LE en “rs Y r { % " + ’ r . Er IR 7 ‚ ı : A ki, a NAAR I ' bi r , ir SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN aEYY AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. JAHRGANG 1905. ERSTER HALBBAND. JANUAR BIS JUNI. STÜCK I— XXXNH MIT EINER TAFEL UND DEM VERZEICHNISS DER MITGLIEDER AM 1. JANUAR 1905. BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. ICHS)» >) 4 [est 30: > . I De \ BI Be ö au INHALT. Verzeichniss der Mitglieder am 1. Januar 1905 . Harnack: Untersuchungen über den apokryphen Brioßwecheel der Korinlhee mit en Roos) Paulo: . L. Conx: Ein Philo-Palimpsest (Vat. gr. 316) . W.Korse: Bericht über eine Reise in Messenien . C. Freprıcn: Bericht über eine Bereisung der Inseln des Thrakischen Meerck ad der. Nördlichen en U. Benn: Über das Verhältniss der mittleren (Bunsen’schen) Calorie zur 15°- Calorie (Bar Cs I. Scnur: Über eine Classe von endlichen Gruppen linearer Substitutionen . . . Kreis: Über Theodolithgoniometer . WALDErEr: Festrede & Jahresbericht über die Sammlung der een Inschriften Jahresbericht über die Sammlung der lateinischen Inschriften . Jahresbericht über die Aristoteles- Commentare : Jahresbericht über die Prosopographie der römischen Kamerzeit a. —3. nee y Jahresbericht über die Politische Correspondenz Frırprıcn’s des Grossen Jahresbericht über die Griechischen Münzwerke Jahresbericht über die Acta Borussica . Jahresbericht über den Thesaurus linguae Tatinde Jahresbericht über die Ausgabe der Werke von enden Jahresbericht über die Kant- Ausgabe . 2 Jahresbericht über die Ausgabe des Ibn Saad Jahresbericht über das Wörterbuch der aegyptischen ne) Jahresbericht über den Index rei militaris imperii Romani . Jahresbericht über die Ausgabe des Codex Theodosianus Jahresbericht über die Geschichte des Fixsternhimmels . Jahresbericht über das »Thierreich« Jahresbericht über das »Pflanzenreich« nee Jahresbericht über die Ausgabe der Werke ee VON Eeonpet Ss Jahresbericht der Deutschen Commission . Jahresbericht über die Forschungen zur Be ik euhoeldeutgehett Schriftspr ache Jahresbericht der Humsorpr-Stiftung . Jahresbericht der Savıcny - Stiftung . Jahresbericht der Bopr- Stiftung . : Jahresbericht der Hermann Ken Erıse ech Elke ANN ER Stiftung Jahresbericht der Kirchenväter - Commission 5 . Jahresbericht der Commission für das Wörterbuch de dentachen Rechilerache. Jahresbericht der Akademischen Jubiläumsstiftung der Stadt Berlin. Verleihung der Hermnorrz -Medaille Übersicht der Personalveränderungen . < Mösıus: Die Formen und Farben der Inseeten ästhetisch Heirschteh Ostwarp: Ikonoskopische Studien. I. SUR L. Hotsorn und L. Ausrın: Über die speeifische wi; ärme at Ge in Halerer Menmeratur ? EsGLer: Über floristische Verwandtschaft zwischen dem tropischen Africa und America, sowie über die Annahme eines versunkenen brasilianisch-aethiopischen Continents Seite Inhalt. van'ı Horr und L. Licntenstein: Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der oceanischen Salz- ablagerungen. XL. Existenzgrenze von Tachhydrit O. Franke: Hat es ein Land Kharostra gegeben? : De rt 0 Les tt one. a ee. KorsıGsperGer: Über die aus der Variation der mehrfachen Integrale entspringenden partiellen Diffe- ventialgleichungen der allgemeinen Mechanik : F. N. Fısck: Die Grundbedeutung des grönländischen Subjeetivs a ee Fischer und E. Arpernarden: Über das Verhalten verschiedener Polypeptide gegen Pankreasferment van’T Horr, G. L. Voerrman und W. C. Braspare: Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der oceanischen Salzabiagerungen. XLI. Die Bildungstemperatur des Kaliumpentacaleiumsulfats . L. Horsorn und F. Henning: Über die Lichtemission und den Schmelzpunkt einiger Metalle . Divruey: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. I. Tosrer: Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik J. Harrmann: Monochromatische Aufnahmen des Orionnebels ET Herrwis, O.: Kritische Betrachtungen über neuere Erklärungsversuche auf dem Gebiete der Befruch- tungslehre el ae an Darren ea ee ER LEE a VRR NER Pranck: Normale und anomale Dispersion in nichtleitenden Medien von variabler Dichte . W. Berer: Das Gabbromassiv im bayrisch - böhmischen Grenzgebirge . I. Scuur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere ZIMMER: Untersuchungen über den Satzaecent des Altirischen. I. Re FO ar G. Kremm: Bericht über Untersuchungen an den sogenannten »Gneissen« und den metamorphen Schie- fergesteinen der Tessiner Alpen: IE: ey se, 12 A 1 WaregurG: Über die Reflexion der Kathodenstrahlen an dünnen Metallblättchen . Deesser: Das Tempelbild der Athena Polias auf den Münzen von Priene (hierzu Taf. I) . B van’r Horr: Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der oceanischen Salzablagerungen. XLH. ‚DienBildunesvon u Glauben A H. June: Die allgemeinen Thetafunetionen von vier Veränderlichen . sehe ya re Pıscner: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols Do 0: oh ee Ta. Wirsann: Vierter vorläufiger Bericht über die Ausgrabungen der Königlichen Museen zu Milet . ScHÄrEr: Die Ungarnschlacht von 955 ScHÄFER: Die agrarii milites des Widukind . Fi SCHÄFER: »Sclusas« in Strassburger Zollprivileg von 831 . Re ee O. Horver -Esger: Jahresbericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae historica . Hermert: Über die Genauigkeit der Kriterien des Zufalls bei Beobachtungsreihen H. Kronxecrer und F. Sparumra: Reflexwirkung des Vagusganglion bei Seeschildkröten Conze: Jahresbericht über die Thätigkeit des Kaiserlich Deutschen Archaeologischen Instituts Adresse an Ihre Kaiserlichen und Königlichen Hoheiten den Kronprinzen und die Kronprinzessin zum 6., Jan. 190302. A 1 ER BE REeRT © E R. Brauns: Die zur Diabasgruppe gehörenden Gesteine des Rheinischen Schiefergebirges. . . . . Meyer: Die Mosesagen und die Lewiten. - © 2 2 22.0. ED c VaAnten: Festrede. Erinnerungen an Leisnız SrruvE: Antrittsrede . ZIMMERMANN: Antrittsrede . MARTENns: Antrittsrede we Ge re ee En ELSE a H- Akademische Preisaufgabe für 1905 aus dem Gebiete der Philosophie Akademische Preisaufgabe für 1905 aus dem Gebiete der Physik Preisaufgabe über eine Geschichte der Autobiographie Preisaufgabe aus dem Cornenxtus’schen Teopat Sn en RR el. 2 LEYEIEREN Preis der Sremer’schen Stiftung . Preisaufgabe der CHARLOTTE - Stiftung Stipendium der EpuAarn Germann -Stiftung ER EL ke me RE EI EN Generalbericht über Gründung, bisherige Thätigkeit und weitere Pläne der Deutschen Commission SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 12. Januar 1905. MIT DEM VERZEICHNISS DER MITGLIEDER DER AKADEMIE AM 1. JANUAR 1905. BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. = ) um Deposit: / Auszug aus dem Reglement für die Redaetion der » Sitzungsberichte «| 82 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. 8.2. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberiehten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. $5. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Seeretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Seeretar führt die Oberaufsicht über die Redac- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten, $ 6. 1. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $ 41, 2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf‘ 32 Seiten in Oectav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzsehnitten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 8.7. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- sehaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. . j e S8. 5. Auswärts werden Correeturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. „ Sk 1. Der Verfasser einer S. den » Wissenschaftlichen Mittheilungen« abgedruckten Arbeit e erhält unentgeltlich fünfzig Sonffrahdrlicke mit einem Umschlag, aufwelchem der Kopf der Sitzungsberichte mit, Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter ‚der Titel der Mittheilung und d.der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen ‚die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der ‚Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche || Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar angezeigt hat; wünscht erauf | seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung 2 zu erhalten, so bedarf’ es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden ‚Classe. — - Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Seeretar weitere 200 Eixem- plare auf ihre Kosten abziehen lassen. 28. Ne ER, 1. Jede zur Aufnahme in die Sitzungsberichte b be- stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, | sowie ‚alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittlung « eines s ihrem 7 Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. H Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger od ‚eorte- ä spondirender Mitglieder direet bei der Akademie od einer «ler Classen eingehen, so hat sie ‚der vorsii - Seeretar selber oder durch ein anderes Mitglied“ zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeignet I scheinenden Mitgliede zu überweisen. h [Aus Star. $ 41,2. — Für die Aufnahme bedarf es einer ausdrücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, sobald das Manuseript druckfertig. vorliegt, gestellt und sogleich zur Abstimmung BEER: werden. ee: 829. = - 1. Der revidirende Secretar ist. für den Inhalt des geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch nicht für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich, Für diese wie für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte. sind nach jeder Richtung mur die Poser ‚verant- wortlich. a r A a mr Zi Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte« an diejenigen Stellen, mit denen sie im ‚Sch Orferkehr Erz wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich: die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, e » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres nach Pet der Rage, ? » - - VERZEICHNISS DER MITGLIEDER DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN AM 1. JANUAR 1905. I. BESTÄNDIGE SECRETARE. Hr. Auwers - Vahlen . - Diels - Waldeyer . II. ORDENTLICHE MITGLIEDER der philosophisch -historischen der physikalisch-mathematischen Classe -——[ [2 Hr. Arthur Auwers . - Simon Schwendener - Hermann Munk . - Hans Landolt - Wilhelm Waldeyer . - Franz Eilhard Schulze - Wilhelm von Bezold Gewählt von der phys.-math. Classe phil. -hist. - phil. -hist. - phys.-math. - Classe Hr. Adolf Kirchhoff Johannes Vahlen . Eberhard Schrader Alexander Conze . Adolf Tobler Herınann Diels Heinrich Brunner . Otto H: irschfeld Eduard Sachau Gustav Schmoller . Wilhelm Dilthey £ Datum der Königl. Bestätigung 1878 1893 1895 1896 April April Nov. Jan. 10. SE 2 2 o Datum der Königlichen Bestätigung 1860 1866 1874 1875 1877 1879 1880 1881 1881 1881 1584 1884 1884 1885 1886 1887 1887 1887 1 März Aug. Dec. Juni April Juli März Aug. Aug. Aug. Febr. April Juni März April Jan. Jan. Jan. le 18. 16. 14. 23. 13. 10. 15: 15. 15. II Karl Klein Er Ordentliche Mitglieder der physikalisch - mathematischen Classe Karl Möbius . Adolf Engler Hermann Karl Vogel . Hermann Amandus Schwarz Georg Frobenius Emil Fischer Oskar Hertwig Max Planck . Friedrich RKohlrausch Emil Warbug 2...» Jakob Heinrich van’t Hoff Theodor Wilhelm Engelmann . Ferdinand Frhr. von Richthofen Hr. Wilhelm Branco Robert Helmert . . . . Heinrich Müller-Breslau . Friedrich Schottky . Robert Koch . Hermann Struve Hermann Zimmermann Adolf Martens Hr. der philosophisch -historischen Classe — ee „— — — —— Adolf Harnack Karl Stumpf . Erich Schmidt . Adolf Erman . Reinhold Koser Max Lenz . Reinhard Kekule von Stra- donitz Ulrich von Wilamowitz- Moellendorff . Heinrich Zimmer . Heinrich Dressel . Konrad Burdach . Richard Pischel Gustav Roethe . Dietrich Schäfer Eduard Meyer . Wilhelm Schulze Alois Brandl (Die Adressen der Mitglieder s. S. VIII) Datum der Königlichen Bestätigung 1887 1888 1890 1590 1892 1892 1893 1893 1893 1894 1895 1895 1895 1895 1895 1896 1896 1896 1898 1898 1899 1899 1899 1900 1901 1902 1902 1902 1902 1903 1903 1905 1903 1903 1904 1904 1904 1904 1904 April April Jan. Febr. März Dee. Jan. Febr. April Juni Febr. Febr. Febr. Aug. Aug. Febr. Juli Dee. Febr. Juni Mai Aug. Dee. Jan. Jan. Jan. Mai Mai Juli Jan. Jan. Aug. Aug. Nov. April Juni Aug. Aug. Aug. 6. 30. 29. 10. 30. 193 14. 6. 2 11. 18. 18. 18. 13. 13. 26. 12. 14. 14. II. AUSWÄRTIGE MITGLIEDER der philosophisch -historischen Classe der physikalisch-mathematischen Olasse Hr. “lbert von Koelliker ın Würzburg . ee EEE Ahr ta ln Hr. Eduard Zeller in Stuttgart - Theodor Nöldeke in Strass- burg - Friedrich Tahaofr Ei in Winterthur . - Theodor von Sickel in we - Pasquale Villari in Florenz . - Franz Bücheler in Bonn Hr. Wilhelm Hittorf in Münster i.W. . Lord Kelvin in Netherhall, Largs Hr. Marcelin Berthelot in Paris . - Eduard Suess in Wien - Eduard Pflüger in Bonn ee ee Rochus Frhr. von Lilieneron ın Schleswig 5 Hr. Leopold Deksle in Paris Sir Joseph Dalton Hooker in Sunningdale Hr. Giovanni ns Solinpareii" in Mailand IV. EHREN- MITGLIEDER. Earl of Crawford and Balcarres m Haigh Hall, Hr. Max Lehmann im Göttingen - Ludwig Boltzmann in an Se. Majestät Oskar II., König von Schw Eden und Nor egen Hugo Graf von und zu er in Berlin Hr. Friedrich Althoff in Berlin ' - Richard Schöne in Berlin : Frau Elise Wentzel geb. Heckmann in Berlin Hr. Konrad Studt in Berlin . Bande - Andrew Dickson White in Ithaca, N.Y. Wigan 111 Datum der Königlichen Bestätigung — 1892 März 16. 1895 Jan. 14. 1900 März 5. 1901 Jan. 14. 1902 Nov. 16. 1904 Mai 29. 190420c2 17: Datum der Königlichen Bestätigung 1883 1887 1888 1897 1900 1900 1900 1900 1900 1900 30. Jane 224% Juni 29. Sept. 14. März März März März März Dee. Juli an TG ao ei ID 1 V. CORRESPONDIRENDE MITGLIEDER. Physikalisch-mathematische (lasse. . Ernst Abbe in Jena Alexander Agassiz in en) Mu Adolf von .baeyer in München Henri Becquerel in Paris nr ae Friedrich Beilstein in St. Petersburg. . . . » Ernst Wilhelm Benecke in Strassburg Eduard van Beneden in Lüttich . Oskar Brefeld in Breslau Otto Bütschli in Heidelberg John Burdon-Sanderson in Oxford » Stanislao Cannizzaro in Rom Karl Chun in Leipzig Gaston Darboux in Paris : Richard Dedekind in Braunschweig . Nils Christofer Duner in Upsala Ernst Ehlers in Göttingen . Rudolf Fütig in Strassburg Walter Flemming in Kiel E Max Fürbringer in Heidelberg Albert Gaudry in Paris . Archibald Geikie in London . Woleott Gibbs in Newport, R. I ° David Gill, Kgl. Sternwarte am Cap der Gakn ers Paul Gordan in Erlangen en von Graff in Graz . Gottlieb Haberlandt in Graz . Julius Hann in Wien Victor Hensen in Kiel Richard Hertwig in München . William Huggins in London . Adolf von Koenen in Göttingen Leo Koenigsberger in Heidelberg . Michel Levy in Paris. Franz von Leydiy in Batheirhune. 0. Fr T.. Gabriel Lippmann in Paris Datum der Wahl 1896 1895 1884 1904 1888 1900 1887 1899 1897 1900 1885 1900 1897 1880 1900 1897 1896 1893 1900 1900 1889 1885 1590 1900 1900 1899 1889 1898 1898 1895 1904 1893 1898 1887 1900 Oct. Juli Jan. Febr. Dee. Febr. Nov. Jan. März Febr. Dee. Jan. Febr. März Febr. Jan. Oct. Juni Febr. Febr. Febr. 2 Jan. Juni Febr. Febr. Juni Febr. Febr. April Dee. Mai Mai Juli Jan. Febr. 29. 18. 17. 18. Physikalisch-mathematische Classe. Hr. Moritz Loewy in Paris . - Hubert Ludwig in Bonn . - Eleuthöre Mascart in Paris . : - Dmitri Mendelejew in St. Beterchure - Franz Mertens in Wien . - Henrik Moln in Christiania \ - Alfred Gabriel Nathorst in Stockholm - Karl Neumann in Leipzig . 5 2 - Georg von Neumayer ın Neuste a..d. Bert ; - Simon Newcomb in Washington . - Max Noether in Erlangen - Wilhelm Pfeffer in Leipzig . - Ernst Pfitzer in Heidelberg . - Emile Picard in Paris - Henri Poincare in Paris . : - Georg Quincke in Heidelberg - Ludwig Radlkofer in München Sir William Ramsay m London Lord Rayleigh in Witham, Essex . : Hr. Friedrich von Recklinghausen in Su Burg - Gustaf Retzius in Stockholm - Wilhelm Konrad Röntgen in München - Heinrich Rosenbusch in Heidelberg - Georg Ossian Sars in Christiania - Friedrich Schmidt in St. Petersburg . : Hermann Graf zu Solms- Laubach in Strassburg . Hr. Johann Wilhelm Spengel in Giessen . - Eduard Strasburger in Bonn - Johannes Strüver in Rom e - Otto von Struve in Karlsruhe (Baden) - ‚Julius Thomsen in Kopenhagen - August Toepler in Dresden . - Melchior Treub in Buitenzorg . - Gustav Tschermak in Wien. Sir William Turner in Edinburg . Hr. Woldemar Voigt in Göttingen . - Karl von Voit in München n ä - Johannes Diderik van der Waals ın reden - Eugenius Warming in Kopenhagen - Heinrich Weber in Strassburg . - August Weismann in Freiburg i. B. - ‚Julius Wiesner in Wien . - Adolf Wüllner in Aachen - Ferdinand Zirkel in Leipzig Datum der Wall 1895 1898 1895 1900 1900 1900 1900 1893 1896 1883 1896 1889 1899 1898 1896 1879 1900 1896 1896 1885 1893 1896 1887 1898 1900 1899 1900 1889 1900 1868 1900 1879 1900 1881 1898 1900 1898 1900 1899 1896 1897 1899 1889 1887 Dee. Juli Juli Febr. Febr. Febr. Febr. Mai Febr. : Juni Jan. Dee. Jan. Febr. Jan. März Febr. Oct. Oct. Febr. Juni März Oct. Febr. Febr. Juni Jan. Dee. Febr. April Febr. März Febr. März März März Febr. Febr. Jan. Jan. März Juni März Oct. 12. 14. 18. — jr nowmw ww DD DD + mom URAN [IC = vI Philosophisch-historische Classe. Datum der Wahl Hr. Wilhelm Ahlwardi ın Greifswald. - „2 222 7720055018588 MRebr 72: 2 Karl’ von Amira in München \. . Fressen U Graziadio Isaia Ascoh ın Mailand 2.22 m 18reMärzall!: - Theodor Aufrecht in Bonn . . ee AeRebr. le - Ernst Immanuel Bekker in Heidelnens ee lkoksln Ahmlht, 2). -. Otto..Benndorf in Wien. . - „2 2 a man. Re alB93 Na: u Piriedrieh" Blass in Halle’a. 8. m erlangte: =: Eugen‘ Bormann in. Wien’. u . EEE 1902 Juli 24. 2. Ingram’ Bipwater in Oxford . . 2. m euere = ler Nomahr: - Rene Cagnat in Paris. . - een 2 EIN, 3 - Antonio Maria Ceriani ın Mailand er ee EN et - Heinrich Denifle ın Rom. . . ee. Nkersil) Draen: NE - Wilhelm Dittenberger in Halle a. ee EEE 5 IS S2 men 5 Bowis\WDuchesne m Rom. 2... ni 89: = Benno Erdmann.ın Bonn. . :» .. mu 2 2 3a: - Kumo Fischer in Heidelberg . . . . 2 „2... .....1885 Jan. 29. - Paul Foucart in Paris . . leisen Amt, Ale - Ludwig Friedländer in Shure, EN dein. 1, - Oskar von Gebhardt in Leipig . . - » - = =. . 1903 Juli 9. - Theodor Gomperz in Wien. . . ee ar 9 - Francis Llewellyn Griffith in Ashton under Iyue EN A 1: - Gustav Gröber in Strassburg . . . . . ER Ans IL - Ignazio Guich in Rom .. . . .. an.n u. Mi er I EHER Zu = Wilhelm von Hariel in Wien. 2.2 rn 8 IE: - Georgios N. Hatzidakis in Athen. . ». » . . ........1900 Jan. 18. - Albert Hauck in Leipzig . . EU" inan Nie. - Johan Ludvig Heiberg in Koneahasen ee kenn. - Karl Theodor von Heigel in München . . . . . ... 1904 Nov. 3. -.. ‘Max Heinze in Leipzi@ . : » wow 2 Ir - Richard Heinzelın Wien .... rl areas - Antoine Heron de Villefosse in Paris. . . . . . . . 1893 Febr. 2. =. Leon Heuzey in Paris - . 2. ..„ el Bee EDER - Edvard Holm in Kopenhagen . . . . ..2.......1904 Nov. 3. - + Theophsle Homolle in Athen . . „ m mi al .UBEREISSTENey - Vatroslav Jagie m Wien. . . . A Be BE Dgerln: - William James in Cambridge, Mask, ec NEN). eins Ale - Karl Theodor von Inama- en in Wien Elan: = ‚Rerdwand Justi. in. Marburg . - „. 2m er 59T - Karl Justi in Bonn . . ee SEN - Panagiotis Kabbadias in Athen. ee RSS TEN or - Frederic George Kenyon in London . . . . . . . . 1900 Jan. 18. = Rranz elhorn in Göttingen . . 2 .. DREI SS0mDereln: Hr. Philosophisch-historische Classe. Georg Friedrich Knapp in Strassburg Basil Latyschew in St. Petersburg August Leskien in Leipzig . Emile Levasseur in Paris Friedrich Loofs in Halle a. S.. Giacomo Lumbroso in Rom Arnold Luschin von Ebengreuth in Cs Johm Pentland Mahaf'y in Dublin Frederic William Maitland in Cambridge Gaston Maspero in Paris Adolf Michaelis in Strassburg . Adolf Mussafia in Wien . Heinrich Nissen in Bonn ‚Julius Oppert in Paris (reorges Perrot in Paris . Wilhelm Radlof in St. Be Vietor Baron Rosen in St. Pelekebnre : Richard Schroeder in Heidelberg . Emil Schürer in Göttingen . Emile Senart in Paris Eduard Sievers in Leipzig . Albert Sorel in Paris . Friedrich von Spiegel in München Henry Sweet in Oxford . : Ä Edward Maunde Thompson in Tonden ; . Vilhelm Thomsen in Kopenhagen . Hermann Usener in Bonn Girolamo Vitelli in Florenz . Kurt Wachsmuth in Leipzig. Heinrich Weil in Paris ‚Julius Wellhausen in Göttingen Ludvig Wimmer in Kopenhagen . Wilhelm Windelband in Heidelberg Wilhelm Wundt in Leipzig . BEAMTE DER AKADEMIE. Bibliothekar und Archivar: Dr. Köhnke. Wissenschaftliche Beamte: Dr. Dessau, Prof. — Dr. Ristenpart. — Dr. Harms. — Dr. Ozeschka Edler von Maehrenthal, Prof. — Dr. von Fritze. — Dr. Karl Schmidt. — Dr. Frhr. Hiller von Gaertringen, Prof. vi Datum der Wahl 1893 1891 1900 1900 1904 1874 1904 1900 1900 1897 1888 1900 1900 1862 1884 1895 1900 1900 1893 1900 1900 1900 1862 1901 1895 1900 1891 1897 1891 1896 1900 1891 1903 1900 Dee. Juni Jan. Jan. Nov. Nov. Juli Jan. Jan. Juli Juni Jan. Jan. März Juli Jan. Jan. Jan. Juli Jan. Jan. Jan. März Juni Mai Jan. Juni Juli Juni März Jan. Juni Febr. Jan. 14. 4. 18. 18. > 12. 21. 18. 18. 15. 21. 18. 18. 13. 17. 10. 18. 18. 20. 18. 18. 18. VII WOHNUNGEN DER ORDENTLICHEN MITGLIEDER UND DER BEAMTEN. Hr. Dr. Auwers, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Ratlı. Lindenstr. 91. SW 68. von Bezold, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Lützowstr. 72. W 35. - = Branco, Prof., Geh. Bergrath, Maassenstr. 35. W 62. - = Brandl, Professor, Kaiserin Augustastr. 73 W 10. - = Brunner, Prof., Geh. Justiz-Rath, Lutherstr. 36. W 62. - = Burdach, Professor, Grunewald, Paulsbornerstr. 8. - = (Conze, Professor, Grunewald, Wangenheimstr. 17. - = Diels, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Kleiststr. 21. W 62. - - Dilthey, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Burggrafenstr. 4. W 62. - = Dressel, Professor, Charlottenburg, Knesebeckstr. 3. - = Engelmann, Prof., Geh. Medieinal-Rath, Neue Wilhelmstr. 15. NW7. - = Engler, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Steglitz, Neuer Botanischer Garten. - = Erman, Professor, Steglitz, Friedrichstr. 10/11. - = Fischer, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Hessische Strasse 1—4. N 4. - = Frobenius, Professor, Charlottenburg, Leibnizstr. 70. - Harnack, Professor, Fasanenstr. 43. W 15. - - Helmert, Prof., Geh. Regierungs-Ratlı, Potsdam, (reodätisches Institut. - = Hertwig, Prof., Geh. Medicinal-Rath, Grunewald, Wangenheimstr. 28. - - Hirschfeld, Prof., Geh. Regierungs-Rath,, Charlottenburg, Carmerstr. 3. - - vant lof, Professor, Charlottenburg, Lietzenburgerstr. 54. W 15. - = Kekule von Stradonitz, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Landgrafen- str. 19. W 62. - = Kirchhoff, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Matthaeikirchstr. 23. W 10. - - Klein, Prof., Geh. Bergrath, Charlottenburg, Joachimsthalerstr. 39/40. - = Koch, Prof., Geh. Medieinal-Rath, Kurfürstendamm 52. W 15. - = Kohlrausch, Professor, Charlottenburg, Marchstr. 25®. - = Koser, Geh. Ober -Regierungs-Rath, Charlottenburg, Carmerstr. 9. - - Landolt, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Albrechtstr. 14. NW 6. - - Lenz, Professor, Augsburgerstr. 52. W 50. = Martens, Prof., Geh. Regierungs- Rath, Gross -Lichterfelde West, Fontanestr. - Meyer, Professor, Gross-Lichterfelde West, Mommsenstr. 7/8. - - Möbius, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Sigismundstr. 8. W 10. - - Müller-Breslau, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Grunewald, Kurmär- kerstr. 8. - Munk, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Matthaeikirchstr. 4. W 10. - Pischel, Prof., Geh. Regierungs-Ratlhı, Halensee, Joachim Friedrich- str. 47. Er Dr. Planck, Professor, Achenbachstr. 1. W 50. Freiherr von Richthofen, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Kurfürsten- str. 117. W 62. Roethe, Professor, Westend, Ahorn-Allee 30. Sachau, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Wormserstr. 12. W 62. Schäfer, Prof., Grossherzogl. Badischer Geh. Rath, Steglitz, Fried- richstr. 7. Schmidt, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Derfflingerstr. 21. W 35. Schmoller, Professor, Wormserstr. 13. W 62. Schottky, Professor, Steglitz, Fichtestr. 12. Schrader, Prof., Geh. Regierungs-Ratlı, Kronprinzen -Ufer 20. NW 40. Schulze, Franz Eilhard, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Invalidenstr. 43. N 4. Schulze, Wilhelm, Professor, Kaiserin Augustastr. 72. W 10. Schwarz, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Grunewald, Humboldtstr. 33. Schwendener, Prof.. Geh. Regierungs-Rath, Matthaeikirchstr. 28. W 10. Strwe, Professor, Enekeplatz 3%. SW 48. Stumpf, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Augsburgerstr. 61. W 50. Tobler, Professor, Kurfürstendamm 25. W 15. Vahlen, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Genthinerstr. 22. W 35. Vogel, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Potsdam, Astrophysikali- sches Observatorium. Waldeyer, Prof., Geh. Medicinal-Rath, Lutherstr. 35. W 62. Warburg, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Neue Wilhelmstr. 16. NW 7. von Wilamowitz- Moellendorff, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Westend, Eichen- Allee 12. Zimmer, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Halensee, Auguste Victoriastr. 3. Zimmermann, Geh. Ober-Baurath, Calvinstr. 4. NW 52. Czeschka Edler von Maehrenthal, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Stendalerstr. 3. NW 5. Dessau, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Charlottenburg, Car- merstr. 8. von Fritze, Wissenschaftlicher Beamter, Kurfürstenstr. 112. W 62. Harms, Wissenschaftlicher Beamter, Schöneberg, Erdmannstr. 3. Freiherr /liller von Gaertringen, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Courbierestr. 15. W 62. Köhnke, Bibliothekar und Archivar, Charlottenburg, Goethestr. 6. Ristenpart, Wissenschaftlicher Beamter, Zehlendorf, Prinz Friedrich Kaulstr. 12. Schmidt, Karl, Wissenschaftlicher Beamter, Bayreutherstr. 20. W 62. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei 2 SITZUNGSBERICHTE 1905. KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 12. Januar. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. l. Hr. Harnack las über den apokryphen Briefwechsel der Korinther mit dem Apostel Paulus. Die Abhandlung enthält zwei Theile. In dem ersten sind die fünf Textzeugen für den Briefwechsel (ein koptischer, zwei lateinische, ein armenischer und ein syrisch- armenischer) untersucht und auf Grund derselben ist eine Zurückübersetzung der Briefe in’s Griechische gegeben. In dem zweiten wird gezeigt, dass die Briefe ein integri- render Bestandtheil der alten Acta Pauli sind. 2. Hr. Dies legte den Bericht des Prof. L. Coun, Breslau, über die von ihm mit Unterstützung der Akademie ausgeführte Vergleichung einer römischen Philohandschrift vor: »Ein Philo-Palimpsest«. Der Vaticanus gr. 316 enthält unter byzantinischen Aristoteles-Commentaren in der Schrift des X. Jahrhunderts Stellen aus verschiedenen Philonischen Schriften (83% Blätter), aus De migratione animi, De Josepho, De vita Mosis I, besonders De vita Mosis II (III). De decalogo ganz. De specialibus legibus I ganz, Il Anfang. Für diese letztere Schrift ist der Palimpsest von unschätzbarem Werthe. 3. Hr. F. E. Scuuzze legte eine Abhandlung des Hrn. Dr. med. Jous Stegen in Berlin vor: »Untersuehungen über die Ätiologie des Scharlachs«, deren Aufnahme in den Anhang zu den Abhand- lungen 1905 genehmigt wurde. Der Verf. untersuchte Blut und Haut von Scharlachkranken sowie Blut von Ka- ninchen, welche mit Scharlachgift geimpft waren, und fand Protozoen, die, ähnlich den bei der Untersuchung von Pocken sowie von Maul- und Klauenseuche gefundenen, zum Theil locomotorische Bewegung, zum Theil Kerntheilungen zeigten. Systematisch rechnet Verf. den Parasiten, welchen er Cytorhyctes scarlatinae nennt, zu den Flagellaten oder Sporozoen. 4. Hr. von Wıramowıtz-MoELLENDoRrFE legte eine Mittheilung des Hrn. Dr. W. Korge in Athen vor: Bericht über eine Reise in Messenien. Die Reise hat ausser andern, namentlich topographischen Ergebnissen das Heilig- thum der Artemis Limnatis im Taygetos sicher fixirt. 5. Derselbe legte eine Mittheilung des Hrn. Dr. C. Frrorıcn in Posen vor: »Bericht über eine Bereisung der Inseln des Thra- kischen Meeres und der Nördlichen Sporaden«. Besonders merkwürdige Entdeckungen sind auf Lemnos eine tyrhenische Nekro- pole mit reicher, ganz singulärer Keramik, auf Imbros eine antike Thalsperre, auf Sitzungsberichte 1905. 1 2: Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Hasiostrati der Ortsname Halonisi, auf Thasos 77 neue Inschriften, auf Peparethos ein Volksbeschluss, der hier mitgetheilt wird. 6. Hr. Wırgure legte vor eine Abhandlung des Hrn. Dr. Urrıcn Bzun, Privatdocenten an der Universität Berlin: »Über das Ver- hältniss der mittleren (Bunsen’schen) Calorie zur 15°-Calorie =) Cis - 4 Bekannt ist die Quecksilbermenge, welche in das Eiscalorimeter eingezogen wird, wenn Wasser von 100° in dasselbe eingeführt wird. Verf. bestimmt die Quecksilber- menge, welche eingezogen wird, wenn Wasser von 20° und Wasser von 10° einge- mittlere Gramm -Calorie (0 — 100°) ee 5 :o das Verhältniss ren en ee), -, führt wird, und findet so das Verhältniss Aral 9997 7. Hr. Frogenıus legte eine Mittheilung des Hrn. Dr. J. Scuur in Berlin vor: Über eine Classe von endlichen Gruppen linearer Substitutionen. Der Verf. bestimmt das kleinste gemeinsame Vielfache der Ordnungen aller endlichen Gruppen linearer Substitutionen in n Variabeln, deren Spuren einem gege- benen algebraischen Zahlkörper angehören. S. Zu wissenschaftlichen Unternehmungen hat die Akademie durch die physikalisch-mathematische Classe bewilligt: Hrn. Oberbergrath Prof. Dr. Kart Cneuivs in Darmstadt zur Fortsetzung seiner geologisch- petrographischen Bearbeitung des Odenwaldes 1000 Mark; Hrn. Prof. Dr. Orro Conxneım in Heidelberg zur Fortführung seiner Arbeiten über Glykolyse in den Muskeln 1000 Mark; Hrn. Hrısrıcn Frıese in Jena zur Herausgabe einer Monographie der Meliponen 1200 Mark; Hrn. Prof. Dr. Gustav Krenn in Darmstadt zur Fortsetzung seiner geologi- sehen Untersuchungen im Tessinthal 500 Mark; Hrn. Prof. Dr. RoBERT LaurEerBorn in Heidelberg zur Fortsetzung seiner Erforschung der Thier- und Pilanzenwelt des Rheins und seiner Zuflüsse 1000 Mark: Hrn. Prof. Dr. RuporLr Macnvs in Heidelberg zur Fortführung seiner Ver- suche an glatter Muskulatur, speeiell am überlebenden Darm 300 Mark; Hın. Prof. Dr. Rogerr Sommer in Giessen zur Fortsetzung seiner Stu- dien über Ausdrucksbewegungen 500 Mark; Hrn. Prof. Dr. ArnoLD Sputer in Erlangen zur Fortsetzung seiner Bearbeitung der Schmetter- linge Europas 1000 Mark. 9. An Druckschriften wurden vorgelegt das von der Akademie unterstützte Werk Georgii Monachi Chronicon ed. CaroLus DE Boor. Vol. 2. Lipsiae 1904 und ein Band der Monumenta Germaniae histo- rica: Legum Sectio III. Coneilia. Tom. 2. Pars ı. Hannoverae 1904. Die Akademie hat in der Sitzung am 15. December 1904 den Professor an der Universität Rom Iexazıo Gumı zum correspondiren- den Mitglied der philosophisch-historischen Classe gewählt. Untersuchungen über den apokryphen Briefwechsel der Korinther mit dem Apostel Paulus. Von ADpour HARrNAcK. ee Kenntniss des apokryphen Briefwechsels der Korinther mit Paulus ist durch die überraschende Auffindung zweier verschiedener altlateinischer Übersetzungen und durch die Entdeckung der kopti- schen Überreste der Acta Pauli in erfreulichster Weise bereichert worden. Nicht nur besitzen wir jetzt fünf Quellen zur Feststellung des ursprüng- lichen Wortlauts der Briefe, sondern es hat sich auch die La Croze- Zann’sche Hypothese, den Ursprung des Briefwechsels betreffend, glän- zend bestätigt. Er gehört den alten Acta Pauli an, die nun mit einem Schlage eine greifbare Grösse geworden sind, da der Kopte lelırt, dass auch die Acta Theelae und »das Martyrium des Paulus« ursprüng- lich Theile eben dieses umfangreichen Werkes gewesen sind. Die Briefe sind aber die vornehmsten Bestandtheile desselben; denn sie haben eine lange Zeit hindurch den Syrern und Armeniern, ja auch einigen Lateinern, als echt gegolten und sind in die alte syrische und armenische Bibel und in einige lateinische Bibelexemplare aufgenommen worden. Auf eine sorgfältige Untersuchung haben sie also vor Allem Anspruch. Auf den folgenden Blättern habe ich mir eine doppelte Aufgabe gestellt: ich beabsichtige, erstlich den ursprünglichen Wortlaut des Briefwechsels in der Originalsprache annähernd wiederherzustellen, zweitens das Zeugniss des Kopten, dass die Briefe ein integrirender Bestandtheil der alten Paulusakten sind, aus inneren Gründen zu ver- stärken. Was die erste Aufgabe betrifft, so sind allerdings nicht für alle Partien des Briefwechsels sämmtliche fünf Zeugen ‚vorhanden. Den beiden Lateinern fehlt das historische Mittelstück, und ausserdem sind hier und da ganze Verszeilen in ihnen abgerissen oder unleserlich. Der Kopte bricht leider beim 26. Verse des Paulusbriefs ab und hat auch vorher schon zahlreiche grössere und kleinere Lücken. Ephraem’s Text muss seinem nur in armenischer Sprache erhaltenen Commentar 1° 4 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. zum Briefwechsel entnommen werden; Text und paraphrastische Er- klärung gehen aber in ihm oftmals in einander über. Nur der ar- menische Text, wie er in zahlreichen Bibelhandschriften steht, ist vollständig und lässt über den genauen Wortlaut kaum irgendwo einen Zweifel. Dennoch wird es sich zeigen, dass der ursprüngliche Text, und zwar in der Originalsprache, mit einer für historische und dogmen- historische Zwecke genügenden Sicherheit wiederhergestellt werden kann. Der Kopte, der beste Zeuge, und die beiden Lateiner, von denen jeder seine besonderen Vorzüge hat, L, aber besonders gut ist, ermöglichen die Lösung der Aufgabe. Dabei wird es sich ergeben, dass man bisher nur eine sehr ungenaue und darum irreführende Kennt- niss von dem Briefwechsel besessen hat; denn die CGonfrontation der Zeugen lehrt, dass die Briefe im Armenier und in dem einen Lateiner — nach diesen hat man sie bisher gelesen —, ja auch bei Ephraem, durch Interpolationen auf’s Stärkste entstellt sind. Die zweite Aufgabe anlangend, so hat jüngst Hr. Corssen (Gött. Gel. Anz. 1904 Nr. 9, 8.718), trotz dem Kopten, bestritten, dass die Briefe ursprünglich einen Bestandtheil der Acta Pauli gebildet haben. Er hat freilich schlechterdings keine Gründe genannt, sondern einfach erklärt: »Wer nicht sieht, dass dieses Machwerk später in die Paulus- acten als ein Antidoton hineingelegt ist, mit dem ist nicht zu reden.« Eine sehr kühne und sehr unhöfliche Behauptung. Umgekehrt kann vielmehr der Beweis dafür, dass die Briefe in die Acta Pauli gehören, überflüssig erscheinen; denn sie stehen in denselben, und Niemand hat bisher die Annahme zu begründen versucht, dass sie ein späterer Einschub sind. Da aber sonst in den Acta Pauli Briefe des Apostels sich nicht finden, ist es von Interesse und wichtig, die Klammern aufzuweisen, die diese Briefe mit dem Ganzen des Werks verbinden. Sehon hier aber darfich darauf hinweisen, dass ich als noch Niemand ahnen konnte, die Acta Theclae und unsere apokryphen Briefe seien Bestandtheile eines und desselben Werkes — in meiner »Chronologie« Bd. I die Verwandtschaft beider Stücke hervorgehoben habe." Es be- 1 S.499: »Der Verfasser der Acta Theclae bewegt sich bei der Benutzung der Paulusbriefe und der Apostelgeschichte ganz frei, erlaubt sich Abweichungen von der apostolischen Geschichte, construirt kühn die Predigt Pauli nicht aus seinen Briefen, sondern erfindet sie frei. Diese Merkmale sind aber keine Instanz gegen die Ab- fassung der Acten um ı60fl..... Man vergleiche, um nur eins zu nennen, den apokryphen Briefwechsel Pauli mit den Korinthern, der überhaupt bemerkenswerthe Parallelen zu den Acten der Thekla bietet.« S. 501: »Wenn der Verfasser der Acten der Thecla die paulinische Predigt gleich im ı. Capitel als Predigt mepi TÄc rennHcewc KAI ANACTAceuc XPIcToY bezeichnet, so sind ‚alle Elemente beisammen, die man in einer populären Auseinandersetzung mit dem Gnostieismus innerhalb einer »Geschichte« er- warten kann. Auch hier ist übrigens die Parallele zum falschen Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern besonders deutlich. « Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 5 deutet doch etwas, dass die sachliche Zusammengehörigkeit zweier Schriftstücke zuerst erkannt worden ist und dass erst später ein ur- kundlicher Fund auch ihre litterarische Einheit dargethan hat. I. Der Text des apokryphen Briefwechsels der Korinther mit dem Apostel Paulus. (1) Der altarmenische Text (A) ist nach zahlreichen Handschriften am besten recensirt und sorgfältig in's Deutsche übersetzt worden von VETTER (Der apokryphe dritte Korintherbrief, Wien 1894). Der Werth von A beruht auf seiner Vollständigkeit; im Übrigen ist er der schlech- teste Zeuge. Nach der Verrer'schen Recension von den einzelnen Va- rianten dieses Textes noch besonders Notiz zu nehmen, ist kaum irgendwo nothwendig. Die armenische Übersetzung wird der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts mit Grund zugeschrieben. (2) Der syrische Text Ephraem'’s (E) liegt nur in einer armeni- schen Übersetzung vor und theilt schon deshalb einige Eigenthüm- lichkeiten mit A; auch ist (s.o.) bei der paraphrastischen Art, wie Ephraem seine Texte erklärt hat, nicht immer sofort zu entscheiden, wo der überlieferte Text aufhört und Ephraems Erklärung beginnt. Indessen kommen hier die anderen Zeugen zu Hülfe, so dass kaum an irgend einer wichtigen Stelle ein Zweifel übrig bleibt. Auch tritt trotz der Übersetzung und trotz der Thatsache, dass der A- und E-Text von Hause aus nahe mit einander verwandt sind (da die armenische Übersetzung aller Wahrscheinlichkeit nach aus einer syrischen geflossen ist), die Eigenthümlichkeit und der Vorzug E’s gegenüber A klar heraus. E ist von zahlreichen Interpolationen frei, die sich in A finden. Zwei genaue deutsche Übersetzungen dieses Textes sind uns geschenkt worden, nämlich von Kanasanz (revidirt von HügscHmann), bei Zaun, Gesch. des NTlich. Kanons II, 2, S. 595 ff., und von VETTER (a.a.O.). Ich bin der letzteren gefolgt. Die Briefe standen bereits in der Bibel des Aphraates, wie zwei Citate, die bei ihm nachgewiesen sind, darthun. Also ist die syrische Übersetzung auf das Jahrhundert 250— 350 anzusetzen: indessen ist auch die erste Hälfte des 3. Jahr- hunderts nicht sicher auszuschliessen, obschon es von Wichtigkeit ist, dass die Bardesaniten die Briefe nicht in ihrem Kanon gehabt haben. (3) Der lateinische Text (L,) der Bibelhandschrift von Biasea (saec. X., jetzt in Mailand) ist von BEereeEr entdeckt und von ihm und CARRIERE im Jahre 1891 publieirt worden (Rev. de theol. et de philos. t. 23). Nach ihnen habe ich (Theol. Lit. Ztg. 1892 Nr.ı) auf Grund einer neuen Vergleichung der Handschrift durch Nic. Mürzer den Text recensirt, VETTER hat ihn (a.a.0.) nach beiden Ausgaben abgedruckt. 6 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Das geschichtliche Mittelstück, welches die beiden Briefe verbindet, fehlt hier. Über das Alter und den Werth dieser Übersetzung s. unten. (4) Der lateinische Text (L,) der Bibelhandschrift von Laon (saec. XIII.) ist von BrAtkE entdeckt und in der Theol. Lit. Ztg. 1892 Nr. 24 publi- eirt worden. Hiernach ein Abdruck bei VETTER (a. a. O.). Auch in L, fehlt das geschichtliche Mittelstück. Über das Alter und den Werth dieser Übersetzung s. unten. (5) Der koptische Text (RK) auf Papyrus (c. saec. VI.; aber wie alt ist die Übersetzung?) ist von Kar Schmir entdeckt und in dem Werke »Acta Pauli aus der Heidelberger koptischen Papyrushandschrift Nr.1«, 1904, publieirt und in’s Deutsche übersetzt worden. Scunipr hat sowohl in dem Apparat S.73—82 als in dem Abschnitt S.125— 145 den Werth des Zeugen K sorgfältig und scharfsinnig erörtert. Die Er- gebnisse seiner Untersuchungen haben sich mir sämmtlich bestätigt; aber Scnummr konnte nicht beabsichtigen, in den Grenzen seines Werks eine Recension des Briefwechsels mit Hülfe aller Zeugen zu liefern; er hatte nur die Bedeutung des neuen Zeugen an das Licht zu stellen, und die Lösung dieser Aufgabe ist ihm trefflich gelungen: er hat den Beweis geliefert, dass K ein sehr guter, ja man darf sagen, der beste Zeuge ist.‘ Doppelt ist daher die Lückenhaftigkeit dieses Zeugen zu beklagen, zumal er uns zahlreiche griechische Worte des Original- textes in seiner Übersetzung erhalten hat. Vor Scnumr hat sich VETTER am eingehendsten mit dem Text der Briefe beschäftigt; aber er hat nicht gewagt, aus AEL,L, eine einheitliche Recension herzustellen und auf den Grundtext zurückzu- gehen. Eifrig hat er sich bemüht zu zeigen, dass die lateinischen Übersetzungen aus dem Syrischen geflossen sind (vergl. auch Zanx’s und meine frühere Ansicht). Diese Meinung lag nahe, solange man von der Existenz des Briefwechsels in griechischer Sprache überhaupt nichts wusste. Nun aber, seit Citate in der apostolischen Didaskalia nachgewiesen sind und seit durch den Kopten gewiss geworden ist, dass die Briefe griechisch existirt haben (und zwar als Bestandtheil der Acta Pauli), ist die an sich schwierige, aber früher doch wohl verständliche Annahme, die lateinischen Übersetzungen seien aus dem Syrischen geflossen, ganz unwahrscheinlich geworden.” Dazu kommt, dass sich bei beiden Lateinern griechische Worte finden. Endlich — und das ist durchschlagend — wird sich zeigen, dass die lateinische Übersetzung bez. die Übersetzungen in eine so hohe Zeit hinaufführen, ' Dies ist für die Würdigung von K in Bezug auf den Text der Acta Pauli überhaupt entscheidend. Durchweg ist also K bei der Textrecension in den Vorder- grund zu rücken. " 2 Siehe Senmpr, a.a. 0. S. 125 fi. Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 1: pokryj dass an eine Übersetzung aus dem Syrischen nieht wohl mehr gedacht werden kann. Wir beginnen damit, zunächst das Verhältniss der beiden lateini- schen Versionen zu einander zu untersuchen und ihre Entstehungszeit festzustellen, was bisher noch nicht geschehen ist. Zu diesem Zweck ist es nothwendig, beide abzudrucken." Auf einen neuen Abdruck von AEK aber verzichte ich und verweise auf VETTER, Zaun und Scnnipr.” (L,) [Explieit epistula Pauli ad Hebreos.] Ineipiunt scripta Corinthiorum ab’ apostolum Paulum. (1) Stephanus et qui cum eo sunt omnes maiores natu Daphinus et: Eubolus et Theophilus et Zenon, Paulo fratri in domino aeternam salutem. (2) SuperveneruntCorinthum‘ viri duo, Simon quidam et Cleo- bius, qui corundam fidem per- vertunt verbis adulteris, (3) quod tu proba: (4) nunquam enim audivimus a te kalia, se; (Oeeseinskcacnenterr. (L,) Peticio Corinthiorum a Paulo apostolo. (1) Stephanus et qui cum eo sunt” maiores natu Daphus [et Ze- non]” et Eubolus et Theophi- lus et Zenon Paulo in domino salutem. (2) Venerunt Corinthum duo qui- dam Simon et Cleobius qui quorundam fidem subvertunt corruptis verbis, (3) quae tu proba et examina; (4) ista enim numquam neque a te neque ab aliis apostolis audivimus, (5) sed quaecunque ex te aut ex illis accepimus, eustodimus. (6) cum ergo dominus nostri mi- sereatur, ut, dum adhuc in carne es, iterum haeec? a te 2* audiamus, (7) aut perveni ad nos aut seribe nobis; ! Dies empfiehlt sich auch deshalb, weil sie beide bisher nicht leicht zugänglich sind. ® Diese Arbeit war schon abgeschlossen, als mir Rorrr’s Bemerkungen zu unserm Briefwechsel (bei Hesneexe, Handbuch z. d. NTlichen Apokryphen, 1904, S. 388 ff.) zukamen. ® Ich würde ab unbedenklich in ad corrigiren, stände nicht in L, Peticio a Paulo. Ist nach scripta Cor. etwas aus- gefallen? — * Ms. Corintho. — ° Es sind vier Zeilen im Ms. abgerissen (ausser den acht ersten Buchstaben der 4. Zeile). "* Hinter sunt im Ms. ein ausgestriche- nes fratres. >* Offenbare Dittographie. 3* Ns. hec. 8 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. (8) eredimus enim, sieut adaper- tum estr.e. . ', quoniam libe- ravit te dominus de manu iniqui; petimus ut reseribas nobis; (9) sunt enim quae dieunt et do- cent talia: (10) non debere inquiunt vatibus eredi, Um) neque/esserdeum 2... (12) neque esse resurreetionem car- nis, (13) sed nec esse figm[entum]* ho- minem dei, (14) sed neque in carne venisse Christum, sed neque ex Maria natum, (15) sed nec esse saeeulum dei sed nuntiorum. (16) propter quod petimus, frater: omni necessitate cura venire ad nos, ut non in offensam maneat Corinthiorum ecelesia, et eorum dementia inanis in- veniatur. Vale in domino. Ineipit reseriptum Pauli apo- stoli ad Corinthios. (1) Paulus, vinetus Jesu‘ Christi his qui sunt Corintho fratri- bus in domino salutem. (2) In multis cum essem tae- diis°, non miror, si sie tam ' Der Name ist unleserlich. ® Ein Loch im Ms.; man erwartet om- nipotentem oder das Synonymum omnia te- nentem, s. 11, 9. ® Ein Loch im Ms. * Ms. Ihesu. so immer. 5 Ms. Zediüs. (8) eredimus enim, quomodo Atheonae! manifestatum est, quod te dominus de mani- bus inimiei eripuit, ita et nos credentes in domino; (9) sunt autem quae dieunt et docent talia: negant prophetis oportere uti; nee communium rerum esse deum potentem, nee anastasim futuram carnis, nec hominem a deo faetum, nee in carne Christum de- seendisse nee de Maria natum, nee dei esse orbem sed nun- tiorum. propter quae, frater, omne stu- dium adhibe veniendi ad nos, ut sine scandalo maneant (o- rinthiorum ecelesiae” et illo- rum dementia manifestetur. Vale in domino semper. Epistola tertia ad Corinthios, quae autentica non est. (1) Paulus vinetus Christi Jesu” fratribus qui Corintho sunt salutem. (2) In multis’ quae mihi’ non ut oportet eveniunt, non miror, I Ms. Atheone. — * Ms. ecclesie. 3 Ms. Jhesu, so immer. * Hinter In steht ein etwas verwiseclites Schriftzeichen, das aussieht wie ein 2 mit einem schrägen Strich, der von der oberen Kante links nach rechts geht. Ich halte das Ganze für ein ausgestrichenes n. An Stelle des mu (multis) hat auch ursprüng- lich etwas anderes gestanden (BrA'Tke). ° Ms. mich. Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 9 eito pereurrunt maligni de- ereta, (3) quia dominus Christus eitatum suum faciet, decipiens meus Jesus adventum eos qui adulterant verbum eius; (4) ego enim ab initio tradidi vobis quae et accepi et tradita sunt mihi a domino et eis, qui ante me sunt apostoli et fuerunt omnitemporecumChristoJesu, (5) quoniam dominus noster Jesus Christus ex virgine Maria natus est ex semine David seeundum carnem de' sancto spiritu de caelo a patre misso in eam per angelum Gabriel, (6) ut in hune mundum prodiret Jesus in carne ut” liberaret omnem carnem per suam na- tivitatem, et nos exeitet corporales, sieut et ut ex mortuis ipse se’ tipum nobis ostendit, (7) quia homo a patre eius finc- tus est. (5) propter quod et perditus quae- situs est ab eo, ut vivificetur per filii ereationem.' ! de ist vielleicht zu tilgen. Doch schreibt Be (bei GegRARDT, Texte u. Unters. Bd. 22 H.2 S.4) in Acta Theclae ı: de Maria ex semine David secundum carnem et de sancto spiritu Jesus Christus ... natus. ® Vielleicht ist ef zu lesen. ® Ms. irrthümlich est. * Ms. bietet nun die Worte: ut per quam carnem conversatus est malus, per eam et vinceretur, quia non est deus; suo enim corpore Jhesus Christus salvavit omnem car- nem. Sie finden sich v. 15. 16 wieder, und dorthin gehören sie auch, wie die anderen Zeugen lehren. Da sie dort in etwas ande- rer Übersetzung stehen. so ist mit VETTER anzunehmen, dass schon die griechische Vorlage von L; die Dittographie geboten hat. si malitiae praeeurrit disci- plina, (3) quia Jesus Christus veloeiter veniet in- dominus meus iuriam non ferens ultra ad- ulterantium doctrinam suam;: (4) ego enim in initio tradidi vobis quae a praecedentibus nostris sanctis apostolis acce- peram, qui omni tempore cum domino Jesu Christo fuerant, (5) quod' dominus noster Jesus Christus ex Maria natus est, quae est ex” [selmine David, dimisso ad eam a patre spi- ritu celesti, (6) ut prol[dilret in hoc seculum® et liberaret omnem [carneım]', et ut per carnem et in carne nos de mortuis suseitaret, [ac] quod Jipse relin]eendum se statuit exemplar, (7) et quia hom[o a deo patre]® formatus est, (8) ut revivesceret per adoptio- nem, ideo post mortem quae- situs est. Unsicher, vielleicht guia. ® Hinter ex ein ausgestrichenes Maria. 3 Ms. in hoc se cultu. * carnem muss ergänzt werden. ° BrarkE: »Vor guod hat ein kurzes Wörtchen, vielleicht ac, und hinter quod wahrscheinlich ipse gestanden. Hinter die- sem, aber nieht unmittelbar dahinter, er- kenne ich noch ein o, an welchem ein schräger nach oben gehender Strich, wahr- scheinlielı Bindestrich, sichtbar ist. Mit cen- dum beginnt die neue Zeile. Die Zahl der vor o und hinter ipse ausgefallenen Buchstaben auf etwa drei.« Gewiss ist relinguendum zu ergänzen. % An der defecten Stelle erkennt Brake noch ein d, ein o und ein p. schätze ich 10 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. (9) nam quia «deus omnium et omnia tenens, qui feeit cae- lum et terram, misit primum Judaeis prophetas, ut a pec- ‘atis abstraherentur; eonsiliatus' enim salvare do- mum Israel, partitus ergo a spiritu Christi misit in pro- (10) phetas qui enarraverunt dei eulturam et nativitatem Christi praedicantes temporibus mul- tis. non” quia iniustus princeps, deum volens esse se, eos sub manu necabat” et omnem car- nem hominum ad suam volun- tatem alligabat, et consum- mationes mundi iudicio ad- propinquabant, sed deus omnipotens, eum sit abieere nolens suam est de justus, finetionem, misertus caelis et misit' spiritum sanctum in Mariam in Galilea, quae ex totis praecordiis cre- didit accepitque in utero spi- ritum sanetum, ut in seculum prodiret Jesus, (15) ut per quam carnem CONVer- satus est malus, per eam vic- tus° probatus est non esse deus. U Ms. consolatus, Zaun und Diers con- siliatus. ® non kann nicht richtig sein. ® Ms. negabat. % VEITER will misertus est, de coelis emisit. ° Ms. vinctus; s. oben zu v.8 (dort et veinceretur, quia non est deus). (9) deus enim omnipotens, con- ditor celi et terrae', cum Judeos avellere vellet a de- lietis suis”, (10) qjuia s]tatuerat domum Israel salvam esse, partem de Christi spiritu collaltam super pro-]? phetas ad primos Judeos mi- sit, qui multo tempore, q....* in’ errore deum colebant, pro- nuntiaverunt. sed [in ]iustus‘ pote[ns...] cum vult esse deus, exterminavit eos; adeo’ illorum [ear]nem obli- gando. omnem voluptatibus (12) tune deus omnipotens nolens opus suum infirmari, dimisit spiritum suum in Ma- riam, (15) ut per quam carnem ille malus mortem® |..... ]xerat”, per eandem vietus comproba- retur. ı Ms. terre. — ° Hier fehlt misit pri- mum Judeis prophetas. 1» bietet diesen - Satz in v.ıo an Stelle eines ähnlichen. — ® Die Ergänzung ist nicht ganz sicher. — * Lücke von etwa fünf Buchstaben; lies quo ülli. — ° Lies sine (Verrer). — ° Ms. iusta, vielleicht ist inwwste zu lesen. — ? Brarke u. A. a deo und interpungiren vor omnem. — ° mortem steht zweimal im Ms. — ° contraxerat Brake, walırschein- lich induxerat (introduxerat VELTER). Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 11 (16) suo enim corpore Jesus Chri- STUSEIER: ER ee, Gas (18) (19) u As sedeillnee. prudentiam! absque fide”, dicentes non esse caelum et terram et omnia quae in eis sunt patris opera; ipsi sunt ergo filii irae; male- dietam enim colubri fidem habent. quos repellite a vobis et a doetrina eorum fugite! non enim estis filii” inoboe- dientiae sed amantissimae* ec- elesiae, propterea resurrectionis tem- pus praedicatum est; quod autem vobis dieunt re- surrectionem non esse carnis, illis non erit resurrecetio in vitam, sed in iudieium eius’, quoniam circa eum qui re- infideles neque (25) surrexit a mortuis sunt, non credentes intellegentes; neque enim, seiunt tritici semina sieut° alio- viri Corinthii, rum seminum quoniam nuda mittuntur in terra et simul corrupta deorsum surgunt in ! Es sind 3 Zeilen im Ms. fast ganz ab- gerissen, auf der vierten hat Mürter noch die Worte gelesen ... sed filü ... prudentiam. 2 absque fide ist eine Verschreibung für ein Verbum. ® Ms. fili. Ms. amantissime. 5 eius scheint unrichtig zu sein. ° Wohl verdorben aus aut. (16) Sie' enim in corpore Christus” Jesus omnem carnem servavit, (17) iustitiam et exemplum’ in suo eorpore ostendens, (18) per quod liberati sumus: (19) qui ergo istis consentiunt, non sunt filii iustitiae sed irae’ quia dei prudentiam respuunt dicentes celum et terram et quae in eis sunt non esse opus dei; (20) maledieti enim qui serpentis ° sententiam secuntur. (21) hos ergo abieite a vobis et a doctrina eorum fugite! (24) et quod dieunt anastasim non esse carnis, sibi dieunt quia® non resurgent, (25) quia non crediderunt, quia mortuus resurrexerit'; (26) neque, o Corinthiüi, frumenti aut ceterorum seminum in- telligunt sationem, quomodo nuda mittantur in terram, et cum dissoluta fuerint, resur- ı Vielleicht swo zu lesen. 2 Nicht sicher zu lesen. ® Wohl verschrieben für templum, s. die anderen Zeugen. * Ms. iustieie sed ire. 5 Es fehlen etwa 8 Buclıstaben. 6 Ms. siby dieuntque. Ms. rex surrexerit. un [05 D —_ (33) 1 2 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. voluntate dei corporata et vestita; non solum corpus, quod mis- sum est, surgit, sed quam- plurimum benedicens.' et si non oportet a seminibus tantum facere parabolam, sed a «dignioribus corporibus, vide, quia Jonas, Amathi filius, Ninevitis cum non prae- dicaret, sed cum fugisset, a caeto gluttitus est, et post triduum et tres noctes ex altissimo inferno ...... E exaudivit deus orationem Jo- nae, et nihil illius corruptum est, neque capillus neque pal- pebra: quanto magis vos, pusilli fide, et eos qui erediderunt in Christum Jesum exeitabit, si- cut ipse resurrexit? super ossa Heli- saei prophetae' mortuus mis- sus est a filiis Israel, et re- surrexit corpus et anima et ossa et spiritus: quanto ma- fidei a m/ortuis]® in illa die resur- gis vos pusillae’ getis, habentes sanam carnem, sicut et Christus resurrexit? similiter et de Helia propheta: filium viduae a morte resusei- Auch der Syr. hat das Activum. Ein unleserliches (vielleicht ausge- strichenes) Wort. »Tandem«, welches BERGER zu sehen glaubte, ist nach MÜLLER ganz ungewiss. Die Ergänzung sömiliter et ist nach möglich. Ms. prophete. Ms. pusille. So ergänzte mit Recht Bercer. (30) nu» bb. gunt in voluntatem dei et fiunt unum corpus: et non solum quod missum surgit, sed multiplex. quodsi a seminibus nolumus sumere exemplum, certe scitis, quod Jonas, Ama- thi filius, dum non vult pro- nuntiare in Ninivem, devo- ratus est a marina bestia, et post tres dies et tres noctes ex infima' morte surrexit. exaudivit enim deus orantem Jonam, nec quiequam eius consumptum” est, non pillus neque palpebra: quanto magis vos, qui cre- didistis in Christo Jesu, suseci- tabit, quomodo et ipse sur- rexit? et cum Helisei prophetae® mortuis ossibus’ quidam dis- iectus a filiis Israel mortuis in suo COor- nonne et vos super cor- pus et ossa’ spiritu® domini misso’ in illa die resurgetis integram habentes carnem? ca- resur- rexit a pore: Ms. infirma. Ms. compsumtum. Ms. prophete. ossibus mortuus? et ist zu ergänzen. Lies spiritum. Lies missi. Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 13 tavit': quanto magis vos do- minus Jesus in voce tubae’”, in nutu® suseitabit, sieut et ipse a mor- oculi a morte re- tuis resurrexit? tipum enim nobis in suo corpore ostendit. quod si quid aliud recepistis, erit vobis testimo- nium, et molestus mihi nemo (34) deus in sit; ego enim stigmata Christi in manibus* habeo, ut Christum luerer, et stigmata crueis eius in corpore meo, ut veniam in resurrectionem ex mortuis. (36) et si quisquam regulam acce- pit per felices prophetas et sanctum ev[angellium, ma- net’, mercedem accipiet, et cum re[surrjexerit a mortuis, vitam aeternam consequetur; qui autem haec praeterit, ignis est cum illo et cum eis qui sie praecurrunt, qui sine deo sunt homines, qui sunt genera viperarum, quos repellite in domini po- testate, et erit vobiscum pax, gratia et dileetio.. Amen. Explieit epistula ad Corinthios tertia. ZEMS: 2 Ms. Zube. ® Ms. notu. % stigmata Christi in manibus muss falsch sein; die stigmata folgen erst im nächsten Satz. 5 manet ist auffallend; auch fehlt die Copula; mindestens ist manet et zu lesen oder besser e? manet. resuscitabit. (34) quod si alia potius admit- titis', molesti esse mihi no- lite; ego enim arca [?]”, ut Christum in me lucrifaciam, et ideo stig- mata corpore meo porto, ut in resurrectione mor- eius in tuorum et ipse inveniar. (36) et quieumque huie regulae', quam per beatissimos prophe- tas et per sanctum evange- lium acceperunt, intenderunt, mercedem a domino acecipient. qui vero ista praeterierint, in erunt, 5 ienem aeternum* et quicumque taliter versan- tur, (35) ii“ sunt progenies viperarum, a quibus vos separate’ in vir- tute domini, et erit vobiscum pax. ı Ms. admittititis. 2 inarca — im Gefängniss, meintV EIER. Unsicher. > Ms. regule. 4 Ms. eternum. 5 Raum von etwa 3 Buchstaben an dieser durchlöcherten Stelle; der letzte Buchstabe war vielleicht ein 2; über ihm ist noch ein wagerechter Abkürzungsstrich zu sehen (BrATEE). 6 Ms. Aü. " Ms. separarate. 14 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Die Vergleichung der beiden Übersetzungen zeigt, dass L, selavisch wörtlich und im Vulgärlatein abgefasst ist — ganz wie die ältesten Bibelübersetzungen —, dass aber L, ihm gegenüber die Sprache der Gebildeten spricht und, was aus irgend einem Grunde anstössig war, entfernt bez. durch einen neutralen oder biblischen Ausdruck ersetzt hat. Das Verhältniss ist etwa das der Vulgata zur sogenannten Itala oder das des Lucas zu Matthäus und Marcus. Eine Reihe von Bei- spielen mag das erweisen: L, Überschrift: Seripta Corinthiorum I, 2 verbis adulteris I, 8 adapertum I, 8 de manu iniqui I, ıo vates I, 13 esse figmentum hominem dei I, 15 esse saeculum dei I, 16 omni necessitate eura venire I, 16 ut non in offensam maneat Üo- rinthiorum ecelesia I, 16 deınentia inanis inveniatur Überschrift: veseriptum II, 2 in multis taediis 2 perceurrunt maligni decreta 3 eitatum adventum faciet II, 3 dominus ... decipiens II, 3 qui adulterant 4 qui ante me sunt 5 ex virgine Maria, ex semine David Nu, Il, 5 spiritu misso in eam Il, 6 corporales II, 6 tipum 6 II, 7 homo finetus 5 vivificetur ll, 8 per filii ereationem 9 omnia tenens Il, 9 qui feeit caelum et terram ll, ıo salvare IRTo partitus a spiritu Il, ıo dei eultura ll, ır sub manu necabat II, ı1 et alligabat II, ı2 finetionem Il, 15 ut probatus est(!) ll, 20 colubri fidem ll, 23 infideles sunt eirca ll, 26 tritici ll, 26 corporata II, 23 non oportet facere parabolam L, Petitio Cor. eorruptis verbis manifestatum de manibus inimiei propheta hominem a deo factum dei esse orbem omne studium adhibe veniendi ut sine scandalo man. Cor. ecel. dementia manifestetur epistola in mults quae mihi non ut oportet eveniunt malitiae praecurrit diseiplina veloeiter veniet dominus .. iniuriam non ferens adulterantes praecedentes ex Maria quae est ex semine David dimisso ad eam spiritu in carne exemplar homo formatus revivisceret per adoptionem omnipotens conditor caeli et terrae salvam esse partem de spiritu collatam qui deum colebant exterminavit obligando opus comprobaretur serpentis sententiam non erediderunt fruumenti fiunt unum eorpus nolumus sumere exemplurn Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 15 L, L, ll, 29 a caeto gluttitus devoratus a marina bestia Il, 30 triduum et tres noctes tres dies et tres noctes I, 30 ex altissimo inferno ex infima morte I, 30 orationem Jonae orantem ‚Jonam II, 30 et nihil nee quiequam II, 32 habentes sanam carnem integram habentes carnem II, 34 quod si quid aliud recepistis quod si alia potius admittitis, molesti . molestus mihi nemo sit esse mihi nolite II, 36 felices prophetae beatissimi prophetae Il, 37 ignis est cum illo in ignem [werden sie gehen] 1I, 37 ii qui sie praecurrunt quieunque taliter versantur ll, 38 qui sunt genera viperarum ii sunt progenies viperarum II, 39 quos repellite in domini po- a quibus vos separate in virtute do- testate mini! Diese Tabelle zeigt deutlich, dass L, die Schriftsprache kennt; seine Übersetzungen erscheinen wie Correcturen des unbeholfenen und vulgären Stils von L.. Ist L, eine auf Grund oder unter Zuziehung der Version L, an- gefertigte Übersetzung oder ist sie ganz selbständig? Beide geben mpecsYTeroı durch »maiores natu« (I, 1), Ärrenoı durch »nuntii« (I, 15) wieder.” Sie schreiben beide: I, r Stephanus et qui cum eo sunt (omnes) maiores natu I, 2 qui quorundam fidem ..... tu proba I, 9 sunt ... quae dieunt et docent talia I, 16 dementia (4 MaPla) I, 16 ut non in offensam (sine scandalo) maneat (CKANAANITECEAI) ll, 2 in multis .... non miror ll, 3 adulterare (AonoYn) II, 4 ego enim ab (in) initio tradidi vobis quae ]I, 4 omni tempore II, 6 ut prodiret ... et (ut) liberaret omnem carnem II, 9. 10 vergl. die Periodenbildung I, 15 ut per quam carnem II, 19 prudentiam (cYnecın) Il, 21 ... a vobis et a doctrina eorum fugite ll, 32 in illa die resurgetis II, 37 praeterire (TAPABAINEIN) Da die hier aufgewiesenen Übereinstimmungen nur grösstentheils, aber schwerlich alle zufällig entstanden sein können, so ist es meines Erachtens wahrscheinlicher, dass L, die Übersetzung L, gekannt hat.* ! Zu bemerken ist noch, dass in L; viermal guoniam (= dass) steht, in L, nie- mals (dafür quod, qwia, quomodo). ® Aber II, 5 schreibt L, per angelum Gabriel. ® Am deutlichsten scheint mir die Abhängigkeit von L; bei 1,16 und bei I, 9. 10. In I, ı6 hatte der Grieche ckanaAnıcei, L; hat das durch in offensa(m) maneat über- setzt, L, durch sine scandalo maneat. Woher kommt das maneat in L,.. wenn nicht aus L:? Ferner, in II, 9. 10 bietet L, das prophetas ad Iudaeos misit gegen den Grundtext nicht in v.9, sondern erst in v.ıo. Aus dem Grundtext lässt sich das nicht erklären, 16 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Aber L, ist nur seeundär von L, benutzt worden; denn L, hatte einen sehr viel besseren (weil nicht interpolirten) Text vor sich; er hat zwei- nal anastasim geschrieben, wo in L, resurrectionem steht (I, 12; II, 2A) und er hat (I, 16) das griechische Wort ckanaanizeın (s. den Kopten) bewahrt, wo L, non in offensam hat. Ihm war also der Grundtext nicht unbekannt. Er hat ihn neu, mit Berücksichtigung von L,, übersetzt. Dass L, auf‘ Grund eines viel reineren Originaltextes angefertigt ist, ist erst durch K deutlich geworden. Bevor wir K besassen, konnte man daran denken, L, sei ein absichtlich verkürzter Text; denn das Zeugniss von AL,, und öfters sogar das von AL,E, stand ihm gegen- über. Allein nach der Entdeckung von K ist diese Annahme nicht mehr möglich.” L, und K sind von Interpolationen relativ frei, AL, bieten einen stark erweiterten Text”, E steht in der Mitte. L, aber behält als Übersetzung seinen besonderen Werth durch seine Wörtlich- keit. Nach diesen Erkenntnissen bin ich bei der Recension des Textes verfahren; im Einzelnen will ich hier die befolgten Grundsätze nicht ausbreiten: die Methode mag sich selber rechtfertigen. Noch ist ein Wort über das Alter der lateinischen Übersetzungen zu sagen. Nimmt man an, was das Nächstliegende ist, dass sie aus sehr wohl aber aus L;; denn dort steht eine ganz verworrene Periode, in der das misit prophetas zweimal vorkommt, nämlich in v.9 und v.ro. Wer diese Periode klären wollte. that am besten, die Worte in v.9 zu streichen, und so ist L, verfahren. Auch die identischen Übersetzungen maiores natu und nuntiü erklären sieh am einfachsten durch die Annahme der Abhängigkeit der zweiten Übersetzung von L,. Ferner erscheint der Partikelgebrauch in L, an einigen Stellen wie Correeturen des in L; vorliegenden Textes. ! Dies ist eine nicht zu erklärende Singularität; sonst bietet L,; umgekehrt dort lateinische Worte, wo L; griechische hat (s. II, 6 &pum, exemplar, II, 28 parabolam, exemplum, 11, 29 cetus, marina bestia). Dass L» propheta statt vates (L,) schreibt, gehört nicht hierher; denn vates lautete profan. ® Übrigens hat L, selbst ein paar Interpolationen, kann also schwerlich systema- tisch verkürzt sein. Das Eigenthümliche dieser Interpolationen besteht aber darin, dass sie in der Regel bei keinem der anderen Zeugen nachzuweisen sind, während AL; bez. AE bez. AL,E viele Interpolationen gemeinsam haben. Interpolationen, die L; allein hat: l, 3. 8.16. I, 4 (bis). 6. 32. 35 (bis). 36. 37. Die Stellen, an denen L, mit K (bez. KE) gegen L,AE (bez. L,A) einen kürzeren und sicher echten Text bieten, sind zahlreich. AL; gehen auf dieselbe interpolirte Recension zurück; jeder Zeuge hat aber noch seine besonderen Interpolationen. An den Stellen, an welchen L, mit einem kürzeren Texte gegen alle anderen Zeugen steht — ich zähle 18 solcher Stellen —, ist die Entschei- dung schwierig, da in acht von diesen Fällen K, dreimal K und E, und einmal E fehlt. Es bleiben sechs Stellen (I, 2. II, 2. 5. 12. ıg [bis]), in denen L,>L,KAE etwas aus- lässt. Auf I, 2 (veri) und 11, 19 (il) kommt nichts an. In den anderen vier Fällen bin ich geneigt, L» Recht zu geben; denn II, 2 (tam cito) scheint ein Zusatz aus Gal.ı, 6 zu sein; Il, 5 (sancto) war neben spiritu den Abschreibern fast nothwendig; 11, ı2 (cum sit wustus) schien durch guia iniustus (Il, 11) gefordert, und das omnia in II. 19 wurde nach der geläufigen biblischen Phrase eingesetzt. ° Ganze Verse haben sich nun als interpolirt erwiesen (N. 14. 22. 23. 33) und ein paar Halbverse. Zum Theil sind die Interpolationen aus Parallelstellen in den echten Paulusbriefen getlossen. Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 7 einer Übersetzung der gesammten Acta Pauli ausgegliedert worden sind, so gehören sie dem 3. Jahrhundert bezw. am wahrscheinlichsten der Zeit zwischen 190 und 250 an'; denn später sind diese gewiss nicht in's Lateinische übersetzt worden.” Aber auch aus inneren Gründen wird man die Übersetzungen der Briefe nicht in das 4. Jahrhundert oder in eine noch spätere Zeit rücken dürfen. Hätte man im 4. Jahr- hundert nPrecsyteroı durch maiores natu?, Arrenoı durch nuntä wieder- gegeben? Und wenn das Letztere noch möglich war‘ — hätte man wie L, TAnToKPAT@P (ll, 9) durch omnia tenens übersetzt’, mposAtHc durch vates (1, 10)", maxAPpıoı mPoeAtaı durch felices prophetae (II, 36)? Hätte man Zipus (II, 6) stehen lassen, umgekehrt aber scripta (= epistola) ge- schrieben? In L, haben wir die noch tastende, ungeschickte Sprache der wenig gebildeten alten Bibelübersetzer anzuerkennen, die am Ende des 2. und in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts gearbeitet haben. Das ist in L, anders; aber sowohl der vorzügliche Grundtext, den dieser Übersetzer in die Hand bekommen hat, als auch das Unter- nehmen überhaupt, diese Briefe noch einmal zu übersetzen, spricht für das 3. Jahrhundert.” Wer hatte denn im 4. Jahrhundert in der Kirche des Abendlands noch ein Interesse, diese Schriftstücke zu übersetzen? Durch die Versionen werden wir, was den Ursprung der Briefe betrifft — von ihrer Zugehörigkeit zu den Acta Pauli einmal abge- ' Sichere Anhaltspunkte. um eine unserer Übersetzungen oder beide mit einer oder zwei der lateinischen Übersetzungen der Acta Theclae zu identificiren, habe ich nicht gefunden. Der Ausdruck marina bestia (L, II, 29) findet sich auch in jener Latina (c. 34) der Acta Theclae, die Gesuarpr mit Ce bezeichnet hat. ® Siehe meine Chronologie Bd. 11, S. z14f. ® Siehe dazu Chronologie II, S. 30gf. * Nuntü für Arrenoı findet sich bei Commodian einmal (Carmen 99), vgl. die Versio latina zum I. Clemensbrief c. 39. ° Il, ı2 steht omnipotens. Omnia tenens ist wohl uralt, aber früh verdrängt worden; s. Casparı, Quellen zum Taufsymbol III, S. g92f., 20gf. % Aber II, 9 steht prophetae, vergl. II, ro. 36. ” Dazu kommt nicht nur das zweimal gebrauchte anastasis, sondern auch die merkwürdige Übersetzung für TIANTOKPATOPA in 1, 1ı communium rerum potentem. Diese Übersetzung, die dem Sinn des griechischen Worts viel besser entspricht als omni- potentem (denn dieses ist —= TIANTOAYNAMoc), ist doch nur in einer Zeit verständlich, in der die Formel deus omnipotens im Abendland noch nicht völlig erstarrt und souverän war. Ein Übersetzer, der drei der geläufigsten kirchlichen Bekenntnisssätze also for- mulirt: communium rerum esse deum potentem, anastasim futuram carnis, dei esse orbem non nuntiorum hat schwerlich erst im 4. Jahrhundert gearbeitet. Nostri sancti apostoli (11, 4) kann natürlich sehr wohl schon im 3. Jahrhundert geschrieben sein, ebenso beatissimi prophetae (ll, 36). Dass in 11, 2 aörmara (so der Kopte) durch disciplina wieder- gegeben ist (L, decreta), spricht auch mehr für ein höheres als für ein jüngeres Alter. Für jenes darf man sich aber schwerlich auf das de Maria natum (1,14) berufen; denn wenn es auch im 2. Jahrhundert eine Controverse (mit den Valentinianern) über de und ex gegeben hat, so war diese bald vergessen. Sporadisch kommt, wie bei Justin so auch in späterer Zeit, selbst bei Orthodoxen de immer noch vor. Sitzungsberichte 1905. 2 15 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. sehen —, bis in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts sicher hinauf- geführt: denn das handschriftliche Verhältniss der 5 Zeugen ist ein so complieirtes, dass man zahlreiche Mittelglieder zwischen ihnen an- nehmen muss und ein Stemma zu entwerfen unmöglich ist. Die von Aphraates und Ephraem benutzte syrische Übersetzung kann aber be- reits nicht später fallen als zwischen 250 und 350 (s. oben), und doch hat sie, wie die Vergleichung mit K und L, beweist, schon einen Originaltext benutzt, der eine reiche Geschichte hinter sich hatte; denn dieser Text weist gemeinsame Interpolationen und Fehler auf (1) mit KAL,, (2) mit AL,, (3) mit A. Aber noch mehr: der Originaltext von L, ist neben A das letzte Glied in der Textgeschichte dieser Briefe, das wir kennen; dennoch zeigt der Charakter der Übersetzung L, (s. oben), dass man sie nicht später als auf das 3. Jahrhundert datiren darf Also fällt die ganze uns bekannte Textgeschichte dieser Briefe — von den Sehreibfehlern und Verwahrlosungen abgesehen — in das 3. Jahr- hundert, ja wahrscheinlich in die erste Hälfte desselben." Ich lasse nun die Rückübersetzung folgen?: "Emictonk Korıneiwon mPpöc TIavaon]| (1) CTeoanoc Kal OI CYN AYTW TIPECBYTEPOI AAB@Noc Kal EYBoynoc ka Oeö- eInoc KAl TENWN TlaYaw EN KYPiw XAIPEIN. (2) Anfneon eic Körıneon AYo [Änarec| Tınec, Cimwn Kal Kaeösıoc, oil ANATPETIOYCI THN TINWN TIICTIN AÖTOIC BAABEPOIC, (3) OYc CY AoKImaIe, (4) 0Y- (1) E verkürzt: »Stephanus und die Priester, die mit ihm, an Paulus, den Bruder, den Herrn (!) Gruss«. — L; bietet omnes vor TIPecBYTePoı (TTPecgYTeroi bietet K griechisch). — Daphnus RK, Dabnus A, Daphinus L;. Daphus L.. In A steht nur vor Xinon ein KAl. — K om. Beösinoc. — ZENWN K (A), Zenon L;L.. — L, bietet et Zenon zwei- mal. — TO Aaeneö nach Tlayıo AL,E>L;K, vielleicht ursprünglich. — aeternam (salutem) L;>1L2AKE. Siehe zur Adresse die Adresse des Polykarpbriefs. (2) Anfneon RK. supervenerunt L;, venerunt cett. — [Anarec| L,KAE, om. L.. — Simon mit Namen A, mit Namen Simon und Kleob. E, Simon quidam 1... — Klo- bius E. — ol ANATP. s. 11. Tim. 2, 18: ANATPETIOYCIN THN TIN®ON TIICTIN, sie ziehen an sich E. verwirrt haben KR; A fügt gewaltig (sogar zweimal) hinzu. — verbis adulteris L;. corruptis verbis L.. durch böse Worte K, dureli trügerische und verderbliche Reden A, durch verderbliche Reden E; kakoic oder TIONHPOIC ist daher schwerlich genügend. Zu snaBerolc s. I. Tim. 6, 9. Die Stelle ist benutzt in der syrisch und lateinisch erhaltenen, ursprünglich griechisch verfassten Didascalia apost. 23 (Texte u. Unters. Bd.25 Heft2 S.121). (3) Lı (quod tu proba), 12 (guae tu proba et examina), so auch (aber ohne e£ examina) KR (er hat uns das Wort AokimAzein hier. überliefert); von welchen du Kunde erhalten musst AB. (4) talia L;,. ista L,. derartige Worte KAE. — nunguam neque L>. — TAP, das 2. oYTe und Amöctono!l sind von IX sriechisch überliefert. S. I Kor. 1 — 3. ! Die grossen Zusätze in AL, sind somit auch »alt« (II, 14. 22. 