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OU*^'^-'«'^ /^ / ^'^

SITZUNGSBERICHTE'^^

DER

PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE

DEB KAISEBLICHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

HUNOERTZWEITER BAND.

(MIT ZIYEI KASTEN.)

WIEN, 1883.

IK COMMISSION BEI CARL QEROLD^S SOHN

BUCHHÄHDLKB DER KAIS. AKADKMOE DER WIBBBMBCRAFTRN.

LSo<l3S4.^

/ / 3'<5, a^^^ö /^ /^,7 c^ ^ ,

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l)nick Ton Adolf t!olzhans(»H,

k. k. Hof- nnil Uiiivar«iU&ts«niich<lnickt»r In Wich.

INHALT.

Beite

XX. SitzuBgr vom 4. October 1882 1

«^ Miklosich: Beitrüge ssiir Lautlehre der rumuniachen Dia- lekte. Lautgruppen 3

Werner: Die CarteBisch-Malebranche'sche Philosophie in

Italien. I.: M.A.Fardella 75

XXI. Sitzung vom 11. October 1882 142

Tomasch ek: Zur historischen Topographie von Porsien.

I. Die Strassenzüge der Tabula Peutingerana 145

XXII. Sitzujlg vom 18. October 1882 232

Siegel: Die rechtliche Stellung der Dienstmannen in Oester-

reich im zwölften und dreizehnten Jahrhundert .... 235

KaluSniacki: Beiträge zur älteren Geheimschrift der Slaven 287

XXm. Sitzung vom 2. November 1882 309

XXIY. Sitzung vom 8. November 1882 311

XXT. Sitzung vom 16. November 1882 313

XXTI. Sitzung vom 29. November 1882 314

Tupetz: Der Streit um die geistlichen Güter und das Re-

stitntionsedict (1629). (Mit zwei Karten.) 315

Seemüller: Studien zum kleinen Lucidarius (,Seifried

Helbling*) 567

XXTII. Sitzung vom 6. December 1882 675

XXTin. Sitzung vom 13. December 1882 676

Werner: Die Cartesisch-Malebranche^sche Philosophie in

Italien. H.: Giac. Sig. Gerdil 679

0 Horawitz: Erasmiana m. (Aus der Rehdigerana zu Breslau.)

' 1519—1630 755

O Schnchardt: Kreolische Studien. II. lieber das Indoportu- giesische von Cochim 799

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SITZUNGSBERICHTE

O

DER KAISERLICHEN \

4K4DEMIE DER WI8SENSfiH4ETEN.

I

PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.

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1 ^

CIL BAND, I. HEFT.

JAHRGANG 1882.

-'WIEN, 1883. IN COMMIS8ION BEI CARL GEROLD'» SOHN

BIICIIHÄNOLBR DER KAIS. AKADKUIE DKR WI88KNSCIIAKTKN.

§9^^^4lv - '^y^ö.cj^c- -<i^^^^

INHALT.

Seite

XX. Sitzung: vom 4. October 1882 1

Miklosich: Beiträge zur Lautlehre der rumunischen Dialekte.

Lautgruppen 3

Werner: Die Cartesisch-Malebranche'sche Philosophie in Italien.

I.i M. A. Fardella 75

XXI. Sitzungr vom 11. October 1882 142

Tomasch ek: Zur historischen Topographie von Porsien. L Die

Strassenzüge der Tabula Peutingerana 145

XXII. Sitzung vom 18. October 1882 232

Siegel: Die rechtliche Stellung der Dioustmannen in Oester-

reich im zwölften und dreizehnten Jahrhundert 235

Kalu^niacki: Beiträge zur älteren Geheimschrift der Slaven 287

APR 161883

XX. SITZUNG VOM 4. OCTOBER 1882.

Se. Excellenz der Präsident begrtisst die Classe bei ihrem Zusammentritt und die neugewählten Mitglieder: Herrn Prof. Gomperz und Herrn Prof. von Zeissberg insbesondere. Sodann gibt der Präsident Nachricht von dem am 22. August d. J. erfolgten Ableben des c. M. Herrn Dr. Franz Ktirschner, pensionirten Directors des k. k. Reichsfinanz-Archivs.

Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileides.

Dankschreiben für die Wahl zu Mitgliedern der kais. Aka- demie der Wissenschaften sind eingelaufen:

Von dem ausländischen Ehrenmitgliede Sir Henry Raw- linson in London, femer von den correspondirenden Mitgliedern im Inlande: Herrn Prof. Karabaöek in Wien, Herrn Prof. W. Tomaschek und Herrn Prof. von Luschin-Ebengreuth in Graz, von welchem gleichzeitig die Schrift: ,Oesterreicher an italienischen Universitäten zur Zeit der Reception des römi- schen Rechtes' fUr die akademische Bibliothek übersendet wird.

Für bewilligte Subventionen sprechen ihren Dank aus: Herr C. Ritter von Würz b ach, Herr Prof. Grysar in Inns- bruck und Herr Dr. E. Reichl in Eger.

Für die Ueberlassimg akademischer Publicationen erstattet ihren Dank die Direction des k. ung. Staats-Realgymnasiums zu Pancsova.

Das k. k. Ministerium des kais. Hauses und des Aeussem theilt einen Bericht des k. und k. Gereuten in Barcelona mit, in welchem auf die Bedeutung des dortigen sogenannten arragoni- t»chen LandesarchivB fUr die Geschichte in der letzten Periode der österreichischen Herrschaft hingewiesen wird.

SiUancsber. d. phil.-hist. Ci. CU. Bd. I. Hft. 1

Das k. k. militär-geographische Institut übermittelt weitere vierzehn Blätter der Specialkarte der östeiTeichisch-ungarischen Monarchie.

Das w. M. Herr Hofrath Fr, v. Miklosich überreicht eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: jB^i^^^äge zur Lautlehre der rumunischen Dialekte. Lautgmppen.'

Das w. M. Herr Ministerialrath Dr. Werner legt für die Sitzungsberichte eine Abhandlung vor unter dem Titel: ,Die Cartesisch - Malebranche'sche Philosophie in Italien. I.: M. A. Fardella.'

An Druoksoliriften wurden vorgelegt:

Acad^mie royale des sciences, des lettres et des beanx-arts de Belgique: Bulletin, öl« annee, s^rie, tome 4, No. 7. Bruxelles, 1882; 8«.

Acad^mie des inscriptions et belles-lettres : Comptes rendus. serie, tome X. Bulletin d*Avril - Mai Juin. Paris, 1882; 8".

Accademia, reale Virgiliana di Mantova: Atti e Memorie. Mantova, 1882; 8^. Primo saggio di catalogo Virgiliano. Mantova, 1882; 4".

Akademie der Wissenschaften, k. bayr., zu München: Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und historischen Classe 1882. Heft I, II und m. München, 1882; 8».

British Museum: Catalogue of oriental coins. Vol. VII. London, 1882; 8^

Facult^ des lettres de Bordeaux: Annales. 4* annee, No. 3. Mai Juin 1882. Bordeaux, Londres, Berlin, Paris, Toulouse; 8".

Qesellschaft, deutsche morgenländische: Zeitschrift. XXXVI. Band, II. Heft. Leipzig, 1882; 8».

Gesellschaft, k. k. geographische in Wien: Mittheilungen. Band XXV (N. F. XV), Nr. 6, 7, 8 und 9. Wien, 1882; 8". kurlähdische für Literatur und Kunst und Veröffentlichungen des kur- Iftndischen Provinzial-Museums aus dem Jahre 1881: Sitzungsberichte. Mitau, 1882; 8«.

Institute, the anthropological of Great-B ritain and Ireland: The Journal. Vol. Xn, Nr. 1. London, 1882; 8".

Mittheilungen aus Justus Perthes^ geographischer Anstalt von Dr. A. Peter- mann. XX Vm. Band, VIH. und IX. Gotha, 1882; 4«. ■— Ergänzungs- heft Nr. 69: Behm und Wagner, Die Bevölkerung der Erde. VII. Gotha, 1882; 40.

Museum Francisco-Carolinum : Vierzigster Bericht nebst der 34. Lieferung der Beiträge zur Landeskunde von Oesterreich ob der Enns. Linz, 1882, 8».

Museums-Verei n für das Fürstenthum Lüneburg: Dritter und vierter Jahres- bericht 1880 und 1881. Lüneburg, 1882; 80.

Society, the royal geographical : Proceedings and monthlj record of geo- graphy. Vol. IV, Nos. 7—9. July September 1882. London; 8".

Milclosieh. Beltiftge xnr Lautlehre der rnmnn. Dialekt«. Lantgrappes.

Beiträge zur Lautlehre der rumunischen Dialekte.

Lantgmppen.

Von

Dr. Frans Miklosiob«

wirkl. Ifitgliede der Itais. Alcadeinie der WiMenschaften.

Übersicht. Einleitung. I. Vermehrung der Elemente. 1. a) Vorschub von Vocalen. b) Einschub von Voealen. c) Antritt von Vocalen an den Auslaut. 2. a) Vorschub von Consonanten. b) Einschub von Consonanten. Hiatus, c) Antritt von Consonanten an den Auslaut. 11. Verminderung der Ele- mente. 1. a) Schwinden von Vocalen im Anlaut, b) Schwin- den von Vocalen im Inlaut. Contraction. c) Schwinden von Vocalen im Auslaut. Vocalisches Auslautgesetz. 2. a) Schwinden von Consonanten im Anlaut, b) Schwinden von Consonanten im Inlaut, c) Schwinden von Consonanten im Auslaut: Consonan- tisches Auslautgesetz. III. Weder Vermehrung noch Vermin- derung der Elemente. 1. Metathese. 2. Assimilation o) der Vo- cale; b) der Consonanten. 3. Accent.

Die Erforschung des Rumunischen besteht wesentlich in der Nachweisung jener Veränderungen, welche das Lateinische erlitten hat, um rumunisch zu werden. Diese Veränderungen beziehen sich in der Lautlehre entweder auf einzelne Laute oder auf Gruppen von Lauten und ganze Wörter. Die Geschichte der einzelnen Laute ist in den vorhergehenden Abhandlungen unter den Titeln ,Vocalismu8' und ^Consonantismus' dargestellt, indem die Umgestaltungen der lateinischen Vocale und Conso- nanten dargelegt sind: a in lana geht* in i und § über: lin§; 1 in umbUicus wirdr; burik. Was nun die Veränderungen von Lautgruppen und von Wörtern anlangt, Veränderungen, die hier in Ermangelung eines passenderen Ausdruckes unter der Rubrik jLautgruppen^ zuaammengefasst erscheinen, so können sie in

1*

4 Kiklostcli.

drei Reihen getheilt werden : die erste Reihe umfasst jene Um- gestaltungen, wodurch der Umfang der Wörter, die Zahl ihrer Elemente gemehrt wird, während die zweite Reihe jene Ver- änderungen in sich begreift, durch welche die Wörter an Umfang einbüs8en, die dritte endlich diejenigen Modificationen darlegt, die vor sich gehen, ohne dass eine Vermehrung oder Vermin- derung der Elemente eintritt. I. mrum. avindre praeda: lat. venari. II. mrum. preftu: lat. presbyter. III. p§düre Wald: paludem. Manches ist bereits abgehandelt, das hier den ana- logen Erscheinungen anderer Laute an die Seite gestellt wird: dass n ausfallt , ist gesagt ; dass auch andere Consonanten schwinden, wird hier dargelegt. Manches Wort gehört unter zwei Kategorien : mrum. anu rivus unter I und II. Die Fremd- worte fligen sich manchen, bei weitem nicht allen rumunischen Lautgesetzen.

Um das Citieren der die Lautlehre der rumunischen Dia- lekte behandelnden Aufsätze zu vereinfachen, bezeichne ich dieselben mit I V: I. Vocalismus i. Vocal a. 1881. Band 98. IL Vocalismus ii. Vocale c. t. o. 1881. Band 99. III. Voca- lismus III. Consonantismus i. u. Reflexe der nichtlateinischen Vocale. Consonanten r. l, n; f. 1882. Band 100. IV. Conso- nantismus II. Consonanten d; p. b. v. f, m; k, q, g. j, h; s. Reflexe der nichtlateinischen Consonanten. 1882. Band lÖl. V. Lautgruppen. 1882. Band 102. Die eingeklammerte Zahl bezieht sich auf den Separatabdruck.

I. Vermehrung der Elemente.

1. a) Vorschub von Vocalen.

i dient in vielen Fällen einem folgenden Consonanten als Stütze: es ist ein Vorschub.

Aus dem alten sing. dat. der ersten Person nd entsteht durch Antritt des pronominalen a die betonte Form *mia, mie, wofilr nachdrücklicher la mine: das enklitische mi büsst sein £ ein oder wandelt es in t: nu m (mt) lud ne mihi sume gink. 241. m (mt) este bine' non mihi est bene mardi. wie mi ar trebui mihi esset necesse mard2. : m wird, wenn es die Aussprache erheischt, im: im (geschrieben tmi) vine mihi venit. im platte

B^itri^e cur Lautlehre der mmnti. Dialekte. Lanti^rnppen. 5

mihi placet cip. 1. 52. 248. Ebenso: nde tml iste a minkd ich möchte essen mard^. dats tmt date mihi ibid. m tml stin cha- rakHru l mim ich kenne meinen Charakter gink. 225. Mnim. liest man in: mostre 11. 26. neben tnü 11, das unrichtig ist.

Tibi ist enklitisch tsi aus ti nach mi, woraus ts und daraus it^: its (tM) dau, trimit tibi do, mitto. kum its pdref quomodo tibi videtur? mard2. Betontes tibi ist *f«ia, tsie, la tine.

Dem it. gli (l'i) steht ursprünglich mrum. K (li mostre 9), drum, j'i (kyrillisch m), j gegenüber: atSestuja j, jar atäeluja nu j da huic da, sed illi ne da gink. 241, woraus ij : ij zOc ei dico. mrum. fi ül ^ise, drum. H j (nicht 'j) zise mostre 10. H nScip^ m(^i ei posueinint nomen Limba 410. An'kpaTSAS M rp'KM ibid. d. i. tmp§ratu lu j gr§t.

£um ist lu, d. i. l, il: tlu kunösku neben nu l (aus lu, nicht 7J kunösku cip. 1. 182. 183. iL Stiü neben nu l Hlu mard2. 72. elu l kem§ (KiMXi) ille cum vocavit Limba 409. mrum. ilü avea hdgat, drum. pusese mostre 9: daneben ilti 17. lu ^ndupä für drum, tlü näpädi mostre 29.

Eos, it. gli (l'i), ist mrum. li, daraus drum. *jiY, j und ij, ij kann ei m. f. imd eos bezeichnen.

Sibi, si nach ti für tibi wird S (st), daraus *Hja, Hje und U (ist): Si'O^kute kutsitaäu l er schleift sein (sich das) Messer. Ul invats^ preUdiintse. le er lernt seine Lectionen pumn. 107. ka «' fi tmple kodle damit sie sich die Bogen füllen mardJ^. 201. mrum. fi ifi batu jocu frä^. 78; bei ath. 31. tfi und §d.

Betontes ,est^ ißt j aste, j&te, unbetontes je, j, tj: ij kald PS ist warm, kdldu j? ist es warm? pumn. 14. ja ij st^pina illa est domina ban. 30. dst^zi j, dst§zX ij r^köare heute ist es kalt: im plur. sint, s und is: tötsi Sj totsi is a kds§ alle sind zu Hause gink. 271. Sum ist sint, s und is: vi-s kunoskut ich bin euch bekannt pumn. 108.

Neben vej fi eris und mts fi eritis spricht man ij fi und ih fi Clemens 116.

Sehr häufig ist der Vorschub eines a, worüber in i. 544. •28). ausführlich gehandelt ist: zu dem dort Gesagten füge man hinzu alaur, laur Columna 1882. 43; neben alf/mije besteht l^mje ibid. aldm§ Messing und ardme Kupfer sind zu trennen : jemes ist mit lamina, it. lama, dieses mit aeramen, it. rame, zusammenzustellen .

6 Miklosieb.

Man beachte urk neben r^ik hebe.

i erscheint als Vorschub in ispasüoru l Piluzio, Analekte 254. 255.

Zu vergleichen ist L'a prosth^tique devant rr en portu- gaisy en espagnol et en catalan in der Romania xi. von J. Cornu und aslov. apony neben pany lanx. amorea Morea. nslov. arjuti. arjuha venet. aind. ira^ämi neben ra^ftmi. Zur Litteratur: G. I. Ascoliy Archivio n.

b) Einschub von Vocalen.

u fungirt manchmal als Hilfslaut: es ist ein Einschub. bunydn§ Unkraut : bulg. buren, älter wohl buren, burjan. gu^iöj Mist: aslov. gnoj. gunösu: ii o gunöau abhorreo kav., eig. mihi est nausea: aslov. gnusi,: dasselbe Wort lautet ev. 63. 113. 164. agunosü ßJeXoYjxa. jdturu (Yiaroupou) medicus dan. : lorcpo^. küskuru oufJLTCevOepog dan. : drum, kuskru consocer. l^ndur§ scapha^ alb. l'ündr^: lat. linter, lunter: drum. lüntr§. lukuru labor ro. t. 51. 55. neben lükru kav. n}4tur§ Besen; m^tur kehre: aslov. metla. Vergl. Hasdeu, Cftr^. 727. ndstur Ti nodi dan.: drum. ndsturi : vergl. it. nastro. ; das rumun. Wort ist wohl aus dem it. entlehnt. p^kur§ Theer, Dunst, Hölle Burla 89. pekurae Hölle Catech. 1647: aslov. pbkH Pech, Hölle, sökuru Schwager dan. aus 8okr: drum, sökru. Vergl. x^''^^^^§ foetor: ngriech. x^^®^- 8ut§ centum: slav. stq, si>to. Einschub des u im sard. liburu usw. Schuchardt 2. 398. Ngriech. $paYOüp.i^ aus 5paYii.i^ Foy 14. ßsSoupa : aslov. vedro. Alb. tempul^ templum krist. ßsBoupa, ßsSoüpi cam. 2. 140. livore Rinde Kossi: librum. alb. mj^gul§, Aögul^ ist wohl aslov. mbgla. Den Einschub verlangt die Aussprache in jdturu, d. i,jdtur, aus jatr; dasselbe gilt von küskuru aus kuskr. Schwierig sind 7n^tur§, pfcur§, Worte, die von slav. metla, pbkH nicht getrennt werden können.

Ein Vorschlag ist u in ulkdes U die Störche und vielleicht auch in unzesk gleiche frä^. : ngriech. p.oiaCü>, 6|jLOia!^co : darauf beruht auch bulg. mnjasam: aor. (jLOtcxaa, d. i. mijasa, woraus mjäsa imd aus diesem m^isa.

Das zakon. t6 tä^rvule, worüber Deflftier in Curtius' Stu- dien 4. 295 und Grammatik 158 handelt, ist aslov. örevij cal-

Beitrftge zar Lautlehre der raniTin. Dialekte. Lnntgruppen. 7

ceus, nslov. örevelj, bulg. cirvuli milad. 106, das wohl aus dem griech, zurück entlehnt ist: man vergleiche bei Constantinus Porphyr og. TlJepßouXiovob^ toix; eureXij xal 7rsvi)rp3t vwco5i^[ji.opra ©o- poüvra«; und die Bemerkung von Lucius: quos slavi serbglianos dicunt, hos graeci, asperitatem vitantes, serblos sive serbulianos vocant Rad 49. 99. Vergl. IV. 50 (50). tServule wird wohl auf der Form ßrevlji beruhen. Hieher gehört auch alb. cnile Lappen Jamik 4. Strajan 103. sieht in serbuli, serbula den nachgesetzten Artikel. Das dem örövij verwandte täerevitit Schuhe bla2. 212. stammt aus dem kiruss.

Einschub des §: dg§r le o\ i^poi kop. 15. aus dgri. g^ris lu fo ffToipi granum dan., das wahrscheinlich mit dem lat. Worte zusammenhängt: s scheint vor l flir ts zu stehen. k{p§r§ caprae dan. : drum, kdpre. lukar le labores dan. steht fllr liik^r le- i^rim Halle : aslov. trem'B. t§mtse Kleien : serb. trice. Uvh^V} t8tb§r labrum: aslov. öbbrb. Einschub des § im alb.: ^g§r g., egr^ t. Wild. mÄek^ra kupit. : mjekr§ Hahn, Alb. Forsch. 2. 78.

Einschub des t; fetsiri (xsTl^r^p'.) dan.: drum. piStre, In kiine canis, miine manus, pune panis ist i ein Einschub: man ver- gleiche russ. yj flir y und rumun. hiainte mit in-ante. Slav. sind tHredd§ grex: aslov. öreda, bulg. ßr-idl. ^rend§ meta ob- longa , ein aslov. 2reda voraussetzend. Vergl. Cihac 2. 156. Bei noi, voi, pai denkt man an Formen wie nois, vois, pois Schuchardt 2. 394.

Einschub des t: piri, pir^sk dem. 176. gink.; j^^rT anklagen blai.; ptr§, p§r§ Klage; piris Kläger gink. 550 (zwei Accente): vergl. bulg. parisan angeklagt Vinga. viri einschieben pumn. 119. gink. vf9'4sk. Beide Wörter sind slav. und beruhen auf den Wurzeln per, ver (ptr, vi>r) : i ist vielleicht slav. l, i>. Laut- lich lässt sich gegen die Zusammenstellung von ^r; tirisk ziehe, schleppe mit slav. treti (Wurzel ter, tbr) nichts einwenden Cihac 2. 412, allein die Bedeutungen machen die Deutung zweifelhaft, denn slav. treti ist identisch mit lat. tero usw. Vergl. den Einschub des § und Pdvil Paulus geo. 53.

c) Antritt von Vocalen an den Auslaut. In SstQ est, alb. §öt§, ist § angetreten.

8 Viklotieh.

2. a) Vorschub von Consonanten.

n ist in einigen Wörtern ein Vorschlag.

Mrum. vo6|i.£pou nümeru humerus kav. 238. voupieps dan. 23. numeri bo. 160. numer Iji 223. numer mostre 44. numeri 30. mymeri 22: drum, um^» ninca ev. 19. io. 8. 57 steht für drum. tnk§: yergl. ninga, n{ng§ dan.

Drum. nfränz§, n§rdnts§: it. arancia: nardnts Diez, Wörter- buch 23. alb. nalbän g., albän t. Hufschmied, it. naspo^ aspo Haspel Diez, Wörterbuch 29. nabisso. ninfemo Mahn 32. sicil. nescire exire Wentrup 26. nisetru, isetru Cihac 2. 150: serb. jesetra. ngriech. vaxpa, ccApa Rand pu. nezeros Gebirgssee in Thessalien: slav. jezero. naksafls e^aifvtjq Doz. vijXioc, f^Xicc; Foy 69. nomos ramo pu. 21. voupa, oupa Duc. nikokiris. zakon. nikodzüri. nämu f^iAcov. njümu u{jLä>y usw. DefTher, Grammatik 121.

z: mrum. zmUtsu Cochlea lautet drum, melk, meUiuy bulg. melöjov.

h) Einschub von Consonanten.

k tritt zwischen s und / ein : oxXXicoupa skFifur^ sulfur kav. 196. Daneben aXXisTrou claudus kav. 204. für skFöpu, sli- jinescü avarus bar. 170. ist dunkel.

S zwischen / und t: efSttn wohlfeil (Jefttn), f filllt aus in eitinäugu lui Wohlfeilheit cär^. 218.

r: antre, ante Strajan 232. altminterea, alminteren^ ajmin- trüea beruht auf alteramente, dessen mente mit ngriech. Xoytj? in V, Aa)pQ(; zu vergleichen ist. strafide neben 8taftd§ Rosine. Vergl. sp. alguandre aliquando. Zakon. rti/endra e/tov«.

l: averliga circum frÄ^. ; inverligatä cincta ev. 89: drum. verig^ Ring.

n : funindiine fuligo. petHndUne impetigo. dietiü'nkiu genu- culum. m§nünkiu manipulus. r§rtinkiu, r§nünkiu ren. hmgiu jugula. minftint minutus usw.

pt wird nvpt, mt, nt: nupta: *numpt^, nümf^, nünt^; ps wird analog behandelt: ipse, impsu, imsu, insu: visu. iii. 291.

oktomvrie äxTwßpio? beruht auf dem aslov. oktebrb, das dem sept^brb folgt. Auch in stmb^t^, aslov. s%bota, hat im rumun. keine Einschaltung stattgefunden.

kutremburd concutere beruht auf tremulare.

Beitrige cur Lautlehre der rumon. Dialekte. Lautgrappen. 9

Wenn auf einen Vocal ein t oder u folgt, so entsteht in den meisten Fällen ein Diphthong: cU, au. Das nunun. besitzt gleich den andern roman. Sprachen eine beträchtliche Anzahl von Diphthongen, die dem lat. fremd sind: pai Strohhalm: vergl. palea. kfd caballi. äib§ habeat. stau sto. ßi iilii. skrii Bcribis. t^rziu tardus. ai habes. erdi eras. ei illi. mei milium. r«, das wohl auf velis beruht, femei Weiber, auch in der ab- weichenden Bedeutung familiae. eu ego. noi nos. voi vos. poi post, doi duo. 0% oves. triföi trifolium. roih rubeus. lui. kuL destüi plur. : destül sufficiens. üU§ obliviscitur. kuib nidus : * cu- bium. k^i calles. st^ stas. »p^imtntd terrere: *expavimentare. f^« tuus. r^ schlecht. 2fw deus. m^i (frdte) blai. r§nui remanes. u ei m. f. Ttu rivus. /rtw frenum. griu Weizen, bou bos: *bovimi. ou Ovum, ea, oa aus e und o usw. sind als Monophthonge anzusehen: feredst^ fenestra. stedua, stedoa Stella, leak: aslov. l^k'B. lüniea die Welt usw. modr§ mola. Die Diphthonge in den angeführten Wörtern sind auf verschiedene Weise ent- standen : durch Ausfall von Consonanten : triföi, aus triför, tri- följ: dies findet im mrum. nicht statt; durch Metathesis: roib usw. Bei noiy das zunächst auf «o beruht, ist die Erklärung schwierig: Hasselbe trifft das it. Vergl. Diez 1. 186. In unlateinischen Wörtern: obiUei Gewohnheit. ^euA:^ Dohle: beides ist slav. Ur- sprungs, ilfu Amboss usw.

Dem lat. Diphthong au in audio stellt das drum, zwei Silben gegentlber: drum, aüd audio; dagegen mrum. dvrfw.

Das prothetische a bildet mit u keinen Diphthong: ati§ uva. aümbr§ umbra.

Wenn umgekehrt i einem Vocal vorhergeht, so wird ton- loses i zu j, während betontes i sich erhält, wodurch zwei Silben entstehen, zwischen welche sich ein Hiatus tilgendes j einschiebt, das nur selten geschrieben wird. 1. l^kuidu sie wohnten, aufertdi du littest, venid veniebat, d. i. venjd, vend. evlaviös andächtig: 'VJÖ8. fz^e fei, d. i,fjere, piept pectus, d. i. pjept, miel. vierme usw. p^rintsti die Altem aus p^rintäi i, gtdtsq, glacies, d. i. gjdts§, v^kiu l der Alte. So erklärt sich auch t^ered quaerebat. 2. avutsie Habe, diavolie Teufelei, fie sit. mie^ tsie mihi, tibi. Unlateinische Wörter : xf ^^'^ Papier. Maria, Marieu moSie Gut usw. : avutsije, fije, mije usw. zu sprechen. Man füge hinzu Hiinis^ scientia. sirgu- ints§ Fleiss von sirgui aus aslov. usrT»dije. pri6tin Freund: aslov.

10 XikloBich.

prijatelb. trAftie Schilf; femer muere, d. i. mujäre, mulier. der Luft, d. i. djer; ebenso flüer Schienbein, d. i^flüjer. tntemejd gründen: * inthemeUare, r^Ütnd bleibend, al^tte Citroney t?rfe Wille, nevöe Noth : diese Wörter sind unlat. : ihr j beruht auf weichem w, L

In Wörtern wie avutsie, d. i. atmtsije aus avüt und Suffix ia hebt j den Hiatus auf. Dieselbe Function kommt dem c in einigen Wörtern zu: meduUa wird *TOedMU^: m§dü^ kav. dan. und daraus drum, m^üv^y m§düh§. vidua: v^u§ und daraus v^uv§. In avedm, d. i. avjdmy mag v ftir b sich erhalten haben; dasselbe gilt von avedy d. i. avjdy habere ; während atnU'; avusem, oüOt auf aüi usw. beruhen. af>4t9i und af«t aus habetis stützen sich auf a6tM: in jenem ist v eingeschaltet, in diesem ist aus ae a geworden. hab^bam ergibt irum. v4[v]7i, habebämus vevdn ga. 75. finiebam wird ßnt[v]u 76 : auch hier sind die V nicht ursprünglich. Man vergleiche Sti[v]u ftir scio 76.

In einigen Formen scheint r des Hiatus wegen eingeschaltet zu sein, habet ergibt ave^ woraus ae, aus dem a oder are hervorgeht, wie aus habetis atn und avStsi, irum. drets entsteht, ar in el, ei ar aved kann, muss aber nicht ,haberet^ sein, da die andern Hilfsverba des condit. ai^ am, aUÜ dem praes. des indic. angehören : ai ist wohl nicht habuissem. Der Zusammenhang bestimmt den nur in der I. sing, genau fixierten Sinn näher, mrum. dre, drre habet dan. frA^. , irum. [djre neben a ga. aremo afßcU invenimus Denk. xii. ku 6e me ra$ kopri, pre kav le ras za^d Ive 5. arem habemus. jo ras avä haberem. rem kuvinta loquemur. jo ras fast avä habuissem. Bei ga. 75. lautet der indic. von habeo: [a]m; [d]ri, i; [d/re, a. [djren, an, [djrets, ats. [d]i*u, a; als Hilfsverbum des condit. r^z, r^, rf. rpi, r(ts, re, Vergl. Ascoli, Studj i. 64. 65. 66. drum. dre habet, ar fi esset, essent neben dem auxiliären aü. dum- nedzeria divinitas pil.-anal. 254. 255. dumnedzereski ib. 255. dumnezeire cat. dumnedz§eHi, (Iriech. Foy 74. Zakon. ezur öni neben ezü eni e^cÄ ei|jLi Defi'ner, Grammatik 58; vergl. 122. Alb. scia-au, plur. scle-ete fpai>wi, Jx; T:po<; tt,v YXcSäacav, si^ dvTiOsatv «pb^ To Arberes Reinh. 31. sclerist, sclirist: i di sclerist ? savez-vous le grec?

Über die Einschaltung des g ist vi. 36. gehandelt: favus, faus, fau, fagu: fag. it. süghero Kork aus suero von suvero: suber. pagone, paone^ pavone: lat. pavo.

Beitr&ge zur Lautlehre der mmiin. Dialekte. Laatgrappen. 11

c) Antritt von Consonanten an den Auslaut.

k nach nu und sonst ist kein blos phonetischer ^ sondern ein bedeutsamer, verstärkender Zusatz : nu k are pil.-an, 255, jetzt nu are. la k untere ibid., jetzt la umeru lu usw. alb. nuk^ Christ, nuk ist^ 6eri il n*y a personne, tuke, tuk, nüke cam. 1. 189; 2. 7. Das hier behandelte k möchte ich mit dem ki» zusammen- stellen, worüber vergl. Grammatik IV. 120. gesprochen ist.

Es scheint demnach keinen Antritt von Consonanten aus phonetischen Gründen zu geben.

n. Verzainderung der Elemente.

1. a) Schwinden von Vocalen im Anlaut.

Mrum. veXou, wohl üelu, kav. 191 : *an4llu8, it. anello. vvidXXtj n(R agni dan. : agn^lli. fik^sesku intelligo kav. : o^sCxaaac. nam^sa zwischen conv. 386: avötfjieda. la ad: illac.

Irum. krirn^, lievito: drum, acrime Säure, skunde nascon- dere. skutd ascoltare, ubbidire. de 'nde de-unde Denk, pre ^nde qua Denk.

Drum. 8pdrg§ asparagus. sälbed ex-albidus supl. xxvi. noäten annotinus. burüc umbilicus: it. bellico usw. r§t^H GVTSiTe: denominativum von *erraticus (-tecus) usw.

b) Schwinden von Vocalen im Inlaut.

e: din ist de tn. prin aus pre in.

§ : Vor dem Artikel a : kdsa aus kd8^^ a. Ebenso odja bo. 19. für odjea: odje ovem, oem. vTifxviaTlJa dimndts^ aurora kav. 185; vTiptvtarl^a dan. 39: drum. /^(/HiiiHUi^a kor.: de-mane mit dem Suffix itia. x|jLta<y(ja kmidS§ tunica dan. 27 : drum. k§mdä§ aus k§medä§. pxoaps rkodre frigus dan. 5 : drum. r§kodre f. aus -örie. destül: de 8§tul satis : vergl. it. satollo: das u von 8§M ist dunkel. Das mrum. enklitische su ist s§ü, sa-s^a ath. 28: la tdt§ su kop. 20. irum. vrur aliquis aus vel unus. Vergl. alb. Hahn 2. 12.

i: domnu ev. dregefl ev. epfjLou ermu desertum kav. 194; erfite (erhie), griech. epYJiAi«, mostre 8. 37. görtsu kav. martaia üwovSpog ro. mansus mehr lue: nm msus. (raXT^s sdltse salix dan 1,

12 Hiklosicil.

Cvi6 znie damnum dan. 5. ^via znia 19. D/viceoxou zfiishku laedo 187: i'Qtl^wiQa, efiisAku beruht auf znios-, zMus- : i^r,\t,ia. '^^ep'^ipe nvemdre tristitia kav. 208. aus nverindre : venenum. tirsi praecepit dan. 1 : &pi(76Vy daher bulg. uresici Parzen. umzi£8ku conveniunt dan. aus umj§ze8ku, umizesku: ^ixotat^o). unzeashte appi^ei bo. 107. xovr^a pönt8§ modiolus ad coquendum panem kav. 188: slav. ponica, alb. ponits^. ßijvvipa vinira veneris dies dan. beruht auf viniri a. Verlust des i ist auch eingetreten in sdru salio kav. fngu fugiunt dan. modrq dan. pieru pereo. pierä ev. 5. 139. 173. simtA 139. inclisöre carcer ist, 32: richtig inMisöre. esä exeat ev. 73 usw. , u: rHne: Xt o pod^vs li o Hine eum pudet, d. i. ei est (o) pudor dan. 46. pci'vs 38: drum, ruiine, Vergl. nju fricd mihi est metus bo. 149. aus mi e, mi o usw. coup::oü surpti praeci- pito kav. 205. ist. 42 y drum, surp, alt co^po^n;^ Limba 421 : Ursprung dunkel, ttskd neben nsilk: exsuccare: falsch ist usu- care ath. 69. v^moare kop. vern^örä ist. 39. nunquam ist vel una hora: vergl. nits unoar^ lue. Dem drum, urkd steht drum. arüca gegenüber mostre 8. Tonloses o, u im Verbum vol feilt zwischen v und r aus: * volare i)r^re (vredre) ath. 42. mostre 16. 24. 40. *volemus vrenut ath. 42. vol^bam rrem (vream) ibid. volui vrui ibid. vi'u kop. 28. volüeris, volüerit früri dan. 11. 13. 29. vrurSmu 32. volutus vrut ath. 42. Rumun. Unter- suchungen 2. 90. Dagegen volunt vom ibid. Dem mredn§ ent- spricht serb. mrena aus lat. muraena.

Irum. kümprii neben kumpard comprare. täd vergessen: drum, ujfd, tsink^. cimice aus Uimke,

Das aslov. t, i> entsprechende «, e feilt nach slavischer Lautregel aus, sobald das Wort am Ende um eine Silbe wächst: höhn, höln( ammalato. dese.n, d^sne destro. dvöyeJc, plur. dvöitsi, gemello. glddek, gldtk^ piano eben, lovets, plur. lövtsi, cacciatore. Ösen otto, davon ösmi le ottavo. prh^n, prisn^ crudo. rßbets, plur. repUi, passero. U7niden, umidn^ umido. Dasselbe findet wahrscheinlich bei folgenden Wörtern statt : mdrets marzo. plddeny tagliere; vielleicht auch bei pet^k venerdi, skophs ca- strato und bei vdoveta vedovo.

Drum, domn aus domnus, nicht dominus, domenus, da es nicht doamn lautet: ngriech. Scjjiva. hdd calidus. koi aus cubitus. muik morsico: vergl. supl. xxvi. lxxviii. klo bar. 168. für akolo, 8dlk§, sdlUe salix: alb. sdk, sölgu. ultied *ollicella.

Beitrige zur Lautlehre der mman. Dialekte. Lautgnippen. 13

ursit^ fatum: £>piaa: bulg. ureaici Parzen, veärde viridis. p4m§ neben p4rin§ Kopfkissen slav. Man füge liinzu kuskru, miSrl^. urlu usw. Die Verba wie taceo, facio büssen meist ihr e und i ein, dader tak taceo, fak facio: der Grund hievon liegt in der Analogie der Verba wie duco, duk.

Zwei in demselben Worte zusammentreffende Vocale schmelzen häufig zu einem zusammen: es findet Contraction statt. a '\- e wird a : am aus aem hab^mus ; habeo : am filr habeo befremdet Diez 2. 246, da m sonst nicht aus b hervorgehe, atsi aus aAUn habetis, woraus auch avetsi, l^vddsem aus laudav^sse- mus, im Sinne von laudaveramus und laudaveram. Über are habet ist oben gesprochen.

a -\- i wird e : trek traduco, transveho : trajicio, traicio. mrum. tntrece icepiffceuei ev. 166: *intrajicio. Man vergleiche l§tid^ aus lauddvit, laudäit und ai habes.

e-\- e wird e: der sing, dat.- gen. iindei entsteht aus Hndeei und dieses aus tind^ei durch Assimilation des § an e: dem tin- d^ Hegt iindfCei zu Grunde, wie mrum. ap§liei ist. 28. und so viele andere Beispiele darthun. Sedlei ist §edle i zu trennen: »eale beruht auf Üedl^, das wegen des durch Assimilation aus f entstandenen e nicht iedo geworden ist. Dem §edlßi steht lurum. 6edotei, §eäoR gegenüber, wie stedolji bo. 22. zeigt, hem aus hetnn bibimus. ^ + e : mrum. par4sifd plur. quadrag^sima SM& par^efii, par§je8eifii: aus quajlragesima entsteht alb. kr^äm§. gresku loquor kav. aus gr§je8ku von gr§{.

f -j- ^ wird a : kal wird mit cabällus durch k§dl vermittelt. Dem masc. t§ü, «^ steht das fem. fa, sa gegenüber, während meü, mieü im fem. mea lautet, mrum. Idtu beruht auf l§dtu lava- tus: drum. 1§ÜL

§'\-ü wird enklitisch o: to, so aus t^, 8§ü; ebenso mo aus meü, mieü,

li-f- e wird u: krunt cruentus. iunk juv^ncus. iwie jüve- nem. füsem aus fuessemus im Sinne von fueramus und fueram. fusedsem aus fuess^ssemus, dem füsem gleichbedeutend, avusem aus habu^ssemus. fürim aus fu^rimus.

Contraction findet sich auch, wenn ein auslautender Vocal mit einem anlautenden zusammentrifft : maltu xXeov aus ma altu bo. 122. 147. 163: vergl. serb. viSe plus, eig. altius. tötun§ kop. tofduri^ lue: drum, totdeauna perpetuo. sü^a ath. 62. entsteht

14 Xiklosich.

aus 81 hiba. va sibä erit ist. 3. 4. 16 usw. va sifi eritis 15. tra idbä ut Sit 21: ä in kihä ist wohl gleich dem ngriech. x ^^ X*- irum. 8er aus 8e ver si vis.

In einigen Formen tritt die Contraction nach dem Ausfall von Zwischenlauten ein : ur auguror : afz. hetirer Diez, Wörter- buch 32. mrum. cctaexlitiliYj ijaedzitsi sexaginta. t^ivtI^itIIy) tein- dzlUi quinquaginta. Tl^taxpaT^^ocT^e t8i8pr§dzdt8e quindecim. pd8pr§- dzdUe quatuordecim dan. 51. k^U Ta oXo^a dan. caUji (kalt Vi) ol tecot bo. 25. calljor (kali lar) twv Trrwv. hiUji, hüji (y[iTi R), häjor (htti lor) bo. 217. the88aliei thessaliae frä^. aus thessalie Ißi. 8teaUe, steaüor aus 8te(de le, 8teale lor bo. 22.

mandi&co kauen, essen ergibt das urrumun. manünco und aus manducäre entsteht mancäre: mrum. a) mänäncä mostre 9. manänce conv. 382. b) mdncare mostre 18. m§nk^ kop. 30. Daneben m4k§ edit dan. 2. irum. a) mardnku edo Iv. b) munkd ga. drum, a) m§nuik. b) minkä. mtnkdt. rrdnkdre. rmnkdUti,

In folgenden Worten stellt n^, nes wohl nescio, nu^-non scio dar: mrum. n^sk^ntsi kav. 25. n§8k§nte quaedam dan. 2. ne8cdnfi, nescdnte. niscdn^i, mscdnte mostre 9. 19. 39. 44. nisce (niite) ath. 28. nishte bo. 27. nifte [f.tpi%oi frä^. mostre 30. irum. nuScar le alcuno. nuSkar le - nuSkar le Ascoli, Studj 1 . 60. chi-chi Leon. drum. neStine jemand. ne8ce, nescine Strajan 15J. neik§t supl. r. Man merke m(ta, m^sa aus mürn^ ta, mtiTn§ sa gink. 225. m§td aus dumneatd 221.

Über Contractionen im alb. Schuchardt 1. 353. Alb.

Forsch. 2. 78. Zakon. Deffner, Grammatik 161. Zig. Über die Mundarten usw. ix. 16.

e) Schwinden von Vocalen im Auslaut.

Mrum. Godp \e egar le sol dan. 23. 8Ör le mostre 21: drum. 86re le, it^iTlioip Xe tHtsonr le pedes dan. 49.

Ursprünglich auslautendes oder durch den Abfall von Consonanten in den Auslaut gerathendes tonloses i ist in mehr- silbigen Wörtern nach einfacher, in bestimmten Fällen auch nach doppelter Consonanz stumm: eine Ausnahme bilden die Fremdworte, mrum. drbur Bäume, drbur U die Bäume aus drburi T/. fumeljor bo. 225. aus fumeJ^i lor, odrfpx lor dan. aus

Beiträge zar Lautlehre der mman. Dialekte. Laatffmppen. 15

odrfeni lor. avUsi, d. i. avets^ habetis. t§ltdt8 (t^Täts) mactate^ eig. mactatis, kop. 23. tfTdS mactasti 30. fi S6q {xci 12. jingits dan. neben jingiUi kav. : viginti. irum. luni per lange Haare. dreU, aU, drum, dints Zähne, regelmässig dintst geschrieben. avet»iy atsi, Vergl. ii. 58. Dasselbe gilt von w. mrum. fok Feuer: foeus. bat *batto. dlliu^ d. i. aL tdlliu, d, i. tat, irum. fok, bctt. drum, fok, bat Neben du duc besteht ddu, d. i. ad, mit der Inteijection o; ado; daneben ad§ princ. 193. Vergl. m. 235.

Wenn auf i ein enklitisches Wort folgt, so erhält sich das t im drum. : l§8dtsi lasset mich. Zu den Enkliticae gehört auch der Artikel : pomi Obstbäume, pömij die Obstbäume. Der- selben Regel folgt u : batu te ich schlage dich, dmdu j dp§ dando. ei aquam. v§zindu videndo vos. trupuSoru ml fr§ndie volksl. 2. 10. pom Obstbaum, pomu l der Obstbaum. Anders das mrum.: hier verstummt der auslautende Vocal und die Enklitica erhält ihre ursprüngliche Form: spunetsl mi ev. 71. tnveStetsi lu 140. drbur U die Bäume dan. disciptdi li ev. 55. dk lu die Nadel. k§lk4n (richtig k§lk^'i) lu die Ferse dan.: daneben 1, pläguindu vulnerando cum ev. 119. trimünndu j mittendo eos ev. 2. filiu nieu ev. 44. Im ersten Falle muss die Abweichung auf der Dopp^lconsonanz nd beruhen, im zweiten liegt der Grund im enklitischen meu.

Enklitisches mi und ähnliche Pronomina wandeln vor vo- calisch anlautenden Wörtern i in j : el mjaü dat ille mihi dedit. ej mjor da illi mihi daburit gink. 244. Sjaü f§küt sibi fecerunt. ml e (d. i. mje) sete mihi est sitis ev. 183.

2. a) Schwinden von Consonanten im Anlaut. Ein solches Schwinden scheint nicht vorzukommen.

b) Schwiftden von Consonanten im Inlaut.

n fällt aus: un§ geht durch den Ausfall des n in und dieses in ^, o über: o6va ün§ una dan. 51. und bo. 204. conv. Xu. unä mostre 8. 9. conv. 357. mostre 40. bar. 168. v^r^ aliqua dan. 34. o conv. 357; ibid. durch Abfall des u. Auch irum. kommt o vor. mrum. rmii menses dan. 5. mesu mostre 38. measd Tisch bo. 148. apres apprehensus ev. 68, 109.

16 Miklosieh.

des densus. drum. des. kos cönsuo. mas *maiisus partic. m§surf mensura. ap^s drücke. Schuchardt 1. 6. ngriech. [izGaM. pinus lautet in der Bukowina hie und da fiü aus ptinü. Wie *piö aus pinü ist der alte rumun. Name von Widin Diu aus Bsdynt zu erklären. Über den Ausfall des n in /* ist ni. 282. ge- handelt: kuj aus haiif kunj cuneus. puj aus ptm, punj *poneo, pono usw. n zwischen Vocalen schwindet auch ngriech. in Sa £va. apäu ewavo). t§io exeivoq Ourtius, Studien 4. 275. Vergl. prov. camiu flir it. cammino.

Auf dem Ausfall des g beruhen folgende Formen: ^ ego kav. dan. : eo ist allgemein romanisch; tonloses o muss u werden, magis lautet drum, mat, mrum. ma: kama, das dem Ausdrucke des Superlativs dient, ist quam magis. neap. maje Wentrup 13. (Vergl. nuje mit nos). mrum. pavemn dan. 10. drum, p^redsemi plur. ist lat. quadragesima. m§ßshm magister usw. Vergl. alb. kujtöj cogito.

s ist ausgefallen: -irpe^Tou |>r^ifw sacerdos kav. 216. preftu (preufu) ath. 12. 14. preftu mostre 42. 45: prefefu bar. 171. ist wohl falsch, irum. prevt. dnim. preöt mit abweichendem Accent. neap. prievete, Schuchardt 2. 359. Saedz^tsi sexaginta kav. aus »easedz^tsi. *

r fällt aus: <x Aavvta a Idg^. kav. 21 H. 231. fugird cu de a Inga ist. 51. alägä sopa;/£ ev. 74. aUagä mostre 19: vergl. mrum. Idrgu latus Rumun. Untersuchungen ii. 21. dalm.-serb. iz larga (ga ugledala) von ferne. Ciliac ii. 475. bringt das Wort mit magy. nyargal in Verbindung. f^in§j fyrine. farina. feredsf§ fe- nestra. kde, kdi für kdre, kdrl mostre 13. 34. miscd Truthahn bo. 150: serb. misirka die Agyptierinn. nöstu noster. vöstu vester: neap. nuosto. per: pre, pe, jK cip- 1- 104. phitr^, printr^ Ofner Wörterbuch. pSntru, prenfru aus pre^ntru princ. 397. rostu. prhte aus *pre8tr§. rorem wird roem, rovem und daraus röao: vergl. it. prua, sp. proa, fz. proue Diez, Wörterbuch 274. Supl. xxxv. tu ev. 6. 14. tru aus tntru mostre 38. conv. 358. dit, ditr\ dintr' mostre 9. 10: intro, de intro. ^o$ deorsum : mlat. deosum, josum. SU8 sursum: mlat. susum. dos dorsum.

t und d schwinden vor sl und zl, indem tsl meist durch sl, dzl durch zl ersetzt wird: a) vv{(; aatq jMs Ti parvi dan. 35. piTcap?:«; XXr, b§rbds Ii viri dan. 4. -£pz£<; Xayj herbes U verveces dan. 3. |jlxoö; büs le dolia dan. 9 : sing. büfe. fjioj^ aay; müs Ti

Beiträge zur Lantlebre der mmnn. IHalekte. Laatgmppen. 17

rnncTis dan. 44. <j6<; Xy) aös R socii dan. 14. aaiqdpt<; XXy) Sjqdris U mtires dan. 41. ouXcouXic XXt; uUdSs U ciconiae dan. 5. oupx^t}^ Xe urdsis le urticae dan. 1. In einigen Quellen erhält sich tsl: greq li die Griechen conv. 357. njig Iji die Kleinen bo. 166. sog lu Gefährte bo. 24. b) i? XXtj & ß hoedi dan. 3. Neben bat£ökuri hört man baiokuri verspotten : die erstere Form liegt der letzteren zu Grunde, und beruht auf a H bäte iok: die Ableitung von einem griech. ßa^upfl^w Cihac n. 638. ist un- möglich.

Irum. l vor Consonanten fällt aus: ab bianco. at altro. kad caldo. ködere caldaja. jpamf palma. ptfpf Wade, vöt^ volta ga. Als ältere Formen sind aub, aut usw. anzusehen. Schu- chardt 3. 305.

m^e andare ist lat. mergere und beruht auf jenen Formen, in denen g vor i und e ausfällt: merl, mere; mSremu neben mSr- gemu, mSretsi neben m^gu eo, eunt ma. 11.

Einige von den Fällen, in denen Consonanten schwinden, wurden unter den betreffenden Consonanten erläutert: z. B. kal aus caballus, das auch alb. ist iv. 25. p§mtnt aus pavimentum IV. 31. usw.

c) Schwinden von Consonanten im Auslaut.

Hinsichtlich der Bewahrung oder Abwerfung der ursprüng- lich auslautenden Consonanten stimmen die romanischen Sprachen nicht vollkommen mit einander überein. Das rumunische wirft sie regelmässig ab und mag hierin als mit dem it. näher ver- wandt angesehen werden. Die Anfänge des consonantischen Auslautgesetzes reichen weit ins Alterthum zurück.

Zur Erleichterung der Übersicht theile ich die Lehre von dem consonantischen Auslaut im rumun. in drei Abschnitte: A. Nomina. B. Partikeln. C. Verba.

A. Die Nomina beruhen im sing, entweder auf dem Nomi- nativ oder auf dem Accusativ. Die Ansicht von dem nomina- tivischen oder accusativischen Ursprung des roman. Nomens im sing, wird nicht allgemein getheilt : ,it. morte', sagt G. I. Ascoli, ,fe un esito fonetico, nel quäle si venivano di necessitk a con- fondere que' due casi obliqui che principalmente entravano nella foggia volgare del discorso romano: ad morte[m], de morte*

SiUooftber. d. phU.-hist. Cl. OII. Bd. I. Hfl. 2

18 Hiklotich.

Archivio ii. 416. Ich bin in meiner Darstellung der alten Ansicht gefolgt, weil ich mich von der Unrichtigkeit derselben nicht überzeugt habe. Richtig ist, dass an dem Auftreten der Form morte von einer razion logica o intenzionale nicht die Rede sein kann; dass man nur an mortem und morte denken kann^ findet seine Bestätigung im rumun., wo mortis und morti marM ergeben würden, nicht modrte. Dass ich zunächst an den Accu- sativ denke, hat in der durch die Function dieses Casus be- gründeten ungleich grösseren Häufigkeit der Anwendung des Accusativs seinen Grund und in der Wahrnehmung, dass im Pronomen manchmahl derselbe als Nominativ auftritt.

1. Auf den Nominativ zurückzuführen sind a) leü leo. frdte frater, sicil. frati. Nach cip. 1. 103. beruht frdte auf fratre: dafür kann (ppiTpE aus dem sechsten Jahrhundert angeführt werden, söror wird regelrecht 80i*u, sor, das heutzutage, wie es scheint, nur in Verbindungen wie soru sa vorkommt; daraus entwickelt sich nach der Analogie der anderen fem. 8or^: 9orä ev. 46. In soro conv. 359. ist o Interjection. Der plur. lautet surdri: sarort ev. 35. 158. Vergl. it. suoro, suora can. 400 ; prov. sor, acc. seror, plur. serors. Aus nurus entsteht lautgesetzlich naru, nor: noru mea; aus nor wird n&r§ ev. 109. und nach soror nur&n Strajan 109. 1 12. Die Form 8ur6re hat sich in sv/rdre mea gink. 224. erhalten ; diesem analog ist nurore in nurori sa princ. 143. dorn desiderium: dolor (Vergl. Archivio II. 436), das jedoch auch als rumun. Verbalbüdung erklärt werden kann. tmp§rdt Imperator: alb. ^mbr^t, plur. §mbröt^re. Archi- vio II. 436 : tonloses o wird wie lat. u behandelt, mrum. preftu, daraus drum, preöt, alb. prift, prift§r^s§: prö[s]byter, altkroat. prvad: flir priftu erwartet mKnprifie das sich jedoch der Majo- rität der masc. anbequemt: vergl. it. prete, prevete Archivio ii. 427. Sulfur ergibt mrum. sktifur^y alb. skjufur, it. solfo, solforo : das rumun. Wort kann auf einer nach dem Schwinden des Neutrum möglichen Fem.- Form beruhen. Fulgur wird wie ein u- Stamm durch drum. füXdi&r reflectiert. vültur setzt ein vulturum, nicht vultur^m voraus. Das Auslautgesetz verliert an Sicherheit durch die Form vültur e neben vültur, drhore neben drboi; pieptene neben pikten usw. Strajan 113, womit jedoch Umpede, redpede aus limpidus, rapidus zu vergleichen sind, aus denen hervor- zugehen scheint, e sei ein jüngerer Zusatz. Dass git lat. guttur

Baitrftire r.nr Lavtlehre d«r ihbub. Dialetta. Lantgruppen. 1 9

sei, ist nicht richtig: es ist slav. gHth. b) nüme, plur. nümene, nomen. aräm§, alt -me, Kupfer: aeramen. legüm§: lep^umen. c) kap, plur. kdpete ath. 17 : caput. it. capo. odape Freund ev, 6. 42. neöspe Feind ist. 19. plur. oäspetM: hospes^ hospitem. 09pet^ ist hospltium. d) 8edtSet§ siccitas. ^nd£e beruht auf san- gis oder sangem Schuchardt 1. 117: daneben dndierd bluten und 8md£er cornus sanguinea: vergl. sp. sangre. frig irigus. piept pectus. tSmp tempus Archivio ii. 425. Vergl. alb. nip nepos und jet§ neben friaul. j^te und etäd Archivio i. 500. IL 437. e) Hde judex cingarorum Limba 286. Archivio ii. 435. Daneben iüdek und HdetH: iud6ts ist lat. Judicium Limba 286. iodrek neben iodretäe: sorex. berbrk neben berbedtie vervex, verv^cis. iüdetSe, äodretäe, berbedtSe sind klar: sie beruhen auf judicem usw. nach der Accusativtheorie. iüdek, iodrek und berbik soDen der Analogie der Pluralformen MdetB, usw. ihf Dasein verdanken: ich möchte an Stämme wie judicu usw. denken. In Sude wird Abfall von ks anzunehmen sein. Vergl. Limba 286. Supl. xxv. nuk und n&k^ beruhen auf *nucum und *nucam nach pom und podm§, lat. pirus^ pirum. rediäe frisch; kalt^ beruht vielleicht auf recens: auf ein Missverständniss des slav. Textes zurtickzuftüiren ist reatie U pudor kor. 11 6^ denn das slav. hat neben aslov. styd'B pudor pol. *stjdn^6; stjgniid frigere. iedrpe; ädrpe kav. serpens Archivio ii. 438. f) Auf dem Nominativ beruhen auch om homo^ dessen plur. odment hominis homeni voraussetzt. Befremdend ist mrum. <mn lu dan. nime nemo^ wofür nimene, nimem, nimenea vorkommt^ ist lat. nemo. drcJc Teufel, alb. drek: draco Archivio ii. 434 436. Supl. XXV. Zum Verständniss dieser Verhältnisse ist es noth- wendig im Auge zu behalten, dass die Nomina die Neigung haben nach dem Genus in zwei Kategorien, nämlich in die der Nomina auf u und in die der Nomina auf a, zu zerfallen. Man merke p&ku kav. neben pedSte: jenes wie lat. piscus, dieses piscem. drum, drbur, mrum. drbore, os os, auch lat. schon ossum. mrum. pdntik lu und drum. pintetSe: *panticum, panticem. Ebenso 8dlk§, sdltSe salix: ^salicani, salicem. mrum. tikrtwr^ turtur usw. mrum. liest man auch pdntecä: pdntecä ev. 4. 201. panieca Uei 245. pdntece Ud 201. 245. 261.

2. Auf den Accusativ können zurückgeführt werden a) ko- r&nä coronam. an annum. dkru *acrum, acrem. lu illum: la

2*

20 Miklosieli.

se lu 7ndt9in§ er möge es malen dan. 39. ddier kami ohne Ver> letzung der Lautgesetze auf agilis oder auf agilem zurück- geführt werden. k§rodre calorem. kürte chortem. tsedtsire *cice- rem: it. cece vom Nominativ, fodme, wohl famem. flodre florem. linte (Xuvre) lentem dan. 10. mdrditine marginem. medre ^mellem, mel. nvuXdre, drum, mujdre, mulierem: die Verschiebung des Accentes beruht wohl auf la aus liea: it. möglie. ndfe narem. nido mrum.: nivem, *nevem. pedpene p^ponem^ ^eicova Supl. xxv. pMbere pulverem. rdo für rodo rorem, *rovem. s§n§tdte Sani- tätern, drum. v4rgur§, alb. vir^ene^ vir^ir: vii^^em. Befremdend ist mrum. virgiru.

Ivi beruht, wie man annimmt, auf ^illtiic; lor istillörum; mdrtsi in mdrtsa ist martis (dies) ; d£oj in di^a beruht auf jovis (dies); viniri in vinira auf veneris (dies): diesen Namen folgt luni in lüma lunae (dies). 'Mrkuri in $i4rkuria ist der gen. m^rcuri: drum, lauten diese Worte mdrtsi, iot, vtnerl, lunt, mSrkuH, Vergl. Diez, Wörterbuch martedi, giovedi usw.

B. Dem lat. septem und decem entsprechen Sdpte und dzdtse. Dem novem steht ndo iUr nodo aus nodu§ gegenüber. Dem Sdpte hat sich idie sex aus sies anbequemt. Die Meta- thesis in pdtru aus quattuor, quattor findet auch in anderen roman. Sprachen statt: it. quattro usw.

io8 ist lat. deosum, deorsum, sus susum, sursum; supt; 8vb conv. 386: subtus; au aut; a ad; 6 et princ. 398. Ü et: Sic ; la wohl illäc, Adverb, das Praeposition geworden ist ; aJcolö, kolö eccu' illoc Diez 2. 438. aüH, itHecc% hie; wohl quod; tie quid; ka quam: kam ist nicht quam Diez 2. 446, wahr- scheinlich quam magis: mrum. kdma: kdma dine melius, kam dkru etwas sauer, ku^ it. con, cum: kum entspricht dem lat. quomodo, it. come. ma, mai magis, mage. nu: it. non. poi beruht auf po: pos aus post; ebenso noi, voi auf no: nos, vos, in der Enklise ne, v§. Die neap. Formen nuje, vuje, craje, seje für nos, vos, cras,, sex Wentrup 16. verdienen Beachtung. Die Herleitung des i aus s ist wohl aufzugeben. Dem lat. per, it. per, steht gegenüber pe neben pre, das durch eine Metathesis entstanden ist, wie intre aus inter, pdti-u, wie it. sempre, sp. entre, sobre aus inter, super, alb. p^r, kät^r g. kätr^ t., siper, sipre uTcep cam. spre, apri ist vielleicht ex-per: spritünde per- forat. priapre, pespe, pispre ist per*ex-per. preste, piste beiniht

Beitrftge tur Lautlehre der ramnn. Dialekte. Lantgrnppen. 21

auf pr^stre per-ex-trans. tr§ pro dan. 25, ird bo. 118. ath. 9. ist trans; 8tr§ ex-trans: str^äte durchdringen, mrum. tu ist mit intro, intra, nicht mit intus zusammenzustellen, pretu (pretu spini, schini ist. 18) ist per-intro; neben tu besteht tru: se duse tru un lok a7ceS/|{i.r|7ev et^ yßpoL'f lue. Einschub scheint eingetreten in difnere aus dünre, mrum. dzinere, fz. gendre. in wird in, n: it. in. Dem it. ver aus vel in veruno steht gegenüber ver: ffertätne wer immer und vre: vre un, vr* und frä^-

C. In den Verbalformen gewahren wir den Abfall von t, m, 8, nt und k, a) t: Mnt§ cAntat. kintd cantäbat: d aus dv§, du§, Mnt4 cantävit: ^ aus de, ein ungewöhnlicher Übergang, lo cepit (levavit): If^, lo4, vielleicht lo6. ktntdse cantavisset, cantAsset mit der Bedeutung eines Indicativs. k'^te erntet. zdtSe jäcet. zftied jac^bat. z§ku jacuit: romanische Betonung, z^kuse ja- cnisset. zdk§ *jacat, jaceat. möare moritur. murid moriebatur: id aus iebd, ievd, ied. muri mortuus est: { aus ivet, murlse mor- tuus erat, möar^ moriatur aus *moratj *moriat zise dixit. mrum. avüri, furi; avüre^ füre sind habuerit, fiierit. dib§ beruht auf habeat: analoge Bildungen sind kib§ sit, fiat; Stib§ sciat. b) m: aved habebam alt für avedm cAr^. 197: gegenwärtig bietet die I. sing, m in am habeo, wofür man aib, aibu erwartet und das man durch das alb. kam erklären wollte; femers in Mntdm cantdbam; in Mntdsem cantavissem, cantässem; in der dem mrum. eigenthümlichen Form kmtdrim, avürim, fdrim; se nu te Idrem £Äv p-tj vtij/w ce ev. 170. Dieses m hat sich bei der fast durchgängigen Gleichheit der II. und m. sing, mit der II. und m. plur. aus der I. plur. in die I. sing, eingedrängt, sum ist regelrecht su ath. 42; drum, mn cip. 1. 128. bietet auch im Vocal Schwierigkeiten dar: % ist wohl aus u, § zu deuten, nnt ist eigentlich die HI. plur. : die Übertragung in die I. sing, beruht auf Analogie, da auch sonst die I. sing, und die III. plur. häufig zusammenfallen. Vergl. J. Zupitza, Jahrb. für roman. und engl. Lit. xii. 188. Altere Denkmähler bieten die I. sing, ohne m: deStinsere e3(v xoraßo) ps. 138. 8 usw. princ. 186. c) 8: hintsi cAntas, wohl nach Analogie der Verba der dritten Conjugation: analog ist dai das. lantdUÜ cantätis. kinidr^ts^ cantardtis, wenn nicht vielmehr wegen des Accentes Analogie von kSntdr^ anzunehmen ist. kinJtdsefi cantavisses^ das laut- gesetzlich Idntdse ergibt, folgt der Analogie von kintdSt aus

22 Miklotieh.

cantaBti, dessen i aus st so entstanden ist wie in üä§ ostium. preUSpH percipis. kintpn cantimus. laniäm cantabämos. kbUdrpn cantarAmus, das jedoch auch der Analogie von lantdrf sein Dasein verdanken kann. z^küseSt, dem Sinne nach Jacaeras/, beruht auf einer Form jacäissessis von einem praeteritum ja- cuissi, das mit dem mlat. legessi fUr legi zu vergleichen ist^ woher legessissem. Vergl. Huemer^ Die Epitomae des Gramma- tikers Vilnius Maro. Sitzungsberichte^ Band xcix. 549. 554. JdntdseSt beruht wohl' auf einem cantavissessis. d) nt: ant in kvht^ dLntant. fdntä cantäbant aus dv^, du^. ent in Idntdse can- tissent. unt in z^kwr^ jacuerunt. ent wird durch unt ersetzt: mrum. d6fu dolent dan. ; drum, min manent, t^n tenent, sed sedent wie pun ponimt: nt hat sich erhalten in eiivt sunt, wofür mrum. sun conv. 387: die regelrechte enklitische Form lautet 8 Limba 176. aus «a. mrum. x'- d^^* ^^^ ^sni (sint). au habent aus av. Nach Diez 2. 116 ist der Rumune der einzige^ der n mit dem folgenden t verwirft, e) k: du. f§. dzi duc. fac. die. ddo bo. 121. addo ath. 40. ado entsteht aus adu und dem interjectionsartigen Zusatz o. Daneben ädu. ad. dd§ gink. 306.

Hier ist noch des Abfalls des lat. Infinitivsuffixes re zu erwähnen, l^udd laudare neben l^uddre laudatio, abgesehen von spindref suptsire und von den Verbalformen tntrare usw. princ. 186. und von Verbindungen wie ßre aS neben ai dütSe pumn. 128. re kann auch in it. Dialecten abfallen: neap. amä neben amare Wentrup. 19. Diez 2. 243. Man vergleiche alb. m^nuare apYC^ und m^nua ip^i Leake. Ahnlich ist rumun. va, wenn es wirklich auf mre, veale, velet, velit oder auf volet beruht. Vergl. Supl. xxvii. xxxiv.

Abgesehen von diesem Gesetze findet Abfall von Conso- nanten statt in mrum. ßspou vfini aliquis dan. 18. i)erru 46. drum, ku u okju anal. 4. alt und rost beruhen auf alt(e)rum und rostrum; ind§rft auf in de retro; pus auf postus Schuchardt 2. 414; hie und da omu für omu l ban. 19. kdpu für kdpu L Irum. Auslautendes l fällt ab: dasselbe geschieht im slav. und, wie eben bemerkt ^ hie und da im rumun. : /aterf, -ölu fazzo- letto. go, gdlf nudo. küe: Idpte klse latte rappreso. maät4, -äu vasca. p(e)ki Hölle Iv. iyese, -Äf allegro. mtse, -ehi vitello. So steht dintu, gi*dvu il formento, zepu la tasca für dintu l usw. je für jel Iv.; daneben avfil aprile. kaätel castello. skarpel scarpello.

Bflitrige lar Laatlehre der ntiiiiin. Dialekte. Ijantgrnppen. 23

mun vor Consonanten für munt ma. 23.

Vergl. Diez 2. 115 (die Ansicht, dass sich rumun. aus- lautendes m erhalte, ist von J. Zupitza berichtigt) 116. 242. Das zakon. ist auf dem Punkte angelangt, dass seine Wörter mit wenigen Ausnahmen alle vocalisch auslauten DefFner, Grammatik 129. Über das zig. sehe man Über die Wande- rungen usw. IX. 48.

!!• Weder Vermehrung noch Verminderung der Elemente.

1. Metathese.

Durch die Metathese werden die Worte nicht selten bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Dieselbe trifft die Consonanten r und l; n; j und die Gruppe sL Die Metathesen können durch folgende Formeln dargestellt werden:

1. Urt wird tret. formosus: frumos. 2. tret wird tert. slav. grad: gard. 3. ret wird ert. ripa, drum, rvp^: irum. <^rp§. 4. tetr wird tret. pöpulus, pöplus: flop. 5. tetr wird tert, (miedzlok) medius locus: iiöldzvk. 6. ter wird tre, per: pre. 7. tn wird «f. (inr^re): n^r§ire. 8. ne wird in (n), slav. nev^sta: nvedst^. 9. abj wird ajb, habeat (abj§): djb§. 10. st wird ts. stuppa: tsüpu.

Dieser Versuch, die Mannigfaltigkeit der Metathesen unter Formeln zu bringen, wird der Nachsicht der Forscher empfohlen.

Die den einzelnen Worten beigesetzten Ziffern verweisen auf die Formeln. Der Mangel einer Ziffer besagt, dass die Metathese eine vereinzelte Erscheinung ist.

mrum. fermento 1: <fp\)[t,ixGo frimitu kav. 195. ^pifAtta dan. 40. fremintd ev. 48. 161. irum. ferment^. drum, frpmnt kneten.

facula 4: <fki(ik§ ßäk§ Flamme kav. 233. *fäkra, *fläk§. alb. fläk^: facla. it. fiaccola aus fiacula, Metathese und Be- wahrung des l im it. Vergl. flak§rQ Flamme ev. 101. ist. 21. und drum. f§klie Fackel, magy. fdklya.

integrum 4: vipsxsü ntregu integer dan. 43. drum. intrSg.

xirepYov 1: xiTps^ou kdtregu scapha kav. 199. navis dan. 14. katreg lu bo. 228. kaJtrigu 199. catrig bar. 170.

incaglare aus incoagulare 4: es -piXiaxa se nklaga ut coa- gulet dan. 41.

krastavbcb slav.: xarcpaß^tl^öu kastravetsu cucumis kav. 182. 'vAH dan. drum, krastavedte, kastravedte.

24 Mikloaicb.

mediufi locus 5: vvc6Xt!^oux näldzuk medium dan. 32. aus nödzlvk und dieses aus mieddok: drum, miäok aus miedok; durch das Suffix arm: ailgiucaiiy d. i. nildzukan, medius mostre 20. 43.

icopexaXeaa: ce ^aXaxfaaiaoxa se p^kr^sidska ut oret dan. 18. neben p§l§kfr8jd orabat kop. 28: Urform palakarsi,

^singlutire^ singultire 1: aou-piXXtTl^ipe sunglitsdre singultus kav. 208. it. singhiottire.

turbo 1: xouTpo6{i,icoupou kutrüharu turbidus kav. 196. bo. 213. Vergl. tpo6[jlicoü trubu furo 208: drum, türbure, turb.

veklus aus vetlus und dieses aus vetulus 4: vlechiu (vlekiu) neben vecljiu (vekTu) vetus ath. 21. de kero vleka bo. 118. drum, vekiü. Zwischen veklus und vlekiu liegt vielleicht velk-: lad. velg-s Archivio i. 57.

viglo aus vigilo 4: ßXextOü vl^iu servo dan. 15. ßX(iy;e vlage custodit 2. ßXiaxxe 41. ßXeaxe vledge 38. aus viglu. drum. vegjd.

poplus aus pöpulus 4: 'xkcjizoj plüpu populus dan. 1. drum. plop. alb. piep. it.-griech. tcXsuttizo^. mlat. plüpus Bova 20. Diez, Wörterbuch 266. Schuchardt 3. 48.

brachium 2: (x^apT^aTsu bpisdtu orgyia kav. 215: drum, brats,

veteranus 2: bttdmUy b§tfmu mostre 9. 10. 24. bät^mu conv. 382: drum. b§trin veteranus.

gradina slav. 2. xaptuvva g§rdma hortus dan. 15. Yxapvn^va g§rdin§ kav. 201. gardind bo. 134. 220. neben grädinä mostre 20. 22. Man füge hinzu gardu: ingrädi cti gardu ev. 84. gar- duH 120.

gre6iti aslov. 2. ag§r8i: se agär^eascä er vergisst conv. 382. agärfire 358. agärfimu frä^. agär^itu ev. 106: drum, gre- Sdak fehle.

hraniti aslov. 2. X^P'*^!^^^ yjrnedäte er nährt dan. 5. X^pviioxa 5. yjxp'd9yt,o[i kav. 197. h^mit ctteurd? lue. : drum. yr^nisk,

m'Bäeli» turpis quaestus: infelädune ^okoq ev. 80. iiifeläciune izowtpia cons. 8: drum, ins^ decipio.

TU^dvCi 2. pdltärt, piltfri Schultern mostre 20. 21. 22. 30. neben plätärt 44.

trici bulg. 2. Tep<e tertae Kleie dan. 18. aus t^rtse: drum. t§riiߧ, serb. trice.

Bflitrige m Lantlehre der raman. Dialekte. Laotgrnippen. 2u

aulfur, *8lufur 1. ddifar^ kav. ; falsch sulfuru ev. 115.

vraiarb slav. 2. vtrjarit (viriarij) Zauberer mostre 31. durch vrctcii erklärt: vergl. drum. vr§di^k zaubern, aslov. vra- Äati. Dem virSdrij liegt vr§idrij zu Grunde.

blato aslov. 2. icocXtCt) XXe b^tsi lle lacus dan. 1. bälfl mostre 31. fllr mdrkuri (smirg pol.), balt^ ev. 104: drum. bält§, plur. b§ltsii. ngriech ßaXxo; Foy 21. aslov. blato. zig. balta. alb. bält^.

vel unus, it. veruno 6. verunu (nicht vollkommen verläss- lich) jemand bo. 56. v^mu (aus verunu); mit nu nuUus kop. 16. v^n-oar^ mit nu nunquam 29. vimu mostre 31. vim^ä 9. 22. 38. fUr vimä. Aus ver entsteht vre^ daher drum ireun, in vre o 8dr§ an irgend einem Abende mardi. 133. tr' 0 dät^ einst: vel una data. Daneben vertiine wer immer Diez 2. 424. 426.

in wird mrum. §n, daraus n§: in üntru intus kop. 28, daraus vaouvTpou n§üntru intus kav. 210. napoia iterum bar. 169. aus inapoia.

exCvYjcay %i'ni<sa ergibt inkm a^edi^fjLriaev kop. 13. nkis^sku kav. -pu(7£9Ty) nkisiiti proficisceris dan. 6. inchissire mostre 4. 15. 28. 26. Vei^l. bulg. xivtjaaff? (kinisas). alb. vioeci? (niseä),

insu Urform: ipse 8. mrum. vsccu n^u ille dan. 53. ftir msu (n§8u, n§9u, mit starkem §, d. i. ^, t) conv.* 383. ndsu ath. 29. . näsa, ruft fräf . nessu (nSsu) mostre 8. 16. 30. 37. neaä f. 9. ne^ 12. n^t 13. 25. 26. 31. drum, entspricht diesem Pro- nomen tmu mit Praepositionen dthsu, intrinsu, dintrinsu Diez 2. 421 : de intro ipse. Neben n^ bietet das mrum. ensu, insu (wohl ^n«ti). ensu in eu ensu nji aus ensu mi, tu ensu et, elu engu shi ego ipse, tu ipse, ille ipse usw. bo. eu insu, tu insu, elu insu neben eu insu nji^ tu insu fi, elu insu fi, noi infi usw. ath. 31. eu ensu iii ist ^ego ipse mihi^ usw. näsu ist. 10. 27. näsü ev. 3. 18. ndsü 246. ensä 176. insu 111. irum. ens (as, es) solo, unico. ensnaskut unigenitus Denk. xii. ens, ensu H; ensa ipse, ipsa. kar le se ense consigliaS, ense more chi si con- siglia da se, da se si perde Iv. kar le ense fade de se, fade za tr& chi fa per se, fa per tre Iv. lupi mardnku dnse li i lupi mangiano soli Iv. mai bire dnse li nego cu cativa cumpagnia megho soli che male accompagnati Iv. jo saim la dinsa u^e io sono vicinissimo all* uscio Iv.

^

26 MikloBieli.

drum. iTMU Limba 410. 411. «p/ tn«a kor. 56. h^r iiasul 7. ha, tmgu, l {i.ei' ccno^ matth. 25. 31. anal. 7. drum, entspricht der Urform insu insu, nesu, nhu beruht^ wie it. esso, auf lat. ipse Diez 2. 80; sardisch insoru neben ipsoru ist lat. ipsorum 2. 76. Aus inpse, impse hat sich inse entwickelt, welches dem sardischen insoru und allen rumun. Formen zu Grunde liegt. d&isu für ihsti beruht wahrscheinlich auf Redensarten, in denen tfwtt mit der Praeposition de verbunden wurde: vergl. trinsu, intrinsu. Anders Diez, Wörterbuch 398.

nevesta aslov. 8. vßtdlTra ntid8t§ nurus kav. 213. vßdara nvidsta dan. 35. vßiaoxe sponsae 50. tnvestä ev. 189. invSstä 207. neveaste conv. 388. nh'easta 383. n'veast* 385. n'veste le 382, wahrscheinlich aus nevjastn, n§v-, fnv-, nv-,

anke 7. v(xa nOca adhuc kav. 183. dan. 9. ett kop. 20. vipta dan. 40. vt-pia 45. nica bo. 118. 126. 138. 152. 220. ninga flLr äncä conv. 383. nink^, n{ng§ eiaett frftf- drum, ink^ j^KTh, noch mold. nica bar. 168. pre ningd seara bo. 227. Wenn man von dem dem it. anche nahestehenden drum. tnk§ ausgeht, so hat man in nika eine dem Typus 7. analoge Form.

inreire (reus) 7. Aus *inreire, das auf reus beruht, ent- wickeln sich mrum. verschiedene Formen, die alle nach 7. auf tnr§ire beruhen. Das Verbum bedeutet mit dem Reflexivum ,8ich ärgern, zürnen', eine Bedeutung, die auch dem drum, a 86 inr§ut§t8i zukommt, das auf r^utdte flir r^üäte zurückgeht, drum, r^esk ist nach dem Ofner Wörterbuche deterioro. Die Formen von inreire sind folgende: se n§rydSte irascitur dan. 21, 86 nirdeashte bo. 212. 86 n§r§i lue. me niraescu ath. 57. n§' r^ndu 86 irascens kop 28. n§r§ire kav. 215: narflre ira 2. steht fUr n§r^re; niraire ira bo. 139. 221. 225. niraitu 203. 224. iiirdit für mdniat bar. 170. In den Mostre findet man nirire aus niraire; mi 'nrescu, ti 'niresci, 86 ^nir&fce 42. ariitu für in- vier§unat und inr§ut§tsit 30. 46. niiritu für sup^rdtu 19. 86 inä- riisce ev. 33. 86 in&rü 223. vi in&r^l 15. inärHndu 86 66.

habeo 9. drum, ka aibh a vetSi lor vijat8§ ut habeam vitam atemam matth. 19. 16. princ. 139. mrum. ae aLl[M:cf. 86 aib§ ut habeat dan. 18. ae aka 47. cUbd, d. i. ajb§, ist lat. ha- beat, habeant, woraus es durch abj§ mittelst Metathese ent- standen ist: altit. aggia beruht auf abdja. Nach ajb§ sind hibd (hib§) fiat imd Stibd (Hib§) sciat gebildet, indem als Suffix

Beilrige sur Laatlehre der niinun'. Dialekte. Laatgrvppen. 27

der m. sing, des Conjunctivs aufgefasst ward. hib§ und Stib^ bo. 222. mostre 25. stammen aus einer Sprachperiode, in welcher b zwischen Vocalen nicht in v übergieng. Vergl. it. gajba cavea Archivio ii. 401.

stuppa 10. t!;o6icou taüpu stuppa kav. 227. tCouxv; tsuH plur. dan. 24.

mandüco fUr edere hat, so scheint es, zuerst madunco ergeben, woraus manunco und daraus mrum. m^nvüeu mostre 10., woraus bei an das Ende des Wortes vorrückendem Tone durch Contraction mtnkd,

Irum. formica f. frwnig^ formica. mrum. fOpviYxa fomig^ kav. 210. Schuchardt 1. 121.

anke 7. ink( ancora: mrum. nOca.

transversus 2. taroM grembiale. tarviers Archivio i. 17.

turkinja slav. 1. tnMnye gran turco.

ride 3. ^V{2e er lacht, drum. rvie. Vergl. ermch ridendo denk., wohl rzu4y irzu6 mit dem Ausgange des kroat. Particips.

ripa 3. ^rp^ rocca, sasso. ärpe petre, ripe ma. 23. cu (ejrpa coi ciottoli Iv. drum. rtp§.

prigione it. 2 perzun aus slav. pri^un. it. prigione.

Drum, aibu cdr^ 378. Limba 428. Vergl. oben mrum.

apukd greifen ist nach Burla 91 94. aucupari, nicht occu- pare. Vergl. mlat. ubi aduersarius nuUum potuit aucupari (i. e. capere). aucupante diabolo Victor Vit.

ojtgpfd, mrum. c^ciptä {r»\., warten: exspectare, nach Burla 93. aspectare.

b(Üt§ PfUtze 2: slav. blato. b§ltös sumpfig.

breb Biber 4: aslov. bebr'B.

breäben, breäbene anemone silvestris wird mit verbtoa ver- glichen 1.

ddU§ Stemmeisen: aslov. dlato 2.

f^rtdt Geselle, Bruder: *fr9tat von frdte 2.

fiük§ fistula polyz. aus fistla, fiskia nach 4: man erwartet fjisk^ aus frisk^. flisk^k pfeife.

fl§mind hungrig famulentus, famlentus nach 4: ind flLr int nach der Form des partic. praes. Mussafia, Vocalismus 21. hlamund Ascoli, Studj 1. 76.

frimbie, frvmbie und, mit di flir bi, *frtndie, fringie, frvngie ^Ijz. frimbie, fimbr§ Ofner Wörterbuch: fimbriae.

28 Hiklotich.

frf/imXnt knete 1.

frumös: formosus 1.

g^m^lie, m§g§l{e petite tete d'une chose Cihac.

gard Hecke: aslov. grad'B 2. Vergl. die Ortsnamen gp-- deiti neben gr§deSti.

gpm£t8§ carpinus betula Cihac: serb. granica quercu8genufi2.

tn§M ini^ly intS4l decipio: aslov. mrhieh».

tntreg: integrum 4.

king^ Gurt, tnkingd gürten aus klinge, kj{ng§ : cingula^ cingla. it. cinghia. fz. sangle 4.

gjodk§, gjoky plur. g§odt§e für gjodtie, Schale: Cochlea durch kokla, koakFe, klbak§ nach 4; daraus kjoak^ und durch den Einfluss des j auf k gjodk§, Vergl. it. chiocciola Diez 1. 191.

koif Helm: cofea Diez, Wörterbuch 119. 89.

kastravSU, kastravedte und krastavedte Gurke.

krutsd schonen, sparen: alb. kurts^j schone 1 : curtus.

k^ri^, kiri^ Krücke^ Bischofstab: aslov. \ir\i.h 2.

kujh Nest: wohl ein lat. cubium (concubium). Vergl. it. cova Wildli^r 9.

kurkübet§ neben kukurbet§ Cucurbita. Falsch mrum. kur- kubete kav.

kurkubSj neben kukurb^ Regenbogen : man vergleicht con- curvus.

p§düreWsAd: paludem.it. padule Diez, Woi'tschöpfung 13. Schuchardt 1 . 29.

])aldxT§ Aufschneiderei: vergl. ^copaßoXi^. Diefenbach 1.241. sp. palabra Diez 1. 191.

p^ründ durchstossen: pertundo, *pretund.

pdltin (wohl -ten) acer pseudoplatanus, platanus 2. aus platanus.

porekl§, polekr§, polikr§, prolika Zuname: slav. poreklo.

purt-äed: procedo 2.

pluimn§y pl§imn§, plunun§ neben mrum. puimuna bo. 20: pulmonem. Vergl. alb. plemön, ngriech. irXefjLjji^vi Foy 31. 40. neap. prummone Wentrup 2.

pre: lat. per 6. pinvegjd pervigilare. Ebenso spre: vergl. lat. super und ex per Diez 2. 454. alb. pr^. intre inter und it. ßcmpre aus semper cip. 1. 132. per findet sich in priimnd

Beitrig« rar Lavtlelire der mman. Dialekte. Lavtgnippen. 29

perambulare ev. 53. pricepi ro. t. 40. usw. tmprediür circum : in per gyrum neben tmperditür volksl. 1. 23.

rtän{t8§ (wohl riinüsf^y zig. reinitsa; Handmühle beruht wahrscheinlich auf einem slav. i^mica: aslov. 2rBny. klruss. 2omo.

riini neben rinÜ grinsen: aslov. r§2ati.

r€jb§: rubia. rojb rOthlichbraun 9: rubeus cip. 131.

rugumd neben rumegd Burla 93.

8leovdrd§ Limba 300: aslov. skovrada.

skiqfiu neben skuip spuo: das Wort ist dunkel: man denkt an conspuere. Alb. skApir^ Auswurf ist Kehricht, ngriech. oxou- Tofyi scopae.

$olz squama: aslov. sIuz'b.

gtr^mur Stimulus aus Stimulus, stlimulus. Vergl it. fiaccoia.

strpvtU, stemüt: lat. stemuto 1.

skUvisi polieren: GxXiß(«>v(i>^ crctXßcovcd. Man erwartet sklivosL Vergl. Mipire für atr^udre stam. 530. Die Metathesis ist schon griech. Foy 7.

tdrg§, träg§ brancard: pol. tragi aus dem deutschen 2.

tfmoH eine Kirche weihen: Opoviai^ci)^ serb. tronosati wie von Opov(2»vu> 2.

tSup4rk§ Schwamm: serb. peöurka.

tdrlf, trül^ Thurm lautet auch griech. TcupXa, xpouXa.

urk und r^üc hebe.

vl§tur vultur: hybu l vl§turu lux nidus vulturis Limba 243.

zgdjb§ Geschwürchen aus zgdbje 8^ alb. sgj^be g., dzjäbe osw. t. Aussatz: vergl. lat. Scabies. Limba 220.

Alb. ankue Rossi neben n^köj ächze 7. dermis neben drimis nicke: aslov. dremati. f§rgdj backe: irigo 2. f<^rg<Sj reibe: fnco 2. garth; gradin^ Garten 1. g^rmidh^ Ruinen: slav. gramada 2. gurmds t. grumds Kehle, krusk cu(A^^v6€po(: consocer^ aus kuskr 4. alsiv^: lixivia: aus lixivia scheint Isiv^^ und aus diesem alsiv§ entstanden zu sein, p^l'kdj: placeo 2. p^r ty pr^ g. durch 6. p^rki aus p^rki^ dos: icpotx(6v 2. p^rSls braten: slav. praiiti 2. pluhur Staub: pülverem, plAverem 4. purt^k^ Gerte: vergl. serb. prut, prutak 2. §t§pi, §pi aus ät^pi^, Spi^ Haus: hospitium, ngriech. cxtjT'.. st^rnip Urenkel, tredftä Urgrossvater g. : mrum. streauSi Ahnen ath. 1. drum, str^bün, ttrfünkiu, tr&bul, türbul trübe; t§rbim Hundswuth 1. tr&m^

30 Mikloticli.

g., tüirm§ t. Heerde 1 : lat. turma. it. torma. trup g., turp t. Leichnam 2: slav. trupx. trujöl^, turjel^ Bohrer: ngriech. TptßiXs. Hahn 2. 14. 17.

Griech. Schon agriech. y^pBia, xpaBia. xi'pxo^^ xpixo; ubw, ngriech. kartar^ kritar hordeum pu. 49: y.pi8ap'. xoupxsXXa, xfj- xsXXa boucle. <xp6o6vi neben ^ojBcuvi narine deh. Tap^o;, Tpo^o^ deh. a$ps9i, dBep^i. ap(jiY<*>- ft(jLiXYo>. OpoujjixT): 66(jLßpa usw. Foy 81 oke^d- ptiq februarius.

It. dial. cavea: dial. gheba^ güba 9. Archivio 2. 401. ri- trovare: artrov^ 2. 444. (wohl rtrov^). rivenire: ami, *arveni ibid. rumore: armör 2. 400. licere: alsir 2. 402. nach der Formel 3. crapa (capra) neap. sie. 4. struvare (exturbare) neap. distrubbari sie. 1. frabbica (fabrica) neap. sie. 4. frebbe neap. frevi sie. (febris) 4. fremmare (firmare) neap. 1. fre- vajo neap. frivaru sie. ngriech. ^Xcßaptj^ februarius 4. ntartenere (intrattenere) neap. 2. ntrevallo (intervallum) neap. 1 . pri (per) sie. 6. prubbeco (pubUcus) neap. 4. Flechia, Nomi locali 18. vrito (vitrum) neap. 4. sp. blago (baculus) 4. apg. pulvigo (publicus) 5. Diez 1. 192. fz. dial. ^rpa repas. ^rv^ni revenir. ^rs^n^ ressembler usw. Le patois de La Baroche.

2. Assimilation a) von Vocalen.

Der Assimilation unterliegen a, i, §: das erste wird e, das zweite t, das dritte e.

a wird e, wenn ihm j vorhergeht und in der folgenden Silbe ein heller Vocal steht: mit ja hat ea dasselbe Schicksal. Die Veränderung kann nicht nur j und ein heller Vocal, son- dern auch S zur Folge haben. Diese Art der Assimilation ist vorzüglich im Osten einheimisch.

clavem: mrum kVdje. drum, kjdje, drum. plur. kjeji, kSfi. deminut. Jgeßt8§, kejüs^; inkjejd, tnkejd und tnkjy, inkdj, buru- jdn§, burujenit8§ Columna 1882. 45. kodredn, sing. voc. kodrine volksl. 1. 9. 11. muntedriy muntent pumn. 24. vwldovedn, Tnoldo- veni, moldovenesk, moldovenedäte. So litfem, ungureni, bosnUnt, br^linl; brankovSne, stojene voc. aus brankovedn, stojdn. Das slav. jasli lautet jesZe. dijdk, dijetSi. tojdg, tojedie. pijdt8§, pijitse: pi£^e ev. 123. jai, jei sumis. tydtai, tfjStsi secas. indienttkidtsi,

Beitrft^ zur Lautlelire der nuniin. Dialekt«. Lavtfrnppen. 31

indienukSUX aus -kiStsit, tfjdi, t^4i, je nimm dir volksl. 2. 29. aus ja und tst. megjäS, megjSS. urjdS, vajSi. menunkjdS, me- nufikiS aus -kjei, uSdriu, uS4riu: uSSn Romania x. 356 usw. Das Gesetz macht die Herleitung von ent aus eenl Romania X. 356. überflüssig.

t wird i, wenn in der folgenden Silbe ein heller Vocal steht: svintu (nach cip. 1. 23. slavonizatu aus sintu): sfinte, itfintsiy sßntsia sa Urkunde 1747. suincij sale Piluzio. Hiifr: thierSl, tmer4ts§. -mint: mormintsi ft ev. 182. iwr^minte, -pin: st^pini lor Pann 3. 115. bftrin^tsf. frango: fftng, frint und /rhidie^ frins4i. vendo: vind und vinde. 8§mmts§ Same und s^intse, vine le venae moln. 365. mim§ und {nim§ anima. grindine grando. jind wird ßnd: inäreindu se irascens ev. 120. r^nnd rema- nendo. mußnd moUiendo. pläguindu vulnerando ev. 119. viind veniendo usw. Diez 2. 244. le fiir lu steht in Folge einer Assi- milation an den Auslaut des Nomons: frate le. kare le. cd doi le neben cd patru lu. bine le H r^ l: daneben mrum. päS£ lu und tengere lu ath. 7: beides sind Fremd werte.

Über istorie aus i8tori§ wurde oben gesprochen. Man merke cafei Ijei von cafee und istorii Ijei von istorie ath. 8. durch Analogie des Plur.

Assimilation im zig. Über die Mundarten usw. ix. 16.

b) Von Consonanten.

Tonlose Consonanten werden tönende vor tönenden und umgekehrt, dis wird dez: dezmierdd schwelgen, s aus ex wird z: sior volo: ex-volo. p wire b: obdz4tsi octoginta kav. In zgwr^ Bcoria ist sk zu zg geworden, b wird p: suptsire subtilis. au wird av, af: xoutcu d. i. kdftu. tv wird lf: iertv§ d. i. £4rtf§f wie manche auch schreiben. Hier mögen noch folgende Wörter erwähnt werden f Hufutedzu aus stemuto mit Verwandlung des m in f . vmjla ev. aus vnfia, w\fla. petSindiHne Impetigo aus pets-, tüliöru aus t'itS-^ piU-, dSeddier neben deädi^r frieren, buch- stäblich dögelo. aäiiderea, bei mard2. dSizdire, aSi£dirjay eben- faUs, besteht wahrscheinlich aus cMse bo. 217. und ddr§y was man als a-sic-ce-de-vera zu erklären geneigt sein kann: aäi&lerea vräre demnach nicht slav., wie man gemeint hat.

32 MUloBicb

3. Accent.

Wie in den andern romanischen Sprachen, bo gilt auch im rumun. der Satz, dass der Accent im Alfgemeinen seine ursprüngliche Stelle behauptet Diez 1. 468. Die Lehre vom Accent im rumun. hat demnach wesentlich die Abweichungen von diesem allgemeinen Gesetze zu behandeln.

Die Darstellung dieser Abweichungen berücksichtigt a) die Declination; b) die Conjugation; c) die Atona; d) die Partikeln; e) die Themen.

a) DedtnaÜon.

Tind§ Hausflur erleidet in der sogenannten Declination keinerlei Veränderung: der dat. -gen. tiiidei beruht auf Hnd§-eiy dessen ei aus Tei, jei hervorgegangen ist, wie mrum. mme Tei aus mm^ Tei zeigt. Dasselbe gilt vom plur. tinde. Der Accent bleibt auf derselben Silbe. Dies gilt von allen Substantiven und Adjectiven, deren Declination nur scheinbar ist, da ja nur der Artikel decliniert wird. Vergl. Mussafia, Zur rumänischen For- menlehre 358.

Die Wörter, die im sing, den dat.- gen. auf ui und ei, im plur. den gen.- dat. auf or bilden es sind Pronomina oder solche Wörter, welche der Analogie der Pronomina folgen, weswegen man von pronominaler Declination im Gegensatze von nominaler sprechen kann bewahren in den allermeisten Fällen den Ton auf der Stammsilbe: m. dltai, atSelui. atSSsttd» k§rui von käre qualis. Miui von kU quantus gink. 232. kut^nU von kutdre -talis gink. 239. multid. nöstrui gink. 222. nim&rui (nemoj. si'ngurui gink. 233. ünui; doch liest man auch fcfrut blai. 63. mm^wm, nim§riH gink. 238. f. dlteL atSeei, atiistm* k^rei, kitei gink. 232. kut^rei 239. miiltei, nim{k§i gink. 238. nodstrei 222. bla2. 60. stngurei 233. todfei. ünei. vodstrei bla&. 60; daneben k§rii blaz. 63. plur. dltor. aiitor von ai/tt tantus gink. 230. atSdlor. atsestor. k^ror. kttor gink. 232. kut^ror 239. multor. unor neben (iltör bla>5. 67. amindurör, aUestör 62. ak§rör 63. noströra 60. futurör. voströra blai. 60. mult&ru cip. 1. 139.

Die romanischen Sprachen scheinen daftir zu zeugen, dass es im Volkslatein einen weilverbreiteten sing. -dat. auf -ui

Beitr&^e zur Lautlehre der mmun. DialeVte. Lant(n*QPpeo. 33

gegeben hat: die Betonung der rumun. Formen möchte gegen die Betonung von -ui sprechen. Neben dem ui m. scheint ein -ei f. bestanden zu haben Diez 2. 76. Das auf dem plur.-gen. beruhende miiltor usw. hat abweichende Betonung, die durch die Analogie der anderen rumun. Formen von multus herbei- geführt ist.

Die plur. auf wri betonen die Stanmisilbe : lükruH, lukruri le von lükru Arbeit. täSriu/ri le von tSeriu caelum: riüri le von riu Fluss (rivus) blaz. 28. ist wojil unrichtig. Diese Betonung ist mit der lat. Betonung der Substantiva auf -ora im plur., worauf urt zu beruhen scheint, im Einklang. Man vergleiche das it. ora Diez 2. 28. und alb mi§§ra von mi§ Fleisch Hahn 2. 35. uri findet sich häufig bei Fremdwörtern: plügun von plug Pflug; obitS^uri von obitSej Gewohnheit; grdjurt von graj Sprache; gdrduri von gard Zaun usw. Statt url war einst ure gebräuchlich, das wohl auf ur§ aus ora zurückgeht: lö- kure, it. luögora Mussafia, Zur rumänischen Formenlehre 356. K. Sittl, Die localen Verschiedenheiten der lat. Sprache. Er- langen. 1882. Seite 57.

h) öonjtigation.

A. Die Präsensformen stimmen im Accent mi den lat. Formen vollkommen überein : lavd, Iduzt, ldud§; l^ud^m, l§vddt9i, ldud§, lat. lAudo usw. zaky zatst, zdtSe; ZQtsSm, z^Uetsi, zak, lat. jAceo usw. neben mndeni, vindeUn in Übereinstimmung mit dem lat. und im Widerspruch mit dem it. vendiämo, vendete usw. Diez 2. 117. 250. posse bildet die Präsensformen von fot6refputed:puteMy puiAsi ; ebenso jputedm usw. ; possum ist pot neben po^ aus poteo.

Dasselbe gilt vom praes. conj. und vom imperat.

B. Auch das imperf. weicht nicht ab : l§uddm, l§uddi, l^udd; l^uddm, l^uddtsij l§udd, lat. lauddbam usw. Die I. plur. beruht auf laudabämus, laudadm. Das imperf. erdm, erdi, erd für lat. ^ram, ^ras, ^rat, ^rant folgt den andern imperfecta. Das im- perf. niuredm, muredi, mured oder muridm usw. setzt ein älteres mori^bam usw. voraus, weicht daher vom imperf. der andern roman. Sprachen ab. vream aus vuredm ist lat vol^bam.

C. Das perf. 1. der verba auf are.

Sing. I. ntgdi rogavi. ar^i aravi pumn. 137. 11. rugdii, ar(a, in. rug^. ar{..

Sitzanpber. d. phil.-liist. Ol. CU. Bd. I. Hft. 3

I

34 , Hiklosicli.

Plur. I. rugär§7n. ardr§m, U. rugdr^Un, arär^M. HI. rti- gdr§, ardr§.

Über 8i für lat. sti habe ich iv. 84. (84). gehandelt: man beachte jedoch amisissis für amisisti Foth 294. Die Personal- endung der II. plur. ist tis für stis und tu, wohl aus tis. Über ai und ^ vergleiche man Mussafia, Zur rumänischen Formen- lehre 365. Die I. und 11. plur. beruhen drum, auf der IH. plur.: vergl. stniem sumus/ »intet»! estis und sint sunt. Nach Diez 2. 244. nimmt das perf. die I. und II, vielleicht auch di^ in. plur. vom plusquamperf. ind. Das mrüm. hat die älteren Formen k§lk4fn, k§lkdtu calcavimus, calcavistis bo. 76: mit der ersteren ist it. cantammo zu vergleichen. In der Moldau lautet der plur ^§m, ^r^Uü, für dr§m dr§t8iy dr§ gink. 275: ^wi, ^t»i, 4 ist nicht gebräuchlich ibid. Über die Erweiterung der I.* und n. plur. durch in allen Conjugationen sehe man Mussafia^ Zur rumänischen Formenlehre 365.

2. Der verba auf öre, ^re.

Sing. I. fvi. avüi, vrui volui. v§züi vidi. z§küi jacui. b§tüi batui. pretSepüi percepi. mndüi vendidi; darnach ist gebildet l§iU lavi. II. fuSt. avüst vruSi bo. 63. v§züSi. z§kuSt, l^nhu III. fu. am. vru bo. 63. v§za. z§kü, ^u.

Plur. L fum cip. für§m. avür§m. v§zur§7n, z§kiir§ni, b§tür§m* l§ür§m. n. für§t»X, avur§t8i. v§zür§t»i. z§kur^tin. h^tür^Ua, mn- diir§Un, III. für§, aviir§, v§zür§. z^kur§, vrür§. Das u dieser Formen ist stets betont: z§küi neben lat. jdcui, z§kut, wie in andern romanischen Sprachen.

Näher treten dem lat. die mrum. Formen artlpSu, arup- seäi: rupsisti mit der Betonung nach der Analogie der anderen Formen, arupse. arupsemu. ardpsetu. arüpsei^d: *rup8i für lat. rupi. drum, rwpsü, rumpsSi, rups^t. rupse, rupsem, rupser^m, rupaetsi, rupser^t^, rup8er§ pumn. 36. 133. 165. Alter rupSi, rupseSi, TÜpse; TÜpsem, rupsetsi, rupaet aus rüpsetu, rupsere und rup8er§, mrum. (^isefi dixisti ev. 179. stearaird bo. 227. arupsera ath. ar&psire. ad!iiüsir§, 8kod8ir§ dan. 8tedr8ir§ für 8tedr8er§ und ähnliche Formen beruhen auf lat. wie stet^runt Diez 2. 117. för§ kann auch dem lat. fuörunt entsprechen: vergl. krunt cru^ntus: die übrigen rumun. Formen sprechen für fäerunt. für§m, für^t»} stützen sich auf die III. plur. fiir§. Reflexe lat. Formen sind mrum. fumu, futu bo. 69. avumu,

ßeitrige zur Lantlehre der nuntin. Dialekt«. Laotgruppea. 35

avutu 57. vrumu^ i>rufu 63. hatumu, batutu 81. Während gink. 275. lehrt; um, ut»i seien ungebräachlieh^ liest man bei pumn. amm, avutsi 122, v^m, v^zuUi 147. mndüm^ vtndütsi 151, neben avur^m usw. Nach 165. sind die einfachen Formen f^üm, f§kut^ und prinserriy j/rinsetai den verlängerten fykür^, f§kü- retsl und priv8er§vi, prinser^tsi ,wegen der Kürze' vorzuziehen.

Neben fai usw. besteht fus^i, fus4§i. füae, fÜ8§. fü8§r§m, fü- s^r^tsi, fus^e, fasere: seltener plur. fusein, ftuetsi, fuse Strajan 163. fus§m cip. Auszugehen ist von fuse nach einer IH. sing. perf. auf 86 wie arüpse, daraus fus^i, fus^sl und die HI. plur. fus^re, aus der die I. und 11. plur. entstanden sind. Vergl. Diez 2. 251.

3. Der Verba auf ire.

Sing. I. murii. venu, vorbti: omorii occidi slav. TL. muriH. venisi: omonst. III. muri, veni: omori,

Plur. I. murir§m, venir^n: omorir§m. U. murir^tsi, ventr§tsi: omorir^tM, III. murir^, venir§ (neben vinerji^ princ. 162): omortr^.

Ein im, its^, i findet sich drum, nicht gink. 575. pumn. 154: im, {tu kommt jedoch mrum. vor: avzimu, avzitu bo. 90.

D. Plusquamperf. 1. Der Verba auf are.

Sing. I. ru^gdsem. II. rugdseSi. III. rugdse.

Plur. I. rugdsem, II. rugdsetsf. III. rugdse.

Befremdend ist die II. sing, ardsei araveras pumn. 138. emdsei hibemaveras 141 ; ebenso füsei, avtisei usw. rugdsem entjitand aus lat. rogassem, rogavissem^ resp. rogassemus, indem das lat. plusquamperfectum conj. in den ind. desselben tempus verschoben wurde; ebenso sind fusem^ avüsem usw. zu erklären. Diese Modus Verschiebung findet sich nur im rumun. Diez 2. 244. Foth 253. 297. Eine andere Verschiebung dieses tempus soll sich im spätlat. finden: dirccti fuissemus wir sind angewiesen worden Foth 294. Damit darf die Anwendung des Conditionals zur Bezeichnung der Vergangenheit im slav. in Verbindung ge- bracht werden. Vergl. Grammatik 4. 814. Nach Cipariu 2. 227. beruht die Bedeutungsänderung darauf, dass die Form auf -sem ohne steht und daher als indicativisch anzusehen ist.

2. Der Verba auf öre, ^re und fu.

Sing. I. füsefn, avusem, nvus§m, vqzüsem, z^kAsem. b^tusem,

vtndiUem, pretiepüsem, II. fiUei, avüsei. v§züsei, z§ku8ei. III. füse.

avuse, avtis§, v§ziise, z§kuse,

3*

36 Mikloflich.

Plur. I. fuaem, avüsem, avÜ8§m, z§kÜ8em, ü. fütaettti. avü- seUl, avus^tsi. v^züsettn., z§küseM. IH. fuse, avuae, avii8§. v^züae. z§kdse.

Die I. plur., welche auch als I. sing, angewandt wird, zeigt eine Zurückziehung des Tones; dasselbe findet in der n. plur. statt: rugdsem, rugdaeUu; z^küaem, z^cu%et8i, lat. rogas- sömus, rogass^tis usw. Über diese und die it. und sp. Formen Diez 2. 117. Man vergleiche tosk. die conditionale venissate, imparassate Tommaseo, Canti popolari toscani 61, der ersteres mit venissetis zusammenstellt. Abweichend ist die 11. sing, fuseij nvusei, v§züsei und die III. plur. ami8er§ pumn. 122. 125. 148. aviiser§ ist wie spätlat. fuisserunt, refutasserunt Foth 332. nach dem perf. gebildet: darauf beruht eine Nebenform von rtigdaem: rugaaSr^i, rugas^r^St^ rugas4r^; rug<i8^§m, rugct86r§tM, ruga8er§ gink. 276. Der Accent ist jedoch hier wie hie und da sonst der Erklärung bedürftig.

Neben füsem, füsei, woflir man fmesl erwartet, fuse usw. punan. 125. besteht fus^sem, fuseds^, fuseseU, fuseds^H. fus&te, fiiseds§, fvsüem, fuseds^m, ftisesetst, fu8ed8§t8i. fusese, fu8ed8§. Die Formen beruhen auf älteren fuessessem. fuessgssesti, fues- sfesses. fuess^ssemus. fuessössetis. fuessössent: minder wahr- scheinlich sind Formen wie fuessissem usw. Formen dieser Art finden wir bei Virgilius Maro, einem gallischen Grammatiker des VI. oder VII. Jahrhunderts: wir lesen nämlich bei dem- selben ein perf. legessi und daher legestus (aus fast erschliesse ich ein lat. fuessi, das sich auch aus fusesem ergibt), legesseram neben legisseram und, was uns hier zunächst interessiert, lege- sissem, legessissem, legesisses, legesisset, legississemus J.Huemer, Sitzungsberichte Band XCIX. 510. 540. 541. 549. 554. 555. In fus^eSi kann man einen Einfluss der perf. auf sti gewahren: fuess^ssesti, denn fuessesscs hätte fv^ese, fv^edsg ergeben : man vergleiche jedoch it. fossi, cantassi, vendessi usw. atnUeäl be- leiht auf einem älteren habuössesti; ebenso z^kmeSi jacueras, formell jacu^ssesti. l^tcddsesi laudaveras setzt ein laudav^ssesti, laudaessesti, lauddssesti voraus. Diez 2. 242 meint, in kintäse^' sei 8 mit Veränderung seiner Aussprache stehen geblieben. Die I. sing, avtisem, avüsem ist lat. habuissemus, habuessemus. Das Vorkommen dieser Bildungen im rumun. ist ein Beweis für die weite Verbreitung der uns vom Gallier überliefeilen

6«itr&ge xnr Lantlehre der rurann. DialeVtr. Lantgrappen . 37

absonderlichen Verbalformen, die wie legererem wahrscheinlich auf einer Verdoppelung der Bildungssilben beruhen.

in ai ard und ardre ararem ist nach Diez 2. 248. das ngn^iech., auch im alb. angewandte aq (o^sq) in iq vp*^!*^^? lasst uns schreiben, was unmöglich ist. Unwillkürlich denkt man an it. avessi: dieses wird jedoch als Reflex von habuissem, habuissim angesehen, von dem wohl nicht abgeleitet werden kann: habuissem würde avüse, habuissim avü}^ ergeben: vergl. müsem, das eigentlich die I. plur. ist. Dem kann die Neben- form des perf. conj. habessim gerecht werden, das auch dem it. avessi zur Grundlage zu dienen geeignet ist: die Ableitung ist jedoch vom allgemein romanischen Standpunkte zurückzu- weisen Diez 2. 113. Foth 246.

3. Der verba auf ire.

Sing. I. murisem, venwem. vorbüem: o7/w/mem. II. murwefti neben v^ni»ei: OTnotihei pumn. 144. 154. III. viurüe: oniorvte.

Plur. I. murisem, veniseni: omortsem. IT. muriseM: omortsetsi. III. murise: omorüe,

murisem ist formell *morivissemu8. murise *morivls8et, *morivi88ent. murisefsi *morivfsscti8. muriseii beruht auf *mo- rivisesti, ^morisesti. venisei stützt sich vielleicht auf die III. sing. venise. Die auch in andern romanischen Sprachen eintretende Zurückschiebung des Accentes findet ihre Begründung im Volkslatcin Diez 2. 244. Die Plusquamperfectformen auf sem sind dem mrum. fremd.

Ich habe im Vorhergehenden das rumun. plusquamper- fectum ind. als auf dem plusquamperfectum conj. beruhend dar- gestellt, indem ich die Theorie der Modusverschiebung accep- tierte; allein der Umstand, dass eine solche Verschiebung den andern romanischen Sprachen unbekannt ist, beuriruhigt und bestimmt mich eine andere Erklärung zu suchen. Wenn ich von der von Virgilius Maro uns überlieferten Form legessi fiir legi ausgehe und darnach sigmatischc Perfecta wie fuessi, habuessi, rogavessi, und daraus rogassi, morivessi bilde, so ge- winne ich für die III. sing, die rumun. Formen fusp, avuse, rugdse, murise aus fuessit, fuesset usw. Dergleichen sigmatische perfecta sind uns nicht nur von Virgilius Maro, sondern auch sonst überliefert: fuisserunt, refutasserunt Foth 332. aus fuissi, i-efutassi ; finisit neben fini vit, morisit neben morivit 296 ; venisit.

I

38 Mikloiieh.

regisit, batisirunt 295, regire und batire voraussetzend. Dem- nach wäre das oben angeführte fuissemus auch formell nicht als plusquamperfectum conj., sondern als ein sigmatisches per- fectum anzusehen. Für diese Deutung sprechen die sigmatischen perfecta des rumun.: drum, hma^ von tondeo. fierbsei von ferveo pumn. 133. kopsSi von coquo. prinsü von prehendo. mrum. o«- kumJhA von abscondo. tehi von tendo. apreSu von apprehendo. arupaire von rumpo usw., Formen, welche sammt und sonders ältere auf si voraussetzen. So wie legessi aus legi, so mag aus jenem ein legessessi sich entwickelt haben; ebenso fuessessit aus fuessi und aus jenem ftLsise, fuseds^ : iiir diese ausdrucks- vollen Formen scheint die Volkssprache eine besondere Vorliebe gehabt zu haben. Der ursprüngliche Auslaut der III. plur. ist er^y das auf lat. ere beruht, und der Auslaut t ist der III. sing, entlehnt : erunt würde nach dem Auslautgesetz eru, er ergeben. Durch diese Hypothesen meidet man nicht nur die sonst un- gewöhnliche Verschiebung des Modus, sondern auch die functio- nelle Gleichheit zweier Formen, da erdm foat mit fasesem, fu- sedspii, l^udäseni mit am fost l§uddt als gleichbedeutend gelten : diese Gleichheit der Fimction findet sich mrum. nicht, wo es kein füsem, fus&emy sondern nur avedvi ftUd, d. i. fz. j'avais 6t^y gibt. Das Plusquamperfectum conj. würde dadurch bei der Erklärung des rumun. jede Anwendbarkeit verlieren. Doch füaem, avusem sind plusquamperfecta ; so meint man, bewiesen ist dies durch die Bemerkungen von Cipariu 2. 225. 226. nicht. Sollten wirklich in der allein massgebenden Volkslitteratur die Formen füsern, fusüem als plusquampcrfecta gebraucht werden, so ist meine Hypothese wohl beseitigt, mrum. avea tnckisüä, avea prdn^itä, erä chterut wird drum, durch pomisse, prancfisserä, pierduae mosti*e H. 17. 22. 41. wiedergegeben. Wer meine Hypothese annimmt, muss natüi'lich das Vorhergehende in den meisten Punkten modificieren.

E. Futmoim exactum.

Mrum. sing. I. furim, avunm, vimrivi voluero. calcarim. baturim, arupaemm. avzirim. H. furi avuri, calcari. HI. furi. avuri, calcari.

. Plur. I. furim, avurim, calcarim. TL. fuHtu. avwitu, cal- cantu, ni. furi avuri. calcari bo. 62. 68. 73. 79. 84. 89. 93.

B«itrftge snr Lautlehre der rumnn. Dialelcte. Lautgnippen. 39

Das tempus, von bo. [^eXXtov uxoOeTixo^, bedingende künftige Zeit genannt, ist wahracheinlich das fut. exactum, nicht das perf. conjiinctivi. Dafür spricht die Function dieser Form. Die I. sing. fiirim ist eigentlich die I. plur.: fuerim ergäbe nothwendig furi.

Dan. bietet n. sing, ai arumigäri eo*/ (moi^iOt); 42. se vruri et dvaTca^ 13. 2v BeXvjq 29. se duriiiri ov x9((Ar|6v)( 42. IQ. sing. se vruri ov a-)fa7ca 11. se se mindri dv csiiQTai 44. I. plur. se vrü- remu (2v 6eXa>(Aev 32.

Ist. 14. 31. hat s' füre ,8i', eigentlich ,si fuerit^

In £v. lesen wir I. sing, se bägarem eav ßdXa> io. 20. 25. se larem eov v{Cmi> pag. 170. se cUäserem eav d:toXuaa> marc. 8. 3. für aläsarem, se me ducerem edv ob;eXOü> io. 16. 7. se vrerem eov 6eXu> io. 21. 22. se vederem edv iSbi io. 20. 25. II. sing, se vrvH edv OeXi2<; matth. 8. 2. ice se legart o edv Bi^oy); matth. 16. 19. ni. sing, se nu avure tndoelä edv (xi] StocxpiO^ marc. 11. 23. se nu avure scurtate et (jlyj exoX9ßu)oe marc. 13. 20. se füre v^ (fice dneva eav t«; üfitv dicri marc. 13. 21. se puture et duvorov marc. 13. 22. se avure unü omü unä sutä de ol fi se pierire (pierdure) unä de de edv ^^vr^Tat xivt dvOpuMwCi) ixaTOv ^pcßota xal ^cXovrjOvi Sv e^ auxcov matth. 18. 12. se sciure et T^Set matth. 24. 43. «e intrare pag. 199. «e nt£ ascidtare edv xapoxoucT} matth. 18. 17. se r^m&nere pag. 152. se servire edv Staxo'/tJ io. 12. 26. se se scrire edv vp(x^^T2i io. 21. 25. se murire frate le a cuiva fi se läsare muliere edv d'RoOavY] xal d^f) marc. 12. 19. I. plur. se (ficeremü edv eko)[xev lue. 20. 5. 11. plur. se avurefi credi^ä marc. 11. 24. se starefi et jjietvriTe io. 15. 4. se rSmänere^l pag. 152. se (^icereft edv ewirje matth. 21. 18. se vi repentireft (entlehntes Wort) edv ^jiSTovo^e.

Ath. bietet als subjionctivu venitoru furem. furefi. fvre. furem, furefi, fvre, avei'em, avSrefi. avire usw. cäntarem, cänta- refi, cäntare. cäntarem, cäntarefL cäntare. Daneben als ein fut. condit vrirem, puUrem, ^ic4rem. umplerem. aruperem, fugirem 40 45, und bemerkt 40, dass die Vcrba der EL. Conjugation dieses tempus auch Siwiur&ni fUr erem bilden: puturem, fenurem statt putSrem, fenerem.

In Massimu, bei dem das Tempus 6 ^jieXXcüv tvjc; uTcoiaxxixi;^ heisst, liest man 80. caharem, calcari, calcare. calcareinu. calca- reti, calcare. tacurem; 81. arupserem, audirem imd 91. als ,regularu^ venirem und als ,neregularu' venerem usw.

40 Miklosich.

In Mostre ü. si bänarefi. 8^ mn4re^l 52.

Dieses tempus war ehedem auch im drum, gebräuchlich: in Columna 1882. iuraret^. protiviretsi, lovire 79. inrnre, luare. l§8are, füre usw. 80; bei Cipariu, princ. 183. 186, der die Fonn tempu conditionatu nennt, intrare et ziGeXt(}(JO[Kau medrsere, 86 deätinsere sav TcopeuBo) si ambulavero, eav xaiaßü» si descendero. utSi8e9n, eav a7cox.i€ivt)(;. füre eav rj. deaJca duimiretu eav xoi- lATjOijxe. Mussafia, Zur rumänischen Formenlehre 373. Strajan 193.

Irum. E un futuro il terzo tcmpo congiuntivo valdarsese che ebbi, e solo per ave, il quäle suona se avurek se avrö, se avuri, se avrä, se avrem o aremo o avrem, se avretSy se avuru, Ascoli, Studj critici 1. 67, Man beachte die I. sing, ohne m. Die ni. sing, und die I. und 11. plur. gehören wohl nicht hieher.

Die hier nach der Bedeutung als fut. exact. zusammen- gestellten Formen zerfallen in zwei Classen, indem dieselben entweder auf dem Perfectstamm oder auf dem Präsensstamm beruhen. I. deddere cip., der Bedeutung nach dedero, formell dederim; daflir später voj da, deStinsere cip. descendero: *de- scenserim; dafiir später voj pogori. utsiseri cip., occideris: *occiseris; später vej tUäide, medrsere cip. s^ medrsere eav xo- peuOü) psal. 137. 7 ; später voj imbla. tsinüre cip. gehört wohl nicht hieher: der griech. Text lautet ei en^pYjdav io. 15. 20; daher tstnur§ tenuerunt, tenuere. invinkure cip, vicerint: *in- vincuerint: nu mi invinkure e3tv [xt^ jjlou xaiaxupieuffcoai psal. 18. 14; später vor invintäe. puture ev. potuerint. sciure ev. sci- verint. mtri ev. volueris. avttre ev. habuerit. avure^l ev. ha- bueritis. füre ev. cip. fuerit. II. vrerem ev. volo, voluerim: *volerem. se me ducerem. eu ev. eav dbreXOco. se veder&tn ev. eav rSo). se (Jiceremüj se ^icerefi ev. eav siTTwiAev, sov el'zrjTe. se r^mä- nere ev. 152. se rf^mänei^e^i ib. Es ist klar, dass die unter 11. angeführten Formen mit dem Präsensstamm zusammenhangen und daher mit dem imperf. conj. susammenfallen. Es gibt aber Formen des fut. exact., hinsichtlich welcher es zweifelhaft ist, ob sie mit dem Präsens- oder mit dem Perfectstamm zusammen- zustellen sind : hier spricht die Bedeutung flir den Perfectstamm, denn sie weicht von der Function der Formen unter I. nicht ab: intrare kann intrarem und intravcrim sein, der Zweifel wird durch die Function beseitigt: s^ tntrare cip. et etffeXeucojjiat si intrabo psal. 131. 3. kqutari cip. eav ^apxTYjpv^cYj: psal. 129. 3.

Beitrif^e rar Lftntlehre der mmnii. Dialekt«. Lsntgrnppen.

41

sf füre cip. lav yj gen. 28. 20. l§8aretu cip. usw. se larem ev. eav vit|^. se siarefi ev. sav [xsivr^Te io. 15. 4. «e aläserem ev. flir al&sarem ikv oxoXugü) marc. 8, 3. Wie bei den Verba auf are, so ist auch bei denen auf ire nach der Form ein Zweifel möglich: suire cip. ei avaßi^^70(xat psal. 131. 3. zidire cip. £iv oixoBo{j.i^cn|2 psal. 126. 1. dedka durmirefu cip. eav xot(Av;6i)Te psal. 67. 14. murire ev. eiv obcoOavv] marc. 12. 19. usw. Diese Formen bahnten, so scheint mir, die Brücke von I zu 11: nach laretn aus lavaverim ist ducerem gebildet , wof\ir man dusere, *du8erem erwartete, ducerem mit dem imperf. conj. in Zusammenhang zu bringen verbietet die Function: sonst könnte man sich auf das sardische berufen, worüber Foth 290. ge- handelt hat.

kfviarei, fure^i für k§utari, furi usw. ist abweichend: die Personalendung Si aus ssi ftlr sti ist die dem perf. ind. eigene.

Die so verschiedenen Formen haben eine und dieselbe Bedeutung: sie bezeichnen die Bedingung, wie aus den zahl- reichen Beispielen hervorgeht: diese Bedeutung in Verbindung mit der diesem tempus zu Grunde liegenden Form hat mich bestimmt das tempus futurum exactum zu nennen. Man ver- gleiche Foth 282.

Was die Form anlangt, so lautet das tempus folgender- massen.

mram.

drum.

fürim

füre

intrdre

utäüere

furi

füri

intrdri

utSüeri

furi

füre

intrdre

uiäüere

fürim

fürem

tjitrdrem

tUÜserem

füritu

furetu

intrdretu

utSi8eretu

fürt

füre

hvtrdre

uUisere.

Die mrum. Formen können ohne Schwierigkeit aus dem lat. fut. exact. erklärt werden, tu ist neben ti in älteren Denk- mählem auch die Endung der 11. plur. perf. Die I. sing, furim ist eigentlich die I. plur., eine häuüg eintretende Verschiebung des Numerus. Das i der II. sing, ist nach dem vocalischen Auslautgesetze t: füri fueris: mrum. vruri, legari. In den übrigen Personen ist i der Reflex eines älteren aus % entstandenen e, wie die drum, und mrum. Formen ergeben: mrum. vrnremu

42 Miklosich.

dan. füre ist. furemu ath. usw. Vergl. mlat. jussere d. i. jusserit Foth 283. Schwierigkeiten macht die eigentliche, von der I. plur. verschiedene I. sing., da fuero nur fwru, für ergeben würde. Es scheint, dass füre, inträre, tUäisere Auf füreni usw., d. i. fuerim, intrarim, *occiserim beruhen, eine Erklärung, die die Annahme voraussetzt, es sei in der vorrumunischen Periode fuerim fUr fuero eingetreten, eine Annahme, die um so leichter zugegeben werden kann, als das perf. conj. und das fut. exact. nur in öiner Form von einander abweichen. Span, entspricht unserem kintdre die noch nicht befriedigend erklärte Form cantare wohl nur zufällig, da die ältesten Denkmähler cantaro bieten Diez 2. 160. Foth 281.

In den Sätzen nu r^dikaretBÜ, nu in§lt8aret8(y nu gr^iretsi nolite exaltare ((ay; £'27aipeTe), extollere, dicere darf man das perf. conj. erblicken nach dem lat. ne feceris, nihil ignoveris. Wie nu zäSeretsi [xi] XaXeiTe, nu tedmeretM mit dem fut. exactum und dem damit formell identischen perf. conj. in Verbindung ge- bracht werden können, darüber habe ich oben eine Hypothese ausgesprochen. Vergl. Mussafia, Zur rumänischen Formenlehre 374. Cip. princ. 194.

k§ntavrem in kam k§ntavrem k§ntarea domnu Im :7w^ aou>(jLSv ty;v (oB^^v xuptou quomodo cantabimus canticum domini psal. 136. 5. ist nicht cantaverimus princ. 182; auzivretsi in ct8t§ zi glasu lui auzivretd cTJfxepov iov ty;? (pcovi^q auroO axo6cr,Te hodie si vocem ejus audieritis psal. 94. 8. ibid. ist nicht audiveritis. k^ntavrem, auzivretsi sind vielmehr Verbindungen des inf. mit *volere: vergl. mrum. und drum, noi vrem, voi vretsi, noi vremu hatei^ty voi vreci bafere bo. 62. 82; daher k§nta wem usw. zu schreiben. In luaver accipies ist ver vis: das mrum. vrei beruht auf vre aus ver wie pre aus per: das i ist das i der 11. sing.

c) Atona.

Atona sind Wörter, die, ohne eigene Betonung, entweder mit dem folgenden oder mit dem vorhergehenden Worte unter einer Betonung stehen: im ersten Falle nennt man sie proklitika, im zweiten enklitika. Mehrere von diesen Wörtern sind prokli- tisch und enklitisch zugleich, andere das eine oder das andere, wie sich aus der folgenden Darstellung ergeben wird.

Beitrtge zur Lftntlehre der mmnn. Dialekte. Lftatfrnppen. 43

Atona können sein a) die Personalpronomina im dat. und acc. beider numeri und das Reflexivpronomen in den genannten casus. Die enklitischen Formen dieser pronomina nennt Diez 2. 78. conjunctiv im Gegensatze zu den absoluten, ß) die pro- nomina possessiva. 7) der nachgesetzte Artikel. S) die Verba esse^ habere, velle in bestimmten Formen.

a) Die Personalpronomina und das Reflexivpronomen.

I. Person sing.

dat.

mi acc.

II. Person sing.

tßi

te

III. Person sing.

t

lu m. 0 f.

I. Person plur.

ni

ne

II. Person plur.

vi

IIT. Person plur.

U

i m. le f.

Pronomen reflex.

H

86,

Was den Ursprung dieser Formen anlangt, so ist mi lat. mi für mihi. lat. me: q für e nach 11. 28. Uti, it. pr. ti, setzt ein lat. ti voraus, te ist lat. te, wofUr it. ti bietet, i ei m. f. beruht auf lat. illi. lu ist auf ellum, illum zurückzuftihren, o auf ellam, illam nach 11. 35. (b). ni ist alat. nis: ein älteres nes wird durch mrum. vi (nicht ji) wahrscheinlich, ne hält den Gegensatz von mi und wf, von tsi und te aufrecht. Ahnlich sind m und zu erklären: über § in v^ sehe man ü. 28. ,li ist ellis, illis; i der nomin. elli^ illi und le der nomin. ellae, illac. H ist ein altes si fiir sibi, wie *ti flir tibi steht, se lat. se. Das rumun. scheidet den dat. mi vom accus, m^, während die andern roman. Sprachen in der I. und U. Person und im Re- flexivum einen solchen Unterschied nicht kennen. Dasselbe gilt vom plur. dat. ni, vi, accus, ne, v§.

Mrum. Formen sind nach bo. 44. ni für mi, n für mt, me für m§; tse für ts^ aus tsi; Ti für t, das aus ji entstanden, tt für 0 nach 11. 59. nd für ni und ne, für vi und ve; Id fiir li, Ti für t, eigentlich der plur. nomin.; endlich 5a für H, Der Laut § (ä) hat in mehreren Formen den Laut i verdrängt. Ath. 30 bietet für den dat. ni, vi, für den acc. ne, ve und mit bo. für beide casus nä, vd. Dan. hat als sing. dat. li 46 ; plur. dat. 1§S (le ev.) la 8. 44 ; sing. acc. me 33 ; plur. acc. nos 4.

44 Miklosieh.

na 21. Ui 32. 35. le 10. 16. 41. Die Formen von ille büsBen^ um enklitisch zu werden, den vocalischen Anlaut ein.

Irum. Sinp;. dat. [f^Jmfy], [^]t[y]: zweifelhaft hjfoi]; plur. dat. /i/f7, vfej; l[e] ga. 75 ; sing. acc. m[(], tff], [ejl, \h), o, In (dieses it.) ; plur. acc. n[^], f/fj, ly, le.

Man beachte alb. sing. dat. m^, t^, i m. f. ; plur. dat. na, ne; ju, u; u; sing. acc. m§, t^, e; plur. acc. na, ne; ju, u; i.

Auch das bulg. bietet einige Vergleichungspunkte: sing, dat. mi, ti, mu, i; plur. dat. ni, vi, im; sing. acc. m^, t^, gu, j§; phir. acc. ni, n§; vi, v§; gi.

mi erhält sich nur vor andern enklitischen Wörtern: mi l dai mihi cum das. mrum. aduce^i-mi-ll ferte mihi cos huc ev. 56. So oft es sich an ein folgendes oder vorhergehendes Wort anlehnen kann, wird es mi: mt da mihi (d§ m); la drepforini ev. 157. mt ai dat mihi dedisti (mjai dai), Ist weder das eine noch das andere der Fall, so wird dem ml ein i vor- gesetzt: irnt vtne mihi venit (im vine). Was von mi im Ver- hältnisB zu ml und tml, gilt von tsi und tsi, it»l, von t und j aus j\ tj, von lu, l und il und von H und Ä, %§i, ni und vi treten nach der Regel von mi ein, in allen andern Fällen steht ne und t'('*' ^^^* ^ ^<' nobis cum das. ne fdtie ddmip. nobis facit damnum. Vergl. Pumnul 106-108. gink 241. 242. In älteren Denkmälern findet man He-ce, B^-ce, lÄ.-ce für ni-se, vi-se^ li-se cip. 1. 251.

Die orthotonierten Formen sind thcilweise Neubildungen: nne mihi ist das enklitische mi mit dem verstärkenden Zusätze eines n, e, das wohl pronominalen Ursprungs ist, wie in St^ija, dltora neben dltui, dlior usw. Vergl. I. 548. (32). kaje mostre 35. ngriech. owiova neben owrov. Dieses a findet sich auch im bulg. : nija neben ni, aslov. ny, nos; vija neben vi, aslov. vy, vos; tija neben te illi. Alb. miia mihi. Ebenso ist fsie zu erklären, lux ist wie das it. lui nicht klar; dasselbe gilt \onjeij it. pr. lei: jenes mag auf einem alten illui nach cui, hui-c beruhen, rumun. kui. Aus inpsuius Inscr. iii. 1. 2377 kann man ipsui folgern und auf diese Weise zu einem weitverbreiteten sing. dat. auf ui gelangen. Man beachte alb. kuj xouiv Hahn 2. 54. mine, tine beruhen auf lat. me, te und einem noch unerklärten Zusätze ne, der auch in tSine quem, quis eintritt. Die Verwendung dieser Formen im nomin. ist svn taktisch: mine escn ev. iK Man vergleiche

BeitTtf« xvr Lantlebre der nimnn. Diftlekt«. Lantgnipp«D. 45

ecevov; owtov, ouTova, «uTOvocve Destunis, Mater. V. 153. nöao und txkio sind nobis und vobis. II. 41. (39). not, voi sind die nomin. nos, vos. hr m. f. ist illorum. jei ist der nomin. elli, illi, jdle ellae, illae. He ist wie mie zu erklären, Hne wie mine, tine.

Irum. sing. dat. [ajmiye (mie j home mihi est fames), [ajisiyej ay( m. ayd; plur. dat. anö[i], [ajvdi, ayil, aydle; sing. acc. mir«, tire, y^, ya; plur. acc. n6i, vdi, yd, ycUe ga. 75.

Mrum. bietet nach bo. 44. lua mihi, tsea tibi. Dem dat. jei steht mrum. Fei gegenüber^ aus dem jenes entstanden. Für den plur. acc. Jei hat das mrum. jeK, das jenem zur Grund- lage dient.

Während das rumun. dem Bedürfnisse nach orthotonierten Formen in der I. und II. Person sing, und im Reflexiv durch Anfögung des verstärkenden a an die tonlose Form gerecht wird, bezeichnen die andern romanischen Sprachen diesen Unterschied am Vocal: it. me, te, sc und mi, ti, si; sp. mi, ti, si und me^ te, se; afz. mi, moi, mei usw. und me usw.; nfz. moi, toi, soi und mC; te, se: moi beruht vielleicht auf me, me auf mö; in donne*moi steht moi für die enklitische Form. Die Anwendung von Praepositionen zur Bezeichnung der orthotonierten Formen findet in allen romanischen Sprachen statt: it. a me, sp. ä mi, fz. k moi, rumun. la mine; accus, pre mine usw.

ß) Die pronomina posnessiva.

Die pronomina possessiva mens, tuus, suus werden mrum. in Verbindung mit Verwandtschafts-, richtiger häufiger vorkom- menden Namen enklitisch: tatä, tatü, mumä, dadä, fltü, JUiä, frcUe, sarä, bärhatü, mutiere, norä, kumnat, eokrä, tet§ (a teta 9cd lij Oeia "nj? bo. 169). Ebenso werden die bezeichneten pro- nomina bei domnu und ejdtrojm behandelt. gilt nicht blos von der thematischen, sondern auch von der nach Analogie von ItU, aigtui und /J», aistei usw. neugeschaffenen sing. Dativform. Die Enklise wird in ev. durch einen Verbindungsstrich, von bo. durch Verbindung zu einem Worte, bezeichnet. Die Ver- wandtschaftsnamen haben in diesem Falle keinen Artikel, u für II hängt von dem darauf folgenden enklitischen Worte ab.

Mrum. va se le ßhä rufine de fihu-meu (mfeu). drum, se vor ruHiia de ßiu l meü marc. 12. 7. mrum. vedu fa^a tatu-

46 Miklosicli.

meui, drum. v4d fatsa tat§ lui meü matth. 18. 10. mram. in numa tatu-meuL druni. in nume le täte lul meu io. 5. 43. casa tatu-mem domus patris mei ev. 5. a domnu-meüi 121. Flir meu und meui ist richtig iiu und /tut: la tdt§ nu 7:pb^ Vsv Trorepa |xcu kop. 18. a tcU§ iivi tou Trarpo^ [jio'j 17. a tatä niui ist. 9. fraieiijiL frater mens bo. 137. Man merke peana a mvegatoiiijui calamus magistri mei ib.

Mrum. filiä-mea. drum, fijka mea marc. 3. 23. sormea Boror mea bo. 137. Dagegen mrum. tre numa mea. drum, pentru nume le meu marc. 13. 13. bucurie a mea ev. 6. peana a sor- meai calamus sororis meae bo. 137.

Mrum. onorezä tatu-teu fi mumä-ta, drum, öinsteäte pe tat§

l t§u H pe mama ta marc. 10. 19. fillu-t^ ev. 140. mrum.

din odtu a freUe-teut. drum, in okiu l frate lul t§ü matth.

7. 3. mrum. (}i(n a frate-tui, drum. zitSl frcUe lul t§ü matth. 7. 4.

frdte tu kop. 27. frate tu ist. 34. hüjtu filius tuus bo. 137. a

frate tui ist. 16. casa a fratetui domus fratris tui bo. 137.

Mrum. din fiUtä'ta ev. 81. hiljeta filia tua bo. 137. Vergl. mrum. dvrte a casa la a tei. drum, merd^ in kasa ta la ai tfX marc. 5. 19. gardina a sortai hortus sororis tuae bo. 137.

Mrum. domnu'su, domnu-seu ev. 108. 175. care se tnäre^sce pe frate-seu, drum. tSe se minie asupra frate lul s^ü matth. 5. 22. mrum. de tatu-seu le cuventa. drum, le gr§ia despre tat§ / io. 8. 27. mrum. acelü ce vorbesce reu de tatu-seu, de mumä-sa, drum. t§el tSe va inhira pe tat§ l s§ü saü pe mama sa marc. 7. 10. la tdt§ SU kop. 20. giner* su ist. 42. tat§ su 8. bo. 138. domnu seu, su ev. 108. 175. mrum. eine va se <^icä a fo-ate-sui. drum. t§ine va zitie frate lul s^ matth. 5. 22. a domnu-sui ev. 120. frate-sui, frate-seui ev. 61. averea a cumnatsui das Vermögen seines Schwagers bo. 138. mumä sa ist. 8. bo. 128. sor sa ist. 35.

Mram. nu urasce tatu-seu fi mumä-sa ev. 113. mrum. a tatu- sui sau a mumä-sei, drum, pentru tat§ l s§ü saü pentru mama sa marc. 7. 12. norä sei ev. 109. mumä sai ist. 37. f4tä lu (cap lu) dede a dadä-sai matri suae 33: zig. dad pater, daj mater. averea a norsai das Vermögen seiner Schwägerinn bo. 138.

Es möge hier bemerkt werden, dass die gleiche Casus- bildung auch bei vöstru nachweisbar ist: vostrui ist jedoch nicht enklitisch, mrum. sjnritu lu a tatu lui a vostnvi, drum, duhu l tat§ lul vostru matth. 10. 20. Man beachte auch acea ce este

^tltxige tut Lautlehre der mman. Üialekte. Laatgruppeti. 47

a tut dumne^eui, da(i-o a Im d2tmne(}eu lue. 20. 25. Über diese Casusbildung handeln bo. 47. ath. 27. conv. 357: neben ameui und ameai werden amecn' und amelor usw. angeführt, die ich jedoch in den Texten nicht gefunden habe.

Die Enklise der bezeichneten pronomina posscssiva findet sich auch drum., jedoch, wie es scheint, nur im Osten des Sprachgebietes: von der im mrum. aufgewiesenen neuen Casus- bildung habe ich hier nur einen Beleg gefunden: frafetgu, frate- vostrUf Borvia, 8oahr§ (soakrj^) sa, kum^§8a, naiul§u, f^tatut^u princ. 136. tät§-mieü, ni§tuS§-ta, müm^-fa, mdjk^-ta, (gekürzt m{- fa), frdte't§u, sör^-mea, nepötu-SfUf söakr^-sa für idt§ l rnteü, m§' tüia ta usw. gink. taiu-t§ü, majk§'ta, frate-t^, 8oi'§'ta volksl. 1. 26. mtne-to, 7n§ta mater tua. m§te{ matris tuae pumn. 90. ohne die mrum. Casusbezeichnung im sing, dat.: nei)6tumieM, mäjk§'ta usw.) nur tät§ und frdte haben im sing. dat. die histo- risch dunklen Formen t^tini-mieu, fr^tsini mieü, älter auch t§fmi- vosiru patri meo, fratri meo usw.: flir m wird von andern ne geschrieben pumn. 88. tktkhhh CkS cip. princ. 136. Nach Cip. 1. 219. sind t§^ni, mumtni, fr§t8ini auch Plurale. Man beachte mrum. läldn li in fra^i li, löldn li ne-li luarä sdam frat. 118: ngriech. XaXa grand'- mfere. Befremdend ist «i4rtJre-7n«a sorori meae. vSri-mea consobrinae meae gink. 224. nurori-sa: ziae Tamareei nurori-sa sTtcs 6dpi.ap Tfj '/6{ji^y) owtou gen. 38. 10. princ. 138. 143. »urori-sa 136. In mostre 11. finden sich fol- gende Fälle enklitischer Possessivpronomina: domnu-su 32. 35. f^ 36: drum. tat§ meii. tat§-8u 36. 44. dziner§-8u 41. 42.43. sokru'su 41. 43. a tat§'üut 36: drum. tat§ lui meü. a hit tut 56: drum, lui fiii teü, domnu-sui 22: drum, domnu lui 8§ü. mum§ mea 36. m§'ta 98. hir-ta 39. kit-sa 39. 52. fula mea 96. 8oakr^- 8a 54. m^ii lor 84. Man vergleiche mit dem letzten Beispiele hinsichtlich des Suffixes bulg. u Dudini otide er gieng zur Duda Doz. 43. u bulini si chez sa belle soeur 350. Vergl. Cip. gramatica 1. 255. 256. Lambrior^ Romania x. 349. Auch das it. kennt enklitische pronomina possessiva : figliuol-mo, figliuol-to ; fratel-mo, fratel-to; moglia-ma, moglia-ta. II novellino 16. pädre-mo, marito-to, mamma-ta, signör-so, suör-sa Diez 2. 83. Die andern roman. Sprachen kennen die Enklise der possessiv- pronomina nicht, wohl aber Verkürzungen deraelben, wie sp. mi, tu, su usw. Man vei^leiche lat. sam, sos, sis fllr suam, suos, suis Diez 2. 79.

48

Miklotich.

Y) Der nachgesetzte Artikel.

Der Artikel ist das an das Substantiv enklitisch, daher mit Verlust des vocalischen Anlautes antretende ille:

lu, l, le

lui

lor

jei

le

lor

In dem U des sing. voc. m. wie in dem o des sing. voc. f. sehe ich eine Interjection: meiteru le, sör o. Vergl. n. 70 (72). Das lor des voc. plur. (meSteri lor, vrabü lor), dem mrum., wie es scheint, unbekannt, mag sich im drum, zu jener Zeit ein- gebürgert haben, wo man das le des sing, als einen Artikel anzusehen anfieng. Non liquet. Der sing. voc. m. lautet wie im lat. auf e aus: vetiine, dodmne von vet^n, domn. Der sing. voc. f. auf 0 findet sich nur im Osten, im Westen ist der sing. voc. wie im lat. dem sing. nom. gleich: kukodno, kukodn§ pumn. 86. Das le des sing. nom. m. verdankt sein e der Assimilation an den Auslaut des Substantivs: frdfe le aus frdte l, frdte lu.

Für jei und ji bietet das mrum. Tei neben U und ff, Formen; aus denen sich die drum, entwickelt haben.

Was die Verbindung des Artikels mit dem Substantiv anlangt, so schwindet das anlautende j des Artikels: daher dodmn§ ja, dodmn§ a, dodmna; dodmn§ jei, dodmn^ ei, dodmnei; dömni ji^ ddmni i, dömnit.

Mrum.

dömnu l

dömni U

Drum.

dömnu l

dömnu

Mrum.

dömnu lui

dömni lor

Drum.

dömnu lui

dömni lor

Mrum.

dodmna

dodmne le

Drum.

dodmna

dodmne le

Mrum.

dodmne Fei

dodmne lor

Drum.

dodmnei

dodmne lor

Dem drum, nuku l steht mrum. nnk lu gegenüber. dodmn§ M, wofür dodmni It bo. 20, beruht auf dodmn§ lei, dodmnei auf dodmne ei aus dodmn§ ei. dodmne ist nicht , wie man häufig meint, ein sing, dat., etwa dominae, sondern es ist dessen e aus {!, lat. a, hervorgegangen.

Beitrige zur Lantlelire der nmaQ. Dialekte. Laotg^ppen. 49

8) Die Verba esse, habere, velle.

Das Verbum esse ist in der Function der Copula enkli- tisch in der I. (tt, U) und III. sing, (j, ij) und in der HI. plur. (s, is).

Drum. Jc§ s nevinovdt§ quod sum innocens volksl. 2. 77. käldu j? ist es warm? neben tj kald es. ist warm pumn. 28. ja ij st^ptna illa est domina ban. 30. dar nu j floarea k^vpu lux volksl. 1. 32. oare el tj sau nu j el 2. 30. s entsteht aus sum oder sunt, j aus je durch Abfall des e. Die orthotonierten Formen lauten sint, esk; eSti; este; sintern; sintetsi; sint. Man vergl. lat. s, st fUr es, est Plautus, bulg. j flir je: zasmSla se j öol. klruss. ja sytyj jem.

Irum. mie j home mihi est fames.

Die Verba habere und velle sind als Hilfsverba meist tonlos, a) am föst, avüt-am, zidit-am ich habe gebaut, fire-a^. avere-^L b) voj inerdie. fi-voj avüt avutu-voj fi, ear dak§ te-oj aitepta volksl. 2. 19. Für vej, vet»! wird enklitisch j, tj; ts, its gebraucht Clemens 116: p§n§ k^d y osp^ta, H p§7i§ k§nd tej kuika volksl. 2. 19. i-M spune ihr werdet ihm sagen pumn. 107.

d) Die Partikeln.

1. Das comparativische und das mai in der Bedeutung ,noch' ist tonlos: mai bün, mai d^-mt. Hat jedoch mai den Sinn ,fast*, so sind die folgenden Wörter tonlos: mai totdeauna. mdi in tot loku l gink. 556. Vergl. täel mai mare cip. 1. 138. kam mai rfu ibid.

2. Das slav. pr^, rumun. prea, zieht in der Bedeutung ,nimium' den Ton des folgenden adj., adv. und sogar des Verbum an »ich : prSfrig. prefrumos, pr^kald, prSr§ü mard2. preäiine cip. 1. 138. m' am pribvJcurat ich habe mich sehr gefreut mardi. 133. preä bins zitSi straj. 54. pred bine Stiu cip. 1. 138: daneben premdre mard2. 2. 33.

3. Die Praepositionen sind tonlos: dup§ tSe, dup§ prinz. ppi§ lähd, pentru mine, k§tre mine. pe mds§.

4. nu zieht den Ton des folgenden Verbums an sich: itiü nescio cip. 138. stii bine straj. 54.

Sitnngsber. d. phil.-hist. Cl. CU. Bd. 1. Hft. 4

ßO Miklosich.

5. /fo, fM, füSte haben den Ton und das folgende Wort ist tonlos: fie-unde, fieS-tHne. f teste -kare. Ebenso fiind-k§ und dn-kind. m^kdr-de sowie afsest-feliu gink. 555. Daneben vre ünu l. vr' 0 ddt§.

6. ünsprezetSe. pdtruzetsi, trejzetsi gink. 555.

7. dst^zi. d^ün§zi. amjdz§zi, amjdz^zi gink. 554. p6j mine gink. alöliajem 555.

t) Die Jltemen.

Die Lehre vom Accent der Themen im rumunischen be- handelt I. den Accent der aus dem lateinischen stammenden und II. den Accent der aus dem slavischen, albanischen, grie- chischen und magyarischen entlehnten Themen.

Ich behandle ausser den lat. nur die slav. und griech. Themen. Die Darlegung beschränkt sich auf einige Hauptpunkte.

I. Lateinische Ttiemen.

Die lateinischen Themen bewahren wie in den andern roma- nischen Sprachen und im albanischen regelmUssig die lateinische Betonung: zur Bestätigung mögen hier einige dieser Themen angeführt werden.

Nomina, adäuctum: addos Zugabe, dlveus: dlhle Flussbett, änimam : mim§ Herz, drborem : (irhure Baum. . aream : di^e Tenne, barbätum: b§rbdt Mann, cdnnabem: kmep^: vergl. aslov. konoplja. cänticum: kinfek. caput: mrum. kap, plur. kdpete. c(Snsocrum: kuskru. directum: drept m. dredi)t^ f. aus derept usw. alb. drejkj. ecc' ellum: atstl. filbrum: fdur. ficätum: fikdt, dagegen it. f^gato. sp. higado Diez, Wörterbuch 140. fuliginem: fiinind^ine. hederam: jdderq. Buchsbaum. hömo, h()mines: ow, odmsnt, g<5nerum: diinere: vergl. limpede limpidus. impetiginem: petHndiine, judex: fwcüe. Judicium: £udefs. Idcrimam: Inkr^m^, l^ndinam für lens: liuden§. l^o: leü. leporem: jejmre, m^nicam: mrnek^. mdrginem: mdrdzine. mercuri: mierkurt Mittwoch, nemi- nem: nimene, nömen: nume, plur. mimene cip. 1. 139. nübilum: nöor gink. nor, nach dem Ofner Wörterbuch niujr: mkn" beruht auf nii§r, n6§r. höspes, höspites: odspe, on^pefsi cip. 1. 139. hospitium: osp§t8, palüdem: p^diire Wald, f^niicem : pmtetse Bauch, passerem: pdsere Vogel, pe^dicam: piddek^ Fessel.

Beitrig« zur Lantlehre der mmnn. Dialekte. Lantgnippen. 51

p^ctinein: püptene gink. 551. persicum: pi&rsüc^, richtig -sek^, pulverem: pülbere, pülicem: püretäe. sc^mnum: skdun, Bec^e: 8§kdr§, dagegen it. s^gola. fz. seigle. securim: 8§kure Beil. Blcilem: seätsere; siliere gink. st&bulum: stdvi gink. 549; »tdur Stall, aöricem: SodrefSe, t^nerum: tin^ J^^S- *Aberum: üdier Euter: über, üver, üer, üger. viduum: v^duv. vitricum: vürig. Unlateinisch ist dün§re Danubius.

Die lat. Betonung ist auch in den Suffixen wahrnehmbar, ia, ein junges Suffix: avutsie Vermögen: avüt, flor§rie Blumen- haus: *florär, fiutur^tetHe Flatterhaftigkeit: ßuturdtsk. nevino- v§tsie Unschuld: nevinovät. statoniUHe Standhaftigkeit: stat&rmk Diez 2. 280. alb. djal^zi Teufelei aus -zia. lUa: kump§ned WsLge gink.: it. campanella. nueä Ruthe: novella. v^rd^ Ruthe: aus •ell§, äticu: fltUurdtek flatterhaft, nebunätek närrisch. s§lbätek wild. 8puU>^rdtek wetterwendisch usw. Vergl. Diez 2. 287. etu: vth^ venetus. itu: sünet sonitus. tr^iet Krach: aslov. trdsni^ti. tunet Donner cip. princ. 214. Vergl. kreäSfet vertex mit crista. ^nt: fierbinte fervens. p^rinte parens. Hieher gehört s^mnts^ Same: it. semenza: ^ntia. tilra: i8k§Uttir§ Abschrift: isk§l{. pik^ür§ Tropfen: pikd. Verschieden ist kodobdfur§ Bachstelze, tit: tSe- täte civitas. bu7i§tdte Güte. tAt: virtüie virtus. idu: frddied mürbe, limpede hell, klar. mütSed schimmelig, pütred faul, r^ede schnell, tredped. Trab, wohl trepidus. ümed nass. m^ntum: ako- peremtht Deckel: akoperi. (isu: frymös formosus. rijös krätzig, iscu: kreätinesk christlich, st^pünisk herrschaftlich, daher auch go8pod§mifi^te wirthschaftlich. Das Suffix jüne ist lat. iön: nnio^ unionem: s§lb§t§tSüne Wildheit: s^lbdtek. plek^tMne Gehor- sam: pZeÄ^if. rug^tHne Gebet: rogationem. Unlat. ist das Suffix k<yr: buinidr; ebenso hig aus magy. s^g: prtjeteüig Freundschaft. vikle§üg Schlauheit: magy. hitlens^g.

Abweichung von der lat. Betonung. Nomen. tntr4g: integer, integrum, it. int^ro. Diez, Wörterbuch 195: vergl. it. allögro und dlacer. kümppi§ Wagschale: campdna. kum§tru Pathe wird nach gink. 551. kümetru und kum^fmi ausgesprochen: cömpater, c<im- patrem. nu>ör (nor) nübilum neben nöor. pop6r: pöpulum. rintiSd rdncidum. umed humidum bla^..: die durch idu gebildeten Themen werden sonst auf der Stammsilbe betont. lutSjdf§r ist der regel- mässige Reflex von luciferum, worauf auch it. lucifero beruht. vürig neben vitrig: vitricum. p§kür§ Thier blaz., woher p§kurdr

4*

52 MikloRieh.

Schafhirt: it. p^cora, pecoräjo. rudz{n§: aeruginem. sedtSet/i be- ruht auf dem nom. siccitas: vergl. it. pi^ta. s§rik§ auf einer Seite zottiges Oberkleid: it. sargia, was auf sarica hindeutet. äpii'g lebhaft ist mit apricus imverwandt.

Die abweichende Betonung ist in einigen Fällen Folge einer lautlichen Veränderung des Wortes, mulierem wird zu- nächst muljere: mrum. muTdrej drum, mujdre, it. mogliere und moglie. neap. mogliera. sp. muger. Man beachte jedoch auch das spätlat. mulierem. parietem wird jj^redie, arietem ergibt aredte: ariete Ofner Wörterbuch. Es schwinden auch betonte Silben wie im ngriech. xatStou, jetzt 7:at3jo6.

Verba. excarmino : ^Ä:ar7/7fn. commiinico: kuminek. ccSmparo: kümp^r. duplico: dtiplek. jüdico: zudek. mdchino: indtsin mahle, mästico: *mlstico: medsfek, amedstek kaue, menge ii. 47 (45). *rümigo flir rümino: rumeg. tribulo: trijer, vindico: viiuhk heile, eig. befreie.

Altere Praefixierungen betonen das Praefix, wenn es im lat. betont wird: mplu impleo. kodse c()nsuit. kulkg collocat. küstf} er lebt constat. mflu süfflo. mt^ kumpi^t massige mich: vergl. cömputo neben aduk addüco: imperat. adü, Zn prüfen sind deddier, durch Assimilation dieddzer frieren, nicht etwa fz. de- geler. dedp§n, ddp^n haspeln, aufwinden: ein lat. depenno würde einen andern Sinn ergeben, ddp^r aus dedp^r raufen, rupfen, bei moln. 262. dap^r, mrum. de^^yerä tiäaü) ev. 43. matth. 12. 1 : d^pllo.

Ausnahmen von diesem Gesetze entstehen dadurch, dass der Accent des inf. auf den sing, und die III. plur. des praes. übertragen wird: vielleicht ist jedoch die I. und II. plur. für die andern Formen des praes. massgebend geworden: die letz- tere Ansicht hat mehr für sich als die ersterc. nUg eligo. eli- gere, eligimus. direg (deveg), dreg dirigo. intseMg intelligo. kidng cölligo; kuledd^e colligit. preisedpe pörcipit. suferiu süffero, suf- ferre. Dunkel ist mir das mrum. distka findit dan.: dissecat; ebenso strfcur durchseihen: cx-trans-cölo ; apUk dpplico Diez 1. 470. und köperiu cooperio.

Jüngere Praefixierungen betonen das Verbum: desfir, h)fir gink. deskuj schliesse auf: *di8cuneare von cuneus. dsapoj ziehe aus: *dis8poliare. kutremur hehe: *contrcmulare. tx,skump§r kaufe los gink. 551: slav. razt und comparo; nach anderen re-ex-

Beiträge snr Lautlehre der nimnn. Dialekte. Lautgnippen. Ö3

comparo. Man vergleiche defjim diffamare^ bei mol. 266. defaim. d^'m nach dem Ofncr Wörterbuch ramos seco, nach mol. 267. scheitern, mrum. zerstören ev. destr^jn ausfasern : trama. pred8§r bestreuen und versalzen scheint aus slav. pre und dem rumun. 8^rd, 8§r& salzen zu bestehen.

Die verba denominativa unterscheiden sich oft von dem ihnen zu Grunde liegenden Nomen durch die Betonung, die im Verbum dem Anfang des Verbums zustrebt: m§sur^ men- sura: mesur metior. bp*bdt Mann: imbdrb§t ermanne, herhmtse Widder: imbedrbek stosse weg. pre8Ür§ cip. 1. 140: tmprSaur klemme ein. impreun§ zusammen : %mpr4un vereinige, imprediur rings: impr^zur umgebe: vergl. tnkiindlur umringen pumn. 35. putstn klein: vnjmtsin vermindere. Die Accentuation scheint ein Mittel zu sein, die Kategorien des Nomens und des Verbums zu scheiden. Man vergleiche Durchbruch, durchbrechen.

Für classisch-lat. ere gilt 6re. drdere Brand: it. drdere. fedrbere Kochen: fervere, fervere. respundere Antworten: it. respöndere. rVdere Lachen: it. ridere. lat. irridere. itedrd£ere Wischen : it. tergere. lat. auch törgere. tdtsere silentium kav. 224 : drum, t^tiedre. todrtsere Spinnen: it. tcSrcere. tündere Scheren: it. tondere. lat. auch tondere.

Umgekehrt ere für ^re. k^dedre Fallen: it. pr. cad^re. spätlat. cad^re bouch. 29. 31. Vergl. Diez 2. 125.

Partikeln, diip^ ist mit it. döpo zu vergleichen, akmii neben akuma, amü, amü$ und akü, aküS jetzt ist eccü-modo: modo ftir nunc ist spätlat. Coronati 777. am hoc modo ist asi und«: jenes findet sich mrum.

Was die Composition, richtig Zusammenrückung anlangt, so führe ich an miilok Mitte aus miedz lok medius locus, also fz. milieu. primgvedr^ hat nach gink. zwei Accente.

II. Nichtlateinische Themen.

Ä. SlavUche Themen. t

Die Untersuchung der aus dem slavischen stammenden lind der mit slavischen Suffixen gebildeten rumunischen Wörter ist dcsshalb schwierig, um nicht zu sagen erfolglos, weil die Betonung im bulgarischen, aus dem das rumunische das aller- meiste entlehnt hat, nur theilweise bekannt ist. Was hier ge- boten wird, soll nur weitere Untersuchimg anregen. Es folgt

I

54 Miklosieh.

hier 1. eine Anzahl aus dem slavischen entlehnter Wörter, wobei auf Suffixe keine Rücksicht genommen ist; 2. einige Wörter, die entweder aus dem slavischen entlehnt oder im rumunischcn durch slavische Suffixe gebildet sind.

1. kredmene Kieselstein: bidg. krem'bk. leb§d^ Schwan. 7n4tur§ Besen, m§tur kehre aus: bulg. metla. pdgvhQ Schade. peitei'§ Höhle: bulg. peSterä. nimen röthlich: bulg. rumen. 8imb§t§ Samstag: bulg. s^bbota usw.

2. a) Suffix ie. Einige aus dem slavischen stammende Wörter lauten im rumun. auf ie aus und betonen die ante- penultima. kordbie Schiff, öaie Achse, perie Bürste Cihac 2. 252. prdstie Schleuder, pr^päatle Abgrund, sdbie Säbel : bulg. säbija. sdnie Schlitten: biüg. säni, sanijö.

b) Suffix ets. ets, aslov. tcK, ist tonlos: der Ton ruht auf der dem ets vorhergehenden, d. i. auf der im Thema be- tonten Silbe, pizm^tdrets grollend: * pizm^tdr. vorbdrets ge- schwätzig gink.: ^vorbdr.

c) Suffix U8§, dr§Ü8§ Dürre : ars verbrannt. g^it8§ Kehl- kopf. ktrt{t8§ Maulwurf. pdU(^§ Stange. pel%ts§ Häutchen: pedls Haut, plöhiiis^ Wanze. 8tedlnits§ Wanze. sülit8§ Spiess. ülit8§ Gasse: bulg. ülica. ündit8§ Angel. b{volit8§ Büffelkuh: bulg. bivolica. girg§lit8§ Kornwurm. prepeUt8§ Wachtel. veverit8§ Eichhörnchen. Daneben buk§tur{t8§ Bissen, vulpifs^ Füchslein. p07'itmbit8§ Täubchen und mageniU8§ Küche. urekMlmt8§ Ohr- wurm, alb. furkulits^ Gabel, ngriech. aSsX^ix^a. ßpo^iT^a petite pluie. '^^(x^i'zX^a petite lettre usw.

d) Suffix nik. Das Suffix nik, slav. -wn» -ik'L, ist tonlos: der Accent ruht auf der dem nik vorhergehenden Silbe: du- meßstnikj dumed^nik zahm, mdereptnik hartnäckig, hdrnik tüchtig. kdsnik häuslich, pdthiik friedlich, p^hdrnik Mundschenk. tSa- sömik Uhrmacher, pmtnik, piisnik Einsiedler, pniedrnik mächtig. 8p6mik ergiebig, vremelnik zeitlich: aslov. vremenbni». zünik täglich usw.

e) Suffix täte, lini^te Ruhe. miriUe Stoppel, öiste Deichsel. pdiiHe Rasen. Dagegen g§ineri$te gallinarium. kod§rtSte manu- brium flagri : kodd§. kukin^iziHe Kukuruzacker, pepevisie Me- lonenacker, alb. ulin8t§ Olwald. gurist^ steiniger Ort. zalist^ mit Geröll bedeckter Ort usw.

Beitrftge zur Lantlehre der rnmnn. Dialeltte. Lantgnippen. 55

B. GriechiBche Themmi,

In den aus dem Griechischen stammenden Wörtern er- hält sich die griechische Betonung: fdrmQk zaubere, Zauberei: agriech. ©apixoxov. fldmurq. Fahne: «pXapLxoüpsv. kälügär, kaliigärits§: ngi'iech. xa/xsvepo^. kdm§t§ Zins : agriech. xafjLaxo^. mdrtur Zeuge : [laprupa;. 7ndth§m§: (jLafhjixa. pdpur§ Schilf: T:onvjpo(;. pdf im§ "Leiden: ^Or^ixa. jpedpene, pedpen Melone, anderwärts Gurke: iceicwv, -escvo«;. prodap^t frisch: TCpoc^oro?. prönie Vorsehung: Tcpovoia. stridie Auster: orpi^t, oiipiSi. skdndal, skdndü§: OTtavSaXov. Ab- weichend sind kiparös xüiuopicw;. skopos ü%ot:6(;, frandafir xpav- Ta^üXXcv. zilgrav ^lo^pa^c«;. b§8edrek^, besedrikf stammt unmittelbar aus dem lat. : basilica, ßa^iXixii^. katolik ist unmittelbar aus dem deutschen entlehnt.

Yerbessernngen und Zusätze.

Da ich wohl nie mehr in die Lage kommen werde die Lautlehre des rumänischen durchzuarbeiten, so habe ich hier aHe VerbesAerungen zu- sammengetragen, die mir bei der Durchsicht meiner Arbeit nothwendig erschienen; desgleichen habe ich alles aufgenommen, was meine Aufstellungen »o wie das Material zu ergänzen geeignet befunden wurde.

I. Über die Wanderungen der Rumunen in den dalmatinischen

Alpen und den Karpathen.

(Denkschriften. XXX. Band.)

S. 11, Z. 2 des Separatabdruckes von unten statt zaklaga lies: zaJclakac,

S. 11, Z. 7 von unten statt Kui^urware lies : KuÖurmare.

^. 12, Z. 9 von oben statt: nur im poln. hes: im poln. gleich- falls arkan.

S. 25, Zahl 1 statt Akr^zoiy lies: Akryszory.

S. 25, Zahl 3 statt Beteluja lies: Beleluja,

^- 26, Zahl 16 statt Brostury , auch Prostury lies : Brustury, auch Pnistury.

S. 37, Z. 10 von oben statt Biskuszczyzna lies : Biskupszczyzna,

S. 39, Z. 14 von unten statt Lyrtivy lies: Lyrtioy,

56 Miklosieh.

S. 47, Z. 16 von unten sind die Worte: im Quellengebiet des San und das darauffolgende Koma zu sti'eichen.

S. 50, Anm. 1 statt Rumunische lies: Romanische,

S. 51, Anm. 7 statt Gross lies: Gooss.

S. 53, Anm. 39 statt Schon aus dem Umstände lies: Schon der Umstand.

S. 56, Anm. 71 statt Krommer lies: Kromer.

S. 57, Anm. 95 statt Symkwayda lies: Symko Wayda,

S. 64, Zahl 22 statt Roztucz lies: Rozivcz.

S. 64, Anm. 1 statt Materczyna lies: Matenczyna,

KaiuSniacki.

n. Buxnunisohe Untersuchungen. I. Istro- und macedo-

rumunische Spraohdenkmähler.

(Erste Abtheilung. Denkschriften. XXXII. Band.)

13. niMiku maj hur face rana niaj rnare, wörtlich: me- dicus magis misericors facit vulnus majus entspricht dem it. Sprichworte : ,D medico pietoso fa la piaga vcrminosa^ Mussafia.

21. canifä: serb. kanica, tkanica, gewebter Gürtel, Schärpe U. Jamik.

m. Buxnunisohe Untersuchungen. I. Istro- und maoedo-

rumunisohe Spraohdenkmähler.

(Zweite AbtheUung. Denkschriften. XXXII. Band.)

12. Zu aouaffou: au^atec lu ist. 43. 16. Zu Cf^xcupcxffxou : sbor Im ist. 3.

19. Zu xipou: cherdemu perimus. cherdtUu ist. 29. 33. Zu xoz^e: kupii le 6.

20. xouXoüxavy.cj. Vergl. bulg. nadenicy ili lokanky: lo- kanka sc kazva, zaätoto c nats^pkana v ötrva. lokanje se z'i>vc tbrbuh (ökembe) i drugij öbrva po starobtlgarsky Rakovski, Pokaz. 1. 38.

22. Zu XovvTOupa: hmträ ist. 54.

39. tl^oüVTie ist wohl tSudie, nicht tsztdte zu lesen.

40. Zu Tuvs: vergl. cip. 1. 249. Neben Hne findet sich tu als nomin. nur in Liedern. Für die erste Person besteht jen und mine Mostre 11. 101. 145. Anzeiger. 1881. 28.

43. 6ouXXtaeax.ou aus ps^llisesku.

53, Zeile 5. ae Xa, richtig lavantur.

Beiträge zur Lautlehre der mmun. Dialekte. Laatgrappen. 57

53. Zeile 10. Dem rumun. sspiiaE entspricht bulg. orperw t strebet Silber, alb. cepixa; nach Hahn ist s^rmä 1. Silber, 2. der feine Faden, welcher die äussere Hülle des Seidencocons bildet.

60. aXtoT^e, richtig seligitur.

61. apoiks, richtig laceratur.

68. xpidcxa, richtig crescant.

69. Xs ist fem.

69. Xi in 46. ist ei : Xiopcarjvs, d. i. li o räine ei est pudor.

69. XXs ist fem., XXi masc.

70. {xe: mihi ist zu tilgen.

71. Nach [Liacupr^ ist als Schlagwort einzuschalten: piiffoupoü müuru zea mais 3, eigentlich Aegyptus.

82. 'zX^iüOL'. Xa Xou TLotaa cum texant.

82. richtig: T^^x^ttt XXe (dzedziti lle fiir dzedzite lle).

91. 6i beruht auf dem bei Daniel vorkommenden 6eX va, dessen 6iX in allen Personen für OeXei steht, das demnach als eine Art Futurpartikel fungiert, so wie in den neueren slavischen Sprachen die HI. sing, by bei dem Ausdrucke des Conditionals alle übrigen Personen vertritt. Die gleiche Bezeichnung des P^uturum begegnet uns im alb., bulg. und im rumun.

IV. Beiträge zur Läutlehre der rumunisohen Dialekte.

r. 525. (9.) Gregen meine Ansicht, die Trübimg der Vo- cale sei von der autochthonen Bevölkerung lUyriens ausge- gangen, spricht der Umstand, dass auch andere Romanen ge- trübte Vocale kennen.

536. (20.) Gegen die Ansicht, rumun. Mrd beruhe auf bulg. kxrd (k§rd), wird eingewandt, auch krd habe nur Mrd ergeben können. Dies ist nicht ganz sicher, da dem rumun. auch silbebildendes r bekannt ist. Da das slavisch des rumun. nicht scrb., sondern bulg. ist, so handelt es sich hier wesent- lich um die nicht sicher festgestellte bulg. Aussprache von Wörtern wie kriid^.

538. {22,) nasdravanii le Nastrafin Hodia ist der Titel eines Buches.

543. (27.) midstiku misceo und medstek misceo, mando beruhen, wie mir scheint, auf *mi8tico, das später auch flir mastico eintrat.

bS Miklosiek.

545. (29.) In Mostre n. findet sieb protbetisches a in aferegku 82. agreiire 145. adiuJca 19. alasu 9. 14. cUatr^ 121. alavd^ 41. alumpta luctari 9. 19. amare 72. amm§ 29. amura 117. anUciseask^ vtxav 109. araftu ^i'^vr^^ 54. aremase 30. arfd^- tsina 10. ar§8^ 30. are8(oam§ 129. ar^sune 107. ar§vdare 34. ar^u 16. arwe 32. ortu 56. arosie 44. «' anidzinq. 101. arwmCii 111. arupse 80. aruhinos 42. ctskfpare 4. 'osp^ne. asparisrnf, drum. Sphäre 30. 43. aspardzi 76. asparsim 58. aHergu 56. aitim^s 48. aji/i^ vinea und nnmhr§ 113. awrZf 121.

n. 9. (7.) Z. 7. jespe, richtige j^-spf'»

34. (32.) /rm Zu : drum, /rm i. 6?^n, plur. brine: drum. Änö, plur. 6ne; daneben mrura. ftfruw 64. Man fiige hinzu jrran, drum. </r?M. Mostre n. Vcrgl. ni. 294. (6H.)

34. (32.) sufrundzeale fUr drum. »printSene 64. wird auf «tft frunte zurückgeführt: rf aus < mag auf dem n beruhen, morea hat die Form Moreau^, Moreaüa 54. 48. ^opa wird ha- raüä 14. nova wird noaiiä oder riaita, phir. naZZ« Mostre ii.

35. (33.) Z. 4. Man füge hinzu kaschubisch ja zna aus ja znala, das hie und da znawa lautet, neben ja znala bei jenen Käsuben, die 1 wie 1 sprechen, was für die Ansicht an- geführt werden kann, nach welcher in den hier behandelten Erscheinungen von einem dem poln. l ähnlichen Laut auszu- gehen ist. Romania ix. 370. Dieses 1 besitzt auch das zakon. DeflFner, Grammatik 40. 4. Cenova 7. 57. 64.

42. (44.) unter IX. Das hinsichtlich des Überganges eines anlautenden e in a gesagte ist nach einem Aufsatze des Herrn Titkin in einem der letzten Jahrgänge der Convorbiri dahin zu berichtigen, dass diese Veränderung das unbetonte e trifft: aleg nach eligimus. argdt epYonr;^. aritS ericius. aStept ex- specto. ats^2 ecc' illum. atSest ecc* istum. In astingu exstinguo kav. ist, wie drum, sting zeigt, a ein Vorschub: das gleiche gilt von aludt Sauerteig und von vielen andern Wörtern.

48. (46.) it. fameglia II novellino 78.

48. (46.) Das in älteren Quellen vorkommende measer habe ich mit lat. miser zusammengestellt: Herr von Cihac, Boehmer, Romanische Studien 4. 166, sagt, lat. mIser habe nie meser ergeben können; aus miser habe misel oder misd ent- stehen müssen. Hinsichtlich des niedaer (nicht vieser) aus miser

Beiftrige zur Lautlehre der rumun. Dialekte. Lautgruppen. 59

wolle man meine Darlegung u. 48. (46.) nachsehen; was die zweite Ansicht anlangt, so kann misel nicht aus müer entstehen, da wohl l in r, nicht aber r in i übergeht; an miSd aus miser ist auch des S wegen nicht zu denken, das durch ^ in misellus vollkommen gerechtfertigt erscheint.

52. (50.) Auch im nslov. schwindet hie und da der ton- lose anlautende Vocal vor n: nikär, enkdrr, nkär; nicöj, ncöj; nekateri, enkateri, nkateri usw.

57. (55.) Z. 33. russiklat. : rustiklat.

74. (72). Z. 17. Das lat. indu erblicke ich auch im it. inde : la lima s' fe venuta a lamentarc inde la faccia del divino amore: dice che in cielo non ci vuol piü stare usw. N. Tom- maseo, Canti popolari toscani 51. Der Herausgeber macht zu inde folgende Bemerkung: I veneti in fe, I latini inde per in, Le rime antiche: in ddle occvite cose.

73. (71.) Z. 8. ftir Stei^k aus st^rcus (sp. estiercol) spricht gunöj Mist^ Dünger und Splitter.

III. 234. (8.) lilitse beruht auf lulidse, das ebenfalls gehört wird Mostre ii. 155.

237. (11.) Bei ßliu-meu war auf die enklitische Eigen- schaft des meu usw. ^u verweisen. Siehe v. 43.

239. (13.) Dass luoniy luo, hiotor für lupn, lti§, lu§tor ,des fonnes corrompues^ sind, halte ich insoferne flir richtig, dass jene nach einer erklärbaren Regel aus diesen hervoi^egangen sind : an eine Confusion ,de8 lettres respectives slaves' in ItAom ftir lti§m ist nicht zu denken Boehmer, Romanische Studien 4. 145. 163. 181. Dass die Schreibung m§r§ticrie usw. auf einer altslo- venischen Lautregel beruht, kann nicht in Abrede gestellt werden.

243. (17.) u für griech u ist aslov. sehr häufig: arhi- Äunagogb nicol. asurijemi. bus. 262. kumeni> xufxtvcv nicol. muro anth.; u steht auch für griech. oi: pumini> TCOifi-Tf^v. stuhija oroi^eta slepö. siS.

245. (19.) aslov. e. ea, ja flir e findet sich bulg. drjano- pole, mljako usw. milad. 116. 169. Mit izmedna vergleiche man sJärnburi Wäsche.

247. (21.) aslov. a: sembr^, simbvQ Gemeinsamkeit, Ver- gesellschnftung erinnert am russ. sjabri», jetzt äeben», Nachbar; aslov. 8§brB. mintire 68. für amesteka Mostre ii.

I

60 Miklosich.

248. (22), alov. ^. Nachzutragen ist CA%p}KHi^*K^ das aslov. *c^-p*K}KHl^a, serb. su-r?.ica, su-raÄica triticum mixtum secali entspricht Boehmer, Romanische Studien 4. 148. Dem aslov. ö^bn>, rumun. Uimhruy steht bulg. öomber milad. 385. gegen- über. Bulg. Tb für A% erklärt den Gebrauch des Ik zur Be- zeichnung des Lautes ^: tr^ Beben: TpA^CK. So schon im bulgarischen altslovenisch : ^v^x^HiiMk fiir k(3a*kh;^i^ und um- gekehrt Aki|jfio fiu' AA^tfKMi. Auch a findet sich ftir den Laut Skj §: 0)CpHACKaA%. Man beachte paHCA^'t^JH slepö. fbr pa^KAat^MJH.

251. (25.) Silbebildendes r. Bei mar. finde ich ein krtiti in der Bedeutung ,dolore afficere.' krti dodi er zögert zu kommen 4iv. 112. passt dem Sinne nach nicht, tir^ü imü tufaru de brad cu crengi nmlfe Colimina 1882. 380. vergleiche man mit serb. trS(5ak Rohrgebüsch, serb. gagiica, woftir rumun. (IW^^^^ neben girgfßiU^. Korn wurm, scheint für grgrica zu stehen. Für CR'Kp/iiir*K gobbius, R^pA8r*K Aalgi'undel, vurluge cobitis taenia Bielz finde ich kein entsprechendes slav. Wort. virsta cätätimea loculul wird von vrtstn sfafulü ^i crescdulü omvlui unterschieden : dieselbe Unterscheidung besteht heut- zutage in Bessarabien z>vischen versfä und virsfä. Columna 1882. 374.

254. (28). Silbebildendes l Nslov. findet sich bl, sl, dlg usw. für aslov. byli», stl-B, dl'i.gT> usw. ; silbebildendes n im nslov. §nt aus Sent. Langes silbebildendes 1 hört man in Wien im Rufe hausierender Juden in jhandln*.

257. (31.) Magy. ö, ö usw. Vergl. klruss. byrüv: birö. kopüv: kopö. reselüv: reszelÖ usw.

257. (31.) Herr von Cihac kann in it (i-) nur ,une Ortho- graphie vicieuse^ erblicken Boehmer, Romanische Studien 4. 145.

265. (39.) amir§Ta 13. fumaaTa familia 20. aus fpn-, hile, hüa filia 52. 96. hitin, drum, fin, 155. aus filiinus. ßtror 50: drum, fuior, kaU 58: drum, kaii, g§Tin§. ineTu 113. nivole 3: drum, nevoie, slav. nevolja. jni^^^- dispoa^ 129. proksenWe, 52. sJantetl 9: drum, sktntei, thevieale 159. Der Artikel im plur. masc. rt Mostre ii. Beachtenswerth scheint mir zcjr.rlindalul (sgärlindaliu) 20. für drum, zgiind (zgdind), worin mrum. rl wie t behandelt wird. Das Wort beruht, wie es scheint, auf slav. gr^lo, daher etwa ,den Rachen aufsperren'.

Beitr&ge zur Laatlehre der nimnn. Dialekte. Lantgrnppen. 61

277. (51.) l flir n soll eingetreten sein in dem in meinen Quellen fehlenden nialddk aus thrakisehem jjiavBdxY;? (BfiCfjLb; yjsp- Tcu) K. Sittl, Die localen Verschiedenheiten der lat. Sprache. Erlangen. 1882. 48 aus dem Ausland 1880. 85. ning§ flir drum. ling§ Mostre H. 28. 33. 56. 107.

281. (55.) Diez theilt in der letzten Ausgabe seiner Gram- matik richtig steale-i. 282. (56.) li bietet Mostre II. in lieTi (midli): es beruht auf amn^Uus aus agn^llus; iieava (mi^ua) ist agnella: drum, mioritsa. amiroane imperatrix 36. kepetüiü. 54. limaAüy IimoH§ 72. stranü. strani le 70. Der plur. auf i hat erweichtes n: a/ä 7. mtiu le 8. örfant 20. oameni Iw 33. ksenl 37. k^rfd le 92. kiiu 111. usw. Ebenso die ii. Sing, praes. : inkwrunt.

290. (64.) Auch im Süddeutschen wechselt n mit r Lite- raturblatt 1882. 93.

291. (65.) A. 1. adiumtu 22. strimturt^, drum, strimtoare 3. Santa l 125. A. 2. adzumse. frinise: *franxit. pimpseSt, drum. re^pitiseBy 12, beruht wie it. auf einem lat. spingere. B. 1. askumfd 28. frimte, drum, frunte, 62. simiseaSte 12. eonsimtsire 144. atumtsia 41. vkntu l 115. vimturi 56. prinise 35. 43, drum. prinse, askariise 22. iwise 105. Dunkel ist mir asplimsire furia 3. 140. C. 1. numta 41. sum 21. luctari wird durch alumptUy alumta reflectiert 9. 10. Mostre II.

293. (67.) Man beachte russ. komplektnyj neben dem mmun. kampleJcte,

299. (73.) Mit den durch itu gebildeten mrum. numeralia wie mif4ptitu, hi^isifu und dem drum, insutif ist bulg. öetVBrtit viereckig baSt.-jez. 10. 27. zu vergleichen. Das Suffix ist dem- nach slav. und das Beharren des t und s erklärt, mitäel klein hängt wohl mit mik zusammen.

IV. 3. (3.) budze le Mostre ii. 56. Auch hier gilt das un- historische dzeadzit 101. für das drum, dedd^f: degetus.

6. (6.) Dass z in brinz§ aus dz entstanden ist^ ergibt das klross. bryndzia poslov. 8.

9. (9.) bpiedzü Mostre ii. 14. bumbuneadz§ 105. afvldzereadz^ 105. napteadz§ 18. anvirligedzü 16.

14. (14.) fi (cid) aus pi findet sich in Mostre ii. in fol- genden Formen: se ak^isir^. 111, drum, se 8f§tuir§, wird 159. mit it. capire zusammengestellt. aproaki§ 22. l§8(i (läski) 150.

I

62 MiVlosieh.

für drum, noroj, in£edik§ri 27. pluft (pludu) 129. ist der plur. von plüpü bei Daniel, susfirare 48. 88, drum, mispiiia, sfiniraf ly dnua. «piware. askati 12. 109, drum, skapl. sfik lu 117, drum. spiku L tipita (chipitä) 101. 158. ist identisch mit chicuta ist. 12. (iv. 17.) tept (chieptu) 30. feaptine (cMepti)ie). fedlea (chUlea) 8, drum, pielea. tiitSor (cidor) 111, drum, pitäor, feafr§ (chieträ) plur. tetsiri 88. finü für hradü 101. 115 ist pinus. tisate (chigsate) W, drum, pisate. ^ndzmtisesku 82. f\ir drum, pizmiiseskü beruht auf icebjjuüaa von Trewfjwivci), wstafjwt. feare (cMSre), Urea (chirea), terut (ctdenU) 38. 41. 98. 137.

23. (23.) £ne (gJnne), jerdi (ierghi), tntred i (intregfu). p§- rundi (p&runghi), sl^da (släghia) 109, drum, släbia. Mostre ii. In ghine bene, das ich dine schreibe, soll gh (d) mehr wie bj, in ghine venit mehr wie vj lauten.

26. (26.) neor U 127 für drum, norvi beruht auf nubilum: *nüeT, woraus ^niur, ndur,

29. (29.) jinü (vhinü) vinum. aji'fi§ vinea. un jia injisa er träumte einen Traum 123. ajit§, drum. mts§. jiü vivus. jieatsa vita: *vivitia 109. sklaji 86. j^te, drum. grdb§, ist griech. ßia; da- her ajiusit 121. midzia (mi^ia) ist wohl nicht \ik ßia: vergl. Daniel s. v. (xssts. In avinasl und vinit erhält sich v: venari, venetus. Nach Mostre ii. 141. hat venio im praes. ji, im perf. vi: jinü venio. jinl venis; ebenso im imperf. jiii^a; daneben mniSij vinne, vinner§ usw. jiea»p§, jiearme Mostre ii. vh soU wie ngriech. v lauten, das sich vor i vom deutschen j nicht unter- scheidet.

31. (31.) tar Mostre n. 6. 144. asinus beruht auf bulg. tovar Last, serb. Last, Esel.

31. (31.) Für plflevdya und djalvdya ist zu lesen plÄvdya und dydßvdya.

31. (31.) ji für vi: bulg. praji facit für pravi.

36. (36.) Über g Rir v, gu für vu Archivio 2. 148. Man füge hinzu nslov. g6§ (goz) der Riemen, der den roönik und cöpec zusammenhält: von v§z. gun, aslov. on'B.

37. (37.) ar§dip8ire 147. für drum, rindui beruht auf apa- 566(1) für apaStat^a). p^psire 160. pistlpsire 152.

38. (38.) j wird auch sonst zu yj mrum. px^M§, alb. pj^- Sk^. alb. t;gdt^ra tb oXXo dan. 24, bei Hahn tjdt§r§. f^j^lj^^ 7Xi^^ dan. 26, bei Hahn fj&lj^.

Beltrftge xar Lautlehre der nimnn. Dialekte. Laatgmppen. 63

38. (38.) Aus Mostre ii. kiü, hu, (hte); himü, hitsi (sunt). 143. htkate 88: drum, ßkatsi. hieavr^, hivrif§ 72. Man beachte ahundos 103: drum, adtnk. him§ 50. fllr drum, partea a viai de jo8 a unei vfi ist man geneigt mit lat. infima zusammenzu- stellen 153. hiumusi 3. fUr drum, r^p^dzi ist mir dunkel.

40. (40.) ifd aus mi bietet Mostre ii. in folgenden Fällen: ar^ni plur. von a-^ritne 143: arfpi[LK. duiiiir§ 39. hasni Ti 72. Feinde: türk. hasm. luiMna, lu/dnos 101. neu meus 14. fm 72. neben meu 16. iiia, hu 31. 135. nik lu 131. difi%kat§ 38. 152: drum, dumika. nü^a 127: drum, se 'ndura. neare 68: drum. nnere. 'fiergu (miergu) 10. nerdzi 195. iiearse (viierse) 103. üä- dzukan 18. diznirdat^ 78: drum. dezmerdat§. ttfiie (tyviie) 20. 43: Ti;jw^|. /iVlm/ (tyihim) 80. In Zam/te (lamüie) 24. Xd|xia hat sich 7/1 neben n erhalten.

41. (41.) mnj für mj ßnde ich auch klruss. in Rozmova 20. 25: nanmjaly^ v mnjasnyci, vremnja. Das Zakon. kennt niroBia fUr ngriech. miroBjä Deffner, Grammatik 173.

45. (45.) k und g gehen auch in einer fz. Mundart^ im patois de La Baroche (Val d'Orbey) in tS und di über: tä^tj [Tf repr^sente une resonnance nasale, analogue ä la nasalitä des finales allemandes ing, eng etc.)^ bi^nts blanche, debötfi d^bauche, fötfi fourche; d2%lay gel^e, d2id2iv gencives, edz age usw. Ro- manische Studien, herausgegeben von £. Boehmer ii. 61. Aus k entsteht zunächst tJk^ aus g ebenso di, aus td und di erst 6 und ± durch Abfall von t und d.

46. (46.) (3) Es wird mir versichert, dass in Jassi ein von f verschiedenes erweichtes k gesprochen wird. In H. Sweet's Handbook of phonetics, Oxford, 1877, finde ich 48. 49. kj, gj als sehr seltene Laute verzeichnet: xv. werden beide Laute als palatalised bezeichnet.

50. (50.) Zum mrum. eelntcu ist zu bemerken, dass Jagi6, Istorija 1. 128, delnik für pastir erklärt. In per.-spis. 1. 126. heisst es: 6 (rcpomjYb; tJj twv BcüX^apcov dtaXdxTO) TlJ^Xvixoq

57. (57.) kla^ kiila usw. wird kla: ktam^j kKm^ 14. okTi 14.

dzenukU 127. 'nkTidü, 'nkKm 39. 145. 'nklin§ 76. kRhUs§: drum.

kofpk§ 153. piturnädh 60. Dunkel ist mir 'nglima, vieUeicht 'n

glima, drum, de Sage, se ^ngltnim vielleicht für se ^ngVirnim: me

ngTinisku jocor ist iv. 61. (61.) behandelt, drum. glumim 131.

64 MikloBich.

'ngRmindalui 129: drum, glumimh Vergl aslov. gluma, woraus zunächst gtürn^. ^nkurpiTa 131: drum, kuprinäed,

65. (65.) kt wird pt: faptu, alleptu electus. trnpiu Mostre n. 14. 64. 101. 142. 146. 148. Man merke xTlcjxa, das mrum. stizm^ (sti8m§) für drum, zidu l wird 123. 156: daher stizmar, stizmusesku 92. 105. 109. 121. stizmusi setzt ein xTiqxibvw voraus.

66. (66.) ks wird j)s: adapse 32, drum, admtse adauxit. adaphi 151. aleapse 16, drum, alese. trapse 17, drum, trase. trapSu 148. Zwischen Consonanten fiQlt p aus: friinMu, frrmse 152. asparkiu, asparse. Man beachte alesiüy aUseSi, aleaj)8e 146. Moßtre n.

75. (75.) Der rumun. reflex des lat. j ist d^, das in einem Theile des Sprachgebietes sein d eingebüsst hat. "Auch im fz. ward ursprünglich lat. j durch di reflectiert, dafür spricht engl. Joint, judge, just; dafUr eine fz. Mundart, das patois de La Baroche (val d'Orbey): dz^mbo jambon, dz4un jaune, däen jeune Romanische Studien, herausgegeben von E. Boehmer n. 61. Aus allgemeinen phonetischen Betrachtungen habe ich die Überzeugung gewonnen, dass k nur durch in $, durch ts in s, g durch in f , durch dz in z und dass j durch di in f, durch dz in z übergeht. Wann und wo k in ver- wandelt wurde, ist ebenso schwierig festzustellen, als die Zeit und der Ort des Überganges von in s. Zwischen k und tS liegen Zwischenglieder, während unmittelbar durch Abfall von t in ^ übergeht: analog verhält es sich mit den übrigen Wand- lungen. It. wird mit Recht an die Spitze der romanischen Sprachen gestellt. Neben der physiologischen giebt es eine historische Phonetik.

78. (78.) Über 5 aus sj im Jahrbuch für romanische und englische Literatur. X. 186.

78. (78.) Skret Mostre ii. 149. für drum, pustiü ist alb. : es beruht auf lat. secretus.

88. (88). sfiesk: mit aslov. sveniti se und dem bulg. sv^nja se non audeo mag serb. svanjiti se pudore affici zusammenhangen.

90. (90.) krekfu in mrst^ kreht§ 37. ftir drum. vtrsf§ fra- died^ möchte ich mit bulg. kr^hkav zart verbinden, das auf krShi>k, krehki beruht. Vergl. Mostre II. 151.

90. (90.) htr^'ie (hdrävhie) 47. 150. ist yaporf^f. majistr§ (mavhtsträ) 159. ist gleichfalls griech. Mostre II.

Beiträge zur Lautlehre der ramun. Dialeirte. Lantgrappen. 65

▼. (4.) Man beachte balg, karevli pok. 105. Beschuhimg.

(5.) bulg. parä Klage, p^risyäli partic. Vinga ev. 52. 60.

(6.) Narta für Arta, Ort in Albanien Mostre 11. 84.

(6.) b. muntrire 141. muntriask^ Mostre H. 3. beruht auf serb. motriti intueri.

(9.) b. wrsi, ursita, urfdtoare parca Mostre 11. 13. 17. 150. 152. beruhen auf b>p(aa; unsdre, unzita 21. 149. auf 6{AGtael^cü. p^rmith Fabel 146. ist irapsfAuGe. 8tfmtn§ 48. lautet bei dan. septempi§.

(12.) mrum. aslan lu, fok lu für drum, foku l. k^USt lu, k§tsui lu. kindu. multu, zbur^aku. aruminesku. f§kindu, dvMndu usw. nicht etwa Mnd, mtdt usw. Mostre ü. Das gleiche gilt von ».

(12.) nnk§ Mostre 11. 3. 42. 152. gri 9. aus gr§i.

(13.) b. r fällt aus: aratü Mostre II. 144. dO^gü, allag§ 4. 16. für aUergü, alUrg§. türk. alargajaöik. kcie für kare 147. kaitsido 109. für ort Uine ist kare tsi do, kainiva 70. 147. für tum va ist kare ne va, dessen ne mit dem von tkine identisch ist. rnukaiva 147. ist nis (nescio) kare va.

(21.) Metathesen aus Mostre II. mi 'miresku. ti ^nUresci. se ^fiUr&ce, se nUri, niiritu, drum. 9up§rat. piriin^ 7. für drum. b^je ist das drum, prfüne, pr§d&in§ Stange. turm§ 159. balta 105. nüdzukan (nilgiucan) 149. f^tat 155: vergl. su/rat^ hin- sichtlich des Suffixes. l§k§rmare 4S. l^keriü 30: lacrimari. n§9u^ n§se, dißu, dUa 15. 27. 147. 149. striksi 10: eorep^a. karvita 54. kervSr§ 154: serb. kravalj^ das auch griech. vorkommt. fframbeü 62. neben gambro lu 96. 155. tnkijnr§ 22. ninga 92. neben nik^ 48. 143: drum. tnk§. exire erhält mrum. protheti- sches n wie im sie: nescire^ daraus inSire 101. 151. tnüa 137. tnii 3. 32. 41. nSir§ 32 für drum. eHre usw. ahurhire 149. steht für akursire, wie ahturri frät. zeigt. Diese Form beruht auf griech. Äp^^tff«, *axipaa.

(28.) kcts^ lei. dziu§ lei 125. ifitni^ Tei 27. ap§ Tel 105. fug§ ki 17. kurie 2et 103: vergl. bulg. kurija Wald, lamni lei 25. BXLS Icminie t&L. lumi lei 115. aus lume Tei. skapari lei 27. pritse l0i 43: bestia. hil-ta (kilU-ta) 39. aus hUe-ta.

(29.) nt wird nd in minduire Mostre 11. 11. 19. *ng§ldzt 16. für drum. %nk§lzL Mit jenem ist alb. mendöj 2m. vergleichen. (29.) b. aborii, sbörä, sbortre Mostre 145. lauten natürUch aftoru usw.

Sitzvngsber. d. phil.-hist. Ol. CII. Bd. I. Hft. 6

66 Miklosich.

(32.) 1) adwpJ^u, adypBeÜ, adapse, adapsem, adapsei, adap8er§ Mostre 11. 151: adapse 32. für dmm. adause, 2) skoHu 56: drum. skosäi. 3) addv^ü 14: drum, aduseiü. 4) frimHüj frimseSl, fAmse, frimsem, frimsetüy frim8er§ aus franxi durch frampsi usw. Man beachte die iii. sing. fr4ge und die in. plur. fregerä d. i.freddze, freddzer§ : lat. fregit, frögerunt. 5) alleSiü, aüeseSi, dlUpse, aüip- dm, aüepsiL alUpser^ 146. alUpse, allSp8er§ 13. 16: drum. alUse, aüeser^. 6) pimpseSi 72: drum, respinseil. 7) dipussCf spu>iiü 27. 40: drum, spiiaeiü. 8) ariSü 12. ar^se. 32. 9) arvpse 80.

10) cuparÜu^ aap^stSi, asparse, asparsim, asparsit, asparser^.

11) teiü 70: drum, intins^. 12) traphi, tr^pseSty trapse, trapmn, trapsiiu, trap8er§ 148. trapse 17.

Literatur.

Die folgenden Blätter enthalten ein Verzeichniss der nach Sprache und Inhalt so mannigfaltigen Bücher, welche ich bei meinen rumunischen Studien benützt habe. Sie enthalten vieles zur Erforschung einer an Räthseln reichen Sprache dienliche, was ich bei Seite lassen musste und was meine Nachfolger an's Licht fördern werden.

Den Gönnern, deren freundlicher Gesinnung ich einen grossen Theil der angeführten Quellen verdanke, namentlich den Herren Bianu, Burla, Gaster, Hasdeu, Maiorescu-, Obe- denare, sage ich hiemit meinen herzlichsten Dank ; die Herren Bianu imd Obedenare hatten die grosse Freundlichkeit, mir ein von ihnen von Anfang bis zu Ende durchcorrigirtes Exem- plar der Mostre H. zur Verfügung zu stellen. Möchten sie finden, dass ihre grosse Mühe nicht verschwendet war 1

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Baritz, Q,, und G. Munteanu, Deutsch-romäniBcfaes Wörter- buch. Kronstadt. 1853.

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70 MikloBieh.

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75

Die Cartesiseh-Malebranche'sche Philosophie in

Italien.

Von

Dr. Karl Werner,

wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der WiseeDschafteo.

I.

M. A. Fardella.

Inhaltsilbersielit.

§. 1. Fardella's Lebens- und Bildungsgang, seine allgemeine Auffassung der Cartesischen Doctrin. §. 2. Sein Eintreten fiir die Cartesische physikalische Weltlehre gegen M. Giorgi, sein eigenes Verhältniss zu derselben. §§. 3f. Identi6cation der spiritualistiBchen Cartesischen Seelenlehre mit Aagiutins Grandanschauung vom Wesen der menschlichen Seele; Vertheidigung des Cartesischen anthropologischen Dualismus gegen die scholastisch-peripateti- sehe Auffassung des Menschenwesens. §§. 5 f. Kritik der scholastisch- peripatetischen Ontologie und Noetik. §§. 7 ff. Erörterungen über das der Natur der Dinge adäquirte klare und deutliche Erkennen; über die Ursachen der menschlichen Irrthümer; rationalisirender Piatonismus Fardella's. §§. 11 f. Logische und methodologische Grundsätze und Lehren Fardella*8; seine Stellung in der Entwickelungsgeschichte der neueren italienischen

Philosophie.

§• 1-

Die Cartesische Philosophie hatte seit der Mitte des siehzehnten Jahrhunderts in Italien Eingang gefunden und namentlich in Neapel viele Anhänger gewonnen. Zunächst war es die Cartesische Naturlehre, flir welche man sich beson- ders interessirte ; der aus Cosenza gebürtige Arzt und Mathe- matiker Tommaso Comelio (f 1684), welcher an der Universität in Neapel lehrte, war der Erste, welcher durch Wort und

70 Werner.

Schrift fiir die Bekanntwerdimg der Cartesischen Naturlehre in Italien thätig war. ^ Er hing befreundet mit dem berühmten Gio- vanni Alfonso Borelli (f 1679) zusammen, der, gleichen Studien wie Comelio ergeben, seinen Namen durch ein Werk über die Mechanik des animalischen Körpers verewigt hat.^ Ohne ein Cartesianer zu sein, stand der in den Bahnen der durch Galilei angeregten Art der physikalischen Forschung sich bewegende Borelli doch in einem gewissen VerwandtschaftsverhultniHS zu den Anhängern der Cartesischen Weltlehre, sofern er gleich diesen flir eine auf mechanistische Principien gestützte Natur- erklärung eintrat, daher er selbst auch mehrfach als Carte- sianer angesehen wurde. Eine Stelle in der Geschichte des italienischen Cartesianismus gebührt ihm in Wahrheit insofern, als es ihm beschieden war, seinem sicilischen Landsmanne Fardella, dem hervorragendsten unter den älteren Vertretern des italienischen Cartesianismus, zum Lehrer in den mathe- matisch-physikalischen Disciplinen zu werden. Borelli, einer messinesischen Familie entstammt und wahrscheinlich selbst in Messina geboren , ' bekleidete an der Universität seiner Vaterstadt zweimal (1640—1656 und 1670 1673) das Amt eines öffentlichen Lehrers; während seines zweiten Aufent- haltes in Messina war es, dass der dazumal zwanzigjährige Fardella, von unermüdlicher Lernbegierde getrieben, den be- reits in ganz Italien zu Berühmtheit gelangten gelehrten Natur- kundigen aufsuchte, um seine Kenntnisse nach jenen Seiten hin zu vervollständigen, rücksichtlich welcher er am besten eben nur durch Borelli gefördert werden konnte.

Michelangelo Fardella, geb. 1650 zu Trapani in Sicilien, hatte als Jüngling in raschem Laufe sich jene Kenntnisse an- geeignet, welche ihn befähigten, im Ordenshause der Francis- caner in Messina das Lehramt der Philosophie zu über- nehmen, welches er zu jener Zeit, als er mit Borelli sich in Verbindung setzte, bereits ausübte; die wissenschaftlichen Fortschritte, welche er unter Borelli's Leitung machte, waren Ursache, dass er a. 1676 nach Rom berufen wurde, um

' Vgl. über ihn Tiraboschi, Storia della letteratura italiana VIII, p. 235 sg. 2 Ausführlicheres über G. A. Borelli bei Vincenzo di Giovanni, Storia

della filosofia in Sicilia (Palermo, 1873) I, p. 260 sgg. ' Vgl. Vincenzo di Giovanni, 1. c.

Der Cartesianismiis in Italien. I.: M. A. FardelU. 77

daselbst im sicilischen CoUegium St. Pauli ad Arenulam Geo- metrie zu lehren. In den nächstfolgenden drei Jahren (1677 bis 1680) hielt er sich in Paris auf und verkehrte daselbst mit Amauld, Malebranche, Bejmard Lamy und Kegis. Aus Paris zurückgekehrt, wurde er beauftragt, im römischen Pranciscaner- convente ad SS. Cosmam et Damianum scholastische Theologie zu lehren. Er vertauschte jedoch diese Stellung bald mit jener eines Lehrers der Experimentalphysik und nahm sodann einen Ruf an die vom Herzog Franz 11. gegründete Universität in Modena an. Aber auch hier war seines Verbleibens nicht ; er siedelte nach^ Venedig über und unterhielt daselbst eine von Patricierjünglingen besuchte Privatschule, zugleich erwirkte er sich dazumal die päpstliche Erlaubniss zum Uebertritt aus dem Franciscanerorden in den Stand der Weltgeistlichen. A. 1694 wurde er zum Professor der Himmelskunde an der Universi- tät Padua ernannt, 1700 rückte er daselbst in die Stelle eines Professors der Philosophie ein. Im Jahre 1709 unternahm er eine Reise nach Spanien und fand wohlwollende Auf- nahme bei dem in Barcellona weilenden König Karl HJ., der ihm ein Jahrgeld anwies und den Titel eines königlichen Theologen und Mathematikers verlieh. Ein lebensgefährlicher Schlaganfall, welchen er 1712 erlitt, war Ursache, dass er Spanien verliess und nach Neapel gebracht wurde, woselbst er in Folge eines zweiten Schlaganfalles am 2. Jänner 1718 starb. Fardella's schriftstellerische Thätigkeit fällt in die Zeit seines Aufenthaltes in Venedig und Padua, daher auch die von ihm veröflFentlichten Schriften sämmtlich in Venedig gedruckt sind. Er trat im Jahre 1691 mit dem ersten Bande eines Systems der Gesammtphilosophie hervor,* welcher die philosophische Erkenntnisstheorie enthält; die übrigen Theile des Systems blieben unedirt. Aehnlicher Weise liess er es bei der Heraus- gabe eines ersten Theiles seiner Theoria Mathematicae bewen- den,^ welcher gleichzeitig mit dem ersten Theile seines Gesammt- systems der Philosophie erschien. Eine von Matteo Giorgi,

' Umyersae philosophiae systema, in quo nova quadam et extricata methodo naturalis scientiae et moralis fundamenta explanantur. Tom. I, rationalis et emendatae dialecticae specimen tradens, cui accedit appen- dix de triplici scholamm sophismate detecto et rejecto. Venedig, 1691.

' Universae uBualis mathematicae theoria. Venedig, 1691.

78 Werner.

Professor der PhilosopUe und Medicin in Genua, veröflFentlichte Kritik der Cartesischen Kosmologie * veranlasste ihn zur Ab- fassung einer in Briefform gekleideten Apologie der metaphy- sischen Grundanschauungen der Cartesischen Weltlehre^^ die er zwar nicht in Allem und Jedem vertreten will, aber gegen Giorgi's Anstreitungen zu vertheidigen sich aufgefordert fühlte; als Adressaten seiner brieflichen Apologie wählte er sich seinen Freund Magliabecchi^ Bibliothekar des Grossherzogs von Tos- cana. Eine Erwiderung Giorgi's auf diese Schrift ^ führte zu einer Replik von Seite Fardella's, * in Form eines zweiten Briefes an denselben ungenannten venetianischen Edlen gerichtet (ver- muthlich Sebastiano Foscarini)^ an welchen Giorgi's Replik adressirt war. Fardella wiederholt in dieser zweiten Schrift die Versicherung^ nicht ein blinder Anhänger der Cartesischen Philosophie zu sein, welcher er nur insoweit und insofern zu- stimme^ als die Sätze derselben im unbefangenen Vemunft- denken ihre Bestätigung finden; seine Bestrebungen seien viel- mehr auf die Erneuerung der bislang bei Weitem nicht nach ihrem geistigen Vollgehalte gewürdigten Philosophie des heili- gen Augustinus gerichtet, woflir er die Belege in einer seit längerer Zeit vorbereiteten Schrift bringen zu können hoffe. In der That erschien nach ein paar Jahren seine Darstellung

* Sagg^o della nuova dottrhia di Renato Descartes. Genua, 1694.

> Lettera del Big. Abbate Micher Angelo Fardella, Professore d*A8tronomia e Meteore nello Studio di Padova. Air illustrissimo ed eruditissimo Sig. Antonio Magliabecchi, Bibliotecario del Sereniss. Gran Duca di Toscana. 1695.

' Lettera del Sig. Dottor Matteo Giorgi Genovese al N. H. Veneto N. N., in cui 81 risponde alP opposizioni fatte alla saa epistola detta Saggio della nova dottrina di Renato des Cartes dal Sig. Abbate MicheP Angelo Fardella, Professore d'Astronomia e Meteore nel famosiasimo Studio di Padova. 1695.

* Lettera del Sig. Abbate M. A. Fardella al N. H. Veneto N. N., in cui replica alle opposizioni fatte alla sua prima lettera in difesa dei prin- cipj della Cartesiana filosofia del Sig. Dottore M. Giorgi Genovese. 1695. Die beiden Vertheidigungsschrlften Fardella's sammt der Lettera Giorgi's erschienen in Einen Band vereinigt unter dem Titel: La Fi- losofia Cartesiana impugpaata in alcnni principj dal Dott. M. Giorgi Ge- novese e difesa dal Sig. Abbate M. A. Fardella. Consacrata airillustris- simo Monsignor Luca Tozzi Medico di Sua SantitÄ Innocenzo XII. Venedig, 1698.

Der Cuiesianismas in Italien. I.: M. A. Fardella. 79

der AugustiniBchen Psychologie J die umfangreicliBte seiner durch den Druck veröffentlichten Arbeiten^ in deren einleiten- den Partien er auch eine Schilderung seines geistigen Ent- wickelungsganges gibt. Aufißllliger Weise lässt er hiebei seine in Paris angeknüpften Beziehungen zu den französischen Ver- tretern des Cartesianismus unerwähnt^ gibt jedoch andererseits deutlich zu erkennen^ dass er die Augustinische Psychologie im Sinne des Spiritualismus der Cartesisch-Malebranche'schen Philosophie verstanden und gedeutet wissen will. Von seinen physikalischen Studien schweigt er zwar nicht völlige legt ihnen aber doch nur einen untergeordneten Werth bei^ betont hin- gegen mit grossem. Nachdrucke die Wichtigkeit und Nothwen- digkeit der von den Pflegern physikalischer Studien ungebtlhr- lich vernachlässigten Erforschung der Natur des menschlichen Geeistes, des höchsten und vornehmsten Objectes der inquisi- tiven Forschung^ über welches man selbst bei den gepriesensten Philosophen des Alterthums, bei Aristoteles und Plato^ nur ungenügende Aufschlüsse finde. Aristoteles sei wohl tiefer in die Yoigänge des menschlichen Seelenlebens eingedrungen als andere vielgepriesene philosophische Forscher des Alterthums^ habe es aber nicht dazu gebracht^ eine Wesensbestimmung des menschlichen Seelenwesens zu eruiren^ aus welcher sich ein unzweideutiger Schluss auf die Unsterblichkeit oder Vergäng- lichkeit desselben ableiten liesse. Plato habe wohl hohe be- geisterte Worte für den Adel^ die Hoheit und Würde des un- sterblichen Seelenwesens; die Natur desselben aber habe er nicht aufgedeckt und verdecke dieses Gebrechen seiner Lehre vei^eblich durch poetische Fictionen, durch räthselhafte Schil- derungen und Andeutungen^ deren gedankenhafter Kern sich nicht aufspüren lasse. Im Gefühle der Enttäuschung über die schlechterdings ungenügenden Aufschlüsse der Philosophie^ die gerade das Höchste und Wichtigste in Dunkel und Ungewiss- heit lasse^ habe er sich durch längere Zeit ausschliesslich an

^ Animae hamanae natara ab Aogustino detecta in librts de animae qaan- titate, declmo de Trinitate et de animae immortalitate . . . sab anspi- cÜB eminentissimi et sapientissimi Henrici S. R. E. ütuli S. Angustini Cardinalifl de Noris. Opus potissimnm elaboratnm ad incorpoream et immortalem animae humanae indolem adversas Epicuii et Lucretii secta- tores ratione praelucente demonstrandam. Venedig, 1698.

80 Werner.

die Beschäftigung mit dem Studium der körperlichen Aussen- weit hingegeben; endlich habe eine wohlthätige Fügung der göttlichen Güte sein genaueres Bekanntwerden mit Augustins psychologischen Schriften und Lehren veranlasst, für deren richtiges Verständniss er sich im Besonderen dem Cardinal Noris zum Danke verpflichtet fUhle; Augustinus habe ihm zur geistigen Einkehr in sich selber verhelfen und ihn die Seele in ihrer eigensten Wesenheit erfassen und erkennen gelehrt. Die nöthige Müsse zu seinen Augustinischen Studien glaubt er dem Curator der Paduaner Universität; Sebastiano Foscarini^ verdanken zu müssen, die wissenschaftUche Förderung seiner Augustinischen Studien aber seinem gelehrten Freunde Antonio Magliabecchi.

Wir haben sonach in Fardella einen Cartesianer vor uns, welcher die geistige Berechtigung seines Cartesianismus aus der Uebereinstimmung desselben mit der Augustinischen Seelen- lehre zu erweisen bestrebt ist und in der Cartesischen Philo- sophie selber nur ein Vehikel zum richtigen Verständniss der Augustinischen Philosophie erkennt. Wenn es nach den an- geführten Erklärungen Fardella's scheinen will, als ob die Augustinische Psychologie das Richtmass für die Richtigkeit der Cartesischen Anschauungen abzugeben hätte, so war doch sein Denken zu sehr von letzteren durchdrungen, als dass sich nicht umgekehrt seine Auffassung der Augustinischen Lehre nach Cartesianischen Anschauungen hätte modeln sollen; er hatte hierin einen Vorgänger an Malebranche, mit welchem er sich, wie wir später sehen werden, auf dem Gebiete der Er- kenntnisslehre mehrfach berührte, ohne jedoch die Ideologie desselben zu adoptiren.* Es lag ihm aber übrigens in seiner Eigenschaft als Geistlicher nahe, seine Befreundung mit der Cartesischen Lehre als Vehikel eines Rückganges auf den echten und reinen Augustinismus zu erweisen, und es ist kein

' Beachtenswerth ist in dieser Beziehung folgende Aeusserung FardeUa^s: Mihi displicet opinio asserentium ideam rei, quae menti inest, esse quid reaUter diversum ab ipsa perceptione rei, veluti quid medium inter rem et percepÜonem, quod falsum esse invictis rationibus contra Malebran- chium Antonius Amaldus, doctor sorbonnicus et philosophus incompara- bilis demonstrat in suo tractatu de veris et falsLs ideis gallice conscripto. Univ. philos. syst. I, Pars 2, p. 90.

Def Cartesianisinua in lUlien. I.: M. A. F»rdeU». 81

Zweifel, dass er hierin mit vollkommener Aufrichtigkeit ver- fuhr; ein anderer zeitgenössischer Landsmann Fardella^B, Vico's Freund Paolo Doria, bezeichnete seinen Cartesianismua als einen dem wissenschaftlichen Zeitbewusstsein angepassten Rück- gang auf den Platonismus/ was bei der unleugbaren Denk- verwandtschaft der Cartesisch-Malebranche'schen Philosophie mit der Platonischen gleichfalls eine relative Berechtigung hatte. Insgemein waren Piatonismus, Cartesianismus und so- genannter reiner Augustinismus drei Elemente, welche zufolge ihrer gemeinsamen Opposition gegen den durch das Auf- kommen der mechanistischen Naturerklärung aus seiner Greltung gedrängten Peripatetismus innerlich mit einander verschwistert waren und dem von den Anschauungen einer speculativen Morphologie abgekommenen Denken den Rückhalt zur geistigen Srfassung einer übersinnlichen Wirklichkeit darboten. Wenn das Abkommen von den Anschauungen einer speculativen Morphologie in der ungenügenden Durchbildung derselben seinen geschichtlichen Erklärungsgrund findet, so darf weiter auch nicht übersehen werden, dass dieses Abkommen einen geistigen Entwickelungsprocess einleitete, durch welchen eine geistig vertiefte, dem Entwickelungsstande des neuzeithchen Natur- und Weltbewusstseins adäquirte Emeuerimg der in ihrer Natur- wahrheit und Sinnestiefe unvergänglich sich behauptenden morphologischen Anschauungsweise vorbereitet werden sollte. Dass Fardella wirklich Cartesianer war, spricht er be- stimmt und entschieden genug in seinem Schreiben an Maglia- becchi aus, welches ja eben dem Zwecke diente, für die Be- rechtigung der Cartesischen Doctrin gegen Giorgi einzutreten. Allerdings verwahrt er sich gegen eine imbedingte Identifica- tion seiner selbsteigenen Anschauungen mit jenen des Des- cartes; er gesteht ferner auch zu, dass die Cartesische Lehre mancherlei Mangelhaftes, Dunkles, Unfruchtbares und Un- richtiges enthalte, was indess mehr oder weniger von jeder anderen philosophischen Doctrin gelte. Durchaus verfehlt sei es jedoch, die Cartesische Doctrin fUr eine philosophische Neuerung auszugeben, durch welche alle hergebrachten An-

^ Vgl. FUosofia di Paolo Mattia Doria, nella quäle si sclarisce qaella di Piatone. (Genua, 1728.) 2 Voll. Sitiangsber. d. phil.-hist. Cl. CU. Bd. I. Hft. 6

82 Wern«r.

schauungen umgestürzt und das gesammte Erbe überlieferter Weisheit über Bord geworfen werden solle. Es lasse sich viel- mehr unschwer zeigen^ dass die Hauptsätze der Cartesischen Doctrin sämmtlich schon in alter Zeit gerade von den hervor- ragendsten imd berühmtesten Philosophen vertreten worden seien; dass die sinnliche Wahrheit und Gewissheit der rein geistigen Gewissheit nachstehe imd deshalb alle echte Philo- sophie mit dem Zweifel an der Wahrheit und Gewissheit des sinnlich Erscheinenden zu beginnen habe, ist von den alten Skeptikern gelehrt worden, und auf dieselben gestützt giündeten die Platoniker alle philosophische Gewissheit auf die Erkennt- niss der rein intelligiblen Naturen. Augustinus schloss sich hierin ganz den Platonikem an; und Cartesius lehrt nur das- selbe wie Augustinus, wenn er, vom Zweifel an der Wahrheit des gewöhnlichen Bewusstseins ausgehend, unser geistiges Sein als das erste Gewisse hinstellt und das Wesen unseres Geistes im reinen Denken erblickt. Dieses reine, von aller störenden und trübenden sinnlichen Imagination freigehaltene Denken trägt seine Wahrheit und Gewissheit in sich selber als das klare und deutliche Erkennen, in welchem der denkende Geist sich seiner selbst und der Wahrheit des von ihm Gedachten unmittelbar gewiss ist; zu den auf diese Art evidenten und gewissen Wahrheiten gehört die Existenz Gottes und der Körper, weit, deren Läugnung den denkenden Menschen mit der un- mittelbaren Selbstgewissheit seiner denkhaften Geistnatur in den directesten Widerstreit versetzen würde. Dies Letztere mit überzeugender Klarheit ans Licht gestellt zu haben, ist das eigentlich Neue und Ueberraschende in der Cartesischen Philosophie; sein Verdienst ist, die bei den alten ihm denk- verwandten Philosophen zerstreut auseinander liegenden Licht- gedanken in einen geistigen Focus gesammelt zu haben und damit auch zur Möglichkeit einer methodisch geordneten, planen und ungehemmten Abwickelung aller höheren Geisteserkennt- nisse aus einem ersten geistig Gewissen vorgedrungen zu sein, Cartesius ist der Schöpfer der richtigen Methode der philoso- phischen Gedankenentwickelung; und indem er alle wahrhaft philosophische Erkenn tniss auf die geistige Selbstgewissheit stützt, ist er es, welcher angeleitet hat, die Dinge nicht mit den Augen Anderer, eines Epikur, Pythagoras, Plato oder

Der Cartesianismus in Itolien. I. : M. A. Fardelia. 83

Aristoteles anzuseheaa, sondern mit dem selbsteigenen Geistes- auge zu sehen und zu erkennen. Die von ihm gelehrte Methode der philosophischen Forschung ist aber auch von hohem sitt- lichen Werthe, sofern die von ihm urgirte geistige Selbstcon- centration eine strenge Abziehung des Geistes von allen Reizun- gen und Täuschungen der Sinne und der Imagination heischt, wie dies in dem bewunderungswürdigen Buche Malebranche's über die Erforschung der Wahrheit mit dem vollen Adel eines reinen hohen Geistes dargelegt ist. Dass bei dieser geistig- sittlichen Richtung des Denkens die Kenntniss der Natur nicht zu Schaden komme, zeigt sich in der ingeniösen Verknüpfung der physikalischen Weltlehre des Cartesius mit seiner Metaphysik oder mit demjenigen, was er seine Philosophia prima nennt; seine mathematisch begründete und entwickelte Naturlehre ist eben, wenigstens ihrer Idee nach und ihrer Absicht nach, die echte, von allem sinnlichen Scheine losgelöste und von allen trübenden Imaginationen freie, echt geistige Erkenntniss der sinnlichen Wirklichkeit. Fardella unterlässt nicht, hier aber- mals hervorzuheben, dass die Grundlehren der Cartesischen Physik aus der antiken Philosophie entlehnt, und namentlich die vielbestrittenen Behauptungen von der Unbegrenztheit und vollkommenen Ausgeflilltheit des Weltraumes, von der un- begrenzten Theilbarkeit der Materie, von der Identität der Körperlichkeit mit der dreifachen Ausdehnung im Räume u. s. w. vor Cartesius bereits von Plato, Aristoteles und Augustinus ge- lehrt worden seien.

§.2.

Eben die philosophischen Ginindanschauungen der Carte- sischen Doctrin vom Wesen der Körperlichkeit werden aber von Giorgi als imwahr bestritten. Die Cartesische Doctrin wolle Alles aufklare und deutliche Sachbegriffe reducirt wissen, die un- mittelbar durch sich selber evident sein sollen; es sei aber nichts weniger als unmittelbar evident, dass das Wesen der Körper- lichkeit in der dreifachen Ausdehnung in die Länge, Breite und Tiefe bestehe, vielmehr werde diese Annahme von gar Vielen aus guten Gründen bestritten. Ebensowenig sei es un- mittelbar durch sich selber evident, dass alles Ausgedehnte

84 Werner.

seiner Natur nach der Bewegung unterworfen sei; es scheinen vielmehr Stabilität und Immobilität zur Perfection des Körper- lichen zu gehören. Aus der Denkmöglichkeit eines unendlichen Raumes folge keineswegs die Wirklichkeit einer unendlichen Ausdehnung; vielmehr wisse ein besonnenes Denken die sub- jective Denkmöglichkeit einer unendlichen Ausdehnung recht wohl mit der Thatsächlichkeit und Denknoth wendigkeit einer begrenzten Weltwirklichkeit in Einklang zu bringen und er- kenne in der Imagination eines unendlichen Raumes, sofern durch denselben nicht die göttliche Unendlichkeit bedeutet sein soll, eine reine Negation. Eben die Unermesslichkeit des gött- lichen Seins involvire weiter auch die Immobilität des von ihr umschlossenen Raumes der Weltdinge, welchem Cartesius die Mobilität als eigenstes Wiesen habe aufdringen wollen.

Auf diese Hauptmomente reducirt Fardella die Einsprache Giorgi's gegen die physikalische Weltlehre des Cartesius, als dessen Vertheidiger aufzutreten er sich angetrieben ftlhlt. Er beschwert sich zunächst über die missverständliche Deutung, welche Giorgi den von Cartesius geforderten klaren und deut- lichen SachbegrifFen gebe. Ein an sich klarer und deuthcher Begriff könne immerhin der Controverse unterworfen sein, so- fern es sich eben darum handelt, dass die innere Evidenz des- selben durch eine genaue, aufmerksame Prüfung ans Licht gestellt werde. Aus der Noth wendigkeit einer solchen Prüfung folgt jedoch keineswegs, dass der angestrittene Begriflf nicht an sich wirklich evident sei. Wenn Giorgi in Betreflf des carte- sischen Begriffes der Körperlichkeit das Gegentheil erweisen wollte, so musste er zeigen, dass der klare und deutliche Be- griff vom Wesen der Körperlichkeit ausser der dreifachen Dimension noch etwas Anderes als denknothwendig in sich schliesse. Dies zu zeigen ist ihm jedoch nicht gelungen. Er sagt, im Begriffe des Körpers sei als denknothwendiges Merk- mal der Gedanke eines beweglichen und theilbaren Seins ent- halten, dieses Merkmal jedoch mit dem blossen Gedanken der dreifachen Ausdehnung nicht gegeben; nebenbei behauptet er aber, eine wahrhafte Ausdehnung komme nur dem Körper zu, Raum und Ort hätten blos eine negative Ausdehnung, die nur uneigentlich dafür zu nehmen sei, ungefähr so, wie wenn man die Finsterniss oder die falschen und negativen Quantitäten

Der Cartesianiffinns in Italien. T. : M. A. Fardella. 85

der Alf^ebra * für etwas positiv Seiendes nehme. Daraus kann aber doch nur folgen, dass wir, wenn wir die wahre und wirk- liche Ausdehnung denken, die physische Körperhchkeit denken, somit die BegriflFe von Ausgedehntheit und Körperlichkeit sich decken. Wenn wir weiter, wie Giorgi behauptet, die Körper denknothwendig als etwas ihrer Natur nach Beweghches an- zusehen haben sollten, so würde die Unbeweglichkeit zu einem Attribute dessen werden, was blos ein Schatten oder haare Negation des Seins ist (leerer Raum); dann kann aber nicht mehr mit Giorgi gesagt werden, dass die Ausdehnung die Proprietät eines fixen unbeweglichen Seins in sich schhesse. Giorgi anerkennt die objective Wahrheit und Keahtät des Begriffes eines unendlich ausgedehnten unbeweglichen Seins, das ihm mit dem göttUchen Sein identisch ist; wie will er da den Cartesianem zum Vorwurfe machen, dass auch sie die Realität einer unendlichen und in Folge ihrer Unendlichkeit unbeweglichen Ausdehnung behaupten nur dass sie aus guten Gründen die Identificirung der unendlichen imbeweg- lichen Ausdehnung mit dem göttlichen Wesen ablehnen, da Gott kein Körperwesen ist. Wäre der unendliche im beweg- liche Raum nur eine Privation, so würde Gott im Nichts wohnen und das Nichts ausfüllen; er könnte dann auch nicht das schlechthin Unbewegte sein, da er, um allgegenwärtig zu sein, beim Entstehen der geschaflFenen Dinge aus der Leere des Nichts heraustreten müsste, um auch in den geschaffenen Dingen gegenwärtig sein zu können, woraus aber weiter folgen würde, dass er nicht schon seinem Wesen nach der Unermessliche und Unbegrenzte sei. Es treten hier die Consequenzen einer ima- ginativen Auffassung des göttUchen Wesens zu Tage, welche es zum klaren und deutlichen Begriffe vom göttlichen Wesen, den Giorgi in dem Gedanken der unermessUchen Ausgedehnt- heit zu besitzen meint, nicht kommen lässt. Die göttliche Un- endlichkeit muss als geistige Unendlichkeit, als iinendhche Fülle und Vollkommenheit des unausgedehnten götthchen Wesens in

* Cartesius nannte die negativen Wurzeln einer Gleichung unpassend falsche Wurzeln, erkannte jedoch, dass durch sie Linien angezeigt werden, welche eine entgegengesetzte Lage im Verhältniss zu den durch die poritiren Wurseln angezeigten Linien haben.

86 ' Werner.

sich selber gedacht werden^ als die absolut einfache Substanz, die von aller nothwendigen unfreien Bezogenheit auf die ausser ihr ins Unendliche sich ausbreitende Räumlichkeit losgelöst ist. Nur durch eine unermessliche Ausbreitung seiner Wirk- samkeit kann Gott allenthalben im Räume gegenwärtig sein; es gibt fllr die unkörperlichen und spirituellen Naturen keine andere Präsenz im Räume als jene durch das Wirken. Da Sein und Wirken in Gott identisch sind, so ist er allerdings allen Dingen essentiell gegenwärtig; er ist allen Dingen un- mittelbar nahe, sofern er sie erkennt und durch sein continuir- liches Kraftwirken im Sein erhält, sofern er überhaupt Wurzel, Ursprung und Princip alles Seienden ist.

Fardella erklärt Giorgi's Trennung des unbeweglichen Raumes von den innerhalb desselben sich bewegenden Körpern für eine unberichtigt gebliebene falsche Denkgewöhnung, die im Raum ein GefUss der Körper sieht. In der rationalen An- schauung des Cartesius klärt sich diese imaginative Vorstellungs- weise dahin auf, dass zwischen dem allgemeinen Wesen des Körpers und den particularisirenden Modificationen desselben unterschieden wird; das allgemeine Wesen des Körpers besteht in der dreifachen Ausdehnung, die speciellen Determinationen der Ausdehnung durch diejenigen Qualitäten, welche das körper- liche Sein sinnlich wahrnehmbar machen, constituif-en die parti- culären Körper, welche speciell und mannigfach geformte Theile des Ausgedehnten als solchen sind. Die Unbegrenztheit des Aus- gedehnten als solchen schliesst die Möglichkeit einer Umgebung durch einen leeren Raum aus, der eben nur eine subjective Ima- gination ist; die Unwahrheit derselben nöthigt, die Ausdehnung als ein reales Unendliches zu denken, welches als solches un- bewegt ist, während die Particularisationen des Ausgedehnten der Bewegung unterworfen sind und der Bewegung ihr Dasein ver- danken. Die angeblich unbewegliche Axe rotirender Körper, von welcher Giorgi spricht, ist eine Täuschung seines imagina- tiven Denkens; im rotirenden Körper ist nichts, was nicht der Bewegung untei'worfen wäre, und bliebe die Axe unbewegt, so wäre sie eben nichts als eine der Realität ermangelnde Vor- stellung, nicht aber ein Halter des rotirenden Körpers.

Giorgi wendet gegen die Idee einer realen unendlichen Ausdehnung ein, es wäre denkbar, dass Gott alle Weltkörper

Der CATtesianisnvs in Itelien. I. : M. A. FardelU. 87

aiuser der Erde vernichte; in diesem Falle wäre ausser der Erde eine unendliche Leere vorhanden^ die nach Cartesius eine blosse Imagination sein müsste, wofern er nicht etwa behaupten wollte^ dass dann auch keine Imagination eines unendlichen Raumes und Körpers vorhanden wäre^ was nach Cartesius un- mögKch ist. Fardella erwidert, dass die Conception einer im* endlichen Ausdehnung nach Cartesischer Lehre nicht der Ima- gination^ sondern dem Verstände angehört, indem die Phantasie blos die modificirte, somit endliche Körperlichkeit concipirt. Daraus folgt, dass der von Giorgi angenommene Möglichkeits- fall eines Nichtvorhandenseins aller anderen Weltkörper ausser der Erde fUr den denkenden Verstand eine Unmöglichkeit ist, da der particuläre Körper nur als ein aus der an sich uner- messlichen allgemeinen Körperlichkeit herausgebildeter Theil $redacht werden kann. Giorgi missdeutet ferner die Cartesische Lehre, wenn er ihr unterlegt, dass ihr gemäss, wenn Gott die pinze Körperwelt vernichten wtlrde, die existenten Geister, welche die unendliche Ausdehnung zru denken filhig sind, sie als wirklich existent denken müssten. Der wahre Sinn der Oartesischen Lehre ist, dass die Ausdehnung, sofern sie in die Erfahrung des Geistes tritt, von demselben als unendlich ge- dacht werden müsse; ihre Existenz ist Sache der Erfahrung. Cartesius findet nur in zwei Ideen die Existenz als denknoth* wendiges Moment enthalten: in der Idee des Geistes von sich selber als denkendem, und in der Gottesidee des Geistes. Ebenso beruht es auf Missverständniss, wenn Giorgi aus der Oarte- sischen Lehre folgert, dass der unendliche Raum schon vor der Schiipfung der Dinge als Voraussetzung derselben dagewesen sein masste ; der Baum oder die Ausdehnung ist eben mit den Dingen selber gegeben und existirt nicht ausser ihnen und nicht als Fassung derselben. Wahr ist nur so viel, dass, wenn Gott den Raum oder die Ausdehnung setzen wollte, diese eine unendliche ^in müsste.

Fardella erklärt schliesslich Giorgi's kosmologische Meta- physik für eine Erneuerung der alten demokritischen Corpus- eularphilosophie zu Gunsten des Gedankens von dem an sich Wren Welträume gegen die Aristotelische Lehre von dem das Leere ausschliessenden Vollen. Giorgi habe diese Gedanken Borelli entlehnt, welcher unübei-trefflich in der Mathematik^

8^ Werner.

nicht eben so gross als Metaphysiker gewesen «ei. Borelli habe die Distanz zwischen den Körpern nicht fiir eine wahre nnd wirkliche Ausdehnung^ sondern für eine blosse Negation der Körper^ ja für ein Nichts gehalten und den leeren Raum als Fassungsmittel der ausgedehnten Körper angesehen. Den Raum für etwas Wirkliches zu halten, beruht nach Borelli auf einer falschen Denkgewöhnung, sofern man bei der Messung räum- licher Verhältnisse, deren Subjecte die Körper sind, den Raum als Subject der Messung unterschiebe. Diese Ansicht habe Giorgi adoptirt und weiter auszuführen gesucht. Die Wendung, welche Fardella's Polemik gegen Giorgi im Punkte der göttlichen Un- endlichkeit nimmt, wirft ein charakteristisches Licht auf das Verhältniss des Ersterßn zur Theologie des Ordens, aus welchem er geschieden war. Er beschuldigt Giorgi der Verquickung seiner unklaren kosmologischen Metaphysik mit abstrusen scho- lastischen Vorstellungen, welche im Lichte des neuzeitlichen Denkens keine Geltung mehr haben könnten. Giorgi verweist seinen Gegner auf Mastrius und Bellutus, ' deren Anschauungen auch Fardella zu respectiren verpflichtet sei. Wir entnehmen hieraus, dass die scotistische Idee der göttlichen Unendlichkeit es war, auf welche gestützt Giorgi gegen Cartesius die End- lichkeit der Welt vertrat. Allerdings hatte er damit einen Punkt berührt, rücksichtUch dessen die Cartesische Philosophie gegrün- deten Anstoss zu geben geeignet war, indem ihr nach völliger Abwerfung der Anschauungen einer speculativen Morphologie die Mittel fehlten, das absolute Gefasstsein der Welt in Gott als absolutem Umschlusse der Dinge aufzuweisen. Die Abwerfung des speculativen Formbegriffes war gleichbedeutend mit der Emancipation der Materie von den sie umschliessenden nächsten Formprincipien; mit dieser Emancipation war die Diffusion der Materie ins Unendliche gegeben. Sollte nun diese Art von Unendlichkeit auch nicht als absolute Unendlichkeit gelten, die nach Descartes und Fardella eben nur im göttlichen Sein ge- geben ist, so blieb denn doch noch immer die Frage, ob eine

1 Mastrius and Bellattis, zwei italienische Franciscaner des 17. Jahrhandert, gaben gemeinsam Disputationes in Organum Aristotelis, quibus Scoti lo^ca yindicatur, Bellutus nebstdem einen Cursus philosopbiae ad mentem Scoti heraus.

Der Cartesianiamns in IteKta. I.: M. A. Fardella. 89

körperliche Unendlichkeit als wirklich seiend denkbar sei. Far- della fasst sie als einen Progress ins Unendliche nach Art der ins Unendliche fortschreitenden Zahlenreihe^ die seinem mathe- matisch gebildeten Denken das Schema der Weltunendlichkeit abgibt; er behauptet in gleicher Weise eine Theilbarkeit der Körper ins Unendliche, welche sich ihm ebenfalls ans Ghrtinden des mathematisch gebildeten Denkens ergibt. Er lenkt hiebei in das Gebiet der Monadenlehre Leibnizens hinüber, zu welchem er sich brieflich in Beziehung setzte ; in Leibnizens hand- schriftlichem Nachlass zu Hannover fanden sich mehrere Briefe Fardella's vor. Leibniz selber spricht in einem seiner Briefe an den Abb^ Nicaise davon, dass Fardella sich sehr ange- legentlich mit der Monadenlehre beschäftige;^ in einem an Fardella selber gerichteten Schreiben stellt er eine nähere Ver- ständigung über das fragliche Thema in Aussicht^ sobald er Far- della's Gedanken darüber aus dessen der Veröffentlichung nahem Werke über Augustinus werde kennen gelernt haben. -^ In der That kommt Fardella in jenem Werke ^ auf die untheilbaren punctuellen Einheiten zu sprechen, welche er als die grundhaften Entwickelungsansätze der körperlichen RaumfbUungen ansieht und mit der untheilbaren, nicht multiplicirbaren arithmetischen Einheit vergleicht, welche Wurzel und Princip der Vielheit ist. Die punctuelle Einheit sei jedoch eine Einheit höheren Banges als die Zahl Eins; denn während aus der Verbindung dieser mit anderen Zahleinheiten eine Mehrheit sich ergibt, wird der Eine Punkt, in welchem sich unzählige Linien schneiden, nicht vervielfilltigt. Die Zahl wird durch HinzufUgung und Hinweg-

' Leibnizens Briefe an Nicaise finden sich abgednickt im zweiten Bande der Oeavres de Y. Cousin (Brüssel, 1841). Im zehnten dieser Briefe, der aus Hannover, 14. September 1696 datirt ist, findet sich über Fardella folgende Aeussening: Un s^avant abbe italien, professeur de mathemati- qne k Padona, qui donne fort dans ma nonvelle hypothese philosophique, donnera an onvrage snr saint Augustin de quantitate animae, quHl d^die au Cardinal Noris.

' De natura monadum et substantiaram, quod porro quaeris, putem facile satisfieri posse, si speciatim Indices, quid in ea explicari yelis. . . . Yellem ▼idere antea liceret, quae de meis sententiis dices in tuo, quod moliris, Augustiniano opere. Ep. ad Fardellam de a. 1697 (abgedruckt in Leibnit. Opp, ed. Erdmann, p. 145).

' An. hum. nat, Pars I, capp. 11 et 12.

90 W«rn«r.

nähme von Einheiten quoad speciem alterirt; die Linie hingegen erfkhrt keine Vergrössening oder Verkürzung durch Hinzu- ftlgung oder Hinwegnahme punctueller Einheiten. Der Punkt steht als das jede Theilung Ausschliessende dem schlechthin theilbaren Körper gegentlber, in welchem kein Theil enthalten ist, der nicht selber wieder theilbar wäre. Minder theilbar als der Körper ist die Fläche, welche eine Theilung ntir nach zwei Dimensionen zulässt, daher sie minder unvollkommen ist als der nach drei Dimensionen theilbare Körper. Ueber der Fläche steht die Linie, welche nur nach Einer Dimension theilbar ist, während der Punkt absolut untheilbar ist. Die Fläche besteht unabhängig vom Körper, die Linie unabhängig von der Fläche, während das Entgegengesetzte nicht statthaben kann. Darum ist die Fläche etwas Höheres und Vollkommeneres als der Körper, die Linie etwas Höheres und Vollkommeneres als die Fläche; das Höchste und Vollkommenste ist der Punkt, der von Körper, Fläche, Linie unabhängig in sich selber subsistirt und Princip und Wurzel der dreifachen Ausdehnung ist.

Auf die Frage, ob und inwieweit Fardella sich dem Leibniz'schen Monadismus genähert habe, muss einfach geant- wertet werden, dass er auf da« eigentliche Wesen desselben gar nicht einging. * Davon hielt ihn sein grundsätzlicher Dua- lismus von Geist und Materie ab, welchen Leibniz dadurch tiberbrückte und relativ beseitigte, dass er die Sinnenwelt als eine durch das Zusammensein der vorstellungsfkhigen Monaden constituirte phänomenale, abgeleitete Wirklichkeit erklärte. Fardella liess Leibnizens vorstellungsfilhige Monaden völlig bei Seite; ihm war nur darum zu thun, reale Principien der körper- lichen Ausdehnung zu gewinnen, welche sich eben in seiner Lehre von den raumloscn punctuellen p]inheiten darboten.

* In dem methodologischen Abschnitte seines Univ. philos. syst. I, woselbst die bedeutendsten Förderer der Philosophie, Mathematik und Physik namhaft gemacht werden, wird Leibniz hauptsächlich nur von Seite seiner Verdienste um die Ausbildung der durch Vieta begründeten, ron Carte- sius u. A. erfolgreich geförderten Mathesis snblimior gewürdigt: Acu- tissimus Leibnitius, qui ad omnia natus, acri ingenio et summa judicii vi pollens, methodum quandam specialem excogitavit, qua calculus ana- lyticus ad maximam universalitatem evectus nimium perfici possit, quod ^dhuc in Cartesiana geometria desideratur,

Dar Cartesianismui in Itolien. I. : M. A. Fardella. , 91

Allerdings erscheint auch hier die sinnliche Wirklichkeit als eine blos phänomenale Wirklichkeit; sie ist aber in Principien gegründet, welche ausschliesslich der Körperwelt angehören und die Realität der Räumlichkeit als solcher erklären sollen, während fiir Leibniz der Raum eine blosse Vorstellung ist. Eben diese Auffassung hatte aber Fardella^ wie wir oben sahen, bereits an Borelli und Giorgi bekämpft.

«

§. 3.

Fardella entwickelt die im Vorausgehenden angeführten Gedanken über den untheilbaren Punkt als Wurzel und Princip der körperlichen Ausdehnung in seiner Commentirung zweier Capitel der Schrift Augustins de quantitate animae,* die frei* lieh nur darauf hinausgehen, aus der Unkörperlichkeit der aus dem mathematischen Punkte abgeleiteten, rein mathematisch gedachten Ausdehnungsformen die Unkörperlichkeit oder Spiri- tualität der menschlichen Seele zu erweisen. Auch Fardella will an Augustins Hand den Gedanken des spirituellen Seelen- wesens entwickeln. Er definirt* die Seele mit Augustinus als Substantia rationis particeps, corpori regende accommodata. Er folgert aus dem letzteren in diese Definition aufgenommenen Merkmal, und namentlich aus dem Ausdrucke ^accommodata^, dass die Seele nicht ihrer Natur nach, sondern einzig in Folge einer göttlichen Willensbestimmung mit dem Leibe vereinigt sei. FardeDa sagt mit Malebranche, dass die Seele primär imd wesentlich in einem Unionsverhältniss zur unwandelbaren ewigen Vernunft stehe und in Folge ihrer wesentlichen Bezogenheit auf dieselbe unsterblich und denkhaft sei. Zum Körper steht sie in einem contingenten Verhältniss, welches der leitungsbedürftigen körperlichen Natur zu Gute kommt. Dieses letztere Verhältniss als das primäre oder einzige Wesensverhältniss der Seele an- gesehen zu haben, ist der Grundirrthum einer dem Vergäng- lichen zugewendeten fleischlichen Philosphie, welcher die Defi- nition der Seele als Forma corporis entstammt. Diese Definition deutet nicht nur gar nichts von der Geistnatur der mensch-

' Vgl. Aug. Quant, an., capp. 11 et 12. ^ An. hum. nat., Pars I, cap. 13.

92 Werner.

liehen Seele an, sondern wirft sie geradezu in Eine Classe mit den unvernünftigen Thierseelen. Fardella spricht sein Staunen darüber aus, dass christliche Philosophen unter Beiseitesetzung der augustinischen Definition jene des Aristoteles adoptiren mochten, während doch Ethik und Religion wesentlich auf die Auffassung der Seele im Sinne der ersteren Definition gestützt seien.

Fardella verkannte, wie alle Cartesianer, den Gedanken einer plastischen Einigung des Seelischen und Leiblichen im Menschen, vermöge welcher das Leibliche zum sichtbaren Ausdrucke des Seelischen und die von Fardella selber hervor- gezogene wesentliche Beziehung des Sichtbaren und Körper- lichen auf das Geistige und Unsichtbare erst vollkommen und wahrhaft actuirt wird. Ihm ist der Leib blos Instrument der Seele, und zwar rein passives Instrument, so dass alle Acti- vität in die Seele verlegt wird, ür nennt die Seele das Leben des Leibes, die Seele selber aber lässt er durch die Vernunft belebt sein. Es ist denn aber doch nur metonymisch ge- sprochen, wenn die Seele, welche Causa vitae ist, unmittelbar als das Leben des Leibes selber bezeichnet wird, als ob die durch die Seele causirte Lebendigkeit dem Leibe nicht als solchem eignen würde, so lange er als constitutiver Theil des lebendigen Menschenwesens existirt. Es muss ferner fraglich erscheinen, ob die Seele in Kraft dessen, wodurch Fardella sie lebendig sein lässt, Belebungsprincip des Leibes sein könne. Fardella setzt das Wesen der Seele in ihre Rationalität und bezeichnet das Intelligere als das Leben der Seele; nun ist aber das Intelligere als solches ein Act der Selbstvertiefung, in welcher die Seele, statt nach aussen zu wirken, vielmehr von der sinnlichen Aussenwelt sich zurückzieht. Zugegeben also, dass sie wirklich als denkhaftes Sein und Wesen zu einer belebenden Einwirkung auf den Leib qualificirt sei, so kann doch das Intelligere als solches nicht die nächste und unmittel- bare Ursache der Belebung sein. Die Belebungsthätigkeit lässt sich ferner von der Gestaltungsthätigkeit nicht abtrennen; als die gemeinsame Ursache Beider kann die Seele nur begriffen werden, sofern sie Wesensform des Leibes ist. Die Preisgebung dieses Begriffes causirte jenen Riss, vermöge dessen die Carte- sische Philosophie nach Fardella's eigenem Geständniss sich

Der Carteslanismas in Italien. L: M. A. Fardella. 93

ausser Stande sah^ die Realität der Körperwelt zu erweisen J Fardella bemängelt es als eine Inconsequenz, dass CartesiuS; nachdem er die objective Wahrheit der Sinnesaperceptionen in Frage gestellt hatte, noch immer die Realität der sinnlichen Aussenwelt für philosophisch erweisbar hielt. Fardella hält einen solchen Erweis weder für möglich, noch auch für noth wendig; der Seele stehen die Ideen der Körperdinge ungleich näher als die Körper selber, '' und es genüge, weim wir den durch Gottes Veranstaltung sich uns präsentirenden Erscheinungen der Dinge gemäss uns im Denken und Handeln bestimmen.^ Liegen diese Consequenzen wirklich im Geiste der Augu- stinischen Lehre? Augustinus hat wohl alle ihm zu Gebote stehenden Mittel aufgewendet, die reine Spiritualität der mensch- lichen Seele zu erweisen; ja er ist als der der Zeit nach Erste zu bezeichnen, welcher den Begri£f des Geistes als solchen zur Geltung zu bringen bemüht war und auf eine inquisitive Zer- gliederung der immanenten Lebensthätigkeit der menschlichen Seele als geistigen Wesens einging. Fardella's commentirende Darlegung der Augustinischen Psychologie selber zeigt in ihrer Anlage und Gliederung, worauf Augustins psychologische Stu- dien abzielten; die letzte Abtheilung des betreffenden Werkes Fardella*s gibt, gleichsam in Form einer abschliessenden

' Univ. philos. syst. I, Append. 2, prop. 3.

^ Nalla intercedere potest proportio inter substantiam spiiitaalem inexten- sam, indivisibileni, iinmortalem, cujus totum esse in ipsa intelligendi facul- täte consistit, et rem extensibilem , corruptioni obnoxiam . . . imo major proportio elucet re8]>ectu corporis idealis quam realis, cum primnm ab ipsamet nostra perceptione et idea duUo modo distinquatur, secoa vero secundum. L. c.

' Ex quo deduco, posse Deum roediante plurium affectuum excitamento creatam meutern non minus ad conservandum corpus reale quam appa- rens obli^rare. Nam quemadmodum Dens de facto incessanti quadam propeuMone humanam meutern movet, ut tenuissimam quamdam materiae portionem cui unitur tueatur, quamvis hoc nihil prorsus suae felicitati et perfectioni conferre valeat, cum corpus etiam reale valde difformis et improportionatae naturae sit respectu mentis, non video cur Deus non possit eodem pacto mentom aliquam producere ita cuidam corpori appa- reuti obstrictam, ut illud mediantibus quibusdam aliis apparentibus ob- jeetis amplectendis aut fugiendis conservare teneatur; quodsi primum snmmae Dei veracitati et bonitati non derogat, sane neque secnndum divinis perfectionibus repugnabit. Ibid.

94 Werner.

1

Zugabe,^ eine aus Augustins Schriften gezogene Widerlegung der Ansichten des Epikur und Lucretius vom Wesen der mensch- lichen Seele, deren Immaterialität und Un Vergänglichkeit Augu- stinus gegen beide Denker des Alterthums vertheidigt. Die auf die Subjectivität der sinnlichen Wahrnehmung gestützten Folgerungen der Cartesischen Philosophie betreffs der philo- sophischen Erweisbarkeit der objectiven Realität der Körperwelt sind Augustinus fremd, obschon es richtig ist, dass Augustinus das Wissen des denkenden Subjectes um das selbsteigene Sein als das durch keine Skepsis zu beseitigende erste und grundhafte Gewisse betonte und damit einen Gedanken anti- cipirte, welcher in der Cartesischen Lehre zum Stütz- und Aus- gangspunkte einer in ihrer Art völlig neuen philosophischen Welterklärung gemacht wurde. Eine relative Conformirung der Cartesischen Doctrin mit jener Augustins wurde durch Male- branche angebahnt, sofern dieser durch das von ihm betonte Schauen des menschlichen Geistes im Lichte der ewigen Ver- nunft der Cartesischen Doctrin eine der Augustinischen Er- kenntnisslehre parallele Richtung gab. Diese Parallelität ist jedoch nicht als Coincidenz zu verstehen, sofern bei Augustinus jene Art der Abscheidung des Geistes vom Körper, welche den Cartesianismus charakterisirt, nicht vollzogen ist. Allerdings erklärt Augustinus die Verbindung des Geistes mit dem Körper für etwas Geheimnissvolles, was er nicht gethan haben würde, wenn er sich den aristotelischen Wesensbegriff der Seele als Forma corporis angeeignet hätte j^ aber er hält an der unmittel- baren Verbindung des denkhaften seelischen Principes mit der sinnlichen Aussenwelt und somit auch an der Wahrheit der letzteren fest, und schränkt diese Wahrheit nur in dem Ver- hältniss ein, als er die Wesenhaftigkeit des Sinnlichen und Körperlichen einschränkt. Das Sinnliche und Körperliche über- wiegt gegenüber dem geistigen Wesen des Menschen durch

' Unter dem Titel: Mentis et carnis conflictus, seu Augustinus et Epicurus inter se pugnantes. An. hum. nat. p. 237 388.

' Augustinus vertritt aUerdings den Satz: Auima corpori speciem tradit (Immort. an., cap. 16); es liegt jedoch auf der Hand, dass dieser Satz sich nicht einfach mit jenem deckt: Anima est forma corporis. Durch letzteren wird die Seele als constitutiver Wesenstheil des compositum humanum erklärt, während der erstere hierüber nichts aussagt.

Der CartesiftniBmns in rtali«n. I. : M . A, Fardella. 9D

seine Ausdehnung und Massenhaftigkeit, das Geistige im Menschen dagegen durch seine Vis und Potentia. * Um diese Vis und Potentia nicht blos von Seite ihrer Intensivität und Innerlich- keit, sondern zugleich auch als die lebendige Fassung des Räumlichen und als den activen Umschluss desselben zu fassen, wäre es nöthig gewesen, den Gedanken der Wesensform in seiner speculativen Bedeutung zu ergreifen. Diese wird dadurch nicht erschöpft, dass Augustinus der Seele eine Vis continendi corpus attribuirt, da dieselbe aus dem Wesen der Seele abgeleitet sein müsste. Der Seele kann diese Vis conti- nendi nur insofern zukommen, als sie ihrem Wesen und ihrer Substanz nach die übersinnliche reale Einigung dessen ist, was im Bereiche der sinnlichen Wirklichkeit in unermesslicher Diffusion ausgebreitet vorliegt, ohne sich in der Evolution der sinnlichen Daseinswelt in eine vollkommen geschlossene Einheit zusammenfassen zu können; dieser Zusammenschluss bietet sich eben nur in der menschlichen Seele dar, die somit in einer grundwesentU^chen Beziehung zur sinnlichen Erscheinungswelt steht und diese Beziehung durch das Mittel der ihm eignenden sinnlichen Leiblichkeit actuirt. Dieser Gedanke hat bei dem von der platonischen Philosophie zum Christenthum herankom- menden Augustinus nicht durchgegriffen. Ohne die wesentliche Bezogenheit der Seele auf den Leib ausser Acht zu lassen, hat er den Seelenbegritf doch vorwiegend unter Bezugnahme auf das Verhältniss der Seele zur übersinnlichen Wirklichkeit, welcher sie angehört, entwickelt und hiemit der gegen den speculativen Formbegriff reagirenden Cartesischen Philosophie ein Handhabe tiargeboten, sich auf seine Auctorität zu berufen. Wie wenig indess Augustins geistige Anschauungen mit jenen der Cartesischen Lehre sich decken, wie weit vielmehr letztere vqm Geiste Augustins in wesentlichsten Beziehungen abirren, zeigt sich in Fardella's Commentationen zum zehnten Buche des Werkes Augustins de Trinitate, welche den zweiten Haupttheil seines Werkes über die Augustinische Psychologie bilden. Auf den Zusammenhang des betreffenden Buches mit den übrigen vierzehYi Büchern de Trinitate geht Fardella gar

^ Vgl. Aug. Quant, an., cap. 32: Kecognosce, qnanta sit anima non spatio loci et temporiB, sed vi et potentia.

96 Werner.

nicht ein^ und ebensowenig auf die in denselben zu Tage tretende Tendenz einer concretisirenden Auffassung des in der Memoria, Intelligentia und Voluntas sich entfaltenden dreieinigen SeelenwesenSy die den eigentlichen Grundgedanken des Werkes bildet und auch in dem von Fardella commentirten Bruch- stflcke desselben deutlich genug zu Tage tritt. Ihm ist nur um die Reproducirung jener Aeusserungen Augustins zu thun, in welchen gesagt wird, dass dem Erkennen des menschlichen Geistes nichts näher sei als sein eigenes Selbst, dass man dieses in der Betrachtung desselben von allen imaginativen Bei- mischungen loszulösen habe, um es nach seinem reinen Wesen zu erfassen, woraus sich sodann ergebe, dass die Seele ein unkörperliches Denkwesen sei. Er betont in dieser Hinsicht insbesondere die Augustinischeu Worte: Animum nihil praeter animum esse, woraus er sodann die Cartesische Definition und Beschreibung des Seelenwesens ableitet. *

Für die Wahrheit und Realität des Cartesischen Seelen- begriffes hat Fardella, da er den Begriff der entelechischen Wesensform verwirft, keinen andern Beweis ausser jenem der geistigen Selbsterfahrung in Verbindung mit der objectiven Seinsmöglichkeit des endlichen Geistes, als welchen das sich selber denkende innere Selbst des Menschen sich erfasst. Das Ausgehen von der denkenden Selbstwahrnehmung des seelischen Ich fuhrt dahin, dass das menschliche Seelenwesen primär als Geist (Animus) und nur secundär und accidentell zugleich auch als Seele des Körpers (Anima) erfasst wird.*-^ Die objec-

1 Animnin nihil esse praeter animum^ idem sonat, ac totam integramque animi naturam in nuda et sola cogitandi facultate coUocatam esse, ut animuB si quamlibet corporum affectionem a se omnino rejiciat et qua- quaversam vertatur ac in se ipsum aniniadvertat, nihil aliud praeter conscientiam, perceptionem, modosque cogitandi in semetipso intueatur ac reperiat. An. hum. nat., p. 231.

' Principium illud, unde vita et robur potissimum in corpus derivatur, eog^tandi atqae inteUigendi capax, doloris voluptatisque particeps, suarum operationnm consclum, quo felicem vitam exoptamus, ad sapientiam ten- dimus, dubitamus, odio habemus, amamus, repiiniscimur, ratiocinamur: hoc profecto est, quod in nobis auimam, dum sentit, imaginatur ac in corpus agit, animum vero ac mentem, dum intelligit et ad incorporeas res inspiciendas convertitur, appellamus. Idcirco, cum animum dico, principium, quod in me cogitat atque intelligit, seu mens ipsa venit,

Der CartesianitiDiis in Itali«ii. t. : M. k. Fard^lla. 97

tive Semsmöglichkeit des endlichen geschöpflichen Geistes stützt sich auf die Denknothwendigkeit des Seins des absoluten gött- lichen Geistes. So gewiss das allervollkommenste Sein eine reale Wirklichkeit hat, muss es als Geist existiren, weil es nur unter dieser Bedingung ein voUkommenstes Sein ist.^ So gut ein unendlicher Gkist existirt, können auch endliche Geister existiren^ da der Begriff derselben nichts Denkwidriges in sich schliesst und die Möglichkeit unkörperlicher Substanzen bereits durch Gottes Dasein, constatirt ist. Denkunmöglich wären endliche Geister nur dann^ wenn der Begriff des Geistes jenen der Un- endlichkeit in sich schlösse, was nicht der Fall ist.^ Die Denk- möglichkeit eines Wechselverkehres zwischen einem endlichen Geiste und einem organischen Körper und einer wechselseitigen Abhängigkeit beider von einander lässt sich nicht bestreiten und lässt keine abträglichen Folgerungen in Bezug auf das Wesen des endlichen Geistes zu, da dieser, sobald er des Leibes ledig geworden, selbstverständlich auch sich selbst vollkommen wiedergegeben ist.

Fardella schlägt diese Art von Beweisführung für die Existenz einer geistbegabten unsterblichen Seele im Menschen ein, weil sie ihm nach Verwerfung des aristotelisch-scholastischen Begriffes der Wesensform als das einzig mögliche Denkverfahren erscheint, mittelst dessen den die Realität einer geistigen Wirk- lichkeit anstreitenden Atomisten begegnet werden könne. Ins- gemein scheint ihm die Aufgabe der Metaphysik in der Erhärtung

quAe procul dubio in homine praeter corpus viget iuBig^iterque floret. O. c, p. 190.

* Nemo cog^tatione et amore destitotus sapientia et felicitate frui potest . . . Sapientia et felicitate carere mazima sane imperfectio est. Non potest igitur ens perfectissimum animus non esse. O. c, p. 222.

' Siquidem ut mens perfectissimus animus dicatur, haud satis est, quod semper et actu intelligat, sed ulterius oportet, ut omne ac totum verum simul intelligat, in quo posse intelligere ipsum actu intelligere sit; quod profecto finito et imperfecto animo non congrueret, qoi quamrit totus fnerit animus, tarnen non de omni re simul cogitaret, ulterioris intelli- gentiae ao perfectionis capax. Hinc etiamsi nostra mens incessanter cogitaret, ut semper cum aliqua cogitatione conjuncta esset, non ideo dicenda foret infinita . . . AMrmandum est igitur, esse evidenter possi- bilem finitam et imperfectam naturam, quae nihil aliud sit praeter ani- mum. O. c, p. 225 f. SiUaoftber. d. phil.-hiiit. Gl. CII. Bd. I. Hft 7

98 Werner.

der Realität des Geistes gegen die Anstreitungen der Anhänger £pi- kurs aufzugehen; und so hält er es auch in seiner augustinischen Psychologie, die in eine Erweisung der Realität und Unsterb- lichkeit des menschlichen Geistes gegenüber den Läugnem der- selben ausläuft. Er sieht in diesen eine Art extremster Komi- nalisten, welchen alle geistigen Dinge blosse Nomina und Flatus vocis sind. Er fragt sie, ob sie zum Beispiel auch die geistige Liebe und Werthschätzung bestimmter Dinge oder das Vor- handensein eines beunruhigenden Zweifels im Denken wegen der Unsinnlichkeit dieser inneren Affectionen als etwas bloss fictiv Vorhandenes ansehen? Sollte bloss dasjenige wirkUch sein« was in der sinnlichen Wahrnehmung und Vorstellung sich ab wirklich vorhanden darbietet, so könnten auch die Atome der Epikuräer wegen ihrer der sinnlichen Wahrnehmung und Vor- stellung sich entziehenden Kleinheit nichts Wirkliches sein, und ebenflowenig das Leere, welches neben den Atomen das andere reale Grundelement der Welt nach epikuräischer Ansicht ist. Wenn die Vertreter derselben behaupten, das Wesen der Seele erkläre sich am einfachsten daraus, dass man es als Resultante aus der harmonischen Verbindung der Atome , als Ausblüthe dieser Verbindung und einen über derselben schwebenden licht- artigen Hauch ansehe, so ist dies eben eine blosse Meinung, die auf den Rang eines Wissens keinen Anspruch erheben kann, da die zum unmittelbaren Objecte ihres Selbstdenkens sich machende Seele von jenem angeblichen Wesen der Seele nichts entdeckt. ' Die reciproke Abhängigkeit und der Wechselverkehr zwischen Seele und Leib spricht nicht gegen die Geistigkeit der Seele; es liegt in der Natur der Sache, dass die Seele als der feinere und activere Theil des menschlichen Compositum durch die AfFectionen des Körpers vielfältigst excitirt werde und ihrerseits wieder auf den Körper reagire. Und sollte man in der durch das Menschenwesen dargestellten Verbindung von Tod und Leben, Körper und Geist, Zeit und Ewigkeit nicht die wunderbar gestaltete Verwirklichung eines göttlichen Weis- heitsgedankens erkennen wollen? Nach Ansicht der Gegner soll die Seele nur ein lebhafter sich bewegendes, beschwingteres Atom, die Cogitatio aber nichts Anderes als eine bestimmte

* F.irdella verweist rück^ichtlich dessen auf Aug. Trin. X, eap. 7.

Der C«rteaiftDi8iDii8 in Italien. I. : M. A. FardelU. 99

Art der Bewegung sein, die je nach ihren Modificationen als Empfindung^ Vorstellung oder Intellection sich darstelle. Die auf sich selber reflectirende Mens entdeckt jedoch nichts von derartigen localen Bewegungen, schliesst vielmehr den Gedanken an dieselben als eine ungehörige Beimischung sinnlicher Ima- ginationen zum Voraus grundsätzlich aus dem Geschäfte ihrer Selbsterforschung aus. * Der reine Selbstgedanke der mensch- lichen Seele schliesst Alles aus, was auf eine körperliche Natur der Seele hindeuten könnte^ und es liegt in der Natur der Sache, dass die Seele, die wesentlich Geist ist, sich im Selbstdenken nur als Geist, das ist als eine unausgedehnte unkörperliche Sub- stanz finden könne, deren einzige Attribution die cogitative. Thätigkeit ist. Ist sie unausgedehnt und untheilbar, so muss sie selbstverständlich auch unzerstörbar und ihrer Natur nach un- vergänglich sein, und diese Unzerstörbark^it darf ihr von den Anhängern Epikurs um so weniger abgesprochen werden, da dieselben selbst ihren Atomen, die doch trotz ihrer winzigen Kleinheit immerhin noch als ausgedehnt gedacht werden sollen, Incorruptibilität vindiciren. Mit diesen Bemerkungen wird von Fardella der oben erwähnte Schlusstheil seiner Augustinischen Psychologie eingeleitet, der sich die Widerlegung der von den Anhängern Epikurs vorgebrachten Argumente gegen die Seelen- unsterblichkeit als Aufgabe setzt. Dieser Schlusstheil gibt sich als eine Studie über das dritte Buch des Lehrgedichtes des Lucretius de natura rerum, aus welchem vierzehn Einwendungen gegen die Seelenunsterblichkeit vorgeführt und ausführlich wider- legt werden; daran reihen sich- zwölf aus Augustins Schrift de immortalitate animae gezogene Argumente für die Unsterb- lichkeit der menschlichen Seele, welche speciell von Seite ihrer

Dam cogitas et intelligis, te localiter moveri band scis Bed putas. Potest enim optime in dubium revocari, an localiter moveatar, qui intelligit se moveri. Nullo tarnen pacto sui existentiam ac naturam in dubium vertere potest animus, cum intelligit aut localiter se moveri putat. Cum enim animum inteiligo, band localem motum et eztensionemf sed vere quid insectile et incorporeum a locali motione sejunctum intelligentiae repraesentatur. 0. c, p. 231.

Unter dem speciellen Titel: Mens sive Augustinus pro sempiterna mentis humanae natura pugnans. 0. c, p. 297 388. Den allgemeinen Titel des dritten Haupttbeiles siebe oben S. 94, Anm. 1.

7*

100 Werner.

Verwerthbarkeit gegen die Einwendungen der Atomisten be- leuchtet werden. Die aus Augustinus beigebrachten Beweis- gründe enthalten mehrfach Wiederholungen und fliessen theil- weise ineinander; der Grund dessen liegt darin, dass Fardella die im Flusse zusammenhängender Entwicklung gegebenen Dar- legungen Augustins in eine Vielheit gesonderter Argumente zer- spaltete, deren jedes die specielle Antwort auf eine bestimmte Antwort der Atomisten enthalten sollte.

Ein erstes Ai^ment Augustins ist davon hergenommen, dass die ihrer Natur nach unvergänglichen Disciplinae, das ist Artes und Doctrinae, * da sie nicht in sich selber subsistiren, «inen unvergänglichen Träger ihrer selbst fordern, welcher eben nur der menschliche Geist ist. Sie sind mit demselben unzer- trennlich verbunden, daher ihre Unvergänglichkeit auch jene ihres Subjectes involvirt und fordert. Nach Epikur ist die Seele ein zarter vergänglicher Hauch, mit dessen Verwehen auch die Artes und Disciplinae vergehen müssten. Es wäre wohl an Fardella gewesen, sich zu fragen, ob dasjenige, was als unver- gänglicher Wahrheitsgehalt in den an sich unvollkommenen und einer continuirlichen Verbesserung bedürftigen Artes und Di- sciplinae menschlicher Erfindung durchgreift, nicht ohnedies schon in den ewigen Gedanken Gottes ein bleibendes, unver- gängliches Sein habe? Das bezügliche Argument fiir die Seelen- unsterblichkeit kann also nur insofern Beweiskraft haben, als durch dasselbe gesagt werden soll, dass die menschliche Seele befähigt sei, die ewigen Gedanken Gottes zu erfassen und in sich selber activ zu reproduciren, was sie nicht vermöchte, wenn sie nicht ihrer Natur nach am unvergänglichen Sein Gottes Theil hätte d. i. Geist wäre.^

Augustins zweites Argument lautet: Die Vernunft ist entweder mit dem Geiste identisch oder unzertrennlich mit ihm verbunden; demzufolge muss die Unsterblichkeit und

> Disciplina, ars et doctrina idem prorsus sonant. Nomine autem disci- plinae nihil aliud venit, nisi plurium rationnm sen veritatum ad aliquam peculiarem rem spectantium coetus atque congeries. O. c, p. 299.

' Diesem Gedanken kommt in der That das unten an vierter Stelle an* geführte vierte Argument nahe, obschon es wegen Nichterfassung des eigentlichen Wesens der Idee nicht zu seiner vollkommenen Durchbildung gelangt.

Der CftrtesianiBmus in Itoli«n. I.: M. A. Fudella. 10]

Immatabilität der Vernunft auch dem Geiste eignen. Nach Epikor wäre die Seele blos eine mutable Harmonie des ver- gänglichen auflöslichen Körpers, deren Mutabilität durch sich selber schon das Unvergänglichsein ausschliesse. In welcher Form und Fassung dieses zweite Argument beweiskräftig zu werden vermöge, wurde eben zuvor in den Bemerkungen zum ersten Argumente angedeutet, mit welchem es der Hauptsache nach zusammenfällt.

An der Möglichkeit eines Verständnisses des dritten Argu- mentes Augustins ' glaubte Fardella Anfangs verzweifeln zu müssen.^ Er löst es analytisch zergliedernd in eine Mehrheit von Argumenten auf. Das erstere derselben, welches auf die Beständigkeit der Virtus intelligendi gestützt ist, greift in der Hauptsache auf die beiden schon vorgeführten Unsterblichkeits- beweise zurück. Das zweite Argument ist hergenommen von dem im Menschen sich darbietenden Unterschiede zwischen körperlichem Bewegtwerden und einer ihrer Natur nach unkörper- lichen Vis movendi, welche mit dem Geiste als Intellections- principe und lebendigem Actionsprincipe der an sich unleben- digen Körperlichkeit identisch ist. Ein drittes, dem eben ange- führten verwandtes Argument ist dieses: der Geist unterliegt, den Körper bewegend, keiner Veränderung in Zeit und Ort, woraus zu schliessen ist, dass er den von ihm veranlassten Mutationen des Körperlichen seiner Natur nach entzogen, über den Wandel in Zeit und Raum hinausgestellt, somit un- sterblich imd unvergänglich ist. Fardella erkennt in diesem Argumente eine totale Entwurzelung des kühnsten Angriffes des Lucretius auf die Unsterblichkeitslehre. ^

' Vgl. Aug. Immort. an., cap. 3.

' In hoc Augustini argumentum incLdentem confestim me abripuit terror; tarn enim concisum, obscurum et involutum est, ut ipsomet interprete Augustino indigere videatur . . . Postquam autem improbus labor et assidua meditatio accesserint, et invicem plura Augustini comparaverim, tandem spes revixit, dum salutarem lucem, quae in docta bujiis ratio- cinationia caligine intus e£fiilget, intelligentiae luminibus inspexi. O. c, p. 319.

' Inter audaciora argumenta, quibus utitur Epicurus ad animae humanae immortalitatem ostendendam, principem locum obtinet illnd Lucretii ratio- cinium, quo animam corpus esse probatur ex eo, quod mutato ac detur- bato corpore turbatnr ac mutatur pariter animus. lam in hujusmodi

102 Werner.

Der erste Hauptbeweis Augustins formt sich zu einem besonderen vierten Argumente gegen Lucretius, sofern er dazu verwendet wird, zu zeigen, dass auch Vergesslichkeit, Abnahme der geistigen Kräfte, Verblödimg und andere psychische Ge- brechen des Menschen nicht fUr die Vergänglichkeit des mensch- lichen Seelenwesens zeugen. In der Seele schlummern, wenn auch noch so latent, die unzerstörbaren Ansätze zur Erkenntniss der ihrer Natur nach unvergänglichen Wahrheiten; diese An- sätze fallen mit dem Sein und Wesen des menschlichen Geistes zusammen und bezeugen seine unzertrennliche Verbindung mit der an sich unvergänglichen Wahrheit. Die erwähnten Ge- brechen des geistigen Daseins müssen sonach aus Veranstal- tungen des göttlichen Willens oder aus allgemeinen Gesetzen der Natur- und Welteinrichtung erklärt werden, welche mit der Unzerstörbarkeit des menschlichen Seelenwesens sich ganz wohl vereinbaren lassen. Denn was immer für Veränderungen in der menschlichen Seele vor sich gehen mögen, jederzeit betreffen sie nur die contingenten, nicht aber die denknothwendigen Attribute der Seele. Sie können theils in Folge der Begrenztheit des menschlichen Seelenwesens, theils anlässlich seiner Verbin- dung mit dem Körper statthaben, afficiren aber nicht das blei- bende unvergängliche Wesen der Seele, welches darin besteht, Geist zu sein und als Geist mit den unveränderlichen Wahr- heiten in unlöslichem Connexe verbunden zu sein. Hieraus er- gibt sich speciell die Antwort auf einen fiinften Einwand der Anhänger Epikurs, welchen die Verbindung der Seele mit dem Leibe durch sich selber schon als Zeugniss gegen die Seelen- unsterblichkeit gilt. Sofern Augustin nachweist, dass durch diese Verbindung das Wesen der Seele nicht alterirt werden könne, gestaltet sich seine vorerwähnte Argumentation zu einem fiinften Beweisgrunde für die Unsterblichkeit des menschlichen Geistes.

