. Das Auftreten fränkischer Stämme in Deutschland. Die durch diese Anhaltspunkte mit hinreichender Sicherheit fest- stehende geographische Stellung der salischen und chamavischen Franken gestattet für die Vorgänge von der Zeit Julians an, die einzelnen Frankenstämme, namentlich die salischen und ripuarischen Franken mit genügender Deutlichkeit auseinander zu halten. Die Chamaven werden auffallend selten erwähnt. Es scheint, dass die starke Stellung der Römer bei Nimwegen und Xanten sie von häufigen Feindseligkeiten abhielt. Indess ist es möglich, dass sich die Chamaven nach dem Vordringen der Salier in die Betuwe mehr und mehr über das alte Salland und die Feiuwe auszubreiten vermochten, denn Julian treibt sie nach Ammian (17, 8) aus der Betuwe in ihre Heimath über dem Rhein. Als wesentlich erfahren wir, dass ihre Jugend als cohortes und auxiliarii Chamavorum im römischen Heere Kriegsdienste that. Bekannter bleiben die Salier, weil von ihnen nach Ammians Angabe das Vordringen nach Toxandrien ausgeht. Deshalb müssen auch die Salier als derjenige Stamm angesehen werden, von dem zuerst erwähnt wird, dass die aus seinen Reihen Gefangenen als Laeti angesetzt wurden. 0. S. 366 ist gezeigt, dass Laeti 283 zum erstenmal vorkommen und ausdrücklich als Franken bezeichnet wer- den. Eumenius erwähnt nun diese von Maximian in die Gebiete der Nervier und Trevirer als Laeti verpflanzten Franken (c. 21) eben- falls, unterscheidet aber (c. 9) um Amiens, Beauvais, Troyes und Langres Chamaven, Franken und Friesen, so dass die Beziehung auf die Salier deutlich ist. Auch zum Dienste im Heere scheinen die Letzteren in grösserer Zahl eingetreten zu sein, und zum Theil darf darin der Grund ihres ruhigen Verhaltens im 4. Jahrhundert gesehen werden. Die Notitia dignitatum occident. (ed. Boecking 35, 37, 19 und 24) nennt ausdrück- lich Salii seniores und juniores, sowie auxiliares Salici. Indess führen bei näherer Erwägung die langen Ruhezeiten, und Ueberlieferungen, wie die der Gesta Francor. e. 2 von der bis auf Valentinian bestan- denen Zinspfiicht, darauf, dass die Salier bis in die ersten Dezennien des 5. Jahrhunderts geschwächt und von geringer Bedeutung blieben, dass dagegen alle erheblichen Vorgänge, die in dieser Zeit den Franken zugeschrieben werden, nicht auf die Salier, sondern auf die Ripuarier zu beziehen sind. — Die Ripuaren entwickelten im 4. Jahrhundert schon erhebliche Kraft und verstanden, wie es scheint, auch den Römern gegenüber eine gewisse politische Stellung zu gewinnen. VI. 1. Bas Auftreten fränkischer Stämme In Deutschland. 5Ö3 Da der Alemanne Marcian, wie o. 8. 402 gezeigt ist, 307 vom Main und Rheingau aus rheinabwärts zog, müssen die Franken, die er unterwerfen wollte, die ansivarischen , "also die Ripuarier gewesen sein, ynd der siegreiche Merobaudus ihr König. Auch die Hülfe, welche derselbe Merobaudus dem Gratian bei Strassburg leistete, ist also den Ripuaren zuzuschreiben, nicht den entfernten Saliern. Die Mannschaft der Salier war in das römische Heer eingereiht und trat nicht unter eigenen Königen auf, welche erst ein halbes Jahrhundert später erwähnt werden. Ebenso führten die Chatten und ihre fränkischen Nachbarn die verwüstenden Einfälle während des Concils zu Antiochia um 340 und später aus (Socrat. hist. eccl. 2. 10, 13). Auch die Ueberlieferungen des Sulpicius Alexander bei Gregor von Tours (II, 9) beziehen sich nicht auf die Salier, sondern auf die Ansivaren. Nur diese können 388 unter den Herzögen oder Hunnen Genobaud, Marcomer und Sunno, welche Gregor Unterkönige nennt, in die Provinz Germania eingebrochen sein und den Grenz- wall niedergeworfen haben. Denn ein befestigter Limes bestand auf der salfränkischen Grenze überhaupt nicht, und der rechtsrheinische Limes im Chamavenlande, welcher unter Postumus um 268 zum letzten Male erwähnt zu werden scheint, steht ausser Frage. Min- destens wurde seit lange der Strom und die Militärstrasse längs des linken Rheinufers, die mit der Strasse des linken Maasufers über Mastricht bei Nim wegen zusammentraf, als Limes betrachtet. Julian hatte dieselbe 359 befestigt, und sie war 369 durch Valentinian wieder hergestellt worden. (Ammian 18, 2. 4. 20, 10. 1. 28, 2. 1.) Die 388 eingefallenen Franken tödteten nach der Erzählung Gregors (II, 9) »viele Menschen, verheerten besonders die fruchtbarsten Gegenden und verbreiteten zunächst in Köln Furcht und Schrecken. Als dies zu Trier bekannt wurde, sammelten Nannius und Quintinus ihr Heer und zogen nach Köln. Aber die Feinde kehrten mit grosser Beute, nachdem sie die meisten Gegenden der Provinzen verwüstet hatten, wieder über den Rhein zurück, Hessen jedoch einen Theil ihrer Mannschaft auf römischem Grund und Boden stehen. Mit dem zurückgebliebenen Theil des Heeres gingen die Römer darauf zu gelegener Zeit auf einen Kampf ein und tödteten viele Franken im Kohlenwalde. Als sie nun in der Hitze darüber beriethen, ob man nicht in das Frankenland selbst einrücken solle, war Nannius dagegen und kehrte nach Mainz zurück. Quintinus aber mit dem Heere zog bei der Fest^Neuss über den Rhein, und als er zwei 504 VI. 1. I)as Auftreten fränkischer Stämme in Deutschland. Tagemärsche vom Flusse entfernt war, stiess er auf Häuser und grosse Ortschaften, welche alle von ihren Bewohnern verlassen waren. Denn die Franken hatten sich tief in das Waldgebirge zurückgezogen und am Rande der Wälder Verhaue angelegt. Der Angriff auf diese Verhaue misslang, die Truppen geriethen auf Irrwege und in Sümpfe und nur wenige konnten sich retten.« Dass es sich hier nur um ansivarische Franken handelt, bedarf trotz der Erwähnung der Silva carbonaria keines Beweises. Silvae carbonariae mussten bei dem damals allgemeinen Kohlenverbrauch in den Hypokausten an sehr verschiedenen Orten vorhanden sein.1) Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Römer, welche bei Neuss über den Rhein gehen wollten, bis an die Grenze der galischen Franken zwischen der Dyle und der Sambre westwärts marschirt wären. Jedenfalls wäre dann doch der Uebergang über die Maas erwähnt worden. Wie dem indess auch sei, von Neuss gelangte man zunächst nur ins Land der Ansivaren. Den Kaiser Valentinian II. behandelten seine salischen Söldner zu Vienne fast wie einen Gefangenen, und Arbogast, der die Regierung führte, war offenbar auch ein Salier. Die Franken aber, die er an- griff, standen unter denselben 388 genannten U nterkönigen Marcomer und Sunno, und sein Zug ging von Köln aus über den Rhein. Seine Kämpfe um 392, die Gregor (ebd.) berichtet, können also nur den Ansivaren gegolten haben. Von dem Gebiet derselben aus ver- wüstete er auch Landschaften der Brukterer und Chamaven, ohne einem Feind zu begegnen, während einige Ansivaren und Chatten unter der Anführung des Marcomer auf den entfernten Bergrücken sichtbar wurden. Die Brukterer auf dem Hellwege und ein gewisser Theil des Chamavenlandes in der Rheinebene gehörten auch später noch zimi ripuarischen Reiche. Arbogasts Hass2) galt also dem mächtiger ge- wordenen, freigebliebenen und gewiss auch angeseheneren Nachbar- stamme. Auch die Könige der den Alemannen benachbarten Franken, mit denen der von Arbogast zum Imperator ausgerufene Eugenius 393 die alten Bündnisse erneuern will, können nur die ripuarischen sein, weil er deshalb mit einem Heere an den Rhein zieht, während als Leiter der Salier nur Arbogast bekannt ist, die Salier auch schon in Toxandrien sassen. ') Lamprecht a. a. 0. S. 31 setzt diese Silva carbonaria zwischen Aachen und Eupen, wo sich noch der Kohlberg bei Herzogenrath, Kohleweis bei Eupen , Kohl- scheid bei Aachen, auch eine Kohlenstrasse über die Eifel finden. 2) Greg. v. Tours II, 9, gentilibus odiis insectJÄÖo. Vi. 1. Das Auftreten fränkischer Stämme in Deutschland. 505 Zwei Jahre später aber ist Eugenius geschlagen und ermordet, Arbogast hat sich selbst den Tod gegeben, und Theodosius theilt sterbend das Reich unter seine Söhne Arcadius und Honorius. Mit dieser Theilung beginnt der Kampf zwischen Alarich und Stilicho, welcher letzteren veranlasst, die Legionen aus den Provinzen nach Italien zu ziehen. Nachdem er 403 Alarich besiegt, gelingt es ihm 406, auch die unter Radagais nach Italien vorgedrungenen Sueven, Vandalen und Alanen bei Faesulae zu vernichten. Die Hauptmasse dieser Völker aber bricht nördlich der Alpen 407 über den Oberrhein nach Gallien ein. 412 ziehen auch die Westgothen unter Athaulph aus Italien nach der Provence und Aquitanien. — Bis dahin lassen sich in der Entwickelung der öffentlichen und wirthschaftlichen Verhältnisse Galliens besondere, durch den Einfluss der Deutschen gewonnene Gestaltungen nicht erkennen. Die Dar- stellung der Possessoren, Kolonen und Benefiziaten, o. S. 369, zeigt, dass die hier bestehenden Zustände die natürliche Folge der römischen Pro vinzial -Verwaltung und Verwerthung gegenüber der Zerrüttung durch die immer wiederholten Raubzüge der Barbaren und der Partei- kämpfe militärischer Thronprätendenten waren. Gallien unterschied sich in dieser Beziehung wesentlich von Oberdeutschland. In Oberdeutschland schwand schon seit dem Markomannenkriege die römische Macht so fühlbar, dass den anwachsenden deutschen Stämmen und ihren Fürsten der Gedanke unmittelbar nahe lag, weitere Landstrecken als selbstständige Volkssitze zu erobern. Auch gelang dies wegen der nur sporadischen Vorstösse römischer Heere so leicht, dass alsbald zwar rohe und ungeordnete, aber doch zeit- weise souveräne volksthümliche Staatenbildungen entstanden, welche zugleich nahen Anschluss an die alten Volksgebiete hatten. In Gallien dagegen besass die römische Macht viel grössere Widerstandskraft. Die Verwaltung war schon vor Augustus über das ganze Land fest begründet, und die ständige Truppenzahl am Rhein sehr bedeutend. Auch lagen hier die Grenzen viel weniger offen. Die schwere Zugänglichkeit der mittelrheinischen Gebirge auf beiden Seiten des Stromes und die starke Befestigung des Limes im Taunus und Westerwald sicherten das Rheinthal von Mainz bis Bonn. Erst am Niederrhein zwischen Ruhr und Issel öffnete sich ein Einbruchs- thor, das aber entfernt und nur wenigen Stämmen passend gelegen war. Zudem kreuzten sich die Interessen der Deutschen. Denn das linke Rheinufer war von den Römern seit dem ersten Beginn ihrer Herrschaft durch Bruchtheile deutscher Völkerschaften besiedelt, 506 VI 2. Die Reiche der Westgothen, Burgunden und Franken. welche hier Schutz gefunden hatten und, der Heimath entfremdet, ihren Stammesgenossen feindlich gegenüberstanden. Die Franken waren der einzige Stamm, welcher mit deutschem Boden in Verbin- dung bleiben konnte, und doch sassen auch sie nicht auf altem eigenem Besitze, sondern hatten ihr Land aus den Händen der Römer überkommen. Dabei bestand in Gallien ein Gegensatz zwischen den ansässigen keltischen Provinzialen und den abenteuernden unstäten Germanen, welchen die Römer vortrefflich in ihrem Kriegswesen be- nutzten. Mit der Zeit war der Haupttheil der Heere diesen fremden Zugezogenen entnommen. Sie kämpften für Sold, Beute und Land- verleihung gegen jeden Feind, dem sie gegenübergestellt wurden, und waren die Parteigänger jedes Caesars, der die Legion zu ge- winnen vermochte. Sie brachen rücksichtslos in Meuterei gegen strenge Offiziere oder harten Dienst aus, und jeder Machthaber musste sie fürchten und ihnen Vortheile zuwenden. Aber der Gedanke, Freiheit zu erkämpfen oder einen eigenen Staat zu gründen, lag ihnen völlig fern. Unter allen Verhältnissen, auch im wilden Aufruhr, waren sie vor allem römische Soldaten. Dieser innere Halt der Provinzen Galliens wurde durch das Ein- treten der Ostgermanen erschüttert. 2. Die Reiche der Westgothen, Burgunden und Franken. Das erste Auftreten der Sueven, Vandalen und Alanen in Gallien war nicht besonders glücklich für sie. Weite Strecken wurden von ihnen verheert und geplündert, aber ihre Erfolge waren gering. Wo sich die Sueven anfänglich ausgebreitet haben, ist nicht be- kannt. Der Zug der Vandalen und Alanen wendete sich 407 zuerst nach dem Rhein hin. Die Vandalen nahmen den nächsten Weg nach den fränkischen Rheingegenden, wahrscheinlich von dem reichen Trier gelockt. Sie wurden, wie Gregor v. Tours (II, 9) erzählt, auf diesem Marsche von den Franken mit einem Verluste von 20 000 Mann geschlagen und dem Untergange nahe gebracht. Die Alanen waren zunächst in die Gegend von Mainz gelangt. Hier ging der Alanenkönig Goar mit den Seinen zu den Römern über, und schloss sich den Burgunden an, welche seit Julian oder doch seit Valentinian den Römern befreundet waren. Der Rest der Alanen unter Respendial wandte sich westlich und rettete durch sein Eintreten die Vandalen von der ihnen von den Franken drohenden Vernichtung. Daraus er- weist sich, dass die verschiedenen Volksstämme selbstständig, getrennt VI. 2. Die Reiche der Westgothen, Burgunden und Franken. 507 und planlos vorgingen. Als die siegreichen Franken aber, welche die Vandalen abwiesen, lassen sich nur die Ripuaren denken, denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Alanen, welche von Mainz aus nur zum Trevirerlande gelangt sein können, die Vandalen zu retten vermocht hätten, wenn die Schlacht nicht an der Mosel, sondern nahe den salfränkischen Maasgegenden geschlagen worden wäre. Als weiterer Gegner trat den eingedrungenen Schaaren Constan- tinus entgegen, der in Britannien zum Kaiser ausgerufen worden war. Auch er blieb siegreich und erreichte es, die Sueven ebenso wie die Vandalen und Alanen auf den Osten Galliens zu beschränken. Als aber Constantin Spanien besetzt hatte, fiel dort sein Heerführer Gerontius von ihm ab, und Constantin konnte nicht hindern, dass diesem die drei Völker unbehelligt zu Hülfe zogen. Sie überschwemmten ganz Spanien und trafen 411 mit den dortigen Provinzialen ein Ab- kommen, wonach Vandalen und Sueven in Galatien, Alanen und Silingen in Lusitanien aufgenommen wurden. 428 setzten die Van- dalen nach Afrika über. Mit diesem neuen Besitz war die Gefahr für Gallien incless nicht beseitigt, denn sie blieben Herren über den Südosten der Provinz. Gerontius fiel mit den ihm zu Gebote stehenden Streitkräften nach Gallien ein, tödtete den Sohn des Constantin und belagerte ihn selbst in Arelate. Hier vertrieb Constantius, der Feldherr des Honorius, den Gerontius, und brachte Constantin zur Unterwerfung. Gleichzeitig aber warf sich Jovinus in Mainz zum Kaiser auf und wurde von den Burgunden als solcher anerkannt. Gegen diesen zu ziehen, erbietet sich nun Athaulph, der Nach- folger des 410 verstorbenen Alarich, indem er sich und seine Westgothen aus Liebe zu der von ihm als Geisel gefangenen Placidia, einer Tochter Theodosius des Grossen, dem Honorius unterwirft. Er besiegt den Jovinus, heirathet die Placidia, fällt dann, zweifelhaft ob in Treue oder Untreue gegen Honorius, in Spanien ein und wird schon in Barcelona durch einen Diener ermordet. Sein Nachfolger Wallia trat , wie Athaulph , in das Verhältniss eines Miles des Honorius und eroberte für ihn 416 bis 418 Spanien. 419 aber wurde er und alle Westgothen unter dem Namen der Beloh- nung nach Gallien zurückberufen. Sie erhielten ad habitandum et ad agros excolendos Aquitania secunda und Novempopulana überwiesen, wörtlich : secunda Aquitania a Tolosa usque in Burdigalam ad Oceanum cum quibusdam civitatibus confinium provinciarum, d. h. das südliche Gallien von den Pyrenäen bis nördlich zur Garonnemündung und den 508 VI. 2. Die Eeiche der Westgothen, Burgunden und Franken. Cevennen, aber mit Ausschluss der Provence. Tolosa wurde Residenz des Königs. Gleichzeitig haben nach Jordanes (37, 38) auch Niederlassungen von Alanenschaaren nördlich der Loire um Alencon stattgefunden. Andere Alanenansiedelungen werden 440 in Valence und gleichzeitig in Armorica bezeugt, welche letzteren 490 von Budich von Bretagne, unter Einverleibung ihres Landes als Alania, seinem Herzogthum unterworfen wurden. Aus der Zeit von 420 erwähnt Gregor v. Tours (II, 18) auch zum erstenmale die festen Ansiedelungen der Sachsen an der Nord- und Westküste Frankreichs. Sie müssen schon um die Mitte des 4. Jahr- hunderts begründet worden sein, denn Zosimus (3, 6, s. o. S. 500) spricht nicht von einer vorübergehenden Landung, und die Nordküste führte damals bereits den Namen litus Saxonicum. Eine ausgedehnte und bis in die späte Merovingerzeit unter selbstständigen Führern bestehende sächsische Landschaft sind die Saxones Bojocassini in und um Bayeux. Auf der Westküste hielten die Sachsen lange Zeit die Inseln der Loiremündung, und im Strome selbst grosse Werder zwischen Saumur und Angers besetzt, hatten auch Angers inne. Inzwischen stand seit Athaulph den Burgunden und Ripuaren keine Macht gegenüber. Die Burgunden breiteten sich nach dem Elsass und in das Trevirerland aus. Von den Franken wird über- liefert, dass sie in den Jahren 410, 411, 412 und 418 Trier wieder- holt belagerten und eroberten, so dass 418 die Praefectura praetorii Galliarum von dort nach Arles verlegt wurde. 423 starb Honorius, und erst unter Valentinian findet sich end- lich in Aetius ein Feldherr, der, wie ihn Gregor (II, 8) schildert, den Verhältnissen in Gallien gewachsen ist. Er wurde 428 in die Provinz geschickt und warf sofort grosse Schaaren Franken, welche den Rhein überschritten hatten und in das Moselland eingedrungen waren, mit Ueberlegenheit zurück. Ebenso vertrieb er 430 die Chatten, die sich zahlreich im Nahe- und Saargebiete auszubreiten begannen. 435 und 436 werden wiederholte Feldzüge erwähnt, durch welche Aetius die Burgunden unterwarf und zu einem Vertrage bestimmte, laut dessen sie von Mainz in die Sabaudia übersiedeln sollten. Dieser Vertrag, dessen Sinn o. S. 409 erläutert ist, kam 443 zur Ausführung. Die Grenzen der damaligen Sabaudia lassen sich nicht näher be- stimmen. Genf aber war ihr Mittelpunkt. Es ist möglich, dass die Burgunden schon früher vom Elsass her Theile der Franchecomte im Besitz hatten. Jedenfalls haben sie in letzterer schon sehr früh ge- VI. 2. Die Reiche der Westgothen, Burgunden und Franken. 509 herrscht und von der Sabaudiä aus ihr Gebiet, wie es scheint noch unter Gundikar, in die Bourgogne ausgedehnt. Diese Uebersiedelung der Burgunden giebt auch Anhalt für eine nähere Bestimmung der Zeit, in welcher die salischen Franken zum erstenmal wieder mit selbstständigen Unternehmungen auftreten. Diese Vorgänge bedeuten zugleich den Anfang ihrer überraschend schnellen Entwicklung zu unerwarteter politischer Grösse. Gregor v. Tours schreibt darüber (II, 9): »Man erzählt, dass sich die Franken zuerst an den Ufern des Rheins niedergelassen. Dann seien sie über den Rhein gegangen und durch Thoringien gezogen, dort hätten sie nach Bezirken und Gauen gelockte Könige über sich gesetzt aus ihrem ersten und sozusagen adligsten Geschlecht. . .« »Damals soll Chlogio, ein tüchtiger und sehr vornehmer Mann unter seinem Volke, König der Franken gewesen sein und zu Dispargum im Lande der Thoringer Hof gehalten haben. In diesen Gegenden aber wohnten südwärts die Römer bis zur Loire, und jenseits der Loire fing die Herrschaft der Gothen an. Die Burgunder wohnten jenseits der Rhone, an der die Stadt Lyon liegt. Chlogio aber schickte Kundschafter aus nach der Stadt Cambray und als sie Alles erforscht, folgte er ihnen nach, überwand die Römer und nahm die Stadt ein. Kurze Zeit hielt er sich hier auf und eroberte dann die Landschaften des nördlichen Artois bis Boulogne und bis zur Canche.« Chlogio starb 447. Da nun die Burgunden erst 443 von Genf aus an der Rhone um Lyon Besitz erlangten, muss das Vorgehen Chlogios in die letzte Zeit seines Lebens fallen. Der Uebergang der Franken über den Rhein kann früh oder auch ziemlich spät gedacht werden, je nachdem er auf das Ver- lassen des Sallandes über den eigentlichen Rhein nach der Betuwe, oder auf das Ueberschreiten der Waal von der Betuwe aus bezogen wird. Jedenfalls ist unter diesem Uebergange der des alten salischen Stammvolkes verstanden, nicht die nur allmählich angewachsene Zahl Ansiedler, welche schon zu Julians Zeit in Toxandrien Besitzungen erlangt hatte, dort aber inzwischen von der See her durch die Tho- ringer beschränkt worden war. Dass Gregor unter Thoringien oder dem Lande der Thoringer nur einen Landstrich zwischen der Waal und der Scheide verstanden haben kann, hat Waitz schon mit über- zeugenden Gründen dargethan1). Da die Angeln 449 mit den ') D. V. G. II., S. 58, 67. Ein Angriff auf das mitteldeutsche Thüringen kann nicht gemeint sein, denn noch im Jahre 491 fehlte Chlodwig dorthin jeder Zugang, weil weder die Alemannen, noch dje Ripuarier unterworfen waren. Auch könnten diese 510 VX 2. Die Reiche der Westgothen, Burgunden und Franken. Sachsen nach England gingen, und auch die Warnen den Angeln be- nachbart an der Ostsee Sassen, hat das Auftreten beider verwandter Stämme am Rhein gegen das Ende des 4. Jahrhunderts nichts Auf- fallendes. Die Ufergebiete derWaal waren von den Einfällen der Sachsen schon seit Carausius (o. S. 499) heimgesucht. Waitz hat überdies gezeigt, dass in dem Worte Thoringien nicht eine Verwechselung mit Tungria und der Gegend von Tongern gesehen werden darf. Es muss vielmehr angenommen werden, dass es den Franken zu Chlogio's Zeit gelungen war, die Thüringer zwischen der Waal, Scheide und unteren Deiner ihrer Oberherrschaft zu unterwerfen, und sich auch weiter im Scheidegebiete westlich bis zur Lys und östlich bis zur Dyle sowie in der silva carbonaria auszubreiten. Letztere begann am linken Ufer der Dyle in der Gegend der Dylequellen und erstreckte sich nach Westen über die Sennequellen gegen die Sambre und Mons. 50 Jahre später soll Childerich, der Sohn Marwig's, nach Thüringen geflohen und dort bei dem Könige Bisin verborgen worden sein, den Venantius Fortunatus als Vater Hermenfried's und Berthar's be- zeichnet. Dies kann richtig sein, gleichwohl müssen die toxandri- schen Thüringer nach Chlogio fortbestanden und sogar hinreichende Selbstständigkeit erlangt haben, denn noch 491 greift sie Childerichs Sohn Chlodwig an und unterwirft sie seiner Herrschaft. Inzwischen haben, wie Gregors Angaben zeigen, verschiedene fränkische Gaukönige neben den genannten geherrscht: Theodemer, Richimers Sohn, welcher, wie seine Mutter Ascyla, mit dem Schwerte hingerichtet wurde, Chararich, der, wie man annimmt, zu Therouanne, Ragnachar, der zu Cambray regierte, ferner des Letzteren Bruder Richar, sowie anscheinend auch der dritte Bruder Rignomer, und, wie Gregor sagt, viele andere Könige, welche später Chlodwig als seine nächsten Verwandten tödten Hess, um seine Herrschaft zu sichern. Dass die Eroberungen Chlogios, welcher eine eigene Herrschaft zu begründen trachtete, nicht ohne Kampf mit Aetius stattfanden, Thüringer nicht füglich Angeln und Warnen heissen, weil neben den hermundurischen Thüringern, unter denen die möglichen Reste der Angeln in Engili schwerlich politische Bedeutung hatten, damals noch das selbstständige Königreich der Warnen bestand. Theodorich der Grosse schreibt (Cassiodor. Var. III, 3) an die Könige der Heruler, Warnen und Thüringer, um sie zu einem Bündniss gegen die um sich greifende Macht Chlodwigs zu vermögen. Dabei kann die Frage dahin gestellt bleiben, ob die lex Anglorum et Verinorum id est Thuringorum an den Rhein oder nach Thüringen gehört. Vergl. näher Lamprecht, Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins Bd. IV, 1882, S. 224 ff. Das Erscheinen der Warnen an der Waal lässt sich indess, wie das der Angeln, nur zur See, nicht vou Süd- oder Nordthüringen aus zu Lande denken, VI. 2. Die Reiche der Westgothen, Burgunden und Franken. 511 ist anzunehmen, indess war dieser damals wahrscheinlich mit viel grösseren Sorgen beschäftigt. Aetius war mit den Hunnen wohl bekannt. Er hatte schon im Knabenalter bei ihnen als Geisel gelebt, war dann 425 von dem Tyrannen Johannes beauftragt gewesen, von ihnen die Sendung eines Hülfsheeres zu erkaufen, und 436 und 438 hatten auch schon Hunnen in seinem eigenen Heere in Gallien als Auxiliaren gegen die West- gothen gekämpft. Er konnte also hinreichende Kunde von den Ver- wickelungen haben, welche sich zwischen Attila und den Westgothen erhoben, und Attila schliesslich 451 gegen Orleans und auf die ca- talaunischen Gefilde führten. Die Burgunden erlitten alsbald bei der Verteidigung eines Vogesenpasses die vernichtende Niederlage, in der Gundikar fiel. An der Schlacht bei Chalons nahmen auf Seite der Römer allein die Westgothen, die Sachsen von Bayeux und die Franken Theil. Allerdings wird nur von einem Könige der Franken gesprochen, und es wäre möglich, dass deshalb nur die Ripuarier an der Seite des Aetius kämpften. Angeblich aber war dieser Frankenkönig Merowaeus. Dann würden sich auch die salischen Franken betheiligt haben, obwohl Merowaeus den Römern das Land bis zur Somme entriss. Nach dem Rückzuge Attilas endete Aetius 452 durch Valen- tinians HI. eigene Hand. Indess gelang es Majorian noch einmal, durch glückliche Feldzüge um 457 das sich lockernde Vasallenverhältniss der germanischen Völker zu festigen. Er zwang die wachsende Macht der Westgothen ebenso zum Gehorsam, wie die der Burgunden, welche 456 von den Gebieten von Lyon und Vienne Besitz ergriffen und ihre Grenzen westlich der Aar und der Savoyer Alpen bis zur Rhone und Saone ausgedehnt hatten. Auch gegen die Salier kämpfte er im Gebiete der Atrebaten. Nach seiner Ermordung 461 aber begann die Auflösung der Provinz in Staatenbildungen, deren Fürsten zwar das zusammenfassende Band des grossen Weltreiches noch anerkannten, jedoch bewussten Werth darauf legten, ihre Gebiete proprio jure zu regieren. Obwohl Aegidius und Syagrius tüchtige Heerführer waren, und ihre mit dem Reiche allerdings kaum mehr in Verbindung stehende Macht in der Mitte der Provinz konzentrirt hatten, brach die römische Herrschaft doch in kurzer Zeit völlig zusammen. 