23. 33). ® Die griechische Rückübersetzung der Brüder Waısron (London. 1736) habe ich nicht eingesehen. Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 19 AEMOTE FÄP HKOYCAMEN OYTE TIAPA COY TOIAYTA OYTE TITAPA TWN ANAWN ATIOCTOAWN, (5) Ann’ A TAPA CoY Kal TON ÄnawNn EnABOMEN KPATOYMEN. (6) wc [ei?] ofn d KYPIOC HAEHCEN HMAC, INA ETTIMENONTOC ETI COY EN TH CAPKI (COY) TIÄNIN AKOYWMEN ara] mAPA coY, (7) Epxoy TIPÖC HMmAc'’ (S) TIICTEYOMEN TAP, WC ÄTIEKANYPOH ©eonöH, OTI Ö KYPIÖC CE EK TÜN XEIPÜÖN TOY ANÖMOY EPPYCATO' (9) EcTi A& A nErTOYCI Kal AIAACKOYCI TÄAE' (10) 0Y Acl, »Aci, TOIC TIPO®SHTAIC XPHÄceAl, (11) 0YTE TON BEÖN EiNAI TTANTOKPÄTOPA, (12) OYTE ÄNACTACIN EINAI TÄC CAPKÖC, (5) Die vv. 5—7 sind in L; fast ganz abgerissen. — AnnA hat K griechisch er- halten, Ann A RL.. — kai KAE, aut L.. — T.Annon KL,A (jenen) > den andern Aposteln E. — Statt «PAToYmen (s. II. Thess. 2. 15) kann ınan auch an KATEXoMEN denken (l. Kor.ı1, 2). — AE (Aber) so viel wissen wir, dass wir Alles, was. — A fest bewahrt haben. (6)—(8) Diese Verse sind durch Interpolationen in allen Mss. (s. Scanivr z. d. St.) entstellt. In L, ist von v.6 u. 7 nur noch in carne t(ua) und nos (vor eredimus) erhalten. K: Wie (nun) der Herr sich unsrer erbarmt hat, dass wir, wäh- rend du dich (noch) in deinem Fleische (cArz) befindest. wiederum hören von dir, wenn es möglich ist, dass du kommst zu uns; denn (rAP) wir glauben, wie offenbart ist der Theono&, dass der Herr dich ... aus des Gesetzlosen (Anomoc); L,: cum ergo dominus nostri misereatur, ut, dum adhuc vn carne es, iterum haec a te audiamus, aut perveni ad nos aut scribe nobis ; credimus enim, quomodo Atheonae manifestatum est, quod te dominus de manibus inimiei eripuit, ita et nos credentes in domino; Ly: credimus enim, sieut adapertum est ..., quoniam liberavit te do- minus de manu iniqui; pelimus ut vescribas nobis; A: Aber darin erzeigte uns der Herr viel Erbarmen, dass wir, während du noch im Leibe bei uns bist, es abermals von dir hören sollen; nun entweder schreib du uns. oder komm doch sofort selbst zu uns! Wir vertrauen auf den Herrn, dass, wie eine Offenbarung dem Theonas gezeigt worden ist, dass nämlich der Herr dich aus den Händen des Gottlosen erlöst habe; E: Aber darin hatte der Herr grosses Erbarmen mit uns, dass wir, solange du noch im Fleische bei uns bist, in einem Brief all’das wiederum von dir vernehmen sollen, was wir mündlich von dir gehört hatten. Oder komm gar selber sofort zu uns! Wir vertrauen auf den Herrn, dass er entweder dem Etheonas sich geoffenbart und Christus dich aus den Händen jenes Gottlosen er- löst und zu uns gesandt habe, oder dass du einen Brief an uns schreiben werdest. Die Alternative, er solle einen Brief schreiben (aber dazu brauchte er nicht aus dem Gefängniss befreit zu sein), ist aus begreiflichem Grunde eingetragen (s. aber v.16); da er nicht nach Korinth gereist ist, so schiebt auch N. der hier allem das Richtige bewahrt hat, wenn es möglich ist ein. — üc oYn L.K. — HnerHcen LK, grosses Erbarmen AE. — Zu EtMmenon. En T. c. s. Philipp. 1, 24. — cAPkI coy KL;,, cArkl AL,. — [TAYTA] L2AE, om. RK. — de manu Li. — ToY AnömoyY s. II. Thess. 2. 8. — Statt eppYcATo stand vielleicht ezeinaTo (Act. 12, ır). (9) ecti L,L;. es sind die verkehrten Reden KEA (KA dazu noch dieser Leute). — ae K. (10) uti L,, annehmen AE, credi L, (IK fehlt). — mPposATAı RK bietet das grie- ehische Wort. (11) nee L,, neque L,. — sagen sie AE. — TIANTOKPAT@P KR (so auch AL), (om- nipotentem) Lr, communium rerum potentem T». (12) nee L,, neque Li. — ANACTACIN KL,. — sagen sie AE. — esse LÄAE (RK fehlt), Juturam L;. — cAPE K bietet das griechische Wort. Die 3 Verse sind in der apostolischen Didaskalia benutzt (s. a. a.O. S.ı2r, gleich nach der Erwähnung des Simon und Rleobius): »sich nicht der Propheten zu bedienen, Gott den All- mächtigen zu schmähen und nicht an die Auferstehung zu glauben«. DE 20 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. (13) oYre mAACIN TÖN ÄNBPWTION EINAI TOY 8E0Y, (IA) OYTE EN CAPKIi TON XPICTÖN EAHnYBEnAaı OYTE rerennAceai &&k Mariac, (15) OYTE TON KÖCMoN EINAI TO? E07 AnnÄ TON Arrerwn. (16) AlA TOPTO, AAENGE, TIÄCAN CTIOYAHN TIOIOY EPXEceAl tipdc HmAc, Ina MA CKANAAnıceh H TON Korineiwn EkkaHcia Kal H mwpla [MATAIO- noria| Exeinun Kenweh [Arrokanvsen]. Eppwco En KYPiw. (13) nec L,(AE), sed nec L: (R fehlt), und keineswegs AE. —L, ist hier am genauesten: mec esse fiymentum hominem dei. — TıAcıc K, figmentum L;, (von Gott) seschaffen L,AE. — sagen sie AE. — dei L;,K, von Gott L,AE. — sondern von den sieben Lenkern E. (14) nec L,(AE), sed neque L; (K fehlt). — En carki L,LıK (cArz), dem Fleische nach A, in einem irdischen Leibe, sondern mit einem himmlischen Leibe E. — Tön XPictön L;L., Jesum Christum A, TöN KYPIon K, E (unserm Herrn). — venisse RL;ıE (A lässt es und das folgende oYTe aus), descendisse L,. — oYte R, nee L,, und nicht E, sed neque L,. — sie lassen nicht geboren sein AE. — && L;K, von AE, de L, (schwerlich das Ursprüngliche, sondern ungenau). — der Jungfrau Maria AE; denn hindurch, sagen sie, ging er durch sie, ohne etwas von ihr anzunehmen E. (15) Köcmoc, AnnA, Arrenoi K. — nec L,KAE, sed nec Li. — esse L,Lı KA, sie lassen sein E. — sagen sie A. — dei L,L,, die Gottes K, ein Geschöpf Gottes AE. — nuntiorum LıL», irgend eines von den Engeln (gewisser Engel) A. (16) propter quod Lr, propter quae L., deswegen K, E (+ nachdem wir einen Brief an dich geschrieben haben), nun A. — Anense fehlt in E. — omne stu- dium adhibe (s- Judas 3) L., omni necessitate cura Lı, beeile dich in allen Dingen K, eilends nimm es auf dich AE. — nach hier zu uns K. — E+ und zwar du selber persönlich, damit durch deine Erscheinung und deine Rede. — CKANAANIZEIN ist durch K überliefert, sine scandalo maneant L., non in offensam maneat L;, ohne Ärgerniss dastehe AE. — Corinthiorum ecclesiae L» (wahrscheinlich nur Schreib- fehler), durch K ist EKKAHcla überliefert, die Stadt der Kor. AE. — dementia L;L., Thorheit KAE. — inanis inveniatur L;, manifestetur L., offenbar werde K, vor allen zuSchanden und ausgetilgt werde AR (E+durch die offenkundige Zurechtweisung deiner wahrhaftigen Predigt). — L. + semper zu €ppuco. — In den Acta Pauli ging, wie der Kopte lehrt, eine Inhaltsangabe des Briefs dem Brief insofern voran, als die Irrlehren des Simon und Kleobius aufgezählt werden (Scamip'r S.73f.): »Sie sagten, es gebe keine Auferstehung (AnActacıc) des Fleisches (CAPE), sondern (AnnA) die des Geistes (mneYMmA), und dass der Körper (cöma) des Menschen nicht sei das Gebilde (rmAcic) Gottes, und auch von der Welt (xöcmoc), dass Gott sie nicht geschaffen habe, und dass Gott nicht kenne die Welt (köcmoc), und dass Jesus Christus nicht gekreuzigt sei, sondern (AnnA) ... gewesen sei, und dass er nicht ge- boren sei aus der Maria oYre aus dem Samen (crıepma) Davids«. Das deckt sich we- sentlich mit dem, was die Korinther an Paulus schreiben. [Aıfrkcıc] (1) Anfnerkon Oi AIAKONOI THN ETTICTOAHN Eic Pininmovc, OPEnToc Kal Eyrvxoc, (2) üclre] Ton TTaYnon AABEIN AYTHN, Öc AeAEMENoc ÄN AlA THAN Dieses Stück fehlt in L;L,. — (1) ol AlAkonoı [K überliefert das griechische Wort] und die Namen fehlen in EE— Nahmen, brachten AE, nahmen hinauf K, vielleicht Anerkon ANANABÖNTEc. — ErtictoAH K.— in die Stadt Ph. AE.— näm- lich Thereptus und Tychus A. (2) @cte K (aber nach Scauipr ist das nicht maassgebend, K giebt auch @c durch öcre wieder), als A, E paraphrasirt, lässt aus, missversteht und mischt Fremdes Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 21 CTPATONIKHN, THN TYNAIKA TO? ÄTIOANOSANOYC" Kal Ertensei (3) KAl EKPpAze Aerwn’ KPEITTON FIN MOI ÄTIOBANEIN KAl ENAHMÄCAI TIPÖC TON KYPION Ä EINAI EN TÄ CAPRI] KAl TOIOYTOYC AÖTOYC ... ÄKOTCAI . .., WCTE AYTIHN Eneein Em AYTIHN; (4) und nicht mögen, nachdem [während] ich um der Menschen willen [?] Fesseln ertragen [ertrage], wieder die Priester [Ränke] Satans zuvorkommen [anlaufen]. (5) Und so fertigte Paulus unter vielen Leiden die Antwort auf den Brief aus. ein. — Statonike A, inE fehlt der Name. — Vor ErrieneHhce + AE so sehr, dass er der Banden vergass. — Tiengein K. — zu TIensen+ wegen der Reden, die er hörte AE. Der 2. Vers und der Anfang des 3. können nicht mehr sicher wieder hergestellt werden; vielleicht ist so sehr, dass er der Banden vergass doch einzuschalten und &rieneeı und Ekraze sind in den Infinitiv (abhängig von &c) zu setzen (s. Scanipr S.14r). (3) er rief aus K, er sagte AE. — nach neron+AE weinend. — Wie es mir doch besser wäre AE. — xPpeitton KTA. s. Philipp. 1, 23; II. Kor. 5, 8. — nach KYPon+E in Hoffnung und Frieden. — cAp£ K. — E lässt alles nach carkı aus, in K sind drei Zeilen fast verschwunden (nur »hören« »öcte« »Betrübniss« sind erhalten). A, der einzige Zeuge, bietet: Und solche Reden der Kümmer- niss höre ich als die der Lehre (??). Betrübniss siehe kommt über Be- trübniss. — Zu ücTe Kran. s. Philipp. 2, 27. (4) Auch die zwei Zeilen dieses Verses sind in K so gut wie verschwunden, ebenso der 5. Vers (bis auf die Worte »schrieb« »in Betrübniss«). Eine Rücküber- setzung des in AE (verglichen mit dem in K in Anspruch genommenen Raum) augen- scheinlich erweiterten und nicht recht verständlichen Texts empfiehlt sich nicht. Ich habe die Fassung von E in v.4, von A in v.5 im Texte gegeben. E hat in v.4 noch den Zusatz: zu verwirren und zu verkehren die Menschen, welche ich be- kehre. A lautet: Und zu so grossen Bedrängnissen hin in Banden sein und ansehen solches Unheil, beidem die Ränke Satansanlaufen. E (v. 5): Und so unter vielen Leiden in Folge der Verfolgungen und Enttäu- schungen, die er erduldet hatte, fertigte Paulus weinend die Antwort auf den Brief für die Korinthier, indem er also sagte. Zu v.5 s.1I. Kor. 2.4: &k TÄP TIOnANÄCc eniYewc Kal CYNOXÄC KAPAIAC ErTPAYA YMIN AIA TIOANÖN AAKPYÜN. lEnicroan TTayaoy mpöc Korineloyc] (1) TTarnoc, 5 a&cmıoc IHco? XPıcTo?, Toic Aneneoic TOIc 0Ycın En Korinew xAlPEIN. (2) "En TIonnAic AHalaıc ÜN 0% eaymArw Ortı [oYTw Tax&uc] rPoxwPrei (1) ö A&cmioc KTA. s. Philem. 9, Ephes. 3, 1. — “IHcoY Xp. L;AE, XP. ’Iuc. L, nach Eph. 3, 1, K fehlt. — Tolc ofcın L,I,K>AE. aus vielem Missgeschick da- hier A, aus vieler Bedrängniss dahier, die ich habe durch Foltern und Fesseln und schlimme Nachrichten E; die Worte stehen in AE vor xaiPein, in KL;L, beginnt der eigentliche Brief mit ihnen. — in domino salutem L;. (2) In multis quae mihi non ut oportet eveniunt L., in multis taedüs L., Miss- seschick A, Trübsale K, Bedrängniss E. — or earmArw Kran. s.Gal. 1,6. — sic tam cito Lı, also in Eile K, gar so rasch AE, om.L; (vielleicht richtig). — praecurrit L., percurrunt L,, laufen K, eindringen A,E (+ in die Welt). — TA AÖFTMATA TOY TIONHPoY bei K erhalten, maligni decreta L;, die Verführungen des Bösen AE, malitiae disciplina L». 22 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. TÄ AÖrMATA TOF TIONHPOF" (3) 8 ae KYPpıöc moyY IHcofc XPIcTöc TAXYNEI THN EITIoÄNEIAN AYTOT, ÄBETON TOYC AOnOTNTAC |MeeoAeYoNTAc| TON Aöron [TA nörıa] AYToY. (4) Erb rÄP EN ÄPxÄ TIAPEAWKA YMIN A TIAPENABON ÄTIO TON TIPO EmoY ÄTIOCTÖNWN, Oi EN TIANTI XPÖNW cYNAcan IHco? XPict® (5) öTı ö KYPIoc HMON *Incotc Xrıctöc &k Mapiac Ex crıepmaroc Aayeia ErennHeh TINEYMATOC |ArioY| EZATIOCTANENTOC EK TO? OYPANOF ATIO TOF TIATPÖC EIc AYTHN, (6) INA EneH Eic TOFTON TÖN KÖCMON KAl EAEYGEPWCH TTÄCAN THN CAPKA AIÄ TÄC CAPKÖC AYTOY Kal (3) weil mein Herr nämlich (rAr) K, qua dominus meus LıL», aber unser Herr AE. — citatum adventum suum faciet L,, wird alsbald seine Ankunft voll- ziehen ARE, velociter veniet KL, (vielleicht das Ursprüngliche). — ASETEIN ist durch K überliefert, aber KAE haben den Satz missverstanden (indem ihn gering achten die, welche seine Worte verkehren, bez. wegen derer, die seine Gebote verkehren und verachten, bez. wegen derer, die ihn verachten eben da- durch, dass sie die Wahrheit seiner Worte verdrehen); das Richtige bei L:L, (decipiens bez. — schlecht paraphrasirt — iniuriam non ferens ultra). — eos, qui adulterant verbum eius L;, adulterantium doctrinam suam L:. AonoYNTAc nach 11. Cor. 4, 2 oder mesoaevontac nach Polye., ep.7. ; (4) Siehe 1. Kor. ır, 23; aus dieser Stelle ist in L; »et tradita sunt mihi a domino« vor ATId TÖN ATIOCTÖA@N eingeflossen. — rAP ist bei K erhalten. — en Arxu KL,, ab initio L., von Anfang an AE. — trAreawka LıL,K, gelehrt AE. — nostris sanctis apostolis Lz. — AmöcTonoı ist bei K erhalten. — Die gewesen sind vor mir K, qui ante me sunt L,, praecedentibus L., jenen ersten A, fehlt in E; zum Ausdruck s. Gal. 1, 17. — qui fuerunt omni tempore cum Christo Jesu L:, qui omni tempore cum (domino Jesu Christo fuerant L., die gewesen sind ihre ganze Zeit mit Jesus Christus K. die alle Zeit mit unserem Herrn Jesus Christus wandelten A, die die ganze Zeit der Verkündigung des Evangeliums mit unserem Herrn gewandelt sind E. — Zur Sache und dem Ausdruck s. Act.1, 21 ı. Ignat., Ephes. 11. (5) rAP überliefert K (aber nach K. Schupr schiebt der Kopte rAP auch hier und da selbständig ein), guoniam L;, quod L,, dass E, und nun sage ich, dass A. — 6 kYrioc HmMön L;L;K, der Herr A, fehlt in E — € Marlac L,KE, ex virgine Maria 1, A. — emepmAtoc von K griechisch überliefert (ebenso L.L.), aus dem Ge- schlecht AE. — secundum carnem Lı. — indem geschickt ist (vom) Himmel durch den Vater ein (heiliger) Geist (mneYMaA) (in) sie (hinein) K, sancto spiritu de caelo a patre misso in eam per angelum Gabriel Lı, dimisso ad eam a patre spiritu caelesti L,, gemäss der Verheissung des heiligen Geistes, des vom Vater aus dem Himmel zu ihr gesandten AE (aber E bietet nicht vom Vater). Aphraates (saec. IV. medio) und Ephraem im Commentar zum Diatessaron haben diesen Vers (syrisch) also eitirt: »Und (auch) der Apostel bezeugt, dass Jesus Christus von Maria war vom Samen des Hauses Davids durch den Geist der Heiligkeit« (»Zt apostolus testatur: Dominus noster Jesus Christus ex Maria faetus est, ex semine domus David«). Bemerkenswerth ist, dass auch bei ihnen »Kal« zwischen »Maria« und »vom Samen« fehlt. »Des Hauses« ist orientalische Umschreibung. (6) ina KL,. ina “IncoYce L,A, das Sätzchen fehlt in E. — prodiret LıL., ein- trete A, herabkäme K, um I. Tim. 1, 15 willen ziehe ich EreH vor. — köcmoc ist durch K überliefert. — Die Welt (nicht diese) A. — zu EneH +in carne L;, schreibt dann aber im nächsten Satz per suam nativitatem statt per carnem suam. — kai AL»K, ut L;. — zu eneysepüch+von der Verderbniss E. — alA TAc cApköc hat L; irr- thümlich zum folgenden Satz gezogen. — CAPE ist dreimal von K in diesem Vers über- liefert. — HmAc en cApki L,AEL; (nos corporales), unser Fleisch K. — sicut et Ir [ae] guod L», wie KAE. — Hmin KL; > L,;AE. — Zpum L;, Vorbild KAE, exemplar L.. — gezeigt LrAE, gegeben K, relinguendum se statuit L, (nach 1. Pet. 2, 21). Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 23 EN =} INA ANACTHCH HMÄC EN CAPKI EKk TÜÖN NEKPÜN, WC Kal AYTÖC EAYTON TYTION HMIN x ATIEAEIEEN. (7) Kal OTI Ö ÄN@PWTIOC YTIÖ TOY TIATPOC ETINACEH, (S) AalA ToFTo Kal ATIOAWAWC EIHTEITO, INA IWOTIOIHEH AIA TAC Yioseciac. (9)-6 TÄP Beöc TIANTO- KPATWP, Ö KTICAC TON OYPANÖN KAI THN FÄN, TIPÖTON TOYC TIPO®HTAC ToIic "loy- AAIOIC ETTEMYEN, INA ÄTIOCTTACBÜCIN ATIO TON AMAPTIÖN“ (IO) EBoYneYcaTo rÄp CWIEIN TAN OIKIAN TOY Icpakn’ AIA TOFTO ATIOMEPICAC ATI TOY TINEYMATOC TO? XPICTOY ETIEMYEN EIC TOYC TIPO®HTAC, Oi THN AÄYEYAH AATPEIAN EKHPYEAN TIOANOIC (7) et gquia L,, quia L,K, und damit offenbar würde, dass A, in E felılt jede Partikel. — der erste Mensch E. a patre eius L; (vielleicht richtig); L. hat vielleicht @ deo patre gelesen. — riaacceın ist durch K überliefert, s. I. Tim. 2, 13: AAAM TIPÖTOC ETINACBH. (8) In L, sind die beiden Sätze umgestellt. — propter quod et Lı. ideo L., des- wegen nun K, deshalb AE. — perditus L,, in (seinem) Verderben AE und wahrscheinlich auch K, post mortem L,. — nicht unbesucht, sondern er ward aufgesucht A. — ab eo+ L;. — zworıoineii L,L,AE. gerettet werde K (unsicher). — ‚per filüi creationem L;, per adoptionem 1.2, durch die Kindschaft (Sohnschaft) A (RK); E schreibt durch die Gnade. und in der Kindschaft sei. — L, bietet nun: rt per quam carnem comversalus est malus, per eam et vinceretur, quia non est deus ; suo enim corpore ‚Jhesus Christus salvavit omnem carnem. Diese Worte finden sich in L; in v. 15, 16 wieder, und dorthin gehören sie auch (s. die anderen Zeugen). — Zu vYlosecia s. Röm. 8,15. 23; 9,4; Gal.4,5; Eph.1,4, zum Anfang Luce. 19, 10: Hasen ö Yiöc ToY ANSPATIOY IHTHCAI ... TO AMOAWAÖC. (9) --. FAP K, enim L;A, nam quia L;. aber E. — deus L,K, deus omnium et L;. (ott der über Alles Herr ist A, Gott über alle Welten E. — mANTOo- KPAT@P IN (das Wort ist hier erhalten) E, omnipotens L., omnia tenens Lı, fehlt in A, dafür der Vater unsres Herrn Jesu Christi (nach Il. Kor. ı1, 31). — conditor caeli et terrae L2, qui fecit c.et t.L,AE, K ist abgebrochen. — TIPOTON bis ETTIEMYEN fehlt in L, absichtlich, wie das Judaeos im folgenden Satze und v.1ro beweist; der Übersetzer verstand die Construction nicht und hat desshalb corrigirt. — mPosATaı hat K überliefert. — abstraherentur L;, erlöst würden E, (damit) er sie her- ausziehe A, avellere vellet L2,. in K ist der Satz fast ganz ausgebrochen; vielleicht ist ATIOCTTACH AYTOYc zu lesen. — peccatis L;, delictis L;, Sünden A, Sünden und von ihrer Götzenanbetung E. — AYTön nach AMAPT.+L,A, ob auch K? — und zu seiner Gerechtigkeit erhebe+A (nach Röıin. 6, 18 ff.) (10) denn (rAP) er wünschte K, ga statuerat L», denn er wollte AE, con- solatus (!) enim L;. — salvare L;. salvam esse L;, erlösen AE, ungewiss KR. — ergo L:. nun K, deshalb E, fehlt in L;,A. — Armomericac bis XPictoY ist in K aus Versehen ausgefallen; partitus a spiritu Christi L;, partem de Christi spiritu collatam L;, theilte aus, goss (herab) vom Geiste Christi AE. — misit LıI,K, AE lassen es aus, da sie das NTliche »goss herab« vorher eingesetzt haben. — in (eic) KL,. über (em) AL. L, bietet partem de Christi spiritu colla|tam super pro]phetas ad primos Judaeos misit (s- z. v. 9). — TIPogATAI ist bei K griechisch erhalten. Aphraates (saec. IV. medio) eitivt diese Worte: »Und auch der selige Apostel sagt: Gott vertheilte von dem Geist seines Christus und sandte ihn seinen Propheten.« Auffallend ist das doppelte Pronomen poss. — die gepredigt haben den wahren Gottesdienst viele Zeiten K, gwi multo tempore, q .... sine errore deum colebant, pronuntiaverunt \.., qui enarraverunt dei culturam et nativitatem Christi praedicantes temporibus multis Lı, welche den unmangelhaften Gottesdienst und die Geburt Christi predigen sollten vieleZeiten hindurch AE. Vielleicht ist statt nATPeIAN besser BEOCEBEIAN zu setzen oder BPHCKEIAN oder AoYnelan. — Zum Dativ Troan. XPon. s. Luc. 8. 29; Act.8, ıı; Röm. 16, 25. 24 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. L xPÖNOIC. (II) ö A& ApxWN, ÄAIKOC ÜN, OTI BEÖC EBEAHCEN EINAI, ETTIBAAUN TÄC xEiPAC ÄTIEKTEINEN AYTOYC, [Kal] OYTWC TIÄCAN THN CAPKA TÜN ÄNEPOTI@N TA ErTi- eymia TIPOCEAHcen. (12) d A& eeöc TIANTOKPATWP [Aikaıoc Ün], 0Y BoYAö- MENOC TIAPEINAI THN TIAACIN AYTOTF, |Anencen| (13) [Kal] Ezarrecteinen TO TINeIMmA ayro? eic Maplan, (15) INA En H CAPKI Ö TIONHPÖC EKAYXHCATO, AlA TAYTHC NENIKHMENOC ATIOAEIXxeR. (16) AIA TAP TO? 1Aaloy cw@maToc "IHcoFc XPICTÖC TTACAN 4 I THN CAPKA Ecwce, (17) TON THÄC AIKAIOCYNHC NAÖN EN TO lAlw CWMATI ATIO@AI- N@N, (18) EN @ EcweHmen. (11) weil K, non (!) quia Lı, sed cum L., aber da A, denn weil E. — Apxun, Aaikoc und cAPzE sind durch K überliefert. — deum volens esse se (cum vult esse deus) L;L,, da er sich zum Gott machen wollte AE; K ist abgebrochen (aber die nur von ihm bezeugten Worte über sie liest man noch); vielleicht ist eeön EAYTON TIOIEIN EsenHcen zu lesen. — eos sub manu negabat L;, exterminavit eos L., legte Hand an und mordete jene A, legte Hand an, um die mahnenden Propheten zu morden E; bei K sind die Worte aus Versehen ausgefallen. — so K, adeo L.. «t L;A, damit E. — cArkA L;,L,RKA, Leiber E. — hominum L;K(A)E, illorum L.. — voluptatibus obligando L», fesselte durch die Sünde A, fessle durch die Be- gierlichkeit E, ad suam voluntatem alligabat L;, in K sind die Worte abgebrochen. — Am Schluss + AL, denn das Gericht der Welt war nahe (ef consummationes mundi iudicio adpropinquabant). (12) AE, TIANTOKPAT@P, Alkaloc, TIAAcıc in K erhalten; nach rmAcıc fehlen 6 Zeilen in K (bis v.ı5 einschl.). — A€E KL;E, Zune L,, fehlt in E. — Aikaıoc K, in seiner Gerechtigkeit E, cum sit iustus L;, da er rechtfertigen wollte A, fehlt in L.. — nolens L;L;A, fand kein Gefallen daran E. — abicere KL;, infirmari L., verachten A, Paraphrase in E; rrareinaı habe ich gewählt nach Ps. 138,8: TÄ Epra TON XEIPÖN coY MH TIAPAC. — TIMACIN K, /inctionem Li, opus L., Geschöpf AE. — AAEHcEN Kal L;AE (+de caelis L;), fehlt in L.. (13) misit L,AE, dimisit L2; ezarecteinen habe ich gewählt nach Galat. 4, 4. — suum L;, sanctum LÄRAE.—am Ende der Zeiten+A.— mit aller Gluth+E. — Jungfrau+A. — in Galilea+L;,E. — zuvorbeschrieben durch die Pro- pheten+A. 14° quae ex totis praecordüs credidit accepitque in utero spiritum sanctum, ut in seculum prodiret Jhesus+L;; welche, weil sie von ganzem Herzen glaubte, würdig war zu empfangen und zu gebären unseren Herrn Jesus Christus +4. In L, und E fehlt dieser sicher interpolirte Vers. (15) E ist hier unbrauchbar. — ut per quam carnem comversatus est malus L:, damit durch das vergängliche Fleisch, worüber hochfahrend der Böse sich gebrüstet hatte A, u? per quam carnem ille malus mortem |...) zerat L.. — per eandem wictus comprobaretur L., per eam et winceretur, quia non est deus L; (bei v.8), per eam vwictus probatus est non esse deus L;, durch eben dieses Fleisch er zu- rechtgewiesen und überwiesen würde, dass er kein Gott war A; der Zu- satz stammt aus ll. Thess. 2, 4: AMoAcIKNYNTA EAYTON OTI ECTIN Beöc. (16) rAP, CAPE und cöma sind in K erhalten. — Durch sein eigenes cöma ist in K nachgestellt. — durch K, in L,AE, suo enim corp. Lı. — sein eigenes KE, suo L;, sie [swo?] L., jenes sein A. — cömatoc L;,L,K, Fleisch AE. — Christus Jesus L.. — Nach Jesus Christus sind in L; drei Zeilen fast ganz abgerissen (es fehlt alles bis v.19 init.). — berufen und erlöst AE, das vergängliche Fleisch A, dann hinzufügend: und es in’s ewige Leben gezogen durch den Glauben. (17) (18) AmkAlocYnH und cömA sind in K erhalten. — iustitiam et exemplum |tem- plum] in suo corpore ostendens, per quod lberati sumus L., damit er offenbare... AIKAIOCYNH einen Tempel in seinem (eigenen) cöma, in (welchem) wir (ge- Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 25 (19) Cynicte oYn EAYToic, OTI EKEINOI OYK EICIN Yioi TÄC AIKAIOCYNHC AnNÄ [Yioi] tÄc öPrÄc, Oi THN CYNECIN TOF 8E0T ATIWEOFNTAI AETONTEC, TON OYPANÖN Kal THN TAN Kal [TTÄNTA| TA EN AYTOolc oYK EINAIı Epron TO? co?‘ (20) TAN FÄP TIICTIN TOP KATHPAMENOY ÖBEWc ExoYcin' (21) TOYToYc OYN ÄTIW- eeicee A®’ YMON Kai ÄTIO TÄC AIAAXÄC AYTON BEYTETE. (24) oi A& nEronTec ÄNÄCTACIN OYK EINAI TÄC CAPKÖC TOYTOIC ÄNÄCTACIC L oy« Ecraı, (25) Srı [oi] oY mictevovcın, ötı 6 nerpöc [scil. d KYrioc| oYrwc AN&cTH. (26) ArnooFcı rAP, @ Korineiol, TÄ CTIEPMATA TOY CITOY H TON AOITI@N rettet) worden sind K, damit er in dem heiligen Tempel der Gerechtig- keit, in seinem eigenen Fleische zeige... und wir sind ja durch eben dieses Fleisch errettet worden von dem geheimen und offenen Tode E, dass ereinen heiligen Tempel der Gerechtigkeit in jenem seinem Fleische bereite den künftigen Zeiten, an welchen auch wir geglaubt haben und deshalb erlöst worden sind A. Statt en & ist vielleicht AI’ 0% zu lesen, statt ATIOSAIN@N vielleicht CHMAIN@N oder CHMANAC. Siehe I. Kor. 3, 17; Eph. 2, 21. (19) AikalocYnH ist in K erhalten. — Wisset also dass A, qui ergo istis con- sentiunt L;. nun E, verstümmelt K; vielleicht erklärt cYnıcre &ayroic die Lesarten von A und L.. — jene AE, diese K, ists L.. yioi TAc örräc KAEL;,, irae L.. — oi AE(K), quia L.. — prudentiam LıL.K, die Erbarmung der Barmherzigkeit AE. — respuunt L,(K), von sich abkürzen AE, absque fide (verschrieben) Lr. — quae L;, omnia quae AL;,KE. — opus Dei L,, patris opera Lı, das Werk Gottes des Vaters des All AE. — Zu AmweoYnTal s. ı. Tin. T, 19. (20) rAP, mieric in K überliefert. — L; wiederholt am Anfang ipsi sunt ergo ‚filii irae. — jene (am Anfang) E, diese A, fehlt in L,L,K. — rAp KL,L,, aber AE. — Glaube der verfluchten Schlange KE. maledicti serpentis sententiam Lz, male- dictam fidem colubri AL,. — haben L,KA, hatten E, secuntur L:. (21) hos ergo L2K, quwos L;, ihr jedoch AE. — in der Kraft Gottes + AE. — repellite a vobis Lr, abicite a vobis L;, stosset weg von euch K, haltet euch ferne von ihnen AE (vielleicht Arrenaynete). — verkehrten (Lehre) +AE. — fugite L;L:, treibet weg von euch AE, (haltet) euch (ferne) K. Die Verse 22° und 23° sind eine nur in L, und A sich findende Interpolation: non enim estis filüi inobedientiae sed amantissimae ecclesiae ; propterea resurrectionis tempus prae- dicatum est (denn ihr seid nicht Söhne des Ungehorsams, sondern Kinder der geliebten Kirche; deshalb ist auch die Zeit der Auferstehung bei Alleu gepredigt worden). (24) ae. AnAcrtacic [bis] und cAPz in K überliefert. — die aber K, guod autem L:. et quod L., die nun A, und die E. — vobis (nach nerontec) L,K>AL,E. — anastasin L., resurrectionem L,. — denen soll keine Auferstehung sein E, sind jene, (denen) AnActacıc nicht sein (wird) K, illis non erit resurrectio in vitam, sed in iudieium eius L;, sibi dicunt quwia non resurgent L., die werden auch nicht auferstehen zum ewigen Leben, sondern zur Verdammung und zum Ge- richte werden sie auferstehen mit dem ungläubigen Fleische; denn das Fleisch, welches sagt, dass keine Auferstehung sei, dem soll keine Auferstehung zum Leben sein A. (25) quia non crediderunt L2, quoniam ... infideles sunt Lı, weil sie als Leug- ner erfunden sind AE, die nicht glauben K. — (dass der Todte aufer- standen ist) in eben dieser Weise K, eines solehen Auferstandenen E, des Auferstandenen A, gwia mortuus resurrewerit L-, circa eum qui resurrexit a mor- tuis Li. — non credentes neque intellegentes -+L, (26) rAP und TPo»Al sind in K erhalten; K bricht hier leider ab; nur noch aus v.28 und 36 sind einige Worte vorhanden. — neque enim ... sciunt L;, neque ... in- 26 Gesammtsitzung von 12. Januar 1905. TPO®ÜN ÖTI TYMNÄ BÄNAETAI EIC TÄN TÄN KAl AIEGEAPMENA ÄNICTATAI EN T@ ee- AHMATI TOT EE0F CECWMATOTIOIHMENA |KAi ÄMoIECMENA|. (27) Kai 0Y MöNON TO BEBAHMENON ÄNICTHCIN, ÄnNÄ TIOANATINACIA EYAOTON. (28) ei AE& oYK Ad TON CTIEPMÄTWN ÖBEIAOMEN TIOIEIN THN TTAPABOAAN, (29) Erricraceel[re] OrTı ’IunAc ö To? Amaeei oY BoYnömenoc KHPYccEIN Toic [Anapäcı] Nineyi Yrıö. TOY KAToYce KATETTÖCH. (30) Kai META TPıhmepon [TPEIC Hm&pac] Kal TPEIC NYKTAC EK TON KATWTÄTWN KAoY EICHKOYCEN Ö BEÖc THN EYXÄN TO? "lwnA, KAl OYAEN AYTOP telligunt L.,. ihr wisset ja A, nun wohlan E. — Korineioı L,K, Anapec Kopineior L;,AE. — dieSamenL,;,E,. derSameÄA, die Saat RK, sefionem L,, wahrscheinlich TO CTIEPMA, TON criöpon oder ein anderes Wort (ö kökkoc?). —-Zritiei L;, frumenti L., des Getreides AE. — aut L,(L.)E,. und A. — der übrigen K, ceterorum L>, aliorum L;. den anderen AE; ich habe aoımön auch nach I. Kor. 15. 37 gewählt, welche Stelle dem Verfasser vorschwebte. — Tros&n K, Samen L,L,AE. — gquoniam L,. dass A. welche E, quomodo L>. — mittuntur (mittantur) L;L:, fallen AE (ein einzelnes Korn fällt A). — ef cum dissoluta fuerint resurgunt L., et simul corrupta deorsum surgunt L;. und vergehen ... auferstehen E. und dort unten zuvor stirbt und danach ersteht A. — Gottes L,L,E, des Herrn A. — corporata et vestita L;, in dem nämlichen Leib und bekleidet A, in den gleichen Leib gekleidetEE, e funt unum corpus L2. — S. 11. Kor. 5, 3; Iren. Fragm. Gr. XII (Harver). (27) et non solum L2A, non solum L;, E verkürzt. — quod missum L2. corpus quod missum est Lı, der einfache Leib A, E verkürzt. — surgit, sed quam pluri- mum benedicens L;, (sich) aufrichtetsegnend E, aufgerichtet und mit Segen erfüllt A, surgit sed multipler L.. Dass AnicTHein transitiv gebraucht ist, haben AL, nicht verstanden, daher hat jener »mit Segen erfüllt« geschrieben, dieser das Wort ganz getilgt. — mit mannigfaltigen Stammesgenossen+AE. (28) Auf einem nachträglich von K. Scauipr (p. VII) identifieirten Bruchstück des Kopten finden sich die Worte: Wennlaher 4 ame so nehmt die Parabel /mAaPaBonH) ......... E hat den ganzen Vers übergangen. — quodsi a seminibus nolumus sumere exemplum L», et si nom oportet a seminibus tantum jacere parabolam, sed a dignioribus corporibus L:, wir müssen aber nicht nur von den Samen ein Gleichniss vorbringen, sondern von den schätzbaren menschlichen Leibern A. Vielleicht sind die Worte, die L;,A als Nachsatz bringen (s. auch K), ursprünglich: Ar T@N AzIoTEpon CWMÄT@N NABETE|THN TIAPABONAN]. (29) E verkürzt hier. — certe scitis La, ihr selbst wisset A, vide L.. — dum non vult pronuntiare in Ninivem L., weil er sich verhärtete. den Niniviten zu predigen A, Ninevitis cum non praedicaret, sed cum fugisset L,. — a caeto gluttitus est L;, devoratus est a marina bestia L.. ward er versenkt in den Bauch des Fisches drei Tage und drei Nächte lang A, derin den Bauch des Fisches sefallen war für drei Tage und drei Nächte E. S. Matth. 12, 40. (30) e£ post triduum et tres noctes Lı, et post tres dies et tres noctes L.; A verkürzt, E lässt aus, weil sie die Zeitbestimmung schon v. 29 gebracht haben. — er altissimo inferno L;, ex infima morte L,, aus dem untersten Abgrunde A, aus dem tiefen Abgrunde E; vergl. Jonas 2, 3: Ex Kolniac AaoyY. — eraudirit L,AE, surrexit; erau- divit enim L.. — orationem Jonae L;, orantem Jonam L., sein Gebet AE (aber E konnte bei seiner Construction den Namen nicht wiederholen). — ei nihil illius cor- ruptum est L;, nec quiequam eius consumptum est L,, und nichts war ihm zu Grunde gegangen A, und er sich bekehrte und nichts von seinem Leibe zu Grunde ging E. — Die 6 letzten Worte nach L;L.; und keine Augenwimper war gekrümmt, und kein Haar von seinem Leibe war abgefallen A; fehlt in E. Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 27 ÄNHAWTO, OYTE H @PIE OYTE H ÖoPYc' (ZI) TIOCW MAnAON YMAC, Oi TIETIICTEYKATE eic XPıcTön IHCOPN, ANACTHcEI, wc Kal AYTOC ANECTH! (32) Kai ei ö Em Toic öcTeoıc TO? TMIPOosHToY "Eneicaie |YTIO TÜN Yi®n "Icpahn| EPPIMMEnoc NEKPÖC| ÄNECTH |EK TÖN NEKPÜN EN TO CWMATI AYTOF|, TIÖCW MAnnon Ymeic oi em T® CWMATI KAl TOIC ÖCTEOIC KAl T@ TINEYMATI TOY XPICTOY EPPIMMENOI EN EKENH TA HMEPA ANACTHCECBE CWAN EXONTEC THN CAPKA! (34) Ei oYNn Anno TI Ak- XECBE, KÖMOYC MOI MHAEIC TIAPEXETW' (35) Er@ TAP TOYC AECMOYC TOYTOYC ®EP@, INA XPICTÖN KEPAHCW, KAi TA CTITMATA AYTOY EN TW CWMATI MOY BACTÄIW, (31) E hat den Vers umschrieben. — L;,L,A stimmen zusammen, aber L, bietet vos et eos qui erediderunt, AL, schieben nach vos (nach Matth. 8, 26) ihr Kleingläu- bigen ein, A schreibt wenn ihran den lerrn Jesus Christus glaubt, L, bietet nur ipse (nicht et ipse). Zur Sache s. Röm. 6, 4. (32) et cum L,, und wenn E, wenn A, unleserlich L,. — super ossa Helisaei prophetae mortuus missus est a filüis Israel et resurrexit L;, Helisaei prophetae mortuis os- sibus quidam disiectus a filüis Israel resurrexit a mortuis L,, die Gebeine Elisa’s des Propheten, auf den Todten gefallen, den Todten auferweckten AE (doclı fehlt in E des Propheten). — Zu resurrexit hat L; den Zusatz in suo corpore, L. cor- pus et anima et ossa et spiritus; letzteres gehört in die folgende Vershälfte; in suo cor- ‚pore ist vielleicht ursprünglich; vergl. den Schluss der 2. Vershälfte. Wie oft und wohin NEKPÖC (NeKPol) zu setzen ist, bleibt ungewiss. — quanto magis LÄ,AE, nonne L.. — vos LÄAE, et vos L,. — pusillae fidei + Lr. — super corpus et ossa (et) spiritum domini missi L;, die ihr auf das Fleisch und das Blut und den Geist Christi euch gestützt habt A, die ihr in eurem Glauben auf das Blut und den Leib und den Geist Christi euch gestützt habt E, in L; fehlen die Worte, aber sie stehen irrthümlich zum Theil schon in v. 32°: corpus et anima et ossa et spiritus. Luc. 24. 39: CAPKA Kal öcTeA. — L, schiebt vor in illa die resurgetis die Worte a mortuis ein. — habentes sanam carnem Lr, integram habentes carnem L., mit unversehrtem (n) Leibe (Leibern) AE. — sicut et Christus resurrexit + L;. Vergl. U. Kön. 13,21; nach dieser Stelle habe ich Pintein und nicht BAnnein gewählt. — Vielleicht ist dieser Vers in der apostolischen Didaskalia benutzt (s. Texte und Untersuchungen Bd. 25. lleft 2, S. 143). 33° Lı und A haben hier einen Zusatzvers, der in LE fehlt: similiter et de Helia propheta: filium viduae a morte resuscitavit: quanto magis vos dominus Jesus in voce tubae, in nutu oculi a morte vesuscitabit, sicut et ipse a mortuis resurrexit? tipum enim nobis in suo corpore ostendit. Ferner Elias, der Prophet, nahın den Sohn der Wittwe in die Arme und weckte ihn von den Todten auf — wie viel mehr wird Jesus Christus auch euch auferwecken an jenem Tage mit unversehrtem Leibe, gleichwie er selbst auferstanden ist von den Todten! (34) quod si quid aliud recipistis Lı, quod si alia potius admittitis L., wenn ihr nun (künftigE) etwas Anderes leichtfertig annehmet AE. — erit vobis deus in testimonium +Lı- — Die 2. Hälfte (Gal. 6, 17‘) mit L,AE (aber AE schieben in Zukunft ein); L, schreibt (vielleicht richtig) molesti esse mihi nolite. (35) Der Anfang ist nicht mehr sicher herzustellen: denn ich trage diese Bande an mir AE, ego enim arca|?| L>, ego enim stigmata Christi in manibus habeo L.. — ut Ohristum lucrer (Philipp. 3, 8) Lı, ut Christum in me luerifaciam L;, ebenso AE. — et ideo stigmata eius in corpore meo porto (Gal. 6, 17°) L., et stigmata erueis eius in corpore meo L;, und die Martern dieses Leibes dulde ich A, E paraplıra- sirt. — ut veniam in resurrectionem ex mortuis (Philipp. 3.11) L,, ut in resurrectione mor- tuorum et ipse inveniar L,, damit ich der Auferstehung von den Todten wür- dig werde AE (Luc. 20, 35). 28 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. {NA KATANTÄCW Eic Tun [EEJANACTACIN THN EK NEKPON. (36) Kal ÖCTic TO Ka- NÖNI, ÖN AlA TÖN MAKAPIWN TIPO®HTÜN KAl TO? ÄTIOY EYATTEAIOY ENABEN, CTOI- xHcei, MICodn AHYeTAI" (37) Öc A& TAPTA TIAPABAINEI, TO TIPP ECTi MET AYTO? KAi METÄ TON OYTWC TIPOAPAMÖNTWN, (38) Oi EIcı TENNHMATA EXIANGN, (39) OYc ATIWBEIcBE EN AYNÄMeI TOP Kypiov, (40) Kal EcTAaı Meo’ YMON EIPÄNH. (36) Von diesem Vers ist inK ... derhat...... die seligen (MAKAPIOI) ... heilig ... erhalten. — KL;E geben den Satz im Singular, L, im Plural (Gal. 6, 16: öcoı), A schreibt: und ihr, ein Jeglicher, sowie ihr empfinget u. s. w. — et quicunque L;. et si quisguam Lı;, wer E. — Gal.6, 16 (KAl öcol TÖ KANÖNI TOYT@ CTOIXHCOYCIN) scheint zu Grunde zu liegen; intenderunt L., manet L;, ausharrt und bleibt E, festhält A; vielleicht ist TON KAnöna (regulam L;L,, das Gesetz A, die Ordnung des Gesetzes E) KPaTtel zu lesen. — die seligen KAE, felices L;, bea- tissimos La. — Zu den Lohn +E dafür und für seine Werke. — EAABEN, AHYE- TAI bieten alle Zeugen. — mercedem a domino L.. — bei der Auferstehung der Todten +E, bei der Auferstehung der Todten; das ewige Leben werdet ihr erben +A, et cum resurrexerit a mortuis, vitam aeternam consequetur + L:. (37) LrAE geben den Satz im Singular, L, im Plural. — qui autem L;, qui vero L;. wenn nun einer A, wenn nun fürder einer E. — Aaec (ista) praeterit (prae- terierint) LıL;, kleingläubig ist und (das) übertritt AE, was wir ihm ge- geben haben +E. — ignis est cum ilo L;, so ist das Feuer mit ihmE, in ignem aeternum ...erunt L., das Gericht zieht er sich selbst zu A. — et cum üs qui sic praecurrunt, qui sine deo sunt homines (Ephes. 2,12) L,, sondern auch derer, welche schon vorher auf diese Weise als Menschen ohne Gott auf Erden wandelten E, mit den Übelthätern und mit denen, welche solches Trei- ben verkehrter Menschen üben, wird er gestraft A; L, bietet einfach: ef? quicunque taliter versantur. Nur dieser Satz hat im Original gestanden, aber wohl in der Forın von L;; das praecurrunt wird durch das vorher inE bestätigt. Der kurze Satz lud zu Interpolationen geradezu ein. — TIPOAPAMÖNT@N ist gewagt; aber Paulus hat Gal. 5, 7 geschrieben: ETPEXETE KAnäc. (38) qui sunt genera viperarum L;, Ü sunt progenies viperarum L;, denn diese selber sind Ottern- und Basilisken-Gezüchte AE (A vor Öttern- noch Schlangenbrut). (39) quos repellite in domini potestate Lx, a quibus vos separate in virtute domini L;, weichet zurück und haltet euch ferne von ihnen durch die Kraft unseres Herrn Jesu Christi A, denn solche auszurotten durch die Kraft Gottes sollt ihr euch drängen lassen E. (40) et erit vobiscum pax L., et erit vobiscum pax, gratia et dilectio. Amen L;, und es sei mit euch der Friede und die Gnade des geliebten Erstgeborenen. Amen A, fehlt in E. II. Der apokryphe Briefwechsel als Bestandtheil der Acta Pauli. Dass ein relativ selbständiges Stück eines grösseren Schriftganzen echt und mit dem Ganzen zusammen entstanden ist, ist in vielen Fällen leichter zu bezweifeln als zu beweisen, und wenn dieses Schrift- ganze aus einer bunten Reihe von Einzelerzählungen besteht, ist der Beweis doppelt schwierig. Man muss sich dann dabei beruhigen, dass das Stück, weil in dem Rahmen eines grösseren Ganzen überliefert, Harsack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 29 auch mit ihm zusammen gehört, und muss abwarten, ob Gegengründe geltend gemacht werden. In unsrem Fall sind wir in einer glücklicheren Lage. Die Zu- gehörigkeit des apokryphen Briefwechsels zu den Acta Pauli kann durch schwerwiegende Beobachtungen gestützt werden, und Gegen- gründe sind bisher überhaupt nicht angeführt worden: (1) Die Briefe, wenn man sie hypothetisch als selbständige Stücke betrachtet, müssten in der Zeit der Acta Pauli entstanden und sehr bald in das grosse Werk eingeschoben worden sein; das lehrt die Textge- schichte, die mindestens bis in die Mitte des 3. Jahrhunderts, aller Wahrscheinlichkeit nach aber bis zum Anfang desselben hinaufführt, und das wird durch den Inhalt der Briefe (antignostische Polemik, die Prophetin Theono& u. s. w.) nicht erschüttert, sondern bestätigt. (2) Die Briefe sind nach Geist und Tendenz den Acta Pauli selır verwandt. Diese hat Hr. Scnmivt, die von mir Chronologie I, S. 500ff. gegebene Beurtheilung weiterführend, in dogmengeschichtlicher Hin- sicht so zutreffend charakterisirt, dass ich dem nichts hinzuzufügen habe. Sie repräsentiren den Standpunkt jenes vulgären altkatholischen (oder katholisch werdenden) Christenthums, dessen Interpreten und theologische Vertheidiger in älterer Zeit der Verfasser des 2. Ölemens- briefs, etwas später Irenäus gewesen sind. Was Geist und Bildung, schriftstellerische Absichten und geschichtliche Einsicht und Gewissen betrifft, dürfen freilich der Verfasser der Acta und der Bischof von Lyon nicht in einem Athem genannt werden, aber jener exponirt uns den Gemeindeglauben und die Stimmungen, welche dieser theo- logisch mit Hülfe des wirklichen Paulinismus rechtfertigt. Anti- gnostisch ist auch der Verfasser gjler Acta beseelt, wie seine Po- lemik gegen Demas und Hermogenes beweist. Erscheint er vielleicht um einen Grad asketischer als Irenäus (aber schwerlich asketischer als der Verfasser des 2. Clemensbriefs), so darf man nicht vergessen, dass wir erbauliche Schriften von dem Lyoneser Bischof leider nicht besitzen und dass in der erbaulichen christlichen Novelle, zumal wenn sie von Aposteln handelt, die Askese zu allen Zeiten in den Vordergrund gerückt worden ist. Jedenfalls giebt es keinen Zug in den Acta Pauli, der aus dem Rahmen des Vulgär-Christlielhen herausfällt', zumal wenn man sich erinnert, dass die sogenannten »Enkratiten« erst allmählich, etwa zwischen 170 und 200 (gleich- zeitig mit den Montanisten) aus der grossen Kirche ausgeschieden sind. In dem apokryphen Briefwechsel nun treffen wir denselben Geist wieder. Natürlich darf man nicht erwarten, dass sich in den Briefen zu allen Zügen der bunten Acta Parallelen finden — haben sie doch ! Nach Tertullian ist ein asiatischer Presbyter der Verfasser der Acta. 30 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. eine ausschliesslich antignostische Tendenz —, aber was sie gegen- über dem Gnostieismus besonders hervorheben, den Realismus des Leibes Christi und die Auferstehung (ganz wie der Verfasser des 2. Clemensbriefs), das steht auch dem Verfasser der Acta im Vorder- erund: ferner, wie Simon und Kleobius dort von aussen in die bisher reine Gemeinde eindringen, so schleppen auch hier »Demas und Herimogenes« von aussen die Häresie ein. Als Irrlehren der Gnostiker wird im Briefwechsel lediglich angeführt, (1) dass Gott nicht all- mächtig sei, (2) dass die Welt nicht unter ihm, sondern unter Engeln stehe, (3) dass der Mensch nicht von ihm geschaffen sei, (4) dass das A. T. (die Propheten) zu verwerfen sei, (5) dass Christus nicht im Fleisch gekommen und nicht von Maria geboren sei, (6) dass das Fleisch nicht auferstehe. So spricht der Praktiker, der sich auf Details nicht einlässt, der Seelsorger, dem es nur auf die Hauptpunkte an- kommt', wie ja auch der Verfasser der Acta sich nirgendwo auf tiefere antignostische theologische Probleme einlässt. »Seicht« mag man die Darlegungen des Verfassers des Briefwechsels nennen, aber sie sind nicht seichter als die in den Acta Pauli sich findenden. (3) Die Sprache der Briefe unterscheidet sich in keinem Stück von der der Acta. Die Gegenstände sind freilich verschiedene, und dazu müssen wir Briefe mit Erzählungen vergleichen; aber dieselbe Simplieität des Stils herrscht dort und hier. Anfängern im Griechi- schen kann man diese wie jene vorlegen, weil Ausdrucksweise und Sprache für das Verständniss des gemeinen Mannes berechnet sind. Einzelheiten s. unter Nr. 6. (4) Das Verhältniss der Briefe zu den ı3 paulinischen Briefen und zur Apostelgeschichte ist genau dasselbe, welches wir sonst in den Acta Pauli bemerken. Über dieses hat Hr. Scamipr (S. 198ff.) und vor ihm schon Hr. Senzau (in seiner Monographie über die Thekla-Acten) das Nöthige gesagt. Der Verfasser hatte die 13 paulinischen Briefe und die Apostelgeschichte im Kopfe und verwerthete zahlreiche Re- miniscenzen aus denselben (theils für die Geschichtserzählung, theils zur Erbauung), aber er verwerthete sie in der willkürlichsten Weise. Genau so verfährt der Verfasser des apokryphen Briefwechsels. Führte Jener Demas und Hermogenes ein, so dieser den Stephanos (= Stephanas, s. I. Kor.) und Simon Magus (Act.). Den Anlass, einen Korintherbrief und einen Paulusbrief nach Korinth zu erfinden, bot der I. kanonische Korintherbrief (e. 7.1; 5,9), die Gefangenschaft in Philippi wurde aus Act. 16 herbeigezogen. Wie zahlreiche Reminiscenzen an pauli- nische Briefe die falschen Episteln bieten, habe ich im Apparat nach- 1 Die einzige theologische Wendung im engeren Sinn erinnert an Irenäus Il, 15: INA EN H CAPKI 6 TIONHPÖC EKAYXHCATO, AIA TAYTHC NENIKHMENOC ATIOAEIXER. 4 Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. >l gewiesen." Formell sind sie denen in den Acta Pauli überraschend ähnlich: ganz dreist werden kleine Sätzchen aus Panlus eingestreut: auch werden dort wie hier dieselben Briefe (Pastoralbriefe, Galater*) bevorzugt. Das ist ein überaus starkes Argument für die Identität der Verfasser: ein zweiter Fälscher, der angebliche Verfasser des apokryphen Briefwechsels, müsste dem ersten die Mache vollkommen abgelauseht und sie virtuos nachgeahmt haben. Der Paulus der Acta und der Paulus (der falschen Briefe ist derselbe — der Plagiator seiner eigenen Briefe und der in der Katholieität noch gesteigerte Paulus der Pastoralbriefe. (5) Die apokryphen Briefe sind nicht einfach in die Acta Pauli eingestreut, sondern sie sind durch zwei starke Klammern auf’s Innigste mit ihnen verbunden, nämlich durch eine ausführliche Einleitung, die wir erst durch den Kopten kennen gelernt haben (Scnuipt, S.73f.). und durch das geschichtliche Mittelstück. Hält man diese beiden Erzählungen für ursprünglich, so ist mit ihnen der wesentliche Inhalt der Briefe bereits gegeben, und diese erscheinen nun jedenfalls nicht als seichter, auch nicht als andersartig. Die Annahme ist in diesem Falle also viel leichter, sie seien vom Verfasser des Ganzen, als sie seien von einem Anderen hineingesetzt, der den Verfasser des Ganzen sklavisch copirt habe. Bricht man aber eben deshalb auch die erzählende Einleitung und das historische Mittelstück als spätere Einschübe aus dem ursprünglichen Werk heraus, so entfernt man Theile, die den Stempel der Zugehörigkeit zum Ganzen besonders deutlich aufweisen und die daher schlechterdings nicht entfernt werden dürfen. Darüber wird sofort zu handeln sein. (6) Die apokryphen Briefe sind durch zahlreiche — zum Theil offenkundige, zum Theil feine — Einzelzüge mit den Acta Pauli ver- bunden. Das Material ist überraschend gross, sobald man nur die Augen aufmacht: (a) In der Einleitung zum Briefwechsel und im Brief der Korinther ist von einer Specialoffenbarung die Rede, welche in Korinth eine ge- wisse Theono& in Bezug auf das Geschick des Paulus, wie es scheint in der Gemeindeversammlung, erhalten hat. Schon dass ein Weib so hervortritt, ist für die Acta Pauli, diese Apostelgeschichte der Frauen, charakteristisch, und auch sonst finden sich in dieser Schrift Visionen und Weissagungen (s. Schmipt S. 54. 52. SSf.).. Aber die 'Theono&- Erzählung hat an der Erzählung von der Myrte (S.83) noch eine be- ' Durch Interpolationen sind diese Entlehnungen in den jüngeren Texten noch verstärkt worden. ? Man vereleiche z.B. ep. 11, 34f.: ei oYn Anno TI AEXecee, KÖöTIoYc Mol MHAeIc TIAPEXET@ . ». TÄ CTITMATA AYTOY EN TO COMATI MOY BACTAI@, und Acta 'Theel. 40: TTayne, Ö Col CYNEPFHCAC EIC TO EYATTENION KAMOI CYNÄHPFHCEN EIC TO AOYCACBAI. 32 Gesammmtsitzung vom 12. Januar 1905. sondere Parallele: »Es kam auf Myrte (in der Versammlung) der Geist, so dass sie ihnen sagte: Brüder ... und schauet auf dieses Zeichen, indem ihr(?) ... Paulus nämlich, der Diener des Herrn, wird erretten Viele in Rom, und er wird aufziehen Viele durch das Wort, so dass nicht ist Zahl an ihnen, und er sich offenbart mehr (dort in Rom) als alle Gläubigen ... eine grosse Gnade ist ... (in) Rom.«' 'Theono& und Myrte, beide weissagen das Geschick (die Thaten) des Paulus. (b) Nach dem apokryphen Briefwechsel ist Paulus in Philippi in’s Gefängniss gesetzt worden AIA THN CTPATONIKHN THN TYNAIKA TO? Atronno- »Anovc. Das ist ganz im Geiste der Acta Pauli; auch um der Thekla willen wird er gefangen gesetzt. (ec) In ep. Hl, 5 heisst es: örı d «yPpıoc Hm@n "IHcoYc Xpıctöc Ex Mapiac ek criepmatoc Aryvela erenn#eH, in den Acta Pauli (Thecla ı) liest man (nach dem durch den Kopten beglaubigten Text): OTı XPicröc ErennHeH &x Mapiac Kal &k cmepmatoc Aryeia. Dieses Nebeneinander von Ek Mapiac und &x er. A. ist nieht häufig. Hier liegt also eine sehr beachtens- werthe Verwandtschaft vor. (d) Der Teufel heisst ep. I, S d Änomoc, ebenso heisst er in den Acta Pauli (S. 73); ep. II, 2 ö monupöc wie Martyr. 1. (e) Ep. Il, 4 redet der falsche Paulus von Toic rpö Emo? ArocTönoic, Acta Pauli S. 68 ist höchst wahrscheinlich dasselbe zu lesen.” (f) Zu der starken Betonung der Auferstehung des Fleisches in den Briefen s. Acta Pauli S.68: »... [auferweckt] unser Fleisch«, ferner s. den Ausruf Acta Theel. 39 nfn micTeYw OTI nekpo| Ereipontaı und die Charakteristik des Demas und Hermogenes als solche, welche die Auferstehung leugnen bez. behaupten, sie sei schon geschehen (in der Gotteserkenntniss und der Kinderzeugung). (g) Zu der Formel ep.II, 9: (eeöc) 5 KTicac TÖN OYPANON KAl THN THN (ohne weiteren Zusatz) s. Acta Pauli S.71: »Gott, der geschaffen hat den Himmel und die Erde.« (ı) Zu der Formel (ep.II, 9), die Propheten seien zu den Juden ge- schickt, Ina Arroctracedcın ATIO TON ÄMAPTIÖN, und zu der anderen (ep.II, ı 1), die Menschen seien an die Begierde gebunden worden (vom Teufel), s. Acta Pauli S. 37 (Thecla e. 17): örmwc Arıö TÄc »eopAc Kal TÄC ÄKABAPCIAC ÄTIOCTITACW AYTOYC KAl TIACHC HAONÄC . .. . OTIWC MHKETI ÄMAPTÄNUWCIN. (i) In ep. II, 17 findet sich die Aussage über Christus: Tön TAc AIKAIOCYNHC NAÖN” EN TO Talw CWMATI ATIOsAINWn. Sowohl AıkaıocynH” als NAöc ! Nebenbei sei bemerkt, dass hier ein Zeugniss des asiatischen Presbyters für die Grösse der römischen Gemeinde (in der Zeit M. Aurel’s) vorliegt. ? Sceanmipr schlägt unter grosser Reserve »mit mir« vor, was aber auffallend wäre. ° Ganz sicher ist diese Verbindung von AIKAIOCYNH und naöc nicht, s. den Apparat. Vgl. auch ep. II, 19: hier heissen die Gläubigen yioi TAc AikAlocYnHc; der Teufel ist (II. ıı) Aaıkoc. 4 dä ist hier eigenthümlich gebraucht. Aber schon Hr. Schnivr hat auf Par- allelen in den Acta Pauli aufmerksam gemacht. AıkaıocynH ist auch hier ein moralischer Centralbegriff (= Heiligkeit), s. Thecla 4, wo Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 33 Paulus den Gnostikern sagt: oYx öP& En YMiN KAPTIÖN AIKAIOCYNHC, und vor Allem Acta Pauli S.65: »dass der Mensch nicht gerechtfertigt werde durch das Gesetz, sondern dass er gerechtfertigt werde durch die Werke der Gerechtigkeit«. Was aber den naöc betrifft, so heisst es Thecla 5: makAPıoı ol ÄrnÄN TÄN CAPKA THPÄCANTEC, OTI AYTOI NAÖC 8C0Y renf#contail. Was die Reinen sein werden, das hat Christus im Voraus an seinem Leibe dargestellt, nämlich einen Tempel der Gerechtigkeit, d. h. einen heiligen Tempel. So empfängt eine dunkle Stelle des Brief- wechsels durch andere Stellen der Acta Pauli erst das richtige Licht. Zugleich bekundet der Verfasser auch hier im Briefwechsel sein ethisch- asketisches Interesse, welches er sonst in diesem zu betonen keine Veranlassung hatte. (k) In ep. II, 19 bieten die beiden Lateiner den merkwürdigen Ausdruck prudentia dei: sie haben gewiss nicht coeia gelesen, sonst hätten sie sapienlia geschrieben. AE haben das Wort nicht verstanden und Erbarmen der Barmherzigkeit geschrieben. Es hat also ein selteneres Synonymum (zu coeia) hier gestanden. Nun aber liest man in den Acta Theecl. 6 erstlich den Macarismus: makApıoı of cosian aABÖNTEc |. Xp., und gleich darauf den anderen: makAPıoı ol CYNecın 1. XP. xwrAcantec. Die Lateiner Ba und Be haben dieses cynecın durch prudentia wiedergegeben (andere Lateiner durch sensus). CYnecıc To? ecoy hat also (s. auch den Kopten) ep. II, 19 gestanden, und dieser seltene Ausdruck ist mithin den Briefen und den Acta gemeinsam. (l) Zum Schluss seien noch einige Kleinigkeiten erwähnt, die an sich nichts bedeuten, aber im Zusammenhang mit den anderen Stücken vielleicht genannt werden dürfen. Ep.II,8 liest man (ö Änerwrroc) Arromw- abc ErHteito, Thecla 19 heisst es: ErHtTeito OEekna ... WC ÄTIOANYMENH eaiwkero.' Im geschichtlichen Mittelstück steht: Ekxpaze nerwn, vergl. Thecla 20. 28. 30. Zu miceön aAreraı (ep. II, 36) s. Thecla 6. 31. Zu erieneHce im geschichtlichen Mittelstück s. Thecla 29. 33, meneoc in den Acten (Scnmipr S. 58. 71, wohl auch S. 57). Zu mroaramönton (ep. II, 37) s. mpocaramoYca Thecla 33. Zum Imperativ im Nachsatz (I, 6£.) s. Thecla 17. 43. Diese Übereinstimmungen werden wohl genügen, um den That- bestand, welchen die Überlieferung aufweist, zu erhärten, dass die apokryphen Briefe einen integrirenden Bestandtheil der Acta Pauli bilden. ! Es ist möglich, dass auch ep. II, 8 nicht Amonwnw@c, sondern ATIOANYMeNoc zu lesen ist. Sitzungsberichte 1905. Bl 34 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Die Christenheit des 2. Jahrhunderts hatte mehr als einen Paulus: sie hatte den Paulus der Apostelgeschichte, der dem echten nahe kommt, den Paulus der Pastoralbriefe, den Paulus des Mareion und der Gnostiker! Zu diesen kam nun noch der Paulus der Acta Pauli. Er ist dem der Pastoralbriefe am nächsten verwandt; aber er geht in der katholischen Richtung noch über ihn hinaus. Der Standpunkt des Verfassers der Acta Pauli, und somit sein Paulus selbst, ist zwischen dem 2. Clemens- brief und Irenäus zu suchen. Aber besass der Verfasser der Acta Pauli ausser den echten Paulus- briefen, die er so stark, aber so äusserlich benutzt hat, nicht ein Modell, nach welchem er den Paulus in dem falschen Korintherbrief hat schreiben lassen? Fast möchte ich es glauben'. Was wir von Polykarp aus dem einzigen uns von ihm erhaltenen Briefe? wissen und von Irenäus über ihn hören, zeigt meines Erachtens einige be- merkenswerthe gemeinsame Züge mit unseren Stücken. Auffallend ist das nicht; der Verfasser der Acta Pauli war, wie wir hören, ein asia- tischer Presbyter und lebte zu einer Zeit, in der Polykarp's Persön- lichkeit und Wirken als des angesehensten asiatischen Bischofs und apostolischen Lehrers noch in frischestem Andenken war. Ich will kein Gewicht darauf legen, dass unser falscher Korintherbrief mit den Worten beginnt Cresanoc Kal ol cYn AYT® mreceyreroı, der Polykarp- brief aber: TTornvkartoc Kal oli.cYn AYT® TirecgyTeroı, aber wenn unser Verfasser erzählt, Paulus habe beim Empfang der Nachricht von dem Eindringen der Häresie in Korinth ausgerufen (Expaze nerwn): KPEITTON ÄNn Mol ÄTIOBANEIN KA! ENAHMÄCAI TIPÖC TON KYPION Ä EINAI EN TA CAPKI Kal ToIoYTovyc nörovc Akofcaı, wem fällt da nicht der Bericht des Irenäus über das Verhalten des Polykarp ein, wenn er häretische Lehren hörte’? Ferner erinnere man sich, welche gnostischen Irrlehren Polykarp ep. 7 — thesenartig, wie in unserm Briefwechsel — hervorgehoben hat und wie sehr sie den im apokryphen Briefwechsel accentuirten gleichen‘; Polykarp's meeoaeyeın TA Aörıa To? Kypiov ist vielleicht so- ! Vgl. Schaum S. 205, der auch hier das Richtige schon gesehen hat. ®? Polykarp hat nach dem Zeugniss des Irenäus (h. e. \, 20) mehrere Briefe ver- fasst, die am Ende des 2. Jahrhunderts noch existirt haben: .KAl EK TÖN EMICTONÖN AYTOT ON EMECTEINEN HTOI TAIC FEITNIWCAIC EKKAHCIAIC ETTICTHPITWN AYTÄC HA TON AAENDON TICI NOYBETÖN AYTOYC KAl TIPOTPETIÖMENOC AYNATAI $ANEPWEHNAI. 3 Iren. bei Euseb., h. e. V, 20: ei TI TOIOYTON AKHKÖEI EKeINoc Ö MAKÄPIOC KAl ATIOCTONIKÖC TIPECBYTEPOC, ÄNAKPAEAC ÄN KAI EMbPAEAC TA WTA AYTOY, Kal TO CYNHBEC AYTO EITON' Ö KANE BEE, EIC 0loYCc ME KAIPOYC TETHPHKAC, INA TOYT@N ANEXWMAI. Irenäus fährt fort meveYrei AN KAi TON TÖTION EN & KABEIÖMENOC H ECTÜC TÖN TOIOYTWN AKHKÖEI Nör@n. Dazu ep. Il, 20: Kali AmmO TÄC AIAAXÄC AYTON vEYTeTe. * ”Oc An MH oMonorh ’IHCOYN XPICTÖN EN CAPKI ENHAYBENAI . . . ÖcC AN MH ÖMonorH TO MAPTYPION TOY CTAYPOY.... OC ME@oOAEYH TÄ NörIA TOY KYPioy TIPOC TÄC IAalac ErtieY- MIAC KAl AETH MHTE ANACTACIN MHTE KPICIN EINAI. Harnack: Der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern. 35 gar wörtlich im falschen Paulusbrief wiederholt worden (s. ep.Il. 2): Weiter vergleiche man mit den scharfen Ausdrücken Polykarp’s über die Häretiker »AnTixPIcToc«, »&K TOY AIABÖNOY«, »Ö TIPWTÖTOKOC TO? CATANÄ« (ep. 7 und mündlich in Bezug auf Mareion) die Ausdrücke »Priester Satans«, »TÄN TICTIN TO? KATHPAMENOY ÖBEWC EXOYCIN«, »TENNHMATA EXIA- NÖN«, »vioi TAc öpräc« in dem falschen Paulusbrief. Endlich darf man doch wohl sagen, dass der ganze Charakter des falschen Paulusbriefs in seiner Simplieität, seinem Traditionalismus', seiner entschiedenen und kurzbündigen Polemik gegen die Häresie, ja selbst in seinem Mosaik aus älteren Briefen an das erinnert, was wir von Polykarp und seinen Briefen wissen. Natürlich reicht das Alles nicht aus, um eine feste Verbindungslinie zu ziehen; aber soviel wird man behaupten dürfen, dass der falsche Paulusbrief nach Geist und Tendenz” sehr wohl eine — freilich dürftige — Copie nach Briefen Polykarp’s sein könnte. Dass ein Buch wie die Acta Pauli (sammt dem falschen Brief- wechsel) in der Kirche geschrieben werden und einen ungewöhnlichen Erfolg erlangen konnte, fordert eine Erklärung. Sie liegt nahe: In der Apostelgeschichte des Lucas ist Paulus nicht deutlich als »Heros« und Asket vorgestellt; auch tritt die berückende und zwingende Gewalt seiner Predigt und Wirksamkeit nicht scharf hervor. Beides wollte der Verfasser der Acta Pauli nachholen. Er transponirte dabei den Apostel aus dem Jüdischen ins Hellenische. Paulus sah nun einem Apollonius von Tyana ähnlicher als einem urchristlichen Missionar. Dieser Apostel war ganz verständlich, der wirkliche Paulus nur zum Theil. Zum Glück kam die neue Darstellung zu spät — sah wohl auch zu modern aus — um dauernd Unheil zu stiften. ! Paulus selbst beruft sich ep. II, 4 auf die früheren Apostel, von denen er empfangen habe, was er lehre! ® Man achte auch auf den Begriff AıkaiocYnH und die Bedeutung der Auf- erweckung im Polykarpbrief. Im Einzelnen finden sich noch manche bemerkens- werthen Parallelen. Polye. 2, 1: KeNH MATAIOAOTIA. 7. 2: MATAIÖTHC TÖN TIOANGN, 6,3: KENoI Anepuriol mit ep. I, 16: H MaTalonorla Kenweh. — Polye. 6, 3: Apostel und Pro- pheten (oi TIPoKHPYzANTec) als Richtschnur mit ep. 1.4. 5; 11. 4. 9. 10. 36. — Polye. 9, 1: TTAYaoc Kal ol Aolmol Arröctonoi mit ep. I, 4. 5. — Polyc. 8, ı: ToYTon HMiN TON YTIo- TPAMMÖN EBHKE Al’ EAYToY mit ep. II, 6. — Polye. 7. 2: 6 EE ApxÄc TIAPAADOBEIC Aöroc mit ep. 11,4 u. s. w. 36 Ein Philo-Palimpsest (Vat. gr. 316). Von Prof. Dr. L. Coux in Breslau. (Vorgelegt von Hrn. Dıers.) > handschriftliche Überlieferung der beiden ersten Bücher des großen Philonischen Werkes De specialibus legibus ist eine verhältnismäßig spär- liche. Die Abschnitte, aus denen sich das erste Buch zusammensetzt, finden sich sämtlich nur in den beiden Hss.-Klassen A und H, aber in vielfach verderbter und zum Teil, wie wir sehen werden, lückenhafter Überlieferung. F, die beste Hs. für dieses Buch, hat zwar auch alle Ab- schnitte, weist aber in dem letzten Abschnitte mepi eyöntun eine (vermut- lich durch Ausfall mehrerer Blätter in der Vorlage entstandene) große Lücke auf. M enthält nur die beiden ersten Abschnitte (meri merıromAc und rer) monarxiac). Noch schlimmer steht es um die Überlieferung des zweiten Buches. F hat nur die erste Hälfte, M ist die einzige Hs., in der dieses Buch vollständig erhalten ist; dazu kommen einige Exzerpte daraus in der Lukas-Katene des Niketas. Jetzt erhalten wir für das ganze erste Buch und den Anfang des zweiten Buches ein neues wertvolles Hilfsmittel in einem Palimpsest der Vatikanischen Bibliothek. Die Hs. ist lange verschollen gewesen und erst vor kur- zem wieder entdeckt worden. A. Mar hatte in einer beiläufigen Notiz (Nova Patrum Biblioth. T. VI p. I p. 67/68 Anm.r) von dem Vorhan- densein Philonischer Schriften in einem Vatikanischen Palimpsest Mit- teilung gemacht, dabei aber nach seiner Gewohnheit die Signatur der Hs. verschwiegen. Kardinal Pırra (Analecta Sacra I 315) zitiert Maıs Angabe. gesteht aber, nicht zu wissen, welche Hs. gemeint sei. Ich selbst habe lange nach der Hs. vergeblich gesucht, bis ein gelegent- licher Hinweis von H. Diers auf eine Abhandlung von Braxpıs auf die richtige Spur führte. Braxpıs nennt in seiner Abhandlung über die römischen Hss. des Aristoteles (Abh. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1831 S.60) auch den Vaticanus graecus 316, bezeichnet ihn als Palim- psest und führt daraus drei Philonische Schriftentitel an, die er auf zwei verschiedenen Seiten der Hs. lesen konnte. Aus den Angaben von Mar und Braxpıs, sowie aus einigen Proben, die ich der Güte L. Coux: Ein Philo-Palimpsest (Vat. gr. 316). a meines Kollegen pe Boor zu verdanken hatte, wurde mir bald klar, daß die Hs. insbesondere für das erste und zweite Buch des genann- ten Werkes von Wert sein könnte und jedenfalls schon wegen ihres Alters Beachtung und sorgfältige Untersuchung verdiene. Dank der Munifizenz der Kgl. Akademie der Wissenschaften und der Bewilligung eines Urlaubs durch die vorgesetzte Behörde wurde es mir ermöglicht, im Herbst vorigen Jahres in Rom den Palimpsest einer Prüfung und Vergleichung zu unterziehen. Durch das freundliche Entgegenkommen des Prefetto der Biblioteca Vaticana, Pater Eurer, wurde ich instand gesetzt, in verhältnismäßig kurzer Frist meine Aufgabe zu erledigen; ich kann nicht umhin, ihm auch an dieser Stelle meinen wärmsten Dank auszusprechen. Die hauptsächlichsten Ergebnisse meiner Prüfung will ich hier vorlegen. Cod. Vat. gr. 316 war ursprünglich eine Hs. in Klein -Folio (37""2 x 27°” ı), mit breiten Rändern, in zwei Kolumnen zu je 35 Zeilen ge- schrieben. Nach dem Charakter der Schrift, einer schönen breiten Minuskel, gehört die Hs. dem Anfang des ı0. (oder dem Ende des 9.) Jahrhunderts an, sie ist daher die älteste aller Philo-Hss. Sie ist gleichmäßig und außerordentlich korrekt geschrieben, nur einige über- geschriebene Varianten und einige Berichtigungen am Rand (bei Aus- lassungen im Text) zeigen kleinere zierliche Schrift; die Schriftentitel sind in kleiner Unzialschrift (auch mit schwarzer Tinte) geschrieben. Spiritus (r und +) und Akzente (bei Diphthongen auf dem ersten Vo- kal) waren mit großer Sorgfalt gesetzt, sind aber jetzt größtenteils verwischt. lJota adseriptum habe ich nirgends bemerkt, n Esenkverti- kön ist häufig auch vor konsonantisch anlautenden Wörtern gesetzt. Abkürzungen finden sich selten: nur für Kal wird manchmal (nicht immer) s geschrieben und auslautendes n am Ende der Zeile, wo der Raum zum Ausschreiben fehlt, durch einen Strich oben bezeichnet (z.B. evcia); außerdem finden sich hier und da die bekannten Kom- pendien ec, «c, oynoc und anoc für eeöc, KYPIoc, OYPANÖC, ÄN@PWTIOC. Die jetzige Hs. hat Groß-Oktav-Format; bei ihrer Herstellung wurde die alte Hs. ganz auseinandergenommen, ihre einzelnen Blätter wur- den zu je einer Lage zusammengebogen, und der Schreiber schrieb quer über den alten Text, so daß die obere Schrift senkrecht zur unteren steht. Die obere Schrift enthält byzantinische Kommentare zu Aristoteles (vgl. Branvıs a. a. O.). Der Schreiber hat auf den Seiten der neuen Hs. außen und innen einen breiten Rand gelassen; daher sind auf den inneren Rändern der einzelnen Seiten (d.h. in der Mitte der Blätter der alten Philo-Hs.) gewöhnlich 2 Zeilen bzw. 4 Zeilen der alten Seiten ganz frei und lesbar, eine Zeile dagegen durch die Biegung viel- fach sehr verwischt. Der größte Teil der Hs. ist einmal mit Chemikalien 38 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. bearbeitet worden (vermutlich von Man). Abgesehen von den wenigen Zeilen, die unmittelbar lesbar sind, bietet der untere Text natürlich große Schwierigkeiten. Die meisten Seiten, besonders die Rückseiten der alten Hs.. sind stark verwischt, manche so, daß man nichts oder nur einzelne Buchstaben erkennen kann. Die Vergleiehung und Ent- zifferung war daher für Kopf und Auge sehr anstrengend, nament- lich an trüben und regnerischen Tagen, die aber glücklicherweise nur vereinzelt vorkamen. Da die Blätter der alten Philo-Hs., wie ich sofort erkannte, bei der Herstellung der neuen Hs. ganz durcheinander- gekommen sind, beschloß ich, zuerst Seite für Seite die 4—5 les- baren Zeilen zu kopieren, um den Inhalt eines jeden Blattes und so all- mählich die ursprüngliche Reihenfolge der Blätter der Philo-Hs. festzu- stellen. Diese Arbeit nahm allein vier Wochen in Anspruch, d. h. zwei Drittel der Zeit, die mir überhaupt zur Verfügung stand. Dann erst ging ich an die Vergleichung einzelner Blätter mit dem überlieferten Text, soweit sie mir nötig schien und bei dem Zustande der Hs. möglich war. Die Hs. besteht jetzt aus 173 Blättern (fol. a, b, e, 1-91, gı“"°, 92—164, 164— 166)... Von diesen gehörten zu der alten Philo-Hs. nur die Blätter 1—164 (nebst 91", gı®, 91°); von diesen ist fol.155 nur ein halbes Blatt der ursprünglichen Folio-Hs., die obere Hälfte war weggeschnitten. Im ganzen sind also von der alten Philo-Hs. 83 Blätter und ein halbes Blatt erhalten. Ob sämtliche Blätter ur- sprünglich zu einer Philo-Hs. gehörten, ist zu bezweifeln. Zum min- desten scheint ein Blatt (fol. 98 +97) aus einer zweiten Hs. zu stammen, denn es enthält das Ende der Schrift De migratione Abrahami $ 217 —225 (vol. II 31 1 —314 unserer Ausgabe). Die Hs. müßte einen unverhältnis- mäßig großen Umfang gehabt haben, wenn sie neben den Schriften, die ihren wirklichen Inhalt bildeten, auch noch eine ganz andere Gruppe von Schriften, zu der De migratione Abrahami gehört, enthalten hätte. Versprengte Blätter, die aber möglicherweise zu unserer Hs. gehörten, sind noch fol. 99496, 95+100 und 94 +101: auf fol. 99+ 96 steht ein Stück der Schrift De Iosepho $ 22 ff. (IV 66,2 mHA’ Ocon THN KEoA- AHN ETTÄPAI AYNAMENOC KTA.), auf fol. 95 +10o und 94 +101 zwei Stücke aus De vita Mosis Buch I $ 239 ff. und $ 302 ff. Alle übrigen Blätter hingegen bilden ein zusammenhängendes Ganze, sie enthalten den größ- ten Teil von De vita Mosis Buch II (II), De decalogo ganz, De speciali- bus legibus Buch I ganz, sowie den Anfang des zweiten Buchs. Als sicher oder wahrscheinlich dürfen wir daher annehmen, daß die Hs. ! Die Blätterzählung ist die der neuen Hs., die Philo-Hs. war nicht foliert; das Blatt nach fol. g9ı war bei der Foliierung übergangen und ist daher von jüngerer Hand als fol.9ı$ und gıB bezeichnet worden und die Rückseite von fol.gr als gıC; die Zahl 164 ist doppelt angewandt. + ! G ZN ursprünglich folgende Schriften enthielt: De vita Mosis I. I, De decalogo, De specialibus legibus I. II. L. Conx: alsdann aus ungefähr 200 Blättern bestanden haben. des Inhalts eines jeden Blattes ergab sich folgende ursprüngliche Reihen- folge der erhaltenen Blätter der Philo-Hs., aneinanderschließen: Fol. 77 +76 45+41 45444 66+71 53+52 Se! 74479 78-75 1527153 1644157 159-+162 2514154 211055 158-+163 161 +160 150+156 39+34 60+61 63-+58 42447 .37 +36 93+39 92-90 28-+29 85+34 32+25 17+24 22-19 83 +86 18-+23 31-+26 20+21 insgr‘ 30+27 33 +40 62459 — De vita Mosis BuchlI $ 71 bis zu Ende. = De decalogo. Fol. 35 +38 88 +81 57 +64 91°+9g1 5 LO 12+13 7+2 6+3 I+8 4+5 al 16+9 122-121 127+132 128-H 131 133+126 124-+119 125+118 120+123 729.030 136+139 144 #147 I34+141I 142149 143+148 137+138 140+135 1464145 55 5® 68+69 49+356 72+65 67 +70 82+37 Ein Philo-Palimpsest (Vat. gr. 316). (De Abrahamo?), 39 De Iosepho, Die Hs. würde Nach Feststellung soweit sie sich lückenlos — De specialibus legibus, Buch I (II 210— 264 Mane.). 40 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Fol. 43 +46 | ne » 80473 > 108 1.003 legibus, Buch II ee) DETAIL ELLE (II 270-287 1 » 105 +106 » 102-109 “ ns Mane.). See » 107 +I104 Der Schluß des zweiten Buches De vita Mosis steht auf fol. 42” ı. Ko- lumne, darunter die Subskription sınwnoc TIePI TOY BIOY MWYCEWc ... Tr. Der Rest der Kolumne (fol. 47’, 1. Kol.) ist leer gelassen, auf fol. 42“, 2. Kolumne, steht über der ersten Zeile der Titel sınwnoc TIePI TWN AcKA AOTWN Ol KEPANAIA NOMWN Eicin. Die Schrift De decalogo endigt auf fol. 62”, ı. Kolumne, wo aber von der Subskription nichts mehr zu erkennen ist; der Rest der Kolumne (fol. 59", ı. Kol.) ist wiederum leer ge- lassen, fol. 62°, 2. Kolumne, beginnt das erste Buch De specialibus le- gibus mit dem Titel über der ersten Zeile, von dem aber nur noch die Worte sıawnoc TIEPI TWN EN Mepei AIA(TATMATwN) lesbar sind. Das Buch endigt auf fol. 46°, ı. Kolumne, die Subskription ist ganz verwischt; der kleine Rest der Kolumne ist unbeschrieben, fol. 43’, 2. Kolumne, beginnt das zweite Buch De specialibus legibus mit den Worten "En rA mpö TAYTHc Bierw (11 270, ı Mane.), der ehemals vorhanden gewesene Titel über der ersten Zeile ist so verwischt, daß nichts mehr zu er- EI: kennen ist; eine jüngere Hand hat an den Rand geschrieben TI Ten eıacı nom TO e (sic). Das letzte hierzu gehörige Blatt fol. 104", 2. Ko- lumne, bricht ab bei den Worten TAc Äran @MÖTHTOC KATememseto (II 287, 45 Masce.). Es stellte sieh mir alsbald heraus, daß der Palimpsest für die Bücher De vita Mosis und De decalogo von geringerer Bedeutung ist, von unschätzbarem Werte dagegen für die Bücher De specialibus legibus. Ich habe daher bei der Kürze der Zeit, die mir zu Gebote stand, eine vollständige Vergleichung nur derjenigen Blätter vorgenommen, die zu diesen beiden Büchern gehören. Im zweiten Buche De vita Mosis zeigt der Palimpsest nicht Übereinstimmung mit der besseren Überlieferung, die die Hss. (A)FGHP vertreten, sondern geht fast durchweg mit der entgegengesetzten schlechteren Überlieferung und teilt mit dieser auch die offenkundigsten Fehler und Verderbnisse. Z. B. $ 139 (vol. IV 232, 23) ToYc TNHCIOYC Kai ANÖBOY METATIOIOYMENOYC KAnnoyc. 8144 (IV 234, 2) EToimöTeroı TIPÖC TÄC TePoYPriac Yrıoyprücın. $154 (IV 236,09) rı- sentec. 8206 (IV 248,10) aıkaiwc statt Akalewc. Der Palimpsest hat auch einige Fehler, die sich in den andern Hss. nicht finden: $ 146 D (IV 234,9) xpHmaroc für xpicmatoc. $ 212 (IV 249,19) «Ai TA für Kata. $ 242 (IV 257, 3) ae mwrcAc für a’ ömwc (nur A hat ebenso A’ d muwchAec). $ 273 (IV 265, 7) Arwnizecea für mpoAarwnizeceai. Eine gute Lesart fand ne L. Coux: Ein Philo-Palimpsest (Vat. gr. 316). 41 ich nur $134 (IV 231,16) AssonwTÄAtHn für Aveonwtarun. Auch in der Schrift De decalogo zeigt der Palimpsest nicht durchweg die beste Über- lieferung, manche Fehler teilt er sowohl mit M als mit andern Hss., z.B. S62 (IV 282, 23) TON icwn MmeTaaıaöntec, $112 (IV 294, 17) men- aontec statt Exontec, S17I (IV 306, II) tmarakrataskkaıc. Er hat auch eigene falsche Lesarten, z.B. $128 (IV 298, 3) moıxımaioı für moixiaıoı, $156 (IV 303, 16) den Zusatz A Än vor ArAnmata, $177 (IV 307, 10) örA für aipAtaı. Trotzdem würde die vollständige Vergleichung dieses Teils der Hs. noch einige Ausbeute liefern; denn schon in den von mir gelesenen Zeilen fand ich eine ganze Reihe guter oder beachtens- werter Lesarten, die allerdings zum größten Teil durch die armenische Übersetzung oder durch Konjekturen vorweggenommen waren: 85 (IV 270, 6) AnıcötHtoc (Konjektur von Mangzy). $ 8 (ebenda Z. 19) fügt der Palimpsest zu den Worten Enöc Arnola ToY »Yceı noch TIATPöC hinzu. $ı3 (IV 271,10) mönreıc (wie Arm und Maneer). $ 31 (IV 275,16) KATAKAINÖOMENOC. S 36 (IV 276, 21) aramopkcaı. $ 64 (IV 283, 12) maPöcon (für «aeö), worauf auch die Lesart von M mröc ö hinweist. 388 (IV 289, 7) Erw men oYn, in der nächsten Zeile emei (wie Arm). $ 96 (IV 291, 8) TAc KATÄ cCeAÄNHN NOYMHNiAC, wie ich vermutet hatte und in den Text hätte setzen sollen. $138 (IV 300, 2) iepwreron. $ 147/148 (IV 302, 4/5) hat der Palimpsest nach AceenHcantec im Text dmAAaoY Te kai epoy und am Rande mit kleiner Schrift Amaypofntaı, was in den andern Hss. im Text steht, während ömAaoyY Te fehlt. Es scheint, daß ömAaoyY Te in einer alten Hs. in AmaypoYntaı verderbt war, daß dieses zunächst als Variante zu ömaaoy Te an den Rand geschrieben wurde (solche Varianten hat der Palimpsest auch sonst bisweilen teils übergeschrieben teils am Rande), schließlich aber, wie die andern Hss. zeigen, das richtige ömAaoy Te ganz aus dem Text verdrängte; denn AMmAYPoYnTaı kann ganz gut entbehrt werden, während durch ömaaoy te das re des vorangehenden Satzes öseAanmoi TE TÄP TIOANAKIC KTA. Sein Korrelat erhält. Ungleich erheblicher ist der Gewinn, der dem Text und dem hsl. Apparat des ersten Buches De specialibus legibus aus dem Palimp- sest erwächst, und es ist nur aufs höchste zu bedauern, daß die Hs. nicht vollständig und in ihrem ursprünglichen Zustande erhalten ist und daß viele Seiten derartig verwischt und unkenntlich geworden sind, daß eine genaue Vergleichung unmöglich ist und an mancher schwierigen und verderbten Stelle nicht mehr ermittelt werden kann, was in ihr gestanden hat. Immerhin aber läßt sich auf Grund des Erhaltenen und Lesbaren ein viel besserer und vollständigerer Text herstellen, als ohne den Palimpsest möglich gewesen wäre. Zunächst erhält die ursprüngliche Gestalt dieses Buches, wie wir sie aus F zu- 42 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. erst dureh Wexpraxp kennen gelernt haben, durch den Palimpsest ihre volle Bestätigung. In der Betitelung und Überlieferung stimmt er mit F genau überein. Die Titel der einzelnen Abschnitte (außer mer) merıtomAc, welcher Titel wie in F ganz zu fehlen scheint) lauten ebenso oder fast ebenso wie in F (Wespraxp, Neu entd. Fragm. Philos 136): (I. mePi TIEPITOMAC.) 2. oi IePi MmonAPxlac nömoı im Text, am Rande trePi MmonaPxlac. 3. TIEPI lePoY. 4. TIEPI TEPEWN. 5. TEPA TEPEWN. 6. TEPl IWWN TON EIC IEPOYPFIAC KAl TINA TON EYCIÖN EIAH. 7. TIEPI EYÖNT@N. In dem Abschnitt rreri zwun «ra. hat der Palimpsest auch das Stück über die Opfer an den Festtagen, das Wenpranp (Neu entd. Fragm. 