Ein sechstes Argument ergibt sich aus Augustins Nach- weise, dass keine Ursache denkbar sei, durch welche die Ver-

improbam Epicuri argamentaüonem accurate animadTertens Aagustinns boc pacto telum hostis retorquet in hostem, idem medium prorsuB ad- hibens, quod in usum vertit EpicaniB . . . Mutato corpore non semper et necoBsario mutatnr animus, imo saepissime immaiatas manet . . . non est igitur corporens animus, atqne adeo intereunte corpore minime perit, ped se ipso existeQs ac vivens incormptus et integer manet. O. c, p. 333*

Der Cartesianienins in Itelien. I.: M. A. Fardella. 103

bindung des mensclilichen Geistes mit der ewigen unveränder- lichen Wahrheit zerrissen werden könnte. Eine körperliche Ursache wäre ihrer Katar nach unvermögend, eine solche Tren- nung zu veranlassen; ein anderer, neben der Seele existirender geschöpflicher Geist kann sich nicht getrieben flihlen, der Seele das unvergängliche Gut der Wahrheit zu entreissen, weil jede geistige Existenz ihrer Natur nach ohne Beeinträchtigung aller anderen an demselben Theil hat; die Wahrheit selber will sich, weil sie ihrer Natur nach neidlos ist, dem Geiste nicht ent- reisaen; und ebensowenig will dieser selbst sich von der Ver- bindung mit der Wahrheit losreissen, indem dies ein völlig un- denkbarer geistiger Selbstmord wäre. *

Auch die unendliche Theilbarkeit der Körper wird, da sie die Unvemichtbarkeit der körperlichen Ausgedehntheit durch fortgesetztes Theilen erhärtet, von Augustinus zu einem Argu- mente £Ür die Seelenunsterblichkeit verwerthet. Ist die Körper- lichkeit als solche unzerstörbar, um wie viel mehr die der Thei- lung völlig entrückte unausgedehnte Seelensubstanz. Gegen Epikur beweist dieses siebente Argument, dass aus der Muta- bilität und jedem sonstigen Defecte des menschlichen Geist- daseins nicht auf das endliche Zugrundegehen der Seele ge- schlossen werden könne. ^

Am Körperlichen ist nicht blos seine Ausgedehntheit un- zerstörbar, sondern es haftet ihm zufolge seiner Gestaltung, ohne welche es nicht existiren kann, eine unverlierbare Schönheit

* Creatus animus ideo animus est et nt animns operatur, qnia incommiita- bili vero conjunctns est, quod ei vitam et intelligendi virtutcm largitnr; nemo tarnen sui destrnctionem ac interitum amat; neqoit i^tur animns ▼olnntate a se rejicere venitn, cigus virtute est et agit. O. c, p. 352. Fardella substituirt dieses Argument jenem, welchen Angostinus in seinen Retractationen desavouirt hatte, ohne ein anderes an die Stelle desselben zu setzen. Quod vero dixi heisst es in Aug. Retract. I, cap^ 15 animum propterea non posse ab aeterna ratione separari, quia non ei localiter jungitnr, profecto non dixissem, si jam tunc fuissem literis sacris ita eraditas, ut reeolerem quod scriptum est: Peccata vestra separant inter vos et Deum (Jes. 59, 2). Unde intelligi datur, etiam earum rerura poase dici separationem, quae non locis sed incorporaliter junctae fiierant.

^ Animus non ideo deficit et in nihilum tendit, quia interitus capax est, ut falso putat Epicnrus, sed tantum quia finita et imperfecta natura est, cui etsi adversatur immutabilitas ^ nullo pacto tarnen ei dissonat mortalita». O. c, p. 3j>7.

104 Werner.

an; um so weniger wird die der menschlichen Geistnatur eignende Schönheit^ die in ihrer Rationalität besteht, dem Unter- gange anheimfallen können. Wenn nach Epikurs Lehre die Atome sich einer unvergänglichen Dauer und Schönheit er- freuen, die ihnen durch nichts entrissen werden kann, um wie viel mehr der menschliche Geist I

Sterben bedeutet so viel, als vom Leben verlassen werden; sterben kann somit nur dasjenige, was Leben hat, ohne selber Leben zu sein. Der menschliche Geist hat nicht etwa Leben, sondern ist selber Leben; er heisst Änimus, nicht Animatus, ist somit unsterblich. Das von Augustinus betonte Selbstleben der Seele lässt sich gegen Epikur insofern geltend machen, als dieser die seelische Thätigkeit ausschliesslich durch die Beziehungen der Seele auf den Körper bedingt sein lassen will, während umgekehrt die Seele erst in ihrer Abziehung von allem Körperlichen wahrhaft sich selber findet und damit auch ihr vom Körper unabhängiges Sein und Selbstleben entdeckt.

Epikur lässt die menschliche Seele in die in der Körper- welt statthabende Pugna contrariorum hineingezogen sein, um daraus ihre Sterblichkeit zu begründen. Augustinus weist nach, dass die Veritas immutabilis, mit welcher die Seele als Geist unlöslich verbunden ist, weder sofern sie Veritas, noch sofern sie Essenz ist, ein Contrarium haben kann, somit ihrer Natur nach der Pugna contrariorum entrückt ist.

Es widerstreitet dem Wesen der menschlichen Seele, in eine Körperliche Natur verwandelt zu werden; sie kann auch durch ihre Verbindung mit dem Leibe nicht so tief herabge- drückt werden, dass sie ihrer geistigen Natur verlustig ginge; es ist undenkbar, dass ein mächtigerer G^ist oder vollends Gott selbst die menschliche Seele in den Bereich der reinen Körper- lichkeit herabdrücken könnte; somit ist sie dem Geschicke der Zerstörbarkeit des Körperlichen schlechthin entzogen. Diese von Augustinus mit den Mitteln einer scharfsinnigen Dialektik ins Werk gesetzte und ausgeflLhrte Argumentation ist der von Epikur betonten und urgirten Hinneigung und Liebe der Seele zu dem ihr eignenden Körper und den mittelst desselben zu erlangenden Befriedigungen entgegenzustellen.

Wenn Epikurs Anhänger letztlich aus der im Schlafe eintretenden Naohlassung aller geistigen Kräfte auf die rein

Der CartesianisiDiiB in Italien. I. : M. A. Fardellft. 105

sinnliche Natur der Seele schliessen, so hebt dem gegenüber Augustinus hervor, dass die intellective Thätigkeit der Seele auch noch in den Imaginationen des Traumlebens theilweise durchgreife.

§•4.

Die Cartesisch-dualistische Auffassung des Menschenwesens verträgt sich nicht mit der scholastisch -peripatetischen An- schauung von demselben; daher es nicht überraschen darf, wenn Fardella gegen letztere sich polemisch wendet und speciell die Definition des Menschen als Animal rationale ftlr unrichtig und fehlerhaft erklärt.* Von einer guten Definition werde gefor- dert, dasB sie das Genus proximum und die Differentia ultima angebe; dieser Bedingung werde jedoch in der peripatetisch- scholastischen Definition des Menschen nicht entsprochen. Es geht nicht an, den Terminus Animal als Genus proximum zu be- zeichnen; es ist nicht gewiss, ob es nicht etwa eine andere, dem Menschen näher verwandte zusammengesetzte Substanz gebe, die jedoch vermöge der feineren Qualität ihres stofflichen Bestandtheiles unseren Sinnen entzogen sein möchte; und jedenfalls steht der menschliche Geist dem Engel ungleich näher als dem Animal brutum, daher es selbst das unmittelbare Geflihl des Menschen beleidigt, im thierischen Sein ein Genus proximum des Menschenwesens erkennen zu sollen. Angenommen femer, dass die Animalia, was zum Mindesten wahrscheinlich ißt, weder empfinden, noch einer cogitativen Thätigkeit fUhig sind, ist es völlig unpassend, den Menschen Animal zu nennen, sofern damit die Animalitas bruta als das in der Definition des Menschen näher zu bestimmende Genus proximum bezeichnet sein will. Ebensowenig geht es an, die Rationalitas als Differen- tia ultima zu bez^chnen. Gesteht man den Thieren Empfinden und Erkennen zu, so ist kein Grund vorhanden, ihnen Ratio- nalität abzusprechen, welche ihnen in der That von mehreren katholischen Gelehrten (Gassendi, Akademiker de la Chambre u. A.) zuerkannt wird und ohne Gefährdung der Menschen- würde zuerkannt werden kann, da nicht Rationalität, sondern Intellectivität der höchste und auszeichnendste Vorzug des geist-

' Univ. philos. syst. I, Pars 2, prop. 20,

106 Wer«er.

begabten Menscben ist. Die wahrhafte Intellectivität bekundet sich in einem Erkennen ohne Ratiocinatio und Discursus; sie konuQt primär Gott zu und zeigt den Menschen von Seite seiner Gottähnlichkeit. Je mehr sich der Mensch geistig ver- vollkommnet, desto mehr tritt bei ihm in Folge eines unmittel- baren klaren und deutlichen Erkennens die discursive Thätig- keit zurück; er müsste also, wofern Rationalität sein Wesen charakterisiren sollte, in fortschreitender Zunahme seiner In- tellectivität seiner specifischen Natur sich mehr und mehr ent- äussem d. i. mehr und mehr aufhören, Mensch zu sein.

Von einer guten Definition wird gefordert, dass sich ans derselben Alles, was im Wesen der definirten Sache liegt, un- gezwungen ableiten lasse; dies ist jedoch in Bezug auf die Definition des Menschen als Animal rationale nicht der Fall. Aus dem Begriffe eines Animal rationale lassen sich nicht die charakteristischen Attribute des Menschen als eines Volitivus, Liber, Potens, Simpliciter intelligens, Dubitans, Suspendens Judi- cium, Capax amoris et odii, Deliberativus, Felicitabilis u. s. w. ableiten. ^ Selbst das Innehaben einer Potentia vegetandi folgt nicht strenge aus dem Begriffe eines Animal rationale. Vor AUem aber ist zu bemängeln, dass die Definition Animal ratio- nale dasjenige verhüllt, um dessen Willen der Mensch von Plato als Weltwunder, als Portentum animaliom angestaunt werde; und dies ist der im Menschen sich darstellende Wechsel- verkehr zwischen Geist imd Materie, welcher wegen der Dis- proportion zwischen Geist und Materie etwas Auffälligstes am Menschen ist und das Nachdenken am allermeisten herausfordert. Man entgegnet vielleicht, dass der Terminus Animal die Körper- lichkeit des Menschen schon in sich schliesse, und dass somit durch die scholastische Definition des Menschen die Verbindung von Geist und Körper hinlänglich angedeutet sei. Diese Ent- gegnung ist verfehlt; der Terminus Animal drückt specifisch den Begriff eines empfindungsfkhigen Wesens aus, das Em- pfindungsleben aber besteht im Menschen unabhängig von der Verbindung der Seele mit dem Körper; demzufolge darf nicht

1 Etenim per hoc, quod homo sit potens nentire et ex una re nota ferri ad ignotam, non video quomodo snpradicta attribnta statim oriantnr. Nempe non valet haec consequentia : In homine est potentia discurrendi et sentiendi; ergo est potentia amandi, duhitandi, odio habendi etc. L. c.

Der Gartesjanisnraii in ItaJien. I.: M. A. Fardella. 107

gesagt werden, dass durch den Terminus Animal die Verbindung von Geist und Körper im Menschen angedeutet wäre. Schlösse der Terminus Animal formaliter die Körperlichkeit in sich, so würde daraus folgen, dass der Mensch eine Res simplex und nicht eine Res composita wäre; denn die Animalitas, welche das Körperlichsein in sich schliessen soll, ist nach Ansicht der Gegner ftbr eine Bezeichnung des Gesammtwesens des Menschen zu nehmen^ wodurch die Unterscheidung zwischen einer spiri- tueOen und körperlichen Substanz im Menschen ausgeschlossen ist. Mit weit mehr Recht als die Animalität wäre wohl die Eingelnatur als Genus proximum in die Definition des Menschen aufeunehmen und die Verbindung des engelverwandten Menschen- geistes mit dem organisirten Leibe als Differentia ultima zu bezeichnen. Die Begriffsbestimmung Animal rationale Hesse sich^ sofern Animalität eben nur die mit der cogitativen Natur verbundene Empfindungsföhigkeit bezeichnet, eben so gut auf den Engel anwenden^ ^ besagt also nicht das specifische Wesen des Menschen.

Die peripatetischen Logiker verlangen, dass die in eine Definition aufgenommenen Termini bekannter seien als der Terminus^ durch welchen das zu definirende Object bezeichnet wird. Dieser Forderung wird durch die Definition des Menschen als Animal rationale nicht entsprochen; denn die Ausdrücke Animal und Rationale sind dunkel und mehrdeutig. Rationale kann so viel bedeuten als Cogitationis particeps und wird in diesem Sinne nach peripatetischer Lehre auch den Thieren attribuirt; es kann femer das Vermögen der Vergleichung mehrerer Objecte mit einander, das Theilhaben an der Ratio universalis, oder endlich auch dasjenige bedeuten, mittelst dessen der denkende Geist, vom Bekannten ausgehend, zur Kenntniss des Unbekannten fortschreitet. Um den Terminus Animal zu erklären, gehen die Peripatetiker auf die in der Arbor Por-

> Gleiches gilt ron der dem Menschen als distinctirefl Merkmal attribnirten Rationalitas: De angelo potest commode dici, quod sit potens ratiocinari. Nam quamyis magis simpHciter intelligat qxuun nos, utpote perfectiori et ampliori cogitandi vi praeditus, tamen cum sit mens finita et restricta cogitatio, non comprehendit et agnoscit omnes Teiitates; ergo potest commode uti rebus et veritatibiis notis et ideis qnas possidet, ut se dacat ad DOtitiam illamm yeritatum, quas ignorat. L. c.

108 Worner.

phyrii angezeigten Oenera remotiora: Vivens, Corpus u. s. w. zurück, welche aber noch dunkler und mehrdeutiger sind als der Terminus Animal;^ sie wollen somit das Unbekannte durch etwas noch Unbekannteres verdeutlichen.

Fardella's Kritik der hergebrachten Definition des Menschen hat insoweit eine relative Berechtigung, als zuzugeben ist, dass der Mensch nicht in demselben Sinne wie die Bruta als Animal bezeichnet werden kann, indem die menschliche Animalität, sofern man von einer solchen reden will, etwas von der thieri- schen Animalität specifisch Unterschiedenes ist. Richtiger als von einer menschlichen Animalität spricht man von einer sinn- liehen Naturlebendigkeit des Menschen, durch welche der Mensch in den Kreis der sinnlichen Lebewesen der Erde hineingestellt ist, ohne jedoch ejusdem generis mit denselben zu sein, indem das Vitalitätsprincip der sinnlichen Leiblichkeit ein ganz anderes, weit höheres und vornehmeres als jenes der rein sinnlichen Lebewesen ist. Man wird nicht läugnen können, dass die Schöpfer der Definitioli Animal rationale von dem specifischen Unterschiede zwischen der sinnlichen Lebendigkeit des Men- schen tmd den rein sinnlichen Lebewesen völlig abstrahirt haben, dass überhaupt diese Wesensbestimmung gar nicht auf specifisch christlichem Boden erwachsen ist; damit ist aber auch Alles erschöpft, was berechtigter Weise gegen dieselbe aus dem von Fardella so sehr urgirten christlichen Standpunkte eingewendet werden könnte. Seine Einwendungen sind indess ganz anderswoher geschöpft und beruhen auf einer Verkennung des Wahrheitsrechtes, welches der beanstandeten Definition als einer kürzesten und gedrängtesten Formel der morphologi- schen Anschauung vom Menschenwesen zukommt.

§. 5.

Fardella's Beanstandungen der peripatetisch-scholastischen Definition des Menschenwesens sind, wie wir im Vorhergehenden

1 Quid Sit Yivere, prout competit plantis, brutis, hominibtui, angelis et. Deo, quid sit esse corporeum aat animatum, nondum bene explicatum et demonstratom fdit in scholis. Unde ignotnm per i^otins explicant, et magis clarom notamqne est' Ij esse hominem, qaod est definitum, quam \y esse animal rationale, quod est definitio. Ibid,

Der CartesianismuB in Italien. I.: M. A. Fardella. 109

Baken, aufs Engste mit seiner Kritik der unter dem Namen Arbor Porphyriana bekannten Scala praedicamentalis verwachsen, deren Theilungssystem er als unphilosophisch verwirft. In der Arbor Porphyrii soll gezeigt werden, wie man, von einem all- gemeinsten Genus ausgehend, durch fortgesetzte contradistinctive Unterscheidungen, Theilungen und Näherbestimmungen bei einem letzten, rein Individuellen anlangt, das seiner Natur nach jede weitere logische Division und Begrenzung ausschliesst. Als Genus generalissimum wird die Substanz hingestellt, welche in die körperliche und unkörperliche getheilt wird; die körper- liche Substanz zerfällt in die unbeseelte und beseelte Substanz, die beseelte in die des Empfindens nicht fähige und in die empfindungsfähige, letztere in die irrationale und rationale; das Animal rationale constituirt eine Species infima atoma, welche nur mehr individualisirende Differenzirungen (Sokrates, Petrus u. B. w.) zulässt. Fardella ' beanstandet an diesem Schema zunächst, dass in der obersten Theilung des Genus generalissi- mum die der Substantia corporea contradistinctiv gegentiber- gesteUte Substanz rein negativ als Substantia incorporea bestimmt wird, während doch der positiven Bestimmtheit der Substantia corporea auch die positive Bestimmtheit der geistigen Substanz hätte gegenüber gesteUt werden sollen; dieser Mangel deute auf die Abkunft des Theilungsschema aus einer Zeit hin, in welcher man das positive Wesen der geistigen Substanz noch nicht zu erfassen gewusst habe. Ein weiteres Gebrechen ist der Mangel einer genaueren Bestimmung des Wesens der Körperlichkeit. Die Mehrheit der peripatetischen Logiker be- zeichnet als Wesen der Körperlichkeit das Zusammengesetzt- sein aus Materie und Form; die Ausdrücke: Materie, Form, sind jedoch dunkler als der Terminus Körper, * abgesehen da- von, dass einzelne hervorragende Scholastiker auch die Engel aus Materie und Form zusammengesetzt sein lassen. Ein augen-

* Ünir. philos. syst. I, Pars 2, prop. 16.

^ Quod est qnidem, ignotnm per ignotius exponere. Kam debet iteram exponi, qnid sit haec materia, quid haec forma substantialiter a materia distincta, qnod est valde di£ficile; et non potest concipi, quid sit in rebus pure corporeis haec materia, distincta ab extensione et quantitate, sicut nee potest ezplicari quid sit haec forma niaterialis diversa substantialiter a materia. L. c.

110 Werner.

fälliger Fehler der Arbor Porphyriana ist die Subordinirung des Lebendigen unter das Körperliche, während das Genus des Lebendigen doch einen ungleich grösseren Bereich der Objecte umfasst als das Körperliche, das zudem nicht einmal ein vere et proprie vivens sein kann. Andere Bemängelungen der scholastischen Scala prädicamentalis sind schon im vor. §. zur Sprache gebracht worden.

Fardella stellt der Arbor Porphyrii eine andere Scala prädicamentalis entgegen, welche, von dex Substanz als Genus supremum ausgehend, diese in zwei Subaltemgenera scheidet, deren positive Merkmale Denken und Ausdehnung sind: Sub* stantia cogitans, Substantia extensa. Die denkende Substanz oder der Geist befasst als Eintheilungsglieder unter sich den unendlichen und den endlichen Geist; der unendliche Geist ist der in sich selber ruhende, der endliche aber strebt im Be- dilrfiiiss nach Ergänzung seiner selbst als erkennender und liebender den unendlichen Geist an. Der endliche, vom unend- lichen Geiste abhängige Geist scheidet sich in den Engelgeist und Menschengeist, deren letzterer dem ersteren darin nach- steht, dass er an die Verbindung mit einem organisirten Leibe gewiesen ist. Fardella macht sich selbst den Einwurf, dass er nicht den allgemeinsten Begriff des Realen, nämlich jenen des Ens als Genus supremum oben angesetzt hätte. Er beantwortet dieses Bedenken mit der Erklärung, dass der Concept der Sub- stanz mit jenem des Ens zusammenfalle, daher auch die Acci- denzen nicht Entia, sondern blos Modi entis genannt werden; übrigens sei der Begriff des Ens schlechthin nur in der gött- lichen Substanz verwirklicht, nicht aber in den endlichen und geschöpflichen Wesenheiten. * Denn nur die unendliche, voll- kommenste Substanz ist und subsistirt absolut; die endlichen Substanzen sind nicht absolut und schlechthin, sondern nur aliquo modo und secundum quid als Abschattungen, Bilder und Repräsentationen des absolut Seienden, und werden nur be- ziehungsweise, weil sie nämUch nicht von anderen endlichen Substanzen ausser und neben ihnen abhängig sind, Substanzen genannt. Die endlichen Substanzen können ohne Beziehung auf die unendliche Substanz nicht klar und adäquat gedacht

* O. c. I, Pars 2, prop. 8.

Der CartesianiBinQs in Itoli«n I. : M. A. Fardella. 111

and erkannt werden, während die unendliche Substanz ohne Beziehung auf die endlichen Substanzen klar und vollkommen gedacht und verstanden werden kann. Obschon demnach die Entia finita nicht als Modi reales et intrinseci des Ens infinitum genommen werden können, so wird man doch nicht fehlen, wenn man sie analogischer Weise, sofern sie Bilder oder Spuren des Ens infinitum sind, als Modos extrinsecos desselben bezeichnet

Fardella spricht dem Seinsgedanken, sofern dieser mit Abstractioia vom Gedanken des unendlichen und endlichen Seins festgehalten werden wollte, jede Berechtigung ab und erklärt denselben für eine blosse Chimäre, an deren philoso- phische Wahrheit zu glauben, nur zu Irrthümem oder inhalts- leeren Logistereien führen könne J Nicht so schlechthin ver- werfend spricht er sich bezüglich der Frage aus, ob neben dem denkenden und neben dem ausgedehnten Sein 4;pcht noch ein drittes möglich wäre, welches keines von beiden sei; er weiss nur zu sagen, dass wir von einem derartigen Sein keine Vorstellung und keine Erfahrung haben, ^ während wir um- gekehrt Beides von einer Substantia composita haben, in welcher die denkende und die ausgedehnte Substanz mit einander ver- einiget sind.

Die allenthalben auf die Erfassung des als sachliche und concrete Wirklichkeit sich Darbietenden dringende Anschauungs- weise Fardella's verwirft alle logistischen Unterscheidungen, welche nicht diesem Zwecke dienen, und erklärt demnach auch die aristotelisch-scholastische Eategorienlehre für eine rein arbi- träre Erfindung, die nicht in der Natur der Dinge gegründet sei. Mit demselben Hechte, als zehn Kategorien aufgestellt werden, könnten auch zwanzig und noch mehrere angegeben werden; vor der Hand möchte die in einem bekannten Doppel- verse aufgestellte Sechszahl der Gesichtspimkte genügen, unter welche die Vertreter der Cartesischen Lehre alles in der Welt des Körperlichen sich Darbietende zu fassen gewohnt sind:

Mens, mensara, qaies, motos, positura, ügnrB. Sant cam matena cunctaram exordia renun.'

' O. c I, Pars 2, prop. 19. ' Ibid. prop. 7.

' Censent, posse omnia optime explicari, si ad has sepiem classes atten- damos: Mens, videlicet res cogitans; mensura, videlicet quantitas seu

112 Wernerj

Die Verwerfiing der Lehre von den Substanzialformen ißt Ursaclie, dass Fardella dem in der Arbor Porphyrii aus- gedr&ckten Gedanken einer aufwärts steigenden Reihe von Bildangsformen der sinnlichen Naturwirklichkeit bis zum Men- schen hinan nicht gerecht wird. So unvollkommen dieser Ge- danke immerhin ausgedrückt ist, und so sehr man auch die mit demselben verbundene, abstract schematisirende Vorstellung des Aufbtigens einer Bildungsform über die andere vom Stand- punkte einer concretlebendigen Anschauung der Naturentwicke- lung immerim beanstanden mag, muss doch die jener Vor- stelltmgsweise zu Grunde liegende Idee eines Anstrebens der im sichtbaren Menschenwesen dargestellten absoluten Form des sinnlich Wirklichen als wahr anerkannt werden; Fardella würde, wenn er diese Idee erfasst hätte, die von ihm so scharf ge- tadelte Definition des Menschen als Animal rationale vielleicht minder anstössig gefunden haben und dem Verständniss einer innigeren Fassung des Sinnlich-Leiblichen im seelischen Sein des Menschen, als die Cartesische Doctrin zufolge ihrer rein mechanistischen Naturauffassung zulässt, sich genähert haben.

§. 6.

Ohne sich unbedingt dafUr zu entscheiden, dass die thieri- Bchen Organismen blosse Automaten ohne Empfindung und cogitative Thätigkeit seien, hält Fardella diese Ansicht doch für ungleich wahrscheinlicher als die entgegengesetzte, welche er als jene der Peripatetiker bezeichnet.' Ein Hauptgrund für die grössere Wahrscheinlichkeit der Cartesischen Ansicht ist ihm der, dass, wie erfahrungsmässig im Menschen die Seele das Princip der Empfindung ist, so gemeinhin das Princip des Empfindens und sinnlichen Wahmehmens als ein geistiges ge- dacht werden müsse. Jeder, auch der niederste und unterste Grad cognoscitiver Thätigkeit weiche vom Begriffe der Materialität

mensarabilitas extensionifi; qnies, videlicet perseverantia corporis in eodem situ; motas, videlicet mutatio sitos ejasdem corporis successive; positura, videlicet ordo et varia dispositio, quam inter se servant corpora; fi^ura, videlicet terminus extensionis; materia, videlicet substantia trine dimenaa, longa, lata et profunda. L. c. ' O. c. I, Pars 4, prop. 4.

t)er Catiesianisroas in Italien, t. : H. A. Fardolla. 113

60 sehr ab, dass sich gar nicht begreifen lasse , wie das körperliche Sein sich zur Thätigkeit des Empfindens solle er- heben können. Die Annahme empfindungsfähiger und cogita- tioDsfähiger Thierkörper involvire eine unklare Vermischung des Geistigen und Körperlichen und verwische den im Namen der Moral und Religion aufrecht zu haltenden Unterschied zwischen Mensch und Thier.

Von diesem Gesichtspunkte aus wird nun Fardella auch zur Bestreitung des mikrokosmischen Charakters des Menschen- wesens hingedrängt, welcher sich nur unter Voraussetzung einer in Kraft des intellectiven Formprincipes sich vollziehenden In- einsbildung der geistigen und sinnlichen Wirklichkeit im Men- schen denkbar machen lässt. Die Ineinsbildung beider wird aber nur unter Voraussetzung einer stufenweise aufwärts fort- gebreitenden Annäherung der epitellurischen Bildirngsformen an die im Menschen verwirklichte höchste Bildungsform des sinnlich Wirklichen denkbar. Fardella kennt keine sinnlichen Wesens- und Lebensformen; er kennt nur Steigerungsgi'ade kunstvoller Durchbildung der an sich leblosen Körperlichkeit, in welche erst durch die Verbindung derselben mit dem Menschengeiste Leben kommt. Er nennt jene Steigerungsgrade Gradus meta- physicos, von welchen er behauptet,' dass sie, wofern sie in einem und demselben Subjecte zugleich vorhanden sein sollen, eine ununterscheidbare Einheit bilden, daher es unmöglich sei, sie im Sinne der Scholastiker auf irgend eine Weise als irgendwie unterschieden auseinander zu halten, so dass einer ohne den anderen gedacht werden könnte, wie z. B. im Menschen die Animalität ohne die in ihr als niederer Grad inbegriiFene Pflanzlich- keit, diese ohne die in ihr enthaltene Seinsstufe der leblosen KörperUchkeit. Wo aber wirklich ein im Denken fassbarer Unterschied hervortrete, wie z. B. in den Attributen: Animalität und Rationalität, müsse auf zwei von einander sachlich unter- schiedene Träger dieser real unterschiedenen Attribute ge- schlossen werden. Daher sei die durch das Menschenwesen angeblich vertretene Scala unterschiedener Seinsstufen: Stein, Pflanze, Thier, Geist eine widerspruchsvolle Fiction, welche auf Verkennung der Thatsache beruht, dass es eigentlich nur zwei

' O. c. I, Pars 2, prop, 17.

SiUitngsber. d. phil.-hist. Cl. CU. Bd. 1. Hft.

114 Werner.

Genera rerum gebe: geistige uad körperliehe Existenzen. Daraus folgt, dass die von den Scholastikern in Bezug auf die körper- lichen Existenzen angenommene Reihe aufwärts steigender Gra- dus metaphysici in Wahrheit nicht existirt, ^ und die angeblichen Seinsgrade sich nur auf den Unterschied einer mehr oder minder kunstvollen und complicirten Formation und GUederung der Körper beziehen.

§. 7.

Mit der Auffassung des Menschen als Animal rationale hängt das erkenntnisstheoretische Princip zusammen: Nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu. Fardella verwirft dasselbe und stellt es in eine Kategorie mit der Annahme Epikurs, dass alle Ideen des menschlichen Geistes aus der sinnlichen Anschauung und Wahrnehmung abzuleiten seien. ^ Die Identificirung des aristotelischen Satzes mit jenem Epikurs ist insofern bezeichnend, als sie das Bestreben verräth, die Cartesische Lehre vom Ursprünge der menschlichen Erkennt- nisse indirect durch möglichste Herabdriickung der aristoteli- schen Erklärung desselben zu rechtfertigen. Die erkenntniss- theoretische Grundanschauung des Aristoteles und Epikur fuhrt Fardella weiter - werde auch von den Scholastikern angenommen, obschon sie in der Angabe der Ursachen der Abhängigkeit des rationalen Denkens vom sinnlichen Anschauen und Vorstellen auseinander gehen. Die Thomisten leiten sie aus der Vereinigung der Seele mit dem Leibe ab, die Scotisten sehen in ihr ein aus der ersten Menschensünde resultirendes Strafgeschick. Die Scotisten stehen in diesem Punkte der Wahr- heit näher als die Thomisten, sofern sie in der Vereinigung der Seele mit dem Leibe an sich keinen Grund sehen, dem Men- schen ein vom sinnlichen Wahrnehmen und Vorstellen unab- hängiges Erkennen zuzugestehen; nur sind sie noch in der

^ Si veram est, gradas metaphysicos esse conceptibilitates adaequate diver- sas, etiam verum est, hos gradus ab invicem reaUter distinqui et sepa- rari posse, ita ut possint a Deo poni eo modo, qao ab humana mente clare et distincte concipiuntar. L. c.

^ O. c. I, Pars 2, prop. 3.

I>er CartesianisiDus in Italien. I.: M. A. Pardella. 115

Verwechslung einer unberichtigt gebliebenen Denkgewöhnung * mit einem Strafgesebicke der Sünde befangen^ wenn sie dem Menschen in seiner dermaligen Beschaffenheit die Befähigimg zu jener Art des Erkennens absprechen.

Das Wort Idee im weitesten Sinne als denkhafte Re- präsentation eines Dinges im menschlichen Geiste nehmend, stellt Fardella im Einklänge mit seiner Qrundanschauung vom menschlichen Seelenwesen als erkenntnisstheoretische Grund- wahrheit den Satz auf, dass die Ideen aus dem Geiste als ihrer wahren und realen Ursache urspringen, und die körper- lichen Organe und Lebensgeister, sowie die Bewegungen und Eindrücke der Körper der sinnlichen Aussenwelt sich nur als occasionelle Ursachen ihrer Entstehung verhalten. Körperliche Eindrücke und materielle Bilder können nur auf eine körper- liche und ausgedehnte Sache einwirken und mit derselben in Berührung kommen; der unkörperliche, unausgedehnte Menschen- geist ist seiner Natur nach einer solchen Berührung entrückt. Wäre derselbe in seiner Denkthätigkeit vom Körper schlecht- hin abhängig und die Concurrenz der sinnlichen Vorstellungen zur geistigen Denkthätigkeit schlechthin nothwendig; so müsste der Geist, wie in operando, so auch in essendo vom Körper abhängen, also eine Forma materialis sein. Dem menschlichen Körper kommen erweislich verschiedene, vom Geiste völlig unabhängige Thätigkeiten zu;^ dasselbe muss in seiner Weise auch vom Geiste gelten. Ja die dem Geiste als solchem und unabhängig vom Körper zukommenden Thätigkeiten sind weit leichter begreiflich als jene, die er im Wechselverkehre mit dem Körper übt; denn dieser Wechselverkehr ist eben eines der schwierigsten Räthsel fiir unser Denken.^ Die menschliche Gottesidee ist ein unmittelbarer Beweis des Vorhandenseins

^ Ab inennte aetate corpora tantum animo volventes ad corporum instar

cuncta imag^nari assuevimus. Quapropter in adulta aetate infantiae

jndicia retinentes arbitramnr, nil posse a nobis in hac vita intelligi, nisi

per species sensibiles et materiales. L. c. ^ Nobis insciis sangnis circulat, arteriae pulsant, et saepe etiam nobis re-

lactantibns in musculis et nervis plnres motus excitantar, qui noUo

pacto a cogitatione pendent. Ibid. ' Non enim inteUigi potest, quo pacto ad varios motas et mutationem

corporis mens illico mutetur, et dirersae in ea excitentnr perceptiones.

Ibid.

8*

116 Werner.

einer nicht aus sinnlichen Wahrnehmungen und Vorstellungen abgeleiteten £rkenntniB8 in uns; sie ist cl^e dem menschlichen Geiste unmittelbar präsente Idee des Seins schlechthin, ohne Zuthat und Beschränkung. Man kann nicht etwa sagen, dass sie auf Grund unserer sinnlichen Erkenntnisse durch Ratiocina- tion gewonnen worden sei; denn jede ratiocinative Verständi- gung über das Wesen Gottes setzt den klaren und deutlichen Concept des göttlichen Seins voraus. Die allen Menschen eigene Gottesidee ist somit eine dem Geiste als solchem angebome Idee. Aehnlicher Weise verhält es sich mit den der Meta- physik, Arithmetik und Geometrie angehörigen axiomatischen Sätzen,^ auf welche letztlich die Evidenz und Gewissheit der diesen Disciplinen angehörigen Wahrheiten gestützt ist. Die Ideen, die der Geist von sich selber, von seiner Existenz und Natur, von seiner Lebendigkeit und seinen Thätigkeiten hat, sind ihm durch unmittelbare Selbstwahrnehmung eigen, an deren Zustande- kommen Sinn und Phantasie schlechthin keinen Antheil haben. Die durch Fardella vertretene Cartesische Lehre, dass die menschlichen Ideen nur occasionell durch sinnUche Apper- ceptionen verursacht werden, ist insoweit wahr, als unter den Ideen die überzeitlichen Verknüpfungen und Zusammenhänge dos in der sinnlich-empirischen Wahrnehmung sich darbietenden Mannigfaltigen und Differenten verstanden werden. Und solche in der gottesbildlichen Seele aufleuchtende geistige Appercep- tionen überzeitlicher Verknüpfungen werden nach dem heutigen Sprachgebrauche unter den Ideen eigentlich veinstanden, im Unterschiede von den sinnlichen Vorstelhmgen , welche der empfindungsfähigen Seele unläugbar durch Vermittelung der sinnlichen Leiblichkeit eingezeugt werden, und im Unterschiede von den BegriflFen, welche die rational vergeistigten Fassungen und Umgrenzungen des sinnlich empirischen ErkenntnissstoiFes

^ Bezüglich dieser Sätze g^bt jedoch Fardella die Alternative zwischen der Annahme angebomer Ideen oder dem Schauen derselben in der ewigen Vernunft frei: Fatendum est, has veritates a nobis intelligi vel in ipsa mente, in qua quaedam innatae et pure intelligibiles ideae elacescunt, vel nt Augustino et ingeniosissimö Malebranchio placet, in ipsamet uni- versali ratione et incommutabili Dei sapientia, ctguB omnes homines sunt participes, et in qua singuli eandem veritatem ejusdem certitudinis et claritatis mensura intuentur. Ibid.

D«r CartMianisnms in Italien. I. : M. A. Fardella. 117

darstellen. Dass die sinnlichen Vorstellungen der Seele von aussen eingezeugt werden, darf als selbstverständliche That- sache angesehen werden; sofern nun der Begriff der Seele als Substanzialform des Menschenwesens die Möglichkeit einer sol- chen Einzcugung erklärlich macht, erhellt daraus der durch die Verwerfung des Begriffes der Substanzialform begangene Fehler. Die Frage wäre nur, ob die zur Reception von Sinnes- eindrücken be&higte Wesensform des Menschenindivids auch geeignet sei, die überzeitlichen Denkfassungen des in der sinn- lichen und zeidich-empirischen Erfahrung gegebenen Erkenntnisse Stoffes aus sich selbst hervorzustellen, oder ob hiezu nicht eine zweite Form höheren Ranges erforderlich sei. Zufolge des mikro- kosmischen Charakters des Menschenindivids hat die Wesens- form desselben eine die gesammte sichtbare Wirklichkeit um- spannende Bedeutung und schliesst als höchste Wesensform der sichtbaren Wirklichkeit alle Formen derselben in sich, muss sie daher auch denkhaft aus sich zu reproduciren ver- mögen. Als höchste Wesensform der sichtbaren Wirklichkeit ist sie aber zugleich auch das lebendige Abbild der in sich selber subsistirenden absoluten Form der Dinge und muss dem Vermögen nach auch den Gedanken dieser in sich tragen, ob- schon derselbe nur in der Erfassung der begrenzten Formen des Weltdaseins in ihr sich zu actuiren vermag. Somit ist auch die mit dem Wesen der Seele gegebene Actuirbarkeit der lebendigen Gottesidee in der Auffassung des menschlichen Seeienwesens als Substanzialform des Menschenindivids sicher- gestellt) daher auch nach dieser Seite hin kein Grund vorliegt, von der morphologischen Auffassung des Seelenwesens abzugehen. Im Gegentheile wird hiedurch der misslichen Annahme soge- nannter angebomer Ideen aus dem Wege gegangen, die nach ihrem richtigen Sinne verstanden nichts Anderes als gewisse, mit dem gottesbildlichen Wesen der menschlichen Seele ge- gebene Anlagen und Vermöglichkeiten zu bestimmten geistigen Denkconceptionen bedeuten, zu welchen die Seele unter den entsprechenden geistigen Anregungen von aussen sich auf- zuschwingen vermag. Die rein formalen Grundaxiome der Ontologie, Mathesis, Geometrie u. s. w. sind nicht Ideen oder Wahrheiten, sondern Denknoth wendigkeiten , die mit dem rationalen Wesen der Seele gegeben sind.

118 Werner.

§. 8.

Zufolge des Nichterfassens des eigenHichen Wesens der Idee reducirt sich in der Cartesischen Philosophie die Voll- kommenheit des Erkennens auf die klare und distinete geistige Vorstellung von einer Sache. Fardella ' unterscheidet im Sinne der Cartesischen Doctrin zwischen dunklen und klaren, con~ fiisen und distincten Vorstellungen. Da die dunklen und con- fusen Vorstellungen dem Bereiche der Sensation , die klaren und distincten dem Bereiche der Ratio angehören, so kann man die Cartesische Doctrin von Seite ihrer erkenntnisstheo- retischen G-rundanschauungen als eine Art rationalisirenden Pla- tonismus bezeichnen, der denn auch bei Fardella entschiedenst ausgeprägt ist. Er bezeichnet als eine klare und distinete Idee diejenige, mittelst welcher der Geist ein vorgestelltes Object von jedem anderen Objecte ausser ihm bestimmt unterscheidet und zugleich auch eine hervorragende und bekanntere Eigenschaft derselben so auffasst, dass er zufolge der Verknüpfung der- selben mit den übrigen Eigenschaften des Objectes auch über diese eine zweifellos richtige Auskunft zu geben vermag. Der- artige Ideen oder geistige Vorstellungen sind jene des Ens simpliciter, der Ausdehnung, der Figuren, Zahlen und der dem Gebiete der Philosophia prima angehörigen Veritates primae. Dunkle und conftise Ideen heissen jene, mittelst welcher die vor- gestellte Sache weder in ihren Wesensunterschieden von anderen ausser und neben ihr, noch auch in Bezug auf eine bestimmte Eigenschaft so aufgefasst wird, dass aus dieser die übrigen Eigenschaften der Sache erkannt werden könnten. Solche Ideen sind alle Sensationen, nämlich die Ideen des Schmerzes, der Farbe, der Kälte und anderer sensibler Qualitäten, welche in- dess richtiger, als sie Ideen oder Vorstellungen heissen, AfFec- tionen oder Modificationen der Seele genannt werden und als subjective AfFectionen über das objective Wesen einer Sache nicht Aufschluss geben können. Die klaren und distincten Vorstellungen scheiden sich wieder in solche, welche, sofern sie ohne alle Beihilfe der sinnlichen Anschauung und Imagi-

' O. c. I, Pare. 2, prop. 4.

Der Cartesianiimns in Italien. I. : M. A. FardelU. . 119

natioii; der ratiocinativen oder vergleichenden Thätigkeit zu Stande kommen, zweifellos wahr sind, und in andere, welche wegen jener Beihilfe eine derartige zweifellose G-ewissheit nicht zulassen; zu ersteren, welche auch Ideae determinantes oder simplicis intelligentiae heissen, gehören die Ideen Cogitatio, Ens infinitum und die Veritates primae; zu letzteren, welche Ideae indifferentes genannt werden, gehört die Idee des Körpers, über dessen Existenz durch jene Ideen nichts bestimmt wird.

Dem Geiste stellen in den Ideen sich Res, Modi und Res modificatae vor; ^ einfach als Res stellt sich dem Geiste das- jenige dar, was als ein Per se absolute subsistens und als Subject von Proprietäten gedacht wird; diese letzteren stellen sich dem Geiste als Modi rei vor und heissen auch Qualitates, Passiones, Attributa; die Res modiiicata ist die durch ihre Modos auf eine bestimmte Art determinirte Res. Es kommt häufig vor, dass Res und Modus confundirt werden;'^ so wird z. B. die Ausdehnung einer Tafel für einen Modus der Tafel ge- nommen, während sie in Wahrheit eine Res ist, welcher die Natur der Tafel inhärirt. Es liegt also im Wesen des wahr- haften und realen Modus, ^ dass er nicht ohne die Res, wohl aber die Res ohne ihn klar und distinct gedacht werden kann; 80 kann z. B. die Rundheit der Erde nicht ohne die Erde, wohl aber die Erde ohne ihre Rundheit klar und distinct ge- dacht werden; dasselbe gilt von der Prudentia im Verhältniss zu ihrem Träger.

Die Attribute werden in negative und positive, absolute und respective, gemeinsame und particuläre, scheinbare und wirk- liche Attribute eingetheilt. ^ Eine Sache wird besser und klarer durch ihre positiven und absoluten, als durch ihre negativen und respectiven Attribute erkannt. So charakterisirt z. B. das positive Attribut ,cogitativ^ den Geist viel bestimmter als das

* O. c. I, Pars. 2, prop. 5. ' Ibid. prop. 6,

' Fardella unterscheidet drei Modos: Modus substantialis, zufolge dessen eine Substanz einer anderen inhärirt (z. B. das Kleid dem KOrper); Modus intentionalis, der blos im Denken von der Sache als Träger unter- schieden wird (z. B. Humanitas); Modus vems und proprius im oben genannten Sinne. Nur von diesem letzteren ist hier die Kede.

* 0. c. I, Pars, 2, propp. 9 14»

120 . Werner.

negative Attribut ,Unausgedehntheit^, welches auch dem Nichts zukommt; eben so ist die Cogitativität als absolutes Attribut des Geistes viel bezeichnender ftir das Wesen desselben als das respective Attribut Forma corporis oder Actus corporis. Das Correlat des respectiven Begriffes Forma ist der ebenso respective Begriff der scholastischen Materia prima, der gleich- falls über das eigentliche Wesen der Körperlichkeit keine Auf- schlüsse gibt.

Particuläre Attribute oder Modi heissen jene, welche nur Einem Genus rerum zukommen, wie z. B. die Cogitativität den geistigen Existenzen, die Mobilität, Figürlichkeit u. s. w. den Körpern; Modi communes sind jene, welche in beiden Gene- ribus sich vorfinden, wie z. B. die Dauer, die Abhängigkeit u. s. w. Das logische Kennzeichen der Modi particulares ist ihr innerer Zusammenhang mit der Grundbestinmitheit alles Körperlichen. Zufolge dieses inneren Zusammenhanges erweisen sie sich weiter auch als reale Attribute der Körperlichkeit und unterscheiden sich hiedurch von den blos scheinbaren Modis der Körperlichkeit, welche, obschon durch das Körperliche causirt, formaliter doch nur in der sinnlichen Wahrnehmung vorhanden sind, wie der Schall, die Farbe, der Geschmack u. s. w. Die Scholastiker vernachlässigten den Unterschied zwischen wirklichen und scheinbaren Modis ^ imd beruhigten sich mit der unphilosophischen Annahme, dass alles sinnlich Evidente auch wahr und unzweifelhaft gewiss sein müsse; in Folge dessen nahmen sie ohne weitere Prüfung getrost Farbe, Licht, Geschmack, Geruch, Schall, Kälte, Wärme, Gewicht und verschiedene andere sinnliche Qualitäten als Accidenzen, die dem Körper anhaften, woraus sich ihnen weiter auch die Existenz der Körper als der denknothwendigen Träger jener Qualitäten vergewisserte. So kam es, dass ihnen statt der Exi- stenz des um sich wissenden Geistes die Existenz der Körper als das erste Gewisse, und die Natur derselben als das am meisten Bekannte galt, von welchem sie durch Schlüsse zur Kenntniss des minder bekannten Geistigen zu gelangen suchten, und bezüglich desselben natürlich nur so viel als philosophisch gewiss gelten lassen wollten, als auf diesem Wege ermittelt

^ 0. c. I, Append. 2, prop. 2.

D«r CftrtosianiBinas in Italieo. I.: M. A. Fardella. 121

werden zu können schien. Allein auch die Kenntniss des nach ihrer Anj»icht zunächst und am meisten Bekannten wurde von ihnen in Ermangelung einer entsprechenden Untersuchungs- methode mit unzähligen Irrthtimem versetzt. So behaupteten sie die Existenz unzähliger Accidenzen, die ebensowohl von der Perception, als auch von der Materie real unterschieden wären; sie behaupteten femer, dass es keine Körper gebe, die nicht sensibel wären, wie sie denn insgemein jedes uns positiv erkenn- bare Seiende zugleich auch flir imaginabel hielten. Da sie zu bemerken glaubten, dass den einzelnen Körpern verschiedene einander widerstreitende Qualitäten inhäriren, so nahmen sie vielerlei von der Materie als solcher imterschiedene und einander entgegengesetzte Formen als Ursachen und Erklärungsgrttnde dieser angeblichen Repugnanz an. Von da aus kamen sie. weiter auf die Frage, ob die Accidenzen als principalc oder blos als instrumentale Agentien bei der Erzeugung von Substanzialformen concurriren, ob zwei totale Substanzialformen von einer und der- selben Materie recipirt werden können oder umgekehrt eine und dieselbe Form mehrere Materien actuiren könne, ob eine zer- störte Substanzialform auf natürlichem Wege reproducirbar sei, ob die unzähligen Substanzialformen actuell oder potentiell in der Materie verborgen seien, ob sie durch ein geschöpfliches Agens aus derselben educirt werden können. Weitere damit verwandte und zusammenhängende Fragen waren, ob es ausser den totalen Substanzialformen auch partiale in demselben Com- positum gebe, ob nach Auflösung des animaUschen Körpers eine Forma cadaverica als neue Form der Materia prima eintrete oder ob die Forma corporeitatis zurückbleibe, ob es eine Wechsel- wirkung zwischen Form und Materie gebe, ob die Materie in Kraft der Form Existenz habe, so dass sie nach Verlust der- selben dem Nichtsein anheimfalle u. s. w. Hieher gehören femer die Disputationen über Generation und Corruption der Sub- stanzialformen, über die substanziale Diversität der Humores im animalischen Leibe, der Elementarkörper des Universums, über die Entstehung der Qualitates secundae. In Folge der Wahrnehmung, dass einige Körper aufwärts steigen, andere in die Tiefe sinken, erdichtete man sofort Leichtigkeit und Schwere als positive, den Körpern eingeschafifene Qualitäten, und wies dem Feuer den Platz unter der Mondessphäre an. Weil nach

122 Werner.

dem Scheine der sinnlichen Wahrnehmung Sonne und Sterne um die Erde sich bewegen, erklärte man das Ptolomäische Weltsystem flir unwiderleglich wahr.

Alle diese Irrungen und Unzukömmlichkeiten ergeben sich aus dem Vorurtheile, welchem zufolge der ungeprüft hinge- nommene sinnliche Augenschein für die sichere Unterlage zur Gewinnung richtiger rationaler Erkenntnisse genommen wird. Es hilft nicht; -zu sagen , dass, wenn das Zeugniss der Sinne wirklich trüglich sein sollte, Gott selber uns täuschen würde, welcher uns die täuschenden Sinne verliehen hat.^ Der Grund unserer Irrthümer liegt nicht in den Sinnen oder Sinnesaussagen als solchen, sondern in unserer voreiligen Zustimmung zu den Thatsachen des sinnlichen Augenscheines. Die peripatetischen Vertheidiger der rationalen Wahrheit des sinnlich Evidenten werden gewiss nicht zugeben, dass die unvermeidlichen Täu- schimgen der Traumvorstellungen Gott als Urheber zur Last fallen; sie werden vielmehr sagen, dass wir träumend falsche Vorstellungen für wahr halten, weil wir nicht in der Lage sind, das Judicium sanae rationis in Anwendung zu bringen. Da wir aber im Wachzustande vermögend sind, jenes Judicium in Anwendung zu bringen, so folgt daraus nur, dass Gott auch ftlr unsere geistigen Irrungen, in die wir zufolge unseres Ver- trauens auf die ungeprüft hingenommenen Evidenzen rein sinn- licher Art gerathen, nicht verantwortlich gemacht werden kann. Wir sollen uns eben um eine uns zu Gebote stehende höhere Evidenz, als jene der Sinne ist, um die Evidentia purae rationis bemühen, auf welche so nachdrucksvoll hingewiesen zu haben, das grosse Verdienst der Cartesischen Philosophie ist. Es heisst den Zweck und die Bestimmung der von Gott uns verliehenen Sinne völlig verkennen, wenn man sie, die uns zunächst doch nur als Orientirungsmittel unseres praktischen Verhaltens in der sinnlichen Wirklichkeit zu dienen haben, als die unmittelbaren Manifestatoren der im Denken des Geistes sich uns erschliessenden philosophischen Erkenntnisse ansehen will.

§. 9.

Fardella vertritt den Standpunkt des Piatonismus nicht blos gegenüber dem blinden Vertrauen auf den ungeprüft

^ O. c. I, Append. 2, prop. 2.

Der CarteBianismiis in Italien. I.: M. A. FardelU. 123

hingenommenen Sinnenschein, sondern weiter auch in Bezug auf die Unsicherheit der blossen Meinung (565«), oder wie er sich als Cartesianer ausdrückt, der dunklen und confusen Ideen, welche kein zuverlässiges Substrat zur Ermittlung dessen, was die Dinge an sich sind, darbieten J Die dunkle und con- fdse Idee hat keinen nothwendigen Zusammenhang mit der absoluten Natur des Objectes, welches sich nicht selten anders darstellt, als es an sich ist; sie ist möglicher Weise wahr, kann aber eben so gut auch falsch sein. Fardella nimmt hievon nebenhergehend Anlass zur Bekämpfung des moralischen Pro- babilismus; er ergeht sich weiter in der A'ufweisung der falschen philosophischen Lehren, welche daraus erwuchsen, dass man von scheinbaren Unvereinbarkeiten oder Vereinbarkeiten auf eine wirklich statthabende Unmöglichkeit oder Möglichkeit schloss. Weil Aristoteles und Epikur nur einen unklaren und confusen Concept vom göttlichen Wesen hatten, hielt der Erstere die Annahme fiir möglich, dass die Welt nothwendig und seit ewig hervorgebracht worden sei, und der Letztere es fiir möglich, dass die Welt, wie sie zufällig entstanden, so auch vom Zufall regiert werde. Aus gleicher Ursache hielten mehrere heidnische Philosophen die Entstehung der Welt durch Creation für unmöglich und nahm Tertullian Gott für ein körper- liches Wesen, Arius das ewige göttliche Wort flir ein Geschöpf. Auch die auf die Grundannahme einer Materia prima und sub- ßtanzialer Formen gebauten Lehren der peripatetischen Scholastik fallen unter den Gesichtspunkt der opinativen Probabilität. Es ist auf Rechnung des Mangels einer evidenten Geisteserkenntniss der körperlichen und geistigen Dinge zu setzen, wenn die Scholastiker in der Idee einer unbegrenzten Ausdehnung oder einer unendlichen Zahl von Dingen etwas Widersprechendes sahen, oder andererseits allen Ernstes sich mit der Frage über Möglichkeiten befassten, welche ihnen nur aus Mangel an klaren und deutlichen Ideen der Dinge zulässig erscheinen konnten. Was nicht wirklich sein kann, ist auch nicht denkmöglich ; ^ in der klaren und deutlichen Erkenntniss der Seinsunmöglich- keit eines Dinges hebt sich auch die Denkmöglichkeit desselben

^ 0. c. I, Append. 2, prop. 4, ' 0. c. I, Pars 2, prop. 18,

124 Werner.

auf. Damit ist einer Menge falscher Denkabstractionen und Gedankenbildungen^ von welchen die überlieferte Schulwissen- schaft im Lichte geistiger Erkenntniss zu säubern ist, ein kräftiger Riegel vorgeschoben. Umgekehrt muss eine Menge von Dingen zugelassen werden, deren Vorhandensein von der überlieferten Schulwissenschaft wegen Mangel an Bezeugung ihres Vorhandenseins durch die Sinne geläugnet wird. Fardella tritt hier als Anwalt der Cartesischen Physik auf* und be- schuldigt die scholastischen Gegner derselben, dass sie eben nur aus Unkenntniss des durch eine rationale Forschungs- methode festgestellten* Vorhandenseins jener Dinge zu allerlei Fictionen Zuflucht nehmen,^ um Dinge zu erklären, welche auf solche Weise eben nicht erklärt werden dürfen, ohne die Zahl der menschlichen Irrthümer ins Unermesslichc zu häufen. So strenge immerhin Fardella die Irrthümer der über- lieferten Schulwissenschaft verurtheilt, will er doch nicht einer unberathenen Neuerungssucht das Wort reden ; ^ er rechnet diese vielmehr gleich dem unerleuchteten Festhalten am Alten

* Ortam est in scholis, tanquam somniatores et delirantes contemni, qni nt insigniora naturalis scientiae problemata enodarent, ad pondos et elaterium aeris, ad concitatissimum subtilium et sensum fugientium parti- cularam motum, impulsum et configarationem recurrant. O. c. I, Append. 2, prop. 6.

' Qnia praeter ingentia, crassa et opaca corpora alia subtiliora et rariora sensu non perceperunt, ideo reales et intelligibiles rerum causas reji- cientes ad imaginarias et explicabiles, ut naturae phaenomena solverent, animum converterunt. Hinc ad vacui fugam, magnetismum, antipathiam, sympathiam, facultatem expnltricem, retentricem, concoctricem etc. et ad ipsas etiam qnalitates occultas recurrerunt, qnemadmodum appetitus et exigentias qnasdam in rebus ipsis cognitione carentibns commenti sunt . . . Ex eodem sophismate ortae sunt opiniones de nova qualitatum productione in rebus quae rarefiunt et condensantur, de vlrtute exsic- candi et liquandi in sole, de incorruptibilitate coelorum, de quiete sangui- nis in animalibus, succornm in plantis, de ranarum instantanea procrea- tione, de materialium qualitatum determinato numero; quemadmodum ex eodem principio factum est, plnres tanquam commentitium rejicere luminis et flammae pondus, minoremque substantiam in aere quam in metallo contineri censere . . . Miror quo pacto peripatetici tanquam nimis car- nales et imaginationi addictos corpusculares philosophos irrideant et reji- ciant, cum eorum philosophandi ratio sensus et imaginationis testimonium pro regula et rectissima norma habeat. Ibid.

3 O. c. I, p. 23ff,

Der Cartesiftnismns in Italien. I.: M. A. FardelU. 12o

unter die Hindernisse des Findens der Wahrheit. Er tadelt Jene, welche nicht etwa, weil sie durch ernste Studien sich von der Unhaltbarkeit der peripatetischen Doctrin überzeugt hutten, sondern lediglich, um nicht mit der grossen Menge zu gehen, von Aristoteles sich losgesagt hätten und Anhänger Demokrit's und Epikur's geworden wären; einer derselben habe, nachdem ihm bereits auch die Atomenlehre zu vulgär geworden zu sein schien, auch von dieser sich losgesagt, nur um fiir einen selbstständigen Kopf zu gelten, welcher seine eigenen Wege zu gehen wisse. Ein solches Verhalten Verstösse jedoch auf das Gröbste gegen jene Gründe und Motive, durch welche ein Abgehen von den Ueberlieferungen der Schulen und ein HinausBchreiten über dieselben nicht blos als erlaubt, sondern sogar als nothwendig sich rechtfertigt. Denn um nichts An- deres handelt es sich, als darum, einer vorurtheilslosen, wahr- haft vemunftgemässen Anschauung der Dinge Bahn zu brechen; und diesem Zwecke in selbstloser Hingabe zu dienen, charak- terisirt den echten, wahrhaft sittlichen Geist der philosophischen Forschung. '

§. 10.

Fardella erklärt mit Malebranche ^ den freien menschlichen Willen als die Hauptursache der Irrthümer des menschlichen Geistes ; ^ die mit der Hauptursache concurrirenden occasio- nellen Ursachen der Irrthümer lässt er theils im irrenden Sub- jecte, theils ausserhalb desselben gelegen sein. Als erstere bezeichnet er Sinn, Imagination und seelische Affecte; als letztere mangelhafte Erziehung, unzureichenden Unterricht, Irre- leitung durch schlechtgewählte Leetüre, Vorurtheile der herr- schenden Zeitmeinung u. s. w. Die Voluntarietät der geistigen

* Ratione non hominuxn aactoritate dnce philosophemur; evidentia, non Bcriptomm placita, nobis praeluceant ; pargatnm ingeniti laminiB di- ctamen, non alicujas doctoris textas, nos doceat et ad naturae mjsteria detegenda recto tramite mannducat. Hinc ratione praeeunte philosophiam explanare aggredior; nisi enim clara veritatis notio praecesaerit, solida et matara moralis, qaae est totiua philosophiae coronamentum, obtineii neqoit. O. c. I, p. 11.

^ Vgl. Malebranche, Recherebe de la yerit^ I, chapp. 2 et 6, §. 2.

' Univ. philos. syst. I, Pars 2, prop. 2.

126 Werner.

Irrthümer sieht Fardella in der auf Rechnung des freien Willens gehenden Unterlassung jener Prüfung und Untersuchung irgend eines unserem Denken sich darbietenden Sachverhaltes, welche nothwendig wäre, zu dem fUr ein sicheres Urtheil nothwendigen Grade rationaler Evidenz zu gelangen. Daher stellt er als Grundregel des geistigen Verhaltens auf, * dass man nicht eher über eine Sache urtheilen dürfe, als bis man zu einem klaren und deutlichen Begriffe der Sache vorgedrungen sei, der uns keine Wahl der Entscheidung mehr lässt, sondern das auf Grund der klaren und deutlichen Perception zu fkllende Urtheil als ein Denknothwendiges abzwingt. So lange jene geistige Evidenz nicht vorhanden ist, ist der Zweifel wissenschaftliche Pflicht, und das vorzeitige Aburtheilen vor Eintritt der geistigen Evidenz eine Verletzung jener wissenschaftlichen Pflicht. Diese Verletzung constituirt ein Analogen der moralischen Pflicht- verletzung, ohne selber eine solche zu sein, weil der Urheber des falschen Urtheiles nicht der Wille, sondern der Verstand ist; die Analogie zwischen beiden Arten von Pflichtverletzungen besteht darin, dass sich, soweit sie auf den Willen zurück- zuführen sind, keine positive Ursache, sondern blos eine Causa deficiens ihres Vorhandenseins vorweist.' Einen positiven Ein- flufls hat der Wille blos auf die Entstehung richtiger, auf klaren und deutlichen Vorstellungen beruhender Urtheile; aber auch dieser Einfluss ist nur ein mittelbarer, da der eigentliche Hervorbringer der klaren und deutlichen Erkenntniss eben nur der Verstand selber ist. Fardella erklärt sich demnach gegen Malebranche, sofern dieser alle geistige Activität einfach nur in den Willen verlegt und den Verstand lediglich als passive Receptivität des Geistes ansieht; ^ er lehnt damit selbstver- ständlich auch die von Malebranche angenommene moralische

* O. c. I, Pars 3, prop. 4 et 5.

^ Cum erramas, vere et proprie nihil agimus, sed tantuni deficere videmur, videlicet ab agendo cessamns qniescentes, cum ulterius a nobis prog-re- diendum esset; hinc causa erroris vere non est efficiens sed deficiens, 1. e. error oritur non quia aliquid efficimus, sed quia ab aliquo defici- mus, seu a debita aliqua operatione cessamus eo prorsus modo, quo malum morale seu peccatum non habet causam sui efficientem, sed tantum deficientem. O. c. I, Pars 2, prop. 2.

' O. c. I, Pars 3, prop. 1.

Der Cartesiftnismus in Italien. I.: M. Ä. Fardella. 127

Schuldhaftigkeit der menschlichen Irrthümer ' als unbillige Strenge sittlichen Wahrheitseifers ab. Dessungeachtet gesteht Fardella selber zu, dass das Urtheilen als solches etwas Willent- liches sei,.^ dessen Verantwortlichkeit nur da aufhört, wo die inteUectuelle Unmöglichkeit, anders zu urtheilen, vorliegt; jene Verantwortlichkeit ist aber jedenfalls zunächst nur eine Verant- wortlichkeit des intellectuellen, nicht des moralischen Gewissens. Der Rigor des intellectuellen Gewissens Fardella's hat seinen Grund in jener Anschauungsweise, welche wir oben als rationahsirenden Piatonismus bezeichneten; derselbe hängt mit der Voraussetzung zusammen, dass in der rein geistigen An- schauung der Dinge sich lauter exacte, das Denken absolut determinirende Denkverhältnisse aufweisen, deren Anerkennung sich der Wille, sobald sie im Denken des Verstandes offenbar geworden sind, sich nicht weiter entziehen könne. Die mora- lische Schuld des Irrthums würde sonach erst da beginnen, wo der Wille einer klar und deutUch im Denken sich offenbaren- den Wahrheit widerstreben würde. Dass ein geflissentUches Widerstreben gegen unläugbare Wahrheiten eine moralische Schuld in sich schliesse, ist selbstverständlich; es fällt jedoch keinem vernünftigen Menschen bei, offen daliegende exacte Gedankenverhältnisse läugnen zu wollen, und die geflissentÜche Läugnung derselben würde jedenfalls nicht der Geschichte der Philosophie angehören. Die Frage ist vielmehr diese, ob wirklich das exact Erkennbare den eigentlichen Gegenstand der Philo-

' Vgl. Malebranche, Recherche III, Part. 2, chap. 9: Toutefois, si le« hommes, dans T^tat meme oii ils sont de faiblesse et de corruption, faisaient toujoon bon usage de leur libert^, ils ne se tromperaient Ja- mals. Et c^est pour cela que tout homme qoi tombe dans l'erreur est bl&me ayec justice et m^rite meme d'etre puni; car 11 suffit pour ne se point tromper de ne juger que de ce qu^on yoit, et de ne faire Jamals de jugements entiers que de choses que Ton est assur^ d'avolr examln^es dans toutes lenrs parties, ce que les hommes peuvent faire. Mais Us aiment mieux s^assujettir k Terreur que de s^assujettir k la regle de la verit^; ils veulent d^cider saus peine et sans examen.

^ Indlcium ex parte Intellectus nil aliud revera est, nlsl idea et perceptlo, non vero assensus et determlnatlo, cui in rlgere tantnm competit nomen judieli, coDBlstentis in ipsa acquiescentia voluntatis in objecto repraesen- tato, ut evidentissimum reddltur, si attente perpendatur, quid rere agimus, cum assentiendo judlcamus. O. c. I, Pars 3, prop. 1.

128 Werner.

Sophie ausmache, oder falls dies wirklich das eigentliche Oh- ject der Philosophie wäre, in welchem Gedankenmittel sich die philosophische Erkenntniss exacter Denkverhältnisse vermittle. Und da möchte sich wohl als Antwort ergeben, dass die exacten Denkverhältnisse wohl materiales Object des philosophischen Erkennens seien, das philosophische Verständniss derselben jedoch im Elemente idealer Denkapprehensionen sich bewege, welche, über jene Denkverhältnisse hinausgreifend, auf die Central- punkte ihrer vielverschlangenen rhythmischen Verknüpfungen gerichtet sind und aus diesen sie zu verstehen trachten. Alle Philosophie ist wesentlich Ideologie; die im Geistdenken auf- leuchtenden Ideen aber, in deren Lichte alles Erkannte auf seine letzten und höchsten Erkenntnissgründe zurückgeführt werden soll, sind Inspirationen der schwunghaft gehobenen seelischen Innerlichkeit, die ihrer Natur nach dem Selbstwollen des Menschen entzogen sind, und somit auf eine über die rationali- sirenden oder religiös-moralisirenden Reflexionen Fardella's und Malebranche's hinausreichende Auffassung und Beurtheilung des geistigen Erkenntnissstrebens der Menschheit hinweisen. Als grundhaft massgebender Gesichtspunkt erscheint da nicht der Gegensatz zwischen wahrer und irrthümUcher Denkauf- fassung, sondern jener zwischen geistig tiefer und ungeistig flacher Denkauffassung, wobei es sich von selbst versteht, dass ein geistvolles menschliches Verständniss der Dinge immer, wenigstens nach einer gewissen Richtung hin, das dem an sich Wahren nächstkommende sein werde, während das der geistigen Tiefe entbehrende Verständniss auch dann, wenn es mit den gemeingiltigen Maximen einer richtigen, widerspruchlosen Denk- auffassung ganz im Einklänge ist, niemals mit dem an sich Wahren sich wird identificiren dürfen.

Fardella macht sich in Folge mangelhaft entwickelter psychologischer Grundanschauungen einer Verwechslung des Gefühles innerer Befriedigung, welche der geistige Aufschwung zu einer ideellen Wahrheitserkenntniss in sich schliesst, mit einem freien Willensverhalten schuldig, ' und bekämpft die

' Cum mens amando in bono quiescit, hujuscemodi qniescentia consensus ad bonum appellatur; cum yero sistlt in repraesentatione alicujus veri- tatis, tnnc acquiescentia assensus ad verum dicitur, quia non est minus vüluntarias, quam sit cousensus ad bonum. L. c.

D«r CuiesiaDismiiB in Itali«ii. I. : H. A. FardelU. 1 29

Scholastiker, welche nur in der Erkenntniss des Verum contin- gens^ nicht aber in Bezug auf das Verum evidenter cognitum einen WillenseinflusB zugeben. Das Urtheil sei wesentlich Zustimmung zu dem im Denken erfassten Wahren, alles Zu- stimmen aber ein Thun des Willens. Fardella constatirt hie- mit einfach nur, dass die von den Scholastikern vorgenommene Unterscheidung zwischen Intellect und Wille als zwei von ein- ander unterschiedenen Potenzen ftir ihn «nicht existire; sie konnte ftir ihn nicht existiren, da sich in der Cartesischen Doctrin das Können der Seele von ihrem Sein nicht abscheidet, dieses aber wesentUch darin besteht^ cogitativ zu sein. Somit kann auch das Wollen nur einen besonderen Modus cogitandi bilden, welcher ergänzend und abschhessend zu dem im Erkennen als solchem sich darstellenden Modus cogitandi hinzutritt. Vom Wollen als Act der cogitativen Geistsubstanz hat man nach Fardella in- sofern zu sprechen, als die Geistsubstanz nicht gleich der körper- lichen Natur einem physischen Zwange unterUegt. Sie ist vielmehr etwas an sich Indeterminirtes; man könne diese mit dem Wesen des geistigen Seins gegebene Indetermination Freiheit nennen, welche indess als blosse Indifferenz nur den alleruntersten Ghrad und ersten Ansatz der wahrhaften Freiheit darstelle. Zum wahren und wirkUchen Freisein erhebe sich die Mens in dem Grade, als sie von dem Lichte der geistigen Evidenz oder durch die Wirksamkeit der Gnade zum Assentire Vero und Consentire Bono determinirt werde. Die Freiheit ist nicht ein Vermögen, sondern eine Qualität der Mens humana, die wie im Anstreben des Ghiten, so auch im Erkennen des Wahren zu Tage treten müsse. Fardella übersieht hier nur, dass die von ihm dem Geiste als erkennendem vindicirte Freiheit einzig in dem Aufschwünge des Geistes zum Standpunkte der Idee bestehe, welcher jedoch eben die Ueberwindung des Deter- minismus der vom Cartesianismus als Höchstes angestrebten rationaUstischen Vernunftapodiktik bedeutet.

In eben dieser Freiheit des geistigen Aufschwunges zu höchsten und umfassendsten Denkconceptionen liegt nun auch die Gefahr jener schuldhaften Irrungen enthalten, welche nicht blosse Irrthümer des Verstandes sind, sondern die Bedeutung sittlicher Selbstentscheidungen haben ftir oder wider dasjenige^ was wir als heilige Wahrheit des Lebens zu ehren haben.

SitaUDgsb«r. d. pliU.-hist. Cl. CU. Bd. I. Hit. 9

130 Werner.

Neben der aus einem göttlichen Anhauche entspringenden Be- geisterung filr die höchsten Güter der Erkenntniss gibt es auch einen von leidenschaftlicher Schwärmerei fiir trügliche Gedankenidole inspirirten Enthusiasmus, welcher die Quelle der verhängnissvollsten Irrungen ist und nach Augustins Worten * das in die Seelen hineinstrahlende Licht der Wahrheit in Finstemiss sich verkehren macht. Weder Malebranche noch Fardella ver- mochten, der Eine einem passivistischen Illuminismus huldigend, der Andere in den Conceptionen eines rationalistischen Deter- minismus befangen, sich hierin als richtige Interpreten Augustins zu erweisen. Fardella erfasste insgemein nicht die sittliche Wurzel und Bedeutung der auf höchste Dinge abzielenden geistigen Denkbestrebungen; Malebranche machte sich, wie wir aus seinen oben angeführten Worten entnahmen, einer ungerechtfertigten Identification der nach seinem Dafilrhalten unzulänglichen Denkbestrebungen, in welchen nicht das aus- reichende Maass von Denkanstrengung aufgeboten wird, mit von schuldhaften Motiven inspirirten Denkirrungen schuldig.

§. 11.

Fardella bekennt von sich, dass er erst von da an, als er den Einfluss des Willens auf das Urtheilen erkannt, das eigentliche Wesen des Urtheiles verstehen und von der blossen Exposition des Inhaltes einer einfachen Perception unter- scheiden gelernt habe.^ Der eine empirische Wahrnehmung aus- drückende Satz: ,die Rose ist roth^ ist kein Urtheil, sondern einfach nur die Enunciation des Inhaltes einer Wahrnehmung. Zum Urtheil gehört wesentlich die Perception einer Congruenz oder Incongruenz zwischen Subject und Prädicat der Aus-

^ Aug. Quant, an., c. 32, n. 75: Appetitio intelligendi ea qnae vere summe* que suut, snmmus aspectus est animae, quo perfectiorem, meliorem rectioremque non habet . . . Quod qui prius volunt facere, quam mundati et sanati fuerint, ita illa luce reverberantur veritatis, ut nil boni, sed etiam mali plurimnm in ea putent esse, atque ab ea nomen veritatis abjudicent, et cum quadam libidine et voluptate miserabili in suas tene- bras, quas eonim morbus pati potest, medicinae valedicentes refugiant.

2 O. c. I, Pars 3, prop. 1.

Der Cftrtesianismus in Ikalisn. I.: M. A. Fard«lU. 131

sage,^ und dies ist der dem Verstände zufallende Antheil am Urtheile, welches aber nicht in Kraft jener Perception, sondern in Folge der Acquiescenz des beim Ergebniss der Perception stehen bleibenden Willens endgiltig zu Stande kommt. Auch in der ratiocinativen Thätigkeit handelt es sich um die Percep- tion einer Proportio aequalitatis aut inaequalitatis , mit dem Unterschiede jedoch, dass im Urtheile Proportiones inter res, im Ratiocinium aber Proportiones zwischen den in den Ur- theilen ausgedrückten Proportiones Gegenstand der Perception sind. Die ratiocinative Thätigkeit ist wesentlich syllogistisch.^ Der Syllogismus heisst Syllogismus demonstrativus, wenn die Verbindung der £xtrema mit demselben Medium klar und deutlich erkannt wird; Syllogismus topicus, wenn jene Verbindung nur dunkel percipirt wird; wird die Verbindung blos auf Gottes Wort und Zeugniss hin angenommen, so ist ein Syllogismus theologicus vorhanden. Rationale und gläubige Gewissheit werden überhaupt von Fardella scharf auseinandergehalten; die äupranaturalen Objecte des christlichen Glaubens sind kein Gegenstand philosophischer Forschung und Erkenntniss, da wir uns von denselben keine klaren und deutlichen Begri£fe zu bilden im Stande sind.^

Auf die Erzielung klarerund deutlicher Erkenntniss zweckt alle wissenschaftliche Untersuchung ab, deren Vehikel die ana- lytische Methode ist, welche auch, sofern die Auffindung des Wahren ihr Ziel ist, Methodus inventionis heisst.^ Das Wahre erschliesst sich uns so weit, als es uns durch das Mittel der Aufmerksamkeit und der inquisitiven Prüfung gelingt, in den Bereich der reinen Rationalität vorzudringen; die Vernach- lässigung jener beiden Mittel ist Ursache, dass die Skeptiker an der Möglichkeit Wahres zu finden völlig verzweifeln, während umgekehrt die Dogmatiker hohle Fictionen ungeprüft als Wahr-

^ Ut cam percipio congruentiam et aequalitatem inter octo et bis qnatuor, ant mihi repraesento incongpruentiain et inaeqaalitatem inter totum et partem; et haec est, quae proprie dicitur Judicium ex parte intellectus. L. c.

^ O. c. I, Pars 4, prop. 1 et 2.

3 Belationes in Deo excedunt captum nostrum, quarum nullum darum et distinctum conceptum habemus, quapropter ad pliilosophicum ratiocinium minüne spectant. O. c. I, Pars 2, prop. 2.

* O. c. I, Pars ü.

9*

132 Werner.

heit hinnehmen. Das Richtige ist, dass wir allerdings unzählige Dinge nicht wissen, sehr Vieles rationabiliter anzweifeln müssen; daneben gibt es aber Anderes, was uns auf Grund einer ratio- nalen Inquisition unzweifelhaft feststeht. Die rationale Gewissbeit geht uns allüberall auf, wo wir zu den Differentiis ultimis rerum vordringen. Wir wissen klar und deutlich, was Gott, was der endliche Geist, was der Körper als solcher ist, weil wir die distinctiven Attribute dieser Res zweifellos erkennen, während es uns nicht gelingt, die grundhaften und primären unter- scheidenden Bestimmtheiten so vieler in der sinnlichen Erfahrung sich uns darbietender Körperbildungen, Combinationen und Be- wegungen zu erfassen. Grund dessen ist, dass wir hier mit der reinen Vernunft nicht ausreichen, sondern von den sinn- lichen Wahrnehmungen abhängig und an Experimente an- gewiesen sind, welche uns die Erfassung der distinctiven Attribute eines bestimmten, eigenartig modificirten Dinges nicht absolut verbürgen. Wir sehen ims hier sonach an Hypothesen angewiesen; wir greifen auf Grund der durch den sinnlichen Augenschein und experimentale Erforschung uns dargebotenen Facta zu solchen Annahmen, welche uns ftir die phänomenale Seite des Dinges die natürlichsten, einfachsten und unge- zwungensten Erklärungsgründe darbieten. Die physikalischen Hypothesen stützen sich durchgehends auf mechanistische Er- klärungsprincipien; es wird eine bestimmte mechanische Harmonie und Proportion der Theile eines bestimmten Körpergebildes an- genommen, unter deren Voraussetzung das am Dinge sinnlich Wahrgenommene sich am besten erklärt. Vage, unsichere, in unbestimmten Allgemeinheiten sich bewegende Erklärungs- principien sind nicht zuzulassen; die hypothesische Annahme muss eine klare und distincte Gedankenconception enthalten, welche eine rationale Gewissheit für sich hat; sie muss femer so beschaffen sein, dass sie zur allseitigen Erklärung der phäno- menalen Beschaffenheit des Dinges ausreicht. Selbstverständlich hat endhch die einfachere Hypothese den Vorzug vor künstlich complicirten Hypothesen, weil die göttUche Weisheit allent- halben die einfachsten Mittel zur Verwirklichung ihrer Ab- sichten wählt. Fardella will die physikalische Weltlehre des Cartesius durchaus nicht fllr eine vollkommen gelungene Welterklärung ausgeben; ja er zweifelt, ob angesichts der

Der rartesianismns in Ttalton. I.: M. A. FardelU. 133

Unermesslichkeit des Universums einerseits, der ins Unendliche gehenden Theilbarkeit des Kleinsten anderseits die geistigen und sinnlichen Erkenntnissmittel des Menschen je ausreichen werden, eine schlechthin genügende Erklärung des sichtbaren Wcltganzen und seiner einzelnen Theile zu Stande zu bringen; 80 viel stehe jedoch fest, dass die durch Cartesius zur Geltung gebrachten methodologischen Principien der Naturforschung die richtigen seien und die Wege einer wahrhaft rationalen Welt- kunde weisen. Ein wichtiges Mittel zur EflFectuirung der durch jene methodologischen Principien ermöglichten Ergeb- nisse ist die Mathesis, mittelst welcher die durch Experimental- forschnng aufgedeckten Sachverhalte auf die Gesetze der Mechanik, auf die geometrischen Figuren und Proportionen zu reduciren sind, um möglichst exacte Erklärungsprincipien der physikali- schen Erscheinungen zu gewinnen. Fardella exemplificirt den aus der Verbindung der Mathesis mit der experimentalen Forschung zu erzielenden Wahrheitsgewinn durch den von Cartesius gegen Gassendi erbrachten Beweis,, dass das Licht nicht ein Körper, sondern blos ein Modus der feinsten körperlichen Substanz sei. Fardella bezeichnet die analytische Methode als die Me- thode der wissenschaftlichen Forschung, und stellt ihr jene der lehrhaften Exposition gegenüber,^ deren Aufgabe es sei, die auf analytischem Wege entdeckten Wahrheiten dem Verständniss der Jünger der Wissenschaft zu vermitteln. Die synthetische Methode ist zwar imgleich fasslicher als die analytische, 2 hat aber nur didaktischen Werth und eignet sich nicht zur Ent-

* Ganz 80 heisst es auch in der Yon Nicole und Amaald unter dem Titel : L*art de penser, gemeinsam edirten Logique de Port-Rojal: II 7 a denx sortes des m^thodes: Tune, pour d^couvrir la v^rit^, qu*on appelle ana- lyse ou m^thode de r^solution, et qu'on peut aussi appeller m^thode dHnrention; et Tautre, pour la faire entendre anx autres, quand on Ta trouv^e, qu^on appelle synthSse ou m^thode de composition, et qu'on peut aussi appeller methode de doctrine. Part. lY, chap. 2.

' Boctrinae methodns dicitur, quae a partibus componendo ad totum compositum ducit, in qua non supponitur quidem jam factum aut in- Tentum, quod qnaeritur sed optime datum a quaesito secemitur. Hinc patet, quam methodus compositionis facilior sit methodo resolutionis; etenim facilius est cognoscere partes, quae sunt simpliciores, quam intelligere totum, quod est ma^^s compositum, minusque simplex. 0. c. I, Pars 5, p. 431.

134 Werner.

deckung neuer, sondern nur zur Aufhellung bereits erkannter Wahrheiten. Fardella erläutert den Unterschied beider Methoden an dem Gegensatze zwischen der demonstrativen Lehrweise der sogenannten niederen Mathematik und der inquisitiven Ver- fahrungsweise der Analjsis oder höheren Mathematik J Die Herabdrückung der synthetischen Methode zur Bedeutung eines blossen Lehrmittels ist charakteristisch fUr den Denkstandpunkt der Cartesischen Schule; zugleich fkUt auch in der Auffassung der analytischen Methode die Coincidenz der angestrebten klaren und deutlichen Erkenntniss mit der Apprehension exacter Ge- dankenverhältnisse auf, womit wohl der vorwiegend mathe- matische Denkhabitus jener Schule aufiklligst constatirt ist. Die Gemeinsamkeit der Forschungsmethode in Bezug auf Ob- jecte der Körperwelt und Geisterwelt wird durch den allem intellectiven Erkennen gemeinsamen Charakter eines geistigen Sehens denn dies ist ja das klare und deutliche Erkennen vermittelt; Fardella bekennt übrigens, dass er die Auf- zeigung einer die drei Forschungsgebiete der Philosophie, Mathe- matik und Physik umfassenden Inventionsmethode fUr eine schwierige Sache halte, in deren Behandlung er, weil ohne Vor- gänger, sich auf sich selber angewiesen sehe.^

§. 12.

An die Stelle der Unterscheidung zwischen Methodus inventionis und Methodus doctrinalis, welche beide in einem

' Qaicquid a vulgari geometria vel arithmetica proponitur, composita zne- ihodo demonstraturf jam sapponens notas aliquas primas veritates et constructiones, quas in theorematum demonstratione et problematam solntione adhibet, qnamvis veteres geometrae mediante analysi illustriores mathesis theoreticae veritates invenerint Hinc qnae ipsi prospero snc- cessu analytice excogitarunt, posteris reliquenint, modo tarnen et arti- ficio, quo invenerunt, retento, sane non absimiles illi^ qai dum jannam aperit, clavem callide absconderet. Ibid.

2 Pro8ingulis8pociebusveritati8(philo8ophicae, mathematicae, physico-mathe- maticae) specialem quamdam analvsin et theoriam, quantum vires snppe- tunt, tradam ; res quidera maxime ardua, de qua nullus vulgfaris dialecticus aliqua saltem innuere somniavit. Ego autem quoddam hnjus analyticae artis specimen coutracto stilo exponam, et praecipue innuam, quae ex ipso- met philosophandi usu et seria animi contractione insig-nionimque philoso- phorum assidua lectiope potius quam praeceptis didici. O. c I., p. 288.

Der CftrtesUnismns in Italien. I.: M. A. Fardella. lo5

rein äusserlichen Verhältniss zu einander stehen, ist fiir das ent- wickeltere philosophische Denken die Unterscheidung zwischen inductivem und deductivera Denkverfahren getreten, welche beide innerlich auf einander bezogen sind und in ihrem Ver- hältniss zu einander die Aufeinanderbeziehung von Wirklichkeit und Idee der Dinge reflectiren. Eine geistige Apprehension beider Verfahrungsweisen und ihrer Wechselbeziehung scheint wohl einigermassen in dem durchzuleuchten, was wir oben Fardella über die hypothetische Erklärung der phänomenalen Thatsächlichkeiten der sichtbaren WirkKchkeit bemerken hörten; da es ihm aber nur um die Gewinnung mechanistischer Er- klärungsprincipien der phänomenalen Thatsächlichkeiten zu thun war, so konnte bei ihm der wahre und echte Begriff der Indaction gar nicht zum Durchbruche kommen, und demzufolge auch die durch den Begriff der Induction involvirte Idee des deductiven Denk Verfahrens keinen Werth imd keine Bedeutmig haben. Er vermochte sich überhaupt nicht zum Gedanken einer die sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit gleichmässig um- fassenden philosophischen Methode durchzuringen; die Möglich- keit dessen war durch die dem Cartesianismus eigenthtimliche BchroflFe Auseinanderscheidung der Geisterwelt und Körperwelt ausgeschlossen. Es konnte ihm daher auch nicht in den Sinn kommen, dass dasselbe Induction sverfahren, durch welches die den Erscheinungen und Vorgängen der sichtbaren Wirklichkeit als Erklärungsgründe zu Grunde liegenden Ursachen und Ge- setze erschlossen werden, auch zur Erweisung des Daseins einer übersinnlichen Wirklichkeit dienen könne; hiezu war in der That auch kein Bedürfniss vorhanden, wenn das Dasein des Geistes, des unendlichen sowohl als des endlichen, für etwas unmittelbar durch sich selber Gewisses galt, während umgekehrt die Existenz der Körper als etwas dem philosophischen Zweifel Anheimgegebenes angesehen wurde, so dass kein giltiger Schluss vom Vorhandensein der sinnlichen Wirklichkeit auf die Realität einer übersinnlichen Wirklichkeit möglich schien. Die Idee des auf dem Wege der Induction erschlossenen übersinnlichen Wirklichen wird freilich unmittelbar aus der Lichtnatur des Geistes herausgesetzt und in das der menschlichen Seele zum Gegenstände der Erfahrimg Gewordene hineingeschaut; und in- sofern das philosophische Erkennen und Verstehen wesentlich

136 Werner.

in der Explication des Idealgehaltes des menschlichen Denkens besteht, verhält sich das Inductionsverfahren, welches auf Er- weisung überempirischer Wirklichkeiten ausgeht, als Vorstufe der philosophischen Denkthätigkeit im engeren Sinne; daher 1 dann mit Recht die inductive Methode nicht so sehr als die eigentliche Methode des philosophischen Erkennens, denn viel- mehr als das Vehikel einer rationalen Naturerkenntniss zu be- zeichnen ist.

In diesem Sinne wurde sie seinerzeit zunächst von Vico gewürdigt; welcher sie dem Cartesianismus gegenüber als die echte Methode der Naturforschung empfahl, und nicht wie die Cartesianer im Calcul, sondern im Experiment das eigentliche Vehikel einer Bereicherung der Naturkunde mit neuen Er- kenntnissen sah.^ Er will sonach dem von Fardella gepriesenen analytischen Inventionsverfahren das synthetische Verfahren sub- stituirt wissen, und behauptet im directen Gegensatze zu Fardella, dass nicht das analytische, sondern das synthetische Verfahren zur Gewinnung neuer Erkenntnisse verhelfe.*^ Freilich versteht er unter beiden Verfahrungsweisen etwas ganz Anderes als Fardella, und es ist überdies sehr die Frage, ob er, dem über- haupt das Gebiet der Physik fast völlig fremd war, nicht auch den Werth der Mathematik als physikalischen Denkinstrumentes und Erkenntnissmittels allzusehr unterschätzt habe. Man könnte nicht mit Unrecht dafUrhalten, dass er in einen der philosophi- schen Weltlehre der Cartesianer entgegengesetzten Irrthum ver- fallen sei, und im Bestreben, den mathematisch-physikalischen Determinismus von derselben ferne zu halten, in allgemeinen

1 Id cnrarnnt in nostra Italia xnaxime Galilaeus et alil praeclarisBimi physici, qui antequam methodus greometrica in pbysicam importaretur, innnmera et maxima naturae phaenomena hac ratione explicamnt. Id curant nnum sedulo Angli, et ob id ipsum physicam methodo geometrica publice docere prohibentur. Vico, Antiq. Ital. sap.^ cap. 7, §. 4.

3 E^t in metapbysica genas remm quod extensum non est, est tarnen capax extensionis. Non id videt Cartesias, qui analyticorum more materiam creatam ponit ac dividit. Yidit autem Zeno, quia a mundo formanim, quem bomo sibi per synthesin e pnnctis condit, de mundo solidorum, quem Dens creaverat, disserere studuit. L. c. (lieber die sogenannten Zenonischen Punkte vgl. meine Schrift: 6. Vico als Philosopb und ll^elehrter Forscher S, 9 und 66.)

Der CarteBuninnns in Italien. I. : M. A. PardelU. 1 37

AnBchauungen von den metaphysischen Erklärungsgründen der sichtbaren Wirklichkeit bereits das reale Verständniss derselben zn besitzen geglaubt habe, während in Wahrheit Philosophie und Physik in dasselbe sich theilen^ allerdings nicht in jener Weise, wie Cartesius es versteht, welcher den Physiker un- mittelbar auch schon Metaphysiker sein lässt. Beide theilen sich vielmehr in das ihnen gemeinsame Betrachtungsobject der- art, dass es der Physiker von Seite seiner Selbstdarstellung in der sinnlichen Wirklichkeit, der Philosoph von Seite seiner Idee ins Auge fasst. Nur kommt die Idee der Natur nicht in allgemeinen ontologisch-metaphysischen Grundanschauungen von Wesen und Natur des Körperlichen, sondern in der geistigen Apprehension des von Vico nicht erkannten Wesensgedankens der Natur zum Ausdrucke. Für Vico ist die sichtbare Wirklich- keit nur ein Complex von Gebilden und Erscheinungen, deren inneres Wesen ihm in die geheimnissvollen Tiefen der gött- lichen Schaffensthätigkeit versenkt erscheint; uns bieten sie sich nur nach ihrer sinnlich vernehmbaren Seite dar, die wir in die Formen der ästhetisch gebildeten Anschauung zu fassen und in dieser Fassung als plastische Ausdrücke göttlicher Ge- danken zu verstehen haben. Indem wir sie derart fassen und verstehen, bringen wir sie denkend in uns selbst hervor und wiederholen geistig den göttlichen Bildneract, kraft dessen die unsichtbaren punctuellen Einheiten, aus welchen das sichtbare Ding zusammengesetzt ist, zu einem eigenartig gestalteten Ganzen sich vereinen; Vico nennt deshalb jenen geistigen Fassungsact einen synthetischen Denkact, welchen er dem vom Intellecte zu unterscheidenden menschlichen Ingenium attri- buirt. Das Ingenium ist seinem allgemeinen Wesen nach die bildnerische Anlage des menschlichen Geistes, vermöge welcher der Mensch zur künstlerischen Reproduction der in den gött- lichen Werken ausgedrückten göttlichen Gedanken beßlhiget ist; es kann nur in Folge göttlicher Inspirationen activ werden, und ist von diesen so sehr abhängig, dass seine Thätigkeit gar nicht mehr als Activität des menschlichen Geistes selber, sondern nur als Thätigkeit dessen erscheint, der, wie er die Dinge hervorbringt, so auch die Gedanken derselben im menschlichen Geiste causii-t. Nach dieser Seite tritt sonach eine gewisse Denkverwandtschaft Vico's mit Malebranche

138 Werner.

hervor; * er unterscheidet sich jedoch von diesem, sowie von der gesammten Gartesischen Schule grundhaft durch seine Betonung alles höheren Erkennens als eines ingeniösen Thuns, welches er an die Stelle der rationalen Vemunftapodiktik des Cartesia- nismus treten lässt. Das sogenannte klare und deutliche Er- kennen erscheint ihm in der von den Cartesianem demselben gegebenen Auffassung als eine Flachheit 2 und die auf Er- zeugung desselben abzielende Methodik des Cartesianismus als eine engherzige Beschränkung des freien Waltens des Genius im Menschen;*'* so wie er auch die Verkennung des Werthes und der Bedeutung der Imagination als Excitation geistig tiefer Anschauungen tadelt.^ Die Imagination ist das Mittel der Vergegenwärtigung und Verbildlichung der ideellen Wahrheiten, die uns eben nur auf diesem Wege anschaulich werden; darum sind die schönen Künste unumgängliche Bildungs- mittel des menschlichen Geistes, und ihre classischen Hervor- bringungen als Offenbarungen des Ewigen im menschlichen

* Nur weiss Vieo mit dieser Lehre MalebrAnche^s die Anknttpfangen des- selben an den Ausgangspunkt der cartesiscben Philosophie nicht za ver- einbaren: 8i haec acerrimus Malebranchius vera esse contendit, miror, qnomodo primum Renati Cartesii verum concedat: Cogito ergo sum; cum ex eo, quod Dens in me ideas creat, conficere potius debeat : ,Qiiid in me cog^tat, ergo est; in cogitatione autem nullam corporis ideam ag^osco; id igitur, quod in me cogitat, est purissima mens, ergo Dens. Antiq. Ital. sap., cap. 6.

^ Si quis in clara et distincta mentis idea rem perspexisse confidat, facile fallatur, et saepe rem distincte nosse putaverit, cum adhuc confase cognoscat, quia non omnia, quae in re insunt et eam ab aliis distin- quunt, cognovit. At si critica face locos topicae omnes perlustret, tunc certns erit se rem clare et distincte nosse, quia per omnes quaestiones, quae de re proposita institui possunt, rem versavit; et per omnes ver- sasse topica ipsa critica erit. O. c. I, cap. 7, §. 4.

3 Methodus ingeniis obstat, dum consulit facilitati, et curiositatem dissolvit dum providet veritati. Nee geometria acuit ingenium, quum methodo traditur, sed quum vi ingenii per diversa, per alia, multijuga in usum deducitur. Et ideo non analytica sed .synthetica via eam addisci desi- derabam; ut componendo demonstraremus, h. e. ne inveniremns vera, sed faceremus. Invenire enim fortunae est, facere autem industriae. L. c.

* Neque per numeros, neque per species, sed per formas eam (seil, me- thodum) tradi desiderabam, ut si minus ingenium inter discendum ex- coleretur, phantasia firmaretur tarnen, qune ita est ingenii oculus, nt Judicium est ocnlus intellectns. Ibid.

Der Cartesianisiniis in Italien. I.: H. A. Fardella. 139

Zeitleben eine lebendige Culturtradition, deren Bedeutung weit tlber den von den Cartesianem an sie gelegten Maassstab der Werthschätzung hinausreicht. Der von Vico hiemit ausge- sprochene Tadel trifft auch Fardella, sofern dieser Poesie und Eloquenz nur von Seite der durch ihre Hervorbringungen zu erzielenden Wirkungen, nicht aber um ihrer selbst zu würdigen weiss J Es ist, mit Einem Worte, der abstracte Vemunftrationalis- mus, welchen Vico im Cartesianismus bekämpft, und welchem er den Mangel an Apperceptionsfkhigkeit für die Offenbarungen des Ewigen und Göttlichen in der lebendigen Wirklichkeit des geschichtlichen Menschheitsdaseins zum Vorwurfe macht. Gerade die sinnlich empirische Naturwirklichkeit, deren voll- kommener Durchgeistung mittelst des reinen Vemunftbegriffes nach Fardella's oben angefiihrten Erklärungen unüberwindliche Schwierigkeiten sich in den Weg stellen, erscheint bei Vico als das perpetuirliche Medium und Vehikel geistiger Weckung und Anregung zur geistigen Erfassung höchster Wahrheiten, welche sich aber freilich nicht auf das unerforschliche innere Wesen der sinnlichen Dinge, sondern auf das Walten und Wirken der durch das Medium der sichtbaren Wirklichkeit dem Menschen sich offenbarenden Gottheit und auf die geistig moralische Ordnung des im geschichtlichen Progresse sich ent- faltenden zeitlichen Menschheitsdaseins sich beziehen. Damit wird nun allerdings die philosophische Betrachtung auf ein ganz anderes Gebiet hinübergelenkt; an die Stelle der von den Cartesianem angestrebten philosophischen Welt- und Natur- kunde tritt die Menschen- und Völkerkunde statt der Be- wegungsgesetze der räumlich ausgedehnten Körperlichkeiten, deren Erforschxmg den Physikern anheimgegeben wird, sollen die Gesetze des menschlichen Zeitlaufes erforscht werden, an

' Vgl. Fardella, An. hum. nat., p. 183 ff.: Si rhetoricae et poeseos insti- tütum, metam ac finem consulamus, maximas utilitates hujusmodi disci- plinae conferunt, atque commoda non panca conferunt . . . Oratoriae artis finis praecipaus est veritati patrocinari, virtutes promovere, vitia profligare, oppressae innocentiae defensionem recipere . . . Poesis idem sonat ac fictio; est enim ingeniosa ac solers qnaedam ars, quae dum hnmanas actiones effingit congniisque carminibus exprimit, ad vi tarn iDstitiiendam , ad mores jxempe aut perficiepdos aut emendandos pro Tiribus tendit etc.

140 Werner.

die Stelle der Natur tritt als philosophisches Betrachtungsobject unmittelbar der Mensch selber. Gemeinsam ist beiden difFerenten Richtungen und Anschauungsweisen die Beziehung ihres specifi- schen Betrachtungsobjectes auf die aUwirkende göttliche Causali- tat; wie der Cartesischen Weltlehre die Kenntniss der imma- nenten Bewegungs- und Qestaltungsprincipien der Körperwelt noch völlig fehlte, ermangelte auch Vico's Geschichtsphilosophie noch völlig der Advertenz auf die in vielfältigster DiversitÄt gegebenen selbstigen Principien der individuellen Gestaltungen des geschichtlichen Zeitlebens der Menschheit. Darin tritt aber ein bedeutsamer Unterschied zwischen Vico und der Cartesi- schen Doctrin hervor, dass er gegenüber der in den Gedanken . einer kosmischen Unendlichkeit sich verlierenden Cartesischen Weltlehre das Bedürfniss einer Sammlung und Concentrirung der philosophischen Weltbetrachtung in der Idee des Menschen zur energischen Geltung brachte. Darum zwecken auch alle seine methodologischen Anweisungen auf Menschenbildung ab; Regeln zur Auffindung des Wahren, wie FardeUa sie zu ent- wickeln versuchte, scheinen ihm überflüssig, da, wie es ihn bedünken will, der geistig geweckte Mensch, wofern ihm die Richtung auf die wahren Ziele eines menschenwürdigen Strebens gegeben worden, in der Anstrebung derselben sich von sich selbst zurechtzufinden wissen werde. Nicht Regeln zur Auf- findung der im Menschheitsdasein allgegenwärtigen Wahrheit, sondern zur fruchtbaren Erweiterung des Wissens, d. i. der Erkenntniss der vielfältigsten Wechselbezüge des Wahren er- scheinen ihm als ein Bedürfniss, welchem aber gerade die über der Kritik die Topik vernachlässigende Cartesische Doctrin nicht gerecht zu werden gewusst habe.

Obschon Vico nirgends FardeUa namentlich vorflihrt, darf man doch immerhin annehmen, dass seine Polemik gegen den Cartesianismus zum nicht geringen Theile FardeUa galt, sofern dieser einer der ersten und namhaftesten Vertreter des Cartesianismus in Italien und für die Verbreitung desselben als öffentlicher Lehrer und als Schriftsteller thätig war. Ob FardeUa von aussen gehemmt, oder weil er zu keinem förm- lichen Abschlüsse seiner philosophischen Bestrebungen kam, seine beiden am weitesten ausgreifenden Werke unvoUendet liess, lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden; vielleicht hatte

I

Der Oartesianisrnns in Italien. I. : M. A. Fardella. 141

er das Gefühl^ dass die Cartesische Doctrin nach jenen Seiten^ welche ihn in seiner Wirksamkeit als öffentlicher Lehrer am meisten beschäftigten; durch Leibnizens und Newtons Auftreten bereits überholt sei; und stand desshalb von der vollständigen Ausführung seiner philosophischen Encyklopädie sowohl, als auch seiner Theorie der Mathesis ab. Er nimmt in Folge dessen in der Geschichte des Cartesianismus als solchen nur eine secundäre Stelle ein; seine Hauptbedeutung beruht in dem Einflüsse; welchen er als Vertreter und Verbreiter der Cartesi- sehen Doctrin auf seine Landsleute ausübte. Um dieses Ein- flusses willen behauptet er eine wesentliche Stelle in der Ge- schichte der geistigen Bewegungen seines Vaterlandes, und repräsentirt eine bedeutsame Entwicklungsphase der italieni- sehen Philosophie in den letzten Decennien des siebzehnten Jahrhunderts.

XXI. SITZUNG VOM 11. OCTOBEß 1882.

Das c. M. Herr Prof. Dr. Wilhelm Tomaschek in Graz legt eine fllr die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ;Zur historischen Topographie von Persien. I. Die Strassenzüge der Tabula Peutingerana' vor.

Von Herrn Johann Schmidt, Gymnasial -Professor in Wien, wird eine Abhandlung: ,Ueber Grillparzer. Eine metri- sche Studie' überreicht mit dem Ansuchen, dieselbe in die Sitzungsberichte aufzunehmen.

Die Abhandlung wird einer Commission zur Begutachtung zugewiesen.

Herr Eduard Wertheimer, Professor an der königl. ung. Rechts- Akademie in Hermannstadt, übersendet eine Abhandlung: 36ii*Ath der Erzherzogin Marie Louise mit Napoleon I.* mit der Bitte um ihre Aufnahme in die akademischen Schriften.

Die Abhandlung wird der historischen Commission über- geben.

Das w. M. Herr Prof. Dr. Friedrich Müller stellt mit dem ausländischen Ehrenmitgliede Herrn Prof. Dr. Rudolf von Roth den Antrag auf Unterstützung einer herzustellenden neuen Ausgabe des Avesta.

143

An DruokBohriften wurden vorgelegt:

Ackerbau-Ministerium, k. k.: StatistUchoB Jahrbach für 1879, II. Heft; - für 1880, U. Heft; für 1881, I. und HI. He^ Wien, 1882; 8°.

Akademie der Wissenschaften, königliche: Ofversigt af FOrhandlingar. 39. Jahrgang, 1, 2, 3 und 4. Stockholm, 1882; 8».

Biblioth^que de TJ^cole des Chartes: Revue d'i^ndition. XLm« ann^e 1882, livraison. Paris, 1882; 8«,

Central-Commission, k.. k. statistische: Statistisches Jahrbuch fttr das Jahr 1879. VII. Heft, 2. Abtheilung. Wien, 1882, S^. ~ für das Jahr 1881. I. Heft, 2. Abtheilung. Wien, 1882; 8^. Ausweis aber den auswärtigen Handel der Osterr.-ungar. Monarchie im Jahre 1881. Wien, 1882 ; 40. Nachrichten über Industrie, Handel und Verkehr. XXIV. Band, 1. Heft. Wien, 1882; 80.

Ferdinandeum für Tirol und Vorarlberg: Zeitschrift. Dritte Folge. XXVI. Heft. Innsbruck, 1882; 8^.

Genootschap, het Bataviaasch van Künsten en Wetenschappen : Notulen. Deel XrX, 1881, Nos. 2—4. Batavia, 1881; 80. Tijdschrift voor in- dische Taal-, Land- en Volkenkunde. Deel XX VU, Aflevering 1 5. Batavia, s' Hage, 1881—1882; 8o. Verhandelingen. Deel XLI, derde Aflevering. Batavia, s'Hage, 1881; 4<». Deel XLH, Stuk. Batavia, s'Hage, 1881, 4^ Deel XLHI. Leiden, 1882; 4«. Tabel van oud- en nieuw-indische Alphabetten, door K. F. Holle. Batavia, s* Hage, 1882; 40.

Geschichts- und Alterthums-Verein zuLeisnig: Mittheilungen. VI. Heft. Leisnig, 1881 ; 8».

Gesellschaft ftlr Beförderung der Geschichts-, Alterthums- und Volkskunde von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden Landschaften: Zeit- schrift. V. Band, 3. Heft Freiburg im Breisgau, 1882; 8».

fürstlich Jablonowski*8che zu Leipzig: Preisschriften. XXIII. F. O. Weisse, Die griechischen Wörter im Latein. Leipzig, 1882 ; 4^. >- Jahresbericht. Leipzig, März 1882; S^.

historische und antiquarische in Basel : Beiträge zur vaterländischen Ge- schichte. N. F. I. Band, der ganzen Reihe XL Band. Basel, 1882; S^

^ der Wissenschaften, königliche zuGOttingen: Abhandlungen. XXVIH. Band, 1881. Gottingen, 1882; 40.

der Wissenschaften, oberlausitzische : Neues lausitzisches Magazin. LVHI. Band, 1. Heft. Görlitz, 1882; 8».

Instituut, koninklijk voor de Taal-, Land- en Volkenkunde van Neder- landsch-Indi^: Bijdragen. Vierde Volgreeks. V. Deel, Stuk. 's Graven- hage, 1881; 8«. VL Deel, Stuk. s' Gravenhage, 1882; 8^». Johns Hopkins University: Circulars. Nr. 17. Baltimore, 1882; 4^ Mittheilungen, archäologisch^epigraphische aus Oesterreich. Jahrgang VI, Heft 1. Wien, 1882; 80.

144

Rostock, UniYersität: Akademische Schriften aus dem Jahre 1881 1882.

28 Stücke und 4». Soci^t^ royale des antiquaires du Nord: M^moires. N. S. 1881. Copen-

hague; 8». Aarb<^ger. 1881. IV. Hefte. Kj+benhavn, 1882; 8«. 1882.

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ToTDttschek. Zur historisclien Topographie von Persien. 14Ö

Zur historischen Topographie von Persien.

Von

Wilhelm Tomaschek,

correspondirendein Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.

I.

Die Strassenzüge der Tabula Peutingerana.

Die Forscher, welche sich bisher mit der Tabiila Peutin- gerana beschäftigt haben, lassen, wenn wir von einigen schwachen und missglückten Anläufen absehen, das XI. Segment, welches den äussersten Osten des den Alten bekannten Erdraumes um- faÄst, unerklärt. In der That fordern weder die meist unbe- kannten Ortsnamen, noch auch die trotz ihrer anscheinenden Bestimmtheit so räthselhaften Distanzangaben zu einer kriti- schen Untersuchung heraus. Wenn wir nun den Versuch wagen, auch diesen brach liegenden Theil einer der merkwürdigsten historisch-geographischen Urkunden auszunützen, so geschieht dies in der Ueberzeugung, dass in dem betreflFenden Segment eine durchaus beachtenswerthe topographische Quelle hohen Alters, das Fragment eines Itinerars aus der Zeit der Seleukiden, vorliegt. Mit völliger Sicherheit lässt sich allerdings nicht er- liärten, in welchem Jahr oder Decennium das zugrunde liegende; in der Tabula entstellt imd verkürzt niedergelegte Schriftstück verfasst worden*, dass es jedoch in die ältere Periode des seien- kidiscfaen Reiches zurückreicht, etwa in die Zeit des dritten Antiochos, welcher Dynast noch ganz Ariana beherrschte und mit den indischen Fürsten lebhafte Beziehungen unterhielt, darüber kann dem ganzen Wesen des Schriftstückes nach kein Zweifel herrschen, trotz einiger Zuthaten aus späterer Zeit, die offenbar den Redactoren der sogenannten Weltkarte des Augu- stus zugeschrieben werden müssen, z. B. der Zusatz Partho- rum bei Ecbatana und die angebliche ara Augusti an der malabarischen Küste bei Muziris. Die Wegvermessung des parthischen Reiches, welche Isidoros von Charax zum Verfasser

Sitznngsber. d. phil.-hist. Ol. CO. Bd. I. Hft. 10

1

146 Tomascliek.

hat, ist um ein Jahrhundert jünger als die der Tabula zugrunde liegende Urkunde; letztere ergänzt demnach eine wesentliche Lücke in der topographischen Kunde des hellenistischen Orients. Wir haben nicht vor, die Ortsnamen, welche Indien zugehören und die durch den Ravennaten eine ausgiebige Ergänzung er- fahren, im Folgenden zu erläutern, sondern beschränken uns auf jene, welche dem Boden Arianas zufallen.

Die Zahlen zwischen den einzelnen Stationen Arianas bedeuten nicht, wie in den übrigen Segmenten, römische Milia, sondern persische Parasangen zu 30 35 Stadien. Im All- gemeinen entspricht dieser Maasseinheit auch der Farsach der arabischen Geographen. Die Vergleichung der Distanzen der Tabula mit jenen der arabischen Itinerare, sowie mit den in der Gegenwart, namentlich durch englische Touristen ermittelten Wegdistanzen erweist sich demnach gelegentlich bei der Fest- stellung der Stationen als die beste Controle. Es wird jedoch rathsam sein, nicht überaU und einzig den durch flüchtige Schrift übermittelten Zahlangaben blindlings zu vertrauen: denn gerade bei dem letzten Segment scheinen sich die Abschreiber am meisten beeilt zu haben; der entfernte Orient schien der Flüchtigkeit leichter Spielraum zu gönnen; an Stelle genauer Wegbeschreibung sind mit VorUebe summarische Angaben ge- setzt; manche Wege, die noch dem Ravennaten vorlagen, sind auf Peutinger's Exemplar gänzlich weggelassen; es fehlt die Nomenclatur der Gebirge, die, wie sich aus einer Stelle des Orosius ergibt, ursprünglich manches Detail geboten hatte; es fehlen endlich zahlreiche Völkemamen.

Das planmässige Verfahren, welches wir bei der Erklärung des Segments zum ersten Male anwenden, führt bei einer ziem- lichen Anzahl von Positionen zu unläugbar sicherer Richtig- Stellung. Anderseits bringt es die Art. der Ueberlieferung, dann auch der Umstand, dass Theile von Eran bis heute wahre terrae incognitae sind, mit sich, dass bei einigen Positionen bloB Vermuthungen aufgestellt werden konnten. Die Kluft zweier Jahrtausende, welche die Seleukidenzeit von der Gegen- wart trennt, muss stets vorschweben, will man die Schwierig- keiten der topographischen Vergleichung ermessen.

Wir beginnen unsere Wanderung durch Ariana an der Zagrospforte.

Zar hiftorischen Topogrmpbie Ton Penien. 147

1.

Weg von Halwan naoh Hamadän.

Gleich zu Beginn müssen wir ein gewaltsames Auskunfts- mittel anwenden. Albana mit der ZsM ' XX * steht nämlich in der Tabula ohne allen Contact mit den weiter ostwärts folgen- den Orten; nur kurze Striche deuten die Wegverzweigungen an, die offenbar durch das Hinabrücken des durch Vaspurakan und Adiabene führenden Itinerars Artaxata Nicaea Enyalia eine gewaltsame Unterbrechung erfahren haben. Diese Unterbrechung und ein Abirren des Auges waren Ursache^ dass Onoadas mit Ecbatana, statt mit Albana, in nächste Verbindung gerieth. Demnach gestaltet sich das Itinerar von Albana folgender- weise : Albana XX Onoadas XVI Darathe X * Conco- bas XV Belträ * IX Hecatonpolis. Statt Concobas ist mit Isidoros Concobar zu verbessern. Unter Hecatonpolis femer kann nicht *ExaT6|x^A0(; in Parthien gemeint sein, sondern nur die von Seleukos wieder aufgebaute Metropole Mediens, sei es, dass diese im Munde der Griechen wirklich das Eponymon Heka- tonpolis erhielt, sei es, dass im griechischen Original ursprünglich 'ExßaTor^a ttoXk; stand und daraus durch falsche Schreibimg oder Lesung 'Exa^bv iciXti; wurde. Dann muss aber auch die Zahl 'XV zwischen Concobar und Beltra durch VI (oder VH ) er- setzt werden; der Schreiber wollte anfänglich nur die Gesammt- distanz von Concobar nach Hecatonpolis, welche in derThat -XV* Parasangen beträgt, setzen, vergass aber im nächsten Augenblick an sein summarisches Verfahren und schrieb nach Setzung der Gesammtdistanz die Mittelstation Beltra mit der zweiten Theil- distanz ' D^ ' bis Hecatonpolis dazu. Auf su&imarischer Be- rechnung beruht auch die Zahl * XX * zwischen Albania und Onoadas; hier kann aus dem Ravennaten 11, 5 Carena als Mittelstation eingeschoben werden. Das ganze Wegstück ist nun endgiltig so festgestellt:

ALBANIA

•X. (

CARENA} XX-

•X- '

10»

148 Tomascliek.

ONOADAS

•XVI- DARATHE

•X- CONCOB AR

•VI- I BELTRAJ XV«

•IX- ' ECBATANA POLIS-

Dieselbe Strecke der jgrossen Königsstrasse^ erfilhrt bei Isidoros von Charax folgende Ausmessung; von Einzelbemer- kungen abgesehen:

XaXu>vm(; XdXa w6Xt^

oxoTvoi e' (5) 8po^ 8 xaXstTai Zdrfpoq^ 3'£p 5p(2^ei t^jV XaXcovtxiv Tfm ttjv töv Mi^3o)v yiiiipwi' MYjSCa 1^ xocTU) ' ^^ apXY) iq X<^P^ Koepiva *

ffXotvoi tß' (22). KajxßaSiQV^- ev ^ BaY((7Tava x6Xt^ i% 5pou^ xeifxivTj*

cxo^voi Xd (31). MrjSt« 1^ «VW o^o*^^ ^^' (^^)'

a/oivot y' (3) KoYxoßdcp TcoXi^

oxotvoi y' (3) Ba!^tYpdßo(va tsXcbvtov

cxötvoi 5' (4) 'ASpoTCflEva t3c ßoaiXeia cxotvot tß' (12) 'AYßfltTava [XYjTpöiroXi^ oxoivoi i^' (16) ToYiovT^

Isidoros zählt also von Chala = Albana = Qalwän nach Hamadftn 80 Schoenen^ die Tabula nach unserer Zurechtlegung 61 Parasangen. Der Schoenos des Isidoros ist also ein kürzeres Wegmaass als die Parasange ; drei Parasangen entsprechen un- gefähr vier Schoenen. Da nun derselbe Weg von den engli- schen Reisenden auf 232 Miles = 373 '/j ^^ berechnet wird.

Zur historischen Topographie Ton Persien. 149

80 ist der c^diyo^ auf 4670 "* (= 25 Stadien oder drei römische Milia), der TcapaaaYTTQ; auf 6123 " (=33 Stadien oder vier römische Milia) zu veranschlagen.

Zur Beleuchtung beider Itinerare setzen wir noch den Verlauf desselben Weges nach den Angaben der arabischen Geographen Ibn-Khordädhbih, Qodämah^ Istakhrl, MuqaddasI hinzu:

5ulwto

4 Farsakh

V

Mädharustftn, Grenze von *Jräq und Gibäl

6 Fars. Diz Marg;

4 Fars.

Tazar oder Qaf r-Yazld

5 oder 6 Fars. Zobaidiyyah

7 Fars.

Mfthläbäd oder Qa^r-'Amru

4 Fars.

KarmänSähän oder Qarmäsin (30 Fars. von ^ulwän)

5 Fars.

Qantara al-Maryäm, und

Bhutan auf dem gleichnamigen Gebirge 4 Fars. in geradem Wege

Sabnah (wenn man jedoch rechts abbiegt, so sind es zuerst 2 Fars. nach Dukkän oder Bä- Ayyüb, dann 4 Fars. nach Qantara Abi- No*män bei Sa^nah)

6 Fars. Kankiwar

4 Fars. Mafbakh-i-Khusraw (in der Nähe von Mädharän oder Qasr-Nose'ir)

3 Fars. Ehundädh oder Sahr Asadäbftdh

3 Fars. Deh-i-angubin

3 Fars.

150 Tom»schek.

ZaTräniyah

3 Fars. Hamadhän (31 Fars. von Qarm&sln, 61 von Qulwftn).

Die Gesammtdistanz der Tabula stimmt mit jener der arabischen Geographen bis auf die Einheit überein! Aubserdem ergeben sich nach sorgfältiger Vermessung auf einer genauen Karte am besten auf Nr. DI der von H. Kiepert meister- haft redigirten Routiers des Botanikers K. Haussknecht, Berlin 1881 folgende Gleichstellungen; C ARENA, Kipiva, Karind = Marg:; Tazar, Khusrawäbäd; ONO AD AS, Zobaidiyyah, Hä- rünabad; DARATHE = BoYiorava B^sutün; CONCOBAR, Kan- kiwar ; Ba^qpaßav«, Mädharän, Minderäbad ; BELTRA = 'ASpa- ^ova = Khundadh, Äsadäbäd. Da dieser Theil der alten KOnigsstrasse in Ritter's Asien IX. Bd. in Hinsicht auf die neueren Zustände und auf die Alterthümer erschöpfend be- handelt ist, so haben wir keinen Anlass, alle Punkte zu er- örtern; nur jene, über welche Ritter keine oder mangelhafte Aufschlüsse bietet, seien kurz erörtert.

ALBANA = XdXa =-. 5alwan, westlich von Sar-i-pul, um- fasste auch den Rustftq Bala§-farr; BoXoYeat^opa (Steph. Byz.); G. Hoffiotiann (AuszUge aus syrischen Acten persischer Märtyrer, Leipzig, 1880. S. 67) vermuthet, dass diese parthische Gründung an dem ,channel of Valash' in der Richtung nach Rlgäb lag. Der Zivpo^ hat seinen alten Namen eingebüsst ; höchstens dass an denselben die Station Zaqrän im Gihän-numä erinnert; synonym mit a\ tou Zdr>(potj wiiXai wird bei den Persem der Name Dar-tang Juiy verwendet. Bei der Beschreibung der Palast- ruine Mädharustän des Bahräm-GQr heisst es : ,der Schnee fkllt hier nur auf der östlichen Bergseite, die Seite gegen *Irftq ist schneelos.* Mrfiia t} xaTw erstreckte sich von Zagros bis in die Nähe von Mah-i-da§t ; der spätere Name für diesen Distriet ist Mäh-Sahriyärän ^\^by.^ «U ; er umfasste Marg: Tazar Ma- tftmlr und Zobaidiyyah. Zwischen der hochgelegenen Burg und Stadt Kaptva oder Kaprjva, Karind und der blühenden Ansiede- lung Khöfiän erstreckte sich ein reich bewässerter Wiesengrund al-Marg;, Marg al-qal'ah oder Diz-Marg; ^^> (Hammer, Hchane, I, p. 145; Ra§ld-eddln p. Quatremfere p. 254 ; day-Mar^ ,Mutterau*, Ort, wo Bahräm fiel, Tahari) ; Justi vermuthet, dass der in der Bisutun-Inschrift genannte Ort Marus (= Margus), wo die

Znr hutorisclien Topographie Ton Poraion. 151

medischen Rebellen geschlagen wurden, mit al-Mar^ zusammen- &llt. T^zar jiji», Tazar ^ bedeutet nach Yaqut ^porticuB, do- mus aestiva'; hier stand ein Gebäude des Khosraw-gurd; dazu vgl. neupers. ta^ar^ »domus hiemalis, tbesaurus' arm. ta6ar ytemplum' apers. ta6ara (Spiegel, Keilinschr. S. 198). Mis'ar ben Muhalhel lässt von Tazfti' einen Seitenweg rechts nach Mäsabadhftn^ MoooaßaxiQvi^ und Mihra^ftn-qadaq ausgehen; den Itineraren zufolge beginnt jedoch diese Strasse schon bei Qul- wän und geht in südöstlicher Richtung zunächst nach Är^w^ftn ^U^.j\ (Ruine bei Zarnah), wo ein Seitenweg westwärts nach Bandani^In (jetzt Mendeligln oder Mendely) sich abzweigt, wendet sich von dort, an Redd oder Deh-bftlä (jetzt Iwän) vorüber, nach Slrawän (jetzt Sahr-i-Keilün), bis wohin von Qulwän sieben Haltorte zu 47^ Farsang gezählt werden, und er- reicht bei Rüdh-bftr (an der Vereinigung des Karind-Flusses mit dem äb-i-Karkhah oder dem Xooe<ncv)c) die Grenze von Mihragftn-qadaq ; von Slrawän nach $aimarrah gab es vier Haltorte. Mäsabadhän oder das Land der Maoaoßitat umfasste somit das Flussgebiet des Gangir, das uns aus Rawlinson's Be- schreibung bekannt ist. ONOADAS, wozu vielleicht Oivouvta des Ptolemaios zu vergleichen, ist der alte indigene Name fbr Zobaidiyyah der Araber und das heutige gut angebaute Harü- näb&d. Mähläbädh >bT,^U war Vorort der ,medischen Ebene^ Mäh-i-da§t, welche zu beiden Seiten des äb-i-Marik fUnfzig An- siedelungen umfasste und bereits zu dem Gebiete von Kar- mändähftn oder KajxßaSriVi^ gerechnet wurde. Für diese Stadt wissen wir keinen antiken Namen; Qobädh ben Flrüz soll sie gegründet haben. Die Grenzen von RaiJiß2Sr,vi^ sind von Khan Mfth-i-daöt bis Bxd-i-surkh anzusetzen; nach Rawlinson lautet noch jetzt der Name, den indess die Araber nicht kennen, C&mabadftn, abzuleiten von öäm ^l^ ,inflexus, incurvus, de- pressio, convallis' (= kham ^ = kam in kamän, kamar etc.) und pada ,regio'. In den Keilinschriften wird der Bezirk Kam- pada genannt. Der nördliche Gebirgsstock xb Boyi^txvov Sco<; (arab. ^bel B^sutQn) mit der Ebene BaYtoxavY] yj^oL und der Stadt BaYioiava erscheint in der Tabula nicht, sondern DA- RATHE, wozu sich Aopaaa bei Ptolemaios (codd. Aapaaa; Dftra^a, von dar ,festhalten', vgl. dariza ,Veste' in altarmeni- schen Ortsnamen), sicherer jedoch der heutige Name des gegen

152 Tomaachek.

Süden streichenden CrebirgHzuges Däräs-köh vergleichen lässt; in der mongolischen Epoche stand hier der Ort Camöamäl. Auch die ,Marienbrücke* des Qodämah müssen wir in nächster Nähe von BisutQn ansetzen ; dagegen lag Dukkän ^^l5> (pcrs. ,^15^ dukän jtaberna*) oder Qasr Abi-Ayyub bereits jenseits des Flusses, in der Nähe der Kurdenansiedelung oarmä^ C^j^ (Yaqut); den Namen Dukfm hörte noch Dupre, Voyage en Perse I, p. 251. Von da ging der Weg über Täkht-i-§lrln und die Brücke des Norman nach Sahnah <kis^ oder Sa^anah dJs^ wohin man auch auf kürzerem geraden Wege von Bisutun gelangt. Von Bisutün führt ein Weg von 4 Farsang nach Norden zu den Ruinen von Dinawar oder D^nah-war. hbfiia ii avüi begann bei Bid-i-surkh; der erste bedeutende Ort war CONCOBAR KoiQxoßip, arabisch Kankiwar /^i^y jetzt Ken- gowerj eine Anekdote bei Yaqut erklärt den mit Vorliebe ge- brauchten Namen »Räuberschloss* Qasr et-lu^üs, pers. Diz-i- duzdän. Das Zollhaus Bal^iYpaßocva (von altpers. bä^i, neupers. b&§, bäz, bäz ,Abgabc' und garb ,nehmen*) dürfte mit der ^Küche des Khusraw* (Yaqut, mit hübscher Anekdote) zu- sammenfallen. Der heutige Ort Minderäbäd scheint der Station Mädharän ^\j>\^ zu entsprechen; von da gab es eine Strasse mit drei Haltorten nach Nihäwand ji^^i? ^^?öwav$a des Ptole- maios, d. i. Nifavant »reich an Feuchtigkeit und Nebel*, von nifa, min^an. n^vah, ndvah, sangl. nök ,Regen', afgh. ,Nebeb, skr. nabhas. Mi'sar ben Muhalhol war bei der Brücke des No'män vom Hauptweg abgewichen und zog über Dastagird, das er auch Khusrawiyah nennt (jetzt Flrüzäbäd am Gamafiftb), nach dem noch heutzutage cxistirenden Schlosse WaläSgird, dessen ,tausend' Quellen sich zu einem Gewässer vereinigen, imd von da nach Mädharän, wo gleichfalls zahlreiche Wasser- adern die Gegend bewässern und einige Mühlen treiben; zu- letzt wandte er sich nach Kankiwar (Yaqut). Ein bedeutender Ort war seit Alters Äsadäbäd, bei Ihn Khordädhbih (nach Sprenger) noch mit säsänidischcm Namen Khundädh >\j.-Lai. genannt ; Isidoros bietet den parthischen Namen 'ABpaxova ,vom Feuer beschützt', die Tabula den zur Seleukidenzeit üblichen BELTRA, d. i. Bel-trä ,vom Bei geschützt' (vgl. den Eigen- namen BsAttapi;), oder auch Belti-trä ,unter dem Schutze der BfjXÖi<; -Aphrodite oder der dukht cxx^i^ stehcndS in

Zur historischen Topographie von Persien. 153

beiden Fällen ein Zeugniss für die Synkrasie der orientalischen Cult ein der hellenistischen Epoche. Wo die Weidegründe von Nifäya, to NtjaaTov TceBtov, zu suchen sind, welche die königUche Pferderacc nährten, ist noch immer nicht ausgemacht. Zu be- achten ist, dass Yaqut unter den zahlreichen Nisä LmJ, die er anführt, auch eines im Gebiete von Hamadän, und zwar im nördlichen Theile in der Richtung nach Kharraqän, Big^är und Sihnä, kennt; demnach dürfen wir dizÄ Qikhya'uvatis, wo Da- rius den Oaumäta tödtete, nordwärts von Hamadän verlegen.

2. Weg von Hamadän nach Bayy.

Die Tabula bietet ein höchst summarisches Itinerar, das, wie sich aus den Zahlen ergibt, vorausgesetzt, dass diese Rich- tiges bieten, einen starken Umweg in der Richtung zum Caspi- Bchen Meere einschlägt; die Stationen lauten:

ECBATANA POLIS

•L- SPANE

X X X 1 1 P ASCARA

•X E V R 0 P O S.

Unter SPANE (etwa ypäna , mehrend, üppig') muss eine Position an der Einmündung des Säh-rüd in den Aspl-röd (Sefid-rüd, Kyzyl-özän) in der an Oelbaumpflanzungen reichen Gegend X^rmein verstanden werden , am besten etwa das heutige Meng^il. Der Weg dahin ging wahrscheinlich über die nisaeischen Gefilde und über Zang^än. Von Spane führt uns das Itinerar in östlicher Richtimg, dann mit einer Wendung f?egen SO., durch das Thal des Säh-rüd und über Qazwin in die Gegend des Kere^-rüd, auf dessen rechter Seite, etwa bei Sulaimäniyah oder Deh-khätün, das alte PASC ÄRA gesucht werden darf; ansprechend wäre in diesem Falle die Deutung aus ^j^ pas ,hinter^ und Karah »ji (arab. Kere^ ^ji, Fluss

154 Tomaschek.

und Ort von Rayy, Yaqut); auch eine Burg in F&rs hiesa Paskarah »^^L-io (vgl. PeSker am rechten Ufer des Tab, gegen- über den Ruinen von Arragän). Weiter gegen O. folgt in der Tabula £'jpü)7:o<;, der makedonische Name fUr das iranische

V

Ragha, Ragä, arab. Rayy (jetzt Ruine Sah-* Abdul -Azim, 5 Miles südösthch von Teheran).

Bei Isidoros von Charax ist die Entfernung der Grenze Ober-Medien's bis Raga nur auf X^ (7) Schoenen angegeben! Richtig ist die Angabe, dass das Wegstück von Agbatana bis zu jener Grenze 16 Schoenen betrug; die drei Haltorte hinter Agbatana entsprechen thatsächlich den von den arabischen Geo- graphen angeführten Manzils Bamäbäd (am Surkh-äb), Büzana- ^ird und ZaiTah. Hinter Zarrah, vor den Ruinen von Dädüän, an der Qara-sü-Biegung war die alte Grenze von Ober-Medien und Ragiana; bis hieb er werden jetzt 46 Miles = 16 Schoenen gezählt. Ragiana enthielt zahlreiche Ansiedelungen, in denen Halt gemacht wurde, nämlich fUnf Städte und zehn Dörfer. Wenn auf je 472 Schoenen ein Haltort entfiel, so betrug die Länge der Provinz nicht vr/ (58), sondern ^tj' (68) Schoenen. Jene Zahl C ist sicherlich ein Fehler; es ist entweder ji^ (47) oder vielmehr, da Z und N leicht wechseln, arb cyroivwv v 'P^Ya tcoai^ zu schreiben ; 50 Schoenen ergeben 233 '/^ ^^ = 145 Miles, und das ist die richtige Entfernung Raga's von der Grenze. Von Hamadän bis Teheran rechnet Houtum-Schindler 188 Miles (Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde zu Berlin 1879, S. 114). Auf das Wegstück von Raga bis zu den kaspischen Pforten würden, wenn unser Ansatz der Gcsammtlänge zu 68 Schoenen richtig, 18 Schoenen entfallen; in der That werden von Sfth- *Abdul-Azim bis zum Beginn des Tang-i-sar-i-darrah 52 Miles gezählt.

Die arabischen Geographen rechnen von Hamadän bis Rayy 61 Farsakh. Da, wie wir oben sahen, 3 Farsakh 4 Schoenen gleich sind, so müssten wir bei Isidoros gar 81 Schoenen er- warten. Die Differenz erklärt sich daraus, dass die Wege nur etwa bis Mazdaqäu (50" ö. L. Gr.) übereinstimmen, von da an jedoch der parthische Weg die geradeste und kürzeste Rich> tung nach ONO. über Zerend (Zapavva des Ptolemaios) verfolgt, während der arabische nach O. bis zur Stadt Säwah ausbiegt und weiterhin das Endstück der heutigen Route Kum-Teherän

Znr historischen Topogiaphie von Persicn. 15o

einhält. Es verlohnt sich der Mühe, das arabische Itinerar, das wir mit Weglassimg zweier Namen unsicherer Lesung hersetzen, näher zu betrachten: Hamadhän

5 Farsakh Damawä

5 Fars. Büzanagird

4 Fars. Zarrah, oder nach Deh-Dewän (Muqaddas!)

4 Fars. Tazarah

7 Fars. über Dukkän (Muq.) nach Pustah ö Rödhah

7 Fars. über Mazdaqän (Muq.) nach Süsanaqin

5 Fars.

bahr Säwah (37 Fars. von Hamadhän)

9 Fars. Masküyah

8 Fars. Qustänah

7 Fars. Rayy (61 Fars. von Hamadhän). Dazu vergleiche man die von H. Kiepert redigirte Karte der Routen Houtum-Schindler's in der Berliner Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde, 1879, Tafel H. Der Rustäq von Hamadhän führte den Namen Farewär j\yi,ji] bei dem RibäJ Barnäbäd (= Dar- nawä \y^> Ibn-Khordädhbih) trat man zur Linken in den Ru- 6tÄq Äzad-mardln ein, welcher 41 Ortschaften umfasste, dazu ÄzÄdmardäbädh, Bibiqäbädh, Girdäbädh, Rämisln; zur Rechten in den Rustäq Sawähln, welches 40 Burgen besass, darunter Älwend, Dar-zamln, Fämenln ^^^^^V» Köhangän und Melädgird >y^>^U*; auch die zweite Station Büzanagird ^^j^, berühmt durch das von Ghazan-khän gestiftete und mit Gründen be- dachte Kloster (Hammer, Ilchane H, 13. 115), gehörte dazu. Weiter gegen Norden dehnte sich der Rustäq A'lem ^\ oder Amr ^\ aus, später Derreh-guzln ^jS np genannt ; Yaqut nennt darin die Orte Änesäbädh, Räyän, Qümisän, Quheg;. Die

156 TomascheV.

dritte Station Zarrah »Jj lag schon nahe an der Grenze der Provinz Hamadh&n; Muqaddasi's Deh-D^wän ^\^.> *> entspricht den Ruinen Dä-düän. Die vierte Station Tazarah «j,^ (vgl. oben pers. ta^ar, taöara) wird durch die Ruinen von Tä- §ereh bestimmt. Muqaddasi hat die Station Dukkän ^ll5 (vgl. oben pers. dukän ,tabema') , welche gleichfalls in Ruinen liegt und wonach ein kleiner Bezirk noch jetzt seinen Namen fuhrt. Pudtah, arab. ^j:^*»^, und Rödhah «S^J (auch Sar- Rödhah, Yaqut) sind zwei gut bewässerte Ortschaften am Maz- daqän-rüd; die zweite wird auf den Karten Rezzeh geschrieben; in der Nähe liegt Nöwarän, Nöbarän. Das grosse Dorf Mazda- qan ^l*>^ icji>}^ C)^^^^^} lifl-ch Mas'üdl ausschliesslich von Magiern der Secte Mazdak's bewohnt (Ritter Vill, 599), liegt gleichfalls in der Nähe, gegen OSO. ; das Nuzhet el-qolüb legt dem Orte ein hohes Alter bei, rühmt die Ergiebigkeit an Weizen und Früchten aller Art, darunter Weintrauben, und bemerkt, dass der Mazdaqän-rüd aus der Gegend von Sämän ^UU*» komme, sich mit dem Kharraqftn-rüd vereinige imd dann gegen Säwah fliesse. Die Gegenden von Kharraqän, Mazdaqän und Säwah waren reich an Wild; Khan Ghazan oblag hier oft dem Jagdvergnügen (Hammer, Ilchane 11, 145); die beiden Gebiete von Kharraqän im N. und S. erzeugen dem Nuzhet zu- folge Weizen, Baumwolle, Weintrauben und Feigen; die nörd- liche Hälfte umfasste die Orte Äbah oder Awah (wohl zu unter- scheiden von dem zwischen Säwah und Kum gelegenen Awah, wie denn auch Muqaddasi p. ro beide Orte trennt), Dftrewän, GulkhQn, TälaSkari und Yusufebäd. Die sechste Station Süsanaqln ^JLL»*»^^ lag iA der Richtung nach Säwah <^Ui>. Diese Stadt (50 Vj" ö. L. Gr., 35" n. Br.) liegt in einer weiten Mulde, die einst von einem See ausgeflillt gewesen sein soll imd über welche vereinzelte Hügel emporragen. Die Fruchtbarkeit des thonigen, ü Bodens, der zur Zeit der Sommerhitze stark ver- härtet und ' dann nur spärliche Vegetation gestattet, wird im Nuzhet gerühmt; Gerste und Weizen, Baumwolle und Obst sind die Haupterzeugnisse; das Wasser von Mazdaqän wird zur Irri- gation ganz verbraucht. Das Klima ist heiss, doch nicht un- gesund; Eis aus den benachbarten Gebirgen wird in Gruben aufbewahrt. Rings um die Oase sind Steppen und Kawer's, in denen zur Frühlingszeit Gazellen und wilde Esel gejagt werden

Znr historischen Topographie von Persien. 157

(Notices et Extraits des msc. XIV, p. 252). Die Stadt hatte einst schöne Gebäude, feste Mauern aus Lehm und einen grossen Marktplatz; ihre Bltithe dauerte bis in die Zeit der Mongolen^ stürme; sie war ein Sitz der Gelehrsamkeit, und die Tataren sollen hier a. H. 617 eine der reichsten Bibliotheken vernichtet haben. Das Nuzhet nennt einige Anhöhen der Umgegend; jein Hügel, 1 Farsang gegen das südliche Kharraqan hin, soll in einer .Höhle natürliche Steinfiguren aufweisen; auf einem andern wachsen Heilkräuter. Das Gebiet von Säwah war in vier KustSqe ein- getheilt und zählte 105 Orte, darunter Ulusg:ird und Ang^Iräbäd (oder An^lläwä). Marco Polo verbindet mit Saba die Sage von den heiligen drei Königen; losafat Barbaro berechnet die Häuser- zahl auf 1000, auch sein Genosse Contarini nennt Seva. Zur Zeit der Blüthe von Hormuz berührte Garcias de Silva Figueroa Saba, Le Bnm lieferte ein Abbild der Stadt, und Chardin schil- derte den unerfreulichen Eindruck, den [der sterile Boden mit seinen Sand- und Staubailuvionen und die drückend schwüle Luft auf ihn machten. Eine Schilderung aus der Neuzeit ver- danken wir dem englischen Consul Keith E. Abbott (Journal of the royal geogr. soc. XXV, London 1855); ihm zufolge umfasst der District von Saweh 32 Ortschaften; die Stadt zählt 300—400 Häuser mit 1000 Familien und ist ganz in Verfall, überall Ruinen und Schutt; sie producirt gleichwohl Weizen, Gerste, Reis, Baumwolle, Melonen, Feigen, Trauben und gute Granat- äpfel; alles Wasser ist brackisch, der Boden mit Salz impräg- nirt; eine kurze Strecke ostwärts zieht sich ein schmaler, langer Kaw^r, der Beginn der khoräsänischen Wüste, zungenartig ins Land. Abbott kam von Teheran über Zerend, zog von Saweh über Bägh-i-seikh nach Meg^idäbäd, überschritt den Qara-öai, dessen Canäle 13 Ortschaften speisen, und ging an dem iso- lirten Steinsalzhügel Köh-i-nemek(oder -nemeklän, Gidan-gelmez, Koh-i-Jelism) vorüber nach Kum, 40 Miles von Saweh. Wir fiigen hier die Route aus dem Nuzhet hinzu: Suljaniyah 24 Fars. Sekzäbäd >bT^ 6 Fars. Ribät gägeb v--^U. 7 Fars. Ribät Duäniq ^y^\^> (= Daung) 5 Fars. Sahr Säwah 4 Fars. Sahr Awah i^\ 6 Fars. Qomm; die Araber rechnen von Sfiwah nach Qomm 12 Fars. Äwah begegnet auch in einem Itinerar Muqaddasi' s : Kereg (jetzt Kez-zäz) drei Tagereisen Barzäniyän ein Tag Äwah <y , dann ostwärts drei Tagereisen über Deh-Garrä

1 58 Toraasche k.

und Robät-Grarra nach Warämln, dann zwei Tage über Kas- k&hah nach Rayy. Diese von dem gleichnamigen Äwah im nördlichen Kharraqän wohl zu unterscheidende Stadt enthielt nach dem Nuzhet 40 Ortschaften und bildete einen Rustäq von Säwah; das Klima war in Folge der höheren Lage gemässigt, der Boden erzeugte Weizen^ Baumwolle und Obst; der Umfang der Stadtmauer betrug 5000 Schritte; auch hier ward das Eis in Kellern aufbewahrt. Nordwärts gegen Säwah äiesst der Gäumäää-rQd >^jL^Lc^\s (jetzt Qara-6ai), welcher im Arwand entspringt und in seinem Laufe den Kereh-rüd Qetzt Dö-ftb, der FlusB von Kez-züz) aufnimmt; er hat im Frühjahr viel Wasser und überschwemmt die Ufergegend; ein Atabeg er- baute auf ihm eine Brücke von 70 Bögen und, da der Boden gegen Säwah hin aus lockerem und wasserhaltigem Lehm be- steht, der die Reisenden im Gange hindert, weiterhin eine ge- pflasterte Strasse von 2 Farsang Länge. Die Irrigationsadem des Flusses waren ein bestjlndiges Streitobject zwischen den Einwohnern von Säwah und Awah, wozu noch kam, dass beide verschiedenen Secten angehörten. Auch diese Stadt erlag den Mongolenstürmen; ihre Ruinen liegen nach den Erkundigungen Ahbott^s 16 Miles (= 4 Fars.) S. 30» O. von Saweh, 8 Miles (= 2 Fars.) S. 60« W. von Megidäbäd. Marco Polo hat die Sage, der eine der heiligen drei Könige sei aus Saba, der zweite aus Ava, der dritte aus QaPa Atidparastän, d. i. Diz Gabrän, qal'a al-Magüs (die erste Station der arabischen Itine- rare auf dem Wege von Qomm nach Qä§än) gekommen. Wir haben beide Orte ausführlicher behandelt, weil, wie sich bald ergeben wird, die Tabula und Ptolemaios ihrer Kunde nicht fern stehen.

3. Weg von Hamadän nach Kasan.

Wir lesen bei Ptolemaios den Namen 'Aßaxaiva, und zwar ganz in der Lage von Awah, wofür die arabischen Autoren auch die Nebenformen Awaq ^^\ und Äwag^ ^j^\ , d. i. pahL Avaka, Abaka, Apaka verwenden. Nach Analogie von Süsa- naqin, Ustarqln, Aspagin und ähnlichen Namen Mediens, sowie auf Grundlage der ptoleraJii sehen Form, lilsst sich als ältester

XXXVII

Znr historischen Topographie von Persien. 159

Name Avakaena voraussetzen. Auch filr Säwah ist die Neben- form Säwa^ ^i^y d* ^* P^^l* Qavaka (vgl. baktr. ^va, 9avaAh ^Gedeihen, Segen, Nutzen*, yevi «nützlich^ wohlbezeugt; viel- leicht war vor Alters auch Qavakaena, (^^evakaena in Gebrauch. Wir lesen in der Tabula ostwärts von Ecbatana eine Station Sevavicina^ die ganz wie eine Latinisirung des ursprünglichen SEVACINA aussieht; das Itinerar lautet: Ecbatanis Parthorum XXXVII- Anarus XX* Sevavicina 'XL' Thermantica 'XX* Orubicaria. Unseres Erachtens war der ursprüngliche Verlauf der Strecke derartig:

ECBATANIS •XVII-

A N A R V S XX

SEVACINA •XI-

THERMANTICA •XV-

O R V D I C A R I A. Dass hier mit ECBATANIS (denn Parthorum ist oflFenbar später Zusatz) eine neue Route beginnt und HECATONPOLIS = 'ExßaTovoc TcoXic räumlich und buchstäblich gesondert erscheint, erklärt sich nur aus der Annahme, dass die zugrunde liegende Weltkarte nach einem griechischen Schriftwerk construirt worden ist, das bloss Wegbeschreibungen und nicht zugleich kartogra- phische Darstellungen bot; Ecbatana, der Ausgangspunkt zweier und mehrerer Wege, wurde irrthümlich auf der Weltkarte an zwei verschiedenen Stellen angesetzt, Wir haben die gänz- liche Uebereinstimmung der Zahlangaben der Tabula mit den Distanzen der arabischen Geographen bezeugt gefunden; nun sehen wir, dass die arabischen Itinerare von Hamadän nach Säwah genau 37 Farsakh rechnen, und dass anderseits in der Tabula hinter Ecbatanis die Zahl XXXVII verzeichnet steht; diese Zahl hat offenbar die Wegdistanz nach Sevacina ausge- drückt! Bei Anarus XX * müssen wir einen ähnlichen Vorgang, wi^ oben bei Concobar XV * annehmen, nämlich: anfängUche Setzung der Gesammtdistanz * XXXVII * und nachträgliche, verwirrende Einschachtelung der zweiten Theildistanz vor der Endstation. ANARVS (vgl. neupers. anär, när ,GranatapfeP;

160 Tomaschek.

ANARDANE beim G. Rav., neupers. närclftn) hatte als (Jrenzort von Media superior und Ragiana Bedeutung und fällt mit irgend einer Localität der Plekhür-Ebene, z. B. mit Qara-däi oder Da- düän zusammen. Für Seyavicina schreiben wir aus den dar- gelegten Gründen SEVACINA und verlegen es nach Säwah. Da die Entfernung von Säwah nach Kum nach den orienta- lischen Angaben zwischen 12 und 10 Farsang schwankt^ so ßült die von Sevavicina * XI Farsang entfernte Station THER- MANTICA nach Kum ^, arab. Qomm p>, wofür als alter Name Kumindän ^\jJL^ angegeben wird; die Griechen mochten darin einen Anklang an xouixa finden und weiters die Stadt; welche sich durch grosse Hitze eine Wirkung der im Osten aus- gebreiteten Wüstenregion bemerklich macht, öepixaviix^ be- nennen. Abbott fuhrt auch die sechs übrigen Befestigungen der Stadt an: Beräwistän o^-*-***^!^ (Yaqut), Sirä^ah d^\j^ (nach VuUer's Lex. 11, p. 258 ,locu8 cucurbitis citrullis celeber', nach Gibbons in der Wüste nordöstlich von Ab -i- sirin und Surab

y

gelegen!), Anabär, l^aimarah, Abristeg;än, Gemkarän. Die Stadt hat vier Rustdqe: Wazkeh-rüd, Kom-rüd, Gräsp und Garpän (vgl. r^pexa bei Ptolemaios); an der Grenze von Kasan und Farähän (IIapi;^ava Ptolem.) liegen die Districte Ardebäl, Maballät und TafriS, drei terrae incognitae. Von Kum nach Kä§än sind drei Tagereisen oder 15 Farsang; wir verändern in der Tabula * XX in XV *, weil wir von der Ueberzeugung ausgehen, dass der von Natur aus für immerwährende Zeiten zu einem Culturcentrum geschaffene Bezirk Kasans durch Orubicaria der Tabula gekennzeichnet ist. Ka§än ist seit Alters ,die Stadt der Kupferschmiede^ Von urudh, rudh 1) ,roth sein^ 2) ,fliessen* (vom Blute) hergeleitet ist im Persischen nicht nur das Wort für ,Färberröthe' rödan ^>^jj röyan ^^^j (wakhan. urudän, sarik. aradön, Pamirdial. S. 793), solidem auch das für ,Kttpfer^ ^^J röi, do^j röyah (baluö. rodh, pahl. röd); dazu röl-gar ß ^^j ,faber aerarius^, röi-garl ^S ^^\ ,ars fabri aerarii, fabrica aeraria^ Den iranischen Lautgesetzen entsprechend schreiben wir daher ORVDICARIA. Indem wir für Kum und Kä§än die alten Namen festgestellt haben, können wir die Route weiter verfolgen.

Zur historischen Topographie von Persieu. 161

4. Weg von Kasan naoh Yasd.

Die Tabula bietet folgende Namen und Distanzen^ an

denen wir auch nicht die geringste Veränderung vorzunehmen

Grund haben:

ORVDICARIA

X V 1 1 1 P Y C T I S

•XXVII- ANGE

X VI- RALES

X TAZORA

X CETRORA

Von Ksdän laufen die Wttstenregion abgerechnet, die hier gewiss nicht in Betracht kommt zwei Hauptwege nach Sttden aus, der eine nach Ispahän über den Bergeanton Köh- rud, der andere nach Nä'in über Ardistän. Der erstere kommt in der Tabula offenbar nicht zur Darstellung, da sonst die End- station 'AowaSdva, G. Rav. ASP ADA, nicht fehlen dürfte; auch eine von dem zweiten Wege bei Khäledäbäd und Bäd ab- biegende Seitenroute, welche den schönen Ort Nä^anz (KavaOa Ptolem.) und die Passhöhe Sar-dahan berührt, kann, weil ihr Endziel gleichfalls Ispahän bildet, nicht gemeint sein. Es bleibt somit nur der gerade Weg nach Nä'in übrig. Nach Josafat Barbaro haben nur zwei Europäer diesen Weg begangen; der englische Offizier R. Gibbons 1832 (Joum. of the royal geogr. 80C. 1841, XI, p. 136 seq.) und der Tiroler A. Gasteiger Khan (Von Teheran nach Beludschistan, Innsbruck 1881, S. 28—34); Dupr^, Mac Gregor (II, p. 207) und Houtum-Schindler (Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde in Berlin, 1881, S. 314) geben nur die Sta- tionen an. Wir fassen die Berichte kurz zusammen:

Eftdän

20 Miles = 6 Fars. über sandwüstenartigen Boden nach

Sitziuigsber. d. phil.-hist. Ol. CH. Bd. I. Hft. 11

162 TomaichoV.

Abü-zeid-äbäd oder Büzäbäd (besucht von Della Valle und Th. Herbert); von hier 18 Miles =: 5 Fars. über Sandhtigel und eine flache^ mit Salz imprägnirte Hochebene nach

Dehäbäd (,mit zahlreichen Bächen, die an Fischen Staunens- werth reich* Pietro della VaDe),

Khäled-äbäd oder Khirdäbäd (,mit Gärten und Kornfeldern') und Bad (Herbert); von da 20 Miles = 6 Fars. über ebenen Boden, der zuletzt von einer aus Nätanz kommenden Wasserader berieselt wird, nach

Moghär (,hier sind die Häuser meist zwei Stockwerke hoch; Gärten, ausgedehntes Culturland'); dann 24 Miles = 7 Fars. über mehrere kleine Ortschaften uud meist ebenen Boden nach

Ardistän jj^U-i>^\ (altpers. Ardaytäna, von arda ,hoch*? Dieser zu Sahr Ispahän gerechnete Ort mit seinen schönen Gärten und Kanälen, mit seinen Feueraltären und seinen industriebeflissenen PÄr9l- Einwohnern war die Geburtsstätte der Anö&erwän ; eines der ätisgah's, Mihr-i-Arda§Ir, lässt das Nuzhet von Bahman ben Isfendiyär gegründet sein; 2 Farsang gegen Norden lag die alte Stadt Zawärah «j\j)j, arab. Ozwflrah *j\^j\'j sie hatte dreissig, der Rustäq Ardistän fünfzig Dörfer, darunter Farräb v-^^J». Weiter- hin erstreckt sich die grosse Sandwüste bis zum ,Geierberg' Kargas-köh, jetzt Siyäh-köh; Za- wärah liegt bereits im Sande vergraben. Ar- distän ist eine befestigte Stadt mit 2000 3000 Einwohnern und ausgedehnten Ruinen; eine Wasserader mit Forellen durchzieht die frucht- bare Oase, welche Pistazien, Granatäpfel^ Baum- wolle und Anis erzeugt). Von da 18 Miles = 5 Fars. zuerst über Steppe, dann durch ein von schwarzen Bergmassen eingeengtes und von einem kleinen Rinnsal durchfiossenes De- fil^ nach den Orten

§afergän, Gögend, Siragln; dann

Zar liisiorisclien Topognpbie von Persien. 163

26 Miles = 7 Fars. durch niedrige, vulkanisch auf- geworfene und grotesk geformte schwarze Berg- massen voll von Rissen, ELlüften, Löchern und Hinterhalten, später durch Ebene nach Niyastftnek (,una villa detta Na'istan, 2 giomate di Ardi- stan^ Barbaro a. 1471); 20 Mües = 6 Fars. Näln ^^13 oder ^^U (einst zu Yazd und Fars , Provinz Istakhr, gerechnet ; das Nuzhet gibt den Mauer- umfang auf 4000 Schritte an; ,terra mal habi- tata, fuochi cinque cento' Barbaro ; jetzt Veste mit verfallenen Mauern und Thürmen, 400 bis 500 Häusern, geringen Cultiinitrecken, wenigen Gärten und Fruchtbäumen, und mit brackischem Wasser ; acht Ortschaften ; Länge des Bezirkes von NO. nach SW. 77 Miles, von NW. nach SO. 54 Miles. Die alte Burg heisst Näring; qal'ah. Die Thonwaaren von Näln sind ver- breitet). Summe der Entfernung von Rä§än nach Nft'In 146 Miles = 235^^» = 42 heutige Farsang. Die Tabula zählt nach ANÖE 45 Parasangen ; wenn wir einen kleinen Umweg, z. B. über Zawärah, annehmen, so fällt Ange nach Nä'in, welcher Ort am Ausgange aus den Berg- engen liegt. Hat Anga etwa ,Enge' bedeutet? Nä'in stimmt scheinbar zu neupers. na'ln ,canneus, arundineus'. PYCTIS ftlUt unter die kleinen Ortschaften vor Ardistftn, vielleicht nach Zawärah, wo Strecken verhärteten Kaw^rbodens sich aus- dehnen ; vgl. neupers. f^^Xa^- pikhtl, pukhtl , Geronnenes (Gallert, Schlacke)^ Schlagend ist jedoch die Uebereinstimmung in den folgenden Stationen: Nä'in

45 Miles =: 15 Fars. zuerst über Oi'tschaften der Ebene von Nä'In, dann über wüste Strecken zum KS. Nö-gumbez mit Salzbach ; dann durch gravelreiche Ebene mit dürftigem Buschwerk über einen Strich Kaw^r, wo Antilopen und Wildesel getroffen werden ; endlich über Sand- flächen nach

164 Tomaschok.

Agdah, arab. sjSl 'Oqdah ,Knoten*; ,uiia villa della Gugde^ Barbaro; gut befestigter, aber verfallener Ort mit 300 Feuerstellen und 1200 Einwohnern; Fabrikation von Schals aus Ziegenhaaren; Gärten mit Granatäpfeln, Feigen, Mandeln, Weintrauben, Pflaumen, Melonen und Gurken; zahlreiche Maulbeerbäume; die Myrthe gedeiht hier gut; einige Dattelpalmen ohne Frucht, deren Zweige zu Besen verwendet werden ; drei kleine Bäche und zahlreiche Reservoirs mit brackischem Wasser; die Felder haben besten Humus ohne ein Steinchen (Löss?); überall sieht man Erde und Dünger führen; rationeller Anbau von Weizen, Gerste, Baum- wolle, Ricinus, Opium imd Krapp. Von da 30 Miles = 10 Fars. zuerst über loses, zerklüftetes Erdreich nach Ceftä, dann über öden, nur hie und da angebauten, oft mit SalzefBorescenzen bedeckten Boden nach Ardekän f^\s'^j\ ('ApToxdva des Ptolemaios; befestigter Ort mit 9000 Einwohner, darimter einigen Gebern, welche sich mit Fabrikation von ge-

! fllrbten Tüchern beschäftigen; Anbau von

Weizen, Gerste, Baumwolle, l^Iinnä; im Bezirke siebzehn Ortschaften und acht kleine Weiler; der Wüstensand dringt immer näher zu den Mauern vor ; excessives Klima im Winter und Sommer), und 7 Miles weiter südwärts über Culturstreckcn nach

I Maibüd, arab. JslX^ (vgl. y:i^lJ9 mai-astü ,nomen delubri

ignicolarum^ und büd ,idolum^); ,2 giomate de lex si trova Mebuth, terra piccola' Jos. Bar-

' baro; stark befestigter Ort mit 300 bis 400

Häusern und 2500 Einwohnern ; um den külilen Nordwind aufzufangen, haben die Häuser bäd- gir's oder Windthürme; Fabrikation von Töpfer- waaren ; gutes Wasser ; ausgezeichneter Feldbau, Cultur von Baumwolle, Ricinus, Weizen und Opium; der überaus fnichtbare Lössboden ist

Zar historischen Topographie von Persien. 165

labyrinthartig unterwühlt und durchgraben, stellenweise eingesunken; in den Höhlen auf der Südseite sollen einst Feueranbeter gehaust haben. Von da 30 Miles = 10 Fars. über zahlreiche Dörfer, deren Existenz gegenwärtig stündlich von den fort- währenden Staub- und Sandalluvionen bedroht wird; bemerkenswerth ist die Existenz eines grossen Oypressenbaumes bei Ruknäbäd, drei Miles von Maibüd, und einer aus 23 Kä§- bäumen (pinus silvestris) bestehenden Allee bei Ibnlhlmäbäd oder Awrandäwä vor A5k-i-zftr eine Seltenheit auf solch' trockenem Sand- boden! Nach Yazd >jjy der alten Stadt der Yazatikä, Ijorctxat (Ptolem.), die jedoch bei den Arabern den Namen KaOOah ^ d. i. Kata ,Graben, Wasserbehälter, aus- gegrabener Leichenbehälter' fiihrt; wenn wir dazu ravara (vgl. 'Poapa bei Ptolem., Räwar in Karmän, Rüdh-räwar 7 Farsang südlich von Hamadhän) schlagen, so erhalten wir KsTpcopa. Es entspricht in der Tabula offenbar der * XVI * Para- sangen von Ange-Nä'In entfernte Ort RAG ES, den Ptolemaios Pxfaia schreibt, dem heutigen Agdah. Wir gelangen X Para- sangen weiter nach dem grossen Orte TAZORA (altpers. ta- öara ,TempeP) oder dem heutigen Maibüd (ähnlicher Bedeu- timg). Weitere X Parasangen führen uns zu dem uralten Magiersitz Yazd = CETRORA. Dass beide Orte zusammenfallen, erkennt man auch daraus, dass von Cetrora aus eine Route durch die kannanische Wüste nach Drangiana ausgeht; auch heutzutage steht Seistän mit Färs nur über Yazd in Verbin- dung. AI. Cunningham (The ancient geography of India p. 149) verlegt Tazora allen Ernstes nach T^ki im Pang^äb. Wir kehren nach Hamadän zurück, um den Weg nach Färs ein- zuschlagen.

166 Tomaschek.

5. Weg von Hamadän nach Persepolis.

Im Alterthum verlief dieser Weg möglichst gerade über die höher gelegenen, von NW. nach SO. streichenden Thal- mulden ; in Zeiten, wo ein strenges Regiment herrschte, standen die Bergregionen dem Verkehre offen und boten zahlreiche, ungefährdete Haltorte. Heutzutage wird der sogenannte Winter- weg, der sich an die östlicher streichenden Gebirgsausläufer, Abhänge und Ebenen hält, fast ausschliesslich begangen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die höheren Halden von räuberischen Ilät's und Bakhtiyaren occupirt sind. Die Bakh- tiyaren, Kachkommen der alten Paraitakä, sind gleich den Kurden iranischen Ursprungs und haben den arischen Typus reiner bewahrt als die mit Culturvölkem des Südens stärker gemischten Perser; Olivier fand an ihnen blaue Augen und braune Haare vor; ähnliche Beobachtungen machte Napier bei den Kurden von Khabuöän.

Die Stationen der Tabula sind wahre Räthsel, deren Lö- sung, so scheint es flir den ersten Augenblick, unmöglich ge- lingen kann. Sie lauten:

ECB ATANIS

•XX X RAPSA

•XXII- BREGNAN A

XXX SIACVS

X NISACI •XII- PORTIPA

•XII- PERSEPOLIS

CONMERCIVM PERSARVM. Die Station RAPSA findet sich in entsprechender Lage süd- östlich von Ekbatana auch bei Ptolemaios, gleichlautend Tatia geschrieben; der ausgedehnte Gau bezeichnete die Grenze der

Zur historischen Topographin von Persien. 167

persischen Landschaft IlapaitaxiQvii^ und Mediens und ward bald zu dieser, bald zu jener Provinz gerechnet; darum nennt der Alexandriner auch im nördlichen Persien ein Volk TitJ/to».. In der Khalifenzeit wurde der Gau Kereg ^; dessen Lage genau zu ermitteln bisher noch keinem Forscher gelungen ist, als Ueber- gangsgebiet aus Gibäl (Medien) in die Provinz Ispahän betrachtet. Die wahre Lage dieses Freilehens ergibt sich aus folgenden arabischen Itineraren:

V

1. Hamadhän 5 Fars. Gürän ^^\jy^ (2 Fars. weiter lag

Khund-äb x^\jJiL, jetzt Khundä am Dö-äb) 7 Fars. i^Ua^ 9 Fars. Kereg. Also von Hamadh&n nach Kere^ über die Rustaqe Garrah und Säwah 28 Fars.

2. Hamadhän 5 Fars. T^sbandein 7 Fars. Khwärib oder

öür-äb <w>K>^ 5 Fars Kereg ; hier scheint eine Sta- tion mit 7 Fars. ausgefallen zu sein.

3. Hamadhän 7 Fars. Dimeq ,3^> 5 Fars. Rakäh 8 Fars.

Gür-ftb 5 Fars. Kereg;; also von Hamadhän nach Kereg; in gerader Linie 25 Farsang.

4. Hamadhän 7 Fars. Rüdh-räwar (jetzt Rud-i-läwer, süd-

lich von Sirkän JS^^ und T«I ^y) 9 Fars. Nihä- wand 6 Fars. Räkäh 8 Fars. Gür-äb 5 Fars. Kereg;. Also von Hamadhän nach Kereg; über Kihäwand 35 Fars.

5. Hamadhän 7 Fars. Rämin 11 Fars. Berag;ird 10 Fars.

Kereg;. Also von Hamadhän nach Kere^ über Berü- g;ird 28 Farsang; oft wird die Distanz in runder Zahl auf 30 Farsang angegeben. Dieser Weg wurde seit Alters am häufigsten begangen; es ist der Weg nach Rapsa.

6. SäpOr-Khwäst (jetzt Khurremäbäd) ein Tag QarQdh

3>^Jä. (jetzt Horüd) ein Tag Räzän ^\^\j oder Rädhe- qän ^\3>\j (jetzt Räzän) ein Tag Wafräwandah «jJ»yj|^ oder Faräwandah »jiy^ (jetzt Aferäwandeh im Ostgelände Siläkhors südöstlich von Burug;ird) ein Tag Kereg;.

7. Lür (jetzt §abrah-i-Lür nördlich von Diz-pul) zwei Tage

Diz j> (jetzt Qal'ah-i-Diz am Äb-i-Diz) ein Tag Räi- kän ,.,l5b\» 40 Fars. .durch uncultivirtc Strecken' nach Gulpäigän ,^l5ol> J^ (jetzt Ruine Päigän in Päöe-i-Lek) ein Tag Kereg;.

168 Tomaschek.

V

8. Gerbädheqän (jetzt Gulpäigän) 6 Fars. oder ein Tag

Äbto*ah 7 Fars. oder ein Tag GaränÄbädh (jetzt Khiirremäbäd ^ULoJä.) 7 Fars. oder ein Tag Kereg;.

9. Äwah (südöstlich von Säwah, s. o.) ein Tag Barzäniyän

zwei Tage Sowftd (= Särüq, jetzt Sahr-i-nau oder

Sultänäb&d) ein Tag Kereg^. General Houtum-Schindler , welcher Kereg; an den Bach Ker^ in Mörirftän oder selbst nach Gulpäigän verlegt (Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde in Berlin, 1879, S. 60 Anm.), hat sich durch den Namen dieses Baches, sowie durch den verstümmelten Text seines Nuzhet el-qolüb täuschen lassen. Wir geben das Itinerar des Nuzhet nach dem tadellos geschriebenen Codex der kais. Hofbibliothek in Wien:

10. Sahr Kongäwar 5 Fars. Bldestän 3 Fars. Sahr Nihäwand

4 Fars. Deh Firämorz 4 Fars. Sahr BurOg^ird 4 Fars. (ranäbäd (hier geht ein Seitenweg nach feäpür-khwäst ab) 6 Fars. Miyän-rüdän (jetzt Miyän-rüd am Ke- mend-äb) 3 Fars. Minä (jetzt 'Alläbäd in Päöe-i- Lek) 6 Fars. Kere^. Dieser vielgewimdene Weg geht also zuletzt aus Siläkhor-päln über's Gebirge nach Norden.

11. Öahr Kere^ 4 Fars. Dünsün ^y^f^^> (im District Ka-

marräh , also nicht Wäne&än !) 5 Fara. Äsn ^^\ (am Ker^ in Ään-äkhor) 6 Fars. ^\SJi^ (d. i. Sangän oder vielmehr Sitagän in Faraidün ; hier zweigt sich ein anderer Weg entlang dem Zayende-rüd ab)

6 Fars. Güi-margh '^j^ ^^^ (am Westabhang des Köh-i-kolung ; vergl. FaBifxapY« der Seleukidenzeit)

7 Fars. Asqurän JyJ-44)\ (= Afekurän ^\jy$iJa\ bei Yaqut) 7 Fars. T^hrän oder Tirän 6 Fars. Uül-küSk s»^^ y^js^ (vergl. v^Cmj^ v-.>b, Yaqut) 4 Fars. Sahr Ispahän.

Fassen wir die Angaben dieser eilf Itinerare zusammen und fixiren wir dieselben auf den von H. Kiepert redigirten Routenkarten Schindler's, so kann kein Zweifel darüber ob walten, dass Kere§ in den District Kez-zäz zu verlegen ist; am besten passt die Lage von Kadcmgah oder Raft-Amäret.

Kereg ^^, pers. Kereh oder Karah n^, pahl. Karak ,be- festigtes Heerlager' ('askar), arabisch auch beled Abu-Dolaf

Zur historischen Topoj^niphte von Pcrsien. 1 69

genannt; nach dem durch Reichthum und Macht, Bildung und Witz hervorragenden Amir, der ziu* Zeit Harun al-RaSid's lebte, bestand eigentlich aus mehreren Ansiedelungen, die sich auf einem rings von Bergzügen umgebenen Hochplateau einen Farsang weit hinzogen; die Häuser waren aus Lehm, Gärten und Baumalleen gab es da nicht, nur Cerealien wurden ange- baut und auf den Halden Viehzucht betrieben; Obst wurde aus Burftg^ird gebracht. Das Klima war kalt ; die ganze Thal- mulde mit ihren Kornfeldern und Hutweiden erstreckte sich 6 Farsang in der Länge, 3 Fars. in der Breite und hiess Marghzär-i-Kaitü yuj (vergl. Yailaq Kaitü zwischen Herät und Murghäb , Not. et Extr. XIV, p. 170). Nördlich erhebt sich das Gebirge Räsmend j^>L»^»\^ an dessen Fuss die Quelle CeS- meh-i-Khusraw entspringt. Eine Quelle äb-i-germ ergiesst sich in einen Weiher und dann in den Fluss von Kere^, Kereg;- oder Kereh-röd >y, t'ß ^ ^'ß, vergl.' >^ytß feeref-eddlnimTlmur- nämeh H, p. 166; IV, p. 151. Dieser Fluss vereinigt sich mit dem GäumäSä-rüd, der im Arwand entspringt, den Canton Far^wär bei Hamadän durchfliesst und sich gegen Säwah Äwah und Kum wendet, um im Sande der grossen Wüste zu verrinnen. An seinem Ufer, am Nordende des Räsmend, liegt die Burg Farzm ^j^ oder Farrezin ^^jj» (bei Yaqut auch fälschlich Qazwin c?i^i* geschrieben) ; dorthin flüchtete der Persersultan beim An- züge der Mongolen im Jahre 1220, um dann über das Gebirge Suturän nach der Veste QarQn und nach Sib bei Baghdäd zu gelangen; vielleicht das heutige Hi§är. Das Räsmend-Gebirge im Norden von Amäret wird auch Räswend, Räsfend, Rästbend genannt, und gehört zum System des in der Axe v. NW. nach SO. sich hinziehenden Köh Hasäneh ('laffovtov opoq bei Ptole- maios). Nach Petermann H, S. 244 f. wird auf dem Gebirge von Amäret viel silberhaltiges Blei und Eisen gefunden, jedoch nicht ausgebeutet; die geologische Beschaffenheit ist dieselbe wie beim Alwend, schwarzer Schiefer mit weissen Quarzadem, Urgebirgsformation. Das Klima der Hochebene von Amäret ist excessiv, rauh im Winter, im Sommer in der Thalmulde schwül, gemässigter an den Abhängen ; Schnee fUUt schon Mitte October und bleibt in den Bergschluchten das Jahr über Hegen. Trotz- dem ist Kez-zäz reich an Feldfrüchten, welche nicht niu* die 260 Dörfer des Districtes, sondern auch den Markt von Ispahftn

170 Tomaschek.

versorgen. In neuester Zeit hat Floyer die Gegend besucht; er fand sie von zahlreichen Bächen bewässert; die Warmqueiie bei dem Weiher hat nach ihm 61^ F.; ausser Weizen wird auch Baumwolle, Opium und Färberröthe (rönaäk) angebaut. Bei dem reichen Komertrage dürfen wir uns nicht wundern, wenn Kereg nach dem Nuzhet eine Abgabe von 102.500 Dinar (2 '/j Millionen Franken) zu entrichten hatte. Der Kereh-rüd fliesst von Hi§är an zuerst gegen SO., daim gegen N. und be- steht aus zwei Hauptzufltissen , die den Rfismend umfliessen, weshalb er jetzt Dö-äb genannt wird. Ganz immöglich ist Schindler's Angabe, dass sich dieser Fluss mit dem bei Gul- pAigän fliessenden Kerg;-rüd vereinigt; denn alle Angaben, auch die des Nuzhet, gehen dahin, dass der Fluss von Gul- päigän, der auch Fluss von Khwän-sär jU*J\yL, rüdkhäneh- Harun und Farkessän genannt wird, nordostwärts gegen Kum fliesst. Auch liegt das System des Köh Hasäneh dazwischen mit den südwärts von Sultänäbäd hinstreichenden Ausläufern. Nachdem wir auf Grund der Distanz 'XXX* und der sonstigen Uebereinstimmungen die Gleichheit von Ta^*«, Kerc^, Amäret bewiesen haben, ziehen wir auf der im Nuzhet angege- benen Route (11) 15 Farsang weit nach Sitagän in Faraidün; von da wandern wir, statt den Weg über Dumbeneh Asqarün und TirQn einzuschlagen, dem Laufe des Zayende-rüd entlang noch 7 Farsang weit, um nach BREGNANA zu gelangen. Man könnte einwenden, diese dem Gebirgsmassiv des Zardeh-köh angenäherten Regionen seien von Natur aus schwer gangbar; wir glauben aber, so wie es sich gezeigt hat, dass die Mulden von Sil-äkhor und Faraidün bis auf die kurze Uebergangsstelle bei Sengän dem Verkehre, selbst zu Wagen, keine Schwierig- keiten entgegensetzen, ebenso wird sich auch das Thal des oberen Zayende-rüd als ein ganz prakticables Durchgangsgebiet erweisen. Zudem haben wir aus der Khalifenzeit zwei Rou- ticrs, welche dieses Thalgebiet der Länge nach durchschneiden. 12. Kcreg 12 Fars. Burg; £^ (das zweite der ighärän oder ,FreilehenS im kalten Klima gelegen, jetzt Malekä- bäd in Burbarüd und Gähpelaq j;i^U-) 10 Fars. Khöig^än ^l«^.^ (jetzt Khöigän an der östlichen Hauptquelle des Zayende-rüd in Faraidün) 30 Fars. ,ohne dass man einer Stadt oder einem grösseren

Znr historischen Topographie von Persien. 171

Dorfe begegnete^ nach Ispahän. So verlockend der gleichen Distanz XXII * wegen die Gleichung Khöigftn = Bregnana aussieht, ziehen wir dennoch die möglichst directe Wegrichtung des Nuzhet vor, aus dem einfachen Grunde, weil wir sonst mit den Zahlen der Tabula bis Persepolis nicht ausreichen. 13. (Fortsetzung von 8) GulpHigän oder öerbädheqän

8 Fars. oder ein Tag t^\y^ oder o^ji^ (vielleicht Faraidün o^^^» ^^®^' auch Tlzän ol>^> Yaqut)

9 Fars. oder ein Tag Marg; ö Zahr ybj ^ ^^ (in dem vom Zayendeh durchflossenen Rustäq Qohistän ^U.*^') 4 Fars. Märbln ^^,-^^U (in dem vorzüglich cultivirten, gärtenreichen Rustäq gleichen Namens am Zayende-rüd) ; von da geht die Route ostwärts über Anhöhen in das Thalgebiet von Tlrün über: 12 Fars. oder zwei Tage nach Azmlrän ^j^^;>^j^ (in der Nähe des altberühmten Äti§gah Märaä, vergl. Mappdatsv Ptolem.) 3 Fars. Ispahän.

Bregnana lag nach unserer Vermessung im Canton Qohi- stän, dessen Anhöhen wie die des benachbarten Cantons Tai- marah g^.^ reiche mineralische Schätze enthielten, die jetzt freilich nicht mehr ausgebeutet werden, am oberen Zayende- rüd. Sollte der Name mit pers. biring ^Op ,Kupfer, Bronze^ zusammenhängen, wofür Justi bereg;ya (von bereg ,glänzen*; möglich wäre auch bereghna ,blank^ vergl. pers. berehnah ^Jj^y^ ,nadus') als Grundform ansetzt? Der Name des grossen Berg- gebietes napaiTooty.viq, das vom Zayendeh durchflössen war (vergl. parai ,ring8um* tak ,fliessen* und die seistanische Provinz gleichen Namens, jetzt Rüdbär), hat sich vielleicht in dem Gau Faraidün o^J^^ (Yaqut, vergl. Dupre II, p. 119 f.), Fa- ndan, Pari'ä erhalten. Vom Thalgebiet des oberen Zayendeh gelangen wir, ohne die Metropole ASP ADA (G. Rav.) zu be- rühren, in gerader südlicher Richtung über die Bergenge von

V Y

Cäl-i-8utur nach Deh-ikurd, Sehrek s^j^ zum Bergpass Qahw- i-rokh, Giriwa-i-rokh ^y\ \^^ (Ihn Batuta 11, p. 42), der die Wasserscheide zwischen dem abflusslosen Zayendeh und dem zum Tigris-System gehörigen Kurend-äb bildet. Zur Khalifen- zeit stand hier das Ribät Bärgän und zwei Tagereisen oder 14 Farsang wurden von da ostwärts über Khan Lingän oder

172 Tomaschck.

Khäling^än (jetzt Leng;, Khuleng^fm) nach Ispahan gezählt. Die Distanz zwischen dem alten Bregnana und diesem Ribät schätzen wir auf 12 Farsang, so dass wir noch 18 Farsang zur Verftigimg haben, um zur folgenden Station zu gelangen. Für diesen Weg stehen uns zwei arabische Itinerare (bei Ibn Khordädhbih und bei Qodäma-Muqaddasi) zu Gebote.

14. Bargän oder Ganz al-margän ,Schatzhaus der Korallen'

(jetzt Qahw-i-rokh) 7 Fars. Mürdäh i\>jy oder Slür- ^än o^j^ ' Fars. oabäh »Uit> 5 Fars. Samärmoz ^^U-» oder Somairam f^Xi-1), pers. Samiram f^-^s-»^ (jetzt Samirüm, einen Tag östlich von Diz Ard oder Pelärd). Damach würde die Station nach SamlrQm fallen.

15. Bargän 7 Fars. oder ein Tag Kerch oder Karüyah

^Jtr^' «^ (im Canton Päik, noch jetzt Kereh genannt)

7 Fars. oder ein Tag Sarai Mäs ö Marwah ^\j ^

s^j^ ^ ,^U 4 Fars. Khan RüSan ^^^J ^^^VrL ,die

Grenze von Färs, kurah Istakhr, gegen die Provinz

Ispahän' (jetzt Sa'adäbäd auf der Passhöhe des Säh-

köh, Quellgebiet des Flusses von Yazd-i-khwäst\

SIACVS, 2cax5u-c, erklärt sich lautlich entweder aus Siyäh-

küh, wie noch heute ein Höhenzug östlich von SamirQm heisst,

oder aus Säh-küh (altpers. kh§äyathiya-kaufa, Mittelform saya-

köf ), welche Benennung das der Urgebirgsformation angehörige,

in der Axe von NW. nach SO. streichende Bergsystem von

Samirüm bis Sulgistün und Suimaq führt. Wir setzen diese

Station in die Passhöhe bei Sa'adäbäd, an die Grenze von Färs;

weiter ostwärts, auf der Winterstrasse, bildete diese Grenze

das KS. Rüdhkän Ci^i^j (iin Nuzhet ^^^jj? ^ Fars. südlich von

Sahr Qumisah, 7 Fars. nördlich von Yazd-i-khwäst), jetzt Maq-

sud-begi bei Wehsäre.

Südlich von Siacus setzt die Tabula in einer Entfernung von nur X Parasangen NISACI an, woftir der Ravennate NESSACI Nr^caxYj bietet; Niasp^iQ des Ptolcmaios ist darnach zu verbessern. Die einheimische Form lautete Niyäyaka, Nisäyek, ,das kleine Nisa^ Mit Ni9äya ,Kiederla88ung' bezeichneten die Perser, welche ursprünglich Hirten und Noraaden waren, über- haupt höher gelegene Weidegründe , welche eine ausgiebige Pferdezucht ermöglichten. Die arabischen Geographen kennen

Zar historischen Topographie von Persieo. 173

einen Ort Nisäyek v5^.L^ (MuqaddasI und Massud! schreiben einfach Nisä UÜ) viel weiter im Süden^ in dem zu Istakhr ge- hörigen Rustäq Bai<ja 1!ÜaiX> (Beidzö bei De Bode)^ 8 Farsang nordwestlich von Siräz, zwischen dem Köh-i-SaS-pIr und dem Köh-i-Rämgird, und Südöstlich von E&m-pöröz. Das Nuzhet el-qolub beschreibt in Bai4ä einen Weidegrund (marghzär) von 10 Farsang Länge und Breite; die Luft ist kühl, Wasser gibt e8 da in Hülle und Fülle, Schlangen und Scorpione fehlen, (jiessbäche vei*wandeln den Grund auf 3 Farsang in grünen, kräuterreichen Rasen ; herrliche , grosstraubige Weinstöcke werden an den Geländen gezogen. Einer neueren persischen Beschreibung des Gebietes von Slräz entnehmen wir die Nach- richt, dass der berühmte Wein dieser Stadt aus den Dörfern von Bai4ä, femer aus Söl, Ardekün, Abreh, Guyom und Khullär kommt; femer die Angabe, dass im Centrum von Bai4ä ein ausgedehnter Weideplatz, worauf 6000 Stuten grasen, sich be- findet. Beidzö wird von dem Thale Tang-i-raskan durchschnitten, durch welches Alexander der Grosse nach Persepolis eindrang. Um nun die Position jenes Nisäyek, dessen Kunde wir dem Alterthum verdanken, zu bestimmen, setzen wir das unter 15. angeführte Sommeritinerar weiter fort:

16. Khan RQian 7 Fars. oder ein Tag Deh-Istakhrän

(d. i. Deh-i-girdu ,NussdorP, ,villa delle noci' P. della

Valle, obwohl es hier jetzt keine Nuss-, sondern nur

Weidenbäume gibt) 7 Fars. oder ein Tag Qa§r

ä'in ,Quellenschloss' ^^^ ye^ (d. i. Qa§r-i-zard oder

Küsk-i-zard oder -zar jj, ^jy ,*^^ ,le chäteau jaune,

pavillon d'or'). Näheres bieten neuere Itinerare:

Deh-i-girdü 2 Fars. Bäz-i-ba6öah 2 Fars. Pul-i-Säh-

köh oder die Brücke über den Rüd-i-küfik-i-zard,

dann 3 Fars. durch gut bewässertes, an fischreichen

Bächen, sowie an Morästen reiches Terrain nach

Kusk-i-zard.

Die Umgegend von Kusk-i-zard war seit Alters berühmt

al8 vorzüglicher Weidegrund; Heerden von Kleinvieh und viel

Wild treiben sich hier herum; die Vegetation ist bei der reichen

Bewässerung auch im Sommer üppig. Im Nuzhet heisst es, der

Marghzär -i-Küsk-zard erstrecke sich entlang dem Flusslaufe

10 Farsang weit, die Breite des Geländes betrage 5 Farsang;

174

TAmasrhelt.

beträchtliche Ansiedelungen^ reichliche Wasserquellen gibt es da; das Klima ist kühl und gemässigt. Die oben angeführte neuere Beschreibung besagt: Öär-dängah öSS\> jl^ und DaSt- i-Rüm sind als Jagdrevier des Bahräm-gür bekannt; der grösste der Weideplätze ist der von Kusk-i-zard ; daselbst werden auch Komfrüchte aller Art, zumal Weizen und Dhol, angebaut. Der von türkischen Ilät's in Besitz genommenen Plaine Da§t-i-Rüm yiP\ sS^ ^y gedenkt auch Ibn Batuta (ü, p. 51 f.) auf seinem Wege von Yezd-i-khä^ nach Mäyin. Auch andere Schriftwerke (Timur-nämeh II, p. 395; Not. et Extr. XIV, p. 174. 278) rühmen die grünen und frischen Weideplätze für Pferde bei Qasr-i zard. Hier müssen wir also Nisace suchen!

Der Abstand XII * Parasangen führt uns weiter südwärts zu der Station PORTIPA, wofilr der Ravennate PORREPA, d. i. nopTtjxa hat. Wir ziehen nicht auf dem weiterhin ziemlich beschwerlichen Sommerwege über Äspäs jjiU-«>\ und Qüs^n ^l^^Ä. (jetzt Ug^Än) nach Mä*In, sondern halten uns gegen SO. an die Weiler Dumbineh, Obärik, Khungisk, Kaferi, Dilu- Na§r, welche im Flussgebiet des Pulwär oder Pelewär liegen. Thomas Herbert rechnet von KuSk-i-zard nach Khungi^k 6 Farsang, dann nach Kaferi 2, nach Deh-Urdin 4 Farsang. Das Thalgebiet von Kaferi, Keiferl ^yU^, ein Sommeraufenthalt arabischer Nomaden, erzeugt Weizen, Gerste und Dhol. Istakhrl verlegt die Quellen des Pulwär in den Rustäq Gaubarkän, welcher nordwestlich vom Rustäq Urd lag und Mu§kän zum Vorort hatte; diese Namen sind jetzt geschwunden; nur der Fluss selbst, arab. ^^^ Ferew-äb oder Parw-äb, hat seinen Namen mit geringer Veränderung bewahrt; Istakhrl nennt auch ein Dorf Deh Ferewäb, das an einer Fürth über den Fluss gelegen der antiken Station Portipa und dem heutigen KiSlaq Dilu-Na^r yo^^^ entspricht. Lautlich zerfHllt Port-ipa, Parw-äb in zwei Elemente: baktr. peretu altpers. *partu, gilan. purd pahl. puhr neupers. pul, sarikol. paug (aus pard, Pamirdialekte S. 760. 745) ,Furth, Brücke' und baktr. ap, neupers. ab ,Wa8ser* oder auch ap, neupers. -yäb ,findend, erlangend, besitzend'; eine ähnliche Bildung ist IIopTocirava bei Ptolemaios.

Die SchluBszahl * XII Parasangen führt uns nach PER- SEPOLIS oder Qtakhra. Herbert hat die Stationen : Dih Urdin 3 Fars. Dar-tang 4 Fars. Pul 3 Fartf. Kambar 'All 3 Fars.

Znr historischen Topographie von Persien. 175

Cihil-minär. Bei ürdln betreten wir den Rustdq Urd, dessen Vorort Timäristän ^U**»jU<v3* (vergl. Thimär, Mittelstation zwischen Öilminär und Me§hed-i-mdder-i-Salaimän^ nach Josafat Barbaro a. 1471) oder Bag^ah dJeij 'ApBda bei PtolemaioS; in der Thal- mulde oberhalb Siwand gesucht werden darf; der Engpass Dar- tang zwischen dem Köh-Eyyüb und dem Köh-Bulwerdl darf weder mit dem Dartang-i-FarQq ^jU d^^y (Not. et Extr. XIV, p. 115, jetzt Pärüh nordöstlich von Persepolis), noch mit der Klause zwischen Md'ln und U^n verwechselt werden. Auf dieser Strecke bietet Muqaddasi lauter fremde, verschollene Namen: Iftakhr ein Tag Dorf des Ihn Bundär ein Tag Ka- mfihenk ein Tag Dorf der Zwietracht eivjiiJl i^ji (am Fere- wÄb? von da nordostwärts zum Winterweg) ein Tag Läh ö Kereh ein Tag Sarmistah (d. i. Sarmaq). Der Zusatz CON- MERCIVM PERSARVM ist Uebersetzung von to 6|jiTOptov Uepjwv. Perttepolis besass in der Seleukidenzeit keine politische Bedeu- tung; aber die vortrefflich angebaute Zweistromebene Marw- dast am Fusse des ragenden Felsens Qtakhrä verblieb der natürliche Sammelplatz der persischen Ackerbaubevölkerung, der Centralsitz des Plandels und Verkehrs. Bei dem Ra- vennaten (und bei Ethicus) ist auch noch PARSAGADA ver- zeichnet; die Streitfrage, ob Pasä oder ob vielmehr Murghäb (bei Muqaddasi, so scheint es, Kihmand jJU^ genannt, 12 Fars. nördlich von Istakhr, auf dem Winterwege; vergl. auch MVRGE beim Ravennaten) das Anrecht hat für Pasargadae zu gelten, wird hoffentlich Nöldeke im Nachwort zu dem von Stolze und Andreas edirten monumentalen Prachtwerke zur Entscheidung bringen.

G. Weg von Fersepolis nach Giruft in Earmän.

Wir lesen in der Tabula folgende höchst summarische Angabe:

PERSEPOLIS

•LX- PANTYENE

•XXX- A R C I O T I S.

176 Tomascbek.

Der Ravennate hat die Variante PATHIENAS. Der Weg bewegt sich in der Richtung der C ARMANI; an der Küste sind weiterhin die ICHTHYOPHAGI verzeichnet; der Ra- vennate hat dort auch den Hafen ARMOZA REGHA. Vor Allem muBB uns die Aehnlichkeit des Namens na'/6(V|Vat mit den IlavOiaXaioi, einem Stamme der Perser, auffallen, den uns HerodotOB 1, 125 nach den echtariBchen, den fijiegsadel dar- stellenden Hauptstämmen der Uaaa^d^OLi, Mopa^ioi und Micnnot in Verbindung und gleicher Linie mit den AYjpouatawt und den jedenfalls im heissen Küstenstrich Garm-sir hausenden repfxovcoi anführt. Neben dem Kriegsadel und den drei Ackerbaustämmen (apcxi^pe«;) gab es mehrere Tribus, welche die alte nomadische Lebensweise der Urarier beibehalten hatten, Aioi, Mdpooi, Apc- Tcixoi, SoTfapTioi, die Vorfahren der Söl, Lür, Bakhtiyaren und Kurden. H. Kiepert (Lehrbuch d. alten Geogr. §. 67, Nr. 3) spricht die Vermuthung aus, dass sich der Name der Panthia- laier ^ dessen unarische Abkunft; schon durch das fi*emde X gekennzeichnet' sei, im Bezirke Fahliyän an der Grenze von Susiana erhalten habe. Der Stamm selbst mag immerhin un- arischer, kuschitischer Abkunft gewesen sein; der Name Pan- thiyanä, .wofür Herodotos die dem Griechischen angepasste Aussprache UtxvQtceXatci bietet, ist jedoch echt persisch, wie der des medischen Stammes nocyTipLaOoi (III, 92), und zu deuten aus altpers. pathi, *panthi, baktr. path, pafita-n (davon pathanya , Wegelagerer'), ob. fandag, sarikol. pand, lign. pond, min^n. pddah ,Weg, Pfad*. Was den Ort Fahliyän betrifft, so ist der- selbe sehr jungen Datums; die arabischen Geographen nennen an seiner Stelle Deh Khübedhän oder Khwädän, selbst beref- eddin kennt nur letzteren Namen und nördlich davon Mäl- amlr-Ööl. Wir suchen die Sitze des alteinheimischen, von den Persern unterworfenen Ackerbaustammes an der Grenze von Färs und Karmän an einer Stelle, wo sich die Wege aus allen Richtungen kreuzten. Ein solcher Knotenpunkt des Verkehrs ist heutzutage Sa*Td-äVäd, der Vorort des Districtes Sirgän, Siragän ^15^^, ^Iä-^-^^m». Bei den arabischen Geographen spielt Slrg^än eine grössere Rolle als Guäsir oder Bardhasir (d. i. Weh-Arda§Ir nach Nöldeke), die alte Metropole Kanndn, wo die Erinnerungen an den Feuercidtus und an die Säsänidenzeit mächtig walteten; sie schildern Sirgän, den Sitz der arabischen

Zur historisclien Topographie Ton Penien. 177

Sultane^ als eine blühende Stadt mit zwei Citadellen (qa^rain) und ausgedehnten Vorstädten, wohlbewässerten Gärten, künst- lich gegrabenen Brunnen und Kanälen; das Klima ist gesund, nur im Sommer drückend heiss; alles Culturland wird zum Anbau von Weizen und Baumwolle benutzt. Die Dattelpalme gedeiht von hier an bis Hormoz. Abbott und die Mitglieder der anglopersischen Grenzcommission äussern sich einstimmig folgendermassen: Sa*ldäbäd ist gut befestigt und hat 400 500 Häuser, Bazare, schöne Gärten mit vorzüglichen PistaziennUssen und Granatäpfeln; der balük Slr^än erstreckt sich 24 Farsang von N. nach S., 22 Farsang von W. nach O. und umfasst 150 Ortschaften ein ebenes, ungeheures Weizengefilde mit eingelegten BaumwoUpflanzimgen, die Kornkammer von Karmän und Färs; der Ertrag ist gross, wenn nicht Heuschrecken- schwärme, wie Gibbons bezeugt, die Culturen verwüsten oder in heissen Sommern die Irrigation mangelhaft ausfällt, lieber Sirgän hat Marco Polo seinen Rückweg von Hormoz nach Karmän genommen. Er fand allerorten Dattelpalmen und Obst- bäume, auch einige Heilquellen; das Weizenbrod mundete ihm bitter, was er dem brackischen Wasser zuschreibt, während Houtum-Schindler die Ursache in der reichlichen Beimengung des Weizenunkrautes khür oder talkheh findet. Ein solches Gebiet ist für die apcrift^e^ des Herodotos wie geschaffen; aber auch die Distanz ' LX ' Parasangen spricht für unseren Ansatz von novötr^vat der seleukidischen Urkunde bei Slr^än, wenn- gleich die arabischen Itinerare von I^t^ikhr bis dahin 64 Farsakh zählen, wobei die kleine Differenz von 4 Farsakh auf Rechnung eines Umweges zu setzen ist. Die Stationen lauten:

I^t&khr mit dem tasuk (724 der xo{Xrj nsp<7{<;) Mihr-gäskän 8 Fars.

Ziyädhäwädh (jetzt Arsing;än; vergl. Pottinger's Route) 8 Fars.

Dorf und Wachtposten Kalüdhai-; oder mit MuqaddasI 9au4 al-AmIr 6 Fars.

Dorf Göpänän oder Cöbänän am See gleichen Namens,

bei Idrisi p. 404 Zobaidah So ^j genannt

(jetzt Khwänsär); oder mit MuqaddasI nach Ras al-duniyä (d. i., nach der persischen

SitxnngBber. d. pbil.-hiat. Cl. CIL Bd. I. Hft. 12

178 Tomatchek.

Schilderung des Gebietes von oiräz, Sar-i-gehän ^LfA^, ein schönes Dorf auf einer vegetations- reichen Hochfläche y welche Weizen, Gerste, Mandeln und Obst producirt; nahe erhebt sich das Massiv des Ehwftgah-malek; ostwärts und tiefer liegt das Culturgebiet Abädeh-i-Te§tek) 6 Pars. Dorf des *Abd aI-Ra|^män (östlich von Abädeh s>lji\) im Rustaq Barm ^^

6 Pars.

über den hohen Köh-i-Deh-mürd , welcher die Rustäqe

Barm und Büdang;&n ^\ ^^>^ scheidet, nach

Deh-i-mOrd >jy du>^, arab. ,^^\ i^j» 8 Pars.

Gross-Cähek oder Uähah, arab. v^^i dübU> (jetzt Cäh- khuik; Klein-Cähek ist Deh-Cäh; in geringer Entfernung ist das Ostende des Sees von Nirlz, arab. Bakhtegän) 8 Pars.

durch ödes Gebiet, an Kälkhän und Marüst vorüber, nach dem Robät

Sarmaqän ^^ ^^j-* (jetzt Cäh-SurmekOn , Dnpre) oder 1 Pars, weiter nach Deh-i-nemek (Ibn Khord.) 2 Pars.

Grenze von Pars und Earmän

7 Pars.

PuSt-kham , gekrümmter Rücken' (Vullers I, p. 364: vielleicht so genannt, weil man einen Kawer passirt, dessen zahlreiche Löcher Auimerksam- keit beim Gange erfordern; Ibn Khordädhbih hat etwas weiter MQriyänah dJbj^, was nicht nur jAmeisenhaufenS sondern auch ,Ei8enrost* und jSalzefflorescenz* bedeutet; westlich von Sahr-Babek, bei Robät Rädhän zieht sich ein Salzbach und Kaw^r aus der Gegend von Asfendäbäd bei Abarqöh bis hinab gegen Khai- rabäd, wo ein breiter Arm des KefFeh passirt wird ; vergl. auch MORIANA beim G. Rav. und Müriyän o^^>* ^^ KhOzistan, Yaqut)

Znr hi8toriscb«n Topographie tod Pertien. 179

ö Fars.

Bimend (jetzt Ze'idabäd) 4 Fars.

Slreg^an (jet2st Sa*ldabäd).

Der Name der folgenden Station ARCIOTIS, im G. Rav. ARCHEDOTIS, im Original wahrscheinlich 'Ap;faiÖTt?, erscheint wie ein iranisches Wortgebilde Haraiva'uvati ; wie in Har^» Haraiva oder in Haraqaiti, Harauvati muss auch hier ein be- deutender Strom den Anlass zur Benennung geboten haben. In der That nennen die arabischen Geographen den bei Giruft vorbeifliessenden Strom Harai-rüdh 3^j ^yb, Har4-rQdh >^j ^^yt auch D^w-rüdh i^j yi> ,Teufels- oder toller Fluss'; es heisst: ,von dem Thale Dar-feni kommt ein Strom nach Giruft, Harai genannt, welcher mit tosendem Geräusche fliesst; sein Strom- bett wird durch inmitten stehende Klippen so reissend, dass Niemand darin festen Fuss fassen kann ; er treibt zwanzig Mühlen'. Die neueren Reisenden nennen ihn (Gibbons) Ald-rüd, (Abbott) Hali-rüd, (Smith) Halll, (Floyer) Hali-ri (oder -rü); nach Abbott ist er tief und reissend, bei den Ruinen von Giruft 25 Schritte breit; die Ufer sind mit Tamariskengebüsch be- wachsen und mit Schaaren von Rebhühnern (girupti) und Sand- haselhühnern belebt. Floyer setzte über den Fluss zwischen Kahnü und Dosari; auch hier strömt er reissend dahin, 30 Yards breit, 4^/^ Fuss tief; an beiden Ufern sind Districte von Tama- risken, Weiden, Pampasgras, Schilf und Ried, belebt von Elstern, Seeraben, Reihern und zahllosen schwarzen Rebhühnern. Sein mittlerer Lauf benetzt die Landschaft Rüdbär J^^>^j (Reo- barle Marco Polo) ; das obere Stromgebiet besteht aus den Giesßbächen von Aqtä'a, Bäft, Rähbur, Särdü. Als Hauptquelle gilt der äb-i-Kharä (d. i. Harai), der nach Schindler im Berg- massiv Cehär-gumbez östlich von Sir^n entspringt und Aqtä'a an der Ostseite benetzt ; der äb-i-Bäft vereinigt sich mit dieser Flussader; der vereinigte Strom durchfliesst das Thal Derreh- pahn, dessen Axe von NW. nach SO. bis zum Ende des Hoch- gebirgs bei Giruft streicht; bei diesem Orte äiesst ihm ein paralleler Fluss rüdkhäneh-i-Sür aus der Landschaft Rähbur zu; eine dritte Flussader soll aus der Gebirgslandschaft Särdü, die bisher nur von Gibbons besucht wurde und wo sich die

Orte Hanzä und Dilfärd befinden, herkommen. Eine antike

12*

180 Tomaschek.

Spur des Harai glauben wir auch bei PtoIemaioB zu finden, der in Karmania von N. nach S. folgende Landschaften aufzählt: •Poü5iav/j (d. i. Büdhän der arabischen Geographen, jetzt Gul- näbäd und Bahrämäbäd), 'AvSriVtTtq (d. i. Äqtä'a, Aghdft süd- östlich von Slrg^än), UapavKOL^'hiq (altpers. parij ,um^ und Stadt und Landschaft Bäft) Atpai und XapaSpat (d. i. das Thal des Harai und Derreh-pahn), KaßiQBif)*/!^ (vielleicht die Gegend zwi- schen Rüdbär, Hormoz und Tärom), KavÖwv.xi^ (,Eselsbergen* d. i. die unwegsame Landschaft Be^kii*d). Wir setzen Archaeotis unbedenklich an den Hall-rü und nach Glruft d. i. nach den von Abbott entdeckten Ruinen von Sahr-i-däqianüs.

Öiruft oder Ölrafk, arab. o »^-i^^i '^ Vi^' ^^ Gebiete

Girdüs f^^^js^ gelegen (Yaqut) in beiden Namen ist viel- leicht baktr. gairi ,Berg^ enthalten, so dass Giraft aus gairi- apta ,von Bergen umgeben' bedeutete war in der arabischen Zeit eine blühende Stadt; gegen die Nordwinde durch hohe Bergketten geschützt, hatte sie ein mildes Elima^ das die Cultur des Zuckerrohrs und der Dattelpalme ermöglichte; Datteln waren hier spottbillig, der Wanderer durfte die herabgefallenen Früchte ohneweiters gemessen. Die Stadt war ein Hauptem- porium zwischen Hormoz und Seg^estän. Aus dem kühlen Berg- gebiete brachte man Walnüsse, Trauben und Obst, auch Schnee und Eis zur Erfrischung. Der grosse Ort Camadi, der zu Marco Polo's Zeit in Folge der Verwüstungen durch die Mongolen- horden ohne Bedeutung war und verödet dalag, ist eben kein anderer als Giruft; der wackere Reisende war von Karmän sieben Tage lang durch die Thalmulde von Mähän^ Rä'ln, Sarwistän, Där^in nach Bamm gezogen und gelangte zu einem Bergabhang dessen Uebersteigung unter excessiver Kälte zwei Tage in An- spruch nahm es ist das von NW, nach SO. streichende jGebirge der Kälte' g;ebel Bäriz j^U J--^ mit den Pässen von Bl^an (in Särdü) und Deh-Baqrl; ,nachdem man den Berghang überBchritten. findet man gleich im Anfange der^Ebene, welche sich in südlicher Richtung fünf Tagereisen weit ausbreitet, die verödete Stadt Camadi^ Wie haben wir diesen Namen Giruft's zu erklären? Yule (p. 116) denkt an Qamadi, At^madt, und General Schindler weist auf die Analogie von Kahn-i-medl (= qanät-i-Mubflmmedl) hin. Die heutige Benennung §ahr-i- dfiqianüB weist jedoch unstreitig darauf hin, dass gerade noch

Zur bistorischen Topographie Ton Penien. 181

vor der Zerstörung des Ortes durch die Mongolen eine syrische Christengemeinde daselbst bestand. Syrische Nachrichten be- stätigen das Dasein einer Kirche in Glruft. Ueberall, wo wir in Persien den Terminus Sahr-i-däqianüs, d. i. ,Diakonenstadt' vorfinden, müssen syrische Christen gehaust haben ; so bei den Ruinen von Beth-Läpat, pahl. Vand^-Öäpür, arab. Öundai-Säpür, in Susiana ; so auch bei den Ruinen Säd-Sahr-i-däqianüs, 4 Miles östlich von Meähed am rechten Ufer des KaSp-rüd (Mac Gre- gor n, p. 6). Die Qörängläubigen mochten zu Marco Polo's Zeit den Ruinenort Sämät-dih du»> oüli» ,Syrierdorf' benannt haben; auch nordöstlich von Slrg;än gab es einen Ort al-Sftmät, der zum Canton Qohistän gehörte. Südwärts von Öiruft kennt Idrlsl einen Rustäq Qanät al-^ftm ^l^; die Lesart ist immer- hin beachtenswerth ; doch ist zu bemerken, dass Istakhrl den^ selben Ort Qanät al-Säh aU» ,Königskanal' (jetzt Kam'asel und (jang;äbäd) schreibt. Bei Marco Polo können wir Qamadi oder nach Analogie von Serazy (Slräz) und Soncara (Sewänkärah) Samadi restituiren.

Zur Erläuterung der Distanz von XXX Parasangen = sechs Tagreisen zu 5 Farsang oder 30 V2 K^- dient folgendes arabisches Itinerar von Sirg:an (Panthienae) nach Oiruft (Ar- chaeotis): Von Slreg^än

zwei Tage nach Akhtah dü:i.\,mitPraep.bi 1^ yi'i' meist do:ri.b geschrieben, ,einem kleinen, aber durch Handel und Q-ewerbe- fleiss blühenden Orte mit Häusern aus Lehm'; also der Vorort des heutigen Bezirkes Aqtä*a, Aktä, Aghdä, "A^^^vzii; bei Ptolemaios. (Man könnte auch Bäft v^b oder Bäfed jib lesen, ,eine Stadt in Kirmän, reich an Bächen, Wiesen und Saatfeldern, an Jagd- und Weidegründen*, besucht von Gibbon's und Schindler, mit 650 Einwohnern, gelegen am äb-i-Bäft; südwärts wächst die Beneh-Pistazie , nordwärts ist das schöne Gebirgsthal Kiskün mit Walnuss- und Obsthainen und vielen Wildschweinen. Aber Gibbon' 8 zählt von Sa*idäbäd nach Bäft 80 Miles = 16 Farsang, eine zu grosse Entfernung.) ein Tag oder 6 Farsang nach

182 Tomasehek.

Ehir -*Ä. oder Ehabr »--jL, .einem Ort, wo Feldbau be- trieben wird'; d. i. Khabr, der Vorort eines südöstlich an Äktä angrenzenden Bezirkes; es kann aber auch QaPah-i-Da&täb südlich von Baft und vom äb-i-Kharä gemeint sein. Von da

ein Tag zum Köh-i-nuqrah, dem ,Bcrge der Silberminen', ^J_^»>A-• JL*ä. iL4iJ\, wo Silber und Blei gewonnen wurde; das Gebirge wurde zum System des Banz ge- rechnet, dessen höchste Erhebung Hazär-köh westlich von Ra'ln liegt. Nach Houtum-Schindler findet sich in den Cantonen von Bäft und Räh- bur Kupfer und Eisen; reich ist der Ort 6ö- warün an Blei. Gibbons besuchte den Ort Serefiln oder Sereb-khän, dessen Name (arab. qU^ = pers. <^j^) an Bleigewinnung er- innert; die Bleierze mögen etwas Silber ent- halten haben. Dann

ein Tag nach Dar-fenl, -bänl ^^b oder ^^li ^^ (Var. bei Ibn Hauqal Dar- i-fSsirid >jli j>) d. i. Dar-pahnl ^^^^ j> ,Thor der Breite' oder Dar-pahln ^^x^. j> ,das breite Thor', bei Schindler I)erreh-i-pahn »das breite Thal', ein Thalgelände reich an Obst und Saat- feldern mit zahlreichen Ansiedelungen, die Grenzschcide des kalten Klimas im NW. und N. und des wärmeren gegen SO. und S. nach Ölruft hin. Schindler erwähnt die Thalenge Tang-i-Süräb und die Gaue Mehni und Isfan- deqeh. Von da

ein Tag nach Öiruft. Summe 102 arabische Meilen = 34 leichte Farsakh.

7.

V

Weg von Giruft zum MaSkid in Baludistän.

Die Fortsetzung der eben besprochenen Route lautet in der Tabula nach den annehmbarsten Lesungen:

Zur historischen Topographie von Persien. 183

ARCH AEOTIS XX

CAVMATIS X

ARADARVM XX

P AR ADENE XX

BESTIA DESOLATA XX

RAN A.

Statt Paradene hat die Tabula TAZARENE; die Cor- rectur ergibt sich zunächst aus der Lesart des RaTennaten PARAZENE^ dann aus dem Vorkommen des Namens ITapa- hjyi bei Ptolemaios. Für Bestia desolata, d. i. Bv^crria i^ epvjfjLO^ des griechischen Originals lesen wir in der Tabula Bestia de- selutia, beim G. Rav. gar Bestigia daselenga. Im vorhinein sei auch bemerkt^ dass wir eine geraume Strecke hinter Qiruft ein Terrain betreten, das eine wahre terra incognita bildet; erat weiter im Osten gelangen wir in ein Gebiet, welches von Seiten der englischen Grenzcommission in ausgiebiger Weise durchforscht worden ist.

Wir wissen noch nicht, wohin sich die beträchtlichen SüsBwassermassen sowohl des Hali-rl, wie auch des Bampür-rüd im persischen Balüöistän ergiessen. Floyer's Vermuthung, wo- nach beide Ströme mit den zur Küste abfliessenden, nicht un-

y _

bedeutenden Flussläufen des Gagin, Gabrig, Sadaiö und Rap6 in irgend einer Verbindung stehen sollen, halten wir bis auf Weiteres für unsicher. Vielmehr erinnern wir an die von Abbott erkundete Nachricht, dass der Hall-rl nach seiner Bie- gung bei Kahnü in der Landschaft Rüdbär sich gegen OSO. wende, die Ebene Gez-möriyän durchfliesse und endlich, dem Laufe des Bampür-rüd entgegengekehrt, sich im Sande verliere ; sowie an Gasteiger's Versicherung, dass der Fluss von Bampür nach einem constanten, das Jahr hindurch in gleicher Wasser- menge sich haltenden Laufe 7 Farsang westwärts von der Stadt als echter Steppenfluss spurlos in die Erde sich verliere. Floyer meint, es sei nicht möglich, dass zwei so beträchtliche SüBswasseradern so nahe einander sich verlieren sollten, ohne

184 Tomaieliel:.

eine grosse Area eines fruchtbaren, morastigen Grrundes her- vorgebracht zu haben. Ein solches Marschland ist aber wirk- lich vorhanden! Floyer hat Bampür von Süden her besucht und bekam nur Sandwüste und dünenreiche Steppe zu sehen; er selbst erfuhr jedoch von der Existenz eines ebenen , wohl- bewässerten und daher auch fruchtbaren und bevölkerten Ge- bietes Namens Sahn, das sich nördlich von den schwer zu- gänglichen Be§äkird-Bergen, und zwar am Fusse des nördlichsten Bergzuges Köh-i-Marz ausdehnt und allem Anscheine nach von dem Unterlaufe des Hali-rl durchzogen wird. Dann haben wir an Gasteiger einen Augenzeugen dafür, dass sich westwärts von Bampür gegenwärtig zwar unbewohnte, aber mit vorzüg- lichem Humusboden ausgestattete Urwaldflächen dahinziehen, die, je weiter man gegen Rüdbär fortschreitet, immer mehr durchfeuchtet sind und ein ,herrliches, jungfräuliches, höchst üppiges Terrain' darstellen, das leicht urbar gemacht werden kann; in Tiefen von 2 bis 10"^ werden überall constante Wassermassen erreicht; stellenweise geben auch Regenteiche ausreichende Wassermengen. Ueberall treten dort Reste alter Wasserleitungen und Brunnen, Spuren ehemaliger Plantagen und Ansiedelungen zu Tage. Kann ein Zweifel daran bestehen, dass wir das Marschland des Harai-rüd vor uns haben ? Dürfen wir uns für die älteren Zeiten die heutigen Urwaldlandschaften Rüdbär s nicht etwa von einer gangbaren Strasse mit Ansie- delungen, Haltorten und Cidturstrecken durchzogen denken? Der Weg von Giruft nach Bampür über die Rüdbär-Ebene ist jedenfalls kürzer als jener über Bamm und Rigän, welcher heutzutage begangen wird. In NarmäSir oder selbst in dem östlichen Theile der Rüdbär-Ebene stand vielleicht üapcrlg jjlt,- -cp&Kokiq^ die uns Ptolemaios als Vorort der Hopat^at im Gebiete üapiaiTjVi^ anführt; hier oder dort war eine uralte Stätte, ein Durchgangsgebiet der Pär9a. H. Kiepert (Alte Geogr. §. 67, No. 2) spricht die Ansicht aus, dass die arische Eroberung Persiens nicht über Medien, sondern direct aus Ost-Ariana auf dem Wege südlich von der grossen Wüste (und über Seistän) erfolgt sei.

SpärMche Nachrichten über den östlichen Theil Rudbär's bieten die arabischen Geographen. ,Nördlich von den Bolus und dem Berglande der Qof§ (Be&äkird) erstreckt sich das

Zur historuclien Topograpbie tod Penien. 185

ebene und heisse Gebiet Rüdhebär j^JjJ? sowie das ^auInah QöhisUn Äbi-Ghänim ^U ^^\ ^^ILLa^ i^^*-, reich an Wasser- rinnsalen und Palmenpflanzungen, mit einem Vorort, in dessen Mitte sich die Citadelle und Hauptmoschee befindet/ Ohne Zweifel lag dieser Vorort in der Nähe des unteren Hall-rü; die Benennung Köhistän lässt vermuthen, dass Bergausläufer von der Kette des g;ebel Bäriz im Norden oder auch vom Köh- i-)Iarz des südlichen Beääkird-Landes das Strombett einengten. Wir erwarten diesen Ort in Muqaddasl's Itinerar von Rigän in Narmäsir nach Hormöz erwähnt zu finden ; die meist verschol- lenen Haltstationen lauten jedoch: Rigän ein Tag Mokhkän ein Tag Tib ein Tag Maröghän ein Tag Bäs ö öägln ein Tag Harük ein Tag Qasr Mahdiy ein, Tag Hormöz. Diese Lücke wird ersetzt durch ein Itinerar, welches Evans Smith erkundet hat und das den heutigen Bestand Köhistän's bezeugt (Eastern Persia I, p. 236 n.) : Kahnü 5 Fars. Blianäbäd 10 Fars. Köhi- stän 8 Fars. Toghän 6 Fars. Md-i-Farhäd 8 Fars. Deh An- darün 5 Fars. Rüd Kunär-näi 8 Fars. Rigan. Die letzteren Stationen wurden von Gasteiger begangen; die ,Säule des Farhad' ist ein gigantischer Monolith in Bimform, kahl und un- zugänglich, umgeben von den vulkanisch zerklüfteten bäh-sowä- rän-Bergen. Südlicher liegt die Station DeiTeh, wo bereits Ebene beginnt. Verbinden wir Smith's Itinerar, soweit es in den Bereich des HalM-Bettes filUt, mit den Stationen, welche Gasteiger in der Rüdbär-Ebene bis Bampür und Pahrah an- fiihrt, 80 erhalten wir eine fortlaufende Kette von Haltorten auf durchaus ebenem und durchfeuchteten Boden : Glruft oder §ahr-i-daqianüs

20 MUes = 5 Fars. Dosärl

22 Miles = 5 Fars. Biianäbäd

55 Miles = 10 Fars. Köhistän (Smith's Toghän und Gasteiger's Derreh liegen nordöstlich in der Richtung der Ferhäd-Säule ; wir ziehen näher an den Marschen fort, wobei wir den Farsang auf 7000" abschätzen) 4372 Miles = 10 Fars. (über die von Gasteiger angeführten Stationen Benk und Gumbed nach)

186 Tomascbek.

Ledir (wo die durchfeuchtete, vegetationsreiche Rüdbär- Ebene aufhört; wir nähern uns nunmehr dem Laufe des BampOr-Flusses) 74 Miles = 18 Fars. (über Kalanzuhör, einen alten Ort mit verfallenen Wasserleitungen ; Cäh-i-sür, eine Quelle bitteren Wassers mitten in tiefem Gehölz; Küöeh-gerdän , einen kleinen Ort mit Spuren der Vorzeit; dann über Sanddünen, mit Tamarisken bewachsen, nach) BanpOr (j>^^ Muqaddasi, j^^. Gihän-numä ; ein elender Ort mit Lehmfestung und 100 Strohhütten, wahren Misthaufen; Dattelpflanzungen, Anbau von Getreide und Mais, Zucht von Kameelen, Schafen und Hornvieh) 13 Miles = 2 Fars. Pahrah (Festung mit 120 Häusern und grossem Palmen- hain [Eastern Persia I, p. 213] ; Gasteiger rühmt die enorme Fruchtbarkeit des Bodens und den im Verhältniss zu Banpür, der 3&uptfi^<^^' von persisch Balüöistän, blühenden Zustand Fahra's; Anbau von Hülsenfrüchten etc.). CAVMATIS, KauixoTi^, der Tabula fällt wahrscheinlich mit Köhistän zusammen; der Name findet in griech. xau|jLa genügende Erklärung; doch könnte auch an ein iranisches Humata ,wohl gegründet' oder an Haomavaiit ,mit Haoma versehen* gedacht werden; der Anklang an arab. tJaumah , Stadtgebiet, Territorium' ist gewiss nur zufällig. ARADA- RVM, 'ApaBapov, ist nacfh dem Haltorte Ladir, Ladi, wo sich jetzt nur ein Ziehbrunnen zwischen dichtem Gestrüpp befindet, zu setzen ; Yaqut's Lädar ^S"^ ,eine Stadt in Makrän, drei Tag- reisen von der Grenze Se^estän's entfernt' ist wahrscheinlich j^V^ zu lesen und nach Sarhad zu versetzen. PARADEN E, riapaBrj^, eigentlich Landschaftsname, der seine Entstehung dem drawidischen Volke Pärada (Lassen II, p. 552; I, p. 1028) ver- dankt, halten wir für das heutige Pahrah »j4^., bei Yaqut a^, bei Muqaddasi iy^i J^ Fahl-fahrah geschrieben ; aus Pärada konnte durch die Mittelformen Pärahä, Päharä der neuere Name entstehen. Ilcupa des Alexanderzuges, die Hauptstadt Gadrosia's, wird gewöhnlich nach Ban-pür gesetzt. Die arabischen Geographen

I

Zur historischen Topog;nphie Ton Penien. 187

fliliren als Hauptstadt von Makrän Panöa-pOra (arab. Banna^- bür, Fanna^-bür, Fannaz-bür) an, d. h. das heutige^ viöl weiter im Osten gelegene Pan^gür oder Pan^hür. Sollte Alexandros nach mannigfachen Umwegen entlang der Küste so weit nach Nordost gekommen sein? Sollte er nach einem Marsche von 60 Tagen den im kühleren, niederschlagsreicheren Gebiet ge- legenen Ort Pang;gar erreicht haben ? Stephanos von Byzantion, der in seinem topographischen Wörterbuch mitunter sehr schätz- bare Fragmente und Notizen aus verloren gegangenen griechi- schen Geographen bewahrt hat^ bietet in seinem Artikel 'AXe- ;f^Bp£ta hinter der zwölften Gründung dieses Namens, die nach Arachosia und dem heutigen Kandahar fällt, den Passus: TpiqtaiBsxiTTj ev Maxopr^vij, i^v ^rapappei TCorafJibq Mo^aTirjq. MoexapiQVi^ ist nicht in MacapiQVY^ zu verändern, sondern der alte Name von Makrän; 'AXs^avJpeia dürfte der macedonische Name für das indo-gadrosische Püra sein; der Fluss Macdrr^i; ist der Mak^id des Öihän-numä und der Maskid unserer Karten. Er entspringt in Sarhad oder der kalten Gebirgsregion , fliesst zuerst gegen SO., macht im District KalpOrakän und dort, wo sich der von Pan^gür kommende Rakhsan mit ihm vereinigt, eine Biegung g:egen NNW. und verliert sich, nachdem er die Palmenhaine von uälq irrigirt hat, im Röhricht und Wüstensand ; der Ver- einigung mit dem Zarreh-Sumpf und dem Hirmend scheinen Querriegel von Sanddünen und Hügelketten im Wege zu stehen. Das Buch Gihän-numä sagt, der Maskid fliesse zwischen Pang;-

V

pur und Gälq dahin und verbinde sich mit dem Nihang, der dem Oeean zuströmt ! Was das Alter des Namens Makrän betriflft, so ist zu beachten, dass in dem Bvhat-saflhitä des Va- räha-mihira unter den Nachbarvölkern Indiens im Westen ausser den Arava ("Apßici), Ramatha (*Pa[ji.va'.), Pftrata (üapaSai), Pära- 9ava (UipcoLi) und ^^dra (iluSpoi) auch noch die Mäkara auf- gezählt werden (vergl. Joum. of the royal Asiatic society, new ser., V, p. 84) ; dieses drawidische Volk bewohnte ohne Zweifel den District Pang^gür und die Zuflüsse des Maäkid. Für pers. Makrän begegnen auch die älteren Formen Mäkurän (Nöldeke, Tabari S. 18), Mukkarän, sowie neben Maxsei auch Muxot ge- 5<chrieben wird. Wenn hie imd da (z. B. in der armenischen Geographie des Moses von Khorni) Kuran und Makuran'neben einander als persische Provinzen aufgezählt werden, so ent-

188 Tomaschek.

behrt der erste Name aller Realität und verhält sich zum zweiten wie Livt^ zu Balü^, Gog zu Magog, Zäbul zu Kabul u. dgl.

Mag nun Püra nach Pangpür oder nach Banpür fallen, 80 viel ist sicher, dass Alexander von da an keinen andern Weg gezogen ist, als den uns die Tabula beschreibt. Erst in Archaeotis (Giruft) hielt der Eroberer wiederum längere Rast und hier war es wohl, wo sich Krateros mit seinem Invaliden- heere dem Könige anschloss. Nearchos war indess in 'Appislleia gelandet; der Ort, wo um Mitte December 325 Nearchos den König traf, wird mit 6i<; SaXfjLoDvra bezeichnet; er lag fUnf Tage nördlich von Harmozeia; iranisch hiess er wohl Qarmavaüt, vergL neupers. sarmah, salmah (Vullers 11, p. 285, 318) ,eine stacheliche Pflanze, welche gut nährt'. Nach Evan Smith (Eastem Persial, p. 234) wächst diese Pflanze in der ganzen Ebene des Rüdkhäne-Flusses (vergl. arab. o^^Ji; Rüdhekän, erste Sta- tion von WaläSgird auf dem Wege nach Hormöz) bis Gulä§kird hinauf; dieser letztgenannte Ort (arab. Walä§gird >j^^^j 5 Sta- tionen von Hormöz, genannt nach einem parthischen Regulus WaläS, BaläS, Guläl) ist SaXfxoö;. Alexandres war also von Archaeotis drei Tage lang südwärts gezogen und hielt sich in dem heutigen, an einem Strassenknotenpunkt gelegenen Guläs- kird auf; vielleicht nannte er diesen wichtigen Ort 'AXe^ivBpeta; denn ungefähr diese Lage besitzt die von Ptolemaios in Karmän angesetzte Stadt 'AXeSavSpeta. Von Salmus-Alexandria zog er dann auf der Tärom-Route nach Pasargadae (Pasä) und Per- sepolis; der Weg führt durch ein breites, palmenreiches Thal zwischen hohen Gebirgszügen und enthält den balük Far- ghünät (vergl. Farghänah bei Yaqut ) ; die arabischen Geographen nennen bis Tärom fUnf blühende Ortschaften Sürqän, Marzqftn, &iraqän, Kaltistän und Rö*ln, die jetzt wahrscheinlich ver- fallen sind.

Dem Alexanderzuge verdanken wir auch die ersten Nach- richten über die mineralischen Schätze Karmftn's. Onesikritos berichtet (Strabon p. 726): ,Ein Fluss in Karmania führt Gold- sand mit sich. Auch gibt es im Lande Bergwerke auf Silber, Kupfer und Zinnober. Ein Berg enthält Arsenik, ein anderer besteht ganz aus Salz.' Aus derselben Quelle stammt des Pli- nius Notiz : ,Flumen Carmaniae HYCTANIS portuosum et auro fertile;' ,in Carmania aeris et fern metalla et arrhenici ac mini

Zar historisch«!! Topographie ron Persion. 189

exercentur^ Der Steinsalzberg liegt zwischen A^niedl und Urdü auf der Tfirom-Route, auf Gypsboden (vergl. die Be- schreibung Houtum-Schindler's , Berliner Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde 1881, S. 341). Die Silberbergwerke im Thale Darrah- pahn haben wii* bereits kennen gelernt; die arabischen Geo- ^phen fugen hinzu, dass das Gebirge Bäriz, welches trotz de8 kalten Klimas fruchtbarer und reicher an Vegetation sei alß die Qofsgebirge, ausgiebige Eisenminen besitze. Die Kunde von diesen Silber- und Eisenschätzen erhielten die Griechen in Archaeotis. In Paradene wurden sie von der Kupfer- und Zinnobergewinnung Sarhad's untemchtet. Nur hinsichtlich des Arseniks fehlen noch speciellere Belege.

Ausführlicher sind die arabischen Berichte über Karm&n ; wir wollen nur jene näher betrachten, welche die Berggebiete nördlich und südhch von Rüdbär betreffen. .Das von Rüdbfir bis hinab zur Meeresküste sich erstreckende Gebiet der Qof^ ,>iAj (pers. Köö ^^, Köfeg J^) umfasst sieben Bergzüge, deren Gelände reich sind an allerhand Froducten, namentlich an Dattel- palmen ; es ist das ein von Natur aus wohlbefestigtes, unzugäng- liches und rauhes Gebiet. Die Einwohner sind schlank und hoch gewachsen, ohne Fleischentwicklung, von schwarzbrauner Haut- farbe. Sie nennen sich Araber, gekommen aus Yaman und 'Oman; sie haben aber in ihrer Lebensweise mehr Aehnlich- keit mit den Kurden, es sind wilde Montagnards. Ihre Sprache ist nicht die arabische, es ist eine Sprache für sich. In ihren Bergen sieht man weder Feuertempel noch Moscheen, weder Synagogen noch Kirchen. Sie bezeugen zwar Ehrfiircht dem 'All, doch ist dieses GefUhl nm* äusserlich, von den Priestern der benachbarten Gläubigen angelernt. Sie haben, wie Rohnl laus Rohnah dJJb^ d. i., To-yava, TwYflEvr; an der Küste Karmftn's) bezeugt, keine Religion: nur von Idolen aus Stein und Holz, die sie gleich den Sabiern t^güt benennen, hegen sie aber- gläubische Furcht. In dem Herzen dieser Wilden hat kein echt menschliches Gefühl Platz, selbst Lachen und Weinen ist ihnen fremd. Jeder der sieben Bergeantone hat sein Ober- haupt. Sie fürchten Niemand, nur die Balüöen sind ihnen überlegen. Westwärts von den Qof? an den Abhängen der Grenzgebirge von Färs und Karmän bis hinab in die Ebenen von Hormöz, Manü|;än und Maghün (zwischen Hormöz und

190 Tom»8chek.

Giraft; Manuln hat Floyer besucht) wohnen die Balüö ^^ oder B0IÜ9 ,>»>ii ; gleich den Beduinen und Kurden hausen sie unter Zelten aus Ziegenhaaren und besitzen grosse Viehheerden: ihre Macht ist nicht gering, sie werden selbst von den Qofs gefürchtet; aber ihre Sitten sind weit milder, sie machen die Wege nicht unsicher, die Karawanen haben von ihnen nichts zu fürchten. Sie waren vormals Magier, reden die persische Sprache imd haben sich der arabischen Herrschaft gefügt.*

Jene Qofs oder Kusiten sind jedenfalls die Bewohner der Landschaft Besäkird, welche erst in unseren Tagen durch Emest Floyer (Unexplored Balüchistän, London 1882, pp. 508) erforscht worden ist. Floyer zählt nur sechs Cantone auf: Daroser im Centrum mit der Stadt Anguhrän, März im N., Gangdä im W., Pizgh im S., Parmint im SO., Gawr im NO.; vielleicht rechneten die Araber das Küstengebiet von Ras al- köh als siebenten Canton dazu. Besäkird ist so überaus ge- birgig, dass keine Thiere ausser den einheimischen Eseln zum Lasttragen dort verw^endet werden können (vergl. r, Kav6ü)vtxT5 bei Ptolemaios) ; die Wege sind schwierig und unbenutzt, den Um- wohnern ist der Zutritt in 's Land von Natur aus fast versperrt; Die kahlen Felsen enthalten Eisen und Blei und haben in Folge der Oxydation die bunteste Färbung; sie sind belebt mit Bergschafen, Steinböcken, Bären und Stachelschweinen. In den schmalen Thälem gedeihen auf dem feinen Detritus der Gebirgsbäche prachtvolle Palmen, Weiden, Granatbäume, Feigen und Agrumi, Baumwolle, Weizen, Mais; auf den Bergen aro- matische Sträucher und Tragant. Die Bevölkening zählt nur 2000 Seelen. Die Urbevölkerung repräsentiren die Sclaven dunkelfarbige Individuen mit straffem schwarzem Haar. Die Herren sind von persischem und balücischem Geblüt. Die Oan- tonvorsteher gehorchen dem Sultan von Anguhrän; die persi- sche Regierung hat oft Steuern einzutreiben versucht, wegen der geschützten Lage des Berglandes ohne Erfolg. Interessant ist noch die Angabe, dass die Leute vor den Bären (makr. hirS = neupers. khirs, ming^. yers, sign. yurS, baktr. aresa) wie vor Dämonen abergläubischen Respect hegen (S. 176. 224). Wir haben in den geknechteten Basäkardi's einen Zweig der Atö{o^£<; [tOutpe/e^ (Herodotos VII, 70) vor uns; stammver- wandt war das Volk der Maxai (neupers. sjXi Mag) im östlichen

Zur historischen Topographie ron Persien. 191

Arabien oder *Omän, femer der mit den ütiem zu einem Steuerbezirke vereinigte Stamm der M6xoi (Herodotos HI, 93; Vn, 68), das obengenannte Volk Mäkara und alle übrigen Be- wohner Gadrosia'e: sie Alle repräsentiren eine den indiBchen Dravi4a'8 homogene autochthone Bevölkerung. Eine Spur der Badäkardi'B finden wir auch bei den Schriftstellern des Alexanderzuges. Onesikritos (Strabon p. 727) berichtet von einem karmanischen Stamme, der sich; aus Mangel an Pferden, meist der Esel, selbst zum Kriege, bediene; auch dem einzigen Gotte, den sie verehren, dem Ares, werden Esel geopfert. Es herrschen dort mehrere Könige; der König, dem die meisten Schädel erschlagener Feinde zugebracht werden, ist der ange- sehenste; Niemand darf heiraten, bevor er seinem Könige nicht eine solche Trophäe gebracht hat. Diese Schilderung passt nicht auf die persische Bevölkerung Karmän's, sondern nur auf eine inferiore Race, die in wilder Unabhängigkeit im Gebirge dahin- lebte. — Die Balüöen dagegen sind eranischer Abkunft, wahr- scheinlich die Nachkommen der OSrcoi oder Yutiya im östUchen Färs; sie wurden auch Zott und Gut cUä- genannt. Sie haben die drawidische Bevölkerurg Makrän's in die Gebirge zurück- gedrängt; die von Trumpp untersuchte Sprache der Brähül ist der letzte Ueberrest des drawidischen Sprachelementes in Eran. Um die übrigen Stationen der Tabula richtig anzusetzen, schlagen wir den von Gasteiger beschriebenen Weg von Pahrah zum Malkid-Flusse ein: Pahrah

20 Miles = 5 Fars. (durch ein enges Thal mit Giessbach und Ortschaften mit Palmenhainen nach) Damani (einem elenden Dorfe mit Schlossruine; dann) 20 Miles = 5 Fars. (durch enge Felsthalgewinde, tiefe Querthäler mit trockenen Rinnsalen, und wieder über steile Bergrücken nach) Erendagän (einem Dorfe mitten in einem grossen Palmen- walde; gutes Trinkwasser; dann) 32 Miles = 8 Fars. (nach steilem Aufstieg folgt eine üppig mit Gras bewachsene und mit gro- tesken Bergpyramiden begrenzte Hochebene; gute Wasserquelle; dann eine Anhöhe und eine

192 ToBftvckek.

zweite Hochebene; zuletzt wüstenartige Strecken mit hartem Boden, woranf viel Wild sich herom- tammelt: nach)

KhA^ (einem zerstörten Fort mit Ueberresten von Wasser- leitungen; Strecken höchst frachtbaren Bodent$; nordwärts unzählige Anhöhen vulkanischen Ur- sprungs; das Haupt des Köh-i-taf)&n ist in dichte Dünste gehüllt; von Khfts) 20 Miles = 5 Fars. (über unangebaute Strecken mit fettestem Humus ohne ein Steinchen, dann hoch- gelegene Ebenen, die hie und da mit Salz- efflorescenzen bedeckt sind , umrandet von einem Panorama monströs geformter Anhöhen, nach)

Güfit. GhwaSt oder 'WaSt (einem alten, verfallenen Orte mit Citadelle und einem grossen Palmenhaine, der vor den Nordwinden durch steile Berg- wände geschützt wird; von da sind etwa) 28 Miles = 7 Fars. (über steile Bergrücken und enge, gravelreiche Thalschluchten, dann über dürre Hochsteppen, welche von kalten Nord- winden bestrichen werden, nach)

NähQ (einem in dichten Palmenhainen versteckten Dorfe; dann) 28 Miles = 7 Fars. (über mehrere Bergrücken, die zum System des Siyäneh-köh gehören, und da- zwischen liegende Thalkessel ohne alle Vege- tation bis zum Ausgang der (xebirgsgegend bei »

(3alq (einem vormals blühenden Orte mit einer CStadelle und 400 Familien in sechs dicht herum angeleg- ten Ortschaften, welche in der 2 Miles langen Ravine zwischen dem Gebir^ und der Wüste eingekeilt sind; alte Grabpagoden und vier zer- störte Forts auf den Anhöhen; zwei kahrize versorgen die Ansiedelungen. Palmenplantagen und Weizen- und Gerstenfelder reichlich mit Wasser: dann etwa> 24 Miles = 6 Fars. über ,nudelbrettartiges Terrain^ nach")

Zur historischen Topographie ron Persien. 193

MaSkid (dem äussersten Orenzposten Persiens gegen das zu Kelät gerechnete^ aber ziemlich unabhängige Gebiet von Kh&rän. Hinter Ma&kid ist ein 4 Farsang weit ausgedehnter, partienweise ange- pflanzter Palmenhain; Eigenthum der Gebirgs- balQöen, zur Zeit der Lese Anziehungspunkt der Raubgesellen von Ehärän; bis Ehärän sind von Maskid 12 Tagreisen, wohl übertrieben. Qliver S. John berichtet Eastem Persia I, p. 63: ^twa 20 Miles nordöstlich von Öftlq ist eii^ ausgedehntes Marschland, in welchem sich die Wintergewässer von den umliegenden Bergen, nachdem sie gewaltige Massen Detritus abge- lagert, sammeln; das Marschland heisst Deh- gwär; an dessen Südende liegen die zwei Dörfer Ladgast und Kalag. Ungeheure Palmen- pflanzungen bedecken dieses sumpfige Gebiet in seiner ganzen Ausdehnung; in den EIrtrag desselben theilen sich die Tribus aus Pang^gär und Khärän, wie die von Gälq und Kalagän. Einen Tagmarsch hinter dem Marschland fliesst trägen Laufs der Maskid, um sich weiterhin im Norden zu verlieren'). Zunächst muss uns die Aehnlichkeit der Namen Bv]<ma und Ghwast auffallen. Im Balüöi entspricht persischem b (häufig = alt^ran. v) im Anlaut regelmässig ghw, V; ein alt^ranisches Wortva§tiya(= eo-rfa, Ansiedelung'?) scheint dem antiken Namen ^rjpiiayrie dem modernen GhwaSt zugrunde zu liegen; der Beisatz Ti ipr^fxo^ deutet auf zeitweilige Verödung schon im Alterthum. RANA muss an dem Maekidflusse, der bei Pottinger auch den Namen Budur führt, gelegen haben; am besten entsprechen die alten Ruinen von Rlgän, welche Pottinger am 11. April 1810 erreicht hat. Das Wort Rana sieht aus wie eine präkritische Bildung aus rä^ana ,Herrensitz^ Mit den Distanzen kommen wir allerdings zu kurz; vielleicht ist in den Stationen eine Störung eingetreten, die sich auch darin bekundet, dass Rana zweimal erscheint (Bestia * XX Rana XX Bautema, und nochmals Bestia ' XX ' Rana * X * Alcon im Anschluss an das indische Küstenitinerar). Wir vermissen in der Tabula ungern

Sitzuipber. d. pliil.-hist. Cl. CIL Bd. I. flft. 13

194 Tomaschek.

die grosse Station Qalq. Sollte vielleicht folgende Fassung die ursprüngliche sein: Bestia * X * Alcon * XX * Rana? Dann böte sich für ALCON (laXx^v) die Gleichstellung mit Gälq und für RANA (Tdcva ö. Rav.) die Lage der Hauptstadt Pan- öapüra. Das ganze Gebiet bevölkert in der Tabula das Volk der CEDROSIANI, K£8pto)ciavo{; die Schreibweise KcBpwcta für raSpüKTia, mit Anklang an xsSpo^ (doch vergl. sur. kadru ybraun- gelb* mit Bezug auf die Hautfarbe der Dravi^a's?), war zur Zeit der Seleukiden übUch. Von Rana,. mag dieses nun Rigän oder Pan^gür bedeuten^ sind nur * XX * Parasangeii nach Bautema, dessen Gleichheit mit Qozdär sich später ergeben wird, verzeichnet ein grosser Irrthum! Die Distanz vom Maikid nach Qozdär ist wenigstens auf * L * Parasangen abzu- schätzen.

Die Existenz einer alten Karawanenstrasse von Qozdär über äälq nach Giruft wird von Muqaddasi bezeugt*, er nennt mit aus- gedehnten Distanzen^ deren Controle für uns schwierig, hinter Qoz- dar zuerst die 50 Farsakh entfernte Station Ma^skl, dann Gälq, dann Khwä^ (=r Kbää)^ dann Saräi-sahr, dann Nähr Sulaimän, dann eine Station zweifelhafter Lesung, endlich Giruft; unter den Ortschaften Makrän's nennt er ausser Gälq ^l^ oder Gälk s^l^ wiederum Khwäi ,Jo\^y femer Damindän ^^\jju>. Oralq liegt nach dem Gihän-numä von Dizek drei Tage, von Pang- pür vier, von Kig; acht, von Qandahär zehn Tage entfernt, lieber Khä§ gibt Istakhri interessante Nachrichten: ,Da8 Gebiet der Qof^ erstreckt sich nordwärts bis Akhwäs t^\yL\ oder Khowäs ^\y^; dieser Strich wird von Einigen zu Se^estän ge- rechnet, wir setzen ihn jedoch an die äusserste Grenze von Karmän. Um Khwäs ist der Ei*dboden hai*t und imfruchtbar wie in der Wüste. Die Bewohner leben wie die Beduinen, haben Kameele und Weideplätze und wohnen in Hütten aus Rohr. Sie besitzen auch weitläufige Palmenpflanzungen und gewinnen aus Rohr Mehlzucker oder fänidh (=r skr., phäqiita pers. «x^l^ pänid), den man nach Zarang und andere Gegen- den Khuräsän's ausführte Ungeklärter Mehlzucker war über- haupt ein Haupterzeugniss der meisten Culturoasen Makrän's; namentlich wird in dieser Hinsicht der Ort Maski ^ <" -•>- '^i 50 Fars. von Qozdär, hervorgehoben; es war dies ein Canton an der äussersten Grenze von Karmän, der sich drei Tagreisen

Zur historischen Topographie von Persien. 195

weit hinzogt reichliche IrrigationBadern besass und ausser seinen Zuckerrohrplantagen ausgedehnte Palmenhaine umfasste; zudem wurden hier auch alle Früchte der kühleren Gegenden gewonnen. Dürfen wir Maskidh Jca5u^ lesen und diesen Canton an die Ostseite von KhwaS, an den Unterlauf des MaSkid- Flusses versetzen, wo er sich mühsam Bahn bricht durch Röhricht und Marschland, um im Wüstensand spurlos zu verrinnen?

Ueber das eigentliche Sarhad-Gebiet und die Region von Bäzmän schweigen die älteren Quellen ; nur dass im Bundehisn, sowie bei Yaqut (nach Ibn Faqih) eine Notiz über den vulka- nischen Schlund von Damindän sich vorfindet; der aus dem Schlund aufsteigende Dampf setzt an den Wänden nös-ädher ,8al ammoniacum^ ab; dort sollen sich auch Gold-, Silber-, Kupfer- und Galmeiminen vorfinden; Ibn Faqih nennt den Berg Dunbäwend, mit dem irrigen Zusatz, derselbe sei nur 7 Farsang von Gwäslr (Kirmän) entfernt. Sarhad schildert uns der Perser Mirzä Mehdiy-Khän (nach Houtum-Schindler's Uebersetzung, Joum. of the royal Asiatic soc, 1877, p. 147 seq.) folgendermassen : , Dieser kühle District wird in der Axe von NW. nach SO. von einer hohen Gebirgskette durchzogen, deren Gipfel allezeit mit Schnee bedeckt sind; sie ist 80 Miles lang und wird Köh-i-gögird ^Schwefelgebirge' genannt; nach W. fliesst der Bach von Näzil ab, nach O. der Fluss von Sen- güyeh. Das Gebiet erzeugt: Datteln, Feigen, Weintrauben, Granatäpfel (ohne Kerne), Orangen und Limonen, Maulbeeren, Birnen, Aepfel, Pfirsiche, Aprikosen, Pflaumen, Wallnüsse, Kunär (zizyphus iuiuba), Sangid (elaeagnus angustifolia), Beneh (pista- eia mutica), Arzen (amygdalus silvestris) ; aus einem dem Kameel- dorn ähnlichen Kraute wird Serbet bereitet. Das Klima ist kühl, nur an den Rändern und in den Thalkesseln heri'scht im Sommer grosse Hitze, in Gälq z. B. sieht man die Gazellen ermattet da- liegen. Man zählt dort 1 430 Familien (zwei Drittel Balüöen, ein Drittel Perser). Orte: Näzil, Deh-i-päin, Deh-i-bälä, Gezüyeh, Lädez (vergl. Yaqut y'^),TamTn,Khäs, Güseh, Sengüyeh ; alle sind mit Wasser versorgt, man zählt 73 Kahrize, wovon 32 in gutem Zustande. Mitten im Gebirge ist ein Krater, aus welchem stets Rauch aufsteigt; dort wird nauSädir mit langen Spaten heraus- gegraben; an den Abhängen hegen dicke Schwefelschichten;

auch Zinnober soll dort gefunden werden. Zwei Erdarten, eine

13»

196 Tomftscliek.

roihe und eme schwarze, werden zum Färben verwendet. Ver- fallene Bleigmben liegen 10 Miles vom Krater; verlassene Gruben sind auch in Mür-plö und anderen Bergen. Auf dem Eöh-i-khun^ befindet sich eine Höhle, worin uralte Töpfe ge- fanden werden, ebenso Mftozen aus alten Zeiten.' Die engli- sche Grenzcommission erblickte östlich von Banpür den Kegel IKghzär-köh (11000') oder Köh-i-Bäzmän und weit im Hinter- grunde gegen O. den vulkanischen Köh-i-nauSäder (circa 14000'), den wir aus Pottinger's Beschreibung (p. 255. 312 20. April 1810) kennen. Pottinger fügt hinzu^ in Sarhad gebe es auch Naphta, Eisen, Kupfer und andere Metalle würden dort exploitirt. Aehnliche Nachrichten erhielten, wie bemerkt, schon die wissen- schaftlichen Begleiter Alexander» in Paradene (Pahra).

Um unsere Vermuthung, dass zwischen Rana und Bau- tema eine Distanz von etwa ' L * Parasangen angenommen werden müsse und dass Bautema mit Qozdär zusammenfalle, zu begründen, schlagen wir den umgekehrten Weg aus Indien ein und beginnen das Itinerar am Endpunkte^ Bucephala im Pan^b.

\

8. Weg aus dem Pangab Bum Maikid-Flusse.

Indem wir gegen Ende für * XX die richtigere Zahl L in den Text setzen, erhalten wir aus der Tabula folgendes Routier:

ALEXANDRIA BVCEPHALOS

XX ARNI

XX PILEIAM

XX ORA (G. Räv. HORA)

•XV- PHARA

XX OCHIREA (G. Rav. ACHIREA) •XVI

Zar hiftorlschen Top«ffr*plue tod Penien. ] 97

COTRICA (G.Rav. ALEXANDRIA)

•XX.

B AVTERNA

•L- RANA

In der indiBchen Wegstrecke können wir uns kurz fassen. Die Untersuchungen AI. Cunningham's (The ancient geography of India, London 1871 p. 159 190) wiesen bis zur Evidenz nach, dass Bouxif aXo^ 'AXe^GcvSpeux an Stelle des heutigen Ö^aläl> pur am reichten Ufer des Hydaspes (Yitastä)^ und Ntxaia am entgegengesetzten Ufer bei Mong gelegen habe. Die Parasangen auf ebenem Gebiete veranschlagen wir wiederum auf 7000", wie noch jetzt in Khuräsän (Chanykow). Genaue Vermessungen auf Specialkarten des Indusgebietes fUhren uns dahin, PHARA der Tabula für die letzte Station auf dem linken Indusufer an- zusehen. ARNI war auf einem Tumulus bei Sangala, östlich von Ganyöt, erbaut, der noch heutzutage den Namen Ar^a fuhrt (Cunningham p. 183). Für Pileiam verbessern wir PILE- VANA d. i. skr. pilu-vana ,Gebtisch oder ^angal von salvadora persica^, welcher Strauch im Pan^ab nördlich von Multftn ganze Flächen bedeckt (ibid. p. 184); die Station filllt an die Ufer des Hydraotes (Irävatä) nach Tulambah. ORA oder TQpa entspricht der Lage von IJö (skr. uööha ,hoch^). PHARA hat für einen der zahlreichen Flussilbergänge auf der linken Seite des ver- einigten Indusstromes zu gelten^ am besten für Ubärö gegen- über von Kasmöri. Cunningham hat es leider unterlassen, eine so wichtige Quelle wie die Tabula auszubeuten; wahrscheinlich war ihm das Wegmass unklar. OCHYREA hat die Lage von Öäh-pür oder auch von Ya*qubäbäd; hier treten wir in das Kaödhl-Gebiet ein. Bis COTRICA zählt die Tabula XVI Parasangen oder 122^"; ungefähr ebenso viel rechnet Bellew von Ya'qubäbäd nach Gandawä und Kotri oder Kotrah; letz- terer Ort ist noch jetzt das Entrepot des Handels zwischen Kalät und dem Indusufer und war sicherlich auch in älteren Zeiten fein belebter Handelsplatz; der Sitz der politischen Macht war allezeit in dem benachbarten Gandawä, ALEX ANDRIA des ßavennaten, Qandäbil J^\jJ* der arabischen Gteographen, der Hauptort in dem Gebiete der Baudhah. Weiters werden •XX- Parasangen = 92 Mües ^ 148^"^ bis BAVTERNA ge-

198 Tomaschck.

rechnet; die arabischen Geographen rechnen vier Stationen k 5 Farsakh von Qandäbll bis Qozdär. Genau dieselbe Distanz finden wir bei Bellew von KotrI durch den Mülah-Pass über Pir-öattah, Köhftw, Hatäöl^ Nar, Görü nach Qozdär. Qozdär j\;>ji oder Qosdär ^\j^ war der Hauptort des grossen Gebietes füran ^^j^i oder Twärän, wozu noch Qandftbll, Kikänän und andere Orte gehörten. Dieser Name lehnt sich zunächst an die iranische Bezeichnung Türa für feindliches, an^ranisches Gebiet an, kann aber auch als Verunstaltung für Vohu-tarena (skr. Vasutan^a) ,kräuter-, gi'asreich^ (vergl. neup^ sjj terreh ,olus^ oder Bautema gelten. Die besten Pferdeweiden und Pferde besitzt Kalät, d. i. Kikftnän o^l5U^ oder Qlqän JuL3 der Araber; Belädhorf rühmt die feurigen Rosse von Qlqän, und der sinische Pilger Hwan-Thsang schildert KikäQa (lH, p. 185) als ein Berggebiet, reich an Schafen und Pferden. Südlich von Qozdär, bei Wadd, liegt nach Massen (Joumey to Kalat p. 54) der Ort Langl^g^ mit zahlreichen Wällen (ghör- band) und Ruinen; hier war die Capitale des von indischer Cultur beeinflussten, aber zum Säsänidenreiche gerechneten Ge- bietes Langala (Hwan-Thsang IH, p. 177), womit das drawi- dische Volk der DANGALAE zu vergleichen, das uns Plinius VT, 92 neben den SYDRACI und PARADENAE anfiihrt

Hier möge noch ein Itinerar Platz finden, das ein Gebiet bertlhrt, welches ausser Pottinger und Mac Gregor kein Europäer betreten hat. Ibn Khurdädhbih zählt von Qosdär nach der Haupt- stadt von Se^estän folgende Stationen auf: Qosdär 10 Fars. al-Qosaibah 10 Fars. Saräi-Därä ,Dariuspala8t* 10 Fars. (durch Wüste nach) al-?af8ar 20 Fars. Peröz-säh 3 Fars. Saräi-khalif 4 Fars. Qilmän 6 Fars. Mahal 9 Fars. Küh-i-nimek ,Stein- salzberg' (jetzt Küh-i-malik Närül?) 6 Fars. jNomadenlager' der Bolüf 20 Fars. Gir 10 Fars. Dizek Mämüyah 9 Fars. Müsär 9 Fars. Ma*aden ,Bergwerk' (offenbar im nördlichen Sarhad) 10 Fars. öadän 10 Fars. Zarang;.

Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Alexanderzüge verdient auch der Weg, den Krateros aus Indien nach' Dran- giana und Karmania einschlug, näher erörtert zu werden. Strabon (p. 725) nennt unter den Gebieten, welche Krateros durchzog, die an Indien grenzende, später unter parthischer Herrschaft stehende Landschaft XaaptjvyJ, d, i. Khäwarän ob^^

Znr historischen Topographie Ton Porsien. 199

jWestgegend, ursprünglich Osten, Südosten', eine iranische Be- zeichnung für das Uebergangsgebiet aus Indien nach Arachosien, wofiir die arabischen Geographen Bäli§ »j-iUJU und Wälistan ^li«2J\^ ^Hochland' (pars, wälistan pahl. bälistän^ bälist) sagen; Hauptort von Bäli§, einer Dependenz von Ghaznah, war SiwI (jetzt Sibi) ; femer lagen darin die Orte Ipsln (jetzt Pisin) Sal (jetzt Säl-köt), Mastang (jetzt Mastong) und Sakirah; der Gouverneur residirte nicht in Siwi, sondern in einem Qa§r (jetzt Abmedan), das 1 Farsang von dem Orte Ispin-gah (jetzt Gwäl, aus wal ,hoch^) entfernt lag; im ganzen Lande wuchs wie noch heute asa foetida oder hing, skr. hingu. Die Haltorte bis Arrokhkhag oder 'Apoiymc^ waren : Siwi ^y^ zwei Tag- märsche nach Ispln-gäh ,Weissort^, dann mehrere (sieben?) Tagreisen über die Robäte Ber, Ganki, Sangln bis nach Pan- ^wäi, einem blühenden Rustaq von Bost in Segestän. Auf eben dieser Route, nicht über den weit schwierigeren Bhölän- Pass, zog ELrateros ; die ,alte Karawanenstrasse' zieht sich nach Temple (Proceedings of the royal geogr. soc. 1880, p. 629 bis 548) und Biddulph (ebenda, 1881, p. 212 bis 246) von Ya*qub- äbäd nach Sibi, dann über Harnai durch Culturland zum Capar-und Zarkhün- Gebirge (Pass 6327'), zur Takatu-Kette und nach Gwäl (5500'); an der Kakar<Lora macht sie eine Wen- dung nach NO. bis Khän-i-zai, passirt den Surkhäb und den Surai-Pass und wendet sich nach Qal*ah Khü&dil-khän, durch- zieht die cultivirten Strecken des nördlichen Piäln bis zum Bach Nala, übersteigt den Kotal Khö^ak (7380') und endet bei MuQdi-hi§ar am Tamak und bei Kandahar. Der Rustäq Pan- ^awäi (panöa-vaidhl ,die fünf Wasserläufe'), liegt an der Ver- einigung des Arghesän mit dem Tamak südlich von Kandahar (Beilew, From the Indus to the Tigris p. 160) und scheint vormals auch die wichtige Festung 'AXe^ocvSpeia 'Apaxo)Ta)v d. i. eben Kandahar oder Qunduhär ^UjUs umfasst zu haben, welch' letzterer Name auf den mächtigen Fürsten Gundofarr zurück- geht, der um 30 bis 60 n. Chr. Arachosien und das Land der ParopaCnisaden beherrschte, wie die Münzen mit doppelsprachiger Legende und die Acta Thomae bezeugen.

200 Tomaieliek.

9. Weg aus dem Pangäb nach Kabulistän.

In der griechischen Urkunde aus der Seleukidenzeit war die Krateros-Route verzeichnet; der Ravennate wenigstens hat noch die Position ARACHOTVS, 'ApoxwTo;, d. i. Pan^awäi- Arrokhkha^ der Araber. Eben dahin mündete auch ein Weg von Alexandria Bucephalos^ der den Indus bei Attock tiber- schritt; die Tabula verzeichnet nicht nur zwei Völkerschaften, welche hieher gehören, nämlich GANDARI INDI (öandhära) und CATACAE (vergl. CATACES bei PUnius, die heutigen Kattak-Afghanen) , sondern auch den in der Nähe des Ueber- ganges gelegenen Ort SPATVRA, beim G. Rav. SIMTVRA, d. i. SALATVRA, Qalätura, der Geburtsort des grossen indi- schen Grammatikers Pä^ini (um 330 v. Chr., Lassen 11, p. 474, nach Hwan-Thsang I, p. 165; 11, p. 125, So-lo-tu-lo) oder das Dorf Lähür nordwestlich von Attock (Cunningham, Geogr. of India p. 57). Von diesem Uebergangspunkte führte nur eine kurze Strecke nach Magaris^ und daran schliesst sich in der

Tabula Parthona an :

MAGARIS

•L-

PARTHONA.

Aufschluss über die Lage von MAGARIS gewährt der Name MONS PAROPANISOS, an dessen westlichem Zuge Par- thona und Aspacora verzeichnet sind, während Magaris an das Ostende fkllt. Öiträr und das Kälirgebiet feilt ausser Betracht, wegen der Unzulänglichkeit dieser Berggegenden; dagegen liegt das äusserst fruchtbare und vorzüglich cultivirte Land Swät oder Suvästu, das auch Alexandres auf seinem dionysi- schen Zuge gegen die A9maka (präkr. Aspaka, Assaga) be- rührt hat, an der grossen Heeresstrasse aus dem Pangfäb nach Käbulistän. Die alte Hauptstadt von Swät oder Udyäna, Ug^na hiess in der Sprache der Einwohner Mangara (skr. mangala ,felix, beatus', bei Hwan-Thsang Moü-kie-li), griech. Morfopa oder MoYop''?; es ist das heutige Mafigla-üra, Miügla-ür (mit dem Zusatz püra). Die A9maka sowohl wie die Mura^da, Maru^da, welche Swät bevölkerten, waren Unterabtheilungen

Zur historischen Topographie Ton Persien. 201

des grossen Volkes der Gandhdra. Die Wegverbindnngen sind in der Tabnla vielfach unterbrochen und zerrissen; nur die Kritik ist im Stande, das Urbild des griechischen Itinerars wieder herzustellen. Aus dem Swät-Thale gelangen wir längs d^ Kubhä über die EJause von Darunta (vergl. Q.al*a Darünah ^«ly bei Börunl im Kitab al-Hind fol. 63, Darütah ^^'y> bei Baber, ?Aapouaxaya bei Ptolemaios) nach Lamghftn, dann nach Köhistän. Der Distanz» sowie den Lauten nach entspricht der Station PARTHONA am besten die Position Parwän (aus Pär- ^avana, dial. Parthavana? Uopatava des Ptolemaios?). Die ara- bischen Geographen nennen oft den zu Bämiyän gerechneten

Rustäq Parwän {j^^'^^, O^i}*' ^®^ B^rüni d3\3j4) °^* d®™^ gleich- namigen Vororte, welcher in der älteren arabischen Epoche ein befestigtes Heerlager 'askar bildete, woraus die Wichtigkeit der Lage erhellt; hier vereinigen sich die Bäche von Ghörband und Panghir; westwärts streicht die alte Völkerstrasse durch die Engen von Bämiyän; südwärts fUhrt der Weg über die alten Culturstätten Hüpiyän, Cärik-kär, Begräm, Istargaö, Istälif, Färzah nach Kaßoupa oder 'OpTooriva ; nordostwärts gelangen wir über Gul-behär, Paräö, Bazärek nach Pan^hir und über den Hindukü§ nach Andaräb. Hier also war der Kreuzungs- punkt der drei grossen Strassen, die berühmte TpbSo^ der Ale- xanderzüge (Strabon p. 514). Zwei Tagmärsche rechnen die arabischen Itinerare von hier nach Pangehir j'Cr^.asij und weiter einen Tag nach Gäriyänah ^b^l&. am Fusse des Hinduküfi- Kammes, endlich drei Tage über den Khäwaq-Pass nach An- daräbah. Panghir genoss vor Allem Ruf ob seiner ergiebigen Silbererzstätten; sie lagen auf dem Gipfel einer die Stadt be- herrschenden Anhöhe, welche von den Minenarbeitem kreuz und quer durchwühlt wurde ; selbst die zahlreichen Bäche der Umgebung führten silberhaltiges GeröUe ; einige Gruben waren durch das Eindringen des Wassers unbetriebbar geworden, andere lieferten noch immer grosse Ausbeute; die Gruben- inhaber lebten untereinander in beständiger Fehde ; die Bevöl- kerung war überhaupt stark gemischt, Leute verschiedenster Abstammung (indische Käfir's, Perser, afghanische Ghöri's, Türken und Araber) hatten sich hier angesiedelt. Ein ebenso bewegtes Leben herrschte in Gäriyäna, wo gleichfalls Silber- minen im Betriebe standen. Birünl sagt: das Thal PanöhXr,

202

Toiiia8eh«1r.

WO man Silber findet, gehört zu Säblt ^ot«»; sollte in diesem Namen eine Spur der im Paropanisos hausenden SaßaBtot (Pto- lemaios) oder Saßet? (G. Rav. 11, 4) und der am ÄpYupoBivijq Kfi^q angesiedelten Sißat (Dionysios Periegetes 1137 f.) vor- liegen? Haben die helleno-baktrischen Fürsten, gleich den Sä- saniden, aus den Silbergruben von Panöhir das Material zu ihren zahlreichen Münzien bezogen? Hat ausser der strategisch wichtigen Lage auch die Erzgewinnung der von Alexandros gegründeten Stadt 'AXs^avSpeta (yi ev DapcxowtaaoaK;, sub Caucaso) Bedeutimg verliehen? Plinius berichtet: CARTANA oppidum sub Caucaso, quod postea Tetragonis dictum: haec regio est ex adverso Bactrianorum ; deinde (regio), cuius oppidum ALE- XANDRIA a conditore dictum; ad Caucasum CADRVSIA oppidum, ab Alexandre conditum. Anderen Ortes bestimmt er nach den Stadiasmen der wissenschaftlichen Begleiter Ale- xanders die Entfernung Alexandrias von Kabul so: inde ab Hortospana ad Alexandri oppidum L milia. Fünfzig römische Milia sind 10 geogr. Meilen = 400 Stadia = 74^^°» = 46 Miles. Begrftm und Cfirik-kär sind von Kabul (nach Sturt und Masson) nur 27 Miles entfernt; Alexandria sub Caucaso lag also noch 19 Miles weiter gegen Norden, hinter Gul-behär (Baber p. Pavet de Courteille H, p. 98 seq., wo auch ein Hügel Grineh-kurghän genannt wird), Paraö und Bazärek und vielleicht an Stelle von Panöhlr. Cartana ist dann (xäriyäna oder Gariyäna ^b^l5 der Araber ; man kann bei diesen auch Gartäna ^U^l». lesen oder selbst bei Plinius Gariana einsetzen; der Beiname TeTpaqfwvt; gibt ein baktrisches Öathrugaofia wieder. Cadrusia endlich ge- mahnt an die kretische Colonie 'Aorepouata (Steph. Byz.)

10. Weg von Käbulistän nach Badakhsän.

Bei Parthona-Parwän, wo die indische Strasse einmündete, finden wir in der Tabula thatsäclilich auch den Ausgangspunkt der beiden anderen Wege, des Weges nach Baktra und des nach Drangiana. Jener erfährt folgende summarische Be- schreibung :

Zur historischen Topographie von Persien. 203

PARTHONA •LXX-

SCOBARV (G. Rav. SCOBARVM) •LV-

CARSANIA (G. Rav. CARSAMIR). Die Route fuhrt über den Mons Paropanisos; weiterhin war in dem griechischen Originale von einem 5pog 'Ooxoßatpr^^ die Rede. Wir lesen bei Paulus Orosius (I^ 2, 16) eine Be- schreibung des Caucasus-Systems , die offenbar auf die Welt- karte des Augustus zurückgeht; es heisst u. A.: ,ab oppido Catippi usque ae vicum Safrim MONS OSCOBARES, ubi Ganges fluvius oritur et laser nascitur; a fönte fluminis Gangis usque ad fontes fluminis Ottorogorrae, qui sunt a septentrione^ ubi simt montani PAROPANISADAE, mons Taurus; a fonti- bus Ottorogorrae usque ad civitatem Ottorogorram inter Chunos Scythas et Gandaridas mons Caucasus; ultimus autem inter Eoas et Passyadras mons Imavos, ubi flumen Chrysorroas et promunturium Samara orientali excipiuntur oceano^. Man wird einwenden, eine solche Confusion in den Gebirgs- und Strom- läufen, in den Ortslagen und Völkernamen, wie sie hier sich ausspricht, ist eines Orosius würdig, nicht aber eines officiellen Productes der augusteischen Zeit, geschweige denn eines grie- chischen Schriftwerkes der seleukidischen Epoche! Wir be- gegnen aber ähnlichen Verzerrungen in der ganzen Tabula; die Redactoren haben eine allgemeine Schilderung der Gebii^s- und Stromläufe zu Grunde gelegt und auf dieser Grundlage nachträgHch die Einzeichnung der Itinerare und der Völker- namen vorgenommen. Der Ganges z. B. war seiner Grösse entsprechend längs des ganzen Ostrandes aufgezeichnet; es konnte nicht ausbleiben, dass Orte, die nach Baktra gehörten, in sein Flussgebiet geriethen. Wir werden daher Kritik üben, dem Alles verzerrenden Wortlaut kein Gewicht beilegen, viel- mehr Flüsse und Gebirge, Völker und Städte in ihrem wahren, des griechischen Originales würdigen Zusammenhange zu fixiren trachten. Die Paropanisadae haben mit den Ottorogorrae nichts zu schaffen, der Oscobares nichts mit den Quellen des Ganges ; wir müssen vielmehr annehmen, dass die Paropanisadae in die Gegend von Parthona fallen; dass darüber der Mons Paropa- nisos, die Fortsetzung des Taurus, in langem Zuge dahinstreicht;

204

Tomaschf k.

dass weiter gegen NW. steh der Mons Oscobares ausdehnt und dass in sein Bereich die baktrische Stadt Scobarum filllt. Mit OSOOBARES, worin als zweiter Bestandtheil baktr. bareza »Gebirge^ zu erkennen, ist die grosse Kette von Gxirzwän süd- lich von Maimanah gemeint; die Notiz über den Wuchs von laser passt eher auf den Paropanisos (Strabon, p. 725). SCO- BARVM, bei Ftolemaios 'EoToßipa, ist wahrscheinlich Sabarghän Cj^j^ oder oaburghän ^l*;^ (arab. Sabürqän, Subruqän, Sufurqän, Uäfurqän und selbst ^iSJ^Ls»! Uätürqän geschrieben, bei Marco Polo Sapurgän). Die Distanz von 70 Parasangen weist darauf hin , dass der Weg über Ghörband , Kahmard, Madhr, Derreh-i-Süf und Yckeh-olang nach Baktra und dann erst westwärts nach Öibergan führte. Ein Weg von 50 Para- sangen führt uns dann ostwärts über Baktra, Ta§kurghän, Kunduz, Khänäbäd, Täliqän nach Kism, dem westlichsten Orte von BadakhSän. In Kism suchen wir CARSAMIA oder Kar- sama, Karesma, welcher Name (von baktr. kares ,Furchen ziehen) entweder den mit dem Pfluge abgegrenzten Umkreis einer Ansiedelung (vergl. sarikol. ku§um ^Pfahlzaun^ Pamir- dial. S. 798) oder wie neupers. ki§män, kismand ,Ackerflur' bedeuten mochte. Der sinische Pilgrim schildert uns Bü-li-se-mo kurz und bündig (HI, p. 196) : Dieses Gebiet gehört zum Reiche der Tukhära und erstreckt sich zehn Tagmärsche von W. nach O., drei von S. nach N. ; die Stadt hat einen Umfang von 16 Li; die Producte sind dieselben wie in Mungan, die Einwohner haben einen rohen unfreundlichen Charakter.' Hwan- Thsang kam dahin über '0-li-ni (Arhang s£^JJb^\y jetzt Hazrat- Imam) und Ho-lo-hu (entweder Rägh, nach Yule, oder, wie imsere Meinung, Kulagh), und zog dann über Po-li-ho (Par- ghar oder Farkhwär) nach Hi-mo-ta-lo (H^ma-täla, Joum. of the royal Asiat, soc, new ser.. V, p. 86; jetzt Darrah-i-H^m). Dann ist Marco Polo (cap. XXVIII) ein hervorragender Zeuge; er rühmt CASEM und den grossen Fluss, der das Thalge- winde bewässert, und schildert die Jagd auf die dort häufigen Stachelschweine mit Hunden, sowie die Menschenwohnungen in tiefen Höhlen des Lössbodens. Dazu kommen gelegentliche Erwähnungen, z. B. bei Seref-eddln I, p. 34. 167; Baber I, p. 417 f.; n, p. 360; und Not. et Extr. XIV, p. 223. 491. In unseren Tagen hat diese Grebiete der indische Pandit Manphül

Zur historischen Topographie von Persien. 205

besucht und beschrieben (Joum. of the royal geogr. soc, 1872, XLn, p. 441); zu Kittm gehören die Orte Me&hed, Warsaö, TeSkän und Kulagh.

Die helleno-baktrischen Satrapen beherrschten die von Alexander eroberten Gebiete des Ostens; Kapaapiia war viel- leicht ein Grenzposten des seleukidischen Reiches. Seitdem sich die Satrapen in unabhängige Fürsten verwandelt hatten, dehnte sich die Herrschaft immer weiter nach Osten aus, wie Strabon p. 516 berichtet, sogar ptexp^ Sr^pöv xal ^ouvwv. Der helleni- stischen Epoche verdankt das Abendland manche Erweiterung der Erd- und Völkerkunde; Plinius z. B. bietet Nachrichten, die aus derselben griechischen Quelle zu stammen scheinen, von der die Tabula dürftige Fragmente bewahrt hat. Wir lesen bei ihm (VI, 55): ,ab Atacoris gentes PHVNI ,et TO- CHARI et iam Indorum CASIRI'; (XXXVH, 110) ,caUaYna nascitur post aversa Indiae apud incolas Caucasi montis, THV- CAROS SAGAS DARDAS^; (VI, 67) ,fertüissimi sunt auri DARDAE, SAETAE vero et argenti^ Die Tukhfira, T6x«poi, der beiden ersten Sätze müssen noch in ihren altangestammten, nicht in den später occupirten bactrischen Sitzen hausend ge- dacht werden; diese älteren Wohnsitze beschreibt Hwan-Thsang. (in, p. 147) im Osten von Khuttan in den Wüstenstrecken zwischen Niah und Car^and, die bekanntlich auch Marco Polo (cap. XXXVn f.) besucht hat. Die Sacae und Dardae sind bekannt genug, ebenso die Casiri (oder Caspirae der Ta- bula), d. h. die Einwohner von Ka^mlra oder, wie die Präkrit- form lautet, Kailr. Die Saetae entsprechen den Saita, die uns Täranätha (Schiefner, p. 80) in Verbindung mit den TuruSka anfuhrt; sie scheinen am oberen Indus geherrscht zu haben. Die Odüvot Strabon's, PIIVNI des Plinius, Oouvpi des Dionysios Periegetes 752 (var. <I>poÖvoi, 4>poupot), CHVNI SCYTHAE in der Relation des Orosius sind die Hun-yo der sinischen und CHVNI der abendländischen Annalen; mit Recht behauptet Ammianus Marcellinus XXXI, 2, 1 : gens ea monumentis vete- ribus leviter iiota. 4>ouvoi, Oowvot der seleukidischen Schrift- werke und Xouvoi, Ouvci der späteren Jahrhtmderte sind Be- zeichnungen eines und desselben innerasiatischen Nomadenvolkes; der alte Anlaut f hat sich im Mongolischen und Türkischen in X umgewandelt oder gänzlich verflüchtigt, in den tungusischen

206 Tomaichek.

Dialekten wechselt noch heute f mit %^ h ab^ und das Japanische hat gleichfalls diese Alternative; jene beiden Formen sind also gleichwerthi«]^. Südlich von diesem Wüstenvolke, das auf dem Rosse lebte schon der Dichter Aristeas erfuhr bei den poli- tischen Skythen von der Existenz der Aryamaypö, 'AptiMKnwi waren in der Weltkarte die tangutischen ESSEDONES SCYTHAE angesetzt, dann war ein Strom verzeichnet, der Bautisos des Ptolemaios; darunter fanden die halb mythischen OTTOROCORRAE ('Or:opox6ppa'. Ptolemaios, Uttarakuru der Inder) mit der civitas Ottorocorra ihren Sitz; südwärts erstreckte sich der Mons Caucasus und der Iraavos, darunter hausten die GANDARIDAE und floss der Ganges, dessen Mündung den Namen PADVS (jetzt Pada) führte. Endlich nahmen den äussersten Ostrand der Erde die gentes Eoae, darunter die Dorozantes (Proportius IV, 5, 21; vielleicht Zarodontes, die Zardandän ,Goldzähne* des Marco Polo und RaSideddin), femer die Passyadrae (»Bewohner der Felsgebirge im Osten', skr. präöa, präkr. passa ,Ö8tlich', ski\ adri ,FelsO ein, und den Beschluss machte der Chrj'sorroas und das hinterindische Vor- gebirge Samara.

11. Weg aus Kabulistän nacli Zarang,

Der zweite Weg, der von der baktrischen Triodos aus- geht, wird in der Tabula also gekennzeichnet: PARTHONA

•XV- ASPACORA (G. Rav. QORA) LH-

T H V B R A S S E N E (G. Rav. T H I B R A S EN E) •XL-

ARIS. Eine kurze Distanz führt nach ASPACORA, worin al» erster Bestandtheil a9pa ,Pferd, Stute^ ersichtlich; -cora ist vielleicht -öara ,WeideS neupers. \^ öarä (vergl. auch ßarämln »pabidum' öarldan ,pa8cere'); ein tangutisches Volk bei Ptole- maios, wahrscheinlich die pferdezüchtenden mGo. log im Bayan- chara-Gebirge, heisst 'Affiromtipai A5pööarä; wird aber mit dem

Znr historiscben Topographie von Persien. 207

Ravennaten -gora vDrgezogen, so bietet sich gairi , Gebirge*, paU. gar, afgli. ghar, *gharah, yaghnob. gör (Pamirdial. S. 759). In dem hochgelegenen Gebiet, welches die Quellen des Ghor- band-Flusses und des Hirniand enthält, haben die Hazära's ihre Weidegründe und yailaq's; am Flusse von Ghdrband »x-^^ (j>^j^ bei Muqaddasi) lag nach Berunl Eapis ^y&^\S oder Ka- pi9a, KflcTiiffa, ,quam diruit Cyrus' (Plinius VI, 92); die sinische Beschreibung rühmt die Pferderace dieses Gebietes (11, p. 40). Die Gelände des Hirmand-Flusses wurden im Alterthum weit häufiger durchzogen als heutzutage, wo sie von armseligen No- maden besiedelt sind, die friedlichem Verkehre abhold; auch (Ue arabischen Nachrichten schildern uns Ghor, den Sitz der Abengarän, und Zamln-Däwar als wohl cultivirte, wenn auch gebirgige und kühle Gebiete. Die Entfernungen der Tabula lassen vermuthen, dass die nächste Station THVBRASSENE, Süßpacniv^ nach Zamin-Däwar und dessen Vorort Dar-Tell (am rechten Ufer des Hirmand, bei Sikandaräbäd und QaPah Akhram-khän, südlich von den noch jetzt blühenden Ortschaften Baghnln und Pislang vi^C^Ju^, VuUers I, p. 366) feilt; der Name gemahnt an baktr. 9ubhra ,rein, glänzend^; ist jedoch 0 flir dh, d gesetzt, 80 darf Dawar selbst verglichen werden; Zamln-i-däwar ist das jLand der Eingänge' in das Gebirgsland Ghör, und dawar dialektische Nebenform von altpers. duvarä min^an. luvar, luvrah, sarikoL diwir, yaghnob. dwar ,Thor^

Die Entfernung von XL Parasangen führt ims über die Anhöhen nördlich von Girisk imd entlang dem Fusse des niedri- gen Plateau, das die Wüste Dast-i-margah auf der Nordseite einschhesst, zuerst in das Stromgebiet des Khäs-rüd und zu dem Orte Khäs, arab. Khwäfi J^\;^ oder J>\jL (vergl. COSATA, Kwaara bei dem Ravennaten, Kacra bei Ptolemaios), dann zum unteren Hirmand und zur Metropole der Zapdf^ai (Herodotos VII, 67), Zdpaxtoi , altpers.^ Zaranka, welche bei Isidoros von Charax Zaptv (cod. iraipiv), bei den arabischen Geographen ZaHn^ oder Zaran^ ^Jj genannt wird (jetzt Ruinen zwischen Zähidän Cfehänäbäd und Näd 'Ali, beschrieben von Christie, Forbes, Ferrier, Bellew und in dem Werke Eastern Persia); auf der auguBteiischen Weltkarte war bereits ARIS verzeichnet, indem der Redactor Zaptv für einen Accusativ hielt und ein undeutlich geschriebenes Z für den Spiritus lenis ansah. Die indigene

208 Tomatclek.

Form lautete ohne Zweifel ZaraQg, Zari-fig; der Sagzl hat die Gewohnheit, an die Wurzel der Nennwörter das erweiternde Element -ng anzuhängen, vergl. die Ortsnamen Biring yEjrd- werk, Verschanzung^ aus vairya, Cilling ,Riss, Bruch' und im Vocabular bei Leech (Joum. of the Asiatic soc. of Bengal, 1844, Xin, No. 146) girang ,schwer' = kurd. gir, neupers. gir&n. Das mittlere Hirmand-Gebiet, Rüdbär, den Sitz der Kere9ä9pa- Sage, übergehen die arabischen Geographen mit aufläUigem Still- schweigen; ihre Itinerare berühren nur das nördliche Wüsten- gebiet von Khwäi bis Best; der äusserste Punkt ihrer Schilderung ist die an der Hirmand-Biegung gelegene, industriöse und han- delsbeflissene Stadt Ki§§ (pers. Kih^6 j-j^fi). Dagegen bietet Isidoros ausgezeichnete Nachrichten über das ,Stromland^ üopat- Toxr^vif und die Ansiedelungen der Saken.