462 besetzten die Westgothen Narbonne und das narbonnensische Gallien. Um 470 eroberte ihr König Eurich Spanien, und Kaiser Nepos zog es vor, ihm das Arvernerland mit Clermont, sowie Berry friedlich abzutreten. 512 VI. 2. Die Reiche der Westgöthen, Burgunden und Franken. Eurieh schlug mich die Burgunden, rückte die Grenzen des West- gothenreichs von den beiden Meeren und den Pyrenäen bis zur Loire und Rhone vor und eroberte 480 Arles und Marseille und die Vor- berge der ligurischen Alpen. Die Salier waren anfänglich weniger glücklich. Denn Syagrius schlug 464 und 476 ihren König Childerich und stellte die römische Herrschaft über Rheims, Beauvais und Amiens wieder her. 486 besiegte aber Chlodwig den Syagrius entscheidend bei Soissons und machte damit der römischen Herrschaft in Gallien ein Ende. — Die ripuarischen Franken waren seit Attilas Niederlage, soweit bekannt, mit den Römern nicht mehr in Kampf gekommen, sondern blieben Herren des linken Rheinufers bis zu den Ardennen und der Maas, anscheinend mit Einschluss des Hennegaus, der Landschaft Hasbania, welche von den salischen Franken durch die Demer und die Dyle geschieden war. Aetius und Syagrius hatten auch die Ausbreitung der Alemannen vom Elsass aus über Barrensis und das Mosel- und Maasgebiet nicht hindern können, oder vielleicht als Hülfe gegen die Franken nicht hindern wollen. Eine organisirte Herrschaft der Alemannen lässt sich nicht erkennen, ihre Ansiedelungen sind aber, wie die Ortsnamen zeigen, hier sowohl, als im Gebiete der ripuarischen Franken so häufig, dass sie genügend Kraft und Zeit gehabt haben müssen, ungestört von ziemlich ausgedehnten, wenn auch vereinzelten Land- strecken Besitz zu ergreifen. Das Anwachsen ihrer Macht muss indess mit den Interessen der Ripuarier unverträglich gewesen sein, denn nicht Chlodwig, sondern der letzte Ripuarierkönig Sigebert schlug sie, schon mindestens zwei Dezennien früher als 496, bei Zülpich. Sigebert wurde dabei verwundet, so dass er lahmte, was Chlodwig zum Anlass nahm, seinen Sohn Chloderich gegen den Vater aufzu- reizen. Er zog (nach Greg. v. Tours II, 40) vor, sie zu verderben, als mit ihnen um die Herrschaft in Ripuarien zu kämpfen. Als er sie mit einem Schein von Gerechtigkeit beide gemordet hatte, und den Ripuaren ihre Gesetze und Verfassung Hess, erhoben sie ihn in einer Art Personalunion zum Könige, während er die Länder der übrigen Frankenkönige als sein Erbe und seine Eroberung ohne weiteres in Besitz nahm. Ob die von den Chatten links des Rheins vom Soonwalde bis Mainz besetzten Gebiete und das alte Chattenland selbst damals be- reits als ein Theil des Ripuarierreiches an Chlodwig übergingen, oder VI. 2. Die Reiche der Westgothen, Burgunden und Franken. 513 von ihm ohne Kampf zum Frankenreich gezogen wurden, ist nicht klar. Eine gewisse Selbstständigkeit der Chatten gegenüber Ripuarien zeigt sich darin, dass sie auf den catalaunischen Gefilden, allerdings wohl, wie alle östlichen deutschen Stämme, gezwungen, für Attila, die Eipuaren für Aetius kämpften, und dass im Chattenlande nicht ripuarisches, sondern Baifränkisches Volksrecht geltend wurde.1) 496 besiegte Chlodwig mit grossen Anstrengungen und Verlusten die Alemannen zwischen Toul und dem Rhein und liess sich bald darauf, angeblich wegen des in der Schlacht abgelegten Gelübdes, vom Bischof Remigius taufen, und zwar im Gegensatz zu den ariani- schen Westgothen, als katholischer Christ. Damit war verstärkter Anlass zu Feindseligkeiten mit diesen Nachbarn gegeben. Schon 507 verloren die Westgothen Bordeaux und Toulouse an die Franken, Narbonne an Burgund. 510 besetzte Theodorich der Grosse die Provence, und beschränkte das westgothische Reich auf Septimanien (Languedoc und Roussillon) und Spanien, wo es bis 711 bestand. Burgund wurde 516 nach Gundobads Tode von Theodorich dem Grossen im Bündniss mit den fränkischen Königen Childebert und Chlotar angegriffen und 534 grösstentheils dem fränkischen Reiche unterworfen, bis es unter Chlotars Sohn Guntram wieder als beson- deres Königreich Selbstständigkeit erhielt. 509 eroberten endlich auch die Friesen, über deren Ankunft und Auftreten nichts Näheres bekannt ist, mit Hülfe Chlodwigs die bis dahin selbstständig gebliebene Bretagne und gestalteten sie zu einer fränkischen Grafschaft um. Chlodwig wurde nur 45 Jahre alt, unterwarf aber in 30jähriger Regierung durch die unerhörte Rücksichtslosigkeit in der Wahl seiner Mittel, Krieg, Hinterlist und Mord, ganz Gallien bis zur Provence. Wie sich die Frankenmacht nach Osten über Alemannien, Thü- ringen und Bayern ausdehnte, ist o. S. 411 gezeigt. Unsicher blieben nur die Zustände längs der Nordküste. Die Sachsen von Saumur und Angers hatte Chlodwig noch aus den be- waldeten Stromwerdern der Loire zu vertreiben vermocht. Aber zur Sicherung der Meeresküste fehlte den Franken die Seemacht. Die Sachsen von Bayeux spielten dauernd eine nicht unbedeutende Rolle in den Kämpfen der fränkischen Theilfürsten, namentlich unter Brunhild. Es bleibt zweifelhaft, wie weit ihre Unterwerfung unter ') R. Schröder, Die Franken, S. 20. Meitzen, Siedelung etc. L 33 514 VI. 2. Die Reiche der Westgothen, Burgunden und Franken. das fränkische Reich ging. Noch unter Karl dem Kahlen erwähnt das Capitul. Conv. apud Silvacum unter den missi vier, welche neben anderen Gauen auch Ot lingua oder Otlinga Saxonia besuchen sollen.1) Neben den sächsischen Raubzügen wird schon 515 von einem Zuge dänischer Raubschiffe erzählt, welche damals durch Theudebert völlig vernichtet worden sein sollen. Um 800, unter Karl dem Grossen, werden die Dänen indess gefährlich. Sie dringen plündernd in die Mündungsgegenden des Rheins, der Scheide, Seine und Loire und können von Karl nur durch starke Wachen zurückgehalten werden.2) Nach seinem Tode richten sie jährlich gesteigerte Verwüstungen an. Um 843 nahmen sie Nantes und setzten sich bleibend an der Loiremündung, wie es scheint, auf der Insel Rhe, fest. Das ganze Jahrhundert hindurch brandschatzten sie Frankreich auf Raubzügen, welche sich bis Toulouse, Fleury, Paris, Rheims, Auxerre und Valence erstreckten. Ebenso gingen sie am Rhein aufwärts und plünderten Neuss, Duisburg, Köln, Bonn und sogar die untere Mosel. Seit 876 treten neben ihnen die norwegischen Raubschaaren der kleinen Seekönige auf, welche sich Harald Harfagr nicht unterwerfen wollten. Rollo setzt sich auf dem Nordufer Frankreichs fest, ver- wüstet die Gegenden zwischen der Seine und Bretagne bis Le Mans, Tours und Chartres und wird endlich nur dadurch beruhigt, dass ihm Karl der Einfältige eine feste Herrschaft anbietet. Flandern lehnt Rollo als zu schlecht ab. Dagegen wird ihm 911 das Land, das danach Norman die benannt ist, von der Epte und Andelle im Osten, und bis zum Meere und St. Malo im Westen, als Lehn unter der Bedingung der Annahme des Christenthums abgetreten. — Mit den Normannen erst enden die massenhaften Zuwande- rungen deutscher Volkstheile, die in Rheinland und Gallien Land und ein landwirtschaftliches Dasein erstrebten. Alle diese Stämme fanden, wo sie sich auch festsetzten, keltorömischen Grundbesitz und keltorömisches Agrarwesen vor, und von allen lässt sich vermuthen, dass sie ihrem neuen Besitze einigermassen den Stempel ihrer hei- mathlichen Sitten und ihrer Eigenthümlichkeiten und Anschauungen aufgedrückt haben. Auch haben die meisten, trotz des fränkischen ') Greg. v. Tours III, 3. II, 18, 19. X, 9. — Ammian Marcell. XXVII, 8. XXVIII, 2, 5. — Sidon. Apollin. Epist. VIII, 6, 9. Carm. 8. — Jornandes de orig. Getar. c. 36. — Karoli Kalvi Capitul. Convent. Silv. Mon. Germ. III (LL. I) p. 426. — Zeuss S. 384. 2) Einhard's Vita Karoli c. 17. VI. 2. Die Reiche der Westgothen, Burgunden und Franken. 515 Königsrechtes, noch lange ihr persönliches Volksrecht auf grossen Gebieten zu bewahren vermocht. Dennoch übte das fränkische Staatswesen mit seiner alle diese Länder umfassenden Organisation und Machtfülle einen wesentlich bestimmenden Einfluss auf die agrarischen Einrichtungen und auf das wirtschaftliche Leben des gesammten Gebietes aus. 3. Die Gruppirung der Einzelhöfe und der Dorfaniagen auf dem fränkisch-vandilischen Gebiete. Für das Urtheil über den Einfluss der deutschen Besitznahme ganz Galliens auf die älteren agrarischen Verhältnisse muss es vor allem auf die Aufschlüsse ankommen, welche das Kartenbild der ver- schiedenen Landestheile über den Charakter der Besiedelung und über die Unterschiede in der Gestalt der Ortschaften und der Vertheilung des zugehörigen Kulturlandes zu gewähren vermag. Bezüglich dieser Frage führt die Durchsicht der für den gesammten Länderkreis überall vorhandenen Generalstabskarten zunächst zu dem überraschenden Ergebniss, dass Spuren römischer Centuriatein- theilungen nirgends vorhanden sind.1) Die Anzahl der Veteranen-Kolonien in den drei Gallien und in Germania inferior war vielleicht nicht gering, aber bestimmt bekannt sind doch nur die wenigen o. S. 329 genannten. Die Provence ist viel reicher. In ihr liegen Arles, Aix, Apt, Orange, Die, Frejus, Narbo, Riez und Beziers. Es Hesse sich hier auch am ersten das Wegenetz an manchen Stellen auf solche Anlagen deuten. Aber dieses Küstenland hat durch die Besonderheiten der südlichen Lage und durch griechischen und römischen Einfluss von früher Zeit her den Charakter der italischen Besiedelung angenommen. Ueberall bestehen aus der Römerzeit kleine und grosse städtisch gebaute, ge- schlossene Orte. Wenn es auch dort, wie in Arausio (s. o. S. 291 und Anlage 31), gelänge, Centimen nachzuweisen, würden sie für die übrigen Provinzen Galliens nicht charakteristisch, sondern einer der Beweise des engen, weit in die Republik zurückreichenden Zusammenhanges der Narbonnensis mit dem Leben und den Schicksalen Italiens sein. In dem eigentlichen Gallien und Germanien haben sich an die Thore von Kolonien, wie Lyon, Trier und Köln, sicher Centurien- ') Nahe bei Cleve, zwischen Calcar, Uedem und Goch, kann die Generalstabs- karte allerdings den Gedanken an Reste von Centurien hervorrufen. Das Bild erweist indess nur, dass Wegequadrate, welche 200 jugera einschliessen, auf jeder Karte im 33* 5^6 VI. 3. Die Gruppirung der Einzelhöfe und der eintheilungen angeschlossen, aber sie sind verschwunden, wie die, welche vor Augsburg, Kempten und Zürich vorhanden waren. Ebenso wenig sind in einer der Gegenden, in denen Ansetzungen von Laeti bekannt sind, Centimen bemerkbar. Weder Amiens, Beau- vais, Arras, Yvois, Valenciennes , Tungern, Bheims, Noyon, Senlis, Blois, die Beauce, Le Mans, Rennes, Bayeux, noch irgend ein Ort in der Auvergne zeigt davon Spuren in seiner Umgebung. — Dagegen lässt das Kartenbild einen anderen wichtigen Unter- schied der Besiedelung deutlich erkennen. Es beweist, dass auf dem gesammten fränkisch-vandilischen Eroberungsgebiete der Gegensatz der Besiedelung in Einzelhöfen und in geschlossenen Dörfern vor- handen und in bestimmten Abgrenzungen erkennbar ist. Die Grenzlinie lässt sich im Einzelnen verfolgen. Wie die Skizze in Anlage 66 verzeichnet, setzen sich die Einzelhöfe der Tyroler und Schweizer Alpen in gleicher Weise über die Hochgebirge und Vorberge von Wallis und Savoyen fort, nur dass auch hier die offenen Thäler der Rhone und Arve überwiegend dorfmässig besiedelt sind. Westlich der Simme und Aar bestehen Einzelhöfe über alle Züge des Jura bis nördlich in das Thal von Tirlemont und bis zu der Wendung des Doubs bei Montbeillard. Hier aber tritt ihre nördliche Grenze vom Doubs zurück, überlässt die Thäler des Doubs und der Saone bis in die Nähe von Lyon auf einige Meilen Breite den Dörfern, und folgt dann den westlichen Uferhöhen der Saone wieder nördlich über Dijon nach den Wasserscheiden der Seine und Yonne bis zur Vereinigimg beider Flüsse. Von hier setzt sie sich in ziemlich grader Richtung nach Orleans und, am rechten Ufer der Loire abwärts, bis Blois fort, dann aber läuft sie nördlich über Chateaudun, Nogent le Rotrou und Ver- neuil zur Eure und diese abwärts zur Seine. Jenseits der Seine zieht sie genau an der Andelle aufwärts und an der Eaune abwärts und endet am Meere eine Meile nördlich von Dieppe. Diese Grenze könnte als die der gallischen Einzelhöfe be- zeichnet werden. Sie umfasst, wie sich zeigt, mehr als zwei Dritt- theile von Frankreich. Indess schliesst sie die Dörfer nicht völlig aus. In ihrem Innern bilden dieselben einige Enklaven, die wie Inseln oder Oasen in der grossen gleichförmigen Masse des keltisch besiedelten Frankreichs erscheinen, und sämmtlich nicht sehr umfang- reich sind. Eine dieser Inseln liegt in der Franche Comte zwischen Maasstab von 1 : 100 000 deutlich erkennbar sein würden, wenn sie beständen. Das fragliche Wegenetz gehört den unter dem Grossen Kurfürsten auf Waldrodung angelegten Koloniedörfern Pfalzdorf und Louisenthal an. Dorfanlagen auf dem fränkisch-vandilischen Gebiete. 517 Arbois und Lons le Saulnier, zwei an der oberen Loire um Polignac, St. Etienne und Montbrison, mehrere in den Cevennen um Rodez, Marvejols und St. Flour, eine der grössten an der oberen Allier, von Brioude über Clermont bis Varennes, eine kleinere am Cher um Bourges, und eine sehr ausgedehnte zwischen der Charente und dem Lay, den Lauf der Sevre aufwärts. Von dieser nördlich findet sich noch eine Dörfergruppe, die das Thal des Thouet von Parthenay bis Saumur an der Loire einnimmt, eine andere um Alencon, und end- lich ein grösseres Dörfergebiet, welches bandartig die Normandie ein- schliesst. Es erstreckt sich von der Normannischen Küste bei Bayeux südlich bis Argentan, erreicht über Beaumont und Evreux die Seine und setzt sich zwischen Epte und Andelle fort. Im Kern der Nor- mandie, zwischen dieser Dörferzone und der Küste, sind von der Dive über die Seine bis zur Andelle und Eaune wieder allgemein Einzelhöfe verbreitet. Von der grossen auf diese Weise abgegrenzten und immerhin nur selten unterbrochenen Masse der Einzelhöfe des südlichen und mittlen Frankreichs wird durch die breite Entwickelung der Dörfer in Nordfrankreich und Lothringen bis zum Mittelrhein ein zweites nörd- liches Einzelhofgebiet getrennt, welches vorzugsweise Belgien und den Niederrhein einnimmt und sich in Westfalen bis zur Weser fortsetzt, so dass es als das der deutschen Einzelhöfe bezeichnet werden darf. Die Südgrenze desselben beginnt an der Küste bei Boulogne, führt über St. Omer, Douay und Mons längs der Dyle nach Löwen und nahe der Deiner nach Mastricht. Die Maas überschreitet sie erst unterhalb bei Maaseyk und läuft dann die Schwelm aufwärts über Weyberg, Dahlen, Odenkirchen, Grefrath und Neuss nach Gellep zum Rhein, den sie bei Kaiserswerth kreuzt. Das Bild dieses Zuges der alten Ubiergrenze, Anlage 67, zeigt, wie bestimmt der Unterschied der Besiedelung sich ausspricht. Dann folgt die Grenzlinie rhein- aufwärts den steilen Hängen der schmalen rechtsseitigen Rheinaue über Düsseldorf, Benrath, Opladen, Gladbach und Siegburg bis zum Siebengebirge und erreicht von diesem aus in südlichem Bogen Wied bei Altenkirchen, und längs der Nister und der Sieg über Scheuer- feld den Giebelwald westlich Siegen. Im Süden dieser Linie liegen bis zur fernen Grenze der gallischen Einzelhöfe an der Loire und Seine überall Dörfer. Auf die beiden Ausnahmen, ein kleines unbedeu- tendes Gebiet zwischen Lüttich, Aachen und Eupen auf dem Hohen Fenn, und ein ähnliches westlich der Vogesen um St. Die, wird noch zurückzukommen sein. 518 VI. 3. Die Gruppirung der Einzelhöfe und der Weiter nach Norden läuft die Grenze der deutschen Einzelhöfe, wie S. 50 und die Anlagen 1 und 2 gezeigt haben, längs des Osning und der Weser bis zur Jade weiter, und schliesst nur die Dorf- besiedelung des Hellwegs und kleine Dorfgruppen in der fränkischen Dwente und Trente, wahrscheinlich Niederlassungen der Tubanten, ein, von welchen Anlage 68 ein Bild giebt. — Es lässt sich nun nicht bezweifeln, dass die noch heut in zwei Drittheilen von Frankreich und ebenso in Brabant Avie nördlich des Rheins bis zur Weser verbeitete Besiedelung in Einzelhöfen auf die schon von Caesar vorgefundene alte keltische Besitz vertheilung zurück- geführt werden muss. Sie zeigt völlig die aus den irischen Survey- karten, Anlage 23 bis 27, bekannten kampmässig, durch Gräben, Hecken oder Zänne abgegrenzten, den Hof umschliessenden block- förmigen Grundstücke. In Frankreich wie in Belgien und am Rhein entspricht sie den vorliegenden Beispielen. Berghem (Anl. 69) liegt im südlichen, Meygem (Anl. 70) im nördlichen Brabant, Issum bei Geldern (Anl. 71) im Hattuariergau , und Huisberden bei Cleve (Anl. 72) im Lande der Gugernen. Kirchlinden (Anl. 73) im Thale der Ruhr ist ebenso beweisend für die Flureintheilung der alten Sigambren zwischen Ruhr und Sieg, wie für die der Ansivaren, die später ihre Stelle einnahmen. Für beide grosse Gebiete dieser Einzelhöfe ist sehr wahrschein- lich, dass sich die Spuren der Tates noch nachweisen lassen würden, die Beispiele für Belgien und Rheinland scheinen sie zu bekunden. S. 197 hat gezeigt, dass die keltischen Tates ungefähr den Hufen der Germanen entsprechen. Sie hatten nicht die strenge Bedeutung des Mansus, wie sie S. 74 und 107 erläutert ist, aber in dem weiteren unbestimmteren Sinne kann mansus in den französischen Urkunden oft und schwer unterscheidbar für sie vorkommen. Thatsächlich bilden auch die Einzelhöfe Bauerngüter von ungleicher Grösse, jedoch von gleichgedachter, für die Ernährung einer Bauernfamilie aus- reichender Leistungsfähigkeit. Ebenso ist die Art der Parzellirung der den Hof ursprünglich geschlossen umgebenden Kämpe dieselbe, wie sie für Irland S. 200 und 217 dargestellt werden konnte. Sie ist dort durch die geschilderte eigenartige Entwicklung des Clan- wesens zur Grundaristokratie und zur Kleinwirthschaft Höriger und Pächter gegeben, dieselbe Adelsherrschaft bekundet aber Caesar auch für Gallien hinreichend deutlich. Wenn indess die Ueberlieferungen den ursprünglich gleich- massigen Charakter der ländlichen Besiedelung aller dieser Gebiete Dorfanlagen auf dem fränkisch-vandili. sehen Gebiete. 519 auch nicht bezeugten, wäre doch höchst unwahrscheinlich, dass die keltischen Stämme Galliens, welche Caesar überall als gleichartig behandelt, in Siedelung und Agrarwesen so entgegengesetzte Sitten gehabt haben sollten, wie sie durch die Dörfer gegenüber den Einzel- höfen geboten sind. Durchaus unmöglich aber wird eine solche An- nahme, wenn man die südliehe Grenzlinie der Hauptmasse der Dorf- anlagen Nordfrankreichs näher verfolgt. Diese Südgrenze entspricht keinesweges, wie allerdings bei der nördlichen zum Theil der Fall ist, dem Abhänge des Hügellandes, oder überhaupt irgend einer Ver- schiedenheit des Terrains, ebensowenig liegt sie auf den Grenzen der Stämme oder der Civitates. Von der Seeküste bei Dieppe durch- schneidet die Abgrenzung der Dörfer gegen die Einzelhöfe die alten Gebiete der Caleti, Veliocassen, Eburovici, Sagii, Carnuntes, Senones, Vadicassii, Lingones und Sequani, und zwar so, dass sie jedes dieser Stammgebiete in ungleiche Theile theilt. Nur in Burgund an der Saone kann gesagt werden, dass sich westlich auf dem Abhänge des Gebirges Dörfer and Einzelhöfe scheiden, östlich zieht ihre Grenze schon wieder mitten durch die breite Schuttebene. Die Dorfanlagen lassen sich deshalb nur als ein Eingriff in das Gebiet der Einzelhöfe auffassen. Welche Gründe diese Veränderung auch bestimmt haben können, immer müssen die kleinen zerstreuten Wohnstätten bis zu der topographisch feststehenden Grenze freiwillig oder unfreiwillig aufgegeben und beseitigt worden sein. Da die Römer (o. S. 335) in die Grundbesitzverhältnisse der Provinzialen innerhalb der Civitates möglichst wenig eingriffen, spricht da, wo auf deren Gebieten keine Kolonialanlagen stattfanden, auch keinerlei Vermuthung für eine das Wesen der keltischen Besiedelung berührende Umgestaltung während der Römerzeit. Die alten keltischen Höfe konnten zu grossen Besitzungen vereinigt werden, wenn sie ein Reicher in seine Hand brachte. Sie konnten auch ebenso leicht in immer kleinere Theile zerstückelt werden. Aber für so durchgreifende Abänderungen in der Lage der Gehöfte und der Abgrenzung der ein- zelnen Wirthschaftsblöcke, wie dorfmässigen Zusammenbau und Gemenge der Nachbarn, Hessen sich Gründe doch nur in Gewaltakten finden, die unter fremdartigen Gesichtspunkten und ohne Rücksicht auf den unvermeidlich auch dem neuen Besitzer entstehenden Schaden durch- geführt worden sein müssten. Dazu kommt, dass in Frankreich noch mehr, wie in anderen Ländern, der Betrieb eigener Grosswirthschaft bis zur Gegenwart ein ganz ausnahmsweiser ist, und in älterer Zeit im Ertrage gegen Kleinbetrieb durch Landleihe und Pacht sehr zurück- 520 VI. 3. Die Gruppirung der Einzelhöfe und der stand. Gartenmässiger Anbau von Wein, Obst, Gemüse und aller- hand Handelsfrüchten, die sich in geeigneter Weise der Wirthschafts- folge des Getreidebaues ein- oder nebenordnen, ist hier seit alter Zeit die übliche Form der Kultur. Dazu bedurfte es keinerlei Umgestaltung der agrarisch durchaus zweckmässigen Lage der Häuser und des Kultur- landes der Einzelhöfe. Auch die Bedürfnisse persönlichen Wechsels be- günstigte und erleichterte in hohem Grade die schon für den walliser Familienbesitz (o. S. 201) nachgewiesene und im französischen Recht allgemein bestehende Naturaltheilung aller Grundstücke des Erblassers unter die Erben. Sie trat in der Regel erst nach einer längeren Zeit gemeinschaftlicher Fortführung der Wirthschaft oder nach mehr- jähriger Pachtung durch einen der Erben ein, so dass sich ihr um so leichter die Ansprüche der entstandenen neuen Heimwesen an- passen konnten. Nach dem überzeugenden Beisjjiele Oberdeutschlands scheint es also hinreichend begründet, die Dörfer im Gegensatz zu den kelti- schen Einzelhöfen den siegreichen Eroberungen der Deutschen zu- zuschreiben. Dies findet gegenüber der allgemeinen Verbreitung der Franken, Alemannen und Chatten in Nordgallien eine fast über- raschende Bestätigung in dem hinreichend feststehenden Auftreten der Deutschen in allen den vereinzelt auf dem keltischen Gebiete zer- streuten Dörferinseln. Die Sachsen sind in Bayeux und Saumur, die Alanen zu Alencon, die Westgothen in Rodez, Clermont und Bourges und an der Sevre, die Normannen zwischen Epte und Andelle, die Dänen und Sachsen in Rhe und der Mündungslandschaft der Loire hinreichend bezeugt. Bayeux bildete noch in Karolingischer Zeit eine deutsche Sprachinsel. Für die Frankendörfer um Artois aber galt bis in das späte Mittelalter die Canche als deutsche Sprachgrenze. — Den völlig den Dörfern des alten deutschen Volkslandes ent- sprechenden Charakter zahlreicher Dörfer Nordfrankreichs und Rhein- lands erweisen die Anlagen 74 bis 82. Die Beispiele Walterschen (Anl. 74) im rechtsrheinischen und Kerpen, Kessenich und Geldup (Anl. 75, 76 und 77) im linksrheini- schen Ubierlande, Sülm und Filsch (Anl. 78 und 79) bei dem erst spät germanisirten Trier, Heinkingen (Anl. 80) in Lothringen, end- lich Salles (Anl. 81) und Tourpes (Anl. 82) im Süden von Brabant, erweisen klar das Vorschreiten volksmässig angelegter Gewanndörfer in das keltorömische Gebiet Rheinlands und Galliens. Kerpen und Sülm zeigen die alte volksthümliche Anlage, die übrigen, namentlich das auf altrömischer Flur angelegte Kessenich bei Bonn, genau re- Dorfanlagen auf dem fränkisch-vandilischen Gebiete. 