1— 14) aus F ediert hat. In dem letzten Abschnitt reri eyöntun findet sich an derselben Stelle wie in F das Stück, das in den meisten Hss. den Anfang des aus zwei philonischen Stücken zusammengeflickten Schriftehens De ınercede meretricis bildet (WEnpLann S.135 ff... Im Palimpsest hat das Stück auch eine eigene Überschrift (im Text): rer) To? MmicewmA MÖPNHC Eic TO Tepöon MH Komizein. Auf diese Weise erklärt es sich, daß das Stück aus seinem Zusammenhang herausgehoben und zu einer besonderen Schrift gemacht werden konnte, die dann durch ein zweites aus der Schrift De saerificüs Abelis et Caini entnommenes Stück erweitert wurde. Auch im einzelnen zeigt der Palimpsest meistens Übereinstimmung mit F (in den beiden ersten Abschnitten mit MF) im Gegensatz zu der Überlieferung in AH. Indessen ist der Text von F (bzw. MF) doch nicht ganz frei von Fehlern aller Art. An solchen Stellen, aber auch an einigen, wo anscheinend gleichwertige Lesarten in F und in AH vorliegen, geht der Palimpsest häufig mit AH zusammen und gibt im Zweifelsfalle den Ausschlag; verhältnismäßig seltener kommt der entgegengesetzte Fall vor, daß der Palimpsest offenbar falsche Les- arten mit F oder AH teilt. Sehr reich aber ist der Gewinn an ganz neuen Lesarten unserer Hs., durch die der Philo-Text an zahllosen Stellen verbessert oder bereichert wird. Einige markante Beispiele seien hier angeführt. (Ich zitiere die einzelnen Abschnitte mit ihren alten Titeln.) De circumeis. 2 (II 212,2 Manger) && TON cYnHewn »aus der täglichen Erfahrung«, für &x Tün cvynöntun. De monarch. 12 (215,15 M.) maoyToY rÄP Al TIePIBÖHTOI YaAaı XPYcöc Kal ÄPTYPOC EINAI meoykacın hat der Palimpsest: für einaı bieten MF xeicea, AH keicenı, L. Conan: Ein Philo-Palimpsest (Vat. gr. 316). 43 die Ausgaben xpAceal, MAnGEY vermutete Peiceaı. 4 (217,3 M.) Brieovcan für maHevovcan (MF) oder maHeoycan (AH). 7 (220, 16 “) TENHCECOAI für rerenAceai. De monarch. IIlg (228, 2 M.) meri rAmon, wodurch der schwere Hiatus rämoy oYruc fortfällt. 13 (231, 12 M.) ToY gragerw- TATOY für TÄC BaABEPWTÄTHc. De vichm. ı Be 20 es TIPOC CTTÖPON, TIPÖC fehlt in FAH, eic cmöron vermutete Manser. WennpLann, Neu entd. Fragm. 5, 23 ön eY MmAna AIENEIMEN EIC TÄ nexeenTa, Aleneimen fehlt in F. 9,11 mAcaı EIKÖTWC EeYciaic CYFKABIEPOPNTAI. 9,12 AITTA ©... TA (drei Buchstaben sind undeutlich), offenbar zu eYmatra zu ergänzen, falsch F eymiAmara, da es sich um Tieropfer, nicht um Weihrauch- opfer handelt. 9,14 # ae «al ierpomunia, daher wohl auch vorher Ä Men oYn noymHnia zu schreiben. 10,16 AA Tö, wie WENDLAND ver- bessert hat (Arte F), ebenso Z. 17 »eoral (Verbesserung von DIELs). 11, ıo fehlt das von mir bereits gestrichene 16. ıI1,ıı hat der Palimpsest das von WennLann eingefügte oic. 12,1 richtig xArıcı METÄNOIAN. 12,6 hat der Palimpsest AnAreın statt airon, offenbar richtig. 12,14 ayoin und a& hat der Palimpsest. 13,1 Toic Terefcın eic EAWwaHn, womit der Hiatus «krea eic beseitigt wird. 13,12 Ereipoycal TIPOCANA- eneroycı. 13,17 EMICTOMITONTAC, Wie WENDLAND verbessert hatte, ebenso Emmi METOYCian. 13,18. I4,I INA KAK TOY TOTIOY KAÄK TON ...MENWN KA AETOMENWN AIÄ TON KYPIWTATWN Alcekceon, drei Buchstaben nach KAk Ton sind verwischt, ich ergänze öpwmenwon, WEnDLANDS Änderung Avo für ar ron scheint mir danach unnötig: zu dem Ausdruck vgl. De sacrifieant. 12 (260, 31 M.) und De vita Mos. IS 211 (vol. IV 249, 16). De victim. 5 (242, 5 M.) A maPA coola Kal NÖMOIC KAl Co®0Ic KAl NOMIMOIC ANAPÄCI TETIMHTAI für Artep TA cooia (A TIepi colac F) Kai nömoIc Kal KAnoic (nömoic cosoic F) Kal nomimoic ÄnaPpAcı TETIMHTAI. 6 (242, 33 M.) ERTYPpwcın MEN KATÄA THN TO? BEPMOF AYNACTEIAN TON AAnWN ETIIKPATHCANTOC, F hat eco? für eermo?, Bernavs Heraklit. Briefe 125 hatte dem Sinne nach richtig myYpöc vermutet, was in ey verschrieben worden sei. Ebenda (242, 46 M.) fügt der Palimpsest nach eramnerön die Worte En Ännw m(Acı?) Tolic Aeanmioyprumenoic eewroYmenon hinzu; vielleicht steckt in ihnen eine Variante zu MeTÄ TON ÖMorEN@N EEZETAIÖMENON, die irrtümlich in den Text geraten ist. 11 (247,48 M.) Kpıön A’ einaı KA) TOYTW Al- eIPHTAI c#Arıon, die Vulgata (AH) ist KPIon A’ Areın Keneyei Kal TOYTO AIEIPHTAI CoArıon, F hat KPIOn ÄNATATEIN KAl TOYTW AIEIPHTAI C#ATION. 14 (250,15 M.) uYzaro, wie Mangey für #rzaro vermutet hatte. De sacri- ficant. 2 (252,1 M.) hat F A a& eic vor öcon, für A a& eic hatte ich schon Aaeeic vermutet, das mit dem vorangehenden ieroypriac zu ver- binden sei; der Palimpsest hat nun wirklich Tepovpriac AAecıc" Ocon. 4 (254, 24 M.) mnaenöc TON En reneceı xpefon, wie ich bereits ver- bessert hatte; F hat xreıiön, AH xPHıonTa. 44 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Von höchstem Werte aber ist der Palimpsest für den Teil des Abschnittes mer) eyöntwn, der in F infolge einer Lücke, die in seiner Vorlage vorhanden war, ganz fehlt, d.h. für etwa 3 dieses Abschnittes. In F folgen nämlich auf die Worte kai TIPocCHKönTuc' Erreiah (254, 48 M.) sogleich die Worte TInac TON Arrokörıwn €seTo (264,13 M.). Für dieses ganze Stück waren wir bisher allein auf die Hs. AH angewiesen, die gerade hier einen sehr verderbten und an vielen Stellen arg verstümmelten Text bieten. Der Palimpsest gibt nun in diesem Teile nicht nur eine Fülle von vortreftlichen Lesarten, durch die der Text erheblich ver- bessert wird, sondern auch eine ganze Reihe von Zusätzen in Wörtern, Wendungen und ganzen Sätzen, aus denen wir ersehen, dal3 der Vul- gattext viel lückenhafter ist, als man je hätte vermuten können. Von den neuen Lesarten will ich hier auch nur einige anführen. 5 (254, 50 M.) rYrxAnoycın, wie ich schon vermutet hatte und auch Ar bietet, ebenso gleich darauf rAxa MmenToı für men. Ebenda (255, ıı M.) Areron, wie schon ManGEY für Arıemön vermutet hatte. Ebenda (255,16 M) fehlen nach öseanmovc in AH die Worte mPöc KATÄNHYIN CWMATWN. 6 (256, 12 M.) KexpHcaı für Kexwcaı. 9 (258,4 M.) Amavxenirontec, wie schon MangGeEY für Arrocxoinirontec vermutet hatte. Ebenda (258, 2ı M.) fügt nach eeöc der Palimpsest hinzu kai Apxwn oYK lAIWTÜN MÖNON AnnÄ KAl APXÖONTWN. 10 (258,48 M.) Kaıpon (özYN) Exeı TÄc MmeTABonAc für Özelan Exeı THN METABONAN, die vier undeutlichen Buchstaben nach kaırön habe ich zu özYn ergänzt; zu dem Ausdruck vgl. Xen. Cyrop. S, 5, 7. Gleich darauf, nach mpin AneAcaı sesaiwc, hat der Palimpsest den Zusatz: To AN (A&?) TTATION Kal ÄTPETTTON KAl ÄMETÄBAHTON ÄTA(SON?) METAAIWKWMEN, WO- durch erst das folgende aYTo? seine Beziehung erhält. 10 (259, 2ı M.) TTAIAEYÖMENOI TÄ KAAAICTA TIAPA BEcTecioıc ÄNnAPAcı, in AH fehlt marA eec- mecioic. 11 (259, 30 M.) erreıan — so hatte ich schon für Erei ae ge- schrieben — vevaömenoc AÖrIA KAl XPHCMoYc für veYAonoriac AÖTOYC Kal xPHcmoyc. 12 (260,9 M.) mAcan für das unverständliche npöc. Am meisten verstümmelt ist in dem bisherigen Text der Ab- schnitt, der die Gesetzesbestimmungen Deuter. 23, ı und 17 erläutert, Kap. 13 —ı5 Richt. (261, 9— 264, 5 M.). Zur Veranschaulichung des Sachverhalts stelle ich den Vulgattext und den Text des Palimpsests nebeneinander, die neuen Zusätze sind durch Sperrdruck hervorgehoben. Die Entzifferung dieser Zusätze verursachte die größten Schwierig- keiten, da gerade auf den betreffenden Blättern die Schrift sehr ver- wischt ist, besonders auf der Seite (fol. 67° + 70°), die am meisten Neues bietet. Vieles, was auch bei wiederholter scharfer Betrachtung undeutlich blieb, ist vermutungsweise von mir ergänzt; einiges wenige bleibt noch zweifelhaft. L. Conax: Ein Philo-Palimpsest (Vat. gr. 316). Vulgattext. (13.) Koınwniac A& Kal SInaNePWTTiac EICHTHTHC WN EN TOIC MANICTA Ö NO- MOC EKATEPAC APETÄC THN T AZIWCIN KAli THN CEMNÖTHTA AIETHPHCEN, O0Y- AENI TÖN ANIATWC EXÖNTWN ETTITPEYAC KATA®YTEIN EIT AYTAC, AnnÄ TIOPPWTÄTW ATIOCKOPAKICAC. ETTICTÄMENOC TOFYN EN TAIC EKKAHCIAIC OYK ÖNITOYC TÜN MOX6H- PON ETTEICPEONTAC KAl AlA TO CYNEINET- MENON TIAHEOC AANBÄNONTAC, INA MH TTPOANEIPFEI TIÄNTAC TOoYTo TENHTAI, TOYC AÄNAZIOYC IEPOF_ CYAnöroY THN APXHN TIOIOYMENOC ATIO TÜN NOCOYN- TWN THN AAHEH NÖCON ANAPOTYNWN, 0| TO ®YCEWC NÖMICMA TIAPAKÖTITONTEC TÄABOC KAl EIC AKONACTWN TYNAIK@N MOP®AC EICBIAIONTAI" @AAAIAC TÄP Kal ATIOKEKOMMENOYC TA TENNHTIKÄ EAAYNEI TO TE TÄC ÜPAC TAMIEYONTAC ÄNGOC, KAl TON INA MH PAAIWC MAPAINOITO, APPENA TYTION METAXAPÄTTONTAC EiC BHAYMOPBON IAEAN' ENAYNEI A 0Y MÖNON TTÖPNAC, AANA KAl TOYC EK TÄC TIÖPNHC ETTIBEPOMENOYC MHTP@ON AICXOC, AlA TO THN TIP@THN CTIOPÄN KAl FENE- CIN AYTOIC KEKIBAHNEFCEAI. TÖTIOC FÄP OYTOC, EI KAl TIC Ännoc, ETTIAEXETAI AAANHTOPIAN, ®IAOCO®OY BEWPIAC N ANATIAEWUC' TON TÄP ÄCEBÜN KAl ANO- CIuN OYx EIC TPÖTIOC, AnnÄ TIOANO| KAl AIA®EPONTEC. Oi MEN TÄP TÄC ACWMATOYC TAEAC DNOMA KENÖN AME- TOXON AAH8OFC TIPÄTMATOC EINAI »AcI, THN ANATKAIOTÄTHN OYCIAN €K TON ONTWN ANAIPOFNTEC, HTIC ECTIN APXE- TYTION TIAPAAEITMA TTANTWN OCA TIOIÖTH- 45 Palimpsest. KOINWNIAC A& KAl ®IAANGPWTTIAC EIC- HTHTHC W@N EN TOIC MANICTA Ö NÖMOC EKATEPAC ÄPETÄC THN TE ÄZIWCIN Kal THN CEMNÖTHTA AIETHPHCEN, OYAEN| TON ANIATWC EXÖNTWN EITITPEYAC KATA- OYrein EIT AYTÄC, AnnÄ TIOPPWTÄTW CKOPAKICAC. ETTIICTÄMENOC T’ OYN EN TAIC EKKAHCIAIC OYK ÖNIFOYC TON MOXEH- PON TIAPEICPEONTAC KAl AlÄ TO CYN- EINETMENON TIAHBOC AANBÄNONTAC, INA MH TOYTO TENHTAI, TIPOANEIPFEI TIÄN- TAC TOYC AÄNAEZIOYC TEPO? | CYAn6roY THN APXHN TIOIOYMENOC ATIO TÖN NOCOYNTWN THN OHAEIAN NOCON ANAPO- TYN@N, Ol TO ®YCEWC NÖMICMA TIAPA- KÖTITONTEC EIC AKONACTWN TYNAIK@N TÄSH KAI MOP®ÄC EICBIAIONTAI" BAAAIAC FAP KAlI ATIOKEKOMMENOYC TÄ FENNHTIKÄ ENAYNEI TO TE TÄC CWTHPIAC TAMIEY- ONTAC ÄNEOC, INA MH PAAIWC MAPAI- NOITO, KAl TON APPENA TYTION META- XAPATTONTAC EIC EBHAYMOP®ON TAEAN. ENAYNEI A&E 0Y MÖNON TIÖPNAC, ANNÄ KAl TOYC EK TIÖPNHC ETTIBEPOMENOYC MHTP@ON AICXOC KAl AIOTI H TIPWTH CTTOPA KAI FTENECIC AYTOIC KEKIBAHNEY- TAI KAl CYFKExXYTaI Alk (TO MAR)- 80C TÜÖN WMIAHKÖTWN TAIC MH- TPÄCIN, @c M(H AYNA)CeAI TON ÄNHEeA TIATEPA AIA(CTEIN)AI Kal AIAKPINAI. © AC TOTOC 0oYToc ei KAl TIC ÄnNOC AÄAAHTOPIAN ETTIAEXETAI GINOCOBOY BEWPIAC WN ANÄTINEWC. TÜN TÄP ÄCEBÖN KAI ANOCIWN OYX EIC TPÖ- TIOC, AnnÄ TIOANOI KAl AIABEPONTEC. ol MEN TÄP TÄC AÄCWMATOYC TAEAC 7 cKoPAkiein häufig bei Philo. ArtockoPA- Klrein scheint sonst bei ihm nicht vorzu- kommen; außerdem entsteht durch TIoPp- PWTATW ATIOCK. ein unstatthafter Ilia- tus. 14 eHNEIAN schon von ManGey verbessert. 19 CWTHPIAC (cPiAC in Ab- kürzung) falsch für @PaAc. 20 25 30 ıo 35 46 Vulgattext. TEC OYCIAC, KAe” HN EKACTON EIAOTIOIEI- TAI KAl AIAMETPEITAI. TOYTOYC AI IEPAI TOY NOMOY CTÄNAI MHNYOYCI BAAAIAC' TO TÄP TEOAACMENON A®HPHTAI THN TIOIÖTHTA Kal TO ElAOC Kal OYAEN ETE- PÖN ECTIN Ä KYPiwc eEITTIEIN AMOP&OC YAH. 0oYTwc H ANAIPOFCA AOZA TlAEAC TIÄNTA CYTxei Kal TIPOC THN ÄNWTEPAN TON CTOIXEIWN OYCIAN THN AMOPOIAN ATTO CKHNON Äreı‘ 0% TI FENOIT AN ÄTOTIWTE- PON: Ex EKEINHC TÄP TTANT EFENNHCEN Ö BEÖC, OYK ESATITÖMENOC AYTOC' OY TÄP ÄN BEMIC ATIEIPOY KAl TIEBYPMENHC YAHC YAYEIN TON IAMONA KAl MAKAPION’ ANAA TAIC ACWMATOIC AYNÄMECIN, WN ETYMON ÖNOMA AI lACAI, KATEXPHCATO TIPÖC TO TENOC EKACTON THN ÄPMOTTOYCAN AABEIN MoP®ÄN. H A& TIOANHN AÄTAZIAN EIC- HrFEITAI KAl CYTXYCIN. ANAIPOYCA TÄP TAYTA, Al ON Al TIOIÖTHTEC, CYNANAIPEN TOIÖTHTAC. ETEPOI A WC EN Kenoic KAKIAC, TA EIT ACEBEIA NIKHTHPIA CTIEY- AONTEC AIPECBAI, TIPOCYTIEPBÄNNDOYCIN, AMA TAIC lACAIC KA] TIPÖC YTIAPEIN 8€0Y ETTIKAAYTITOMENOI, WC OYK ONTOC, NETO- MENOY A EINAI XAPIN TOY CYM®EPONTOC ÄNEPWTIOIC. Oli A& AI EYNÄBEIAN TOY AOKOYNTOC TIÄNTH TIAPEINAI KAi TIANTA ETTITH- KABOPÄN AÄTONOI MEN CO®IAC, AEYONTEC A& THN MEFICTHN KAKI@N ABEÖTHTA, TPITOI AE EICIN, Oi THN ENANTIAN ETEMON, EICHTHCAMENOI TITAHBOC APPENWN TE KAIl EHNEIÖN, TIPECBYTEPWN TE AY KAl NEWTEPWN, TIOAYAPXIAC AOTWN 9. 10 ATIO CKHNÖN Areı MandG., ATIO AE CKHNOYN (sic) Arel AH, ATIO AE& CKHNÖN Arei TURN.; ATIO CKHNÖN Arel omnino men- dose scribitur bemerkt Manc. ı4 Für Iamona vermutete Mang. richtig eYaal- MONA. 25 TIAPAKAAYTITÖMENOI auch A. 31 TPITOI AH eicın wollte Manc. schreiben, indem er die Worte ol ae - ABEÖTHTA auf die dritte Gruppe bezog. Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Palimpsest. ÖNOMA KAINON (SiC) AMETOXON ANHBOYC TIPATMATOC EINAI ®ACI, THN ANATKAIOTA- THN OYCIAN EK TON ONTWN ÄNAIPOYN- TEC, HTIC ECTIN APXETYTION TTAPAAEITMA TÄNT@N Ocal (Sie) TOIÖTHTEC OYCIac, KA®” HN EKACTON EIAOTIOIENTO) KAl AlE- METPEITO. TOYTOYC Al lePAI TOY NO- MOY CTÄNAI MHNYOYCI BAAAlAC' WC TÄP TO TEOAACMENON ASHPHTAI THN MOIOTHTA KAl TO EIAOC KAl OYAEN ETEPÖN ECTIN H KYP/wc EITIEIN AMOP- Kal AIPoFCcA (Sic) ®0C YAH, OYTWC AÖzZA lACAC TIÄNTA CYTXEI KAI TIPOC THAN ÄNWTEPW TON CTOIXE.WN OYCIAN THN ÄMOP®ON KAl ÄTTOION EKEINHN Äreı° 0% TI TENOIT” AN ÄTOTIWTEPON; TÄNT EFENNHCEN Ö oY €EE EKEINHC TÄP BEÖC, OYK EVATITOMENOC AYTOC" rÄP ÄN 8EMIC ÄTIEIPOY KAl TIEBYPMENHC YAHC YAYEIN TON EYAAIMONA KAl MA- KAPION’ AANA TAIC ACWMATOIC AYNA- MECIN, @N ETYMON ONOMA Al 1AEAl, KATEXPHCATO TIPÖC TO TENOC EKACTON L TNN ÄPMÖTTOYCAN AABEIN MOP$HN. H A& TIOAAHN ATAZIAN EICHTEITAI KAl CYrT- XYCIN’ ANAIPOYCA TÄP TAYTA Al N Ai TOIÖTHTEC CYNANAIPEI TIOIOTHTAC’ EtTePoı A WC En AenoIc KAKIAC TA Em ACEBE!A NIKHTHPIA CTIEYAONTEC AIPECBAI TIPOCYTIEPBANAOYCIN AMA TAIC TAEAIC KAl TIPOCYTITAPEIN 6E0Y TIAPAKAAYTI- TÖMENOI WC OYK ÜÖNTOC AETOMENOY A” EINAI XAPIN TOY CYMGEPONTOC ÄN- EPWTIOIC" Ol A& AI EYAÄBEIAN TOY AO- KOYNTOC TÄNTH TIAPEINAI KAl TIANTA KABOPÄN ÖMMACIN ÄKOIMHTOIC OIcC 12 für AlpoYca ist mit AH H ANAIPoYcA zu schreiben. 31 MPOCYTIAPEIN auch der Palimpsest; ich vermute TPOYTIAPEIN oder TIACAN YTIAPEIN. 34 wohl oi zu schreiben und A& zu streichen. 36 oic wohl Dittographie undzu streichen; nach AAIKHMA- TON ist vielleicht TocoYTwon ausgefallen. L. Coux: Ein Philo-Palimpsest (Vat. gr. 316). 47 Vulgattext. TON KÖCMON ANATIAHCANTEC, INA THN TO? ENOC KAl ÖNTWC ÖNTOC YTITÖAHYIN EK TÄC ANEPWTITWN AIANOIAC EKTEMUWCIN. OYTOI A EICIN OT CYMBOAIKÜC EK TTÖPNHC Yrö TOY NÖMOY TIPOCATOPEYOMENOI" KABA FTÄP ON MHTEPEC TTÖPNAI TON MEN AAHEH TIATEPA OYK ICACIN OYT EITITPAYACBAI AYNANTAI, TIOAAOYC A& KA CXEAON ÄTIANTAC TOYC EPACTÄC KAl WMIAHKOTAC, TON AYTON TPOTION KAl Ol ATNOOYNTEC TON ENA KAl ÄAHEINON BEON. TIOANOYC [FAP| Kal veYawnYmoYc ÄNATIAATTONTEC TIEPI TO ANATKAION TÖN ONT@N TYAWT- TOYCIN, OTIEP Ä [renoc] MONON H TIPW- TICTON €E AYTON CITASTÄNWN EIKÖC ÄN ANAAIAACKECBAI. TI TÄP MAOHMA KAN- AION ETTICTHMHC TOY ONTWC ONTOC 8€0Y; (14.) TETAPTOYC A& Kal TIEMTITOYC ENAYNEI, TIPOC MEN TO AYTO TENOC ETTIEITOMENOYC, OY MHN ATIO TON AYTÜN BOYNEYMATWN. AMGOTEPOI TÄP IHAWTAI METANAOY KAKOY, ®IAAYTIAC, ÖNTEC, WC- TIEP TINÄ KOINHN OYCIAN AlIENEIMANTO THN OAHN YYXHN EK AOTICMOY KAl ANOTOY MEPOYC CYNECTÜCAN. KAI Ol MEN TO AOTIKÖN, OÖ AH NOFC Ecri, \ AIEKAHPWCANTO, Oi AEC TO AÄNOTON, 7 OYT’ IcAcın A. 12 rÄP die Ausgg.. om. AH. 14 Texoc die Ausgg.. om. AU. 35 norıcmoY die Ausgg., aorıkoY All. Palimpsest. EMEANON AÄNEEZEIN AAIKHMÄTUN' TOYTOYC Ö NOMOC EeYeYBönwc ATTOKÖTTOYC TIPOCATOPEYEI THN TEPI TOP TÄNTA TENNÖNTOC EK- TETMHMENOYC YTITÖAHYIN, ÄTONOYC MEN CO®lAC, ETTITHAEYONTAC AE& THN METICTHN KAKIÖN ABEOTHTA. TPITOI A elcin 01 THN ENANTIAN ETEMON EIC- HTHCÄMENOI TIAH8OC APPENWN TE KAl OHNEIÖN, TIPECBYTEPWN TE AY KAI NEW- (sie) TON KÖCMON ANATIAHCANTEC, TEPWN, TIOAYAPXIKWTÄTW AOrW INA THN TO? ENOC KAl ÖNTWC ONTOC YTTÖAHYIN €EK TÄC ÄNGPWTIWN AIANOIAC EKTEMUWCIN. oYToI A’EICIN Ol CYMBONIKÜC ER TTÖPNHC YTO TO? NOMOY TIPOCATOPEYÖMENOI" KABÄTIEP ON MHTEPEC TIÖPNAI TON MEN AAHSH TIATEPA OYTE ICACIN OYT EfI- TPAYACBOAI AYNANTAI, TIOANOYC AE KAl CXEAON ATIANTAC TOYC EPACTÄC Kal WMIAHKÖTAC, TON AYTON TPOTION Kal Ol ATNOOYNTEC TON ENA KAI AAHBINON BEON TIOANOYC KAI YEYAWNYMOYC ÄNA- TINÄTTONTEC TIEPI TON ANATKAION TON (SIE) TY®AWTTOYCIN, OTIEP H MONON KH TIPW- TICTON €E AYTON CTIAPFANWN AÄNA- AIAACKECBAI" TI TÄP MAÄOHMA KAANION A TO? ÖNTWC ÖNTOC 8E0Y; TETÄPTOYC A& Kal TIEMTTTOYC ENAYNEI TIPOC MEN TO AYTO TEAOC ETIEITOME- NOYC, 0Y MHN ATIO TON AYTÜN BOY- NEYMATWN’ AM$OTEPOI TÄP IHAWTAI METANOY KAKOY ®INAYTIAC ONTEC ÜCTTEP TINÄ KOINHN OYCIAN AlENEIMANTO THN OAHN YYXHN EK AOFTIKOY KAl ANOTOY MEPOYC CYNECTÜCAN’ KAl Ol MEN TO \ AOFIKÖN, Ö AH NOYC ECTI, AlEKAHPW- e7 CANTO, Oi A& TO AÄNOTON, OTIEP eic 9 nach maAeoc ist vielleicht ee@n lin- zuzufügen. 17 TÄP om. 24 ANAT- KAIONTÖN verschrieben fir ANAFKAION (- 6TATON?) TON ONT@N. 29 EMICTHMHC om. un 1o 30 35 25 30 48 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Vulgattext. ÖTIEP EIC TÄC AICBHCEIC TEMNETAI. Oi MEN OYN TOY NOY TIPOCTATAI THN HrE- MONIAN KAl BACIAEIAN TÜN AÄNBPWTTEIWN TIPATMAT@N ANATOYCIN AYTW, KAI ®ACIN IKANON EINAI KAl TÄ TIAPEAHNYEOTA MNHMH AIACWIEIN KAl T@N TIAPÖNT@N EPPWMENWC ÄNTINAMBÄNECBAI KAI TÄ MEA- NONTA EIKÖTI CTOXACMW AÄNOCIOYCBAI. oYTocC TAP ECTIN Ö THN THN BABYTEION TIEAIAAOC KATA- TÄC ÖPEINÄC Kal CMEIPAC KAl ®YTEYCAC KAI THUN BIW- GENECTÄTHN TEWPTIAN EYP®N. OYTOC Ö TON OYPANON KATACKEYÄCAC Kal THN XEPCOY ®YCIN TIANTÖC AÖFTOY EITI- TTAWTHN EPFACAME- NOIAIC KPEITTOCI NOC. OYTOC TPAMMATA KAl MOYCIKHN KAl THN ETKYKAION TIAIACIAN ETTENÖHCE KAl TIPOC TO TERAOC HTATEN. OYTOC Kal TO METICTON ATABON, ®INOCOB@IAN, EFEN- NHCE KAl AlA TÖN MEPÜN AYTHC WeE- AHCE TON ÄNGPÜTIINON BION, AlA MEN TO? AOFIKOoY TIPÖC ANEZATIÄTHTON EP- MHNEIAN, AlA A& TOY HeikoY TIPÖC THN T®N TPOTIWN ETTANÖPBWCIN, AlA AE TOY ®YCIKOY TIPOC ETTICTHMHN OYPANOY TE KAl KÖCMOY. KAl ANAA MENTOI TIAM- TIAHEÄ AETOYCIN ETKWMIA NOY CYM®O- PHCANTEC TE KAl ATEIPANTEC, EXONTEC THN ÄNA®BOPÄN EITI TA AEXBENTA HAH, TEPIl WN 0Y KAIPÖC ENOXAENN. 8 AnocioYceAl die Ausgg.. AsocioYceal AH. 13 TON OYPANöN die Ausgg., NYN oYPAanön AH. Palimpsest. TÄC AICBHCEIC TEMNETAI. Oi MEN OYN TOoY NOY TIPOCTATAI THN HTEMONIAN KAl BACINEIAN TON ANBPWITEIWN TIPATMATWN ANATOYCIN AYT@ KAl ®ACIN IKANON EINAI KAl TÄ TITAPEAHNYEOTA MNHMH AIACWIEIN KAl TON TIAPÖNTWN EPPWMENWC ANTI- NAMBÄNECEAI KAl TÄ MEAAONTA EIKÖTI CTOXACMW ®ANTACIOY(ceAI) TE Kal AOFTIIECBAI. OYTOC TÄP ECTIN Ö TÄN THN BABYTEION KAl APETÜCAN TÄC ÖPEINÄC KAI TIEAIAAOC KATACTIEIPAC KAl THN KATA®YTEYCAC KAl BIWPENEC- TATHN FTEWPFIAN. OYTOC Ö NAYN KATA- CKEYACAC KAl THN .EP.AION ®YCIN ETTINOIAIC TIANTOC AOTOY KPEITTOCI TIAWTHN ÄTTEPFACAMENOC KAI OAOYC EN BeAAÄTTH TIOAYcxIaeic A(xPı) \ (aN)mEnon TON KATA (Möneıc) Kal YTOAPÖMWN AEWSOPOYC ANATE- MON KAI TNWPICAC HTTEIPWTAC NH- CIWTAC OYK AN TIOT EIC EAYTOYC ENBÖNTAC, EI MH CKABOC E.A.. ARTE H. OYTOcC d Kal TON (BJA- NAY(CON) KAl TÖN ..... .. IWTE- Pwn (Tex)nön (nero)menun (EY- PJETÄC. OYTOC TPÄMMATA KA ÄAPI@- MOYC KAI MOYCIKHN KAI THN ETKYKAION K(TACAN) TIAIAEIAN ETIENÖHCE Kal (KATECT)HCEN Kal TIPÖC TO TENOC HTATEN. OYTOC KAl TO METICTON ÄTA- SÖN. PINOCO®IAN, ETENNHCEN KAl Al’ EKACTOY TON MEPÜN AYTHC WBEAHCE TON ÄNSPÜWTTINON BION, AlA MEN TOY AOFIKOY TIPOC ANEZATTATHTON EPMHNEIAN, 13 EYPON om. I4 .EP.AION ziem- lich sicher; xerclaıon? oder XePcAlon (xePCAIAN)? ı8 Tmöneic sehr un- sicher. 22.23 nach ckAeoc ist außer den drei Buchstaben nichts zu erkennen; vielleicht enAnion EeYPeeH? 24 Vielleicht ENEYBEPIWTEPUN. 28 ATTACAN vermutungs- weise ergänzt; ebenso Z. 29 KATECTHCEN. Die ganze Stelle ist stark verwischt. a | Vulgattext. (15.) Oi ae TON Alcekcewn TIPO- CTÄTAI TON EITAINON AYTÜN EY MANA CTENOTIOIOYCI, AIANEMONTEC TW AOTW TÄC ATI AYTON ETTINOMENAC XPEIAC’ KAl ®ACIN OTI AYO MEN AITIA TOY IÄN ECTIN, ÖC®PHCIC KAl TEFCIC, AYO A& TO? KANn@C IÄN, OPACIC KAl AKOH. AlA MEN OYN TEYCEWC AI TON CITIWN TPO- ®Al TIAPATIEMTIONTAI, AlA A& TÖN MYKTH- PoON Ö AHP, 0Y TITAN I®ON EzHPTHTAI' TPO®H A ECTI Kal 0YToC H CYNexHc, ÖC OYK EFPHFOPÖTAC MÖNON AANA Kal KOIMWMENOYC AIATPEBEI TE KAl AIACW- IEI. CA®HC A& TIICTIC' EI TÄP KAN BPA- XxYTATON Ö TÄC ANATINOÄC AlAYAOC ETI- CXEGEIH, KATÄ THN TOY TIESYKÖTOC EEWBEN ETTOXETEYECEAI TINEYMATOC ATIO- KOTIHN, BANATOC ATIAPAITHTOC EE ANAT- KHC ETTAKONOYBHCEI. TON TE MAN BINO- CO®WN AICBHCEOUN, Al @N TIEPIFINETAI TO EY IÄN, ÖPACIC MEN ®ÜC TO KAA- AICTON EN TAIC OYCIAIC ÖPA, Kal AlÄ $WTÖC TANNA TIÄNTA, HAION, CEAHNHN, ÄCTEPAC, OYPANÖN, TAN, BANATTAN, ®Y- TON KAl IWWN AMYEHTOYC AIABOPAC, KAl CYNÖAWC TIÄNTA CWMATA KA CXH- MATA KA| XP@MATA Kal MErEeH, ON H SEA TIEPITTHN ®PÖNHCIN EZEIPFÄCATO KAl TIOAYN IMEPON ETTICTHMHC TTAPEXETAI AEC Kal EFENNHCE. ÄNEY TOYTWN @dE- II C8ENOTIOIOYCI A, CEMNOTIOIOYCI ver- mutete richtig Manc. 14 eicin AH. 17 TÖn om. A. 30 Kal] ae AH. Sitzungsberichte 1905. L. Con: Ein Philo-Palimpsest (Vat. gr. 316). 49 Palimpsest. AIA AEC To? Heiko? TIPÖC TNN TON TPOTIWN ETTANÖPBWCIN, AlA A TOY $yY- CIKOY TIPÖC ETITICTÄMHN OYPANOT TE Kal KÖCMOY. KAI ANNA MENTOI TIAMTIAHEH NEFOYCIN ETKWMIA NOY CYMSOPHCANTEC TE Kal ÄTEIPANTEC, EXONTEC THN ANA- ®OPÄN EITI TÄ AEXBENTA HAH, TIEPI ON 0Y KAIPÖC ENOXNEIN. AE TON AICOHCE@N ol TIPOCTATAI TON ETTAINON AYTON EY MANA CEMNO- TOIOYCI AIANEMONTEC TO ANOTW TÄC ATT AYTON ETTINOMENAC XPEIAC’ Kal $SACIN OTI AYO MEN AITIA TOY IÄN eicın (SiC) ÖcePHcic Kal refcıc, AYOo AE TOY KAnÖCc IÄN ÖPACIC Kal AKOH. AlIÄA MEN OYN TEYCEWC Al TÜN CITIWN TPO®AI TTAPATIEMTIONTAI, AlA A& MYk- THPWN Ö AHP, OY TIAN I®ON EEHPTHTAI' TPOeN A Ecrti Kal 0YToc H cynexhc (Kal A)AIAcTA(Toc), Öc oYK ErpHro- PÖTAC MÖNON AANÄ KAl KOIMWMENOYC AIATPEBEI TE KA| AIACWIEI. CAPHC A& TICTIC’ Ei TÄP KÄN BPAXYTATON Ö TÄC KATÄ ANATINOHC AIAYAOC ETTICXEBEIH THN TOP TIEBYKÖTOC EEWOEN ETIOXE- TEYECEAI TINEYMATOC ATIOKOTIHN, BA- NATOC ATIAPAITHTOC E€E ANÄTKHC ETTA- KOAOYEHCEI. TÜÖN TE MHN ®INOCOSWN AICBHCEON, Al’ WN TIEPIFINETAI TO EX IÄN, OPACIC MEN ®WC TO KANAICTON EN Tolc ofcın öPA, (ÖPA A&) AIk eWTöc TANAA TIANTA, HAION, CEAHNHN, ÄCTEPAC, OYPANÖN, THN, ®AAATTAN, $YTON KAl IWWN AMYEHTOYC AIABOPÄC, KAl CYNO- AWC TIANTA CWMATA KAl CXHMATA Kal XPOMATA KAl MErTEOH, ON H BEA TIE- PITTHN ®PÖNHCIN EZEIPFÄCATO KAI TIOAYN TMEPON EITICTÄMHC ETENNHCEN. TIAPEXE- 31 ÖPA AE vermutungsweise von ınir ergänzt, die Stelle ist in der Hs. sehr verwischt. 4 Io 15 20 25 30 35 10 20 25 30 35 50 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Vulgattext. nelac ÖPACIC HMIN TÄC METICTAC, EIC TE THN OIKEIWN KAl AANOTPIWN KAl @i- AWN AIAKPICIN KAl BAABEPÜN MEN ®YTHN, AIPECIN AC TON ETIWBEAWN. TETONE MEN OFN KAl TÖN AnAWN EKACTON TOY CW- MATOC MEPÖN TIPÖC ÄPMOTTOYCAC XPEIAC KAl C®ÖAPA AÄNATKAIAC, WC BÄCEIC MEN TIPÖC TIEPITTATON KAl TÄ ANNA OCA AIÄ CKEADN ENEPFEITAI, XEIPEC A& TIPOC TÖ MPÄzAl TI KAl AOYNAI KAl AABEIN, Oo- BAAMO| AL ÜWCTEPEI TI KOINON ATABON THN TO? AYNACBAI KATOPEOYN AITIAN KAl TOYTOIC KAlI TOIC AnnoOIC ATTACI TITAPEXOYCIN. OTI A& TOFE’ OYTwc &xeı, ÄYEYAECTATOI Ol TIETIHPWMENOIMAPTYPEC, 0i MHTE XEPCI MÄTE TIOC| AYNANTAI KATÄ TO BEATION, THN TTPÖCPHCIN ETTANHBEYEIN, Hn OoYK ETT’ Önelacı MAnnON H OIKTW BECBAI »ACI TOYC TIPOTEPOYC AAYNA- L TOYC ÖNOMACANTEC BAYMACIWTATA. H AKON AC XPÄMA, Al Äc MeAH Kal PyeMmol KA TIANG” ÖCA KATÄ THN MOY- 2 N WAH CIKHN ETTIKPINETCI. TÄP KAl AO- roc YrIeINÄ KAl CWTÄPIA $APMAKA, H MEN TA TIABH KATETTAAOYCA KAl TO ÄPPY@MON EN HMIN PY@Moic, TO A EKME- TO A’ ÄMETPON METPOIC ETTICTOMIIOYCA. NEC MEHECI, TIOIKINON A’ ECTi Kal TIANTOAATION EKACTON, WC MOYCIKOI KAl TIOIHTAl MAPTYPOTCIN, OIC TIICTEY- EIN ANATKAION. © AEC AOTOC ETTIEXWN \ KAl ANAKOTITWN TÄC ETTI KAKIAN ÖPMÄC KAl TOYC KEKPATHMENOYC AGPOCYNAIC KAl ÄHAIAIC EKNOCHNEYWN, KAl MAAA- KWTEPWC MEN TOYC YTTEIKONTAC, C$#OAPO- TEPWC AE TOYC AGHNIAIONTAC, AITIOC FINETAI TON METICTWN WBEAEI®N. 14 OTI - Exeil om. ARN 15 YEYAECTATOI H, ol veyaectatoı A. 17 ETIANHBEYON- Tec vermutete richtig Mang. 20. 21. Öno- MACANTAC. BAYMACI@TATON AE H AKON XPÄ- MA vermutete Manc. 34- 35 MANA- KWTEPOYC ... C60APOTEPoYc AH. Palimpsest. TAI AE KAl ANEY TOYTWN WEENEIAC OPACIC HMIN TÄC MEFICTAC, EIC TE THN OIKEIWN KAl AAAOTPION KA) ®lAWN KAl EX8PÖN AIÄKPICIN KAl BAABEP@ÖN MEN ®YTÄN, AIPE- CIN AC TON EIT WoENnElA. TETONE MEN OYN KAl TÜÖN ANAWN EKACTON TOY CWMA- TOC MEPÜN TIPÖC ÄPMOTTOYCAC XPEIAC KAl C$ÖAPA ÄNATKAIAC, WC BÄCEIC MEN TIPÖC TIEPITATON KAIl APOMON KAl TANAA OCA AIA CKEAWN ENEPFEITAI, XEIPEC AC TPöC TO MPAzAl TI Kal AOPNAI Kal NABEIN, O®BAAMOI A& WCTTEPEI TI KOINON ATABON THN TOY AYNACEAI KATOPBOYN AITIAN KAl TOYTOIC KAI TOIC Annolc ATTACI TIAPEXOYCIN. AYEYAECTATOI A Ol TIETIHPWMENO! MAPTYPEC, Ol MHTE XEPCI MÄTE TIOC| AYNANTAI XPÄCBAI KATÄ TO BEATION, THN TIPÖCPHCIN ETTAAHBEYONTEC, ÄN OYK- ET ÖNelAacı MAANON A OIKTW BECBAI »ACI TOYC TIPÖTEPON AAYNATOYC ÖNOMACANTEC (SiC)” AMA TÄP TH TON ÖMMATWN ®80PA KA Al TOY cU- E MATOC AYNAmMeıc (OYX Y)Tockeni- IONTAI MÖNON, AANÄ KA| #8EIPON- TAI. BAYMACI@TATON A& KAI AKOH XPHMA, Al HC MEnH KA) METPA Kal PyYemol, ETI TE ÄPMONIAI KA|I CYMO@NIAIKAITÖN TENÖN KAl CYCTHMATWN Al META- BOAAI, TIÄNE ÖCA KATÄ MOYCIKHN ETII- KPINETAI, Ä AOTWN TE TON KATÄ AIEZEÖAOYC KA) TTAMTIAHBEIC lAEAI AIKANIKÖN CYMBOYAEYTIKÖN EF- KWMIACTIKÖN, ETI AE TÖN EN IcTOPIAIC KA] AlANÖTOIC KAl TON En ÖmMInlAIC AÄNATKAIAIC TIEPI TÖN en (Bio) MPATMATWN TIPÖC TOYC Ael TAHCIÄIONTAC" CYNÖAWC TÄP (AIA) ewnÄc AITTHN EXoYCHc AY- 27 Te] lies Ag. 30. 31 KATA” EzO- aoyc (Al übergeschrieben). zT Kal wohl umzustellen nach TIAMTIAHBEIC TAEAl. 38 alA nicht sicher. L. Conn: Ein Philo-Palimpsest (Vat. gr. 316). 5l a Vulgattext. Palimpsest. NAMIN EIC TE TO AETEIN Kal TO AAEIN EKATEPA TA(YTA) AılalkPpi)- NEI TIPÖC WBENEIAN YYxXÄc. Wan TÄP KAI AOFOC YTIEINÄA KAl CWTHPIA ®APMAKA, H MEN TÄ TIÄGH KATETTAAOYCA KAl TO AÄPPY@eMON EN HMIN PYemolic, TO A’ EKMENnEC MENECI, TO A ÄMETPON METPOIC ETTICTOMIEOYCA’ TIOIKINON A ECTI KAl TIANTOAATION EKACTON, WC MOYCIKOl KAI TIOIHTAI MAPTYPOTCIN, OIC TIICTEYEIN ANATKAION EITITHAEY- MA (Toic EY) TTETAIAEYMENOIC' Ö AE NOTOC ETIEXWN KA ANAKÖTITWN TÄC ETTI KAKIAN ÖPMÄC Kal TOYC KEKPATH- MENOYC AÄ®POCYNAIC KAl AHAIAIC EK- NOCHNEYWN, MAAAKWTEPON MEN TOYC YTIEIKONTAC, C®OAPÖTEPON A& TOYC APHNIAIONTAC, AITIOC TINETAI TON ME- FICTWN WOENEI®N. 2 TAYTA zweifelhaft. 12 Toic eY sehr undeutlich. Einige gute Lesarten finden sich auch noch im Schlußkapitel. 16 (264, 10 M) eikötwc Attinacen lepo? cYanörov, Arihnacen fehlt in AH, die Ausgaben bieten iepo? cyanörovy Enayneı mit schwerem Hiatus, wes- halb ich eikötwc (Anelpzen) Tepo? cyYanöroy hatte schreiben wollen. Im letzten Satze (264, 25) Aeeoı, wie Maneey richtig vermutet hatte; A hat Aenıoı, H Aenoı, F Änoroı nöroı. Für das zweite Buch De specialibus legibus hat sich die Hoffnung, daß der Palimpsest eine Ergänzung zu M, der einzigen Hs. für die zweite Hälfte dieses Buches, liefern werde, leider nicht erfüllt, da von diesem Teil der alten Hs. nur wenige Blätter erhalten sind, die kaum so weit wie F reichen. In der Überlieferung stimmt der Palimpsest auch hier am meisten mit F überein, mit dem er auch eine ganze Anzahl Fehler teilt. Häufig aber, wo der Text in F verderbt oder willkürlich geändert ist, bietet der Palimpsest die richtige Lesart von M. Einige M und F gemeinsame Textverderbnisse finden sich auch schon im Palimpsest; z. B. (ich zitiere nach Tischennorr, Philonea) 18,2 oiA XPHCTOYC TO ÖNTI KOCMOTIOAITAC TENOMENOYC statt OlA KPHCTOI T. Ö. KOCMC- TIoAITAı renömenoı, Wie MAnGEY verbessert hat. 20,8 vyxAc für TYxHc (Maneey). 24, 11/12 mpatromenoıc für rrPocTAatTomenoıc (MANGEY). 27,14 TIONHPön für rIHPön (MAanery). Weit häufiger sind die Fälle, wo der 4° 10 15 52 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Palimpsest bessere Lesarten bietet und Fehler der bisherigen Über- lieferung aus dem Texte beseitigen hilft. Z.B. 4,15 KAn HcyYxAzeın AoKA für HeyxAIH. 9,14 TON MEN Trapeenon (m. om. M F) ToYc mATErAcC KyYPiovc, TON A& TYNAIKÖN TOYC ÄNAPAC ETTITNWMmonAc (€. om. M F) ArmosAnac. IO,13 6 rAP ÄmenHcac für AmenHc. 13,4 EKEINA TÄP TIPÖC TÄC TÜN CWMÄTWN EYEEIAC Kal eYmoPelac TIMATAI (T. om. M F) A TOYNnanTion ErTevwnizeTAl. 17,9 MÄTE ÄAnIKElceaı MATE AnTaaıkein der Palimpsest, M hat mAT’ Aaıkein MAT’ ANTI- AIKEIN, F MAT’ AnIKeIN MAT’ ANAIKEIN. IQ, 16/17 TIAIAEPACTON für TIAIAO- crop®n, MAngEy vermutete TAIAo#080P@n. 26, I TÄN TO? KÖcMoY TENEEAION EOPTÄIWN für reneenion HMEPAN EOPTÄIWN. ZI, 13 TIAYCACceWcAN für TIAYcAcBE, wie 32, 2/3. 32,12 mHA’ Önap elaötec für laöntec. Anmerkung. Nachträglich, während dieser Bericht sich bereits im Druck be- fand, stieß ich zufällig auf den Aufsatz von Fren. C. ConvgBEARE in Class. Review X (1896), 231— 284, worin bereits an der Hand der armenischen Übersetzung die Lücken- haftigkeit des bisherigen Textes von TrePl eyönton nachgewiesen war. Durch den Palimpsest erhalten wir aber den genauen griechischen Wortlaut, der bei der Wieder- gabe aus dem armenischen Text vielfach unsicher blieb. L. C. 53 Bericht über eine Reise in Messenien. Von Dr. WaALTter KorLseE in Athen, (Vorgelegt von Hrn. von Wıramowırz - MoOELLENDoRrF.) Im Auftrage der Akademie habe ich vom 20. September bis 5. No- vember 1904 Messenien bereist, um für den V. Band der Inscriptiones Graecae das Material zu sammeln. Auf längeren und kürzeren Ausflügen habe ich von Kalamata, der heutigen Provinzialhauptstadt, aus, die Rhion-Halbinsel, die beiden messenischen Ebenen sowie das Bergland um die Nomia der Alten durchschweift und bin an mehreren Punkten in den Taygetos vorgedrungen. Wenn man von der Hauptstadt Messene absieht, waren die Funde nach Zahl und Bedeutung gering. Unter sol- chen Umständen traten die topographischen Fragen in den Vordergrund. Obwohl sich die glänzende Intuition, die Currıus in seiner Beschreibung des Peloponnes entfaltet, immer von neuem bestätigte, wird sich doch hier und da Gelegenheit zu einer ergänzenden Bemerkung bieten. Die erste antike Stadt an der Westküste der Rhion-Halbinsel war Korone, an dessen Stelle die Mainoten-Kolonie Petalidion steht. Die Mauern der Akropolis lassen sich noch ungefähr verfolgen: aber die mancherlei Baureste, Statuentrümmer und Inschriften, die Currıus erwähnt, sind zum größten Teile verschwunden. Von den wenigen in- schriftlichen Funden verdient nur die Herme des Herakliden Armönıkoc Erwähnung, die das folgende Epigramm trägt:' "Aae me TeixIbeccA-TIAP ÄTAAON IPON lewmHc MecchnH CYNoic | KYAECIN ÄrAAlcen, Yion Arictwnoc Mecchniov | HA’ EPATEINÄC | H AAXEN EK TIATEIPWN. ArArtac, CMAPTHN Dameln| ae "Enlnäneccı renovc | mera KYAoc APeceaı "Er Te AıockoYPpwNn &k | Ton "HPaKneiaHN Te Kal HpaRneovc. APMöNEIKON H TIÖRIC. ı [Der Stein muß aus Mavromati verschleppt sein, da das Gedicht die Auf- stellung in Messene angibt. Die Mutter Hageta hat das Dioskurenblut auf Harmonikos vererbt; von Herakles stammt er, wie der Familienname zeigt, von Vatersseite. Vers 2 wird zyYnoic wohl auf dem Stein stehen oder gestanden haben. U.v. W.-M.] 54 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Wichtiger ist eine alte PArra für ein Demeterheiligtum, von der aber nur der Schluß mit Strafbestimmungen für die Priesterin erhalten ist. Diese Inschrift befindet sich im Dorfe Rhumustapha, etwa ı Stunde nordwestlich von Longha, wohin sie jedenfalls verschleppt ist. Ein Rückschluß auf die Lage des Demeterheiligtums, bei dem die Stele aufgestellt werden sollte, ist vor der Hand nicht möglich, da der Besitzer sich weigerte, die Fundstelle zu zeigen. Auf dem Wege von Korone nach Asine erwähnt Pausanias einen Tempel des Apollon Korynthos, 80 Stadien von Korone, und die kleine Nachbarstadt Kolonides, deren Entfernung von Asine nur 40 Stadien betrug (IV, 34,7 f.). Jenes Heiligtum glaubte Currıus, Pelop. I 167 auf einem Hügel des Hag. Elias nördlich von Kastelia ansetzen zu sollen, weil er dort die Reste eines großen Gebäudes gesehen hatte; die Lage von Kolonides ließ er dagegen unbestimmt. Hier scheint eine Ungenauigkeit vorzuliegen, denn der Hügel von Kastelia heißt Hag. Johannis, während der Hag. Elias etwa 1“ siidlich der Ortschaft liegt. An der Stelle aber, wo Uurrıus den Hag. Elias auf seiner Karte zeichnet, befindet sich weder eine bedeutendere Erdherhebung noch eine Kapelle des Hag. Elias." Nun sind an dem Hügel FoynAc, der unterhalb des Johannesberges nördlich von Kastelia bei dem kleinen Dorfe Kantianika liegt, des öfteren von den Einwohnern Inschriften gesehen worden. Leider haben sie ver- säumt, für deren Erhaltung Sorge zu tragen, und da die Meeres- brandung hier den Felsen zum Teil unterhöhlt und zernagt hat, scheint es, daß jene Steine mit dem Erdreich abgestürzt sind. Nur eine Ephebenliste ist gerettet und wird in Kantianika aufbewahrt. Anderer- seits sind an dem Ostabhang des etwa zehn Minuten entfernten Elias- hügels einige Gräber griechischer Zeit gefunden worden. Es muß also eine alte Ansiedelung in dieser Gegend gelegen haben. Nun können nach den Worten des Periegeten Stadt und Heiligtum nicht weit von- einander entfernt gewesen sein. Da Pausanias IV, 34,8 bezeugt, daß Kolonides Em YYHno?, miKkPON AtIO eAnAcchce lag, möchte ich die Stadt auf dem etwa ı"” südwestlich von Kastelia gelegenen Hügel suchen, wo sich heute das Dorf Vunaria ausdehnt; den Tempel verlege ich auf die Höhe des Toynäc, an dessen Abhang die erwähnte Inschrift gefunden wurde. Diese Verteilung der Orte wird Pausanias’ Worten gerecht und entspricht am besten seinen Entfernungsangaben; von Petalidion (Korone) bis ToyaAc (Tempel) beträgt nämlich die Luft- linie 12°" — ungefähr 70 Stadien und von Korone (Asine) bis Vunaria (Kolonides) etwa 6” — 35 Stadien. Wenn Pausanias im ! Reste alter Gebäude sind jetzt nicht mehr vorhanden. W. Korse: Reise in Messenien. 579) ersten Falle So, im zweiten 40 Stadien nennt, so rechnete er nach der wirklichen Entfernung (vgl. Leaxe, Peloponnesiaca 196, und Bursıan, Geogr. Griech. 173, 1).' Die Lage von Asine selbst an der Stelle des heutigen Korone kann nicht zweifelhaft sein. Schon LeArE hatte das erkannt, ohne die Schwierigkeit zu beheben, die in der Pausaniasangabe lag, daß die Entfernung bis zum Akritas 40 Stadien betrage (IV, 34, 12). Currıus wies den richtigen Weg, indem er behauptete, daß Pausanias über- haupt nicht bis zum Vorgebirge gekommen, sondern quer über die Halbinsel nach Methone gewandert sei. Aus den Worten Anexeı a& €c eAnaccan 8 Arpitac a.a.0. geht das mit aller Deutlichkeit hervor. Denn äAnexeın ist hier wie bei Thuk. IV, 53 mAca rAp (seil. H AakunıKH) Anexeı mPöC TO Cikenikön Kal KpHtikön mienaroc nicht so sehr von der Höhen- als von der Längenausdehnung zu verstehen (= sich erstrecken). So konnte sich aber der Perieget nur ausdrücken, wenn er sich nicht beim Vorgebirge selbst befand.” Der prächtige Festungsberg von Asine trägt ein gewaltiges vene- zianisches Kastell. Aber Venezianer und Franken haben hier wie aller- orten, wo sie festen Fuß gefaßt haben, viel gründlichere Arbeit ge- tan als die Türken. In die Mauern ihrer Burgen verbauten sie Archi- tekturglieder und Inschriftensteine, und so erklärt es sich, daß in den Küstenstädten Messeniens, die fast alle im Mittelalter Stützpunkte der venezianischen Herrschaft waren, so wenig Reste der klassischen Zeit gefunden werden. In Asine konnte ich einige Ehren- und Grab- inschriften der späten Kaiserzeit sowie ein neues Bruchstück des Edic- tum Diocletiani (vgl. jetzt Top, Journal of Hellenie studies XXIV) ab- schreiben, aber in Methone und Pylos ist die Vernichtung der antiken Reste fast radikal zu nennen. Auf halbem Wege zwischen Pylos und Kyparissia ist der Küste das kleine Felseneiland TTrwotH vorgelagert, auf dem Strabo VIII 348 eine gleiehnamige Stadt erwähnt. Diese Insel ist noch unerforscht, aber sie verdient in mehr als einer Beziehung die Aufmerksamkeit der Archäologen. Über die Reste der Stadtmauern und Türme hat T. TTarranareov in einem kurzen Bericht gehandelt (Armonia 1902, 238). Größeres Interesse beanspruchen die Felsinschriften. Mir bot sich leider nieht die Möglichkeit zu näheren Untersuchungen, da ich wegen ! [Pausanias hat die Gegend nicht besucht; Beschreibung und Stadienangabe stammen aus einem Periplus. Heserney, Reisen des Pausanias 66. U. v. W.-M.] 2 Es muß einmal ausgesprochen werden, daß die Ansiedelung in der kleinen Ebene von Phaneromeni, die nach der französischen Generalstabskarte 5tm — etwa 35 Stadien vom Vorgebirge entfernt ist, für das alte Asine nicht in Betracht kommen kann. Die erhaltenen Mörtelmauern gehören der byzantinischen Zeit an; Münzen und Lampen, die mir gezeigt wurden, weisen in dieselbe Epoche. 56 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. stürmischen Wetters meinen Besuch auf das äußerste Maß beschränken mußte. Von Marathos aus fuhr ich mit einer Barke zu dem auf der Ostseite gelegenen kleinen Hafen, auf dessen steil abfallenden Fels- wänden Inschriften stehen, in denen die Schiffer nach glücklicher Fahrt der [Asroaith] EYmaoıa und den Aıöckopoı Eyrınearoı gedankt haben. Es wäre dringend zu wünschen, daß spätere Besucher die recht zahl- reichen kleinen Weihinschriften kopierten und photographierten. Da der Aufenthalt des kleinen Bootes an der Steilküste bei Wellengang nieht ungefährlich war, habe ich mich mit der flüchtigen Abschrift von sechs Inschriften begnügen müssen. Von Kyparissia aus, wo ich nur eine unbedeutende Grabinschrift fand, erreichte ich wieder die obere messenische Ebene. Heute ist Diavolitsi durch seine Lage an der Eisenbahn der gegebene Ausgangs- punkt für einen Besuch von Hira. Currıus war von dort dem nord- nordwestlich gerichteten Tal, das er nach Bogasi benannte, gefolgt und dann über das Elaiongebirge in die Nedaschlucht hinabgestiegen. Der jetzige Weg hält sich mehr östlich, indem er das Seitental von Garenza umgeht und in allmählicher Steigung den Paß zwischen dem Tetrasi im Osten und dem Hag. Elias im Westen erreicht. Von der Höhe überschaut man das schöne messenische Land in seiner ganzen Aus- dehnung: zu Füßen die fruchtbare Ebene des Pamisos mit den ein- rahmenden Bergzügen; weit im Süden erglänzt der Golf von Asine und im Westen das Meer bei Kyparissia. Setzt man den Weg nach Norden fort, so umgibt einen kahles ödes Bergland. Vom Nordrande des Passes blickt man in einen Gebirgskessel herab, in dessen Mitte sich einsam ein breiter abgestumpfter Kegel hineinschiebt. Das ist Hira, die letzte Zufluchtsstätte der Messenier. Die Natur hat diesen Berg zu einer Festung gemacht: nur im Südosten hängt er mit dem Tetrasigebirge zusammen, doch ist er auch auf dieser Seite durch einen tiefen Sattel isoliert. Sonst senkt sich der Berg bis zur Sohle der Wasserläufe. Von Osten, vom Lykaion kommend umfließt die Neda im weiten Halbkreis seinen Fuß und durchbricht im Westen den Kranz der Berge, nachdem sie das im Südosten entspringende PeYma von Stasimi aufgenommen hat. In diesem unfreundlichen kalten Bergland mußte ein härteres Geschlecht heranwachsen, fähig, den Kampf um die Freiheit und den Besitz der fruchtbaren Heimat noch einmal aufzu- nehmen. Denn kärglich ist das Ackerland im Nedatal; nicht jedes Jahr spendet es Frucht. Die Olive, Griechenlands goldener Baum, ist selten, und der Weinstock gedeiht nur am Südufer der Neda bei Kakaletri. Von den Überresten auf der Kuppe des Berges, der jetzt nach der Kapelle des “Arıoc AsanAcıoc benannt ist, berichtet bereits Ross (Reisen im Peloponnes S. 96). Er und Currws (I S.ı52) sehen in W.Korse: Reise in Messenien. 57 den Mauern, die den Gipfel umziehen, mehr eine »aus zusammen- gerafften Steinen schnell gemachte Befestigung als eine sorgfältig ge- baute Stadtmauer«. Diesem Urteil vermag ich nicht beizustimmen. Im allgemeinen besteht die Mauer aus großen rohen Steinen mit un- genauem Fugenschluß; die Lücken, die so entstanden, sind meist mit einem kleineren Stein gefüllt. Daneben finden sich Teile besserer Arbeit mit ziemlich sorgfältigen Fugen; die Steine sind zum Teil schon viereckig und zeigen eine bearbeitete Oberfläche. Man wird behaupten dürfen, daß im VII. und VI. Jahrhundert Befestigungsmauern in dieser rohen Technik aufgeführt wurden. Daß den Messeniern auf Hira aber die polygonale Bauweise nicht fremd war, bezeugen die Untermauern m eines großen 12” langen und mindestens 5” tiefen Gebäudes auf der Südseite der Burg. Über Grundriß und Bestimmung ließ sich ohne Nachgrabung nichts Näheres feststellen. Die 1.80 dieke Ring- mauer springt mehrfach zurück und weist nur im Südosten und Westen quadratische Türme auf von etwa 4” Seitenlänge. Die Ecken sind hier aus regelmäßigen viereckigen Steinen in guter Technik gebaut.' Eine zweite Ansiedelung liegt auf dem flachen, nach Westen vor- geschobenen Plateau Ar. TTarackey#, dessen Seiten von den beiden Wasserläufen bespült werden. Sie stammt zweifellos aus hellenistischer Zeit, denn die Mauern weisen eine große Ähnlichkeit mit der Stadt- mauer von Messene auf. Neben den zahlreichen viereckigen Türmen findet sich auf der Nordseite ein halbrunder von etwa 5” Durchmesser. Die Mauern zeigen auf beiden Stirnseiten Quadern, kleinere Steine dienen als Füllung. Die Dicke beträgt 190, bei den Türmen nur 1740. An Funden sah ich nur Münzen des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. Nach Diavolitsi zurückgekehrt, beschloß ich auch Andania zu be- suchen, das man jetzt am bequemsten von der nahen Eisenbahnstation Dessylla aus erreicht. Die Ruinen, die zuerst Üvrrıus für Andania in Anspruch genommen hat, finden sich auf einer schmalen Terrasse, die sich auf einem der letzten Ausläufer der Bergzüge von Chranoi von Norden nach Süden erstreckt. In der Ebene liegt in einer Ent- fernung von etwa 4"" das Dorf Sandani, in dessen Name sich zweifel- los eine Erinnerung an die alte Stadt erhalten hat. Ger und Currius haben mit Recht auf diesen Anklang Gewicht gelegt, wenn sie das griechische Andania in dieser Gegend suchten. Die Höhe, auf der die Ruinen liegen, ist wie geschaffen eine Burg zu tragen. Im Westen senkt sie sich ziemlich schnell zur Ebene, während sie im Osten und ! [Die Befestigungen bestätigen also, daß in Hira der messenische Aufstand des Aristomenes seinen Stützpunkt gehabt hat, der um 500 von Rhimos angesetzt ward und, so weit er überhaupt geschichtlich ist, in diese Zeit fällt. Vgl. meine Text- geschichte der griechischen Lyriker S.ıo5ff. U. v. W.-M.] 3 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. 5) Süden durch das tief einschneidende pe?mAa, das wir mit Currıus XApaaroc nennen, geschützt ist. Von hier aus beherrscht man die obere messenische Ebene. Deutlich treten die drei Wasseradern her- vor, die Pausanias überschreiten mußte, als er von Messene nach Andania reiste (IV 33,3). In der Senkung zwischen dem Ithome- und Elaiongebirge fließt die Balyra, in die sich von Norden die Leukasia ergießt, während von Nordost der Amphitos einströmt. A1ABANTI a& ToyYrovc (nämlich die Balyra mit den beiden Nebenflüssen) rrealon ECTIN ÖNOMAIÖMENON ÜCTENYKAHPIKÖN" - - TOY TIEAIOY AE ECTIN ÄTITANTIKPY KA- NOYMENH TO APXAION OlxANnlA, TO AL €o Hm@n KarpnAcıon Ancoc. Nachdem Pausanias gesagt hat, dal der XAraaroc, der ein rechter Nebenfluß des Ampbhitos ist, am KapnAcıon Ancoc vorbeifließt, fährt er $6 fort: al TIPOENBÖNTI EN ÄPICTEPA CTAAIOYC OKTW MANICTA EpeimA Ectin ÄNAANIAc. Daraus ergibt sich, daß Andania nördlich vom Charadros liegen muß und zwar nicht weit von ihm entfernt, denn die Entfernung vom KarpnAcıon Ancoc bis Andania beträgt nicht volle ı#'®, Wir werden somit Currıus Recht geben, wenn er diese Ruinen für die Reste von Andania erklärte; nur irrte er, als er die Mauern für die vordorische Burg in Anspruch nahm. Wir haben es offenbar mit einer Befesti- gung aus historischer Zeit zu tun. Die Mauern zeigen genauen Fugen- schluß; auch wo die Steine nicht viereckig sind, werden die Lücken mit sorgfältig behauenen Stücken ausgefüllt. Ihre Breite beträgt 2”; nur auf einer Strecke von 75” sind sie 370 dick. Auf der Höhe des Plateaus bilden sie einen Burghof von unregelmäßig dreieckiger Form. An der Nordost- und Südecke findet sich je ein großer Turm, der in die Mauer eingebaut ist; zwischen beiden führt auf der Ost- seite eine schmale Eingangspforte in den inneren Burghof. Bei diesen Mauern finden wir systematisch Binder verwandt, was besonders für die hellenistische Technik charakteristisch ist. Nun wissen wir aus Livius XXXVI. 31, daß die Stadt Andania im Anfang des 2. Jahr- hunderts noch bestand, und seine Worte passen genau zu der Lage der Ruinen bei Dessylla: Andaniam, parvum oppidum inter Megalopolım Messenenque situm. Denn im Tal des Flusses, den wir Charadros nannten, führt heute die Eisenbahn eine Zeitlang aufwärts, um über den Makriplagipaß die arkadische Hochebene zu erreichen. Außer den oben beschriebenen Mauern jüngerer Zeit fand ich auf dem Plateau, das in halber Höhe dem Berge im Südosten vorgelagert ist, Reste eines von Nordosten nach Südwesten verlaufenden Mauer- zuges aus großen unbehauenen Steinen, der rechtwinklig umbiegt und auf der Westseite einen viereckigen Turm gehabt zu haben scheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß wir hier die Reste der vordorischen Burg vor uns haben. | W. Korse: Reise in Messenien. 59 Auf kürzeren Ausflügen, die ich mit der Eisenbahn von Kalamata aus in die Umgegend des alten Oovyria machte, habe ich einige wenige Inschriften in Beicara, AcnAnara und Mıikpomanı gefunden. Von den drei Ephebenkatologen im Kloster Palaeokastro ist einer verloren gegangen, und die große Inschrift, die Vıscuer 1853 in einem Bauernhause ab- geschrieben hatte, ist ganz in Vergessenheit geraten. Kalamata selbst ist nicht reich an Altertümern, aber trotzdem ist Pernıces Schluß, das alte Pharai müsse an einer anderen Stelle ge- sucht werden, unberechtigt (Athen. Mitt. XIX 351 ff.). Die Stadt liegt nicht mehr in der eigentlichen messenischen Ebene, sondern in einer kleinen Strandniederung im östlichen Winkel des Golfes von Thuria, dort wo der Nedon aus den Bergen tritt. Ihre Entfernung vom Meer wird jetzt auf 2°”, also ungefähr ı2 Stadien geschätzt. Damit ist Strabos (VII 361) und Pausanias’ (IV 31,1) Nachricht, die 5 bzw. 6 Stadien angeben, sehr wohl zu vereinigen; denn naturgemäß schiebt der Nedon im Laufe der Jahrhunderte seine Mündung weiter ins Meer hinaus. Ferner berichtet Strabon S. 360 mark a& ®HpAc NeEawn ErBänneı, was einzig auf Aalamata paßt, wie auch die von Pausanias überliefer- ten Entfernungsangaben nach Abia und Thuria in die Gegend der heutigen Stadt führen. Da in den letzten Jahren die alte Stadtmauer', die Hr. Dr. A. Skras ins V. Jahrhundert setzt, gefunden ist, dürfte auch der letzte Zweifel an der Richtigkeit der früheren Ansetzung beho- ben sein. Die Behauptung von Pernıcz gründete sich darauf, daß er in dem zwei Stunden entfernten Gebirgsdorf Janitsa die Mauern der homeri- schen Burg Pharai gefunden habe. Aber bereits Noack hat in den Ath. Mitt. XIX, 481 ff. aus der Mauertechnik bewiesen, daß diese An- lage aus historischer Zeit stammt, und ich pflichte seinen Darlegungen in jedem Punkte bei. Die Frage ist nur, ob wir an dieser Stelle die kamH Kanamaı suchen dürfen. Pausanias berichtet IV 31, 3 &ctı a& En TA MecorAaiw KWMH Kanamaı Kal AiMNAl xWPION" EN AC AYT@ ÄIMNATIAOC IEPÖN ecrın ‘Artemiaoc. Da dieses Artemisheiligtum im Südosten von Aalamata in den Vorbergen des Taygetos lag, wie ich weiter unten nachweisen werde, so dürfen wir Kalamai in derselben Richtung vermuten. Nun befindet sich unter den in “Ar. Bacirneıoc bei Janitsa gefundenen Inschrif- ten eine Ehrenbasis für “lo[ynıon Xarırenovc] Arkearımölnıon En KanAlmaıc KATOIKA[CANTA],. und ich trage daher kein Bedenken, mit Weır Kalamai bei Janitsa anzusetzen. ! Leider scheint auch hier die Quadermauer als Steinbruch benutzt zu sein; denn ein tiefes Loch befand sich an der Stelle, wo man mir die Mauer zeigen wollte. 60 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Prrsicr hatte geglaubt, seine Hypothese durch den Nachweis eines »antiken Fahrweges über den Taygetos« stützen zu können. Da meine epigraphischen Streifzüge mich in jene Gegend führten, habe ich auch diese Frage näher verfolgt und will die Ergebnisse hier kurz vorlegen. Wenn man von KÄalamata aus auf die Höhen öst- lich von Janitsa gelangen will, kann man, von dem Wege durch die Stachteasschlucht abgesehen, das PeYma des Hay. Georgios benutzen, das im östlichen Winkel des messenischen Golfes mündet. Der Auf- stieg ist ziemlich beschwerlich; nach zweieinhalbstündigem Ritt ge- langt man zu einer kleinen Ebene bei der Kapelle des Hag. Georgios, wo sich der Weg mit dem von Janitsa aufwärtsführenden vereinigt. Dicht unterhalb der Kapelle sind von Perxıce im gewachsenen Fels deutliche Wagenspuren bemerkt worden; ebenso hat er sie in der Gegend von Tikli zweimal festgestellt und hier die Spurweite der Wa- gen auf 90°" messen können. Bei Kato Portäs, wo er zum dritten Male Spuren gesehen hat, habe ich sie nicht finden können. Der Pfad. der bisher in rascher Steigung die Höhe erklommen hat, wird jetzt zu einem bequemen Waldweg, der in ungefähr gleicher Höhe am Abhang entlangführt. Nach einer halben Stunde teilt sich der Weg: der nördliche mündet in die Langadaschlucht; er vermittelt heutzutage den Verkehr von Janitsa nach Sparta; der östliche führt höher ins Gebirge hinauf. Anfangs geht er durch Nadelholz weiter; dann erreicht man einen Höhenzug, der mehr einer Steinwüste gleicht. Nachdem man diesen passiert hat, steht man am Westrande einer nordsüdlich verlaufenden Talschlucht, die auf beiden Seiten von hohen Gebirgskämmen begrenzt ist. Sehr schnell senkt sich der beschwer- liche Bergpfad zur eecıc Keracık, um nun auf der anderen Seite noch steiler den letzten und schroffsten Kamm des Taygetos emporzuklettern. Bis zu diesem Paß bin ich gelangt, ohne eine Spur des antiken, von PernıcE vorausgesetzten Weges zu entdecken. Aus der allgemeinen Struktur des Gebirges habe ieh aber die Überzeugung gewonnen, daß ein Fahrweg über diesen fast 2000” hohen Pal in homerischer wie in historischer Zeit nicht existiert hat. Der moderne Gebirgspfad senkt sich auf der Ostseite des Gebirges in südöstlicher Richtung und erreicht nach etwa drei Stunden Anawryti, das von Sparta noch wei- tere drei Stunden entfernt ist, so daß der Ritt von Kalamata nach Sparta vierzehn Stunden beanspruchen dürfte. Dieser Ausflug auf die Höhe des Taygetos wurde durch einen überraschenden Fund belohnt. Auf einer Strecke von etwa ı1-2“” fand ich zu beiden Seiten des Passes drei Grenzmarken der Messenier gegen Lakonien. Auf dem rohen, nur oberflächlich geglätteten Fels > > R OPOoZ stand einmal *OMm, sodann O und auf einem dritten Block AAKTPMEE But W. Korse: Reise in Messenien. 61 Offenbar entsprachen diese Steine den in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von Ross bei Sitsova entdeckten, und die Ver- mutung lag nahe, daß den Kamm entlang noch weitere Grenzzeichen vorhanden sein müßten. Diese Erwartung ist nicht getäuscht worden: ich habe das Glück gehabt, in Mavromati, dem alten Messene, eine Urkunde zu finden, in der sämtliche Grenzsteine gegen Lakonien verzeichnet und topographisch bestimmt werden. Und aus diesem Aktenstück eines kaiserlichen Land- messers des 1. Jahrhunderts n. Chr. ergab sich gleichzeitig, daß das be- rühmte Heiligtum der Artemis Limnatis nicht mit Ross bei der Kapelle der TTanaria BonimniAticca, etwa 2 Stunden westlich Sitsova, angesetzt werden darf, sondern daß es in der Nähe der eben beschriebenen Grenzmarken zu suchen ist (Ross, Reisen im Peloponnes 5ff.). Die entscheidenden Worte stehen Z. 36 und lauten: em mertran wc TIönec ı EnerpAoH öpoc "MecchnH tıröc AAKecaAalmoNA” | 37 AmMO TÄcae Ym[ö TON KPH|mnön üc TIöaec 4 Em TIETPAN EnerpAeH OÖ Kal P Een mecw Kal A Kai M. Arıö TÄcaEe KatA TO A 38 TO KPAmnon, [en & TO ilerön! ö mPoconomArovcın Aptemıtoc ÄIMNÄTIOC, 6 ECTIN YTIEP TON XEIMAPPOYN ON TIPOCONOMAIOYCIN 39 XoIPOTÖNOC, ÖPizel MecchnH Kal AaAkeaRimoni TIPöc EneveeronAkwnac. Hieraus geht klar hervor, daß das von Pausanias mehrfach erwähnte Artemisheiligtum en Meeorioıc in dem Dreieck liegen muß, wo die Gebiete der Lake- daimonier, Messenier und Eleutherolakonen zusammenstoßen, und zwar oberhalb des Choirotonos. Nun bedarf es nicht vieler Worte, um nachzuweisen, daß der Choirotonos der Gießbach ist, der zu Pausanias’ Zeit die südliche Grenze Messeniens bildete (IV, 1.1: Mecchnloic a& rIpdc THN C®ETEPAN THN ÄTIONEMEBEICAN YTIO TOY BAcınEwWc Ec TO ÄAKWNIKOÖN OPOI KATA THN TEPHNiaNn eic) &o HMOn H ÖNOMAIOMEnH Xoipioc” nArıh vgl.IV 30, 1). Dieser Wasserlauf ist der heutige Sandava, der nördlich Kambos’ die Vorberge des Taygetos durchbricht und an dessen oberem Lauf, wo er die nordsüdliche Richtung verläßt und nach Westen umbiegt, das Dorf Pigadhia liegt. Nicht weit von seiner Quelle habe ich bei der eecıc KeracıA, etwa eine Stunde südlich vom Westeingang in die Lan- . gadaschlucht, auf der Höhe des Kammes die drei Grenzmarken ge- funden, von denen oben die Rede war und auf deren südlichster zu lesen war: OERZOFS AAKTPMES Wenn es auch nach der Inschrift umgekehrt hätte heißen sollen OPOZMEZTPNAK, so zweifle ich doch nicht, daß dies der Grenzstein ı [Zu lesen KATA TO A[TÖKPHMNoN [AYTö TO ijepön oder ähnlich: Tö iepön muß Subjekt sein. U. v. W.-M.] 2 [Xoipeioc verlangt die Grammatik. U. v. W.-M.] 62 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. ist, von dessen Aufstellung unsere Urkunde an der ausgeschriebenen Stelle berichtet. Dadurch sind wir dann in die nächste Nähe des »berühmten« Heiligtums der Artemis Limnatis geführt. Es wird die Aufgabe sein, längs des Kammes die Grenzmarken aufzusuchen und das Heiligtum selbst bei Alagonia wiederzufinden. Der Grenzstreit zwischen Lakoniern und Messeniern erhält durch diese Feststellung neues Licht. Aus Taeitus’ Bericht Ann. IV, 43 ist bekannt, daß das Heiligtum der Artemis in dem strittigen Gebiet, dem ager Dentheliates, lag. Solange man Limnai en meeorioıc bei der Kapelle der TTanaria Bonimniäricca suchte, mußte man die fruchtbaren Talkessel des Nedon in der Gegend von Tsernitza und Sitsowa für das Dentheliatische Gebiet erklären. Man geriet dadurch in einen Wider- spruch zu Pausanias, der III 26, 11 berichtet Teruniac ae wc Ec Mecö- FAIAN ÄNW TPIAKONTA ATIEXEI CTAAloYc Anaronia Kal TO TIÖNICMA KACHPIBMHCA HAH Kal TOFTO EN "Eneveeronäkwcı" BeAc AC AYToeI AzlA ÄAIONYCcoY Kal Artemıaöc Ecrin iepA. Denn daß Alagonia wirklich in der Nähe der XoiPıoc nArıH zu suchen sei, war ja durch die angegebene Entfernung von Gerenia sichergestellt. Und nun lernen wir aus der oben zitierten Inschrift, daß auch das nach Artemis Limnatis benannte Heiligtum oberhalb des Gießbaches Xoirortönoc lag. Alles fügt sich jetzt zusam- men: der Dentheliatische Acker mit dem Grenzheiligtum der Artemis Limnatis lag in den westlichen Vorbergen des eigentlichen Taygetos nördlich von der XoiPpioc NATTH. Die Zeit der Grenzregulierung wird durch die Unterschrift der Inschrift genau datiert. Z. 40 ®nAovıoc CesAacto? OYectacıano? ATIEAEYBEPOC MONÖMITOC XWPO- METPHC TOYC TIPOTETPAMMENOYC | AI ÖPoYc ÄNTIBANWN YTierpaya AErMmw "loYniw TTreickw A. Kneioniw Komöaw YrIATOIC TIPd Ie KAnAN- 42 AON "lanoYariwn en TTArpaıc. Offenbar haben wir die Konsuln des Jahres 78 vor uns: L. Ceionius Commodus und D. Novius Priseus (CIL. VI, 2056 und sonst). Die Ver- schreibung der Namen ist ein neuer Beleg dafür, wie unzuverlässig römische Namen auf den griechischen Inschriften wiedergegeben sind. Wenn der kaiserliche Landmesser auch nur angibt, die Grenzsteine an der Hand ihres Verzeichnisses kontrolliert zu haben, so werden wir doch den Schluß ziehen, daß die Eigentumsverhältnisse von Vespasian neu geprüft und im Sinne des Tiberius entschieden worden sind. Die reichste Ausbeute an Inschriften machte ich in Mavromati, dem alten Messene. Das epigraphische Material, das bei Hrn. So- puurıs Ausgrabungen zutage gekommen ist, harrt noch immer der Veröffentlichung, soweit nicht Anporr Wiırneım sich desselben ange- nommen hat. Von besonderem Interesse ist das große Ehrendekret I Ba W. Korse: Reise in Messenien. 53 für ArıcrokxaAc KannıkPpATeoc, TPAMMATEYC TON CYN&arpwn anscheinend aus der Zeit des Proconsuls [P.| Memmius [Regulus]. Ferner verdienen hervorgehoben zu werden: eine Weihung an “Enreveia und die Kanoi, ein Rechenschaftsbericht über die städtischen Einnahmen und Aus- gaben, in dem uns u.a. die Namen der vier Phylen Kpecsontic, Arıcro- Maxic, "Yanic und Kneonaia' überliefert sind, und mehrere Ehrenbasen für Kaiser Nero. Das Bild der messenischen Landschaft, das sich aus den Inschrif- ten ergibt, läßt erkennen, daß die Bevölkerung erst in der Kaiserzeit zu einigem Wohlstand gekommen ist. ! [Ohne Zweifel Kaeoarla nach Kleodaios, dem Sohne des Hyllos und Vater des Aristomachos, dessen Sohn Kresphontes ist. U.v. W.-M.| 64 Bericht über eine Bereisung der Inseln des Thra- kischen Meeres und der Nördlichen Sporaden. Von Dr. ©. FREDRICH in Posen. (Vorgelegt von Hrn. von W ıLamowırz-MOoELLENDORFF.) In Auftrage der Akademie habe ich in diesem Sommer zur Samm- lung des Materials für Band XI S der Inseriptiones Graeeae die Inseln des Thrakischen Meeres und die Nördlichen Sporaden besucht: eine notwendige Ergänzung war das Studium der Museen von Wien, Athen, Konstantinopel, Paris. Der erste und letzte wissenschaftliche Reisende, ALEXANDER ÜoxzE, hatte die vier Inseln Thasos, Samothrake, Imbros, Lemnos 1858 besucht'; seitdem hatten sich nur einzelne Forscher hier oder da aufgehalten. Wenn auch der Zweck meiner Reise den epigra- phischen Denkmälern in erster Linie galt, so verstand es sich doch von selbst, daß meine Aufmerksamkeit allen Resten der Altertümer zugewandt war, und unerwarteter Zwang zu längerem Verweilen bot öfters zu diesen Studien erwünschte Gelegenheit. Die Resultate, die hier kurz bezeichnet werden, sollen mit zahlreichen photographischen Aufnahmen in einzelnen Aufsätzen vorgelegt werden. Der Prozent- satz der wieder verloren gegangenen Inschriften ist außer in Thasos geringer als in den besser angebauten und stärker bevölkerten Land- schaften des Festlandes; nicht wenige Stücke aber sind in die Museen besonders von Paris und Konstantinopel gelangt. Am 30. April landete ich mit dem Dampfer von Smyrna aus in Kastro, dem Hauptorte der Insel Lemnos an der Stelle des alten Myrina. Die wichtigsten der von früheren Reisenden gesammelten Inschriften, zu denen sich einige neue hinzufanden, werden in einer Privatsammlung aufbewahrt und sind wahrscheinlich an der Stelle eines Heiligtumes vor der Stadt gefunden worden. Deren Ausdehnung läßt sich nach bedeutenden, bisher nicht beachteten Resten der Mauer und der Gräberstadt genau bestimmen. Kleinfunde aus dieser Nekro- polis reichen aus der Periode der Tyrsener, deren Keramik durch Reise auf den Inseln des Thrakischen Meeres von A. Conze, Hannover 1860. Ei C. Freprıcn: Reise auf den thrakischen Inseln. 65 zahlreiche merkwürdige Stücke gut vertreten ist, bis in die ehrist- liche Zeit und sollen in einem der nächsten Hefte der Athenischen Mitteilungen veröffentlicht werden. Eine Revision der mit jenen Terra- kotten und Gefässen gleichalterigen bekannten tyrsenischen Inschrift wird sich ermöglichen lassen. Eine Visitationsreise des Erzbischofs von Lemnos erleichterte mir den beabsichtigten Besuch des noch unerforschten Hagiostrati (3. bis 8. Mai). In der Beilage zum Osterprogramm des Kgl. Friedrich-Wil- helms-Gymnasiums zu Posen denke ich den Beweis zu führen, daß die Insel, wie Kırrerr vermutete, das alte Halonnesos ist. Der antike Stadtberg erhebt sich nahe dem modernen Orte; die Spuren des Alter- tums im Innern sind gering. Die einzige antike Inschrift ist die erste bekannte Weihung an die meränh eeöc von Lemnos (PrELLER - ROBERT, Griech. Myth. S. 313, 1). Nach der Rückkehr von Hagiostrati begann am 10. Mai der Ritt durch das Innere von Lemnos, für dessen Ausdehnung die Fundorte der publizierten Inschriften und Nachrichten über neue Funde maßgebend waren.‘ Von Waros aus lernte ich die Osthälfte der Insel kennen. Hervorgehoben seien die Punkte Kaminia, der Fundort der tyrsenischen Inschrift mit merkwürdigen Resten einer starken, aber wohl erst byzantinischen Besiedelung, Komi, wo ich die jüngst stark zerstörten Reste eines Tempels des Herakles aufnahm, dessen Vorhandensein zwei von Kontoleon (Revue des etudes greeg. 1902 S. 140) veröffentlichte Inschriften erwarten ließen, Kastrowuni mit der öfter besprochenen unterirdischen Kapelle und die Palaiopolis (Hephaistia), wo trotz langdauernder Bewohnung bei Ausgrabungen noch mancher Fund zu erwarten wäre. Von der Plaka an der Nordostecke der Insel segelte ich am 16. Mai zum Pyrgos auf der Südwestküste von Imbros. Da der Schwerpunkt der Insel zu allen Zeiten im Osten lag, so bot auch mir der Besuch der west- lichen Hälfte (16.—ı8. Mai) mehr prächtige Landschaftsbilder in den teilweise bewaldeten Bergen als neue Inschriften. Diese werden dort wie sonst auf der Insel noch dem Sammeleifer des drittletzten Erz- bischofs Nikephoros verdankt; aber die von ihm in der Metropolis von Kastro (Imbros) angelegte Antikensammlung, in der auch die von ihm und zum Teil besser von Foucarr herausgegebenen Inschrifts- steine lagen, ist großenteils verschwunden.” Eine kleine Kiste mit Altertümern und Inschriften aus dieser Sammlung und eine Grabstele aus Imbros, deren Beschreibung im Apparat des Corpus der attischen ! Für die Ortsnamen auf Lemnos ergaben sich verschiedene Besserungen und Zusätze. ?2 NIkEpHoRos, Ö EN KwNcTANTINoTTönel "EnAHN. Bin. CYanoroc XII (1880) S. zff.; Foucarr, Bull. de corr. hell. VIII (1883) S. 153 ff. Sitzungsberichte 1905. > 66 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Grabreliefs vorhanden war, hatte ich in Kastro auf Lemnos aufnehmen können. Am 19. Mai erreichte ich über Agridia und das kleine Kloster Hagios Dimitrios, dessen antike Reste Conze (a. a. 0. S. 96) wohl mit Unrecht auf einen Tempel des Hermes schließen ließen, Panagia, die größte moderne Siedelung mit dem Konak der Regierung (20. bis 28. Mai). Für den alten Hauptort (heute Kastro) ergab sich manches Neue in bezug auf Umfang im Altertum und Mittelalter, das Theater, ein Heiligtum der Zwölf Götter, und die Wasserversorgung. Die Ruinen von Roxado (Coxze, a.a.0.S.92) sind nämlich die Reste eines Wasser- kastells für die Stadt und eines großen Reservoirs zur Bewässerung der Ebene, das durch eine Talsperre und Seitenmauern hergestellt war. Nieht dort, wie OBERHUNMER annimmt (Festschrift für Kırrerr [1898] S. 301, ı), aber in der Nähe erhob sich, jedenfalls beim Kloster Hagios Konstantinos, einst ein Heiligtum der Samothrakischen Götter: dafür sprechen schon bekannte und neue Inschriften. Auf Samothrake (29. Mai—-4. Juni) konnte es sich in der Haupt- sache nur um eine Revision der von den österreichischen und franzö- sischen Expeditionen entdeckten und zurückgelassenen und der von Kery und Pnarpys kopierten Steine handeln. Durch den Tod dieses Mannes haben auch die Altertümer von Samothrake ihren Freund und Sammler verloren. Wenigstens ein Stück der zuletzt von WOoLTERS (Athen. Mitt. XXI [1897] S. 419) herausgegebenen Inschrift des Lysi- machos fand sieh noch. Über Kastro auf Lemnos, wo ich damals erst nach der Heim- kehr des Besitzers die erwähnte Privatsammlung studieren konnte, gelangte ich am 9. Juni nach Kavalla, dem Ausgangspunkt für den Besuch von Thasos. Einige makedonische Inschriften bot die Samım- lung des gastlichen Hauses des deutschen und österreichisch -ungari- schen Konsuls Hrn. Wıx und ein Ausflug nach Philippi Gelegenheit zur Herstellung von Abklatschen für die Revision der dortigen In- schriften. Die Insel Thasos erforderte der antiken Bedeutung entsprechend den längsten Aufenthalt (12. Juni— 2. Juli). Limenas (das alte Thasos) wächst wieder zur Stadt heran; ebenso zahlreich sind daher die Funde von Skulpturen! und Inschriften, wie die Zerstörung der antiken Reste allzu schnelle Fortschritte macht. Unter den 77 neuen Inschriften oder ! Wenige Tage vor meiner Ankunft war von der Regierung ein eben gefunde- nes großes Marmorrelief römischer Zeit (Poseidon und Herakles oder vielmehr ein Römer als Herakles) beschlagnahmt worden. Es ist, wie festgestellt sei, gleich süd- lich von den von Bexr aufgedeckten (Journal of Hell. stud. 1887 S. 424) und fast völlig verschwundenen Resten eines spätrömischen Triumphbogens zutage getreten. Jetzt im Museum zu Konstantinopel. C. Freorıcn: Reise auf den thrakischen Inseln. 67 Fragmenten aus dem Gebiet der alten Stadt befinden sich zwei archaische, von denen die eine inzwischen auf Grund einer fremden, unvollkom- menen Abschrift veröffentlicht worden ist,' ein noch unbekanntes Stück der Theorenliste, eine spätrömische Inschrift über die Erneuerung eines Turmes der Stadtmauer. Diese Stadtmauer, die durch Mächtigkeit und Schönheit das Interesse aller Reisenden erweckt hat, ist neuerdings teilweise niedergerissen worden und sieht weiterer Beschädigung ent- gegen, wenn es der Energie der türkischen Behörde, der die Insel wieder untersteht, nicht gelingen sollte, das stolze Denkmal altthasi- scher Größe zu retten. Ich habe daher auf einem neuen, von dem bekannten stark abweichenden Plane den Lauf der Mauer festzulegen versucht und photographische Aufnahmen der verschiedensten Stücke gemacht, deren Entstehung in die verschiedenen Epochen von der Zeit des Archilochos bis in das Mittelalter gehört. Auch das schöne von Mrspen (Bull. de corr. hell. XXIV [1900] S. 553 ff.) veröffentlichte Tor- relief verdient eine zweite Besprechung, wie der ragende Haupttempel auf der Burg, dessen Inhaber sich vielleicht bestimmen läßt, und die Pangrotte (Coxze, a.a.0. S.ı9). Die epigraphischen und archäologi- schen Reste des waldreichen Innern der Insel sind gegen die Fülle in der alten Hauptstadt gering an Zahl und Bedeutung. Leider war Dr. Curiıstipes, dem seit Arex. Conzes Aufenthalt so manche Nachricht über Inschriften zu danken ist, den ganzen Sommer über in Konstan- tinopel abwesend. Das nächste Reiseziel waren Skyros und die Inseln bei Magnesia. Über Kavalla, Saloniki, Volo und, da die Dampferverbindung Volo- Skyros, die Pnirıpprson 1896 benutzte (Beiträge zur Kenntnis der grie- chischen Inselwelt 1901 S. 5), wieder eingegangen ist, über den Piräus erreichte ich am ı1. Juli Skyros, das trotz seiner bequemen Verbin- dung mit Athen von Archäologen so selten besucht worden ist. An- dauernder Nordsturm verlängerte den Aufenthalt so (r1.— 19. Juli), daß ich außer den Inschriften, die um mehrere, darunter die beiden ältesten bekannten Stücke vermehrt wurden,” auch die imposanten Ruinen der Stadtbefestigung und antike Reste im Innern untersuchen konnte. Auf Skiathos (22.—25. Juli), wohin ich bequemer und ebenso billig wie direkt im Segelboot über den Piräus und Volo gelangte, scheint in den letzten 25 Jahren keine antike Inschrift gefunden zu ! Bull. de corr. hell. 1904 (Mrxper). 2 Auf zwei Steine, von denen ich erst auf der Rückfahrt zum Piräus erfuhr, mache ich spätere Reisende aufmerksam. Der eine befindet sich in der Kirche der Panagia auf Skyropulo westlich von Skyros und wird byzantinischer Zeit angehören. Die andere, wie es scheint, römische Inschrift, ist in der zerstörten Kapelle des Hagios Phokas bei Tris-Bukkaes im Südwesten gefunden und von der englischen Ge- sellschaft, die dort Marmorbrüche ausbeutet, in Verwahrung genommen worden. =E. 6} 68 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. sein. Die letzten Reste der antiken Stadt werden bald verschwinden. Ausflüge galten dem von Gmarn (Bull. 1879 S. 187) erwähnten und un- richtig beurteilten Turme und der bis 1829 bewohnten, jetzt ver- fallenden Stadt im Norden. Skiathos hat trotz seines ausgezeichneten Hafens immer hinter seiner größeren und reicheren Nachbarinsel weit zurückgestanden. Noch heute sind die Reste der drei alten Städte auf Peparethos (jetzt Skopelos, 25.—28. Juli) so ansehnlich, daß mindestens eine von ihnen eine genauere Untersuchung verdient; viel- leicht läßt das Kais. Deutsche Archäologische Institut sie ihr einmal zuteil werden. Zu den Ansiedelungen kommen noch eine Reihe bisher unbekannter Verteidigungsbauten und andere Ruinen. Auch die epi- graphische Ernte ist reicher; ein Stück, das auch ein gewisses histo- riches Interesse hat, ist im Anhange abgedruckt. Der Besuch der zuletzt von PnıLıppson berührten Erimonisia unterblieb, da nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, epigraphische Ausbeute nicht zu erwarten war, das Opfer an Zeit aber bei fortgesetzt wehendem Nordsturm unverhältnismäßig groß geworden wäre. Über Skiathos, Volo, wo bei den verschiedenen kurzen Aufenthalten Zeit geblieben war, die neuerdings traurig geplünderten Reste von Demetrias zu be- suchen und den Lauf der Mauer aufzunehmen, über Saloniki und zwischen der thrakischen Küste und den Inseln hin, auf denen ich so oft echt altgriechische Gastfreundschaft genossen hatte, erreichte ich Konstan- tinopel (5. August). Für die Erlaubnis, die Kaiserlichen Museen, die dank der Tatkraft ihres Direktors auch von den Inseln immer mehr Zuwachs erhalten, für meine Zwecke durchforschen zu dürfen, bin ich Exz. Hampy-Beı zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Nicht minder gern spreche ich auch an dieser Stelle der Direktion der Museen Frankreichs und dem Vorstande der antiken Skulptur- abteilung meinen Dank für liebenswürdigste Unterstützung aus. Im Louvre (6.— 26. Oktober) werden nicht nur die von Becnter nach Ab- klatschen neu herausgegebenen ionischen Inschriften aufbewahrt, son- dern auch eine ganze Reihe anderer, z. T. noch unedierter Inschriften aus Thasos, Samothrake, Imbros und Lemnos; manchen von ihnen war ich am Fundorte vergebens nachgegangen. Inschrift aus Peparethos. Stele aus weißem Marmor. H. 069, Br. oben 0”37, unten 0%41, D.o*ı2, H.d.B. 0"008, Z. A. 0"005. Über der Inschrift ist ein o"os hoher, leicht erhabener Raum frei geblieben; unten o”ı2. In der Mitte unten ein Einsatzzapfen von 0.03 Höhe. Gefunden in Skopelos, dem antiken Peparethos, beim Neubau des Hauses des Komaris Li- thadiotis und im Hause aufbewahrt. C. Freorıcn: Reise auf den thrakischen Inseln. 69 [E |Yaenoc eITTEN, AlonYcöawipoc Errerkeice’ emreieh Pinozenoc Pınozenoy AoHnAloc ÄNHP A- TABOC WN KAl EYNOYC YTITÄPXWN AIATEAEI TEI TIO- nel HM@N XPEIAC TE TIAPEXETAI KAl KOINÄI KAI KA- s [T’] iafan Tolce Aeomenoıc TOM TIOAITÜN, TÖN rje NAON TÄC ÄABHNAC EPFOAABHCAC METATA- a et] rjein Kal olkoaomAcaı Em riaelocın TE T@m rrer|i] TO EPFON ANECTPATITAI CYMGEPÖNTWC TEI MÖnel, TÖ TE EPFON CYNETEeREcEr KATÄ TAN] 0 CYITPA®HN EYAPECTWC, ETIEAEZATO AC - METÄEZEIM META TOY [AlpxırekTonoc THN [Tje sAcır Kal TO Aranma Kal KATECTHCEN El- [e] Ton naon Taloıc AATTANHMACIN, KAl TOM BW- MOM METATATÜN KATECKEYACEN Kaeüc d AlA|- 15 MOC TIAPEKÄNECEN AYTÖN' INA OYN KAl Ö HME- TEPOC AAMOoC EYXÄAPICTOC ÜM »AINHTAI Kall] TIM®N TOYC ArAB0OYC ÄNAPAC KAl XAPITAC [Almonemwn Azlac TON EiC EAYTON TINOME- [nun eYepretHmAtwn, AeaöxeAı TEI BoYAeı Kali] 20 [T|8ı anmwı T®ı TTerapHeion Errainecaı Dı- Inlozenom ®ıinozenoy AsHnalon Kal EINAI AY- OM TIPÖZENOT KAl EYEPFETHN TÄC TIönewc H- — L MON KAl TOYC EKFÖNOYC AYTOY, AECAOCBAI ale] [AlYtöı Kal rAc Kal olklac ErKTHeIN Kal TIPO- 25 [alıkian ANEY EITIAEKÄTWT KAl TIPOEAPIAN EN [r]oic TÄC TIönewce ArÖCIT KAl TIPÖCOAON TIPÖ- |e| THM BOYAHN Kal TON AHMON TIPWTOIC METÄ TA lepA Kai Pwmalovc Kal AcpAneiar Kal TronlE|- MoY KA EIPHNHC KAl TA Anna ÖcA Kal TOIC An- 30 [AJOIC TIPOZENOIC EK TÜN NÖMWN YTTÄPXEI, CTEBA- [n ÖCAI A& AYTÖrT KITTO?F CTESANWI TÖI TIATPIWI TOY 8e- n L 0]? Kai Anaropeyein Atonvcion H TParwıaol!, TAc A& Anlal- FOPEYCEWC TOT CTESAÄNOY ETTIMENEICOWCAN Oi ÄPXON- ! [In TParwıaoı ist das erste Iota, wie der Abklatsch zeigt, nachgetragen; in AIonYc6awıpoc Z. 1 steht es fälschlich, was Anfang des 2. Jahrhunderts bemerkenswert ist, zumal die Schrift sehr regelmäßig und sorgfältig ist, die Orthographie ebenfalls. EIICTÖN 12, TIPOICTÄHN 26, EICTHNHN 36 und die fast durchgehende Assimilation des schließenden Nasals an den folgenden Anlaut stimmen dazu. So ist hier eigentlich kein Schreibfehler, wenn Ä ohne lota steht, das Frevrıcn anzuerkennen Bedenken trug; hinter H war eben das i längst verklungen, wenn nicht HI zu ei verkürzt war. Der Infinitiv des Präsens Anaroreyein zeigt, daß die Verkündigung dauernd geschehen soll, aber an dem Tage, wo Tragöden auftraten: das wird in Peparethos nicht alle Jahre passiert sein. U. v. W.