12. Weg von Zarang naeli Yazd.

Die Tabula beschreibt diesen Weg, welcher die Endsta- tionen der Itinerare 4 und 11 verbindet und gewissermassen einen Prüfstein flir unsere Ansätze abgibt, auf folgende Weise:

(Z)ARIN

XXV PH AR CA (G. Rav. PARC HA)

•XVII- ARATE XX BACINORA XXXV CETRORA. Südlich von Cetrora sind ausserdem RAVDIANI und noch weiter südwärts CARMANI verzeichnet; bei dem Ra- vennaten lesen wir überdies den Namen einer Landschaft Mou- vastica, d. i. MODOVASTICA. Bei vorliegender Wegstrecke dürfen wir uns kurz fassen, da sie Gebiete durchzieht, in welche Europäer nur selten eingedrungen sind. Wie unsicher unsere Kunde über die persische Wüste annoch ist, ersehen wir bei- spielsweise aus Petermann's Karte ,Iran und Turan' in der

Znr historischen Topographie tod Persien. 209

neuesten Auflage des Stieler^Bchen Handatlas Nr. 62. Da lesen wir Orte wie Karduk, Masti, Ears^ Bardin^ Nadhia, Darak und neben dem wahren noch ein zweites, nach N. verschobenes Chabis. Woher stammen diese Namen? Sie verdanken ihren Ursprung falschen Lesarten des arabischen Geographen Idrlsl! Idrisl hinwieder bietet die Nomenclatur des Jahres 900! Unsere neuesten Karten von Iran reproduciren also theilweise den Status, der vor einem Jahrtausend Wahrheit hatte. Auf der Tebes-Route lesen wir Biabanet^ Samughi^ Sadaru^ Falchan, Char, Riken u. s. w., falsch abgeschriebene Namen aus einem Itinerar Tavemier's! Neben Jesd finden wir ostwärts abgesondert Jades, die mittelalterliche Nebenform von Jesd! Ausserdem dürfen wir auf ebenem Boden das Ausmass der Parasange auf 7000 " veranschlagen. Von Zarin aus wurde das Hämün-Becken entweder, bei geringem Wasserstande^ südwärts, oder, wenn das Seebett seine volle Ausdehnung gegen S. hatte, nordwärts umgangen; in letzterem Falle gelangen wir über PeSäwarftn und den District Ökät nach Ugg;än, dann (mit Chanykow) über den Tang-i-tabarkand nach Nih; dieser Ort wurde bei geringem Wasserstande über Bandän erreicht. Jene 25 Parasangen ftihren uns noch weiter über Nih hinaus nach dem südwestlich ge- legenen Dorfe Deh-i-Salm, wo wir PHARCA ansetzen. Schon zur Khalifenzeit zogen die Karawanen, wenn sie von Se^estän nach Kirmän und Yazd gelangen wollten, über Nih dJ oder Niah ^ nach ^Lyo S<^ji ; ,dort ist eine Cisteme, dabei zerfallene, unbewohnte Gebäude, so weit das Auge reicht'. Weitläufige Ruinen, verfallene Kanäle und Bazare fand auch Säh-Rökh auf dem Wege von Seistän nach Kirmän (a. 1420 Not. et Extr. XIV p. 528). Wie Chanykow und Bunge melden, ist Deh-i- Salm von Nih 6 starke Farsang entfernt und ob seiner Palmen- pflanzungen berühmt. Mit dem antiken Namen <l>apxa vergleiche man Forq 1) ein Städtchen auf dem Wege nach Bir^end, 2) eine Dorfschaft östlich von Turäiz.

ARATE, 'ApaiY), etwa aus * hara ,Flu8slauf zu deuten, filllt nach der heutigen Ortschaft Bägh-i<Asad nördlich von Khabi^f und Cesmeh Deh-i-Seif; noch heutzutage legen die Karawanen die öde Strecke von Deh-i-Salm nach Bägh-i-Asad in drei oder vier Tagen (zu 6 oder 5 Farsang) zurück. Bei diesem Orte fijiden wir die tiefste Depression im ganzen Wüstengebiete

Sitxnngsber. d. phil.-hi9t. Ol. CU. Bd. I. Hfk. 14

210 Tomaschek.

(987' nach Chanykow); in breitem Rinnsal, aber seicht und träge fliesst hier der ,Salzbach* Sür-rüd dahin und lagert in seinem südöstlichen Unterlaufe Salz in dichten Schichten ab, das die Bewohner von Deh-i-Seif und Khabi§ sammeln. Die-

y

selbe Station Sür-rüdh i^^ jy^ nennen die arabischen Itinerare auf dem Wege von ELhabi^ nach Khüsp und Khür. Die Hitze ist in dieser Gegend so gross, dass die Sage geht, Weizen- kömer würden auf dem benachbarten Plateau, das deshalb Gandüm biryän genannt wird, von den Sonnenstrahlen geröstet. Durch dieses ausgedörrte Gebiet zog Marco Polo auf seinem Wege nach Köbinän (Köh-binän bei Muqaddasi) ; der Fluss oder Kanal den er am dritten Tagmarsch von Kirmän antraf, ist der Ober- lauf des Öür-rüd, welcher seine Quellen im Gebiete von Räwer hat.

Rawer jif\j gehört nach den arabischen Geographen zu Kirmän und ist ein wohlangebautes Dorf mit einer Citadelle und mit einem Bergstrom; nach Schindler's Erkundigungen liegt Räwer 30, nach Mac Gregor 24 Farsang nördhch von Kirmän; im Köh-i- Räwer wird Vitriol und Alaun (zäg) ge- wonnen, was auch Ibn Faqlh bezeugt. Hier suchen wir BACI- NORA der Tabula; dürfte einer Conjectur Spielraum einge- räumt werden, so böte sich Boqfipwpa als richtigere Lesart, d. i. Bägh-i-Räwer (vergl. Kixpwpa = Ket-räwer).

Es bleiben noch 'XXXV* Parasangen nach Yazd übrig. Der Weg führt von Räwer durch das alte Culturgebiet Köh- binän, das namentlich wegen der überaus ergiebigen Ausbeute von Erzen aller Art Bedeutung besass, dann durch Sar-binän und Qadräm nach Bäfk. ,Auf zwei Tagreisen von Köh-binän sind viele Kuppeldächer und Cistemen', sagt schon Muqaddasi. Bäfk hat nach Abbott 700 Häuser, 24 Kanäle, gutes Klima, ausgedehnte Gärten und Felder und ergiebige Dattelpflanzungen: von da nach Fahrag: sind 46 Miles. Von Fahrag: ^j4^ (pers. Pahrah) nach Yazd sind 5 Farsang. Oberst Mac Gregor (I p. 78) hat erkundet, dass von Bäfk eine directe Route durch die IpiQfxc; Katpixavia nach SeYstän fllhrt: die Stationen lauten: Bäfk 25 Fars. e§meh band 6 Fars. Ceämeh Sür 8 Fars. Garmäb 12 Fars. Gulaöäb 8 Fars. Sar-6ah (arab. ras al-mä) 8 Fars. Bäziran 10 Fars. Nih-bandän. Wir glauben jedoch nicht, dass der seleu- kidische Post- und Eilbotendienst diesen ödesten und beschwer- lichsten aller Wege eingeschlagen hat.

Zur historiBchen Topographie von Persien. 211

Die RAVDIANI sind die Bewohner des grossen Districtes Rüdhän j^^JjJ? welcher die heutigen Culturoasen von Bahrämä- bäd and Gulnäbäd zwischen Kirmän und Anär, dann auch die Bergregionen im Westen bis Öahr-Bäbek (= Ädhkän bei Istakhri und Ibn Khurdädhbih) umfasste. Auch Ptolemaios hat eine Landschaft TouBiovi^ zwischen den laati'xai und Kaptxa- v(a (jit^pci:oÄ'(;. Der Name deutet auf gute Bewässerung, vergl. neupers. röd ,Flu8s', dial. raud, altpers. rauda oder rauta.

Die wahre Lage der Landschaft MODOVASTICA, MoBo- ßÄaraiJ, ergibt sich aus dem Ansatz von MoBpjjLacrrtxi^ (sie) im nordöstlichen Winkel der ipr,[ioq Kapfiovi« bei Ptolemaios. Ge- meint sind die heutigen Gebiete von KhOr, Rhüsp^ Birg;and, Qä'ln, Z^r-köh und Darokhä (^^,-äi.j>, VuUers), deren Einwohner sich durch Fabrikation von Filzstoffen aus Ziegenhaaren her- vorthun ; die Deutung ergibt sich aus neupers. möi ^^ ,pilu8' baluö. mudh, mtidh, aus * maodha (von ,ligare', vergl. Mow- Bixir;;^ sakischer Eigenname) und aus ^Ju^j baktr. ba9ta ,ligatu8^ vergl. neupers. jJi^y^ möbend ,crinium ligator^ artifex qui ex pilis caprarum funes, cingula, tela plcctit^

13. Weg von Zarang nach Harw.

Diesen alten Heerweg gibt die Tabula nur in fragmen- tarischer Gestalt; die Verbindungslinie von Fräh nach Har^ fehlt ganz und einige Mittelstationen sind dem Streben nach summarischer Kürze zum Opfer gefallen; wir lesen blos:

(Z)ARIN

XXV PROPASTA

ALEXANDRIA

LX ANTIOCHIA.

Die erste bedeutendere Station auf dem Wege von Zarang^ nach Frah lässt sich aus dem Ravennaten ergänzen, sie lautet mit deutUchen Buchstaben CARCOE, Kapx6t). In Zarang hiessen die zwei nördlichen Thore, in der inneren Cütadelle und im

14*

212 Tomasebek.

Vorstadtgebiet, dar-i-Karköh ; 3 Farsang nördlich von der Hauptstadt lag der Ort Karköh, arab. Karküyah ^^^^j deren gewerbfleissige Bewohner nach Ibn Faqih (um 900) dem Feuer- cultus bis auf seine Zeit hinab ergeben waren; hier stand eines der berühmtesten ÄtiSgah's, dessen Feuer, Mainyö-karkö ge- nannt (Hoffmann, Auszüge aus syr. Acten S. 289) und von Bahman, Sohn des Isfendijär, gegründet, nie verlosch ; Magier nährten es unablässig mit Tamariskenzweigen. Darüber erhoben sich zwei Kuppeln aus der Zeit Rustam's, auf deren Spitzen zwei Homer ragten, so zu einander geneigt wie die zwei Homer eines Stieres. Man hielt das Feuer für einen Ableger des Adhar-GuSasp von G-anzaka in Atrapatene, auf dessen Dome sich eine silberne Mondsichel befand. Auf Bumes' Karte finden wir zwischen Öelälftbäd und der Ruine PiSäwarän den Ort Koluk; im lurischen Dialekt bedeutet Kolung ,Pike, Spitz- hammer, gekrümmtes Hörnende^ Mit Kapxöt) fällt wahrschein- lich Kop6x des Isidoros von Charax zusammen; mit dem sei- stänischen Suffix -ng hiess der Ort auch Korung, Koring siüß (vergl. Not. et Extr. XIV, p. 143) und ohne g Korün ^2Jf^JSy nach Yaqut ,ein von Zaran^ 3 Farsakh entferntes Städt- chen, dessen Bewohner Häretiker sind und sich vorwiegend mit der Fabrikation von Webstoffen beschäftigen*. Von da nach BaSter, wo eine Brücke stand, sind nach dem arabischen Itine- raren 4 Farsakh ; man überschritt den Kanal Balt-rudh, welcher die überschüssigen Wassermassen des Hidumand abfUhrte; der Lage nach entsprechen die Ruinen von PiSäwarän. Hier war die Grenze von ZapotTYiowYj gegen das Gebiet von Fräh ; Isidoros gibt dieser Provinz nur eine Längenausdehnung von 21 Schoenen = 525 Stadien = 98^™ = 61 Miles = 14 V3 Farsang; Zdpa lag gerade in der Mitte, schon nach 7 Farsang begann süd- wärts Dapa'.TaxrjVTiJ, ,da8 Flussgebiet' oder Rüdbär. Eine kleine Tagreise brachte von der Grenzmarke nach Guwain ^^ oder Gawyana, am Unterlaufe des Flusses von Fräh gegenüber Lää Ji\^ im District von Ök ^^\ (Not. et Extr. XIV, p. 141 seq.) gelegen. Beim Ravennaten lesen wir Labiana mit unarischem 1, also gewiss verschrieben für GABIANA, Faßiava. Ein Räthsel bilden bei Isidoros die Stationen ,xai Tapi iriXt^; xal Nt^ woXt;^; weder GiriSk noch Nih kann zum Gebiete von Fräh gehört haben, beide Orte liegen weit seitab von der Route; der

Zar hiitoriscben Topogriipbie Ton Penien. 213

ursprüngliche Wortlaut wird wohl ^xal FaßiovY) iroXt^' gelautet haben. Eine ebenso kleine Tagreise brachte hierauf den Wanderer nach Bist c<*^m.i.> oder Bistek ^cLlu> ; wir werden dabei an des Isidoros Bl«; nöXt^ erinnert; wofür wohl Blor gelesen werden muss; ähnlich ist der Name von Bost in Seg;est&n, B6<jt bei Isidoros^ BESTE bei Plinius. Nach drei weiteren Märschen zu 5 Farsakh erreichte man die Brücke, welche über das Wadi des Fräh-rüd führte, und die grosse, noch jetzt trotz Umbau und veränderter Lage (Ferrier) gleichbenannte Stadt Fräh t\jMy arab. »^, bei Isidoros 0p3t icoXt; [Lv^lmi, bei einem Geschichtsschreiber des Alexanderzuges (vgl.Steph. Byzant.) mit volleren Lauten OpoiSa, in der seleukidischen Urkunde npoicaota Tf tm npof OaaCa. Der macedonische Name Upo^aaia ist genaue Uebersetzung von Pra-9päta und Fra-dä, Pra-(9)pa9ta dagegen bedeutet ,von Weitem sichtbar*. Der Firäh-rüd wird bei Plinius OPHRADVS (d. i. 6 ^pdlo^) genannt und mit dem PHAENA- COTIS (Franaqaitis? jetzt Harrüt-rfid, auch rüd-i-Adraskan, nach einem zu Isfizär gehörigen Orte ^^JJi»ß\) verbimden. Die Distanz von XXV Parasangen zwischen Zarin und Fräh ent- spricht genau der Wahrheit, es sind das 95Miles oder über 153^"*. Das Gebiet von Fräh mit mehr als 60 Ortschaften wurde in der Alexanderzeit zu Drangiana gerechnet, in der parthischen Epoche war es mit Areia vereinigt und bildete den District 'Ava6(av, Annäva. Die Nachricht bei Strabon XV, p. 724, dass sich in den Gebirgen der Drangen (entweder im Siyäh-kOh, oder im Sarhad-Gebiet^ möglicherweise auch bei Nih und Bä- zirftn, vergl. Chanykow) Zinn finde, verdient genauere Nach- forschung.

Die in der Tabula ausgefallene Strecke von Fräh nach Har^ ergänzen wir mit XLVIII oder rund L * Parasangen ; die Araber berechnen sie auf sieben Tagmärsche zu 7 Farsakh; Strabon gibt in runder Form 1600 Stadien, Plinius unter genauerer Benützung der Stadiasmen aus Alexandres' Zeit CXCVmi Milia = 1592 Stadien = 294 V^^ = 183 Miles. Auch die erste Station lässt sich vielleicht ergänzen aus dem Orte DIÄICA des Ravennaten, falls damit Dirih oder Dereh »j> (jetzt Dereh-i-öikaft, Ruine Qal*ah-i-Dereh) der arabischen Iti- nerare gemeint ist; ebenso könnte SISTATA auf CiSt ^.wi^^- im Gebiete südlich von Harä bezogen werden. Isidoros berechnet

214 Tomftschek.

die Länge von Anauon auf 55 Schoenen = 1375 Stadien = 25672^"* = 159 Miles = 41 Farsang; es scheint also Asp-zär (arab. Isfizar, jetzt Sebzär) noch dazugerechnet worden zu Bein. In den südlichen oder westlichen Theil von Areia ßlllt des Ptolemaios Tpißa^iva, TRIBASSVS oder TRIBAXVS des Gr. Rav. ; ist damit Asp-zSr gemeint? Oder liegt dieser Name in des Plinius ,oppidum ZARASPADVM^ vor? ALEXANDRIA der Tabula ist 'AXe^ovSpeta i^ ev 'Apeioig 'Apeia |xr^Tp6i:oXt<;, Haraiva oder Harä; Antiochos I. hat die Stadt von Neuem befestigt; die Citadelle auf der Nordseite der Stadt hiess Artakavana, 'ApToxauav. Isidoros berechnet die Länge von Areia auf X' 30 Schoenen; da aber auf den südlichen Theil dieser Provinz bis zur Grenze von Anauon allein mindestens 30 Schoenen entfallen, so ist wohl v' 50 Schoenen zu verbessern; im nörd- lichen Theile lag KavSobc (,6raben'), nahe der Gebirgsscheide. Die Länge von Margiana gibt Inidoros auf 30 Schoenen an; die von ihm 'Avtiox«« £Vü3po<; genannte Stadt ist also nicht Marw-Sähi|;än (jetzt QaPah Kausidh-khan), sondern Marw-i-rüd (jetzt Murghäb-i-bälä) ; es müsste denn auch hier ein grosser Distanzfehler angenommen werden. ANTIOCHIA der Tabula hingegen ist sicher das nördliche Marw; die Distanz von Hare bis dahin beträgt * LX Parasangen = 80 Schoenen = 367 \l^ ^"^ = 228 Miles; Napier gibt nur 212 V2 Miles oder 50 heutige Farsang in geradester Route und ohne den Umweg über Marw- rüd an. Dagegen beschreibt das persische Buch Nuzhet el-qolüb einen Weg, der von Har^ nach Marw-rud allein 38 Farsang ausmacht: Har^ 15 Fars. Babnah oder Baun 13 Fars. Bagh- fiür 10 Fars. Marw-rüd. Von da bis Marw Sähigän rechnen die Araber weitere 47 Farsang. Beim Ravennaten lesen wir die Namen BACESIA und BACAS; sollte damit Bädgis und Baghäwah (Nebenform von Baghsür) gemeint sein? Ueber die nördliche Metropole AvnoxE'a Mapytaw^ bieten Strabon imd Plinius einige Nachrichten; Letzterer berichtet nach einer seleukidi sehen Schriftquelle : MARGVS Fl. conrivatur in ZOTHALE. Gegen- wärtig wird alles fliessende Wasser in den Turkmanen-oba's von Qal'ah Kausidh-khän aufgebraucht; der Wüstensand ent- hält aber noch weite Strecken nordwärts Sickerwasser; in Tiefen bis 10" wird Brunnenwasser erholt. Ein Itinerar im Nuzhet und Grihän-numä, das selbst Sprenger S. 33 nur unvollständig

Zur bistorisrhcn Topographie tod Pereiea, 215

kennt, führt auf dem Wege nach Khiwa mehrere Brunnen an; wir geben es nach der vorzüglichen Handschrift der kaiser- lichen Hof bibliothek : Marw 5 Fars. Deh Soqri 2 Fars. Äbdän- Gan^ 8 Fars. Robät Sürän 5 Fars. Cäh-khäk e^U. «U. ,Brunnen mit trübem, lehmhältigem Wasser' 7 Fars. Cäh-säöi 7 Fars. Cäh-B^rün ,der Brunnen am Rande' etc.

14. Weg von Harö nach Derreh*gez.

Wir lesen in der Tabula folgendes Itinerar:

ALEX ANDRIA

XX A S B A N A

•XXII- OSCANID ATI

XXXV S A P H A R I (G. Rav. S A P H A R).

Damit wir über das Endziel desselben nicht im Unklaren bleiben, ist es vor Allem nothwendig, so genau als möglich die Lage von SAPHARI zu erkunden. Es wird dies in vor- züglicher Weise ermöglicht durch die Beschreibung der parthi- schen Heerstrasse bei Isidoros. Den parthischen Königen musste es daran liegen, nach dem Heimatgebiet ihres Volkes auf be- quemer Route zu gelangen. Ihre seleukischen Vorgänger hin- wieder, welche die nördlichen Grenzen ihres Reiches, dessen Endpunkte in Carsamia, Antiochia, Saphari der Tabula vor- liegen, allezeit von nomadischen Völkerschaften, zumal von den Dahem, bedroht sahen, und deren von Alexandros überkom- mene Aufgabe es war, den hellenischen Gründungen im Grenz- gebiete von P]rän und Turän allen erdenklichen Schutz ange- deihen zu lassen, mussten aus strategischen und handelspolitischen Rücksichten fiir ungeftlhrdete Strassenzüge nach Parthyene und Nisaia sorgen. Isidoros nun beschreibt die parthische Stamm- provinz mit gebührender Genauigkeit und schliesst daran einen kurzen Stadiasmos von Apavarktikene, und zwar in folgender Weise :

216 Tomasehek.

Nordgrenze von AatowYjVYJ (etwa bei QaPah Mlnah^ 3 Miles nördlich von Capuäli am Ausgange ans dem 4200' hohen Engpass Allah-hö-akbar) ; darauf folgte auXwv üapOaij, benannt nach den Par- thava^ d. i. das vortrefflich cultivirte Hochthal Derreh-gez; darin lag zunächst in einer Di- stanz von 6 Schoenen = 28^ = 17 V3 Miles = 26 V2 Werst

N(ca 1^ ic6Xt?, Iv OaßaoiXixal ta^af 'EXXy)V£? Ih Nidaiav ki'^owis. Hier haben wir eine der ältesten (iranischen Ansiedelungen vor uns, das nordische Ni9äya des Awesta. Die Parthava selbst waren irani- scher Abkunft. Alexandros siedelte hier Helle- nen an, vergl. PUnius VI, 114: regio NISIAEA Parthyenes nobüis, ubi ALEXANDROPOLIS a conditore. Hier waren nachmals die Grab- stätten der parthischen Könige ein wich- tiger Fingerzeig für die archäologische For- schung, den die russischen Gelehrten beherzigen mögen. Das Gebiet Nigcaia umfasste nach Strabon IX, p. 509. 511 auch die nördlich angrenzenden Steppengebiete bis zum Unter- lauf der Teg^end; Apollodoros, Verfasser der noEpOtxa, ouvexci>(; tbv '*Q/ov 5vo(i.dl^ec ü>^ if^tiztii ToT^ nap6ua(o(i; ^eovra. Der dahische Stamm der Apamayö nahm die Weidegründe für sich in Anspruch und machte wiederholt Einfälle nach Parthyene; der Beihilfe dieser den Parthern nahe verwandten Nomaden bediente sich Ar- sakes, als er wider die seleukidische Herr- schaft rebellirte. Die arabischen Geographen rtlhmen die Quellen und Platanen von Nisä U*J und nennen zahlreiche Orte dieses Rustäq's imd Schatzhauses von Neääpür, z. B. Färüz oder Bälüz, d. i. das heutige Dorf Pärüzah. (Die von Isidoros angegebene Entfernung fuhrt uns nach den durch Obstcultur und Weinbau hervorragenden Orten Gulfän, Burg;, Qal'ah- qal*ah, Hazret-i- Sultan und Kal-atä, Tepe-qaless

Zur hiftoriscben Topographie Ton Penien. 217

nach Stewart; hier ist das Centmin von Der- reh-gez, wenngleich die weiter gegen SO. ge- legenen Burgen Nau-khändän und Mu];^mme- däbäd jetzt bevölkerter und blühender sind.) Weiter lag in gleicher Distanz 6 Schoenen = 28^° = 17 Vs Mües = 26 Va Werst

riOop tcoXk; (d. i. der heutige Dörfercomplex Ealtah-din&r; darin liegt in der Mitte das Dorf Gädäri, vergL die russische Karte des persischen Grenzge- bietes, in der kaukas. Abth. der kais. geograph. Ges., 1881, Vn, p, 203. Nordwärts treten wh- in die ,wide, open pasture of Nisä', die sich zwischen dem Köh-i-*Asel-mä und dem ,nie- drigeren' Randgebirge Z^r-köh bis Aäkäbäd und Annäu erstreckt). Dann sind es 5 Schoenen = 23 V3 ^m = 14 7, Miles = 22 Werst bis

Ztpu)x %okiq (oder Annäu, wo sich Spuren der Vorzeit er- halten haben, während die Turkmanen-oba Gäwars kejne alten Gebäude besitzt; der rüd- i-Kaltahöinär verliert sich in der Wüste); 8 Schoenen = 38 Vs ^"^ = 24 Miles = 36 Werst bis zur

Ostgrenze von napöuTQViJ gegen 'AxaüapxTixY)vi(j (d. i. die Mitte zwischen Gäuars und Bäbä-durmaz; jetzt streicht die politische Grenze zwischen russ. Achal und pers. Atek-Türän nur 2 Werst vor Bahadurmaz an einem Salzbach dahin); die Länge der Nachbarlandschaft wird auf 27 Schoenen = 126*" == 78 Miles = 109 Werst angegeben, sie reichte also bis zum heutigen Orte Cär-deh oder Dü-sakh, wo dann das Gebiet von M6- hanah und Cahöah beginnt, das bereits zu Serakhs gehört. Die Stadt 'AxouopxTixi^ (von apa-varkta »abgetrennt'^ d. h. jenseits des Berg- saumes gelegen) filllt nach Bäwerd oder Ab^- ward, jetzt Ruinen vonPeStag am Rüd-i-Bäwerd, welcher zwischen dem Allah-hö-akbar und dem höheren Maidän-khüni-Pass entspringt, an Gib- kan vorüberfliesst und das Thal Mijän-köh

218 ToiiiftBchek.

bewässert. Bei Isidoros scheint der Stadias- moB von SipoxYjvi^ (Serakhs) ausgefallen zu sein. In diesem Thalgebiete IlapOaO nennt Isidoros ausser den obigen Städten noch eine Dorfschaft ohne Distanzangabe, so dass wir dieselbe ebenso gut vor wie nach Nisä suchen dürfen, nämlich xü)|jly) ^Tt(; xaXetTai Sofpt. Wir suchen dieses Dorf zwi- schen Muli^ammedäbäd und Nau-khändän bei Gul-khäni und Artiyän, wo die russische Karte einen Ort Safar ansetzt; vergl. dazu neupers. safärl ,j;jU-^ ^calamus tritici^ In der schon einmal angeführten Stelle des Orosius (1, 2, 16) über den mens Caucasus^ einem Reflex aus der augusteischen Welttafel, heisst es : a Charris civitate usque ad oppidum Catippi inter Hyrcanos et Bactrianos mons Memarmali, ubi amomum nascitur; a quo proximum iugum mons Parthau dicitur; ab oppido Catippi us- que ad vicum Safrim inter Dahas Sacaraucas et Parthyenas mons Oscobares. Wir werden auch hier den rechten Zu- sammenhang herstellen, unbeirrt von der Verwirrung der Orts- lagen; der Oscobares gehört nicht her, wohl aber bilden eine geschlossene Gruppe VICVS SAPHRI und MONS PARTHAV, dann die Völker PARTIIYENI, DAHAE, SACARAVCAE. Alle diese Namen standen auf dem Urbilde der Tabula, sie waren der seleukidischen Wegvermessung entnommen. Die xa)[AY) lafapi oder 2a^p{ bildete den Knotenpunkt der Strassen aus Areia und aus Hyrkanien, von hier an begann der Weg durch das Hochthal DopOaö und den ,Bergsaum*, der den liier angesiedelten Eraniem die Benennung ,Randvolk, Volk der Seite' (parthu, dial. Nebenform von par9u, pere9u, pahl. pahru, neupers. pahlü) verschafft hat; weiter im Norden am Ufer des Teg^end und an den kaspischen Küsten hausten die Aaat (ein- mal auch Adaai genannt, bei Steph. Byz., baktr. Däha, skr. däsa ,Feind, Sklave, Knecht'), deren Andenken sich in mehreren Orten Dehistän bei arab. Geographen erhalten hat, von welchen der berühmteste mit den Ruinen von Mizriyän zusammenfällt. Gegen die Oxus-Mündungen hin nomadisirten die Xay.ap«ixa'., ein Stamm der 'A-itacixat oder ,Wasser-Saken' ; als nachmals die Tukhära und AsI ('Actiovoi, beim Ravennaten ISSOI, YSSOI* das Zweistromland in Besitz nahmen, wurden die ^akä-raukä nach Süden gedrängt; der alte ^anatruk erwarb mit ihrer Hilfe von Neuem den parthischen Thron (Lukianos, Makrob. 15).

Zur historischen Topographie von Penien. 219

Jetzt können wir das Itinerar in der Richtung nach Har^

weiter verfolgen. Von Safar überschritt der Weg den Rücken

des Köh-i-Allahhö-akbar oder Köh-i-Giüistan und den Lauf des

Rüd-i-Gibkan (etwa bei Zangalänl) und erreichte durch den

Pass Dumöl an der Westseite des Köh Tmäret, Köh Tahmäsp

und Köh Hazär-mesg;id das an Pferdeweiden reiche Gebiet von

Radekän, dann Cinärän, Dastgird, Gunäbäd, Dewin und Tüs

(lomoL bei Arrianos, nach H. Kiepert); von Meshed wandte

sich der Weg südwärts über Turögh, Khäkister (oder Khäk-

sär), Kahriz-dameh nach Ahmedäbäd und Farhä-gird. Bis

hieher sind es ungefähr * XXXV ' Parasangen. Von dieser

alten Königsstrasse, auf der Alexandros zog, als er den Bessos

verfolgte und dann gegen Areia abbog, weichen die arabischen

Itinerare im nördlichen Theile ab, weil seit der Säsänidenzeit

die Metropole des Districtes Apara-khsatra, nämlich N^w-Säpür

oder Nai-Säbür, zum Strassen-Knotenpunkte geworden war.

Maqaddäsi hat ein Itinerar von Nisä nach Nai-Säbür, deren

Analyse schwierig ist: Nisä ein Tag Baghdäw ein Tag Bardar(?)

ein Tag Farkhän ^^t* (vergl. Mac Gregor II, p. 82) ein Tag

Rig ein Tag Namakhgän (vergl. Köh-i-Namangin bei Mac

Gregor U, p. 46) ein Tag Darein (DawTn bei Gunäbäd?) ein

Tag Kal-i-gäw ein Tag Naisäbür. Daran schliesst sich folgender

Weg: ein Tag Diz-bäd ein Tag Farhä-kerd :»^5Uji.

In Farhä-kerd oder Farhäd-gird >j$ >^ji, dem Vorort des ausgedehnten Rustäq's Asfend j^^Liiji, welcher zur Provinz N^- 8äpür gerechnet ward und 83 Ortschaften enthielt, einem schönen, vi-ohlbewässerten und mit Vegetation gesegneten Städtchen, das ans Chanykow, Clerk und Mac Gregor beschrieben haben, suchen wir OSCANIDATI der Tabula. Asfend erklärt sich vielleicht aus baktr. asavaSj ,mit Reinheit versehen', 'OgxoviWty; erscheint wie Aäavanö-däta, gebildet wie Qp^ötö-däta.

Zur folgenden Station haben wir XXII Parasangen = 135 ^^ = 83 Vi Miles. Der Weg führt an dem Wasserreservoir band-i-Farldün (Farimün) vorüber zuerst nach Kalenderäbäd und Berdü (Bardüyah ^io^S^), dann über die ausgedehnten Ruinen von Langar (bei MuqaddasI Mäläi-kerd) nach Turbet-i- '"^eikh-öämi (arab. Püzgän ^Iä.ji^), dem Vororte des grossen, zu N^Bäpür gerechneten Cantons Gäm ^U. oder Zäm ^Ij, welcher -00 Orte umfasste; wohlbewässerte Gärten spendeten hier Feigen/

220 Tomasckek.

Aprikosen ; Weintrauben, Pistaziennllsse und Wassermelonen. Weiter gegen S. wird der Boden steril, wir finden an dem Heer- wege die halb verödeten Orte 'Abbasäbäd und Kahrlz; Mu- qaddasl nennt die Stationen Ealanä imd Tu (vergl. Toua bei Ptolemaios, Narra-tü im Gebiet von Bädgis). Die Distanzen, welche ConoUy, Ferner, Chanykow, Clerk u. A. angeben, führen dazu, bei Eahrlz den Haltort ASBANA zu suchen; asb k^,>^\ ist Nebenform von asp, frühzeitig bezeugt in Asb&n-bur, Name einer Vorstadt von Ktesiphon, und Asbän, Name einer persi* sehen Familie; vielleicht war hier wie in öäm (Hammer, Ilchane, II, S. 43) ein grosses Pferdegestüt. Die Position von Eahrlz ist von Natur aus zu einem Haltort geschaffen; hier zweigt sich ein zweiter Weg ab, der, westlicher als der vorige, aber ziemlich parallel, die von SO. nach NO. zwischen Gebirgen sich hinziehende Mulde von Bäkherz jjisLb oder Gnakherz y^^ (aus ava-hareza ^ausgegossen, vom Winde bestrichen/ oder aus vatö-hareza) mit dem alten Vororte Malin (jetzt Sahr-i-nö) durch- läuft; Ergiebigkeit an Weintrauben und anderem Obst, sowie an Erzen, gab auch diesem Canton, welcher 168 Ortschaften umfasste, Bedeutung. Ein dritter Weg wendet sich von E^ahriz über Täyäbadh nach SW. zum Passe von Earät und führt nach Ehwaf und TurSiz.

Von Asbana gelangen wir auf kurzem Wege über Eäfir- qaPah zum Harö-rüd ; auf dem jenseitigen Ufer ist EüsQi oder EüsQyah (jetzt Eusän) ein Ort von Bedeutung gewesen, wie die ausgedehnten Ruinen bezeugen ; er ward zu PüSang (vergL ntdörffai an drei Stellen bei Theophrastos, jetzt Güriän) ge- rechnet. Der geradeste Weg führt über ASköwän nach Hare. Die Ufer des Harai-rüd sind gut angebaut und bevölkert, grosse Ortschaften wie Bamäbäd und Zindeh^än liegen an beiden Ufern. Wie alle iranischen Stämme, so hat auch der am Hare angesiedelte, in der Tabula mit AROTAE bezeichnete, die Eunst der Irrigation, den Feld- und Gartenbau gepflegt; die Stadt des Alexandres spielt in den politischen Ereignissen des Orients noch jetzt eine Rolle.

Zur kiatoriseh«!! Topognpliie Ton Penien. 221

15. Weg von Bayy nach Derreh-ges.

Nachdem wir über die Lage von Saphari ins Reine ge- kommen sind^ wird es nicht schwer sein^ über folgendes Itinerar kritisches Licht zu verbreiten:

EVROPOS

•XV- NAGAE (G. Rav. AGAE, TAGAE)

XX CATIPPA

•XX FOCIANA

•X STAI

XXXV SAPHARL In Nagae der Tabula ist nicht etwa Ragae enthalten^ da ja Europos selbst der makedonische Name für Ragae gewesen; viehnehr bietet die Lesart Ta-fat des Ravennaten das unzweifel- haft Richtige. Wie es sich aber mit der Distanz -XV* verhält, wird erst klar, wenn wir die Lage von Hekatompylos, sowie die Länge von Choarene imd Komisene erkannt haben. Wir gehen auch hier vom Alexanderzuge aus.

Erster Tagmarsch Alexanders von Ragae zum Eingange in die kaspischen Pforten (d. h. zum KS. Aiwänek), Länge desselben 383 Stadien = 70V4^ = 44 Miles. Bis zum KS. Kebüd-gunbe(J sind 20 Miles; dort, wo sich der Ga^eh-rüd zu zertheilen beginnt, lag Bihzän ^\y^] weiter südwärts, gegen Warämln, war und ist die Ortschaft Edm .•wJUJ. Weiter sind 24 Miles nach Aiwänek oder Eiwän-i-keif; gegen SW., 12 Far- sang von Rayy, befinden sich die Ruinen von Qal*ah Arig; sie fiihren bei Yaqut den Namen Äräzl ,33^^^ man hielt sie flir die Altstadt von Rayy; uns gelten sie flir die Reste der seleokidischen Gründung Xdpa^, nach Isidoros %6\iq d; ^v npü^q ßatffiXdx; ^p(xdrr^<; (= Arsakes V. 181 174 v. Chr.) Tob(; Mdpioo<; wuocv* lotiv ^b xh 8po^ 8 xaXetTat Kiaxtoq, i/f oZ KdEoxtat ic6Xai' Ptolemaios nennt ausser Xdpo^ noch 'Apoxidiva.

222 Tomftschek.

Zweiter Tagmarsch Alexanders durch die kaspischen Pforten und das Culturgebiet von Choara (d. h. von Aiwänek über KiSlaq-Khwär nach Aradän), Länge 297 Stadien = 54 V4 ^ = 34 Miles. Genau bis in die Mitte des Defiles Tang-i-Sar-i- darrah oder Dahänah-i-Khwär beträgt die Entfernung von Rayy 56 Miles = 490 Stadien: Strabon gibt sie rund zu 500 Stadien an. Von Aiwänek sind 22 Miles bis Kislaq-Khwär , vormals Öahr-Khwär, auch Maballeh-bägh j^b aJl«^ genannt; das war der Vorort von XoapYjVYj ,Futterland' (wie Khwärizm, von khwar ^speisen^), welchem Gebiete Isidoros die Länge von 19 Schoenen = 8874^" = 55 Miles zutheilt; 4 Schoenen von der Grenze Ragiana's; die etwa 8 Miles hinter Aiwänek anzusetzen ist, lag *Axa|xeia x6Xt?, eine seleukidische Gründung und anderer Name von Xoapa, obwohl Ptolemaios beide Orte gesondert anfuhrt; ausserdem gab es vier Dörfer bis zur Grenze von Kumil. Zwischen Killaq und Aradän zertheilt sich der salzhaltige ^ebleh-rüd farab. ,J>^ä. ,Strick, Kabel*) in sieben Wasseradern, welche zur Zeit der Dürre verhärtete Salzcascaden zurück- lassen. In Aradän erfuhr Alexander die Gefangennahme des Darius.

Dritter Marsch Alexanders bei Nacht und Morgenfrühe (von Aradän bis Läzgird) mit einer Länge von 331 Stadien = 61 V3**"* = 38 Miles. Die vierte Mile hinter Aradän be- zeichnet das Ende des Cultur- und Futterlandes; die zwölfte Mile fiihrt uns nach Deh Diz-i-nemek, von da sind noch 20 Miles bis ziir Grenze von Khwär und Kumiw, welche durch niedrige Bergausläufer markirt wird und wo die alten Itinerare das KS. ras el-kelb ^H^i^dskopf^ anfuhren; von da sind 6 Miles zur Veste Läzgird.

Vierter Marsch Alexanders bei Nacht und Vormittag (von Läzgird über Simnän und dann rechts durch Sandsteppe bis zum Dorf 'Alah und zur Quelle Garmäb, wo wir VI CVS THARA Just. XI, 15 suchen, d. h. den Ort, wo Darius von Bessus und dessen Mitverschworenen gefangen ward); Weg- länge 370 Stadien = 67 V2^ = 42 Miles. Wir befinden uiis auf dem Boden von Kojjl'.ctjVi^ oder Komis ^^^Su^ arab. Qömi^ ^j^yJ oder Qumis, welcher Landschaft Isidoros eine Länge von 58 Schoenen = 27074^ =168 Miles zutheilt, so dass die Grenze derselben gegen Hyrkanien 15 Miles nordwestlich

Zur historischen Topographie von PerBien. 223

von Säh-rüd fällt. Hinter Läzgird begegnet das Dorf Surkhek (Deh Surkh ^^ im Nuzhet, Sirg; ^^^^^ bei Qodäma), nach 22 Miles die alte Stadt Simnän ^Ll^ oder Simnän ^LU^, IiipLiva des PtolemaioB. Von da an schlagen die Me§hed-Reisenden meist den Weg über die ziemlich beschwerlichen Anhöhen von Äkhor-i-Ahüän (Q\ybT im Nuzhet, weiterhin liegt Qüseh ^JoyJ) ein; die Karawanen mit Kameelen jedoch umgehen die Höhen- Züge und den Köh Sultän-i-Säh-Rökh imd ziehen über Doseir und Frät nach Dämghän , vergl. Houtum-Schindler, Berliner Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., 1877, S. 217 ; diesen zweiten Weg, auf dem offenbar Alexander seine Parforcejagd ausflihrte, schil- dern wohl auch die arabischen Itinerare, indem sie die Sta- tionen *Aliyäbäd und Grarm-güi nennen.

Fünfter Marsch Alexanders die ganze Nacht und den folgenden Vormittag (von Thara = *Alah über Doseir und am Fußse des Köh-i-benober bis Frät und einem 3 Miles weiter gelegenen grossen Dorfe, bei dem Schindler die Ruinen von Hekatompylos ansetzt), Länge desselben 417 Stadien = 77^3^ = 48 Miles. Eine Strecke von 16 Miles führt nördlich nach

Dämeghän ^\ iLil^, der nachmaligen Hauptstadt von Kumi§;

Alexander jedoch, der die Verschworenen so schnell als möglich erreichen wollte, zog auf geradestem Wege nach Säh-rüd, wo er den Leichnam des Dareios fand. Denn der

sechste Marsch Alexanders bei Nacht hatte nach Arrianos V, 21 eine Länge von 400 Stadien = 74^ = 11 heutige Farsang und führte Sc' dvüBptav oder jene Salzwüste, die sich nordösthch von Frät bis Deh MoUä und zu den Anhöhen Köh- Alwend und Köh-i-zar ausdehnt, in die Gegend des heutigen Ortes Säh-rüd, dessen Entfernung von Dämeghän 16 -+-26 Miles beträgt (über Deh-Mollä). 'ExaTÖpLTwXo«;, wo später Alexander Rast hielt, war eine mit Vorräthen reich versorgte, wohlbe- wässerte und in einer Ebene gelegene Stadt, in welche von allen Seiten Strassenzüge einmündeten; die parthischen Könige erwählten den Ort zu ihrer zeitweiligen Residenz; seine Ent- fernung vom Ende der kaspischen Pforten betrug nach ApoUo- doros genau 1260 Stadien (Strabon p. 514). Diese Angaben passen für das Dreieck Frät-Güseh-Dämghän, in dessen Mitte Schindler die Stadt verlegt, vorzüglich. Von da aus erreichte Alexander die Grrenze Hyrkaniens am dritten Tage (Curtius

224 Tomasohek.

VI, 4y 2); Antiochos IQ. zog im Kriege gegen Arsakes IQ. im Jahre 209 v. Chr. nach einem langen Marsehe durch die Wüßte zuerst nach Hekatompylos, dann nach TötYat (Polyb. X, 28), welcher Ort genau einen Tagmarsch nördlich von den Ruinen bei Frät anzusetzen ist.

Tdrfaty TAGAE der Tabula, ist unzweifelhaft der heutige Ort Tftq jlj (= tÄkh -Ij, tägh j^U, arab. täq Jü> ,arbor, cuiuß lignum ad ignem et prunas aptissimum^ i. e. haloxylon anuno- dendron^, 5 Miles nördlich von Dämghän auf dem Wege in das *Ali-öeSmeh-Thal gelegen, öVj Farsang südwestlich von Deh-i- MoUa (arab. l^addädah). Nach Beladhori war T&q ein« Veste in Ta-baristän auf der Route nach Qumis, wohin sich beim Anzug der Araber der Aspah-bed des Landes geflüchtet hatte; dort befand sich seit Alters ein Schatzhaus der persischen Kö- nige. Von Rayy bis Täq sind über Eaälaq Simnän und die Ahüfin-Passage 215 Miles = 346^" = 56Parasangen; wir werden also im Text, falls nicht Zwischenstationen ausgefallen sind •LV' berichtigen dürfen.

Die folgende Station CATIPPA, wozu KaaiwQ des Ptole- maioB vergHchen werden darf, obwohl Tpxovia [L-ri-zp&RoXi^ bei ebendemselben gesondert angesetzt wird^ ist das heutige Aster- äbäd. Orosius las in seinem Exemplare der Tabula OPPIDVM CATIPPI; darüber war das Volk der HYRCANI verzeichnet, die Tabula selbst bietet noch die MAXERAE (MoSijpai Ptolemaios, Anwohner des Flusses Ma^t^pa?, Maziris Plinius). Von Catippi an erstreckte sich bis Parthau der MONS MEMARMALI ,ubi amomum nascitur^^ während westwärts die medische Landschaft der MONS ARIOBARZANES (Hara-bareza, Alburz) durch- strich. Wir schlagen von Tayai, Täq die 'All-öesmeh-Route ein und gelangen mit Gr. Forster in 5 Farsang nach Ealatä; von da sind 3 Farsang nach Öär-deh südlich vom Sowäd-köh »3^ >^y^'i dann übersteigen wir den Tang-i-Samsir-bur und gelangen in 6 Farsang in den balük Säwer und zu den Ortschaften am Asp-n^zah, darunter bäh-köh-bälä ; weitere 6 Farsang bringen uns über den kotal Gihän-numä auf steil sich hinabwindendem Pfade in die Ebene von Asteräbäd, d. i. KoÖiwra. Antiochos III. überschritt im Jahre 209 nicht diesen letzten Pass, sondern zog eine lange Strecke durch das Säwer -Thal westwärts und setzte über den Aißo<; (pers. Läwüd, Läwud >jiy^, Dom's Caspia

Zur historischen Topographie Ton Perslen. ^^5

S. 15 u. a. O.) erst im Meridian von ÖÜeh-kendeh, um. nach Tajxßpaxa oder Tahmesah und dann nach Süpt-fS oder Särl zu gelangen. Minder sicher ist der Weg zu bestimmen^ den Ale- xandros gewählt hat, um nach der Hauptstadt Varkäna's zu gelangen; vielleicht war es doch die Routa Säh-rüd-Asteräbad. Nachdem ^r am dritten Tage nach dem Ausmarsche aus Hekatom- pylos die Grenze von Gurgän (15 Miles nordwestlich von Öäh- rüd) erreicht hatte, zog er noch 150 Stadien = 5 Parasangen

an dem heutigen Orte Täs ^\ 'S (6 Farsang von Öäh-rüd,

Nuzhet) vorüber zu den Quellen des ZtßoiTT;<; (Ziya-vaidhi, jetzt äb-i-Tää), dann über den mondförmigen Kamm des Alburz (Pässe Wigminü 2845"^, Öilin-biHn 2281") 50 Stadien == P/^ Para- sangen weit bis zum Orte SARVAE (e^ Sacpßa<;, vergl. Ptolem. lapßa, Curtius Hest Arvas), jetzt Ziyäret, endlich ad urbem Hyrcaniae, d. i. Asteräbäd, 12 Miles von Ziyäret. Die Abthei- lung des Erygios zog wohl über Bistäm und Kharraqän, des Krateros Weg durch die Gebirge ist unbestimmbar. Auch die parthische Königsstrasse bei Isidoros schlägt diesen Weg ein. Von Asteräbäd geht der Weg so bequem als möglich über die grasreichen Ebenen an dem linken Ufer des Gurgän- rüd; im Gegensatze zu der vorigen Hochgebirgspassage dürfen wir den 'XX* Parasangen zur folgenden Station Tociana eine beträchtliche Länge zuweisen; 10 Farsang zu 7^ bringen uns nach Min-Grurgän, Gor^än, einer von Arabern angelegten Stadt. Hier münden noch zwei andere Wege aus Bistäm ein : der eine führt direct nordwärts in zwei Tagreisen nach Gohainah ^Ji^y^jL (jetzt Rah-miyän), wo ein Gebirgsbach fliesst, dann in einem Tage nach Gurgän; der andere biegt durch das Thal des rüd- i-Puöt Bistäm nordostwärts aus, führt in zwei Tagen nach Zar- däbädh 3UT>jj (vergl. kotal Zardäwä bei Mac Gregor 11, p. 111), wo ein Anschluss an die N^aäpür- Route stattfindet, dann in einem Tage, wahrscheinlich über Tiläwer, nach der Station Khurmä-rüdh y^'A^Jl^ oder Khurmah-beh-rüd (Hammer, Ilchane U, p. 20; jetzt Khurmä-lü an der Vereinigung des Tärä-rü und Alä-rü vor dem Dehänah - i - Khurmälü , Napier, Journ. of the geogr. SOG. 1876, p. 111), dann in einem Tage nach obigem Gohainah und nach Gurgän. Weitere 10 grosse Parasangen bringen uns von Gurgän nach dem KS. Candeh-äbäz, wo sich die Quellen des Gurgän-rud vereinigen. Hier ist Fociana der

SitKQDgBber. d. pbii.-hiBt. Cl. CU. Bd. 1. Hft. 15

326 Tomascbelr.

Tabula oder, wie wir nach Tauy.((r;a des Ptolemaios verbessern, TOCIANA (vergl. neupers. tök ^sf^i ,Strahlenbündel, Quellen- vereinigung') anzusetzen. Dieser Haltort lag bereits in Asta- vene. Isidoros berechnet die Länge von 'YpxoNla, auf 60 Schoenen = 280*™ = 174 Miles == 263 Werst; die Grenze ftllt nach Dehanah-i-Gurgän im Sehrek Thale; die arabischen Geographen flihren im Einklang dazu die Grenze von Gurgän noch eine Strecke ostwärts über D^när-zärT ^^\j j\Ji>> (vergl. auch Dom's Caspia S. 127. 260), jetzt Olang-Gurgän im Thalgebiete Dast mit Zelten der Goklän-Turkmanen, hinaus.

Oestlich von Candeh-äbäz streicht ein öder Bergzug von NNW. nach SSO., der Köh-i-Dast-i-Armud-aly, wo das KS. AmlQt-alu ^ ^\ oder Amrüt-alü ^ ^^\ ,Bim- und Pflaumen- baum' lag; jetzt ist der Haltplatz auf der ostwärts sich an- schliessenden Hochsteppe selbst, Namens Qarabul-CälbäS; von alten Grabmälem dieses Dast lesen wir bei Ritter Vlli, 351. Die folgende Station heisst bei den Arabern Robät A^gh ^\ y jetzt Aik oder Aök. Von da an bewegt sich das arabische Kontier gegen SO. nach Sang:äst (jetzt Öflr-deh mit den vier Orten Sangast cx^JU.^, Elhörä^h «lio^^^, Gürbed wM^^ und Anda- gän) und nach Asfarä'ln (jetzt Miyänäbäd). Die alte Königs- strasse jedoch zog sich nach NO. weiter und erreichte die Ortschaft Simalgän , die von Candeh-äbäz genau X Para- sangen = 61 V3 ^ = 38 Miles = 57 Vj Werst entfernt liegt ; Simalgän ist also STAI der Tabula (vergl. bartr. yta ,Stand- platz' oder gtavi »gross').

Von Simalgän sind 'XXXV* Parasangen = 214 \ '3^ = 133 Miles = 201 Werst bis Saphari, jetzt Safar in Derreh- gez. Isidoros gibt der Landschaft 'A(nowY;vT^, die von Dahänah- i-Gurgän anhob\ eine gleiche Länge wie Hyrkanien, nämlich 60 Schoenen = 280 ^^^ = 174 Miles = 263 Werst = XLV Para- sangen; die Landschaft zählte 12 Dorfschaften, wo Halt ge- macht wurde, das gibt alle 5 Schoenen eine Mansion. Ausser Simalgän begegnen auf dieser alten Eönigsstrasse die blühenden Orte Bügnürd, Öirwän und Khabü&än; ausser vortrefflichem Obst wird überall Getreide producirt ; hier ist die Kornkammer des nördlichen Khuräsän. Die Turkmaneneinf^e sind dem Aufschwimge dieser Thalgebiete hinderlich gewesen ; im Alter- thum waren es die Daher, welche eine ähnliche Rolle spielten

Zur Iiittorisc]i«n Topographie Ton Penfen. 327

wie jetzt die Turkmanen und zur Ehalifenzeit die Ghozz. Doch würden wir fehl gehen ^ wenn wir Daher und Parther flir Völker türkischer Abstammung hielten; es waren vielmehr, gleich den pontischen Q^udra oder 2x6XoTot, arische Stämme, welche die alte nomadische Lebensweise beibehalten hatten. Isidoros nennt in Astavene nur eine grosse Stadt: wiXi; 'Affa3tx, ev ^ 'ApaixY)^ xpCkoq ^auiKsbq eve^ei/ÖY) xal fjKirztxai evroDO« irup (iöivatov. Diese Hauptstadt Aeak oder Arfaka (ARSACE bei Plin. VI, 113) ist ohne Zweifel das heutige KhabüSän, KhüSfin oder Khügftn, nach den arabischen Geographen der Vorort des grossen, zu Nä§&pür gerechneten Bezirkes üstuwft \y:-u)(, pers. Astawä \yiuc\, was so viel bedeutet wie ,ein der Insolation stark ausgesetzter HochkesseP. Das ewige Feuer im ÄtiSgah von EhabüSAn war ohne Zweifel ein Ableger des Ä^ar Bur- zin-mihr des Gebirges von R^wand (eine Tagreise nordwestlich von Nöfiäpür auf dem Wege nach Asfarft'ln), vergl. Hoffmann, Auszüge aus syr. Acten S. 291 ; vor diesem Feuer empfing Ar§ak I. seine Königsweihe ; Ghazan-khän erbaute nachmals in RhabftSfin einen Buddha-Tempel (Hammer, Hchane H, p. 28). Bei den Arabern wird öfter genannt der RustAq Gäh-g;arm oder Argbiyän ^Ue3\; diesen Namen erkennen wir in der Stadt 'Axpto^ wieder, die Polybios (Steph. Byz.) in der Ge- schichte der parthischen Wirren erwähnt hatte.

16. Weg aus Kuxnis nach Fräh.

Nachdem die Lage von TflEyat endgiltig festgestellt ist, bleibt uns nur noch ein Itinerar übrig, das theilweise durch öde wüstenartige Gebiete führte, und zwar aus der Gegend von Hekatompylos nach Drangiana:

TAGAE

•XLV- P ALIT AS (G. Rav. PA LIGA S)

•XV- PARHE

•LXXV- PROPASTA.

16*

228 TomftBchek.

Dieser Weg beschreibt gewissermassen die Basis zu der weit nach N. ausbiegenden, 210 Parasangen umfassenden Curve, welche wir von Fräh über Har^, Dereh-gez, Asteräbäd nach Täq gezogen fanden; die Gesammtlänge dieser Basis zu 135 Parasangen muss uns fast zu gering erscheinen, wenn wir bedenken; dass von Täq nach Fräh kein gerader Weg führt, sondern ausgedehnte Wüstenstrecken und Salz-kaw^r*s um- gangen werden, sei es in weiter nach S. ausbiegender Curve über Dast-girdü, Tebes, Bir^and und den Ilarrüt-rüd, sei es in gelinderer Ausbiegung nordwärts über Biyär-g:umand, Tärün, Turllz, Khwäf, 'Abqal und Anär-derreh. Da die Karawanen zu Kameel auf diesen Strecken meist ebenes Gebiet ohne Hindernisse durchziehen, so nehmen wir die Parasange wiederum zu 7^ an und erhalten flir die Strecke Tagae-Palitas die Länge von 315 *'» = 200 Miles, flir die offenbar durch Cultur- gebiet fUhrende Strecke Palitas-Parhe X V Parasangen = 92 km -_. 53 Miles, endlich fUr das letzte grosse Stück Parhe- Propasta die Länge von 525^" = 330 Miles. Für die Gleich- stellung des Itinerars mit der nordwärts über Biyär-^umand, Tur8Tz und Khwäf ausbiegenden Route spricht namentlich die hohe Wichtigkeit imd leichte Wegsamkeit des an wohlbewäs- serten und vortrefflich bebauten Cidturgründen so reichen üe- bietes von TurSlz, Wir zerlegen demnach die Tur5lz-Route in dem Verbal tni 88 3:1:5 und erhalten von vornherein für Palitas die Lage von Badr-askan, fUr Parhe die Lage von Turbet-i-Haidari.

Von Täq wurde der Weg entweder über Frät oder über Säh-rüd genommen, um nach Biyär-gumand zu gelangen ; dieser Ort liegt mitten in einer Ebene gleichen Namens, hat 200 Häuser mit reichlichem Wasser, mit Gärten und Feldern; in den be- nachbarten Bergen wird Kupfer, auch etwas Bleiglanz gewonnen. Die arabischen Geographen rechnen Biyär, Beär »U> zu Qumis^ und bemerken, dass hier, abweichend von sonstiger Sitte, die Vorräthe nicht in Verkaufsläden, sondern in den Privathäusem von den Weibern an die Karawanen abgegeben wurden; 5Iu- qaddasi nennt eine weiter nordwärts befindliche Quelle (jetzt Cesmeh-i-talkhäb) Biyär al-haud* 8 Miles weiter folgt der kleine Ort Khän-i-khödah, dahinter wird ein halbmondflirmig von S. ausbiegender Höhenzug überschritten; der Weg senkt sich zu dem brackischen Flusse Käl-morra, dessen Quellen von üäh-

Zur historischen Topographie von Persien. 229

^rm, Sanga$ und Asfarä^m kommen und bei Äzädwär zu einem Rinnsal sieh vereinigen, das auf dem Wege nach N^sft- pür unter dem Namen äb-i-nlsan ^glänzendes Wasser' (vergl. jj ^^'^ i^\ Raäid-eddin, p. Quatr. p. 171 no.) überschritten wird; der Unterlauf bewegt sich in den grossen kaw^r hinein, der sich zwischen TurOd und ^alwän ausbreitet. Dann hebt sich der Boden wieder allmälig; auf der Hochfläche von Zäghü-deh trifft man Nadelholzgebüsche; beim Abstieg liegen die Ruinen Mazra'a, und es folgt die kleine Oase Bihzfimah. Wiederum geht es über einen Felserizug, und man gelangt auf die Hoch- fläche von Tärün, die auch im 8. von Anhöhen begrenzt wird. Von da an wird der Boden wüstenartig; hie und da sind Sand- ^^S^h Quellen brackischen Wassers und Regenpfützen; einige Wasseradern kommen von dem nördlich sich hinziehenden Köh- i-mös; der Boden ist stellenweise mit Salz imprägnirt und von Ravinen durchzogen ; er senkt sich bis Awarbät zu einem Bache, an dessen Ostufer Bäb al-^äqim (so Clerk, Naublehfeäqim G. Forster), Ibrähimäbäd und ausgedehnte Ruinen, Reste einer vor Alters hier existirenden Niederlassung, liegen. Hier beginnt zugleich das Culturland von Tursiz d. i. der von den arabischen Geographen zu N^ßäpür gerechnete Rustäq PuSt (Vidlers I, p. 363, arab. Os-äo) ™t ^26 Ortschaften; bei dem Orte Badr-askan oder Bardaskand, wo sich der Weg von N^säpür nach Tebes mit der Turslz-Route kreuzt, liegen gleichfalls Ruinen, bekannt unter dem Namen Ferözäbäd. Dem Wegmaass zufolge muss in dieser Gegend Palitas, Paligas oder, wie wir schreiben, PHA- LIGAS gesucht werden ; der Name ist kaum iranisch, sondern semitisch (vergl. faXtva'To picov, ^jjitcu und 4>aXrYa, ein Flecken Mesopotamiens am Frät zwischen den beiden Seleukia's; arab. Jli ,Erdspalte, Thalmulde' = pers. gaud-i-n^mah) ; bei der Sprachensynkrasie der seleukidischen Zeit dürfen wir an semi- tischer Nomenclatur nicht Anstoss nehmen; vielleicht war der Verfasser dieses Itinerars, ebenso wie Isidoros, ein Grieche aus Mesopotamien. Ueberdies führt Yaqut einen zu N^säpür gerechneten Ort Faliq ^ an, der möglicherweise im Rustäq Pudt lag und mit 4>aXiYai der Tabula identisch ist. Ein balük Nem ^ ,Hälfte, Mitte* existirt noch jetzt zwischen Käkh und Qä'in auf dem Wege von Ba^istän nach Bir^and, mit den Ruinen von Sahr-i-Pärsi.

230 Tomaschek.

Die folgenden ' XV Parasangen flihren ununterbrochen durch Culturland. Wir gelangen durch die Felder und Gärten des grossen Ortes Eundur jSjs (nach Muqaddasi 4 Farsakh von Tur§Iz, zwei grosse Tagreisen von Gunäbädh in Qohistän), welcher von zwei Kanälen des von N. kommenden Flusses Sefi-dräz (;die sechs langen Wasserläufe^) bewässert wird; dann an mehreren Wassermühlen und den Feldern von Mazdeh vor- über nach den blühenden Orten Ehallräbäd, Zindehg^än^ Tur- bi^än, endlich nach Sultänäbäd, dem Vororte des Districtes TurSiz. Eundur und TurSlz waren die grössten Orte im Canton Pu£t; für Turfilz wird auch geschrieben TurSli, TurOlO; die älteste Form lautet Turuäpiz ^^^^y, von dem obsoleten Worte turuSp = wakhan. tresp; §ign. tu§ip, min^an. tri§pah; neupers. turuä ysauer* (vom Quellwasser oder vom Sauerampfer). Der District Tursiz ist noch jetzt eine Eornkammer für die Nach- bargebiete. Berühmt war die uralte hohe und schöne Cypresse des Dorfes Ea§-mihr; welche Zardu^t oder Gu§täsp gepflanzt haben soll. Weiter gelangen wir über Forq und zahlreiche Ortschaften und Bäche, die aus dem Eöh-i-Asqand fliessen, nach dem breiten Strome Asqand-rüd^ hinter welchem die Orte 'Alläbäd und Zar-mihr liegen; Forster nennt auch die Ort- schaft Doääbäd. Die Station PARKE der Tabula müssen wir der Entfernung nach mit der heutigen Stadt Turbet-i-Haidari gleichsetzen; sie liegt am Südfusse der Gebirge in einer reich- bewässerten, gut angebauten und bevölkerten Ebene; weiter südwärts dehnt sich der Canton Mubawwilät Cj^^y^ aus; bei Eä^'dirakht kreuzt sich die Turdiz-Route mit der Strasse von Nödäpür nach Gunäbäd; hier fliesst der Pe2dä-rüd >^j \>j^.. Eine Spur der NÄäpür-Route finden wir in dem Orte PASTI- CARA, welche der Ravennate neben Tptßa^oi; und Uakirfdq an- führt; vergl. Pazdigharah, arab. 'i^>jjy Ort im Gebiete von Kösäpür bei Yaqut, und Paädighar, ybj^^ cod. C, 1. Station von Nöääpür auf dem Wege nach Turäiz bei Muqaddasi. Ein Ort im Bezirke Puät heisst noch jetzt Eabödän o^^>^» ^*® ^^^ KoTCouTÄV« ,BlÄUort', von Ptolemaios im westlichen Areia angesetzt.

Weiter gegen SO. finden wir noch immer bedeutende Ortschaften und guten Boden; nennenswerth sind Sangän, RuSkhär, Ehö§iär, Öiräwän (oder Na§räbäd, der Vorort von Seh-deh); Sig;äwend; Salömeh, Ehwäfi-Rühl, Kiargird und

Zar liistorischen Topographie Yon Persien. 231

Ehwäf-i-Sangän ; endlich Zözan am Fusse des Köh-i-Kaibar^ Fargird (in Ruinen). Nach Mac Gregorys Erkundigungen be- wegt sich die Karawanenroute durch den Dak-i-diwälän nach 'Abqal oder 'Öqal; dann südwärts am Fusse des Eöh-i-Eaisar nach Anär-darreh, endlich (10 Farsang) nach Fräh.

So haben wir denn an der Hand der Tabula ungeheure Strecken von Ariana durchwandert. Wir haben gefunden, dass diese Urkunde auch für den Osten der alten Welt höchst beachtenswerthe Positionen darbietet; ja wir stehen nicht an, zu behaupten, dass, was Sicherheit der Ortslagen betrifft, die zugrunde vorgelegene seleukidische Urkunde, der Niederschlag einer grossen Vermessung des hellenistischen Reiches, einen weit höheren Werth beanspruchen darf als selbst die wivoxe^ des Ptolemaios, welche namentlich in Areia, Drangiana und Arachosia sehr in die Irre schweifen. Mögen Forscher von Fach unsere Aufstellungen prüfen und Alles, was darin mangel- haft erscheint, mit sicherer Hand berichtigen!

Unsere nächste Aufgabe wird sein, die Natur der per- sischen Wüste, dieser ausgedehnten terra incognita, so weit die modernen Nachrichten ausreichen, zu schildern und die zahl- reichen Wege, welche durch diese Wüste führen, unter Zu- grundelegung der arabischen Itinerare und steter Hinzuziehung neuerer Reiseberichte zu erforschen.

XXII. SITZUNG VOM 18. OCTOBER 1882.

Von der Kirchenväter-Commission wird der VIII. Band des ,Corpuß scriptorum ecclesiasticorum*, enthaltend: ,Salviani presbyteri Marsiliensis opera quae supersunt ex recensione Francisci Pavly* vorgelegt.

Der General-Secretär Dr. Siegel legt eine für die Sitzungs- berichte bestimmte Abhandlung imter dem Titel: ,Die rechtliche Stellung der Dienstmannen in Oesterreich im zwölften und drei- zehnten Jahrhundert' vor.

Das c. M. Herr Prof. Dr. F. Ritter von Krones in Graz übersendet zur Veröflfentlichung in den akademischen Schriften eine Abhandlung, welche betitelt ist: ^Historische Analecten aus und über Dalmatien und Croatien. I. Zur Handschriften- kunde dalmatinischer Bibliotheken.'

Die Classe überweist die Abhandlung der historischen Commission.

Femer wird ein von dem c. M. Herrn Prof. von Krones eingesendetes ,Gedenkbuch der Erhebung Ragusas in den Jahren 1813 1814', commentirt von Herrn F. Gelcich, Pro-

233

fessor und Conservator in Sagusa, mit dem Ersuchen um seine Publication in den akademischen Schriften übermittelt.

Die Vorlage wird gleichfalls der historischen Commission zugewiesen.

An Druckschriften wurden vorgelegt:

Acad^mie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique: Balletin. 51« ann^e, s^rie, tome 4, No. 8. Braxelles, 1882-, 8».

Akademie der Wissenschaften, königlich preussische: Corpus inscriptionum atticarum. Vol. III, Pars posterior. Berolini, 1882; fol. Abhandlungen aus den Jahren 1880 und 1881. Berlin, 1881 und 1882; 4«. Sitzungs- berichte I—XXVUI. Berlin, 1882; 8^ - Politische Correspondenz Fried- richs des Grossen. VIII. Band. Berlin, 1882; V\ Die Altäre von Olympia, von £. Curtius. Berlin, 1882; 4^, Zur Textgeschichte der Aristoteli- schen Physik, von Hermann Diels. Berlin, 1882; 4^ Ueber die spräche des Volkes R6ng oder Leptscha in Sikklm, von W. Schott. Berlin, 1882; 4<>. Die Sargonsstele des Berliner Museums, von Eb. Schrader. Berlin, 1882; 4^. Ueber eine alte Genealogie der Weifen, von G. Waitz. Beriin, 1881 ; 4«.

Helsingfors, Universität: Akademische Schriften pro 1880 - 1881. 11 Stücke und 40.

Institut national genevois: Bulletin. Tome XXIV. Gen^ve, 1882; 80.

Societi italiana di antropologia, etnologia e psicologia comparata: Archivio. XII« Vol., Fase. 2*». Firenze, 1882; 8».

Societas scientiamm fenica: Bidrag tili Kännedom af Finlands Natur och Folk. 35. und 36. Heft. Helsingfors, 1881 ; 8». Öfversigt af Förhand- lingar. XXIII. 1880—1881. Helsingfors, 1881; 8«. Katalog Ofver Bi- bliothek. Ar. 1881. Helsingfors, 1881; 8^

Society, the royal g^ographical : Proceedihgs and monthly Record of Geo- graphie. Vol. IV, Nr. 10. October, 1882. London, 1882; 8».

Verein ftir Geschichte und Alterthum Schlesiens: Zeitschrift. XVI. Band. Breslau, 1882; 80. Register zu Band XI— XV. Breslau, 1882; 8^ Codex diplomaticus Silesiae. XI. Band. Breslau, 1882; V\

lUr siebenbÜrgische Landeskunde: Archiv. N. F. XVI. Band, 1. 3. Heft. Hermannstadt, 1880—1881; 8". Jahresbericht für das Jahr 1879—1880 und 1880—1881. Hermannstadt; 8.

234

Verein hifltonseber, desCantons St. Gallen: Urkundenbuch der Abtei St Gallen. Theil in, Lieferung Vm und IX. St. Gallen, 1882; i«. ~ Christian Kucbimei8ter*8 Nüwe Casus Monasterii sancti Galli, von G. Heyer von Knonau. St. Gallen, 1881; 8^.

von Alterthumsfrennden im Rheinlande: Jahrbücher. LXX— LXXII. Heft Born, 1881—1882; i».

Wissenschaftlicher Club in Wien: Honatsblätter. m. Jahigang, Nr. 10 bis 12, und Ausserordentliche Beilage Nr. VIL Wien, 1882; 8<».

Siegel. Die recktlicbe Stellong der DienetmAnnen in Oeateireioh. 296

Die rechtliche Stellung der Dienstmannen in Oester reich im zwölften und dreizehnten Jahrhundert.

Von

Dr. Heinrich Siegel,

General-Secret&r der kais. Akademie der Wissenschaflen.

Mit der Berufung nach Oesterreich erwuchs mir die Pflicht, erhöhte Aufmerksamkeit den einheimischen Rechtsdenkmftlem der früheren Zeit zuzuwenden. Unter denselben forderten vor allen die beiden Urkunden des Landrechtes, über deren Alter die Meinungen weit auseinander gingen, während ihr verschieden- artiger Charakter völlig unbeachtet geblieben war, zu ein- dringlicher Untersuchung auf. Ihre Ergebnisse fasste eine Abhandlung zusammen, welche unter dem Titel: ,Die beiden Denkmäler des österreichischen Landesrechtes^ von der kais. Akademie in den Sitzimgsberichten des Jahrgangs 1860 ver- öffentlicht wurde. ^ Der Abhandlung sollte eine Ausgabe der Urkunden mit Erläuterungen folgen, wozu der Entschluss ge- fasst wurde, nachdem Rössler's Wunsch, in die Heimat zurück- zukehren und seine frühere Thätigkeit wieder aufzunehmen, als aussichtslos sich erwiesen, und v. Meiller seinen ursprünglich darauf gerichteten Plan, abgezogen durch andere Arbeiten, auf- gegeben hatte. Vom Jahre 1862 ab wurden auf Ferienreisen die bekannten Handschriften an den verschiedenen Orten ihrer Aufbewahrung verglichen und nebenher lief die Sammlung für den Commentar, als unerwartet im Jahre 1867 das Buch von Hasenöhrl erschien, welches unter dem Titel: ,0esterreichi8ches Landrecht im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert^ eine Edition der Urkunden nebst einer systematischen Darstellung ihres Rechtsstoffes brachte. Das Erscheinen dieser trefflichen Ausgabe, welche nur hinsichtlich der äussern Anordnung be- rechtigte Wünsche unerftült lässt, veranlasste die Einstellung

» Bd. XXXV, S. 109—132,

236 Siegel.

meiner unternommenen Arbeiten. Inzwischen führten wiederholt Vorträge über das Landreeht zu den vor Zeiten gesammeken Materialien zurück; und ich entnehme denselben für diesmal und verknüpfe in der folgenden Abhandlung dasjenige^ was auf die rechtliche Stellung der Dienstmannen in Oesterreich Bezug hat. '

L

Die Bezeichnung der Mitgheder eines Geburtsstandes als Dienstmannen oder Ministerialen ^ findet ihre Erklärung in den

* Als benützte Quellen kommen hauptsächlich in Betracht: 1. Die beiden Urkunden des Landrechtes, welche nach der Hasenöhrrschen Ausgabe blos mit Art. für die Aufzeichnung, mit §. für den Entwurf citirt werden. Da fttr den Ausgangspunkt bei der Verwerthung dieser Denk- mäler die Ansicht über ihre Entstehungszeit massgebend ist, so möge die Bemerkung Raum finden, dass ich auch nach der theilweise ab- weichenden Ausführung meines Freundes Luschin, Die Entstehungszeit des österreichischen Landesrechtes, 1872, an der von mir seinerzeit ent- wickelten Anschauung, nach welcher beide Urkunden im Jahre 1237 ▼erfasst wurden, festhalte. Gründe dafür werden dem aufmerksamen Leser an verschiedenen Stellen der Darstellung entgegentreten, während ein Hinweis darauf absichtlich vermieden wurde. 2. Die unter dem Namen ,Seifried Helbling* in Haupt's Zeitschrift für deutsches Alterthum, Bd. 4 (1844), durch v. Karajan veröffentlichten Gedichte. Sie werden citirt mit ,Helbling*, wenn dies auch nicht der Name des Dichters ge- wesen, welcher nach metner Meinung der Ritter eines der hervorragen- den Dienstmannen des Landes war. 3. Urkunden über einzelne Ge- schäfte und Acte. Soweit diese Urkunden in den von der Akademie herausgegebenen Fontes rerum Austriacarum, Abtheilung 11: Diplomata et Acta, enthalten sind, werden sie angeführt mit: D. et A., während das Urkundenbuch des Landes ob der Enns in OUB. abgekürzt ist. 4. Die Taidinge, welche noch nach Kaltenbäck (die Pan- und Berg- taidinge in Oesterreich unter der Enns, 2. Bde.) citirt werden mussten. Bei den übrigen benützten Quellen ist der Ort, wo sie gefunden werden, genau bezeichnet

2 Vgl. Freih. v. Fürth, Die Ministerialen, 1836. Ficker, Die Reichs-Hof- beamten der staufischen Periode,WienerSitzung8ber.XL (1862), S.447— 549. V. Zallinger, Ministeriales und Milites, 1878. Jäger, Die Entstehung und Ausbildung der socialen Stande in Tirol, 1881, S. 426 478. S. auch Freih. v. Schele, Ueber die Freiheit und Unfreiheit der Ministerialen des Mittelalters, 1868. Freih. v. Bor ch, Beiträge zur Rechtsgeschichte des Mittel- alters — Ritter und Dienstmannen fürstlicher und gräflicher Herkunft, 1881.

Die rechtliche Stellung der DieDstmanoen in Oesterreich. 237

Diensten, welche um ihren Herren zu venichten die Ange- hörigen dieses Standes vorzugsweise berufen waren.

Einem Herkommen gemäss vertheilten sich die Dienste fast überall unter vier Aemter : das Marschall-, Kämmerer-, Truch- sessen- und Schenkenamt. An der Spitze jedes dieser Aemter stand Einer als der Oberste und wurde auch als solcher be- zeichnet, wenn er nicht Marschall, Kämmerer, Truchsess oder Schenk schlechthin sich nannte, während solchen Falles die ihm Untergebenen des Titels ihres Amtes entbehrten. Jeglicher Dienstmann aber war nach dem Hofrechte einem dieser Aemter zugewiesen, und zwar erfolgte die Zutheilung durch die Geburt. *

In Betreff der Fähigkeit, solche Dienstmannen zu haben, lehrte das kaiserliche Landrechtsbuch c. 308: Ir sollt wissen dnz nieman dienest mnn haben mag mit rehte. wan daz riche vnd die fvrsten, swer anders giht er habe dienest man, der seit vnrehts. sie sint alle ir eigen die si hant, ane die ich hie vor genennet han. Dass jedoch dieser Lehrsatz dem Recht nicht entsprach, welches in Oesterreich galt, wo mindestens gräflichen Dienst- mannen die Anerkennung nicht versagt wurde, ^ muss hervor- gehoben werden, wenn auch die Dienstmannen der Grafen wie tticht minder die der im Lande begüterten reichsunmittelbaren

' Als ein edler Herr von Ellenbrechtskirchen im Jahre 119i dem Stifte Passan milüeg, und zwar iure ut tthU minUteriaUs eedettiae schenkte, heisst es in der darüber aufgenommenen Urkunde weiter: ncque recepU nmt a mimtterieUihu» in cmypares et in officium dapiferi d^Mdati. Monumenta boica XXV] n, 2, 261. Die iura miniatericdium OoUmien*ium aber setzten fest : Item nnguli et omnea mininteriales ad certa offida curiae naJti et depu- taU 9unt. Quüibet eorum per tex hehdomalaa aerviet in auo officio^ ad quod natua eat. v. Fürth S. 6 IC. Es war daher der Lehrsatz der Rechts- bücher: des y. A. de benef. I, 130; sachs. Lehnr. 68, §. 1; Deutschsp. c. 175. 176; kais. Lehnr. c. 111; Görlitzer Lehnr. 130: quivia mmi- aterialia natione erit ex juaUHa dapi/er aut eellerariua aut camerturiua aut maraehalcua wohlbegründet.

^ A. M. mit Unrecht ▼. Zallinger a. a. O. S. 8. 18. Ich sehe Von solchen Urkunden ab, in welchen ein Graf selbst seine Leute Dienst- mannen nennt, wie z. B. der Graf von Schaumberg 1251, OUB. III, 176, oder der Graf von Ortenberg in demselben Jahre, das. lU, 180, und will blos der anerkannten Dienstmannen des Grafen Yon Hohen- bürg (1210, D. et A. XXI, 6), von Peilstein, von Raabs und Pemeck gedenken. Vgl. Wendrunsky, Die Grafen von Raabs, 1879, S. 81— 83. Dass auch Leute der Klüster Kremsmünster und Göttweig Mini- sterialen genannt werden, soll nur erwähnt werden.

238 Siegel.

Stifter ausserhalb des Kreises stehen, welchem unsere Be- trachtung gewidmet ist.

Die Dienstmannen^ um welche es sich im Folgenden handelt, werden in den Urkunden bis ins dreizehnte Jahr- hundert als ministeriales duds ^ oder ministeriales domini terrae videlicet ducis,'^ von der Mitte des genannten Jahrhunderts ab regelmässig als minüteriales terrae^ oder minüterialeft Augtriatj* einmal auch als dienstmanen des kerczogeti und landes^ bezeichnet. Im vierzehnten Jahrhunderte wurde dann die ehrenvollere Be- zeichnung : dienstherren in Oesterreich üblich,* während der Einzelne aber immer noch dtenstman sich nannte.^

Von diesen heisst es nun einerseits, dass sie, wiewohl sie selbst in Oesterreich niemals sich Reichs-Dienstmannen nannten,^ dem Reiche angehören.

Gehoeret er zuo dem rtche und hat dtenstmannes namen, des darf er sich ninder schämen

1 S. Urk. von 1156, Meiller, Re^esten S. 38, n. 33. 1163, Cod. trad. Ad- mont. n, n. 346. 1171, FiBcher, Klosternenburg II, 65. 1189, Meiller S. 67, n. 43. 1209, Hanthaler, Fasti camp. I, 2, 591. 593. 1214, Meiller S. 118, TU 115. 1216, das. S. 118, n. 136. 1217, das. S. 119, n. 141.

2 Urk. von 1267, Archiv f. ö. G. XXVII, 271.

s Urk. von 1265, D. et A. XI, 164; von 1293, das. XXI, 72.

* Urk. von 1251, OüB. III, 178; von 1263, D. et A. IH, 398; von 1267. Archiv XXVH, 272.

B Urk. von 1294, D. et A. XI, 275.

* Urk. von 1801, D. et A. VI, 195, 1310, Winter, Urkundl. BeitrSge 8. 62. 1311, D. et A. VI, 193. 1312, das. 161. 181. 1317, das. 216. Dass in dem deutschen Privileg K. Rudolfs fllr die Hausgenossen in Wien vom J. 1277 bereits Dienstherren vorkommen (Gesch.-Qnellen der Stadt Wien I, 35. 39) erklltrt sich daraus, dass hier Uebersetzungen aus 8|Miterer Zeit vorliegen. Die Bezeichnung ,herzogliche Kammergrafen in Oester- reich' habe ich nur in einer aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammenden Abschrift einer Ottokar'schen Urkunde von 1270 (D. et A. I, 107) gefunden. Der Schluss derselben lautet: daium pre9eni*bu9 OUone Per<^toÜttorf, Hein- rieo de Hawenfeh, OUone de Haalaw, Paltramo Cotttme et OUone cotnitilrtu ca$nere nottre per Atutriam, wobei allerdings die Charakterisirung nur auf die drei zuletzt Genannten sich beziehen kOnnte.

' Urk. von 1316, D. et A. VI, 193. 1317, das. 216.

* Während in Baiem es allerdings der Fall war. S. v. Z allinger a. a. O. 8. 58—61.

Die rechtliche Stellong der Dienstmannen in Oeeterreieb. 239

sagt der Dichter Vill; 34 36. Und an einer späteren Stelle^ V, 152. 153, spricht er von

eigen der rehten dienstman die daz rtche hoerent an.

Andererseits wird von unseren Dienstmannen gesagt; dass sie dem Lande angehören.

So Art. 1: diemstman die ze recht zu dem lande gehörest, und Art. 46: auf dhainea dinstmans giU, die ze recht ze dem lannd gehoerent^

In dieser ihrer Zuweisung bald zu dem Reiche ; bald zu dem Lande ist kein Widerspruch gelegen. Die Zugehörigkeit war nach beiden Seiten vorhanden und findet auch mehrfach gleichzeitigen Ausdruck. Si quis ministerialium ad regnum Tevr tonicum vd ducatum bavaricum pertinens predium suum dare wluerit heisst es in einem Gunstbriefe^ welchen König Kon- rad in. dem Erlöster Reichersberg verlieh,^ und in einer an-* deren Urkunde wird berichtet; dass die bairischen Herzoge zu Gericht sassen cum miniaterialibus imperii et ducatas Bavarie.^

Im Eigenthume des Reiches stehend, waren nämlich solche Dienstmannen mit ihrem Besitz zumal an Burgen dem Fürsten« thum, in dessen Grenzen die Güter lagen, als Zubehör mit der Bestimmung beigegeben worden, dem Fürsten zu dienen in Ehren und zugleich das Land gegen seine Feinde zu wehren.^ Wer vom Reiche mit dem Fürstenthum oder Lande belehnt

> VgL noch Helblisg IV, 640. 641 :

daz er der Herren wÜlen tue die daz larU hoerent an.

5 ürk. von 1142, OUB. VL, 202.

' Urk. von 1254, Quellen nnd Erörterungen zar b. n. d. G. V, 132. Vgl. auch Urk. ron 1135, worin Kaiser Lothar von nottr%$ et duci» ffenrid mmiHerialilnu spricht. Scheidt, Orig. Qaelferbyt 11, 521.

* Lehrreich ist in dieser Beziehung der Vorgang bei Errichtung des Her- sogthums Braunschweig-Lüneburg im J. 1235. Otto von Lüneburg liess seine in freiem Eigenthum stehende Burg gleichen Namens sammt dem dazu- gehörigen Land und den Leuten dem Kaiser auf; dieser übertrug sie auf das Reich mit der Bestimmung, dass dieses Reichsgut verliehen werden solle. Indem er die Stadt Braunschweig damit vereinigte, schuf er daraus ein Herzogthum und verlieh es an den genannten Otto mit der schliess- lichen Verfügung: eeierum minUteriale» fuo» in mmuteriale» imperii a#- tunUe* eidem eoncesnmtu, eoadem ministerialea iuribus ÜUa uU, quibu» imperii

240 SiegeL

WTirde, empfing auch die dazu gehörigen Leute, insbesondere die Dienstmannen, welche daher, während sie im Eigenthum des Reiches verblieben, im Lehnsbesitz des Fürsten oder Landesherm standen: si (sint) von dem reiche des landes herren lehen. Art. 2.^ Des hier obwaltenden Rechtsverhältnisses und seiner Natur war man noch am Ende des dreizehnten Jahrhunderts sich voll- kommen bewusst, wie die kluge Wendung zeigt, mit welcher der Dichter den Herrn die ungeschickt gestellte Frage seines Knechtes beantworten lässt:

waz ein rehter dienstman jw?

ist er eigen? ist er vrif

mit urloup ich des wäge,

ob der herzöge

eigenschaft jeh vf m?

ich sprach ^lieber kneht, tuo hin!

daz land ist stn eigen niht,

wan man inz enphdhen siht

ze lehene von dem riche/^ Geliehen dem Herzog, mussten ihm die Dienstmannen die Treue, welche sie dem Reiche vermöge ihrer Geburt schuldeten, durch einen Eid geloben. Gewöhnlich wurde wohl in diesem Treueneide das Reich mit ausdrücklichen Worten ausgenommen; ' indess verstand sich, wenn es nicht geschah, die Ausnahme von selbst, wie aus einer Urkunde Kaiser Friedrichs H. erhellt, worin er den Ministerialen der Gurker Kirche das Recht der Dienstmannen des Reiches und aller Stiftskirchen mit dem aus der Abhängigkeit des Gurker Bischofs von Salzburg zu erklären- den Beifügen verlieh: forma illa, qua in sacramento fidditati^ so tum Salzburgensem archiepiscopum excipiunt, non obstante imperio praetemdsso.* Eine besondere Gnade aber ist es ge-

nUnuteritUeg tUurUur. Friderici II. consl. duccU Brwuvie ei Lüneburg. Pertz, Mon. Germ. legg. II, 318. * Nicht richtig wird diese Stelle von Hasenohr 1, Oesterr. Landrecht S. 38 verstanden, wenn er sagt, ,dass (hiernach) die Vasallen des Landeshenn Afterlehnsleute des Reiches sind^

2 Helbling Vm, 141—149.

3 So schwören die Hildesheimer Ministerialen Treue: weder edler maüiken €me weder dal rike. v. Fürth a. a. O. S. 525.

« Böhmer, Acta imperii selecta n. 259, vgl. n. 260. 261. Von den Cölner Dienstmannen heisst es: domino auo archiepUcopo fideliUUem 9ine aUqua

Die rechtlicbe Stellung der Dienslmannen lo Oesterreieh. 241

Wesen, wenn den steirischen Dienstmannen zur Sicherung und Wahrang der ihnen eingeräumten Vorrechte von König Rudolf gestattet wurde, dem Herzog den Treueneid erst dann zu leisten, nachdem dieser ihre Privilegien beschworen.^

Eigener Dienstmannen des Herzogs neben den ihm vom Reiche geliehenen geschieht in Oesterreieh nicht wie in Baiem ^ ausdrückliche Erwähnung. Indess waren vielleicht solche gemeint, wenn der Dichter davon spricht, dass etwelche unter den Dienst- mannen nicht dingten an das Reich und deshalb von den an- deren mit Geringschätzung behandelt wurden. Jedenfalls herrschte kein Zweifel, dass

die dienstman in Oesterreieh sint an wir den ungelich,* Als minder würdig hebt der Dichter ausser den in der Ge- gend von Alt- Lengbach Ansässigen die Herren aus dem Forste oder die Dienstmannen von Peilstein hervor.

DievistTnan ze PiUteine

zu den besten ich niht meine,

daz einschilt riter inder si

in dem Vorst, des ist er fri

sagt er ViU, 583 586, und an einer andern Stelle VI, 161 bis

176 heisst es:

ir herren üz dem Forste,

oh ich geiciinschen torste,

exc^ptione facieTU et eam ei contra omnem homineni »eroabunt. v. Fürth S. 51 1. Hier gelten eben die Worte des Dichters:

ain dienatman aol getriu weten

dem ßiraten, daz ist «oe/icAc/i

die fiirste A getriu dem v^ich, IV, 382-384.

^ Badolfs Privileg von 1277 in der steirischen Landhandfeste S. 9. 10: Ut enttem tenor huiu» privilegii a futuris dictae terrae principUma ratus et HabHÜer teneatur, praeaenU praedpimue sanetione, ut dum princept, qui pro tempore ß*erit, a ministerialibua Styriae fidelitatie eaeigit iuramentum: ipti ad preteatationem huiusmodi aacramenti minime oonatringantur, donec prvncepa et dominita corporali auo iuramento pronUttat, ae praeaena Privi- legium aervaturum.

' Vgl. die Urkunde von 1205 : MiniateridUa ... du^, tarn proprii quam ducatui attinentea bei Hied, Cod. dipl. I, 286, worauf v. Zallinger S. 62 auf- merksam gemacht hat. Die angeblich habsburgischen Dienstmannen bei v. Fürth S. 196 sind mehr als bedenklich.

« HelbUng Vm, 581. 682. Sitznngsber. d. pbU.-hist. Cl. CH. Bd. I. Hft. 16

242 8ieg«l.

so wünscht ich, daz ir waeret rieh ir stt alle eben glich der gehurt, ich meine dienstman ze Pilsteine, etliche die sint baz gebom s6 sint sumltche Hz erkom. toaz ich des zereizen nuf ir heizet alle einander du.

Die Herren aus dem Forste waren ehedem gräfliche Dienst- mannen. Mit dem 1218 erfolgten Tode des erblos verstorbenen Ghrafen Siegfried von Moring; des letzten Besitzers der Graf- schaft; kam Peilstein sammt allen Besitzungen an Herzog Leopold den Glorreichen, und die Herren aus dem Forste wurden Dienstmannen des Herzogs, ohne dass sie direct dem Lande oder Oesterreich zugehört hätten.

Ausser den Dienstmannen gehörten zu dem Lande auch Ghrafen und Herren. Sie waren freie Glieder des Reiches, deren Verbindung mit dem Lande dadurch begründet worden, dass sie nebst einer Grafschaft oder auch ohne eine solche Burgen mit Herrschaften in Oesterreich zu freiem Eigenthum erwarben.* Ferner gehörten zu dem Lande auch Ritter. Sie waren Eigen- leute des Reiches, welche von demselben als Wehrmänner oder Einschildige bei der Colonisation in das Gäu der Mark gesetzt worden sind. Solche ritier und knappen, die zu dem land ge- hören,^ rechtlich wohl zu unterscheiden von den Rittern, die bischof angehorent oder andre gotzheuser oder die herren von dem land, kamen gleich den Dienstmannen durch die Belehnung der Fürsten in dessen Gewere und hiessen daher auch Ritter des jeweiligen Herzogs.'

^ Das Recht, Hof zu gebieten, hat ein Fürst, der Überhaupt dieses Becht besitzt, wie das kais. Landrechtsbuch c. 1396 sagt, wnhe grauen, vnde vmbe fnien, Wide vmhe diene^tman di so getan g&t in ir lande hont, dax hurgt vnde stete skiL

> §. 54 und Friedenseinung yom J. 1277, OUB. m, 580.

> Ottokar Terftigt in dem Landfrieden ron 1251: über ritter und über chneJU die unser sint oder unser dienstman aiegen (s. S. 247 f) oder eves si sint* Femer heisst es in der Urkunde yom 1294, D. et A. XI, 275, von den namentlich aufgeführten Zeugen: alle dienstman vnd ritter des herzogen vnd landes. Schon aus dem Gesagten erhellt zur Genfige, dass

Die rechtliche Stellung der Dienstmumen in Oesterreieh. 243

Trotz dieses gemeinsamen Momentes in der Stellung derDienst- mannen und Ritter des Landes standen jedoch Erstere viel näher den Grafen und Herren. Sie hatten dieselbe Pflicht wie diese gegen das Land zu erftülen, das gleiche Recht im Lande zu üben; sie genassen desselben bevorzugten Gerichtsstandes und besassen die nämlichen Gerechtsame als Ghrundherren. Sie waren ver- möge dieser ihrer Stellung in der That die Herren im Lande ^

es keinen grosseren Irrthnm gibt, als der ist, von dem die Mehrzahl der Rechtshistoriker ausgeht, der Glaabe nämlich, die Bittermftssigkeit sei durch die Freiheit bedingt gewesen. Letztere war ein gar seltenes Gut, das nur Wenigen eignete, w&hrend es der Ritter sehr viele gab. Eine hOchst interessante und lehrreiche Analogie zu der Stellung dieser Landherren des dreizehnten Jahrhunderts bietet die rechtliche Lage der sogenannten Standesherren in unserem Jahrhundert.

,Um den im Jahre 1806 und seitdem mittelbar gewordenen ehemaligen Beichsständen und ReichsangehOrigen in Gemässheit der g^egenwftrtigen VerhUtnisse einen bleibenden Rechtszustand zu yerschaffen' setzte die Bnndesacte yom Jahre 1815, Art. 14, fest:

Jb) Sind die Häupter dieser Hänser die ersten Standes he rren in dem Staate, zu dem sie gehören; sie und ihre Familien bilden die privilegirt'este^Classe in demselben.

c) Es sollen ihnen überhaupt, in Rücksieht ihrer Personen, Familien und Besitzungen, aUe diejenigen Rechte und Vorzüge zugesichert werden oder bleiben, welche aus ihrem Eigenthum und dessen ungestörtem Ge- nüsse herrühren und nicht zu der Staatsgewalt und den höheren Re- giemngsrechten gehören.

Unter vorerwähnten Rechten sind insbesondere und namentlich begriffen :

3. Privilegirter Gerichtsstand für sich und ihre Familien.

4. Die Ausübung der bürgerlichen und peinlichen Gerechtigkeits- pflege — *^der Forstgerichtsbarkeit, Ortspolizei, und Aufsicht in Kirchen- und Schulsachen, auch über milde Stiftungen.'

Die Wiener Schlussacte vom Jahre 1820, Art. 20, aber fügte hinzu: ,Und wenngleich die über die Anwendung der in Gemässheit des 14. Artikels der Bnndesacte erlassenen Verordnungen und abgeschlossenen Verträge ent- stehenden Streitigkeiten in einzelnen Fällen an die competenten Behörden des Bundesstaates zur Entscheidung gebracht werden müssen, so bleibt denselben doch im Falle der verweigerten gesetzlichen und verfassungs- mässigen Rechtshilfe oder einer einseitigen, zu ihrem Nachtheil erfolgten legislativen Erklärung der durch die Bnndesacte ihnen zugesicherten Rechte der Recnrs an die Bundesversammlung vorbehalten.* Ueber die richterliche Instanz, welche zur Entscheidung solcher Be- schwerden durch den Bundesbeschluss vom 16. September 1842 berufen wurde, s. Zachariae, Deutsches Staats- und Bundesrecht, 2. Aufl., I, S. 783 ff.

16*

244 Siejfel.

und wurden mit einander seit dem dreizehnten Jahrhundert auch so genannte

In anderer Richtung freilich hob sich die Lage der Dienst- mannen zu ihrem Nachtheil gar sehr von der der Grafen und Herren ab; sie waren in ihrem persönlichen Verkehr wie in der Verfügung über ihr liegendes Ghit Beschränkungen unter- worfen, und es gebrach ihnen an der so bedeutsamen Haus- genossenschaft mit den Gh'afen und Herren, in Folge dessen sie im Rechtsleben mannigfach zurückstehen mussten.

n.

War auch dem Stande der Dienstmannen in Oesterreich we- sentlich und eigenthümlich der Beruf seiner Mitglieder zur Ver- richtung der Hof- und Ehrendienste bei dem Herzog,*^ so ging doch die Pflicht derer, die neben den Grafen und Herren vornehmlich die Bulben im Lande besassen,^ in diesen Dienstleistungen nicht auf.

1 Der Ansdrack »Landherren* wird, abg^eaehen von Art. 16 (§. 69), 46 (§. 30), 67, femer §. 1 (s. S. 257, Note 1), 41, 46, 54, 91 ^braucht in Ottokars Landfrieden von 1261 (s. S.253), in der Friedenseinung von 1277, OUB. III, 681. 682, in dem Privilegium Albrechts für Wien von 1281 (s. S. 263), und in den in den achtziger und neunziger Jahren entstandenen Gedichten des sogenannten Helbling an verschiedenen Stellen. Letzterer gebraucht den Ausdruck insbesondere gleichbedeutend und abwechselnd mit Dienstmannen; so z. B. IV, 23, 37, 708, 839 und 520, 610, 640, 641, 678. Diese da- tirten Belege sind von HasenOhrl a. a. O. S. 76 nicht beachtet worden.

^ Hinsichtlich dieser Dienste setzte der im Jahre 1180 von dem 'Herzog Ottokar von Steiermark zu Gunsten des Herzogs Leo])old von Oester- reich errichtete Erbvertrag fest: Dttpiferiy pinceme, camerarü, martcalci, qui de noatru sunt, inlranii partei Sliriae duci Anttrie singtdi cum ituU subjeeiis per offida sua ministrent ea disciplina, qua nobU et parenti- but noBtrit ministraverunt. Petenti curiam imperatorie aut in ex- peditionem eunti dicti officiarii parifnu ehdcmatibutt , parihu» diehtts paribugque tumpUbus serviarU ncui et hü, qui de Auatria eunt. OUB. II 400. Ueber den Inhalt und die Einkünfte, sowie über die Trager der vier Aemter vgl. die Notizen in der Einleitung zu v. SavaV Ab- handlung: Die Siegel der Landes-Erbämter des Erzherzog^hums Oester- reich unter der Enns in Berichte des Alterthums -Vereines V, 47 ff.

' Ja, nach ihrer Meinung sogar allein mit Ausschluss der Ritter hätten besitzen sollen, wie sie unumwunden im Jahre 1296 dem Herzog erklärten:

«E »ol niemen bürge hdn, niur die rehten dieiutman, die habent sie wot.

Die rechtliehe Stellung der Dieostmannen in Oesterreich. 245

Gleich den übrigen Landesangehörigen waren sie nament- Kch zum Kriegsdienste verbunden, zumal wenn der Herzog eine Heerfahrt gebot, weil das Land in Gefahr und Noth sich befand, während die Pflicht, theilzunehmen an einem Angriffskrieg, der gegen einen andern Fürsten von dem Landesherrn unternommen mu-de, nicht begründet war. Für einen solchen Fall standen Letzterem nur seine Eigenleute zu Befehl und diejenigen, welche er mit Geld und guten Worten zu werben vermochte.

iH daz der lanndes herre sein hausgenossen^ angretffen, van gewalt oder von vebemmt, so soU im weder graff noch freie noch dienstman nicht helffen noch niemant in dem lannd ^ an sein aigen leut v/nd an die er piten mag und erkauffen mag mit seinen gut. Wil aber in sein hausgenoss angreiffen mit gewalt und mit unrecht, so svüen im alle, die in dem lannd sint, das lannd helffen ze weren und das gemerkch, als verr und als si leib und gut geweret.^ An Reichs -Heerfahrten, wozu das Aufgebot vom König ausging, theilzunehmen waren die Dienstmannen wie die Ueb- rigen im Lande nur bedingt verbunden, was mit der Eigen- schaft Oesterreichs als einer rechten Mark im Zusammenhang stand. NuUam quoque expeditionem dux Austrie debeat, nid forte quam imperator in regna vel provincias Austrie vicinas ordinaverit, setzte der im Jahre 1156 bei der Erhebung der Markgrafschaft zu einem Herzogthum verliehene königliche Gunstbrief fest. Aus dieser Beschränkung der Heerfahrtpflicht auf gewisse Grenzen hat sich sodann die Befreiung von Heer- fahrten nach einer ganzen Richtung entwickelt, und auf Grund dieser Gewohnheit wollte oder sollte der König verordnen:

um daran die Bitte zu knüpfen:

die göuvest brechet alle nider; «o dient daz göu dem herren gar an aüe werren. Helbling IV, 791—793. 796—798. * Hasenohr 1, Oesterr. Landrecht S. 99, versteht anrichtig darunter ein

Mitglied ,des landsässigen Adelst ' Hierbei ist nach meiner Meinung gedacht an die Ritter des Landes, welche nirgends in der Rechtsaufä^ichnung genannt werden, und etwa An die Städte. A. M. v. Z allinger, Ministeriales und Milites 8. 57, welcher unter ,aein aigen leut die Ritter des Landes begreift. ' Art. 56 (§. 72); vgl. Art. 45 (§. 30).

246 8ier«L

Wir weczen und gepieUn, da$ der lanndesherr die herren von dem land nicht dringe ze uam her vber das gemerkchy er tue es dann mii gut oder nutpete, wann dicz lande ein recht march iet, ' Dicz ist hin, ein anderz her, sagt Hartmann von der Au im Iwein v. 287. Herwärta über der Grenze lag vom Standpunkt des Königs das Reich , hinwärts oder jenseits derselben das Ungarlandy und wie die Lehnsmannen östlich der Saale zu dienen blos verpflichtet waren gegen Polen, Wenden and Böhmen,' so sollten die Herren in der Ostmark nur gegen die Ungarn auszuziehen verhalten werden. Die gänzliche Be- freiung des Herzogs auch nach dieser Seite, wobei nur der Schein gewahrt wurde, gemäss dem unechten Privilegium, ist hier nicht weiter zu verfolgen.

Ejiegsdienste dem Lande zu leisten waren ausser den Dienstmannen und den wenig zahlreichen Grafen und Freien zumal auch die Ritter, die zu dem Lande gehörten, verpflichtet Während aber Letztere nur als Einzelne, ein Jeder blos mit seinem Schilde und Rosse dienten, waren Erstere als Banner- herren, ein Jeder mit einer streitbaren Ritterschaar zum Heere zu fahren verbunden, und in dieser Verschiedenheit liegt haupt- sächlich der* Unterschied zwischen Dienstmannen und Rittern. Dem wohlunterrichteten Dichter, welcher in den letzten zwanzig;^ Jahren des dreizehnten Jahrhunderts in Oesterreich gegen Einige aus dem Dienstmannenstande um ihrer Ueber- hebung willen seine Geissei schwang, noch mehr aber diejenigen verfolgte, welche diesen Stand sich anmassten, war es daher eine angelegentliche Soi^e, festzustellen, was einem wahren Dienstmann wesentlich sei.

> §. 46.

» Vgl. V. A. de benef. I, 10; sächs. Lehnr. 4, §. 1; Deutschsp. 10 und Richtsteig Lehnr. 13, §. 5; kais. Lehnr. 8 a. -~ Auch die Friesen waren gefreit, obgleich ihr Land keine Mark gewesen; hier war das Meer, der wüthende Feind an der Grenze, der Grand der Beschränkung. Deehna petiäo BBlf ui FritioncM nan oportere eoßercUum ducere uUerüu, quam €ui Wüeram vernu lorientem et versus oeciderUem uaque Fli, versus austrum non rtmoHuM, quam possini in vespere redire. Die XVII Küren bei Richt- hofen, Friesische Gesetze S. 16. 18.

3 Während ▼. Zallinger a. a. O. S. 17 meint, ,da88 es gerade und allein der Dienst in den Hofämtern ist, welcher den ritterlichen Eigenmann zum Dienstmann erhebtS

Die rechtliche Stellang der DienstnaaneD in Oeeterreich. 347

Eines dnnes fnir gebrist,

daz ich nicht erkennen kan

einen rehten dienetman.

waz der ze rehte Juxhen sol,

dez wist mich, herr^ so tuet ir wol

spricht der Knecht zu seinem Herrn, worauf dieser ihn also

belehrt:

saeliger kneht,

ein dienstman hohen sol ze reht

ritaer und edel knehte

die gerne tmde rekte

im dienen eigenltche.^

Und dasselbe Erfordemiss wird an einer späteren Stelle aber- mals hervorgehoben:

nie dienstman wart ze rehte dn fiter unde an hnehie die ouch ritermaezic An. Met er goldes vollin schrtn der riter niht gehaben kan wie mac der nn ein dienstman f

get daz lant ein not an

mit wem weUent sie daz wem

und vor vtnde schaden nemf^

Die Edelknechte oder rittermässigen Elnappen/ die hier wie auch sonst neben den Rittern erwähnt werden, standen letzteren gleich an Adel oder Geburt, nicht aber in den Be- zügen, im Rang' und in dem Dienst, daher das Wort: besser Ritter denn Knecht, das noch heute bei dem Ritterschlage gesprochen zu werden pflegt. Die Knappen waren die Diener der Ritter, mochten sie nun lebenslänglich in dieser unter- geordneten Stellung bleiben, in welchem Falle sie gestandene Edelknechte heissen, oder als junge Ritterssöhne nur so lange, bis sie das erforderliche Lebensalter, in Oesterreich das vier- undzwanzigste Jahr, erreicht hatten, um selbst die Ritterschaft

' Helbling Vm, 24-82.

^ Das. XV, 191—196. 214—216.

' Vgl.dajB. IV, 64-74; Vm, 667—672.

248 Siegel.

oder das Schwertgehänge ^ zu empfangen. Was aber das Rechts- verhältnisB betrifft, in welchem zu den Dienstmannen deren Ritter und Knappen standen, so war es das der Eigenhörigkeit. Allerdings sagte der Verfasser des kaiserlichen Landrechtes c. 308: Swer dienestman ist, def' mag mit rehts nvt eigen Ivte han. ein isgelich man, der selbe eigen ist, der mag nvt eigen IvU han; vnd hat er Ivte, die er im ze eigen seit, die sint sines gotes hases, des er ist, und c. 68 a. E. : giht einsfvrsten dienstman, er habe eigen Uvte: des ist nikt, si sint des fvrsten eigen^ Allein diese Meinung stand im Widerspruch mit dem lebendigen Rechte, namentlich auch mit dem^ welches in Oesterreich galt:

in disem lant ze reihte

sint riter, edel knehte

dgen der rehten dimstman

die daz rtche hoerent an,^ Also Ritter mit Knappen, die seine Eigenleute waren, muBste derjenige haben, welcher ein Dienstmann sein wollte. Wer nur mit seinem eigenen SchUde daherzog und nicht über eine grössere oder kleinere Schaar den Befehl fUhrte, war ein einschildiger Ritter und

einsddltem riter icht nicfd gan

daz er st ein dienstman,^ An anmasslichen Bestrebungen dieser Art hat es freilich nicht gefehlt. Wenn wir der allgemein gehaltenen Klage des Dichters gedenken:

ditz lant unordenltchen stet

man dingt umb den vUn-ganc:

laer sint die schemel, vol diu hanc

81 stigent an dem vhermuot^

1 Oder Cvngulum, das noch heute in dem porU d'ipie sein verkürztes

Dasein fristet. ' Vgl. ferner das. c. 139 c. Möglich, dass das römische Peculienrecht von

Einflnss auf diese Theorie gewesen ist. > Helbling YIII, 161—154. Vgl. auch Ottokars Landfrieden von 1261 (oben

S. 242, Note 3).

* Helbling Vm, 347. 348. Vgl. das. 685. 586 (oben S. 241). Dass mit der Be- zeichnung einschildiger Ritter dann auch die Bedeutung verknüpft wurde, dass er nur nach einer Seite Lehnsfähigkeit besass, nämlich die passive und nicht zugleich die active, hebt v. Zallinger a. a. O. S. 63 hervor.

* Helbling VIU, 648—661.

Die rechtliche Stellung der Dienstmannen in Oesterreich. 249

80 kann man sich nicht wundem, dass auch

kie ze lant in Oste^tnch

nimt sich gar ze maneger an

daz er si ein diemtman

und hat doch einen rihter niht; ^ doch:

swer sich dan wil nemen an

daz er st ein dienstman

und küme ein einschilt riter ist,

daz müet mich also ,helf mir krist'. ^ Die Banner aber, welche die Dienstmannen zum Heere führten, bildeten dessen hauptsächlichsten Bestandtheil. Gegen Ausgang des dreizehnten Jahrhimderts entfielen auf sie nicht weniger als vier Fünftel der gesammten Streitmacht, wie aus Folgendem erhellt.

In der Einung, welche die Herren, Städte, Ritter und Knappen des Landes zur Ausführung des Landfriedens vom 12. December des Jahres 1276 auf die Dauer eines Decen- niums unter sich eingingen, wurde als erster Punkt fest- gesetzt: durch scherm des landes vnd ze schaffen fride und gnade,

1 Helbling VUI, 472—475. Der Dichter fügt bei :

dar zuo in niemen lihen nht

aentniaezigen liuten lihen. Freilich wusste der Einschildige , der nach dem Dienstmannenstande strebte, hier Rath and Hilfe; er sprach zu einem seiner Bauern:

du hiet von mir hurcreht

di wU du bial gewesen knefU

des ich mich vennhen

dir ze lihen Wien. und weiter:

der herre sprtuh ,%ch lihe dir

und mach dich rUer mit mir

so ich dich ze geverten hän

so bin ich wol ein dienstman

und mdht du m den iren dhi

ein evnschilt riUer wol aün*. Helbling VH!, 269—271. 277—282. Dadurch wird die Richtigkeit der Ansieht erhärtet, welche über die passive Lehnsfähigkeit der Eigenleiite zuerst Ton Ficker, Vom Heerschilde S. 188, ausgesprochen und so- dann in eingehenderer Weise von v. Zallinger a. a. O. S. 49 ff. aus- geführt wurde.

2 Helbling VHI, 677—680.

250 Siegel.

daz die lanfherren und die etit, ritter und chnappefiy die dem lande zu gehörent und die der landeskerre gerne haben und die im ouch gerne dienen wdlent, drittehalb tausent man haben svlln beraiter mit eisen gewant ^ ze helfe dem römischen ehunig vnd einem sün, den er bei dem lande lat und ze einem, scherm diesem lantfride.^

Auf der andern Seite gibt der sechste, vor dem Jahre 1290 entstandene Gesang des mehrerwähnten Dichters wenn auch nicht erschöpfende, so doch annähernde Auskunft über die Zahl der Streiter, welche die Dienstmannen zum Heere zu steDen hatten. Nachdem der Dichter erklärt hat:

nH wil ich umb des landes schaden die besten iu ze helfe laden, ^ fordert er die nachbenannten Dienstmannen zur Stellung der jeweils beigefügten Zahl von Bewaffneten auf.

Dreihundert Mann soll der von Kuenring führen; je zwei- hundert Mann kommen auf den Meissauer, dessen Schild das schwarze Eichhorn ziert, den Kämmerer von (Alt-) Lengbach bei St. Polten, auf den von Tallesbrunn,* auf ,die Herren aus dem Forste* der Gegend um St. Leonhard bei Melk oder die Dienstmannen von Peilstein, und auf die drei Pottendorfer an der ungarischen Grenze bei Wiener-Neustadt. Je hundert Mann sollen stellen Herr Stuchs von Trauttmansdorff bei Brück an der Leitha und der von Kapellen.'^ Je siebenzig Mann sollen entfallen auf die Sunberger und den Herrn von Gerlos, je sechzig auf die beiden Haslauer imd den von Weyerburg bei

1 Dasselbe bestand ans dem Halsbergf oder Leibdecker, d. i. einem Ketten- panzerrock bis ans Knie mit Aermeln, Handschuhen und einer Kapuze, die zurückgeschlagen werden konnte und überg^ezogen nur das Gesicht frei Hess, ferner aus eng anliegpenden Panzerstrümpfen, welche bis über die Schenkel reichten, endlich aus Helm, Schild, Schwert und Speer. Vgl. auch Entwurf §. 64.

» OUB. m, 580. 681.

8 HelbUng VI, 13. 14.

* S. Wiener Denkschr. VHI, 63.

^ Ausserdem ist mit dieser Zahl angeschlagen der Herr von Rabenswald, genannt nach der thüringischen Grafschaft dieses Namens, Besitzer der Herrschaften Baabs, Retz und Pulkau, seit 1278 Lehnstr&ger der Graf- schaft Hardegg, der in dem Gedichte an erster Stelle genannt wird, den ich aber bei Seite lasse, da er nicht zu den Dienstmannen sfthlte.

Die reehtlielie Stellung der Dienstnannen in Oosterreich. 251

OberhoUabrunn. Mit je fUnfzig Mann sollen ins Feld rücken die Werder und der Truchsess von Ereuzenstein, einer Burg zwi- schen Stockerau und Elostemeuburg. Mit vierzig Mann soll der von Rottenstein bei Hainburg an der Donau seiner Pflicht genügen, und blos hundert Mann zusammen endlich mögen der Herr von Pillichdorf bei Bockflies auf dem Marchfelde, die drei Wolkersdorfer und der von Bockflies stellen.*

Werden die Zifferanschläge in des Dichters Matrikel zu- sammengezählt, so erhält man die Sunmie von zweitausend Mann.

in.

In der Macht zu richten und zu schlichten, zu schalten und zu walten im Lande war der Herzog nicht frei und unge- bunden. Die Dienste, welche zum Schutz des Landes neben den Grafen imd Herren die Dienstmannen leisteten, sicherten diesen einen Einfluss auch auf die Verwaltung. Diejenigen, die vorzugsweise mitthaten, wenn das Land eine Noth anging, waren berufen in entscheidender Weise mitzurathen, '^ wo des Landes Recht, Friede und Nutzen in Frage kam. Darum

8ol ein dienstman ze reht

haben sin und witze

daz er mit eren mtze

an des lantfürsten rät

der daz lant ze lehen hat

von des rtches herren,^

Dass Rath und Recht bei den Landherren stand, wenn der Herzog zu Gericht sass, bedarf keines besonderen Beweises, dass aber auch flir Verfügungen und Anordnungen, die nicht gericht- licher Art waren, der Landherren und namentlich der Dienst- mannen Urtheil und Wille die Grundlage gebildet habe, wird

* Ohne eine Zahl der Streiter anzugeben, erwähnt der Dichter noch den ▼on Buchheim, im Hausruckviertel ob der Enns, und bezeichnet ihn als einen ,Baier*, und den von Lichtenwerth bei Wiener-Neustadt, den er einen ,Maier^ nennt.

^ Nack der larUherren vrtdl oder nach tr rat, heisat es in der Friedens- einung von 1277, OUB. III, 682.

3 Helbling n, 118—123.

252 Siegel.

durch eine Reihe von Urkunden über einzelne Acte seit der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts bezeugt. Im Jahre 1 164 gab Herzog Heinrich H. ex cormlio fidelium et ofßcialium zu Gunsten der Probstei Neustift verschiedene Gerechtigkeiten auf, welche er auf ihren Gütern in Oesterreich besessen.* Im Jahre 1168 verzichtete derselbe connlio fidelium, welche drei bei Namen genannte Dienstmannen waren^ auf eine jährliche Abgabe in Wien, die von den Bürgern von Neuenburg bisher zu entrichten gewesen.^ Im Jahre 1196 verlieh Herzog Fried- rich I. dem Kloster Osterhofen die Mauthfreiheit consilto et coniventta fidelium ministerialium;^ im Jahre 1202 erUess Herzog Leopold der Glorreiche dem Kloster St. Florian die Abgabe des Marchfutters consensu minist erialium et fidelium;^ 1202 be- stimmte derselbe das Maass dieser Abgabe ftir das Kloster Göttweig de consilto optimatum;^ in demselben Jahre gab er der Stadt Enns und im Jahre 1221 der Stadt Wien ein Stadt- recht juxta consilium et ammonitionem fidelium et ministerialium;^ 1222 löste er de consilio magnorum durch einen onerosen Ver- trag mit dem Stifte Lambach dessen Mauth- und Gerichts- rechte in der Stadt Wels ab»^ und im Jahre 1243 tauschte Herzog Friedrich der Streitbare de consilio fidelium das Dorf Kagran gegen den Antheil, welchen Konrad von Hindberg an der gleichnamigen Hvürg besass.^

In den beiden Urkunden des Landrechtes findet das Erforder- niss des Rathes der Landherren in folgenden Fällen Erwähnung:

Der lanndes herre mag aber wol nach rat der Herren in

dem lannde ain frag haben auf schedleich leut, davon das

lannd gerairdgt wird,^

> y. Meiller, Regesten S. 46, d. 63.

2 Das. S. 47, n. 63.

' Das. 8. 78, n. 6.

« Das. S. 88, n. 33.

* D. et A. Vm, 288.

« Archiv f. ö. G. X, 96 und 100.

7 V. Meiller, Regesten S. 131, n. 180.

8 Wiener Denkschriften Vin, 104. Diese Stelle wurde von Hasenöhrl, Oesterr. Landrecht S. 61, übersehen, wenn er sagt: ,Uebrigens ist zu be- merken, dass die eine Mitwirkung des Adels andeutenden Formeln sich in Urkunden Herzogs Friedrich II. nicht mehr finden.*

9 Art. 15 (§. 69).

Die rechtliche Stellang der Dienstmannen in Oesterreich. 253

68 8ol im der lanndes herre das (übersagte und ge- schleifte) hav>s nimer mer erlavhen ze pawen, es geächech dann nach der landherren raU

Wir seczen wnd gepieten, daz kain landesherr jemant kain vest erlaub ze pawen an der Icmihem raL'^

Es ist auch recht, wann ain lanndesherr ein land- gericht seczet nach rat seiner landherren.^ Bezüglich dieser Mitwirkung der Landherren in der Ver- waltung wurde von Ottokar, sobald Oesterreich unter seine Herrschaft gekommen war, eine wichtige und eingreifende Neuerung getroffen, bei welcher es auch fernerhin geblieben ist. Aus der Mitte der vielen Herren des Landes wählte nämlich der Herzog eine beschränkte Zahl aus, und diesen Ausgewählten wurde die Aufgabe zugewiesen, künftig den erforderlichen Rath zu ertheilen, was nach bestem Wissen und Gewissen zu thun ein jeder beschwören musste.

Von der Einrichtung eines besonderen ,Bathes^ welche Bezeichnung ftir diesen Ausschuss der Landherren üblich geworden, ist erstmals die Rede in dem Landfrieden vom Jahre 1251. Der betreffende Passus: mr hohen auch unsem . . . mit zwelf herren auz dem lande weist freilich gerade an der entscheidenden Stelle eine Lücke auf, welche von ChmeH durch richter und von Lorenz* durch hofrichter ergänzt wurde, während Hasenöhrl® richtig rat als ausgefallen vermuthet. Dass dieses Wort neben seiner ursprünglichen Bedeutung und mittelst derselben diese weitere erhalten habe, zeigt namentlich eine Urkunde Albrechts vom Jahre 1281,' worin er von ,unsern rat, den lantherren, die unsem rat geschworen habent', von den ,lant' herren, die unser rat sint in Oesterreich', von /unsere rates der lantherren, der besten van Oesterreich inmgV spricht.^

* Art. 67. Die mitgetheilte Stelle fehlt in dem entsprechenden §. 86 des Entwurfes vielleicht mit Rücksicht auf §. 41.

2 §. 41. ' §. 91.

* Archiv f. ($. G. I, 59.

^ Deutsche Geschichte I, 846. ^ Oesterr. Landrecht S. 171, n. 20. ' Geschichtsquellen der Stadt Wien I, 64—66.

^ In der bairischen Hofordnung vom Jahre 1294 (Quellen und Erörterungen zur b. u. d. G. VI, 63) ist geradezu von ^unseres rate» rat* die Rede.

254 Siegel.

Die Zahl der Mitglieder dieses Rathes, welche in lateini- schen Urkunden auch cansüiarii duds und in der heimischen Sprache die ^Rathgeber' des Herzogs genannt wurden,* ist von Ottokar auf zwölf festgesetzt worden. Dass dieses Dutzend immer voll gewesen^ mag indess billig bezweifelt werden. Im Jahre 1264 waren es blos sechs Rathgeber, welche vom Fürsten mit der Ertheilung eines Rathes beauftragt wurden wegen der Rück- stände, die der Abt des Klosters Göttweig von seiner March- futter-Abgabe schuldete und um deren Willen der Herzog Stifts- güter in Besitz genommen hatte. ^ Diese sechs Rathgeber aber waren insgesammt Dienstmannen, nämlich Otto von Meissau, Otto von Haslau, Heinrich von Seefeld, Heinrich von Lichten- stein, Heinrich der Schenk von Lengbach und Wemhard ge- nannt Preuzel.'

Ln Jahre 1281 bestand der Rath, mit welchem König Rudolf bei der Abreise aus Oesterreich seinen Sohn Albrecht als des Landes Gewaltiger und Verweser zurückliess, aus sechs- zehn Mitgliedern. Darunter befanden sich zwei Grafen, Bern- hard von Schaumburg und Berthold von Hardegg, während alle Uebrigen dem Dienstmannenstande angehörten: Otto von Haslau, der Landrichter von Oesterreich, der Kämmerer Otto von Berchtholdsdorf , der Marschall Stefan von Meissau, der Schenke Leopold von Kuenring, sein Bruder Heinrich, Erchanger der Landeser, Friedrich der Truchsess von Lengbach, Ulrich von Pilisdorf, Ulrich von Kapellen, der Landrichter ob der

> Urk. von 1264, D. et A. Vm, 316; von 1268 das. 320; von 1281 das. 330. Deutsche Urk. von 1281, OUB. UI, 632. Helbling H, 302; V, 63.

> D. et A. yni, 815. 316: lüuatri dommo muo O, regt boemie ... 0. de Meiuowe ete » , . Connliarü nU per Au9triam debitum obteqmum et ßdele. Cfum super defeetu, quem in avena . . veetra eusHnet exceUenUa, cotuedendo p€uriUr communi contilio tractaremua, prout a vobU reeepimue in mandaÜt, poeeetHone» . . . adeo invemmus deecltUoM, quod tota aumma . . . poeeel nullo modo 9olvi, unde veetram rogamua exeellentiam sub obtentu grade vatre ßdeUter oonaulenUe ... In Uebereinstimmang mit dem hier gegebenen Rathe ad in»tanciam quoque petidonie et contilii ßdeiium nottrorum nobüimn Auetrie Hess Ottokar am 17. März 1264 zweihundert und fünfzig Muth von dem Marchfutter nach. D. et A. VÜI, 317.

* Auch als Schiedsgericht zwischen dem Stifte GOttweig und seinem Vogte von Hohenberg wegen etwaiger Schadensersatzansprüche: ex nUnifteriali- hua Auetrie qui eoneüiarü fiterint principis, quatuor dehent digi. Urk. von 1268, D. et A. VIII, 320; vgl. Urk. v. 1281, das. 380.

Die rechtUcko Stellung der DienBtmannen in Oetterreich. 265

Enns, Konrad von Summerau^ Hadmar von Sunberg, Konrad von Pottendorf und die beiden Brüder Reimprecht und Chalhoch von Ebersdorf. >

In den folgenden Jahren schrumpfte, nachdem Oesterreich als Lehen an das Haus Habsburg gekommen war und dessen Herrschaft sich gekräftigt hatte, die Zahl immer mehr zusammen. Klagt doch schon um das Jahr 1283 das Land dem Könige Rudolf durch den Mund des oft angeführten Dichters:

daz der rätgeberiy

der rät der herzog eolde leben nimer tat danne vier.^

Diese vier aber waren ebenfalls wieder insgesammt Dienst- mannen bei Namen Stefan von Meissau, Friedrich der Truch- sess von Lengbach, Ulrich von Kapellen und Albero von Buch- heim,' und hatten mit Ausnahme des Letztgenannten bereits dem Rathe im Jahre 1281 angehört.

Nur aus vier Mitgliedern scheint auch noch in den Tagen der Verschwörung gegen Herzog Albrecht, welche mit dem Ausgange des Jahres 1295 anhob, der Rath bestanden zu haben. Denn wenn der heimische Dichter erzählt, dass, nachdem der Herzog die Landherren insgesammt zu einem Tage nach Wien

entboten hatte:

die lantkerren er enphie

und nam der besten vier von in,

um ihren Rath zu hören, was er bei der ihm drohenden Feind- seligkeit des Königs thun solle, so waren diese vier eben seine Rathgeber, wie aus den Worten sich ergibt, womit diese nach gehabtem Gespräche ihren Rath, nach dem Willen der Land- herren zu walten, einleiteten:

1 V^l. die 8. 263, n. 7 angeführte Urkande vom 24. Juli 1281. Am 14. September entsendete Albrecht muern ^etHuwen vnd Üben ralkeben fDemharten von Sehowenberg, Ulrichen von Teuer», OUen von BerioUtorf, Chunraten von Somerow vnd Ulrich von ChappdU, um mit fünf Kath- gebem des Herzogs von Baiem über einen StraBseniiieden zwischen Passaa and Efferding zu verhandeln. OUB. in, 532.

» Helbling V, 63—66.

> Helbling V, 66 ff. Ottokars Reimchronik bl. 209^ Diese nennt noch von Schwaben den Hermann von Landenberg, Eberhard von Wallsee und Haag von Täufers.

256 Siegel.

djm" eui sprach ,herT, mit urloup wier tu toeUen rdten alle vier, itoern rät hab wir geswarn den todle wir also bewam'.^

Der Wille der Landherren aber wurde bekanntlich damals, nachdem die Rathgeber sich mit ihren Standesgenossen be- sprochen hatten, in Gestalt einzelner Beschwerden und For- derungen dem Herzoge mitgetheilt. Und unter denselben befand sich auch eine, welche zeigen dürfte, dass, wiewohl gegen die Einrichtung des ,Rathes' als solche keine Unzufriedenheit herrschte, die Gresammtheit der Landherren doch da, wo das Standesinteresse besonders berührt schien, künftig auf ihre Mit- wirkung drang und den engeren Rath somit ausgeschlossen

wissen wollte:

diu dritte ist ir aüer bei

bürge merkt unde stet

daz ieman der gewaltic st

da 81 ir aller rat bf^

IV.

Unterworfen der herzoglichen Gerichtsbarkeit, genossen unsere Dienstmannen wie auch die in gleicher Lage befind- lichen Grafen und Herren des Landes eines bevorzugten Ge- richtsstandes. Nur vor dem Landesherrn selbst in offenem Dinge waren sie verpflichtet Recht zu geben, wenn das Leben, die Ehre oder das Eigen in Frage kam.

> Helbling IV, 610. 611. 651—664.

' Helbling IV, 743—746. Der Gegensatz tritt schon in einer Urkunde Ottokars ron 12Ö1 (OUB. III, 178) hervor, wo von einem placüum generaif edebrandum pretenUbua minitteruMlilnju Avstrie univeraia die Rede isU femer in der Friedenseinung von 1277 (OUB. III, 581), nach welcher der Ungehorsam im FaUe des Aufgebotes wider einen Landfriedens- brecher gerichtet werden sollte, falls es sich am einen Dienstmann ban- delte ,nach der lantherren rat*, falls eine Stadt, ein Bitter oder Knappe nnbotm&isig war ,nach der herren rat, die de» lande» rat ge»v}oren habent und nach der »tet, der ritter und der chnappen rat^. In dem Entwürfe der Landes Verordnung fehlt jede Spur einer solchen Unter- scheidung.

Die rechtliche Stellung der Dienstmannen in Oesterreich. 357

So 8ol dhain graff noch freie noch dienstman, die ze recht zu dem lannd gehorent, weder auf ir letb noch auf ir er noch auf ir aigen ze recht ateen nwr in offner schrann vor dem lanndes herren.^

Von den Klagen, welche* vor den Landesheim selbst ge- wiesen waren, bedarf die Klage um Eigen keiner weiteren Erörterung. An das Leben aber traf nach österreichischem Rechte eine Klage wegen Mord und Todschlag, Diebstahl, Noth- zucht oder Brandstiftung. ^ Und ehrenrührig waren jene Klagen, welche einen Vorwurf der Untreue oder des Unglaubens in sich schlössen, oder wie der Verfasser des kaiserlichen Landrechtes c. 278 sagt: daz mr sprechen: ,an ir ere', daz meinen wir also, ob -man einen man an seinen eit sprichet^ oder an sinv 4 werch, oder daz man giht, er si nit gelovbig oder daz man in seit von der cristenheit, daz er dv ding getan habe, die vncristenlich sintJ

Um jedoch die Auszeichnung zu verstehen, welche unter den genannten Voraussetzungen in dem Forum vor dem Landes- herm gelegen war, ist es nothwendig einen Blick zu werfen auf die österreichische Gerichtsverfassung. Insbesondere müssen wir uns Diejenigen gegenwärtig halten, welche im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts berufen waren Recht und Gericht im Lande zu handhaben.

Zu oberst waltete als Richter der Herzog, für die Regel auf den Landtaidingen, welche nicht unter sechswöchentlichen Zwischenräumen und nicht an anderen als den drei herkömm- lichen Orten stattfinden sollten.

Dass der Herzog einen Unterthan mit seiner Gerichts- gewalt filr einen einzelnen Fall betraute, ist für die baben- bergische Zeit nicht nachweisbar, während Ottokar nach dem Vorgange des Königs im römischen Reiche * solche Vollmachten allerdings wiederholt ertheilt hat.^ Dagegen gab es nach den

' Art. 1. Die Abweichung^ in §. 1: vor den lantkerren hat in Anbetracht des §.91 (s. folgende Seite) keine principielle Bedeutung.

' Vgl. 8. 268, insbes. n. 9—12.

' Die nicht erwähnte Statusklage ist keine ehrenrührige Klage, wie G Öhr um, Geschichtl. Darstellung der Ebenbürtigkeit I, 287—290, Note, meint

* S. Franklin, Das Reichshofgericht im Mittelalter II, 49—61.

^ Vgl. die von HasenOhrl, Oesterr. Landrecht S. 168 f. hiefÜr gesam- melten Urkunden von 1259, 1267, 1268, 1270 und 1275. Sitxan^tber. d. phil.-hist. Cl. cn. Bd. I. Hft. 17

258 Siegel.

Urkunden des Landreclites zur Zeit der Babenberger^ ähnlich dem im Jahre 1235 eingesetzten Hofirichter im Reiche, in Oesterreich einen besoldeten Landrichter als Stellvertreter des Herzogs. Zum Unterschiede von den Landrichtern in den Grafschaften oder untern (niedena) Landgerichten hiess er: der Landrichter des Landes zu Oesterreich, oder auch der oberste Landrichter.* Seine Jurisdiction erstreckte sich bis zur Enns; jenseits derselben nahm die entsprechende Stellimg ein Land- richter oder, wie er auch hiess, der Hauptmann von Ober- österreich ein. 2

Dass nun in den oben genannten Fällen die Gerichts- gewalt nur von dem Fürsten und nicht auch von diesem seinem Richter^ über die Dienstmannen und die anderen Landherren geübt werden konnte, was noch folgender Zusatz in dem Ent- würfe §.91 ausdrücklich hervorhebt:

vnd sol atich derselb landrichter weder gen grauen noch gm freien gen dinstman, nwr vmb gewalt vnd vmb sein gepot vnd vmb varend giU^ nicht richten, was ander dag ist, die sol der landsherr richten ze recht, darin lag das Vorrecht, dessen sich die genannten Stände hin- sichtlich des Forums erfreuten.

Ottokar traf, sobald das Land unter seine Herrschaft ge- kommen war, die Neuerung, dass an Stelle des einen Land- richters in Oesterreich vier eingesetzt wurden, und zwar zwei diesseits, zwei jenseits der Donau, mit der Verftigung, dass jeweils die beiden desselben Sprengeis zusammen sitzen sollten an dem gerichte so sie miLgen,^

> So in §. 44 und 92.

^ Dieser Richter in Enns mit der ihm zagetheilten Bedeutnng ist bereit«; im Jahre 1222 nachweisbar, indem der Herzog dem Bischof von Passan die Wahl einräumte, eine Schuld entweder ihm selbst, dem Herzog. jVel iutUci auo in Aruuo »eit niUario <^U9 in Wienna^ qui pro tempore fuerini' zu zahlen. Monumenta boica XXIX, 2, 336.

3 Wie y. Luschin, Geschichte des älteren Gerichtswesens S. 62, sagt.

^ Ueber die Gerichtsgewalt des Stadthauptmannes von Wiener^Neustadt über einen Dienstmann 8. Winter, Urkundl. Beiträge S. 36, n. 22.

^ Die Gerichtsgewalt der vier Landrichter erstreckte sich also nicht auf das ganze Land, wie Hasenöhr 1, Oesterr. Landrecht S. 172, meint, der einzelne hatte aber auch nicht in einem blossen Viertel die Gerichts- barkeit, wie Lorenz, Deutsche Geschichte I, 346, sagt. Vielmehr bes&ssen

Die rechtliche Stellung der Oienstmasnen in Oesterreich. 259

Die Ottokar'schen Einrichtungen haben den Fall ihres Ur- hebers überdauert und während des ganzen dreizehnten Jahr- hunderts fortbestanden, wenngleich bei dem Umstände, dass mit der habsburgischen Herrschaft der Herzog häufiger als bisher an seinem Hoflager Gericht zu halten pflegte, durch längere Zeit die Bestellung von Landrichtern unterblieb,' was

je zwei die Jarisdiction in einer der beiden, durch die Donau g^etrennten Hälften des Landes. Dieser Ansicht ist auch ▼. Lnschin a. a. O. S. 66 67, dessen weitere Annahme jedoch, dass die Unterscheidung von Oesterreich ob und unter der Enns die Theilung des Gerichtssprengeis nach dem Laufe der Donau (1254—1264) beseitigt habe, mit den Urkunden (b. die folgende Note) sich nicht vereinigen lässt. * Die in ihren Hauptzügen vorgeführte Geschichte des Landrichteramtes in Oesterreich findet ihre Bestätigung in den Urkunden, aus welchen, so weit meine, übrigens keine Vollständigkeit beanspruchenden Samm- lungen reichen, die Persönlichkeiten übersichtlich zusammengestellt werden sollen, welche bis zum Anfange des werzehnten Jahrhunderts thatsächlich des Richteramtes gewaltet haben.

Heinrich der Schenk von Hausbach: 1244. iudex prownckdia tocius Austrie D. et A. XI, 108. c. 1250. iudex provincialis D. et A. XI, 121.

Heinrich der Schenk von Hausbach und Heinrich von Liechtenstein : c. 1250. iudices provincialea D. et A. XI, 121.

I

1255. iudex a duce OUacharo per Austriam conatitutua OUB. HI, 214.

Otto von Haslau und Otto von Meissau (diesseits der Donau):

1259. inforo tudidali in Mautam iudicio preMentes D. et A. I, 47.

I 1262. iudex provincialia D. et A XI, 154.

1262. üidi^ prmnnciales OUB. III, 294.

1263. iudicea promnciales Auatrie D. et A. XI, 159.

Heinrich Graf von Hardegg und Albert von Feldsberg (jenseits der Donau) :

I

1267. iudex provincieUi» Austrie D. et A. I, 17, Note zu n. 14.

1268. iudicea praoincialea Auatrie D. et A. VHI, 319.

I 1268. iudex praoindalia per Auatriam OUB. HI, 355.

I

1273. iudex promneiaU» Äuetrie D. et A. XI, 185.

I

1274. iudex provincialia per Auatriam, D. et A. XI, 192.

I

1275. iudex prowneialia D. et A. XI, 193. 196.

I 1'275. iudex provincialia per Auatriavi D. et A. XI, 198. 200.

17*

260 Siegel.

in dem um das Jahr 1292 verfassten Gedichte bei den Rügen der sieben Tugenden die Bescheidenheit zu nachstehender Klage veranlasste :

1277. iudex proffmdaltB Äuatrie D. et A. XI, 210.

I

1278. ütdex provmeialit Auatrie D. et A. XI, 216.

I

1279. iudex Äu$6rie generaU», bes. iudex prcvinciaUa D. et A. XI, 218.

I

1281. iudex generalit D. et. A. VIII, 330.

I

1282. iudex prooineialie AuHne D. et A. X, 29.

I

1283. iudex provineialis per AuaMam OUB. lY, 10.

Ulrich von Wolkendorf: 1297. iudex provineialia per Äustriam D. et A. m, 400.

Ulrich von Wolkersdorf und Albrecht der Stuchs von Trauttmannsdorff:

1299. lantriehter in Oeaterreieh OUB. IV, 310.

1300. iudex provincialie Auttrie D. et A. EU, 281.

1301. lantrMer in Oetterreich (Notizenbl. 1851, 8. 317) OUB. V, 384. 1301. die zwen lantriehter D. et A. XVI, 6.

1302. in der obrieten eehrarme D. et A. XVI, 9. Das Regster zum fünften Bande des OberOsterreichischen Urkundeu- buches S. 602 nennt anch Leutold von Kuenring und Stefan von Meissau f&rs Jahr 1301 als LandrichtiBr, was auf einem Missverständnisse der Urkunde aus diesem Jahre 8. 384 beruht

Landrichter oder Hauptmann ob der Enns:

Albero von Polheim? 1237. iudex provinciali» OUB. m, 48.

Konrad von Sommerau: 1264. iudex provintie Auatrie tuperioria OUB. III, 321.

Burkhard von Klinberg^: 1276. capUaneue Aneai OUB. m, 430. 1276. capUaneue Aueirie auperiorit OUB. III, 435.

BCarkgraf Heinrich von Hachberg: 1280. capitaneua Auatrie auperioria OUB. IH, 520.

Ulrich von Kapellen: 1282. iudex provindaHa auperioria Auatrie OUB. IH, 542.

1282. iudex piwincialia aupra Aneuum OUB. HI, 543.

1283. iudex provineiaUa aupra Anaaumi OUB. IV, 10. 1287. der lantriehter OUB. IV, 55.

1287. iudex provineialia auper Anaaitm OUB. IV, 60.

Die rechtliche Stellnng der Dienstmannen in Oesterreich. 261

der gerichte waere bereit

driu lantteidinc in dem jär

und lieze diu fiofteidinc gar

und setzte landricktaere!^ Bei der Aenderung, welche darin bestand, dass der eine Landrichter durch mehrere ersetzt wurde, ist das privilegirte Forum der Dienstmannen zwar nicht aufgehoben, wohl aber in einem Punkte modificirt worden, wie sich aus der Verord- nung Ottokars in dem Landfrieden vom Jahre 1251 ergibt:

Wir weUen auch und setzen heisst es da vier laut- richtaer, zwen tenhalb tunawe zwen dishaJh, die suln richten alle (Mag di für si choment an über dienstman leib und aigen und lehen.^

An Stelle der ehrenrilhrigen Klagen wurden die Lehns- klagen ^ gesetzt. Dagegen blieb, abgesehen von den Fällen» wo die Klage an das Leben ging, unberührt der ausschliess- liche Gerichtsstand vor dem Landesherm in Ellagen um Eigen.

Eberhard von Wallsee: 1288. UMtriehter <A der Eru OUB. IV, 82. 1291. iudex provineUUit super Änantm OUB. IV, 144.

Weickhard von Pollheim: 1293. larUrichter ob der ßnte OUB. IV, 186.

Eberhard von Wallsee: 1297. iudex prwincialit auper Aruuum OUB. IV, 267.

1299. lantrickter ob der Em TV y 303. 304. 305.

1300. lantriehter ob der Ent IV, 328. 341. 342.

1300. ze den steiien houptman ob der En» IV, 369.

1301. hmtrichter ob der Ena IV, 388. 392. 393. 397.

Aas dieser Uebersicht ergibt sich zugleich, dass sämmtliche Landrichter im dreizehnten Jahrhundert mit Ausnahme des Grafen von Hardegg und des BCarkgrafen von Hachberg aus der Reihe der Dienstmannen genommen wurden.

» Helbling H, 766—769.

* Archiv f. ö. G. I, 69, z. 18 ff.

' Ob unter den Gesichtspunkt einer Lehnsklage die c. 1262 bei Herzog Ottokar, dem Landesherrn, erhobene Klage wegen des Schadens, den der Dienstmann Ludwig von Zelking ,vmhe Hnet toibee anaprtuihey di »i het gegen dem gelben lehen* dem Bischof von Passau zugefügt hatte (OUB. III, 192), falle, ist zweifelhaft. Auf das Versprechen der Ersatzleistung von dem Herzoge wurde der eigentliche Lehnsstreit vor dem Passauer Lehnsgerichte geführt und schloss mit einer Appellation <^n das Reich,

262 Siegel.

Und was in letzterer Beziehung gemeines Recht der Dienst- mannen des Landes war und als solches geradezu bezeichnet wurde, ist dann in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahr- hunderts aus besonderer Gnade von den Herzogen auch Klöstern bewilligt worden.

Ein solches Privilegium erhielt das Kloster Heiligenkreuz, wie aus folgendem Befehl Ottokars an die Landrichter erhellt: Otto dux Äustrie iudiabus per Avstriam constUtUis damus ßrmiter in mandatis, quatentbs omnes causas, querimonias, actiones, que contra predictum abbatem et cofiventum (donrns 8. crucis) de prediis auü a quibuscumque emereerint, relinquetUes in tudiciü vestris totaUtefi* vudiscussaa, dücutiendas ueque ad noetram preeeiiHam suapendatis, quia commune vas minieterialium huius terre eU favorabiUter conferentee nee querimoniis reepondere nee aUis oBtare volumus mdicüs nisi nostrie. ^ Femer wurde das Nonnen- kloster zu Wien im Jahre 1287 derart begnadigt: item in caude dvüibus dicta abbatissa et conventus coram nobis et non vudidbue aliis reapondere de ittstifiia debita ceneentur (utricte,' und im Jahre 1294 das Nonnenkloster zum heiligen Bernhard: Und die aptessin oder der convent schulten vor dekainem richter ze recht sten, nur cdlain vor uns, ^

In Oberösterreich allerdings hatte der privilegirte Gerichts- stand der Dienstmannen in Betreff ihres Eigens noch vor Ablauf des Jahrhimdcrts aufgehört, wie aus der königlichen Urkunde hervorgeht, womit das Recht in dem Gerichte ob der Enns seine Bestätigung fand. Es sol av^h heisst es darin dehain cMöster noch dinstman vmb dehain sein altes aigen ' vor nieman ze rechte sten, danne vor dem landes herren oder vor seinem richter, es sei danne, daz ein chl6ster in dem lande ein ffut chouffet, daz e daz under gerihtte geduldet hob ze reht, daz sol man ouch furbaz nach dem chouffe in dem selben gerthtt verantwurten. ^

Hatte auch die Landsässigkeit in Oesterreich für die Dienstmannen eine Unterordnung unter die landesherrliche Juris-

t Urk. von c. 1266, D. et A. XI, 164; vgl. von 1286 das. 253.

2 D. et A. XI, 318.

3 D. et A. VI, 165.

* Urk. des Königs Albrecht vom J. 1299, bei Kurz, Oesterreich unter Ottokar und Albrecht II, 238. 239.

Die rochtliche Stellung der Dienstmunnen in Ocsterreich. 263

diction mit einein allerdings privilegirten Gerichtsstände zur Folge, so reichte doch wenigstens zur Zeit der Babenberger des Herzogs Gewalt nicht so weit, dass er einen Dienst- mann, was dieser auch immer verbrochen haben würde, hätte ver- oder ttbersagen und damit seiner Ehre und seines Rechtes verlustig erklären können. Es gab nur zwei Möglichkeiten: ergriff er ihn auf handhafter That, so mochte er über ihn richten^ und zwar mit dem Tode; wenn aber dieser entkam, 80 durfte ihn der Herzog nur ächten, um sodann die Klage wieder ihn zu erheben vor dem Reiche, d. i. dem Hofgerichte,' dem es vorbehalten war das letzte Urtheil zu sprechen, den renitenten Beklagten friedlos zu legen.

£8 sol auch sagt die Rechtsaufzeichnung Art. 2 der lanndes herre dhainen dienatnian nicht versagen^ umb was er tM. Er sol iiber in richten nach des lanndes gewon- hait, als recht ist. Begreift er in an der hannthaft, so sol er über in richten mit dem tode. Entrinnet er im, so sol m* in in die echt tun, und Tiach der echt,^ so sol er in beclagen vor dem reiche, und sol man vor dem reiche urtail über in tun, als im ertaüt wirt, und sol im sein er und sein recht niemant benemen, wenn das reich, wann sie von dem reiche des lanndes herren lehen sind, davon sol der chaiser und das reich die leczten urtail iAer in geben, ^ Die mit dem ,Versagen' oder ,Uebersagen* in unserer Dar- stellung verknüpfte Wirkung ergibt sich insbesondere noch aus

* Franklin, Das Reichshofgericht II, 62, Note 1.

-^ Dieser Ausdruck findet sich in der Hohenfurther, Pester und einer mir vorliegenden Wurmbrand*schen Handschrift, vgl. S. 283, wälirend die Linzer, Lübecker und Wiener Handschrift ^übersctgen* hat.

3 Die Worte So sol er in die echt bis hierher fehlen in der erwähnten Wurm- brand^schen Handschrift.

* Der Entwurf §. 2, welcher sonst gleich lautet, fügt hinzu : damit im sein ere und sein recht benomen vnrt. Das Verdienst Frauklin^s aber ist es, aus der reichen Fülle des gesammelten Materiales den Unterschied zwischen Oberacht, welche die Beichsacht und deren Bestand während Jahr und Tag voraussetzte, und sofortiger Friedloslegung nachgewiesen zu haben. Vgl. Das Beichshofgericht II, 358 364. In einem anderen Sinne stehen ^dielestenurtaU 'in dem Freising^schen Bechtsbuch bei West er- rieder, §. 55 (welcher bei Maurer fehlt): hier sind die Urtheile des Nachrichters über die Art, wie die verhängte Todesstrafe vollzogen werden sollte, gemeint.

264 Siegel.

Artikel 67 des Landrechtes^ worin es sich um ein mit Sieben übersagtes Haus handelt, von welchem bestimmt wird^ dass es mit Feuer und Schleifung gerichtet werden solle, und dass, wenn dies dem Burgherrn zu Liebe unterbleibe und dem Hause eine Heimsuchung geschehe, dieselbe weder dem Grerichte noch dem Besitzer zu entgelten sei, ,wann es übersagt ^ ist und sein recht benomen ist^,"^

Dass bei dem ,was er tüt^, oder, wie wir heute sagen würden, ,wa8 er auch immer thut', zumal an Verrätherei, Un- treue wider den Landesherrn und damit gegen das Reich zu denken sei, dürfte daraus hervorgehen, dass dem Landesherm die Rolle des Klägers vor dem Hofgerichte zugewiesen ist,^ und dass es nach den urkundlichen Zeugnissen Vergehen eben dieser Art waren, bei welchen auf Friedlosigkeit erkannt wurde. *

Endlich findet unsere Auslegung der schwierigen Stelle eine Unterstützung in der bekannten Urkunde, ^ welche dem Gedanken, das Herzogthum zu einem Königreich zu erheben, ihre Entstehung verdankt und in einem Punkte also lautet: lllvd etiam iuri regio et- konori conjungimus, ut si aliquis comes nobüis et ministerialis vd miles de regno tuo contra te et successores iuos et terram tuam forsan excesserit et pro suo excessu castrum vd munitiones suas ab excedente per te vel nuntios tuos peti contigerit ipsumque negaverit assignare, ipsum ex iure regiae dignitatis per sententiam curiae tuae bampnire et foriiu- dicare valeas ipsumque exlegem faoere omnis iuris suf- fragio prout moris imperii cariturum. Diesem Projecte gemäss sollte die Gewalt, welche nach dem Rechte, wie es zur Zeit Leopolds des Glorreichen bestanden, dem Kaiser und Reich vorbehalten war, künftig der Landesherr als Ausfluss seiner königlichen Würde haben.

1 Die Pester Handschrift, und nur diese (vgl.S. 263, n. 2), setzt hier: vergagt

2 Man verbinde damit die §§. 53, 67, 62 des Entwurfes ; s. auch Art. 8 = §. 7, Ottokars Landfrieden, Archiv f. ö. O. I, 60, n. 19, und Friedens- einung von 1277, OUB. III, 681.

^ Vgl. auch Justita Minister ialium Bamberg, (bei Fürth, Ministerialen S. 509): Si quem ex hia dominus suu9 eicauaverü de quaeunque re, liceat Uli juramento se , , , dewlvere, exceplis tribua, hoc ett 9i in vitetm domiid sui aut in cameram (qu8 aut in munitiones ejus conailium habuiase arguitur,

* 8. Franklin a. a. O. II, 364—368.

5 Bei Würdtwein, Nova subsidia XII, p. 24. 25.

Die rechtliclie Stellung der DienitmanneD in Oesterreicb. 260

Da88 Ottokar, welcher Oesterreich in Besitz genommen, ehe er vom Reiche damit belehnt worden war,^ durch Land- recht das Reichsrecht zu verdrängen suchte, dass insbesondere die Verordnung seines Landfriedens: Wirt aber ein dienstman umb grozze schulde bechleU, den sol der lantrichter hingen in den fu/rban,^ die cuJU sol man uns behalten j^ in dem Sinne erlassen wurde, dass die Landrichter die Functionen des Landesherm übernehmen und diesem die Rechte des Königs künftig zu- stehen sollten, ist mehr als wahrscheinlich,^ während es aller- dings ungewiss bleibt, ob diese Bestrebungen von dauerndem Erfolge begleitet waren.

Abgesehen von der bisher besprochenen Schranke der landesherrlichen Gerichtsgewalt, wodurch die Zugehörigkeit der Dienstmannen zum Reiche anerkannt und seine Gerichtsbarkeit für den Fall, als nicht die That das Urtheil gesprochen hatte, gewahrt blieb, schützte sie wie die Grafen und Herren das Recht überdies gegen jede Gefahr, welche aus ihrer Unter- stellung unter die Gerichtsgewalt des Landesfhrsten hervor- gehen konnte, indem ihnen der Rechtszug oder Recurs an das Reich offen gehalten war.

Bei dieser Befugniss, an das Reich zu dingen,^ ist nicht sowohl an ein beschwerendes Urtheil, welches gescholten werden

^ S. Lorenz, Deutsche Geschichte im dreizehnten und yierzehnten Jahr- hundert I, 88 ff.

^ Während Fürhan in Oberbaiern die Aufnahme Jemandes oder seines Gutes in den gerichtlichen Schutz bedeutete, vgl. Westenriede r, Glos- sarium I, 174, Schmeller, Bair. Wörterbuch I, 176, ist hier wie in der Steiermark darunter eine vorläufige Aechtung, die, wenn sie sechs Wochen andauert, zur Acht ftlhrt, zu verstehen. Vgl. steier. Landrecht 204 und 211—213.

^ Archiv f. 0. Gesch. I, 59, n. 21 23. Die Bestimmung schliesst sich an die Verfügung über den Gerichtsstand (s. S. 261), in welcher statt der Ehre Lehen gesetzt worden war.

* Dieser Ansicht ist auch v. Luschin, Geschichte des älteren Gerichts- wesens S. 19.

^ Während der Ausdruck dingen in den sächsischen Bechtsquellen in dem Sinne von Gericht halten, Gericht £inem ansagen, gebraucht wird, vgl. Home y er, Glossarien zum Sachsenspiegel S. .410, 2. Theil, Bd. I, S. 572, und Bichtsteig S. 530, bedeutet er in der bairischen Rechtssprache so viel wie oppeZZorc. Vgl. Urk. 1152, OUB. III, 194. 195, Bischoff, Glossar zum steir. Land recht S. 215.

266 Siegel.

mochte^ als vielmehr an jede willkürliche richterliche VerfUgung oder einen verletzenden Act des LandesAirsten überhaupt zu denken.

Die Urkunden des Landrechtes erwähnen die Befugniss in unmittelbarem Anschluss an die Mittheilung über den Gerichts- stand; und dürften daher zunächst eine kränkende richterliche Verfügung des Landesherm im Sinne haben.

aber im des lanndes herre unrecht tun, ^ so sol er wd

mit reckt dingen cm das reich und davon sein recht pringen,

als im ertailt wirt vnd sol av/ih das geding wider pringen in

sechs Wochen . . . Wann er zu dem lande kämpt, so sol er

vor dem lanndes herren und vor seinen hausgenossen in offner

schrann antwurten vher sechs wochen und nicht darhinder,^

als recht ist nach gewonhait des lanndes.

Allgemeiner war dagegen die Fassung^ in welcher der im

Jahre 1186 zwischen den Herzogen von Steiermark und Oester-

reich geschlossene Erbvertrag den Steirern zum Schutze ihrer

Privilegien das Beeursrecht gewährleistete, indem es schliesslich

heisst: Quisquis ergo üle fuerit, qui rerum summam post nos

habusrit, drca nostros claustrales, ministeiiales, conprovincudes

hancformam peiitione eorum conscriptam modeste conservabit; quod

si spreta equitate dementia guhemare deipexerit sed quasi tyrannus

in nostros se erexerit, appellandi et adeundi imperatoris curiam

et praetendendi per hoc privilegium suam coram principibus iustidam

irrefragahilem habeant licentiam,^

Ob ausser Urtheilschelten je ein Fall der Beschwerde oder Berufung an das Reich vorgekommen, mag bezweifelt werden. Dennoch aber war das Recht dazu ein kostbares Kleinod, die Gewähr für die Erhaltung einer von dem Landesherrn miab- hängigen Stellung, und es ist daher begi*eiflich, dass diejenigen unter den Dienstmannen, welche es besassen, sich erhaben dünkten über diejenigen, welchen es nicht zukam; wir verstehen des Dichters Wort über die Vier, welche um die Mitte des

1 Mit Bttcksicht aaf das Vorangegangene, z. B. indem er ein Fürgebot mit kürzerer Frist als den sechs Wochen oder an einen andern Ort als den drei genannten Qerichtsstatten ergehen lässt.

3 Vgl. Steir. Landrecht 42: Dingt man ir (der vrtailj aber au* dem land so achol mana in vierzechen tagen furiegen^ in eech* tooehen verantwuHeru

3 OÜB. U, 400.

Die rechtliche Stellung der Dienstmannen in OeBterreich. 267

letzten Decenniums im dreizehnten Jahrhundert unter den mit Herzog Albrecht Unzufriedenen die Hauptrolle spielten, den Sommerauer, Kuenringer, Lichtensteiner und Buchheimer:

die nicht dingten an das ruh gen deu waer in niht wol ze muot fti hieten vriunt unde guoU^

V.

Wie die Besitzungen der Grafen und Herren, so waren auch die der Dienstmannen des Landes von altersher als ehe- maliges Krön- oder Reichsgut gefreit und unterschieden vom GräU; so dass die Landrichter nichts darauf zu schaffen hatten. Den Grundherren selbst stand um mit dem wichtigsten Rechte zu beginnen die Gerichtsgewalt auf ihren Gütern zu. Laut des dem Herzog vom Könige im Jahre 1156 ertheilten Freiheitsbriefes:

8tatuimu8 quoque ut nuUa magna vel parva persona in ejttsdem ducaius regimine sine ducis cansensu vel permissione aliqaam iusticiam praesumat exercere'^ bedurfte allerdings der Einzelne, um die ihm zukommende Ge- walt ausüben zu dürfen, einer VerwilUgung des Landesfbrsten. ^ Was aber den Umfang der grundherrlichen Gerichtsbarkeit betrifft, so war dieselbe noch keineswegs so vollständig im ersten Drittel des dreizehnten Jahrhunderts, als nachweisbar bei dessen Ausgang. In der Zwischenzeit ist das Land wieder- holt herrenlos gewesen ; die Anmassung, welche ein Landesfürst zurückgewiesen hätte, duldete der Kaiser, und so mag es den Dienstmannen gelungen sein, ihrer Gerichtsgewalt ohne Gunst- briefe oder eine Verordnung eine Erweiterung zu geben. Zu Herzog Leopolds Zeiten galt noch als Recht:

Es sol dhain lanndrichter auf dhaines grafen gut, auf dhaines freien gät noch auf dhaines dienstmans g{Uj die ze recht zu dem lannd geho7'ent, ob si es in urbar habent, ob si es

^ Helbling IV, 114—116. ' Archiv f. ö. G. Vin, 111. ^ Vgl. Beruh thold, Die Landeshoheit Oesterreichs IS. 156 if.

368 Siegel.

verUhen habent, ob si es in vogtcd habent, nicht ze scheren haben, Ist aber auf dem vorgenanten giSkt iemantj der den tod verdienet hat, den sol der lanndrichter an den herren vordem, auf des ffäi er gesessen ist, und sol in davon ge- winnen, als recht ist nach gewonhait des lanndes, und sol dem herren das gut lassen und er iiber den man richten, * Dieselbe Freiung und richterliche Gewalt erhielten aus besonderer Gunst von den Herzogen die Klöster auf ihren Gütern. Solche Gunstbriefe sind uns überliefert, wie nicht minder darauf beruhende Rechtsweisungen, und mit Hilfe dieser Urkunden sind wir im Stande^ ein lebendigeres und volleres Bild der hier einschlägigen Verhältnisse zu liefern.

Wenden wir die bei den Rechtsoffenbarungen üblichen Ausdrucksweisen an, so hatten die Dienstmannen auf ihren grünndten vnd gutem vmb all handlung, insbesondere frevel, wandele fliessende wunden-, zerichten vnd straffen ^ohne das Malefiz^,^ oder ohne ,was das grosse Malefiz berührt',^ oder ^ausser was an den Tod geht',^ ^alaine vmb drey vrsach nicht*,* ,ohne dreierlei Recht^ ausser ,vmb die drey stukh^*

Als die drei Verbrechen, über welche zu richten dem Land- richter vorbehalten war, finden sich meisthin bezeichnet: Mord oder Mannsschlacht oder Todschlag, Diebstahl und Nothzucht.^ IndesB begegnet auch statt des Diebstahls ^^ oder statt der Noth- zucht^^ der Brand, und wiederholt wird er als viertes den drei gewöhnlich genannten Verbrechen zugesellt. '^

< Art. 46. Der Entwurf lässt den Artikel unterwegen, ohne jedoch einen Paragraphen zu enthalten, welcher die am Ende des dreizehnten Jahr- hunderts feststehende Ausdehnung der Gerichtsgewalt anerkannt hätte.

3 Kaltenbäck I, 4263.

3 Daselbst IX, 423, 435.

* Daselbst II, 23«.

» Daselbst I, 166'. 521. 56736. 5848. 588'. 5953; II, 17*. 68». 301».

« Daselbst I, 3».

7 Daselbst II, 103».

8 Daselbst I, 524".

9 Daselbst I, 19^. 37«. 97«». 3573; II, 1337. fo Daselbst I, 510.

i> Daselbst I, 3».

« Vgl. daselbst I, 469io. 524'3. In einer Urk. v. 1232 (v. Meiller, Regesten S. 161, Note 14) heisst es: que did pottunt vridbrech, Heuä surU komi- cidia, latrvcinia, furta, fyiolenti coittu et cetera, que kia nmilia pottwU esH.

Die rechtliche Siellnng der Dienstmannen in Oeeterreich. 269

Die Voraussetzung, unter welcher eine Auslieferung an den Landrichter zu erfolgen hatte, war nach der Urkunde des Landrechtes die, dass auf dem gefreiten Gute Einer den tod ver- dienty ^ oder, wie es in einer der Handschriften heisst, verschuldet.^ Den Tod verdient oder verschuldet aber hatte derjenige, welcher wegen eines mit dieser Strafe bedrohten Verbrechens auf hand- hafter That ergriffen' oder rechtmässig überftlhrt worden war.*

Die Auslieferung beschränkte sich nach dem gemeinen Rechte und der Gewohnheit des Landes auf die Person des Missethäters ; •'' er wurde ausgeantwortet ,wie er ging und stand', nach alter Sprechweise ,wie er mit dem Gürtel umfangen war*; sein Hab und Gut verblieb der Herrschaft.®

Das Verfahren, welches im Falle einer Auslieferung zu beobachten war, bestand darin, dass, sobald die Bedingung hiefUr eingetreten war, von der Gutsherrschaft die Anzeige an den Landrichter gemacht wurde mit der Aufforderung, den missethätigen Mann binnen drei Tagen zu übernehmen. Erschien der Landrichter innerhalb dieser Frist zur Entgegennahme nicht, 80 mochte die Herrschaft den Delinquenten hinausftlhren und an einer herkömmlichen Stelle, nachdem in lautem Rufe dreimal der Landrichter vergeblich zur Uebemahme aufgefordert worden war, denselben zum Scheine mit einem Strohhalme oder Zwirnsfaden an einem in die Erde geschlagenen Stecken festbinden, in Wirklichkeit also laufen lassen. Mit dieser Schein- handlung hatte der Gutsherr dem Rechte des Landrichters

1 So drückt sich der Ganstbrief für Geyrach vom J. 1227 (FrOhlich,

Dipl. sacr. Styr. II, 137) aus: n mortem promeruerü. 3 So anch Taidlng von Erlaa, Kaltenbäck II,.297S: Wo aber amer den

todtjtersekuldtj ao 96U derselb nach drei tagen . . . 3 Vgl. z. B. Kaltenbäck I, 469t3. « 8. die folgende Note. Vgl. ferner Kaltenbäck I, 674", wo freilich das

Ueberftlhrangsverfahren nicht mehr das alte Art. 8 (§. 7) und steir.

Landrecht 118 ist. ^ Urk. y. 1240, 0U6. III, 93, und wiederholt 1245, daselbst 130: eirca

bona efuedem (tc. eonvicH legitime de crimine, quod morte pleelendum est)

mobilia et immobilia generale tue terre et patrie eonsuetudinem eontervamtuj. * Ein angesessener Malefitzischer Unterthan darff dem Landgerichtsherm

allein, wie er mit Gürtel umfangen, überantwortet, eine streichende

Malefitzperson aber muss mit Leib und Gut gestellt werden. Motive vom

U. Juli 1572, Suttinger, Consuetudines 384.

270 Siegel.

Genüge gethan und ihn zugleich fUr allen Unrath und Schaden, der daraus entstand^ verantwortlich gemacht.^

Diese Auslieferungen entfielen, nachdem die Gerichts- gewalt der Dienstmannen wie auch zweifellos der Grafen und Freien innerhalb ihrer eigenen Güter unter Schmälerung der landesfUrstlichen Gerichtsbarkeit eine Ausdehnung auf die todes- würdigen Verbrechen erfahren hatte.^ Vermuthhch durch Uebung und Gewohnheit, wozu die wiederholten Interregna im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts günstige Gelegenheit boten, herbei- geführt, war die Entwicklung jeden Falles am Ende des ge- nannten Jahrhunderts eingetreten. Der gutunterrichtete Dichter, welcher sich so grosse Mühe gab, die Erfordernisse eines rechten Dienstmannes festzustellen, sagt in dem achten, nach dem Jahre 1298 entstandenen Gesai^e v. 40—43:

und üf stnem eigen frt

8ol er von dem rtche han

stoc galgen und han, Stock und Galgen aber bildeten die Vorrichtungen, der Bami die Macht, deren die peinliche Jurisdiction zu ihrer Ausübung bedurfte. Ex nunc autem heisst es in der Urkunde König Rudolfs vom 24. November 1277,^ nachdem zuvor dem Bischof und der Kirche von Passau das iudidum criminale vd san- guinis auf den Besitzungen in St. Polten, Mautern, Zeisehnauer, Königstetten und an anderen Orten des Tullner Gerichtes ver- liehen worden dedimus et concessimus offidalihus pi*edicti epi- scopi, quos ad hoc p'esens vel futuri episcopi Patavienses duxerint ordinandos, plenam et liberam potestatem iudicandi de crinune et iudidum sanguinis exei^cendi, ac in trihus lods videUcet in 8. Ypolito, Mautarn et Zeizenmur furcas seu patibula, truncos et tormenta alia, qwbus reorum crindna puniuntw, publice erigendi, concesso ipsis eo iure quod hannum mdgari appeUatur.^

1 Vgl. z. B. die Taidinge bei Kaltenbäck I, 204» 2091». 217». 221'.

^ Als KOnig Rudolf 1277 den pasaauischen Richtern iudActum crimmale vel »amguim» . . . tn hom$ et poBteatianibua ctc hominihu» eeeleaie PatavUn»i» nÜ» m TtUne iudicio yerlieh, fügte er ausdrücklich hinzu: non obatante quod (dem iudidum od dominum terre Austrie perünebal, Mon. boica XXVIII, 2, 409. Die Fortsetzung dieses Privilegiums s. bei der folgenden Not«.

9 Mon. boica XXYIII, 2, 409-413.

^ Hinsichtlich des Bannes ist lehrreich die Weisung über die Rechte der Freien zu Rachsendorf, Grimm, Weisthümer III, 687: so haben ty woi

Die rechtliche Stellanfp der Dienstmannen in Oesterreich. 211

Dass übrigens gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts auch schon Städte die Blutgerichtsbarkeit an sich gebracht hatten, ergibt sich aus der an Elostemeuburg im Jahre 1298 erfolgten Verleihung von ,8tock und galgen, als ander unsere gtlidte haben in ihrem gericht^.^

Neben der Gerichtsgewalt kam ferner den Dienstmannen auf ihren Gütern das Recht der Pfarrleihe oder Eirchenbesetzung, das Collations- oder wie der canonische Ausdruck lautet Präsentationsrecht zu;

und 4f einem eigen fri sagt der Dichter von dem Dienstmanne VIH, v. 44

er sol auch pharre Ithen

Von Hadman von Kuenring erfahren wir, dass er ,tU8 pe- titionis ac patronatu^ in ecdesia sua Witrahe (Weitra) heredi- taria successione hactemis cum quiete possederU', welches ihm im Jahre 1197 flir sich und seine Nachkommen von Bischof Wolfker von Passau neuerdings bestätigt wurde. ^

Auch was den Besitz dieses Rechtes betrifft ^ befanden »ich die Dienstmannen in gleicher Lage mit den Grafen und vermuthlich auch mit den freien Herren. Als Zubehör einer Grafschaft wird das Recht mehrfach genannt. König Ottokar von Böhmen und seine Gemalin Margarethe erklären in zwei übereinstimmenden Urkunden vom Jahre 1260: Wocconi de Rosenbergh et suis post ipsum heredibus in perpetuum comitiam in Eakz^ contulimus suo iure scüicet patronatum ecclesiarum de iam dicta comicia, homines beneßdatos et feoda habentes in ea, i^ida, advocatias ad comitiam pertinentes, dotes, que vulgariter lipgedinge vocantur, sive possessiones per obligacionem eapositas, (jue suo tempore absolute ad antedidam debent comiciam pertinere

das recht, wo ir drey beyentmder gei/ndt, dat 9y den atn an die Bchran tetzen zu ainem ricJUer, wuL die zwen mügen wd über in (den S€hädUchen man) gerickten, dann die »echtzig freien haben den pan vber dat pluet zu richten,

^ Vgl. y. Linse hin, Geschichte des älteren Gerichtswesens S. 224. Winter, Urkundliche Beitrüge znr Rechtsgeschichte österreichischer Städte S. 82, §. 1 (Gaunersdorf); 8. 105, §. 1 (Schrick). ^

^ Friess, Die Kuenringer, Regest n. 130.

^ Das ist die Grafschaft Raabs (nicht Retz); vgl. Wendrunskj, Die Grafen von Raabs, 1879, S. Iff.

272 Siegel.

et omnia alia iura, quocunque nomine sint. vocata,^ Und in einer Urkunde vom Jahre 1297 wird an Herzog Albrecht von Oester- reich verkauft: ,un8er graf schaß Lytschawe und Haidenretchstein und swaz darzu gehöret, es sei aigen oder lehen, d&rfer, chirch saetz, mvly waide, wismat, perg oder tal, holfz, walde, versucht oder unversikiht, wazzer rnschwaide und swi ez genant sei.

In keiner Verbindung mit dem Grundbesitze standen nach- folgende Vorrechte und Freiheiten, deren sich ausserdem die Dienstmannen im Lande, und zwar ohne die Grafen und Herren, erfreuten.

Bekanntlich bedurften die Gotteshäuser, Stifte und Erlöster letztere mit Ausnahme der des später erst entstandenen Cistercienser-Ordens 2 flir ihre Besitzungen und deren Be- völkerung des Schutzes durch einen weltlichen Arm, der Vogtei, mit welcher mannigfache Einkünfte und Nutzungen flir deren Inhaber verbunden waren.

Diese Schirmherrschaft oder Vogtei über Gotteshäuser war nun in Oesterreich den Dienstmannen vorbehalten.

Er sol dannoch haben mer von dem riche, des hat er er daz er vogt der goteshüse «i sagt der Dichter VHI, v. 37 39 von einem ,rechten' Dienst- manne, und übereinstimmend damit; nur noch präciser öffnet die Urkunde des Landrechtes Art. 62:

Es sol auch die vogfai niemant haben, nur ain unvermanter dimstman.

Die hiemach zur Vogtei&higkeit erforderliche Eigenschaft eines Dienstmannes, im vermahnt zu sein, deutet auf eine in dem Dienstverhältnisse üblich gewesene Art der Ahndung unrechter Handlimgsweise. Statt vor Gericht gestellt und ab- geurtheilt zu werden, mochte ein Dienstmann ad audiendum ver- bum domini citirt werden. Die Vermahnung durch den Herrn,

' 1 8. das Diplom Ottokars bei Kurz, Oesterreich unter König Ottokar II, 173, das Diplom der Königin in D. et A. XXIII, 9. ^ Ordo Ciatercienaia ah exordio auae irutUutionig (im Jahre 1098) mtÜu unquam fuit obnoxiua advocali». Böhmer, Ro^esta Fried. II. a. 1237.

Die rochtliche Stellnng der Dicnstmanncn in OcHtorreich. 273

der AuBdruck des Missfallens verbundeD etwa mit einer Auf- lage war die mildeste Form einer Bestrafung. Cameriatum Maguntinum erklärt Friedrich v. KelberaueU; der Inhaber dieses Amtes im Jahre 1227 diebtts vite mee ornnäms possideo, inde nvilo modo removefiidus nisi forte demeruero et ab archi- epücopo Maguntino conmonitus infra tres menses non satisfecero vel composuero amicahüiter aive ivtSte.^ Und mit Rücksicht auf einen Vogt insbesondere heisst es in den literae fundaücnis mmagtern Mvrensis (Muri): ai quas oppresriones intollerabiles monasierio inttilerü et inde secundo et tertio commonitus incorri- gibUis extiterit, eo objecto alitis avhrogetur,^

Es war ferner im Weichbild des Mittelalters begründet, dass die Bürger einer Stadt im Handel und Verkehr am Platze mancher Vortheile und Freiheiten genassen.

Derselben Rechte nun, welche den Bürgern von Wien inner- und ausserhalb des Burgfriedens zukamen, sind auch die Dienstmannen theilhaftig gewesen, wie aus einer Beurkundung ersichtlich ist, die von der Bürgerschaft dem Kloster Heiligen- kreuz gegeben wurde. Laut dieser Urkunde ^ haben die Landes- fUrsten dem Kloster bewilligt, alljährlich ^eptiuiginta duaa kar- ratas vini indtuiendi et vendendi absque omni exaciuyiie et gravamine ^ et omnia iura quae nos habemus et miniateriales terre intus et extra ipsos habere verissime cognoacimus^.

VI.

Wiewohl die Dienstmannen in mehrfacher Beziehung den Grafen und Herren gleichgestellt, ja vor denselben sogar be- vorzugt waren, so gebrach es andererseits doch auch nicht an unterscheidenden Momenten, die zu ihren Ungunsten gewesen.

1 OndeniiB, Codex diplomaticus (1743) I, 927.

^ Herg^ott, OenealogiadipIomaticaangustaeg^entisIlAbsbiirgicae (1737)1, 107.

3 Urk. von 1270, D. et A, XI, 174.

* Vgl. noch die Urkunde Albrechts von 1286, D. et A. XI, 253: talva ipn» aJbhaÜ et convenlui nidiilam'mit» in pogterum liherlate in Wienna »eptua- ginla duas karrctttta vini »ine »teure »ive exactioni» dehito propinandi, qita gralia freli »unt tarn ex indiäto principum tmUceaaorwn no»trorum, quam ex conaenau civium uaque ad hee tempora annuatim,

Sittangsber. d. phil.-hiit. CI. CII. Bd. 1. Hfl. 18

274 Siegel.

Die Leibeigenschaft, aus welcher der Stand hervorgegangen war, übte noch immer ihre Wirkung aus. Dem Herzog, der die Dienstmannen in Oesterreich zu Lehen besass, stand über sie eine Gewalt zu, die einem freien Manne gegenüber nicht begründet war. lüne Vermahnung von seiner Seite vertrat unter Umständen ein gerichtliches Urtheil/ und sein Befehl genügte in Fällen, wo mit einem Freien eine Verhandlung ge- pflogen werden musste. Als die Schenken von Kärnten, die Brüder Hermann und Nicolaus von Osterwitz, zwei venetiani- sehe Gesandte auf ihrer Rückkehr vom kaiserlichen Hofe nach der Dogenstadt im Jahre 1360 bei St. Veit gefangen nahmen, und der Herzog Rudolf von Oesterreich angegangen wurde, die- selben freizulassen und die Frevelthat zu sühnen: ü duea d'Austria promUe ponerui ogni opera per satiMfar , , . al Veneto Daminio, ma che Vera necessario trattar ool casteliano Sench, ä quäle hauena retenuto Oratoriy et era signor libsro et non soggetto al ducato d' Austria, pur ch'd tperaua saHrfar al dedderio loro.^

Der Herren Gewalt vereinigte die darunter Stehenden zu einer Genossenschaft, und nur innerhalb derselben war der Güter- und Personenverkehr frei, nach aussen dagegen von dem zustimmenden Willen des Herrn abhängig.

MinüterialU Stirensis bestimmt der österreichisch-steirische Erb vertrag vom Jahre 1186 alii Stireim predia sua uendat vd etiam grcUis tribuat^ Und das kaiserliche Landrechtsbuch sagt von den Dienstmannen c. 158: si mvgen oh nit ir eigen gegeben noch vorkovfen, vxm wider ir genoz,^

Zu Vergabungen und Verkäufen an Fremde, zu Ver- äusserungen war die Zustimmung der Herrschaft nothwendig. Dass des Herzogs Hand mitgewirkt habe, wird mehrfach bestätigt.

Der Urkunde vom Jahre 1170, dass er seiner Ministerialin Hailwig von Pirbaum erlaubt habe, dem Kloster Seitenstetten ihr Patrimonium zu schenken, fügt der Herzog bei: cul majorem

» ß. 8. 272, 278.

2 S. Zahn im Archiv f. 0. G. LYI (1878), S. 287. ' OUB. n, 400.

^ In den entsprechenden Stellen de« Sacluienspiegels III, 81, §.2 und des Deatochenspiegela e. 853 fehlt dieser Ausspruch.

Die rechtliche ätellung der Dienstmannen in Oesterreich. 275

eiusdem donationis firmitatem manu propria ... in manu eomitis Chuonradi de PUstain idem predium delegammus.^

Von einer Vergabung an das Kloster Zwettl im Jahre 1171 berichtet der Herzog: ministerialü noster Albero de Ckunringe . . . predium suum quod skum est Albern nostra permissione monasterio Zicettlensi tarn nostra quam propria manu legüime ddegavU.^

Von einer Verfligung zu Gunsten des Nonnenklosters Ad- mont im Jahre 1175 heisst es: Wichardtu de Vestenb&rg, mini- sterialis duds Austriae duas filiaa in Admontend coenobio obudü et tum propria manu quum potenti manu Henrici ducis . . . fraedium mum Vosendotf . . . super cUtare 8. Bhisii ddegavit.^

Von einer früher erfolgten Schenkung an das Kloster ßleink sagt die Bestätigungsurkunde aus dem Jahre 1192: Item preaenti pagine^ duximus inserendum, quod dilecti ministeriales nostri videlicet Ottakerus, Rudigerus et Tageno frcUres de pargen predia decem virorum apud Vinchlam et in montibus uxta süa ob remedium ammarum suarum . . . Glunicensi monasterio per manus nostras tradiderunt,^

In frommem Sinn und aufrichtigem Wohlwollen fUr die Kirche hat tibrigenis Herzog Leopold der Glorreiche um die Wende des zwölften Jahrhunderts einer Reihe von Gotteshäusern die Gunst gewährt, dass zu ihrem Vortheil gemachte Schenkungen von Dienstmannengut ohne Weiteres giltig sein sollten. Derartige Gnadenbriefe, welche noch den Gtitererwerb geistlicher Körper- schaften förderten imd somit in schroffem Gegensatze zu den Amortisationsgesetzen einer späteren Zeit, des fünfzehnten Jahr- hunderts^ standen, wurden in Oesterreich nachfolgenden Gottes- häusern zu Theil:

Dem Kloster Garsten: Volumus monasterio Garstenci hanc facere graciam specialem, vi tarn ministeriales nostri quam alii,

* T. Meiller, Begesten S. 48, n. 73.

> Liber fdndat ZweU!., D. et A. III, ö8.

' Cod. trad. Admont. Üb. II, n. 345. v. Meiller, Regsten S. 62, n. 88.

* Das Vorangegangene s. S. 276, bei Note 2.

* ürk. Leopolds von 1192, OUB. 2, 439.

* Seit Maximilian I. wurde in Oegterreich Weltlichen untersagt, an die Geistlichkeit Güter zu verkaufen, zu versetzen, zu verschenken oder zu vermachen. Dolliner, Darstellung des Rechtes geistlicher Personen 1837,

S. 128 flf.

18»

276 Siegel.

qui a nohis in feodis sive predüs quicquam habent, illud posfint e.idem ecclesia propter suam et nostram saliUem dare libere in proprietatem nuUo penitus ohstsfente. *

Dem Spital am Pyhm: Si quis etiam ministeriaUs noster supema inspiratione commanitus novdle hospitalj garsten aUquid prediorum 8tu)rum conferre voluerit, hoc faciendi Hberam /aad- tatem permütimus.'^

Dem Kloster Gleink: Concedimus etiam, quemadniodum . . . consangvineum nostrum marchionem Ottakerum inuenimus indulmse, quod (yinnes ministeriales terre nostre ac alii nohües nominis cuins- eunqtie ea, que a nohis feodi vel hominij possident, pro remedio animarum suarum Glunicensi cenobio libere delegent ac conferant}

Dem Kloster Seitenstetten: lustis postulationihus Chunradi reverendi ahbatis de sytansfefin hanc pietafis intuitu graiuim in- dulsimus, ut scilicet ministeriales nostri, tibicunque Urrarum fue- rint constiiutij quicquid eis divinitus fuerit inspiratum liberam habeant potestatem ad predictum monasterium sancte Marie pro remedio anime sue contradere.*

Dem Kloster Zwettl: Insuper universa supradicto cenobio a ministerialibus nostris donata sibi privilegü presentis iudicio conßrmamus et stahilimus, omnibusque nostris ministeriali- bus in conferendis rebus suis . . . claustro (Zwetl) licen- tiam damus ntque libertatem, p7*aesterea silvamiuxta Chrems etc. . . . que Hadmarus de Chunring eidem claustro dederat et siciit nobis videbatur de iure dare non poteraf, nos eidem iuste perfecte donamus utque majorem habeat firmitudinem in Ms, qu» sibi ministeriales nostri contulerant ea in presenti pagina exprimi iu^simusJ*

Dem Kloster St. Florian: Frntribus (ecclesiae s. Floriani) preter alias donationes, qua» ipsis indxdsimus, hanc quoque gratiam fecimus, ut si quis minist erialium nostrorum de Austria vel de.

» Urk. Leopolds von 1192, OUB. II, 43ö.

2 Urk. Leopolds von 1192, OUB. III, 436.

3 Da«. II, 439. Bestätigt in Friederici Dipl. 1239, das. III, 73 mit der EnveiteniDg: qftod omni» terre nostre militea et ministeriales ac aiii nohiles etc.

* Das. 1193, D. et A. XXXIII, 26.

* Das. 1201, D. et A. III, 72. 73.

Die rechtliche Stellung der Dienstmannen in Oesterreich. 277

Stiria vel alioinim nostrorum fidelium predda stui ipsis conttderint, dofuUionem huius modi volvmua esse ratam.^

Wie Verfügungen über die Güter, so waren auch Heiraten der Dienstmannen anfUnglich nur innerhalb der Genossen- schaft ohne Weiteres zulässig. *^ Das Mannen und Weihen ausserhalb derselben bedurfte der Einwilligung des Herrn ; bei der hiebei nothwendigen Abtretung des einen Gatten mochte die abtretende Herrschaft zugleich festsetzen, was flir die zu erwartenden Kinder Rechtens sein sollte. So geschah es bei der Verheiratung der Adelheid von Traun, der Tochter des öster- reichischen Dienstmannes Ernst von Traun, mit dem Würzburger Stiftsministerialen Dietrich von Pühel im Jahre 1207. Indem der Herzog dieselbe durch die Hand Rodgers von Prosching dem Stifte übergab, gestattete er zugleich, dass die Nach- kommenschaft aus dieser Ehe dem Stifte zugehören und nichts- destoweniger der Vermögens- und Erbrechte in Oesterreich theilhafüg sein sollte.^

Statt von Fall zu Fall die Erlaubniss zu geben und gleich- zeitig in Betreff der Kinder und Kindeskinder Bestimmungen zu treBEen, haben in der Folge benachbarte Herrschaften, unter stillschweigender Anerkennung der Zulässigkeit von Mischehen zwischen ihren Leuten und insbesondere ihren Dienstmannen, ein- für allemal in Verträgen das wechselseitige Recht bezüglich der Nachkommenschaft aus solchen gemischten Ehen festgestellt und auf diese Weise ein interdomaniales Recht begründet, ähnlich dem interconfessionellen Rechte der neuen Zeit.

J Das. 1202, OUB. II, 487.

^ Von einem Heiratszwang, den der Herzog zu üben berechtigt gewesen wäre, findet sich in den Quellen unserer Zeit keine Spur.

' LeopMuB dux notum esse cupimua, quod miniaterialU noatri Emeati de Trunßliam, AlheU dictam uxorem Dietrici de Puhd Erbipolerui ecdenae, a^ua ipae mmiaterialia eat, per manum Eodgeri de Proachingen jure iwairo delegttüimua eo tarnen pacto, tU fiLii aeu fiUe memoraÜ D. et A, praedicte eedesiae acrtem aegregeniur eo quoque tenore, ut tarn fiUe aeu ßlii ipaorum jtu feodi keredUarium et equam aartia diairihuHonem utrmaque id eat tarn a nobia quam a ab ErMjpolenai eedeaia perhennUer habeant, Quod ai aUerum Uinitaa hoc eat filium aui ßliam generaoermtj ipae vel ipaa cum aobole aua ad pretaxatum pari hereditari(oJ aorUa et feodi jure^ ut premiaaum eat, epi- aeopatum pertmebU, OUB. H, 509.

278 Siegel.

Was das kaiserliche Landrechtsbttch c. 158 berichtet und lobt: der kunc vnd die phaffenfvrsten hant ein reht genomen vmb ir biderbe dienetman: ob des riches dienstman eins pkaffen fvrsten dienetwip nimt, ob kint da werdeni, daz si div mit ein ander teilent. Daz ist ein gvt geivonheit, die sol man tool be- halten. Nimt oh der phaffen dienstman des riches dienstwip, dio hant daz selbe reht an ir landen, Div kint erbetit ir vater vnd ir mvter eigen geliche. Daz erste kint daz da tcirt, ez si svn oder tohtery daz ist des gotshvses, dasselbe haben, ohne übrigens den Erstgebornen als voraus den Gotte^häUBem zuzugestehen, die Herzoge von Oesterreich an des Königs Statt bezüglich ihrer oder des Reiches Dienstmannen mit mehreren geistlichen Fürsten, die im Herzogthume begütert waren, vereinbart.

Die beiden bekannten Verträge mit dem Bischof von Passau und dem von Freising beruhen auf dem Grundsatze der Theilung der Kinder nach ihrer Zahl oder nach Hälften. <

Leopoldi Attstriae ducis et Oebhardi comitis de Main, epi- scopi pataviensis communi utüitati nostre promdere consu- lentes simfd in hanc legem eonvenimfis, ut quicunque ex ministerialibiLs sive ex hominibus nostris matrimonium in aUerius potestatem transierint sioe jam transisse noscantur: illarum pueri per equam inter nos portionem eqtuditer divir dantur,^

Friedericus dux Austrias . . . noster aecedii assensus pariter et voluntas, ut si ministeriedis noster nuUrimanium contra- xerit cum cdiqua ministeriali Frisingensis ecdesis vd econ- verso, heredes ex ipsis progeniti et possessiones equaUter dividantur, ita quod una pars heredum et possessionum in potestatem nostram redeat, altera vero in potestatem ecdesie Frisingensis.^

1 Ein anderer, seltener angewendeter GrundBatz war die Vertheilung der Kinder nach dem Geschlechte; die Knaben folgten dem Vater, Mädchen der Mutter, v. Fürth 8. 320-326.

> Urk. Leopolds von 1223, Mon. boica XXVIII, 2, 301. Die Fortsetzung 8. weiter unten.

> Urk. von 1283, D. et A. XXXI, 132. Der Schlusssatz: intuper . ,.<xmfir- mamuBj n not abtque heredibu» eontinget decedere, quod prediota, heredet acilicet et poBtesnones totaliter redeant in jHytestatem eedene FSrUingentu fehlt selbstverständlich in der Bestätigungsurkunde des Königs Rudolf vom Jahre 1277. Daselbst S. 361.

Die rechtliche Stellang der IHenstmannen in Oesterretch. 279

Der Vertrag mit dem Bischof von Paseau traf überdieB Vorsorge für den Fall; dass nur Ein Kind oder eine ungleiche Zahl von Kindern aus der Ehe hervorgehen würde. Ein imtheilbarer Knabe soUte der Mutter folgen, indess die Wahl haben, in welche Gewalt er sich durch seine Heirat künftig begeben wolle; seine Nachkommenschaft aber sollte getheilt werden, und zwar selbst dann, wenn seine Frau eine Freie von Geburt sein würde.

Si vero tantum puer unus superstes fuerü sive propter im- parüatem pueri equa dividi non poterint portione, puer iUe superstes ad ülum, cuius mater fuisse dinosdtur, devolvetur. Sed et tUe puer tunc liberam facultatem hahebit vd in epi- scopi vel in ducis potestatem per matrimonium franseundi, et illius inter nos pueri mxMlondnus, quemadmodum pre- missum est, dividentur equaliter, si etiam conditionis libere fuerü hec mulier, quam duxerit idem postea in uxorem.

VII.

Wo eine Rangordnung beobachtet wurde, wie bei der Unterfertigung der Zeugen in Urkunden, da folgten die Dienst- mannen stets nach den Freien, während sie den Rittern voran- gingen. Und diese äussere Stellung entsprach vollkommen dem genossenschaftlichen Verhältniäsc, das zwischen den genannten Geburtsständen gewaltet hat: die Dienstmannen waren Unter- genossen der Freien ' und selbstverständlich auch der Grafen,' dagegen Uebergenossen der Ritter.

Das Eine wie da^ Andere wird im Zusammenhange mit der weiteren rechtlichen Thatsache, dass Kinder, deren Eltern nicht Hausgenossen waren, der ärgeren Hand, dem ungenössischen Vater oder der ungenössischen Mutter folgten, klar bezeugt.

1 Deren Stand die Freilassang dem Dienstmanne gab, wie Ficker, Heer- aehild S. 150—162, richtig ausgeführt hat.

^ Von welchen Dienstmannen Lehen nahmen. Vgl. Urk. von 1267, Archiv f. 0. G. XX Vn, 272: mimateriaiea Auttrie kabentet feudwn a precUdo C. comite et exUtenUB wudUi dkH cort^UU raüane coHri ei comi^ Herrü/Mtein,

280 Siegel.

In einem im Jahre 1267 um die Burg und das Gut Höm- stein bei Wiener-Neustadt geführten Streite * konnte sich der Bischof von Freising zur Begründung seiner Klage wider Euphemia von Pottendorf, die eine Tochter aus der Ehe des Dienstmannen Heinrich III. von Kuenring und der Ghräfin Adelheid von Neuen- bürg^ war, auf ein commune ms in AuHria ab aniiqiUs temporAwt observatum et quod adkuc, ut mdiores Austrie concordant et affir- mant, ibidem observatur berufen, qubod ins tale est, quod aim filii seu filie progeniti de stirpe nobilum et liberorum copdati fv/erint aliquibus non paris condidoniSj sed inferioris, ut puta ministerialium ecdesiasticorum vel domini terre videUcet dudSy ßlii seu filie progeniti de talibus . . . existere deterioris condidonis . . .

Andererseits sind uns zwei für eine Standeserhöhung in der Kanzlei König Rudolfs und Albrechts im Gebrauch gewesene Formeln überliefert, welche beide auf Kinder aus einer Ehe zwischen dem Dienstmanne eines PfaffenfUrsten und einer Frau ritterlichen Standes, als des ungenössischen Theiles sich be- ziehen. Eosdem (filios ministerialis et mvli&iis condidonis et generis militaris) heisst es in der einen FormeP ministeriaUs partus honore ac titvlo perpetuo insignimus^ volentes ipsos sie semper inantea ministerialium sorte et numero recenseri, ac si omnino de puro ministerialium genere nati essent, und weiter: sicut veri ex utroque parente ministeriales, non obstante condicione matema. Und die andere FormeH lautet: expaire ministerialis et matre militaris condüionis genitus . . . non obstante humiliore sitae matris condicione iuribus, libertatibus et hononbus ministerialium fruaiur et gaudeat.

Die Ueber- und Unterordnung der Stände, welche heutigen Tages auf das sociale Gebiet beschränkt ist, war ehedem im Rechtslebcn von gi'osser Bedeutung. Ebenburt oder, wie der entsprechende Ausdruck in der österreichischen Rechtssprachc lautete, Hausgenossenschaft wurde nach verschiedenen Rich- tungen verlangt, und wir wollen dieselben im Einzelnen ver-

1 S. die Urkunde de« Grafen von Hardek, der als anditor vom Landesherrn bestellt worden war, im Archiv f. ö. G. XXVII, 272.

2 Vgl. Zahn, Archiv f. ö. G. XXVII, 308. 309.

3 Nr. 56. Forma promocwnia aliquorum ad aldorU condidonis gradus, Archiv f. ö. G. XIV, 327.

« Nr. 57. A. a. O. S. 327. 328.

Die rechtliche Stellang der Dienstmannen in Oesterreich. 281

folgen, soweit das Landrecht eine Aufforderung hiezu bietet. Darnach bedurfte es einmal der Hausgenossenschaft, um Recht zu sprechen, wenn die höchsten irdischen Güter angegriffen wurden, wenn über eine Klage zu urtheilen war, die dem Be- klagten an das Leben, die Ehre oder das Eigen ging.

Es soll auch bestimmt der Entwurf einer Landesordnung, §. 8 * kain man gen dem andern kain urtail gehen noch kain volig tun, er sei sein hausgenosse oder sein vber genösse das Im an sein leben oder an sein em oder sein aigen gee. '^

Mit Rücksicht auf die Dienstmannen bedeutete der Satz nach oben, dass Angehörige dieses Standes nicht den Beruf hatten mitzusprechen und mitzuhandeln, wenn im Landtaiding über eine der genannten Klagen wider einen Grafen oder freien Herrn Recht zu sprechen war. An einer späteren Stelle freilich, in §. 52:

Wir seczen vnd gepieten das die dienstman des landes wol vrtaü vnd volge^ mugen getan vmb alles das aigen, das in diesem^ laiid ist, es sei der bischof, der abt, der bröbst, der graven oder freien, *

wurde bei Klagen um Eigen allerdings das Gegentheil fest- gesetzt, was mindestens zeigt, dass die Dienstmannen bestrebt waren, wenn auch nur schrittweise, die Hausgenossenschaft mit den Freien des Landes zu erwerben.

Nach der anderen Seite lag sodann in obigem Satze aus- gesprochen, dass, wenn es sich in einem der vorbenannteu Fälle um ein Urtheil wider einen Dienstmann handelte, die Ritter des Landes nicht mitzureden und mitzustimmen berechtigt waren.

^ Was für die oberen Stände übrig^ens auch schon Art. 1 der Rechtsauf- zeichnung (— §. 1) in den Worten: imd vor aeijien hauagenosseii in offner tekrann cmJtumrten, ausgesprochen war.

' Statt gee steht in der Handschrift und bei Hasenöhrl: oder an »ein Uken. Vermnthlich hatte der Schreiber in Gedanken oder an sein noch- mals geschrieben, und setzte dann für gee: leken, ohne dass freilich damit der Satz ein Ende fand, da das Zeitwort bereits übergangen war.

^ Unrichtig in der Handschrift und bei Hasenöhrl: volgen,

* Die weiteren Worte: oder die grafachafl güUen bei irer alten gewonhait beloben, sind, wie ich glaube, dahin zu bessern: aber d, g. b, b. i, a. g, b.

282 Siegel.

In diesem Sinne wurde noch in dem 1277 beschworenen Land- frieden festgesetzt, dass man den Ungehorsam im Falle eines Aufgebotes zur Verfolgung eines Friedensbrechers: sol rihten gen einem dienstmanne nach der lantherren rat, gegen den steten vnd gegen rittem vnd den chnappen nach der herren rdt, die des landes rat gesworen habent, vnd nach der stet, der ritter vnd der chnappen rät, als man danne enein wirt. Indess müssen die Ritter doch noch im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts trotz ihrer Ungenossenschaft die Rechtssprechung über Dienstmannen an sich gebracht haben, wie die Beschwerde der Letzteren beim Herzog im Jahre 1296 beweist. Unter den auf dem Tage zu Triebensee formulirten Klagen und Forderungen befindet sich auch die:

ritaer und knehte hat nmn baz,

danne uns allen liep A;

da von sint sie gar ze vri,

gebt uns gen in bezzer reht,

er 81 fiter er si kneht

unser reht sol für g^

sie suln ntht mit reihte stin

gen uns in der schrannen.

an den dienstvumnen

urt^ und vrdge * sol geligen

von den armen st geswigen.

ja mach wir durch des landes er

iu der dienstman dester mer,

daz sie der urteil uns gesten,^

Weiter bedurfte es schon zur Anstellung einer Klage, die dem Gegner an das Leben oder die Ehre oder sein Eigen ging, der Hausgenossenschaft mit demselben, sofern mit der Klage eine kampfliche Ansprache sich verband J Bei dem Einwand der Ungenossenschaft des Klägers musste vorab über die Standes- frage nach dem Zeugniss der Nachbarn entschieden werden.

< Statt vclgef oder aagef

2 Helbling IV, 760—773.

3 Ueber die kämpf bedürftigen und kampfwürdigen Klagen s. Siegel, Geschichte des d. Gerichtsverfahrens I, S. 123 ff., 8. 202 ff, Unger, Der gerichtliche Zweikampf S. 23.

Die nchtliclie Stollang der DieDstmanneD in Oesterreich. 2oO

Wo ain man gen dem andern kemphlich spricht auf eeinen leib oder auf sein er oder auf sein aigen und der antwurter gicht, er sei sein hausgenoss nicht . . . und der dager hin- wider gicht, er sei sein hausgenoss wol . . . man sol ir umb- sessen darumb fragen, die nagsten und die pesten und die ir hausgenossen sind, daz die sweren und sagen bei dem aide, was in umb ir edel kunt und ze wissen sei, und rieht dann nach der sag als recht ist nach des landes gewonhait.

Ich bemerke, dass der Eingang dieses Artikels 56 in sämmdichen Handschriften der Rechtsaufzeichnung fehlerhaft, richtig nur in dem Wiener Codex (§. 67), welcher den Ent- wurf einer Landesordnung enthält, tiberliefert und darnach im Vorstehenden mitgetheilt ist. Die Mehrzahl jener Handschriften, welchen Hasenöhrl in seiner Ausgabe S. 240 mit Unrecht ge- folgt ist, begeht nämlich den Fehler, dass sie nach kemphUch spricht die Worte oder spricht einfligen, was einen durchaus unrichtigen Sinn gibt, indem hiemach der Höhergebome der Verpflichtung schlechthin enthoben gewesen wäre, einem Un- genossen in den wichtigsten Fällen Recht zu geben, während er, wie auch die tibrigen Zeugnisse des deutschen Rechtslebens * darthun, nur gegen die kampfliche Ansprache eines uneben- bürtigen Gegners gesichert sein sollte. Die sonst beste Hand- schrift aber, die Hohenfurther, lässt gleich dem Wurmbrand- sehen Manuscripte, auf welchem der Ludewig'sche Druck beruht, überdies das Wort kemphlich aus, so dass der Artikel anhebt: ux) ein man gen dem andern spricht oder spiicht auf sein^ leib etc., was gar keinen Sinn gibt.

Da die Nachbarn, welche in dem eben besprochenen Falle über die Standesfrage der streitenden Theile vom Richter zu vernehmen waren, ir hausgenossen sein mussten, so ist damit zugleich das Erfordemiss der Ebenburt ftir die eidUche Aus- sage über das, was von einem andern kund und wissentlich ist, dargethan, was übrigens ausserdem noch bei der Frage nach schädlichen Leuten ausdrücklich hervorgehoben wird.

Es sol auch niemant gen dem andern sagen, er swer ee ainen aid und sag denn bei dem aid, daz im kund und gewissen

1 $. GObrum, GeschicbÜ. Daratellaiig der Ebenbürtigkeit I, 264--270,

284 Siegel.

sei und aol avck niemant gen dem andern sagen, er sei sein hausgenoss oder sein übergenoss, *

Und was für eine eidliche Aussage verlangt wurde, war nicht weniger ftir einen Zeugeneid nothwendigL» womit einer der Gegner im Streite den Beweis seiner Behauplung flihren durfte.^ Auch Zeugen mussten mindestens Genossen sein, und zwar bald des Beweisfllhrers, bald des Gegners, je nachdem das Beweis- thema zu Gunsten jenes oder zum Nachtheile dieses lautete.

So heisst es von einer dreissigjährigen ruhigen Gewere an Eigen, daz er erzeugen mag mit zwain unversprochen m/mneti, die des hausgenossen sind, der das aigen hat,^ femer von einer zwölQährigen stillen Gewere an einem Lehen, mag er das be- weren mit zioain unversprochen mannen, die sein hausgenossen sind,^ Behauptet endlich Einer ein einzelnes Lehen von einem Herrn zu haben, und dieser läugnet es, so sol er (jener) es bewem mit seinen hausgenossen.^

Andererseits heisst es, wenn der Sohn seinen Vater auf Rath und mit Hilfe von dessen üienstmannen oder Eigenleuten freventlich angreift: erzeuget das der vater vor seinem richter auf si mit iren genossen oder mit übergenossen,^ und wenn Einer als meineidiger Zeuge sein oder Jemanden an seinen Leib oder seine Ehre sprechen will: den sol man ze recht widertreSben mit siben . . . die sdn hausgenossen oder sein übergenossen sein,"^

Verschieden von dem Zeugeneid war der Schwur der Eid- hclfer, mit dem sich ein Beklagter bereden mochte ; aber auch für die Eidhelfcr wurde mindestens Hausgenossenschafl mit dem Hauptschwörenden erfordert. Wem an sein Leben oder an seine Ehre gesprochen wird, sagt Art. 5 (= §. 4), dem sol man nennen ain und zwainczig seiner genossen und seiner übergenosserif und sol sih daraus bereden nach lanndes gewonhait, als recht ist

» Art. 16 = §. 70.

' Göhrum a. a. O. I, S. 271—287, scheidet dfe beiden völlig verschiedenen

Beweismittel nicht. 3 Art. 27 = §. 18. « Art. 37 = §. 28. * Art. 34 = §. 31. s Art. 66 = §. 85. ' Art. 69 = §. 89.

Die rechtliche Stellung der DieDstmannen in Oesterreich. 285

Eine Anwendung des Satzes von der nothwendigen Haus- genossenschaft der Eidhelfer enthält ferner der Vertrag Älbrechts mit dem Stifte Passau bezüglich des Strassenfriedens vom Jahre 1281, wenn es hier heisst: »wer dehaines schaden bezigen wirt, lovgent er, so sol er gerihten vnd sich des schaden bereden mit zwain zu im einer genozzen, er si dienstman, choufman oder gebovr,^

Nach österreichischem Rechte spielte auch bei einer wider- rechtlichen Handlung, welche übrigens nur von einem Edel- manne verübt werden konnte, die Hausgenossenschaft eine Rolle. Eine Heimsuchung war nur zwischen Hausgenossen oder was hier eigenthümlich ist seitens eines Untergenossen möglich, während der Ueberfall durch einen Höhergeborenen nicht unter den BegriflF dieses Verbrechens* fiel. Dies ergibt sich aus den Worten, mit welchen Artikel 54, beziehungsweise §. 68, anhebt:

Welch edelman seinen hausgenosseti oder seinen ilbergenossen heimsucht^

Bei dem innigen Zusammenhange, der zwischen Stand und Grundbesitz waltete, gab es endlich eine dingliche Hausgenossen- Bchaft. Mit Rücksicht auf Eigen und dessen Erwerb durch Kauf oder Erbfolge galt der Satz:

Es sol auch^niemant dhaines axgens erb sein und auch kauffen, er sei des aigens hausgenoss;^

und eine Anwendung dieses Satzes findet sich, mit Beziehung auf freies Eigen, zum Nachtheile des Dienstmannenstandes ge- macht in dem bereits erwähnten Rechtsstreit um die Burg und das Ghit Hömstein. Eciam non habent fuhr der Bischof von Freising, nachdem er den Rechtssatz geltend gemacht.

» OUB. III, 683.

2 Diese Besonderheiten in dem österreichischen Begriffe der Heimsnchnng sind bis jetzt nicht hervorgehoben worden. Vgl. Osenbrüggen, Der Hausfrieden S. 60 ff. ; Alamanisches Strafrecht S. 357 ff. ; Das Strafrecht in Kaiser Ludwigs Rechtsbuch, Krit. Vierteljahresschrift VIII, S. 153 ff.

^ Art. 19 = §. 14. Vgl. auch Art. 44 (§. 25): ht c* elfter aigen, 8o nullen »i haben von den, die de* aigen» hausgenoaaen aind ^md die de« aujens nagsten erben nnd. Dass die Bürger der Neustadt von König Rudolf 1277 das Recht erhielten« tU a ministerialibu* et milüibu* ttc ab alü» qiiibwt- cumque camparare valeant proprietaleji et feoda et easdem legitime poagidere, Winter, Urkundl. Beiträge S. 35, mag hier angemerkt werden.

286 Siegel. Die rechtliche Stellung der DienstmAnnen in Oeeterreieh.

dass die Kinder der ärgeren Hand folgen und die Gegnerin daher dem Stande der Ministerialen angehöre, in seiner Dar- legung fort nee debent habere iue vd accUmem in prediu aeu proprieicU3>tUj que ab antiquo respiciehant solummodo homineB Ubere condtcwnis, hoc est quod vtdgo vocatui' vreizaygen, um za nachstehender Schlussfolgerung zu gelangen: Uhde cum diäa domina 0, de Potendorf nata sit de viro minieteriali terre, quamm de TOcUre libera et nobäi, non potest nee debet capax esse caetri et predii Herrantstein, utputa, cum non ext compar ejusdem predii, quodvulgariterdicitur vreizaygen, Quare dicta 0. de Potendorf et sui heredes nomine matris et avie non posswnt nee debent de iure possidere et impetere dictum predium.

Katuiniacki. B«itrft^e zur älteren Geheimschrift der Slayen. 287

Beiträge zur älteren Geheimschrift der Slaven.

Yen

Prof. Smil Kahi&niaoki.

Ich habe bei Gelegenheit einer Reise^ die ich im Sommer vorigen Jahres absichtlich zu dem Zwecke unternahm, um die im Kloster Putna (bei Radautz in der Bukowina) aufbewahrten slavischen Handschriften kennen zu lernen, sub Nr. 576 ein vom Mönche Eustathius zwischen 1510 1515 geschriebenes,* aus sechs ungleichen Bänden bestehendes griechisch-slavisches Innologion gefunden, das für den ersten Eindruck bis auf die in rumunischen Klöstern auch heute noch üblichen griechischen Gesangnoten nichts Besonderes zu bieten schien. Bei näherer Prüfung zeigte es sich aber, dass der I. Band dieses Inno- logions (nach dem Inventar ist es fälschlich der VI.) eine Reihe von Kryptogrammen enthält, die mit den bis jetzt bekannten^

' Dies ist san&chst aus der weiter ante;i sab. lit. £. e. folgenden, sowie ans der am Ende des letzten Bandes dieses Irmologions befindlichen In- schrift zu ersehen, die also lantet: Gfs KHfrs HcnHcfa] moh4x[^] Evcraefi,

' Vergl. diesbezüg^lich: K. Katajdovi^, PyccKit B^cthhki, XIV. S. 106->108; P. Koppen, CoHcoBi pycc naMATHEsaHi, CAysan^Hiii Bi cocTaBAemi) hcto- pin zy40xecTBi r otc^. nadeorpa«iH, S. 106—113 und 8. 121; derselbe, BH6iiorpa«HH. Ahcth, S. 292; A. Vostokov, OnHcanie pycc h ciOBeH. pyBO* ORcet PyM. MyseyMa, 8. 2, 155, 167, 255, 462, 470, 544—545, 685 und a. a. O ; A. Gorskij und K. Nevostrujev, OnHcame cian. pyKOiiHceft Mockob. Cyhoa. 6v6jdineKE, I. 219, I. 221, I. 280, I. 292—293, I. 326, II. 1. 73, II. 2. 33, II. 2. 187, II. 2. 320, II. 2. 450; Bischof Sava, ysasarau» AAH o6o3p%Hiji Mockob. naTpiapm. ^HÖjioreui^ 8. 207; A. Popov, ^muiOHaTin. TaÜHODHCb BpeHBHi ^ap« ÄAesxAiL lifjuaftjOBB^a, in den 3aiiHCKB G. Ilerepö. apxeoaor. odn^ecTBa, V. 8. 152—162, nepe^enb aac^Aaeifi, 8. 124—127; derselbe, Pycc nocABCTBO bi Uoiuni bi 1673—1677 ro4az^ 8. 267—276;

288 Katniniacki.

grüsstcntheils nichts Gemeinsames haben und mir daher, sofern sie die Grenzen unserer Kenntniss von der älteren Geheim- schrift der Slaven bedeutend zu erweitem vermögend voll- kommen geeignet zu sein schienen, den Gegenstand einer besonderen Besprechung zu bilden. Sie zerfallen in fünf Ka- tegorien:

A. in solche, die durch blosse Umstellung der gewöhnli- chen cyrillischen Buchstaben gebildet werden;

B. in solche, die aus blossen glagolitischen Buchstaben mit Beibehaltung der ihnen zukommenden alphabetischen und phonetischen Geltung bestehen und daher nur insofern als Kryptogramme angesehen werden können, als die Glagolica im XVI. Jahrhundert bei den süd-östlichen Slaven thatsächlich aus dem Gebrauch getreten war;

C. in solche, die aus besonderen, von Eustathius selbst construirten Schriftzeichen bestehen;

D. in solche, die auf Verbindung und nachträglicher Summirung zweier relativ niedrigerer Zahlzeichen zu einem relativ höheren Zahlzeichen beruhen;

A. Piskarev, CoöpaRie PiisaHCKoft crapHHH, in den 3anncKH C. Ilerep^. apxeoAor. o6m., VIII. S. 306 folg.; A. Artem*jcv, Pasra^Ka crapHBHon anarpaMMH, noMimenHoii ki mwtw cb. AaeiccaHApa HeBcaaro, ibid., IV., nepeieHb 3adb4aHifi, S. 140—143; A. Pjpin, MaTepia4H aä^ caas. najieo- rpa«iH H3i onHcaeia PpIaH^. M., in den y^enua 3anHCKH 2. 0T4ii. 0. A. H., II. S. 53—58; P. fjavrovskij, Crapo-pyGCRoe TafiHonHcaHie, ver- öffentlicht in den ^pesHOcrn, Tpy4H Mockob. apzeoior. o6m., III. 1- S. 29—55 ; J. Sresnevskij, 3aMiuHiH o pycc. TattHonHcaHiH, in den Sana- CRH H. A. H., XIX. S. 235-242; Y. S. Karadjid, fi^axonfA pro 1826, S. 10 und 20; F. Miklosich, Monumenta serbica, spect. bist. Serbiae etc., S. 19; Gj. Dani^ic, FAacHHS q>ncRor ynenop 4pyinTDa, XI. S. 169—180; S. Nov*-

kovicf, npHAOSH S HCTOpSJH CpHCKB K&HXeBHOCTH, FjiaCHHK, XXY. (bezw.

VIII.) S. 24—26 u. A. 1 Reiches» bis jetzt nnedirtes kryptographisches Material ist übrigens auch in den Handschriften des Undolskij und des Piskarev (gegenwSrtig in der Bibliotliek des öffentlichen Moseums zu Moskau befindlich) ror- banden, sowie in Handschriften anderer, sowohl russischer als südsla- vischer Collectionen. Als eine ganz besondere kryptographische Merkwfir- digkeit soll aber der Chronograph genannt werden, der im Jahre 1650 zu Vrchobreznica bei Plewlje in der Herzegowina bewerkstelligt wurde und nach S. Singer'*s Mittheilung (vergl. Kroatische Revue pro 1882, 2. S. 111) durchwegs mit einer noch ungelösten bosnischen Tarabera ge- schrieben ist.

Beiträge zur älteren Geheimschrift der Slaven. 289

E. in solche; deren ganzes Gebeimniss lediglich auf der ungewöhnlichen figuralen Anordnimg der sub lit. A, B und C namhaft gemachten Schriftzeichen beruht.

Die Kryptogramme der 1. und 4. Kategorie sind als be- kannt, die Kryptogramme der 2,, 3. und 5. Kategorie hingegen als solche anzusehen, die erst jetzt zur öffentlichen Kenntniss gelangen.

A. Kryptogramme der 1. Kategorie.

Die Kryptogramme der 1. Kategorie zerfallen je nach dem Schlüssel, der hiebei zur Anwendung kommt, in zwei Abtheilungen :

a. in solche, die den sogenannten taraberischen;

b. in solche, die den sogenannten griechischen Schlüssel befolgen.

a. Der taraberisohe Sohlüesel.

Der taraberische * Schlüssel besteht, zumal die Vocale und übrigens auch die aus dem Griechischen entlehnten Consonanten- verbindungen: §, \|r und 0, sowie der Buchstabe s unverändert bleiben, aus folgenden zwei Consonantenreihen:

1. Reihe: B bpa^^kamh

2. Reihe: i|jmML^)^^Tcpn

Die Benützung dieses Schlüssels geschieht auf diese Weise, dass man die Buchstaben der oberen Reihe durch die der unteren und viceversa die Buchstaben der unteren Reihe durch die der oberen ersetzt, die Vocale dagegen, sowde die Buch- staben §, ^r, e und s unverändert lässt.

Beispiele des taraberischen Schlüssels ^ kommen bei Eusta- thius auf S. 45, 96, 103, 109, 141, 203, 211, 232, 233, 237, 246, 251, 264, 286, 301, 316, 335 vor.

Zu den bemerkenswertheren gehören:

^ Heber die Bedeutung dieaes Wortes vergl. speciell Srezaevski, 1. c.,S. 238. ' Nach Layrovskij (bezw. Melnikow), 1. c, S. 30 , wäre der taraberische

Schlüssel so sehr Gemeingut der niss. Razkolnikeu geworden, dass sie

Rieh seiner sogar ini mündlichen Verkehr bedienen. Sitxtingrsber. d. phil.-liist. Cl. CIL Bd. I. Hft. 19

diuO K»)niniacki.

Auf S. 141. a'Lh I i^i&AKiVHniv na/uirf aa | irAHivnk 6AKk|i|jkickMaM Axy

H ; MUM ATU = rkH AWCTIVHHIV HapiMf CA aKCHIVHk; 6CTk

BkiAkrapcKki H PkipscKki = Dieses Dostojno beisst o^iov; es ist da in bulgarischer und grieebiseber Spracbe.

Auf S. 233.

su,e j HOPHnaeK | aa | TMaKHpici = SAf noMHHaerfk] ca Kpa* THMiM = Hier beginnt das xpaTt]|ia.

Auf S. 237.

TÖniA^ I TMaKHpS [ AlUf K0p8 Ia'LiIJQMS HM^klUICHTÖpS I ^X'l "^ A^l^HSH = KQHIl^k KpaTHMS CKITOiWS CkBOpS np^tsfAHKOMS,

e;Ki Ha c^a**MJ** = Ende des xpaT)f;(jLa zu Ebren der beiligen

und grossen Versammlung; die stattfinden wird am Tage des

jüngsten Gericbtes.

Auf S. 246.

AK/ua I ak8 I f wanS = cT[H]x[H]pa c[ka]t8 IwaHS = Itixt)- pcv zu Ebren des heiligen Johannes.

Auf S. 251.

AKH I IUI aHKÖpk = CTHI^f'k] K['kC]lM['k] an[oc]T[oa]OMk

= Sti^o? zu Ebren aller Apostel.

Auf S. 316.

AKHTKiMii amiKOp^ { HliV/ll*HVlb |H I HM'^AUJf K*tH \ IfjUrMOa^Öl^HAH

= cTH^ipa CBIT0M8 FfivprTio H np-bcKiT-kii soropoAHUH =

-xr/TiP«'' zu Ehren des beiligen Georgius und der allerbeiligsten Mutter Gottes.

Auf S. 335.

iiKAia HK^kH I HAMiAniu = cT[Hj]^[H]pa c[KA]T'kH IlapacKfBH = 2Ttx7jp6v zu Ebren der beiligen Paraskeva.

b. Der grieoMsohe Sohlüssel.

Der griechische Schlüssel hat nach Montfauconius, Palaeo- graphia graeca, S. 286 (vergl. auch S. 288 und 336), folgende Gestalt :

a = e

1, = ß

ß -ri

e = «

Y ^

t 9

8 = «

X =: X

£ £

X 0

? = 8

- §

Beiträge inr älteren Oebeimsehrift der Slaren. 291

V = V T = ij;

0 = X 9 = ^ w = X 5f = u

p = ^ t|/ = T

9 = (i) 0) = 9

Da jedoch die Schriftzeichen tj und ^ im cyrillischen Al- phabet nicht vorkommen und griechisch ß wie K lautet, und weil andererseits das specifisch slavische Alphabet um eine Reihe von Buchstaben reicher ist als das griechische, so musste Eußtathius, als er daran ging, den hier vorliegenden griechi- schen Schlüssel ' für seine Zwecke zu verwerthen, an demselben einige Modificationen vornehmen, die sich kurz ^ folgendermassen charakterisiren lassen:

1. es wurde das griechische ß durch b, iq durch h, \ durch 1^ und Q durch T ersetzt;

2. es wurden in die voranstehende griechische Buch- stabenreihe auch die specifisch slavischen Elemente jedoch so eingefügt, dass sie nach Analogie des griechischen e, v und ? unverändert blieben;

3. es wurde die in cyrillischen Handschriften und Drucken sehr häufig vorkommende Ligatur (0 durch ^ = ^ = J ver- treten.

Der von Eustathius ins Slavische übertragene griechische Schlüssel hatte somit folgende Gestalt:^

^ Er wurde von mir mit dem Namen des griechischen vornehmlich aus dem Grunde bezeichnet, weil er bei den mittelalterlichen Schreibern der Griechen die meiste Verbreitung hatte und weil er auch bei seiner Uebertragung ins Slavische diesen seinen ursprünglichen Charakter bei- behielt.

' Ich muBS jedoch sowohl in Betreff dieses, als auch in Betreff der übrigen hier in Bede stehenden kryptographischen Schlüssel ganz ausdrücklich be- merken, dass sie im Buche des Eustathius nicht etwa fertig vorliegen, sondern auf Grund der einschlägigen Kryptogramme erst errathen werden mussten.

^ Andere, von der hier angegebenen abweichende Uebertragungen dieses Schlüssels vergl. bei Dani^id, l.c, S. 171 folg.; Lavrovskij, 1. c. S. 84—43; Sresnevskij, 1. c, &• 236 folg,

ID*

292

Kfttn

iniAcki.

a 0

V = T

OV = X

U = U

K K

K = n

=

k k

K M

^ 0

X - ^V

•k ~ t

r 3

M = ä

w = c

11 = 11

A = s

H = H

ö>- t

10 10

1 = f

0 = A

i|j = i|j

A == A

;k ;k

n = K

U = P

Ä X

3 = r

P = U

H M

g = M

s = A

c = w

ui lU

^r »r

H = B

T 4''

1^ = 1^

e a

Der Sinn dieses Schlüssels liegt auf der Hand: kryplo- graphisches a = gcwöhnlicliera o; kryptograph. b = gew. b; kryptograph. B = gew. h; kryptograph. r = gew. 3 u. s. w.^

Wenn man aber bedenkt, dass laut dem hier vorliegenden Schema die meisten Buchstaben zweimal vorkommen oder un- verändert bleiben, und dass somit das kryptographische Wesen des von Eustathius modificirten griechischen Schlüssels auf der gegenseitigen Vertretung von nur 22 Buchstaben beruht, so könnte man an die Stelle dieses weitläufigen imd viel zu um- ständlichen Schemas'^ ein anderes setzen, das analog dem tara- berischen Schlüssel aus folgenden zwei Reihen bestünde:

1. Reihe: aBTAKAMp croy

2. Reihe: 0H3Sno g UW^^X

Der griechische Schlüssel kommt in dem Irmologion des Eustathius auf S. 96, 103, 109, 139, 205, 210, 262, 283, 305 und 313 zur Anwendung.

Auf S. 96 erscheint er überdies in Verbindung mit dem taraberischen und auf S. 103 und 109 in Verbindung mit dem taraberischen und dem sub lit. C. b. erklärten Schlüssel.

Ich hebe speciell folgende Beispiele hervor:

* Ich will jedoch bemerkt haben, cIass die Schriftzeichen a und if» sowohl hier, als auch in den nachfolgenden Tabellen und Beispielen in der Regel die Bedentnng eines a haben, sowie dass Consonanten, die für Vocale fiingiren,in der Regel mit einem Acut oder Gravis versehen werden.

' Was von diesem, gilt selbstverstKndlich auch von dem voranstehenden griechischen Schema. Auch dieses Schema iKsst sich nach Weglassang der Buchstaben c, v und 9, die unverändert bleiben, in zwei, aus je 12 Buchstaben bestehende Reihen zusammenfassen, die also lauten:

1. Reihe: «ß^o ix>. [iporu

2. Reihe: 6if)|^(;9KO 5^ "*^'y..

Beitr&ge zur &lt«ren Gehoimschrift der Slaven. 293

Auf S. 96. aIh ' ^KiiWoyiiJHTk I ini^^Qnk ' HAHHAa j SfgiWHRnk 6Hiv\|re\|rKi|

^'|K)^4^H0 = CkH J^ipoyBHKk flraTQHk HCnHCa || A^/lIfCTHKk 6k-

craxHi t5&T['k] HoyTHa = Diesen cherubinischen Gesang von Agathen hat Eustathius, Domcsticus des Klosters Putna, ge- schrieben.

Auf S. 210.

Ho|L^c:Kfiv^[HJii|o\-HC|i == Ha (Kv:ka<ct[k]w X[phctq]ku;

= Am Tage der Geburt Christi.

Auf S. 283.

H'k I \|r^HCi I Ki^erHsnk I = sik t;i;:ka< npaa^HNKk = An

dem nämlichen Feiertag.

Auf S. 305.

KpaTHMoy cRrriVMoy Iivano^ coY^aBCKWMoy = Ende des xpi- •:T,{jia zu Ehren des heiligen Johannes von SuCava.

Auf S. 313.

w\|rBOYct^o ; EcucsBMHX = cTH]^fpa s[or]wpiVAHHH;i; = Iti- yr,p6v zu Ehren der heiligen Mutter Gottes.

B. KiTptogramme der 3. Kategorie.

In Betreff der Kryptogramme der 2. Kategorie wurde schon oben die Bemerkung gemacht, dass sie nur insofeme als solche angesehen werden dürfen, als zu der Zeit, da Eu- stathius sein Irmologion schrieb, die Glagolica im Südosten des slavischen Gebietes schon längst aus dem praktischen Ge- hrauche getreten war und sie daher für diejenigen, die mit ihr

* Im zweiten Worte dieses Kryptogramms hat Enstathius unter dem Ein- flnsse des taraberischen Schlüssels x statt ;k gesetzt und h nach ^ weg- gelassen: ich habe beide Versehen brevi manu ausgebessert.

^ Auch hier wurde im ersten Worte das richtige p durch das taraberische A und in dem darauffolgenden Kryptogramm das richtige h durch das tarab. n ersetzt, was ich, um Irrungen vorzubeugen, gleichfalls brevi mann verbesserte.

294 Katainiucki.

nicht vertraut waren, thatsächlich die Bedeutung einer geheimen, ohne einen entsprechenden Schlüssel gar nicht verständlichen Schrift hatte.

Die Zahl der von Eustathius gebrauchten glagolitischen Buchstaben beläuft sich auf 23, die also lauten: + = a; C =

k; V = r; »> = r; Ä = a; 3 = «; * = M ^<i ^*; 8 = h und i; > = k; ä == a; W = m; -P = h; 9 = o; f = n;

b = p; 8 = c; OD = t; » = ov; fc = X5 * = MJ5 •*• =

tu; fi = 'k [bezw. k]; A = •k [bezw. = BJ.

Ich muss jedoch ganz ausdrücklich bemerken, dass die hier vorliegende Gestalt der glagolitischen Buchstaben aus Sa- fafik's Famätky hlaholsköho pisemnictvi entlehnt ist, während die authentischen^ von Eustathius selbst herrührenden glagoli- tischen Buchstaben eine etwas abweichende Form haben.

Von Ligaturen kennt Eustathius blos jene fiir k + o, welche Ligatur bei ihm die Form nft hat.

Die glagolitischen Kryptogramme befinden sich auf S. 90^ 108, 121, 132, 213, 260, 288, 306 und 330.

Auf S. 90 erscheinen glagolitische Buchstaben in Ver- bindung mit dem sub lit. C. a. erläuterten Schlüssel.

Beispiele :

Auf S. 108.

SfiB b3ba»V8>e|V009bBX|%<Ri+fie = ckH x^P^V^HK-k BTopHH FAACK = Dieser cheinibinische Gesang * wird nach der zweiten Stimme gesungen.

Auf S. 121.

ses I b3ba»vB>e , afioue { % A+fie | ravosx == c-kA ^c

poyBHK'k iCTk Piiark niTHH = Dieser cherubinische Gesang geht nach der fünften Stimme.

Auf S. 213.

•P+ 1 K A+%9VAW3rPX3 = Na BAarOBtiiif hTi = Am Tage der Verkündigung.

1 In Betreff der hier vorkommenden liturgischen Ansdrttcke vergl. speciell Pu Cange, Glossariam ad scriptores med, et inf. graecitatis a. v. 0.

Beitr&ge zur &lt«ren Geheimschrift der BUven. 295

Auf S. 288.

•P-iy fibÄ(n)3rP83 = Ha cp-kTlNHi = Am Tage der Be- gegnung.

C. Kryptogramme der 3. Kategorie.

Aehnlich wie die Kryptogramme der 1. zerfallen auch jene der 3. Kategorie in zwei Abtheilungen:

a. in solche^ die mittelst des Schlüssels cA;

b. in solche, die mittelst des Schlüssels A gebildet werden.

a. Der «A-Sohlüssel. Der lA- Schlüssel besteht aus nachstehenden Figuren:

«A = a

Y = T

•r = T

d == k

iT K

X = K

V cy

i = ±

f = B

^ A

^ -X

K 10

J- = r

«A> = M

t> w

A A

^ = A

V H

t = n

Tf X^

C = f

(1 = 0

:S = H

s t

+ HC

n = n

H ui

-§> ©

Ä == 3

^ = fi

% =^ ^

X = H

S> = c

ll =z ^l

Schaut man sich diese Figuren etwas näher an, so wird man sofort gewahr, dass sie fast insgesammt auf dem cyrillischen Alphabet basiren und sich zu ihm in einem ähnlichen Verhält- niss befinden, wie die von Montfauconius, Falaeographia graeca, S. 286, Alinea 5 und 6, angeführten zum griechischen. Da jedoch die äussere Form derselben von den von Montfauconius aus griechischen Handschriften entlehnten wesentlich verschie- den ist, so werden wir wohl kaum irre gehen, wenn wir an- nehmen, dass, obschon nicht die Idee, so doch die graphische Construction dieser Figuren dem Eustathius gehöre. Und dies umsomehr, als uns bis jetzt keine einzige Handschrift bekannt ist, in der kryptographische Figuren von der Art wie die soeben angezogenen oder wie die weiter unten sub lit. b. an- geführten vorhanden wären.

Der A- Schlüssel lässt sich speciell auf S. 15, 29, 39, 53, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 71, 85, 90, 100, 202, 208, 253, 281, 295, 322 und 326 belegen.

290 Katuiniacki.

Beispiele:

Auf S. 15.

;\<^J'AmA I TV I iA?H»K^T€?V H»a?V = "AXar^x (wohl fiir

Auf S. 53.

;yi€ I Jl(l:f KViACT I ^A j JlTdXXAVK JlT«d VC^ii^K =

3A< noMHHaiT[k] CA npoKHMHH npi^dk HfA'kAH =: Hier be ginnen die wpoy.ei'iJLeva für die Dauer der ganzen Woche.

Auf S. 85.

CA aiiHAO^HtapiAC = Hier beginnt da» aXXrjXouVaptov.

Auf S. 90.

fiBS I b3ba»VB><B , VcA?£:f £ VYX ; Xa?aVK = CkM xv^V BHKikilHapfMfNYH KopoHH = Dieser cherubinische Gesang heisst

XOpWVT).

Auf S. 100.

TI(I?€VY€ ^f «AiJ^KAVdfa = TBOpfHYf fIraiIHBHOBO =

Werk des Agalion.

Auf S. 202.

i^lvCific^e 'ö^dAKViA = R-k Hifi.iA'k BoauHNa = Am

Sonntag des [heiligen] Thomas.

Auf S. 208.

Vc\ I f ß^aiK+C VY£ = Ha B-k3ABH:KiHi'i = Am Tage der Erhebung (bezw. der Auffindung) des heiligen Kreuzes.

Auf S. 281.

^TK I VA I •jd+d^&TCE I htx^Taf a = cTHjff'k] Ha po;KAk-

ct[b]o XpHCTOBO = ^Tixo; am Tage der Geburt Christi.

Auf S. 322.

«\i(I<^£VY£ = cTa cTH)^(pa icTk Kivrop^AHMH^ ; napfHc ca iWO- AiHil = Dieses cxtxYjpov ist zu Ehren der Mutter Gotteu; es heisst die Bitte (praeeatio).

Beitritte sur Uteren Oeheimfolirift der Slaren. 297

Auf S. 326.

*T^?A I I^Ttta\.V I VXXfckrt^X = CT[HX]'kipa c[KA]TWiW«f Hhkwah = iTcxiQpöv zu Ehren des heiligen Nicolaus.

b. Der <A-SohlÜ8Bel. Der A-Schlüssel enthält genau folgende Figuren:

A = a

* =

V

m = T

fe Tkl

£ = K

C =

K

i dSf

d = k

a = R

A =

A

^ = X

1 = t

r r

V =

M

IC = w

K = 10

^ = A

r* =

H

itt i|j

rf A

^ = 1

9 =

Q

M = U

^ = Jk

K = :k

K =

n

X = H

W = 0

^ = 3

#

P

IS = in

H = H

e =

c

» = -k

Auch dieser Schlüssel basirt im grossen Ganzen auf dem cyrillischen Alphabet; wiewohl zugegeben werden muss, dass ihre gegenseitige Verwandtschaft viel geringer ist als jene zwi- schen dem cyrillischen Alphabet und dem nächst vorangehenden Schlüssel. Ja, es gibt in dem hier vorliegenden Schlüssel mit^ unter auch solche Figuren, die (vergl. beispielsweise A) auf dem glagolitischen und theilweise (vergl. z. B. C) auf dem grie- chischen Alphabet beruhen. Hiezu kommt, dass der hier vor- liegende Schlüssel im Vergleiche zu dem nächst vorangehenden sich in gewisser Beziehung als weniger vollständig herausstellt, indem ausser ^ und §, die auch im cA-Schlüssel fehlen, in dem hier vorliegenden Schlüssel noch das Schriftzeichen für ^ nicht vorhanden ist. Anstatt dessen ist aber der hier vorliegende Schlüssel um das Schriftzeichen für i|j reicher. Auch muss femer bemerkt werden, dass Eustathius für seine eigene Person an dem A-Schlüssel ungleich grösseren Gefallen gehabt zu haben scheint als an dem nächst vorangehenden. Denn während er den Schlüssel A nur 22 mal anwendet, gelangt der Schlüssel A auf S, 28, 35, 51, 61, 74, 90, 97, 99, 103, 109, 113, 119, 124, 125—127, 154, 201, 207, 232, 233, 245, 258, 271, 274, 275, 278, 291, 306, 207 und 323 also im Ganzen 30 mal zur Anwendung. Auf S. 125 127 wird der A-Schlüssel sogar zur Aufsetzung eines ganzen Liedes verwendet.

19**

398 Katainiacki.

Beispiele: Auf S. 51.

♦r , «w

m#9 I r*A I 8£K3fr*H ; CMH = Tpon[ap'k] Na o^cniHH (sie !)

B[oropoAH]i^H = TpoTcaptov am Tage der Entschlafung der

Mutter Gottes.

Auf S. 61.

KHMHHM[ik]; Nai^aAO nacanNOAi['k] = Ende der «poiteifjieva; An- fang der -aadhrvst.

Auf S. 74.

Tp'kCBfTOf c^Tk Na cBfTa^ AfTOtfpkrYa = Diese Tpicavia sind flir die heilige Liturgie.

Auf S. 97.

egr» ; S5E#8aHCd ' I ^a9^ir*HA Ai'AHPr^PaA = CKH )f fp^-BHKk

TBopiNHa flraooHOBa = Dieser cherubinische Gesang ist eine

Schöpfung des Agathon.

Auf S. 103.

xkH I }Kf/ii8ujHTk i naiUfri \ ajk ku'Lhb | 3o6wk |;| H£4<H£A

k^tiViAiVA^ \ Jl?(rTa^A<^TiA I S I JIVTV.A = CKM ^tpt^BHKk

NapfMc CA ! npikBH PAack :| HcnHca 6BCTaTii npoTO\|raATa wt['k] noij'THa = Dieser cherubinische Gesang heisst erste Stimme (d. h. wird nach der ersten Stimme gesungen); er wurde von Eustathius; dem Protopsalten von Putna, geschrieben.

Auf S. 109.

£SH ' II^i^SdHCd I 6AKk : HSklfJ/Uink | ^^ | OWgo^^BnCHe =

cvJ\ )^fpoyBHKk{ 6CTk HSkBpaNk | ; WTf'k] acAUTHKWHa = Dieser cheinibinische Gesang ist aus dem a^iwpiaTtxov entlehnt.

Auf S. 154.

. ^5^5 ' Wtnr^A^T Sit I A5/Tv3^riA I H^9K?k8^2ff^r*A = 3AI noMHHaiTfk] CA AiToyprVa np'k^KACCBfiiJCHa = Hier beginnt die mißsa praesanctificatorum.

* In diesem Worte ist der Buchstabe X aus Versehen durch und in dem Kryptog^ramme auf Seite 109 durch W vertreten, was ich brevi manu verbesserte.

Beiti'ftge zur älteren Geheimschrift der Slaven. 299

Auf S. 201.

I a^AHC* 1 6*€lfm^ == B'k EiAHKJk cSkEWTIk = Am Char-

samstag.

Auf S. 271.

CBfTOMO^ apk]^arrfAOY MHj^aHAoy = 2Tix£p6v zu Ehren des heiligen Erzengels Michael.

Auf S. 291.

WfifiK = STt^cpsv zu Ehren des heiligen Georgios,

Auf S. 307.

HaHAAO BivrwpoAHMNaMk icTk npoei'Ta BfAYKa = Den Anfang der 0eoT6xta macht das grosse ^rpoOspuz.

Auf S. 323. B/Ti^A I Ba\^y^d I i^rfi^d = cT[H]^H]pa c[BAjTU/iik mah[i-

HHKo]Mk = l-ziyTfpcv zu Ehren der heiligen Märtyrer.

D. Kryptogramme der 4. Kategorie.

Der arithmetische Calcul, der den Kryptogrammen der 4. Kategorie zu Grunde liegt, beruht ganz einfach auf dem Umstände, dass die Zahlen im Slavischen ebenso wie im Griechischen durch Buchstaben ausgedrückt werden. Wollte man daher beispielsweise den Buchstaben n (in der Zahlen- tabelle = 80) auf die hier angedeutete arithmetische Weise ausdrücken, so hatte man in diesem Falle folgende Combina- tionen zur Verfügung : Man konnte den Buchstaben n entweder durch zwei nebeneinanderstehende und mit einem Titla ver- sehene MM = 40 + 40', oder durch oT = 70 + 10, oder durch §K = 60 + 20, oder durch ha = 50 + 30, oder durch KiiiK = 20 + 40 + 20, oder durch kaa = 20 + 30 + 30 u. s. w. umschreiben. Das Nämliche gilt aber selbstverständlich auch von den übrigen Buchstaben. Auch hier waren die ver- schiedensten Combinationen nicht nur nicht mögUch, sondern

300 Katniniacki.

auch zulässig und von den älteren Schreibern der Slaven tun so bereitwilliger in Anwendung gebracht, je leichter sie zu handhaben waren. Nur solche Buchstaben, die in der Zahlen- tabelle kein entsprechendes Aequivalent haben, sowie der Buch- stabe a, der als Zahl den Einser repräsentirt, blieben unver- ändert.

Der arithmetische Schlüssel, sowie er speciell aus den Kryptogrammen des Eustathius zu Tage tritt, bietet folgendes Schema :

A = A

AA = 1

MA = 0

gr = 0

aa = K

sa = H

MM n

•k = 'k

K = K

Ty = K

PP = c

k _ k

Ra = r

^ = ii

P9V - c

* - t

Rl 3

KK M

5 = p

jk = ;k

ra = A

aT = M

Cp T

TR f

MT = H

wp u

Die einschlägigen Kryptogramme sind:

Auf S. 50. ff mK Ml A^ wpk = KOHiL^k = Ende.

Auf S. 116.

cpgY/^cpSalRaicfa ppk = xpiTH r^ack = Dritte

Stimme.

Auf S. 136.

P9T A^ ^^ ^^ 3a I Ra kT a PP k = ci^a^H rAack = Siebente Stimme.

Auf S. 206.

Mt fErA±^±\MXwfiXk = Nf A'k^'k HHiR = HIA'kA* nATkA<CATkHHi^;i% = Am Sonntag der Pentecoste.

Auf S. 219.

AATK |pp;iiBiiiiAcpA^JKfaRi^a9rrRaaa = Eik c^rqt^ Aa3apfR;i» = Am Samstag des Lazarus.

Auf S. 241. Üf §if aÜT A^ wpk = KOHCUk = Ende.

Reitrige zur älteren Oeheimichrift der Slayen. 301

Auf S. 333.

Ami ^k mm ^ Fama bmI ba KKk. ■= np-knoA^CHH/Hk ~

Den Gebenedeiten.

E. Krypto^amme der 6. Kategorie.

Die Kryptogramme der 5. Kategorie; die^ wie gesagt, auf einer ungewöhnlichen figuralen Anordnung der einzelnen Schriftzeichen beruhen ^ bestehen im Ganzen aus fünf ver- schiedenen Tafeln.

a. ErklftruBg der L Tafel.

Die erste, im Manuscripte auf Seite 28 befindliche Tafel stellt ein dreiarmiges Kreuz dar, das folgende Gestalt hat:

<i^ T cA

c/\ S

^*^ i JX ^^^

(L ^^ Y a

Tc\T^f€A KT ^ AY (L c^

V i

r At^ A f ^ -^ X ^

"2 -B

A £ f.^ T AT ^ "k V K J" A c\ J

V (T

K^fajxcax. A g K T f> £ :f

£ ^

d K

cT <^\ V <A ti Y a ^ b j: a f c\ ^

j: .T

£ (I

xcr H cl

A K

V r\ V

Sitnngtber. d. phil.-biit. Gl. cn. Bd. I. Hfk. 20

302 Katainiaeki.

Will man nun zur Kenntniss des in dieser Tafel enthal- tenen Kryptogramms gelangen, so muss man zunächst die mit schwarzer Farbe gedruckten Buchstaben zu enträthseln ver- suchen. Dies ist; da uns ihre phonetische Geltung bekannt ist und übrigens auch ihre Anordnung von der gewöhnlichen nur wenig abweicht, verhältnissmässig sehr leicht zu bewerk- stelligen. Man braucht nur den Schlüssel A und für die vor- letzte Reihe den Schlüssel A zu Hilfe zu nehmen und gleich oben mit dem Buchstaben £ zu beginnen, und man erhält^ wenn man von links nach rechts liest, folgende Wortsegmente: cYa^ = KNH = rana = pfHi = cAnp*k = /u^/^pa = ko = hi = i\k, die gehörig gefügt, nachstehenden Sinn geben : cVa^ KNHra NapfHi CA np^kM^AP^- KOHii^k. Zu deutsch : Dieses Buch (beziehungs weise: diese Schrift) wurde weise genannt. Ende.

Viel schwieriger als die Entzifferung dieser ist die Ent- räthselung der das eigentliche Kreuz ausmachenden rothen Schriftzeichen. Denn obschon wir wissen, dass sie nach dem Schlüssel «A zu lesen sind, so werden wir dennoch erst nach längerem Hin- und Herrathen zur Ueberzeugung gelangt sein, dass der Punkt, von dem wir in dem hier vorliegenden Falle behufs Feststellung einer sinngemässen Lesart auszugehen haben, ganz genau in der zweiten Linie des mittleren Querbalkens bei dem Buchstaben % zu suchen ist. Und dass dem so ist, ist am besten aus dem thatsächlichen Erfolge zu ersehen. Denn gehen wir von dem Buchstaben % in der Richtung nach links bis zum Buchstaben X und von da nach oben bis zum Buchstaben A und so fort, uns stets an die äussere Umrandung des Kreuzes haltend, so erhalten wir folgende, auch aus einem andern Grunde nicht uninteressante Worte:

3a* nOMHHaiCTA (oflfenbare Verschreibung fiir nOMH- MaiT[h]cA) TBopfHlA GßCTaTiiBa, npoTov^^aATa urr['k] FlcyriH- cKaro MOHacTHp*k, R'k a'i^ihh (sie !) EAaroMfCTHsaro h )fpHCTO AiOBHRaro rivcnoAHNa Naiufro IwaNa BorA^Ha bqcboau =

Hier beginnen die Werke des Eustathius, Protopsalteu des Klosters zu Putna, in den Tagen unseres rechtgläubigen und Christum liebenden Herrn und Wojewoden Johannes Bohdan. ^

1 Der moldauische Fürst Johann Bohdan, mit dem Beinamen der Blinde, reg-ierte nach dem Zeugnis» der Letopisitile terrei Moldovet, I, S. 146 f., vom Juli 1504 bis April 1517.

B«iir&ge xor Uteien Oeh«iiiiBGlirift der SlaTen. 303

b. Erklärung der n. Tafel.

Auch die zweite, im Manascripte auf Seite 128 befindliche Tafel stellt ein Kreuz dar, das folgende Gestalt hat:

p r 'K k s

k c

A^ K

C kl

K 0 A H

C M

0 k

W T k

K HA kl

keCTkTO 3klK0AtkE H A

ö p \- H k C kl K C k p a r

K C

A iW

r k

K C H A

•r 0

a B

A\ 0

p a r M k

6C'kSpaC'kH)^fp8RHK.

Versuchen wir nun zunächst die mit schwarzer Farbe ^ gedruckten Buchstaben zu entziffern, so erhalten wir, wenn wir mit der obersten Zeile beginnen und sodann von links nach rechts lesen, folg^ende Worte:

CkH Kp'kc[T]'k CKa386T[k]cA, (VTk KOAHKO MAC[Tk] 6c[Tk] rkCpaH['k] CkH l^fp^KHKk =

Dieses Kreuz besagt, aus wie vielen Theilen dieser cheni- bioische Gesang besteht.

* Ich mnss jedoch ganz ausdrücklich bemerken, dass im Manuscripte auch diese Worte roth aufgetragen sind und ich sie nur aus praktischen Be- weggründen, um mir die Erklärung zu erleichtern, schwarz umschrieb.

2Q^

304 Kalainiacki.

Wollen wir aber auch das durch die rothen Buchstaben dargestellte Kryptogramm enträthseln, so müssen wir hiebe! folgendermassen verfahren: Wir müssen mit dem Buchstaben c in der zweiten Linie des linken Querbalkens beginnen und von da nach links bis zum Buchstaben 8 [= oy] gehen; von da nach unten zu r und von da über 8 hinweg zu h; von h mit Uebergehung des k zu k, von k zurück nach k und von da nach rechts bis o; von o nach oben bis r und von da nach links bis p; von p nach rechts zu 'k und von da mit Ueber- springung des k zu h; von h zurück nach k und von danach unten bis 3; von 3 nach rechts bis s und von s nach oben zu kl; von kl über B hinweg zu a; von a mit Uebergehung des r zu k und von da zurück nach r; von r nach links bis kl und von da nach unten bis m; von M nach rechts zu k und von da über m hinweg zu r; von r' mit Uebergehung des a zu p und von da zurück nach a; von a nach oben bis a. Die Worte, die wir auf diesem Wege zu Stande bringen, lauten:

G'kA X'^P^RHKk 6CTk TOHOCOMk Pp'kHkCKkiMk A3UK0Mk

BkiAkrapkCKkiMk CAOBO/Uk rpaAiaTHicTA =

Dieser Gesang heisst in griechischer Sprache tdvo?; nach bulgarischer Ausdrucksweise: Grammatik.

Es muss jedoch bemerkt werden, dass unter dem Worte , Grammatik^ nicht etwa die Sprachlehre, sondern die Anleitung zum Gesänge zu verstehen ist, welche Anleitung bei den rumu- nischen Mönchen auch heute noch schlechtweg mit dem Namen der Grammatik bezeichnet wird.

0. Erklärung der IIL Tafel.

Die dritte, im Manuscripte auf S. 132 befindliche Tafel besteht zunächst aus zwei glagolitischen Zeilen, die sich offen- bar auf die auf S. 133 befindliche Gesangpartie beziehen und folgendermassen lauten: ^

fifiB k3b»VB>« 1 3^1 UldfiOOB I kA+fi« = rkA ^(p^' RHKk fc[Tk] uifCTH PAack = Dieser cherubinische Gesang wird nach der 6. Stimme gesungen.

Dann folgt ein aus vier Feldern bestehendes Rechteck, das nachstehende Gestalt hat:

Beiträge rar 4lter«n Oeh«iiii«elirift der SUreii. 305

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Der kryptographische Zweck dieses Rechtecks ist, die Worte rkH jf'P^RHK'k ecTk h Ha aP^i*^^ mIkctq (dieses x^pou- ßtx6v ist auch an einem anderen Orte) so zu ordnen, dass sie, wenn man sie von dem Buchstaben c in der zweiten Zeile des mittleren Querbalkens gleich zu Anfang zu lesen beginnt, nach jeder beliebigen Richtung hin dieselbe Lesart bieten.

Dieser Zweck ist nun durch die hier vorliegende Tabelle als vollkommen erreicht zu betrachten, obschon bemerkt werden muBs, dass Eustathius, indem er die obere Hälfte des Rechtecks um eine Zeile zu niedrig ansetzte, in Folge dessen genöthigt war, im Worte jAiIlcto^ den Buchstaben c dreimal über der Zeile zu setzen.

Was dagegen die Buchstaben anlangt, die sich innerhalb des Rechtecks befinden und die offenbar wie:

XX KB

^ ^ TT

K K C T

zu lesen sind, so gestehe ich, ihre Bedeutung nicht zu kennen.

306 K»lafDlacki.

d. Erklftrung der IV. Tafel.

Die vierte, im Manuscripte auf S. 306 befindliche Tafel besteht gleichfalls aus einem Rechteck, das durch zwei kreuz- weise übereinander gelegte Buchstabenreihen in vier Felder ein- getheilt ist und nachstehende Gestalt hat:

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Was nun zunächst die mit rother Farbe gedruckten gla- golitischen Buchstaben anlangt, so geben sie, wenn man sie von dem Punkte zu lesen beginnt, wo sich die beiden mittleren Linien kreuzen, nach allen Richtungen hin also in acht- maliger Wiederholung die Worte:

GTa TRopfHYA 6RCTaTYcRa = Dies sind die Werke des Eustathius.

Die schwarz markirten Buchstaben, die sich innerhalb der einzelnen Felder befinden, bieten folgenden Wortlaut:

Beiträge cor ilteren Gekeimsclirift der SlaTen.

307

rpa/uaxHKYA.

H CIA BHTIA.

CHA pHTOpTA.

H^^HAkTf/lf.

Was das Wort H^H/\kTf/if bedeuten mag, ist mir unklar.

e. Erklärung der V. Tafel.

Auch die fünfte , im Manuscripte auf Seite 345 befind- liehe Tafel stellt, ähnlich wie die beiden nächst vorangehenden, ein in vier Felder getheiltes Rechteck dar, das nachstehende Gestalt hat:

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308 KalBxniftclri. B«itrKg« x«r Utomi O^heinaelirifl dmr Slaren.

Der AoBgangBpimkt für die mit rother Farbe gedrackten Buchstaben liegt genau in der Mitte des Rechtecks, und er- halten wir, wenn wir von da aus nach jeder beliebigen Rich- tung vorschreiten, stets die Worte zu lesen:

GiXk KNHrH, cYa; niscHH npHHOaiTk = Dieses Buch, diese Gesänge bringt dar.

Die weitere Fortsetzung dieses Gedankens bieten die schwarz markirten Buchstaben, die also lauten :

1. Feld.

npOTOlfraATk 6vCT4TY€ UTTk n^TfHkCKarO MOHACTNp*fc

HCflHca cXsk KHHra o irkxH =

2. Feld.

W]^['k], TBopiNTa cECJk, R'k a[^]hu EAaroMfCTHsaro h )fpHCTOAiOBHRaro rocn^A^^Ha Hauif =

3. Feld.

ro IwaHa EwrkAaHa, R06R0a>^ W rocn^A^P''^ 3fMki%H

/UOAkAO-RAaX'iAcKdH, R'k AiSTO c =

4. Feld.

lOHTa, eAHHkHaA<c*kTf a[^]m^-

Zu deutsch:

Der Protopsalt des Klosters zu Putna, Eustathius, hat dieses Gesangbuch, das unter anderen auch seine eigenen tonischen Werke enthält, in den Tagen unseres rechtgläu- bigen und gottergebenen (wörtlich : Christum liebenden) Herrn Johann Bohdan, Wojewoden und Beherrschers des moldo-wla- chischen Gebietes, im Jahre siebentausend neunzehn am 1 1. Juni verfasst.

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SITZUNGSBERICHTE

DER KAISERLICHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

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PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.

CIL BAND. IL HEFT.

JAHKGANG 1882.

Cääxt Z"wr»x IC -A. ATE ig-.)

WIEN, 1883.

IN C0MMI8SI0N BEI CARL QEROLD'S SOHN

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IL/ BUCHHÄNDLER DRK KAIS. AKADKMIK UKK WI88KN8CUAKTKN.

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XXIIL SITZUNG VOM 2. NOVEMBER 1882.

Herr Prof. Dr. Hugo Schuchardt in Graz spricht den Dank aus für seine Wahl zum correspondirenden Mitgliede der kaiserlichen Akademie.

Das c. M. Herr Prof. Dr. Reinisch dankt für die ihm zur Herausgabe des Textbandes der Billn-Sprache bewilligte Subvention.

Von der Würzburger Hochschule wird die aus Anlass ihrer dritten Säcularfeier geprägte Gedächtnissmedaille, femer die erschienene ^Geschichte der Würzburger Universität' von Wegele sanunt der illustrirten Festchronik ^Alma Julia' über- sendet.

Von Herrn Hofrath Dr. F. Ritter von Neumann-Spallart wird seine eben erschienene Schrift ,0esterreich8 maritime Ent- wicklung und die Hebung Triests' für die akademische Biblio- thek überreicht.

Das w. M. Herr Prof. Dr. Gindely in Prag übermittelt eine Abhandlung des Herrn Dr. Theodor Tupetz in Prag: ^er Streit um die geistlichen Güter und das Restitutionsedict (1629)' mit dem Ersuchen des Verfassers um die Drucklegung der Abhandlung.

Sitsiuictb«r. d. phll.-lüst. a. CU. Bd. U. Hft. 2 t

310

An DmckBchriften wurden vorgelegt:

Acad^mie impöri&le des sciences de St.-P^tersbourg': Balletin. Tome XXVlll, No. 2. St-P^terebourg, 1882; 4".

Akademie der Wissenschaften, k. bayr.: Abhandlangen der historischen Classe. München, 1881 ; 4^ Bericht über die 23. Plenanrersammlung. München, 1882; 4^ Kaiser Karl Y. und die rOmische Curie 1544 bis 1646, von Angust v. Drnffel. München, 1877; 4^^. Beitrage zur Ge- schichte des Jesuitenordens, von J. Friedrich. München, 1881; 4^ lieber die ältesten halbjährigen Zeitungen oder Messrelationen und ins- besondere über deren Begründer Freiherm Michael v. Aitzing, von Felix Stieve. München, 1881; 4^ Abhandlungen der philosophisch-philo- logischen Classe. XVI. Band, 2. Abtheilung. München, 1882; 4<». Die Geschichte des Kreuzholzes vor Christus, von Wilhelm Meyer. München, 1881; A^, G. B. Milesio's Beschreibung des Deutschen Hauses in Vene- dig, von Georg Martin Thomas. München, 1881; 4<'. Das HexaSmeron des Pseudo-Epiphanius, von Ernst Trumpp. München, 1882; 4^ Ge- dächtnissrede auf Otto Hesse, von Gustav Bauer. München, 1882; 4^.

Karpathen-Verein, ungarischer: Jahrbuch. IX. Jahrgang 1882, H. Heft K6sm&rk; 8^.

Societas reg^ scientiarum danica: Regesta diplomatica historiae danicae. Tomus I. ab anno 822 ad annum 1636. Hauniae, 1847; 4^. Tomi alterius pars prior et posterior ab anno 1636 ad annum 1660. Hauniae, 1870; 40. Series H, Tomus I. I. Ab anno 789 ad annum 1349. Kj^ben- havn, 1880; 4^. Kong Frederik den Forstes danske Registranter. 1. og 2. Halvbind. Kj^benhavn, 1878—1879; 8«. Danske Kancelliregistranter 1536—1660. 1. og 2. Halvbind. Kj^benhavn, 1881—1882; 8^

Society, the American geographical : Bulletin. Nr. 6. New-Tork, 1881; 8f

Verein, historischer, für Steiermark: Mittheilungen. XXX. Heft. Graz, 1882; 80. Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen. 18. Jahr- gang. Graz, 1882; 8^.

Wissenschaftlicher Club in Wien: Monatsblätter. IV. Jahrgang, Nr. 1, und Ausserordentliche Beilage Nr. I. Wien, 1882; 8*^.

Würzburg, Universität: Akadenüsche Schriften pro 1881—1882. 161 Stücke 40 und 8°.

XXIV. SITZUNG VOM 8. NOVEMBER 1882.

Von Sr. Eminenz dem Herrn Cardinal J. von Simor^ Fürst-Primas des Königreiches Ungarn in Gran, wird der zweite Band des auf seine Kosten erscheinenden Werkes: ^Monumenta ecciesiae Strigoniensis* mit der Widmung flir die akademische Bibliothek eingesendet.

Von Herrn Dr. Anton Kunz in Wien wird ein Bericht über seine im Auftrage der Kirchenväter -Commission nach Frankreich unternommene Reise erstattet.

Das w. M. Herr Hofrath Dr. Maassen legt eine zur Veröffentlichung in dem Anzeiger bestimmte ^Notiz zur pseudo- isidorischen Frage* vor.

Das w. M. Herr Prof. Dr. Heinzel legt eine Abhandlung: «Studien zum kleinen Lucidarius (Seifried Helbling)' des Herrn Dr. J. Seemüller in Wien vor, um deren Au&ahme in die Sitzungsberichte ersucht wird.

An Druckschriften wurden vorgelegt:

Acad^mie imperiale des sciences de SL-P^tersboarg: M^moires. VH* s4iie, Tome XXX, No. 5. St.-P6ter8bourg, 1882; i». Tableaa g^n^ral m^- thodiqne et alphab^tique des mati^res contenues dans les pablications. Supplement I^, comprenant les pnblications en lang^es ^trang^res depais 1871 jnsqn'au 1" Novembre 1881. St-P^tersbourg, 1882; 8».

Accademia reale delle scienze di Torino: Atti. Vol. XVII, Disp. 6* et 7«. Torino, 1882; 8».

Commission imperiale archdologique: Comptes rendus pour Tann^e 1880, ayec an Atlas. St-P^tersbourg, 1882; gr. 4^

21*

312

GenootBchap, provinciaal Utrechtsch van Künsten en WetenBchappen: Verslag. Utrecht, 1881; 8^ Aanteekennigen ^honden den 29. Juni 1880 und 21. Jnni 1881. Utrecht, 1880—1881; S^, Het Leyen ran Mr. Nicolaas ComeliBz. Witsen (1641 1717). I. LevensbeschriJTing. Utrecht, 1881; 8». II. Bijlagen met ^sUchtUJBt. Utrecht, 1882; 8^ De Nederlandsche Scheiknndigen door Dr. H. P. M. van der Hörn van den Bos. Utrecht, 1881; 4^ Geschledenia van de Kerspelkerk yan St Jacob te Utrecht door I. M. Th. H. F. van Riemsdgk. Leiden, 1882; Folio.

Gesellschaft, deutsche, für Natur- und Volkerkunde Ostasiens: Mitthei- lungen. 27. Heft, August 1882. Yokohama; gr. 4^. für Salsbuiger Landeskunde. Mittheilungen. XXII. Vereinqahr 1882. Salzburg; 8^

Journal, the American of Philology. Vol. III, Nr. 10. Baltimore, 1882; 8^

Mittheilungen aus Justus Perthes* geographischer Anstalt von Dr. A. Peter- mann. XXVIIL Band, 1882. X. Gotha, 1882; 4^.

Societas regia scientiarum upsaliensis: Nova acta. Seriei IH, Vol. XI, Fase. I, 1881. Upsaliae, 1881; 4°. Commentatio de Ajacis Sophoclei authentia et integritate ; scripsit J. van Lee u wen, Trajecti ad Rhenum, 1881; 80.

Soci^t6 de Biologie: Comptes rendus des s^ances et m^moires. 7* s^rie, Tome U. Ann^e 1880. Paris, 1881; 8».

United States: Report of the Superintendent of the U. S. Coast and geo- detic Survey showing the progress of the work during the fiskal year ending with June 1878. Washington, 1881; 4».

Upsala, Universität: Akademische Schriften pro 1880—1881. 13 St&cke, 40 und 8".

Verein ftlr Nassauische AI terthumskunde und Geschichtsforschung: Annalen. XVI. Band 1881. Wiesbaden, 1881; 4«.

historischer für das württembergische Franken: Württembergisch Franken. N. F. I. Schwäbisch-Hall, 1882; 4«.

historischer für das Grossherzogthum Hessen: Archiv für hessische Ge- schichte und Alterthumskunde. XV. Band, 2. Heft. Darmstadt, 1881 ; 8^

^ Quartalbl&tter 1881, Nr. 1—4. Darmstadt, 1882; 8». 1882, Nr. 1 und 2. Darmstadt, 1882 ; 80.

XXV. SITZUNG VOM 16. NOVEMBER 1882.

An Dmokflohriften wurden vorgelegt:

Aeademia literarum cracoviensis: Monumenta medü aevi historica res gestas Poloniae illostrantia. Tome VI et VII. W Krakowie, 1882; 4».

Archiwum do dziej6w literatury i oSwiaty w Polsce. Tome II. W Kra- kowie, 1882; 80.

Rozprawj i sprawozdania z posiedzeii wydzii^ filologicznego. Tome IX. W Krakowie, 1882; 8^

Zbiör wiadomosci do Antropologii Krajow^j. Tome VI. W Krakowie, 1882; 80.

Rocznik zarzadn. Rok 1881. W Krakowie, 1882; 80.

Wewnftrzne Dzieje Polski za Stanislawa Augasta (1764 1794) przez Tadenaza Korzona. Tome I. W Krakowie, 1882; 8».

romana: Docamente privitÖre la Storia Romanilor culese de Eadoxiu de Harmnzaki. Vol. IV, Partea I. 1600-1649. Bucaresci, 1882; 4®.

Association, the American philological: Proceedings of the 14*^ annual

Session. July, 1882. Cambridge, 1882; 8». Central-Commission, k. k. statistische: Statistisches Jahrbuch für das

Jahr 1879. X. Heft. Wien, 1882; 8». -- für das Jahr 1880. II. Heft.

Wien, 1882; 8». für das Jahr 1881. 1., V. und XI. Heft. Wien,

1882; 8«.

Ausweise über den auswärtigen Handel der Ostei reichisch -ungarischen Monarchie im Jahre 1881. XLII. Jahrgang. III. und IV. Abtheilung. Wien, 1882; 4«.

Handels- und Gewerbekammer in Pilsen: Statistischer Bericht für die Jahre 1876-^1880. Pilsen, 1882; 8».

Museum Krilostyf ^eskeho: Öasopis. Ro^nik LVI, svazek druhy. V Praze, 1882; 8^. Vortrag des Geschäftsleiters in der General- Versammlung am 1. Juli 1882. Prag, 1882; 8<^. ^ Führer durch die geologischen Sammlungen, verfasst von Dr. Anton Fri6. Prag, 1881; %^.

Society, the Asiatic of Bengal:'Bib]iotheca indica. New series, Nr. 482. Calcntta, 1882; 8«. -^ Old series, Nr. 245. Calcutta, 1882; 8^

The Mackenzie Collection. A descriptive Catalogue of the oriental manu- scripts and other articles illustrative of the literature, history, statistics and antiquities of the south of India; by the late H. H. Wilson, Esq. Calcutta, 1882; 8«.

314

Society, the royal geographica!: Proceedings and monthly record of geo- graphy. Vol. IV, Nr. 11. November 1882. London; 8«.

Upsala, Universität: Akademische Schriften pro 1881—1882; 25 Stflcke, 40 und 8».

Verein, historischer für das württembergische Franken: Verzeichniss der Bücher, Schriften und Urkunden. Schw&bisch-Hall, 1880; 8».

XXVI. SITZUNG VOM 29. NOVEMBER 1882.

Von Herrn Prof. P. Willems in Löwen wird der soeben erschienene zweite und letzte Band seines Werkes: ,Le senat de la r^publique romaine';

von dem Bürgermeister von Amsterdam das Werk: ,Ge- schiedenis van Amsterdam door J. ter Gouw^ in zwei Bänden (1879. 1880) für die akademische Bibliothek mit Zuschrift ein- gesendet.

Von dem w. M. Herrn Dr. Pfizmaier wird eine für die Denkschriften bestimmte Abhandlung: ^Nachrichten aus der Geschichte der nördlichen Thsi* vorgelegt.

Das w. M, Herr Hofrath Prof v. Miklosich legt eine für die Denkschriften bestimmte Abhandlung vor: ,Die Laut- bezeichnung im Bulgarischen^

An Druckschriften wurden vorgelegt:

Acad^mie d' Archäologie deBelgique: Annales XXXVI. s^iie, Tome VI,

lr«^4e liyraisobs. Anvers, Bnixelles, Londres, Edinbourg, 1880; 8^. Bulletin. Seconde partie. VI— X. Anvera, 1880 1881; 8<». Mittheilnngen ans Justus Perthes* geographischer Anstalt von Dr. A.Peter-

mann. XXVm. Band, 1882. XI. und Ergänsungsheft Nr. 70. Gotha,

1882; 4«. Zürich, Universität: Akademische Schriften pro 1881—1882. 41 Stficke

40 und 8«.

Tnpets. Der Streit um die geietliehen Gflter and dM Bestitationtedict (1629). 3 15

Der Streit um die geistlichen Güter und das

ßestitutionsedict (1629).

Von

Dr. Theodor Tupeta.

(Bfit 2 Karten.)

Vorwort.

JJie Frage, ob der dreissigjährige Krieg ein Religionskrieg gewesen oder nicht, ist in neuerer Zeit wiederholt aufgeworfen und mit Vorliebe unter Berufung auf die selbstsüchtigen und welt- lichen Beweggründe, von welchen die hervorragendsten Männer beider Religionsparteien ja unstreitig vielfach sich leiten Hessen, in verneinendem Sinne beantwortet worden. Gleichwohl wird kein Unbefangener leugnen können, dass wenigstens der Keim des Zwiespalts ein religiöser war, und dass auch in dem Gewebe des grossen Ekrieges selbst die Verschiedenheit und der Gegen- satz der Bekenntnisse gleichsam den Untergrund bildet, zu welchem jene privaten und eigennützigen Beziehimgen sich etwa so verhalten, wie bei wirklichen Geweben der ,Einschlag^ zur ,Kette^ Es dürfte daher nicht unangemessen erscheinen , wenn in der vorliegenden Arbeit das religiöse Moment des Krieges und das Restitutionsedict, in welchem dasselbe am unverhülltesten hervortritt, in den Mittelpunkt gestellt erscheint.

Und noch aus einem anderen Grunde schien die Wahl gerade dieses Stoffes dem Verfasser eine dankbare. Das Re- stitutionsedict ist nändich meist nur im Zusanmienhange der Geschichte des dreissigjährigen Krieges behandelt worden, wobei es denn aus dem Getümmel der kriegerischen Ereignisse mit- unter ziemlich unvermittelt, etwa als wäre es das Werk einer augenblicklichen Eingebung oder doch weniger Monate gewesen, hervortritt. Nun hat zwar O. Klopp in seiner Abhandlung über

316 Tapete.

die Restitutionen im niedersächBiBchen Kreise bereits richtig ausgesprochen ; dass das Edict ^an der Kette der vorangegan- genen Ereignisse hing wie eine reife Frucht', aber er hat doch den Nachweis dieses Satzes, wie es bei der engbegrenzten Wahl seines Gegenstandes auch kaum anders sein konnte, mehr angedeutet als ausgeflihrt. Inwiefern es dem Verfasser gelungen ist, mehr zu bieten, möge der kundige Leser beurtheilen.

Die Hauptquelle fllr die nachfolgende Darstellung, wie auch für das beigegebene Verzeichniss der restituirten oder mit Re- stitution bedrohten geistlichen Gtlter waren die reichen Schätze des Dresdner Staatsarchivs, in welchem unter der Signatur . 8093 8099 zwanzig ,die Restitution der geistlichen Güter* be- treffende Foliobände in Verwahrung sich befinden; dieselben sind im Nachfolgenden mit: Dr. A. Rest. I XX citirt. Die Aus- flihrtmg der Arbeit in dem Umfange, wie sie vorliegt, ist dem Verfasser jedoch nur durch die Unterstützung möglich geworden, welche demselben von Herrn Landesarchivar Professor Dr. Gin- dely zu Theil wurde, indem dieser von den fiir sein Werk über den dreissigjährigen Baieg in den Archiven von Berlin, München und Wien angefertigten Abschriften alle auf das Restitutions- edict bezüglichen dem Verfasser mit einer seltenen und unt€r Gelehrten vielleicht einzig dastehenden Liberalität zur Ver- fügung stellte.

Schliesslich sei noch bemerkt, dass in der ganzen Abhand- lung auch bei den aus dem protestantischen Lager herrühren- den Schriftstücken das Datum auf den gregorianischen Kalender zu beziehen ist.

Prag, im October 1882.

Der Verfasser.

D«r SInit um die geistUchen Güter und dM SMtitDtioDMdict (ies9). 317

L Einleitung.

Der Streit uxn die geistliohen Güter.

De hie omnibus olim nostne posteriteti licebit, liberins consilia et sludU partium describere; erit qnoqne jadiciam eomm dod solnm raagis liberum, sed etiam nt opinor magis incormptam. Qnotns enim qnisqae nostmm est, qoi non sit addietas ant ci-rte inclinatlor partium alieai?

In grossen welthistorischen Kämpfen treten von Zeit zu Zeit Ruhepausen ein, in denen die erschöpfte Menschheit wieder aufathmet und sieh wohl gar der Hoffnung hingibt, es sei mit dem Kampfe überhaupt zu Ende; plötzlich aber bricht er von Neuem und noch furchtbarer aus, um erst mit der Vernichtung des einen oder der KampfunfUhigkeit beider Gegner zu endigen. Kne Ruhepause dieser Art ist auch der Zeitraum zwischen dem Augsburger Religionsfrieden (1555) und dem Beginne des dreissigjährigen Krieges.