521 gulirte Gewanne. Daneben bestehen vielleicht in der Mehrzahl grund- herrliche Dörfer mit in Blöcken vertheilter Fhir, auf welche später noch zurückzukommen ist. Eine nähere Erklärung bedarf keine dieser Anlagen. Die Vorgänge in Oberdeutschland (o. S. 415) erläutern zu- gleich hinreichend die der fränkischen Gebiete. Es wäre auch leicht verständlich, wenn sich irgendwo noch erweisen lassen sollte, dass eine von deutschen Kolonen oder Laeti angelegte Flur die volksthüm- liche Gewanneintheilung oder eine grundherrliche Anlageform er- halten habe. Die Anlage von Dörfern war unter römischem Einflüsse (o. S. 360) keinesweges ausgeschlossen, und konnte sogar der deutschen Feldtheüungssitte folgen. — Nähere Betrachtung zeigt indess, dass die deutsche Besitznahme und die deutsche Bevölkerung auch über grosse Landschaften ver- breitet waren, in denen nur Einzelhöfe bestehen. Daraus erwächst deshalb die weitere und erheblich schwierigere Frage, wie es gekommen ist, dass nicht alle deutschen Zuwanderer die deutsch-volksthümliche dorfmässige Siedelungsweise in die keltorömischen Gebiete übertragen haben. Für den Süden Galliens findet sich darüber allerdings völlig befriedigende Aufklärung. Denn neben den oben gedachten Bur- gundischen und Westgothischen Dörferdistrikten sind zwar sehr viel ausgedehntere Länderstrecken in Savoyen, in der Bourgogne und in ganz Aquitanien von den ostgermanischen Volksmassen in Besitz genommen und dauernd bewohnt und landwirtschaftlich bewirth- schaftet worden. Aber dies geschah nicht unter Räumung jener abgetretenen Länder, sondern durch Aufnahme der einzelnen deutschen Familie in die ihr amtlich zugewiesene Wirthschaft eines der Pro- vinzialen, der dadurch gezwungen war, eine Theilung seiner Besitzung über sich ergehen zu lassen. Die Herrschafts- und Rechtsverhältnisse des Grundeigenthums gestalteten sich also wesentlich um, in der Form der Besiedelung aber konnte nichts anderes bemerkbar werden, als dass die Masse der grossen und mittelgrossen Besitzungen Parzel- lirungen erlitt. Der Bewirtschaftung wegen war dabei kaum irgendwo möglich, dass eine solche Theilung etwa nur in zwei grosse zusammen- hängende Grundstückskomplexe erfolgen konnte, vielmehr wurden wahrscheinlich alle einzelnen Kämpe getheilt. Aber auch wenn man zusammenhängende Güter hergestellt hätte, würde dadurch eine Be- seitigung der bisherigen Wirthschaftsblöcke weder gefordert noch zweck- mässig geworden sein. Für den Norden Galliens und für das Rheinland wäre indess die 522 VI. 3. Die Grruppirung der Einzelhöfe und der Annahme ähnlicher Verhältnisse nicht zutreffend. Hier lebten Ansi- varen und Bataver, Hattuaren, Sigambrer und Chamaven, seitdem sie der Geschichte bekannt werden, in Einzelhöfen, und es lässt sich nicht bezweifeln, dass sie dieselben in vorgeschichtlicher Zeit erobert und seit der Besitznahme auf ihnen gewohnt haben. Bei einem Theile der Franken, namentlich bei den salischen, trat sogar der weitere, die Sachlage umkehrende Fall ein. Nachdem sie nachweisbar seit vorgeschichtlicher Zeit durch mehr als 400 Jahre in Einzelhöfen gewohnt und gewirthschaftet hatten, behielten sie bei dem Vorgehen Chlogios nach Artois nicht allein die von ihm eroberten Dörfer bei, sondern legten auch alle ihre neuen Niederlassungen als Dörfer an, und bewirkten, dass, so weit ihre Herrschaft sich im 5. Jahrhundert zwischen Flandern und der Loire ausdehnte, die Einzel- höfe hier im wesentlichen völlig verschwanden. — Dies wirft Licht auf ältere Vorgänge, und der Umstand, dass die Istvaeonen schon vor Caesar grosse Gebiete der rechtsrheinischen Einzel- höfe bewohnten, von denen 58 v. Chr. die keltischen Menapier nur noch einen kleinen Abschnitt im Besitze hatten, wird von allgemei- ner Bedeutung für die Frage der ersten Siedelungsweise der Deutschen nach dem Aufgeben der alten Weidewirthschaft (S. 137, 144). Alle Istvaeonen gingen durch Auswanderung aus dem hermi- nonischen Chattenstamme hervor (S. 384). Die Chatten selbst aber sind überall nur in volksthümlichen Gewanndörfern angesiedelt, und haben diese Dörfer auch nach dem Trevirerlande , nach Lothringen und nach der Pfalz übertragen, als sie im 4. und 5. Jahrhundert den Rhein überschritten. Sie versuchten sich hier also ebenso wenig, wie die Vangionen oder die Ubier in der alten Keltensiedelung, die sie wenigstens noch in erheblichen Resten vorgefunden haben müssen, einzurichten, sondern behielten ihre heimathlichen Dorfeinrichtungen bei und schufen nach dieser Sitte völlig neue Anlagen. Auf che herminonischen Chatten muss sogar auch die o. S. 50 schon gedachte Ausnahme bezogen werden, die der Hell weg im alten Keltengebiete durch seine Dorfbesiedelung bildet. Den Nach- weis für diesen schroffen Unterschied der Siedelungen bietet schon Anlage 2. Die Flur Solde (Anlage 83) zeigt näher, dass die dortigen Dörfer den volksthümlichen in jeder Beziehung entsprechen. Der Hellweg bildet eine massig hohe, von der breiten Basis des Plateaus von Brilon aus bis Dortmund schmal und keilförmig zulaufende Ebene. Die Dörfer auf ihm, die zwischen die südlich und nördlich anstossenden, in ganz Westfalen herrschenden Einzelhöfe eingeschoben Dorfanlagen auf dem fränkisch-vandilischen Gebiete. 523 sind, verbreiten sich im Zusammenhange mit denen des Cherusken- nnd Chattenlandes von der Egge ans über das Sintfeld längs des hohen Thalrandes der Lippe, welcher durch die Städte Paderborn, Geseke, Soest, Werl, Unna und Dortmund bezeichnet wird. Ihre südliche Grenze setzt sich auf der Linie Dortmund, Horde, Menden, Arnsberg und die Ruhr aufwärts bis Brilon fort. Die so abgegrenzte Erhebung ist der fruchtbarste Theil Westfalens, und es ist nicht daran zu denken, dass er von den Kelten nicht ebenso, wie das gesammte Gebiet der Lippe und Ems Ins zur Weser, und wie die viel schwerer zu bebauenden Gegenden zwischen Ruhr und Sieg, besiedelt gewesen sein sollte. Es spricht gegen eine solche Annahme auch der Name der Stadt Susudata, welcher nach Müllenhoff (II, 222) mit Recht in Soest wiedergefunden wird. Es ist auch sehr möglich, dass die Kelten diesen Landstrich seiner Fruchtbarkeit wegen länger zu be- haupten suchten, als das benachbarte Sigambren- und Chamavenland. Er war gegen die Ruhr und gegen die Lippe hin durch die Fluss- läufe und ihre abhängigen Ufer gut geschützt. Als die letzten me- napischen Kelten aber zu Caesars Zeit die Landstriche rechts des Rheins räumten, muss auch der Hellweg in deutsche Hände gefallen sein. Dass ihn die Tenkterer und Usipier in Besitz genommen, davon erfahren wir nichts, eher scheint es, dass die Römer links der Lippe die Sigambren und Chamaven fanden, da das rechte Ufer die Brukterer wenigstens um Aliso und eine Strecke abwärts inne hatten. Seit dem Zuge des Germanicus aber bewohnten die Marsen den Hellweg, denn sein Heer drang nach dem ausführlichen Bericht des Tacitus (Ann. I, 50) vom Limes an den Caesischen Bergen un- mittelbar in das Marsenland ein. Nun nennt zwar Strabo (7) die Marsen als einen Theil der Sigambren. Dies ist indess irrthümlich und unrichtig, denn die Marsen waren keine Istvaeonen, sondern chattische Herminonen, deren stark befestigtes Hauptheiligthum der Marsberg oder die Eresburg allerdings der Grenze der Sigambern nahe lag, aber in keinerlei Beziehung, mit ihnen gedacht wer- den darf, sondern dem Irmindienste angehörte. Es liegt danach in dem Entstehen dieser ausnahmsweisen Dörfer- gruppe zwischen den im Keltenlande auf Einzelhöfen angesessenen Istvaeonen nichts, was nicht leicht erklärlich wäre. Die chattischen Marsen scheinen um die Zeit des Varus, als die Kelten vertrieben und die Sigambren und Chamaven geschwächt waren, den einladenden, ihnen nahe gelegenen und leicht zugänglichen Landstrich besetzt und darauf, wie die Chatten links des Rheins, unter Beseitigung der 524 V*I. 3. Die Gruppirung der Einzelhöfe und der keltischen Siedelungsreste ihre heimathlichen Dörfer angelegt zu haben, welche bis auf die Gegenwart dort bestehen geblieben sind. — Die eigentliche Frage muss sich also darauf richten, weshalb die Sigambren und Chamaven und alle die Istvaeonen, welche schon vor ihnen von der Heimath der Chatten in das Keltenland einge- drungen sind, die heimische Sitte und Kenntniss nicht ebenfalls in ihr neues Vaterland übertrugen. Darauf giebt es keine befriedigende Antwort, als die, dass sie diese Sitte noch nicht kannten, dass die feste Siedelung also bei ihrer Auswanderung in der ersten Entwickelung stand, oder überhaupt noch die alte Weide wirthschaft der Hundertschaften herrschte (o. S. 140). Die alten Istvaeonenstämme zogen offenbar als Hirten fort, um der Landnoth oder auch um der Anforderung der schweren Ackerarbeit zu entgehen, welche die feste Ansiedelung in geschlossenen Hufendörfern in Aussicht stellte. Sie kamen mit ihren Heerden in das zur Weide- wirthschaft sehr geeignete Keltenland und fanden es erklärlicher- weise sehr bequem, sich wie die Tenkterer und Usipier in die Häuser der Unterworfenen hineinzusetzen, und die geschlossenen Güter ihrer Sklaven oder Liten für den nöthigen sporadischen Ackerbau zu übernehmen, wie sie lagen. Die Höfe derselben waren ohnehin bei- nahe gleich, und bei der Viehnutzung auf den Weiden kam es zu- nächst mehr auf die Hausstelle, als auf mehr oder weniger zu der- selben als zugehörig betrachtetes Land an. Als aber nach einer oder einigen Generationen die eigentliche Ackerwirthschaft von den Knechten auf die Herren überging, waren die letzteren im rechtlichen wohlerworbenen Besitz der Höfe ihrer vormals Unterworfenen und hielten auch, der geschlossenen Lage der Grundstücke entsprechend, an dem bei diesen herkömmlich gewesenen Besitze fest. Eine nach- trägliche Umwandlung dieser Hofwirthschaften in Gewanndörfer würde völlig unmöglich gewesen sein. Dass auch weiter wandernde Stämme, wie die Sigambren und Chamaven, später die Einzelhöfe beibehielten und sogar, wenn sie sie nicht ausreichend vorfanden, in den neuen Sitzen anlegten, ist aus den gewonnenen Lebensgewohnheiten und der grossen Zweckmässig- keit dieser als westfälische allgemein bekannten Bauernhöfe zu erklären. Ueberdies fanden diese Wanderungen nur in vorher keltisch bewohnte Landstriche statt. Die grösseren Schwierigkeiten der Theilung bei solchen späteren, nicht auf den ursprünglichen einfacheren Verhältnissen beruhenden Anwanderungen sind gleichwohl unverkennbar. Tndess behoben sie sich Dorfanlagen auf dem fränkisch-vandilischen Gebiete. 525 vielleicht dadurch leichter, dass diese Uebersiedclungen von Volksmassen in allen uns bekannten Fällen auf römisches Reichs- oder Schutz- gebiet und unter Einwilligung der Römer erfolgten und deshalb eine gewisse geordnete obrigkeitliche Zuweisung zur Vermeidung von Un- frieden vorgesehen worden sein dürfte. So weit dagegen einzelne Er- oberungszüge der Häuptlinge und ihrer Gefolge zur festen Besitznahme führten, hatten die Führer hinreichende Gewalt, über das Land zu verfügen. Der Unterschied der Zeiten erklärt auch allein die in Anlage 67 zu erkennende schroffe Grenze der Ubier gegen die Gugernen und Hattuarier. Die Grenzlinie hat selbstredend Agrippa 38 v. Chr. den Ubiern vorgeschrieben. Aber dass sie im Gegensatz zu den älteren Chattenstämmen, welche stets die Einzelhöfe beibehielten, völlig raumes Land schufen und darauf die Dörfer des inneren Chatten- und Suevenlandes anlegten, kann nur der damals bereits im Süd- westen des Volkslandes verbreiteten und in der Weise solcher Dörfer zu bestimmter Uebung gelangten festen Ansiedelung zugeschrieben werden (o. S. 119). Auch die entsprechenden Anlagen der Vangionen, Nemeter und Triboker können höchstens 30 Jahre vorher entstanden sein. Aelter als diese ist ausser dem damaligen Ubier- und Chattenlande auf dem rechten Rheinufer, wo Caesar schon feste Ansiedelungen gefunden zu haben scheint, keine bekannte Dorfanlage. Denn die Dörfer auf den Gebieten der Eburonen, Caeroesen und Paemanen sind, wie sich zeigen wird, als spätere Anlagen zu beurtheilen. Aus diesen Zeitbestimmungen aber ergiebt sich bei Vergleichung der Berichte Caesars über die Sitten der Sueven und Germanen (d. b. g. IV, 1 und VI, 21, 22, o. S. 132) die Bestätigung, dass er grade zu der Zeit in die Schicksale der germanischen Völkerstämme eingriff, in welcher sie im Uebergange zu der tiefgreifenden Umge- staltung ihres gesammten Volksdaseins begriffen waren, welche in dem Aufgeben des Hirtenlebens und der Durchführung fester An- siedelungen erkannt werden muss. Dass sich die salischen Franken, obwohl sie von jeher Einzel- höfe bewohnten, bei der Besitznahme des Atrebatenlandes durch Chlogio und bei den weiteren Eroberungen Chlodwigs bis zur Loire dorfweise festsetzten, gehört einer mehrere Jahrhunderte späteren Entwickelung unter veränderten wirthschaftlichen und politischen Be- dingungen an. Für das nähere Verständniss dieser selbstständigen germanischen Ansiedlungen innerhalb des zerfallenden römischen Reiches und der 526 VI. 4. Die Besitzverhältuisse der Westgothen und Burgunden. Besitz- und Rechtsverhältnisse, welche durch dieselben hervorgerufen wurden, ist am leichtesten von den urkundlichen Nachrichten über die Westgothen und Burgunden auszugehen. 4. Die Besitzverhältuisse der Westgothen und Burgunden. Die eigenthümliche Erscheinung, dass grosse deutsche Volks- massen in den Grundbesitz der Provinzialbevölkerung ohne Feind- seligkeiten und Widerstand, ja ohne wesentliche Störung der öffent- lichen Zustände aufgenommen werden konnten, lässt sich unbestritten nur aus der seit lange eingelebten Geltung der römischen Einquar- tierungsvorschriften x) erklären, deren wesentlicher Inhalt o. S. 326 angegeben ist. Sie waren allerdings geeignet, das Verfahren zu regeln und durchführbar erscheinen zu lassen. Vor allem schufen sie, wie sonst den Legionaren, so auch den mit Weib und Kind heranziehenden Heerestheilen der Deutschen an jedem Orte sofort ohne Gewaltthätig- keit und Streit Unterkommen. Schon diese Aussicht auf gleich- massige Ordnung war geeignet, der Provinzialbevölkerung den Ge- danken an eine solche Theilung wesentlich zu erleichtern und zu- gänglich zu machen. In der Sache selbst aber bleibt ein sehr starker Unterschied zwischen einer vorübergehenden Einquartierungslast und einer dauernden Aufnahme des hospes in einen grossen Theil des Hauses mit einer Landabtretung, welche zugleich die Theilung des Inventars und eine schwer zu behebende Gemeinschaftlichkeit mancher Zweige des Wirthschaftbetriebes einschloss. Dazu kam, dass der Gothe nicht V3 erhielt, sondern dem Römer nur 1/3 belassen wurde. Diese Anordnung gewährte also in Wahrheit eine Kriegsbeute höher als das Drittheil der Stadtflur, welches die Römer für ihre Militär- kolonien in Beschlag zu nehmen pflegten, oder das Drittheil des Landes, welches Ariovist für seine Sueven von den Aeduern bean- spruchte und erst nachträglich um ein weiteres Drittheil erhöhen wollte. Anfänglich wenigstens waren auch die Ansprüche nicht so *) Das ausführliche Bild geben über die Einquartierung einschliesslich der dabei üblichen Missbräuche und Befreiungen: Cod. Theodos. Hb. VII, Tit. 8 de metatis und Tit. 9 de salgamo hospitibus non praebendo, ebenso die Novellae constitu-tiones Impe- ratorum Justiniano anteriores, Tit. 5 de metatis von Theodosius dem Jüngeren 439 und Cod. Justinian. 1. XII, Tit. 41 de metatis et epidemeticis mit Tit. 42 de salgamo hospitibus non praestando, und über das Lieferungswesen namentlich die Annona, Cod. Theod. VII, 4 de erogatione militum annona, lib. XI, Tit. 1 de annona, XII, 6 de decurionibus und XII, 6 de suseeptoribus. VI. 4. Die Besitzverhältnisse der Westgothen und Burgunden. 527 hoch, welche die mit den Longobarden nach Italien gezogenen, 575 zurückkehrenden Sachsen nach Witukind (I, 14) an die Nordschwaben stellten, denen ihr Land inzwischen als herrenlos von Sigebert von Francien überwiesen worden war. Gleichwohl war die Forderung, zwei Drittel der grossen Besitzungen abzutreten, milder als die, einen Theil des ganzen Landes im Zusammenhange zu räumen. Die Uebersiedelung der Burgunden nach Savoyen geschah unter etwas leichteren Bedin- gungen. Sie erhielten 2/s nur vom Acker, und ihre Einweisung konnte zugleich durch ihre politischen und militärischen Zwecke verständlich und unabwendbar erscheinen. Die Ueberführung der Westgothen aber beweist, welche Willkür und Härte die Zustände der damaligen Zeit dem gleichwohl ohnmächtigen Kaiserthum gestatteten. Denn das gesammte Volk der Westgothen wurde ohne zwingenden Grund aus Spanien nach Aquitanien berufen, und die Provinz ohne irgend eine Ausgleichung mit einer gegen jede Steuer so ungleich härteren Last belegt. Eine Art Gerechtigkeit lag möglicherweise nur darin, dass Aquitanien in der Zeit aller dieser Völker- und Caesaren- kämpfe verhältnissmässig am wenigsten gelitten zu haben scheint. — Von der lex Visigothorum ist uns leider nur eine etwa um 650 zu setzende Redaktion erhalten, in welche von der älteren, der Thei- lung noch näher stehenden Gesetzgebung nur Bruchstücke aufge- nommen worden sind. Jedoch sind diese hinreichend deutlich: Lex Vis. X, 1, 8 »De divisione terrarum facta inter Gothum et Ro- manum« sagt: Divisio inter Gothum et Romanum facta de portione terrarum sive silvarum nulla ratione turbetur, si tarnen probatur celebrata divisio. Nee de duabus partibus Gothi aliquid sibi Ro- manus praesumat aut vindicet: aut de tertia Romani Gothus sibi aliquid audeat usurpare aut vindicare, nisi quod de nostra forsitan ei fuerit largitate donatum. Secl quod a parentibus vel vicinis divisum est, posteritas immutare non seiltet. Da hier für Aecker und Wälder die Theilung der einzelnen Be- sitzung so bestimmt ist, dass der Gothe 2/3, der Römer nur 1/z er- hielt, ist dies auch für die spätere Theilung gemeinschaftlich ge- bliebener Wälder anzunehmen, über welche X, 1, 9 »de silvis inter Gothum et Romanum indivisis relictis« anordnet: De silvis, quae in- divisae forsitan resederunt, seu Gothus seu Romanus eas assumpserit, et fortasse fecerit eulturas , statuimus, ut si adhuc silva superest, unde paris meriti terra ejus cui debetur portioni debeat compensari, silvam aeeipere non recuset. Sie autem paris meriti quae compen- setur silva non fuerit, quod ad eulturam scissum est, dividatur. 528 VI. 4. Die Besitzverhältnisse der Westgothen und Burgunden. Hiernach ist also jedem Hospes, so weit möglich, das Rodland, das er gemacht hat, auf seinen Antheil anzurechnen, äussersten Falles kann die Kultur desselben nicht berücksichtigt werden. lieber die Weiden spricht VIII, 5, 5 Antiqua (also das alte Ge- setz) »si quorumcumque animalium grex in pascua intraverit aliena« : Sive pascua grex alienus intraverit, sive ovium sive vaccarum, hoc quod de porcis constitutum est, praecipimus custodiri. Consortes vero vel hospites nulli calumniae subjaceant, quia illis usum herbarum, quae conclusae non fuerant, constat esse communem. Qui vero sortem suam totam forte concluserit, et aliena pascua abseilte domino in- vadit, sine pascuario non praesumat, nisi forte dominus pascuae voluerit. Aus den Bestimmungen über die Schweine VIII, 5, 1 — 4 geht hervor, dass jeder Römer oder Gothe seine Schweine in einen frem- den Eichenwald zur Eichelmast schicken darf, wenn er dem Herrn desselben für die Mastzeit bis zur Sommersonnenwende das 10. Schwein giebt, für die spätere Weide aber das 20ste. Auch diesen Ertrag sollen die consortes so theilen — sicut et terras diviserunt. Ueber die Art der Theilung ergiebt sich, wie Gaupp1) näher ausführt, dass zunächst eine Einquartierung der deutschen Ankömm- linge in der Weise der Truppen stattfand. Danach hätte lediglich der Metator den Namen des Eingewiesenen an die Thür des Hauses zu schreiben gehabt, das Auslöschen desselben war bei schwerer Strafe verboten. Indess konnten nach Umständen die Soldaten auch Anweisungsschreiben, pittacia, erhalten. Durch dieses Verfahren wäre, wie es scheint, dem Metator mindestens bis auf Beschwerde und höhere Entscheidung die vorläufige Anordnung überlassen gewesen. Dass Jeder sofort überall bei dem hospes einquartiert wurde, dessen Gut er zu % übernehmen sollte, lässt sich allerdings schwer annehmen. Nachdem ihm aber dieser hospes zugewiesen war, kam dessen Be- sitzung nach den in dem kaiserlichen Edikt ausgesprochenen Quoten in das Miteigenthum beider consortes. Das Miteigenthum bestand fort, bis die divisio celebrata fuit. Diese Ausführung der Theilung scheint nur im Streitfall der Mitwirkung eines öffentlichen Beamten unterlegen zu haben. Es werden parentes und vicini als möglicher- weise dabei zugezogen genannt, nicht einmal die Gemeindebehörde wird bestimmt als betheiligt bezeichnet. Eine Art feierliche Form scheint indess doch in dem Worte celebrata angedeutet. Ebenso er- 1) Die germanischen Ansiedelungen und Landtheilungen (1844) S. 394. VI. • 4. Die Besitzverliältnisse der Westgothen und Burganden. 529 giebt sich, dass die Theilung der ganzen Besitzung oder einzelner »Stücke des Zubehörs längere Zeit hinausgeschoben werden konnte.1) Nach allem lässt sich schliessen, dass vieles durch freiwilliges Abkommen geschah, und später leicht Streitigkeiten und Uebergriffe eintraten. Laut Tit. X, 3, 5 sollte nach gerichtlicher Feststellung der Grenzen niemand eine neue Grenze ziehen ohne Gegenwart des consors oder gerichtliche Inspektion. Die Richtigkeit der Theilung verjährte (gemäss X, 1, 16 und 2, 1) statt nach 30 erst nach 50 Jahren, ebenso wie der Anspruch auf einen entlaufenen Unfreien (X, 2, 2). Die Judices singularum civitatum, villici atque praepositi werden aufgefordert, dem Römer eine ihm durch den hospes etwa entwundene, noch nicht verjährte Tertia sofort wieder zwangsweise herbeizuschaffen, ut nihil fisco debeat de- perire. Der Römer zahlte also wohl eine höhere Steuer von seinem verbliebenen Besitz, als der Deutsche von dem seinen. Dass aber beide, ebenso wie jeder Pächter oder Colon, den einer von ihnen an- genommen hatte, steuerpflichtig waren, ergiebt sich aus X, 1, 15: qui accolam in terram suam susceperit, et postmodum contingat, ut ille qui susceperat, cuicunque tertiana reddat, similiter censiant, et illi qui suscepti sunt, sicut et patroni eorum, qualiter unumquemque contigerit. Alle diese Anordnungen bestätigen, dass bei der Einweisung in die Tertia keine andere Umgestaltung der Grundbesitzform eintrat, als die unwesentliche, welche die Theilungen bewirken. — Durch einen Blick auf die in mancher Hinsicht noch ausführ- licheren Bestimmungen der lex Burgundionum über die 25 Jahre später, erst 443, ausgeführte Uebersiedelung der Burgunden nach der Sabaudia wird noch klarer, dass auch die Lage der Gehöfte sich nicht ändern konnte. Die Gebäude werden in der lex Visigothomm anscheinend als selbstverständlich ins Miteigenthum fallend nicht erwähnt. Der Bur- gunde sollte ausdrücklich nach Tit. 54, § 1 — 4 die Hälfte von Haus, Hof und Obstgärten, ein Drittheil der Sklaven, die Hälfte der Wälder und Weiden (campi), jedoch V3 der Aecker erhalten. Ueber die Bedenken, welche dieser Tit. 54 erregt, weil er offen- bar von der Theilung zwischen Burgunden und Römern in einem Sinne handelt, dass dieselbe erst auf Grund einer einige Jahre nach l) Auch die Klage des Sidonius lib. VJII, ep. IX ist wohl dahin auszulegen, dass das von seiner Schwiegermutter ererbte Gut noch im Miteigenthum stand, und es ihm nicht gelang, seine Tertia, trotzdem er auch sie noch zur Hälfte opfern wollte, davon frei zu erhalten. Meitzen, Siedelung etc. I. 34 530 VL 4. Die Besitaverhftltnisse «1er Westgothen und Burgimden. dorn Regierungsantritte Gimdobads um 470 erlassenen Verordnung erfolgt sein kann, hat Gaupp ausführlich gehandelt, und die Schwierig- keiten so weit möglich gelöst. Es ist ihm gewiss beizustimmen, dass die Burgimden bereits 443 in die Sabaudia unter den gleichen, vorher bestimmten Grundsätzen über die Theilungsordnung aufgenommen worden sein müssen. Auch hier wird indess zunächst Einquartierung, und dann erst unter geordneterer Geschäftsführung die Ueberweisung an die Possessores stattgefunden haben. Dass bei letzterer die Güter der Decurionen nicht ausgeschlossen wurden, lässt die Aeusserung in der Chronik des Bischof Marius schliessen, wonach 456 die Burgundionen partem Galliae occupaverunt, terrasque cum Gallicis senatoribus diviserunt. Wenn hier auch an- scheinend von einer Erweiterung der Besitznahme über die Sabaudia hinaus gesprochen wird, lässt sich doch die Anwendung gleicher Grundsätze erwarten. Wie bei denWestgothen darf aber die Theilung im Sinne des öffent- lichen Rechts als durch die Feststellung des Miteigenthums beider Hospites vollzogen aufgefasst werden. Die Ausführung der Realtheilung blieb den Condominis überlassen. Dass darüber für die Mehrzahl der Betheiligten 30 Jahre hingegangen sein sollten, scheint unwahrschein- lich. Indess bestanden in der fast ganz auf die Alpen beschränkten Sabaudia, wie noch heut nur geringe und an sehr viele Besitzer ver- theilte Ackerflächen, dagegen weit ausgedehnte Gebirgsweiden und Waldungen, welche nur zum Theil ausschliesslich zu einer grösseren Besitzung gehörten, überwiegend vielmehr Almenden oder gemeinschaft- licher Besitz der Gemeinden und grösserer Genossenschaften waren und, wie o. S. 480 gezeigt ist, bleiben mussten. An dem Fort- bestande dieser Gemeingrundstücke und deren geregelter Benutzung waren fortan die burgundischen Hospites ebenso interessirt, wie die römischen. Auch eine Theilung der Privatweiden und der Wälder der einzelnen grösseren Besitzungen, die alle vorzugsweise auf Vieh- wirthschaft gerichtet waren, versprach keinen Vortheil. Die Hospites konnten das zuwachsende Vieh leichter theilen, als das Land. Des- halb lässt sich allerdings denken, dass auch in dem zuerst in Besitz genommenen Lande viele Theilungen lange Zeit garnicht oder nur theilweise ausgeführt wurden, und dass je länger, desto leichter Streitigkeiten entstanden. Diesen wollte Gundobad durch sein Prae- ceptum, welches zugleich die neueren Besitznahmen, so weit sie unter Theilung erfolgten, umfasste, ein Ende machen. Die zahlreichen Bestimmungen der lex Burgundionum , welche VI. 4. Die Besitzverhältnisse der Westgothen und Burgunden. 