-M.] 70 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. TEC Oi KAT’ ENIAYTOT TINÖMENOI, KANECATWCAN AE AYTON 35 O1 ÄPXONTEC EMI ZENIA EIC TO TIPYTANEION Em TAT [K]oının EcTian, ANnArPAYAI A& TOAE TO YHSICMA eicthanln| Inlıeinun Kai crAlcalı en T@ı mronAwı TÄc AennAc TAc TTonı- [Alaoc. Der Schrift nach ist das Dekret in den Anfang des II. Jalır- hunderts v. Chr. zu setzen. Dazu stimmen die Sprache und das, was über die Verfassung der Stadt erschlossen werden kann (2.2; 33ff.). Auch Peparethos wurde im Frieden von 197 den Makedoniern ge- nommen!', aber wie Skiathos und Ikos, sicherlich aus strategischen Rücksichten, nicht den Athenern zurückgegeben’; Skyros allein, das nur Liebhaberwert hatte, fiel ihnen von dem Raube Philipps II. wieder zu.” Erst Antonius verschenkte auch die Inseln bei Magnesia an Athen. Die Inschrift gehört ganz an den Anfang dieser langen Periode der Autonomie. Im Jahre 200 hatte Philipp V. Skiathos und Peparethos, das er wenige Jahre vorher gegen einen Beutezug der pergamenischen Flotte hatte schützen müssen, verwüsten lassen, offenbar um den Römern eine für ihn selbst aus Mangel an Schiffen unhaltbare Flotten- basis zu nehmen, deren sich später z. B. Mithradates bediente. Für eine solche bot Skiathos einen trefflichen Hafen — neben dem make- donischen Demetrias den besten der Ostküste Nordgriechenlands —, während das bei gutem Winde in ı bis 2 Stunden zu erreichende fruchtbare Peparethos die Vorräte liefern konnte.” Wie einst im Jahre 340, brannte und raubte die makedonische Soldateska auf der schönen Insel. Von der Heilung der Schäden dieses militärischen Vandalismus meldet die Inschrift. Wahrscheinlich stammte der ältere Tempel der Athena erst aus der Zeit athenischer Herrschaft und war wegen Mangels an Platz außerhalb der Stadt errichtet worden; damals nun wurde er nach schwerer Beschädigung in den engen Ring der schützenden Mauern verlegt, in dem wohl manche Baustelle freigeworden war.” Ein Orts- ! Die Belegstellen stehen am vollständigsten bei S.A. Omonouos, H NAcoc TTermArHeoc. Jena 1883. 2 Der Unternehmer beim Tempelbau ist ein Athener; vgl. Kırcnner, Pros. att. n. 14710 ®inözenoc Pinozenoy CoynieYc Bull. VII 280 (tit. Del.) iepeyc CAPArIaoc post a. 167. Auf Tradition aus athenischer Zeit mag man die Erwähnung des Vorsitzenden im Präskript zurückführen; SworopA, Die griech. Volksbeschlüsse S. 43f. 3 Das von Gırarp (Bull. 111 62 = Divsengerger 'lln.383) veröffentlichte, von mir wiedergefundene Dekret von Skyros gehört nach der Schrift erst in die Mitte des II. Jahrhunderts. 4 Liv. XXXI, 28. Sciathum et Peparethum, haud ignobiles urbes, ne classi hostium praedae ac praemio essent dirwit (vgl. Mounsen, Röm. Gesch. I, S. 707). 5 Auch Selinus an der Westküste hatte einen Athenatempel; Gırarp, a. a. O. S. 184,1 = O1konouos, a.a.0. S. 14, 6. C. Freprıcn: Reise auf den thrakischen Inseln. 71 wechsel in der Stadt wäre schwerer zu erklären und kaum so stark betont worden (Z. 6; 11; 14). Auch eine Vermutung über die Plätze der beiden Tempel sei kurz angedeutet, da eine ausführliche Be- sprechung der drei sehr charakteristischen Stadtplätze und der übrigen Altertümer der Insel für später aufgespart bleiben muß. Für den älteren Tempel läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit eine prächtig gelegene Terrasse in Anspruch nehmen, die die letzte Stufe des Hauptgebirgszuges der Insel dicht über der Stadt einnimmt. Dionysos, dem Athena viel ältere Rechte (Z. 31) auf dieser seiner' Insel, der er seine Gabe noch heute in besonderer Güte schenkt, streitig machte, hat natürlich immer in der Stadt gewohnt. Der neue Tempel stand vielleicht dort, wo die Inschrift tief in der Erde gefunden wurde (Z. 37) und große Werkstücke liegen: an der steil über dem Strand aufragenden Südostecke der alten Stadt, an der Stelle der Kirche Hagii Apostoli »em To? srAxov«. Vom Theater (Z. 32) sind keine sichtbaren Reste erhalten, noch weniger vom Prytaneion (Z. 35), von dessen Zerstörung durch Erdbeben im Jahre 427 Thukydides (III 89) Kunde gibt.” ! Ross, Wanderungen in Griechenland II (1851) S. 46. O1kxoxonos,a.a. 0. S. 10f. 2 In der Inschrift bei Gırarp, a. a. O. S.ı84 wird das Prytaneion von Selinus erwähnt. 72 Über das Verhältnis der mittleren (Bunsenschen) . o . Cc le Kalorie zur 15°-Kalorie ne ; 15 Von Dr. U. Beun in Frankfurt a. M. (Vorgelegt von Hrn. WArBurg.) ka Jahre 1895 wies E. H. Grirrıtm' darauf hin, wie wichtig eine internationale Verständigung über die Wärmeeinheit sei. Die von ihm diskutierte Angelegenheit wurde dem Committee on Electrical Standards überwiesen, welches dann im folgenden Jahre als theoretische Einheit das Erg, weiter aber, da dieses zu unbequem großen Zahlen führen würde und in keiner einfachen Beziehung zur Wasserkalorie steht, als praktische Einheit 4.2 Joule” vorschlug. Die Beziehung dieser Ein- heit, die der 7°-Wasserkalorie naheliegt, zur spezifischen Wärme des Wassers müßte dann später genauer festgelegt werden. Während es aber wohl kaum zweifelhaft ist, daß das Erg als grundlegende Einheit allgemein angenommen werden wird, sind gegen die Wahl der sekundären begründete Bedenken geltend gemacht worden. E. Warsure betonte 1899 in seinem Referat über die Wärmeeinheit® auf der Naturforscherversammlung in München, daß man bei der Wahl der Einheit jede nicht durchaus notwendige Neuerung vermeiden müsse, um die schnelle allgemeine Annahme derselben zu sichern. Er gibt deshalb einer Wasserkalorie den Vorzug. Der Einwand, daß dieser die einfache Beziehung zu den elektrischen Einheiten fehle, trifft das Rowland in gleicher Weise. Aber auch hier bleibt noch eine Wahl. Während man bei kalori- metrischen Messungen nach der Mischungsmethode naturgemäß eine {°-Kalorie wählt, wenn man in der Nähe von /° arbeitet, ist das Eis- kalorimeter nach Bussens Vorgang bisher stets mit Wasser von 100°, ! In einem vor der British Association zu Ipswich gehaltenen Vortrage, vgl. Phil. Mag. (5) 40, S. 431, 1895. ® Nach Grirriras Vorschlag als »Rowland« zu bezeichnen. ® Leipzig, J. A. Barth, 1900. U. Bean: Mittlere und 15°-Kalorie. 13 also mit der mittleren Kalorie (c,_,.), geeicht worden. Wargure ent- scheidet sich hier, obwohl des Vorzuges der mittleren Kalorie, von thermometrischen Messungen unabhängig zu sein, sich wohl bewußt, für die £°-Kalorie (und zwar für c,,). In der Tat wird wohl die über- wiegende Mehrzahl kalorimetrischer Bestimmungen mit dem Wasser- kalorimeter ausgeführt, und um die mit dem Eiskalorimeter er- haltenen Resultate mit diesen vergleichbar zumachen, müßte Co—-ro0 eben nur das Verhältnis möglichst genau bestimmt Cis werden. Dieser aus Wargures Referat geschöpften Anregung folgend habe ich mich in den letzten Jahren mit der angegebenen Aufgabe be- schäftigt. Die Versuche wurden ausgeführt mit Unterstützung der Royal Society of London, der ich auch hier meinen ergebensten Dank sage. Co—ı0 Um das Verhältnis ——° zu bestimmen, kann man sich außer (03 elektrischer Methoden der Mischungsmethode oder des Eiskalorimeters bedienen. Ich habe für meine Messungen das Eiskalorimeter benutzt und stellte mir die Aufgabe, diejenige Quecksilbermenge zu bestimmen, die in das Kalorimeter eindringen würde, wenn man eine 15°-Kalorie einbrächte. Zu diesem Zweck habe ich die Quecksilbermengen be- stimmt, die in das Eiskalorimeter eindringen: I. wenn man ein Gramm Wasser von 10° und 2. wenn man ein Gramm Wasser von 20° einbringt. (Ich werde diese Mengen IO-g,_,, und 20-g,_,, nennen.) Hieraus ergibt sich diejenige Menge, die dem c,, entspricht (g,.), in einfachster Weise. Für die dem «,_,.. entsprechende Quecksilbermenge (9._:o) liegen schon drei Messungen vor: von R. Bunsen', A. ScuutLLer und V. Wartnua” und von A. W. Vrrren®. Bunsens Messung ist, wie er a.a.O. selbst angibt, nur eine vorläufige. Das Mittel der beiden andern Werte, die etwa den gleichen wahrscheinlichen Fehler haben, ist ee u Fa ” . . € — Dieser Wert ist von mir bei der Berechnung des —— zugrunde gelegt. Ci - - Ein etwa 20 fassendes zylindrisches Platingefäß wurde mit destilliertem Wasser gefüllt und durch Zuschweißen geschlossen. Dieses Platingefäß wurde längere Zeit vor dem Versuch in den inneren Hohl- cbem ! Pose. Ann. 141, S.I, 1870. 2 Wien. Ann. 2, S.359, 1877. ® Wıen.Ann.21,S.58, 1884. Vgl. auch C.Dıererıcı, Wien. Ann. 33, S.417, 1888. 74 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. 'aum eines Wassermantels gebracht und dort mittelst eines dünnen Seidenfadens aufgehängt. Das umgebende Wasserbad von ungefähr 3% Liter Inhalt konnte, geschützt durch mehrere wärmeisolierende Hüllen, ohne Schwierigkeit während einer Stunde auf einer Temperatur erhalten werden, die sich um weniger als o°01 änderte. Auch räum- lich war hierbei die Temperatur des Wassers, soweit meßbar, völlig gleichförmig. Das Platingefäiß wog mit Wasserfüllung (auf luftleeren Raum re- duziert) 40.2776°. Davon kommen auf das Platına "ne sfr 19.2260 Wasserinhalt .... 21.0510 Luftinhalt....... 0.0006. Die spezifische Wärme des Platins zwischen 0° und 20° wurde bestimmt an einem etwa 500° schweren Platinzylinder zu 0.03131 bezogen auf C,. Zur Berechnung des Wasserwertes für beide Versuchsserien wurde 0.0312, eingesetzt: 21.0510 (Wasser) 19.2260 -0.0312= 0.6000 (Platin) 21.6510. Von Vorversuchen abgesehen, die allerdings bei weitem die längste Zeit in Anspruch nahmen, sind im folgenden ‘sämtliche Versuchs- resultate angeführt. Obgleich es vielleicht gerechtfertigt wäre, einige der einzelnen Resultate, die starke Abweichungen zeigen, auf Grund der Notizen im Tagebuch auszulassen, ist dies nicht geschehen, weil die Grenzen objektiver Begründung nicht immer sicher festzustellen sind. In der Versuchsserie, bei der Wasser von etwa 10° benutzt wurde, sind ıı Versuche ausgeführt. Die Quecksilbermenge, die ein- gesaugt wurde, betrug auf 10°000 reduziert: 323664 3.3634 3.3602 3.3668 3.3635 3. 3648 521.05 10 —=/O.1554% 3.3645 = > e 3.3601 Also entspricht dem &_,. die Quecksilber- 3.3690 menge O!OI554I. 3.3687 3.3642 3.3663 323648 Die maximale Abweichung vom Mittel beträgt 0.14 Prozent; der wahrscheinliche Fehler des Mittels ist 0.02 Prozent. Die Anfangs- a me u U. Beun: Mittlere und 15°-Kalorie. (5) temperaturen des Wasserbades wurden mit einem Einschlußthermo- meter P.T.R. Nr. 18562 aus Jenaer Glas 59"! gemessen, dessen An- gaben durch Eiehung von der Physikalisch- Technischen Reichsanstalt vor und nach dem Gebrauch auf das Wasserstoffthermometer reduziert und auf 0°005 genau korrigiert waren. Die zweite Versuchsserie, bei der Wasser von etwa 20° benutzt wurde, bestand aus sieben Versuchen. Die gemessenen Quecksilber- mengen, auf 20°000 reduziert, sind: 687127 6.7155 6.7147 6.7724 21.051706 0,31002. 6.7120 = 6.7105 Also entspricht dem «,_,. 6.7100 menge O°OI5501I. 6.7113 6.7124 die Quecksilber- Die maximale Abweichung vom Mittel beträgt hier nur 0.05 Pro- zent; der wahrscheinliche Felller des Mittels 0.008 Prozent. Es er- gibt sich nun: NO oe —= ZOG me OO = 0.15461 ’ Q,, unterscheidet sich aber vom 9,_,. um weniger als 0.01 Prozent: 4; = 0°015460. Es ergibt sich also, wenn man für 9,_.. (vgl. S.73) 0°015456 setzt, res = = 0.9997. (iz I5 Ältere Werte für das Verhältnis ee sind in Wargures Referat! aufgeführt. »Lünm findet aus seinen verbesserten Werten der spezifischen Wärme des Wassers zwischen 0° und 100°: C. 1.005 2;, Dirrtericı findet das Arbeitsäquivalent der mittleren Kalorie gleich 4.233 Joule” Daraus folgt in Verbindung mit dem von Rowrann bestimmten Arbeitsäquivalent der 15°-Kalorie ($ 8): ZN 20! 2 Dıierericıs Wert ist hier auf das internationale Ohm umgerechnet. Vgl. E. H. Grirrrrus, Phil. Mag. 40, S. 446, 1895. 76 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Endlich folgt aus Versuchen von JoLy' mit dem Dampfkalori- meter, wenn Grirrıtus Ausdruck der latenten Verdampfungswärme des Wassers bezüglich der 15°-Kalorie angenommen wird: Co_10 = 0.9957.« Cı5 Die Abweichungen gingen hier also noch bis zu 1.5 Prozent. Seit einigen Jahren beschäftigten sich CALLenpar und Barnes” mit der Bestimmung der spezifischen Wärme des Wassers zwischen o° und 100°. CALLENDAR’ findet Pe — 1.0016 — 1.0004 15 1.0012 NS 35 Barnes’ ao, = 0.9998 Der letzte Wert ist besonders deshalb hervorzuheben, weil BArnESs mit H. Lester Cooke° zusammen die spezifische Wärme bis — 5° ver- folgt hat, und dadurch die Werte für den bisher nur mangelhaft be- kannten Verlauf der spezifischen Wärme des Wassers in der Nähe von o° besser gestützt erscheinen. Aus den Werten von ÜALLENDAR und Barnes ergibt sich also, daß die mittlere Kalorie der 15°-Kalorie jedenfalls sehr nahe liegt; zu demselben Resultat führen auch meine Messungen, durch die überdies das Eiskalorimeter mit der 15°-Kalorie direkt geeicht wurde. Man kann also jetzt das Resultat jeder eiskalorimetrischen Messung (sofern die eingesaugten Quecksilbermengen angegeben sind) in 15°-Ka- lorien ausdrücken. ı J.Jory, Phil. Trans. 186, Part I, S. 322, 1895. Die Umrechnung von der Stick- stoff- auf die Wasserstoffskala bringt hier keinen Unterschied. Vgl. F. GrÜTZMACHER, Wien. Ann. 68, S. 77I, 1899. o ® H.L. Carrenvar und H. T. Barnes, Nature 60, S. 585, 1899; The Electri- cian 43, S. 775, 1899. ® Rep. Brit. Ass., Glasgow S. 34, 1901. * Phil. Trans. (of Canada?) (A) 199, S. 149, 1902. 5 In Joule. %° H.T. Barnes und H. Lesrer CooreE, Phys. Rev. 15, S. 65, 1902. nn | u | Über eine Klasse von endlichen Gruppen linearer Substitutionen. Von Dr. J. Scauur -in Berlin. (Vorgelegt von Hrn. Frogextvs.) RE seiner Abhandlung »Memoire sur les &quations differentielles line- aires A& integrale algebrique« (Journal für Mathematik, Bd. 84, S. 89) hat Hr. Jorpav einen fundamentalen Satz aufgestellt, der sich folgender- maßen formulieren läßt: Jede endliche Gruppe &® homogener linearer Substitu- tionen innVariabeln enthält eine invariante Asersche Unter- gruppe % von der Eigenschaft, daß der Quotient A der Ord- nungen von © und {} kleiner ist als eine gewisse allein von n abhängende Zahl. Während nun im allgemeinen allein für die Zahl A eine obere Grenze! existiert, dagegen die Ordnung der Gruppe & noch beliebig großer Werte fähig ist, hört dies auf, der Fall zu sein, sobald nur solche Gruppen & in Betracht gezogen werden, bei denen die Spur” jeder linearen Substitution einem vorgeschriebenen algebraischen Zahl- körper K angehört. Es läßt sich sogar eine allein durch den Zahl- körper X und die Anzahl n der Variabeln bestimmte Zahl angeben, die als das kleinste gemeinsame Vielfache der Ordnungen aller in Be- tracht kommenden Gruppen © erscheint. SI. Es soll zunächst angenommen werden, daß der vorgeschriebene Zahlkörper X mit dem Bereich © der rationalen Zahlen übereinstimme. I Der Jorvansche Beweis liefert keine Methode, eine explizite obere Grenze für die Zahl ?% zu bestimmen. Eine solche obere Grenze hat erst in neuerer Zeit Hr. Bricnrerpr (Transactions of the Am. Math. Society, Bd. 4 (1903), S. 387 und Bd. 5 (1904), S. 310) für eine allgemeine Klasse von Gruppen angegeben, die er als primitive Gruppen bezeichnet. 2 Unter der Spur der linearen Substitution «, — Sa,ıx; versteht man bekannt- lich die Zahl Ya,,. & ” 75 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Es gilt dann der Satz: I. Ist & eine endliche Gruppe homogener linearer Substitutionen in n Variabem und ist die Spur jeder Substitution von © eine (ganze) ratio- nale Zahl, so ist die Ordnung g der Gruppe © ein Divisor der Zahl Mi 1; alles P=2,3,3,:.) p Hierbei bedeutet [a] die größte ganze Zahl — ag Nee ein R=1,2,:-.g-]l) sei. Da nun pl+p7 + -:- + oeae — —1 + pr+7 EIS ort? + Sb + pt —( 0—=1, DI a8 q-1) ist, so erhält man n — a Hp I) I pa 2 op und x(P) = %-%.. Hieraus folgt aber, wenn y=%,+2m,+:--+2,., gesetzt wird, x(P) = n—py. Ferner ist n-p-1y=n+m+ +2, also NR Bedeutet daher v die ganze Zahl Ba so kommen für %(P) nur die Werte J. Schuur: Über eine Klasse von endlichen Gruppen. 19 N,Nn—ZP,Nn—2p. -,n—yp in Betracht. Es mögen nun unter den Spuren der p" Substitutionen von W genau /, den Wert n-ap besitzen; hierbei ist = 1 zu setzen, da in einer endlichen Gruppe nur die Spur der identischen Substitution E gleich n ist. Es ist dann fe) bDEhtr:.. 0 — B- m Nun bilden aber die p” Zahlen [x(P)] für jedes positive ganz- zahlige A einen ee Charakter der Gruppe ©." Daher ist die Summe der p” Zahlen |x(P)]', d.h. die Zahl In + (n—p)* ++ + 1,(n— vp)* teilbare ganze Zahl.” Wir erhalten mithin die Kongruenzen L ++ +, =0 In + lm -p) + +L,(n-vp) = 0 TEE ee Be are es (mod. p") m + lan —p)” + +1,(n—vp)” = 0 Hieraus folgt aber in bekannter Weise, daß I. in — ap (n— Ep)! =0,1,--», Pa) m eine durch p durch p" teilbar ist. Für & = ( ergibt sich, daß p” ein Divisor der Zahl p’v! sein muß. Da aber HHunE die höchste Potenz von p ist, die in v! aufgeht, so muß p” ein Divisor der Zahl ee IE +]a]# - BErzetie|: =p sein. Hieraus folgt aber unmittelbar, wie zu beweisen war, daß die Ordnung g der Gruppe & ein Divisor der Zahl M, ist In dem Satz I ist folgender von Hrn. Mmkowskı in seiner Arbeit »Zur Theorie der positiven quadratischen Formen« (Journal für Mathe- matik, Bd. 101, S. 196) bewiesener Satz als spezieller Fall enthalten: »Die Anzahl der ganzzahligen Transformationen einer positiven quadratischen Form mit n Variabeln (und von nicht verschwindender Determinante) in sich selbst ist ein Divisor der Zahl M,.«® Umgekehrt folgt, wie noch hervorgehoben werden soll, aus dem Mmxowskxıschen Resultat der Satz I für den speziellen Fall, daß die Koeffizienten aller Substitutionen ! Frogenıus, Sitzungsberichte 1899, S. 330. x Frosenivs, Sitzungsberichte 1896, s. Te 3 Hr. Mıskowskı bezeichnet die Zahl M,„ mit n]- 80 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. ‚ I. — Sana, der Gruppe © ganze Zahlen sind. Denn alsdann läßt jede dieser Sub- stitutionen die positive quadratische Form von nicht verschwindender Determinante — »:()e + ad, +... +a9 a)” „2 an a x ungeändert.' Daher ist & eine Untergruppe der Gruppe & aller ganz- zahligen Transformationen der Form f in sich selbst, und da die Ord- nung von © in M, aufgeht, so ist dies auch für die Ordnung von & der Fall. Wie Hr. Mmkowskı a. a.O. gezeigt hat, lassen sich für jedes n positive quadratische Formen mit n Variabeln angeben, für welche die Anzahl der ganzzahligen Transformationen in sich selbst genau durch dieselbe Potenz der Primzahl p teilbar ist, wie die Zahl M,. Hieraus folgt unmittelbar, daß die Zahl M, das kleinste gemein- same Vielfache der Ordnungen aller endlichen Gruppen linearer Sub- stitutionen in n Variabeln mit rationalen Spuren repräsentiert. Vergleicht man dieses Ergebnis mit dem Resultate des Hrn. Miınkowskı, so könnte die Vermutung entstehen, daß sich jede end- liche Gruppe linearer Substitutionen mit rationalen Spuren durch eine Transformation der Variabeln, wodurch ja die Spur jeder Sub- stitution ungeändert bleibt, in eine (ihr ähnliche) Gruppe linearer Substitutionen mit rationalen Koeffizienten überführen läßt. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, wie man an dem Beispiel der durch die Substitutionen (A) a Er | 1 (B) ven, n--M erzeugten Gruppe der Ordnung S, der sogenannten Quaternionengruppe, erkennt. Diese Gruppe besitzt zwar rationale Spuren, läßt sich aber durch eine Transformation der Variabeln nicht einmal in eine Gruppe reeller Substitutionen überführen. In der Tat seien (A,) n=am+ßm, u —=ym tom (B}) sr HtuN, m —YU+pR, zwei reelle Substitutionen, die durch eine passend gewählte Trans- formation der Variabeln in A und B übergehen mögen. Es müßten dann die Spuren und die Determinanten von A,, B,, AB, mit der- jenigen von A, B, AB übereinstimmen. Daraus folgt ! Vgl. A.Lorwy, Comptes Rendus, 1896, S. 168 und E. H. Moore, Math. Ann. Bd. 50, S. 213. TEEN CZTERETI TE En, J. Scuur: Über eine Klasse von endlichen Gruppen. sl ae+=l(, ad-ıy—1 Atro=—=0, Ro —uv a + +yu+d —0. — Eine leichte Rechnung ergibt (an-A”+E+u—0. Daher müßte 8 = 0 sein, was wegen ad—Py = -.a-y=1 für ein reelles # nicht möglich ist. un 2 Es sei nun X = (x) ein beliebig gegebener, durch die algebraische Zahl x bestimmter Zahlkörper des Grades A. Ist dann © eine endliche Gruppe linearer Substitutionen in n Vari- abeln, deren Spuren sämtlich dem Körper Ä angehören, so will ich im folgenden kurz sagen, © sei eine Gruppe 6%. Es ist zunächst leicht zu sehen, daß die Ordnung g einer solchen Gruppe © eine gewisse, allein durch X und n bestimmte Zahl nicht übersteigen kann. Ist nämlich <(R) die Spur der Substitution R von & und sind SR) A ce (R) co ER) (R) diejenigen Zahlen, die aus <(R) dadurch hervorgehen, daß man darin die Größe z durch die % konjugierten algebraischen Größen ersetzt, so bilden für jedes A die g Zahlen <”)(R) einen Charakter der Gruppe &, daher auch die Zahlen El) ER) LEN ER) + 22 LER). Es läßt sich folglich eine der Gruppe © isomorphe Gruppe linearer Substitutionen in kn Variabeln angeben, worin die Spur der der Sub- stitution £ von & entsprechenden Substitution den Wert (AR) hat. Da diese Zahlen aber rational sind, so muß die Ordnung 9 der Gruppe nach Satz I ein Divisor der Zahl M,, sein. Die sich so ergebende obere Grenze für die Ordnungen der Gruppen 6% ist aber im allgemeinen erheblich größer als das kleinste gemeinsame Vielfache dieser Ordnungen, zu dessen Bestimmung erst die folgende Betrachtung führt. Man bezeichne, wenn ?z eine primitive A" Einheitswurzel ist, den Körper &(.) mit 2”. Ferner sei, wenn p eine gegebene Primzahl ist, K® der größte gemeinsame Divisor der beiden Körper X und 27°, k) der Grad von K®. Es ist dann offenbar KU1 ist, „er —]) = 7%) } Da ferner der Körper X”) offenbar jeden der Körper X") enthält, so ist K% nichts anderes als der größte gemeinsame Divisor der beiden Körper K"” und 2*. Es sei nun zunächst p>2. Dann ist jeder der Körper gP*) ein zyklischer Körper des Grades p*” (p-1), und es entspricht jedem Teiler d dieser Zahl ein und nur ein Divisor des Grades d von EN, der ebenfalls ein zyklischer Körper ist. Es ist nun leicht zu sehen, daß die Zahlen AV, %®,... ko) die Form haben müssen (2) u pt a Val I a ee) = = 3 £) wo t, einen Divisor von p-1 bedeutet. Denn es ist dies jedenfalls richtig für m, —=1. Ist fermerm,=1,, 502 sei. der Divisor kr) von Az 5 x p"r-1(p-1) an, wo t, in p-1 aufgeht. Wäre nun v2 nur drei Divisoren, die nicht in Q°*”) enthalten sind, nämlich, wenn c eine primitive 2“ Einheitswurzel ist, die Körper (3) EI — RL), I TRle to ee) ale 7) der Grade 2,22, 227 7ndE 222 ! Ist X) für jedes » gleich 2, so hat man also 1» —=1l,»=Pp-1 zu setzen. J. Schur: Über eine Klasse von endlichen Gruppen. 85 Ist nun zunächst m, = 1 oder m, = 2, so ist jedenfalls X" gleich 29 —=Q oder gleich AP. Ist dagegen m,>2, so muß K"), da dieser Körper in 29, aber nicht in 0°” enthalten ist, mit einem der drei Körper (3) übereinstimmen. Man setze nun 4, =1, falls KW) — 0®"») ist, was für m, —= | und m, = 2 jedenfalls eintritt, dagegen 4, — 2, falls X"? mit einem der beiden Körper 2”) oder 2” zusammenfällt. Es wird dann 92 ma-ı 2) (4) zo ae me = ne. a, Denn ist erstens ,=1, so ist für x 2 ist, gleich dem Körper 2°®. Daher ist in der Tat kÜ) — 15 k&) — Mi („>]1) Es gilt nun der Satz: I. Es sei K= Q(x) ein algebraischer Zahlkörper, für den die Zahlen m, und t, in der geschilderten Weise bestimmt seien. Dann ist das kleinste gemeinsame Vielfache der Ordnungen aller endlichen Gruppen homogener linearer Substitutionen in nVariabeln, deren Spuren sämtlich dem Körper K angehören, gleich der Zahl n n n n Mm — 2" = Ilp”? %| A = e ee en = pP Hierbei ist das Produkt über alle Primzahlen p zu erstrecken, für welche 4,o sein. Sind dann x{R) xl), Xi) die sämtlichen verschiedenen zu %(Z?) relativ konjugierten Charaktere, und setzt man EM =xXMruM)+ +%-ılR)+ülk), so gehören sowohl die Zahlen E(R)=x(R)+xlf)+ +Xx--ı(R) als auch die Zahlen ,(R) dem Körper X an. Wären nun die Zahlen &,(R) nicht sämtlich gleich Null, so würden sie einen Charakter der Gruppe © bilden. Da auch die Größen Z(R) einen solchen repräsen- tieren, so würde © einer anderen Gruppe ähnlich sein, die in zwei Gruppen linearer Substitutionen zerfällt, deren Spuren die Zahlen E(R) und £,(R) sind, d.h. & würde entgegen der gemachten An- nahme im Körper Ä zerlegbar sein. Wir sehen also, daß der einer im Körper K nicht zerlegbaren Gruppe entsprechende Charakter <(R) die Form haben muß R—=x(k)tuld)+ +), wo %(R),Yı(R).---%,-,() die sämtlichen zu einem einfachen Charakter relativ konjugierten Charaktere repräsentieren. Ist dann r=1, so ist 6 eine irreduzible, d.h. im Bereich aller Zahlen nicht zerlegbare Gruppe. Ist dagegen r>ı, so ist & einer Gruppe & ähnlich, deren Substitutionen Koeffizientensysteme der Form „A0 ---0 \ I, \0.0 Sr 3 3 S ER 2 ’ besitzen, wo A,A,,:-: A,_, Matrizen des Grades = sind. Die g Ma- trizen A, sind dann für jedes & voneinander verschieden und bilden eine der Gruppe © einstufig isomorphe irreduzible Gruppe. S4- Wir beweisen nun folgenden Hilfssatz: IH. Ist A eine Aszısche Gruppe linearer Substitutionen in n Va- riabeln, deren Ordnung a eine Potenz der Primzahl p ist, und ist die Spur 6 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Jeder Substitution von A eine Größe des Körpers K, so ist a für p>2 höchstens gleich für p = 2 höchstens gleich N En 9m-2)[--] + malt Dr Dieser Satz ist für n=1 leicht zu bestätigen. Denn es sind dann die Spuren aller Substitutionen der Gruppe ate Einheitswurzeln, die als dem Körper X angehörende Größen im Körper A”) enthalten sein müssen. Ist nun zunächst p = 2,4, —=2, so enthält X"» nur die Einheitswurzeln +1 und -1 und daher ist a höchstens gleich 2 = 2"=-»1+?, Ist ferner p22und4,=1, so enthält A“) alle Einheitswurzeln des Grades p”r, aber keine primitive p”»*!te Einheitswurzel, folglich ist a. Diese Zahl wird aber unter der gemachten Voraussetzung in der Tat gleich N,,,- Ist endlich p>2 und 4,>1, so enthält X%) nur die ate Ein- heitswurzel +1 und es wird a=]1| — =. Ich nehme nun an, der Satz IIl sei bereits für Apersche Gruppen mit weniger als n Variabeln bewiesen. Ist dann V eine im Körper X zerlegbare Gruppe, so lassen sich zwei der Gruppe A ein- oder mehrstufig isomorphe Gruppen W und W” linearer Substitutionen in r1, so wird (vgl. die Formeln (2) und (4)) n = t, und N,,, in allen Fällen gleich p”>, also r der Rat ap, .- Ist endlich > m,, so wird np up. N es) ei und N, , für >? gleich p”»-?*"">. Da aber offenbar stets u< m,p*”", ist, So wird auch hier = »=.N, ,- $5- Wir kommen nun zum Beweise des Satzes I. Der Beweis stützt sich auf einen von Hrn. Bricarerpr' bewiesenen Satz, der folgendermaßen lautet: »Ist & eine endliche Gruppe linearer Substitutionen in n Variabeln, deren Ordnung g eine Primzahlpotenz ist, so läßt sich © durch eine Transformation der Variabeln in eine Gruppe & überführen, deren Substitutionen die Form haben 2, = 4M,, @=1,2,',n wo &,%,, "a, gewisse Konstanten sind und A,,%,, A, ab- gesehen von der Reihenfolge mit den Zahlen 1,2,.-,n übereinstimmen.« Betrachtet man in & alle Substitutionen der Form Bundy, so bilden diese eine invariante Asersche Untergruppe ©, deren Ord- nung gleich f sei. Ferner bilden die verschiedenen den Substitutionen von & entsprechenden Permutationen 2 I, = LT), ! Transactions of the American Mathematical Society, Bd. 5 (1904), S. 313- 88 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1505. eine der Gruppe © ein- oder mehrstufig isomorphe Gruppe, deren Ordnung d ein Divisor von n! ist, und es ist g= fd. Es gilt daher der Satz: Ist & eine endliehe Gruppe linearer Substitutionen in n Variabeln, deren Ordnung eine Primzahlpotenz ist, so ist die Ordnung von & eine Zahl der Form fd, wo f die Ord- nung einer invarianten Aserschen Untergruppe von © an- gibt und d ein Divisor von n! ist. Um nun zunächst zu zeigen, daß die Ordnung einer Gruppe 6% ein Divisor der Zahl MW ist, genügt es offenbar, nachzuweisen, daß die Ordnung g einer solchen Gruppe 6, falls diese Zahl eine Potenz der Primzahl p ist, für p>2 höchstens gleich 2 +bel+ + Mn E = — NESR —=p ; In Plp P*tp für p = ? höchstens gleich 1. late sein kann. Es sei nun zunächst p=2. Ist dann g= fd, wo f die Ordnung einer Agerschen Untergruppe von & und d ein Divisor von n! ist, so ist ds bleale und wegen III f< aller also st tur, —1 und für > EPEI=EHE- Die sich so für g ergebenden oberen Grenzen für g sind aber in jedem der beiden Fälle gleich M, .- Es sei also p>2. Ist zunächst n = 1, so wird & eine Ageısche Gruppe; die Ordnung einer solchen ist aber höchstens gleich, „ Men g=jde Ich nehme nun an, es sei schon für rz, und folglich ist, wie zu beweisen ist, n n n n 2 n.| 2eaiear ee tt $ 6. Es bleibt uns noch übrig, zu zeigen, daß die Zahl M®, von der wir nachgewiesen haben, daß sie durch die Ordnung jeder Gruppe 6% teilbar ist, auch wirklich das kleinste gemeinsame Vielfache der Ordnungen aller dieser Gruppen repräsentiert. Sitzungsberichte 1905. 90 Gesammtsitzung vom 12. Januar 1905. Um diesen Nachweis zu führen, hat man für jede Primzahl p eine Gruppe 6%) anzugeben, deren Ordnung durch dieselbe Potenz M,,, von p teilbar ist wie die Zahl MP. Es sei zunächst p>2 oder p=2 und , =1. Man setze dann n Ez n —hbytr. Ist nun p eine primitive p”r“ Einheitswurzel, so betrachte man die Gesamtheit der Substitutionen der Form (7-) 4 = pm, ‚= PA Jos an il ne WO &,, &, :-: &, unabhängig voneinander die Zahlen 0,1, ... pr—1, ferner A}, Ay, --- A, alle v! Permutationen der Ziffern 1, 2, ... v durch- laufen. Die Substitutionen (7.) bilden dann eine Gruppe 9 der Ord- nung p"r’y! Sind ferner p, p’, --- p(r-1) die zu p (in bezug auf X) relativ kon- jugierten Zahlen, und ersetzt man in der Koeffizientenmatrix A einer beliebigen Substitution von 5 die Einheitswurzel p durch p’, --- pr 1), so mögen die Matrizen A,,--- A,-ı entstehen. Ist dann Z, die Matrix r“® Grades 10 1 20 00-1 so bilden die linearen Substitutionen in » Variabeln mit den Koeffi- zientensystemen 12% (0) (0), 2000) (de 20 a) 0 0A4,---0 0020: A eine Gruppe der Ordnung p”’v!, in der die Spur jeder Substitution dem Körper X angehört. Die Zahl p”’v! ist aber genau durch die Potenz M,,, von p teilbar. Etwas weniger einfach ist die Behandlung des Fallsp =2,, =. Es sei dann #]=+*=»#: (r = oder ]). Ist ferner © eine primitive 2” Einheitswurzel, so setze man r= ce”! oder —c”', je nachdem der größte gemeinsame Divisor von K und &(o) gleich Q(o+c”') oder gleich Q(c-c”') ist. Betrachtet man dann für r—=0 alle Substitutionen der Form ee & SA ER nn. ’ FAN Wo [7 r N EN; Zu ze hp Me mtimy ‚u, = 0!’ sy In = TH J. Scuur: Über eine Klasse von endlichen Gruppen. 91 für r=]1 alle Substitutionen der Form = tr, = ot, ne Cr in = TU wo &,%,,:--&, unabhängig voneinander die Werte 0,1, ---, 2” 1], die Indices A, ,A,, -:- A, alle Permutationen der Zahlen 1,2, --- v durch- laufen, endlich ®,,y, abgesehen von der Reihenfolge die Zahlen | und 2 bedeuten, so bilden dieselben eine endliche Gruppe linearer Substitutionen in » Variabeln mit Spuren aus dem Körper X. Die Ordnung dieser Gruppe ist für r=0 gleich 2’””°*’y!, fürr=1 gleich 2.2’”®+’,! Man sieht aber leicht ein, daß diese Zahlen genau durch dieselbe Potenz von 2 teilbar sind wie die Zahl M®. Damit ist der Satz II vollständig bewiesen. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. ur aa ner } Pr ’ = He ba ee 7 WIRT k j ICE ah a 1a m "SUR VE: Eh RIGA, BD TUN DC; Yeintee yi ö In Kan a A Aland Linse LFRnAlıln jr NEN SET Me Der ini) Tara a9 MI nel ee 3 FT a EI EL Al) is IR A INON NEE Hay er RM wich an Bi: 1 a ze ; x nn BSR u 5 See m 8. » TIER In Er f re In 1% j 7% - zu Br Pirr 2 on [ _ SITZUNGSBERICHTE ; ; KÖNIGLICH PREUSSISCHEN ; AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. A ex n Fr E II. IH. aA 19. Jaxvar 1905. BERLIN 1905. ’ E VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IR fg r IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Ru Auszug aus dem Reglement für die Redaetion der » Sitzungsberichte , 81. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. $.2. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten, 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, drucktertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- vigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Seeretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Seeretar führt die Oberaufsicht über die Redac- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. $ 6. 1. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $41, 2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Oectav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschnitten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 8.7, 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte« an diejenigen Stellen, mit denen sie im Schrißterkehr sicht B wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich: It die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, E | ; » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres, nach Fertigung dr Register. ” ” seine Heart öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe. j $8. 5. Auswärts werden Correeturen nur auf ER e Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. $ıl. En 1. Der Verfasser einer unter den » Wissenschaftlichen Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdr ücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag. fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver- theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Seeretar angezeigt hat; wünscht er auf noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- ‘ Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 'Exem- 4 plare auf ihre Be abziehen lassen. iR $ 28. 1. Jede zur Aufnahme in die Sitzungsberichte be- _ stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder corre- spondirender Mitglieder direct bei der Akademie oder ei einer der Classen eingehen, so hat sie der vorsitzeni e 3 Secretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum. Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der E | Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeignet . scheinenden Mitgliede zu überweisen. H [Aus Stat. $ 41,2. — Für die Aufnahme beda einer ausdrücklichen Genehmigung ‚der Akademie ‚oder B ‘einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, sobald das Manuseript druckfertig vorliegt, 1 gestellt und sogleich zur Abstimmung gebracht Be 8.29. E I) l. Der revidirende Seeretar ist für den Inhalt des geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch nicht für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für diese wie _ für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte sind | nach jeder Richtung nur die ‚Verfasser? xexaufr wortlich. f T ar yı HT * ea 93 SITZUNGSBERICHTE nn DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 19. Januar. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. Hr. Kreis las: Über Theodolithgoniometer. Es wird die Verwandlung des Kıystallpolymeters in ein Theodolithgoniometer besprochen, ferner erläutert der Vortragende die Vortheile, die der Gebrauch einer Neuconstruction des letzteren in Bezug auf Winkelmessung und darauf gegründete Be- rechnung der Krystalle hervortreten lässt. Sitzungsberichte 1905. 8 94 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 19. Januar 1905. Über Theodolithgoniometer. Von C. Kıeın. De Angaben von H. Sun über ein dreikreisiges Goniometer' und die meinigen über das Krystallpolymeter” folgten den vor- angegangenen Untersuchungen über zweikreisige Goniometer von E. von Feporow® und V. Gorpscauipr* welch’ letztere Forscher die Be- schreibung ihrer Instrumente, Zweck und Anwendung derselben gaben; ihnen schlossen sich Mittheilungen von S. Czarskı’ und F. STößer‘ an. C. Leıss” vereinigte in seinem Werke »Die optischen Instrumente der Firma R. Fuess« die wichtigsten früheren Angaben und gab Mit- theilungen über Constructionsverbesserungen, Justirungsmethoden u. s.w. Nach diesen letzteren wurden die zu besprechenden Instrumente ge- regelt. C. Vıora sprach sich 1395” zwar noch etwas zurückhaltend über die Theodolithgoniometer aus, scheint sich aber neuerdings” mehr von ihrer Gebrauchsfähigkeit überzeugt zu haben, da er sie allein unter den Reflexionsgoniometern behandelt. G.Wurrr gab in der Zeitschr. f. Kryst. 1903, Bd. 37, S. 50 u. f. Bei- träge zur Theodolithmetliode, in denen er u. A. den Fehler behandelt, der von der Neigung der Goniometeraxen herrührt und eine Vorrichtung zum Umlegen eines Krystalls gibt, so dass, wenn die obere Kry- stallhälfte untersucht ist, die untere zur Untersuchung kommen kann. Konnte man mit dem dreikreisigen Goniometer eine beliebige Kry- stallkante einstellen, so war man mit den einfacher herzustellenden Theodolithgoniometern in der Lage, die wichtigsten Messungen eben- G. F. Hergerr Surra, Min Magaz. 1899, XII, S.175— 182. C. Krein, Diese Sitzungsber. 1900, S. 248. E. von Feporow, Zeitschr. f. Kryst. 1893, Bd. 21, S. 574. V. Gorpscauipr, Zeitschr. f. Kryst. 1893, Bd.21, S. ro. S. Czapskı, Zeitschr. f. Instrumentenkunde 1893. Bd.ız3, S.ı und 242. F. Sröser, Zeitschr. f. Kryst. 1397, Bd. 29, S. 22. C. Leıss, Die optischen Instrumente der Firma R. Fuess 1899. Vergl. auch Zeitschr. f. Kryst. 1899, Bd. XXXI, S.yg u. £. ® C. Vıora, Zeitschr. f. Kryst. 1898, Bd. XXX, S. 417 u.f. ° C. Vıiora, Grundzüge der Krystallographie 1904, S. 32 u. f. ook u». Kreiın: Theodolithgoniometer. 95 falls mit einer Aufsetzung des Krystalls auszuführen. Dabei bediente man sich der Methode der Astronomie und bestimmte Höhen- und Breitenwinkel. Inwieweit dies auch mit den dreikreisigen Goniometern auszuführen ist, lehren die Abhandlungen von H. Suırn, a.a. O. 1899 und An im- proved form of the Three-Circle-Goniometer. Min Magaz. 1904, Vol. XIV Nr. 63 S.ı, sowie die vorliegende, in welch letzterer auch noch über Beobachtungsmethoden und Neuconstructionen gehandelt wird. Im Ganzen stellen sich die neuen Beobachtungsmethoden mit den verbesserten Instrumenten auch dann als vortheilhaft heraus, wenn man die früheren Bereehnungsarten beibehält, da dann zu diesen sehr dienliche Elemente gewonnen werden. Um das Krystallpolymeter in ein dreikreisiges Goniometer, bezw. ein Theodolithgoniometer umzuwandeln, entferne man von ihm, Fig. 1, das für Refractionsermittelungen bestimmte Fernrohr #f, durch Lösen der Schraube S,, weiterhin den Mikroskoptubus M durch Lösen von S., nehme den centralen Träger mit dem Flüssigkeitsgefäss ab und 8* 96 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe‘ v. 19. Januar 1905. aus der Axe von B, Ocular O und Nicol heraus. Endlich beseitige man die Stange S, und trenne S, von G@ı. Alsdann bleibt ein dreikreisiges Goniometer, bezw. ein Theodo- lithgoniometer übrig. Dasselbe besteht aus dem horizontalen unteren Kreise A, dem normal dazu gestellten B und dem wieder normal hierzu und parallel A gerichteten Kreise €. Alle Kreise lassen an Nonien Minuten ablesen. Bezeichne man nun noch die den Winkel der optischen Instrument- axen von F, und F, halbirende Linie als Sehaxe, so ist das Instru- ment, wie a.a.0. 1900, S. 248 mitgetheilt, sofort als dreikreisiges Goniometer zu benutzen. Um das Instrument als Theodolithgoniometer zu gebrauchen, stelle man die Axe von B in die Sehlinie und befestige den Krystall mit der Bezugszone (Quarz und Vesuvian z. B. mit der Prismen- zone) am Krystallträger des horizontal gestellten Kreises € so, dass die Prismenflächen vertical stehen und centrire und justire. Alsdann ist eine Drehung durch 360° um die verticale Axe von A oder C möglich, die alle Prismen zu einander zu messen er- laubt. Es werden sonach die Breitenwinkel bestimmt. Hierauf bringe man B in eine Stellung, dass seine horizon- tale Axe normal zur Sehaxe ist und drehe um B. Durch diese Bewegung wird einzeln die Neigung einer jeden Pyramide zur Basis und ihrem zugehörigen Prisma ermittelt. Der Ausschlag beträgt I90° und ist nach der Seite der Fernrohre kleiner — 70° als nach der entgegengesetzten — 120° —. Man kann daher mit den Vorrichtungen an © die zu betreffenden Pyramiden- bezw. Prismenflächen parallelen Gegenflächen heranziehen und nach Bedarf das Nothwendige an ihnen messen. Diese Operation ergibt die Längenwinkel. Stossen zwei Pyramidenflächen in einer Randkante zusammen, oder liegen sie so, dass man diesen Randkantenwinkel zwar messen, das denselben gerade abstumpfende Prisma, weil es nicht oder schlecht ausgebildet ist, aber nicht benutzen kann, so bestimme man aus der Kenntniss des Randkantenwinkels in seiner Zone die Position seiner Kante am Kreise, so dass die Normale der nicht vorhandenen Prismenfläche (mit den Normalen der übrigen Prismenflächen in dem basischen Schnitt liegend) in die Sehaxe fällt und messe, wenn Kreis C parallel A steht, mit © die Neigung einer benachbarten, be- kannten Prismenfläche zu dieser Position. Hiermit sind die Höhen- und Breitenwinkel bestimmt. Will man nun noch Neigungen von beliebigen Zonen zu einer Prismen- Krems: Theodolithgoniometer. 37 fläche ermitteln, so bediene man sich des Umsteektisches'! und bringe z. B. an © die Prismentlächen von der verticalen in eine horizontale Lage. Ist das Präparat so aufgesetzt, dass beim Um- stecken eine Prismenfläche ungefähr nach vorn kommt, so bewirke man dies genau durch Justiren und Centriren und stelle danach mit B die betreffende Zonenaxe, der Prismenfläche anliegend, normal und messe mit A. Stellt man die Drehaxe von © normal zur Drehaxe von A, so lassen an der Centrir-und Justirvorrichtung von € angebrachte Krystalle auch Messungen zu. Da aber 5 und €, in der Horizontalebene ge- dreht, bald an die Fernrohre stossen, so ist der Drehbezirk nicht sehr gross und umfasst nur etwa 135°. Derselbe könnte durch eine veränderte Anbringung von G, vergrössert werden. In die hohle Axe von B kann man eine Üentrir- und Justir- vorrichtung einsetzen, deren äussere Hülle an 7, mit einem Bügel und zwei Schrauben befestigt und angeschraubt wird. Eine in dieser Hülle gleitende innere Axe trägt die Centrir- und Justirvorrichtung und ist vor- und rückwärts verstellbar und festzuklemmen. Man er- hält dadurch in gewisser Hinsicht das vox Feporow’sche zweikreisige Goniometer (auch das von Gorpschuir), was viele grosse Vorzüge besitzt. Ein Krystall, an die Centrir- und Justirvorrichtung von B in der Richtung der Bezugszone nach dem Mittelpunkt zu angesetzt und die Axe von B durch Drehung von G, oder T, in die Sehaxe gestellt, . lässt durch Drehung um 5 die verschiedenen Zonen: Basis, Pyramiden, Prisma einstellen und durch Drehen mit A messen. Man kommt dabei auch auf Pyramiden, die kein zugehöriges Prisma haben. In diesem Falle” fixire man die Position der Rand- kante, gehe in die folgende Stellung über und messe mit BD diese Position zu einem bekannten Prisma. Dies ist ein besonderer Fall des allgemeinen, dass, wenn man die Axe von B normal zur Sehaxe stellt, sich mit B die Prismen messen lassen. ! Der Umstecktisch besteht aus einer quadratischen Krystallträgerplatte, die auf der einen breiten Seite rauh ist, auf der anderen einen normal ’zu ihr eingefügten Zapfen besitzt. Einen ebensolchen hat sie normal zu einer schmalen Seite eingesetzt. Wird dieser in die Centrir- und Justirvorrichtung eingefügt und geklemmt, so kann eine zur ersten normale Lage des Krystalls erreicht werden. Die Vorrichtung unterscheidet sich also von der von G. Wurrr, a.a.0. 1903 angegebenen. Beide Vorrichtungen erfordern genaues Arbeiten, doch muss bei der von Wurrr, die eine Krystallhälfte an eine vorhandene anpasst, noch grössere Aufmerksamkeit verwandt werden als hier, wo eine von den vorhandenen mehr unabhängige Krystallpartie untersucht wird. ® Man lässt hierzu die Retlexe der Flächen aus der Zone der Randkante sich entwickeln. 98 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 19. Januar 1905. Wird in der ersten Stellung rechtwinkelig umgesteckt, so kommen die Kanten der Bezugszone senkrecht zur Sehaxe. Stellt man eine Fläche normal zu ihr, so können alle Zonen, die in beliebigen Kanten auf der Fläche münden, mit B eingestellt und die Neigungen mit A gemessen werden. Das Umstecken in der zweiten Stellung — Axe von B senkrecht zur Sehaxe — hat keine besondere Bedeutung. An Stelle der Centrir- und Justirvorrichtung kann man auch in gleicher Weise eine von FrEporow sche Vorrichtung zum gra- phischen Rechnen' anbringen. Da es aber hierbei sehr auf genaue Justirung und ausgiebige Bewegungen ankommt, so empfiehlt es sich, ein besonderes Instrument für jene Zwecke zu construiren. Man könnte auch daran denken, die Axe von (C in die Sehaxe zu stellen und damit als einem von Feporow’schen Rechnungsapparat zu operiren. Allein die Justirvorrichtung hat alsdann nicht ausgiebige Bewegungen genug und das Ganze sitzt zu sehr federnd an, als dass es für den Gebrauch tauglich wäre. Es ist daher höchstens zur De- monstration geeignet, und die Nothwendigkeit, ein besonderes Instrument herzustellen, fällt nicht fort. Das Czarskr-Leiss’sche Theodolithgoniometer besitzt einen hori- zontalen und einen verticalen Kreis; parallel der Ebene des letzteren sind zwei Fernrohre beweglich und gegen einander verstellbar.” Es arbeitet in folgender Weise: Habe man einen Apatit und setze ihn auf den Tisch des hori- zontalen Kreises so, dass die Bezugszone vertical steht, so kann man alle Prismen zu ihren Pyramiden und der Basis messen und dadurch auch die Lage der Prismen gegen einander bestimmen. Das auf die Lage links rechts (am verticalen Theilkreis markirt) gestellte Beobachtungsfernrohr des verticalen Kreises kann überdies mit Autocollimation alle Prismen messen und zum Messen beliebiger, auf einer Prismentläche sich projieirender Zonen steckt man um, be- kommt eine Prismenfläche nach oben und richtet die betreffende Zone + der Drehaxe des verticalen Kreises. Alsdann bestimmt man die ! Vergl. E. vos Feporow, Zeitschr. f. Kryst. 1900, B. 32, S. 464 u. f.; ebenso K. Sröckr, Zeitschr. f. Kryst. 1904, B. NXXIX, 8.23 u. f.— Eine vov Feporow’sche Vorrichtung für das Krystallpolymeter liess ich schön 1901 anfertigen. 2 Hr. Czapskı schreibt Zeitschrift für Instrumentenkunde 1893, Bd. 13, S. 2, dass er schon früher am Totalretleetometer Vorrichtungen angebracht habe, die erlaubten, dasselbe als zweikreisiges Goniometer zu benutzen. Ich kann diese Angaben nur be- stätigen, denn am 5. Oktober 1891 wurde dem hiesigen Institute eine solche Vorrichtung bei Ablieferung eines Totalretleetometers mitgesandt. ® Eine Lupe zur Betrachtung des Krystalls und zur Einstellung befindet sich in der hohlen Axe der verticalen Fernrohre. Be Kreiım: Theodolithgoniometer. 99 Neigungen der Flächen dieser Zone mit den in einer Verticalebene sich bewegenden Fernrohren. Um die Vortheile dieser Construetion mit anderen zu verbinden, habe ich an einem wie vorstehend beschriebenen Goniometer, dessen verticale Fernrohre sich bis auf 20° einander nähern und klemmen lassen, noch zwei horizontal stehende Fernrohre! durch Hrn. Fuess in Steglitz anbringen lassen (Fig. 2).” Die Justirung ist so ausgeführt, Fig.2. dass die optische Axe des verticalen Beobachtungsfernrohres die des horizontalen senkreelit schneidet. Ebenso wirken die beiden Axen der beiden Kreise zu einander normal und zu denen der Fernrohre ! Damit dürfte auch weitergehenden Bedürfnissen abgeholfen sein (vergl. ©. Vıora, a.a. 0. 1898, S. 423). 2 Das ganze Instrument rulıt auf einem Ring und ist drehbar, so dass jeder Theil auf den Beobachter zu gerichtet werden kann. was namentlich zu Orientirungs- zwecken und zum Ablesen der Nonien wichtig ist. 100 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 19. Januar 1905. parallel bezw. senkrecht. Die eben erwähnten horizontalen Fernrohre laufen an einem besonderen Kreise, der Minuten bestimmen lässt und sind feststellbar. Eine Mikrometerbewegung erschien des ruhigen und sicheren Drehganges wegen nicht nöthig. Die Centrir- und Justir- vorriehtung ist in der Höhe verstellbar und dreht sich ähnlich leicht und sicher; die Drehung kann gedämpft werden. Wird der Krystall mit der Bezugszone parallel der Vertical- axe aufgesetzt, so bestimmen sich Höhen- und Breitenwinkel in ge- wohnter Weise. Beim Einstellen führt man eine Prismenfläche vor die Lupe, die in der Axe, die die verticalen Fernrohre trägt, sich befindet und dreht den Krystallträger bis zum Verschwinden der Fläche. Alsdann wird, bis auf kleinere Justirungen, die Fläche so stehen, dass der Höhenwinkel abgenommen werden kann. — Man kann aber auch in der altgewohnten Weise mit den horizon- talstehenden Fernrohren alle Prismenwinkel vor der Bestimmung der Höhenwinkel der Pyramiden messen, was die Gesammtoperation er- leichtert. Tritt zu einem Pyramidenpaar kein zugehöriges Prisma auf, so bestimme man den Höhenwinkel des ersteren, lege das Beobachtungs- fernrohr horizontal, wende Autocollimation an! und bestimme durch Drehung des horizontalen Kreises den Neigungswinkel einer vorher bekannten Prismenfläche zur optischen Axe jenes Fernrohrs. Beispiel: Apatit. Man habe den Randkantenwinkel von 3 P3/, (2131) mit 131° 58’ gemessen bezw. die Neigung einer Fläche zur Basis mit 114°1’ bestimmt. Dann liegt in der Zone der Randkante auch das (nieht vorhandene) zugehörige Prisma. Seine Position ist gegeben, wenn das Beobachtungsfernrohr des verticalen Kreises genau horizontal steht. Man stelle in der Zone der Randkante diese Po- sition ein. Dreht man nun den horizontalen Kreis, bis die anliegende coP (1010) Fläche durch Autocollimation spiegelt, was bei 160° 54’ der Fall ist, so berechnet sich daraus die Neigung der Randkante zur Nebenaxe und ferner die Ableitungsco£ffieienten. Sollen die auf einer Prismenfläche mündenden Zonenverbände gemessen werden, so ist der Krystall umzustecken, eine Prismenfläche horizontal zu stellen und dann so zu richten, dass die Winkelmessungen normal zu den Zonenkanten laufen. Ausserdem lässt sich mit dem hier beschriebenen Modell in der gewöhnlichen Art messen, was vielfach nöthig und angenehm ist, und das Instrument ist zu der Bestimmung von Brechungsexponenten ein- gerichtet. ! Hierzu hat das Beobachtungsfernrohr im Ocular einen Gauss’schen Spiegel. VW . “- Kreis: Theodolithgoniometer. 101 Kommen die verticalen Fernrohre in Betracht, so gebraucht man im Collimator ein 4 Volt-Glühlämpchen. Die Speisung solcher erfolgt besser mit einer durch einen regulirbaren Widerstand geschwächten Stromleitung als mit Accumulatoren, die öfters versagen.‘ ! Auf diese Art kann man im regulären, hexagonalen, quadratischen und rhom- bischen System sich leicht bequeme Elemente zur Rechnung verschaffen, in dem man die Randkanten der Pyramiden und ihre Neigungen zu den Nebenaxen in der Basis, direete oder indirecte Wege einschlagend. darstellt. Es handelt sich dabei, vergl. C. Krein, Einleitung in die Krystallberechnung 1376, stets darum, die Z-Kante der Pyramide (bezw. des in Pyramiden zerlegten allgemeinen Körpers im regulären System, worauf schon GorLpscumimr in seinen Werken hinwies) zu bestimmen und die Neigung dieser Kante zur Nebenaxe in der Basis zu ermitteln. Man kann an Stelle dessen auch die Länge der Projection des Normalschnitts zur Randkante auf der Basis darstellen. Erstere ist am einfachsten gegeben, wenn ein Prisma Z gerade abstumpft; fehlt diese Fläche, so verfahre man wie oben angegeben. Fehlt in der ganzen Bezugszone eine taugliche Prismenfläche, so bestimme man den Höhenwinkel eines Pyramidenpaares und notire die Stellung am horizontalen Kreis, dann nehme man das nächst an der Nebenaxe gelegene Paar vor und stelle dessen Höhenwinkel-Reflexe ein. Der nunmehr abgesehene Winkel am horizontalen Kreise gibt mit dem ersten verglichen die Neigung zweier Z-Kanten zu einander. Gebraucht wird die Hälfte, um die Neigung einer Z-Kante zur Nebenaxe zu erhalten. Man kann also hiermit viel erreichen und auch in den schiefaxigen Systemen Manches mit Vortheil benutzen. Ausgegeben am 26. Januar. Sitzungsberichte 1905. 9 E Au & et 103 SITZUNGSBERICHTE 190. In. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 19. Januar. Sitzung der philosophisch-historischen Qlasse. Vorsitzender Secretar: Hr. VAHLen. l. Hr. Sruner las über: Erscheinungen und psychische Funetionen. (Erscheint später.) Die Auflösung psychischer Functionen in Erscheinungen (Empfindungs- und Vorstellungsinhalte) hat sich in allen Fällen als undurchführbar erwiesen. Der Unter- schied ist der schärfste, den wir kennen. Die Erfahrung scheint aber auch für eine gegenseitig-unabhängige Veı nderlichkeit der Functionen und der Erscheinungen in weiten Grenzen zu sprechen. Die Erforschung der Erscheinungen an sich und ihrer immanenten Gesetzlichkeit gehört, prineipiell genommen, weder der Physik noch den Geisteswissenschaften an, bildet vielmehr eine selbständige und sehr ausgedehnte Gruppe von Untersuchungen. 2. Hr. ScumorLzer überreicht im Namen des correspondirenden Mitgliedes Hrn. Emıe Levasseur in Paris die zwei Bände der zweiten Auflage seiner »Histoire des classes ouvrieres et de l’industrie en France de 1789 ä 1870. Paris 1903..04«. AN er el. U 0 Use Br , Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 139 Ganz besonderen Dank aber schuldet sie den Ministerien der deutschen Staaten und Österreich-Ungarns, die auf das Ansuchen der Akademie in weitgehendem Entgegenkommen die unterstellten Bibliotheks- und Archivverwaltungen zur Förderung des akademischen Unternehmens angewiesen haben. Schon häufen sich die Stösse der einheitlich gearbeiteten Hand- schriftenbeschreibungen, schon sammelt sich ein reiches, bisher un- genutztes Material, das geeignet ist, wissenschaftlich bedeutungsvolle Fragen zu beantworten oder anzuregen. Aber den rechten frucht- baren Gewinn wird die Handschriftenaufnahme erst bringen, wenn der in grossem Maassstabe anzulegende Zettelkatalog den Inhalt der gesammelten Beschreibungen nach allen Seiten erschliesst und so das akademische Handschriftenarchiv zu einer zuverlässigen und ergiebigen wissenschaftlichen Auskunftsstelle macht, wie sie für philologische Arbeit bisher schwerlich existirt. Auch dafür sind alle Vorbereitungen getroffen: der Katalog wird sofort systematisch und consequent in Angriff genommen werden, sobald die Deutsche Commission die Ar- chiv- und Arbeitsräume beziehen kann, die ihr der Herr Minister vom ı. April an in dem Hause Behrenstrasse 70 zur Verfügung gestellt hat. Von den »Deutschen Texten des Mittelalters«, um deren Förderung sich die HH. Proff. vos Kraus in Prag und ScHRÖöDEr in Göttingen mehrfach verdient gemacht haben, sind Bd. I (Friedrich von Schwaben, aus der Stuttgarter Handschrift herausgegeben von Max Hermann JerLımerR) und Bd. IV (Die Lehrgedichte der Melker Handschrift, herausgegeben von ALBERT Leıtzmann) bereits erschienen ; Bd. IH (Rudolf’s von Ems Wilhelm, aus der Donaueschinger Hand- schrift herausgegeben von Vıcror Junk) und Bd. V (Die Volks- und Gesellschaftslieder des Cod. Palat. 343, herausgegeben von ARTHUR Korr) sind im Druck nahezu vollendet; im Satz befinden sich drei weitere Bände (Bd. I: Johannes von Würzburg’s Wilhelm von Öster- reich, aus der Gothaer Handschrift herausgegeben von Erst ReeeL; Bd. VI: Elsbet Stagel’s Leben der Schwestern zu Töss, aus der Sanct Galler Handschrift herausgegeben von Fern. Verrer; Bd. VII: Die Werke Heinrich’s von Neustadt, herausgegeben von SAMUEL SınGEr). In das Programm der »Deutschen Texte« sind zu den im vorjährigen Bericht verzeichneten Werken neu aufgenommen und Herausgebern übertragen: die Diehtungen Gundacker’s von Judenburg und Andreas Kurzmann’s, das Marienleben des Schweizers Wernher, die Londoner Marienregel,. die Vom-Staal’sche Bibel, die Übersetzungen Hartlieb’s, die ungedruckten Sterzinger Spiele. Für die Wieland-Ausgabe, die einer langsameren Rüstung bedarf, sind die wichtigsten Sammlungen der Werke als Vorlagen 12* 140 Öffentliche Sitzung vom 26. Januar 1905. zum Druck und zu den Lesarten angeschafft worden. In Zürich hat Hr. Stadtbibliothekar Dr. Escher seine volle Unterstützung zugesichert, ein junger Züricher Gelehrter wurde für alle Denkmäler der nur an diesem Ort übersehbaren Jugendschriftstellerei gewonnen, und es konnten u. A. dank dem Entgegenkommen des Hrn. Orr-DAEnıkER umfang- reiche Dietate religiösen, geschichtlichen, belletristischen Inhalts aus Wieland’s Hauslehrerzeit herangezogen werden. Die Verhandlungen über die Mitarbeit zielen dahin, einer Zersplitterung vorzubeugen und grössere Massen in eine Hand zu legen. B. SeurrerT’s »Prolegomena« sind als Frucht langjähriger Studien schon grossentheils in den Ab- handlungen der Akademie erschienen (I. Die Ausgaben letzter Hand; 2. Die Chronologie der Jugendschriften, ihre Unterlagen, ihre An- ordnung in neun Bänden) und sollen demnächst abgeschlossen werden. Einen ungedruckten Aufsatz der Frühzeit hat das Goethe-Schiller- Archiv beigesteuert; erschöpfende Collationen des weimarischen Ma- terials sind im Gange. Durch die Mittheilung von Briefen haben Frau L. DArtER-STENER in Genf, Hr. Hofmarschall Graf von Kerrer in Braunschweig, Hr. Prof. Dr. A. Wacner in Halle, Hr. Dr. Morkrıs, die Buchhandlungen von STARGARDT und FRENSDORFF und der inzwischen verstorbene Hr. Arex. Meyer Conan in Berlin uns zu grossem Dank ver- pflichtet; doch hat ein Aufruf sehr geringen Erfolg gehabt, und auch die dringendste Bitte an den Erwerber versteigerter Handschriften gar kein Gehör gefunden. Das älteste Blatt der ganzen Correspondenz wurde angekauft. Während die bisherigen Unternehmungen der Deutschen Com- mission wesentlich auf das historische Verständniss der deutschen Sprache gerichtet waren, hat die Akademie neuerdings beschlossen, auch die lebende Sprache in den Rahmen ihrer Arbeitspläne einzu- beziehen. Sie griff dabei auf eine Anregung KArL WEmHOoLD’s zurück, der ihr längst dringend empfohlen hatte, auch dem nördlichen Deutsch- land mundartliche Idiotika zu schaffen, wie sie für Bayern und Schwa- ben, für das Elsass und die Schweiz vorhanden oder im Entstehen sind: eröffnet doch ein solches Idiotikon, recht bearbeitet, mit den Schätzen der Volkssprache zugleich den sichersten Einblick in die besondere Art des Stammes. Die Akademie hat zunächst das kultur- und sprachgeschichtlich gleich wichtige Gebiet des Niederrheins in’s Auge gefasst, und zu ihrer grossen Befriedigung hat Prof. JoHAnnes Franck in Bonn, mit der Sprache seiner engeren Heimat auf’s Nächste vertraut, sich bereit erklärt, die Leitung des geplanten Niederrheini- schen Idiotikons zu übernehmen. Zu ausserakademischen Mitgliedern der Deutschen Commission sind die HH. Prof. Franck in Bonn und SEUFFERT in Graz gewählt worden. Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 141 Forschungen zur Geschichte der neuhochdeutschen Schrifisprache. Bericht des Hrn. Burvacn. Von den »Quellen und Forschungen zur Vorgeschichte des deut- schen Humanismus« ist der erste Theil, der die Publication aus der Handschrift Nr. 509 des Olmützer Domkapitels enthält, im Text druck- fertig, der zweite, umfänglichere, der die Correspondenz Rienzos in neuer, auf alle erreichbaren Handschriften gegründeter kritischer Aus- gabe sowie Briefe, Akten und Reden aus dem Kreise Karls IV., Erz- bischof Ernsts von Prag und Johanns von Neumarkt nebst den dort- hin gerichteten Briefen Petrarcas bringt und für den Hr. Dr. Pıur den Referenten in der Ergänzung, Beschaffung und Verarbeitung der Hand- schriftencollationen unterstützt, soll im Frühjahr abgeschlossen werden. Die »Texte und Untersuchungen zur Geschichte der ostmitteldeutschen Schriftsprache von 1300 bis 1450« befinden sieh noch im Stande der Vorarbeiten. Für die Sammlung und Ergänzung des Materials zur »Geschichte der Einigung der neuhochdeutschen Schriftsprache« sind Hülfsarbeiter zunächst zu freiwilliger Mitwirkung herangezogen und vorläufig instruirt worden. Hunmsoror- Stiftung. Bericht des Vorsitzenden des Curatoriums Hrn. WALDEYER. Aus den reichen Sammlungen der PLaukron-Expedition sind abermals eine Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen hervorge- gangen: I. Die Acantharia. Th. ı: Acanthometra von A. Pororskr. 2. Die Tripyleen-Familie der Aulacanthiden von F. Inmermann. 3. Die Schizophyceen von N. Wirte. 4. Eier und sogenannte Cysten, An- hang: Cyphonautes von H. Lonmans, sämtlich erschienen Kiel und Leipzig, 1904. Von der Forschungsreise des Hrn. Dr. Leoxuarnp ScHuLtzE in Deutsch-Südwestafrika sind seit Januar 1904 13 Kisten gesammelten Materiales, hauptsächlich Zoologica, aber auch einige Pflanzen und Proben von Landesproducten, eingetroffen und dem hiesigen Zoolo- gischen Museum überwiesen worden. Fast durchweg befanden sich die Objecete in vorzüglichem Erhaltungszustande. Bei der Fauna ist sowohl die See als das Land vertreten. Die Seethiere stammen aus der Simonsbay bei Capstadt und es befinden sich darunter eine grössere Anzahl von Nutzfischen. Die Landfauna aus dem Innern unseres Schutzgebietes ist reich durch Reptilien und Inseeten ver- treten. Besonders erwähnt zu werden verdient ein vorzüglich kon- 142 Öffentliche Sitzung vom 26. Januar 1905. serviertes Fell und Skelet von Orycteropus. Diese Sammlungen dürften unsere bisher noch recht lückenhaften Kenntnisse der Fauna von Deutsch-Südwestafrika ganz erheblich erweitern. Die für 1905 verfügbare Summe beläuft sich auf 9000 Mark. Sırıenr- Stiflung. Bericht des Hrn. Brunner. ı. Das Vocabularium Iurisprudentiae Romanae ist in den Druck des zweiten Bandes (D—-G) eingetreten. Das erste Heft dieses Bandes, den Hr. Prof. En. GrurE in Metz bearbeitet, wird wahrscheinlich im Laufe dieses Jahres zur Ausgabe gelangen. Das Manuseript des dritten Bandes (H—M) hat sein Bearbeiter Hr. Dr. Rıcuarnp Hesky so weit hergestellt, dass das erste Heft vermuthlich gleichfalls noch im laufen- den Jahre erscheinen wird. 2. Die Neubearbeitung von Homever’s Deutschen Rechtsbüchern des Mittelalters ist von den HH. BorcaLıne und JuLius GIERKE so weit gefördert worden, dass nunmehr 754 Nummern des Handschriftenver- zeichnisses als nahezu druckfertig betrachtet werden dürfen. Zu den im vorigen Jahre als neu vorgelegten Nummern sind weitere 23 Nummern hinzugekommen, die grösstentheils Hr. Borcaıme auf einer Bibliothek- und Archivreise durch das westliche Mitteldeutschland ans Licht ge- zogen hat. Die Arbeitstheilung erfuhr insofern eine Änderung, als Hr. GiErKE mit Rücksicht auf seine Berufung nach Königsberg die Städte Königsberg, Danzig, Elbing und Thorn übernahm und dafür Prag an Hrn. Borcauins abgab. 3. Die Stiftungszinsen des Jahres 1904 sind in der Hauptsache den HH. Prof. Dr. Erıcn Liesesang zu Wiesbaden und Amtsrichter Dr. VıcTor Frıese in Posen zur Herausgabe eines zweiten Bandes der Magde- burger Schöffensprüche bewilligt worden. Die vorbereitenden Arbeiten haben im verflossenen Spätherbst begonnen. Bopr- Stiftung. Bericht der vorberathenden Commission. Am 16. Mai 1904 hat die Königliche Akademie der Wissenschaften den zur Verfügung stehenden Jahresertrag der Borr-Stiftung von 1903 in Höhe von 1350 Mark dem Oberlehrer am Realgymnasium zu Döbeln (Sachsen) Hrn. Dr. Jomannes HERTEL verliehen, in Anerkennung und zur Fortsetzung seiner Arbeiten auf dem Gebiete der indischen Fabel- und Erzählungslitteratur. Jahresberichte der Stiftungen und Institute. 143 Die Einnahme der Stiftung im Jahre 1904 betrug 2005.54 Mark, die Ausgabe 1377.80Mark. Von dem Bestande im Betrage von 627.74 Mark sind zu Beginn des Etatsjahres 1904 gemäss $ 5 des Stiftungsstatuts 600 Mark zinstragend angelegt worden. Hermann und Erise geb. Hrckmann Wenxtzer-Süflung. Bericht des Curatoriums. Die Arbeiten an der Herausgabe der griechischen Kirchenväter, an der Prosopographie des römischen Kaiserreichs und an dem Wörter- buch der deutschen Rechtssprache sind ohne Unterbrechung fortgesetzt worden. Die Leiter dieser Unternehmungen haben darüber die hier als Anl. I und II folgenden Berichte erstattet. Prof. Prızirson hat die dritte seinem ursprünglichen Arbeits- plan gemäss erforderliche Bereisung eines Theils von Kleinasien aus- geführt und das Unternehmen damit zum Abschluss gebracht. Einen vorläufigen Bericht über diese dritte Reise hat Prof. Pmurıprson in der Sitzung der Gesellschaft für Erdkunde am 7. d. M. erstattet. Prof. VortLrzkow hat ein volles Jahr der planmässigen Durch- forschung von Madagaskar und benachbarten Inseln widmen können; nach seiner letzten Mittheilung, aus Tamatave vom 4. Dee. 1904, stand er im Begriff die Rückreise, über Mauritius und Ceylon, anzu- treten. Seine vorläufigen Berichte sind weiter in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde veröffentlicht worden: Nr. 2. Pemba; Nr. 3. Mafia und Sansibar; Nr. 4. Die Comoren; Nr. 5. Europa-Insel. Der Bericht »Nr. 6. Madagaskar« erscheint ebenda im Jahrgang 1905. Aus den für 1904 verfügbaren Mitteln wurden bewilligt: 7000 M. zur Fortsetzung der Bearbeitung des Wörterbuchs der deutschen Rechtssprache; 4000 M. zur Fortsetzung der Kirchenväter- Ausgabe; 3000oM. für die Bearbeitung der römischen Prosopographie; 4000 M. zur Bestreitung von Mehrkosten der Reise des Prof. VoELTzZkow. Anl. 1. Bericht der Kirchenväter - Commission für 1904. Von Hrn. Harnacek. I. Ausgabe der griechischen Kirchenväter. In dem Jahre 1904 ist der ıı. Band der Kirchenväter-Ausgabe erschienen, nämlich: Eusebius, Werke Bd. 3 (das Onomastikon, hrsgeg. von KLostEr- MANN, und die Theophania, hrsgeg. von GRESSMANN). 144 Öffentliche Sitzung vom 26. Januar 1905. Im Druck vollendet wurden der ı2. und 13. Band, nämlich: Clemens Alexandrinus, Werke Bd. ı (hrsgeg. von Sränuın), Gnostische Schriften in koptischer Sprache (hrsgeg. von K. Schmipr); sie werden noch in diesem Monat erscheinen. Im Druck befinden sich zwei Bände, nämlich: Eusebius’ Kirchengeschichte, 2. Theil, nebst der Übersetzung Rufin’s (hrsgeg. von ScHwArrz und MonnsEn Tr), Eusebius’ Schrift gegen Marcellus (hrsgeg. von KLoSTERMANN). Der Mitarbeiter Prof. Dr. Horr in Tübingen hat einen halbjährigen Urlaub genommen und in den Monaten März bis September auf ita- liänischen Bibliotheken für die Herausgabe des Epiphanius gearbeitet. Aus Georgien hat die Commission Abschriften bisher unbekannter wichtiger Manuscripte erhalten. Die Vorarbeiten für die Herausgabe weiterer Bände sind gefördert worden. Von dem » Archiv für die Ausgabe der älteren christlichen Schrift- steller« wurden neun Hefte ausgegeben, nämlich: Bd. XI Heft 1a: Bowwersch, Drei Georgisch erhaltene Schriften von Hippolytus; Bd. XI Heft ıb: Lemoror, Saidische Auszüge aus dem 8. Buch der Apostolischen Constitutionen ; Bd. XI Heft 2: Kraarz, Koptische Akten zum Ephesinischen Konzil; Bd. XI Heft 3: Berenors, Die handschriftliche Überlieferung der Zacharias- und Johannes-Apokryphen, Über die Biblio- theken der Meteorischen und Ossa-Olympischen Klöster; Bd. XI Heft 4: Erwanpr Ter-Mmassıantz, Die armenische Kirche in ihren Beziehungen zu den syrischen Kirchen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts; Bd. XI Heft I—4: Resch, Der Paulinismus und die Logia Jesu; Bd. XII Heft ı: ScuErmann, Die Geschichte der dogmatischen Florilegien vom 5. bis 8. Jahrhundert. 2. Prosopographia Imperii Romani saec. IV— VI. Hr. Seecx, der Leiter der profangeschichtlichen Abtheilung, hat die Reden des Themistius und die Briefe des Libanius excerpirt und für die meisten Personen, die in ihnen vorkommen, auch das sonstige Material annähernd vollständig zusammengetragen. Zugleich hat er die Untersuchung über die Chronologie jener Briefe soweit gefördert, dass sie voraussichtlich in wenigen Monaten druckfertig sein wird. — Der 10. und ıı. Band des Corp. Inser. Lat. ist von Hrn. RArpArorT excerpirt worden. Jahresberichte der Stiftungen und Institute. 145 Hr. Jürıcner, der Leiter der kirchengeschichtlichen Abtheilung, schreibt: »Das aus Miene-Excerpten bestehende Material, welches die Commission fast ausschliesslich freiwilligen Mitarbeitern verdankt, ist Jetzt grösstentheils beisammen.« Hr. JüLıcner selbst ist mit der Ver- vollständigung dieses Materials und mit der kritischen Durcharbeitung des in der Mansr'schen Sammlung enthaltenen beschäftigt. Im ganzen liegen jetzt etwa 20000 biographische Zettel vor, und mit den dem- nächst erwarteten werden es etwa 22000 werden. Da sehr viele Zettel aus verschiedenen Sammlungen derselben Person gelten und oft in einer Sammlung dieselbe Person bis zu 30 Zetteln in Anspruch nimmt, ist etwa auf S000— 10000 Personen zu rechnen. Mit Mıcwe und Mansı, den Syrern und den Acta Sanctorum ist es aber noch nicht gethan; daneben kommt noch recht vieles in Betracht. »Absolute Vollständigkeit wird überhaupt nicht zu erreichen sein, wohl aber ein höchst bedeutender Fortschritt in Umfang und Sicherheit über Vorarbeiten wie TiıLLemont und Surtu-Wace hinaus. Aber wenn die grosse Unternehmung in wirklich grossem Stil durchgeführt werden soll, wird sie noch mehrere Jahre kosten, und auch noch weitere Summen zur Honorirung von Hülfsarbeitern werden unentbehrlich sein.« Auch an dieser Stelle sei den freiwilligen Mitarbeitern — es sind zum grössten Theil deutsche Kirchenhistoriker — der wärmste Dank der Commission ausgesprochen. Durch ihre Opferwilligkeit haben sie die Grundlagen für ein grosses Werk gelegt, an das ohne ihre Hülfe niemals gedacht werden konnte. An den Dank schliesst sich die Bitte, diese Hülfe auch fernerhin, wenn es sich um die Bearbeitung der einzelnen Artikel handeln wird, nicht zu versagen. Anl. II. Bericht der Commission für das Wörterbuch der deutschen Rechtssprache, für das Jahr 1904. Von Hemrıch BruNNER. Die akademische Commission war am ıı. und 12. April 1904 zu Heidelberg versammelt. Sie prüfte das Verzeichniss der excerpirten Quellen und das der Quellen, deren Excerpirung noch aussteht, berieth über Ergänzungen und beschloss, dass zunächst das ältere Quellen- material stärker heranzuziehen sei. Sie revidirte in den Räumen der Heidelberger Universitätsbibliothek das daselbst befindliche Archiv der Excerptenzettel, deren Bestand rund 198500 eingeordnete, 20000 noch nicht eingeordnete Zettel betrug. Die Commission befasste sich ferner mit den von der Hofbuchdruckerei zu Weimar hergestellten Satzproben des Rechtswörterbuchs und beschäftigte sich in eingehender Berathung 146 Öffentliche Sitzung vom 26. Januar 1905. mit dem Schema der Wortartikel. Jedes Mitglied legte einen von ihm ausgearbeiteten Probeartikel vor (Huser über »Ehegaumer«, FrEns- porrr über »Makler«, GIerkE über »Pflege« und »pfleghaft«, BRUNNER über »Walraub«, SCHROEDER über » Weichbild«, RorTHE über »wize«). An der Hand dieser Proben wurden die Grundsätze für die Aus- arbeitung der Wortartikel mit Vorbehalt einer endgültigen Revision im einzelnen festgestellt. Als neues Mitglied der Commission ist Hr. Prof. Freiherr von Schwinp, der Vorsitzende des österreichischen Comites zur Förderung des Rechtswörterbuchs cooptirt worden. Auszug aus dem Specialbericht des Hrn. ScHRÖDER. Das zur Aufbewahrung der Zettelauszüge bestimmte Archiv hat durch die ungewöhnlich hohe Zahl der im Laufe des Jahres ein- gegangenen Beiträge einen grossen Umfang angenommen; der Zettel- bestand wurde am ıı. April d. J. auf rund 218500 festgestellt und dürfte bis zum Schluss des Wintersemesters auf 300000 steigen. Unter den Beiträgen des Jahres 1904 nehmen die der österrei- chischen Commission weitaus die erste Stelle ein. Auch von der schweizerischen Commission ist noch eine sehr erwünschte Nachlese eingelaufen. Die Hauptarbeit haben das rechtswissenschaftliche Seminar in Wien und die germanistischen Seminare der HH. Heıszer und Minor in Wien, SEEMÜLLER in Innsbruck und Sıneer in Bern geliefert. Unter den Wiener Beiträgen sind namentlich die aus der berühmten CnorisskyY’schen Sammlung hervorzuheben. Von bisher aufgeschobenen wichtigen Arbeiten, die nunmehr theils zu Ende geführt, theils in Angriff genommen sind, ist besonders die vollendete Excerpirung der Grinu’schen Weisthümer, des kleinen Kaiserrechts, des Deutschenspiegels und des grössten Theils der Monumenta Germaniae zu nennen. Die Lex Salica ist von Dr. Krammer übernommen worden und für die Be- arbeitung des Schwabenspiegels hatte Hr. von Rockımser in München die grosse Güte, einen für seine Editionsarbeiten bestimmten Abdruck des von ihm gewählten Grundtextes zur Verfügung zu stellen. An der Hand dieses Abdrucks wird es voraussichtlich im Laufe des Jahres 1905 möglich werden, die bisher zurückgestellten Schwabenspiegel- excerpte, die einen besondern Werth beanspruchen dürfen, bereits auf Grundlage der künftigen kritischen Ausgabe des Rechtsbuches her- zustellen. Für die von STEINMEYER und SIEvErs herausgegebenen alt- hochdeutschen Glossen haben die Herren Herausgeber sich in dankens- werthester Weise bereit erklärt, die Durchsicht ihres alphabetischen Verzeichnisses der lateinischen Wörter zu gestatten, so dass im nächsten Jahre voraussichtlich auch auf diesem besonders wichtigen Gebiete me Jahresbericht der Stiftungen und Institute. 