Der Friede, welcher an der Schwelle dieses Zeitraumes steht, wird von den Lutheranern des 16. und 17. Jahrhunderts in beinahe überschwänglicher Weise gepriesen; sie sind unerschöpf- lich in Ausdrücken des Lobes für den ,lieben, heilsamen, nütz- lichen und erspriesslichen, hochverbindUchen, hochbetheuerten Religions- und Prophanfrieden'; sie nennen ihn ein ,unauflösliches Band, ein köstliches Kleinod', sie betrachten ihn als den ,deman- tenen Pfeiler', auf welchem die Ruhe und Sicherheit des ganzen Reiches gegründet sei. Beinahe mit Entzücken sprechen sie von der ,lieblichen Harmonie, Einmüthigkeit und Eintracht', welche dieser Friede bewirkt habe: ,allen Völkern sei sie eine Ver- wunderung, dem Reiche aber eine Zierde und Herrlichkeit gewesen'. *

' ^damantina fulcra et vincula, darauf incolumitas et tranquillitas imperii bestfinde/ beisst es in der Instmction der kursächnachen Geschichte (4. Mai 1630) ; vgl. das Schreiben des Leipziger Convents an den Kaiser (28. März 1631), Karsachsens an Kurmainz (30. Januar 1630) im sächsischen Staats- archiv, auch Londorp. III, S. 787 ; IV, p.43 u. v. a. ^

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Die Gegenwart freilich wird unter dem Eindrucke des furcht- baren, drei Jahrzehnte dauernden Religionskrieges ^ welcher nach verhältnissmässig kurzer Unterbrechung jenem Frieden folgte ; geneigt sein^ das gespendete Lob bedeutend herabzu- stimmen; sie wird fragen^ warum ein so kostbarer Friede gleich- wohl nicht im Stande war^ den kriegerischen Leidenschaften auf die Dauer Stillstand zu gebieten, warum im Gegentheile die Kämpfe y welche nach einigen Menschenaltem folgten, blutiger und verheerender wurden als jene, welche ihm vorangegangen waren. ^

Man kann den Lutheranern, Kursachsen voran, die An- erkennung nicht versagen, dass sie an diesem Ausgange keine Schuld tragen, dass sie im Gegentheile Alles gethan haben, was in ihren Kräften stand, um ihn zu verhindern. Wie hätten sie auch gegen einen Frieden gleichgiltig sein können , der recht eigentlich ihr Friede war, erkämpft durch den Sieg ihrer Waffen über Kaiser und Reich, einen Frieden, durch den sie eine be- hagliche, soweit menschliche Voraussicht reichte, ungefährdete Stellung erhielten! Konnten neue Kämpfe einen Gewinn bringen, der auch nur entfernt den Verlust aufwog, dem man im Falle einer Niederlage ausgesetzt war? Wenn daher Streitigkeiten über den ,Verstand' des Religionsfriedens auftauchten, so legten die Lutheraner deren Entscheidung vertrauensvoll in die Hände des Kaisers; denn dieser sei ja ,die Quelle der Gerechtigkeit, ein Kaiser nicht ehrenhalber allein, sondern das Haupt jm Reiche, das zu richten und zu entscheiden habe'. Selbst wo dem Protestantismus eine Schmälerung drohte, rieth man nie- mals zu ,rauhen Mitteln', sondern stets zu Geduld und Bitten, um den Schaden abzuwehren; im schlimmsten Falle fügte man sich in das unvermeidliche. So ausgesprochen war zuletzt diese friedliche Stimmung, dass man am kurftirstlichen Hofe zu

* Klopp in den Forschungen zur deutschen Geschichte I, S. 77 ff. yerurtheilt deshalb den Relig^onsfrieden voUständig: ,Da8 Wort Friede könne nicht entschädigen für die Thatsache des Haders und Zwistes, der aas den Bestimmungen des Friedens sprosst.' Auch Jansen sagt: ,Sie sprachen Friede, Friede und war doch kein Friede/ Das Uebel lag aber nicht so sehr in den allerdings unvollkommenen und unklaren Bestimmungen des Friedens, als in der wenig friedlichen Gesinnung derjenigen, für ^reiche er gelten soUte (s. u.).

Der Streit «n die geistlichen Güter and das Restitutionsedict (ie89). 319

Dresden verdrieBslich wurde, wenn kühnere und kriegBlustigere Glaubensgenossen an den Kampf erinnerten, durch welchen einst Kurfbrst Moriz den Religionsfrieden, den man jetzt so hoch hielt, erzwungen hatte; man suchte es zu vergessen, dass auch der jetzige Zustand der Dinge im Grunde doch nur das Ergebniss einer gltlcklichen Rebellion war. ^

Nicht ganz so friedlich war die Gesinnung der Katholiken. Wenn sie auf den Religionsfirieden zu sprechen kamen, dann ge- schah es gewöhnlich mit jener kühlen Hochachtung, die man einem zu Recht bestehenden Gesetze auch dann zu zollen pflegt, wenn man nicht damit übereinstimmt; in theologischen Schriften aber wurde derselbe im günstigsten Falle als ein nothwendiges Uebel behandelt. ^ Hieran war nichts Wunderbares, noch Tadelns- werthes. Bedeutete der Religionsfriede für die Lutheraner ein Denkmal des Sieges, so war er für die Katholiken ein Denk- mal ihrer Niederlage. Mit Ingrimm dachten sie daran, wie ihnen durch Verrath und Ueberrumpelung die Frucht des glänzenden Sieges von Mühlberg wieder entrissen worden sei, nur mit Wider- streben trugen sie es, dass diese Entscheidung eine endgiltige, dauernde sein sollte. Man empfand dieses um so schwerer, als bald nach dem Religionsfrieden die Neuerstarkung des Katho- h'cismus in den Beschlüssen des Concils von Trient, vor Allem aber in der immer grösseren Ausbreitung und den überraschend grossartigen Erfolgen des Jesuitenordens zu Tage trat. Bald er- schien der Religionsfriede fast nur wie eine lästige Schranke, nach deren Hinwegräumung nichts mehr den völligen Triumph des Katholicismus auch in Deutschland hindern würde. ,Hitzige' Köpfe fingen an, davon zu reden, dass der Religionsfriede im Grunde ungiltig sei, weil ihm die Bestätigung des Papstes, der allein in Glaubenssachen zu entscheiden habe, mangle; oder

^ An Moriz erinnerte man z. B. von dänischer Seite, als Sachsen sich von der Bewegung in Niedersacbsen fernhielt. Vgl. Londorp III, S. 589, 898, 901; Klopp, Forschungen zur deutschen Geschichte I, S. 85 ff.

' Gleichsam offic^ell ist diese Anschauung ausgesprochen in der Erklärung der katholischen Gesandten zu Frankfurt a. M. (1. October 1631, gedruckt Londorp IV, S. 228; Theatrum Europ. II, S. 440), indem sie sagen, sie wollten Yorgedachten Frieden, ,ob er ihnen wohl jederzeit am be- schwerlichsten gewesen und noch ist, . . .' in allen Punkten halten.

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sie sagten: der Religionsfriede habe nur provisorische Giltigkeit gehabt bis zur ^allgemeinen Vergleichung im Glauben^, bis zam nächsten allgemeinen Concil; nun habe das in Trient statt- gefunden^ die Giltigkeit des Friedens sei damit abgelaufen.* Selbst ein hoher KirchenfÜrst, der Bischof von Augsburgs Car- dinal Otto, eignete sich diese Auffassung an, indem er nicht nur bei der Abschliessung des Religionsfriedens gegen den- selben als für ihn, den Bischof, unverbindlich protestirte, son- dern auch diesen Protest bei jeder folgenden Bestätigung des Friedens erneuerte.'

Die überwiegende Mehrheit der Katholiken dachte jedoch keineswegs daran, den Religionsfrieden einfach wieder umzu- stossen. Das verbot schon die Ehrfurcht vor den Kaisem, die diesen Frieden unterzeichnet, bestätigt und beschworen, die Rücksicht darauf, dass auch die übrigen katholischen Stände sich wiederholt und feierlich zur Beobachtung des Friedens bekannt hatten; das verbot aber auch die politische Klugheit. Was auch jene ,hitz]gen Geister' sagen mochten, gemässigtere und staatsmännischere Köpfe unter den Katholiken erkannten recht wohl, dass gerade unter dem Schutze des Religionsfriedens die Neuerstarkung ihrer Kirche in Deutschland möglich geworden sei; auch das sahen sie ein, dass trotz aller Fortschritte, welche die Gegenreformation in den nächsten Jahrzehnten zu verzeichnen

^ Am unverfrorensten wird dieser Standpunkt in dem Gutachten der drei Jesuiten: Natalis, Ledesma und Canisius über den Religionsfrieden un- mittelbar nach dem Abschlüsse desselben ausgesprochen ; es heisst darin unter Anderem: Der Friede bestimme nicht, was sein solle, sondern nur, was kraft der unüberwindlichen äusseren Machtverhältnisse ist und so lange sein wird, als diese schlimme Lage dauern werde. Richtig verstanden gelte er nur für so lange, ,bis die katholischen Stände grössere Kraft gewonnen haben und sich zur voll- ständigen Rückforderung ihrer Rechte erheben (nach Ritter, Der Angsburger Religionsfriede, S. 261). Die Protestanten klagten über derartige Behauptungen unter anderen schon 1590, worauf der Kaiser die ,hitzigen und unbescheidenen' Leute, von denen sie ausgingen, feierlich desavonirte. Sie kehrten aber ebenso wie die Klagen der Protestirenden darüber immer wieder, namentlich zur Zeit des höchsten Kriegsglücks der Katholischen in den Jahren 1629 und 1630 (Londorp It S. 65, 69, 251 ; III, S. 558 u. a. v. a. O.).

3 Dieser Protest spielte 1629 eine grosse Rolle in den Streitschriften seines Nachfolgers, worüber unten.

Dtf Streit um die geietliclieii Oftter und dM Beetitationeediet (16M). 321

hatte^ die Kräfte der Katholiken doch nicht ausreichten^ um die erstrebte Olaubenseinigung in ganz Deutschland durchzusetzen. *

Wenn man aber den Religionsfrieden aus Klugheitsrttck- sichten bestehen liess^ so suchte man allerdings aus den mit- unter unklaren Bestimmungen desselben so viel Gewinn für die eigene Sache herauszuschlagen, als nur irgend möglich war. Man hatte dabei den grossen Vortheil, dass nicht nur der Kaiser y sondern auch die obersten Gerichte des Kelches, der Reichshofrath ausschliesslich, das Kammergericbt überwiegend, dem katholischen Bekenntnisse angehörten und daher stets ge- neigt waren, der katholischen Auslegung, wenn sie nicht gar zu arg gegen den Buchstaben des ReUgionsfriedens verstiess, den Vorzug zu geben. Es wurde demgemäss jedes Zugeständniss an die Protestanten, das der ReUgionsfriede enthielt, so viel als möglich beschränkt, jedes Recht dagegen, das er den Kathohken einräumte, in seiner weitesten Ausdehnung in Anspruch ge- nommen. Wenn die Protestanten der Meinung zuneigten: was ihnen im Frieden nicht ausdrücklich verboten sei, das sei ihnen erlaubt, so sprach man katholischerseits die Ansicht aus: was ihnen nicht ausdrücklich erlaubt sei, das sei ihnen verboten.^

So unbequem indess eine solche Handhabung des ReUgions- friedens den Protestanten sein mochte, der Friede als solcher blieb dabei immerhin bestehen, und er hätte recht wohl, wie man es bei der Abschliessung beabsichtigt hatte, ein ,ewig- währender' sein können, wenn nicht bald darauf neben den Lutheranern und Katholiken eine dritte Religionspartei in den Vordergrund getreten wäre, nämUch die Calvinisten. Da der Friede nur zwischen lutherischen und katholischen Ständen ab-

^ Ueber die Leute, deren Gewiraen so eng sei, dass sie lieber den Kaiser nm Land und Leute bringen wollten, als nachgeben, klagt besonders lebhaft der Geheimratb Koffler von Gailenbach, Verfasser des ,Hoch- yemünftigen Bedenkens* (Londorp I, S. 181 ff.); er nennt sie auch die yEztremisten' (vgl. auch Londorp m, S. 701 ff.; I, S. 293). Kursachsen war im Jahre 1616 der Meinung, dass den Katholiken an der Erhaltung desBeligionsfriedensebensoTiel gelegen sei als den Protestanten (Londorp I, 8. 183 ff.).

' Die Protestanten meinten in Folge dessen sogar, dass ,der Beligionsfriede offenbar auf Seite der Papisten inclinireS was nach der Entstehung desselben gewiss nicht au erwarten war (Gutachten Leon. Schug*s an den Pfalsgrafen bei Londorp m, S. 658 ff.).

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geschlossen worden war, so konnte er natürlich auch nur flir diese Geltung haben; indem der Calvinismus als dritte Partei hinzukam^ indem er auf Kosten der Lutherischen ebensowohl als der Katholischen immer weiter um sich griff, da war diese Thatsache allein schon wie ein Bruch des kaum geschlossenen Friedens. * Allerdings suchten die Calvinisten die Wohlthat des Friedens auch flir sich in Anspruch zu nehmen, indem sie unter dem gemeinsamen Titel: , Evangelische Stände' mit ein- begriffen und so den Lutheranern im Reiche gleichgestellt sein wollten, aber die Katholiken weigerten sich hartnäckig, die Be- rechtigung dieses Anspruches anzuerkennen, und auch die Lu- theraner mochten von einer Gemeinschafl; nichts wissen, durch welche sie ihre eigene Sache blossgestellt glaubten. Die Ab- neigung, welche die Lutheraner gegen ihre calvinischen Glaubens- genossen empfanden, zeigte sich sogar bisweilen stärker als die Gegnerschaft, welche sie von den Katholiken trennte, und wenn politische Vortheile damit in Verbindung traten, so konnte es geschehen und geschah auch wirklich, dass sie mit den Ka- tholiken gemeinsame Sache gegen die Calvinisten machten. - Wenn aber schon die Lutheraner, wenig eingedenk des Um- standes , dass sie vor nicht allzu langer Zeit in derselben Lage gewesen waren, in der jetzt die Calvinisten sich befanden, so ablehnend sich verhielten, so entluden natürlich die Katholiken die ganze Schale ihres Zornes über das Haupt der neuen Secte; sie entschädigten sich dadurch gewissermassen flir die Mässi-

1 Katholischen Schriftstellem jener Tage erscheint das Auftauchen des Calyinismus in Deutschland nicht nur als die vornehmste, sondern mit- unter geradezu als die einzige Ursache aller folgenden Entzweiung. Vgl. die ,6eheime Anhaltische Kanzlei^ (Londorp III, S. 3 ff.), Acta secreta (ebenda 8. 465), die katholische Gravamina (Londorp. I, S. 133 ff).

' Von den lutherischen Hofpredigem des Kurfürsten von Sachsen wurde darum nachher behauptet, sie hätten durch ihre gegen die Calvinisten gerichteten Bücher den Katholiken in einem Monate mehr genützt als die Jesuiten in einem ganzen Jahre (Londorp I, S. 227). Selbst als der Kurfürst mit den Calvinisten schon politisch verbunden war, vermied er es doch mit bemerkenswerther Sorgfalt, sie ,evangelisch* zu nennen; wenn es doch unterlief, wurde es ausgestrichen und ,protestirend' dafELr gesetzt. Im Jahre 1666 nahmen sich allerdings die lutherischen Stande des calvinischen Pfalzgrafen an, aber mit der bezeichnenden Begründung, derselbe habe sich erboten, ,sich unterweisen zu lassenS

Der Streit um die geistlicben Q&ter and das Bestitotionsedict (1689). 323

gong, welche sie in Folge des Religionsfriedens gegenüber den Lutherischen sich auferlegen mussten.

So sahen sich denn die Calvinisten von Anfang an in die Stellung einer rechtlosen Partei gedrängt ^ einer Partei, die nirgends im Reiche einen Freund hatte, deren Bestehen nicht auf dem Schutze der Gesetze^ sondern blos auf ihrer augen- blicklichen Macht beruhte, einer Partei, die man niir darum nicht sogleich ausrottete, weil man es nicht konnte.^ Dass die Calvinisten die Schmähungen^ mit welchen man sie überhäufte, mit Zinsen zurückgaben, bedarf keiner Versicherung ; aber es ward fiir sie zugleich eine Pflicht der Selbsterhaltung, die eigene Macht so viel als möglich zu erhöhen, die der Katholiken aber, ihrer geßlhrlichsten Gegner, auf jede Weise zu schwächen. Ob die Mittel, deren man sich dabei bediente, gesetzlich erlaubt waren, konnte wenig kümmern; da die bestehenden Gesetze und insbesondere auch der Religionsiriede der Partei im Ganzen so ungünstig waren, so bedachte man sich nicht, dieselben auch im Einzelnen zu übertreten. Die Calvinisten wagten es daher, mit den erklärten Feinden des Kaisers und des habs- burgischen Hauses, den Holländern und Heinrich IV. von Frank- reich, in die freundschaftlichsten Beziehungen zu treten; ihre Truppen kämpften in Frankreich fUr die Hugenotten und gegen Philipp n. von Spanien, den Vetter und Bundesgenossen des Reichsoberhauptes. Die Calvinisten wagten es auch, mit den evangelisch gesinnten und zum Aufruhr geneigten Ständen der österreichischen Erblande Verbindungen zu unterhalten, welche jedenfalls nahe an Hochverrath streiften. Sie operirten dabei eine Zeit lang so glücklich, dass sie das deutsche Haus Oester- reich bis nahe an den Rand des Verderbens brachten; aber gerade diese Erfolge steigerten auch den Hass der Eoitholiken,

* DasB die Calvinisten des Religionsfriedens nur so weit fähig wären, als ihnen ,ans gnädiger Zulassung der rOmisch kaiserlichen Majestät und des gesammten Beichs Kurfürsten und Stände mOchte vergOnnt werden*, sagten sogar die Lutheraner (Vorrede der Flugschrift ,Die rechten Gläser in die alte Brill' 1630); katholische Schriftsteller suchten ssu heweiseui dass die Calvinisten gar kein anderes Bfittel hätten als Krieg und Auf- ruhr, um tu ihrer Anerkennung zu gelangen, ohne freilich zu merken, wie sehr sie damit selbst das Verfahren der Calvinisten entschuldigten (Londorp I, S. 298 und m, S. 681 ff.).

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entzündeten auch bei diesen die kriegerischen Leidenschaften; erst dadurch wurde der Streit, welcher tlber die Auslegung einiger Punkte des Religionsfiiedens entstanden war, ein un- versöhnlicher.

Der älteste dieser Streitpunkte betraf jenen Paragraphen des Religionsfriedens, welcher von den Schriftstellern des Refor* mationszeitalters gewöhnlich nach den Anfangsworten als Para- graph ,Und nachdem' citirt wird, während er der Gegenwart unter dem Namen des geistlichen Vorbehalts bekannt ist. Wie man weiss, verhängte derselbe über jene Erzbischöfe, Bischöfe und reichsunmittelbaren Prälaten und Aebte, welche sich dem Protestantismus zuwenden würden, die Absetzung vom Amte, den Verlust ihrer Würden und ihres Einkonmiens. Auf Verlangen Ferdinands und der Katholiken war dieser Paragraph in den Keligionsfneden aufgenommen worden ; die Evangelischen hatten sofort auf das Lebhafteste dagegen protestirt; beinahe hätten sich um seinetwillen die Friedensverhandlungen überhaupt zer- schlagen. Mit Mühe hatte man es dann durch neue Unter- handlungen und Zugeständnisse dahin gebracht, dass die Pro- testirenden zuletzt die Einfügung jenes Artikels wenigstens geschehen Hessen, obgleich sie sofort erklärten, dass sie durch denselben nicht gebunden seien. '

Es waren keineswegs ausschliesslich religiöse Motive, welche einen so heftigen Zusammenstoss herbeiführten. Längst war es auch in katholischen Ländern Sitte geworden, die Erzbis- thümer, Bisthümer und Abteien zur Versorgung der jüngeren Prinzen regierender Häuser zu benützen; schon als Kinder, ehe noch an den wirklichen Empfang der Weihen gedacht werden konnte, erhielten sie diese Würden und die damit verbundenen Einkünfte. Die Erzherzoge von Oesterreich und die bayrischen Prinzen handelten in dieser Hinsicht ebenso wie auf der andern Seite die Prinzen der Häuser Sachsen und Brandenburg ; andere Würden , besonders die Canonicate, fielen herkömmlich, ja mit- unter sogar statutarisch den Grafen, oder den Reichsrittem zu.

^ Die Protestanten erklärten, wie im RestitationBedict selbst erzfthlt wird, dass fSie hierinnen endlich Ihrer kaiserlichen Majestät kein Form, noch Mass zu setzen wttssten', verlangten aber doch die Aufnahme des Za- satzes, dass sich beide Theile darüber nicht hätten vergleichen kOnnen, was denn auch ,um des lieben Friedens willen' gestattet wurde.

Der Streit am die geistlichen Oftter und dM Restitutionsedicft (1629). 325

Die Protestanten nun glaubten, so reiche Einkünfte nicht ohne- weiters an die katholischen Prinzen , an den katholischen Adel abtreten zu können, die Ausschliessung von bischöflichen und erzbischöflichen Würden bedeutete für sie einen sehr reellen Verlust an Land und Geld und Leuten. *

Aber auch flir die Katholiken waren politische Gründe mit bestimmend, wenn sie die Aufnahme des Vorbehalts in den Religionsfrieden forderten. Noch hatten sie die Mehrheit im Kurftlrstencollegium y aber ein einziger Glaubenswechsel konnte sie ins Gegentheil verwandeln, und kaum minder bedenk- lich stand es auf den anderen Bänken des Reichstages. Sollte man es dahin kommen lassen, dass auf den deutschen Reichs- tagen eine protestantische Majorität über die Geschicke des Reiches und damit auch über die der Katholiken entschied? Musste man nicht fürchten, dass der jetzt schon so arg gefährdete Katholicismus dann vollends untergehen würde?

So glaubte denn keine Partei von ihrem Standpunkte weichen zu können. Der Protest der Evangelischen wurde in den folgenden Jahren immer wieder erneuert, immer wieder verlangten sie Anerkennung der protestantischen ,Admini8tra- toren^ in den hohen geistlichen Stiftern und Zulassung derselben zu den Sitzungen des Reichstages, aber in den meisten Fällen vergeblich. - Der geistliche Vorbehalt wurde bei jeder Bestäti-

^ Sehr deutlich sprach sich in dieser Hinsicht die Eingabe der Protestanten auf dem Reichstage zu Augsburg 1666 aus; sonst freilich sag^ man auch, dass der Vorbehalt die ,Ehre* der Evangelischen schädige, indem sie f&r unfähig erklärt würden, hohe geistliche Würden inne zu haben, oder dass man auf die Ausbreitung der Reformation auch in den Hoch- stiitem nicht verzichten kOnne, da dieselbe Gewissenspflicht sei u. a. m. Charakteristisch ist, dass später die evangelischen Capitel ihre jugend- lichen ,Bischöfe* auf ihre Kosten studiren Hessen (Opel, Niedersäch- sischer Krieg I, S. 193). Andererseits zeigten auch katholische Bischöfe, wie gering sie die geistliche Seite ihres Amtes achteten, indem sie nicht einmal die Priesterweihe empfingen, mit Vorliebe in weltlicher Tracht erschienen u. A.

' Ausnahmsweise und unter Verwahrung wurde indessen doch bisweilen auch die Session bewilligt; auch erhielten protestantische Bischöfe mit- unter kaiserliche Indulte. Verhandelt wurde über den Vorbehalt unter anderen 1556, 1557, 1559, 1576, 1590, 1608, 1613 und Öfter; dass man für die Mehrheit im Fürstenrathe fürchtete und hauptsächlich aus diesem SiUnngaber. d. phiL-hirt. Cl. CU. Bd. II. Hft. 22

326 Tupetz.

gung des ReligionsfiiedeiiB mit bestätigt, bei jeder Elaiserwahl mit beschworen ; formell war und blieb er ein Bestandtheil des Religionsfriedens so gut wie irgend ein anderer. In Wirklichkeit freilich lag ein wesentlicher Unterschied darin, dass andere Be- stimmungen des Friedens gewissermassen nur ausnahmsweise tibertreten wurden, während man den geistlichen Vorbehalt wenigstens auf Seite der Evangelischen von Anfang an und grundsätzlich unbeobachtet Hess. So regelmässig daher die süd- deutschen und die meisten rheinischen Stifter in den Händen von Katholiken sich befanden, ebenso regelmässig waren die nordischen und nordöstlichen Stifter, wie Bremen, Minden, Lü- beck, Magdeburg, Schwerin, Halberstadt u. a., im Besitze von lutherischen Administratoren, namentlich aus den Häusern: Hol- stein, Braunschweig, Brandenburg und Sachsen.* In den rhei- nischen Stiftern kam es auch gelegentlich zu einem ernstliehen Kampfe zwischen beiden Religionsparteien, so in Köln und in Strassburg. In Köln siegten die Katholiken, und Kurköln war von da an 200 Jahre lang eine Art Secundogenitur des Hauses Bayern; in Strassburg kam eine Reihe von Verträgen zu Stande, die eine Art Gleichberechtigung beider Parteien herstellten, bis endlich auch hier die Katholiken die Oberhand bekamen. Alles in Allem war der Zustand, wie er sich heraus- gebildet hatte, zwar keineswegs zufriedenstellend, aber doch immerhin erträglich. Die Protestanten hatten, worauf es ihnen vor Allem ankam, den thatsächlichen Besitz einer grossen Anzahl von Stiftern und den Genuss reicher Einkünfte, die Katholiken wieder behaupteten, indem sie den Inhabern solcher Stifter die ,Session' verweigerten, die Mehrheit der Stimmen auf dem Reichstage und insbesonders im Fürstenrathe.

In einem gewissen Zusammenhange mit dem geistlichen Vorbehalt steht auch der Streit tiber jene Bestimmungen, welche bei Abschliessung des Religionsfriedens zu Gunsten der

Grande den ,magdebargischen, halberstädtischen und strassbar^iscliea Gesandten* die Session verweigerte, ergibt sich aus Aretin, Bayerns ausw. Verh., Urkunden S. Iff. ' Durch besondere Verträge mit den Capiteln wussten manche evangelische Familien die Bisthümer sogar erblich zu machen, so Braunschweig dsa Bisthnm Halberstadt (Opel, Niedersächsischer Krieg I, S. 193).

Der Streit um die geistlichen Güter und das Bestitntionsedict (16S9). 327

evangelischen Unterthanen in den Ländern katholischer Fürsten getroffen worden waren ; sie waren nämlich gleichsam der Preis, um dessen Willen die evangelischen Stände die EinfUgimg des Vorbehalts in den Frieden geschehen Hessen. An und fiir sich schien dieser Preis bedeutend genug: vollständige Glaubens- freiheit, freilich ohne die Freiheit der Religionstibung, wurde gewährleistet fiir die Unterthanen geistlicher Fürsten; in Bezug auf die weltlichen hatten allerdings die evangelischen Stände die gleiche Forderung nicht durchsetzen können, weil ins- besondere Ferdinand sich entschieden widersetzte, aber sie hatten doch das Zugeständniss erwirkt, dass den in ihrem Glauben bedrängten Unterthanen das Recht der Auswanderung zustehen sollte, ein Recht, von dem man glaubte, dass es wenigstens gegen die härteste Art der Bedrückung Schutz gewähren würde. Aber es zeigte sich bald, dass keine von beiden Bestimmungen den Evangelischen wirklich zu Gute kam. Die erste weiter gehende blieb üngeftlhr ebenso wirkungslos wie der geistliche Vorbehalt, fiir den sie entschädigen sollte, ja noch ein Theil wirkungsloser, und zwar darum, weil sie nicht in den Religionsfrieden auf- genommen worden war, sondern nur den Inhalt einer allerdings von dem römischen Könige unterzeichneten, aber von den geistlichen Fürsten niemals anerkannten Declaration bildete; ja es wurde später auf katholischer Seite sogar die Echtheit der betreffenden Urkunde in Zweifel gezogen. ^ So blieb also den evangelischen Unterthanen nur das Auswanderungsrecht, das aber ebenfalls seine wohlthätige Wirkung verlor, seitdem von den katholischen Fürsten aus dem Rechte ein Zwang zur Aus-

' «Von keinem Katholiken sei «le gesehen worden, Niemand habe zur Zeit des Religionsftiedens etwas davon vernommen, es sei lächerlich, dass man sage, sie sei vor dem Abschlüsse des Friedens gegeben worden/ heisst es in einer katholischen Streitschrift im Dresdner Archiv 8093; die Protestanten klagten auch über diese Art von Behauptungen, nament- lich auf dem Reichstage von 1613. Das Restitntionsedict erkannte nachher zwar die Echtheit an, bestritt aber die Rechtsgiltigkeit der Urkunde. Im Jahre 1670 wurde auf Grund der Declaration ein Streit zwischen Würzburg und Henneberg gegen das erstere entschieden; die Aufnahme derselben in den Religionsfrieden dagegen, welche die Protestanten be- sonders im Jahre 1576 anstrebten, vermochten sie nicht zu erlangen, und bald darauf reformirten gerade die geistlichen Fürsten in Salzbui^g, Würzburg, Fulda u. s. w. mit besonderem Eifer.

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Wanderung gemacht wurde ; ja dieser Zwang erwies sich sogar zur Erreichung des von den Fürsten angestrebten Zieles, näm- lich der vollständigen Gegenreformation in den von ihnen be- herrschten Ländern, wirksamer als alle anderen Mittel, welche man anwenden konnte. Für die kathoUschen Stände hatte dies Alles den Vortheil^ dass sie dem geschlossenen evan- gelischen Gebiete nun auch ein geschlossenes katholisches ent- gegenstellen konnten, ihre Vertheidigungsstellung besserte sich; aber auch das war die Folge ^ dass die evangehschen Stände argwöhnischer als vorher die Schritte der Katholiken über- wachten und mehr als früher der Ansicht zuneigten , die Katholiken würden endhch doch den ReUgions&ieden ganz um- stossen, wenn sie nur einmal die dazu nöthige Macht hätten.

Weit schlimmere Folgen indess als alles bisher Angeführte hatte der Zwiespalt, welcher über das Besitzrecht der kleineren nicht reichsunmittelbaren Stifter, der Klöster, Convente u. s. w. entstand. ^ Die Katholiken hatten im Religionsfrieden auf die- jenigen Kirchen, Klöster, Convente, Abteien und mittelbaren geistlichen Güter überhaupt, welche sich schon damals in den Händen der Evangelischen befanden, verzichtet, sie hatten also den thatsächlichen Zustand als einen rechtmässigen anerkannt. SelbstverständUch hatten sie dies gethan in der Hoffnung, da- durch wenigstens den Besitz der noch übrigen Klöster und geistUchen Güter für die katholische Kirche zu sichern, und in diesem Sinne mochten auch jene Bestimmungen des Religions- friedens verstanden werden, welche den Evangelischen jeden Angriff auf die Katholischen und deren Eigenthum untersagten. ^

* Bemerkt sei hier, dass mit der Frage der mittelbaren Stifter der geistliche Vorbehalt nicht das Geringste zu schaffen hat; es ist daher irrig, wenn Klopp und Andere ihn doch damit in Beziehung bringen.

2 Der betreffende Paragraph des Religionsfriedens ist allerdings ein Master von Unklarheit. Die evangelischen Stände sollten nach demselben an- beschwert lassen ,die anderen des H. Reichs Stände der alten religion, Geistliche oder Weltliche, sammt und mit ihren Caplteln und anderen geistlichen Standest Die ungezwungenste Deutung ist wohl, dass mit den letzten Worten blos die geistlichen Unterthanen der vorher genannten katholischen Reichsstände gemeint waren, und so verstanden es auch die Protestanten; nach der katholischen Auslegung waren jedoch unter denselben alle mittelbaren Geistlichen zu verstehen, also auch die auf evangelischem Gebiete. Zwingender war jeden&lls der von den

Der Streit vm die geistliehen Qflter und du Reatitntioneedict (1889). 329

Uebrigens war das Opfer, welches die Katholiken mit ihrer Verzichtleistung brachten, weniger gross, als es auf den ersten Blick scheinen möchte. Sie hatten nämlich wenige Jahre vor dem Frieden durch den glücklichen Ausgang des Schmalkal- dischen Krieges und den Erlass des Interims eine nicht unbe- trächtliche Zahl von Klöstern, Kirchen, Capellen und anderen geistlichen Gütern, auch solchen, welche schon lange vorher evangelisch gewesen waren, zurückerhalten und als dann durch den Feldzug des Kurfürsten Moriz von Sachsen der über- raschende Umschwimg eintrat, war derselbe weder allgemein, noch tiefgreifend genug gewesen, um jene Erfolge sofort wieder zu vernichten. Das Interim hörte auf, aber viele der dadurch bewirkten Veränderungen blieben. Die evangelischen Stände benützten allerdings den Zwischenraum zwischen dem Passauer Vertrag (1552) und dem Augsburger Religionsfrieden (1555), um die eine oder andere noch rückgängig zu machen oder überhaupt ihren Besitz durch geisthches Gut zu vergrössem, aber schon in diesem Falle konnte man den Zweifel aufwerfen, ob die Verzichtleistung der Katholiken auch auf diese erst nachträgUch evangelisch gewordenen geistlichen Güter zu be- ziehen sei, da dieselbe in erster Linie nur von jenen Gütern sprach, welche schon zur Zeit des Passauer Vertrages (1552) nicht mehr katholisch gewesen waren.' Wie dem indess auch sein mochte, so blieb doch auch nach Abschluss des Friedens

Katholiken ebenfalls Torgebrachte Beweis ,a contrario sensu', dahin lantend, dass die Katholiken nur auf die bis 1562, beziehungsweise 1555 eingezogenen Güter verzichtet, alle übrigen also sich vorbehalten hätten; da jedoch die Evangelischen schon beim Abschlüsse des Friedens diese Forderung bestritten hatten, so konnten die Evangelischen immer- hin behaupten, dass sie dem Paragraph in diesem Sinne nicht zugestimmt hätten und derselbe also auch für sie nicht gelte. Londorp m, S. 452, 479, 560, 569, 677; IV, 3ff.; Theatrum Europ. U, 19, 22, 141, 144 und Ritter, Der Augsburger Religionsfriede S. 242. ^ Der Verzicht lautet auf jene Güter, welche die Katholischen ,zur Zeit des Passauer Vertrages oder seithero nicht gehabt*; die WOrtchen: ,oder seithero* wurden von den Protestanten als eine Ausdehnung des Verzichtes auch auf die Zeit von 1652—1655 au^fasst; das Restitutions- edict interpretierte sie dagegen, entsprechend der katholischen Ansicht als gleichbedeutend mit ,oder bis dahin,* so dass sie sich nicht auf die Zeit nach dem Passauer Vertrag, sondern im Gegentheil auf die Zeit vor demselben bezogen hätten.

330 Tapetz.

eine Reihe vormals schon protestantischer Kirchen und Stifter, insbesondere in den Reichsstädten und in Wüi-ttemberg, im Be- sitze der Katholiken.

Doch dieser der alten Kirche verhältnissmässig günstige Zustand war nicht von Dauer. Die Klostereinziehungen wurden auch über den Frieden hinaus fortgesetzt^ und die Katholiken sahen sich bald nicht nur den Grewinn des Interims vollständig wieder entrissen, sondern sie hatten auch neue Verluste zu be- klagen. Noch am leichtesten war der Untergang jener Klöster zu verschmerzen, welche ohnehin einem evangelischen Landes- ftlrsten unterthan und durch diese ihre inselartige Lage inmitten eines zusammenhängenden evangelischen Gebietes von vorne- herein dem Untergange geweiht waren. Die Evangelischen waren denn auch einstimmig der Meinung, dass durch die Ein- ziehung solcher Klöster der Religionsfriede nicht verletzt werde: sei doch in demselben den evangelischen Reichsständen aus- drücklich das Reformationsrecht verliehen, kraft dessen der Landesfbrst befugt sei, in allen seiner Herrschaft unterworfenen Gebieten den katholischen Gottesdienst abzustellen und den evangelischen dafllr einzuführen; unsinnig sei es, zu behaupten, dass er die katholischen Klöster gleichwohl müsse fortbestehen lassen. * Hierauf konnten freilich die Katholiken erwidern, dass den Mönchen in diesem Falle wenigstens dasselbe Recht ein- geräumt werden müsste wie allen anderen Unterthanen, welche sich um des Glaubens willen bedrängt ftililten, nämlich auszu- wandern und ihr Vermögen mitzunehmen; da indess die Um- wandlung der Klöster in evangelische Pfarren, Schulen u. dgl. häufig auch mit Zustimmung der Inwohner des Klosters geschah, weil diese entweder ohnehin dem Protestantismus geneigt waren oder durch ihren Uebertritt materielle Vortheile zu erlangen

^ Das war auch die Meinung Knrsachsens, das sonst immer die ge- mässigtesten Anschauungen unter den Evangelischen vertrat. Uebrigens war eine theilweise Verwendung der kirchlichen Einkünfte zu Zwecken des eyangelischen Schul- und Kirchenwesens auch im Religionsfrieden anerkannt; durch besondere, unter Vermittelung von Schiedsrichtern abzuschliessende Verträge sollte sie geregelt werden. Von da bis zar völligen Einziehung der Kirchengüter war allerdings noch ein grosser Schritt. Theatrum Europ. U, S. 140—144; Londorp. III, 669, 574 ff., 999 und öfter.

Der Streit am die geistlichen GAter and das Beetitntionsedict (1689). 331

hofften, so hatte dieser Einwand praktisch keine grosse Bedeu- tung. Schwerer war es zu rechtfertigen, wenn auch die evan- gelischen Bischöfe und Erzbischöfe die ihrer Herrschaft unter- worfenen Kirchen, Klöster und Stifter evangelisch machten oder ganz aufhoben; da es nach dem Wortlaut des Beligionsfriedens gar keine evangelischen Bischöfe hätte geben dürfen, so war es ein Widerspruch, aus eben diesem Frieden irgend welche landesftirstliche Rechte für dieselben ableiten zu wollen. ^ Doch würden sich die Katholiken vielleicht auch hierein, wie in die Nichtbeachtung des geistlichen Vorbehaltes überhaupt, gefunden haben, wenn nicht die Begehrlichkeit mancher Evangelischer auch solche Güter angetastet hätte, auf welche sie kaum den Schein eines Rechtsanspruches erheben konnten.^

Eingesprengt zwischen die verschiedenen evangelischen Gebiete lagen nämlich auch solche Klöster, welche zwar nicht reichsunmittelbar, aber doch auch keinem anderen Stande des Reiches unterthan waren; Niemanden als den Papst und allenfalls auch den Kaiser erkannten sie als ihren Oberherm an. ^ Freilich ganz ungeschmälert war diese Freiheit schon zur Zeit des Re- ligionsfriedens bei den wenigsten; die mächtigen Nachbarn hatten es verstanden, den wehrlosen Ordensleuten allerlei Ver- träge abzuringen und abzulisten, durch welche diese scheinbar Schutzbefohlene jener mächtigen Herren, in Wirklichkeit aber nahezu deren Unterthanen wurden. Als dann auf evangelischer Seite bezüglich der mittelbaren Klöster der Grundsatz aufgestellt wurde, dass es dem Landesflirsten nicht verwehrt werden könne, dieselben zu ,gottgefklliger Reformation^ zu ziehen, da beeilte man sich, denselben auch auf die eben genannten vormals freien und auch jetzt nur halb abhängigen Klöster und Stifter aus-

> Die evangelischen Bischöfe waren sich übrigens ihrer zweifelhaften Stellung bewusst und eben darum wurde auch die Reformation in den evangelischen Hochstiftern nirgends so energisch durchgeführt wie in den benachbarten weltlichen Qebieten.

3 Diese Fälle waren auch gemeint, wenn die Katholiken in ihren Klagen die Klostereinziehung geradezu als ,Raub* und ^Landfriedensbruch^ be- \

zeichneten und das ,gemeine RechV dagegen anriefen.

^ Zu diesen »päpstlichen* Orden gehörten besonders die Cistercienser, welche |

durch kaiserliche Privilegien gegen jede ,advocatia* geschützt zu sein |

behaupteten, und die Franciscaner-BarfUsser. j

332 Tnpets.

zudehnen; statt der landesfbrstlichen Hoheit^ welche man nicht besasS; musste das blosse Aufsichtsrecht über die Verwaltung des Klostervermögens, oder die niedere Gherichtsbarkeit^ oder irgend ein anderes kleines, oft auch streitiges Recht zum Vor- wande dienen, um dieselben zu reformiren oder vollständig ein- zuziehen. Sogar reichsunmittelbare Klöster, wie die Abtei Hersfeld, wurden auf diese Weise nach und nach zuerst ihrer Unabhängigkeit und endUch auch ihres katholischen Charakters entkleidet. * Dass in solchen Vorgängen eine Verletzung des Religionsfriedens lag, wird sich kaum leugnen lassen. Kur- Sachsen wenigstens missbilligte dieselben auf das Entschiedenste; nur die calvinischen Stände und von den lutherischen jene, deren Gebiet noch sehr beschränkt war und die überhaupt erst zur vollen landesfUrstlichen Hoheit emporstrebten, bethei- ligten sich daran. ^ Diese aber gingen um so rücksichtsloser vor, weil auch das Eammergericht anfangs Bedenken trug, die Erlagen der geschädigten Orden anzunehmen, und die Kloster- einziehung somit nicht nur einträglich, sondern auch gefahrlos erschien.^

< DafiB die Vergewaltigung der schwächeren, insbesondere der geistlichen Stünde in Deutschland förmlich Herkommen war, dass sie schon vor dem Auftreten Luther^s in Folge der auch sonst bemerkbaren Verwelt- lichung des Zeitgeistes begonnen, unter dem Einflüsse der Reformation sich nur stärker ausgebildet habe, und dass eben darum selbst der Beligionsfriede sie nicht mehr aufhalten konnte, bemerkt auch eine katholische Denkschrift Londorp IV, S. 238 ff. Die übliche Vorbereitung der Klostereinziehung war die Wegnahme von Renten, Zinsen und Gerechtigkeiten, die Abforderung übermässiger Steuern und Aehnliches. Beschönigt wurde dieses Verfahren durch die Behauptung, dass die betreffenden Kloster von den Vorfahren des nunmehrigen Oberherm gegründet und beschenkt worden seien, vor Allem aber durch den Eifer fUr die Ausbreitung des Evangeliums; die kursächsischen Theologen ver- stiegen sich nachher sogar zu der Behauptung: ,die Einziehung der papistischen Stifter und Kloster sei ungezweifelt auf sonderbaren Antrieb und Anregung Gottes geschehend

3 Hiebei ist freilich zu bedenken, das« Kursachsen seinen Gewinn an geistlichen Gütern grOsstentheils schon vor dem Religionsfrieden geborgen hatte, während Kurpfalz und Andere erst nach demselben zu reformiren anfingen. Londorp III, S. 540, 577, 902; Dresdner Archiv 8095, IX.

3 Die Evangelischen behaupteten nämlich, dass die Provinciale der päpst- lichen Orden, weil sie keine Reichsstände seien, der Religionsfriede aber nur für Reichsstände gelte, nicht berechtigt wären, beim Kammeigericht

Der Streit nm die geistlichen Oftter und das Kestitntionsediot (18S9). 333

Doch je häufiger die Verletzungen des Religionsfriedens wurden, desto erbitterter wurden auch die Katholischen, und endlich gelang es ihnen doch, das Eammergericht von der Recht- mässigkeit ihrer Klagen zu überzeugen. Mehrere ihnen günstige Urtheile erfolgten. Auf evangelischer Seite erwog man, ob man sich diesen Urtheilen unterwerfen solle. Noch handelte es sich blos tun einige wenige, in dem zunächst vorliegenden Falle um vier Klöster; * aber die Evangelischen fürchteten nicht mit Un- recht, dass die Katholiken, durch den ersten Erfolg kühn ge- macht, mit immer neuen EJagen, vielleicht auch bezüglich der mittelbaren Kirchen und Stifter hervortreten .würden. Wie, wenn man auf diese Weise die Evangelischen zwang, nicht nur alle eingezogenen Klöster, sondern auch die seit der Ein- ziehung bezogenen Einkünfte herauszugeben? Es wurde be- rechnet, dass dies für die evangelischen Stände den Verlust ,eines grossen Theiles ihrer Erblande, die Zahlung von etlichen Millionen Goldes^ bedeuten würde; ,ohne einen Schwertstreich*, hiess es, ,würden so die Papisten ganze Königreiche erobernd -^

So lange es ging, begnügten sich übrigens auch die Evangelischen mit jenen Mitteln, welche das übliche Rechts- verfahren beim Kammergerichte an die Hand gab. Als aber die gefällten Urtheile zur Revision kamen^und die endgiltige Ent- scheidung, gegen welche dann keine weitere Einwendung mehr zulässig war, bevorstand, als es sich zugleich herausstellte, dass

wegen Verletzang des Friedens zu klagen; da die Beisitzer des Kammer- gerichts sich darüber nicht einigen konnten, wandten sie sich um Ent- scheidung an den Reichstag, welcher sie zuerst anwies, sich unter ein- ander zu einigen (1557), später aber direct zu Gunsten der klagenden Mönche entschied (1666). Londorp m, S. 637, 666 ff.; I, S. 76 und 79.

> Es hatten geklagt: 1. der Carmeliterorden gegen Hirschhorn, 2. der Bischof von Speier gegen Baden und Eberstein (wegen des Klosters Frauenalb), 3. das Maria Magdalenenkloster zu Strassburg gegen die Stadt Strassburg und 4. der Karthäuserorden gegen Oettingen (wegen des Klosters Christgarten); fiber die ,Vierklosterfrage' handelt sehr ausführlich die katholische Streitschrift ,Acta secreta' (Londorp in, S. 478, 480, 491, 636, 666, 669, 674 und öfter).

^ Diese Consequenzen sprach besonders grell Kurpfalz gegenüber Kur- sachsen aus: Wenn man die Katholischen gewähren lasse, würden bald auch die Hohen an die Reihe kommen, und seien sie auch (wie Kur- sachsen) noch so stark versichert; ganz Deutschland werde man wieder katholisch machen wollen u. s. w. Londorp III, S. 437, 463, 683 ff.

334 Tapetx.

bei der Zusammensetzung des Kammergerichtes ein fiir die Evangelischen ungünstiger Ausgang unvermeidlich sei, da ent- schloss man sich zu einem Schritte^ welcher zwar die Bestätigung des angefochtenen Urtheils in der That verhinderte, aber auch zugleich die Aufgebung des Rechtsbodens bedeutete, welcher bisher von Katholiken und Protestanten in gleicher Weise anerkannt worden war. Mehrere evangelische Stände, an ihrer Spitze die Kurfürsten von der Pfalz und von Brandenburg, Hessen nämlich durch ihre Vertreter beim Kammergerichte er- klären, sie würden nur dann an den weiteren Verhandlungen dieses Gerichtes Antheil nehmen, wenn die Klostersachen grund- sätzlich davon ausgeschlossen würden. Die Katholiken antwor- teten: ,Wenn die Klostersachen nicht zur Verhandlung gelangten, könnten sie auch bei den übrigen Processen nicht mitwirken.* Da keiner der beiden Theile nachgab, so hörten die Rechts- sprechungen des Kammergerichtes damit auf, eine vollständige Rechtsstockung trat ein.

Nicht alle evangelischen Stände waren mit dem Ge- schehenen einverstanden. In Kursachsen insbesondere bedauerte man auf das Tiefste einen Schritt, der, wie man richtig voraussah, zu den unheilvoDsten Zerwürfnissen führen musste; schon ehe er geschehen war, hatte man ihm auf das Dringendste wider- rathen: ,Besscr sei es doch, irgend einen, wenn auch unvoll- kommenen Rechtszustand zu besitzen als gar keinen/* In der That, die dauernde Aufrechterhaltung des Friedens im Reiche war nur dann möglich, wenn jede etwa auftauchende Streitigkeit durch den Schiedsspruch eines unparteiischen und allseitig anerkannten Gerichtes beigelegt wui'de ; das Reichskammer- gericht, von den Ständen selbst, und zwar ebensowohl den evan- gelischen wie den katholischen Ständen besetzt, konnte allein noch als ein solches Tribunal gelten. Wenn augenblicklich bei demselben die katholischen Stimmen überwogen, so hätte sich dem vielleicht durch eine Reform des Gerichtes abhelfen lassen ;-

* ,Meliu8 esse, aliquam habere rempublicam quam nullam.* Londoq) III, S. 487 ff., 672 ff.

2 Karsachsen wünschte deshalb, dass in Relif^onssachen immer gleichviel Mitglieder von beiden Religionsparteien beigezogen werden mflssten (pares numero gemacht würden). Kurpfalz und die Calvinisten fanden indess auch diesen Vorschlag ungenügend, und zwar deshalb, weil sie

Der Streit um die geistlichen Oftter und dai Bestitntioneedict (1689). 335

nun aber war dasselbe vollständig lahmgelegt, nun erst war, um die Worte eines neueren Geschichtsschreibers zu gebrauchen^ yÄlles Partei und nirgends ein Richter'.

Zwar die Katholiken verzweifelten noch nicht an der gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche ; wenn das Kammergericht den Dienst versagte, so wandten sie sich von diesem an den Kaiser, als den ,lebendigen Brunnquell alles Rechtes^ . Auch das Kammergericht, sagten sie, spreche ja nur kraft der ihm vom Kaiser übertragenen Vollmacht und in seinem Namen; umsomehr sei also der Kaiser selbst zu entscheiden berechtigt und namentlich dann, wenn eine andere Entschei- dung nicht mehr möglich sei. Der Kaiser trug auch wirklich kein Bedenken, die ihm dargebotene Befugniss anzunehmen; da er aber die verschiedenen Processacten doch nicht wohl selbst durchlesen konnte, so übergab er sie zur Prüfung seinem Reichs- hofrath. Die KathoUken erreichten damit, was sie gewollt hatten: an Stelle der Urtheile des Kammergerichts ergingen nun in gleichem Sinne die Decrete des Reichshofrathes.

Aber die Stände, welche sich den Entscheidungen des Kammergerichts, das doch von den Ständen selbst und mit Angehörigen beider Confessionen besetzt war, nicht unterworfen hatten, waren um so weniger gewült, diejenigen einer Körper- schaft anzuerkennen, deren Mitglieder nur vom Kaiser ernannt und beinahe ausschliesslich Katholiken waren. Sie erklärten daher auf den Reichstagen: wenn die »beschwerlichen Hofpro- cesse' nicht abgeschafft würden , so könnten sie weder die schon bewilligten Türkensteuem erlegen, noch auch neue bewilligen.' Da aber die Katholiken auf dem Reichstage, namentlich im

die Erfahrung gemacht hatten, dass in den Rechtshändeln der Calvinisten häufig auch lutherische Assessoren für die katholische Auslegung ge- stimmt hatten. Uehrigens hätte der kursächsische Vorschlag auch im Falle des Zusammenhaltens der evangelischen Beisitzer nichts bewirkt, als dass die betreffenden Streitpunkte unentschieden blieben, womit höchstens Zeit gewonnen war. 1 Der Widerstand gegen die Rechtssprechungen des Reichshofraths begann erst mit der Einmischung desselben in die religiösen Streitfragen; seit 1590 aber ist auf allen Reichstagen davon die Rede. Kursachsen suchte auch hier zu vermitteln, indem es den Reichshofrath zwar anerkannte, aber eine Reform desselben analog der des Kammergerichtes vorschlug. Londorp I, S. 6, 69, 194; IH, S. 466, 589 und öfter.

336 Tapetz.

FUrBtenrathe, die Mehrheit hatten und die Steuern somit auch allein^ ohne Zustimmung der Evangelischen, bewilligen, ja wohl gar auch die religiöse Frage selbst im katholischen Sinne ent- scheiden konnten, so verband sich hiemit die Erklärung, in Religions- und Steuersachen keine Beschlüsse der Mehrheit mehr anerkennen zu wollen. Durch diese Erklärung wurden, da auch die Katholiken hartnäckig auf ihrem Rechte bestanden, die Reichstage ebenso gesprengt, wie vorher das Eammergericht gesprengt worden war; von den Formen, in denen die Einheit des Reiches sich darstellte, ging eine nach der andern zu Grunde, unaufhaltsam trieb das Reich selbst, wie ein vom Wirbel erfasster Nachen, dem Abgrunde zu.

Die Calvinisten und ihre Freunde liessen es darauf an kommen. Manchmal mochte sie wohl ein banges GefUhl be- schleichen, wenn sie bedachten, dass das Haus, an dessen Pfosten sie rüttelten, ja auch ihr Haus sei, dass unter seinen Trümmern auch sie begraben werden könnten ; dann aber trösteten sie sich damit, dass die Katastrophe ohnehin unab- wendbar sei. In seiner gegenwärtigen Gestalt, meinten sie, könne das Reich doch nicht fortbestehen, es sei unbedingt nothwendig, dass man dasselbe in ,ein neues Modell giesse'J Die Grundzüge der neuen Verfassung, welche sie dem Reiche geben wollten, standen ihnen bereits klar vor Augen : ein neuer ReUgionsfriede sollte abgeschlossen, ,durchgängige Gleichheit^ der im Reiche vertretenen Confessionen bei Reichstag, Kammergericht, Reichshofrath u. s. w. eingeführt werden; so werde dann jede Unterdrückiing der einen Religionsgesellschaft durch die andere unmöglich sein. Die geistlichen Güter, welche die Evangelischen nun einmal, ob mit Recht oder Unrecht, inne hätten, sollten sie behalten; den Katholiken aber wollte man versprechen, dass in Zukunft gewiss keine solche Besitznahme geistliehen Gutes stattfinden werde.

^ ,EsBe jam in fatis, imperium Romanum mere et interire, ac proptere« intempestivum, inanem et ridiculum esse eorum laborem, qui labantem imperii statum suffalcire conentur*, sa^^ nach dem ,Neuen calvinischen Modell' ein calvinischer Rath. Londorp III, S. 699, auch 686. Charak- teristisch sind auch die von Wilhelm von Sachsen entworfenen Statuten für einen ^Deutschen Friedensbund* mit allgemeiner Duldung u. s. w. (Opel, Niedersächsischer Krieg I, S. 395).

I>«r Strtit um di« g«ittUchen OAter nnd das Bestitationsediet (16M). 337

Man nannte damit wirklich die Formel, in welcher nach drei Jahrzehnten mörderischen Kampfes die Lösung des Zwistes und die Grundlage eines dauernden Friedens zwischen den lutherischen und calvinischen Reichsständen einerseits und den katholischen andererseits gefunden werden sollte ;i aber die Zeit war fär einen solchen Frieden noch nicht reif. Konnte man den Katholiken zumuthen, dass sie aus blosser Frie- densliebe ihre anscheinend wohlberechtigten Hoffnungen auf Wiedergewinnung der geistlichen Güter für immer und ohne Entschädigung aufgeben und dass sie noch überdies auf jene Vorzugsstellung verzichten sollten, welche sie bisher im Reichs- regimente inne gehabt, eine Vorzugsstellung, in welcher sie nicht mit Unrecht ihren besten Schutz gegen das Vordringen der neuen Lehre erblickten ?2 Wenn die Calvinisten versprachen, dass in diesem Falle wenigstens der Rest des katholischen Besitzes nicht weiter würde angefochten werden, so war diese Zusage nicht nur an sich ein geringes Entgelt für jenes doppelte Opfer, sondern sie musste den Katholiken auch noch in anderer Hinsicht bedenklich erscheinen. Wer bürgte dafür, wenn auch von katholischer Seite alle Forderungen der Gegner bewilligt wurden, dass der neue Religionsfriede besser würde gehalten werden als der alte? Ja, würden nicht vielmehr die Gegner in der Nachgiebigkeit der Katholiken ein Zeichen ihrer Schwäche sehen und diese dann umsomehr auszubeuten versuchen?

Auch die Calvinisten verhehlten sich nicht, dass auf eine gutwillige Nachgiebigkeit der katholischen Reichsstände nicht zu rechnen sei, aber sie hofften, durch Einschüchterung zum Ziele zu gelangen. Schon im Jahre 1600 hatte ein calvinischer

> Im westph&liachen Frieden 1648 erhielten die Calvinisten, was sie immer erstrebt hatten, rechtliche Anerkennung und den Besitz der eingezogenen Kirchengflter; man konnte daher den Frieden von 1556 als den lutheri- schen, den westphälischen Frieden als den calvinischen Religionsfrieden bezeichnen.

' Dass das Vorgehen der Katholiken bis zum Beginn des Krieges eigentlich nur Nothwehr war, wurde sp&ter auch von evangelischer Seite anerkannt: ,der Zweck, den die Katholiken vor dem Kriege gesucht^ heisst es in einem ,Unvorgreif liehen Entwurf für den Leipziger Convent, ,sei ge- wesen, dass des Einziehens der KlOster nur einmal ein Ende werden und die noch übrigen Geistlichen sich des Ihrigen versichern mochten* (Dr. A. Rest. IX, 528).

338 Tu petz.

Fürst seinen Parteigenossen den Rath gegeben, sie möchten, ehe sie den ,Pfaffen^ die Klöster und das viele Geld, das sie verlangten , zurückgäben, lieber eben dieses Geld nehmen, dafUr Soldaten werben und Jenen zeigen, ,was Krieg sei*; ,dann', meinte er, ,würden sie wohl still sitzend ^ Dieser Rath wurde be- folgt, es entstand, allerdings erst nach langen Vorverhandlungen, die Union. Aber auch die fUr unkriegerisch gehaltenen Bischöfe rafften sich, von der Noth gedrängt, auf und dachten an be- waffnete Abwehr des bewaffneten Angriffes; in Maximilian von Bayern erhielten sie ein Haupt, dessen Einsicht und Thatkraft ersetzte, was den Bischöfen an diesen Eigenschaften fehlen mochte: der Union" trat die Liga gegenüber.

Noch brauchten indess die Unirten ihre Hoffnung auf einen raschen und selbst unblutigen Erfolg nicht völlig aufzu- geben; denn gerade damals befand sich der Kaiser und mit ihm das habsburgische Haus in der bedrängtesten Lage. Zudem bestand zwischen Kaiser und Liga keineswegs jene Eintracht, welche gegenüber der gemeinsamen Bedrohung nothwendig gewesen wäre.^ Im Vertrauen hierauf und im Bewusstsein der eigenen Macht verlangten die Unirten alles Ernstes vom Kaiser, dass er sogar gegen den Willen der übrigen katholischen Stände und gewissermassen über deren Köpfe hinweg ihre Forderungen bewillige. ,Wenn die katholische Partei sich nicht zur Com- position bequemen, sondern die Sache ad extrema treiben wolle, so möge man durch kaiserliche Autorität dazwischen treten,* sagten sie.^ So weit ging allerdings der Kaiser, damals Mathias,

1 jSonsten halten Tvir dafür, wann mit den evangelischen Ständen also umbgangen werden wollte, dass sie alle Stift, ClOster and Gefälle sammt nffgehabener Nutzung wieder erstatten sollten, es würde noch mancher, ehe er es darzu kommen Hesse, solch Geld nehmen und sich damit mit Helfershelfern, so gut er könnte, auch umb seine Haut wehren,^ schreibt Johann von Pfalz-Zweibrücken am 17. September 1600 an Karpfalz. Lon- dorp m, 8. 454 ff.

2 Bekanntlich hat der Kaiser die Liga anfangs ebenso wie die Union als eine verbotene Vereinigung behandelt und später wenigstens dem Herzoge von Bayern die Leitung dieses Kriegsbundes zu entwinden gesucht.

3 In gleichem Sinne hatten sie schon 1576, als sie die Aufnahme der Ferdinandeischen Declaration in den Religionsfrieden begehrten, gesagt: es sei nicht noth, ,uff des einen oder des andern Theils Bewilligung zu sehen oder zu warten*, der Kaiser habe ,voIlkommene Macht und

Der Streit am die geistlichen Gflter and das Restitationsedict (1689). 339

doch nicht; aber die Berufung eines Compositionstages, auf welchem die beiderseitigen Beschwerden unter Mitwirkung des Kaisers erörtert und ,zu gütlicher Vergleichung' gebracht werden sollten^ hatte er wirklich zugesagt. Sanguinische Gemtlther mochten immer noch hoffen , dass auf diesem Tage der von den Calvinisten gewünschte ,neue Beligionsfriede' zu Stande kommen werde.

Doch der Compositionstag ist niemals zusammengetreten; was hätte er auch nützen können^ da der Kaiser weder die Macht, noch den Willen hatte, die iCatholiken zur Nachgiebigkeit zu zwingen, die beiden streitenden Theile aber, Calvinisten and Katholiken, jeder den andern im Verdachte hatten, seine Friedensbetheuerungen seien erheuchelt und in Wirklichkeit die völlige Ausrottung der gegnerischen Lehre das Ziel, dem der andere zusteuere. Während man noch unterhandelte, brach denn auch schon in Böhmen, zunächst hervorgerufen durch die Spannung zwischen dem Kaiser und den evangelischen Ständen des Landes, jener Krieg aus, von welchem Kursachsen richtig prophezeit hatte, dass er wie ,ein unauslöschliches Feuer* um sich greifen und endlich ,ruinam imperii^ herbeifllhren werde.* Nicht mehr blos um das Schicksal einiger Klöster handelte es »ich nun, sondern um Königreiche und Kurfürstenthtimer.

Man weiss, wie glücklich derselbe anfangs für die Unirten sich anliess, in welche Bedrängniss Ferdinand von Oesterreich, das Haupt der Katholiken durch denselben gerieth. ,Wir haben die Macht in Händen^, schrieb um diese Zeit jubelnd ein Mitglied der Union, ,da8 Unterste zu oberst zu kehren'. Der

Gewalt Ihr kays. Majestät zu interponieren und was zu Fortsetzung gemeiner Wohlfahrt und Abschaffung alles schädlichen Mistrawens und Unheils im römischen Reiche ersprieslich sein mag ... zu yerordnenS Die im Texte citirte Stelle aus dem Schreiben der Unirten an den Kaiser vom 17. April 1617 (Londorp. I, S. 359). * Diese Prophezeiung steht in einem Schreiben Kursachsens an Pfalzgraf Augast, welcher, von seinem katholisch gewordenen Bruder Wolfgang Wilhelm bedrängt, einen Krieg erregen wollte, um diesen zu stürzen (Dr. A. 8093/261, 5. Juli 1617); wie wahr klingt es, wenn Kursachsen schon damals ankündigt, dass man in einem solchen Kriege ,anders nichts als von beiden Theilen gänzliche Vertilgung und Ausrottung einer und der andern Religion mit grossem Eifer und Gewalt suchen werde*.

340 Tnpetz.

Pfalzgraf, nach dem Tode des Kaisers Mathias zugleich Reichs- yicar, schaltete im Reiche fast wie der Kaiser selbst; Urtheile in Religionssachen, die unter dem verstorbenen Kaiser in katholischem Sinne erflossen waren, wurden umgestossen, neue im Sinne der Evangelischen erlassen.* Schon war durch die Wahl des Pfalzgrafen zum böhmischen König der Aufstand in Böhmen mit den Bestrebungen der Unierten verbündet; wenn jetzt auch das übrige evangelische Deutschland mit dem siegreich vordringenden Pfalzgrafen gemeinsame Sache machte, wenn insbesondere Kursachsen fUr denselben Partei nahm, dann konnte leicht die Vernichtung des Katholicismus in Deutschland das Ergebniss des Kampfes sein.

In Norddeutschland, besonders in Niedersachsen zeigte man wirklich nicht übel Lust, den Kampf der Böhmen zn unterstützen. Auch hier hatten die evangelischen Stände zahl- reiche Bisthümer, Erzbisthümer und andere geistliche Güter in Händen; niemals hatten sie vom Kaiser fUr dieselben eine unumwundene Anerkennung des Besitzrechtes, niemals Sitz und Stimme bei den Reichstagen, niemals Belehnung mit den Re- galien erlangen können. Wohl mochten die Katholiken im Ge- spräche versichern, dass sie trotzdem nicht daran dächten, die treu bleibenden Stände wegen dieses Besitzes irgendwie zu beunruhigen; jetzt, da die Stände, indem sie neutral blieben oder Partei ergriffen, möglicher Weise über Sieg oder Nieder- lage entschieden, glaubten sie mehr verlangen zu können: ,wol]ten die Katholischen jene Rechtsansprüche, welche sie aus dem geistlichen Vorbehalt und anderen Paragraphen des Re- ligionsfriedens herleiteten, wirklich nicht im Ernste geltend machen, so sollten sie ausdrücklich darauf verzichtend^

' Dasselbe war auch schon wenig^e Jahre zuvor nach dem Ableben Ru- dolf n. g^chehen, wo Kurpfalz sogar einen neuen Präsidenten des Kammergerichtes einzusetzen suchte. Merkwürdig ist auch, dass in dieser Zeit der alte Anspruch des Pfalzgrafen, über den Kaiser Gericht zu halten, wieder hervorgesucht und zu einer Art Oberaufsichtsrecht über die ganze kaiserliche Regierung gesteigert wurde.

2 Man stellte den Katholischen vor, dass es ihnen doch nicht ,thanlicb sei, solche Stifter, dabei so viele hohe Potentaten, Kur- und Fürsten interessirt, wieder an sich zu bringen', und wie viel sie dagegen ge- winnen würden, wenn man die Evangelischen derselben ,ver8icb6re*. Aretin, Bayerns ausw. Verh., Urkunden zum 3. und 4. Abschnitt, Nr. 9.

Der Streit um die geistlichen Oftter und du RestitntioDsediet (1689). 341

Die Katholiken erkannten die Grösse der Gefahr; in Würzburg beriethen sie, wie viel man etwa zugestehen könne. Es ist bemerkenswerth, dass man im äussersten Falle bereit war, sogar das Recht der gerichtlichen Klage aufzugeben; allerdings sollte dieses Zugeständniss nur auf eine bestimmte 2^hl von Jahren gelten , dann sollte dieses Recht wieder auf- leben. Aber auch in dieser Beschränkung kam das Zugeständ- niss immer noch einer förmlichen und feierlichen Abtretung der streitigen Güter, zumal, wenn die Zahl der Jahre etwas höher normirt wurde, wenigstens nahe.*

Aber die Katholiken sollten leichteren Kaufes davon- kommen, als sie selbst gedacht haben mochten. Als sich in Mühlhausen die Kurfürsten versammelten und über diese Frage beriethen, forderte zwar der Kurfürst von Sachsen im Anfange jAlles auf einmal', ebensowohl den Verzicht auf die gericht- lichen Klagen, als auch die Zulassung der Inhaber geistlicher Güter zu Sitz und Stimme bei den Reichstagen. Aber dieses Feuer war nur Strohfeuer; als die katholischen Kurfürsten ebenso entschieden widersprachen, begnügte sich Kursachsen mit der dürftigen Zusicherung, dass man die lutherischen In- haber der reichsunmittelbaren Stifter, vorausgesetzt, dass sie dem Kaiser gehorsam blieben , nicht gewaltsam aus den- selben verdrängen wolle; wenn sie vom Kaiser Schutzbriefe erlangten, fügte man hinzu, so wolle man dem nicht wider- sprechen. Diese Erklärung wurde von den Kurfürsten Johann Schweikhard von Mainz und Ferdinand von Köln und den Gesandten des Herzogs Maximilian von Bayern im eigenen Namen und im Namen ihrer katholischen Mitstände abgegeben (20. März 1620). 2

So geringfügig das Zugeständniss war, so erreichte es doch seinen Zweck: die Mehrzahl der evangelischen Stände, darunter selbst die meisten Mitglieder der Union, verhielt sich dem Kampfe der Böhmen gegenüber theilnahmslos, ja Kur- sachsen, durch die Verpfändung der Lausitz gewonnen, kämpfte sogar für Ferdinand II. und gegen das pfUlzisch-calvinistische Konigthum in Böhmen.

» Aratin, a. a. O. Nr. 16.

' tiindely, Gesch. des dreissigjährigen Kriegres III, S. 446 ff. Sitaungtber. d. phil.-hiät. Gl. CIL Bd. II. Hft. 23

342 Tnpeti.

Nun änderte sich rasch die Lage der Dinge. Durch den Sieg auf dem Weissen Berge wurde die Rebellion in Böhmen niedergeworfen, und sofort begann man die Gegenreformation hier und in den österreichischen Erblanden überhaupt mit wachsender Strenge durchzuführen. Selbst in Schlesien ver- mochte der Kurfürst von Sachsen die Aufrechterhaltung jener Versprechen, die er bei der Eroberung des Landes den Unter- thanen in Bezug auf den Glauben gemacht hatte, nicht auf die Dauer durchzusetzen.^ Der KurfUrst von der Pfalz aber, das Haupt der ,Rebellion', wurde geächtet, sein Land theils von dem Herzoge von Bayern, theils von den Spaniern besetzt; nicht blos die von den Pfalzgrafen früher eingezogenen katholischen Klöster, das Land selbst, von dem so viele Angriffe auf den katholischen Besitz ausgegangen, befand sich in den Händen der Sieger. Schon sah man im Geiste in Wirklichkeit freilich sollte es erst einige Jahre später geschehen wie in die Gotteshäuser, welche noch vor Kurzem von den heftigen An- griffen calvinischer Prädicanten gegen den Katholicismus wider- hallten, katholische Priester und Mönche einzogen. Auch gegen die Anhänger des ,Winterkönigs^ namentlich gegen den reichs- unmittelbaren Adel, welcher im Heere des Mansfelders oder des Markgrafen von Baden gedient hatte, wurden Aechtiingen und Confiscationen verhängt; häufig war mit dem Besitzwechsel

^ Selbst Karsachsen wurde darüber ein wenig irre; bezeichnend ist diiftir unter Anderem der Brief des kursächsischen Hofpredigers Ho^- an Liechten- stein (Londorp in, S. 128) worin derselbe sagt: ,Was ich die ganze Zeit Über hie zu Land und andern im Reich mit grosser Mühe bauen helfen, dass man so viel unsere Religion betrifft, ein gut Vertrauen zu Ihrer Majestät haben sollen, das ist jetzt alles auf einmal wieder eingerissen und in Hauffen geworffen/ Man vergleiche auch das Schreiben de« sächsischen Agenten Zeidler (8. Sept 1623; Tadra in Fontes renim Austr. n, 41), in welchem es unter Anderem heisst: ,yox populi wird hier Überall gehört, dass wann Gott das Rad also fortlaufen Hesse, wie et die Jesuiter itzo antreiben, so würde die Reue auch an Sachsen kommen. . . . Der Nuntius apostolicus und Jesuiter sein absoluti directores om- nium istarum actionum, die rathen ohne einiges ferneres Nachdenken dem frommen, sonsten hochverständigem Kaiser ins Herz hinein, er solle keine Stunde versäumen, mit der Reformation der Religion das äusseriste in seinen Königreichen und Landen vorzunehmen. Im Reich, wann es itzo die Gelegenheit nicht gebe, möge Ihre MajestSt pro tempore etwas durch die Finger sehn*.

Der Streit um die geistlichen Güter und das Restitntionsedict (1629). 343

die Gegenreformation der Unterthanen , die Restitution der Kirchen und Convente in Verbindung.

Bangen Herzens verfolgten die Evangelischen, welche am Kampfe nicht theilgenommen hatten, diesen Gang der Ereignisse. Wohl trafen jene Unglücksfälle zunächst nur die ,Rebellen% den treugebliebenen Ständen war ausdrücklich Schutz und Sicherheit nicht blos fUr ihre Erblande^ sondern auch für die eingezogenen Erzstifter und Stifter zugesagt worden; würden aber die Katho- liken jenes Versprechen, das sie im Augenblicke der höchsten Noth gegeben, jetzt, wo sie im Glücke waren, noch aner- kennen? Würde das Bewusstsein der Macht, welche sie be- sassen, nicht bei ihnen das Gelüste erregen, dieselbe auch zu gebrauchen? Aber auch wenn die Katholiken wiederholt er- klärten, das Mühlhausner Versprechen halten zu wollen, so war damit nicht viel gewonnen; nur gegen Gewalt hatte man die evangelischen Stände sichergestellt, die gerichtliche Klage hatte man sich, wenn nicht ausdrücklich, so doch stillschweigend vorbehalten. Gerade das» der Kurfürst von Sachsen den for- mellen Verzicht auf diese Klagen verlangt, die Katholiken aber denselben verweigert hatten, mochte erkennen lassen, wohin der Sinn der letzteren eigentlich gerichtet war. Und war es Gewalt, wenn die Katholiken bei jeder Erledigung einer Dom- hermstelle einen katholischen Nachfolger auf dieselbe zu bringen suchten, wenn sie so nach und nach die Mehrheit der Dom- capitel in vielen waren ohnehin noch beide Confessionen vertreten katholisch machten, wenn sie dann mit Hilfe dieser katholischen Mehrheit auch katholische Bischofswahlen durchsetzten * und die so gewählten Bischöfe endlich bevoll- mächtigten, im ganzen Stift den Katholicismus wiederherzu- stellen?^ Und waren nicht dennoch in diesem Falle die Bis-

1 Das8 die Katholischen diesen Weg wirklich einzaschlagen geneigt waren, bewiesen z. B. die Urtheile des Kaisers zu Gunsten der katholischen Domherren in Halberstadt (Opel, Niedersächsischer Krieg I, S. 217).

' Diese Eventualität war es, gegen die man sich an den evangelischen Hochstiftem durch den sogenannten Religionseid, der von den nenge- wählten Bischöfen geleistet werden sollte, zu sichern suchte; doch wurden diese Eide von den Katholiken nicht als rechtmässig anerkannt, obwohl die katholischen Bischöfe einen ganz ähnlichen Eid zu Qunsten des Katholicismus zu leisten hatten.

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thümer^ welche den Häusern Holstein^ Brandenburg , Braun- schweig u. s. w. eine so erwünschte, zum Theile schon durch mehrere Generationen sich fortsetzende Vergrösserung ihres Besitzes gewährten, für dieselben unwiederbringlich verloren? Auch das musste beunruhigen, dass sich das Mühlhausner Versprechen nach der Auslegung der Katholischen nur auf die Lutheraner, nicht aber auf die Calvinisten bezog. Wer sollte entscheiden, ob ein Stand als lutherisch oder als cal- vinisch zu betrachten sei? Wie wenn es z. B. den Katholiken einfiel, den Kurfürsten von Brandenburg oder den Landgrafen Moriz von Hessen, die ja wirklich sum Calvinismus hinneigten, von der Wirksamkeit des Friedens auszuschliessen ?

So kam es denn, dass ein grosser Theil der evangelischen Stände es frühzeitig zu bereuen anfing, dass sie den Kurfürsten von der Pfalz im entscheidenden Augenblicke nicht unterstützt hatten. So lange die Union den Kaiser und die Katholiken in deren eigenem Lande in Schach gehalten hatte , war der Norden Deutschlands im Besitze seiner geistlichen Qüter unbehelligt geblieben; nun, da die Union gesprengt war, trat die Gefahr auch an ihn heran.

Und es waren gar nicht einmal blos Vermuthungen, durch welche die evangelischen Stände sich geängstigt sahen. Als am L Februar 1621, wenige Monate nach der Schlacht auf dem Weissen Berge, kaum ein Jahr nach den Mühlhausner Versprechungen, der Kaiser den Beistand der Liga zur Fort- setzung des Krieges verlangte, bezeichnete er ausdrücklich als Ziel desselben, ,dass zu seiner Zeit die vorhandenen gravamina zu Gottes Lob und mehrerer Versicherung der wider den Re- ligionsfrieden Bedrängten . . . remedirt werden möchten*. Ueber den Sinn dieser Zusage kann kein Zweifel obwalten : das ,vor- nehmste Gravamen' der geistlichen Fürsten war ja immer die Nichtbeachtung des geistlichen Vorbehaltes und die Einziehung der Kirchengüter gewesen; wenn aber hierin Abhilfe in Aus sieht gestellt wurde, so konnte sie nur auf Kosten der £van- gelischen geschehen.^ Bezeichnend ist, dass unmittelbar darauf

< Am 26. Febrnar 1621 fassten die katholischen St&nde za Angsboig unter Zustimmung- Maximilians von Bayern den Beschlnss, dass der Kaiser nicht blos ohne Zustimmung der Bundesstfinde keinen Frieden schliessen, sondern auch nicht über die , Gravamina und das Justiswesen'

Der Streit nm die geistlichen Otter und du Beetitntionsedict (1629). 345

(im Mai 1621) die niedersächsischen Stände den Kaiser um eine nochmalige ,versicherliche Resohition' wegen ihrer Stifter baten, und dass diese Bitte vergeblich blieb. Als dann einer der bedrohten Fürsten, Christian der Jüngere von Braunschweig, evangelischer Bischof von Halberstadt, vorzeitig losschlug, mehrte dies nur die Gefahr. Den Katholischen war damit eine wiUkommene Veranlassung gegeben, sich zunächst des Bisthums Halberstadt zu bemächtigen, und standen sie einmal da, so Hess sich kaum sagen, wo der ins Rollen gekommene Stein Halt machen würde. Hörte man doch auf dem Reichstage von Regensburg (1623) die katholischen Officiere ungescheut sagen, dass sie demnächst sämmtliche vormals geistlichen Güter im ober- und niedersächsischen Kreise zurückzuerobern hofften; vernahm man doch von nicht unglaubwürdiger Seite, dass die geistlichen Fürsten die Waffen nicht eher niederlegen würden, als bis dieses Ziel erreicht sei.*

So gefährlich indess die Lage sich anliess, noch blieb den Evangelischen die Hoffnung, dass der Kaiser jene Pläne nicht billige. Auch war wirklich die Haltung des Kaisers um Vieles gemässigter als die seiner Verbündeten und seiner über- eifrigen Diener. Kein Wunder! Der Kaiser wusste, dass der König von Dänemark, um seinem Hause die schönen nord- deutschen Stifter zu gewinnen, sich in die deutschen Wirren einzumischen siiche, und es musste ihm Alles daran liegen, den Anschluss des niedersächsischen Kreises an diesen auswärtigen Potentaten zu verhindern. Er antwortete daher den wiederholten Bitten der niedersächsischen Stände um ,mehrere Versicherung^ ihrer Stifter mit fast ebenso häufigen Betheuerungen seines kaiserlichen Wohlwollens; den Religionsfrieden versprach er

entscheiden -dürfe. Dieser Beschluss ist gleichsam der Commentar zu dem oben angeführten kaiserlichen Versprechen» und um so beachtens- werther, als der Kaiser, damals noch ohne eigenes Heer, ziemlich thun musste, wie die Ligisten ihm vorschrieben. (Aretin, Bayerns ausw. Verh., Urkunden zum 3. und 4. Abschnitt, Nr. 20 und 23). * Es sagte dies der französische Gesandte Marescot, welcher allerdings damit die evangelischen Stände aufhetzen wollte, aber andererseits doch auch sehr gut in der Lage war, die Gesinnung der geistlichen Fürsten zu kennen. (Opel, Niedersächsischer Krieg II, 8. 64, nach Kheven- hüller X, S. 436.) Ueber den Regensburger Reichstag Gindely, Gesch. des dreissigjährigen Krieges IV, S, 512,

346 Tapet«.

aufrecht zu erhalten, die in Mühlhausen gegebene Zusage getreu- lich zu erfüllen, wenn nur die niedersächsischen Stände auch ihrerseits im Grehorsam verharrten.^ Aber obgleich diese Zusagen schon über das hinausgingen, was die Fürsten der Liga flir zweckmässig hielten, so konnten sie den Evangelischen doch keineswegs genügen, weil sie eben nur für den Augenblick, nicht aber für die Zukunft Sicherheit versprachen. Auf dem Kreistage zu Braunschweig, als sich die Dinge unter dem Ein- flüsse Dänemarks immer offener zu einem Bruche zuspitzten, kam es zu den letzten Unterhandlungen mit den Bevollmäch- tigten des Kaisers. Die Forderungen der Evangelischen waren noch immer, wenigstens so weit es die Frage der geistlichen Güter betraf, massig : den Religionsfrieden wollten sie ,in seinen Würden^ bestehen lassen; nur sollte zugleich auch der that- sächliche Besitzstand, wie er sich im niedersächsischen Kreise trotz Religionsfrieden und Vorbehalt herausgebildet hatte, vom Kaiser anerkannt werden. Also eben jenen ausdrücklichen Verzicht auf die eingezogenen Güter, den das Mühlhausner Versprechen zu enthalten schien, aber in Wirklichkeit nicht enthielt, suchten sie zu erlangen. Die katholischen Unterhändler ihrerseits Hessen es auch diesmal an beschwichtigenden Worten nicht fehlen; sie wiesen auf die kaiserlichen Versprechungen hin und wiederholten dieselben: der Kaiser, behaupteten sie, habe zu Misstrauen keinen Anlass gegeben. Aber dieselben Commissäre setzten hinzu: In Bezug auf die Rechtsprechung müsse der Kaiser ,freie und ungesperrte Hand^ behalten. Gerade das also, was die Stände fUrchteten, die Fortdauer der ver- hassten Hofprocesse, wurde in sichere Aussicht gestellt. Auch neue Vorstellungen der Stände hatten keinen besseren Erfolg. Der General der Liga Hess erklären : er habe bisher die Reli- gionsübung der Evangelischen nicht angetastet, * er werde es auch ferner nicht thun; aber an des Kaisers Gerichtsbarkeit

> Opel, Niedersächsischer Krieg II, S. 240, hält die Mässigung und das Ent- gegenkommen des Kaisers ftir grösser, als sie wirklich waren, weil er über- sieht, dass das Versprechen, den Keligionsfrieden beobachten zn wollen, für die Evangelischen so viel wie nichts bedeutete; wurde doch später eben auf diesen Religionsfrieden das Rostitutionsedict gegründet. Be- merkenswerth ist allerdings, dass selbst so unbedeutende Zusagen von den Ligisten getadelt wurden (ebenda S. 277).

Der Streit am die geistlichen Gflter und das Reetitntionsedict (1629). 347

dürfe man nicht mäkeln, ,an Krone und Thron^ Scepter und Schwert, welche dem Kaiser von Gott verliehen seien, dürfe man nicht rührend ^

So war also nochmals das Hauptanliegen der evangelischen Stände^ yxxm dessen Richtigmachung% wie die Stände selbst sagten, ,sie von Anfang bis zu Ende instanter, instantius, in- stantissime an allen Enden und Orten, da es nur sein können, gebeten, geflehet, erinnert und angesucht', mit ,runden dürren' Worten abgewiesen worden. Die niedersächsischen Stände sprachen, indem sie den Abbruch der Unterhandlungen ihren Vasallen anzeigten, als ihre Ueberzeugung aus, dass der Gegner willens sei, den längst gehegten Plan der völligen Ausrottung der evangelischen Lehre nunmehr ins Werk zu setzen; die Katholiken aber jubelten über die Verblendung der Feinde, welche selbst noch einmal an das Loos der WaflFen appellirt hätten: ,Was die Katholiken, gehindert durch das Mühlhausner Versprechen, im friedlichen Wege, vielleicht nicht hätten er- reichen können,' sagte man, ,das würden sie nun durch das Schwert gewinnen; bald werde der Feind seine Ohnmacht erfahren haben, und dann werde er sich mit dem begnügen müssen, was man ihm würde lassen wollen; lassen aber werde man ihm nur, was dem Kaiser, dem KurfUrsten von Bayern und der katholischen Lehre wohl anstehe.' ^

Und es wurde so, wie die Katholiken es gehofft hatten. Die kaiserlichen und ligistischen Heere erfochten Sieg auf Sieg, unwiderstehlich drangen sie vorwärts, erst die Wogen der Nord- und Ostsee vermochten ihren Siegeslauf zu hemmen ; unumschränkt, wie nie zuvor, gebot der Wille des Kaisers über Deutschland. Wie sehr schienen nun jene Recht zu behalten,

> Es ist selbstverständlich, dass auch die Ligisten nur dann in so hohen Worten von des Kaisers Autorität sprachen, wenn sie dieselbe für sich und gegen ihre Feinde anrufen konnten ; anders Opel, Niedersächsischer Krieg II, S. 393. Die Worte Tilly's lauteten eigentlich: ,Von der kaiser- licher Majestät von Gott verliehenen Krön und Thron, Scepter und Schwert, das ist dero höchste Jurisdiction, Regalien und andere maje- stätische Gerechtigkeiten heisst es bei dem General: Noli me tangere!' Die zahlreichen Wechselschriften bei Londorp III, S. 849 ff.; Kheven- hüUer X, S. 826 ff.

2 Graf von Ossuna, spanischer Gesandter in Wien, an Marradas (22. Jan. 1626). Aretin, Bayerns ausw. Verh., Urk. z. 3. und 4. Abschnitt, Nr. 29.

348 Tapetz.

die gleich im Anfange gerathen hatten, Alles zu wagen, um Alles zu gewinnen! Damals hatte man sie spöttisch zur Seite geschoben, sie als Hitzköpfe behandelt, die von praktischer Politik nichts verstünden:' würde man auch jetzt noch ihren Bathschlägen das Gehör verweigern? Würde auch jetzt noch von unzeitiger Mässigung und Rücksichtnahme die Rede sein? Thorheit sei es, meinten diese Eiferer, auch fernerhin noch jenen Religionsfrieden zu beobachten, den die Evangelischen selbst so hundertfältig gebrochen hätten! Und selbst davon abgesehen, wie könnten die Protestanten noch auf die Wohlthat eines Friedens Anspruch machen, der ausdrücklich nur von den Anhängern der Augsburger Confession spreche? Seien sie nicht insgesammt von den Lehren dieser Confession abgefallen und Calvinisten, Schwenkfeldianer, Antitrinitarier, Wiedertäufer und Utiquitarier geworden? Behaupteten sie nicht Alle, dass der Papst der Antichrist sei, verwarfen sie nicht sämmtUch die Siebenzahl der Sacramente und die heilige Messe und sei von alledem etwas in der Augsburger Confession enthalten ? ^ So mächtig war diese Strömung, dass selbst die gemässigtesten ihr nicht mehr ganz zu widerstehen vermochten. In unglaublichem Masse vervielfältigten sich die Klagen der Bischöfe und Ordensleute über Benachtheiligung durch die Evangelischen, und mit einer

* Natürlich wurden nun umgekehrt die Bedenken der Gemässi^n als ,politica figmenta, deren die Vorsehung Gottes gespottet habe*, hinge- stellt. Caraffa, Germ. Rest. S. 159.

3 Diese Behauptungen finden sich besonders in dem sogenannten ,DilIin- gischen Buch^ das den Evangelischen in den folgenden Jahren zu un- ausgesetzten Klagen Anlass gab und im Wesentlichen diejenigen Ansichten vertrat, welche am bischöflichen Hofe in Augsburg herrschten. Ganz ähnlich spricht sich aber auch der apostolische Nuntius Caraffa ans (Germ. Sacra p. 25 und 46). Kursachsen wollte derartigen Aenssemngen lange keine Bedeutung beilegen: ,Die Jesuiten schreien freilich gegen den Religionsfrieden,* heisst es in dem sogenannten Einfältigen Bedenken (Londorp III, S. 891), ,aber das ist ein alter Brauch; haben^s nun über fünfzig Jahre getrieben, gleichwohl aber die Rincken an den Lutherischen Kirchenthüren meister Orten lassen müssen; auch bei den Katholischen finden sich einsichtsvolle Räthe, die einsehen, es sei ein Anderes, in. Schulen und Schriften zum Religionskrieg' zu blasen, und ein Anderes, im Feld mit der Faust das Geschriebene ins Werk zu setzen.' Aber diese optimistische Ansicht wurde durch die Thatsachen vollständig widerlegt.

Der Streit am die geistlichen OQter und das Bestitutionsedict (1699). 349

früher ungewohnten Raschheit wurden dieselben von Reichs- bofsrath und Kammergericht natürlich immer oder doch in den meisten Fällen zu Gunsten der katholischen Kläger erledigt. Namentlich die schwächeren Stände des Reiches^ die kleinen, hilflosen Reichsstädte, wie Kauf beuern, Bopfingen, Aalen^ die verschiedenen Grafen und Herren des fränkischen imd schwäbischen Kreises wurden rücksichtslos und mitunter selbst auf nicht ganz stichhaltige Rechtsgründe hin zur Herausgabe ihres Klostergutes, ja sogar zur Gegenreformation gezwungen, wobei eine starke militärische Einquartierung jeden Widerstand im Keime erstickte.^ Hand in Hand damit gingen die grossen Erfolge des Katholicismus in den österreichischen Erblanden und in der Kurpfalz , wo man erst jetzt die Früchte der früheren Siege in vollem Umfange zu pflücken wagte. Aber den Eifrigsten genügte dies Alles nicht; es schien ihnen die Zeit gekommen, wo sämmtliche evangelischen Stände, auch die mächtigsten und angesehensten, zur Räumung ihres geist- lichen Besitzes genöthigt werden könnten; unzufrieden mit vereinzelten Richtersprüchen, forderten sie dringender und drin- gender die Erlassung eines allgemeinen Restitutionsedictes.

II. Das Bestitutionsedict.

Später, als man sich auch auf katholischer Seite gewöhnt hatte, das Restitutionsedict als einen verhängnissvollen Fehler der kaiserlichen Politik zu betrachten , hat man den Glauben erwecken wollen, als sei es überhaupt nicht in dem Kopfe des Kaisers, beziehungsweise in denen der deutschen Katholiken entsprungen. Der tückische Cardinal , welcher damals die Geschicke Frankreichs leitete, sollte es ausgesonnen haben, um das Haus Oesterreich, ,die Hyder mit den vielen Köpfen', wie er gesagt haben soll, ,die immer wieder nachwüchsen, so oft man sie auch abschlage', auf eine recht boshafte Art zum Falle zu bringen.'^ Wie wenig glaubwürdig diese Darstellung

' Ueber die Rechtsfrage wird unten im Zusammenhange die Rede sein.

3 Die bekannte Erzählung bei KhevenhüUer XI, S. 427 ; da Gewalt nicht ver6ng, hätte darnach Richelieu die Gottesfurcht und Frömmigkeit des Kaisers zu dessen Sturz benutzt, indem er ,die allereifrigsten Geistlichen

350 Tu petz.

ist, braucht nach dem Gesagten kaum mehr eines Beweises. Der Streit um die geistlichen Güter hatte in erster Linie jene Saat des Hassos erzeugen helfen, aus welcher schliesslich der grosse Krieg hervorgegangen war, dieser Streit hatte auch während des Krieges redhch mit beigetragen, den Kampf, so oft er ersterben wollte, immer wieder von Neuem anzufachen: und nun sollten die deutschen Katholiken fremder Hilfe bedurft haben, um auf den Einfall zu kommen, dass sie als Sieger die widerrechtlich widerrechtlich wenigstens nach dem Buch- staben des Religionsfriedens eingezogenen Stifter und Klöster zurückerhalten mussten? Was sie in der Zeit der grössten Ohnmacht des Kaisers, in den Jahren 1608 und 1613 wieder und wieder gefordert, darauf hätten sie jetzt, da die Verhältnisse günstig lagen, verzichtet?^ Im Gegentheil, sie glaubten noch massig zu sein, wenn sie nur die Rückgabe der nach 1552 ein- gezogenen geisthchen Güter forderten; sie glaubten massig zu sein, wenn sie auch jetzt noch den Religionsfrieden als giltig anerkannten und selbst als Sieger nur das beanspruchten, was sie nach demselben als ihr gutes Recht betrachteten, ihr ganzes Recht, aber doch nicht mehr als ihr Recht. Gerade deshalb, weil die Absichten vieler Katholiken noch unendlich weiter gingen, musste es auch den Gemässigten selbstverständKch erscheinen, dass wenigstens den Beschwerden in Bezug auf die geistlichen Güter nunmehr abgeholfen werden müsse.

Wie sehr diese Anschauung gewissermassen in der Luft lag, zeigt am besten das Tagebuch des Freiherm von Prey- sing, welcher im Jahre 1626 als bayrischer Gesandter in Brüssel

in Deutschland, jedoch ohne sie von dieser geheimen Absicht etwas merken zn lassen, dnrcb alle möglichen Mittel angetrieben*, vom Kaiser die Restitution der geistlichen Güter zu begehren. 1 Im Jahre 1608 forderten die Katholiken ausdrücklich, ,dass alles das- jenige, was von Zeit des aufgerichteten Religionsfriedens demselben zu- wider und zu Abbruch vorgangen und verhandelt, solches hinc inde restituieret und redintegrieret werden sollte*. Vollkommen gleichbedeu- tend war es, wenn sie 1 613 die Wiederherstellung der ,nun so Wel und lange Jahre hero mit höchstem Seufzen und Klagen aller Stände und Unterthanen gesteckten und niederliegenden justitia* forderten; aller- dings geschah dies damals nur der Form wegen, weU eben die Macht zur Durchführung noch nicht vorhanden war.

Der Streit um die geistlichen Gflter und das Restitntionsedict (1029). 351

weilte. Am 5. September hatte er die erste Nachricht von dem entscheidenden Siege bei Lutter am Barenberge (erfochten am 27. August 1626) erhalten, und schon am 12. September spricht er ohne besonderen Auftrag seines Herrn mit dem Nuntius von den bevorstehenden Restitutionen im niedersächsischen Kreise; er spricht von ihnen als von' einer ganz selbstverständ- lichen Sache.* Nur die Art, wie man die zurückgewonnenen Güter verwenden wolle, schien noch der Erörterung werth, die Frage, ob man nicht besser thun würde, überhaupt die Hand von diesen Gütern zu lassen, wurde nicht einmal aufgeworfen.

So kann denn Cardinal Richelieu in keiner Weise auf die Ehre Anspruch machen, der Urheber des Restitutions- edictes zu sein; dagegen lässt sich freilich nicht leugnen, dass er bei seinen vertrauten Beziehungen zu den Ligisten von dem Wunsche derselben nach Rückgabe der geistlichen Güter Kenntniss hatte, und als er 1626 durch Herrn von Marcheville dem KurfUrsten von Baiem ein geheimes Bündniss anbieten liess, da war allerdings unter den vorgeschlagenen Punkten auch der, dass die Güter, bei denen die Rechtsfrage nicht streitig sei, restituirt werden sollten, über die streitigen aber das Kammergericht zur Entscheidung zu berufen sei.^ Es lä% ohne Zweifel im Interesse Reichelieu's, den Wünschen der Li- gisten, soweit es seine sonstige Politik zuliess, zu schmeicheln, aber darum blieben es nicht minder die Wünsche der Li- gisten selbst.

Wen aber unter den deutschen Katholiken soll man, wenn Richelieu es nicht ist, als den eigentlichen Vater des Restitutionsedictes bezeichnen? Auch die Antwort auf diese Frage ist im Grunde schon gegeben : es wäre müssig , nach einer solchen Persönlichkeit zu suchen; was der gemeinsame

* Aretin, Bayerns aasw. Verh., Urkunden znm 3. und 4. Abschnitt, Nr. 42. Auch Caraffa bringt übrigens die Erlassung des Restitutionsedictes in Besiehung zum Siege bei Lutter; von dieser Schlacht an habe der Kaiser, ,qua8i a somno excitatus, quasi liberatus magno metu, quo hactenus tarn ipse, quam ipsius antecessores coacti fuerant*, sich dem Gedanken zugewendet, die Vergehungen gegen den Beligionsfrieden zu strafen.

' Aretin, Bayerns ausw. Verh. S. 2öl (vgl. auch S. 255).

352 Tnpets.

Gedanke einer ganzen Partei war, das kann nicht einem Ein- zelnen zum Verdienste oder zur Schuld angerechnet werden. Nur das lässt sich sageu; dass das Verlangen nach Rückgabe der geistlichen Güter bei den Ligisten lebhafter war als am Hofe des Kaisers J Es war dies schon darum der Fall, weil die Ligisten zum grössten Theile geistliche Fürsten waren, bei denen natürlich das religiöse Interesse jedes etwaige weltliche Bedenken bei Weitem überwog, aber auch darum, weil für diese Stände bei ihrem verhältnissmHssig geringfügigen Besitz der Gewinn eines Klosters oder irgend ein ähnlicher Zuwachs an Macht weit mehr in die Wagschale fiel als beim Kaiser, der ohnehin schon über ausgedehnte Erblande gebot. Unter den Ligisten aber war wieder der streitbare Bischof von Augsburg, Heinrich von Knorringen, der eifrigste; er war der einzige, der unumwunden zu sagen wagte, für ihn bestehe der Religionsfriede gar nicht. Er begründete dies damit, dass sein Vorgänger, Cardinal Otto, schon bei Abschliessung des Friedens und später wiederholt gegen denselben protestirt habe, d. h. er bediente sich ungefähr derselben Argumentation, welche die Protestanten gegen den geistlichen Vorbehalt in Anwendung brachten.^ Indess so seltsam es klang, dass, während das ganze

1 Dass die Listen es waren, welche zur Restitution drängten, während der Kaiser mehr abwehrend sich verhielt, geht schon aus der Darstellung zu den Jahren 1624 und 1625 hervor; nach Opel, Niedersächsischer Krieg II« S. 156, wäre es besonders das Verdienst Eggenberg's gewesen, in diesem und dem folgenden Jahre die Restitutionen verhindert zu haben. In Berlin betrachtete man am 27. April 1629 den Kurfürsten von Bayern als den Urheber des Restitutionsedictes: ,Wenn Kurbayern nur winkt, müssen sie am kaiserlichen Hofe thun, was er will,' heisst es in einem Schreiben im Berliner Staatsarchiv.

^ Noch am 10. September 1631, zu einer Zeit, wo die Katholiken schon wieder im Nachtheile waren, erklärte der Bischof, dass ,durch die denk- würdige, auch von den übrigen Ständen im Geringsten nicht wider- sprochene oder verworfene Protestation des Cardinais Otto dieser und seine Nachfolger von der Obligation und Verbündnuss, so sonst jetzt- gedachte übrige Stände des Reichs wegen ihres dargegebenen Consensos und Einwilligung über sich genommen, allerdings dergestalt be- freit und eximirt seien, dass gegen das Augsburger Stift der Religionsfriede, so weit er der geistlichen Jurisdiction des Bischofs abträglich sein könnte, mit keinem Fug einge- wendet werden kann (Londorp III, S. 233 ff.). Dass die Aufhebung

Der Streit um die geistlichen Güter and das Restitutionsedict (16S9). 353

übrige Deutschland im Frieden war, das Bisthtim Augsburg allein in Kriegszustand verblieben sein sollte der Kurflirst von Sachsen folgerte nicht mit Unrecht daraus, dass man pro- testantischerseits noch jetzt den Bischof von Augsburg nach Belieben tiberfallen, plündern und vertreiben könnte so ernsthaft wurde diese Behauptung durch die praktischen Fol- gerungen, die daraus gezogen wurden. Nach allen Seiten richtete der Bischof seine Angriffe: er bedrängte die Ritterschaft, erhob Klagen gegen die Reichsstädte, er begann Process selbst gegen die Fürsten. Einer dieser Processe nun wurde die un- mittelbare Veranlassung zur Herausgabe des Restitutionsedictes: es war derjenige, welchen der Bischof im Vereine mit dem Abte von Kaisersheim und dem Bischöfe von Constanz gegen Württemberg angestrengt hatte.

Alles vereinigte sich in diesem Processe, um der Entschei- dung principielle Wichtigkeit zu verleihen. Der Herzog von Württemberg war einer der mächtigsten süddeutschen Fürsten und gehörte zu den vornehmsten evangelischen Ständen über- haupt; welcher Rang soUte schützen, wenn nicht der seinige? Der Herzog hatte femer, obwohl früher der Union angehörig, an dem Kriege gegen den Kaiser nicht theilgenommen ; die Restitution erschien also hier nicht wie in der Kurpfalz, in Baden und in Niedersachsen als gerechte Bestrafung einer Re- bellion. Der Herzog konnte sogar manche Milderungsgründe zu seinen Gunsten geltend machen, welche Anderen fehlten, vor Allen den, dass die württembergischen Klöster schon vor dem Religionsfiieden evangelisch gewesen und nur durch das Interim wieder auf einige Zeit katholisch geworden waren. Selbst die Zahl der angefochtenen Besitzungen war verhältniss- mässig bedeutend.^ Alles in Allem standen die Dinge so, dass der Kaiser, wenn er in diesem Falle die Restitution bewilligte, sie auch in allen übrigen Fällen kaum mehr verweigern konnte.

der geistlichen Gerichtsbarkeit das für die EvaDgelischen wichtigste Zu- geständniss des jReligionsfriedens war, braucht wohl nicht bemerkt zu werden. ^ Nach Caraffa I, S. 349 trugen sie der herzoglichen Kammer jährlich mehr ab 170.000 Thaler; es habe sich daher de integra fortuna des Herzogs gebandelt.

354 Tnpetz.

Am kaiserlichen Hofe erachtete man die Frage wichtig genug, um sie dem in Mühlhausen tagenden Kurfbrstencon- vente zur Berathung vorzulegen (5. Juli 1627); es ist auch fraglich, ob man im vorhinein eine Antwort zu Gunsten der Restitutionen erwartet oder gar gewünscht hat ; das kaiserliche Schreiben wenigstens gedachte ausdrücklich der Gefahr , dass durch eine solche Entscheidung die Verwirrung im Reiche noch vergrössert werden könnte : ,die Zeiten seien ja ohnedies schwer genug' J

Die geistlichen Kurfürsten indess, denen sich auch Bayern anschlosSy liessen sich das nicht anfechten, ja sie glaubten den entgegengesetzten Erfolg voraussagen zu können. In ihrer Ant- wort an den Kaiser suchten sie den Beweis zu führen^ dass die Wurzel alles im Reiche eingerissenen Uebels die Verletzung des Religionsfriedens und insbesondere auch des geistlichen Vor- behaltes sei; man brauche dem nur abzuhelfen, und volles Vertrauen werde einziehen. Der Kaiser möge daher nicht bloe über die acht im kaiserlichen Schreiben ausdrücklich genannten Klöster, sondern über alle streitigen Stifter, Convente, Kirchen u. s. w. eine Entscheidung zu Gunsten der rechtmässigen Be- sitzer erlassen.^

Die Begründung dieses Vorschlages wird man schwerlich ernst nehmen dürfen ; man müsste sonst lächeln über die Naivetät,

* Auch Caraffa bemerkt (I, S. 359 ff.), der Kaiser habe zwar nicht am Rechte, aber doch an der Möglichkeit der Aasführang gezweifelt; Vielen habe die Entscheidung noch überstürzt, gefahrvoll ,ac novarum tarbamm origo' geschienen. ,Bei diesen ohne das schweren, schwürigen Zeiten', heisst es in der kaiserlichen Proposition ; wichtig ist auch, dass dieselbe sich ausdrücklich auf die Klagen gegen Württemberg und Onolzbtcb bezieht, und dass sie selbst von diesem sagt, es seien dem ICaiser .aller- hand bedenkliche Ursachen und Motiven vorgefallen*, ob die Klage ^ gleich den Beklagten zuzustellen sei. Hurter irrt also, wenn er meint der Kaiser habe nur der Form wegen gefragt und sei schon im vorhinein entschlossen gewesen, zu restituieren (X, S. 34).

* Wie aus dem Württemberg^schen Falle die allgemeine Restitution her- Torwuchs, zeigt sich auch in dem Berichte Caraffa*s : Neque enim anins. sagt er, aut paucorum hie causa ventilabatnr, quam vis snb pancoram nomine discuterentur ea, quae nominatorum monasteriorum erant. Indem er dann alle Stände, welche geistliche Güter besassen, aufzählt, setzt er hinzu: quae sicut in duce Wirtenb., ita et in omnibus aliis locnm erant habitura (I, S. 369 ff.).

Der Streit nm die geistlichen Güter and das Restitntionsedict (1629). 355

welche die Rückkehr des ,ge8unkenen Vertrauens* davon er- hoffte, dass man zwar den einen Theil voUsiÄndig befriedigte, die Last des andern aber bis zum Unerträglichen erhöhte. Wie es zu geschehen pflegt, floss den Kurfürsten der Vortheil des Reiches und der ihrer Partei in eins zusammen. Wichtig aber ist ihr Gutachten deshalb, weil es zum ersten Male deutlich denjenigen Gedanken ausspricht, der den Katholiken in der Folge so unheilvoll werden sollte, den der Regelung der ge- sammten Streitfrage durch ein kaiserUches Edict.

Die Erflülung der katholischen Wünsche hätte sich nämlich auch auf andere, weniger gefahrvolle Weise erreichen lassen; es war ja möglich, dass die Katholiken auch nach dem Siege die Restitution der Stifter und Klöster blos durch die gericht- liche Klage, sei es beim Reichshofrath, sei es bei dem wieder in Thätigkeit getretenen Kammergericht, anstrebten, mit anderen Worten : dass sie sich desselben Mittels bedienten, welches sie schon vor dem Kriege angewendet hatten.^ Dass der Erfolg nunmehr ein besserer sein würde, dafür bürgte der inzwischen eingetretene Umschwung der Verhältnisse; ja die Katholiken betraten diesen Weg wirklich und keineswegs ohne Erfolg. Aber freilich, die Früchte dieses Verfahrens reiften langsam, viel zu langsam für die Ungeduld der katholischen Kläger: die Evangelischen machten, wie dies auch natürlich ist, aus- giebigen Gebrauch von den Rechtsmitteln, welche das ver- wickelte Gerichtswesen jener Zeit dem Beklagten an die Hand gab, um zuerst die Fällung des Urtheils und später die Voll- streckung desselben aufzuhalten. Wie leicht konnten da, ehe die Processe alle zum Austrage kamen, die jetzt noch für die Kathohken günstigen Verhältnisse sich ins Gegentheil verändert haben, so dass die Katholiken zum zweiten Male das Nachsehen

^ Das erwartete anchKursachsen; in den bereits citirten Einfaltigen Bedenken (Londorp III, S. 890) faeisst es: die Rückfordemng der geistlichen Güter nach erfochtenem Siege sei allerdings wahrscheinlich, aber nicht, dass man sie mit Gewalt nnd sofort wieder nehmen würde; letzteres werde man deshalb nicht thun, weil es die Gemüther der protestantischen Reichsstände sowohl wie auswärtiger Könige zu sehr anfregen und der Anlass zn einem Religions- kriege sein konnte. Kursachsen hat also zugleich schlecht und g^t prophezeit.

356 Tupetz.

hatten ! * Was man brauchte , war daher ein Urtheilsspruch, welcher alle, selbst die erst noch einzubringenden Klagen mit einem Schlage entschied und der dann unmittelbar in Vollzug gesetzt wurde. Noch ehe der Friede mit Dänemark zu Stande kam^ musste dieser Urtheilsspruch erfolgen, denn nur dann hatte man die Truppen zur Verfügung, die zur Vollstreckung so zahlreicher Executionen in allen Gegenden Deutschlands und gegen kriegsgewandte und mächtige Stände erforderlich waren.^

Wie hatten sich doch damit die Rollen geändert! Einst hatten sich die Evangelischen gerade im Vertrauen auf die Langsamkeit der Rechtspflege gewaltsam in den Besitz der geistlichen Güter gesetzt. Die Katholischen mochten dagegen immerhin klagen und processiren; man wusste ja, dass ,noeh manches Wasser den Berg hinabrinnen würde', ehe es zur Fällung des Urtheils oder gar zur Vollstreckung desselben kam; unterdessen aber erfreute man sich des Besitzes und konnte mit Grund hoffen, dass derselbe trotz alledem ein dauernder sein werde. Nun gedachten die Katholiken den Spiess umzu- drehen, nun wollten sie sich vor Allem in den Besitz setzen, nun mochte den Gegnern das undankbare Geschäft des Proces- sirens zufallen!-^

^ Unter den Vorwürfen, welche am 8. Mai 1629 Knrsachsen dem Kaiser machte, ist auch der, dass man mit Erlassang des Restitutionsedictes bis nach wiederhergestelltem Frieden im Reiche hätte warten sollen nnd in der That, wenn es ein Friedenswerk gewesen wäre, hätte man nicht unter dem Geräusche siegreicher Waffen ausführen dürfen; wenn man jedoch gewartet hätte, so wäre das Edict schwerlich erlassen, ge- wiss aber nicht ausgeführt worden.

2 Auf katholischer Seite fand man auch, dass viele der in Ansprach ge- nommenen Güter nicht einmal die Processkosten werth seien; auch fürchtete man mit Recht, dass sich die Processe ins Ungeheure häufen und eben dadurch die Erledigung noch mehr in die Länge gezogen werden würde (Protokoll einer Reichshofrathssitzung unbekannten Da- tums in mehreren Abschriften im Dr. A. 8093/148).

3 Dieser Gesinnung entspricht es, wenn man um die Zeit der Erlassang des Restitntionsedictes im Reichshofrath das Kammergericht als ein , Jammergericht* bezeichnete (Dr. A. 8093/209; Vertraulicher Discnrs aus Wien, 21. April 1629). Aehnlich klingt auch, was der Hofeerichts- Präsident Graf Fürstenberg dem Kanzler des Markgrafen von Branden- burg auf seine Klagen wegen der Restitutionen geantwortet haben

Der Streit um die geiBtlichen Güter und das Restitntioniedict (1629). 357

Aber war dieses Verfahren noch gesetzlich? Verliess man nicht damit den festen Rechtsboden, auf welchem man sich bisher, namentlich gegenüber den Calvinisten, so sicher gefehlt hatte? Dass der Kaiser berechtigt sei, unter Zuziehung seines Reichshofrathes in jedem einzelnen Falle auch in religiösen und Klostersachen Recht zu sprechen, galt freilich auf katho- lischer Seite als unumstösslich ; was man aber jetzt vom Kaiser verlangte, war keineswegs die Entscheidung über einen ein- zelnen, bestimmt bezeichneten Fall, nicht einmal über eine grössere Anzahl solcher Fälle, sondern die allgemein giltige, grundsätzliche Regelung einer Rechtsfrage, nach welcher dann erst andere, in diesem Falle die kaiserlichen Commissäre, über einzelne Fälle abzuurtheilen hatten ; es war dies gewissermassen ein neues Gesetz oder doch die Auslegung eines bereits be- stehenden.' War nun der Kaiser berechtigt, eine solche ohne Zustimmung des Reichstages, also ohne Zustimmung auch der evangelischen Stände zu erlassen?

Die Katholiken bejahten diese Frage, die Evangelischen haben sie nachher ebenso entschieden verneint. Letztere gingen hiebei von der an sich gewiss unanfechtbaren Ansicht aus, dass durch den Religionsfrieden von 1555 in religiöser Be- ziehung ein ganz neues Recht geschaffen worden sei, und zwar sei dies geschehen, indem Kaiser und Katholiken einerseits und die evangelischen Stände andererseits als gleichberechtigte Parteien mit einander in Unterhandlung traten. Man folgerte daraus, dass keine der beiden Frieden schliessenden Parteien berechtigt sei, irgend eine Festsetzung des Friedens ohne aus- druckliche Zustimmung der andern Partei abzuändeni; umso- weniger könne es der Kaiser flir sich allein, der in diesem Falle Partei sei so gut wie jeder andere Stand des Reiches. ^

soll: Fronte capillata est, post hac occasio calva; einem Andern soll er gesagt haben: da die Evangelischen nun die geistlichen Güter durch 80 Jahre und darüber inne gehabt hätten, so sei es billig, dass sie die- selben nun auch auf eben so lange den Katholiken Hessen; wieder nach 80 Jahren würden sie dieselben zurückbekommen (Theatrum Europ.II, S.213).

* Das Bedenken gegen das Restitutionsedict (Theatrum Europ. II, S. 133 ff) sagt mit Kecht, das Restitutionsedict könne schon darum für kein Ur- theil ausgegeben werden, weil es universal sei.

2 Vgl. Ranke, Wallenstein V, S. 110.

Sitznngsber. d. phil.-hist. Ol. CU. Bd. II. Uft. 24

358 Yapett.

Aber auch nicht einmal die Befdgniss, den Religionsfrieden zu deuten und auszulegen, glaubte man aus diesem Grrunde zuge- stehen zu können; denn man wusste recht wohl, wie leicht imter dem Scheine einer blossen Erklärung oft sehr wesent- liche und folgenschwere Gesetzesänderungen sich einschmuggeln lassen. Uebrigens war eine solche einseitige Abänderung oder Auslegung des Religionsfiriedens im Frieden selbst ausdrücklich verboten J

Die Katholiken ihrerseits läugneten natürlich vor Allem, dass es erlaubt sei, den Kaiser als Partei zu bezeichnen; trotz des Religionsfriedens, behaupteten sie, sei derselbe noch immer der höchste Herr und oberste Richter nicht blos gegen- über den katholischen, sondern auch gegenüber den evangeli- schen Ständen des Reiches. Nicht einmal bei Abschliessung des Religionsfriedens sei der Kaiser ausschliesslich als krieg- ftlhrende Partei betrachtet worden ; das beweise zur Genüge die Art, wie Ferdinand I. blos aus kaiserlicher Machtvoll- kommenheit und trotz des Widerspruches der evangelischen Stände die Aufnahme des geistlichen Vorbehaltes in den Re- ligionsfrieden durchgesetzt habe. Aber auch das wollten die Katholiken nicht gelten lassen, dass von ihnen eine »Auslegung^ des Religionsfriedens angestrebt werde. Der Religionsfriede war vielmehr nach ihrer Meinung vollkommen klar, es war nur der ,klare Buchstabe' desselben von den Evangelischen über treten worden, und man begehrte die Entscheidung des Kaisers nur darum, weil es galt, diesen ,Unfug' abzustellen. Sie blieben dabei: Nicht eine Erklärung wolle man, sondern ein Urtheil-

t Im Keligionsfrieden hatten nämlich der Kaiser und KSnig Ferdiiuind versprochen, nicht nur den Frieden aufrichtig zu halten, sondern auch ,darüber jetzt oder künftiglich weder aus kaiserlicher Vollkommenheit oder unter einigem andern Schein, wie die Namen haben mOchten, nichts vornehmen, handeln oder ausgehen zu lassen, noch jemand anders von Ihr kais. M. und Unsertwegen zu thun zu verstattenS

3 In der ,Uebelerhaltung* des Religionsfriedens, also nicht in den Zwei- feln über den Sinn desselben, sahen auch die in Mühlhansen anwesenden geistlichen KnrfQrsten den Qmnd der entstandenen Zwistigkeiten (Pro- tokoll vom 26. October 1627 im Münchner Archiv 425/9); dass aber dieser Punkt der schwächste in der katholischen BeweisfÜhmng war, zeigt sich unter Anderem auch in der von den kursächsischen Käthen wohl bemerkten Vielheit der Namen fllr das Restitutionsedict, welches

I)er Streit um di« geistlichen GAter und das ^stitntionsedict (1689). 3ö9

Doch das war ein Spiel mit Worten. Dass der Religions- friede, welcher in der verschnörkelten und überladenen Aus- drucksweise seiner Zeit niedergeschrieben wurde, in vielen seiner Bestimmungen nichts weniger als klar ist, konnte den Katho> liken ebensowenig imbekannt sein als den Protestanten. Wenn man daher auch zugestehen mag, dass letztere den Religions- frieden häufig nur darum anders verstanden als die Katholiken, weil sie ihn anders verstehen wollten, so blieben doch viele Punkte übrig, deren Entscheidung wirklich zweifelhaft war, so die Frage, inwieweit das Interim trotz des Religionsfriedens noch als rechtswirksam betrachtet werden könne, die Frage, ob die Reichsstädte und die Reichsritterschaft in ihren Gebieten reformiren dürften u. AJ Es war unbestreitbar, dass es in diesen und vielen anderen Punkten schon vor dem Kriege zwei von einander abweichende Auslegungen des Friedens ge- geben hatte, und dass die Ueberlegenheit, welche augenblicklich der katholischen Auslegung zukam, nicht so sehr der besseren inneren Begründung, als vielmehr der grösseren Zahl und besseren Schulung der kaiserlichen und ligistischen Truppen zu verdanken war.

Aber freilich, gerade dieser Umstand bestärkte auch wieder die Katholiken in der Ansicht, dass ihre Sache eine gerechte sei: ,die mächtige Hand Gottes^ hatte in so vielen Schlachten für sie entschieden, die katholische Kirche aus den grössten Gefahren errettet, den Uebermuth der Feinde sichtbarlich ge- züchtigt. So erschien denn der ganze Krieg als eine Art Gottes-

man katholischerseits bald als kaiserliches Erkenntniss, dann wieder als Erklärung, Verordnung, Edict, Befehl und Gebot (lat edictnm, decla- ratio, constitutio, mandatum, praeceptnm) bezeichnete; vgl. Theatrum Enrop. n, S. 17 ff. und 138 ff. Londorp III, S. 489 und 557. ' Anders Klopp in den Forschungen zu der Geschichte, welcher die katho- lischen Ansprüche insgesammt für unzweifelhaft hält und den Fehler nur darin findet, dass sie geltend gemacht wurden; aber welche sieg- reiche Partei hätte nicht zugleich versucht, auch schwankende Rechts- fragen in ihrem Sinne zu lösen ? Auch die kaiserlichen Räthe sprachen nnr von ,ungleichem Verstand oder vielmehr muthwilliger calvinischer Interpretation^ des Religionsfriedens (Dr. A. 8093/123). Ritter in seiner Abhandlung über den Augsburger Religionsfrieden (S. 216) bemerkt mit Recht, der Friede von 1555 sei ,kein im Geiste der Ehrlichkeit und Klarheit abgefasstes Gesetzt

24*

360 Tnpetz.

gericht; die evangelische Sache war Bchon dadurch venirtlieilt, weil sie unterlegen war.* Bei einer solchen Ansicht der Dinjre konnte man sich wohl über einen kleinen Scrupel, der im Ganzen doch nur formeller Natur war, hinwegsetzen.

Indess das geschah nicht einmal, man versuchte vielmehr, denselben durch ein geschicktes Manöver noch zu beseitigen. In Mühlhausen waren nämlich auch die beiden protestantischen Kurfürsten vertreten, der von Sachsen war sogar in Person anwesend; wie nun, wenn man sie bewog, den Kaiser seihst mit um die Erledigung der ^geklagten Uravamina^ zu bitten? Da es auch evangelische Beschwerden gab, da der Kurflirst von Sachsen überdies die (xerichtsbarkeit des Kaisers niemals bestritten hatte, so war es immerhin möglich, dass er in die Falle ging, und welch' ein Triumph, wenn so die Häupter der evangelischen Partei selbst die katholischen Ansprüche unterstützten ! Geschah dies, dann hatten sich die Evangelischen gleichsam selbst das Urtheil gesprochen.

Aber so sehr der Kurfürst von Sachsen der kaiserlichen Politik ergeben und so gering auch seine Einsicht war, er zeigte sich nun doch schon misstrauisch. Auch er wünschte Erledigung der Beschwerden durch den Kaiser, aber nur ,nach Art und Weise, wie es im heiligen römischen Reich Her kommen^; auch er gestand dem Kaiser das Recht zu, in Fragen dieser Art ein Urtheil zu fiillen, aber nur, ,wenn die Stände genugsam mit ihrer Gegennothdurft gehört und ver nommen.^- Die katholischen Kurfürsten wiesen beide Zusätze

' Die günstige politiBche Lage wurde auch von den geistlichen Kurfürstpo besonders hervorgehoben: die Vorfahren des Kaisera hätten allerdings mit der Entscheidung «sorgfllltig angestanden und ungeme eine Zerrüt- tung unter den Ständen des Reiches deswegen erwartet, dahero auch der wirkliche Ausschlag in puncto gravaminum zu nicht geringem der Katho- lischen Unheile bis hiehero verblieben*: man habe aber .solche consi- derationes so hoch nicht zu achten*; der ,Sachen Befugniss seien al^«> bewandt, dass niemand wagen würde sich zu widersetzen*. Auch die kaiserlichen Rftthe sagten: ,Gott der Allmächtige habe dem Kaiser die Zeit und Occasion gezeigt, solchen (der Zwiespalt) Brunnquell endlicbeo zu veratopfeu*, welches des Kaisers Vorfahren ,sine militari potenti« umsonsten würden versucht haben* (Dr. A. 8093/123).

2 Auch die kurbrandenburgischen Gesandten verlangten, dass die Be- schwerden entschieden werden sollten nicht blos nach dem Religioufi-

Der Streit um die geistlichen G4ter und das Restitationsedict (1629). 361

zurück. Indem sie den ersten verwarfen sie nannten ihn ,des dritten Manns Fündlein* Hessen sie deutlich merken, dass sie etwas Neues, nicht Herkömmliches, man könnte fast sagen : Revolutionäres im Sinne hatten ; indem sie den zweiten nicht annahmen, legten sie an den Tag, dass sie ein Ver- fahren wünschten, welches, wie es die Protestanten nachher nicht unrichtig bezeichneten, ,mit der Fällung des Urtheils be- gann und gleich darauf mit der Vollziehung desselben endigte*.

Eine Zeitlang schien es, als ob es darüber zu keiner Verständigung kommen sollte; schon wollten die katholischen und protestantischen KurfUrsten ihr Gutachten getrennt ab- geben. Endlich einigte man sich dahin, dass der erste Zusatz des Kurfürsten von Sachsen wegblieb, der zweite dagegen in der Form : ,soweit und viel darinnen submittirt^ aufgenommen wurde. Der Kurfllrst war also doch in die Falle gegangen! Schwer wog seine Zustimmung zu einem Schriftstücke, welches die Verwirklichung der katholischen Ansprüche zum Zwecke hatte, wenig bedeuteten dagegen die ftlnf Wörtchen, durch welche er die Rechte der Evangelischen hatte sicherstellen" wollen.^

Aber den geistlichen Kurfürsten waren auch diese fünf Worte noch unbequem; sie bemühten sich daher, dieselben so zu deuten, dass sie zu einer völlig nichtssagenden Redensart wurden. ,Die Stelle von der nothwendigen Submission,^ be- richteten sie dem Kaiser (12. November 1627), ,sei auf Wunsch der Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg aufgenommen worden ; daran jedoch, dass die Protestirenden den Kaiser als Richter anerkannt, könne nicht gezweifelt werden ; hätten sie doch im Jahre 1619 sogar unter Drohungen seine Entscheidung verlangt und damals ausdrücklich erklärt, dass die Katholischen mit ihren Einwendungen schon genügend gehört worden seien;

frieden, sondern auch ,nach dessen hergebrachter Observanz* (letzteres bedeutete eigentlich in vielen Fällen : ,nach dessen hergebrachter Nicht- Observanz*). Protokoll der Mühlhausner Verb, in München 8t.-A. 425/9; Bericht der kurbrandenburgischen Gesandten vom 27. October 1627 im Berliner 8t.-A. 12, 38—44; daselbst auch das Folgende. * Nach Klopp (Forschungen zur deutschen Geschichte I, S. 93) hätte der KurfQrst von Sachsen den Abschied nicht unterzeichnet; ich weiss nicht ob dieses richtig ist, aber als ein mit Kursachsens Zustimmung entstan- denes Schriftstück galt er jedenfalls (vgl. Ranke, Wallenstein V, 105),

362 Tapet«.

dasselbe gelte nun von ihnen.** Also weil die Evangelischen zur Zeit ihrer Macht eine ihnen günstige Entscheidung der Streitfrage hatten ertrotzen wollen, so folgerte man^ dass sie nun ebenso eine ungünstige Entscheidung über sich ergehen lassen mtissten.^ Mit anderen Worten hiess dies : Die Prote- stanten haben an die Gewalt appellirt; werde ihjien denn was sie gewollt haben; sie haben uns unterdrücken wollen , sie müssen es tragen, wenn wir als Sieger nun ihnen die Bedin- gungen vorschreiben. Schlimm war freilich, dass bei dieser Be- weisführung die Unschuldigen mit den Schuldigen büssten; aber die Katholiken hatten sich eben gewöhnt, mehr oder weniger die gesammte evangelische Welt als schuldig zu betrachten. Später hat man sich bemüht, noch mehr Beweise fiir die Anerkennung der kaiserlichen Gerichtsbarkeit von Seite der Protestanten ausfindig zu machen, und man fand sie auch ; Be- weise für das Gegentheil würde man freilich noch viel leichter und häufiger gefunden haben. Uebrigens trafen alle diese Be- weise denjenigen Punkt nicht, welchen die beiden protestan- tischen Kurfürsten im Auge gehabt hatten. Die kaiseriiche Gerichtsbarkeit wurde ja von dem Kurfürsten von Sachsen überhaupt nicht bestritten; wohl aber wollte er, dass nur in jenen Sachen ein Urtheil gefüllt werde, in denen bereits ein ordentlicher und regelmässiger Process, entweder beim Kam- mergericht, oder auch beim Reichshofrath gefuhrt worden war; wo dies noch nicht geschehen, da durfte nacli seiner Meinung auch kein Urtheil erfolgen.^ Aber freilich, wenn die katho-

> Vgl. Londorp III, S. 999, und Khevenhüller X, 8. 1450.

' Natürlich wurde auch die Erklärung der Protestanton im Jahre 1576: es sei nicht noth, auf die Zustimmung des einen oder anderen Theiles zu warten (siehe oben), wieder und wieder angeführt. Aber die Evan- gelischen hatten ja sogar auf dem Reichstage von 1566 gebeten, der Kaiser möge ,auf christliche Mittel und Wege zu gottseliger Vergleichung der Religion dienstlich, väterlich und gnädigst bedacht sein^; sollte nuu daraus geschlossen werden, dass die Evangelischen dem Kaiser selbst die vollständige Abschaffung der evangelischen Lehre freigestellt hätten? (Vgl. Senkenberg, Ungedruckte und rare Schriften.) Ueber die Frage der Submission handelt übrigens nicht nur das Restitutionsedict selbst sondern sie kehrt auch in allen darüber gewechselten Schriften wieder.

3 Man könnte meinen, dieses sei ohnehin bei allen geistlichen Gütern der Fall gewesen und der Vorbehalt des Kurfürsten sei daher nichtssagend;

Der SIroit um dio geistlichen Gftter und das Bestilutionsedict (1629). 363

lißchen Fürsten hierauf eingegangen wären, so hätten sie ja eben auf ihren Plan einer allgemeinen und gleichzeitigen Rück- forderung der geistlichen Güter, und zwar noch vor Abschluss des Friedens mit Dänemark verzichten müssen!

Wie aber würde man am Hofe des Kaisers über diese Frage denken? Würde man dort ohne weiters die Ansichten der Ligisten zu den seinigen machen? Allerdings war der Kaiser Katholik, aber er war denn doch auch Kaiser ; dieser Titel verpflichtete ihn, eine gewisse Unparteilichkeit selbst im heftigsten Kampfe zu wahren, gleiche Gerechtigkeit gegen- über Katholiken und Protestanten zu üben. Durch die Rolle, welche der Kaiser in dem auch jetzt noch fortdauernden Kampfe gespielt hatte, war diese Unparteilichkeit allerdings beein- trächtigt worden; war er doch neben Max von Bayern das anerkannte Haupt der katholischen Partei gewesen, hatten doch seine Heere Schulter an Schulter mit den ligistischen ge- kämpft, war doch ligistisch und kaiserlich eine Zeit lang beinahe dasselbe gewesen ! ' Aber der Vortheil der Ligisten war denn doch nicht unbedingt auch der Vortheil des Kaisers. Fühlte er sich durch die Gemeinschaft der Religion mit ihnen verbunden, so standen sie ihm als Stände des Reiches ebenso fremd gegenüber wie die protestantischen Fürsten, ja es konnte sich vielleicht einmal die Noth wendigkeit ergeben, sich auf die protestantischen Reichsstände gegen die katholischen zu stützen. Andererseits war auch der Kurfürst von Sachsen Bundesgenosse des Kaisers im Kampfe gegen den Pfklzer gewesen und hatte ihm nicht minder wichtige Dienste geleistet als die Ligisten; man durfte immerhin erwägen, ob es gerathen sei, um des einen Freundes willen den andern zu opfern.'-^

äfisa dem aber nicht so war, zeigt der Verlauf der Restitutionen, bei welchen häufig nicht einmal ein Kläger erschien, so dass man nicht wasste, wem man das wiedergewonnene Gut geben solle. Auch von den Inhabern der evangelischen Bisthümer kann man nicht sagen, dass gegen sie ein ordentlicher Process geführt worden wäre.

^ ,Fast möchte man sagen, der Kaiser sei in diesem Drange der Noth selbst mit Partei geworden,^ sagt auch Klopp a. a. O. S. 84.

3 Klopp findet, der Kaiser hätte die Restitutionen auch darum nicht ge- währen sollen, weil der Zeitgeist auf Zerstörung, nicht auf Wiederher- stellung der geistlichen Fürstenthamer ging; aber war nicht überhaupt

364 Tupeti.

Später^ als das Restitutionsedict bereits erlassen war, hat man freilich den Schein erwecken wollen, als ob politische Rücksichten hiebei überhaupt keine Rolle gespielt hätten; man sagte : die Sache der Katholiken sei eine gerechte , die der Evangelischen eine ungerechte gewesen, der Kaiser habe also nach Pflicht und Gewissen gar nicht anders entscheiden können, er habe der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen müssen, einerlei, ob Heil oder Unheil daraus entstand. Aber ein solcher mora- lischer Zwang, im Sinne der Ligisten zu entscheiden, ist nie- mals vorhanden gewesen. Es hätte der Gerechtigkeitsliebe de» Kaisers gewiss keinen Eintrag gethan, wenn Beschwerden, die über ein halbes Jahrhundert alt und trotzdem von keinem der früheren Kaiser entschieden worden waren, auch unter seiner Regienmg nicht zur Erledigung gelangt wären; wollte er sie aber entscheiden und die Zeitverhältnisse luden allerdingrs dazu ein so stand es ihm unzweifelhaft frei, die Katholiken mit ihren EJagen einfach auf den herkömmlichen Rechtsweg zu verweisen. War der Religionsfriede wirklich so klar, wie man auf ligistischer Seite behauptete, so konnte es ja keine Schwierigkeit haben, bei Kammergericht und Reichshofrath in jedem einzelnen Falle ein den Katholiken günstiges Urtheil zu erlangen, und sorgte dann der Kaiser für die Vollziehung dieser Urtheile, so war seine Pflicht vollauf erflillt. Auch das war nicht ungerecht, wenn der Kaiser und dieser Vorgang hätte den Wünschen der Evangelischen am besten entsprochen einen Reichstag berief und auf demselben den Versuch machte, eine friedliche Verständigung der beiden Religionsparteien über die streitigen Punkte herboizuflihren. Auch wäre ein solcher Versuch keineswegs ganz aussichtslos gewesen. Frühere Unter- nehmungen ähnlicher Art waren ebenso an den übermässigen Forderungen eines Theiles der Evangelischen, als an der star- ren Unnachgiebigkeit der Katholischen gescheitert; nun waren die ersteren durch ihre Niederlagen gedemüthigt und mussten sich wohl oder übel gefügig zeigen; den Uebermuth der Sieger

Wiederherstellung des durch das Auftreten Luther*» Zerstörten die Tendenz wenn nicht des Zeitalters überhaupt, so doch die der gesammten katho- lischen Welt? Und war die aufstrebende landesfttrstliche Macht, welche die geistlichen FUrstenthümer bedrohte, nicht ebenso auch eine Gefahr für den Fortbestand dos Kaiserthums? (Vgl. Klopp, Till/ II, S. 8.)

Der Streit um die geistlichen Güter und dan Bcstitutionsedict (1629\ 365

aber konnte immerhin der Kaiser selbst in Schranken halten J Man hatte also am kaiserlichen Hofe den Wünschen der Li- gisten gegenüber vollkommen freie Hand; man konnte sie ge- währen oder zurückweisen, wie man es eben für gut hielt.

Der bayrische Gesandte, Freiherr von Preysing, fand denn auch, als er im December 1627 in Prag eintraf, um neben an- deren Dingen auch die ^Erledigung der Reichsgravamina' zu betreiben, bei den kaiserlichen Ministem bei Weitem nicht jenen Eifer, welcher ihn selbst und seine Auftraggeber beseelte/^ Der Kaiser und der Reichs -Vicekanzler waren abwesend, der Letztere noch nicht von Mühlhausen zurückgekehrt; der Ge- Handte vernahm sogar, dass von Strahlendorf noch nicht einmal der Bericht über die Mühlhausner Beschlüsse eingesendet wor- den sei. Es dauerte daher geraume Zeit, ehe Preysing über- haupt eine Antwort erhielt, und als sie dann doch erfolgte, lautete sie in Bezug auf die Restitutionen blos dahin , dass der Kaiser diesen Punkt seinen Räthen: Eggenberg, Strahlen- dorf, Nostitz und Trauttmansdorff zur Erwägung übergeben und das Resultat dem Kurfürsten von Bayern durch einen eigenen Gesandten kundthun wolle.

Im kaiserlichen Rathe aber kamen nun doch jene fünf Wörtchen des Kurfürsten von Sachsen wieder zu Ehren. Man beschloss in den Acten nachzuforschen, ob denn wirklich alle Evangelischen zur Genüge ,gehört seien', man erklärte es für wünschenswerth, die Frage so zu entscheiden, dass ausser den katholischen Kurfürsten auch Kursachsen und Kurbrandenburg zustimmen könnten. Seltsam genug freilich, wenn man wirklich glaubte, dass das möglich sei!

Aber man fasste auch den entgegengesetzten Fall ins Auge. Auch den kaiserlichen Ministem schien es viel wahr-

^ Anders urtheilen hierüber Menzel II, 6. 182 und Majlath VIII, S. 47, 164. Doch sagte auch der bayrische Gesandte Freiherr von Preysing von der Entscheidung der Gravamina: , Allerdings wäre es auf dem Reichstag zu thun gut, aber man habe darauf nie fortkommen können* ; der Hauptgrund ftlr eine rasche Entscheidung ist auch bei ihm, ,weil man unsererseits wohl armirt und von Gott gesegnet ist.* Aretiii, Bayerns ausw. Verh., Urkunden zum 3. und 4. Abschnitt, Nr. 61 ; daselbst auch das Folgende.

' Derselbe Gegensatz zwischen dem glaubenseifrigen Kurfürsten und den zur Milde geneigten kaiserlichen Ministem zeigt sich auch zur selben Zeit in Betreff der Gegenreformation in Oberösterreich (Aretin, Nr. 57).

366 Tupetx.

scheinlicher^ dass eine Gewährung der ligisÜBchen Wünsche einen Zwiespalt unter den EurfUrsten^ wohl gar einen offenen Bruch herbeiführen würde ; man fürchtete mit Rechte dass eine solche Entzweiung neuerdings fremde Mächte zur Einmischung anlocken und so der Kampf wiederum entbrennen würde. Da- bei machte gerade das die kaiserlichen Räthe besorgt, was den Ligisten fUr die Durchfiihrung ihrer Restitutionspläne so er- wünscht schien, nämlich der Umstand, dass der Friede mit Dänemark noch immer nicht abgeschlossen war. Wohl war der Dänenkönig besiegt, aber wer bürgte dafür, dass ihm nicht von England, von den Holländern, von Schweden noch im letzten Augenblicke Hilfe zu Theil wurde und so ein allge- meiner Umschwung eintrat? Vor den Türken und den ihnen ver- bündeten Ungarn war man ohnehin keinen Augenblick sicher, und selbst von einer katholischen Macht, von Frankreich^ wusste man, dass sie grosse Lust habe, offen unter die Gegner des Hauses Oesterreich zu treten , nachdem sie dieselben ins- geheim schon lange durch ihre Ränke unterstützt hatte. War es da vernünftig, die Zahl der Feinde noch zu vermehren?"

Dem gegenüber erwog man, dass die Vortheile einer Re- stitution der geistlichen Güter voraussichtlich grösstentheils den Ligisten zufaUen würden. Diese selbst machten kein Hehl daraus, dass sie die einzuziehenden EUöster und Stifter zu ihrer eigenen Bereicherung zu behalten wünschten ; wenn der Kaiser in diesem Sinne über die geistlichen Güter verfüge, sagten sie, so werde er ein Gott wohlgefälliges Werk thun: durch die Drangsale und Verfolgungen , welche sie erlitten, glaubten sie eine solche Belohnung reichlich verdient zu haben.^

Aber die kaiserlichen Räthe hatten keine Lust, fUr Andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Wenn die Erwägung, dass der Kaiser wahrscheinlich nur Nachtheil und nur wenig Vortheil von den Restitutionen haben werde, nicht geradezu zur Abweisung der ligistischen Vorschläge führte, so berechtigte

1 Aus denselben Gründen fand bekanntlich auch Colalto und (nach Droyseu, Gustav Adolf II, S. 95) selbst Tilly die Erlassung des Restitution»- edictes bedenklich.

^ Diese Hoffnung ist unter anderen in dem schon citirten Schreiben der geistlichen KurfUrsten an den Kaiser vom 12. November 1627 aus- gesprochen.

Der Streit am die geistlichen Oflter ttnd das Eestitntionsedict (1629). 367

sie mindestens dazu, dass man ihre Erfüllung an ftbr den Kaiser vortheilhafte Bedingungen knüpfte. Das geschah denn auch. Die erste Bedingung, welche der Reichshofrath stellte, betraf den Lieblingswunsch des Kaisers, die Regelung der Thronfolge im Reiche durch die Wahl seines Sohnes zum römischen König. Die zweite hing mit der Forderung nach Restitution der geist- lichen Güter inniger zusammen. Man verlangte nämlich nicht nur, dajss die Ligisten und insbesondere die geistlichen Fürsten die durch den Krieg noth wendig gewordenen Lasten ,mit etwas mehr Geduld, als bisher geschehen^ ertrügen, sondern auch, dass sie neue übernehmen sollten, um die katholische, genauer gesagt, die kaiserliche Kriegsmacht jederzeit schlagfertig zu erhalten. ' In der That, es war nur dann gestattet, die augen- blickliche Macht in ihrem vollen Umfange und rücksichtslos auszunützen, wenn man auch dafür Sorge trug, dass man mächtig bleibe; man durfte wenn es gestattet ist, dieses allerdings nicht ganz zutreffende Gleiöhniss zu gebrauchen nur dann sich erlauben, nach erfochtenem Siege an Beute und Plünderung zu denken, wenn man zugleich Vorsichtsmassregeln anwendete, um nicht etwa von dem wieder erstarkten Feinde unversehens überrumpelt zu werden.

Man sollte glauben, diese Logik hätte auch den Ligisten einleuchten müssen; dennoch war es nicht der Fall. So gross ihre Begierde war, wieder in den Besitz der eingezogenen geistlichen Güter zu gelangen, so gross und noch grösser war ihr Misstrauen gegen die wachsende Uebermacht des Habs- burgischen Hauses. Schrieb man doch dem kaiserlichen Feld- herm den Plan zu, die gesammte Verfassung des Reiches umzustürzen und auf ihren Trümmern die unumschränkte Herr- schaft eines einzigen aufzurichten; ja, als später einer seiner

1 Angedeutet wurde diese Forderung schon in der Antwort, welche E^gen- berg dem bayrischen Gesandten Frey sing gab (26. December 1627); der Kaiser habe kein Bedenken, sagte er, Alles, was recht und der katho- lischen Religion zu Aufnehmen gedeihet, ins Werk zu richten, da sie nur Bayern zum Assistenten haben (Aretiu, a. a. O.). lieber das Folgende Max von Bayern an Trauttmansdorff und den Kaiser (21. Fe- bruar 1628) im Wiener Staatsarchiv 76 und Londorp III, S. 1016 ff.; femer ein Bericht über eine Sitzung der kaiserlichen Räthe im Dresdner Archiv, 8093/141.

368 TnpetsB.

Commi88äre äusserte: ,e8 werde nicht eher besser werden, als bis man einem der geistlichen Kurfürsten den Kopf vor die Püsse lege% da glaubte man alles Ernstes, der Commissär habe nur Gesinnungen Ausdruck gegeben, welche im Grunde der General selbst theile. Unter diesen Umständen konnte das an sich wohlmotivirte Verlangen nach Uebernahme neuer Kriegs- lasten den Ligisten nicht anders als verdächtig sein. Stand man nicht am Vorabende des Friedens? Wozu neue Rüstungen in einem Augenblicke, wo es keinen Feind mehr gab? Wenn der Kaiser auf Schweden, Holland, England, auf die Türkei und Bethlen Gabor, ja wohl gar auf das katholische Frankreich als ebensoviele mögliche Feinde hinwies, so stellten die Li- gisten dem die Behauptung gegenüber, dass nach so vielen gescheiterten Versuchen es niemand mehr wagen werde, den kaiserlichen und ligistischen Heeren entgegenzutreten; wenn es aber doch geschähe, meinten sie, so sei nicht zu zweifeln, dasB jeder solche Versuch noch leichter als die früheren würde ver- eitelt werden. Die bisherige Geschichte des Krieges liess ja auch eine solche HoflFnung wohl begründet erscheinen.

Aber mussten die Stände der Liga nicht wenigstens fürchten, dass der Kaiser, wenn seine Bedingungen zurückge- wiesen wurden, auch die Wünsche der Ligisten unerftlllt lassen werde? Würde er nicht Weigerung mit Weigerung beantworten, dem Nein! der Ligisten in Bezug auf die Rüstungen ein ebenso entschiedenes: Nein! in der Frage der Restitutionen entgegen- setzen? Auch das besorgte man nicht; im Gegentheil, eben darum verschmähten es die Ligisten, sich den Verzicht auf den einen Wunsch, die Befreiung von den Kriegsbeschwerden, durch die Gewährung des andern abkaufen zu lassen, weil sie sich mächtig genug flihlten, beide Wünsche gleichzeitig durch- zusetzen. Nicht als Bittende standen sie dem Kaiser gegenüber, sondern als Verbündete, denen er Gleichberechtigung weder versagen konnte, noch wollte. Waldstein hat einmal gesagt: ,Wenn Bayern mit uns ist, können wir Deutschland, ja ganz Europa Gesetze geben^; ' nun, in Bayern schlug man den

* ,Wann wir Churbayem recht auf unserer Seiten haben, »o scind \nr patroni nicht allein von Teutschland, sondern von ganz Europa/ heis*t es in einem Briefe Waldstein's an Colalto von 29. November 1627 (Chlumecky, Reg., Anhang S. 67).

Der Streit nm die geistlichen Gftter und das Restitutionsedict (1629). 369

eigenen Werth wahrlich nicht geringer an und war entschlossen^ ihn in vollem Umfange geltend zu machen. An die Stelle der Bitte trat daher , sobald es noth that , die Drohung. ,Wenn der Kaiser/ so liess man sich verlauten, ,die Forderungen der Liga nicht bewillige, so werde man die Truppen der Liga von den Grenzen abberufen, mit Dänemark, was unter französischer Vermittlung sehi* leicht geschehen konnte, einen Separatfrieden 8chliessen und dem Kaiser allein die Fortführung des Krieges überlassen*.' Ja die Ligisten gingen später noch weiter; sie drohten sogar, wenn der Kaiser nicht nachgebe, sich selbst Gerechtigkeit zu verschaffen; geradezu ein Krieg der Liga wenn nicht gegen den Kaiser selbst, so doch, was aber im Grunde auf eins hinauskam, gegen seine Truppen wurde in Aussicht gestellt.

Vorläufig fand man es indessen noch nicht nothwendig, mit derartigen Drohungen hervorzutreten. Noch schien das Ziel, welches man sich gesteckt hatte, auch durch mildere Mittel erreichbar; auch filhlte sich speciell der Kurfürst von Bayern eben damals dem Kaiser fllr neue Gunstbezeugungen zu Dank verpflichtet. Die Antwort, welche der Ueberbringer der kaiser- lichen Bedingungen, Graf Ti'auttmansdorflf, am Münchner Hofe erhielt, floss daher über von Betheuerungen der Ti'eue und Er- jcebenheit gegen das kaiserliche Haus ; im Uebrigen aber lautete nie in allen wesentlichen Punkten abschlägig. Hatte man am kaiserlichen Hofe die Erwartung ausgesprochen, die Ligisten würden von nun an die Kriegslasten ,geduldiger tragen^ als bisher, so antwortete darauf Maximilian : ,wenn bezüglich der Kriegsbedrückungen keine Aenderung erfolge, so würden die

' ,Che non vogliouo sopportar queste in^nrie, ma richiamar la loro Militia dalli confini delV imperio per difeudersi. Che farranno altra gente.di piü. Che si farranno giustitia da se, ne ricorreranno a S. M. Ces«», poiche li rimette al duca di Fridtland/ heisst es in der Instruction für Colalto vom 23. Juni 1628 (Chlumecky, Reg., Anhang S. 267 ff.). Allerdings bexogen sich diese Drohungen noch mehr auf die Bedrückungen durch Waldstein, als auf die Nichterledigung der religiösen Beschwerden; doch treten sie in derselben Verbindung mit der Frage der geistlichen Güter auch auf dem Heidelberger Ligatage hervor (Aretin, Bayerns ausw. Verb., S. 285). Dass der Kaiser ,ungern an das Kdict kommen^ dass er ,von S. Charf. Durchl. in Bayern dazu gleichsam genöthigt^ worden sei, wusste auch Kurbrandenburg (Dresdner Archiv 8105/24).

370 Tttpetx.

Ligisten zu ihrem Bedauern genöthigt sein, die Lieferungen for das kaiserliche Heer ganz einzustellen'; hatte der Kaiser die Berufung eines Ligatages verlangt^ um die Bundeshilfe sogleich genau feststellen zu lassen, so sagte Maximilian : er müsse über diese Frage erst mit dem Kurfürsten von Mainz als Mitdirector Berathung pflegen; hatte der Kaiser die Regelung der Thron- folge gewünscht, so wurde er damit an die Gesammtheit der Kur- fürsten, welcheja demnächst zusammenkommen würden, gewiesen. '

Nicht besser erging es dem Reichshofrath Johann Rein- hard von Mettemich, welcher an Kurmainz gesendet worden war. Auch hier zeigte man sich zwar erfreut über den jEäkr^, den der Kaiser in Bezug auf die Erledigung der katholischen Beschwerden an den Tag lege, wollte aber keineswegs glauben, dass diese Erledigung zu einem IMeg ßihren werde. ,Im Ge- gentheil,' meinte der Kurftirst, ,durch die Restitutionen würden den Gegnern erst recht die Mittel zum Schaden genommen werden; breche aber doch ein Krieg aus, so sei die Liga fUr sich allein jedem Feinde gewachsen/ Auch in Bezug auf die Regelung der Thronfolge antwortete Kurmainz ausweichend.

Das Tauschgeschäft, welches der Reichshofrath mit der Erlassung des Restitutionsedictes hatte verbinden wollen, war also gescheitert; man stand nach dem Versuche da, wo man schon vor demselben gestanden hatte, oder vielmehr die Ent- scheidung war noch um einen Grad schwieriger geworden. Was man auch beschliessen mochte. Gefahren drohten auf beiden Seiten: verweigerte man die Restitutionen, so stiess man bei den katholischen, gewährte man sie, bei den evange- lischen Ständen an. Dazu kam, dass gleichzeitig auch die Frage der Verminderung des kaiserlichen Heeres, welche von Katho- liken und Protestanten gleich dringend gefordert wurde, in Erwägung gezogen werden musste ; wie dort zwischen den Ka- tholiken und Protestanten , so schwankte man hier zwischen den Ständen des Reiches einerseits und dem siegreichen und gefbrchteten Feldherm andererseits. Entscheidend war in beiden

1 Antwort Maximilians vom 21. Februar 1628 im Wiener Staatsarchiv, Reichstagsacten 76; nahezu unter demselben Datum wurde bekanntlich der Vertrag abgeschlossen, durch welchen Bayern OberOsterretch gegen die Oberpfalz vertauschte (Aretin, S. 279). Die Antwort von Kurmainx ist gedruckt bei Londorp III, S. 10 15.

Der Streit um die geistlicben GAter und das Restltntionsedict (lß29). 37 1

Fällen, wie hoch man die bald darauf unverhtiUter hervortre- tenden Drohungen der Liga anschlug. Wenn man den Abfall der Liga füi* ein Unglück hielt, das um jeden Preis abgewendet werden müsse, so blieb nichts Anderes übrig, als Alles zu be- willigen, was die Liga forderte : die Restitutionen der geistlichen Güter zu Gunsten der Liga ebenso, wie die Entlassung der kaiserlichen Regimenter. Aber man konnte auch der Ansicht sein, dass es die Liga schon im eigenen Interesse nicht auf das Aeusserste ankommen lassen werde, und vor Allem auch, dass, selbst wenn dies geschähe, ein Bruch mit der Liga immer noch ein geringeres Unglück sei als die Zerstörung der kaiser- lichen Heeresmacht. Wer so dachte, musste umgekehrt geneigt sein, beide Forderungen der Ligisten abzuweisen, diejenige, welche sich auf die Verminderung des Heeres bezog, um ihrer selbst willen, die auf die geistlichen Güter bezügliche deshalb, weil die katholischen Kurfiirsten sich geweigert hatten, eine entsprechende Gegenleistung zu bewilligen, und dann auch deshalb, weil die Verwendung eines Theiles der kaiserlichen Truppen zur Durchführung der Restitutionen gleichfalls eine Schwächung der kaiserlichen Kriegsmacht bedeutete. Ja man konnte sogar hoffen , dass die Verweigerung der Restitutionen der Sache des kaiserlichen Heeres direct von Nutzen sein werde: vielleicht nämlich Hessen in diesem Falle wenigstens die Evangelischen vom Ansturm gegen den kaiserlichen Feld- herm ab, und damit wäre für diesen der Sieg schon zur Hälfte gewonnen gewesen.

Im Sommer 1628 war man denn auch in Wien noch keineswegs gewillt, den Drohungen der Ligisten ohneweiters nachzugeben. Es beweist dies die Instruction, welche um diese Zeit dem Grafen Colalto flir seine Reise zum Kurfürsten von Bayern gegeben wurde und nach welcher dieser Gesandte die Klagen der katholischen Stände wegen Nichterledigung ihrer Beschwerden einfach mit der Aufforderung beantworten sollte: jsie möchten doch die einzelnen Fälle, wo ihnen von den Evan- gelischen Unrecht geschehen , namhaft machen ; der Kaiser werde dann schon entscheiden, wie es recht sei'.* Mit anderen

^ Ferdinand an Colalto, '23. Jnni 1628 (Chlumecky, Reg., Anhang S. 267 ff.); es heisBt darin: ,Quanto alli gravamini quelli que vengono solecitati

372 Tupet«.

Worten: der Kaiser verwies den Kurfürsten von Bayern und seine Verbündeten auf den herkömmlichen Rechtsweg; die Evangelischen sollten, ganz wie es der Kurflirst von Sachsen verlangt hatte, in jedem einzelnen Falle sich erst noch einmal ver- theidigen dürfen, ehe das Urtheil erfolgte. Der Kaiser liess dabei allerdings hoffen, dass das Urtheil trotzdem den katholischen Wünschen günstig ausfallen würde, aber die Entscheidung blieb nichtsdestoweniger bis auf Weiteres vollkommen in seiner Hand. Indess schon damals konnte man vermuthen, dass in dem stillen, aber hartnäckigen Kampfe, welchen die Liga gegen die ausserordentliche Machtstellung des Kaisers begonnen hatte, schliesslioh dieser der unterliegende Theil sein würde. Insbe- sondere war es ein schUmmes Vorzeichen füi* die Standhafdgkeit des Kaisers, dass trotz des noch nicht beendigten Krieges mit Dänemark und trotz des Widerspruches, welchen Waldstein aus diesem Grunde erhob, eine nicht unbeträchtliche Anzahl kaiserlicher Regimenter abgedankt oder, wie der damalige Sprachgebrauch lautete , ,reformirt' wurde. * Gab der Kaiser nach in einem Punkte, wo das Nachgeben so offenbar gegen sein Interesse war, so liess sich voraussehen, dass er es umBo-

S. M. Ce.s<^i^ comandara che sijno espediti; U novi ^ necessario, che ]e parti intereBsate faccino le loro dimande et le solecitino, nel qnal c&so S, M. Ce»^* fara e^pedir tiitto con ogni maggior breuita, come e snccesso tra Wirzburg-Anspach-Kitzing, tra Constaiiz et Wirtemberg per Känchen- bacli (recte: Reichenbach). 1 Die Zahl der abgedankten Tnippen betrug nach einem Schreiben Maxi- milians von Bayern an Kursachsen vom 26. August 16*28 und der lu- stmction Qnestenberg's vom 5. September desselben Jahres 3000 Mann (vgl. Heyne, KurfUrstentag in Kegensburg, 8. 12). Der Grund dieser Nach- giebigkeit war der Herzenswunsch des Kaisers^ die Regelung der Thron- folge, welche ohne Zustimmung der katholischen Kurfürsten sich nicht durchsetzen liess; diesem Wunsche hat der Kaiser, wie bekannt, endlich den Feldherrn selbst geopfert. Der Umstand, dass der Ausdruck ,Refor- mation* auch für Truppenentlassungen gebräuchlich war, hat mitunter zu Missverständnissen geführt; wenn-z. B. Waldstein über Reformationen klagt, so ist dies in der Regel auf die Truppen zu beziehen, und nichU wie man gemeint hat, auf das Restitutionsedict. Deutlich ist dies in dem Schreiben an Colalto vom 11. October 1629 (Chlnmecky, S. 179), wo es heisst: ,das verschuldet die unzeitige und scharfe Reformation, wie auch das kaiserliche Edict wegen der Restitution der geistlichen Güter und Ausschaffung der Calvinisten'.

Der Streit um diß geistlichen Ofiter und das Restitntionscdict (1629). 373

mehr thun würde in einer Angelegenheit , welche auch von einem Theile der kaiserlichen Räthe befürwortet wurde und von der man in Wien der Ansicht war, dass sie nicht aus- schliessUch zum Vortheile der Liga, sondern in noch weit höherem Grade zum Vortheile des Kaisers selbst und seiner Diener ausschlagen werde.

Die Männer, welche sich so äusserten, waren freihch, wie es scheint, nicht durchaus von lauteren Beweggründen geleitet, von einigen lässt es sich vielmehr nachweisen, dass sie dabei in erster Linie an ihre eigene Bereicherung dachten. Als nach Niederwerfung des böhmischen Aufstandes di» eingezogenen Güter des rebellischen Adels zur Belohnung der kaiserlichen Minister und Officiere verwendet wurden, war ein schlimmes Beispiel gegeben worden ; die Begierde nach Gewinn und Beute, einmal erregt, war nicht leicht zu sättigen. So oft daher in der Folge ein neues Land erobert wurde, so oft erschienen auch jene habgierigen Wünsche wieder und, was das Schlimmste war, sie wurden in sehr vielen Fällen auch befriedigt; ins- besondere die Officiere glaubten einen gerechten Anspruch auf einen Theil der Ländereien zu haben, die ja eben durch ihr Verdienst dem Kaiser gewonnen worden waren. In diesem Sinne nun dachte man auch aus den bevorstehenden Restitu- tionen Vortheil zu ziehen. Es ist oben erzählt worden, wie selbstverständlich schon wenige Tage nach dem Siege von Lutter am Barenberge dem bayrischen Gesandten die Vollziehung der Restitutionen im niedersächsischen Kreise erschien ; der kaiserliche Gesandte, Graf Schwarzenberg, ging um dieselbe Zeit noch einen Schritt weiter : ihm erschien es nicht minder selbstverständlich, dass die so gewonnenen Güter hliuptsächlich zur Belohnung der ^ treuen Diener des Kaisers* verwendet werden würden.'

' Der bayrische Gesandte, der dies seinem Herrn berichtet, setzt entrüstet hinzu: das sei ,gegen die Ehre Gottes, contra primam insUtutionem und der katholischen Stände Willensmeinung'. Aehnlich hatte sich übrigens der kaiserliche Gesandte schon am 21. Mai 1626, damals wegen der geistlichen Güter in der Unterpfalz geäussert; dieselben sollten dem Kaiser dazu dienen, ,die Seinigen ohne Entgeld zu remuneriren^ ,Egre- gia Intention ruft Preysing höhnisch aus, als er dies berichtet (Aretin, Bayerns ausw. Verh., Urkunde zum 3. und 4. Abschnitt, Nr. 42). Auch SitzQDgBber. d. phil.-hist. Cl. CIL Bd. H. Hft. 25

374 Tupet«.

Aber so selbstsüchtige Beweggründe waren nur schlecht geeignet, dem Kaiser eine Massregel zu empfehlen , welche nach dem Urtheile vieler und einsichtiger Männer von grossen Gefahren begleitet war; die Gegner der Restitutionen hätten ja antworten können , dass in dieser Frage nicht der Vortheil der kaiserlichen Räthe, sondern der des Kaisers den Ausschlag geben müsse. Aber jene beutelustigen Rathgeber wussten sich zu helfen ; sie machten den Kaiser selbst zum Genossen und gewissermassen zum Mitschuldigen ihrer Habgier, sie stellten sich, als ob sie in erster Reihe die Bereicherung des Monarchen, die Erlangung einer passenden Versorgung für den noch minder- jährigen Sohn desselben, Erzherzog Leopold Wilhelm, im Sinne hätten. Indem sie so die väterlichen Gefühle des Kaisers für sich gewannen, hatten sie natürlich auch den eigenen Vortheil aufs Beste bedacht ; es konnte nicht fehlen , dass der Kaiser fbr so erspriessliche Rathschläge sich dankbar zu erweisen suchte, und man war bereit, ihn seinerzeit aufmerksam zu machen, welche Aemter und Pfründen, Güter und Einkünfte als geeignete Belohnung anzusehen wären. Man säumte daher auch nicht, im Namen des kaiserlichen Prinzen tüchtig zuzu- greifen ; alle die grossen norddeutschen Stifter : Bremen, Verden, Minden, Halberstadt und Magdeburg sollten ihm zu Theil werden. Zusammengenommen stellten diese Stifter ein Gebiet dar, grösser als dasjenige, welches irgend einer der drei geist- lichen Kurfürsten sein eigen nannte, und nicht viel kleiner als dasjenige, über welches der Kurflirst von Sachsen gebot; den Verlust eines der kleineren österreichischen Kronländer würde es reichlich ersetzt haben. * Dazu kamen noch besondere

Graf Wolf von Mansfeld scheint hauptsachlich darum die Restitutions- pläne befürwortet zu haben, weil er Statthalter im Erzbisthum Magde- burg werden wollte; Waldstein äussert sich darüber wiederholt in sehr gehässiger Weise: ,Aus dem Reich/ schreibt er an Colalto am 10. Jnli 1628 (Chlumecky, Reg., Anhang S. 76), ,hat man geschrieben wegen des von Mansfeld , dass der Wolf ankommen ist, wehre sehr hungerig, griffe mit beiden Händen zu*; und am 26. Januar 1629 (?): ,Ich merke, dass der Graf den Beichtvater hat eingenommen und ihm von Befor- macion in den Stiftern eiugebüldet* (ebenda, S. 243). ^ Bischof von Passau und Strassbung war Erzherzog Leopold Wilhelm

«

bereits; auch eine Abtei, das alte und reiche Hersfeld sollte ihm zugewendet werden.

l>er Streit um ^ie geistlichen Güter und das Reütitutionsedict (1629). 375

politiBche tmd militärische Vortheile bei jedem einzelnen Stifte. ^ Bremen sperrte die Mündung der Weser und gewährte ausser- dem eine vortreffliche Stellimg an der Nordsee ; von hier aus konnte man vielleicht auch die anderen Hansestädte unter die kaiserliche Botmässigkeit bringen, fftr den grossartigen Plan einer kaiserlichen Meeresherrschaft gab es kaum einen besseren Stützpunkt. Einen zweiten Weserpass erwarb man in Minden ; von hier aus konnte man Wache halten nicht blos über die cal- vinischen und lutherischen Nachbarn, über Holland, Braun- schweig , Hessen , sondern auch über die unter bayrischem Einflüsse stehenden Stifter: Münster, Paderborn, Hildesheim und Osnabrück. Und wie wichtig war endlich Magdeburg, der ,Schlüssel GermaniensM Wer dort herrschte, übte einen beinahe unwiderstehlichen Druck aus nicht nur auf Hessen und Braun- schweig, sondern auch auf Kursachsen und Kurbrandenburg; da3 Stift lieferte zusammen mit Halberstadt den grössten Theil des Bedarfes für das ligistische Heer; wer Magdeburg hatte, besass zugleich das Directorium im niedersächsischen Kreise.^ In der That, so viele Vortheile auf einmal, dass es fast ein Wagniss war, dem Kaiser trotz alledem die Besitznahme zu widerfathen ; wer es that, setzte sich ja der Beschuldigung aus, dass ihm das Wohl des Kaisers, die Zukunft des kaiserlichen Prinzen weniger am Herzen liege als den anderen Käthen.

Es scheint denn auch, dass der Vorschlag, dem Erzherzog jene Stifter zuzuwenden, am kaiserlichen Hofe nirgends auf Widerstand stiess; Waldstein wenigstens, der sonst den Resti- tutionen nicht günstig war, sprach sich dafür aus. Ja er

1 Die Bedeutung der Stifter in politischer Hinsicht wurde von den nieder- sächsischen Ständen schon 1623 hervorgehoben: wenn der Kaiser sie und damit den , Schlüssel zur Ost- und Westsee* in seine Gewalt bekomme, werde es um die ^deutsche Kur- und Fürstenlibertät* geschehen sein (Opel I, S. 456). Noch ausführlicher handelt darüber ein Gutachten des Restitutionscommissärs Hye (Wiener Staatsarchiv, Kriegsacten, S.38)

^ Diese Aussichten werden noch ' verlockender, wenn man die Ergänzung hinzunimmt, welche die Restitutionen durch die Confiscationen auch weltlicher Besitzungen zu Gunsten der kaiserlichen Generale erhielten; so ist insbesondere in Betracht zu ziehen die Verleihung Mecklenburgs an Waldstein. K. A. Menzel sagt daher viel zu wenig, wenn er den politischen Vortheil des Kaisers blos in der Vermehrung der geistlichen, dem Kaiser gefügigeren Stimmen sieht (VII, S. 174).

376 Tnpeti.

wünschte sogar, dass man in die Hauptstädte der Stifter Bremen und Magdeburg, sei es mit List oder Gewalt, Kriegsvolk werfe, damit nicht nur das Stift, sondern auch die Stadt in der Hand des Erzherzogs sei: der kaiserUche Prinz sollte, wie er es ausdrückte, nicht Erzbischof von, sondern zu Magdeburg sein.' Und man braucht nicht etwa zu glauben, dass es dem Fried- länder mit diesem Rathe nicht ernst war,, oder dass er ihn nur widerwillig, um bei Hofe nicht unbeliebt zu werden, gegeben habe; im Gegentheil^ der Anschlag auf die norddeutschen Stifter passte ja vortrefflich zu den Plänen auf Erhöhung der Kaiser- macht, Zurückdrängung des Ständeregimentes, welche, wie man ßagt, ihn selber beschäftigten. Wenn ganz Deutschland mit einem Netze kaiserUcher Besitzungen überzogen war die Besitzungen des minderjährigen Erzherzogs konnten ja wohl für die nächste Zeit als Besitzungen des Kaisers selbst gelten wenn man namentlich auch im niedersächsischen Kreise, in welchem nach der Ansicht der kaiserlichen Räthe die Straft von ganz Deutschland enthalten war, festen Fuss fasste, war .nicht damit die absolute Monarchie auf das Wirksamste vor- bereitet? Und wenn dies nicht das Ziel Waldstein's war, wenn er sich blos auf die Erhaltung der kaiserUchen Heeresmacht und seiner eigenen Stellung an der Spitze derselben beschränkte, war nicht auch dafUr der Besitz der Stifter, welche den Unter- halt der kaiserlichen Tinippen auf Jahre hinaus sicherstellten, von unberechenbarem Werthe? Wie seltsam aber war es, wenn die Restitutionen, welche doch von Waldstein's Gegnern, den Ligisten, ausgesonnen worden waren, in ihren Folgen zum Nachtheile der eigenen Urheber ausschlugen, wenn durch die- selben indirect die Pläne desjenigen Mannes befördert wurden, den sie von Allen am bittersten hassten und verfolgten!

^ Waldstein freute sich daher, wie er selbst an Colalto schreibt (13. Jani 1629; Chlumecky, ^g-? Anhangs S. 147), als die Magdeburger sich ihm zu widersetzen begannen, ,Ton Herzen'; denn, setzt er hinzu, ,izt habe ich causam leg^timam, sie zu bloquieren und also Ihr Mi^jestät werden dieser Statt sich recht impatronieren und diesem fomehmen Pas halten könnend Waldstein war überhaupt den Hansestädten, welche ,des Reichs Holländer seienS nicht günstig und hoJQPbe von der Erwerbung Bremens und Magdeburgs durch den Erzherzog die Sprengung ihres Bundes (Schreiben vom 16. Juni 1629; a. a. O. S. 153).

Der Streit am die geistlichen Güter nnd das Restitationsedict (16S9). 377

Und doch war selbst diese Aussicht nicht im Stande^ Waldstein in einen Freund der Restitutionspläne umzuwandeln. Nach seiner Meinung genügte zur Besitznahme der Stifter Magdebui^, Halberstadt; Bremen u. s. w. das einfache Kriegs- recht: man konnte sie behalten, weil man sie erobert hatte. ^ Waldstein betrachtete daher eine Entscheidung, welche sich auf alle geistlichen Güter bezog, nicht nur als unnöthig, sondern auch als gefährlich; der Kaiser konnte nach seiner Ansicht nicht mehr gewinnen, als er ohnedies schon besass, und hatte demungeachtet, wenn keinen andern, wenigstens den Nachtheil, dass ein grosser Theil des Heeres nicht gegen die auswärtigen Feinde verwendet werden konnte, weil er zur Ueberwachung der Unzufriedenen im Reiche selbst nöthig war.* Mit anderen Worten: Waldstein befürwortete die Einsetzung eines katho* hschen Erzbischofs oder Bischofs statt des evangelischen nur in dem Falle, wenn der Einzusetzende ein kaiserlicher Prinz war; er wollte Restitution, aber nur eine theilweise, keine all- gemeine ; er wollte sie so, dass sie zwar dem Kaiser und noch mehr dem kaiserlichen Heere, welches aus den Stiftern seine Verpflegung erhalten sollte, zu Gute kam, aber nicht den Li- gisten, jenen Ligisten, welche ihre Freundschaft für den Kaiser fortwährend dadurch bethätigten, dass sie mit allen Kräften auf die Zerstörung des kaiserlichen Heeres hinarbeiteten. Für den kaiserlichen Feldherm stand die Erwerbung von Magde- burg, Bremen, Halberstadt u. s. w. auf gleicher Linie mit der Vertreibung der mecklenburgischen Herzoge, der Confiscation braunschweigischer Aemter und ähnlichen Besitzwechseln, welche er ebenfalls gut hiess, und zwar darum, weil sie die Macht des Kaisers und seiner Generale erhöhten , die seiner Gegner

^ Waldstein an den Kaiser, 26. Januar 1629 (Chlamecky, Beg., Anhang Seite 94).

3 Dieser Gesichtspunkt tritt sehr stark und an verschiedenen Stellen der von Chlnmecky veröffentlichten Briefe hervor, freüich durchwegs in solchen, welche erst nach dem Restitntionsedict geschrieben sind und welche es daher ungewiss lassen, ob Waldstein die Aufregung, welche das Edict unter den Evangelischen hervorbrachte, und die dadurch entstandenen Gefahren schon vor Erlassung desselben vorausgesehen hat (Chlumecky, Reg., Anhang S. 144, 179, 182, 190, 192, 209, 219; vgl. auch Klopp, TiUy n, S. 82).

378 Tnpotx.

schwächten; der Gesichtspunkt, aus welchem Waldstein die Restitutionen beurtheilte, war ein durchaus weltlicher J

Aber die Frage der Rückerstattung der geistlichen Güter hatte ausser der weltlichen auch eine religiöse Seite. Neben jenen Räthen, welche aus eigennützigen Absichten die Restitu- tionen befürworteten und eben darum auch dem Kaiser irdische Vortheile in Aussicht stellten, gab es am kaiserlichen Hofe auch solche und sie waren die einflussreichsten welche in erster Reihe das Wohl der katholischen Kirche und erst in zweiter das des Kaisers im Auge hatten, welche daher auch folgerichtig den Gedanken einer theilweisen, blos den kaiser- lichen Interessen dienenden Restitution als ungenügend ver- warfen und ebenso wie die Ligisten, wenn auch aus anderen Gründen, eine allgemeine Entscheidung forderten. Das, waR der päpstliche Nuntius Caraffa,' der kaiserliche Beichtvater Lämmermann, die vornehmsten dieser Räthe, dem Kaiser in Aussicht stellten, war vielleicht schon damals nicht in aller Augen ein Gewinn, wenigstens war es ein Gewinn von aus- schliesslich ideeller Natur; dem Kaiser aber erschien er ver- muthlich werth voller als alle die reichen Erwerbungen, welche man seinem Sohne zugedacht hatte, sogar werthvoller vielleicht

* Caraffa I, S. 311 behauptet, Waldstein sei deshalb greg-en die Resti- tutionen gewesen, weil ihn die Protestanten mit einigen hunderttausend Tbalem bestochen hatten; die Haltung Waldstein^s ist aber auch ohne Bestechung verständlich. Dass er verhältnissrnfissig duldsam war, zeigt unter Anderem auch seine Missbilligung der strengen Gegenreformation in Böhmen in dem Briefe vom 5. Mai 1626 an Harrach (Tadra in den Fontes rer. Austr. H, 41, S. 283): ,Bitt auch,* schreibt er darin, ,man höre auf in Böhmen so erschrecklich wegen der Lutherischen zu proce- diren' . . . ,wann8 übel zugeht , Jesuiter finden ein anderes CoUegium. der Kaiser aber kein anderes Land.* Nach einem Berichte der evange- lischen Gesandten des schwHbischen Kreises (Dr. A. Rest. III, 51) h'iiie ursprünglich auch die Absicht bestanden, das Restitntionsedict nicht zu publiciren, sondern blos dem Reichshofrath zuzustellen, damit dieser in vorkommenden Fällen darnach Recht spreche; wenn der Plan wirklich bestanden hat, so würde er als eine Modification des Waldstein'schen Planes betrachtet werden können.

3 Nach den Behauptungen des kaiserlichen Ge.<tandten Pazmann zn Koni (13. Juli 1632) hat sogar der Papst «elbst .durch 15 pMpstliohe Breven' zur Erlassung des Restitutiousedictejj gedrängt (Gregorovius, Urbaif VIII, 3eite 75),

Der Streit um die geistlichen Güter und da« Reetitntioneedict (1629). 379

als jene uBumschränkte Raisergewalt^ zu welcher, wie die Rede ging, Waldstein ihm verhelfen wollte.

Man erwartete nämlich von den Restitutionen nicht blos die Sühnung eines Jahrzehnte alten Unrechts an der katholischen Kirche, nicht blos die Wiederherstellung altehrwürdiger Bis- thümer, Erzbisthümer und Abteien, sondern vor Allem auch ,die Rettung von vielen hunderttausend Seelen% welche sonst der ewigen Verdammniss anheimgefallen waren, oder kurz gesagt: man erwartete einen neuen und grossartigen Fortschritt der Gegenreformation J Als selbstverständlich galt, dass in den reichsunmittelbaren Stiftern und Klöstern, sobald sie nur wieder einen katholischen Landesherm hätten, der katholische Gottes- dienst mit der Zeit allgemein wieder eingeführt werden würde: nach den Begriffen jener Tage forderte dies, ganz abgesehen von religiösen Beweggründen, schon die blosse Staatskunst. Wenn man selbst den Besitz der katholischen Erblande nicht eher gesichert glaubte, als bis vollkommene Uebereinstimmung in der Religion zwischen dem Landesherm und seinen Unter- thanen bestand, so erschien auch eine Eroberung nicht eher glücklich vollendet, als bis auch eine entsprechende Aenderung des Glaubens eingetreten war. Aber auch die mittelbaren Klöster und Convente sollten keineswegs, nachdem sie restituirt waren, katholische Oasen in der protestantischen Wüste bleiben, man dachte sich dieselben vielmehr als Stätten der Mission, von wo aus die katholische Lehre strahlengleich nach allen Seiten sich ausbreiten -würde. ^ Wenn man sich der Erfolge

^ Das Seelenheil ,yieler, unzählbarer, verführten armen Seelen* zu be- fördern, wird schon in dem Schreiben der geistlichen Kuritirsten vom 12. November 1627 aus Mühlhausen als Zweck der Restitutionen angegeben. Im Jahre 1628 sprechen auch die kaiserlichen Räthe die Hoffnung aus, dass durch die Restitutionen ,die katholische Religion zu vorigem Flore allgemach wachsen mOchte* (Dresdner Archiv 8093/138).

^ Die Gegenreformation in den geistlichen Fürstenthümern war allerdings durch die Ferdinandeische Declaration untersagt, aber gerade diese Declaration wurde im Restituüonsedict für ungiltig erklärt. Uebrigens spricht deutlicher als Alles der Umstand, dass z. B. in den württembergi- schen KlOstem, als sie restituirt waren, die Unterthanen wirklich ge- zwungen wurden, den Glauben zu wechseln, und noch bezeichnender ist die Art, wie dieses Verfahren in einer für den Frankfurter Compo- jiitionfftag bestimmten Peduction (Londorp IV, S, 240) vertheidigt wird^

380 Tupetu.

erinnerte, welche, unterstützt von der weltlichen Obrigkeit, der Jesuitenorden in den verschiedensten Theilen Europas, nament- lich aber in den österreichischen Erblanden auf diesem Wege erreicht hatte, so schien es nicht allzu vermessen, wenn vielen Katholiken das ,wunderbare Werk der Wiedergewinnung 6er- maniens* nur noch für eine Frage kurzer Zeit galt. Und wie bestrickend musste flir ein katholisches Herz gerade dieser Ge- danke sein! Die religiöse Spaltung aufgehoben, alle daraas entstandenen Streitigkeiten mit einem Schlage beseitigt, ein Glaube herrschend von den Alpen bis zur Nord- und Ostsee, konnte der Ausgang des Krieges vom katholischen Standpunkte aus schöner, wünschenswerther, erfreulicher gedacht werden? Und wenn dies Alles durch einen Federstrich erreicht oder doch vorbereitet werden konnte, fragte es sich, ob man ihn thun sollte?«

es sei absurd, heisst es da, ,waim der Klöster Pfarrer und Unterthanen bei jetzigem Religionswesen verbleiben sollton; dann was wäre dies or ein Restitution, darum man so lang und mühsaralich ge- fochten, wann solche nur intra claustrorum parietibus ver- schlossen und die religiosi vor sich allein psallieren und Messlesen . . . müssten^ Auch der Restitutionsconimissär Hye empfahl haupt- sächlich darum die Eroberung von Bremen, weil ,ohne Bezwingung der Stadt an eine dauernde Reformation des Stiftes nicht zu denken sei* (1630; Wiener Staatsarchiv, Kriegsacten, S. 38). Hurter's Behaup- tung (Ferdinand II.. X, S. 63), der Kaiser habe nicht so gedacht wie Hye ist unerweislich. ^ In einem lateinischen, an Leseale, Canonicus der Kathedralkirche zu Verdun, gerichteten Schriftstücke (Wiener Staatsarchiv, Kriegsacten S. 38) heisst es: der Papst müsse einschreiten; denn keine Zeit sei günstiger, ,um die ganze, grosse und ruhmvolle Provinz Germanien zur früheren Blüthe des rechten Glaubens zurückzufahren und so das deutsche Reich als Vorwerk der allgemeinen Kirche wieder zu einigen*. Graf Wolf von Mansfeld hoffte von dem kaiserlichen Beichtvater, derselbe werde nicht nur ,die vollständige Restitution der Stifter und Klöster*, sondern auch ,die gänzliche Ausrottung der Ketzer* durchsetzen. Sogar einer der Restitutionscommissäre Hess sich, wenn den protestantischen Berichten darüber zu trauen ist, zu der Aeussening hinreissen, der ^Kaiser woWe die Lutheraner ebenso wie die Calvinisten ausrotten' (der fränkische Commissär Popp; Dresdner Archiv, Restitution IV, R. 140). Natürlich sind derartige Reden nur symptomatisch zu nehmen; in Wirklichkeit hat man ja nicht einmal die , Ausrottung* der Calvinisten versucht. Doch haben solche Aeusserungen mehr noch als das Restitutionsedict selbst

Der Streit um die geistlichen Qfltcr und das Restitationsedict (1629). 381

Aber, wird man einwenden, diese Hoffnungen waren trü- gerisch, phantastisch, unerfüllbar; es war thöricht, zu glauben, dass ein grosser Erfolg mit einem so kleinen Einsätze gewonnen werden könne, die Verwirklichung des Gehofften setzte viel- mehr eine so ungetrübte Fortdauer des Kriegsglückes voraus, dass kein Einsichtsvoller sie f\ir wahrscheinlich halten konnte. Hatte doch Waldstein schon 1626 erklärt, dass ,des Kaisers Sachen sich nicht lange in so guten terminis erhalten könnten^ imd musste er dies nicht besser beurtheilen können als irgend ein Anderer? Gewiss! so würde die nüchterne Erwägung ge- sprochen haben. Aber was uns phantastisch erscheint, war es nicht immer auch für die Zeitgenossen; seit Beginn des Krieges hatte man so wunderbare Glückswechsel erlebt, dass auch das wunderbarste nicht mehr ftlr unmöglich gelten konnte. Und gesetzt auch, das Ziel, die Wiedergewinnung Germaniens fitr den katholischen Glauben, wurde nicht ganz erreicht, war nicht trotzdem jeder Schritt, mit dem man ihm näher kam, ein unberechenbarer Gewinn? War man nicht bei'echtigt und sogar im Gewissen verpflichtet, denselben zu thun, ohne Rück- sicht auf etwaige Gefahren, denen man sich damit aussetzte?

Wie empfänglich der Kaiser gerade für solche Gedanken war, ist zur Genüge bekannt. Deutlich hatte er seine Gesin- nung schon im December 1627 dem bayrischen Gesandten gegen- über ausgesprochen: ,Alle seine Absichten und Handlungen^, hatte er damals versichert, ,habe er seit Langem der Ehre Gottes und der katholischen Religion gewidmet; er sei dies aber auch schuldig wegen der dafür empfangenen göttlichen Gnaden'.* Man sieht: alle Prüfungen, welche der Kaiser seit Beginn seiner Regierung erduldet, erschienen ihm gleichsam als Opfer, dar- gebracht im Dienste der katholischen Idee, alle Triumphe, welche er errungen, als die gerechte Belohnung dieser Opfer. So ergab sich leicht der Entschluss, zum Besten der Kirche, wenn es noth that, auch neue Gefahren freudig auf sich zu nehmen , um sich immer neuer Gnaden würdig zu machen.

die protestantischen Stande, denen sie bekannt wurden, in Aufregung gebracht und so, um einen Ausdruck O. Klopp's zu gebrauchen (Tillj II, 8. 12), ,den Boden reif gemacht für die Aufnahme der fremden Saat, der Lüge des ReligionskriegesS * Aretin, Bayerns ausw. Verh. S. 283,

382 Tnpeiz.

Wenn es nun gar den Anschein hatte^ dass die Gefahren niclt eben bedeutend, der mögliche Gewinn dagegen sowohl in weh- licher, als auch in religiöser Hinsicht ein überaus grosser sei. so gab es nichts mehr^ was den Kaiser zurückhalten konnte. Hatte er -sich jemals in dieser Frage unschlüssig gezeigt, 8o trug gewiss nur der Widerstand eines Theiles seiner Räthe hieran Schuld ; als aber auch im Jahre 1628 die katholischen Waffen von Sieg zu Sieg eilten, da fanden ihre Warnungen und Beflirchtungen immer weniger Gehör, bis endlich am 13. September 1628 geradezu der Befehl erging, das Restitutions- edict so, wie es von dem päpstlichen Nuntius und seinen Ver btindeten gefordert wurde, abzufassen.^ Bereits am 25. October konnte Strahlendorf den von ihm entworfenen Text den Kur- ftlrsten von Mainz und Bayern zur Begutachtung übersenden.^ Und merkwürdig, der Eifer für die Restitutionen war nun am kaiserlichen Hofe beinahe grösser als bei den Ligisten. Anfangs hatte man in Wien Bremen und Magdeburg, Minden und Halberstadt für einen Gewinn gehalten, gross genug, um

1 Schon Am 7. September erklärte pich übrigens der Kaiser entschlossen, gegen Waldstein*s Meinung eine Vergleichung mit den katholischen Fürsten zu suchen, in welche natürlich der Punkt wegen der Restitutionen mit einbegriffen war-, unter diesem Datum schrieb er an Colalto (Chln- meckv. Reg., Anhang S. 270): er wolle ,trattare gli miei affari con gli elettori non per forza, ma con dolce maniera*. Ob wirklich, wie es im Theatrnm Europ. II, S. 10 heisst, die Mehrheit der Räthe gegen und nur die Minderheit für das Edict war, wage ich nicht zu entscheiden; von den vier Räthen, welchen das Mühlhausner Gutachten zur Beurtheilung Übergeben wurde, zeigt sich Nostitz von Anfang an den Restitutionen günstig, von Strablendorf darf man, da ihm die Abfassung des Edictes übertragen wurde» das Gleiche vermuthen; Eggenberg war vielleicht als Freund Waldstein's dagegen, Trauttmansdorff aber dürfte seiner späteren Haltung nach zu den Befürwortern des Edictes zu zählen sein. Das Datum: 13. September ergibt sich aus einem Gutachten deputirter ^- heimer und Reichshofräthe vom 9. December 1628, in welchem der ,vod Sr. Majestät den 13. September anbefohlenen Decision und ErOrtemng des ReichsgravaminumVErwähnung gethan wird. Heyne, Der Kurfilrsten- tag in Regensburg S. 18 deutet dies, aber offenbar irrthümlich, so, sl^ ob am 13. September schon der Entwurf vorgelegen hätte.

^ Dieser Entwurf findet sich in einer Copie im Münchner Staatsarchiv 4 2 und unterscheidet sich von der in Druck ^^elangten Fassung des Edictes, abgesehen von stylistischen Aenderungen, hauptsächlich durch das Fehlen der Bestimmi;ng gegen die Calvinistea.

Per Streit iiin die geifitlich(>n Gfltor and d»« Kestitvtionsedict (1629). 383

allein die Erlassung des Restitutionsedictes zu rechtfertigen; jetzt genügte das bereits nicht mehr. Man erinnerte sich auf einmal; dass die Katholischen ja auch auf die anderen evan- /jeliseh gewordenen reichsunmittelbaron Stifter niemals aus- drilcklich verzichtet hätten: nur in Bezug auf die kleinen^ mittelbaren Stiftungen, in Bezug auf Klöster, Convente u. dgl. sei dies im Jahre 1055 geschehen. Bestehe der geistliche Vorbehalt zu Recht und welcher Katholik würde daran zweifebi so gelte er auch rückwirkend für jene unmittel- baren Stifter, welche schon vor dem Religionsfrieden, schon vor 1555 evangelisch gew^orden waren; mit anderen Worten: es gab in ganz Deutschland kein einziges reichsunmittelbares Stift, kein einziges evangelisches Bisthum oder Erzbisthum^ das nicht zurückverlangt werden konnte; wenigstens in Bezug auf die Bisthümer und Erzbisthümer konnte Deutschland schon jetzt auf jenen Zustand zurückgeführt werden , in welchem es vor dem Auftreten Luther's, vor dem Jahre 1517 gewesen war.' Während also die Ligisten das Rad der Zeit doch nur um un- gefähr 70 Jahre zurückdrehen wollten, hatten die kaiserlichen Räthe kein Bedenken, mehr als ein Jahrhundert aus der Ge- schichte zu streichen.

Der kaiserliche Reichshofrath legte seinen Einfall den Kur- fürsten von Mainz und von Bayern zur Meinungsäusserung vor; aber selbst diese waren erschreckt über die Grösse und Neu- heit eines solchen Gedankens. ,Noch sei ja nicht einmal/ wendeten sie ein, »wegen jener Stifter von katholischer Seite

* Selbst der Gedanke, auch den Verzicht auf die mittelbaren Güter nach- tnif^lich ftlr ungiltig' zu erklären und mmit auch alle KlOster, Kirchen, Spitäler n. h. w., mit Einschluss der vor 1552 eingezogenen, zurückzu- verlangen, scheint erörtert worden zu sein; wenigstens heisst es am Schlüsse einer im Dresdner Archiv, Restitution I, S. 1 befindlichen Ab- whrift des im Theatrum Europ. 11, S.7 veröffentlichten Schriftstückes: Den Rechtsgelehrten werde die Frage vorgelegt, da der Religionsfriede nur von den bereits eingezogenen Gfltern spreche , ob man nicht auch .ad praeterita ex conditione causae datae, causae non secutae. oder einem anderen remedio juris ein actionem haben konnte, alle geistlichen Güter wieder einzuziehen und ihnen (den Evangelischen) die Flügel zu stutzen'. Knrbaiern an Kurmainz. 5. December 16*28 und an Strahlendorf, 9. Januar 1629 (Londorp III, S. 10 47; auch im Münchner und in besonders zah]i reichen Abschriften im Dresdner Archiv),

384 Tupet».

Klage erhoben worden ; wie könne man da schon ein Urtheil fallen, und als ein solches sollte das Edict doch erscheinen!^ Aber ganz ablehnend sprachen sich die Kurfürsten nicht aas; dafür war die Aussicht, welche die kaiserlichen Räthe eröffnet hatten, doch wieder viel zu verlockend; sie trösteten also den Kaiser, man könne ja, wenn der erste Schritt bezüglich der schon früher streitigen Güter gelungen sei, die erforderliche Klage auch betreffs der übrigen Stifter noch einbringen; auf- geschoben sei nicht aufgehoben!

Der kühne Vorschlag der kaiserlichen Räthe erregte jedoch nun auch den Wetteifer der Ligisten; gewissermassen um den Kaiser für die Ablehnung des von ihm ausgehenden Vor- schlages zu entschädigen, empfahlen die Kurfllrsten eine Mass- regel, welche, wenn sie durchgeführt wurde, eine ganze Reihe evangelischer Stände in der Wurzel traf, indem sie nicht blos ihre religiöse, sondern auch ihre politische Freiheit vernichtete.

Maximilian von Bayern hatte sich immer als unversöhn- licher Gegner der Calvinisten gezeigt; bereits im December 1627 hatte er durch Preysing auf die Ausrottung dieser Secte dringen lassen, in seinem Gutachten vom 5. December 1628 wiederholte er diesen Rath. ,Schon im Jahre 1576,^ sagte er, ,8ei der Cal- vinismus verboten worden; aber man habe damals den Fehler begangen, dass nicht zugleich auch Massregeln beschlossen wurden, um ihn thatsächlich zu vertilgen, und so sei gerade der Calvinismus der Urheber alles folgenden Unheils geworden; nun sei die Zeit gekommen , diesen Fehler endlich gut zu machen/ Maximilian begnügte sich also keineswegs mit einer blos theoretischen Missbilligung der calvinischen Lehre, im Gegentheil, er verlangte ausdrücklich die Einfuhrung einer Art von Inquisition. ,Niemand,' sagte er, ,werde sich freiwillig als Cal- vinist bekennen, man müsse daher, um sie zum Geständniss zu bringen, ein ,GIauben8examen* einführen; geschehe dies nicht, so werde auch das neu zu erlassende Verbot nicht wirksamer sein als das vom Jahre 1576/ Um den Kaiser über die Trag- weite seines Vorschlages einigermassen zu beruhigen^ ffigte Maximilian hinzu : ,Den Kurfürsten von Brandenburg gehe das nicht an, denn derselbe sei vielleicht nicht einmal wirklich eia Calviner, und wenn auch, so habe er doch keinen calvinischen Gottesdienst in seinem Lande eingeführt/ Man kann auch

Der Streit um die geistlichen Gfiter und das Kestitutionsedict (16S9). 385

Maximilian ohne Zweifel aufs Wort glauben^ dass er nicht daran dachte^ den KurfUrsten von Brandenburg vor sein Glau- bensgericht zu ziehen; er hätte sogar hinzusetzen können, dass ihm auch an der Bekehrung des Landgrafen Wilhelm von Hessen oder des Pfalzgrafen von Zweibrücken nicht eben viel gelegen sei. Bei allen diesen Fürsten konnte sich der Calvi- nismuB höchstens dadurch nützlich erweisen , dass man ihnen die eingezogenen geistlichen Güter um so eher wieder ab- nehmen konnte, wenn man zu den übrigen Anklagen auch noch die hinzufügte, dass sie einer verbotenen Secte ange- hörten. Abgesehen aber war es eigentlich auf die Reichsstädte. In vielen derselben spiegelte sich der Glaubensstreit, welcher das ganze Reich spaltete, in einem heftigen Kampfe zwischen dem katholischen imd protestantischen Theile der Bürgerschaft wieder, ' welcher schon längst die Aufinerksamkeit der benach- barten katholischen Fürsten auf sich gezogen und wiederholt das Gelüste bewaffneter Einmischung erweckt hatte. Wie gern hätte man allen diesen Reichsstädten das Schicksal von Donau- wörth bereitet , und wie begierig griff man nach jeder Hand- habe, die sich dazu bot! Keine geeignetere aber liess sich denken als der Calvinismus. '^ Der Calvinist war sozusagen

^ Wo die katholiflchen Bürger die Oberhand hatten, klagten die prote- BtantiBchen, im entgegengesetzten Falle die katholischen Bürger über Unterdrückung nnd ohne Zweifel beide mit Recht. Die Gegner wurden gewöhnlich nicht nur vom Käthe ausgeschlossen, sondern mitunter selbst zur Auswanderung gezwungen. Für die Unduldsamkeit auch der pro- testantischen Bürger ist eine Beschwerde der Stadt Nürnberg vom Jahre 1624 charakteristisch, welche die Abhaltung des kurfürstlichen Collegialtages in Nürnberg deshalb nicht zugeben wollte, weil man dann für einige Zeit das ,katholische Exercitium' hätte gestatten müssen. In Regensburg wurden katholische Processionen durch Ketten gehindert, mit denen man die Gassen sperrte, und Aehnliches (Dresdner Archiv, Gra- vamina des Reichsst. II; Maximilian an den Kaiser, 19. April 1629, Münchner Staatsarchiv 4/3).

' Waldstein classificirt denn auch nachher die Beschwerden der ver- schiedenen evangelischen Stände folgendermassen: Die Fürsten seien unzufrieden wegen der Restitutionen, die Ritterschaft wegen der Confis- cationen, die Städte, ,weil man den Calvinismus nicht mehr leiden will' (Chlumecky, S. 144; 8. Juni 1629). In dem Verfahren gegen Augsburg, Kempten, Memmingen u. s. w. spielte wirklich der Vorwurf des Calvi- nismiu eine grosse Rolle (s. u.). Was er bedeutete, sieht man daraus,

386 Tupetz.

vogelfrei; gegen wen man diese Anklage erhob, gegen den be- durfte man keines anderen Rechtsgrundes mehr. In den Reichs- städten liess sich auch das von Maximilian -gewünschte Glaubens- gericht verhältnissmässig leicht in Thätigkeit setzen. Um fireilicL den Erfolgen des ,Examens' Dauer zu verleihen, war nach bayrischer Ansicht noch etwas mehr nöthig : man musste nämlich die Städte unter die Ueberwachung eigener Reichsvögte stellen, welche selbst wieder unter der Oberaufsicht der benachbarten katholischen Fürsten stehen sollten.

Aber gerade in diesem letzten Vorschlage blickte der Pferdefiiss zu deutlich hervor, als dass die kaiserlichen Räthe ihn nicht hätten bemerken «ollen. So sehr sie die Abneigung gegen die calvinische Lehre theilen mochten, so verblendet waren sie doch nicht, dass sie den Ligisten die Unabhängig- keit sämmtlicher Reichsstädte geopfert hätten. Man wusste ja am kaiserlichen Hofe, was man an den Reichsstädten besass. Wenn der Kaiser in Geldverlegenheit war und wann war er es nicht? wenn er Artillerie, Schiffe, Lebensmittel u. dgl. brauchte, immer spielten die Reichsstädte bei der Beschaffung dieser Dinge die Hauptrolle. * So kostbare Freunde durfte man nicht ohne Noth in das Lager der Gegner treiben, im schlimm- sten Falle musste man ihnen selbst den Calvinismus verzeihen, um keinen Preis aber durfte man sie unter die gefährliche Oberaufsicht des Kurfürsten von Bavem stellen, unter der sie bald aufgehört haben würden , dem Kaiser mit ihren Geldern behilflich zu sein. Der Reichshofrath nahm daher entschieden Partei für die Reichsstädte und gegen die Ligisten, Im Re- ligionsfrieden, sagte man, sei in Bezug auf Reichsstädte, welche ohne Zwang und freiwillig den Glauben wechselten, ,niehts

da88 den Calviiiisten nicht einmal das jedem Lutheraner g'ewährte Aus- wanderungsrecht zugestanden wurde; so erhielt z. B. Graf Johann von Nassau nach Caraffa, Anhang 43 vom Kaiser ausdrücklich patenta de non emigrando gegen seine (calvinischen) Unterthanen. * Was die Reichsstädte dem Kaiser zahlten, sieht man an dem Beispiele von Nürnberg, welches selbst für die Befreiung von der Einquartirnng den kaiserlichen Generalen eine Zahlung von 100.000 fl. jährlich anbot; die Generale forderten jedoch monatlich 25.000, also jährlich 300.000 Ü. Die Berathung im Keichshofrathe Über das bayrische Gutachten fand am 15. Februar 1629 statt (Wiener Staatsarchiv Kriegsakten S. 38).

Der Streit um die geiittlicheu (iüter and daa BeetitotioDsedict (162tf). 387

Grewisses bestimmt'; jedenfallB sei es nicht rathsam, ,zu viel auf einmal zu moviren^^

Wäre dieses Ghitachten zur Kenntniss der eyangeliecfaen Reichsstädte gelangt, so würden sie vermuthlich das freudigste Erstaunen darüber empfunden haben^ im kaiserlichen Rathe so warme Vertheidiger zu finden; wenn sie aber daraus den Schlufls gezogen hätten, dass nun die Gefahr überhaupt vorüber sei, so hätten sie sich trotzdem getäuscht. Die Rolle eines Beschützers verbotener Secten war dem Reichshofrath denn doch zu un- gewohnt, als dass er sich darin auf die Dauer hätte behaglich fühlen können; man suchte daher trotz der ablehnenden Antwort auf das bayrische Project nach einem Auswege, durch welchen die Räthe nicht blos den Geboten weltlicher Klugheit, sondern auch den Pflichten ihrer katholischen Ueberzeugung genugthun könnten, und fand ihn endlich in der einfachen Erneuerung des Verbotes vom Jahre 1576. Da jenes Verbot, wie auch der Kur- fürst von Bayern hervorgehoben hatte, vollständig unwirksam geblieben war, so schien eine solche Erneuerung für Niemanden ernste Gefahren zu bergen. Es lag ja trotzdem in der Hand des Reichshofrathes, ob er dem Verbote eine praktische Folge geben wollte oder nicht; in die Einsetzimg von Reichsvögten aber und in die Anerkennung fürstlicher Aufsichtsrechte über die Reichsstädte brauchte man weder jetzt, noch künftig ein- zuwilligen.^ Für die calvinistischen Reichsstände und insbe-

^ Die Wichtigkeit der Städte wird übrigens ebenfalls angedeutet; man dürfe, helsst es in dem Gutachten, die Städte, ,in denen nunmehr robur Germaniae', nicht zu einer ,hoch8chädIichen conjunction und neuen Verbündniss mit denen durch Publication des edicti ohne Zweifel hoch offendirten Ständen compelliren* (Ferdinand an Kurbayern, 27. Mars 1629; Münchner Staatsarchiv 4/3). Kurbaiern brachte seine Anträge dann nochmals vor (19. April 1629), aber in gemässigterer Form und vielleicht eben darum, wie unten gezeigt werden wird, mit günstigerem Erfolge.

' So verstand den betreffenden Absatz des Restitutionsedictes auch Ferdi- nand von Köln; wenn auch die Calvinisten darin ausgeschlossen seien, sagte er, so glaube er doch nicht, dass ,Ihro kaiserliche Majestät bei Dero uns aufgetragenen Commission Intention in jetziger Zeit dahin nit ge- richtet, die calviuische Religion zu extirpiren*. Freilich ist dabei zu bemerken, dass dieser Kurfürst von allen seinen katholischen CoUegen am meisten zur Milde geneigt war, und zwar schon darum , weil sein Stift in Folge der holländischen Nachbarschaft von einer Wieder- erueuerung des Krieges am meisten zu leiden hatte.

388 Tupetz.

sondere ftir die Reichsstädte war freilich auch dies schon eine unheilvolle Wendung: das Schwert der Vernichtung war er- hoben; wer bürgte dafür, dass es nicht niederfiel?

So erschien denn endlich das Restitutionsedict oder^ wie es auch genannt wird^ das Edict ^über etUche erledigte Reichs- gravamina^ (6. März 1629). Die Einleitung gab in katholischer Auffassung eine Geschichte des Streites um die geistlichen Güter; sie erzählte, wie die Evangelischen nicht nur unrechtmässig so- wohl mittelbare, als auch unmittelbare Kirchengüter an sich gerissen hätten, sondern auch, wie sie dann ,kein Recht hätten leiden wollen', wie sie alle Versuche einer gütlichen Beilegung des Zwistes durch ihren Trotz vereitelt, ja endUch gar frevel- hafter Weise zum Schwerte gegriffen hätten * Alles zu dem Zwecke, um den unrechtmässigen Gewinn nicht wieder heraus- geben zu müssen. Gott aber habe den Uebermuth gestraft und der gerechten Sache zum Siege verholfen. Durch diese Ein- leitung kennzeichnete sich das Edict, ohne dass es die Ver- fasser eigentlich beabsichtigten, als das, was es seiner Entstehung nach wirklich war, als die Ausnützung der katholischen Waffen erfolge; was das unparteiische Wort des Richters hätte sein sollen, wurde zu dem Rufe : Vae victis ! im Munde des Siegers. ' Auf diese Einleitung bezieht es sich auch, wenn später die Evangelischen dem Edicte vorwarfen, dass es ,voll Eifer und Affection gegen die Evangelischen sei* und ,harte, passionirte und parteiische Worte' enthalten, welche einem unbefangenen Richter nicht ziemten. -

Der geschichtliche Theil wurde ergänzt durch den Nach- weis, dass sowohl die katholischen, als auch die evangelischen Reichsstände zu wiederholten Malen die Entscheidung des Kai- sers in Bezug auf die ,Reichsgravamina' begehrt hätten, dass also die von dem Kurfürsten von Sachsen geforderte »Sub- mission* thatsächlich erfolgt sei.

* Uebrigens heisst es auch in einem Schreiben des Kaisers an Colalto vom 15. November 1628 (Chlumecky, Reg., Anhang S. 273), dass an den Restitutionen ,der ganze fructus deren von Gott uns bisher verliebenen victoriamm gelegen sei^ ; auch in Bayern bezeichnete man das Edict als ,fini8 et fructus belU.^

2 Theatrum Europ. II, S. 130.

Der Streit um die geistlichen Gfiter nnd das RestitntioDsedict (1629). 389

Den Kern des Restitutionsedictes bildete natürlich die Entscheidung über die geistlichen Güter, welcher man die Form eines Urtheils gegeben hatte: die Katholiken hätten Recht, wenn sie die seit 1552 eingezogenen Klöster, Convente und sonstigen mittelbaren geistlichen Güter zurückforderten, die Evangelischen Unrecht, wenn sie die Rückgabe verweigerten; die Katholiken hätten Recht, wenn sie den geistlichen Vorbe- halt für giltig erklärten und daher die Einsetzung katholischer Erzbischöfe, Bischöfe, Aebte u. s. w. in den reichsimmittelbaren Stiftern beanspruchten, die Evangelischen Unrecht, wenn sie sich dem widersetzten J

Die beiden übrigen Punkte betrafen die Vertreibung der evangelischen Unterthanen aus den Ländern der Katholischen und insbesondere der geistlichen Reichsstände und die Stellung der Calvinisten. Die erstere wxirde natürlich nachträglich gut- geheissen, bezüglich der letzteren aber erklärt, dass der Reli- gionsfiiede nur für die Katholiken und für die Anhänger der junveränderten' Augsburger Confession gelte, alle anderen Secten daher verboten seien.

Am wichtigsten aber war die Schlussbestimmung. In der- selben theilte der Kaiser mit, dass er zur Vollziehung des Edictes eigene Commissäre in die einzelnen Kreise senden werde; denn da die Verletzung des Religionsfriedens in den meisten Fällen ,notorisch' sei, so könne ohne weiteres Rechts- verfahren sogleich die Execution vorgenommen werden.

Aeusserst streng lautete auch die Instruction^ für diese Commissäre. Sie sollten den evangelischen Inhabern keine Art von Einwendung zulassen: weder, dass der Besitz verjährt sei, noch, dass man ihn durch Erbschaft, Schenkung oder Kauf erworben habe; Appellation an den Kaiser, Berufung an das Kammergericht sollten in gleicher Weise ungiltig sein; nichts

Bemerkenswerth ist, dass in der Bestimmung' über die Giltigkeit des geistlichen Vorbehaltes die Bezugnahme auf das Jahr 15ö2 fehlt, also, was Harter nnd Andere Übersehen haben, thatsächlich die Restitution aller evangelischen ßisthümer u. s. w. im Edict gefordert war; die Aus- ftlhrang allerdings blieb weit hinter diesem Ziele zurück.

* Im Wiener Staatsarchiv Kriegsacten 36 a, in Abschrift auch im Dr. A. 8093; ein nicht Überall gelungener Auszug im Theatrum Europ. II, S. 24 ff.

SitzQDgvber. d. phil.-hist. Cl. CIL Bd. U. Hft. 26

390 Tiip«tt.

hatten die Commissäre zu beachten^ als die einzige Frage, ob das betreffende Kloster, Stift u. s. w. vor oder nach 1Ö52 in evangelischen Besitz gelangt war. Wenn die Evangelischen, wie vorauszusehen war, das erstere behaupteten, so sollte ihnen, nicht dem katholischen Kläger die Last des Beweises zufallen; wenn sie ihn nicht sogleich erbringen konnten, wurde ange- nommen, dass der Gegner im Rechte sei. Von den Commissären selbst Hess sich erwarten, dass sie diese Instruction unnach- sichtlich ausfuhren würden, denn es wurden ausschliesslich Katholiken und zum grossen Theile sogar Bischöfe und Erz- bischöfe zu diesem Amte berufen. '

III. Die AasfDhrung des Edictes«

In Wien feierte man, als das Edict abgegangen war, nach dem Berichte eines sächsischen Agenten ,Fres8- und Sauflfeste' in allen Kanzleien, die Geheimräthe und Reichshofräthe gaben ^stattliche Bankette*.^ Wie hochgespannt die Erwartungen in manchen Kreisen waren, zeigen die Worte, welche um dieselbe Zeit ein ,hoher mainzischer Officier* gesprochen haben soll. ,Das deutsche Haus Oesterreich,' soll er gesagt haben, ,braucht in Deutschland und in seinen Erblanden kein Pferd mehr zn satteln und keinen Mann mehr marschiren zu lassen, um sein Ziel zu erreichen; Alles wird, wie man bald sehen wird, durch Briefe imd Boten geschehen.* ^ ,So werden,' fügte er lachend

1 In früheren Fällen waren religiöse oder doch mit der Religion zusammen* hängende Streitigkeiten durch gemischte, ans Katholiken und |Prote- stauten bestehende Commissionen entschieden worden; bei der Durchfall' rung des Restitutionsedictes war eine solche Commission allerdings kaum denkbar. Unter den Commissären war der Bischof von Osnabrück durch den Eifer bekannt, mit welchem er sein Stift reformirt hatte; auch die Erzbischöfe von Mainz und Köln und der Bischof von Constanx waren insofeme nicht ganz unparteiisch , als sie selbst wegen Restitution von Klöstern und Kirchen klagbar aufgetreten waren. Das Veneicbniss der Commissäre bei Hurter X, S. 62 (minder g^t Londorp IV, S. 1).

3 Die Absendung des Edictes geschah erst am 22. März; das Bankett der Geheimräthe fand bei dem Grafen Wolf von Mansfeld, der auch sonst als Verfechter der Restitutionspläne erscheint, statt (Dr. A. 8093/244).

3 Merkwürdig verwandt damit klingen die Worte Caraffa*s (Germania I, S. 312) : Der Kaiser habe keine Reichstage mehr zu halten nöthig gehabt, um

Der Streit iiin die geietliohen Ofiter vnd das Bestittttionsediot (t6t9). 391

hinzuy ydie lutherisclien und calviniBchen Mausköpfe von der Wurzel ausgerottet werden.' Vorsichtiger urtheilte Amoldin von Clarstein: ^Heute/ schrieb er in seinen Kalender, ^ist das Resti- tutionsedict fortgeschickt worden, welches den Katholischen entweder grossen Nutzen oder den grössten Schaden bringen wird/ *

Als ein günstiges Vorzeichen konnte es betrachtet werden, wenn gleich die ersten Restitutionen glatt und ohne Schwierig- keit von Statten gingen. Maximilian von Bayern rieth deshalb, zuerst die kleineren, mittelbaren Gtlter, die Klöster, Kirchen u. s. w. zu restituiren, bei welchen kein erheblicher Wider- stand zu fürchten sei; habe man auf diese Weise den ersten Theil des Unternehmens glücklich durchgefllhrt, so werde man mit um so grösserer Zuversicht auch an die Bisthümer und £rzbi8thümer herantreten können.^ Aber der kaiserliche Reichs- hofrath war der entgegengesetzten Anschauung: Grerade darum, meinte er, weil die Wiederherstellung der grossen reichsun- mittelbaren Stifter unstreitig der schwierigere Theil des Unter- nehmens sei^ müsse damit der Anfang gemacht werden. Für den Augenblick seien die Inhaber der Bisthümer auf eine be- waffiiete Vertheidigung nicht vorbereitet; das könne sich aber in wenigen Monaten ändern, der günstige Zeitpunkt müsse also benützt werden. Mit Recht konnte man hinzuiUgen: wenn so das Schwierigere gelungen sein würde, werde sich das Leichtere, die Restitution der Klöster, Convente, Kirchen, Capellen u. s. w. ge Wissermassen von selbst efrgeben. Den Hauptgrund allerdings, welcher den Reichshofrath bestimmte, die Restitutionen der Bis- thümer zu beschleunigen, verschwieg man: er bestand darin, dass man die norddeutschen Stifter fUr den Sohn des Kaisers ansersehen hatte und sie eben darum auch zuerst in Sicher-

Geld zu erbetteln, ,8ed postea potuit solis mandatis papyraceis exactiones imperare et impetrare. Quare cum Caesar hac pecania ad opprimendos Protestantes et Tnrcas repellendos libere ateretar% u. s. w.

^ Aehnlich ist es, wenn der Kaiser selbst in seinem Schreiben an Knr- sachaen, 26. Juni 1629 (Dr. A. 809S/347), das £dict mit einer gefähr- lichen Medicin verg^leicht; er meint freilich, diese Medicin könne man nur dann für gefilhrlich halten, wenn man die Gesetze und Constitutionen des Reiches selbst nicht mehr für nützlich und erspriesslich halte.

2 Diesen Rath gab Maximilian in dem Gutachten vom 6. December 1628 und noch bestimmter in dem vom 19. April 1629 (Münchner Staatsarchiv 4 8).

26*

392 Tnpetz.

heit bringen wollte. In der That fand nachher die RestitatioD in den fiir den Erzherzog Leopold Wilhelm bestimmten Hoch- stiftem fast gleichzeitig mit der in den mittelbaren geisdichen Gütern statt; nur die Rückforderung jener Bisthümer, bei wel- chen mehr Gefahr als Vortheil in Aussicht stand, wurde vor- läufig noch verschoben.

Ueberaus gross war natürlich, als das Restitutionsedict bekannt wurde, die Bestürzung der Evangelischen. Sie hatten zwar schon vor dem Erscheinen des Edictes auf allerlei Um- wegen von dem, was sich vorbereitete, Kunde erhalten ' und sogar im Vorhinein versucht, durch Vorstellungen beim Kaifter und bei den katholischen Kurflirsten das drohende Unheil ab- zuwenden; nun aber, da das GefUrchtete Wirklichkeit geworden war, zeigte sich diese doch noch schlimmer als das Schlimmste, worauf man sich vorbereitet hatte. Vergebens suchte man in dem Edicte einen Unterschied zwischen den treugebliebenen und rebellischen, zwischen lutherischen und calvinischen Reichs- ständen, wie er noch im Mühlhausner Versprechen anerkannt worden war; der Befehl zur Restitution lautete vielmehr ganz allgemein. Jeder musste glauben, dass er den Freunden und Bundesgenossen des Kaisers ebenso gelte wie Jenen, welche sich treulos oder wenigstens zweideutig erwiesen hatten. "^ Auch

1 Insbesondere das bayrische Gutachten vom 6. Decetnber 1628, beziehungs- weise 9. Januar 1629 kam schon im Februar zur Kenntniss der Erange- lischen; dem KurfUrsten von Sachsen wurden von allen Seiten Abschriften davon zugeschickt. Maximilian zeig^ sich über diese VeröffentUchuiig äusserst ungehalten, und Strahlendorf musste sich alle Mühe geben, den Verdacht abzuwälzen, als habe der Reichshofrath das Gutachten ab- sichtlich in die Hände der Evangelischen gespielt, etwa zu dem Zwecke, um Baiern bei diesen verhasst zu machen (Münchner Staatsarchiv 4/4, Strahlendorf an Maximilian, 11. Juli 1629; das Mainzer Domcapital an denselben, 9. Juli 1629; Dr. A. Rest. I, S. 22, 101, 119).

2 Der stets optimistische Landgraf Georg von Hessen glaubte freilich trotz- dem, dass die Lutheraner verschont bleiben würden und mahnte deshalb sogar am 27. April 1629 seinen calvinischen Vetter Wilhelm, er mOge diejenige Religion, welche ihr beiderseitiger Urgrossvater, Landgraf Phi- lipp der Aeltere bekannt, nämlich die Augsburger Confession annehmen; so werde er dem drohenden ,Stnrmwetter* entgehen. Diejenigen hessischen Prinzen, welche bei jener Confession geblieben wären, hätten Glück und Segen, diejenigen aber, die davon abgewichen, schwere Heimsuchnngen« BeHchwernisHe und Unglück gehabt (Dr. A. Rest. 1, S. 183.)

Der Streit um die geistlichen 6&tor und du Restitntionsedlct (1689). 393

zeigte sich bald, dass diese Auffassung des Edictes durchaus nicht unbegründet war. Im niedersächsischen Kreise hatte sich Niemand grössere Verdienste um den Kaiser erworben als Chri- stian von Braunschweig imd Johann Friedrich von Holstein, der Eine ,postulirter' Bischof von Minden, der Andere Erz- bischof von Bremen; mitten im Abfall der übrigen Stände des Kreises waren sie treu und ergeben geblieben. * Dies hinderte jedoch nicht, dass unnuttelbar nach dem Siege über Dänemark Anstalten getroffen wurden, um sie ihrer Bisthümer zu Gunsten des kaiserlichen Prinzen zu entsetzen. Allerdings ^rde ihnen, eben aus Rücksicht für ihre Treu^ eine Geldentschädigung an- geboten, aber was bedeutete das, wenn man sie gleichzeitig zwang, aus der glänzenden Stellung eines mächtigen Landes- herrn in ein verhältnissmässig armseliges Dasein zurückzutreten, wenn sie in einem Besitze, der so lange der ihrige gewesen, einen fremden Willen schalten sahen, wenn sie in Folge dessen alle die Demüthigungen empfinden mussten, die einem abge- setzten Fürsten niemals erspart bleiben. Selbst dem Kurflirsten von Sachsen, welcher doch dem Kaiser grössere Dienste ge- leistet hatte, als Kurbayern abgerechnet irgend ein an- derer Stand des Reiches, welcher, um dem Kaiser gefällig zu sein, sich die gerechten Vorwürfe seiner eigenen Glaubensge- nossen zugezogen hatte, dessen Vertrauen, dessen Treue, dessen Hingebung nahezu unerschütterlich genannt werden musste, dchien man mit gleichem Undanke lohnen zu wollßn; auch ihm wurde das Restitutionsedict zugestellt, und zwar ohne dass man am kaiserlichen Hofe nöthig fand, hinzuzufügen, es habe für die im kursächsischen Besitze befindlichen Güter keine Geltung. Niemand konnte unter diesen Umständen wissen, wie weit der Kaiser zu gehen gedenke und ob das Edict nicht ebenso all- gemein, wie es abgefasst war, auch durchgeführt werden wüi'de. '^

* Von Ersterem sagt Waldstein in einem Briefe an Harrach (10. Januar 1626; Tadra in den Fontes rer. Austr. II, 8. 41, 318): ,Wir haben dahie in dem niedersächsischen Kreise Keinen, der^s mit uns hält, als er, und hat sein Land im Grund ruiniren lassen wegen Ihrer Majestät*; Letzteren belobt der Kaiser am 1. November 1627 selbst wegen seiner Treue (Chlumeckj, Reg., Anhang S. 265), während er vom Dänenkönige für abgesetzt erklärt wurde.

^ Vom politischen Gesichtspunkte aus ist diese Allgemeinheit und Ausnahms- losigkeit, wie auch Klopp hervorhebt, der Hauptfehler des Edictes,

394 Tu petz.

Nicht minder drückend war eine andere Ungewisgheit. Da nämlich die Evangelischen in dem Besitze der geistlichen Güter durch so viele Jahrzehnte wenig oder gar nicht behelligt wor- den waren, hatten sie sich schliesslich gewöhnt, dieselben als ihr rechtmässiges und bleibendes E^genthum zu betrachten und darüber sogar mitunter vergessen, wann und wie dieselben in den Besitz ihrer Vorfahren gekommen waren. ' Im ersten Schrecken musste daher jeder evangelische Stand, welcher überhaupt sich bewusst war, vormals geistliche Güter zu be- eitzen, in Besorgniss gerathen, dass ,der Bogen auch gegen ihn gespannt sei'; selbst der älteste Besitz schien nicht mehr sicher^ wenn man dieses sein Alter nicht durch glaubwürdige Docu- mente nachweisen konnte. Auch das konnte nicht völlig be- ruhigen, dass die Restitutionscommissäre angewiesen waren, nur in ,notori8chen' Fällen einzuschreiten; denn die Commissäre hatten selbst zu entscheiden, welcher Fall als notorisch anzu- sehen sei und welcher nicht, und es war vorauszusehen, das» sie, die ja ausnahmlos zu den Gegnern der Protestanten ge- hörten, auch das fllr notorisch erklären würden, was nach evangelischer Auffassung im höchsten Grade zweifelhaft war. -

Und zweifelhafte Punkte gab es wirklich. Der erste betraf die Frage, ob das Interim zur Auslegung des Religionsfriedens her

weÜ sie die bis dahin unter sich entzweiten Protestanten gleichsam znr Einigkeit swang^; doch hätte sich demselben durch private Zunchemngen an diejenigen, welche man schonen wollte, und insbesondere an Kur- sachsen abhelfen lassen.

1 Charakteristisch hiefür ist die von Klopp (Tilly II, 15) berichtete Resti- tution des Franciscanerklosters in Stade; der Rath, der sich im übrigen willig zeigte, wusste nicht einmal, dass es je ein Franciscaner- kloster in der Stadt gegeben und war verwundert, als man an der Ton den M<)nchen bezeichneten Stelle nachgrub und wirklich die Grundmauern des zerstörten Klosters auffand. Ueberhaupt begann unmittelbar nach Verkündigung des Restitutionsedictes ein eifriges Suchen in allen pro- testantischen Archiven; sogar der dem Kaiser jederzeit ergebene Georg von Hessen sah sich genOthigt, eine Commission einzusetzen, welche die ehemaligen geistlichen Güter in Hessen aufzeichnen und nach- forschen sollte, wann und wie sie reformiert worden seien (Dr. A., Rest II, S. 694).

3 ,Nicht Alles ist notorisch', sagte der Rath von Rothenburg, ,was dafor ausgegeben wird*; nach der Meinung des Rathes stand schon die Auf- forderung an die Evangelischen, ihre Besitzrechte nachzuweisen, mit

Der Streit am die geistlichen Ofiter und d»i Reatitntionsediet (1629). 395

angezogen werden dürfe oder nicht. ^ Eine seltsame Frage, sollte man meinen! Den Keligionsfrieden durch das Interim er- klären, hiess das nicht Feuer mit Wasser vermengen wollen? Und doch war dieser Streitpunkt in der Hauptsache schon durch das Restitutionsedict selbst im bejahenden Sinne und also zum Nachtheile der Protestanten entschieden worden. Im Jahre 1552 hatten nämUch, wie schon oben gezeigt worden ist^ die Wirkungen des Interims^ welche in der Zurückerstattung vieler bereits entfremdeter Kirchen und Klöster bestanden, noch an vielen Orten fortgedauert^ während sie im Jahre 1555, zur Zeit des Beligionsfriedens selbst, zum grössten Theile schon beseitigt waren. 2 Nun war aber im Edicte gerade das Jahr 1552 imd nicht, wie es nach Meinung der Protestanten richtiger war, das Jahr 1555 als dasjenige bezeichnet worden, von welchem angefangen die Klostereinziehungen als verboten betrachtet werden müssten.^ Indem so einem mitunter sogar hundert- jährigen evangelischen Besitze eine kurze katholische Unter- brechung in den Jahren 1552 1555 als entscheidend gegen- übergestellt wurde, wuchs natürlich nicht nur die Zahl der von den Katholiken beanspruchten Güter ins Unabsehbare, sondern

der Behauptung, dass es sich nur um notorische Fälle handle, im Widerspruch. Blan sagte auch wohl, es genüge nicht, dass die Com- missftre etwas ex privata scientia wüssten, die Sache müsse ihnen viel- mehr auch amtlich bekannt sein, auch nicht blos im Allgemeinen, sondern mit allen EiuEelnheiten (Theatrum Europ. II, S. 136).

* lieber das Interim Theatrum Europ. II, 8. 273-, Dr. A., Rest. II, S. 83, 120; Londorp III, S. 1069 fr.

^ Manchmal dauerte die katholische Unterbrechung freilich bis 1560 oder noch IKnger und dann waren die katholischen Ansprüche formell voll- ständig gerechtfertigt; die Härte bestand in diesem Falle nur darin, dass man so alte und verjährte Vorgänge doch noch zum Gegenstande einer Klage machte.

3 Ganz klar war diese Entscheidung allerdings auch nicht, und die fränki- schen Restitutionscommissäre baten daher später den Kaiser, er möge doch ausdrücklich erklären, dass die ,interimistische, dem Katholi- eismus nicht suwiderlaufende' Religionsübung fUr die Restitutionen so angesehen werden müsse, als ob die Güter im Jahre 1552 katholisch gewesen wären; bemerkenswerth ist, dass sie hinzusetzten, wenn diese Bestimmung nicht angenommen werde, könne man im fränkischen Kreise Überhaupt nichts restituiren (1630; Abschrift im Dr. A., Rest. lY, 8. 374 ff.).

396 Tnp«tx.

es wurde auch den Evangelischen noch um ein Bedeutendes schwerer gemacht, die Rechtsmässigkeit ihres Besitzes in jedem einzelnen Falle nachzuweisen. Und, seltsam genug! es war nun ein Vortheil, wenn die Evangelischen darthun konnten^ dass sie einst dem Kaiser, der die Einführung des Interims forderte, getrotzt hätten, es brachte Schaden, wenn an den Tag kam, dass sie damals gehorsam gewesen; unsinniger Weise schien man nachträglich die ,Rebellen^ belohnen, die treugebliebenen Stände strafen zu wollen. * Manche Katholiken wollten indess überhaupt keinen Unterschied machen. Nicht darauf, sagten sie, komme es an, wer im Jahre 1552 ein geistliches Gutthat- sächlich besessen habe, sondern darauf, welcher Zustand da- mals der rechtmässige gewesen sei.^ Durch eine solche Auf- fassung waren die Bestimmungen des Religionsfriedens über die geistlichen Güter, soweit sie den Protestanten günstig waren, vollständig gegenstandslos geworden; die katholischen Ansprüche brauchten hienach nicht einmal bei dem Jahre 1552 Halt zu machen, sie konnten noch weiter, bis zur Erlassung des Interims oder wie weit man sonst wollte, zurückgehen; die schlimm- sten Erwartungen waren gerechtfertigt, wenn diese Ansichten, welche vorläufig nur von den Beamten des Bischofs von Augs- burg ausgesprochen wurden, auch im Kreise der Restitutions- commissäre Beifall erhielten.^

' In anderer Weise freilich war das Verfahren wieder recht gut zu er- klären; gehorcht hatten doch nur jene Stftnde, welche gehorchen mussten, also die schwachen, und eben um dieser Schwäche willen wurden sie auch jetzt nicht geschont (Dr. A., Rest. IX, S. 551).

3 Merkwürdig ist, dass ebenso gelegentlich auch die Protestanten be- haupteten, sie hätten im Jahre 1552 zwar nicht den factischen, aber doch den rechtmässigen Besitz der geistlichen Güter gehabt (Londorp IQ, S. 1063; Dr. A., Rest. XIX).

3 Geltend gemacht wurden sie z. B. gegen Kempten (Kempten an Kur- sachsen, 5. Februar 1631; Dr. A., Rest. X). Auch in dem ,Dillinga- nischen Buch* findet sich die Behauptung: wenn Jemand nach dem Religionsfrieden unerlaubter Weise geistliche Güter eingezogen habe^ könnten ihm zur Strafe auch jene genommen werden, welche er schon vor dem Religionsfrieden in Besitz genommen. Hameln berichtet, nach- her an Kursachsen (10. Februar 1631; Dr. A., Rest. X), ein Carmeliter, Beichtvater des Bischof von Osnabrück, habe sich geäussert, die Re- stitutionscommissäre hätten eine Nebeninstruction , alle ehemaligen geistlichen Güter einzuziehen; wo irgend man an einer Mauer oder

Der Streit um die geistlichen Güter and du Bestittttionsedict (1629). 397

Zweifelhaft war auch das Schicksal derjenigen geistlichen Güter, deren Einziehung nicht auf einmal, sondern nach und nach erfolgt war. Wie bereits erwähnt, hatten sich die Landes- herren in vielen Fällen zunächst nur der 'Einkünfte des be- treffenden Klosters bemächtigt, die Mönche selbst dagegen, sei es nun aus Mitleid oder um kein Aufsehen zu erregen, noch in demselben gelassen, bis einer nach dem andern starb. Da- bei hatten die Mönche gelegentlich auch den Glauben gewech- selt und waren sogar Seelsorger der evangelischen Gemeinden geworden, Alles Umstände freilich, welche sich den Restitutions- commissären gegenüber nicht eben leicht beweisen liessen. Aber selbst wenn es g^laog, so war vorauszusehen, dass die Restitutionscommissäre als Zeitpunkt der Einziehung erst den- jenigen betrachten würden, wo der letzte, einmal katholisch gewesene Inwohner des Klosters die Augen schloss, und nicht, wie es die Protestanten wünschten, denjenigen, wo die Ver- mögensverwaltung in evangelische Hände übergegangen, die Aufnahme neuer Mitglieder dem Kloster untersagt, der erste evangelische Gottesdienst in der Klosterkirche abgehalten wor- den war. Wenn also letzteres schon vor dem Jahre 1552, das von den KathoUken als entscheidend Betrachtete erst nach diesem Jahre eingetreten war, ' so mussten die Evangelischen darauf gefasst sein, dass ihnen auch diese Klöster trotz ihrer Einsprache würden abgenommen werden.^

Und wieviel war doch auf den Besitz dieser geistlichen Güter gegründet! Die alten Mönchsorden hatten in oder neben

an einem Fenster ein geistliches Wappen entdecke, werde man es weg- nehmen. Die Franciscaner behaupteten besonders oft, alle Güter zurttck- fordem zu kOnnen, und zwar, weil sie direct dem Papste unterthan, also durch den Beligionsfrieden nicht gebunden wären (Rothenburg a. d. T. an Knrsachsen, 31. Januar 1629; Dr. A. Gravamina der Reichs- städte VII; Schweinfurt an den Leipziger Convent; Dr. A., Rest. XI; Heilbronn und Gelnhausen berichten ähnliche Aeusserungen der Bar- füsser, Nürnberg eine solche des deutschen Ordens).

' So geschah es nach der Angabe des Rathes in Nt^rdlingen; der letzte Mönch starb als ^evangelischer Priester' 1564 (Dr. A., Gravamina der Reichsstädte VII).

' Auch dabei wurden die Stände, von welchen die Mönche ,aus Mitleid* noch im Kloster geduldet worden waren, härter behandelt als jene, von welchen sie sofort rücksichtslos verjagt worden waren; die Erklärung ist dieselbe wie oben.

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Tnpctz.

ihren Klöstern Schulen erhalten; an die Stelle dieser katho- lischen Schulen waren evangelische getreten. Neben jenen Klöstern hatten Spitäler bestanden; auch sie waren evangelisch geworden. An vielen Orten waren auch ganz neue Schulen^ neue Spitäler, Waisen- und Armenhäuser^ kurz Wohlthätigkeits- anstalten jeder Art in den verlassenen Erlöstem oder doch auf vormals geistlichem Grund und Boden entstanden. * Sollten nun alle diese Schulen gesperrt^ diese Spitäler^ Armenhäuser u. s. w. von ihren Inwohnern geräumt werden und dies Alles ohne Ent- schädigung, nur um einer Anzahl fremder Mönche Platz zu machen? Zwar konnte man voraussehen, dass diese Mönche die Schulen und Spitäler bald wieder eröffiien würden; aber was nützten katholische Schulen, was nützten Spitäler, Armenhäuser, in denen nur Katholiken aufgenommen wurden, einem Lande, dessen Einwohner evangelisch waren?

Ein sehr grosser Theil des Klostergutes war fi*eilich auch zu weltlichen Zwecken verwendet worden, aber die Rückgabe war darum nicht leichter als in den eben bezeichneten FäUen. Man brauchte nämlich die Einkünfte von den eingezogenen geistlichen Gütern nicht blos zur Bestreitung der allerdings oft verschwenderischen Hofhaltungen, sondern mindestens ebenso- sehr, um die Bedürfnisse einer immer verwickelter sich ge- staltenden Verwaltung, eines immer kostspieliger werdenden Heerwesens zu bestreiten; und wie sollte man die Kriegslasten tragen, welche von ligistischen und kaiserlichen Truppen da- mals den evangelischen Ländern auferlegt wurden, wenn man zu gleicher Zeit einen so reichen Theil seiner Einkünfte aus den Händen geben musste?^ Selbst katholische Fürsten legten

1 Die Nonnenklöster bestanden, Ähnlich den Domcapiteln, auch nach dem Eindringen der Beformation fort nnd wurden zn evangelischen Damen- Stiftern; ein solches Stift war z. B. (nach Klopp, Forschungen zur deutschen Geschichte S. 118) in Osterholz bei Bremen.

^ Trotz der Klostereinziehungen mussten noch immer die Unterthaoen mit harten Abgaben belastet werden und die Fürsten selbst kamen doch ,auf keinen grfinen Zweig'; die katholische Geistlichkeit sah darin den Fluch des ungerechten Gutes, und auch viele evangelische Pr&di- canten, welche die Reichthümer des katholischen Clerus zu erben ge- hofft y dann aber hatten zusehen müssen, wie Fürsten und Edelleate ,den Rock des Herrn* getheilt, waren dieser Meinung (Dr. A., Rest III^ 8. 260; Klopp, Tilly II, S. 182).

Der Streit am die firoistlichen Uftter und du Bestitntioniedict (1629). 399

dnrch ihr Verhalten Zeugniss daflbr ab^ dasB die Verwendung von Kirchengtttem zu weltlichen Zwecken sozusagen eine Staats- nothwendigkeit geworden war. Wenn die Bischöfe und nament* Üch auch die geistlichen Kurfürsten darnach strebten, die Klöster zu bischöflichen Commenden zu machen^ sie ad men- Bam episcopi zu ziehen ^ so wai; dies in anderer Form das- selbe wie die Einziehung der Klöster von Seite der Evange- Uschen.' Selbst das Haupt der Liga, Maximilian von Bayern, handelte ähnlich. Als ihm nach erfolgter Aechtung des Pfalz- grafen die Oberpfalz als E^genthum übergeben wurde, hätte er eine vortreffliche Gelegenheit gehabt, das von den fiüheren Regenten der Pfalz der Kirche entfremdete Gut dem recht- mässigen Eigenthümer zurückzuerstatten, aber auch er zog es vor, dasselbe vorläufig noch zu behalten. Allerdings sollte dieser Besitz nur zwölf Jahre dauern, Maximilian erhielt überdies daftir die Bewilligung des Papstes und versprach endlich auch, die Einkünfte vorwiegend zur Wiederherstellung des katho- lischen Gottesdienstes und zu anderen wohlthätigen Zwecken zu verwenden; aber die Nothwendigkeit, welcher der streng- katholische Maximilian bei diesem Schritte sich beugte, war trotzdem keine andere als diejenige, der auch die evange- lischen Stände nachgegeben hatten, obgleich diese, wie natür- lich, auf die Zustimmung des Papstes fbr ihren Besitz nicht rechnen konnten.

Und vielleicht waren die Katholischen mit der blossen Rückgabe der Grundstücke und der noch vorhandenen Gebäude nicht einmal zufrieden! Wenn, wie es den Anschein hatte, das Recht in seiner ganzen Schärfe gegen die Evangelischen ge- wendet werden sollte, so konnten ja die katholischen Kläger verlangen, dass die Evangelischen auch die abhanden ge- kommenen oder verkauften Kirchengeräthe wieder zur Stelle schaffen, dass sie zerstörte oder durch Vernachlässigung in Verfall gerathene Baulichkeiten wieder aufrichten und vor Allem, dass sie den Katholischen auch die Zinsen und Nutzun- gen ersetzen sollten, welche denselben durch die evange- lische Besitznahme während so vieler Jahre und Jahrzehnte

1 Londorp I, S. 138 und 273; das Folgende nach Aretin, Bayerns ausw, Verh., S. 281.

400 Tupcti.

entgangen waren; das aber wäre fUr die meisten Stände der finanzielle Ruin gewesen. Man erkannte nun freilich sogar am kaiserlichen Hofe, dass der Umsturz, in dieser Weise durch- geführt, ein allzu gewaltsamer sein würde, und befahl daher den Commissären, jene eyangelischen Stände, welche sich dem Restitutionsedicte sofort und ohne Widerspruch unterwerfen würden, von weitergehenden Forderungen freizusprechen. Aber den Evangelischen war damit wenig geholfen. Nichts war natürlicher, als dass sie trotz jenes Versprechens mit allen Elräften, so lange noch irgend eine Aussicht auf Erfolg war, die Durchfiihrung des Restitutionsedictes zu hindern suchten; denn durch eine vorzeitige Unterwerfung hätte man ja selbst den Schaden zu einem unheilbaren gemacht. Eben dadurch aber wurden sie auch des Vortheils verlustig, welchen der Kaiser den willigen Ständen in Aussicht gestellt hatte, und die Gefahr, auch die bezogenen Nutzungen zurückerstatten zu müssen, drohte also mehr oder weniger Allen.*

Und auch das war noch nicht das Schlimmste, was man auf protestantischer Seite iürchtete. Durch die Restitution der reichsunmittelbaren Erzbisthümer, Bisthümer und Abteien wurde auch die Zahl der evangelischen Stände überhaupt vermindert, der Zusammenhang des evangelischen Gebietes unterbrochen; an tausend Stellen zugleich war das Land den Angriffen des siegreich vordringenden Katholicismus gcöfinet. ,Noch ein, zwei Jahre,' sagte man, ,und der lutherische Haufe werde so klein geworden sein, dass die wenigen Uebriggebliebenen zu Allem würden Ja! sagen müssen.' Indem ein langjähriger, ungefUhr-

1 Die Stedt Minden sollte wirklich anderthalb Tonnen Oold Schaden- ersatz zahlen (Dr. A.; Gravamina der Reichsstädte VI); dem Land- ^afen Wilhelm von Hessen aber wurde bei Restitution der Abtei Hers- feld folgende Rechnung vorgelegt:

1. Für verschwundene Kirchenomate, Antependien,

Kelche u. s. w 34.718 fl.

2. Für dieReparatur verfallener Gebäude, mindestens* 20.000 ^

3. Als Ersatz der 1606—1627 bezogenen Nutzungen 365.477

4. Von dem Landgrafen eingezogene Schulden . . 26.832 ^

Zusammen 437.027 fl. Auch Graf Simon von Lippe sollte für das Kloster Falkenhagen 250.000 Reichsthaler Schadenersatz entrichten. '

Der Streit um die geiitliehen Oftter and das Reatitationsedict (16S9). 401

deter Besitz auf einmal nngewiss geworden, alte und liebge- wordene Einrichtungen in Frage gestellt worden waren, schien es recht eigentlich, als wanke der Boden unter den Füssen; und wie bei einem Erdbc)>en nicht so sehr die gegenwärtige Qefahr die Gemüther erschreckt, als die unbestimmte Ahnung der noch kommenden, so liefen alsbald drohende Gerüchte um, die Rückforderung der Klöster und Bisthümer sei nur das Vor^ spiel; bald würden Schritte folgen, die noch deutlicher auf die Unterdrückung des ,Eyangeliums^ abzielten. * Auch der Wort- laut des Edictes selbst bestärkte diese Befürchtungen; stand doch darin ausdrücklich zu lesen, dass der Kaiser vorläufig nur einige ,Grayamina vor die Hand genommen^ woran sich das für die Protestanten wenig' tröstliche Versprechen schloss, dass er den übrigen noch weiter nachdenken und sie seinerzeit gleichfalls erledigen wolle. Wie leicht konnte das Ergebniss des kaiserlichen Nachdenkens mit dem zusammenfallen, was die Protestanten schon längst als den Wunsch der eifrigsten Ka- tholiken und insbesondere der Jesuiten kannten!

Und wenigstens in Bezug auf die Reichsstädte ging man sofort über die Grenzen hinaus, welche das Restitutionsedict gesteckt hatte; bei ihnen wurde von Anfang an nicht blos die Rückerstattung der geistlichen Güter, sondern in vielen Fällen, ganz wie in den kaiserlichen Erblanden, die Bekehrung der Ein- wohner zum Katholicismus gefordert. Der Reichshofrath, wel- cher die Städte anfangs gegen die bayrischen Vorschläge in Schutz genommen, gab also auch in diesem Punkte dem Drängen der Ligisten und namentlich der Bischöfe von Augsburg, Würz- burg und Bamberg nach. Im Edicte selbst war für ein der- artiges Verfahren nur in dem Verbote des Calvinismus eine Art von Anhaltspunkt gegeben, und wirklich wurde gegen die Reichs- stadt«, welche man bekehren wollte, gewöhnlich auch die An- klage erhoben, dass sie entweder noch dem Calvinismus zu- neigten oder man dehnte das Verbot auch nach rückwärts

^ Dr. A., Best I, S. 329. Aach Knrbrandenbnrg sprach bei den Zabel- titzer Verhandlungen dio Ueberzengnng ans, dass die Katholiken zu- nächst ihre Gegner nur zu schwächen sachten, dass sie aber, wenn dies gelungen sein wflrde, weiter schreiten und von den Gütern auf die Beligion selbst Übergehen würden* (Berliner Staatsarchiv, Resti- tirticmeii XII, S. «1 -77).

402 Tiip«tt.

aus *- dasB sie doch calvinistisch gewesen zur Zeit des Passauer Vertrages. Aber diese Anklage war nicht ausreichend.* Wenn nichts hinzukam, hätte man sich mit der Ersetzung der calvi- nischen Prediger durch lutherische und überhaupt mit dem Nachweise, dass die Bürgerschaft der Augsburger Confession zugethan sei; begnügen müssen; nicht leicht hätte man einen Bürger, der sich selbst als Lutheraner bekannte, zwingen können, Katholik zu werden.^ Auch die Klagen des in manchen Reichs- städten noch vorhandenen kathoüschen Theiles der Büi^gerschaA konnten zwar fbr die Wiedereinsetzung der Katholiken in ihre früheren Rechte und besonders filr eine umfassende Restitution der Kirchen und Capellen, nicht aber fUr die Anwendimg eines Glaubenszwanges gegen den evangelischen Theil der Bürger- schaft zur Rechtfertigung dienen. Man suchte daher andere Gründe und fand sie auch. Zunächst wurde von der geistlichen Gerichtsbarkeit behauptet, dass sie nur in Bezug auf die höheren evangelischen Stände, die Kurfürsten und Fürsten, aufgehoben sei, in Bezug auf die Reichsstädte aber fortbestehe, und zwar nicht blos in Ehe-, Zehent- und Patronatssachen, sondern auch in religiöser Hinsicht. "^ Zur Zeit des Religionsftdedens so wurde diese Bejiauptung begründet ^- habe es nur zwei Arten von Reichsstädten gegeben, religiös gemischte und ganz katho- lische, wie aus dem Umstände hervorgehe, dass der Friede nur in Bezug auf die Reichsstädte mit gemischter Bevölkerung eine

1 Die Reichsstädte betrachteten denn auch das gegen sie gerichtete Ve^ fahren überhaupt nicht als eine Ausfllhrnng des Restitutionsedictes; dies ging so weit, dass sie besorgt wurden, als die evangelischen Stände auf dem Leipziger Convente nur das Restitutionsedict zum Gegenstand der Verhandlung nahmen; die Städte glaubten nicht anders, als mui wolle ihre Beschwerden unberücksichtigt lassen (Dr. A., Best IX, S. 194). Calvinistische Gesinnung wurde vorgeworfen den Städten: Augsburg, Regensburg, Biberach, Kempten, Wetzlar u. a.

2 Der päpstliche Nuntius dachte freilich anders; ihm erschienen selbst wirkliche Lutheraner, wenn sie sich mit den Calvinisten vermischt, mit diesen gemeinsam die Eucharistie empfangen u. s. w., als Glaubens- Schänder (adulteri), welche ebenso wie die Calvinisten selbst geächtet werden dürften (Caraffa, Germania S. 370; die Stelle rechtfertigt die Zurücknahme der Glaubensconcessionen in Oesterreich).

s Die Reichsstädte suchten sich freilich ebenso wie die Reichsritterscbafi selbst der bischöflichen Gerichtsbarkeit in Ehe-, Patronatssachen n. dgl. zu entziehen, indem sie z. B. eigene Ehegerichte aufstellten.

Der 8tr«it am die geistlkhen GAter und daa Bectitationiediet (1689). 403

BeBtimmung enthalte; in gemiechten und ganz katholischen Städten aber dauere die geistliche Gerichtsbarkeit selbstver- ständlich fort. Von den rein evangelischen Reichsstädten glaubte man demgemäss sagen zu können^ dass ihr Bestehen dem Reli- gionsfrieden zuwiderlaufe y und dass es eben darum gestattet sei, sie wieder, wenn nöthig mit Gewalt, zum Katholicismus zurückzufuhren J Besonders verhängnissvoll wurde es natürlich, wenn man einer Reichsstadt überdies nachweisen konnte, dass sie seinerzeit das Interim angenommen habe. Nach protestan- tischer Ansicht war das Interim weder katholisch, noch pro- testantisch, sondern ein ,mixtum', gewissermassen »eine neue Lehre^ gewesen; von den Elatholiken aber wurde die Annahme des Interims als gleichbedeutend mit der Annahme des Katholi- cismus betrachtet und demgemäss gefolgert, dass die betreffen- den Städte, da sie zur Zeit des Religionsfriedens ,katholisch' gewesen, es nunmehr wieder werden müssten.^ Am leichtesten

1 Die Eyangelischen konnten allerdings darauf sagen, dass der Religions- firiede von den rein evangelischen Städten deshalb nicht spreche, weil keine besondere Bestimmung fttr diese nOthig gewesen sei; anch darauf wiesen sie hin, dass der Religionsfriede die katholischen Beiohsst&dte ebensowenig in Betracht ziehe, und dass man also mit gleichem Rechte die Umwandlung der katholischen Städte in protestantische verlangen k($nnte. Von den gemischten Reichsstädten behaupteten sie natürlich, dass in ihnen die geistliche Gerichtsbarkeit nur auf die katholischen Bürger sich erstrecke, nicht auch auf die protestantischen. Bei Ess- lingen, NOrdlingen, Reutlingen und Mühlhausen glaubten übrigens die Katholiken ausdrücklich nachweisen zu k({nnen, dass sie zur Zeit des Religionsfriedens noch gemischt gewesen und dass die Umwandlung in ganz evangelische Städte nur durch Vergewaltigung des katholischen Theiles der Bürgerschaft, also mit Verletzung des Religionsfnedens erfolgt sei (Katholische Streitschrift im Dr. A. 8093 und Gravamina der Reichsstädte VII; Max von Bayern an den Kaiser, Wiener Staats- archiv, Kriegsacten 38; Londorp III, S. 517, 1069).

^ Regensburg, Augsburg, Schweinfurt und andere Städte hatten sogar wegen Annahme des Interims mit ihren Bisch<)fen Verträge geschlossen, welche aber nach protestantischer Ansicht ebenfalls durch die ,clausu1a cassatoria* des Religionsfriedens aufgehoben worden waren; diese Clausel lautet: ,da88 alles, so in vorigen Reichsabschieden, Ordnungen oder sonsten begriffen und versehen, so diesem Fri^densstand . . . zuwider wäre, demselben nichts benehmen noch abbrechen, auch damff weder inn- noch ausserhalb Rechtens nichts gehandelt werden sollte^ Uebrigens hatten die Reichsstädte das Interim meist nur ,angenommen,' keines- wegs aber durchgeführt (vgl. Dniffel, Schriftst., III. Bd.).

404 Tnpets.

endlich liess sich die Gegenreformation rechtfertigen, wenn man einer Stadt geradezu die ReichBunmittelbarkeit absprechen konnte, und auch dazu bot sich, da die Reichsstädte ja doch meist aus bischöflichen Städten hervorgegangen waren oder unter der Schutzherrschaft benachbarter Fürsten standen, häufig Gelegenheit.

Am irtlhesten kam es zur Gegenreformation in Kauf heuern, hier nämlich schon im Frühjahre 1628; gegen Ende des Jahres folgten die Reichsstädte im Elsass, Colmar und Hagenau, welche Erzherzog Leopold als Oberlandvogt, und die Städte Aalen, Giengen, Dinkelspühl und Gemünd, welche der Deutschmeister reformirte; noch später Essen (reformirt von der Aebtissinl Leutkirchen, Kempten u. A. Das grösste Aufsehen rief jedoch die Durchführung der Gegenreformation in jener Stadt hervor, von welcher die Augsburger Confession den Namen hat und auf welche deshalb die Anhänger derselben mit einer Art von religiöser Verehrung blickten.* In allen diesen Städten wurden die evangelischen Prediger und Schullehrer entlassen und in den Kirchen statt des evangelischen der katholische Gottesdienst wieder eingeführt. Den Einwohnern aber wurde nur die Wahl gelassen zwischen Uebertritt zum Katholicismus binnen einer bestimmten Zeit oder Auswanderung;^ nicht einmal das soge-

' In Angsbnr^ erschien der Reichshofrath Rnrz von Senftenau am 5. Angnst 1629 und verkündige am 8. August die kaiserliche Entschliessung; die letztere ist abgedruckt bei Londorp IV, S. 23. Theatmm Enrop. II, S. 25. Gegen Augsburg wurde besonders auch geltend gemacht, dass der Bischof von Augsburg seinerzeit gegen den Religionsfrieden protestirt habe and daher durch diesen Vertrag, welcher nur ,zwi8chen einigen ReichsstSnden beider Religion' ohne Theilnahme des Bischofs abgeschlossen worden sei, nicht gebunden werde; der Kaiser erkannte diese Theorie allerdings nicht an, sondern berief sich nur auf den Vertrag wegen Annahme des Interims. Kursachsen verwendete sich für Augsburg mit besonderem Eifer, aber vergpeblich. Merkwürdig ist, dass Augsburg schon zur Zeit des Interims besonders hart mitgenommen worden war.

' In Städten, denen man Calvinismns vorwarf, z. B. auch in Angsbuig, wurde sogar nicht einmal die Auswanderung gestattet (Augsburg an den Leipziger Convent, 9. Februar 1631, Dr. A., Rest. XI); in Kaufbenem wurde von den Auswandernden ein Abzngsgeld von 10*/,) erhoben; ein Bürger daselbst, der sein Kind in Kempten hatte taufen lassen, wurde gefangen gesetzt und erst gegen Erl.ig einer Strafe von 100 Thalem

Der Streit um die geietlicben Güter and das Restitutionsedict (1629). 405

nannte ^AuBlaufen^ der Besuch evangelischer Kirchen in der Nachbarschaft, wurde gestattet. Denjenigen, welche im städti- schen Dienste waren, wurde mit Entlassung, denen, welche in die Ai'men-, Kranken- und Waisenhäuser Aufnahme gefunden hatten, mit Austreibung aus denselben gedroht, wenn sie den Glauben nicht wechseln würden.^ Ein bewaflfneter Widerstand seitens der Bürger war schon durch die eingelagerten Soldaten unmöglich gemacht; in Augsburg hatte man überdies die Vor- sicht gebraucht, gleich nach Ankunft der Commissäre allen Bürgern^ welche nicht ausdrücklich auf das Rathhaus vorge- laden wären, Hausarrest aufzuerlegen, und zu noch eindring- licherer Warnung war sogar ein Galgen vor dem RathhsCuse aufgerichtet worden. Der ohnmächtige Zorn der in ihrem Ge- wissen bedrängten Bürger machte sich freilich in ,hitzigen Reden* gegen die Commissäre Luft; dies hatte aber nur neue Strafmandate zur Folge; das Loos der evangelischen Bürger- schaft wurde dadm*ch, wie begreiflich, nicht gebessert. ^

Nicht minder streng wurde die Gegenreformation in den Dörfern durchgeführt, welche entweder ebenfalls den Reichs- städten unterthan waren oder der fränkischen und schwäbischen Reichsritterschaft und anderen weniger mächtigen Ständen ge- hörten. Auch in diesem Falle war es vorwiegend die geistliche Gerichtsbarkeit, durch welche das Verfahren begründet wurde; doch refoj-mirten die Bischöfe in vielen Fällen auch als Mit-

wieder freigelassen (Kaufbeuern an Kursachsen, 14. Januar 1629-, Dr. A., Oravamina der Reichsstädte VU). In Hagenau wurde den Brautleuten die Trauung verweigert, wenn sie nicht übertraten.

' Dies ist festgesetzt fUr Augsburg in dem Decrete vom 11. Juli 1630 (Londorp IV, S. 35): darnach sollte auch kein Handwerksjunge als Ge- selle eingeschrieben, kein Geselle zum Meisterstück zugelassen werden, es sei denn, dass er sich bekehre.

^ Der Erfolg aller dieser Massregeln war freilich wenigstens in Augsburg nicht sonderlich; selbst am 9. Februar 1631 waren nach dem Schreiben des Rathes nur Wenige zum Katholicismus übergetreten, und indirect wird dies bestätigt durch das kaiserliche Decret vom 23. Juli 1631, betreffend die Neuwahl des Rathes, indem sich der Kaiser darin ge- nOthigt sah, für den Fall, dass nicht gemig taugliche Katholiken zu finden wären, auch die Aufnahme solcher Evangelischen in den Rath zu gestatten, welche wenigstens auf Bekehrung Hoffnung machten (Lon- dorp IV, S. 219). äiuuugsber. d. pliil.-hUt. Cl. CU. Bd. U. Uft« 27

406 Tupets.

eigenthümer, als Lehensherren, als Vögte, als Inhaber des Pa- tronats, der Collatur u. dgl. Die verwickelten Rechtsverhältnisse, welche zwischen den kleineren Ständen namentlich des schwä- bischen und fränkischen Kreises bestanden und welche früher, so lange die weltlichen und protestantischen Stände das Ueber- gewicht besassen, die Ausbreitung der evangelischen Lehre in hohem Grade erleichtert hatten, mussten nun umgekehrt dienen, dem Vordringen des Katholicismus immer neue Bahnen zu öffnen.* Selbst Ansprüche, welche bis dahin von den evange- lischen Ständen wenig ernst genommen worden waren, wie der des Bischofs von Wtirzburg auf die herzogliche Würde in Franken, bekamen nunmehr in unverhoflfter Weise Leben und Gestalt, indem daraus das Recht zur Gegenreformation im

1 AnsfOhrlich handelt über diese Verhältnisse eine am 1. September 1631 an Knrsachsen übergebene Denkschrift (Dr. A. Rest. XIX). tT'as der Reicbsritterschaft den Bischöfen gegenüber am meisten zum Nachtheile gereichte, war, dass sie nur in corpore als ein Reichsstand betrachtet wurde ; ein einzelner Reichsritter, sagten die Katholischen, könne ebenso wenig als ein Reichsstand angesehen werden, wie der einzelne Bürger einer Reichsstadt. Der Religionsfriede selbst schützte zwar die R^chs- ritterschaft selbst in ihrer Religionsübung, sagte aber nichts von den XJnterthanen. Die sich durchkreuzenden Lehens-, Patronats- und Terri- torialrechte suchten die Evangelischen in dem zu Regensburg überge- benen Friedensvorschlag so zu regeln, dass die Rechte des Patrons und des Lehensherm denen des Landesherm, welchem das Territorium ge- hörte, zu weichen hätten ; so lange aber die Sache noch zweifelhaft war, legten natürlich Katholiken und Protestanten je nach den Umstanden dieselbe sich so zurecht, wie sie ihnen gerade am günstigsten schien. Eine Bambergische Schrift zählt folgende Arten von Obrigkeit auf, die alle die Religion bestimmen wollten: 1. Das jus dioecesanum, 2. die centbarliche oder ,hohe freische* Obrigkeit, 3. die civilische oder vogtei- liche, 4. die fürstliche oder den hohen Wildbann, 5. die lehensherrliche 6. die Gemeinherrschaffc. Bei Letzterer kam es vor, dass der erste Hof eines Dorfes ,edelmänni8ch war und der Edelmann hatte sein Wappen daran*, der zweite war fürstlich, der dritte ,prälatisch', der vierte städtisch u. s. w. Das Verfahren der Bischöfe gegen die Reichsritter hatte übri- gens neben dem religiösen auch ein politisches Ziel im Augre, nämlich die Vergrösserung ihrer landesfUrstlichen Macht; die bei Londorp IV, S. 245 abgedruckte Würzburgische Listruction spricht dieses unum- wunden aus. Die protestantischen Stände, sagt sie, halten zum grossen Theile nicht blos die in ihren Landen angesessenen Ritterschaften, son- dern auch Grafen und Herren als ihre Landsassen; warum sollte also nur den geistlichen Fürsten dies vorweigert sein?

Der Streit un die geistliclien Gitter and das Sestitutionsedict (162U). 407

Gebiete aller fränkischen Stände abgeleitet wurde. Wenn sich die Grafen und Herren demgegenüber darauf beriefen, dass sie doch auch Reichsstände seien und daher ebenfalls unter dem Schutze des Religionsfriedens stünden, so wurde das nur für ihre Person, nicht aber für ihre Unterthanen, ja nicht einmal für ihre nächste Umgebung anerkannt. Sie mussten es sich gefallen lassen^ dass sogar die Kirchen, in denen sie selbst dem Gottesdienste beizuwohnen pflegten, für die katholische Keligionsübung zurückgefordert , und dass - die Geistlichen, welche sie als ihre Hauscapläne betrachteten, entfernt wurden.^ Die Zahl der auf diese Weise reformirten Dörfer war beson- ders im schwäbischen und fränkischen Kreise bedeutend; im Gebiete der Grafen von Hohenlohe wurden, wenn wir den An- gaben derselben trauen dürfen, nicht weniger als 47 evange- lische Pfarrer verjagt und mindestens eben so viele auf den Gütern der Lehensleute von Brandenburg -Anspach; auch die Grafen von Lippe, von Seinsheim, von Löwenstein -Wertheim und von Nassau - Saarbrücken , dann die Städte Nürnberg, Weissenburg in Franken, Windsheiip und Ulm klagten über ähnliche, verhältnissmässig ansehnliche Verluste.'

Bei den mächtigeren evangelischen Ständen begnügte man sich mit der Rückforderung der eingezogenen Kirchen und Klöster. Da, wo kaiserliche oder ligistische Truppen im Quartier lagen und daher jeder Widerstand von vornherein aussichtslos war, also insbesondere im niedersächsischen Ka-eise, ging auch die Re- stitution ohne besondere Schwierigkeit vor sich; die Beti'offencn suchten höchstens durch flehentliche Bittschriften an den Kaiser oder an den Kurfürsten von Sachsen eine Milderung ihres Looses

' In Hhnlicher Luge wie diese Herren befanden »ich anch, seit Pfal'/graf Wolfgang Wilhelm katholisch geworden war, dessen Brüder, denen ebenfalls nnr für ihre Person Religionsfreiheit zugestanden wurde.

' Das Verhalten des Kaisers gegenüber diesen Vorgängen war, wie bei den Reichsstädten, auch in Bezug auf die Reichsritter eine Zeit lang schwankend; am 8. October 1628 und selbst noch am 19. October 1629 nahm er die Ritter gegen die Bischöfe in Schutz. Am 6. November 1630 jedoch erliess er eine endgiltige Entscheidung zu Gunsten der Bischöfe^ wodurch ,die Inhibition in Sachen der Reformation gänzlich wieder cassirt^ und der Bischof von Bamberg ermächtigt wurde, ,daniit ferner zu verfahren\ (Abschrift im Dr. A. Rest. IX.)

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408 Tap6t£.

ZU erwirken J Besonders günstig lagen für die Restitutionscom- missäre die Verhältnisse in den nordischen Bisthtimem und £rzbi8thümem; namentlich in den Stiftern Bremen, Magdeburg und Halberstadt. Die evangelischen Inhaber derselben hatten nämlich im Bewusstsein ihrer unsicheren Stellung niemals ge- wagt, mit derselben Energie reformatorisch aufzutreten wie die weltlichen Fürsten, und die Restitutionscommissäre fanden daher in vielen Kirchen und Klöstern und sogar in den Domcapiteln selbst einen aus Katholicismus und Protestantismus seltsam gemischten Zwitterzustand vor, den man leicht zu einem voll- ständig katholischen umwandeln konnte.^ Dazu kam^ dass ein Theil dieser Stifter bei Beginn der Restitutionen gleichsam herrenlos war. Den mit Dänemark verbündeten Administrator Christian von Brandenburg hatten die kaiserlichen Truppen aus seinem Erzbisthume Magdeburg vertrieben; die Domherren hatten dann zwar in neuer Wahl den kursächsischen Prinzen August zu ihrem Oberhaupte erkoren, aber diese Wahl war vom Kaiser, der das Erzstift mit seinen Truppen besetzt hielt, nicht anerkannt worden, und der Prinz hatte denn auch seine Regierung in Magdeburg bis zur Erlassung des Edictes nicht wirklich angetreten.' Aehnhch war es in Bremen. Hier hatte der König von Dänemark den frtiheren Erzbischof, Herzog Johann Friedrich von Holstein^ zu Gunsten seines Sohnes Fried- rich zu verdrängen gesucht; durch die Niederlage Dänemarks

^ Klopp erklärt die Leichtigkeit, mit der sich die Restitution im Stifte Bremen vollzogt, auch durch die Milde, mit der man verfahren sei; der Reichshofrath Hye begründete sie jedoch nur durch die Ueberlegenheit der katholischen Truppen: Ein Widerstand sei nicht zu ftirchten, sagt er, denn mit Ausnahme von Bremen selbst seien alle Städte und Festungen mit kaiserlicher Soldatesca besetzt (Wiener Staatsarchiv, Kriegsacten 38). Klopp zeigt übrigens an dem Beispiele Osnabrücks selbst, welche ener- gischen Mittel angewendet wurden, um jeden Widerspruch zu ersticken: 1800 Mann wurden dort in die Häuser der Bürger einquartirt und diesen auferlegt, auch den Sold für dieselben, monatlich 16.000 Thaler, zu zahlen.

^ Diese Zwitterzustände schildert für die bremischen Klöster Klopp in den Forschungen zur deutschen Geschichte, S. 119; für die magdeburgischen unter Anderen K. A. Menzel II, S. 167.

3 Nach Opel, Niedersächsischer Krieg II, S. 328, hatte übrigens Kursachsen den Domherren versprochen, dass Prinz August erst, wenn er 21 Jahre alt wäre, die Regierung antreten würde.

Der Streit am die ereistlichen Gflter und du Restitntionsediet (1«89). 409

waren natürlich die Ansprüche des dänischen Prinzen so gut wie beseitigt, vom Kaiser aber wurde nun auch der frühere Erzbischof nicht mehr anerkannt, und da beinahe das ganze Erzbisthum von ligistischen Truppen besetzt war, so hatten auch hier die Katholischen schon vor der Erlassung des Re- stitationsedictes die thatsächlichc Regierung in Händen. In Halberstadt endlich waren die furchtsamen Domherren durch das Versprechen nachsichtiger Behandlung sogar dahin gebracht worden, dass sie selbst den kaiserlichen Prinzen Leopold Wil- helm zu ihrem Bischöfe wählten, ' und da auch die Stifter Osna- brück und Hildesheim bereits katholische Bischöfe hatten, so bestand die Aufgabe der Restitutionscommissäre in allen diesen Bisthümem und Erzbisthümem nur darin, die evangelischen Capitel und eine möglichst grosse Zahl von evangehsch ge- wordenen Kirchen und Klöstern in katholische umzuwandeln und so diejenigen Stifter, deren Stühle noch unbesetzt waren, filr den Empfang des neuen Landesherm vorzubereiten, was denn auch fast überall gelang.^

Nicht minder mühelos vollzog sich die Restitution in den Besitzungen des schwachen und durch sein Bündniss mit Dänemark arg compromittirten Herzogs Friedrich Ulrich von Braunschweig und in den braunschweigischen Landen über- haupt. Auch sie waren von den Truppen der Sieger besetzt, ein Theil derselben war sogar, zur Strafe für den Abfall, zu Gunsten des ligistischen Generals Tilly und Anderer confiscirt worden und die Restitutionscommissäre konnten daher in dem wehrlosen Lande schalten und walten, wie es ihnen gutdünkte.

* Dieses' Versprechen Hess in der Religionsfrage, was besonders zu be- merken ist, dem Kaiser vollkommen freie Hand. ,Weil aber vor's dritte^ hiess es darin, ,was den punctum der Religion und was demselben an- hängig, anlangt demnach wir uns dieser Zeit hierüber gegen erstgedach- tem Capitnll noch nicht eigentlich erklären mOgen, als wollen wir uns hiernegst der Gebühr in Gnaden resolvieren, unter- dessen aber niemanden wider den Religions- und Prophanfrieden be- schweren lassen* (13. Juni 1628; Dr. A. 8093/273). Was A. Menzel, Majlath n. A. darüber sagen, ist also gegenstandslos.

2 In den Stiftern Bremen und Magdeburg ist freilich die Umwandlung immer unvollkommen geblieben, weil es nicht gelang, auch die Haupt- städte zu bezwingen; in Magdeburg scheiterte sogar die versuchte Ab- setzung der Domherren (s. n.).

410 Tnpetz.

Anders war es bei jenen Ständen^ welche entweder nicht unmittelbar von der katholischen Kriegsmacht bedroht waren, oder sich stark genug fühlten, um selbst dem Kaiser eine Zeit lang Widerstand leisten zu können : bei dem Herzoge von Würtemberg, dem Landgrafen Wilhelm von Hessen, dem Mark- grafen von Ansbach, den Grafen von Lippe, von Hohenlohe, den Städten Frankfurt, Strassburg, Nürnberg u. a. ' Vor Allem suchten diese Stände Zeit zu gewinnen, und was hätten sie auch Besseres thun können? Mochte man eine Wendung zum Besseren von einer Sinnesänderung des Kaisers oder von einem Umschlage des Kriegsgltickes erhoffen , immer war es von Vortheil, wenn die Evangelischen im entscheidenden Zeitpunkte die geistlichen Güter noch besassen. Die erste Vorladung wurde daher unter allerlei Vorwänden unbeachtet gelassen: Krankheiten, Reisen, unaufschiebbare Geschäfte mussten zur Entschuldigung dienen.^ Wenn dann bei der zweiten oder dritten Vorladung die evangelischen Bevollmächtigten sich doch einfanden, so forderten sie vor Allem von den kaiserlichen Commissären die Vorzeigung ihrer Vollmacht oder auch die Einsichtnahme in die Klageschrift der Gegenpartei; wurde dieselbe, wie häufig geschah, verweigert, so erklärten sie, in diesem Falle zu weiteren Verhandlungen nicht ermächtigt zu sein.^ Mussten sie sich endlich demungeachtet in eine detail-

^ Bei Beginn der Restitutionen waren besonders die süd- und mitteldeut- schen evangelischen Stände im Vortheil, da die katholischen Truppen alle im Norden standen; später verlegte Waldstein seine Soldaten auch nach Süddeutschland, was man manchmal unerklärlich gefunden hat; nach dem Abte von Kempten war aber der Zweck kein anderer, als die ,ungehor8amen Städte (und nicht blos die Städte) zum ' Gehorsam zu zwingen* (Bericht aus Kempten 3. Juni 1630; Dr. A., Rest. V, S. 94).

* Herzog Ludwig Friedrich, Administrator von Würtemberg entschuldigte sich auch damit, dass er ohne Zustimmung seiner Brüder keinen Schritt zum Nachtheil seines Mündels thun kOnne; in ähnlicher Weise redeten sich auch die Grafen von Hohenlohe, Stolberg u. A. auf ihre Stammes- vettern aus. Graf Wolf Georg zu Stolberg half sich sogar mit der lügen- haften Behauptung, dass er die seine Klöster betreffenden Documente an Kursachsen geschickt habe, wofür er dann vom Kurfürsten einen Verweis erhielt (Dr. A., Rest. H).

3 Die Verweigerung der Einsichtnahme wurde von Seite der Katholischen in Schweinfurt damit begründet, dass ,die Commission das Schwert, sie zu juguliren, nicht aus den Händen geben ktJnne^

Der Streit um die geistlicIieD Qflter and daa Kestitationsedict (16S9). 411

lirte Nachweisung ihrer Rechte einlassen; so beriefen sie sich trotz des Verbotes« und obgleich sie recht wohl wussten^ dass es vergeblich sei, auf die eingetretene Verjährung des Besitzes, ' auf die Uebernahme durch £rbschaft, Kauf, Tausch u. dgl., darauf, dass ein Process beim Kammergericht anhängig sei^ dass man an den Kaiser appellirt habe oder noch appelliren wolle u. s. w. Man behauptete auch wohl, nicht glauben zu können y dass der Auftrag; den die Commission vorwies, der Wille des Kaisers sei, erklärte, eine Gesandtschaft an diesen schicken zu wollen, um seine wahre Willensmeinung zu er- fahren, und erbat unterdessen Stillstand in den Executionen. Wenn die Commissäre darauf erwiderten , sie dürften nur über eine einzige Frage die Erörterung zulassen, nämlich dar- über, ob die betreffenden Güter schon im Jahre 1552 im evan- gelischen Besitze gewesen seien oder nicht, so behauptete man frischweg das Erstere, verlangten aber die Commissäre den Be- weis dafür, so antwortete man: der Kläger möge das Gegen- theil beweisen, dann werde man ihm Rede stehen.

War endlich trotz aller Einwendungen das Urtheil erfolgt und erschienen die Commissäre oder deren Subdelegirte vor den EJostergebäuden, ujn sie in Empfang zu nehmen, so fanden sie gewöhnlich die Eingänge versperrt und verrammelt; der Besitzer war in den meisten Fällen abwesend, statt seiner erschien auf das Pochen der Commissäre irgend ein Diener oder Amtmann, welcher behauptete, er habe keine Vollmacht, die Commissäre einzulassen. Der würtembergische Vogt in Lorch setzte boshaft hinzu: ,es sei jetzt nothwendig, die Thüren ver- wahrt zu halten, weil in jüngster Zeit die Gegend von Räuber- banden und allerlei Gesindel unsicher gemacht werde^^ Natürlich

* ^Diejenigen*, sagte Würtemberg, , welche etwa ein Recht auf die Klöster hätten, hätten sich durch ihr langes Stillschweigen und Stillsitzen dessen begeben und die Sache sei jetzt verjährt und verschlafen.^ (Die Land- schaft an die Kurfürsten, 11. Juli 1630} Dr. A., Rest. V, S. 181).

' Die Commifisäre entfernten sich, indem sie sagten: In einigen Tagen kommen wir wieder: dann werden wir die Spiesse gebrauchen (Dr. A., Rest. V, S. 121). Gemüthlicher war der Abschied bei dem Stolbergischen Kloster nsenburg; die Aebte, welche durch ihre Croaten bereits ein Loch in den Krenzgang hatten brechen lassen, erklärten, als der Graf selbst erschien, sie hätten keine Gewalt brauchen wollen, sondern seien nur zu einer freundschaftlichen Unterredung erschienen; der Graf, darauf

412 Tiip«tz.

kehrten die Commissäre unter bewaffneter Bedeckung zurück, wobei sie, Würtemberg gegenüber jene Ausflucht des wtirtem- bergischen Hauptmanns gleichsam parodirend, versicherten: ,sie hätten ebenfalls das Kriegsvolk nur mitgenommen, um gegen vagirende Soldaten sicher zu sein^ Mit dem Erscheinen der Truppen war denn auch gewöhnlich der Widerstand zu Ende. Die Thtiren freilich öffnete man trotzdem nicht, sondern liess es darauf ankommen, dass die Soldaten sie erbrachen; es sollte Jedermann sehen, dass die Evangelischen nur der Gewalt wichen.^ Drangen dann die Mönche und Soldaten in das Innere des Gebäudes ein, so fanden sie es gewöhnlich leer, indem die Eigenthümer alle Lebensmittel, Einrichtungsstticke, Werthsachen und Schriften schon vorher bei Seite geschafft hatten. Auch erhob in Gegenwart der Eindringenden der Besitzer selbst oder sein Bevollmächtigter lauten Protest gegen die durch das Auf- brechen der Thüren verübte Gewaltthat 5 ja es geschah sogar, dass die evangelischen Inhaber nicht eher wichen, als bis die Soldaten auf Befehl der Commissäre Hand an sie legten und sie mit Gewalt hinausfllhrten oder trugen.