531 über die Verhältnisse in den gemeinsamen, wie in den privaten Wal- dungen sprechen, bestätigen diese Sachlage. Es zeigt sich in denselben, dass die Benutzung der Waldungen überhaupt noch als ein, wenn auch eingeschränktes Recht jedes Volks- genossen angesehen wurde. Tit. XXVIII sagt: Si quis Burgundio aut Romanus silvam non habeat, incidendi ligna ad usus suos de jacentivis et sine fructu arboribus in cujuslibet silva habeat liberam potestatem, neque ab illo, cujus silva est, repellatur. Die Verhinderung ist mit Strafe bedroht, ebenso aber auch das Schlagen der arbores fructiferae, zu denen auch pini und abietes gerechnet werden. Im Uebrigen sprechen Tit. XIII, XXXI und LXVII nicht mehr von Theilung der Aecker, sondern immer nur von Auseinandersetzung über Wald und Neuland, das in demselben gerodet ist. Auch setzt keine Anordnung des Tit. XXVII de sepibus grössere im Gemenge liegende Feldschläge mehrerer Eigenthümer voraus, sondern den Kämpen entsprechend verzäunten Acker eines Einzelnen. Dies darf als die Sachlage zur Zeit Gundobads angesehen werden. Von den späteren Additamenten kommt das erste in Tit. I, 5 u. 6 noch einmal darauf zurück, dass die Theilung gemeinsamen Ackers niemals verweigert werden dürfe, und silvarum, montium, et pascuorum unicuique pro rata suppetit esse communionem. Das zweite aber zeigt unter XI schon die Anwendung veränderter und gemilderter Grund- sätze bei der späteren Aufnahme von Burgunden in römische Be- sitzungen. Denn es sagt: De Romanis vero hoc ordinavimus, ut non amplius a Burgundionibus , qui infra venerunt, requiratur, quam ad presens necessitas fuerit, medietas terrae. Alia vero medietas cum integritate mancipiorum a Romanis teneatur, nee exinde ullam vio- lentiam patiantur. Der Fortbestand der alten keltischen Einzelhofbesiedelung ist also für den bei weitem ausgedehntesten Theil des westgothischen und burgundischen Reiches unzweifelhaft. — Andrerseits ergiebt sich aus denselben Volksgesetzen deutlich, dass die Tertia nur der mildere Modus bei der Besitznahme des Landes war. Die Fürsten beider Völker hatten sich dem römischen Kaiser vertragsweise für Aquitania seeunda und Sabaudia unterworfen. Er- oberungen scheinen sie daneben nicht als ausgeschlossen betrachtet zu haben, wie sich nach den mehr oder weniger gewaltthätigen, auf Grund von Streitigkeiten oder durch Okkupation erfolgten Erwei- terungen der Gebiete, welche o. S. 511 erwähnt sind, schliessen lässt. Für Eroberungen aber galt Kriegsrecht. 34* 532 VL 4. Die Besitzverhältnisse der Westgothen und Burgundern Bei den Burgunden muss dieses Recht, wenn nicht vor, doch bald nach 443 hereits in grösserer Ausdehnung geübt worden sein, denn König Gundikar, der 451 gegen die Hunnen blieb, soll schon in Chalons sur Saone oder in Besancon seinen Sitz gehabt haben, und er vertheidigte in dem Kampfe, in dem er fiel, die Strasse nach der Bour- gogne zwischen Vogesen und Jura. Dass bereits vor der Theilung der Güter in der Sabaudia erhebliche Verleihungen durch die Munifizenz des Königs stattgefunden hatten, sagt die lex Burgund. (Tit. 54, 1) aus- drücklich, denn sie nimmt alle Beliehenen von der Einweisung in Güter der Provinzialen aus. Da nun der grösste Theil der Bourgogne und ein Theil der Franche Comte mit Dörfern und nicht mit Einzel- höfen besetzt ist, auch nicht angegeben wird, dass hierher Laeti eingewiesen worden seien, so ist anzunehmen, dass die Anlage dieser Dörfer durch die Burgunden erfolgte. Jedenfalls war (nach Gregor v. Tours II, 32) um 500 der Hauptsitz der Burgunden an der Saone und Rhone. Die Westgothen erlangten die Bezirke, in welchen innerhalb ihrer Reichsgrenzen Dörfer vorkommen, sämmtlich unter dem that- sächlich schon sou verain herrschenden Könige Eurich. Nachdem er mehrfache Einfälle in die Auvergne und Berry gemacht, wurden ihm diese Provinzen 475 von Nepos abgetreten. Bald darauf rückte er seine Grenzen so viel weiter an der Loire vor, dass ihm auch das Flussgebiet des Thouet bis Saumur und das der Sevre um La Rochelle zufiel. In diesen Landschaften war im 4. Jahrhundert ein Praefectus Laetorum Gentilium Suevorum bei den Arvernern und ein anderer der Teutonischen Laeti in Carnuntum bei Blois stationirt. Zu derselben Zeit war auch die Umgegend von Saumur in die Gewalt der Sachsen gekommen und verblieb ihnen lange. Endlich wird noch angenommen, dass die Insel Rhe bei La Rochelle um 842 von den Dänen besetzt wurde. Es liegt also nahe, dass auch diesen Zuzüglern ein Theil der Dörfer angehörte. Wegen der grossen Ausdehnung der Dörfer- gebiete durch alle guten Lagen der Auvergne von Rodez bis Va- rennes *) und wegen ihrer zusammenhängenden Verbreitung im De- partement beider Sevres wird indess in der Hauptmasse derselben wahrscheinlicher die Wirkung von Vergabungen des Westgothenkönigs an seine Getreuen zu sehen sein. — ') Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass, wie Diez, Grammat. d. romanischen Sprachen, 1870, I, 116, zeigt, in der Auvergne und selbst in den dortigen Dörfern keltische Sprachreste erhalten blieben. VI. 4. Die Besitzverhältnisse der Westgothen und Burgunden. 533 Mit Sicherheit ist bei den Westgothen die Hufen Verfassung bekundet. Die lex Visigothorum mischt in Buch X, Tit. 1 verschie- dene ältere und neuere Bestimmungen über die Theilung zwischen Römern und Westgothen und über die Austhuung von Land zur Kultur. Die oft behandelte Vorschrift Tit. I, 14 spricht indess nur von Landabgaben zur Kultur. Ihr Sinn setzt keine Theilung voraus. Sie lautet schon in der Ueberschrift deutlich: Si inter eum qui dat et accipit terram aut silvam contentio oriatur, und sagt dann: Si inter eum qui accipit terrae vel Silvas, et qui praestitit, de spatio unde pracstiterit , fuerit orta contentio, tunc si superest ipse qui praestitit, aut si certe mortuus fuerit ejus heredes, praebeant sacra- menta, quod non amplius auetor eorum dederit, quam ipsi desig- nanter ostendunt; et sie posteaquam juraverint, praesentibus testibus quae observentur signa constituant: ut pro ea re nulla deineeps accedat causatio. Sie vero consortes ejus non dignentur jurare aut forte noluerint, vel aliquam dubietatem habuerint, quantum vel ipsi dederint, vel antecessores eorum, ipsi, ut animas suas non condemp- nent, nee sacramentum praestent. Sed ad tota aratra, quantum ipsi vel parentes eorum in sua sorte suseeperant, per singula aratra quin- quagenos aripennes dare debent. Ea tarnen conditione, ut quantum oecupatum habuerint vel eultum. juxta quinquaginta aripennes con- cludant: nee plus quam in eisdem mensuratum fuerit aut ostensum, nisi terrarum dominus forte praestiterit, audeant usurpare. Quod vero amplius oecupaverint, in duplum reddant invasa. Dies lässt sich schwerlich anders auslegen, als dass, wenn von Jemand Land zur Kultur ausgegeben worden ist, und streitig wird, wie viel, der Streit durch Schwur des Austhuers oder seiner Erben erledigt werden kann. Wollen sie aber ihr Gewissen aus irgend einem Grunde nicht beschweren, so solle der Schwur unterbleiben. Aber von allen ganzen Hufen, welche der Austhuer oder seine Vor- fahren in ihrem Loose erhalten haben, sollen dann für jede Hufe je 50 Aripennen an die Kolonen abgetreten werden, und diese müssen sich bei Strafe mit diesem Maasse begnügen, wenn ihnen der Grund- herr nicht mehr verleiht. Mag man nun auch andre Interpretationen vorziehen, die grund- legende Thatsache steht unter allen Umständen fest, dass als etwas Bekanntes und liebliches vorausgesetzt wird, der Verleiher oder sein Vorbesitzer habe sein Landloos nach Hufen erhalten. Diese Hufe aber ist weder das römische Steuerjugum , noch ein Loosantheil in der Centurie , sondern völlig im deutschen , durch das ganze Mittel- 534 ^ I- 4. -Die Besitzverhältnisse der Westgothen und Burgunden. alter gebrauchten Sinne ein Pflug, ein aratrum, so viel Land, als der Bauer mit einem Pfluge bewirthschaftet. Ihm steht auch mit gutem Grunde das römische Maass der aripennis, das halbe jugerum (vergl. o. S. 278, 279) gegenüber, welches ebenso in der lex Baju- variorum benutzt wird, weil das der Hufe entsprechende Morgenmaass in jeder Oertlichkeit je nach Bodenbeschaffenheit und Umständen verschieden und deshalb für die Gesetzgebung und für den Rechtsstreit nicht allgemeiner verwendbar war. 50 Aripennen sind ungefähr 25 rhein. Morgen, also nur etwa die Hälfte der südlich des Rheins üblichen Hufen. Es ist aber, wie es scheint, auch vom Gesetzgeber beabsichtigt, den zweifelhaften Streit durch eine Art Halbtheilung zwischen den Parteien zu erledigen. Wenn der Grundherr die Sors selbst bewohnt und bewirthschaftet hätte, konnte ein solcher Streit überhaupt nicht entstehen, die Sors wurde also durch Kolonen be- nutzt, und diese hatten angeblich zu weit Besitz ergriffen. Der Ge- setzgeber wies ihnen im Mangel anderen Anhalts, schwerlich zu ihren besonderen Gunsten, die Schranke an einem Theil des Looses. "Wann die Konstitution erlassen wurde, ist unsicher, indess wenn sie auch erst 650 fiele, beweist sie doch, dass schon Generationen vorher die Zuweisung der Landloose nach Hufen ein gewöhnlicher, weitverbreiteter Gebrauch war. Dabei lässt sich an die Sortes nicht denken, welche den West- gothen bei der Theilung mit den Römern zufielen. Diese richteten sich nach dem gesetzlichen Bruchtheil der bestehenden Besitzungen und wurden innerhalb der Grenzen derselben, und nach den ver- schiedenen Kulturarten verschieden, abgetreten. Für Hufenzuweisung können sich nur bis dahin noch unkultivirte oder solche wüstliegende Ländereien geeignet haben, deren frühere Einrichtung keinen wirth- schaftlichen Werth mehr darbot, und in ihren Abgrenzungen keine Bedeutung mehr hatte. Wurde solches Land an Besitzer über- wiesen, die es selbst bewirthschaften wollten, oder gaben diese es wieder an Kolonen ab, so war in öder Gegend das nachbarliche Zusammenwohnen zu gegenseitiger Hülfe natürlicher, als eine gefähr- dete Vereinzelung. Auch dadurch mögen also Dörfer entstanden sein. Sofern aber hier irgendwo von den Westgothen Dörfer begründet wurden , werden die Spezialitäten ihrer Eigen thumseintheilung unter allen Umständen von historischer Bedeutung. Je später man die Zeit der gedachten Konstitution seit der Re- gierung Eurichs zu setzen Anlass haben könnte, desto mehr Interesse erhält der Zusammenhang mit der ersten westgothischen Besitz- VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 535 nähme des Landes. Bei Verleihungen aus königlicher Munifizenz würde in so allgemeinem Sinne doch von Sortes schwerlich gesprochen werden können. Auch setzt die Theilung nach Hufen schon im wesentlichen ein Verfahren voraus, wie es die volksmässige Besitz- nahme erfordert. Aehnlich wie bei dem Kruge des Remigius (Greg, v. Tours II, 27) entschied zwischen Volksgenossen, welche theilten, das Loos über das einzelne Stück. Von grossem Werth wäre, zu ermitteln, in welcher Form diese Hufeneintheilung stattfand. Die skandinavischen Stammverwandten der Westgothen besitzen, wie gezeigt werden konnte, genau dieselbe Art der Landeintheilung wie die herminonischen, und der grösste Theil der ingvaeonischen Westgermanen. Doch ist sehr fraglich, ob die van- dilischen Ostgermanen die Hufenverfassung ebenfalls bereits bei sich ausgebildet hatten, ehe auch sie in die Bewegung der Völker eintraten. Bis jetzt ist dafür keinerlei Anhaltspunkt gewonnen; die überlieferten Erscheinungen sprechen eher für halbnomadische Zustände, für leichtes Wechseln der Wohnplätze und sporadischen Ackerbau. Von den West- gothen wissen wir sogar, dass sie im 4. Jahrhundert zum Theil noch in Zelten wohnten. Die Burgunden könnten zwar die Kenntniss der Hufenverfassung und ihrer besonderen Einrichtungen von den Her- munduren, Juthungen oder Alemannen, und die Westgothen von den Vanninischen Sueven überkommen haben. Bei beiden wird man aber auch an einen den Vandiliern selbst zuzuschreibenden Ursprung denken dürfen, und es würden sich bei näherer Feststellung vielleicht Gedanken oder Methoden ergeben, die diesen Stämmen eigenthümlich waren. Jeder Versuch einer solchen Ermittelung aber wäre an die Vor- aussetzung eingehender Lokalstudien geknüpft. Er müsste von dem- jenigen westgothischen Dörferdistrikte ausgehen, über welchen die meisten und ältesten Urkunden und Zinsregister vorhanden sind. Mit Hülfe der Karten und Register des französischen Katasters würde sich das Gefüge der Hufeneintheilung anscheinend ähnlich und in derselben Weise wie bei den Dörfern des deutschen Volkslandes auf- finden lassen, weil nach einer Nachricht, welche Herrn Fr. Grossmann zu verdanken ist, wenigstens um Niort und Saumur Dörfer in grösserer Zahl zu beobachten sind, deren Fluren in Gewannen liegen. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. Wie sich die Siedelungs- und Grundbesitzformen des Anbaus der Kelten auf den Reichsgebieten der Westgothen und Burgunden 536 VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. im frühen Mittelalter zu dem Zustande entwickelt haben, welcher auf die Gegenwart gekommen ist, lässt sich am Inhalt des Ab- schnitts 4 im vollen Zusammenhange erkennen. Viel schwieriger ist gleiches Verständniss für das übrige der fränkischen Herrschaft unter- worfene keltische Gallien und Germanien zu gewinnen. Es ist kein Zweifel, dass auch die in diesen nördlicheren Gebieten fortbestehenden Einzelhöfe Reste der älteren keltischen Besiedelung sind. Sie müssen bei der Besitznahme des Landes durch die aus dem Innern Deutsch- lands eindringenden ingvaeonischen und istvaeonischen Stämme ent- weder selbst übernommen worden sein, oder unter den deutschen Herren im Betriebe der von ihnen unterjochten keltischen Besitzer fortbestanden haben. Ebenso ist sicher, dass die geschlossenen Dörfer, die über das nördliche Frankreich und Rheinland weit dichter ver- breitet sind, als über den Süden, hier ebenso wie dort der Beseitigung der Einzelhöfe durch deutsche Hand zuzuschreiben sind. Gleichwohl bestehen auf dem fränkisch - vandilischen Einwanderungs - Gebiete zwischen den Vorgängen im Norden und im Süden Unterschiede, welche für die Betrachtung weder gleiche Gesichtspunkte, noch die- selben Hülfsmittel zulassen. Auf den Gebieten der Westgothen und Burgunden sind die eingetretenen Veränderungen unmittelbar dem Einflüsse der Vandilier zuzuschreiben. Sie fallen in späte historische Zeit und werden aus den erhaltenen ausführlichen Urkunden und den bekannten Staats- verhältnissen anschaulich. In der Ueberweisung der Hauptfläche der den Westgothen wie den Burgunden zugefallenen Provinzen nach der Tertia liegt der Beweis, dass die alten keltorömischen Eigenthümer in ihrem Besitze erhalten wurden, und ihre Besitzungen überall in ihren bisherigen Grenzen fortbestanden. Die bei den grösseren Gütern eingetretene Parzellirung nach Drittheilen war sogar häufig nur eine Ertragstheilung , nirgends aber eine Umgestaltung der alten Aussen- grenzen der bisher vorhandenen Grundbesitzungen. Auch war diese Art der Besitznahme und Erhaltung des Bestehenden völlig auf die römische Herrschaft und Verwaltung gegründet. Ohne die Geltung der römischen Gesetze würde sie sich nicht denken lassen. Nur wegen der Vortheile, welche die vorgefundene Organisation bot, versuchten die vandilischen Schaaren nicht, sich erobernd festzusetzen, und ver- zichteten darauf, das Land volksthümlich nach Dörfern in Besitz zu nehmen, wie sie es bei ihren Eroberungen gewohnt waren. Un- bestreitbar bezeugen die Dorfanlagen auf den bekannten Eroberungs- gebieten sowohl der Westgothen wie der Burgunden, dass es den VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 537 eigenen Anschauungen , Gewohnheiten und Neigungen dieser Völker keineswegs entsprach, sich in die Einzelhöfe der unterworfenen oder vertriebenen Vorbesitzer hineinzusetzen, und deren Wirthschaft wie bisher weiter zu führen, oder sie für sich als Herren von den Unter- jochten führen zu lassen. Alle diese Umstände treffen nun für die Frankenstämme und für die meisten Istvaeonen nicht zu. Wie o. S. 524 schon angedeutet, kann bei allen deutschen Stämmen zwischen Nordsee und Weser und am gesammten Niederrhein, soweit wir noch heut die Einzelhöfe ver- breitet finden, die Erhaltung derselben nur auf dem freien Ent- schlüsse der eingedrungenen Sieger beruht haben. Das Einleben der istvaeonischen und ingvaeonischen Bevölkerung in die besonderen Wohn- und Wirthschaftsbedingungen, welche diese Art der Besiede- lung fordert, ist nur aus der Erkenntniss von Vortheilen zu erklären, welche ihnen diese von den Kelten wohleingerichteten Anlagen für ihre Festsetzung boten. Ihr Verfahren der Besitznahme, das um mehr als ein Jahrhundert vor die Römerherrschaft zu setzen ist, steht also in direktem Gegen- sätze gegen die späteren Erscheinungen zur Römerzeit. Die näheren Vorgänge dieser Einwanderungen aus Spuren in den Orts- und Hof- anlagen und aus den auf uns gekommenen wirtschaftlichen Besonder- heiten hinreichend zu erklären, erfordert eingehende Erwägungen, und der eigentliche Ausgangspunkt für ihre Untersuchung lässt sich nur schwer auf dem Gebiete der beweglichen Verschiebungen kleiner Stämme und Stammestheile im Rheinlande suchen, sondern kann sicherer auf dem ausgedehnten, von fremden Einflüssen völlig freien Gebiete gefunden werden, welches die Ingvaeonen schon in sehr alter Zeit links der Weser den Kelten abgewannen. An der Weser erweist der in Anlage 1 verdeutlichte Gegensatz der Einzelhöfe und der Dörfer bis zur Gegenwart, dass dieselben friesischen, chaukischen und angri- varischen Stämme auf beiden Seiten des Stromes, der ihre Gebiete durchschnitt, unter wesentlich verschiedenen Siedelungsverhältnissen lebten. Wenn irgendwo, müssen sich also hier am ersten Grundlagen für die Beurtheilung dieser merkwürdigen Kulturerscheinung erkennen lassen. Deshalb soll die Frage nach der Entwicklung dieses vorge- schichtlichen deutschen Besitzes von Einzelhöfen der Darstellung des friesischen und sächsischen Volksgebietes vorbehalten bleiben. — Viel weniger Zweifel bietet die Besiedelung in geschlossenen Dörfern. In ihrer äusseren Gestaltung sind wesentliche Unterschiede zwischen dem Süden und Norden Galliens weder zu bemerken, noch 538 VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. zu erwarten. Wie in Oberdeutschland finden sich unter diesen Dörfern, abgesehen von den modernen Anlagen, welche auf allen Volks- gebieten entstanden sind, völlig volksthümlich eingerichtete Gewann- fluren, und daneben, wie dort, von Grundherren in unregelmässiger Weise zur Vertheilung gebrachte Gemarkungen. Beiden ist wie in Oberdeutschland die Hufenverfassung gemeinsam. Ebenso besteht der Gemenglage wegen Flurzwang und gemeinschaftliche Weide der Heerden. Es bedarf also weder Anlage noch Betriebsweise dieser Dorffluren besonderer Erklärung, sie erläutern sich völlig aus dem Vorbilde Oberdeutschlands. Während aber auf den Gebieten der Westgothen und Burgunden fast alle überhaupt dort vorhandenen Dörfer diesen Völkern selbst angehören und nicht früher, als in das 5. und 6. Jahrhundert zu setzen sind, reichen im nördlichen Gallien die Dörfer in weit ältere Zeit zurück und der Ursprung einer grossen Anzahl derselben ist sehr unsicher. Die ältesten Ansiedelungen der Deutschen rechts und links des Rheins scheinen nicht in Dörfern stattgefunden zu haben. Seit 60 v. Chr. aber setzten sich Triboker, Nemeter und Vangionen und zwei Decennien später die Ubier überall mit Dörfern fest. Die Römer haben dann, wie schon Frontin (o. S. 360) bekundet, auf ihren Latifundien Sklaven und Kolonen dorf weise angesetzt, und diese Latifundien sind in dem zum Getreidebau besonders geeigneten nördlichen Gallien in immerhin nicht geringer Anzahl zu denken (Vgl. Bd. III, Anl. 32). Die anscheinend aus Julians Feldzügen stammende Bemerkung des Libanius (315 — 390) x) spricht von solchen Dörfern ausdrücklich im Gegensatz zu den volksmässigen. »Es giebt grosse Dörfer, Mutter- dörfer, welche vielen Eigenthümern gehören, und von denen jeder nur ein unbeträchtliches Stück Land besitzt, und auch wieder andere Dörfer, die einen Herren haben und von Pächtern und Kolonen be- baut werden.« Neben der Ansetzung landwirthschaftlicher Kolonen sind die hier besonders weitverbreiteten Laeti (o. S. 365) in Betracht zu ziehen. Es ist richtig, dass sich bei Contances im Departement La Manche bei Le Mans und bei Rennes Ansiedelungen von Laeti nachweisen lassen, welche die gewöhnliche Form der keltischen Einzelhöfe nicht verändert haben. Aber die zahlreichen Ueberführungen von Laeti nach Amiens, Arras, Valenciennes, Tongern, Yvoix, Beauvais, Xoyon, ') (ed. Reiske, Cod. II, p. 507.) Emil Kühn, Die städtische und bürgerliche Ver- fassung des römischen Reiches. Leipzig 1864, Bd. I, S. 271. VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 539 Rheims, Senlis, Troyes, Langres, Blois, in die Beauce, nach Bourges, in die Auvergne und nach Bayeux, sind sämmtlich in Gegenden erfolgt, welche gegenwärtig ausschliesslich Dörfer zeigen. Sogar Laeti der Sarmaten sind bekannt, welche nachweisbar Dörfer begründet haben. Ausonius sagt in der Moseila (V, 5) über seine Reise von Bingerbrück auf der Staatsstrasse durch den Hunsrück nach Trier: unde iter ingrediens nemorosa per avia solum et nulla humani spectans vestigia cultus, praetereo arentem sitientibus undique terris Dumnissum, riguasque perenni fönte Tabernas, arvaque Sauromatum nuper metata colonis, et tandem primis Belgarum conspicor oris Nolomagum, divi castra inclita Constantini. Er kommt also, wie Lamprecht (I, 144, 152) erläutert, auf der Höhe über Denzen-Kirchberg und am Stumpfen Thurm bei Hinzerath, zu den Sarmatenkolonien und erblickt nachher Neumagen an der Mosel mit dem Constantins- palast. Die Siedelung der Sarmaten kann daher nur am Nordfuss des Idarwaldes in der Umgegend der bekannten Quelle am Stumpfen Thurm gesucht werden. Auch hier liegen jetzt überall nur Dörfer. Allerdings konnten auf dieser Landstrecke wegen des Wassermangels Wohnplätze kaum anders, als um die wenigen ausdauernden Quellen vereinigt werden. Wo aber deutsche Laeti angesetzt wurden, ist überall fast ohne Ausnahme zu erwarten, dass sie in ihrer Ansiede- lung der heimischen Sitte folgten. In Dörfern setzten sich auch alle seit dem 4. Jahrhundert in immer weiterer Verbreitung auf das linke Rheinufer übertretenden Chatten, und ebenso die Alemannen fest, deren Spuren vom Elsass aus in allen benachbarten Landstrichen Galliens, und nördlicher durch das gesammte Moselgebiet bis jenseits der unteren Maas deut- lich erkennbar sind. Alle diese Dorfansiedelungen fanden die Franken bereits vor, als sie sich unter Chlogio erobernd im Innern Galliens ausbreiteten. Gegenwärtig bedecken nun, wie die Karte Anlage 66 zeigt, mit Ausnahme kleiner Oasen bei Eupen und bei St. Die, die geschlossenen Dörfer Nordfrankreich bis zur Loire und oberen Seine vollständig. Dass an deren Begründung die Franken völlig unbetheiligt gewesen seien, ist, wie sich noch näher ergeben wird, keineswegs anzunehmen. Jedenfalls war die grosse Masse der den Römern und verschiedenen deutschen Stämmen angehöriger Anlagen aus älterer und jüngerer Zeit eine sehr gemischte, für die Unterscheidung versagen aber nicht allein die Merkmale der äusseren Gestalt und wirth schaftlichen Einrichtung, sondern leider auch die urkundlichen Ueberlieferungen. 