147 die Excerpirungsarbeit eine erhebliche Erleichterung erfahren wird. Nachdem durch die umfassende Arbeit der schweizerischen und der österreichischen Commission die Hauptgebiete des Hochdeutschen in annähernd erschöpfender Weise durchgearbeitet worden sind, wird die Commission nunmehr ihr Hauptaugenmerk auf die niederdeutschen, ganz besonders auf die niederländischen Quellen zu richten haben. Welche ausgezeichnete Unterstützung ihr hier von Seiten der nieder- ländischen Gelehrten bereits zu Theil geworden ist, wurde schon in dem Jahresbericht für 1903 hervorgehoben. An Stelle des am 1. April ausgeschiedenen Dr. Anam Rorr ist Dr. LeoroLp Prreıs als ständiger erster Hülfsarbeiter eingetreten. Neben ihm blieb Dr. Gustav Want als philologischer Hülfsarbeiter in Thätigkeit. Verzeichniss der im Jahre 1904 ausgezogenen Quellen. (Die Beiträge der schweizerischen Commission sind mit *, die der österreichischen mit ** bezeichnet.) Aalen, Stadtrechte, nach Lünig, Reichsarchiv 13, 78 ff. und Moser, Reichsstädt. HB. r, 82 ff.: Prof. Greiner in Ehingen. **Abele, Seltsame Gerichtshändel, Nürnberg 1712: Stud. Karı Tuumser, Wiener germ. Seminar. **Abele, Künstliche Unordnung, Nürnberg 1670 —1675: Stud. Epwın ZELLWERER, Wiener germ. Seminar. **"Akten z. Geschichte der Gegenreformation in Innerösterreich (1578—1590), her. v. Loserth, Font. rer. Austr. II, Bd. 50: Stud. Ferıx Körrer, Wiener rechtsw. Seminar. **Altenburg, Urk. der Benediktinerabtei in A., Font. rer. Austr. II, Bd. 2ı, 1: Franz Kersca#Aaum, Wien. Amberg, Stadtrechte, nach Gengler, Cod. iur. munie. 38 ff. und Schenkl, Sammlung der Freiheiten usw. der Stadt A., 1820: Dr. van Vreuren, München. **Ambt eines Schulmeisters zu Purgstall, 1667, Beiträge z. österr. Erziehungs- u. Schul- geschichte, 3. Heft, 1901: R. Treıcater, Seminar Minor, Wien. Annolied, her. von Rödiger, Mon. Germ., Script. vernae. lingua usi I. 2. 1895: Dr. L. Perers. Ansbach, Stadtrecht, nach Monum. Zoller. 4, 179£., 6,12: Dr. van Vreuren, München. Anzeiger für Kunde des deutschen Mittelalters, 1832— 1839; für Kunde der deutschen Vorzeit, 1853—1883; des germanischen Museums, 1884 — 1886: Cand. phil. F. Herpıng, Erlangen. Archiv für Hessische Geschichte, NF. III. 2: Dr. Weıss, Eberbach a. N. **Archiv f. Kunde österr. Gesch.-Quellen I. (Urk. der vorarlberg. Herrschaften u. der Grafen von Montfort. Zur Geschichte der Frh. Eizinger von Eizing. Bayer. u. österreich. Landfrieden): Franz Kanra. Archiv f. Unterfranken u. Aschaffenburg, XXIII: Scuröper und Wırn. Morıkrr. Arnstadt, ı. 2.3. Stadrecht, nach Michelsen, Rechtsdenkm. a. Thüringen S. 25 ff., 32 ff, 4ıff.: Rechtspraktikant Gorreın, Heidelberg. **Austro-Friulana, Sammlung von Aktenstücken z. G. des Konflikts Herzog Rudolf IV. mit Aquileja, 1358— 1365, Font. rer. Austr. II, Bd. 40: Franz Kerscuraum, Wien. *Balthasar, De iure Helvetico eirca saera: Rechtskandidat Raarraur, Bern, Seminar Gmür. Bambergensis, Die niederdeutsche, nach Kohler u. Scheel, Die Carolina u. ihre Vorgängerinnen, II, 169 ff., Oberlehrer Dr. Sonzer, Steglitz. *Basel, Rechtsquellen I. II. (vollendet): Rechtskandidat Scuürch, Seminar Gmür, Bern. Bautzen, Stadtrechtsquellen, nach Schott, Sammlung 2, ı ff, 56 ff.: Dr. Desen, Heidelberg. 148 Öffentliche Sitzung vom 26. Januar 1905. Bayreuth, Stadtrecht 1372, Mon. Zoller, 4, 231. Stadtrecht 1439, Corpus const. Brandenburg.-Culmbae. II, 2 S.417 ff. Stadtbuch, her. von Ch. Meyer, Hohen- zoller. Forschungen I. 1891: Dr. Freiherr von Scawerın, München. **Beckmann, Nicol. de, Idea iuris statutarii Stiriaci et Austriaci, Graz 1688: Franz Kanrta. » **Beiträge z. Gesch. Ungarns, Arch. f. K. österr. Gesch.-Qu. III: Ruporr Listner. **Bergreien, Liedersammlung v. 1534, nach dem Neudruck von O. Schade, Weimar 1854: Dr. Esern. von KünssgEere, Seminar v. Schwind, Wien. **Bergwerksbüchlein von 1539, nach der Ausgabe von v. Dechen, Bonn 1885: Franz LEIFER, Wien. *Berichte des Kammerprokurators Schwanser (16. Jh.), I. Teil. Sammlung Chorinsky : ALFRED REeDErR, Wien. Biberach, Stadtrecht, nach Lünig, Reichsarchiv 13, ı81 ff.: Prof. Greiner, Ehingen. Bochold, Privilegien und Statuten, Wigand’s Archiv 2, 313 ff.: Dr. Börser, Papen- burg. en IX., Bulle v. 1399, deutsche Übersetzung im Wiener Eisenbuch, Arch. f. K. österr. Gesch.-Qu. III: Run. Lıstner, Wien. Bopfingen, Stadtrechtsquellen, nach Lünig, Reichsarchiv 13, 209 fl.: Prof. GrEINER, Ehingen. Braunschweig, Reimchronik, her. von Weiland, Mon. Germ., Script. vern. lingua usi 2, 430 f.: Dr. Leor. Perers. Breslauer Landrecht 1356, bei Gaupp, Das Schlesische Landrecht, 1828: Dr. L. Prrers. Breslauer Stadtrecht des 16. Jhs., Zeitschr. d. Ver. f. Gesch. Schlesiens 4, 39 f.: ScHRÖDER u. W. Morierr. **Briefe Albrechts v. Waldstein an Karl von Harrach, 1625— 1627, Font. rer. Austr. II, Bd. 41, 2: Franz Kerscasaum. **Briefe Kaiser Leopold I. an den Grafen Pötting, 1662—1668, I, Font. rer. Austr. II, Bd. 56: Ferıx Körrer, Wiener rechtsw. Seminar. **Briefe u. Akten z. österr.-deutsch. Geschichte im Zeitalter Friedrichs III., Font. rer. Austr. II, Bd. 44: Franz Kanra. Buchau, Stadtrechtsquellen, nach Lünig, Reichsarchiv 13, 300 ff.: Prof. Greiner, Ehingen. Buchhorn, Stadtrechtsquellen, nach Lünig, Reichsarchiv 13, 307 ff.: Prof. Greiner. Buchloe, Priv. v. 1354, nach Gengler, Cod. iur. munic. 434: SCHRÖDER u. W. Morıerr. Büren, Priv. d. 13.u. 14. Jhs., ebenda 440 fl.: Schröper u. W. MorıeLr. Burg auf Fehmarn, Priv. v. 1490, ebenda 447: Scuröper u. W. Morıerr. Celle, Marktprivileg 1353, ebenda 481f.: Schröder und W. Morızrr. Chemnitz, Statuten v. 1607, bei Schott, Sammlung 2, ı41 ff.: Dr. Deszn, Heidelberg. Chronica ducum de Brunswick v. 1282, her. von Weiland, Mon. Germ., Ser. vern. lingua usi 2, 574—585: Dr. Leor. Perers. Chronik und Chronicon S. Simonis et Judae Goslariense, her. von Weiland, ebenda 2, 586—604, 604—608: Dr. Leor. PEreLs. **Oodex Austriacus, Bd. I-V: Ferıx Körzer, Franz Leirer, EBERB. von KünssBErc. **Codex dipl. Austriaco -Frisingensis, I—III, Fond. rer. Austr. II, Bd. 31, 35, 36: Frz. Kanrta. Codex dipl. Saxoniae regiae II, 13 (Freiberg): Dr. G. Lrunerr, Giessen. **Godex Teplensis, her. von Klimesch, 1885: Epw. ZerLweker, Wien. Deutschenspiegel, her. von Ficker, 1859: Scuröver, W. Morıerr und Referendar W. Ernst in Berlin. Deventer, Rechten en gewoonten der stad Deventer, Deventer 1644: Dr. Terrıng, Haag. *Diessenhofer Stadtrecht, bei Schauberg, Zeitschrift II: Rechtskandidat W. Harrer, Seminar Gmür, Bern. **Dietmar der Sezzer, v. d. Hagen, Minnesinger II, S.174: Erw. Krem, germ. Seminar, Wien. **Dietrichs Flucht, her. von E. Martin, Deutsches Heldenbuch II, 1866: Heısrıch Frısa, germ. Seminar, Wien. Dinkelsbühl, Privilegien, nach Lünig, Reichsarchiv 13, 456 —498 und Deduktion von Busch, -Vertheidigte Territorial- u. Jurisdietions-Gerechtsame der Reichsstadt Dinkelsbühl, 1755: Rechtskandidat Freıschmann, München. Jahresberichte der Stiftungen und Institute. 149 Dinkelsbühl, Statuten des 14. Jhs., nach Gengler, Cod. iur. munie, 787 f.: Freisen- MANN, München. **Diplomatarium Portusnaonense, Font. rer. Austr. II, Bd. 24: Franz Kerscugaumn. Dortmund, Statuten u. Urteile, her. von F. Frexsporrr, 1882 (Hans. Gesch.-Qu. II): Referendar Ernst Rugen, Berlin. Driburg, Privileg v. 1345, in Wigand’s Archiv 2, 361 ff.: Dr. Börcer, Papenburg. Eberhards Reimehronik von Gandersheim, her. von Weiland, Mon. Germ., Ser. vern. lingua usi Il, S. 385—429: Dr. Leor. Perers. **Egerer Fronleichnamspiel, her. von Milchsack, Bibl. d. Lit. Ver. in Stuttgart, Bd. 156, Tübingen 1881: KaArı Kreıser, germ. Seminar, Wien. **Emser Chronik, Beschreibung des Landes Vorarlberg, genannt Emser Chronik, von Schnell, Hohenems 1616: Paur Pırker, germ. Seminar, Wien. **Erlauer Spiele (14. Jh.), her. von K. Kummer, Wien 1882: Eopw. Zerıweker. Erzählung vom Tode König Erich Plogpennings, her. von Weiland, Mon. Germ., Ser. vern. lingua usi 2, 632 f.: Dr. Leor. Prreıs. **Exekutionsordnungen Ferdinands III. und Leopolds I. v. 1655 u. 1671, Cod. Austr. I: Frz. Leırer. Frankenhausen, Stadtrecht v. 1534, bei Michelsen, Rechtsdenkmale aus Thüringen 466—500: Dr. van Vreuten, München. Frankenthaler Monatsschrift (des Fr. Altertumsvereins) VIII, 1900: Dr. Weıss, Eberbach a.N. **Frauenlob, Sprüche, her. von Ettmüller, Bibl. d. ges. deutsch. Nationalliteratur, XVI, 1843: Dr. Hans Sıesrer, Seminar Heinzel. Fürstenbergisches Urkundenbuch, her. v. d. fürstlichen Hauptarchiv zu Donau- eschingen, Bd. IV—VII (vollendet): Dr. Horr, Freiburg i. Br. **Gasteiner Bergordnung v. 1342, bei v. Schwind u. Dobsch, Urk. a. d. Verf.-Ge- schichte S. ı81, Nr. 97: Franz Leırer. **Gegenreformation in der Stadt Bruck a. d. L., nach Aufzeichnungen des Stadt- schreibers Georg Khirmaier, entworfen von Laurenz Pröll, Wien 1897: Arrr, PeıtzkEr, germ. Seminar, Wien. Geldersen, Das Handlungsbuch Vickos von G., bearb. von Nirrnheim, her. vom Verein f. hamburg. Geschichte, 1895: Dr. G. Wanr. **Hr. Geltar, v. d. Hagen, Minnesinger I, S.173: Erwın Kreın. **Geschichtsbücher der Wiedertäufer in Österreich- Ungarn 1526— 1785, Font. rer. Austr. II, Bd. 43: Ferıx Körter, Wiener rechtsw. Seminar. **Gesetz u. Ordnung der adelichen landschaftsschuel in Österreich o. d. E., Beiträge zur österr. Erziehungs- u. Schulgeschichte, 3. Heft, 1901: R. Treıchter, Seminar Minor. **Goldenkron, Urkundenbuch des Cisterzienserstifts G. in Böhmen, Font. rer. Austr. II, Bd. 37: Franz KerscuzAun. Görlitzer Stadtbuch v. 1305 (1325), Jecht im Görlitzer Gymnasialprogramm ı189r: Dr. GEorG STOBBE. Goslarer Urkundenbuch, Geschichtsquellen der Provinz Sachsen, Bd. 29—31: Dr. VAN VLEUTEN. Göttinger Stadtrecht, 14. u. 15. Jh., aus Pufendorf, Observationes III, app. Nr. 3: Dr. von Mörrer, Berlin. **Göttweig, Urkunden u. Regesten z.G. des Benediktinerstifts G., Font. rer. Austr. II, Bd. 51. 52. 55: Franz Kanra. **Greneck, Theatrum iurisdietionis Austriacae, Wien 1752: Franz KerscngAaum. Grimm, Weistümer I (vollendet): Dr. H. Hrerwasen, Nürnberg. Gubener Statuten v. 1604: Schott, Sammlung 2, 123 ff.: Dr. Degen, Heidelberg. **Gundachar von Judenburg, Christi Hort, Pfeiffer, Altdeutsches Lesebuch, 1866, Nr. 8: Karı KreısLer, Wien. Gützkower Bauersprache v. 1686: Schott, Sammlung 2, 191 ff.: Dr. Degen. **Hafner, Gesammelte Schriften, Wien 1812: Rıcnarp RosEnBErG. Hagen, Landrecht des Amtes H. (1581), Pufendorf, Observ. III, app. Nr. ı: Dr. vox Mörrer, Berlin. Halberstadt, Urk.-Buch des Hochstifts H. IV, 1889: Scuröper u. MorıeLr. Halberstadt-Osterwiecker Rechtsmitteilung, J. Grote Frh. zu Schauen, Das (Osterwiecker) Stadtbuch v. 1353, Osterwieck 1850: Schröper u. Dr. Want. 150 Öffentliche Sitzung vom 26. Januar 1905. Hall (Schwäbisch-), Stadtrechtsquellen, Lünig, Reichsarchiv 13, 900 ff.: Prof. Greiner. Hanserezesse, Rezesse u. Akten der Hansetage von 1256— 1430, I—VIII: Amts- richter Dr. Bopen, Hamburg. Hartmann von Aue, her. von Fedor Bech, Deutsche Klassiker des Mittelalters IV bis VI, 1888— 1893: Stud. phil. Scuorr aus Frankfurt a. M. **Hartmann von Starkenberk, v. d. Hagen, Minnesinger JI, S.73: Erw. Kreın. **Heiligenkreuz, Urk.-B. des Cisterz.-Stifts H., Font, rer. Austr. II, Bd. ır und 16 Franz Kanrta. Heinrich der Glichezare, Reinhart Fuchs, her. von K. Reissenberger, Halle 1886: Warrurr KorzEsgers, Charlottenburg. **Heinrich von Müglin, Fabeln und Minnelieder, her. von W. Müller, Göttingen 1848: Kar KreısLer, Wien. **Heinrich der Teichner, Gedichte, Karajan, Denkschr. d. Wiener Ak. d.W.VI, 1855, S.85 if. Lassberg, Liedersaal I-III, 1820—ı825. Schottky, Jahrbücher der Lite- ratur I, Wien 1818, Anzeigeblatt S. 26 ff.: Emır Keeıster. Helgoländer Gerichtsprotokolle v. 1648 — 1669, Handschrift beim Amtsgericht Helgo- land: Dr. v. Mörrer, Berlin. Herford, Rechtsbuch der Stadt H., Wigands Archiv I, S.7 fl.: Dr. Börscer, Papen- burg. **Herr von Wildonie, Poetische Erzählungen, her. von Kunmer, Wien 1880: Heıskıca Frısa, Seminar Heinzel, Wien. **Herzog Ernst, her. von v. d. Hagen und Büsching, Deutsche Gedichte des Mittel- alters I, Berlin 1808: Run. TreıcnLer, Wiener germ. Seminar. **Herzogenburg, Urkunden des Chor. Herrenstifts H., her. von Faigl, Wien 1886: Fr. Kanra. **Hofkammerinstruktion Maximilians II. v. 1568, Handschrift im Reichsfinanzarchiv zu Wien: Frz. LEırer. **Hohenfurt, Urkundenbuch des Stiftes H., Font. rer. Austr. IL, Bd. 23: Fr. Kanra. Holsteinische Reimehronik, her. von Weiland, Mon. Germ., Ser. vern. lingua usi II, S.609—631: Dr. Leor. Prrers. Homeyer, Extravaganten des Sachsenspiegels (Abh. d. Berl. Ak. d. W. 1861, S. 223 ff.): Wiırry Ernst, Berlin. Homeyer, Prolog zur Glosse des sächs. Landrechts (Abh. d. Berl. Ak. d. W. 1854): Wırry Ernst, Berlin, Höniger, Judenschreinsbuch zu Köln, Quellen z. G. der Juden in Deutschland, I. 1888: Prof. Lıesesang, Wiesbaden. **Hugo von Montfort, bei Wackernell, Ältere Tirolische Dichter, II. 1881: PAuL Pırker, Wiener germ. Seminar. **Hüttner, Tacitae Hypothecae. Sammlung Chorinsky. E. Sranovıch, Wien. **Instructio domino ludimoderatori Villacensis gymnasii observanda: Beiträge zur österr. Erziehungs- und Schulgeschichte, 2. Heft, 1899: R. TreıchLer, Seminar Minor, Wien. **Joachimsthaler Bergordnung von 1548: Corpus iuris metalliei et systema rerum metallicarum, Frankfurt a. M. 1698: F. Leırer. Kaiserchronik, her. von Edw. Schröder, Mon. Germ., Ser. vern. lingua usi, 1. ı. 1892: Dr. Leor. PEreıs. Kalauer Privileg von 1397: Gengler, Cod. iur. munie. 458: Schröber und Morierr. **Kanzleibuch K. Friedrichs IV. von 1478, Archiv f. k. österr. Gesch. Qu. III: Run. Listxer. Kasseler Stadtrechtsquellen: Gengler, Cod. iur. munic. 472 ff.: Schröper und Morıerr. Kleines Kaiserrecht, her. von Endemann, Kassel 1846: Dr. Leor. Perers. **Klosterneuburg, Urk.-Buch des Stiftes K.,I. II., Font. rer. Austr. II, Bd. 10 und Bd. 28: Franz KerscnsAumn. Kolditzer Statuten von 1619: Schott, Sammlung 2, 237ff.: Dr. Degen, Heidelberg. Königebuch: Buch der Könige, her. von Massmann in: Rechtsdenkmäler des deut- schen Mittelalters, her. von v. Daniels, III. Bd., Berlin 1860: Scuröper und Want. Königseer Stadtr. 1559: Michelsen, Rechtsd. 279ff.: Dr. van VLEUTEN. **Ronrad v. Haslau, Der Jüngling, Z. D. A. 8, 55ofl.: Karı Kreıster. **Kremsmünster, Das älteste Urbarium von K., her. von L. Achleuthner, Wien 1877: Franz Kanra. I} u TE EEE NE Jahresberichte der Stiftungen und Institute. ko **"Kremsmünster, Urk.-B. f. d.G. der Benediktinerabtei K., bearb. von Th. Hagn, Wien 1877: Franz Kanra. **Kudrun, her. von Martin, 2. Aufl.: Oskar Schramek (Wiener germ. Seminar). **Landfrieden: Bayer.-Österreichische, von 1244 — 1256. Arch. f. K. öst. Geseh. Qu. I: Franz Kanta. Landshut, Stadtr.: Rosenthal, Beiträge z. deutsch. Stadtrechtsgesch. 1, 185 ff.: Stud. Freischmann, München, **Landtafel oder Landesordnung des Erzherzogt. Österreich u. d. Enns, 1573, Buch I und IV, Sammlung Chorinsky: E. v. Cmavanse und Fer. Körzer. (Buch II und II schon 1903 ausgezogen.) Lauenburg, Stadtr. von 1599: Pufendorf, Observ. III, app. Nr. 5: Dr. v. Mörrer. Layenspiegel (Ulr. Tenngler), Augsburg 1509: Dr. Scurzr, Steglitz. **Lazius, Beschreibung Ungarns, 1606; und Beschreibung Wiens, 1619: Wırn. Errer. **Leopold I. Privatbriefe an den Grafen Pötting, Font. rer. Austr. II, Bd. 56: Amanıe SOoBEL. Leutenberg, Stadtv., ı5. Jh. und von 1506, Michelsen, Rechtsd. 425fl., 456: Dr. van VLEUTEn. Leutkirch, Stadtrechtsquellen, Lünig, R. A. 13, 1286 ff.: Prof. Greiner. *Der Litschauer, von der Hagen, Minnesinger Il. Nr. 139, III. Nr. ı5: Erwın Kreın. Lübecker Ober-Stadtbuch. her. von Rehme, 1895: Prof. Reune. Lübeck, U.B der Stadt L., L—IIl.: Dr. Rusen. Lüneburg, Niedergerichtsordnung (1562— 1577) Pufendorf, Observ. III., app. Nr. 6, 346—397: Dr. von Mörrer. Lüneburg, Stadtb. und Verfestungsregister, her. von Reinecke (Qu. u. Darst. z. G. Niedersachsens, VIII, 1903): Dr. Scnorrzrius, Braunschweig. Lüneburg, Zunfturkunden, her. von Bodemann (Qu. u. Darst. z. G. Niedersachsens I): Dr. Benre, Berlin. **Lüther, Belagerung und Entsatz Wiens, 1683: F. Fıscnr. **Lutwin, Adam und Eva, Bibl. d. lit. Ver. in Stuttgart, Bd. ı53, Tübingen 188r: Dr. Lupwıs Korn (Seminar Heinzel). **Materialien zur Gesetzgebung d. 18. Jh. in Österreich, I—-VI, Sammlung Chorinsky : Ferıx Körrer, Jon. Schiert, Kart FeLomann, Run. Mürter, Run. Listner, ScHoTTLÄnDer - Landau. **Joh. Mathesius Werke, Bibl. deutscher Schriftsteller aus Böhmen, IV. 1896, VI. 1897, IX. 1898: Emır KreisLer (Seminar Minor, Wien). *Mattsee, Quellen zur Geschichte von M., Font. rer. Austr. II., Bd. 49: Ferıx Körrer. **Maximilianische Bergordnung von 1517, bei Wagner, Corp. iur. metalliei, 1791: Franz Leirer, Wien. Monumenta Germaniae, Auctores antiquissimi I—-XIII: Dr. Leor. Prrers. Monumenta Germaniae, Diplomata regum et imperatorum Germaniae, Bde, m. Rechtskandidat W. Morıerr, Heidelberg, Bd. III. Dr. Ernst Pereıs, Berlin. Monumenta Wittelsbacensia I. II. (Quellen z. bayer. u. deutsch. Geschichte V. VI. 1857— 1861): Dr. van VLEUTEN. **Moscherosch, Insomnis cura parentum, her. von L. Pariser, Halle 1893 (Neudrucke Bd. 108. 109): Emır Keeıster. *Mutach, Substanzlicher Unterricht, 1709 (jetzt vollendet): Rechtskandidat Hass Könıg, Seminar Gmür, Bern. **Neidhart von Reuenthal, her. von M. Haupt, 1858. Einiges nach v. d. Hagen, Minnesinger III, Rıcnarn Fınneıs, germ. Seminar, Wien. **Neustift, Urkundenbuch des Stifts N. in Tirol, Font. rer. Austr. II, Bd. 34: Fraxz Kanta. Niederrad, Das Dorfrecht von N., mitgetheilt von Euler, Arch. f. Frankfurter Ge- schichte u. Kunst, 1854, Dr. Desen, Heidelberg. *Olmützer Gerichtsordnung von 1550, her. von Fischel, 1903: Leor. Novoran. **(sterreichische Reimchronik, Mon. Germ., Ser. vern. lingua usi (Rest): Dr. DoueLier, Wien. **()sterreichische Weisthümer II. ı (Unterinnthal) 1875: Rechtspraktikant Kon. STERNER, München. **Qswald von Wolkenstein, Geistl. u. weltl. Lieder, bearb. von J. Schatz, Wien 1902: PAuı Pırker, Seminar Heinzel, Wien. 152 Öffentliche Sitzung vom 26. Januar 1905. **Palacky, Urkundl. Beiträge z. Geschichte Böhmens im Zeitalter Georgs von Podiebrad, Font. rer. Austr. II.. Bd. 20: Ferıx KöLter. **Passionsspiele, Altdeutsche, aus Tirol, her. von Wackernell, Graz 1897 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Österreichs, I.): Paur Pırk£r, Wiener germ. Seminar. Placaetboek, Groot, van de Statengeneral der Vereenighde Nederlanden, I. S.1ı—64: Mr. Roruın- CouquErquE, Haag. **Protokolle zur österreichischen Landesordnung, von Franz Reck, 1669, Sammlung Chorinsky: Franz Kanrta. **Prugger, Beschreibung der Stadt Feldkirch, Feldkirch 1685 (Prugger Chronik): Paur Pırker. **Quellen zur Geschichte der Böhmischen Brüder (1547—1577), Font. rer. Austr. II., Bd. 19: Ferıx Körrer. Querfurter Statuten von 1662, Schott, Sammlung 2, 149ff.: Dr. Degen, Heidelberg. Rain (in Bayern) Privilegien der Stadt v. 1323 und 1332, Gengler, Deutsche Stadt- rechte des Mittelalters 364 ff.: Schröpder und W. Morıerr. Reichstagsakten, Deutsche. Ältere Reihe JI. (vollendet): Dr. Freiherr von Schwerin, München, III. Dr. Sorr, Karlsruhe. *Reimchronik des Appenzellerkrieges, her. von J. von Arx, St. Gallen 1830: Prof. S. Sınger, Bern. *Reinfried von Braunschweig, her. von Bartsch, Bibl. d. litt. Ver. in Stuttgart, Bd. 109, Tübingen 1871: Prof. S. Sınger. **Reinmar von Zweter, her. von Roethe, 1887: Ipa Sensr, Seminar Heinzel, Wien. Rigaer Aktenstücke und Urkunden (1710—1740), her. durch A. von Bulmerineg, 2 Bde., Riga 1903: ScHrRÖDER und W. Morıert. **Rösch von Geroldshausen, Wunschspruch und Tyroler Landreim, Innsbr. 1898: Jos. MITTELBERGER. Rotes Buch von Weimar, her. von O. Franke, Thür.-Säclhs. Geschichtsbibliothek II., 1891: SchröpEer und W. Monrıerr. Rother, König, her. von Rückert, 1872, WALTHER KorzEngers, Charlottenburg. Rudolstadt, Stadtrechtsquellen, Michelsen, Rechtsdenkmale 207 ff.: Dr. van VLEUTEN, München. Rügenwalder Stadtrechtsquellen (17. Jh.), Schott, Sammlung 2, 71 fl.: Dr. Dkekn, Heidelberg. Sächsisch Lehnrecht, Varianten, nach Homeyer, Des Sachsenspiegels II. Theil, Bd. ı: Referendar W. Ernst, Berlin. Sächsische Weltchronik, her. von Weiland, Mon. Germ., Ser. lingua vern. usi I, S. ı—384: Dr. Leor. PEreıs. **Salzburger Urkundenbuch, bearb. von Hauthaler, her. v. d. Gesellschaft für Landes- kunde, Salzburg 1898—1900: Pater GesH. ScHEIBER, O.S.B., Salzburg. **Sankt Bernhard, Stiftungsbuch des Klosters, Font. rer. Austr. II., Bd. 6: Franz Kanra. **Sankt Paul, Urk.-B. des Benediktinerstifts St. P., Font. rer. Austr. II., Bd. 39: F. KerscueAum. **Sankt Pauler Predigten, her. von A. Jeitteles, Innsbr. 1878: Heınkıca Frısa, germ. Seminar, Wien. *Schauberg, Zeitschr. f. noch ungedruckte schweizer. Rechtsquellen, II (Thurgauische Rechtsquellen): W. Harrer. **Scheyb, Theresiade, 1746: Leo Horsung, gerin. Seminar, Wien. **Schemnitzer Bergrecht (um 1400), Wagner, Corp. iur. metalliei, Leipzig 1791: Franz Leirer, Wien. Schoop, Verfassungsgeschichte der Stadt Trier, Westd. Zeitschr. Erg.-Heft I, 1884: Dr. Weiss, Eberbach a.N. **Schottenabtei zu Wien, Urkundenbuch, Font. rer. Austr. II., Bd. ı8: Fr. Kanra, Wien. *Schwabenkrieg, her. von H. von Diessbach, Zürich 1849: Prof. Sınser, Bern. *Schweizerisches Archiv für Volkskunde, Vierteljahrsschrift, her. von Hoffmann- Krager, I—VI: Prof. Sınser. Seibertz, Westfälisches Urk.-Buch III, 1839— 1854: Prof. Lıesesang, Wiesbaden. Seideuberger Statuten von 1698, Schott, Sammlung 2, 171ff.: Dr. Desen, Heidelberg. Mn —— Jahresberichte der Stiftungen und Institute. 153 *"Seitenstetten, Urkundenbuch des Benediktinerstifts S., Font. rer. Austr. II., Bd. 33: Ferıx Körzer, Wien. Siegener Urk.-Buch, her. von F. Philippi, I. 1887: Prof. Lieszcaxe. **Meister Sigeher, v.d. Hagen, Minnesinger II, S. 360: Erwıy Kreiv. Silvester, Trierer, her. von K. Kraus, Mon. Germ., Ser. lingua vern. usi I. 2, 1895: Dr. Leor. Pereıs. **Speeulum vitae humanae, ein Drama von Erzherzog Ferdinand II. von Tirol v. J. 1584, her. von J. Minor, Halle 1889: Rıcnarn Rosensers, Seminar Minor, Wien. **von Stadegge, v.d. Hagen, Minnesinger II, S.74: Erwın Kreın. **Sterzinger Spiele, nach Aufzeichnungen des Vigil Raber, her. von Zingerle, Wiener Neudrucke Bd. 9. ıı, 1884— 1886: Epwın ZELLWECKER. Stralsund, Das älteste Stadtbuch (T270— 1310), her. von F. Fabrieius, Berlin 1872: ScHrÖDER und Eeern. MEvyErR, Saarbrücken. Straubing, Stadtrecht: Rosenthal, Beiträge z. deutsch. Stadtrechtsgeschichte 2, 303 fl: Stud. Freiıscumanx, München. **Stricker, Karl der Grosse vom Str., her. von Bartsch, Bibl. d. ges. deutsch. Nationalliteratur, Bd. 35, 1857: K. H. Mezxıx, germ. Seminar, Wien. **von Suonegge, v. d. Hagen, Minnesinger I, S. 348: Erwın Kein. **Türkenbelagerung, Vier dramatische Spiele über die zweite T. 1683— 1685, Wiener Neudrucke VIII. 1884: Frıiepr. Fıscnr. Twenther Landrecht von 1521— 1529, ed. Hattink, Zwolle 1898: Dr. Terrıxs, Haag. **Ulrich von dem Türlin, Willehalm, her. von S. Singer, Prag 1893 (Bibl. d. mittelhd. Literatur in Böhmen, IV): Enmır ArrsÄver, Seminar Seemüller, Innsbruck. **Urkunden der vier vorarlbergischen Herrschaften und der Grafen von Montfort, Arch. f. K. öst. Gesch. - Qu. I.: Franz Kanra. **Urkunden z. Geschichte Böhmens (1450--1471), her. von Palacky, Font. rer. Austr. II, Bd. 20: Ferıx Körzer, rechtsw. Seminar, Wien. **Urkundenbuch des Landes ob der Enns, Bd. 6-8: OÖ. E, von Jaroscnıx, Franz Kanrta, Franz Kerscneaum, Wien. **Urkunden u. Aktenstücke zur österr. Geschichte im Zeitalter Friedrichs II. (1440— 1471), Font. rer. Austr. II, Bd. 42: Franz Kanrta. **Urkundliche Nachträge zur österr.-deutschen Geschichte im Zeitalter Friedrichs III., ebenda Bd. 46: Ferıx Körrer. Wehner, Hofgerichtsordnung von Rottweil, Frankfurt 1610 (vollendet): Prof. Greixer, Ehingen. **Weisskunig Kaiser Maximilians I., von Marx Treitzsauerwein von Ehrentreitz, her. von Alwin Schultz, JB. d. kunsthistor. Sammlungen des Kaiserhauses, VI, Wien 1888: Emır Keeıster. **Weitenfelder, Hans, Lobspruch der Weiber und Heiratsabrede zu Wien, her. von Franz Haydinger, Wien 1861: Leo Horsung, Wien. *Wenzel, König W. von Beheim, v. d. Hagen, Minnesinger I, S.8: Erwın Kreın. Wigand, Denkwürdige Beiträge für Geschichte und Rechtsaltertümer, Leipzig 1858, S. 1185: ScHRÖDER und Stud. jur. Eser#. Meyer, Saarbrücken. Wutke, Schlesiens Bergbau und Hüttenwesen, Urkunden. Cod. dipl. Silesiae, Bd. 20. 21: Dr. Mörter, Berlin. r **Zeiringer Bergordnung von 1346, J. Sperges, Tirol. Bergwerksgeschichte, Wien 1765, S. 281: Franz Leırer. Akademische Jubiläums -Stiftung der Stadt Berlin. Bericht des Vorsitzenden des Curatoriums Hrn. WALDEYER. Satzungsgemäss wurde im December dieses Jahres über die beiden eingelaufenen Vorschläge zur Verwendung des mit Ende 1904 ver- fügbar werdenden Zins-Erträgnisses des vertlossenen I. Quadrienniums, im Betrage von rund 14000 Mark, verhandelt. Beide Vorschläge wurden Sitzungsberichte 1905. 13 154 Öffentliche Sitzung vom 26. Januar 1905. vom Curatorium der Berücksichtigung gleich werth gefunden. Über das zur Unterstützung zunächst ausgewählte Unternehmen — den Aus- schlag gab, dass für dieses eine Beschleunigung wünschenswerth er- schien — schweben zur Zeit noch Verhandlungen. Sollten diese zu keinem für die Stiftung annehmbaren Ergebnisse führen, so würde das zweite Project zur Annahme kommen. Darüber kann erst in der nächsten Januar-Festsitzung berichtet werden. Die Jahresberichte über die Monumenta Germaniae historica und über das Kaiserliche Archaeologische Institut werden in den Sitzungs- berichten veröffentlicht werden, nachdem von den leitenden Central- direetionen die Jahressitzungen abgehalten sind. Sodann verkündete der Vorsitzende, dass die goldene HELMHoLTz- Medaille an Hrn. S. Ramön v Casar, Professor der Histologie an der Universität Madrid verliehen worden sei. Schliesslich berichtete der Vorsitzende über die seit dem FRrıED- rıchs-Tage 1904 (28. Januar) bis heute unter den Mitgliedern) der Akademie eingetretenen Personalveränderungen: Die Akademie verlor durch den Tod das auswärtige Mitglied der philosophisch-historischen Classe Orro von BöHtLinsk am I. April 1904: die correspondirenden Mitglieder der physikalisch-mathematischen Classe Wirsern Hıs in Leipzig am ı. Mai 1904, ALEXANDER WırLıam Wırzıauson in High Pitfold, Haslemere am 6. Mai 1904, ÜULENEnsS WINKLER in Dresden am 8. October 1904, Ernst AsgE in Jena am 14. Januar 1905: die correspondirenden Mitglieder der philosophisch -historischen Qlasse ALEXANDER STUART Murray in London am 5. März 1904, CHRISTOPH von SıswartT in Tübingen am 5. August 1904. Br ” Herstmorrz-Medaille. — Personalveränderungen. 155 Neu gewählt wurden {o} zu ordentlichen Mitgliedern der physikalisch-mathematischen Olasse Rogßerr Koch, HERMANN STRUVE, HERMANN ZIMMERMANN, ADoLF MarTEns; zum ordentlichen Mitglied der philosophisch -historischen Classe Auoıs BRASDL; zu auswärtigen Mitgliedern der physikalisch-mathematischen Ulasse die bisherigen ceorrespondirenden Mitglieder Sir Josers Darron Hooker in Sunningdale, GIOVANNI VIRGINIO SCHIAPARELLI in Mailand; zu correspondirenden Mitgliedern der physikalisch -mathematischen Classe Hxnrı BECQUEREL in Paris, Apour von Korxen in Göttingen, Hexer Moıssan in Paris. Wirnerm Ostwarn in Leipzig: zu correspondirenden Mitgliedern der philosophisch -historischen Classe ArnoLD Luscnin VON EBENGREUTH in Graz, Kar THeopor von HEıGEeL in München, Envarp Horn in Kopenhagen, Friepricn Loors in Halle a. S., Rene CAcnart in Paris, Iexazıo Gumı in Rom. Ausgegeben am 2. Februar. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei ; FR Köxianicn PREUSSISCHEN. men 1905. 2: g e% IF .< b OAmUISSIoN BEI ‚GEORG REIMER. Rn “ “er i& ” x ED er DR Nr © a np: RE L N Auszug aus dem Reglement für die Redaction der »Sitzungsberichte«. $1. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, «ie über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. 8.2. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftliehen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberiehten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welehe in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. $5. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Seeretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte, Derselbe Seeretar führt die Oberaufsieht über die Redac- ion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- enden wissenschaftlichen Arbeiten. 86. 1. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $41,2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung dar!‘ 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nieht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- ‚demie oder der betreffenden Classe statthalt. j 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschnitten sollen Abbildungen anf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. Uo 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittlieilung diese anderweit früher zu ver- un öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe. $ 85 5. Auswärts werden Correeturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten ‚damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. . Sl: oe I 1. Der Verfasser einer ke den »Wissenschaftlichen Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unen| geltlich fünfzig Sanderahdräcke mit einem Umschlag, auf we Icheın der Kopf der Sitzungsberichte mit Tahremahll Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, Jarunter der Titel der Mittheilung And der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- | berichte und einem angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es (rei, auf Kosten der Akademie weitere gleiebe Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver- theilung EBziefen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigrenden Secretar angezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung z zu erhalten, so bedarf‘ es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — - Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Seeretar weitere 200 Exem- plare an ihre Kosten abziehen lassen 28. Ec 1. Jede. zur Aufnahme in die Sitzungsberichte be stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie "alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelun; eines ihrem Faehe angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder. eorre- spondirender Mitglieder direet bei der Akademie odı einer der Classen eingehen, so hat sie der. vorsitzende Secretar selber oder durch ein anderes Nitglied. zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren \ Verfasser: der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst g geeignet . scheinenden Mitgliede zu überweisen. [Aus Stat. $4l,2 2. — Für die Aufnahme bedarf es einer ausdrücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Classen. Ein darauf geriehteter Antrag kann, sobald das Manuseript druckfertig vorliegt, gestellt und sogleich zur Abstimmung gebracht werden.] $ 29, . « 3 WEN 1. Der revidirende Seeretar ist für den. Inhalt des geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch nicht, für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für diese wi für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte sind nach jeder Richtung nur die Verfasser verant- wortlich. } & £ .r b Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte« an diejenigen Stellen, mit denen sie im Seren wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich? die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, N, ” ” ” Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, » October bis December zu Anfang des ı nächsten ki: nach Pertgstlng des gie, 157 SITZUNGSBERICHTE 1905. DER V. KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 2. Februar. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. l. Hr. Mösıus las über die ästhetischen Eigenschaften der Insekten. An Insekten verschiedener Ordnungen wurde gezeigt, dass der ästhetische Ein- druck, den sie machen, abhängt von der verhältnissmässigen Grösse der Körpertheile, sowie auch von deren Form und Färbung. Grell hellbunte Inseeten ziehen den Blick stärker an, als ein- oder zweifarbige, erschweren aber die Erfassung der ästhetischen Einheit des ganzen Insektes, weil sie den Blick von einer Farbe zur andern führen. Je mehr die farbigen Zeichnungen mit der Form des Körpers harmoniren, desto mehr gefallen sie. Längsstreifen sind schöner als Querstreifen und zerstreute Flecke. Dunkle Randsäume sind schöner als helle. Diese ziehen den Blick von der Mitte des Ganzen ab. Schmetterlingsflügel mit einer dunklen Randfarbe, die nach der Mitte des Körpers allmählich heller wird, führt sehr angenehm zur Erfassung der ästhetischen Einheit des Ganzen. 2. Hr. KorsiesBereEr, correspondirendes Mitglied der physikalisch- mathematischen Olasse, übersendet eine Mittheilung: Über die aus der Variation der mehrfachen Integrale entspringenden par- tiellen Differentialgleichungen der allgemeinen Mechanik. (Ersch. später.) Es werden die explieiten Bedingungen für die Existenz eines kinetischen Po- tentials höherer Ordnung mit beliebig vielen abhängigen und unabhängigen Variabeln in einfacherer Form als früher entwickelt, und mit Hülfe der so gewonnenen Resultate die Frage erörtert, welche der bekannten partiellen Differentialgleichungen der mathe- matischen Physik dem auf beliebig viele unabhängige Variable erweiterten Hanırron- schen Prineip ihre Entstehung verdanken, welche also im Sinne der erweiterten Principien der Mechanik eine mechanische Deutung zulassen. Zu gleicher Zeit wird auf Grund der letzten Veröffentlichungen des Verfassers das Energieprineip für diese Fälle behandelt. 3. Hr. Ostwarp, correspondirendes Mitglied der physikalisch- mathematischen Classe, liess vorlegen: Ikonoskopische Studien. Durch mikroskopische Untersuchung und färberische Reaction wird die Mal- technik von Ölgemälden zu ermitteln versucht. 4. Hr. F. E. Schuzze legte eine Abhandlung des Hrn. Dr. med. Sitzungsberichte 1905. 14 158 Gesammtsitzung vom 2. Februar 1905. Jonn Sırser vor: Untersuchungen über die Ätiologie der Sy- philis. (Abh.) Verf. fand im Blut, in den Primäraffekten und den breiten Condylomen syphi- litisch erkrankter Menschen ein Protozoon, welches der Gattung Cytorhyctes angehört. Dasselbe Protozoon liess sich auch nachweisen in dem Blute und der erkrankten Haut geimpfter Affen sowie in dem Blut und der typisch erkrankten Iris geimpfter Kaninchen. Charakteristisch für die bei Lues gefundene Cytorhyctesart ist im Gegensatz zu den im Epithel sporulirenden Cytorhyetiden der acuten Exantheme die Localisation der sporulirenden Formen dieser Parasiten in dem Bindegewebe und den Gefässwandungen, speciell dem Gefässendothel der besonders affieirten Partien. 5. Hr. Kontrausch legte eine Experimentalarbeit der HH.L. HoLgorn und L. Ausrıv in Charlottenburg vor: Über die speeifische Wärme der Gase in höherer Temperatur. Die Bestimmungen reichen bei Sauerstoff bis 630, bei Luft, Stickstoff und Kohlensäure bis 800°. 6. Folgende Druckschriften wurden eingereicht: Corpus inserip- tionum latinarum. Vol.XII. Pars II. Fasc. I. Inseriptiones Germaniae superioris ed. C. ZANGEMEISTER. Berolini 1905; Acta Borussica. Denk- mäler der Preussischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert. Behör- denorganisation und allgemeine Staatsverwaltung. Bd.7. 1746 —1748. Bearb. von G. ScHmoLter und O. Hıntze. Berlin 1904 und Ergänzungs- band: Briefe König Friedrich Wilhelms I. an den Fürsten Leopold zu Anhalt-Dessau. Bearb. von O. Krauske. Berlin 1905. Kanr'’s ge- sammelte Schriften. Bd. 2 = Abth. 1: Werke. Bd.2. Berlin 1905: Monu- menta Germaniae historica. Auetores antiquissimi. Tom. XIV. Berolini 1905; M. Prasck, Vorlesungen über Thermodynamik. 2. Aufl. Leip- zig 1905. 7. Die Akademie hat durch die physikalisch -mathematische Classe Hrn. Prof. Dr. Lupwıs Prare in Berlin zur Ausführung von zoologischen Untersuchungen auf den Bahama-Inseln 3000 Mark bewilligt. Die Akademie hat in der Sitzung am 12. Januar den Professor an der Sorbonne Henrı Moıssan, Mitglied des Instituts, in Paris und den Professor an der Universität Leipzig, Mitglied der Königlich Sächsi- schen Gesellschaft der Wissenschaften, Geheimen Hofrath Dr. Wırneım Östwarp zu correspondirenden Mitgliedern der physikalisch -mathe- matischen Classe gewählt. Die Akademie hat das correspondirende Mitglied der physikalisch- mathematischen Olasse Hrn. Ernst Age in Jena am 14. Januar durch den Tod verloren. F 159 Die Formen und Farben der Insekten ästhetisch betrachtet. Von K. Mögws. ine Tierklasse umfaßt so viel verschiedene Formen wie die Insekten; man kennt über 280000 Arten.' Sie sind dem Aufenthalte in der Luft, im Wasser, im Erdboden, in abgestorbenen und in lebenden Pflanzen und Tieren aller Erdgebiete angepaßt. An Mannigfaltigkeit der Formen, Farben und Bewegungsweisen übertreffen sie alle andern Tierklassen. Sie laufen, springen, klettern, fliegen, schwimmen, graben, bohren, stechen. Sie treten auf in allen Farben, welche die Natur sonst noch an anderen Körpern hervorbringt. Der ästhetische Eindruck, den Tiere auf uns machen, hängt nicht bloß ab von ihrer Gestalt, Farbe und Bewegungsweise, sondern auch von ihrer Größe. Nach Erfahrungen, die wir von Kindheit auf an uns selbst, an andern Menschen, an großen und kleinen Tieren machen, leisten große Menschen und Tiere mehr als kleine; wir legen daher auch den größeren einen höheren ästhetischen Wert bei als den kleine- ren. Bildnisse geistig hervorragender Menschen werden aus demselben Grunde von Künstlern überlebensgroß ausgeführt. Die allermeisten Insekten sind viel kleiner als die kleinsten Säuge- tiere und Vögel: nur die größten Käfer, Schmetterlinge, Schnabelkerfe und Geradflügler erreichen die Größe der kleinsten Säugetiere und Vögel. Einzelne Individuen der größten Insektenarten machen daher einen un- bedeutenderen ästhetischen Eindruck als allgemein bekannte Säugetiere und Vögel. Nur dann, wenn die Insekten in großen Scharen auftreten, ziehen sie den Blick als ästhetisch bedeutende Erscheinungen auf sich: Scharen von Honigbienen, die an warmen Sommertagen vor ihren Wohnungen durcheinanderfliegen, wolkenartige Schwärme von Heu- schrecken, Schmetterlingen, Mücken, Ameisen, Libellen, Eintagsfliegen oder Köcherfliegen; Raupen, die in langen Zügen kahlgefressene Bäume verlassen und an noch grünen wieder in die Höhe kriechen. ! Das Zoologische Museum in Berlin enthält ungefähr 1200000 Insekten, die über 140000 Arten angehören. Diese in rund 9000 Kasten zusammengestellten Insekten lieferten das Vergleichungsmaterial für die hier vorgetragenen Betrachtungen. 14* 160 Gesammtsitzung vom 2. Februar 1905. Der ästhetische Eindruck, den ein ruhendes Tier auf uns macht, entspringt aus seiner Form und Farbe. Wirken die Formteile und deren Farben so zusammen, daß wir in dem angeschauten Individuum ein harmonisches Ganze erkennen, so sind wir ästhetisch befriedigt, das Individuum gefällt uns, wir finden es schön.' Der Körper der Insekten ist aus drei Abschnitten zusammengesetzt: aus dem Kopf, der Brust und dem Hinterleib. Die Brust besteht aus drei Ringen, an welchen unten die Beine entspringen, und über diesen bei den meisten Insekten Flügel an dem zweiten und dritten Brustringe. Bei vielen Käfern und Schnabelkerfen bilden die auf dem Hinter- leibe liegenden Flügel mit diesem eine ästhetische Einheit. Die Drei- gliederung des Körpers ist am schönsten ausgebildet bei Laufkäfern. Beispiele: Procrustes coriaceus Drs., Procerus tauricus Dres. Der Hinter- körper mit den aufliegenden Flügeln fesselt den Blick durch seine bedeutende Größe mehr, als der vor ihm liegende erste Brustring und der Kopf. In der stufenweise abnehmenden Länge und Breite der Vorderbrust und des Kopfes ist ein Gesetz verwirklicht, dessen Wahr- nehmung gefällt. Der ästhetische Wert, die Schönheit des hinteren Abschnittes wird bei manchen Laufkäfern noch gesteigert durch Längs- riefen auf den Flügeldecken, die den Blick in der Richtung der Haupt- achse des Körpers fortleiten. Sie sind eine sich harmonisch an die größte Ausdehnung des Körpers anlehnende Bereicherung des verschie- denen Inhalts der ästhetischen Einheit. Beispiele: Carabus auroniteus F., Tefflus megerlei LATr. Käfer, deren drei Körperabschnitte nicht durch Einkerbungen ab- gesondert, sondern so zusammengefügt sind, daß sie als Ganzes einen elliptischen Umriß haben, wie z. B. Dytieus eircumflexus F. und Coceinella septempunctata L., machen keinen so schönen Eindruck, weil ihre ästhe- tische Einheit einen weniger mannigfaltigen Inhalt umschließt. Auch Käfer, deren Vorderbrust und Kopf ebenso breit oder noch breiter sind wie der Hinterkörper, gefallen nicht, weil ihre Breite den Blick von dem Verfolg der Längsausdehnung des Körpers ablenkt. Beispiele: Lucanus cervus L., Eurytrachehus titan Boısn., Oyclomatus tarandus Tußs., Staphylinus hirtus L. Nicht schön sind lange schmale stabförmige Insekten, deren Körper keine den Blick vorwiegend fesselnde Masse hat. Beispiele: Bacillus rossü F., Palophus centaurus Wesrw., Leptocola lignea K., Ranatra linearis F. Der ästhetische Eindruck der Vorderbrust und des Kopfes mancher Käfer wird gesteigert durch hornartige Auswüchse, besonders bei ı „Der reine ästhetische Effekt entspringt nur aus dem Gefühl des Ganzen«, schreibt Gorrue in einem Briefe vom 23. April 1812 an ©. W. Körner. Mösıus: Die Formen und Farben der Insekten ästhetisch betrachtet. 161 Scarbaeiden. Beispiele: Dynastes hercules L., Megasoma elephas F., Chal- cosoma caucasus F. Viele Lucaniden haben sehr große Oberkiefer, welche die ästhetische Wirkung des Hinterkörpers, der Hauptmasse, dadurch beeinträchtigen, daß sie den Blick von dieser abziehen und daher die Erfassung der ästhetischen Einheit erschweren. Auch Käfer, deren Hinterleib nicht größer ist als die Vorder- brust, wie bei Hypocephalus armatus Desn. sind häßlich. Kein Teil fesselt den Blick mehr als der andere. Man kommt nicht sofort zum Erfassen einer beruhigenden Einheit, weil der Blick gleich stark nach vorn und auch nach hinten gezogen wird. Unentschiedenheit ist immer unangenehm, wo sie auch auftreten mag. Bei Wespen, Bienen und Ameisen sind Kopf, Brust und Hinter- leib durch tiefe Einkerbungen deutlich voneinander geschieden, aber der Kopf ist, ebenso breit wie die Brust. Dem Körper fehlt die stufenweise zunehmende Größe der drei Hauptabschnitte. Sie sind daher nicht so schön wie die Laufkäfer. Beine von ungefähr gleicher, mäßiger Länge, welche den Körper gut unterstützen und schnell fort- bewegen, sind schöner als auffallend lange und dünne Beine, die den Blick von der Mitte des Körpers ablenken. Beispiele: Tipula gigantea Scurk., Dacillus rossü F., Leptocola lignea K. Aus demselben Grunde gefallen auch Insekten nicht, die ein Paar sehr lange und zwei Paar kurze Beine haben. Beispiele: Zuchirus longimanus L. mit sehr langen Vorderbeinen. Pachytylus migratorius L. und Sagra buqueti Less. mit sehr langen Hinterbeinen. Die großen Flügel der Schmetterlinge, Libellen, Neuropteren, Zikaden, Fulguriden, Hymenopteren und mancher Orthopteren er- schweren die Auffassung der ästhetischen Einheit des ganzen Insekts, weil sie den Blick von dem längsgerichteten Mittelkörper, der die ästhetische Zentralmasse bildet, nach rechts und links hin abziehen. Jeder Flügel macht sich durch Form, Farbe und Geäder als besonderer Körperteil ästhetisch geltend. Durch ihre symmetrische Ausbildung einigen sich jedoch die Flügel der rechten und linken Seite mit dem Mittelkörper zu einer ästhetisch befriedigenden Einheit. Die Grundform der Schmetterlingsflügel ist ein schiefwinkeliges Dreieck mit abgerundeten Ecken. Gebogene und gekerbte Seiten der- selben gefallen mehr als gerade. Sie bieten dem Blick einen mannig- faltigeren Inhalt dar, als eine gerade Linie. Beispiele: Preris milonia Ferov., Papilio machaon L., Pieris napi L. Schwanzartige Fortsätze an den Hinterflügeln der Papilioniden und Saturniden gefallen als Be- reicherungen der Flügelgestalt und als formales Gegengewicht der Antennen. Schmale linealförmige Schwänze sind nicht so schön wie keulenförmige, die den Eindruck eines festeren Abschlusses des 162 Gesammtsitzung vom 2. Februar 1905. Wachsens machen als jene. Beispiele: Papilio podalirius L. und Papilio machaon L., Charaxes saturnus But. Auch die Riehtung der Schwänze hat Einfluß auf den Grad der Schönheit. Weit gespreizte gefallen weniger als gering gespreizte, weil sie den Blick von der ästhetischen Mitte stärker ablenken. Papilio machaon ist schöner als Papilio poda- lirius, Papilio peranthus F. schöner als Papilio liris Gopr. Einen eigentümlichen ästhetischen Eindruck machen die Flügel der zierlichen Federmotten. Sie bestehen aus schmalen federartigen Gliedern, die nach der Brust hin konvergieren und daher die Erfassung der ästhetischen Einheit angenehm fördern. Beispiele: Orneodes hexa- dactyla L., Alucita pentadactyla L. Die Antennen oder Fühlhörner der Insekten sind Zieraten des Kopfes von sehr verschiedenem ästhetischen Werte. Sehr kleine faden- förmige Fühlhörner machen nur einen unbedeutenden Eindruck. Bei- spiele: Libellula depressa L., Musca domestica L. Sehr lange fadenförmige Antennen leiten den Blick olıne Neues zeigend, daher langweilend, von der ästhetischen Hauptmasse des Körpers weit ab. Beispiele: Locusta viridissima F., Pimpla clavata F., Ephemera vulgata L., Phryganea striata L. Schöner sind deutlich gegliederte Antennen. Nimmt die Dicke der Glieder vom Grunde aus bis zur Spitze regelmäßig ab, so er- scheint ein Gesetz, das mit Wohlgefallen wahrgenommen wird. Bei- spiele: Cerambyx cerdo L., Carabus coriaceus Des., Acrocinus longimanus L. Antennen, deren Ende keulenförmig verdickt ist, gefallen, weil sie den von ihnen fortgeleiteten Blick hier durch einen auffallenden Abschluß festhalten und beruhigen. Sie machen einen ähnlichen ästhetischen Eindruck wie die Haarquaste am Schwanze des Löwen. Beispiele: Vanessa io L., Argynnis aglaja L., Ascalaphus rhomboideus SCHNEID. Kurze Antennen mit blattförmigen Endgliedern verschönern den Kopf der männlichen Maikäfer, wie die Federhauben den Kopf der Vögel. Sie machen den Eindruck kraftvoller Bildungen. Beispiele: Melolontha fullo L., Melolontha vulgaris L. Ähnlich wirken auch die kammförmigen Fühler der männlichen Spinner (Bombyeidae) und die büschelförmigen Fühler männlicher Mücken. Beispiele: Saturnia pavo- nina L., Aglia tau L., Corethra plumicornis F., Ctenophora atrata F. Die Punktaugen sind wegen ihrer geringen Größe an dem ästheti- schen Eindruck der Insekten nicht beteiligt, wohl aber große facettierte Augen, welche den Blick als gewölbte glänzende Teile des Kopfes auf sich ziehen. Beispiele: Zucanus cervus L., Eristalis tenax L., Libellula depressa L. Sie haben aber, weil sie unbeweglich sind, einen weit geringeren ästhetischen Wert als die beweglichen Augen des Menschen ww Mörıus: Die Formen und Farben der Insekten ästhetisch betrachtet. 163 und der Wirbeltiere, die durch Änderungen ihrer Blickrichtung Seelen- zustände anzeigen. Das können die Insektenaugen nicht. Bisher wurde nur der ästhetische Wert der verschiedenen Formen der Insekten betrachtet. An dem ästhetischen Eindruck, den sie auf uns machen, ist auch ihre Farbe stark beteiligt. An einfarbigen Tieren, Blumen und Kunstwerken tritt die ästhetische Wirkung der Form reiner und daher auch leichter erkennbar auf als an buntgefärbten, denn jede Farbe zieht den Blick auf sich hin, an welchen Körperteilen sie auch auftreten mag. Helle Farben fesseln ihn stärker als dunkle. Die verschiedenen Farben und Zeichnungen können auf dem Körper und dessen Anhängen so angeordnet sein, daß sie die Erfassung der ästhetischen Einheit des angeschauten In- sektes erleichtern, dessen Schönheit steigern: sie können aber auch so verteilt sein, daß sie das Erkennen der ästhetischen Einheit erschweren, die Schönheit mindern, wie ich an einer Auswahl verschiedenfarbiger Käfer, Schmetterlinge und anderer Insekten nun zeigen werde. Ein ganz einfarbiger Käfer ist nicht so schön wie ein anderer von derselben Form, dessen Körper einen andersfarbigen Randsaum hat. Man vergleiche Hydrophilus piceus L. mit Dytieus eircumflewus F. Der abweichend gefärbte Randsaum: schließt den ganzen Käfer auf- fallender von der Umgebung ab, als die nicht besonders gefärbte Grenzlinie, und erleichtert daher das Erfassen der ästhetischen Einheit der Körpergestalt. Noch andere Beispiele sind: Carabus adonis Hanmer, schwarz mit goldglänzendem Randsaum; Cyptacoris lundi F. (Schnabel- kerf), schwarz, gelbrandig. Schön sind Insekten, die nur zwei Farben haben, welche sich zu- einander verhalten wie Ergänzungsfarben oder solchen nahestehen. Die Farben machen einen harmonischen, beruhigenden Eindruck. Wäh- rend die eine Farbe als Reiz empfunden wird, hat die andere ihr Er- holungsstadium. Beispiele: Sternocera chrysis T., ein Käfer mit rotbraunen Flügeldecken, grüner Vorderbrust und grünem Kopf. Calosoma sycop- hanta L., mit grünschillernden kupferroten Flügeldecken, dunkelbraunem Halsschild und Kopf. Chrysochroa fulgidissima Scau., glänzend grün mit roten Längsstreifen. Hotinus cyanostriatus Guer., eine Leuchtzirpe (Ful- goridae), Vorderflügel braungelb, Hinterflügel am Grunde grünblau. Längsstreifen erhöhen die Schönheit des Körpers mehr als Quer- streifen, zerstreute Flecke und Punkte. Die Längsstreifen laufen der Hauptausdehnung des Körpers parallel und führen daher den Blick ebenso fort wie die Körpergestalt. Querbänder halten den Blick auf, Flecke und Punkte führen ihn hin und her, erschweren also das Erfassen der ästhetischen Einheit. Beispiele längsgestreifter Käfer: Melolontha de- cemlineata Say, grau mit weißen Längsstreifen, Callichroma suturalis F., 164 Gesammtsitzung vom 2. Februar 1905. schwarz mit grünen Längsstreifen. Julodis cailliaudi Larr., grün mit grau- weißen Längsstreifen. Chrysomela superba Or., grün mit kupferroten Längsstreifen. Proceicela vittata F., schwarz mit gelben Längsstreifen. Graphosoma nigrolineata F. (Schnabelkerf), rot mit schwarzen Längs- streifen. Beispiele quergestreifter Käfer: Sternotomis virescens WESTWw., schwarz mit grünen Querstreifen und Flecken. Plectodera scalator F., schwarz mit weißen (Querstreifen. Conognatha sellowi Kı., Flügel- decken braun mit schwarzen Querstreifen. Doryphora taenigera STAL., Flügeldecken gelb mit schwarzen Querstreifen. Beispiele gefleckter und punktierter Käfer: Melolontha fullo L., braun, weiß gefleckt. Julodis humeralis Gory, grün mit verschieden großen weißen Flecken. Pro- taetia alboguttata Burm., schwarz mit ungleich großen weißen Punkten. Doryphora undata Drse., schwarz mit gelben Punkten. Doryphora punctatissima Or., gelb mit sehr kleinen schwarzen Punkten. Käfer mit schönen symmetrischen Zeichnungen auf den Flügeldecken und dem Halsschild sind: Acrocinus longimanus L., Flügeldecken grau- gelb mit schwarz eingefaßten roten Feldern. Parhomelix poggei Kouse, braun mit zwei gebogenen weißen Längsstreifen auf den Flügel- decken. Die größte Mannigfaltigkeit und Pracht der Farben ist auf den Flügeln der Schmetterlinge in den mikroskopischen Schuppen ausge- bildet, die beide Seiten der Flügel bedecken. Bunte Schmetterlinge mit verschiedenen auffallend hellen Farben und Zeichnungen ziehen den Blick stark an, aber sie beruhigen ihn nicht. Beispiele: Arctia caja L. Vorderflügel mit weißen Zeichnungen, Hinterflügel und Hinter- leib rotgelb mit bläulichschwarzen Flecken. Pericallia matronula L. Vorderflügel dunkelbraun mit hellgelben Flecken, Hinterflügel orange- gelb mit schwarzen Flecken, Hinterleib rot, schwarzgefleckt. Agarista agricola Don. Grundfarbe beider Flügelpaare schwarz. Vorderflügel am Grunde gelbweiß wie die Brust, nach außen hin besetzt mit orange- farbigen größeren und mit bläulichweißen kleineren Flecken. Hinter- flügel mit roten und bläulichweißen Flecken. Vorder- und Hinterflügel weiß gesäumt. Faßt man irgendeine der auffallenden Farben ins Auge, so wird man gleichzeitig auch von einer anderen gereizt und kommt endlich nur dadurch zu einer geringen ästhetischen Befriedigung, daß man die Symmetrie beider Flügelpaare betrachtet. Schmetterlinge, deren Flügel auf einfarbigem Grunde viele anders- farbige Flecke oder Punkte haben, lassen den Blick auch nicht zu be- friedigender Ruhe kommen. Beispiele: Syntonis phegea L. Flügel schwarz mit weißen Flecken. Zygaena ephialtes L. Flügel blauschwarz mit roten Flecken. Abdraxas grossulariata L. Flügel weiß oder gelb mit schwarzen Punkten. Argynnis aglaya L. Flügel braun, schwarz punktiert und ge- Mörıvs: Die Formen und Farben der Insekten ästhetisch betrachtet. 165 fleckt. Ähnlich verhält sich auch die Zikade Gaeana maculata Dr., deren schwarze Flügel gelb und weiß gefleckt sind. Große augenähnliche Flecke erschweren die Erfassung der ästhe- tischen Einheit auch, können aber gefallen als abgesondert von dem Ganzen betrachtete ästhetische Einheiten. Beispiele: Vanessa io L., Smerinthus ocellatus L. Auffallend große, scharf abgegrenzte helle Flecke auf der Mitte dunkelfarbiger Flügel ziehen den Blick stark auf sich, machen aber einen nicht angenehmen grell hervortretenden Eindruck, der die Er- fassung der ästhetischen Einheit erschwert. Beispiele: Papilio euchenor Guer. Grundfarbe schwarz. Auf jeder Körperseite erstreckt sich ein großer scharfrandig ausgezackter gelber Fleck über beide Flügel. Papi- lio arjuno Horsr. Flügel grünlichschwarz. Hinterflügel mit einem großen, scharf abgegrenzten grünlichblauen Fleck. Schöner ist eine Farbe, die verschiedene Helligkeitsstufen hat. Sie fesselt den Blick als eine Mannigfaltiges darbietende Einheit. Bei- spiele: Melolantha vulgaris L., Sternocera chrusis F., Eumolpus fulgidus Or., Phanaeus kirbyi Vıcors, Chalcosoma caucasus F. Die gewölbten glänzenden Flügeldecken dieser Käfer erscheinen an den höchsten Stellen heller als an den abfallenden Seiten. Schillernde Flügel gefallen als einheitliche Grundlage wandelbarer ineinander übergehender Farben. Beispiele: Morpho sulkowskyi Koun., Calopteryx virgo L., Pepsis vitripennis F., Calosoma sycophanta L. Schmetterlingstlügel mit auffallend hellen Querstreifen erschweren die Erfassung der ästhetischen Einheit, weil sie die Hauptachse des Körpers durchkreuzen. Beispiel: Heliconius petiveranus Dswn., Flügel bläulichschwarz. Auf den Hinterflügeln ein gelber Querstreif. Schöner sind Längsstreifen, weil sie den Blick in derselben Richtung wie die Körperform fortleiten. Beispiele: Papilio mireus L., schwarz, mit grün- grauen Längsstreifen. Cyligramma latona Cranm., braun, mit gelblich- weißen Längsstreifen. Hellgesäumte Flügel sind nicht so schön wie dunkelgesäumte, weil die helle Farbe den Blick von der Mitte stärker abzieht als die dunkle und daher die Erfassung der ästhetischen Einheit erschwert. Beispiele: Vanessa antiopa L., dunkelbraun, Saum gelb. Colias palaeno L., gelb, Randsaum schwarz. Charasxes pollux Uran., rotbraun, Randsaum schwarz. Verschiedene matte ineinander übergehende Farben ziehen den Blick nicht so stark an wie grell zusammentreffende helle Farben; sie wirken aber beruhigender und sind deshalb schöner. Beispiele: Deilephila nerü L., Flügel grün, mit rosenroten, in Schwarz übergehenden Zeichnungen, die eine milde ergänzungsfarbige Buntheit bilden. Cato- 166 Gesammtsitzung vom 2. Februar 1905. cala fraxini L., Vorderflügel grau, mit braunen Wellenlinien, Hinter- flügel braun, mit gekerbtem weißen Rand und einem breiten hellblauen Streifen, der die Biegung des Flügelrandes nachahmt und daher den Blick in derselben Richtung angenehm fortleitet. Thysania agrippina Cram. Die Flügel sind wellenförmig gekerbt; auf ihrer grauen Grund- farbe ahmen braune und weiße Wellenlinien die Kerbung des Randes nach, eine Erscheinung, die als gesetzliche Wiederholung gefällt. Brah- maea jJaponica Burr. Flügel graubraun, mit parallelen schwarzen Linien, die einen Augenfleck auf jedem Vordertlügel umschließen. Sehr schön sind Schmetterlinge, deren Flügelfarbe innen an der Brust am hellsten ist und nach außen zu allmählich in die dunkle Randfarbe übergeht. Beispiele: Papilio peranthus F. Flügel schwarz, innere Teile der Flügel grün, blauschillernd. Papilio zalmoxis Hrw. Flügel grünlich graublau mit schwarzem Randsaum. Von diesem führen nieht nur die schwarzen Adern, sondern auch noch spitz endigende schwarze Linien zwischen ihnen den Blick ebenso angenehm wie die zunehmende Helligkeit nach dem Körper, dem ästhetischen Zentrum hin. Da der Hinterleib gelb gefärbt ist, also die Ergänzungsfarbe der Flügel hat, so wird der Blick hier mit voller Befriedigung festgehalten. Ohne Ruhe im Anschauen, gefesselt von einem Hauptteil des be- trachteten Gegenstandes, kommt niemand zum vollen Genuß des Schönen in der Natur und Kunst. Die Gesetze der harmonischen und disharmonischen Färbung der Insekten werden auch veranschaulicht durch die Farbenvarietäten des Stiefmütterehens (Viola tricolor L.) und anderer Gartenblumen. 167 Ikonoskopische Studien. Von W. OstwAuD. 1. Mikroskopischer Nachweis der einfachen Bindemittel. en berichtet in seiner grundlegenden Schrift »Über Ölfarbe«, daß der weißliche Beschlag, der sich auf vielen in der Kgl. Bayrischen Gemäldegalerie zu Schleißheim aufbewahrten Ölgemälden eingestellt hatte, zuerst für Schimmel gehalten worden sei; eine Untersuchung des Prof. RaprKorer, die zweifellos auf mikroskopischem Wege vorgenommen wurde, erwies indessen bald, daß die Erscheinung »nieht im geringsten mit der Bildung organisierter Produkte zusammen- hing«. Seit jener Untersuchung mit negativem Befunde scheint nicht wieder ein Gemälde unter das Mikroskop gebracht worden zu sein. Mich hatte bereits beim ersten Lesen jener Bemerkung der Ge- danke beschäftigt, daß man an einem Gemälde mittels dieses Instru- mentes erheblich mehr sehen könnte als die Abwesenheit von Schimmel, insbesondere wenn man Querschnitte durch die übereinandergelagerten Gründe und Farbschichten der Untersuchung unterzöge. Es gelang mir indessen nicht, einen der mikroskopischen Technik Kundigen für die Angelegenheit zu interessieren, und nachdem ich von anderer Seite begonnen hatte, den hier vorhandenen Problemen meine Aufmerksam- keit zu widmen, kam ich bald zu dem Entschlusse, die vielversprechende Arbeit selbst vorzunehmen. Unter tätiger Hilfe meines Freundes Prof. Wırnerm Prerrer, dem ich auch hier meinen Dank dafür sage, erwarb ich mir die erforderlichen Fertigkeiten und nachstehend seien die ersten Ergebnisse der vorgenommenen Untersuchungen mitgeteilt. Die Aufgabe ist, an einer vorgelegten Probe eines beliebi- gen Gemäldes dessen Technik mittels unzweideutiger Kenn- zeichen zu ermitteln. Unter »Technik« ist hier die Gesamtheit der materiellen Operationen verstanden, welche für die Herstellung des Bildes ausgeführt worden sind. Diese kennzeichnen sich als eben- soviele übereinandergelagerte Schichten aus den angewendeten Sub- stanzen. Und zwar wird man im allgemeinen vier Hauptschichten unterscheiden können (die allerdings nicht immer alle vertreten zu sein 168 Gesammtsitzung vom 2. Februar 1905. brauchen), nämlich den Bildträger, den Malgrund, die Bildschicht, d.h. die Farben mit ihrem Bindemittel und endlich die Schutz- sehieht (Firnis, Glas u. dgl.), welche die darunterliegende Bild- schicht gegen mechanische und andere Schädigungen zu schützen be- stimmt ist. Der Bildträger dient dazu, die mechanische Unterlage für die Herstellung des Bildes abzugeben, und hat daher in erster Linie die Aufgabe mechanischer Festigkeit und Dauerhaftigkeit zu erfüllen. Seine Erkennung macht im allgemeinen nicht die geringsten Schwierigkeiten, da man seine Beschaffenheit in den meisten Fällen durch die Betrach- tung der Rückseite des Bildes feststellen kann. Wo die Rückseite nicht zugänglich ist, wie bei Wandgemälden, ist die Auskunft meist durch die Bauart der Wand gegeben. Unter fast allen Umständen pflegt der bloße Anblick, nötigenfalls an einer zu diesem Zwecke frei- gelegten Stelle des Bildes, und in etwas zweifelhafteren Fällen eine einfache chemische Analyse endgültige Auskunft zu geben. Viel größere Schwierigkeiten machen die beiden folgenden Schich- ten, der Malgrund und die Bildschicht. Ersterer ist fast immer, letztere großenteils (nämlich bis auf die oberste Schicht) dem unmittelbaren Anblicke entzogen. Infolgedessen pflegt bei Bildern, bezüglich deren sich nicht etwa genaue Nachrichten erhalten haben, über diese Fragen nur wenige Bestimmtes bekannt zu sein. Ist es doch namentlich bei den Gemälden der flämischen und der niederdeutschen Schule noch bis heute ein ungelöstes Problem, mit welchem Bindemittel und in welcher Malweise sie hergestellt worden sind. Verhältnismäßig einfach ist endlich meist die Frage nach der Schutzschicht. In vielen Fällen ist sie überhaupt nicht fest mit den anderen Schichten verbunden, insbesondere wenn sie aus Glas besteht!, so daß hier keinerlei Schwierigkeiten vorliegen, ihre Natur festzustellen. In anderen Fällen, namentlich bei Öl- und Temperabildern, besteht sie meist aus einem Firnis, d.h. einem durchsichtigen Harze, das in einem flüchtigen Lösungsmittel gelöst war, meist Mastix oder Dammar in Terpentinöl. Viel seltener sind Firnisse, deren Harze in Wein- geist gelöst waren, wie Schellack oder Sandarak; der neuesten Zeit endlich gehört die Verwendung von Zellulosenitrat in Amylazetat als »Zaponlack« an. ı Von Lionarvo va Vıncı rührt ein Vorschlag her, das Bild mittels Terpentin unmittelbar mit dem Glase zu verkleben. Es wird hierdurch die Reflexion des weißen Oberflächenlichtes an zwei Flächen, nämlich der hinteren Glasfläche und der Bildober- fläche vermieden, und eine entsprechende Vertiefung der farbigen Wirkung erreicht. Mir ist nicht bekannt, ob dieser sehr beachtenswerte Gedanke für künstlerische Zwecke jemals Verwendung gefunden hat. Sachgemäß weist Lıionarvo gleichzeitig auf die sehr erhebliche Steigerung der Haltbarkeit eines solchen Werkes hin. rn EEE ÖOsrwarn: Ikonoskopische Studien. 169 Ist die Aufgabe gestellt, die Beschaffenheit der beiden mittleren Schichten festzustellen, so müssen diese offenbar in irgendeiner Weise der Beobachtung zugänglich gemacht werden. Da es physikalische Mittel, die übereinanderliegenden Schichten unberührt zu untersuchen, nieht gibt, so bleibt nichts übrig, als ein Stück des Bildes einer che- mischen Untersuchung zu opfern. Aus naheliegenden Gründen muß dieses Stück so klein als möglich sein: hierdurch ist bereits die An- wendung des Mikroskops nahegelegt. Auf das gleiche Hilfsmittel wird man durch die Überlegung verwiesen, daß die Dicke der übereinander- liegenden Schichten meist sehr gering ist, indem sie sich nach Zehn- tel- bis Hundertstelmillimetern bemißt. Legt man durch einen Quer- schnitt diese Schichten frei, so ermöglicht erst die optische Vergröße- rung, sie zu erkennen und den Einfluß etwaiger Reagentien auf sie festzustellen. Nach den Methoden der mikrochemischen Analyse, wie sie in neuerer Zeit namentlich durch H. Beurens ausgebildet worden sind, wird es dann im allgemeinen nicht schwer sein, die anorganischen Be- standteile der im Malgrunde und der Bildschicht verwendeten Stoffe festzustellen. Schwieriger wird die Aufgabe bei den Bindemitteln, da diese meist nicht wohldefinierte Stoffe sind, sondern zufällige Gemenge, wie sie die Natur im Gummi, Harz, Lein- oder Mohnöl, Eiweiß usw. liefert. Hier bietet sich zunächst das verschiedenartige Verhalten dieser Stoffe gegen Lösungsmittel als Kennzeichen an. Doch ist hiermit not- wendig eine Zerstörung der räumlichen Ordnung der Probe verbunden, welehe die Beurteilung sehr erschwert. Ich habe es daher sehr bald vorteilhaft gefunden, von den anderen Hilfsmitteln der mikroskopischen Technik, der Färbung, Gebrauch zu machen, welche die Teile des untersuchten Objekts in situ beläßt und außerdem gestattet, dauerhafte Belegpräparate herzustellen, an denen nötigenfalls sogar Fragen ent- schieden werden können, die erst später aufgeworfen werden. Da die verschiedenen Arten der Maltechnik sich nur durch die Natur der Bindemittel unterscheiden, während die Farbstoffe (mit ge- wissen Einschränkungen) überall die gleichen sind, so habe ich die Untersuchung in erster Linie auf die Erkennung der Bindemittel ge- richtet. Und zwar gedenke ich in der vorliegenden ersten Arbeit nur die homogenen Bindemittel zu behandeln, während die heterogenen Emulsionen der Temperatechnik einer späteren Arbeit vorbehalten sind. Die für die Kunstmalerei am meisten benutzten Bindemittel sind unzweifelhaft die troeknenden Öle, insbesondere Leinöl, Mohnöl und Nußöl. Sie bestehen aus den gleichen Glyzeriden. nur in etwas verschiedenem Mischungsverhältnis, und verhalten sich als Bindemittel für Farben so übereinstimmend, daß ich zunächst kein Bedürfnis gefühlt 170 Gesammtsitzung vom 2. Februar 1905. habe, sie voneinander analytisch zu unterscheiden. Durch Oxidation an der Luft, welche freiwillig erfolgt, durch Anwesenheit von Kata- lysatoren, insbesondere Blei- und Manganverbindungen aber sehr be- schleunigt wird, gehen diese flüssigen Öle in harte, harz- oder kautschuk- ähnliche Stoffe über, welche die wesentliche und für Ölbilder charak- teristische Zwischensubstanz zwischen den Farbkörnern bilden. In den meisten Lösungsmitteln sind «diese Oxydationsprodukte unlöslich. Der Kürze wegen will ich sie weiterhin trockenes Öl nennen. Das beste Reagens auf trockenes Öl ist nach meiner bisherigen Kenntnis das gewöhnliche Methylviolett, d.h. ein Salz des Hexa- methylpararosanilins. Läßt man auf einem Objektträger eine dünne Schicht des Öls fest werden und bringt darauf einen Tropfen einer sehr verdünnten wässerigen Lösung des Farbstoffes, so macht sich alsbald ein ungewöhnlich großer Teilungskoeffizient desselben zugunsten des Öls geltend: der Farbstoff wird sehr stark gespeichert und die entstandene violette Färbung bleibt beim Abspülen bestehen und kann auch durch langes Auswaschen mit Wasser nicht entfernt werden. Ein Spänchen des trockenen Öls, das man abgeschabt und in einen Tropfen der verdünnten Farbstofflösung gebracht hat, beginnt alsbald sich dunkel zu färben. Die Farbstofflösung kann dabei so verdünnt sein, daß die Färbung des Tropfens auf dem Objektträger nur eben sichtbar ist. Je verdünnter der Farbstoff ist, um so weniger besteht Gefahr, daß andere vorhan- dene Stoffe gefärbt werden, um so länger muß man aber auch die Färbung fortsetzen. Doch habe ich mit einer Viertelstunde bisher stets bequemes Auskommen gefunden. Beim längeren Aufbewahren der verdünnten Farbstofflösung treten in dieser Veränderungen (anscheinend hydrolytischer Natur) ein, welche die Schärfe der Reaktion stören. Es scheint, daß diese sich durch schwaches Ansäuern der Lösung mit Essigsäure aufhalten lassen, doch muß ich vorläufig empfehlen, nur frische Lösungen zu benutzen, bis die entsprechenden Versuche, die natürlich längere Zeit erfordern, beendet sind. Harze werden unter diesen Umständen von Methylviolett gar nicht gefärbt, ebensowenig Leim und andere stickstoffhaltige Bindemittel. Auch die Fasern des Leins, des Hanfs und der Baumwolle, die als Unterlage der Maltuche dienen, werden nicht gefärbt, wenn sie nicht mit Leinöl getränkt worden waren, wie dies nicht selten geschieht. Ölspuren, die zufällig beim Herstellen oder Aufbewahren des Mal- tuches an die Rückseite gekommen sind, lassen sich sehr schön durch ihre lokale Anfärbung erkennen. Ich glaube berechtigt zu sein, die Färbung mit Methylviolett in sehr dünner Lösung als eine spezifische Reaktion auf trockenes Öl zu bezeichnen. Osrwarn: Ikonoskopische Studien. 7 Farbschichten, die aus Öl und irgendeinem Farbstoffe bestehen, zeigen die Reaktion in gleicher Weise, soweit nicht der anwesende Farbstoff das Erkennen der violetten Färbung verhindert. Ich habe mich insbesondere überzeugt, das Bleiweiß, welches verhältnismäßig weniger Öl enthält, als irgendeine andere Ölfarbe, doch die Reaktion nicht wesentlich stört. So zeigte beispielsweise ein gewöhnliches käufliches, mit Blei- weiß in Öl grundiertes Maltuch, von dem ein Dünnschnitt (etwa 0" stark) mit Methylviolett angefärbt war, violette Färbung in der ober- sten, weißen Schicht sowie an und zwischen den Leinfasern; da- zwischen befand sich ein Leim-Kreidegrund, der nieht gefärbt war. Dort, wo die Fäden des Gewebes dureh den Schnitt senkrecht ge- troffen waren, konnte man leicht erkennen, daß das Öl nur zwischen die Fasern und nicht in deren Inneres gedrungen war, denn das Bild zeigte die eckigen Faserquerschnitte farblos, eingebettet in eine tief violett gefärbte Zwischensubstanz. Die verschiedenen trockenen Öle zeigen anscheinend übereinstim- mendes Verhalten: ich habe Leinöl und Mohnöl untersucht und keinen Unterschied gesehen. Ähnlich wie Methylviolett verhält sich Methylenblau, das in konzentrierter Lösung so ziemlich alles anfärbt, in sehr verdünnter aber auch ganz vorwiegend vom trockenen Öl gespeichert wird. Ich habe den Eindruck, als wenn die Reaktion mit Methylenblau ebenso empfind- lich wäre wie die mit Metlhylviolett, doch habe ich damit nicht sehr viel gearbeitet, weil das letztere mich in jeder Beziehung zufrieden- stellte. Ein weiterer sehr brauchbarer Farbstoff für trockenes Öl ist Ma- lachitgrün. Die für Wasserfarben benutzten Bindemittel zerfallen in die beiden Gruppen der stiekstofffreien und der stiekstoffhaltigen. Von ersteren kommt wesentlich arabisches Gummi in Frage, während die letzteren durch Leim, Eiweiß und Kasein repräsentiert sind. Für ersteres kommen Färbemittel kaum in Betracht: durch seine Löslichkeit in kaltem Wasser und die Abwesenheit der alsbald anzugebenden Reaktionen der stickstoffhaltigen Bindemittel erscheint Gummi zunächst genügend gekennzeichnet. Die genannten stickstoffhaltigen Verbindungen werden durch sehr verschiedene Farbstoffe mehr oder weniger intensiv gefärbt. Um zu- nächst eine Übersicht zu gewinnen, habe ich Blättehen von weißer Gelatine in den verschiedenen Farbstoffen stark gefärbt und sie nach dem Abwaschen in reinem Wasser schwebend aufbewahrt. Wenn die Proben »bluteten«, d.h. ihren Farbstoff schnell abgaben, so wurde dieser 172 Gesammtsitzung vom 2. Februar 1905. verworfen; in jedem Falle ließ sich aus dem Betrage der Färbung, die das Wasser nach einigen Tagen annahm, die Festigkeit der Bindung oder vielmehr die Größe des Teilungskoeffizienten abschätzen. Auf solche Weise ergab sich Säuregrün (mit Zusatz von etwas Salzsäure) als der geeignetste Stoff für Gelatine; in der Tat verhält sich diese zu einer ganz verdünnten Lösung des Farbstoffes (dem ich der besseren Benetzung der Proben wegen ein wenig Alkohol zugesetzt hatte), ganz ebenso, wie ich es oben vom trockenen Öl gegen Methylviolett ge- schildert habe. Annähernd von gleicher Intensität sind die Färbungen, welche ich mit Jodeosin (als Ammoniaksalz gelöst) erhalten habe. Es ist für manche Zwecke gut, außer dem sauer reagierenden Färbemittel, dem Säuregrün, ein neutrales bzw. basisches zu haben, das eben im Jodeosin vorliegt. Wo die Wahl frei ist, ziehe ich das erstere vor. Die drei genannten stickstoffhaltigen Bindemittel färben sich an- nähernd gleich; auch habe ich bei gelegentlichen Versuchen nach dieser Richtung mit anderen Farbstoffen noch keine so erheblichen Unterschiede angetroffen, daß sich darauf eine einzelne Kennzeichnung gründen ließe. Eine solche erfolgt aber leicht auf Grund der wohl- bekannten Löslichkeitsverhältnisse. Eiweiß löst sich in kaltem Wasser, auch wenn dieses sauer oder basisch reagiert, Kasein löst sich in saurem Wasser nicht und Gelatine quillt in beiden nur, löst sich aber in warmem Wasser. Mit Säuregrün wird man also Kasein und Leim in situ beobachten können, mit einer ammoniakalischen Lösung von Jodeosin dagegen nur letzteren, während Kasein in Lösung geht. Eiweiß geht immer in Lösung, falls es nicht durch Erhitzen oder durch Metallsalze koaguliert worden war. Da dies bei Bildern kaum in Frage kommt, so ist damit die Unterscheidung der drei Stoffe grundsätzlich ermöglicht. Es erschien mir noch wünschenswert, ein Verfahren zu besitzen, um die in Lösung gegangenen Stoffe in so minimalen Mengen, wie sie der mikroskopische Querschnitt ergibt, nachweisen zu können. Dies gelang in unerwartetem Maße; für Eiweiß liegt die Grenze der alsbald zu beschreibenden Methode bei einem Hunderttausendstel Milligramm oder ı0”g. Der Versush wird folgendermaßen ausge- führt. Man läßt die Probe auf dem Objektträger einige Minuten in einem re@ht kleinen Tropfen Wasser liegen, fischt sie dann, ohne den Tropfen zu verbreitern, heraus und dampft diesen schnell ein, indem man den Objektträger auf ein erhitztes Blech legt, dessen Temperatur so hoch ist, daß ein darauf gespritzter Wassertropfen eben den sphäroidalen Zustand annimmt. Nachdem der Tropfen verschwunden ist, erhitzt man noch etwa eine Minute lang weiter, um das Eiweiß sicher zum Gerinnen zu bringen, kühlt ab und bringt auf die Stelle, wo der Tropfen gelegen hatte, eine starke Lösung von Säuregrün oder Jo- deosin. Nach einigen Augenblicken wird der Farbstoff mit der Spritz- flasche vollständig abgespült. Ist Eiweiß vorhanden, so findet man die Peripherie des früheren Tropfens von einer scharfen grünen bzw. roten Linie gebildet, die man bei größeren Mengen mit bloßem Auge, bei kleineren mit einer Lupe oder dem Mikroskop (Vergrößerung etwa 60) beobachtet. Die Erscheinung beruht darauf, daß bei der geschilderten Art des Eindampfens sich das Eiweiß am Tropfenrande sammelt, indem es dort gerinnt. Durch Arbeiten mit stufenweise verdünnteren Eiweißlösungen habe ich die erwähnte Grenze feststellen können, an der die Reaktion bei einiger Übung jedesmal mit Sicher- heit eintritt. Sehr erleichtert wird die Beobachtung, wenn man sich für diesen Zweck Objektträger aus Milchglas anfertigen läßt; in der Tat bedeutet die Anwendung einer solehen Unterlage nach bekannten optischen Verhältnissen ungefähr die Erhöhung der Empfindlichkeit auf das Doppelte. Auch Kasein läßt sich auf gleiche Weise erkennen. Wie weit dort die Grenze geht, habe ich noch nicht ermittelt. Hier ist natür- lich Eosin nicht anwendbar; am besten ist es, den Auszug vor dem Eindampfen mit Essigsäure anzusäuern und die Koagulation nicht erst dem Säuregrün zu überlassen. Schließlich seien noch einige Worte über die Technik dieser Versuche gesagt. Es wurde meist eine sehr mäßige Vergrößerung, 50 bis 100 benutzt. Die Präparate wurden durch Schneiden zwischen Kork mittels eines kleinen Handmikrotoms meist 0”"1 stark hergestellt; bei kleineren Dicken tritt zu leicht ein Zerfallen ein. Bei Geweben wurde vor dem Schneiden eine dicke Lösung von arabischem Gummi mit 15 Prozent Glyzerin aufgestrichen und getrocknet, um die Fäden während des Schneidens zusammenzuhalten. Wird der Schnitt dann in einen Wassertropfen gebracht, um das Gummi fortzulösen, so zer- streuen sich allerdings auch die meisten Fasern: es werden aber doch so viele von den aufgetragenen Schichten des Malgrundes festgehalten, daß man nichts Wesentliches verliert. Handelt es sich um Betrachtung des Gewebes selbst, so kann man den Schnitt in Xylol beobachten. Ein Einbetten der Objekte in Paraffin oder Celloidin, wie dies sonst üblich ist, verbietet sich hier durch die Natur der zu beantwortenden Fragen. Häufig sind die Schichten alter Bilder so spröde, daß sie beim Schneiden zersplittern; dann kann man sich, wie mir W. PrerreEr zeigte, da- durch helfen, daß man das Objekt einige Zeit im Alkoholdampf bei Zimmertemperatur verweilen läßt. Ösrtwarp: Ikonoskopische Studien. 