Noch hartnäckiger war der Widerstand in den würtembergi- schen, zum Theil auch in den hessischen und Zweibrücken'schen Klöstern. Der Herzog von Würtemberg, der Landgraf Wilhelm von Hessen und Pfalzgraf Johann von Zweibrücken hatten nämlich sogar Bewaffnete in die bedrohten Klostergebäude gelegt, mit dem ausdrücklichen Befehle, selbst vor den kaiser- lichen Truppen nicht zu weichen, es sei denn, dass die üeber- macht der Anrückenden jede Gegenwehr im Vorhinein als aus- sichtslos erkennen lasse.^ Als daher die Commissäre, begleitet

eingehend, sagte: Es sei Schade, wenn die Aebte auf andere Manier zn ihm gekommen wären, so hätten sie mit einander ,gate Räusche trinken können*, worauf die Aebte lachend davonfuhren. Tags darauf wurde freilich das Kloster doch restituirt. (Dr. A., Rest. n.)J

1 Graf Wolf Georg zu Stolberg erzählt sogar, man habe bei der Einnahme von Ilsenburg seinen Gärtner mit der Pistole zu Boden gestossen, ihm selbst mit Säbel und Muskete gedroht u. s. w. Ueber den Verlauf der Restitution, insbesondere über das Aufbrechen der Thüren, Hessen die Evangelischen i;gewOhnlich durch einen Notar ein Protokoll aufnehmen, um es dann ihren Beschwerdeschriften beizulegen.

3 So befahl Wilhelm von Hes^n seinem Amtmann in Reichenberg, auf die Ankunft der Commissäre in Kirdorf und Singhofen zu ,lauem*, den-

Der Streit am die geisllichen Ulkter and das Kestitutionsedict (1629). 413

von 150 Soldaten, am 17. August 1629 vor dem wtirtember- gischen Kloster S. Georg erschienen, mussten sie trotz ihrer ver- hältnissmässig starken Bedeckung unverrichteter Dinge wieder abziehen, da sie eine genügend zahlreiche protestantische Kriegs« macht sich gegenüber sahen und es nicht wagten, einen ELampf gegen dieselbe zu beginnen. * Der Versuch wurde auch keines- wegs, wie man erwarten sollte, sogleich wiederholt; die ent- schlossene Abwehr von Seite Würtembergs hatte vielmehr zu- nächst nur die Folge, dass sich die Restitutionscommissäre die Verschleppungsversuche des Herzogs auch fernerhin mit einer ganz wunderbaren Geduld gefallen Hessen. Aber so auffallend diese Milde erscheinen mag, sie war doch durch die Umstände geboten. Die Katholiken wünschten nämlich selbst nicht, dass der Einzug der^neuen Besitzer in die geistlichen Güter durch Kampf und Blutvergiessen befleckt werde. Handelte es sich doch für sie keineswegs nur um den augenblickUchen Ekfolg, sondern um die Erwerbung eines gesicherten, ruhigen Besitzes, wie man hoffte, nicht blos fUr Jahre und Jahrzehnte, sondern vielleicht sogar flir Jahrhunderte; wenn man aber diesen er- reichen wollte, so musste man sich wohl hüten, dass man die evangelischen Nachbarn nicht allzusehr erbittere, da diese nach dem Abzüge der katholischen Truppen und irgend einmal mussten diese doch abziehen schlimme Rache nehmen konnten.^ Daraus erklärt sich auch die auffallende

selben mit der ,Str&fe* des Landgrafen zu drohen und ^egen Gewalt mit Zuziehung der Kriegsbediensteten auch Gewalt zu gebrauchenS aber behutsam und dann nicht, wenn die Feinde die Mehrheit hätten (Dr. A., Rest. IV; im October 1629).

' Bald darauf, am 26. Januar 1630, Hess der Herzog von Würtemberg bei zwei Professoren der Tübinger Universität, dem Med. Dr. MaUhXus Müller und Jur. Dr. Wilhelm Weidenbach, welche er im Verdachte hatte, dass sie den Restitntionscommissären Behelfe zukommen liessen, Hausdurchsuchungen vornehmen und, als sich sein Verdacht, wie es scheint bestätigte, den einen von ihnen, Weidenbach, absetzen und ge- fangen nach Hohen-Urach bringen. Der Kaiser erliess deshalb am 12. März 1680 ein POnalmandat gegen den Herzog (Dr. A., Rest. IV, 8. 108).

^ Charakteristisch für den Unterschied, den man zwischen mächtigeren und weniger mächtigen Ständen machte, ist auch der Rath der fränki- schen Restitutionscommissäre, an dem Grafen von Hohenlohe ,ein

414 Topetz.

Erscheinung, dass die Aebte, indem sie die Rückgabe der Klöster verlangten; es für nöthig hielten, in einem Athem sich wegen eben dieses Verlangens zu entschuldigen. Sie wollten es nicht Wort haben, dass die Klage beim Kaiser von ihnen ausgegangen (wahrscheinlich zum Theil aus diesem Grunde wurde auch die Vorweisimg der Klageschriften verweigert), schoben Alles auf den kaiserlichen Befehl, dem sie nur imgem und mit Widerstreben gehorcht hätten, kurz erzeigten sich so freundschaftlich, als es sich nur immer mit der gewaltsamen Wegnahme von Hab' und Gut imd Leuten vereinbaren KessJ Ganz dem entsprechend war auch die Klugheit und Vorsicht, welche die Commissäre gegenüber dem Herzoge von Würtem- berg in Anwendung brachten; erst als sie sich überzeugten, dass auf eine friedliche Einnahme der Klöster unter keiner Bedingung zu hoflfen sei, riefen sie nochmals die bewafinete Macht zu Hilfe, wofür die Gefahr eines Krieges mit Frankreich den wünschenswerthen Vorwand gab; nun aber kamen die katholischen Truppen gleich mit solcher Uebermacht, dass an einen bewaflftieten Widerstand nicht mehr zu denken war.^ Im

Exempel zu statoiren*; da« Schicksal dieses Kleinen, hofften sie, werde dann schon auch die Mächtigeren, welche man noch nicht anzugreifen wagte, einschüchtern (1630, ohne Tag; Abschrift im Dr. A., Rest. IV, 8. 374 ff.).

* So that z. B. der Prior ron Amstein, als er die hessischen Pfarren Kir- dorf und Singhofen, der Abt von Verden und Helmstädt, als er <b5 anhaltische Kloster Nienburg in Anspruch nahm; der Letztere ,lies8 es an seinen Ort gestellt sein, aus welchen Ursachen der Kaiser die De- crete erlassen*, klagte, dass ,gerade er vom Kaiser ausersehen worden sei, das Kloster in Besitz zu nehmen* u. s. w. (Dr. A., Rest. Y.)

^ Vor dem Kloster Maulbronn, das als eines der ersten restituirt wurde, erschienen nach der Angabe des Herzogs von Wttrtemberg eine Com- pagnie Kürassiere, 1000 Musketiere, 50 Pikeniere und 5 Wagen Muni- tion; im Ganzen soll der kaiserliche Commissär Ossa 2S Compagmeo oder nach einer späteren Angabe 8000 Mann mit sich gebracht bsben. (Dr. A., Rest. V.) Dass der Krieg mit Frankreich nur Vorwand, die Durchführung der Restitutionen und die Brechung des denselben von Wttrtemberg u. A. entgegengesetzten Widerstandes der wahre Zweck der TruppenanhKufungen war, welche im Sommer 1630 in Süddeatscb- land stattfanden, sagt Waldstein ziemlich deutlich : ,Man begehrt*, äussert er einmal, ,dass ich eine Diversion in Frankreich soll machen, das ksno zwar nit sein, aber man spargier nur, dass ich hinziehn werde* und ein andermal: ,Ich sag*, ich thu* es wegen der Franzosen, aber ich tho' e$

D«r Streit um die geistlichen GMer and das Restitationsedict (1629). 415

Sommer und Herbste des Jahres 1630 wurde denn auch eines der würtembergischen Klöster nach dem andern eingenommen, ohne dass der Herzog etwas dagegen zu thun wagte; er stellte, wie er dem Kaiser schrieb, alles Weitere ,Gott und der Zeit anheim^^ Unmittelbar nach der Restitution versammelten die Conimissäre die zu den lüöstern gehörigen Bauern, umringten sie mit den mitgebrachten Soldaten und legten ihnen so die Frage vor, ob sie dem neuen Inhaber des Klosters huldigen wollten. Diese, nothgedrungen, sagten: Ja! baten aber zugleich, sie bei der evangelischen Religionsübung zu lassen , da ihnen die katholische ,zu ungewohnt sei^ Ihre Bitte blieb jedoch un- beachtet. Die Commissäre entfernten vielmehr sogleich in allen Dörfern die evangelischen Seelsorger und Lehrer und setzten auch den Inwohnern selbst einen Termin, bis zu welchem sie sich bekehren sollten.'^ Natürlich protestirten die würtem- bergischen Beamten sowohl gegen die Huldigung, als auch gegen die darauf folgende Gegenreformation, aber vergeblich: ja die Commissäre duldeten es sogar nicht einmal, dass der Protest in Gegenwart der zur Huldigung versammelten Unter- thanen vorgebracht wurde, weil sie mit Grund fürchteten, dass eine solche Scene zu Widersetzlichkeiten unter den evangelisch gesinnten Klosterleuten flihren könnte. Als daher der würtem- bergische Obervogt in Maulbronn hartnäckig darauf bestand, bei der Huldigung erscheinen zu wollen, so halfen sich die Commissäre dadurch, dass sie denselben im Kloster, wo er sich gerade befand, so lange durch Soldaten festhalten Hessen, bis die Huldigung, welche gleichzeitig, entgegen dem Herkom- men, unter freiem Himmel stattfand, vorüber war.

wegen vieler schädlicher Praktiken, so hin and wieder in Reich geführt werden.* Ich sehe nicht, warum man diesem Zeugniss nicht Glauben schenken sollte (vgl. dagegen Heyne, Kurfurstentag S. 60).

* Der Kaiser sah in diesen Worten eine Drohung und tadelte sie; gegen Kurbraudenburg sprach sich der Herzog noch deutlicher aus (28. August 1630): ,Man hat lautere Gewalt angewendet/ sagte er, ,und dieser ge- waltthätigen Occupation mit gleicher Gewalt entgegenzukommen, ist für diesmal nicht in Unsern Mächten* (Dr. A., Rest. V, S. 303 ff.).

' Die Gegenreformation bei den Klosterunterthanen erfolgte ausser bei den würtembergischen KlOstern auch bei dem Kloster Hornbach, welches dem Pfalzgrafen Johann von Zweibrücken gehört hatte, bei den vormals Oettingen'schen Klöstern: Christgarten, Zimmern u, A. (Dr. A., Rest. XVI.)

416 Tnpets.

Aber auch damit war der Widerstand, welchen die her- zogliche Regierung in Würtemberg den Restitutionen entgegen- setzte^ noch nicht zu Ende. Zunächst hinderte sie, so viel sie nur konnte, die Gegenreformation bei den KJosterunterthanen; mit Waffengewalt wurden die katholischen Pfarrer wieder ver- jagt und die evangelischen zurückgeführt , worauf natürlich auch die Unterthanen, soweit sie sich überhaupt bekehrt hatten, das evangelische Bekenntniss wieder annahmen. Die Restitutions commissäre mussten neuerdings Kriegsvolk herbeiziehen, um den katholischen Seelsorgern ihre Pfarren zurückzuerobern. Gegen die Aebte selbst aber, welche nun die restituirten Klöster inne- hatten, machte der Herzog den vollen Umfang seiner landes- fiirstlichen Rechte geltend. Er verlangte von ihnen nicht hlop die Entrichtung der Landessteuem, wie dieselben von ihren evangelischen Vorgängern geleistet worden waren, sondern auch den Unterhalt für einen Theil der würtembergischen Beamten, die Lieferung der ,Rei8wagen^, Jagdhunde u. s. w. Bei manchen Orden sollen sich diese Forderungen so hoch belaufen haben, dass dadurch der Nutzen der Restitution fUr den betreffenden Orden ganz illusorisch wurde ; unter Anderem soll der Herzog von dem Kloster Lebenhausen wöchentlich 531 £1. 30 kr., «nlso jährlich 27.638 fl. für den Unterhalt der kaiserlichen Truppen, femer 12.099 fl. zur Tilgung der herzoglichen Schulden, endlich 12.000 fl. für die Jägerei, zusammen 51.737 fl. gefordert haben.' Diese Art, die Schäden der Restitutionen wieder wettzumachen, erwies sich auch als erfolgreich. Die Aebte, welche trotz der durch das Restitution sedict ihnen zugewendeten Vortheile von Neuem als Kläger auftreten mussten, fanden selbst bei ihren

1 Würtemberg behauptete natürlich, die Oegenreformation sei gegen den Willen des Kaisers erfolgt, worauf die Commissäre erwiderten, es sei nicht wahr, ,dass es des Kaisers Wille sei, dass die Unterthanen die evangelische Religion annehmen und die katholische meiden sollten'. Die Commiss&re klagten auch, dass die Unterthanen verleitet würden, dem Administrator den Gehorsam aufzusagen und gegen die Commissäre spottische Reden zu führen; ja in dem Schreiben vom 2. December 1630 behaupteten sie sogar, die Unterthanen seien durch Drohungen znm evangelischen Gottesdienst gezwungen worden, was aber nicht recht wahrscheinlich ist. (Würtemberg an Kursaclisen, 7. November und 15. De- cember 1630; die Restitutionscommissäre an Würtemberg, 22. November 1630; Dr. A., Rest. VI, 8. 121, 240, 243).

Der Streit um die geistlichen Oftter and du Aettitutionsedict (1689). 417

Glaubensgenossen nicht überall mehr so geneigtes Gehör wie das erste Mal; insbesondere die katholischen Kurfürsten und Fürsten konnten nicht umhin, sich zu erinnern, dass auf der landesfilrstlichen Hoheit^ welche nun in Würtemberg angefochten wurde, auch ihre eigene Macht und Autorität beruhe, und sie legten daher sogar für den Herzog von Würtemberg, der trotz der Verschiedenheit der Religion doch immerhin ihr Standes- genosse war, beim Kaiser gegen die Aebte Fürsprache ein. Auf jeden Fall stand dem Vorgehen des Herzogs für die nächste Zeit kein erhebliches Hinderniss im Wege. ^

Aber es geschah auch, dass die Mönche, welche die Restitu- tion begehrten, ganz unverrichteter Sache abziehen mussten. In einigen Fällen waren nämUch die Ordensleute so ungeduldig, dass sie den Spruch der Commissäre gar nicht abwarten mochten, oder es kam wohl auch vor, dass selbst nach dem Wortlaute des Restitutionsedictes die Ansprüche der Orden so wenig be- gründet waren, dass sie selbst keine ihnen günstige Entscheidung der Commission zu hoffen wagten; trotzdem suchten sie sich, da sie der Meinung waren, die Evangehschen würden, einge- schüchtert durch die Erlassung des Edictes und die Nähe kaiserlicher oder ligistischer Truppen, keinen Widerstand wagen, in den Besitz der betreffenden Gebäude und Güter zu setzen. Dabei aber mussten sie sich überzeugen, dass sie den Muth und die Widerstandskraft der Evangelischen denn doch etwas zu gering angeschlagen hatten. So erschienen vor dem Kloster

^ lieber die Frage, wie weit die landesfUrstlichen Rechte Würtembergs gegenüber den restitnirten KlOstem reichten, beziehungsweise, ob Wür- temberg überhaupt solclio Rechte besitze, entspann sich ein heftiger Federkrieg. Die Orden beriefen sich unter Anderm darauf, dass die Geistlichkeit ursprünglich überhaupt von der landesfUrstlichen Hoheit befreit gewesen sei oder dass mindestens diese Befreiung gewissen Orden, z. B. dem der Cistercienser, zukomme, dann aber auch auf das Interim, welches von Würtemberg angenommen worden sei u. a. m. (Siehe Lon- dorp IV, S. 238.) Aehnlich lagen die Dinge bei dem Grafen von Schaumburg, der nach erfolgter Restitution wenigstens das Recht, den neuen Propst für das Kloster zu ernennen, in Anspruch nahm, femer bei der Abtei Hersfeld, auf welche das Haus Hessen auch nach der Restitution gewisse rertragsmässige Schutzrechte geltend machen konnte, welche allerdings nach der Ansicht des Abtes von Fulda durch Furcht and Gewalt abgepresst und darum null und nichtig waren.

418 Tnpeis.

St. Michael in Lüneburg im Juli 1629 drei Aebte, um es in Be- sitz zu nehmen, aber ohne eine kaiserliche Ermächtigung vor- weisen zu können ; nach einigem Hin- und Herreden zogen sie jedoch, im Bewusstsein ihres Unrechtes, wieder ab. Der Kai^r tadelte in einem eigenen Decrete vom 20. August desselben Jahres diese Eigenmächtigkeit. < Aehnliche Versuche machten die Barftisser in Heilbronn und in der unter kursächsischem Sebntze stehenden Reichsstadt Mühlhauscn;^ der Rath von Mühlhausen stellte aber dem Quardian vor^ dass seine Mönche unter Luthe- ranern sich kaum durch Betteln würden erhalten können nnd da der Quardian (er war, wie er selbst sagte , nur auf der Durchreise) nicht einmal die Documente bei sich hatte, anf welche der Orden seine Ansprüche gründete, so bheb auch dieser Versuch ohne Folgen; nicht einmal die Besichtigung der Klostergebäude wurde vom Rathe zugestanden. In dem zum braunschweigischen Fürstenthum Grubenhagen gehörigen ,Vorwerk^ Pölde erschienen die Mönche sogar in Begleitung von Soldaten, welche ihnen, wie sich später herausstellte, von einem Friedländischen Obersten zum Schutze ihrer Person bei gegeben worden waren; der braunschweigische Amtmann nöthigte aber demungeachtet, und ohne dass die Soldaten sich ins Mittel legten, die Mönche, das Gebäude wieder zu verlassen.* Der merkwürdigste dieser Fälle aber ereignete sich in Geismar, wo am 2. Februar 1630 zwei Franciscaner, ebenfalls begleitet von Soldaten, sich in den Besitz des Armenhauses setzten und einige Tage darin behaupteten. Landgraf Wilhelm von Hessen, dem Geismar gehörte, Hess deshalb den Capitän, welcher die Soldaten befehligte, zur Rede stellen. Dieser erklärte, er sei da, um die Mönche zu schützen; was diese sonst gethan hätten, gehe ihn nichts an; wenn dieselben übrigens gutwillig aus dem Armenhause weichen wollten, so sei es ihm recht; zwingen lasse er sie jedoch nicht. Nach vielem Parlamentiren brachte man aber doch den Hauptmann so weit, dass er versprach, die

1 Dr. A., Rest III.

2 Dr. A., Rest V.

3 Auch in diesem Falle sollen die MOnche behauptet haben, die Comiuis- sion beziehe sich auf die Restitution aller Klöster, einerlei, wann sie eingezogen wurden (Christian von Braunschweig an Kursachsen, 24. De- cember 1629; Dr. A., Rest. IV).

D«r Streit nm die geistlichen Gflter und das Restitutionsedict (1629). 419

AnstFeibiing der Mönche geschehen zu lassen, wenn man ihnen nur sonst kein Leid zufüge. Die Hessischen stiegen darauf trotz der verschlossenen Thüren durch ein Loch wieder in das Armenhaus und trugen die gerade anwesenden drei Mönche, indem sie dieselben bei den Armen und Beinen fassten, mit ^ziemlicher Bescheidenheit' wieder hinaus, ohne dass die Soldaten es hinderten.'

Und selbst die kaiserlichen Commissäre erreichten nicht immer ihren Zweck. In Strassburg, wo man wegen der Nähe Frankreichs keine Gewalt brauchen wollte, blieben alle Ueber- redungskünste ebenso erfolglos wie die Drohungen und Befehle des Kaisers. Die Commissäre wurden von der Stadt höflich aufgenommen, vortrefflich bewirthet, aber unverrichteter Dinge wieder entlassen.^ Ebensowenig wagte man einen Angriff auf die Stadt Bremen. Nach dem Berichte des Restitutionscommissärs Hye soU zwar Tilly einmal gesagt haben, die Stadt sei wie ein Beutel, den er zuziehen könne, wann er wolle; rundum waren hienach Schanzen errichtet, die Wesermündung bei Vegesack abgesperrt; die Eroberung schien sogar ohne Blutvergiessen möglich.^ Auch Wallenstein muss so gedacht haben, weil er TiUy eifrig zum Angriff drängte. Später aber überwog doch die Furcht, die calvinisch gesinnten Bürger der Stadt könnten das Wort ihres Syndicus : die Stadt werde sich eher den Hol- ländern übergebeü, als dem Restitutionsedicte unterwerfen, zur Wahrheit machen. Die kaiserlichen Befehle blieben in Folge dessen natürlich auch in Bremen imausgeführt. Noch schlimmer war es mit Magdeburg, welches, nachdem dort das einzige Liebfrauenkloster restituirt war, der Fortsetzung der Restitu- tionen sogar bewaffneten Widerstand entgegensetzte. Vergebens

^ Die schliessliche Nachgiebigkeit des Hauptmanns dürfte wohl anch durch die Ueberlegenheit des hessischen Kriegsvolkes, obgleich Wilhelm ▼OD Hessen in seinem Berichte an Kursachsen (19. Februar 1630) nichts davon erwähnt, herbeigeführt worden sein (Dr. A., Rest. IV).

2 In der Schlusserklärung der Subdelegirten vom 16. Februar 1629 mischte sich denn auch die Klage über die Unnachgiebigkeit der Stadt in seltsamer Weise mit dem Danke für die Bewirthung; der Stadt soll letztere 2000 Gulden gekostet haben (Dr. A. 8093/24.3).

' Gutachten Hye^s im Wiener Staatsarchiv, Kriegsacten S. 38; Klopp, For- schungen S. 117.

420 Tapete.

erschöpfte Waldstein einige Monate lang seine Belagerungskunst gegen die unbotmässige Stadt; nur nächtlicher Weile und heim- lich konnte nachher der kaiserliche Commissär Hämmerle das Restitutionsedict an die Kirchthüren anschlagen lassen. ' Bekannt ist, dass die Stadt zuletzt durch Tilly doch eingenommen wurde, aber da zugleich jener furchtbare Brand ausbrach, durch welchen der Name Magdeburgs eine so traurige Berühmtheit erhalten sollte, so hätte von einer Durchführung des Restitutionsedictes in der Stadt auch dann kaum die Rede sein können, wenn der weitere Gang der Kriegsereignisse ein den Katholiken günstiger gewesen wäre.

Solche vereinzelte Misserfolge vermochten indessen das Ergebniss der Restitutionen im Grossen und Ganzen nicht zu beeinträchtigen. Im Herbste des Jahres 1631 waren in den Händen der Katholischen : 2 Erzbisthümer (Bremen und Magde- burg), 5 Bisthümer (Werden, Minden, Halberstadt, Hildesheim und Osnabrück), die reichsunmittelbaren Abteien Herford und Hersfeld, dann nahezu 150 Kirchen und Klöster und gegen 200 Pfarreien in bis dahin evangelischen Dörfern und Städten.- Füi' die nächste Zukunft hoffte man dieser Beute noch hinzu- fügen zu können: 11 reichsunmittelbare Stifter (Havelberg,

< Waldstein forderte bekanntlich, dass die Stadt Truppen aufnehme, offen- bar EU dem Zwecke, um, wie er es ja auch ausgesprochen hat, die Stadt ▼ollständig dem neuen Erzbischof zu unterwerfen; die Belagerung dauerte von Mitte März bis 21. September 1629, an welchem Tage Waldstein gegen ein Lösegeld von drei Tonnen Goldes wieder abzog. Die nächt- liche Anschlagung des Mandates geschah am 6. Juli 1630; wenige Wochen später erfolgte die Rückkehr des Administrators Christian Wil- helm und damit die offene Empörung gegen den Kaiser.

' Im Ganzen handelte es sich also um den Besitz von mehr als fünf- hundert geistlichen Gütern, von denen nach dem oft citirten Verzeich- nisse des Reichshofrathes Hye ungefähr hundertzwanzig dem niedersäch- sischen Kreise angehörten. Hurter X, S. 63 bemerkt, dass die Commi»- säre im niedersächsischen und westphälischen Kreise am eifrigsten waren, die anderen hätten dagegen von Wien ans angespornt werden müssen; das Verfahren gegen Würtemberg und die fränkischen Stände zeigt in- dess, dass die schwäbischen und fränkischen Commissäre an Eifer hinter ihren CoUegen keineswegs zurückblieben. Wenn Anfangs ein Unter* scfiied in den Erfolgen bemerkbar ist, so rührt er davon her, weil den süddeutschen Commissären nicht sogleich dieselbe Truppenmeuge zo Gebote stand wie den norddeutschen.

Der Streit um die geistlichen Oftter und du Bestitntioniediet (1689). 42 1

Brandenburg, Camin, Lübeck^ Ratzeborg^ Lebus^ Merseburg^ Naumburg, Meissen, GanderBheim und Quedlinbui^) und unge- fähr 180 mittelbare Kirchen und Erlöster, wegen deren grössten- theils bereits die Klage eingebracht war. Von den evangelischen Ständen erlitten, wenn man von den Restitutionen in den Hoch- stiftem absieht, die gi'össten Verluste der Herzog von Braun- schweig-Wolfenbüttel und der von Würtemberg; der Letztere hatte 22 Klöster und Kirchen wirklich eingebüsst und war noch mit dem Verluste von mindestens 14 anderen bedroht; bei dem Ersteren bestand der gewisse Verlust, wenn man die im Stift Hildesheim gelegenen abrechnet, aus 31, der noch drohende aus 35 ehemals geistlichen Gütern.

IT. Der Streit um die restituirten Gfiter unter den -

Katholiken selbst.

Wenn die Katholiken den Gewinn überschauten, den ihnen das Restitutionsedict schon eingebracht, und wenn sie im Geiste dazu noch denjenigen fügten, den sie für eine nicht allzu ferne Zukunft zuversichtlich erwarteten, so mochte sie ein Gefühl stolzer Freude und lebhafter Befriedigung erfüllen. Aber es gab denn doch auch wieder Umstände, welche diese Gefühle bedeutend herabstimmten, und nicht der letzte davon war der Streit, welcher unter den Katholiken selbst um den Besitz der restituirten Güter entstanden war.

Man hätte freilich meinen sollen, dass ein solcher Streit schon durch den Begriff der Restitution ausgeschlossen sei; und in der That, wenn es sich einfach um die Wiedereinsetzung vertriebener Katholiken in ihr Eigenthum gehandelt hätte, so wäre in keinem Falle ein Zweifel gewesen, wem jedes einzelne Gut zuzufallen habe. Aber eine Restitution, eine Zuiückgabe war das Verfahren in der Hauptsache nur dann, wenn man die katholische Kirche in ihrer Gesammtheit als den beschädigten Theil betrachtete ; im Uebrigen konnte man nur selten sagen, dass derjenige, welcher jetzt den Vortheil aus den Restitutionen erhalten sollte, derselbe sei mit jenem, welcher einst den Ver- lust erlitten. ' Dass dies bei den Bisthümem und Erzbisthümem

1 Dieser Gesichtsptinkt wnrde anr.h von den Protestanten oft hervor- gehoben, um ihr Recht anf die in Ansprnch genommenen Güter darzn- Sitsnagtber. d. pbil.-hist. Cl. CU. Bd. H. Hft. 28

422 Tapete.

nicht der Fall war, deren letzte katholische Inhaber schon mehrere Menschenalter im Schoosse der Erde ruhten, leuchtet von selbst ein. Aber auch bei den Klöstern war es m'cht viel anders. Zwar, dass der Abt und die Ordensbrüder, welche ur- sprünglich verkürzt worden waren, ebenfalls in keinem einzigen Falle mehr lebten, mochte nicht allzu hoch angeschlagen werden; man konnte ja die Klöster immerhin wenigstens demselben Orden einräumen, der sie auch früher besessen hatte. Aber die Zeit, welche seit dem Verluste der im evangelischen Gebiete gelegenen Klöster verflossen war, war auch an den Orden selbst nicht spurlos vorübergegangen; einzelne, früher weit verbreitete und angesehene Orden, insbesondere der der Benedictiner und der der Cistercienser, waren in ihrer Mitgliederzahl so herabgekom- men, dass sie kaum die ihnen noch übrig gebliebenen Klöster entsprechend besetzen konnten.^ Nun waren aber die resti- tuirten BJöster gerade meist Benedictiner- und Cistercienser- klöster, und auf diese beiden Orden strömte also plötzlich ein Reichthum ein , zu dessen Bewältigung sie nach keiner Richtung hin befkhigt waren. Am kaiserlichen Hofe hatte man dies übrigens vorhergesehen und die Restitutionscommissäre dem- gemäss beauftragt, die Klöster nur dann den betreffenden Orden zu übergeben, wenn dieselben sich im Stande zeigten, sogleich die fttr den Gottesdienst und fllr die Verwaltung erforderliche Anzahl von Mönchen in das Kloster zu senden; wo dies nicht der Fall war, sollten die Commissäre die Klöster in eigener Verwaltung behalten. ^

thun ; nur der, meinten sie, sei zur Klage berechtigt, dem einst das be- treffende Gnt wirklich gehOrt habe; wo dieser nicht selbst klage, sei kein Anderer berechtigt, es statt seiner zu thun.

^ Der Priestermangel erwies sich überhaupt wie zur Zeit des Interims, als das gprOsste Hindemiss einer umfassenden Gegenreformation in Nieder- deutschland; auch der Bischof von Osnabrück klagte daVüber (Klopp, Forschungen 8. 103).

' Nach dem Verzeichnisse Hye's wurden in Braunschweig und in den Stiftern Bremen und Hildesheim allein 21 Kloster in Verwaltung ge- nommen oder anderen Orden, als sie ursprünglich gehOrt hatten, zuge- wiesen. Die Instruction der Restitutionscommissäre schrieb eigentlich vor, dass die KlOster, für welche sich keine Beworber fanden, vorlSafig dem Bischöfe der betreffenden DiOcese (ordinarius loci) übergeben werden sollten; da aber in Norddeutschland die Bisthümer grösstentheils noch

Der Streit nm die s^eistlicben Oflter und das Bestitutionsedict (1629). 433

IndesB damit war die Sache nur vorläufig erledigt; die Frage, wer endgiltig der Besitzer sein sollte, war noch offen und erregte einen Kampf, der ebenso merkwürdig ist durch die grosse Zahl der streitenden Parteien, als durch die Heftigkeit, mit der er gefUhrt wurde. Die erste Partei, welche in Betracht kam , waren natürlich die alten Orden selbst : wenn sie auch nicht genug Mönche für die restituirten Klöster besassen, so hätten sie sich doch, wie natürlich, die vermehrten Einnahmen gern gefallen lassen. Die Aebte waren auch bereit, in jedes der neu erworbenen Klöster zwei oder drei Mönche aus den alten iQöstem zu schicken * oder die Verwaltung mehrerer benachbarter Klöster für die nächste Zeit zu vereinigen; später, ho£Fte man, würde mit dem wiedererworbenen Reichthum auch die frühere Mitgliederzahl sich einstellen. Als den einfluss- reichsten Vertreter dieser Ansprüche darf man den Abt von Ejremsmünster ansehen, welcher selbst ein Benedictiner und zugleich Mitglied des kaiserlichen Geheimrathes war.^

Bei den anderen kaiserlichen Käthen jedoch stiessen die Wünsche der alten Orden auf den denkbar stärksten Wider- spruch: ,Nicht darum, ^ sagte der schon genannte Reichshofrath Hye, ,habe man die geistlichen Güter zurückerobert, um faulen Mönchen den Bauch damit zu stopfen.' ^ Merkwürdig aber war der Rath, den Hye selbst in Bezug auf die herrenlos gewordenen Klöster ertheilte. Damach sollte der Kaiser die Klöster, für welche nicht ungefkhr 30 40 Mönche vorhanden wären, über- haupt nicht herausgeben, wenigstens fllr die nächsten zwölf Jahre nicht ;^ er sollte vielmehr, wie es der Kurfürst Maximilian von

keine kutholischen Oberhirten hatten, so behielten sie dort die Resti- tutionscommissäre selbst in Verwaltung. Uebrigens war der ,ordinarius loci* in vielen Füllen selbst Mitglied der Commission.

* Nach Hye geschah es wirklich, dass in ,vomehme Abteien nur ein oder höchstens zwei und das schlechte Brüder geschickt wurden*.

' Nach GArOrer, Gustav Adolf II, 13, S. 479 hielten die Benedictiner im Jahre 1630 eine Ordensversammlung in Regensburg, um ein ,allgemeine8 deutsches Haupt' zu wählen, welches ihre Rechte in Rom und Wien vertheidigen sollte.

^ In dem Gutachten Hje^s im Wiener Staatsarchiv Kriegsacten 38 heisst es etwas weniger grob: ,um MOnche zu erhalten, die ohnehin in ihren eigenen Klöstern genug zu leben haben*.

^ In den Notaten eines Ungenannten über eine Unterredung mit Wald- stein heisst es: ,fUr 5 Jahre\

28

424 Tapets.

Bayern bei den oberp&lzischen Klöstern gethan hatte, die Ein- künfte derselben sequestriren und sie zur Erhaltung des kaiser- lichen Heeres, welches ja nicht blos die Interessen des Kaisers, sondern auch die der katholischen Kirche vertheidige, zum Theile auch zum Wiederaufbau von Kirchen, Gründung von Priesterseminarien und anderen ,frommen Zwecken^ verwenden.' Aber selbst diejenigen Klöster^ welche wirklich den Mönchen ausgefolgt wurden, sollten für den Kaiser nicht ohne Ertrag bleiben; die betreffenden Aebte konnten nämlich nach Hye's Ansicht ihre ^Dankbarkeit' nicht besser bezeugen^ als indem sie entweder einen angemessenen Betrag aus den Klosterein- künften an die kaiserliche Kriegscasse ablieferten, oder einen Theil der kaiserlichen Schulden y die ja ebenfalls nur um der Vertheidigung des Katholicismus willen gemacht worden seien, zur Bezahlung auf sich nahmen; so erhalte der Kaiser, wie billig, eine Entschädigung für die Kosten, welche ihm die Re- stitution der Klöster verursacht habe, den Achten aber bleibe auch nach Abzug des an den Kaiser zu liefernden Antheils noch immer eine ausreichende Vermehrung der Einkünfte übrig. Und um endlich bei dieser finanziellen Ausbeutung des Resti- tutionswerkes ja keinen Leistungsfähigen zu übergehen, so wurde vorgeschlagen, auch die kaiserliche Begnadigung fiir die evangelischen Capitul«aren , Stiftsherren und Pfründenbesitzer überhaupt nicht umsonst zu gewähren; auch sie sollten, wenn sie selbstverständlich nach vorausgegangener Bekehrung zum Katholicismus in ihren bisherigen Pfründen bestätigt wurden, ,au8 Dankbarkeit* eine Abgabe an den Kaiser entrichten.^

1 Auch mit den Einkünften der Decanate , Scholasterien und anderer Stellen, welche nicht sogleich besetzt werden konnten, sollte das Gleiche geschehen. Die Genehmigung dos Papstes hoffte Hye dafür um so leichter zu erhalten, da dieselbe ja auch für die pfälzischen Klöster, ,wo es nicht so nothwendig war*, ertheilt worden sei. Als Zwecke, wozu die Einktlnfte verwendet werden könnten, nennt Hye: die Erbauung eines Hauses für den deutschen Orden in Ungarn, Anschaffung von Kirchen- omaten u. s. w. ; in den Notaten eines Ungenannten (s. u.) folgt auf sieben religiöse Zwecke als achter: für die Krieg^kosten, in Wirklichkeit wird er wohl als erster gemeint sein.

' Der Reichshofrath, welcher Hye's Meinung zu der seinigen maclite, wies auch ,auf die Verpflichtungen hin, welche die Geistlichen gegen den Kaiser in derlei Nothfallen immer gehabt hätten*.

Der Streit nm die geistlichen Gftter and das fiestitationsedict (1629). 425

Man erkennt leicht in diesen Vorschlägen den Geist WaJd- stein'sy welcher eine ähnliche Ausnützung der geistlichen Ein- künfte schon vor der Erlassung des Restitutionsedictes em- pfohlen und in den Stiftern Magdeburg und Halberstadt auch wirklich durchgeführt hatte, und in der That finden wir^ dass Waldstein mit den Vorschlägen Hye's durchaus einverstanden war; aber auch der Erzherzog Leopold, Bruder des Kaisers, und bis zu einem gewissen Grade selbst der kaiserliche Beichtvater Lämmermann, billigte dieselben, die letzteren Beiden freilich mit dem Zusätze, dass für eine solche Verwendung die Zustim-* mung dos Papstes eingeholt werden müsse. Man wartete jedoch nicht, bis diese Bestätigung eintraf: schon vorher wurde dem Abt von St. Blasien das wtirtembergische Kloster Lorch, dem von Roth das Kloster Adelsberg, dem Prälaten von Lützel das Kloster Maulbronn zugewiesen, sämmtlich mit der Bedingung der Uebemahme eines Theiles der kaiserlichen Schulden.^ Auch das vormals anhaltische Kloster Walkenried fand eine ähnliche Verwendung; es wurde nämlich dem Abte von Werden und Helnustädt verliehen, und zwar ,zur Belohnung ftlr seine dem Kaiser geleisteten treuen Dienste und zur Entschädigung für die von ihm als Rcstitutionscommissär gemachten Auslagen^

Es war jedoch vorauszusehen, dass auch dieses Vorgehen des Reichshofrathes auf erbitterte Gegnerschaft stossen würde,

> Hye's Gutachten im Wiener Staatsarchiv Kriegsacten 38 (1630); das des Erzherzogs Leopold wird angeführt in dem Gutachten des Reichshof- rathes über das Begehren des Bischofs von Augsburg, Lorch betreffend (Wiener Kriegsarchiv b/3b); das Waldstein's in den Notaten eines Un- genannten über eine Unterredung mit dem ,dux Megapolitanus^ (26. De- cember 1629? Wiener Staatsarchiv); das Lamormain's bei M^Iath III, S. 8, 47, 177.

2 Eigentlich waren es Beträge, welche die Aebte selbst dem Kaiser oder vielmehr der vorderOsterreichischen Regierung (daher auch die Bethei- ligung des Erzherzogs Leopold) vorgestreckt hatten und auf welche sie gegen Uebergabe der Klöster verzichteten. Nach der Angabe des Erz- herzogs waren sie so bedeutend, dass alle Gefälle und hypothecirten Güter der vorderOsterreichischen Kammer hätten entzogen werden müssen, um diese Gläubiger zu befriedigen; das Theatrum Europ. II, S. 376 spricht von 2000—3000 Reichsthalern für jedes Kloster und fügt hinzu, dass später die Aebte gern die Klöster wieder zurückgegeben hätten, wenn sie nur auch ihr Geld wieder hätten zurückerhalten können.

426 T n p e t z.

und zwar nicht so sehr bei den alten Orden, deren Wünscbe ja doch zum Theile befriedigt wurden, als vielmehr bei den der Liga angehörenden, dem Kaiser ohnehin nicht sehr freund- lich gestimmten Bischöfen , bei den Jesuiten, dem päpstliclien Nuntius, den strenggesinnten Geistlichen überhaupt. Namentlich der Bischof von Augsburg, in dessen Diöcese auch das Kloster Lorch gehörte, war entrüstet darüber, dass der Kaiser mit den restituirten geistlichen Gütern sich selbst bereichem wolle; Simonie sei es, sagte er, wenn der Reichshofrath sich heraus- nehme, EJöster und Pfründen gegen Geldgeschenke zu verleihen; Unrecht sei es gewesen, die Evangelischen aus ihrem Besitze zu vertreiben, wenn derselbe nun doch nicht seiner kirchlichen Bestimmung zurückgegeben, sondern einem anderen, mindestens ebenso unrechtmässigen Besitzer ausgefolgt werden sollte J

Aber wenn man den Reichshofrath so bitter tadelte, tiber- nahm man zugleich die Verpflichtung, eine andere Verwen- dungsweise der restituirten Güter vorzuschlagen, welche dem ursprünglichen Zwecke der frommen Stiftungen besser entsprach: eine solche glaubte man auch wirklich gefunden zu haben: sie bestand in der Umwandlung der leerstehenden Klöster in Schalen und CoUegien der Jesuiten. Was den alten Orden abging, besass dieser neue Orden in vollem Masse; nicht blos die zur Besetzung der Klöster erforderliche Mitgliederzahl konnte er aufbringen, sondern es war auch nicht zu zweifeln, dass diese Klöster unter seiner Verwaltung eine erfolgreiche Missions- thätigkeit entfalten würden, was bei den alten Orden durchaus nicht ebenso gewiss war. Nur eines fehlte den Jesuiten: ein Rechtstitel, kraft dessen gerade ihr Orden und nicht irgend ein anderer berufen war, die Erbschaft der Benedictiner und Cistercienser anzutreten ; man musste vielmehr , wenn man gerecht sein wollte, sagen, dass der Begriff der Restitution die Verleihung der geistlichen Güter an einen andern Orden, als

> In Beza^ auf Lorch rügte der Bischof von Augsburg besonders auch, dass es einem Abt verliehen wurde, welcher nicht derselben Diöcese an- gehörte. Erzherzog Leopold seinerseits bezeichnete den Vorwurf der Simonie als einen ^ungereimten* und warf den Bischöfen, denen zn Liebe ja das Restitutionsedict erlassen worden sei, Undankbarkeit vor: ,Die Ordinarien,* sagte er, ,sollten mehr Dankbarkeit erzeigen, als Ihrer K. Majestät Gewalt und Willen zu disputiren oder in Zweifel zu siehn'.

D«r Streit lun die geistliehen Oüter und das BaetittttioBsedict (1699). 427

derjenige war, der sie ursprlinglicli innegehabt, ebenso aus- Bchliesse wie die Einziehung fbr den Kaiser, und dass die Evangelischen allen Grund hätten, sich zu beklagen, wenn ihnen statt der friedliebenden Benedictiner, zu deren Aufiiahme sie sich allenfalls verpflichtet glaubten, der streitbare und von ihnen nicht mit Unrecht geftlrchtete und gehasste Jesuitenorden ins Land gesetzt wurde. ^

Aber die Jesuiten suchten sich den ihnen fehlenden Rechts* titel zu verschaffen, zunächst dadurch, dass sie die alten Orden selbst um die Abtretung der betreffenden Klöster angingen; da die Zahl der restituirten Erlöster, insbesondere der Nonnen« klöster für die Verhältnisse der Benedictiner und Cistercienser wirklich viel zu gross war, so schien ein günstiger Erfolg nicht ganz unmöglich. Der Abt von Kaisersheim, welcher dem Ci- stercienserorden, und der Erzabt von Hassfeld, welcher der Bursfelder Congregation des Benedictinerordens angehörte, sollen denn auch freiwillig einige Nonnenklöster für die Gründung von JesuitencoUegien angeboten haben, wenn ihnen dafUr nicht nur die Mannsklöster vollständig ausgefolgt, sondern auch eine entsprechende Geldentschädigung zugestanden würde/^ Aber wenn dieses Versprechen wirklich jemab gegeben worden ist, so wurde es jedenfalls später zurückgenommen, und die Jesui- ten, nicht im Stande, auf friedlichem Wege in den Besitz der begehrten Klöster zu gelangen, sahen sich genöthigt, dieselben gleichsam zu erobern, indem sie Gewalten anriefen, welche ihnen trotz des Widerspruches der alten Orden zum Besitze zu verhelfen vermochten.

Die wichtigste dieser Gewalten war der Kaiser, dessen Gunst schon darum nicht entbehrt werden konnte, weil er durch seine Commissäre im thatsächlichen Besitz der strei-

^ Dieser Punkt wurde von den Evangelischen sehr oft hervorgehoben , so heisst es z. B. in einem Gutachten für den Leipziger Convent: gef&hr- lieh sei es, diese ,seminaria et fnlera papatos' im Lande sich ,einni8teln' SU lassen; denn es sei bekannt, wie sie einestheils die Jugend an sich SU ziehen wüssten, anderentheUs aber auch, ,wie curios sie sich in Auf- sehung und Decouvrirung aUes dessen, was gerathschlaget und gehan- delt wird, zu erweisen pflegen*.

3 Wir kennen dieses Versprechen nur aus dem Gutachten des kaiserlichen Beichtvaters.

428 Tnpetx.

tigen Güter bIcIi befand. Aber die Stimmung des kaiserlichen Reichshofrathes war den Jesuiten nicht günstige und sie konnte es auch fUglich nicht sein. Der schon erwähnte Plan, die Resti- tutionen zum Besten der kaiserlichen Casse auszunützen, beruhte ja wesentlich auf der Voraussetzung, dass es an einer genügen- den Anzahl von Bewerbern für die erledigten Güter fehle, und es war also dem Reichshofrath keineswegs willkommen, dase durch das Auftreten des Jesuitenordens diese Lücke ausgefllllt wurde. Mit wahrem Feuereifer trat denn auch der Reichshof- rath fllr das Recht der alten Orden gegen die Jesuiten ein: fDer Fluch der ewigen Verdammniss,* verkündete er, ,werde denjenigen treffen , der es wagen würde, die Klöster ihrer ur- sprünglichen Bestimmung zu entfremden; selbst der Papst könne nicht ohne Todsünde die Klöster ihren rechtmässigen Eigen- thümem nehmen, um sie den Jesuiten zu übergeben. Wozu brauche man auch JesuitencoUegien, da ohnehin an Collegien, Alumnaten und selbst Universitäten und Akademien kein Mangel sei ? Auch die alten Orden seien ja durchaus nicht Müssiggänger, auch sie seien zur Seelsorge und zu apostolischen Werken verpflichtet.* Wenn darauf erwidert wurde, man wolle ja nur einige leerstehende Nonnenklöster der Umwandlung unterziehen, so vermochte auch das den Reichshofrath nicht zu besänftigen; die Vertheidiger der Jesuiten, entgegnete er, könnten selbst nicht leugnen, dass die Jungfräulichkeit der Nonnen in den Augen Gottes einen höheren Werth habe als die der Mönche; folglich sei gerade die Aufhebung von Nonnenklöstern beson- ders sündhaft.'

Aber der Reichshofrath hatte trotz alledem nicht den Muth, die vollständige Abweisung der Jesuiten zu beantragen. Die streitigen Klöster freilich wollte er sämmtlich den alten

1 Gutachten des Reichshofrathes über ein Memorial des Nuntius (Wiener Staatsarchiv, Kriegsacten b/3b), nach Hurter X, S. 73 datirt vom 20. Sep- tember 1630, nach dem Inhalte aber wohl schon in das Jahr 1629 ^- horig; Hurter erwähnt auch ein den Jesuiten weniger ungünstiges Gut- achten derselben Körperschaft vom 26. März 1630. Vielleicht ist der Abt von Kremsmünster der Urheber des zuerst angeführten Schrift- stückes, worauf die theologische Färbung, die Theilnahme für die alten Orden und endlich auch der Umstand hinzudeuten scheint, dass die Jesuiten diesen Mann als ihren vornehmsten Gegner betrachteten; einen ,homo fastuosus et animosus* nennen ihn die Bemerkungen an Leseale.

Der Streit nro die geisüicfaen Oflter und das Bestitntionsedict (ie89). 429

Orden, beziehungsweise dem Kaiser zugewendet wissen, aber das gestand er doch zu, dass den alten Orden bei Uebergabe der Klöster der Auftrag ertheilt werden könne, einen Theil der Einkünfte an die Jesuiten abzutreten. So könnten, meinte der Reichshofrath, die neuen Stiftungen der Jestdten neben den alten der Benedictiner und Cistercienser bestehen, ohne dass man nöthig habe, ,um den einen Altar zu bekleiden, den andern ganz zu entblössen und auszuziehend Wenn aber schon die Gegner der Jesuiten zu solchen Zugeständnissen sich bereit finden Hessen , so gingen natürlich ihre Gönner noch weiter. Ob man zu den letzteren auch Waldstein rechnen kann, ist ungewiss; er begründete zwar seine Fürsprache für die Jesui- ten mit der Wohlfeilheit des von ihnen ertheilten Unterrichts, weil nur ein so wohlfeiler Unterricht im Stande sei, den beim Volke eingebürgerten evangelischen Schulen erfolgreiche Con- currenz zu machen; der Hauptgrund, der ihn bestimmte, dürfte aber doch nur die Macht des Jesuitenordens über das Gemüth des Kaisers, welche ja genügend bekannt war, gewesen sein. Der General mochte überlegen, dass er bei Hofe ohnehin genug Feinde besitze, und dass es nicht gut sei, die Zahl derselben unnöthig zu vermehren. Aufrichtiger war vermuthlich die Freundschaft Strahlendorf 's ; derselbe urtheilte, dass die Klöster ja doch nur ,zur Ehre Gottes^ gestiftet worden seien, und dass dieser Zweck gai* nicht besser erreicht werden könne , als indem man sie den Jesuiten übergebe. Am wichtigsten war jedoch ohne Zweifel die Fürsprache des päpstlichen Nuntius und des kaiserlichen Beichtvaters, jener beiden Persönlichkeiten, welche auch die Erlassung des Restitution sedictes selbst trotz des Wider- spruches vieler weltlichen Räthe durchgesetzt hatten ; * ihrem Rathe folgte der Kaiser auch diesmal, und zwar um so lieber, je mehr die Begünstigung der Jesuiten mit seinen eigenen Nei- gungen übereinstimmte. Wir finden daher, dass die nieder- sächsischen Restitutionscommissäre schon am 27. März 1629, also noch ehe die Restitutionen überhaupt begonnen hatten,

* Der kaiserliche Beichtvater begründete seine Fürsprache mit zwei Bibel- steilen: ,Dein Ochsen der drischt, dürfe man das Maul nicht verbinden^ und: ,Wer dem Altare dient, müsse vom Altare leben/ Ueber air diese Dinge sind zu vergleichen Majlath HI, S. 8, 47, 173; Hurter X, 8. 71 ff.; Klopp in den Forschungen S. 113 ff., und Tilly II, 8. 17.

430 Tapetz.

beauftragt wurden, ,zu mehrerer Fortpflanzung der uralten katholischen Religion und zur Beförderung des wahren 'katho- lischen Gottesdienstes gewisse Orte ftir die Väter der Gesellschaft Jesu auszuwählend' Diesem Auftrage gehorchend, brachten denn auch die Commissäre fllr dreizehn Städte Norddeutschlands, ftir Bremen, Braunschweig, Goslar, Halberstadt, Hameln, Hamburg, Magdeburg, Minden, Mtthlhausen, Nordhausen, Osnabrück, Stade und Verden Jesuitencollegien oder von den Jesuiten zu leitende Universitäten, Schulen u. dgl. in Vorschlag und empfahlen zur Ausstattung derselben die Einziehung von sechzehn ehemaligen Klöstern oder Stiftern mit einem Einkommen von mindestens 21.000 Thalem jährlich. Der Kaiser selbst scheint diese Vor- schläge vollinhaltlich bestätigt zu haben.

Aber der Streit um die geistlichen Güter war auch damit noch nicht geschlichtet. Wie viel man auch den Jesuiten ein- räumen mochte, es blieb doch immer noch eine Anzahl resti- tuirter Pfründen und Klöster unbesetzt, und vor Allem, es blieb trotzdem der Anspruch des Reichshofrathes auf einen Theil der Einkünfte von sämmtlichen restituirten Gütern aufrecht; ge- rade dieser Anspruch aber war es, den die deutschen Bischöfe am wenigsten zugestehen mochten. Uneigennützig war freilich der Widerspruch der Bischöfe, wenn wir den Darlegungen des Reichshofrathes glauben dürfen, nicht. Während sie dem Reichs- hofrath vorwarfen, dass er die noch leerstehenden Klöster selbst behalten wolle, drangen sie zugleich in den Papst, eben diese Erlöster ihnen, den Bischöfen, zu überlassen; während sie den Reichshofrath tadelten, weil er auch den schon bewohnten Erlöstem Zahlungen auferlege, welche dieselben wirthschaftlich ruiniren und selbst die Abhaltung des Gottesdienstes beein- trächtigen mÜBsten, dachten sie nur daran, diese Zahlungen durch andere zu Gunsten der bischöflichen Gassen zu ver- drängen; während sie die Befürchtung aussprachen, dass die restituirten Güter, einmal der Verfilgung des Reichshofrathes überlassen, für immer ihrer ursprünglichen Bestimmung ent- fremdet werden würden, planten sie selbst nichts Geringeres als die Incorporation eben dieser Güter in ihre geistlichen Fürstenthümer. * Aber wie dem auch sein mochte, dem Reichs-

^ Dass bei dem Widerspräche der Bischöfe ,etwas Anderes darunter ver- borgen gesucht werde*, war auch die Meinung des Enhersogs Leopold;

Der Streit ntn die f^istliehen Qftter und das Restitationsedict (1629). 431

hofrath gegenüber konnten die Bischöfe immerhin darauf hin- weisen^ dass auch sie geistlichen Standes seien, ebenso wie jene, welche einst die streitigen Grüter innegehabt; sie konnten, auch wenn die gegen sie erhobenen Vorwürfe vollständig be- gründet waren, immer noch behaupten, dass eine Verwendung geistlicher Güter zur Vermehrung der Elinkünfte eines Bisthums weniger anstössig sei als die Einziehung für den Kaiser oder überhaupt die Besitznahme durch Laienhände.

Ihr geistliches Amt war übrigens weder der einzige, noch auch selbst der wichtigste Rechtsgrund, auf welchen die Bischöfe ihre Ansprüche stützten ; sie erhoben dieselben vielmehr in erster Linie als Mitglieder der Liga^ sie verlangten die geistlichen Renten vor Allem als Entschädigung für die zur Erhaltung des ligistischen Heeres verausgabten Gelder und als Belohnung fUr die dadurch dem Kaiser und dem Katholicismus geleisteten Dienste. Hauptsächlich um eine solche Entschädigung und Be- lohnung zu haben, hatten sie Ja so lange und eifrig auf die Erlassung des Restitutionsedictes gedrungen, und es erschien ihnen nun ohne Zweifel als eine Art Raub, dass der Reichs- hofrath das von ihnen zu eigenem Vortheile ausgedachte Werk für den Kaiser ausbeuten wollte. Aus diesem Grunde beschränk- ten auch die ligistischen Bischöfe ihre Ansprüche keineswegs auf die Klöster und kleineren geistlichen Güter, sondern warfen ihr Auge von Anfang an auch auf die Erzbisthümer und Bis- thümer, welche ja eine weit ausgiebigere fkitschädigung in Aussicht stellten, auch hier also den Plänen des Kaisers, der seinen Sohn mit diesen Stiftern ausstatten wollte, entgegentretend.

Verhältnissmässig am wenigsten Widerspruch erhob man gegen die Einsetzung des Erzherzogs in Magdeburg und Halber-

der Reichahofrath erklärte dies deutlicher dahin, dass die Bischöfe die Kloster ^pensioniren*, d. h. mit Zahlungen belegen, ,comniendiren', d. h. EU Commenden machen oder endlich gar ,incorporiren* wollten und sich namentlich um die Incorporation in Rom, wie dem Reichshofrath ,glaub- lich berichtet worden seiS mit grossem Eifer bemtlhten. Als ein ,Exem- pel* für die Absichten der Bischöfe wurde das Schicksal des Klosters 8. Maximin betrachtet, das zuerst dem Kurfürsten von Trier eine Pen- sion zahlen sollte und, als es sich weigerte, mit Genehmigung des Papstes unter gleichzeitiger Cassirung des Abtes zur Commende gemacht and hiebei gezwungen wurde, zwei Drittel seines Einkommens an den Erzbischof abzutreten (KhevenhüUer X, S. 896).

432 Tnpetx.

Btadif ohne Zweifel darum; weil derjenige, welcher Magdeburg erwarb, auch die bittere Feindschaft des Kurfürsten von Sachsen mit in den Kauf nehmen musste, welcher die Verdrängung seines Sohnes voraussichtlich nicht ruhig hinnehmen würde ; dann auch darum, weil in diesen Stiftern kaiserliche Truppen lagen, welche die Besitznahme von Seite eines ligistischen Fürsten erschwert hätten. Nichtsdestoweniger wurde bei Magdeburg der Versuch gemacht, wenigstens auf einem Umwege dem ligistischen Einflüsse ein Thor zu öffnen. Da nämlich der Erz- herzog, welcher vom Papste zum Erzbischof von Magdeburg ernannt worden war, noch im Kindesalter stand, so war die Einsetzung einer Statthalterschaft nothwendig. Der päpsdiche Nuntius nun, der offenbar mit den Ligisten im Einverständnisse war, schlug vor, die geistliche Verwaltung des Erzbisthums von der weltlichen zu trennen und die erstere einem Bischof der Liga zu übergeben. ' Ja sogar die weltliche Statthalterschaft sollte, wenn nicht dem Kaiser, so doch dem der Liga beson- ders verhassten kaiserlichen Feldherm, der sie bis dahin inne- gehabt und die Einkünfte des Stiftes für seine Armee verwendet hatte, entzogen und einem den Interessen der Liga gegenüber geftlgigeren Manne, dem Grafen Wolf von Mansfeld, übertragen werden. Graf Mansfeld täuschte auch keineswegs die Erwar- tungen, welche die Liga auf ihn setzte; schon die Bedingungen, an welche er die Uebernahme der Statthalterschaft knüpfen wollte, enthielten eine Art Kriegserklärung gegen Waldstein. Er verlangte nämlich eine Leibwache, bestehend aus einer Compagnie zu Ross und 400— 500 Mann zu Fuss, einen Gehalt aus den Einkünften des Erzbisthums von derselben Höhe, wie er ihn in Kursachsen gehabt, vor Allem aber, dass entweder die kaiserlichen Truppen ganz aus dem Erzbisthum abgeführt

^ Das päpstliche Breve schrieb vor die Uebertragunp an einen Bischof oder Erzbischof (a sua Majestate nominandum et deinde a Nuntio apo- stolico deputandum); die kaiserlichen Räthe massten deshalb anf die geplante Ernennung des Mainzer Donisingers Johann Reinhard von Mettemich verzichten und wollten nun den Archidiakon zu Speier oder den Dechanten zu Willersdorf wählen, die aber dann ebenfalls, und zwar zu Gunsten zweier Geistlichen aus Oe^torreich bei Seite geschoben wurden (consilium de appreh. possessione archiepisc. Magdeburgensls 19. December 1628, in Abschrift im Dr. A. 8093/111).

Der Streit um die geistlichen Güter und das Restitntionsedict (1629). 433

würden, oder dass, wenn sie bleiben sollten^ der Oberbefehl Über dieselben ihm, dem Grafen Mansfeld, übergeben werde.* Aber so geschickt der Plan angelegt war, er scheiterte vollständig. Der Kaiser wollte von der Ernennung eines ligi- stischen Bischofs zum Administrator in spiritualibus und über- haupt von einer Einmischung des päpstlichen Nuntius in diese Sache nichts wissen; der Nuntius sah sich daher genöthigt, die von ihm erhobenen Ansprüche selbst auf ein Missverständniss zurückzuführen und als die Ernennung der geistlichen Bis- thumsverweser wirklich erfolgte, da fiel sie auf zwei Oester- reicher, den Domdechanten von Görz und den Pfarrer Henner aus Graz, also auf Männer, deren Ergebenheit gegen den Kaiser nicht zweifelhaft sein konnte. ^ Gegen die Ernennung Mansfeld's aber machte Waldstein seinen Einfluss geltend, welcher keinen andern Statthalter in Magdeburg dulden wollte als höchstens einen von ihm selbst eingesetzten. Wenn ein unabhängiger Statthalter geschaffen würde, meinte er, so sei ein Zerwürfniss zwischen ihm und dem commandirenden General unvermeid- lich: jSelbst wenn sie Sohn und Vater wären,* versicherte er, ,sie würden doch nicht zusammenstimmen, da der General im- mer das Publicum, der Statthalter aber das Privatum befördern werde.' ^ Ja Waldstein betrachtete eine solche Ernennung ge- radezu als einen Beweis des Misstrauens gegen ihn selbst und schien geneigt, die Vollziehung derselben mit der Niederlegung seines Commandos zu beantworten. Noch aber war der Kaiser nicht gewillt, den Feldherm, der ihm so viele Dienste geleistet, ziehen zu lassen, Waldstein behielt daher den Oberbefehl auch in Bezug auf die im Stifte Magdeburg liegenden Truppen; die Einkünfte des Erzbisthums wurden nach wie vor zum Unter-

' Nach einem Reichshofratlisbedenken ohne Jahr und Tag, aber entweder Ende 1G28 oder zu Anfang 1629 geschrieben (Dr. A«, Rest. I, S. 365, Copie).

' Nach der Instruction für die Restitntionscommissäre in Magdeburg (20. März 1629; Hurter X, S. 59).

^ Waldstein an den Kaiser, 26. Jänner 1629 (Chlumecky, Reg., Anhang B. 95); in einem andern Briefe an Collalto (ebenda, S. 243) rieth Wald- stein, ,damit sie (die Räthe in Wien) uns, wenn wir die arma ander- wärts werden transferieren, nicht wiedernmb mit einem Grafen von Mansfeld aufgezogen kommen,* die Stifter Magdeburg und Halberstadt Jemandem in Pacht zu geben (zu ,yerarendieren*) ; der Pächter sollte dann das Geld, welches er accordirt, an Waldstein abliefern.

434 Tapett.

halte der kaiserlichen Truppen verwendet; Graf Mansfeld er- hielt, 80 viel bekannt ist, niemals die von ihm verlangte Leib- wache, ja er ist, wie es scheint, überhaupt nicht in den wirklichen Besitz der ihm zugedachten Statthalterschaft gelangt.

Noch lüsterner als auf Magdeburg waren die Ligisten auf das Erzbisthum Bremen und die Bisthümer Verden und Minden, bei denen die Verhältnisse schon darum für ihre Ansprüche günstiger lagen , weil diese Stifter von ihren eigenen , den ligistischen Truppen besetzt waren. Dieselben waren aber auch vortrefflich geeignet, die Machtstellung im nordwestlichen Deutschland, zu welcher das Haus Bayern durch die Erwer- bung des KurfÜrstenthums Köln den Grund gelegt hatte und zu der erst jüngst durch den günstigen Ausgang des alten Processes gegen Bratmschweig, betreffend das Stift Hildesheim J und durch die Erhebung des Grafen Franz Wilhelm von War- tenberg, eines nahen Verwandten des bayrischen Hauses, zum Bischof von Osnabrück zwei weitere Bausteine gelegt worden waren, abzurunden, und zwar war es eben der Bischof von Osnabrück, welchen die Liga zum Herrscher der neu zu ge winnenden Stifter ausersehen hatte.^

Die Bemühungen Bayerns, um dieses Ziel zu erreichen, beginnen lange vor der Erlassung des Restitutionsedictes; schon im December 1627 liess sich der bayrische Gesandte in Wien von dem päpstlichen Nuntius das Versprechen geben, dass der Papst und der Nuntius selbst einer Verleihung des Erzbisthum» Bremen an das bayrische Haus nicht entgegen sein wtirden.^

< Das Urtheil den Kammergeriehtes, durch welclies der mehr ab hundert- jfthri^ Streit um Hildesheim zn Gunsten des Ensbischofs Ferdinand von Köln und gegen Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig entschieden wnrde, erfolgte am 17. December 1629.

^ Franz Wilhelm war ein Sohn des Herzogs Ferdinand von Bayern ms unebenbürtiger Ehe. Klopp sagt von ihm nicht mit Unrecht, dus in diesem Bischof die Restitutionspartei gipfle; sein Bild in rother Cardi* nalskleidung auf dem Rathhause zu Osnabrück zeigt nach demselben Gewährsmann ^die scharfen, strengen Züge, wie sie sich in einem Leben voll rastloser Thfttigkeit, endlosen Streites, wechselnder GlücksfiUle and unter allen Umständen zäher und energischer Festhaltung der Lebens principien ausbilden mussten' (Forschungen S. 99).

Von dem Nuntius berichtet Preysing: qnibus (unmittelbar vorher steht: domus et principes Bavaros catliolicos) «uo et Papae voto concedit srchi-

Der Streit am die geistlichen OQter and du Restitationsediot (1629). 435

Da aber verbreitete sich im Februar 1628 das Gerücht, dass der Kaiser nicht nur Magdeburg und Halberstadt, sondern auch Brenaen und Verden seinem eigenen Sohne zuwenden wolle. Anfangs nahmen die Ligisten diese Meldungen, wie es scheint, auf die leichte Achsel; es mochte ihnen unglaublich vorkom- men, dass der Kaiser, der sich bis dahin so schwach und willenlos gezeigt hatte, wagen würde, ihnen den besten Theil der Kriegsbeute zu entreissen.* Bald aber konnte man nicht mehr zweifeln, dass dem doch so sei, und nun begann eine fieberhafte Thätigkeit, um dem Kaiser zuvorzukommen und sich selbst in den Besitz der Hochstifter zu setzen , noch ehe dieser es hindern konnte.

Hiebei aber nahmen die Ligisten merkwürdiger Weise die HiUe der evangelischen Administratoren, derselben, die durch das Restitutionsedict verdrängt werden sollten, und deren Ansprüche in den Augen guter Katholiken durchaus null und nichtig waren, imd die Unterstützung der mindestens ebenso unrechtmässigen evangelischen Domcapitel in Anspruch. Und doch war der Gedanke auch wieder so gar seltsam nicht. Die Bisthümer und Erzbisthümer, um die es sich handelte, waren ja keineswegs durch gewaltsame Vertreibung der katholischen Inhaber evangelisch geworden, sondern einfach dadurch, dass entweder nach dem Tode des letzten katholischen Bischofs ein evangelischer gewählt wurde, oder auch dadurch, dass ein Kirchenfürst, welcher als Katholik den Thron bestieg, später den Glauben wechselte und nun den Besitz als evangelischer Landesherr fortsetzte; letzteres wurde gewöhnlich erst dann offenkundig, wenn der betreffende Prälat sich verheiratete.'-'

episcopatam Bremensein (Aretin, Bayerns answ. Verh., Urkunden zum 3. und 4. Abschnitt, S. 61).

^ ^Iso, was der DänenkOnig gewollt, soll nun der Kaiser thun?* bemerkte dazu der Bischof von Osnabrück; ,aber/ fELgt er hinzu, ,es sind Ge- spräche' (Klopp, Tilly II, 8. 13). Schon am 4. Juni 1628 jedoch macht derselbe die gallige Bemerkung: ,Eb hat ein seltzames Ansehen, dass man diese Stifter alle haben wilP und dass das Haus Bayern ,sogar in dieser occasion zurückgesetzt wird' (ebenda. Beil. LIV, S. 466).

^ So lange ein Bischof noch unverheiratet war, gab man sich auf katho- lischer Seite gern der Hoffnung hin, dass derselbe sich noch bekehren werde, und dies galt zugleich als Rechtfertigung der vom Kaiser ge- währten Indulte. Als daher der Dftnenkönig den Erzbischof von Bremen

436 Tnpeti.

Der Wechsel war daher beinahe unmerkUch und sogar, aller- dings abgesehen von der fehlenden Bestätigung durch Kaiser und Papst, in ganz gesetzlichen Formen erfolgt, und wenn die Katholiken von dem Herkommen nicht abweichen wollten, so sahen sie sich, so sonderbar es klang, in der That genöthigt, die Wahl der neuen katholischen Bischöfe und Erzbischöfe von den bisherigen evangelischen Capiteln zu verlangen. Zu diesem Zwecke flüirte man den Domherren zu Gemüthe, dass sie in Folge der katholischen Siege nun doch über kurz oder lang einen katholischen Bischof erhalten würden, und dass fbr diesen Fall die Erhebung des Bischofs von Osnabrück für die Stifter auf jeden Fall vortheilhafter sei als die des kaiserUchen Prinzen. ,Bischof Franz Wilhelm/ sagte man, ,werde selbst in die Stifter kommen und in ihnen seine Residenz aufschlagen; der kaiserliche Prinz dagegen würde ohne Zweifel in Wien bleiben und dort die Einkünfte des Stiftes verzehren.' Zudem sei der Bischof im besten Mannesalter, erprobt in der Seelsorge und erfahren in den Geschäften der Regierung; der Prinz dagegen ein Kind, das noch auf lange hin blos dem Namen nach die bischöfliche oder erzbischöfliche Würde inne haben würde.^*- Um diesen Gründen leichteren Eingang zu verschaflFen, waren die Ligisten sogar bereit, die evangelischen Bischöfe und

ans seinem Stifte verdrängen wollte, Buchte er ihn zu zwingen, dass er heirate (Opel, Niedersüchsischer Krieg I, S. 64). Von dem tollen Halber- stAdter nagt Caraffa (I, S. 375): qui nullam de assumenda religione spem dederat sicut parens praebuerat nullumque indultum civile ha- bnerat sicnt parens impetraverat. Bei Einsetzung eines evangelisch ,poBtttHrten' Bischofs fanden dieselben Ceremonien statt wie bei Ein- setzung von Bischofen überhaupt ; so erschien der eben genannte Halber- städter hiezu in rothsam mtenem Talar und mit gleichfarbigem Barett, man sang bei seinem Eintritt: ,Justum deduxit Dominus, und später: ,Salvum fac dominum tuum* unter Orgelklang, Lichterglanz und geist- lichem Gepränge ganz wie etwa in Mainz oder Trier. Namentlich aber waren es die Domcapitel mit ihrem Wahlrecht, die, wenigstenB schein- bar und äusserlich, den geistlichen Staat aufrecht erhielten.

1 Auch in den Papst wollte man dringen, dass den norddeutschen Stiftern nur ,8olche capita praeficiert würden, welche durch ihre praesentiam intentum finem erhalten konnten^

' Von den Capitnlaren in Bremen behauptete übrigens Bischof Franz Wil- helm, dasB sie ihm ohnehin viel günstiger seien als ,filio imperatoris^ da sie die Macht der Spanier und Oesterreicher fürchteten (4. Juni IB'28).

DeT Streit nm die geistlichen G&ter und das Bestitationsedict (1629). 437

Erzbischöfe, so lange sie noch leben würden, in ihren Stiftern zu belassen; nur sollten sie, um die Bisthümer und Erzbis- thümer wenigstens für die Zukunft den Katholiken und speciell dem bayrischen Hause zu sichern, schon jetzt den Bischof Franz Wilhelm als Coadjutor mit dem Rechte der Nachfolge und wohl auch mit dem Rechte, den KathoUcismus in den Stiftern all- mälich wieder in Schwung zu bringen, anerkennen. Da die evangelischen Inhaber, wenn sie diese Bedingungen zurück- wiesen, mit der sofortigen Absetzung bedroht waren, so konnte man in der That erwarten, dass sie das Angebotene als das geringere Uebel mit Freuden ergreifen würden.

Aber auch die Kaiserlichen waren nicht müssig. Als die Boten Tilly's, der sich auch in dieser Frage als ein treu erge- bener Diener der bayrischen Staatskunst bewies, bei dem evan- gelischen Erzbischof von Bremen, Johann Friedrich von Hol- stein, eintrafen, um demselben ihre Vorschläge zu eröffnen,^ mussten sie zu ihrem Aerger vernehmen, dass schon vor ihnen der kaiserliche Gesandte, Herr von Walmerode, da gewesen sei, und dass derselbe dem Administrator und dem Domcapitel mit der kaiserlichen Ungnade gedroht habe, wenn sie auf die bay- rischen Wünsche eingehen würden, während er zugleich für den Fall, dass die Entscheidung zu Gunsten des kaiserlichen Prinzen' ausfalle, die weitgehendsten Versprechungen gemacht hatte. Und in der That, was konnte Bayern, was konnten die Ligisten in Aussicht stellen, das der Kaiser nicht ebenso gut und noch besser gewähren konnte? Zwar, dass dem Administrator Air seinen Verzicht zu Gunsten des kaiserlichen Prinzen ein an- sehnlicher Jahresgehalt in Aussicht gestellt wurde, konnte keinen besonderen Eindruck machen;^ da war das bayi*ische Anbot

1 Tillj an den Bischof von Osnabrück, 30. März 1629 bei Klopp, Tilly II, Beilage LIII, 8. 455. Der Eifer Tilly^s wurde von dem Bischof am 25. October 1629 in einem Briefe an den Fürsten von ZoUem gelobt: ,Es ist dem guten Altena schrieb er, Ja nur um die Kirche und daa Gemeinwohl ohne eigenes Interesse zu thun*; unter dem Wohl der Kirche war hiebei natürlich das Wohl des Bisthums Osnabrück und unter dem Gemeinwohl das Interesse der Liga zu verstehen.

^ Das Versprechen eines Jahresgehaltes für den Fall freiwilliger Ab- dankung gab der Kaiser, dem Rathe Bayerns vom 19. April 1629 ent- sprechend, dem Erzbiscliof von Bremen am 11. Februar 1630 und wahr- SitsnngBber. d. phil.-hiat. Gl. CU. Bd. II. Hft. 29

438 Tapete.

unbedingt günstiger. Aber auch die Kaieerlichen waren geneigt, den evangelischen Inhabern die Fortdauer ihres Besitzes auf Lebenszeit zu gestatten, und wenn sie hiebei vorläufig noch die Bedingung stellten^ dass der Administrator zum Katholicismus übertreten müsse, so stand doch mit Grund zu hoffen^ der Kaiser werde, was er jetzt bedingungsweise zusagte, zuletzt auch ohne alle Bedingung bewilligen. * Gesetzt nämlich, es gelang dem Kaiser trotz aller Bemühungen nicht, seinen Sohn zum £rz- bischofe von Bremen und zum Bischöfe von Verden und Minden zu machen, so war es ja weit mehr in seinem Interesse, wenn die alten, zwar evangelischen, aber als treu erprobten Landes- fürsten in den Bisthümem blieben, als wenn der Besitz in die Hände des ohnehin schon übermächtigen und darum ftlr den Kaiser gefährlichen bayrischen Hauses gerieth.

Bemerken wir an dieser Stelle, wie wunderbar sich durch alles dies die Lage der evangelischen Administratoren geändert hatte! Sie, denen noch eben der Boden unter den Füssen zu wanken schien, sahen sich auf einmal zu Schiedsrichtern über die Ansprüche ihrer Gegner gesetzt, und sie hatten, um sich in dieser günstigen Stellung zu behaupten, vorläufig nichts Anderes zu thun, als beiden Theilen Hofinung zu machen, ohne doch einem von ihnen etwas Bestimmtes zu versprechen. Die Ant- worten, welche die Boten Tilly's bei den Administratoren und ihren Capiteln erhielten, dürften denn auch überall so gelautet haben wie die uns bekannte Antwort, welche der postulirte Erzbischof von Bremen gab. Derselbe versicherte, er empfinde

scheinlich gleichzeitig den Bischöfen von Minden und Batzeburg (Dr. A., Rest IV, 8. 406; Hurter X, 8. 64). * Dass Christian von Brannschweig ftlr den Fall seiner Bekehmng Minden behalten sollte, geht ans Hye's Gutachten (Wiener Staatsarchiv, Kriegs- acten 38) hervor; der Kaiser .hatte hiefür sogar schon die p&pstliche Bestätigung erlangt. Heftig eiferte dagegen der Jesuit Adam Contsen in seinem Gutachten für den Kurfürsten von Bayern (1629; Münchner Staatsarchiv 4/4): ,Die kaiserlichen Rathgeber,' sagte er, ,seien im Irr- thnm, indem sie, den Fürsten zu Gefallen, die geistlichen Güter in den HAnden der Ketzer lassen wollten, da dies gar nicht in ihrer Macht stehe.* Sie schoben damit die Bekehrung und Reformation auf die Unge Bank, bis sie schwieriger werde; sei aber diese Gelegenheit versftamt, so werde sich keine mehr bieten und Christus werde einst ihnen vor- werfen: ,Ihr habt gekonnt und nicht gewollt 1 Ihr habt meine Gnide verachtet' u. s. w.

D«r Streit am die feiitliehen Oftter und d«a SeetitQtionMdiet (16S9). 439

die freundschaftlichsten Gefühle fbr das Haus Bayern im All- gemeinen und den Bischof Franz Wilhelm insbesondere; der Letztere würde ihm der willkommenste Nachfolger in der Re- gierung des Stiftes sein; aber, fügte er hinzu, die drohende Ungnade des Kaisers nöthige ihn trotzdem, für diesmal noch eine bestimmte Erklärung zu vermeiden. '

Je mehr aber die Ligisten erkannten, dass auf dem Wege der Unterhandlungen mit den evangelischen Administratoren wenig oder nichts zu erreichen sei, desto höher stieg natürlich auch ihre Erbitterung gegen den Kaiser und mehr noch gegen denjenigen Mann, der allein erst demselben die Mittel zu einer so weitgreifenden und unerhörten Eroberungspolitik gegeben hatte, gegen den kaiserlichen Feldherm Albrecht von Wald- stein. Immer leidenschaftlicher erschollen die Klagen wegen der Bedrückungen durch das kaiserliche Elriegsvolk, Klagen, die auch durch eine theilweise Verminderung der Heereslast und durch strenge Bestrafung derjenigen Ofificiere, welche wirklicher Ge- waltthaten tiberwiesen wurden, nicht zum Schweigen gebracht werden konnten. Wie innig der Ansturm der Liga gegen die Stellung Waldstein's mit dem Streite um die geistlichen Güter zusammenhängt, beweisen am besten die Beschlüsse des Heidel- beider Ligatages, welcher im Februar 1629, also kurz vor der ErlasBung des Restitutionsedictes stattfand.^ Die Liga erklärte

* Eine gewiMO Analogie sn den oben geschilderten Unterhandinngen mit den evangeliflchen Domherren von Bremen und Minden haben auch die Bemühungen des Kaisers im April 1628. seinen Sohn Erzherzog Lioopold durch Wahl der [Domherren selbst in den Besitz von Magdeburg zu bringen; erst als diese Versuche vergeblich blieben, wfthlte man auch hier, nothgedmngen, den zweiten Weg, das Erzstift zu erlangen, näm- lich durch pftpstliche Provision (vgl. Heyne, KurfUrstentag S. 29).

' Es ist natürlich irrig, wenn GfrOrer, Gustav Adolf II., IS, S. 494, meint, den Ausschlag bei der Erlassung des Restitutionsedictes hätten die ,kflhnen Beschlüsse* auf dem Ligatage zu Heidelberg gegeben. Die- selben wurden damit begründet, dass es billig sei, dass der Bund für die von ihm getragene Kriegslast ,ergetzt' werde, und dass durch des Bundes Bemühungen ,80 viele ansehnliche Erzstifter und Stifter erobert worden seiend Tilly wurde daher angewiesen, diese Erzstifter und Stifter mit des Bundes Volk besetzt zu halten und zu schützen. Man sagte zwar gleichzeitig, dass dem Kaiser keine YorschrÜten in der Ver- fügung Über die Stifter gemacht werden sollten, aber das wollte nicht viel bedeuten, da man nicht dulden wollte, dass über dieselben verfügt

29*

440 Tap«tt.

darin rund herauB, dass sie die von ihren Trappen eroberten und besetzten Gebiete^ sowohl die geistlichen, als auch die weldichen, nicht eher herausgeben würde, als bis alle ihre For- deningen erfbllt seien. Mit anderen Worten: die von den Ugi- stischen Trappen besetzten Oebiete sollten ein Faustpfand sein nicht blos dafbr, dass überhaupt restituirt wurde (dass dies ge- schehen würdc; stand im Februar 1629 schon nicht mehr in Frage), sondern auch, dass die Restitutionen zum Vortheile der Liga ausfielen. Ja man kann die Sache noch bestimmter be- zeichnen: die ligistischen Truppen lagen ja eben im Erzbisthnm Bremen und in den angrenzenden Gebieten; die Heidelberger Beschlüsse konnten also bedeuten, dass man die Uebertragong dieser Stifte an den Sohn des Kaisers im äussersten Falle mit Gewalt zu hindern entschlossen sei.* Hiemit stand vollkommen in Uebereinstimmung, dass zu gleicher Zeit die ligistischen Trup- pen angewiesen wurden, sich auf keinen Fall von den kaiser- lichen aus ihren Quartieren verdrängen zu lassen und einen zu diesem Zwecke etwa erfolgenden Angriff mit gewafiheter Hand zurückzuweisen.

Wie aber, wenn der Kaiser diesen Drohungen nicht nach- gab? Sollte dann wirklich der Welt das sonderbare und f&r die katholische Partei so betrübende Schauspiel geboten werden, dass ihre angesehensten Häupter in Deutschland unter ein- ander in Kampf geriethen, und dies noch dazu um einer Streit- frage willen, welche auf die Uneigennützigkeit ihrer Bemühun- gen ftlr die Ausbreitung des katholischen Glaubens ein sehr

werde, ehe der Bund eine Entsch&digfang für die aafgewendeten Kriegs- kosten erhalten h&tte. Es war klar, dass der Kaiser keine andere Ent- schidignng als die in den Stiftern bestehende gewähren konnte (vgl- Londorp m, 8. 1086). * Bayern hatte fibrigens ausdrücklich die Frage gestellt, was, da der Kaiser das Erzstift Bremen seinem Sohne gegeben habe, dagegen so thnn sei, da ,ad ejus exemplam mehr Stifter könnten hingegeben werden' und eben darauf enthielt der oben citirte siebente Punkt des Abschiedes die Antwort (Wiener Staatsarchiv, Reichstagsacten S. 76). Noch snf dem Regensbuiger Convent soll Bayern seine BfHidesgenossen damit vertröstet haben, dass sie ausser dem schon Gewonnenen kraft der Heidelberger Beschlüsse an ,denjenigen Beichslftndem und Oertem sich würden erholen künnen, welche die katholische Liga künftiger Zeit noch ansprechen und verhoffentlich occupiren würde* (Lebseltem an Kursachsen, 22. September 1630; Dr. A. S106'27 B. 209).

Der Streit am die geiitlielien Otter «nd das Bestitatioiisediet (1629;. 441

übles Licht zu werfen geeignet war? Gab es nicht eine Auto- rität^ welche, über den Parteien stehend, berufen war, durch ihr blosses Wort den Streit zu schlichten, nämlich den Papst? War nicht überhaupt die Frage der Neubesetzung von Bis- thümem und Klöstern eine solche, welche weder von Bayern, noch vom Kaiser, sondern nur von dem Oberhaupte der Chri- stenheit rechtmässig entschieden werden konnte?

Aber nicht einmal die Ligisten wollten dieses oberste Ent- scheidungsrecht des Papstes unbedingt anerkennen. Als in dessen Namen der Mönch Cosmas Morelli gegen die Heidel- berger Beschlüsse Einspruch erhob, weil die geistlichen Ghiter der Kirche gehörten und also nicht zur Entschädigung Air die Kriegskosten verwendet werden dürften, erhielt er die Antwort: der Papst möge unbesorgt die Entscheidung den Ständen der Liga überlassen. Diese, wurde hinzugesetzt, würden schon die betreffenden ,Reformationen^ durchführen, und wenn dabei etwas hervortreten sollte, was den Papst angehe, demselben in ge- ziemender Form Bericht erstatten. Zugleich wurde dem Papste versprochen, man wolle, wenn er zustimme, die Sache so fbrdem, dass auch er selbst Vortheil davon haben werde. Bei aller Höflichkeit gegen das Oberhaupt der Christenheit hielt also die Liga ihren Standpunkt fest; der Papst war ihr ein will- kommener Bundesgenosse, wenn er demselben durch seine Zu- stimmung erhöhten Nachdruck gab, aber man war auch, wenn die Zustimmung versagt wurde, entschlossen, auf eigene Faust zu handeln.

Wenn aber schon die Ligisten so wenig Lust zeigten, die Einmischung des Papstes sich gefallen zu lassen, so war dies beim Kaiser noch weniger der Fall, und zwar schon darum, weil dieser auch formell ein gewisses Recht hatte, die Verfügung über die restituirten Güter für sich selbst zu beanspruchen. Unregelmässig nämlich war der Vorgang, wenn die Besetzung der Stifter nicht durch Wahl der Capitel, die Verwendung der Klostereinkünfte nicht zu Gunsten der alten Orden erfolgte, auf alle Fälle, mochte sie nun durch päpstliche Provision oder durch kaiserliches Decret angeordnet werden; der Kaiser aber konnte, abgesehen davon, dass die betreffenden Güter durch die Siege der kaiserlichen Waffen zurückerobert worden waren, mit Grund behaupten, dass die Verleihung der geistlichen Güter ein Theil

442 Tvpetx.

der Ausfilhrang des Restitationsedictes sei. Wer aber war mehr berechtigt; für die AuBflÜmmg des Edictes zu sorgen, als der- jenige, welcher es erlassen hatte?

Indess so hätte es sich doch nur um eine Formfrage ge- handelt, über die man sich allenfalls noch hätte verständigen können. Aber in der Frage, wer die Güter verleihen solle, war auch die Frage, wem sie verliehen werden sollten, ver- borgen, und von dieser letzteren Frage fbrchtete der Reichs- hofrath nicht mit Unrecht, dass sie, wenn der Papst als Schieds- richter anerkannt würde, zu Ungunsten des kaiserlichen Hauses gelöst werden würde. Wohl hatte das Haus Oesterreich den allergerechtesten Anspruch auf die Dankbarkeit des Papstes, und gerade durch die Erlassung des Bestitutionsedictes hatte der Kaiser seinen früheren Verdiensten ein neues von unbe- rechenbarer Tragweite hinzugefügt; es hätte allerdings selbst- verständlich scheinen können, dass der Papst die beste BVacht des Bestitutionsedictes demjenigen Hause zuwenden würde, ohne welches dasselbe gar nicht erlassen worden wäre.^ Aber auch Bayern und die Liga hatten Verdienste um die Ausbreitung des KathoUcismus, und selbst ein unparteiischer Papst hätte vielleicht geschwankt, welche Wagschale die schwerere sei und wohin demnach der reichere Lohn gelegt werden sollte. Aber Urban Vlll. war gar nicht einmal unparteiisch: er liebte die Franzosen und er hasste und fürchtete die Spanier; kaum hat die neu emporgestiegene Macht des Hauses Habsburg den Mit- gliedern der Liga grössere Besorgniss bereitet als diesem Papste, der von dem Uebermuthe des Hauses Oesterreich in den stärk- sten Ausdrücken sprach und die Strafe Gottes dafür in Aus- sicht stellte.^ Unter solchen Umständen liess sich nicht erwarten, dass der Papst in streitigen Fällen zu Gunsten des Kaisers entscheiden werde, nimmermehr konnte man seine Billigmig

1 Anfangs hoffte man denn auch noch anf eine dem Kaiser günstige Ent- scheidung des Papstes; Erzherzog Leopold rieth, für die« Verleihung der Kloster Lorch und Maulbronn die Bestätigung desselben durch den Principe Savelli einzuholen, um dem Widerspruche der Bischöfe von Augsburg und Speier die Spitze abzubrechen (Wiener KriegsarchiT b/3b).

3 La casa d*Au8tria si h tanto insuperbita, che non stimava nessuno prin- cipe, — ma che Dio Thaverebbe mortificata, soll der Papst gesagt haben (Gregorovios, Urban VIII. S. 19).

Der Streit um die geistiiehen Gfiter nnd das Bestitntionsediet (1829). 443

für alle die weitauBsehenden Vergrösserangspläne, welche der Reichshofrath an die Neubesetzung der restituirten Güter ge- knüpft hatte, erwarten, und es schien unbedingt am vortheil- haftesten, wenn es gelang, die Mitwirkung des Papstes bei der Durchführung der Restitutionen entweder ganz auszuschliessen oder sie doch auf ein Minimum zu beschränken.^

Dies geschah denn auch gleich bei der Erlassung des Restitutionsedictes : während man den Entwurf desselben den katholischen Kurfürsten zur Begutachtung vorlegte; wurde die gleiche Höflichkeit dem Papste gegenüber unterlassen; ja der Name des Papstes war in dem ganzen Schriftstücke, wie der Nuntius in Wien mit grossem Missfallen hervorhob, nicht ein einziges Mal genannt. In noch höherem Masse fühlte sich der Papst dadurch verletzt, dass man auch bei der Ernennung der Restitutionscommissäre ihn nicht um seine Zustimmung befragt hatte. Der Papst war denn auch mit den vom Kaiser ernannten Commissären in hohem Grade unzufrieden; dieselben Männer, welche von den Protestanten als katholische Eiferer hingestellt und deshalb auf das Heftigste angefeindet wurden, erschienen dem Papste zu weltlich, zu wenig ergeben den eigentlich kirch- Uchen Interessen.^ Sein Nuntius forderte daher geradezu die

* Caesareum consilinm in hnnc scopnm coUimare, ut sumus pontifez a negotio reparationis Germaniae ad catholicam religionem totaliter ez- clndator et quidqoid in illo fieri expediat, per dictum consilinm ordine- tor ac disponatnr, heiast es in den Bemerknng^en an Leseale (Wiener Staatsvchiv, Kriegsacten 38).

3 Aus dem oben Gesagten erklärt sich, dass, als sp&ter der kaiserliche Gesandte Cardinal Pazmann dem Papste vorwarf, dass auch er zu dem unheilvollen Restitutionsedicte gerathen habe, der Papst aufbrausend erklärte: er habe das Edict niemals gebilligt; im Consistorium habe er sich darüber so zweideutig ausgesprochen, dass er wohl gezeigt, wie es ihm missfalle; auch sei von den wiedererlangten geistlichen Gütern nichts den wahren Eigenthümem zurückgegeben worden, sondern die Fürsten (soll wohl heissen : in erster Linie der Kaiser) hätten Alles für sich selbst behalten, und vielleicht werde das jetzt von Gott gestrafte Eine ,heroische Unwahrheit^ wie Gregorovius (Urban VIII. 8. 57) meint, sind also diese Worte nicht; was der Papst sagte, war ohne Zweifel nicht die ganze Wahrheit, aber geradezu eine Lüge war es doch auch nicht. Wenn dann im Gegensatze hiezu der Kaiser behauptete, der P^pst habe das Edict nicht nur gebilligt, sondern ,in den Himmel er- hoben und sich auch mit der Bestimmung der geistlichen Güter ein*

444 Tnpets.

Zurlickberufung dieser Commissäre und ihre Ersetzung durch die Bischöfe und Erzbischöfe des Reiches; diese Letzteren seien es, welche unter Ausschliessung der Reichshofräthe, aber natür- lich unter der Oberleitung des päpstlichen Nuntius die Restitu- tionen zur DurchAlhrung zu bringen hätten.^

Mit letzterem Vorschlage war, wie Jedermann sehen konnte, der Bund zwischen dem Papste und den Ligisten ge- schlossen; was konnten sich die Letzteren Besseres wünschen, als dass die Verfügung über die erledigten Güter in die Hände der Bischöfe, will sagen: der Ligisten selbst, gelegt wurde? Hiemit stimmte es vollkommen überein, wenn sich gleichzeitig das G-erücht verbreitete, der Papst wolle alle Klöster, welche nicht mit wenigstens zwölf Mönchen besetzt werden könnten, direct den Bischöfen überweisen, allerdings mit der Verpflich tung, aus dem Ertrage Jesuitenseminarien und ähnliche Anstalten zu errichten.2

Aber je deutlicher zu Tage trat, dass der Papst die Bischöfe begünstige, desto weniger war der Reichshofrath ge- neigt, den Forderungen des Papstes Gehör zu geben. Es wurde daher den Bischöfen strenge untersagt, sich wegen Einräumung der Klöster nach Rom zu wenden, dem Nuntius aber ziemlich unumwunden erklärt, dass er sich in diese Dinge nicht einzu- mischen habe. 3 Man stellte sogar den Grundsatz auf, dass

verstanden erklfirtS so war auch das eine Mischung von Wahrem und Falschem und konnte von Gregorovius ebenso gut als ^heroische Un- wahrheit* bezeichnet werden.

^ Nach dem Gutachten des Reichshofrathes verlangte der Nuntius, dass die Commissionen ,umgefertigt, die Restitution ad manus ordinariorum consignirt, oder andere geistliche Commissarii an End und Orten, wo die ordinarii abgehen, bestellt und alles zu Ihrer Heiligkeit Disposition ausgesetzt würdet

3 Nach Gregore viuSf Urban VIII. 8. 13, hatte dieser Papst schon vor dem 28. April 1629 dem Kurftlrsten von Bayern versprochen, keine Be- stimmung über die geistlichen Güter zu treffen, ohne ihn vorher io Kenntniss zu setzen. Jedenfalls war das Einverständniss zwischen Papst und Liga schon früher vorhanden; denn schon im Herbste 1628 bot Urban VIII. für den Bruder des Kurfürsten von Bayern die zu restituiren- den Kirchen im Hamburg und Lübeck an (ebenda, S. 19).

3 Den Bischöfen wurden ,alle sollicitationes pro incorporationibus zu Rom mit Ernst verboten und eingestellt*; vom Nuntius aber heisst es: ,So- dann siebet und findet auch Beichshofrath nit, wie diesorts der Nuntius

Der Streit am die geistlichen Ofiter and das RestitntioDsedict (1829). 44D

,Könige und Fürsten nur m Punkten des Glaubens den Ent- scheidungen des Papstes sich zu fügen hätten, während sie in den auf die Regierung der Earche bezüglichen Angelegenheiten dem Papste mit starkem Arme Widerstand leisten dürften', eine Ansicht, welche der päpstlichen Partei am Wiener Hofe um so gefährlicher erschien, da sie von dem Könige von Spa- nien getheilt und bei der Regierung der Niederlande praktisch angewendet wurde. Auch zeigte der Reichshofrath durch die That, dass er nicht daran denke, ,dem Papste durchaus den Willen zu lassend* So hatte der Papst dem Kurfürsten von Trier zwei Drittel der Einkünfte aus der Abtei St. Maximin zugesprochen; der Reichshofrath aber erklärte ,durch offenes Decret* diese Verleihung flir unrechtmässig und vertheidigte standhaft die Rechte des Abtes. In Corvey war durch päpst- liche Provision ein neuer Abt eingesetzt worden, aber der Reichshofrath verweigerte ihm die Anerkennung und nahm mit Nachdruck den früheren Abt in Schutz, obgleich derselbe nach der Behauptung seiner Gegner ,notorie der Ketzerei ver- dächtig* war.^

Die päpstliche Partei am Wiener Hofe war natürlich über alle diese Dinge aufs Höchste erbittert; sie beschuldigte die Mitglieder des Reichshofrath es, dass sie selbst ,unter katho- lischer Larve Ketzerei im Herzen trügen* und sprach die Be- flirchtung aus, wenn es nicht gelinge, gleichsam zum warnenden Beispiele für andere Fürsten und deren Räthe dem Reichshof-

sich dieser Sachen anzunemmen oder einzumischen hab oder auch die päpstliche Jurisdiction noch zur Zeit fundiert sein kondt'; dem Nuntius sei daher ,8ein unzeitiges Suchen und warum solches nicht statthabe' vor Augen zu führen (1. c; vgl. Hurter X, S. 72).

^ Dass der Kaiser ontschlosvsen sei, dem Papste ,in ecclesiasticis im deut- schen Reich nicht mehr so viel Raum zu lassen, dass er seines Willens und Gefallens mit den geistlichen Qütem im Reich . . geleben und handeln mögeS wurde auch am 21. April 1629 vertraulich an Kursachsen berichtet (Dr. A. 8093/209).

^ Das Vorgehen in der Corvey'schen und Maximin*schen Sache war nach den Bemerkungen an Leseale hauptsächlich ein Werk des Abtes von Kremsmünster; dieser habe den Kampf gegen den päpstlichen Stuhl auf sieh genommen und sich nicht gescheut zu sagen, der Papst habe keine Macht, über die geistlichen Güter zu verfügen.

446 Tiip«ts.

rathe den ^Eamm zu stutzen V so werde die päpstliche Autorität, welche in Niederdeutschland ohnehin nichts gelte, auch in Ober- deutschland vernichtet werden. Doch die Hoffnung, den Wider- stand des Reichshofrathes zu brechen, war gering; denn ob- gleich die Frömmigkeit des Kaisers, sein ,furcht6ames Gewissen' und insbesondere der Einfluss der dem Papste ebenfalls erge- benen Jesuiten auf den Kaiser bekannt war, so mussten sicli doch selbst die eifrigsten Anhänger des päpstlich-ligistischen Bundes sagen, dass der Kaiser schwerlich aus freien Stücken auf BisthUmer und Erzbisthümer verzichten werde, die seinem eigenen Sohne bestimmt waren. Man fand denn auch in Born und München nothwendig, wenigstens einen Theil des Weges dem Kaiser entgegenzukommen und dem kaiserlichen Prinzen ausser Magdeburg, Halberstadt und Hersfeld, welche man ihm schon früher zugesprochen hatte,^ auch das grosse und reiche Erzbisthum Bremen einzuräumen;^ man wollte zufrieden sein, wenn der Bischof von Osnabrück auch nur die Stifter Verden und Minden bekam. Aber die Liga schien nun einmal in dieser Frage vom Missgeschick verfolgt zu sein, denn auch ihre Nach- giebigkeit führte nicht vollständig zu dem angestrebten Ziele. Die Domherren in Minden wählten nämlich, als die Absetzung Christians von Braunschweig nicht länger hintanzuhalten war, trotz der päpstlichen Provision zwar nicht den kaiserlichen

1 Dem ReichBhofrath mÜMe man die ^crista amputieren*, heiasi es in den Bemerkungen an Leseale; wenn die AuBschliessung des Papstes gelinge, wird dann weiter gesagt, so werde diese Lehre ,wie eine Pest* durch das ganse Beich schleichen und ,eine feste Burg gegen den Statthalter Christi in Oher- und Niederdeutschland* schaffen. In den spanischen Niederlanden würden schon jetzt der Auditor der römischen Kammer und der Fiscus der Kirche vor Gericht geladen, man schreite gegen die Person des apostolischen Nuntius ein, widersetze sich dessen Anord- nungen ,mit Waffengewalt, Arresten und Repressalien* u. s. w.

> Nach Caraffa I, 8. 376 war fibrigens auch die Verleihung von Hers- feld nicht ohne Widerspruch vor sich gegangen; dagegen erklftrten sich Kurmains als Ordinarius loci, welcher das jus devolutum geltend machte und die Benedictiner von Fulda, welche das Kloster ebenfalls bean- spruchten.

> Nach OregoroTius, Urban VIII, 8. 13, erfolgte die Verleihung von Bremen an den Erzherzog schon vor dem 4. Juni 1629, erregte aber bei Kor- bayem grossen Unwillen.

D«r Streit an df« geittliolieo Gftt«r «od du SestitntionMdict (ieS9). 447

Prinzen, aber ebenso wenig den Bischof von OsnabrUek^^ son- dern einen Dritten, den Domdechanten von Münster, zu ihrem Bischöfe. Dadurch aber gaben sie dem Kaiser von Neuem Oe- legenheit, in die Besetzung des Stiftes einzugreifen; derselbe konnte nämlich nunmehr seinen Sohn, wenn auch nicht zum Bischof, so doch zum Verweser des Stiftes, und zwar fbr so lange ernennen, bis die Frage entschieden wäre. Dabei hatte nattlrlich der Kaiser immernoch die Ho£Fhung, aus dem Verweser von Minden werde schliesslich trotzdem noch der allseitig aner- kannte Bischof dieses Stiftes werden.^ Auch in der Frage der Einkünfte aus den übrigen restituirten, aber noch nicht oder nur schwach besetzten Gütern war die Liga nicht glücklicher. Wohl wurde ihr vom Papste am 9. April 1631 die Hälfte dieser Einkünft;e ftlr drei Jahre zugewiesen, aber der Kurftlrst von Bayern musste, indem er ftir diese Verleihung dankte, selbst erklären, dass sie vorerst fruchtlos bleiben werde, da die be- treffenden Oüter nicht von der Liga besetzt seien.' Damals mochte freilich der Kurfürst noch hoffen, dass neue Erfolge der ligistischen Truppen hierin eine Aenderung herbeifllhren würden; aber schon im Herbste desselben Jahres wurde durch die schwedischen Siege auch diese Hoffnung vernichtet. Damit aber endigte zugleich der Streit, welcher von Benedictinem und Jesuiten, von den Bischöfen und den kaiserlichen Räthen, von Kaiser und Liga und Papst mit so grosser Erbitterung geführt worden war, und zwar so, dass keiner von den streitenden

1 Am 25. Fdbraar 1630 forderte Tilly diese Domherren anf, einen ,wflr- digen' BiBchof su wählen, aber wie der Erfolg seigt, hielten die Dom- herren nicht den von Tilly gewünschten Bischof von Osnabrück ftlr den würdigsten (Hnrter X, S. 65).

2 Diesen Kath findet man in dem Gutachten Hye*s 16S0 (Wiener Staats- archiv, Eriegsacten 88); als Entschädigung für den Bischof von Osna- brück schlag derselbe die Abtei St. Bfichael in Lüneburg oder selbst das Stift Halberstadt, als Entschädigang fär den Domdechanten von Münster das Stift Batzebnrg vor.

* Gregorovins, Urban Vm. S. 31; nach demselben Schriftsteller erfüllte der Papst damit ein Versprechen, welches sein Nuntius Rocd der Liga schon auf dem Begensburger Convente gemacht hatte. Am 7. Juni 1631 forderte der kaiserliche Botschafter Savelli in Bom die Zurücknahme dieser Verleihung und die Ueberweisung derselben für 26 Jahre an die kaiserlichen Gassen, aber vergeblich (ebenda S. 31).

448 Tapets.

Theilen die Güter wirklich erhielt, sondern alle Güter und Einkünfte, wenigstens vorläufig, wieder an die Evangelischen zurückfielen.

Y. Die ersten Unterhandlungen wegen Zorficknahme des

Edictes.

Als die von den Evangelischen abgetretenen Güter zam Erisapfel wurden, um welchen die Sieger beinahe in offenen Kampf gerathen wären, mochten die früheren Besitzer mit Recht eine gewisse Schadenfreude empfinden 5 aber der Streit hatte für sie auch eine andere, praktische Bedeutung: er erhöhte ihre Hoffnung, die restituirten Güter vielleicht doch wieder zurückzuerhalten, und bewirkte, dass sie muthiger und nach- drückUcher als zuvor in den Kaiser drangen, das Edict ganz wieder aufzuheben.

Aber die Evangelischen waren hiebei gleichsam ein Heer ohne Feldherrn; denn wenn auch in den Augen der meisten der Kurfürst von Sachsen als derjenige galt, auf den ,bei dem gesammten evangelischen Wesen nächst Gott einig und allein das Absehen gestellt sei^, so gründete sich doch diese günstige Meinung lediglich auf den hohen Rang, den Johann Georg be- kleidete, und auf seinen ausgedehnten Besitz. Persönhch ohne hervorragende Eigenschaften und dem Trünke so sehr ergeben, dass er selbst in jener trinklustigen Zeit bei Freund und Feind verächtlich wurde, erfreute er sich nicht einmal am kaiserlichen Hofe, dem er doch viele und wichtige Dienste geleistet hatte, eines besonderen Ansehens.* Er war daher am allerwenigsten der Mann, eine den Evangelischen günstige Wendung durch- zusetzen, wenn er auch gewollt hätte. Und selbst an diesem guten Willen konnte man zweifeln; an dem Mühlhausner Con- vente, auf welchem das Restitutionsedict geboren worden war,

' Der päpstliche Nuntius Caraffa schrieb von ihm, er sei kein ^principe di spirito ne forze tali, che deva gran fatto tenersi di lui* (Londorp ID, S. 121); mit diesem Urtheiie trifft das bekannte Wort des Camerarias (Londorp III, 8. 1624) merkwürdig zusammen: ^Diese Leute sind zor Knechtschaft geboren,* sagte er, ,darum wird sie auch Gott darein bringen/

Der Streit am die geistlichen Ofiter nnd das Restitntionsediot (1629). 449

hatte er theilgenomineii; und man hielt es z. B. in Wttrtemberg alles Ernstes für möglich, dass der KurfUrst mit zu demselben gerathen habe.^ Das war nun freilich nicht der Fall; im Gegen- theily der Kurfürst war selbst auf das Aeusserste erschrocken, als das Restitutionsedict ihm zugestellt wurde, da er aus den anbestimmten Ausdrücken zu entnehmen glaubte, dass der »Bogen auch gegen ihn gespannt sei'.^ Die Angst, welche man in Kursachsen damals hatte, zeigt sich am besten darin, dass man in Würzen sogar schon Vorbereitungen gegen einen ge- fürchteten Ueberfall durch kaiserliche Truppen traf.^ Aber nur seine eigene Gefahr vermochte den Kurfürsten so aufzuregen, nicht die allgemeine Noth; als auf die bestürzte Anfrage des Kurfürsten vom kaiserlichen Hofe die beruhigende Zusicherung einlangte, das Restitutionsedict sei dem Kurfürsten einfach zur Kenntnissnahme mitgetheilt worden, da war man in Dresden schnell wieder frohen Muthes. Nur das beunruhigte den Kur-

' Dass Kursacbsen von den Übrigen Evangelischen wegen seiner Bethei- lignng in Mühlhansen Vorwürfe zu hören bekam nnd mit ans diesem Grande sich weigerte, in Regensbnrg zu erscheinen, berichtet unter An- deren Trauttmansdorff (20. Juli 1629; Wiener Staatsarchiv, Reichstags- acten). Würtemberg sprach am 12. April 1629 seine Verwunderung aus, dass die Erlassung des Restitutionsedictes ,auf den Rath Kursachsens erfolgt sein solle*; Kur8nchsen protestirte gegen diese Beschuldigung am 20. April (Dr. A. 8093/212 und Rest. I, S. 178; IV, S. 364).

' ,Weil allem Ansehn nach der Bogen auf uns gerichtet (nicht wissen ' wir, aus welchem Grunde) und es nur an dem Abdrucken mangelt', heisst es in dem Schreiben Kursachsens an Kurmainz, 4. April 1629. Diese Befürchtung hatte Kursachsen schon vor dem Bekanntwerden des Edictes gehegt, damals aber hatten Kurmainz und Bayern sie ihm aus- zureden gesucht (Dr. A., Rest I, S. 39; Wiener Staatsarchiv Reichs- tagsacten, 76). Dass ,auch seiner nicht geschont werde*, dass man auch ihn ,zur Restitution condemniere, obwohl er nie geklagt worden*, dass ihm ,gar zu ungüttlich geschehe, wenn er mit den korrespondie- renden Kurfürsten und Ständen in ein Recht gesetzt würde*, dass man ihn nicht beschuldigen kSnne, ein ,Detentator, ein ungebührlicher Usur- pator, der einem katholischen Stande das Seine geraubt*, zu sein, ist dann seine fortwährende Klage (Kursachsen an Ferdinand [6. April] und Erzherzog Leopold [7. April 1629] und im Bedenken über das kaiser- liche Schreiben vom 26. Juni 1629; Dr. A., Rest. I, S. 59, 69 und 8093/301).

' Schreiben SchOnberg's und des Capitels von Würzen (9. April 1629; Dr. A«, Rest. I, S. 89) ; auch in Merseburg war man besorgt (ebenda I, S. 97).

460 Tiip«ts.

fürsten noch; dass das Verspreclien des Kaisers nicht bestimmt genug lautete und nicht feierlich genug ertheilt worden war; aber er holFte zuversichtlich eine solche ^deutliche und aus- drückliche Versicherung' seiner Stifter noch zu erhalten, wenn er nur durch ein musterhaft treues Betragen sich desselben würdig erweise J

Dies wurde ihm freilich durch seine evangelischen Mit- stände in hohem Masse erschwert; in zahllosen Bittschriften verladgten sie von ihm Rath, Hilfeleistung, Fürsprache beim E^aiser, Mittheilung von Actenstücken und Aehnliches. Der EurfUrst war darüber höchst äi^erlich, denn er war überzeugt, dass schon die Annahme solcher Bittschriften hinreiche, den Kaiser zu verstimmen; um so weniger war natürlich von einer Gewahrung der in denselben ausgesprochenen Wünsche die Rede. Die meisten Zuschriften wurden überhaupt nicht beant- wortet, selbst dann nicht, wenn sie von mächtigen Fürsten, z. B. dem Herzoge von Würtemberg herrührten; erfolgte aber doch eine Antwort, so enthielt sie statt des Trostes und der Hilfe, welche die Bittsteller erwartet hatten, höchstens Vorwürfe, dass die betreffenden Stände gegen den Kaiser die Waffen er- griffen hätten; ,der Kurfürst', hiess es darin, ,habe es voraus- gesagt, dass es so kommen werde; nun büsse man es, dass man die wohlmeinende Warnung nicht beachtet habe^^ Geradezu als

' Der Reichfl-Vicekansler soU in der That dem bremischen Abgesandten gegenüber geänsaert haben, es müssten zwar alle reiclunnmittelbaFen Stifter restitoirt werden, aber Sachsen betreffe das nicht, ihm werde der Kaiser ein ,protectorium et conservatorinm in optima forma* geben. Es wftre ohne Zweifel für den Kaiser und fUr Kursachsen besser gewesen, wenn dieses von einem geheimen Agenten berichtete Vorhaben rar Wirklichkeit geworden wXre; statt dessen versicherte der Kaiser am t6. April 1629 nur, dass er ,der kursächsischen Dienste eingedenk sei, sie nie vergessen und diess auch durch die That zeigen werdet Nach einem Berichte sollen dem Kaiser, als er diesen Brief im Entwürfe las, die ,Thränen über die Wangen gelaufen seinS und er soll gerufen haben, ,er müsse vor Gott und der Welt bekennen, dass der Kurfürst ihm und seinem Hause hochansehnliche, nützliche und erspriessliche Dienste ge- leistet, daher man ihn billig verschonen müsse' (Dr. A. 8093/163 und Rest. I, 8. 32, 127, 380).

3 Würtemberg schrieb an Kursachsen am 30. Juli, 3. September, 19. No- vember, 22. und 31. December 1628, am 6. und 15. Januar, endlich am

D«r Streit um die (^istlichen Oftter und das Restitntiontediet (1629). 451

eine persönliche Beleidigung aber schien es der KurflLrst zu be- trachten, als einer der Bittsteller es war der Herzog Johann Casimir von Sachsen so unvorsichtig war, ihn als den ,Director des evangehschen Wesens' zu bezeichnen: ,Man möge ihn mit derlei Zumuthungen verschonen/ liess er dem Herzoge ant- worten; ,ihm faUe es nicht ein, sich eines Directoriums anzu- massen oder sich der Sachen so zu imterwinden, als ob er dazu bestellt und verpflichtet wäre/ Der Herzog musste dem Kur- fürsten förmlich Abbitte leisten, ehe er wieder zu Gnaden auf- genommen wurde J

2., 6. und 19. März 1629, ohne auf alle diese Schreiben eine Antwort zu erhalten (Würtemberg an Kursachsen, 12. April 1629; Dr. A. 8093/212). Am 2. Mai wurde dann zwar geantwortet, aber die Ertheilung eines Bathes wegen Hangels an Information, die Fürbitte beim Kaiser wegen der unterdessen erfolgten Veröffentlichung des Bestitntionsedictes, welche jede Intercession vergeblich mache, verweigert. ,Dass der KurfElrst den evangelischen Ständen zeitlich prognosticirt habe, dass alles dasjenige erfolgen werde, wenn man die Katholischen einmal in die Waffen ge- bracht, 80 itzo vor Augen*, steht in einem Schreiben Kursachsens an Nürnberg (19. Februar 1629 ; Dr. A., Gravamina der Reichsstande VII). Merkwürdig sind auch die Berathungen, welche Anfangs Blai 1629 auf dem Münztage stattfanden, weil Kursachsen, indem es mittheilte, dass es anderen evangelischen Ständen die Ertheilung eines Rathes verwei- gert habe, selbst sich einen Rath von den versammelten Standen ein- holen wollte; selbstverständlich antworteten nun auch diese ausweichend (30. April und 16. Mai 1629; Dr. A., Rest. I, S. 302, 408). * Johann Casimir machte jedoch, indem er sich entschuldigte, die richtige Bemerkung, dass ,die Katholischen leicht muthiger gemacht werden dürften, indem sie andere prote8t.'evang. Stande gleichsam allein ge- lassen zu sein vermeinten^ Charakteristisch ist auch die Antwort, welche der Rath von Mühlhausen erhielt, als er unter Berufung auf das Bei- spiel des Kurfürsten Moriz die Besetzung der Stadt mit sächsischen Truppen zum Schutze gegen die Restitutionen erbat: , Jetzt*, sagte der KurfÜst, ,sei der Status ein ganz anderer; damals habe es gegolten, die Augsburger Confession einzuführen, jetzt aber gelte es dem kaiser- lichen Edicte zu pariren.* Die Mittheilung von Actenstücken aus dem Wittenberger und Weimarer Archive, um welche der Herzog von Weimar und Georg von Hessen ersucht hatten, wurde ebenfalls verweigert, eine Bittschrift der obersächsischen Stände, welche Knrsachsen zur Begut- achtung vorgelegt worden war, so corrigirt, dass jeder bestimmtere Aus- druck verschwand u. A. m. (Dr. A., Rest. I, S. 148 ff., 882; H, S. 83 und 465; HI, S. 298; benützt auch in Heyne, Der Kurfürstentag in Regensbnrg S. 21 ff.)

452 Tu petz.

Den Katholiken konnte natürlich ein solches Benehmen des Kurfürsten nur erwünscht sein^ aber ihre Achtung vor dem Oberhaupte der evangelischen Partei wurde dadurch sicherHch nicht erhöht. Im Gegentheil^ war man schon vorher der Ansicht gewesen, dass der Kurfürst ein Mann von beschränktem Geiste seiy um den man bei Durchführung des Restitutionsedictes sieb nicht sonderlich zu kümmern brauche, so war man jetzt um so mehr davon überzeugt und am kaiserlichen Hofe handelte man auch darnach. Man würde es vielleicht unter anderen Umständen nothwendig gefunden haben, die Besitznahme von Magdeburg, auf welches auch Kursachsen Anspruch machte, zu verschieben, bis aUe übrigen Restitutionen gelimgen waren: diesem Kurfürsten gegenüber glaubte man sich einer solchen Rücksichtnahme überhoben; ihm musste genügen, wenn man ihm auch nur die von altersher besessenen Bisthümer Merse- burg und Naumburg Hess. Und selbst bei diesen fand man es überflüssig, sich durch ein Versprechen derart zu binden, dass man sie niemals wieder hätte zurückerlangen können: Johann Georg mochte froh sein, wenn er nur für den Augenblick mit heiler Haut davonkam.^

Da war es nun ein Glück für Kursachsen, dass Kaiser und Liga sich entzweiten. Die nächste Folge davon war, dass Maximilian von Bayern, um die Bundesgenossenschaft Sachsens insbesondere gegen Waldstein zu gewinnen, in runden und deutlichen Worten erklärte, das Restitutionsedict finde auf Kursachsen keine Anwendung. Das Edict, hiess es in dem Schreiben Maximilians, beziehe sich nur auf diejenigen, welche sich nach ordentlich durchgeführtem Process dem über sie er- gangenen Urtheile nicht hätten unterwerfen wollen; in dieser Lage aber sei der Kurfürst von Sachsen nicht, derselbe sei viel- mehr noch nicht einmal ,gehört' worden. Wie wichtig dieses Zu- geständniss in den Augen der Kaiserlichen war, beweist am

1 Man scheint am kaiserlichen Hofe hiemit die besondere Absicht ver- bunden zu haben, sich ein Compensationsobject zu erhalten, am leichter die Abtretung von Magdeburg erzwingen zu kOnnen; ja der Kaiser glaubte sogar (oder that doch so, als ob er es glaubte), dass Knrsachsen Magdeburg überhaupt nur begehre, um wenigstens Meissen, Mersebui^ und Naumburg sicher zu behalten (Ferdinand an Maximilian von Bayern, 3. April 1629; Münchner Staatsarchiv 4/3).

Der Streit nm die geistlichen Gttter und das Bestitntionsedict (1689). 453

besten der Aerger, den sie darüber an den Tag legten. Noch mehr aber yerdross es den Kaiser, dass Maximihan auch in der Frage des Erzbisthums Magdeburg halb und halb auf die Seite Kursachsens trat, indem er rieth, die Besitznahme des- selben noch zu verschieben. Der Rath konnte sachlich begründet erscheinen, insofern ja wirklich die Verfügung über Magdeburg der gefährlichste Theil des Restitutionswerkes war; dies hin- derte aber nicht, dass Maximilian durch die Ertheilung des- selben indirect das Interesse Kursachsens förderte, und zwar im Widerspruche mit den bekannten Wünschen des Kaisers.* Zum Danke dafür sollte natürlich Johann Georg nicht nur per- sönlich bei dem Regensburger Convente erscheinen, sondern auch auf demselben Schulter an Schulter mit Kurbayem gegen den obersten Feldhauptmann des Kaisers kämpfen.^

' Knrbajem an Kursachsen, 8. Mai 1629. Ein Gutachten Contzen's vom April 1629 yertheidigt das bayrische Schreiben gegen den von kaiser- licher Seite erhobenen Tadel: Allerdings sei auch Kursachsen wie die übrigen Stände vor dem Kriege gehört worden, aber durch das Mühl- hauaner Versprechen sei Kursachsen in ein neues Recht getreten, dass es, jObwohl zur Genüge gehOrt, doch für ungehOrt weiter gelten kOnne, und dass gegen dasselbe nicht anders Torgegangen werden kOnne, als durch gesetzmässigen Process mit Zugrundelegung der Acten*; insbe- sondere die Befürchtung sucht er zu widerlegen, dass sich andere evan- gelische Stande auf das Beispiel Kursachsens zu ihren Gunsten würden berufen kOnnen (Dr. A., Rest. II, 8. 157; Münchner Staatsarchiv 4/3).

^ Nach einem Berichte aus Wien sollen die ligistischen Gesandten daselbst neben der Erleichterung der Kriegsbeschwerden auch die Forderung erhoben haben, dass Kursachsen ,ehestens contentiert und das seinige ihm genugsam und realiter versichert werde*; natürlich gehört auch dies in den Kreis der Mittel, um Kursachsen auf die Seite der Liga zu ziehen. Maximilian selbst, der sich übrigens wirklich beim Kaiser für Kursachsen verwendete, that, indem er Johann Georgs Klagen über das Restitutionsedict beantwortete, als wäre dieses allein vom Kaiser aus- gegangen, gegen dessen ausgesprochenen Willen er, Maximilian, beim besten Willen nichts thun könne: man werde ihm nicht verdenken, schrieb er, wenn er ,in diesem Werk und bei so qualificirten Um- ständen etwas behutsamer gehen und etwas mehreres an sich halten müsse'. Seltsam contrastirt damit freilich, dass man zu gleicher Zeit nOthig fand, den Kaiser zu eifrigerer Fortsetzung der Restitutionen an- zutreiben; doch musste man dies eben mit Rücksicht auf Kursachsen heimlich, durch eigene. Agenten thun, in schriftlichen Gutachten wollte weder Kurköln, noch Bayern sich äussern (Dr. A. 8093; Kurbayern an Sitzangsber. d. phil.-hist. Cl. CIL Bd. II. Hft. 30

454 Tnpetz.

Aber auch in Wien wünschte man, dass der Kurflirst von Sachsen in Person nach Regensburg komme, ja man verlangte von ihm sogar noch mehr: er sollte auf dem Convente überdies noch dahin wirken, dass der Sohn des Kaisers zum römischen Könige gewählt werde; er, der Protestant, sollte dem Kaiser in einer Sache sich willfährig erweisen, in welcher dieser gerade bei seinen eigenen Glaubensgenossen, obenan bei dem Kur- fürsten von Bayern, auf den zähesten Widerstand gefasst sein musste. Dass man solche Dienste von Kursachsen nicht ver- langen könne, ohne ihm wenigstens einige Gegenconcessionen zu machen, sah man nun freilich selbst am kaiserlichen Hofe ein, und es wurde ein eigener Gesandter, Graf Trauttmansdorff, nach Dresden geschickt, um die kaiserlichen Versprechungen zu überbringen.

Und doch wie geringfügig waren diese Zugeständnisse! Von Magdeburg sollte der Gesandte gar nicht sprechen; wenn aber der Kurfürst selbst die Rede darauf bringen würde, so sollte er antworten, dass der Kaiser ,aus verschiedenen Ursachen', hauptsächlich aber, weil er verpflichtet sei, ,Gerechtigkeit zu üben', auf der Restitution bestehen müsse. Bezüglich der übrigen Stifter hatte Trauttmansdorff das Mühlhausner Versprechen zu erneuern: der Kurflirst werde ,nicht ohne genügsames Vor- gehen, Verhör und Erkenntniss wegen derselben beschwert werdend ' Es waren fast dieselben Worte , mit welchen der Kurflirst sich im Jahre 1621 hatte bemhigen lassen; aber zwischen damals und jetzt lag das Restitutionsedict, welches trotz des Mühlhausner Versprechens erlassen worden war. Bei einer früheren Gelegenheit hatte der Kurftirst, eben im Ver trauen auf jenes Versprechen, den anderen evangelischen Ständen gegenüber eine Art von Bürgschaft übernommen, dass ein Schritt wie das Restitutionsedict nicht zu fürchten sei ;2 nun war dieser

Karsachsen, 6. September 1629, und Contzen's Gutachten im Münchner

Staatsarchiv 4/4). * Hierilber und über das Folgende geben AufschluAs: Trauttmansdorff 's

Instruction, 28. Juni 1629, dessen Berichte vom 8. und 20. Juli (Wiener

Staatsarchiv, Reichstagsacten) und sein am 10. Juli übergebenes Memorial

(Dr. A. 8105/23). 2 In dem schon citirten Einfachen Bedenken (Londorp III, S. 890), in

welchem es heisst, die Katholiken würden die geistlichen Güter schon

Der Streit um die geistlicIiGn Gflter und das Beatitationsedict (1629). 455

Schritt doch geschehen, und der Kurflirst, in seinem Vertrauen irre geworden, begann sich auszumalen, dass man ja vieUeicht auch gegen ihn die Formen des Processes: Anklage, Verhör und Urtheil in Anwendung bringen könnte J Und da er einmal argwöhnisch geworden war, so fiel ihm besonders der Umstand auf, dass TrauttmansdorfF nichts als ein mündliches Versprechen mitgebracht hatte; wenigstens ein ,kaiserliches Handbriefl^ hatte der Kurflirst erwartet.^ Er machte hierauf noch einen, gewisser- massen verzweifelten Versuch, aus der Gesandtschaft Trautt- mansdorff's einen Vortheil herauszuschlagen, indem er diesem merken Hess, dass er den kaiserlichen Hof in Prag zu besuchen

darum nicht ,mit Gewalt und .sofort* wieder in Besitz nehmen, weil dadurch ein Religionskriege entstehen würde.

< Dass diese Beftirchtung für die nllchste Zukunft unbegründet war, geht aus einem Gutachten der kaiserlichen Räthe, welches noch vor der Trauttmansdorff^schen Gesandtschaft abgegeben wurde, hervor: dasMUhl- hausner Versprechen, hiess es darin, müsse man Kursachsen halten, ,wie dann in alle Wege dahin zu trachten wäre, dass man Kursachsen in dieses edictum oder dessen execntion gar nicht einmenge oder uff ihn verstehe, sondern hiervon separieret Aber dieses sollte hauptsächlich nur geschehen, ,damit man dadurch die execution des mehrangezogenen kaiserlichen Edictes im übrigen facilitiere und zu rühmlichem Effect desto leichter bringe*. Dass Kursachsen nicht für alle Zukunft sicher war, zeigt ein Schreiben Ferdinands an Maximilian vom 19. September 1629, worin er dessen Rath wegen eines eingelangten kursächsischen Protestes erbittet, damit nicht etwa Kursachsen selbst oder andere evangelische Stände sich durch diesen Protest ,inkünftig in ihren ver- meindtlich habenden Rechten auf alle begebende Gelegenheit versichert zu sein erachten oder halten mügen* (Theatrum Europ. IJ, S. 23; Londorp IV, S. 4; Münchner Staatsarchiv 4/4).

' ,Wenn er seines hergeliehenen Geldes halber contentiert* (die Berechti- gung dieser Forderung erkannte auch der kaiserliche Gesandte an) und seiner Stifter halber (hiebet ist freilich wohl Magdeburg mit gemeint) ,durch kaiserliche Handbrief 1 assecuriert würde, wolle er content er- scheinen, eher aber nicht*, sagte der Kurfürst am 7. Juli zu Tranttmans- dorff. Maximilian von Bayern rieth denn auch, da Knrsachsen, wie es scheine, nur ,in modo et forma eine mehrere Solennität und Sicherheit' begehre, wirklich ein derartiges jSolennes und authentisches Diplom* anszu.stellen , weil sich dann der Kurfürst ,anderer Händel gern ent- schlagen würde*. Es ist schwer zu begreifen, warum der kaiserliche Hof für gut fand, diesen Rath so ganz und gar unbefolgt zu lassen (das Gutachten Maximilians ist vom 13. September 1629; Münchner Staats- archiv 4 '4).

30*

456 Tnpets.

wünsche; er that dies natürlich in der Hoflfhung, als Gast des Kaisers seinen Wunsch nach ,mehrerer Versicherung der Stifter' leichter durchsetzen zu können; aber der Gesandte war so un- höflich, die Andeutungen des Kurfürsten nicht verstehen zu wollen. Charakteristisch ist auch der Rath, welchen Graf Trautt- mansdorff nach seiner Rückkehr dem kaiserlichen Hofe gab: ,Man möge,' sagte er, ,in der Restitution, namentlich von Magde- burg nur unbesorgt fortfahren; von dem Kurfürsten habe man ganz und gar nichts zu fiirchten/

Die Enttäuschung des Kurfürsten war um so grösser, je höher er selbst und seine Räthe ihre Hoffnungen gespannt hatten, als die Ankunft des kaiserUchen Gesandten in Aussicht stand; diese Enttäuschung spiegelt sich deutlich in den Worten ab, welche der Kurfürst vor dem Abschiede an den Gesandten richtete: ,Ihr habt mir keine mehrere Versicherungen meiner Stifter gebracht,* sagte er ihm, ,und habt noch obendrein meinem Kinde das Erzbisthum Magdeburg genommen/ Auch die übrige evangelische Welt war in Bewegung, als die Kunde von Trauttmansdorff's Gesandtschaft sich verbreitete, und es musste dem Kurfürsten wie Hohn klingen, wenn unmittelbar nach der Abreise des kaiserlichen Gesandten andere evange- lische Stände, darunter sein Schwiegersohn, Georg von Hessen, ihn inständig baten, er möge ihnen doch die gleichen Begünsti- gungen beim Kaiser erwirken, welche ihm selbst zu Theil ge- worden wären. * . Gerade gegen diese evangelischen Mitstände aber kehrte sich zunächst der Groll des Kurfürsten; man glaubte in Dresden bestimmt zu wissen, dass der Kaiser ursprünglich geneigt gewesen sei, die Wünsche Kursachsens zu erftülen,

1 So schrieb Christian von Anspach am 10. Juli 1629, er habe von der Gesandtschaft Trauttmansdorff gehört und vernommen, dass der Kaiser Korsachsen ,nochmalen mit versicherten protectoriis und conservatoriis über alle in kursächsischen Landen liegende geistliche Güter in optima forma woUe versehen lassen*; der Kurfürst mOge doch auch ihm solche protectoria erwirken. Georg von Hessen stellte dieselbe Bitte am 9. und 29. Juli und liess das zweite Schreiben auch von seiner Frau, der Tochter des KurfClrsten, unterzeichnen; etwas später, am 5. September 1629, bedauert er nur, dass sein Vater, Landgraf Ludwig, nicht auch wie Kursachsen ein Mühlhausner Versprechen erwirkt habe und er selbst also nicht wie sein Schwiegervater die Ausstellung einer kaiserlichen »Versicherung' hoffen könne (Dr. A. II, S. 256, 261, 432, 594).

. Der Streit um die geistlichen Oüter nnd das Restitationsedict (1629). 457

und man machte sich Vorwürfe, durch die Anhörung der übrigen Evangelischen diese günstige Stimmung am Wiener Hofe ver- dorben zu haben. ^

Aber es scheint denn doch, dass man allmälig am kur- Bächsischen Hofe zu begreifen anfing, dass in Wahrheit gerade das schwache und unwürdige Betragen des KurfUrsten an der Behandlung schuld war, die er erfuhr. Wenigstens wurden die neuerlichen Zuschriften der evangelischen Stände, deren Ein- treffen man allerdings nicht wohl hindern konnte, wenn man auch gewollt hätte, weniger abschlägig beantwortet als früher; der Kurfbrst legte sogar für den einen oder andern Stand beim Kaiser Fürsprache ein ; ja man entschloss sich endlich^ allerdings unter Zittern und Zagen, den Inhalt der vom KurfUrsten an den Kaiser abgesendeten, gegen das Restitutionsedict gerichteten Schreiben den übrigen Evangelischen mitzutheilen.^

1 ,£8 scheine^ heisst es in einer nndatirten ,Erwägung' (Dr. A., Rest. III, S. 111), ,da8s seit der Zeit, seit die evangelischen Fürsten und Stände bei Kursachsen ihre Beschwerden wegen des kaiserlichen Edicts an- brachten, . . . man sich am kaiserlichen Hofe nicht wenig alterirt habe ; denn es gebe die Erfahrung, dass die anfangs etwa fürgewesene Dispen- sation mit Ihrer Churf. Durchl. sich hernach ganz verloren und der- selben von der Zeit an immer härter und heftiger zugesetzt wird*. Von Wien aus suchte man natürlich den Kurfürsten in dieser selbstanklageri- schen Stimmung noch zu bestärken; so wurde ihm von dort berichtet, dass Graf Schwarzenberg und Dr. Wenzel bereits Auftrag gehabt hätten, mit einem kaiserlichen protectorium nach Kursachsen zu reisen, aber das Eintreffen der ,Bcharfen ProtestationsschriftS mit welcher der Kur- fürst die Uebersendung des Kestitutionsedicts beantwortete, habe dies wieder suspendirt. Ein kaiserlicher Rath sollte auch gesagt haben: Der Kurfürst thue dies nicht von selbst, sondern aufgewiegelt von den Correspondirenden, vornehmlich von den Reichs- und Hansestädten; es werde aber in diese Correspondenz bald ein Riss gemacht werden.

' Ein Schreiben an den Grafen Hohenlohe am 3. Mai 1630 bemerkt mit Befriedigung, dass die kursächsischen Räthe ,genugsame Information (dazu wir es Gottlob! gebracht) nunmehr wohl leiden mögend Die Mittheilung der kursächsischen Schreiben an den Kaiser hatte man darum gefahrlich gefunden, weil dieselbe einer ,Aufreizung zum Un- gehorsam* gleiche; insbesondere der Präsident SchOnberg, der aber eben damals starb, hatte sie aus diesem Grunde bekämpft. Am 5. und 8. No- vember 1629 erfolgte indess doch die Mittheilung der Schreiben vom 8. Mai, 16. Juli und 25. August zuerst an Georg von Hessen, dann auch an Christian von Brandenburg- Anspach u. A. (Dr. A., Rest. lY, S. 410; lO, S. 111); nur das erste, gar zu selbstsüchtige und für Kursachsen gerade

458 Tupetx.

Für die Ungeduld der unmittelbar von den Restitutionen Betroffenen war aber natUrlieh das Alles ungenügend; das Mindeste, was die Herzoge von Wüi'temberg und Braunschweig, der Markgraf von Brandenburg- Anspach u. A. für nöthig hielten, war eine gemeinschaftliche Gesandtschaft aller evangelischen Stände an den Kaiser, um die Zurücknahme des Edictes zu erwirken. Eine Bitte, in dieser Form gesteUt man könnte sie mit den Sturmpetitionen der neuesten Zeit in Vei^leich bringen enthielt allerdings auch halb und halb eine Drohung flir den Fall, dass die Bitte nicht gewährt wurde; aber was blieb den Evangelischen, wenn sie nicht freiwillig auf die Güter Verzicht leisten wollten, im Grunde Anderes übrig? ,Mit be- harrlicher Geduld/ schrieb der Herzog von Würtemberg an Kursachsen, ,sei es nicht möglich, das Uebel abzuwehren; wohl dürfe man, wie der Kurflirst immer und immer wieder empfahl, auf Gottes Hilfe vertrauen, aber Gott helfe nur durch »mensch- liche Mittel^«

Im Sinne des furchtsamen Kurfürsten indess waren solche Pläne auch jetzt nicht. Seine Hoffnung, vom Kaiser eine Ausnahms- Stellung gegenüber den anderen evangelischen Rcichsständen zu erhalten, war zwar etwas gesunken, aber ganz aufgegeben hatte er sie doch nicht. Es machte daher noch immer Eindruck auf ihn, wenn ihm seine Räthe vorstellten, dass eine gemeinsame Gesandt- schaft aller EvangeUschen die Katholiken veranlassen könnte, ,zwischen submittirtcn und nicht submittirten, meritirten und nicht meritirten' künftig kcipcn Unterschied zu machen und alle zur Restitution zu zwingen. Und wenn nun gar der Kurflirst die jenigen betrachtete, die ihn zu dem gemeinsamen Schritte auf- forderten, so schwand ihm erst recht die Lust, auf ihr Ver- langen einzugehen. Die Meisten waren Mitglieder der Union gewesen ; sie hatten bereits bewiesen , dass sie nöthigcnfalls auch vor Aufruhr und Empörung nicht zurückschreckten: Johann Georg fühlte sich beinahe entehrt, wenn er sich in

in den Augen der protestantiHchen Mitstände weni^ ehrenhafte Schreiben Tom 5. April wunie auch jetzt noch zurückgehalten. 1 Würtemberg an Kursachsen, 2U. December 1629; Kursachsen an Würtem- berg, 2 4. April 1629; ein undatirtes Schriftstück über die Conjunctur sfimmtlicher evangelischer Stände (Dr. A., Rest. I, S. 135, 139; IH^ S. 479; 8093/279).

Der Streit am die geistlichen Gfiter und das Restitntionsedict (1629). 459

solcher Gesellschaft dachte. Nur für seine sächsischen Vettern woUte der Kurfürst, obwohl er auch mit ihrem Verhalten nicht durchaus zufrieden war, als Verwandter und Kreisoberster mit grösserem Nachdruck eintreten; die evangelischen Stände in den übrigen Kreisen dagegen mochten sich helfen, so gut sie konnten.

Das geschah denn auch. Statt der allgemeinen Gesandt- schaft, welche durch Kursachsens Weigerung unmöglich ge- worden war, begaben sich zwei kleinere, entsendet von den evangelischen Ständen des schwäbischen und fränkischen Kreises, an den kaiserlichen Hof, mit der doppelten und beinahe unlös- bar scheinenden Aufgabe betraut, zugleich die Einstellung der Restitutionen und Abhilfe gegen die Bedrückung der kaiserlichen Soldatcsca zu erwirken. Aber gerade, dass sie nicht das reli- giöse Anliegen allein vorzubringen hatten, ebnete ihnen in un- verhoffter Weise die Wege. Von den Feinden Waldstein's, die auch in der Umgebung des Kaisers zahlreich genug waren, von Wolf von Mansfeld, von CoUalto u. A. wurde ihre Ankunft mit Freuden begrüsst und nur bedauert, dass sie nicht früher gekommen wären, um ihre Klagen und Bitten mit denen der Ligistcn, deren Gesandte sich kurz zuvor zu dem gleichen Zwecke in Wien befunden hatten, zu vereinigen. Aber auch für ihre religiösen Forderungen fanden sie in Folge der unter den Katholiken eingerissenen Parteiung ein geneigteres Ohr, als man unter anderen. Umständen hätte erwarten dürfen. Gerade damals war der Reichshofrath im heftigsten Kampfe gegen die ligistischen Bischöfe wegen der Ansprüche, welche diese auf die restituirten Güter glaubten erheben zu können, und Viele, die den Restitutionen zugestimmt hatten, in der Hoffnung, sie für den Kaiser und seine Räthc ausbeuten zu können, bereuten mm diesen Schritt, da der gchofftc Gewinn sich als ein frag- licher herausstellte.' Uebrigens waren die evangelischen Ge-

1 ,Wenn das Edict nicht schon heranssen wäre,* berichteten die schwäbi- schen Gesandten, ,würde es vielleicht nicht mehr herauskommen; denn je läng^er, je mehr finde man, dass man es besser hätte auslassen sollen.* Ob und inwieweit zur Verstärkung^ dieser den Evanp^elischen günstigen Btimmnng auch die Oeschenke beitrugen, mit welchen die Gesandten die höheren kaiserlichen Beamten im Falle eines glücklichen Ausganges auszeichnen sollten (die fränkischen Gesandten waren beauftragt, in

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sandten so klug^ weniger das Restitutionsedict selbst^ als viel- mehr die Commissäre anzugreifen, welche dasselbe zur Ausführung brachten. Sie behaupteten von denselben, dass sie auch den gerechtesten Einwendungen der Evangelischen kein Gehör schenkten, dass sie entgegen dem kaiserlichen Befehl Besitz- fragen vor ihr Tribunal zögen, welche durchaus nicht notorisch, sondern schwierig und verwickelt seien und über welche daher nur das Eiimmergericht giltig entscheiden könne, mit einem Worte, dass sie, auf die Unterstützung der kaiserlichen Truppen sich verlassend, ganz willkürlich gegen die evangelischen Stände vorgingen: ,sie schneiden die Pfeifen, weil sie im Bohr sitzen^, sagte einer der Gesandten. Das aber bot dem Reichshofrath willkommene Gelegenheit, den ihm feindlich gesinnten Bischöfen von Augsburg und Würzburg, von Constanz und Bamberg ,den Zaum kürzer zu hängend ^ Die Restitutionscommissäre wurden

diesem Falle jedem der vornehmsten ^Officiere* ein Fuder, den übrigen drei oder zwei FUsser Wein, den Secret&ren, Cancellisten u. dgl. aber Geld sn schenken), ist schwer eu sagen. Im Bufe der Bestechlichkeit standen die kaiserlichen Käthe ebenso wie die der meisten anderen Fflrsten jener Zeit; auch dor Bischof von Osnabrück klagt einmal, dass ,es Pragae also hergeht und alles erhalten wird parva reputatione, sola pecunia'. Bekannt ist auch die von Hurter allerdings angefochtene Erzählung von der Bestechung Lämmermann*s durch den Herzog vom Würtemberg mittelst einer Ladung Nekarwein (Brief aus Wien [nndatirt]; Neben- memorial für die fränkischen Gesandten; Protokoll der schwäbischen Gesandten Dr. A., Rest. II, S. 542, 244; III, S. 51; II, S. 89; Theatrom Europ. II, S. 36; Hurter X, S. 57 gegen Pfister). * Gegen den Religionsfrieden werde man nichts zulassen und auch den Commissären ,den Zaum nicht allzu weit verhängen,* sagten die kaiser- lichen Räthe nach dem Berichte der fränkischen Gesandten an den Markgrafen Christian von Brandenburg. In einer Gegenvorstellang der schwäbischen und fränkischen Bischöfe (August 1629) wird die Nach- giebigkeit gegen die Evangelischen unter Anderm damit bekämpft, dass in diesem Falle auch der Kurfürst von Sachsen seine dem Kaiser so unbequemen Ansprüche auf Magdeburg wieder stärker hervorkehren würde. Von den kaiserlichen Räthen soll besonders missbilligt worden sein das Vorgehen gegen die in der Weissenburger Vogtei liegenden Reichsdörfer, das gegen Lindau, nach dem Theatrum Europ. auch das gegen Augsburg (Dr. A., Rest III, S. 22, 28, 32, 120; II, S. 544; Theatrom Europ. II, S. 37, 39, 274). Vortheil versprachen sich die fränkischen Gesandten auch von der Denuncirung der Reden eines gewissen Popp. welcher von den fränkischen Restitutionscommissären nach Wien g^

Der Streit um die geistlichen Gflter und du BeMtilationsediet (1689). 461

daher angewiesen, künftig keine Klage mehr anzunehmen, welche bereits* beim Kammergericht oder beim Reichshofrath anhängig gemacht worden sei (23. August 1629). Freilich wurde diese Begünstigung der Evangelischen theilweise wieder auf- gehoben dadurch, dass gleichzeitig an das Kammergericht der Befehl erging, sämmtliche Klosteracten durchzusehen und die- jenigen, in welchen die Thatsache der Einziehung des Klosters nach dem Passauer Vertrag von den Evangelischen selbst zu- gestanden würde, den Restitutionscommissären zur sofortigen Amtshandlung abzutreten; aber Zeit gewonnen war damit flir die Evangelischen immerhin. Den Commissären wurde ausser- dem nochmals eingeschärft, mir über wirklich notorische Fälle selbst zu entscheiden; über Alles, was tiefere Nachforschung (altiorem indaginem) nöthig mache, sollten sie zuvor an den Kaiser berichten.

Dass dieses Zugeständniss keineswegs werthlos war, ob- gleich es die Evangelischen, wie sich denken l&sst, nicht ganz befriedigte, zeigt am besten die Aufnahme, welche demBelben von den Restitutionscommissären, insbesondere jenen des fränki- schen Kreises zu Theil wurde. ,Wenn man das eigene Be- kenntniss der Evangelischen,' erklärten diese, ,als erforderlich betrachte, damit die Besitznahme nach 1552 notorisch sei, so werde gar keine Execution mehr stattfinden können.^ ^ Auch den katholischen Kurfürsten, welche um diese Zeit in Mainz zusammenkamen, schien die kaiserliche Entscheidung als gleich- bedeutend mit der Einstellung der Restitutionen überhaupt.^

sendet worden war und die AoBrottang aller Lutheraner als das Ziel des Kaisers hingestellt haben sollte.

> Die fränkischen Restitutionscommissäre wünschten auch, wenn ihnen schon die Entscheidung ,in dubiis^ benommen sein solle, der Kaiser mOge wenigstens den zweifelhaftesten Punkt, betreffend das Interim, ein- für allemal selbst entscheiden, und zwar so, dass jene Evangelischen, welche das Interim angenommen hätten, ,eo ipso überwiesen seien und die Execution gegen sie vorgenommen werden kOnne*. ,Wenn die interimistische, der katholischen nicht zuwiderlaufende Lehret fügten sie hinzu, ,bei Rückforderung der Güter nicht in Betracht gezogen würde, so würde man im fränkischen Kreis überhaupt keine einziehen kOnnen' (die fränkischen Commissäre an den Kaiser 1630^o. T., Copie im Dr. A., Rest. IV, 8. 374).

> Von den geistlichen Kurfürsten berichtet ein Unbekannter am 4. October 1629 an Questenberg: ,Die Katholischen seind verdrossen, weU ihr Geld

462 Tiipi»u.

Auf alle Fälle konnten die scliwäbischen und fränkischen Stände mit dem Erfolge, welchen sie^ von Kursachsen im Stiche gelassen, durch eigene Thatkraft errungen, fürs Nächste zufrieden sein.

Um so kläglicher erscheinen daneben die fortgesetzten Versuche Kursachsens , denn doch noch durch Bitten eine Sonderbegünstigung zu erwirken, die es nicht mit den anderen Ständen zu theilen brauchte. Die Liga hatte nämlich sowohl brieflich, als auch durch den Grafen Wolkenstein neuerdings den lebhaftesten Wunsch zu erkennen gegeben, dass der Kur- fürst persönlich am Regensburger Convente Antheil nehmen möge und, um ihn geneigt zu stimmen, auch Zugeständnisse in Bezug auf die Restitutionen in Aussicht gestellt; ^ der Kuritirst hoffte nun, dass umsomehr auch der Kaiser, dem er ja durch seine Theilnahme am Convente und besonders durch seine Zu- stimmung zur Wahl des römischen Königs einen überaus werth voUen Dienst feisten konnte, zu Zugeständnissen bereit sein werde. Als daher im März 1630 der kaiserliche Gesandte

so Übel angelegt, dass man so bald nachg^elassen, die geisüicheu Güter einzuziehu/ Kurkölii freilich fand am 0. October 1029 im Hinblick auf die von Holland, Schweden, Frankreich u. A. drohenden Gefahren (am 18. August 1629 eroberten die Holländer Wesel, nabmen dann, die Spanier verfolgend, Duisburg, Ruhrort und Essen, überschwemmten gsrnz Cleve, eroberten am 14. September auch noch HerKOgenbusch u. s. w.) die Fortsetzung der Restitution selbst nicht mehr unbedenklich (Chhimecky, Reg., Anhang S. 189; Klopp, Forschungen S. 115 und Tilly II, S, 35). ^ Kurmainz schrieb deswegen an Kursachsen am 20. December 1629; diese:! erwiderte am 9. Februar 1630, indem es sein Kommen davon abhängig machte, dass auch in den Restitutionen eine Milderung gewährt werde. Graf Wolkenstein, als bayrischer Gesandter zum Ligatage im Meii^ent- heim reisend, sagte dem Herzog von Würtemberg im Vertrauen, die Evangelischen möchten nur in der Frage der geistlichen Güter etwas Accommodation den Katholischen entgegentragen, dann würde man der Kriegspressuren wohl bald erledigt werden. Auch am 24. März schrieb er wieder an den würtembergischen Rath Dr. Löffler: Er hoffe, dass auf dem Convente, der unmittelbar bevorstehe, die Sache (wegen des Edicts) ,mit Bestand tractirt und mit aller Theilen guten Fügen werde verglichen, und hingelegt werden^; Kursachsen kOnne doch persönlich erscheinen, weil der Kaiser bezüglich dos Edicts auf dem Confrente eine »Moderation* versprochen habe (ähnlich auch am 15. April 1630; Christian von Anspach an Kursachsen 8. März 1630; Dr. A. 8093 An- hang; IV, S. 272, 364).

Der Streit um die geistlichen Guter iiad das Rcstitutionscdict (1629). 468

Adam von Waldstein am kurfürstlichen Hofe erschien, um der Vennähhing einer sächsischen Prinzessin beizuwohnen, * da fragte ihn der Kurfürst zuerst durch Boten, und als dies ver- geblich blieb, in Person auf das Angelegentlichste, ob denn der Kaiser ihm, dem Kurfürsten, gar keine ,Satisfaction für seine standhafte Trcue^ gewähren wolle. Der Gesandte ahmte das Beispiel TrauttmansdorfFs nach; auch er that, als verstehe er gar nicht, was der Kurfürst damit meine. Nun Jamentirte' dieser mit ,wässerigen Augen ^ dass er für alle seine Treue nichts als Briefe und Worte zum Lohn erhalten; von seinen Blutsfreunden und selbst von fremden Potentaten werde ihm dies vorgeworfen. Bedeutsam setzte er hinzu: ,Wenn der Kaiser ihn befriedigt hätte, so würde er jetzt wiederum dem Kaiser nützen können: nie habe das Haus Oesterreich treue Freunde mehr bedurft als eben jetzt.* Aber auch diese geheimnissvolle Andeutung blieb vergeblich; Waldstein hatte wirklich nichts zu sagen.«

Und der Kurfüi'st sollte noch schlimmere Erfahrimgen macheu. Kaum war Waldstein nach Wien zurückgekehrt, als auch schon in Magdeburg jene kaiserlichen Commissäre ein- trafen, welche bcaufti-agt waren» die Huldigung des Erzstiftes für den Sohn des Kaisers entgegenzunehmen. ^ In Folge des

* Nach einem Berichte des Quedlinburgiscben Gesandten vom 7. April 1630 hatte Waldstein neben dem offenen anch einen geheimen Auftrag, nämlich den, ku erforHclien, was es mit der Zusammenkunft der Erbver- briiderten, welclie in Wien sehr in die Augen gestochen habe, für eine Bewandtnis« habe (Dr. A., Kest. IV, S. 303).

3 Nach dem Berichte Waldsteins an den Kaiser (23. März 1630; Wiener Staatsarchiv, Retchstagsacten 8. 77) wies der Kurfürst unter Anderem auch auf die Belohnungen hin, welche andere Kurfürsten (natürlich war Kurbayem gemeint) vom Kaiser empfangen hätten und bemerkte, er habe auch schon Mittel vorgeschlagen, wie ihm Satisfaction zu Theil werden könnte, sie seien aber nicht angenommen worden. Es wäre interessant, diese Vorschläge zu kenneu, da sie vermuthlich den^, Preis darstellten, um welchen der Kurfürst gesonnen war, das Kestitutions- werk gewähren zu lassen. Mit ,woinenden Augen und klagendem Mundo' sprach er dann von der Krieg.sbedrücknng in Thüringen; auch von seiner Absicht, den Kaiser zu besuchen, war wieder die Rede.

' Man könnte meinen, der Kurfürst habe auf einen solchen Schritt des Kaisers vorbereitet sein müssen, da derselbe ja die Wahl des kuraächsi- sehen Prinzen nie anerkannt hatte; aber man war es eben gewohnt,

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hartnäckigen Widerstandes, welchen die Stadt Magdeburg den Waldstein'schen Truppen entgegengesetzt hatte, zum Theil aber auch aus Rücksichtnahme fUr Kursachsen hatte man diesen Schritt bis dahin noch verschoben; ' nun er doch geschah, wurde damit eine langjährige Hoffnung des Kurfürsten Yer- nichtet, und zwar ohne dass, wie er nach seinen Verdiensten um den Kaiser wohl hätte erwarten können, ihm eine ähnliche Entschädigung in Aussicht gestellt wurde, wie man sie in Wien gegenüber den postulirten Bischöfen und Erzbischöfen von Bremen, Minden und Ratzeburg billig gefunden hatte. War denn, konnte man fragen, der Kurfürst von Sachsen minder treu gewesen als Jene? Oder war der Verlust von Magdebui^ leichter zu verschmerzen als der von Minden oder Ratzeburg? Und was schlimmer war, der Kurfürst musste sich sagen, dass, wenn man ihn in der einen Frage nicht mehr schonte, man wohl bald überhaupt aufhören würde, Rücksicht gegen ihn zu üben, und dass, was jetzt in Magdeburg geschah, über kurz

dass solche kaiAerliche Abmahnungsschreiben nur pro forma, nnd ohne weitere Folgen zu haben, erlassen wurden, und so, hatte der Kurf&nt gemeint, werde es auch bei ihm der Fall sein (vgl. Heyne, KurfÜrsten- tag in Regensburg, S. 30). 1 Als TrauttmansdorfF schon im Juli 1629 zur Vornahme der Execution rieth, hatte der Reichshofrath dagegen Bedenken erhoben (28. Juli 1629) : Trauttmansdorff stütze sich darauf, dass Kursachsen keinen Widerstand leisten werde, dies könne aber jetzt, ,da sich in Magdeburg vieles alte- riert, die Stadt noch stftrker opponiert . . und sich gleichsam zu Öffent- licher Resistenz erklKrt, leicht fehlen und umschlagenS Bei einer Be- rathnng der Restitutionscommissäre (23. December 1629) siegte noch die Meinung Waldstein^s nnd des Bischofs von Osnabrück, welche abriethen, gegen die Hye*s. Im April 1630 aber war man, wie der Hauptmann von Quedlinburg an Kursachsen berichtete, zu Wien ,gar beherzt nnd muihig^; der Vicekanzler soll damals erklärt haben, man sei allen aus- wärtigen Feinden und auch denen, welche mit ihnen im Reiche ein- verstanden wären, gewachsen; man kOnne also das Eidict ,cum summa autoritate ezsequieren*. Die Commissäre in Magdeburg waren Reinhard von Mettemich, als Administrator von Halberstadt, nnd Reichshofrath Hämmerle; dem Kurfürsten von Bayern zeigte der Kaiser ihre Abreise durch den Abt von Kremsmünster an, welcher zugleich die Aechtang der mecklenburgischen Herzoge durch die Noth wendigkeit , die reeti- tuirten Stifter zu schützen, entschuldigen sollte (Klopp, Tilly II, 8. 205 und Forschungen S. 121; Dr. A., Rest IV, S. 303; Wiener Staats- archiv, Reichstagsacten).

Der Streit um die geistlichen Güter und dan Reetitutionsedict (1629). 465

oder lang vielleicht auch seinen übrigen Stiftern widerfahren würde.' Die beharrliche Weigerung des Kaisers, ihm diese Stifter förmlich und feierlich zu »versichern*, erhielt durch die Restitution von Magdeburg blitzartig eine neue^ für den Kur- fürsten erschreckende Beleuchtung. Das Verhalten des Kur- fürsten wurde denn auch durch dieses Ereigniss sofort in fühl- barer Weise geändert. Auch er schickte nun eine Gesandtschaft nach Wien/^ und er befahl ihr, eine bestimmtere Sprache zu fuhren, als man »sie bis dahin am kaiserlichen Hofe von Seite Kursachsens gehört hatte. ,Ihr Herr/ sollten die Gesandten sagen, ,sei der Ansicht gewesen, dass die Katholiken auch im Falle eines Sieges die Augsburger Confession würden bestehen lassen; durch offene Briefe und mit seinem kurfürstlichen Worte habe er dafür seinen Glaubensverwandten gegenüber Bürgschaft übernommen, und auf katholischer Seite habe man ihm nicht nur nicht widersprochen, sondern ihn sogar deshalb belobt. Nun sei die Zeit gekommen, jenes Wort einzulösen.' Fast prophetisch klang die Erinnerung, dass das ,Glück kugelrund sei,^ und dass es ,den Allerglückseligsten und Sieghaftesten, wenn

1 Da«s Magdebnrg der verwundbare Fleck Karsachsens sei, hatte Wald- stein schon 1626 erkannt: ,Ich weiss nicht, ob*s Ihre Majestät wissen,' schreibt er am 7. Januar (Tndra, Br. Waldsteins an Harrach, Fontes II, 8. 41, 315), ,dass die Tnmherm aldar (in Magdeburgs) des Kurfürsten von Sachsen mittelsten Sohn zu einem Coadjutor postulieren . . . darumb bitt ich, man gehe gewahrsam umb, denn wir hetten nacher so viel Kriegs, dass wir gewiss nicht könnten resistieren; denn mit interesse dela roba muss man mit ihm nicht scherzen/ Das Vorgehen in Magde- burg war denn auch in der Instruction der kursächsischen Gesandten, sowohl derjenigen, welche nach Wien, als jener, welche nach Begens- burg gingen, der Hauptgegenstand der Klage. Charakteristisch ist, dass gleichzeitig das Gerücht auftauchte, dem Kurfürsten von Sachsen sei auch die Lausitz zur Fortsetzung der Reformation abgefordert worden, worauf natürlich Kursachsen die Schuld von sechzig Tonnen Goldes gekündigt haben sollte (Schreiben an den Grafen von Hohenlohe, 3. Mai 1630; Dr. A., Rest. IV, S. 410).

^ Die Absendung der Gesandtschaft hatte übrigens. Kursachsen schon am 18. März 1630 den fränkischen Ständen versprochen; erneuert wurde die Zusage gegenüber den schwäbischen Ständen (7. Bfai 1630) mit der Begründung: ,weil so viele hochansehnliche Stände darum ersuchen*. Gleichzeitig protestirte der Kurfürst sowohl gegenüber den kaiserlichen Gommissären, als auch gegenüber dem Kaiser selbst gegen die Resti- tution in Magdeburg (Dr. A., Rest. IV, S. 266, 347; 8093).

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sie demselben am meisten getraut und sie desselben am nöthigsten bedurft, den Rücken gekehrt habe.'

Aber in Wien hatte nun schon nicht mehr die weltlich gesinnte Partei Waldstein's , welche immer eine vorsichtige Behandlung Kursachsens empfohlen hatte, die Oberhand, son- dern die dem kaiserlichen Feldhorrn feindliche, mit den Ligisten verbündete, welche rücksichtslose Fortführung der Restitutionen forderte. ,Wenn man einen bösen Nachbar habe,' Hess sich der kaiserliche Beichtvater damals vernehmen, ,8o dürfe man nicht trachten, ihn stark und fett zu machen, sondern müsse dahin streben, dass er wie von einem hektischen Fieber ge- schwächt und verzehrt werde. Auch Israel sei vom Herrn gestraft worden, weil es mit fremden Völkern Frieden ge- schlossen; Belial könne mit Christus nicht conjungirt werden. Es gibt keinen Frieden mit den Gottlosen, sagt Jehova.' Selbst der Einwand, dass man Kursachsen versöhnen müsse, um die Wahl des Erzherzogs Ferdinand zum römischen Könige zu ermöglichen, verfing nicht. Die geistlichen Rathgeber des Kaisers gestanden zu, dass auf diese Weise die Wahl leichter zu Stande kommen würde; ,abcr die WahlS sagten sie, ,wäre in diesem Falle nicht so, wie es die Erhaltung der Kirche und der katholischen Religion verlangt'. Unbedenklich also stellte man das kirchliche über das Staatsinteresse, selbst der Lieblings- wunsch des Kaisers musste zurückti*eten, damit das Restitutions- edict in Kraft bleibe.^

^ Aehnlich hei&ft ob in dem bekannten evanpfelischon , Bedenken* über das RestitntionBedict (Theatrum Enrop. II, S. 14H): Die Ztiversicht der Gegner bemhe einzip* und allein anf den Waffen; ,nnn wohlan! p<> werde es vieHeicht ftinmal beissen, wie Aemilins Probns aa^e: Nimia armonim fidncia mnximae calamitatin initium esse solet; nnd würde Gott etwann dermaleins einen Abner en\'eoken, welcher auftreten nnd dem andern gfrimmigen Haufen zuschreien würde: Num ad internecionem mucro veRter saeviet in no» an nescitis, quod amaritudo sit in novissimo et periculosa desperatio?' (K<5n. *2, 20). Die knrRachsiAchen Gesandten sollten übrigens auch den ältesten Sohn des Kaisers anfsuchen nnd ihm «angenehme Dienste und Freundschaft* versprechen, letzteres natörlich als eine schwache Hindeutunjj auf die eventuelle Wahl zum römischen Könige (die Instruction der Gesandten, 14. Mai IdHO- Tlieatnim Enrop. II, S. 121; Londorp IV, S. 40; Dr. A. 8105/24).

2 Nach einem Schriftstück, betitelt: , Argumenta, quibus compositio catho- Hconim cum protostantibus snadetur et contra*, welches undatirt ist,

Der Streit am die geistlichen Güter und das Restitutionsedict (1629). 467

Die kursächsischen Gesandten vernahmen denn auch gleich bei ihrer Ankunft, dass ihr EintreflFen dem Kaiser nichts weniger als angenehm sei. Am 23. Mai 1630 hatten sie Audienz; Fer- dinand hörte, an ein Tischchen gelehnt, den sehr langen Vor- trag der Gesandten ,mit allergnädigster Geduld* an, verwies aber statt aller Antwort auf den Regensburger Convent, wo diese und alle anderen Beschwerden würden erörtert werden. Zu diesem Convente wurde überhaupt in Wien aus allen Kräften gerüstet, und inmitten der Reisevorbereitungen gelang es den Gesandten nur schwer, sich bei den verschiedenen Räthen des Kaisers Gehör zu verschaflfen; ^ überall aber hörten sie, dass an eine Zurücknahme des Edicts auch nicht einmal ge- dacht werde. ,Selbst wenn der Kaiser wollte,' sagte Trautt- man8doi*ff, ,so kann er das Edict nicht mehr widerrufen, weil die Katholischen durch dasselbe ein Recht erworben haben, das ihnen ohne ihre Zustimmung nicht wieder genommen werden kann.' 2 Als der Kaiser schon unterwegs war, überreichten die Gesandten noch eine Replik, welche Strahlendorf nicht annehmen wollte, weil sie am Schlüsse eine ,8charfe Prote-

aber seinem Inhalt nach jedenfalls in die Zeit kurz vor dem Regens- burger Convent fallt (Dr. A., Rest. III, S. 266). Ob sich dieses Proto- koll (denn ein solches ist es) auch im Wiener Archiv findet, ist dem Verfasser unbekannt, und so ist allerdings die Echtheit desselben nicht über allen Zweifel erhaben; ganz ähnliche Gesinnungen sprechen sich indess auch in der bekannten Predigt aus, welche P. Weingarten auf dem Regensburger Convente vor dem Kaiser hielt (Ranke, Wallen- stein VI, S. 142).

' ,Man möge doch um eines Wonigen und Geringen willen/ sagten sie zu einem dieser Räthe, ,da8 etwann einer oder der andern catholischen Person, Stand oder Orden in particulari zuwachsen möchte, das Univer- sum nicht in solche Gel'ahr setzen^ (Berichte der kursächsischen Ge- sandten vom 21., 25. und 29. Mai und 10. Juni 1630; kaiserliche Re- solution vom 26. Mai und der Kaiser an Kursachsen, 27. Mai; Dr. A. 8105/24; Theatrnm Europ. D, S. 127; vgl. Heyne, KurfKrstentag in Regensburg S. 40).

^ Auch in Regensburg äusserten sich die kaiserlichen Räthe ähnlich: ,Des Edictes solle lieber kein Mensch gedenken,' sagte Graf Fürstenberg, ,anch nicht eine Hand breit werde der Kaiser davon weichen, lieber wolle er im Hemde davon gehen,* und ein anderer kaiserlicher Rath erklärte: ,Se. Majestät wolle eher Weib und Kind, Krone und Scepter verlassen, als von dem publicirten Edict und seiner Execution weichen' (Heyne, KurfUrstentag in Regensburg B. 160).

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Station' enthielt; die Gesandten reisten jedoch ab, und der Protest blieb in den Händen der kaiserlichen Minister.

Die nächste Folge dieser unglücklichen Gesandtschaft war, dass die Jubelfeier der Ueberreichung der Augsbuiger Confession, welche am 25. Juni (5. Juli 1630) stattfand, einen dem Eatholicismus feindseligeren Charakter erhielt, als ur- sprünglich beabsichtigt warJ Noch wichtiger jedoch wurde der Misserfolg der Gesandtschaft Air den Regensburger Convent Die beiden Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg nämlich hielten sich nun nicht nur selbst vom Convente fem, sondern schickten auch ihre Gesandten ziemlich spät zu demselben und befahlen ihnen, den Verhandlungen gegenüber eine reser- virte, dem Kaiser aber natürlich im Ganzen nicht günstige Haltung einzunehmen.^ Unglücklicher Weise erstreckte sich diese Zurückhaltung auch auf den Verkehr mit den übrigen evangelischen Gesandten; insbesondere die kursächsischen Räthe wagten ohne ausdrückliche Zustimmung ihres Herrn nicht den geringsten bedeutenderen Schritt zu thun, und was noch schlim- mer ist, sie erschwerten durch eine übel angebrachte Geheim- thuerei das Vorgehen der anderen evangelischen Stände in der

> Die Ankündigung dieser Säcularfeier durch die Universität Wittenberg lautete noch sehr friedlich: ,Manche/ hiess es darin, ,bätten freilich lieber gesehen, dass der Korfttrst von Sachsen anstatt der Schreibfeder die Klinge ergriffen und sich zu Felde gelegt hätte, als ob dies der rechte Weg gewesen wäre, dem armen bedrängten evang. Deutschland eu helfen . . . Man habe aber gesehen, was für einen schlechten Ausgang es nimmt, wenn man unter dem Praetext der Religionsfreiheit wider die hohe Obrigkeit sich einlässt, oder den katholischen St&nden Ursach zur Gegenwehr an die Hand gibt.' Bei der Feier selbst dagegen wurde heftig gegen den Papst und nebenbei auch gegen die Calviner gewettert ; auch schloss sich an dieselbe ein heftiger Federkrieg fUr und gegen die Augsburger Confession (vgl. A. Menzel VII, S. 199; Majlath III, S. 8, 47).

^ Die beiden Kurfürsten fürchteten insbesondere, dass die Erlassnng des Restitutionsedictes durch einen Beschluss der katholischen Mehrheit des Kurfurstenconventes ausdrücklich gebniigt und so dem ganzen Ver&hren eine erhöhte Autoritfit gegeben werden konnte; indem sie daher einer- seits die Aufhebung des Edictes verlangten, widersetzten sie sich doch zugleich jedem Versuche, das Edict selbst zum Qegenstande der Be- rathungen der Kurfürsten zu machen. Doch ist damit das Verhalten der kurfürstlichen Gesandten gegenüber den übrigen Evangeliscben noch nicht gerechtfertigt (vgl. Heyne, Kurfürstentag in KegensburgS.36and7o).

D«r streit nm die geistlichen Qflter nnd das Restitationsedict (1629). 469

unnöthigsten Weise. Zum Glück fiir die Evangelischen nahm gerade auf dem Convente der Zwiespalt zwischen Kaiser und Liga^ der ihnen schon einmal von Nutzen gewesen war, die denkbar schroffsten Formen an^ und insbesondere der Liga musste^ solange Waldstein noch nicht gestürzt war^ die Bundes- genoBsenschaft der Evangelischen überaus ei-wünscht sein. Dazu kam, dass während des Conventes derjenige den deut- schen Boden betrat^ auf den nach einem classischen Ausspruch WaJdstein's die Protestanten gewartet hatten ,wie die Juden auf ihren Messiam^; ^ und dass die Fortschritte, welche der Schwedenkönig gleich nach seiner Landung in Pommern machte, den Muth der Evangelischen ebenso erhöhten, wie sie geeignet waren, den ihrer Gegner herabzustimmen. Schon vernahm man, dass der Kurfürst von Sachsen Einladungen zu einem Convente aller evangelischen Stände erlassen habe, ja dass er mit dem KurfUrsten von Brandenburg über einen Kriegsbund unter- handle, der, wenn er auch zunächst eine neutrale Stellung zwischen dem Kaiser und dem König von Schweden einnehmen sollte, doch dem Letzteren offenbar weit günstiger war als Ersterem.^ Diesen Umständen hatten es die kleineren evange- lischen Stände zu verdanken, wenn sie, von den beiden pro-

1 Waldstein an Collalto, 8. September 1629 (Chlamecky, Reg., Anhang S. 172). Wie sehr schon vor der Landung des SchwedenkOnigs alle Hoffnungen auf ihn gesetzt waren, zeigt unter Anderem der Brief eines evangelischen Qesandten an Hohenlohe (3. Mai 1630), in welchem als das grösste Unglück, welches die evangelischen Stände treffen konnte, angeführt wird: ,wenn auch der Friede mit Schweden, wie es heisse, zu Stande komme^ Auch Kursachsen machte sich sogleich die Ankunft der Schweden zu nutze, indem es gleichzeitig mit der Meldung der- selben die Aufhebung des Restitutionsedictes begehrte. ,Die Ursachen,* sagte der Kurfürst in seinem dritten Anbringen beim Regensburger Con- vent (3. September 1630), ,weshalb Schweden die Expedition unter- nommen, seien ihm zwar unbekannt; vielleicht aber machte auch sel- bigen König nnd andere Benachbarte der unerhörte conturbierte Zustand des Reiches nnd dass die deutsche Freiheit unbeachtet aller so fest vinculierten Oesetze also bedrucket., nicht wenig mit dazu beweget haben* (Dr. A., Rest. IV, S. 410; Theatrum Europ. II, S. 194).

' Die Unterhandlungen hierüber zu Annaburg (16. 21. April) nnd Zabel- titz (2. 5. September), die ersten Einladungen zum evangelischen Con- vent am 3. September 1630 (Berliner Staatsarchiv 12/56— 57 und 61/77; Vt. A., Rest. VI, S. 294). Sitenngsber. d. phil.-hist. Cl. CIL Bd. 11. Hft. 31

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testantischen Kurfürsten sich selbst Überlassen und dadurch gleichsam führerlos geworden, doch einen, wenn auch unbe- deutenden Erfolg auf dem Convente davontrugen. Nachdem nämlich mehrere andere Versuche vergeblich geblieben waren, wurden sie endlich im September von den Katholiken selbst aufgefordert, Friedensvorschläge zu machen, und überreichten, dieser Aufforderung folgend, eine Denkschrift, welche von dem Hessen - Darmstädtischen Kanzler Wolf ausgearbeitet worden war,^ und von der man mit Recht hoffte, dass auf Grundlage derselben eine Verständigung möglich sei. Zu diesem Zwecke boten die Stände ein grosses Opfer an, nämlich die Rückgabe aller jener Erzbisthümer und Bisthümer, welche noch 1555 aus- schliessUch katholisch gewesen, femer die Abtretung aller reichs- unmittelbaren und endlich auch jener mittelbaren Klöster, welche nachweisbar erst nach 1555 eingezogen worden waren.^ Allerdings war diese Rückgabe nicht bedingungslos; man verlangte vielmehr bei den reichsunmittelbaren Klöstern, dass diese ihre Reichs- unmittelbarkeit über jeden Zweifel erhaben sein müsse, was gewiss nicht bei allen der Fall war; man verlangte femer, dass bei den mittelbaren Klöstern die Einziehung nach dem Religionsfirieden vom Kläger bewiesen werden müsse, und dass dieser Beweis als

^ Schon am 24. August 1630 hatten die firänkiBchen Stftnde ein Memorial ttberreicht; aber Kurmains hatte erwidert: ,Die Petition sei su weit extendirt; man wolle nämlich darin den Kaiser zur EinsteUang der Execution und zu gütlichen Mitteln bewegen, dahin doch die Propo- sition nicht im Geringsten gelautet.* Später aber drängte gerade Kur- mainz auf schleunige Abfassung der evangelischen Vorschläge und swar^ ,weil sonst leicht ein nachtheiliger Schhiss gemacht werden konnte, durch den die ganze Unterhandlung unmöglich würdet Die Gesandten Georgs von Hessen suchten darauf für ihr Elaborat auch die Zustim- mung der kursächsischen zu erlangen; da aber dieses vergeblich blieb, so überreichten sie dasselbe auf eigene Faust, freilich nicht als Vor- schlag aller evangelischen Stände, nicht einmal als solchen des Land- grafen von Hessen, sondern nur als ,ganz un vorgreif liehe Meinung' (Markgraf Christian von Brandenburg an Kursachsen, 31. August; Be- richt der kursächsischen Gesandten, 1. October 1630; Dr. A., Best. VI, S. 9; V, S. 340; Vi^iener Staatsarchiv, Kriegsacten 38; Theatrum Europ. II, S. 213; Londorp IV, S. 103; Senkenberg V, S. 201; Heyne. Kurfürstentag zu Regensburg, S. 165 ff.).

2 Von den Hochstiftem handelte der 13.- -15., von den reichsunmittel- baren KlOstem der 11. und 12., von den mittelbaren der 4. 7. Punkt

Der Streit am die geistlichen OQter und das Restitutionsedict (1829). 471

misslungen gelten sollte, weiui das betreffende Erlöster schon im Jahre 1Ö55 neben dem katholischen auch evangelischen Gottes- dienst gehabt oder wenn ihm schon damals die freie Vermögens- verwaltung entzogen oder die Aufnahme neuer Mönche und Nonnen untersagt gewesen sei. * Es mag bei den EvangeUschen die Meinung gewesen sein, durch diese Einschränkungen den grössten Theil des eben gemachten Zugeständnisses wieder zurückzunehmen, aber von Werth blieb dasselbe doch. Den Katholiken öffnete sich immerhin die Aussicht, zwar nicht alle angestrebten Restitutionen, aber doch einen nicht unbeträcht» liehen Theil derselben mit Zustimmung der Evangelischen und also auf friedlichem Wege durchzusetzen; auch konnten ja jene Beschränkungen im Laufe der Unterhandlungen noch abge- ändert oder auch gänzlich beseitigt werden.

Was die Evangelischen als Gegenleistung beanspruchten, war in jeder Hinsicht massig. Zunächst suchte man auch den Calvinisten eine Art beschränkter Duldung zu verschaffen, in- dem man vorschlug, die Ekitscheidung darüber, wer evangelisch sei oder nicht, den Evangelischen selbst und insbesondere dem Kurfürsten von Sachsen zu überlassen; die Calvinisten, vom Kaiser mit völliger Ausrottung bedroht, sollten also in Hin- kunft ihr Dasein der Gnade ihrer lutherischen Glaubensvettem zu verdanken haben. Man verlangte ausserdem, dass das In- terim bei Entscheidung der Frage, wem ein Stift oder Klloster gehöre, nicht mehr in Betracht komme. ^ Diese Forderung war an sich allerdings von grösserer Tragweite; denn gerade auf Grund des Interims waren in Schwaben und Franken die meisten Restitutionen erfolgt. Aber die Frage, ob das Interim trotz des Augsburger ReUgionsfriedens und trotz der clausula cassatoria in demselben noch giltig sei, war eine so bestrittene, dass man in diesem Punkte noch am ehesten ein Zugeständniss von den Katholiken erwarten konnte, vorausgesetzt, dass die-

> Aach in der Richtung war das Zngest&ndniss beschränkt, dass sich die Restitution nur auf die Ausfolgung der Einkünfte, nicht aber auf das Recht, die KlOster zu bewohnen und Gottesdienst darin zu halten, be- ziehen (9. Punkt), und dass den Protestanten an den restiiuirten Ofitem ein Rückkaufsrecht eingerftumt bleiben sollte (10. Punkt).

« Von den Calvinisten handelte der 1., von dem Interim der ». Punkt

der hessischen Vorschläge.

31*

472 Tnpetz.

selben überhaupt Zugeständnisse machen wollten. Den Kur- fürsten von Sachsen und Brandenburg endlich die Verfasser der Vorschläge fUhlten sich verpflichtet, auch deren Interessen wahrzunehmen^ obgleich dieselben bei der Ueberreichung des Entwurfs nicht betheiligt waren dann auch dem Hause Hessen sollten ihre Stifter und Erlöster, einerlei^ ob rechtmässig oder unrechtmässig erworben, durch fUnfzig Jahre bleiben, ohne dass sie deswegen sei es gerichtlich, oder auch aussergerichtlieli belangt werden konnten: erst nach dieser Zeit sollte eine Klage wieder gestattet sein.^ Wenn den Katholischen wirklich, wie

* Für den Sohn des Kurfürsten von Sachsen wnrde zur Entschädigung für die Abtretung von Magdeburg die Einräumung einiger Aemter oder ein ^ansehnliches GelddeputaV verlangt. Weniger wichtige Punkte sind: der 33., der die Einsetzung eines aus beiden Cenfessionen zu gleichen Theilen zusammengesetzten Schiedsgerichtes forderte; der 27. und 28., welche die Beweislast immer den katholischen Kl&gem auferl^en wollten; der 26., nach welchem in den Reichsstädten die geistliche Ge- richtsbarkeit nur auf die katholischen Bürger sich erstreckte, die Reiciu- städte selbst dagegen auch in ihrem ,Territorium' reformiren durften u. s. w. Dass diese Vorschläge im Ganzen massig waren, zei||ft am besten der Tadel, den sie nachher bei vielen Evangelischen erfuhren. Selbst die Räthe Kursachsens, die doch sonst auch recht friedlichen Sinnes waren, fürchteten (8. Februar 1631), dass die Katholischen, weil man sich ,in vielen Punkten ziemlich weit ausgelassen*, um desto mehr for- dern würden; die kursächsischen Theologen aber sagten (10. Febmar 1631): ,Wenn die Punkte, von erfahrenen Männern vorher geprüft worden wären, würden sie entweder gar nicht oder doch in einer anderen Form übergeben worden sein*. Am meisten tadelte man die Anerkennung des geistlichen Vorbehalts, weil damit den Evangelischen Jede Gelegenheit^ den Schafstall Christi zu mehren*, entzogen würde, und die Abtretung: der Kloster, die ,ein rechter Speck auf die Falle und in Ewigkeit nicht zu verantworten sei' ; ,man dürfe*, sagten die Theologen, ,den MOncben nicht einen kleinen Finger reichen, sonst wollten sie die ganze Hand, man dürfe sich nicht selbst in einen Hohlweg sperren, sondern müsse auf freiem Felde bleiben*. Seltsam ist, dass trotzdem der bayerische Rath Graf Wolkenstein gesagt haben soll: die Vorschläge seien derart, dass die Evangelischen, ,wenn sie gleich eine grosse Feldschlacht gewonnen hätten, den Katholischen nicht mehr hätten zumuthen können*; doch fand Maximilian von Bayern selbst, dass sich über die Vorschläge unter- handeln lasse, und wenn eine Angabe der knrsächsischen Theologen richtig ist, so erkannte man die Massigkeit der Forderungen durch die That an, indem man dieselben, trotzdem sie vertraulich übergeben worden waren, sofort durch den Druck veröffentlichte, damit alle Welt von der Unter- werfung der Evangelischen Kenntniss erhalte (Dr. A., Rest. VII, 8. 212, 94).

Der Streit am die geistlichen Gflter und dtM Restitntionsediet (16S9). 473

sie so oft betheuerten^ an der Herstellung ^eines guten Vertrauens im Reiche' gelegen war^ jetzt, sollte man meinen, musste es sich bethätigen. Zeigten sie sich nachgiebig, so hatten sie einen immer noch bedeutenden, jedenfalls aber gesicherten Gewinn; lehnten sie ab, so konnten sie freilich noch Alles gewinnen, aber auch Alles verlieren. Niemand war im Stande, zumal nach Waldstein's Sturz, för den Ausgang des neuen Kampfes zu bürgen.

Aber die Ankunft des Schwedenkönigs wirkte im Anfange nicht auf alle Katholischen so einschüchternd, wie man im Hin- blick auf die späteren Ereignisse vermuthen würde, und wenn die Haltung der beiden protestantischen Kurfllrsten die Ver- muthung aufkeimen Hess, dass sie Lust hätten, ebenfalls auf die Seite Schwedens zu treten, so rief das bei Vielen eher Freude als Schrecken hervor. Mochten sie abfallen, dachten die katholischen Heisssporne, der Sieg über Schweden würde dadurch nur um so entscheidender.' Uebrigens fUrchtete man auf katholischer Seite nicht einmal, dass Kursachsen im Ernste einen so gewagten Schritt thun würde, und die Unterhandlungen, welche die kursächsischen Räthe mit den kurbrandenburgischen Anfangs September 1630 in Zabeltitz führten, zeigen, dass diese Auffassung richtig war. Kursachsen wies nämlich nicht nur das Bündniss mit Schweden entschieden zurück, weil es ,gegen Pflicht und Gewissen Verstösse', sondern lehnte sogar auch die Absendung einer Gesandtschaft an Schweden, um dieses zum Frieden zu mahnen, ab, imd zwar deswegen, weil dieselbe ,vom Kaiser und den katholischen Ständen nicht gutgeheissen werden könntet' Auch das Bündniss zwischen den Kurfürsten selbst kam nicht zu Stande; statt bewafiiieter Hilfe versprach Kur- sachsen nur, dass es, wenn Kurbrandenburg bedrängt würde, ,der Verwandtschaft und Erbeinigung mit demselben sich freund-

1 Würde der Defensor der evangelischen Beligion jetzo die Schanze ver- sehen und geschlagen werden, soll eine ,vornehme Person katholischer Religion^ gesagt haben, so möchten die Lutheraner ihr Felleisen fertig machen, denn sie würden sodann im «römischen Reich keine Herberge mehr finden* (Heyne, Kurfürstentag zu Regensburg, S. 14ö ; vgl. Ranke, Wallenstein VI, 8. 143). Charakteristisch für die ganze Stimmung der Zeit sind auch die Gerüchte von der Uebertragung Kurbrandenburgs an Waldstein, Würtembergs an Eggenberg u. s. w.

474 Tnpetz.

lieh erinnern wolle/ ' Solche Beschlüsse konnten den katho- lischen Ständen vorausgesetzt, dass sie ihnen bekannt wurden begreiflicher Weise nicht imponiren; da sie indessen die Evangelischen selbst zur Erstattung von Vorschlägen aufge- fordert hatten, so bleibt es immerhin auffallend, dass sie den- selben als Antwort auf die hessischen Punkte ein Schriftstück überreichten, welches eher einer Kriegserklänmg, als einem Friedensvorschlage glich. Nicht eine einzige Forderung, welche jemals von katholischem Munde ausgesprochen worden war, wurde darin zurückgenommen, Ungescheut erklärte man, dass die reichsunmittelbaren Stifter sämmtlich zurückgestellt werden müssten und wäre die Einziehimg auch noch so lange vor dem Passauer Vertrage und dem Religionsirieden erfolgt. Selbst die mittelbaren Klöster, welche vor dieser Zeit in die Hände der Evangelischen gekommen waren, sollten nur dann ihnen bleiben, wenn dieser Besitz von den Katholiken nicht bestritten gewesen, eine Bedingung, die vielleicht bei keinem einzigen protestantisch gewordenen Kloster zutraf; auch bedang man sich ausdrücklich das Recht aus, nach Belieben in die restituirten Klöster (ins- besondere in den Reichsstädten) entweder die alten Orden oder auch Jesuiten einzuftlhren.^ Mit einem Worte: man wich

1 Dass freilich Kursachsen doch auch schon begann, die Nothwendigkeit eines bewaffneten Widerstandes gegen das Restitutionsedict in Erwägung zu ziehen, zeigt seine Erklärung vom 6. September 1630 (Zabeltitz): ,Wenn man sich alle Mittel gegen das Restitutionsedict vorbehalte, so sei das remedium facti darunter nicht ausgeschlossen; nur müsse es in jure fundiert sein.*

' jWenn^zur^Zeit des Passauer Vertrages die geistlichen den weltlichen Ständen solche jura und Gerechtsame nit geständig, sondern derent- wegen in oder ausserhalb Rechtens mit ihnen strittig gewesen^ so be- hielten sich die Katholiken die Geltendmachung ihrer Ansprüche vor (8. Punkt). Die Rückforderung s&mmtlicher unmittelbaren Stifter ist im 13., der Vorbehalt wegen EinfUhining von Jesuiten in den Eeicbs- städten im 22. Punkt enthalten. Auch die Rückerstattung der von den Protestanten seit der Einziehung unrechtmässig bezogenen Nutzungen, welche doch nach der Instruction der Restitutionscommissäre den ,gehor- samen' Ständen erlassen werden sollte, wurde von Neuem beansprucht, wenn auch mit dem Zusätze: »worüber gleichwohl noch fernere Hand- lung gepflogen werden kann^ (15. Punkt). Am ehesten stimmten noch die katholischen Vorschläge mit den evangelischen in Bezug auf die Reichsstädte überein, weil man den evangelischen Minoritäten nicht wohl

Der Streit am die geistlichen Oflter und das Bestitntionsedict (1899). 475

nicht nur von dem, was man durch das Restitutionsedict er- langt hatte, auch nicht einen Fuss breit zurück, sondern steckte 8<^ar, darüber hinausgehend, neue Ziele fUr das Vordringen des KatholicismuS; von welchen das Restitutionsedict noch nichts wusste. Wie Spott klang es, wenn man am Schlüsse einer derartigen Denkschrift sich noch glaubte verwahren zu müssen, dass durch die darin enthaltenen Vorschläge den übrigen For- derungen der Katholischen, die etwa sonst noch würden erhoben werden, nicht präjudicirt sein solle.

Aber so ganz unversöhnlich, wie es darnach scheinen möchte, waren die Katholischen darum doch nicht. Gerade in der Zeit, wo die Antwort auf die hessischen Punkte über- geben wurde (6. October 1630), verwendeten sich die katho- lischen KurfUrsten beim Kaiser eifrig zu Gunsten des Herzogs von Würtemberg, weil man diesem nicht nur die Klöster weg- nehme, sondern ihm auch seine landesfUrstlichen Rechte über dieselben streitig mache und die Klosterunterthanen zum Glaubens- wechsel zwinge. ,Das stehe nicht im Edict,' sagten die Kur- f)irsten, ,und sei, wenn wahr, um so bedenklicher, weil es die unkatholischen Stände auf den Gedanken bringen könnte, als wolle man den Religionsfriedcn ganz und gar aufheben und, wo man sich nur mächtig genug befindete, der Religion halber Aenderung vornehmen.' Wenn diese versöhnlichere Stimmung in der katholischen Erwiderungsschrift keinen Ausdruck fand, obwohl doch Maximilian von Bayern ausdrücklich erklärt hatte, dass über die hessischen Punkte eine Unterhandlung möglich sei, so hatte dies vor Allem einen formellen Grund. Auf dem KurfUrstenconvente zu Regensburg war nämlich nur ein Theil

verweigem konnte, was man für die katholischen in Ansprach nahm (18. 26. Pankt); von diesen aber abgesehen war das einzige nennens- werthe Zugeständniss, dass den Kurfürsten von Sachsen nnd Branden- burg ihre Stifter auf 40 Jahre auch gegen gerichtliche Klagen gesichert werden sollten, doch auch das nur unter der nicht leicht zu erfüllenden Bedingung der Anerkennung der kaiserlichen Verfiigungen in Bezug auf die Kurpfalz. Die kursächsischen Gesandten hatten daher Recht, wenn sie bei Uebersendung dieser Vorschläge an ihren Herrn (80. October 1630) bemerkten, dass ans denselben das ,vielgerühmte friedfertige Ge- müth der Katholischen nicht wohl zu spüren sei^ (Dr. A., Best. VI, S. 14; Berliner Staatsarchiv 12/78—80).

476 TnpAtz.

der katholischen Stände vertreten, und die katholischen Kur- fürsten fühlten sich bei allem Ansehen, das sie innerhalb ihrer Partei genossen, nicht berechtigt, im Namen der Abwesenden weitgehende Zugeständnisse zu machen.' Noch mehr mosste sie hievon die Natur der protestantischen Denkschrift, welche sich ja ebenfalls nur als eine private Meinungsäusserung darstellte, und ganz besonders das Benehmen zurückhalten, welches die Gesandten der Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg diesen Vorschlägen gegenüber für gut fanden. Diese thaten nämlich, als sie von den Ligisten gefragt wurden, als ob sie von jenen Punkten gar nichts wüssten, und erklärten feierlich, dass die lieber- reichung derselben ohne Zustimmung der beiden protestantischen Kurfürsten erfolgt sei.^ Die katholischen Stände zeigten sich dar-

1 In dem Schreiben der yier katholischen Kurfttsten an den Bischof von Constanz, in welchem dieser zu den Frankfurter Unterhandlungen ein- geladen Mrird, heisst es deshalb: Anfangs hätten die katholischen Kar- fllrsten Bedenken getragen, sich über die protestantischen VorschlS^ ausausprechen, weil die Sache vor s&mmtliche St&nde des Reiches uihI nicht blos vor die Kurfürsten gehörig, dann aber doch mit Rflcksicht auf die Klagen der Evangelischen eine Antwort gegeben, jedoch nur privato nomine und ganz unvorgreiflich. Auch der kurmainzische Kanzler sagte, als er die katholischen Vorschläge übergab, er mache sie nur ,privato nomine und wisse nicht einmal, ob die katholischen Kurfürsten mit Allem einverstanden wären*. Freilich Mrird man sagen müssen, dass die Antwort gerade, weil sie nur privato nomine gegeben wurde und zu nichts verpflichtete, etwas nachgiebiger hätte lauten können. Nach Ranke (Wallenstein VI, S. 140) hat sich auch der papst- liehe Nuntius Pallota in Regensburg allen Zugeständnissen an Kur- brandenburg widersetzt; inwieweit etwa auch dieses die katholische Antwort beeinflusste, vermag ich nicht zu sagen (Dr. A.» Rest. V, S. 394; Theatmm Europ. ü, S. 219).

' Die Katholischen wünschten zu wissen, wer der Verfasser der Vorschläj^e sei; der würtembergische Gesandte Dr. Löffler, darum gefragt, antwor- tete: er kenne den Verfasser nicht; es mOge wohl irgend ein PriTSt- mann sein. Als dann der Kurfürst von Bayern den kurbrandenbnr- gischen Kanzler Sigmund von GiHz fragte, ob er diese Vorschläge gelesen habe, antwortete dieser mit: Nein! Die kursächsischen Gesandten ihrerseits wussten, dass die Vorschläge von dem hessischen Rathf Dr. Wolf ausgingen, Hessen aber in sonderbarer Geheimnisskrämerei nicht einmal den kurbrandenburg^schen Gesandten gegenüber merken, dass sie Näheres davon wüssten, und gaben auch nicht die gewünschte Abschrift dieser Vorschläge (Bericht der kursächsischen Gesandten, 12. October 1630; Dr. A., Best. VI).

Der Streit um die geistlieheo Gftter vnd das Reetitationsedict (1629). 477

über erstaunt, fanden aber mit Recht, dass in Folge dessen die Sachlage auch für sie selbst eine erheblich andere geworden sei; es war für sie ein geringer Gewinn, wenn sie durch das Eingehen auf die hessischen Vorschläge nur die kleineren evangelischen Stände, welche sie ohnehin nicht zu fUrchten brauchten, befriedigten, während die beiden Kurfürsten noch immer ireie Hand behalten hätten. Eine vorsichtige und zurück- haltende Antwort war unter solchen Umständen jedenfalls geboten. Aber bei alledem stand es schlimm um die Aussichten auf Verständigung, wenn selbst die bestgemeinten Vermittlungs- vorschläge nicht nur bei den katholischen, sondern selbst bei den mächtigsten evangelischen Fürsten auf Ablehnung stiessen. Viele evangelische Stände betrachteten denn auch nach dem Eintreffen der katholischen Antwort den ganzen Versuch als gescheitert; nicht so der Fürst, aus dessen Kanzlei die Friedens- punkte hervorgegangen waren, Landgraf Georg von Hessen. In jugendlichem Optimismus glaubte er durch seine gutmüthige Ueberredungsgabe doch noch die weite Kluft zwischen den katholischen und evangelischen Bestrebungen ausfüllen zu können, und es ist beinahe rührend, mit welcher aufopfernden, redlichen Mühe er von einem Fürsten zum andern eilte, um hier die Katholiken, dort die Protestanten zu friedlicherer Gesinnung zu überreden. ^ Diese Bemühungen trugen ihm später den

* Das Anerbieten, persönlich, wenn es nOthi^ wäre, zu den katholischen Kurfürsten zu reisen, machte er in einem Briefe an Kursachsen vom 13. December 1630. Charakteristisch für den Landgrafen ist eine eigen- händige Nachschrift in einem Briefe an Kurmainz (2. Mai 1631): ,Ich will ja g^m den Frieden mit den Katholischen unterhandeln,* heisst es darin, ,wenn mir nur ein gewisses, darauf ich negociieren sollte und könnte, an die Hand gegeben wird. Wessen ich mich in diesem meinem Antwortschreiben erklärt, dabei bleibe ich: Gott will ich fürchten, meinem Kaiser mit Trenligkeit, Aufrichtigkeit, Gehorsamb, Liebe, Treue und all dem, was einem deutschen Fürsten wohl ansteht, von g^zem Herzen ehren.* Die Katholischen thaten natürlich Alles, um den Land- grafen in diesen Gesinnungen zu bestärken; als z. B. Georg mit seinen Käthen von Regensburg abreiste, kam ,ein hoher Prälat* noch an den Wagen und dankte demselben für seine guten Dienste während des Conventes, ,wahrscheinlich im hohen Auftrag*, wie die hessischen Käthe meinten; auch versicherte dieser Prälat, die Katholiken würden nicht ,praecise* auf ihrer Gegenerklärung beharren. Auffallend mag erscheinen, daaB da« Memorial der evangelischen Stände vom 8. November 1630

478 Tapetz.

Spottnamen eines ReichsfriedenBrneisters ein; diesmal aber sollte sein Optimismus doch noch einmal Recht behalten: die Katho- liken erklärten sich nämlich auf eine neuerliche Eingabe der evangelischen Stände vom 8. November 1630 zu weiteren Unter- handlungen über das Restitutionsedict bereit, bestimmten als Ort für dieselben Frankfurt am Main, als den Tag des Be- ginnes den 4. Februar 1631, und versprachen sogar, bis zu diesem Zeitpunkte keine neuen Klagen wegen Restitution von Stiftern und Klöstern einzubringen. Letzteres Zugeständniss wollte allerdings, bei Lichte besehen, nicht eben viel bedeuten, da die meisten Klagen, welche Aussicht auf Erfolg hatten, natürlich gleich nach Erlassung des Restitutionsedictes ein- gebracht worden waren und der Fortgang der bereits ein- geleiteten Restitutionen dadurch in keiner Weise aufgehalten wurde.' Aber ftlr den sanguinischen Landgrafen genügte schon

gerade von Georg nicht mit unterzeichnet ist (vgl. Heyne, KurfUrstentag. zu Regensburg 8. 169); dies erklärt sich jedoch aus der selbstübemommeneD Vermittlerrolle dieses Fürsten: er fürchtete, wenn er unterzeichne, als Partei zu erscheinen. Der Spitzname, den er für seine Yertraueo«- selxgkeit erhielt, war übrigens gleichsam erblich: schon sein Vater Ludwig war von den übrigen Eyangeliachen ein ,BrieftrMger und Pfaffen- knecht*. gescholten worden; auch war die Hinneigung zu dem Kaiser und den Katholiken, durch welche Vater und Sohn sich bemerkbar machten, durchaus nicht ganz uneigennützig; gerade im December 1630 gewann Georg von Hessen seinen alten Process gegen den Grafen Wolf- gang Heinrich von Isenburg (Dr. A., Rest. VI, S. 276; Wiener Staats- archiv, Kriegfsacten).

Das Versprechen lautete wOrtlich: ,Die Kurfürsten seien auch erbötig und hofften auf die Zustimmung der übrigen Stände, dass bis zum 3. Februar 1631 beim Kaiser um keine fernere Ezecution des Edictes angehalten werde' (12. November 1630). Auch der Kaiser erklürte: ,dass zur Zeit keine Executionen stattfXnden, welche die beabsichtigte Unterhandlung hindern konnten*. Dass wirklich ein gewisser Stillstand in den Restitutionen stattfand, beweist ein Schreiben des Markgrafen Christian an Kursachsen, in welchem nur die Befürchtung ausgesprochen wird', dass die Einstellung der Executionen voraussichtlich nicht ver- längert werden würde, weil die Katholischen ,schon jetzt grosse Un- geduld über den eingetretenen Stillstand an den Tag legten* (2. Janaar 1631). Ebenso gewiss ist aber, dass die schon eingeleiteten Execu- tionen ihren Fortgang nahmen. So wurde den Leutkirchnem , als sie sich auf die Einstellung der Restitutionen bis zum Frankfurter Compo- sitionstag beriefen, einfach erwidert, dass der Kaiser und Kurmains von einer solchen Einstellung an die schwäbischen Commissäre nichts hätten

Der Streit mn die geistlichen Ofiter und du BestitutionBedict (1689). 479

dieser Schimmer von Hoffnung, und seine ganze Sorge war nur, dass die Evangelischen die von den Katholiken dargebotene Friedenshand vielleicht gar nicht einmal annehmen würden.

YI. Die Convente von Leipzig und Frankfart am Main.

Sehlnss.

Die Befürchtung des Landgrafen von Hessen, dass sein Friedenswerk' nicht bei allen evangelischen Ständen eine freund- liche Aufiiahme finden würde, war in der That nicht unbegründet, und zwar schon darum, weil Landgraf Georg durch sein Vor- gehen, vielleicht ohne es zu wissen und jedenfalls ohne es zu wollen, die Eitelkeit des KurfUrsten von Sachsen empfindlich verletzt hatte. So unfähig sich Johann Georg im Ganzen zur Führung der Evangelischen gezeigt hatte, so ärgerlich war es ihm doch, als die kleineren Stände es wagten, ohne ihn mit den Katholiken in Unterhandlung zu treten; dem Landgrafen^ seinem Schwiegersohne, gab er unverhohlen seine Missbilligung darüber zu erkennen.* Der Kurfiirst hörte es darum mit Ver-

gelangen lassen; und als Georg von Hessen gleichfalls klagte, dass die Restitationen fortdauerten , so wurde ihm von Kurmainz geantwortet: ,Man k0nne dem Kaiser nicht die Hände binden; auch müsse man sich evangelischerseits erinnern, in welcher Richtung die katholische Erklftrung gelautet* (Dr. A., Rest. VI, S. 52, 55, VHI; Theatrum Europ. n, S. 220; Londorp IV, S. 103, 109; Klopp, TiUy II, 8. 174). Die evangelischen Stände hätten ,behut8amer gehen und den Kurfürsten betrachten' sollen, urtheilten die kursächsischen Räthe; es sei ,ein Präjudiz fttr die Würde der Kurfürsten, wenn die andern Evangelischen und Katholischen ohne ihr Wissen so etwas festsetzen konnten' erklärte der Kurflirst von Brandenburg (Outachten vom 2. December; Knrbranden- bürg an Kursachsen, 21. December; Kursachsen an die sächsischen Herzoge, 24. December 1680). Wenn daher das Theatrum Europ. (II, 8. 271) berichtet, Oeorg von Hessen habe an den knrsächsischen Hof- prediger HoS geschrieben und ihn gebeten, den Convent zu befördern ,8intemal seine, des Herrn Landgrafen Räthe die vornehmste Punkten aufgesetzt', Dr. Ho6 habe aber gewusst, dass eben diese ,ratio indnctiva, dass nämlich Dero Tochtermanns Räthe sich hierunter so weit ver- tieft', den KurfUrsten am meisten offendiren würde, so hat diese Ge- schichte alle Wahrscheinlichkeit für sich, wenn auch die Erwähnung BrandenBtein*s an der betrefifenden Stelle irrig ist (Dr. A., Rest. VI, S. 68, 255, 307 ; vgl. Heyne, Kurfürstentag zu Regensburg, S. 176).

4to

Tnpets.

gnügen^ wenn der Herzog von Würtemberg, Markgraf Christian von Brandenburg und Andere sich nicht nur über das Ergeb- niss der Regensburger Unterhandlungen abfUUig aussprachen, sondern auch bezüglich des geplanten Conventes in Frankfiul erklärten^ dass von demselben wenig Gutes zu erwarten sei.

Doch die gekränkte Eitelkeit des Eiirfllrsten war weder das einzige, noch das grösste Hinderniss, welches die Friedens- vermittler zu bekämpfen hatten. Weit schlimmer war, dass der Kurfürst von Sachsen dem von Brandenburg und anderen evangelischen Ständen das Versprechen gegeben hatte, auf eben dieselbe Zeit, in welcher die Frankfurter Unterhandlungen beginnen sollten, den bereits erwähnten Convent der Evange- lischen zu berufen, und dass er von diesem Vorhaben sogar auch schon dem Kaiser Mittheilung gemacht hatte. Statt der friedlichen Versammlung in Frankfurt sollte also eine solche stattfinden, welche sehr leicht als eine Drohung gegen Kaiser und Liga aufgefasst werden konnte, und die eben darum, wie wenigstens der Landgraf von Hessen meinte, geeignet war, die ohnehin schwache Friedensneigung der Katholiken vollends zu ersticken. Die nächste und dringendste Aufgabe des Land- grafen war also, das Zustandekommen des evangelischen Con- vents zu vereiteln oder wenigstens so lange hinauszuschieben, bis die Frankfurter Unterhandlungen vorüber waren.

Dabei aber hatte der Landgraf beinahe die ganze übrige evangelische Welt gegen sich. Eine solche ,recht vertrauliche, verantwortliche Zusammensetzung' > bildete ja seit dem Jahre 1629 einen ständig wiederkehrenden Punkt in den Bittgesuchen der evangelischen Stände an Kursachsen; insbesondere der Herzog . von Würtemberg hatte von Monat zu Monat, von Woche zu Woche, ja beinahe von Tag zu Tag darauf gedrungen.^ Man

'1 ,Die in rechter, getreuer Wohlmeinung und angelegener hC^chster Sorg- falt erinnerte und vorgeschlagene, bei Gott, der römischen kaiserlichen Majestät und dem ganzen römischen Reich, auch aller ehrbaren Welt wohl verantwortliche, einig und allein zur Erhaltung des allerhöchst Ihrer kaiserlichen Majestät und des Reiches Hoheit und Macht, nicht weniger der so theuer erworbenen deutschen Reichs Libertät, Freiheit und Ehre angesehene vertreuliche Unterred- und Zusammentretnng', heisst es im Schreiben Würtembergs vom 20. December 1629.

2 Würtemberg dringt auf den Convent 4. und 30. September, 4. October, 5. November, 20. December 1629 und durch seinen Gesandten Dr. LOffler

Der Streit um die geistlichen OAter und das Restitationsedict (1629). 481

hatte dem Kurfiirsten vorgehalten, dass selbst die Katholiken über die Uneinigkeit im protestantischen Lager spotteten, * man hatte ihm so lange immer wieder das: Dum singuli pugnant, universi vincuntur! zugerufen, bis endlich auch die schwer- bewegliche Seele Johann Georgs sich dem Eindrucke nicht mehr entziehen konnte. Dazu war gekommen, dass auch der Kaiser, statt die erbetene ,Versichening' zu gewähren, dem Kurfiirsten in seinem Schreiben vom 23. August 1630 nur die Uebemahme neuer Kriegslasten zumuthete,^ imd dass zu gleicher

19. September 1630; die schwäbischen Stände überhaupt 3. October und 19. November 1630; Markgraf Christian am 11. November 1629, 21. Septem- ber und 17. November 1630; Kurbrandenburg 24. September, 28. October und 18. November 1630; Johann Philipp von Sachsen 8. September, 28. November 1629 und 19. December 1630; Wilhelm von Sachsen 26. November 1629; Friedrich von Baden 21. April 1629. Auch in Regensburg war schon viel von dem evangelischen Convente die Bede gewesen, und Landgraf Georg hatte sich nach seiner eigenen Ver- sicherung (Georg an Kurmainz, 2. Mai 1631) schon dort viele Feind- schaft zugezogen, indem er dagegen redete. Anfangs hatte Kursachsen den Gedanken des Conventes abgelehnt, ,weil eine solche Zusammen- kunft bei den Katholischen den Verdacht erwecken konnte, als wollten die Evangelischen mit Gewalt durchdringen'; am 29. October 1630 aber antworteten schon seine Gesandten denen Georgs von Hessen: ,Da8s die Katholischen den Convent nicht mochten, wfissten sie wohl; die Evangelischen aber trügen darnach ein besonders herzliches Verlangen* (Dr. A., Rest. I, III, V, VI).

' ,Man verspüre mit Verwunderung,' sollen Personen am kaiserlichen Hofe schon im August 1629 den fränkischen Gesandten gesagt haben, ,wie unter den Evangelischen keine Einmüthigkeit sei' (Christian von Anspach an Kursachsen, 6. September 1629); ähnlich behauptete am 24. September 1630 auch der Kurfürst von Brandenburg, dass ein , vor- nehmer katholischer Rath' den Wunsch ausgesprochen, die beiden evan- gelischen Kurfürsten möchten die übrigen evangelischen Stände um sich versammeln und mit ihnen Berathung halten, ,wie $e katholischen Stände zu contentieren' (Dr. A., Rest. III, S. 18; V, S. 643).

' Dieses kaiserliche Schreiben wurde auch dem engeren Ausschuss der kursächsischen Stände, welcher sich am 6. November 1630 zu Dresden versammelte, vorgelegt, und daran unter Anderem die Frage geknüpft, ob man sich nicht ,wegen des an den Landesgrenzen tobenden Krieges in Verfassung stellen sollte'. Der Ausschuss jedoch billigte zwar die ebenfalls zur Sprache gebrachte Einberufung des evangelischen Con- vents, zeigte sich aber in der Frage der Beschaffung des zu den ge- planten Rüstungen erforderlichen Geldes so schwierig, dass man ihn

482 Tnp«ti.

Zeit auch die Gefahr Ton Schweden her von Tag zu Tag drohen- der wurde. Der Kurflirst mochte noch so friedlich sein^ was nützte es, wenn zugleich von Norden und Süden der Ejieg auf ihn eindrang? Und so hatte denn der Kurfürst, gleichsam in Verzweiflung, endUch doch jenen , heroischen, tapferen Ent- schlüsse gefasst, der ihm so oft angerathen worden und dem er so lange mit ängstlicher Vorsicht ausgewichen war: er hatte den Convent der Evangelischen berufen.*

Aber recht im Herzen wohl war dem Kurfürsten doch nicht dabei; seine Neigung stimmte trotz alledem weit eher mit den friedlichen Ansichten des Landgrafen Georg als mit den kriegerischen des Herzogs von Würtemberg und des Markgrafen Christian von Brandenburg überein. Als ihm daher sein Schwiegersohn vorstellte, dass die Katholiken in eine Hin- ausschiebung der Frankfurter Unterhandlungen nicht einwilligen und dass damit die letzte Hoffnung auf Herstellung des innern Friedens im Reiche scheitera würde,' da gerieth sein ohnehin nicht fester Entschluss bedenklich ins Wanken. Dazu kam, dass auch der Kaiser nunmehr seine mahnende Stimme erhob, indem er der Zuversicht Ausdruck gab, der Kurfürst werde ,an des Markgrafen Christian von Brandenburg unverantwortlichem

ohne Resultat wieder nach Hause ^ehen lassen mnsste. Es ist mSglicb« dafls auch dieses zn dem folgenden Umschwung in der Gesinnung: de« Kurfürsten beigetragen hat (Dr. A., Rest. VI, S. 392 und 416).

1 In der Ankündigung des Conventes (3. September 1630) betheuerte der Kurfürst zwar immer noch seine Treue gegen den Kaiser, in der er ,bi8 in seine Gruben unaussetzlich verharren werdet sprach aber auch zugleich Ton ,dem allgewaltigen Gott, dessen Geboten er nachgeleben müsse'. Am 10. October 1630 versprach der Kurfürst dem KuHürsten von Brandenburg nochmals, dass der Convent stattfinden werde; im November aber wurde er wohl in Folge der günstigeren Nachrichten aus Regenaburg anderen Sinnes (Dr. A., Rest. V, S. 643; VI, S. 406; Theatrum Europ. II, S. 195; Londorp IV, S. 80).

2 , Wenigstens so lange mOge man den Convent verschieben/ rietfa Land- graf Georg, ,bis man sehe, wie weit die Katholischen zusurücken ge- meint;* Eggenberg und andere katholische Stände hätten bereits ilire Unzufriedenheit über den evangelischen Convent ausgesprochen: es werde wohl mOglich sein, auch ohne einen solchen zur Beilegung der Streitigkeiten zwischen j^tholiken und Protestanten zn kommen (Be- richt der kursächsischen Gesandten, Regensburg, 29. October 1630: Dr. A., Rest. VI, 8. 14).

Der Streit nra die geistlichen Gftter und das Restitntionsedict (1629). 483

Fümehmen und Sachen durchaus kein Gefallen trägen, sondern in aufrichtiger Devotion gegen Kaiser und Reich bis ans Ende unausgesetzt verharrend Noch war die Missbilligung des Kaisers dem Kurflbrsten nicht gleichgiltig geworden, noch war der Abscheu gegen Aufruhr und Gewaltthat und gegen die ganze calvinistische Weise zu kämpfen überhaupt in ihm lebendig genug, um ihn solchen Mahnungen zugänglich zu machen. Und nicht blos der Kurfürst' selbst, auch seine Räthe waren jetzt wieder gegen den Convent. Man habe ja, sagten die Letzteren, durch die Ankündigung des Conventes nur die katholischen Stände schrecken wollen; nun da dies gelungen sei, da die Katholiken sich zu ,friedlichen Mitteln^ bequemt hätten auch das letzte kaiserliche Schreiben hatte etwas nachgiebiger ge- lautet als die früheren ^ so entfalle die Nothwendigkeit, den Convent auch wirklich abzuhalten. Es war das allerdings eine seltsame Logik: weil das erste Aufraffen aus der bisherigen Schwäche, wie wenigstens die Räthe meinten, von einem offen-

^ In dem Schreiben vom 20. September 1630 wurde die sm 23. August erhobene Forderung wegen Uebernahme der Lasten für den schwedlachen Krieg dahin abgeschwächt, dass der Kurfürst keine Einquartirungen oder Contributionen wie andere Stände ssu erwarten habe, sondern nur das zu leisten aufgefordert wird, was er ,als vornehmster Stand des obersächsischen Kreises, der nun selbst bedroht sei, leisten könne und wolle*. Bezüglich des Kestitutionsedictes versicherte der Kaiser: Er habe nie die Meinung gehabt, ,fUgliche Mittel, welche ihm von den ge- treuen Kurfürsten des Beiches an die Hand gegeben werden mochten, ausser Acht zu lassen oder gar auszuschlagen*, sondern er wolle viel- mehr ^dergleichen Mittel und Wege, welche seinem kaiserlichen hohen Amt, Autorität und theuer geleisteter Pflicht nicht nachtheilig sein würden, nicht allein gutwillig anhOren, sondern auch nach beschaffenen Sachen und da hierdurch dem allgemeinen Wesen zum Besten etwas erhalten werden könnteS mit Rath der Kurfürsten ,sich gern bequemen*. Freilich liess der Kaiser auch dabei wieder merken, dass nur ,so viel den modum executionis des obgenannten Edicts anlangete, zuträglichere und gelindere Wege ihm nicht entgegen sein würden*. Der Zeit nach fiUlen diese Erklärungen zusammen mit der Aufforderung der katho- lischen Kurfürsten an die Evangelischen, dieselben möchten ,friedliche Mittel* vorschlagen, jener Aufforderung, welche dann durch die Vor" läge der hessischen Punkte beantwortet wurde (Wiener Staatsarchiv, Reichstagsacten 77 b; Theatrum Europ. II, S. 196; Londorp III, S. 82). Nach Richelieu M^m. VI, S. 359, wäre es besonders Eggenberg gewesen, der zu der nachgiebigeren Haltung gegenüber Kursachsen rietb.

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baren Erfolge begleitet gewesen war, so schloss man, dass es angezeigt sei, sofort wieder auf den alten Weg zurückzukehren. Vergebens widersprach der kampflustige Hofprediger Hoe; der Vorschlag der Räthe fand wirklich die Billigung des Kurfärsten, und die evangelischen Stände erhielten statt der erwarteten Einladimgsschreiben die überraschende Mittheilung, dass der Convent nicht stattfinden werde.*

Da aber legte sich der KurfUrst von Brandenburg, welcher bereits von den Schweden im eigenen Lande bedrängt wurde und welcher daher dem Laufe der Dinge nicht so ruhigen Muthes zusehen konnte wie der von Sachsen, persönlich ins Mittel.^

^ Am 9. December 1630 schrieb der Kurfürst, nun wieder versöhnt, an seinen Schwiegersohn, indem er swar ttber die Fortdauer der Restita- tionen klagte, sngleich aber die Hoffnung aussprach, Georg von Hessen werde ,mehr Nachricht erlangt und die eigentliche Meinung der Katho- lischen penetriert haben*. Georg meinte denn auch wirklich, den roll- kommensten Aufschluss geben zu kOnnen. Die Kurfürsten von Mains und Köln waren nftmlich gerade im Z>ecember 1630 bei ihm su Besuch, um einer Schweinhatz beizuwohnen, und die BXthe derselben erzählten ihm, dass die katholischen Kurfürsten ,die totale Suspension des Edictes beim Kaiser noch nicht hätten erhalten können, dass sie aber gerade deswegen die Unterhandlungen in Frankfurt vorgeschlagen hätten^ ,Wenn man sich einige,* sollen die Rathe hinzugefügt haben, ,werde man schon den Beifall des Kaisers auch erlangen; einstweilen hätten sich die Stände unter einander verabredet, keine neuen Executionen beim Kaiser mehr zu klagen/ Dieser perfiden Darstellung, welche den Kaiser als das einzige Hindemiss der Aufhebung des Edictes hinstellte, während sie von den katholischen Kurfürsten angeblich kaum minder ersehnt wurde als von den Protestanten selbst, scheint Georg von Hessen ernstlich Glauben geschenkt zu haben; wenigstens berichtet er sie ohne eine Aeusserung des Zweifels an Kursachsen (16. December 1630). Der Kurfürst von Sachsen war, als er den Brief erhielt, schon wieder zur Berufung des evangelischen Conventes entschlossen. Vielleicht hätte die Unterredung, zu welcher er am 9. December seiuen Schwiegersohn ein- lud, doch noch zur Uebereinstimmung zwischen Schwiegervater nnd Schwiegersohn geführt, wenn sie sogleich stattgefunden hätte; sie er- folgte jedoch erst im Februar des folgenden Jahres unter vollständig veränderten Verhältnissen. An demselben Tage mit dem friedlichen Landgrafen lud Johann Georg auch den Kurfürsten von Brandenburg zu einer Zusammenkunft ein (Gutachten der kursächsischen Räthe rem 4. December 1630; Dr. A., Rest. VI, S. 68, 269, 282).

> Der Kurftirst wünschte, wie bekannt, den evangelischen Kriegsband nicht blos gegen den Kaiser, sondern im Nothfalle auch gegen Schweden

tn Streit um di« rtiitlichen Oftt«r «nd du tLeititntioDBedict (16^). 485

Zu Annaburg, wo die beiden Kturflirsteii; gefolgt von ihren Käthen, zusammenkamen, entspann sich ein hartnäckiger^ mehrere Tage dauernder Meinungskampf zwischen den friedliebenden kursächsischen und den thatkräftigeren, dem Kaiser gegen- über misstrauischeren brandenburgischen Käthen. Letztere waren dabei sichtlich im Vortheil; denn wenn sie die angebliche Friedensliebe der katholischen Stände kurzweg fUr Spiegel- fechterei erklärten; so konnten sie sich dabei auf offenkundige Thatsachen berufen ; z. B. auf die gerade in dieser Zeit ganz ausserordentlich sich steigernden Executionen gegen Würtem- berg.* Wahrscheinlich aber hätte Alles, was sie in dieser Hin- sicht anführen konnten, nicht hingei^icht, den KurfUrsten von Sachsen umzustinmien; wenn es ihnen nicht gelungen wäre, zu zeigen, wie man dem evangelischen Convente, so drohend er ursprünglich gemeint war, doch ein ganz harmloses und friedfertiges Mäntelchen umhängen könne: Man könne ja vor- geben, sagten sie, dass die evangelischen Stände sich blos über die Verhaltungsbefehle einigen wollten, welche sie ihren Gesandten nach Frankfurt mitzugeben hätten.^ Wenn die Be- sä kehren, wenn dieses von seinen Sie^n einen den deutschen Ständen nngflnsti^n Gebranch machen würde; der ,8chwedischen consiliomm sich theilhaftig zu. machen' fand auch er nicht rathsam, wohl aber dass man Schwedens Siege benatze, nm Vortheile gegenflber den Katholischen sa erlangen. Vor Allem aber müsse man anch gerüstet sein für den Fall einer Niederlage Schwedens, damit diese nicht noch verderblichere Folgen nach sich siehe als einst die Niederlage Dänemarks (Dr. A., Best VI, S. 311). * Nach Knrbrandenbnrg^s Meinung zeigten sich die Katholischen nur darum friedftertig, weU ihnen noch allerlei Hindemisse im Wege stünden ; wären diese erst weggeräumt, so werde man leicht sehen, was für Nei- gung die Katholischen zu gütlicher Unterhandlung hätten. Die evange- lischen Zugeständmsse in Regensburg seien ja weiter gegangen, ,als man je gedacht^ trotzdem seien die Katholischen nicht damit zufrieden gewesen; wenn man daher jetzt wieder Unterhandlungen anbiete, so wolle man vielleicht die Evangelischen nur ausholen, um, wenn dann das Glück den Katholischen günstig wäre, Alles wieder ans kaiserlicher Machtvollkommenheit zu cassiren (21. December 1680; Dr. A., Best. VI, S. 807; s. auch Heyne, Kurfttrstentag zu Regensburg, S. 174). ' Nach den kaiserlichen Monitorialmandaten vom 14. Mai 1631 wäre denn anch der Kaiser durch dieses Friedensmäntelchen anfangs getäuscht worden; der Kaiser, heisst es darin, habe den Convent ,verm9ge des von des ChurfÜrsten von Sachsen Lbd. an Uns ddto. 3. Januar d. J. 8itniDg>b«r. d. phiL-hUt. Cl. CIL Bd. H. Hft. 32

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rufung des Conventes so begründet werde, fligten sie hinzu, so würden die Katholiken den Aufschub der Frankfarter Unter- handlungen bis nach dem Convente unmöglich übelnehmen können, es sei denn, dass es ihnen mit diesen Unterhandlungen überhaupt nicht ernst wäre. Den furchtsamen kursächsischen Räthen schien freilich die Sache auch in dieser Einkleidung noch als ein ,gefllhrlich^, hochbedenkliches Werk', aber Johann Georg entschied diesmal, sich aufraffend, gegen sie.* So war denn das Ergebniss der Annaburger Zusammenkunft, dass der schon einmal geänderte Beschluss nochmals geändert und die Einladungsschreiben, welche sämmtliche evangelische Reichs- stände zu einer gemeinsamen Berathung nach Leipzig beriefen^ endlich doch abgesendet wurden.

Alles kam nun darauf an, ob es gelang, den evange- lischen Convent wirklich zu einer so imponirenden Kundgebung zu gestalten, dass dadurch die Katholischen zur Nachgiebigkeit bewogen werden konnten. Die kühneren und kriegslustigeren Stände, der Kurfürst von Brandenburg, der Herzog von Wür- temberg, der Landgraf Wilhelm von Hessen, Markgraf Chri- stian von Brandenburg- Anspach, Herzog Bernhard von Weimar u. A. waren der frohesten Erwartungen voll.^ Nach ihrem Plane

abgangenen Dennnttatioiissehreibens eigentlich dahin angesehen sn sein vermeinet*, wie zu der Unterhandlung mit den katholischen Stünden, in die anch der Kaiser eingewilligt, ,gnte Vorbereitung gemacht werde'; in solcher Hoffnung und ^Andacht' habe er denn anch die ,obgemeIdte Leipzigische Zusammenkunft also vorgehen lassen/ Da indess der Kur- fürst von Mainz schon im Februar 1631 die Berufung des evangelischen Conventes als gleichbedeutend mit dem Aufgeben der Friedensanter- handlungen ansah, so dürfte die Täuschung in Wirklichkeit keine voll- kommene gewesen sein (Theatrum Enrop. II, S. 329; Londorp IV, S. 126).

' Die kursächsischen Bäthe versuchten am 22. December 1630 noch, wenigstens einen Aufschub bis zur Rückkehr nach Dresden zu erlangen, aber der Kurfürst erwiderte: ,Eb muss Wirklichkeit dabei sein und darf nicht blos auf dem Papiere stehn.* Viel trug zu diesem Entschlüsse anch der Umstand bei, dass Kurmainz die Einladungen zum Frankfurter Con- vente noch immer nicht versandt hatte und der Kurfürst von Sachsen in Folge dessen zweifelhaft wurde, ob die Unterhandlungen überhaupt zu Stande kommen würden (Dr. A., Best VI, 8. 319).

' Christian von Braunschweig-Minden und Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig priesen ,hocherfreuten Qemüthes* das ,tapfere, heroische

Der Streit um die geiBtlichen Oflter und das Restitntionsedict (1829). 487

sollte jeder evangelische Stand so viel Kriegsvolk werben, als er irgend könne, indem er zugleich alle Leistungen ftlr das kaiserliche und ligistische Heer verweigerte ; ausserdem sollte eine besondere ^ ^fliegende Armee' aufgestellt werden, um den durch gewaltsame Restitutionen oder in anderer Weise bedräng- ten evangelischen Ständen sofort Beistand zu leisten; die Ober- leitung des ganzen evangelischen Kriegswesens sollte der Kur- fiirst von Sachsen mit Hilfe eines aus den übrigen evangelischen Ständen gebildeten Kriegsrathes übernehmen. Man konnte mit Recht hofiFen, dass eine solche Entschlossenheit im Lager der Gegner immerhin ,einiges Nachdenken' hervorrufen würde. Da man jedoch einsah, dass der evangelische Kriegsbund, auch wenn er zu Stande kam , wahrscheinlich doch nicht die nöthige Wucht besitzen würde, um den kathoUschen Ständen wirklich bedeutende Zugeständnisse abzupressen, so hielt man ein freund- schaftliches Verhältniss zu dem siegreichen Könige von Schwe- den^wenn nicht gar ein offenes Bündniss mit ihm fUr unerlässlich.^

und doch getreue Gemüth' Ktursachsens und ho£Pfcen auf den Segen Gottes für das ,tapfere, heroische Vornehmen* (15. October 1630) ; anch der zurückgekehrte Administrator von Magdeburg, Christian Wilhelm von Brandenburg, begrüsste den Convent und wünschte ihm: des heiligen Geistes Kraft, Salomonis Weisheit und Josuae Heldenmuth (14. Februar 1631; Dr. A., Rest. VI, S. 6, XI). ^ An Schweden sich anzuschliessen, heisst es in einem dem Leipziger Con- vente vorgelegten, vermuthlich von Kurbrandenburg ausgehenden Schrift- stück (ad 20. Februar 1631), sei nothwendig, ,weil dadurch die Offension bei kaiserlicher Biajestät nicht grösser würde, als sie bereits ist, während der KOnig von Schweden, wenn er nicht gesucht würde, ganz zu widrigen Vornehmen gebracht werden konnte und der Schwall des Kriegswesens mehr hineingezogen als abgewendet werden kann*. Nach diesem Schrift- stücke sollte anch Kursachsen sofort eine Diversion in Hessen oder Thüringen machen, damit die anderen evangelischen Stände zu den Rüstungen Luft bekämen; nur 15.000 Mann sollten von den kursächsi- schen Truppen in Sachsen selbst stehen bleiben, um sich mit den Schweden zu vereinigen, die übrigen 15.000 Mann dagegen in Franken und Schwaben eindringen, um auch den dortigen Ständen die Rüstungen zu ermöglichen ; des in evangelischen Ländern einquartirten kaiserlichen Kriegsvolks wollte man sich sofort bemächtigen und versichern; auch ein Anschlag auf die Dessauer Brücke war geplant. (Beinabe desselben Inhalts sind die Erklärungen Kurbrandenburgs vom 18. März und 2. April 1631.) Ein anderes Schriftstück wollte das schwedische Bündniss vor- läufig noch nicht; da aber der KOnig von Schweden ,der Evangelischen

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Aber gerade solche VorBcUäge waren es, welche der Eurflirst von Sachsen immer gefiirchtet hatte; eben dämm, weil er voraussah, dass sie gemacht werden würden , hatte er so lange mit der Berufung des Conventes gezögert Als er doch dann seine Zustimmung gab, hatte er es gethan unter der stillschweigenden Voraussetzung, dass der Convent von allen ,ge{llhrlichen und weitaussehenden' Beschlüssen sich fern- halten würde ; seinem Schwiegersohne, Q^org von Hessen, hatte er dies noch kurz vor dem Convente in bündigster Weise ver- sprochen.* Nichts aber war geeigneter, ihn in diesen Gesin- nungen zu bestärken, als das Ergebniss der Einladungen zum Convent. Bis dahin hatte es geschienen, als ob der Kurfärst von Sachsen der einzige Furchtsame imter den evangelischen Ständen wäre, während die übrigen von Muth und Kampflust brannten ; nun aber zeigte sich , dass es doch noch furchtsamere Stände gab, und dass, sobald der Kurfürst den ersten Schritt nach vorwärts that, das erste, verhältnissmässig noch herzlich unbedeutende Wagniss unternahm, ein nicht unbeträchtlicher Theil der Evangelischen ihm sofort die Heerfolge versagte. Am meisten Eindruck machte ohne Zweifel auf den Kurftirsten, dass auch sein Schwiegersohn, Landgraf Oeorg, durch keine

Makkabäiu' sei, nnd wenn dieser veijagt würde, die Eyangelischen ,ilir Yaleisen snschnflren und ihren Stab weiter setzen konnten*, so dürfe man ihn keinesfalls bekriegen helfen nnd im Kothfalle kOnne man ihn aneh bitten, den übrigen Evangelischen mit seiner Armee sa ,8accn- riren*. Im Uebrigen wollte dieses Gutachten noch grossere Tmppen- massen aufstellen als das vorige, nämlich 25.000 Mann in Sachsen, 15.000 Mann in Franken nnd Schwaben, 10.000 Mann an der Weser nnd am Main, zusammen 60.000 Biann (Berliner Staatsarchiv 12/7S--80 ; Dr. A., Rest Xu, S. 1). Auf dem Leipziger Convente war auch ein franzosischer Gesandter, Melchior de llsle, welcher den ,alten und ver- trautesten Freunden des KOnigs von Frankreich' das Versprechen bringen sollte, dass sein Herr sie nicht verlassen würde, zugleich sie aber auch aufforderte, ,sich in Positur zu setzen, um den Katholischen besser zu imponirenS Er erhielt jedoch von Kursachsen eine ziemlich kühle Antwort (Dr. A., Best. JX, S. 115). * Auf dem Convente, hatte Knrsachsen dem Landgrafen Oeorg versprochen, würden nur ,moderirte und solche consilia geführt werden, daraas sich keine unnOthig^ Weiterung, sondern vielmehr beständigste Devotion und Gehorsam zur rOm. kais. Maj. zu versehen* (Georg von Hessen an Kur- mainz, 2. Mai 1631 ; Wiener Staatsarchiv, Kriegsacten).

Der Streit om die geietlichen Gftter und das Bestitutionsedict (1689). 489

Bitte^ keine Vorstellung bewogen werden konnte, am Convente theilzunehmen, und vor Allem, dass diese Weigerung unter Um- ständen erfolgte, welche geeignet waren, ein gewisses Aufsehen hervorzurufen. Georg von Hessen befand sich nämlich gerade zu der Zeit, wo der Convent beginnen sollte, in Kursachsen zu Besuch, er konnte sich also gleichsam an der Quelle unter- richten, welche Zwecke mit dem Convente verfolgt wtlrden, und das Ergebniss war, dass der Landgraf fast in dem Augen- blicke, wo der Convent zusammentrat, wieder abreiste.* Stärker konnte die Missbilligung des ganzen Unternehmens nicht wohl ausgesprochen werden. Dem Kurfürsten aber fiel namentlich das schwer aufs Herz, dass die demonstrative Abreise Georgs auch am kaiserlichen Hofe einen fbr Kursachsen höchst un- günstigen Eindruck machen musste. Was würden die Katho- liken , musste der Kurfürst sich fragen , über den Convent denken, wenn schon sein eigener Schwiegersohn ihn so ent- schieden verurtheilte ? War es denkbar , dass der Kaiser an die friedlichen Zwecke des Conventes glaubte, wenn es die

^ Als Georg von Hessen nach Karsachsen reiste, g^ing das Gerücht, er komme auf Geheiss des Kaisers und bringe grosse Anbote mit, unter anderen die Bestätigung des sächsischen Prinzen Augast als postulirten Erzbischofs von Magdeburg, was allerdings den Leipziger Convent sofort vereitelt hätte. Das war jedoch nicht der Fall; es stellte sich vielmehr heraus, dass Georg nur darum sich auf den Weg gemacht, weil er von der Ausschreibung des evangelischen Conventes noch nichts gewusst hatte. Bei den Unterredungen in Torgau am 12. und 13. Februar mit seinem Schwiegervater machte er sein Bleiben von der Bedingung ab- hängig, dass der Convent nur mit der Yorberathung für die Frankfurter Unterhandlungen mit Ausschluss aller Bündniss- und Rüstungsfragen sich beschäftige, und da dies nicht zugestanden wurde, reiste er ab. Dass der Landgraf sich so schwierig zeigte, hatte übrigens einen be- sonderen Grund: er erwartete nämlich gerade damals die Execution des

. im December in der Isenburgischen Sache zu seinen Gunsten erflossenen Urtheils und fUrchtete mit Recht, dass das Urtheil, wenn er am Convente theil nähme, unausgeführt bleiben würde. Wurde doch sogar schon seine Reise nach Kursachsen für ihn nachtheilig; als er nämlich zurückkam, fand er mit Schrecken, dass ,die Execution ins Stocken gerathen*, der kaiserliche Commissär nach Köln verreist sei u. s. w. (Schreiben aus der Kanzlei Wilhelms von Hessen an Kursachsen, 1. Februar 1631; Georg von Hessen an denselben 8., 15. und 16. Februar, derselbe an W. Seh. von Merzhausen, 24. Februar 1631; Dr. A., Rest YHI; IX, S. 29, 40, 367).

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nächsten Verwandten des EurfUrsten nicht thaten? ^ Und Land- graf Georg blieb mit seinem Verhalten nicht allein. Auch die Hansestädte erschienen nicht, und es half dem KurfUrsten wenig, wenn dieses Ausbleiben mit den herrschenden Kriegsunruhen entschuldigt wurde; und, was schlimmer war, auch von den Ständen^ welche auf dem Convente vertreten waren, namentUch von den Reichsstädten, hatten viele ihren Gesandten keine oder doch keine ausreichende Vollmacht für die auf dem Convente zu fassenden Beschlüsse mitgegeben.-

Aber selbst mit jenen Ständen, welche erschienen waren und genügende Vollmacht hatten , war der Kurfürst nicht sonderlich zufrieden. Er hatte nämlich ursprünglich die Absicht gehabt, die Einladungen zum Convente auf die Stände zu be- schränken, welche der Augsburger Confession angehörten und seine Theologen, unter ihnen der Hofprediger Ho^, hatten ihn nur mit Mühe dahin gebracht, dass er endUch auch die Calvi- nisten zur gemeinsamen Berathung zuliess. Das aber war nur geschehen, weil Hoe dem Kurfürsten mit der Hoffnung schmei- chelte, dass die Calvinisten in ihrer gegenwärtigen Noth sich vielleicht bestimmen lassen würden, ihre ,ketzerische' Lehr- meinung aufzugeben und sich endlich ebenfalls dem lutherischen Dogma anzubequemen; auf diese Weise, hoffte man, würde

1 Auch nach dem Leipzi^r Convent zeifgt^ Georg von Hessen in demon- strativer Weise seine Abneigung gegen die Leipziger Beschlösse, indem er z. B. sogar eine Einladung zum Besuche des kursächsischen Hofes aus eben diesem Grunde ablehnte (26. Mai 1631). In der Antwort des Kurfürsten von Sachsen vom 3. Juni 1631 wird es ,dahin gestellt', dass Georg an den Leipziger Beschlüssen keinen Antheil nehmen wolle; es sei aber »unleugbar, dass die Kirche Gottes thräne und viele tausend Menschen winseln* u. s. w. (Dr. A., Kest. XV).

2 Nicht vertreten waren: Pfalzgraf Ludwig Philipp, weil er keinen Ge- sandten hatte, den er hätte schicken können, Bogislaw von Pommeni, weil er von Tilly keinen Pass erhielt, Graf Ulrich von Ostfriesland und Graf Günther von Oldenburg wegen der Kriegsbedrückungen, von Städten: Hamburg, Worms, Dortmund, Kegensburg, Herford u. A. Der Mangel an Vollmachten bei den Erschienenen, besonders den Vertretern der Reichs- städte, trat zu Tage, als Kurbrandenburg und übereinstimmend mit ihm die Fürsten und Grafen auf schleunige Vornahme der Rüstungen drangen; der Mangel war um so bedenklicher, weil gerade die Städte in finanxieller Beziehung am leistungsfähigsten waren (Kurbrandenburger Protokoll, ]l. März 1631} Berliner Staatsarchiv 12/78—80).

Do» Streit um die geistlichen Otttar and das Bostitutionsedict (1629). 491

die evaDgelische Kirche^ was sie in den letzten Jahren an äusse- rer Ausdehnung eingebiisst, an innerer Kraft zurückgewinnen.^ Diese Aussicht schien dem Kurfürsten allerdings lockend genug, um selbst Solchen die Friedens- und Freundeshand zu reichen, deren Gemeinschaft er bis dahin, weil sie nach seiner Ansicht ,Rebellen' waren, ängstlich gemieden hatte, und er war ohne Zweifel hocherfreut, als während des Conventes die lutherischen und calvinischen Theologen zusammentraten und wirklich die Nachgiebigkeit der Letzteren einen baldigen Abschluss des den Protestanten selbst so verderblichen Glaubenshaders in Aussicht zu stellen schien.^ Dabei aber musste es den Kurfürsten doch

^ Qeorg von Hessen hatte die Zuziehung der Wetterauischen und Wester- waldischen Qrafen dringend widemthen, weil sie fast alle calvinisch seien und ihre Betheilang daher den Katholiken ,allerhand Gedanken machen würde'. Dass auch der kursächsische Hof nur ungern mit den Calvinisten gemeinsame Sache machte, zeig^ das Gutachten der Hofräthe vom 8. Februar 1681: Wenn es sich um eine Vereinigung in Bezug auf die Glaubensartikel handelte, meinten dieselben, so konnte der Kur- fürst darauf nicht eingehen; da es aber um Politik und den gemeinsamen Widerstand gegen das ResÜtutionsediet sich handle und die Calvinisten

^nun doch einmal Reichsstände seien wie andere, so dürfe er es wohl thun. Immerhin fanden die Räthe, um nicht alle Hoffnung auf Separat- verhandlungen mit dem Kaiser aufgeben zu müssen, dass es klug sei, sich mit ihnen und den übrigen evangelischen Ständen überhaupt nicht allzuweit einzulassen; nur ,weil den katholischen gar so wenig zu trauen, weil alle ihre Versprechungen doppelsinnig und weil es ihnen möglicher- weise um die Ausrottung der evangelischen Lehre überhaupt zu thun seiS so dürften auch die Evangelischen sich nicht trennen. Entschiedener sprachen die Theologen (10. Februar): Die Calvinisten, meinten sie, würden in Folge des ,Dillingischen Buches* und der jüngsten Vorgänge überhaupt wahrscheinlich geneigt sein, sich den Lutherischen anzu- schliessen; eine solche Vereinigung beider Confessionen aber werde den KathoUken gewiss imponiren. Die Lockungen eines Separatfriedens mit dem Kaiser dagegen, welchen die weltlichen Räthe noch immer GehOr gaben, verglichen sie geradezu mit der Versuchung Christi durch Satan. Uebrigens hütete man sich auch nach erfolgter Vereinigung, deo calvini- schen Ständen den Titel: ,evangeUsche Stände* zu geben; wo es durch Versehen doch geschah, wurde das Wort ausgestrichen und durch ,prote- stirende Stände* ersetzt (Bericht der kursächsischen Gesandten, Regens- bnrg, 29. October 1630; Dr. A., Rest. VH, S. 94 und 212).

2 Das Religionsgespräch zwischen den Hessen Casserschen und kur- brandenburgischen Hofpredigem einerseits und den kursächsischen anderer- seits fand vom 3.-7. März statt Die Calvinisten erklärten dabei, dasq

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yerdriesseiiy als er bei Eröffnung des Conventes wahrnahm, dass fast nur die calvinischen und jene Stände, weiche seit Langem heimlich und offen zum Ejriege drängten, seiner Einladung gefolgt waren ^ und er fllrchtete mit Grund, dass der Convent, am solchen Theilnehmern bestehend, am kaiserlichen Hofe noch gros- seren Anstoss erregen würde, als ohnehin unvermeidlich warJ Es schien ihm daher nothwendig, gleich im vorhinein den ver- sammelten Ständen zu erklären, dass er sie berufen habe, am sie auf seinen Standpunkt herüberzuziehen, nicht aber um sich auf den ihrigen zu begeben.

Dem entsprach denn auch der Inhalt der Proposition, mit welcher der Kurfürst den Convent eröffnete. Mit Freuden zwar mochten die Versammelten hören, dass der KurfUrst die ,£rhal- tung des allein seligmachenden Wortes' und die ,Rettung der deutschen Libertät' als Zwecke des Conventes erklärte, aber mit Verdruss hörten sie ihn hinzufligen, dass er auch die ,De- votion und den Respect gegen die kaiserliche Majestät' nicht aus den Augen lassen und die Herstellung des ,erloschenen Vertrauens zwischen den katholischen und evangelischen Stän- den' anstreben woUe.^ Der KurflLrst wollte also, wie es schien,

sie die Editionen der Augsburger Confession von 1640 bu Worms und 1541 zn Regensburg nicht verwerfen wollten, und am 13. Min 1631 unterfertigten sog^ die Calviner ein Schriftstück, in welchem sie sich auch bezflglich des Abendmahls der Confession von 1530 unterwarfen (Copie im Mttnchner Staatsarchiv 121/1).

> Charakteristisch fttr die Auffassung des Convents bei den Katholiken ist ein intercipirtes Schreiben eines katholischen Officiers im Theatram Europ. II, 8. 375: ,Die rechten Erzanhetser,* heisst es darin, ,sind wohl jetzo beisammen gewesen; aber Sachsen ist in die Waffen, wie stark sie angehalten, nicht zu bringen gewesen; so vernehme ich auch, dass die Reichsstädte theils keine Lust dazu gehabt.* Vom kursSchsiscfaen Kanzler heisst es, er sei ,gar zu gut kaiserisch'; der habe noch des SchOnberg Principien. Uebrigens brauche man den Ketzern nur ,ein saueres Gesicht zu zeigen; denn sie seien furchtsam*.

3 Auch am 23. Biärz erklärte der Kurfürst den in Leipzig Versammelten, dass er dem Kaiser treu bleiben wolle ,bis in den Tod*. Vor der Ver- lesung der Proposition wurde übrigens ausdrücklich erklärt, dass Stimmen- mehrheit nicht entscheide und dass Kursachsen und Kurbrandenbnrg sich unter allen Umständen das Recht der freien Entschliessnng vor- behielten; auch diese Klausel war jedenfalls von Kursachsen veranlasst, da die kursäcbsischen Räthe schon in Annaburg die Befürchtung aas-

Der Streit um die geiitlichen Gftier und du Seititotionsedict (16iV}. 493

Gegensätze vereinigen, welche den meisten der Anwesenden bereits als unversöhnlich galten.

Auch die Unterhandlungen selbst brachten den Kurftlrsten den übrigen Ständen nicht sonderlich näher. > lieber ein gemeinsames Schreiben an den Kaiser und die katholischen EurfUrsten, welches natürlich nur die schon himdertmal vor- gebrachten Klagen und Bitten noch einmal zur Erörterung brachte,^ konnte man sich noch einigen, aber in den wichti- geren Fragen y in Bezug auf das Verhalten gegenüber dem Könige von Schweden, in Bezug auf das Bündniss unter den Evangelischen selbst^ in Bezug endlich auf die Unterhandlungen in Frankfurt gingen die Meinungen am Schlüsse des Convents ungefiihr ebensoweit auseinander wie beim Beginn desselben. Zwar ganz so friedlich wie vor Jahresfrist war der Kurfürst nun doch nicht mehr. Er hatte seinen Käthen ausdrücklich die Frage vorgelegt, ob ein bewaflfheter Widerstand gegen das Restitutionsedict und gegen die vom Kaiser geforderten Kriegs- contributionen gestattet sei, und wenigstens die geistlichen Räthe, deren Einfluss auf den Kurfttrsten gerade in dieser Zeit zu-

gesprochen hatten, anf de^ Convente überstimmt zu werden (Dr. A., Best. VI, S. 313, XII; Karbrandenbur^r Protokoll, 20. Febraar 1631; Berliner Staatsarchir 12/78—80).

' Tillj wusste nachher, dass der KnrfOrst, wenn er nach Ansicht der Evangelischen auf dem Convente ,einen Tag auf gutem Weg^ gewesen, am anderen Tage wieder zurückgewollt habe* (Bericht der kursächsischen Gesandten, 22. Juni 1631; Dr. A., Rest. XIII).

' Das Schreiben an den Kaiser (28. März 1631) verlangte die Einsetzung der restituirten Güter in den vorigen Stand und enthielt zum Schlüsse eine feierliche Protestation gegen das Restitutionsedict. Es war auch geplant, einen feierlichen gedruckten Protest, der von Würtemberg ab< gefasst werden sollte, gleichzeitig dem Kaiser, dem Kurfürsten von Mainz und dem Kammergericht zu überreichen und ihn als eine Art Antwort anf das ebenfalls überall publicirte Restitutionsedict durch Öffentliche Anschläge allgemein bekannt zu machen ; dieser Schritt unterblieb jedoch, weil er Kursachsen ebenfalls zu gefährlich erschien. In dem Schreiben an die katholischen Kurfürsten ist unter Anderem die Drohung be- merkenswerth: wenn keine Vermittlung erfolge, ,mOchten auch die aus- wärtigen Potentaten sich wohl gar zuletzt ins Werk mit einmischen und dabei ein Stand sowohl als der andere ohne Unterschied der Religion das Elend, Verderben und Untergang zu befahren haben* (Theatrum Europ. II, S. 298, 305 ; Londorp IV, S. 134, 136).

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sebends wuchs^ hatten wirklich den Muth gehabt, dieselbe zu be- jähen J Aber die Theologen hatten hinzugesetzt, dass nach den Worten der Bibel auch gegen ,eine ungerechte Obrigkeit^ nur ein Vertheidigungskrieg zulässig sei , aber kein Angriffskrieg. Der Kurfllrst billigte es daher, dass auch die übrigen evange- lischen Stände, seinem Beispiele folgend, die Contributionen für das kaiserliche Heer verweigern oder, wie sich der Kurfärst lieber ausdrückte, sich wegen derselben ihres Unvermögens halber ent- schuldigen,^ und dass sie sich den Restitutionen, wenn nöthig mit Gewalt, widersetzen wollten; aber von einer Hilfeleistung fiir den Fall, wenn die Stände deswegen von katholischen Trup-

1 Die Hofräthe, welchen no^ar die Kritik des Restitutionsedictea schon ab eine Art ,8acrilegium' erschien, wagten diese Frage nicht an beantworten, sondern verwiesen ,aiif den Mund des Herrn, der durch seine treuen Diener sprechen werde*; wenn die Theologen für die ,Defension* wären, würden sie auch kein Bedenken tragen. Die fünfzehn befragten Theo- logen erklärten denn auch einstimmig, dass die Defensionsverfassnng erlaubt sei, weil man ,Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen'. Die Katholiken, meinten sie, würden ja doch nicht nachgeben, ,wenn ihnen nicht das Wasser ins Maul gehe*;, früher seien sie nachgiebiger gewesen, aber damals habe es noch keine Jesuiten gegeben, jetzt aber seien die meisten Prälaten und Hofofficiere ihre Schüler. Bedenken er- regte den Theologen ,der am Himmel aufgesteckte Komet*; doch sahen sie . darin nur eine Aufforderung zur Vorsicht. Es verdient bemerkt zu werden, dass in dieser Zeit gerade die Diener der Religion auf beiden Seiten am kriegerischesten sich aussprachen, am Hofe des Kaisers die Jesuiten,

* in Kursachsen die Hoftheologen. (Man vergleiche auch die heftige Predigt HoS's bei £r(»ffnung des Conventes; Menzl H, 8. 273; Dr. A., Best VI, VU). Dass vom politischen und militärischen Standpunkte aus der Plan eines Vertheidigungskrieges verfehlt war, suchte eine im schwedischen Sinne geschriebene Flugschrift, welche zur Zeit des Frankfurter Con- ventes erschien, zu beweisen: ,Zum Vertheidigungskriege,' sagte sie, ,gehöre vor Allem ein voller Beutel, der bis zu Ende des Krieges nicht erschöpft werden kann; den habe aber Kursachsen nicht. Viel hesser sei der Angriffskrieg, bei welcliem der Feind die Kosten zahle; wenn Kursachsen dagegen auf die Vertheidigung sich beschränke, so sei es in kurzer Zeit so gewiss verloren, wie ein Mensch, dem man zu wenig zu essen gibt.* 2 Dieses Unvermögen wollten natürlich die Katholischen nicht gelten lassen; so sagte Tilly zu den Gesandten Wilhelms von Sachsen: In Leipzig habe man so viel verzehrt, dass man damit die Contributionen für mehrere Monate hätte bezahlen können. Die Evangelischen jedoch meinten, die Contributionen auch darum verweigern zu können, weil

Der Streit nm die geistlichen Güter und das Reatitutionsedict (1629). 495

pen angegriffen würden, wollte er nichts wissen.^ Er selbst versprach, einige Regimenter zu Fuss und zu Ross aufzustellen, aber ausdrücklich nur zu seinem eigenen Schutze und, wenn es hoch kam 9 auch zum Schutze seiner obersächsischen Vettern. Die Kriegspartei; welche den Convent mit so grossen Erwartungen begrüsst hatte, an ihrer Spitze der KurfUrst von Brandenburg, war natürlich mit dieser Erklärung höchst imzu- frieden, imd da der Kurfürst von Sachsen unter Anderem auch auf den Mangel an Vollmachten bei den Gesandten der Städte sich ausredete, so drangen sie in ihn, wenigstens mit den anwesenden imd genügend bevollmächtigten Ständen und Ge- sandten ein Bünäniss zu schliessen, und zwar dieses Zuge- ständniss glaubte man dem bedenklichen Sinne Kursachsens machen zu müssen vorläufig noch mit Hinweglassung des Königs von Schweden. Aber durch dieses Drängen bewirkten die Stände nur, dass dem Kurfürsten schliesslich der Convent überhaupt lästig wurde : er sehe nicht , antwortete er am 5. April den Ständen, wie man über die ,von ihnen erinnerten Punkte sich noch weiter aufhalten oder mit einigem Nutzen

die kaiserlichen Truppen doch nur zum Verderben der Protestanten ge- worben wären, die also wie einst Britannien ihre eigene Knechtschaft bezahlen müssten (Theatrum Europ. II, S. 301). ^ Wenn der Kaiser von den Rüstungen abmahne, rieth der Kurfürst, so sollten sich die evangelischen Stände ,allerunterthänigst mit bestem Glimpf entschuldigend Im Abschied des Conventes ist dann allerdings auch von der Verpflichtung zu wechselseitigem Schutz und Hilfe die Rede, aber Kursachsen bezog sich dabei ausdrücklich auf seine am 23. März abgegebene Erklärung. Auch der von den anderen Evange- lischen vorgeschlagene und auch von Kursachsen gebilligte Ausschnss zur Oberleitung des ,evangeli8chen Wesens^ ist niemals wirklich zu- sammengetreten, und zwar, weil, wie Kursachsen erläuternd hinzusetzte, ,die evangelischen Stände in dieser Hinsicht sich nicht erklärten*. Die Bevorzugung der obersächsischen Stände endlich hatte ihren Grund ausser den verwandtschaftlichen Beziehungen auch darin, dass diese Stände sich ausdrücklich zu einer «Defensionsverfassung* bereit erklärt hatten, und zwar die sächsischen Herzoge in der Kursachsen ganz be- sonders erwünschten Weise, dass sie die Aufstellung der Truppen und also auch die Verfügung über dieselben dem Kurfürsten überliessen und selbst nur Geldbeiträge zu leisten versprachen (Erklärung Kursachsens vom 6. April; Kursachsen an Kurbrandenburg, 13. Juli 1631; Dr. A., Rest. XV; IX, S.328; Berliner Staatsarchiv 12/78—80; Theatrum Europ. II, S. 296, 310; Londorp IV, S. 144).

496 Tapetz.

Und fruchtbarem Effect darüber tractiren könne*.* Dabei blieb es denn auch.

Und nicht blos in der an sich heiklen Bündniss- und Rüstungsfrage, auch in der anscheinend viel leichter zu lösen- den bezüglich der den evangelischen Gesandten nach Frankfurt mitzugebenden Verhaltungsbefehle kam es zu keiner Einigung. Jene Stände, welche den etwa bevorstehenden Krieg gemeinsam zu führen gedachten, hatten vorgeschlagen , entweder überhaupt nicht zu imterhandeln oder wenigstens bei den Unterhand- lungen gemeinsam vorzugehen und allen Gesandten eine und dieselbe; und zwar eine energische und weitgehende Instruction mitzugeben;^ aber wieder war es Kursachsen, welches wider-

^ Einen Bund, ähnlich der katholischen Liga, beantragten die Stände am 23. März; bezüglich Schwedens verlangten sie (am 27. März) nur, dass ein Stand, der sich an Schweden anschliessen würde, deshalb nicht vom Bunde ausgeschlossen sein sollte. Der Kurfürst von Sachsen jedoch fand, dass der neue Bund vielmehr der Union gleichen würde; an dieser aber habe man gesehen, wohin es auszuschlagen pflege, wenn man Alles auf die ,Extremitäten und zweifelhaften Ausgang des Glückes* stelle (27. März). Kurbrandenburg wünschte nun (2. April), dass wenigstens nach Schluss des Conventes ein ,Deputationstag* berufen würde, auf welchem dann auch die jetzt abwesenden Stände vertreten wären, und wo endlich doch das so heissbegehrte ,chri8tliche und verantwortliche Bündniss* geschlossen werden konnte; aber Kursachsen erklärte (10. April) nochmals: es sehe die Noth wendigkeit einer neuen Verbindung nicht ein; bei den alten Ordnungen zu bleiben, sei viel sicherer. Den Wunsch nach Schluss der Berathungen sprach der Kurfürst schon am 28. Man aas: da so viele Stände gar nicht und andere mit ungenügenden Vollmachten erschienen seien, so sei eigentlich die Verhandlung unmöglich gemacht und von ihrer Fortsetzung nur Schaden zu fürchten; ähnlich änsserte er sich am 28. März und, wie auch im Text erwähnt, am 5. April (Dr. A., Rest. IX und XII; Theatrum Europ. II, S. 295, 297; Berliner Staats- archiv 12/78—80).

' Die unversöhnlichste Stimmung spricht sich in einem Gutachten unbe- kannten Ursprunges, welches aber vielleicht von den in Leipzig an- wesenden Grafen herrührt (Dr. A., Rest IX, S. 424), aus: Das PapstÜiam, heisst es darin, würde in bedenkliches Schwanken gerathen, wenn ihm die drei Stützen der Jemals gehabten KlOster, des Vorbehalts der Geist- lichen und des Zwanges der Unterthanen* entzogen würden; auf die ,Con8ervation oder den Ruin des Papstthums' komme es jetzt an. In Folge dessen wird gerathen, den Katholiken auch nicht daa geringste Zage- ständniss zu machen. Andererseits wurden in einem ,unvorgreiflichen Entwurf, der jedenfalls eher die Billigung des Kurfürsten von Sacbaen

Der Streit um die greiBtlicben Gftter und das Restitntionsedict (lß29^. 497

sprach, und die Art, wie es diesen seinen Widerspruch begrün- dete, ist noch bezeichnender als der Widerspruch selbst. ,Die Rechte der evangelischen Stände/ erklärte nämlich der Kurfürst, ySeien verschieden; es müsse daher den Ständen, welche be^ sondere Rechte hätten, imd also namentlich dem Kurfürsten von Sachsen freistehen, seine Gesandten zu instruiren, wie es ihm gutdünke^ ^ Es war also auch jetzt noch das alte Lied : noch immer erinnerte sich der Kurfürst der Sonderstellung, die er durch das Mühlhausner Versprechen den anderen Evange- lischen gegenüber erhalten hatte, noch immer hegte er die Hofifnxmg, durch ein ähnliches, allerdings besser verbürgtes und inhaltsreicheres Versprechen seinen Separatfrieden mit Kai- ser und Liga zu machen ; noch inmier war er bereit , um diesen Preis die übrigen evangelischen Stände imd insbesondere die Calvinisten unter ihnen ihrem Schicksale zu überlassen.^

erlangt hätte, vielleicht sogar Ton ihm selbst ansging, fast dieselben Zugeständnisse gemacht, welche schon Georg von Hessen vorgeschlagen hatte, nämlich: Anerkennung des geistlichen Vorbehalts wenigstens für die Zukunft, Restitution der dem Papste direct unterworfenen Stifter, wenn dieser Umstand erwiesen sei, Ablösung der mittelbaren, nach 1555 eingezogenen KlOster durch Geld oder, wenn dies nicht bewilligt wurde : Ausfolgung der Einkfinfte an die Orden, ohne dass diese jedoch selbst die Kloster bewohnen dürften u. s. w. (Dr. A., Rest IX, 8. 528). Welch' wunderliche Blasen daneben in manchen KOpfen aufstiegen, zeig^ ein ,unvorgreifliches Bedenken^ (Dr. A., Rest. IX, S. 551), welches die Orden, die BQcher gegen den Religionsfrieden schreiben oder überhaupt den Friedenszustand stOren würden, mit dem Verluste ' aller ihrer KlGster bestrafen wollte, derart, dass diese Kloster denjenigen anheimfielen, in deren Gebiet sie gelegen wären. Kurbrandenburg stand auf Seite der Unnachgiebigen; denn es verlangte (28. Februar 1631) unbedingte Auf- hebung des Restitntionsedictes (Kurbrandenburger Protokoll, Berliner Staatsarchiv 12/78—80).

* Wortlich: Jeder Stand müsse seinen Gesandten ,nach Gelegenheit derer ihm zustehenden Rechte und Gerechtigkeiten schicken und informiren, weil die Stände diversa jura hättdn und ein Theil ans diesem, der andere aus jenem Fundament sein Recht behaupte' (Erklärung vom 5. April 1631).

^ Diese Hoffnung wird unter anderen recht deutlich ausgesprochen in der Antwort, welche der Kurfürst dem französischen Gesandten Melchior de risle ertheilte, der ihn hatte zum Kriege hetzen wollen; der Kur- fürst, hiess es darin, habe vom Kaiser nur Liebes und Gutes zu erwarten und hoffe daher noch immer auf eine günstige Entscheidung des Kaisers

498 Tnpetz.

Aber hatte unter den Katholischen die Neigung zu solchen besonderen Zugeständnissen an Kursachsen zugenommen? Bei den katholischen Kurfürsten schien es allerdings der Fall zu sein; denn ihre Schreiben überflössen von Artigkeit für Kur- Sachsen und enthielten sogar das für den KurfUrsten y namentlich im Hinblick auf das Verhalten seines Schwiegersohnes, höchst werth volle Zugeständniss, dass der evangelische C!onvent in Leipzig an sich nichts Unerlaubtes sei.^ Wenn daran der

(datirt: Vn. Calendas Apr.; Dr. A., Rest IX, S. 115). Wirklich Heneos- sache war dem Kurfürst ausser seinem eigpenen Schicksal nur das der Stadt Augsburg, für die er sich allerdings mit grosser Wärme verwendete. * Anfangs hatten die Katholischen die Berufung des evangelischen Con- vents als einen Schritt, bestimmt zur Vereitelung der Frankfurter Unter- handlungen, betrachtet und demgemäss abfällig beurtheilt ,Wenn nicht alle in Leipzig Versammelten,* erkl&rte damals Kurmainz, ,die Wieder- aufnahme der Unterhandlungen begehren würden, werde man sie wohl ganz liegen lassen* (Georg von Hessen an Kursachsen, 24. Februar 1631). Dagegen hatte KurkOln schon am 31. Januar 1631 geschrieben, er finde die Sachen so wichtig, dass es Knrsachsen nicht zu verdenken sei, wenn es mit anderen Evangelischen Unterredung darüber pflege; und Maximilian von Bayern hatte den Convent mit dem Wunsche begrüsst, dass ^der allmächtige Gott dazu seine Gnade und Segen verleihe und die Ver- sammlung ... zu dem vom Kurfürsten angedeuteten friedlichen Ziele lenke*; von dem friedliebenden Sinne Kursachsens hatte er hiebet ge- sagt, dass er Jeden Verdacht ausschliesse* (4. Februar 1631). Ja aach der argwohnischere Kurfürst von Mainz machte am 11. Mai 1631 dss Zugeständniss: dass den Augsburgischen Ständen geradezu verboten sei, an ihre Defension zu denken, wolle er nicht behaupten; nur das beim- ruhige ihn, dass in dem Bunde auch solche seien, die gar nicht der Augsburger Confession angehörten und ,nun frohlockten und jubilirten, in der Hoffnung, ihre sonst verbotene Secte nun wieder zu verbreiten*; und nochmals am 16. Juni: ,Er könne im Principe die Defensions* Verfassung der Evangelischen nicht disputiren, halte sie jedoch fSr nicht zeitgemäss und deshalb gefährlich*; und endlich am 28. Juni: Die evangelische Defension an sich sei nicht unerlaubt; nur möge der Kur- fürst von Sachsen den Anschluss an Schweden verhindern. In dem officiellen Schreiben der katholischen Kurfürsten vom 3. Juni 1631 findet sich allerdings dieses Zugeständniss nicht; es heisst vielmehr darin: Ob- wohl auch die katholischen Stände unter den Kriegsbedrückungen ge- litten, hätten sie sich doch niemals so weit hinreissen lassen, dass sie deswegen die Waffen ergriffen, ,Ihrer kais. Maj. Quartier aufgekündigt und bei solcher geschöpften Resolution sich mit gewehrter Hand CQ mannteniren entschlossen' (wogegen freilich der Kurfürst von Sachsen an den Heidelberger Ligatag 1629 hätte erinnern kOnnen). Doch Te^

Der Streit am die geistlichen Güter and das Restitutionsedict (1629). 499

Wunsch geknüpft wurde/ dass der Kurfürst durch seine Auto- rität alle unbesonnenen und bedenklichen Beschlüsse verhindern werde, so hatte er ja dieser Erwartung, wie er wenigstens selbst meinte, vollauf entsprochen. Wichtiger noch freilich war, ob aach der Kaiser ihm noch gnädig gesinnt war, und namentlich, ob er sich gewillt zeigte, dieser gnädigen Gesinnung endlich einen deutlicheren Ausdruck zu geben, als bisher geschehen war. Als daher zum dritten Male seit Erlassung des Restitu- tionsedicts ein kaiserlicher Gesandter, diesmal der Geheimrath Hegenmtiller, sich auf den Weg nach Dresden begab, um dem Kurfürsten die Entschliessungen des Kaisers zu überbringen, da mochte immerhin ein schwaches Ho£Enungsflämmchen im Herzen des Kurfürsten aufflackern.

Aber die Enttäuschung war womöglich noch grösser als bei den früheren Gesandtschaften: Hegenmüller brachte statt der gehofffcen Versprechungen nur Vorwürfe wegen Abhaltung des Convents.* Und doch konnte es nach dem Vorgefallenen

sicherte Knrbayem anch nachher (19. Jani 1631) noch, dass, wenn man nnr die Reichssatzungen beobachte und unzulässige petita nicht be- haupte, auch unter den Waffen noch ein Friede zu Stande kommen kOnne, ,wie vormals oft geschehn^ und dass es ihm hiemit ernst war, beweist ein Schreiben, welches er schon am 23. April 1631 an den Papst gerichtet hatte; er sagte darin, dass er zwar keinen Vertrag gutheissen werde, welcher die Religion beschädigen könnte, dass er aber doch, da die SIräfte der katholischen Fürsten Deutschlands erschöpft seien und keine Hilfe vom Auslande komme, während die Macht der Feinde täglich wachse, es übernommen habe, mit den Protestanten im Reiche einen Frieden oder eine Uebereinkunft zu vermitteln. Im Zusammenhange mit dieser vom Kaiser sich trennenden, den Evangelischen gegenüber im Grossen und Ganzen friedlichen Politik steht wohl auch der am 8. Mai 1631 mit Frankreich abgeschlossene Schutzvertrag, welcher nachher in Wien und Madrid so grosses und gerechtes Aufsehen erregte (Gregore- ▼iua, Urban YIII., S. 29; Dr. A., Rest. VIU und XIII; Theatrum Europ. II, 8. 307; Londorp IV, 8. 178). > Allerdings hiess es in der Instruction HegenmüUer's: ,Der Kaiser hoffe, dass bezüglich des Restitutionsedictes bei dem bevorstehenden Convente sich solche unterschiedliche media erzeigen und durch beiderseits Be- qnemnng bei friedliebenden Gemüthem stattfinden würden, dass dadurch die heilsamen Reichsconstitutionen conservirt, auch beiderseits Religions- verwaudten in besseren Vertrauen als bisher neben einander bleiben werden.' Das war aber nicht einmal so viel wie das Versprechen Trauttmansdorff^s. Auch sonst war der Ton, in welchem Hegenmüller

500 Tnpoti.

kaum anders kommen ! Sollte der Kaiser einen Beweis der Freundschaft und Ergebenheit darin erblicken, dass man seinen Truppen die Contributionen verweigerte? Konnte er es gut- heisseU; dass man auf evangelischer Seite Truppen warb^ mit dem ausgesprochenen Zwecke^ die evangelischen Länder gegen die ^Bedrückungen durch die kaiserliche Soldatesca^ zu schützen? So ängstlich sich also der Kurfürst vor Schritten gehütet hatte^ welche als offene Auflehnung gegen die kaiserliche Auto- rität erscheinen mussten, es half ihm nichts^ er stand nun doch 7 wie eifrigere Protestanten schadenfroh bemerkten, ^ schwarzen Buche'^ gerade wie die übrigen evangelischen Stände auch.^ Der Leipziger Convent, wie er vom Kurflirsten geleitet worden war, hatte eben hingereicht^ den Zorn des Kaisers zu reizen, ohne ihm doch zu imponiren; er hatte zwar ,die Ab- sicht merken lassen', welche man auf evangelischer Seite im Herzen trug; aber zugleich auch bewiesen, dass die Evange- lischen und vor Allem der Kurfürst selbst nicht die nöthige Thatkraft besässen , um sie zu verwirklichen. Hegenmüller muthete denn auch allen Ernstes dem Kurfürsten zu, er solle

zu sprechen hatte, vielfach unfreundlich: die Klostereinziehung wurde als Raub und Plfinderung hingestellt, von den Evangelischen behauptet, dass sie geglaubt hätten, dass dies straflos bleiben werde, und dass die davon Betroffenen auf ,weitläufige Rechte und unsterbliche Revisionen* verwiesen werden konnten; der Kaiser aber, hiess es, habe das nicht dulden kOnnen und durch das Restitutionsedict die Wurzel des Uebek ausgerissen (Dr. A., Rest. Xm*, auch Theatrum Europ. II, S. 312; Londorp IV, S. 147). ^ ,Die evangelischen Stände, sie mögen simuliren wie sie wollen,' schrieb Hans von Stolberg am 26. April 1631 an den kursftchsischen Kammer- diener Hübner, ,sind nunmehr ins schwarze Buch geschrieben und werden alle dafür gehalten, dass sie mit den Schweden unter einer Decke gesteckt.' Natürlich zog Stolberg daraus den Schluss, dass m&n am besten thue, so bald als möglich wirklich zu Schweden überzutreten; denn, bemerkte er, ,wenn die Katholischen auch diesmal siegln und es so weit brächten, wie sie es im niedersftchsischen Kreise bishero gehabt, so wird wegen Reformation und Restitution der Geistlichen keine Gnade und Barmherzigkeit zu hoffen sein.' In demselben Briefe wird eine Anekdote mitgetheilt, welche den bekannten unglücklichen Geneial Tiefenbach betrifft; derselbe soll nämlich in Gegenwart des Kaisers ge- sagt haben: er müqse bekennen, dass ,der Schwede ein resolvirter, wackerer Soldat wäre', der Kaiser aber habe darauf erwidert: das wisse er schon lange, dass der Schwede ein besserer Soldat sei als Tiefenbach.

Dar Streit um die geistliohen aater und das Üeetitiitieiitedict (16M). 501

nicht nur selbst von den Leipziger Beschlüssen zurücktreten, sondern auch die übrigen Evangelischen von der Befolgung derselben abmahnen; ^ mit anderen Worten: der Kurfürst sollte, ohne irgend ein Entgelt dafUr zu erhalten, einen politischen Selbstmord begehen, bei dem ihn das Hohngelächter der ganzen evangelischen Welt begleitet hätte.

Dazu freilich konnte sich der Kurfürst, so empfindlich ihm übrigens die kaiserliche Ungnade war, doch nicht ent- schliessen; er begnügte sich, an den E^ser ein eigenhändiges Schreiben zu richten, in welchem er mit den rührendsten Worten betheuerte, dass er dem Kaiser bis in den Tod treu bleiben wolle, und nochmals flehentlich um eine günstigere Be- handlung der Evangelischen bat.^ Das Schreiben machte selbst

^ ,So werde der Kurfürst,' sagte Hegeninfiller, «seine heroische Tapferkeit und andere knrfClrstlichen Tugenden mit dem endlichen Ehrenkränslein beständiger Treue krOnen*. Diese Stelle ist im Original des von dem Gesandten Übergebenen Memorials (6. Mai 1631) doppelt angestrichen. Fast gleichzeitig richtete auch Tilly Schreiben an den Kurfürsten (10., 24. und 26. Mai), in welchen er schon die Rflstungen der Erangelischen als EmpOrung beseichnete und mit Gewaltmassregeln drohte, sugleich aber sich noch den Anschein gab, als wisse er nicht, dass Kursachsen ebenfalls rttste. Der KurfOrst seinerseits klagte, dass von Hegenmüller »alles behauptet und anstatt gehörigen Trostes und Liberation nochmals den Stünden die Gontribution und anderes zugemuthet und aufgebfirdet werden wolle*; die Rüstungen vertheidigte er mit dem Hinweis auf das Fortbestehen der Liga und die Zügellosigkeit des kaiserlichen Kriegs- Tolkes (Dr. A., Best. XHI; Kursachsen an Kurmainz, 3. Juni 1631; Londorp IV, 8. 161; Theatrum Europ. H, S. 818).