540 VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 1 >ie wenigen Ortserwähnungen der Chronisten geben keinen Auf- schluß. Verleihlingsurkunden heginnen im 6., hauptsächlich aber erst im 7. Jahrhundert. In diesem treten zwar bereits überall villae mit freien oder unfreien mansi auf, oder auch curtes, zu denen eine Anzahl mansi, theils indominicati, theils serviles, gehören. Beide können also Dorfform haben, und sie dürfen in einer Gegend, in welcher alle auf uns gekommenen Ansiedelungen geschlossene Dörfer sind, nicht als damals noch fortbestehende Einzelhöfe betrachtet werden. Aber über die Zeit der Umgestaltung und ihre Urheber ergeben die Urkunden nichts. — Unter diesen Umständen kann hier nur das Hülfsmittel Aus- kunft gewähren, auf welches schon o. S. 43 näher hingewiesen worden ist. Die Ortsnamen in ihrer Beziehung auf geographische Lage und historische Vorgänge bieten sich als die ältesten Zeugnisse über diese Anlagen dar. Während die Namen im alten deutschen Volkslande theils in allzu frühe und dunkele Zeit zurückreichen und sprachlich unsicher überliefert sind, theils jedes erläuternden Anhaltes an zeitlich und örtlich feststehenden geschichtlichen Ereignissen er- mangeln, gelten alle diese Anstände für Rheinland und Nordfrank- reich nur in sehr geringem Masse. Die Ortsnamen bieten deshalb hier ein Beweismittel, dem mit vollem Recht neuerdings eingehende Aufmerksamkeit zugewendet worden ist. W. Arnolds bahnbrechende Arbeiten über die deutschen Orts- namen boten dafür die Grundlagen. Lamprecht hat diese Untersuchungen für das Moselland und Ripuarien durch Herstellung einer urkundlich begründeten Chrono- logie des Fortschreitens der Besiedelung bestimmter aufgenommen.1) Er zeigt, dass im Wesentlichen alle Ortsnamen auf hofen, hausen, scheid, und rath erst dem Ausbau des Landes seit der Karolinger- zeit angehören. Unter ihnen sind die Anlagen auf hofen sporadisch, die auf hausen mehr in dichteren Gruppen in die früheren "Waldgebiete vertheilt. Solche Gruppen finden sich zwischen Vianden, Neuerburg und Ourens, um Daun, um Saarlouis, Ludweiler und Saarbrücken, namentlich aber im nördlichen Hunsrück zwischen Boppard und Zell und Castellaun und Bacharach, ebenso im Soonwalde zwischen Simmern und Kirn. Sie treten in grösserer Zahl erst mit Beginn des 13. Jahrhunderts auf. Die Ortsnamen auf scheid nehmen die ') Fränkische Wanderungen und Ansiedelungen, vornehmlich in Rheinland. Aachen 1882, Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins, Bd. IV, S. 189, mit Karte. — Deutsches Wirthschaftsleben im Mittelalter. 1885, I, 135, 150, II, 45. VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 541 höchsten, ziemlich ebenen Lagen des plateauartigen Gebirges, recht eigentlich die Wasserscheiden ein, und bilden oft ansehnliche Dürfer, während hausen und höhn häutig auf kleinere Weiler, selbst auf einzelne Höfe deuten. Die durch scheid bezeichnete Besiedelung der breiten Höhen scheint vorzugsweise dem 11. und 12. Jahrhundert anzugehören. Sie konkurrirt in der Lage und entsprechend auch in der Zeit mit den weniger häufigen, aber über dieselben Gebiete zer- streuten Ortsnamen auf fehl.1) Diesen am spätesten besiedelten höheren Kern des Gebirgslandes umgiebt auf den Hängen und tieferen Stufen ein weiterer Kreis von Ortschaften, welche wegen der Endung rath (rod, rode) den Neu- rodungen am Ende der Karolingerzeit zugeschrieben werden dürfen und schon um 1000 ziemlich verbreitet waren. Sie grenzen thal- abwärts an die schon aus den älteren Zeiten vorhandenen Orte und sind, wie sich annehmen lässt, aus der zunehmenden Bevölke- rung derselben hervorgegangen. (Lamprecht a. a. 0. I, 134.) Erst in der Ebene und in offenen Thälern finden sich die alten Orte und unter ihnen keltische Namenserinnerungen. Deren Zahl ist hier eine viel grössere, als auf den ersten Ueberblick scheinen kann. Es wäre aber in den meisten Fällen irrig, an einen wirklichen Fortbestand der keltischen Siedelungsweise zu denken. Die Flureintheilungen sind überall die deutsch volksthümlichen in Gewannen, und auch die Orte selbst sind eng zusammengeschlossene Dörfer. Nichts mehr erinnert bei ihnen an keltische Sitte. Nur einzelne feste Hauptplätze können in ihren Bauten aus der Keltenzeit herübergekommen sein. Die Feld- fluren sind sämmtlich ebenso in deutsche Gewanne umgestaltet, wie die der Römer vor den Thoren der vindelicischen und rhätischen Hauptstädte Oberdeutschlands. Aber der fremde Name ist geblieben, wie es bei den Deutschen überall, auch später im Slawenlande, mit Vorliebe geschah. Von diesen Ortsnamen ist nun, was Lamprecht2) näher belegt, ein gewisser Kreis ziemlich leicht zu erkennen, so die auf magen (aus magum), nich (niacus), nach (acus), rieh (ricus), lieh (liacus), ich (iacus), ig (iacus, auch eia), seh (icus), wig (via), f, v, (via), ey (eia), Im (maua), In (lonia), ls (esa, isa), mt (eta), nd (eda, edaum, ida, etum), enz (entia, ontia, inza), ol (ola, ula). Andre sind schon ') Ausnahmsweise siud, wie Lampreclit I, 158 zeigt, auch Namen auf scheid aus dem keltischen cetam, Wald, entstanden, z. B. Burtscheid aus porcetum. 2) Fränkische Wanderungen, S. 8, 9. Die Karte unterscheidet die Lage der keltisch, der altdeutsch benannten Orte, und derer auf heim, weiler, ingen, rod, feld und scheid. 542 VL 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. schwieriger zu unterscheiden, so el aus ela, ola, ulla, ullia, allium, illium (BredaUium = Briedel), er, ern, orn aus era, erna (Rubora = Ruwer, Ta- bernae = Dauborn). Besonders schwer und nicht ohne Kenntniss der urkundlichen Formen sind die Namen auf en zu erkennen, welche aus ana, ina, inna, ena, onia, auch aus eda, ido (Callido = Kehlen), idum (Castanidum = Kesten), auch aus a (Binga = Bingen) ent- standen sein können, wozu len aus lina (Fulina = Feulen) und ten aus dunum (Virdunum = Virten) treten. Sie entsprechen in Laut- verbindungen, wie (Megina) Meyen oder (Lernana) Lehmen, völlig dem stumpfgewordenen deutschen Meyheim, Lehmheim. Noch mehr irre- leiten können einige Ausnahmen, wie ing aus ingum (Marningum = Mehring) und , wie bereits erwähnt , scheid aus dem keltischen cetum, Wald. Zwischen dieser, als der frühesten erkennbaren keltischen Ko- lonisation der Ebenen und der obengedachten spätesten der Gebirge und Wälder liegen als die zunächst ältesten Wohnplätze die auf die frühesten Wanderungen der chattisch-fränkischen Stämme hinweisen- den Orte auf lar, Platz, lo, Wald, mar, Sumpf. Lo ist vorzugsweise im Chamavenlande häufig, ebenso wie um die Issel, aber auch im Maasgaue. Lar und mar kommen im Ripuarier- lande, im Ansivarenlande an der Mündung der Sieg und im links- rheinischen Chattuariergau sehr häufig vor, finden sich aber auch im Ubiergebiet bei Jülich, am Siebengebirge bis herab nach Deutz und vereinzelt bei Köln, Bonn und Malmedy. Ein besonderes Vorkommen von Namen auf lar besteht auf der Höhe von St. Vith, nnd weist zugleich auf dörferweise Ansiedelung von Laeti hin. Es ist schon o. S. 366 der Stelle des Eumenius v. J. 291 gedacht: tuo Maximiane Auguste nuto Nerviorum et Trevi- rorum arva jacentia Laetus postlimio restitutus et receptus in leges Francus excoluit. Schon Arnold und Esser1) haben darauf aufmerk- sam gemacht, dass sich für diese fränkischen Laeti an der Grenze der Tre virer eine geeignete Oertlichkeit südlich von St. Vith findet. Hier liegen, wie Lamprecht (I, 151) näher zeigt, 22 Dörfer dicht gedrängt um die alte Römerstrasse auf der höchsten Lage des Plateaus nebeneinander, welche wie Espeier, Langeier, Dürler, um die sie sich gruppiren, alle deutsch benannt sind und durch die altfränkische Endung 1er, lar, Ort, Platz, ihren fränkischen Ursprung erweisen. Wegen ihrer rauhen Lage und engen Abgrenzung lassen sie irgend einen ') Malmedyer Kreisblatt, 1883, 14. Juli. VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 543 besonderen, zwingend wirkenden Grund ihrer Ansetzung vermuthen. Die Zeit der Ansiedelung aber schiebt schon die Endung lar, wie o. S. 44 gezeigt ist, über das 6. Jahrhundert hinauf. Sie ist um so wahr- scheinlicher die frühe des Kaisers Maximian, als diese Endung im chattischen Munde lar, im Munde der niederrheinischen Franken, wo sie ebenfalls weit verbreitet ist, laer oder laere lautet. Die Um lautung in das wie lar kurze 1er deutet also auf die Herbeiführung der Ansiedeier in einer Zwischenperiode der Lautwandlung hin. Die Oertlichkeit ist charakteristisch für die römische Kultur- thätigkeit. St. Vith ist der Mittelpunkt des Eifelplateaus , von dem aus nach allen Seiten die Gebirgsflüsse abfliessen und sich in tiefen und engen Thälern in die lockeren Gesteine eingeschnitten haben. Uebei diese früher zweifellos öde Hochebene führten die Römer wegen der trockenen Lage ihre Heerstrasse nach Köln. Es war natürlich, dass sich an dieselbe an geeigneten Stellen auch landwirtschaftliche Anlagen anschlössen. Zu ihnen sind nicht allein die gedachten 22 Dörfer auf 1er, sondern auch eine Anzahl Orte zu rechnen, deren Erinnerung sich in den keltischen Namen, Kestenich, Aderich, Conzen, Mürzenich, Seetz, Ourth, Bellain und Bastonach erhalten hat, welche die der Hauptstrasse über St. Vith benachbarten Dörfer noch gegenwärtig tragen. Die Ortsnamen auf bach sind nur sehr spärlich in Ripuarien, dagegen im linksrheinischen Chattenlande in einer die chattische Heimath noch weit übertreffenden Dichtigkeit vertheilt. Allein zwischen Mosel, Rhein und Nahe finden sich 68 Namen auf bach. Es wird also auch hier ein Bezug auf Stammeseigenthümlichkeit deut- lich, wie ein solcher bei den schon öfter betrachteten Endungen auf heim für die Franken, und auf ingen und weiler für die Alemannen anerkannt ist. Die Endung heim ist indess keinesweges auf fränkische Landes- gebiete allein beschränkt. Sie muss auch in den alten Gebieten Ostfalens, Engerns, Westfalens und Frieslands weit verbreitet gewesen sein, tritt aber hier in der Form heim nur selten und, man möchte ver- muthen, als Neuerung oder vielleicht als alte Erinnerung auf. Viel- mehr ist sie zu en oder zu om, um abgestumpft. Je näher dem Rhein, desto häufiger wird das volle heim oder auch die Abstumpfung em, welche weiter nördlich nicht üblich ist. Im Gebiete des ripuarischen Reiches ist heim namentlich im Maifelde, im unteren Ahrthale und im Bonngau, ferner an der Strasse zwischen Köln und Trier, auch um Zülpich und am gesammten Nordabhang der Eifel verbreitet, 544 VI« 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. dagegen ist es an der Mosel und in der rechtsrheinischen Wester- waldlandsehaft selten. Im Gegensatz dazu tritt heim sehr dicht zwischen Nahe und Rhein und noch weithin im fränkischen Ober- deut sehland auf und wird hier ebenso wie bach den Chatten zuzu- schreiben sein. Die Endungen auf ingen und weder sind schon o. S. 426 und l">l als für die alemannischen Ansiedelungen charakteristisch be- -] >n>chen. Mit grosser Sicherheit lassen sich die Dörfer auf ingen, welche längs der Strasse von Zabern nach Saarburg bis Lüneville, und in noch grösserer Zahl nahe der Strasse von Weissenburg nach Metz und zur Mosel gruppirt liegen, als alemannische bezeichnen. Dieser ihr Ursprung wird durch den Zusammenhang mit der Besiede- lung des Elsasses und ihre Umgebung und Mischung mit Ortschaften, die auf weiler, oder französirt villier oder ville, auslauten, erwiesen. I ni so weniger lässt sich bezweifeln, dass die dichte Masse der Dörfer auf ingen, die das Moselufer und das Saarthal zwischen Metz und Trier bedeckt und sich auch an der Sauer, Our und Prüm thal- aufwärts bis zur oberen Kyll ausbreitet, demselben Vordringen der Alemannen angehört. Zerstreutere Orte auf ingen und angen weiter rheinabwärts können zum Theil auch, wie oben gezeigt, auf kelti- schem Ursprünge beruhen. Nördlich St. Vith aber, in den Nord- abhängen der Eifel, findet sich wieder eine Gruppe solcher Namen, welche in schlechter Lage zu dicht gedrängt ist, und in dem dop- pelten Hünningen, Eibertingen, Mürringen zu deutlich den deutschen Stammlaut zeigt, um keltisch gedeutet werden zu können. So findet auch in den Ortsnamen der schon durch die Schlacht bei Zülpich bezeugte starke Andrang der Alemannen nach Ripuarien seinen Aus- druck. — Auch für das westlichere salische Gebiet ergeben sich aus der Namensvergleichung bereits für die alte Zeit der Merowinger inter- essante Gesichtspunkte. Es bestanden, wie o. S. 509 gezeigt wurde, in den Landschaften westlich der Maas, durch Hennegau, das schon früh Brabant genannte Ostfiandern, das Menapierland oder Mempiscus und Westflandern bis zur Küste, in der Zeit des Chlogio hinreichend scharfe, bekannte Grenzlinien, welche die Herrschaft der salischen Franken, einschliess- lich des unterworfenen Thoringens, nach Südosten vom Gau Hasbania, nach Norwesten vom Gau Mempiscus und dem sächsischen Westflandern schieden. Gegen Hasbania lag die Grenzlinie in der Demer, der Dyle und der Silva carbonaria, gegen Mempiscus und die Sachsen VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 545 in der Lys bis Gent und dann weiter ungefähr im Zuge des heutigen Kanals von Gent. Letzteres geht daraus hervor, dass das Land Wasia zwischen Gent und der Scheide zum salfränkischen Königreiche Tour- nay gehörte. Diese Grenzlinien der Stammesherrschaft finden auch in der Verschiedenheit der Ortsnamen deutlichen Ausdruck. Der mittle der drei Abschnitte, die sie bilden, das salfränkische Land zwischen Hasbania und Mempiscus, ist in denkbar dichtester Weise mit Ortsnamen besetzt, welche im Mittelalter meist auf gern oder auf ghem enden, wie zum Theil auch noch heut, z. B. Wineghem (IV2 M. 0. v. Antwerpen), Iteghem (2 M. ONO. v. Hecheln), Landegem (lVa M\ N. v. Gent), Somergem (2 M. NW. v. Gent), Baevegem (2 M. SSO. v. Gent), Desselghem (1 M. NO. v. Courtray), Rolleghem (1 M. S. v. Courtray) und Verlinghem (1 M. NW. v. Lille) oder Boesinghe (1 M. N. v. Ypern). In der älteren Zeit gingen diese Namen aber ohne Ausnahme auf ingehem aus, also im Hochdeut- schen Wortlaute auf ingenheim. Die obengenannten heissen in den Karolingischen Urkunden Winnelincheim, Edingehem, Landingehein, Sumeringehem , Bammingehem, Terslingehem , Ricolvingaheim, Evre- lengehem und Bussingehem.1) Diese Orte liegen überall in den durch Meygem, welches Meyingeheim lauten würde, (Anl. 70) charakterisirten Einzelhöfen. Der Name aber bezieht sich nicht auf den einzelnen Hof, der in der Regel einen Spezialnamen besitzt, sondern auf die Gemeinde, d. h. die alte Bauernschaft. Dies drückt auch die Wortform deutlich aus. Es ist Meygem das Heim der Meyinge. Der Name führt zwar auf einen Stammvater Mey zurück, aber die Besitznahme des Ortes durch diesen würde Meyshem, bei den andern Orten ähnlich Winneshem, Edeshem, Landshem, Sumershem, Bamsheim, Tershem, Ricolvshem, Evreshem und Busshem als Ortsbezeichnung ergeben haben. Um im Munde der Grenznachbarn und des Fürsten Meyingen- heim zu lauten, muss der Ort offenbar schon ursprünglich an ein Geschlecht, eine Genealogie überwiesen worden sein. In Namen wie Ricolwingaheim und Wielingahem (Warnkönig, Histoire de la Flandre I, S. 121) tritt in dem a sogar der friesische Plural auf. Man kann zugeben, dass es sich bei diesen Benennungen gar nicht um eine absichtliche Namenswahl, sondern nur um den natürlichen Ausdruck der Thatsache handelte. Aber die Notwendigkeit bestimmter topo- graphischer Unterscheidungen lag für die Nachbarn und für die mili- ') Vergl. Spruner und Menke histor. Atlas, No. 32, Deutschlands Gaue II, von Theod. Menke. Meitzen, Siedelang etc. I. 35 546 VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. tärische und finanzielle Verwaltung schon so unmittelbar mit der Besitznahme vor, dass die Namen sofort aufgetreten sein müssen. sie bezeichnen um so sicherer die volksthümlichen Zustände, als sie ganz gleichmässig über das salfränkische Gebiet verbreitet und nur durch Namen unterbrochen sind, welche einen ganz anderen, entweder deutschen Charakter haben, wie Worte auf lo, los, beck, dorp, oder romanisch mit deutlich lateinischer Endung ausgehen. — In bemerkenswerthem Gegensatze zu diesem von den Salfranken in der Zeit vor Chlogio eroberten Landstriche steht der, wie Gregor v. Tours (II, 9) sagt, von ihnen durchzogene, von den Thor in gern bewohnte und anscheinend auch in deren Händen gebliebene Ab- schnitt zwischen der Scheide, Denier und Waal, das alte Toxandrien. Hier giebt es wenige Meilen von der Scheide landeinwärts gar kein ingheim mehr, sondern es treten die wenigen heim unmittelbar an das Stammwort, welches kein Personenname zu sein braucht. Namen wie Rotheim, Stockheim zeigen vielmehr deutlich, dass es die Be- deutung Ort, nicht Heimath hat. Auch wandelt sich heim hier schon, wie weiter im Norden, in um (z. B. Lottum, Ellicum) um. Namen auf ingen sind selten, folgen aber, wie Beringen, Gardingen, der in Oberdeutschland und bei den Alemannen allgemein verbreiteten Sitte, lediglich die patronymische Bezeichnung ohne heim oder dorf anzuwen- den.1) Daneben findet sich die ebenfalls in Oberdeutschland bekannte Form eren, wie Osteren, Helchteren 2). Lo und laer sind besonders häufig. Beachtenswerth aber ist namentlich die grosse Zahl der Namen auf sei, Ersel, Viersei, Ciesel, Dinzel, Sterksel, Rassel, Kneysel, Steensel, Zoersel, Ryke vorsei u. a., die wohl auf sala, Salland zurück- zuführen sein dürften.3) Da wir nun wissen, dass Toxandrien bereits vor dem Eindringen der Anglen und Warnen, schon seit der Zeit des Carausius, von den Sal- franken besetzt war, ist die Frage von Interesse, ob die Namens- formen mit denen der Feiuwe und des Zaallandes übereinstimmen. In der That wiederholen sich hier Otterlo, Ermelo, Arnheim, Kern- heim, Lauteren, Zemmeren, Schaveren, Tonsei, Wiessei, Mossel, Gorsei, Uttel und ähnliche öfter, auch wird um, wie in Renkum, Wenum, ') Das Wort Ing hat hier, wie in Flandern, die Bedeutung Wiese, Sumpf. *) Vgl. Heiteren o. S. 427 und Anlage 44. 3) Dagegen lässt die im Osten an der Peel häufige Form auf el, Bakel, Rixtel, Mörtel, Hanvel, Boeckel, Volkel, auf die in Mitteldeutschland häufige stumpfe oder Diminutivform von low und vielleicht auf das Vordringen der Chamaven in den Maas- gau schliesscn. VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 547 Benekom, immer häufiger, dagegen fehlen die Ausgänge auf ingen hier völlig. Wer diese Namen in Toxandrien gegeben hat, lässt sich nur daraus schliessen, dass nach den Kelten dieBataven oder die Chattuarier, dann die Salier, und dann erst die Thoringer das Land inne hatten. Die ältesten Bezeichnungen werden also den Bataven, die jüngeren den Saliern und höchstens einzelne der um die unfruchtbare Campine gruppirten den Thoringern zuzuschreiben sein. Die grosse Ueberein- stimmung mit dem Sallande bestätigt den dauernden, geschichtlich bekannten Einfluss der Salier. Die wenigen ingen dürfen, wie sich zeigen wird, vielleicht als unmittelbar alemannisch betrachtet werden. — Ebenso bestimmt wie durch die Dorfform unterscheidet sich auch in den Namen die Hasbania von den übrigen Abschnitten. Dass nicht in Brabant, sondern nur in der Hasbania Reste römischer Villen gefunden sind, ist o. S. 371 gezeigt. Indess wurden diese schon nach der Mitte des 2. Jahrhunderts verwüstet und verarmten, um die Mitte des 3. Jahrhunderts verödeten sie völlig. Hier ist also die Uebernahme älterer Kultur in das Mittelalter sehr unwahrscheinlich. Sie lässt sich auch deshalb nicht annehmen, weil die im Hennegau um die Mitte des 7. Jahrhunderts entstandenen grossen geistlichen Stifter St. Wandru, Maubeuge, St. Gislain, Crespin, Lobbes, Haspre, Maroilles, St. Amand urkundlich mitten in Wälder gegründet wurden, obwohl sie auf fruchtbaren, früher von den Römern kultivirten Oertlich- keiten liegen. Sie rodeten diese Wälder anfänglich nur mit Hülfe der zahlreich zuströmenden Mönche und Laienbrüder, und erst später wurde das in Kultur gebrachte Land zu Zins ausgethan und allmählich erblich verliehen. Auch der Lehnsadel rnuss grosse unkultivirte Landstrecken zugewiesen erhalten haben, denn es ist aus den Klosterurkunden be- kannt, wie derselbe weit ausgedehnte Areale den Klöstern unter der Bedingung überliess, dass die Mönche sie in Kultur brächten, und dass ein Theil des so kultivirten Landes später den Grundherren zurückgegeben werde. Die Besitzungen des Adels erscheinen ursprüng- lich allgemein als Wald und Jagdgründe.1) Daraus erklärt sich, dass ausgesprochen römische Namen trotz der Baureste sich verhältniss- ') Nach sehr dankenswerthen Darlegungen des Herrn G. Decamps zu Mons, von welchem eine ausfürliche Untersuchung: Annales de l'agriculture dans l'ancien conite de Hainaut depuis les temps le plus recule's jusqu' ä nos jours, bevorsteht. Vgl. die o. S. 371 Anm. 2 angegebene Literatur, sowie: Brants, Histoire des classes agricoles en Belgique. — C. Lejeune, Histoire des Estinnes (Annales du cercle arche'ologique de Mons, Tom. XII u. XV). — C. Duvivier, Histoire du pagus 35* fi4S VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen quf den fränkischen Gebieten. massig sehr wenige finden. Selbst in der Karolingerzeit werden ausser Leodium, Tongri, Trajecta nur Longus Campus, Vasidium, Serangium, Minor -Avernas, Septimburias und die noch mehr kel- tisch klingenden Liniarus, Turminas, Curtricias, Hulpiniacus, Belisia, Duravium genannt. Dagegen macht sich eine Reihe Namen geltend, die mit dem keltischen affa, Wasser, zusammengesetzt sind, und auch am Rhein und an der Weser auf den alten deutschkeltischen Grenzen weite Verbreitung haben, Haneffe, Waleffe, Boneffe, Jeneffe, Aineffe, Meeffe, Marneffe, welchen auch Jemeppe, Osteppe, Fleppe, Gemappe anzu- schliessen sind. Sehr merkwürdig, weil sonst ohne Beispiel und nach der Lage der Orte offenbar auch von hohem Alter, ist die Ortsbezeichnung mit mal in Bomal, Omal, Momal, Hamal, Limal, Fumal, wozu Emaal, Mall, Fall, Flemall, Lamalle, Hermalle kommen, welches letztere nahe bei Heristal an der Maas in der Karolingerzeit Heri- malla hiess. Jenseits der Dyle im SO. von Brüssel liegt noch ganz vereinzelt Watremael, das in der Karolingerzeit Quatremal lautete. Ist diese erklärliche Umlautung allgemeiner, so gehören auch Horpmael, Vechmael, Vesemael in Hasbanien noch hierher. Die Deutung auf Gerichtsstätten liegt nahe, indess könnte auch an spicarium aut machalum, Speicher, nach Tit. XVI der lex Salica gedacht werden. Ueberall zeigen sich ferner die frühdeutschen lo, laer, beck, brock zerstreut. Inghem fehlt der Hasbania völlig, wenn man es nicht in den beiden benachbarten Orten Winghe und Kiseghem sehen will, welche in der Nähe von Löwen und des Chlogioschen Dispargum liegen. Sie scheinen eine Bedeutung in den Salierkämpfen erlangt und ein heidnisches Heiligthum enthalten zu haben. Es ist da eine Quelle, welche vom Aberglauben als heilbringende Pferdetränke hochgeachtet und weither aufgesucht wird, und in der Feldlage findet sich ein Kampffeld wie sprachliche Erinnerungen an Franken und Sachsen.1) Hainoennis (Public, de la societe de sciences des arts et des lettres du Hainaut, Ilme serie, Tom. IX). — L. Devillers, Cartulaire des censes et rentes dus au comte de Hainaut (1265 — 1285) 2 vol. (Publ. par la socitete des bibliophiles beiges seant a Mons.) — Vos, Lobbes, son abbaye et son chapitre , 2 vol. Louvain 1865. — Van Bastelaie, la ville belgo-romaine de Ville sous la Neuville a Montignies sur Sambre, Mons 1878. — C. Debore, Elonges, ses antiquites et son histoire. I. Archives souterraines d'Elonges (Cercl. Archcologique de Mons, Tom. XII.) Auch C. Piot, Les pagi de la Belgique, Bruxelles 1873. ') Nach Mittheilungen des Herrn Prof. George Hulin in Gent. VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 549 Sonst tritt heim nicht häufig, aber dann in der deutlichen Ge- stalt Koningxheim, Nederheim, Gothera, Brusthem, Bautersem, Cor- warem, auch schon völlig mitteldeutsch in Bissen, Elixen auf, wozu auch wohl Landen und Neerlanden gehören. Walhain, Gotteshain, Beauveshain dürfen zu hagen, hain, gerechnet werden. Der im Nor- den im gesammten Niederdeutschland üblichen Abstumpfung von heim in om und um gehören Gingelom, Bruckom, Wibbecom, Miseom, Gorssum, Wommersom, Welmersom, Hantsom und für die späte Zeit der Namengebung bezeichnend zwei Kerkom an. Danach ist unzweifelhaft, dass die Hasbania in der Namengebung Mitteldeutschland näher steht, als das Salierland. Es tritt hier aber auch sehr deutlich in zahlreichen ganz an Ober- deutschland erinnernden Namen die Endung ingen auf: Vrolingen, Ha- tingen, Ketzingen, Grimmersingen, Rixingen, Berlingen, Willebringen, Grimmingen, Büdingen, Bevingen, Rulingen, Bovelingen u. a., denen auch die romanisirten Roclenge, Bassenge, Pirange, Ortrange, Herdenge, Wahenges u. ähnl. angehören dürften. Sie bilden eine bestimmte Gruppe, welche an der Maas im Geezthale beginnt, sich westlich über Tongern und St. Truyd weiter ausbreitet und hinter Tirlemont mit Willebringen wieder schmal endet. Ein Zusammenhang dieser Gruppe mit ähnlichen in den Nachbarlandschaften ist nicht ersichtlich. Op- springen bei Heinsberg, Rodingen bei Jülich, sowie Fülingen nördlich Köln stehen sehr entfernt und vereinzelt. Eher ist im Süden an das Thal des Hayouxflusses im Lande der Condrusier zu denken, welches eine Zugangsstrasse gebildet haben könnte, denn hier finden sich Tihange, Havelange, Palenge und die vielleicht verwandten, mög- licherweise aber keltischen Ossogne, Matagne, Terwagne, Jamaigne, Tohogne. Noch weiter nach Süden liegen Nassogne und Recogne, beide indess einzeln. Die nächste zusammenhängende Gruppe ist dann die oben gedachte, tief im Südwesten von Zülpich in den rauhen Bergen zwischen dem Wolfsvenn und St. Vith belegene. Anscheinend hatten die Alemannen in den fruchtbaren Umgebungen von Zülpich in grosser Zahl festen Fuss gefasst und wurden von hier durch die vordringenden Ripuaren und schliesslich durch Sigiberts Sieg theils über die Maas, theils in die südlichen Bergöden verjagt. Daraus würde sich die Sonderstellung der Hasbania erklären können. Ebenso wäre natürlich, dass neben den Orten auf ingen die sonst bei den Alemannen üblichen auf weiler (o. S. 434) hier nicht erscheinen, weil es sich nicht um Zuweisungen an Einzelne, sondern um Unter- kommen der Volksmassen handelte. — 550 VL 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. Es ist ein bekannte Streitfrage, ob der in der lex Salica Tit. XL VII gedachte Ligeris, die Lys, Leye, zwischen Brabant und Mempiscus, oder die Loire ober- und unterhalb Orleans, oder endlich das Küsten- flüsschen Leyre südlich der Garonne ist.1) Unglücklicherweise lässt sich der Name auf alle drei Flüsse anwenden, sie haben jeder in nicht zu weit auseinander liegender Zeit einmal eine kurze Frist hindurch die Grenze der salischen Franken gebildet. Es ist deshalb sogar möglich, dass der Name beim Gebrauch der lex Salica oder bei sonstigen Erwähnungen verschieden angewendet w'orden ist. Aber bezüglich des ursprünglichen Sinnes muss man unbedingt Waitz' Meinung beipflichten, dass der Carbonaria silva auf der einen Seite geographisch nur die Lys auf der anderen entgegengesetzt werden konnte. Die Stelle zieht auch in Betracht, dass nach Westen die Lys allein die Grenze nicht bildete, während die Silva carbonaria längs des ganzen Dyleufers lief, deswegen sagt das Gesetz: Si intra Ligerim aut Carbonariam, aut citra mare ambo manent, et qui cognoscitur et apud quem cognoscitur, in noctes XL placitum faciant. Quod si trans Ligerim aut Carbonariam ambo manent, ille apud quem res agnoscitur in noctibus LXXX lex illa custodiatur. Es wird also die Landschaft Wasia, die zu Tournay, und Antwerpensis, die zu Brabant gehörte, mit eingeschlossen, wofür der Ausdruck citra, der ein ultra voraussetzt, ganz gut gewählt ist. Für das eigentliche Hauptland der alten Merowinger galten also 40 Nächte, für die ferneren Land- schaften 80. Wäre die Carbonaria auf der einen und die Loire oder die Leyre auf der anderen Seite anzunehmen, so würde dieses Haupt- land, in welchem noch Chlodwig residirte, von der Bestimmung der lex Salica damals und für alle späteren Zeiten damit begünstigt ge- wesen sein, dass man grade seinen Einwohnern 80 statt 40 Nächte Frist zugestanden hätte.2) Die Auffassung der Lage der Salier zwischen Silva carbonaria und Lys bestätigen aber auch die Ortsnamen und «ethnographische Gründe. Das Gebiet von Tournay stand vor Chlodwig unter einem salischen Unterkönige. Es reichte von der Scheide zur Lys. Dann folgte der Gau der Menapier nnd das Land der Fläminger. Wie Warnkönig in der Histoire de la Flandre (I, 119) näher erörtert, bezeichnet das Wort Fleming, Fläming, Flyming im Angelsächsischen Flüchtling, l) Waitz, Deutsche Verf.