173 Sitzungsberichte 1095. 15 174 Gesammtsitzung vom 2. Februar 1905. So dicke Schnitte sind natürlich meist undurchsichtig. Da ich mich ferner bald überzeugt hatte, daß meist bei auffallendem Lichte viel mehr zu sehen war, als bei durchfallendem, so lasse ich mittels eines Linsensystems (zwei Brillengläser von je 15°” Brennweite) ein verkleinertes Bild des Glühstrumpfes einer Auerlampe auf das Objekt fallen. Bei dem großen Abstande des angewendeten Objektivs (Leitz Nr. 3) läßt sich dies sehr leicht ausführen und man erhält überaus glänzende Bilder. Zum Einbetten aufzubewahrender Präparate dient eine wässerige Lösung von 40 Prozent arabischem Gummi und 30 Prozent Glyzerin. Mit diesen einfachen Hilfsmitteln und unter Anwendung der oben geschilderten Reaktionen läßt sich bereits eine recht weitgehende Kenntnis von der Beschaffenheit und Technik eines vorgelegten Bildes erreichen. Welche Bedeutung dies für das Studium der geschicht- lichen Entwicklung der Maltechnik, für die Kennzeichnung der ver- schiedenen Meister, Schulen und Werkstätten und endlich für die Be- schaffung rationeller Grundlagen für die Erhaltung der Bilder hat, kann ich an dieser Stelle nur andeuten. Doch ist, bevor die Auf- gabe angegriffen wird, die geschichtlich gegebenen Kunstwerke in der angegebenen Weise zu untersuchen, zunächst noch das Studium der mannigfaltigen Temperabindemittel durchzuführen und dann die Zuverlässigkeit der Methode an Material von bekannter Herstellungs- weise zu erproben. Beiden Aufgaben gedenke ich mich alsbald zu unterziehen. ‘ Über die spezifische Wärme der Gase in höherer Temperatur. Von Prof. L. HoLsorn und Prof. L. Austin in Charlottenburg. (Mitteilung aus der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt. Vorgelegt von Hrn. Konutrauscn.) Ühasene Kenntnisse über die spezifische Wärme der Gase beruhen einer- seits auf kalorimetrischen Messungen in mittleren Temperaturen bis 200°, anderseits auf Explosionsversuchen über 1000°. Das große Zwischengebiet hat man durch Interpolation zu überbrücken gesucht. Dies Verfahren ist um so gewagter, als von vornherein nicht feststeht, ob die beiden Untersuchungsreihen vergleichbare Resultate ergeben, so daß eine Bestätigung durch die Beobachtung notwendig erscheint. Bei den Versuchen, deren Ergebnisse hier mitgeteilt werden, sind die kalorimetrischen Messungen bis 800° ausgedehnt worden, und zwar wurde nach der Mischungsmethode, die von DELAROCHE und BERARD zuerst angegeben, später durch Reenaurr ihre klassische Ausbildung erfahren hat, die spezifische Wärme der Gase bei konstantem Druck beobachtet. Versuchsanordnung. Die Erwärmung des Gases geschah in einem 8"” weiten Nickel- rohr, das nach dem Vorgang von E. WıEpEmann mit Spänen gefüllt war und durch elektrische Heizung auf konstanter Temperatur gehalten werden ‘konnte. Das silberne Kalorimeter, in welchem das Gas die Wärme an mit Metallspänen gefüllte Röhren abgab, enthielt +1 Wasser und war von einem Wassermantel umgeben, dessen Temperatur wäh- rend der Versuchsdauer auf 75° konstant gehalten wurde. Das Gas stammte aus käuflichen Bomben, aus denen es unmittel- bar nach Passieren eines Reduzierventils und eines langen Trockenrohrs in das Heizrohr trat. Hinter dem Kalorimeter wurde der gleichmäßige Gasstrom unter Atmosphärendruck in einem Gasometer aufgefangen, aus dem das Gas eine seinem Volumen entsprechende Wassermenge 176 Gesammtsitzung vom 2. Februar 1905. E} verdrängte, die gewogen wurde. Das Gas kam hierbei nicht direkt mit dem Wasser in Berührung, sondern trat in einen Gummisack, so daß auf diese Weise auch Gase gemessen werden können, die stärker in Wasser löslich sind. Die Temperatur des heißen Gases wurde mit einem Thermoelement aus Platin und Platinrhodium kurz vor dem Eintritt in das Kalorimeter gemessen. Die 0”"25 dicken Schenkel dieses Elements waren durch dünne Kapillaren aus Quarzglas isoliert, die Lötstelle wurde durch be- sondere Anordnung gegen Strahlung der Rohrwand und gegen Wärme- ableitung geschützt. Um die Korrektion, die an der Temperaturerhöhung des Kalori- meters wegen der Wärmezufuhr durch das Gasrohr anzubringen ist, klein zu halten, war dessen Metallwand vor dem Kalorimeter durch ein kurzes Porzellanrohr unterbrochen, das auf beiden Seiten durch Asbest abgedichtet war. Da für jede Beobachtungstemperatur unge- fähr immer dieselbe Gasmenge (4 bis 9g in der Minute, 15 bis 308g im ganzen bei einem einzelnen Versuch) durch das Kalorimeter strömte, so stieg die Erhöhung der Kalorimetertemperatur proportional mit der des Gases. In ähnlicher Weise nahm auch die Korrektion wegen der Wärmeleitung der Rohrwand zu, so daß sich ihr Einfluß auf das Er- gebnis mit wachsender Temperatur relativ wenig änderte. Es wurde die mittlere spezifische Wärme für die drei Tempera- turintervalle: 20 bis 440, 20 bis 630 sowie 20 bis 800° bestimmt. Resultate. Einfache Gase. — Die folgende Tabelle gibt die Mittel aus den Beobachtungen für die mittlere spezifische Wärme von Luft, Stickstoff und Sauerstoff. Letzterer enthielt 9.5 Volumprozente Stick- stoff. Die Werte für reinen Sauerstoff sind berechnet, ebenso die Zahlen der letzten Kolumne für Luft. Zum Vergleich sind Sauerstoff | Luft | Stickstoff mit | Sauerstoff Luft | ber. aus N |9.5 Prozent N | und O zwischen ıo und 200° 0.2438 _ 0.2175 | 0.2375 _ » 20 » 440 0.2419 | 0.2255 0.2240 | 0.2366 0.2377 D 20 n 630 || 0.2464 | 0.2314 | 0.2300 0.2429 0.2426 » 20 =» 800 | 0.2497 | _ | 2 | 0.2430 _ in der obersten Reihe kursiv die Reenaurtschen Ergebn'sse hinzu- gefügt, die sich auf das Intervall zwischen ıo und 200° beziehen. Reenausr hat Luft und Sauerstoff beobachtet und daraus Stickstoff berechnet. L. Horsorn und L. Ausrın: Über die spezifische Wärme der Gase. 177 Unsere Werte für das Gebiet von 20 bis 440° stimmen bei Luft und Stickstoff innerhalb der Beobachtungsfehler mit den von REsvAuLr für das kleinere Intervall gefundenen Zahlen überein, während wir für Sauerstoff eine größere spezifische Wärme erhalten. Dieser Unter- schied verschwindet auch noch nicht vollständig, wenn man auf Grund einer Vergleichung mit den Reenaurtschen Beobachtungen für Luft annimmt, daß der von ihm für Sauerstoff angegebene Wert wahr- scheinlich um etwa ı Prozent zu klein ist, wie auch relative Messungen bestätigen, die wir mit Luft und Sauerstoff zwischen 20 und 250° ausführten. Hiernach wäre die spezifische Wärme des letzteren Gases in diesem Intervall, auf Grund der Zahl 0.2375 für Luft, zu 0.2206 anzusetzen. Die größten Unterschiede der Zahlen, welche wir in den ver- schiedenen Temperaturintervallen für Luft und Stickstoff beobachtet haben, betragen etwa 3 Prozent. Berücksichtigt man die Ungleich- mäßigkeit des beobachteten Ganges, die, was hier nicht ausgeführt werden soll, zum Teil auf verschiedenartiger Anordnung des Versuchs beruht, und bedenkt man ferner, daß die Schwierigkeiten für die Messung der Gastemperatur nach oben wachsen, so wird man für die absoluten Bestimmungen nur eine Genauigkeit von etwa = ı Prozent beanspruchen, so daß die gefundene Änderung kaum die Beobachtungs- fehler überschreitet. Man kann deshalb aus den vorliegenden Ver- suchen noch nicht mit Bestimmtheit schließen, daß die spezifische Wärme der einfachen Gase mit wachsender Temperatur zunimmt. Auf vergleichende Messungen an verschiedenen Gasen bei den- selben Temperaturen ist die erwähnte Fehlerquelle von geringerem Einfluß, so daß hierfür eine größere Genauigkeit erreichbar sein wird. Kohlensäure. — Die Beobachtungsmittel für die mittlere spezi- fische Wärme c von Kohlensäure sind in der folgenden Tabelle auf- geführt; sie enthält außerdem unter ber. die Resultate der Formel € = 0.2028 + 0.0000692 t— 0.0000000167 ?°. ec beob. | ber. zwischen 20 und 200° 0.2168 | 0.2173 ” 20 » 440 0.2306 0.2312 20. = 630 ı\ 0.2423 0.2410 ” 20 » 800 | 0.2486 0.2486 f Durch Differentiation der Formel ergibt sich die wahre spezi- fische Wärme der Kohlensäure Y, für die Temperatur t: Yı = 0.2028 + 0.0001384 t— 0.00000005 Pf’. Sitzungsberichte 1905. 16 178 Gesammtsitzung vom 2. Februar 1905. Reenausr leitete aus seinem Beobachtungsgebiet von — 30 bis + 210° die Gleichung Y,= 0.1784 +0.0002918 (++ 30°) — 0.0000001074 (t-++ 30°)’ ab, welche in höhern Temperaturen größere Werte liefert als die unsrige. Martarnp und Le Cuareuıer haben auf Grund ihrer Explosions- versuche und der kalorimetrischen Messungen von Reenaurr und E. WiEpEmanN für die mittlere Molekularwärme C, bei konstantem Vo- lumen die Beziehung 0, = 6.3 + 0.006 t— 0.000001 18 f berechnet, während Lanern nach Wiederholung der Messungen bei hohen Temperaturen die lineare Annäherungsformel C, = 6.7 + 0.0026 l aufstellt. In der Schlußtabelle sind die Werte für die wahre spezi- fische Wärme der Kohlensäure Y, bei konstantem Druck zusammen- gestellt, wie sie sich aus den verschiedenen Formeln ergeben. MALLARD HoLBoRN ResnautLt |E. WIEDEMANN und LANGEN und LE CHATELIER AusTın | I | 0° 0.1870 0.1952 0.1880 | 0.1980 0.2028 100 0.2145 0.2169 0.2140 0.2100 0.2161 200 0.2396 0.2387 0.2390 0.2220 0.2285 400 0.2840 0.2450 0.2502 600 0.3230 | 0.2690 0.2678 800 | 0.3550 0.2920 0.2815 Ausgegeben aın 9. Februar. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. ne B SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. vi VD. 9. Fegruar 1905. h 1l Ir un & BERLIN 1905. \%, NS, Fr oh VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. SL YDt IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. e DIN AN N\ nncı\ r [7 ihr 81. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der pliilosophisch - historischen Classe ungerade Nummern 8.2. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberiehten über- wiesenen wissenschaftliehen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nieht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternehen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Seeretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Seeretar führt die Oberaufsicht über die Redac- tion und den Druck der in dem gleichen Stück exschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. 56. l. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $41,2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt-Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschnitten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- öffentlichen Here als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. S8. 5. Auswärts werden Correeturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. g1l. 1. Der Verfasser einer unter den » Wissenschaftlichen Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf’ welchem der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf’ Kosten der Akademie weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver- theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter der dem redigirenden Secretar angezeigt hat; wünscht er auf _ seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe — " Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exem- plare auf ihre Kosten abziehen lassen $ 28. 1. Jede zur Aufnahme in die Sitzungsberiehte be- 5 stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung _ Abwesende Mitglieder, sowie alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung einesihrem vorgelegt werden. Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder corre- spondirender Mitglieder direet bei der Akademie oder bei einer der Classen eingehen, so hat sie der vorsitzende Secretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst ;eeeleier scheinenden Mitgliede zu überweisen. [Aus Stat. $ 41,2. — Für die Aufnahme bedarf es einer ausdrücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, sobald das Manuscript druckfertig vorliegt, gestellt und sogleich zur Abstimmung gebracht‘ ve 8 29. 5 7 1. Der revidirende Secretar ist für den Inhalt des . a E fi geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch nicht 3 für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für diese wie u für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte sind nach jeder Richtung nur die Verfasser veran wortlich. Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte an diejenig wofern nichl im besonderen Falle anderes vereinbart wird, Wehrkch drei yuaı, nämlich: Ri 3 die ra von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, . N - » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, Su wi, m » October bis December zu Anfang des nächsten a nach ch Fertigstellung des Reiten, e 7 A ES « | 179 SITZUNGSBERICHTE an DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. 1. Hr. Ensrer las: Über floristische Verwandtschaftzwischen dem tropischen Afrika und Amerika, sowie über dieAnnahme eines versunkenen brasilianisch-äthiopischen Continents. Es werden die zahlreichen, zum Theil erst in neuerer Zeit bekannt gewordenen Fälle des Vorkommens amerikanischer Pflanzentypen in Afrika und afrikanischer in Amerika besprochen und mit Rücksicht auf ihr Auftreten in Strand-, Wald- und Steppenformationen sowie mit Rücksicht auf die Wahrscheinlichkeit einer jüngeren oder älteren Wanderung in verschiedene Kategorien gebracht. Der Vortragende geht dann auf den von einzelnen Forschern angenommenen jurassischen brasilianisch -äthio- pischen Continent ein und ist der Ansicht, dass die hervorgehobenen Verbreitungs- erscheinungen zur Noth auch durch die Existenz grosser atlantischer Inseln der Kreide- zeit erklärt werden könnten. 2. Hr. van’r Horr überreichte eine weitere Mittheilung aus seinen Untersuchungen über die oceanischen Salzablagerungen. XL. Existenzgrenze von Tachhydrit. Gemeinschaftlich mit Hrn. Lıc#rensteın wurde die Umgrenzung des Existenz- feldes von Tachhydrit bei 25° festgestellt. Sitzungsberichte 1905. Ill 180 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 9. Februar 1904. Über floristische Verwandtschaft zwischen dem tropischen Afrika und Amerika, sowie über die Annahme eines versunkenen brasilianisch- äthiopischen Continents. Von A. EnGLer. Einleitung. D Studium der Pflanzenphysiognomik und eine vergleichende Be- trachtung der Vegetationsformationen erweist deutlich, dass in den- selben Zonen und Regionen der östlichen und westlichen Hemisphäre physiognomisch gleichartige und physiologisch vom Klima, den Boden- verhältnissen und der Bewässerung in gleicher Weise beeinflusste (hy- drophile, mesophile, xerophile, halophile) Vegetationstypen und Ve- getationsformationen auftreten, welche zwar dem Landesgebrauch ent- sprechend vielfach verschieden benannt worden sind, aber doch völlig naturgemäss trotz ihres Vorkommens in verschiedenen Erdtheilen mit denselben Namen (z. B. Steppen, Steppengehölz, Steppenwald, Misch- wald, Alluvialwald, Regenwald, laubwerfender Wald, immergrüner Wald u. s. w.) belegt werden können. Während der allgemeine Charakter dieser Formationen durch das Studium in der Natur, am besten nur durch solches, verhältnissmässig leicht erkannt werden kann, bedarf es bei weitem langwierigerer Unter- suchungen, um die Bestandtheile der Formationen festzustellen und um zu ermitteln, inwieweit verschiedenartige, nahe verwandte und identische Formen in den Erdtheilen gleicher oder auch verschiedener Zonen vertreten sind. Verhältnissmässig früh hat sich die Erkennt- niss Bahn gebrochen, dass in dem nördlich extratropischen Theil der Erde, im südlich extratropischen, im paläotropischen und neotropi- schen verschiedene Florenelemente herrschen und in einzelnen Theilen derselben wiederum gewisse systematische Gruppen verschiedenen Gra- des, Familien, Unterfamilien. Gruppen, Gattungen dominiren, bis- weilen so sehr, dass man auch einzelne Theile der Erde als »Reiche« solcher Familien und Gattungen bezeichnete. Wie jede einseitige Be- Ensrer: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 181 trachtung nachtheilig ist und zu Missverständnissen führt, so hat auch die Aufstellung von »Reichen« nach einzelnen Pilanzentypen solche zur Folge gehabt. Immerhin kommt aber hierbei schon die hoch- wichtige Thatsache zum Ausdruck, dass in den verschiedenen Theilen der Erde, zum mindesten seit der Entwicklung von Angiospermen, wenn nicht schon früher, verschiedene Pilanzenstämme entstanden sind und sich nach Art des Geästes eines Baumes immer weiter verzweigt und ausgebreitet haben. Während wir den Zusammenhang der End- zweige häufig noch sicher feststellen, mitunter auch ihre Zugehörig- keit zu einem Hauptast wahrscheinlich machen können, ist es oft schon sehr schwierig zu bestimmen, ob die Hauptäste einem Stamm oder verschiedenen nahestehenden angehören, gerade so wie in einem Ge- büsch nicht immer ermittelt werden kann, ob die über die Erde tre- tenden Äste einem oder mehreren unterirdischen Stämmen entsprossen sind. Wenn auch immer solche Zweifel sich nicht selten einstellen, so bleibt doch für den grössten Theil der pflanzlichen Tropenbewoh- ner unbestreitbar, dass sie autochthon sind, während bei den Pflanzen der extratropischen Gebiete, insbesondere der arktischen und subarkti- schen Zonen, in Folge vielfacher territorialer und klimatischer Änderungen die Heimatsbestimmung der Sippen auf grössere Schwierigkeiten stösst. In den eircumpolaren Gebieten war von vornherein seit der Tertiär- periode bei dem innigeren Zusammenhang der Landmassen für die Verbreitung der an verschiedenen Stellen entstandenen Formen die Möglichkeit gegeben, während grosse äquatoriale Landmassen schon lange vor der Tertiärperiode durch ausgedehnte Meeresflächen geson- dert waren. Wenn nun in den äquatorialen Continenten neben vor- herrschend endemischen Gattungen und Gruppen auch einzelne Arten auftreten, die in polwärts weit entfernten oder innerhalb der Tropen- zone durch die Oceane abgesonderten Ländern die Mehrzahl der Ver- wandten besitzen, so verdienen diese ganz besondere Aufmerksamkeit und eingehendes Studium. Nur darf man nicht ohne Weiteres die Angaben der Florenwerke nach dieser Richtung hin verwerthen wollen, sondern muss seine Schlüsse auf eine genaues Studium der Pflanzen selbst und ihrer verwandten Formen gründen. In mehreren Schriften über die Flora Abyssiniens und Ostafrikas und in zwei Abhandlungen über das Verhalten von Pflanzen der nörd- lich gemässigten Zone auf den Hochgebirgen Afrikas habe ich zeigen können, dass sowohl vom Capland aus, wie von den östlichen Mittel- meerländern und dem nordöstlichen Vorderindien nach den ostafri- 172 182 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. kanischen Gebirgsmassen hin und entlang derselben sich theils ohne, theils mit Veränderung Formen verbreitet haben, welche offenbar in den extratropischen Gebieten ihre ursprüngliche Heimat besitzen. Diesmal möchte ich die Aufmerksamkeit hinlenken auf diejenigen Pflanzen des tropischen Afrika, welche theils auch im tropischen Amerika vorkommen, theils mit tropisch-amerikanischen Formen mehr oder weniger nahe verwandt sind, und zwar möchte ich die ein- schlägigen Thatsachen feststellen im Hinblick auf die schon mehrfach aufgeworfene Frage, ob ehemals eine Landverbindung zwischen Amerika und Afrika existirt habe. Als unumstössliche Thatsache kann gelten, dass bei Weitem der grösste Theil der Megathermen Amerikas hier endemisch ist und viel- fach nur in diesem Erdtheil auftretenden Familien, Unterfamilien, Tribus, Gattungen, Untergattungen angehört, dass diese im Gegen- satz zu anderen stehen, welche ausschliesslich paläotrop sind; aber die Fortschritte in der Kenntniss der afrikanischen und asiatischen Megathermen haben ergeben, dass auch das tropische Asien und das tropische Afrika trotz gewisser gemeinsamer Züge, welche wir als paläotrop zusammenfassen, einen starken Endemismus aufweisen, der allerdings weniger bei Familien als bei Unterfamilien, Tribus und Gattungen zum Ausdruck kommt. Das Märchen von einer einst gleich- artig gemischten Angiospermenflora auf der ganzen Erde kann man als gründlich abgethan ansehen. Vielmehr bestätigt sich immer mehr, dass wahrscheinlich schon mit der Entwicklung der Gymnospermen, sicher mit der der Angiospermen in den verschiedenen Theilen der Erde nicht gleichartige, sondern verschiedenartige Typen aufgetreten sind. Zwar möchte ich nicht Remeke! beipflichten, welcher als möglich hin- stellt, dass jede jetzt lebende Art sich aus einer der ursprünglich gleichartigen Urzellen entwickelt haben könne; dagegen spricht die Veränderlichkeit der Arten. Aber das kann man wohl auch als An- hänger der Descendenzlehre zugeben, dass die Sippen einer Familie, die einzelnen Unterfamilien, die Gattungen, ja auch auf verschiedene Theile der Erde beschränkte Seetionen einer Gattung neben einander aus gleichartigen, wenn auch nicht vollkommen gleichen Organismen hervorgegangen sind.” ! Reınke in Biol. Zentralblatt XXTV (1904) S. 596, 597- 2 Ein Eingehen auf diese Hypothese scheint mir nothwendig, weil man sich fragen muss, ob mit Hülfe derselben auch das disjunete Vorkommen der zu einer Gattung oder zu einem engeren Verwandtschaftskreis gehörigen Formen ohne Weiteres erklärt werden könne. Wenn ein Organismus N an zwei verschiedenen Stellen X und Y als N. und N, auftritt und N nicht von X nach Y gewandert ist, so setzt dies voraus, dass N sowohl in X wie in Y alle Stadien der Entwicklung von der Stufe A bis N (durch B, C, D, E, F u.s. w.) durchgemacht hat; dann muss aber A von X nach Y EngtEr: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 183 Wenn die grosse Mehrzahl der Forscher, welche auf Grund der morphologischen Verwandtschaft und der Verbreitung der Organismen einer Gruppe eine Theorie über deren Entwicklung aufstellen, hierbei für die Stammformen einen Ausgangspunkt annehmen, so liegt dies eben daran, dass sie bei so vielen Sippen, welche gegenwärtig auf dem Höhepunkt der Entwicklung stehen, ein Entwicklungscentrum wahrnehmen, in welchem Schaaren von nahe verwandten Formen ent- stehen. In einem solehen Entwicklungscentrum herrschen neben kleinen Verschiedenheiten immer gewisse gemeinsame Existenzbedingungen, durch welche die verschiedenen Formen einer Sippe zusammengehalten werden. Mit dieser Thatsache lässt sich aber auch sehr wohl die an- dere in Einklang bringen, dass die Keime einer solchen in hoher Ent- wicklung begriffenen Sippe, nach anderen Localitäten versetzt, in wel- chen die physiologischen Eigenschaften der Sippe auf dieselben oder fast dieselben Reize wie am Ursprungsort reagiren können, den Aus- gang für ein zweites, eventuell drittes oder viertes Entwicklungs- centrum bilden. Es kann also unbestreitbar die morphologische Verwandtschaft der Pflanzen einer Sippe, sofern nur eine verwandtschaftliche Be- ziehung zulässig ist, zur Feststellung ihrer Heimat oder wenigstens der Durchgangsstationen, welche sie seit ihrer Entstehung durchwan- dert hat, verwendet werden. Kommt man daher bei der Untersuchung der afrikanischen Pflanzen zu dem Resultat, dass ausser den entschie- oder von Y nach X gelangt sein, das heisst, es müssen Generationen von A zwischen X und Y existirt haben; dies war aber nur möglich, wenn zwischen den Orten X und Y dieselben Existenzbedingungen herrschten oder die Wanderung von A in einem Zustand erfolgte, bei welehem der Einfluss anderer Existenzbedingungen, als sie X und Y gewähren, ausgeschaltet war. Mag N in X später, als in Y oder umgekehrt oder an beiden Orten gleichzeitig aufgetreten sein, immer bleibt die Forderung bestehen, dass eine der früheren Stufen A bis M von einem Ort zum andern gewandert ist und von X nach Y die Entwicklungsfähigkeit oder diejenige Constitution mitbrachte, welche sie in X erworben hatte. Dass etwa Sporen einer Polypodiacee nach zwei durch das Meer getrennten Localitäten versetzt, sich in einer jeden im Laufe von Millionen von Jahren zu derselben Cycadacee oder auch nur zu derselben Hydropteride hätten ent- wickeln können, halte ich für ausgeschlossen, weil die Erfahrung lehrt, dass die Ent- wicklung im Wesentlichen durch die Entwieklung der Vorfahren bedingt. nebenher als eine Reaction auf die äusseren Einflüsse anzusehen ist, diese aber unmöglich an weit entfernten Localitäten während Millionen von Jahren immer vollkommen gleich sein können. Mag also auch der Eine für zwei verwandte Formen den hypothetischen Ausgang von einem gemeinsamen Ursprung mehr zurückversetzen als der Andere, so bleibt dabei doch immer die Annahme bestehen, dass die Ursprungsformen sich einmal unter wesentlich gleichen Bedingungen befunden haben. Damit ist gesagt, dass man für Pflanzen engerer Verwandtschaft immer ein Areal anzunehmen hat, auf welchem die Verbreitung der Samen zur Ursprungszeit möglich war, also entweder einen Continent oder Inseln, zwischen denen Meeresströmungen, Wind oder Flugthiere den Transport der Samen vermittelten. 184 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. den paläotropischen und entschieden afrikanischen Sippen, ausser den aus der nördlich gemässigten Zone und dem Capland eingewanderten Sippen auch solche vorhanden sind, welche nur mit amerikanischen Formen identisch oder nahe verwandt sind, dann hat man auf Grund der Verbreitungsmittel zu entscheiden, inwieweit bei der jetzigen Con- figuration dieser Erdtheile ein Austausch von Pflanzenformen zwischen denselben möglich war und inwieweit dieselbe zur Erklärung nicht ausreicht. Von vornherein stand ich lange Zeit der Annahme einer ehe- maligen Landverbindung zwischen Amerika und Afrika skeptisch! gegen- über, nicht nur wegen der festgestellten grossen Tiefe des Atlantischen Oceans, sondern namentlich auch wegen des unzweifelhaft starken En- demismus beider Continente, sodann auch deshalb, weil die Flora des tropischen Afrika im Verhältniss zu der neotropischen noch sehr un- genügend erforscht war. Nachdem ich nun aber beinahe 20 Jahre mich speciell mit der ersteren beschäftigt und auch die amerikanische Flora immer im Auge behalten habe, glaubte ich der oben angedeu- teten Frage näher treten zu dürfen. Für dieselbe kamen zunächst nicht in Betracht: ı. alle Sporen- pflanzen, bei denen bekanntlich eine sehr weit gehende Verbreitung festgestellt ist und theils auf die leichte Verbreitungsfähigkeit der Sporen durch Luftströmungen, theils auf das hohe Alter der Typen zurück- geführt werden kann; 2. alle Siphonogamen, welche pantropischen Gattungen angehören, da bei vielen derselben eine Verbreitung über das Monsungebiet und Polynesien, bei manchen auch eine Verbreitung über das nordwestliche Amerika nach dem nordöstlichen Asien in ver- gangenen Perioden angenommen werden kann. Für die Betrachtung der den beiden Continenten gemeinsamen Arten, Gattungen und Gattungsgruppen liess ich mich aber von fol- genden Erwägungen leiten. “s wird mit Recht getadelt, wenn bei der Erklärung pflanzen- und thiergeographischer Thatsachen nach Belieben mit Hebungen und Senkungen des Meeresbodens operirt wird und andere Möglichkeiten der Verbreitung nicht genügend berücksichtigt werden. Zu den letz- teren gehören zunächst die durch den Verkehr der Menschen, sodann die durch Meeresströmungen, Überschwemmungen, Thiere und Wind. Mag die Verbreitung von Früchten und Samen durch Thiere und Wind auch mehrfach überschätzt werden, so kommt sie doch ganz sicher vor, und ich selbst bin nach langjähriger Beschäftigung mit ' A. Encrer, Versuch einer Entwieklungsgeschichte der Pflanzenwelt, I]. (1882) 8.173 — 178. Exeter: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 185 Verbreitungsfragen geneigt, den Thieren und dem Wind bei der Be- siedelung offenen Landes einen grösseren Einfluss zuzuschreiben, als ich es früher gethan habe. Für das Verschleppen von kleinen Samen hydrophiler Pflanzen durch Anhaften an den Füssen der Vögel, für die Verbreitung von Klettenfrüchten und haarigen Samen durch Quadrupeden, für die Verschleppung fleischiger Früchte und Samen, end- lich für die Verbreitung sehr leichter Samen durch den Wind sprechen sehr viele Thatsachen. Wenn trotzdem die einzelnen Florengebiete und Provinzen, die einzelnen Formationen ihren Bestand nur wenig oder gar nicht ändern, so liegt dies meist daran, dass die Ankömmlinge gegenüber den alt- eingesessenen Formen nicht aufkommen. Auch bei der Besiedelung von offenem Land oder Neuland haben immer die zunächst wohnenden, welche immer wieder neue Truppen in Form von Saatgut vorschieben können, den Vortheil vor den zufällig in keimfähigem Zustande aus der Ferne durch Vögel oder Wind herangebrachten Samen; es sei denn, dass die aus letzteren hervorgehenden Pflanzen in ihren physiolo- gischen Eigenschaften besser für die sie aufnehmende Region und Bodenformation geeignet sind, als die zunächst vorkommenden Arten — so z. B. die aus höheren Breiten in die oberen Regionen tro- pischer Gebirge transportirten Samen. Mag also Verschleppung von Früchten und Samen aus einem Florengebiet in ein anderes selten sein und noch seltener von Erfolg begleitet werden — sie ist doch in gewissen Fällen möglich, nicht bloss im zusammenhängenden Land, sondern auch über Meeresflächen bescheidener Ausdehnung hinweg. Wenn es sich daher um so wichtige Fragen handelt, wie die, ob eine einstmalige continuirliche Landverbindung zwischen Süd- amerika und Afrika anzunehmen sei, so müssen bei der Erklärung der dem Anschein nach dafür sprechenden Verbreitungsverhältnisse zunächst alle Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, welche auch eine andere Auffassung zulassen und dann erst, wenn diese Mög- lichkeiten versagen, hat man ein Recht, zu behaupten, dass trotz der heute bestehenden Tiefen zwischen Südamerika und Afrika einst- mals eine continuirliche Landverbindung bestanden haben muss. Demgemäss habe ich die für unsere Frage wichtigsten Fälle (nicht alle) afrikanisch - amerikanischer Pflanzengemeinschaft, wie folgt, in ı2 Kategorieen gebracht, von denen I bis IX mehr oder weniger die Annahme eines Transports von Früchten oder Samen über den Ocean hinweg oder wenigstens von Insel zu Insel zulassen, die folgen- den dagegen eine solche Annahme höchst unwahrscheinlich erscheinen lassen oder gänzlich ausschliessen. 186 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. I. Neotropische Arten, welche sonst nur noch in Westafrika vor- kommen, aber leicht durch Schiffsverkehr dorthin gelangt sein können. Hippeastrum reginae Herr». (H. africanum Weıw.) in Bergwäldern der Insel do Prineipe, um 1100”, ist verbreitet in Bergwäldern des südöstlichen Brasiliens. Schrankia leptocarpa DC., eine halbstrauchige Mimosoidee, an der Goldküste von Voser und Dow gesammelt, ist im mittleren und nördlichen Brasilien an sandigen Flussufern, an Hecken und in ver- lassenen Pflanzungen verbreitet. Calliandra portoricensis (Wırın.) BENTH., ein Strauch der Mi- mosoideae, am Bonny River von Mann aufgefunden, ist weit verbreitet in Westindien und an den atlantischen Küsten Südamerikas. Cardiospermum grandiflorum Sw. (C. barbicaule Bak. Fl. trop. Afr. I. 419), im Kamerungebirge um 1600” von Mann gesammelt, in Westindien, Central- und Südamerika an Flussufern verbreitet. Allamanda cathartica L. Klimmender Apocynaceenstrauch mit grossen gelben Blüthen, am unteren und mittleren Congo, sowie auf Sansibar, naturalisiert, stammt aus dem tropischen Südamerika. Schwenkia americana L., eine einjährige Solanacee, ist zerstreut in den Küstengebieten Westafrikas von Sierra Leone bis Angola, viel- fach auch in Maniokpflanzungen anzutreffen; sie findet sich in Brasilien von Minas Geraös bis Para. ı9 andere Arten und mehrere verwandte Gattungen aus der Gruppe der Salpiglossideae sind auf Südamerika beschränkt. Hyptis atrorubens Poır., eine mehrjährige Labiate, in Westafrika zerstreut von Senegambien bis Sierra Leone, verbreitet im mittleren und nördlichen Brasilien. II. Neotropische Arten, welche durch den Schiffsverkehr von Amerika nach Westafrika gelangt sein können und sich noch weiter ostwärts (bis Ostafrika, Madagaskar, Ostindien, Ostasien) verbreitet haben. Mimosa asperata L., verbreiteter Strauch in den tropischen Ländern der alten Welt, in Angola stellenweise Dickichte bildend. Cardiospermum halicacabum L. (einschl. ©. mierocarpum Kunrn), verbreitet in allen Tropenländern, aber ursprünglich aus Amerika stammend, woselbst die übrigen Arten heimisch sind. C. corindum L. (einschl. C. canescens War. und C. Pechuelü O. Krze.), in Afrika bisher nur in Südwestafrika und Abyssinien gefunden, aber in den Tropen der alten Welt verbreitet, ist ebenfalls im tropischen Amerika zu Hause. Ensrer: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 187 RADLKorEr ist der Ansicht, dass die häutige, blasig aufgetriebene Kapsel- frucht befähigt ist, vor dem Winde auf dem Wasser zu treiben. Es ist aber auch zu beachten, dass beide Arten sich vielfach in Hecken in der Nähe menschlicher Wohnungen finden und die Früchte ver- schleppt werden können. Waltheria americana L., ein in fast allen 'Tropenländern ver- breiteter Halbstrauch, dessen Verwandte in Amerika zahlreich sind; W. lanceolata R. Br., in Senegambien und Sierra Leone, ist bis jetzt noch nicht aus Amerika nachgewiesen. Lochnera rosea (L.) Reus. Bis 1" hohe halbstrauchige, roth- blühende Apocynacee, bisweilen massenhaft am Strand in Ober- und Unterguinea, auf Sansibar und in Portugiesisch-Ostafrika, auch in anderen Tropengebieten, stammt aus Westindien. Duranta Plumieri Jaca., ein Verbenaceenstrauch mit gelben, im heranwachsenden Kelch eingeschlossenen Steinfrüchten, verbreitet im tropischen Afrika sowie in anderen tropischen und subtropischen Gebieten der alten Welt, ist in Gebüschen und Hecken des tropischen Amerikas häufig, wird auch vielfach eultivirt und verwildert leicht. Stachytarpheta angustifolia Vaun, eine einjährige Verbenacee, von der Westküste des tropischen Afrika bis zum Tanganyika und dem nördlichen Centralafrika verbreitet, im tropischen Amerika häufig. Stachytarpheta mutabilis Van, von Afrika zwar nur aus An- gola bekannt, aber verbreitet in den Tropen der alten Welt, und St. indica Vauı, in West- und Ostafrika vorkommend, sind beide im tropischen Amerika heimisch. Beide sind einjährige Verbenaceen, welche als Ruderalpflanzen anzusehen sind. Lippia nodiflora (L.) A. Rıcn., ein in wärmeren Teilen der alten Welt verbreitetes mehrjähriges Kraut, und L.asperifolia A. Rıcn., ein in West-, Ost- und Südafrika häufiger, auch in die Gebirge auf- steigender Strauch der Verbenaceen, sind beide im tropischen Amerika verbreitet. Lantana camara L., ein in Westafrika und im tropischen Asien häufiger Strauch, desgleichen 2. trifolia L., ein im tropischen Afrika und tropischen Asien zerstreut vorkommender Halbstrauch der Ver- benaceen, sind beide im tropischen Amerika heimisch, werden auch eultivirt und verwildern. Hyptis brevipes Poır., H. pectinata Por. und H. suaveolens Poır. (Labiaten), von Westafrika bis nach dem tropischen Asien ver- breitete einjährige Kräuter sind im tropischen Amerika häufige Rude- ralpflanzen, die zweite auch eine Strandpflanze. Hyptis spicigera Lan., wie die vorigen, aber bis jetzt nur bis Madagaskar verbreitet. 188 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. Richardia brasiliensis Gomez, eine der 9 in Amerika vorkom- menden einjährigen Arten der Rubiaceengattung Aüchardia L. (nicht Richardsonia), im Sansibarküstengebiet; sie ist im südlichen Brasilien heimisch und findet sich, wahrscheinlich verschleppt, auch in Florida und auf den Sandwichinseln. Elephantopus scaber L., ein bis 2" hohes Compositenkraut, dessen Achänen kleinborstig sind und leicht anhaften, ist von West- m bis Centralafrika sowie auch im tropischen Asien und Australien ver- breitet, ebenso im tropischen Amerika, wo die Gattung heimisch ist. Adenostemma viscosum Forst., ein über 1" hohes Compositen- unkraut, von Westafrika bis Ostafrika und ebenso im tropischen Asien verbreitet, ist häufig im tropischen Amerika, woselbst die Heimat der Gattung. Ageralum conyzoides L., Compositenunkraut, in allen Theilen des tropischen Afrika und in allen wärmeren Theilen der Erde, stammt aus dem tropischen Amerika. Mikania scandens (L.) Wırın., eine weit- und hochkletternde Compositenliane, welche im tropischen Afrika ebenso wie im tropi- schen Asien weite Verbreitung gefunden hat, während ausser dieser etwa 150 Arten im tropischen Amerika heimisch sind. Ximenesia encelioides Cav., bis I” hohe Composite, nahe ver- wandt mit der amerikanischen Gattung Verbesina, von Mexiko aus durch das tropische Amerika verbreitet und von Senegambien bis Chartum. Bei den meisten Pflanzen dieser Kategorie ist anzunehmen, dass sie durch den Schiffsverkehr nicht bloss nach Westafrika, sondern auch nach anderen Theilen der Tropen gelangt sind; bei Mikania scandens (L.) Wırrv. könnte man aber auch an anderweitige Verbreitung denken, da sie in allen wärmeren Ländern vorkommt und auch in früheren Perioden über Nordamerika nach Ostasien gelangt sein kann. II. Paläotropische Arten, welche auch im tropischen Amerika vorkommen und wahrscheinlich durch den Schiffsverkehr dorthin gelangt sind. Mollugo nudicaulis Lam., verbreitet in West- und Ostafrika in offenen Steppenformationen, auch in Westindien und Englisch-Guiana. Glinus lotoides LorrrıL., an Ähnlichen Localitäten, wie die vorige in den tropischen und subtropischen Gebieten der alten Welt, auch noch in Südeuropa, im tropischen Amerika, z. B. in der brasilianischen Provinz Goyaz. Enster: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 189 Solenostemon ocimoides Scnumacn. et Tnoxn., eine einjährige, bis 1” hohe Labiate, in Lichtungen der Steppenbuschgehölze West- und Centralafrikas, auch in Bahia in Brasilien; alle anderen Arten aus- schliesslich paläotrop. Leucas martinicensis R. Br., wie vorige und an ähnlichen Lo- ealitäten in den Tropengebieten der alten und neuen Welt, etwa ı00 andere Arten nur paläotrop. Leonotis nepetifolia (L.) R. Br., bis 1.5 hohes Kraut, welches sich so wie vorige Pflanze verhält, ı2 andere Arten nur in Afrika. Cephalostigma Perrottetüi A. DÜ., eine einjährige Campanulacee, welche vom Cap Verde bis Gabun im Küstengebiet zerstreut vorkommt, auch in Brasilien an sandigen Plätzen bei Bahia (C. bahiense A. DC.). IV. Arten der Mangroveformation und des salzigen Strandes, welche den afrikanischen und amerikanischen Küsten des Atlanti- schen Oceans gemeinsam sind. Stenotaphrum dimidiatum (L.) Dur. et Scumz, ein Dünengras an der Guineaküste Westafrikas, an den Küsten Südafrikas und Natals, findet sich an den Küsten Südamerikas von Uruguay bis Guiana, auch auf den Sandwichinseln. Andere Arten auf den Inseln des Indischen Oceans. Spartina Scuree. ist eine zu den Chlorideae gehörige Gattung von Salzgräsern, welche vorzugsweise an den continentalen Küsten und auf den Inseln des Atlantischen Oceans vorkommen, in Amerika aber auch landeinwärts angetroffen werden. Die von Holland und Südengland bis Gibraltar und Marokko verbreitete, auch an der friau- lischen Bucht des Adriatischen Meeres vorkommende Sp. siricta RotH findet sich wieder an den Küsten des Caplandes, ostwärts bis Port Elisabeth und auf Salzmarschen in Pennsylvanien. Im atlantischen Nord- amerika finden sich noch 2 andere Arten, davon Sp. cynosuroides WıLLD. auch in den Prärien. Ferner sind zu erwähnen Sp. brasiliensis Rappı von San Domingo, Bahia und Rio de Janeiro, Sp. ciliata Kuntn von Montevideo und Sta. Catharina, endlich eine Art von den Inseln Tristan da Cunha, Amsterdam, S. Paul (Sp. arundinacea Carnıch). Alternanthera maritima Sr. Hır., am Strand von Angola und Südafrika, sowie in Brasilien. Etwa 60-70 Arten der Gattung sind im tropischen und subtropischen Amerika heimisch, einige wie A. re- pens (L.) O. Krze. (= A. echinata Smitu) und A. sessilis (L.) Rorm. et Schurr. in den Tropen an feuchten Plätzen verbreitet. Sesuvium portulacastrum L., eine succulente niederliegende Aizoacee, welche an den tropischen und subtropischen Küsten der alten 190 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. und neuen Welt verbreitet ist. Die nierenförmig rundlichen Saınen sind glattschalig. Trianthema monogynum L., an der Küste von Oberguinea, auch an den Küsten von Ostindien und Ceylon, andererseits an den Küsten Westindiens und der Galapagosinseln, alle anderen Arten nur paläotrop. Gehört vielleicht auch zu Kategorie III. Rhizophora mangle L. var. racemosa (E. Mey.) Excr., verbreitet an den Küsten Brasiliens, Mexikos und der Antillen, in Westafrika von Sierra Leone bis zur Mündung des Cuanza. Das Verhalten der Früchte und Embryonen wird als bekannt vorausgesetzt. Conocarpus ereclus Jaca. Bis 3” hoher Strauch oder bis 10” hoher Baum der Combretaceen, verbreitet in Strandsümpfen von Sene- gambien bis zum unteren Congo, an den Küsten des tropischen Amerika von Florida unter 28° n. Br. bis Südbrasilien. Die Früchte sind wegen des luftreichen Pericarps schwimmfähig. Laguncularia racemosa (L..) Gaerrn., kleiner buschiger Baum der Combretaceen, Hauptbestandtheil der Mangrove an den Küsten des tropischen Amerika, und zwar sowohl an der West- wie an der Öst- küste, an ersterer von Colombia bis Guayaquil in Ecuador, nordwärts bis Florida, in Westafrika von Sierra Leone bis Loanda. Die Früchte sind wegen des lederartigen, luftreichen Pericarps zum Schwimmen sehr befähigt. Avicennia nitida Jacg. (einschl. A. africana P. Brauv.), Strauch oder Baum an den Küsten des tropischen Amerika von Venezuela bis Florida und in Westafrika von Senegambien bis Angola. Die Samen keimen in der Frucht. Scaevola Plumieri (L.) Vant, eine strauchige Goodeniacee mit fleischigen spatelförmigen Blättern, am Strande des tropischen West- afrika von Senegambien bis Benguella, findet sich auch an den Küsten Westindiens. Die ı“25 lange Frucht ist steinfruchtartig, mit saftigem Exocarp und hartem Endocarp versehen und enthält einen Samen mit fleischigem Nährgewebe. V. Uferwaldpflanzen und andere hydrophile Waldpflanzen des tro- pischen Amerika, welche auch im tropischen Westafrika oder noch weiter östlich vorkommen. A. Grossfrüchtige und grosssamige. Elaeis guineensis Jaca., welche auch an dieser Stelle besprochen werden könnte, sehe man unter X. Mohlana latifolia (Lam.) Moav. (incl. Mohlana nemoralis Marr. und M. secunda Mart. —= M. guineensis MogQu.) ist eine in humusreichen Wäl- Ensrer: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 191 dern West- und Ostafrikas verbreitete halbstrauchige Phytolacceacee. Sie ist speeifisch nicht zu trennen von der in Südamerika von Brasilien bis Peru verbreiteten M. nemoralis Marr. Ihre 3"" trockenen Schliessfrüchte sind von den etwas fleischig gewordenen und grossen kugeligen persistirenden Blüthenhüllblättern gekrönt. Die Gattung gehört zu den Phytolaccaceae-Rivineae, von welchen noch 7 auf Amerika be- schränkte Gattungen und eine, Adenogramma Rens., aus Südafrika be- kannt sind. Die Gattung Melanococcus F. v. Murzr. aus Australien und Neu-Kaledonien soll auch hierher gehören; aber im Wesentlichen ist die ganze Gruppe amerikanisch -afrikanisch. Chrysobalanus icaco L., Strauch oder kleiner Baum der Rosaceen aus der Unterfamilie der Chrysobalanoideen, von 25 Höhe, vorzugsweise am Strand und nicht selten noch in Gesellschaft der Rhizophora, von Senegambien bis Benguella, ist verbreitet im tropischen Amerika von Brasilien bis Westindien; die Steinfrüchte werden bis 2°”5 lang und 2°” diek. Chr. ellipticus Sor., mit der vorigen nahe verwandt und sich zu einem 5-8” hohen Baum entwickelnd, findet sich an Flussufern von Senegambien bis Angola, auch noch in Pungo Andongo, 75 (deutsche) Meilen von der Küste entfernt; sie kommt ebenfalls im tropischen Amerika, in Guiana, vor. Eine dritte Art, Chr. oblongifolius Micnx., findet sich in den südlichen Vereinigten Staaten. Die nächststehenden Gattun- gen Moquilea, Licania und Lecostomion sind alle im tropischen Amerika reich entwickelt, nur die ebenfalls nahestehende Gattung Grangeria ist auf Mauritius, Madagaskar und den Sunda-Inseln vertreten. Entada scandens (L.) Bextu. Zerstreut im tropischen Afrika; als Liane ebenso in Gebirgsregenwäldern, wie an Uferwäldern der Ebene, auch im Monsungebiet und im tropischen Amerika von Para bis Centralamerika. Da sowohl im tropischen Afrika wie im tropischen Amerika noch andere Arten derselben Gattung vorkommen, so ist die Heimat der Gattung schwer festzustellen und es kann die hier ge- nannte Art ebensogut zur Kategorie VI gehören. Die grossen Hülsen sowohl wie auch die einzelnen Glieder derselben schwimmen. Dalbergia monetaria L. fil., in Senegambien und Sierra Leone, im tropischen Amerika in der Hylaea und vom Mündungsgebiet des Amazonenstromes bis Westindien. Die Früchte dieses zu den Dalbergieae gehörenden Spreizklimmers sind rundlich, am Rande dünn, in der Mitte beiderseits buckelig verdickt und holzig; sie schliessen einen einzigen flachen Samen ein. (Vergl. Ener. und Prantr., Nat. Pflanzen- jarmat 1IE,3,28.3374, Eig. 12.) Dalbergia ecastaphyllum (L.) Taus., ein bis 8" hoher Strauch, häufig in dichten Küstenwäldern von Senegambien bis zum Congo, auch auf der Insel do Principe, im tropischen Amerika von der Pro- 192 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. vinz Minas Geraes und Rio de Janeiro bis Florida. Diese und die vorige Art gehören zu der Section Selenolobium Bextn., von welcher noch einige Arten im tropischen Amerika vorkommen, der Spreiz- klimmer D. macrosperma Werw. in Angola und D. monosperma Daız. in Vorderindien und dem Monsungebiet. Drepanocarpus lunatus (L. f.) G. F. Mey. Dorniger Strauch oder kleiner Baum von Senegambien bis Angola, im tropischen Amerika von Nordbrasilien bis Westindien, vorzugsweise an Flussufern, be- sonders in den Mündungsgebieten derselben, anschliessend an die Man- groveformation, auch in derselben. Die nicht aufspringenden Früchte sind sichelförmig in einen Kreis gebogen, zusammengedrückt, mit lederartigem Pericarp und enthalten einen grossen halbmondförmig ge- bogenen Samen. Die übrigen (etwa 7) Arten der Gattung sind alle tropisch amerikanisch und ebenso sämmtliche (über 60) Arten der sehr nahestehenden Gattung Machaerium. Andira jamaicensis (W.Wr.) Urs. (A. inermis H. B. Kuntn, Vouaca- poua americana AugL., TAUBERT in Ener. und PrAntr, Nat. Pflanzenfam. III, 3, S. 346), 10-20” hoher Baum, in Senegambien, im tropischen Amerika, namentlich in der Hylaea, in Öentralamerika und Westindien. Die nicht aufspringenden, 3°” langen und 2°” dicken Früchte sind stein- fruchtartig, mit sehr dickem, fast holzigem Endocarp, welches viel dieker ist als der einzige längliche und dickschalige Same. Dioclea reflexa Hoox. f., eine bis 6" hoch kletternde Liane mit holzigem Stamm aus der Gruppe der Phaseoleae, von Ober-Guinea bis Angola, auch im Monsungebiet; im tropischen Amerika hauptsächlich im nördlichen Brasilien und Centralamerika. Die Hülsen sind leder- artig, breit länglich, 7.5-10°” lang und 5°” breit, in der Jugend von gelblichgrauen Haaren bedeckt und umschliessen mit ihrem Mark ı-2 grosse Samen. Etwa 15-16 andere Arten der Gattung finden sich nur im tropischen Amerika, wo auch die nahestehenden Gattungen Camptosema, Cratylia und Cleobulia vorkommen, während die ebenfalls nahestehende Gattung Pueraria dem Monsungebiet angehört. Carapa procera DC., aus der Familie der Meliaceen, ein statt- licher, 5-12", bisweilen 16” hoher Baum mit 1” diekem Stamm, mit kandelaberartiger Verzweigung und riesigen 5-ıopaarigen Blättern, deren Blättehen bis 30°” lang werden, mit oft 6°" Jangen Blüthenstän- den, in dichten Uferwäldern, von Senegambien bis Angola, auch auf Fernando Po; ausserdem auf den Antillen und in Französisch - Guiana. Die Frucht (vergl. Harus in Ener. und Prantr, Nat. Pflanzenfam. II, 5, S. 277, Fig. 156) ist eine 10—-12°” im Durchmesser zeigende kugelige, holzige, warzige, geschnäbelte Kapsel. deren dickes Pericarp von der Basis aus septifrag in 5 am Scheitel zusammenhängende Klappen auf- Ensrer: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 193 springt; sie schliesst in jedem Fach 6-8”" dicke Samen mit brauner, holziger Schale ein. Nächstverwandt ist noch C. surinamensis Mıov. in Surinam. Etwas mehr verschieden sind: ©. guianensis Ausr. in Vene- zuela und der Hylaea, C. nicaraguensis G. DC. in Nicaragua. Ceiba pentandra (L.) Garrın. (= Eriodendron anfractuosum DO.) der riesige, bis 40” hohe »Baumwollenbaum« oder »cotton tree«, in Westafrika »Onia« genannt, an Flussufern von Senegambien bis An- gola, auch auf der Insel San Thome, ferner in Centralafrika in Unyam- wesi und Unyoro, in Vorderindien und dem Monsungebiet, im tro- pischen Amerika von Mexiko und den Antillen bis zur Hylaea. Die Frucht ist eine grosse, mit Klappen aufspringende Kapsel, mit leder- artigem Pericarp; dessen Innenwand ist von reichlicher Wolle besetzt, in welcher die kahlen, verkehrteiförmigen Samen eingeschlossen sind. Der Baum gehört zu der Section Campylanthera K. Scnun., von welcher noch 3 Arten im tropischen Amerika vorkommen. Auch die übrigen 5 Arten der Gattung, welche sich auf 2 verschiedene Seetionen verteilen, sind im tropischen Amerika von Argentinien bis Mexiko heimisch, des- gleichen auch die 3 Arten der nächstverwandten Gattung Chorisia. Paullinia pinnata L. In West- und Ostafrika verbreitete, auch in Madagaskar insbesondere in Uferwäldern an lichteren Waldrändern vorkommende Liane der Sapindaceen, zugleich im tropischen Amerika die verbreitetste der dort vorkommenden 121 Arten. Die Frucht ist eine bis 3°” lange, birnförmige, wandbrüchige, 3klappige Kapsel mit schwammiger, aussen schief gestreifter Fruchtwand und schliesst einen länglichen, fast ganz von weissem Arillus bedeckten Samen ein. Nach RaAptkorer (in Ener. und PrantL, Nat. Pflanzenfam. III, 5, S. 295) öffnet sich das Pericarp spät, und daher ist bei der schwammigen Beschaffen- heit desselben der Transport der in die Frucht eingeschlossenen Samen durch Wasser möglich. B. Kleinsamige. Tristicha hypnoides Sprune., (Podostemonacee) auf Steinen in Ge- birgsflüssen von Pungo Andongo in Angola, im südwestlichen Kap- land, im Niger-Benuägebiet, am Kilimandscharo, im Ghasalquellen- gebiet und in Abyssinien, ist im tropischen Amerika verbreitet von Uruguay und Südbrasilien bis Mexiko. ©. Beerenfrüchtige. Rhipsalis cassytha Gaertn., in Bergwäldern epiphytisch, ver- breitet im ganzen tropischen Afrika von Kamerun bis Angola und von Usambara bis Natal, auch auf den Maskarenen und Ceylon, im tro- pischen Amerika von Brasilien bis Westindien. 194 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. VI. Uferwaldpflanzen und andere hydrophile Waldpflanzen des tropischen Afrika, welche auch im tropischen Amerika vorkommen. Raphia vinifera P. Brauv., in Westafrika von Sierra Leone bis Benguella, daselbst bis 1000” ü. M. aufsteigend, auch im Nyassaland, häufig an Flussufern, findet sich im tropischen Amerika in der Varietät taedigera (Marr.) Drupe im Mündungsgebiet des Tocantins und Ama- zonas Wälder bildend, sodann auch in Nicaragua (R. nicaraquensis Ozrstr.). Es kommen nur noch etwa 7 Arten im tropischen Afrika und Madagaskar vor, keine einzige ausser der genannten im tropischen Amerika. Auch ist diese nur in den Überschwemmungsgebieten an- zutreffen, während sie in Afrika auch gelegentlich in grösserer Höhe über dem Meere gefunden wird. Symphonia globulifera L. fil., ein Baum der Guttiferen, von 6-25" Höhe, von Gabun bis Angola zerstreut in Wäldern wach- send, findet sich in Brasilien in feuchten Wäldern der Provinzen Rio de Janeiro und Ilheos, sodann in der Hylaca bis zum Rio Uau- pes aufwärts, auch in Guiana, Panama, Costarica und Westindien (Jamaica, Dominica), sowie in Honduras. Die Frucht ist eine kugelige, ı bis wenig-samige Beere. Ausser dieser in Ostafrika fehlenden Art kommen noch 5 andere auf Madagaskar vor. In dieselbe Verwandt- schaft gehören einerseits die in Westafrika endemische Gattung Penta- desma, anderseits die in der Hylaea vorkommenden Gattungen Moro- nobea und Platonia, sowie die neu-kaledonische Gattung Montrouziera. VII. Sumpfpflanzen oder Pflanzen feuchter Standorte, welche Amerika und Afrika gemeinsam sind, im tropischen Amerika zahlreiche Ver- wandte besitzen, dagegen im tropischen Afrika oder überhaupt in den Tropenländern der alten Welt mehr isolirt dastehen. Burmannia bicolor Marr. var. africana Rınıev. Kleine einjährige Pflanze, wächst auf feuchten Grasplätzen in Benguella und auf dem Plateau im Norden des Nyassa; die Stammart, als deren Varietät die afrikanische angesehen wird, findet sich auf sandigen feuchten Plätzen in Minas Gera@s und Surinam. Torulinium confertum Hamır., eine 0"3-1"3 hohe Cyperacee, in Sümpfen von Lagos und Angola, auch auf der Insel do Prineipe und häufig am Sambesi, ist im tropischen Amerika weit verbreitet, auch in Westindien und auf den Bahama-Inseln:; sie findet sich ferner im tropischen Asien und Australien, 7 andere Arten sind im tropi- Enger: Über tloristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 195 schen Amerika auf kleinere Gebiete beschränkt. Die Früchte sind kleine, dreikantige Nüsschen. Eichhornia natans (P. Brauv.) Sorms, im tropischen Afrika von Senegambien bis Oware verbreitet, im Ghasalquellengebiet und Mada- gaskar, tritt auch auf im tropischen Amerika in der Hylaea und West- indien. In den wärmeren Theilen Amerikas finden sich ausserdem noch 4 Arten, von denen E. azurea (Sw.) Kunrn und E. cerassipes (MArr.) Sorms besonders weit verbreitet sind. Übrigens ist die ganze Familie der Pontederiaceen, zu denen diese Pflanzen gehören, besonders stark in Amerika entwickelt. Nur ı Gattung, Monochoria, ist ausschliesslich altweltlich; da aber diese Gattung und Pontederia noch gegenwärtig auf der nördlichen Hemisphäre weit polwärts vorkommen, so ist nicht unwahrscheinlich, dass auch im nordwestlichen Amerika und nord- östlichen Asien einmal ein zusammenhängendes Pontederiaceenareal existirt hat. Die Samen von Eichhornia sind klein, mit gerippter Testa versehen und enthalten Nährgewebe, welches den walzenförmigen Embryo umgiebt. Sie können den Füssen von Vögeln leicht anhaften. Thalia geniculata L., eine in Sümpfen und an Flussläufen wach- sende, bis 2” hohe einjährige Marantacee, verbreitet von Sierra Leone bis Angola und über das Congogebiet bis zum Lande der Niamniam und Djur, also bis zum Ghasalquellengebiet, im tropischen Amerika von Argentinien und Südbrasilien bis Mexiko und Florida. Die Früchte sind 1°” grosse kugelige Nüsse mit einem kugeligen Samen, dessen Trans- port über grössere Meeresstrecken hinweg schwerlich anzunehmen ist. Th. coerulea Rınpıey und Th. Welwitschüi Rıneyv dürften als Varietäten zu dieser Art hinzugehören. Dagegen finden sich noch gut unterschie- dene Arten im tropischen Amerika. Brasenia purpurea (Micnx.) Casp. (= B. peltata Pursn) wächst in einem einzigen Bergsee Benguellas zwischen Lopollo und Quilengues, 120 geographische Meilen vom Atlantischen Ocean entfernt, in einer Höhe von 1600” ü.M. Die Bemühungen des Entdeckers, des unver- gleichlichen Sammlers und Beobachters Dr. WeLwırscn, die Pflanze auch in anderen Seeen des Gebietes aufzufinden, führten zu keinem Resultat; sie wurde aber neuerdings gelegentlich der Kunene-Sambesi-Expedition am Habungu von Baum um 1100” ü.M. in Menge gefunden. Die Pflanze findet sich zunächst in Cuba, dann von Alabama einerseits durch Carolina und Tennessee bis nach dem östlichen Canada, anderer- seits durch Texas, Arkansas und Californien bis Washington Territory ‘an der Grenze von Britisch-Columbien. Aus dem tropischen Asien ist die Pflanze bekannt von Bhotan und Khasia. Auch im südlichen Japan und in Queensland in der Nähe der Moreton-Bay kommt sie vor. Wichtig ist ferner, dass entweder dieselbe Art oder eine nahe ver- Sitzungsberichte 1905. 15 196 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. wandte in Europa existirt hat. Durch die vergleichenden anatomischen Untersuchungen Dr. WEBERBAUER's (Ber. d. deutsch. bot. Ges. XI (1893) 388, Taf. VIII und Enever’s Bot. Jahrb. XVII, 230. 252. 253) ist dar- gethan, dass die fossilen, unter die Gattungen Holopleura und Crato- pleura gebrachten Samen nur sehr wenig von einander und von denen der Brasenia verschieden sind, weshalb er sie insgesammt als Brasenia Victoria (Casr.) WEBERBAUER bezeichnete. Diese fossilen Samen stammen aus der Braunkohle von Biarritz bei Bayonne, aus der Schieferkohle von Dürnten in der Schweiz, aus der Braunkohle der Wetterau, aus Torfmooren von Grossen Bornholt in Holstein. Aus allen diesen An- gaben geht hervor, dass Drasenia ehemals eine grössere Verbreitung besessen hat. Da aber die Gattung unter allen Nymphaeaceen den Ca- bomba am nächsten steht und diese auf das wärmere Amerika von Südbrasilien (23° s. Br.) bis Carolina (30° n. Br.) beschränkt sind, so ist Amerika als das Ursprungsland von Brasenia anzusehen. Neptunia oleracea Lovr., dem Wasser aufliegende und schwim- mende Mimosee, zerstreut in stehenden Gewässern des tropischen Afrika, auch weit verbreitet im tropischen Asien und dem tropischen Amerika, in Brasilien in Bahia und der Hylaea. 3 andere der genannten nahe- stehende Arten kommen in Nord- und Südbrasilien sowie in Peru vor. Die Hülsen von Neptunia oleracea sind schief länglich, bis 3°” lang flach zusammengedrückt, etwas lederartig, innen undeutlich gefächert, mit eiförmigen, quer gestellten Samen. Caperonia palustris (L.) St. Hır. ist eine krautige Euphorbiacee, welche in Sümpfen des tropischen Ostafrika gefunden wurde, mög- licherweise auch noch im tropischen Westafrika nachgewiesen werden wird; sie ist in Amerika von Nordbrasilien bis Mexiko sowie in West- indien verbreitet und hat zahlreiche Verwandte in Amerika. Die Früchte sind steifhaarige oder stachelige Kapseln. Sauvagesia erecla_L., kleines, auf feuchten Plätzen im tropischen Afrika vorkommendes Kraut der Ochnaceen, auch auf Madagaskar und auf den Inseln des Monsungebietes, ganz besonders häufig aber im tropischen Amerika von Südbrasilien und Peru bis Mexiko und West- indien. 10 andere Arten wachsen nur in der Hylaea und Südbrasilien. Die Früchte sind scheidewandspaltige Kapseln mit zahlreichen kleinen, nährgewebereichen Samen mit grubiger Schale. Mit Sauvagesia ist nicht verwandt Vausagesia Baıtı., von welcher 2 ‘Arten, V. africana Baıuı. am Congo und V. bellidifolia Ener. et Gig im Kunenegebiet (am Longa unterhalb Chijeija) vorkommen. Die ausserdem noch nahestehenden Gattungen Leitgebia Eıcnr. und Lavradia Ver. sind auf Brasilien und Guiana beschränkt (s. Giıre in Ener. und Prantr, Nat. Pflanzenfam. II. 6, S. 149-152). Ester: Über tloristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 197 Jussieua repens L., kriechende oder flutende Wasserpflanzen, nicht sehr häufig in Senegambien, den Nilländern und dem Sambesigebiet, verbreitet in den tropischen Gebieten Asiens und Amerikas, in letz- terem mehr variirend; 3 andere verwandte Arten, J. natans Hunv. et Bonpr., J. uruguayensis Game. und J. Hookeri Micnenı nur in Süd- amerika. Jussieua pilosa 11. B. Kunru, bis 1" hohe Sumpfpflanze, von West- bis Ostafrika, im tropischen Amerika vom mittleren Brasilien durch die Hylaea und Westindien bis Florida, Louisiana und Carolina. Jussieua linifolia \ aut, mit der vorigen Art verwandt, weit ver- breitet im tropischen Afrika und auf Madagaskar, im tropischen Amerika in der Hylaea und den Nachbargebieten bis Westindien. Ausserdem kommen noch andere verwandte Arten im tropischen Amerika vor. Jussieua suffruticosa L. (J. villosa Ouıv., Fl. trop. Afr.) ist ver- breitet im tropischen Afrika, Asien und Australien, im tropischen Amerika von Südbrasilien und Argentinien bis Guiana und Columbien:; 3 andere nahestehende Arten finden sich von Südbrasilien und Para- guay bis zu den südlichen Vereinigten Staaten. Jussieua erecta L. (J. linifolia Ouıwv., Fl. trop. Afr.), bis 3" hohes Kraut, ist zerstreut im tropischen Afrika und verbreitet im tropischen Amerika von Südbrasilien bis Westindien. Einige nahestehende Arten in Südamerika. Alle Arten haben kleine Samen. Schultesia stenophylla Marr. var. latifolia Marr., eine bis 3 hohe, einjährige Gentianacee, in Senegambien am Ufer des Gambia dm wachsend, ist in derselben Form auch im tropischen Amerika ver- breitet; sie wächst auf feuchten Wiesen des mittleren und südlichen Brasiliens von Rio de Janeiro bis Piauhy und Goyaz, auch auf Berg- wiesen, ferner in Guiana, in Westindien und Mexiko, daselbst noch 1000” ü.M. Die Frucht ist eine kleine linealische Kapsel mit sehr kleinen, verkehrteiförmigen Samen. in deren Nährgewebe der kleine Embryo eingeschlossen ist. Ausserdem finden sich noch etwa 16 andere Arten nur im tropischen Amerika. Neurotheca loeselioides (Srruce) OLiver, ebenfalls eine kleine Gentianacee mit dünnwandigen Kapseln und sehr kleinen Samen, findet sich häufig an feuchten, überschwemmt gewesenen Plätzen und in Sümpfen des tropischen Westafrika von Senegambien bis zum Congo, auch im centralafrikanischen Seeengebiet, in Madi, andererseits im tropischen Amerika in der Hylaea, in Britisch-Guiana und Para. Neuer- dings sind insbesondere in Westafrika, aber auch in Ostafrika mehrere der vorigen nahestehende Arten (vergl. Baker and Brown in Ins. Dver, Fl. trop. Afr. VIII, 559. 560) gefunden worden. Trotzdem möchte ich den Ursprung der Gattung nicht im tropischen Afrika, sondern im tro- - 18* 198 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. pischen Amerika suchen, weil die nächstverwandten Gattungen, Bis- goeppertia, Geniostemon, Sabbatia, Lapithea, auch die etwas entfernter stehenden, Curtia, Tapeinostemon, in Amerika heimisch sind. VII. Sumpfpflanzen oder Pflanzen feuchter Standorte, welche Amerika und Afrika gemeinsam sind, in den Tropen der alten Welt zahlreiche Verwandte besitzen, im tropischen Amerika dagegen mehr isolirt dastehen. Ascolepis brasiliensis (Kuntn) ©. B. CLARKE, eine von Ober-Guinea bis Angola auf sumpfigen Plätzen zerstreut vorkommende Üyperacee, findet sich auch in Brasilien und Argentinien, ebenso auf Madagaskar. Wahrscheinlich ist sie zu vereinigen mit A. capensis (Kuntu) Rıpıry, welche von Ober-Guinea bis Benguella, anderseits bis zum Ghasal- quellengebiet und durch ganz Ostafrika bis zum Capland verbreitet ist und die Lücken ausfüllt, welche in der Verbreitung der Ascolepis bra- siliensis in Afrika vorhanden sind. Die übrigen 7 Arten der Gattung sind im tropischen Afrika endemisch. Rotala mewicana Cuam. et Scurecutp., kriechendes Sumpfgewächs (Lythracee), im Nigergebiet und Angola, sowie im oberen Nilgebiet, auch auf Madagaskar, in Vorderindien und dem ganzen Monsungebiet; im tropischen Amerika von Südbrasilien bis Mexiko. Die nächst ver- wandten 8 Arten sind paläotrop, wie die meisten Arten der Gattung. Die Früchte sind 2-4 klappige Kapseln, mit sehr kleinen Samen ohne Nährgewebe. Ammannia auriculata W ııLv., var. arenaria (H. B. Kuntn) Korune, forma brasiliensis (Sr. Hıraıre) Kornne findet sich an sumpfigen Plätzen in Benguella, Betschuanaland, Sambesigebiet, Nyassaland und Witu- land: ferner im tropischen und subtropischen Amerika von Südbrasilien bis Mexiko. Andere Formen und nahestehende Arten wachsen auch im Monsungebiet, Vorderindien, Afghanistan und Persien: die meisten andern Arten sind paläotrop. Alle haben sehr kleine Samen. Laurembergia tetrandra (Scuorr) Kanırz, kleine kriechende Sumpfpflanze aus der Familie der Halorrhagaeeen im nördlichen Afrika verbreitet und verwandt mit mehreren anderen Arten Afrikas und Madagaskars, ist auch verbreitet im östlichen Brasilien von S. Catha- rina bis Pernambuco und Venezuela, ist wahrscheinlich alter antark- tischer Herkunft und zugleich nach den afrikanischen und südamerika- nischen Küstengebieten gelangt. Anhangsweise ist noch folgende Pflanze zu erwähnen: Sphenoclea zeylanica Gärrn., 1” hohe Campanulacee, ohne nä- Enger: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 199 here Verwandtschaft zu irgend einer andern Gattung, auf sumpfigen Plätzen im tropischen Afrika zerstreut, auch verbreitet im tropischen Asien, findet sich in Nordbrasilien in der Provinz Para an sandigen Flussufern. Die mit einem Deckel sich öffnende Kapsel enthält eine sehr grosse Zahl kleiner Samen mit Nährgewebe. IX. Steppenpflanzen, welche im tropischen Afrika und im tropischen Amerika vorkommen. Trachypogon polymorphus Hacker, ein hohes, mehrjähriges Gras aus der Gruppe der Andropogoneae, vom Congo bis Südafrika und auf Madagaskar, in der Ebene und in die Gebirge aufsteigend, ist auch verbreitet in den Steppenformationen des tropischen und sub- tropischen Amerika von Argentinien bis Mexiko und Texas. Es ist die einzige Art der Gattung. Deckspelze sehr lang begrannt. Andropogon rufus Kunın, ein bis 2" hohes Gras, verbreitet durch das tropische Afrika bis Zululand und auf den Mascarenen, findet sich auch in Südbrasilien. Andropogon Ruprechtii (Fourn.) Hacker, im tropischen Afrika zerstreut, südwärts bis Transvaal und in Madagaskar, ist auch aus Mexiko nachgewiesen. Melinis minutiflora P. Brauv.. ein bis 2” hohes Gras, welches in Öentral- und Ostafrika, auch in Natal und auf Madagaskar in Gras- fluren der Gebirge bis zu 1600” ü. M. aufsteigt, ist auch häufig auf den Steppen und in Steppengehölzen des südlichen und mittleren Bra- siliens. Aristida Adscensionis L. (A. coerulescens Desr.), verbreitet in den Küstenstrichen von Angola; aber auch im Innern bei Pungo Andongo, ferner in Senegambien, Algier und Abyssinien, sowie in Ostafrika und im Capland, findet sich im tropischen Amerika in der Hylaea in der Provinz Maranhäo. Sie ist ferner anzutreffen auf der Insel Ascension und den Kanaren, jedenfalls eine leicht durch ihre Grannen anhaf- tende Art. Trichopteryx flammida (Trıs.) Bent. et Hoox. f., ein Gras aus der Gruppe der Aveneae, im centralen Brasilien in den Provinzen Piaulhy und Goyaz, ist zugleich ein massenhaft auftretendes Steppengras Ga- buns und des Congogebietes und findet sich auch am Victoria Nyansa bei Bukoba. Es existirt keine endemische Art in Amerika, wohl aber finden sich noch etwa 14 Arten im centralen und südlichen Afrika. Die Deckspelze ist mit einer geknieten, am Grunde gewundenen Granne versehen. 200 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. Eragrostis ciliaris (L.) Lısx, häufiges Steppengras von Sene- gambien bis Abyssinien und Nordindien, auch in Ostafrika bis Natal, auf Mauritius und Madagaskar, findet sich auch im tropischen und subtropischen Amerika von Montevideo bis Mexiko, ferner auf den Gallapagosinseln. Ausser den hier angeführten Steppengräsern giebt es noch mehrere andere, in Afrika und Amerika vorkommende, welche zugleich pan- tropisch sind. Ximenia americana L., ein dorniger Strauch der Olacaceae, ist weit verbreitet in den laubwerfenden Steppengehölzen des tropischen Afrika, im Westen von Senegambien bis zum Kunenegebiet, in Central- afrika und im Osten von Abyssinien bis zum Sambesi; sie findet sich auch im tropischen Asien und im tropischen Amerika von Bahia bis Guiana und in Westindien auf San Domingo. Die Früchte sind Stein- früchte von der Grösse und Form der Kriechenfrüchte. Nahestehende wohl aus den vorigen hervorgegangenen Arten sind X. coriacea EneL. in Bahia, X. cafra Sonv. in Südafrika, X. elliptica Forst. in Neu- Caledonien. Dodonaca viscosa L., eine strauchige, bisweilen auch zu 5" hohem Baum sich entwickelnde Sapindacee, verbreitet in Ostafrika von Abyssinien bis zum Sambesigebiet, auch im Seengebiet, in Sene- gambien und in Benguella, sowohl in den Steppen der Ebene, wie in den Gebirgssteppen und im Gebirgsbusch, oft auf grösseren Flächen alleinherrschend, findet sich ebenso in denselben Formationen im tro- pischen und subtropischen Amerika, wie im tropischen und subtropi- schen Asien und Australien. Dort kommen noch 44 andere Arten vor, ferner eine endemische auf den Sandwichinseln und eine auf Madagaskar. Die Früchte, von denen die Sträucher in der Regel dicht bedeckt sind, sind trockene, dünnhäutige Kapseln, mit 3 ziemlich breiten Flügeln. Diese Flügelbildung, welche wir bei so vielen Steppen- pflanzen, viel mehr als bei denen anderer Formationen finden, trägt ganz besonders zur Verbreitung durch den Wind über die weiten offenen Flächen der Steppe bei, wo sich immer wieder Platz zur Entwickelung einzelner der so massenhaft zerstreuten Samen findet. Da ausser den 44 erwähnten australischen Arten auch die verwandten Gattungen Distichostemon F. v. Mürı. und Diplopeltis ExoL. australisch, und die noch übrige Gattung Loxodiscus Hook. f. neucaledonisch ist, so können wir das australische Gebiet als die Wiege der ganzen Gruppe der Dodonaeeae ansehen. EnGter: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 20] X. Im tropischen Afrika heimische Uferwaldpflanzen und Gebirgs- regenwaldpflanzen, welche nahe Verwandte im tropischen Amerika (häufig in reicher Entwicklung) besitzen, während solehe im tro- pischen Asien ganz fehlen oder nur sparsam vorkommen. A. Arten mit grossen Trockenfrüchten oder mit Stein- oder Beerenfrüchten oder mit kleinen, in einem Fruchtstand ver- eint bleibenden Früchten oder mit aufspringenden Kapsel- früchten, deren Samen wenigstens so gross sind, dass sie nicht durch Wind verbreitet werden können. Olyra L. ist eine Gattung meist stattlicher und gesellig wach- sender Gräser, mit 19 Arten in feuchten und trockenen Wäldern des tropischen Amerika und einer, O. latifolia L., welche in den Regen- wäldern West- und Ostafrikas, auch auf Madagaskar und den Comoren oft massenhaft auftritt. Die Caryopsen werden von den verhärteten weiss gefärbten Spelzen eingeschlossen. Elaeis guineensis Jaca., die Ölpalme, an Flussufern verbreitet von Senegambien (Cap Verde) bis Angola, cultivirt bis Benguella, findet sich auch auf den Inseln San Thome und Fernando Po, am Congo aufwärts bis zum Oberlauf, nordöstlich bis zum westlichen Theil des Niam-niam-Landes und dem Lande der Monbuttu (Schweis- FURTH), ostwärts bis zum Albert-Edward-Nyansa und Albert-Nyansa (StuntLmans), bis zum Westufer des Tanganyika (am Ostufer bei Udschidschi und Urundi wahrscheinlich eingeführt), und des Nyassa- sees, in Angola auch in einer kleinfrüchtigen Varietät; östlich von den Seen kommt sie wohl nur eultivirt vor. Im tropischen Amerika findet sie sich, wahrscheinlich durch die Cultur eingeschleppt, um Rio de Janeiro und Bahia, dagegen tritt sie sehr häufig auf im Mün- dungsgebiet des Amazonenstromes in der Provinz Maranhäo, nicht wie in Afrika in den Urwäldern, sondern vorzugsweise auf sandigem und fettem Boden, ebenso häufig auch in Guiana (vergl. WArBUurRG in Esser, Pflanzenwelt Ostafrikas, B. 8 und Drunr in Marrıus, Flora brasil. III, 2, S. 458). Die zweite Art, E. melanococca GÄrTN., ist weit verbreitet in der Hylaea, aber nicht im Mündungsgebiet des Ama- zonenstromes, sondern mehr im Innern, ferner in Colombia, wo sie bis 250” ü.M. aufsteigt. Die Steinfrucht besitzt bekanntlich ein öl- reiches Mesocarp und einen dicken Steinkern, welcher den ölreichen Samen umschliesst. Nicht bloss die mit Elaeis am nächsten ver- wandte Gattung Barcella, sondern auch die zunächst stehende Gruppe der Cocoineae-Attaleeae ist mit Ausnahme der weitverbreiteten Cocos nucifera neotropisch. 