2 ,Der Kaiser müge sich doch erweichen lassen,' heisst es in dem be- treffenden Schreiben; ,er, der Kurfürst, meine es aufrichtig und wolle des Kaisers und des Reichs getreuer Kurfürst bleiben, aber er hoffe, auch der Kaiser werde seines treuen Kurfürsten nicht vergessen und zu milderen Mitteln greifen* (30. Mai 1681). Auch dem Kurfürsten von Bayern schrieb er bald darauf (9. Juni): ,Mit Qott bezeug ich, dass ich nichts anderes denn Frieden und Ruhe suche; keine ungleichen Oe- danken seind in mein kurfürstlich Herz gestiegen.* (Aehnlich auch an Ferdinand III. und an Kurküln). Man darf wohl diese Bethenerungen für aufirichtig halten. In dem Schreiben an Bayern fehlt auch die Drohung nicht ganz: ,Da man femer nur mit Gewalt verfahren und kein Bitten und Flehen, kein Recht noch Gesetz mehr helfen und den äusserst Bedrückten und Gequftlten zu Trost und Statten kommen sollte, dass endlich ein desperat Werk erfolgen mOchte* (Londorp IV, S. 170, 176, 177, 178). SitouifibM. d. pkU.-hist. Cl. CU. Bd. U. Hfl. 33

502 Tvpeis.

auf die sonst argwöhnischen Räthe des Kaisers den ländnick der Wahrhaftigkeit, und sie riethen daher ihrem Herrn, wenig- stens mit einem freundlichen Briefe die gute Gesinnung des Kurfärsten zu belohnen.* Das war aber auch Alles; ein Zuge- stttndniss in Bezug auf die geistlichen Güter wurde ihm jetzt ebensowenig wie früher zu Theil.

Und dabei musste der Kurftbrst noch froh sein, dass man ihm immerhin noch gute Worte gab, ihn sogar mit dem Ver- trauensamte eines FriedensvermittlerB gegenüber dem Könige von Schweden beehrte; denn den übrigen evangelischen Stän- den, welche mit seiner Zustimmung Truppenwerbnngen veran- staltet und die Contributionen verweigert hatten, wurde eine noch viel [härtere Behandlung zu Theil. Zuerst zwar wurden sie, wie der Kurfürst aufgefordert, die Lieferungen zu leisten und die Werbungen einzustellen, aber als dies vergeblich blieb, rückten die kaiserlichen Generale ohneweiters mit ihren Trap- pen in die betreffenden Länder ein, um den Gehorsam, da er freiwillig nicht gewährt wurde, zu erzwingen.^ Und nun erst

> (Ein 80 bewegliches Schreiben verdiene eine ebenso offenhenige Ant- wort,' nrtheilten sie; ja sie sagten: Wenn die Leipziger Besehlllsse ,den gegenwärtigen Erklärungen des KnrfÜrrten gleichförmig* gewesen wSren, so wfirde anch ihr Gntachten ftber die Hegenmäller mltsngebende In- struction anders gelautet haben. Die Käthe meinten jedoch, gerade die eneigische Sprache Hegenmflller*s habe es bewirkt, dass die jetsige £r- klärang des Kurfürsten ,weitt änderst formiert, erleuchtert und temperiert worden', und dass der Kurf&rst jetzt nicht mehr die Cassation des Resti- tuüonsedictes oder die Suspension seiner Ausführung, oder gar die Wieder- einsetsung derjenigen verlange, gegen welche das Edict bereits exequirt worden, sondern blos eine ,Moderation solcher Exoeution und dasB die Stände damit nicht übereilt werden'. Letzteres war nun fireilich ein Irrthum, der KurfOrst hatte nicht verzichtet, wie man sich aus sonem eigenen Schreiben fiberzeugen kann; aber die kaiserlichen Räthe schloasen aus solchen Prämissen mit Becht, dass man auch in Zukunft möglichst energisch auftreten mttsse (Gutachten ohne Datum ; Wiener StaatsarehiT, Friedensacten 9 c).

3 Nach einem Schreiben Hans von Blansdorf *s an Kursachsen (14. Mai 1631) gaben die Katholischen die Schuld an den protestantischen Rflstongen dem Könige von Frankreich, der ein ebenso zweideutiges Spiel treibe wie Heinrich II.; faber*, sollen sie hinzugesetzt haben, ,sie getrauten sich noch, das ausgegangene Feuer im Blute der Ketzer zu loschen.' Auch TiUj sagte: ,Man müsse ein kleines Feuer loschen, ehe es gross wird' (Dr. A., Rest. XIV).

Der Stnit um die getstUehen Oflier uid du Bestitutionsedici (t629). 503

zeigte sich die Halbheit der Leipziger BeBchlttsBe in i}irer ganzen Jämmerlichkeit. Dass Kursachsen den Landgrafen Wilhelm von Hessen nicht unterstützte^ als derselbe von TiUy angegriffen wurde, mochte noch hingehen; da dieser Fürst seine eigenen Wege ging und als der Erste offen an Schweden sich ange- schlossen hatte ;^ aber kaum verzeihlich war, dass derKurfUryt auch gegenüber der Noth der anderen eyangelischen Stände in derselben Unthätigkeit verharrte. FlehentUch bat der Herzog von Würtemberg; als die von Italien kommenden kaiserlichen Truppen unter Fürstenberg gegen ihn heranrückten, in fast täglichen Schreiben sowohl den Markgrafen Christian von 3nui- denbui^y als auch den Kurfürsten von Sachsen selbst um Hilfe; vergebens! der Beistand blieb aus und Würtemberg unterlag. Nun wälzte sich die Gefahr gegen den fränkischen Kreis; die Hilfegesuche wiederholten sich; der Erfolg war derselbe wie in Schwaben.^ Selbst als die thüringischen Herzoge, welche

1 Am 10. Juni 1631 bat Wühelm Ton Hessen durch einen Gesandten um Beistand, erbielt aber einen Verweis, weil er Kurmainz und andere katholische Stände mit Waffengewalt bedrängt habe, was gegen den Qeist der Leipziger Beschlösse sei. Am 16. Juli wurde ihm der Rath SU Theil, seine Truppen an einen sicheren Ort zu bringen; die Bitte, das hessische Kriegsrolk zu übernehmen, wurde von dem Kurfürsten am 29. Juli düatorisch beantwortet (Dr. A., Best XU). Dass der Kur- fftrst die Stadt Magdeburg ebenso wenig unterstützte, bedarf schon darum keiner BrkUirung, weil dieselbe durch die Wiederaufnahme des früheren Administrators direct gegen das kursächsische Interesse gehandelt hatte.

2 Mitte Mai 1631 stand Fürstenberg schon vor Memmingen; der Herzog von Wfirtembeig schrieb Hilfegesuche am 24., 28. und 29« Mai, am

2. Juni (c^, citissime), am 11., 13., 19., 22., 24., 26. Juni, am 1. und

3. Juli; fast ebenso häufig sind sp&ter die Bitten des Markgrafen Chri- stiaa. Am L Juli versuchte der fr&nkische Kreis durch eine Gesandt- schaft an Kurbayem das Kriegswetter abzuwenden, am 16. Juli durch eine Zusammenkunft mit den kursächsischen Bäthen zu Plauen werk- thätige Hilfo au erlangen. Beides vergeblich. Würtemberg unterwarf sieh am 11. Juli, Markgraf Christian dankte seine Truppen am 1. August ab (dieselben, fünf Compagnien zu Boss und vier zu Fuss, wurden dann in kursächsische Dienste aufgenommen), am 29. August unter- warfen sich die fränkischen Stände überhaupt Merkwürdig ist, dass der Kurfürst von Sachsen, nachdem er die übrigen evangelischen Stände im Stiebe gelassen, ihnen doch wegen ihrer Unterwerfung Vorwürfe machte; so wurde dem Bathe von Ulm am 8. August 1631 vorgehalten^ dass »derselbe sich nicht anders bezeigt, als ob (in Leipzig) etwas Neues,

33*

504 t«p«tt.

doch dem Kurfürsten von Sachsen verwandt waren, in gleicher Weise bedrängt wurden, ging es nicht anders; ja der Kurflirst wollte den Herzogen und ihren Trappen nicht einmal die Flacbt auf ktirsächsisches Gebiet gestatten, aus Furcht , es könnten dadurch auch die Verfolger in sein Land gezogen werdenJ »Erschrecklich brausenden Wellen gleich' überschwemmten die katholischen Waffen die evangelischen Inseln des Reiches, und da seit dem Falle Magdeburgs auch der Glücksstern des Königs von Schweden zu erbleichen schien, da war es gar Manchem, als ob nur ein Wunder die evangelische Sache noch retten könne.'

UnrecktmÜMiges, UnTorantwortliches und wider die ReichacoiiBtitationen Lattfendes ftrgenommen worden wireS Auch dem Herzog von Wfiitem- herg and dem Markgrafen Christian wnrde ihr Wankelmath Torgewoifen: yfrOher sei doch des Klagens and Erinnems and Snchens kein Ende ge- wesen* (Dr. A., Rest. XII, XV, XVI, XVH; Londorp IV, 8. 221).

* Tilly führte gegen diese Hersoge eine sehr heftige Sprache, nannte ihre Rflstongen ,aa{rflhrerische H&ndel*, erkl&rte, dass sie ,aaf KanuMshsen gar keinen Respect hiltten^ n. s. w. Dem Herzog Wilhelm von Sschaen hatte der KorfOrst zwar am 2. Jani 1631 die Flacht auf karslchsisdies Gehiet bewilligt, diese Bewilligang worde aber am 11. Jnni wieder lo* rUckgeKOgen. Am 17. Jani gewShrte er sie dann, aber nor IBr ihn selbst und seine Familie, and wir Temehmen, dass der Herzog am 26. Jani in Leipzig bei einem Wirthe sich aaf hielt, dem er rar Last war, ,weil derselbe bei ihm von Geld nichts Uebriges bemerkte and lo Tomehme GKste ohne Geld nicht anterhalten wollte'. Die Uebenahme des herzoglichen Kriegsrolkes in karsächsische Dienste aber wnrde ancb dann noch Terweigert, and zwar mit der bissigen Bemerkung, die He^ zöge hätten nach den Leipziger Beschlüssen nnr Geld beitragen sollen, aber eigenmächtig Truppen geworben; als endlich die Beiter ¥^hehns trotzdem den karsächsischen Boden betraten, so war der KnrfBrst höchst anwillig darftber and verlangte sofortige Abführang derselben (Dr. A, Best XII, XIV).

> Magdebnrg fiel bekanntlich am 20. Ifai 1681. Nnn werde ,eine uge Tjrrannei losgehen^ heisst es in einem Schreiben ian Wfirtembeig vom 22. Mai 1631; auch Georg von Hessen fürchtete, dass die Katholischen, ,nanmehr von einem grossen Hindemisse befreit and am einen grossen E«rfolg bereichert^ minder friedlich sein konnten als vorher, erhielt aber über eine Anfrage bei Karmainz die tröstliche Antwort, dass dessen Gesinnongen anverändert seien. Karsachsen seinerseits trüstete ach damit, dass der ,Herr Zebaoth allmächtig sei and doch Alles in seinen Händen stehe* (Georg an Karsachsen, 6. Juni 1681, and dieses an Georg, 17. Juni ; Dr. A., Rest. XC, XV).

Der Streit um die geistlichen Gftter und das Bestttutionsediet (1629). 50^

Und schon klopfte, Einlass begehrend, der siegreiche kaiserliche General auch an die Thore von Eursachsen. Der Eurftarst hatte, da er von dem kaiserlichen Gesandten Hegen- müller aufgefordert worden war, den Frieden mit Schweden zu vermitteln, einige Gesandte an Tilly abgeordnet, um von dem- selben vorläufig die Bewilligung eines Waffenstillstandes zu er- wirken.* Die Unterhandlungen hatten jedoch kaum begonnen, als auch sofort der Gegenstand derselben sich änderte, imd statt der Bedingungen eines Friedens mit Schweden wurden vielmehr die Bedingungen erörtert, imter denen der EurfUrst seinen eigenen Frieden mit dem ELaiser machen könne. Tilly forderte von ihm, was er von dem Landgrafen Wilhelm von HesBen und von den sächsischen Herzogen gefordert hatte : Entlassung des in Folge der Leipziger Beschlüsse geworbenen Eriegsvolks oder Vereinigung desselben mit der kaiserlichen Armee. Der EurfUrst antwortete mit dem Hinweis auf die von den katholischen Ständen versprochenen Unterhandlungen, welche demnächst in Frankfurt am Main beginnen sollten; dadurch, meinte er, sei ,eine herrliche Appertur vorhanden, sowohl den schwedischen Erieg zu accommodiren, als auch die Beschwerden wegen des Edicts zu beseitigen'; er bat, ein so löbliches Beginnen nicht durch einen gewaltsamen Angriff auf getreue und friedlich gesinnte Stände zu stören. Aber Tilly hielt spottwenig von jenen Unterhandlungen ; in Frankfurt, sagte er, würden doch wieder nur ,die Doctoren ihre Subtilitäten hervor- suchen'. Er blieb daher bei seiner Forderung: der EurfUrst habe sofort zu erklären, ob er gehorchen wolle oder nicht.

Und es schien sogar, als wünsche Tilly nicht einmal, dass der EurfUrst wirklich sich gehorsam erweise; die Reden wenigstens, welche er den Gesandten gegenüber führte, waren 80, dass sie den Eurfiirsten auf das Aeusserste reizen und er- bittern mussten. Bis auf die Religionsspaltimg ging dabei der General zurück, indem er seine Verwundenmg aussprach, dass ,man heutigentags in der Religion klüger sein wolle als die Vor- fahren'; als die Gesandten statt aller Antwort auf den Religions-

' Die Gesandten hiessen Nicolans Gebhard von Mütits und Gottfried von Wolffendorff; ihre In«traetion ist datirt Tom 10. Jani 1631 (Dr. A., Rest. Xni; Tbeatmm Earop. II, S. 398; Londorp IV, 8. 170).

506 Tap«ts.

frieden hinwieBen, welcher die Duldung beider Religionen aus- 8pi%che^ antwortete der General, ein gelehriger Schüler de« Bischof s von Augsburg: ^der Religionsfriede sei nur ein Interim und den KathoHschen gleichsaip abgenöthigt^. Natttrlich pro- testirten die Kursächsischen: der Friede ^sei ein ewig währen- des, hochbetheuertes Gesetz'. Als die Sprache auf die kur- säehsischen Stifter kam, sagte Tillj: er rathe dem Kurftlr^n, sie freiwillig abzutreten. ,Eb wäre/ filgte er zur Begrttndang hinzu, ,doch wenig Segen dabei und fresse nur die anderen Einkommen; der Kurftlrst könne doch ein grosser Herr und Potentat sein, wenn er gleich diese GHiter nicht besitze.^ Wieder antworteten die Gesandten: sie hätten nie gedacht, dass man ihrem Herrn zum Lohn ftlr seine Treue solche Zumuthungen machen werde. Aber Tilly blieb bei seinem Worte: der Kaiser könne Niemand einen Vorzug gestatten; wenn die kursächsischen Prinzen doch bei den Stiftern bleiben wollten, so könnten sie ja - katholisch werden.'

Ein Geftüiü unsäglicher Bitterkeit muss den Kurftbrsten erftült haben, als ihm dieser Erfolg der Gesandtschaft berichtet wurde. Was ihm von anderen evangelischen Ständen so oft prophezeit worden war, das war nun eingetroffen: als der letzte verspeist zu werden, das war Alles, was er durch seine unend- liche Vorsicht und Friedensliebe erreicht hatte. ^ Dem Kur-

1 ,Di6 karsäcluischen Jangherren,' sagte er wOiiKch, ,kOnnteii sich wohl habilitiren, dass fde bei den Stiftern verblieben/ Ob Tilly diese hermiu- fordemde Sprache mit Genehmigung des Kaisers führte, ist mehr als fraglich; wenigstens hatte der Kaiser noch am 14. Juni 1631 in einem durchaus freundschaftlichen Tone an Kursachsen geschrieben und dabei die Vermuthung ausgesprochen , dass die Schuld an den Leipziger Be- schlüssen nicht iprindpaliter* dem Kurfürsten von Sachsen, sondern Tiel- mehr jenen Ständen zukomme, die der Augsbn^^r Confession gar nicht zugethan und welche auch schon Mitglieder der ,hochschfidlichen Union* gewesen seien. Die schriftliche Resolution Tillj's vom 20. Juni 1631 lautete übrigens gleichfalls höflich und im Wesentlichen unanstOssig, aber sie konnte schon darum keine gute "Wirkung thun, weil in der- selben anadrücklich auf den mündUchen Bericht der Gesandten hin- gewiesen wurde (Berichte der kursächsischen Gesandten vom 17. und 22. Juni 1631; Dr. A., Rest. XIII; Theatrum Europ. II, S. 326; Lon- dorp IV, 8. 180).

2 Der Eindruck auf den Kurftlrsten musste um so grösser sein, je Sfter ihm dieses Loos prophezeit worden war und je entschiedener er diesen

I>ar Streit um die geistlichen Gflter und das Bestitationsedict (1629). 507

filrsten bHeb keine Wahl mehr; wenn er sich nicht auf Gnade und Ungnade unterwerfen wollte, wie Tilly forderte^ so konnte nur das Bündniss mit Schweden ihn noch retten. Die kur- Airstlichen Rftthe widersprachen zwar auch jetzt noch^ und sie bewiesen damit, wie festgewurzelt in der Politik des kuraächsi- schen Hofes die Treue und Ergebenheit gegen den Kaiser und der Abscheu vor Bürgerkrieg und Empörung war. Aber der Kurfürst hatte nun den Muth der Verzweiflung. ,Es lehre ihn Gottes Wort und die Katur/ erklärte er, ,dass er Gott mehr ab den Menschen gehorchen und um dessen Willen alles 2jeit- liehe, ja auch das Beste selbst in die Schanze schlagen müsse/ ^

Prophesseinngen früher widersprochen hatte. Nach dem ,Einf&ltigeii Be- denken* (Londorp, III, S. 891) hatte man ihm ToransgeBagt: Wenn der Kaiser siege, so werde derselbe mit den geistlichen Stiftern und Bisthümem den Anfang macheu, dieselben nicht allein ,schlecht* wieder fordern, wie vormals mehr geschehen, sondern ,derselben Possession de facto stracks apprehendiren*; insbesondere bei den Erzbisthümem Magde- burg und Bremen, den Bisthümem Halberstadt, Minden, Verden, Ratze- buxg, Schwerin und den braunsohweigischen Aemtem, welche vor Alters sum Stift Hildesheim gehört, werde dies geschehen. Dann werde man ,draussen im Reich* die freien Städte desselben ,anzapfen', die geist- lichen Güter ihnen mit Oewalt oder durch Bedrohung mit der Acht wegnehmen und das katholische Exercitium wieder einrichten. Zuletzt würden die beiden Kurfürsten von Sachsen und Branden- burg an die Reihe kommen und werde alsdann dem von Sachsen nichts helfen, dass «r dem Kaiser so treue Dienste geleistet, sondern werde mit der Welt Dank bezahlt werden. Damals hatte der Kurfürst solche Reden für ,8pitzige Discurse* von Leuten erklärt, die da meinten, ,wenn es ohne ihre unzeitige Sorgfalt wäre, so läge der Himmel über einen Haufen, und Deutschland wäre zu Trümmern gegangen und würde keine Sonne mehr leuchten*; und nun war doch, was sie gesagt, von Wort zu Wort in ErfüUung ge- gangen (vgl. Londorp IH, S. 589, 680). i In der Resolution an Arnim (9. Juli 1631) erklärte der Kurfürst: er kOnne es ,wohl leiden*, dass der KOnig von Schweden in seiner Inten- tion, welche der Kurfürst bisher nicht anders befunden, als dass sie zu Gottes Ehre und Vertheidigung der bedrängten evangelischen Stände gemeint, fortfahren mOge und hoffe vom Allerhöchsten zu solcher Ver- richtung Glück und Segen. Der von Kurbrandenburg begehrte Beistand gegen Schweden wurde gleichzeitig verweigert. Auch dem am 24. Juni 1631 zusammengetretenen Landtage zu Dresden wurde ausdrücklich die Frage vorgelegt, ob man sich bei so gewaltsamer ,Attaquirung des fürstlichen Hauses Sachsen und anderer naher verwandten evangelischen

508 Tnptti.

In grösster Eile wurden daher die kursächsischen RüBtongen vervollständigt, zugleich aber auch durch Arnim die ersten freundschaftlichen Beziehungen zu dem Könige von Schweden angeknüpft y die über kurz oder lang zu einem förmlichen Kriegsbündniss fiihren mussten.

Unter nicht sehr günstigen Vorzeichen wurden so die Unterhandlungen eröffnet, auf welche die Hoffnungen der Wenigen gerichtet waren, die überhaupt noch eine friedliche Beilegung des Streites um die geistlichen Güter für möglich hielten, die Unterhandlungen zwischen den katholischen und den evangelischen Ständen zu Frankfurt am Main. Mit Mtlhe war es dem Landgrafen Georg von Hessen gelungen, den Katholischen die Verschiebung derselben bis zum Herbste, welche von Kursachsen verlangt worden war, abzugewinnen,^ und glücklich war er, als die ligistischen Stände in Dinkels- pühl zugleich beschlossen, auch mit den Restitutionen bis zu diesem Termin (,diBsimulando^, wie sie sagten), innezuhalten.^

Stünde . . . mit einem hohen Potentaten conjogiren soUe*. Auf dem- selben Landtage wurde die Anwerbung von 10.000 Mann beschloMen, wie denn überhaupt von da an, um die Worte des Theatnim Enrop. zu gebrauchen, ,tn Kursachsen AHes ganz martialisch wurde' (Knrsachsen an Kurbrandenburg, 18. Juli Dr. A., Rest. XV, XVI; Theatrum Enrop. II, S. 401).

1 Noch habe man keine Ursache, sagte Georg von Hessen in seiner Bitte an Kurmains (2. Mai 1631), ,all6 Hoffnung gfitlicher Traetaten sinken zu lassen*. Die Katholiken setzten dann den Beginn der Unterhand- lungen auf den 3. Aug^t fest, beschlossen aber schon frflher (21. Juli) zusammenzukommen, um zu berathen, was man ,behaapten* müsse und was man den Protestanten mit gutem Gewissen nachgeben kOnne (Londorp IV, 8.220; Kurmainz an den Kaiser, 7. Juni 1631; Wiener Staatsarchiv, Reichstagsacten 78).

^ Mit diesem Zugeständniss verhielt es sich übrigens ebenso wie mit dem früher in Regensburg gegebenen. Die Gegenreformation in Augsbarg z. B. nahm demungeachtet ihren Fortgang, und als die kursftohsischen Gesandten darüber in Frankfurt Klage führten, wurde ihnen bedeutet: der Bischof von Augsburg sei nicht (in Frankfurt) anwesend, die übrigen katholischen Stände aber könnten nichts thun. Ja es hiess nun sogar trotz des Dinkelspühler Beschlusses: die Einstellung der Restitutionen sei nnr bewilligt worden bis zu dem zuerst angesetzten Termin des Composition»- tages (Februar 1631) und seitdem nicht verlängert worden (Berichte der kursächsischen Gesandten vom 29. August und 16, September 1631; Pr. A., B«9t. XVH; vgl. Klopp, TiUj H, S. 181),

Der Streit um die geistlioheii Gflter und dM Bettitutionsedict (1629). 509

Als dann freilich Landgraf Georg in seinem Eifer die kur* mainzischen Käthe einlud; schon im voraus mit den seinigen in Unterhandlung zu treten, damit dem Convente in Frankfurt gleich ein fertiger Vertragsentwurf vorgelegt werden könne, da erfuhr er eine zwar höfliche; aber nichtsdestoweniger ent- schiedene Ablehnung. Vielleicht stieg damals zum ersten Male in dem Landgrafen die Befürchtung auf, dass seine katho- lischen Freunde doch nicht ganz so nachgiebig und versöhnlich sein möchten; als er sich vorgestellt hatte. Lnmer aber richtete sich die grössere Hälfte seines Unwillens gegen die Evange- lischen. Das Haupthindemiss des inneren Friedens waren nach seiner Ansicht doch nur die von ihm so oft und dringend wider- rathenen Leipziger Beschlüsse; und er sah es daher als eine gerechte Strafe an, als in Folge derselben ein Unglücksfall nach dem andern über die evangelischen Stände hereinbrach. ^ Nur eines konnte nach des Landgrafen Meinung in dieser ver- zweifelten Lage noch retten: bedingungslose oder doch nahezu bedingungslose Unterwerfung unter das Gebot der katholischen Stände und des Kaisers; vielleicht; dass man in diesem Falle von der Gnade des Siegers einen Theil dessen erlangte; was; wie es den Anschein hatte; mit den Waffen doch nicht zu erringen war.^

> Man habe nur deshalb noch nicht den Frieden, schrieb der Landgraf am 25. Mai 1631, weil der Frankfurter Convent* verschoben worden sei. Karmaina sprach daher gewiss nur die Ansichten Georgs aus, wenn es (3. Juni 1631) den Kurfürsten von Sachsen bat, sein Heer zu entlassen, wobei der Kurfürst hinzufügte: Wenn Alles auf die Faust gesetzt wird, so ist das Reich kein Reich mehr, sondern ,eine unordentliche Versamm- lung abgesagter Feinde^ (Georg von Hessen an Kursachsen, 25. Mai und 14. Juni; Kurmainz an denselben 2. Juni 1631; Dr. A., Rest. XUI, XV).

' Insbesondere die Entlassung der nach den Leipziger Beschlüssen ge- worbenen Truppen hielt Geoxg für eine unerliissliohe Vorbedingung des Friedens; ,Gott,' meinte er, ,werde um Deutschlands Sünden willen kein Wunder thun, man müsse also rasch entschlossen, von zwei Uebeln das kleinere wählen.' Bemerkenswerth ist auch, wie ernst auf dem Convente selbst die Hessen - Darmstädtischen ihre VermittlerroUe nahmen ; sie weigerten sich in Folge dessen wie in Regensburg, die protestantischen Denkschriften mit zu unterzeichnen , da es Vermittlem nicht gezieme, Partei zu ergreifen. Dabei wurde ihnen freilich zuletzt angst, dass sie bei der endlichen Beschlussfassung ihres Sessionsrechtes ganz verlustig gehen konnten (Georg an Kursachsen, 21. Juni 1631; Bericht der kur- sächsischen Gesandten, 5. September 1631; Dr. A., Rest. XV, XVII).

510 TupQts.

Hiemit stimmten nun freilich die Aufträge , welche die kurBächsischen Gesandten zum Convente mitbrachten, keinea- wegs überein. Der Landgraf war denn auch aufs Höchste be- stürzt, als er vernahm, dass dieselben die Aufhebung des Re- stitutionsedictes und die Zuriickversetzung der geistlichen Güter in jenen Zustand zu fordern gedächten, in welchem sie im Jahre 1620 gewesen. ,Die Katholiken würden lachen, wenn sie es hörten,^ sagte er.^ Und doch war der Vorschlag so gar ungereimt nicht. Im Jahre 1620 war das Mühlhausner Ver- sprechen gegeben worden; was der Kurfürst forderte, war also im Grunde nichts weiter als die Wiederherstellung und feier- liche Verbürgung jenes Versprechens, welches, wie wenigstens der Kurfürst es ansah, durch die Erlassung des Restitutions- edictes gebrochen worden war.^ Vielleicht hätte der Kurfürst nicht einmal so viel gefordert, wenn er nicht durch Tilly ge- reizt worden wäre, aber den Vorwurf kann man ihm bei alle- dem nicht machen, dass er Bedingungen gestellt, die unerfüllbar waren und daher von vorneherein das Scheitern der Unteiv handlungen zur Folge haben mussten. Man kann dies um so weniger thun, weil die kursächsischen Gesandten den Auftrag hatten, wenn ihre erste Forderung abgelehnt würde, noch eine zweite und dritte vorzubringen, welche bedeutend massiger

1 Aach die ttbrigen Eyangeliflchen sollen die VonchlSge fllr aosaichtslos erklärt haben; doch suchten die Gesandten des Landgrafen Geozg die- selben den Katholischen gegenttber damit au entschuldigen, daas man bei Unterhandlungen ja immer suerst mehr verlange, um neh dann doch mit einem geringeren Erfolge au begnügen; es heisse ja: Iniqaum petas, ut aequum feras. Sie riethen jedoch trotsdem ihrem Heim, eine eigene Gesandtschaft oder ,staffeta' an Knrsachsen bu senden, um diesen SU milderen Bedingungen zu bewegen (Bericht des kursi&chsisohen Ge- sandten, 19. September 1631; Dr. A., Best. XVII; Aretin, Bayerns ausw. Verh., Urkunden zum 3. und 4. Abschnitt, Nr. 64, S. 293).

2 Auch auf dem Leipziger Convente war derselbe Vorschlag gemacht und die Meinung ausgesprochen worden, dass ihn die Katholischen vielleicht doch annehmbar finden würden; wenn nämlich die Evangelischen ver- sprechen würden, den (Geistlichen die Güter, die sie zu Beginn des Krieges gehabt, zu lassen, so wftre ja der Zweck, den die Katholischen ,vor diesem eigentlich nur gesucht, dass nämlich des Einsiehens der Kloster nur einmal ein Ende werden und die noch übrigen Geistlichen sich des Ihrigen vernchem mtfchten^, erreicht. Aber so genügsam wie vor dem Kriege waren die Katholischen eben nicht mehr.

I>«r Streit um die geistlichen Uftter ond das BestitutioDsedict (16S9). 511

waren. Der KorfUrst wollte nämlich zufrieden sein, wenn der Znstand von 1620 zwar nicht fllr immer, aber doch vorläufig auf 50 Jahre bewilligt würde; ja er erlaubte sogar den Ge- sandten, im schlimmsten Falle auch auf eine Unterhandlung über die vom hessbchen Kanzler entworfenen Friedenspunkte einzugehen, wobei er sich nur an dem 13. 15. Punkte, die reichsunmittelbaren Hochstifter betreffend, Aenderungen vor- behielt^ Wenn also die katholischen Stände von ihrer Seite nur halb so weit entgegenkamen, so brauchten darum die Unterhandlungen noch keineswegs erfelglos zu bleiben.

Diese Voraussetzung blieb jedoch unerfüllt. Auf katho- lischer Seite war allerdings ebenfalls eine Friedenspartei vor^ banden, als deren vornehmster Vertreter vielleicht Maximilian von Bayern anzusehen ist, und von diesem wird sogar berichtet, dass er vorgeschlagen habe, die Vollziehung des Hestitutions- edictes auf 40 Jahre auszusetzen.^ Aber wie dem auch sein

> Die Pnnkte 13 15 wurden deshalb vom Knifttrsten Burückbehalten, und die Gesandten baten später wiederholt am deren Zusendung, da ihnen selbst die ersten zwei Vorschläge aussichtslos schienen. Die Instruction der kurbrandenburgischen Gesandten (25. August 1631) stimmt in der Hauptsache mit der kursächsischen Überein; doch wurde darin auch die Anerkennung der Calvinisten als zur Augsburger Confession gehörig ver- langt und die von Kursachsen fOr die Zukunft eingeräumte Aneiicennung des geistliehen Vorbehalts von der seltsamen Bedingung abhängig ge- macht, dass auch ein evangelischer Bischof oder Ensbischof (Admini- strator), wenn er katholisch würde, seines Bisthums verlustig gehen sollte. Immerhin war die Haltung Kurbrandenburgs in Frankfurt friedlicher als in Leipzig, wo es über die hessischen Punkte überhaupt nicht hatte unterhandeln wollen (Instruction und Protokoll vom 28. Februar; Ber^ liner Staatsarchiv 12/78—80 und 81; Londorp IV, 8. 226; Theatrum Europ. n, 8. 440). Die Instruction der kursächsischen Gesandten nach Frankfurt (6. August 1631) ist, abgesehen von ihrem sonstigen Inhalte, auch interessant durch die fast kleinbürgerlichen Ermahnungen des KurfOnten zur Sparsamkeit; die Gesandten sollten hiemach für jede Ausgabe sieh ,Zettel* geben lassen, und diese Zettel liegen denn auch ihren Berichten in grosser Fülle bei (Dr. A., Rest. XVU).

> Nach Aretin, der Adlzreitter HI, 8. 222 citirt. Maximilians friedlichere Gerinnung ist übrigens auch sonst bekannt (s. o.), und namentlich rieth er Nachgiebigkeit Kursachsen gegenüber (was ihm freilich leicht wurde, weil die Befriedigung Kursaohsens ja doch nur auf Kosten des Kaisers hätte erfolgen kOnnen). Auch die kursächsischen Gesandten berichteten am 21. Aug^ 1681 ihrem Herrn, dass Kurmainz und viele andere katho-

512 Tttpeti.

mag, gewiss ist, dass bei den Berathangen der kadiolischen Stände zu Frankfurt am Main, welche den Unterhandlungen mit den Protestanten vorangingen , so weitgehende VorachULge nicht einmal zur Sprache kamen; es wurde vielmehr nur über die Annahme oder Verwerfnng der hessischen Friedenspunkte verhandelt und selbst diese wurden theils einstimmig, theiis (und diese Ausnahme betraf nur die wenig wichtigen Punkte 20 2A über die Reichsstädte) mit Stimmenmehrheit abgelehnt <

lische Stftnde des Kriegesjnüde seieiit and daas der KurfÜnt voii Bsjrera atuidrüeklich gesagt habe: ,Wenn er uud Kursachsen BiuainmentriLten, 80 wollten sie bald Frieden haben/ Eine während des Conventes er- schienene Druckschrift (Consilium politico apocalypticum) sprach jedoch im vorhinein die Vermnthung aus, dass die Evangelischen ,mit der bajrrischen und anderer Vermittlang an der Nase hernmgef&fart wfirdeo, alles Streiten auf dem Convente daher leeres Stroh dreschen sei' a. s. w. (Dr. A., Best. XVU). i Preising*s Tagebuch bei Aretin, Bayerns ausw. Verh., Nr. 293. Dass man an dem Edicte, ,was dessen substantialia betreffe*, festhalten und nur über Beschwerden wegen der AasfÜhrung unterhandeln wolle, hatten die katholisehan KarfUrsten, entsprechend den DinkelspflUer Beschlüssen, schon in ihrem Schreiben vom 3. Juni 1631 erkUbrt Be- seichnend für die im Allgemeinen annachgiebige Stimmung namentUch der geistlichen Fürsten ist ein Schreiben des Bischofs von Aogsbarg (10. September 1631), in welchem er verlangte, dass nicht nor alle schon ergangenen Bichtersprttche des Kaisers in Frankfurt respectirt, sondem auch den noch sehwebenden Processen nicht vorgegriffen werde, widrigen- falls der Bischof Beschwerde und Protest anmeldete. Aehnlich laatete auch das Schreiben des Bischofs von Kegensbuiig vom 22, September (Londorp IV, 8. 233 und 234). Man vergleiche auch die Deduction des Bischofs von Würsburg (Londorp IV, a 240) und das Memorial über die würtembergischen KlOster (Londorp IV, S. 238). Sehr charakteristisch ist auch die ,UnverfttngUche Instruction' (Londorp IV, S. 246), in welcher verlangt wird, dass durch die Unterhandlungen die Ausführung des Restitutionsedictes wenn schon keine Förderung, so doch auch keine Hinderung erfahren dürfe und sum Ueberfluss noch erklärt wird, ds» die in Frankfurt anwesenden Stände den abwesenden in ihren Hechten nichts vergeben könnten. Nur das wird darin zugestanden, dass kleinere Reparaturen in den restituirten Klöstern auf Kosten der Mönche vor- genommen werden sollten, dass die Evangelischen für den Wiederanfhan zerstörter Gebäude nur die Hälfte der Baukosten su aahlen brauchten, dass sie ebenso den durch Holafrevel entstandenen Schaden nur nr Hälfte und die besogenen Einkünfte nur für die letzten drei Jahre er- setzen mttssten u. s. w. Nach diesen Proben ist die Vermuthang nicht unbegründet, dass die Unterhandlungen selbst dann zu keinem gedeih-

Der Streit um die geietlidieii Oflter und das ReBtitntionMdiet (16S9). 513

Es zeigte sich also, dass die katholisehen Gesandten mit dem festen Vorsätze nach Frankfurt gekommen waren, die Giltigkeit des Restitationsedictes überhaupt nicht ,dispatiren^ zu lassen und höchstens eine Elrörterung über Missbräuche bei der Ans* fbhrong desselben zu gestatten, und da sie voraussehen konnten, dass anf dieser Grundlage eine Verständigung unmöglich sei, 80 war eigentlich die Unterhandlung von katholischer Seite von Anfang an eine blosse Comödie. Man dachte denn auch diese Comödie nur so lange fortztuspielen, bis ein entscheiden- der Sieg des katholischen Obergenerals über die Schweden, ein Sieg, auf welchen man zuversichtlich hoffte, alle weiteren Unterhandlungen überflüssig machte. Am unversöhnlichsten zeigte man sich, ohne Zweifel in Folge eben dieser Sieges- zuversicht, am kaiserlichen Hofe. In Wien wurde geradezu der Grundsatz ausgesprochen, dass man die Unterhandlungen in Frankfurt eben nur zulassen, keineswegs aber befördern dürfe; den kaiserlichen Commissären aber, welche in Frankfurt den Vorsitz führen sollten, wurden Weisungen mitgegeben, welche selbst dann ein Scheitern der Unterhandlungen herbei- führen mussten, wenn, was freilich ohnehin kaum zu erwarten war, die katholischen und evangelischen Stände sich einigten. Was beim ,Compo8itionstage' beschlossen wurde, sollte nämlich nicht eher giltig sein, als bis auch der Kaiser es genehmigt haben würde; die evangelischen Stände hatten also die tröst- liche Aussicht, dass die von ihnen gemachten Zugeständnisse sofort anerkannt und gebucht werden sollten, während umge- kehrt, was man auf katholischer Seite in einer Anwandlung von Grossmuth etwa einräumte, jeden Augenblick durch das Dazwischentreten des E^isers wieder aufgehoben werden konnte.

liehen Erfolge geftthrt haben vrürden, wenn die Hänpter der katholischen Partei sich mit jenen der proteatantiAchen geeinigt hätten; vieUeicht hätte man sogar Waffengewalt anwenden mflsaen, nm die bereits restitairten Güter wieder evangelisch zn machen. ^ Dass man an den Frankfurter Unterhandlungen sich nur ypermissive* betiieiligen, dieselben aber ,keinesweg8 selbst urgiren und befördern* dflife, war die Meinung der kaiserlichen Bäthe nach der Rückkehr Hegenmtlller*s. In diesem Sinne war übrigens schon die Instruction vom 27. Januar 1681, als man noch die Eröffnung der Unterhandlungen im Februar erwartete, abgefasst worden; doch sollten damals die Oesandten noch eine geheime Nebeninstruction erhalten, welche unter Anderem

514 Tnpati.

Zum Glück gab sich auch die Mehrzahl der EvangeliBchen keinen übertriebenen Hoffnungen in Bezug auf die romm- sichtlichen Erfolge des Coüvents hin. Namentlich der Kurfönt von Brandenburg bekundete in unzweideutiger Weiae sein Miß- trauen, indem er Wochen verstreichen liess, ehe er überhaupt nur seine Qesandten nach Frankfurt abordnete. Die kursfichsi' sehen Gesandten wieder waren zwar ziemlich rechtzeitig da, erklärten aber, ohne ihre kurbrandenburgischen CoUegen nichts vornehmen zu können. < Beinahe wifcren schon hieran die Unter handlungen gescheitert, da die Katholiken über das lange und vergebliche Warten mit Recht ungeduldig wurden und ins- besondere die kaiserlichen Commissäre wiederholt mit ihrer Abreise drohten. Letztere nahmen auch daran gegründeten Anstoss, dass die Evangelischen, welche von der Einmischung der ConmuBsäre f)ir sich nichts Gutes hofften, ihnen den Vo^ sitz bei den Unterhandlungen streitig machten, ja sie sogar

auch die ,Ton Sachflen occupirten und noch innehabendeD Stifter' be- traf; leider ist mir nicht bekannt, welchen Inhalt dieeelbe hatte snd ob sie bei der Instruction vom 8. Joli 1631 emenert worden ist F8r die Haltung des Kaisers gegenttber den Unterhandlangen bezeichnend ist anch das Schreiben, in welchem die zuerst genannte Instruction dem Papste mitgetheilt wird; der Kaiser entschuldigt sich darin förmlich, dass er dieselben überhaupt zugebe, bezeichnet als die eigentlich Sohnld* tragenden die Ligisten, bemeriEt, dass der Besohloss, den Conve&t sa halten auf ganz unregelmässige Weise zu Stande gekommen u. a w. (Wiener Staatsarchiv, Friedensacten 9c; ebenda Beichstagsscten; Reichshofrathssitzung Tom 11. Januar 1631 im Wiener Staatsarchiv, Kriegsacten; die kaiserliche Proposition Tom 16. September 1631 auch Theatmm Europ. II, 8. 437; Londorp IV, S. 325). 1 Die kursftohsisohen Gesandten kamen etwa vierzehn Tage nach der festgesetzten Zeit, die kurbrandenburgischen erst am 12. September, alw nach etwa sechs Wochen. Als bereits ein Monat seit Eröffnung des Con- ventes verstrichen war (2. September), drängte Georg von Hesieo, msD möge wenigstens die kaiserliche Proposition, die ja ohnehin ganz sU- gemein gehalten sei, anhören, aber vergeblich. Die katholischen StSnde schlössen ans dieser Verzögerung, dass, wie Prejsing schon am 1. Joli 1631 vermnthet hatte, die Composition von den Evangelischen nur ,pri> forma und eines Aufiings willen begehrt worden sei*; dieselbe Anklsge sprach (und in Bezug auf Knrbrandenbnrg jedenfalls mit Becht) eine während des Conventes erschienene Flugschrift, betitelt: Murioesjurido- politici, aus (Bericht des kursächsischen Gesandten, 2. September 1631; Dr. A., Best XVII).

Der Streit am die geistliehen Güter und das Restitntionsedict (1629). 515

ftberhaupt von denselben auszuschliessen suchten.^ Und noch in einem dritten Punkte zeigten sich die protestantischen Eur- ftirsten nnd insbesondere Enrsachsen weniger zuvorkommend, als man nach ihrer bisherigen Haltung hätte vermuthen dürfen. Die katholischen Stände hatten nämlich die unbedingte Aus- schliessung der Calvinisten von dem Frankfurter Convente ge- fordert, und auch der Friedensvermittler, Georg von Hessen, hatte den Kurfürsten von Sachsen dringend beschworen, die- selben nicht einzuladen, da sonst bei dem voraussichtlichen Unwillen der katholischen Stände der sofortige Abbruch der Verhandlungen zu fbrchten sei.^ Wirklich hatte der Kurfiirst von Sachsen längere Zeit geschwankt, endlich aber doch, ohne Zweifel von Eurbrandenburg überredet, auch die Calvinisten

^ ,8ollte der kaiserliche Coxnmissftr das Präsidium führen wollen/ heisst ea in der Instmction der knrhrandenhnr^ischen Gesandten, ,80 solle man es mit Glimpf ablehnen.' In der Denkschrift der Protestanten vom 10. October 1631 wird denn auch die Beiseitelassun^ der kaiserlichen Gesandten dadurch motiyirt, dass die Eyangelischen nnr anr Unter- handlung mit den katholischen Mitstftnden, nicht aber auch mit den kaiserlichen Commissären instmirt seien. Die Cominissire fanden nun swar selbst (16. September 1631), dass eine Unterhandlung Ewischen ihnen und den erangelischen St&nden swecklos sei, da sie selbst ausser der Proposition zu nichts ermächtigt seien; aber die Beiseitesetzung derselben scheint zuletzt eine der Würde des Kaisers abträgliche Form angenommen zu haben, denn die Commissäre klagten unmittelbar darauf (20. September) ttber die dem Kaiser durch das Warten erwachsende yDisrepntation, dergleichen dann unterschiedlich yorgeloffen und weillen es der Feder nit zu Tertrauen, mündlich allerunterthänigst referiert werden soll' (Bericht der kaiserlichen Commissäre, Wiener Staatsarchiv, Eeiehstagsacten 78; Londorp IV, S. 231). Die Commissäre woUten flbrigens schon darum nicht warten, weil die Eyangelischen die Auf- hebung des Edictes begehrten und damit die Unterhandlung ,a limine^ gescheitert sei.

> Georg -Ton Hessen widerrieth die Einladung schon am 6. December 1630, damit, wie er sagte, ,nicht nur gegen die papistische Verfolgung, son- dern auch gegen das Wiederaufkommen [des Calvinismus Vorsorge ge- troffen werde*; am 6. Juni 1631 berichtete er neuerdings: ,Wenn bei den Unterhandlungen calyinische Stände erscheinen sollten, würden die Katholischen Anstand nehmen und die Unterhandlungen sich yielleicht darüber zerstossen.* Am 29. August 1631 endlich übergab Kurmainz an Kursachsen ,Punkte, wie die Unterhandlung zu führen, darunter: Kein Calvinist darf zugegen sein.* Auch während der Unterhandlungen selbst (1. October) wurde von den Katholiken ,per ezpressum' ausbedungen,

516 Tuptt«.

zum Erscheinen aufgefordert J Die Katholiken legten natOrlicIi ihren Aerger über die ungebetenen Gäste in unzweideutiger Weise an den Tag, konnten es aber doch nicht verhindern, dass bei Verlesung der kaiserlichen Proposition auch sie za- gegen waren; nur das setzten sie durch, dass wenigstens in die zur Vorberathung gewählten Ausschüsse keiner von den calvinischen Ständen aufgenommen wurde.

So ungefähr standen die Dinge, als sich plötzlich unter den Conventsmitgliedem eine Nachricht verbreitete, welche die Hoffiiungen der Katholischen aufs Höchste spannte, während sie die Gemüther der Evangelischen mit Schrecken und banger Besorgniss erftülte: ,Tilly war in Kursachsen eingerückt'^

dass die Unterhandlung sich nur auf die Fürsten und Stande der Angs- burger Confession besiehe und auch die fränkische Ritterschaft aiuge- schlössen sei. Nur Kurbrandenburg wurde zugelassen, wieder mit der Begründung: ,weil der Kurfürst in seinem Lande nicht refonnire' (Dr. A.i Rest. VI, 8. 68; XY, XVII).

1 Dass Kursachsen eine Zeit lang schwankte, yennuthe ich, weil Wilhelm von Hessen su den Unterhandlungen, die doch schon am 2. Angust be- ginnen sollten, am 17. Juli noch nicht geladen war und sich deswegen bei Kursaehsen erkundigte; nach einem Veneichnisse im Dresdner Archiv (Rest XVil) scheint man ausser Kurbrandenburg ursprünglich blos die Hersoge von Sachsen, Würtemberg, Braunschweig und Holstein ein- geladen au haben. Am '6. August schrieb Kurbrandenburg offenbar mit Beaug auf diese Frage: Die Katholischen hätten den Plan, die evan- gelischen Stiinde Yon einander zu trennen; Kursaehsen werde aber hoffentlich nicht darein willigen, da es die Katholischen ,einem evan- gelischen Stand nicht besser als dem andern meinen'; man solle daher einmüthig bleiben, wie man in Leipzig so rühmlich begonnen. Uebrigena sollten die kursüchsischen Gesandten in Frankfurt trots der Fiinladnng ,im Umgange mit den calvinischen etwa anwesenden B&then vorsichtig sein und sich hüten, dieselben zu vertheidigen*: nur wenn Geoig von Hessen schon über die Anwesenheit der Calvinisten sich beklagen würde, sollten sie dieselbe, und zwar mit den von den kursSchsiscben Rftthen und Theologen angeführten Gründen entschuldigen (Dr. A^ Rest. XV, XVH; Berliner Staatsarchiv 12/81).

2 Dass er die Absicht habe, Kursachsen anzugreifen, theüte Tilly dem ebenfalls in Frankfurt befindlichen Deutschmeister schon am 4. Sep- tember mit. Die letzten Unterhandlungen zwischen Tilly und Kur- sachsen, welche im August 1631 stattfanden und sich blos auf die Ab- rüstungsfrage bezogen, sind durch den Drück genügend bekannt; sie waren übrigens beiderseits blosse Spiegelftehterei, da sowohl Kursaehsen als Tilly ihre Partei bereits gewählt hatten. Kurz vor der Entscheidung,

Der Streit um die geistlichen Gftter und das Bestitutionsedict (1629). 51 7

Zweimal; Temahm man, habe der Kaiser den Befehl zum An- griffe wieder cassirt, zweimal ihn auf die inständigen Bitten Tilly'ß erneuert. Nachdem diese Nachricht eingelangt war, blieb längere Zeit die Leipziger Post aus; dann aber verbreitete sich unter den ängstlich Harrenden zuerst unsicher, dann aber immer bestimmter und zuversichtlicher auftretend das Gerücht, Tilly, der bisher Unbesiegte, sei bei 'Breitenfeld von dem vereinigten kursächsiseh - schwedischen Heere geschlagen worden. Noch versuchten die katholischen Gesandten eine Zeit lang die Be- deutung der Niederlage herabzusetzen, als aber kein Bemänteln mehr half, als sogar schon ihre eigene Rückreise durch das rasche Vordringen der siegreichen evangelischen Truppen ge- fährdet schien, da zerstoben sie plötzlich (am 14. October 1631) in alle vier Winde, freiwillig jede Friedenshoffnung aufgebend, da der Sieg nicht mehr auf Seite der Katholischen war.^

Und doch hätte man auch jetzt noch mit Erfolg unter- handeln können! Der Kurfürst von Sachsen, trotz des Sieges

am 15. September, erfolgte za Frankfurt die Verlesung der kaiserlichen PropOBition. Die kursXchsischen Gesandten wussten von dem am 17. Sep- tember erfochtenen Siege schon am 26. September, ahnten aber nicht entfernt die Tragweite desselben, da sie an demselben Tage um die ErlaubnSss baten, statt des aussichtslosen ersten Friedensvorschlages gleich den dritten, dem auch Georg von Hessen zustimmte, vorbringen zu dürfen. Erst am 6. October, also fast drei Wochen nach dem Siege, kam auch ihnen die Yermuthung, ob nicht, da der ,status publicus* durch den Sieg des Kurfürsten verändert sei, auch ihre Instruction nun- mehr ihre Kraft verloren habe (Dr. A., Rest. XIII, XVII, XIX; Theatrum Europ. n, S. 433; Londorp IV, S. 199). ^ Maximilian von Bayern tadelte sowohl den Angriff Tilly^s, als auch das schnelle Auseinandergehen der Gesandten als ,unzeitig'; die kaiserlichen Rathe aber fanden, es sei nur ein Fehler, dass man den Angriff nicht schon früher, als der SchwedenkCInig noch fern war, unternommen. Die katholischen Gesandten motivirten ihre Abreise mit der mangelnden In- struction, der Unsicherheit der Strassen, der UnpässHchkeit mancher Gesandten und ,anderen Ursachen*. Von den Zugeständnissen in der letzten protestantischen Replik erklärten sie bei der Abreise das ,ihren Herren Dienliche und Erspriessliche* zu acceptiren, das Widrige dagegen abzulehnen, wogegen natürlich die Evangelischen sogleich wieder pro- testirten (Max an den Kaiser, 23. October und an Kursachsen, 29. Sep- tember 1631 ; Gutachten der kaiserlichen Räthe vom 6. October; Dr. A. Rest. XIX; Münchner Staatsarchiv 4/6, 255; Wiener Staatsarchiv, Kriegsacten).

SiUuDgsber. d. pLii.-hiit. Cl. CU. Bd. II. Hft. 34

518 Tnptttc.

weit davon entfernt ^ seine Gesandten von Frankfurt abzu- berufen, bot den katholischen Ständen noch immer den Frieden, bot ihn sogar unter derselben Bedingung, unter der er ihn früher angestrebt hatte: auch jetzt verlangte er nichts als den Zu- stand von 1620.1 Aber dieses grossmüthige Anerbieten hätte selbst dann nichts mehr gefruchtet, wenn es rechtsseitig ein- getroffen wäre; ^das Edict darf nicht disputirt werden^, war das letzte Wort der abreisenden katholischen Gesandten ge- wesen.^ Was half es da, dass der unverwüstliche ''Friedenß-

* Dieses Anerbieten findet sich in demselben SchreiJ>en, in welchem der Kurfürst seinen Gesandten den Sieg bei Breitenfeld meldet (datirt: 29. Sep- tember 1631); ,wenn dieses Mittel erreicht werden konnte*, bemerkt er dazu, ,man hätte sich damit su contentiren und Gott dafür zn danken*; wenn es aber nicht erreicht würde, müsse man sich ,darein fügen und jedenfalls nnr solche BCittel vorschlagen, , welche dem so theuer be. schworenen Religionsfrieden nicht zuwiderlaufen*. Vor Allem aber wünschte der Kurfürst, dass die ,Tractaten, was Gott gnädig verfaflten wolle', sich nicht zerschlagen. Nichts beweist so deutlich die Auf- richtigkeit der so oft betheuerten friedlichen Gesinnung Kursachsens als diese Sprache im Munde des siegreichen Fürsten; das Einzige, was eine Aendemng in Folge des Sieges andeutet, ist, dass Johann Georg den Gesandten empfiehlt, im Falle der Ablehnung des ersten Vorschlages nicht gleich zum zweiten zu schreiten, sondern zuvor an den Kurfürsten zu berichten. Etwas weniger zuvorkommend war allerdings die Hal- tung Kurbrandenburgs. Man hatte den evangelischen Ständen den Vor- wurf gemacht, sie hätten die Unterhandlungen absichtlich venügert, weil sie auf den Sieg der Schweden reahneten; sie seien also ,nicht deutsch oder aufrichtig umgegangen*; darauf erwiderte der Kurfürst (19. October): das brauche man nicht zu leiden; durch Gottes Gnade werde schon noch die Zeit folgen, da man mit solchen Leuten wird reden dürfen. Man brauche auch mit den Unterhandinngen nicht zu eilen; besser sei es, das Werk vom Grund aus zu ordnen, zumal ach die Laufte ziemlich alterirt hätten, dass zu hoffen, es werden aach unter den Katholischen sich Leute finden, welche nicht Alles auf die Spitze, nachdem dieselbige auch stumpf werden kann, stellen, sondern zu friedlichen Mitteln sich gern verstehen würden (Dr. A., Best. XVII Berliner Staatsarchiv 12/81). 3 Am 30. September berichteten die kaiserliehen Commissäre nach Wien, dass die Protestanten, ,animirt durch den unglücklichen Verlauf l>ei; Leipzig*, das Bestitutionsedict ganz über den Haufen werfen wollten; die katholischen Stände hätten aber erklärt, sie würden fest blttben and sich durch das Unglück nicht umstimmen lassen. Dem entsprach denn auch die katholische Erwiderung vom 1. October, in welcher der pro- testantische Vorschlag mehr ein ,extremum als ein medium* genannt und

Der Streit um die geiBtlichen Gftter und das Beatitntionsedict (1629). 519

Vermittler, Georg von Hessen; statt des gescheiterten sogleich wieder einen neuen Convent zusammenzubringen suchte, dass er sogar die Zustimmung des Elaisers und der Kurfürsten von Mainz und Bayern für diesen Plan erlangte? * Die Zeit der Unterhandlungen war vorüber, das Glück der Waffen hatte nun zu entscheiden, ob das Restitutionsedict bleiben oder fallen würde. Erst in den Unterhandlungen, welche dem Prager und noch später dem Westphälischen Frieden vorhergingen, wurde der Faden wieder aufgenommen, welcher in Frankfurt fallen gelassen worden war; erst dann wurde, nachdem das ßestitutions- ediet in Folge der schwedischen Siege schon längst thatsächlich unwirksam geworden war, auch seine rechtliche Aufhebung von den Katholiken bewilligt.

Dass die Halsstarrigkeit, welche man bei den Frankfurter Unterhandlungen bewiesen hatte, ein grosser politischer Fehler gewesen sei, wurde freilich schon viel früher erkannt; ja man

die Veniehtieistniig auf das Edict schon danim für unmöglich erklärt wurde, weil man mit dem Yerxicht yon 1555 so sohlechte Erfahrungen gemacht habe. Auch am kaiserlichen Hofe dachte man in dieser Zeit nicht entfernt an die Zurücknahme des Edictes. yBayem,* heisst es in einem Gutachten der kaiserlichen Käthe yom 6. October 1631, ^abe gerathen, mit Kursachsen Frieden zu machen; das werde aber schwer sein; denn habe der Kurfürst schon nach dem Leipziger Convent die Aufhebung des Restitutionsedictes gefordert, so werde er jetzt um so weniger davon abgehen wollen' (Wiener Staatsarchiv, Beichstagsacten ; Theatrum Europ. II, S. 440; Londorp IV, S. 228). Geneigtheit zur Auf- hebung des Edictes zeigt sich erst in der von Ranke (Wallenstein Vm, 8. 177) berichteten Aensserung Eggenberg's 1632.

Dieser Vorschlag wnrde gemacht in der Schlussschrift der katholischen Stände vom 18. October und in deijenigen der evangelischen vom 16. October aoceptirt; am 21. October erfolgte dann auch die Abreise der knrsächsischen Gesandten von Frankfort. Maximilian von Bayern billigte nicht nur den neuen Convent, sondern hatte auch selbst an Qeorg von Hessen geschrieben, damit dieser die Vermittlung bei Kur- sachsen übernehme. Der Zusammentritt des Gonventes sollte nach dem Vorachlage Georgs von Hessen am 7. December 1631 in Mühlhausen stattfinden, doch fügte der Landgraf, indem er diesen Voraohlag dem Kaiser unterbreitete, hinzu, dass er ,ein an Jahren noch junger FürsV sei, und dass er daher, wenn der Kaiser die neuen Unterhandlungen verbieten sollte, sogleich gehorchen würde (Maximilian an den Kaiser, 23. October, und Georg von Hessen an denselben, 22. October 1631; Münchner Staatsarchiv und Wiener Staatsarchiv, Beichstagsacten 78).

34*

520 Tnpetfc.

war bald geneigt, die Erlassung des Restitutionsedictes selbst unter diesem Gesichtspunkte zu betrachten. Wie es im Un- glücke zu geschehen pflegt, machten Kaiser, Liga und Papst sich unter einander Vorwürfe, indem Jeder die Schuld an dem Edict auf den Andern zu schieben suchte; Keiner wollte, seit die Restitutionen so üble Folgen gezeigt, der Urheber derselben gewesen sein.'

Sollte eine unbefangene Nachwelt diesem Verdammungs- urtheile, blos weil es durch den Erfolg bestätigt scheint, so unbedingt zustimmen? Sollte sie nicht vieDeicht sogar geneigt sein, das Edict gegen seine eigenen Urheber in Schutz zu nehmen? Allerdings wird es sich kaum bestreiten lassen, dass das Edict nicht einfach, wofiir es ausgegeben wurde, ein Werk friedlicher Rechtsprechung, sondern dass es zugleich auch ein wohlberechneter Offensivstoss des Katholicismus gegen den protestantischen Norden war, dass es den Zweck hatte, wenn nicht die Alleinherrschaft, so doch die entschiedene Ueber macht der katholischen Lehre im Reiche zu begründen und nebenbei Kaiser und Liga auf Kosten der evangelischen Stände

> Nach QregoroTiuB, Urban VIII., S. 76, wollte der kaiserliche Gesandte, Cardinal Pasmann, Mitte Juni 1632 dem Papste einen Protest fiber- reichen, in welchem pesag^ wurde: Der Kaiser habe, durch f&nfsehn päpstliche BreTe dazu überredet, das Restitationsedict erlassen; dieses Edict sei die Ursache, dass so viele ketzerische Mächte sich gegen ihn verbanden hätten; aus Gehorsam gegen den Papst sei er in solche Ge- fahr gerathen, während der Papst nun die Hilfe verweigere. Einige Monate früher (28. Januar 1632) machte er der Liga einen ähnlichen Vorwurf: Von den Gegnern, sag^e er, werde als die vornehmste Ursache des Krieges das kaiserliche Edict angegeben; er habe aber dasselbe erlassen, ,um den katholischen Ständen Gerechtigkeit su erweisend Auch der französische Gesandte Chamac^ wusste, dass der Kaiser die Meinung zu verbreiten suche, der Kurfürst von Bayern habe das Restitntionsedict und fdessen grausame Vollziehung* vorzüglich betrieben (Aretin, Bayenu ausw. Verh., S. 306), und Feucqui^res berichtete (1633), der Kaiser wälze nicht nur alle Schuld der ,gegen die Protestanten begangenen Gewaltthätigkeiten' auf Bayern, sondern habe sogar zum Beweise dafür den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg einen Brief desselben mitgetheilt. (Offenbar ist mit dem Briefe das so viel verbreitete Gut- achten vom 6. December 1628 gemeint; ebenda S. 323.) Wie es die Ligisten verstanden, umgekehrt dem Kaiser das Gehässige an den Re- stitutionen zuzuschieben, davon sind schon oben Beispiele gegeben worden.

Der Streit nm die geistlicben Güter und das Restitntionsedict (1689). 521

reich und mächtig zu machen. Aber das» die katholische Partei nach den glänzenden Erfolgen der ersten zehn Jahre eines ihr von den Gegnern selbst aufgezwungenen Krieges auch eine Frucht ihrer Anstrengungen haben wollte, war so natürUch und selbstverständlich; dass jede andere Partei in gleicher Lage ebenso gehandelt hätte. Nicht dass das Edict erlassen wurde, war der erste Fehler der Katholischen^ sondern dass sie, nachdem es erlassen worden war, nicht einig blieben und dass insbesondere die Ligisten ihrem Hasse gegen den kaiser- lichen Feldherm und ihrem Misstrauen gegen die Ueberlegenheit des kaiserlichen Heeres nicht so zu gebieten vermochten, wie es das gemeinsame Interesse verlangt hätte. Indem durch ihre Bemühungen das Heer des Kaisers geschwächt wurde, entschwand zugleich die unerschütterliche militärische lieber- macht der Katholischen, in welcher die thatsächliche Recht* fertigung des Restitutionsedictes bestanden hatte.

Ein zweiter politischer Fehler war die allzugrosse Gering- schätzung des KurfUrsten von Sachsen. Ob man ihn anfangs durch ein ^kaiserliches Handbriefl', in welchem ihm der dauernde Besitz jener Stifter gesichert wurde, welche man ihm vorläufig ohnehin nicht nehmen wollte, hätte gewinnen können, (wie Maxi- milian von Bayern glaubte), mag dahingestellt sein; immerhin ißt es auffallend, dass man in Wien es nicht einmal der Mühe werth fand, damit einen Versuch zu machen J Aber auch später, als der KurfUrst schon begonnen hatte, mit den übrigen Evangelischen gemeinsame Sache zu machen, hätte wahrscheinlich ein verhältnissmässig geringes Opfer, etwa die Abtretung eines Theils der Einkünfte des Magdeburger Erzstiftes, genügt, ihn seinen neuen Bundesgenossen wieder abwendig zu machen ; ^

1 Statt dessen hatte man ihn, wie eine eyangelische Flugschrift (Lon- dorp III, S. 898) richtig bemerkt, mit Worten abgespeist, die so ,general und obscnr^ waren, dass sie sich ,wie ein cothurnus beneficio mentalis aequivocationis zu beiden Seiten schmiegen lassen*.

3 Selbst im August 1631 , also kurz vor der Breitenfelder Schlacht und als das Bündniss zwischen Sachsen und Schweden schon so gut wie abgeschlossen war, forderte der Kurfürst nur: entweder Ueberlassnng Yon Magdeburg fär seinen Sohn oder erbliche Ueberlassung der Lausitz ; er wollte damals den Grafen von Brandenstein nach Wien senden, um auf diese Bedingungen hin abzuschliessen (Schreiben eines Unbekannten an den kursächsischen Kammerdiener Lebzelter, Wien, 13. August 1631;

522 Tvpeti.

statt dessen eröffnete man ihm gerade im kritischesten Momente, als er gleichsam auf dem Scheidewege zwischen dem Kaiser und den Schweden stand, die Aussicht, dass er, wenn er dem Ersteren treu bleibe, auch Merseburg, Naumburg, Meissen u. s. w. würde herausgeben müssen. Tilly hat den KurOinten recht eigentlich in den Kampf gehetzt, und dieses schwer zo erklärende Vorgehen des katholischen Obergenerals, nicht das Restitutionsedict als solches hat den Anschluss Kursachsens an Schweden imd damit die Niederlage von Breitenfeld ver- schuldet.

Ob es fbr Deutschland ein Glück war, dass der Anschlag der Katholischen misslang, wer vermöchte es zu sagen? Viel- leicht wäre die Einbusse an religiöser Freiheit durch grössere politische Einheit aufgewogen worden; wahrscheinlicher aber ist, dass nach einem vollständigen Siege der katholischen Partei das Zerwürfniss zwischen Kaiser und Liga noch schroffere Formen angenommen und dann doch wieder zur Einmischung des Auslandes und zur Zerstückelung des Reiches geflihrt hätte.

Dr. A., Rest. XIX). Vielleicht hätte indessen auch damals noch ein Vertrag hingereicht, dnrch welchen der evangelische Charakter des En- Stiftes und damit die Möglichkeit der Wahl eines karsftcluischen Prinien für die Zukunft gesichert worden wftre; im Februar 1631 wenigstens hätte man, wie sich aus einem Gutachten der knrsächsischen Theologen vermuthen lässt , um diesen Preis den Erzherzog als Erzbischof aner- kannt (Dr. A., Best. Vn, S. 212).

Der Streit um die geistlichen Qfiter und das Bestitutionsedict (16t9). 523

Verzeichniss der geplanten und durchgeführten Restitutionen/

A. In den Seiehs- und Hansestädten.

1. Aalen. War 1548 noch streng katholisch. Am 24. März

1628 erfolgt der kaiserliche Befehl zur Gegenrefor- mation, am 30. August wird sie durch den Deutsch- meister vollzogen; am 14. Decembcr 1628 Befehl, die heiligen Geistcapelle wieder herzustellen.

2. Augsburg. Die Stadt war 1537 reformirt worden (Bilder-

stürmerei), hatte 1548 durch Vertrag mit dem Bischof das Interim angenommen; 1582 wurde dieser Vertrag angeblich erneuert. Gegenreformation am 8. August

1629 durch den kaiserlichen Reichshofrath Kurz von Senftenau.

3. Biberach. Die Stadt nahm 1531 die Reformation an,

unterwarf sich aber dem Interim und kaufte die Pfarr- kirche erst 1566. Am 11. November 1628 wird der Rath zur Annahme eines der katholischen Bürgerschaft günstigen Vertrages gezwungen; aus dem ,Spital und Siechenhaus' werden die evangelischen Armen ver- trieben. Ausserdem Gegenreformation in fünf benach- barten Dörfern, nämlich:

1. Attenweiler,

2. Bergerhausen,

3. Birkendorf,

4. Holzheim,

5. Rörnzwang (wohl: Röhrwangen).

4. Bop fingen. Hatte 1548 das Interim angenommen. Am

8. December 1630 klagt der Rath, dass die evange-

* Die im nachstehenden Verzeichnisse angeführten Ortschaften sind, so- weit sich ihre Lage bei den arg verstümmelten Namen, besonders in den aas Wien herrührenden Schriftstücken, sicherstellen Hess, in die bei- gegebene Karte eingetragen.

524 Ttipeti.

lischen Pfarrer, Diakonen und Schuldiener durch den Bischof von Augsburg abgeschafft worden seien, am 10. December 1631, dass die Bürger durch Drohungen zum Besuche katholischer Kirchen gezwungen würden.

5. Braunschweig. Die Stadt nahm 1528 die Reformation

an, ihre Reichsunraittelbarkeit war jedoch streitig, und 1616 hatte sie dem Herzog von Braunschweig gehuldigt. 1630 wird geplant, das Aegydikloster und die CoUegiat- kirchen St. Blasius und St. Cyriacus zu restituiren.

6. Bremen. Restituirt wurden in dieser Stadt nachstehende

Kirchen und Klöster:

1. die Metropolitankirche,

2. die Collegiatkirche St. Ansgar,

3. die Collegiatkirche St. Stephan,

4. die Collegiatkirche St. Willehad,

5. die Benedi ctinerabtei Unserer lieben Frauen. Der katholische Gottesdienst war jedoch 1630 noch

in keiner dieser Kirchen eingeführt. Zur Restitution beantragt wurden von Hye in demselben Jahre:

1. St. Paul,

2. das Franciscaner-Barfilsserkloster,

3. das Kloster der regulirten Chorherren,

4. der Convent St. Dominicus,

5. die Commende.

7. Buxtehude. War Hansestadt; von den drei Kirchen:

St. Peter, Liebfrauen- und heiligen Geistkirche war blos eine brauchbar. Da der Rath sich sonst gehorsam zeigte, wurde von den Restitutionscommissären eine Theilung dieser einzigen Kirche bewilligt.

8. Colmar. Die Stadt hatte die Reformation ungefähr 1578

angenommen; der Befehl zur Gegenreformation erfolgt am 14. December 1628 und wird durch den Erzherzog Leopold als Oberlandvogt im Elsass vollzogen; Aus- wanderungsfrist fllr die Ungehorsamen sechs Monate.

9. Dortmund. Die Bürgerschaft war theils katholisch, theils

evangelisch. Die völlige Abschaffung des evangelischen Gottesdienstes war schon 1604 versucht worden; am 22. April 1629 wird sie neuerdings befohlen, war aber bis »um 1. April 1630 noch nicht durchgeführt.

Der Streit um die geistlichen Ofiter und du Bestitntioneedict (1629). 625

10. Essen. Die Reichsiinmittelbarkeit wird durch die Aebtissin

bestritten. Dieselbe reformirt 1628 mit Hilfe katholischer Truppen die Gertrudenkirche, das Spital und die Schule imd lässt den Rath, als er die Rechnungen des Spitals nicht herausgeben will, in seinem Sitzungslocal so lange belagern, bis er, durch Hunger gezwungen, nachgibt. Absetzung des evangelischen Rathes um den 4. Juli 1630.

11. Esslingen. Die Stadt war Wiirtemberg als Reichsschult-

heissen unterworfen; am 16. August 1628 erfolgt die Aufforderung zur Rückgabe des Dominicanerklosters.

12. Frankfurt am Main, a) Der Antoniterhof war von den

Kapuzinern gekauft und der Kaufcontract trotz der Einsprache des Rathes am 28. Juni 1627 bestätigt worden. Die Besitznahme erfolgt am 23. April 1628 unter Auf brechung der von den Protestanten verschlos- senen und verrammelten Thüren.

b) Bezüglich des BarfUsserklosters und der Haupt- pfarrkirche drohen zwei Franciscaner im Juni 1629 dem Rathe mit Einbringung der Klage, wenn er sie nicht gutwillig herausgebe, werden aber in barscher Weise abgewiesen.

13. Friedberg in der Wetterau. a) Das Barflisserkloster,

welches die Stadt 1542 um 300 Gulden gekauft hatte, um an dessen Stelle eine Schule zu bauen, wird am 7. Juli 1630 restituirt.

h) Das Augustinerkloster, welches angeblich vor dem Passauer Vertrag eingezogen, von den Katholiken aber im Processwege schon früher zurückverlangt worden war, wird am 13. Juli 1630 neuerdings zurückgefordert,

14. Gelnhausen. Die Stadt hatte 1542 die Reformation ange-

nommen. Die Barfüsser- Pfarrkirche und das in eine Schule verwandelte dazugehörige Kloster, welche an- geblich erst 1602 protestantisch geworden, sind am 17. Juni 1627 bereits restituirt.

15. Giengen. Die Pfarrkirche der Stadt gehörte zu dem

wttrtembergischen Kloster Herbrechtingen; das Interim hatte die Stadt angenommen. Am 24. März 1 628 erging nach Caraffa der Befehl zur Restitution derselben, war aber am 23. März 1630 noch nicht durchgeführt.

526 Tnpeti.

16. Goslar. Restitnirt wurden in dieser Stadt:

1. die CoUegiatkirche St Simon und Juda,

2. die CoUegiatkirche St. Geoi^,

3. die CoUegiatkirche St. Peter.

Nach Hurter wurden ausserdem drei Klöster in der Stadt selbst und vier in der Umgebung restituirt; auch sollten in Goslar Jesuiten eingeführt werden.

17. Hagenau. Die Stadt hatte die Reformation ungefi^ir 1564

angenommen ; die Kirche war schon 1624 wieder katho- lisch geworden; im Jahre 1628 wird durgh Erzherzog Leopold als Oberlandvogt im Elsass die vollständige Gegenreformation durchgeführt.

18. Schwäbisch-Hall. Im Jahre 1627 erhält die Stadt Befehl,

die heiligen Geistkirche den Katholiken zurückzugeben und einen katholischen Pfarrer aufzunehmen.

19. Heilbronn. Die Stadt hatte schon 1529 die Reformation

angenommen und sich 1531 des Barfüsserklosters be- mächtigt. Am 15. Jänner und 15. Mai 1629 erschienen Mönche, um die Rückgabe des E^losters zu fordern; am 23. October 1631 ergeht an die Stadt die Auffor- derung der Restitutionscommissäre, überhaupt alle un- rechtmässig eingezogenen geistlichen Güter herauszu- geben.

20. Hildesheim. Die Stadt gehörte zur Hansa und hatte

1542 die Reformation angenommen. Am 10. December 1630 verlangen die Minoriten die Rückgabe des Martins- klosters; später wird auch die Restitution der übrigen Kirchen verlangt.

21. Isny. Die Restitution hatte schon zur Zeit des Bauern-

krieges 1525 Eingang gefunden; im Jahre 1583 schloss die Stadt mit dem Prälaten von Isny einen Vertrag über die geistlichen Güter, der aber von dem Bischöfe von Constanz nicht bestätigt und daher nach katho- lischer Ansicht ungiltig war. Streitig waren die Nico- lauskirche und Nicolauscapelle; um den 25. Mai 1629 sollten der Abt von Kempten und der Rath von Biberach wegen derselben einen Vergleich herbeiführen.

22. Kaufbeuern. Die Stadt war schon vor dem Passauer

Vertrag evangelisch, nahm aber nach längerem Sträuben

Der Streit um die geistlichen Gflter und das Bestitationsedict (1619). 527

das Interim an, dessen Aufhebung in Kauf beuem an- geblich erst 1557 stattfand. Im Jahre 1604 wurde den Evangelischen die Mitbenützung der Hauptkirche ent- zogen, sie erbauten sich aber ein neues Bethaus, aller- dings, wie die Katholiken klagten, aus Oemeindemitteln. Die Abschaffung des evangelischen Rathes erfolgte 1627, die vollständige Gegenreformation im Frühjahr 1628.

23. Kempten. Die Stadt hatte sich 1525—1530 dem Pro-

testantismus angeschlossen, das Interim nur mit Wider- willen angenommen. Im Jahre 1627 verlangen der Bischof von Augsburg und der Abt von Kempten die Restitution der Kirche St. Mangen. Bis zum 5. Februar 1631 war die Gegenreformation vollständig durch- geführt.

24. Leutkirchen. Die Stadt hatte dem Interim sich imter-

worfen, war aber nach ihrer eigenen Behauptung schon 1552, nach der der Katholiken erst 1660 zum Prote- stantismus zurückgekehrt. Die Gegenreformation er- folgt im Herbste 1631.

25. Lindau.' Im Jahre 1528 war das Barfüsserkloster von der

Stadt in Besitz genommen und reformirt worden; nach- dem der Orden das Kloster wiederholt zurückverlangt, ergeht am 29. November 1627 ein kaiserliches Mandat zur Restitution; auch bestand damals die Absicht, Je- suiten in Lindau einzuführen.

26. Magdeburg. Im Jahre 1628 wird die Liebfrauenkirche

und das dazu gehörige Kloster restitnirt; ebenso war im März 1629 auch das Agneskloster schon katholisch. In den nächtlich angehefteten Placaten Hämmerle's (6. Jtüi 1630) wurden ausserdem begehrt die Stifts- kirchen :

1. St. Sebastian,

2. St. Nicolaus,

3. St. Paul,

4. St. Gangolf,

5. sub aula.

Der Rath äussert am 10. Mai 1629 Befürchtungen nicht blos wegen der sub 1, 2 und 3 genannten Kirchen, sondern auch wegen des Domes, der Stiftskirche unter

528 Tnpets.

d«n ThUrmen und sechs anderer nicht näher bezeich- neten Kirchen und Klöster.

27. Memmingen. Die Stadt war schon 1529 evangelisch und

hatte sich der Pfarrkirche mit der ,Antoni-Präceptorei'; der Frauenkirche und der Martinskirche bemächtigt; 1628 zur Rückgabe derselben aufgefordert, unterhandelte die ätadt mit Wolf von Mansfeld, indem sie die Resti- tution der übrigen Kirchen und Klöster gegen Belassung der Martinskirche anbot, wurde aber abgewiesen. Das Kreuzherrenstift war 1629 bereits restituirt. 1627 dringen drei Jesuiten in die Stadt ein. E^ Versuch zur Gegen- reformation geschieht in demselben Jahre auch in dem nahen Dorfe Erckheim.

28. Minden. Die Stadt war 1537 protestantisch geworden. Im

Jahre 1627 wurde sie von dem Abt von St. Simeon und Mauritius und dem Dechanten von St. Martin nnd Johannes wegen Nichtausfolgung der Zehnten und geist- lichen Nutzungen verklagt; am 21. September 1629 treffen die Restitutionscommissäre ein und restituircn sowohl die Pfarrkirche St. Simeon, als auch die Pfarr- kirche St. Martin sammt den dazu gehörigen Einkünften. Das Liebirauenstift mit 2000 Thalern Einkünften, welches im Mai 1630 noch von einigen Jungfrauen be- wohnt war, wurde vom Kaiser den Jesuiten zugewiesen (Mai 1630) und im Juli 1630 wirklich restituirt. Der Rath öffnete zwar die Kirche wieder, sie wurde ihm aber neuerdings entrissen.

29. Mühlhausen. Die Stadt wurde 1542 durch den Kur-

fUrsten von Sachsen reformirt und stand in der Folge unter kursächsischem Schutze; das Interim nahm die Stadt, froh ihre Freiheit wiedererlangt zu haben und wieder ,unter des Adlers Schutz* zu stehen, willig an. Später wurde sie aber doch wieder protestantisch. Die Restitution wurde in Bezug auf folgende geistliche Güter angestrebt:

1. Das Barflisserkloster sammt Kirche; in letzterer

hatten die katholischen Bürger noch von 1558—1566

. Ghottesdienst gehalten, wobei sie bewaffnet erschienen^

weä der Rath den Grottesdienst hindern wollte, Kaiser-

Der Streit tun die geistlichen Gfiter and das Reetitutionsedict (1629). 929

liehe Mandate zu Gunsten der Katholiken ergingen 1568, 1572 und 1573. Am 30. Juni 1630 versuchen die Barfbsser das Kloster wieder einzunehmen, werden aber vom Rathe in humoristischer Weise abgewiesen.

2. Das Augustiner-Nonnenkloster an der Brücke, in welchem noch 1548 Nonnen waren; dasselbe wurde in Anspruch genommen zuerst von Kurmainz, dann von den Nonnen in Erfurt.

3. Die Pfarrkirche, welche ursprünglich dem Deut- schen Orden gehört hatte, aber von der Stadt 1534 gepachtet worden war; die dazu gehörigen Schulen hatte jedoch die Stadt erst 1599 gekauft.

4. Das Predigerkloster, dessein beide Priore vom Rathe auch nach 1542 noch verköstigt worden waren.

30. Nördlingen. Die Stadt war schon 1529 protestantisch,

unterwarf sich aber später nach einigem Zögern dem Interim, ohne es freilich wirklich durchzuführen. Die Restitution wurde begehrt:

1. Bezüglich des Carmeliterklosters. Der letzte Mönch war erst 1564 gestorben, hatte rieh aber angeblich zum Protestantismus bekannt. Im Jahre 1574 versuchte die Stadt dem Orden seine Ansprüche um 2000 Gtdden abzukaufen. Am 15. October 1628 erschienen kaiser- liche Commissäre, um die Restitution vorzunehmen.

2. Bezüglich des Dominicanerklosters. Die Auf- forderung zur Rückgabe erfolgt am 16. August 1628.

31. Nord hausen. Hatte sich dem Interim nicht unterworfen,

sondern ausweichende Antworten gegeben. Am 25. Jänner 1630 hatte die Stadt sichere Nachricht; dass die Resti- tution der in Nordhausen befindlichen Kirchen und Klöster bevorstehe; auch wurde dieselbe in der That im Jahre 1630 von Hye beantragt.

32. Nürnberg. Die Restitution wurde in Bezug auf folgende

geistUche Güter begehrt:

1. Die Elisabethcapelle. Schon 1601 liess der Rath einen katholischen Priester, der darin Messe lesen wollte, verhaften, gerieth aber dadurch in Process zuerst beim Kammergerichte, dann, seit 1625, beim Reichshofrath. Am 21. December 1628 schleichen sich wieder drei

Ö30 Topets.

Kapuziner ein, die aber der Ratb ebenfalle entfernen läset. Am 10. December 1631 klagt der Comthor des Deutecben Ordens neuerdings auf Restitution.

2. Die Jacobecapelle , welche 1531 reformirt worden war, aber ebenfalle vom Deutschen Orden beaneprucht wurde.

3. Das Dominicanerkloster ,Zu den Predigern'.

4. Das Dominicanerkloster St. Catharina, in wel- chem noch bis 1596 ehemalige Nonnen angeblich als Pfründlerinnen lebten.

5. Das ausserhalb der Stadt gelegene Dominicaner- kloster Engelthal. In Bezug auf die unter 3^ 4 und ö genannten Klöster drohte der Dominicanerorden am 12. April 1628 mit gerichtlicher Elage, wenn man sie nicht zurückgebe.

6. Das Clarakloster. Die Nonnen hatten schon 1537 die Kutten abgelegt, waren aber auf Lebenszeit im Kloster geblieben.

7. Das Kloster Bildenz. Die Herausgabe desselben wurde am 13. August 1628 befohlen.

8. Das Kloster Bilbenreuth (vielleicht richtig: Pillen- reut). Dasselbe war 1552 von dem Markgrafen Albrecbt von Brandenburg niedei^brannt worden; als der Orden später den Wiederaufbau verlangte, wurde derselbe zuerst vertröstet, endlich 1 562 ganz abgewiesen. Der kaiser- liche Befehl zur Rückgabe erfolgt am 13. August 1628.

Bis zum September 1631 war übrigens in Nürn- berg selbst keine der angestrebten Restitutionen durch- geführt. Die Gegenreformation wurde in folgenden der Stadt gehörigen Dörfern versucht:

1. Engelthal.

2. Hagenhausen. In diesem Orte war am 19. Fe- bruar 1629 schon militärische Einquartierung, um die Gegenreformation vorzubereiten.

3. Haksburg (Happurg?).

4. Häuselstein. Das Dorf «gehörte der Stadt ge- meinsam mit Oberpfalz und die Gegenreformation wurde hier von dem bayrisch-pfklzischen Pfleger in Pfaffen- hofen versucht.

Der Streit «n die (^eistliclien Qlkier vnd das BeBtitntionsedict (1629). 531

5. Henfenfeld.

6. Lonnerstadt. Ein Kammergerichteurtheil von 1663 soll in Bezug auf diese Ortschaft den Evange- lischen günstig gewesen sein; trotzdem erschienen am 4. November 1629 etliche Beamte der Bischöfe von Bamberg und Würzburg mit 400 Mann bewaffneten Landvolks, schlugen den Pfarrer und den Messner in Eisen und gaben denen, die nicht katholisch werden wollten, blos drei Monate Frist zur Auswanderung.

7. Obem-Eilssbach (wohl gleich: Ober-Olsbach). War pf&lzisch-nümbergischer Gemeinbesitz und wurde von dem bayrischen Pfleger in Hainburg mit der Gegen- reformation bedroht.

8. Ottensee.

9. Offenhausen.

10. Reichenschwand.

11. Röhrenstadt (wie bei Häuselstein).

12. Traunfeld (ebenso).

13. Vockenhof (wie bei Obem-Eilssbach).

14. Wienried (ebenso).

Ausserdem wurden nach Angabe des Rathes Nürn- berger Unterthanen zum Katholicismus gezwungen im Freisbezirk des Ganerbenhauses Rothenberg in der Pfalz imd in den Stiftern: Bamberg, Eichstädt und Würzburg.

33. Oppenheim. Die Austreibung der ,calvinischen* Bürger-

schaft war am 18. October 1627 bereits vollzogen; die Stadt ^ ehemals Reichsstadt, wurde übrigens damals bereits als kurp&lzisch betrachtet und darnach be- handelt.

34. Osnabrück. Die Stadt war zwar nicht Reichsstadt, wohl

aber Hansestadt. Die Reformation hatte 1542 Eingang gefunden, 1548 aber trat eine Unterbrechung in Folge des Interims ein, welche nach Angabe der Stadt schon in demselben Jahre beseitigt wurde. Die Gegenrefor- mation wurde seit 1628 durch den Bischof Franz Wil- helm mit grosser Strenge durchgeführt; fünf evange- lische Prediger wurden vertrieben, Jesuiten, Fran- ciscaner und Dominicaner in die Stadt eingeführt, der

532 Tupett.

am 9. Januar 1629 gewählte protestantische Rath am 14. Januar 1629 durch einen anderen ersetzt. Am 4. Juli 1629 betrachtete der Bischof die Bekehrung als gelungen.

35. Ravensburg. Befehl zur Restitution des dortigen Carme-

literklosters 1628 (Caraffa, Anhang S. 51). ^

36. Regensburg. Die Stadt war 1542 protestantisch geworden,

hatte sich aber dann dem Interim unterworfen. Das Spital in Stadt am Hof wird von Bayern, das ein Be- sitzrecht darauf geltend machte^ im katholischen Sinne reformirt, das Vorgehen Bayerns aber vom Kaiser am 25. October 1628 getadelt. Die gefbrchtete vollständige Gegenreformation war bis 1631 noch nicht erfolgt.

37. Rothenburg an der Tauber. Die Restitution wurde in

Bezug auf folgende geistliche Güter beansprucht:

1. Die Kirche St. Johannes^ wegen deren der Com- thur des Johanniterordens schon vor dem 25. Januar 1629 ein mandatum cum clausula erwirkt hatte.

2. Die Pfarrkirche St. Jacob^ welche die Stadt angeblich 1566 vom Deutschen Orden erworben hatte.

3. Das Franciscanerkloster , welches 1548 an- geblich mit Zustimmung der damals lebenden Mönche eingezogen worden war. Am 25. Januar 1629 erscheint ein Provinzial mit zwei Mönchen, um es in Besitz zu nehmen.

4. Zwei (?) Dominicanerklöster. Nach Caraffa erfolgt die Aufforderung zur Restitution am 16. August 1628, nach Angabe des Rathes jedoch datirte das man- datum cum clausula, welches die Dominicaner erwirkten, vom 25. August 1628.

Eine Aufforderung an die Stadt, wegen sämmt- Hoher geistlichen Güter ihre Rechte nachzuweisen, er- ging am 11. Januar 1631; dieselbe hatte jedoch bis zum 28. April 1631 noch keine weiteren Folgen gehabt.

38. Schweinfurth. Der Protestantismus hatte schon 1532,

nach einer anderen Angabe 1542 Eingang gefunden; zur Zeit des Religionsfriedens lag die Stadt in Schutt, weshalb von den Katholiken behauptet wurde, dass der Religionsfriede auf Schweinfurth keine Anwendung finde.

Der Streit um die ((eistliclien Gfiter und das BestitntionBediet (1629\ 533

Ein Vertrag von 1562 wurde von den KAtholiken eben- falls als ungiltig erklärt, weil unterdessen das allge- meine Concil stattgefunden habe. Angestrebt wurde die Restitution:

1. Bezüglich der Stadtkirche. Der Propst von Haug begehrte die Restitution derselben schon im De- cember 1628; der Rath erwirkte aber gegen den Propst Ende 1629 ein Inhibitoriale.

2. Bezüglich des (sehr kleinen) Carmeliterklosters. Die Mönche desselben hatte man seit 1549, nach einer anderen Angabe seit 1532 oder 1535 aussterben lassen. Bis zum 18. Februar 1631 war übrigens in Schwein- furth keine Restitution wirklich durchgeführt worden.

39. Speier. Der Erzbischof von Mainz sollte 1628 die daselbst

befindliche Dominicanerkirche restituiren.

40. Strassburg. 1. Die zwei Pfarrkirchen zum alten und

jungen St. Peter und das Domstift waren schon 1529 und nochmals 1549 evangelisch geworden; 1559 trat ein katholisches Interim ein^ 1561 aber wurden die Kirchen wieder von den Evangelischen occupirt. Am 20. Februar 1628 ei^eht ein Mandat des Kaisers wegen Restitution; im Februar 1629 ist eine kaiserliche Com- mission in der Stadt, welche aber am 16. Februar 1629 unverrichteter Dinge wieder abreist. Noch am 31. März 1631 wird eine Gegeneingabe der Stadt vom Kaiser abgewiesen.

2. Das Dominicanerkloster; dasselbe wurde am 16. August 1628 zurückverlangt, aber ebenfalls ohne Erfolg.

41. Ulm. Die Restitution wurde betreflFs folgender geistlicher

Güter begehrt:

1. Die Domkirche, welche zwar schon 1531 pro- testantisirt worden war, in welcher aber bis 1554 das Interim gegolten hatte. Am 3. Mai 1630 wird die Stadt durch den Bischof von Constanz aufgefordert, den öffentlichen katholischen Gottesdienst im Dome zu ge- statten.

2. Das Dominicanerkloster; die Aufforderung zur Rückgabe erfolgte am 16. August 1628.

Sitenngsber. d. pbil.-hitt. Ol. CO. Bd. II. Hft. 86

534 Tapet«.

3. Das Barftlsserkloster in Wangen, welches an- geblich schon 1532 protestantisch geworden war. Am 24. Juli 1629 wird die Stadt zur Restitution verurtheilt und um den 3. Mai 1630 durch Gesandte des Bischofs von Constanz nochmals zur Rückgabe aufgefordert.

Die Gegenreformation sollte vorgenommen werden in den Ulmer Bürgern gehörigen Dörfern:

1. Holzheim; daselbst wurde 1627 der evangelische Pfarrer entfernt.

2. Holzschwang.

3. Neuhausen.

4. Reuttin.

Die betreiOfenden Bürger besassen die Dörfer seit 1561 ; der Versuch zur Gegenreformation in den unter 2, 3 und 4 genannten erfolgte durch den Bischof am 10. März 1628.

42. Weissenburg am Rhein (Kronweissenburg). Die Resti-

tution wurde begehrt in Bezug auf die Kirche St. Jo- hann und St. Stefan, welche erst 1568 vollständig protestantisirt worden war. Die Klage des Dechants rührte vom 1. Mai 1628. Ein Vertrag vom Jahre 1560 wegen Besorgung der ^evangelischen Ministerien' wurde von den katholischen Geistlichen mit Berufung auf das Restitutionsedict nicht mehr beobachtet.

43. Weissenburg im Nordgau. Die Gegenreformation wurde

in vier Reichsdörfem versucht, welche seit 1533 im Pfandbesitz von Weissenburg waren, nämlich in:

1. Biburg (oder: Nüburg?).

2. Erkersbach (Petersbach?).

3. Kahldorf.

4. Wengen.

Das Pfandverhältniss wurde zu diesem Zwecke ohne Kündigung gelöst, der Pfandschilling zwar zurück- gegeben, aber nicht in die Stadtcasse abgeliefert, sondern zur Bezahlung der in der Stadt liegenden kaiserUchen Soldaten verwendet. In Wengen fand die Gegenreformation am 28. März 1628 wirklich statt, indem das ,Au8laufen^ verboten und die Ungehorsamen, weil in den Reichsdörfem der Kaiser der Landesherr

Der Streit um die geistliclien Gflter und das Restitntionsedict (1689). 535

sei, ,wie Verbrecher* bestraft wurden. Nürnberg nahm sich Wengen's an, weil die Ntimbergischen Unterthanen aus Bechthal dorthin zur Kirche gingen, aber vergeblich.

44. Wetzlar. Die Stadt stand unter hessischem Schutz, war

seit 1542 protestantisch und stand in dem Rufe der Zu- neigung zum Calvinismus. Die von den Katholiken zurückverlangten Güter waren:

1. Die Stiftskirche, deren Stift seit 1542 prote- stantisch war, während die katholischen Domherren sich mit dem Chor begnügen mussten. 1561 waren die Protestanten blos auf eine Capelle beschränkt, 1565 be- mächtigte sich der Rath des Schiffes von Neuem, 1572 kam ein Vertrag wegen des Unterhalts der evange- lischen Prädicanten zu Stande, 1576 erfloss ein kaiser- liches Mandat, die katholischen Domherren nicht am Gottesdienste zu hindern. Zur Zeit des Restitutions- edictes trachtete Kurtrier wiederum, sich der ganzen Kirche zu bemächtigen.

2. Das Barflisserkloster. Dasselbe war am 13. No- vember 1627 bereits restituirt.

45. Windsheim (in Mittelfranken). Im Jahre 1530 war die

Stadt bereits lange evangelisch, nahm aber später das Interim an; im Jahre 1628 vollzog der Bischof von Wtirzburg die Gegenreformation in den zu Windsheim gehörigen Dörfern:

1. Creilsheim (Crailsheim in Würtemberg?).

2. Herbolzheim (s. Grafschaft Seinsheim).

3. Hüttenheim.

B. In den fibrigen Territorien.

1. Ftirstenthum Anhalt. Restituirt sollten werden:

a) Das ehemals reichsunmittelbare Jungfrauenstift Gem- rode (bei Majlath fälschlich: Ormerode) mit 4000 Thalem jährlicher Einkünfte. Die Befehle zur Resti- tution erfolgten am 15. April imd 7. Juni 1630. Als neue Aebtissin war ursprünglich das unmündige

Töchterlein des Grafen Wolfgang von Mansfeld in

36*

536 Tnpets.

Aussicht genommen; später wurden die Elosterein- künfte für die neue jesuitische Universität in Goslar bestimmt. b) Das Benedictinerkloster Mtinchen-Neuburg (Nienburg). Dasselbe war im Bauernkriege verwüstet worden and dann durch Verträge von 1528, 1539, 1547, 1552 in anhaltischen Besitz gekommen, beziehungsweise dann bestätigt worden; 1562 erlangte Anhalt daftU* ein mandatum de non offendendo. Zwischen dem 7. und 19. Juni 1630 wurde das Erlöster von einem Quartier- meister und etlichen Dragonern wieder für die Katho- liken occupirt.

2. Markgrafschaft Baden. Nach Caraffa wurde am 16. August

1628 die Restitution des Dominicanerklosters in Pforz- heim befohlen.

3. Grafschaft Bentheim. Die Beamten des Stiftes Münster

suchen durch Einquartirung die Einwohner von Stein- furth und Umgebung zur Olaubensänderung zu zwingen; in Wevelinghoven wird der evangelische Pfarrer von Kurköln vertrieben.

4. Markgrafschaft Brandenburg- Ansbach und Baireuth. Re-

stitution und Gegenreformation wurden in folgenden Dörfern und Erlöstem theils versucht, theils durchgeführt:

1. Bechhofen (Gegenreformation nur versucht).

2. Beuer (ebenso).

3. Binsfeld (Versuch zur Restitution des dortigen Klosters).

4. Binzwangen (Versuch der Gegenreformation).

5. Buchheim. Das Dorf war brandenburgisches Schirmdorf; die Einwohner wurden jedoch vom Deut- schen Orden gezwungen, katholisch zu werden oder auszuwandern.

6. Bruchbreschendorf. Der Deutsche Orden zwang die Einwohner zum Besuche der katholischen Kirche.

7. Bubenheim. Am 29. November 1628 eigeht Befehl an den Markgrafen von Brandenburg, seine Soldaten abzuftihren und den katholischen Gottesdienst nicht zu hindern.

8. Burg (die Gegenreformation nur versucht).

Der Streit um die geistliehen Oflter und das Bestitattoniediot (16f9). 537

9. Oonheim. War ein FuchsiBches Gut gewesen, aber vom Grafen Nicolaus Fugger gekauft und der Markgräfin Sophie von Brandenburg verschrieben. Graf Fugger führte die Gegenreformation durch.

10. Defersbach. Die Einwohner wurden vom Deut- schen Orden zum Besuch^ der katholischen Kirche gezwungen.

11. Ettenstadt. Gehörte den Schenken von Geyern, stand aber unter brandenburgischer Landeshoheit. An- gefochten wurde der Besitz der Pfarre imd der Capelle.

12. Flachslanden. Gegenreformation durch den Deutschen Orden.

13. Feuchtwang. Das zum Burggrafenamt Nürnberg gehörige OoUegiatstift sollte laut Befehl vom 11. Fe- bruar 1628 restituirt werden.

14. Fürth. In Bezug auf die brandenburgischen Rechte in Fürth bestand ein Streit mit dem Dompropst zu Bamberg.

15. Gereuth. Gegenreformation durch den Deut- schen Orden.

16. Gertmarzweiler. Die Gegenreformation nur versucht.

17. Griebelstadt. War brandenburgisches Lehen und gehörte den Zobeln und Geyern ; der evangelische Prediger daselbst wurde mit Gewalt entfernt.

18. Gülchsheim (Amt Uffenheim). Der evangelische Prediger daselbst wurde verjagt.

19. Gründelhardt. Der Propst von Ellwangen setzt einen katholischen Priester ein, der aber von den Pro- testanten wieder vertrieben wird.

20.Gundelsheim. Die Gegenreformation nur versucht.

21. EJoster Heilbronn. Durch den Markgrafen Albrecht Alcibiades war es kraft des Interims den Mönchen zurückgegeben worden; am 22. November 1627 wurde Markgraf Christian aufgefordert, seine Rechte auf das Kloster nachzuweisen.

22. Heinklingen (Klingen in Unterfranken?). Die Einwohner werden vom Deutschen Orden gezwungen, katholisch zu werden oder auszuwandern.

5SS Tnpetz.

23. Hemmersheim. Der evangelische Prediger daselbst wurde verjagt

24. Unter-Hölsfeld. Die Gegenreformation nur versucht.

25. Ickelheim. War brandenburgisches Schirmdori; gleichwohl zwang der Deutsche Orden die Einwohner, katholisch zu werden oder auszuwandern.

26. Kaltbruchreuth im Amte Geyern. Es stand unter brandenburgischer Landeshoheit, aber der Besitz der Pfarre wurde angefochten.

27. Kitzingen. Stadt und Kloster waren nach An- gabe des Markgrafen Christian ,mehr als hundert Jahre' im Ansbach'schen Besitz, wurden aber trotzdem am 6. September 1629 restituirt und reformirt.

28. Kleinlangheim. Der Bischof von Würzburg machte einen nächtlichen Ueberfall auf diesen Ort, um einen gräflichen ,KastnerS der sich der Gegenreformation im Schwarzenbergischen widersetzt hatte, zu bestrafen.

29. Lehi*berg. Die Gegenreformation wurde nur versucht.

30. Lipprichshausen (Amt Uflfenheim). Der evan- gelische Prediger wurde mit Gewalt entfernt.

31. Lustenau. Gegenreformation versucht.

32. Mainbemheim. Markgraf Christian hörte 1629, dass der Bischof von Wtirzburg damit investirt sei.

33. Mainstockheim. Dem Markgrafen wurde der ihm gebührende vierte Theil des Weinzehents entzogen, die Untcrthanen wurden zum Katholicismus genöthigt, diejenigen, welche in die evangoUschen Kirchen gehen wollten, gewaltsam überfallen.

34. Mertesheim (Amt Uffenheim). Der evange- lische, von Brandenburg eingesetzte Prediger wurde gewaltsam entfernt.

35. Mitteldachstetten. Gegenreformation durch den Deutschen Orden.

36. Münchsonntheim. Der evangelische Pfarrer wurde nach Würzburg ins Gefilngniss abgeführt.

37. Ostheim. War brandenburgisches Lehensgut, wurde vom Kaiser dem katholischen Freiherm Hans Karl

I>«r Streit am die geistlichen Glkter nod das Bestitntionsedict (1689). Ö39

Fuchs und von diesem den ^dominis directis^ käuflich überlassen; trotzdem wurde die Gegenreformation vor- genommen.

38. Obem-Biberich (wohl: Obem-Bibert). Gegen- reformation durch den Deutschen Orden.

39. Pf&fifenhofen. War brandenburgisches Schirm- dorf; Gegenreformation durch den Deutschen Orden.

40. Pfahldorf. Der von Brandenburg eingesetzte evangelische Pfarrer wird mit Gewalt entfernt.

41. Alt-Rechenberg. Lehensgut; Verhältnisse ähn- lich wie bei Ostheim. (Identisch mit Rechenberg ist vielleicht das an einem andern Orte genannte Ren- berg; ein confiscirtes Gut, welches vom Bischof von Würzburg angekauft wurde, um es zu katholisiren).

42. Rpgersheim. War brandenburgißches Schirm- dorf; Gegenreformation durch den Deutschen Orden.

43. Schnodsenbach. Lehensgut^ der Witwe Papen- heim, gebomen Gräfin von Tübingen gehörige unter der Malefizgerichtsbarkeit von Schwarzenberg stehend. Gegenreformation.

44. Schwaningen. Verhältnisse wie bei Ostheim.

45. Die Schwarzenbergischen Güter mit 9 Pfarren und 20 Geistlichen imd Lehrern wurden von dem Grafen Georg Ludwig von Schwarzenbei^ selbst refor- mirt; Brandenburg als Lehensherr glaubte Einsprache erheben zu dürfen, weil die Lehensleute sich seinerzeit durch Revers der Reformation hatten unterwerfen müssen.

46. Segnitz. Am 19. Februar 1626 verlangt man die Entfernung der daselbst befindlichen evangelischen Geistlichen.

47. lOoster Sulz. Der Abt von Roth im Namen des Prämonstratenserordens fordert Brandenburg am 31 . März 1628 auf, seine Rechte auf das Kloster nachzuweisen.

48. Thalmannsfeld. Gehörte den Schenken von Geyern, stand aber unter brandenburgischer Landes- hoheit. Den evangeUschen Pfarrer will man zuerst bei Nacht vertreiben, nimmt ihn dann wirklich gefangen und verjagt ihn.

540 Tvpeti.

49. Tiefenstockheim. Der evangelische Prediger wird mit Gewalt entfernt.

ÖO. Untembruchreuth (Amt Geyern). Stand unter brandenburgischer Landeshoheit; die Pfarre wurde be- droht.

51. Uttenhofen. War brandenburgisches Schirm- dorf; der von Brandenburg eingesetzte evangelische Pre- diger wurde mit Gewalt entfernt und die Unterthanen durch den Deutschen Orden zur Annahme des E^atho- UcismuB gezwungen.

52. Waldmannshofen. Der brandenburgische Le- hensträger daselbst, Albrecht Christof von Rosenberg^ wurde ebenfalls mit der G^geni^dformation bedroht.

53. Weidelbach. Die Gegenreformation nur versucht.

54. Werdenbroischen. Am 14. April 1628 erging die Aufforderung an Culmbach, entweder selbst katho- lische Priester einzusetzen oder die vom Gapitel ein- gesetzten anzunehmen.

55. Willandsheim. Der evangelische Prediger wurde mit Gewalt entfernt.

56. Wieseth. Gegenreformation nur versucht.

57. Ober-Zenn. War brandenburgisches Lehen; der Versuch, die Gegenreformation durchzuführen, wurde von Brandenburg vereitelt.

58. Unter-Zenn. Würzburgisches Lehen imter brandenburgischer Landeshoheit; die Gegenreformation durchgeführt.

59. Zwemberg. Gegenreformation nur versucht. Der Bischof von Bamberg wollte ausserdem die Gegen- reformation auf den Aufsess'schen, Redwitz'schen und Streitbergischen Gütern, in dem Bambei^schen Flecken Thumau, endlich in den sieben Wildensteinischen Ge- richten und den darin gelegenen zwei Pfarren durch- fuhren, wurde aber, wie er am 24. September 1631 klagt, von dem Markgrafen von Brandenburg hieran gehindert. Auch die Gegenreformation des ganzen Culmbacb'schen Antheils am Burggrafenthum Nürnberg war von Bam- berg in Aussicht genommen, und zwar darum, weil der- selbe einst dem Markgrafen Albrecht Alcibiades gehört.

Der Streit nn die geietlicheii Ottter und das Beetitntioiuedict (1629). 541

dieser aber dem Passauer Vertrage mit Waffengewalt sich widersetzt habe; Albreeht selbst als Aechter sei des Friedens unfähig gewesen, folglich stehe auch sein Land ausserhalb des Friedens.

5. Bisthum Brandenburg. Der letzte Bischof, Mathias von

Jagov, welcher bereits evangelisch war, starb 1544; seitdem gehörte das Stift zu Kurbrandenburg, wurde aber erst 1598 säcularisirt. Die Restitution ist niemals ernstlich verlangt worden.

6. Herzogthum Braunschweig -Wolfenbttttel mit Kaienberg.

Wirklich restituirt wurden folgende Klöster:

1. Das CÜstercienserkloster Amelunxborn.

2. Das freie adelige Damenstift Bassum. Dasselbe wurde vom Bischöfe von Osnabrück beansprucht, um aus den Einkünften die Kirchenornamente in Verden wiederherzustellen.

3. Das CÜstercienserkloster Brunshausen.

4. Das Benedictinerkloster Bursfelde (im Fürsten- thum Kaienberg); dasselbe war 1542 eingezogen worden, am 24. März 1627 wurde die E^age wegen Restitution eingereicht.

5. Das Benedictinerkloster Clauss (Clusa) bei Oandersheim; dasselbe war schon vor dem 22. August 1629 restituirt.

6. Das Kloster Eschede.

7. Das Kloster Fredelsloh (Fürstenthum Kaienberg).

8. Die Benedictinerabtei Fürstenfelde; dieselbe wurde vorläufig von den Restitutionscommissären in Ver- waltung genommen.

9. Das Kloster Grauhof bei Goslar.

10. Göttingen (Kaienberg); daselbst wurden resti- tuirt. :

a) die Kirche St. Paul, welche 1538 evangelisch geworden war,

b) der Franciscanerconvent.

11. Hameln. Die Stadt gehörte halb zu Braim- schweig, halb zum Bisthum Hildesheim, stand aber unter der geistlichen Gerichtsbarkeit des Stiftes Minden. Restituirt wurden:

542 Tnpcfts.

a) Die CoUegiatkirche St. Bonifacius, welche 1542 evangelisch geworden war; die evangelischen Stiftsherren wurden abgeschafft

b) Das Armenhaus, ehemals Beguinenhaus ; das- selbe wurde unbekannten Mönchen übergeben. Ausserdem soll ein Mönch gedroht haben, das« man auch den Syndicatshof, welchen die Stadt 1537 vom Stifte St. Paul gekauft hatte, ein- ziehen werde. Unter den in Hameln einge- führten Mönchen waren auch BarfUsser und Jesuiten.

12. Das Kloster Hilbrechtshausen (Fürstenthum Kaienberg; vielleicht identisch mit dem unten genannten Hilwartshausen oder Hilmershausen bei Einbeck).

13. Das Prämonstratenserkloster Ilefeld in der confiscirten Grafschaft Hohenstein.

14. Das Cistercienserkloster Königslutter.

15. Das Cistercienserkloster Loccum (Kaienberg).

16. Das Kloster Marienberg bei Helmstädt.

17. Das Nonnenkloster Mariengarten (bei Göt- tingen).

18. Das Cistercienser-Nonnenkloster Marienhagen.

19. Das Benedictinerkloster Marienthal bei Helm- städt.

20. Michaelsstein in der confiscirten Grafschaft Rheinstein; war vor dem April 1630 bereits restituirt.

21. Northeim. Die Benedictinerabtei St. Blasius daselbst wurde restituirt imd von den Commissären vorläufig in Verwaltung genommen.

22. Die CoUegiatkirche in Oelsburg; dieselbe blieb vorläufig in Verwaltung der Restitutionscommissäre.

23. Die Benedictinerabtei in Reinhausen. In Ver- waltung genommen.

24. Die Benedictinerabtei Ringelheim.

25. Das Cistercienserkloster Rittershausen bei Braunschweig (offenbar gleich: Riddagshaosen); dasselbe war im April 1630 bereits restituirt.

26. Das Augustinerkloster St. Lorenz bei Scbö- ningen. In Verwaltung genommen.

Der Streit um die geistlichen Gfiter und dM Beetittttiontedicl (16S9). 543

27. Das EJoster St. Blasius in Vorheim, welches 1542 protestantisirt worden war; der Vogt des Herzogs, welcher sich der Restitution widersetzte; wurde arretirt, ihm eine Strafe von 6000 Goldgulden auferlegt ^ auch alles Vieh; Getreide und Mobilien genonunen.

28. Wehends (Weende bei Göttingen?).

29. Das reichsunmittelbare Cistercienserkloster Walkenried in der confiscirten Grafschaft Hohnstein.

Ausserdem wurde von Hye 1630 die Restitution bezüglich nachstehender Klöster beantragt:

1. Barsinghausen.

2. Barstein.

3. Catlenburg (bei Majlath fälschlich: Eytelburg). War im Mai 1630 noch nicht restituirt; die Ein- künfte, 2000 Thaler, wurden damals für die Jesuiten bestimmt.

4. Detenisse (Dedensen?).

5. Das Stift der heiligen Jungfrau in Einbeck und die Gollegiatkirche St. Alexander ebenda (Majlath liest statt Einbeck: Einkeln und Kingslar).

6. Fredelsen (bei Majlath: Emdethon; wohl das Nonnenkloster Fredeisheim).

7. Garten (bei Majlath: Oxarten).

8. Gerode (bei Majlath: Osterode).

9. Die Commende des Deutschen Ordens in Göt- tingen (Majlath: Drötings).

10. Heiligenfelde.

11. Heiligenrode.

12. Helmarshausen (wohl der hessische Ort dieses Namens).

13. Hilwartshausen.

14. Hockein (Hocklum).

15. Holzberge (bei Majlath: Holzburg; vielleicht Holzburg in Oberhessen).

16. Ilsenburg.

17. Die Commende des Deutschen Ordens in Lan- gelem (bei Majlath: Langen; vielleicht = Langeisheim).

18. Die Commende des Deutschen Orden» in Lucidum.

544 Tnpeti.

19. Mariensee. CistercienBer-Noniienkloster mit 2000 Tbaler Einkünften; im Mai 1630 war es noch evangelisch, wurde aber schon zum Unterhalte der Jesuiten bestimmt.

20. Mttnchenlaer (bei Majlath: Münchenbom).

21. Neudorf (bei Majlath: Randorf).

22. Passenhausen (bei Majlath: Possenhausen).

23. Pöhlde (Herzogthum Grubenhagen). Nach der Angabe Christians von Minden war es 1540 reformirt und gehörte eigentlich dem Herzog Georg von Brami- schweig; am 30. November 1629 erfolgte der im Text erzählte Ueberfall dui*ch die Mönche.

24. Schinna (bei Majlath: Seesen). Das Kloster war zerstört und wurde von dem Bischof von Osnabrttck für das Jesuitenalumnat in Verden in Anspruch genommen.

25. Steine (bei Majlath: Stame; wohl: Steina bei Northeim).

26. Walzhausen (bei Majlath: Waldhausen).

27. Wedin (Wehden in Hannover?).

28. Weinau.

29. Wenden (wohl: Wenden bei Braunschweig).

30. Das Jungfrauenkloster Wennigsen (bei Maj- lath: Weinsen).

31. Werder.

32. Widdenborn (wohl: Wettebom bei Ganders- heim; bei Majlath: Ridtenbom).

33.Das Nonnenkloster Wübbrenshausen (bei Majlath: Wuldbranshausen;wohl:Wigbrecht8hau8enbeiNortheim).

34. Wülfinghausen (bei Majlath: Wilfringshausen).

36. Wunstorf.

Der Bischof von Osnabrück nennt ausserdem ein zer- störtes Kloster: Wendorf (Wendorf bei Braunschweig?), dessen Einkünfte er fUr das Jesuitenalumnat in Verden in Anspruch nahm. T.Braunschweig-Lüneburg. Die Aufforderung, wegen sämmt- licher geistlicher Güter das Besitzrecht nachzuweisen, erfolgte am31.0ctober 1629; von Hye wurde insbeson- dere die Restitution nachstehender Kirchen und Klöster beantragt :

1. Die Collegiatkirche in Bardowick.

Der Streit nm die reiBtUehen Güter and das Bettitationsedict (1689). 545

2. Das Kloster in Ebsdorf (Majlath: Kosdorf).

3. Isenhagen (Majlath: Eisenhaz).

4. Kirche und Kloster St. Michael in Lüneburg. Die Einziehung war schon 1530 erfolgt; vor dem 28. Juli

1629 erscheinen 3 Aebte und verlangen Restitution^ am 20. August 1629 befiehlt jedoch der Kaiser den Aebten, innezuhalten und die Entscheidung der Restitutions- commissäre abzuwarten.

5. Liine (Majlath: Lünez).

6. Medingen.

7. Radakshausen (bei Majlath: Radehausen; viel- leicht ist Riddagshausen bei Braunschweig gemeint).

8. Ronslow (Majlath: Konslow; wohl: Ramelsloh bei Buxtehude).

9. Wienhausen.

8. Erzbisthum Bremen. Das Erzbisthum war am 21. November

1630 bereits in Verwaltung der Restitutionscommissäre; der vom Bischof von Osnabrück eingesetzte Sequestrator forderte an diesem Tage die dem Erzstift gehörenden Zehnten ein. Ausserdem wurden restituirt:

1. Das Benedictiner-Nonnenkloster Altenkloster (Hurter : Oldekloster) bei Buxtehude ; die Nonnen waren noch katholisch, der Propst aber evangelisch; das Kloster wurde daher blos reformirt.

2. Die Benedictinerabtei Hassfeld (vielleicht: Harsefeld); wurde ebenfalls bloss reformirt.

3. Das Cistercienser-Nonnenkloster Himmelpforten; dasselbe war am 21. December 1629 bereits den Jesuiten in Stade übergeben und hatte 1800 Thaler Einkünfte. Den Bewohnerinnen des Klosters wurde, wenn sie katho- lisch werden wollten, ein Jahresgehalt bis zum Tode oder bis zur Verheiratung, wenn sie evangelisch blieben, dagegen nur bis Ostern angeboten.

4. Das Franciscaner-Barfusserkloster St. Johann bei Stade. Dasselbe war zerstört und die Umwohner wussten nicht einmal, dass an der Stelle je ein Kloster gestanden, bis zu ihrem EIrstaunen die Grundmauern der Kirche bei der Nachgrabung wieder aufgefunden wurden. Wurde restituirt.

546 Tapets.

5. Das Cistercienser-Nonnenkloster Lilienthal; die Bewohnerinnen waren protestantisch^ beobachteten aber noch die Tageszeiten. Das Erlöster kam vorläufig in Verwaltung der Restitntionscommissäre.

6. Das Benedictiner-Nonnenkloster Neukloster. Da die Bewohnerinnen noch katholisch und nur der Propst evangelisch war, wurde es blos reformirt.

7. Das Benedictiner-Nonnenkloster Neuwald (Nien- wolty wohl dasselbe mit Nienwohlde). Die Gebäude lagen in Asche^ die Güter aber gaben ein Erträgniss von 1600 Thalem und wurden im Mai 1630 den Jesui- ten in Stade zugewiesen.

8. Das Benedictiner-Nonnenkloster Osterholz. Die Bewohnerinnen waren halb protestantisch, halb katho- lisch; das Kloster wurde blos reformirt.

9. In Stade wurde:

a) die Benedictinerabtei mit der Liebfrauenkirche restituirt;

h) das Kloster St. Georg (St. Jörgen) den Prämon- stratensem zurückgegeben; die prächtige grosse Kirche des Klosters war jedoch zerfallen.

c) Die Kirche St. Willehad, ebenfalls von den Prämonstratensem beansprucht, wurde vonTiUy den Jesuiten eingeräumt.

d) Die Elirche St. Cosmas und Damian und

e) die Kirche St. Pankraz, beide von den Prä- monstratensem beansprucht, waren am 9. April 1630 ebenfalls bereits katholisch.

Dem Rathe von Stade blieb für den evangelischen Gottes- dienst blos die Nicolaikirche, ,die kleinste von allen^

10. Zeven. Die Nonnen, dem Benedictinerorden angehörend, waren katholisch und hatten nur einen evangelischen Propst; das Kloster wurde daher blos reformirt.

9. Grafschaft Castel. Im Dorfe Abtschwind wurde von dem Bischöfe von Würzburg der evangelische Pfarrer ab- und ein katholischer eingesetzt; der Graf klagt darüber und über ,viele andere Bedrückungen' durch den Bischof im März und August 1631.

D«r Streit «m die geisUiohen GHlter und du Bestitationsedict (16S9). 547

10. Stift Fulda. Die Unterthanen der Ritterschaft ^in den

Buchen^ werden zum Eatholicismus gezwungen.

11. Damenstift Gandersheim. Dasselbe war 1568 evangelisch

geworden; Aebtissin war 1629 eine Gräfin Delmenhorst. Lamormain schlug vor^ es den Jesuiten zuzuwenden, falls sie Gemrode nicht bekämen.

12. Bisthum Halberstadt. Ausser dem Bisthum selbst wurden

restituirt in Halberstadt:

1. der Dom,

2. die CoUegiatkirche zur heiligen Jungfrau (Lieb- frauenkloster),

3. die CoUegiatkirche St. Moriz,

4. die CoUegiatkirche St. Paul,

5. das Carmeliterkloster.

Auch bezüglich des Dominicanerklosters erging nach Caraffa am 16. August 1628 die Aufforderung zur Restitution. 14 Domherren, 33 Stiftsherren und viele Vicarien verloren ihre Stellung, wenn sie nicht den EathoUcismus annehmen woUten. Ausserhalb der Stadt wurden restituirt:

1. der Franciscanerconvent in Aschersleben,

2. StetteUnburg (Damenstift Steterburg bei Wolfen- büttel?); war ftlr die Jesuiten bestimmt,

3. die CoUegiatkirche in Walbeck.

13. Grafschaft Hanau. Graf Philipp Moriz erhielt nach Caraffa

am 10. December 1626 ein Mandat cum clausula, das Kloster Schlüchtern dem Bischöfe von Würzburg ein- zuräumen.

14. Bisthum Havelberg. Dasselbe war 1548 säcularisirt worden

und wurde niemals ernstlich bedroht ; ein Jesuitenpater BoU zwar dem kurbrandenburgischen Gesandten in Wien mit der Restitution gedroht haben, Waldstein aber ver- sprach, wenn auch unter gewissen Bedingungen, dass das Stift nicht restituirt werden würde.

15. Damenstift Herford. Am 17. Juli 1630 erscheinen die

Restitutionscommissäre und erklären die im Jahre 1621 gewählte evangelische Aebtissin, eine Gräfin von Lippe, als abgesetzt. Das benachbarte Damenstift Schiische (Schildesche?) war schon im November 1630 restituirt.

548 Tupeti.

16. Benedictinerabtei Hersfeld. Dieselbe war reichsunmittelb&r, aber durch verschiedene Verträge^ vollständig seit 1606^ in den Besitz der Landgrafen von Hessen-Caasel gekom- men. Als die Abtei selbst restitoirt wnrde, mnssten nicht nur die Unterthanen dem Erzherzog Leopold Wil- helm als dem neuen Landesherrn huldigen , sondern es wurden auch alle Kirchen und Klöster wieder an katho- lische Priester übergeben^ und zwar:

1 . in Hersfeld die Pfarrkirche den Jesuiten (vor- her war ein Calvinist Prediger gewesen),

2. das in ein Gymnasium verwandelte Francis canerkloster ebenda den Franciscanem, doch so, dass das Gymnasium in die Hände der Jesuiten überging.

Ausserhalb der Stadt wurden restituirt die Klöster:

1. Cronberg (bei diesem Kloster ist die Durch- ftihrung der Restitution zweifelhaft),

2. Frauensee,

3. Johannisberg,

4. St. Peter,

5. Petersberg, (diese Propstei dem Landgrafen Hermann von Hessen gehörig).

Katholische Priester wurden eingesetzt in den Aemtern:

1. Aula,

2. Landeck,

3. Niedem- und

4. Obemgeis (?).

17. Landgrafschaft Hessen. Ausser der Abtei Hersfeld selbst sollten die Landgrafen noch folgende, durch ältere Ver- träge von den Achten von Hersfeld| ihnen abgetretene Güter herausgeben:

1. die gräflich Ziegenhainischen und gräflich Hennebergischen Lehen,

2. die halbe Stadt Hersfeld,

3. das halbe Amt Landeck,

4. das halbe Kloster Frauensee,

5. das Kloster Cronberg,

6. den Hof Rohna,

7. den Hof Alberts.

Der Streit um die geistlichen (}4ter und dus RestitotioDsediet (1699k o49

Die Verträge, durch welche diese Güter abgetreten worden waren, wurden von katholischer Seite als durch Gewalt erzwungen und daher ungiltig erklärt und auf Grund dieser Behauptung am 29. October 1629 die genannten Güter zurückgefordert. Ausserdem waren mit Restitution bedroht, beziehungsweise wurden wirk- lich restituirt:

1. Das Kloster Brauerbach (Braubach?); die Ein- räumung desselben wurde schon vor dem 3. September -1629 von mehreren Mönchen verlangt.

2. Das in ein Spital verwandelte Barf\isserkloster in Geismar; von zwei Franciscanem wird es am 2. Fe- bruar 1630 in Besitz genommen, aber bald darauf zurückgewonnen (das Nähere im Texte).

3. Die Stiftskirche St. Goar; dieselbe wurde 1626 von Trier beansprucht.

4. Das Kloster zu Kaufungen; dasselbe wurde von Hye 1630 zur Restitution beantragt, aber von diesem irrthtimlich nach Braunschweig versetzt.

5. Das Kloster in Lippoldsberg, welches 1630 im Besitze eines gewissen Lewin von Donep war, aber am 8. Januar dieses Jahres von dem Abte von Marien- münster in Anspruch genommen wurde.

6. Das deutsche Haus in Marburg und andere Güter des deutschen Ordens. Diese Güter waren nicht angetastet worden, über die Religionsübung aber be- stand ein Vertrag, 1583 zu Carlstadt geschlossen, der freilich von den Katholiken als ungiltig erklärt wurde, weil er dem Religionsfrieden widerspreche; stattdessen berief sich der deutsche Orden auf einen Vertrag, der 1549 mit dem gefangenen Landgrafen Philipp geschlossen worden war, imd führte auf Grund desselben in allen seinen Gütern den Katholicismus wieder ein.

7. Das in ein Spital verwandelte Augustinerkloster in Merxhausen, welches am 23. Juli 1630 von dem Propste von Henighen (Henningen?) beansprucht wurde.

8. Das Augustinerkloster Schmalkalden; die Aus- lieferung desselben wurde von einem Mönche vor dem 3. September 1629 verlangt.

Sinungeber. d. phil.-liiet. Ol. CU. Bd. II. Uft. 36

550 Tnpoti.

9. Das AugustinerkloBter Weissenstein bei Cassel, ebenfalls von Hye zur ReBtitution beantragt and eben- falls irrthümlich nach Braunschweig versetzt

Endlich wurde noch die Gegenreformation in fol- genden Dörfern durchgeführt:

1. Ems,

2. Kirdorf,

3. Singhofen,

4. Tiefenbach (Ober- und Unter-),

5. Werla (wohl: Werlau).

In Ems und Werla hatten die Castorherren von Coblenz, in den übrigen der Abt von Amstein die Collatur; die Gegenreformation wurde dadurch erleichtert, dass die Dörfer ausser Hessen noch drei Herren hatten. 18. Bisthum Hildesheim. Durch den für Braunschweig un- günstigen, für Kurköln günstigen Ausgang des lang- jährigen Processes kam das ganze Bisthum wieder in katholische Hände; Friedrich Ulrich, Herzog von Braun- schweig protestirte vergeblich am 1 . Januar 1630 gegen die Besitznahme. Im Einzelnen wurden restituirt:

1. Das Benedictiner-Nonnenkloster Braushausen; von den Commissären in Verwaltung genommen.

2. Das Cistercienser-Nonnenkloster^Dömburg (wohl Demeburg bei Hildesheim); ebenfalls in Verwaltung genommen.

3. Das Augustiner-Chorherrenstift Draul^isch; den Augustinern zugewiesen.

4. Das Cistercienser-Nonnenkloster Escherde; in Verwaltung genommen.

5. Das Benedictiner-Nonnenkloster Frankenbe;g in

Goslar; wurde restituirt.

6. Das E^oster der Magdaleniterinnen in Franken- burg; wurde restituirt.

7. Das Franciscaner-BarfÜsserkloster St. Johann in Goslar; wurde restituirt.

8. Das Augustiner-Nonnenkloster in Heiningen; wurde den Jesuiten zugewiesen.

9. Das Benedictiner-Nonnenkloster Lamspringe (Tauspring?); restituirt.

Der Streit an die geistlichen Güter vnd das Bettitationeedict (1629). 551

10. Das Carmeliterkloster Marienau; wurde re- stituirt.

11. Das Cistercienser-Nonnenkloster Marienrode; in Verwaltung genommen.

12. Das Benedictiner- Nonnenkloster Oelhof bei Gt)slar; in Verwaltung genommen.

13. Das Augustinerkloster Reiffenberg; in Ver- waltung genommen.

14. Das Augustiner-Nonnenkloster Stadeburg (Ste- terburg bei Braunschweig?); in Verwaltung genommen.

15. Das Augustiner -Nonnenkloster Vorstadt bei Hildesheim; den Jesuiten zugewiesen.

16. Das Augustinerkloster Wittenburg; in Ver- waltung genommen.

17. Das Cistercienser-Nonnenkloster Woltingerode; 2000 Gküden Einkünfte; war für die Jesuiten bestimmt.

19. Grafschaft Hohenlohe. Zurückverlangt wurden:

1. Das Stift Oehringen mit Pfarre und Spital und nicht weniger als 47 Klosterpfarren. Protestantisch war das Stift angeblich schon 1544 geworden; die Vorladung behufs Restitution erfolgte am 20. September 1629. Am 20. März 1630 versuchen dann die Commissäre sich thatsächlich in den Besitz des Stiftes zu setzen, finden aber die Thore gesperrt und die Brücken aufgezogen^ so dass sie unverrichteter Sache wieder abziehen müssen.

2. Das EJoster Schäftersheim mit der Pfarre und Frühmesse ebenda. Das Kloster war von den Bauern zerstört und seitdem nicht wieder aufgebaut worden; 1541 gelangte es in evangelischen Besitz. Schon 1589 wurde wegen Rückerstattung Klage beim Kammer- gericht erhoben; die Vorladung durch die Restitutions- commissäre erfolgt gleichzeitig mit der wegen Oehringen. Am 16. März 1630 wird das Kloster thatsächlich re- stituirt.

20. Herzogthum Holstein. Nach Caraffa wurde der Herzog

1628 aufgefordert, das Karthäuserkloster Arsenweck

(vielleicht: Ahrensböck bei Lübeck?) zu restituiren.

36*

552 tiipet«.

21. Ghrafschaft Isenburg. Der Graf soll nach Caraffa 1628 den

Prämonstratensem ein Kloster St. Sebald und Moriz zurückgeben.

22. Grafschaft Lippe.

1. Das Kloster Blomberg, angeblich 1538 pro- testantisch geworden^ wird von den Jesuiten beansprucht: zu dem Kloster gehörte auch das Dorf Schieder.

2. Die Pfründe bei den Extersteinen wird von dem Abt des Abdinghofes in Paderborn begehrt.

3. Das Kloster Falkenhagen , welches nur zur Hälfte zu Lippe, zur anderen Hälfte zu Paderborn ge- hörte. Die Lippe'sche Hälfte war angeblich schon 1538, das Ganze aber erst 1596 durch Vertrag mit Pader- born, unter Widerspruch der das Kloster bewohnenden jKreuzbrüder*, reformirt worden. Der Befehl zur Auf- nahme von Jesuiten erging schon am 11. Februar 1626, der wirkliche Einzug derselben fand jedoch erst am 14. September statt. Die Jesuiten begannen sogleich die Unterthanen zu reformiren, wurden aber am 6. Fe- bruar 1629 durch einen bewaffneten Ueberfall von Lippe her in ihrer Thätigkeit gestört; am 30. September 1630 entschied jedoch ein kaiserliches Urtheil zu Gunsten der Jesuiten.

4. Das Nonnenkloster E^appel, angeblich ebenfallö 1538 reformirt; ob es restituirt wurde, ist ungewiss.

6. Das Augustiner-Nonnenkloster Lippstadt; das- selbe war gemeinsamer Besitz der Grafen von Lippe mit dem Hause Jülich, Cleve und Berg. Restitution ungewiss.

6. Das Lehensgut Schwalenberg; Lehensherr war fUr drei Viertel der Abt von Corvey und für ein Viertel das Stift Paderborn. Auf Grund dessen sollte die Gegenreformation erfolgen; Lippe behauptete jedoch, durch einen Vertrag volle Landesherrlichkeit erlangt zu haben.

Im Ganzen waren in Lippe 12 Pfarrkirchen mit Gegenreformation bedroht.

Der Streit am die geistlichen Ofiter nnd das Restitationsedict (16S9). 553

23. Grafschaft Loe wen stein -Wertheim und Erbach.

1. Das Cistercienserkloster Grambach, 1545 ein- gezogen, wird schon sehi* irUh restitoirt.*

2. Das Earthäuserkloster Grünau, in welchem zur Zeit des Religionsfriedens angeblich nur zwei stumme und blinde Personen waren, wird von Wtirzburg zu Gunsten der Earthäuser restituirt (vor dem 10. März 1631).

3. Das Kloster Höchst in der Herrschaft Breu- berg (Grafschaft Erbach); dasselbe war angeblich vor dem Passauer Vertrage reformirt, hatte aber noch 1562 eine aUerdings evangelische Aebtissin. Der Abt von Fulda versuchte dieselbe abzusetzen und fährte über- haupt wegen des Klosters mit dem Grafen Process. Am 14. September 1628 ergeht der kaiserliche Befehl zur Restitution, am 9. Februar 1631 ist dieselbe bereits vollzogen.

4. Kloster und Dorf Holzkirchen wiixl von dem Bischöfe von Würzburg beansprucht.

5. Die Grafschaft Vimemburg (wohl gleich: Vime- burg), welche kurtrierisches Lehen war, wird reformirt und dem Grafen nicht einmal ein Hofprediger gelassen.

Ausserdem findet die Gegenreformation in fol- genden zum Kloster Grumbach gehörigen Dörfern Eingang:

1. Dörlesberg,

2. Nassig,

3. Reicholdsheim.

Die Pfarre in Werkheim (vielleicht gleich: Wert- heim?) wurde gleichfalls vom Bischöfe von Würzburg reformirt.

24. Bisthum Lübeck. Um den 2. Juni 1630 wird dem Stift

durch den päpstlichen Nuntius ein Frankfurter Decan als Canonicus aufgezwungen; die Furcht, welche dieses Wiederaufleben der päpstlichen Gerichtsbarkeit unter den Domherren verursachte, wollte der Herzog von Hol- stein benützen, um Lübeck zu einem holsteinischen Landstand zu machen.

25. Erzbisthum Magdeburg. Die Restitution des Erzbisthums

, erfolgte am 10. Juli 1630, indem die evangelischen

554 Tnpeti.

Domherren, da sie sich weigeiiien, katholisch zu werden, abgesetzt, der Rath und die Bürgerschaft von Magde- burg aber, ferner die Ritterschaft des Saalkreises, dann des Jerichow'schen, Jüterbogk'schen und Wolmirstedter Kreises gezwungen wurden, dem Erzherzog Leopold Wilhelm als dem neuen Erzbischofe zu huldigen. Oleich- zeitig erfolgte die Restitution der Domkirche. Ausserdem waren im Erzstift zu restituiren:

1. das Kloster Althaldensleben, von Tilly schon vor Erlassung des Restitutionsedictes reformirt,

2. ein ungenanntes EJoster in Halle, das zur Auf- nahme der Jesuiten bestimmt war,

3. das Kloster Hillersleben,

4. Kloster-Bergen,

5. das Kloster in Wolmirstedt.

Mit Restitution bedroht waren auch vier Klöster, welche der Markgräfin Dorothea von Brandenburg, Ge- mahlin des Markgrafen Christian Wilhelm, postulirten Erzbischofs von Magdeburg, zum Unterhalte angewiesen waren; sie hiessen:

1. Dahme,

2. Emden,

3. Jüterbogk,

4. Zinna.

Von Waldstein wurde die besorgte Markgräfin in ritterlicher Weise wegen der drohenden Gefahr beruhigt und eine Zeit lang auch geschützt; gegen den April 1630 wurden jedoch die Ansprüche der Orden immer dringender.

26. Bisthum Meissen. Dasselbe war 1542 protestantisirt worden

und gehörte dem KurfUrsten von Sachsen; TiUy's Dro- hungen s. 0.

27. Bisthum Merseburg. Verhältnisse wie bei Meissen.

28. Bisthum Minden. Die Versuche, Christian von Braunschweig

aus dem Besitze des Stiftes zu verdrängen, sind im Texte erzählt. Ausserhalb der Stadt Minden waren im Besitze Christians zur Restitution ausersehen die Klöster:

Der Streit um die geistlichen Gftter and das Bestitationsedict (1629). 555

1. Leuerden (auch Leunorden; Leiferde bei Wolfen- büttel? nach Majlath: Lannos); war fUr die Jesuiten bestimmt.

2. Quernum (Querum bei Braunschweig? bei Maj- lath: Tumum).

3. Oberkirchen (Majlath: Overkirchen).

4. Visbeck; dieses Kloster, ein Augustiner-Frauen- stift, war im Mai 1630 vermuthlich schon restituirt und für die Jesuiten bestimmt.

5. Wieterstheim.

29. Grafschaft Nassau (vorzugsweise: Nassau-Saarbrücken).

1. Das Stift Amual bei Saarbrücken, dessen Ein- künfte für das Gymnasium in Saarbiilcken verwendet wurden, war am 14. Februar 1631 noch nicht restituirt.

2. Das Kloster Bockenheim; dasselbe war an- geblich schon 1545 von den katholischen Grafen der älteren Linie mit päpstlicher Bewilligung eingezogen worden, doch hatte man ,aus Mitleid' die Mönche noch eine Zeit lang geduldet. Die jüngere evangelische Linie besass Bockenheim seit 1574. Am 14. Februar 1631 war das Kloster bereits in den Händen der Jesuiten.

3. Das in ein Spital verwandelte Kloster Claren- thal in der Herrschaft Wiesbaden; am 14. Februar 1631 bereits im Besitze des Kurfürsten von Mainz.

4. Auf dem nassauischen Lehensgut Diemeringen, welches confiscirt war, wird die Gegenreformation vor- genommen.

5. In den Dörfern Emmersheim und Enzheim bei Saarbrücken werden angeblich die Unterthanen gegen ihre evangelische Obrigkeit aufgewiegelt.

6. Die Vogtei Herbitzheim bei Saarbrücken wird von den Jesuiten in Bockenheim als Ersatz für die von Nassau unrechtmässig bezogenen Nutzungen des Klosters Bockenheim in Anspruch genommen und ihnen wirkUch zugewiesen.

7. Das Nonnenkloster Neumünster bei Ottweiler. Die Nonnen desselben hatten angeblich wegen Ver- armung die Verwaltung freiwillig dem Grafen von

556 Tupelz.

Nassau übergeben und sich nur den Lebensunterhalt ftlr sich ausbedungen; später war das Kloster abgebrannt. Am 14. Februar 1631 war es noch nicht restituirt.

8. Das Nonnenkloster Rosenthal im Amte Stauf; am 14. Februar 1631 glaubten die Grafen zu wissen, dass es dem Deutschen Orden zugewiesen sei.

9. Die Grafschaft Saarweiden wird 1629 von dem Bischof von Metz kraft eines Kammergerichtsurtheils in Besitz genommen und katholisch gemacht.

10. Das Augustinerkloster in Siegen, Witwensitz der Gräfin von Nassau, wird derselben von ihrem katholischen Stiefsohne Johann dem Jüngeren entrissen.

11. Das Erlöster Thron, von welchem die halben Einkünfte dem Grafen Ludwig Heinrich von Nassau gehörten, wird von Kurtrier restituirt am 12. Juni 1629.

12. Das nassauische Lehensgut Vinsteringen (Fin- steringen) war mit Confiscation und Gegenreformation bedroht.

13. Das evangeUsche Frauenstifl in Walsdorf, früher Nonnenkloster, ist am 14. Februar 1631 bereits von Kurmainz restituirt,

14. Das Amt Warheim, welches Nassau gemein- sam mit Kurtrier besass, wird von Kurtrier an sich gezogen am 30. April 1629 und katholisirt.

30. Bisthum Naumburg. War seit 1542 in kursächsischem

Besitz wie Meissen und Merseburg (s. d.).

31. Grafschaft Oettingen.

1. Der Pfarrer in Auf hausen wird vertrieben ; Ende 1630 ist bereits ein katholischer PfaiTcr daselbst eingesetzt.

2. Der evangelische Pfarrer in Bechenzimmem ist 1630 von dem Deutschen Orden bedroht.

3. Das Kloster Christgarten; war schon frühzeitig restituirt.

4. Die Pfarre in Ehringen, Filiale von Kirchheim; vom Deutschen Orden bedroht.

5. Die Kirche in Erdlingen ; nach CaraiFa erging der Befehl zur Restitution schon Ende 1628,

Der Streit um die geistlichen Gftter nnd das Restttutionsediet (1629). 557

6. Der Pfarrer in Ebermergen wird vom Deut- schen Orden vertrieben.

7. Die Pfarre in Kessel; 1630 bereits restituirt.

8. Die Pfarre in Kirchheim, zum Kloster Kirch- heim gehörig; war 1630 noch nicht eingezogen.

9. Der Pfarrer in Möttingen wird vom Deutschen Orden vertrieben.

10. Das Kloster in Mönchsroth wurde gleich nach dem Siege bei Lutter am B. in Anspruch genommen und war 1630 bereits restituirt.

11. Der Pfarrer an der Schlosskirche zu Oettingen wird vom Deutschen Orden vertrieben.

12. Der Prediger in PfilflFlingen, welches zu Zimmern gehörte, wird um 1630 vom Deutschen Orden vertrieben.

13. Bezüglich der Pfarre in Schopfloch, wo das katholische Dinkelspühl das Patronat hatte, war schon 1623 ein Process zu Gunsten der Katholiken ent- schieden worden; 1630 war sie jedoch, wie es scheint, noch nicht restituirt.

14. Die Pfarre in Seegringen, zum Ehester Roth gehörig, war 1630, wie es scheint, noch nicht restituirt.

15. Der Pfarrer in Unterringingen wird vom Deutschen Orden vertrieben.

16. Die zum Kloster Roth gehörige Pfarre Walx- heim; 1630, wie es scheint, noch nicht restituirt.

17. Das Kloster Zimmern sollte der Graf laut Befehl vom 15. April 1627 dem Abte von Kaisersheim herausgeben.

32. Bisthum Osnabrück. Bischof Franz Wilhelm katholisirte

ausser der Stadt Osnabrück selbst:

1. die Pfarre in Fürstenau,

2. das Collegiatstift Quakenbrück; in dem letz- teren wurden von zw^ölf Pfründen nur drei belassen.

33. Grafschaft Pappenheim. Mit Restitution bedroht war 1629

das Augustinerkloster in Pappenheim; doch scheint die wirkliche Einziehung mit Rücksicht auf Kursachsen, dessen Lehen Pappenheim war, unterblieben zu sein.

558 TupetK.

34. Pfalz-Veldenz. In der Grafschaft Veldenz wurde die

Gegenreformation durch den Kurfürsten von Trier in gewaltsamster Weise durchgeflihrt.

35. Grafschaft Pfalz -Zweibrücken. Das Kloster Hombach,

in welchem noch 1556 ein Abt gewesen sein soll, war am 22. Januar 1631 bereits restituirt. Die Unterthanen des Klosters wurden zur Bekehrung gezwimgen; Zwei- brücken klagt insbesondere:

1. über die Entlassung desKeller's inBodramstein^

2. über die erzwungene Huldigung der Unter- thanen zu Weidenthal,

3. über die Verjagung des evangelischen Pfarrers in Wilgartswiesen, wo Hombach die CoUatur hatte.

36. Damenstift Quedlinburg. Aebtissin desselben war 1629

die Herzogin Dorothea Sophia von Sachsen*, Lamormain schlug vor, statt derselben das Töchterlein des Grafen Wolfgang von Mansfeld zur Aebtissin zu machen, voraus- gesetzt, dass sie das ihm versprochene Gemrode nicht bekam. Bis zum 28. Juli 1629 war indess Quedlin- burg noch nicht restituirt.

37. Bisthum Ratzeburg. Dasselbe war 1554 protestantisch

geworden und hatte 1629 August den Aelteren, Herzog von Braunschweig -Lüneburg, als postulirten Bischof. Letzterer wurde abgesetzt und ihm ein Jahresgehalt zugewiesen; Waldstein soll gerathen haben, das Bisthum dem bekannten brandenburgischen Minister Schwarzen- berg zu verleihen. Bis zum 27. Juli 1629 schwebten jedoch noch die Verhandlungen zwischen August dem Aelteren und dem Kaiser.

38. Herzogthum Sachsen -Weimar. Durch die Restitution von

Hersfeld wurde auch Johann Ernst von Sachsen -Weimar mit betroffen; es war nämlich bedroht:

L das Amt Crainburg, durch Verti'äge vom Jahre 1588 und 1589 in sächsischem Pfandbesitz,

2. das Dorf Breitenbach , welches Johann Ernst gemeinsam mit Hersfeld besass; in Letzterem wurde wirklich der katholische Gottesdienst eingeführt

Der Streit nm die geistlichen 6«ter nnd das Bestitntionsedict (1629). 559

39. Grafschaft Schaumburg.

1. Das Kloster Mollenbeck; wird von demDechant der CoUegiatkirche in Minden als Propst von Ober- kirchen restituirt.

2. Das Augustiner -Nonnenkloster Oberkirchen 5 restituirt von demselben.

3. Das in eine evangelische Universität verwan- delte Nonnenkloster in Rinteln wird von ,englischen Mönchen' in Besitz genommen^ welche auch den theo- logischen und philosophischen Unterricht an der Uni- versität an sich reissen.

40. Grafschaft Schwarzburg. Graf Karl Günther von Schwarz-

burg beklagte sich in höchst umfangreichen Beschwerde- Schriften über den Verlust gewisser zu den restituirten Klöstern Walkenried und Ilefeld (s. Braunschweig 29 und 14) gehörigen Zinsen, welche theils ihm, theils der Gräfin -Witwe von Schwarzburg gehörten.

41. Grafschaft Seinsheim.

1. Das Dorf Buchbrunn, welches der Graf in Gemeinschaft mit dem Fuchs zu Dornheim und dem Erlöster Kitzingen bcsass, war mit Gegenreformation bedroht.

2. Der evangelische Pfarrer zu Krassolsheim wird von dem Bischöfe von Würzburg vertrieben; das Dorf scheint übrigens dem Grafen von Seinsheim nicht ge- hört zu haben y obwohl er wegen der Vertreibung Klage fUhrt.

3. Den Unterthanen in Herbolzheim, welches die Grafschaft in Gemeinschaft mit Würzburg und Anderen besass, wurde vom Bischöfe aufgetragen, binnen drei Monaten katholisch zu werden oder auszuwandern.

4. Ingolstadt; Verhältnisse wie beim Voraus- gehenden.

5. Krautostheim; wie beim Vorigen.

6. Der Pfarrer in Nordheim, wo der Graf von Seinsheim seine Andacht verrichtete, wird ausgewiesen.

560 Tnpcts.

42. Grafschaft Stolberg.

1. Das Nonnenkloster Drübeck, dessen Bewoh nerinnen angeblich schon zur Zeit des Bauernkrieges (1525) die evangelische Lehre angenommen hatten, wird von vier AebteU; welche in Begleitung von Sol- daten erschienen, gezwungen, zum Katholicismus zurück- zukehren (17. Juli 1629).

2. Im Kloster Ilsenburg wird ebenfalls am 19. Juli

1629 die gewaltsame Besitznahme versucht, wobei die Aebte der Berufung auf das Restitutionsedict die Be- hauptung entgegenstellten: ihre Commission sei noch neuer als das Restitutionsedict. Unter Scherzreden ziehen sie ab, kehren aber am 21. Juli zurück und restituiren nun das Kloster wirklich.

43. Bisthum Strassburg. Am 13. April 1627 ergeht ein neues

Mandat gegen die evangelischen Domherren im soge- nannten Bruderhof, welche nach dem Hagenauer Ver- trag 1604 bisher geduldet worden wai-en.

44. Grafschaft Teklenburg (unter Bentheim'scher Vormund-

schaft).

1. Im Nonnenkloster Leeden waren die Nonnen schon 1539 von ihrem Klostergelübde entbunden, aber lebenslänglich in Verpflegung geblieben; als evange- lisches Frauenstift bestand das Kloster auch weiterhin. Restituirt wurde es am 23. März 1630.

2. Das Kreuzbrüderklostcr Osterberg, dessen Re stitution schon 1 623 einmal angeordnet war, wird gleich- falls am 23. März 1630 wirklich eingezogen.

45. Bisthum Verden, üeber die Restitution des Stiftes selbst

siehe den Text; im Einzelnen wurden restituirt:

1. die Kathedralkirche in Verden, in der aber

1630 der katholische Gottesdienst noch nicht einge- ftthrt war;

2. die Collegiatkirche St. Andreas ebenda, welche den Jesuiten übergeben werden sollte.

Ausserdem wurden in Verden auch BariUaser ein- geftihrt; den Lutherischen blieben vorläufig noch zwei Kirchen eingeräumt.

Der Streit nm die geistlichen Gttter nnd das Reetitntionsedict (1029). o61

46. Grafschaft Wal deck.

1. Das Benedictinerkloster Flechtdorf, 1529 pro- testantisirt, war am 21. October 1630 noch nicht re- stitoirt.

2. Das Kreuzherrenkloster Hönscheid (Hohen- öcheid?), 1527 protestantisch geworden; 1529 waren dann die Katholiken zwar durch Vertrag von Neuem zugelassen, aber bald darauf nochmals vertrieben worden. Restituirt wurde das Kloster am 2. September 1630.

3. Das BarfÜsserkloster Korbach, protestantisirt seit 1541, doch so, dass auch nachher Mönche im Kloster verblieben; war am 21, October 1630 noch nicht restituirt.

4. Das in ein Spital verwandelte Nonnenkloster in Netze, protestantisch seit 1529; war am 21. October V630 noch nicht restituirt.

5. Das Nonnenkloster Schaaken, seit 1535 in evangelischen Händen; der Abt von Corvey, welcher schon 1565 deswegen geklagt hatte, beanspruchte die Mitregierung über dasselbe.

6. Das Nonnenkloster Ober - Werba , seit 1529 evangelisch; doch heiratete die letzte Nonne erst 1542; wie das Vorige vom Abt von Corvey beansprucht.

47. Herzogthum Würtemberg.

1. Das Amt Abstätt, ursprünglich dem verur- theilten Grafen von Löwenstein gehörig, aber von Wür- temberg auf kaiserlichen Befehl fUr seine Kammer eingezogen, wird dem Herzog wieder entzogen.

2. Das Prämonstratenserkloster Adelberg, nach katholischer Angabe erst 1564 eingezogen und seitdem Gegenstand des Processes zwischen Würtemberg und dem Abte von Mönchsroth, wird schon am 26. Novem- ber 1627 zurückgefordert und zwischen dem 15. Juli und 5. September 1630 wirklich restituirt. Kläger waren: die Bischöfe von Augsburg und Constanz und die Aebte von Kaisersheim und Mönchsroth ; der letzt- genannte Abt erhielt schliesslich gegen Vorstreckung

Ö62 Tupetz.

einer Geldsumme das Kloster zugesprochen. Die Unter- thanen bekehrten sich nach vollzogener Restitution, an- geblich freiwillig, zum Eatholicismus.

3. Das Kloster Aichhausen (? nach Londorp ; bei Khevenhiller : Atzenhausen; vielleicht ist beides Lese- fehler statt: Anhausen, siehe: Brenz -Anhausen).

4. Das Benedictinerkloster Alpirsbach, 1543 refor- mirt, von den Restitutionscommissären am 7. Januar

1630 beansprucht, ist am 21. August 1631 bereits re- stituirt.

5. Das Cistercienserkloster Bebenhausen wird zu- rückgefordert am 3. Juli 1627, restituirt wahrscheinlich am 19. September 1630; am 26. Januar 1631 war es jedenfalls schon in katholischen Händen.

6. Das Benedictinerkloster Blaubeuren, von den Commissären am 7. Januar 1630 beanspruchJ;, ist am 21. August 1631 bereits eingezogen.

7. Die Collegiatkirche (oder Propstei?) Böcking; am 19. September 1630 fordern die Commiss&re ihre Herausgabe.

8. Das Benedictinerkloster Brenz -Anhausen (Ca- raffa: Brengenhausen), wahrscheinlich 1535 reformirt, nach 1548 in Folge des Interims eine Zeit lang katholisch, wird kurz vor dem 2. September 1630 wirklich restituirt.

9. Im Flecken Buchenberg, Amt Homberg, begann die Aebtissin von Rothmünster zu reformiren.

10. Die Propstei Denkendorf, seit 1560 protestan- tisch, wird kurz vor dem 5. September 1630 restituirt.

11. Die Kirche in Freundau wird von den Com- missären am 19. September 1630 zurückgefordert.

12. Das Dominicaner -Nonnenkloster Gnadenzeil bei Offenhausen wird am 19. September 1630 von den Commissären zurückgefordert und ist am 21. August

1631 bereits restituirt.

13. Das Kloster St. Georg bei Hombei^, über welches ein Process beim Kammergericht schwebte, wird durch Urtheil dieses Gerichtes vom 11. März 1630

Der Streit an die geistlichen Oftter nnd du Restitationsedict (1629). 563

den ElägerH zugesprochen; Würtemberg wendet aber dagegen das Rechtsmittel der Revision an. Ein Versuch, mit 150 Pferden die Oeflhung des Klosters zu erzwingen, (17. August 1629) schlägt fehl; am 5. September 1630 ist es jedoch bereits restituirt.

14. Die Kirche in Göppingen wird von den Com- missären am 19. September 1630 zurückgefordert.

15. Das Dorf Gross-Öartach, in welchem der Her- zog 1629 mit Gewalt einen evangelischen Priester hatte einsetzen lassen, wird von dem Stifte Bruchsal bean- sprucht.

16. Das Kloster Heilbronn (wird nur von Kheven- hiller genannt und vielleicht irrthUmlich für Maulbronn oder Königsbronn).

17. Das Kloster Herbrechtingen (Caraffa: Herber - titz)^ um 1536 reformirt, war von 1548 bis nach 1553 in Folge des Interims katholisch. Die kaiserliche Auf- forderung zur Restitution erfolgt am 15. Juli, die wirk- liche Restitution vor dem 2. September 1630.

18. Das Cistercienserkloster Herrenalb . 1534 re-

s

formirt, von den Commissären am 7. Januar 1630 zurückgefordert, ist am 21. August 1631 bereits wieder katholisch.

19. Die Kirche in Herrenberg wird am 19. Septem- ber 1630 von den Commissären zurückgefordert.

20. Das Benedictinerkloster Hirsau, von den Com- missären am 7. Januar 1630 zurückgefordert, ist am 21. August 1631 bereits restituirt.

21. Das Kloster Hohenhausen (nur von Londorp genannt und wahrscheinlich irrthümlich statt: Beben- hausen).

22. Das Nonnenkloster Kirchheim unter Teck (an einer anderen Stelle : ,Barchen an der Ecken' genannt), von den Commissären am 19. September 1630 zurückgefordert, ist am 21. August 1631 bereits eingezogen.

23. Das Cistercienserkloster Königsbronn (Caraffa nennt es irrthümlich: Königslautem) wird schon am

564 Tnputz.

3. Juli 1627 zurückverlan^ und ist am 26. Januar 1631 bereits restituirt.

24. Die Güter der Herren von LiebensteiU; welche würtembergisches Lehen waren, verfallen der Confis- cation und Gegenreformation.

25. Das Kloster Lichtenstem wird von den Re- stitutionscommissären am 19. September 1630 zurück- gefordert.

26. Das Kloster Lorch, 1535 reformirt, aber von 1548 bis 1563 in Folge des Interims katholisch, ist, nachdem der erste Angriff am 11. Juni 1630 abge- schlagen worden, am 5. September desselben Jahres bereits restituirt und zwar wurde es gegen eine Geld- summe dem Abt von St. Blasius übergeben. Die Unter- thanen werden zur Huldigung und Annahme des Katho- licismus gezwungen.

27. Das Cistercienserkloster Maulbronn wurde schon am 3. Juli 1627 zurückgefordert, am 14. Septem- ber 1630 mit einer Compagnie Kürassiere und tausend Musketieren in Besitz genommen ; es wurde hierauf gegen Zahlung einer Geldsumme dem Prälaten von Lützel übergeben.

28. Die Kirche in Möckmühl wird von den Resti- tutionscommissären am 19. September 1630 zurück- gefordert.

29. Das Benedictinerkloster Murrhardt, von den Commissären am 7. Januar 1630 in Anspruch genom- men, ist am 21. August 1631 bereits restituirt.

30. Die Neipperg'schen Güter, welche wtirtem- bergische Lehen waren, sind mit Gegenreformation bedroht.

31. Das Dorf Neuhausen, dem Gotteshause Zwie- falten gehörig, von den Commissären am 7. Januar 1630 zurückgefordert, ist am 21. August 1631 bereits ein- gezogen.

32. Das Fräuleinstift Oberstenfeld wird von den Restitutionscommissären am 19. September 1630 bean- sprucht.

her Streit um die Keistlicheii G6ter und dw» Restitutioiisedict (1689). d6o

33. Das Dorf Oedenwaldstetten^ wie Neubausen dem Stifte Zwiefalten gehörig, wird ebenfalls vor dem 21. August 1631 redtituirt.

34. Das Clarissinenkloster in PfuUingen, 1534 refor- mirty wird von den Commissären am 7. Januar 1630 zurückgefordert und um den 18. September desselben Jahres durch zwei Franciscaner flir die Aebtissin von Seflingen (?) in Besitz genommen.

35. Das Erlöster Reichenbach an der Murg, welches 1593 an Würtemberg kam, aus welchem aber erst 1603 die letzten Mönche vertrieben worden waren, wird im Mai 1630 von dem Abte zu Wiblingen bean- sprucht.

36. Die Kirche in Reichertshofen wird am 19. Sep- tember 1630 von den Restitutionscommissären zurück- gefordert.

37. Das Kloster Reuthin bei Wildberg, ebenfalls am 19. September 1630 zurückgefordert, ist am 21. Au- gust 1631 bereits restituirt.

38. Die Kirche in Sondelfingen wird ebenfalls am 19. September 1630 beansprucht, desgleichen auch:

39. das Erlöster zum Einsiedl in Schönbuch und

40. das Erlöster Steinheim an der Murr; letzteres war am 21. August 1631 bereits restituirt.

41. Die Collegiatkirche (oder Propstei?) in Stutt- gart wird gleichzeitig mit den vorhergehenden bean- sprucht, ebenso auch:

42. die Collegiatkirche in Tübingen,

43. die Kirche in Urach und

44. das Erlöster in Weiler bei Esslingen; letzteres war ebenfalls am 21. August 1631 bereits restituirt.

Anhang : Ausser den genannten wurden auch zwei Klöster zur Restitution vorgeschlagen, deren Lage nicht näher bezeichnet int, die aber jedenfalls im niedersächsischen Kreise gesucht ^w^erden müssen, nämlich:

1. Das Benedictiner-Nonnenkloster Bracken (Bracke an der Aller oder Brack bei Holzminden ?), welches 3000

Sitsangeber. d. phil.-hist. Ol. CIL Bd. U. Hfl. 37

566 Tnp«tx. D«r Streit am di« ({«iiitHeben Oftter and Am ItettitntioDMdiet (1629).

Thaler EinküiijR» hatte und im Mai 1630 f&r die Jesuil bestimmt wurde und

2. das Nonnenkloster Frauenberg mit 5500 Thah Einkünften^ gleicbfaUs im Mai 1630 für die Jesuit bestimmt. Von letzterem wusste man in Wien seil nicht, ob es dem Orden der CSstercienser oder einj andern Orden angehöre, dann ob es der Mainzer o^ Hildesheimer Diöcese zuzurechnen sei.

Seerofillar. StndUn mm klein«n Lneidarina («Seifried Helblinf*). ÖB7

Studien zum kleinen Lucidarius (,Seifried Helbling').

Von

Josef SeemüUer.

I. Belhenfolge der G^edichte«

An der Einheitlichkeit der vorliegenden Sammlung ist nicht zu zweifeln (vgl. Lambel, German. 17, 362). Von vorne- herein müssen alle jene Gedichte als echt gelten, in denen die Figur des Knechtes irgendwie erscheint, also I, 11, III, IX, in welchen er direct in den Dialog eingeführt ist; IV, VHI, XV, X, in welchen indirect auf ihn Bezug genommen wird. Die erübrigenden Gedichte V, VI, VII, XI, XU, XHI, XIV aber erweisen sich als Werk desselben Verfassers, theils durch die Identität des Styles und Verses, theils durch sachliche, inhaltliche Beziehungen auf die früher ausgeschiedenen, eo ipso echten. So weist Vn durch die spräche ze Trebensß 151. auf IV zurück, XrV berührt sich im Inhalt vielfach mit I u. A., XTII mit XV; XI und Xn schliessen sich immittelbar an IX, X. Bei V und VI sind Analogien des Inhalts zwar nicht zu verwenden, doch tritt hier die Identität in Sprache und Styl beweisend ein. Ver- schiedenheiten der Gesinnung aber, die ohne Widerrede in den Gedichten zu bemerken sind, erklären sich aus der verschie- denen Abfassungszeit.

E^arajan (Anm. zur Ausgabe Haupt's Zeitschr. -IV, auch in Sonderabdruck erschienen Leipzig, Weidmann, 1844) und, ihn ergänzend, E. Martin (Haupt's Zeitschr. Xm, S. 464 ff.) haben das Hauptsächliche zur Chronologie der Gedichte bei- gebracht. Doch sind einige Berichtigungen und Erweiterungen möglich und nothwendig.

Gedicht I sucht den ,rechten Oesterreicher' im Heere des

Herzogs; findet dort aber unter Anderen Leute, welche mitten im

Feldzuge den Herzog bitten, sie heimziehen zu lassen, weil der

87»

568 Seemüller.

Acker ungepfltigt lic^t und die Ernte bevorsteht (I, 826 flF.). Damit stimmt eine Episode überein, die Ottokar aus dem Kriege Albrechts gegen Yban von Güssing 1289 erzählt (S. 275 a): ,Die Herren begannen dem Herzog manchen Vortheil aofzu- zählen, der ihnen entgehe^ wenn sie nicht zu rechter Zeit zu ihrem Gesinde heimkämen; welchen Schaden sie hätten, wenn sie nicht zur Weinlese daheim wären.' Femer: I, 556 837 entwirft in starken Zügen ein Bild der Erpressungen und Mord- brennereien, die der Hauptmann im eigenen Heere an seinen Landsleuten übt: auch diese Szenen können gut in jene Kriegs- zeit versetzt werden. Zur Zeit der Abfassung des ersten Ge- dichtes sind sie aber bereits als vergangen zu denken. Nun ist I der Einkleidung nach das erste der den eigentlichen ,La- cidarius' bildenden Büchlein und schon von diesem Gesichts- punkte aus vor H, das sicher zwischen 1292 und 1294 (Karajan a. a. O., S. 259) verfasst ist, zu setzen; innerhalb dieser Grenzen 1289 und 1292 werden wir uns am besten flir 1291—1292 als Entstehungszeit des ersten Gedichtes entschliessen^ weil in den Ereignissen des Ungamkrieges von 1291 sich der nächste An- lass zur Auffrischung jener Reminiscenzen aus dem Feldzuge gegen Yban darbietet; XV weiss von der nachlässigen und eigennützigen Kriegführung der Lehensleute zu erzählen.

IV bezieht sich auf die Adelsvcrschwörung der Jahre 1295 und 1296 (vgl. Krones, Handbuch der Gesch. Oesterr. H, S. 16 f.) und ftllt zwischen 1296 und 1298 (Karajan S. 243).

V ist vor 1292 verfasst: denn in diesem Jahre wird Abt Heinrich von Admont, über dessen Einfiuss 54 ff. geklagt ist, seiner Würde als Landeshauptmann der Steiermark entsetzt; femer vor 1289: denn die Fehde mit den Güssingem, welche nach Z. 67 ff. noch eine offene ist, gelangt 1289 durch die Eroberung ihres Hauptsitzes Güns November 1289 (Krones a. a. O., 8. 7) zu einem Abschlüsse. Weiter führt Z. 67: Graf Yban von Güssing hat Albero von Buchheim gefangen genommen, 1286 (Karajan S. 270); wenn endlich Z. 6 Land Oesterreich dem König Rudolf klagt: ich armez lani Österrichj ich man iiich des daz ir vier jdr ab mir ndmt die ivcem nar, so wird man die vier Jahre vielleicht besser auf die Zeit von 1282 1286 beziehen, seit welcher das Land in gesetzlichem Besitze der königlichen Familie war, als auf die Jahre 1276 1281,

Studien zum kleinen Lncidarins (,Seifried HelbHog'). 569

wie Earajan (S. 266) thut. Demnach fiele das Gedicht geradezu in das Jahr 1286.

Zur Zeit der Abfassung des sechsten Gedichtes lebt Rudolf noch (Z. 37, vgl. Z. 8); Herzog Albrecht hat Z. 107 Hug von Taufers vertrieben: das geschah (vgl. Karajan S. 573, Martin 8. 465) noch 1289 oder sogleich nachher. Das Gedicht ftlUt demnach zwischen 1289 und 1291. Es fordert die Lehens- leute des Herzogs auf, mit bestimmter Truppenzahl dem Heer- bann Folge zu leisten. Welche kriegerische Unternehmung ist gemeint? Friess (Geschichte der Herren von Kuenring S. 107) denkt an den Zug gegen Yban 1289. Dagegen spricht VI,

152 f.:

tvirt sant Margreten verlorn

und Mertmsdoif, so get in abe

ein teü der ungrüchen habe,

Sanct Margreten und Martinsdorf verloren die Güssinger eben im Jahre 1289 (vgl. Ottokar S. 273b f.; auch Lichnowsky, Gesch. d. Hauses Habsburg I, S. 367) 5 in unserem Gedichte erscheint es in österreichischem Besitz, und wird nun der Ver- lust jener Orte befilrchtet, so kann in dem Feldzug, zu dem der Dichter die Herren auffordert, nur der von 1291 gemeint sein, gegen Andreas, auf dessen Seite Yban stand. Das Ge- dicht ist demnach im Frühjahr 1291 verfasst.

Vn wird von Karajan ohne nähere Zeitbestimmung ge- lassen, von Martin (S. 465) in die Zeit des vorhergehenden gesetzt, ,da die allegorische Einkleidimg nicht dieselbe Kunst zeigt wie die späteren Gedichtet Ich kann diesem Grunde, der an und ftir sich nicht entscheidend sein darf, nicht bei- Ktimmen: Allegorie überhaupt venvendct der Dichter auch in II und IV, und zwar in ähnlicher Weise. Vor allem Andern aber ist hervorzuheben, dass VII selbst höchst wahrscheinlich ein bestimmtes Zeitindicium enthält: Untriu Lüge Haz und NU, welche das gegnerische Heer in den Kampf führen wollen, versammeln sich zu Trebense, der Dichter ftigt Z. 152 f. hinzu:

üt da iht gesprächet e,

vil nütze wären sie da ht sie d. h. jene Laster: Untriu Lüge u. s. w. Von jener Ver- sammlung unzufriedener Stände zu Triebensee handelt das vierte Gredicht. Bedenkt man die Gesinnung, in welcher der Dichter

570 S6«mftlUr.

jene Unruhen des Adels darstellte, die Bedeutung, weldie er jener Versammlung beilegte, so kann die Stelle nur so erklärt werden, dass sie auf jene vergangenen Ereignisse anspielt. Dann wird auch deutlich, warum der Dichter seinen alle- gorischen Heerbann der Laster gerade in Triebensee geplant werden lässt, und es ergibt sich, dass Gedicht VH nicht nur nach 1296 verfasst worden sein, sondern auch in innerer Be- Ziehung zu IV stehen muss. Dieselben Ereignisse, welche zur gegenständlichen Satire des vierten Gedichtes veranlassten, gaben auch die Anregung zur Allegorie des siebenten. Zur Unter- Stützung der vermutheten Beziehung zwischen IV und VII ftihre ich noch folgende Uebereinstimmung in der Composition beider Gedichte an: IV, 124 ff. erfahrt der Knecht die Pläne der vier Verschwörer, indem er unbemerkt sich ihnen nähert und sie belauscht:

ich wart des enein

daz ich an aUen vieren krauch

in ein ttüden, diu tcas rouch,

da innee min niht sähen,

ich was in doch so nähen

daz ich horte ir oMen u. 8. tr. Ganz ähnlich sieht VH, 30 ff. der Ritter auf einem Morgen- spaziergang unter einer Linde zwei Jungfrauen:

den eleich ich also hinden

daz sie min iiikb sähen,

wnd kam in dd so nähen

daz ich vemam ir maere. Auch die wörtliche Aehnlichkeit im Ausdruck wird dem Leser auffallen.

Karajan beasog die Stelle VII, 709 ff., in welcher von einem unwürdigen, in der Hölle brennenden Abte die Rede ist, auf Heinrich von Admont. Wäre die Vermuthung richtig, so müsste man wohl annehmen, dass der Tod Heinrichs (1297) der Abfassung des Gedichtes vorangegangen sei, und gewänne dadurch einen neuen Anhaltspunkt fUr die Datirung. Zu Vieles aber spricht dagegen: der Inhalt jener Stelle selbst ist keines- wegs derart, dass er gerade auf Abt Heinrich passte; die satiri- schen Bezüge des siebenten Gedichtes femer gehören zur Art der ,Satire auf alle Stände:* ebenso wenig als in der Bannung

Studien znm kleinen Lncidnrine (,8«ifried Helbliog*). 571

der Läge in einen KofiBtäuscher (744), der Falschheit in einen ungerechten Richter (751 ), der Gier in einen Pfaffen (787), der Frechheit in einen alten Spielmann (853) ein concreter aati- rischer Bezag zu suchen ist, ebenso wenig enthalten die Details, durch welche jener unwürdige Abt geschildert ist, ii^end etwas, das auf eine bestimmte Person hinwiese.

Vm setzen Karajan und Martin nach 1298: König Adolf von Nassau ist bereits todt (Z. 1221). Ich vermuthe, dass es 1299 abgefasst wurde: der König (Albrecht) ist ausser Landes, Ritter und Knecht scheinen seine Ankunft zu erwarten (Z. 832); wenn es femer Z. 834 heisst:

r/oz sinem 8un doch werde et'kant, den er uns ze vürsten git, waz tugent an dtm rdte lü, so weist das praes. git geradezu auf 1299, seit wann Albrechts EIrstgebomer Rudolf III. die Verwaltung des Lehensbesitzes fuhrt. Die ganze zweite Hälfte des Gedichtes wird von der Fiction beherrscht, dass der Knecht seine Klagen vor der obersten Instanz des Reiches, dem Könige, vortragen wolle, der Ritter vertritt dessen Stelle: es ergibt sich demnach als wahr- scheinlichster Anlass zur Abfassung von VIII der Wechsel in der Verwaltung Oesterreichs, die Erwartung, dass der neue König von der Krönung heimkehren und seinen Sohn Rudolf DI. in den Besitz der Er blande einsetzen werde: angesichts dieser neuen Gestaltungen schien dem Dichter die Zeit zu einem neuen Appell gekommen und Eigenthümlichkeiten der Composition erklären sich ungezwungen aus ihnen.

Zur Datirung des Gedichtes XIV verhelfen die Z. 70 ff. : die Söhne des römischen Königs sind Fürsten des Landes. Karajan bezog sie fälschlich auf die Söhne Albrechts; ohne Zweifel ist Martin's Deutung auf Rudolf und Albrecht, die Söhne König Rudolfs, die allein richtige: daraus ergibt sich bestimmt die erste Hälfte 1283 als Abfassungszeit.

XV schildert unter Anderem den Ungamkrieg von 1291 und den darauffolgenden Frieden; König Rudolf ist bereits todt: vor der zweiten Hälfte 1291 kann daher XV nicht ver- fasst sein. Karajan setzt es zwischen 1291 und 1292. Dagegen ist zu beachten, dass die Erzählung des Ungamkrieges keines- wegs von Anfang an als Hauptabsicht des Gedichtes zu er-

572 8««B«lUr.

kennen ist: der Knappe beginnt vielmehr mit Klagen über den Verfall ritterlicher Gresinnung, über das bauem- und krämer- mlUsige Gebahren der Dienstmannen, besonders ihr völlig standes- widriges Verhalten zu den Rittern und Edelknechten. Als Bei- spiel, wohin all' dies fUhre, tritt dann die Erzählung des Krieges ein. Es ist demnach kein Anlass vorhanden^ in dem Ungamkriege selbst die unmittelbare zeitgemässe Anregung zu suchen und das Gedicht der Zeit nach in seine nächste Nähe zu rücken. Vielmehr: die Gedichte IV und XV sind insofeme analog, als sie einer Erzählung, die der Ritter von seinem nunmehr ver- abschiedeten Knechte gehört hatte, nacherzählt sind. Die Ein- leitungen zu beiden Gedichten sagen uns dies. Jene zu IV aber schliesst sich viel näher an I m an, in denen der Knecht noch in Diensten des Ritters erscheint, als die zu XV; hier rechtfertigt der Verfasser weitläufiger seinen Entschluss, neuer- dings von weltlichen Dingen zu reden, da seine Kraft .zum Preise der Gottheit nicht ausreiche. Ich setze daher XV nach IV, also nach 1296; dadurch wird es auch dem achten Gedichte näher gerückt, in welchem das in XV berührte Thema von den Dienstmannen ausführlich behandelt wird.*

Nach den chronologischen Indicien ergibt sich also folgende Reihe der datirbaren Gedichte: XIV (1283), V (1286), VI (1291), I (1291—1292), II (1292>-1294), IH, IV (1296—1298), VII, XV, VIII (1299).

Die übrigen Stücke der Sammlung sind ohne bestimmtes Datum, doch ergibt sich ihre Einordnung von anderem Stand- punkte aus.

Unter den fünfzehn Gedichten sind jene auszusondern, in welche die Figur des Knechtes in irgend einer Weise ein- gefügt ist: I— IV, XV, Vin, IX, X. Den Gedanken, die Satire in die Form eines Dialoges zwischen Ritter und Knecht einzukleiden, entnahm er der wohlbekannten und weitverbreiteten Gattung des lateinischen Lucidarius, der seinen Stoff in der Weise behandelt, dass der Jünger Fragen stellt, der Meister sie beantwortet. Diese Erfindung aber, welche in dem lateini- schen Muster rein formeller Natur ist, hat in den Händen

1 Ohne ansd rückliehe Begründung^ doch wohl aus ühnlichen ErwXgungen hat Martin (6. 466) XV nach IV gesetzt.

Stadien siini kleinen LncMnrins (,8eiftried Helblin^). 673

unseres Verfassers dramatische, epische und subjectiv-indivi- duelle Bedeutung gewonnen.

Der Knecht ist offenen Sinnes, scharfen Urtheils, keck im Fragen, schont weder Alt noch Jung, wird seinem Herrn daher oft unbequem; dadurcli tritt er in Gegensatz zu diesem und ein Conflict entwickelt sich zwischen ihnen. In Folge dessen erhält ihr Dialog dramatische Lebendigkeit. Andererseits ist ihr Verhältniss kein stille stehendes, sondern es entwickelt sich und wird schliesslich abgebrochen: es ist an und für sich von Bedeutung und Gegenstand der Darstellung.

Der Dichter führt femer durch diese Rahmenerfindung seine eigene Person in doppelter Weise in die Darstellung ein: den satirische]], an den weltlichen Händeln warm sich be- theiligenden Zug seines Wesens repräsentirt die Figur des Knechtes; das beobachtende, ruhiger und vermittelnd beur- theilende, auf das geistliche Heil der eigenen Seele bedachte Element seiner Natur drückt die Person des Ritters aus. Indem er jenes gewissermassen von sich loslöst und die Hauptmasse der vorgebrachten Satire dem Widerpart in den Mund legt, stellt er den Ritter, unter dessen Figur scheinbar allein er sich verbirgt, als den objectiven Beobachter dar und verleiht dadurch seiner Satire äusserlich schärfer den Charakter der Objectivität.

Diesen fingirten Gegensatz verwendet er zu rein stylisti- schen Zwecken : der Ritter reizt den Knecht durch Widerrede zur Verschärfimg der Satire oder zur Unterwerfiing unter die Meinung des befehlenden Herrn; dadurch ist Gelegenheit ge- boten, die Gegenstände früherer directer Satire in gleichem 8inne, aber in ironischer Form vorzunehmen. Wenn der ästhe- tische Werth einer Rahmenerfindung darnach beurtheilt werden muas, ob ihr eigener Charakter zu dem, was sie einzurahmen bestimmt ist, passt, ob sie die Absicht des Hauptthemas zu fbrdem, zu entwickeln, zu verstärken geeignet ist, so ver- dient jene unseres Verfassers entschiedenes Lob (gegen Ger- vinus U, S. 375).

Die Gedichte, in denen der Knecht eine Rolle spielt, sind, wie oben gezeigt, zu sehr verschiedener Zeit entstanden. Es lässt sich nun deutlich erkennen, dass auch die Rahmenerfindung nicht das Ergcbniss ursprünglich einheitlicher Conception ist,

574 8tt«m«U«r.

sondern erst allmälig, in dem Masse, als neue Anlässe zur Satire sich jedesmal boten, individualisirt wurde. Das Gedicht I, in welchem der Kjiecht zum ersten Male eingeführt wird, steht dem Muster des lateinischen Lucidarius noch sehr nahe: der Knecht fragt, der Herr antwortet Doch ist ein Hauptmerkmal der deutschen Rahmenerfindung hier bereits^ in erster Concep- tion^ durchgeführt: die Hauptmasse des satirischen Stoffes wird vom Knechte vorgetragen und der Ritter spielt bereits hie und da die Rolle des ironisch Mässigenden. Aehnlich im zweiten (xe- dicht. UI aber ist in erster Linie der Fortentwicklung des Verhftltr nisses zwischen Beiden gewidmet : hier nimmt der Ritter dem unbe- quemen Friedensstörer gegenüber entschieden Stellung^ denn dessen scharfe Zunge verursache ihm viele Unannehmlichkeiten vor den Mächtigen, welche ftir die Unduldsamkeiten des Knechtes ihn verantwortlich machen. III enthält an satirischen Aus- fällen kaum irgend etwas, das nicht schon in I, speciell in 11 behandelt worden wäre^ überdies auch mit ausdrücklicher Be- ziehung auf die frühere Behandlung. Besonders letzteres legt die Vermuthung nabe^ dass der Verfasser mit Gedicht UI die Intention hegte, seine Rahmenerfindung lebendiger und indivi- dueller zu gestalten und zugleich die Anknüpfungspunkte ssu ihrer weiteren Verwendung in später abzufassenden Satiren zu schaffen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass der Dichter zur Zeit, als er I schrieb und zuerst den Dialog zwischen Ritter und Knecht wählte, diese Form des Lucidarius nicht zugleich auch für spätere Büchlein in Aussicht genommen hätte. Da- gegen spricht wohl der Schluss von I, der das interessant ge- wordene Verhähniss von Beiden zu keinem Austrage brin^. Nachdem hierauf in U dieselbe Form unter ungefähr gleichen Voraussetzungen verwendet worden war, mochte der Verfasser einerseits fUrchten, durch unveränderte Wiederholung der gleichen Einkleidung eintönig zu werden, andererseits hatte die Rahmen- erfindung fiir ihn genug Interesse gewonnen, um in einem vor- zügUch dazu bestimmten Gedichte die in ihr liegenden Keime zu entwickeln, ihr individuelle Färbung und lebendige Gestal- tung zu geben. Das geschah in III. Indem femer der Ritter hier entschieden seinen Knecht tadelt, straft, dieser darauf ein- geht, die Gegenstände seines früheren Tadels nun lobend wieder- holt — Alles in ironischer Weise dann wieder ernsthaft die

Studien sam kleinen Imcidvins (,S«ifri0d Helblin;'). 675

Motive seiner Gesinnung entwickelt, so wird nunmehr das Ver- hältniss zwischen Beiden erst recht von Bedeutung für die ästhetische Wirkung der Satire.

Der in HE angebahnte Dissens zwischen Beiden ist sogleich in IV und XV benutzt^ um die bisherige Form beibehalten zu können, doch mit der Veränderung, dass nicht mehr die directe Form des Gespräches verwendet, sondern eine Unterredung, die Beide einst gehabt, erzählt wird: der Knecht ist inzwischen ver: abschiedet worden. Ueberdies versuchte der Verfasser die Szene in IV dadurch noch auszuschmücken, dass er in das Gespräch eine dritte Person, einen alten Ritter (der manche Attribute der ritterlichen Hauptperson trägt) einflihrte; ähnlichen Zweck hatten wohl auch in II die mithandelnden allegorischen Figuren: TVm Wärheit Schäme Zuht Mäze Bescheidenheit Ere,

Aber der Knecht kann davon nicht ablassen, über die welt- lichen Dinge nachzudenken und darüber mit seinem ehemaligen Herrn zu sprechen ; er findet noch immer Wege, sich ihm zu nähern :

er hdt äine läge wd er eine vinde mich; zehant fUrdert er eich und kamt ze mir gegangen (VHI, 4 ff.). Dabei beginnt er seine Reden immer schön und verständig (VHI, 8 f. und 18), so dass der Ritter ihm Gehör schenkt. In dieser Weise fUhrt das achte Gedicht neuerdings die ge- wohnte Figur ein. Es lässt die Unterredimg mit neuem Zwist und entschiedenerem Bruche schliessen, den der Aerger über das vordringliche unehrerbietige Wesen veranlasst, in das der Knecht zum Schlüsse verfkUt.

Bisher hat sich gezeigt, dass die aus der Chronologie erschlossene Reihenfolge der Lucidarius-Gedichte mit der epischen Entwicklung der Rahmenerdichtung vollkommen übereinstimmt und an ihr eine Stütze findet. Martin hat annehmen zu müssen p^eglaubt, dass zwischen XV und VHI eine Lücke der lieber- lieferung sich befinde, ein Gedicht ausgefallen sei, das die Wieder- aufnahme des Knechtes enthielt, indem er zu Anfang VHI ja im alten Verhältniss zu dem Ritter erscheine. Diese Hypothese ist ganz unnöthig: die citirten Verse VUI, 4 ff. erlauben nicht nur, sondern fordern die vorgetragene Auffassung. Ebenso hätte Martin eine Lücke zwischen VIII und IX annehmen

576 8««aftller.

mtUsen und mit mehr Anschein^ denn IX, 1 31 ist gar nickt von einem Aufpassen des Knechtes, wann er den Herrn wieder allein finden und mit seinen Fragen überraschen könne, die Rede, sondern ohne weitere szenische Bemerkung ein neues Gespräch zwischen Beiden begonnen und . beendigt. Dennoch passte er hier seine Auffassung getreu der Ueberlieferung an und er- kannte zuerst richtig (gegen Karajan S. 243), dass IX und X unmittelbar an VIII sich schliesse. Nur bedarf seine kurze Begrtlndung (8. 466) mehrfacher Ergänzungen.

Denn in den der Zeit nach nicht genau datirbaren Ge- dichten IX und X ist das Verhältniss zwischen Ritter und Knecht mit einem neuen individuellen Memente bereichert: dem religiösen. Geistliche Gedanken hatte der Verfasser schon früher öfter ausgesprochen: in der Einleitung zu I, zu VII, II, 457 «., 83T ff., m, 254, 639, 681, VH, 971, VIH, 110, u. s. In der Einleitung zu XV drückt sich deutlich aas, dass er den Preis der Gottheit für den würdigsten Gegen- stand der Dichtung halte, dem er aber entsagen müsse, weil sein Geist zu schwach dazu sei: darum kehre er zur Dar- stellung der Weltdinge zurück. In IX aber tritt zum ersten Male die geistliche Gesinnung völlig hervor: das Alter bedrückt ihn und ruft ihm das Memento mori zu; aus der Erinnerung erzählt er, wie der Knecht ihm solche Gedanken ausreden wollte. Doch trifft er nochmals von imgefkhr mit ihm zusammen, und es findet ihre letzte Unterredung statt; als der jüngere Mann die Todesgedunken des alten mit derbem Spotte abfertigt, da ver- abschiedet ihn dieser endgiltig. Das zehnte Gedicht, unmittelbar im Inhalte sich anschliessend, weist auf diese endgiltige Trennung zurück und entwickelt nochmals ihre Motive: wenn bei dem Dissens Beider, der in III begonnen war, die weltlichen Wider- wärtigkeiten, die das unduldsame Wesen des Spötters ihm hervor- rief, das Hauptmotiv waren, so sind es hier die geistlichen Todes- und Erlösungsgcdanken des vorgerückten Alters.

Ich glaube dem Dichter keinen fremdartigen Gedanken zu unterlegen, wenn ich in IX und X eine neue Entwick- lung und Vertiefung der Rahmenei'findung zu erkennen meine; ich deutete früher schon an, dass er durch die Zweiheit der sprechenden Personen seine Natur selbst gewissermassen theilt: das heftig angi*eifende, schonungslos und bitter tatelnde

Studien zum kleinen Lncidarins («Seifried Helbling*). 577

Wesen stellt er in der Figur des Knechtes, den ruliigeren, mässigenden Sinn im Ritter dar. Es zeigt sich auch, dass die Bedeutung speciell dieser Figur in den späteren Gedichten immer mehr hervortritt. Zuletzt erweitert er diesen Gegen- satz in religiöser Umdeutung: die dem weltlichen Interesse zugewendete Gesinnung eignet dem Knechte, die religiöse dem Ritter; der Dichter will mit jener endgiltig brechen. Dadurch erhält die Figur des Knechtes schUesslich völlig allegorische Bedeutung, die concreto Satire ist in IX und X g/inz ver- schwunden, auch im Munde des Jüngeren, und es bleibt nur mehr jener Gegensatz. Um nun zu erkennen, wie er ihn in der gegenständlichen Szenerie zum Ausdruck gebracht hat, bedenke man Folgendes: Der Haupttheil des neunten Gedichtes (von Z. 32 ab) beginnt mit einer Schilderung, wie der Ritter, von zunehmender Körperschwäche gemahnt, traurigen Gedanken an den Tod sich hingibt. Er beklagt seine thörichte Jugend, durch deren Schuld ihm viele Gewohnheitssünden anhangen:

d(iz d dem hdhen got gekleit, daz ich mich niht erweren kan, mir hanget alles noch an ein vlec der alten kiirsen min. büUch BoU ich Uizen sin die minen jungen iiicke* ez waere min gelücke, lieze ich tumpheit underwegen. Aus aller bussfertigen Klage bricht die Empfindung durch, dass die Gesinnung seiner Jugend noch immer Macht über ihn habe. Er kann damit kaum anderes meinen, als jenes heftig vor- dringende satirische Wesen, das ihn auf die weltlichen Händel mehr achten liess als auf das Heil seiner Seele.

Mitten .in diesen Gedanken trifft; ihn die Ankunft des Knechtes; ohne dass ihm der Herr ausdrücklich irgendwie seine Sorgen 'mittheilte, beginnt jener sogleich Trostreden; aber der Alte, Sechzigjährige, findet wie früher nur wieder (Z. 65):

tuon ich gar ze träge daz ich üf die wäge niht guoter dinge pßige ze legen, diu minen Sünden iciderwegeiiy der ich lange lidn gepßegen.

578 8«»nflller.

Unter den erneuerten Trostgrttnden des Knechtes ist der hauptaäohliche der (Z. 90):

da auU ir des wesen vr6

daz mCn got ie gedäkt hdt4

ich gib iu sin und wisen rät,

der iu ze hdh»n 9ren stdt. ,Aber ich kann dich in meinen Angelegenheiten nicht brauchen/ antwortet der Andere, und der Abschied erfolgt^ beschleon^ durch besonders kecke Rede des Knechtes. Dei' Ritter athmet auf und will, da er vom Widersacher befreit ist, in gfuter Weise sein Alter hinfUr verbringen (IX, 146). So bricht er auch in X, Ö6, den Leser anredend, mit seiner Vergangenheit, die ihm nichts Gutes brachte, und wendet seinen Sinn (78) auf das jenseitige Leben.

Wenn dem Ritter also mitten in der Empfindung, dass er trotÄ hohen Alters der Thorheiten der Jugend doch noch nicht los sei, die Gestalt des Knechtes erscheint, dieser den Todesgedanken des Herrn entgegenzuwirken und seinen eigenen Sinn ihm zu verleihen, in ihm zur Herrschaft zu bringen wünscht, wenn der Ritter dann erst, als er endgiltig sich vom Knechte getrennt, ein geistliches Leben fUhren zu können vermeint, so tritt die allegorische Bedeutung jener Figur wohl deutlich genug hervor. Die thörichte Gesinnung seiner Jugend ist für immer verabschiedet und der Weg zum geistlichen Leben offen.

Von hier aus zurückblickend, darf man die Art, wie der Knecht im achten Gedichte eingeführt wird (vgl. oben S. 575), so deuten, dass hier bereits die Auffassungsweise sichtbar sei, die in IX und X durchgedrungen ist: unvermuthet, den günstigen Augenblick erspähend stellt sich der Knecht ein und das alte Frage- und Antwortspiel nimmt seinen Verlauf: so auch gewinnt die alte Neigimg des Dichters, strafend und tadelnd die Missver- hältnisse des Landes und der Qesellscfaaft darzustellen, immer wieder die Oberhand. Daher beginnt das Gedicht bedeutungs- voll mit den Worten : Gßwonheit diu ist rtche. * Nun wird auch die Einleitung zum flinfzehnten Gedicht erst ganz verständlich: denn das unerwartet eintretende Abwägen zwischen geistlicher und

* Auch von diesem Gesichtspunkte aus erledifft sich Martinas Hypothek» einer Lücke zwischen XV nnd VIII.

Stadien zum Vleinen LtteidMrivfl (,SeilHed HelMing'). 579

weltlicher Schrifbstellerei (vgl. oben S. 576) erklärt sich am besten durch die Annahme^ dass die in IX und X vollständig sich äussernde Gesinnung, welche auch der Rahmenerfindung eine neue allegorische Bedeutung verlieh^ bereits zur Zeit des filnf- zehnten Gedichtes ihren Anfang nahm.

Durch das Vorgetragene erscheint mir der Zusammen- hang im epischen Fortschritt der Rahmenerzählung genügend gerechtfertigt, Ueberein Stimmung desselben mit den chrono- logischen Dat^ nachgewiesen und eine sichere Reihenfolge der Lucidarius- Gedichte 'erzielt. Vor Allem hat sich heraus- gestellt, dass der Dichter von Anfang an das Schema des lateinischen Lucidarius viel lebendiger und mit specifischem Ennstverstande auffasste, dass mit dem Fortschreiten seiner Dichtung die Rahmenerfindung sich ihm aus den ursprünglichen Keimen lebendiger und psychologisch feiner gestaltete, so dass er hauptsächlich um ihretwillen ein eigenes Gedicht, das III, verfasste, durch welches sie mit neuen Motiven bereichert wurde. Noch später, mit zunehmendem Alter, findet ein Umschwung in der Gesinnung des Dichters statt: er wendet sich von der satirischen Schriftstellerei ab. Auch diesen Wechsel weiss er künstlerisch im Rahmen der ursprünglichen Erfindung zum Ausdruck zu bringen, deren Sinn nunmehr vertieft, deren Antlitz nach anderer Seite gewendet wird. Diese letzten Gedichte IX und X beschliessen die vorangehende Reihe satirischer Stücke, sind selbst aber nicht mehr satirischen Inhaltes, und zugleich mit diesem (sachlichen) Abschlüsse seiner satirischen Dichtung gelang es ihm auch, sinnvoll die Rahmenerzählung zu einem Ende zu bringen. Die Rahmenerfindung schien zuerst allein willkürlich gewähltes Mittel zur äusseren Compositionsform zu sein, im fünf- zehnten Gedichte treten die ersten Spuren einer subjectiven individuellen Bedeutung auf, welche sie für den Dichter zu ge- winnen beginnt, in den beiden letzten herrscht die letztere aus- schliesslich und das Verhältniss zwischen Ritter und Knecht ist nunmehr an und flir sich Gegenstand des Interesses, dient nicht mehr als Rahmen für die Satirc und kommt zum Austrag.

Sind in diesen Stadien selbst schon die deutlichsten Spuren einer zu verschiedenen Zeiten geschehenen Veränderung und Bereicherung des ursprünglichen Gedankens zu erkennen, so ent- sprang eben daraus die mehrfach mangelhafte, blos andeutende

580 Seemflller.

Art Beiner Fortführung. Indem der gesammte Verlauf der Rahmenerfindung, wie er in den acht Gedichten (I ^III, IV, XV, Vni, IX, X) vor unseren Äugen liegt, nicht Gegen- stand einer ursprünglichen einheitlichen Conception war, be- stand das Hauptverdienst des Dichters vielmehr darin, daas er die späteren Erweiterungen und Ausschmückungen dem anfäng- lichen Kerne geschickt und in feinen Uebergängen anpasste, ja sogar aus ihm entwickelte. So kam es, dass schliesslich die einzelnen Stufen der Rahmenfabel, wenigstens in ihrer epischen Entwicklung, ein geschlossenes Ganze bildeten. Daher müssen auch alle Gedichte, in denen sie verwendet erscheint, nach der Intention des Verfassers zu einem Ganzen vereinigt werden. Es sind die früher genannten acht. Ohne Zweifel reihen sich XI und XU, der englische Gruss und das geistliche Vocalspiel, durch ihren religiösen Inhalt an IX und X; chrono- logisch können sie daher nur unmittelbar nach X gesetzt werden. Ob sie aber mit jenen acht zu einer Einheit vereinigt werden dürfen, ist nicht mehr auszumachen, denn es fehlt in ihnen die Figur des Knechtes. Es ist möglich, dass der Dichter den in IX und X angeschlagenen Ton in XI und Xu ausklingen lassen wollte, aber dem sicheren Kennzeichen gegenüber, das die anderen als ein Ganzes anzusehen verlangt, genügt dieser Anhaltspunkt nicht. '

Wir sondern daher die Gedichte I— IH, IV, XV, VTH, IX, X als einheitliche Gruppe aus der ganzen Sammlung aus und bezeichnen sie am besten als den ,kleinen Lucidarius^ So benennt ausdrücklich der Dichter zwar nur das erste ybuoch^- (I, 30), doch kann der Name im selben Sinne, in dem er hier gilt, flLr die Summe der analogen Stücke gebraucht werden.

Wenn wir von XI und XII absehen, erübrigen noch die Gedichte V, VI, VH, XIII, XIV.

Darunter sind XFV und V sicher datirbar; in beiden directe persönliche Satire, besonders heftig in V: es ist das derbste, feindlichste unter allen erhaltenen Gedichten; beide geringen Umfanges; die Einleitungen ganz kurz. Aehnliche Eigenschaften zeigen sich in VI: besonders die einleitenden Verse,

Hoert tüte und junge, daz ist von der aamunge erinnern alsbald an V, 1 f.

Studien zviii kleinen Lncidftriiis (,Seifrie<l Helbling'). 581

Stoen des niht betrage,

der hoer des landes klage, Deb Gedicht VI wird kaum grösseren Umfang gehabt und der verlorene Theil wohl in der Art des erhaltenen ausschliesslich von der samunge gehandelt haben. Es fkllt wie die beiden anderen vor den ^kleinen Lucidarius^^ und zwar^ nach den oben (S. 569) angeführten Indicien^ in den Anfang 1291. Ungefähr die gleiche Zeit nehme ich flLr Xm, den Brief des Spielmanns Seifried Helbling^ in Anspruch. Auch hier die Kürze der Ein- leitungy der geringe Umfang des Ganzen. Doch nicht mehr directe Satire: der satirische Sto£f ist in eine gegenständhche Erfindung eingekleidet und von Z. 90 an zeichnet der Dichter ein satirisches Genrebild. Diese Form ist am reichsten entwickelt und weitaus am häufigsten gebraucht in I. XUI scheint demnach den Ueber- gang von den frühesten Gedichten zum ^kleinen Lucidarius^ zu machen: von XIII ab schrieb der Verfasser kein satirisches Ge- dicht mehr, ohne die Satire in irgend eine Erfindung einzukleiden. Wenn wir vom ,Büchlein^ VII auch nicht wüssten, dass es nach 1296 geschrieben wurde, oder wenn Jemand, durch den Umstand verleitet, dass es nicht in den ^kleinen Lucidarius' gezählt werden kann, sich versucht ftLhlte, es den anderen aus diesem ausgeschlossenen anzureihen und daher vor I zu setzen: so müsste alsbald die stjlistische Verschiedenheit zwischen VII und XIU V, VI davon abrathen. VII ist die einzige Satire allgemein moralischen Inhaltes, die der Verfasser geschrieben; jede persönliche Beziehung fehlt, der direct lehrhafte Zweck des Gedichtes ist ausdrücklich in der Schlusswidmung an die jEIrzieher ausgesprochen; Uebermass und Heftigkeit sind unter- drückt, der gesammte allegorische Apparat auf die moralische Absicht zu beziehen. Man bedenke auch die hier zuerst (VII, 1218 f.) auftretende Klage über das hereinbrechende Alter. Eine Beobachtung drängt sich hier auf: mitten in die sonst tinunterbrochene Reihe der Lucidariusgedichte fbllt ein büechel (VII, 1247), das der Figur des Knechtes entbehrt. Der Verfasser fbhlte sehr wohl^ dass dieselbe flbr den allgemein didaktischen Charakter dieses Gedichtes durchaus untauglich gewesen wäre; dies konnte nur der Fall sein, wenn fUr ihn selbst die Figur des Knechtes, überhaupt die Rahmenerfin- dtmg, wirklich jene Bedeutung hatte, die wir oben (S. 576 f.)

Sitsangtb^r. d. phil.-bitt. Ol. ai. Bd. H. Hft. 38

582 BeemAUer.

ihr zu vindiciren suchten. So wie der Dichter das Verhältniss zwischen Kitter und Knecht überhaupt endigen Hess, als er die satirische Schriftstellerei aufzugeben sich entschloss, so liess er es vorher schon in jenem Gedichte bei Seite, das, yon aller persönlichen Satire absehend, keinen Spielraum bot zur Ent- faltung des eigenthümlichen Charakters seines Prosopon.

Die bisherige Untersuchung, welche auch für die schrift- stellerische Persönlichkeit des Verfassers fruchtbar wurde, ergab Folgendes: Die überlieferte Sammlung der Gedichte zerfkUt in zwei Hauptgruppen. Die erste (XIV, V, VI, XIH) umfasst die Zeit von 1282 1291: kleinere Werke heftiger, ins Persön- liche gewendeter Satire; gegen Ende derselben wird ein ent- schiedener künstlerischer Fortschritt bemerkbar: charakteristisch erfundene Rahmenerzählung, das satirische Genrebild. Die Oe- dichte der zweiten Gruppe beginnen 1291 und sind bis 1299 zu verfolgen. Der Verfasser erfindet, angeregt durch die Form des lateinischen Lucidarius, die Figur des Edelknechtes and gestaltet das Verhältniss zwischen Fragendem und Antworten- dem so, dass es den künstlerischen Charakter seiner Satire zu steigern geeignet ist. Bei dieser Rahmenerfindung beharrt er fast ausschliesslich durch die folgenden Jahre seiner Schrift- stellerei. In der Folgten twicklung und Umgestaltung, die er jener gibt, spiegelt sich eine mit dem Vorrücken des Alters zusammenhängende Aenderung seiner Gesinnung ab. Die Qe- dichte I— m, IV, XV, Vin, IX, X dieser Gruppe büden ein Ganzes, den kleinen Lucidarius. Man darf mit grosser Wahr- scheinlichkeit annehmen, dass in den letzten Gedichten dieser Reihe, IX und X, und den sich anschliessenden XI und XU die letzte Stufe, die der Verfasser als Schriftsteller erreichte, sich ausprägt und die überlieferte Sammlung nach dieser Seite hin eine gewisse Vollständigkeit beanspruchen darf. Die durch die Rahmenerzählung zur Einheit verbundenen Gedichte dieser Gruppe erleiden eine Unterbrechung nur durch das der Zeit nach wahrscheinlich mitten unter sie fallende Gedicht VII, welchem der Verfasser in vereinzelter Weise durchaus all- gemein moralischen Inhalt gegeben hat.'

* Die von Jos. Haupt gefundenen und von Karajan (Wiener Sitsun^ber. LXV, S. 377 ff.) edirten Fragmente einer alten Handschrift enthalten

Stu4ien zum kleinen LveidvinB (,8eifriod HelblingO- 583

II. Politiselie Stellung des Dlehters.

lieber die Person des Dichters hat Karajan die wesent- lichen Stellen fast vollständig gesammelt (S. 243 ff.). Seinen beinahe unbegreiflichen Irrthum^ im Seifried Helbling, dem hove- gumpelman des dreizehnten Gedichtes, Namen und Person des Verfassers erkennen zu wollen, hat Martin (a. a. O., S. 464) be- richtigt. Dass er Ritter sei, wurde von Lorenz (Geschichtsquellen, S. 191 Anm.) in Zweifel gezogen: vielleicht sei er Geistlicher gewesen, da er lesen könne und lateinisch verstehe. Dem gegenüber ist auf die bereits von Karajan citirte Stelle VU, 1217 zu verweisen: ^

ausser Stellen des fünfzehnten Gedichtes noch zwei kleinere Stücke. Das erste derselben, ,Smirz wcl*, stimmt im Styl zwar mit dem kleinen Luci- darins überein ; auch die Art, einzelne Anlässe des satirischen Tadels zu personificiren und mit appellativischem Eigennamen zu versehen, ist im Lucidarins belegt (vgl. unten fStyl*). Wenn man nun annehmen dürfte, die satirische Darstellung des ^Smirz vmI^ sei ein Fragment ans einem yerlorenen Gedichte, so wäre die Authenticität wahrscheinlich. Die strophische Form aber, in der es erscheint, lässt in dem Stück ein selbst- ständiges Gedichtchen vermnthen, und als solches muss es dem Ver- fasser des Lucidarius abgesprochen werden. Er verwendet wohl strophische Formen, aber nur in Gedichten seiner späteren Zeit und geistlich-lyrischen Inhaltes. Ein satirisches Stück so geringen Umfanges konnte nur in die Periode bis 1291 eingereiht werden; und damals be- rUent er sich ausschliesslich der unstrophischen Reimpaare. Das zweite selbstständige Gedichtchen der Fragpnente ist schon dem Inhalte nach ohne Analogie im Lucidarius. Es zeigt aber dieselbe metrische Form wie das andere oder mindestens eine sehr ähnliche (Lambel, German. XVII, S. 858). Dadurch allein würde wahrscheinlich, dass auch dieses nicht vom Verfasser des Lucidarius herrührt; beide Gedichtchen (deren Schrift- züge von denen des echten Bruchstücks abweichen) dürften vielmehr einem und demselben Verfasser angehören, der bei dem ersten sich eine ziemlich gelungene Nachahmung der satirischen Art des Luci- darius gestattete. * Karajan citirt als solche, in denen der Verfasser ausdrücklich sich Ritter nenne, noch IV, 276, 566 und Vni, 268. Die letztere muss völlig gestrichen werden, denn der Verfasser spricht hier gar nicht von sich. IV, 665 ist nicht beweisend, denn der Knappe erzählt hier zwar, er sei in Diensten eines alten Ritters gestanden, aber dieses Verhältniss ist eben die dem kleinen Lucidarius zu Grande liegende Rahmenfiction, und deshalb muss der Dichter , der sie erfindet, nicht selbst Ritter

38»

f)^4 R««mfiller.

owe ioaz ich ritersekaft! ja hdt min rtterltchiu krcft vil nahen an mir ende.

Hier spricht der Verfasser von sich selbst. Damit stimmt die ausgeprägte Standesgesinnung (Karajan, S. 244) und die Art der Rahmenerfindung. Die häufigen religiös geförbten Stellen sind damit wohl vereinbar. Einen Geistlichen als Verfasser anzu- nehmen verbietet ferner die Art der Satire in VIT, 64 flF., 709 fi"., 787 ff.; ü, 767 ff., vor Allem aber X, 76:

kint vater unde en

hin ich aJlez sant gewesen.

Doch von seinem religiösen Standpunkt führt der ritterliche Verfasser 11, 837 ff. die Vertheidigung der Oeistlichkeit, deren weltliche Sitten gerade vorher Gegenstand seiner Satire gewesen waren.

gewesen sein (ist diese Thatsache jedoch einmal anderweitig- bewiesen, dann darf allerdings die Wahl gerade dieser Rahmenerfindnng als be- stätigendes Moment gelten). Zu IV, 276 endlich ist eine ErlSnternng nOthig: Die Geschichte von der VerschwOrnng der Tier Landherren der Gegenstand des vierten Gedichtes i— wird als einem einst statt- gefundenen Gespräche mit dem Knappen ans der Erinnemng nacherzählt dargestellt. Die Rolle des Fragenden hatte damals ein ,a]ter Ritter^, der Dichter selbst wohnte anerkannt als blosser ZnhOrer der Unter- rednng bei. Diese Art der Einkleidung wnrde in Rücksicht auf die in- zwischen geschehene Fortentwicklung der Rahmenoriindnng und ann dem Bedürfnisse, sie ssn variiren, gewählt (vgl. oben S. 575). Auf diesen Sinn seiner Fiction weist der Verfasser hin, wenn er IV, 275 sagt:

ich 9tu(mt aüez da lA, daz aber ich der riUer «t, der*den kneht vrägt »6 vil, wol ich midi de» bereden teil

und sich so mit der Figur des ,alten Ritters* identificirt. Nun ist «drei- fache Auffassung mOglich: entweder betont man, dass der Dichter, dem ja frei stand, eine beliebige Figur des Unterredneni hier 8u wählen» eben dadurch, dass er sich fUr einen ,alten Ritter* entschied, ausdrücklich nns auch über seinen Stand Auskunft gab; dann darf die Stelle als directes Zeugniss gelten. Oder man sieht in dem ,a]ten Ritter* nur eine Variation der szenischen Fignr, die in I III die Unterredung mit dem Knappen führte; dann wohnt der Stelle nur indirecte Beweiskraft (ähnlich wie IV, 566) inne.

Studien sam kleinen Lncidariiu (.Seifried Helbling'). 585

Karajan's Schluss auf das Alter des Dichters bedarf einer Correctur. IX enthält Z. 57 die bestimmte Angabe^ dass der Verfasser, als er das Gedicht schrieb, sechzigjährig gewesen sei. Indem nun Karajan IX irrthümlich vor IV, also vor 1296 setzte, nahm er an, dass der Dichter um 1230 geboren sei. Gedicht IX fällt aber nach 1298. Wir haben also ungefähr vom Jahre 1300 an um 60 Jahre zurückzurechnen und gelangen hiemit in die letzten Jahre der Babenberger-Herrschaft. Denn lange nach 1298 wird IX kaum gedichtet worden sein: An- deutungen herannahenden Alters finden sich nämlich schon im vierten Gedicht, das um 1296 verfasst ist.

Das Ende der Babenberger kann er nur noch als Kind miterlebt haben (vgl. XIV, 13). Mehr verräth auch nicht Vin, 1055 ff., wo er von Friedrich dem Streitbaren spricht. Aber er blickt durchaus mit Sympathie in die Zeit jenes Ge- schlechtes zurück; so an der citirten Stelle des achten Gedichtes; II, 652 ff. wünscht er das alte ,Leopoldinische^ Landrecht zu- rück (vgl. Lorenz, Deutsche Geschichte im 13. und 14. Jahr- hundert, S. 346); VIU, 874 die Speise- und Eüeiderordnung, die ,Herzog Leopold' getroffen hatte; auch die Ereignisse jener Zeit, die er in der Ehrenrede Vm, 1038—1054 erwähnt, sind hier zu nennen, ebenso XV, 358. Wenn er auf eine ver- gangene Zeit hinweist (VIII, 732 ff. und IV, 854), in der die rechte Landessitte herrschte, so ist damit die babenbergische gemeint. Einen Tadel weiss er jedoch auch ihr gegenüber: er hat gehört, dass Herzog Friedrich ungarische Tracht nach- ahmte (XIV, 15 f.).

Der böhmischen Occupation Ottokars gegenüber scheint er »ich passiv verhalten zu haben: die längere Stelle VIEL, 1067 ff. verräth weder besondere Zuneigung, noch Abneigung eher letztere. Das mindestens hebt er hervor, dass dui*ch ihn die österreichischen Länder dem Reiche entfremdet wurden, und berichtet mit deutlichem Wohlgefallen ihre Wiedergewin- nung. Sonst schweigt er überhaupt von Ottokar und spielt auf die Einflüsse jener Zeit nur an, indem er die böhmischen Gewohnheiten und Sitten, welche damals eindrangen, verspottet (XIV, 20 31). Diese stillschweigend indifferente Behand- lung Ottokars nimmt Wunder: denn unter den vielen öster- reichischen Adelsgeschlechtern, die in den Gedichten genannt

586 Scemtller.

werden, ragen zwei insofeme hervor, als ein besonderer Antheil des Dichters an ihnen sieh ausspricht, die Hardecker und Kaen- ringe, diese aber waren Parteigänger Ottokars. Dass Qraf Otto und Conrad von Hardeck XIII, Z. 15 ff. ihrer hohen Tapferkeit wegen gepriesen werden, würde noch nicht entscheidend sein in ähnlicher Weise sind (XIÜ, Z. 23) die Herren von Sleanz hervorgehoben; aber VII, Z. 370 ff. wird unter der Schaar der Milte Graf Liutolt von Hardeck genannt

nlber unde golt

gilb er $6 bald von einer haut

sam iz an die vinger hrant und zwar unter österreichischen Edlen er allein. Dass er nun gerade um seiner Freigebigkeit willen in solcher Weise ge- priesen wird, scheint auf ein persönliches Verhältniss des Dichters zu ihm zu deuten. Dazu kommt, dass dieser sonst an mehreren Stellen die Kargheit und krämerhafte Gewinnsucht der Dienst- mannen, ihren Geiz dem ritterlichen Gesinde gegenüber heftig tadelt oder verspottet. Ebenso zeichnet er die Kuenringe aus, doch ist es schwieriger, in die verschiedenen hieher ge- hörigen Stellen Einklang zu bringen. Im Aulruf zum Heer- banne (Ged. VI) wird auch der Herre von Kuenringen genannt

(Z. 27ff.):

durch Uebe und durch daz groze reht

ich tu wol der eren gan

daz ir fiUsri dri hundert man.

idaz groze rehi^ wird wohl auf Leutholds von Euenring Schenken- würde zu deuten sein; ,durch liebe^ lässt ein persönliches Ver- hältniss vermuthen. Am wahrscheinlichsten werden wir dasselbe auf Albero V. von Kuenring, den Stifter der Linie Kuenring- Dümstein und Vater Leutholds, zurückführen (vgl. die Stamm- tafel der Kuenringe in G. E. Friess, Die Herren von Kuenring). Xni, 33 lässt ein freundliches Verhältniss zu den beiden jün- geren Linien des Hauses (Dürnstein und Weitra-Seefeld) er- schliessen. Leuthold wird hier (Z. 39) überdies noch besonders als freigebig gepriesen. Um 1296 aber hat sich die Gesinnung des Dichters diesem gegenüber geändert: Leuthold war einer der vier Häupter der Verschwörung und wird sammt den anderen im vierten Gedichte mit besonderer Schärfe behandelt. Wenn daher XV, 167 ff. Leuthold (denn nur er kann gemeint sein

Stadien zum kleinen Lneidvias («Seifiried Helbling'). Ö87

das lehrt deutlich die Nennung von Velsberc/ dem Besitze seiner ersten Gattin) neuerdings wegen seiner Freigebigkeit gepriesen wird, so muss der Dichter sich inzwischen, nachdem die Verschwörung resultatlos verlaufen und Leuthold vom Herzog wieder zu Gnaden aufgenommen war, sich mit ihm versöhnt haben.

Die Hardecker nun spielen unter Ottokar eine wichtige Rolle. Der Hardecker, Graf von Maidburg, führt das Heer des Königs gegen Bela IV. 1260 (vgl. Krones, Handbuch I, S. 643); das Geschlecht gehört überhaupt mit zu den ersten, welche sich Ottokar angeschlossen hatten (vgl. Palacky, Geschichte von Böhmen, S. 137 ff.). So auch die Kuenringe. Albero, der Vater Leutholds, galt als eine Hauptstütze des böhmischen Herrschers und wurde von ihm vielfach ausgezeichnet (vgl. Friess a. a. O., S- 90 ff.). Er starb 1260. Sein Sohn aber scheint die Bezie- hungen zu Ottokar vernachlässigt zu haben; in der Weitraer Linie dauern sie jedoch ungeschwächt fort. Die Spaltung des Hauses zeigt sich offenbar bei der Ankunft König Budolfs: der Dümsteiner Leuthold schliesst sich ihm sogleich enge an, während der Weitraer Heinrich und sein Sohn an Ottokar fest- halten. In diesem Verhalten Leutholds mag mit ein Erklärungs- grund fbr die Stellung unseres Dichters gesucht werden. Dass aber das früher betonte Motiv der Reichstreue ebenso sehr wirk- sam gewesen sein mochte, wird aus später zu erwähnenden Stellen noch deutlicher werden.

Mit der Herrschaft der Habsburger be&eundet sich der Dichter nur allmälig. Hauptmotiv seiner anfänglichen Abneigung

wcu der van Kuonringe ddf ,nein er, er wcu anderawd, ich waene dcUze VeUhercJ

Diese Stelle könnte zu Bedenken gegen die oben (S. 571 f.) aufgestellte Chronologie des Gedichtes XV Anlass geben. In der Unterwerfungs- nrkunde vom Juni 1296 schwOrt Leuthold: Ez svln ovch min purgraven ze VelUperk wid te Buekerwpurk minem herren (dem Herzog) vnd ginen chinden woeren vnd warten . . . (Friess a. a. O., LX); man könnte nun Anstoss nehmen, dass ein Gedicht, das nach 1296 und noch vor 1298 verfasst sein soll, den Knenringer in Feldsberg sich aufhalten lasse. Doch ist dies anzunehmen keineswegs an und für sich unstatthaft, um so weniger, wenn man die guten Beziehungen kennt, die sehr bald wieder zwischen Albrecht und Leuthold Platz griffen (vgl, Friess a. ». O,, S. 126),

588 Seemaller.

scheint die landschaftliche Antipathie des Oesterreichers gegen das eingewanderte fremde schwäbische Geschlecht und die zahl- reichen Landsleute, die es mit sich nach Oesterreich zog, ge- wesen zu sein. Der Verfasser hält eifersüchtig und zuweilen kleinlich an althergebrachter österreichischer Landessitte fest und mag in dieser einen Hinsicht den Beinamen eines Stock- österreichers, den ihm Lorenz (Geschichtsquellen, S. 191) ge- geben hat; verdienen. Sehr häufig klagt oder spottet er üb^ die Fremden, die Schwaben^ die Nachahmung ihrer Sitten. Die Stellen vertheilen sich auf die Gedichte XIV, V, I, IH, IV. Ob die des vierten Gedichtes (in welchen die Vertreibung der eingewanderten fremden Hofleute des Herzogs von den Ver- schwörern gefordert wird) noch die eigene Meinung des Dich- ters ausdrücken, der ja dem Anschlage der Landherren feind- lich gegenübersteht, kann bezweifelt werden. Doch ist es wahrscheinlich; denn bezüglich eines anderen Zweckes der Verschwörung, die Stellung des höheren Adels auf Kosten des niedrigen zu stärken, verhehlt er seine eigene missbilligende Meinung durchaus nicht; die Feindseligkeit der Herren gegen die Fremden aber stinmit einerseits ganz zu den früher vom Dichter selbst ausgesprochenen Ansichten, andererseits ist von einer Missbilligung dieser einen Forderung im vierten Gedichte selbst nichts zu merken. Die Animosität des Dichters gegen die Schwaben lässt sich also in den Gedichten der Jahre 1283 bis 1296 belegen. Die übrigen Stücke der Sammlung aber sind frei davon. Von IX —XH und VH könnte man sagen, dass ihr Inhalt keine Gelegenheit zu solchen Aeusserungen bot. In XV aber war eine solche Z. 65 ff. gegeben; besonders auffallend aber in VHI, 762 ff.: hier wird ein bereite HI, 210 ff. und XIV, 5 ff. behandeltes Thema die Musterkarte der ausländischen von den Oesterreichern nachgeahmten Sitten ungefähr in gleicher Weise wiederholt: während aber dort unter Ungarn, Böhmen, Bayern, Steirern, Sachsen u. s. w. die Schwaben nicht fehlten, ist auf sie in unserer Stelle nicht einmal mehr an- gespielt.

Dieselbe Sinnesänderung lässt sich in anderer Beziehung verfolgen, in seiner Stellung gegenüber König Rudolf und Herzog Albrecht. In dem ältesten der erhaltenen Gedichte (XIV) nimmt er eine mehr zuwartende Haltung ein. Er hatte sich über das

Stadien snm kleinen Lncidariiu (.Seifried Helbling*). 589

Gemisch ausländischer Moden in Oesterreich ausgelassen ^ zuletzt über die Schwaben in ironischer Art (53flF.):

hdnt uns die Swdbe,

des ick got immer lobe,

her in ditze lant brdht,

des ich e nie gedähi

••••••••

des wir vil gerne jfiegen

dwrch der Swdbe willen.

Er schliesst: den Landen Steier und Oesterreich gleicht nichts (in dieser EmpfUnglichkeit für Fremdes). Gleich darauf lässt er folgen: ,Die8e zwei sind gar wohl mit Fürsten versehen: die zwei Söhne des römischen Königs sind zwei ansehnliche Herr- scher hier/ Dieser Zusammenhang die Doppelherrschaft Rudolfs und Albrechts als neues Zeichen jener Unvergleich- lichkeit — trägt doch die entschiedensten Spuren der Ironie; Karajan irrte, wenn er (S. 281) die Stelle als eine ernsthaft lobende auffasste. Die folgenden Zeilen (74):

80 guot vride wart noch nie an allen gemerken sind daher nur von der erzwungenen Ruhe der Besiegten zu verstehen; und wenn nun den Dienstmannen der Rath ertheilt wird, ihr krämermässiges Gelderwerben auf eine Weile zu unterlassen und die Gunst des Königs, ,der den guten Frieden vom Rhein her bei uns wohl befestigen kann^, durch eine Fahrt zu Hofe zu verdienen, so wird die ironische Meinung des Ganzen durch die Schlusszeile

ir trinket unde geltet den Ezdines mn doch völlig sicher.* Einzig in diesem Gedichte hüllt er seine Polemik in so gemässigte Ironie.

Der Abstand von diesem zu dem der Zeit nach nächsten fliuften ist ungemein gross. Hier ist er am allerderbsten, ja er droht sogar (103 ff.). Hier auch ganz persönliche Satire gegen den Herzog, die Herzogin und deren Umgebung. Hauptmotiv ist: das Land verarmt durch die fremden eigennützigen Aus- beuter, denen es anheimgegeben ist. Er klagt (vgl. Siegel, Sitzungsb. d. philos.-histor. Gl. CIL Bd., S. 254 f ) :

Dasselbe Citat (Nibelan^n 1897 , 3) auch VI, 160 in ähnlicher Bedeutung.

590 Seeraftller.

daz der rdtgeben,

der rdt der herzog iolde leben,

nimer ist danne vier. Die Quellen (vgl. Anm. 94, 95 zu Lichnowsky I, S. 289) er- wähnen eine grössere Zahl österreichischer Ministerialen^ die König Rudolf seinem Sohne als Rath zur Seite stellte. Unsere Stelle fUhrt also Beschwerde über die Verminderung desselben auf vier, denen der Dichter ohne Ausnahme übel gesinnt ist Zu bemerken ist dabei^ dass er allein den vierten ausdrücklich zu nennen ablehnt (Z. 90). Es war dies Stefan von Meissao, ein Verwandter Leutholds von Kuenring. Wir vermögen die feindselige Stimmung des Dichters zu dieser Zeit (1286) nicht mit seiner als wahrscheinlich nachgewiesenen näheren Stellung zum Hause der Kuenringe zu vereinigen. Leuthold stand gerade damals im besten Verhältnisse zum Herzoge (vgl. Friess a. a. 0., S. 106). Der Dichter kann daher in diesen Jahren nicht in einer näheren Dienstesstellung zu Leuthold gewesen sein, denn eine Rücksicht auf ihn zeigt sich wohl nur darin^ dass er wenigstens den Namen Stefans von Meissau verschweigt. Die Möglich- keit eines so heftigen persönlichen, schmähenden Angriffs auf König Rudolf und auf den Landesherm können wir überhaupt uns nur vorstellen, wenn wir uns den Verfasser ausserhalb der activen Theilnahme am öffentlichen Leben denken. Der Partei- gänger eines offen mit Albrecht in Fehde stehenden Gegners hätte etwa so heftig über den Feind sich äussern können; nun gab es damals zwar versteckte Unzufriedenheiten und Feind- schaften gegen den Herzog unter dem österreichischen Adel genug, aber keine offene Empörung; auch fehlt jede An- deutung in den Gedichten, welche eine solche Parteigänger- schaft des Dichters erkennen liesse. Hier hilft uns die That- Sache, dass er damals bereits in vorgerückterem Alter und wohl ausserhalb eines activen Dienstverhältnisses zii einem Ministerialen war.

Das sechste Gedicht ist im Tone viel ruhiger. Vom Herzc^ ist darin mehrmals die Rede, zwar ohne besonderes Lob, doch auch ohne tadelnde Angriffe. Diese beschränken sich auf die zahlreichen im Gedichte genannten Landherren; mit beson- derer Ironie ist unter diesen wieder vom Meissauer die Rede (36 ff.). König Rudolf wird in einer Weise erwähnt, die, wenn

Studien zQm kleinen Lucidarins («Seifried Helbling*)» 591

auch nicht Sympathie, doch Achtimg vor dem römischen Kö- nige verräth (6—12).

Aber das dreizehnte enthält wieder eine persönliche In- ▼ective gegen Albrecht. Die Gesellschaft der adeligen Strassen- ränber hegt keine Furcht vor dem Herzog: ,Er richtet uns doch nicht,^ sagt einer (148); »Laien und Pfaffen machen ihm so viel zu thun^ dasB er Gericht zu halten unterlassen muss.^ Und der Angriff gipfelt in dem spitzigen Satze:

got vri9t uns disen herzogen^ M dem wir in dem lant so brogen. Einen anderen jener ,Helden^ (92) lässt der Verfasser rühmen

(168 ff.):

der lantoride ist so gwot

daz v/fis niemen niht entuot,

uud spielt damit jedenfalls auf die Erneuerung des Mainzer Landfriedens an, die Rudolf im März 1287 (vgl. Böhmer Regesten) zu Wttrzburg vornahm. Es ist leicht begreiflich, dass bei den fortwährend bewegten Zuständen Oesterreichs, den Fehden mit Salzburg, mit den Wienern, mit den Güssingern von einer strengen Beobachtung desselben nicht die Rede sein konnte. Zeugniss davon legt die Urkunde Rudolfs vom October 1288 (bei Kurz, Oesterreich unter Ottokar und Albrecht II, S. 207) ab, in der das bischöfliche Schloss Marsbach im Mühl- viertel wegen der Strassenräubereien seiner Besatzung als dem Reiche verfallen erklärt und Albrecht zu Lehen gegeben wird (vgl. auch Kurz I, S. 129). Aehnliche Verhältnisse erklären die Stimmung unseres Gedichtes. Dass der Verfasser dem Würz- burger Landfrieden überhaupt seine Aufmerksamkeit zugewendet hatte, zeigt VHI, 915 ff.: dort ist von der Verbindung der Reichs- acht mit dem Kirchenbann die Rede, den der Papst alljährlich am Ablasstage auf Wucherer jeglichen Standes legt. Das Würz- bui^er Concil nun hatte die früheren Strafbestimmungen über Zölle und Geleitrecht dahin erweitert, dass auch der Kirchen- bann damit verbunden werden solle (vgl. Lorenz, Deutsche Geschichte H, S. 338).

Aehnliche Vorwürfe muss der Herzog im ersten Gedichte hören. Dort wird unter Anderem ein lebhaftes Bild der blutigen Erpressungen entworfen, welche die eigenen Kriegsleute des Herzogs im Lande verüben (568 ff.). Die Verantwortung dafUr

592 Seemftller.

wird auf Jenen geworfen, weil er nicht seine Pflicht als rechter oberster Richter erfülle (581 ff., 650 ff.) darum brechen jene Meineidigen so ungestraft ihren Landfriedensschwur (785). Doch wird die Härte des Vorwurfs einigermassen dadurch gemUdert, dass die Hauptschuld auf die schlechten Rathgeber des Fürsten geschoben wird (584). Aber die alte Unzufriedenheit mit Albrecht herrscht doch noch: nachdem der Knecht seinem Spott und Unmuth über die nunmehrigen schwäbischen Sitten in Oesterreich Ausdruck gegeben hat, erklärt der Ritter ironisch

ez ist niht unbiUich,

nht wir uns näck den Swdben,

von den got^ gäben

wart ein herzog uns aesant

von Swdben her in Österlant.

davon hdt man die Swdb hie baz

dan ander Hut billich ist daz (471 ff.).

Die gemässigtere Haltung des Dichters dem Herzog gegen- über beginnt recht eigentlich mit H. Die dem Gedichte zu Grunde liegende Supposition bereits bedingt dies. Der ^Ritter* sitzt an Stelle des Herzogs zu Gericht, vor ihm ftihrt der Knappe seine Anklagen und Klagen aus. Wäre noch die frühere Feindseligkeit im Verfasser herrschend gewesen, so hätte er wohl in der Art, wie er, als Herzog, die vorgebrachten Klagen gerichtet hätte, zur schärfsten Satire Gelegenheit ge- habt. Aber das Hauptgewicht ist in die Klagen des Knappen gelegt: der Verfasser bezweckt in erster Linie eine Aeusse- rung über alle die Zustände, die ihm unerquicklich und schäd- lich dünken, und will dieselben dadurch dem Herzog zur Beachtung und zur Abhilfe ans Herz legen. Bereits damit trat er in ein ganz anderes Verhältniss zu ihm. Er wünscht seinen Worten eine praktische Folge zu geben, er kann sich daher nicht mehr als schmähender Feind demjenigen gegenüberstellen, von dem er die Abhilfe hofft. Kurz, durch das Thema des Gedichtes selbst hat er Albrecht als seinen Landesherrn aner- kannt. Dass all' dies in der ,lantvrdge' liege, zeigt am besten der Schluss: der Ritter fragt den Knappen (1506 ff.)':

wer soÜ daz wandet und daz reht dem forsten bringen von dirf

Studien zum kleinen Lneidftrivs (,SeifHed Helbling')- 593

liAer herre, daz mdt ir oder ein aihder gewisser böte, sagt im min dienest in gote

des bite wir den fUrsten hSr

daz er uns des alle gewer. Im ersten Abschnitte erbittet sich der Knappe ein Bussgeld, das die nitsüren ihm zahlen sollen (277 ff.). Der Ritter hofft^ dass der Herzog es ihm zusprechen werde, imd fügt hinzu:

er sol oudi wSn vergezzen ntht,

dt ich frage an einer etat. Rechnet man vom Sinne dieser Stelle auch Alles ab, was in der satirischen Fiction der 9^{^Steuer begründet ist, so bleiben doch deutliche Anzeichen einer Annäherung an den Herzog, eines Wunsches, dass er den Worten des Dichters Anerkennung schenke, übrig. Ein persönliches freundliches Verhältniss besteht jedoch sicherlich nicht. Der Verfasser ftigt sich wohl in die bestehende Herrschaft, wünscht auf Gh-und und mit Hilfe der- selben praktische Erfolge seiner Satire, er nimmt nicht mehr Partei gegen den Herzog, aber auch nicht für ihn. Daher sieht er dort, wo er bestehende Zustände tadelt, die Schtdd nicht sowohl im Herzog, als in denen, die ihn unterstützen sollten, es aber nicht thim: man hilft nicht dem Fürsten in seiner richterUchen Thätigkeit (137), und die Rathgeber Albrechts sind auch hier wieder diejenigen, welchen die meiste Schuld zu- kommt (302). Aber er schreibt doch noch (1494 ff.) :

tmd suln uns diu (sc. wandet) beliben

ungeibezzert van dem herzogen,

dd ist daz lant mit betrogen und erlaubt sich (865 ff.) einen bittem Ausfall gegen ,römi8che Könige, die zu Schwaben und bei den Rheinfranken Pfennige wählen und nie Willen noch Gedanken auf Rom richtend König Rudolf ist zwar todt und die Stelle ist direct gegen Adolf ge- richtet, aber die Kennzeichen eines römischen Königs, wie er ihn tadelt, sind doch von Jenem genommen. Ein concreter Beleg für die im .Gefolge seines praktischen Zweckes eingetretene Ver^ änderung seiner Stellung zum Herzoge liegt in der von Historikern bereits vielfach angezogenen Stelle 649 766: der Dichter stellt die alten Landgerichte (lantteidinc) und die unter Albrecht ihren

594 BeemfllUr.

Wirkungskreis immer mehr erweiternden Hoftage (hoftsidinc) einander gegenüber und wünscht die Aufhebung der letzteren.

Er greift hiebei auf die Satzungen des Leopoldinischen Landrechts zurück, welches Tulln^ Neuburg und Mautem als ständige Dingstätten bestimmt (vgl. Luschin von Ebengreutfa^ Geschichte des älteren Gerichtswesens in Oesterreich ob und unter der Enns, 8. 51; auch Siegel, Sitzungsberichte XXXV, S. 122). Im Laufe des 13. Jahrhunderts hatte das Landtaiding den Charakter eines obersten Gerichtes angenommen, za welchem auch die Kittermässigen Zugang erhielten ; sowie nun die Dienstmannen gegen Ende dieser Zeit es dahin gebracht hatten, auf der Gerichtsbank als Urtheiler in Sachen solehert die ursprünglich, wie z. B. die Grafen, ihre Uebergenossen waren, Sitz zu erhalten, so erstrebte der Ritterstand bald Aehn- liches gegenüber den Ministerialen (Luschin a. a. O., & 59 f.; Siegel, Sitzungsb. d. phil.-histor. Cl. CII. Bd., 281 f.); an die Entwicklung des Landtaidings knüpfte sich somit der Fort- schritt seiner ständischen Rechte, und der Eifer mit dem der Dichter des Lucidarius für die Erhaltung des ungeschwächten Einflusses der Landtage spricht, erklärt sich demnach aus dem wohlverstandenen eigenen Standesinteresse.

Dazu kam, dass zur Zeit Albrechts die Hoftaidinge eine gegen den Ritterstand gerichtete Spitze erhielten. An und für sich waren sie geeignet, die landesherrliche Gewalt zu steigern und die Bedeutung der Landtage zurückzudrängen; die Unter- stützung durch den höheren Adel gewann sich der Herzog da- durch, dass der Ritterstand von der Theilnahme an der Recht- sprechung ausgeschlossen wurde (Luschin, S. 75). Die Opposition des Lucidarius erscheint daher mindestens ebenso sehr gegen die Ministerialen als gegen den Herzog gerichtet. Diess hatte bereits v. Meiller (Sitzungsberichte XXI, S. 146) erkannt, war aber darin zu weit gegangen, dass er die Ritter überhaupt vom Hoftage ausgeschlossen erklärte. Dagegen spricht n, 707—741 selbst (vgl. auch Luschin, S. 67 ff.).

Man hat aber auch von einer Unzufriedenheit des höheren Adels mit dem Hoftage gesprochen (vgl. Zieglauer, Sitzungs- berichte XXI, S. 80ff. ; Lorenz, Deutsche Geschichte H, S. 471), und Zieglauer hat den Lucidarius geradezu zum Organ dieser Unzufriedenen gemacht. Was die letztere Meinung betrifft, so

Stadien zum kloinen Lucidariaa (,9eifried Helblinfj^*). 595

ist Bie in der Auffassung Zieglauer's entschieden abzuweisen. Durch den erwähnten Gegensatz der ständischen Interessen wird sie ausgeschlossen. Aber in politischer Beziehung konnte der Hoftag allerdings zeitweise das Missfallen des höheren Adels erregen: wenn er auch eine Förderung seiner socialen Stellung den Rittern gegenüber bedeutete, so war er ebenso sehr ein Ausdruck der gesteigerten landesherrlichen Macht; vor Allem aber dürfte der Einfluss^ den die schwäbischen Landsleute des Herzogs dabei ausübten, die zeitgemässe Veranlassung der Un- zufriedenheit gewesen sein. Eberhard von WalUee war oberster Hofrichter (Lorenz a. a. O., S. 471). So traf Unzufriedenheit der Ministerialen mit Unzufriedenheit der lUtter zusammen; die Hauptmotive beiderseits waren aber verschiedene: für jene waren es politische, ftr diese sociale. Auch der Dichter des Lucidarius ist unzweifelhaft in erster Linie von diesen, als Ritter, beeinflusst; für ihn speciell dürften überdies auch jene mitwirkend gewesen sein, denn auch sonst ist er den Schwaben des Herzogs ab- geneigt und auch sonst erwies er sich als Gegner Albrechts. Nur in dieser einen Beziehung könnte er Organ der unzufrie- denen Ministerialen genannt werden, und auch so nur in sehr beschränkter Bedeutung; denn dass er in dieser Sache der Hof- und Landtage in jenem einen Punkte mit dem höheren Adel übereinstimmt, ist zu&llig, in der Hauptsache vertritt er gegnerischen Standpunkt.

Dies vorausgeschickt, lässt sich die behutsame Haltung, welche erH, 649 ff. dem Herzoge gegenüber beobachtet, deut- lich erkennen. Er missbiUigt die Hoftage, doch wendet er sich keineswegs direct gegen den Herzog, ihren Förderer. Er ver- weilt vielmehr bei ihren praktischen Unzukömmlichkeiten und stellt ihre Abschaffung als eigentlich im Interesse des Herzogs selbst gelegen dar (702 ff.):

als man ie mer gerihtet,

80 ie mer da wirt geklagt.

daz des der herzog nikt verzagt,

sere mich des wundert. Ja er wendet die Tendenz seiner Satire scheinbar nach ganz anderer Seite; er stellt nämlich die beiden Gerichtsstellen nicht in ihrer politischen Bedeutung einander gegenüber, sondern vei^leicht die Processsucht, die sich zu seiner Zeit beim Hof-

596 8eenfill«r.

tage breit mache, mit der einfacheren älteren Zeit^ da Herzog Leopold einst drei Tage lang ein Landgericht hielt, ohne dass eine Klage eingebracht worden wäre. Diesen äusseren Zq- sammenhang und Gegensatz der Stellen 650 694 und 695 741 hat V. Meiller (Sitzungsberichte XXI, S. 145 S.) richtig erkannt, darin aber geirrt, dass er in ihm die Hanpttendenz der ganzen Stelle suchte. Dagegen spricht Z. 755 iF.:

dd 9prach diu Bescheidenheii :

der gerihtes totzere bereit

driu lantteidinc in dem jär

und Ueze diu hofteidinc gar

und setzte lantrihtaere! Denn wie sollte der Processirsucht dadurch abgeholfen werden, dass man den Hoftag auflasse, da ja die Landgerichte blieben und sogar bequemere Gelegenheit böten? Die Stelle erhfilt vollen Sinn erst durch die oben auseinandergesetzte ständische Opposition des Dichters. So heftig dieselbe aber später, im vierten Gedichte, den Ministerialen selbst gegenüber ausbriclit, 80 vorsichtig, ja connivent ist hier die Haltung gegen den Herzog, der doch die Hand zur Zurttcksetzung des Rittei^ Standes geboten hatte.

Die Stellung, in die er sich in U dem Herzoge gegen- über bringt, behält er fortan im Wesentlichen bei. Im nächst- folgenden Stücke (III) fällt ein kleiner scherzhafter Seitenhieb : der Knecht hatte sich (in der Badescene) so ausnehmend ge- schickt und hilfreich bewiesen, dass der Herr sich selber preist ihn zu besitzen (80 ff.):

U)Urd dtn der herzog inne,

er Ueze dich mir nimmer,

wil ich heilen immer,

tcie dtn name ^ genant,

daz du im inst unerkanL Es liegt nahe, versteckten Sinn in der Stelle zu suchen: dass der Herzog von den Satiren des Dichters Kenntniss er- halten und ihm den Knappen, von dem er ja seine scharfen Waffen beziehe, zu entführen gedenke, d. h. entweder ihm die Möglichkeit zu ferneren Angriffen nehmen, oder ihn sogar auf seine eigene Seite bringen wolle, um dieselbe Satire, die vor- her gegen ihn sich gewendet, nun gegen seine eigenen Feinde

Stadien znm kleinen Lucidariut (,Seifried Helbling*). 597

ZU gebrauchen. Aber der Dichter will im Verborgenen bleiben. Jedenfalls ist ihm dies gelungen, denn wir wissen heute noch nicht seinen Namen.

Aber keine persönlichen Angriffe erscheinen mehr, ebenso wenig irgendwelche Aeusserungen , welche Sympathie für den Herzog, besondere Anhänglichkeit an ihn ausdrückten. Er ist als der Landesherr anerkannt und als solcher ausser die directe Discussion gerückt, aber nirgends ein Zeichen persönlicher Huldigung oder individuellen Lobes. So ist das Verhältniss im vierten und fünfzehnten Gedicht.

Da er nun im vierten, ,den vier Markgrafschaften^, seine Polemik gegen die seinem eigenen Stande feindlichen Bestre- bungen des höheren Adels richtet, diese aber mit einer Ver- schwörung gegen den Herzog verknüpft sind, so erhält seine in Wirklichkeit kühl correcte Gesinnung gegen Albrecht den Schein lebhafterer Parteigängerschaft. Der Herzog heisst ,der rechte herre' (231), er ist nicht so ,leinenS dass die Verschwörer die Oberhand bekommen sollten. Dabei hat er trotzdem Gelegen- heit, seine eigene früher oft geäusserte Abneigung gegen die ein- flussreichen schwäbischen Hof leute unauffällig wieder zum Aus- druck zu bringen, indem er allein hierin mit den Gesinnungen der Aufrührer übereinstimmt und sie daher diesen bequem in den Mund legen kann (304, 332, 740). Ebenso feindlich ist er dem Adel im fünfzehnten Gedicht: was ihm an der Hofhaltung des Fürsten missfällt, dafür macht er seine Umgebung allein verantwortlich. Sie verhindern den Herzog in edler ritterlicher Weise Hof zu halten (368 ff.);

des vilrsten hof ntht wol gevert,

80 der rät ze samene swert

geseUeschaft durch gewin (395).

Wenn ja einmal Einer in alter adeliger Weise mit ritterlichem Gefolge zu Hofe kommt, so liegen die ständigen schmarotzenden Rathgeber dem Fürsten in den Ohren, so dass er jenen Edlen nicht so wohl aufnimmt, als es diesem gebührte: der will natürlich dann nicht länger verweilen und sagt zu seinen Begleitern (441):

den vürsten hdn ich wol gesehen

und sine rdtgeseUen

ze einem landes tSren

Sitzungsber. d. pliil.-liist. Cl. CH. Bd. U. Hfl. 39

5Ö8 äeemüllot.

wdletit sie in machen, des mac der tiuvel lachen daz er im niht erwern kan.

Daher drückt der Dichter im selben Gedichte auch scherzhaft die Furcht aus^ dass er wohl die Ungnade der Landherren auf sich laden werde (77, 530); etwas dergleichen bezüglich d^ Herzogs findet sich nicht.

Dasselbe Gedicht ist auch deswegen sehr bemerkenswerth, weil es einen sehr warmen Nachruf nach König Rudolf enthält (537 658). ,Dee muote ein leu, der raeze ein wolß, heisst er; seit Augustus war nie Seinesgleichen, noch wird je Seinesgleichen sein, er war ein unverzagter Held in allen Lagen, Gott möge ihn durch seinen Erlösungstod aus aller Noth im Jenseits bringen! Aehnlich preist ihn auch das achte Gedicht: die Wahl- fürsten zählen Rudolfs Tugenden auf (1140 ff.); er ist ein aus- erwählter Held, weise und tapfer, treu und wahrhaft, wohl erzogen, seinen Ruhm immer steigernd, ausser Gott selbst drückte ihn nieder. Nachdem er die österreichischen Lande dem Böhmenkönig abgewonnen und seine Söhne damit belehnt hatte, kehrte er an den Rhein zurück, herrschte und starb in Ehren (1208 ff.):

Künec Ruodolfü werdikeit

ist. so lanc und so breit,

ir mugt sie halbe niht gesagen (1205 ff.).

Der stärkste Gegensatz zu den heftigen, derb schmähenden Worten in V. Die Vermittlung liegt in den Gedichten der Jahre 1292 1296. Der Dichter hat sich schon seit längerer Zeit mit der bestehenden Herrschaft ausgesöhnt; als er ihr noch als erbitterter Gegner gegenüberstand, musste sich seine Feindseligkeit auch auf Rudolf ausdehnen, der die ,Freind- herrschaft' bewirkt hatte und sie hielt. Dieses Motiv ist nun weggefallen. Er mochte auch zwischen Adolf von Nassau und Rudolf verglichen haben: zwar findet sich nur eine Stelle, die Jenen geradezu tadelt; aber in die Verschwörung der Land- herren von 1295 war seine Person mitverflochten und VTH, 1216 f. sagt von ihm:

ein ander künec wart erweit

der otuJi nach disem lande streit.

Studien zam kleinen Lucidttrius («Seifried Helbling*). 599

Aehnlich IV^ 614. (11, 867 kann in diesem Zusammenhange nicht angezogen werden^ da sie zwar zunächst gegen Adolf gewendet ist, ihre Spitze aber auch gegen Rudolf kehrt.)

Zur Zeit, als das achte Gedicht geschrieben wurde, war Albrecht bereits König. Als solchem bringt ihm der Dichter ungetheilte Ehrfurcht entgegen (vgl. 633 ff.), und das Lob, das er dem Herzoge gegenüber zurückgehalten hat, wird dem Könige hier zum ersten Male ausdrücklich zu Theil. Zunächst prägt sich in der Composition des zweiten Theiles die Absicht aus, die ausgesprochenen Meinungen, Ellagen, Vorschläge wirk- lich zu den Ohren des Königs kommen zu lassen, ähnlich wie II an den Herzog gerichtet war, nur hier noch deutlicher. So wie der Dichter einst an König Rudolf^ den Vater des Landes- fürsten, sich wendete (V), so jetzt an König Albrecht, den Vater des nunmehrigen Herzogs Rudolf, doch in sehr verschie-- dener Gesinnung. Damals leidenschaftlich heftig, jetzt ver- trauend und entgegenkommend. Er wünscht, dass der König ins Land komme, damit er vor ihm reden könne (610):

ist daz diu saelde mir geschiht

daz den künec min (rage ansiht

ich iüU in manen unde büen

(729 ff.),

er wollte im Rathe des Königs Platz und Stimme haben (934 f.); er fürchtet zwar, dass der König zu ehrwürdig sei, um auf seine Reden zu hören (623 ff. ; vgl. auch 674 f.), doch tröstet er sich wieder

kumt diu klage dem künege vüer,

er hoert sie gerne, des ich swüer,

wan sie ist ze höeren guot,

io der künec ist wolgemuot (749 ff.), und

der künec ist so tugenthaft,

daz er in inner herschaft

genaedecltch bedenket sich

und vil gerne hoeret mich (676 ff.).

Als ausdrücklichstes Lob Albrechts wird bei unserem Dichter aber jenes erscheinen, in welchem er dankend auf frühere Re- gierungshandlungen des Herzogs zurückgreift; das ist 900 f. der Fall. Von der Bedrückung der Ritter und Knechte durch die Dienstmannen ist die Rede:

39*

600 Seemüller.

durch got, daz teert,

her kü7}ec. ir hahta e ernert,

Idt iuch noch erbarmen. Am wahrscheinlichsten ist, dass er hier auf die Empörung von 1295 zurückdeutet und nun ein ausdrückliches Lob nachträgt^ das er damals versäumte. Unmittelbar daran schliesst sich ein Preis seiner Würde und die Versicherung, dass Gott auf Erden ihn nie verlassen, im Jenseits auch mit Scepter und Krone schmücken werde. ZZ. 829—838 scheinen mir auch anzudeuten, dass er sich zum neuen Herzog Rudolf selbst in ein freundliches Verhältniss zu setzen wünsche.

Diese auffallende Aenderung des Tones, deren indivi- duellsten und darum wirksamsten Motiven wir kaum mehr nach- zugehen vermögen, erhält doch ein erwünschtes Licht durch den nahen Zusammenhang, in welchem alle jene Stellen, die vom Könige Albrecht reden, mit der allgemeinen Idee des Dichters vom römischen Königthume stehen.

III. Ständische TerhSltnisse.

Kaiser und Papst, hoher Adel, Bitter, Bauern.

Der Kaiser geht allen Königen vor, weil der Papst ihn gekrönt hat (VIII, 355). Darum soll der römische König seinen Sinn nach Rom wenden (II, 865 ff.), als Schirmherr der Christen- heit und des römischen Stuhles (VIII, ,639, 1111). Es ist recht, dass auf den päpstlichen (Wucher-)Bann die Reichsacht folge, wenn der Gebannte ihn über ein Jahr trage (VIII, 951):

80 waere wol begunnen der liebe, als inm herze gert, zwischen sfole unde swert (VIII, 966).' Die eingezogenen Güter jener Verbannten sollte der Kaiser geziemend zu einem Kreuzzug verwenden (970) und Jerusalem, die Stadt, wieder aufbauen (1004). Dem König des Reiches ist nichts gleich auf dieser Welt; nur Gott ist über ihm (633): und so wie vor Gott Arm und Reich gleiches Recht hat, "^so soll es auch der König halten, ja den Armen eher hören als den Reichen (643,681):

1 Vgl. Keinmar v. Zw. Spr. 2 12 f. (HMS U, 8. 216).

Studien sum kleinen LaeidftriQS (,SeifHed Heibling*). 601

SO iift daz rkhe niur daz reht:

swä daz reht ntht enwaer,

dd waer daz fnche tvandelbaer (VIII, 722). Mit iwarmem Interesse erzählt er die Geschichte der Wahl Rudolfs zum römischen Könige (VIU, 1090—1163), durch welche dem Reiche endlich wieder ein Haupt gegeben wurde. Die Initiative und Mitwirkung des Papstes wird ausdrücklich hervoi^ehoben. So wie hier das geistliche Oberhaupt der Christen- heit die Wahl des Schirmvogtes veranlasste, so soll auch der römische König dafür sorgen, dass der Stuhl zu Rom nicht unbesetzt bleibe. Cardinäle ohne Papst sind dem Dichter ein Abscheu (U, 830), daher tadelt er zur Zeit der Sedisvacanz von 1292 -1294 heftig den römischen König (II, 867, vgl. oben S. 593). Kaiserthum und Papstthum sind ihm noch eng ver- bundene Vorstellungen. Die reichstreue Gesinnung des öster- reichischen Ritters zeigt sich bereits in der Art, wie er die ersten Regierungshandlungen Rudolfs Ottokar gegenüber er- zählt; er billigt, dass Rudolf die österreichischen Lande dem Reiche wiedergewinnt (vgl. oben S. 585):

des was der von Beheim wider.

von dem BX,n huop sich her nider

der ktinec;. Stire unde Osterlant

er eich mit eren underwant (VIII, 1199).

Sein Verhältniss zu den inneren politischen Zuständen Oester- reichs ^jährend der ersten Jahre Albrechts brachte ihn aller- dings in Conflict mit den Vorstellungen von Bedeutung, Macht und Würde des Reichsoberhauptes (Ged. V), auch ist in den heftigen Tadel der adeligen Verschwörer (Ged. IV) zugleich ein Tadel Adolfs, auf den sie sich stützen wollen, inbegriffen

* Der Verfasser scheint dies gefühlt zu haben; denn wenn er IV, 282, dort wo er im eigenen Namen ausdrücklich redet und gewissermasseu die Absicht seines Gedichtes (278 282) präcisirt, erklärend hinzufügt:

ein dienttman toi getriu toesen

dem ßtrtten^ daz ist setelicHcH ;

ein förate «S getriu dem rieh Bo rechtfertigt er dadurch seine Haltung: die Reichstreue ist in erster Linie Aufgabe des Landesftirsten, ihm treu zu sein die seiner Dienst« mannen. Ist der Fürst reichstreu, so sind es eben dadurch auch diese. Daher vergehen sich die Verschwörer wie gegen den Fürsten so gegen das Beich (vgl. IV, 312 toelt ir dem rtcke meinftcem).

602 Seomftller.

(vgl. auch rV, 614: VIII, 1216); aber unter den späteren gün- stigeren politischen Verhältnissen ergibt sich ihm der Anlass^ seine grosskaiserliche Gesinnung lebhaft zum Ausdrucke zu bringen. Die meisten der hiehei^ehörigen citirten Stellen finden sich im achten Gedichte.

Abgesehen von Motiven^ die ausserhalb des Gedichtes ge- legen sein mögen (vgl. oben S. 571, 599), bot der Inhalt desselben selbst die Veranlassung dazu. Er handelt in der Hauptsache von derständischen'Gliederung; erstellt sie folgend ermassen dar (VIQ, 146 ff.): Zu oberst steht der Herzog, doch ist das Land nicht sein Eigen, weil er es vom Reiche zu Lehen empfängt, femer:

in disem lant ze rehte mit fiter y edd knehte eigen derrehien diensfman^ die daz riche koerent an; die gdfüren alle vrt, ewes ir guot ze rehte d, d sitzent üf burcrehte, dienetman, riter, knehte jehent ir ze holden, daz de dienen solden niht wan ir rekten dns.

Dieselbe Ordnung belegt Vlll, 958, wo Jene aufgezählt werden, die der Papst alljährlich am Ablasstage ohne Unterschied des Standes in den Bann (Wuchers wegen) thut: '^

vüreten, g^^dven, dienetman phaffen, riten', gebären,

Grafen und Geistliche sind hier hinzugetreten. Dieselbe Rang- ordnung, die jene hier einnehmen, ist auch durch VEH, 369 ff. gewährleistet: dort wird von der Mischung der Stände geredet, welche dadurch entsteht, dass der Adelige sich des Geldes wegen eine Gemahlin aus [der nächst niedrigeren ständischen Stufe wählt, der Ritter eine reiche Bäuerin, der Dienstmänn die Tochter eines Ritters, die Gräfin einen reichen Dienstmann, die Fürstin einen mächtigen Grafen. Auffilllig ist nur die Stel- lung der phaffen vor den Rittern; doch muss der überlieferten Anordnung um so mehr Bedeutung beigemessen werden, weil 4ie Voranstellung der phaffen nicht um des Verses willen ge^

Stadien zum kleinen Lucidarius (,Soifried Helbling'). 603

schehen sein kann. Ebenso (doch ohne die Geistlichen) Vm, 347 ffJ

In der bezeichneten Rangordnung sollten nach dem Willen des Dichters die Gesellschaftsclassen auf einander folgen, damit wäre er zufrieden und

ein f rumer man in ^ner art,

der dn triu, rni ere bewart,

er 8ol uns allen Uep sin (VIII, 359). Aber man findet in Oesterreich wohl kaum einen, der ganz in seiner Art geblieben wäre (VIII, 387) ; die Stände vermengen sich, ihre Sonderung wird verwischt ~ auf die verschiedenste Weise. Zunächst durch Missheiraten, die aus Gründen unedlen Vortheils geschlossen werden; der Dichter ist zornig, dass man einen Mann, wie edel er sich auch benehmen mag, nicht achtet, wenn er nicht reich ist, und dass Reichthum Adel mit sich führen soll; er sieht voraus (VIII, 392):,

dienstman, riter, gebüren,

wir werden schiere einer slaM, Besonders an Rittern bäurischer Abstammung nimmt er Anstoss (VIII, 180 ff.) und schildert die Art, wie ein reicher Bauer die Tochter seines Herrn, des Ritters, zur Frau erhält und dann von seinem Schwiegervater Ritterschaft sich erwirkt; er ist dann einechilt liUer^ jener aber nennt sich nun Dienstmann. Ueber solche Ritter ist der Dichter heftig erzürnt: ihr Schild sollte ein Pflugbrett, ihr Schwert eine Reutel werden u. s. w., ritte er im Turnier, so sollte seinem Rosse das Füllen nach- laufen, und Alle sollten schreien: ,Lasst> Held, das Füllen saugen!* (Vm, 306ff.)

Auch sonst aber massen sich die Bauern ritterliche lUei- dung an: schon im zweiten Gedicht klagt er darüber (H, 55fr.): Dienstmannen, Ritter und Bauern tragen dieselbe Kleidung. In früherer Zeit (do man dem lant sin reht maz 70) war dem Bauer und seinem Weibe während der Werktage nur grauer, am Feiertage blauer Loden gestattet jetzt trägt die Bäuerin Genter Grün, Braun, Roth. So verschwendet auch der Bauer

> Vgl. die analoge Aufzählung im Buch der Rügen. Ueber Begriff und Stellung der Dienstmannen vgl. jetzt Siegel, Sitzungsb. der phil.-histor. Classe CXI, S. 235 ff., der l^uch die einschlKgigen Stellen des fjucidarius umfa.s9epd h^ranz^iehtf

604 Seenftller.

sein Gut in thörichter Nachahmung der Ritter; ist er dann yerarmty so nennt er sich Knappe und stiehlt Tag und Nacht (Vin, 861 ff.). Wenn der Bauer mit fliegendem Hute und klin- genden Sporen einhergeht und den Herrn spielt, da doch das Land von Herren voll ist, wie soll sich dann der Adel be- nehmen? (HI; 102 ff.). Man sollte daher die Bauemordnung Herzog Leopolds wieder in Kraft setzen: Knüttel sollen sie tragen^ nicht Schwerter noch Dolchmesser, Fleisch, Kraut, Brein sollen sie essen, nicht Wildpret, am Fasttag Hanf, Linsen, Bohnen, nicht Fisch und Ocl wie die Herren (VHI, 875). Den Zins, den die freien Bauern den Herren zahlen müssen, hält er daher fUr ein heilsames Mittel, ihrer Hoffart und ihrem Uebermuth zu steuern (VIII, 162). Ueberhaupt ist er den Bauern feindlich gesinnt, sie heissen ihm die nilsftren (H, 295) und das besiegte Laster NU wird VH, 765 in einen Bauer gebannt.

Gleichen Unwillen erregt dem Dichter auch der ihm übergeordnete Stand der Dienstmannen. Ein gespanntes Ver- hältniss zu ihm lässt im Allgemeinen schon das sechste Gedicht vermuthen; in den späteren aber formulirt er ganz bestimmte Gründe seiner Unzufriedenheit. Vor Allem fühlt er seinen eigenen Stand durch die Ministerialen hintangesetzt, geschädigt und unterdrückt; diese Empfindung beherrscht das ganze vierte Gedicht. Als die Empörer sich verschwören, meint einer

(IV, 46 ff.):

rüaere und kneht eint gar ze /rt ,

der leben 8iU toir setzen

in einen rehten metzen

und sie detailliren im Folgenden, wie sie Stellung und Einkünfte der Ritter beschränkt und bestimmt denken; unter ihren For- derungen an den Herzog ist die fünfte (IV, 759 ff.):

ze dem fünften male ist uns haz,

rUa^re und knehte hdt mati baz

danne uns allen lief si;

da von sint sie gar ze vrt.

gebt uns gen in bezzer reht

er st rüer, er st kneht,

unser reht sol für gen,

sie suln niht mit rehte sten

1

Studien znm kleinen Lncidftrini (,9eiflried Helbling'). 605

g^ uns in den schrannen. an den dienstmannen urteil und vrdge sol gdigenJ Ebenso verlangen sie zum sechsten, dass die Ritterburgen ge- brochen werden und Niemand ausser die eigentlichen Ministe- rialen Burgen haben solle (VIII, 787 iF.). Im fünfzehnten Ge- dicht sagt einer der Dienstmannen, der allerbesten vier, deren Reden der Knecht belauscht (XV, 142 ff.):

riter unde knehte ein teil ze hdckvertic sint

die minen ick doch ilherwinf,

daz sie sich müezen smiicken.

wir suüens nider drücken

8wd wir immer kunnen;

niht sulle wir in gunnen

daz sie vordem an uns gab,

hob der man daz er hob. Während der Dichter in IV die meisten übrigen Anschläge der Verschwörer bloss referirend berichtet, fügt er zu jenen, die Ritter und Knappen betreffenden, Aeusserungen lebhafter Missbilligung. Die Animosität der Dienstmannen entspringt aber hauptsächlich aus ihrer Kargheit und Habsucht. Wenn es VIII, 894 heisst:

mtne herrn, die dien^tman,

sumlich, ich enweiz um waz,

tragent nit unde haz

rttem unde knehten so sprechen andere Stellen deutlicher: die Ritter sollen strenger gehalten werden, damit die Dienstmannen sich von ihrem Grut bereichern (IV, 48 ff., 65 ff.); ein Beispiel gibt XV, 151: fkndc der Herr auch ein Ross, das dreissig Pfund werth sei, umsonst, so solle es der Ritter oder Knappe doch nur erhalten, wenn er ftlnf Sechstel bezahle: fünf Pfunde blieben immerhin noch

^ Man erinnere sich hiebe! des oben S. 594 bezüglich der Zulassung der Ritter und Knappen zu den Hoftaidingen Gesagten. Die hiesige Stelle dürfte überdies auch auf die Landtage zu beziehen sein, in welchen die Ritter Platz als Rechtsprecher über ihre Standesgenossen bereits ge- funden hatten und auch das Recht über die Landherren zu urtheilen anstrebten (vgl. Luschin a. a. 0., S. 60).

606 ScemAIIer.

geschenkt^ und dafür müsse er zu allem Dienst bereit sein. Kommt einmal ein Herr mit standesgemässem ritterlichem Ge- folge zu Hof (XYy 398 ff.), so nennen das die Anderen unnütze Verschwendung; der Eine erklärt:

waz 9uln riter väf dn der gerne swenden wil vische, wütpraety guoten win, der Andere sagt: ,Ich bin lieber bei Dir, o Herr (der Herzog ist gemeint), und lasse mich von Dir auflUttem, statt dass mein eigenes Haus voll von Rittern und Knappen sässe, die^auf meine Kosten ässen und tränken.' Daher weiss der Dichter wohl drei in seinem Lande, denen Bauern lieber sind als Kitter und Ritten Kinder (YHI, 911), und beklagt die Lage dieser Hintangesetzten^ da sie einerseits nicht bei Hofe sind, andererseits einen Herrn haben, der ohne Ross und Sporen einhergeht, dessen Küche gar wenig raucht (XV, 376 ff.).

Bei solcher Gesinnung verläugnen die Herren überhaupt durch krämerhaft bäurisches Gebahren ihren Adel. Im ältesten Gedicht ist darauf angespielt (XIV, 80 ff.). Viel schärfer in den folgenden: Adelige Herren halten Wein feil (HI, 131); bei Hofe unterhalten sie sich damit, wie eine Kuh besonders milchreich werden könne, dass sie reiche Kornernte gehalten haben, den eingekauften Wein nicht selber trinken, sondern mit Gewinn verkaufen wollen (XV, 87 ff.). Darum steht im Dienste ge- waltiger Herren der ELnecht Dienstumbsust (H, 87 ff.) sie lohnen nicht, ausser mit dem Gute derer, die sie geschädigt haben; sie unterdrücken die Armen durch ungerechtes Gericht (II, 134 ff.); ja sie verüben höchst grausame Räubereien und Erpressungen (I, 586 ff.); in letzterer Beziehung wird aber die imgemein kräftige Schilderung des Dichters, dem ganzen Zu- sammenhange nach (vgl. I, 564 f.), nur von Kriegszeiten gelten.

Das meiste Wohlwollen bringt der Dichter natürlich dem Ritterstande entgegen. Wir sahen, dass er entschieden, ja heftig Partei nahm, wenn er von Versuchen zur Unterdrückung oder Beschränkung der Rechte seiner Standesgenossen sprach. An zwei Stellen betont er die Nothwendigkeit des Standes (JV, 100 ff.; XV, 214 ff.): ohne Ritter können weder Fürsten, noch Herren Krieg führen, got selbe den riter geret hat. Er schildert J5[V, 47 ff. das echte volle ritterliche Wesen; aber es ißt ftlr

Studien znm kleinen Lucidarius (.Seifried Helbling')* 607

ihn nur mehr ein Gegenstand der Sehnsucht, die Ritter seiner Tage beiHedigen ihn nicht: ihre äussere Erscheinung, ihre Kleidung ist abenteuerlich und unedel (1, 199 fF.) :

ein rUer nimt gar vür guot

zem winder einen vehen huot

und ein kürsen schaefm:

daz sint diu kleider sin;

zem sumer einen zenddl^

under einem huote hin zetal

ein roc an euckente (XV, 65 ff.).

Ausführlichere Schilderungen solcher Kleidung enthält besonders das erste Gedicht (223 ff.; 245 ff.; 269 ff.), doch ist nicht mit voller Sicherheit zu sagen, ob sie geradezu auf Ritter und Knappen gehen; immerhin ist dies wahrscheinlich. Besonders widerwärtig sind ihm die überlangen Aermel (I, 170 ff. u. ö.): bestimmt auf AdeUge muss bezogen werden, wenn er VIII, 4Ö0 warnt, bei Hofe sich ins Gedränge zu begeben, da die Liebhaber ,kuttenweiter' Aermel darunter harte Armleder zu tragen pflegen. Andere wieder gehen fortwährend in Eisen gerüstet einher, tragen Kettenwämmser, Eisenhandschuhe, Eisen- hauben — sie gleichen der Haubenhenne: sieht diese den Schatten ihres Schopfes, so sträubt und schüttelt sie zornig ihr Gefieder (II, 1220 ff.). Ein solcher Knappe zeichnet sich im Saufen und Renommiren aus, wirft mit groben gemeinen Worten um sich, ist gänzlich unkundig jeglichen ritterlichen Benehmens (I, 309 440). Daher kümmern sie sich um Käse, Eier, Span- ferkel u. dgl. (I, 399 ff.), um den Preis des Weizens das ist ihr Feldgeschrei (HI, 124 ff.); auf Feldbau, Wirthschaft, mannig- faltigen Erwerb und Gewinn, darauf richtet sich ihre ritterliche Gesinnung (VII, 1209). Im ersten Gedicht auf der Suche nach dem rechten Oesterreicher findet er im Heere Leute, die den Herzog um Urlaub bitten, weil sie den Acker bestellen wollen (I, 820 ff.), andere, die sich grösster Kühnheit vermessen, im Kampfe aber abseits stehen (I, 838 ff.); auch unter diesen sind Ritter wenigstens mit inbegriffen.

Dem gegenüber schildert er das wahre adelige Auftreten und Benehmen, an dem er den ^rehten osterman^ erkennen wolle (I, 479 ff. und ergänzend I, 880 ff.). Ausdrücklich von den Xugendeft des Ritters spricht er aber VII, 1181, Ueberhaupt

608 SeemAller.

läuft das ganze siebente Gedicht auf eine Unterweisung zu ritter- licher Erziehung hinaus ; ein junger Ritter muss neun Tugenden haben : Gottesliebe , Liebe zu reinen Frauen , kriegerische Tüchtigkeit, hohen Sinn (manUch hochgemuot), Streben nach Ehre, Treue, Wahrhaftigkeit, Freigebigkeit, Milde (a. a. O.).

Geiatliohe.

Den Geistlichen gegenüber verhält sich der Dichter in zweifacher Weise. Wir kennen seine religiöse Gesinnung (vgl oben S. 576, 584); zahlreiche Stellen seiner Gedichte zeiig:en von ihr, der Lucidarius selbst nimmt schliesslich eine individuell religiöse Wendung. Die Geistlichkeit ist ihm daher von diesem Standpunkte die Vermittlerin der ewigen Seligkeit, indem sie das lebendige Fleisch und wahre Blut im Sacramente spendet:

Idz wir der pfaffheit ir gewalt äit sie ze den eren eint gezaU (ü, 841 857), wer ihr folgt, hat Verstand (11, 810), wer ihrer Lehre gehorcht, bewlihrt sich vor Irrthum (II, 812). In dieser einen Beziehung bleibt sie unangetastet.

Aber die Geistlichen treiben Simonie (11, 775 ff.), wer

ihnen schenkt

waer der aUe eine zit

geweeen ein geeuiochaer

ei eagent in nicht got unmaer (11, 797),

sie kaufen sich die Pfarren von dem Dienstmanne (VIII, 45), verleiten ihn durch Geld Versprechungen (VIII, 61 ff.), dass er sich seinerseits der Simonie schuldig macht und ihnen, im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes dazu, die Pfarre verleiht (VIII, 77 ff.). Im siebenten Gedichte (62 ff.) erzählt die Wahrheit von einem Prediger, der die Gemeinde zu reichlichen Spenden auffordert, auf Paulus, Bernhard, Augu- stin dabei sich beruft; Beichte, das heilige Gel, die Taufe sollen bezahlt werden:

so ich die toärheit sagen sol,

wir phaffen hohen veHe

iu allen ze einem heile

den waren gotes lichamen. Die Habsucht wird (VII, 787) in einen Geistlichen gebannt: er hat grossen Gewinn und doch nimmer genug; die Hoffart, dai^

Stndien zum kleinen Lncidarius (,Seifried Helbling'). 609

Hauptlaster^ in einen römischen Cardinal,^ denn der lebt hofFärtig in grossen Ehren, achtet die Pfennige gering, hat aber um Silber viel Ablass feil (VH, 1016 fr.). Während des Kampfes der Tugenden mit den Lastern hört man die klagende Stimme eines Abtes, der die Heuchelei anklagt, dass er um ihretwillen in der Hölle brenne (VII, 709 ff.). Bemerkenswerth ist das Ur- theil des Verfassers über den Cölibat (H, 935 ff.); zwar er- kennet er ihn an: St. Bernhard gab uns das ,graue Leben^, wer den Orden, den er gestiftet, bricht, verfilllt allgemeiner Verurtheilung. Er nannte sich aber Gottes Knecht. Gott aber gab uns die Ehe. Immer geht doch sonst der Herr vor dem Knecht, sein Gebot vor des Knechtes Gebot: dem aber, der die Ehe bricht, dem lassen wir noch immer den Namen eines Guten, wie sehr er sich auch gegen Gott vergangen hat.

Besondere Bedeutung hat das Verhältniss der Geistlich- keit zum Reiche und zum Landesflirsten. Wie innig er Papst- thum und Kiiiserthum verbunden denkt, sahen wir schon (vgl. S.600f.); er verwünscht daher U, 830 die Cardinäle ohne Papst:

die krütenheU ir roubet.

an Jcristenltchez hovhet

aeh wir der phaffen potich gen,

ir dinc m'öht niht wirs gesten. Mit vorwiegender Rücksicht auf diese Verhältnisse weder Dechant, noch Bischof, noch Domprobst wehrt den Geistlichen ihr ungeistliches Leben (II, 828) verlangt er, dass sie der richterlichen Gewalt des Herzogs unterstehen: sie haben sich davon frei gemacht, in Allem, was sie thun, dem Landesrecht unterworfen zu sein (H, 777); der Herzog soll sie richten, der Papst ist zu ferne (H, 819 ff.; 836):

ob ein phaffe unpheffltch vert,

hilMch daz der fürste wert

und ander rehte leien.

Zwischen solchen Aeusserungen imd jenen deutlichen Spuren eines individuellen religiösen Bedürfnisses besteht kein Widerspruch. Dieses findet vollständige Beruhigung in den all- gemeinen religiösen Anschauungen seiner Zeit und seines Standes, jene charakterisiren des Dichters äussere Stellung im Kampfe

1 Vgl. Buch der Rügen, Z. 289 ff.

610 j^eemüllor.

der weltlichen Interessen des Clerus und der Laien. Dieselbe ist zum geringeren Theile individuell: hauptsächlich beruht sie in den Traditionen seines Standes. Das ist aber hervorzuheben, dass der Dichter diese Traditionen für seine Person lebhaft aufrecht erhält. Sie stehen bei ihm in Zusammenhang mit seinen Anschauimgen vom römischen König, vom Reiche, in denen das Fortleben alter staufiacher Ueberlieferungen unverkennbar ist.

Spielleute.

Der österreichische Ritter ist aber auch Dichter. Als solcher urtheilt er öfter über die Classe der Spielleute. Die hiehergehörigen Stellen ergänzen das Bild, das wir bisher von ihm gewonnen haben.