-Gesch. II, 28. *) Damit fällt der Grund, mit Schröder anzunehmen, dass die lex Salica deshalb für das ältere salische Gebiet in Brabant gar nicht gegolten habe. Auch ist der Ein- wand unhaltbar, dass für ein so kleines Gebiet 40 Nächte zu lange Zeit gewesen seien. VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 551 Auswanderer, und blieb Name der Sachsen Flanderns, obwohl der alte Hafen von Hülst noch im 14. Jahrb. Saxhaven, Saxiportus hiess. Chlodwig bemächtigte sich auch des flämischen Gebietes, das damals unter Caravic stand.1) Dauernd aber schied sich Flandern längs der oberen Lys in Flandre fiamigante und Flandre gallicante, und der Fluss bildete die Grenze der flämischen Sprache und des Walloni- schen Patois. Diese Grenze macht sich im Aeussern und im Tempe- rament der Bevölkerung noch heut geltend.2) Jenseits war in den Gau Mempiscus von der Seeküste her die sächsische Bevölkerung weit verbreitet, die bis zur Gegenwart in den Flämingern Körperbau, Charakter und Sprache ihrer niederdeutschen Heimath bewahrt hat. Auf der Wasserscheide der Küstenbäche und der Zuflüsse zur Lys zogen sich zwischen Ypern und Gent weite Waldungen hin und theilten das Menapiergebiet. Die westliche Seite war mehr dem sächsischen, die östliche dem fränkischen und thüringischen Vordringen offen.3) Unter den Ortsnamen Wrestfianderns finden sich auf beschränktem Gebiet zwischen Brügge und Ostende eine Anzahl Namen auf ghem, worunter ein in Karolingischer Zeit Snellenghem geschriebener. Neben diesen endet eine grössere Zahl, namentlich gegen Gent zu, nur mit em, wie Beernem, Bellem, Oedelem, Lophem, Uxem, Geyern, von denen letztere in Karolingischer Zeit Uchesham und Chehiham lauteten, also der in England allgemein verbreiteten angelsächsischen *) Raepsaet, Analyse historique des droits des Beiges et Gaulois. Gand 1824 — 26, I, p. 85. 2) Auch diese Mittheilung ist Herrn Prof. George Hulin zu verdanken. 3) In den Annales Vedastini (Mon. Germ. I, p. 519) wird vom Jahre 880 erzählt: Nortmanni Curtriaco sibi castrum ad hiemandum construunt, indeque Menapios atque Suevos usque ad internecionem delevere, quia valdc illis infesti erant, omnemque terram vorax flamma corrumpsit. Für diese Sueven ist mit denen, welche nach Spanien gingen, gar keine Beziehung ersichtlich. Wahrscheinlich handelt es sich um Warnen. Neben Sweveghem findet sich bei Courtray das bedeutendere Warneton, in Karolingischer Zeit Guarnestum, an der Lys. Auch nennt die Vita St. Eligii die niederrheinischen Thoringer ausdrücklich Sueven. (Ghesgniere, acta sanctorum Belgic. III, p. 231.) Sie sagt lib. II, c. 3: Praeterea Pastoris cura sollicitus lustrabat urbes vel municipia sibi commissa, scd Flandrenses atque Androvarpenses Frisones et Suevi et barbari quique circa maris littora degentes, und c. 8: Multum praeterea in Flandris laboravit, jugi instantia Androwerpis pugnavit multosque erroneos Suevos convertit. Auch im Norden wurden, wie Zeuss 359 zeigt, die Warnen Sueven genannt. Dieser Name kam ihnen auch zu und bezeichnete ihren Gegensatz gegen die Saxones in Flandren. Von ihnen spricht andrerseits Zosimus III, c. 6 als Quaden, die von der See rheinauf fuhren, was Eunapius (Bouquet Scriptores I, 367 f.) bestätigt. Sueven und Quaden galten seit lange gleich (s. o. S. 408 Anm. l). 552 VL 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. Aussprache von heim entsprechen. Es ist möglich, dass diese ghem fränkische Gründungen, die em und ham sächsische sind. Aehnlich wird statt der fränkischen Bezeichnung für Mündung monde im west- lichen Flandern müde unter Wegfall des n gleich dem englischen mauth, gebraucht. Vor allem aber fällt auf, dass die flandrischen Ortsnamen in weit überwiegender Zahl mit kerke, capelle, münster, celle (zeele) zusammengesetzt sind, oder auf Heilige Bezug nehmen. Die grosse Zahl der kirchlich benannten rückt alle bedeutenderen Orte ausge- dehnter Landstrecken in das 6. Jahrhundert herab und macht wahr- scheinlich, dass die überall verbreiteten Spezialnamen der dortigen Einzelhöfe, in denen früher die Kelten ebenso sassen, wie später die Sachsen, für die Verfassung, mit der sich die Sachsen in diesen Sumpf- und Marschgegenden festsetzten, bis zur Einführung des Christenthums genügten. Wurde aber später irgendwo eine Kirche gebaut, so gab sie natürlich, als Centrum einer Parochie und als Ver- einigungspunkt des Markt Verkehrs, den zugehörigen Wohnplätzen den Namen. Dass auch eine Anzahl Ortsbezeichnungen mit Brücke, Damm, Busch, Fuhrt zusammengesetzt sind, erklärt sich in der wasserreichen Gegend von selbst. — Das Zwischenland zwischen den Sachsen und der Lys war viel längere Zeit als die Nachbargebiete in den Händen der Menapier geblieben. Dies spricht sich indess in den Ortsnamen sehr wenig aus, offenbar ebenfalls wegen der Namen der Einzelhöfe. Habetra, Accella, Kollare, Ipira, Fletrinium, Messinae, Nippa, Fleterna, Cassel, Osclarum, Aria erscheinen noch in der Karolingerzeit als Rest der anscheinend auch in älterer keltischer Zeit geringen Zahl grösserer Ortschaften. Dagegen gilt auch hier, dass sich überall viele spätere, auf die Kirche bezüglichen Namen finden. Daneben sind deutsche, von der Landwirthschaft hergenommene Namen häufig. Neben wenigen beke und boorde kommen viele lede, feld, gele, marg, busch, holz (houdt), aue (uwe), auch Bayscheure und Renescure vor. In der Nähe der Lys sind Iseghem, Oesselghem, Laneghem, Wonterghem, Tondeghem, Hondeghem, Wulveringhem, weiterhin Poperinghe und Vlamertinghe, aber auch Gotthem, Eyhem, Pitthem, Honthem und Beernem, das karolingisch Bernsham lautet, zu finden. Sehr häufig ist gegenwärtig, namentlich um Cassel, die Zu- sammensetzung mit zeele, so dass neben cella auch an sala oder Salgut zu denken wäre. Indess ist die Ableitung mindestens zweifelhaft, denn VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 553 es heisst zwar das karolingische Flithersala (westlich von Alst) jetzt Vlierzeele , aber auch Arcella der karolingischen Zeit Aerseele , und es steht die Ablautung zeel, seel einer anderen sei in Ursel, Rongsel, Hontsel, Brüssel gegenüber. Ueberdies ist auffallend, dass zeel viel häufiger im Gebiete des Gaues Mempiscus vorkommt, als auf dem Boden der salischen Franken, wo man es, wenn es Salgut bedeutete, (o. S. 500 Anm.) am ersten vermuthen würde. — Es ist nun auch versucht worden, das südlich anstossende Gebiet von Ar toi s in ähnlicher Weise nach den Namen zu sichten. Dabei Hessen sich zunächst bis zur Canche Spuren der fränkischen Besitznahme erwarten. Denn Chlogio drang schon bis an die Somme vor. Von Syagrius, der um 476 von den Franken die Picardie und einen Theil von Artois wieder zurückeroberte, wird berichtet, dass er bei seinen Unterthanen beliebt gewesen sei, weil er bei Gericht die deutsche Sprache gestattet habe. Auch wird die Canche bis in das späte Mittelalter als die deutsche Sprachgrenze betrachtet. Dies bestätigt sich allerdings durch die Ortsnamen, indess nicht in voller Ausdehnung. Der Abschnitt von der jetzigen französischen Grenze bis zur Canche ist nicht gleichmässig besiedelt. Vom Cap Blanc nez zieht sich, wie Anlage 66 und die Uebersichtskarte in Bd. III verdeutlichen, eine Hügelkette bis zur Silva carbonaria hin, welche den Rand des Plateaus von Artois bildet, und auf der Linie Andres, St. Omer, Bethune, Douai, Valenciennes, Mons ziemlich scharf gegen die Niederung abfällt. Soweit diese Niederung reicht, reicht Flandern und reichen die Einzelhöfe, mit den Hügeln und der Hochebene beginnt Artois und die Dörfer. Zwischen Blanc nez, St. Omer und Boulogne kann man zweifeln, ob zahlreiche kleine Dörfer oder Einzelhöfe den kleinen Abschnitt bedecken. Unter den Ortsnamen treten nun grade in dieser Gegend die ausserordentlich vielen inghem besonders hervor, die hier inghen geworden sind, aber offenbar derselben Siedelungs weise angehören, welche in Flandern unter den Sarfranken statthatte. Es sind damit grosse und kleine Ortschaften bezeichnet, unter den letzteren z. B. Bainghen, Bongninghen, Rebretingue, Elinghen, Docquinghen, Hel- vetinghen, Raminghem, Barlinghem, Gaslinghem, die indess sämmt- lich nicht einzelne Höfe, sondern Dörfer von einer grösseren Anzahl Gehöfte sind. Gegen die Canche zu werden diese Namen aber schon an der Küste seltener und treten von Boulogne an gegen das Innere nach Bethune zu so von der Canche zurück, dass die südlichsten Bezinghem, Manighem, Radinghem, Matringhem, Mazinghem, Flor- 554 VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. inghem, Zozinghem etwa noch 2 Meilen nördlich vom Flusse ent- fernt bleiben und nach Osten über Bethune nicht hinausgehen. Auch innerhalb dieses nicht sehr ausgedehnten Gebietes aber herrschen sie nicht allein, sondern haben besonders in der Nähe der Küste eine gewisse Anzahl Orte neben sich, die mit thun zusammen- gesetzt sind. Tourlinethun , Alinethun, Frethun, Offrethun, Harden- thun, Bedrethun, Witerthun, Colinethun, Roethun, Wadenthun, Alen- thun und das am weitesten landein V2 Meile südlich von Andres be- legene Landrethun, endlich auch Bethune selbst. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die Endung thun aus town oder ton entstanden und den Sachsen zuzuschreiben ist, wie schon die deutschen Stammsilben erweisen. — Die südlicher der angegebenen Linie belegenen Ortschaften sind bis zur Loire in den bei weitem meisten Fällen mit court, mont, ville, villier, lieu zusammengesetzt und geben kaum irgendwo zu der Vermuthung deutscher Grundlage Veranlassung, eher finden sich mehr- fach Wortstämme, welche auch dem Romanischen fremd und wohl auf alte aus der Keltenzeit noch nachklingende Namen zu beziehen sind. Aus den älteren Urkunden aber hat Taylor in dem Werke »Words and Places« eine grössere Zahl von deutschen Eigennamen herzuleitender Ortsnamen in Frankreich gesammelt. Von diesen liegt der grösste Theil im Hennegau nahe der Maas und der Oise bis gegen Soissons. Vereinzelt finden sich einige um Beauvais, um Chateau Thierry und Chatillon an der Marne, und um Province und Sezanne zwischen Marne und Aube. Auch in der Beauce zwischen Arpajon und Pithivier liegt eine grössere gedrängte Gruppe zu- sammen. Damit sind die deutschen Namen erschöpft, welche in Nordfrankreich auf dem Gebiete der Franken bekannt sind. Es schliessen sich daran im Südosten zahlreiche deutsche Namen, welche der Umgegend von Langres, der Franche Comte und der Bourgogne angehören, und grade deshalb, weil sie Dörfer und von Deutschen in bekannter Weise besetzte Gegenden betreffen, welche unmittelbar an das alemannische Elsass anschliessen, leicht erklärlich sind. Zwei andere Gruppen solcher deutscher Namen aber sind im Gebiete der Einzelhöfe von Mittelfrankreich bekannt und zeigen, dass die deutschen Eigennamen nicht an Dorfanlagen gebunden sind. Die eine Gruppe findet sich im alten Senonenlande südlich von Sens und Troyes bis Auxerre, die andre in der Sologne und in Haut Berry, doch so, dass sie die Dörfer um Bourges ausschliesst, welche von den Westgothen angelegt sein dürften. — VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 555 Das Ergebniss dieser Untersuchung führt darauf, dass zwar in Nordfrankreich im Gegensatz zum Süden eine sehr viel grössere An- zahl bereits zur Römerzeit auf den früheren Keltengebieten begrün- deter Dörfer anzunehmen sind, dass es aber doch unmöglich ist, die auf der Karte Anlage 66 erkennbare, mit Ausnahme der kleinen Gruppe bei Lüttich und um St. Die, völlig geschlossene Masse der Dorfbesiedelung bis zur Seine und Loire allein den Kolonen der römischen Latifundien, den deutschen Laeti und dem Anbau der Ubier, Alemannen und Chatten zuzuschreiben. Vielmehr ist Artois von der Grenze der flandrischen Tiefebene bis an die Canche un- bestritten von den salischen Franken besiedelt, und es bestehen hier nicht allein überall Dörfer, sondern auch, wie die Beispiele von S alles und Tourpes, Anlage 81, 82, zeigen, in Gewannen aufgetheilte, dem Flurzwange unterworfene. Ueberdies ergeben die patronymischen Orts- namen, dass die Begründung der Ortschaften in weiter Verbreitung durch die aus den deutschen Volksgesetzen bekannten Genealogien erfolgte. Da die salischen Franken seit der ältesten Zeit in Einzelhöfen wohnten, können diese Dörfer also nicht ihren eingelebten Sitten und Gewohnheiten, sondern nur den Bedingungen, welche durch die Er- oberung und die neuen Verhältnisse gestellt waren, und der damals schon seit 400 Jahren verbreiteten Kenntniss der deutschen genossen- schaftlichen Siedelung zugeschrieben werden. Es lässt sich nicht verkennen, dass für gleichberechtigte Volks- genossen die neue Anlage von Einzelhöfen, wenn man sich nicht von Ort zu Ort dem Machtspruche eines Häuptlings unterwerfen wollte, sehr schwierig durchzuführen war. Es musste viel leichter erscheinen, der durch die Ubier und Alemannen wohlbekannten dorf- mässigen Besitz vertheilung zu folgen, um wirklich streitfreie Zustände zu sichern. Dieselbe entsprach auch wahrscheinlich den zur Zeit herrschenden Anschauungen über den zweckmässigen Betrieb und die Vertheilung der Lasten und Gefahren besser als die Einzelhöfe. Diese Dörfer mit Gewannfluren bestehen nicht allein in Artois, sondern sind, wie Herr Prof. Hulin und Herr Dr. Grossmann aus Einsicht von Karten und eigener Anschauung angeben, auch in ganz Isle de France und um Chartres und Chateaudun zu finden. Auch Landau (Terr. S. 91) bestätigt, dass um Paris die Feldmarken in Ge- wanne und diese in einzelne Ackerstücke getheilt erscheinen, ähnlich den Feldern, wie sie der grössere Theil von Deutschland besitzt. Indess bilden sie, wie Herr Huhn nach den Katasterkarten von Isle de France urtheilt, nicht die Mehrheit. Zwar sind alle Fluren 556 ^ I- 1- Die I\n-fer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. mit Dörfern besetzt, aber die Feldeintheilung der meisten erscheint mehr blockformig; er meint, überwiegend die Zeichen grundherr- licher Anlagen gefunden zu haben. Dies hat auch volle Wahrschein- lichkeit für sich. Die Eroberung Chlodwigs trug durchaus den Charakter der ent- stehenden Königsgewalt. Wir sehen aus der Erzählung Gregors (DI, 27) von dem verweigerten Kruge bei der Theilung der Beute zu Soissons, dass Chlodwig in den ersten Jahren seiner Regierung noch das Recht bestritten wurde, irgend etwas anderes als König zu ver- langen, als was ihm nach Volksrecht das Loos ertheilte, und dass er sich dem fügte und erst nach einem Jahre den, der ihn daran ge- mahnt hatte, bei der Heeresmusterung vorgeblich wegen schlechter Waffen niederschlug, damit aber Allen grosse Furcht einjagte. An solche Rücksichten ist später nach seinen Siegen über Alemannen, Burgunden und Westgothen, wTie die Ermordung aller seiner Ver- wandten zeigt, nicht mehr zu denken. Er war der volle übermäch- tige Alleinherrscher geworden, der über Land und Leute verfügte. Es ist kein Zweifel, dass er nach wie vor den Heerbann aufrief, und dass derselbe Beuteantheile und, soweit er es wünschte, Land zur Ansiedelung erhielt. Aber es muss sich um den König auch eine Schaar von Hof- und Kriegsleuten gesammelt haben, die ihm mit ihren Gefolgen und Knechten jeder Zeit zu Amts- und Kriegs- diensten zur Verfügung standen, und dafür zu ihrem Unterhalt, wie zu ihrer Belohnung Besitz aus dem eroberten Lande erhielten. Aus diesen Landvergebungen sind nun aber in Nordfrankreich nicht wie in Oberdeutschland (o. S. 431) vorzugsweise kleinere Weiler, sondern, soweit sich ersehen lässt, überall Dörfer hervorgegangen, die den volksmässig angelegten an Grösse ziemlich gleichkommen. Hierfür mit Sicherheit Gründe festzustehen, wird kaum möglich sein. Denken lässt sich, dass in Frankreich dem Hofgefolge grössere romanische Güter mit ihren Hörigen überwiesen wurden, welche in Oberdeutschland nur in geringer Zahl vorhanden und bei der allmäh- ligen Besitznahme in der anfangs üblichen Weise zerstört worden waren. Auch kann das Vorbild der bereits zahlreich vorgefundenen Dörfer bei der Anlage neuer mitgewirkt haben. Am wahrschein- lichsten erscheint jedoch, dass für die Begründung der volksmässigen wie der gutsherrlichen Dörfer die öffentlichen Zustände bei der Be- sitznahme entscheidend waren. Die Eroberungen aller der Gebiete, auf denen sich die in Frage stehenden Dörfer vorfinden, folgten sich in wenig Jahren. Die fränkische Eroberung des gesammten ge- VI. 5. Die Dörfer und Ortsnamen auf den fränkischen Gebieten. 557 schlossenen Gebietes der nordfranzösischen Dörfer bis zur Loire ge- hört nur in die Zeit der schwankenden Kämpfe mit Aegidius und Syagrius, und in die kurze Periode von der Niederlage des Syagrius bis zum Ende des 5. Jahrhunderts. Mit dem Ueberschreiten der Westgothengrenze hört auch die Begründung von Dörfern auf. Süd- lich der Loire und westlich von Chateaudun haben die fränkischen Grundherren die altbestehenden Einzelhöfe nicht mehr verändert. Die Einzelhöfe bestehen bis heut, und Taylors Untersuchungen zeigen, dass sie in verschiedenen Oertlichkeiten zu Güterkomplexen mit deutscher Benennung zusammengefasst worden sind. Ebenso geschah dies im Gebiet von Sens und zwischen Yonne und Loire. Man wird also am natürlichsten dem stürmischen Charakter und den Gefahren der ersten Eroberung die Vereinigung der Ortsbevölkerung in ge- schlossene und vertheidigungsfähige Dorfschaften zuschreiben dürfen. Dagegen lässt sich zwar einwenden, dass Schriftsteller und Chro- nisten, die diesen Eroberungen der Franken noch nahe standen, wie Sidonius Appollinaris , Gregor v. Tours, Fortunat und die Verfasser des Fredegar und der zahlreichen vitae sanetorum der Merowingerzeit, in keiner Weise der Dörfergründungen, des Ausbaues herrschaftlicher Höfe und des Zusammenziehens der zerstreuten Gehöfte zu geschlos- senen Orten Erwähnung thun. Auch in den verschiedenen Re- daktionen der lex Salica haben solche Vorgänge keine Spur zurück- gelassen. Sie müssten also im äusseren Leben der Bevölkerung sehr wenig Bewegung hervorgerufen und keine besonders auffälligen Er- scheinungen zur Folge gehabt haben. Man darf aber allerdings an- nehmen, dass die bisherige ländliche Bevölkerung in ihrer Haupt- masse als Kolonen lebte und deshalb, wie S. 363 gezeigt ist, an die Scholle gebundenen Zinsleuten, im besten Falle gutsherrlichen Päch- tern gleichstand, so dass, wenn die neuen Herren sie nicht einem härteren Loose der Sklaverei unterwarfen, sondern ihnen nach wie vor Zinsland überwiesen, die Lage und Eintheilung der Grundstücke, nach der dies geschah, keinen Anlass zur Klage bot, und dass selbst eine sich verbreitende Sitte, ihre, wie die lex Salica zeigt, sehr leicht ge- bauten Wohnstätten um den Herrenhof zu vereinigen , nur zufällig Aufsehen erregen oder Erwähnung finden konnte. Es würde für Jemand, der Zugang in die französischen Kataster- archive erlangen kann, keine besondere Schwierigkeit haben, sich ein bestimmt abgegrenztes Bild von der Vertheilung der volksmässig und der gutsherrlich angelegten Dörfer zu verschaffen, und einige derselben ganz im Einzelnen auf den Charakter ihrer Ackereintheilung 558 VI- 6- Grundbesitz, Feld und Forst im Ripuaren-Reiche. und die möglichen Reste eines früheren Bestandes an Einzelhöfen zu untersuchen, namentlich die Lage und Abgrenzung der verschie- denen Fcldtheile und ihre Spezialnamen, sowie den Verlauf der Wege und der Gemarkungsgrenzen zu vergleichen. Ob sich jedoch be- stimmtere Gesichtspunkte daraus ergeben würden, als sie die ange- führten Thatsachen und die geschichtlichen Vorgänge zulassen, ist immerhin zweifelhaft. Im allgemeinen führt der Zusammenhang der bekannt gewor- denen Hülfsmittel zu der Annahme, dass auf dem gesammten fränkisch-vandilischen Eroberungsgebiete ursprünglich keltische Einzel- höfe verbreitet waren, welche in der ältesten Zeit auf beiden Seiten des Unterrheins von den dorthin vordringenden Deutschen über- nommen und bis auf die Gegenwart dauernd bewirthschaftet worden sind; dass dagegen etwa seit Caesar die in Mitteldeutschland bei der festen Ansiedelung aufgekommene Sitte, nachbarlich geschlossene Hufendörfer mit gewannförmiger Gemenglage anzulegen, sich auch in Rheinland und Frankreich soweit verbreitet hat, wie die Gründung von Ansiedelungen durch volksmässige bäuerliche Genossenschaften erfolgte. Dies war anscheinend überall der Fall, wo Schaaren der Volksheere oder Zuwanderer Besitz ergriffen. Doch konnte es auch auf solchem Lande geschehen, welches Grandherren ihren Kolonen oder eigenen Leuten überliessen. In der Regel aber wiesen deutsche Grundherren, wie sich dies auch in vielen Dörfern Rheinlands und Nordfrankreichs findet, ihren Hintersassen die Besitzungen zwar nach dem Hufenverhältnisse zu, aber in der Form der Grundstücke banden sie sich nicht an Gewanne und ihre gleichmässig geordnete Unter- teilung, sondern sie gaben die Ländereien beliebig und in unregel- mässigen blockartigen Besitzstücken ab, wobei hier und da sehr zweckmässig die alten einzeln fest abgegrenzten keltischen Kämpe bestehen bleiben konnten. 6. Grundbesitz, Feld und Forst im Ripuaren-Reiche. Die Beurtheilung der Rechtsverhältnisse, welche für den Grund- besitz der ripuarischen Franken galten, ist durch die allmähliche Ausbreitung der Ripuarenherrschaft und durch den Geltungskreis der lex ribuaria bedingt. Die Anfänge des Ripuarenreiches waren sehr schwache. Sie sind (o. S. 497) in der Festsetzung der Ansivaren und eines Theils der Hattuaren auf dem alten Gebiete der Sigambem südlich der VI. 6. Grundbesitz, Feld und Forst im Ripuaren-Reiche. 