202 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. Buforrestia C. B. Crarke, eine krautige Gattung der Commeli- naceen mit 2 etwa 4” hohen Arten (5. Manni C.B. Crarke und B. imperforata ©. B. Crarke), in den unteren Gebirgsregenwäldern des tro- pischen Westafrika von Sierra Leone bis zum Congo, auch auf den Inseln Fernando Po und do Principe, sowie in Ost-Usambara, ist im tropischen Amerika vertreten durch die in Guiana vorkommende B. Candolleana C.B. CLarke. Die Früchte sind Kapseln mit mehreren etwa 1""5-2”" grossen, pyramidenförmigen Samen. Floscopa Lour., ebenfalls eine Gattung der Commelinaceen, ist im tropischen Afrika durch 8 Arten vertreten, welche vorzugsweise an Flussufern wachsen, aber auch in die Gebirge aufsteigen; im tropi- schen Amerika, und zwar vorzugsweise in der Hylaca, finden sich 3 Arten, während im tropischen Asien und Australien nur ı Art, F. scandens Lour., verbreitet ist. Die afrikanischen und amerikanischen Arten stehen einander alle so nahe, dass BENTHAMm sie in eine einzige zusammenfassen wollte (vergl. ©.B.CLArke in DC. Monogr. Phan. IV, 266). Die halbkugeligen Samen haben 1""5—-2"” Durchmesser. Die Sirelitzioideae, eine durchaus natürliche Unterfamilie der Musaceae, sind von grosser Bedeutung für die Erkenntniss des Zu- sammenhangs der alten amerikanischen Flora mit der afrikanischen. Es gehören dahin die Strelitzieae, deren Gattungen Ravenala und Stre- litzia bei vollkommener Entwicklung sowohl durch ihren Wuchs, wie durch ihre bizarren von Honigvögeln besuchten Blüthen das Interesse jedes Beschauers gefangen nehmen, und die Heliconieae mit der ein- zigen Gattung Heliconia. Strelitzia mit 4 Arten im südwestlichen Kap- land und Natal, ist eine der auffallendsten Pflanzenformen dieses Ge- bietes und ist verwandtschaftlich weit entfernt von den im tropischen Afrika herrschenden Musa-Arten, die einer anderen Unterfamilie der Musaceae angehören. Wohl aber steht der kapländischen Gattung nahe Ravenala madagascariensis Sonn., deren bis 30” hohen Exemplare auf Madagaskar von der Küste bis 600” ü. d. M. Bestände bilden und noch bis 1600” Höhe in den Bergwäldern vereinzelt vorkommen, der so- genannte »arbre des voyageurs«, aus dessen Blattscheiden. die Reisenden durch feine Röhren Wasser saugen sollen, wiewohl es an solchem in diesen Urwäldern auch sonst nicht fehlt. Nun existiert aber eine zweite Art derselben Gattung, R. guianensis (L.C. Rıcn.) BEexrtn. in der Hylaea, in Para und in Guiana; sie ist kleiner als die Pflanze von Madagaskar und nähert sich dadurch, daß sie nur 5 Staubblätter besitzt, etwas mehr der Gattung Strelitzia. Bei allen diesen Pflanzen sind die Samen mit einem grossen zerschlitzten Arillus versehen, der, bei R. madagas- cariensis hellblau, bei Zt. gwianensis hochroth, bei Strelitzia gelb (?), aus den aufgesprungenen Kapseln hervorleuchtet. Im tropischen Amerika Engrer: Über tloristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 203 findet sich aber ferner die Gattung Heliconia, welche wegen der ein- samigen Fächer des Fruchtknotens und des Fehlens eines Arillus eine den Strelitzieae gegenüberstehende Gruppe Heliconieae ausmacht und von Brasilien und Peru bis Mexiko und Westindien mit 29 Arten entwickelt ist. Renealmia L.£. Mehrjährige Kräuter aus der Familie der Zingi- beraceen. Die Gattung umfasst 54 Arten, von denen die Mehrzahl im tropischen Amerika heimisch ist, während (vergl. Schumann in Enster, Pflanzenreich IV, 46) 5 im tropischen Afrika wachsen. Hierbei ist Folgendes zu beachten: Die Gattung gliedert sich in 2 Serien, von denen die eine, » Terminales«, durch rispige Intloreseenzen am Ende des beblätterten Stengels ausgezeichnet ist: zu dieser Serie gehören 9 im tropischen Amerika von der subäquatorialen andinen Provinz bis Westindien und zum tropischen Centralamerika verbreitete Arten, ausserdem AR. /longifolia K. Scnuum. in Liberia und R. Battenbergiana Cummmws im Lande der Aschanti. Die viel zahlreicheren Arten der zweiten Serie »Scaposae« K. Scuum. entwickeln neben den Laubsprossen besondere Blüthensprosse, welche bei den Panniculatae Rispen, bei den Itacemosae Trauben tragen. Von den 25 jetzt bekannten Pannieulatae kommen 13 im tropischen Westafrika, 2 (R. Engleri K. Scuunm. und Rt. Fischeri K. Scuum.) in den Regenwäldern des östlichen Usambara vor und 13 im tropischen Amerika, mit fast gänzlichem Ausschluss Brasiliens, das nur an der Grenze von Venezuela von diesen Pflanzen berührt wird. Dagegen sind von der Gruppe der Racemosae etwa ı2 Arten zum grösseren Theil in Brasilien, einige in anderen Theilen des tropischen Amerika anzutreffen, eine Art, R. stenostachys K. Scuum., findet sich in Kamerun. Keine einzige Art dieser Gattung existirt im tropischen Asien, und wir müssen sie wie Dorstenia als eine afri- kanisch-amerikanische bezeichnen. Die Früchte aller Arten sind drei- fächerige, loculieid sich öffnende Kapseln, mit 2-3”"” grossen, rund- lichen oder eiförmigen, glänzenden, von einem weissen zerschlitzten Arillus eingeschlossenen Samen. Chlorophora ewcelsa (Wenw.) Bentn. et Hook f., ein riesiger Baum von 30—40” Höhe, längere Zeit nur aus West- und Üentral- afrika bekannt, ist auch in den Waldgebieten Ostafrikas, besonders in Usambara, nicht selten. Eine zweite, von mir aufgestellte Art (Cl. tenuifolia) von San Thome ist noch etwas zweifelhaft. Nahe verwandt ist Ohl. tinetoria (L.) Gaupıcn., welche fast im ganzen tropischen Amerika verbreitet ist. Auch gehören die amerikanischen Gattungen Bagassa und Machura in die Verwandtschaft von Chlorophora. Dorstenia L. zählt im tropischen Afrika etwa 60 Arten, in Ost- indien 1, in Madagaskar ı, dagegen im tropischen Amerika etwa 30 Arten. Im westlichen Afrika finden sich vorzugsweise solche Arten, welehe 204 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. wie die amerikanischen, Stempel mit 2 Griffeln besitzen (Sect. Eudor- stenia). Arten mit eingriffeligem Stempel (Sect. Kosaria) sind in Ost- afrika zahlreicher. Wenn auch die amerikanischen Arten derselben Section Eudorstenia angehören, wie die Mehrzahl der afrikanischen, so steht doch keine afrikanische Art einer amerikanischen besonders nahe; sie nähern sich einigermaassen den caulescenten amerikanischen Arten, wie D. urceolata Scuott, D. erecta VeıL., D. elata Garpn. u.s.w. Wäh- rend aber bei der grossen Mehrzahl der afrikanischen Eudorstenien die Infloresceenzen von einem Kranz mannigfach ausgebildeter und oft un- gleicher Bracteen umgeben sind, finden wir bei den meisten amerika- nischen Eudorstenien ein kreiselförmiges Receptaculum, das am Rande in schuppenförmige oder zahnförmige, ziemlich gleich grosse Bracteen übergeht, wie es in Afrika nur selten, z. B. bei D. variegata Ener. vor- kommt. Hingegen ist der in Afrika häufigere Modus der Bracteenent- wicklung nur bei sehr wenigen amerikanischen Arten, z.B. D. turneri- folia Fıscn. et Mry. anzutreffen. Die Sectionen Nothodorstenia Exner. und Kosaria (Forsk.) Ener. fehlen in Amerika und gerade die letztere Sec- tion ist es, welche in Afrika die meisten Anpassungserscheinungen aufzuweisen hat (vergl. ExsLer, Monographieen afrikanischer Pflanzen- Familien und -Gattungen, I Moraceae (1898) 47). Alles dies beweist, dass das gleichzeitige Vorkommen der Dorstenien im tropischen Amerika und Afrika nicht etwa auf einmalige Einschleppung einer amerikani- schen Form in Afrika oder einer afrikanischen in Amerika beruht, sondern es ist vielmehr ganz evident, dass von einem atlantischen Herde aus, mag derselbe nun auf einer äquatorialen oder auf einer mehr nördlichen oder mehr südlichen Brücke zwischen Amerika und Afrika gelegen haben, die Gattung Dorstenia sich in mehrere Zweige spaltete, welche sowohl in Amerika, wie in Afrika eine selbständige Entwicklung einschlugen. Trymatococcus Porrr. et Enpr. ist ein neben Dorstema entstan- dener, wegen der Einzahl der weiblichen Blüthen weit vorgeschrittener Typus der Moroideae-Dorstenieae. Es finden sich von dieser Gattung in Kamerun: T. africanus Baırr., T. Conrauanus Excu. und T. karnerunia- nus Ener., in Angola noch die var. T. Wehvitschiü Eneı., in Ostafrika in Useguha und Ostusambara T. usambarensis Ener. in diehten, schattigen, feuchten Uferwäldern. Im tropischen Amerika ist T. amazonicus Porvr. im Gebiet des Amazonenstromes von Ega bis an die Grenze von Peru bei Maynas verbreitet. In Afrika schließt sich übrigens an Trymato- coccus auch noch die Gattung Mesogyne Escr. an. kosqueia Tmovars, mit mehreren Arten im tropischen Afrika und mit ı auf Madagaskar, gehört zu den Moroideae-Brosimeae, deren übrige Gattungen (Brosimum, Lanessania) bis jetzt nur im tropischen Amerika Enster: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 205 gefunden wurden. Übrigens steht Bosqueia keiner derselben beson- ders nahe. Musanga Smithii R. Brows, ein im tropischen Westafrika, im eentralafrikanischen Seengebiet und im Ghasalquellengebiet in Wald- schluchten und Uferwäldern häufiger Baum, der sich auch gern in ver- nachlässigten Pflanzungen einstellt, besitzt nach Osten hin keine nähere Verwandte; sie nähert sich vielmehr etwas der amerikanischen Ceeropia. Musanga stimmt mit den amerikanischen Gattungen Coussapoa, Pou- rouma und Cecropia im Bau der weiblichen Blüthen und der tutenförmi- gen Nebenblätter überein, mit Coussapoa und Cecropia insbesondere noch durch die pinselförmige Narbe, mit letzterer Gattung zudem auch noch durch die gleichartige Ausbildung der schildförmigen, hand- förmig getheilten Blätter. Heisteria parvifolia Smiru ist ein in Ober-Guinea von Sierra Leone bis Kamerun nicht seltener, auch auf der Insel San Thome vor- kommender Strauch der Olacaceae, nächtstverwandt mit der im mittle- ren östlichen Brasilien verbreiteten A. brasiliensis Een. Ausser letzterer finden sich noch etwa 19 Arten von Südamerika bis Centralamerika. Die Früchte aller sind kugelige oder längliche bis 1°” grosse Stein- früchte mit dünnem Exocarp und krustigem Endocarp; der einzige Same enthält einen winzig kleinen Embryo am Scheitel eines reichlichen Nährgewebes; der zur Blüthezeit kleine Kelch ist zuletzt mächtig ver- grössert und schliesst, ringsum abstehend, die Frucht ein. Piychopetalum Bextn., ebenfalls eine Gattung der Olacaceae, ent- hält drei Sträucher oder kleine Bäume, von denen Pt. petiolatum Ousv. und Pt. anceps OLıv. im Kamerungebiet vorkommen, Pt. olacoides Best. im tropischen Amerika, im französischen Guiana und Nordbrasilien auf‘ der Insel Colares gefunden wurde. Die Frucht ist eine eiförmige Steinfrucht. Aptandra Miers, auch zu den Olacaceen gehörig, enthält eine in Kamerun vorkommende Art, A. Zenkeri Ener. (Seet. Aptandrina Ense.) und drei kleine in der Hylaea wachsende Arten, welche aber einer anderen Section, Euaptandra Exer. angehören (vergl. EnsLer in ENGLER und Prantr, Nat. Pflanzenfam., Nachtrag zu I—IV, S. 146. 147). Die blauen glänzenden Steinfrüchte, welche ein dickes Endocarp, reich- liches Nährgewebe und einen kleinen Keimling, wie Heisteria, besitzen, sind von dem stark vergrösserten,, becherförmigen und fleischigen, rosa- farbenen Kelch eingeschlossen. Mit dieser Gattung ist auch Ongokea gore (Hua) Eser. in Gabun nahe verwandt. Brunnichia, bis 20” hoch kletternde Sträucher der Polygonacrar- Coccolobeae, einer im Übrigen auf Amerika und das australe Floren- reich beschränkten Gruppe, ist mit einer Art, B. cirrhosa Basxs, in 206 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. den südlichen Vereinigten Staaten vertreten, in Westafrika von Ober- guinea bis Angola mit 3-4 Arten. Von diesen ist schon seit längerer Zeit bekannt B. africana Wenw., in Angola in Gebirgsregenwäldern von 600-800”, in einer kahleren Varietät in Kamerun bei Bipinde und Batanga. Dazu kamen noch B. erecta Ascners. in Gabun und B. congoensis Damner am Congo zwischen Lukolela und dem AÄquator (vergl. U. Damner in Enster Bot. Jahrb. XXVI, 357). Bei dieser Gattung sind die etwa 8”" langen Nussfrüchte von den etwas längeren rosa- farbenen Blüthenhüllen eingeschlossen und an dem bisweilen 7-8°” langen, mit blutrothem Flügel versehenen Stiel befestigt. Anona hat ihre reichste Artentwicklung im tropischen Amerika, dessen Arten auch in Afrika wie überall in den Tropen eultivirt werden; aber es giebt auch einige im tropischen Westafrika heimische Arten, A. glauca Scuumacn. et Tuonn. von Ober-Guinea, A. Klainii Pıerre in Gabun und A. stenophylla Eseu. et Dıers vom Ruwenzori und die in alle afrikanischen Steppengebiete vorgedrungene A. senegalensis Pers., welche mit den amerikanischen nahe verwandt sind. Keine Art findet sich im tropischen Asien wildwachsend. Ocotea Avgı., Sect. Mespilodaphne, zu den Lauraceen gehörig, ist auf die Gebirge des tropischen Afrika, auf Südafrika und Mada- oaskar, sowie auf die Canaren beschränkt. Die beiden anderen Sec- tionen Oreodaphne (Ners) und Strychnodaphne (Ners) mit zusammen etwa 200 Arten sind ausschliesslich neotrop oder auch subtropisch amerikanisch. Ausser einigen Arten Westafrikas und 8 Arten Ma- dagaskars sind zu nennen: O0. usambarensis Escr. in den Gebirgsregen- wäldern von Usambara, O. bullata (Sprene.) Bextu. in der Knysna in Südafrika, O. foetens (Sprene.) Bar. in den Gebirgswäldern von Ma- dera und Tenerifa (Taganana). Die Früchte sind einsamige Beeren, welche der nach der Blüthezeit becherförmig erweiterten Blüthenachse aufsitzen. Parinarium excelsum Sasısze, ein zu den Rosaceae- Chrysobala- noideae- Hirtellinae gehöriger grosser Baum Ober-Guineas ist entweder identisch oder nahe verwandt mit einer der 8 in Nord-Brasilien und Guiana vorkommenden Arten, mit P. brachystachyum Bexın.; die Gattung Parinarium ist ferner in den Waldgebieten des ganzen tropischen Afrika durch mehrere Arten und auch durch eine im Capland vertreten, sie findet sich auch im Monsungebiet, scheint aber ihren Anschluss im östlichen Südamerika zu haben. Die Frucht ist bei allen eine Stein- frucht mit dünnem, mehligem Mesocarp. Acioa AusL., mit der vorigen Gattung nahe verwandt, ist im tropischen Afrika mit 14-15 Arten vertreten, während eine, A. guia- nensis AugL., in Guiana vorkommt. Früchte wie bei den vorigen. Mit Ensrer: Über tloristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 207 den beiden genannten Gattungen ist auch eng verbunden Couepia, von der in Südamerika etwa 40 Arten vorkommen, anderswo keine ge- funden wurden. Dieser Gattung steht dann wieder Hirtella L. nahe, mit mehr als 40 Arten im tropischen Amerika und einer auf Mada- gaskar. Alle diese Gattungen sind unter einander näher verwandt, als mit den beiden nur wenige Arten zählenden Gattungen Angelesia und Parastemon, welche auf Malakka und die Sunda-Inseln beschränkt sind. Wir ersehen daraus, dass die stärkste Entwicklung der formen- reichen Chrysobalanoideae- Hirtellinae im tropischen Amerika und Afrika erfolgt ist. Man beachte ferner, was oben über die Verbreitung von Chrysobalanus gesagt wurde, ferner auch, dass Moquilea Augı., Licania Augr. und Lecostomion Moc. et Sesse mit mehr als 90 Arten im tropi- schen Amerika entwickelt sind und dass die in dieselbe Verwandt- schaft gehörende Gattung Grangeria mit 3 Arten, Madagaskar, Mau- ritius und die Sunda-Inseln bewohnt. So ist klar, dass die ganze grosse Unterfamilie der Chrysobalanoideae im Wesentlichen amerikanisch- afrikanisch ist. Pentacleihra Bextu., eine baumartige Gattung der Mimosoideae- Parkieae, enthält nur 2 Arten. P. macrophylla Bexrtn., verbreitet von Senegambien bis Gabun, sowie auf den Inseln San Thome und do Principe — und P. filamentosa Bextn., verbreitet in der Hylaea und von Para bis St. Vincent und Nicaragua. Beide Arten besitzen grosse zu- sammengedrückte Hülsen mit elastischen holzigen Klappen und stark zusammengedrückten Samen mit glänzender Samenschale. Bei der afrikanischen Art sind die Hülsen bis 5°" lang und 1"" breit, die Samen 5-6” lang und 2°”5—4° breit, bei der amerikanischen dagegen wer- den die Hülsen nur 3°” lang und 2°”5 breit, auch sind die Samen viel kleiner, als bei der afrikanischen. Die nächstverwandte Gattung Parkia ist ebenso in den Tropenländern Asiens, wie in denen Ame- rikas und Afrikas vertreten. Macrolobium Sect. Outea Augı. (Caesalpinioideae- Amherstieae) ist im tropischen Westafrika von Senegambien bis Gabun durch 4 Arten von Klettersträuchern und Bäumen vertreten, im tropischen Amerika durch S. Die Hülsen sind schief kreisförmig, eirund, länglich oder gekrümmt, flach oder zusammengedrückt, lederartig, zweiklappig. Ochthocosmus africanus Hoox. f.. ein Strauch der Linaceae, von Sierra Leone bis zum Congo verbreitet, und 3 andere als Phyllocosmaus beschriebene Arten (Ph. sessiliflorus Ouıv. in Gabun, Ph. congolensis de Wırn. et Tu. Dur. am Congo, Ph. candidus Ener. et Gıre am Qui- riri) haben ihren nächsten Verwandten in 0. Roraimae Bextn. in Nordbrasilien und Britisch-Guiana. Die Samen der ersteren Art sind einige Millimeter lang und mit haubenförmigem Arillus versehen. Übri- 208 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. gens ist die Gruppe Linaceae- Hugonieae, zu welcher diese Pflanzen ge- hören, paläotropisch und ©. Roraimae ihr einziger Vertreter in Amerika. Saccoglottis gabonensis (Baır.) Urs. (Aubrya), ein grosser Baum aus der Familie der Humiriaceae, in Gabun und auf Fernando Po, steht nahe der S. guianensis Bestu. und der S. amazonica Marr. in der Hy- laea. Ausserdem giebt es noch 7 in der Hylaea und Brasilien vor- kommende Arten. Auch die beiden noch übrigen Gattungen der Fa- milie, Aumiria Aust. und Vantanea Avsgr., sind auf das tropische Amerika beschränkt. Die Frucht ist eine Steinfrucht von etwa 2°”5 Durchmesser mit steinhartem Endocarp, welches von Harz führenden Höhlungen durchsetzt ist. Die in den Fächern des Endocarps einge- schlossenen Samen sind mit Nährgewebe versehen. Quassia africana Baır., ein Strauch der Simarubaceae im süd- lichen Kamerun, Gabun und dem Land der Magakalla am Quango vor- kommend, ist verwandt mit der bekannten Q. amara L., welche in den brasilianischen Provinzen Para und Maranhao, sowie in Guiana vorkommt. Es ist nicht an eine direete Abstammung der afrikani- schen Art von der in andern Tropenländern nicht selten eultivirten Q. amara zu denken: denn es zeichnet sich die afrikanische Art durch ungeflügelte Blattstiele und dreimal kleinere Blüthen aus. Die Theil- früchte oder Kokken besitzen ein dünnes Exocarp und ein dickes Endo- carp. Im tropischen Westafrika kommt ausserdem noch eine Gattung Odyendea (Pierre) ExeL. vor, welche den Gattungen Quassia und Simaba nahesteht; sie ist durch rispigen Blüthenstand, meist 4teilige Blüten und sehr grosse, zusammengedrückte Theilfrüchte ausgezeichnet. Auch die in folgender Gruppe erwähnte Gattung Hannoa gehört in diesen Verwandtschaftskreis der Simaruboideae-Simarubinae, welehe mit Aus- nahme von Samadera und Hyptiandra alle afrikanisch -amerikanisch sind. Pachylobus Dos, eine Canarium nahestehende Gattung der Bur- seraceen, umfasst 4 Arten im tropischen Westafrika, welche die durch nur am Grunde vereinte Kelchblätter charakterisirte Section Eupachy- lobus Exer. bilden, während eine zweite Section Dacryodes (GrIsEB.) nur die Art P. hexandrus (Griseg.) Exer. von Westindien enthält. Die Steinfrüchte dieser Bäume besitzen ein fleischiges Mesocarp und dünnes Endocarp. Heteropteris africana A. Juss. (Malpighiaceae), eine an den Küsten des tropischen Westafrika von Senegambien bis zum Congo, auch auf der Insel do Prineipe vorkommende Liane der Ufergehölze, ist die einzige afrikanische Art einer im tropischen Amerika von Südbrasilien und Bolivia bis Westindien und Mexiko mit etwa 90 Arten entwickel- ten Gattung. Die Theilfrüchte sind mit einem halbkreisförmigen Flügel versehen, der am unteren Rand stärker verdickt ist. Auch alle ver- ÖnGLER: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 209 wandten Gattungen (Banisterünae Npzu.) gehören dem tropischen Ame- rika an. Dichapetalum Dur. 'Tnovars ist eine im ganzen tropischen Afrika, vorzugsweise in den Uferwäldern des Westens, aber auch in anderen Gehölzen der unteren Region reichlich vertretene Gattung, weniger formenreich im Osten. Eine ziemlich grosse Zahl von Arten findet sich auf Madagaskar; verhältnissmässig weniger kommen im Monsun- gebiet vor, mit starker Abnahme gegen Osten. Dagegen sind sie wieder formenreicher im tropischen Amerika. Die Gattung zeigt recht mannigfache Verhältnisse im Blüthenbau und den grössten morpholo- gischen Fortschritt in Westafrika und dem tropischen Amerika. Bei einigen wenigen Arten des tropischen Westafrika, Dichapetalum Sect. Brachystephanium, finden wir die gespaltenen Blumenblätter und Staub- blätter am Grunde vereint, also Fortschritt von der Choripetalie zur Sympetalie, gewissermaassen eine Vorstufe zu der noch vollständiger sympetalen Blüthenbildung der tropisch-amerikanischen Gattung Stepha- nopodium Porrr. et Enpr., bei welcher jedoch die kurzen Abschnitte der Blumenkrone nicht eingeschnitten sind. Tapura Avgr., auch zu den Dichapetalaceae gehörig, ist in der Blütenbildung noch weiter vorgeschritten als die vorher genannte Seetion von Dichapetalum, indem nämlich hier die verwachsenblätt- rigen Blüten schräg zygomorph geworden sind. Dieser Gattung gehören 4 Arten an, welche von der Hylaca bis zu den Antillen vorkommen, ausserdem aber auch T. africana Ouıv. im tropischen Westafrika und T. Fischeri Eser. in Ostafrika. Wenn auch nicht ausgeschlossen ist, dass diese Gattung an 3 verschiedenen Stellen aus Dichapetalum entstanden ist, so bleibt doch immer die unabweisbare Tatsache bestehen, dass die Dichapetalaceae zu beiden Seiten des Atlan- tischen Oceans sich am stärksten entwickelt haben. Die Früchte aller Dichapetalaceen sind Steinfrüchte mit dünnem Exocarp und krustigem, ı-3fächerigem Endocarp, in deren Fächern je ein nährgewebsloser Same enthalten ist. Von einzelnen Arten wird angegeben, dass die Früchte genossen werden; aber ganz sicher ist auch, dass andere Arten sehr giftig sind. Wie die ziemlich grossen Früchte verbreitet werden, ist noch unsicher. (Vergl. auch Eneter in Ener. und Prantt, Nat. Pflanzenfam. III, 4, S. 347-351.) Fegimanra Pierre, eine Gattung der Anacardiaceae- Mangifereae mit 2 Arten in Ober-Guinea (F. Afzelü Exeı., F. africana (Oliv.) Pırrke), ist, obwohl die eine Art ursprünglich als Mangifera africana Onıv. be- schrieben wurde, nicht als ein westlicher Ausläufer von Mangifera aufzufassen, sondern vielmehr näher verwandt mit der amerikanischen Gattung Anacardium. (Vergl. ExerLer in Escr., Bot. Jahrb. XXXVI.) 210 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. Thyrsodium africanum Excı., ein von Poser aufgefundener Ana- cardiaceenbaum der Uferwälder im Baschilangegebiet Westafrikas, steht ziemlich nahe den 3 amerikanischen Arten der Gattung, welche im Gebiet des Amazonenstromes vorkommen. Die eiförmigen Steinfrüchte von etwa 1“"5 Länge besitzen ein dickes, hartes Exocarp und dünnes Endocarp, welches einen nährgewebslosen Samen einschliesst. Carpodiptera africana Masr., ein hoher Baum der Wälder des Küstenlandes von Deutsch-Ostafrika, zur Familie der Tiliaceae gehörig, ist entfernt verwandt mit ©. cubensis Grıseg. auf Cuba und einer andern Art auf Madagaskar. Die Früchte sind zweiklappige Kapseln und be- sitzen an jeder Klappe zwei senkrecht abstehende Flügel. Vismia Verı., Sträucher oder Bäume aus der Familie der @uit- ferae - Hypericoideae-Vismieae, sind mit 22 Arten im tropischen Süd- amerika und mit ı Art in Mexiko vertreten, ausserdem aber mit 4 derselben Section Fuvismia Wawra angehörenden Arten im tropischen Westafrika, mit ı Art (V. orientalis EneıL.) auch in Ostafrika im Sansi- barküstengebiet. In Südbrasilien ist eine zweite Section Trianthera Wawra mit nur 2 Arten heimisch. Ostwärts von Afrika kommt die Gattung nicht vor. Die Früchte sind ziemlich kleine kugelige oder längliche Beeren mit länglichen Samen. Die nächststehenden Gattungen Psorospermum und Haronga finden sich im tropischen Afrika, auf Ma- dagaskar und Mauritius. Mammea eboro Pırrre, in Gabun, entspricht der in Westindien heimischen M. americana L. Die Früchte sind kugelige bis eiförmige Steinfrüchte von 1°'2 Durchmesser mit harzreichem Exocarp, saftigem Mesocarp und 4-ı Steinkernen, welche je einen Samen ohne Nähr- gewebe umschliessen. Die Gattung gehört zu den Guttiferae- Calo- phylloideae, von denen Calophyllum sich in der alten Welt reich ent- wickelt hat und 4 Arten im tropischen Amerika zählt, eine Art, ©. inophyllum L., ein verbreiteter Küstenbaum im Monsungebiet ge- worden ist und auch in Ostafrika vorkommt. Da er aber auch eultivirt wird, so ist seine Verbreitung nicht wichtig. Warburgia Stuhlmannü Eser., ein in Ostafrika bei Pangani vorkommender Baum der Winteranaceae (Canellaceae, vergl. ENsLER in Encr. und Prantr, Nat. Pflanzenfam. III, 6, S. 319), ist entfernt verwandt mit der von Brasilien bis zu den Antillen zerstreut vorkommenden Gattung Cinnamodendron. Noch entfernter verwandt sind Winterana selbst in Westindien, Südflorida und Colombia, sowie Cinnamosma auf Mada- gaskar. Die Familie ist aber eine höchst eigenartige und durch die zu einer Röhre verwachsenen Staubblätter, sowie durch parietale Pla- centation scharf charakterisirt. Andere als die angeführten Gattungen kennen wir nicht; es ist also die Familie vom Monsungebiet ausge- Enter: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 211 schlossen. Die Früchte sind Beeren mit wenigen oder zahlreichen, ziemlich glatten Samen. Oncoba ist eine artenreiche Gattung der Flacourtiaceae, welche nur im tropischen Amerika und Afrika, einschliesslich des arabischen Yemen, anzutreffen ist. Beachtenswerth ist noch, dass eine Section (Euoncoba) nur in Afrika und Madagaskar, eine zweite Section (Lepid- oncoba) in West- und Centralafrika, eine dritte (Maynoncoba) in Afrika und Südamerika vorkommt. Die Früchte sind fleischige oder holzige, nicht oder spät aufspringende Kapseln mit zahlreichen Samen, welche reichliches Nährgewebe enthalten. Auch die nächst verwandten Gattun- gen sind entweder in Madagaskar (Prockiopsis) oder Afrika (Poggea, Grandidiera, Buchnerodendron) oder dem tropischen Amerika (Mayna, Carpotroche) zu Haus. Vom tropischen Asien sind sie vollständig aus- geschlossen. (Vergl. Wargure in Ener. und Prantr, Nat. Pflanzenfam. I, 6 S:17,,78.) Homalium Sect. Racoubea (Augr.), ebenfalls zu den Flacourtiaceen gehörige Sträucher, sind auf das tropische Afrika mit 3 und auf das nördliche Südamerika, Westindien und Centralamerika mit 6 Arten be- schränkt. Die Früchte sind unvollständig aufspringende, diekwandige, ein- oder wenigsamige Kapseln, an denen die etwas vergrösserten Kelch- und Blumenblätter erhalten bleiben. Andere Sectionen der Gattung Homalium sind nur paläotrop. (Vergl. Warsure, a. a. 0. S. 36.) Caricaceae, eine durchaus eigenartige Familie, deren bekannteste Art Carica papaya ist, ist im tropischen Amerika mit den beiden Gattungen Carica und Jacaratia, im tropischen Afrika durch die der letzteren nahestehende Gattung Cylicomorpha Urs. vertreten. Die meisten Arten der ersteren sind andin und zwar tropisch-andin, andere finden sich in Mexiko, einzelne in Venezuela und auf den Antillen. Dagegen ist die auch in Mexiko vertretene Gattung Jacaratia über die Hylaca bis Südbrasilien zu verfolgen. Höchst interessant ist nun die zwischen den beiden genannten Gattungen in der Mitte stehende Cylicomorpha, deren 2 in den Wäldern von Kamerun (C. Solmsü Urs.) und Ostafrika (€. parviflora Ure.) vorkommende Arten mächtig hohe und auch dicke Bäume werden. Die Früchte sind grosse Beeren mit zahlreichen, aussen saftigen Samen, in denen reichliches Nährgewebe den weit entwickelten Embryo umgiebt. Rhipsalis cassytha Gärın., welche im tropischen Amerika über das ganze atlantische Küstengebiet von Brasilien, Westindien und das südliche Mexiko verbreitet ist, findet sich, wie bereits oben erwähnt, auch in West- und Centralafrika und auf den Maskarenen, dann auf Ceylon in den Regenwäldern als epiphytische Pflanze, oft in Masse aus Moospolstern heraus von den Bäumen herunterhängend. Derselben Sitzungsberichte 1905. 19 212 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. Seetion Zurhipsalis gehören noch etwa ı2 andere Rhipsalis- Arten an. Es finden sich aber auch im tropischen Afrika noch einige, so die der Rh. cassytha Gärrn. sehr nahestehende Rh. sansibarica WEBER auf Sansibar, Rh. erythrocarpa K. Scu. am Kilimandscharo. Auch im Pondo- lande (30° s. Br.) kommt noch eine bis jetzt nicht sicher zu bestim- mende Zhipsalis vor (vergl. K. Schumann in Abhandl. der K. Preuss. Akad. d.Wiss. 1899, Anhang S. 75-78). Andere Sectionen der Gattung Rhipsalis, welche wohl als die älteren anzusehen sind, finden sich nur im tropischen Amerika, wie die übrigen Cactaceae. Die Früchte von Rhipsalis sind bekanntlich Beerenfrüchte, welche sicher nur durch Vögel verbreitet werden. Napoleona, ein höchst eigenartiger Typus der Lecythidaceae, Bäume der westafrikanischen Wälder von Senegambien bis Angola, auch auf Fernando Po, hat ihr Analogon im tropischen Amerika in Asteranthus brasiliensis Desr., welehe im Gebiet des Rio Negro an der Grenze von Venezuela und im nordwestlichen Brasilien in der Pro- vinz Alto Amazonas vorkommt. Das Übereinstimmende beider Gat- tungen liegt darin, dass die Blumenblätter fehlen, dagegen die äusseren Glieder des einige Kreise bildenden Andröceums auffallend stamino- dial ausgebildet und verwachsen sind. Im Übrigen aber finden wir in den Blütenverhältnissen beider Gattungen noch so viele Verschieden- heiten, dass an eine directe Ableitung der einen Gattung aus der andern nicht zu denken ist, vielmehr nur die Möglichkeit besteht, beide auf einen viel älteren, jetzt nicht mehr existirenden Typus zu- rückzuführen, von dem ausgehend sie sich in einzelnen Eigenschaften parallel entwickelt haben. Die Frucht von Napoleona ist eine granat- apfelartige Beere von 3°" Durchmesser. Bezüglich der Blüthenmorpho- logie beider Gattungen vergleiche man Nıepenxzu in Ener. und PrANTL, Nat. Pflanzenfam. II. 7, S. 33, 34. Combretum S. Cacoueia (Ausı.) Ener. et Diers. Die in fast allen Tropenländern verbreitete Gattung Combretum zeigt, wie ich mit Dirrs in den Monographieen afrikanischer Pflanzen-Familien und -Gattungen, Heft III nachgewiesen habe, eine sehr weitgehende Differenzirung des Blüthenbaues, welche namentlich in der Gestalt des Receptaculums und in der Beschaffenheit der Blumenblätter zum Ausdruck kommt; zu- gleich fällt auch bei den meisten der 55 von uns unterschiedenen Gruppen ein beschränktes Verbreitungsgebiet auf, so dass man für dieselben be- sondere Entwicklungscentren annehmen kann, in denen gleichartigere Formen eines Urtypus modifieirt wurden. $. Cacoucia bezeichnet nun die höchste morphologische Entwicklungsstufe innerhalb der Gattung Combretum; denn die ansehnlichen Blüthen besitzen ein gekrümmtes oberes Receptaculum und eine einspringende Discusleiste wie keine a Enster: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 213 andere der noch zu unterscheidenden 54 Gruppen. Hierzu gehören 4 Klettersträucher des äquatorialen Westafrika und eine Art des tropischen Amerika, das von Nicaragua bis Nordbrasilien in Ufer- wäldern verbreitete (©. coccineum (Ausgr.) Esser. et Dirrs. Von den westafrikanischen Arten ist (©. bracteatum (Laws. pr. p.) Ener. et Dievs verbreitet von Kamerun bis Angola, ©. Lawsonianum Ener. et Dieus von Kamerun und Gabun bis Niger-Benu@ und zum Ghasalquellen- gebiet. Dagegen ist C. velutinum (Sp. Moore) Essr. et Diers auf Kamerun beschränkt, C. nervosum Ener. et Diers auf das untere Congogebiet. Heberdenia ewcelsa Banks, ein Myrsinaceenbaum, den ich selbst auf Tenerife in dem immergrünen Wald oberhalb Mercedes bei Laguna sah, hat eine nahe Verwandte in Heberdenia pendulifola (A. DC.) Mrz. Die Frucht ist eine kleine, kugelige, einsamige Beere. Die Waldtlora der Canaren, welehe einerseits Beziehungen zu den Maechien des Mediterrangebietes zeigt, andererseits Formen des tropischen Afrika besitzt, wie Erica arborea L., zeigt auch einige Anklänge an die ameri- kanische Waldflora. So ist besonders noch hinzuweisen auf die ca- narische und maderensische Phoebe indica (Sprrene.) Pax, deren nächst- verwandte Arten in Mexiko und auf den Antillen vorkommen, ferner auf Pinus canariensis On. Surrı, deren Verwandte von den Antillen bis Californien und Florida reichlich verbreitet sind. Afrardisia Mez, ist eine Kräuter, Halbsträucher und Sträucher der Myrsinaceen umfassende Gattung mit 10 Arten Westafrikas. Die nächstverwandte Gattung ist Stylogyne A. DC., im tropischen Amerika, mit etwa 40 Arten, insbesondere in der Hylaea. Andererseits steht sie der indischen Gattung Antistrophe A. DC. nahe. Die Frucht ist eine kleine Steinfrucht. (Vergl. Mrz in Enerer. Pflanzenreich IV. 236, S.11.) — Auch hier ist nur an einen gemeinsamen Ausgangspunkt der 3 Gattungen zu denken, aber nicht an Ableitung der einen von der anderen. | Anthocleista Arz., eine auffallende Gattung stattlicher, grossblätt- riger Holzgewächse mit ansehnlichen Blüthen, aus der Familie der Loganiaceae- Fagraeeae, ist in den Uferwäldern und Bergwäldern des tropischen Afrika mit 16 Arten vertreten, von denen die Mehrzahl in Westafrika vorkommt. Die Gattung steht ausserordentlich nahe der Potalia amara Augr., welche in der Hylaea von Guiana bis Peru ver- breitet ist. Die Früchte beider Gattungen sind Beerenfrüchte mit vielen kleinen Samen. Malouetia Heudelotii A. DC. (= M. africana K. Scnun.) ist ein von Senegambien bis zum Congo verbreiteter Baum der Apocynaceae; 7 andere, nicht unwesentlich verschiedene Arten finden sich in Süd- brasilien und der Hylaea. Die bis 2°“"5 langen Theilfrüchte enthalten 19* 214 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. kahle, bis 4°” lange Samen ohne Haarschopf. — Bei dieser Gelegen- heit möchte ich darauf hinweisen, dass die Familie der Apoeynaceen, obwohl ihre Beerenfrüchte oder mit Schopfhaaren versehenen Samen eine Verbreitung leicht ermöglichen, zu denjenigen gehört, welche durch einen sehr starken Endemismus ausgezeichnet sind. Von den 42 im tropischen Afrika spontan vertretenen Gattungen sind, wenn wir davon absehen. dass einzelne Arten noch Socotra und Südarabien erreichen, 25 als endemisch zu bezeichnen. 6 andere sind nur noch auf den Mascarenen oder Madagaskar anzutreffen, 7 reichen bis in das Monsungebiet, und Rauwolfia allein ist pantropisch; ausserdem be- sitzen 2 nur aus Amerika eingeschleppte Vertreter; Malouetia allein ist im wahren Sinn amerikanisch-afrikanisch. Mostuea Dior. ist eine zu den Loganiaceen gehörige Gattung von kleinen Sträuchern, welche in Uferwäldern und Bergwäldern des ganzen tropischen Afrika vorkommen. Wir kennen jetzt von dort 25 Arten, ausserdem noch 2 von Madagaskar und merkwürdigerweise eine, M. su- rinamensis Bestu., von Britisch-Guiana. Die Früchte sind tief aus- gerandete Kapseln mit kleinen linsenförmigen Samen. Prevostea Cuoısy, eine Gattung windender Convolvulaceen aus der Gruppe Poraneae, ist in Westafrika mit 2 Arten (P. alternifolia [Praxcn.] HArLıer.r. und P. campanulata K. Scuun.) vertreten, im tropi- schen Südamerika mit einigen. Die Gattung besitzt einsamige Früchte, deren 'Transport über kleinere Strecken durch vergrösserte, häutige Kelehblätter erleichtert wird. Schaueria Ners, eine Gattung waldbewohnender Stauden aus der Familie der Acanthaceen, besitzt 8 Arten in Brasilien von Rio de Janeiro bis Bahia. Ausserdem kommt aber ı Art, Sch. populifolia GC. B. CLARKE, auf Fernando Po und in Kamerun vor. Von letzterer Art ist die Frucht noch nicht bekannt; bei den brasilianischen ist sie eine gestielte Kapsel mit 4 scheibenförmigen, warzigen, an Jaculatoren sitzenden Samen. Da die Acanthaceen einen sehr wesentlichen Bestandtheil fast aller tropischen Formationen ausmachen und in Afrika ungemein reich ent- wickelt sind, so habe ich auch bei dieser Familie nach engeren Be- ziehungen zwischen den afrikanischen und amerikanischen gesucht. Dabei hat sich aber ergeben, dass von den nahezu 60 im tropischen Afrika vertretenen Gattungen der Acanthaceen die grosse Mehrzahl paläotropisch sind. Ein sehr grosser Theil dieser Gattungen ist in Afrika endemisch oder auf Afrika und das madagassische Gebiet be- schränkt. Nur Ztuellia Sect. Dipteracanthus, Dyschoriste, Lepidagathıs, Barleria, Eranthemum, Justieia, Adhatoda und Dieliptera sind in Afrika und Amerika (durch verschiedene Arten) vertreten; aber diese Gattungen sind zugleich pantropisch. Bei allen zuletzt genannten und überhaupt Enter: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 215 den meisten Acanthaceen bewirkt das plötzliche Aufspringen der Kap- seln und die Entwiekelung von hakenförmigen, den Samen umfassenden Auswüchsen am Funiculus. von »Jaculatoren« (Retinaculis) ein Aus- streuen der Samen, das für das gesellige Auftreten vieler Arten von Vortheil ist. Ferner sind die Samen vieler Arten, insbesondere auch der Ruellia und Dyschoriste, mit Schleimhaaren versehen, welche ein Anhaften der Samen an Thieren ermöglichen. Wenn trotzdem die Acanthaceen in so geringer Zahl nähere Beziehungen zwischen Afrika und Amerika aufweisen, so ist dies vielleicht auf das rasche Keimen der nährgewebslosen Samen zurückzuführen. (Bezüglich der Verbrei- tungsmittel verweise ich noch auf Lisvau in EnsLer und Prantr, Nat. Pflanzenfam. IV 35, S.284, 285.) Gueitarda Brume, eine Gattung baumartiger und strauchiger Ru- biaceen, gehört streng genommen nicht hierher, kann aber als Bei- spiel der bei anderer Gelegenheit zu besprechenden Gattungen gelten, welche von Amerika über den Stillen und Indischen Ocean nach Afrika gelangt sind. Wir kennen etwa 40 Arten im tropischen Amerika, und zu der in Brasilien 8 Arten zählenden Section Cadamba sehört auch (@. speciosa L., welche am Strande der polynesischen Inseln, der me- lanesischen und papuanischen Provinz sowie an den Küsten des Indi- schen Oceans, auch an der ostafrikanischen, vorkommt. Die ziemlich grossen, von oben nach unten etwas zusammengedrückten Steinfrüchte von 3°" Durchmesser mit 6fächerigem, tiefgelapptem Steinkern und faserigem Mesocarp (Ensrer und Prantr, Nat. Pflanzenfam. IV 2, S.97 Fig. 34 D) gewähren den Embryonen bedeutenden Schutz und können Jedenfalls längeren Transport zur See vertragen. Sabicea Avugr. Meist schlingende Rubiaceen, zum Theil hoch aufsteigende Lianen, sind zahlreich im tropischen Amerika; die Gattung zählt aber auch etwa 13 Arten im tropischen Westafrika, von denen sich 8. venosa Bent. auch in Usambara findet. Ausserdem ist 8. arborea K. Scnun. von Uluguru zu nennen. Die Früchte sind 4-5fächerige, selten 2fächerige Beeren. bertiera Avgr., Strauchgattung aus der Gruppe der Gardenieae, ist in Westafrika mit IO Arten vertreten, mit einer, D. aethiopica Hıern, im Ghasalquellengebiet, auch am Albert-Edward-Nyansa, mit einigen Arten auf den Mascarenen und Madagaskar, mit 2 Arten in der Hylaea. Die afrikanische Gattung Heinsia ist mit Bertiera ziemlich nahe ver- wandt und besitzt wie diese trockene eiförmige Früchte mit etwa ı"" erossen Samen. Nur die genannten Gattungen waldbewohnender Rubiaceen und die später noch zu besprechende Ourouparia sind auf Amerika und Afrika beschränkt; bei Weitem die grosse Mehrzahl der 90 in Afrika 216 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. vertretenen Rubiaceen-Gattungen ist entweder in diesem Erdtheil en- demisch oder paläotropisch. Als pantropisch sind anzuführen: Randia, Ixora, Morinda, Psychotria, Geophila, alle entweder mit Beeren oder mit Steinfrüchten. Auch die Gattung Oldenlandia, deren habituell sehr verschiedene Arten nicht bloss in den Waldformationen vorkommen, ist pantropisch. B. Arten mit Kapselfrüchten und sehr leichten Samen, welche eine weite Verbreitung durch den Wind ermöglichen. Gymnosiphon Bı., eine saprophytische Gattung der Burmanniaceae, deren Arten in Wäldern an den dunkelsten Stellen oft heerdenweise wachsen, wurde zuerst in Java, dann im tropischen Amerika, später im tropischen Westafrika und zuletzt von mir in Ostafrika nachge- wiesen. Wir kennen jetzt mehrere Arten aus dem malayischen Archipel (@G. aphyllus Bı., G. borneensis Beec., G. papuanus Becc.), welche URBAN nach erneuter Revision der Gattung (Ursan, Symbolae antillanae II. [1903] 438) als Section Eugymnosiphon zusammenfasst. Zahlreichere Arten bilden die Untergattung Ptychomeria (Bestu.) Urs. mit $ Arten aus Brasilien, ı aus Venezuela, 5 von den Antillen und — 3 Arten aus Afrika. Letztere sind: @. congestus Wrıcur im Nigergebiet und Kamerun, @. sguamatus Wrıecur in Kamerun und Gabun, @. usambarieus Excr. in den Bergwäldern von Ost-Usambara, wo ich die Pflanze selbst bei 950" Höhe sammeln konnte. Alle diese Arten besitzen Kapseln mit sehr zartem Pericarp, das sich durch 3 Längsspalten öffnet und zahlreiche kleine kugelige, eiförmige oder verkehrt-eiförmige Samen entlässt. Thonningia sanguinea V aur, eine Balanophoracee des tropischen Westafrika, welche in den dortigen Bergwäldern nicht selten ist, ist am nächsten verwandt mit der im ganzen tropischen Amerika von Südbrasilien bis Mexiko verbreiteten, jedoch auf den Antillen fehlen- den Langsdorffia hypogaea Marr. Die sehr kleinen Früchte sind stein- fruchtartig, mit fleischigem Epicarp und dünnem steinigem Endocarp, welches den von reichlichem Nährgewebe umgebenen kleinen Embryo einschliesst. Sphaerothylax Biscnorr, Gattung der Podostemonaceen, mit 4 auf Steinen in Gebirgsbächen wachsenden Arten, Sph. abyssinica (WEn».) Warn., Sph. Warmingiana Giws im Kubango, Sph. pusilla Warm. in Kamerun und Sph. algiformis Bıscnorr in Natal, sowie die Gattung Leiothylaw Wars. mit L. quangensis (Exser.) Warm. und L. Warmingü (Exer.) Warn. gehören nach Warume zu den Zupodostemeae, deren Gattungen mit Ausnahme der auf Madagaskar und Ostindien beschränk- EnGtErR: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. alt ten Dieraea amerikanisch sind. Auch die in Angola vertretene Angolaea Wepp. gehört in eine Gruppe Marathreae, deren 5 übrige Gattungen neotropisch sind (vergl. Warumse in Exer. und Prantı, Nat. Pflanzen- fam. II 2a S.18, 19). Leiphaimos Cuan. et Sonteenr. ist eine Gattung der Gentiana- ceen, zu welcher kleine niedrige chlorophyllose Saprophyten mit dünnem {adenförmigem Rhizom gehören. Die Pflanzen wachsen in humusreichen Wäldern, und bis jetzt kennt man etwa 20 Arten, von denen IS zu 4 verschiedenen Seetionen gehörige von Brasilien bis Westindien vor- kommen, 2 der artenreichsten Section Euleiphaimos GiLe im tropischen Westafrika wachsen. Es sind dies L. primuloides (Bax.) Gır« in Gabun und ZL. platypetala (Bax.) Ge im Nigerdelta. Von Baxer werden diese Arten als Voyria bezeichnet, während Gire (in Ener. und PrAntı, Nat. Pflanzenfam. IV, 2, S. 102-104) letztere Gattung auf 3 in Guiana vorkommende Arten beschränkt. Auch die mit Leiphaimos näher ver- wandte monotypische Gattung Voyriella gehört Guiana und Nordbra- silien an. Die Arten von Leiphaimos haben minimale spindelförmige Samen (vergl. Nat. Pflanzenfam. a. a.0. S.ıo3 Fig. 46 D), die vom Wind wohl leicht fortgetragen werden könnten; doch ist zu berück- sichtigen, dass die Pflanzen im dichten Urwald wachsen. Ourouparia Avgı. (Uncaria Scuree.), durch Klimmhaken aufstei- gende Lianen der Familie der Rubiaceen, sind im Wesentlichen mit etwa 30 Arten tropisch-asiatisch, aber O. africana (G. Don) K. Scuun. ist von Madagaskar durch Centralafrika bis Westafrika verbreitet. Ausser diesen ist noch O. guianensis Augı. bekannt, welche die Hylaea bewohnt. Die Früchte dieser Gattung sind Kapseln mit kleinen länglichen, nach oben und unten lang geflügelten Samen. XI. Wasser- und Sumpfpflanzen Afrikas, welche zu solehen Amerikas in näherer verwandtschaftlicher Beziehung stehen. Cyriosperma Grirr., eine Gattung von Sumpfgewächsen aus der Familie der Araceae- Lasioideae, ist vertreten mit ı Art im tropischen Westafrika, C. senegalense (Scnuorr) Ener., und mit 2 Arten in der Hylaea; aber auch mit einigen im malayischen und polynesischen Theil des Monsungebietes. Die Arten jedes Erdtheiles gehören einer besonderen Section an, so dass also nur an eine Parallelentwickelung eines älteren Typus in den 3 Erdtheilen zu denken ist. Von Interesse ist auch, dass die Gattung Cyrtosperma innerhalb der Unterfamilie der Lasioideae, welche in jedem der Tropengebiete verschiedene Gattungen entwickelt hat, unter den jetzt lebenden Araceen dieser Unterfamilie 218 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. den morphologisch ursprünglichsten Typus darstellt. Die Früchte sind Beeren mit rundlichen oder nierenförmigen Samen, bei denen der von Nährgewebe umgebene Embryo durch eine dicke und harte Samen- schale mehr geschützt ist als bei anderen Araceen. Aus diesem Grunde mag auch bei dieser Gattung eine weitere Verbreitung möglich ge- wesen sein, als es bei anderen Gattungen der Araceen der Fall war. Mayaca Baumii GürkrE, eine Wasserpflanze aus der Familie der Mayacaceae, welche bisher mit 7 Arten nur aus Amerika bekannt war, wurde vor wenigen Jahren auf der Kunene-Sambesi-Expedition des Colonialwirthschaftliehen Comites im Quiriri in Benguella aufgefunden. Diese Art kommt der M. longipes Mart. aus der Hylaea am nächsten. Die Früchte sind etwa 5”"” lange Kapseln mit etwa o”"s5 langen eiförmigen Samen, welche einen sehr kleinen Embryo am Scheitel eines reichlichen Nährgewebes, umgeben von dicker, grubiger Samen- schale, enthalten. Syngonanthus Runı»., eine mit Paepalanthus verwandte Gattung der Eriocaulaceae, ist im tropischen Amerika mit etwa 8o Arten ent- wickelt. In Westafrika dagegen kommen 3 Arten vor, welche der Section Dimorphocaulon Runın. angehören, nämlich S. Poggeanus Run. bei Kimbundo unter 10° s. Br., $. Schlechteri Runın. am Stanley-Pool, S. Wehwitschii (Renpte) Runtn. bei Huilla in Benguella. Die Früchte sind auch hier Kapseln, welche sehr kleine Samen entlassen, in denen der kleine abgestutzte Embryo am Scheitel eines reichen mehligen Nährgewebes liegt. Bei allen Arten dieser Familie sind die Samen kaum 1"” lang, und so ist die Verbreitung durch Wind nicht ausge- schlossen, doch erfolgt sie wohl viel wahrscheinlicher durch Thiere, an deren Füssen die Samen haften. Maschalocephalus Dinklagei Gis et K. Scnum. ist die einzige bis jetzt bekannte Art einer afrikanischen Gattung der Rapateaceae, welehe bisher nur mit 7 Gattungen und 24 Arten aus dem tropischen Amerika bekannt waren; sie wurde von DimkraseE in Liberia bei Fishtown, Gran Bassa, an sumpfigen, tiefschattigen Stellen der Urwaldreste des sandigen Vorlandes entdeckt. Die Gattung ist am nächsten mit Spathanthus Aust. in Guiana verwandt, aber doch erheb- lich verschieden. Heteranthera Ruiz et Pav., Wasserpflanzengattung aus der Fa- milie der Pontederiaceae, welche im tropisehen Amerika ihre Haupt- entwicklung erlangt hat, auch in die subtropischen und gemässigten Zonen der neuweltlichen Hemisphäre gelangt ist, zählt im tropischen Afrika 3 Arten, welche so, wie die in Cuba vorkommende H. spicata Prest, kleistogame Blüthen besitzen und der Section Leptanthus (Rıcn.) Schum. angehören. Die afrikanischen Arten sind A. callaefolia Ren». EnGter: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 219 in Senegambien, FH. potamogeton Sorns ebenda, H. Kotschyana Fexzu im Nilland und dem Sambesigebiet. 2 andere Arten derselben Section, aber von den vorigen mehr abweichend, und 3 Arten der Section Schollera sind auf Amerika beschränkt. — Die Samen werden in den fach- spaltigen Kapseln in grösserer Zahl erzeugt; sie sind abgestumpft eiförmig, mit reichlichem, den Embryo umschliessenden Nährgewebe versehen und besitzen eine mit Längsrippen versehene Samenschale. Nesaea Conm. aus der Familie der ZLythraceae, theils einjährige, theils mehrjährige Pflanzen, theils Halbsträucher umfassend, ist in Afrika sehr artenreich; von 44 Arten kommen dort und auf Madagas- kar 37 vor, 36 endemisch. In Ostindien und Australien finden sich je 3 Arten, von denen in jedem Lande ı endemisch ist: in Texas und Mexiko aber kommen 2 endemische Arten vor, welche der vorzugs- weise in Afrika entwickelten Section Heimiastrum angehören. Alle Arten besitzen Kapseln mit zahlreichen kleinen Samen. Genlisea africana D. Ouiv., eine Lentibulariacee, verbreitet an sumpfigen Stellen des südöstlichen Afrika (Transvaal, Natal, Pondo- land), auch in Benguella um 1600-2000”, steht der südamerikanischen @. violacea St. Hır. nahe. Ausserdem kommen noch 9 Arten in Bra- silien vor. Die Samen sind sehr klein. Diodia Groxov., Gattung der Rubiaceae- Spermacoceae, zählt jetzt 30 Arten, theils einjährige, theils mehrjährige Kräuter, theils Halb- sträucher. Davon sind etwa 22 Arten Amerika, 4 Afrika eigenthüm- lich, wenigstens 2 aber beiden Erdtheilen gemeinsam. Es sind dies D. maritima Scuum. et Tuonx. am Meeresstrand von Senegambien bis Benguella, D. bdreviseta Bextw., nicht bloss an der westafrikanischen Küste, sondern auch an feuchten sandigen Plätzen in Centralafrika, Ostafrika und Madagaskar. Die Früchte zerfallen in 2 geschlossene, bis 2”" grosse Kokken, welche sich von einer häutigen Mittellamelle ablösen; die Fruchtschale ist häutig, lederartig oder knochenhart, der Embryo von reichlichem Nährgewebe umgeben. Mitracarpus Zvcc., in dieselbe Gruppe der Rubiaceae gehörig, meist Kräuter, selten kleine Sträucher umfassend, ist im tropischen Südamerika mit 14 Arten vertreten; in Afrika aber findet sich nur M. scaber Zuce. von dem Cap Verde und Senegambien bis zum Congo und ostwärts bis Sennaar. Bei ihnen löst sich die obere Hälfte der Fruchtwandung als Deckel ab und lässt die kaum 1"" langen Samen frei. Die Arten wachsen theils an feuchten sandigen Plätzen, theils an trockeneren Orten. Melanthera Ron, Gattung der vorzugsweise in Amerika entwickel- ten Compositae-Heliantheae-Verbesinae (hohe Kräuter oder Halbsträucher), ist in Amerika mit 10, im tropischen und südlichen Afrika mit 220 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. 4 Arten, in Madagaskar mit einer einzigen vertreten. Sowohl in West-, wie in Ostafrika und Südafrika findet sich an feuchten Plätzen M.- Brownei (DC.) Scuurtz Bip. Die Verbreitung wird durch die von Borsten gekrönten Achänien begünstigt. XI. Pflanzen der afrikanischen Steppenformationen, welche sonst nur oder fast nur im tropischen Amerika vertretenen Gattungen angehören oder mit solchen nahe verwandt sind. Anthephora Scnres. Verzweigte Gräser mit in Büscheln stehen- den Ährchen, mit 4 Arten im tropischen und südlichen Afrika in Steppen und auf steinigen Plätzen; ausserdem findet sich eine Art, A. elegans ScurEg. von Brasilien und Peru bis Mexiko, auch auf den Galapagos-Inseln. Die ersten Hüllspelzen von 3-4 Ährchen bilden, unten mit einander verwachsend, ein krugförmiges, hartes Involuerum, welches als Thieren anhaftendes Verbreitungsmittel dienen dürfte. Tristachya Ners, eine Gattung der Gramineae- Aveneae, enthält ausdauernde, hohe Gräser, welche auf sandige Steppen oft massen- haft auftreten. 2 Arten sind in den Steppen Südbrasiliens in Minas Geraös und San Paulo verbreitet, 9 andere Arten finden sich im tropischen Afrika und Südafrika. Die Deckspelzen der Zwitterblüthen sind mit einer langen geknieten und gedrehten Granne versehen. Ctenium Paxz., eine Gattung der Gramineae- Chlorideae, mit hohen, zuweilen rohrartigen Gräsern, umfasst 9 Steppen bewohnende Arten, von denen 2 in Westafrika, Ct. elegans Kuntu auch in Ostafrika und auf Madagaskar, 4 Arten aber in Nord- und Südamerika vorkommen. Barbacenia V asveLui, Sect. Xerophyta (Juss.), zu der Familie der Velloziaceae gehörig, sind sehr eigenartige strauchige oder fast baum- artige Monokotyledoneen, mit einem von faserigen Blattresten bedeckten, oft dichotomischen Stamm, mit einem Schopf von Blättern und einer ansehnlichen gestielten Blüthe am Ende der Äste. Die Blüthen tragen im unterständigen Fruchtknoten an verbreiterten zweischenkeligen Placenten zahlreiche kleine Samenanlagen, und die Frucht ist eine, häu- fig von warzigen Emergenzen besetzte, mehr oder weniger verholzende Kapsel, welche von der Spitze her sich öffnet und sehr kleine Samen mit schwarzer Samenschale enthält; in ihnen ist der Embryo von Nährgewebe umschlossen. Die Samen sind so klein, dass sie wohl durch Wind verbreitet werden können. Von diesen Pflanzen finden sich 15 Arten in den Steppengebieten des tropischen Afrika, ganz besonders in den Gebirgsfelsensteppen der regenärmsten Gebiete, oft heerdenweise für sich oder zusammen mit Candelabereuphorbien. EnGtEr: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 221 So sah ich sie am Nordabfall des Gebirges von West-Usambara. Von derselben Section kommen zahlreiche Arten in Südafrika und auch in Madagaskar, ferner in Südbrasilien vor. Eben dort finden sich auch die Arten der anderen Section Fubarbacenia und sämmtliche Vellozia, von denen einige bis 2” Höhe erreichen, in trockenen und sandigen Campos. Keine einzige Velloziacee kommt in einem andern Theil der Erde vor. Hymenocallis senegambica Kunın et Bovent, eine in Sierra Leone und an den sandigen Küsten Angolas häufig vorkommende Amaryllidacee, ist bis jetzt nur von dort bekannt, während im tropi- schen Amerika etwa 30 Arten vorkommen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch die genannte Art noch in Amerika wild aufgefunden wird und sich als in Afrika nur eingeschleppt erweist. Pilostyles Guwven., eine Gattung der Rafflesiaceae- Apodantheae, sehr kleine auf den Ästen von Leguminosen parasitisch lebende Pflanzen, deren Vegetationsorgane in höchstem Grade auf einen im Zweige der Nährpflanze wuchernden Thallus redueirt sind, mit kleinen Blüthen, ist in Benguella durch P. aethiopica Werw. vertreten, ausserdem kennt man in der alten Welt noch P. Haussknechtiü Boıss. auf Traganth liefern- den Astragalus-Sträuchern in Syrien und Kurdistan. Die grössere Zahl der Arten findet sich aber in Amerika, woselbst 4 zerstreut in Süd- amerika vorkommen, 2 in Südkalifornien und Neumexiko. Ausserdem ist aber auch die nahestehende, nur 2 Arten umfassende, Gattung Apodanthes in Brasilien und Colombia heimisch. Die Früchte sind beerenartig und schliessen eine grosse Zahl sehr kleiner Samen ein. Cyünus L. fehlt zwar im tropischen Afrika, verdient aber doch hier angeführt zu werden; denn ausser dem bekannten, im Mittel- meergebiet und auch auf den canarischen Inseln verbreiteten (€. Aypo- cistis L. kommt eine Art, C. dioecus Juss. im Capland auf der Compo- site Eriocephalus ramosus und €. Baronü Bax. f. auf Madagaskar am Stamm der Hamamelidacee Dicoryphe vor; in Mexiko aber finden sich 4 Arten der nahestehenden Gattung Seytanthus Liess. Ausser den genannten Arten existiren überhaupt keine Vertreter der Rafflesiaceae- Cytineae in irgend einem andern Theil der Erde. Die Samen auch dieser Pflanzen sind minimal, und ihre harte Testa schützt den von dünnem Endosperm eingeschlossenen ungegliederten Embryo. Da die Beeren bei Cytinus von einer klebrig schleimigen Pulpa erfüllt sind, in welcher die Samen eingebettet liegen, so ist an eine Verbreitung der Früchte und Samen durch Vögel zu denken. Hydnora 'Tuung., mit 8 Arten in den Steppengebieten des tro- pischen und südlichen Afrika, bekanntlich Wurzelparasiten von höchster Eigenart, sind unzweifelhaft verwandt mit Prosopanche pE Bary, von 222 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. welcher 2 Arten im nördlichen und südlichsten Argentinien vor- kommen. Die grossen beerenartigen Früchte, welche von Thieren eefressen werden, enthalten in fleischiger Pulpa Unmengen minimaler Samen mit harter Samenschale, welche den von Nährgewebe um- ebenen Embryo schützt. Copaifera L., eine charakteristische Gattung der Caesalpinioideae- Oynometreae, ist nur im tropischen Amerika und im tropischen Afrika vertreten, in ersterem mit etwa ı2 Arten, in letzterem durch ©. @wi- burtiana BEentH. von Sierra Leone, (©. salicounda Hecke von Französisch- Guiana, (©. Demeusei Harms vom Congo, C. mopane Kırk von Angola bis Lupata am Sambesi und C. coleosperma Bentu. im Batoka-Hoch- land. Alle besitzen flache oder zusammengedrückte einsamige Hülsen. Sie bewohnen alle trockene heisse Standorte und bilden Steppen- eehölze. Keine der afrikanischen Arten steht den amerikanischen besonders nahe. Trachylobium verrucosum (GÄrTN.) Ouıv., zu den Caesalpinioideae- Amherstieae gehörig (= T. Hornemannianum Have, T. Gaertnerianum Haysze, T. Lamarckianum Hayse, T. mossambicense Kıorzscn. — Vergl. Gire in Notizblatt des Königl. Botan. Gartens, Berlin I, 198-205, 284!), die Stammpflanze des Sansibar- und Madagaskar-Kopals, ein bis 40" hoher Baum, in Buschgehölzen des Sansibarküstengebiets von Sansibar bis Mossambik, auf Mauritius, Madagaskar, den Seschellen und Java vorkommend, ist nur verwandt mit der im tropischen Amerika (Südbrasilien bis Westindien) vertretenen Gattung Hymenaea. Die offenbar durch das Meer erfolgte Verbreitung von Trachylobium erklärt sich dadurch, dass die Frucht mit einer dieken harten Schale versehen ist, deren stark warzige Erhebungen Lufthöhlungen sind, welche thıeilweise von klarem, gelbem Harz erfüllt werden, während das Fruchtinnere von einem sehr lockeren und stark luftführenden, die Samen umschliessenden Gewebe eingenommen wird. Bei Hyme- naca, von welcher Trachylobium im Wesentlichen nur durch die warzigen Erhebungen der Fruchtschale verschieden ist, ist die Frucht dick, wenig zusammengedrückt, fast holzig und bleibt auch geschlossen, während die auch in diesen Verwandtschaftskreis gehörige und im tropischen Brasilien vorkommende Gattung Peltogyne V os. aufspringende Hülsen besitzt. Hofmanseggia Cav., niedrige Kräuter und Halbsträucher der Leguminosae-Caesalpinioideae, sind in Amerika von Patagonien bis Mexiko durch ı8 Arten vertreten, während 2 Arten, H. Burchellü (DC.) Bentn. und H. Sandersonü (Harv.) BEentu. in Südafrika vorkommen. Die Früchte sind richtige dünnwandige Hülsen, welche bisweilen mit Drüsen oder Borsten besetzt sind. Enter: Über lloristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 223 Swarizia madagascariensis Desv., ein etwa 5-6” hoher Baum in offenen Buschgehölzen des tropischen West- und Ostafrika, ist die einzige Art der Section Fistuloides Bexıu., welche durch stielrunde, dieke, nicht aufspringende Früchte mit dickem Endocarp ausgezeichnet ist, während 4 andere Sectionen derselben Gattung mit etwa 60 Arten auf das tropische Amerika beschränkt sind und aufspringende Hülsen besitzen. Hannoa Prancn., Bäume, Sträucher oder Halbsträucher aus der Familie der Sönarubaceae. Drei Arten wachsen, wie die Arten der Gattung Simaba, in Buschgehölzen der Steppe (MH. Schweinfurthä Ouıv.) oder auf sandigen Plätzen an Flussläufen und am Meer (MH. undulata [Gviz. et Prrr.] PrancnH.), oder im trockenen Hängewald (H. chlo- rantha Ess. et GıLc im Kunenegebiet), eine Art H. ferruyinea Esser. auch im Gebirge von Kamerun. Die Gattung ist charakterisirt durch ver- eintblättrigen, anfangs ganz geschlossenen Kelch. Im Übrigen nähert sie sich der amerikanischen Gattung Simaba, von der ich sie jedoch keineswegs direct ableiten möchte. Commiphora Jaca., Gattung der Durseraceae mit etwa 80 Arten, weist die grosse Mehrzahl derselben in den xerophytischen Forma- tionen des tropischen und subtropischen Afrika auf; viel weniger finden sich in Madagaskar,und Vorderindien. Dieser Gattung ent- spricht im tropischen Amerika die von Mexiko bis Colombia ver- breitete Gattung Bursera L. (einschl. Elaphrium Jaca.). Beide stimmen in Blüthen- und Fruchtbildung, häufig auch im Habitus sehr überein. Sie könnten leicht auch in eine Gattung zusammengezogen werden, sind aber nur correspondirende Bildungen, welche in Afrika und Amerika gesondert entstanden sind. Bezüglich der Merkmale vergl. Enter in Ener. und Prantr, Nat. Pflanzenfam. II, 4, S. 248-256. Sphaeralcea Sr. Hır., Kräuter, Halbsträucher und Sträucher der Malvaceae- Abutilinae sind von Argentinien bis nach dem nordwestlichen Nordamerika zertreut; den 21 amerikanischen Arten stehen etwa 4 des Caplandes gegenüber. Die Einzelfrüchte sind am oberen Ende oft mit 2 Spitzen versehen und dadurch zum Anhaften befähigt. Dies ist auch bei Modiola caroliniana (1.) Don der Fall, einem in Amerika häufigen Unkraut, welches auch nach Südafrika gelangt ist. Auch bei Wissadula, einer ebenfalls amerikanischen Gattung (10 Arten), endet die aufspringende Theilfrucht in 2 spreizende Schnäbel, welche wohl zu der weiten Verbreitung der (allerdings auch als Faserpflanze culti- virten) W. periploeifolia (L.) Tuw. beigetragen haben dürften. Hermannia ]... eine bekannte, aus Kräutern, Halbsträuchern und Sträuchern bestehende Gattung der Sterculiaceae, tritt mit grossem Formenreichthum (etwa 150 Arten) in den Steppengebieten Afrikas 224 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. auf; von diesen reicht H. modesta Praxcn. auch nach Arabien. Merk- würdigerweise kommen 3 der Section Euhermannia Harv. angehörige Arten in Texas und Mexiko vor. Da Hermannia Carpelle mit mehreren Samenanlagen besitzt, die pantropischen Gattungen Melochia und Wal- theria aber in jedem Carpelle nur 2 Samenanlagen haben, so ist eine Ableitung der amerikanischen und afrikanischen Hermannia von einer dieser Gattungen nicht naheliegend. Besonders auffallende Verbrei- tunesmittel sind bei Hermannia nicht wahrzunehmen. Turneraceae, eine Familie von vegetativ sich sehr verschieden verhaltenden Pflanzen (ein- und mehrjährige Kräuter, Sträucher und Bäume), etwa 100 Arten umfassend, ist auf Amerika und Afrika mit Madagaskar sowie die malegassischen Inseln beschränkt: in Afrika und auf den Inseln finden sich mehr Gattungen (5) als in dem tropischen und subtropischen Amerika (2), und von den in Amerika vertretenen Gattungen ist die eine, Piriqueta AusgL., in beiden Erdtheilen vertreten. Besonders wichtig aber ist, dass die in Centralamerika, Madagaskar und im Capland vorkommenden Piriqueta alle einer Section Erblichia angehören, welche durch freie Kelchblätter charakterisirt ist. Die Früchte sind kugelige bis elliptische Kapseln, mit kleinen grubigen Samen an den wandständigen Placenten (vergl. Ursan in Jahrb. des Berl. botan. Gartens II. ı und Gite in Enger und Prantr, Nat. Pflanzen- fam. II. 6a, S. 57 ff.). Auch ist wichtig, dass im Somaliland am oberen Tana, zusammen mit der dort endemischen Zoewia tanaensis ÜRB., Turnera ulmifolia L. var. Thomasü Urs. aufgefunden wurde. T. ulmi- Folia L. ist eine in zahlreichen Varietäten von Paraguay bis Mexiko als Halbstrauch oder Strauch verbreitete Art, von welcher zwei in Amerika heimische Varietäten, var. angustifolia Wırın. und var. elegans (Orro) Urg., auch im südöstlichen Asien und auf den ostafrikanischen Inseln, aus botanischen Gärten entschlüpft, verwildert sind. Dagegen ist var. Thomasi von allen amerikanischen Varietäten verschieden und nach Urgan (in Enster’s Bot. Jahrb. XXV (1898), Beiblatt Nr. 60, S. 12) nicht daran zu denken, dass sie von der noch am nächsten stehenden, aber doch sehr verschiedenen, Varietät elegans abstammen könnte, zu- mal letztere erst in den ersten Decennien des vergangenen Jahrhunderts in der alten Welt eultivirt wurde. kissenia, einzige monotypische altweltliche Gattung der mit 12 Gattungen und etwa 200 Arten in Amerika entwickelten Familie der Loasaceae. K. spathulata Exor. ist mit keiner der amerikanischen Loa- saceen näher verwandt und kommt als Strauch sowohl in Steppen Südwestafrikas wie des Somalilandes und Arabiens vor. Der in 5 grosse Flügel auswachsende Kelch bildet für die längliche, holzige Frucht einen Flugapparat. EnGLeR: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 225 Schrebera Roxe., eine mit Jasminum verwandte Gattung der Oleaceen, ausgezeichnet durch loeulieid 2 klappige Kapselfrüchte mit hängenden geflügelten Samen, umfasst etwa 15 afrikanische Arten. Ausserdem kennen wir aber auch eine Art, 8. swietenioides Roxs. von Vorderindien und Hinterindien und eine, S. americana (ZAHLBR.) GILG von Peru. Erneute Untersuchungen dieser Pflanzen von Seiten Prof. Gise’s haben deren Zusammengehörigkeit ergeben (vergl. GL in Ensrer’s Bot. Jahrb. XXX S. 69-74). Asclepias, eine in den Steppengebieten Afrikas reich vertretene Gattung, zählt, wenn wir Gomphocarpus R. Br. und Stathmostelma K. Scnum. dazu rechnen, in Afrika etwa 100 Arten, in Amerika da- gegen etwa 80. Bis auf einige Ruderalpflanzen wie A. curassavica L. ist keine Art beiden Erdtheilen gemeinsam: es finden sich aber auch nur 2 Arten in Arabien und dem Orient, so dass also die ganze grosse Schaar der Asclepias ihrem Ursprung nach amerikanisch -afrika- nisch ist. Jaumea Prrs.. Kräuter oder Halbsträucher aus der Gruppe der Helenieae- Jaumeinae, mit 6 Arten, wie alle übrigen Vertreter dieser engeren Gruppe und wie fast alle Felenieae in Amerika zu Haus, weist 2 Afrika eigenthümliche Arten auf, nämlich J. compositarum (STEETz) Bexrn. et Hoox. f. in Steppengehölzen des unteren Sambesigebiets (Rio de Sena) und J. elata O©. Horrm. auf Sumpfwiesen des Uheheplateaus. Auch gehört hierher wahrscheinlich eine am Ugallafluss von Bönm gesammelte Pflanze. Die Achänien sind bei dieser Gattung mit einem aus zahlreichen Schüppchen oder starken gewimperten Grannen ge- bildeten Pappus versehen, dessen Anheftungsfähigkeit durch kleine Häkchen an der Spitze der Grannen erleichtert wird. Erwähnt sei noch, dass auch im südwestlichen Gebiet des Caplandes eine in Sümpfen wachsende Composite, Cadiscus aquaticus E. Mey. existirt, welche nirgend anderswo vorkommt und auch zu den Helenieae gestellt wird. Keine einzige Heleniee findet sich in Asien wildwachsend, und nur eine Pflanze Australiens, Flaveria australasica Hoox., wird noch dieser Gruppe zu- gerechnet, von der in Amerika 53 Gattungen vorkommen. Die unter I—III angeführten Fälle des Vorkommens amerika- nischer Pflanzen in Afrika oder afrikanischer in Amerika sind zum grössten Theil entschieden auf den Schiffsverkehr zwischen den beiden Continenten zurückzuführen und einige hängen auch mit der Ein- führung amerikanischer Culturpflanzen in Afrika zusammen. Bei den Strand- und Mangrovepflanzen, welehe unter Kategorie IV aufgeführt 226 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. sind, wissen wir aus Erfahrung, dass ihre Samen entweder durch Strandvögel verschleppt werden oder noch häufiger die Schwimm- fähigkeit der Früchte einen Transport durch das Meer begünstigt; aber man wird sich nicht verhehlen dürfen, dass man sich einen Transport von Rhizophora-Embryonen über den Atlantischen Ocean hinweg ohne Schädigung derselben schwer vorstellen kann und dass schon eine Insel- kette zwischen der heutigen amerikanischen und afrikanischen Küste die thatsächlich bestehende Übereinstimmung der Mangroveformation an denselben wesentlich leichter erklären würde. Bei den grossfrüchtigen Uferwaldpflanzen der Kategorien V und VI finden wir Steinfrüchte oder an- dere geschlossene Früchte, in denen der Same durch eine starke Frucht- wandung gegen die schädlichen Einflüsse des Meerwassers geschützt ist. Man kann also mit einer gewissen Berechtigung annehmen, dass ihre Embryonen von einem Erdtheill zum andern im Samen ver- schlossen keimfähig angeschwemmt wurden; für Entada scandens kann ich anführen, dass mir im botanischen Museum zu Upsala vor 22 Jahren in Alkohol eonservirt eine Keimpflanze derselben gezeigt wurde, welche im dortigen botanischen Garten aus Samen erzogen worden war, die der Golfstrom nach der Küste des nördlichen Norwegens transportirt hatte. Dagegen versagt der Glaube an die Meeresströmungen bei der Podostemonacee Tristicha hypnoides und bei Rhipsalis cassytha, auch bei der beerenfrüchtigen Symphonia globulifera. Wenn Vögel die kleinen Samen von Tristicha an ihren Füssen oder die Samen der beiden anderen Arten in ihrem Darm über den Atlantischen Ocean hätten hinwegtragen sollen, dann hätten sie zum mindesten auf ihrem Wege mehrere Inseln als Zwischenstationen finden müssen, als Zwischen- stationen in dem Sinne, dass diese Pflanzen sich erst auf einer Amerika zunächst gelegenen Insel ansiedelten und dann von dieser allmählich nach mehr entfernten gelangten, hierauf nach Afrika zunächst liegenden und schliesslich nach Afrika selbst. Dasselbe würde gelten für die unter VII aufgeführten Sumpfpflanzen. Wollte man für letztere etwa die Erklärung anführen, dass diese Pflanzen in der Tertiärperiode über das nordwestliche Amerika nach dem nordöstlichen Asien gelangt seien, durch Ostasien nach Vorderindien und von da nach Afrika, so könnte ich dieselbe hier, obwohl ich sie in mehreren anderen Fällen für an- gebracht halte, nur für einige der angeführten Arten als noch mög- lich zulassen: aber nicht als wahrscheinlich; denn es handelt sich hier eben um Pflanzen, welche in Westafrika besonders häufig sind oder daselbst ausschliesslich vorkommen. Von den in der Kategorie VIII angeführten Pflanzen könnten am ersten die beiden Lythraceen Am- mannia auriculata und Rotala mexicana den angedeuteten Weg auf ihren Wanderungen zurückgelegt haben. Unter den Steppenpflanzen der Engter: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. DOT Kategorie IX mag vielleicht Aristida Adscensionis ihre Verbreitung theil- weise dem Schiffsverkehr verdanken; aber bei den übrigen ist eine Verbreitung von Amerika nach Afrika oder umgekehrt ohne die An- nahme einer continentalen Verbindung oder grösserer, nur durch schmale Meeresstrassen von einander getrennter, Inseln nicht denkbar. Man geht fehl, wenn man bei der hier zu erörternden Frage glaubt, die den beiden Continenten gemeinsamen Arten ganz besonders in Betracht ziehen zu müssen. Diese haben für mich weniger Beweis- kraft, als das Vorkommen eorrespondirender Arten, Seetionen oder Gattungen, welche anderen Erdtheilen fehlen, und deren giebt es, wie die Kategorien X-XII zeigen, eine auffallend grosse Zahl. Diese letzteren hat z. B. auch Inerıme', welcher mit grosser Entschiedenheit für einen Brasilien, Afrika und Madagaskar verbindenden Continent eintrat, nicht angeführt, konnte sie theilweise auch nicht anführen, weil erst die genauere Erforschung der Flora Afrikas viele maassgebende Thatsachen an’s Licht brachte und auch jetzt mehr gründliche mono- graphische Durcharbeitungen vorliegen, auf die man sich stützen kann. Ich will nun nicht noch einmal alle Fälle, welehe unter X-XIH in systematischer Reihenfolge der Familien angeführt sind, besprechen; die dort angegebenen Thatsachen zeigen von selbst, dass zwischen Madagaskar, Afrika und Südamerika in früheren Erdperioden zu einer Zeit, als in den Tropen die Entwicklung der Angiospermen schon weit vorgeschritten war, eine continentale oder wenigstens durch mehrere grosse Inseln hergestellte Verbindung bestanden haben muss. Den grössten Werth lege ich darauf, dass in den genannten Ländern ganze Familien, Unterfamilien, Gruppen, Gattungen und Sectionen vor- kommen, welche dem tropischen Asien gänzlich fehlen. Schon die Zahl der höher stehenden Abtheilungen ist recht beträchtlich, es sind ge- meinsam: Familien: Mayacaceae, Rapateaceae, Velloziaceae, Hydnoraceae, Humiriaceae, Winteranaceae, Turneraceae, Loasaceae, Caricaceae. Unterfamilien und Gruppen: Musaceae- Strelitzioideae, Moraceae- Brosimeae, Rafflesiaceae- Apodantheae, Rafflesiaceae-Cytineae, Balanopho- raceae- Langsdorffieae, Cactaceae- Rhipsalideae, Gentianaceae- Leiphaimeae, Compositae- Helenieae. Dazu kommen noch einige, welche zwar auch noch im Monsun- gebiet etwas vertreten sind, aber in Amerika und Afrika ihre stärkste Entwicklung haben, wie die Pontederiaceae, die Moraceae- Dorstenieae, die Rosaceae-Chrysobalanoideae, die Simarubaceae-Simarubeae, die Burse- ! Iserıng: Das neotropische Florenelement und seine Geschichte, in EnGLer’s Botan. Jahrb. XVII. Beiblatt Nr. 42. — 1893. ; Sitzungsberichte 1905. 