Im dreizehnten Gedichte fingirt er einen Brief des alten Spiclmanns Seifried Helbling an seinen Freund und Grenossen Julian. Seifiied hat die Besten überlebt, die noch wahrhaft ritterUche Sitte übten. Jetzt muss er in Märkten und Städten sich umhertreiben, vor Raubrittern singen und ihnen die Züge der Kaufleute verrathen, um seinen Erwerb zu finden. Zwei- faches ist hier ausgesprochen: die jetzigen Spielleute sind ge- meiner niedriger Art, aber auch adelige Herren, die den edleren höfischen Gesang unterstützten und förderten, gibt es nicht mehr. Das Hauptgewicht liegt sogar auf letzterem; mit dem alten hovegumpelman, dem vor Alter ,die Glieder sich lösen*, der früher unter edleren Herren edlerem Gewerbe oblag, hegen wir fast Mitleid; der Schilderung der verstorbenen Helden ist ebenso viel Raum gegönnt, wie dem Bilde der verkommenen räuberischen Gesellschaft; die Person Seifrieds tritt dabei zurück. Im zweiten Gedicht findet das Treiben der Spielleute aus- drückhche und unumschränkte Verurtheilung (H, 1291 ff.). Sie heissen die Lottersinger, einzelne werden mit charakteristischen Appellativen bezeichnet Rübendunst, Mildengruss, Milden- freund, Ehrenknolle u. s. w. sie betteln auf das Unver- schämteste, drängen sich mit ihrem rohen Singen auf:

ze Wienne, so Tnan ezzen wüj sie strichent umhe nach der pfrüent, V07' der herren tisch sie lüent sam die kelber nach den kilen (H, 1392),

Studien znin kleinen tacidarius (,Seifried Helbling'). 611

ihr Singen heisst hier wie 1363 ein Brüllen, sie schreien wie Rasende (1301), sie unterbrechen die gesellige Rede, die der Herr bei Tafel mit seinen Rittern und Knappen haben will, und ist Einer fertig, so ist alsbald ein Anderer da (1397 ff.). Er verwünscht sie in einen Wassergraben (1360); vier im ganzen Lande wäre genug: zu Hof zwei, zwei im übrigen Lande (1426 ff.). »

Im siebenten Gedichte erklärte er es als eine Freigebigkeit, die dem Teufel wohl gefiele, Bänkelsängern und falschen Lob- singem Lohn zu geben (803), und die Frechheit wird in einen alten Spielmann verwiesen: der kennt weder Scham noch Zucht, er weiss nur frech zu fordern, Gott und der Welt ist er zuwider (850 ff.).

Diese Gereiztheit ist sicher auch in dem standesmässigen Gregensatz zwischen dem ritterlichen Dichter und den Spiel- leuten mitbegründet. Doch beruht sie ebenso sehr auf dem Bewusstsein des Verfalles der Poesie zu seiner Zeit im Ver- gleiche zur früheren:

der niwen ainger ist ze vü.

van der tvärheä ich daz sprechen wü.

ir wart, ir doen sint ze kranc

wider der alten meister sanc,

daz man da bt vergizzet (U, 1327 ff.). Der Ausdruck niwe singer allein würde den Standpunkt des Verfassers genügend beleuchten. Bei den ,alten Meistern^ scheint er nicht ausschliessUch bürgerliche Dichter im Auge zu haben (wenn man seine sonstige Art, ältere Dichter zu nennen, ver-

1 Ist die Zahl vier hier zufSCllig, oder hat man an eine satyrische Anspielung zu denken? Steckt in der Stelle etwa eine scherzhafte Beziehung^ anf die vier Landrichter der ersten Zeit Ottokars? Oben (S. 594 ff.) war von der Parteinahme des Verfassers für die Landtaidinge die Rede. Zur Zeit Albrechts gab es zwei obere Landrichter im Lande unter der Enns, das babenbergische Amt des obersten Landrichters existirte nicht mehr; der Adel wünscht es herzustellen, dringt aber nicht durch (vgl. dazu Luschin a. a. O., S. 54 ff.). II, 758 wünscht der Dichter, dass man die Hoftaidinge auflasse und Landrichter einsetze. Besteht ein Zusammen- hang zwischen jener Stelle und der unserigen, die dann noth wendig ironischen Sinn hätte? nicht blos in der Vierzahl der Spielleute, son- dern auch darin, dass ihrer zwei analog den zwei habsburgischen Landrichtern für das ,Land* bestimmt werden?

612 Seemüller.

gleicht, z. B. von Haslou meist&r Kuonrdt 11, 443 [vgl. iinten Cap. VII]; her Wolfram von Eschenbach XIII, 22, 83; Im BemhaH VrUanc H, 147; VI, 186; VHI, 488). Der Zu- stand der zeitgenössischen Spielleute ist ihm endlich drittens nur eine der Erscheinungen, in denen sich der allgemeine Ver- fall ritterlichen Wesens kundgibt. Das geht deutlich genug

aus dem dreizehnten Gedicht hervor.

Beste hoflsoher Gtosinniing.

Wir hatten bisher oft Gelegenheit, das Bewusstsein seines ritterlichen Standes in Rücksicht auf die sociale Stellung des damaligen Ritterthums hervortreten zu sehen. In jenem Ur- theil über die Spielleute äussert sich aber noch eine Kach- wirkung der eigentlich höfischen Tradition des Standes. Sie lässt sich auch sonst noch verfolgen, freilich verwischt und weit weniger bedeutsam als jene actuellen, in den öffenthchen Zuständen begründeten Tendenzen.

Ich lege nicht so sehr Werth darauf, dass er als Ideale der Ritterlichkeit Figuren des höfischen Epos wie Gamuret, Parzival, Artus u. A. anfuhrt; ' denn diese Reminiscenzen allein würden noch kein näheres Verhältniss zur höfischen Zeit in sich schliessen. Wolfram war bereits volksthümlich geworden, was am besten daraus hervorgeht, dass jene Lottersinger selbst ihre jeweiligen Gönner mit diesen typischen Helden vergleichen; so singt meister Rüeb&iitunst (II, 1302 ff.):

herre ich sing tu ze lobe

under keime under schilt

beget ir Odmuretes werc. Aber die Schilderung der vröude XV, 47flF., von der er die Alten sagen hört, ist durchaus von der höfischen Art; aus ihr geht auch die Heftigkeit hervor, mit der die Verläumdung der Frauen gescholten wird (II, 3G3fF.):

der ieibe nie wirs wart gedäht. Ebenso sind in den beiden Schilderungen des wahren Oester-

t Artufl XV, 163; Parzival IH, 158; XIH, 80; XV, 119; Feirefiz HI, 150; Xin, 20; Secundille IH, 155; Orilus HI, 158; XV, 122; Anfortaa ID, 159; Gamuret II, 1307; XIII, 80; XV, 107; Oawan XV, 135; Gramoflaius XV. 133; Herzeloid XV, 111; Orgelus XV, 137.

Studien snra kleinen Lncidarins («Seifried Helbling*). 613

reichers und rechten Heergesellen einige Züge^ welche auf die alte feine Sitte hinweisen: die Kleidung ist edel, nicht auf- fallend (I, 481 ff.), in seinem Benehmen (510 ff.) herrscht die Mdze, er versteht es, bescheiden über seine eigenen glücklichen Verhältnisse zu schweigen und lässt Andere davon berichten (I, 921); Zuht Mdze Ere sind unter den Kronräthen, die der Dichter im zweiten Gedichte sich zugesellt, und Liebe zu schönen Frauen die zweite Tugend, die ein junger Ritter haben müsse (Vn, 1185). Auf das alte speciell höfische Liebesver- hältniss spielt er einmal an (I, 759 ff.): der gebrandschatzte Bauer trauert nicht, dass die Nacht vergeht und der Morgen

Trennung bringt:

als dicke tet mit sorgen

der Mörungaer van liebe

und ander minne diebe,

die der minne pfldgen,

sd sie bi liebe lägen,

in was kurz diu vMe.

Aber wie schwach sind alle diese Spuren eigentlich höfi- scher Gesinnung im Vergleich zu dem nur wenige Decennien jüngeren Frauenbuch Ulrichs von Liechtenstein. Nirgends eine EUage, dass das höfische Singen, die Lyrik, im Munde von Rittern ausstirbt; wenn die Verläumdungssucht getadelt wird, so ist allein ein moralisches Motiv, das davon abhalten sollte, genannt: wir sind Alle vom Weibe gekommen, dass daher auch nur eine beschimpft wird, sollte uns allen leid thun (H, 379) der höfische Preis des Weibes fehlt durchaus; die Schilderung des rechten Weibes (I, 1342 ff.) ist gleichbedeutend mit dem Lobe einer sittlich untadeligen Ehefrau. So ist auch die Anwen- dung seines ,Traumes' (VTI) auf die ritterliche Jugenderziehung ganz und gar von moralischen Gesichtspunkten beherrscht.

Das speciell höfische Element ist für den Verfasser in der That nur mehr eine Tradition; er wünscht sie aufrecht erhalten in Dingen, die der äusseren Erscheinung angehören oder die gute Sitte bedingen und ebenso wohl rein moralischer Natur genannt werden können. Als Ritter in den Verhältnissen seiner Zeit fühlte er sich vor allem Anderen in socialer Hinsicht: er kämpft gegen die Uebergriffe des höheren Adels wie gegen das Eindringen bäurischer Elemente in seinen Stand.

Sitznngtber. d. phil.-hUt. Ol. CIL Bd. II. Hfk. 40

ßl4 ^«omfilUr.

IT. Das Historische im fDnrzehnten and Tierten Gedieht.

Ottokar erzählt die Friedensverhandhingen, welche den Ungarnkrieg 1291 beschliessen, 377 a ff. folgendermassen: Die Bischöfe von Gran und Kalocsa reiten vor Wien und lassen die Bischöfe von Passau und Seckau bitten, unter sicherem Ge- leite zu einer Unterhandlung sich einzufinden. Diese erscheinen mit Zustimmung des Herzogs; nach anfänglich gereizten Wechsel- reden kommen sie tiberein, dass sie zur Förderung der Friedens- unterhandlungen beiderseits zu ihren Herren zurückkehren und anderen Tages am gleichen Orte sich treffen wollen. So geschieht es. Sie schliessen achttägigen Waffenstillstand. Hierauf erscheint eine ungarische Gesandtschaft, bestehend aus den Bischöfen und vier Grafen, in Wien, mit voller Actionsfreiheit. Das Resultat ist: der Ungar will inzwischen das Land i*äumen, und von beiden Seiten soll der Rath der Fürsten zur Fortsetzung der Unterhandlungen bei Hainburg zusammentreffen. Eine österreichische Gesandtschaft begibt sich hierauf zu Andreas, dieser ratificirt jenes Resultat und räumt Oesterreich. Am be- stimmten Tage erscheinen zu Hainburg die Unterhändler; sie beschliessen, dass je vier von beiden Seiten erwählt werden sollen; was diese untereinander ausmachen,' das soll von beiden Fürsten anerkannt werden, Andreas und Albrecht binden sich in diesem Sinne. Das Schiedsgericht löst seine Aufgabe und lädt die Fürsten ein, zu Pressburg zusammen- zukommen, um seinen Ausspruch zu vernehmen. Das geschieht, der Friede ist damit definitiv geschlossen.

Dem gegenüber die Darstellung des Lucidarius XV, 559 ff.: Er weiss davon, dass das erste Zusammentreffen der Unter- händler vor Wien geschah (615 f.), doch nennt er vier von Seiten des Herzogs. Wie es dabei zuging, ist zweimal erzählt: das erste Mal vom Dichter selbst 569 690; dabei ist blos ein allgemeiner Friedenswunsch dem Bischof von Kalocsa in den Mund gelegt^ ohne irgend ein Resultat anzudeuten; das zweite Mal lässt der Verfasser die Vorgänge durch den Ealocsaer dem König Andreas vortragen die Grafen Yban und Myzze sind ihrer Unversöhnlichkeit wegen absichtlich vom Rathe fern- gehalten — : ,Ich traf vier Räthe des Herzogs vor Wien, sprach Euer Anerbieten aus, dass der Herzog Euch Euer Land zurück-

Stadien zum kleinen Lacidariut (,Seifried Helbling*). 615

t

erstatte, wenn er Euren Zorn abwenden wolle. Jene stimmten zu, wenn Ihr dem Herzoge die Kosten der Expeditionen, die ihm jene früheren Züge verursacht haben, ersetztet. Ich lehnte dies ab, verlangte Hainburg, Brück, Himberg und die Neu- stadt, auch Starkenberg dazu, und drohte mit ihrem Schaden, wenn sie darauf nicht eingingen. So trennten wir uns.* Der König lobt höchlich diesen Bericht; da aber seine Räthe ohne Resultat zurückkehrten, ist er über Albrecht erzürnt: er will keine zweite Botschaft mehr absenden; jene erste war ein Aus- fluss seines christlichen Sinnes, weil er die Verwüstung des Landes nicht dauern lassen wollte. Er verlangt Rath. Der Bischof von Gran meint, dass Graf Yban so menschenfreund- lichen Gründen kaum zugänglich wäre; die von Veszprim und Raab rathen, Laien zur Verhandlung beizuziehen; der von Fünfkirchen will selbst in den Krieg, will Weiber und Kinder mit eigener Hand erschlagen, wenn der König sein eigenes Gebiet dem Gegner überlasse. Da tritt Graf Yban hinzu: /Ich wm'de in Eure Absicht nicht eingeweiht, weü mir der Herzog feind ist. Ich habe mich mit Eurer Hilfe an ihm ge- rächt: denn Ihr seid rechtmässiger König geworden. Aber auch früher, als Ungarn ohne Herrn war, habe ich mich be- hauptet.* Der König: ,Ich halte gerne Frieden soweit es mit meiner Ehre sich verträgt. Da dies nun nicht sein kann, so rathet mir, werthe Helden, wohin ich mein Heer führen soll denn dies Land ist zum Erbarmen verarmt.^ Yban: ,Ich weiss nichts Besseres, als dass ihr einen Heerestheil morgen vor Wien werfet und brennen lasst, dass die in der Stadt den Rauch spülten. Wollen sie nun in offenem Felde uns ent- gegentreten, so zieht die sengenden Truppen zurück, damit wir jene dann umzingeln. Ihr inzwischen lagert Euch an der Fischa, dass jener Kriegshaufe wisse, wo er mit Euch sich wieder vereinigen solle.' Dieser Rath wurde angenommen. Am andern Morgen begann das Heer aufzubrechen: alles Vieh ging vor ihm zu Grunde, den Vogel in der Luft betäubte das Getöse, dass er mit den Händen gefangen werden konnte. So räumten sie hier, nachdem sie uns den Schaden gethan (iidch UJiserm schaden), dies Land. Der Haufe, der vor Wien brannte, zog sich ohne angegriffen worden zu sein zurück; das Heer lagerte »ich an der Fischa. Da sprach Graf Myzze: ,Herr

40»

616 SeemaiUr.

König, lasst die Schiffe von Komom und Raab heraufschaffen: wir wollen einen Raubzug von der March an den Kamp ver- anstalten und nichts schonen. Zehntausend Mann genügen. Ihr selbst liegt mit dem Heer stille/ Der Herzog fuhr mit seinem Rath nach Hainburg. Der König und der Herzog gelobten^ das anzuerkennen, was je sechs von Beiden Erwählte beBchlössen. So kam der Friede zu Stande. Als Graf Yban die Bedin- gungen vernahm, gerieth er in grösste Wuth und fuhr sogleich zornig weg.

In dieser ganzen Erzählung stimmt im Allgemeinen die Darstellung des Beginnes und Schlusses der Unterhandlungen mit der Ottokars. Einige kleine Differenzen in Zahlangaben (vier Herren treffen vor den Mauern Wiens mit dem Bischof zu- sammen, das Schiedsgericht besteht aus zwölfen) kommen nicht in Betracht. Alles Uebrige ist von Ottokars Bericht völlig verschieden; aber wenig glaubwürdig.

Zunächst fUUt das Abgerissene der Erzählung auf. Dem Grafen Yban ist der Zutritt zu den Verhandlungen verwehrt (XV, 599), plötzlich erscheint er in denselben: gräf Yban hin näher trat (711). Der Plan, die Truppen des Herzogs zu um- zingeln, wird gefasst, die nothwendigen Bewegungen werden ausgeführt; darauf, dass der Zweck des Manövers gar nicht erreicht wird, ist kaum vorübergehend (775) Bezug genommen. Graf Myzze räth zu einem Raubzug: kein Wort, wie sich der König zu diesem Vorschlag verhalten. Unmittelbar an den Schluss der Rede des Grafen schliesst sich ohne jeden styli- stischen Uebergang (797):

der herzöge mit mnem rat vuor ze Heinbv/rc in die etat.

Selbst in der durch die Uebereinstimmung mit Ottokar besser bewährten Partie sind auffallende Unebenheiten: Was soll der erste Bericht von der ersten Unterhandlung, wenn kein Resultat angedeutet ist, ja nicht einmal von dem unga- rischen Gesandten Vorschläge gemacht werden? Femer: der zweite Bericht über dieselbe Sache könnte aus dem ersten nimmer errathen werden.

So treten zu den äusseren Differenzen zwischen dem Luci- darius und Ottokar innere Gründe, welche den Bericht des Ersteren unglaubwürdig machen.

Studien zum kleinen Laciduini (,8eifried Helbling'). 617

Er scheint aus zwei verschiedenen Elementen zusammen- geschmolzen. Der Abschnitt 632 796 könnte nämlich halb- wegs in eine Erzählung vom Ausbruche des Krieges passen. Der historischen Wahrheit entspräche dann wenigstens der Zug vor Wien; die zweimalige Versicherung des Königs, dass er von Mitleid mit den durch das Kriegsunglück Betroffenen be- wegt werde, hätte guten Sinn; das Auftreten Ybans, provo- cirend und den Kriegszug eigentlich organisirend, würde ver- ständlich. Denn die Gesandtschaft, welche Andreas vor Beginn des Krieges nach Wien schickt, verlangt ausdrücklich^ dass Albrecht dem Grafen wiedergebe^ was er von seinen Gütern inne habe (Ottokar 365^), der Feldzug erscheint also mit in seinem Interesse unternommen. Alle Reden des Königs in diesem Abschnitte, in denen er sich auf eine zu Albrecht bereits ver- geblich gesandte Botschaft beruft (674, 729), können ohne- weiters auf das Kriegsultimatum bezogen werden. Scheinbar beziehen sie sich auf die Friedensunterhandlungen des Kalo- csaers, scheinbar geht dessen Bericht (632 ff.) auf den Verlauf derselben. Er könnte aber ebenso gut von jenem gelten; ein Moment bekräftigt dies geradezu: der Kalocsaer erzählt^ dass der Gegner auf die Forderung, das ehemals ungarische Land zu erstatten, eingehen wollte, wenn eine Geldentschädigung dafür einträte (649). Eben dasselbe erzählt Ottokar (365*):

Ze welcher Zeit und Frist Mir der Kunig gelten lat Nach gemeiner Lewt Rat, Waz mit Rawb und mit Prant Graf Yban meinem Lannd Und meiner Marich habt getan. So wil ich gern lau Die Veste au^ meiner Gewer, Femer: Nur wenn der ganze Passus im angegebenen Sinne aufgefiwst wird, ist verständlich, wie der König es verschwören kann, noch eine zweite Gesandtschaft zu senden (676 f.); denn jene erste stellte dem Herzog (Ottokar 365^) in der That nur das Dilemma, entweder die Forderungen des Königs zu erftülen oder Krieges sich zu versehen, und scheidet von ilim mit offener Kriegserklärung. In der Art, wie die Sache im Lucidarius erzählt ist als Friedensverhandlung sind die Zeilen 676 f.

618 SeemftUer.

sinnlos, da auf die Anträge des Kalocsaers von dem Gregner erst Antwort erwartet werden musste (660 ff.). Brachte die Ge- sandtschaft aber die Kriegserklärung, so entspricht femer die ganze Stelle völlig dem Charakter eines Kriegsraths: die For- derung der Bischöfe, dass Laien herbeigezogen werden müssen, wird begreiflich, die Worte des Ftinfkirchners (706 ff.):

min phafheü waer mir ungemach ;

fi min herre Iteze sin laut,

ich slüe^e mit miner hant

hediu tcip unde leint:

dn mich doch vil phaffan sint erhalten guten Sinn.

Doch beziehen sich aber andere Stellen der Erzählun;; im Lucidarius sicher auf die Friedensverhandlungen: dass der Bischof von Kalocsa als Unterhändler erscheint (vgl. Ottokar 377 ^ Anhang zu Lichnowsky 2, OCLXXVII), Z. 570; das^ die erste Zusammenkunft vor den Thoren Wiens geschah (616, Ottokar 377**); ja es stimmen Details aus dem ersten Bericht über dieselbe zur Darstellung Ottokars:

Lucidarius 582 Üttokar 378»

der die not zertrüege, Dicz Lannds Gut

die wir in dem lande hegen, Ist dhain Lannd geleich

got möhte lieber niht gesten Und haist dauon Oesterreich. vf der erde an dekeiner stat

Zur politischen Situation A^or dem Friede nsschluss istimmt auch, dass Yban von den betreffenden Verhandlungen ausgc.^cldos.sen ist (599). Endlich erzählt der Abschnitt 797 ff. in allgemeiner (Kongruenz mit Ottokar in der That den eigentlichen Friedens Hchluss.

Wenn wir demnach den ganzen Bericht des* Lucidarius nach den beobachteten inhaltlich verschiedenen Elementen son dem, so sind von der Kriegsbotschaft zu verstehen die Stellen ()32— 796, von den Friedensverhandlungen 559-631, 797—854.

Der Verfasser des Lucidarius hat demnach Berichte einer- seits von dem Frieden, andererseits von der Kriegserklärung, letztere falsch auf die Friedensunterhandlungen beziehend, in einander gearbeitet. Er konnte die missverstandenen ziemlich unverändert aufnehmen: in der That ist in 632—796 das Meiste,

Btndien zum kleinen Lncidariae (.Seifried Helbling'). 619

was auf eine Gesandtschaft, was auf den Zustand des Landes, auf die Absichten des Königs sich bezieht, so zweideutig aus- gedruckt, dass es einzeln genommen auch in Rücksicht auf die im Vorhergehenden (559 631) erzählten factischen Friedensverhandlungen einigen Sinn gab, wenn auch der rechte Zusammenhang in dem Abschnitte erst durch die Beziehung auf die Kriegserklärung hergestellt wird. Eine Aenderung seines (wahrscheinlich mündlichen) Quellenberichts dürfte er sich in der Rede Ybans 712 724 erlaubt haben, denn diese gehtauf die Zustände unmittelbar vor dem Frieden: Yban erklärt sich vom Friedensrathe ausgeschlossen, weil ihm der Herzog mit dem doch Friede geschlossen werden soll feind ist; er lässt seine Erbitterung über diese Ausschliessung in den folgenden selbstbewussten Worten merken.

Der Uebergang des einen Berichtes in den andern ist Z. 632 unmerklich vollzogen: die Erzählung des Kalocsaers ist zuerst nach dem Berichte vom Frieden dargestellt; bald aber wird dieser verlassen und der zweite untergeschoben, an dem Punkte wo der Bischof den Wortlaut der Verhandlungen refe- riren will (632); er sagt von hier ab Dinge, die nur der Ueberbringer der Kriegserklärung (vgl. Ottokar 364 *) sagen durfte. Dort, wo der Verfasser wieder zum Hauptberichte zu- rückkehrt (796), ist der Uebergang leicht merkbar, ja gewaltsam : eine gute Erzählungskunst, auch diejenige, die wir im Luci- darius sonst beobachten, konnte hier unmöglich eine solche Lücke lassen.

Dies führt zu einer Vermuthung über die Genesis der ganzen Stelle. Bereits der Eingang zu derselben ist sehr auf- fällig. Vorher geht der Nachruf nach König Rudolf, ihm folgt (559) :

icart ein vride gewarben

der was tcnvei^dorben

des küneges halp, des herzogen.

die sazten sich an undervrägen

bedenthalp an ir rät,

daz ob got teil wol ergät 564.

Damit nimmt der Dichter sein Thema wieder auf; dient als überleitende Partikel. Unmittelbar darauf folgt (565 ff.);

620 Seemftller.

nu Idze mr die rede stdn und hebe wir aber an unser altez maere. wer bi der epräche waere des küneges halp von Ungern däf der biecholf von Goletechd u. 8. w. Eine solche scharfe Markirang eines neuen Abschnittes^ wie Z.ö6ö bis 567 enthalten, hätte Sinn unmittelbar nach 558, nicht aber nachdem der Schriftsteller in 559 ^564 ohnehin bereits zum alten magere zurückgekehrt war. 559 564 ganz zu streichen geht nicht an, da man sonst nicht wüsste, was mit der spräche 569 gemeint sei. Auch mehr oder minder gewaltsame Aende- rungen in 565 ff. helfen nicht. Wollte man die störenden Verse 565 568 eliminiren, so müsste man lesen:

des küneges halp von Ungern dd der bischoJf was von Goletschd, dann verlöre man das nothwendige Wort spräche; denn unmittel- bare Beziehung des da auf rät 563 ist nicht möglich, weil Z. 564 das Vorhergehende vom Folgenden abtrennt.

Ich vermuthe demnach, dass auf 564 ursprünglich so- gleich 797 flF. folgte. Der Friedensschluss war dann, zwar nicht vollständig, aber doch im Allgemeinen wenigstens getreu erzählt. Später erschien es dem Dichter nothwendig, die Er- zählung zu detailliren, und er schob den Abschnitt 565 796 ein, in welchem er verschiedene Berichte contaminirte. Dazu verfertigte er eine neue Einleitung 565 568, welche wahr- scheinlich die Zeilen 559 564 ersetzen sollten, vergass aber indem ihm die allgemeine Erwähnung, dass nun Friede sein sollte, als bereits geschehen vorschwebte dieselbe in die neue Einleitung aufzunehmen. Durch einen Irrthum des Ab- schreibers blieb 559—564 im Texte erhalten, und wir erhielten so zweierlei Einleitungen zur Erzählung vom Frieden, die sich gegenseitig ausschliessen, von denen aber doch keine für sich allein genügt.

Dieser Sachverhalt hinsichtlich des Textes wirft zugleich auch ein Licht auf den Charakter der historischen Schrift- stellerei unseres Verfassers. Er kann bei dieser Erzählung des Friedensschlusses kaum schriftliche Quellen zu Gebote gehabt haben. Die Vermischung der Vorgänge zu Anfang und Ende

Stadien znm kleinen Lncidsrinä (, Seifried Helbling*). 621

des Ejrieges zwischen denen allerdings eine gewisse Analogie besteht erklärt sich am besten, wenn die Darstellung auf mündlichen Ueberlieferungen und daher schhessUch auf dem Gedächtniss des Erzählers basirt. Auch von dieser Seite be- stätigt sich nebenbei, dass die Aufzeichnung des fünfzehnten Gedichtes erst geraume Zeit nach den Ereignissen, die seinen Gegenstand bilden, geschehen ist. Hiebei ist keinerlei tenden- ziöse Verfklschung des historischen Bestandes von Seiten des Satirikers anzunehmen: der Tenor der Friedensverhandlungen an sich bot keinerlei Anhaltspunkt, um irgend eine der indivi- duellen Zu- oder Abneigungen des Autors besonders zur Gel- tung kommen zu lassen. Einzig vielleicht verräth die hervor- ragende Stellung, die dem Grafen Yban gegeben, und die feindliche Animosität, mit der sein Auftreten geschildert ist, eine besondere Absicht, jenen gefürchteten Feind möglichst verabscheuenswerth darzustellen. Als der Graf die speciell für ihn ungünstigen Bedingungen hörte (842 if.):

als ein eberswin er lam

und viior enivec ze stunt

sam ein tvinnunder hunt. In der That spielte der Graf auch historisch in dem Kriege eine bedeutende Bolle; seine alte Feindschaft gegen den Herzog hatte sich vielfach, besonders 1286 und 1289, bewährt, und so mag sich in der Darstellung des fünfzehnten Gedichtes die volksthümliche Anschauung von der Feindseligkeit und Macht des Grafen, wie die Schadenfreude über die ihm erwachsenden Nachtheile ausdrücken.

Will man die historische Glaubwürdigkeit des Verfassers bezüglich des im vierten Gedichte Erzählten prüfen, so ist ein principieller Unterschied in der Beurtheilung des vierten und fünfzehnten vor Allem festzustellen. Die zweite Hälfte des letzteren steUt sich im Grossen und Ganzen schlechtweg als ein historisches Gedicht dar: es fehlt der einheitliche sati- rische Gesichtspunkt, der z. B. das in der ersten Hälfte vom Ungamkriege Erzählte nur als Beispiel zum satirischen Thema erscheinen lässt. Einen solchen einheitlichen Gesichtspunkt satirischer Auffassung des Historischen lässt auch das vierte Gedicht erkennen: die Verschwörung der Landherren ist dem Autor hauptsächlich darum wichtig, weil sie ihm ein Symptom

622 Seemftller.

der zunehmenden Feindschaft zwischen Dienstmannen und Rittern ist^ weil sie durch einen Gewaltstreich die Stellung des Ritter Standes noch mehr einschränken wollte. Er stellt daher die Vorgftnge hauptsächlich vom Standpunkte des Ritters , der seinen Stand und dessen Rechte vertheidigt^ dar. Dasselbe Thema kehrt an anderen Orten , satirisch aufgefasst, wieder. Und auch hier liegt der Darstellung der historischen Facta satirische Auffassung zu Grunde. Sie sind vöUig tendenziös von jenem einen Standpunkte aus erzählt.

Das zeigt sich besonders in der ersten Hälfte des vierten Gedichtes; die Geschichte der , Verschwörung' ist in einen völlig erfttndenen Rahmen eingekleidet; der es dem Autor erlaubt, so zu erzählen, als' ob er den geheimsten Berathschlagungeii der Verschwörer beigewohnt hätte und ihre innersten Gedanken kenne. Dabei verwendet er rein historische Motive, wie den Hass gegen die herzoglichen Schwaben; vor Allem aber tritt hier bereits seine Haupttendenz hervor, die den Rittern feind- lichen Bestrebungen der Herren zu betonen. Auch dieses Motiv hat Anspruch auf historische Wahrheit. Weil nun aber gerade in Rücksicht auf dasselbe der Dichter selbst eifrig und leiden- schaftUch Partei ist und im eigenen Interesse entschiedenst gegen die Verschwörer Stellung nimmt, so hat er unter deren Motiven auch ein völlig erfundenes eingeführt, das er ganz in den Vordergrund rückt: den Plan der Rädelsftihrer, das Land in vier Markgrafschaften unter sich aufzutheilen. Der Ver- fasser hat darob schärfsten Tadel erfahren: Lorenz nennt diese Erzählung eine schamlose Lüge (Geschichtsquellen, S. 191); Andere suchten einen Ausweg: Krones (Handbuch H, 17) sieht darin ^verworrene Gerüchte*, Friess (Geschichte der Herren von Kuenring, S. 117) eine unter dem Volke und niederen Adel verbreitete Meinung. * Ich glaube, dass sie überhaupt nicht vom Standpunkte des Historikers zu beurtheilen ist.

Dass die Verschwörung auch eine politische Spitze hatte, geht aus den Verbindungen, die sie mit Wenzel von Böhmen und König Adolf anzuknüpfen suchte, hervor. Der Dichter war selbst dieser Meinung: er hebt die letzteren mehrmals her-

* Vgl. jetzt auch Friess ,Herzog Albrecht I. und die Dienstherren ron Oesterreich* in der Habsbarger Festschrift 1882.

Studien zum kleinen Lncidams (,Seifried HelbliagM. 633

vor. Wenn nun die Gesammtabsicht des vierten Oedichtes nicht eine historische^ sondern eine satirische ist, wenn er die Erzählung der Verschwörung in einen völlig erfundenen Rahmen einkleidet; der seinem satirischen Zwecke taugt, speciell die politische Tendenz derselben in einer Jagdallegorie (407 451) darstellt, so liegt die Vermuthung nahe, dass die Geschichte von den vier Markgrafschaften ebenfaUs nichts als eine sati- rische Erfindung ist, in der er im Keime vorhandene hoch- verrätherische Absichten der Verschwörung auf die Spitze treibt und seiner besonderen standesmässigen Erbitterung gegen die Dienstmannen scharfen Ausdruck verleiht. Wenn man^ histo- rischen Massstab an die Erzählung von den vier Markgraf- schaften legend, vermuthen kann, dass damals in der That solche Gerüchte im Schwange gewesen seien, so kann der, welcher jenes Motiv als rein stylistisches Darstellungsmittel der Satire auffasst, ebenso gut sagen: gerade dem damaligen Leser, der die Vorgänge der Adelsunruhen selbst erfahren und er- lebt hatte, mussten ,die vier Markgi^afschaften* alsbald in ihrer satirischen Bedeutung klar sein, so dass von einer bewussten Verfälschung des Thatbestandes oder auch nur von einem leicht- gläubigen Kachsprechen volksthümlicher Gerüchte in diesem einen Falle nicht wohl geredet werden kann, wohl aber von einer heftig tendenziösen Parteinahme.

Der Dichter weiss nichts von den Unterhandlungen der Verschwörer mit Wenzel von Böhmen, mit den Wienern und mit Yban von Güssing (vgl. Ottokar 578* flF.); namentlich letz- tere hätte er sich kaum entgehen lassen, wenn wir die Dar- stellung Ybans in XV in Betracht ziehen. Ueberhaupt scheint er bestimmte Detailnachrichten über die Vorstufen des Anschlags nicht gehabt zu haben: gerade in dieser Beziehung musste ihm die Erfindimg des ersten Theiles sehr dienlich sein. Auch den Stockerauer Tag erwähnt er nicht.

Besser ist er über den Gang der Verhandlungen mit dem Herzog unterrichtet. IV, 601 693 entsprechen Ottokar c. 622 und 623. Einige Differenzen sind vorhanden: bei Ottokar er- scheinen die vier Rädelsführer als Delegirte der Stockerauer Versammlung aus eigenem Antriebe beim Herzog; der Luci- darius lässt den Herzog Nachrichten erhalten, dass eine feind- liflie Bewegung gegen ihn im Zuge sei, und die Landherren

624 SeemAller.

ZU sich berufen. Daraus scheint hervorzugehen, dass er von den Stockerauer Beschlüssen in der That nichts wusste, also nicht etwa absichtlich im ersten Theile seiner Erzählung sie verschwieg. Nach seiner Darstellung muss man glauben, dass die vier Verschwörer, noch ehe sie den grösseren Kreis ihrer Standesgenossen in ihr Interesse gezogen haben, sich vor dem Herzoge stellen. Daher ist auch ihre Sprache vor ihm eine andere als bei Ottokar: hier wissen sie bereits ein bestimmtes, wenn auch allgemein gehaltenes Verlangen (das alte Recht und die alten Sitten zu bewahren) vorzubringen und drohen sogar im Falle, dass der Herzog sie abschlägig bescheiden sollte. Im Lucidarius nichts dergleichen. Aber das Resultat dieser Vorverhandlungen ist beiderseits dasselbe: die Land- herren nehmen Rücksprache mit ihren Standesgenossen auf dem Tage von Triebensee. Die Forderungen, die sie nun neuerdings als Bevollmächtigte dem Herzoge vortri^en, sind im Lucidarius viel ausfUhrUcher erzählt als bei Ottokar. Hier (c. 625, S. 576 ») verlangen sie 1. dass der Herzog kein fahrend Gut mehr ausser Landes, nach Schwaben oder sonst hin, ohne ihre Beistimmung sende, 2. dass er seine Schwaben insgesammt, auch die Verheirateten, entlasse. Sie hätten noch Anderes begehrt, fligt Ottokar hinzu, das des Aufschreibens nicht werth sei. Der Lucidarius enthält jene zwei Punkte und noch sechs andere dazu. Auch die Antwort, die Albrecht ertheilt, stimmt beider- seits: im Lucidarius geht er darauf ein, die Schwaben zu ent- lassen, doch will er die Verheirateten im Lande behalten. Indirect sagt Ottokar (c. 626, S. 576 **) dasselbe: er will hier nur den Landenberger und die drei Wallseer ausgenommen wissen:

Wajin er sew muleich chund

Also lasszen iconen

Denn hey jm chonen,

Wann von Waise die Muts frein

Heien Edler frawen drein

genomen hie ze Lannd. Der Lucidarius lässt den Herzog noch auf eine andere Forde- rung antworten. Hier bricht das Gedicht ab. Gewiss ist, dass wir wäre es vollständig erhalten den Bescheid, den Al- brecht auf die noch übrigen Klagepunkte gab, lesen würden. Ob es ausserdem eine über das Allgemeinste hinausgehende

Studien cum kleinen LncicUtriiie (,9eifried Helbling'). 625

Erzählung des Ausgangs der Verschwörung enthalten habe^ erseheint mir zweifelhaft, da der satirische Zweck des Ganzen (in Rücksicht auf die Stellung der Ritter und Dienstmannen) kaum mehr jene Schlussereignisse verlangt haben wird. Auch konnte König Wenzel ^ der hiebei wieder eine Rolle spielt, kaum neu eingeführt werden.

Der Kern des im vierten Gedichte enthaltenen historischen Stoffes sind demnach die aus der Triebenseer Versammlung hervorgegangenen Verhandlungen mit dem Herzog. Von diesen hat der Verfasser genauere Kenntniss. Alles Uebrige ist ent- weder als Voraussetzung aus diesem Kerne abstrahirt oder unvollständiger, wahrscheinlich mündlicher Ueberlieferung ent- nommen.

Hält man das Historische des vierten mit dem des fünfzehnten Gedichtes zusammen, so ergibt sich als wahrscheinlichste Ver- muthungy dass der Dichter den leitenden Kreisen oder auch einflussreichen Personen (vgl. oben S. 586) damals femer ge- standen; dass er seine Einsicht in die geschichtlichen Vor- gänge der Zeit wohl mehr dem Berichte dritter Personen als eigener activer Theihiahme und Verwicklung in dieselben zu ver- danken habe. Dazu stimmt die Vermuthung^ dass er in den neun- ziger Jahren bereits in vorgerücktem Lebensalter gewesen sei.

V. Composition der Gedichte.

Bei den Gedichten der ersten Gruppe lässt sich wenig von einer Composition derselben sagen. Durchaus von geringem Umfange, behandelt jedes ein einheitliches Thema, das ohne besondere GHederung entwickelt wird: XIV die Nachahmung fremder Sitten, V die Gründe der Unzufriedenheit mit dem neuen Regiment, VI die Heerschau der Herren, welche dem Herzog Kriegsdienste zu leisten verpflichtet sind, XIH den Gegensatz zwischen der RitterUchkeit des verstorbenen Ge- schlechtes und der niedrigen Gesinnungs* und Handlungsweise der Lebenden. Ueberall, wo von einander unterschiedene Einzel- heiten zu nennen waren, sind sie in der Form der zwanglosen Aufzählung, ohne eigentliche Gruppirung aneinandergereiht. Nur Xni, der Brief des Spielmanns, zerfällt seinem Thema gemäss in zwei zu sondernde Theile, von denen der erste die alten,

626 SeerafllUr.

der zweite die neuen Verhältnisse schildert. Die Einleitungen sind ausnahmslos kurz und enthalten eine allgemeine Angabe über den Inhalt des Folgenden (daher: XFV die livie tctni- schaffen sint, V des landes klage ^ VI Dtzz ist von der samunge, XrV ein maere, dd zw^n kovegumpelman an einander sendent hriefj.

Anders in den Lucidarius - Gedichten. Zuerst ist die durch die Rahmenerfindung hervorgebrachte Verknüpfung der 8 (resp. 10) Gedichte zu erwähnen. Ich habe früher (S. 574, 577 ff. ) ausgeführt, wie sie aus einem anfänglich rein formalen Moment der Darstellung durch Individualisirung der sich unterredenden Personen und Hinzufhgung von entwicklungsfähigen Erzählungs- motiven zu einer selbstständigcn Fabel fortgebildet wurde und zuletzt einen rein persönlichen Abschluss gewann. Schon im ersten Gedichte, in welchem er die Typen des Ritters imd Knappen verwendet, ist die dem lateinischen Lucidarius ent- lehnte Grundform des Dialoges dadurch künstlerisch gestaltet dass die Personen der Unterredung in einen Charactergegen- satz gestellt sind, der sich als der satirischen Wirkung dienKch erweist. Diese Keime behält und entwickelt das zweite Gedicht. Im dritten ist dem Verhftltniss zwischen Ritter und Knappen besondere Aufmerksamkeit zugewendet, es wird mit Erzählungs- motiven ausgestattet, das Interesse des Lesers darauf hinge- wendet— die Satire selbst läuft scheinbar nur nebenher. Hier zeigt sich am stärksten, welche stylistische Bedeutung die Rahmenerfindung für die Kunstform der Satii'e unseres Verfassers bereits gewonnen hat. Das objectivere Element der Ironie kommt zur Geltung, wenn der Herr die heftigen Angriffe seines Knap- pen zu missbilligen, zu massigen, abzulehnen scheint, der Selbst- ironie, wenn dieser seinen eigenen Tadel (III) widerrufen zn wollen erklärt. Die unmittelbare Kraft der Satire wird ge- steigert, wenn der Knappe durch die Zurechtweisungen, die der Ritter ihm ertheilt, Gelegenheit erhält, die Motive seiner Unzufriedenheit zu betonen , oder desto hartnäckiger auf dem ungeschminkten Ausdruck seiner Meinung zu beharren. In dieser Gestaltung der skelettartigen Figuren des lateinischen Musters äussert sich ein nicht geringer Kunstverstand.

Das dritte Gedicht hatte die Möglichkeit einer Trennung zwischen Ritter und Knecht in Aussicht gestellt. Der Eintritt derselben ist die Voraussetzung flir die in den folgenden Stttcken

Studien zum kleinen Lneidsriue (,Seifried Helbling*). 627

yerwendete Gestalt der Rahmenfabel. Jetzt beginnt auch jene Vertiefung derselben, welche ihr individuelle Bedeutung flir die Person des Verfassers selbst gibt und ein Streiflicht auf individuelle Stimmungen desselben wirft. Ist die oben (S. 576 ff.) vorgetragene Deutung der Figur des Knechtes auf die dem weltlichen Leben und Treiben zugewendete Gesinnung des Dichters richtig und fällt der Abschluss der Rahmenerzählung (in IX, X) mit der religiösen Stimmung zusammen, in der er sich innerlich von den Richtungen seiner Jugend und seiner früheren Gedichte abwendet, so zeugt diese äussere Gestaltung von Lebenserfahrungen und Lebensstimmungen von einer mensch- lich wie künstlerisch bedeutend angelegten Natur.

Das vierte Gedicht steht etwa in der Mitte dieser Ent- wicklungen. Wenn in den übrigen ein steter Fortschritt der Rahmenerfindung, der wechselnden Auffassung derselben ange- messen, zu verfolgen ist, wird hier ein Schwanken bemerkbar. Das Bedürfniss nach Variation derselben hat zu einer Wieder- holung des Typus des Ritters geführt. Die Geschichte von den vier Markgrafschaften ist einem Berichte des Knechtes nach- erzählt : ,er unterredete sich damals mit einem alten Ritter', der Ritter des ersten bis dritten Gedichtes (der Dichter) war als Zuhörer anwesend. Der Dichter deutet selbst einmal an, dass er und jener alte Ritter wohl eine Person gewesen sein dürften, belässt im Uebrigen aber jenem seine selbstständige fingirte Existenz. Die Figur dieses Doppelgängers wird aber nicht individuell, die Motive ihrer Fingirung sind nicht klar.

I ist imter den Gedichten, in welchen die Motive der Composition im Inhalt selbst ruhen, am strengsten componirt: die Hauptmasse des Gedichtes beschäftigt sich mit der Frage nach dem rechten Oesterreicher und nach dem rechten Weibe. Jeder dieser beiden Theile ist so bearbeitet, dass zuerst die Gegensätze satirisch behandelt, schliesslich Schilderungen jenes männlichen und weiblichen Ideals entworfen werden. Doch ist die Symmetrie keine vollkommene, denn der Abschnitt vom rechten Oesterreicher ist zweifach getheilt, nach jenen Entgegen- stellungen und nach den Fragen: ,woran erkennt man ihn?' und ,wo ist er zu finden?', der zweite aber blos in der ersteren Hin- sicht. Den Anfang der Satire macht ein Abschnitt vom Gute, dessen innerer Zusammenhang in Folge der unvollständigen

628 SeenttlUr.

Ueberlieferung nur mehr errathen werden kann. Mit den beiden folgenden Haupttheilen steht er aber ausser Verbindung. Wir begegnen daher schon bei dem ersten der umfangreicheren Gedichte der Erscheinung, dass der Verfasser die Gegenstände seiner Satire so wählt wie sie sich ihm darbieten, ohne bemüht zu sein einen strengeren inneren Zusammenhang zwischen ihnen herzustellen oder nach einem solchen zu sichten. Deshalb nun, weil er mindestens im zweiten und dritten Abschnitte des ersten Gedichtes die verschiedenen Anlässe der Satire unter einem aU- gemeineren Gesichtspunkte zusammenfasst, nannte ich die Com- position hier eine strengere.

Das fünfzehnte Gedicht erweckt nach dem ersten Anschein die Meinung, als ob es in erster Linie eine Darstellung des Un- gamkrieges beabsichtige. Der Composition gemäss kommt aber der Verfasser auf ihn zu reden, weil er in ihm ein Beispiel für seine allgemeineren Klagen findet. Hauptthema (bis 559) ist viel- mehr der Verfall der ritterlichen Sitte und Freude: alle zahlreichen Einzelheiten lassen sich diesem Thema unterordnen. Zum con- creten historischen Belege für die Unthätigkeit der Dienstmannen einen jener einzelnen EJagepunkte beginnt er zuerst 217 ff. vom Ungamkrieg zu reden, kehrt zu neuen Einzelheiten des Hauptthemas zurück, ist wie früher neuerdings veranlasst vom Kriege zu sprechen; nochmals eine Unterbrechung: denn die Erinnerung an den ungünstigen Verlauf desselben bewegt ihn zu einem' Nachruf nach König Rudolfs Macht; jetzt endlich entwickelt sich ununterbrochen die Erzählung von den Friedens- verhandlungen. Bis hieher konnte der gesammte Stoff der Dar- stellung als einheitlich angesehen werden : von hier an beginnt ein neuer Gegenstand, die Geschichte des Friedensschlusses, die nur äusserlich an das früher vom Kriege Erwähnte sich an- knüpft. Es ist deutlich, dass der Verfasser eben dadurch ver- leitet wurde, an die Satire des ersten Theiles ein historisches Gedicht anzufügen , das ganz selbständige Bedeutimg hat und ohne Schaden abgetrennt werden könnte. Dieser Compositions- fehler, der auch sonst Analogien hat, war bereits in der ersten Gestalt des Gedichtes vorhanden. Er trat dann um so stärker hervor, als der Verfasser gerade die Geschichte des Friedens- schlusses später durch einen umfangreichen Einschub bedeu- tend erweiterte (vgl. oben S. 620).

Stadien znm kleinen Lncidarins (,S4>ifried Helbling*). 629

Aehnlich ist die Composition des achten Gedichtes: auch hier folgt auf einen Haupttheil, dessen satirisches Thema im Ganzen einheitlich genannt werden darf ein Schluss historischen Inhaltes ohne inneren Zusammenhang mit jenem. Doch ist die äussere Verbindung hier besser durchgeführt. Hauptthema ist die Verwirrung des rechtlichen Verhältnisses der Stände. Den ersten Abschnitt desselben kündigt die Frage nach dem rechten Dienstmann an^ welche hier dieselbe zusammenfassende Bedeu- tung hat wie in I jene nach dem rechten Oesterreicher. An die Beantwortung derselben schliesst sich eine Reihe satirischer Beobachtungen von Verhältnissen, welche sämmtlich zum Haupt- thema und zu einander in Bezug stehen. Im zweiten Abschnitte wird ein Königsgericht fingirt : der Dichter bleibt aber auch hier bis 1013 beim allgemeinen Gegenstande. Die Entwicklung jener Fiction als solcher theilt denselben (591 1013) in zwei Theile : den einleitenden Uebergang und das eigentliche Königs- gericht; in der Fortsetzung des letzteren findet aber ein Wechsel des Themas statt ; die Fiction ist nicht nur beibehalten^ sondern hat geradezu den Gedanken an eine Ehrenrede Oesterreichs ver- anlasst. Innere Nothwendigkeit dazu war nicht vorhanden, wohl aber ein äusserer Anlass. Insofeme überrascht der Schlusstheil in Vm weniger als in XV.

Im Vergleiche zu I zeichnen sich diese beiden Gedichte zwar durch die grössere Einheitlichkeit des Gegenstandes der Satire aus. Doch kann auch bei ihnen von einem besonderen Com- positionstalent des Verfassers, das in einer disponirenden inneren Entwicklung des satirischen Themas sich äusserte, nicht die Rede sein. Auch' hier reiht er im Ganzen Einzelheit an Einzelheit, wie sie sich jedesmal ihm ergibt, aneinander, nicht häufig und dann nur stellenweise nach einem Verhältniss der Subordination, meistens der Coordination. Dasselbe ist auch bei den übrigen Stücken des Luci- darius der Fall (vom vorwiegend historischen vierten Gedichte ist in dieser Beziehung natürlich abzusehen). Doch wird dieser Mangel in ihnen theilweise dadurch ersetzt, das9 der Dichter ausser dem allgemeinen Lucidarius-Schema fast flir jedes eine spe- cielle Rahmenfabel erfindet, nach deren epischen Entwicklungs- stufen er die Gliederung des satirischen Themas oder der Themata vornimmt. Die Compositionsmotive treten hiebei stärker hervor; freilich betreffen sie nur die äussere Gliederung.

Sitznngsber. d. phil.-hist. CI. CH. Bd. U. Btt. 41

630 SeemftlUr.

So i^ind im zweiten Gredieht die Yerschiedenartigsten Ma- terien durcheinander gemischt, äussere Ordnung ist aber durch die. Fiction der drei Gerichtstage in sie gebracht ; daher zerMt ebenso das ganze Gedicht in drei Theile. Gerade jene Erfindung wurde gewählt, weil bei ihr am leichtesten unter der Form verschiedener Anklagepunkte von den mannigfachsten Gegen- ständen geredet worden konnte. Der Dichter kehrte in späterer Zeit nochmals zu ihr zurück : denn die Erfindung vom Königs- gerichte im zweiten Theile des achten Gedichtes ist durchaus analog und bot ähnliche Freiheit der Bewegung. Dort sind also beide Compositionsarten vereinigt, und die Disposition des zweiten Theiles richtet sich, wie in allen Gedichten, deren Inhalt im Rahmen einer speciell für sie erdichteten Fabel dargestellt wird, nach der Fiction vom Königsgerichte.

Die Erfindung des dritten Gedichtes wurde in Beziehung zu der des zweiten gesetzt: der dritte Gerichtstag ist vorbei

Sit diu vrdge ist volbräht,

80 hän ich einez mir geddht

daz nach unmuoze nihJt. schal;

ob bereit si daz bat

des mm war, frumer kneht (III, 1 ff.).

Die Badescene, welche m ausfüllt, erscheint als die Erholung nach den Mühen der dritten vrdge. Früher wurde entwickelt dass m nicht sowohl durch seinen Gehalt an Satire als durch die Bedeutung, die es zum Verständniss der Lucidarius-Erfindung besitzt, bemerkenswerth ist. Der Aufbau des Gedichtes ist durch den epischen Verlauf der Badescene bedingt. Zwei Rahe- punkte sind angenommen: an jeden derselben ist das, was in an Satire enthält, angeschlossen \ dadurch zerfällt das Stück in zwei Theile, jeder aus einer epischen Scene und einem sa- tirischen Anhang bestehend.

Der historische Stoff des vierten Gedichtes ist in zwei Abschnitten soweit die unvollständige Ueberlieferung reicht behau delt: der erste erzählt die eigentliche Verschwörung, der zweite die aus der Triebenseeer Versammlung sich ergebenden Verhandlungen mit dem Herzog. Bei dem historischen Charakter des Gegenstandes hätte sich die Gliederung beider Theile be- quem genug an den Verlauf der Begebenheiten anlehnen können.

Stadien xum kleinen Lncidarins (,8«ifried HelbUng*). 631

So ist es aber nur im zweiten. Die Anordnung im ersten hin- gegen ist wieder von einer besonderen Fiction beherrscht, welche dadurch nothwendig wurde, dass die Erzählung des Ganzen in den Mund des Knechtes gelegt wird. Zuerst ein allgemeiner Ueberblick über Motive und Ziele der Verschwö- rung ; hierauf Darstellung der fingirten Jagdscene, in welcher der Knappe die vier Herren belauscht, und detaillirtere Ausführung ihrer Pläne; endlich Beschliessung jener Scene im allegorischen Bericht des Knappen über den Verlauf der Jagd. Diese Erfindung taugte dem Dichter sehr, um die Vor- bereitungsstadien des Aufstandes, flir welche ihm nicht genug thatsächliche Details zu Gebote standen (vgl. oben S. 623), reich- lich auszustatten, den Charakter der Verschwörung und der Ver- schwörer nach seinem Sinne satirisch zu schildern. Im zweiten Theile ist sie aufgegeben, das Geschichtliche hat hier reicheren StoflF, die Darstellung trägt daher ausgesprochener historischen Charakter; erfundene satirische Einzelheiten fehlen nicht, aber sie ordnen sich formell dem historisch Berichteten unter.

In n, in, IV, Vni waren demnach neben der durch- gängig geltenden Grundfiction des Lucidarius besondere scenische Erfindungen zu beobachten, welche die formelle Glie- derung des satirischen Inhaltes beherrschten. Ausschliesslich diesen Zweck verfolgt die scenische Fiction in 11, hier erstreckt sie sich über das ganze Gedicht in der gleichen formalen Be- deutung. Andere Motive, welche in der besonderen Aufgabe des betreffenden Gedichtes hegen, gesellen sich in III, IV, VTII hinzu; am reichsten ausgebildet ist die Erfindtmg in HE, so dass sie auf den ersten AnbUck hier fast um ihrer selbst willen vorhanden zu sein scheint; nur über Hälften der Gedichte reicht sie in IV, VHI.

In IX, X, den Schlussstücken des Lucidarius, genügte die besondere individuelle Wendung, welche die Grunderfindung hier nahm, zur Anordnung des StoflFes. Directe Satire wird hier nicht mehr vorgetragen, vielmehr das Verhältniss zwischen Kitter und Knappen zum Austrag gebracht und dadurch ein rttckblickendes Urtheil über die vorhergehenden Gedichte geftlllt.

Das Memento mori, in welchem der Abschied von der

Satire durch die endgiltige Verabschiedung des Knappen sym-

bolisirt wird, zerfällt daher in vorbereitende subjective Erwä-

41*

632 SeenüUer.

gongen des Dichters^ in die Abschiedsscene und in einen Nachruf. Die neue Situation wirkt noch auf XI über, das sich im Inhalte genau anschliesst : es besteht aus einem Gebet, das der religiösen Stimmung entspricht, die den doppelten Abschied vorbereitete, und aus einem Rückblick auf sein früheres Leben mit dem Knappen. Beide Gedichte werden völlig einheitlich, wenn sie zusammen als ein Ganzes gedacht werden.

Von den Stücken des Anhanges kommen XI und XU hier wenig in Betracht. Jenes variirt in eilf Strophen das Lob Marias ; innerer Fortschritt des Gedankens fehlt ; die Composition ist eine rein äusserliche, knüpft sich nämlich an Worte des englischen Grusses, mit denen fortschreitend eine jede Strophe beginnt. Einheitlicher ist XII : Anrufung Marias, Ausdruck der persönlichen Sündhaftigkeit und Sorge vor dem Tod und dem Jenseits, Hoffnung auf die Fürbitte Marias.

Wichtig ist jedoch VIT. Der Inhalt des Gedichtes ist vor- wiegend allgemein moralischer Natur, die Haupttugenden und Laster sind Gegenstand, einzelne satirische Bezüge, doch eben- falls allgemeine^ Art, werden eingemischt, schliesslich eine An- wendung auf ritterliche Jugenderziehung gemacht. Diese Be- ziehung auf das praktische Leben sondert sich deutlich vom Vorhergehenden und bildet den Schluss des Ganzen. Die gegenüberstehende Hauptmasse des Gedichtes aber ist in die allegorische Erfindung eines Kampfes der Tugenden mit den Lastern eingekleidet, welche systematisch entwickelt und voll- ständig abgeschlossen wird. Im Schlusstheil erfahren wir, dass die erzählten Scenen ein Traum gewesen sind. Die Gliederung des Hauptabschnittes ist völlig nach dem Verlauf der erfundenen Scene getroffen. Sie zerfällt in die Herausforderung der Tugen- den durch die Laster und in die Schlacht selbst ; Aufstellung der Heeresmassen und Kampf sind in diesem Theile unter- schieden ; sechs Schlachtscenen den sechs beiderseitigen Heeresabtheilungen gemäss werden geschildert. Schlussapo- theose der Sieger durch strahlendes Licht und jubelnde Stimmen aus der Höhe.

Die umfassende scenische Bedeutung und consequente Durchführung dieser Erfindung steht vereinzelt in der Samm- lung. Der Dichter, welcher seit 1292 nicht mehr ohne Rahmen- erfindung gearbeitet hatte, war auch bei diesem ,Büchlein', in

Studien zum kleinen Lacidarins (,SeifHed Helbling')' 633

welchem er die gewohnte Figur des Knechtes nicht verwenden konnte (vgl. S. 581f.), ebendazu veranlasst. Während er sich aber bei den meisten Lucidarius-Gedichten, denen ohnehin bereits eine Piction zu Grunde lag, mit einer einfacheren Nebenerfin- dimg (zu Compositionszwecken) begnügen konnte, gewann er hier mit der Conception des Inhaltes zugleich die Conception der allegorischen Scene, weshalb dieselbe ebensosehr zur Form der Einkleidung und zum Mittel der Composition als zum selbständigen Erzählungsgegenstande wurde. Die Vorstellung eines Kampfes der Tugenden und Laster ist an sich altüber- liefert ; er formte sie selbständig einerseits zu seinem besonderen moralischen, theilweise satirischen Zweck, anderseits aber durch zahlreiche concrete Details, welche über das Gebiet der Alle- gorie hinausgehen und der ganzen Scene künstlerische Anschau- lichkeit verleihen. Hauptmoment ist, dass er die allegorische Handlung in Beziehung zu seiner eigenen concreten Person und zu einheimischen wohlbekannten Localitäten bringt. Er ist es, der der Wahrheit und Treue an einem schönen Maimorgen ansichtig wird, ihr Gespräch belauscht, die Herausforderung^ den Ort und Tag des Kampfes vernimmt 5 er ist es, der zur bezeichneten Zeit sich aufmacht, von einem Hügel aus die Auf- stellung der Massen mit Sonnenuntergang beendigen sieht, am folgenden Morgen dem Kriegsrath der Tugenden und der sich entwickelnden Schlacht beiwohnt. Eine unsichtbare Stimme geleitet und bescheidet ihn, er hört unsichtbare Stimmen den Sieg der Tugenden bejubeln. Das Heer der Laster hat sich bei Triebensee gesammelt, der Kampf findet bei Eggendorf am Wagram im Donauthale statt, das Heer der Besiegten krampft sich in Nebel und ^chwefeldampf zusammen und zieht als dunkle Wolke über die Donau gegen die Höhen des Oetschers hin. Durch diese heimischen Localitäten gewinnt die Scene an concreter Anschaulichkeit. Der Dichter stand auf dem ebeneren nördlichen Donau-Ufer, südlich von ihm lag, nach rückwärts zu immer steiler sich aufbauend, der waldige Höhenzug der Voralpen ausgebreitet. Wer diese Gebirgsansicht kennt, den weit über seine Nachbarberge aufsteigenden Kegel des Oetschers, dessen Spitze häufig von Wolken eingehüllt ist, gesehen hat, kann ermessen, welch' ungemein glücklichen Griff der Dichter in dieser Localisirung seiner Kampfscene gethan

634 Seemflller.

hat. Dasß er überhaupt den aUegorischen Streit der Tugenden und Laster in der wohlbekannten einheimischen Landschaft, deren politische und sociale Verhältnisse bisher fortwährend Gegenstand seiner Aufmerksamkeit gewesen waren, vor sich gehen lässt, ist flir den Satiriker bezeichnend. Das locale Landschaftsbild vollends, das Schauplatz und Hintergrund der bedeutsamen Schlachtscenen bildet, ist völlig geeignet, einerseits im einheimischen Leser den Eindruck individueller Bestimmtheit zu erregen, anderseits lyrische Elemente in die Handlung zu bringen.

Von diesem einzigen Gesichtspunkte der Erfindung aus wird man bereits die Gedichte der zweiten Gruppe höher stellen als die der ersten. Bei jenen ist sie zumeist doppelter Art: die allgemeine Fiction des Lucidarius und eine dem einzelnen Ge- dichte überdies eigentbümliche ; nur in I und XV fehlt diese, in Vn jene. Unter den Stücken der ersten Gruppe liegt allein dem dreizehnten eine besondere Erfindung zu Grunde: diesem seinem Charakter gemäss ist ihm eine Uebei^ngsstellung zwischen beiden Reihen zuzuweisen.

Ein fernerer auf die Composition bezüglicher Unterschied liegt in den Einleitungen. In der ersten Gruppe kann von solchen kaum gesprochen werden (vgl. S. 626); die Gedichte oder Gedichtgruppen (H, HI ; IX, X [SI, XH]) der zweiten sind sämmtlich mit längeren Einleitungen versehen. Zumeist bereiten dieselben auf die dem Gedichte zu Grunde liegende Fiction vor: so wird in I zum ersten Male das Verhältniss zwischen Ritter und Knappen dargestellt, in IV, VIH, IX die Entwicklung und der augenblickliche Zustand desselben. Im zweiten Gedichte, in dem das Verhältniss noch dasselbe ist wie im ersten, fllhrt uns die Einleitung in die scenische Nebenerfindung ein: die Anfangszeilen des dritten nennen nur kurz die neue Scene, weil diese sich unmittelbar an die vorhergehende des zweiten an- schliesst imd einer neuen längeren Einleitung nicht bedurfte. Im siebenten, das ausserhalb des Lucidarius-Rahmens steht, werden wir natürlich auf die specielle Erfindung dieses Gedichtes vorbereitet. Nur die Vorrede ziun fünfzehnten steht abseits: sie behandelt allgemeine Gedanken des Dichters über das Ver- hältniss zwischen geistlicher und weltlicher Dichtung; man kann nicht sagen^ dass sie ausser jeder Beziehung zur Haupterfindung

Stadien zum kleinen Luoidarias (.Seifried Helbling*). 635

stehen, indem sie der geistlichen Wendung, welche die Gesin- nung des Verfassers und mit ihr die Rahmenfiction nimmt, präludiren. Aber jene Gesinnung war damals sicherlich erst im Keime vorhanden, noch weniger mochte der Dichter damals schon eine Vorstellung von dem Abschluss gehabt haben, den er später der Reihe des' Lucidarius geben würde.

Ist der Hauptzweck der Einleitungen im Allgemeinen der angegebene, so liebt es doch der Verfasser, andere, vorwiegend schildernde Motive einzumischen. Landschaftliche Elemente finden sich in VII und Vlll : Morgenspaziergänge im Frühling oder Sommer, Berg und Thal grünen, Wald und Au belauben sich oder die Ernte steht in Blüthe, Lerchen schwingen sich singend auf. Oder er schildert in einem Genrebild eine behag- liche Situation seines eigenen häuslichen Lebens, zufriedene Genügsamkeit äussernd (11). Häufig beginnt er die Einleitung überhaupt mit religiösen Gedanken : Anrufimg Gottes (I, VH), Preis der Gottheit (XV), Erinnerung an den Tod (IX).

Endlich ist bemerkenswerthi dass der Verfasser auch im Innern der Gedichte, dort, wo die Composition einen Einschnitt bedingt, Einleitungen der neuen Abschnitte zu geben liebt. Diese tragen denselben Charakter wie die früher behandelten. Als (im zweiten Gedicht) der zweite Gerichtstag beginnen soll, lässt er ihm ein Genrebild häuslichen Lebens vorausgehen, das dem der Haupteinleitung sehr ähnlich, nur reicher mit Details aus- geschmückt ist; darin auch nach sonstiger Gewohnheit eine kurze geistliche Stelle, die inmitten realistischer Schilderung des Kleinlebens freilich scherzhafte Färbung erhält. In gleicher Weise ist im vierten Gedicht das Thema der Einleitung in der längeren Vorrede zum zweiten Abschnitt wieder aufgenommen; damit begnügte er sich nicht: eine genrehafte Schilderung (in der Art jener in H) dessen, was er zu Hause in der Zwischen zeit, zwischen dem ersten und zweiten Tag des Gespräches gethan, musste ebenfalls Platz finden. Dieselbe Beobachtung im siebenten : die Darstellung der Herausforderung und Dispo- sition der Truppen ist beendigt ; die Schlachtscene wird neuer- dings durch eine Vorrede eingeleitet, welche wie die Haupt- einleitung dazu dient, die Situation vorzubereiten und zu verdeutlichen; eben darin wieder eine genrehafte Schildenmg der Art, wie er den Abend und die Nacht verbrachte.

636 Seenflller.

Diese RegelmäsBigkeit setzt eine bestimmte bewusste Ab- sicht voraus. Sie ist einerseits in dem Compositionszwecke zn suchen : die Abschnitte werden dadurch schärfer gesondert; indem die Nebeneinleitungen durchgehends das Thema der Hauptvorrede recipiren, dillckt sich kunstmässige Consequenz der Erfindung aus. Die genrehaften Details verrathen anderseits die Absicht, die Darstellung zu beleben und anziehend zu ge- stalten ; sie sollen auch als scherzhafter Gegensatz wirken, wenn z. B. die realistische Schilderung mitten in den ernst haften Gegenstand der Allegorie in VII eintritt. Solche Absicht konnte bei der Freiheit der Bewegung, die eine derartige Ein- leitung oder vielmehr Zwischenrede verstattete, leicht zu völliger Abschweifung, zur Einführung abliegender Schilderungsthemata verleiten: davor hat sich der Verfasser bewahrt.

Der Dichter verwendet den Dialog in verschiedener Weise. Die Form des lateinischen Lucidarius das Gespräch zwischen Meister und Jtlnger hat den Hauptzweck, den zusammenhängenden akroamatischen Vortrag in einen Dialog aufzulösen, um ihn dadurch einigermassen lebendiger zu ge- stalten, auch um ihn der Benützung zu Schulzwecken näher zu rücken. Die Form ist rein äusserlich angewendet. Das vom Dichter fingirte Verhältniss zwischen Ritter und Knappen steht im ersten und zweiten Stücke dem lateinischen Muster noch am nächsten; ähnlich auch die Form des Dialogs. Er dient wesentlich nur zur leichteren Anknüpfung der wechselnden Themata : der Knappe stellt die Fragen, der Ritter beantwortet sie. Im ersten Theile von I (bis 149) bringt der Knappe, sobald ein Thema erschöpft ist, jedesmal ein neues zur Verhandlung; im zweiten (149 545) stellt er die Frage nach dem rechten Oesterreicher, schildert in fünf verschiedenen Absätzen abnorme Typen seiner Landsleute ; der Ritter lehnt einen jeden beson- ders ab und fordert jedesmal zu neuer Beobachtung auf (I, 219, 254, 268, 300), bis der rechte gefunden ist. Nunmehr, will er, soll der Knappe das Fragen lassen (533, 556) oder selbst diesen rechten irgendwo suchen: drei Typen aus dem herzog- lichen Heere werden geschildert, ein jeder vom Ritter abgelehnt (784, 830, 867), einmal (819) mit ausdrücklicher Einladung zu weiterer Untersuchung, bis wieder der rechte gefunden und anerkannt ist. Nun will der Ritter neuerdings des Fragens ein

Studien zum kleinen Lacidarini (.Seiftied Helbling'). 637

Ende (927), der Knappe geht aber zum Thema vom ,rechten Weibe^ über. Die Absätze desselben sind genau wie die des zweiten Theiles dialogisch markirt. Die Gesprächsform hat also hier rein äusserUche Bedeutung, zwischen den Reden des Ritters und Knappen herrscht innerlich keine Verschiedenheit; sie dient nur, um Absätze des Inhalts zu bezeichnen, die An- knüpfung neuer Materien einzuleiten. Die Hauptmasse der Satire ist in den Mund des Fragenden gelegt ; doch auch der Ritter bleibt nicht bei blossem Ja und Nein der Antwort stehen, sondern fUhrt die vom Elnechte begonnenen Themata antwortend öfters im gleichen Sinne weiter (I, 93, 135, 179, 441, 471, 784, 867).

Analog fungirt der Dialog in II. Der Knappe stellt nicht Fragen, sondern nennt der Nebenerfindung gemäss seine Klagepunkte; dieselben werden einzeln von dem allegorischen Beisitzercollegium beurtheilt und durchwegs anerkannt; auch fügen die Richter in diesen Antworten zumeist neue fortsetzende Details zu dem Thema des Knappen (II, 200, 220, 785, 957, 1250, 1314, 1420; einmal der Ritter selbst 767). Noch regel- mässiger als in I erfolgt in II nach jedesmaliger Beendigung einer Klage die Aufforderung zur Fortsetzung (II, 85 weistü iht mir, daz sage durch des landes er; ähnlich 310, 420, 565, 644, 861, 1082, 1213 [vgl. 1208]), ausnahmslos durch den Her^ zog-Ritter.

Diese durchaus schematische Behandlung des Dialogs zeigt in III einen Fortschritt, der sich an einen bereits in I hervor- tretenden Keim knüpft. I, 1271 gerathen Herr und Knappe in einen leichten Zank : ein Widerspruch der Meinungen ist fingirt. Dtirchaus darauf beruht die dialogische Form der Satire in III. Der ironische Tadel, den der Ritter über die in II .dargelegten scharfen Urtheile des Knappen ausspricht (III, 100 ff.), die ironisch-demüthige Unterwerfimg desselben (276), der Uebergang zur directen Satire beleben den Dialog. Diese Art der Behand- lung des Gespräches beruht in der concreteren Fortentwicklung, welche inzwischen die Grunderfindung des Lucidarius er- halten hatte.

Der eigentlichen Aufgabe des Dialogs in Rede und Gegenrede ein Thema einheitlich zu entwickeln nähert sich am meisten das achte Gedicht. VIH, 28 fragt der B[nappe nach

638 S 6 e m tt 1 1 e r.

dem rechten DienstmanB; der Ritter antwortet, jener macht Einwendungen, dieser berichtigt (27 107); in grösserem Um- fange ebenso 114 467. Die Rollen sind hier ziemlich gleich vertheilt, jeder trägt Wesentliches zur Behandlung des Themas bei. Eine Spur solcher GesprächsfÜhrung lässt sich bereits in n beobachten (767 ff.) : Ritter, Knappe und die allegorischen Räthe wägen, theilweise im Gegensatz zu einander, Lob und Tadel der Geistlichkeit ab. Dem achten Gedichte ist diese organische Dialogsform eigenthümlich. Die äusserlichen Mittel zur Fortsetzung des Gespräches, directe Aufforderung dazu ohne innere Verkntlpfung mit dem vorhergehenden, werden sichtlich vermieden. Am besten ist dies dort bemerkbar, wo der Uebergang zu der den zweiten Theil des Gedichtes beherr- schenden scenischen Erfindung vom Königsgericht gemacht werden soll (591 612 ff.) ; ehe sie völlig giltig eingefllhrt wird (829 853), ergeht eine längere lebhafte Hin- und Widerrede : der Plan des Knappen erregt zuerst den Spott des Ritters, dann verschiedene Einwendungen, die erst einzeln entkräftet werden müssen. Den Ausgangspunkt zu dieser naturgemässen Führung des Dialogs kann man ziemlich sicher in der vorhin erwähnten Form der Zank- und Streitrede finden. Aus ihrer Verwendung in (I und) lU ersehen wir ihre Bedeutung, als eines rein sty- listischen Mittels, um durch Ironie die Wirkung der Satire zu erhöhen. Von einer wirklichen Meinungsverschiedenheit der redenden Personen ist dabei nicht die Rede. So wird sie aucb VIII, 537, 591 gebraucht. Aber aus dem zu stylistischen Zwecken erfundenen, in Rede und Gegenrede sich ausdrückenden Gegen- satz der Gesprächsfiguren ergibt sich die naturgemässe Ver- wendung des Dialogs als einer den Hauptgegenstand fort- schreitend in Gegensätzen entwickelnden Form. In dieser Art ist er auch in IX gebraucht , um so wirksamer , weil die veränderte Gestalt der ursprünglichen Rahmenerfindung hier zum Gegensatz der Gedanken noch einen charakteristischen Gegensatz der Individuen hinzutreten lässt.

In den Gedichten ganz (IV) oder theilweise (XV) erzäh- lenden Inhaltes, ist die Gesprächsform welche nicht fehlen durfte, weil die Rahmenerfindung beibehalten wurde nur nebensächlich. Die Erzählung wird durch Fragen unterbrochen, welche zur Feststellung der erfundenen Seene dienen (IV, 92,

Studien znm kleinen Lucidttrins (,8eifi'ied Helbling'). 639

119) 9 oder wenn sie zu einem gewissen Abschluss gekommen war durch Aufforderungen, sie fortzusetzen (IV, 493, 586), oder durch die beliebte Streitrede (XV, 75, 465); öfters um nur überhaupt durch eingeworfene Zwischenreden Vorhandensein und Antheil des Zuhörers auszudrücken (IV, 136, 157, 179, 242; XV, 168, 533).

VL Styl.

Der Styl der Satire zielt auf grösstmögliche Bestimmtheit. Sie ist daher häufig persönlich, besonders in den Gedichten der ersten Gruppe, doch auch noch in denen der zweiten; unter dem ,kündegen man' 11, 537 ist vielleicht Hug von Taufers, ,der kündege vuhs* des fünften Gedichtes (vgl. Karajan, Anm. z. St.), unter den vier Markgrafen in IV sind die bekannten vier Führer der Verschwörung gemeint, die Dienstmannen zu Beil- stein und Lengbach sind Vlll, 583 ff. direct angegriflFen u. a. m.

Anderes ist rein stylistischer Art. Wenn er von ganzen Ständen zu reden hat, wählt er öfters einen besonderen Re- präsentanten — ohne jede persönliche Beziehung und lässt ihn in charakteristisch erfundener Weise sprechen oder handeln. Die Satire wird dadurch anschaulich. Im Abschnitte von der Simonie (VIII, 43 ff.) hören wir den simonistischen Geistlichen mit dem Lehensherm um die Pfarre handeln ; VIII, 250 ff. den bäurischen Emporkömmling seinen Herren überreden und be- stechen, dass er ihn zum Ritter schlage; VHI, 502 die beiden ärmlichen Adeligen auf ihre entfernte Verwandtschaft mit den Kuenringen pochen; I, 290, 463 die Nachahmer vlämischer oder schwäbischer Moden vlämeln oder schwäbeln; (vgl. femer I, 801, 826, 913, den czechischen Gniss XIV, 23, wie Helmbr. Z. 728, u. dgl. m.). Zuweilen erhalten auch die fingirten Personen erfundene charakteristische Namen: der schmutzige Spielmann, dessen grobe Schmeicheleien 11, 1302 wörtlich angeftlhrt werden, heisst Rübendunst; andere seines Standes Mildengruss, Milden- freund, Mildendienst, Mildenrath (11, 1337 ff.), der Ehrenknolle (n, 1373) u. s. w. ; ähnlich werden die Knechte des jungen Re- nommisten (I, 372, 394, darunter Wolvesdarm auch Helmbr. Z. 1221), die Räuber, die Seifried Helbling um die Bretter findet (Xni), mit appellativischen Eigennamen bezeichnet. Ueble Eigenschaften werden mit solchen satirischen Spottnamen benannt

640 SeemftUtr.

und zu handelnden Personen gemacht: der Knecht Dienstom- sonst (n, 92) ; Geträisinmht (XV, 512 ; vgl. ^Versweigseinnicht^ entführt den Hengst (vgl. auch ein kunst heizet Habhindan * I, 857).

Das Bestreben nach möglichst concreter Gestaltung seiner Satire führt noch weiter. Die charakteristische Rede der ein- zelnen satirischen Figuren wird an eine mehr oder weniger ausgeführte scenische Erfindimg geknüpft : die Uebelstände der neuen Hofteidinge werden durch zwei kleine erfundene Scenen illustrirt^ in denen einzelne aus der Masse der ihr Recht Suchen- den reden und handeln '(U, 710, 724), die Jungfrau Wahrheit, deren Gespräch mit der Treue der Dichter belauscht, kommt eben aus einem heuchlerischen Prediger er bot auf der Kanzel die sacramentalen Verrichtungen feil und riss schliesslich weit den Mund auf zu einem Rufe an die Bauern : da flog die Wahrheit aus ihm (VH, 64 103); der Knappe erzählt den Verschwörern eine ganze, allegorisch und satirisch erfundene Jagdscene (IV, 407, ff.) ; der grössere Theil der Klagen über verschwindende ritterliche Sitte, über das unritterliche Gebahren am Hofe, die planlose krämerhafte Vertheidigung Wiens durch die Dienstmannen ist in der Art lebhaft und bezeichnend erfun- dener Scenen geschildert: Gespräch adeliger Hof leute über Korn- und Weinpreise (XV, 87 ff.), hämischer Empfang, den sie einem Edlen bereiten, der wirklich einmal nach alter ritterlicher Sitte zu Hofe fährt (398 ff.), Vertheidigungsscenen (239 ff.).

Werden nun derartige Ei*findungen in alles Detail ausge- führt, streng auf den jedesmaligen Zweck der Satire bezogen, mit einem Abschluss versehen und so zu einem selbständigen Ganzen gemacht, so entsteht das satirische Genrebild.

Die Vorliebe des Dichters fllr genrehafte Darstellung zusammenhängend mit seiner realistischen Anschauungsweise wui'de bereits früher berührt. In mehreren der Einleitungen zu den Gedichten oder zu Theilen derselben wurde sie bemerkt: er schildert das Kleinleben seines Haushaltes, die Siesta nach dem Mahle (Einleitung zuH), Vormittagsmusse (H, 457), Abend- trunk, Morgenbescliäftigung, Frühstück (IV, 523 ff.). Das beste

* So ist zu lesen, nicht, wie Karajan that, Hab hin dan\ denn von einem Prahler, der zuletzt, als es Tapferkeit zu zeigen gilt, hinter der Schlacht- linie verwellt, ist die Rede.

Stndien zum kleinen Lneidarins (,Seifried Helbling*). 641

Beispiel ist doch woU die Schilderung des Bades (III). Als directe Einkleidung der Satire erscheint das Genrebild aber zu- erst in Xin, in der Schankscene, wie Seifried die Raubritter trinkend und spielend antrifft und zum Lohne für ihre Frei- gebigkeit den Zug der Fuhrleute verräth. Die reichlichsten Belege gibt das erste Gedicht, das zum grossen Theil in einer Reihenfolge satirischer Genrebilder besteht. Es sind fünf an der Zahl : der renommirende Knappe und seine beiden Knechte Wolfsdarm und Geierskropf im Wirthshause (I, 309—432); der Feldhauptmann und der Bauer (586 780) ; Rtiegers Weib (939—1086) 5 die keifende Betschwester (1173—1223) 5 die Kokette am Fenster (1289—1332); am meisten ausgeftihrt die drei ersten. Das erste und dritte ist auf scherzhafte Wirkung berechnet und in dieser Beziehung sehr glücklich gearbeitet; besonders hervorzuheben ist die den Charakteren der Personen jedesmal charakteristisch angemessene Sprache und die ge- schickte Wahl bezeichnender realistischer Details. Der junge Renommist tritt wohlgerüstet, die eine Hand am Dolchmesser, die andere am Schwerte, in die Stube, erwidert den Gruss mit herausfordernder Drohung und verlangt Wein. Ehe er den weiten Napf austrinkt, ermahnt er seine Seele auf eine Rippe zu steigen, dass sie nicht im Wein ertrinke. Wolfsdarm und Geierskropf sind eben solche Säufer und begleiten ihren Trunk mit ähnlichen Reden. Rüegers Weib aber ziert sich beim Essen, so lange ihr Mann gegenwärtig ist ; ist er weg, so verzehrt sie ein Brathuhn, dazu Weizenbrod und guten Wein. Ihr Tischgebet ist, dass Gott ihr den Mann erhalte, der ihr die Mittel zu solcher heimlichen Völlerei gewähre. Kommt nun der Mann müde vom Pfluge heim , so setzt sie ihm eine tiefe Schüssel mit Farfelsuppe vor und dazu Gerstenbrod : dicke sniten stiez er drin. Sie selbst aber ziert sich wieder und prangt mit ihrer Massigkeit. An Gehalt und Ernst der Auffassung ragt weit die Schilderung der ErpressungSBcene hervor (2). Der Feldhauptmann empfangt den demüthig sich nähernden Bauer mit der Forderung, ihm und dem Gefolge den Wein zu verschaffen, der am nächsten Markte feilgeboten werde. Haus, Keller, Stall, Scheune seines Wirthes leert er vollständig. Die Nacht über wird der Magd übel mitgespielt, die Hausfrau xmd deren Kinder sind in einem befestigten Versteck untergebracht worden. Die Gäste stecken

642 Se^nftller.

das Haus in Brand und drohen dem Bauer^ ihn wie einen Häring an der Gluth zu rösten, desgleichen Feuer an das Ver- steck seines Weibes und seiner Kinder zu legen, wenn er nicht auf der Stelle dreissig Pfund zahle. Er wirft sich dem Haupt- mann zu Füssen, um Erbarmen mit seiner Familie bittend; er selbst will gefangen sein, wenn jenen das Leben geschenkt wird. Der Herr gibt sich endlich mit zehn Pfunden zufrieden; jetzt werden die Brände gelöscht. Am Morgen muss für die Gäste noch gesotten und gebraten werden, bis sie mit grossem Lärm abziehen.

In allen diesen Scenen lehnt sich die Erfindung an die Beobachtung des täglichen Lebens an. Der Styl der Satire verlangt aber zur Steigerung der unmittelbaren Wirkung auch Erfindungen rein rhetorischer Art. Hieher gehört die auf Lüge und Missgunst gesetzte Busse, die Bohne und das Weizenkom, da^ die Lügner und Neider in die aufgestellten geräumigen G^fitsse werfen müssen (H, 283 ff., 316 ff.). Die Erfindung erweist sich als fruchtbar; denn es ergeben sich eine Menge satirischer Beziehimgen auf die Personen, die der Busse verfallen, die Ausbreitung jener Laster, die Orte, an denen sie besonders eingenistet sind. Oder die Verwandlimg der ritterlichen Attri- bute des Emporkömmlings in die Werkzeuge und Abzeichen seines früheren Standes, welche dem Dichter zuletzt so an- schaulich wird, dass sie in dem ergötzlichen Bilde von der Tumierstute, der das Fohlen auf den Kampfplatz nachläuft, einen lebendigen Abschluss findet (VHI, 306 ff.). Um die lächerliche Eifersucht sogenannter Dienstmannen die kaum einachät Ritter sind (VHI, 579) zu verspotten, lässt er mehrere auf einem Saatwege zusammentreffen : keiner will hinter dem andern auf dem gebahnten Steige gehen; um in gleicher Höhe nebeneinander zu schreiten, stolpern sie in den Schollen einher (VHI, 555—572). Dieses Beispiel ist sehr belehrend, insofeme es zeigt, wie eine ausschfiesslich zur rhe- torischen Steigerung der Satire ersonnene Erfindung sich zu einer kleinen anschaulichen Scene entwickeln kann.

Hiermit aber rücken wir dem Ursprünge der bisher in ausgebildeteren Gestaltungen beobachteten Formen des er- findenden Elementes näher. Wenn wir H, 578 vom Geiz- halse lesen:

Stadien zum kleinen LueidArins («Seifried Helbling*). 643

der im zeaamen schütte

weizes tüsent miitte

an einen grozen häufen,

und trileg man im ein goufen

des selben weizes hin dan,

er waente sin gar zergän

von stner grozen gitikeit,

80 ißt der hypothetische Fall nur zu dem Zwecke erfunden^ um den satirischen Ausdruck der gitikeit möglichst zu steigern. Würde aber der Inhalt des Vordersatzes als eine (fingirte) Thatsache erzählt und mit concreten Zusätzen ausgeschmückt, so wäre ein satirisches Bild gewonnen, das ganz dem früher erwähnten von den eifersüchtigen Dienstmannen entspräche. Derselbe Weg kann auch genau bezüglich der Erfindung von der Bohnen- und Weizenbusse verfolgt werden. ,Wenn mir der Herzog ein Strafgeld von lüge und nit gewährte/ sagt der Knappe (11, 279), so hab ich für mein Leben lang genug damit. Alsbald gewinnt dieser Gedanke concrete Gestalt: ,wenn die Strafe auch nur in einer Bohne besteht, so verzehre ich sie nimmer (292)* und die Erfindung wird festgehalten. Ebenso bezüglich der Weizenbusse, deren Details noch mehr Raum beanspruchen; die Stelle (11, 315 ff.) beginnt mit den Worten:

ob iu der fürste wolgebom

ie von der lüge ein weizkom

schüefe in disem lande,

min trhce nemt ze pfände,

ir besacht iuch immer wol,

man liugt iu weizes kosten vol

ein hypothetischer Fall, völlig analog dem gerade vorher citirten II, 578; hier aber wird die Erfindung festgehalten und im Detail ausgeführt. Die Ausfuhrung und der ursprüngliche Gedanke, aus dem sie entsprungen, stehen hier nebeneinander, und es dürfte nicht mehr zweifelhaft sein, dass solche rein stylistischen Zwecken dienende Formen der Steigerung die einfachsten und häufig plastischer Gestaltung fkhigen Elemente der speciell satirischen Erfindung seien. Andere Belege 11, 350, 542; I, 378, 424; besonders XV, 151; auch I, 1112.

644 SeemüUer. '

Ebenso häufig natürlich ist die hypothetische Erfindung einer conereten Entwicklung unfkhig und bleibt einzig auf ihre Function als rhetorische Figur beschränkt; derart II, 1087:

62 wart 80 groz nie ein stat, sie waer von drizec Juden sat, Stankes unde unglovhen

noch einfacher 11, 1052:

aller Unger triuwe trilege ein jaerigez Jdnt

ähnlich n, 1072, 1294, 1396; V, 95; XIH, 179 u. ö.'

Dieses in verschiedenen Formen und Entwicklungsstufen sich äussernde, stark hervortretende erfindende Element ist in ziemlich gleicher Weise über die satirischen Stücke der Samm- lung verbreitet. Bei dem geringen Umfange und der vorwiegend persönlichen Tendenz der Gedichte der ersten Gruppe ist es in diesen verhältnissmässig am wenigsten entwickelt. Jedenfalls ist in denen der zweiten die Erfindung geübter, reicher und mit künstlerischem Bewusstsein verwendet. Die allgemeinste Erscheinung in denselben ist die ausgesprochene Vorliebe des Dichters, die Gegenstände seiner Satire an einzelnen concret gedachten Personen zum Ausdruck kommen zu lassen, welche er redend, handelnd einfUhrt und in Situationen versetzt, in denen er die satirische Absicht lebendig und mannigfaltig äussern kann. Die äusserste Entwicklung concreter Gestaltung bezeichnet bei unserem Dichter das satirische Genrebild: aber es ist gerade auf das dreizehnte imd erste Gedicht beschränkt, dort weniger entwickelt als hier. Die Häufigkeit seines Gre- brauches in I einerseits, das Fehlen in den späteren Gedichten anderseits muss auffallen. Er nähert sich ihm später zwar häufig genug, besonders in XV, geht aber in der Detailschil- derung einer Situation oder Scene nicht mehr so weit, dass sie sich, etwa wie die Erzählung vom Feldhauptmann in I, als selb- ständiges Ganze förmlich abtrennen Hesse. Eine Veranlassung zu jener Eigenthümlichkeit des ersten Gedichtes mag wohl in seiner Composition liegen, die eine besondere und gesonderte Ausbildung der einzelnen Theile begünstigte. Ebenso ist aber II componirt, und doch fehlt in diesem der Zeit nach nächsten Gedicht das satirische Genrebild.

Stadien zum kleinen Lueidarins («SeiAried Helbling*). 645

Der Styl der Darstellung im Einzelnen ist überwiegend stark realistisch: die Oesterreicfaer wie die Bayern sind vreidic mit gevraeze (XIV, 40); von der Herzogin wird gesagt: wessen sie habhaft wird, daz schivbt sie allez in ir scic (Y, 18); allen jenen^ über die in V Klage geführt ist, wünscht das Land Oesterreich, dass sie im Koth ersticken, damit sie das lautere Wasser nicht verunreinigen (V, 95); der Spielmann Seifried Helbling begnügt sich, wenn er auch nicht Scharlach und edles Pelzwerk zum Ge- schenk erhält, mit einer Decke aus gutem St. Pöltner Tuch (XIII, 179); Meister RUebentimst rituJiet üz der blater (11, 1297); ein ^gemachter' Dienstmann kann dem Ritter nicht besser gefallen als W stivaln buntschuoch (IV, 782) ; nicht Semmel noch Striezel will er für das Dutzen nehmen (VlU, 439); der Knappe ver- gleicht seinen Herrn mit einem furchtsamen Kind, das sein Hemd beschmutzt, ehe es ins Bad kommt (IX, 117) u. s. w.

Besonders gerne geht er in den ausführlicheren satirischen Schilderungen auf das Gebiet realistischer Details über. Geiers- kropf erzählt, dass er vom Meier seines Herrn 36 Eier, zwei Käse, ein Spanferkel u. s. w. erhalten habe (I, 401); ebenso wird I, 658 676 im Detail aufgezählt, was die brandschatzenden Krieger dem Bauer rauben. Voll von dergleichen Einzelheiten ist die Szene ,Rüegers Weib*: der einfache Speisezettel des Mannes und der gewähltere der Frau geben Anlass zu scherz- haften Gegensätzen (I, 942flf.); der Milchreichthum der Küche, Korn- und Weinpreise sind das Gespräch der adeligen Hof leute XV, 102 ff., sie berechnen mitten im Kampfe genau die Dar- lehen, die sie gegeben (XV, 281); oder der Knappe sitzt statt zu kämpfen in seiner Herbei^ und macht Würste (XV, 308) u.s. w.

Zuweilen sind diese realistischen Züge sehr derber Art, z. B. 1, 82flf., 1045 ff., u. s. w. ; oder er citirt einen ähnlich derben Satz aus seinem ,Bemhart Vndanc^ VI, 191 ff. Hieher ge- hören auch Betheuerungsformeln wie I, 365:

sS der tiuvel mtne toufe

in fAnen kragen soufe oder Xm, 158:

ist der tiuvel ungemuot

dem slah ich einez an die kel.

Doch ist wohl zu merken, dass diese Wendungen mit zur Charakteristik der Personen dienen, denen sie in den Mund

Sitsongsbi^r. d. phil.-hist. Gl. CU. Bd. II. Hft. 42

646 Seemflller.

gelegt werden. Dasselbe ist bei den zahlreichen Schimpfwörtern der Fall, welche die keifende Betschwester I, 1186 ff. ausspricht. Ausdrücke wie her witer $ac II, 589, du bodendoge zUUe Uy 595 sind durch die Absicht der betreffenden Stelle gerechtfertigt Dem Grade der Entrüstung, die der Dichter über die Läster- zungen zur Schau trägt, entspricht:

vervltu)ckter hoeswicht, der ez tuo, der sinne ein gans, der zühte ein ktiof tAn munt unreinet den luft, er füler stanc der hellegruft!

gleichsam entschuldigend ist hinzugefügt: niht haz ich stn ge- denken kan (n, 385 ff.). Unverkürzt auf seine Rechnung zu schreiben ist aber die unmotivirt derbe, an den römischen König gerichtete Schlusszeile in V (vielleicht auch V, 83, wenn Ka- rajan's Vermuthung z. St. richtig ist). In den späteren Gr«- dichten mässigt er sich, oder er lässt ein bestimmtes Motiv seiner Aeusserungen erkennen (allein IV, 308 ist auszunehmen). Der fboesewiht', den er YIII, 1231 dem Kappen zuruft, hat scherzhafte Absicht; nennt er ihn hingegen IX, 122 vervltLochter balcy 80 erklärt sich das Schimpfwort aus Z. 117 ff. und der Stimmung des Gedichtes. IV, 548 gebraucht er das Wort vezzat also nennt mam in dem göu hinzufügend und ausdrück- lich sich entschuldigend:

der daz wort geschriben siht hob mich für gebüren niht.

Wir dürfen aus diesen Zeilen vermuthen, dass der Dichter selbst die übrigen Derbheiten der in jene Zeit fallenden Ote- dichte einerseits durch die satirische Absicht gerechtfertigt, anderseits innerhalb der erlaubten Grenzen liegend erachtete. So scherzhaft häufig die Wirkung der realistischen Details ist, so ist der ausdrücklich als solcher beabsichtigte Scherz bei ihm doch selten. I, 456 ff. spottet er über die gezierten schwä- bischen Umgangsformen: zwei Bekannte treffen sich auf der Gasse: ,Woher kommst du?^ ,Von meiner Schwieger.' ySag' doch, hast du eine Schwieger hier?'

,hie ze Wienne hän ich die wer sold hie dne ewiger sinf dd gdnt s6 ml der tohterUn/

Stadien zun kleinen Lncidarins (.Seifiried HelMinf*). 647

Vm, 842 fordert der Knappe den Ritter auf, an Königes statt

zu sitzen und seine Beschwerden anzuhören. Dieser nimmt Platz

auf einer Bank

under einer louben.

was de gedaht mit schovien,

des nam wir vil kleine war.

Die letzte Zeile macht ausdrücklich auf den beabsichtigten Scherz aufmerksam^ den ihm die Treue realistischer Darstellung an die Hand gab.

Der weit überwiegenden Masse dieser realistischen Be- standtheile steht eine schwache Minorität solcher Stellen gegen- über, in denen der religiöse Inhalt die Darstellungsform beein- flnsst (vgl. oben S. 576; 608). Nach Abzug derselben erübrigt ein Rest; in welchem der Styl sich dem alten höfischen nähert^ Wendungen und Ausdrücke der höfischen Poesie anklingen lässt. Z. B. Xni; 51 im Stoffe, wie überhaupt XIII; 19 ff., auf den späteren Suchenwirt deutend:

daz erz zimier in einen kränz verteilt^ der stet an truoen ganz, under hdme muotic fri oder die Schilderungen der verlorenen ritterlichen ^Freude*, XV, 47 62, auch Einzelheiten in Beschreibung und Lob des rechten Oesterreichers, des rechten Weibes in I; auch XV, 111, 121, 137. Aber jener Styl ist ihm wenig geläufig, er sticht von der Lebendigkeit und Kraft der satirischen Stellen stark ab, auch vermag ihn der Dichter nicht einmal an Orten, da er am natürlichsten Anwendung finden konnte, festzuhalten bei der Schilderung der rechten Frau; von den höfischen Worten des Anfangs weicht er alsbald ab, ihr Wesen in der Gegenüberstellung zu allerhand Ausartimgen negativ entwickelnd, wobei sogleich sein drastischer Styl und dialektisch derbe Aus- drücke wie zurt^nzerteln (I, 1381) zur Geltung kommen.

So sehr er im Inhalt seiner Satire den Ritter zum Aus- druck bringt, die Interessen seines Standes heftig verficht, den Verfall ritterlicher, zuweilen speciell höfischer Sitte beklagt, so sehr ist die Form seiner eigenen Dichtungen ein Beleg fUr den Anachronismus jener Klagen.

Sein Styl ist in seiner realistischen Art vielmehr volks-

thümlich zu nennen. Dazu kommen die zahlreichen sprich-

42*

648 9eemflll«r.

wörtlichen oder einem Sprichwort ähnlichen Redensarten I, 138, 1393; II, 549; III, 94, 192, 318, 328(?); IV, 77, 233,« 315, 814;« VII, 950, 952; Vm, 530, 544; IX, 142; altüberlieferte Gleich- nisse wie des todes wäge I, 116; des tödes naJit I, 122; unz als ein swan VII, 333; der lügende viur brunnen glich der Uehten sunnen VH, 501; wileten sam daz wilde mer VII, 1052; zescane^i als die bien bringen VIU, 166; d€Ui ich min rekt aht dd b€, sam die veder wider bli IX, 63;. das Heer mit einem Sturmwind ver- glichen XV, 758; oder dem täglichen Leben entlehnte wie I, 1121 dd sie ir friunde wesse, da warf sie IVd zwei esse; I, 1219 als ein veifuortez pfluoerdt so eben iur geschefte stäi; UL^ 35 als eim weteloufaere; XV, 842 ais ein eberswtn er Uan; XV, 844 sam ein winnunder hmt; VTII, 230 daz er den hänftnen sac leit zer edlen siden (vom Ritter, der seine Tochter einem Bauer ver- heiratet); vm, 297 an daz ich in gdiche ze der 6sterwuJie; Vni, 888 daz ist dem lant ein schürslac, oder scherzhaft derbe wie XIV, 57 sätel als die krippe; XITT, 98 iriu wines voHiu sper; I, 263 sinen köpf als einen althiunischen knöpf . . . ; I, 356 tler tcin muoz in mich sinken sam in die dürren erde; I, 705 ich muoz iuch roesten cds einen herinc 4f der gluot; I, 850 bloz sam ein sumertocke; I, 1337 die seihen (die Kokette) ich dir nenne nach einer vensterhenne; 11, 1237 ich geltche in etewenne der hübohten kenne . . .; 11, 1395 vor der herren tisch sie lüent sam die kelber nach den kiien; III, 198 »cA ewige als ein wamhis; III, 371 tler iointvanc sieht vilr die nase: under einem huofblat der hose so wol niht ist verborgen; IV, 630 er zittert als ein steinwani. Einige Gleichnisse sind speciell religiöser Art, zum Theile aach altüberliefert: der Teufel als der alte ntthunt II, 264; der helle- scherge II, 603 (und VII, 603) ; oder der wochen tage gent üf in sam die dachtroufen I, 112; des t6des strdze II, 800; des jdtners hol büwen VII, 660 (vgl der jämer bemde heUegrxvnt VII, 686); mir hanget allez noch an ein vlec der alten kürsen min IX, 41 ; nur get alle tage engegen der t6t ein tagetceide IX, 47. Dazu kommen die gangbaren Gleichnisse der Marienverehrung in X XTT, Dem gegenüber eine verschwindend geringe Zahl von solchen^ die an höfische Dinge erinnern: du hast rehte verwoUen cds ein rnuzer-

^ V^l. Reinmar v. Zw. Spruch 04 iiiid Grimm, Freid.' XCI. » Vgl. Grimm, Freid. t XCVI f.

Btadien zam kleinen Lneidarine (.Seifried Helbling*). 649

tprinze I^ 1075; toan ich sis gdtehan wU dem dehdUchaften vederspä TV, 253 (vielleicht. dea muots ein leu, der raeze ein wolfXY, 538; kaum im wcter eam er mit einer britU vroelichen heim rite XV, 690). Ebenso stark fällt der Einfluss des Dialektes ins Gewicht. Ich sehe von den zahlreichen dem Dialekte angehörigen, mehr- fach bei unserem Dichter allein belegten Worten ab und ver- weile bei der Unreinheit des Reimes. Unter 8561 Versen zähle ich 392 unreine Reime, also ungefähr 4*57 Procent. In den Stücken grösseren Umfanges, einzeln betrachtet, schwankt die Verwendung unreiner Reime zwischen S'/j bis 6 Proc. (13*56 Proc, n 4*2 Proc, IH 4*95 Proc, IV 6*5 Proc, XV 4*68 Proc, Vm 4*48 Proc, VII 4*84 Proc); die starke Ueberzahl h&lt sich dem allgemeinen Mittel entsprechend zwischen 4 und 5 Pro- cent. Weit stärkere Differenzen ergeben sich aus der Ver- gleichung der kleineren Gedichte: XIV 3*48 Proc, V 5*6 Proc, VI 1*47 Proc, Xin 4* 12 Proc, IX 3*53 Proc, X 803 Proc, XI 4*63 Proc, XII 0*— Proc Schlüsse auf zu- oder ab- nehmende Sorgfalt des Dichters im Gebrauche unreiner Reime können daraus nicht gezogen werden. Die Extreme zeigen sich in Xn, VI einerseits, X, IV andererseits, Gedichten, die aus ganz verschiedener Zeit stammen; die übrigen, grössere wie kleinere^ stimmen so ziemlich mit einander überein und lassen die Abweichung jener anderen, besonders der kleinen Gedichte VI, X, XII als zufällig erscheinen; dass wir XII speciell ohne jeden unreinen Reim finden, liegt ohne Zweifel in seinem metrischen Bau als ,Vocal8pieP begründet. Die Hauptmasse der Reimungenauigkeiten kommt den Bindungen ä : a, a : d zu (196); zunächst an Zahl stehen e:e, e: e (67); dann a : o, o : a, d : 0, 0 : dj d : o, 6 : d, 6 : a (40); i : ie, ie : i (42), welche jedes- mal auf dialektisch -diphthongische Aussprache des t hinweisen; o : 6, o : 0 (9); t : ei., ei : i (9); der Rest der Fälle vertheilt sich auf vereinzelte vocalisch oder consonantisch ung:enaue Ver- bindungen.

VII. Literarische Tradition.

Unter den österreichischen Vorgängern unseres Dichters auf dem Gebiete der Satire oder der weltlichen Sittenlehre mit satirischer Färbung? sind der Stricker, Ulrich von Liechtenstein und Konrad von Haslau vor allen zu nennen. Was den Stvl

660 S66Bfiller.

der DarBteOung betrifft, ist Ulrich am weitesten von ihm ent- fernt, Konrad ihm der nächste, der Stricker steht in der Mitte. UUchs Frauenbuch und des Stricker's Klage (Hahn, Kleinere Gedichte Nr. Xu) kommen hier in Betracht. Ulrich beschränkt sich ausschliesslich auf den Verfall höfischer Sitte, der Stricker klagt ausserdem auch über sociale, politische und geistliche Zeitverhältnisse. Bei Ulrich herrscht der höfische Styl, der Stricker bemüht sich zwar, ihn festzuhalten,^ gestattet aber be- reits zahlreichen volksthümlichen Elementen Eingang. Zwischen beiden Werken besteht übrigens directer Zusammenhang. Der Stricker klagt zu Anfang seines Gedichtes, dass er auf deutscher Erde nirgends zur ,Freude' kommen könne, dass er auch Nie- mand kenne jung noch alt der sie irgend finde, und i^o er vom Verfall ritterlicher Sitte spricht, kehrt dies Thema vom Verlust der ,Freude' wieder (Klage 12 ff., 218 ff., 237 ff., 264 ff., 311 ff., 380). Dasselbe Thema ist im Frauenbuch Ulrichs be- reits in der ersten Rede und Ghegenrede der Dame und des Ritters (595, 23 ff.) angeschlagen und bildet die Grundlage alles Folgenden. Diese Uebereinstimmung würde an sich noch nicht genügen: sie findet sich sonst häufig genug, auch bei dem Dichter des Lucidarius; um so weniger ist sie bei Ulrich und dem Stricker auffallend, welche Beide in jener Zeit des beginnenden Verfalles Repräsentanten des höfischen Conser- vatismus sind. Bedeutender aber ist, dass Beide, Stricker a. a. O. Z. 417 ff., Ubich a. a. O. S. 614, 7 ff., eine längere Stelle dem Laster der Sodomie widmen; darin stimmt Frauenbuch S. 614, 30 f. wörtlich mit Klage Z. 422 f. überein, im Gedanken fejTier Frauenbuch S. 616, 18 ff. mit Klage Z, 453 ff.; die Gesammt- auffassung ist beiderseits dieselbe, nur ist bei Ulrich der Stand- punkt des höfischen Ritters, beim Stricker der des Moralisten

* Er trftgt seine höfische Gesinnung zur Schau. Im Beginn seiner ,Fraaen- ehre* stellt er sich nicht nur als ein bürgerlicher Dichter dar, sondern auch als ein solcher, der das Lob edler Frauen so gut wie einer zu singen sich vermisst; er ist offenbiur stolz auf dies sein Werk. Hie und da findet man Andeutungen, dass er Tadel der Frauen absichtlich ^er- schweige, indem er von solchen nicht reden wolle, die seinem Ideale nicht entsprechen. Daher auch Klage 71 ff. das Lob, dass die Praaen nie besser gewesen als eben jetzt. Die Wahrheit ergibt sich \ielmelir aus Z. 347 ff., wo Über die Unbescheidenheit geklagt wird, welche Herren und Frauen an ihren Handlungen erkennen lassen; ebenso Z. 363 ff.

Stadien zun Ueinen Laoiduiiis (.Seifried Helbling'). 651

hervoi^kehrt. Femer: Der Stricker beklagt das Schwinden der ausharrenden Treue (Klage Z. 363 ff.): wenn ein Ritter heute einer Dame die Liebe erklärt, so muss sie schnell zugreifen; denn lehnt sie die Erklärung vorderhand ab, so kehrt er nimmer wieder; sieht sie aber dazu, ihn zu gewinnen^ so erregt sie iible Nachrede, dass sie ob so schneller Gewährung wohl besinnungs> loB sein, wohl auch irgend einem Anderen ebenso gut dasselbe gethan haben dürfte. Bei Ulrich 600; 3 ff. klagt die Dame über ganz ähnliche Missdeutungen^ denen eine FraM, wenn sie höfisch freundlich sich gebahrt, ausgesetzt ist; der Mann, dem die Gute gilt, denkt bei sich:

Klage 397 Frauenbuch 600, 5

s6 gedenket er: ,diu frowe tobet, ir daeht alsd: ,8i ist mir holt.

daz siz sd schiere hat gelobet, ja herr, wie hdn ich daz versoü

ich wetz woly ewer ei baete, daz ei mich als güetltch an süit,

daz st im daz selbe taete. sit ich ir hdn gedienet nihtf

Sit ei s6 v€ute gdhen kan, sie mac tvol ^n ein gaehez wip,

si gewinnet ir manegen dienst- sit ir sb wol behagt min Itp

manJ und si sd gUetlich tuot gSn mir. si hat gein mir Uht minne girJ

Das Thema der unglücklichen Heirat berührt der Stricker

kurz 341 f.:

Ich klage des rehten tmbes leben,

der mit ir manne ist vergeben.

Bei Ulrich ist derselbe Gegenstand weit ausgeführt, aber die Trope der zweiten Stricker'schen Zeile kehrt genau wieder 624, 5:

ir ist ein gift mit im gegeben, da von si muoz mit trüren leben,

und ganz wörtlich 607,18:

dem wibe ist mit im wol vergeben.

Vgl. auch Uebles Weib 20 und Haupt z. St. Ulrich hat dem- nach das Stricker'sche Gedicht gekannt und benutzt.

Directe Berührungen zwischen dem ^Jüngling' des Konrad von Haslau und jenen Beiden besteht nicht. ^ Dieser Edel-

1 Man kann nicht eine vereinzelte, an sich wahrscheinlich blos stylistische Berahmng, wie sie zwischen Frauenbuch 685, 29 f. und , Jüngling* 873 f. besteht, urgiren. Ulrich spricht von Missbrauch der Jagd, Konrad Ton der des Spieles, darauf folgt die Wendung:

652 866mftll«T.

knabenBpiegel, wie man ihn nennen kann, ist bisher -wenig benutzt, und verdient doch seine wohl zu bemerkende Stelle in der Entwicklung der (teterreichischen Satire, die zwischen den fünfisiger und neunziger Jahren des 13. Jahrhunderts vor sich gegangen ist. Weder bei Ulrich, noch beim Stricker lässt sich ein bewusster Gebrauch bestimmter, der Form der Satire angemessener Kunstmittel wahrnehmen; der Styl ist bei ihnen im Allgemeinen der des lehrhaften Gedichtes. Immerhin ist ein Fortschritt vom Stricker zu Ulrich bemerkbar. Schon der eine Umstand, dass dieser die Schilderung der Zeitverhältniase in die Form eines Dialogs zwischen den Repräsentanten jenes Standes einkleidet, dessen Sitten Thema sind, bewirkt eine übersichtlichere Gestaltung des Ganzen: der Stricker reihte Klage an Klage ohne besondere Gliederung noch Symmetrie. Ulrich versucht femer bereits, die Schilderung eines Miss- Standes in die Form einer zusammenhängenden kleinen Er- findung einzukleiden, welche sich als ein für sich selbst inter- essirendes Lebensbildchen darstellt. Das Frauenbuch gewährt nur ein Beispiel 607, 3 ff., ein Bild ehelichen Lebens: Mancher Mann erhebt sich irtih Morgens, sobald er erwacht ist, nimmt den Hund an das Seil, läuft in den Wald und setzt nichts an den Mund als sein Hom, um zu blasen das ersetzt ihm nicht die Freude, die Ihre rothen Lippen ihm machen könnten! Ist er den Tag über umhergerannt, so kommt er aus Müdig- keit Abends heim, lagert sieb an einem Tisch, lässt sich das Spielbrett bringen und spielt und trinkt, bis ihm die Besonnen- heit schwindet. Geht er endUch vom Tische, so findet er »ein Weib noch wachend, sie grüsst ihn freundlich, geht ihm ent- gegen ; er antwortet nicht, sieht nur zu, dass er sich gleich zur Ruhe begebe, um bis zum Morgen zu schlafen. Und mor{s:en thut er es so wie heute. An diese Art, Sittenschilderung in Erzählung umzusetzen, knüpft der ,Jüngling* an und setzt sie weiter fort. Andererseits steht dem Gedichte, was die realisti- schen Elemente der Darstellung im Einzelnen betrifft, der Styl des Strickers näher.

Fravenbuch. JAngling.

jd mein ich die jager mhl, hret$piler meine ich nikt,

die mon durch kurtwU jagen »ihi die man durch kumnl epiln »iht

Studien zum kleinen Lnoideriue (,Seifried Helbling*). 653

Die Didaktik Konrads von Haslau ihrerseits ist die unmittel- bare Vorstofe zur Satire des Lucidarius.

Die stylistische Verwandtschaft beider Schriftsteller ist unverkennbar, zunächst in der realistischen Stärke^ öfteren Derb- heit des Ausdrucks im Einzelnen. "Wir lesen im , Jüngling^ (Haupt's Zeitschr. VIII, 550 flf.): toaei* er ein lade üf einer brücke 58, maneger hat der esel ort 163, daz striche an einen loetzetein, ewaz im ddfilegt daz ohsenbein (der Würfel = das^Spiel) 291; statt im Spiel sein Geld zu verschwenden, sollte der Thor unter An- derem zusehen ewd ein boeee brildce tcaere, daz man die bezzerte da mite (306); e der würfi in scheide von der wdty er beginnet rauben unde stein 338; daz er alle viere von im rakte 397; der einen holzwec geriet . . . 1034 u. s. w.; oder die Serien von Scheit- und Schimpfwörtern: er kranch, er storch, er dbiz etc. 257 ff. , owi er kragelundez huon, er miUkleffel u. s. w. 906 ff. u. s. w.; ebenso die Gleichnisse: raez als ein hovewart, dem daz gater ist vei'spart 245, und latst in scherzen als ein visch, mit twerhen Sprüngen als ein hosen 412, s6 sitzet maneger als ein pfluoc 558, er izzet als ein mdder und trinket als ein bader 609, dcus ist als der s&aen herm wil kratzen 937, reht als dem äffen im ge- schiht 982, sust verirrt ez als ein wahtelbein 1210 u. A. Er wählt mit guter Beobachtung charakteristische Einzelheiten zu Gegenständen der Satire; man vergleiche besonders die Schilde- rung des Spielers 387 ff., der unartigen Tischgenossen 529 ff., 560 ff., 617, 619, 623.

Indem Konrad so verfährt, gewährt er der abstracten didaktischen Darstellung wenig Raum, seine Satire besteht zu- meist in der directen Schilderung von Handlungen oder Zu- ständen. Einzelne derselben stellt er mit reicheren Details dar, so dass ein genrehaftes Ganze entsteht. Tritt endlich das stylistische Moment der Ei*findung dazu, so sind wir bei den- jenigen Formen satirischer Darstellung angelangt, die wir beim Dichter des Lucidarius so häufig verwendet fanden.

Konrad spricht 295 ff. von der Spielwuth. 387 ff. personi- ücirt er den Würfel und schildert dessen Schicksale in der Hand eines leidenschaftlichen Spielers: er wird gektisst, ge- streichelt, gepriesen, ehe er in den Beutel gelegt wird, gestossen, geschlagen, geworfen, wenn er die Hoffnung des Spielers nicht erfüllte. Ich hdnz gehoeret xmde gesehen, so beginnt die kleine

654 SeenftlUr.

Scene; ebenso wie der Verfasser des Lucidarius häufig seine Genrebilder einleitet. Dem Abschnitt von der Lüge lässt Eonrad eine Gesprächsscene zwischen einem Erzieher und dem Vater seines Zöglings vorausgehen^ welche darauf angelegt ist, in einer Pointe die grosse VerwerfHchkeit der Lüge hervortreten zu lassen (741 ff.) AehnUch ist die Stelle über die Hofiiarren eingeleitet: ,Keii hat viele Kinder hinterlassen, die noch übler geraten sind als er^ von deren einem soll die Rede sein' u. s. w. (831 ff.).

Konrad beutet aber diese kleinen stylistischen Erfindungen, in denen die Keime zur Entwicklung des satirischen Genre- bildes liegen^ nicht aus. In der Ausbildung, die sie beim Dichter des Lucidarius finden, beruht dessen Fortschritt über Konrad hinaus. ^

Die Verwandtschaft Beider zeigt sich auch in partieller Uebereinstimmung des Stoffes. Das übermässige Trinken, thörichte abenteuerUche Kleidermoden, Abmahnung vom Lügen, Hofnarren und Spielleute, pädagogischeAbsichten sind von Beiden gleichmässig behandelt worden. An sich wäre nun möglich, dass diese unzweifelhaft vorhandenen Beziehungen nicht directer Natur seien ^ der , Jüngling' könnte der zuftdlig erhaltene Re- präsentant jener Entwicklungsstufe der Satire sein, deren all- gemeine Tradition der Lucidarius aufnahm und seinerseits fort- bildete, ohne dass der Verfasser des letzteren gerade von jenem Gedichte gelernt haben müsste.

* Andere Gedichte genrehafter Erfindung und Darstellung stehen ausser Zusammenhang mit dem Lucidarius. Oesterreich gehört an das Gedicht von der Wiener Meerfahrt, eine schwankartige Erz&hlung mit leise sati- riseher Färbung. Es kann aber nicht ein satirisches Genrebild im eigent* liehen Sinne genannt werden, weil die Hauptabsicht des Verfassers Aof die epische Ausschmückung des überlieferten Schwankmotives gerichtet ist. Der Satire n&her steht das Gedicht vom üblen Weibe, insofeme es den Charakter einer literarischen Parodie trägt (vgl. L. Bock, Wolf- rams von Eschenbach Bilder und Wörter für Freude und Leid S. 56 ff.). Ich nenne es hier, weil es auf benachbartem bayrisch-salsburgischem Boden entstanden sein dürfte (Haupt zu Z. 404). Durchaas schwank- massig ist der ,Weinschwelg', auch er parodirt höfischen Styl und höfische vröude (vgl. Wackernagel, Lesebuch I, S. 733, 16 ff.; auch S. 734, 13 ff.: 738, 33 ff.). Das Gedicht hat nicht im Mindesten didaktische Tendenz, wie sie hingegen im ,Wein8chlund* deutlich zu bemerken Ist. Vielleicht gehört es nach Oesterreich.

Stadien zun >l«inen Lveidarina (,8«ifried Helbling')* 655

Directe Ueberlieferung Tom. »Jüngling^ aus zu jenem ist aber schon von Hanpt a. a. O. S. 587 vermathet worden.

Der Verfasser des Lueidarius kannte das Gedicht: er citirt es 11^ 443; man vergleiche:

Lueidarius Jüngling* 27

als ich sie gemerket hdn, sicelch edel kneht missetaete,

sprach diu Wdrheit, sunder wdn, des er doch biUtch wandel haste,

man sol sie biÜich schrihen, daz er mir ez zinsen solde,

daz sie ze Imoze hliben min pfant ich wenic setzen wolde,

von Haslou meüter Kuonrdt, und niender wabere ein jUngelinCy

der in disem lande bat er müest mir geben ein pfenninc,

den wandelbaeren jüngelinc sicetine er missetaete, niur umb einen pfenninc,

Aeusserlich verbindender Faden ist im, Jüngling' die am Schlüsse jedes Abschnittes immer wiederkehrende Forderung der Pfennig- biisse.^ Diese Erfindung nun, dass Jeder, welcher in den vom Satiriker getadelten Fehler verfällt, ihm eine winzige Busse leisten müsse, woraus aber schliesslich durch die grosse Menge der Fehlenden eine grosse Summe, ein förmliches Vermögen flir den Sittenprediger entstehe, diese Erfindung hat im Luei- darius (11) sicherlich die Fiction von der Bohnen- und Weizen- kombusse hervorgerufen. Wo gleiche Themata von beiden Schriftstellern behandelt werden, berührt sich vielfach auch die Form des Ausdruckes:

Jüngling Lueidarius

68 in rekter lenge gewahsen hdr 1,502 sin här er schöne wahsenlie

dar in rehter lenge

1 Mit dieser Erfindung kann man jene des sp&teren Gedichtes vom Meister Seuaus (J. M. Wagner's Archiv I, S. 18 ff.) vergleichen: hier werden die einzelnen Gegenstände der Satire nach den sieben Hauptsünden abgehandelt; für jede derselben hat Reuaus eine Salbe, und ähnlich wie im , Jüngling* Jeder , der in einer bestimmten Art sich gegen eine Regel des gesellschaftlichen Benehmens vergeht, einen oder mehr Pfen- nige zahlen soll, so vertheilt Reuaus seine Salben. Die Stoffe dieser späten Reimerei berühren sich theil weise noch (vgl. SchOnbach, a. a. O. 8. 14) mit dem Lueidarius: Themen wie die thörichte Mode- und Prunk- sucht (S. 9ff.), der Hochmuth der Bauern (S. 27 ff.), die selbstsüchtige Frau (8. 211 ff.) erinnern an diesen. Die Stjlform des satirischen Genrebildes fehlt bis auf Z. 357 ff. ; hier wird genremässig das Tagewerk eines Säufers geschildert.

656 SeemlllUr.

77 Ir tuUfür war mir gelaufen, I, 504 dn hibe nikt so enge einez heizet moebehouben: dedahie im einer arenWr;

die deckent ein dre und den ddgienienderkruetelvitr.

wirvelloc, 1, 272 geetricket hüben mii «ntie- hie vor beUbt ein groezer ren

echoe; ^ eih ich eumUche trageiu

der edhe dunket eich ad knüz, der geetalt muoz ich sagen,

im etrübent vom die locke üz aihabentechopfeevädäver.

Der Gedanke, welcher den obiger Stelle angeschlossenen

Zeilen (85 f.):

daz priee ich im in der fuoge

ale er 4z einer etüden luoge

zu Grunde liegt, scheint ein ähnliches Bild im Lucidarias an- geregt zu haben m, 368 ff.:

herre, eehi ir die tdten hUet

mit irhen underzogenf

daz sag ich iu ungdogen:

der vointvanc steht vür die nase;

under einem huofbUU der hose

s6 u)ol nikt ist verborgen.

ob er 81 in sorgen?

jd herre, des ich wol swUer,

er luogi s6 wütitch her füer. Genauere stoffliche Uebereinstimmungen findet man ferner bei Vergleichung von , Jüngling' 125 f. und 171 ff. mit Lucidarius VIII, 557 und 574 ff.; oder ,Jüngling' 724, 712 mit Lucidarius II, 1220 ff., 1254. Wörtliche Entlehnung scheint Lucidarius IL 386 zu sein:

Jüngling Lucidarius

165 der ist der sinne ein kcdp, der sitine eiii gans, der ziüäe der zukt ein Hnf ein kvo.

Wenn auf diese Weise directe Benutzung des ,Jüngling8* im Lucidarius gesichert erscheint, so kann ausser dem schon S. 653 Erwähnten die innere stylmässige Verwandtschaft beider Schriftsteller auch in der volksthümlichen Sprache Kon- rads Bestätigung finden: er verwendet zahlreiche dialektische Ausdrücke^ fligt gerne sprichwörtliche Redensarten ein, z. B.

> Vom Herausgeber für tchopf der Hs.

3tndi«n svm kleinen LacidArini (.Seifried Helblinf*). 657

9, 23, 671, 970, 1026, 1193, gebraucht 834 ff. eine ganz volks- thümliche Räthselform: bevor er dort das Joint Keüs^, das er im Sinne hat, ausdrücklich nennt, lässt er rathen:

der Ut einez weder wurm noch tier,

ez ist weder vogel noch visch,

und gehoert doch üf der herren tisch;

ez ist weder wtp noch man

und freit doch guotiu kleider an u. s. w.

In der Reinheit des Reimes ist Konrad aber tiberlegen: der ,Jünghng* enthält 1*97 Procent unreiner Reime, darunter 17 a ; a, ä : a; 5 ie : i, i : ie; je einmal o : 6, e : e, e : en; der beim Lucidarius häufige Reim a : o (und dessen Variationen) fehlt gänzlich.

Der Inhalt des ,Jtinglings' lässt als wahrscheinlich ver- muthen, dass der Verfasser ,Zuchtmeister' der Knappen eines adeligen Herrn gewesen sei. Zumeist spricht er von denjenigen Anforderungen, die an einen adeligen Jüngling gestellt werden müssen; ' zwar sind auch einzelne Stellen an die meizogen, die Hofmeister, gerichtet, doch in zweiter Linie und insofeme, als

* Ich erwähne hier einige sachliche Uebereinstimmungen zwischen dem yJüngling* und den ^Tischzuchten' (Altd. Tischzuchten von Moriz Geyer,

Altenbarg 1882):

J«]|gling. TÜMbsnchtea.

63 twaht die hend, tnidt hdr und AB 12 Die hend niht ungetwagen

fiegel abe. IM,

Bemldi die naget ah den henden, 270 ritewanzen, jucken, temde tHkm C 117 Ir eÜU die xende »turennikt,

C 109 Ir nUt die auch jucken

niht. 564 er biugt den rücke, »wenn er »ich C 41 Vnd der »ich über die

habet »chiizzel hahet^

durch ezzen» gir über die »ehUzzel. 8o er izaset, ala an «totn.

666 der m »eUt ein »prüezel undem AB 66 Sittt üf geriht und niht

drüxxel, getmogen,

daz er üf geriht »aeze doch die %iiMe und daz er aeze, 672 dem i»t ge»eüikeit unkunt, C 163 Daz er dem gemazzen un-

reihte tuot der t^nrni gn6xen überistet. mit überexsen^ daz zimt niht

wd.

658 StemüUer.

das Kind bereits richtig erzogen werden muss, um ein tilclitiger Knappe zu werden. Der ritterliche Stand des Verfassers müsste daraus gefolgert werden: an sich ist dies in Folge des Themas und des Interesses ^ mit welchem der Dichter die ritterliche Zucht des Knappen zu wahren sucht, sehr wahrscheinlich; denn an einen Geistlichen zu denken fehlt jeder Anhaltspunkt religiöse Gedanken mangeln nicht, aber sind weit weniger ausgeprägt als im Lucidarius^ dessen Verfasser doch unzweifel- haft Ritter ist. Auf ritterlichen Stand deuten femer die Worte

Z. 6ff.:

unzuJU ist noch gebiurisch schände,

gebiuwer unde herren kinty

9wd die gelicher tiyende sint,

da ist daz lemerin worden bunt;

sicherer noch Z. 2öf.:

het ich ein lehen von den fürsten,

nach ir gab liez ich mich selten dürsten;

so kann wohl nur ein Ritter sprechen (vgl. L. Guppenbei^er, Antheil Ober- und Nieder-Oesterreichs an der deutschen Lite- ratur seit Walthers Tod bis zum Ende des 14. Jahrhunderts, S. 50). Und dass der Dichter des Lucidarius vom ,Meister* Konrad spricht, ist entweder überhaupt irrelevant, oder es ist auf seine pädagogische Stellung angespielt, deren Kenntniss jener noch besass, so dass er, wenn nicht Zeitgenosse Konrads, doch keinesfalls durch langen Zwischenraum von ihm getrennt wäre. Aus dem ,Jüngling^ endlich möchte ich noch folgende Stelle auf den Verfasser selbst beziehen (1169):

swer in not nach eren ringet und sich üf reihte fuore twinget und vlizet sich der besten tugent, daz frumet nn armuot in der jugenf, er wirt verstendec und gedvldec, wee snht man inf wes ist er schuldecf er kan boese und guot verstän^ waz er sol tiion unde Idn, Der ganze Abschnitt, der von der Schwierigkeit handelt, wie unter grosser Armuth die ,Zucht' begründet und gewahrt werden könne, unterscheidet sich in der Wärme des Tones von den übrigen; Stellen wie:

Studien zum kleinen Lncidarins (,SeifHed Helbling*). 659

ez (daz kint) muoz ^n gar van guoter art,

ob ez vor unztJit sich beioart (1149 f.)

oder (1156):

ein kleine g^e diinktz ze vü,

tcan ez ist anders nüU gewent,

wan deiz sich dicke nach gäbe sent

haben ein persönliches Gepräge, und ich bringe die letztere zu der oben citirten (Z. 25) in Beziehung.

Karajan (zu VIII, 1228 und H, 443) und Haupt (Zeitschr. VTQ, 587) vermutheten^ dass eine Stelle des Lucidarius (VIII, 1228) auf ein zweites verlorenes Gedicht Eonrads hindeute:

vor sagt ir im aUiu maer, diu im der alte Haeelouwaer vor zweinzec jären hat geseit.

Die altiu maer bezeichnen die Geschichte der Eroberung Oester- reichs durch Rudolf, dessen Wahl zum Könige vieUeicht über- haupt alles daS; was das achte Gedicht von 1037 ab an histo- rischen Ereignissen erzählt. Es ist nicht der mindeste Grund vorhanden^ die Stelle auf einen Anderen zu beziehen, als den, der allein Haselauer genannt werden kann und VI, 119 flF. in der That so genannt wird: ein Mitglied des Geschlechtes der Haslauer, in diesem Falle der alte Otto von Haslau, der in freundUchen Beziehungen zu den Habsburgem stand und die Rolle eines Rathgebers und Wegweisers in der einheimischen Landesgeschichte, die ihm der Dichter a. a. O. zuweist, sehr wohl innehaben darf.

Der Verfasser des Lucidarius kannte wahrscheinlich auch Wolframs Parzival. Zwar hat der Klassiker keinen merkbaren stylistischen Einfluss ausgeübt, aber doph mehrfache sachliche Reminiscenzen hinterlassen. Ziemlich häufig sind Namen aus dem Parzival genannt (vgl. S. 612, Anmerkimg), manche in solchem Zusammenhang, dass man wohl selbständige Kenntniss des Originals bei unserem Dichter voraussetzen muss; derart ist die Erwähnung Orgelusens und Qramoflanz', XV, 133 ff., oder Secundillens und Feirefiz', IH, 150 ff. Auch mit höfi- scher Lyrik war er bekannt: I, 757 ff. spielt er auf ein Tagelied Heinrichs von Morungen an (über die Echtheit des erhaltenen.

> Dem nanmehrigen Könige Albrecbt

660 SeemfilUr.

MSF. 143, 22, vgl. Gottschau Paul Braune'ß Beitr. VII, 377). Von eigentlicher Einwirkung höfischer Kunst ist im Lucidarius nur wenig mehr zu verspüren (vgl. S. 647), ein einzelner höfi- scher Autor, dem er nachgeahmt, umsoweniger zu erkennen. Wichtiger scheint mir das, was auf volksthümliche Dichtungen ausdrücklich hinweist: dreimal ist jker Bemhart Vridanc* ge- nannt (vgl. S. 612) und jedesmal ein ihm zugeschriebener Spruch citirt (vgl. Grimm über Freid. S. 22); sprichwörtlich ge- wordene Citate nach Nibelungen 1897, 3 und Klage 21 77 Ln. finden sich VI, 160; XIV, 86; Vm, 1064; als Muster der tmIu ist neben König Saladin zweimal VII, 366; XIII, 111 Fruot v<m Tenmarke genannt.

In der Stelle von den Hofteidingen wird einer schrift- stellerischen, auf sie bezüglichen Arbeit gedacht II, 698 ff.:

ze Wienne diu hofteidinc,

der ist nivlich gedähi;

er hat sie hovdich dar h'dht,

der sie hat getihtet Karajan rieth auf den Stricker; doch für diesen wäre an und fUr sich der Stoff fremdartig, die Annahme, dass er ihn über- haupt behandelt, ein Anachronismus; allen Zweifel hebt endlich das nitdtch auf. Doch vermag ich nicht einen anderen Autor- namen mit grösserer Sicherheit an seine Stelle zu setzen.*

Karajan vermuthete für das flinfte Gedicht Einfluss des Stricker's, und zwar speciell seiner ,KlageS Massgebend musste ihm wohl die äussere Einkleidung des Gedichtes in die Form einer Klage des Landes Oesterreich gewesen sein. Auf dies allein hin kann nicht eine halbwegs annehmbare Vermuthung gegründet werden. Und im Stoffe berühren sich beide Ge- dichte nur darin, dass beim Stricker (167 ff.) wie im Luci- darius über die Rathgeber des Fürsten geklagt wird; dort all- gemein, hier in persönlichster Satire, deren in den Zeitverhält-

1 Am liebsten denke ich bei dieser Stelle an Ottokar von Steier, an einen damals bereits bekannt gewordenen Ausschnitt ans seiner Chronik, in dem ausführlicher und in einer Albrecht freundlichen Weise von den Hofgerichten die Rede gewesen sei. Ich betone aber, dass das über- lieferte Werk einen thatsAchlichen Anhaltspunkt nicht gewährt. L. Guppen* berger (a. a. O. S. 51) denkt an ein selbständiges Gedicht eines uns sonst unbekannten Didaktikers.

Studien snm kleinen Lveidurins (,Seifried Helbling*). 661

xüsaen begründete Anlässe ausdrücklich hervorgehoben sind. Dadurch verliert auch dieses Jl^Ioment der Uebereinstimmung viel an Gewicht.

Sonst finden sich auch in anderen Gedichten des Luci- dariuB stoffliche Analogien zur ^age^ Gegen das unkeusche Leben der Geistlichen wendet sich Klage 53 ff. und Lucidarius II, 824 ff.; gegen die ungerechten Gerichte Klage 201 ff., 108 ff. und Lucidarius 11, 131 ff.; gegen die Gewaltthätigkeit der Reichen gegenüber den Annen Klage 96 ff. und Lucidarius 11, 105 ff., doch in der ,Klage^ von verschiedenem Gesichtspunkte aus; gegen die bösen Zungen Ellage 213 ff. und Lucidarius II, 366 ff., wiederum in verschiedener Auffassimg. An eine Entlehnung ist hiebei nirgends zu denken; keine Detailübereinstimmung spricht dafür; auch ist zu betonen, dass der allgemeine Gesichts- punkt, von dem aus der Stricker alle diese Erscheinungen auf- fasst der höfische Begriff der Freude im Lucidarius in der Behandlung der gleichen Themata nicht mehr hervortritt. Nun mag es auffallen, dass die Hauptmasse der Berührungs- punkte zwischen dem Stricker und dem Lucidarius in einem und demselben Stücke des letzteren vereinigt ist: dennoch ist ein Schluss, dass eben die gesammte ,Klage^ bei Abfassung des zweiten Gedichtes vorgeschwebt habe, unstatthaft, denn die Composition desselben, welche sich der alten Form der ,Satire auf alle Stände' am meisten unter den erhaltenen Stücken nähert, begünstigte den Wechsel der satirischen Themata und führte das Zusammentreffen in der Behandlung solcher Zeitver- hftltnisse herbei, welche damals wie zur Zeit des Strickers zu satirischer Betrachtung aufforderten, zum Theil wie die Klagen über die Geistlichkeit alt hergebrachte Themata der Satire waren.

Noch weniger steht der Lucidarius in directer Beziehung zu Ulrichs Frauenbuch. Hier schreibt ein Adeliger vom Stand- punkt speciell höfischer Lebensanschauimg, dort ein Ritter, der die Interessen seines Standes vorwiegend in politischer und socialer Hinsicht verficht. Abgesehen von jener einen Stelle des Lucidarius (XV, 47 ff.), in der der Verlust der ritter- lichen Freude beklagt wird, trifft die ganze Sammlung im Stoffe mit Ulrich nur darin noch zusammen, dass hier wie dort von der zimehmenden, allen Traditionen widersprechenden Spar-

Sitxuni^ber. d. phil.-hist. Cl. CIL Bd. U. Hft. 43

662 SsenAller.

samkeit der Ritter die Rede ist. Einmal (636, 12 ff.) spielt Ulrich darauf an: die Herren gehen allein zur Jagd, damit sie Brot und Wein sparen, was sie sonst ihren Leuten geben müssten daz ist ein swadiez filrgten leben. Der Lueidarius geht öfters auf dies Thema ein, in viel stärkeren Ausdrücken und mit drastischeren Beispielen (vgl. S. 605 f.). ^

TUT. Inhaltsabersichten.^

Gedichte der ersten Gruppe.

XrV. Oesterreiohisohe Landessitte.

Einleitung (1—4).

Nichts gleicht dem Lande Oesterreich in der Wetter wendigkeit der Bewohner, alle möglichen fremden Sitten ahmen sie nach: ungarische, böhmische, meissnerische, bayrische, kärntne- rische, krainisohe, wälsche, besonders jetot schwäbische. Aber auch insofern gleicht nichts den Landen Steier und Oesterreich, als die zwei Söhne des römischen Königs hier herrschen. Unseren jetzigen guten Frieden wie 's hier noch keinen gab kann er vom Rheine her wohl unter- stützen. Verdienet das, ihr Dienstmannen, lasst das Feilschen, zieht zum Rheine: dort trinkt und zahlt ihr Etzels Wein! (6—86.)

y. Bei Landes Klage.

Einleitung (l, 2).

Ich armes Land Oesterreich klage Euch, König Rudolf, und allen Euren Schwaben über den Herzog, der mich yor den Ungarn

* Eine vereinzelte Uebereinstimmung im Gebrauch einer Metapher ist femer zu erwKhnen. Ulrich schildert 609, 21 ff. die Tranksacht der Herren und verwendet dabei u. A. das Bild dd ateckeni «• ffä tpere ent- zwei (610, 6): ähnlich heisst es im Lueidarius in der Wirthahaoaecene des dreizehnten Gedichtes Z. 94 ff.:

ävoi, tote tie trinkeni

die seihen waUtwenden!

man »iht an ir henden

vU kwticReher ger

iriu fc^nee fJoUiu sper

gin dem munde »enken

und tich zer tjofte lenken^

diu in niht harte veüei. ) Vgl. Karajan in Haupt's Altdeutschen Blättern II, S. 5 ff.

Stndien zum kleinen LncidArias (,Seifried Helbling'). 663

nicht schützt; über die habgierige Herzogin, den räuberischen Grafen von Rabenswald und dessen wucherische Schwägerin, über den Tauferser, den listigen Fuchs, die A.lle, was sie mir geraubt, nach auswärts senden ; über den falschen Abt von Ad- . mont, über die yier Rathgeber des Herzogs. Das ist meine erste Klage (3 101). Zum Zweiten sage ich Euch: meine Geduld ist erschöpft, wenn Ihr nicht Abhilfe trefft (102 105) ; zum Dritten: der Teufel soll Euch in den Kragen ! (106, 107.)

VI. Die Versammlung.

Einleitung (l, 2).

Der Yerfasser mahnt den Herzog Albrecht an seine königliche,

zu besonderer Tüchtigkeit anregende Abstammung (3 12)

und lädt eine Anzahl adeliger Herren ihm zur Hilfe ein, bei.

einem jeden die besonderen Verhältnisse heryorhebend, die

ihn zur Dienstleistung auffordern sollen (13 203). Das Gedicht «st nnyoUständig überliefert.

Xm. Brief des SpielmannB Seifried Helbling an den Spielmann ^ Julian.

Einleitung (1 5).

Seifried klagt, dass er alt sei und die Besten überlebt habe, er -^^ zählt sie auf und preist ihre Bitterlichkeit (6 87).

Jetzt aber muss er sich um tummeln, so gut es eben geht. Kommt ^^ er in Märkte und Städte, so trifft er im Wirthshaus eineHelden- Bchaar, im Spielen und Trinken begriffen. Hire Freigebigkeit erweisen sie, indem sie ihm Wein auftragen lassen. Er dafür yerräth ihnen einen Zug von Fuhrleuten: sie machen sich auf, diese zu berauben. Das ist jetzt sein Tagewerk (87 188).

Er wünscht dem Genossen gutes Gedeihen im gleichen Gewerbe (189—194).

Gedichte der zweiten Gruppe.

LncidariuB-Gedichte.

I. Der kleine Luoidarius. "^

Einleitung: Anrufung Gottes; Charakterisirung des Knechtes; Benennung des Gedichtes (l 32).

A. Gespräch Yom Gute (83 148).

Lücke. 38 42, im Inhalte sich an das Verlorene schliessend,

zählen Yortheile auf, die Gut dem Menschen bringt. Der reiche Geizhals (43—64, Lücke).'

1 Yielleicht ist auch zwischen den Z. 58 und 59 Lücke anzunehmen; denn der Ausdruck iwige armuot 60 und hie 63 lassen eine geistliche AufiGusung der Armuth vermuthen, die nicht wohl zum Vorhergehenden

passt.

43*

664 SeenftlUr.

Lücke. Von der jungen Frau and dem alten reichen Manne (65—148).«

B. a Wer ist der rechte Oesterreicher? (149 545.)

Uebergang (149 206). Bei den Ungarn herrscht einheitliche Landessitte; nicht so im kleinen Oesterreich. Im Wald- viertel z. B. und in der Ragzgegend tragen sie überlange Aermel als Diebskutten. Bei solcher wunderlicher Sitte müsse er, der Knecht, wohl nach dem rechten Oesterreicher fragen (207 222). ^Abenteuerliche Kleidung (223—244). . Hüte (245—268). Hauben,Koller;niederdeut8cheModethorheiten(269 300).

Keiner von diesen ist der rechte Gestenreicher. I)er gewappnete Benommist und Säufer mit seinen Knechten

Wolfsdarm und Geierskropf (301—454). Andererseits Leute, die sich nach den überzierlichen Schwa- ben, die der Herzog ins Land gebracht, richten (455 bis 478).

Auch unter diesen ist er nicht zu finden. Schilderung und Preis des rechten Oesterreichers. (479 bis 545).

ß Wo findet man ihn? (546—927).

Wohl im eigenen Heere?

Ist es der Feldhauptmann des eigenen Heeres, der seine

Landsleute grausam plündert und beraubt? (546 819)

oder der Heergeselle, der aus dem Felde zieht, den Acker

zu bebauen? (820—837) oder der Prahlhans, der ungewaffnet gegen die Feinde will, wohl aber nur von ferne dem Kampfe zusieht? (838 bis 879.) Schilderung eines rechten Heergesellen (880 927).

C. Frage nach dem rechten Weibe (928 1402).

Gegensätze (928—1341).

Die betrügerische Frau, die sich weidlich füttert und ihren Mann fasten lässt (928—1092).

Die Freche, die sich hoffärtig und zuchtlos zur Schau trägt (1093—1137).

Die Hals, Kehle und Wangen Schminkende (l 1 38 1 1 66).

Die böse Vettel, die ehrbar und züchtig in der Kirche, und zu Hause eine Betschwester doch aufs Gröbste mit dem Gesinde und dem eigenen Manne verfahrt, gewalt- thätig und immer schimpfend (1167 1229).

* Ich rechne diesen Abschnitt 66 148 noch sam Thema des vorher- gehenden ,vom Gute*. Darauf weisen besonders Z. 102 und 117 hin.

Sindien zum kleinen Luoidarias' (.Seifried Helbling*). 665

Eine, die, nur sioh und ihres Leibes Bequemlichkeit

pflegend, ihrem Manne und Gesinde Alles nachsieht, wo*

fem es ihr selbst dabei nur wohl ergeht (1230 1287).

Die Kokette, die, aus den Fenstern fleissig spähend, mit

vorübergehenden Stutzern Blicke und Zeichen wechselt,

wohl unterstützt von ihrer Zofe (1288 1341).

Schilderung einer durchaus frommen, ehrbaren und treuen

Hausfrau. Diese erkennen sie als Muster an, ob man ihrer

auch in weitem Baume kaum dreie finden mag. Eine

davon ob Gott will besitzt der Ritter und wünscht

sie noch lange zu besitzen (1342 1402).

IL Das Gericht, v^

Einleitung. Der Knecht möge sich vorstellen, sein Herr vertrete des Herzogs Stelle und sitze zu Gericht. Vor ihm möge er die Anklage führen. Ihm zur Seite im Bathe stehe Triu Wdrheü einerseits, Schäme ZuhtMdze Bescheidenheit und J^re andererseits.. Der Knecht schwört, ohne Bücksicht auf Gunst oder Abgunst die Wahrheit zu sagen und nichts von dem zu verhehlen, was dem Lande schädlich ist (l 54).

A. Erster Tag.

Klage über die Verwirrung der Standesunterschiede in der Klei- dung (56— 81).«

Im Dienste grosser Herren steht der Knecht ,Dien8tumsonst'. Wie soll daher ein getreuer Armer im Dienst^ sein Aus- kommen finden? (82 122).

Klage über die ungerechten Gerichte. Die Herren unterstützen die Bäubereien ihrer Leute, statt ihnen zu wehren ; die Armen finden nicht Schutz (123--^192).

Missgnnst und Lüge sind ein andrer Fehler. Die Treue gibt eine biblische Genesis der Missgunst, die Wahrheit der Lüge. So wünscht denn der Knecht , dass ihm der Herzog für jede Missgunst eine Bohne als Strafausmass gewähre : kein Kloster, das ihm nicht steuern müsste; besonders aber die Bauern, auch zu Wien die Bathgeber des Fürsten: auf hundert Jahre hätte er dann genug. So wünscht er auch dem Bitter von jeder Lüge ein Weizenkorn: einen Bottich von vierzig Metzen müsste er bei Hofe neben der Stiege aufstellen, einen anderen am Gb:aben zu Wien, einen dritten am Schottenhof, wann Pferdemarkt sei (193—362).

Gegen die verleumderischen, schamlosen Zungen (363 420).

1 Die Zeilen 79—81, welche durch die Lttcke zwischen 78 und 79 ausser klarem Zusammenhang stehen, beziehe ich (als Schlussworte) zu diesem Abschnitte. Denn da die fehlende Stelle kaum grosseren Umfang hatte, durfte in ihr wohl kein Wechsel des Themas stattgefunden haben,

666 SeemüIIer.

Der Ejiecht nennt noch zwölf Aeasserimgen böser Gesinnungs-

und Handlnngsweise (421 460). Der erste Sitsnngstag ist beendigt (451 456).

B. Zweiter Tag.

Soenische Einleitung (457 518). Anklage der Yersclilagenheit (519 560). Anklage der Habgier (561 634).

Die Landtaidinge Leopolds und die neuen Hoftaidinge werden einander entgegengestellt, jene als einzige Gerieb tsstellen ge- wünscht (635 766). Eine gelegentliche Bemerkung (764) fuhrt zu einer Rede über die Geistlichkeit :

^ Die Geistlichen treiben Simonie, weil sie dem Herzog nicht Bede zu stehen brauchen; auch sonst ist ihr Leben tadelns- werth. Darum sollen sie yor des Herzogs Gericht: denn der Papst ist zu ferne, und ihre anderen geistlichen Vorge- setzten kümmern sich nicht um sie. Ueberhaupt fehlt ihnen ja jetzt das geistliche Oberhaupt (767 836). Vertheidigung der Geistlichkeit vom religiösen Standpunkte (837—858). Klage, dass der römische König nicht seinen Sinn nach Born

richtet (859—896). Klagen über yerschiedene unedle und unritterliche Gebrechen

der Zeit (897—924). Man verurtheilt den, der einen geistlichen Orden bricht, nicht aber den, der gegen den ersten aller Orden, von Gott selbst gesetzt, die Ehe, sich yergeht. Hier zu Lande sind viele -Ehebrecher (925—1006). Der Knecht will als Gottes Engel, wie jener, der zu Niniye ge- warnt, den Leuten ins Gewissen sprechen. Als der Bitter meint, die Fürsten wären wohl kaum zur Busse herbeizuziehen, weist er auf Gott, der sie in der Hölle strafen werde; er klagt schliesslich über die Bichter^ welche arge Verbrechen frei ^~ geben (1007—1042).

Schlussrede: diesem Lande möge es nicht so gehen wie dem ver- wirrten Ungarnreich (1043 1058).

C. Dritter Tag. Einleitung (1059 1078).

Anklage der Juden, hauptsächlich in religiöser Beziehung (1079

bis 1210). Klage über die fortwährend in Eisen gerüsteten, die Buhe des

Landes gefährdenden Knappen, Bitter und Dienstmannen

(1211—1280), über dieBänkel- und Bettelsänger, deren Namen in zahlreichen

charakteristischen Appellatiyen ausgedrückt sind (1281

bis 1432).

Studien sam kleinen LaciduiaB (,Seifried Helbling')« 667

in der Art der Friamel wird entwickelt, dass ein Beiner natür- lichen Art und Ordnung entfremdetes Land Schaden leide. Allerhand Sitten finde man am Hefe zu Wien, nur nicht sieben rechte Oesterreicher bei einander (1433 1490).

Schluss: die Missstände mögen vor den Herzog gebracht und er um Abhilfe gebeten werden (1491 1616).

m. Das Bad.

Kaoh der Mühe dieses dritten Gerichtstages nimmt der Herr ein Bad, begleitet yom Knechte« Die ersten Abwaschungen geschehen (l 86).

Die folgende Pause benutzen Beide zum Gespräche: der Bitter hält jenem die ungerechten Bitterkeiten vor, die er vorher über die reichen Bauern, die Edelleute, welche unedle Beschäfti- gung treiben, die verkehrte Kleidermode, die Nachahmung ausländischer Sitten vorgebracht habe, und begleitet jeden Vorwurf mit einem Buthenschlag. Er weist ihn schliesslich weg (87—262).

Das Bad wird beendigt. Beide finden sich wieder; der Knecht entschuldigt sich, alle die Verkehrtheiten, die er gerügt, wolle er seinem Herrn zu Liebe für gut halten und gut nennen. Deshalb wird er getadelt, dass er jetzt wieder ins entgegen- gesetzte Extrem verfalle. Dagegen verwahrt er sich und bringt nun seine wahre Meinung vor : wenn Ausländer, in Oesterreich verweilend, die eigenen Sitten beibehalten, sei nichts zu sagen; dass aber Einheimische fremdartig sich be- tragen und kleiden, das betrübe ihn; auch das Abenteuerliche der Kleidung. Der Herr lenkt nun ein: er höre wohl gerne die aufgeweckte Rede seines Knechtes, gerathe dadurch aber in Verruf bei seinen Landherren. Der Kuecht bezieht sich auf die reine Gesinnung, in der er den Tadel ausspreche. Schliess- lich wird ihm Mässiguug empfohlen (263 404).

lY. Die vier Markgrafsohaften.

A. Die Verschwörung (1 488).

Einleitung, auf das frühere Verhältniss zwischen Ritter und

Knecht bezüglich (l 18). Allgemeine Darstellung der Verschwörung, welche vier Dienst- mannen gegen den Herzog anzettelten. Sie wollten ihn der Herrschaft entsetzen und versprachen dem römischen Könige, wenn er ihnen hülfe, 40000 Mark Mehreinkünfte und Truppen- zuzüge. So hörte es der Bitter einst von seinem Knechte er- zählen (19 36). Die Verschwörer überlegen die Art, wie sie das Geld auftreiben wollten: Bitter und Edelknechte müssten in ihren Rechten eingeschränkt werden. Der eine beantragt, 'dem König Plan und Mittel der Verschwörung mitzutheilen, er will vier Markgrafschaften aus dem Land^ machen (37 87).

668 See Dl Aller.

Zwischenrede: Ein alter Ritter, der ebenfalls Zuhörer des er- zählenden Eneohtee war, vertheidigt die Ehre der Bitter (88—108). Nähere Barstellung, wie der Knecht Mitwisser der Versehwörang geworden sei : er habe einst ungesehen während einer Jagd . eine heimliche Unterredung der vier Herren belauscht (109 bis 140).

Die Verschwörer wollten das Land Oesterreich in vier Theile, die ihnen zufallen sollten, theilen ; ja sie bestimmten schon den Umfang der einzelnen Gebiete (141 272). Zwischenrede des Dichters (273 294). Fortsetzung des Berichtes von der heimlichen Unterredung: Die Herren waren ungewiss, ob sie bis zur Ankunft des Königs warten oder gleich losschlagen sollten. Sie beschliessen endlich, an Adolf zu schreiben und ihn zu baldiger Ankunft aufzufordern (295 380). Die Unterredung nimmt ihr Ende. Die Herren schliessen sich der Jagd wieder an und fragen nach ihrem Verlaufe. Der Knecht erstattet Bericht, die Hunde mit allegorischen Namen benennend, in denen er alle die bösen Triebe personificirt, welche gerade vorher zu einer Jagd auf den Landesfiirsten sich verabredet hatten (381 488).

B. Die Versammlung zu Triebensee.

Einleitung. Der alte Ritter will nun von der Versammlung zu Triebensee hören ; die Drei trafen sich daher am andern Tage wieder und der Knecht erzählte weiter (489 590).

Trotz aller Heimlichkeit erhielt der Herzog Kunde von der gähren- den Unzufriedenheit; er berief die Landherren nach Wien, wählte aus ihnen die vier angesehensten und fragte sie, wie er sich dem römischen Könige gegenüber, der ihm zu schaden bedacht sei, verhalten solle. Die Vier erbitten sich Zeit zur Berathung (591—624).

Sie rathen dem Herzog , nach dem Willen der Landhenen zu verfahren. Eine Versammlung derselben wird anberaumt (625—680).

Deren Resultate tragt einer der Herren dem Herzoge vor, in folgenden Klagepunkten (681 836): dass das Land mit Fremden überladen sei (718 fr.); dass der Herzog sein Hofgesinde entlassen möge (732 ff.); dass bei Verleihung von Bnrgen, Märkten, Städten der Rat aller Landherren eingeholt werde (743ff.); ^ dass der Herzog sein Gut zum Vortheit des Landes verwende (747 ff.);

* Vgl. Siegel, Sitzungsb. der philos.-hist, Classe, CII, Bd., S, 256; Frieds, Habsburger Festschrift, S, 76,

Stadien zum kleinen Lncidsrins (,Seiftied Helbling*). 669

das« die Stellung der Ritter, und Edelknechte eingeschränkt werde: das Recht der Dienstmannon solle vor dem der Ritter und Knechte gehen, sie sollen nicht mit gleichem Rechte jenen gegenüber in den Schranken stehen, Niemand solle Burgen haben als die rechten Dienstmannen (759 ff.);

dass die Gfauvesten alle gebrochen würden (794 fr.);

wer Einen erschlage, dem solle sogleich Eigen und Lehen ab- gesprochen werden, und das Lehen zu Gunsten dessen er- ledigt sein, der es verliehen habe (819 fr.). Antwort des Herzogs (837 872 . . .):

Die Fremden sollen entlassen werden, bis auf die, welche sich

im Lande bereits ansässig gemacht haben (841 ff.);

das Hofgesinde kann nicht entlassen werden (851 ff.). Dm Gedicht ist unvoUstluidig überliefert. y

XY. Bas Buch der Geheimnisse. ^

Einleitung. Da der Verfasser sich zu schwach fühlt, am die Ge- heimnisse der Gottheit zu besingen, wendet er seine Gedanken

auf menschliche Angelegenheiten (1 30). Verfall der ritterlichen Sitte (31— 216).^ -

Klage über den Verfall der ritterlichen Freude (31 62).

Unritterliche Kleidung (63—74)

Zu Hofe hörte der Knecht einst vier der Besten sich unter- reden, nicht Ton ritterlichen Sachen, sondern von gemeinen, auf niedrigen Erwerb gerichteten. Besonders einer vermass sich, die Ritter und Edelknechte möglichst drücken zu wollen: fände er ein 30 Pfund werthes Ross, so müsste der Ritter fünf Theile zahlen, der sechste würde ihm ge- schenkt, und dafür müsse er noch sehr dankbar, sein das ist ihre Milde ! Der Herr hebt aber hervor, dass sicher kein Kuenring unter den Vieren war und preist das Ge- schlecht (75—186).

Es gibt sogenannte Dienstmannen, ohne Ritter oder Edel- knechte. Wie kann ein solcher ein Dienstmann sein? Er spart sein Geld, um es seinem Kinde, dem alle adelige Zucht fehlt, zu vererben (187—216). Der XJngarnkrieg, als Beispiel jenes Verfalles (217 330).--

Die Unthätigkeit der Dienstmannen zeigte sich beim Ungarn- einfall (217—230).

Schilderung des kleinlich eigennützigen, furchtsamen Gebah- rens der Vertheidiger Wiens (231 330). Zwischenrede (331 479).

Wie anders kämpften Herren in früherer Zeit gegen die Un- garn! (331-359.)

Wie anders war auch die Hofhaltung Herzog Friedrichs ! (360—367.)

Jetzt aber soll der Fürst kein Hofgesinde haben. Wo hinaus nun mit den Rittern? Zu Hofe kommen sie nicht und ihr

670 SsemftUer.

Herr geht ohne Sporen, die Pferde hat er heim gesandt und mit seiner Küohe steht es sohlecht (368 394).

Uebel steht es um einen Hof, wenn der Bath nur an Gewinn denkt und es hämisch aufnimmt, wenn ein Herr in adeliger Weise mit grossem Gefolge einherkommt. ,Der will sein Gut yersohwenden/ raunen sie dem Fürsten ins Ohr; ,bei dir sind wir gerne/ sagen sie, ,du gibst uns deinen guten Wein, der mir genau so wohl thut, als wenn mein eigenes Haus ToU Bitter und Knappen sasse, die zu meinem Schaden sich gütlich thun.' Der Edle, der so aufgenommen wird, yerlässt in Aerger solchen Hof (895 464).

Der Herr tadelt den Knappen, dass er zu weit gehe und des Landes Schande offenbare; dieser aber: das sei das Buch der Geheimnisse und tauge nur für solche, die des Landes Gebresten beklagen helfen (465 479). Fortsetzung des Berichtes vom Ungarnkriege.

Klage über die acht- und zusammenhangslose Vertheidigung: ein Bauer yeriheidigt seine Schlafhöhle besser (480 536). Zwischenrede.

Nachruf nach König Budolf (537—558). Die Friedensverhandlungen (559 854).

Die erste Zusammenkunft der Abgesandten blieb erfolglos (559 590). Der Bischof von Kalocsa, Andreas' Legat, kehrt zu seinem König zurück und meldet den Gang der

Verhandlungen : die Oesterreioher hatten für die Abtretung des ungarischen Landes 40.000 Mark verlangt, er aber Hainburg, Brück, Himberg, die Neustadt und Starkenberg (591 ff.). Auf den Bath Graf Ybans von Güssing lässt der König sein Heer gegen Wien aufbrechen (711 ff.). Darauf fand eine Zusammenkunft zu Hain bürg statt; der Herzog geht auf die ungarischen Bedingungen ein und behält sich nur vor, die Burgen der Bäuber und Diebe zu brechen' (797 ff.).

Vni. Die Stande. \/'

Einleitung. Der verabschiedete Knecht trifft den Herrn auf einem Morgenspaziergange und Beide beginnen ein Gespräch (1-18). Frage nach dem rechten Dienstmann (19 590).

Antwort. Besonders soll er sich frei halten von Simonie

(19—116). Fernere Eigenschaf ben : Treue gegen den Fürsten (117 1 38) . Verhältniss der Stände, Unterschiede und Vermischung der- selben (139 590).

* lieber die inneren «und äusseren Widersprüche in dieser Dsrstellnng der Friedensverhandlungen vgl. oben 6. 616 ff.

Stadien zum Ueineo Liiddftri«s (,8eifHed Helbling*). 671

Verhältniss swisohen dem Fürsten, den Dienstmannen, Bittem, Knappen und Banem (189 170).

Söhne bäurischen Vaters und ritterbürtiger Mutter (die um des Beichthums willen dem Bauer yerheiratet wurde) gewinnen Rittersrang (171 S35).

Allgemeine Ausgleichung der höheren Stände mit den nächst niederen durch Heirat um Qutes willen. Zunehmende Hoffart im Geihrzt -Werden; Dutzen kann zu Zeiten ge- fährlich sein. Daran schliesst der Knecht eine Bemer- ' kung: Zu Hofe drängen ist gefiUirlich, denn dort gibt es solche, die weite Aermel tragen wie Mönche, darunter aber Armleder, dass dem Drängenden die Arme blau, werden könnten (836 468).

Bitter, denen Dienstmannsrecht nicht zukommt, spielen sich als Dienstmannen auf und pochen in kleinlich i lächerlicher Weise auf ihren angemassten Bang (469 bis 590).

Klagen vor dem Gerichte des Königs (591 1012).

Uebergang. Der Knappe, gescholten wegen seiner kecken Zunge, will seine Klagen vor den König bringen, wenn er ins Land käme (591 612). Durch manche Widerrede seines Herrn unterbrochen, yerkündet er, was er vor dem König zu sagen gedächte: er würde um feste Sonde- rung und Ordnung der Stände bitten (646 672), um Bei- behaltung der einheimischen Sitte (731 808); denn der König ist der Höchste, er hört arm und reich in gleicher Weise, das Beich ist das Becht (633—645; 676—705; 722—727). (613—888.) Der Bitter geht auf den Wunsch des Knappen, dass er den König vorstellen möge, ein und hört folgende Klagen an (839—1012):

DemUebermuth, der Hoffart und Verschwendung des ,Gäu- huhns' muss gesteuert werden durch eine Kleider- und Speiseordnung, wie sie zu Zeiten Herzogs Liutpolds war. Die Bauern sollen Knüttel für die Hunde tragen, nicht Schwertmesser noch Schwerter; sollen Fleisch, Kraut, Brein essen, nicht Wildpret, am Fasttage Hanf, Linsen, Bohnen Fisch und Oel sollen sie den Herren lassen (839—888). Die Dienstmannen sind den Bittern und Knappen feindlich gesinnt; er wisse wohl drei in diesem Lande, denen Bauern lieber sind als Bitter (889 930). Der Knecht weiss aber auch viel vom Beichsrechte: diesem gemäss soll Jeder, den der Papst in den Wucherbann gethan hat, sobald er den Bann über ein Jahr lang trägt, in die Beichsacht verfallen, er sei welches Standes immer ;

672 Seenflller.

sein Qut sollte vom König gepfändet und zu Gnnsten des heil. Landes Terwendet werden (931 1012). Oesterreiohs Ehrenrede (1013 1229). Uebergang (1013—1086).

Herzog Liutpold zieht ins heil. Land und erbaut den Deutsch- . herren die Burg Starkenberg (1037 1048). Der König von England ward in diesem Lande beschatzet

(1049—1054). Geschicke Oesterreiohs vom Tode Friedrichs des Babenbergers bis zum Königthum Albrechts, mit besonderem Verweilen bei der Wahl Rudolfs und der Erwerbung der österreichi- schen Lande (1055—1229).

Schluss: Der Knecht erregt durch übermüthiges Benehmen den Zorn seines Herrn und wird weggeschickt. Er grämt sich nicht darüber; Oesterreiohs Ehre wird er verkünden, wann der König ins Land kommt; was auch die Ejri^e Schaden angerichtet haben mögen es ist ein gutes Land- chen: Jp^ heuer der Wein schlecht übers Jahr wird er, so ^p will, besser (1230—1246).

IX. MemenJo mori.

Einleitung: Das Alter rückt heran, mit ihm die Gedanken an

den Tod. Mein Knappe suchte mir sie auszureden. Doch ich

wies ihn von mir (1 3l).

Die Trennung (82—136).

j^ 1 Einst sass ich, in Gedanken an meine sündigen Jngendgewohn-

heiten versunken, von denen ich noch immer nicht ganz

/^ lassen kann. Da gesellte sich der Knappe wieder zu mir und stellte mir noch mindestens dreissig Jahre Lebenszeit in Aussicht. Aber sechzig habe ich bereits gelebt wie soll ich vor Gott Rechenschaft über so lange Zeit ablegen können? Nochmals wollte der Knappe mich aufmuntern; ich erklärte ihm, dass ich mit ihm nichts mehr zu schaffen haben und meine Gedanken allein auf den Tod wenden wolle. Als er darüber unwillig und im Unwillen unehr- erbietig wurde, jagte ich ihn von mir und so geschah unsere Trennung.

Schluss (137 167): Ich freue mich, dass ich ihn los bin und meinem reumüthigen Sinne nachgehen kann.

X. Gebet.

Anrufung Marias um Fürbitte bei dem Sohne (1 48).

Anrufung der Trinität (49—55).

Bückblick (56 87). Ist meine Bede jetzt nicht besser als da- mals, da sie sich in den Gesprächen mit dem Knappen erging? Das soll nimmer geschehen. Was ein wackerer Mann thut, das ist wohl gethan und lob würdig. Ich selbst vertrug mich

Stadial mm kleinen Lncidurins (,8eifried Helbling*). 673

wohl mit den' Menschen; suchte ich Spott, so fand ich ihn auch wieder das lasse ich jetzt gerne. Kind Vater Ahne hin ich gewesen: jetzt trachte ich nur mehr nach dem Heil der Seele.

Anhang.

a) ZI« Per englische Grass (zwölf neunzeilige Strophen).

ZII. Bitt- und Bussgedicht (zwei Yerszeilen und fünf zehnzeilige Strophen).

b) VII. Der Traum.

Einleitung. Der Dichter will eines der Wunder Gottes er- zählen (1—16).

Die Herausforderung (l 7 204). An einem schönen Maimorgen helauBchte er ein Gespräch zweier Jungfrauen, der Treue und der Wahrheit. Sie klagen über die Zustände im Lande, durch welche sie es zu verlassen genöthigt werden (17 126). Da kommt Wankelbolt, als Bote der TJi^reue, der Lüge, der Feindschaft und Missgunst, welche zu Triebensee ein Heer versammeln, um mit den Tugenden sich zu messen. Die Heraus- forderung wird angenommen, das Heer der Tugenden wird sich bei Eckendorf am Wagram aufstellen (127 204).

Der Dichter beschliesst dem Kampfe beizuwohnen (205 238).

Der Kampf (239 1 130). Aufstellung der Heere. Ein^unsicht- bare Stimme bescheidet den Zuschauer und nennt ihm die Schaaren und ihre Führer beiderseits. Mit Sonnenuntergang ist die Aufstellung beendigt (239 481). Am andern Morgen beginnt der Kampf: beide Heere sind in sechs Scharen getheilt; die Laster unterliegen den ihnen entgegen- gesetzten Tugenden und die Anführer werden in Seelen ge- bannty die ihnen besonders ergeben sind: so fallt anheim die Lüge einem Kosstäuscher, die Falschheit einem Gerichts- herrn, die Feindseligkeit einem Reichen, die Missgunst einem Bauer, die Untreue einem Verräther, die Unmässigkeit einem Pfaffen, die Feigheit einem Weber, die Kargheit einem Geiz- hals, der Betrug einem Schiffer, die Schande einem trunkenen Edlen, die Thorheit einem Erbsohn, die Frechheit einem alten Spielmann, die Hoffart einem Cardinal, Wankelbolt endlich einem üblen Weib. Zuletzt löst sich das feindliche Heer in stinkenden Dampf und Nebel auf und das Gewölke verzieht sich gegen das Gebirge in die Höhen des Oetschers. Das Heer^ der Tugenden leuchtet in immer hellerem Glänze, dass mensch- liche Augen ihn nimmer ertragen. Gott preisende Stimmen lassen das Gloria in excelsis erschallen (482 1130).

Erklärung und Nutzanwendung (l 1 31— 1246). Was der Dichter eben erzählt hat, war ein Traum. Aber Erzieher und Er-

674 S««mfllUr. Stadf«! tnm kleinen LueldMiue (,8«ilHed Helblinir*)*

zieherinnen mögen ihn beherzigen und der Jagend zu Nutzen, znm Vortheile ritterlicher Bildung anwenden (1131 1180). ^Jdeal eines jungen Bitters. Wären doch in Oe8terrei<^ dreissig solche! (1181—1216). Subjectives. Der Dichter klagt, dass er alt werde, dass man ihn schlecht oder gar nicht verstehe, er warnt Alter und Jugend (1217 1246). Schluss (1247 1263). Er widmet das ,Büchlein' weisen Leuten, denen die Förderung der Tugend am Herzen liegt.

XXVn. SITZUNG VOM 6. DECEMBER 1882.

Das c. M. Herr Prof. Dr. Horawitz überreicht im Namen des hochw. Prälaten von Klostemeuburg^ Herrn Ubald Kostersitz, dessen Werk: ,Monumenta sepxdchralia eorumque epitaphia in coUegiata ecclesia b. M. virginis Claustroneoburgi^ für die akade- mische Bibliothek.

Von Herrn Regierungsrath Dr. Constant Ritter von Wurz- bach wird der 46. Band des ^Biographischen Lexikons des Eaiserthiims Oesterreich^ mit dem Ersuchen um Bewilligung des üblichen Druckkostenbeitrages vorgelegt.

Das c. M. Herr Prof. Dr. Schuchardt in Graz über- sendet eine Abhandlung: ^Kreolische Studien H. Ueber das Indoportugiesische von Cochim' mit dem Ersuchen um ihre Ver- öffentlichung in den Sitzungsberichten.

Herr Prof. J. Loser th in Czemowitz überreicht eine Ab- handlung imter dem Titel: ^Studien zur Geschichte der Ent- stehung und Ausbildung des böhmischen Herzogthums^ mit dem Ersuchen um Aufnahme derselben in die akademischen Schriften.

An Drucksohriften worden vorgelegt:

Acad^mie royale des soiences, des lettres et des beaux-arts de Belgiqne:

Bnlletiii. 61* ann^, 3«<i s^rie, Tome IV, Nos. 9—10. Bnixelles, 1882; 8^. Berlang^a, Dr., Hispaniae anteromanae synta^ma. Malacae, 1881; S^, BibliothÄqne de rilcole des Chartes: Bevue d* ihradition. XLIII* ann^e,

1882. liTraison. Paris, 1882; 8«. Edon Oeorges: Trait^ de langae latine. ^riture et prononciation da latin

savant et du latin popnlaire, et appendice sar le chant dit des Fröres

arvales. Paris, 1882; 8^

676

Gesellschaft, allgemeine geschichtforschende der Schweiz: Jahrbuch filr schweizerische Geschichte. VII. Band. Zürich, 1882; 8<^.

antiquarische in Zürich: Mittheilnngen. Band XXXI, Heft 3. Zürich. 1882; 40. Denkschrift zur fünfzigjährigen Stiftungsfeier 1882. Zfirich;4<'.

schlesische für vaterländische Cnltur. UX. Jahresbericht. Breslaa, 1882; 8».

Greifs wald, Universität: Akademische Schriften pro 1881; 43 Stücke,

80 und 4«. Handelsministerium, k. k., statistisches Departement: Nachrichten Über

Industrie, Handel und Verkehr. XXIV. Band, U. und IIL Heft. Wien,

1882; 80. Institut national d^Oosolinski: O Ludnot^ci polskiej w Pru siech niegdit knj-

^Jickich; napisal Dr. W. Ketrzyilski, We Lwowie, 1882; 8«. Institute, the anthropologieal of Greai-Britain and Ireland: The Joninai.

Vol. Xn, Nr. II. November, 1882. London; 8«. Societj, the rojal Asiatic: Journal of the North China Brauch, 1882.

N. S. Vol. XVn, Part I. Shanghai and Honkong, Yokohama, London,

Paris, 1882; 8».

the Asiatic of Bengal: Proceedings. Nr. m. March. Calcutta, 1882; 8*. Verein fttr Geschichte der Mark Brandenburg: Märkisehe Forsehnngen.

XVI. und XVn. Band. Berlin, 1881—1882; S^ Wissenschaftlicher Club in Wien: Monatsblätter. IV. Jahrgang, Nr. 2. Wien, 1882; 4».

XXVm. SITZUNG VOM 13. DECEMBER 1882.

Das c. M. Herr Director Conze aus Berlin erstattet per- sönlich Bericht über den Fortgang der Publication der attischen Grabreliefs.

Das w. M. Herr Ministerialrath Dr. Werner legt für die Sitzungsberichte vor: ,Die Cartesisch - Malebranche'sche Philo- sophie in Italien. H.: Gr. S. Gerdil.*

Das c. ML Herr Professor Dr. Adalbert Horawitz legt unter dem Titel: ^Erasmiana IH.' eine Fortsetzung seiner Erasmus-Studien vor, und ersucht um deren Aufnahme in die Sitzungsberichte.

677

An Druoksohrlften wurden Yorgelegt:

Acad^mie des inscripiions et belle»-leUres: Comptes rendus. 4" sArie, Tome X.

Bulletin de Juillet Aoüt Septembre. Pans, 1882; 8». Dorpat, Universität: Akademische Schriften pro 1881—1882. 36 Stücke

40 und 80. Facult^ des Lettres de Bordeaux: Annales. IV' ann^e, No. 4. Bordeaux,

Londres, Berlin, Paris, Toulouse, 1882; 8^. Gesellschaft, archäologische zu Berlin: Die Befreiung^ des 'Prometheus.

Ein Fund aus Pergamon. XXXII. Programm zum Winckelmannsfeste

von Arthur MilchhOfer. Berlin, 1882; 40. kais. russische geographische: Bulletin, 1881. St. Petersburg, 1882; 8°. Mamiani, Terenzio: Delle questioni social! e particolarmente dei Proletaij

e del Capitale. Libri m. Borna, 1882; 8^. OHnin, A«: Observations sur une note de Touvrage intituU: ,Peintures

de vases antiques.* St-P^tersbourg, 1881 ; 8^. Programme: VII. und VIII. Jahresbericht der Gewerbeschule zu Bistritz

in Siebenbürgen. Bistritz, 1881; 80. K. k. Ober-Gymnasium in BOhm.-

Leipa, 1882. BOhm.>Leipa; 8^. Brixen: XXXII. Programm. Brixen; S^.

Deutsches k. k. Gymnasium in Brttnn für das SchDijahr 1882. Brunn; 8^. Jahresbericht der Forstschule zu Eulenburg. 32. Cursus. 1882--1883. Olmütz, 1882; 8^. Königl. Ober-Gymnasium in Fiume, 1881—1882. Agram, 1882; 8^. Almanach der königl. Beohtsakademie zu Grosswardein für 1880—1881. Grosswardein, 1881; 8«. •- des Obe1^ Gymnasiums zu Grosswardein pro 1881 1882. Grosswardein, 1882; 8^.

des evangelischen Gymnasiums A. B. und der mit demselben ver- bundenen Realschule, sowie der evangelischen Bürgerschule A. B. zu Her- mannstadt für das Schuljahr 1879—1880 und 1881-1882. Hermann- stadt; 4^. des rOmisch-katholischen Piaristen - Oberg^mnasiums zu Klausenburg pro 1881 1882. Klausenburg, 1882; 8^ des kOnigl. katholischen Ober-Gymnasiums in Leutschau pro 1881 1882. Leutschau, 1882; 80. VI. Jahresbericht der k. k. Staatsgewerbeschule zu Pilsen, 1882. Pilsen, 1882; 8^. des k. k. Franz Josefs-Gymnasiums zu Lem- berg pro 1882. Lemberg, 1882: 8^. Dreizehnter Jahresbericht der landwirthschaftlichen Lehranstalt Francisco-Josephinum in Mödling, 1882. MGdling; 8^. IX. Programm der H. deutschen Staats-Ober-Realschule in Prag. Prag, 1882; 8«. VI. Jahresbericht der k. k. Staats-Gewerbe- schule in Reichenberg, Schuljahr 1881 1882. Reichenberg; 80. des k. k. Ober-Gymnasiums zu Rzeszow pro 1881. Rzeszow, 1881; 8^. des k. k. Staats-Ober-Gymnasiums zu Saaz pro 1882. Saaz, 1882; 8». des ftlrsterzbischOflichen Privat-Gymnasiums Collegium Borromäum zu Salzburg pro 1881—1882. Salzburg, 1882; 8^. des evangelischen Gymnasiums A. B. in Schässburg pro 1881 1882. Hermannstodt, 1882; 40.

Der k. k. Ober-Realschule in Spalato pro 1880—1882. Spalato; 8».

R. Liceo Pontano di Spoleto nelPanno scolastico 1878—1879. Spo- leto, 1880; 80. deir J. R. Scuola reale superiore in Pirano, 1880—

BitzQDgsber. d. pbil.-liist. Cl. CU. Bd. n. Hft. 44

678

1881. Trieste, 1881; 8^. Siebenter Jahresbericht der k. k. Unter- Realschnle in der Leopoldstadt in Wien. Wien, 1889; 8^ XL Jahres- bericht der k. k. Ober-Realschale in der Leopoldstadt in Wien. Wien, 1882; 8*. des k. k. akademischen Gymnasinms in Wien pro 1881

1882. Wien, 1882; 8<^. des k. k. Frans Josefs-Gjrmnasinms in Wien. Schuljahr 1881—1882. Wien, 1882; 8* Jahresbericht des k. k. Ober- Ojmnasinms zu den Schotten in Wien pro 1882. Wien, 1882; S^. IX. Jahresbericht des niederOsterreichischen Landes-Lehrerseminars in Wiener-Neustadt pro 1882. Wienei^Nenstadt, 1882; 8^ XYII. Jahres- bericht der niederösterreichischen Landes-Ober-Realschule und der mit derselben Tereinig^n Landesschale für Maschinenwesen in Wiener-Nen- stodt pro 1882. Wiener-Nenstodt, 1882; 8^. Jahresbericht über d«s Studienjahr 1880 1881 der k. k. technischen jHoehschule in Wien. Wien, 1882 ; 8*^. X. Jahresbericht des Vereines der Wiener Handels- Akademie 1882. Wien, 1882; S^. XXXL Jahresbericht über die k. k. Staats- Ober-Realschnle im m. Bezirke (Landstrasse) in Wien pro 1881—1882. Wien, 1882; 80. XXI. Rechenschaftsbericht des Anssehnases dea Vorarlberger Museum-Vereins in Bregenz über den Verainsjahrgang 1881. Bregenz; 8<*. X. Jahresbericht des k. k. Staats-Gymnasiums ra Freistadt in Obei^Oesterreich für das Schuljahr 1880. Freistadt, 1880; 8». Vn. Jahresbericht der k. k. Obei^Realschule zu Jaroslan im Schal- jahre 1882. Jaroslau, 1882; 8^

Society, the Royal of Victoria: Transactions and Proceedings. Vol. XYIII.

Melbourne, 1882; 8^. Verein, historischer für Niedersachsen: Zeitschrift, Jahrgang 1882 and

44. Nachricht über den historischen Vereiü in Niedersachsen. HannoTsr,

1882; 8.

Werner. Der CartetUninniia in Italien. IL: Oi«c. Sig. Qerdil. 679

Die Cartesisch -Malebranche'sche Philosophie in

Italien.

Von

Dr. Karl Werner,

irirU. Xitgliede der kaie. Akademie der WieeeMckeflen.

II.

Q-iac. Sig. Q-erdil.

Inhaltsttberslcht.

§. 1. ZeitBtellang und allgemeiner Denkstandpnnkt Gerdirs. §. 2. Seine philoiophische Yertheidigung der natürlichen Wahrheiten des religiösen Den- kens: Seelennnsterblichkeit, Dasein eines Überweltlichen Gottes u. s. w. §§. 3 ff. GerdiPs Polemik gegen Locke in Anbetracht der Immaterialitftt der Seele; ZarflekfÜbnmg dieser Streitfrage auf den Begriff der ICaterie, Ein- stehen für die ausschliessliche Giltigkeit und Richtigkeit des Cartesischen Be- griffes der Blaterie, Vertheidigong der Cartesischen Physik gegen die soge- nannten Newtonianer, Polemik gegen Monadisten and Atomisten. §$.7 ff. Gerdil*8 Polemik gegen den physikalischen Determinismus und dessen Ueber- tragung auf das Gebiet der Anthropologie und Psychologie, Unterschied des Mensehen Tom Thiere gegründet auf das YermOgen abstracter und untver- saler Ideen. Entstehungsweise der menschlichen Ideen; Yertheidigung der Malebranche^schen Lehre vom menschlichen Schauen der Dinge in Gott gegen

Locke*s Kritik derselben.

§• 1.

Der bedeuteadste itaUenische Vertreter der Cartesisch-

Malebranche'schen Philosophie ist ohne Zweifel Giacinto Sigis-

mondo Gerdil^ der eben so sehr durch die Vielseitigkeit seiner

Bildung hervorragt, als er durch die Milde und massvoUe

Besonnenheit seines Urtheiles anspricht und in der innigen

Verschmelzung seiner religiösen und wissenschaftlichen Ueber-

zeugungen sich als eine harmonisch durchgebildete Person-

44*

680 Werner.

lichkeit zu erkennen gibt. Allerdings bat diese Durchbildung ihre Grenzen, die geistige Vermittlung dringt nicht in die eigent- lichen Tiefen der Dinge und ist primär nicht etwas Selbstgefun- denes, sondern einer anderen, ihn geistig leitenden Auctorität Nachgedachtes; er bewegt sich jedoch innerhalb der seinem Selbstdenken hiedurch gezogenen Grenzen mit solcher Sicher- heit und weiss die vom geistigen Gesammtleben seiner Zeit aus- gehenden Anregungen mit solcher Klarheit mit dem grundhaften Inhalte seines selbsteigenen Denkens zu vermitteln, dass man von ihm durchwegs den Eindruck eines in seiner vielseitigen Entwicklung ruhig abgeklärten und auf sich selber stehenden Geistes empfängt.

Zu Samoens in Savoyen 1718 geboren, trat Gerdil früh- zeitig in den Orden der Bamabiten und wurde zur Vollendung seiner Studien nach Bologna geschickt, woselbst er den geist- vollen F. M. Zanotti zu seinem Lehrer in der Philosophie hatte; später lehrte er selbst an der Tiu*iner Universität Philosophie und Moral und wurde vom König Karl Emanuel I. zum Er- zieher seines Enkels ausersehen; 1777 wurde er nach Rom l>e- rufen und mit dem Purpur geschmückt, theilte mit Papst Pius VI., der ihn an seine Seite berufen hatte, das Loos der Vertreibung aus Rom, kehrte aber nach Erwählung des Papstes Pius Vn. nach Rom zurück, woselbst er hochbetagt sein Leben beschloss (1802). Seine Blttthezeit fHllt in die Mitte des 18. Jahr- hunderts, in das Zeitalter des Papstes Benedict XIV., der ihn von Bologna her kannte und hochschätzte, wie denn auch Gerdil selber in seiner zwischen Vergangenheit und Gegenwart ver- mittelnden geistigen Haltung ein Ausdruck jenes Zeitalters war. Er entfaltete während seiner mehr als dreissigjährigen Lehrwirksamkeit eine rege literarische Thätigkeit, welche sich über die verschiedensten Fächer, über Physik und Mathematik, Philosophie und Theologie, Ethik und Pädagogik, Recht and PoKtik verbreitete; * im Mittelpunkte seiner geistigen Bestre- bungen steht jedoch das Bemühen, die Coincidenz des rieh- tigen philosophischen Denkens mit der unbefangenen und unver-

1 Eine erste Gesammtausgabe seiner Werke erschien zu Rom 1806 1820 in 15 Bänden; eine zweite in 8 Bänden zu Florenz (1844 1B51), nach welcher letzterer wir in dieser Abhandlung citiren.

P«r CartesianiBmTis in Ilalien. II.: Hisc. 8ig. Oerdil. 681

fluschten religiösen Anschauung der Dinge aufzuzeigen; und als das geeignete Mittel hiezu erscheint ihm die Cartesisch- Malebranche'sche Doctrin. ^

Gerdil's Vertretung des Cartesianismus fUllt in eine Zeit und hatte unter Umständen statt, die von jenen^ unter welchen Fardella zum ersten Male als entschiedener Cartesianer in Ita- lien sich ankündigte, völlig verschieden wai*en. Fardella sah sich darauf angewiesen, die Existenzberechtigung der Cartesi- sehen Doctrin durch Äufzeigung der Insufficienz der scholastisch- aristotelischen Philosophie zu erweisen. Gerdil hatte^ da er als Schriftsteller zu wirken begann, bereits Leibniz und Locke hinter sich, war Zeitgenosse Voltaire's, J. J. Bousseau's und der franzö- sischen Encyklopädisten; der scholastische Peripatetismus galt dazumal selbst schon in den theologischen Schulen als eine veraltete LehrweisC; der Spiritualismus der Cartesischen Doctrin hingegen^ die zu Fardella's Zeiten von Vielen als eine bedenk- liche Neuerung angesehen worden war, als der philosophische Hort der religiösen Gläubigkeit gegentlber den Anschauungen and Doctrinen, die aus der philosophischen Denkbewegung des 18. Jahrhunderts sich heraussetzten. ^ Dazu kam die massvolle^

* Für die Darstellung der philosophischen Lehre GerdiFs sind in dieser Abhandlung in erster Linie verwendet: Della origine del senso morale, ossia dimonstrazione, che vi ha nelP uomo un naturale criterio di approva- sione e di biasimo, rignardante V intrinseea morale differenza del giusto e del ingiusto; il quäle unitamente alla nozione del^ordine e del hello nasce dalla facoltä, che ha Tuomo di conoscer 11 vero |(Opp. I, p. 473 bis 565). Memoire de Tordre (Opp. I, p. 567 577). Dissertazione della esistenza di Dio e della immortalitji delle nature intelligent! (Opp. I, p. 579 675). L'immat^rialit^ de V&me demontr^e contre M. Locke par leg mdmea principes, par lesquels ce philosophe d^montre Texistence et Timmat^rialit^ de Dieu, avec des nouvelles preuves de Timmat^ria- lit^ de Dieu et de T&me tirees de TEriture, des Pöres et de la raison. Ouvrage d^id a S. A. R. Monseigneur le Duc de Savoie (Opp. I, p. 677—933). Osservazioni sul modo dl spiegare gli atti intellettuali deUa mente umana per mezzo della sensibilit^ fisica, proposto dal- Tautore del sistema della natura (Opp. II, p. 19-63). Defense du sentiment du P. Malebranche sur la nature et 4^origine des id^es, contre Texamen de M. Locke (Opp. II, p. 99 341). Andere nebenher berück- flichtigte kleinere Schriften und Abhandlungen Gerdirs werden im Laufe dieser Abhandlung speciell angeführt werden.

^ II est Sans doute bien glorieux k la philosophie de Descartes be- merkt Gerdil in seiner Abhandlung sur rincompatibilit^ des principes

682 Weraer.

ruhige Haitong Gerdil^, welchem es unter den g^egebenen Ver- hältnissen nicht schwer werden konnte, in den massgebenden kirchlichen Kreisen Italiens mit der durch die allgemeine Zeit- stimmung Torbereiteten Ueberzeugung durchasudringen, dass die aus der nachscholastischen Philosophie herausgewachsenen Lnui- gen und fidschen* Tendenzen nur durch eine auf dem gleichen Boden des neuzeitlichen Vemunftdenkens stehende philoso- phische Anschauung mit Erfolg zu bekämpfen seien. Den her- vorragenden Vertretern der mittelalteriichen Scholastik lässt er unter Berufung auf das von einem Leibniz und Grotius ihnen ausgestellte Zeugniss alle Ehre widerfahren; ' er lobt die meta- physische Schärfe und besonnene Ruhe ihrer philosophischen Untersuchungen und findet, dass die von einer späteren Zeit gegen die Subtilitätenkrämerei erhobenen Anschuldigungen das rechte Mass weitaus ttberschreiten; in der Verurtheilung der scholastischen Naturlehre aber ist er mit Fardella völlig einig und sieht in ihr nur endlose Erörterungen ttber die unbestnnm- ten Ideen von Materie und Form, Ursache und Wirkung, Essenz und Qualitäten Erörterungen, aus welchen sich weder eine Kenntniss der allgemeinen Gesetze der Natur, noch eine Einsicht in die speciellen Vorgänge der sinnlichen Erscheinungs- welt gewinnen lasse.

An die Stelle der erwähnten unbestimmten Grundideen der scholastischen Naturphilosophie haben nach Gerdil klare und deutliche Notionen zu treten, auf welche allein eine reale Naturkunde sich gründen lässt. Der scholastische Begriff der Wesensform setzt sich auf diesem Denkstandpunktc in den Begriff einer Idee oder Vorstellung um, kraft welcher ein be- stimmtes sinnliches Object als eine distincte Einheit gedacht wird. ^ Diese Einheit ist in ihrer sinnlichen Darstellung eine

de Descartes et de Spinoza d'^re ri odietise k des icrivains k qni Ift religion Test encore plas; et si Ton ii*avait affiüre qn*ä enx, leurs critiqnes en seroient Tapologie la plus compl^te. II est fort beau, en effet anx auteurs de öertaines piöces fugitives, pleines d'ixnpiet^., de voa< loir nons ^loigner, par esprit de religion, d*une philosophie qoi a foumi au Cardinal de Polignac les armes victorieuses avec lesquelles U a triompb^ de Lucr^ce et de ces sectateurs. Opp. II, p. 425.

* Histoire des sectes des philosophes, Opp. II, p. 246,

' Opp. I, p. 481.

D«r CartMiaiiismiu in IteUen. IL: Qi%c. Sif. OerdU. 683

aggregative Einheit; es gibt in der sinnlichen materiellen Wirk- lichkeit nur aggregative Einheiten^ und die Formen der Sinnen- dinge können nur als Zusammenfassungen der Theile des Dinges verstanden werden. Gerdil lässt es vorläufig dahin ge- stellt sein, ob man die Sinnendinge in Leibniz'scher Weise als Zusammensetzungen aus einfachen Substanzen, oder ob man mit der Mehrzahl der Philosophen die £xtensio continua als etwas an sieh Wirkliches zu nehmen habe; in beiden Fällen verschwinde der scholastische Begriff der Materia prima als einer von der Ausdehnung und Körperlichkeit unterschiedenen Res, die als solche in ihrer Unbestimmtheit sich gar nicht fest- halten lässt, sondern ganz und gar in der quantitativen Be- stimmtheit aufgeht, sei es, dass man diese physikalisch als körperliche Quantitativität, oder geometrisch als räumlich aus- gedehnte Figuration verstehe. So sehen wir uns demnach bei Grerdil von vorneherein auf den Standpunkt der ausschliesfi^ch naathematisch aufgefassten Cartesischen Naturidee gestellt.

Der räumUdi ausgedehnten Körperlichkeit steht die mensch- liche Seele als einfache unausgedehnte Wesenheit gegenüber. Sie ist fiihig, zu gleicher Zeit sinnliche Impressionen entgegen- gesetzter Art in sich aufzunehmen und zu percipiren, was nicht möglich wäre, wenn sie ein mit Quantität behaftetes Subject wäre. ^ Das durchaus antithetische Verhältniss zwischen körper- lichen und geistigen Wesenheiten gestattet nicht, eine sinnliche Einwirkung im eigentlichen Sinne des Wortes auf die mensch- liche Seele zuzugeben; es lässt sich jene Art von Efficienz nicht ausfindig machen, mit welcher die Extremitäten der von aussen afficirten Sinnesnerven auf die Seele sollten einwirken können, da eine Einwirknng per viam motos localis für eich nicht ausreicht, ^ eine Einwirkung per viam contactus aber zu-

* Le impreasioni e le forme del bianco e del nero sono incompossibili in qaalunque soggetto affetto di quantitä, perche quella parte di esso che sarebbe in qualnnque modo affetto della impremione o della forma del bianco, non potrebbe giammai essere simultaneamente affetta della im- presflione o forma del nero. Ma da qaeste impreasioni e forme h affetta simnltaneamente rintelligensa , in quanto ha la virtü di diacemere ecc. Opp. I, p. 492.

' L* estremitii de* nervi de* differenti senm non possono cagionar neir anima le sensaasioni per via di vera efficienza, se non col darle qnelle impres- stoni, che ricevono dagU oggetti ostemi; ma i nervi non riceYQno da^U

684 Werner.

folge der Unausgedehntheit der Seele nicht möglich ist. > Dies hindert jedoch nicht, von einer CatuaUtät sinnlicher ESndrIleke aof die Seele insofern za sprechen, als zufolge eines allge- meinen Naturgesetzes jedesmal, so oft eine sinnliche fünwirknng bestimmter Art statthat, die derselben entsprechenden seelischen Affectionen sich einstellen müssen.

Dieses allgemeine Natoigesetz ist nun freilich eben so unbegreiflich wie die Sache, welche durch dasselbe erklärlich gemacht werden soll; es ist mit dem Becurse auf ein solches Gesetz nichts Anderes gesagt, als dass das an sich uneiUärüche Factum einer Selbstvemehmbarmachnng der äusseren sinnlichen Wirklichkeit in der menschlichen Seele auf einer götdichen Einrichtung beruhe, welcher gemäss das Verhältniss der sinn- liehen Aussenwelt zur perceptionsfähigen Seele geordnet ist Das Wie der Möglichkeit jener Selbstvemehmbarmachnng ent- zieht sich der menschlichen Fassungskraft imd mnss sich der- selben ftir so lange entziehen, als man bei dem rein negativen Begriffe der Immaterialität stehen bleibt, ohne zum positiven Begriffe der menschlichen Seele als des realen lebendigen Umschlusses und der innerlichen Fassung der sinnlichen Leib- liebkeit vorzuschreiten, womit dann die weitere Folgerung ge- geben ist, dass auch alle ideellen Apprehensionen der Seele als geistige UmschlUsse und verinnerlichte Fassungen der ine intellective Denkleben aufgenommenen sinnlichen Wirklichkeit zu verstehen seien. Freilich scheidet sich da der Begriff der Idee von jenem der Vorstellung ab, welchen Gerdil mit dem

estemi og^g^etti, se non se iina niera impressione di moto locale: dim- qne dovrebbono ag^re suir aniraa per via di moto looale; ma tina een- sazione non pu6 esser V effetto d' un moto locale ; poiche il moto locale non pu6 avere altro effetto, che il cangiare i rapporti di distansa: ed una aensazione non ^ nn cangiamento di distanza: dunque ecc. Opp. I, p. 493. * I nervi per cagionare le sensazioni dovendo avere ricevuta una impres- sione di moto, e manifesto che V azione loro in seguito del moto acqni- Btato debbe farsi per via di contatto; ma i nervi non possono affettare col contatto una virti\ indivisibile. Imperocch^>f o questo contatto fareb- besi in un punto indivisibile, e questo non si d^ nel contimio se nou per astrazione; o si farebbe in piü punti, e ci6 supporrebbe una com* mensurabilitÄ nel soggetto che riceve V azione, e perci6 una estensione divisibile in una virtfi indivisibile. II che repugna. Ivi.

D«i' CartesiAnismus in Italien* 11. : Giac Sig. Gerdil. 685

Worte ;Idee^ verbindet, ' und muas sich auch sein falscher Begriff von der Perception als riner angeblich activen Forma- tion der Vorstellung * berichtigen. Die sinnliche Vorstellung ist eine ohne Zuthun des selbstthätigen Denkens 2u Stande kom- mende Erscheinung des sinnlichen Objectes im seelischen Sein, aus deren Anlass unter bestimmten, hier nicht näher zu ent- wickelnden Umständen und Bedingungen im höher entwickel- ten Denkleben der Seele die Idee des repräsentirten Objectes aufleuchtet. Dasjenige, als was Gerdil die Perception definirt, ist der verstandesmässige Begriff des Objectes, der allerdings durch geistige Selbstthätigkeit zu Stande kommt und von der Idee sich dadurch unterscheidet, dass er vom Menschen ge- bildet wird, während die Idee gleichsam unwillkürlich auf- leuchtet, und dass er femer, insoweit ihm die Idee nicht imma- nent ist, nicht das Wesen des Dinges als solches, sondern die denkhaften Formen, mittelst welcher das Object geistig gefasst wird, zu seinem Gegenstande und Inhalte hat. Gerdil sub- stituirt demjenigen, was wir als Idee bezeichnen, das objective inteUigible Sein des Dinges, welches mit dem reinen, unsinn- lichen Sein des Dinges identisch ist und die metaphysische Realität desselben im Gegensatze zur empirischen Realität, oder zum Status existentiae und Status subjectivus des Dinges, wie Gerdil sich ausdrückt, bedeutet. Gerdil's objectives intelligibles Sein des Dinges involvirt eine ungerechtfertigte Vereinerleiung des Begriffes und der Idee des Dinges unter Beiseitesetzung und AusserachtlasBung des Eigenartigen dieser beiden Denkbildun- gen; Gerdil weiss eben so wenig von einer abstractiven Denk- thätigkeit des Begriffe bildenden Verstandes, als von einer das Object in seiner Wesenstiefe fassenden ideellen Apprehension. Beide Arten geistiger Activität liegen ausser dem Bereiche seiner geistigen Wahrnehmung; er kennt keine anderen Arten geistiger Activität als jene der reflexiven Aufeinanderbeziehung von Vorstellungen und von Dingen auf Grund der rein passi- vistischen Wahrnehmung der Dinge durch das Mittel der Vor-

1 Chiamo idea cotesta rappresentasione di an oggetto qualunquo, che fassi allo spirito, per la quäle lo spirito il conosce. Opp. I, p. 485.

3 Chiamo percezione Tatto per cui si forma lo Bpirito a se steaso una tale rappresentasionot o la riceve da estrinseoa impresrione, e tatta in- sieme V apprende e la ravyisa. Ivi.

686 W%trft.

Stellung. Wenn er von einer abstri^etiven Denkthätigkeit epridit, 80 verBteht er daronter nicht jene^ mittelst welcher der ratio- nale Begriff eines Dinges gewonnen werden soll, sondern ein- fach nur die ZurttckfÜhrung einer concreten sinnlichen An- schauung auf ihre allgemeine Anschauungsform durch Fallen- lassen aller individuellen Bestimmtheiten eines Dinges. ^ Diese allgemeine Anschauungsform ist aber in Bezug auf die anschaa- baren Sinnendinge eben nur die räumliche Ausgedehntheit, kraft welcher das Sinnendiog Object einer intellectiven Appre- hension zn werden vermag.

Die Zurttckfllhrung alles sinnlich Erscheinenden auf die Idee der Ausdehnung als allgemeinster Form, als deren Modi- ficationen die einzelnen Dinge gefasst werden, in Verbindung mit der Unterscheidung zwischen der empirischen und intelli- giblen Ausdehnung, deren erstere in der sinnlichen Wiiklick- keit der Dinge sich darstellt, während letztere ein rein gedanken- haftes Sein hat, lässt uns in Gerdil den Schüler Malebranche'e erkennen, welcher ihm der Metaphysiker par excellence ist und die Qrundtypen des metaphysischen Denkhabitus darbietet. AUe Metaphysik beruht, wie wir oben vernahmen, wesentUeh auf Abstraction in dem von Gerdil verstandenen Sinne; Auf- gabe der Metaphysik ist, das über dem Wandel der sinnlichen Erscheinung stetig Beharrende zu gewinnen, welches zu er- fassen wesentlich dem Intellecte zufällt. Der Sinn geht in der subjectiven Erscheinung auf, der Intellect erfasst das in der subjectiven Erscheinung sich präsentirende Object, welches unter die dreifache Kategorie der Substanz, des Modus und der Relation fallen kann. Substanz, Modus, Relation sind gedanken- hafte Realitäten, zu deren Erfassung der Intellect durch die sinnlich erscheinenden Dinge solicitirt wird;* sie haben ihr

* Sic, dam a corporibus, qiiae aspectabile hoc Universum constitnnnt, removemns peciiliarem figiiram, colorem aliasque peculiares affectiones, remanet idea uniformis extensionis in longum, latiim et profundum, qnam spatium dicimus. Lo^. instittitt. Opp. I, p. 200.

3 Ratione objectonim ideae ad tres summas classes revocantor anbstan- tiarum, modorum et relationum. Qaidqutd enim mente concipitnr, vel est res qnae existere potest, quin alten inhaereat, estque substantia, nt lapis; vel est affectio, quae separatim existere non potest, sed necessario inest alieni rei, ut figura vel motns in lapide, estque modus; vel est mutua connexio, qnae inter res et modos intercedit, qua fit ut alift«

« Der CartesUninnQs in Itelion. n. : GiftC. Sig. Qerdil. 687

WirkHcfasein in den Dingen, deren Wesenheiten ans jedoch grösfitentheils verborgen sind, daher unsere Erkenntniss der Ding^ vorherrschend auf die Relationen derselben, auf die durch die Modos der Dinge bedingte Verknüpfiing derselben untereinander sich bezieht Es ist gegen den scholastisch-aristo- telischen Begriff der Wesensform gerichtet, wenn Gerdil erklärt, dass uns die Idea universale delle specie delle cose abgehe, und dass wir uns den Begriff der Species nur mittelst constanter Attribute, welche wir an Dingen bestimmter Art wahrnehmen, mx bilden vermögend sind, wobei wir oft genug Täuschungen preisg^eben seien-, ^ damit ist nichts Anderes gesagt, als dass wir keine geistigen Anschauungen oder unmittelbaren Erkennt- nisse von Wesensformen haben, und dass dieselben nicht in die Kategorie der klaren und deutlichen Ideen fallen. Dem- zufolge setzt er auch den Begriff des Wahren ausschliesslich in die Erkenntniss von Relationen, ^ und der Grundtypus dieser Erkenntniss sind ihm die in der Mathesis und Geometrie sich aufweisenden Relationen des Einen und Vielen, Gleichen und Ungleichen, Aehnlichen und Unähnlichen, Mehr und Weniger, deren Ideen die obersten^ allgemeinsten Genera der Relationen constituiren. Darum erscheinen ihm exacte Realdefinitionen nur in jenen Erkenntnissgebieten mögHch, in welchen es sich aus- schliesslich um die Erkenntniss von Relationen handelt, d. i. im Gebiete der Mathematik und Ethik. ^

aliis convenire aut ab eis discrepare, aut similes esse vel dissimiles, aut majores vel minores vel aequales, aut aliae ab aliis oriri ac pendere qnocunque modo intelliguntur, suntque totidem relationes. L. c.

1 Siamo costretti di distinguere la spezie per certi attributi costanti che osserviamo ne* differenti individui ; ma ella pn6 essere in una intelli- g<enza pi^ perfetta della nostra, che conoscesse la struttura interna del- Toro e deir argento, la quäle vedrebbe essere applicabile a molti soggetti e distinguerebbe gP individui dotati di una tal forma dagli altri tutti. Opp. I, p. 506.

^ II vero in quanto 6 oggetto della cognizione e del giudizio, consiste nelle relazioni che hanno le Idee e le cose rappresentate dalle idee fra loro, in virtu delle quali relazioni le idee si conginngono o disgiangono. Opp. I, p. 603.

3 Definitio rei perfectissima est, quae fit per genus proximum et per diffe- rentiam ultimam. Ejusmodi definiendi ratio facile locum habere potest in mathematicis et moralibus, vix in phyaicis, qnod rerum naturalium ementiae nos plerumque lateant. O. c, p. 205.

688 W»rii«r. .

Die genannten Genera summa relationum sind indes« nicht der Mathematik als solcher entlehnt, sondern treten in der Lehre von den quantitativen Grössen und Verhültnissen nur am unmittel- barsten und aufflllligsten hervor. Ihre Hervorhebung entspricht einem Denken, welches auf Eruirung ier allgemeinen Ordnung»- Verhältnisse in der natürlichen und geistig-sittlichen Welt und Wirklichkeit gerichtet ist. Unter Ordnung versteht Gerdil die nach einem bestimmten Principe statthabende Aneinanderreihung von Dingen; 1 der Begriff derselben verwirklicht sich voll- kommen in der Zweckordnung; unter den Zweckordnungen ist wieder jene die vollkommenste, in welchen eine geringste Zahl von Zielen auf einer grössten Zahl von Wegen sich erreichen lässt. Sofern mit der Zweckmässigkeit der Anordnung sich auch ein wohlgefklliges Gleichmass in der Aufeinanderbeziehung der Constituenten der planvollen Ordnung verbindet, erscheint das zweckvoll Geordnete zugleich als das Schöne. Der Mensch empfindet ein natürliches Gefallen an allem Wohlgeordneten und nennt es gut; er überträgt dieses Gefallen auch auf alle mit der gegebenen Ordnung der Dinge übereinstimmenden mensch- liehen Handlungen und nennt sie gut, während er Handlungen entgegengesetzter Art als schlecht und verwerflich zu miss- billigen in Kraft eines natürlichen Wahrheitsgeftlhles sich ge- drungen fühlt. Alle Tugend ist wahr und schön, das Laster ordnungswidrig, hässlich und unwahr. Die Sittlichkeit ist auf die objectiv gegebene Ordnung der Dinge gegründet, mit welcher das menschliche Handeln in Uebereinstimmung stehen mnss. In den Apprehensionen eines dem Menschen angebomen Sitt- lichkeitsgeftlhles oder moralischen Instinctes kündigt sich ein durch die Ratio recta bestätigter Unterschied zwischen dem sinnlich Angenehmen und dem sittlich Guten an, welcher ein Correlat des im Gebiete der menschlichen Cognitionen bestehen- den Unterschiedes zwischen Sentire und Intelligere constituirt. Die sinnlich angenehmen und unangenehmen Empfindungen reihen sich der objectiven Ordnung der Dinge insofern ein^ als sie Mahnungen zur geziemenden Obsorge fUr die Erhaltung und Pflege des leiblichen Lebens in sich schliessen. Ihnen ent- sprechen in höherer Ordnung die angenehmen und unangeneh-

1 Opp. I, p. 518 ff.

D«r Cftrtesianismas in Itolien. n.: Oiac. 8ig. 0«rdil. 689

men Empfindungen, welche sich dem Menschen in der Wahl*- nehmung der Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung seiner freithätigen Handlungen mit den Geboten der Ratio recta aufdrängen. Wie gemeinhin Unwissenheit und Irrung ein GeAihI der Scham nach sich ziehen, so müssen auch die unsitt- lichen Handlungen, weil aus Unwissenheit und Irrthum hervor- gegangen und der Ratio recta widerstreitend, in dem dieses Widerstreites bewusst Gewordenen peinliche Empfindungen her- vorrufen.

Die Anerkennung oder Begründung der sittlichen Ordnung, die, wie aus dem Gesagten zu ersehen, mit der objectiven gei- stigen Ordnung der Dinge zusammenfallt, ist psychologisch auf das Zeugniss eines allgemeinen Wahrheitsgeftihles gestützt, welches in Bezug auf das freithätige Handeln des Menschen sich als sittlicher Sinn bekundet. Dieser würde jedoch für sich allein nicht ausreichen, ohne einen ihm zur Seite gehenden Trieb zur Erkenntniss des Wahren, auf welches die sittliche Ordnung gegründet ist. Der Mensch hat ein natürliches Ver- langen nach Wahrheit und kann sich nicht eher befriedigt fühlen, als bis er sie gefunden hat; die Weisheit allein führt zur Glückseligkeit, das Verlangen nach Glückseligkeit aber schliesst das Begehren nach allen im Lichte der weisen Einsicht erkannten VoUkommenheiten in sich, die der Stellung des Menschen in der Ordnung der Dinge gemäss sind und diese Stellung zur actuellen Wahrheit machen.

Obschon Gerdil in der menschlichen Seele eine denkende und wollende Substanz erkennt, lässt er doch das Wollen so sebr im Denken aufgehen, dass der Wille als geistige Selbst- macht der Seele neben dem urtheilenden Intellecte nicht auf- zukommen vermag. Wir treffen in dem eben Entwickelten auf den sittlichen Willen nur in der Form eines Triebes und Be- gehrens, das Wesen des Willens als solchen wird nicht auf- gehellt. Der Grund dessen liegt unverkennbar in der ganzen Veranlagung des metaphysischen Denkhabitus Gerdil's, der durchaus nur auf Eruirung von Uebereinstimmungsverhältnissen angelegt ist, somit das sittlich Gute nur in den Formen des Wahren und Schönen, nicht aber in seiner wesentlichsten Eigen- heit als Selbstthat des inneren Menschen zu erfassen vermag. Demzufolge wird auch der sittliche Entwicklungsprocess des

690 W«rner.

Menschen nicht als Process der lebendigen Selbatgestaltnng erfasst; ans welchem sich die sittliche Persönlichkeit als actua- lisirte Selbstheit des geistigen Seelenwesens herauszusetzen hat. Es war dem abstracten Spiritualismus der Cartesisch-Male- branche'schen Philosophie nicht beschieden, der Idee der Per- sönlichkeit zur Ausgeburt zu verhelfen^ und gerade in der abstracten Isolirung des Geistigen vom Sinnlichen im Menschen lag der Grund, dass sie, wenn sie wirklich gedacht worden wäre, nicht zu ihrem richtigen Ausdrucke hätte gelangen können. Die Erkenntniss des Wesens der menschlichen Per- sönlichkeit steht auf dem Gb-unde der Erfassung der innigen Einigung des Geistigen und Sinnlichen im Menschen, kraft welcher die Seele als lebendiges Gestahungsprincip des Men- schenwesens im unbewussten Schaffen und Bilden zunächst den äusseren Menschen nach der Idee ihrer selbst bildet und ge- staltet, um auf Grund dieser nach aussen wirkenden Thätigkeit und im lebendigen Zusanmienhange mit dieser sich selber innerlich zu gestalten und zu bilden, welches Werk der inneren Selbstgestaltung und Selbstentwicklung in Kraft der ethischen Willensdeterminationen den vollendeten charakteristischen Aus- druck der selbstigen Eigenheit erlangt.

§. 2.

Gerdil beschränkt sich in Ermangelung eines specolativen Seelenbegriffes darauf, die Immaterialität der Seele zu erhärten und insgemein die durch die Lehren einer falschen Philosophie gefährdeten natttrUchen Wahrheiten der Religion: die Seelen- unsterblichkeit, das Dasein eines überweltlichen Gottes und Schöpfers , sowie den Glauben an eine allwaltende Vorsehung philosophisch zu vertheidigen. Er kennt nur Eine wahre Philo- sophie, nämlich jene, welche im Dienste der Religion wirkt; von diesem Gesichtspunkte aus imterzieht er die in ihren Prin- cipien oder Consequenzen dem natttrlichen Religionsbewusstsein widerstreitenden Lehren eines Hobbes, Spinoza, Locke, sowie des wiederemeuerten antiken Atomismus einer umständlichen Kritik, um das Unwahre, Gefährliche und Verderbliche an ihnen aufzuzeigen. Um die falschen Weltlehren der genannten Systeme gründlich zu widerlegen, will er unter Verläugnung

Der CftrtftsianisniTM in Italien, n.: Oiae. Sig. Oerdil. 691

seines eigenen Denkstandpanktes sieb auf jenen Locke's stellen, um von diesem aus zu zeigen, dass es ein vergebliches Be- mühen sei, die Immaterialität der Seele oder die Existenz eines überweltlichen Gottes anzustreiten oder insgemein die Realität und Präeminenz einer übersinnlichen Wirklichkeit in Frage zu stellen. Um diese Präeminenz sicherzustellen, muss sich Oerdil^ wie im weiteren Verlaufe sich zeigen wird, allerdings zu ge- wissen Modificationen am Cartesischen Begriffe der Materie verstehen, deren endlose Ausbreitung vom Anfang her ein Gegenstand gerechten Anstosses gewesen war.

Locke behauptet; dass unsere Ideen ausschliesslich aus Sensation und Reflexion stammen. Dies zugegeben, kann man dreierlei Arten von Ideen imterscheiden: Ideen der QuaUtäten, der Ejüfte, der Gesetze, welchen gemäss die Kräfte wirken. ^ Locke unterscheidet primäre und secundäre Qualitäten und findet in Uebereinstimmung mit Cartesius den Unterschied beider darin, dass erstere (Ausdehnung, Solidität, Figur, Be- wegung, Ruhe) den Körpern als solchen zukommen, während letztere (Farbe, Geschmack, Wärme) nur Sensationen sind, welche durch Einwirkung der Körper in uns hervorgebracht werden und von den Dispositionen, kraft welcher die Körper jene Sensationen in uns hervorbringen, durchaus unterschieden sind. Denn die Qualitäten der Körper erklären sich aus einer bestimmten Dichtigkeit, Gestaltung und Bewegung ihrer Theil- chen, und die Alterationen dieser Qualitäten sind einfach nur Variationen in jenen Combinationen, welche aus der Masse, Figur, Textur der Körper resultiren; an den sinnUchen Sensa- tionen der Seele ist nichts Derartiges wahrzimehmen, indem z. B. der Uebergang der Seele von der Empfindung der Kälte zur Empfindung der Wärme keine räumliche Bewegung (tras- porto locale) in sich schliesst; demzufolge müssen Farbe, Ge- schmack, Wärme, soweit sie in der Seele vorhanden sind, Modificationen ganz anderer Art sein, als sie als Modificationen der Körper sind. Somit ist die Seele eine von den Körpern ver- schiedene immaterielle Substanz. Gerdil kann bei dieser Gelegen- heit nicht umhin, auf das Schärfste eine Aeusserung bei Hobbes^

1 Opp. I, p. 587 ff.

' Vgl. Hobbes, Leviaihan t, c.

692 Werner.

ZU tadeln, nach dessen Dafürhalten Sensation und Vorstellung nichts Anderes als eine Bewegung des Herzens im Wider- stände gegen die Eindrücke äusserer Objecte wäre. * Ge- rade aus dem Hobbes'schen Satze: Motus nihil generat nisi motum, ergibt sich nach Gerdil als denknothwendige Folgerung, dass die Sensationen und Vorstellungen, welche nicht in der Form von räumlichen Bewegungen zu Stande kommen, nicht dem Bereiche eines materiellen Seins angehören können; die durch den Seheindruck causirten Bewegungen in der Gehim- substanz sind eben nur Bewegungen und als solche ihrem Be- griffe nach etwas von den Sensationen und Vorstellungen Ver- schiedenes.

Aus dem Gesagten resultirt als denknothwendiger Schlusf dass Denken und Ausdehnung nicht Modi einer und derselben Substanz sein können, wodurch GerdiP auf Spinoza's Lehre von der alleinzigen Substanz hingeleitet wird. Sein Haupt- interesse ist hiebei zu zeigen, dass Spinoza's Definition der Substanz' trotz ihrer scheinbaren Aehnlichkeit mit jener des Cartesius^ von letzterer grundverschieden ist und eine Zwei- deutigkeit in sich schliesst, die allein jene verkehrten Folge- rungen möglich macht, mittelst welcher Spinoza seinen Satz von der Einen alleinzigen Substanz erschleicht. Wie entschie- den auch Gerdil diese Lehre bekämpft, steht er doch anderer- seits fUr den Cartesischen Satz von einer alleinzigen Körper- substanz als Materia communis aller besonderen Körper ein,

' n moto non pu6 produrre altro, se iion che il moto, o sia una tnns- lazione di luogo. Dtinque il movimento delV ogg^etto estemo commnni- cato air organo e propagato fino al cuore non pn6 produrre in easo che un commovimento, quäle farrebbesi in una corda di violino. Ma una senaazione di bianco e di dolce non o formalmente un puro commovi- mento di vibrazione. Dunque bisogna dire, o che il moto pu6 produrre altro che moto coutro una universale esperienza, o confessare che il moto non genera la sensazione del bianco, del dolce ecc. Opp. I, p. 593.

' Opp. I, p. GOl— 617. Vgl. hiezu die oben 8. 681, Anm. 2 citirte Ab- handlung 8ur rincompatibilit^ etc. Opp. II, p. 424 455.

' Vgl. Spinoza, £th. I, Def. 3: Per substantiam intelligo id, quod in se est et per se concipitnr, h. e. id, cujus conceptus non indiget concepts alterius rei, a quo formari debeat.

* Nach Cartesius ist die Substanz dasjenige, quod concipitur per se ipsum et per se ezistit.

D«r Cartesianismtis in lUlien. ü. : Giac. Sig. 0«rdil. 693

und glaubt, dass die von Locke als Qualität bezeichnete Aus- dehnung, für das Subject aller übrigen Onmdeigenschaften der Körper, somit als Substanz genommen werden könne, beson- ders wenn man an der Idee einer unendlichen, alle besonderen Körper umfassenden Ausdehnung festhalte, die selbstverständ- lich keinem anderen Subjecte inhäriren könne, sondern Subject aller besonderen Modificationen des Ausgedehnten sein müsse. Die zweite Classe der nach Locke ausschliesslich aus der Sensation und Reflexion stammenden Ideen betrifft die in der Körperwelt wirksamen Kräfte der Bewegung, des Widerstandes (inerzia), der Cohäsion, der Schwere neben einigen anderen minder allgemeinen: magnetische, elektrische Kraft u. s. w. ^ Die sinnliche Wahrnehmung lässt es unentschieden, ob diese Kräfte der Materie als solcher eigen oder ob sie ihr durch ein äusseres Agens eingeprägt seien. Der BegriflF, welchen wir uns auf dem Wege der Erfahrung von der Materie als einer aus- gedehnten, undurchdringlichen, trägen Masse bilden, spricht nicht dafür, dass ihr die Principien der Bewegung von Natur aus eigen seien; ^ und wären sie es, so müsste auf die Hoffnung, sie zu entdecken, verzichtet werden. Allerdings sprechen Phy- siker, deren Namen von gutem Klange sind, von einer der Materie eignenden Vis inertiae, vermöge welcher die Körper die ihnen durch äussere Einwirkung ertheilte Disposition zu be- haupten und zu continuiren suchen. Gerdil hält es jedoch für bedenklich, der Materie eine solche, über das mechanistisch geordnete Wesen der Körper hinausgreifende Vis occulta zu-

1 Opp. I, p. 617 ff.

^ 8i mi opponesse che i corpi elettrici e le calamite attra^ndo i corpi da loro dkcosti pare che abbiano in loro stessi un principio di moto o sia iina forza connaturale e insita, io rispondo che i corpi elettrici non attra^ono se non dopo avere ricevuta nna impressione di moto per via del fregamento ; che il ferro ricevendo della calamita tina virtü di attrarre simile a quella della calamita stessa ed alle volte venendo ad acqni- starla colle stare solo per molto tempo in certa positura. Si pu6 con ragione per ria di sensata analogia conclndere, che il ferro riceye non solo dalla calamita, ma anche da nn principio estrinseco a noi invisi- bile la virtü di attrarre e che perö qneir intrinseco invisibile principio che al ferro comunica solo in certe circonstanze la virtü di attrarre, la comnnica costantamente alla calamita, per aver qnesta nna costante disposizione a riceverla in ogni circonstanza. Opp. I. p. 621. Sitznngsber. d. phil.-hist. Cl. CIL Bd. IT. Hft. 45

694 W«rii«r.

zulassen; man wttrde^ wofern man sich dazu verstehe^ keine Grttnde haben ^ der Materie nicht auch ein Vermögen zu empfinden und vorzustellen zuzuerkennen. Auch liege den ge- nannten Physikern die Absicht ferne, über das metaphysische Wesen der Vis inertiae etwas aussagen zu wollen; Newton er- klärt ausdrücklich, dass sie nur zxu* Erklärlichmachung der gottgeordneten Gesetze der Bewegung supponirt würde, während die Materialisten sie darum annehmen, um mit Beiseitelassung Gottes die Gesetze der Bewegung erklären zu können. Diese Annahme stösst jedoch auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Der grosse Mathematiker L. Euler lehrt in seiner Mechanik, dass die Vis inertiae keine Homogeneität mit irgend einer an- deren Kraft haben könne; und doch müsste eine solche Homo- geneität vorhanden sein, wenn sie, einen empfangenen Impuls bewahrend, eine demselben quantitativ genau entsprechende Bewegungsmacht als Continuation des empfangenen Impulses entfalten sollte. Gerdil macht femer aufmerksam, dass ein in einer Curve und mit beschleunigter Geschwindigkeit sich be- wegender Körper beim Aufhören des Wirkens der Centripetal- kraft mit gleicher Geschwindigkeit in der Tangente sich be- wegen müsse. Hiebei wird vorausgesetzt, dass die Tangente die Fortsetzung einer unendlich kleinen Seite der krummen Linie sei; denn nur unter dieser Voraussetzung kann und muss eine dem Körper natürlich eignende Vis inertiae die Bewegung desselben in der Richtung der Tangente erwirken. Wenn nun aber die Curven nicht aus unendlich kleinen geraden Linien zusammengesetzt sind und solche unendlich kleine Seiten der Curve als gegebene Quantitäten keine Existenz in der Wirk- lichkeit haben, welcher zwingende Grund lässt sich angeben^ dass beim Aufhören des Wirkens der Centripetalkraft die Be- wegung gerade in der Richtung der Tangente statthaben müsse und von dem gegebenen Punkte der Curve keine andere gerad- linige Richtung nehmen könne? Dieser Punkt schliesst femer in seiner Raumlosigkeit jene Succession von Punkten und zeit- lichen Momenten aus, welche nothwendig gefordert wären, um den BegriflF der Vis inertiae als eines Vermögens der Bewah- rung der dem Körper ertheilten Zuständlichkeit in Anwendung bringen zu können; denn von der Continuirung der Bewegung in einer bestimmten Richtung lässt sich nur da reden, wo die

Der Cartosianismos in Italien, n.: Oiac. Big. 0«rdil. 695

Bewegung bereits begann, für welche in dem betreffenden Punkte weder Raum, noch Zeit vorhanden war. Man hat sonach von einer Elraft der Selbstbewegung des Körpers abzusehen und die fortdauernde Bewegung eines Körpers von der conti- nuirlichen Action eines ausserhalb des Körpers befindlichen Bewegungsprincipes abzuleiten. ^ Wie die Diagonale als Resul- tante zweier differenter Bewegungsrichtungen die actuelle Rich- tung des bewegten Körpers anzeigen könne, erklärt sich am einfachsten unter der Voraussetzung, dass die Vis inertiae etwas rein Passives sei, welches lediglich auf continuirliche Impulse von aussen angewiesen ist, so dass die geometrisch-physika- lische Erklärung der Bewegung nur die Erklärung eines Ge- setzes, dem die Bewegung des Körpers unterworfen ist, bedeutet. Welcher Beschaffenheit ist das die Bewegung der Körper regelnde Gesetz, und auf welche active Potenz ist die Bewegung der Weltdinge im Allgemeinen zurückzuführen? Gerdil ist be- müht, zu zeigen, dass die dem unbefangenen christUchen Re- ligionsbewusstsein widersprechenden philosophischen Systeme älterer und neuerer Zeit hierauf keine befriedigende Antwort zu geben wüssten. Weder die atomistische Zufallslehre Epikurs, noch die Spinozistische Nothwendigkeitslehre vermögen eine widerspruchslose, dem gesunden Denken zusagende Erklärung des kosmischen Geschehens darzubieten. In Bezug auf die Welt- lehre Epikur's macht Gerdil aufinerksam, dass Lucretius an einer bestimmten Stelle seines Weltgedichtes ^ von der Causa- lität des wahlfreien menschlichen Willens sich überrascht zeigt, und sie nach der Hand nur ganz gezwungener Weise aus einer der drei von ihm angenommenen physikalischen Ursachen alles Geschehens (Schwere, Declination, Stoss) ableitet, und zwar aus der Declination der Atome; es hatte sich ihm für einen Moment das Gefühl von einer den Stoff frei beherrschenden intelligenten Causalität aufgedrungen! Spinoza's Annahme von einer absoluten Nothwendigkeit des kosmischen Geschehens widerlegt sich durch die einfache Erwägung, dass die thatsächlich statthabenden Bewegungsrichtungen der Planeten und übrigen Weltkörper weder durch die particuläre Beschaffenheit dieser

^ Nähere Ausftihning dessen Opp. I, p. 91 6 ff. 2 Vgl. Lucret. Ber. Nat. H, v. 251 ff.

45*

696 Werner.

Körper^ noch durch die Gesammtordnung der Welt absolut determinirt seien; dass ferner, wenn die Welt ewig ist, der gegenwärtige Stand des Universums nicht von einem voraus- gegangenen, und dieser wieder von einem noch früheren, und so ins Unendliche fort, abhängig sein können, weil in diesem Falle nur eine unendliche Reihe von Wirkungen ohne deter- minirte Anfangsursache vorhanden wäre, während doch Spinoza selbst lehrt: Si nulla detur determinata causa, impossibile est ut effectuB sequatur. Zu den Lehren, welche das kosmische Geschehen der göttlichen Herrschaft entziehen wollen, rechnet Gerdil weiter auch jene, welche die kosmischen Vorgänge und Gestaltungen durch die wechselseitige Sjrmpathie und Antipathie der Weltelemente bestimmt werden lassen , sowie die Annahme von architektonischen Weltkräften. Das erstere der genannten Systeme findet er mit den allgemeinen physikalischen Bewegungs- gesetzen nicht vereinbar, deren Wahrheit durch die Zulassung des Spieles sympathischer imd antipathischer Wechselbezie- hungen in Frage gestellt wäre; die andere weiter noch genannte Annahme geht ihm^ wofern man sich die betre£Fenden plasti- schen und architektonischen Wirkungsprincipien durch das ganze Weltall ausgebreitet denkt, im Wesen auf die erstere Ansicht zurück. Nimmt man aber das architektonische Wir- kungsprincip als eine alleinzige Kraft, die aus einem centralen Punkte ihre Herrschaft über den gesammten WeltstoflF aus- breitet, so gehört sie nicht mehr dem Stoffe an, und es ist nicht einzusehen, aus welchen Gründen man sich da noch gegen den Gedanken eines göttlichen Weltordners sträuben will. Diese Polemik GerdiFs ist, wie kaum ausdrücklich gesagt zu werden braucht, nur vom Standpunkte der mechanistischen Cartesischen Naturlehre aus zutreffend ; bei dem heutigen Stande der Naturkunde ist sie als veraltet anzusehen. Für das ver- lebendigte Naturbewusstsein der Neuzeit constituiren Kraft und Stoff eine unzertrennliche Einheit, die, in den verschiedenartig- sten Proportionsverhältnissen von Kraft und Stoff sich darstel- lend, den concreten Begriff der Natur ergibt. Sind die natür- lichen Kräfte dem Stoffe derart inmianent, dass ein kraftloser Stoff eben so wenig denkbar ist als eine stofflose Naturkraft, so muss auch die den lebendigen Stoff beherrschende und regelnde Thätigkeit ins Innere der sinnlichen Wirkhchkeit ver-

Der Cartesianismns in Italien. U. : Oisc. Sig. Gerdil. 697

legt werden; an die Stelle des Bewegtwerdens des Weltstoffes von aussen durch einen göttlichen Ordner und Leiter hat die dem Stoffe als Macht der Bewegung und Gestaltung immanente göttliche Idee zu treten^ in deren Kraft der in seinem Ansichsein von den Dingen unabhängige göttliche Weltgedanke sich im Stoffe auswirkt. Die göttliche Idee ist eben nicht eine blosse Denkanschauung Gottes, sondern eine lebendige Wirkungsmacht, diC; in den Stoff sich projicirend, alle Kräfte desselben sich zu eigen nimmt, um mittelst derselben sich selbst im Stoffe aus- zuwirken und den an sich unendlichen Inhalt der göttlichen Idee innerhalb der durch das Wesen des endlichen Stoffes ge- zogenen Grenzen in der an sich unbegrenzten Variabilität seiner Darstellbarkeit zu entfalten.

Gerdil kannte jene verlebendigte Naturanschauung, auf deren Grund der neuzeitliche Theismus steht, nur in der Form von hylozoistisch - naturalistischen Philosophemen , deren Be- kämpfung er sich im Interesse des christlichen Religionsglau- bens zur Aufgabe gesetzt hatte. Es begegnete ihm hiebei, dass er, vom mechanistischen Naturbegriffe der Cartesischen Philo- sophie beherrscht, manche Anschauung für hylozoistisch ansah, die es nicht war. Soweit er indess die auf reinen Physikalismus oder auf abstracte Metaphysik gestützte Läugnung eines Ein- greifens der göttlichen Thätigkeit in den Gang der Weltent- wicklung bekämpft, ist und bleibt er in seinem unbestreit- baren Rechte, wenn er auf die nicht zu beseitigenden Wider- sprüche und Inconvenienzen solcher Anschauungen hinweist. Eine der göttlichen Herrschaft entzogene Welt muss als unend- lich gedacht werden, weil nur unter dieser Voraussetzung die Nothwendigkfeit ihrer Existenz sich erhärten lässt ; eine imendlich grosse Welt aber ist unmögHch, well sie eine unendliche Zahl endlicher Wesen in sich schliessen müsste, während es, wie Maclaurin gezeigt hat, eine unendlich viele Einheiten in sich fassende Zahl nicht gibt. ^ Eine von immanenter absoluter Noth wendigkeit beherrschte Welt müsste ewig dauern, wäh- rend die Einrichtung unserer in Wirklichkeit gegebenen Welt sichtbare Andeutungen einer begrenzten Dauer enthält, deren denknothwendiges Correlat ein zeitlicher Weltanfang ist. Die

* Deir esteso geometri^o. Opp. 11, p. 657 ff. Vgl. unten §. 6.

698 Werner

Bewegung der Himmelskörper ist durch das Zusammenwirken einer Centripetal- und Centrifugalkraft bedingt; zufolge der continuirlichen Abschwächung, welche die Centrifugalkraft durch das Aetherfluidum erleidet^ müssen die Planeten schliesslich in den Sonnenkörper hineinstürzen^ wenn nicht eine mit der absoluten Unabänderlichkeit des gegebenen Weltbestandes un- verträgliche continuirliche Erneuerung der ursprünghchen Inten- sivität der Centrifugalrichtung statthat.

Die Ungläubigen, welche von einer Einwirkung Qottes auf die Welt nichts wissen wollen, können; was immer f)ir eine Ursache des kosmischen Geschehens ihnen als wahr gelten mag, im Hinblick auf die unermessUche Mannigfaltigkeit der Productionen und auf die unübersehbare geordnete Reihe von Veränderungen im kosmischen Geschehen zum Mindesten den Gedanken an die Möglichkeit einer unendlichen Kraft und Intelligenz nicht in Abrede stellen. Die Idee eines unendUchen Wesens, dessen Sein alles Denkmögliche im unendlichen Grade der Realität und Vollkommenheit in sich fasst, ist denkmöglicb, indem der Gedanke des Seins als solcher eine unendliche Weite hat, die alles Seinsmögliche in sich fasst. ^ Irgend etwas muss seit ewig gewesen sein, sonst hätte die Welt nicht anfangen können zu sein; demzufolge schliesst wohl der Gedanke eines absoluten Nichts einen Widerspruch in sich, nicht so aber der Gedanke eines totalen und absoluten Seins. Das Nichts ist nur im Gegensatze zum Sein denkbar als Privation oder Negation desselben; demzufolge muss von Ewigkeit her etwas dem Be- griffe des Seins Entsprechendes existirt haben. Die nothwendige Verknüpfung zwischen Sein und Existenz in einem seit ewig existirenden Etwas kann nur in einem Sein statth&ben, welches alles Seinsmögliche in sich schliesst. So gelangt man auf dia- lektischem Wege von der Seinsmöglichkeit zur Seinsnothwen- digkeit des absoluten allervollkommensten Wesens, das wir Gott nennen.

Der Gang dieses dialektischen Processes ist folgender: Angenommen, das dem Nichts als früherseiendes Etwas Vor- auszusetzende würde nicht Alles in sich fassen, was unter den

' Gerdil citirt hiefÜr den Ausspruch des Ficinns: Sicut non ens conci- pitur ut omnino expers essendi, ita ens concipitur ut expers omnino non essendi.

Der Cartesiftnisimu in Italien. II.: Giac. Sig. Oerdil. 699

Begriff des Seins fallen kann, so würde auch das Nichts als Negation nur einen beschränkten Sinn haben, während es doch nur als totales Nichts die förmliche Negation des Seins als solchen bedeuten kann, es setzt mithin die Gesammtheit des über ein beschränktes Etwas hinaus noch denkmöglichen Seins als Früherseiendes voraus. Wären nicht alle möglichen Seins- grade bis zum höchsten hinan in jenem vorausexistirenden Etwas wirklich, so würden die nicht wirklichen mit den ein- ander widersprechenden Qualitäten des Möglichseins und Un- möglichseins behaftet erscheinen. Die unbegrenzte Möglichkeit muss ein reales Fundament haben, welches fehlen würde, wenn blos ein begrenztes Etwas seit ewig existirt hätte. ^

Demjenigen Seienden, welches alle möglichen Grade der Realität in sich fasst, muss eine unendliche Intelligenz, unend- liche Macht und unendliche Glückseligkeit zukommen. Diese Attribute sind unendlich, weU Alles, was ein Mehr oder We- niger zulässt, bis zur Unendlichkeit gesteigert werden kann. Das mit einer unendlichen Intelligenz und Kraft begabte und unendlich glückselige Seiende kann nicht mit dem Universum identificirt werden, weil selbst eine unendliche Zahl endlicher Intelligenzen, Kräfte und Glückseligkeiten kein unendlich intel- ligentes, mächtiges und seliges Sein ergibt. Die unendliche Intelligenz und Wirkimgsmacht erfordert ein einfaches untheil- bares Subject zu seinem Träger, kann sonach nicht dem Stoffe

^ Se altro non v* ha realmente che un qualche ente limitato e che non contenga requivalente di tutti li gradi possibili di realtA. la possibilitit che pure ^ reale e necessaria ed infinita, non potrebbe piü darsi n^ piü avrebbe fondamento alcuno; non in quell' ente limitato, mentre eseo non comprende se non certi gradi di realt4 e non piü; non nel nulla, mentre il nuUa esclude ogni cosa a cui pu& convenire la nozione deir essere; non nel nostro intelletto, perch^ qnando dicono taluni, i possibili essere obbjettivamente nel nostro intelletto, o vogliono i possibili essere il concetto stesso del nostro intelletto, o qualche cosa distinta dair in- telletto e conosciuta da esso. Se Tintendono in questo secondo senso, convengano con noi. Se nel primo, cadono in un manifesto assurdo; poich^ se i possibili fossero il concetto stesso del nostro intelletto, se segiiirebbe <ihe a questo converrebbono gi attributi tutti che scorgiamo ne* possibili; ne seguirebbe, che quando yenisse un possibile a ricever r esistenza, sarebbe il concetto nostro che la riceverebbe ; e final mente se i possibili fossero realmente il nostro concetto, esisterebbono i possibili e r esistenza di quelle sarebbe V esistenza di questi. Opp. I, p. 658.

700 Werner.

anhaften. Dies lässt sich durch eine physikalische Betrachtung zunächst von der unendlichen Wirkungsmacht zeigen, und der in dieser Art gefUhrte Beweis gilt in seiner Weise auch von der unendhchen Intelligenz, da beide, InteDigenz und Kraft, gleich sehr unter den BegriflF der nichtmechanischen Qualitäten (qualitk immecaniche) fallen. Die Bewegungskräfte der Körper nehmen im proportionirten Verhältniss zur Masse und Schnel- ligkeit zu, mit dem Unterschiede jedoch, dass die der grösseren Masse proportionirte Zunahme der Bewegungskraft nicht eine innere Mehrung der Kraft, sondern blos eine der quantitativen Mehrung der Masse entsprechende grössere Summe der den einzelnen Theilen der Masse im Verhältniss zu den wenigeren Theilen einer kleineren Masse zukommenden Kräfte bedeutet, während in der Steigerung der Schnelligkeit der Bewegung ein intensives Wachsen der Bewegimgskraft sich bekundet. Ge- mäss den Gesetzen der Bewegung mehrt sich die Schnelligkeit der Bewegung, wenn ein grösserer Körper den kleineren stösst, und mindert sich im umgekehrten Falle, beide Male genau nach dem Grössenverhältniss der ungleich grossen Körper. Würde ein grosser Körper an einen unendlich kleinen Körper stossen, so miisste sich dieser mit unendlicher Schnelligkeit bewegen. Um aber die Theilung einer bestimmten Masse ins Unendliche durchzufuhren, wäre eine unendliche Zeit nöthig, deren Begriff sich indess eben so sehr widerspricht als jener einer actuellen Theilung des Körperlichen ins Unendliche; sonach lässt sich auch eine unendliche Geschwindigkeit als Zustand eines Körper- theilchens nicht actuiren. Sie lässt sich weder durch ein körper- liches Medium effectuiren, noch kann sie als Zuständlichkeit des Materiellen vorkommen. Andererseits geht aber aus dem Gesagten hervor, dass die aus einem grösseren Körper in einen kleineren übertragene Bewegungskraft an Intensivität gewinnt, woraus erhellt, dass sie ein absolut einfaches, völlig unausge dehntes Subject erhaltend, einen unendlichen Grad erreichen könne ; das absolut einfache Subject ist aber selbstverständlich immateriell. Dass die Bewegungskraft überhaupt nicht den Kör- pern innerlich eignen könne, wird daraus ersichtlich, dass selbst die Uebertragung endlicher Kraftwirkungen von einem Körper auf den andern nur dann sich richtig erklären lässt, wenn man die Kraft des stossenden Körpers, statt sie durch die

Der CarteriftnismnB in Itolien. II.: Giac. Sig. Oerdil. 701

ganze Masse desselben ausgebreitet zu denken^ als eine central geeinigte sich vorstellt;^ dieser Centralpunkt ist jedoch nicht etwas Reelles^ hat vielmehr eine blos ideelle Bedeutung, kann also nicht als ein materieller Punkt gedacht werden.

Es genügt nicht, das göttliche Sein blos dem Begriffe nach von der Welt zu unterscheiden, so dass die Welt etwa als Leib Gottes gedacht würde; es muss vielmehr als eine von der Realität der Welt imterschiedene Realität genommen wer- den, die, ohne Beziehung auf die Welt gedacht ganz und voll- kommen dasjenige ist, was sie ist. Gott als Subject der Welt denken, hiesse die reine Geistigkeit imd absolute Einfachheit des göttlichen Wesens aufheben. Man würde nicht umhin können, als weitere Consequenz auch eine Theilbarkeit des göttlichen Seins zuzugestehen und letztlich vielleicht auf die

' Nel sentimento di che suppone la forza e la velocita essere qualita inereuti a' corpi, si possono fare due ipotesi: O la forza = 24 del corpo A, la cui massa si fa = 4, ^ realmente sparsa in tutta la sua massa .... o che quei 24 gradi di forza nel corpo A fanno realmente una sola

forza Se ci appigliamo alla prima ipotesi, converra dire di due

cose r una, o che dello quattro parti, di cui Consta il corpo A, ciascuna perde due gradi di velocitü, o che ciascuna perdeudo solo un semigrado, la somma di questi quattro semigradi di velocita faccia i due gradi che perde il corpo A in quell* urto ; ma V uno n6 V altro soddisfa a ci6 che s* osserva in cotesta comunicazione. Imperoch^ nel primo caso pan- sando due gradi di velocita da ciascuna delle quattro parti del corpo A ^= 4 nelle 2 parti del corpo B = 2 bisogna che ciascheduna delle 2 parti del corpo B riceva in se stessa per muoversi come ella fa real- mente dopo r urto 4 gradi di velocitii, bisogna dico che riceva due g^adi dair una e due gradi dair altra. Ma quei gradi di velocitii che erano divisi realmente nelle due distinte parti del corpo A, passando in una sola parte del corpo B, o s* identificano insieme o non s* identificano. Se non s' identificano , vi a&rk bensi nella parte divisata del corpo B due affezioni realmente distinte, per cui si renderji atto a percorrere un doppio spazio in un dato tempo, ma non giä una affezione tale, per cui possa percorrere nel dato tempo uno spazio qtiadruplo. Perci6 k d* uopo che il grado della velocita prenda in se stesso una maggiore intensione e non che s" accoppino semplicemente due gradi uguali ma sempre distinti .... Non credo sia d* uopo esaminare il secondo caso proposto : im- peroch^ perdeudo le quattro parti un solo semigrado di velocita, si mo- verebbono dopo V urto con cinque gradi e mezzo e non semplicemente con quattro, nh il corpo B si moverebbe con quattro, ma solo cou due di velocita Opp. I, p. 661.

702

Werner.

Ausdehnung als Subject der Welt kommen. ^ Auch um das denknothwendige Prius Gottes vor der Welt zu wahren, muss Gott als ein vom Universum real unterschiedenes Wesen ge- dacht werden. Dass die Aetemität Gott allein zukomme, lässt sich auf folgende Art erläutern: Die Erde kann nicht auf beiden Seiten zugleich von der Sonne beleuchtet sein, es folgt vielmehr auf die Beleuchtung der einen Hemisphäre die Be- leuchtung der anderen; eine derselben muss zuerst beleuchtet worden sein, woraus weiter folgt, dass ihre Rotation am ihre Axe irgend einmal einen Anfang genommen haben muss. Aehnliches gilt von allen der Mutation unterworfenen Welt- dingen; einzig das seinem Wesen nach Unveränderliche kann von Ewigkeit her gewesen sein. Dies lässt sich sogar mittelst des von Spinoza aufgestellten Ewigkeitsbegriffes beweisen.^ Das seit ewig existirende unveränderliche Sein ist das seinem ^ Begriffe nach nothwendig Seiende, während die endlichen Weltdinge blos seinsmöglich sind; 'die blos möglichen und auch andersseinkönnenden Dinge sind in Bezug auf ihr Wirklichwerden von einer determinirenden Causalität abhängig, in deren Kraft sie aus ihrer Seinsmöglichkeit in eine bestimmte Seinswirklichkeit übertreten.

So leitet also eine unbefangene Betrachtung der Weltdinge und ihrer Beschaffenheit schliesslich auf eine allbewegende schöpferische Causalität zurück, die als das absolut Seiende alles Andere ausser ihr unumschränkt beherrscht und nach sich bestimmt.

^ Se si volesse proseguire V esame della proprietA. di cotesto incognito Boggetto, si troverebbe per avventura essere le medesime che quelle deir estensione, e mettendo con eqnazione |algebraica tutte le cognit« da una parte si verrebbe a riconoscere V incogpoita, cio^ quel soggetto esse Testensione stessa. E forse non sarebbe cattiva maniera di filo- sofare, V adoperare in varj casi simili equazioni. Opp. I, p. 668.

3 Vgl. Spinoza, Ethic. I, Def. 8: Per aeternitatem intelligo ipsam existen- tiam, quatenus ex sola rei aeternae definitione necessario sequi conci- pitur. Talis enim existentia heisst es in der angefügten Erl&uterung ut aetema veritas, sicut rei essentia concipitur, proptereaque per durationem aut tempus explicari non potest, tametsi duratio principio et fine carere concipiatur.

D«r CartMianismus in Italien. II. : Oiac. Sig. OerdU. 703

«

§. 3.

In der ausfuhrlichen Polemik GerdiFs gegen Locke * han- delt es sich speciell um die Erhärtung der Immaterialität der Seele. Locke hatte als denkmöglich hingestellt^ dass die Fähig- keit des Denkens nicht blos rein immateriellen Existenzen eigne^ sondern auch an etwas Stofflichem haften könne, ohne sich jedoch näher über das Wie der Verbindung der. Denk- kraft mit dem Stoffe zu äussern, da denn überhaupt das Wesen desselben für uns in Dunkel gehüllt sei. Gerdil stellt sich zur Aufgabe, zu erweisen, dass aus denselben Gründen, mit welchen Locke die Immaterialität des göttlichen Wesens zu erhärten suche, ^ auch die Immaterialität der Seele sich ergebe, dass Locke in seinem Ei*weise der Immaterialität Gottes ganz auf dem Standpunkte der Cartesischen Lehre stehe, und ihm nur, insofern er auf diesem Standpunkte stehe, sein Nachweis ge- linge, während er von demselben abweichend in Dunkelheiten und unerweisliche Behauptungen verfalle.

Locke bringt seinen Erweis der Immaterialität des gött- lichen Seins zu Stande mit Hilfe der durch die Cartesische Philosophie zur Geltung gebrachten Notionen von der Substanz, von den Modis der Essenzen und von den Kräften der Dinge. Er ist mit den Cartesianern darin einverstanden, dass die Modi nicht etwas von den Substanzen reell Unterschiedenes sein können; er verwirft die scholastische Unterscheidung zwischen Materie und Form der Dinge; er sieht in den Proprietäten, Qualitäten und Kräften der Körper nichts Anderes als Deter- minationen der Figur, Grösse, Bewegung und Contextion der festen Theilchen, aus welchen sie zusammengesetzt sind. Diese allgemeinen Grundanschauungen mit den Cartesianern theilend, befolgt er in der Beweisführung für das Dasein Gottes einen ähnlichen Gang wie diese; er geht von der Gewissheit aus, welche wir von unserer Existenz und unserem Denken haben, und schliesst daraus, dass wir nicht selbst uns Existenz und Denken gegeben haben, auf Denjenigen, der uns Beides ver-

> Opp. I, p. 691 ff.

2 Vgl. Locke's Essay conceming human understanding IV, c. 10. Gerdil hält sich an Coste's französische Uebersetzung dieses Werkes unter Berücksichtigung der kritischen Anmerkungen des Uebersetzers.

704 Werner.

liehen hat, und in welchem wir ein ewiges, allmächtiges, höchst weises Wesen erkennen müssen. Dieses Wesen kann kein ma- terielles, es musB ein geistiges Wesen sein; es muss Urheber und Beweger der l^laterie sein, seiner Causalität muss die Ver- bindung der menschlichen Seele oder des realen Denkprin- cipes in uns mit dem Stoffe unseres Leibes attribuirt werden.

Die Entwicklung dieser Gedankenreihe ist nun allerdings nicht eine ganz fehlerlose, und nicht Weniges von dem^ was im Verlaufe derselben zur Sprache kommt, wird durch ander- weitig vorkommende Bemerkungen und Anschauungen Locke's theils in Frage gestellt, theils seiner stringenten Beweiskraft beraubt. Der Nachweis einer seit ewig existirenden immateriel- len göttiichen Causalität kann nur unter der Voraussetzung ge- lingen, dass die Passivität des Stoffes vollkommen und unum- schränkt anerkannt werde. Locke theilt wohl mit der Cartesischen Schule die Ueberzeugung, dass der Stoff durch eine von ihm unterschiedene göttliche Causalität in Bewegung gesetzt werden müsse. Seine Abweichungen von der Cartesischen Auffassung des Stoffes führen jedoch zu Consequenzen, welche mit* seiner Annahme eines Bewegtwei'dens des Stoffes durch göttliche Cau- salität sich nicht vertragen.

Cartesius definirt den Stoff als ausgedehnte Substanz und setzt das Wesen desselben in die Ausdehnung. Locke bestreitet die Evidenz des Cartesischen Begriffes der Materie; das Aus- gedehntsein der Materie erkläre nicht unmittelbar das Wesen der Materie, sondern sei seinerseits aus etwas Anderem als Erklärungsgrunde der Ausdehnung abzuleiten, und dies sei die Cohäsion, * ohne welche die Materie sich völlig verflüchtigen müsste. Wenn man aber den einzelnen Theilchen der Materie eine Cohäsionskraft zuschreibt, warum nicht auch eine Repulsions- kraft? Und wie kann Locke dann noch ohne Widerspruch mit sich selbst der Materie eine ihr natürlich eignende Bewegungs- kraft absprechen? Aber noch mehr; Locke ist in Folge dessen, dass er der Materie auch nur eine einzige active Kraft ak natürlich eigen zutheilt, nicht im Stande, Diejenigen mit Erfolg zu bekämpfen, welche ein materielles Sein Gottes für denkbar halten. Locke hält den Vertretern dieser Ansicht entgegen.

» Vgl. Locke, O. c. II, c. 23.

Der Cartesianismus in Tialien. 11. : Oiac. Sig. Oerdil. 705

dass in dem von ihnen als möglich oder wirklich angenom- menen Falle jedes Theilchen der göttlichen Materie denkhaft sein und demzufolge imendlich viele Götter existiren müssten^ indem sich nicht begreifen lasse, wie ein denkendes Wesen aus nicht denkenden Theilen zusammengesetzt sein sollte; letzteres wäre eben so absurd als die Annahme der Zusammensetzung eines ausgedehnten Seins aus nicht ausgedehnten Theilen. Sagt denn aber Locke nicht selber anderwärts^ dass die Ausdehnung in Kraft der Cohäsion der festen Theilchen der Materie statt- habe, und muss man diese Theilchen an und für sich und ab- gesehen von der Cohäsion nicht als imausgedehnt denken? Auch leuchtet nicht ein, weshalb die Zusammensetzung einer denkenden Materie aus nicht denkhaften Theilchen schlechthin undenkbar sein sollte; kann doch auch ein runder Körper aus nicht runden Bestandtheilen zusammengesetzt sein. Eben so unzureichend ist Locke's Abweisung der Annahme einer ewigen Materie ausser Gott. Falls Gott nur die Formirung und Dis- position der Theile der Materie vorbehalten bliebe, bemerkt Locke, müsste man annehmen, dass entweder auch die Seele als Princip des menschlichen Denkens unter jenen Theilen inbegriflfen gewesen wäre, und somit hätte jeder Mensch seit ewig existirt; hat aber jenes Princip nicht seit ewig existirt, ist es vielmehr von Gott aus Nichts erschaffen worden, weshalb weigert man sich/ auch eine Erschaffung der Materie zuzugeben? Die Gegner könnten nach Gerdil's Dafürhalten darauf erwidern, dass die von ihnen Gott eingeräumte Macht der Gestaltung und Disposition des Stoffes auch das Vermögen in sich schliesse, eine bestimmte Stoffmasse insoweit zu verfeinem, dass sie des Vorstel- len» und Denkens ftlhig werde; so wäi'e also die zeitliche Entste- hung der sogenannten Menschenseele erklärt, ohne dass man, wie Locke meint, eine förmliche Erschaffung derselben nöthig hätte. Locke war für die Geschöpflichkeit der Materie einge- treten und hatte sich eine besondere Erklärung ihrer Erschaff- barkeit vorbehalten, welche sich indess im englischen Original seines Werkes nicht findet, sondern vom Uebersetzer desselben in einer Anmerkung zu dem von der Existenz handelnden Abschnitte des Werkes nachgetragen wird. * In diesem Nach-

' Vgl. Locke, O. c. IV, c. 10, §. 18, Anm. 2 der franzSsischen Uebersetzung.

706 Werner.

trage berichtet Coste, dass Lockens bezügliche Erklärung eigent lieh Newton angehöre^ welcher^ wie grofis er auch immerhin als Mathemntiker war^ auf dem G-ebiete der Metaphysik der menschlichen Schwäche seinen Tribut abtragen musste. Newton ging von der Idee des seiner Natur nach penetrablen^ ewigen, unendlichen Raumes aus und dachte sich die Erschaffung der Materie als einen göttlichen Machtact, mittelst dessen ein be- stimmter Theil des leeren Raumes undurchdringlich gemacht werde, sodann ein zweiter, dritter Theil desselben u. s. w. Newton meinte, dass hiemit auch einige Anhaltspunkte fUr die Erklärung der Beweglichkeit der Materie im Räume gegeben wären. Bereits Coste deckte die Schwächen dieser Erklärung auf, 1 und Gerdil meint, dass ein Scholastiker von seinem Standpunkte aus in der Lage gewesen sein würde, derselben eine correctere Form zu geben, als Newton und Locke es ver- mochten. ^ Gerdil selber stellt folgende Alternative: Entweder

1 Pour moi bemerkt Coste 1. c. sHl m^est permis de dire libreme&t ma pens^e, je ne vois pas, comment ces deux sappositions peavent con- tribner k noas faire concevoir la crdation de la matiöre. A mon seiis eilen n*7 contribuent non plus, qn'un pont contribue k rendre Teau qni coule imm^diatement dessons, impdn^trable k nn boulet de canon, qni venant k tomber perpendicnlairement d^une hauteur de yingl on trente toises sur ce pont, j est arret^, sans ponvoir passer k travers pour en- trer dans Teau qui coale directement dessous. Car dans ce cas-la, Tean reste liquide et p^n^trable k ce boulet, qnoiqne la solidit^ du pont em- peche, que le boulet ne tombe dans Teau. Ce m^me la puissance de Dieu peut empecher que rien n'entre dans une certaine portion d*espac€ ; mais eile ne change point par-I4 la nature de cette portion d^spsce qui restant toujonrs p^n^trable, comme tonte autre portion d^espace, n'acquiert point, en conaiquence de cet obstacle, le moindre degr^ de Timp^n^trabilit^ qui est essentielle k la mati^re.

^ Un p^ripat^ticien .... aurait d^abord distingu^ deux sortes d'imp^ne- trabilit^, Tune intrins^que et Tautre extrinseque; et il aurait fait voii que pour changer Tespace en mati^re, si cela ^tait possible, il ne fan- drait rien moins qu^nne imp^n^trabilit^ intrins^que qui tGit dans T^ii- due mdme de Tespace, et quMne imp^n^trabilit^ purement extrins^ue. et qui consiste seulement en ce que Dieu emp^che, que rien n*entre dans Tespace toujours p^n^trable de lui-meme, ne cbange rien k cet espace, et le laisse tel qu'il 4tait. Peut-Itre mSme que le cas qn« M. Locke parait faire d*un tel raisonnement, pourrait consoler un pea les scholastiques du m^pris que Locke t^moigne avoir pour eox. Opp. I, p. 707.

Der Cartosianiffmns in Italien. II. : Giac. Sig. Oerdil. 707

ist Newton's unendlicher ewiger Raum eine von Gott unter- schiedene Realität; und dies läuft sodann auf eine ewige Materie ausser Gott hinaus; oder er ist mit Gott identisch^ und dann muss man annehmen^ dass gewisse Theile des unendlichen göttlichen Wesens materiell und beweglich geworden imd die Körper Theile des göttlichen Wesens seien. Auch die Meinung Newton's, dass er durch seine Annahme Anhaltspunkte für die Erklärung der Mobilität der Körper im Räume eruirt habe, wird von Gerdil nicht stichhaltig befunden; vielmehr ist unter Voraussetzung der Unendlichkeit des Raumes eine Ortsver- änderung der Materie, die mit einem bestimmten Theile des Raumes identisch ist, gar nicht auf widerspruchlose Weise er- klärlich zu machen. ^

§■ 4. .

Der Hauptanstoss ist und bleibt fiir Gerdil ^ die Meinung Locke's, dass Gott auch einem Stücklein Materie die Fähigkeit zu denken verleihen könnte. Gerdil glaubt aus den von Locke anerkannten und demselben mit den Cartesianem gemeinsamen Vorstellungen über Substanz, Modus, Vermögen, und aus der von Locke zugestandenen Anwendung dieser Begriffe auf die Materie unwiderleglich darthun zu können, dass der Materie eine Fähigkeit zu denken schlechterdings nicht zu eigen wer- den lebnne. Es lässt sich weder denken, dass eine bestimmte materieUe Masse durch göttliche Causalität so präparirt werde, dass hieraus Denkfähigkeit resultire, noch auch, dass dem Stoffe das Vermögen zu denken äusserlich angefügt werde. Ersteres ist nicht denkbar, weil, wie Locke selber einsieht, Qedanke, Vernunft und Erkenntniss sicher nicht aus einer ein- fachen Nebeneinanderstellung und localen Aufeinanderbeziehung der Theilchen der Materie resultiren können. Könnte das Den-

1 Car, oa la portion d^espace qui se d^place, laisse sa place, ou non. Si eile laiMe sa place, cette place, n^^tant que Tespace qui j 6tait, il faudra dire que Tespace est demear^ dans sa place en möme temps qa^il s'en est dt^; si cette portion d^espace ne laisse aucune place, Pespace n^est donc pas par tout, il n^est pas ii^cessairement infini, il pent croStre ou diminner; ce qae ne penvent admettre ceux qui sou- tiennent Tespace pur, n^cessaire, infini. Opp. I, p. 708.

5 Opp. I, p. 715 ff. und 793 ff.

708 Werner.

ken aus einer bestimmten Anordnung der Theilchen der Materie resultiren, so müsste es gleich der Figurabilität ursprünglich in der Materie enthalten sein, was Locke entschieden verneint. Eine äusserUche Anfügung der Denkkraft an den Stoff aber bringt den letzteren in keine solche Beziehung zu ersterer dass man sagen könnte, der Stoff selber sei denkfiihig gewor- den. Locke erklärt die von der Substanz des Dinges reell unterschiedenen Accidenzen der Peripatetiker für blosse Chi- mären ; als eine solche Chimäre muss ihm consequenter Weise auch die angeblich mögliche Denkfähigkeit der Materie er- scheinen, die, wie er selber zugibt, nicht aus den primären und wesentlichen Qualitäten der Materie abgeleitet werden kann. Nach den von Locke selber^ aufgestellten Grundsätzen kann dasjenige, was nicht aus einem schon existirenden Sub- jecte entsteht, nur durch .Creation ins Dasein gesetzt werden. Dies vorausgesetzt erhellt von selbst, dass auch das Realprincip des menschlichen Denkens nur durch Creation gesetzt werden könne und in Folge dessen eine von der Realität des Stoffes unterschiedene besondere Realität haben müsse.

Locke bringt seinen berühmten Zweifel gegen die Lnma- terialität der Menschenseele in derjenigen Partie seines Werkes zur Sprache, in welcher er^ vom Umfange und von den Grenzen der menschlichen Erkenntniss spricht. Er findet, dass diese nicht nur bei der Aussenseite der Dinge stehen bleibt, sondern dass sie überhaupt nicht einmal mit dem Umfange unserer Vorstellungen dich deckt; da wir nämlich nicht alle Beziehungen derselben zu erfassen vermögen, so ist es uns auch unmöglich, alle an jene Vorstellungen sich knüpfenden Fragen zu lösen. Wir haben z. B. die Vorstellungen von einem Zirkel, einem Quadrate und von einer denkbaren Gleichheit dos Flächeninhaltes beider geometrischen Figuren, werden aber vielleicht niemals dahin kommen, die einer bestimmten Quadratfläche an Inhalt gleiche Kreisfläche zu ermitteln. Wir haben eine Vorstellung von der Materie und vom Denken, werden aber vielleicht niemals dahin kommen, zu erkennen, ob ein rein materielles Wesen des Den- kens fllhig werden könne oder nicht, da wir ohne besondere

» Vgl. Locke, O. c. II, c. 26.

2 Siohe Locke O. c. IV, c. 3, §. 6.

Der CarteBianismiiB in Italien, n. : Qlae. Sig. Gerdil. 709

Offenbarung nicht wissen können, ob Gott nicht einem Stücke disponirter Materie das Vermögen des Appercipirens und Den- kens verliehen habe. Denn an und für sich ist es fiir uns nicht schwerer zu fassen, dass Gott, wenn es ihm so geftlUt, dem unserer begrenzten Vorstellung von der Materie entsprechenden Objecte etwas zutheilen könne, was in unserer Vorstellung von demselben nicht liegt, als zu begreifen, dass er einer immate- riellen Substanz die Fähigkeit zu denken verleiht; wir wissen ja nicht, worin das Denken bestehe, und welcher Art von Substanz das allmächtige Wesen das Vermögen zu denken an- gepasst habe, welches ohne den Willen jenes Wesens über- haupt in keiner geschöpf liehen Substanz vorhanden sein würde. Ein Widerspruch läge nur darin, dass die Materie das erste seit ewig existirende Wesen sein solle, wenn dieses erste Wesen denkhaft sein muss, während die Materie ihrer Natur nach nicht denkhaft ist. GerdU bringt gegen dieses Letztere in Erin- nerung, dass Locke's Beweisführung für die Immaterialität des ersten seit ewig existirenden Seins ganz und gar auf die Vor- aussetzung gegründet ist, die reine Materie sei nichts Anderes als solide Ausdehnung ohne Vermögen, sich selbst aus dem Stande der Ruhe in jenen der Bewegung zu setzen, und ver- möge in Folge des rein mechanistisch geordneten Zusammen- hanges ihrer Theilchen eben so wenig den Gedanken hervor- zubringen als das Nichts die Materie. Daraus folgt aber, dass, wenn Gott der Materie das Denken verleihen wollte, er sie zu einem höheren Seinsgrade erheben, d. h. sie zu etwas machen müsste, was sie nicht ihrer Natur nach ist. Auffällt femer, dasB Locke von einer besonderen Zubereitung der Materie für die Reception der Denkkraft spricht, während er doch anderer- seits darlegt, dass keine wie immer beschaffene Disposition der Materie und Anordnung ihrer Theile sie denkhaft zu machen vermag. *

^ Lockens Behauptung der Möglichkeit der Materialität der menschlichen Seele war bereits zu seinen Lebzeiten von dem anglicanischen Bischof Stillingfleet einer Kritik unterzogen worden, deren Beantwortung Coste in Locke's schriftlichem Nachlasse vorfand und in einem längeren Ez- curse zu dem von ihm übersetzten Hauptwerke Locke's (Lib. IV, c. 3, §. 6, Anm. 1) beibringt. Gerdil widmete eine ganze Abtheilung seiner gegen Locke gerichteten Apologie der Immaterialität der Seele dieser SitzQDgsber. d. phil.-hist. Cl. CIL Bd. H. Hft. 46

710 Werner.

Was war denn aber eigentlich der yerursachende Grund jener auffälligen Aeusserung Locke'S; und wie konnte er ^a- ben^ sie, ohne sich selber untreu zu werden, thun zu dürfen? Sie ist die erstere Frage betreffend der unverkennbare Rückschlag gegen die abstracte Isolirung des Geistig-Seelischen vom Leiblichen in der Cartesischen Philosophie und ist gegen die künstlichen Erklärungen gerichtet, durch welche sowohl Cartesius als auch Leibniz die den sinnlichen Eindrücken ent- sprechenden seelischen Apperceptionen, sowie umgekehrt die den geistigen Wollungen entsprechenden leiblichen Motionen denkbar zu machen suchten. Gerdil sieht sich hier auf eine Apologie des Occasionalismus Locke gegenüber angewiesen^ welchen er gewissermassen selbst zu einem unfreiwilligen Zeugen für die Wahrheit desselben zu machen bemüht ist indem Locke auf Thatsachen hinweise, welche für die philo- sophische Berechtigung des Occasionalismus zeugen. Wenn dieselben Objecto und VorsteUungen, wie Locke bemerkt, in uns bald Vergnügen, bald Schmerz hervorbringen, so müssen diese einander entgegengesetzten Resultate äusserer Einwirkung auf göttlicher Veranstaltung beruhen, und die sinnlichen Ein- drücke der Aussenwelt können nur die occasionellen Ursachen jener differenten Resultate sein. Dieselbe Reflexion knüpft sich an die Wahrnehmung Locke's, dass die Steigerung bestimmter Eindrücke nicht eine Steigerung der durch die schwächere Einwirkung hervorgerufenen angenehmen Empfindimgen, son- dern das Gegentheil derselben veranlasse, und dass das Unter- bleiben bestimmter Einwirkungen, z. B. des Lichtes und der Farbe, in uns positive Apperceptionen, nämlich der Finstemiss

Streitverhandlung swischen Locke und Stillingfleet (Opp. I, p. 811 bis 836). Gerdil wiederholt in dieser Abtheilung vieles anderwärts Gesagtes; wir heben hier nur Eine Stelle hervor, in welcher er Lockens Hin- dentung auf die Bewegung«- und Empfindungsfähigkeit der Thiere beant- wortet: L^ezemple du cheval ne prouve rien; car, ou M. Locke ne reconnait dans le cheval que de la matiöre et du m^canisme, et en ce cas 11 ne peut y avoir dans le cheval ni sentiment, ni motion laquelle ne dopende des lois g^n^rales de la communication du mouvement; ou bien il reconnait dans le cheval une substance distingu^e de la matiere, qui soit le principe de sentiment et de la motion spontan^ qn*il snp- pose dans le cheval, et en ce cas il est clair que son ezemple est tout il fait hors de propos. Opp. I, p. 812.

Der CartesianiBmus in Italien. II.: Oiac. Sig. Qerdil. 711

und der Schwärze zur Folge habe. * Dass solche Argumente für die Wahrheit des OccasionalismuB nichts beweisen, braucht kaum ausdrücklich gesagt zu werden; als wahr kann man Gerdil nur so viel zugeben, dass Locke, der gleich den Carte- sianem sich auf Veranstaltungen Gottes beruft, von seinem Standpunkte aus die Cartesische Auffassung der Veranstaltun- gen Gottes in Bezug auf das Commercium spiritus et corporis humani nicht grundhaft zu entwurzeln vermocht habe, weil er, wie, Gerdil wiederholt hervorhebt, mit den Cartesianern die mechanistische Naturauffassung des Zeitalters theilte und über- dies, wie wir hinzuzufftgen haben, vom Wesen der Seele keine bestimmte philosophische Vorstellung hatte, somit eine leben- digere Anschauung vom Wechselverkehr zwischen Leib und Seele im Menschen anzubahnen ausser Stande war. Sein Dafür- halten, dass die menschliche Seele möglicher Weise ein mate- rielles Wesen sein könnte, entspricht seinem Empirismus, der einen einseitigen Gegensatz zum idealistischen Dogmatismus der Cartesischen Schule bildete und die Reaction des philo- sophischen Zeitbewusstseins gegen denselben einleitete.

Als Reaction gegen den idealistischen Dogmatismus der Cartesianer sind die Locke von Gerdil verübelten An streitungen der angeblichen Evidenz der in der Cartesischen Schule gel- tenden metaphysischen Grundbegriflte über das Wesen der gei- stigen und körperlichen Substanzen zu verstehen ; er zieht sich von seinem empiristischen Standpunkte aus auf das Bekenntniss zurück, dass wir vom Wesen der Dinge überhaupt keine An- schauung hätten und somit auch zu bestimmten und schlecht- hin giltigen Anschauungen über dasselbe nicht be&higt wären. Der Ausdruck ,Substanz^ gilt ihm eben nur als ein Wort, über dessen Sinn man völlig im Dunklen sei, wenn man hört, dass es auf so differente Wesenheiten, wie Gott, die endlichen Geister

* Sl Tid^e ou la Sensation des t^n^bres et du noir n'est pas moins po- sitive, comme le pretend M. Locke, que celle de la Inmiere et du blanc, sa cause ext^rieure qui n^est autre que la ceesation de raction des rajons sur la r^tine ne saurait «tre regard^e comme une cause vraiment efficiente, mais seulement occasionnelle, que le Cr^ateur ensuite des lois g^D^rales de Tunion de T&me et du corps emploie comme une condition necessaire, pour produire dans Tame par son action imm^diate les Sen- sation» positives des t^nebres et du noir. Opp. I, p. 802.

46*

712 Werner.

und die Körper sind, angewendet werden soll. Soll man etwa an eine allgemeine Substanz denken^ aus welcher drei differentc Arten von Wesenheiten hervorgebildet sind? Gerdil erwidert,' das Wort ^Substanz^ drücke einen allgemeinen Begriff aus, der sich an jeder der genannten drei Wesenheiten bewahrheite; Sub- stanz heisse bei den Cartesianem Alles, was seine eigene Existenz habe, und Gott^ endliche Geister und Körper haben insgesammt ihre eigene Existenz. Auf die wunderliche Einwendung, das^ der Ausdruck ^Substanz', wenn man sich überhaupt etwas Be- stimmtes darunter denken solle, nur eine allgemeine Wesentieit bedeuten könnte, aus der alle besonderen Wesenheiten sich her- vorgebildet hätten, konnte Locke nur deshalb kommen, weil er sich die Substanz nach scholastischer Art als Träger der von ihr reell unterschiedenen Qualitäten denke, während die Qualitäten einzig nur die von der Substanz unabtrennlichen Modi derselben sind. Nur in Folge seiner ungerechtfertigten Abtrennuujg der Qualitäten von der Substanz kann Locke sagen, dass unsere Vorstellung von einem bestimmten Sinnendinge nur eine com- plexive Zusammenfassung seiner Qualitäten sei; in diesen Qua- litäten stellt sich uns vielmehr die Substanz selber als eine auf bestimmte Weise modificirte solide Ausdehnung dar, und wir haben von dieser in verschiedenen Dingen verschieden modi- ficirten soliden Ausdehnung oder Körpersubstanz eine ganz klare Idee. Etwas Anderes ist es um unsere Erkenntniss der inneren Constitution der in einem bestimmten Dinge sich dar- stellenden Körpersubstanz oder des Modus existendi eines be- stimmten Dinges, welchen man die Essenz oder Form eines Dinges nennt; diese können wir nur conjecturaliter gemäss der uns sich darstellenden Qualitäten des Dinges bestimmen^ daher wir bekennen müssen, von den Essenzen der einzelnen Dinge nur eine dunkle, höchst unvollkommene Kenntniss zu haben. Locke irrt sonach darin, dass er dasjenige, was von unserer Erkenntniss der Essenzen der Sonderdinge gilt, auf unsere Er- kenntniss von den Substanzen der Dinge überträgt, und sonach den Begriff der Substanz mit jenem der Essenz vereinerleit. Locke sucht zu zeigen, dass körperliche und geistige Substanz gleich sehr unserem Denken entrückt sind. Gerdil gibt

1 Opp. I, p. 720 ff.

Per Cartosianismuä in Italien. II.: Oiac. Sig, Oerdil. 713

ZU, dasB wir von der geistigen Substanz nicht jene klare Idee wie von der körperlichen Substanz haben; aber so viel wissen wir jedoch ganz bestimmt aus innerer Selbsterfahrung ^ dass in uns ein Denken vorhanden ist, welches eben so wirklich ist, als die Körper wirklich sind, und dass dieses Denken das Wesen der geistigen Substanz eonstituirt, womit uns die Rea- lität der geistigen Substanzen als unbestreitbare Thatsache er- härtet ist. ' Das hierauf gestützte Denken ist jenen Schwan- kungen entrückt, welche bei Locke wahrzunehmen sind, wenn er einerseits den menschlichen Geist in den Raum hineingestellt und der räumlichen Bewegung unterworfen sein lässt, anderer- seits aber nicht blos eine völlige lUocalität des geistigen Seins behauptet, sondern selbst das Statthaben einer zeitlichen Suc- cession in bestimmten mit einander verbundenen Acten der geistigen Apprehension , deren einer den andern voraussetzt, negirt. 2 Als ein Zeichen des unsicheren Schwankens Locke's in Beziehung auf das Wesen der endlichen Geister bezeichnet Gerdil die Aeusserung Locke's, dass dieselben eine Mittelstufe zwischen der reinen Activität des göttlichen Wesens und der reinen Passivität der Materie bilden und deshalb nicht als rein immateriell zu denken sein dürften. Ebenso hebt er tadelnd die Parallele hervor, welche Locke zwischen Geist und Körper herzustellen sucht, wenn er am ersteren Denken und Wollen, an letzterem Cohäsion und Bewegungskraft als die unserem Denken sich aufdrängenden specifischen Grundbestimmt- heiten beider erklärt. Sieht man von der empiristischen Aeusser- lichkeit der Vorstellungsweise ab, in welche diese Gedanken Locke's gekleidet sind, so wird man nicht verkennen, dass sich in ihnen speculative Ideen regen, für welche der Cartesianis- mus kein Verständniss hatte. Da indess ihr wahrer eigentlicher Sinn in der von Locke ihnen gegebenen ungeistigen Fassung verdeckt blieb, so dürfen uns Gerdil's strenge Bemängelungen

1 Opp. I, p. 728 ff.

2 Locke pr^tend qu'en jettant les yenx Btir tin gelobe, on a d^abord par vole de sexiBation Tld^e ou la perception d'un cercle plat, mais qu'en- suite le jugement forme Tid^e ou la perception d^un convexe, et la substitue k celle du cercle plat, sans que r&me s^aper^^ive de cette premi^re id^e de Sensation, et de la formation de celle que le jugement Itti Bubstitue, parce que tout cela se fait en un instant. Opp. I, p. 733.