559 Ruhr bis zur Wied zu sehen. Nach den Nachrichten des Tacitus ist das Wahrscheinlichste, dass der vertriebene Volksstamm hier im 1. und 2. Jahrh. lediglich ausserhalb der Grenzen des römischen Reiches feste Sitze behauptete. Den Römern scheint seine Existenz, so lange sie den Limes festhielten, weder störend, noch überhaupt bekannt gewesen zu sein. Indess blieben den Flüchtlingen ausserhalb des römi- schen Verwaltungsgebietes bis zur Ruhr immerhin 80 □ Meilen frei, wenn man auch die Grenzlinie des Tiberius, so weit östlich als mög- lich, von Essen und Barmen über Wipperfürth auf dem Gebirgsrande zur mittlen Wied zieht. Seit 200 aber hatte der auf dieser Grenze, wie es scheint, unbefestigt gebliebene Limes keine Bedeutung mehr. Die anwachsende Volksmenge konnte sich also allmählich gegen den Rhein hin ausbreiten. Um 388 wird durch die Kämpfe des Vannius und Quintin bekannt, dass die Ansivaren das rechte Rheinufer un- bestritten inne hatten. Sie waren inzwischen so mächtig geworden, dass alle Bestrebungen der römischen Heerführer nur noch dahin gingen, sie von den oft wiederholten Plünderungszügen auf der linken Seite des Stromes abzuhalten. Es ergiebt sich auch, dass damals benach- barte Chatten, Brukterer und Chamaven zu ihrer Hülfe erschienen, und anscheinend Gebietstheile derselben unter ihrer Oberherrschaft standen. Chatten und Brukterer müssen aber wenig später von ihnen wieder frei geworden sein, denn sie kämpften mit Attila gegen die Ripuaren bei Chalons (Zeuss, 352). Dagegen scheinen die Chamaven, welche Julian noch 358 aus der Betuwe über den Rhein zurück- gewiesen hatte, in engere Verbindung mit den Ripuaren, sei es durch Vereinigung oder Unterwerfung, getreten zu sein. Sie wurden, als die salischen Franken nach Toxandrien und Brabant vorrückten, von letzteren durch die etwa ein Jahrhundert hindurch zwischen Scheide und Maas selbstständige Macht der Thoringer, oder Anglen und Warnen, getrennt. Arbogast greift 392 die Chamaven wie die Ripuaren von Köln aus an. Seitdem tritt anscheinend ihr Name hinter dem der ripuarischen Franken zurück, denen es seit dem Anfang des 5. Jahrhunderts gelingt, die linksrheinischen Gebiete bis jenseits der Eifel in Besitz zu nehmen, und ihre Herrschaft auch an die Maas und in der Hasbania, mindestens bis über die Umgebung von Heristal, auszudehnen. Innerhalb dieser Grenzen erhielt die lex ribuaria Geltung. Sie wurde zwar erst im Anfange des 7. Jahrhunderts1) unter den Mero- *) Brunner, Deutsche Rechtsgesch. 1887. S. 303 u. 353. 560 VI. 6. Grundbesitz, Feld und Forst im Ripuaren-Reiche. wingern abgefasst, aber doch, im Sinne ihrer Personalunion, bei aller Ärmlichkeit unter deutlich bewusstem Gegensatze gegen das salische Gesetz, und galt anscheinend ausser dem eigentlichen Ripuaren- lande auch bei den Chamaven. Das ausdrücklich den Chamaven angehörige Gesetz, die Ewa Chamavorum, in welcher Karl d. Gr. um 803 einige hei den chamavischen Franken übliche Sonderrechte lega- lisirte, war nicht auf eine einzelne Landschaft beschränkt, da sie von den Friesen und den Sachsen als Nachbarn der Chamaven spricht und ebenso wie in Hamaland in den Gauen Felwe und Flethiti, wahrscheinlich aber auch in Thwente und Thrente in Kraft stand. Sie setzt aber offenbar ein ebenso allgemeines anderes Franken- recht von umfassenderem Inhalte voraus. Dass dies eine besondere lex Chamavorum gewesen, ist durch die Ewa ausgeschlossen. Den Umständen nach hatte deshalb am wahrscheinlichsten die lex ribuaria Geltung. Eine Urkunde von 855 bestätigt auch die Vollziehung der Grundübereignungen im Hamalande nach ripuarischem Rechte1). Von den durch Karl d. Gr. organisirten Gauen2) umfassten die rechtsrheinischen, Ruhrgau, Keldahgowe, Deutzgau und Auelgau, und die linksrheinischen, Nivanheim, Kölngau, Jülichgowe, Zülpich- gowe, Bonngau und Eifela, das eigentliche Ripuarien. Dazu kamen Hamaland, Felwe und Flethiti rechtsrheinisch und Moilla und der Lüttiggau linksrheinisch als ripuarische. Unbestimmt ist die Rechtsstellung der Hattuarier und Gugernen im pagus Hattuariensis und im Tubalgowe. Die altsalische Betuwe und Teisterbant haben die Salier mit Toxandrien und Maasgau spätestens 491 bei der Unter- werfung Thoringiens wieder in Besitz genommen. Die Hasbania, Condrusien, die Ardennen und das gesammte Moselland, soweit sie unter ripuarische Herrschaft gekommen waren, scheinen schon von Chlodwig als unmittelbare salische Eroberungen behandelt würden zu sein, wie dies auch mit den Chattengebieten der Fall war. Die Vergleichung dieser Vorgänge zeigt, dass das ripuarische Gesetz zu einer Zeit zusammengefasst worden ist, in welcher die Ripuaren seit mehr als 2 Jahrhunderten in den ubischen Gewann- dörfern eingelebt waren, die ihren linksrheinischen Besitz fast aus- schliesslich ausmachten. Es muss also den Verhältnissen derselben Rechnung getragen haben. Andrerseits aber haben die Ripuaren ihre ') Bei Lacomblet, Urkb. zur Gesch. des Niederrheins I, No. 65. Hier bezieht sich, wie die Erwähnung der Ewa Frisionum auf die Güter in Frisia, so die der lex Salica auf den Besitz in der Betuwe. Für das Geschäft selbst gilt das ripuarische Recht. 2) Schröder, Deutsches Privatrecht. 1889. S. 96. VI. 6. Grundbesitz Feld und Forst im Ripuaren- Reiche. 561 Sitze in den alten Keltenhöfen der rechtsrheinischen Gebirge niemals aufgegeben. Der grosse Bestand dieser Einzelhofanlagen ist ungestört bis auf unsere Zeit gekommen. Die ripuarischen Bewohner derselben müssen ihre herkömmlichen Sitten und Rechtsanschauungen sogar schon an der Ems und am Unterrhein gewonnen haben, denn dort Fig. 52. Ellicum bei Maaseyk. 3 M. W. 1 : 24 300. lagen die frühesten bekannten Gebiete der Ansivaren und Hattuaren, die sie schon im 2. Jahrh. v. Chr. (o. S. 385, 525) von den Kelten eroberten und in welchen später die Chamaven Wohnsitze erhielten. Deshalb muss das Gesetz auch auf diese überlieferten Ideen, Bedürf- nisse und Lebensgewohnheiten Rücksicht genommen haben. — Meitzen, Siedelung etc. I. 36 562 VL 6. Grundbesitz, Feld und Forst im Ripuaren-Reiche. Die wirthschaftlichen Besonderheiten der Gewanndörfer bedürfen für die Auslegung des Gesetzes keiner weiteren Erörterung. Für das V.Tstiindniss der Einzelhofwirthschaft, deren allgemeines Bild Fig. 52 verdeutlicht, sind zwar die wichtigsten Züge S. 20, 49 und 177 be- zeichnet, indess lassen sich doch aus dem Beispiele der alten Einzelhof- flur Kirchlinden im ripuarischen Gebirgslande (Anlage 73) die nachbarlichen Besitzverhältnisse und die Bedingungen und Zustände des Wirthschaftsbetriebes im einzelnen näher veranschaulichen. Die Karte dieser Flur zeigt, wie abgeschlossen und gerundet der ursprüngliche Anbau die einzelnen Höfe umgiebt, und wie, ebenso wesentlich verschieden von dem der Gewanndörfer, der private Besitz sich im Laufe der Zeit in das unkultivirte Land ausbreitete. Unterscheidet man in Kirchlinden, wie auf der Anlage 73 geschehen, das geringe Haide- und Waldland von den guten, leicht kultivirbaren Ländereien, so treten auf den letzteren 16 alte Ackerhöfe von nahezu gleicher Grösse hervor. Sie nehmen den zuerst besetzten und ange- bauten Theil, etwa die Hälfte, der Flur ein, während der Rest der- selben an Weide- und Holzgründen erst nach und nach und ver- schiedenartig vertheilt worden ist. Diese 16 Höfe von je 44 bis 50 ha umfassen zusammen 749,58 ha, die ganze Flur 1512,27 ha. Sechs der Höfe (F und G, H und J, und P und R) liegen zu je 2 vereinigt, die 10 übrigen jeder für sich allein in ringsum ziemlich gleichmässig fortlaufenden, ursprünglich jeden anderen Besitz ausschliessenden Grenzen. Soweit die Höfe nicht an die Haide anstossen, berühren sie sich unmittelbar als Nachbarn, so dass Veränderungen dieser Grenzen nicht vorauszusetzen sind. Wirklich dismembrirt ist im Laufe der Zeit, wie die Uebersicht in Anlage 73 ergiebt, nur Hof N. Er ist in 3 kleine Stellen zer- fallen, und hat grössere Flächen an andre Höfe und an Auswärtige abgegeben. Alle anderen eingetretenen Aenderungen beruhen auf dem Fortschritt der Kultur. Die 3 Doppelhöfe sind von den Besitzern in je 2 Vollhöfe getheilt, und die 5 Vollhöfe A, E, F, H und 0 sind in je 2 Halbhöfe zerlegt worden, wie dies auch bei den Gewannhufen im Mittelalter sehr allgemein üblich war. Bei diesen Theilungen haben die alten abgerundeten Höfe nicht in je zwei ge- schlossene Hälften geschieden werden können, sondern es musste eine Auswahl unter den Besitzstücken getroffen werden, so dass die beiden Halbhöfe unter sich mit ihrem Besitz zum Theil im Gemenge liegen. Aber dieses Gemenge ist auf die beiden Theilhöfe beschränkt, und es stehen nur die alten grossen Kämpe in verschiedenem Eigen- VI. 6. Grundbesitz, Feld und Forst im Ripuaren-Reiche. 563 thum. Keineswegs sind alle diese Kämpe den beiden Berechtigten in der Weise nach einzelnen Stücken zugewiesen, wie dies o. S. 450 bei den romanischen Einzelhöfen Bayerns nachgewiesen ist, und auf Gewannfluren (S. 98) durch die Natur der Anlage gegeben wird. Ausser diesen Halbirungen ist an dem alten Bestände der Höfe überraschend wenig gerüttelt. Trotz der Dismembrirung von N sind, wie Col. 9 der Uebersicht zeigt, von den 749,58 ha der Gesammtflache aller Höfe nur 31,81 ha, also nur 4,27% im Laufe der Zeit durch Mit- gift, Schenkung oder Veräusserung von einem der Höfe auf den anderen übergegangen. An Auswärtige wurden nach Col. 11 überhaupt nur 8,28 ha oder 1,1% aus dem gesammten Hof lande veräussert. Der einzelne Hofbesitzer hatte schon früh das Bedürfniss, eine Arbeiterfamilie zu seiner Hülfe auf seinem Hoflande anzusetzen. Dies geschah üblicher Weise in sogenannten Heuerhäusern, im wesent- lichen als ununterbrochen fortlaufende Pacht. Den Heuerleuten wurde ausser dem kleinen Häuschen etwas Acker in fester oder wechselnder Lage zugewiesen, und sie hatten die Erlaubniss, bestimmte Stücke Vieh zu halten und an geeigneten Stellen weiden zu lassen. Daraus ist nicht selten, besonders in neuster Zeit, Eigenthum geworden. Indess betragen die an kleine Stellen aus dem Hof lande abgegebenen Grund- stücke auf sämmtlichen 16 Höfen zusammen nur 12,35 ha oder 1,66 %. Es sind also 93 % des jedenfalls uralten Hof bestandes der Flur Kirchlinden1) durch alle Zeitläufe so vieler Jahrhunderte völlig un- berührt im alten Besitz und in alter Lage geblieben. Dagegen haben sich die ursprünglichen Höfe durch Einbeziehung des Haide- und Waldlandes der Flur auf ungefähr die doppelte Grösse erweitert. Nach welchen Grundsätzen und Anrechten aber dieses Eingreifen in das angrenzende Haide- und Waldland geschehen ist, lässt sich leider nicht hinreichend erkennen. Es muss selbst ein Urtheil, ob diese Grundstücke als Marken- oder als Almendeland angesehen werden dürfen, vorbehalten bleiben. Gegenwärtig bilden sie innerhalb ihrer bestimmten Grenzen die politische Gemeindeeinheit der Flur. Es ist nur mit mancherlei Zweifeln zu bestimmen, welche Stücke der einzelne Hof aus diesem Haidelande ursprünglich in Be- sitz genommen hat, oder nehmen durfte. Zu N gehört ausser dem ') Der Name Kirchlinden bietet keine Veranlassung, an einem hohen Alter der Ortschaft zu zweifeln. Er hängt nur an einem Doppelhofe der Flur, und kommt wahrscheinlich von einem Kirchplatze her, den der Besitzer vielleich schon in früher christlicher Zeit auf ihm weihen Hess, ohne dass der Bau und die Parochie zur Ausführung gelangten. 36* 564 VI. 3 '5 S o o s 3 Villae *CO .n es CO 09 "co eS .5 "o e 1 . Hessigheim Eigenthum 1 ■A 4 . 5 2. Unkenstein Praecaria 1 1 . 6 20 5 3. Hessigheim Eigenthum 1 6 12 5 4. dgl. Praecaria 1 6 15 7 5. dgl. dgl. 1 2 20 1 6. Franconodal Eigenthum 1 1 . 7 20 3 7 . Marisga Praecaria . 3 20 1 8. Uuisa Eigenthum 1 . 5 • 20 3 9. dgl. Praecaria 1 . 4 2 1 0. dgl. Eigenthum 1 5 4 11. dgl. Praecaria 1 5 5 12. Uanesheim Beneficium 1 2 4 6 . 20 6 1 13. dgl. dgl. 1 . • 5 4 30 5 1 i 14. dgl. dgl. 1 • 5 5 1 5. Alasenza dgl. 1 . . 2 3 15 1 1 i 16. dgl. dgl. 4 1 2 17. dgl. dgl. 1 8 2 6 6 18.Tatastat dgl. 1 1 4 10 1 22 5 5 Villen sind aus dem Eigenthum von Clerikern und Laien dem Kloster Vuitunburgh geschenkt, 6 hat das Kloster besessen und an die Schenker anscheinend als Praecarien verliehen, 7 sind Kirchenlehen. Die Unterschiede in der rechtlichen Lage der Besitzer dieser Güter kommen, wie die Uebereinstimmung ihrer Bestandtheile zeigt, nicht in Betracht, auch nicht, ob ihr Bestand genau der Wirklichkeit ent- nommen ist. Der Verfasser war jedenfalls mit den Verhältnissen der Rheingegenden, denen er die Beispiele zuschreibt, völlig bekannt. Es ist deshalb vor allem bedeutsam, dass fast ohne Ausnahme eine casa indominicata in Verbindung mit durchschnittlich 6 mansi ser- viles und einigen Weinbergen und Wiesen gebracht ist, dagegen nur in drei Fällen auch mit einer Silva communis. Danach hat das Kloster zwar beträchtliche Flächen grundherrlichen Besitz. Aber er scheint aus Schenkungen einzelner Herrenhöfe hervorgegangen, welche im alten Zusammenhange mit ihren Hintersassen geblieben sind. Dabei sind in der Regel drei auch vier solcher grundherrlicher casae oder curtes in dieselbe villa verlegt. Die Vorstellung des 608 VI. 8. Die fränkische Landwirthschaft bis auf Karl den Grossen. Schreibers ist also offenbar auf Dörfer gerichtet, welche, ursprünglich wenigen Besitzern gehörten, aus deren Verleihungen sie hervorgegangen sind. Meist haben diese Grundherren ihr Land an eigene Leute ausgethan. Einige dieser zinsbaren mansi sind indess als ingenuiles bezeichnet. Damit stimmt die obige Schilderung der mansi bei dem Hofe des Augustensischen Bisthums überein, nur dass bei diesem Hofe 740 jugera in eigener Wirthsehaft stehen, während die 18 Bei- spiele des 4. und 5. Item nur klein sind. 6 mansi serviles würden höchstens für 240 jugera gutsherrliches Land genügen können. Dies wäre nur IV3 der ursprünglichen Grösse eines der 16 alten Höfe zu Kirchlinden (Anlage 73). — Ausser dem Privatbesitz werden im Breviarium noch 4 fisci regales, eigentliche Königspfalzen, beschrieben. Asnapio (Bor. S. 254) besitzt salam regalem ex lapide factam optime, cameras 3, solariis totam casam circumdatam cum pisili- bus 11; infra cellarium 1, porticus 2, alias casas infra curtem ex ligno factas 17, cum totidem cameris et ceteris appendiciis bene conpositis, stabulum 1, coquinam 1, pistrinum 1, spicaria 2, scuras 3, curtem tunimo strenue munitam, cum porta lapidea et desuper So- larium ad dispensandum , curticulam similiter tunimo interclausam ordinabiliter dispositam, diversique generis plantatam arborum. Hier ist das Abbild eines der vornehmsten Gehöfte der karo- lingischen Zeit gegeben. Eine steinerne Sala mit 3 Kammern, mit 2 Fluren, rings von einer auf 11 Säulen gestützten Veranda umgeben, und darunter 1 Keller. Daneben aber stehen gesondert im Hofe 17 hölzerne casae mit je einer Stube und den übrigen appendiciis bene compositis, welche wohl kleine Holzhäuser mit nur je einem Wohnraum für die Gesinde waren. Die eigentlichen Wirthschafts- gebäude sind ziemlich spärlich. Unter dem tunimus wird man einen festgezimmerten Zaun zu denken haben, der durch ein steinernes Thor Schutz hatte. Von dem Söller desselben bescheidet der Pförtner die Ankömmlinge. Eine andere königliche Villa (Bor. S. 255) wird beschrieben: Reperimus in illo fisco dominico domum regalem, exterius ex lapide et interius ex ligno bene constructam, cameras 2, solaria 2, alias casas infra curtem ex lingno factas 8, pisile cum camera 1, ordina- biliter constructum stabolum 1, coquina et pistrinum in unum te- nentur, spicaria quinque, granecas 3, curtem tunimo circumdatam desuperque spinis munitam cum porta lignea. Habet desuper Solarium, curticulam similiter tunimo interclusam, pomerium contiguum diversi VI. 8. Die fränkische Landwirthschaft bis auf Karl eleu Grossen. 609 generis arborum nemorosum, infra vivarium cum piseibus 1, hortum bene compositum 1. Die dritte Schilderung hat wieder einige andere Züge : Invenimus in illo fisco dominico casam regalem cum cameris 2, totidemque caminatis, cellarium 1, porticus 2, curticulam interclusam cum tunimo strenue munitam, infra cameras 2, cum totidem pisilibus, mansiones feminarum 3, capellam ex lapide bene constrnetam, alias infra curtem casas ligneas 2, spicaria 4, horrea 2, stabolum 1, coquinam 1, pistrinum 1, curtem sepe munitam cum portis ligneis 2, et desuper solaria. Im vierten fiscus dominicus finden die Berichterstatter domum regalem ex ligno ordinabiliter construetam, cameram 1, cellariam 1, stabolum 1, mansiones 3, spicaria 2, coquinam 1, pistrinum 1, scuras 3, curtem tunimo circumdatam et desuper sepe munitam; hortum diversi generis insertum arboribus, portas ligneas 2; vivaria cum piseibus 3. In Treola, dem letzten, invenimus casam dominicatam ex lapide optime faetam, cameras 2 cum totidem caminatis, porticum 1, cella- rium 1, torcolarium 1, mansiones virorum ex ligno fäetas 3, solariura cum pisile 1, alia teeta ex maceria 3, spicarium 1, scuras 2, curtem muro circumdatam cum porta ex lapide facta. Dazu lässt sich, um die Anschauung zu vervollständigen, die Weisung des Capitulare de villis (XXVII) ziehen: Unsere Häuser sollen foca (Heerdfeuer) und wartas (Wachen) haben, so dass sie sicher sind, und (XLII) jeder Hof soll im Vorrathszimmer Betten, Federkissen, Bettleinen, Tücher, Tischtuch, Pokale, eherne, bleierne, eiserne, hölzerne Gefässe, audedos, Ketten, cramaculos, Fässer, Beile, d. h. Aexte, Bohrer, Schneidemesser und alle Geräthe selbst haben, so dass es nicht nöthig wird, dieselben wo anders zu suchen und zu leihen. Und die Eisenwaffen, mit denen sie gegen den Feind aus- ziehen, sollen sie wohl beobachten, dass sie gut sind, und wenn sie wieder zurückkehren, sollen sie wieder in die Kammer gebracht werden; (XL VI) und unsere Thiergärten und Wildzäune sollen sie gut beob- achten und immer zur Zeit ausbessern und nicht warten, bis es nöthig wird, sie neu zu bauen. Ebenso sollen sie es mit allen unseren Gebäuden machen. Für den Garten werden (in LXX) 73 Blumen-, Gemüse- und Arzneipflanzen zum Anbau bestimmt, welche später all- gemein in Kloster- und Bauergärten sich verbreiteten. Von Obst sollen alle Gattungen, an verschiedenen Arten von Aepfeln allein 15 benannte Arten, angepflanzt werden. Meitzen, Siedelung etc. I. ov 610 VI. 8. Die fränkische Landwirthschaffc bis auf Karl den Grossen. Die Utensilien sind in grösserer oder geringerer Zahl im Bre- viarinm aufgeführt. Das Capitnlare zeigt, dass sie keinesweges überall anzutreffen oder durchweg in Ordnung waren. Vorräthe an Getreide und anderen Nahrungsmitteln werden bei allen diesen Villen erwähnt, über den Ackerbau aber sind die An- gaben höchst spärlich. Von Asnapio und der zweiten Villa erfahren wir in dieser Be- ziehung gar nichts. In der Wirthschaft der dritten Villa sind 10 corbes Spelt, 100 modii Roggen, 300 modii Gerste und 200 modii Hafer ausgesät worden. Nach dem römischen modius würde dies die Aussaat auf etwa 90 jurnales bedeuten. Da nach Inama Sterneggs sorgfältigen Zusammenstellungen (Deutsche Wirthschaftsgeschichte Bd. I, S. 522) in jener Zeit der modius 1 den. und ein Frischling 10 den. galt, sind die späteren, erheblich grösseren Maasse des modius noch nicht in Rechnung zu ziehen. Die eigene Wirthschaft war jedenfalls sehr klein, denn Asnapio wird nur als mansus bezeichnet. In der vierten Villa ist 1 corbes Spelt und 400 modii hordei gesät, was nur für 50 jugera genügte, aber anscheinend die übrigen Saaten ausser Be- tracht lässt. Von der 5. Villa fehlt jede Angabe. Der Viehstand fehlt in der Angabe für die 5. Villa Treola. Von den übrigen hat Asnapium 70 Stuten, 18 Fohlen, 3 Hengste, der zweite Fiscus 128 Stuten, 18 Fohlen, 4 Hengste, der dritte 81 Stuten, 7 Fohlen, 2 Hengste, und der vierte 21 Stuten, 15 Fohlen, 2 Hengste. Die Ochsen schwanken zwischen 16 und 24, das Rindvieh zwischen 12 und 111, die Schafe zwischen 226 und 470, die Schweine zwischen 160 und 365, die Gänse zwischen 10 und 40, die Hühner zwischen 80 und 100. Im Ganzen deuten die Angaben mehr auf ergiebige Weiden, als auf ausgedehnten Ackerbau. — Lebendiger, wenn auch weniger bestimmt, führt das Capitulare de villis in die Wirthschaftsverhältnisse ein. »(V) Wenn unsre Vögte (judices) unsere WTirthschaftsarbeiten zu versehen haben , zu säen oder zu pflügen , oder Wein zu lesen , soll jeder zur Arbeitszeit an jedem Orte Acht haben und dafür sorgen, dass es so gemacht wird, dass es gut sei. Wenn der Vogt aber nicht in der Heimath ist, und wo er selbst nicht hinkommen kann, da soll er einen guten Stellvertreter von unseren Leuten oder einen anderen wohl geeigneten Mann senden, damit er für unsere Sache so sorge, dass ihr genützt werde. Und der Vogt soll fleissig zusehen, dass er mit dieser Aufsicht einen treuen Menschen beauftrage. (LIII) Jeder Vogt sorge, dass unsere Dienstleute fleissig bei der Arbeit seien VI. 8. Die fränkische Landwirthschaft bis auf Karl den Grossen. 61 1 und nicht auf die Märkte laufen. (II) Unsere Dienstleute sollen gut gehalten und von Niemand in Noth herabgedrückt werden. (VII) Wenn uns einer von unseren Dienstleuten über seinen Meister und wegen unseres Dienstes etwas mittheilen will, soll man ihm nicht verwehren, zu uns zu kommen. (III) Unsere Vögte sollen nicht wagen, unsere Leute zu ihrem Dienst zu gebrauchen, und sie nicht zu Fuhren oder Holzfällen oder zu anderer Arbeit zwingen, auch nicht irgend welche Geschenke von ihnen annehmen, weder ein Pferd, noch Ochsen, noch Kuh, noch Schwein, Bock, Ferkel oder Lamm oder andere Dinge, ausser eine Flasche Wein oder Gartengewächse, Aepfel, Hühner und Eier. (LXI) Und jeder Vogt, wenn er seinen Dienst antritt, soll sein eigenes Malz in die Pfalz führen lassen, und zugleich sollen die Braumeister kommen, welche da ein gutes Bier brauen sollen. (XXXII) Auch soll jeder Vogt zusehen, dass er für gutes Saatgut sorge und immer das Beste entweder von unserem eignen oder anderswoher habe. (LXH) Jeder Vogt soll jedes einzelne Jahr von jeder unserer Besitzungen, sowohl von denen, die unsere eigenen Knechte mit unseren Ochsen pflügen, als von den Hufen, die sie selbst beackern müssen, bis zu Weihnachten angeben, was an Acker- und anderen Zinsen, was an allen verschiedenen Früchten (alle einzeln zu nennen) eingekommen, alles im Einzelnen und wohl- geordnet, damit wir wissen, was und wieviel wir von den einzelnen Dingen haben. (LXIII) Es soll keinem der Vögte hart scheinen, dass wir alle hier genannten Dinge genau fordern, weil wir wollen, dass auch sie selbst, ohne jedes Aergerniss, alles dies von den Unter- gebenen einfordern, und es sollen ebenso unsere Vögte alles, was der Mensch in seinem Hause oder in seinem Hofe haben soll, auch in unseren Höfen halten. (XXXI) Auch haben sie das, was sie an die Stallknechte und Mägde verabreichen sollen, in jedem Jahre bei Seite legen zu lassen, und ihnen zur geeigneten Zeit richtig zu geben und uns melden zu lassen, wie viel sie davon gegeben, und wann es zu Ende geht. »(XI) Unsere Meier und Förster, Gestütknechte, Küper, Zehnt- und Zollbeamte und die übrigen Ministerialen sollen Rechnung halten und die Ackerzinsen von ihren Hufen geben. (LX) Meier aber sollen nicht aus den Reichen und Mächtigeren genommen werden, sondern von den massig Besitzenden, welche treu sind. (XXVI) Ein Meier soll nicht mehr unter seiner Verwaltung haben, als er in einem Tage begehen und unter Augen haben kann. (XLV) Jeder Vogt soll in seinem Dienstbezirke gute Handwerker haben, d. h. Eisen- und Gold- 39* 612 VI. 8. Pie fränkische Landwirtschaft bis auf Karl den Grossen. und Silberschmiede, Schuster, Drechsler, Zimmerleute, Schildmacher, Fischer, Vogelsteller, Seifensieder, Brauer, welche Bier und andere Getränke zu machen verstehen, Bäcker, welche Semmel zu unserem Gebrauch backen, Netzemacher, welche Netze, sowohl zur Jagd, als zum Fischen und Vogelfangen zu machen verstehen, und nicht weniger alle anderen Ministerialen, die zu nennen weitläufig ist. »(XXHI) Auf jedem unserer Höfe sollen die Vögte Kuhheerden, Schweineheerden, Schaf heerden , Ziegenheerden , soviel sie können, halten und niemals ohne solche sein. Ausserdem sollen sie Kühe, die geeignet sind, ihre Arbeit zu thun, durch unsere Leute halten, so viele, dass für das herrschaftliche Bedürfniss die Gespanne und Pflüge nicht vermindert werden. Sie sollen auch um die Hunde zu fahren, starke Ochsen, nicht träge, und Kühe oder Pferde, nicht reudige oder anderes herabgekommenes Vieh, haben, und deshalb, wie wir sagten, die Kuhgespanne und Pflüge nicht vermindern. (LXVI) Ueber die Ziegen und Böcke sollen sie auch wegen ihrer Hörner und Felle uns Rechnung legen, und in jedem einzelnen Jahre uns fette Sülzen von ihnen bringen. »(XIII) Auch sollen sie die Hengste, d. h. Zuchthengste, gut ver- sorgen, und sie niemals zu lange an einem Orte stehen lassen, damit sie nicht deshalb zu Grunde gehen, und Avenn einer so ist, dass er nicht mehr gut wäre, oder zu alt, oder wenn er abgestorben ist, soll es uns gemeldet werden zur rechten Zeit, ehe die Zeit kommt, dass er unter die Stuten geschickt werden soll. (XVI) Die Stuten sollen sie gut bewachen und die Füllen zur rechten Zeit absondern, und wenn die Stutfohlen vermehrt sind, sollen sie abgetrennt werden und eine besondere Heerde für sich bilden. (XV) Die Hengstfohlen sollen stets zur Martinimesse zu Hause gehalten werden. (XXIII) In unseren Mühlen sollen Hühner und Gänse gehalten werden, je nach der Grösse der Mühle, soviel als möglich. (XIX) Bei unseren Ställen in den Haupthöfen sollen nicht weniger als 100 Hühner und 30 Gänse, bei denen der Zinshöfe nicht weniger als 50 Hühner und 12 Gänse gehalten werden. (XVII) Soviel Höfe ein Beamter unter Aufsicht hat, soviel soll er Leute dafür halten, dass sie für Bienen zu unserem Bedarfe sorgen. (XXI) Die Fischteiche soll jeder Richter in unseren Höfen, wo sie früher waren, erhalten, und wenn er sie vermehren kann, vermehren, und wo sie bisher nicht waren, aber sein können, neu anlegen.« — Diese geistvollen, zielbewussten Vorschriften beruhen auf denUeber- lieferungen römischer Kultur, deren Verständniss die südländische VI. 8. Die fränkische Landwirtschaft bis auf Karl den Grossen. (313 Geistlichkeit vermittelte, und auf der energischen Auffassung, welche Karl von seinen Herrscher- und Verwaltungspflichten innewohnte. Nach den Worten beider Urkunden lässt sich auch in den Pfalzen des Königs, der Bischöfe und mancher Grossen eine gewisse Behaglich- keit und Pflege des Daseins erwarten. Gleichwohl kann in sehr vielen Zügen der naive Standpunkt und die geringe Entwickelung dieser landwirtschaftlichen Zustände nicht verkannt werden. Aber es ist von besonderer Bedeutung, dass wir durch den Inhalt dieser Anordnungen den höchsten Standpunkt kennen lernen, welchen die Wirthschaftskunde und die Domainenpolitik der damaligen Zeit erreichte. Höhere Gesichtspunkte und Anforderungen, als sie hier Karl d. Gr. stellt, sind im 8. Jahrhundert nördlich der Alpen sicher nirgend zum Bewusstsein und noch weniger zur Durchführung ge- langt. Darauf aber kommt es für unsere Vorstellungen an. Stets und in jeder Gegend findet sich unter den ländlichen Wirth- schaften eine beträchtliche Anzahl, welche unter überraschend ein- fachen und unentwickelten Verhältnissen bestehen. Zwischen die mehr oder minder wohlhabenden und reich ausgestatteten Höfe sind ärmliche Hütten eingestreut, welche den auf geringfügigen Ländereien oder von Dienstarbeit nothdürftig lebenden Theil der Bevölkerung bergen. lieber diese beschränkte und kümmerliche Lebensweise erheben sich Abstufungen mit grösserem Landbesitz, mit mehr Kultur- mitteln und mit dem Kapital persönlicher Einsicht und Energie Aus- gerüsteter. Auf der Höhe des Daseins aber steht nur der kleine Kreis Bevorzugter, denen hinreichende Kräfte zu Gebote stehen, das Wünschenswerthe und Besterkannte zu erstreben, und nach Möglich- keit das Ideal ihrer Zeit und Umgebung zu verwirklichen. Die nie- drigste Lebenslage ist im frühen Mittelalter, wie noch in der Gegen- wart, leicht verständlich, die oberste Stufe gewährt den entscheidenden Maasstab. Fragt man also im Rückblick genauer, auf welchen Gebieten der fränkischen Landwirtschaft aus der Vergleichung der lex Salica mit den Capitularen ein wesentlicher Fortschritt seit der Zeit Chlodwigs er- kennbar wird, so hat sich klar ersichtlich der Herrenhof mit seinen Lebensansprüchen und die Organisation seiner Wirthschafts Verwaltung mit ihrer Stufenfolge von untergeordneten Arbeitskräften und niederen und höheren leitenden Beamten schon weit über das volksthümliche Bauerndasein emporgehoben. Dagegen lässt sich unbedenklich sagen, dass eine ähnliche Entwickelung im eigentlichen Ackerbaubetriebe nicht zu suchen ist. Auch wenn die leges Alamannorum und 614 Vt 8. Die fränkische Landwirt hsehaft bis auf Karl den Grossen. Bajuvarioram mit in Betracht gezogen werden, findet sich kein neues oder verbessertes Ackerinstrument, oder eine bis dahin nicht bekannte oder neu zum Anbau gebrachte Feldfrucht. Die Gartenkräuter und Blumen, welche Karl im § 50 des Capitulare empfiehlt, haben zwar weite Verbreitung in die deutschen Dorfgärten gefunden, niemals jedoch eine wirkliche wirthschaftliche Bedeutung er- langt. Auch eine Veränderung in der Fruchtfolge ist nicht anzu- nehmen. Denn die Dreif eider wirthschaft (o. S. 461) wird zwar 771 in der ebenen Schweiz erwähnt. Dass sie aber damals bereits all- gemeiner verbreitet gewesen sei, dem steht die vereinzelte und örtliche Beschränktheit der Erwähnungen entgegen. Viel früher hat man ihr Aufkommen nicht zu denken. Wenn sie aber zur Zeit des Capitulare de villis in der Umgebung Karls schon als eine zweck- mässige Neuerung anerkannt gewesen wäre, würde sie im Capitulare schwerlich ausser Betracht geblieben sein. Es ist auch sehr erklärlich, dass Aenderungen in der herkömm- lichen bäuerlichen Ackerwirthschaft nicht stattfanden. Selbst die Ein- führung der Dreifelderwirthschaft an Stelle der einfacheren Feldgras- wirth schaff konnte den üblichen Betrieb nicht wesentlich berühren. Denn seine Hauptbedingungen waren durch die Feldeintheilung ge- geben. Diese aber war auf dem salischen Gebiete ebenso, wie es für das ripuarische (o. S. 525, 560) nachgewiesen ist, in allen älteren Ortschaften entweder schon in vorrömischer Zeit von den Kelten her übernommen, oder seit der Zeit Caesars als volksthümliche deutsche Agrarverfassung entwickelt. Die flandrischen Einzelhöfe in Meygem (Anlage 70) entsprechen völlig den ansivarischen von Kirchlinden (Anlage 73) und den gugernischen von Huisberden (Anlage 72). Selbst auf der Gemar- kung von Elixem im Hennegau (Anlage 84) ist zwar ein deutsches Dorf angelegt worden, jedoch, wie es scheint, die Landeintheilung und der Feldbetrieb auf der Grundlage der vorhandenen keltischen Kämpe beibehalten geblieben. Wo aber neue Anlagen von Gewanndörfern ge- schaffen wurden, wie sie in Tourpes (Anlage 82) und in Salles (Anlage 81) zu erkennen sind, können sie in keine spätere Zeit als in die Chlodwigs oder Chlogios gesetzt werden, wreil die Dörfer in diesen Gegenden (o. S. 553) der ersten volksmässig durchgeführten Besitznahme und Siedelung der Salier angehören. So wenig sich in Oberdeutsch- land auf den Fluren der Triboker, Nemeter und Vangionen oder auf denen der Hermunduren eine Veränderung der Feldeintheilung, und damit auch im ganzen Charakter des Betriebes, in Flurzwang und VI. 8. Die fränkische Landwirthschaft bis auf Karl den Grossen. 615 gemeinsamer Weide, von der Zeit des Caesar und Augustus bis über das späte Mittelalter hinaus denken lässt, so wenig ist sie auch bei den Franken seit der ersten Anlage ihrer Ansiedelungen anzunehmen, seien sie nun, wie in Toxandrien und Brabant, schon vor der lex Salica, oder, wie auf dem Eroberungslande Chlodwigs, erst gleich- zeitig mit derselben entstanden. Ein sicherer Anhaltspunkt dafür ist, dass noch in die Zeit Chlod- wigs die Kriegsführung mit dem Volksheere hineinreicht, das mit Weib und Kind und aller Habe vordringt und als Hauptzweck die Fest- setzung im eroberten Lande und den Gewinn von Grund und Boden im Auge hat. Ueber den Charakter dieser volksmässigen Heereszüge giebt Ennodius noch von dem Vorgehen Theodorichs des Grossen, dem Zeitgenossen Chlodwigs, ein lebhaftes Bild. »Damals«, sagt er in dem Panegyricus Theodorici (VI, 4) von dem Zuge der Ostgothen nach Italien, »wurden von dir weit und breit die Streitkräfte zu- sammenberufen, und der durch zahllose Völker zerstreute Stamm an einem Orte vereinigt. In der gesammten mit dir nach Ausonien ziehenden Masse ergriff Niemanden die Wanderung, als den Stamm- verwandten. Wagen wurden an Stelle der Wohnungen genommen, und in bewegliche Häuser wurde alles dem Bedürfnisse Dienende zu- sammengebracht. Damals wurden die Geräthe der Ceres und die das Getreide zermahlenden Steine durch Stiere fortgezogen, und die mit ihren Säuglingen belasteten Mütter arbeiteten unter deinem Ge- sinde, ihres Geschlechts und Ansehens vergessend, um für den Lebens- unterhalt zu sorgen. Damals nahm der Wintersturm über den Feldern und der Reif, der die struppigen Scheitel der Berge mit seinem Glänze verhüllte, das Haar in Besitz und durchflocht den Bart mit Eiszapfen. Er zeriss, was die Matrone mit Fleiss als Gewand ge- webt, dass es den Körper während der Kälte decke. Die Nahrung brachten deinen Schaaren fremde Nationen oder das in den Wäldern erzeugte Wild.« Die Eroberungszüge der Salier hatten nicht so grosse Entfernungen und Schwierigkeiten zu überwinden, als der der Ostgothen, immerhin aber ist auch für sie zu schliessen, dass Sitte und Neigung grossen Ent- behrungen und einer sehr beschränkten Lebensweise für solche Um- stände und Zwecke noch nicht widerstrebten. Daraus lässt sich eine befriedigende Erklärung für die sehr untergeordnete Hauseinrichtung und Bauweise der Gehöfte finden, wie sie der alte Text der lex Salica bekundet. Die Hauswirthschaft und der Hausbau konnten trotz der schon durch Jahrhunderte dauernden Berührung mit den 616 VI. 8. Die fränkische Landwirtschaft bis auf Karl den Grossen. Romanen in diesen Völkerbewegungen leichter auf tiefere Stufe zurück- gehen, als die Ackerbestellung, welche für die unentbehrliche Jahres* ernte an jedem Orte, der sie erzeugen sollte, gleiche Ansprüche stellte. Um so natürlicher ist deshalb, dass bald nach eingetretener Ruhe und unter dem Einflüsse der kirchlichen und weltlichen Kultur die Veränderung in den Bauten und in dem Hauswesen der Grossen und Wohlhabenderen eintrat, welche uns schon aus den frühen Zu- sätzen der lex mit unzweifelhafter Deutlichkeit entgegentritt. Es wird sich noch im weiteren Zusammenhange ergeben, dass in der Zeit der Merowinger auf den fränkischen Gebieten die Grundlagen eines volkstümlichen bäuerlichen Hausbaues gewonnen worden sein müssen, der eine weite Ausbreitung über den grössten Theil des karolingischen Reiches gefunden hat. Seine rasche Entwickelung zu einer allgemeiner verbreiteten behaglichen Lebensweise der bäuerlichen Bevölkerung ist indess zweifelhaft. Die Ergänzungen des salischen Gesetzes geben mit Sicherheit nur Zeugnisse für die reichen und luxuriösen Haushaltungen eines immerhin kleinen Kreises mächtiger Herren, welcher schon damals, vor der Karolingerzeit, die Stellung des von den ersten salischen Königen unterdrückten und beseitigten Adels wieder zu gewinnen vermochte. Dieser neue Adel hatte seinen ausgedehnten Grundbesitz im wesentlichen im Dienste des Königs erworben und gesichert, und belieh seine zahlreiche Umgebung von mehr oder weniger abhängigen Leuten mit ausreichenden Landgütern, theils um ihr dadurch Unter- haltsmittel zu gewähren, theils um selbst Einnahmen aus den Lände reien zu erzielen. In diesen Herren tritt uns bereits der Stand der Grossgrundbesitzer und Gutsherren des fränkischen Reiches entgegen, welcher von der grössten Bedeutung für die politische Entwickelung desselben geworden ist und zugleich entscheidenden Einfluss auf die Umgestaltung der hergebrachten sozialen and wirthschaftlichen Zu stände des alten Volkslandes ausgeübt hat. Diese Beziehungen müssen ihre Darstellung in der geschichtlichen Entwickelung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse auf deutschem Boden erhalten. Nachträge und Berichtigungen zu Band I. Seite 20 Zeile 5 v. u. S. 21. Statt Oluffsen lies Olufsen. * 30 * 16 v. o. Derselbe Dank ist den inzwischen auf Erlaubniss der Herren Ressortminister besuchten Katasterbehörden zu Budapest, Klausenburg, Herniannstadt, Kaschau, Brüun und Troppau, nicht weniger auch der Di- rektion der Landmesserei zu Stockholm und der Kartenarchive des Generalstabes zur Christiania verbindlichst auszusprechen. = 32 * 10 v. o. Seit dem Druck sind von Karl Müllenhoffs Deutscher Alterthumskunde Band II und III, herausgegeben durch Max Roediger, Berlin 1887 und 1895, erchienen. 35 * 21 v. o. Vgl. Bd. I, S. 496. * 40 * 13 v. u. Ueber die Suionen oder Sueonen und die im Text des Ptolemaeus genannten Volksnamen vgl. Müllenhoff Bd. II, S. 10. n. und Kossinn a, Anzeigen zur Zeitschr. für deutsches Alterthum 1889, Bd. XVI, S. 49. 57, 69 und 80 Noten. Lies Sidenbladh. * 58 Zeile 4 v. o. Vgl. Dahlmann, Geschichte von Dänemark Bd. I, S. 134. = 69 * 18 v. o. Vgl. Herrig, de rebus agrariis, suecicis et danicis dissert., Berlin 1868, p. 89. »Si bondones dissentiunt de agricultura ejus opinio praevaleat, qui halfnatha träthe velit fieri. Halfnatha träth autem est illa agricultura, qua dimidius ager seminatur altero dimidio quiescente«; nach Ostgoth. lag. blk. 13, 1. In neuer Zeit besteht meist Dreifelderwirthschaft. = 74 = 22 v. o. Nach Müllenhoff ist Hof schwer zu erklären, und be- deutet wahrscheinlich Tempel, oder eine Stätte, wo Zins gezahlt wird. 75 Note. Statt Langenbeck lies Langebek. = 75 Zeile 4 v. u. Die gleiche Grösse der Hufen, auch wenn sie, wie häufig, in späterer Zeit durch Zu- oder Abverkauf un- gleich geworden sind, lässt sich durch die Berech- nung der Gewanne feststellen. Nur auf Kolonisations- 618 Nachträge und Berichtigungen zu Band I. Auren kommen an einigen Orten Unterschiede dadurch vor, dass ein Theil der Flur in alten Landhufen oder in Haken liegen geblieben, ein Theil aber in frän- kischen oder flämischen Hufen angelegt worden ist. ATgl. Anl. 130, Taubenheim, Bd. III, S. 426. Seite 110 Zeile 10 v. u. Es ist unmöglich, dabei an ein Restitutionsrecht ver- tragsweise veräusserter Hufentheile zu denken, welches, wie o.Bd.II, S.525 zeigt, durch Rückzahlung geübt wurde und keiner Neumessung bedurfte. = 114 = 7 v. u. Vgl. W. Warges, Entstehung der Stadt Braunschweig (in Zeitschr. des Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde v. Jacobs, Jahrg. 25, 1892), S. 103, 124. W. Warges, Gerichtsverfassung der Stadt Braun- schweig bis 1374, Marburg 1890. Hänselmann, in Hegels Chroniken der deutschen Städte, VI, Braun- schweig, Bd. II, Einl. - 133 = 4 v. o. Strabo VII, c. 3 kennt im Südosten Germaniens nur Sueven, und sagt, dass die Bastarnen an der unteren Donau an die Germanen grenzen, wahrscheinlich auch selbst von dem germanischen Geschlecht seien. Er kann in ihnen also nur Sueven sehen. Dass Ostgermanen schon so früh an die Donau gewandert, ist weder bezeugt, noch zu vermuthen. = 135 * 6 v. o. Hinter Main ist das Wort „und" ausgefallen. * 150 * 16 v. o. Diese Volkszahl erscheint auch gegenüber der Bd. I, S. 223 für Gallien berechneten nicht unzutreffend. Die Ubier, die an den Sueven Rache nehmen wollten, hatten kein Interesse, Caesar deren Streit- kräfte zu hoch anzugeben. * 160 * 6 v. o. Statt 17 lies 15. 177 -- 5 v. o. Statt Balei lies Baue. ' 178, 192 und 197. Zu der auffallenden Erhaltung der Abgrenzungen und Namen der alten Townlands, Quarters und Tates bis zu der um 1830 begonnenen Aufnahme der Surveykarten von Irland ist zu bemerken, dass nach den Berichten Sir John Davies (o. Bd. I, S. 204) dieser noch überall die genaue Kenntniss jeder ein- zelnen Besitzung bei den, wie er sagt, Schriftkun- digen und Gelehrten, die er zuziehen konnte, vorfand. Trotzdem, dass die Parzellirung der Tates sowohl, wie die Zusammenfassung ganzer Quarters und Town- lands in dieselbe Hand schon mit der o. Bd. I, S. 188 geschilderten Umwandlung der Clanverfassung in eine Grundaristokratie begonnen haben muss, hat doch das eigenthümliche Erb- und Anwartschafts- recht derselben, über welches Fr. Seebohm in seiner neu erschienenen Schrift The Tribal System in Wales, London 1895, S. 140 ff. weitere Aufschlüsse giebt, Nachträge und Berichtigungen zu Band I. Q\Q den Zusammenhang der zu jedem dieser alten Bauer- güter gehörigen Grundstücke, dauernd in Erinnerung erhalten. M oritz Jaffe (Bodenrecht und Bodenvertheilung in Irland, in Schmollers Jahrbuch f. Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 1893, Jahrg. XVII, S. 1056) zeigt auch, dass Davies nach seinen Be- richten Monaghan in 5 Baronien mit zusammen 100 Ballibethagh und Fermanagh in 1% Baronien mit 57a Ballibetagh eingetheilt fand, und dass der Ballibetagh in beiden Grafschaften je 16 Tates ent- hielt. In Fermanagh setzte er 200 Freisassen an, und in Monaghan ungefähr ebenso viele. Wie gross deren Güter in Monaghan waren, sagt er nicht aus- drücklich. Für Fermanagh aber schlug er dem Statthalter vor, nicht unter 2 Tates herunterzugehen, weil nach den Erfahrungen in Monaghan Leute mit geringerem Besitz den englischen Census für das aktive Parlamentswahlrecht und den Gerichtsdienst — das Freehold von 40 sh. Ertrag — nicht erreichten. Die Täte in Monaghan schätzte Davies auf etwa 60 acres, die in Fermanagh beträchtlich höher. In- dess rechnet er für Monaghan wie für Fermanagh nur je 86000 engl, acres, während in Wirklichkeit Monaghan über 280000, Fermanagh 370000 Statut, acres umfassen. Er zog also nur das Kulturland der Tates in Betracht. Die Täte würde danach in Monaghan 54, in Fermanagh 105 acres betragen haben. Vielleicht war sein Anschlag zu gering, jedenfalls muss das unkultivirte Land sehr ausge- dehnt gewesen sein. Die in den verödeten Gebieten erfolgte Verwendung von je 400 Tates zu Gerichts- schöffengütern vermochte gleichwohl die Erinnerung an die Tates zu verstärken. Dass diese Kenntniss aber noch später in den blutigen Kriegen und Umwälzungen des 17. Jahrh. unter dem Besitz der auswärtigen Landlords und durch das Kleinpachtswesen der Neuzeit nicht verlo- ren gegangen ist, erklärt sich aus den Landmessungen, mit welchen mehrere Landmesser, namentlich aber William Petty (geb. 1628, gest. 1687), um die Mitte des 17. Jahrhunderts beauftragt waren. Ueber diese Messungen und Kartirungen der einzelnen Town- lands in Münster, Leinster und Ulster macht Anl. 150, o. Bd. III, S. 571, nähere Angaben. Vgl. auch W. H. Hardinge, on manuscript Mapped and other Townland - Surveys in Irland, Transactions of the Royal Irish Academie Vol. XXIV, Antiquities. 620 Nachträge und Berichtigungen zu Band I. Seite 182 und 200. Vgl. Fr. Seehohrn, The Tribalsystem in Wales, London 1895. = 185 Zeile 4 v. o. Die innere Einrichtung dieser Lager wird durch die Erzählung Bd. III, S. 124 näher erläutert. » 18G • 6 v. o. Moritz Jaffe a. a. 0. S. 1034 bemerkt, dass auch gegen- wärtig noch kleine Rundhäuser aus Flechtwerk in Irland vorkommen, die nur nothdürftigen Schutz gegen den unablässig strömenden Regen der grünen Insel gewähren. Arthur Young zeichnet in : a Tour in Ireland Vol. II, p. 122, ein irish cabin ähnlich wie Fig. II in Bd. III, S. 281. = 218 » 13 v. u. Diese Auffassung wird dadurch bestätigt, dass Prof. Thomas Balwin in seinen Darlegungen vor den Select Commities des Unterhauses von 1877 und 1878 (Parliam. Papers 1878, XV. Bd. Report. Com- mittees 6, N. 4332, 4336) unter Rundale lediglich die Gemenglage versteht, gegen die er durch „Stripping" Abhülfe zu scharfen vorschlägt. Einer gemeinsamen Wirthschaft aber thut er keinerlei Erwähnung. = 225 = 1 v. u. und Zeile 1 Note. Statt Balliot lies Bulliot. * 231 Note. Zu Mutterrecht ist zu bemerken, dass die unzweifel- haft als ursprünglich vorauszusetzende religiöse Empfänglichkeit und Phantasie des Menschen zwar schamhafte Sitten, aber niemals die bunte, willkür- liche und sich widersprechende Mannigfaltigkeit der Gentil Vorschriften herbeiführen konnte, welche sich aus dem ärztlichen und priesterlich-politischen Tabu leicht erklärt, und zugleich eng mit dem eignen zauberhaften Schutz der Alten gegen rücksichtslose Behandlung und Tödtung zusammenhing. Ebenso ist es zwar wahrscheinlich, dass der Mensch von Anfang an monogamische Neigungen hatte, aber gegen eine, wie bei manchen Thieren, ursprüngliche und allgemeine Herrschaft derselben sprechen nicht allein die häufigen Anzeichen, dass der Mutter- bruder früher dem Kinde näher stand, als der Vater, sondern auch die geschlechtlichen Monatsperioden bei Männern und Weibern gegenüber der etwa ein ganzes Mondesjahr umfassenden Schwangerschafts- und Entbindungsfrist. Statt Falermus lies Falernus. Statt Toefo lies Trefo. Die Stelle lautet im Cap. CCXCIII (Pertz, Mon. Germ, leg. IV, S. 69) : Si quis ploum aut aratrum alienum iniquo animo capellaverit comp. sol. IV. 354 - 11. Vor Domitian ist ausgefallen „der sogenannten ;'. Vgl. Bd. in, S. 152, Aul. 32. 254 Zeile 18 v. 0. 264 * 10 v. u. 281 * 4 v. 0. Nachträge und Berichtigungen zu Band I. 621 Seite 361 Zeile 1 v. u. Statt messarii lies messorii. ' 361 Note. Vgl. Nachtrag von Schulten, in : Hermes, Bd. 39, S. 204. * 362 Zeile 24 v. o. und S. 377 Zeile 3 v. o. Vgl. über die Potentes und ihre Privatgerichtsbarkeit: Brunner, deutsche Rechtsgeschichte II, 6. = 365 = 21 v. o. Vgl. über die Benefiziati: Brunner Ebd. II, 5, und Mommsen, das römische Militarwesen seitDiocletian, in Hermes Bd. 24, S. 233. * 380 = 18 v. o. Es gab auch einen pagus Harudorum (Hardgo) am Harz mit der Hauptstadt Halberstadt. Rudolph, Fuldaer Annal. ad a. 852, Pertz, Mon. Germ. I, p.368, Gaupp, Germanische Ansiedelungen S. 55, not. * 384 = 1 v. u. Kossinna hat (im Anzeiger zur Zeitschr. f. deutsch. Alterthum No. 16 für 1890, S. 38) näher gezeigt, dass die Kelten einen rechtsrheinischen deutschen Volksstamm, dem die Tungern angehörten, Garmani nannten, und dass dieser Name als römisch Ger- mani immer weitere Verbreitung gefunden hat. = 393 » 7 v. u., S. 394 Zeile 13 v. o. und S. 298 Zeile 16 und 21 v. o. Statt Posthumius lies (Mommsen, Rom. Geschichte Bd. V S. 149) Posthumus. = 393 = 2 v. u. und S. 401 Zeile 9 v. o. Neuerdings hat die Reichs- Limes -Kommission weitere Aufschlüsse gegeben. Vgl. Der Obergermanisch - Rhätische Limes des Römerreichs, im Auftrage der Reichs-Limes-Kom- mission v. D. Sarwey und E. Hettner, Liefrg. I, Heidelberg 1894, und Limesblatt (Beilage der West- deutschen Zeitschrift) No. 10 vom 26. Juni 1894 und No. 11 vom 10. Oktober 1894, S. 336 und 340. Danach hat sich gefunden, dass vor dem bisher bekannten sogenannten Pfahlgraben, sowohl wo er von einer Mauer als von einem Graben mit mehr oder weniger erkennbarem Walle gebildet wird, ein an mehreren Stellen auf längere Strecken aufge- deckter versteinter Grenzzug anzunehmen ist, der von Anfang an fusstief in den Boden eingelassen war. Neben ihm waren überdies 15 bis 25 cm starke Pfähle im Abstand von 15 bis 40 cm von einander in den Boden eingegraben, und wahrscheinlich durch Flechtwerk verbunden. Der Grenzstein inter Tou- tonos, der bisher als ausserhalb der Limeslinie stehend angesehen wurde, hat sich bei der Unter- suchung dieser alten verborgenen Grenzversteinung genau in ihrer Linie ermittelt. Es scheint denkbar, dass die Grenzversteinung mit dem Palissadenzaun die erste Grenzlinie vor der Befestigung bildete, und dass Mauer oder Graben erst gezogen wurden, als der Limes ver- ß22 Nachträge und Berichtigungen zu Band I. theidigungsfähig befestigt werden sollte. Jedenfalls aber dürfte danach als Alter des Grenzsteins die Zeit Dornitians gelten müssen. Seite i>94 Zi'ile 17 v. o. Der Bd. I, S. 395 bekundete procurator x^p«? SojasXo- nevvTjoiac xai 6rcsp)afJiiTävY]<; lässt vermuthen, dass zu seiner Zeit Surnelocenna (Rottenburg am Neckar) Grenzort war, der Limes also noch von Wimpfen den Neckar aufwärts lief. Lag der Limes schon im Remsthal, so würde der Beamte wohl demselben näher, in Clarenna oder Aquila stationirt gewesen sein. * 398 = 22 v. o. Statt Neckarbecken lies Neckarburken wie S. 393. - 403 == 3 v. o. Das geographische Fragment in der Wessobrunner Hand- schrift (bei Graff Dintiska II, S. 370) lautet in der Aufführung ohne näher erklärenden Zusammenhang „Cyuuari, Suapa". Auch wenn uu als w gelesen wird, wie Kossinna, Westdeutsche Zeitschrift IX, S. 213 fordert, ändert sich der Sinn nur in Zeus- söhne statt Zeushüter. « 403 * 12 v. u. Kossinna a. a. O. lässt sich beistimmen, dass das ou in Toutonos keltisch sei, indess bei der Nachbar- schaft der Kelten auf den agri decumates hat ein solcher Umlaut in der Inschrift nichts Auffallendes. ' 407 * 8 v. o. Neben der Bezeichnung Waldus ist für die vermuthete Ableitung Vurgundia aus Fergunna kein Grund ersichtlich. = 422 = 15 v. o. Beispiele dafür sind: Nieder-Ohm, Ober-Hilbersheim, Sprendlingen, Gau Böckelheim, Spiesheim, Arms- heim, Odernheim, Alzei, Eich, Pfeddernheim, Altripp. Statt decken lies denken. Statt 65 lies 64. Statt 66 lies 65. Vgl. Capitul. de justiciis faciendis (811 — 813 Boret. S. 176) : ut nullus homo in placito centenarii neque ad mortem, neque ad libertatem suam admittendam aut ad res reddendas vel mancipia judicetur, sed ista aut in presentia comitis vel missorum nostro- rum judicentur. 495 * 6 v. o. Vgl. Bd. II, S. 19, Note. Schon Caesar hatte, nach Cicero (epist. ad Atticum lib. XIV, ep. 10), Franken, Frangones, als Truppen nach Rom gebracht und mit Land beschenkt. Dabei läge am nächsten, an Sigambren zu denken. 520 « 17 v. u. Von den Normannen wird ausdrücklich in der Schrift desWilhelmus Gemit.de ducibus Normannis (Gaupp, Germanische Ansiedlungen S. 425) überliefert, dass Rollo terram illam (die Normandie) suis fldelibus funiculo divisit. Er liess also bei den Land- 434 * 4 v. 0. 451 > 21 v. o. 453 == 7 v. o. 469 s 6 v. o. Nachträge und Berichtigungen zu Band I. 623 Zuweisungen an seine Gefolgschaften die alte Ein- teilung nicht fortbestehen. Damit steht in Ueber- einstimmung, dass, wie S. 517 und Anl. 66 a. nach- weist, die Grenze der Normandie gegen Frankreich durch einen breiten von der Küste westlich Bayeux bis zur Epte und Andelle zusammenhängend fort- laufenden Streifen Dörfer eingenommen ist, während im Innern auf beiden Seiten der Seinemündung Einzelhöfe verbreitet sind. Seite 549 Zeile 16 v. u. Auch in den Sitzen der Eburonen zwischen Tongern und Eupen, und ebenso in denen der Condrusi, in der Landschaft Condroz, sind bis heut grössten- theils Einzelhöfe erhalten. Die dort bestehenden Dörfer aber haben fast alle die alemannische Endung ingen oder angen. Druck von E. Buchbinder in Neu-Euppin. "3* o •P w U d) cd £^ cvJ £ cö • University ol Toronto Library lÖ-P 2 Ö 3 SP 5 p P P 45 5 (i) .H ca '0 tsi cd O ff 0) Q ü •H Ol lO lO r-i DO NOT REMOVE THE CARD FROM TH1S POCKET Acme Library Card Pocket LOWE-MARTIN CO. limited