YJ4 Werner.

nicht Wunder nehmen. Locke parallelisirt den menschlichen Willen mit der Bewegungskraft der Körper und definirt ihn als das Vermögen, einen Körper in der Macht des Denkens in Bewegung zu setzen. Demzufolge müsste, bemerkt Gerdil hiezu, ein durch einen Schlagfluss gelähmter Mensch, der seine Glieder nicht regen kann, als ein seines Willens verlustig Ge- wordener erscheinen. Die angebliche Ursprünglichkeit der bei- den von Locke angegebenen specifischen körperlichen Grund- bestimmtheiten beseitigt Gerdil durch den Nachweis, dass Gohäsion und Impulsion die Solidität zu ihrer Voraussetzung haben, die Solidität aber unter Voraussetzung der Ausdehnung sich erklärt, welche letztere ihre selbsteigene Existenz habe, somit jeden weiteren Rückgang auf etwas hinter ihr absehneide.

§. 5.

Gerdil sieht in der Cartesischen Lehre von der Materie als solider Ausdehnung den absoluten Stützpunkt der philo- sophischen Beweisführung fiir die Immaterialität der mensch- lichen Seele und des göttlichen Wesens, imd betrachtet es dem- nach als seine Hauptaufgabe, die Richtigkeit des Cartesischen Begriffes der Materie nicht blos gegen Locke, sondern auch gegen alle anderen von demselben abgehenden Philosophen und Physiker seines Jahrhunderts zu erhärten. In der That handelte es sich hier um eine Existenzfrage der gesammten Cartesischen Metaphysik und Ideologie; war der Cartesische Begriff der Materie unwahr, so rausste das gcsammtc durch denselben getragene Denksystem unwahr sein. Der Gang der Beweisführung GerdiPs * ist dieser : Alle Menschen haben von der Ausdehnung als solcher dieselbe Vorstellung; eine noth- wendige Consequenz dieser gemeingiitigen Vorstellung ist die Impenetrabilität des Ausgedehnten; Ausgedehntheit und Im- penetrabilität geben in ihrem Zusammensein den Begriff eines substanziellen Seins, als dessen Wesen das Ausgedehntsein er- kannt werden muss.

Locke hat in einer seiner Schriften, welche eine kritische Beleuchtung der Malebranche^schen Lehre vom menschlichen

> Opp. I, p. 754 ff.

Der Cartesiudssiiis in ItalUn. n.: Oiae. Big. Oeidil. 715

Schauen der Dinge in Gott enthielt^ unter Anderem auch dies bemängelt, dass Malebranche das Wesen der Körperlichkeit ausschliesslich in das Ausgedehntsein setze, unter völligem Hin- wegsehen von der Solidität, ohne welche das Körperliche als solches schlechthin nicht gedacht werden könne. Gerdil erklärt dies als ein Missverständniss, welches darin gründe, dass Locke den echten Begriff der Ausdehnung nicht habe, sonst müsste er erkannt haben, dass die wirkliche und reale Ausdehnung ohne Solidität sich gar nicht denken lasse. Locke unterscheidet im Anschluss an Epikur, Gassendi, Newton u. A. eine doppelte Ausdehnung, jene des leeren und jene des erfüllten Raumes; diese Unterscheidung beruht jedoch auf einer falschen Ab- straction und gleicht dem Verhalten Jener, welche die Vorstel- lung der körperlichen Oberfläche abgetrennt von der diese Vorstellung bedingenden Idee der Tiefe dessen, was eine Ober- fläche hat, als etwas Wirkliches festhalten zu können glauben. Und doch leitet Locke seinerseits selbst die Solidität aus der Ausdehnung ab, wenn er in seinem Hauptwerke ^ als Inhalt unserer Vorstellung vom Körper die Ausfüllung des von der Oberfläche desselben umschlossenen Raumes angibt und daraus als evidente Wahrheit folgert, dass zwei Körper von gleichem Umfange nicht zugleich in demselben Räume sein können. Der Körper füllt doch gewiss nur in Folge seiner Ausdehnung einen bestimmten Raum aus, ist also nur in Kraft seiner Ausdehnung impenetrabel, so dass aus diesem Grunde mit ihm nicht zu- gleich ein anderer Körper denselben Raum einnehmen kann. Zwar stellt auch ein Physiker vom Range eines Muschenbroek den inneren Zusammenhang von Ausdehnung und Impenetra- bilität in Abrede; allein wie begründet er dies? Er sagt, die Mathematiker seien gewohnt, sich die Ausdehnung als pene- trabel vorzustellen; sie denken sich in den Cubus eine Kugel, in diese einen Kegel oder irgend einen anderen geometrischeo Körper hineingestellt. Damit ist aber nur gesagt, dass die Dimension des Cubus verschiedene Theilungen zulasse, indem der kleinere geometrische Körper einen Theil des grösseren constituirend gedacht wird. Und wenn uns Muschenbroek vol- lends zumuthet, zwei oder drei Cubus gleicher Grösse in dem-

1 Vgl. Locke, Hum. linderst. IV, c. 7, §. 6.

716 Werner.

selben Räume sich wechselseitig penetrirend zu denken, so ist dies eine blosse Imagination; für den richtig denkenden Mathe- matiker ist nur Ein Cubus vorhanden, nämlich die einen be- stimmten Raum ausfüllende Ausdehnung in die Länge, Breite und Tiefe. Wenn Muschenbroek ferner auf die vor einem Brennspiegel erscheinenden Bilder verweist, die doch sicher penetrabel seien, so ist durch die physikalische Optik hinlänglich sichergestellt, dass es sich hier um blosse Scheinbilder, also nicht um eine reelle Ausgedehntheit handle.

Die Vertheidiger des Leeren wenden ein, dass vom Car- tesischen Standpunkte aus die fortschreitende Bewegung der Körper im Räume nicht erklärbar sei, weil, wenn der gesammte Raum voll Materie ist, der fortschreitende Körper an die Stelle eines andern Körpers zu treten hätte, dieser aber ihm nicht ausweichen könnte, wenn es kein Leeres gäbe, in welches er ausweichend sich zurückzuziehen hätte. Gerdil beruft sich auf Experimente, welche unwiderleglich darthun, dass das Hindurch- gehen eines festen Körpers durch einen flüssigen sich nicht durch ein in der erwähnten Weise statthabendes Ausweichen der sphärischen Theilchen des flüssigen Körpers in die zwischen ihnen befindlichen leeren Raumtheile erklären lasse. * Einige Schwierigkeit bereite die Frage, ob nicht der allverbreitete Weltäther, in welchem die Körper sich bewegen, durch den Widerstand, welchen er der Bewegung derselben entgegenstellt, alle Bewegung aufheben müsse, (jcrdil glaubt, dass der Verlust an Bewegungskraft, welchen der bewegte Körper durch den

* Es sei nämlich zeigt Gerdil zwischen den erfahrangsmässig- in- compressiblen kleinsten sphärischen Theilchen des WtasaeTs kein ans* reichend grosser Zwischenraum cum Ausweichen vorhanden: II est miae de d^montrer g^om^triquement, que si trois cercles ^gaux se touckent, Tespace corviligne qu'ils renferment, est ägal a uu triangle ^quilateral dont les c6t^.s soient des rayons de ces cercles, moins trois segment« soustendus par des cordes qui soient aussi rayons de ces cercles; pen- dant que ces cercles sont egaux, chacun a six de ces triangles, plns six de ces segments. II n'est pas moins certain que Tespace curvili^ne, compris entre trois sph^res qui se touchent, devra ötre encore beauooap moindre, par rapport k chacun de ces sph^res. Les particules de Ve^n ne peuvent donc ni entrer dans ces interstices vuides, ni se ranger de fa^on A occuper moins de place qu'elles n'en occupent naturellement, Opp. I, p. 764.

^ Dor Cartesianismos in Italien. II.: Oiac. Sig. Gcrdil. 717

Widerstand der Aethersäule vor ihm erleide, in jedem Momente der Bewegung durch den Nachstoss des hinter dem bewegten Körper nachrückenden Aethers ersetzt werde.

Die Impenetrabilität der Materie als reeller Ausgedehnt- heit ergibt sich aus ihrer ins UnendUche fortschreitenden Theil- barkeit, die von den Vertheidigem des Leeren nicht bestritten werden kann, weil die dem rein abstract gedachten Räume zukommende Theilbarkeit ins UnendHche auch eine Qualität der ihrer Natur nach räumlichen Körper sein muss. Ein ins Unend- liche theilbarer Körper kann niemals von einem andern Körper durchdrungen werden, weil eine solche Durchdringung den ac- tuellen Vollzug einer ins Unendliche gehenden Theilung voraus- setzen würde. Aus der Unmöglichkeit einer Wechseldurchdrin- gung des räumlich Ausgedehnten ergibt sich die Substanzialität der realen Ausdehnung, welche allein wirkliche Ausdehnung ist, während die leere Ausdehnung eine blosse Abstraction ist.

Clarke identificirte den reinen oder leeren Raum mit der Unermesslichkeit des göttlichen Seins * und behauptete die Un- theilbarkeit desselben. Man könnte, erwidert Gerdil, eineUntheil- barkeit desselben insofeme zugeben, als in einem unendlichen Räume kein Oben und Unten, kein Rechts und Links unter- schieden werden kann; eine Unterschiedenheit der einzelnen Theile desselben müsste aber doch statthaben, weil der eine Ort des- selben nicht mit irgend einem anderen Orte desselben zusammen- feilt. Clarke identificirt die seinem angeblichen unendlichen Räume zuzugestehende Homogeneität der Theile fälschlich mit der ab- soluten Einfachheit, die Gott allein zukommt und nicht Attribut der Ausdehnung sein kann ; angenommen, dass ein geschöpf lieber Elementarkörper den unendlichen Raum ausfülle, so hat er genau dieselben Eigenschaften, welche Olarke's reinem unendlichen Räume zukommen. So wenig nun ein unermesslich ausgedehnter Elementarkörper mit der göttlichen UnendHchkeit identificirt werden kann, eben so wenig Clarke's reiner unendlicher Raum.

Muschenbroek, welcher Clarke's Ansicht als verfehlt er- kennt, sieht den leeren Raum als eine geschaffene Substanz

^ Vgl. die Controverse zwischen Leibniz and Clarke bezöglich dieses und anderer Streitpunkte: Recueil des lettres entre Leibniz et Clarke a. 1715 et 1716. Abgedruckt in Leibnit. Opp. (ed. Erdniann), p. 74Cff.

718 Werner.

an. Die Annahme einer geschöpf liehen Substanz passt jedoch viel besser fiir die erfüllte Räumlichkeit, indem nur diese, nicht aber die inhaltleere Ausdehnung der Idee der Substan- zialität entspricht; auch ist kein Grund vorhanden, die Er- schaffung einer Substanz des Leeren als Fassung des Vollen anzunehmen, da Gott, sofern vor der Schöpfung auch die Leere nicht vorhanden war, die Substanz des Leeren ohne eine Fas- sung derselben hätte schaffen müssen.

Gerdil bekämpft Muschenbroek als einen Derjenigen, welche am eifrigsten gegen die Principien der Cartesischen Naturlehre ankämpften, daher er den Einwendungen desselben eine besondere Berücksichtigung angedeihen lassen zu müssen glaubt. Muschenbroek schreibt den Köi*pem ausser der Aus- gedehntheit und Mobilität auch active Kräfte: Vis inertiae. Schwere und Attractionsvermögen zu, hält es aber für unmög> lieh, einen inneren Zusammenhang der Ausdehnung mit den übrigen von ihm angegebenen Proprietäten des körperlichen Seins ausfindig zu machen, daher er sich schlechterdings nicht entschliessen kann, das Ausgedehntsein als solches fllr das Wesen der Körperlichkeit gelten zu lassen. Gerdil erwidert, dass die Schwere etwas rein Subjectives, nämlich die sinnliche Em- pfindung des Gewichtes der Körper sei; die Annahme einer selbsteigenen Bewegungs- und Widerstandskraft der Körper lasse sich mit gewissen unbestreitbaren Gesetzen der Bewegung nicht vereinbaren ; * die vermeintliche Attractionskraft wird nach den Erklärungen, welche Muschenbroek selbst über das Magnetisch- werden des Eisens gibt, als Resultat einer äusseren Einwirkung zu nehmen sein, die, von einer subtilen Materie ausgehend, eine Veränderung der inneren Structur des Körpers hervorbringt. Aus dem Gesagten geht hervor, dass jene angeblichen Quali- täten und Kräfte, welche Muschenbroek als grundwesentliche

1 Des corpB donn^s de telles forces qui agiraient les uns contre les antres, ^tant des causes n^cessaires, c'est nne notion Evidente par elle-meme, qae leur action devrait toajoara etre proportionnelle k la force avec la- quelle ils agiraient. D*un autre cöt(^, rexp^rience fait voir qne dana la com Position des mouvements deux corps perdent plus de mouTement qu'ils n*en communiquent, et qu'au contraire dans la d^composition des mouvements un corps en commniiiqne plus qu'il n'en perd. Opp. I, p. 776.

Der Cartesianismiis in Italien. II.: Giac. Sig. 0«rdU. 719

Bestimmtheiten alles Körperlichen erklärt, ohne sie zum Ge- danken der Ausdehnung in ein noth wendiges Verhältniss setzen zu können, in Wahrheit gar nicht existiren, und somit wirklich nur die reale Ausdehnung als allgemeines Wesen der Körper- lichkeit übrig bleibt. In Bezug auf die physikalische Erklärung des Phänomens der Schwere glaubt sich Gerdil mit Newton Eins zu wissen, ^ auf dessen Auctorität sonach die sogenannten Newtonianer in ihrer Polemik gegen die Cartesische Naturlehre sich mit Unrecht berufen würden. Voltaire sehe sich in der metaphysischen Abhandlung, welche er den von ihm veröffent- lichten Grundzügen der Newton'schen Lehre ^ vorausschickte, gedrungen anzuerkennen, dass Newton über die Materia prima fast eben so dachte wie Descartes, aber nicht etwa durch das metaphysische Raisonnement desselben hiezu bestimmt, sondern getäuscht durch den Glauben an ein falsches Experiment Boyle's, welcher Wasser in Erde verwandelt zu haben glaubte. Dieses Experiment sollte die vollkommene Homogeneität aller Stoff- lichkeit erweisen, welche Voltaire anstreitet, während Gerdil sie gegen Voltaire' s Einwendungen zu vertheidigen sucht. ^ Er stützt sich hiebei auf die ins Unendliche fortschreitende Theil- barkeit der Materie als Vehikel der Wandlung des Stoffes in jede beliebige Art von innerer Structur des Körperlichen, wäh- rend Voltaire auf dem Vorhandensein von differenten Grund-

^ On ignore peut-etre encore aujourd*hui, pourquoi une pierre tend de la circonf^rence au centre. On con^oit que cet effet pourrait etre produit par une tendance naturelle de la pierre, ou bien par une cause extä- rienre qui poussat la pierre de la circonf^rence au centre. M. Newton Ini-m^me reconnait, liv. 3 de son trait^ d'Optique qu. 21, qu^un milieu etb^r^ extremement ^lastique suffit pour pousser les corps avec tonte cette puissance que nous appellons gravit^. II reconnait, qq. 18. 19. 20., que ce milieu etherä peut anssi produire les r^fractions et les r^flexions de la lumi^re, ce qu'il confirme k la fin de la question 29. Cela pos^ je dis Selon la meme r^gle, qu^on ne doit pas balancer k rejetter la tendance naturelle, ou Tattraction proprement dite, et k reconnidtre que ces effets sont produits par Taction d\in milieu; quoiqu'on ig-nore peut- dtre encore la nature de ce milieu ^lastique, et la maniere dont il agit Bur le corps, comme on ignorait du tems de Cic^ron la nature du milieu qui agit sur la flamme, et la pousse du centre k la circonförence. Opp. I, p. 780.

3 London, 1741.

» Opp. I, p. 783 ff.

720 Werner.

stofFen besteht und die allgemeine homogene Materie der Car- tesianer für eine blosse Denkabstraction ansieht.

Unter den G-rundstofFen verstand Voltaire selbstverstftnd* lieh nicht dasjenige, was man heutzutage unter den einfachen Stoffen der Chemie versteht. Er hielt sich einfach an die augen- fillligen allbekannten Unterschiede des Stofflichen, deren Vor- handensein ihm als die unerlässliche Bedingung zur Hervor- bringung der differenten höheren und complicirteren Produc- tionen der Natur erschien ; die Cartesische Physik, die aus der Materia prima durch das blosse Mittel der Bewegung aües Mögliche hervorgebracht sein lassen wolle, schien ihm auf eine Art Escamotage hinauszulaufen, an welcher er in gewohnter Weise seinen Witz übte. Gerdil konnte ihm mit Fug und Recht antworten, dass die von einem göttlichen Principe ausgehende Bewegung aus dem allgemeinen Weltstoffe auch jene differen- ten Besonderheiten des Stoffes hervorbringe, welche als Vehikel zum Ausbau der höheren und vollkommeneren Gebilde der sicht- baren Wirklichkeit dienen, und dass demnach die Frage über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Annahme einer Matern prima zunächst nicht eine physikalische, sondern eine meta- physische oder philosophisch-religiöse Frage sei, deren schönste und gotteswtirdigste Lösung bereits durch ein Wort Platon's angedeutet sei, wenn derselbe die Natur als Ars Dei in materia definire. Die Deutung, welche Gerdil diesem Platonischen Worte gibt, lässt freilich erkennen, dass er die mechanistische Natur- erklärung als die allein berechtigte anerkennt. Dem Stoffe im- manente Wirkungsprincipien anerkennen, heisst ihm auf die von der neueren wissenschaftlichen Erforschung der Natur abgethanen Vires occultas zurückgehen; alle Entdeckungen und Fortschritte der Physik seines Zeitalters erscheinen ihm als Bestätigungen seiner Ueberzeugung von der wissenschaftlichen Alleinberech- tigung der rein mechanistischen Naturerklärung. * Als geschulter

1 n 11*7 '^ ^1^'^ jeter un coup d^oeil Bur ce petit nombre de cauaes qne la physiqne est parvenue k d^couvrir, pour se convaincre qae tel est en effet le proc^^ de la nature. L'action de Tair a pris la place de rhorreur da vuide; une mati^re ^lectrique bien constat^e fait ^vanouir aujourd'hui la Sympathie reconnue autrefois entre Tambre et la paille, Tanologie qu'on commence k apercevoir entre TÄlectricit^ et le ma^n^- tisme, doit nous persuader qne la Sympathie du fer et de Taimant n'est

Der CartesUnismas in Italien, n.: Giac. Siy. Oerdil. 721

Physiker unternahm er es, in einer Reihe physikalischer Abhand- lungen > den auf Experiment und Calcul gegründeten Nachweis zu liefern, dass die aus rein mechanistischen Gesetzen sich er- klärende Wirkungsweise des mit der Materia subtilis der Carte- sianer ziemlich identischen ätherischen Fluidums den Recurs auf immanente Wirkungsprincipien nicht blos überflüssig mache, 2 sondern überdies allein zu einer auf anderen Wegen nicht zu erlangenden exacten Erklärung der Naturphänomene verhelfe. Die Attractionstheorie, welche mit ihren auf rein geometrischen Deductionen beruhenden Sätzen die Prätension verbindet, die Wirkungsgesetze einer dem Stoffe immanenten Kraft dargelegt zu haben, geräth nicht blos in Widerspruch mit den auf dem Wege der Naturbeobachtung aufgewiesenen physikalischen That- sachen, sondern verwickelt sich nebstdem in innere Wider- sprüche mit sich selbst, welche schliesslich darin gründen, dass die nach mathematisch bestimmten Proportionsverhältnissen der Annäherung des angezogenen Körpers wachsende Attraction eines sphärischen Körpers in dem Punkte, in welchem er sich mit dem angezogenen Körper berührt, eine unendliche Kraft sein soll, während umgekehrt, wenn sie nicht unendlich sein soll, bei der geringsten Entfernung die Kraft der Anziehung eine unendlich kleine oder völlig Null sein soll. ^

pas d'autre sorte que celle de Tambre et de la paille. Tenons nous en toujours an meme principe: le mouvement imprim^ k toute la masse de la xnatiere ne cesse point de se communiquer d'uo corps k Tautre par une suite r%lee de combinaisons qui, quoiqu'assujetties k des lois constantes, se diversifient k Tinfini. Opp. II, p. 650.

I Hieher gehören : Dissertation de rincompatibilit^ deirattraction et de ses difF<^rent.es lois avec les ph^nomönes (Opp. II, p. 657—719). Disser- tation sur les tuyaux capillaires (Opp. II, p. 721 797). - Memoire sur la cause physique de la cohi^ion des h^misph^res de Magdebourg (Opp. II, p. 799-813).

' On ne doit admettre pour causes naturelles que celles qui existent v^ri- tablement et qui suffisent pour Vexplication des ph^nom^nes. . . . Or pretendre expliquer la coh^sion, T^levation des liqnears dans les tuyaux capillaires, les r^fractions et les reflexions de la lumi^re, en nn mot tous les phönomenes de la nature par un principe interne d*attraction, n^est-ce pas rendre Taction fluide autant inutile que son existence est certaine? Opp. II, p. 812.

» Opp. I, p. 664 ff.

722 Wernsr.

§. 6.

GerdiFs Polemik gegen die Annahme von der Materie immanenten Kräften führt ihn auch zu einer Auseinandersetznng mit der philoBophischcn Körperlehre des Leibnizianers Chr. Wolff. ' Wolff spricht von einer passiven imd aetiven Vermög- lichkeit der Körper. Die passive Vermöglichkeit derselben ist die Vis inertiae, die er nicht als Folge der Ausdehnung ansieht sondern zur Voraussetzung derselben macht; das Correlat der Vis inei*tiae ist die active Elraft eines andern Körpers^ dessen Einwirkungen die Vis inertiae des bewegten Körpers ihren Widerstand entgegensetzt, wie auch der bewegte Körper selbst wieder, sofern er an einen andern stösst, sich activ zeigt und in der Vis inertiae des von ihm gestossenen Körpers einen Widerstand erfUhrt. Die Vis inertiae muss eine dem Körper immanente Vermöglichkeit sein, damit durch die Action des auf sie wirkenden Körpers eine determinirte Wirkung erzeugt werden könne; sofern das Vorhandensein der passiven Vermög- lichkeit jenes der aetiven Vermöglichkeit der Körper bedingt, erklärt sich das Vorhandensein beider vollkommen und exact aus dem Satze des zureichenden Grundes. Gerdil findet dieses Raisonnement nicht stringent; es ist kein zwingender Grund vor- handen, die Determination der Bewegung aus dem Vorhandensein selbsteigener Kräfte der Körper abzuleiten; sie kann eben so gut auch aus der Wirkung einer äusseren Finalursache erklärt werden.

Wolff setzt das Wesen der Bewegungskraft in einen con- tinuirlichen Antrieb, eine Ortsveränderung zu causiren, und bezeichnet die Schnelligkeit als einen Modus der aetiven Kraft; Gerdil meinte dass die von Wolff gegebene Definition der Schnelligkeit vielmehr ihre Identität mit der aetiven Kraft affirmire. Die Schnelligkeit ist einfach nur ein Verhältniss zwischen der Zeit und dem innerhalb derselben durcheilten Räume und demnach nur ein Modus extrinsecus des Mobile, also nicht, wie Wolff will, ein die active Kraft modificirender Modus extrinsecus. Wäre sie letzteres, so müsste sie auch in einem getragenen, gezogenen oder geschobenen Körper vor- handen sein , während nach Wolff's selbsteigenen Worten in

* Esame e confutazione de' principj della filosofia Volfiana sopra la no- zione deir esteso e della forza. Opp. II, p. 499 ff.

Der Cartosianismiis in Italien. 11.: Giac. Sig. Gerdil. 723

solchen Körpern die Bewegungskraft todt ist, indem der ge- schobene, getragene, gezogene Körper dort bleibt, wohin er gebracht wurde. Wie die SchneUigkeit, soll nach Wolff auch die Richtung der Bewegung ein Modus intrinsecus der Be- wegungskraft sein; da nun, wie WolfF weiter lehrt, die active Kraft oder der Conatus den Grundelementen des Körpers oder den Monaden wesentlich eigen ist, so müsste in ihnen auch der zureichende Grund der Bewegungsrichtung zu suchen sein, während doch Wolff anderwärts ausdrücklich lehrt, dass wie der bestimmte Grad von Schnelligkeit, so auch die Determina- tion der Bewegungsrichtung nicht von der dem Mobile imma- nenten Bewegungskraft abhängen. Was bleibt nun aber von dieser dem Körper immanenten Bewegungskraft noch übrig, wenn die Antriebe zu einem bestimmten Schnelligkeitsgrade und zu einer bestimmten Richtung der Bewegung ausserhalb desselben gesucht werden müssen? Kann man da noch sagen, dass der zureichende Grund der Bewegung in ihm selber ge- legen sei? Es bleibt nur ein dem Mobile immanenter Grund des Bewegtwerdens übrig, der auf einen ausser ihm befind- lichen activen Motor hinweist.

Wolff lehrt, dass die Materie in continuirlicher Bewegung sei; der Körper ist nach ihm ein Compositum aus Materie und Bewegungskraft, die ihrer Natur nach auf Orts Veränderung ihres Trägers hinwirkt und in diesem Wirken nur durch Cor- pora contigua gehemmt werden kann. Gerdil findet dieses Raisonnement imvereinbar mit der anderweitigen Behauptung Wolff's, dass eben die Einwirkung der Corpora contigua der Er- klärungsgrund der Bewegung sein soll, womit ein immanentes Bewegungsprincip der Körper schlechthin in Abrede gestellt ist.

Wolff unterscheidet zwischen Monaden oder einfachen Substanzen als Grundbestandtheilen der Körper und den mate- riellen Atomen, welche im Gegensatze zu den Monaden theilbar sind, Ausdehnung und Figur haben. Er erklärt die Figuren der Atome für Qualitates occultas, sofern kein zureichender Grund ihrer Beschaffenheit sich ausfindig machen lasse ; in dem Ausgedehntsein derselben könne der Grund nicht gesucht werden, weil die Ausdehnung als solche gegen eine bestimmte Figuration des Ausgedehnten sich indifferent verhält. Gerdil meint, dass man nach den von Wolff selbst angegebenen

724 Werner.

Regeln ftir das Aufsuchen eines zureichenden Grundes bei Er- mangelung eines zureichenden inneren Grundes auf eine äussere Erklärungsursache zu recurriren habe und diese wäre im gege- benen Falle eben nur Gott selbst als Beweger und Gestalter der Materie. Dieser Recurs macht auch die Annahme von Monaden al» untheilbaren Kraftpunkten der ausgedehnten Materie überflüssig^. WolfF polemisirt gegen die sogenannten zenonischen Punkte als gleichartige einfache Componenten des Aufigedehnten, um hiedurch die Unabweislichkeit seiner ungleichartigen Monaden als denknothwendiger Ursachen des Phänomens der Ausdehnung zu erhärten.^ Die Denkunmöglichkeit der zenonischen Punkte sucht er daraus zu erweisen^ dass sie bei ihrer vollkommeneD Gleichartigkeit völlig ununterscheidbar wären, indem ihre Ein- fachheit eine diversificirende Determination der einzelnen Punkte schlechthin ausschliesse; er lehrt aber doch selbst anderweitig, dass bei dem Mangel innerer Unterscheidungsgründe des voll- kommen Aehnlichen auf ein äusseres Princip als zureichenden Erklärungsgrund der Unterschiedenheit zurückgegriffen werden müsse. Die Anwendung hievon auf die Unterscheidbarkeit gleichartiger Grundcomponenten der Materie ergibt sich von selbst. Ueberdies lässt sich auf Grund und mit Hilfe bestimmter ontolögischer Sätze Wolffs zeigen, dass die Ausdehnung oder Materie als Continuum nicht aus ungleichartigen Componenten bestehen könne. Wolff unterscheidet zwischen actuellen und possiblen d. i. bestimmt begrenzten und unbestimmt gelassenen Theilen ; das Continuum als solches enthalte nur possible Theile, die continuirliche Reihe derContignua weise lauter actuelleTheile vor. Das ausgedehnte Sein ist nach WolfF ein Esse continuum, dessen Theile als blos mögliche und nicht wirkliche sich nicht zählen lassen, wie denn überhaupt das Continuum als solches nach Wolff alle Pluralität ausschliesst. Daraus folgt aber doch ganz bestimmt, dass der zureichende Erklärungsgrund des Continuum nicht in den essentiell unterschiedenen und einander unähnlichen Monaden als Componenten des Continuum gesucht

* Auf die ZenoniBchen Punkte und deren Unterscliied von den Monaden kommt auch Leibniz in seinen Briefen an Des Bosses zu sprechen, vgl. Leibnit. Opp. (ed. Erdmann), p. 742. Ueber die Entstehung * de« Aus- druckes: jPuncta Zenonia* vgl. meine Schrift: Vico als Philosoph und gelehrter Forscher (Wien, 1879), S. 9.

Der CftTteBianismns in Italien. II. : Oiae. 3lg. Gerdil. 725

werden kann. AUerdings beugt Wolff dieser Consequenz durch die Erklärung vor^ die Ausgedehntheit sei ein blosses Phänomen, welchem in unserem Vorstellen nur eine Notio confusa ent- spreche. Dies ist jedoch unrichtig. Der Blinde hat eine Idee von der Distanz, obschon er keine sinnliche Anschauung von derselben hat ; das Wesentliche der Idee des Continuum ist, alle möglichen Distanzen in sich zu schliessen gleichfalls ein Gedanke^ der im Geiste eines BUnden sich bilden kann und somit nicht eine auf die sinnliche Anschauung zu beziehende Notio confusa, sondern eine distincte Notion ist, welche mit der wirklichen Beschaffenheit des ihr entsprechenden Objectes in Uebereinstimmung stehen muss. Die Idee des Continuum ist mit anderen Worten nicht etwas sinnlich Vorgestelltes, sondern etwas geistig Gedachtes und somit dem Bereiche des sinnlichen Scheines Entrücktes.

Das Continuum muss als ein die Möglichkeit einer Theilung infi Unendliche zulassendes Ausgedehntes gedacht werden. Zur wirklichen Theilung der als ein Continuum von Gott ge- schaffenen Materie konnte es nur durch Gott selbst kommen, welcher sie zum Zwecke der Weltbildung in eine unzählbare Menge actueller Theilchen auseinandergehen machte, die, von Gott .in Bewegung gesetzt, gemäss dem Plane des göttlichen Weltbildners zu mannigfachsten Gestaltungen sich verbanden. Die Gleichartigkeit der ursprüngUch als blosse» Continuum ge- setzten Masse und der durch die ursprüngliche actuelle Schei- dang entstandenen actuellen Theilchen war kein Hindemiss des Bildungs- und Gestaltungsprocesses ; denn dieselben hatten zufolge der Scheidung der Masse urplötzlich die verschiedensten Lagen im Verhältniss zum Centrum der Masse sowohl als auch unter einander; und zu dieser Unähnlichkeit derselben kam noch die weitere, dass den geschiedenen Theilchen besondere Gestaltungen zu Theil wurden, welche sie flir die Zwecke der besonderen gottgewollten Verbindimgen geeignet machten. Wolffs Polemik gegen die zenonischen Punkte kann sonach der Cartesischen Weltbildungslehre gegenüber nicht platzgreifen. lä& lässt sich im Gegentheile zeigen, dass die ursprüngliche Verschiedenärtigkeii seiner Monaden nicht ausreicht, die Elementarbildungen der Körperwelt zu erklären. Wolff's Mo- naden unterscheiden sich von den sogenannten zenonischen

Sitxim^ber. d. phil.-hist. Ol. CH. Bd. U. Hft. 47

726 Wern«r.

Punkten blos durch die Kräfte^ mit welchen sie begabt sein sollen ; demzufolge müssten sie das Ausgedehntsein durch Ver- einigung ihrer Kräfte zu Stande bringen. Nun unterscheiden sich aber diese Kräfte nach Wolff nur durch die Grradunter- Bchiede der Schnelligkeiten der von ihnen verursachten Be- wegungen; demzufolge bedeutet die Vereinigung von Monaden so viel als die Vereinigung von Kräften verschiedener Schnelligkeiti- grade. WoIiF selbst sagt ausdrücklich^ dass es sich hier nor um eine Grössensumme der Actionen und nicht um eine Grössensumme solcher Theile handle, welche von den Scho- lastikern quantitativ^ Theile genannt werden. Nun wird aber die Ausdehnung als Continuum eben nur durch Aneinander- ftigung solcher quantitativer Theile erzeugt; mithin sind die Monaden unzureichend, in ihrer ZusammenfUgung ein Continuum zu causiren. Nach Wolff bildet sich ein Continuum durch Ver- bindung des Endes eines Theiles mit dem Anfange eines andern Theiles; Theile aber, welche Anfang und Ende haben, sind ausgedehnte Quanta; somit können die unausgedehnten Monaden kein räumliches Continuum causiren. Das Zusammensein der Monaden als einfacher Einheiten ex^bt blos die Idee der Viel- heit, nicht aber auch jene der Ausdehnung, die vielmehr als Continuum ein denknothwendiges Prius im Verhältniss zu den in ihr zu unterscheidenden Theilen ist.

Die Erörterungen über die Theilbarkeit des Continuum leiten auf das Gebiet der reinen Mathematik hinüber, deren metaphysische Grandanschauungen nach Gerdil's Auffassung die metaphysischen Principien der allgemeinen Naturlehre in sich schliessen. Die Ausdehnung als solche, lehrt Gerdil, kann kein durch die Monaden causirtes Phänomen sein; sie ist über- haupt kein blosses Phänomen, sondern eine reale Substanz, die vor ihrer Theilung eine ungeschiedene Einheit repräsentirt, keineswegs jedoch die Einheit als Zahl, da die Zahlen eben erst den durch die Theilung des Continuum causirten actuellen Theilen desselben entsprechen. Die actuellen Theile der Aus- dehnung sind als Bruchtheile der Einheit etwas von den Monaden als angeblichen Componenten der Sinnendinge völlig Verschie- denes; nicht auf Monaden oder volle Einheiten, sondern auf blosse Bruchtheile der durch das Continuum als solches dar- gestellten Einheit flihrt die Frage nach den Componenten der

Der CartesUDismna in Italien. IL: Giac. Sig. Oerdil. 727

Materie, sofern diese eben nicht als blosses Phänomen, sondern als gottgesetzte Wirklichkeit gefasst wird. Gerdil unterscheidet zwischen der in abstracto vollzogenen Theilung des Solidum geometricum und zwischen der Theilung der in der concreten sinnlichen Wirklichkeit vorhandenen reellen Ausgedehntheit Auf ersterem Wege werden die abstracten oder metaphysischen Theile der Ausdehnung ermittelt, die auf letzterem Wege sich ergebenden Theile heissen die integrirenden Theile der Materie. Aus der Vereinerleiung und Confundirung beider Arten von Theilungen leitet Gerdil sowohl Missverständnisse auf dem Ge- biete der reinen Mathematik, als auch Irrungen auf metaphy- sischem Gebiete ab^ deren Beseitigung er als eine Hauptaufgabe seiner mathematischen Studien betrieb. In ersterer Beziehung kam es ihm im Besonderen darauf an^ die Theorie der so- genannten incommensurablen Grössen aufzuhellen, ^ um von derselben die mystischen Nebel zu entfernen, welche sich über dieselbe in Folge der erwähnten Vereinerleiung gelagert hatten.^ In letzterer Beziehung ist ihm vornehmlich darum zu thun, mit mathematischer Strenge und Exactheit zu erweisen, dass das absolute Unendliche ausser und über dem Bereiche der mathe- matischen Grössenlehre liege, ^ und der Begriff der unendlichen Zahl als einer wirklichen Zahl auf einer Illusion beruhe, welche, wie bei Galilei's Schüler F. B. Cavallieri (f 1647), dem Ver- fasser der Geometria indivisibilium, in der falschen Vorstellung

1 ^lairciasement aar les incommensurables. Opp. II, p. 609 643.

2 II m*a pani que les constructions qui fönt naStre des quantit^s incom- mensarables, stipposent toujours une division de Tötend ue en parties int^grantes, et non en parties abatraites et m^tapbjsiques; que les quan- tit^ inoommensurables doivent par consäquent dtre consid^r^es comme parties int^grantes, et non comme parties m^taphysiques de T^tendue; que rincommensurablUtS depend ainsi de la d^terminatlon non senle- ment d'une teile grandeur, mais aussi d'nne teile figare dans les quan- tit^s incommensurables; que rincommensurabilit^ commence entre qnan- tit^ finies od eile n'offire rien de myst^rieux, et que si eile subsiste invariablement dans le cours ind^fini de divisions dont ces quantit^s sont susceptibles, c'est parce que cette diyiaion se fait toujours ensuite d'une loi constante, au moyen de laqnelle les parties diris^es doivent toujours retenir la mdme d^termination , on le mdme rapport de gran- deur et de figure, d'oü natt la premiire incommensurabilit^ entre quan- tit^ finies. Opp. II, p. 612 f.

' Memoire de Tinfini absolu, consid^r^e dans la grandeur. Opp. II, p. 469— 495.

47*

728 Werner.

vom Continuum als einer ZusammenBetzuiig aus unendlich vielen Theilen wurzelte.^ Man hat nach Gerdil zwischen dem meta- physischen Unendlichen oder actuell Unendlichen und zwischen dem der Mathematik anheimfallenden potentiell Unendlichen zu unterscheiden, welches in der unbegrenzten Theilbarkeit der geometrischen Ausdehnung gegeben ist und stets potentiell bleiben muss, weil die ins Endlose fortgesetzte Theilung sich nicht actuiren lässt, daher auch die unendliche Zahl nicht erreichbar und das ihr Entsprechensollende, nämlich die un- endlich vielen Punkte des Continuum, in Wirklichkeit nicht vorhanden sind. Weiter ist zu beachten, dass die der fortschrei- tenden Theilung des geometrischen Solidum entsprechenden, stets grösser werdenden Zahlen nur die stets grösser werdenden Nenner von Brüchen darstellen , deren Zähler die das Theilungs- object repräsentirende Einzahl ist, so dass demnach die fort- schreitende Vergrösserung der Zahl des Nenners eben nur das immer weitere Abkommen von der unendlichen Grösse bedeutet Wir denken den Raum zuerst als unbestimmte Einheit; sobald wir bestimmte Raumverhältnisse denken, denken wir den Raum als begrenzten, und alle weiteren Determinationen des von uns in bestimmter Fassung der Raumvorstellung nur als begrenzt

^ Gerdil beleuchtet die Unmöglichkeit dessen dnrch vielerlei mathemA- tische Deductionen. Eine derselben, die Formation der Figur eines Cy linders durch Drehung des Rechteckes abed um die Linie ad als Axe des Cylinders betreffend, ist folgende: Nel volgersi il rettangolo ae

^ <•, a intomo al suo lato ad, e pertanto il lato ab intomo

al panto a, il pnnto b estremiti d*una semplice linea non potrebbe descrirere la circonferenza del circolo. »e non quanto lasciasse impresso il restigio di ae stesso da per tutto ove passa; sicchö la detta circonferenza fosse composta di tanti pnnti ugnali al punto 6, e tutti posti immediatamente gli nni presse gli altri. BCa il pnnto c che divido per menso la linea ab, ^ in tutto simile ed egnale al pnnto h, e nel volgersi uniforme- mente col pnnto b segna nella circonferenca ch^egli descrive, tanti pnnti distinti, qnanti ne seg^a il punto b. Dnnque anche supponendosi infiniti cotesti punti in6nitamente piccoli, esMndo per altro le due infinitiL ugaali, ed i pnnti parimente uguali, dovrebbe la circon- ferenza descritta dal punto c essere uguale alla descritta dal pnnto h. Ci6 dimostra apertamente contro Galileo, il continno non potere essere composto d* invisibili, benchi si suppongono infinitamente piccoli, e la loro somma infinita. Opp. II, p. 563 f.

DttT CartasiuiiainQS in ItoUeo. II.: Oiac. Sig. Qerdil. 729

ZU denkenden Raumes fUhren uns einzig zu weiteren Theilungen der ursprünglich unbestimmt gedachten räumlichen Ausdehnung. Daraus folgt, dass die Idee eines unendlichen Raumes eine falsche Vorstellung ist, welche auf der falschen Identificimng des Infinitum mit dem Indefinitum beruht. Das Correlat des unendlichen Raumes ist die unendliche Zahl, deren Undenk- barkeit, wie Galilei zeigte,* das Correlat der Falschheit der Vorstellung eines unendlichen Raumes ist. Fontenelle suchte in seiner Göomötriede l'infini (1727) die Realität der unendlichen Zahl noch einmal zur Geltung zu bringen; Gerdil reassumirt seine in der oben erwähnten Schrift über das absolute Unend- liche ^ vorgebrachten Gegengrtinde in einer neuen Abhandlung, ^ in welcher er aus der mathematisch nachgewiesenen Unmög- lichkeit der Realität einer unendlichen Reihe Folgerungen gegen die pseudophilosophische Annahme der anfangslosen Ewigkeit des Universums zieht. Ist eine unendliche Reihe insgemein nicht als wirklich denkbar, so ist auch die Annahme einer anfangslos seit ewig statthabenden Aufeinanderfolge von Ver- änderungen und Evolutionen des Weltdaseins unmöglich; Welt und Bewegung müssen einen zeitlichen Anfang gehabt haben, das seit ewig existente Sein muss ein dem Wechsel und der Veränderung entrücktes Seiendes sein. Gerdil legt einigen Werth darauf, dass sich mit Hilfe der Mathematik, deren grossartige Entwicklung in die nachscholastische Zeit f^Ut, ein Beweis für die Zeitlichkeit des Weltanfangs herstellen lasse, an dessen vollständiges Gelingen man im Zeitalter der scholastischen Bildung nicht glaubte. Die Scholastiker waren zwar von der Unmöglichkeit einer actuell unendlichen Zahl

< Galileo diede gik una ragione a posteriori di qnesto apparente para« dosBO (n&mlich des oben erwähnten stets weiteren Abkommens Tom Unendlichen in der fortschreitenden Annäherung zur unendlichen Zahl). Se si desse un numero infinito, tanti sarebbero i quadrati, quante le radici, poich6 ogni numero avrebbe il suo quadrato. Ma quanto il nu- mero si fa maggiore, tanto sempre comprende meno di quadrati a pro- ponsione. Dunqae quanto si fa maggiore il numero, tanto piii stallen- tana dalla proprietiL deirinfinito, e per consequenza dair infinite stesso. Opp. II, p. 673.

2 Vgl. oben S. 727, Anm. 3.

' Demonstration mathematique contre T^temit^ de la matiere. Opp. II, p. 3Ö1 ff.

730 Werner.

gleichzeitiger Quantitäten überzeugt, nicht so aber von der Unmöglichkeit einer snccessiven unendlichen Reihe. Sie er- kannten nicht, dass eine unendliche Reihe von Successionen auch eine unendliche Zahl von Coexistenzen involvire , und bestritten die Giltigkeit des von Algazel hieflir beigebrachten Beweises, sofern dieser die blosse Möglichkeit^ nicht aber die Nothwendigkeit einer unendlichen Zahl von Coexistenzen als Folge der unendlichen Successionen ersichtlich mache. Aber schon die blosse Möglichkeit unendlich vieler Coexistenzen ge- nügt; ihre Voraussetzung, nämlich die anfangslose Reihe von Successionen als unmöglich erscheinen zu lassen, weil diese im gegebenen Falle etwas metaphysisch Unmögliches als denk- mögliche Folge erscheinen lässt.

§.7-

Die auf metaphysische Gründe gestützte Widerlegung der Behauptung eines anfangslosen Daseins der Welt schliesst schon von selbst auch die Unmöglichkeit eines anfangslosen Seine der Materie in sich, und dies um so mehr, da die Idee einer anfangslosen unendlichen Reihe von Evolutionen nach G^rdil's Auffassung ein materielles Substrat involvirt, ohne welches jene Evolutionen nicht möglich wären. Er hat aber gegen die An- nahme einer seit ewig existirenden Materie im Besonderen auch noch physikalische Gründe in Bereitschaft, welche seiner Ab- sicht gemäss zunächst wohl vornehmlich gegen die materia- listischen Weltewigkeitslehren gerichtet sind, oder wenigstens denselben gegenüber allein verwerthbar erscheinen, da gegen Jene , fUr welche nichts Uebersinnliches existirt , nicht mit metaphysischen Gründen gekämpft werden kann. Die Materie soll unabhängig von allem Anderen seit ewig in Kraft ihrer selbsteigenen Natur existiren. Was in dieser Weise existiren soll, muss alle seinem Wesen unzertrennlich anhaftenden Eigen- schaften vom Anfang her unmittelbar zu eigen haben und darf keine anderen Eigenschaften haben als jene, welche sich un- mittelbar 8418 seiner Natur ergeben.^ Demzufolge müsste die

> Opp. II, p. 377 flf.

Der CartenaDismoB in Itelien. II.: Giac. Sig. 6«rdil. 731

Materie, sofern sie als eine durch sich selbst in Kraft ihrer Natur und unabhängig von jeder anderen Ursache existirende Wesenheit gedacht wird, ihrer Natur nach sich indifferent zur Buhe und Bewegung verhalten und zu keiner dieser beiden Arten von Zuständlichkeit determinirt sein. Diese Art von In- determination ist jedoch mit der actuellen Existenz der Materie nicht vereinbar; sie muss als actuell existirende entweder im Stande der Bewegung oder im Stande der Buhe sein; ergibt sich nun weder das Eine, noch das Andere aus ihrer Wesenheit, so muss sie in ihrem actuellen Sein als ruhende und bewegte durch eine andere Natur determinirt und von derselben abhängig sein. Noch mehr, nicht blos der Zustand der Buhe oder Be- wegung, sondern auch das Sein der bewegten Materie ist von einer äusseren Ursache abhängig, weil die ohne Buhe und Be- wegung gedachte Materie nicht die wirkliche Materie, sondern eine blosse Denkabstraction ist, die das mögliche Sein der Materie zu ihrem Inhalte hat. Angenommen, dass die bereits existente Materie in ihren Bewegungen durch ein unabänder- liches Gesetz geregelt würde, so müsste doch der Anfang der Bewegung durch eine äussere Causalität veranlasst werden. Das wirklich Unabänderliche in den Bewegungen der Körper erklärt sich aber hinlänglich aus den Gesetzen der Mechanik, daher auch aus diesem Grunde die Annahme einer das Uni- versum beseelenden Kraft als immanenten Bewegungsprincipes der Materie als überflüssig entfällt. Ja dasselbe könnte nicht einmal als eine nach unveränderlichen Gesetzen wirkende Po- tenz platzgreifen, wenn man der Materie die Kräfte der Attraction und Bepulsion als selbsteigene Kräfte zuerkennt; denn für diesen Fall muss man zugestehen, dass es Vorkomm- nisse gibt, in welchen jene angeblich unabänderliche Potenz eine Steigerung oder Minderung erfährt, somit einer Variation unterworfen erscheint. Man mag annehmen, dass die Handlung eines Menschen, der einen Stein aufhebt und dann wieder fallen lässt, ganz und vollkommen nach den Gesetzen einer invariablen Nothwendigkeit vor sich gehe ; sobald aber der Mensch den Stein fallen lässt, hört die Invariabilität der Kraft, die das Handeln des Menschen regelte^ auf, und es tritt in Folge der Attraction, die vom Erdcentrum ausgeht, in der Be- wegung des fallengelassenen Steines eine Beschleimigun^, somit

732 Werner.

eine Steigerung der angeblich invariablen Kraft ein^ welche die Materie beseelend durchdringt. Diese Mehrung hat an einer bestimmten Stelle des Universums statt, ohne dass deshalb an einer anderen Stelle eine ausgleichende Minderung der Wir- kungen der angeblich invariablen allgemeinen Naturkraft statt- hätte. Demzufolge ist das ganze Weltsystem falsch, welchem gemäss die Aufeinanderfolge der Veränderungen im Universum durch das unveränderliche Gleichmass der allgemeinen Natur* kraft geregelt werden soU.

Gerdil geht von der Widerlegung des als allgemeines Weltgesetz hingestellten physikalischen Determinismus auf eine kritische Beleuchtung der Schriften la Mettrie's und Holbach's über, in welchen jener physikalische Determinismus auf die Anthropologie und Psychologie angewendet wurde. Er macht den Materialisten im Allgemeinen zum Vorwurfe, dass sie, nicht zufrieden damit, die Sensation mit der körperlichen Bewegung des Empfindungsorgans zu identificircn, alle anderen seelischen &kenntnissthätigkeiten zu blossen Sensationen herabdrücken und diese lediglich in bestimmten Modificationen des Grehimes bestehen lassen.* Holbach sagt, die Seele vom Körper unter- scheiden wollen, heisse das Gehirn vom Gehirne unterscheiden wollen; das Gehirn sei das Centrum commune, in welchem alle Empiindungsnerven zusammenlaufen, und das innere Organ, in welchem alle der Seele zugeschriebenen Thätigkeiten zu Stande kommen. Gerdil erwidert, dass der Ausdruck Centrum in eigentlichem streng geometrischen und in uneigentlichem Sinne genommen werden könne. Im streng geometrischen Sinne passe er nur auf das Centrum des Kreises und der Kugel, in welchen allein alle von der Peripherie dem Centrum zu- strebenden Linien in einem Pimkte zusammentreffen. Ein solcher untheilbarer Punkt aber wird als centraler Sammelpunkt aller Sinneseindrticke gefordert, auf dass ein Bewusstsein des einen und selben Subjectes um viele und verschiedene Sinnes- eindrücke statthaben könne. Ein derartiger untheilbarer Sammel- punkt ist jedoch im Gehirne als materiellem Körper nicht vor- handen, mithin die von Holbach getadelte Unterscheidung der Seele vom Gehirne eben so nothwendig als berechtigt. Holbach

> Opp. II, p. 21 ff.

D«r CarftesianiBmiiB in Italien, n. : Giac. Sig. Gerdil. 733

will, um der Anerkennung eines vom Körper unterschiedenen Principes der Empfindung zu entgehen, die Sensibilität des Gehirnes als constante Thatsache behaupten ; er sagt aber nicht, wann und wie der Beweis hiefÜr erbracht worden wäre. Er verwickelt sich überdies bei seiner Annahme einer Sen- sibilität der Materie in Widersprüche mit sich selbst, indem er nach zwei differenten Erklärungsgriinden dieser Sensibilität greift, deren einer den andern ausschliesst; wenn er das eine Mal die Sensibilität als eine der Materie als solcher anhaftende Qualität erklärte, so durfte er ein anderes Mal nicht sagen, dass die Sensibilität durch eine bestimmte Textur des Stoffes bedingt sei. Seine Behauptung, dass der Mensch ohne Ein- wirkung äusserer Objecte eine Empfindung seines Selbst haben könne, widerspricht seiner anderweitigen Annahme, dass alle unsere Vorstellungen aus den Sinnen stammen. Den Gedanken eines Dinges erklärt er als eine Vereinigung und Combination der verschiedenen sinnlichen Eindrücke, welche das Gehirn von einem und demselben Objecte in sich aufgenommen habe. Da möchte man wohl fragen, welche Modification des Gehirnes diejenige sein möge, mittelst welcher andere vorausgegangene Modificationen geeinigt und combinirt werden? Im üebrigen gilt hier wieder dasselbe, was vorhin für die Erklärung des Factums der Empfindung postulirt wurde nämlich die Nothwendigkeit des Vorhandenseins eines untheilbaren Punktes, in welchem die differenten, auf die verschiedenen sinnlichen Qualitäten des einen und desselben Objectes bezüglichen Sinnesperceptionen geeinigt sein müssen , damit der die differenten Qualitäten des Dinges zusammenfassende Gedanke von demselben möglich sei. Eben so wenig lässt sich imter der Voraussetzimg, dass das Denken eine Modification des Gehirnes sei, die Reflexion des Denkens auf sich selber erklären. Kein Körper kann in strengem Wortsinne sich auf sich selber zui'ückbeugen ; wenn ein Theil desselben sich auf den andern zurückbeugt, so ver- liert der Körper seine frühere Gestaltung. Demzufolge müsste das vom Gehirne appercipirte Quadrat im Acte der Reflexion des Gehirnes auf die ihm eingebildete Figur des Quadrates eine andere Gestaltung annehmen, es würde im Acte der Re- flexion sich etwas vom Objecte und Ziele der Reflexion Ver- schiedenes unterschieben. Damit wird auch das von Holbach

734 Werner.

aufgestellte Wahrheitskriterium illusorisch, welches in die Ueber- einstimmung der sinnlichen Wahrnehmung mit der Beschaffen- heit des wahrgenommenen Objectes gesetzt wird. Auf dieses Wahrheitscriterium gestützt; kann er keine andere wissenschaft- liche Gewissheit und Ueberzeugung als die auf dem Wege der Induction erworbene zugeben; wie verhält es sich aber dann mit Sätzen^ die unabhängig von aller erfahrungsmässigen Er- probung als unabänderlich wahr gelten müssen, wie z. B. der SatZ; dass das Ganze grösser sei als die Theile desselben? Die auf die idealen und unveränderlichen Beziehungen der Dinge gegründeten Wahrheiten^ deren Vorhandensein auf dem Denk- standpunkte Holbach's schlechterdings unerklärbar bleibt, zeugen zugleich auch gegen den von Holbach behaupteten sensistischen Subjectivismus, welchem zufolge selbst die klarsten gemein- giltigen Ueberzeugungen in allen Menschen oder auch nur in zwei Menschen nicht genau dieselben sein sollten. Derlei lässt sich von den Sinnesapperceptionen sagen, welche, obschon aUen Menschen gemeinsam, doch nach Verschiedenheit der körper- lichen Dispositionen in den verschiedenen Menschen individuell modificirt sein mögen; die rein geistigen Apperceptionen aber sind über den Bereich der sinnlich individuellen Modificationen schlechthin hinausgestellt.

GerdiP bezeichnet das Vermögen, abstracte Ideen zu bilden, als Grundvorzug des Menschen vor dem Thiere, und bezeichnet es als Grundgebrechen aller sensistisch- materia- listischen Erkenntnisstheorien, fUr das Wesen und die Bedeu- tung der abstracten oder universellen Ideen kein Verständniss zu besitzen. Das Bemühen, dieselben ihrer specifischen Be- deutung zu entkleiden und aus der Theorie des menschlichen Erkennens zu eliminiren, ist nicht blos vergeblich,^ sondern

> Essai Bur les caractires distinctifs de rhomme et des animanx bnite& Opp. II, p. 401—423.

' On peat appercevoir deax quantit^ Egales bemerkt Gerdil gegen la Mettrie sans les aperceToir en tant qn'^ales. Ainsi, en sapposant Ä igal k Bf on pent avoir la perception de B, sans avoir la perception de leur 6galit^. Pour reconnaitre ce rapport d*^galit4, il ne suffit pas d^apercevoir A et d^apercevoir B distinctement, il faat de plns comparer ces deux perceptions et les joindre par an seul et mdme acte de r^fle^ xion. Ainsi on ne peilt nier, sans Tooloir fenner les yeox k T^videnc«.

Der CarteiianismuB in Italien. IL: Oiac. Sig. Gerdil. 735

geradezu sinnlos ^ da concludente Ratiocinationen durchwegs auf allgemeine Ideen gestützt sein müssen. Durch ihre Fähig- keit, universelle Ideen zu bilden, bekundet die menschliche Seele ihre Angehörigkeit an eine höhere Welt und Wirklichkeit, welche für das Thier einfach nicht vorhanden ist. Das Thier zeigt sich bei alP seiner Anstelligkeit imd Klugheit, Spürkraft und Findigkeit ausschliesslich auf die durch seine Natur ihm gelehrten, auf seine Selbsterhaltung und sinnliche Selbstbe- friedigung abzweckenden Functionen beschränkt; von den sinn- lichen Eindrücken der Aussendinge abhängig, hat es weder ein Bedür&iss, noch ein Vermögen, das Wahre zu erkennen; die Gesammtheit der durch den menschlichen Erkenntnisstrieb und durch die Erkenntniss des Wahren bedingten und veranlassten Thätigkeiten ist aus dem Bereiche seines Daseins und Lebens ausgeschlossen. Ganz und gar in der Gegenwart des sinnlichen Daseins aufgehend, begehrt es weder Vergangenes, noch Zu- künftiges zu wissen; sein Leben verläuft in einförmiger Wieder- holung jener Thätigkeiten, welche den Zwecken seiner sinnlichen Erhaltung und Befriedigung dienen ; es ermangelt jedes Triebes nach Selbstvervollkommnung, und so wenig es sich über seine gegebene natürliche Beschaffenheit imd Zuständlichkeit zu einer höheren zu erheben vermag, eben so wenig kann es unter dieselbe hinabsinken, während im Gegentheile der menschlichen Thätigkeit ein unermesslich weites Arbeitsfeld aufgeschlossen und eine nur negativ zu begrenzende Perfectionsftlhigkeit eigen, neben dem Vermögen der höchsten Selbstvervollkommnung aber auch die Möglichkeit, tief unter sich selbst hinabzusinken, offen gelassen ist. Alle jene besonderen Ideenverbindungen, welche das Erzeugniss der Reflexion und das Resultat der mehr oder minder ausgebildeten rationalen Thätigkeit sind,

que rid^e de T^^alit^ n^emporte quelqae chose de plus, que la percep- tion des objets entre laquels on aper^it cette ^galit^. Cela sappos6, il n>8t pas moins Evident que, quoique Tobjet A et Tobjet B puissent se peindre sar la toile mednllaire, lear rapport d^Sgalit^ ne pent pourtant 8*7 peindre, ni en Stre renvoy^ comme d*an lanterne magique. L^esprit con^oit la diffSrence qa*il y a entre les expressions qui signifient un temps d^termin^, et Celles qni sigpüfient an temps ind^termin^, comme entre j*ai dit et je disais. Ay6c quel pinceau les Mat^rialistes traceront- ils le contour de cette diff^rence sur la toile mednllaire? Opp. n, p. 402.

736 Werner.

fehlen beim Thiere^ daher man mit Recht annimmt, dass ihnen auch die Befähigung hiezu abgeht und ausser ihrem Wesen liegt. Es wäre demnach durchaus verfehlt, im Menschen blos ein vollkommenst entwickeltes Thier zu erkennen und einen blos graduellen Unterschied zwischen Mensch und Thier anzu- nehmen; der Abstand des Menschen vom höchstentwickelten Thiere ist ungleich grösser, als jener des letzteren vom mindest entwickelten Thiere, der Mensch gehört einer überthierischen Wesensordnung an.

Gerdil ist nicht gewillt, mit den Cartesianern stricter Observanz den Thieren Empfindung und Wahrnehmung abzu- sprechen und in ihnen blosse Maschinen zu sehen;* er hält für wahrscheinlich, dass ihnen ein von der Materie unterschie- denes Actionsprincip einwohne, obschon man immerhin auch sagen könnte, dass ihr Instinct ausschliesslich durch ihre Or- ganisation bedingt sei. Für jeden Fall aber verwahrt er sich dagegen, dass man mit Locke der organisirten Materie des Thieres so zuversichtlich einen bestimmten Grad von Wahr- nehmungs- und Erkenntnissfkhigkeit zuspreche, um daraus durch einen Schluss a minori ad majus die Folgerung abzuleiten, dass Gott der organisirten Materie des Menschengehimes die Intel- lectionsfähigkeit könnte verliehen haben. Nebenbei wirft Gerdil einen ironischen Seitenblick auf die von Locke mit gravitätischem Ernste besprochene Anekdote über den Papagei des Prinzen von Nassau^ und gibt zu verstehen, dass man dort, wo derlei Dinge ernst genommen werden, wohl thun würde, von Glossen über die Paradoxien der cartesischen Schule abzustehen.^

> Les Cartesiens ont dit s^chement: Les betes sont des machines. On ii*a pas cras qu'an sentiment si Strange mdritat d'etre combattu par des raisons: od Ta toum^ en ridicule. Les LeibnitienSy au moyen de lliar- monie pr^^tablie, ont fait d^pendre de la machine les -mouvements cor- porels des betes et des hommes. Ce sentiment a ii&, et est encore aujourd^hui en vog^e : il a et4, et il est encore combattu ; mais il n'est pas devenu ridicule. Od sent assez que le mot trivial de machine en ^tait susceptible, et que Texpression sonore d'harmonie pr^tablie ne r6tait pas. Opp. II, p. 419.

3 Vgl. Locke, Hum. underst. II, c. 27, §. 8.

3 Descartes avec son ,Roman sublime^ Malebranche avec ses ,Visions sublimes^ Pascal avec sa ,Misanthropie sublime^ ont ils Jamals rien cont^ de semblable? Opp. II, p. 423.

Der Cartesianismus in Italien. II.: Oiac. Sig. Qerdil. 737

§. 8.

Gerdil stellt, auf Malebranche gestützt, der materialistischezi Erklärung des menschlichen Erkennens eine spiritualistisch- illuminis tische entgegen,* deren erstes, der materialistischen Erkenntnisslehre begegnendes Grundaxiom dies ist: die mensch- liche Seele erkenne die materiellen Objecte nicht unmittelbar durch die Objecte selbst, sondern mittelst der Vorstellungen, welche sich über dieselben in der Seele bilden. Daran schliesst sich als zweite Grundwahrheit, dass die Vorstellungen sich nicht auf Grund von Apperceptionen materieller Bilder formiren, welche von den einwirkenden äusseren Dingen in den sinnlichen Apperceptionsorganen zurückbleiben. Derlei Apperceptionen sind nicht möglich, weil die Seele als rein geistige Wesenheit von den materiellen Bildern der Dinge eben so wenig als von den Dingen selber afficirt werden kann. Daraus folgt aber auch, dass die Ideen nicht Modificationen der Seele sein können, wie Locke imd Amauld annehmen, sondern etwas von der Seele oder dem Geiste Unterschiedenes sein müssen. Sie können in ihrem realen, von der Seele unterschiedenen Sein nicht von der Seele hervorgebracht sein, da der Seele kein creatives Vermögen zukommt; eben so wenig können sie aber als göttUche Creationen genommen werden, sei es, dass sie in der Form von angebomen Ideen vom Anfange her der Seele concreirt, oder aus Anlass der äusseren sinnlichen Einwirkungen auf uns in fortwährenden besonderen Creationsacten hervorgebracht an- gesehen würden. Das Erstere geht nicht an, weil der endlichen Seele eine unendliche Zahl von Ideen eingeschaffen sein müsstc ; Letzteres widerlegt sich durch den Umstand, dass alle Ideen, welche die Seele denken will, in dem Momente, in welchem sie dies will^ zwar nicht distinct, aber doch confuse bereits der Seele gegenwärtig sind. Haben sonach die von der Seele ge- schauten Ideen überhaupt keine geschöpfliche Wirklichkeit, so müssen sie Von der Seele in Gott selbst geschaut werden, was aber nur unter Voraussetzung einer geheimnissvollen Einigung der menschlichen Seele mit der göttlichen Wesenheit denkbar

t Opp. n, p. 166 ff.

738 W«rii0r.

ist. So ist demnach alles ideelle 'Erkennen des Menschen ein Schauen der Dinge in Gott, in dessen Denken die intelligiblen Ideen aller Dinge vorhanden sind und der als Causa exem- plaris aller Dinge dieselben unmittelbar durch sich selbst re- präsentirt.

Dem materialistisch-sensistischen SubjectivismuB gegenüber soll durch diese Erklärung des menschlichen Erkennen» die objective Wahrheit desselben erhärtet und weiter auch dss specifische Wesen der menschlichen Intellectivität im, Unter- schiede von der rein sinnlichen Afficirbarkeit und Empfindungs- fähigkeit, auf welche die materialistischen Erkenntnisslehren basirt sind; gewahrt werden. Er weiss es aber nur dadurch zu wahren, dass er der sinnlichen Afficirbarkeit der Seele eine geistige Afficirbarkeit derselben durch Gott zur Seite treten lässt; denn die Perception der Idee des sinnlichen Objectes resultirt aus einer Einwirkung Gottes auf die mit Gott un- mittelbar geeinigte Seele. So wird demnach die Idee in Folge einer unmittelbar durch Gott gewirkten Modification der Seele appercipirt; hiemit stellt er sich in Gegensatz zu Locke und Amauld, welche die Idee für eine unmittelbar durch die sinnliche Empfindung hervorgenifene Modification der Seele halten. Gerdil kann dies nicht zugeben, weil damit das Denk- leben der Seele selbst zu etwas rein Subjectivem gemacht würde. Die Seele ist wesentlich Sensationsprincip, und ihre Existenz als eines vom Stoffe verschiedenen Wesens muss daruiu festgehalten werden, um die Wahrheit des auf rein mateiia- listischem Standpunkte nicht erklärbaren Factums des Empfin- dens sicherzustellen. Das Empfinden gibt uns aber, soweit es im blossen Innewerden sinnlicher Affectionen beruht, über die objective Beschaffenheit der Dinge gar keinen Aufschluss; darum muss es Affectionen höherer, rein geistiger Art geben, und diese können einzig durch Gott gewirkt werden. So nimmt also die von Amauld und Locke vertretene empiristische Erklärung des menschlichen Denklebens eine unhaltbare Mitte ein zwischen der Malebranche'schen Lehre vom seelischen Schauen der Dinge in Gott und zwischen der rein materia- listischen Erklärung des Denkens als einer speciellen Modi- fication der activen Wechselbeziehungen der körperlichen Atome. In dem Umstände, dass Locke, die Möglichkeit einer denk-

Der CartoBianisrnua in Italian. ü. : Giac. Big. Gerdil. 739

fkhigen Materie zugestehend, selbst schon auf halbem Wege den Materialisten entgegenkomme, sieht Gerdil eine Bestätigung der Richtigkeit seines Bestrebens t^ die Malebranche'sche Er- klärung des intellectueUen menschlichen Erkennens einzutreten und sie als die allein wahre zu vertheidigen.

Gerdil's erkenntnisstheoretische Doctrin fasst sich in Bezug auf die Erkenntniss der Körperwelt in folgende Sätze znsammen: Wir erkennen die Sinnendinge nicht unmittelbar, sondern ver- mittelst der ihnen entsprechenden göttlichen Ideen, welche sich der Seele aus Anlass unserer sinnlichen AfiFectionen durch die Attssenwelt in Kraft; göttlicher Causalität vernehmbar machen und von uns auf die sinnlich afficirenden Dinge als occasionelle Ursachen jenes Vemehmbarwerdens bezogen werden. Im Em- pfinden hat ein unklares dunkles Innewerden der Dinge statt, welches sich in der Idee des Dinges zu einer bestimmten, klaren und deutlichen Apprehension des intelligiblen Wesens der Dinge gestaltet. Die Seele erkennt, zur sinnlichen Intellection des Dinges gelangt, eine durch bestimmte Sinnesaffectionen ihr sinnlich wahrnehmbar gemachte Modification der allgemeinen Idee der Ausdehnung, welche Idee sie in Gott als dem Prototyp alles ausgedehnten Seins zusammt den im göttlichen Denken existirenden Modificationen des Ausgedehntseins, die mit dem Dasein der endlichen Körper gegeben sind, schaut. Bezüglich dieser Modification hat man nun allerdings zwischen den gene- rellen und particulären Proprietäten der Körperdinge zu unter- scheiden.^ Wenn Arnauld und nach ihm Locke fragen, ob der schlichte Landmann, der nach Malebranche's Lehre eben so wie der Philosoph die Ideen der Körperdinge in Gott schaut, dieselbe klare imd helle Erkenntniss derselben wie der Philosoph habe, so ist Beiden zu erwidern^ dass in Bezug auf die geistige Apperception der generellen Proprietäten der Körperdinge Bauer und Philosoph auf gleicher Stufe stehen; anders verhält es sich mit den speciellen Proprietäten, welche bestimmten besonderen Classen und Arten von Körpern angehören; diese können selbst von den Naturkundigen nur conjecturaliter be- stimmt werden auf Grund wissenschaftlicher Erfahrungen und nach den durch die allgemeinen Naturgesetze an die Hand ge-

Opp. II, p. 295 f.

740 Werner.

gebenen Analogien. Selbst in Beziehung auf unsere Erkenntniss der generellen Proprietäten der Körper: Ausdehnimg, Figur, Bewegung, sind Unvollkommenheiten zuzugeben^ welche sich daraus erklären, dass die im Berührtsein durch Gott sich uns erschliesscnde Erkenntniss derselben unserem zeitlich unvoü- endeten Sein entspricht, wodurch jedoch keineswegs die Wesens- eigenschaft derselben als einer klaren und distincten Erkenntniss beeinträchtigt wird. Es gibt eben Grade der Klarheit, die sich ins Unendliche steigern lassen. Gott hat zufolge seiner Un- endlichkeit eine unendlich klare Erkenntniss der Ausdehnung; wir können diesen unendlichen EJarheitsgrad der Idee der Ausdehnung nicht fassen; gleichwohl reicht unsere begrenzte Klarheit der Idee der Ausdehnung aus, jede in concreto uns sich darstellende Ausgedehntheit der Körper als solcher ab ^ine modificirte Repräsentation der Idee der Ausgedehntheit zu verstehen.

§. 9.

Locke hatte Malebranche's Lehre vom menschlichen Schauen der Dinge in Gott einer speciellen Kritik unterzogen,* gegen welche seinen Lehrer zu vertheidigen Gerdil sich ge- drungen fühlte. Locke wendet sich zunächst gegen Malebranche's Behauptung einer specifischen Einigung der menschlichen Geister mit Gott, vermöge welcher Gott der Ort der Geister sei, wie der Raum der Ort der Körper; nun gebe es aber nach Malcbranche keinen reinen Raum als Ort der Körper, somit falle auch die Parallele mit einem specifischen Orte der Geister hinweg, wie denn überhaupt nicht einzusehen sei, wes- halb Gott den Geistern und Körpern nicht gleich nahe sein sollte. Ueber unser angebliches Schauen in Gott drücke er sich so unklar und widersprechend aus, dass man nirgends bestimmt erfahre, was wir in Gott schauen und wie wir es

' Die hierauf bezüglichen Schriften Lockens finden sich in den zu London 1706 herausgegebenen und von Ledere ins Französische übersetzten Oeuvres posthumes Lockens : Examen de ropinion du P. Malebranche, que nous voyons tout en Dien. Remarques sur quelque partie» de« ouvrages de M. Norris, dans lesquelles il soutient Topinion dn P. liale- brauche que nous vojrons tout en Dieu.

Der CartesianismtiB in Italien. H.: Giac. Sig. Oerdil. 741

»

Behauen. Nach Gerdil^ wird die Einigung aller Creaturen mit Gott durch jene göttliche Action gewirkt, kraft welcher die Creaturen continuirlich im Sein erhalten werden. Diese göttliche Action ißt die Vorbedingung einer anderen, kraft welcher Gott sich der menschlichen Seele als die Causa exemplaris aller Wesen vernehmbar machen kann. Dieser besonderen Art Ton Einigung mit Gott sind die Körper nicht &hig; die Geister aber müssen derselben fkhig sein, so gewiss es in Gottes Ver- mögen gelegen sein muss, sich ihnen als dasjenige, was er im Verhältniss zu den Creaturen ist, vernehmbar zu machen. lieber das Was und Wie dieser Vemehmbarmachung kann kein Zweifel bestehen^ sobald man zwischen dem Mittel und Objecte der Ver- nehmbarmachung richtig unterscheidet. Gott ist nicht an sich, sondern nach seinem an die Creaturen participablen Sein Gegen- stand der Vemehmbarmachung und diese das Mittel des Schauens des Eörperdinges im Lichte der göttlichen Idee desselben, welche mit dem göttlichen Sein identisch ist. Malebranche habe sich hierüber, bemerkt Gerdil, gegen Amauld's Einwendungen erklärt. Amauld^ hatte aus der Identität der göttlichen Idee mit dem gött- lichen Sein gefolgert, Malebranche lehre, indem er den mensch- lichen Geist die göttliche Idee des Dinges schauen lasse, eine directe Anschauung des göttlichen Wesens von Seite des zeitlichen Erdenmenschen. Malebranche erwiderte hierauf, dass, sofern das göttliche Sein nur als participirtes Gegenstand der An- schauung sei, nichts Anderes als die Creaturen in Gott geschaut würden. Wenn wir die Eörperdinge nicht unmittelbar, sondern durch das Mittel der Idee geistig appercipiren, die Idee aber der göttliche Gedanke des Dinges ist, so müssen wir das Ding geistig in Gott schauen; der Mensch kann die Sonne nur, sofern er die Idee der Sonne denkt, geistig appercipiren, appercipirt aber diese Idee in Kraft der durch göttliche Erleuchtung ihm vernehmbar gewordenen intelligiblen Ausdehnung, deren Ge- danke in ihm zufolge der Einigung von Seele und Leib im Menschen als Correlat der sinnlichen Apperception einer be- stimmten Ausdehnungsform aufleuchtet. So wird also der Sinnenschein eines Dinges die occasioneUe Ursache der geistigen

« Opp. U, p. 212 flf.

> Vgl. Arnauld: De rraies et fausses id^es, c. 17. Sitzangaber. d. phil.-hist. Cl. CH. Bd. II. Hft. 4b

742 Werner.

Apprehension seiner intelligiblen Form. Wenn nun Locke einwendet, dass die intelligible Form oder Idee des Dinges nicht das Ding selbst sei, so möge er daran erinnert werden, dass er selbst die Idee zum Mittel der Apprehension der Körperdinge mache und diese Art des Erkennens dessunge- achtet nicht als eine Erkenntniss der Idee als solcher, sondern als die uns eigenthümliche Form des Erkennens der Dinge bezeichne.

Locke hält die Annahme einer Verbindung der Seele mit Gott als dem alle besonderen Dinge urbildenden allgemeinen Sein fllr unnütz; im Grunde wolle durch dieselbe nichts Anderes gesagt sein, als dass wir fähig seien, die Ideen aller Dinge zu appercipiren, womit nichts Anderes als unsere Denk* und Er- kenntnissfähigkeit asserirt sei. Gerdil findet die dem Menschen von Natur aus eignende Fähigkeit zur Reception der Ideen der besonderen Dinge nicht für ausreichend ohne das Mittel einer generellen indistincten Apperception derselben, aus welcher sich die particuläre imd distincte Erkenntniss derselben heranszu- gestalten habe. Jenes Mittel sei aber in der zufolge der Ver- bindung der Seele mit Gott stetig vorhandenen Präsenz der allgemeinen Seinsidee gegeben. Ein Geometer, der eine Figur von bestimmten Verhältnissen ausfindig machen wolle, ve^ gegenwärtigt sich ftir einen Moment alle möglichen Figuren, unter welchen die gesuchte enthalten sein muss, und sieht letz- tere, wenn schon nur indistinct und generell, in der unendlichen Zahl der möglichen Figuren; auf Grund dieser indistincten Vergegenwärtigung aller möglichen Figuren ermittelt er die bestimmte, speciell von ihm gesuchte. Die Philosophen werfen, wenn sie die Ursache einer Wirkung ermitteln wollen, stets ihren Blick auf das Sein im Allgemeinen; Beweis dessen sind die in die abstracte Schulphysik eingeführten Termini: Actus, Potenz, Substanzialform, Vermögen, elementare und secundäre Qualitäten u. s. w. Gerdil hält somit das in Kraft göttlicher Erleuchtung der menschlichen Seele stets präsente Etre en gän^ral für das richtige Mittlere zwischen der Annahme ange- bomer Ideen und der von Locke angenommenen ursprünglichen Leerheit der Seele als Tabula rasa.

Locke begreift nicht, wie man Dinge, die ihrer Natur nach particulär sind, en g^n^ral soll sehen können; sind die

I

Der CartCBianismus in Itolien. 11. : Qiac. Sig. Oerdil. 743

Ideen, die der Mensch hat, etwas Reales in Qt>tt, so müssen sie alle ein distinctes Sein in Gott haben und demnach auch der in Gott schauenden Seele sich distinct offeriren; es bliebe sonst nur die Wahl übrig, Gott ein indistinctes confases Erkennen oder eine confuse Mittheilung seiner an sich distincten Ideen an uns zuzuschreiben. Gerdil erklärt dieses Raisonnement ftir eine entstellende Missdeutung der Ansicht Malebranche's; dieser nenne nicht die von uns in Gott geschauten allgemeinen Ideen coniuse Ideen, sondern sage nur, dass wir in ihnen, die an sich klar imd distinct sind, die particulären Dinge confuse schauen. Jede allgemeine Idee ist in ihrem Unterschiede von einer anderen allgemeinen Idee eine klare und distincte Idee: man kann sie aber beziehungsweise eine conAise Idee nennen im Verhältniss zu den von ihr umschlossenen particulären Ideen« die, nicht fUr Gott, jedoch (Hr uns eben erst durch Be- ziehung der in Gott geschauten allgemeinen Idee auf einen von uns sinnlich apprehendirten Gegenstand zu distincten Ideen werden.

Locke stösst sich daran, dass die Ideen, die mit Gottes Wesen zusammenfallen, mit der Präsenz Gottes in unserem Geiste nicht auch schon sämmtlich uns präsent sein sollen, so dass es eines besonderen Willensactes Gottes bedürfe, um uns eine bestimmte Idee actuell präsent zu machen. Gerdil findet in dieser Willensaction Gottes nichts Anderes als eine Enthüllung seiner selbst als Causa exemplaris der Dinge mit Beziehung auf eine bestimmte besondere sinnUche Affection, welche die Seele von einem körperhchen Aussendinge er&hrt. Locke meint, dass mit der Selbstenthüllung Gottes als Causa exem- plaris eines Dinges fUr die Erkenntniss des actuellen Dinges nichts gewonnen sei, wofern man nicht weiter gehen wolle und Gott jedes Ding actuell sein lasse, was aber zu den anstössigsten Consequenzen fiihren würde, da dann die Dinge entweder Theile Gottes oder Modificationen Gottes oder in Gott auf jene Art wie die Dinge im Räume enthalten sein müssten. Gerdil ver- wirft die von Locke vorgenommene Unterscheidung eines Emi- nenter-Enthaltenseins der Dinge in Gott vom Gedanken des göttlichen Seins als der absoluten Actualität aller Dinge. Gerade darum, weil Gott seiner Substanz nach die actualste Wirk- lichkeit aller Dinge ist, kann er die vollkommenste Urbildung

48*

744 Werner.

aller auBser ihm möglichen Dinge sein. Sie sind in ihm in einer Weise wirklich, in welcher sie es ausser ihm nicht ^in können; es hiesse eben nur die Unvollkommenheiten und Li- mitationen der Dinge ausser Gott in Gott selbst hineintragen, wenn man behaupten wollte, dass sie, sofern sie in Gott seiend gedacht werden, ab Theile oder Modificationen seines absolut Einen und immutablen Seins gedacht werden müssten.

Der Gegensatz Gerdil's zu Locke reducirt sich hier darauf, dass, während Locke den Seinsgedanken ohne alle weitere Bestimmtheit als einen völlig leeren Gedanken ansieht, Gerdil denselben als den InbegrifiF aller Realität fasst Locke hält daftr, dass der Seinsbegriff in dem von Malebranche bezeichneten Sinne sich unserer geistigen Fassung völlig entzieht und dem- zufolge der Recurs auf denselben dasjenige, was uns mittelst desselben denkbar und begreiflich gemacht werden soll, auch nicht im Mindesten aufhelle oder geistig näherrücke. Gerdil hingegen meint, dass die absolute Hingegebenheit unseres Seins und Erkennens an die jenem Begriffe entsprechende absolute Realität eine mit unserem geschöpflichen Dasein und Denken absolut gegebene Thatsächlichkeit sei, in deren Verdeutlichung die Aufgabe des philosophischen Denkens bestehe und völlig aufgehe. Man wird es dem empiristischen Verstände Locke's nicht verargen, wenn er hierin eine unnatürliche Ueberspanntheit des Denkens sah ; in der That liegt hier eine unklare Fusion der religiösen Empfindung mit dem philosophischen Denken vor. welche selbst auf theologischem Gebiete zu mancherlei Disconvenienzen führte und in einzelnen Pimkten gerade das- jenige in Frage zu stellen schien, wofür Malebranche in der absoluten Hingegebenheit seines Denkens an die Idee des Gött- lichen vor Allem einzustehen gewillt sein musste.

Die philosophische Erkenntniss ist im Gegensatze zu der auf Offenbarung und Ueberlieferung gestützten theologischen ErkenntnisBweise wesentlich auf das Selbstdenken gestützt, und die durch Cartesius inaugurirte neue Epoche der Philosophie stützte die philosophische Gewissheit geradezu auf den Selbst- gedanken. Sofern nun Malebranche das philosophische Erkennen wesentlich als ein Verstehen der Dinge aus ihrer gottgedachten Idee bezeichnete, hätte man von ihm als Fortbildner der Car- tesischen Lehre erwarten können, dass er vermittelst der philo-

Der Cartesianismus in Itali«». II.: Oiac. Sig. Gerdil. 745

sophisch erfassten gottgedachten Idee des menschlichen Selbst die Cartesische Lehre in ihrem ersten Ausgangspunkte vertiefen, und damit die Umsetzung derselben in eine anthropocentrische Anschauung der Dinge anbahnen würde, was die Cartesische Lehre trotz ihres im menschlichen Ich gesuchten Stützpunktes nicht anstrebte und nicht einmal anstreben wollte. Dem Denken Malebranche's lag ein derartiges Unternehmen eben so ferne, ja noch ferner als jenem des Cartesius, der durch die Wahl des Ausgangspunktes seiner philosophischen Forschung einer Forderung der richtigen philosophischen Forschungsmethode genügen wollte. Malebranche lehnt die Forderung einer auf den ideell vertieften Selbstgedanken gestützten Philosophie als unerfüllbar ab; und sie schloss in der That eine flir ihn unmög- liche Aufgabe in sich. Das philosophische Denken seiner Zeit war noch nicht zum Verstflndniss des specifischen Wesens der Idee in deren Unterschiede vom BegriflFe vorgedrungen; und überdies schloss der unvermittelte anthropologische Dualismus der Cartesischen Lehre die Erfassimg des concreten Menschen- wesens aus einer einheitlichen Idee durch sich selbst aus. Immer- hin bleibt es aber bemerkenswerth, dass Malebranche an jene von ihm abgelehnte Aufgabe von Locke gemahnt wurde, der sie freilich auch seinerseits für unlösbar hielt, jedoch in ironi- scher Weise dem die Dinge in Gott schauenden französischen Philosophen verargte , nicht auch die Idee seines Selbst in diesem Schauen entdeckt zu haben. Gerdil weist hier wieder darauf zurück, dass die Enthüllungen Gottes an die mit ihm ge- heimnissvoll geeinigte Seele dem regelnden Masse des göttlichen Willens unterworfen seien; Malebranche habe in seinen christ- lichen Meditationen * in schönster und erbauendster Weise dar- gelegt, weshalb die göttliche Weisheit der in Gott schauenden Seele den Anblick ihres Urbildes fUr das Leben dieser Zeit zu entziehen beschlossen habe. Sie würde, die Idee ihrer selbst schauend, aufhören, den menschlichen Leib für einen integri- renden Theil des Menschen zu halten und die pflichtgemässe Sorge um ihn und um das Zeitlich -Irdische vernachlässigen; sie würde, von den drückenden Nöthen des Erdendaseins be- lastet, sich einfach nach dem Tode als der Befreiung von allem

1 Vgl. MAlebranche, M^Ut. 9, n. 19.

746 Werner.

Uebel sehnen^ statt des Zeitdasems Last und Mühe mit unver- droBBenem Muthe und opferwilligem Geiste auf sich zu nebmen und damit die auf der Seele lastende Schuld der Sünde zu sühnen. Zudem reichen, wie Malebranche anderweitig ' bemerkt die aus der unmittelbaren Selbstwahmehmung der Seele ge- schöpften Erkenntnisse aus^ die Spiritualität, Unsterblichkeit, Willensfreiheit der Seele und die sonstigen Eigenschaften der- selben, deren Eenntniss dem Menschen für dieses Zeitleben nöthig ist, zu erkennen.

Nach Malebranche's Daflirhalten eignet sich unser Nicht- schauen der Idee der Seele zu einem Beweise daflir, dass die Ideen, durch welche uns die Dinge ausser uns repräsentirt werden, nicht Modificationen unserer Seele sein können. Denn die Seele müsste, diese äusseren Dinge aus den Modificationen ihrer selbst erkennend, eine viel deutlichere Erkenntniss ihres eigenen Wesens und der Modificationen desselben, als der Körper und ihrer Modificationen haben ; sie weiss jedoch um die Modificationen ihrer selbst nur aus Erfahrung, während sie die Modificationen der Ausdehnung aus der . Idee derselben versteht. Nach Locke beweist dieses Argument nur so viel dass die Figuren nicht Modificationen der Seele, sondern des Raumes seien, womit aber zusammenbestehe, dass die Gestal- tungen der Dinge nicht ohne eine Modification der Seele apper- cipirt werden können. Diese Modificationen betreffen jedoch, erwidert Gerdil, nur die sinnliche Apperception des Aussen- dinges, nicht aber die Idee desselben, weil diese eben keine Modification der Seele ist. Malebranche hat somit für die metaphysische Realität der Aussendinge einen Beweis erbracht, welchen Locke von seinem Standpunkte aus nicht zu er- bringen vermag.

Für Locke hatte es insgemein kein Interesse, einen solchen Beweis zu erbringen, da ihm von seinem sinnlich empiristischen Standpunkte aus nichts gewisser war als die Realität der Körper weit; da er aber keiner andern Erkenn tniß<i, als der aus der Erfahrimg abgeleiteten, philosophische Giltigkeit zugestehen wollte, so musste er natürlich auch die in Male-

s Recherche de U V^rit^ III, Part 2, chap. 7, n. 4.

Der Cürtesiuiiamiit in Italien, ü. : Giac. Sig. Gerdil. 747

branche's Sinne anf ideale Apprehensionen gestützte meta- physische ErkenntnisB der Körperwelt als chimärische Illusion verwerfen. Malebranche hatte geäussert, dass unsere allgemeine oder philosophische Erkenntniss der Körper und ihrer Proprie- täten eine sehr vollkommene sei; wir könnten keine distinctere und fruchtbarere Erkenntniss der körperlichen Gestaltungen und Bewegungen wünschen als jene, welche sich uns aus der in Gott geschauten Idee der Ausdehnung ergebe. Locke stellt nicht in Abrede^ dass sich aus der Idee der Ausdehnung andere Ideen entwickeln lassen; er sieht aber nicht ein, dass ihr diese Art von Fruchtbarkeit deshalb zukomme, weil sie in Gott geschaut wurde, indem in Gott die Ideen sich nicht eine aus der andern entwickeln, sondern jede derselben ursprünglich für sich vorhanden ist. Gerdil gibt zu/ dass die menschliche Attention nur eine occasionelle Ursache der Entwicklung verschiedener Wahrheiten aus einer zuerst klar geschauten Wahrheit ist; daraus folge jedoch nicht, dass die zuerst klar gedachte und aufmerksam betrachtete Wahrheit sich nicht wirk- lich uns fruchtbar erwiese, indem eben in Folge der aufmerk- samen Betrachtung z. B. des in seiner Idee erfassten Kreises die verschiedenen Proprietäten und Beziehungen der Kreislinie sich erschliessen. Locke stösst sich daran, dass imsere Attention die occasionelle Ursache von Ideen sein können solle; wie sehr auch irgend ein Philosoph oder Geometer sich darnach sehnen sollte, den einem rechten Winkel zunächst kommenden spitzigen oder stumpfen Winkel kennen zu lernen, werde ihm Gott doch niemals die klare Anschauung des fraglichen Winkels gewähren.. Gerdil hält dafür, dass die ausreichende Antwort hierauf bereits von Malebranche selber gegeben worden sei.^ Locke findet Malebranche's Theorie vom Schauen der Dinge in Gott überflüssige weil sich die Dinge durch die in

1 Opp. n, p. 294 ff.

3 C^est avec raison qae le P. Malebranche, expliquaut dans ses MMita- tions chr^tiennes (siehe M^ditat. 3, n. 13) les v^rit^ que Tesprit peut d^coayrir par son d^sir et son attention, fait dire au verbe qui instruit r&me, ces paroles: ,Si tu d^sires de d^couvrir le rapport de la diago- nale d*un quarrt ä sa racine, ton d^r, bien que violent et pers^v^rant, sera vain et inutile; car tu demandes par ce d^sir dMgU plu« que tu ne peux recevoir.' Opp. II, p. 300.

748 Werner.

uns causirten sinnlichen Bilder vernehmlich machen; diese Bilder sind nicht blos Gelegenheitsuraachen des Entstehens der Ideen in uns, sondern rufen dieselben unmittelbar hervor. Grerdil ' erwidert^ dass nicht das auf der Netzhaut sich abzeichnende Bild des sinnUchen Objectes, sondern nur die Erschütterung des Sehnervs durch den Lichtstrahl die nächste Veranlassung der Sinnesapperception sei; die Erschütterung könnt« aber selbst, wenn sie wirklich die Seele als solche zu afiSciren vermögend wäre, ihr nicht das auf der Netzhaut abgezeichnete Bild vernehmbar machen, weil sie eben nur blosse Bewegung sei.^ Jenes Bild kann, abgesehen davon^ dass es den Gegenstand nicht in seiner wirkUchen Gestalt, sondern umgekehrt und nicht selten in verzogenen Linien gibt, nicht die Idee des Objectes repräsentiren oder causiren, weil es über Entfernung, Grösse, Lage des Objectes, also über dasjenige, was Inhalt der Idee ist, keinen Aufschluss gibt. Es ist also auch unnütz und ver- geblich, dass Locke, um die richtige Perception des Bildes durch die Seele zu erhärten, sich auf die den Gesetzten der Refraction und Dioptrik exact entsprechende Construction des Auges beruft. Zudem ist es, die angebliche Vermittlung der

> Opp. n, p. 164 ff.

' Tont ce donc qae M. Locke dit du moavement des petites parties qni, sortant continnellement de« corps, vienne&t en snite « frapper noa leiis de rattouchement imm^diat, qui se fait dans le goüt et dans le tact du mouvement ondoyant de Tair, par lequel selon Ini on expliqae asaes bien le son des ^coulements des corps odorants qiü rendent pareille- roent raison des odeurs, toat cela est enti^rement hors du sujet , paroe qae n'j ayant dans tontes ces choses, comme il Tavone Ini^meme, qne les qnalit^s premiöres on originelles de la mati^re, k savoir le moiiTe* ment, la figure et la solidit^ des petites paiücales qni n'ont rien de semblable auz qualit^s secondes, ou sensations qu^elles seinbleut nous causer par Timpression qn'elles fönt snr nos organes, 11 n*y a entre 'ces mouvements, ces ^coulements, ces impressions etc., et les sensations qui nous viennent k leur occasion, il n*y a, dis-je, aucun rapport de cause et d'effet, puisque toute cause yraiment efficiente doit contenir la r^alit^ de Teffet qu*elle prodnit: ce qui ajoute des espices visibles, de la peti- tesse des rayons de la lumiöre, du petit norobre n^oessaire k rendre un objet Tisible, de Tespace distingn^ qu*ils occupent dans la r^tine, pour faire voir qu*ils n^ont aucunement besoin de se p^n^trer pour tracer Timage des objets, tout oela n*est pas plus k propos. Opp. II, p. 166 t

Der Cartesianisinos in Italien. 11.: Oiec. 8ig. Gerdil. 749

Apperception der Grösse durch das Auge betreffend, nicht einmal wahr, dass, wie Locke behauptet, die Grösse der Objecte, welche sich der Seele durch das Auge präsentiren sollen, der Entfernung der den Bildern entsprechenden Objecte vom Auge proportionirt sei; der Mensch erscheint, in einer Entfernung von vier Schuhen aus gesehen, nicht doppelt so gross ab in der Entfernung von acht Schuhen, trotzdem dass das Bild auf der Netzhaut im ersten Falle um das Doppelte grösser ist^ als im zweiten Falle. Sollte die Seele das Bild auf der Netzhaut wahrnehmen, warum nicht diese selbst, da ja doch das Bild mittelst der Netzhaut auf die Seele wirken müsste? Locke sagt, die Seele appercipire das Bild auf der Netzhaut wie den Schmerz im verwundeten Finger. Ist denn die vom verwundeten Finger ausgehende und bis ins Gehirn fortgepflanzte Nerven- affection wirklich die Causa efficiens des von der Seele apper- cipiii^n Schmerzes? Wäre es so, so würde die Empiindang eines Fingerschmerzes nicht bei Solchen vorkommen, welche dieses Körpergliedes durch Amputation verlustig giengen. Locke hat somit sein Tertium comparationis nicht glücklich gewählt. Und doch liesse sich noch eher sagen, dass die zum Gehirne fortgepflanzte Affec^tion der Fingemerven auf die Seele wirke, als dass das Bild der Netzhaut sich der Seele vernehmbar mache, da man die Farbempfindung und die Idee der Figur nicht eben so zur Netzhaut in Beziehung setzen kann, wie man allenfalls mit einigem Scheine von Wahrheit den Finger- schmerz auf den verwimdeten Finger selbst zurückbeziehen könnte; Farbe und Figur müssen vielmehr auf den Gegenstand bezogen werden. Nun ist aber die Farbempfindung als solche etwas rein Subjectives, gibt also keine Idee vom Gegenstande; die Figur aber ist als eine dem Körper als solchem anhaftende Proprietät nicht unmittelbar durch sich selbst der Seele ver- nehmlich, da der Körper nicht in die Seele eindringen kann; also muss sich unsere intellective Apperception der Figur in Gott vermitteln, so wie nicht minder unser Verständniss der objectiven Beschaffenheit dessen, was in uns die Farbempfin- dung veranlasst.

750

Werner.

§. 10.

Wir haben in dieser von Gerdil vertheidigten fjrklärQng&- weise des objectiven Inhaltes unserer sinnlichen VorstelluBgen eine letzte Consequenz der Preisgebung des Gedanken« von der Seele als lebendigem Formprincipe der sinnlichen Leib- lichkeit zu erkennen; Malebranche will die durch den Car- tesischen Dualismus geschaffene Kluft zwischen Subject und Object der menschlichen Weltbetrachtung dadurch überbrückeD, dasB er alle objectiv giltige Wahrnehmung des Menschen nn- mittelbar in Gott sich vermitteln lässt. Dieser Anschauungsweise wurde nicht blos von den älteren Cartesianem: Amauld und Regis * widersprochen , sie wurde auch von Solchen nicht getheilt, welche wie Pardella von Malebranche sich entschieden beeinflusst zeigten. Gerdil klagt,^ dass Malebranche nicht blos in den Kreisen der Freidenker, sondern auch sehr emstgesinnter Männer und hervorragendeir Theologen als Visionär imd Träumer gelte, während man an dem ihm geistverwandten Thomassin keinen Anstoss nehme, trotzdem dass dieser, auf Plato und Augustinus gestützt^ unsere Erkenntniss der Eigenschaften der Zahlen und Figuren, der Regeln des Natnrrechtes, der Gesetze der Gerechtigkeit und Billigkeit direct und unmittelbar in Gott geschaut werden lasse. Bei Augustinus ^ erscheine die Lehre vom Schauen im Lichte der ewigen Vernunft, in welcher die immutable Wahrheit der Dinge existire, als eine Berichtigung der Platonischen Lehre vom geistigen Erkennen als einer Wiedererinnerung an das von der Seele in vorzeitlicher Existenz Geschaute. Wie Fardella die Coincidenz der Cartesischen Psychologie mit jener Augustins aufzuzeigen gesucht hatt«, so bemüht sich Gerdil, nachzuweisen, dass Malebranche's Erkennt- nisslehre mit jener Augustins identisch sei. Die intelligiblen und immutablen Realitäten, mit welchen unsere Seele nach Augustins Worten nulla interposita creatura verbunden ist, sind nichts Anderes als die göttlichen Urbilder der Dinge; das Licht

1 lieber Regis* Einwendungen gegen die Malebranche*sche Doctrin vgl. Gerdil, Opp. II, p. 2 Uff.

2 Opp. II, p. 114 ff.

' Vgl. Aug. RetrAct. I, c. 8.

Der CurtosianinBus ia Italien. II. : OUe. Big. Oerdil. 761

der ewigen Vernunft, in welchem unsere Vernunft schaut^ ist nichts Anderes als die göttliche Weisheit^ sofern sie uns nach ihrem Ermessen die Ideen der Dinge enthüllt. An diesem letzteren Punkte, das göttliche Ermessen betreffend, scheitert Gerdil's Unternehmen des Nachweises einer völligen Coincidenz der Augustinischen Lehre mit jener Malebranche's, und wird zugleich auch die Malebranche's Erkenntnisstheorie charakte- risirende Verwischung des Unterschiedes zwischen natürlicher und übemattLrlicher Erleuchtung offenbar; denn eine vom Er- messen des göttlichen Willens abhängige Erleuchtung kann nicht eine zur Ordnung der Natur gehörige Action Gottes sein, weil eine derartige Action bei sonst normalen Umständen nach Gottes Ordnung jederzeit statthaben muss. Jenes göttliche Arbitrium, welches Malebranche an ungehöriger Stelle zur Geltung bringt, ist das Correlat des menschlichen Arbitrium, welchem, wie wir bereits bei Fardella sahen, ein ungerecht- fertigter Einfluss auf das Zustandekommen der menschlichen Intellection eingeräumt wird. Gewiss ist das geistige Erkennen eine That des inneren Seelenmenschen, aber eben eine intellec- tuelle, nicht eine sittliche That; nur zufolge der völlig passi- vistischen Auffossung des intellectuellen Erkennens konnte jene, die Cartesisch-Malebranche'sche Philosophie charakterisirende Ineinanderschiebung der beiden an sich geschiedenen Sphären des inteUectueUen und sittlichen Thuns platzgreifen.

Beachtenswerth ist das mit dem Recurse auf Augustinus verbundene und auch von Gerdil bemerklich gemachte Hervor- brechen der Anerkennung eines idealen Vernunftsinnes als besonderer Seelenpotenz in der Malebranche^schen Philosophie, obschon die Aufgabe desselben sich lediglich auf die geistige Klarmachung der sinnlich empirischen Apprehension im Ele- mente eines göttlichen Wahrheitslichtes beschränkt.' Dass die

< Ces passages bemerkt Gerdil mit Beziehung^ anf eine Reihe voraus- gehend angefahrter Augnstinischer Aussprüche ont donn^ Heu au P. Thomassin de distinguer dans Thomme ces trois facultas: Tentende- ment, la raison et le sens; comroe aussi ces trois Operations qui leur r^pondent, Tintelligence, la science et le sentiment. C^est par le sens, qu^elle re^oit les impressions des choses materielles et sensibles; et la raison qui tient la milieu entre Vintelligence et le sentiment, ecoute, pour ainsi dire, rintelligence pour juger du sentiment; eile Apprend de

752 W«ra«r,

seelische Vemunftthätigkeit im Unterschiede von der sinnlich empirischen Receptionsthätigkeit der Seele eine active Nach- bildnng der göttlichen Ideenproduction sein und ein von der empirischen Wirklichkeit als solcher unterschiedenes Object der geistigen Apprehension und Gestaltung so gewiss haben müsse, als Idee und Wirklichkeit des empirisch -zeitlichen Menschen- daseins sich nicht decken, lag ausserhalb des Denkbereiches der Cartesisch-Malebranche'schen Doctrin. Amauld macht der Malebranche'schen Lehre vom Schauen der göttlichen Ideen zum Vorwurfe^ dass in ihr die scholastische Lehre von den Etres repr^sentatifs in modificirter Gestaltung wiederemeuert werde. Das Richtige ist, dass sowohl die Species intelligibiles der speculativen Scholastiker^ als auch die in Gott erschauten Ideen Malebranche's Antidpationen der neuzeitlichen Vernunft- idee waren, nur dass sie das specifische Object dieser mit dem mitteist der sinnlich empirischen Erfahrung der Seele sich einbildenden Objecto vereinerleiten und so wenigstens principiell in den Bereich der begrifflichen Apprehension der erfahrungs- massig gegebenen Wirklichkeit gebannt blieben. Der Artbegriff eines individuellen Sinnendinges coincidirt nicht mit der Idee dieses Dinges; der Denkinhalt des Begriffes befasst sich mit den constitutiven Momenten des rationalen Gedankens vom Dinge, der Denkinhalt der Idee aber bezieht sich auf den Wesens- oder Wirkungsgrund des Erscheinenden oder auf die innere denkhafte Verknüpfung der differenten Mannigfaltigkeit des Erscheinenden, ist also insgemein auf Erfassung der inneren Gründe desselben gerichtet.

Gerdil erklärt den oben erwähnten Vorwurf Amauld's gegen Malebranche als eine Missdeutung der Erkenntnisslehre desselben, > deren Wesentliches ja vielmehr darin bestehe, die von der göttlichen Essenz unterschiedenen Etres repr^sentatifs beseitigt zu haben. Schon Thomas Aq. habe in Beziehung auf die selige Anschauung Gottes eine vermittelnde Species als un- denkbar erklärt und gemeinhin Gott als die Similitudo perfecta omnium bezeichnet, sei somit auf halbem Wege zu dem durch

rintelligence les lois invariables, et par ces iois eile jage des choses temporelles qu'elle aper^it par les sens. Opp. II, p. 124. 1 Opp. II, p. 130 ff.

Der CartesUnisinaB in Itulittn. U.: QUc. Big. Oerdil. 753

Malebranche vertretenen Augustinischen Piatonismus begriffen gewesen; dass er in Bezug auf die menschliche f^rkenntniss der Weltdinge auf Aristoteles sich gestiitst habe, erkläre sich aus den geistigen Verhältnissen seiner Zeit, unter welchen eine erfolgreiche Vertretung des christlichen Religionsgedankens nur im AjiBchlusse an den allerseits als massgebende philosophische Autorität respectirten Aristoteles möglich gewesen. Das Richtige ist wohl dies^ dass Thomas nicht aus blossen Aocommodations- gründen die Autorität des Aristoteles anerkannt, sondern viel- mehr eine Concordirung der drei vornehmsten Auctoritäten : Aristoteles, Plato, Augustinus, als die Qrundbedingung einer harmonischen Vermittlung aller in das christliche Denkleben aufgenommenen Erkenntnisselemente^ deren jedes in seiner Art Geltung und Berechtigung anzusprechen hatte, erkannt habe. Angenommen nun, dass, wie es in der That der Fall ist, eine vollkommene Verschmelzung und Ineinsbildung des Piatonismus und Aristotelismus unmöglich ist, weil sie zwei einander relativ ausschliessende Denkrichtungen repräsentiren , so wird die innere Vermittlung des Berechtigten, das jeder dieser beiden philosophischen Anschauungsweisen eigen ist, ausser und über beiden gesucht werden müssen, und dies um so mehr, als die periodischen Oscillationen zwischen Piatonismus und Aristote- lismus deutlich genug anzeigten^ dass die zwischen beiden Denkrichtungen schwebenden Meinungsgegensätze über das Verhältniss des Allgemeinen zum Besonderen, der Art zum Individuum nur in neuen tiefergreifenden Denkfassungen über- wunden werden können, wie denn überhaupt schon die conti- nuirlichen Fortschritte der neueren Naturkunde die Unzu- reichendheit der aus der antiken Philosophie ererbten geistigen Denkfassungen des sinnlich -empirischen Erkenntnissstoffes zu- sehends mehr und mehr nahelegten. Gerdil ahnte nicht, dass in der von ihm bekämpften Entdeckung der Gravitationskraft die Anfänge einer Concretisirung der philosophischen Natur- und Weltanschauung gegeben waren, in welcher die Gegensätze zwischen genereller Allgemeinheit und particulärer Besonderheit zu untergeordneten Momenten des rein begrifflichen Denkens herabgesetzt erscheinen ; die in den concreten Naturbildungen durchgreifende Macht des göttlichen Weltgedankens weist auf eine göttliche Urbildung ganz anderer Art hin, als jene ist.

754 Werner. Der OarteeUiiisiniie in Italien. IT.: Oiac. 8ig. Gerdil.

welche Gerdil mit Malebranche in den unzähligen Modificationen der intelligiblen Ausdehnung erkannt zu haben glaubte. Wir wollen gerne bekennen^ dass durch eine verlebendigte Fassung des göttlichen Weltgedankens der Schleier^ der für unser zeit- liches Erkennen auf den urewigen Dingen ruht, nicht hinweg- gezogen werde; jedenfalls aber ist es ftbr uns ein Bedürfhiss, unser Verhältniss zu denselben in die dem entwickelteren heutigen Weltdenken entsprechenden Denkformen zu fassen.

Horswitx. Erasmians. III. 756

« Erasmiana. IlL

(Aus der Rehdigerana zu Breslau.) 1519—1530.

Von

Br. Adalbert Horawits,

correspondirendem Mitglied« der kais. Akademie der Wisieiuchaflen.

W. Suringar schreibt anlässlich meiner Ausgabe der Briefe des Martinus Lipsius: Met uitgave van die brieven hebt hy U zeer verdienstelyk gemaakt: zy is eene schoone bydrage voor de letterkundige geschiedenis van den eeuw van Erasmus. Mocht het U gelukken nog meer zoodanige stukker te vinden en wereldkundig te maken. ' Dieser Wunsch war, als er aus- gesprochen wurde, schon in ErflÜlung gegangen, denn durch Nachforschungen mannigfacher Art, deren Gang zu beschreiben zu weitläufig wäre,^ gelang es mir, in dem Codex Rehdi- geranus,^ 254 der Stadtbibliothek zu Breslau (einem Papiercodex in Folio) ^ eine sehr reichhaltige Correspondenz mit Erasmus von Rotterdam zu finden, die Interessantes und Belehrendes bietet. Ihr Inhalt wird hier vorläufig in gedrängter Kürze nur bis

* Leiden, 7. November 1882.

^ Ich kann nicht umhin, der gütigen Unterstützung dankbar zu gedenken, die mir durch Herrn Professor Dr. M. Hertz und Herrn Stadtbibliothekar Dr. Markgraf in Breslau zu Theil ward; vor Allem aber muss ich mich der sin gulären Liberalität der geehrten Stadt Vertretung Breslaues verpflichtet bekennen, die mit nicht genug zu rühmender Liebenswürdig- keit mir die Benützung des Codex durch lange Zeit ventaltete.

3 Vgl. A. W. J. Wach 1er, Thomas Rehdiger und seine Büchersammlung in Breslau. Breslau 1828, über die Gründung der so wichtigen Reh- digerana und das Geschlecht der Rehdiger.

* Codex 254 ist ein Papiercodex, in dem fast durchwegs Autographen zu- sammengebunden wurden. Viele sind sehr unleserlich geschrieben und durch den Einband an den äussersten Buchstaben beschädigt.

756 Horawits.

zum Jahre 1530 angegeben, jedoch im Hinblicke auf die Persön- lichkeit der Schreiber. Der genaue Abdruck wird, wenn einige Schwierigkeiten beseitigt sein werden, in einer Ergänzungs- edition zu Clericus Erasmus-Brieffti erfolgen. Die Briefe fiihren aus dem Jahre 1519 bis zum Tode des Erasmus, leiten vielfach nach dem slavischen und magyarischen Osten und er- öffnen wichtige Aufschlüsse über Beziehungen seines Lebens und Wirkens. Besonders aber sind sie von Interesse fbr die Renntniss der Kämpfe, die das Innere des grossen Mannes be- wegten, als er durch seine Beziehungen zu den Häuptern und Streitern der katholischen Hierarchie genöthigt wurde, zur Re- formation Stellung zu nehmen, und öffentlich Farbe bekennen sollte. Insofern bilden diese Briefe eine willkommene Ergänzung zu den in Erasmiana I. und U. mitgetheilten Briefen Herzogs Georg von Sachsen u. A. und zeugen aufs Neue für die ire- nistischen Strebungen des Erasmus, und wie sehr dieser um die Reform innerhalb der Kirche bemüht war.

1519 Freilich der erste Brief ist allerdings nicht aus der Rehdi-

gerana, sondern entstammt der berühmten Simler'schen CoUection in Zürich, die ich vor Jahren benützen konnte. Doch war ich nicht so lange in der schönen Limmatstadt, um mir von Allem Abschriften machen zu können, und besitze ich denn auch diesen Brief nur in einem ziemlich defecten Copiale, das mir später geschickt wurde. Der Brief ist von Martinus Lipsius au Erasmus gerichtet, er hat keine Datirung, am Rande findet sich nur die offenbar unrichtige Notiz 1518 vor; eher möchte ich ihn ins Jahr 1519 versetzen.^ Für die Lipsius-Biographie konnte ich ihn leider nicht mehr benützen, er bietet aber doch manches nicht Unbedeutende. Dazu gehört vor Allem der Um- stand, dass Lipsius stets die Anfangsworte aller wichtigen Sätze aus einem bisher nicht bekannten, wie es scheint, sehr ausfuhr- lichen Briefe des Erasmus citirt. Nach der üblichen Eingangs* bemerk ung, dass nicht Trägheit und nicht Verminderung der Liebe die Schuld an seinem langen Stillschweigen trügen, behauptet Lipsius, nur ganz bestimmte Absicht sei die eigentliche Ursache

1 Dafttr spricht die Erwähnung des Eindruckes der Werke, die lfil8 er- schienen, des Todes Kaiser Maximilians (1619) und des bevorstehenden Kommens Alexanders, der 1520 in Deutschland erschien.

Brftsmiana. tQ. 757

dieses Schweigens, nämlich sein wohlerwogener Entschluss, sich ausführlicher und genauer über verschiedene Dinge, die den Erasmus angingen, auszusprechen^ was aber ohne einige Reisen nicht möglich sei. Eralftnus habe ihm, dem Armen (misello), Freiheit, eine Bibliothek^ Vermögen und Verkehr mit Gelehrten gewünscht; darauf geht Lipsius nicht ein, wohl aber erzählt er eine lange Geschichte von einem Gespräche mit einem gewissen VinantiuB,^ dessen Stellung zu Erasmus offenbar keine sehr ehrliche war. Umständlich berichtet Lipsius, wie er der Cen- suren der Paricrer Facultät Erwähnung gethan und den Wunsch ausgesprochen habe, dass endlich die heilige Eintracht ein- trete. Vinantius habe nun gemeint, das werde nie geschehen, so lange Erasmus nicht nachgebe. Wie aber sollte Erasmus nachgeben? Lipsius berichtet weiter ganz naiv über seine In- discretion, wie er einen Brief in des Vinantius Zelle gelesen Jener war also offenbar Klosterbruder, ohne Zweifel Augu- stiner — in dem dieser bemerke, Lipsius und die Seinen legten des Erasmus Schriften, von Liebe zu ihm geblendet, nicht richtig aus^ das verstünden er und Seinesgleichen viel besser; man müsse des Erasmus Bücher mit Urtheil lesen, und zwar mit einem strengen Urtheile. Sein des Lipsius Urtheil sei allerdings nicht nach der Art des Vinantius, sondern ,incon- ditum^ insulsum, puerile, conuerrens minutias plurimas nauseam tibi provocantes.' Erasmus habe gemeint, Wilhelm (von Harlem) sei aufrichtiger: während er (Erasmus) von Allen beurtheilt werde, prüfe er die Charaktere Vieler; darauf könne er nur entgegnen, wenn Erasmus argwöhne, jener Brief rühre von Wil- helm her, so irre er. Wilhehn habe ihn bei einem Ordensbruder gefunden (!) und ihm zum Lesen mitgetheilt, nicht aber, um ihn dem Erasmus zu senden; aber freilich höre er bisweilen von Wilhelm mehr, als dieser wolle. Erasmus habe sich geäussert man werfe ihm oft; die Retractationes des Augustinus vor die Antwort ist nicht ganz verständlich, nur so viel steht fest, er müsse es täglich erfahren, wer eine Mittelstellung zwischen Freunden und Kundigen einnimmt, für den sei es schwer, denn unter des Elrasmus Intimsten seien solche, welche wünschten.

> Erasmas lässt den VinantioB, den er, wie es scheint, für seinen Anhänger

hielt, 1517 grüssen (Erasmi Opera VII, p. 16, 26). Sitmngsber. d. phil.-hist. Cl. Cn. Bd. U. Hft. 49

768 Rorawitt.

er hätte dies oder jenes nicht geschrieben oder doch anders geschrieben. Auf eine kurze fragmentarische Aenssenmg des Erasmus bemerkt Lipsius, ein grosser Theil der Widersacher halte sich an das Urtheil der Parlier und des Campensis, aber sie seien selbst unter einander nicht einig. Erasmus er- wähnte eines gewissen Franciscaners Medardus, Lipsius bemerkt, dass er gegen Erasmus geschrieben, und zwar in drei Büchern, die gegen des Erasmus Moria, den Esus camium und die Collo- quien gerichtet wären. An eine scharfe Aeusserung des Erasmus über Johannes Eck (effudit tantum veneni) anknüpfend, wundert sich Lipsius, dass Erasmus so gut über Eck gedacht, der ihm stets verdächtig geschienen; freilich, wie er des Erasmus freund^ liehe Gesinnung gegen Jenen wahi^enommen, habe er seinen Verdacht als mit der christlichen Liebe unvereinbar unterdrückt, nun lese er mit Schmerz^ wie Erasmus schreiben müsse: Scripsit librum de haereticis etc. Viele tadelten den Erasmus, dass er viel zu leicht Freundschaften eingehe, indem er gewissermaseen wenig zwischen einem echten und einem geschminkten Freunde unterscheide. Er könne ihm dies freilich nicht so sehr anrechnen, da er sonst nicht unter seinen Freunden aufgezählt würde. Auch die Aeusserung des Erasmus: ,Bi pontifex nihil p'raecipiet nisi Christo dignum erimus felices sub hoc Caesare etc.', kann Lipsins nicht befriedigen; er fUrchtet, dass dies nie geschehen werde, möchte der Papst lieber von dem Geiste Christi als von dem des Fleisches und der Welt geleitet werden! Auf das Wort des Erasmus: quid agant monachi scio, ut damnentur opera mea^ etc. bemerkt Lipsius: sie selbst werden es freilich in Abrede stellen und mit Vinantius sagen, sie hätten keinen Hass g^en Erasmus, sondern beabsichtigten nur, ihn zum Widerrufe der ,schlechten^ Schriften zu veranlassen. Schlecht nennen sie jedoch alles das, was ihren Gewohnheiten, Einrichtungen und Cere- monien widerspräche, wenn es auch mit dem Evangelium über- einstimme. Was Erasmus über die Verstimmung des (Paschasins) Berselius* gegen Lipsius berichtet habe, sei doch wohl ein Irrthum. Als Lipsius nämlich von Löwen nach Lüttich gereist sei, wo sich Berselius befand, habe dieser geleugnet, gegen ihn erzürnt zu sein, aber gestanden, dass er bedauern müsse, dass

1 Cf. Erasmi Opera lU, p. 229 C, D, £, F; 230 B; 231 B; 290E; 359 B.

iSrasmUn» UI. 759

einem Andern ans seiner Arbeit ,quem in bis opuBculis et de- scribendis et castigandis non mediocrem pertulerat' (!) Rubm^ Dank nnd Erwerb zu Theil werde. Er habe ihn gebeten, dem Erasmus anzuzeigen^ dass sich bei ihm Manches finde, was fUr ihn von Werth wäre, und deswegen verlangte er, dass Erasmus seinen Famulus dahin senden möge. Er habe ihm eine Hand- schrift des Victorinus (eines Rhetors aus der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts) zur Rhetorik des Cicero und einen Alchimus (latinus Alcimus Alethius, Rhetor aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts) gezeigt. Lipsius kann nicht tmterlassen , von der guten Gesinnung Cardinal Campeggio's gegen Erasmus zu sprechen; eine solche Gesinnung möchte er dem Fürstbischof von Lüttich wünschen, der es gewagt habe, dem Paschasius Berselius ins Gesicht zu sagen: Erasmus sei die Fackel und Brutanstalt (seminarium) des ganzen Lutherthums; dass er ironisch gesprochen habe, bezweifle er. Erasmus äussert, die Quinquagenas des heiligen Augustinus habe er selbst nicht durchgelesen, sondern einem Halbgelehrten übertragen; das Alles habe sich Lipsius selbst gesagt und geduldig seine Entschuldigung hingenommen, aber die Erasmomastigen ver- spotten solche Entschuldigungen. Immer deutlicher tritt in dem Briefe die Stellung des Erasmus als wissenschaftlichen Arbeitgebers hervor. Er sendet z. B. die Noten des Lipsius zum Augustinus an den Verfasser, der seine Castigationen wieder an Erasmus schicken werde. Wenn er am Leben bleiben sollte, wolle er zeigen ,quantum agente Erasmo accesserit Augustino in hac postrema editione^ Er verspricht, allen Fleiss daranzu- setzen, wenn er nur einen Drucker gewinnen könne. Sehr offen- herzig und freimüthig ist Lipsius Brief gehalten; ohne Weiteres spricht er es aus, dass ihm die Vorrede zum Ambrosius nicht ganz gefallen könne, denn Erasmus spreche, als ob das eine Buch von David, das andere von Job handle, da doch in Wahr- heit beide von David handeln. Er müsse auch leugnen, dass die Bücher von Ambrosius herrühren u. s. w. Erasmus möge diese Vorrede ein wenig ändern und die früher bemerkten Versehen castigiren. Köstlich ist die Auseinandersetzung über den armseligen Wilhelm von Harlem, mit dem Lipsius ge- sprochen imd von dem er berichtet, dass er sich auf jede Weise

von der Schuld gegen Ei*asmus zu reinigen suche. Demüthig

49*

760 Rorawitx.

habe er gebeten, ihm zu verzeihen, wenn er etwas in seiner Schwäche gefehlt, und versprochen, in Zukunft nicht mehr Der- artiges zu begehen. Zu seiner Vertheidigung habe er angefahrt, es seien wohl einige seiner Schüler, verlotterte Säufer und Schul- schwänzer, nach Rom gezogen und hätten sich zu Erasmus begeben, dem sie mehr und zwar Schlechteres von ihm gesagt hätten, als er je geäussert. Der Mensch fUrchte imgemein, dass er mit jenem ,Chri8tiano Hieron jmita^, den viele den £cele- siasticus nennen, Allen zum Gespötte preisgegeben werde. Wenn Erasmus dies thun würde, sagt Jener, wäre die Ver^ höhnung der Scholastiker eine allgemeine; dies aber furchte Wilhelm um so mehr, als er wisse, dass er wenig beliebt, ja Vielen verhasst sei. Ueber den Stand der Beziehungen des Theodoricus Hezius^ zu Erasmus unterrichtete sich Lipsius ebenfalls durch Besuch des Ersteren und erzählt dann als Re- sultat dieser Ausforschung, es scheine ihm, als ob Hezius in manchen Punkten von Erasmus abweiche, aber aus Furcht, diesen dadurch zu beleidigen, dies nicht gestehen wolle. Der Bemerkung des Erasmus: ,Eustathii librum Theologo cuidam legendum tradidi^ etc. fUgt Lipsius als Antwort hinzu : bei den Löwener Theologen heisse es, in der Vorrede sei mehr Gelehr- samkeit als in dem Büchlein selbst. Lipsius fUgt hinzu: ,TabuIa de Sacerdote flagellato multis excussit risum. Sehr angenehm, und erfreulich klingt die freimüthige Zurückweisung des gräu- lichen Machtspruches, den Erasmus in den Worten über Deutsch- land that: ^Sum in Germania, cuius iam pridem sum satur.* ,Ich bitte Dich,' ruft da Lipsius aus, ,höre auf, dergleichen zu schreiben; ein Beweis dafür, wie Dir Deutschland eklig ist, ist das Haus, das Du gekauft, das Du mit Mühe und Kosten restaurirt hast, was mir Dr. Martin David erzähltet Wich- tiger als die Bemerkungen über das Ankommen von Briefen sind die offenherzigen Ergüsse des Lipsius auf die Expectora- tion seines grossen Correspondenten, der geschrieben: ,Videnius rem sectarum in dies invalescere, quid principes agitent nescio*. Und auch er sehe nicht, was die Fürsten vorhaben, der Kaiser wolle nur Geld gewinnen, dagegen höre er, dass Ferdinand den

1 Cf. Neve, Le colUge des trois-langiies, p. 386. Hezius war SecretSr des Papstes Hadrian VI.

Erumian». m. 761

Lutheranern schon sehr gut gesinnt sei, der Papst aber würde, wie die Minoriten sagen, eher das Papstthum aufgeben, als eine Synode berufen. Andere behaupten, Aleander sei mit höchster Vollmacht gegen die Lutheraner hieher gekommen. Lipsius erzählt weiter, wie er mit Rutgerus gespeist habe, der seinet- halben den Clenardus und einige Theologen eingeladen habe. Von Clenardus, der nach Spanien reisen wolle, habe er sich verabschiedet. Im Gespräche sei man auch auf die ,Pariser Censuren' gekommen; Einer habe da gemeint. Manches dürfe man gering anschlagen. Anderes dagegen sei wieder von grosser Bedeutung. Gute Götter! wie aber werden von Einigen die ,Colloquien' geschmäht: ,Het is vel rabbaulverieM ,Sie vei^ifteten nicht nur die Jugend, sondern auch die Erwachsenen, selbst die Greise und die Hinfälligen.' Mit solchen Lobsprüchen zieren die ,Zoili* die ,Colloquien', sie schöpften dies meint Lipsius aus der Pariser Censur. Aber freilich, Erasmus habe beherztere und bedeutendere Freunde als ihn, den Lipsius, denn diese wagen es, diese Censur sammt ihren Urhebern auszuzischen, er aber sei furchtsamer, als es schicklich ist, bleibe ruhig und schreite mit gesenktem Haupte einher wegen des Vinantius und dessen Gesinnungsgenossen, welche jetzt schon triumphiren. Er sei im Begriffe gewesen, ihm Bemerkungen zu senden, da aber die Pariser gewissermassen an seine Stelle getreten seien, so sei er nicht Willens, dem Beladenen noch ein Bündel aufzulegen, noch eine Sorge dem Sorgenvollen. In den Bemerkungen, die er zur Paraphrasis gemacht, von denen er einige angibt, tritt Lipsius ebenfaUs wieder ziemlich scharf und stets offen- herzig dem Erasmus mit grosser Selbständigkeit entgegen; er spricht sich unter Anderm ganz entschieden gegen die Auf- fassung aus, als ob des Papstes Gnade Seelen aus der Hölle (dem Tartarus) befreien könne, da doch ,ex inferis nullus patet reditus^; wenn es hiesse: aus dem Fegefeuer, Hesse er es sich noch gefallen. Auch aus diesem Briefe ist leicht zu ersehen, dasB Erasmus Lipsius zu seinen Arbeiten verwendete und auf seinen Rath und sein Urtheil Stücke hielt.

Wir wenden uns nun zur Rehdigerana. Aus dem Jahre 1520 1520 liegt ein einziges Schreiben an Erasmus, das des Georgius Schirmus (Alemannus nennt er sich selbst), eines Cisterciensers aus S. Ambrogio in Mailand, vor. Nach den üblichen Betheue-

762 Uorawitz.

rangen der Angst, die er empfinde, an einen solchen Mann za schreiben, und den gewöhnlichen Complimentcn kommt Schirmus zur Hauptsache, erbittet als Novize und »tyrunculus' der heiligen Theologie des Erasmus Rath und spricht besonders über die ,Ratio perveniendi ad veram theologiam^ 1521 Ein sehr artiges Briefchen ist das Conrad Peutinger'ß,

des berühmten Patriciers und Gelehrten Augsburgs; es fuhrt uns in ein reizendes Gelehrtenstillleben. Peutinger wünscht Erasmus Glück zur Rückkehr nach Basel, das durch seinen abermaligen Besuch nur Nutzen haben wird, rühmt seine aus- gezeichnete Humanität und Liebenswürdigkeit, die er in Brügge erfahren, nicht minder die Restitution desHieronymus.Er schildert hierauf sehr nett, wie er selbst, von den juridischen Geschäften des Tages ermüdet ausruhe und da am liebsten Erasmus Werke lese, er könne sich dann vorspiegeln, als ob dieser lehre er meine ihn in solcher Stunde zu sehen und zu hören. Gestern z. B. am Sonntage habe er sich mit seinen Münzen (er hatte be- kanntlich eine schöne Sammlung, wie er denn auch der erste deutsche Inscriptionenherausgeber ist) und der Tacitus-Lectüre unterhalten, neben ihm sass seine Gattin Margaretha, vor ihr lag die Interpretatio des Neuen Testamentes durch Erasmus und eine alte deutsche Uebersetzung. Da habe sie so manches Be- denken gegen ihn ausgesprochen, er schicke denn auch einen Zettel Frau Margareths (der in der Rehdiger'schen Sammlung beiliegt), auf dem eine deutsche Uebersetzung einer Stelle des Neuen Testamentes geschrieben ist. Die Pestverhältnisse hätten sich gebessert, gebe Gott, dass es ihm ermöglicht werde, den Erasmus in Deutschland selbst besuchen zu können! Erasmus hatte Peutinger, der auch die Beziehung zwischen Beatus Rhenanus und Pirkheimer knüpfte (cf. Erasmi Opera ni, 1534 B), schon 1520 geschrieben, ihm den Johannes Faber, der ganz von der Art seines Ordens abweiche, empfohlen und sich sehr eingehend über die Sache Luther's ausgesprochen.^

Aus Richmond schreibt in demselben Jahre (1521) Wil- helm Tato an Erasmus, den er in England kennen gelernt und mit dem er die Freundschaft zu Orleans erneuerte. Er drückt seine Bewunderung aus, wie Erasmus von Tag zu Tag mehr

t Am 9. November 1520. Erasmi Opera III, p. 590 ff.

ErasmiuiA. III. 763

den Weg zur wahren Philosophie und zum wahren Christen- thum zeige; lebhaft xnüSBe er es bedauern, nicht mehr in seiner Nähe sein zu können. Sein Geist freilich sei immer bei ihm; während sein Körper unter Neidern und Kläffern sich befinde; die gute Männer zerreissen. Tato erzählt wie Heinrich VIH., der natürlich sehr gelobt wird, gegen Luther, den Angreifer der SacramentC; geschrieben habe, mit des Königs Erlaubniss habe er auch ein Exemplar an den Erasmus gesandt, der es lesen möge; gewiss würde er finden, dass es nicht blos von einem Fürsten von reiner Gesinnung und Gelehrsamkeit herrühre; sondern auch von sehr bedeutender theologischer Wissen- schaft zeige. Er wünsche denn auch das Urtheil des Eräsmus darüber.

Der Schlettstädter Pädagog Johannes Sapidus ist in der Reihe der Correspondenten dieses Jahres durch ein Empfeh- lungsschreiben für zwei junge Leute vertreten.

Reichlich ist die stets beachtenswerthe epistolographische 1522 Thätigkeit des Constanzer Theologen Joh. Botzheimius; < der Wunsch Walchner'S;^ dass noch mehr Briefe dieses Mannes zu Tage gefördert würden; kann nur getheilt werden. Der Brief unserer Sammlung aus dem Jahre 1522 enthält Eingangs den Ausdruck lebhaften BedauemS; dass Erasmus nicht nach Con- stanz; sondern nach Schlettstadt gegangen; wodurch Constanz um die Ehre seines Besuches kam. Wohl könne er sich mit den geistigen Augen den Triumph der lachenden Freunde ver- gegenwärtigen, die sich freuten, den Erasmus gewonnen zu haben; er werde es seinem Lehrer Wimpfeling; P. Volz; dem Beatus Rhe- nanus, SapiduS; kurz der ganzen Schlettstädter Societät schon vergelten! Den wüthenden Tyrannen des Erasmus dessen Steinleiden; wünsche er wie Hütten das Fieber, einem Fugger, einem dummen Cardinal oder feisten Abte; es betrübe ihn tief; dass diese Krankheit aufs Neue aufgetreten, Christus möge ihn in seine Hut nehmen. Im Interesse einer für Alle wichtigen Arbeit, die Erasmus nicht fem vom Druckorte vollführen kann,

1 lieber ihn cf. K. Walchner, Johann von Botzheim nnd seine Freunde.

Schaff bansen, 1836, wo auch die Briefe Botzbeim's ans den so ungemein

seltenen Spicilegia yon Bnrscber abgedruckt sind, ' Walchner 1. c. X,

764 Borswits.

will sich der gastfreundliche Domherr resigniren, obwohl er ihm einen so bequemen Ort hergerichtet habe. . . Schliesslich empfiehlt er ihm den Kilian Praus, Benedictiner von Oeorgen- thal im Innthale^ ^ und den Simon Minerinus, wobei er eine köstliche und f^ die damaligen Culturverhältnisse sehr be- zeichnende Historie erzählt. Die jungen Leute kamen ins Wirthshaus und fragen dort an (!) ob im Orte ein Erasmiaaer sei.« Botzheim wird als ein solcher denuncirt, er&hrt davon, ladet jene zu sich imd gibt ihnen auf ihre Bitten Empfehlungs- briefe an Erasmus, da sie sich, um diesen zu sehen nach Basel begeben. In einem Athem fragt Botzheim gierig nach den neuesten Publicationen des Gelehrten und fordert ihn zu- gleich auf, seine Gesundheit zu schonen.

Am 24. Mai desselben Jahres schildert Bachusius aus Brügge sehr lebhaft die Sorge, die er um Erasmus' Aufenthalt, Beschäftigung und Befinden hege; als er erfahren habe, es sei Einer von Erasmus' Vertrauten nach Brügge gekommen, habe er sich kaum zurückgehalten, gleich zu dem Menschen hinzulaufen. Endlich habe er erfahren, dass es Erasmus sehr gut gehe, auch viel Anderes gehört z. B. von der Ausgabe der Colloquien (Collo- quiorum opusculum solito auctius locupletiusque excusum narrat. Gaudium merum nuncias, inquam ego u. s. w.), über deren Bedeutung er sehr verständig spricht. Die Diction und Anlage des dialogisch gehaltenen Briefes ist sehr anziehend, ich kann es mir nicht versagen, jetzt schon eine sehr charakteristische Aeusscrung hier einzufügen: Gratulor plane nostro saeculo tarn foelici quo literas renasci uideam atque restitui idque opera vel Roterodami unius. . . Weiters berichtet er sehr lobend von de Prat: er kenne keinen Hofmann, der ihm an Liebe imd Ach- tung für die Wissenschaften und die Gelehrten gleichkomme, seit zwei Jahren, seit er dessen Lehrer sei, verfiiesse Jenem kein Tag das könne er versichern imbenützt, er lobe Erasmus vor Allen, nenne ihn das Licht der Welt, das Auge Deutschlands, den Führer der Italiener, Holländer, Flanderer und der übrigen

1 Briefe dieses Mannes werde ich in meiner im nächsten Jahre bei Tenbner in Leipzig erscheinenden Humanisien-Correspondens pnbliciren.

3 Cf. dazu die (wie man sieht, gar nicht flbertreibende) Stelle in den Colloquien p. 719 (Clericos).

Enmniaiw. III. 765

Seeanwohner Zierde, den gelehrtesten Theologen, gewandtesten Redner, den kunstreichsten Dichter, ja er sagte: Omnium est (inquit) horarum homo omnibusque numeris absolutissimus. Tuus est totus. Er beschreibt die Freude, die der Pratensis über den Brief des Erasmus im vorigen Jahre gehabt habe: Utinam hominem uideas, ridere gestire sibi gratulari, plane aliuni diceres Pratensem hominem. Tanto erat perfdsus gaudio. Bachusius bittet denn auch, den de Prat freundlich behandeln und ihm schreiben zu wollen, er sei jetzt trotz aller Rivalitäten als einziger Gesandter des Kaisers nach England geschickt worden und gelte sehr viel beim Kaiser, von dem er alle Geheimnisse er- fahre. — Eine wichtige Beziehung unterhielt Erasmus auch zu Theodoricus Hezer, Hadrians Secretär, seinem Landsmann, der ihm am 25. Januar' 1522 aus Rom schreibt und ihn mit den üblichen Artigkeiten seiner langjährigen Verehrung und Bewunderung seines Weltruhmes versichert; nehme ihn Eras- mus freundlich unter seine Anhänger auf, so wäre ihm dies lieber, als wenn ihm der Papst ein Bisthum schenken würde. Hezius beruft sich auf Johann Faber, den Vicar von Constanz, mit dem er einige Monate in Rom gelebt und mit dem er oft von Erasmus gesprochen habe; er liebe diesen Mann sehr seines Talentes, seiner Bescheidenheit, seiner mannigfachen Gelehr- samkeit, seines Strebens nach dem wahren Glauben und der Verabscheuung des Lutherischen Wahnsinns wegen. In seinem Hasse gegen die Neuerung macht Hezius den Ausfall: Lute- ranae perfidiae ne dicam, an insaniae detestationem, qua nescio an quicquam habuerint multa retroacta secula infelicius, mon- strosius, exitialius. Er kann sich denn auch das schreckliche Vorhandensein dieses Uebels nur durch die Frevel der Men- schen, die dadurch gestraft werden sollen, erklären. Uebrigens hofft er, dass dieser Martin Luther, den man nun als Gott ver- ehre und über die Cedern des Libanon erhebe, mit der ganzen Heerde seiner Anhänger in Bälde wie Staub vor dem Winde zei'streut und in die innerste Hölle getrieben werden dürfte. Das werde aber auch durch die Mitwirkung des Erasmus ge- schehen müssen, von dem er sich viel erwarte, denn gegen das Krebsgeschwür müsse man einschreiten u. s. w.

Das Jahr 1523 ist in der vorliegenden Correspondenz 1523 einzig durch den Brief des Constanzer Arztes Johannes Menlis-

766 Horswits.

hofer, eines Verwandten Mich. Hummelberger's,' Tertreten. Menlishofer äussert sich in sehr offener Weise gegen Elrasinus über seinen Standpunkt; der riesenhafte Arzt scheint auf Seite der Evangelischen zu sein und in seinem Reckenwesen die behutsame Art des Erasmus nicht zu billigen. Er fürchte, wenn Erasmus fbr die Sache des Papstes aus Liebe zor Einig- keit eintrete, werde die Gefahr nur grösser werden. Ist es aber nicht völlig zutreffend, wenn er unter Anderem schreibt: Novi ingenium tuum hac in parte, velles quidem veritatem per omnia salvam si per illam nemo laederetur, quod vel raro Tel nunquam contigit. Erasmus ,cui parem non vidit aetas nostra' sei ganz der Mann ftlr irenistische Bestrebungen, J. Faber da- gegen, der energisch gegen Luther verfahre, sei verdächtig. Wie Menlishofer dies meint, zeigen folgende wirklich werthvolle Worte: Suspectus multis nominibus, quod adfectibus ex sacer- dotiis et muneribus conceptis plus aequo, vel saltem non eo modo seuire videatur, quamvis totus ore sit blandus et italico fuco non absimilis. Sehr anschaulich schildert er dann, wie Faber in seinen Predigten, die er statt des abwesen- den Johannes Vannius halte ,^ vor den neuen und finemden Glaubenssätzen warne, wie er die Gläubigen auf den alten, oft betretenen Pfad verweise, wie er weder Luther's noch eines Andern Namen nenne, durch schlaue Gutmüthigkeit auch die Widerstrebenden heranziehe, kurz Alles gefällt ihm an Faber nur das Eine nicht, dass er ihm ,plus aequo videatur tribuere tyrannidi ecclesiasticae' u. s. w. Trotzdem will er, wie es scheint, aus Besorgniss dem Faber empfohlen werden, scio enim illum male habere, si quisquam obnitatur instituto suo. . . / Des Predigers Vannius Wunsch fortzugehen komme ihm wie eine ehrenvolle Versetzung vor. Dass Erasmus Hütten nicht mehr empfange, gibt dem Schreiber die Gewähr, dass Erasmus einen festen Entschluss gefasst habe wir können uns denken, dass die literarische Fehde gegen Luther damit gemeint sei. Den Schluss des Briefes bildet die Angabe eines Gerüchtes, dass sich zu Basel viele Lutheraner zu einer dem Berichterstatter

1 Cf. meine Analekten zur Geschichte der Reformation und des Hnma-

nismns in Schwaben 8. 106, 106, 134, 142, 169, 172, 178. 3 Walchner, Botzheim (pasnm).

ErMmiana. IIl. 767

unbekannten Beschlussfassung versammelt hätten. Schliess- lich der grimmige Ausfall: die Mönche, die gegen Erasmus feindlich gesinnt seien, wären werth, an ihrer eigenen Bosheit zu ersticken. Erasmus solle ihm schreiben; er könne es offen und sicher thun, bei ihm sei Alles wie begraben.

Ein gewisser An gelus ausMeaux (er schreibt: Meldis apud 1524 Fabrum in familia domini episcopi Meldensis) wendet sich im Januar 1524; durch den Neffen des Bischofs von Condom (einer Stadt in Frankreich) veranlasst, an Erasmus. Dieser, ein Baske, lebte einst mit dem Letzteren in Padua in demselben Hause und ass mit ihm an derselben Tafel. Angelus beftirchtet, dass zwischen Erasmus und dem ausgezeichneten Faber (Favre) eine kleine Differenz entstanden sei, was um so mehr zu be- dauern sei, als eine gewisse Gattung von Theologen, die nicht ihm allein, sondern allen guten Talenten feindlich gesinnt sei, diesen Anlass benütze, um die, welche einst von allen Hohen, den Cardinälen und dem Papste geehrt worden seien, herab- zudrücken. So sei es auch gekommen , dass Stunica delirus et vesanus licet eruditus ganze Wagenladungen von Schmäh- worten gegen Erasmus ausgeschüttet habe; das sei aber er glaube nicht zu irren wohl auch dadurch geschehen, dass Erasmus den Favre an verschiedenen Stellen gar zu scharf mitgenommen habe. Der Schreiber beklagt den Kampf über- haupt, der zwischen all' den Gelehrten entbrannt sei: Hütten steht gegen Erasmus, dieser gegen Hütten, Brixius gegen Tho- mas Morus, gegen Budä irgend ein Deutscher; diese ewigen Streitigkeiten hasse er. Im Namen aller Franzosen, die im Griechischen halbwegs etwas verstehen, bitte er den Erasmus zum Danke Aller und besonders des französischen Geistes, dem er ja stets so wohlgesinnt gewesen, dass er das so nutz- bringende Büchlein Theodors (Gaza) de mensibus übersetze. Er zählt denn Alle auf, die ihm besonders wohlwollen: Bud^, Favre, Deloinus, Ruzeus, Beraldus, Ruellius, den Arzt (warum er an diesen nicht schreibe f^), ausserdem gebe es genug Ge- lehrte, die sofort zu seiner Vertheidigung bereit seien, wie Gerardus Ruffus^ den Lehrer des Wilhelm Farell, der nun in Basel lebe (Guilielmi Pharelli AUobrogis, qui nunc uixit Basi- leae, in dialecticis praeceptor), der in Philosophie und Mathe- matik so gelehrt sei, dass er gleich nach Favre genannt werden

768 Horawitz.

müsse, er sei übrigens auch im Griechischen und Hebräischen sehr unterrichtet. ^ Zu den Erasmianem gehören weiters Jacobus Tusanus^ jetzt der einzige Hörer Budä's nebst seinem Sohne Draco, die beiden Silvius^ der Gymnasiarche MorelluSy Baven- tius, Milo auch viele Theologen ^nostrae farinaeS die für seine Sache in den Tod zu gehen nicht zurückschrecken, schliesslich auch der Arzt Brissotus, der ausgezeichnete Philosoph, Mathe- matiker und Lateiner. Erasmus möge ihm schreiben, was er zu thun gedenke; seinen Brief werde man kostbarer bewahren als jener Fürst von Macedonien den Homer in seinem Pracht- kästchen. Grüsse an Glarean, ,virum festiuissimum doctissimum prudentissimumque^ bilden den Schluss des ausführlichen fiir die Verständigungsversuche mit Favre sehr wichtigen, hier nur im knappen Auszuge mitgetheilten Briefes.

Philibert Alncinger, Canonicus von Genf, ist mit des &asmus Hilarius zusammengetroffen, habe ihn ganz als einen Franzosen voll Höflichkeit gefunden; Hilarius habe erzählt, dass er dem König von Frankreich die Paraphrasen über- bracht habe, der sie mit Freuden annahm, dass dort, wo er so gut behandelt wurde, Alles für Elrasmus eingenommen sei. Alncinger klagt, dass er ,in miserrima convalle^ aller wissenschaftlichen Gesellschaft beraubt sei, es gebe hier ,cucul- lati theologi dementes, insani inflati, in sua inscitia exultantes', die nichts als Unsinn treiben, nichts mehr verachten als Christi Gebote, nichts mehr beachten als alles von ihnen heilig ge- haltene Päpstliche. Er sei zu der Qual verdammt, in dieser Gesellschaft leben und öfter auch an den Hof gehen zu müssen, wo er mit Midassen dieser Art sprechen, Fasten, Devotion und gemachte Enthaltsamkeit heucheln müsse, was für ihn stets das Unnatürlichste war, da er keinen Menschen kenne, der weniger zum Heucheln geeignet sei als er. ,Und doch,' so beginnt auch dieser Correspondent die alte Klage, ,sei er in ein Zeitalter verschlagen worden, in dem man das Schwarze zum Weissen machen will, in dem der als der Beste gilt, der brav heucheln kann. Luther habe an seinen Fürsten geschrieben, dieser antwortete zwar nicht, achtete aber auch den Brief nicht gering; freilich thut er nichts von Alledem, was Luther em-

> Ueber G. Ruffus cf. Erasml Opera III, 1758.

BrasmUBa. IH. 769

pfiehlt nämlich die Wendung zur evangelischen Doctrin; Deutschland ist glücklich, das grösstentheils zum apostolischen Leben wiedergekehrt ist, gäbe es doch Christus (optimus maxi- mus)^ dass auch ^unser' Frankreich einen Funken dieses wahren Lichtes aufnehmen könne! Des Erasmus Brief habe er seinem Abte gegeben, der trotz seines Unwohlseins doch Freude em- pfand, zu erfahren, dass es dem Erasmus gut gehe; ob er auch geantwortet, wisse er nicht.

Ein Benedictiner Chilianus (Kilian) Praus aus Schlett* Stadt will sich von dem Verdachte reinigen, als ob er wie Sapidus aus Erasmus Briefen etwas verrathen hätte. Wie es scheint, meinte Erasmus, sie hätten an Eppendorf Mittheilungen gemacht. Praus entschuldigt sich und bemerkt, er hätte dies weder gewollt, noch auch gekonnt, die Bekanntschaft oder Freundschaft mit Jenem war niemals so gross, dass sie ihn veranlasst hätte, etwas aus Erasmus' Briefen, das den Eppen- dorf betraf, diesem sofort mitzutheilen. Allerdings benutze er, der bei Sapidus wohne, dessen Bibliothek, aber so verwahr- lost liege kein Brief des Erasmus dort herum, dass er daraus hätte etwas auffangen können. Freilich den Brief an Sapidus habe er gelesen, das müsse er zugeben, aber er müsse ihn doch fragen, woher ihm jener Verdacht gekommen. Im Ver- laufe des Briefes gibt Praus dem Eppendorf völlig Unrecht, schreibt von dessen Schulden, von seinem Diener Conrad, dem früheren Diener Hutten's, der, darüber ausgeholt, als Ursache des Streites zwischen Erasmus und Eppendorf angab, dass Erasmus ihn bei seinem Fürsten in üblen Ruf gebracht habe. Im Ganzen macht der fifehr weitschweifige Brief den Eindruck, als ob Praus sehr arg beschuldigt worden wäre, es ist ziem- lich viel ärgerlicher Klatsch dabei. Praus sucht ein Alibi nach- zuweisen; er sei schon ein Jahr von Basel abwesend, seitdem mit Eppendorf nicht zusammengetroffen, habe nur einen, und zwar sehr kurzen Brief desselben erhalten, in dem von Erasmus kein Wort gesagt wird, er habe ihm einmal geschrieben. In Basel aber sei er mit Eppendorf in einer Zeit im Verkehr

^ Ist derselbe, der auch anderswo von Erasmus (Opera III, 1701) und von Rhenanns erwähnt wird. (Um 1526, in meiner zu publicirenden Cor- respondenz.)

770 Horawitx.

gestanden^ in der Jener dem ErasmuB sehr lieb und werth war. Seit der Zeit; als der Streit mit Hatten begann, habe er Baael und Eppendorf Terlassen; Hütten habe er geschrieben seiner per- sönlichen Verdienste halber und eines Patrones willen, der auf Hütten viel halte das war aber Alles vor dem Zusammen- stOBse. Er sei an Allem, was Jene gethan, gesprochen und ge- schrieben, imschuldig, er hätte nie etwas davon gewusst Er erzählt sodann, wie er zur Ruhe gemahnt und zur Versöhnung mit Erasmus, was jenem mehr zur Empfehlung gereichen würde, als die Sache des todten Hütten zu führen. Auch mit Beatus Rhenanus habe er so gesprochen; an Eppendorf zu schreiben habe er verweigert, und so bitte er um die frühere Gnade fiir Sapidus, da dieser von Erasmus immer nur in der allerehren- vollsten Weise spreche, auch ihn solle er nicht weiter ver- dächtigen und nicht glauben, weil einige Deutsche sich gegen ihn wenig freundschaftlich aufführten, dass alle Deutschen so gegen ihn gesinnt seien. Sehr gut und fein wird ihm bemerkt, dass ja nicht Alles Hass sei, was er dafür halte. Er möge ihn unter seine Getreuesten zählen, schon die Aufnahme, die ihm zu Theil ward, verpflichte ihn zur Dankbarkeit, er wünscht ihm langes Leben, mehr ihrethalben als seinetwegen.

Aus Constanz schreibt Bivilaqua richtiger Johannes Botzheim^ an seinen ,Lehrer' Erasmus, bestätigt den Em- pfang des ganz gesunden Pferdes und des Briefes des Erasmus und berichtet über sehr verschiedene Dinge: über die Besor- gung von Briefen des Erasmus nach Rom, an Verulam, Johann Hovius (den Erasmus auch Opera lU, S. 860 zum Jahre lö2ö erwähnt) u. s. w. Die Sache ist nicht ganz klar; wie es scheint, waren sowohl der Bischof von Constanz als der Schreiber des Briefes in Rom verklagt worden, Botzheim aber äussert keine Furcht, sein Lebenswandel sei bekannt, er scheue sich auch nicht vor dem strengsten Richter. Certum est tamen, has in- sidias a porcis quibusdam intentatas. Uebrigens fehle es auch nicht an Spionen. Nach Rom citirt zu werden scheint Botzheim

^ Dies ist mir anzweifelhaft, wenn man erwägt, dass Botzheim den andern Namen dieses gleichzeitigen italienischen Humanisten ^Abstemias* annahm, dass er Grund hatte, ein Pseudonym zu suchen, und endlich aus der üblichen Benennung praeceptor, dem Styl und den passenden Inhalt. Vgl. über Botzheim^s Process Wal ebner a. a. O. 58 ff.

KittmiMa. 111. 771

mit BeBorgniBB zu erfüllen: ^rernm Romae agere ignotus apud ignotoB et per ignotos et illic ubi etiam ex quayis minima Buspi- tiuncola rei Lutheranae non poBset esse flagrantiuB odium non videtur expedire'. Er bittet denn auch ErasmuB xun sein FOr- wort in Rom bei Cardinal Campeggio^ erzählt noch andere Neuigkeiten; spricht von Eck^ dem ruhmgierigen Theologen, der Alles wage, von dessen Schrift gegen Erasmus er aber noch nichts vernommen. Wohl wisse er dagegen, dass die Zürcher einige deutsche Flugschriften gegen Eck geschrieben, durch ihn aufgestachelt und gereizt. Femers referirt er über Schriftien der Reformatoren, unter Anderen auch über die Aeussemng Melanchthon's über Luther's Antwort auf die Dia- tribe, über Carlstadt's für dieses Jahrhundert unerhörte Schriflen, über Oecolampad u. A. Elr kommt aber wieder auf seine Seiten zurück. Spiegel; der vom zartesten Jugendalter an mit ihm er- zogen xmd ihm sehr befreundet sei, solle für ihn eintreten, er möge auch sein gutes Wort dazu geben, von Faber hoffe er es ebenfalls, dessen Eitelkeit er gut mit den Worten charakterisirt : ,qui uult sibi blandiri, uult rogari, uult videri et posse et velle'. Einer etwa Oecolampadius habe gesagt, Erasmus sei zum Schreiben gezwungen worden; Zwingli hat bisher nichts gegen Erasmus geschrieben. Schliesslich gibt er Bericht über Tagesereignisse, über das Gerücht von der Einnahme von Pavia durch Franz von Frankreich, über den Herzog von Würtem- berg. Von firanzösischen Streitschriften gegen Erasmus habe er trotz allen Eifers keine Nachricht erhalten können, der libellus S. Nicolai und der Dialogus seien noch nicht gedruckt, weil der Drucker auf die ,musici soni* warte. Botzheim gibt am Ende seines langen Briefes Erasmus den Rath, sein ,corpus- culum^ eiftig zu pflegen, das ausser beständigen Ejrankheiten auch noch die Arbeitslast zu tragen habe.

Aus demselben Jahre (vom 17. Februar) ist der Brief eines gewissen Johann Haner, der in weitschweifiger Weise und all- gemeinen Phrasen ohne concrete Bestimmtheit über die Un- gunst der Zeiten jammert. Faber war bei ihm, durch ihn schickt er den Brief, in dem er die Ausbreitung der neuen Seete be- klagt, die sich sogar die Kanzeln erobere; es ist nicht abzu- sehen, wohin das führe. Ebenso bedauerlich sei dem gegenüber die Lässigkeit der zu Anderem verpflichteten Kreise, denn

772 Horswits.

ohnmächtiger HasB und Leidenschaftlichkeit bewirken nichts. Erasmos das ist langer Reden kurzer, aber gewichtiger Sinn soll auf den Plan treten; sobald er das Fddzeichen werde ertönen lassen, werde er Viele finden, die Aehnliches wagen wollen, er könne aber nichts Tollbringen, was der christlichen Welt mehr Nutzen schaffe. Wir sehen, dieses Schreiben gehört in denselben Ejreis, aus dem die Briefe Hersogs Geoi^ von Sachsen, Emser's und Choler's stammten.* Erasmus wird dringlichst, wir können wohl sagen: zudringlichst aufgeforda% ftlr die bedrohte Kirche einzustehen; ob er dies aber thue oder nicht, ftlgt der Briefschreiber ziemlich zuversichtlich hinzu, das sei sicher, dass die neuen Strebungen der Gottlosen sich nicht werden halten können. Erasmus möge übrigens an die Nachwelt denken er beschwört ihn bei Allem und ener- gisch auftreten.

In eine sehr interessante Correspondenz mit dem edlen Bischöfe von Basel, mit Christoph von Uttenheim,^ führt ein Brief dieses Mannes an Erasmus ein. Schon 1514 beweist der Bischof seine Sympathie ftlr Erasmus durch ein Geschenk; das er ihm sendet. ^ 1515 nennt ihn der grosse Gelehrte den an- comparabilis antistes' * und rühmt ihn auch 1517 als gelehrt,^ nach- dem Beatus Rhenanus schon (1516) an Erasmus schrieb: ,Chri8t Bas. episcopus dici non potest, quanti te faciat'<^ oder (1517): ,optima de tuis literis sentire et honorificentissime praedicare non cessat';^ 1518 wird davon gesprochen, dass der Bischof das Enchiridion des Erasmus stets bei sich trage und es mit Mar- ginalnoten versehen habe.^ Im Jahre 1517 war es, dass Chri- stoph von Uttenheim an Erasmus in sehr schmeichelhafter Weise schrieb,^ der dann wieder 1523 seiner Briefe imd Xenien Ei^

* Cf. Horawitz, Erasmiana I. und II. Sitzungsberichte der kaberlichen

Akademie der Wissenschaften. ' Cf. Maurenbrecher, Geschichte der katholischen Reformation I. 3 Erasmi Opera HI, p. 136. < Ibid., p. 169. » Ibid., p. 266. » Ibid., p. 1669. ' Ibid., p. 1696. « Ibid., p. 380. > Ibid., p. 269.

Enamian». III. 773

wähnung thut und ihn ^senum Optimum et sanctisaimum' nennt.^ 1529 spricht Erasmus von den Beziehungen Uttenheim's zu Wimpfeling und seinen Versuchen, Einsiedler zu werden; auch da lobt er ihn sehr.^ Einem Wunsche des Bischofs, sein Ur- theil über das Werk eines Karthäusers zu sagen, willfahrt Eras- mus trotz immenser Arbeiten: er spricht dem Verfasser zwar nicht das Talent ab, doch seien die Einfachheit des Stoffes und die geringe Eleganz der Behandlung Hindemisse für den Verlag. Den Anwurf, eine Vorrede zu dem Werke zu schreiben, lehnt er ab; es missfiele ihm die starke Gläubigkeit in der Legenden- benützung, die Lutheraner würden schäumen, dass er in dieser Weise die päpstliche Sache unterstütze, (!) Andere wieder würden meinen, dass er die Bischöfe und Priester sticheln wolle. Kurz, er wünsche sich nicht in diese Sachen einzumischen und wolle abwarten, wohin sich der Sinn des Papstes^ wende. Erasmus spricht sodann von seinen Arbeiten, dem vollendeten Hilarius, dem ,liber concionandi', nach welchem Johann Bischof von Rochester verlangt habe. Die Nachricht von der Er- krankung des befreundeten Basler Bischofs veranlasst Erasmus zu philosophischen Betrachtungen über das menschliche Leben; sehr schön bemerkter unter Anderm: ,cur optari longa debeat, nisi ut diu Ucerct prodesse quam plurimis^ Er schickt dem Bischof Luther's Buch ,de quatuordecim spectris, qui magno- pere probatus est etiam ab his, qui doctrinae illius omnibus modis adversantur^ Luther habe es nämlich geschrieben, ,prius- quam res ad hanc rabiem esset progressa^ Erasmus knüpft daran den Wunsch, dass Luther gemässigter würde! Den neuen Papst kenne er aus alter Bekanntschaft (domestica con- Buetudine), er hofft heilsame Reformen (sie werden speciell auf- geführt) im Aeusseren, aber für eine innerliche Reform scheint sich nur wenig Aussicht zu bieten; die Cardinäle werden in diesem Pontificate heucheln und sich fügen, so lange der Papst das erschütterte Papstthum stützen werde, er werde aber nicht lange leben. Erasmus spricht sich dabei ganz entschieden für den Primat aus, den er nicht gestürzt wissen will, sondern

1 Erasmi Opera III, p. 774.

2 Cf. Schmidt, Hist. litt. d'Alsace I, p. 23. ' Clemens VIL war damals Papst.

Sitsangsber. d. phiL-hist. a. CU. Bd. 11. Hft. ' 50

774 Horawitas.

der durch seine Disciplin hervorleuchten soll ftir Alle, die jCvangelische^ Frömmigkeit erstreben. * In einem andern Briefe desselben Jahres^ bedauert Erasmus, dass er den Bischof so gerne er gewollt mit Berns nicht habe besuchen können^ denn den Bischof treibe das Alter zum Ofen, den er stets als verderblich meiden müsse; er klagt auch über sein Steinleiden, das freilich nicht im Stande war, die geistige Frische und Energie des wimderbaren Mannes aufzuheben. Witzig be- merkt Erasmus, die Weiber würden im Alter unfruchtbar, bei ihm zeige sich das Gegentheil: ,me senectus reddit fecundiorem aut enim concipio, aut pario aut parturio. Sed partus est viperi- nus et vereor ne quando parentem interimat^ Er habe ge- hört, Christoph leide an Podagra, spricht sein Bedauern aus und fragt zugleich um sein UrtheU über die Paraphrasis zum Matthäus, die er jüngst herausgegeben ; das Werk werde nun schon zum dritten Male gedruckt, er könne nur wünschen, dass

seine Schriften allen Guten nützen und gefallen.

Der Brief nun, der in der Rehdigerana sich vorfand, ist aus dem Jahre 1524, und zwar vom 13. Juli. Christoph von Basel klagt darin über seine Krankheit, die ihn sogar gezwungen habe, neulich den Brief deutsch dictiren zu müssen, spricht seinen Gefallen über ein Werk ,Misericordiarum 11.^ aus j wenn es publicirt wird, möge Rücksicht auf die Lutheraner ,vel synce- rioris pristinae fidei observatores* genommen werden, wünscht, dass Einiges am Ende jenes Werkes von Erasmus gestrichen werde, die Ursache werde er mündlich sagen.

1525 3 nennt Erasmus den Bischof ,venerandum senem et tütiuö virtutis exemplar' und spricht von der so freundlichen Aufnahme, die er bei ihm gefunden.*

> Erasmi Opera III, p. 774.

2 Ibid., p. 776.

5 Ibid., p. 902.

* Schmidt, Alsace I, p. 23. 27. Wimpfeliug mu8S dem Bischof von Basel 1503 Statuten für die Reform des Basler Clerus schreiben (Wiscowatoff^ Wimpfeling p. 117); Überhaupt verwendet ihn der Bischof mehrfach (ibid^ p. 79,91). Wimpfling schrieb auch an Uttenheim fUr die Sache Lather^s. Cf. Schmidt 1. c. I, p. 114; dass er mit Sebastian Brant auf gutem Fuase stand (ibid., p. 197) und mit Geiler (ibid., p. 349 ff.) ist erwiesen. Wie wissbegierig der Bischof war, zeigt die Notiz über die Lectioneu, die er nahm. Schmidt a. a. O., II, p. 115.

Erasmiana. Itl. 775

Auch der berühmte Arzt Heinrich Stromer (Aurbacchius) stellt sich unter den Correspondenten (d. d. 1. Mai 1524) ein. Stromer, der mit Hütten verkehrte, mit Pirkheimer fiir Reuchlin Partei nahm,^ den er ungemein verehrte,^ war zuerst Leibarzt Erzbischof Albrechts von Mainz, später praktischer Arzt und Professor an der Leipziger Universität; er war auch schrift- stellerisch thätig und gab unter Anderem eine Schrift über das Elend der Hofleute,^ wie viele medicinische Bücher heraus.^ Schon um 1517 correspondirt Erasmus mit ihm, es handelt sich um die Abfassung von Heiligenleben fiir den Erzbischof Al- brecht, die dieser bezahlen wiü; Erasmus weiss dies mit Berufung auf sein Alter, seine schwache Gesundheit und ^ablenkende Studien' abzuwenden.* 1519 rühmt ihn Erasmus Hütten gegen- über als Anhänger der guten Sache: ,neque desunt, qui rebus optimis faueant ueluti Stromert® Aber auch Herzog Georg von Sachsen gegenüber rühmt Erasmus den Arzt: ,uirum inte- gritate summaque singulari prudentia iam pridem spectatum, der eine Zierde der Universität Leipzig sei.' Nicht minder aber weiss Stromer den Erasmus zu schätzen (1520) ; er preist ihn als ,doctorum eloquentissimum und doctae pietatis restaura- torem,* und in dem Panegyricus auf Mosellanus * spricht er von ihm als von dem ,clarissimum illud literarum lumen^ Zwischen Herzog Georg und Erasmus scheint er ein Mittelglied des Ver- kehres gebildet zu haben; der Letztere erkundigt sich z. B. 1522 um das ,königliche' Geschenk, das ihm der Herzog zu- gedacht haben soll, wobei er nicht unterlassen kann, zu be-

1 Hutteni Opera (Böcking) I, p. 154 sq.

3 Geiger, Reuchlin, p. 357 f., nnd Brief des Stromer an Reuchlin vom 31. August 1516; Reuchlin's Briefwechsel, p. 254 ff.

3 D. S trau SS, Hütten I, p. 315.

^ Zarncke Üb. Rectt.; Erhardt, Geschichte des Wiederaufblühens der Wissenschaften ni, p. 489 (nach Adami, V. Y. Germ. Medicorum), wo auch seine Schriften angegeben sind. Im Cod. Gothan. A. 399 f., 262 findet sich ein freundlicher Brief Stromer's an Lange über £oban*s Talent und noch mehrere andere Briefe.

& Erasmi Opera HI, p. 260.

« Ibid., p. 477.

' Ibid., p. 567.

» Hutteni Opera (Böcking) I, p. 343.

« Ibid., p. 344

60*

776 Horairitx.

theuem, dass er ihn trotz der aicpooiQYopta die iüoXXo^ 91X10^ StIXuGsv nicht vergessen habe, wie er ihn denn nie vergessen werde J Bei der Leipziger Disputation galt Stromer als einer der daselbst so wenigen Freunde Luther's; trotzdem dauerte der Briefwechsel zwischen Erasmus und Stromer fort; es versteht sich von selbst, dass Stromer auch mit Melanchthon im besten Verkehre stand. Dies erweist auch der vom 1. Mai 1524 datirte Brief der Rehdigerana, in dessen Eingang gleich von dem ,non equorum sed omnium bonarum literarum amatore' rühmend ge- sprochen wird. In ihm äussert er sich über die drei An- schauungen, die in seiner Stadt über ReUgionsangelegenbeiten herrschen. Die erste verachtet, verhöhnt und stosst die mensch- liche Tradition um, sie erregt Lärm, mengt Himmel und Erde, Wasser und Feuer. Die andere hält bissig an den mensch- lichen Traditiönchen fest, die Majestät der Evangelien aber vernachlässigt sie und traut ihrem erfundenen Verdienste, die guten Werke verachtend, die doch Christus, vorschrieb und lehrte, indem sie den festen Glauben auf Christus den einzigen und sichersten Retter und Erlöser, hintansetzt. Die dritte, die hier sehr gef&llt, prägt die evangelische Lehre ein und mahnt sie genau zu beobachten, sie verwirft nicht ohneweiters alle jene menschlichen Ueberheferungen, die Gotteswort nicht wider- streiten. Die Anhänger dieser Anschauung sehen in Christum allein den Urheber unserer Rettung, sie widersetzen sich aber den Satzungen der Bischöfe, die wegen der kleinsten und lächerlichsten Anlässe uns mit dem schrecklichen Blitzstrahle der Excommunication treffen. Stromer gibt Fälle an, denen alle BiUigkeit mangelt; Einer, der einen Geistlichen leicht auf den Kopf schlug, wurde gebannt, ein Anderer dagegen, der drei Bauern (!) erdolchte, wurde nicht aus der christlichen Ge- meinschaft ausgeschlossen. Christus hat vorgeschrieben: du sollst nicht tödten! der Bischof aber sagt: du sollst keinen Geistlichen tödten! Nicht jenem Gebote, sondern diesem ge- horchen so viele Sterbliche. In Wittenberg gemessen übrigens die Cleriker keine solchen Privilegien mehr wie früher; viel- leicht werden einmal alle Christen als gesalbt erscheinen und nicht blos Jene, welche mit schreckeneirregender Tracht aus-

< Erasmi Opera III, p. 737.

ErumiADa. HI. 777

gerüstet oder mit Tonsuren versehen sind. Stromer wendet sich sodann an Erasmus mit der Bitte, er möge die evange- lische Wahrheit unterstützen und sich nicht von Jenen ab- wendig machen lassen, die ihren Gewinn, nicht aber Christi Ruhm suchen, oder die Jene fürchten, welche den Leib tödten können, aber nicht die Seele. Der Christ muss ja Gottes Wort furchtlos bekennen und nicht der Menschen Gunst suchen, sondern Christi Ehre. Aus Liebe schreibe er dies, denn es gebe Einige, die sich bestrebten, ihm aufzubinden, dass Luther und Melanch- thon schlecht von ihm sprächen und durch Lügen zwischen diesen und Erasmus Unfrieden stiften möchten. Wie richtig hat Stromer dies erkannt, aber wie schwer war es auch für Erasmus, Partei zu nehmen, wenn ihm von verschiedenen Freunden und Correspondcnten so ganz Verschiedenes referirt wurde. Ganz schön freilich klingt es, wenn er endlich be- merkt, Erasmus möge der Majestät des Evangeliums, nicht aber den Angebern die Ohren öfinen. ,Philippus meus^ (natürlich Melanchthon) war nach Ostern in Leipzig, er denkt anders von Erasmus als jene Windbeutel, auch Martinus ist nach Stromer's Meinung dem Erasmus nicht übel gesinnt wie könne es auch geschehen, dass ihn der hasse, der alle Vorkämpfer fbr das Evangelium liebe und hochhalte, ,a quorum numero tu es et quidem antesignanus ac onmium optimus^

Es ist nicht ohne Literesse, in diesem Zusammenhange des Briefes des Erasmus vom 10. December desselben Jahres > zu gedenken, in dem er die von Stromer berührten Punkte bespricht. Erasmus beginnt mit Witzen des Thomas Monis über seine ,Copia^; nachdem er diese herausgegeben, sei ihm nichts als die inopia zurückgeblieben, ebenso seit er das liberum arbitrium herausgegeben, habe er selbst keines mehr. Er wäre überhaupt am liebsten nur Zuschauer im Streite geblieben, es sei ja ein Kampf de paradoxis, er hätte es vorausgesehen, wenn er sich einmische, werde die Sache nur verschärfl zu Ungunsten seiner selbst, wie der Sache. Als er die durchwegs verderbte Lebensweise der Christen betrachtet habe, war sein Urtheil, obwohl er von Luther sehr schlecht gedacht, dass dieser ein ava^xatsv xaxbv sei. Aber es lag in dessen Geschicke,

1 Erasmi Opera in, p. 833.

778 Hor«witz.

dasB er aus einem Mosicus ein retiarius wurde. ^Ich miiss mit beiläufig sechzig Jahren aus einem Pfleger der Musen ein Gladiator werden*; recht beweglich klagt er darüber wie es scheint mit ziemlich schlechtem Gewissen und einiger Besorg- niss vor Stromer: er sei eben in diese blutige Schlacht ge- stossen worden. Da hätten die Sophisten geschrieen: ,conaenit inter Elrasmum et Lutherum, neuter alterum impetit^, es wäre nicht thunlich, die Hoffnungen der Fürsten länger zu täuschen, Freunde Luther's aber, die ftlr ihn unglücklichsten schreien, er schweige vor Schreck über ihre Drohungen still. Der Brief Luther'sy durch Joachim (es ist Camerarius, der damals die übliche Wallfahrt zu Elrasmus unternahm) gesandt, werde dem- nächst veröffentlicht werden, er trage ihm unter gewissen Be- dingungen Frieden an, ob es nicht fast schimpflicher sei, auf ein Bündniss hin zu schweigen als aus Furcht. Kurz Jacta est alea^, aber so, dass er kein Wort über seine Ueberzeugong hinaus gesagt habe. Dass er bei den Sophisten schlecht stehe, wisse er, er hoffe auch weder jemals Frieden mit ihnen, noch wolle er ihn erschleichen. Luther zeige in vielen Briefen, dass er nicht viel von ihm halte, er nenne ihn blind, elend, Christum nicht kennend, fem vom Verständniss der Sache des Christen- thums, roh an Geist und an Buchstaben klebend. Aber dfts ist kein Wunder, dass er so von mir urtheilt, er, der Jeden von den Alten verachtet; Luther möge lieber das, was er zu besitzen glaube, zur Beruhigung der Kirche anwenden; Eras- mus werde thun, was er immer that, nämlich darnach streben, dass zugleich mit den schönen Wissenschaften die reine Frömmig- keit erblühe. Die Lutherische Partei erbittere von Tag zu Tag mehr die Fürsten, die ihr feindlichen aber gebrauchen wieder nur die gewöhnlichen Mittel: Kerker, Widerruf, Confiscationen, Bande; was das bei einem so tiefen Uebel, das sich täglich mehr verbreitet, nützen solle, wisse er nicht! Er könnte keinen andern als einen höchst blutigen Ausgang prophezeien, wenn er nicht wüsste, dass Gott oft das von uns ganz schlecht Be- gonnene aufs Beste ausgehen lasse. Carlstadt sei da gewesen^ aber kaum Oecolampad habe ihn begrüsst; er habe sechs Schrifken herausgegeben; zwei Drucker sind deshalb in den Kerker gekommen, weil er behauptete, in der Eucharistie sei nicht der wahre Leib Christi, das erträgt Niemand. Die Laien

Eraamiana. III. 779

sind unwillige dass ihnen ihr Gott genommen werde, als ob Gott nirgends sonst sei als unter diesem Zeichen; die Ge- lehrten halten sich an die Schriftwprte und die Decrete der Kirche. Nach einigen Nachrichten über Zürich und Walds- hut eilt Erasmus zu einem ziemlich verlegenen Schlüsse. Seine Absicht sei, ohne Unterschied, Allen zu nützen. Das Marty- rium habe er nie gefürchtet (!). Ob Luther ein tapferer Mann sei, wisse er nicht, wohl aber, dass er ein Geschlecht erzeugt habe, das ihm so zuwider sei (er begründet dies ausfuhrlich), dass er in jenes Land auswandern möchte, in dem es keine Lutherfreunde gebe. Hinsichtlich des liberum arbitrium habe er nichts als seine Ueberzeugung geschrieben, er sei auch in vielen anderen Dingen Luther's Gegner, hätte aber Anstand genommen, dies zu besprechen, damit die Früchte jener Be- wegung durch seine Bemühung nicht zu Grunde gingen. Die Thoren prahlten, Erasmus halte zu Luther, aber verheimliche es nur aus Furcht; hätte er das voraussehen können, sagt er sehr ostensibel, er hätte sich gleich anfangs als Feind jener Partei erklärt. »

Heinrich Stromer schrieb noch 1525 an Erasmus,^ er war es, der 1536 einen Bericht über Erasmus' Ableben aus Basel an Spalatinus geschrieben. Das letzte Lebenszeichen, das wir von ihm besitzen, ist meines Wissens ein Brief im Cod. Goth. A. 399 aus dem Jahre 1541.

Vom 30. Mai 1524 ist ein Brief des bekannten Kynologen, des Passauer Dechantes Rupert von Mosheim an Erasmus datirt. Die Leetüre des Briefes des Erasmus an M. Laurinus habe in ihm das Gefühl des Julius Cäsar erweckt, das diesen bei Alexanders Statue erfasste; drei Jahre kenne er ihn, zuerst habe er ihn in Löwen gesehen, dann bei Kaiser Karls Krö- nung in Köln, und doch Zwischen den Zeilen ist es zu lesen, dass es ihn sehr zu kränken scheint, in dem Briefe an Lau- rinus nicht erwähnt zu sein, wie so viele seiner Studiengenossen in Italien, die in derselben Zeit wie er mit Erasmus bekannt wurden, denen dieser doch so herrliche Statuen in dem Briefe an Laurinus errichtet habe. Drei Jahre hindurch sei er so

1 Erasmi Opera III, p. 657.

2 Horawitz, Erasmiana 11, p. 36 ff.

780 HorAwitx.

beschäftigt, dass er nicht blos das Briefschreiben, sondern selbst die Studien fast aufgeben musste. Das Werk, das er aus dem Griechischen übersetzte ,de alendis curandisque cani- bus', habe er zu Köhi nicht herausgeben können. Er sucht des Erasmus Gedächtniss bezüglich seiner aufzufrischen, er sei beim Cardinal von Gnrk (dem späteren Erzbischof von Salzbui^ Matthäus Lang) gewesen, bei dem er dem Erasmus eine Audienz verschafft habe, was ihn aber heute noch reue, da der Cardinal Jenen unbeschenkt entlassen und sich (wie es scheint) nicht zu gut benommen habe. Mosheim erzählt, wie er dann in den geistlichen Stand getreten sei, um die Ruhe zu finden, die das Hofleben nicht gebe. Jetzt, wo er Dechant geworden, habe er schon mehr Muth; im Briefe an Laurinus, auf den er immer zurückkommt, werden ja Dechanten erwähnt . . . wamm also nicht auch er, ist der unausgesprochene, aber doch ver- ständliche Wunsch des überaus naiven Briefschreibers, dessen liebenswürdige Natur aber aus jeder Zeile zu erkennen istJ Bei W. Pirkheimer habe er aber voll Neid Briefe von Eras- mus gesehen, das lässt ihm bei Tag und Nacht keine Ruhe. Der Brief schliesst mit einer Fluth guter Wünsche, denen sich die Bitte um freundschaftliche Gesinnung anschliesst. Mosheim richtet auch einen Gruss des Bischofs von Passau Ernst von Bayern an Erasmus aus, den ihm der Erstere aufgetragen.

Erasmus antwortete darauf unter dem 12. November.- Wohl könne er sich seines Gesichtes (humanitatis index), seiner häufigen Gespräche und Gefillligkeiten, nicht minder eines Frag- mentes jener Uebersetzung erinnern, die nach seiner Meinung gut geglückt sei, kurz, Rupert stehe so ganz vor seinen Augen, dass er ihn malen könnte. Nur dessen könne er sich nicht entsinnen, dass er sich bemüht habe, dem Cardinal eine Visite zu machen. Er verachte die KirchenfUrsten zwar nicht, aber es sei durchaus nicht seine Art, sich um dergleichen Audienzen zu bemühen, am wenigsten bei den Deutschen. Kurz, er ver-

< Faber freilich nennt Mosheim einen haereticos indoctns (Naoaeae Epp. p. 232), einen fugitivus (ibid.,* p. 324). Mit Rhenanns war er, wie ich einem Autogpraph in der Mairie zu Schlettstadt entnahm, noch im Jahre 1542 in Correspondenz. In Professor Floss' (Bonn) Sammlung fand sich von Mosheim auch ein Buch: Das new Hiemsalem. 1540.

3 ^rasmi Opera in, p. 825.

EnsmiAna. HI. 781

inchert, dass ihn jene Audienz nicht berühre und ihm nichts daran liege, redet aber doch stets davon, um endlich mit seiner beliebten Redewendung zu schliessen: ,omnibu8 si queam pro- desse cupio, servirenemini/ Rupert's Entschluss, das Hofleben zu verlassen, findet sein Lob; beinahe komisch entschuldigt er sich, dasB er Mosheim's Namen im Briefe an Laurinus nicht genannt.

Das Jahr 1525 ist durch einen Brief des Petrus Curtius lö25 Brugensis^ vertreten, der aus Löwen an Erasmus schreibt in der Hoffnung, dass dieser gerne von Freunden und Orten hören werde, die er einstens geliebt, vor Allem vom Lilianum^ und seiner ganzen Familie. Er wisse ja, wie gerne es Erasmus hatte und wie diese Anstalt ihn wieder als Lenker betrachte, und wünsche nur, dass auch unter seiner Leitung der Anstalt der Glücksvogel bleibe. ,Niillum hie sacrum sit sine Erasmo, nihil absque Erasmo doctum. Nemo non hie Erasmo suam einiditionem rescit acceptum.^ Freilich die Gegner seien über des &asmus literarische Thätigkeit in Erbitterung, die Theo- logen geben sich alle Mühe, das Verbot seiner Schriften in den Schulen durchzusetzen. Gegen den Schreiber des Briefes seien solche Anschläge gemünzt, denn in den anderen Schulen wird ja nichts Erasmisches gelesen, als der libellus de octo partibus. Früher hat man auf andere Art versucht, den Händen der Schüler die CoIIoquien und das Enchiridion^zu entreissen, jedoch je mehr sich Jene anstrengten, desto weniger geht es, sie arbeiten gegen den Strom.

Aus demselben Jahre (d.d. 19. November) stammt ein Brief des Constanzer Praepositus Matthäus Schad. Der Verfasser desselben nennt Erasmus ein Wunder, durch dessen beispiellose Gelehrsamkeit unser fiüher rohes, der Wissenschaft beinahe ganz entbehrendes Deutschland in der Art geschmückt wird und sich erneuert, dass es nächstens mit den Musen Italiens in die Arena wird hinabsteigen können. So sehr auch die Italiener unserem Vaterlande diesen Ruhm neiden und in ge- wissermassen angeborenem Stolze die anderen Nationen als Barbaren verachten, werden sie doch gestehen müssen, dass

* Curtins Bmgensis ist mehrfach erwähnt z. B. von Vives (Erasmi Opera m, p. 946) in den Briefen des M. Lipsins (ed. Horawitz), p. 54.

' Eine hübsche Beschreibung des Lilianum in Vossius* Bemerkung zur Dedication des Erasmus vor seiner Schrift De recta .... pronunciatione.

782 Horawitz.

•die Musen sammt ParnasB und Helikon nach Deutschland ge- wandert seien und auf des Erasmus Antrieb Deutschland mit vorzüglicher Gelehrsamkeit erfUllt hätten. Man sehe jetzt schon erstaunlich viele Gelehrte, die in all^n Fächern glänzen und wie aus dem trojanischen Pferde aus des Erasmus Schule emporstiegen. Erasmus war es, der Deutschland, das in Sauf- gelagen und Räuschen dahinsiechte, durch seine unsterblichen Werke wieder so erweckte, dass sich jeder talentvolle Jüngling den Musen zuwendet, ja es lässt sich überhaupt nicht ermessen, was Deutschland ihm Alles verdanke. Neben vielen Artig- keitsphrasen taucht auch am Schlüsse dieses Briefes der beliebte Wunsch auf, Erasmus möge ein nestorisches Alter erleben.

Ein Friese Zacharias Deiotarus in London war nicht minder überschwänglich in den Ergüssen seiner Bewunderung und Freundschaft. Elrasmus hatte an ihm einen warmen Verehrer, der den Worten auch Thaten folgen liess. So oft die Famuli des Gelehrten nach England kamen, fanden sie im Hause des gastfreundlichen Erasmophilen freies Quartier, was um so er. wünschter war, als in den öffentlichen Herbergen die ,pesti8 scelerata' leicht geerbt werden konnte , welche England damals wie Erasmus schreibt' schon vier Decennien unsicher machte, und von wo sie auch nach Deutschland gedrungen war. Deiotarus war sehr splendid gegen die jungen Leute,^ wusste er ja doch aus eigener Erfahrung, wie wohl solche Aufnahme in fremdem Lande thue. Er war ja selbst einst des Erasmus Famulus gewesen^ und von diesem an Wilhelm Warham, Erzbischof von Canterbury, mit den Worten empfohlen worden: juuenis probus ac iidus, planeque dignus quem tua benignitas ad majora peruehat^ Auch der in unserer Sammlung befindliche, vom 20. April 1525 aus London datirte Brief be-

1 Erasmi Opera m, p. 1466.

J Ibid., p. 804.

' ac discipuluB Erasmi Opera m, p. 644. Die Briefe des Erasmus an ihn sind in einem sehr herzlichen und vertraulichen Tone geschrieben, wie denn Erasmus überhaupt zu seinen ,famuli' eine gemüthvoUe Beziehung unterhielt; er trennte sich sehr schwer von ihnen, that es aber doch, sobald sie grosser wurden, wie s. B. folgende Stelle zeigt: aegemme cari- tnrus sum Livino (Algoet) tarnen, quoniam iam grandescit noloi illi perire aetatem in obsequüs meis. Er schickte diesen z. B. auf ein paar Jahre (auf seine Kosten) nach Löwen, dass er dort studire u. s. w.

ErumiaD». III. 783

handelt eingangs die Aufnahme eines Famulus des Quirinus in* Deiotarus' Hause, er habe gerne versichert der Schreiber Alles für diesen gethan (in tradendisque' literis quantum potui iuui) aus Liebe zu seinem einstigen um ihn so sehr verdienten Herrn. Ziemlich vertraulich und erregt spricht Deiotarus unter An- derem über einen gewissen Birckmann; (über den Elrasmus^ wie Vives^ sehr ungünstig urtheilen) ob dieser zwischen Erasmus und Vergilius Polydorus Unfirieden gestiftet, wisse er nicht. Qanz entschieden aber verwahrt er sich gegen die Annahme, als ob er dem Polydorus zu Dank verpflichtet sein sollte, nachdem dieser Mensch ,nihil fecit neque faciet praeter verba*. Er möge seine Empfehlung bei diesem sparen (cupio commendationem tuam alio locari potius quam apud eum); wenn Polydorus je etwas gethan habe ,id opera mea commerui^ Ueberhaupt äussert er sich über den Genannten wie über Birckmann sehr abflülig.

Ein polnischer Arzt Antoninus (medicus) aus Ej*akau, 1526 den Erasmus sehr hoch schätzte,^ an dessen Leiden er innigen Antheil nimmt, den er stets zu trösten sucht,^ schreibt um 1526 an ihn: Plutarch^ habe er spät bekommen, dann aber sogleich an Alexius (wohl Thurzo) gesandt, der ganz entzückt nicht bloss von diesem Buche, sondern von des Erasmus Gesinnung sei und glänzende Geschenke für ihn bestimmt habe, die aber freilich vor der nächsten Frankfurter Messe nicht abgesandt werden können. Auch die Königin von Ungarn schickte durch ihren Beichtvater (den noch zu nennenden) Johannes Henckel für Erasmus ein Geschenk, aber er könne es nicht absenden. Am besten sei es, zu warten , bis die polnischen Kaufleute nach Frankfurt gehen. Henckel sei bei der Königin, dem Könige und den Magnaten sehr einflussreich und empfehle den Erasmus ausserordentlich, räume dessen Werken in seiner

1 Erasmi Opera m, p. 814 nnd 822.

2 Ibid., p. 900.

' Ibid., p. 1093 f. An den Secretär des Königs von Polen, Justus, schreibt Erasmus da (1528): Nunc eloqui vix possim, quantopere discrutiet ani- mum meum Antonini valetudo. Quid illius pectore candidius, quid amico amicius? .... Utinam audiam et Antoninum nostrum nobis sibique resti- tutum esse.

* Ibid., p. 1467 E.

^ Plutarch, De non irascendo et de curiositate, erschien bei Frohen 1526.

784 Horawitz.

Bibliothek den ersten Platz ein und ruhe nicht eher, als bis er von einem Buche alle Ausgaben habe, wenn auch noch so viele erschienen. Seine Predigten sind durchdrungen vom Geiste der Paraphrasis. Auch Ungarn habe aber seine vom römi- schen Gifte erflillten Sjkophanten, die gegen Erasmos ihre Galle ausspeien , aber jener einzige Mann hält Alle zurück, so dass sie nicht einmal zu gähnen wagen. Erasmus könne Niemandem besser das Buch de concionando dediciren, da dieser so sehr fbr ihn begeistert sei und erst neuerlich in einer Versammlung sehr berühmter Männer geäussert habe, dass der Brief des Erasmus an ihn ihm mehr werth sei als ein noch so reiches Geschenk. Schätze er einen einzigen Brief schon so hoch» wie wird er erst ein grosses Werk schätzen? Der Schreiber lässt deutlich merken, dass Henckel kein bestimmtes Mass der Grossmuth kenne und die Gelehrten so unterstütze, dass Alles sich darüber verwundem müsse. Er zählt hierauf Henckels Titel auf, er könnte schon längst Bischof sein, aber er sei nicht ehrgeizig und zum Aerger Vieler sehr gelehrt. Auch der Palatin von Erakau, Christophorus (von Schidlowitz), lasse Erasmus grüssen, und werde ihm bei der nächsten Frankfurter Messe Geschenke in Gold schicken. Er spricht sodann von Andreas Critius (Bischof von Plock), dessen Gelehrsamkeit er aus dem beiliegenden Btichelchen ersehen könne, wünscht den Besuch des Erasmus in Polen und berichtete endlich über einen Unglücksfall des Justus Delius, der vom Pferde fiel und sich den Arm brach. Dennoch habe er mit der andern Hand an Erasmus geschrieben, während seine Gattin das Papier hielt, denn er liebe wie Alle den Erasmus so sehr, Luther sei dagegen zu S^rakau schlecht angeschrieben. Unter vielen sar- matischen Ueberschwänglichkeiten richtet er den Gruss seiner Frau aus, spricht von seinem ,unwürdigen' Geschenke und empfiehlt sich dem hochberühmten Ludwig Ber,^ dem Bonifaz Amerbach, dem Frobenius sammt Gemahlin, demGlarean, Sichard, Levinus.

Erasmus war dem Antoninus flir seine vielen Gefälligkeiten und Geschenke sehr dankbar, er versicherte ihm, dass astud tuum pectus mihi tribus regnis esse preciosius*^ In sehr

^ Erasmi Opera III, p. 1045; cf. ibid., p. 886.

EnsmiAna m. 785

reservirtem Tone spricht er (1527) über die polnischen Bekannt- schaften, auch über Henckel, daokt für das Geschenk, das sich durch seine Neuheit empfehle , grüsst die Frau des Antoninus und lässt deutlich merken, dass er den Josephus, den Bringer der polnischen Geschenke, ungeduldig erwarte. Ueber den mittlerweile verstorbenen Frohen spricht er mit warmer und entschiedener Anerkennung. Auch seine Unan- nehmlichkeiten mit Bedda, dessen Frechheiten u. s. w. schildert Erasmus in einem Briefe an Antoninus aus demselben Jahre. Von Alexius Thurzo und Henckel habe er bisher nichts erhalten, er wisse aber nicht, wie sie von ihm verlangen könnten, dass er zu ihnen reise, was sie denn an ihm sähen? Den sterbenden Erasmus! ,Morior enim mi Antonine quotidie^ Nach einem höchst verletzenden Urtheile über Calvus wendet sich Erasmus zu einem Lieblingssatze, der Lehre Cicero's, dass man die falschen Freunde missbrauchen müsse, und versichert, dass er des Critius Buch erhalten habe.^ In einem Briefe aus dem Jahre 1529 drückt Erasmus seine tiefe Theilnahme über Antoninus' Erki*ankung, die so Viele heimgesucht habe, aus und erzählt eine Menge Neuigkeiten, unter Anderem von den Heiligen- stürmen zu Basel, von Feuer und Pest und gibt gute Rathschläge.^ Johannes Oem schreibt aus Löwen an Erasmus, dass am 12. September 1523 von seinem Vater, dem Dr. jur. u. M. Florentius Oem von Wyngairden (Weingarten) er war Syndicus von Utrecht ein deutsches Schreiben an ihn ge- sandt worden sei. Er wolle ihm nun von diesem erzählen. Er liebe beide Sprachen gar sehr, das CoUegium trilingue zu Löwen sei auch nicht ohne seinen Rath errichtet worden, er bedaure nur, dass es nicht geblüht habe, als er sich dort als Jüngling befand. Mit fUnfundfÜnfzig Jahren habe er griechische Elementar -Grammatik getrieben und auch seinen dreizejin- jährigen Sohn, sowie seinen des Schreibers jüngeren Bruder im Latein und Griechischen bei dem gelehrten Director des Gymnasiums von Rotterdam Johannnes Ursus unterrichten lassen. Zwischen ihm und dem seligen Papste Hadrian (VI) bestanden genaue Beziehungen, als sie an der Löwener Universität

< Erasmi Opera III, p. 1052. 2 Ibid., p. 1203.

786 Horawits.

studirten; auch als Hadrian nach Spanien musste, hörte ihr Verkehr nicht auf, sondern wurde durch Briefe unterhalten und gemehrt. Und als Hadrian Papst wurde, vergass er doch nicht seines Florentius und zeigte diesem selbst die PapstwaU an, ja er schenkte ihm seine Pfründe (praebenda) an der Kathedrale des heiligen Lambert zu Lüttich.' Erasmus möchte nun die Otüte haben und jenen deutsch geschriebenen Brief seines Vaters der sich ihm empfehle, beantworten oder einem (namhaft gemachten) Bekannten, z. B. dem Goclenins oder Hadrian Barlandus, schreiben, ob er die Briefe erhalten habe.

Wie ich einem Briefe in der Mairie zu Schlettstadt ent- nahm, scheint der nächste Correspondent des Jahres 1526 Justus Diemus mit Erasmus schon in länger dauernden Briefwechsel gestanden zu haben, 1525 stellt ihm dieser ein sehr günstiges Urtheil aus.^ Unser Brief ist aus Speier (am 22. October) datirt und beginnt mit einer Entschuldigung, wes- halb er den Brief eines früheren getreuen Famulus des Erasmus, des Hovius, der sich jetzt bei Felix, dem Episcopus Theadnus befände, oflFen überbringe. Bei Verona sei er neulich von den Venetianern überfallen und seine Briefe untersucht worden. Er sei von Rom weggezogen, weil er das Klima nicht vertragen habe, Faber werde bald da sein, mit ihm sei eine Reise nach Spanien projectirt. Hovius leidet an Steinschmerzen, gerne käme er nach Deutschland zurück, aber es ßlnde sich keine Gelegenheit zur Entfernung. Furchtbare Nachrichten meldet er von den Türken, welche in Ungarn solche Eroberungen machten, dass die Schwester des Kaisers nur mühsam^ indem sie ihre Tracht änderte, zum Erzherzog gelangen konnte. Der Türke führt seine Schaaren nach Steiermark, Croatien hat er fast ganz eingenommen. Auch von Rom wisse er nichts Gutes, der Papst soll in der Engelsburg von Cardinal Colonna (a maxime Reverendissimo Cardinale) eingeschlossen sein.

Anfragen aller Art kamen an Erasmus, er musste sich den Schwall der Briefe gefallen lassen; so äussert er sich denn auch 1524 an den Official von Besangen Leonhard über einen

1 Der Brief ist ans Victoria vom 15. Februar 1522 datirt; cf. HOfl er, Ha- drian VI., p.l29; nach Bnrroann, Hadrian VI.Trajecti ad Rh. 1727, p. 3»8. ' Erasmi Opera III, p. 198 an Apocellus ; cf. Nauseae Epp. 38, 46, 48.

Rratmiana. Itl. 787

gewissen Bietricius de confirmanda Missa magna sediditate tumultuator Bietricius at mihi res cordi non est et praestat hoc seculo non dare ansam improbis tumultuandi.^ Ein Brief des Bietricius, der uns in dieser Sammlimg vorliegt, wirft alles Mögliche durcheinander; sein Schreiber wundert sich über den Wahnsinn der Rabbiner und Juden und spricht von dem Lutherthum, das Gt)tt als Strafe für die verbrecherischen Men- schen gesendet. Er mache sich übrigens schon ein Gewissen daraus, Erasmus mit so vielen Briefen zu quälen, aber die ,familiaritas' treibe ihn dazu (!), er grüsse Proben und die übri- gen Freunde.

Einer der grössten Bewimderer des Erasmus war der Franzose Germain de Brie (Germanus Brixius). Er war Archidiaconus von Alby, Secretär der Königin von Frankreich, später Canonicus von Paris. Er war zu Auxerre geboren, ihm dankt man mannigfache Uebertragung klassischer Studien aus Italien nach Frankreich. Schüler des Marcus Musurus, ward er von Budö sehr geschätzt; dieser nennt ihn doctus utraque lingua. Mit Sadoletus stand er in Correspondenz, mit Monis, gegen den er den Antimorus schrieb, in Fehde. Er übersetzte viele Schriften und starb in Chartres. Beweis fllr seinen Enthu- siasmus ist der grosse Brief an Erasmus aus dem Jahre 1516.^ Erasmus aber vermittelte später (1518) freilich umsonst zwischen Brixius und Morus. durch dessen Epigramme sich der Erstere beleidigt fühlte. ^ Unser Brief nun, aus Gentilly (1526) datirt, ist ebenfalls inhaltsreich. Der Schreiber rühmt die Chrysostomusausgabe des Erasmus, von deren Leetüre er sich gar nicht trennen könne, rühmt des Chrysostomus Dialog mit Basilius; so habe er ihm gefallen, dass er ihn die Nächte hindurch ins Latein übertragen habe, doch nicht in der Absicht, um diese Frucht seiner Nächte der Oeffentlichkeit aufzudrängen. Li Gentilly besitze er ein Gut, nicht mehr als etwa tausend Schritte von Paris entfernt, in dem er sich mit seinen Freunden unterhalte; eben diese Freunde aber riethen, die Uebersetzung doch zu ediren^ und so habe er sie dem Ascensius übergeben.

< Erasmi Opera m, p. 843.

2 Ibid., p. 192.

3 Ibid., p. 376.

788 Horawitz.

Jedoch durch den plötzlichen Hingang des ältesten Sohnes des Ascensius, eines Jünglings, der weit über sein Alter gelehrt und besonders geschickt im Aufspüren von Fehlem und genau in deren Emendation gewesen sei, kam nun eine solche Trauer über die ganze Druckerei^ dass der alte Ascensius nicht im Stande war^ der Castigation seine Aufmerksamkeit zuzu- wenden. So ist denn Manches schlecht ausgefallen und Fehler haben sich eingeschlichen, besonders auf den ersten Seiten. Der Nachfolger des Verstorbenen kommt bei Brixios übel weg; er nennt ihn statt archichalcographus stets archicacogra- phus und schimpft sich grimmig über dessen Unfleiss, Unwissen- heit, Unfllhigkeit imd Unverschämtheit aus; nicht durch Zorn- ausbrüche, sondern mit dem Prügel solle man ihn bestrafen, ihn, der so Vieles unrecht verstanden und deshalb aus des Brixius' Originalmanuscripte gestrichen, der an dessen Stelle unterschobene, auf die Sache gar nicht Bezug habende Dinge gebracht, aber auch einige römische Formen und lateinische Tropen verfälscht und verstümmelt und statt ihrer gothische und ganz barbarische Wendungen gesetzt habe. An ihm habe Jener sein Tirocinium verübt, er habe auch dem Kic. Beroaldus, dem Jacobus Tusanus und Petrus Danesius sein Leid geklagt. Dem Erasmus sendet er zwei Exemplare des unglücklichen Werkes, das eine zur Correctur; er möge ,id ipsum prius per te, quibuscunque locis uisum fuerit, es- purgatum et censurae enim tuae plenam facio potestatem no- tandi, corrigendi, detrahendi, addendi quod uolet^ Frohen solle es dann drucken und ihm fUnfzig Exemplare schicken, denn ihm und Allen gefallen die Froben'schen Typen, ,qui elegantiam literarum studiis capiuntur^ Als Neuigkeit erwähnt er, dass Janus Lascaris »noster' zurückgekehrt sei und durch einige Monate in seinem Hause wohnen werde. 1627 Im Jahre 1527 (18. April) schreibt ein gewisser Heinrich

Caduceator aus Frankfurt mit vielen Entschuldigungen an Erasmus, dass er, ein so unbedeutendes Menschlein, an einen solchen Heros schi-eibe. Zu Erfurt habe er wohl unter Eo- ban Hesse studiert; aber er hätte auch jetzt noch nicht ge- schrieben, wenn ihm nicht das ,ingens telum^ die ,neces8itaB^ dazu gedrängt hätte. Vom Knabenalter an verehre er ihn aufs Höchste. Doch von der Wiege an sei er von einem .bösen

EiMmianA. m. 789

Augenübel befallen gewesen^ so dass er, wenn er nicht das Papier, die Bücher und kleinere Gegenstände ganz knapp ans Auge rücke, nichts unterscheiden könne. Das quäle ihn so sehr, dass ihm das Leben zum Ekel werde; wie Vergil's Dido habe er den Tod herbeigewünscht, denn was habe ein halb- blinder Mensch fUr Freuden zu erwarten, was habe er am Leben, das doch eben durch diesen Sinn ein so grosses Gut für den Menschen sei? In wahrhaft ergreifender Weise klagt der Arme, wie er Spott und Hohn habe ertragen müssen, und fiihrt dabei Aristophanes (Nubes 327) ins Feld. Er könne bei diesen Erinnerungen die Thränen nicht zurückhalten und beschwöre ihn bei Allem, ein Mittel zur Heilung anzugeben; vor Jahren habe er von einem Famulus Capito's gehört, dass er allen Aerzten ,omneis, qui isthic medicam aoftem ex professo agunt midtis etiam parasangis anteeas', er, dem Hippokrates, Galenus, Averroes, Celsus u. s. w. aufs Genaueste bekannt sind. Er möge ihm helfen, entweder selbst oder durch andere Heil- kundige, dass er wieder zu seiner Sehkraft komme. Verspricht ewige Dankbarkeit y auch über des Erasmus Leben hinaus. Nur deshalb wolle er ja seine Sehkraft, um sich der heiligen Schrift eingehend widmen zu können; dazu scheine er von Natur bestimmt, und des Erasmus theologische Werke be- stärkten ihn nur darin. Schliesslich gibt er sein biographisches Nationale an; er sei zu AschaiSienburg geboren, circa acht Jahre sei er in Erfurt gewesen, wo er auch Baccalaureus geworden; nun lebe er in Mainz bei dem ,praeses' von Mainz, Philipp von Schwalbachy dessen fünf Bander er schon ein Jahr unterrichtet habe. Er wollte nach Basel zu Erasmus reisen, um ihm mündlich Alles auseinanderzusetzen, wenn er nicht von einem plötzlichen Fieber ergriffen worden wäre. Dies aber habe er im Lärm der Frankfurter Messe geschrieben. Erasmus ant- wortete bald, schon am 10. Juli d. J. tröstet er ihn; wäre er Arzt, so wäre es sein Erstes, mit seinem Steinleiden fertig zu werden; übrigens habe er viele berühmte Männer gekannt, die an dem Leiden der halben Blindheit gelitten. Auch Alexander, der Schottenprinz, den er (wie er glaube) aus den Adagien kennen dürfte, habe in hohem Grade daran gelitten. Er solle keine Medicamente anwenden, sondern Brillen ,vitrea con- spicilla in hoc attemperata, ut qui pene caeci sunt, cernant

Sitsangsber. d. phiL-hist. Cl. CH. Bd. II! Hft. 61

790 Horawtts.

etiam procul diasita^ Erasmus gab dem Armen übrigens recht gute Rathschläge bezüglich seiner Augen.

Ein sehr nettes Schreiben ist das von Stephan Gardiner vom 28. Februar 1527. Nach den üblichen Einleitnngsphrasen erinnert der Schreiber den grossen Gelehrten an die Zeit^ in der er als Knabe sein Koch gewesen sei. Er könne sich da- mit so brüsten^ wie die^ welche fast filr heilig erachtet werden wollen, weil ihre Füsse das heilige Land betreten hätten. £r erinnert Erasmus, wie er in Paris bei einem Engländer Eden in vico S. Joannis gelebt, in der Zeit, in der er die ,Moria' herausgegeben. Damals sei dort ein Knäblein gewesen, dem Erasmus stets befohlen habe, den Salat herzurichten das sei

er gewesen. Jetzt sei er leider durch das Hofleben von ihm getrennt umd nicht in der Lage, die ihm Erasmus nach Aussage des Buchhändler Gerard von Cambridge prophezeite.

Am 3. September beantwortet Erasmus: ^ ,non opus erat tot indiciis, haerebat animo illa imago, quam Lutetiae videram'; er könne ihn malen, so plastisch stehe er vor ihm; er finde nun in ihm dieselbe Tüchtigkeit in der Wissenschaft und den ernsten Geschäften wie damals in häuslichen Verrichtungen. Sein Brief habe ihn jetzt so erquickt wie einst sein Salat. Es freue ihn sehr, dass sie einen gemeinsamen Patron hätten (den Cardinal, bei dem Gardiner diente); er habe Übrigens noch so viele Briefe nach Sachsen, Polen, Ungarn, Italien, Spanien, Brabant und England auszufertigen, darum könne er nur Weniges schreiben. Grüsse an alle Bekannten und gute Lehren be- schliessen den Brief.

Dass Erasmus' Prophezeiung in ErftlUung ging, zeigt das spätere Leben Gardiner's, der unter Eduard VI. Bischof von Winchester war und als solcher gegen Cranmer die Paraphrasen des Erasmus verwarf. 1528 Eines (Hieronymus) Agathias erwähnt Erasmus schon

um 1521 ; er wurde, wie es scheint, fUr eine Professur am Bus- lidianum empfohlen; Buslidius fand an dem Manne Ge&Uen, es sollte ihm freistehen, ,extra ordinem profiteri seu Graeca malit seu Hebraica', auch das Salair werde besser werden. ^ In

^ Erasmi Opera III, p. 1017. 2 Ibid., p. 662.

ErasmiaDa. m. 791

unserer Sammlung findet sich von diesem Agathias ein Brief an Erasmujs, aus Cbambery (Chamberiacum) in Savoyen datirt. Aucb er* fordert anlässlich eines Ereignisses in Turin den Eras- mus aufy fUr den Glauben gegen Luther und die Emeuer der alten Ketzereien aufzutreten, schickt ihm einen Brief, den er aus Turin erhielt, der von der Wahrheit des Fegefeuers handelt, und schreibt, dass er des ,Hieronymianers^ Erasmus Werke lese.

Erasmus antwortete auf diesen Brief am 3. September 1528^ sehr kühl; er sei gegenwärtig Augustinianer, von Augu- stinus sei schon ein Theil gedruckt. Das Fegefeuer sei übrigens iUr die recht gut, für deren Küche es passe. Solche Siege werden nicht für Christus, sondern fUr die Begierden Einiger erfochten.

Ein Coblenzer Bürger Justinus Gobelinus berichtet dem Erasmus (5. Februar) über seine und des Carinus Bemühungen bei Dr. G^org, dem Karthäuser und dem Kanzler, um eine im Besitze des Dr. Fabricius gewesene Handschrift des Büchleins Tertullian's ,de spectaculis^ dem Erasmus zugänglich zu machen. Der Schreiber des Briefes hat mittlerweile die Witwe des Dr. Fabricius geheiratet; diese aber behauptet, jene Handschrift sei wohl mit anderen nach Spanien gekommen und dort viel- leicht zu Grunde gegangen. Er schildert nun die Forschungen, die er angestellt, um dem Tertullian dennoch auf die Spur zu kommen, und bietet sich an, zwei andere Codices: den Dionysius Areopagita und den Polykrates an ihn zu senden, wenn Eras- mus sie vielleicht zur Vergleichung brauchen könne, oder aber interpretiren oder bei Froben, dem er sich gerne gefUUig er- weisen möchte, erscheinen lassen wolle. Er habe übrigens auch an den Dr. Matthias, den Official zu Trier, geschrieben, den besten Freund des Fabricius, ob er nichts von Tertullian wisse.

Der Arzt Hubert Barlandus (Strassburg, 30. December) schimpft sich über die xs^jl^cttj ohaia und die Astrologie aus, die ihn in Kosten und Mühen gebracht, und spricht von seiner Sehnsucht nach Tübingen, wo die Zierde des Jahrhunderts in der mathe- matischen Wissenschaft, Johann Stoffler, lehre; es brenne ihm der Boden unter den Füssen, er ärgere sich über seine Eltern,

1 Erasmi Opera III, p. 1106.

61^

792 HorAwits.

die Bellen Antwort geben und wenig Geld schicken. Eppen- dorf (Effendorfius) habe ihn wenigstens heute zum Mittagsmahl eingeladen, bei dem er auch ßaocXtxu)^ gegessen habe; auch Erasmus sei erwähnt worden. Eppendorf habe sich geäassert, dass er Tag für Tag auf einen Brief seines Fürsten warte, demzufolge er dann entweder nach Frankreich oder an den Hof seines Fürsten reisen werde.

Erasmus antwortet in sehr ausführlicher Weise am 8. Juni 1529.^ Man entnimmt dem Schreiben, dass Barlandus, den er Medicus nennt, doch fortgewandert sei, Erasmus schreibt ihm ausführlich über des Stunica Dummheiten, weil er wisse, dass er sehr ^tkö^t)^^ sei, und spricht es aus, wie sehr er seine Ent- fernung bedaure; er wünsche nur, dass er sich der adamata bemächtigen möge.^ Nochmals in demselben Jahre erwähnte Erasmus des Barlandus wegen eines Spitznamens, den er seinem Famulus Talesius gab.^

Vom 25. März 1528 aus LOwen ist ein fast unleserlicher Brief des Johannes Borsalus, Canonicus von Middelburg, später Dechant, datirt. Er meldet darin die Ankunft des Briefes, den Quirinus am 13. März von Erasmus überbracht habe, und des vorzüglichen, kürzlich erschienenen Werkes ,de recta sermonis cum graeci, tum latini pronunciatione', das er ,unserem' Maxi- milian gewidmet^ wodurch er nicht blos diesen, sondern auch seinen den Erasmus so sehr liebenden Vater über Alles erfreut habe.* Er hüpfe vor Freuden und küsse das Buch; wenn aber Erasmus (in der praefatio) unter den Sodales auch den Maximilian vor Iselstein nennt, so ist der nimmer da, sondern schon vor drei Jahren zum Cardinal von Lüttich gekommen, kürzlich aber vor einigen Monaten an den kaiserlichen Hof nach Spanien gereist. Er sitze hier im Lehrjahre fest und wohl noch das nächste Jahr, denn ,dominus noster' habe seinen

1 Erami Opera m, p. 1194—1202.

2 Ibid., p. 1194—1202. s Ibid., p. 1222.

^ £^ iBt der junge, im Knabenalter stehende Blaximilian von Bnrgand ge- meint. Vgl. die hübsche Dedicationsepistel zu dem 1528 bei Proben er- Hchienenen Werke. Den Bor.sa.Iu8 rühmt er dort mit den Worten: Joanne Bornalo, Decano VerienHi, viro cum egregie docto tum singnlari moram integ^tate sanctitateque praedito.

Ensmiaa». m. 793

Sinn geändert, wahrscheinlich wegen der allgemeinen Kriegs- gefahr, deren Ende man nicht absehen könne. Den Quirinus habe er nach Kräften dem Herrn von Bevem empfohlen, was wegen des Lobes, das E^asmus spendete, leicht war. Er reise nach Zeeland, um dieses Buch des Erasmus und den Brief seinem Herrn zu zeigen, denn von allen Briefen, die er früher erhielt, habe Max stets an seinen Bruder ein Exemplar ge- schickt. — Der Ueberbringer, ein Friese, habe ihm diesen Brief abgepresst, um dadurch Gelegenheit zu gewinnen, den Erasmus zu begrüssen. Gerne schreiben die Correspondenten Erfreu- liches. So sendet auch aus Aberdeen (26. Mai) Hector Boe- thius Deidonatus ein Schreiben dieser Art an Erasmus. Johannes Bibliopengus (Buchbinder?), ein ziemlich gelehrter Jüngling aus Dänemark, natürlich ein Verehrer des Erasmus, war sehr erfreut, als er in Aberdeen Gesinnungsgenossen fand, und sah mit ausserordentlichem Vergnügen , dass daselbst Studirende der heiligen Schrift die Paraphrasen in Händen hätten, die didaktischen und pädagogischen Werke des Erasmus aber so begierig gelesen würden, dass derjenige, der sich damit nicht so befasste, von den Genossen nicht als Studieneifriger betrachtet würde. Nachdem dieser Johannes nach der Ursache der Ergebenheit gegen Erasmus geforscht, erfuhr er, dass die Häupter dieser Schule einstens Hörer des Erasmus gewesen seien. Und um ihm die Sache klar zu machen, so erzähle er, der sozusagen die Fundamente für das Studium zu Aber- deen gelegt, dass er vor zweiunddreissig Jahren im Mons Acu- tus zu Paris mit Erasmus gelebt, wo dieser einige heilige Hand- schriften erklärte und seine Bewunderung durch ausgezeichnete Gelehrsamkeit und beispiellos bescheidenes Wesen erregt habe. . . . Abgesehen von seiner ausserordentlichen Kenntniss der römischen und griechischen Literatur, welche Kenntnisse der Philosophie und Theologie, der er sich vom Anfange an ge- widmet habe, welches Feuer im Lehren, welcher Glanz des Styles, welche Sorgsamkeit um die Erhaltung des wahren Glaubens, welche Kenntniss aller Orte, wohin Menschen dringen können ! Erasmus sei fUr alle Gelehrten ein Gegenstand der Bewunderung; nicht minder für die Bekenner des Christen- thums, Gelehrsamkeit und Frömmigkeit seien bei ihm vereint. Er sei der Gelehrteste unter allen Gelehrten, er prophezeie

794 Horawitz.

ihm den Nachruhm u. 8. w. Uebrigens will der Schreiber des Briefes daftir sorgen, dass ihm die Jugend in Äberdeen als den besten Vater der Wissenschaften betrachte, seinen Namen verehre und hochhalte, seinen der Unsterblichkeit würdigen Ruhm besinge u. s. w., kurz er möge die Schule von Äberdeen als die seine betrachten, die seinen Werken mehr als denen der übrigen Menschen ergeben ist.

Von dem bekannten späteren Diplomaten Christoph von Carlowitz ist nur das Fragment eines Briefes vorhanden (16. Juni, Besan90n), in dem er den Tod des Archidiaconus von Be8an9on, Fericus Carondiletus, des Bruders des Erzbischofs von Palermo, meldet.^ Carlowitz erzählt, dass er nach Besan9on gereist, nicht um Döle gänzlich zu verlassen, sondern um von den Gewohnheiten der Deutschen, deren dort eine übermässig grosse Zahl sei, loszukommen und dadurch besser französisch zu lernen. Wenn Erasmus an den Herzog von Sachsen schreibe, solle er seine Empfehlimg erneuern.

Wir erinnern uns des Briefes des Arztes ,Anthoninu8', in dem die Verdienste Johannes HenckeTs gepriesen werden. Aus dem Jahre 1528 (datirt 18. Juli, Oedenburg) besitzen wir nun selbst einen Brief dieses flir den Erasmianismus im Osten wichtigen Mannes.2 Auf Anthoninus schiebt Henckel die Schuld seines Schreibens, nicht minder auf die Leutseligkeit des Elras- mus, der ihm geschrieben. Mit tiefer Trauer müsse er ihm melden, dass Anthoninus wohl in Folge seiner gar zu anstrengen-

> Cf. Erasmi Opera III, p. 1090.

' Ueber die Geschichte des ihm von Houckel zugesendeten Bechers cf. den Brief des Olkh Miklös an Henckel in dem für den Humanlsmns bei den südöstlichen Völkern sehr belehrenden Buche Olih Miklös II. Lajos is Miria Kirälynd tiikira, at6bb magy. orsz. canceUÄr eszteigomi 6rsek prim^ ^s kir. helytartö Kevelezöse kOsli Ipolyi Arnold, Budapest 1875, p. 14. Den Becher erhielt Erasmus sammt Briefen der Königin von Ungarn und HenckeFs am 7. Juli lö30. Ibid., p. 70 schreibt Erasmus an OIAh: Henckellus, cuins autoritas apud me plurimum habet ponderis. p. 146 Brief des J. Longolius an Henckel parochus Schueidni- censis. Cf. auch ibid., p. 243, dann 262 ff. den Brief HenckePs an Olah, in dem der jüngere J. Henckel ,nepos ex fratre meo' erwähnt wird, der mit unserem Henckel nicht verwechselt werden darf. Besonders werth- voll aber ist der Brief an Erasmus vom 26. November 1622 (Levelez^äe 965), datirt Bergis Hannoniae, in dem auch Quirinus erwähnt wird.

Enamiftn». HI. 796

den medicinischen Studien im vergangenen Winter wahnsinnig geworden sei; man musste ihm sogar Handschellen anlegen. Die Hoffnung der Aerzte, dass es mit der besseren Jahreszeit auch besser werde, trog, nun könne man ihm nur den Tod wünschen. In grosser Trauer wendet er sich sodann zu seinen Angelegenheiten. Er sei dieser Tage zu seiner Königin zurück- gekehrt, die inmitten der Bedrängniss zu verlassen er genöthigt gewesen sei. Jetzt predige er an diesem Hofe, den er mit Lobsprüchen überhäuft; man glaube nicht im Frauengemach, sondern in einer Schule zu sein, immer sind Bücher zur Hand, man lehrt, lernt und tröstet die Witwenschaft. Die Königin las täglich die Paraphrasen, früher deutsch, jetzt lateinisch. Sie liebt den Erasmus deshalb wegen seiner edlen Arbeiten, er solle sie durch ein neues wohl literarisches Geschenk erfreuen, er werde sich dadurch nicht blos die Königin, son- dern alle Gattinen und Witwen zu Dank verpflichten. Schliess- lich kann er nicht umhin, zu bemerken: ,Misi ad te hoc exem- plo alteras ^ cauere mihi volens ab hiis quibus literae praedae esse consueuerant.^

Aus Brügge schreibt (6. März 1 529) der J.U. Doctor, Scholaster 1629 und Canonicus S. Donatiani, Jacob Johannes Ferynus. Livinus habe ihn trotz seiner Beschäftigung bewogen, dass er geschrieben, er wünsche recht gute Gesundheit, denn was leiste Erasmus in seinem vorgeschrittenen Alter zum Nutzen des Staates! Wie habe er doch Luther, den schrecklichen Wilden niedergestreckt und nun den Augustinus endlich zum Abschlüsse gebracht! Was ihn anlange, so lebe er hier als Reconvalescent von seiner so höchst verderblichen Schweisskrankheit. Durch Laurinus' ^ (der sich wohl befinde) Güte sei er zum Scholastiker des CoUegiums des S. Donatianus erhoben worden. Der Greis Karl, Robert und die Schwester, alle Verehrer des Erasmus seien von der Seuche hinweggerafft worden, ebenso vier Kinder der FamiUe, und das in wenigen Tagen, so zwar, dass er aus dem leeren Palast des Fürsten in eine allerdings nicht stattliche, aber für die Studien passende und den Freunden nahe Behausung, nicht weit vom

1 Henckel unterschreibt sich : ßerenissimae Reg^nae Hungariae et Bohemiae Mariae viduae a contionibus et a consilüs, parochus Cassouiensis.

3 Coadjutor des Decans des heiligen Donatianusklosters za Brügge; cf. Hora- witz, M. LipsiuB, p. 22.

796 Horawits.

Hause des Lanrinus, übersiedelt. Wenn Erasmus hieher aus dem aufgeregten Deutschland eilen wolle ^ so werde er ihm and dem Laurin sehr zu Danke kommen.

Eben von jenem Livinus Ammonius,* der in des Erasmus Correspondenz so häufig vorkommt, ist ein ftir die so reiche geistige Thätigkeit Belgiens sehr charakteristischer Brief aus dem Jahre 1529 in unserer Sammlung vorhanden. Auch diese Angaben führen wieder auf die oft zu beobachtende literargeschichtliche Thatsache einer bedeutenden Anzahl von CoUaboratoren bei Erasmus' grossen Werken. Livinus erwähnt im Eingange seines sehr weitläufigen Schreibens, er habe schon früher einen, wie er flbrchten müsse, allzu geschwätzigen Brief an ihn, den durch Arbeiten Beschwerten und von den sinnlosen Tumulten und Aufständen der sogenannten Evangelischen Be- lagerten gerichtet. Aus der Feme, in der sicheren Karthause im Walde des S. Martinus (in Sjlva diui Martini), mag sich die Sache schrecklich ausgenommen haben; Ammonius sieht den geliebten greisen Gelehrten von den furchtbarsten Gefahren umlagert, sein Leben stündlich bedroht und betet täglich fiir die Rettung des Meisters. Denn mit der Gefährdung seines Lebens seien nicht blos die schönen Wissenschaften, sondern auch das Studium der reineren Theologie gefährdet. Zu diesem Briefe habe ihn denn auch nur die unbändige Liebe zu ihm und Karl von Utenhoven's Ausspruch getrieben , der ihm gesagt, dass Erasmus an seinen Zuschriften Freude habe und ihm einen Gruss an Erasmus auftrug. Was ihm befohlen wurde, habe er an Erasmus Schetus geschickt. Er wünscht übrigens nicht, dass sein Schreiben von Jemandem gelesen werde und thut sehr geheimnissvoll damit. Er dankt weiters dem Erasmus für die ehrenvolle Erwähnung in der Vorrede zum Chrysostomns, wo er ihn unter die Reihe der ,Feliciora ingenia' rechnet; er habe ihn damit wohl beim Ohre zupfen und ihm zeigen wollen? wie er ihn haben wolle. Möchte er doch ein Solcher sein! Er dankt ihm für diesen Beweis des Wohlwollens und für die Dedication des Chrjsostomus an Utenhoven, wodurch er den Chrysostomus eigentlich ihnen Allen dedicirt habe. Dadurch habe er aber eigentlich nur den Hunger nach der reichbesetzten

1 Erasmi Opera III, p. 1 1 65 : L. A. vir eruditione juxta ac pietate ineignis.

Erumiana. m. 797

Tafel geweckt, an der man sich gerne satt essen möchte. Einen aus der Reihe der dort Genannten habe mittlerweile der Tod fortgerissen, den Antonius Clava, der ihm testamentarisch drei griechische Bücher vermacht habe, nämlich eine Bibel, ^ero- dotum tuum' und Plutarch's Moralia. Erasmus möge doch des Oava öffentlich gedenken. Auch der favji)\kopo<; Ceratinus sei ge- storben; doch genug nun von dem Traurigen, er müsse ihm ja für die Witze über einen gewissen Anticomarita danken, über die Alles gelacht habe, der aber wohl niemals anders werden dürfte. Er habe erfahren, dass Erasmus sammt seiner Habe sicher von Basel nach Freiburg gekommen sei. Er glaube aber, Erasmus bemühe sich, einen Ort zu finden, der ihm Sicherheit und Ruhe für den letzten Act seines Lebens biete, und habe wohl Italien oder Frankreich ins Auge gefasst. Er jedoch rathe ihm, allen anderen Menschen Valet zu sagen und Gent zu wählen. Hier werde er grosse Veränderungen finden; der Senat von ganz Flandern ist vom Herzen erasmisch gesinnt. Ein grosser Theil der Mönche habe sich vom Aberglauben zur Frömmigkeit erhoben, und wenn Liebhaber des Alten übrig sind, <p6ß(i) iQauxiov xfoutTtv. Er wage es zu behaupten, dass in der ganzen Christenheit keine Stadt sei, in welcher das Evan- gelium so viel gepredigt werde und Erasmus so viele echte Freunde besitze. ,Du kennst ja die Sitten deiner Landsleute, die so unfähig sind, zu heuchelnd Und nun führt er die Freunde auf, die Erasmus hieher ziehen sollen, vor Allen den Audo- marus Eding, der allein genügen würde, ein Mensch ,Gratiis gratiosior', den er mit Lobsprüchen überhäuft. Wolle Erasmus in der Stadt wohnen, so werde er sich Mühe geben, dass er dort nicht bloss gut und anständig, sondern auch prächtig leben könne, wolle er dagegen auf dem Lande leben, so werde er ihm ein Asyl anbieten, wo er ganz ruhig, fem von allem Ge- wirre, philosophiren könne. Er beschreibt nun diesen Ort: ,est autem locus placide supinus, mille propemodum passus a mon- ticulis hie inde distans coelo saluberrimo, scaturigine fontium, cam- porumque virore quaquaversum patet aspectus peramoenus plus- culum semotus a cohabitatione caeterorum, ad philosophiam commodissimus. Domus ipsa in aeditiorem paulo caeteris cespi- tem substructa in morem insulae circumstagnantibus aquis mu- nitur, ad quam nisi per pontem eumque solutilem non patet

798 Horawits. EnsmianA. III.

accessus/ Als Nachbarn aber habe er den Abt Rufaltius des heiligen Hadriansklosters auf dem Gerardsberge, den Ritter Franciscus Massenius; der Patron aller Studirenden und auch der seine sei, dann ihn und endlich Eding. Und das Alles inner- halb tausend Schritte! Was ftU* ein Freund er sei^ wolle er dann durch die Gegenwart bezeugen. Wahrlich, dieser Land- aufenthalt würde auch einem Fürsten zur Annehmlichkeit ge- reichen: die Besitzung heisst Hasseletum, ist aber nicht das, woher jener Minorite Franciscus Titelmann von Löwen (male feriatus) herstamme,^ sondern ein weitaus anderes, denn dieses erzeugt keine Leute, die ihre Müsse so schlecht nützen. Doch er habe das Mass eines Briefes bei Weitem überschritten und bitte ihn nur um das Eine aufs Neue, dass er nirgend anders hinwandere als nach Gent. ,Nicht umsonst hast Dn diese Stadt durch Deine Loberhebungen geziert,'' sie selbst wünscht nun zu zeigen, mit wie viel Recht Du dies gethan!

In einem Postscript berichtet er, dass ihm Jemand gesagt, opus de vocatione gentium hactenus Ambrosii titulo citatum in monasterio Septem Fontium apud Bruxellam alium in fronte autorem praeferre. Der Mann könne sich aber, obwohl er es gesehen, doch nicht recht daran erinnern, er aber habe auch nicht Zeit, nachzuforschen. Wenn übrigens Erasmus es befehle, so werde er sich Mühe geben, es herauszubringen. Beinahe hätte er aber noch Eines vergessen, eine Note zu Acta App. c. Vn. p. 277; er sei dabei nicht recht aufmerksam gewesen, Erasmus möge verzeihen.

1 Erssmi Opera III, p. 1169A wird von seinen Progymnasmata gesprochen.

^ Livinus citirt mit feiner Artigkeit beinahe die Worte des Lobsprucbes des Erasmus, welche dieser in der Vorrede in aliquot Opuscula Chrjrso- stomi Graeca gethan : cf. Erasmi Opera III, p. 1 153 ff.

Scbncbardi. Kreoliaehe Studien. 11. 799

'D

Kreolische Studien.

Von

Hugo Sphuohardt,

<

corr. Mitglied der kais. Akademie der Wissenschaften.

IL Ueber das Indoportngiesisehe von Coehlm.

Wer voB ylndoportugiesisch' redet, pflegt darunter aus- schliesslich das entartete Portugiesisch zu verstehen, welches noch auf Ceylon gesprochen wird. Eigene Nachforschungen haben mich davon überzeugt, dass auf dem indischen Festlande sehr ähnliche Dialccte existiren; das Folgende bilde den ersten Beitrag zu ihrer Kenntniss. Ueber die Ursprünge und den Charakter dieses Indoportugiesischen, das seine Arme nach China und in den südöstlichen Archipel ausstreckt, und dessen geringe Variationsweite uns vorderhand befremdet, wird man erst dann sicb^ äussern können , wenn hinlängliches Material beisammen sein wird.

Sc. Hochwürden der anglicanische Bischof TOn Travancore hatte die ausserordentliche Güte, wofür ich ihm meinen ver- bindlichsten Dank abstatte, mir zweimal Proben des zu Cochim gesprochenen portugiesischen Dialects zu übersenden. Die der ersten Sendung (B) rühren von einem Herrn Pedro zu Cochim her; wer die der zweiten {A) niedergeschrieben hat, ist mir nicht bekannt. Die Sprachfkrbung ist in beiden eine wesentlich verschiedene, was ich mir nur so zu erklären vermag, dass A die kreolische Mundart in ihrer natürlichen, charakteristischen Ausprägung darstellt, B jedoch in einer der Schriftsprache angenäherten Gestalt, wozu sich auch die grössten- theils religiöse Materie eignet. Zwei Liedchen, die hier am Schluss stehen, sind sogar in reinem, wenn auch nicht feinem

800 Scbnebardt.

Portugiesisch.' Wo sich einmal eine kreolische Mundart fixirt hat, wird zwischen ihr und der europäischen Grundsprache, falls sie ebenda irgendwie cultivirt wird, eine Scala von Kreu- zungen oder Uebergängen hervortreten. Es ist wichtig, diese hybriden Bildungen kennen zu lernen, in denen ja doch der anfängliche Process sich gewissermassen weiterspinnt. Fast alle, die sich in kreolischer Poesie versucht haben, sind bald un- willkürlich in die Cultursprache verfallen, bald haben sie ge- zwungene Anleihen bei derselben gemacht. Solche heterogene Elemente muss der, welcher sich mit kreolischen Studien be- schäftigt, auszuscheiden wissen. Wiederum vermögen auch die gebildeten Colonisten beim Gebrauch des europäischen Idioms nicht, sich der kreolischen Einflüsse vollständig zu erwehren. Dass B einen bestimmten Sprachtypus darstelle, lässt sich schwer denken; ein derartiges Gemisch wird wohl nur bei gewissen Gelegenheiten sich als Verständigungsmittel entwickeln. Daher ist es vielleicht besser, hier nicht sowohl ein verfeinertes Kreolisch zu sehen, als ein vemachlässigtes Portugiesisch, in welchem fast nur die negativen Züge des Kreolischen durch- schimmern. Wir werden an jene Denkmäler des beginnenden Mittelalters erinnert, in denen sich der Einfluss der lateinischen Volksmundarten verräth.

I Das eine besteht in biblischen Denkversen:

Adao foi primeitv Que peccou no mundo u. s. w. Das andere, ,zu Cochim sehr bekannt*, lautet:

1. Palria amada, patria amada, Perdi pai e mos tambem, M(u ainda hao perdi

A lembraw^a do meu hem,

2. Oaitei tempo^ ferro e bronze E at pedras contume tamheniy Mas ainda nao perdi

A lembran^a do meu heim.

Ein sehr fragmentarisches Exemplar des dritten Bandes der ,/2tma4 de J. X. Mat09% welches mir ein in Cochim ansässiger Herr als Document des dort gesprochenen Patois schickte, lässt keinen Schluss darauf zu, wie weit man sich in jener Stadt noch mit portugiesischer Lite- ratur beschäftigt, sondern zeigt nur, dass der Unterschied zwischen Kreolisch und Portugiesisch über die engsten Kreise hinaus nicht be- kannt ist.

KreolitelM Stadien. U. 801

Ich habe in il und Ä die Schreibung durchaus so be- lassen, wie ich sie fand, obwohl zahlreiche Inconsequenzen und Flüchtigkeiten unangenehm in die Augen fallen; der Begrün- dung dieses Verfahrens glaube ich überhoben zu sein. Nur der Interpunction habe ich mich angenommen, welche beson- ders in A auf sinnstörende Weise vernachlässigt ist.^ B war von einer Uebersetzung begleitet; A nicht. Was mir hier dunkel blieb, habe ich theils unter dem Texte, theils in den sprachlichen Bemerkungen ausdrücklich bezeichnet.

A. Encontra entres amigos arizlnhados.

Einkaufen von Krebsen.

,Bom dia, Senkor, quüai tem sattdeP

,Tem bamy muito merce; que novesP

,Nuca Quvi nada partictdar de falar. Hojo aedo eu jafci po7' Aracudy por compre caringtiejo. Eu ja olha all baatanti camh'om grandi e pequinino, Orande he fresco buniio por faze 5 alaihi (ou azetipimenta)y e camh'om pequinino nuca vdU; tudo ja Jica podri, Mas caHnguejo bem pouco ; eu ja acha dez carin- guejo, Todo tem ouvo bem dilicado por fazer temprado,^

,M<M quanto jada por dez caringuejo V

,0! eu jada dos fano, Pouco car he; mas que pode faze ! lo si quere cume, meste paga^ syo caro, Mas na niez de Nevembro, Dezembro hastanti caringuejo lo acha/

jAquelora lo acha bastanti e tem bom carni tambemJ

Fischfang.

fVambos nos vai pesca hojeV

fVambos vai/ 15

^Parqvi te vaif agora näo tem mare por pegue mahm/^

^ Vertheilnng der Gespräche unter die Personen findet sich nicht; ich habe sie nach meinem Gntdünken, aber nicht su meiner vOUigen Be- friedigung ausgeführt.

> Ein Fisch.

802 Sehvchftrdt.

yQuem ja fcdaf agara lern bom man'e por pegue malom. Ante tarde jafoi dos manchu no98a jenUy eada mancku ja pega sinco peixi. 8i nos vat^ nos lo pegue peixi, sigur/ 20 jAntos faxe pronto. Nos pode vai jueto sineo hora/

yVoBse mez^ eompre isea; eti lo faze pronto corda, faiet e taruu/

,Vo8Be podi impresta por mi hum anzolP

yDeixa eu olha si tem na cazaj 25 jQitelai ja passa ante su peecaria P

yJa paaea bom, Mas peixi bem ladräo, te tama isca $em faze Sinti, Eu ja maia dos peixi ordenado^; eu ja sinte peixi bem tardi, ja tinha 8 hora de noite. Vicente ja mata hum peixe grande de ouvo bem. dilicado. Eu ja male depois inguia grande 30 tres. Mas he grande mizerioy qande pegue inguia noite; cupuU, qande cai tui maiiuJiua, lo daf\fica tudo Unha e nuca vale por cari; mas p<yr salga e faze caruvado bem gostozo,'

,Hoje A, [so?] toma logo vaiP

,Eu toma deixe vi junto V 35 yBom, podi vi junto, mas hum coza. 8e vos lo mata peixi,

meste faze igoal quinho. Eu si lo mate^ eu tama lo faze mesmo modo/

yTem bom, Senhor, Si nos tem furtuna, nos h mata bom peixi, sejo jatem por conta de manchu su luguer,^ ^Q ,Hoje noite agu htzenfi. No he bom mare, Vambos vai por

caza, Jatem 8 hora passado; jente de caza totem esperando por nos, Amanhä didia nos podi vai por pesca bagri com chin- gati, Puixa faiez, omi/

jVambos nos vai por caza; hojo su pescaria azniaqäo ^(^completo/

yCabega de bagri dilicado por faze seco seco, por toca boca com apa ou bolo queiiti quenti; mais antes meste doli bom ca de grog, aquelora lo tem bom apetita/

FeRt; Unglück des Präsidenten.

yEste anno festa de Paliport bem tristi, prezidenf^ com das ^osfia criangas ja quime com polvra; tudo tem na grande perigo

* = meatnof ^ me$Uf Aber dieae Formen erscheinen weiter unten uu-

verkttrxt. ^ ordinariof

KreoliMhe Stadien, n. 803

de morte. Dos criangas ja more onUy inda tem prezidente com hum servidor na perigo; jenü te fcUa que nada escapa. Prezi- dente diz que he bem cainhozo ^ ; nu tem da esmola por pobres coma outro prezidentea passado. Este anno bem pouco jenti lo vai po9* festa de Paliport. 6 de Agosto lo caba festa,^ 55

Ortswechsel ; schweres Leben.

jSenhor Jazinho, que dia vosse te parti por VaincuJidV

yNuca fica seguro inda; podi ser nesti semanJ

,Agora alli he bom tempOy nutem muito febri, Nos quatro pesso tarne tem lembranga por vai busca algum servigo ; na nossa terra ja nutem remedi por passe vida/ 60

fQuanto lo pedi dividaV

,Nos, quanto lo santa na caza^ Vosse sabe: „quem quer ande^ quem niquer mande*'; porisso si busca lo ache, assi quelai tefala: „o diligenti lo fica ricOj o perguisozo cada vez lo vai discavido/' Por* isso he qui nos quere vai busque.^ 65

,Mas, amigo, por conserta fermento, nada nutem na mo> Qui vida lo fazef Com quem lo vale e pedif Qui lo fazeV

^este busca hum remedi; Deos he grandi/

Taufe; s. unten.

fOuviy Senhcyi*, hoje tem hum bautizadaJ

yDi quemV 70

^Crianga de Miglinho, Vosse lo vaiP

,Eu nu tem sigur/

,Vi, omif nos podi vai doli dos cantigo/

jDeixa olhe, talves nos podi vai junto,^

Gerösteter Reis: Feste.

,Quelai ja passa Putari ' f ja mella avela P '^^

yQui te fala, Nona Anji, ja mella avelaV ,0 ja passa hum modo. Esti anno invemo muito forti; varjeiros^ ja sufri grandi perdigom. Avella bem pouca ja pile.

^ = port. eainko (veraltet), ^knickerig*.

' Diese beiden S&tze (and natürlich auch ihre Vertheilang) sind mir nicht

völlig klar: , Wieviel werdet Ihr Anlehen verlangen?' (vgl. nnten 115)

,Soviel wir auf das Hans aufnehmen werden.' ? ' 8. September. * Von varje (vulgär) = vartea.

804 Schucbardt.

Criangas iinka eondina ' por mi qui ja fica obrigado de pila pauco avdla, Por quem ja vi, tama jada ; noa tama ja cwn^. 80 Aqud dia tarne ja paaea.'

,Ainde iem vare de Oitubro dia de Samatre, bom fegta de kancho e ecdtäo/

Reise des Gouverneurs.

fiuvi^ Acha Peniy que novea tem de vinda de govemador de MadraataV 85 ^Oy die lo chega na fim deate mez (31 de Agoato). Tudo

jenti de Cochim e Vaipim ja faze miting por dar piti^o por governo aobre tax de mumcipal por faze menua, CommiaaioneroB de municipal te faze preparo por receber por govemador; Irw partidea te prepere addreaao por preaente por governo/ 90 jQuie diz, Senhor Mano f aaaim govemador tarne ja chega

na 6^/2 de manhäo hojoV

, Ouvif Sinhor, tudo eati grandi jenti te vi, te vai, Por nos nutem nehum bondade! nekum aerviqo tama näo quer ordene por noa por paaaa noaaa dia e noaaa familia. Oovemo ja Jica mnüo 95 triati, quando ja ouvi cauz de Vaipim ; tem na kum triate eatadoy pode aer que lo faze algum bondade, ai eile quere, Tem notida que governo lo vai por Trivandrum logo; te vai por encontra por rei d^alli. Govemador te parece coma bom home, e eu te parece que lotem quazi 60 annoa de idade. Noaaa ainhor bispo jafoi 100 por encontre por govemador e ja jica recebido com grande atten- gäo e reapeito. Oovemador ja jica contentey quiöra ja oUia redi chinay quando ja paaaa por caminho de cidade ; pouco hora ja inipe por olha quelai te bota redi e te puixa. Maa aquelle hora nehum pexi nuca cai na redi. E diapoa govemador com outro gentt 105 baatantOy com aenhor aenhory tudo jafoi por lugar de Light House, E diapoa na retoma ja entre na igreja catholica de ddadi. E logo ja aahi e ja parti por BolgdtH. Naquele dia tinha grande jante por govemado^^ conta de rei* Na meamo noiti governo com outro au jenti ja parti por Trivandrum. Maa ja ouvi qui gover- no nador nuca vai olha por rei d'alli, por caua que kum peaao de familha de rei ja morre. Oovemo com au jente jafoi por Ma- draaia por outro caminho, Ellotro qui tem falla senhor , pesso

* ^ candemnar, ^tadeln*; wegen n mn vgl. danfica 31.

KieoHiclie Studien. 11. 805

de grande paga, guiora te lembre pode vai, quiora te hmbi's pode vL Coitadinho de nos pobrel si qwre vai hum lugar^ com quem tudo meste vale de dimdal ^ tarne tem grande travalho por 115 acha divida. Nossa coza nute qui fale. Hajo por cuze aras,^ nutem na coza» Qui vida lo faze^ nuca sabeJ

Geburtstag.

jOuvij omi, haß tem hum bom dia, hoje he anno de Acha PenL Vamibs nos vai da folga muito , vamos vai, talvez nos h passa bom. Acha Joaquim, Acha Pedrinho, Acha Domingo tudo 120 lotem. Si tem cazio, podi canta dos cantigo; bastanto dia Jä- tern qtd ja cantaJ

Arbeit suchen.

jOuvi, omi, vosse tem algum servigo agoraV ^Nutem nada, Ea, jatem mas que hum mez que eu ja pega escopro macety na mo. Dos semana eu jafoi por sirvi na barco 125 na mar fora ; hum suman ja sirvi , com dos dia depos ja caba sirvigo. Eu tem lembranga por vai por Vainaad por busca hum sirvigo. Aquijica nuca vale/

,Vosse si quere vi, nos podi vai junto.^

»

Taufe.

^ojo tem hum bautizüda, crianga de Acha Nicolo. Vosse iso tem comvidadof^

jPoT mi ja convida.^

,Vosse lo vaiV %

; Vamos olhay talvez eu lo vaiJ

y Viy Sinhor, nos tudo podi vai e junto podi saiJ 135

,Quem he padrinho de crianga e madrinhoP

,Acha Mano com muther}

yQuiora he bauUzadoV

,Acha Padri meste vi de cidadi; lo fica sinco ora.*

fAssim cabou bautizado.^ 140

f Folga muito, Senhor Padrinho e MadrinhOf folga muito, Acha Nicolo e autro mas famiUa,^

1 Kicht ganz klar. ,Weii Alles müssen wir um Anleihen angehen?^ vgl. 61. 67.

Sitsiui«tb«r. d. phil.-biit. Cl. CU. Bd. IL Hit 52

< I

806 ' Sckachurdi,

;F<«;e. inage paua dentro^- vßmo^^nq9,tumia kam cofid^AhaJ ./Ssm. SinkoT. nssHchuiva bem ioni/.

y^u te lembre qui jatem aif ora passadoJ ^Acha NicolOf da libeiyiadei.pbf^inos; ja he tardi/ 160 . i , Esperp, SißhoTf ni^tiar^J^j^e^ , . . ^^ ., . ^

^Antßß.msete ^ctf^a per no«. , Da liberdAfd^ n^U h&roy j^ l^rdi jpor noit/4e ofifäerJiu^^^ ,7\ vA V/'l./. t •.

fEntäOf antes de prindpiar , vambos nos^ ''nfdha aarganto/,

166 .Com tudo prcaerJ t .■ ,

' f .1. .i! ., ;i "i .•. /.

,Acha Peni, faxe favor prindpiar/

Com sängfd de 'pr(>priä veai) ' ''''''' ''''''' ' ''• "• milaii(kte'e8crmmi,^' ''"'' '''' '''^" '' ''''''''^-

^' ' b>^' pon€68 mra)f^ ja 7näis''quiai^ä W'-^*^ ^'^ .

160'*'' ''^ •• \^'Jidd4äfnäräÜ'm^iy' ''"''^ *^;^"-^ ''''' ■''

Tu hade amar a nUml ''' ^ "VCh«r>v' "

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I. Hnm CoTkjeviai: ' ""^ '"" ""^'

^ttm c2ta eu tamou opptw^unidade, de, cov.tiar'afxuCOVi hum

^mulher sobre saivagäQ da^sua alfm^s JEu. p^fpjtntank Ma, $i eUa

foi salvado, A m^lh^ respcmd^^ ,,NäQy\8^Q^, :en. wto, pode

fallar que eu he salvado. Eu lefmbrifi :qM( Bem^hfUi^ p^flJW?^ ^

hmui forte por qualquer pessoa por dvzi9f.^„^iaß\^^ :yBiOi(nfy.\diz «u,

tjo* n9/Qrei^eOsChriMo^e,\nmi nacido,de,,no(i>(>,^.pfn:,certa

,, leste pergunta he mui forte por v0ü,\fßli9Tyyi^sin3^\ . ffijt, fuasi a

deesfiis a^nof qm\^\f!oi^Qlvad^, \nöQL.:par cq^Hm^, qm^sop^ pda

natureza melhor do que outro8^^$n^$^^(mfi9Ue^^ .por rea9o:jqu^:e».

milchS F. Blumentritt, Philipp. Vocab. S. 12. .... i.. .! .

3 Ist mir unverständlich. E»crev* euf

KraoHMi» StvdlM. U. 807

tamou fugar de hum culpado fBccadar diante de DeoB 0 eu ereo 10 no Senhw* J0$u Christo eoma men sahctdoTy e wu palavroa dedor rdk) ^ue f&r mim nida etemo, 6 en ereo nelle/ Entäo faUon a mulker: ^SenhoTj m sau htm. membro da igreja de ^ * ^ S9t6 de2»ei8 annos passadö 0 desde (tqudle tempo aU agora eu paga bom 8oma da dinheiro por suHente de miniatro e outro gastoeib de igrya e tamott trabalho de fazer com oa outroe ciquelle he dereito e espera na misericordia de Deos, porque eile he mieeri* cordiozo/ Respondeo eu: ^Verdade^ Deos he misericordiozo, Deoa näo pode mentir, e eile diz: „S^äo que renascer de novo, näo pode ver 0 reino de Deos.^^^ Digo entäo ei vos eoia naddo deViO novoJ Respondeo ella: ,N30j Senhor, eu näo lenibra que eu foi naacido de novo/ Entäo reapondeo eu: ^Voa näo posse ver 0 reino de Deosy si morre antes de nascer de novo; infemo serd voaao porqäOj 81 näo nasce de novo/ Entäo diz a mulher: ^Si aquelle he verdade, que valle pertenciar a hum igreja pagando dinheiro 2h por auatenie da igreja e depoia de todo eate vai no inferno, aenäo ncuddo de novoP Reapondeo eu: ,0 Senhor Jeau Chriato aozinho que aalva peccadorea. Na lugar ou parte de noa descangar na- quelle completa ou acabado obra de Christo ^ 0 Satanaa buaca para enganar voaaa alma conaolando voa com mentoa [oder muitoaf] 30 de voaaa charactro moral, voaao poaigäo de membro de igreja e de voaao bom obraa/ Entäo diz a mulher com auapir : ,Eu aoponha que devemoa fazer melhor que pode e eaperar na miaericordia de Deoa/ Depoia de algum mms palavros com eate mulher, eu mostrou ella sua falao eaperanga, 35

Eate mulher, meu querido leitor^ foi enganado pella diaJbOy o inimigo de Deoa e homena, com väo confianga que ella tiiiha no caminho por ceoa, ainda que foi nunca naacido de novo, Por fallar com hum pobre peccador que Deoa heida [hade] tamar eile no ceoa por cauaa que eile he huin membro da igreja e por muitoa 40 de aua bom obraa, näo ha [he ?] o evangelho de biblia, mos outro hum evangelho inventido pela Satanaa, ao a ßm de levar muitoa almaa no infemo. E poriaao, querido irmäo , cuidai de V08y näo deacangar voaaa alma na qualquer cou^a^, aenäo no Chriato noaaa Senhor e aquelle que eile fez na cruz. DeoafaUa: ,0 pagamento ^^ do peccado he a morte, maa a graga de Deoa he vida etemo

1 Joh. III, 3.

62*

808 Sehacli»rdt.

pda Jesu Christo nosso Senhor/^ Amat'cai entäo quemdaeUno näo ha [hef] pagamentOf mcui somente dorn tm graga de Deot 0 mesmo serd rscebido, e näo eomprado com prego algwma, E not

50 lemos outro vez: yPela gro/ga he qus sois salvas medianU a fe^ e isto näo vem de vos, porque he hum dorn de Deos; näo «em das nossas ohras, paraque ninguem se glorie/ PergunUis vos: fQue he necessario que eu faga para me salvarV Eu retponde no palavro de Escritura: ,Cre no Senhor Jesu Christo e tu $^at

saiva/ *

IL

Na hum certa cidade tinha hum muUier; por este mulhr tinha hum cazn. Hum dia esta caza pegou fogo. A muther fei bem activa e removeo todas suas fatas da stia caza, mas esque- cei de remover stM crianga que estava dormindo na versa dentro 5 de caza. Por fim eüa lembrou da sua crianga e andou com iodo apresiado para salvar sua crianga, Mas ja ero muito tarde; dk näo podia agora entrar na caza por causa de tanta ßamas de fogo, Julgai da suas tristezas e agonia^ gritando: fih! minha crianga! minha criangal^

10 Mesmo mode sera com muito peccador quem inteiro temp

da sua vida vai cuidozo e tribtdado sobre muito cousaSf ma» esquecido daquelle hum cousa necessario, a saher salvagäo dai almas, Que valli naquelle hora para hum fiomem fallar: ,Eii achou hum bom lugar ou bom ofßcio, mas perdeo minha alma;

Ib eu tem bastante camerados, mas Deos he meu inimigo; eu tivä em prazer, mas agora minha penas he etemo porgäo; eu envistio meu corpo com bunito vesHmentos, mas minha alma he nu diante de Deos. Oh! minha alma! minha alma!'

III.

Quando Abrahäo sentou na porta de sua tenda conform sua custume, esperando por accomoder estrangeros, eile olhau hum velho vindo sua pertOy quazi a centa annos de idade. Abra- häo recebeo este hörnern com todo bondßde, lavou seu pe e aperel- bhou cea e deu eüe lugar por sentar, Mas olhando que o veiko

1 Rom. IV, 28. » Act. XVI, 30 f.

Kreolltehtt Stadien. H. 809

c&mei (untes de pedir bensa de Deos eobre sua comery perguntou poi* que resäo eile näo adorou o Deoe dos ceosf 0 velho ftdlou que eile näo adorou eomente fogo e näo cunheceo oiUro nenhum Deos. Ahrahäo omndo eato ßcou raiva e botou fora o velho fara de 9tM tenda^ e eUe foi expozado por todos mal de noite na eon- 10 digäo que nunca lembrou. Qtiando o velho ja foiy Deos chamou Abrahäo e perguntou eobi*e o estrangero. Abrahäo respondeo: ,£u botou die fora, porquanto eile näo adora tV Entäo respondeo Deos: ,Eu suffrio eile este centa annos, ainda que die näo deo reepeüo a mim; näo podia vos suffrir eüe por hum noite, quando ^^ eile deo. vos 'nenhum trahalhoP Abrahäo ovind-o este, mandou trizer o velho outro vez na sua eaza e tratoti com grande ho* spide [bo!].

Vai nos faze mesmo mode, e vossa caridade achara recom- pensa pdla Deos de Abrahäo. 20

IT. Sprfiche tod Salomon.

/. Hörnern miserieordiozo faze bem por sua mesmo alma,

2. Misericordia dos malditos he erud.

3. Lingua da verdade sera establisido.

4. Testemunhos verdade livra as almcts,

5. Olhos de Deos tem na todo lugar.

6. Mdhor eorrecgäo aberto do que amor escondido,

7. Olhos dos homem nunea [?] satisfeito.

8. Caminhos das loucas he direito na sua mesmo olhos.

V. Sprichworter.

1. Prosperidade f€tzem[?] amigos.

2. Por errar he human, por perdoar he divino,

3. Sem trabalho näo tem ganho.

4. Oata escaldado temi agua fria.

5. Todo que luzia näo ha \hef] ouro.

6. Mdhor palha do que nada,

7. Tardanga näo ha mudanga,

8. Md pega mais mosquitos do que vinagre.

9. Agua calado sempre he fundo. 10. Born palavros custa nada.

810 «eb«eksrd«.* '<

Der Dialeet ron Cochim^ wie er «iok 19 A abspiegelt, ftllt im Wesendiohen mit dem toh Ceylon zusaiRmeii; die Differenz genau zq bestimmen^ bin ich jetzt webl so weniger im Stande^ ak mir für den letzteren erst noeli eis kleiner Theil der TerhältnissmAwig beträohtüehen LiteratiU' za Gebote steht, und er in dieser keineswegs eine ^^11% gleiche Phj* siognomie zeigt , was zum Theil auf zeitüefaer und ärdioher Ntkanoirung, zum Theil auf versehiedener AufiEsssung seitens der Missionäre beruhen mag. Insbesondere pflegt die Ortho graphie, sogar innerhalb einer und derselben Schrsft> eine ausserordentlich inconsequente zu sein. Das Bestreben, die portugiesische Schreibung beizubehalten, herrseht 2. B. in der Uebersetzung des Neuen Testamentes von 1826 bis zu einem ungebührlichen Grade vor. Wo man von der üeberlieferung abgeht, thut man wiederum oft nur halbe Schritte, und so be- gegnen uns viele Formen, welche weder echt portugiesisch, noch echt kreolisch sind. Aehnlich verhält .es sich in unsem Texten. Der Versuch, aus der launischen Verkleidung den gesprochenen Laut herauszuschälen^ lässt kein sicheres. Ergeb- niss erwarten. Doch sei hier auf das Eine und Andere auf- merksam gemacht, was etwas weitere Schatten wirft.

Im Portugiesischen bereits haben auslautendes unbetontes a, By 0 den Werth von «, i, u. Wenn nun in den Missions- publicationen von Ceylon vielfach auch so geschrieben wird, so haben wir es eben nicht mit einer neuen lautlichen Er- scheinimg, senden nur mit einer emancipirtan Schreibung zu thun. / für s findet sich oft in Aj z. B. hastantiy cami, grand^ luzenti, podn; u flir o nur in menus 87, vamus 119; e fiir a nur in noves 2, 83, ainde 81, wenn wir von einem zweifel- haften Falle absehen^ der in näheren Augenschein zu nehmen ist. Dass die allgemein functionirende Verbaifbrm^ mit sehr wenigen Ausnahmen, auf den Infinitiv zurückgeht und end- betont ist, ergibt sich für Maeao als sicher aus dortigen Texten, in denen Accente gesetzt sind (z. B. old, juddy entende, faze), ist mir flir Ceylon verschiedenen Anzeichen zufolge mehr als wahrscheinlich und würde auch flir Cochim von mir nicht in Zweifel gezogen werden, wenn nicht in A flir das auslautende verbale a häufig e geschrieben würde: eofnprs4. 21, pegue 16. 17. 19, mate 29. 36, deixe 34, quime ÖO, potM €0, aehe 63,

Ereoliflicb« ß^odiep, II. 811

IflO, aii«rel06^^iMf^ («ubßtantivif^h) JOS, ^^w^e llß.l48ijf!a^ llö neben. p^ga, fiutt^y. 44ixi^f p<w«<f, ,u.,$,,^. ^(iii.(i^<;iö, .^«^cfe ß?. .63. suä:di!vieU«i(()bfe .di^ Cotyoactiyfprm^ft dps p9rt^gip|8iacben;Sprichr

pr<<^ jwj<* U. 1^ !w>i, oder i^t; tÄ^toptCiß ^ i?^' e.U^^irgega^geni? ,Pip, lAtatcarie AftAf bloi$ i flqh^M ,dl^ jY^Wg P^ ,y erdiepe:p. IJ^e, imd ^, m^liwi^h ii^ideU; SJwte^j^HVvOn ßeylqp, wjjrd W^ y^ar^eh^i» (aH^j:; di«g^. nw; ; ld<^, ! WQi i aujoli di^ ,pqi;ti4gie8ißcii^A^r^fil|^e 4eA . Jpfini.try^^ setzen würde) das infinitivische r g^c)ir?[j^ben.i(/^ 4fw:i§6,,r^a^er,8,?, .y^^ ^s bietet pich sogar

^M^f?./2^ ><^H8'.¥w^fj?'(i; 4.;,i.,«nei,herzuleh^^^ (aucl In .Texfen^

TP». P^ylif»,!-? ,=T> :^M»ö.^>*«i: d^<r^p)f, Hi^g«^??. i8t.i?./^V* 23, 35.. 42. .57. 7f 74,.m. 129'.135 - i>oäS lo; 2Ö..95'.. 113.

^g «ip» difi ^Upr^ingp^^desJ^alb aufMlt, w^ auslautendes

«?*.J;«r]^l^ft,,,,,,2;cj^6^,,.fia^ .,vfe4eicht, dra eraten.SUt!e:,<<»npö9,,80. 90. .115, daf^r ,«a»na 36., 79'.. 93,

^m^M'^y' .•fr.^W°^n?':^U^ JS* die .^erkmft pines Wort^ diirch ,ßiß^ßchx^ih^g g^Iich verdunkelt wordep. JPas p^pi- tive Futurum wird mit lo, das negative init naaa umi^chrieben, z. B.. en Iq fqze 21, no^fa escapa 52. Man hat dies nooa für ^s .P^^lPgiesUc^ie^.wadft ,,niclf ts^. genommen, üb^ dessen Ver- ^en^uAg^^lßl y^^rbale.Negiitio^^

w.^sen. Y^re.,,, Abe]P w^r^pi wäre Ji^ida gerade nur teim Futu- i^m ge](;)rai^cli^ Y^of den ? pnd warum hätte, es ^ den Futurbegriflf in sich geschlossen, so dass lo darnach wegbliebe? ^ Die Schreibung

. ,¥(€irth; in c,^y\, i9hofna,rV"'Hsi(^'(f^^y») W^cht der (Abii^le C^j^sf^n^i^ seine ;WÄr)omg:/aui eim^ai u|i|>etont^n Afociil geJ^öi^d, wiei in .ft(|7)an,126.; Um- gekehrt, (^ffKil %^, Hi, U^ .fBr.<<?i^; vgl, ^a^?«)f* B 1. 1^^9- M»l ^W»r. 89.

, .^ JVtM« (ap^, qeben n^fifa^ .»fich .q^yL; Disalmil^^Qn lyi^ in pc^.l fom«^r)

. ih^ngege» i^. a^ s^cb, pr^erime ^^eg^Up^i *W^: ?W 8>. .»I'^'fl' caf .104,

nuca vai 110. Sij9 b^t, at>ei',4^. praesentisi^e nap .(das jf^mr. pebpi} ein

812 Selmchardt

nadey welche in Texten von Ceylon hie und da vorkommt, ist die richtige (mac. nadt)] das Wort ist zusammengezogen ans näo ha de, Lo {logo] so noch zu Macao lebendig, und in der That 33 geschrieben), ,8odann', war bei der Verneinung nicht wohl am Platz. Andere kreolische Mundarten haben ha dt auch für das positive Futurum adoptirt: es findet sich in den Versen am Schlüsse von A, welche aber eigentlich portugiesisch sind. Dieselben^ welche nada ftir nade schreiben, schreiben vide, ,wegen*, ftir vida (= por vida de^ wie in gleichem Sinne por amor de angewandt wird).

Nun kommen aber auch Vertauschungen zwischen jenen drei Vocalpaaren vor. Zunächst ist zu erörtern, inwiefern die- selben einen morphologischen Charakter tragen. Die Adjectiva und adjectivischen Pronomina, mögen sie attributiv oder prae- dicativ stehen, kennen in den kreolischen Mundarten keine den Geschlechtsunterschied andeutende Doppelform, fast immer ge- langt die männliche Form zur Alleinherrschaft. So lesen wir denn in A: muito merce 2, bom cami 13, bom mare 17, cabe^a de hagri dilicado 46 u. s. w. Besonders in B, z. B. vida eUmo, este pregunta, väo confianga, si ella foi salvado u. s. w. Ein gelegentliches Zurückfallen in das Portugiesische wird hier ge- wiss nicht Wunder nehmen. Bei den Possessivpronominen aber scheint die weibliche Form über die männliche den Sieg davon- getragen zu haben. Zuerst mag man flir meu, teuy eeu die volleren Formen* rrunAa, tua, eua gewählt hab^i; wenigstens sagt man zu Macao zwar minha velo, aua ami'gOy aber nosso historia, V0880 tia. Auf Ceylon sind, wie aus manchen Texten zu er- sehen ist, die Possessivpronomina der ersten und zweiten Person Pluralis der Analogie der übrigen gefolgt, so nicht nur minha mandamentos, tua reino, sondern auch nasse (e fUr a) pecca- dos, vosse pai. A bietet kaum ein sicheres Beispiel, so nassa

paar hättfig gebrattchten Verben sich gehalten hat; Beispiele aus A: ntUf lern 16 = nutem 53. 58. 60. 66. 72. 93. 117. 124, ruUe 116, näo quer 93 = mqutr 63, rdquar 150; es sind 3. P. S. Pr. Ind., vgl. daneben quert 66. 96. 114. 129, ebenso mac. nomquiro and quer%) verdrSngt: nuea vaU 6. 31. 128, nuca fiea 57, nuea aabe 117. Daher ist denn allerdings, am das negative Praeteritam vom negativen Praesens sa scheiden, im Cey- lonportagiesischen nunea mit ja verbunden worden.

Kreolische Stadien. 11. 813

«inAor 99, * mehrere B^ so vossa charactro I, 3\,8nafaho eaperanga I, 35, 8ua bom obrcts I, 41, nossa aenhor I, 44, 8ua custume III, 2, «tia perto (,ilim nahe' mit substantivirtem perto ; vgl. capverd. n diante ,vor ihm^) III, 3, sua comer III, 6, «wi mesmo olhos IV, 8 (frei- lich auch umgekehrt seu palavros I, 1 1, vosso por^äo I, 23, t'(39«o posi^ I, 31, üo««o 6om ot;ra« I, 32). Prego alguma I, 49 wird ein Irrthum sein; auch sois salvas I, 50, tu seraa salva I, 55? Aber beständig ist in B peUa geschrieben: pella dtabo I, 36, pela Satanas I, 42, pela J[e$u Christo I, 47, pella Deos HI, 20. Der Artikel spielt hier kaum mehr seine eigentliche Rolle; pela ist so viel wie por. Ganz ebenso vertritt die weibliche articulirte Form na in einer Reihe kreolischer Mundarten die Praeposition em schlechtweg; und so in A: na mez 11, na (jgrande) perigo 50. 52, na retorna 106, na mar 126, ebenso wie na caza 24, na manchua 31 ; B: na lugar I, 28^ na todo lugar IV, 5, na qualquer cousas I, 44. Auch zu Macao gilt na, aber auf Ceylon ne (ebenso auf S. Thom^ m*), welches doch wohl eher aus na, als aus 7w (wie ich Kreol. Stud. I, 28 vermuthete) ab- geschwächt ist. In Substantiven ist -a durch -o ersetzt worden: mizeno A 30, koncho 82, madrinho 136. 141, palavro B I, 54, palavros I, 11. 34, V, 10, wozu man die Form palaver halte, welche sich neben palavra in ceyl. Texten findet (vgl. auch charactro B I, 31). Ofbr a bietet A sonst noch in sejo 11. 39, B in ero II, 6. Hingegen hat B a für o in por certa I, 6, soponha I, 32, fatas II, 3, centa III, 3. 14. Das halte ich für bedeu- tungslos, wichtig aber ist coma A 54. 98 und £ I, 11, welches zu capverd. cumd stimmt und sich nicht nur im Altportugiesischen (Gil Vicente, Cancioneiro geral), sondern auch in der heutigen Volkssprache des Muttwlandes (s. Leite de Vasconcellos O dialecto mirandez S. 26, N. 48) findet.

E für ausl. o erscheint in: qrmde A 30. 31, fatez 43, partides 89, susfente B I, 15. 26, mode 11, 10. III, 19. Umgekehrt 0 fiir ausl. e in hojo A 3. 44. 91. 116. 130 neben hoje 33. 40. 69. 118, bastanto 105. 121 neben bastanti 4. Hojo und 6a- stanto nehme ich auch in ceyl. Texten wahr, ebendaselbst hu- mildOy iviajo, viajo u. ä.

* Doch wird, wenn au («u pexcaria 25. 44, »u jenti, -c lOU. 111) überhaupt für aua (aua crian^as 50) steht, es wohl auch in au luguer 39 so zu fassen sein.

Ö2**

814 Schuchardt.

Es liegt nun der Gedanke nahe^ dass manche dieser Ver- wechslungen eigentlich nur das Verstummen auslautender Vo- cale bedeuten, wie es ja schon die Muttersprache, allerdings wohl noch nicht auf ihrer älteren Stufe, kennt. In unsera Texten fehlt o nur ein paar Mal nach r: cor A 10 neben cwo 11. aigur 72 neben seguro 57, suspir B I, 32. A in cam A 95, eaust 110, seman 57, suman 126 neben semana 125. Einen Fall fiir sich bildet der Schwund des a nach «, o, t*, so in A: quilai (,wie' = que laia) 1 u. ö., agu 40, pesso 69. 110. 112, ' der des o nach i: remedi 60. 68. Ebenso anderorts.

Auslautende Nasalvocale scheinen reine Vocale zu werden ; so lese ich zwar in A : hom 1 , cambrom 5. 6, azniaqäo 44, perdigom 78 u. a., aber auch home 98, omi 43 u. ö., ante 51, tarne (s. oben), fano 10, quinho 36, mi 78, cazto 121, mo 66. 125, nw in nutem (s. oben); ebenso in B bensa IXT, 6. Te und tem werden in A auseinandergehalten (doch findet sich mUe 116 und nu tem da 53, tem falla 112), und so muss für tem wohl die nasale Aas- sprache angenommen werden. Uebrigens wird eine solche Formspaltung nicht befremden; eine ganz ähnliche bieten andere kreolische Mundarten in ta und sta dar. Da indessen zu Macao td im Sinne von te verwandt wird, so glaube ich, dass in te sich td =: eBtd und tem vermischt haben.

Auch bezüglich des consonantischen Auslauts bestehen manche Bedenken. Das flexivische « existirt natürlich beim Verbum gar nicht mehr (ausser in der versteinerten Form vamcsj vamboSf vamua A 14. 15. 40. 44. 119. 134. 143. 154 welche zur Bildung der 1. P. PI. des Imperativs dient; dafUr vai B in, 19); inwieweit hat es sich im Plural der Nomina erhalten? Wir finden es in unsem Texten überhaupt nur bei Substan- tiven (ein paar Versehen in B ausgenommen), so in uä: fates 21, tanas 22, criangas 78, polwes 53, prezidentes 54, noves 2. 83 u. 8. w. Aber wenn durch irgend eine attributive Bestimmung, besonders durch ein Zahlwort, die Mehrheit schon ausgedrückt ist, so erhält das Substantivum meistens kein s, so in ^: baatanti cambrom 4, dez caringuejo 7, dos fano 10, quatro pesso

' Manchu 18. 39, dessen portugiesische Form allerdings manchua (31) ist, gehört als einheimisches Wort wohl nicht hierher.

Kreolische Studien. II. 815

58, no8 pobre 114. Auch in lavou seu pe B HI, 4 ist der Plural an sich klar. Die zu Macao und anderswo übliche Plural- bildung vermittelst Verdopplung nehmen wir nur einmal wahr: senhor aenhor A 105. Gibt nun A das lautbare s überall richtig an, lässt das stumme überall richtig weg? Das s in entres Tit. verstehe ich nicht, antos 20. 151 erscheint auch in ceyl. Texten und wird nicht auf entäo, sondern auf ein altes entonce (eatonce) zurückgehen. Ante 25 = antes 47.

Von der Erörterung anderer phonetischen Erscheinungen sehe ich hier ab. Was das Verbum anlangt, so bemerke ich noch Folgendes. Von sei' findet sich nicht nur das Praeteritum jafoif wo das ja abundirt, sondern auch das Praesens S, und zwar ziemlich oft, auch in Fällen, wo die Copula gan2 fehlen dürfte. Ser ist wohl in pode ser ,vielleicht' A 57. 96 ganz mit pode zusammengewachsen; kommt es selbstständig vor? Das ja in jateni A 39. 41. 121. 124. 147. 148 ist nicht praeterital, sondern das erste Mal ist es concessiv, die anderen Male hat es seine eigentliche Bedeutung ,schon^ Wir sehen das Prae- sens mit dem Sinne des Imperfectums: quelai te bota redi e te puixa A 103, mit dem des* Futurums: que dia voase te partif A 56. Bemerkenswerth ist das Imperfectum tinka condina A 78. Die kreolische Periphrase der Zeitformen ist in B ganz auf- gegeben (nur Ja /ot III, 11); wir haben organische Perfecta (wie eu perguntou, removeo, eu envistio] merkwürdig a mulher . . . esquecei 11, 4, ett vivei II, 15, o velho comei IH, 6; einmal auch in A: cabou 140) und Futura (serd I, 23. 49. 11, 10. IV, 3, ackara TU, 19). Damach müsste man eigentlich die Praesens- formen, wie eu lembra, vos morre, als stammbetonte auffassen, um so mehr, als die Infinitive mit r geschrieben werden: faüar, mentir u. s. w. Kein Zweifel besteht in Bezug auf diz eu I, 5, diz a mulher I, 24. 32 {diz im Sinne von ,es heisst' A 53). Wie sehr aber das Kreolische hier sich ins Portugiesische auflöst, sieht man hauptsächlich an Formen, wie creo, digo, devemos, pergunteisy dedaräOy cuidai. Vos näo posae ,ihr könnt nicht' I, 22 ist mir dunkel. Man wundert sich daher fast, die echt kreolische Wendung por este mulher tinha hum caza ,diese Frau hatte ein Haus' 11, 1 (vgl. por mim vida etemo I, 12) anzu- treffen.

816 Schnchardt. Kreulitche Stadien. II.

Einige Wörter indischer Herkunft wird man in A be- merken^ deren allgemeiner Sinn sich leicht aus dem Zusammen- hange ergibt. Der Aufklärung bedürfen für mich tanas 22, caruvado 32, azningäo 44, vare 81. Ca cb grog heisst ,ein Glas* oder ,ein Schluck Grog'; aber woher dies caf ^ engl, eup (vgl. cari 32 = curry)? Daneben hum copi C= capo) de eha. Dali 47. 73 ist = da-lhe; entsprechend im Curazolenischen dal ^schlagen^ Oovemo 87 u. s. w. = gavemador, wie auch zu Macao ; daher zu berichtigen ang. nguwilu Kreolische Studien I, S. 17.

Die Sitzungsberichte dieser Classe der kais. Akademie der Wissenschaften erscheinen in Heften, von welchen nach Maassgabe ihrer Stärke zwei oder mehrere einen Band bilden.

Von allen grösseren, sowohl in den Sitzungsberichten als in den Denkschriften enthaltenen Aufsätzen befinden sich Separatabdrücke im Buchhandel.

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