20 228 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. raceae, Dichapetalaceae, sodann auch die grossen Gattungen Hermannia und Asclepias. Gerade der Umstand, dass es sich hier nieht um identische, son- dern nur um verwandtschaftlich nahe stehende Formen handelt, ist beweisend für die Annahme eines in früheren Erdperioden erfolgten Austausches der Pflanzenformen beider Continente. Dies schliesst nicht aus, dass auch viele der in den Kategorien I-IX erwähnten Arten lange vor der gegenwärtigen Periode gewandert sind; dies möchte ich z. B. entschieden nicht bloss für Zlaeis, sondern auch für Raphia annehmen. Wir sehen zahlreiche Fälle, in denen einer amerikanischen Artengruppe nur eine afrikanische Art entspricht oder umgekehrt; wir sehen ferner Fälle, in denen jeder Continent eine Art oder Gattung ent- hält, welche einer solchen des anderen entspricht; wir haben aber auch mehrere Fälle anführen können, in denen ganze Gattungen mit mehre- ren Arten oder ganze Seetionen dem einen Continent angehören und correspondirende dem andern. Dies beweist, dass nach der Spaltung der Urtypen der Familien oder Gattungen die jüngeren Typen in jedem Continent sich selbständig weiter entwickeln konnten. Es verdient noch Anderes Beachtung. Unter den Pflanzen der Kategorien X—XII sind die Sumpf- und Wasserpflanzen, bei denen man am ersten an eine Verschleppung von Samen durch Vögel und an eine Besiedelung entblössten Landes oder von Süsswasserseeen den- ken kann, bei Weitem nicht so zahlreich vertreten, wie die Steppen- pflanzen und hygrophilen Waldpflanzen. Die zahlreichen Typen der Kategorie X sind nicht der Art, dass man annehmen könnte, ihre zu- fällig vom Meer herangeschwemmten, von Vögeln herbeigetragenen, von Wind herangewehten Samen könnten sich ohne Weiteres in be- reits vorhandenen Waldformationen ansiedeln. Solche sind bekannt- lich am allerwenigsten zur Aufnahme neuer Ankömmlinge geeignet: es müssen daher auch die amerikanischen Typen mit Ausnahme der auf die Küste beschränkten Formen schon bei der Entstehung der afrikanischen Wälder beteiligt gewesen sein und umgekehrt. Viel eher findet sich in Steppen offener Platz zur Ansiedlung eingeschleppter fremder Arten, am meisten freilich auf neugebildeten vulcanischen Inseln und Gebirgen. Noch etwas ist der Berücksichtigung wert: Steppen- und Urwald- formationen kommen auf kleinen Inseln nicht so leicht neben einander vor. Wohl giebt es kleine Inseln, wie die östlichen eanarischen, mit rein xerophytischer Vegetation und kleine Inseln mit Wald; aber beides ist nur der Fall im Anschluss an grössere benachbarte Gebiete mit xero- phytischer Vegetation oder mit Waldvegetation. Steppenartige Forma- tionen und richtiger Urwald können auf kleineren Inseln nur dann vor- EnGtLeER: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 229 kommen, wenn in denselben sich höhere Gebirge erheben, welche auf der Wetterseite Wasser condensiren. Es müssen also, wenn keine voll- kommene eontinentale Verbindung zwischen Afrika und Amerika be- stand, ziemlich grosse Inseln zwischen diesen Erdtheilen gelegen haben. Übrigens darf man bei allen vorangegangenen Betrachtungen nicht ver- gessen, dass die Vegetation der beiden uns hier beschäftigenden Con- tinente ausser den ihnen speciell gemeinsamen Typen auch noch andere enthält, welche beide mit dem Monsungebiet gemeinsam haben. Haben wir uns jetzt mit den Typen beschäftigt, welche Amerika und Afrika gemeinsam sind, so wollen wir doch auch einen flüchtigen Blick werfen auf Einiges, was die amerikanische Flora vor der afrika- nischen voraus hat. Es ist auffallend genug, dass bei der reichen Ent- wickelung der Bromeliaceen, der echten Caeteen (ausschliesslich der Rhipsalideen), der Agaveen, der ungemein reichen Entwickelung von Anthurium (etwa 500 Arten) und Philodendron (etwa 300 Arten) im tropischen Amerika, der Vochysiaceae und Rutaceae- Cusparieae keine ein- zige nach Afrika gelangt ist. Es sei ferner hingewiesen auf den viel grösseren Reichthum von Orchidaceen und Palmen in Amerika und die äusserst geringe Zahl von Amerika und Afrika gemeinsamen Typen aus diesen Familien, auch auf die vollständige Sonderstellung der ameri- kanischen Loranthaceen. Dazu muss man doch sagen, dass die äusserst leichten Samen der Orchidaceen und vieler Bromeliaceen zur Verbreitung durch den Wind, die fleischigen Früchte anderer Bromeliaceen, der Cactaceen, der Araceen und Loranthaceen zur Verbreitung durch Vögel sehr geeignet sind und dass gerade die weite Verbreitung dieser Typen in Amerika diesen Eigenschaften zu verdanken ist. Sicher spielt hier- bei, wie überhaupt bei den Verbreitungserscheinungen, die geringe Keim- dauer vieler Samen eine Rolle, welehe namentlich einer Verbreitung über grössere Wasserflächen hinweg hinderlieh ist. Unter Berücksichtigung aller dieser Verhältnisse würden die an- geführten Vorkommnisse von Amerika und Afrika gemeinsamen Pilanzen- typen am besten ihre Erklärung finden, wenn erwiesen werden könnte, dass zwischen dem nördlichen Brasilien südöstlich vom Mündungsgebiet des Amazonenstromes und der Bai von Biafra im Westen Afrikas grössere Inseln oder eine ceontinentale Verbindungsmasse und ferner zwischen Natal und Madagaskar eine Verbindung bestanden hätte, deren Fort- setzung in nordöstlicher Richtung nach dem vom sino-australischen Con- tinent getrennten Vorderindien schon längst behauptet wurde. Die vielen verwandtschaftlichen Beziehungen der Captlora zur australischen machen ausserdem eine Verbindung mit Australien durch Vermittelung des ant- arktischen Continentes wünschenswerth. AmNordrande der brasilianisch- äthiopischen Verbindung und ostwärts weiter am Südrand des grossen 20* 230 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. mesozoischen Mittelmeeres', theilweise bis zur indo-madagassischen Halbinsel, theilweise auch durch die bengalische Strasse bis an die Küsten des sino-australischen Continentes wäre die Wanderung der Wald- pflanzen, südlich davon nur bis Afrika wäre die der Steppenpflanzen anzunehmen. Nun haben die Geologen schon längst für die Mitte des oberen Jura einen grossen brasilianisch -äthiopischen Continent angenommen, mit Hülfe dessen sich eine viel grössere Florengemeinschaft erklären liesse, als thatsächlich zwischen Amerika und Afrika besteht, wenn in der oberen Juraperiode schon Angiospermen existirt hätten. Als so hoch organisirte Pflanzen, wie Ravenala existirten, da mussten die Angiospermen schon eine sehr weitgehende Entwicklung erreicht haben. Es wird also abgewartet werden müssen, ob noch weitere Gründe für eine Verbindung Amerikas und Afrikas während der Kreideperiode und eocänen Periode sprechen. Zur Not würde zur Erklärung der von mir angeführten Verbreitungsverhältnisse der Pflanzen unter Inanspruch- nahme weitgehendster Mitwirkung von Meeresströmungen, Vögeln und Wind auch genügen, wenn die jetzt 2000-4000” unter der Ober- fläche des Atlantischen Oceans gelegenen Areale über das Meer empor- geragt hätten; aber eine vollkommnere brasilianisch -aethiopische Land- verbindung wäre mir erwünschter. Da es sich fast nur um Pflanzen der unteren Regionen handelt, so ist zur Erklärung ihrer Verbreitungserschei- nungen die Annahme einer bedeutenden Erhebung über das Meer nicht nothwendig.” Dafür aber, dass bald nach der Juraperiode, schon am An- fang der Periode der oberen Kreide zahlreiche Angiospermen aufgetre- ten sind, haben sich in neuerer Zeit die Anzeichen gemehrt; die Flora der dem Cenoman an Alter etwa gleichzusetzenden Potomaeschichten von Virginien, die Flora der entlang der Rocky Mountains mächtig ent- wickelten Dakotaschichten, welehe zum mindesten der Zeit des Senon angehören, die dem Turon gleichaltrigen Laramieschichten sind schon sehr reich an dikotyledonen Angiospermen. Andere Formen als in Amerika sehen wir in dem Senon-Quadersandstein von Halberstadt und Blankenburg, andere in der senonen Kreide von Aachen, andere wieder in der oberen Kreide der Provence. Für mich kam es zunächst darauf an, zu zeigen, dass die neo- tropische und paläotropische Flora sich in Afrika und in Amerika trotz des jetzt die beiden Erdtheile trennenden Oceans stark berühren. Auch sehe ich als besonders wichtiges Ergebniss dieser Untersuchung ! Vergl. Neumayr, Erdgeschichte, 2. Band, S. 336, Karte der geographischen Verbreitung des Jura-Meers, und BErsuAus, Atlas der Geologie, Karte Nr. X. ®2 Man vergleiche die Höhen- und Tiefenkarten in neueren Atlanten, z. B. in BEereHAus, Atlas der Geologie, Karte 1. EnGLer: Über floristische Verwandtschaft zw. dem trop. Afrika u. Amerika. 231 und anderer mit systematischer Botanik verbundener pflanzengeogra- phischer Studien das an, dass durchaus unbestreitbar an verschiedenen Theilen der Erde verschiedene Familien der Angiospermen entstanden sein müssen und dass auch verschiedene Stämme, welche wir als Unter- familien oder Tribus einzelner grossen Familien ansehen, sich (geo- logisch) gleichzeitig an verschiedenen benachbarten Theilen der Erde entwickelt haben. Auch spricht Alles dafür, dass, als die Angiospermen entstanden, in den äquatorialen, den borealen und den australen Ländern sogleich verschiedene Stämme derselben in die Erscheinung traten. IV u DD Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der ozeanischen Salzablagerungen. XL. Existenzgrenze von Tachhydrit. Von J. H. van’r Horr und L. LicHTEnSTEin. Bi einer früheren Gelegenheit! wurde festgestellt, daß Tachhydrit sich bei 22° aus Magnesium- und Caleiumchlorid bildet: 2MgCl,.6H,0 + CaCl,..6H,0 = Mg,C1,Ca. ı2H,0 + 6H,O und daß diese Temperatur von den sonstigen Salzvorkommnissen prak- tisch unabhängig ist. Die Aufgabe, welche nunmehr vorlag, war, das Gebiet des Tach- hydrits für 25° zu umgrenzen, was in der erwähnten Arbeit nur bei der alleinigen Berücksichtigung von Magnesium- und Caleiumchlorid geschah, mit folgenden Ergebnissen, welche sich auf die Grenzlösungen beziehen: Mol. auf 1000 Mol. H,O Sättigung an: MeCı, CaCl, a. MgCl],.. 6H,O 108 b. MgCl;, . 6H;0, Tachhydrit 51.5 90.5 c. CaCl, .6H,0, Tachhydrit 34 I1g d. CaCl, . 6H,O 133 Bei den nunmehr auszuführenden Bestimmungen, welche be- zweckten, die Existenzgrenzen für die natürliche Bildung kennen zu lernen, war nötig, das Chlornatrium und Chlorkalium mitzuberück- sichtigen, mit der alleinigen Einschränkung, daß an ersterem immer Sättigung besteht. Am einfachsten geschieht dies, falls das Schema für die Sättigung an Chlornatrium und die Magnesium-, Kaliumchlorid- kombinationen zugrunde gelegt wird, welche folgende Tabelle enthält”: ! Diese Sitzungsberichte 1897, 508. 2 J. H. van'r Horr, Zur Bildung der ozeanischen Salzablagerungen, VırwEG 1905, 8. 35. Id SU ws van'r Horr: Öceanische Salzablagerungen. XL. Sättigung an Chlornatrium und: Mol. auf 1000 Mol. H,O Na; Ol: Rz2Cl MeÜl, O. Ohne weiteres 55-5 A. MeCl, . 6H,O I 106 B. Chlorkalium 44-5 19.5 D. MgCl,.. 6H,;0, Carnallit I 0.5 105 E. Chlorkalium, Carnallit 2 5.5 70.5 Die Aufgabe wird nunmehr, festzustellen, welche neue konstante Lösungen aus den eben erwähnten entstehen, falls Chlorealeium ein- getragen wird und die vorhandenen Bodenkörper als solche über- schüssig bestehen bleiben, bis in irgendeiner Form das Calcium sich ausscheidet und so wiederum konstante Zusammensetzung eintritt. A. Das Gebiet von Chlorcaleiumtetrahydrat. Um die Untersuchung nicht unnötig mit Nebensachen zu ver- quicken, ist zunächst festgestellt, welche Rolle das Chlorealeiumtetra- hydrat, welches bei 29.53° aus dem Hexahydrat entsteht, bei 25° spielt. Schon früher' wurde diesbezüglich bestimmt, daß Anwesen- heit von Tachhydrit die Bildungstemperatur auf 25° herabsetzt und also jedenfalls mit dem Tetrahydrat zu rechnen ist. Durch eine Reihe von BEckmann-Bestimmungen wurde deshalb die in Frage kommende Erniedrigung zunächst ermittelt: Bei Anwesenheit von NaCl und: Erniedrigung: 1. Ohne weiteres 0.2° 2. Chlorkalium 2.8 3. Chlorkalium und Carnallit 362 4. Tachhydrit 4.65 5. Tachhydrit und Carnallit 4.71 Nur bei Anwesenheit von Tachhydrit (und Chlornatrium) sinkt also die Bildungstemperatur um ein geringes unterhalb 25° auf bzw. 29.53 — 4.65 = 24.88 und 29.53 —4.71 = 24.82. Das Tetrahydrat nimmt demnach ein kleines Gebiet auf der Tachhydrithexahydratgrenze ein, so klein jedoch, daß dessen Größebestimmung kaum durchführbar ist und deshalb das Gebiet nur in der graphischen Darstellung als ein Doppelstreifen zwischen Tachhydrit und Hexahydrat angedeutet werden wird. B. Die konstanten Lösungen. (Alle gesättigt an Chlornatrium.) Sättigung an Caleiumchlorid. Das Caleium wurde als Oxalat gefällt und als Oxyd gewogen, mit dem Resultat in zwei Bestimmungen von 44.83 und 44.83 Pro- zent CaCl,; das Natrium wurde einmal als Sulfat, einmal als Chlorid ! Diese Sitzungsberichte 1897, 508. 234 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. Februar 1905. gewogen, mit dem Resultat in beiden Fällen von 0.44 Prozent NaCl. Daraus berechnet sich die Zusammensetzung der Lösung auf: 1000H,0 133.1 CaCl, ı.2Na,Cl,, abgerundet auf halbe Moleküle (bzw. Doppelmoleküle): 1000H,0 1 33CaQl], ıNa,Cl,. Dieses Ergebnis erlaubt eine Vereinfachung in bezug auf das Natriumehlorid in den weiter zu untersuchenden Lösungen. Dieselbe kleine Menge, ıNa,Cl, auf 1000H,0, wurde nämlich auch bei Sätti- gung an Magnesiumchlorid gefunden,' und da alle weitere Lösungen zwischen der obigen und dieser inliegen, kann auch dafür dieselbe kleine Natriumchloridmenge angenommen werden, die also weiter nicht bestimmt wurde. Sättigung an Calcium- und Kaliumchlorid. Die Caleiumbestimmung ergab in drei Proben 45.08, 45.01 und 45 Prozent CaCl,; die Kaliumbestimmung als Perchlorat in zwei 4.5 und 4.6 Prozent KCl; entsprechend: 1000H,0 145.9CaCl], ı ıK,Cl, ıNa,C].. Sättigung an Caleium-, Kaliumehlorid und Carnallit. Die Bestimmung des Caleciums ergab in zwei Proben 43.97 und 43.95 Prozent CaCl,; diejenige des Kaliums 4.03 und 3.78 Prozent KC]; die Magnesiumbestimmung als Pyrophosphat ergab 1.29 Prozent MgCl,; entsprechend: 1000H,0 141.3Ca0l, 4.8MgC1, 9.3K,C], ı Na,C],. Sättigung an Chlorcaleiumtetrahydrat und Tachhydrit. Zwei Caleiumbestimmungen ergaben 38.48 und 38.58 Prozent CaCl,; zwei Magnesiumbestimmungen 9.74 und 9.49 Prozent MgÜCl,; entsprechend: 1000H,0 121.4Call, 35.3MgC], ı Na,Cl,. Sättigung an Chlorealeiumtetrahydrat, Tachhydrit und Carnallit. Die Bestimmungen von Calcium ergaben 38.32 und 383.25 Pro- zent CaCl,: von Magnesium 9.37 und 9.26 Prozent MgCl,; von Kalium 0.89 Prozent KCl: entsprechend: 1000H,0 121.50aCl, 34.4Mg0], 2.1K,CL, ı Na,C],. ! Siehe S. 233. van'r Horr: Öceanische Salzablagerungen. XL. 230 Sättigung an Tachhydrit und Magnesiumchlorid. Die Caleiumbestimmungen ergaben 30.32 und 30.41 Prozent CaCl,; Magnesium 14.81 Prozent MgCl,; entsprechend: 1000H,090.5CaCl, 51.4MgCl, ı Na,Cl.. AD Sättigung an Tachhydrit, Magnesiumchlorid und Oarnallit. Kaliumgehalt nicht bestimmbar, die Lösung fällt also mit der vorigen zusammen. C. Zusammenstellung und graphische Darstellung. Es seien nun die obigen Resultate, unter Abrundung auf halbe Moleküle (bzw. Doppelmoleküle) zusammen- gestellt: In Mol. auf 1000 Mol. H,O Sättigung an Natriumchlorid und: Call. MeOl, K,Ch Na,0l, O. Caleiumehlorid 133 I a A. Magnesiumchlorid 106 I a. Magnesiumchlorid, Tach- hydrit 90.5 51.5 I B. Kaliumchlorid 19.5 44-5 b. Kaliumehlorid, Caleium- n chlorid 146 II I D. Magnesiumchlorid, Car- nallit 105 0.5 I d. Magnesiumchlorid, Car- nallit, Tachhydrit 90.5 51.5 I E. Carnallit, Chlorkalium 70.5 Se 2 e. Carnallit,Chlorkalium, Cal- eiumchlorid 141.5 5 9.5 I c. Tachhydrit, Chlorcaleium 121.5 35-5 I o 7 B f. Tachhydrit, Chlorcaleium, Carnallit TS 34-5 2 I Diese Daten sind mit den entsprechenden Buchstaben in der neben- stehenden Figur graphisch wiedergegeben, unter Fortlassung von Na- trium- und Caleiumchlorid in den Ordinaten. Durch geeignete Verbindung der auf dieselben Bodenkörper sich beziehenden Punkte entstehen folgende Felder: Chlorealeiumhexalıydrat: Obefe. Tetrahydrat: Doppelstreifen cf. Chlorkalium: BEeb. Chlormagnesium: ADda. Carnallit: DEefd. Tachhydrit: adfe. Als Bemerkung sei hinzugefügt, daß Tachhydrit und Chlorkalium sich gegenseitig ausschließen, sich mit andern Worten in Carnallit und Chlorcaleium verwandeln. Ausgegeben am 16. Februar. a AuULE T DE 4 SITZUNGSBERICHTE 1905. vn. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 9. Februar. Sitzung der philosophisch -historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. VAuren. *]. Hr. Scnmior las über »Ein ungedrucktes Schema zu Gorrnue'’s Helena«, das vom ersten Auftreten des Lynceus bis zur Euphorion-Scene führt. Er erörterte es im Hinblick auf andre Paralipomena und auf die abweichende endgültige Fassung. 2. Hr. Pıscner legte eine Abhandlung des Kaiserlich Chinesischen Legationssekretär Hrn. Dr. OÖ. Franke vor: Hat es ein Land Kha- rostra gegeben? Es wird dargethan, dass SyrLvaın Levi’s neue Hypothese über ein Land Kha- rostra unhaltbar ist, da seine Deutung der Glosse, auf der die Hypothese beruht, sieh mit dem Wortlaut des chinesischen Textes nicht vereinigen lässt. Es wird ferner die Möglichkeit nachgewiesen, dass der Inhalt der Glosse freie Erfindung des Glossisten ist. 3. Vorgelegt wurden von Hrn. Koser Politische Gorrespondenz Frieprıcn’s des Grossen. Bd. XXX. Berlin 1905; von Hrn. Harvack Die griechischen christlichen Schriftsteller: Clemens Alexandrinus. Bd. I. Herausgegeben von Dr. O. Sränrın. Leipzig 1905: von Hrn. Ernman seine Schrift: Die ägyptische Religion. Berlin 1905. * Erscheint nicht in den Schriften der Akademie. 238 Hat es ein Land Kharostra gegeben? Von Dr. ©. FrRAnkE in Berlin. (Vorgelegt von Hrn. Pıscher.) Se L£vı hat seine Hypothesen über die »Kharostrı«, nachdem sie von Pıscner und mir als unhaltbar bekämpft worden sind, in einem Aufsatze des Bulletin de l’ Ecole Frangaise d’Extreme- Orient‘ unter Beibringung neuen Materials in veränderter Form abermals entwickelt — leider unter Einführung eines durch nichts berechtigten aggressiven Tones in die bisher durchaus sachliche Debatte. Obwohl die Frage selbst für uns entschieden ist, und ich daher unseren früheren Aus- führungen nichts wesentlich neues hinzuzufügen habe, zwingen mich die Angriffe Levis gegen meine Person, auf seine neuen Darstellungen einzugehen, um — sehr gegen meinen Willen — seine Arbeitsmethoden im einzelnen einer Betrachtung zu unterziehen. Le£vı läßt die Identifikation — oder wie er sich jetzt (S. 543) ausdrückt, »le rapprochement« — Kia-lu-shu-tan-lE = Shu-lE= Kashgar in seinem neuen Aufsatze selbst fallen; die Art, wie er dies tut, ist bezeichnend. Die gesamte Hypothese über Namen und Herkunft der Kharosthi, wie sie in seinem ersten Artikel entwickelt war, beruht ausschließlich auf dieser Etymologie des Glossisten Hui yuan (»Le Kharostra est done le pays de Kachgar, et la Kharostri est bien vrai- semblablement l’eeriture de ce pays.« S. 249). Wenn Hr. L£vı jetzt dieses Fundament selbst wegzieht, so ist das für ihn nicht etwa ein Zugeständnis seiner Übereilung, sondern eine Veranlassung, seine Gegner als düpierte Pedanten hinzustellen, die die Etymologie des Hui yuan naiverweise ernst genommen haben! (S. 549: »Houei-yuan donne alors l’&tymologie hasardeuse qui fait frissonner des philologues severes comme M. Pıscner et M. Franke. Rien n’est plus simple, ajoute Houei- ! Le pays de Kharostra et l’ecriture Kharostrı in Bd. IV S. 543— 579. Vgl. da- zu den ersten Artikel: L’deriture Kharostrv et son berceau, ebenda Bd.1II S. 246 — 253; ferner: Franke und PıscuerL, Kaschgar und die Kharosthr in den Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss. vom 5. Februar (S. 184—196) und g9. Juli (735— 745) 1903. O. Franke: Hat es ein Land Kharostra gegeben ? 239 yuan avee l’assurance tranquille des etymologistes qui n’ont point etudie la grammaire comparee usw.« Und: »M. Franke .... en se fon- dant sur l’&tymologie de Houei-yuan, qui ne s’attendait guere a l’hon- neur d’etre pris au serieux si tard usw.«) In seinem ersten Artikel hat Hr. L£vı keine Bedenken getragen, Behauptungen aufzustellen wie die folgende: »L’identite de Chou-le et de Kia-lou-chou-tan-le etait encore admise et renseignee dans les ecoles bouddhiques de la Chine au eours du IX° sieele« (S. 249), sowie die bekannten weitreichenden Schlüsse an diese Identität zu knüpfen; in seinem zweiten wundert er sich, daß man eine solche Etymologie überhaupt ernst nehmen kann! Tatsächlich habe ich dieselbe in unseren Aufsätzen für »freie Phantasie« (S. 187) und für »indisch-chinesische Wortspielereien « (S. 738) erklärt. Was uns an der Etymologie mit »Schaudern« er- füllte, war nicht diese selbst, wie Hr. Levı meint — denn derartige Spielereien gibt es in der indischen wie in der chinesischen Literatur zu viele, als daß sie auffallen könnten —, sondern vielmehr die Kritiklosigkeit, mit der Hr. Levi sie sich zu eigen machte. Ich glaube nicht, daß ich die kindische Etymologie des Hui yuan einer Wider- legung für wert erachtet haben würde, wenn nicht ein so hervor- ragender Gelehrter wie Syrvaım Levi ihr eine besondere Bedeutung verliehen hätte, indem er sie akzeptierte und eine sensationelle Hy- pothese darauf baute. Es war mir nicht bekannt, daß Hr. L£evı so außerordentlich bescheiden in seinen Anforderungen sei mit Bezug auf das Maß von Ernsthaftigkeit, das man seinen Angaben entgegen- bringen soll. Eine derartige Verschiebung des Tatbestandes allerdings, wie er sie hier unternimmt, scheint mir für die Feststellung dieses Maßes nicht eben günstig zu sein. Ich habe früher eingehend dargelegt, daß gegen die Deutung der Lautverbindung Ka -lu-shu-tan-lE (ER 3 JH j) als Sanskrit Kha- rostra sich zwar keine lautlichen Einwendungen erheben lassen, wohl aber sachliche (S. 736). Indem ich mich streng an den chinesischen Text bei Hui yuan und Hi lin hielt, insbesondere an die von beiden gegebene Übersetzung, fand ich in dem ersten Teile das Sanskrit- wort kalusa, während ich für den zweiten antara oder dhara, PıscHEu auch noch uttara vorschlug. Hr. Levi erklärt diese Angaben für »fantaisies de M. Franke, soutenues par l’autorite de M. PıscHeL« und sieht darin »un exereice malheureux de ses (d. h. der meinigen) facultes d’invention« (S. 549). Dieses Urteil gründet sich darauf, daß meine Deutung gegen die Regeln der indisch - chinesischen Trans- skription verstöße. Zunächst müsse der erste Laut der Gruppe, k’ia ({3) stets einem Aha im Sanskrit entsprechen, wobei mich Hr. Levı auf Sr. Junıens Methode etc. verweist, die er anscheinend bei mir 240 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 9. Februar 1905. als unbekannt voraussetzt. Junien gibt allerdings kein einziges Bei- spiel für {# = Sanskrit ka, und da mir ebenfalls kein solches bekannt ist. so muß ich »for argument’s sake« zugeben, daß kein weiteres existiert. Indessen, was kann denn eine solche Tatsache beweisen? Man sehe sich nur einmal die Listen St. JuLıens durch, und man wird unzählige Beispiele finden, wo die chinesische Aspirata im Anlaut nicht bloß der Tenuis im Sanskrit, sondern sogar der unaspirierten Media entspricht (z. B. chin. A — sanskr. kl und gi, ke — ka und ga, k’ien — kan und gan, po = pa und ba, t'an = tan und dan u. a. m.). Es hieße das Wesen der chinesischen Transkription gänzlich verkennen, wollte man in der Methode derselben, besonders wenn der Anlaut in Betracht kommt, ausnahmslose Lautgesetze sehen, denen die Wieder- gabe eines nichtehinesischen Wortes durch chinesische Zeichen unter- worfen ist. Sr. Junıen selbst würde vermutlich der letzte sein, der ein solehes Prinzip verteidigen möchte; um zu dieser Überzeugung zu gelangen, braucht man nur die »Exposition« seiner Methode, ins- besondere S. gff., durchzulesen, in der er zu dem Schlusse kommt: »il serait fort dangereux de se fier aux prononciations chinoises pour arriver A la restitution des sons indiens«. Ich zweifle nicht, daß kein Sinologe die Identifikation einer chinesischen Lautverbindung mit einem sonst durchaus passenden Sanskritworte verwerfen würde, lediglich weil das chinesische Zeichen f# einem sanskr. ka entsprechen müßte, mag ein solches Entsprechen anderweitig belegt sein oder nicht. P. Peruior, unzweifelhaft einer der kenntnisreichsten und gründlichsten unter den neueren Sinologen, der meine Deutung der Gruppe Küa- lu-shu-tan-lE ebenfalls besprochen hat, nennt denn auch die unge- wöhnliche Identifikation f# — ka »une objection legere« (B. E. F. E. O., Bd. II, S. 479f.). Hr. L£vı dagegen, dem eine wesentlich gerin- gere Kompetenz in der Frage zustehen dürfte, erklärt apodiktisch: »pour Kia-lou-chou-tan-le toute transcription qui ne presente pas une gutturale aspiree initiale est & rejeter; l’affirmation est, siil se peut, plus assuree encore que jamais lorsquiil s’agit d’un mot re- produit par lrauteur d’un Fin yi, qui fait profession de representer scientifiquement les sons £erits« (S. 550f.). Ein schwankendes Cha- rakterbild dieser Hui yuan: höchst wissenschaftlich, wenn er als Stütze von Hrn. L£vıs Hypothesen dienen soll; höchst unwissenschaftlich und nicht ernst zu nehmen, wenn er Hrn. Levı durch seine Etymologien kompromittiert. Anders verhält es sich mit den Einwänden, die Prrrior gegen meine Wiedergabe des zweiten Teiles durch antara oder dhara geltend macht (S. 480), und die L£vı zitiert. Hier muß ich ein- räumen, daß meine Vermutung, das Zeichen BEN habe ein nasales Element am Schlusse gehabt oder haben können, nach den im K’ung-hi OÖ. Franke: Hat es ein Land Kharostra gegeben 241 gegebenen Lautbezeichnungen aller in Betracht kommenden Zeichen unzutreffend ist. Trotzdem hält Peruior die Deutung Kalusantara für phonetisch zulässig, während er Kalusadhara wegen der Identifikation tan-lE (A #J) = dhara nicht gelten lassen will. Die Frage mag als irrelevant hier unentschieden bleiben, wie ich ja auch in unserem zweiten Artikel bereits erklärt habe, daß man über den zweiten Teil verschiedener Meinung sein könne (S. 737). Die Deutung Kharostra mag sich phonetisch den üblichen Transkriptions-Gewohnheiten besser anpassen, ist indessen auch von einer Anomalie insofern nicht frei, als für die Umschreibung des Namens Kharostha ({3 )5 FL FE) im Chine- sischen (mit Ausnahme der ersten Silbe) durchweg andere Laute ge- braucht werden, als sie die Lautverbindung des Hui yuan und seiner Abschreiber aufweist, in der L£vı Äharostra sehen will. Es ist einiger- maßen auffällig, daß die beiden nahezu identischen Namen so völlig verschieden wiedergegeben sein sollten, zumal L£vı selbst die Umschrei- bung BE En] bei Hui yuan für Sanskrit s/ra für anormal erklären muß. Das ist aber das wenigste, was ich gegen Levis Identifikation geltend mache. Ich habe bereits in unserem zweiten Artikel erwähnt, daß uns der chinesische Text selbst Fingerzeige gibt für die Deutung der Lautgruppe (S. 736). Die Manier, wie Hr. Levı sich mit diesen Fingerzeigen abfindet, zeigt wieder seine bedenk- liehe Art, mit den Tatsachen zu manipulieren. »Le nom s’applique au mauvais naturel des gens du pays«, so läßt er Hui yuan den Namen erklären. Nun bedeutet der Name Kharostra — eine formelhafte und sehr häufig vorkommende Verbindung im Sanskrit — »Esel und Kamele«, eine Bezeichnung, die — so meint Hr. L£vr — »sich ganz natürlich Leuten mit schlechtem Charakter anpaßt; in den Straßen von Paris hört man beständig die französischen Äquivalente von khara und ustra« (S. 566). Diese Auffassung der Esel und Kamele als Symbole eines schlechten Charakters würde nun — so hart vielleicht manchem dieses Urteil über die beiden nützlichen Tiere erscheinen wird — logisch wenigstens mit der Erklärung des chinesischen Textes im Einklang stehen. Seltsamerweise beeilt sich aber Hr. Levi, schon auf den nächsten Seiten wieder eine Ehrenrettung der eben verurteilten Vier- füßler zu unternehmen, indem er, unter Aufwendung großer Gelehr- samkeit, darzutun sucht, daß Esel und Kamele nicht nur für die hier in Betracht kommenden Gegenden charakteristisch seien, sondern dort auch nicht die schlechten Eigenschaften ihrer westlichen Vettern be- säßen und sich großer Wertschätzung erfreuten. Hr. L£vı besitzt eine Vorliebe für gelehrte Exkurse, durch die er die Aufmerksamkeit seiner Leser von der Schwäche seiner Argumentation ablenkt, und in der Freude an einem solchen Exkurse hat er hier offenbar vergessen, daß 242 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 9. Februar 1905. er damit seinem eben verwandten Argumente die Kraft entzieht: wenn die Esel und Kamele Zentralasiens so vortreffliche und geschätzte Tiere sind, so können sie doch unmöglich als Symbole eines schlechten Charakters gedacht werden! Aber abgesehen von alledem, macht der Wortlaut des chinesischen Textes diese ganze Symbolik hinfällig. Klar und deutlich sagen Hui yuan sowohl wie Hi lin (näheres über diesen letzteren s. u.): » Küa-lu-shu-tan-lE, das bedeutet übersetzt Land mit schlechtem Charakter.« Sollte die Lautgruppe einen Namen Kharostra wiedergegeben, so würden die Glossisten eben gesagt haben: das bedeutet übersetzt Land der Esel und Kamele; zum mindesten würden sie — mag Hr. Livı den Hui yuan an dieser Stelle für wissen- schaftlich oder für unwissenschaftlich erklären — eine Bemerkung über den Zusammenhang von »Eseln und Kamelen« mit dem »schlechten Charakter« gemacht haben. Wie der Text vor uns steht, muß die nüchternste Erwägung auf den Gedanken führen, daß dem Hui yuan bei seiner Worterklärung eine Ableitung von kalusa, d. h. »unlauter« vorgeschwebt hat, mag der ursprüngliche Name gelautet haben, wie er will. Zu dieser bescheidenen Gedankenleistung bedarf es weder einer »Phantasie«, noch einer »faculte d’invention«, und gerade ein Mann wie Syrvaın Levi, der diese Gaben in so hohem Maße besitzt und durch sie zu den temperamentvollsten Text-Interpretationen in den Stand gesetzt wird, sollte hier am wenigsten derartige Mittel für nötig halten. Eine solche temperamentvolle Interpretation zeigt sich gleich wieder in folgender Erörterung, der ich mit meinem nüchternen Ver- stande leider nicht habe ganz folgen können. Hui yuan führt seine Erklärung des Namens Shu-lE mit den Wort. ein: cheng ming (1E =) d.h. »der genaue Name (le nom exact) (is! "a-lu-shu-tan-lE)«. Es ist dies das einzige Mal in dem ganzen Fin ‚i zum Avatamsaka- Sütra, daß dieser Ausdruck cheng ming vorkommt; sonst gebraucht Hui yuan ausnahmslos die Formel cheng yün (IE Z£); d.h. »der genaue Ausdruck (expression exacte) ist usw.«, wann immer er die richtige Form eines Sanskrit-Namens wiederherstellt. Außer dem bloßen cheng yün findet sich nun bei solchen Erklärungen auch die Formel: fan pen cheng yün (BS& AS ıE Z), d.h. »das Sanskrit-Original hat den genauen Aus- druck usw.« (l’original sanserit a l’expression exacte); cheng yün steht also, wenn ich L£vı recht verstehe, für den vollen Ausdruck fan pen cheng yün und weist auf ein Sanskrit-Original hin. Da nun Hui yuan seine Erklärung des Namens Shu-l£, den er in der zweiten Über- setzung des Avatamsaka-Sütra von Siksänanda fand, mit der abwei- chenden Formel cheng ming einführt, so folgt daraus (wenigstens ver- stehe ich so den Zusammenhang), daß für den Namen Shu-l@ im O. Franke: Hat es ein Land Kharostra gegeben? 243 Sanskrit-Original sich kein richtiges Äquivalent fand, denn »il aurait indique par l’emploi de cette locution (d.h. cheng yün), que Chou-le se disait correetement en sanserit: Kia-lou .... I etait trop bien informe pour avancer une pareille assertion« (S. 546). Was Levı mit dieser ganzen Erörterung beweisen will, ist mir, wie bemerkt, nicht klar: wenn Hui yuan den Sanskrit-Ausdruck Kia-lu-shu-tan-lE im in- dischen Original oder in der chinesischen Übersetzung des Avatamsaka- Süutra fand, so zeigt er doch eben durch seine Etymologie Shu-lE — Kia-lu-shu-tan-lE seine Überzeugung, daß »Chou-le se disait correcte- ment en sanscrit: Ka-lou ....« Übrigens wird die ganze scharf- sinnige Unterscheidung zwischen cheng ming und cheng yün insofern gegenstandslos, als in der großen Kommentarsammlung Fi !'sie king yin yı (ER 3%) des Hui lin (EM), in der auch das Glossar des Hui yuan zu dem »neu übersetzten Avatamsaka-Sütra« in extenso enthalten ist (Kap. 21—23), die betreffende Stelle in der Tat nicht cheng ming, sondern, wie Hr. L£evı sich leicht überzeugen konnte, cheng yün liest (Kap. 22 fol. 17 v°)’, ebenso auch die » Ergänzung zum Fi Esie king yin yi« (s. unten). Levis gegenwärtige Hypothese von dem »Lande Kharostra« stellt sich nun im wesentlichen folgendermaßen dar. In drei chinesischen Übersetzungen buddhistischer Sütras findet sich eine gleich oder an- nähernd gleich lautende Aufzählung heiliger, von Bodhisattvas be- wohnter Stätten, nämlich in der älteren Übersetzung des Avatamsaka- Sütra von Buddhabhadra, in der neueren von Siksänanda und in der des Süryagarbha-Sütra von Narendrayasas (Bunyiu Nanjio Nr. 62). Eine dieser Stätten heißt Niu-t‘ou (/F PA), d.h. »Kuhhaupt«, und ihre Lage wird in den drei Übersetzungen verschieden angegeben: nach der älteren des Avatamsaka-Sütra befindet sie sich bei den Pien yi (33 9#), d.h. »bei den Grenzbarbaren«, nach der neueren in Shu-lE, d.h. in Kashgar, nach der des Süryagarbha-Sutra in YÜü-tien CF il), d.h. in Khotan. Die Verschiedenheit dieser drei übersetzten Namen bei derselben Ortsbestimmung, so schließt Le£vı, läßt sich nur dadurch erklären, daß man ein gemeinsames Original annimmt, für das drei Übersetzungen möglich waren. Was dieses Original war, zeigt die Erklärung des Namens Shu-lE durch Hui yuan, den Glos- sisten des Siksänanda, indem er Siu-l2 als Verkürzung von K“a-lu- ‘ Ein Exemplar dieses Werkes befindet sich auf der Königlichen Bibliothek in Berlin. ® Der Text des Hui yuan nach dem japanischen Tripitaka ist in unserem zweiten Artikel (S. 735) gegeben. Bei Hui lin ist hinter den Worten IF Fl noch das Zeichen N vor Se eingeschoben, offenbar ein Versehen. Sitzungsberichte 1905. 21 244 Sitzung der philosophisch historischen Classe vom 9. Februar 1905. shu-tan-lE annimmt. Das Sanskrit-Original war mithin Ka -lu-shu-tan-le — Kharosira. Die dreifache Deutung dieses Namens erklärt sich nun dadurch, daß er schon im 7. Jahrhundert n. Chr. oder früher, also auch zur Zeit der Übersetzer, nicht mehr im Gebrauch war und nicht mehr verstanden wurde; so schrieb Buddhabhadra allgemein » Grenz- barbaren«; der Berg Niu-t‘ouw aber befand sich einer Angabe des Süryagarbha-Sutra zufolge" im Lande Yü-tien (d. h. Khotan), Naren- drayasas konnte also Aharostra mit Khotan wiedergeben; nach der tibetischen Version des Süryagarbha-Sütra lag ferner Khotan im Lande Khasa, zur Zeit der T’ang-Dynastie galt aber K’a-sha ((# eb) für identisch mit Shu-leE, so übersetzte Siksananda KÄharostra mit Shu-lö. Kharostra war also ein indischer Name für die weiten Gebiete an den Grenzen von Indien und China, für das, was man heute als Turkestan bezeichnet. Der Zalitavistara führt hintereinander auf: die Sehriftarten der Darada, der Khasa” und der Oma; Dardistan war das Land am oberen Indus, Khasa oder Kharostra also das Gebiet zwischen diesem und den Grenzen des eigentlichen China: »Inde, Kharostra, Chine, voilä les trois grandes divisions du monde boud- dhique« (S. 557). Wenn die indische und chinesische Tradition über die Kharosthi-Schrift dieser ebenso einfachen wie großzügigen Erklä- rung zuwiderläuft, so ist das eine Fälschung der Wissenschaft: »/’ido- lum libri, qui a cause partout tant de dommages, est intervenu pour fausser la science« (S. 564). Soweit Syvam Levi. Von seinen ferneren Erörterungen darüber, daß das Land der Hu (#}J) das alte Kharostra, die Schrift der Hu also die Kharostrt war (S. 563), mag hier abgesehen werden. Das ! Ich bin nicht imstande, die Quellenangaben Le£vıs nachzuprüfen, da mir die Bücherschätze der Pariser Bibliothek nicht zur Verfügung stehen. Übrigens findet sich die Angabe, daß Niu-t‘ou in Yü-tien liege, wie auch Levı erwähnt, ebenso im Yi isie king yin yi (Kap. ıı fol. ı9v°), und zwar im Glossar des Hui lin zum Schluß des ro. Kapitels der Sammlung des Maharatnakuta - Sutra (KT) (Bunyiu Nanjio Nr. 23). Hier hat aber der Erklärung zufolge für Yü-ten (Khotan) offenbar das übliche Kustana im Sanskrittext gestanden. Indessen schiebt der Glossist vor der Erklärung des Namens Yü-tien folgende Bemerkung ein: »Von hier ab folgen die 25 Sätze über die natürlichen Anlagen FR 1A): Bei der Übersetzung in das Chi- nesische durch die Männer des Altertums ist der heilige Sinn verderbt und verloren worden. Die Sätze sind verstüimmelt und das Rezitieren außerordentlich schwer. Wollte man jetzt abermals eine Übersetzung anfertigen, so würde es wegen der un- vollkommenen Überlieferung des Sanskrit-Textes kaum möglich sein, den Sinn genau festzustellen. Ich bin daher dem (chinesischen) Sütra-Text gefolgt in der Erwartung, daß ein Späterer ihn verbessern kann.« ® Ich folge hier lediglich L£vı; es ist mir sehr wohl bekannt, daß die Lesarten des Lalitavistara Khasya, Khasya, Khosya und Khasya sind (s. unseren ersten Artikel S.195), und daß nicht eine Handschrift Khasya gibt. 4 OÖ. Franke: Hat es ein Land Kharostra gegeben? 245 gesamte Hypothesen-Gebäude ruht auf zwei Sätzen: erstens, daß die originale Sanskrit-Version des Avatamsaka-Sütra an der betreffenden von Siksänanda mit Siu-l übersetzten Stelle in der Tat ein Wort hatte, dem das chinesische Aa-lu-shu-tan-lE entsprechen sollte; zwei- tens, daß dieses Wort Kharostra lautete. Die Umstände haben es mit sich gebracht, daß wir den zweiten Satz zuerst geprüft haben; diese Prüfung hat ergeben, daß die Wiedergabe von Kharostra durch Kia- lu-shu-tan-lE mit dem Wortlaut des chinesischen Textes nicht verein- bar ist. Für den ersten Satz, daß sich überhaupt im Sanskrit-Text ein Wort fand, das durch Küa-lu usw. lautlich wiedergegeben werden konnte, hat Levı auch nicht den Schatten eines materiellen Beweises beigebracht; er hat diese Tatsache einfach vorausgesetzt. Natürlich läßt sich auch, ehe nicht eine Sanskrit-Version des Avatamsaka- Sütra oder des Säryagarbha- Sütra vorliegt, kein positiver Beweis dafür er- bringen, daß sich ein solches Wort nicht dort findet. Wir können aber einige Umstände zusammenstellen, die das Vorhandensein un- wahrscheinlich machen. Zunächst ist es auffallend, daß nicht einer von den drei Übersetzern irgendeine Bemerkung über den geheimnis- vollen Namen gemacht hat (es sei denn, daß man annehmen wolle, diese Bemerkungen seien verloren gegangen). Jeder von ihnen hat eine andere Wiedergabe gewählt, ohne die Berechtigung derselben irgendwie zu begründen. Wenn ihnen der Sanskrit-Name nicht mehr bekannt war, so hätte man eine solche Begründung um so eher er- warten sollen, oder noch natürlicher wäre es gewesen, wenn der Name einfach unübersetzt in den chinesischen Text der Sutras herüberge- nommen wäre, wie es mit zahlreichen Sanskrit-Ausdrücken der Fall gewesen ist, die auch Hui yuan in seinem Glossar mit dem kurzen Bemerken KH: d.h. »nicht übersetzt« abfertigt. Ferner ist es un- verständlich, daß weder den Übersetzern noch den Glossisten, zumal wenn die letzteren ebenfalls, wie L£vı annimmt (S. 545), den San- skrit-Text vor sich hatten, die Ähnlichkeit zwischen dem ihnen unbe- kannten Namen Äharostra und dem ihnen bekannten Kharosthr auf- gefallen sein sollte, insbesondere, wenn man bedenkt, daß Kharostra wie Kharostha im Prakrit zu Kharöttha, Kharostri wie Kharostht zu Kha- rölthi werden. Endlich findet sich von einem geographischen Namen Kharostra in der ganzen uns bisher bekannten indischen wie chinesi- schen Literatur nicht eine Spur (von dem nicht in Betracht kommen- den Lande K‘o-lo-to (YA EIKE) = Kharöttha (?) ist in unserem ersten Artikel (S. 190) bereits die Rede gewesen), und doch soll das Wort nach Levis Hypothese (S. 558) zur Zeit der Bekehrung der Yüe-chi das ganze zentralasiatische Ländergebiet im Gegensatz zu Indien be- zeichnet haben! Die chinesischen Historiker haben uns gerade aus 246 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 9. Februar 1905. jener Zeit eine ungeheure Fülle von Ländernamen Turkestans hinter- lassen; es ist ausgeschlossen, daß ihnen eine so wichtige Gesamtbe- zeichnung hätte entgehen sollen. Alle diese Umstände machen es in hohem Maße zweifelhaft, ob die Lautgruppe K'ia-lu-shu-tan-lE bei Hui yuan überhaupt ein Wort darstellen soll, das sich an der betreffenden Stelle des Sanskrit- Textes fand; will man aber annehmen, daß dies der Fall sei — und es ist an sich nicht unmöglich —, so kann jenes Wort nicht Kharostra ge- lautet haben. Wenn nun aber die Lautgruppe nicht dem Sanskrit- text entstammen sollte, wie in aller Welt kann sie dann in Hui yuans Glossar geraten sein?' Vom Himmel gefallen kann sie freilich nicht sein, wie L£vı betont (S.549), aber an eine andere mystische Quelle zu denken liegt nahe, wenn man die sonstigen exegetischen Leistungen Hui yuans betrachtet. Auf derselben Seite, wo die Etymologie von Shu-lE steht, findet sich folgendes: »Das Land Chen-tan (52 H). Man nennt dies auch Chi-na (F£Yß%), auch heißt es Chen-tan (A. FF). Über- setzt bedeutet dies Nachdenken‘. Die Bewohner dieses Landes haben viel Gedanken und Sorgen, viele Pläne und heimliche Ränke, daher der Name. Jetzt heißt das’Land Han« (j%&, d.h. China). Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Hui yuan hier das Wort cintana »das Denken« im Auge gehabt hat. Im Sanskrit-Text hat aber wohl kaum »das Land Cintana« gestanden, sondern Cmasthana, was der Über- setzer ganz richtig durch Chen-tan, alte Aussprache Chin-tan, wieder- gegeben hat, ein Name, der gewöhnlich von dem Staate T‘sin (8) hergeleitet wird.” Die Verbindung von Cma mit cintana ist also Hui yuans eigenstes Werk, wenn er nicht etwa schon von einem Vor- ! Wie bereits in unserem zweiten Artikel erwähnt (S.735), findet sich die nämliche Glosse in der Ergänzung von Ilui lins Werk, dem Sü yi Üsie king yin yi EL RE 3) von Hi lin A (Kap. 3 Fol. ıor', ebenfalls auf der König- lichen Bibliothek in Berlin), und zwar in dem Glossar zu der Einleitung und dem ı. Kapitel »der neuen Übersetzung des Dasabhumika- Sütra Eher HR) In der in meinem Besitz befindlichen großen Ausgabe des SAi ti king lun LER En (Dasabhumika- Sutra- Sastra, Bunyiu Nanjio Nr. ır94), das von Bodhiruei Eh FA =). Ratnamati (#}] N FE a) und Fei-to-shan-to (? ÄR BE ») $) im Jahre 508 übersetzt ist, findet sich der hier glossierte Name Shu-le nicht. ?2 Daß Chin-tan eine Zusammenziehung von Cmasthana ist, kann nicht be- zweifelt werden; ob indessen das Sanskritwort Cma von dem Namen des T“sin- Staates (der späteren Dynastie im 3. Jahrhundert v. Chr.) hergenommen und dann, unverstanden, als Chin wieder in das chinesische zurückübersetzt wurde, ist nicht sicher. Vgl. Enpkıns, Chinese Buddhism S. 92f. Anm. Das Fan yi ming yi (Kap. 7 Fol.15 v°) macht sich auch diese Etymologie Hui yuans nicht zu eigen, sondern gibt die, nicht viel bessere, Erklärung, daß tan (HE) »Sonnenaufgang« bedeute, und der Name dem Lande wegen seiner östlichen Lage gegeben sei. OÖ. Franke: Hat es ein Land Kharostra gegeben DAT gänger abgeschrieben hat. Nicht übel ist auch folgende Etymologie, die Hui yuan an die auch von Hüan tsang erzählte Legende von dem Arhat Madhyantika (St. Julien, Memoires ete. I, 168 f. Beal, Records ete. I, 149 f.) knüpft, und die unmittelbar hinter der Erklärung von Shu-l@ steht: »Das Land Al)a-she-mi-lo (zn BE Add &e, d.h. Kasmira). Der alte Name ist Ki-pin (Je Bi). Es bedeutet übersetzt: oh, wer könnte hineingehen?’ (fr) Sf A). Vor alters nämlich, als dieser Staat noch nicht gegründet war, war in jener Gegend ein großer Drachensee, dem niemand sich zu nahen wagte. Danach aber kam ein Arhat, der sah, daß das Land seiner Art nach wohl zum Be- wohnen für Menschen geeignet sei. Er folgte also dem Drachen und bat ihn, ihm ein nur für seine Knie (ausreichendes) Stück Land zu überlassen. Der Drache willigte alsbald ein, und nun verwandelte sich der Arhat und wurde immer größer, bis seine Knie schließlich den ganzen Drachensee ausfüllten. Der Drache aber hielt sein Wort, gab das Land frei und ging weg. Der Arhat ließ vermöge seiner göttlichen Kraft das ganze Wasser austrocknen, dann rief er das Volk herbei, Wohnungen in dem See zu errichten. Die Leute aber riefen alle: hätten wir es nicht dem heiligen Meister zu danken, oh, wer könnte hineingehen in diesen Ort? Von diesem Ausruf ist dann der Name hergenommen.« Welchen Sanskrit-Ausdruck Hui yuan hier im Sinne hat, mag ich nicht entscheiden. Eine ganze Auswahl von Etymologien gibt Hui yuan bei dem Namen Mo-kie-ti (Ey Pi) — Magadha (Fi tsie king yin yi Kap. 2ı fol.3v°) im Glossar zum ı. Ka- pitel des Avalamsaka-Satra. Nachdem er zunächst eine Anzahl anderer chinesischer Transkriptionsarten aufgezählt hat, sagt er, daß sich »die Bedeutungen im ganzen nicht voneinander unterscheiden. Die einen übersetzen Mo mit 'nicht’ (d.h. Sanskrit ma) und Aie-t‘i mit “erreichen, hingelangen’. Feindliche Nachbarn können nämlich unter Aufbietung von Kriegslisten und Heerhaufen nicht dieses Land erreichen und besetzen«. Andere Erklärungen sind: mo — überall, kie-ti = von all- gemeiner Intelligenz; mo — groß, kie-ti—= Ansehen, mo = nicht, kie-Fi — Schrecken.” Diese Beispiele sind willkürlich herausgegriffen; ich zweifle nicht, daß sich ihre Zahl beliebig vermehren ließe. Man sieht, Hui yuan ist ein erfolgreicher Schüler der indischen Grammatiker: die etymo- logischen Grundsätze, wie sie in Yaskas Nirukta niedergelegt sind, ! Der Text im Y% tsie king yin yi gibt beidemal N (»Mensch«) statt MR: jedoch liest Hi lin (a. a. O. fol. rov°), der dieselbe Geschichte erzählt, zweifellos rich- tiger N A ? Die Sanskrit-Äquivalente hierfür festzustellen, muß ich Berufeneren überlassen. 180 Sitzungsberichte 1905. 2 248 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 9. Februar 1905 hat er vortrefflich illustriert. »Wenn der Sinn sich nicht klar ergibt (bei den Worterklärungen)«, so lesen wir dort, »und die Formation nicht auf die Wurzel hinweist, so versuche man es, unter beständiger Berücksichtigung des Sinnes, mit irgendeinem mit der Funktion der Wurzel übereinstimmenden Begriffe. Wenn ein solcher übereinstimmen- der Begriff sich nicht findet, so bilde man die Etymologie selbst nach der Übereinstimmung von Silben oder Buchstaben, gebe aber auf keinen Fall die Bildung der Etymologie auf. Um die grammatisch richtige Bildung kümmere man sich nicht, denn die Funktionen (der Wurzeln) sind schwankend'«. Es wird denn auch Hui yuan, ent- sprechend den indischen Kunstdichtern, weit weniger darauf ange- kommen sein, sachliche Informationen zu geben, als vielmehr seine Kenntnis des Sanskrit zu zeigen. Wenn man die Angabe, daß Shu-le verkürzt sei aus Kia-lu-shu-tan-l und »Land mit schlechtem Cha- rakter« bedeute, einmal in diesem Lichte und in Verbindung mit den übrigen etymologischen Leistungen Hui yuans betrachtet, so wird man es jedenfalls nicht für unmöglich halten, daß das Ganze lediglich seinen Ursprung hat in der »Phantasie« und der »Erfindungsgabe« ven Syıvaın Levis Gewährsmann. Vom Standpunkte eines buddhistischen Scho- lastikers mag man Hui yuans Werk die Wissenschaftlichkeit zusprechen, die Levı dafür beansprucht (S. 551); als Quelle für geographische oder historische Hypothesen ist es unbrauchbar, soweit seine Angaben nicht von autoritativer Seite bestätigt werden. Levi stellt seinen Forschungen selbst das Zeugnis aus, daß, nach- dem er »mit fast mathematischer Sicherheit« die Identität von Küa- lu-shu-tan-lE und Kharostra nachgewiesen hat, »le Kharostra est desor- mais acquis A la nomenclature geographique de l’Inde« (S. 554). Es bleibt abzuwarten, ob die Wissenschaft alle seine Gedankensprünge und überstürzten Hypothesen sich zu eigen machen und dies Zeugnis unterschreiben wird. Jedenfalls braucht man, um zu einer anderen Auffassung zu gelangen, kein »strenger Philologe« zu sein und auch »die vergleichende Grammatik nicht studiert zu haben«, sondern man bedarf dazu nur etwas ruhiger Überlegung und etwas historischer Kritik, zweier Dinge, die L£vıs Untersuchungen leider vermissen lassen. ı Nirukta II, ı. Ausgegeben am 16. Februar. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. VII. 16. FegruAr 1905. BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Pr IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Ä URN 5 Auszug; aus dem Reglement für die Redaction der »Sitzungsberichte«. 81. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. 82. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Secretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Secretar führt die Oberaufsicht über die Redae- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. $ 6. 1. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $41, 2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Oectav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschnitten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 87. l. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. $8. 5. Auswärts werden Correeturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. $ 11. 1. Der Verfasser einer unter den » Wissenschaftlichen Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver- theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Seeretar angezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exem- plare auf ihre Kosten abziehen lassen. $ 28. l. Jede zur Aufnahme in die Sitzungsberichte be- stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder corre- spondirender Mitglieder direet bei der Akademie oder bei einer der Classen eingehen, so hat sie der vorsitzende Secretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeignet scheinenden Mitgliede zu überweisen. [Aus Stat. $ 41,2. — Für die Aufnahme bedarf es einer ausdrücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, sobald das Manuscript druckfertig vorliegt, gestellt und sogleich zur Abstimmung gebracht werden.] 8.29. l. Der revidirende Secretar ist für den Inhalt des geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch nicht für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für diese wie für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte sind nach jeder Richtung nur die Verfasser verant- wortlich. Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte« an diejenigen Stellen, mit denen sie im Schriftverkehr steht, wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich : die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres nach Fertigstellung des Registers. en. SITZUNGSBERICHTE 1905. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 16. Februar. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. l. Hr. Erman sprach über die »Horuskinder«, die nach ägyp- tischem Glauben die Toten vor Hunger und Durst schützten. Sie gehören ursprünglich in die Sage des Osiris und waren erschaffen, um diesen im Tode zu schützen; nachträglich sind sie auch unter die Sternbilder des nördlichen Himmels aufgenommen worden. 2. Hr. Coxnze machte Mittheilung über die Ergebnisse der Aus- grabungen des Kaiserlichen Archäologischen Instituts in Pergamon im September bis November 1904. Der genauere vorläufige Bericht wird, zusammen mit dem über die Fortschritte der Untersuchung im laufen- den Jahre, in den Athenischen Mittheilungen des Instituts, Jahrgang 1906, erscheinen. 3. Hr. Auwers überreichte die seine in den Jahren 1869— 1874 angestellten Zonenbeobachtungen enthaltenden Bände II und III der Zweiten Serie der Astronomischen Beobachtungen auf der Königlichen Sternwarte zu Berlin. (Band II: Zonen; Band III: Einzelörter für 1875, Berlin 1904.) 4. Die Akademie hat durch die physikalisch-mathematische Classe zur Anschaffung von 16 Declinatorien zum Belhuf einer specielleren magnetischen Landesvermessung im Anschluss an die topographischen Arbeiten der Königlichen Landesaufnahme 5000 Mark bewilligt. [SC Sitzungsberichte 1905. 250 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. Über die aus der Variation der mehrfachen Integrale entspringenden partiellen Differentialgleichungen der allgemeinen Mechanik. Von Lro KoENIGSBERGER. (Vorgelegt am 2. Februar 1905 [s. oben S. 157].) D: Frage, welche partiellen Differentialgleichungen der mathemati- schen Physik eine mechanische Deutung in dem Sinne gestatten, dass sie als erweiterte Laeraner’sche partielle Differentialgleichungen oder als Lösungen des erweiterten Hanıwron’schen Prineips sich darstellen lassen, findet ihre Erledigung in der Aufstellung der nothwendigen und hinreichenden Bedingungen für die Existenz eines kinetischen Po- tentials für einen oder mehrere gegebene, aus einer beliebigen Anzahl von Parametern und deren partiellen Differentialquotienten irgend wel- cher Ordnung zusammengesetzte Ausdrücke, und erst nach Beantwor- tung dieser Frage wird sich entscheiden lassen, für welche der in den Anwendungen auftretenden partiellen Differentialgleichungen die erwei- terten mechanischen Prineipien, wenigstens noch in gewissem Umfange und in näher zu präcisirender Form, ihre Gültigkeit behalten werden. Die Existenzfrage des kinetischen Potentials ist in der neueren Zeit mehrfach in Angriff genommen worden'; für den vorliegenden Zweck genügt es, die einfachsten Fälle in unmittelbar anwendbarer Form zu behandeln. Gehen wir zunächst von einer partiellen Differentialgleichung zwei- ter Ordnung mit einer abhängigen Variabeln p und zwei unabhängi- een Veränderlichen Z, und Z, aus, welche, wenn op See BE et lan) dt, rer n. ! A. Hırsch, Über eine charakteristische Eigenschaft der Differentialgleichungen der Variationsrechnung. Math. Annalen Bd. 49. W.Herrz, Über partielle Differential- gleichungen, die in der Variationsrechnung vorkommen. Inaugural-Dissertation, der r . Ber r.- ro ” ar . . ” nn. Universität zu Kiel vorgelegt. Joser KürscnAk, Über eine charakteristische Eigen- schaft der Differentialgleichungen der Variationsrechnung. Math. Annalen Bd. 60. KoEnIGSBERGER: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 251 gesetzt wird, durch (1) N= Fit, ,t,,p, p, p?, p), p",p®)) = o dargestellt sein mag, so sollen zunächst die nothwendigen Bedingungen für N, als Function der in F enthaltenen Grössen aufgefasst, dafür gefunden werden, dass die Gleichung (1) sich als die Lösung des erweiterten Hanmıron’schen Princips we (2) | [mau d—E® AA ergiebt, worin das kinetische Potential // eine Function von t,, t,,p, p, p'” t,)- Gebietes ver- schwindet, also mit der erweiterten Lasrange’schen partiellen Diffe- ist, und die Variation von p an den Grenzen des (t ı® rentialgleichung oe dad oH A oH (3) %p u pt, dp 7 n oder N ee a %p & op) dt, pp z Fr, a 0’H p”+ ®H p"’+2 Chlei L ar CH =o pe dp Ip Op ap pe identisch wird. Da N hiernach eine in den zweiten partiellen Differentialquotienten lineare Function von der Form sein wird (5) N — Al t 2 i 2:0, p)p"’+ 2f.lt, IE pP; p®, pP) pl”) Ele DB, PN, PO)P HL (t51,0, 00, p9), so werden sich durch Vergleichung mit (4) die für das gesuchte ki- netische Potential 7 nothwendig zu befriedigenden Beziehungen er- geben (6) I = — CH Sf; Seal a dp Ip® dp” 9p9 und SE Sc: a (7) ze op = op "dr, Rn op dp DA op "dt, ve op") dp BR! und aus diesen, wie unmittelbar zu sehen, die von f,, f, f,, / noth- wendig identisch zu erfüllenden Bedingungsgleichungen of: P: ren (8) ae 7 252 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. und (9) 19 et a a + a woraus folgt, dass eine partielle Differentialgleichung erster Ordnung nie aus dem Hamırron’schen Prineip mit einem kinetischen Potential 0” oder 1“ Ordnung sich ergeben kann. Nun ist aber auch leicht zu sehen, dass die Bedingungen (8) und (9) hinreichend dafür sind, dass sich eine Function H angeben lässt, welche den Gleichungen (6) und (7) Genüge leistet. Denn, da aus den beiden ersten Gleichungen (6) vermöge (8) (@) rn e) 10) 0 = + [Ad aus den we letzten von a = f: = Br P> dp) + w,(l, t., p) folgt, so eh sich zunächst für 7 der Ausdruck 9 (@) (@) (2) + | Typ Kap” | dp”) dp +u,(t, ’ t, ’ pp" + w;(t, ’ an p)p”>+wlt,, 0:5 p) 2 dp9+uw,(t,t,, pP), worin w,,w,,w beliebige Functionen von Z,,t,, p bedeuten. Da aber dann die Gleichungen (9) in die Form gesetzt werden können el + SEAN LER SEEN a) ee Inn op" Pr TC Tu op9op ap "ot, z op) dp ; 1% Sala, an x 0 Zen Op pe (- ee 2)" so folgt, dass en) pe ed. eH oH 0H 0H are on em un; ist, und es wird somit nur noch darauf ankommen, die in dem Aus- drucke (12) für 7 unbestimmt gebliebenen Functionen w,,w,,w so zu bestimmen, dass der Gleichung (7) gemäss @Q= o wird. Setzt man aber den aus (12) für vo, =w=w=0 sich ergebenden Werth von H gleich H,, und sei der vorgelegten Function f gemäss +2%,6,2) KoEnIGSBERGER: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 253 en), Op dpMdt, op op dIpWat, op®dp so werden in dem Ausdrucke H=H-+u(t,t,,p)p”+u,(t,t,p)p”+ult,, t,,p) die Functionen w,,w,,w der Bedingung zu unterwerfen sein, dass durch Einsetzen des aus (16) entnommenen Werthes H,= H— w,p" — w,p” — n (15) der Gleichung (7) Genüge geleistet wird; man sieht unmittelbar, dass die bezeichnete Substitution auf die Gleichung dw (16) — ı— gr Cl er er) führt, und wird somit den gestellten Bedingungen am einfachsten ge- nügen können, wenn man DIOR UNO, = — [9.1 p)dp setzt. Wir finden somit, dass die nothwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür, dass eine partielle Differentialgleichung N= Fit, BRD: pm, p9, po, 2, p»)) =o eine aus dem erweiterten Hamıtron’schen Princip entsprin- gende LaerAangeE’sche partielle Differentialgleichung ist, oder dass für den Ausdruck N ein kinetisches Potential existirt, erfordern, dass diese Differentialgleichung eine in den zweiten partiellen Differentialquotienten lineare von der Form ist: N —HAeR Cu Pp; pP", p)p" + 27. L, ‚D, p9, p®) pt? +f;(t, ’ t, P; Da pp + fit, ’ 7a » p » p®, p®)) 9 in welcher die Functionen f,,f,/,,/ den Bedingungen unter- liegen: ff _H _% IR m Te of OEL + 01° ROTER of. Sch IE nie) —— ro) 3 IR an Ha nt ++ a und zwar ist dann das ee kinetische Potential A, für welches die vorgelegte partielle Differentialgleichung in die Lagrange’sche Gleichung Hd oH doaH _ op 3 dA dee [6] 254 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. überführbar ist, durch den Ausdruck gegeben H=H,+u,/(t,t,p)p”+ w(t,t,p)p”+ult,t,P); worin N Sr zz | In Ir, for \om@r+ und die nur von Z,t,,p abhängigen Functionen w,,w,,w der Bedingung unterworfen sind dw, dw, dw use 0°’H, EOREL, oz & 0°H, Ta Te a u 5 > ms So wird z.B. die lineare partielle Differentialgleichung zweiter Ordnung 21,P pp” + 2pp? + 6E. pp p)+ 2. p "+ 2t,pp"” +p9p® + 2pP pP" +6,’ —LLP—O0, für welche Rap Dorn) f= tr pP" + at, pp” + pp" + 2p p)+ 6t,pp”— t,t,p° den Bedingungsgleichungen (8) und (9) identisch genügen, den obigen Gleichungen gemäss für 7, den Werth liefern H, = t,p pp" + pp" p®"+E pp”; und somit, wie unmittelbar zu sehen, die Beziehung zwischen w,, w, und w in du, du 44; Daran E übergehen, welcher man durch BALD: W, = W, — 0) Pi pe — ul 4 genügen kann, so dass die vorgelegte Differentialgleichung für H= typ" + pp" pH Epp "+ EL in die LasrAange’sche Form 3H daH dem . Oo 3 dp dA pe > übergeführt wird. Es mag noch bemerkt werden, dass man den Bedingungen (8) und (9) für den aus den Differentialquotienten zusammengesetzten Aus- druck N auch die Form geben kann [ ß Ze n oje o(i KoENIGSBEBGER: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 255 N ae | BR ap") dt, op) dt, dp) oN d oN d o8N z Op) dt, Ip) Tr di, Op) = Für die in den Anwendungen häufig sich ergebenden linearen partiellen Differentialgleichungen zweiter Ordnung, welche Z, und #£, nicht explieite enthalten, und in denen die Coeffieienten der zweiten Differentialquotienten nur von p abhängen oder auch Constanten sind, welche also die Form haben (18) App" + zB" HD" + fl, pP”, pP”) = © werden die Bedingungen (9) in of A (2) % (2) pe) = /,(p)p +/.(p)p ’ übergehen und somit für f(p, p”, p'”)) die Form verlangen %f 5 HP" + hop” (1)? (2)? 1) Ser ++ + op). worin $(p) eine willkürliche Function von p bedeutet, so dass die, und nur die in (18) enthaltenen linearen Differentialglei- chungen (1)? (20) Alp” + 2/.(p)p""+f(p)p"”+fı(p) —— (e)? HH = 0, in denen f,(p), £(p) (pP), $(p) beliebige Functionen von p be- deuten, die LAGrangE’sche Form besitzen OEL, SCI Rz SB op Ya. put, Pro worin das kinetische Potential die Gestalt hat: p®’ pe 21) H=f(p) +" pP" + — | PlPdp. Sollen die Coeffieienten Constanten sein, so sind es nur die in der Form (22) a,p") + 2a,p"”) + a,p” + $(p) = 0 enthaltenen Differentialgleichungen, für welche dann das kinetische Potential durch den Ausdruck 256 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. (Ga (2)? (23) H=a, + app) +, — (p)dp gegeben ist. Diejenigen partiellen Differentialgleichungen der mathematischen Physik, welche in den zweiten Ab- leitungen linear mit eonstanten Coefficienten sind, dürfen also die ersten partiellen Differentialquotienten nicht ent- halten, wenn sie aus dem erweiterten Hamıtron’schen Prin- cip für ein kinetisches Potential erster Ordnung herleitbar sein sollen. Was das durch die Gleichung (24) H—p9 2 Ph ausgedrückte Energieprineip', in welchem das kinetische Potential 4 die unabhängigen Variabeln Z# und Z, nicht explieite enthalten darf, für die Differentialgleichung (20) betrifft, so existirt, wie ich nach- gewiesen habe, ein solches für alle Integrale derselben, welche als Funetionen von 4-+-.el,, worin & eine beliebige Constante ist, aus- drückbar sind, und welche hier, wie man leicht durch Substitution von 1 dq 7 2 ’ ıı [22 12 "n 22 2,8 Kran —g pP — IP =ag,p»—gnpn —au 27 sieht, sich in der Form darstellen Vf(p)+ 2uf,(p) + ef, (p) (25) 2 — I h—tb+tob,+ß, 5 V— 2/p(p)dp + c f worin &,ß,c willkürliche Constanten bedeuten. In der That sieht man unmittelbar durch Einsetzen des Werthes des kinetischen Po- tentials (21) in (24), dass die linke Seite für alle durch (25) dar- gestellten Integrale der Differentialgleichung (20) in eine Constante I übergeht, welche für A den Werth = liefert, und das Energieprineip sich demnach in der Gestalt ergiebt (1)? 12 [OyRO) PB C (25), (D) th Pp er RZ: sind die Coeffieienten der zweiten Differentialquotienten Constanten, hat die Differentialgleichung somit die Form (22), so geht das Energie- prineip in ' Ich verweise auf meine im December 1904 in den Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. veröffentlichte Arbeit »Das Energieprineip für kinetische Potentiale beliebiger Ordnung und einer beliebigen Anzahl abhängiger und unabhängiger Variabeln«. KoEnıGsBERGER: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 257 r)? 2)? ” I ehe A + [o(p)dp —, 2 ZU 2 über. Nach den in der obenerwähnten Arbeit gegebenen Auseinander- setzungen werden ferner dann und nur dann alle Integrale des Ener- gieprineips (26) der Lasraner'schen Differentialgleichung (20) genügen, wenn für das kinetische Potential HM die Bedingung ( vH \ DH Hm _ a ) a > app i oder nach (30) (27) KM —FPR(p) = 0 identisch erfüllt ist. In der That erhält man durch Differentiation von (26) nach f, und t,, Multiplication mit /,(p) und f,(p), und Ad- dition der so entstehenden Gleichungen unter Berücksichtigung von (27) zunächst die Beziehung (1)? 14 2 (28) (Kıp)p" +F.(P)p'”) (runn“+ 2f.(p) pP" + Fp)p"?+F(p) m(2)? + pP" pP + f(p- ) Io: = wird nun für ein Integral des Energieprineips (29) FDP" +L(PP" = 0, so würde sich p, wie aus (26) unmittelbar zu ersehen, nach (27) als eine Constante ergeben, und ist (29) identisch befriedigt, also (pP) = F.(p) = 9, so liefert das Energieprincip (@)? » F(p) F Ar loan = _ (22 vu z durch Differentiation nach Z, N: KH + =o, also die für diesen Fall gültige LaerAanere'sche Gleichung (20). Sämmt- liche Integrale des Energieprincips, welches sich in die Form setzen lässt (Vf.p® + Vf, pP) + 011) BEI oder für den Fall eonstanter Coefficienten in (Va.p" +Va,.py + 2|o(d)ip= e, genügen somit der LasranseE'schen partiellen Differentialgleichung. 258 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheiling vom 2. Februar. Um zu untersuchen, welche partiellen Differentialgleichungen zweiter Ordnung aus dem erweiterten Hamıron’schen Prineip sich herleiten lassen, hatten wir zunächst diese Frage für kinetische Po- tentiale erster Ordnung erörtert und die Form aller hierher gehörigen Differentialgleichungen festgestellt; doch bedarf das Resultat einer wesentlichen Ergänzung. Wenn das kinetische Potential H von der zweiten nn also eine Function der Grössen t,, L,. p, p", p”, pP, p"”, p"” ist, so wird im allgemeinen die zugehörige LasrangeE’sche partielle Differentialgleichung oH dan d. OH 1 002. RE BO ar ee a gez one von der vierten Ordnung sein, aber man überzeugt sich leicht, dass in dem Falle, in welchem H in den zweiten partiellen Differential- quotienten von p linear ist, diese Differentialgleichung sich wiederum auf eine zweiter Ordnung redueirt, und es muss daher dieser Fall noch näher untersucht werden, um alle Differentialgleichungen zweiter Ordnung der mathematischen Physik aufstellen zu können, welche in dem erweiterten Sinne eine mechanische Deutung zulassen. Ist nämlich das, der Kürze halber von den Variabeln {, und £, unabhängig angenommene, kinetische Potential von der Form H= Je (P,1 p" PO) pH 27; (p; p", pp f, (p, p®, p®)p"” +f(p; pP, p”) : so geht die zugehörige Laeraner’sche Differentialgleichung (30), wie eine leichte Rechnung zeigt, in Srasar % PF Pr (32) ( IF: +p® IF: = ae) pen op"? op) dp op") 5 op") op op d> 0: 0: m re op dp" FE dp op" op op +( Zi me & % AN. BE pen per op dp OP a A 0° 0° 0 an ( 2 an EZ un 2 ) (p (tr) pr) — p®”) Ip dp p® dp) 0°f 0°f Or Ta of. —: Ye _ C ()? (2) @)r23 — op ar op dp") ns SE op”) au op’ Zen op’ —? pm x über, und es wird somit, wenn ein aus den ersten und zweiten par- tiellen Differentialquotienten zusammengesetzter Ausdruck N ein durch die Form (31) gegebenes kinetisches Potential besitzen, oder die Diffe- rentialgleichung N= 0 eine Lasraner’sche Differentialgleichung für ein so beschaffenes H sein soll, N die Form haben Koentssperger: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 259 (33) N = F(p, p®, p®)p” + 2F,(p, p®, p®)p"”-+ F,(p, p®, p®)p RD Non NER, PN, P), während sich die 4 Functionen f.(p, p®, pP), f.(p, p®, p9), f,(p- pP”. p9), fir, p®, pP) so bestimmen lassen müssen, dass der Gleichung (32) gemäss die Be- ziehungen 0°f (1) o°f, rn (2) DE — 290) 0°f, of, Pr F op’ op op) dp ; Er op of o°f, 0°Ff. of. BET (2) een Sr Da (35) app”) u rar: IP op")op = op 2 RR, er (r) u — nm) FF, —a (r) 7 _,$_F Oper op" op op“ dp Or d Zee, ap? or op’ of 0°f 0°f Rdar of, SORE Ben ee 0) Dr FE, u ONE (38) om non ha I 2p"p nz: identisch befriedigt werden. Differentiirt man nun (38) nach p"’, so dass sich 3 3 AB n2f 03f Go) p ie: = = 20° F_ opt u ES ap op op Ap) dp = op’ op’op" SE 20:7 oF ON TORE re een 2p pP op’ op") =D, op? op") op") ergiebt, und addirt die nach p differentiirten und mit p"), bez. p" multiplieirten Gleichungen (34) und (35), woraus die Beziehung o>f +p® In AaaNaY IF Mr 2pp 0 MEER pop Ip") op" u ap dp’ ap") op’ 2)2 Kr — 2p") 0 Br ONE — op) op* dp’ folgt, so erhält man aus (39) und (40) die nothwendig zu erfüllende Bedingung „OF, _ OF Gr son @ mi und ebenso durch Differentiation von (38) nach p', ferner durch Addi- tion der nach p differentiirten und mit p", bez. p” multiplieirten Gleichungen (35) und (36), 260 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. 38, 0 re op Br Pr) IS Differentiirtt man endlich (34) nach p® und (35) nach p', so er- hält man (42) De DM uf 2,0. SE op”) ala) a) op") op") op op" dp Ip) op of. 0 of. u year ne) SER EEE a "App EN GE ö o>f, Be? Bu af. op") 2 Ip Op op") dp iD op) op" dp 9p®* dp Op dp und durch Subtraction vermöge (37) R or, ER, S oF, (43) ap ae =p En und ähnlich aus (35) und (36) die Beziehung oF, OF, oe ee a nd) (44) dp") Ip® —» Ip’ Um nun zu ermitteln, welche in den zweiten Differentialquotienten linearen partiellen Differentialgleichungen zweiter Ordnung ein kine- tisches Potential zweiter Ordnung besitzen, haben wir F\ = 0 zu setzen, und sehen unmittelbar, dass die Bedingungsgleichungen (43) und (44) mit den Gleichungen (8), die Beziehungen (41) und (42) mit (9) zu- sammenfallen, wenn dort f, und f, von t, und Zt, unabhängig voraus- gesetzt werden, so dass andere Fälle als die oben für ein kinetisches Potential erster Ordnung aufgestellten sich auch hier nicht für ein kinetisches Potential zweiter Ordnung ergeben, wenn nicht die partielle Differentialgleichung zweiter Ordnung noch den Posten pp) — p"" enthalten soll. Die linearen partiellen Differentialgleichungen zweiter Ordnung werden also dann und nur dann aus dem erweiter- ten HamıLron’schen Prineip entspringen oder eine LAGRANGE- sche partielle Differentialgleichung für ein kinetisches Po- tentialirgend welcher Ordnung darstellen, wenn sie von der Form sind F,6.2,29, pp" + 2/,(,1,p,p", p9)p” +5 (b,6:2,29,P)p" + flt,,1.,Pp,p®,p9) —or worin f,.f,%,/ den Bedingungen unterliegen KoenıGsgerGer: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 261 Of _ 0%, MP. f; ne Hr ep of 32 Ip" dt, +» op P7 iM» op. ae are: ar op Er dt, = op ’ und es wird das zugehörige kinetische Potential in allen Fällen von der ersten oder linear von der zweiten Ordnung gewählt werden können. Um die Existenzbedingungen eines allgemeinen kinetischen Po- tentials zweiter Ordnung aufzustellen, oder die Frage zu beantworten, unter welchen Bedingungen eine partielle Differentialgleichung dritter oder vierter Ordnung sich auf die Form oH d oH do d’ oH Bo d@ 0H a a a, A a reduciren lässt, wenn das kinetische Potential EN(t, DD, pm, p®, po), 2, p>) von der zweiten Ordnung ist, werde zunächst bemerkt, dass sich der Glei- chung (45) gemäss die Differentialgleichung in die Form setzen lassen muss (46) N = pn“ + f.p”) + f,p”) + f,p? + f,p'® a. dp” ee 9,0 Re d,p?” =E dp?” SE Y,p)p) nn YV,p? p) ne Y,pp +, pp N, pp + bp )p® + w,p) + w,p®) +0,p”"+up®"+w=o, worin hier der Kürze halber, abweichend von den früheren Bezeich- nungen, welche mit Rücksicht auf mehr als zwei unabhängige Variable gewählt worden, Ve ae P gesetzt ist, und die Functionen f, $#, Y, u» von L,t,,p, pl”, p®, p9, p”, p°” abhängen. Durch Vergleichung von (45) und (46) ergeben sich zunächst die Beziehungen 0H ®H 0°H 0’H (47) a a are ur an? ? op" app op Ip eH 0°’H De Op) ap» Ip 0H 0°H 0o>H 43) =, »=2- = Zt ana Op) op! dp op! op ) ; o®H 03H 0°H Dal — reset leere ee = — en rear > TER) op) op op’ Ip) Ps op 262 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. o®H 0°H 03H UL, — NET NET re ’ Vv, =2 2 Ir 2 2 op”) op”) op) op”) op") op") se 03H 02H (49) 3 dp) 9p° Er 2 Mei 5) op) op") op?) SE Ip’ 2 oH oH oA = 2 St: c 2 \ V = 2 op )? Ip (20) op) op) ’ 6 & Ip) dp) oder, wie unmittelbar zu sehen, df. Of 2a On, df, of, (50) dp) ae? Ip)’ Ape) — nn open’ open =, 2 4 Ip) P. a, ER)? A, pe T em po ee Te 9. A VAR 9, a pe u pe En er ae und (52) ee A Er A Bee gf of. %f F Vv, ) 3) = op (a pe ’ \) = nos 3 ap ’ während »,, w,, w,, w, durch die Gleichungen bestimmt sind Er e % Ba N EOErE Loy cr) u, =2 & =r5 ap Fe? pen? ) ef. , A Af. of. I J2 an (zr) Wa, (o2) la | dt, =t- op Fon Ar pe? of iR yo o) of, m(2°) IB (11) w (+ a, op SP ) GP —- N (on P RR, af: %f Seel REN En 3 (tr) /3 (02) (53) u BT en 93 pn: IB + (10 9%, m) (20) of, (ir) 2, = (+ dp pP op (10) a ar Ir e)P Fi oh Se f, v4 o1) RE een 44 (02) +5 (+ Ben pe? pen? ) ar of, of, erz of, (ir) of, (02) ww — 2 & Sr 2 Fe? ap (+ ur pr = I (20) of, (tr) ap? pP Ai en P und, ähnlich wie in (14), wenn zur Abkürzung KoEnIGSBERGER: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 263 ER ERBE — I — q — — op”) ot, ung! op (20) op iD op") ap") p ar Open) L oH o’H oH a (54) N (ai Ep NER ENG +-p)- = mp"? (ir) (or = =L, pe at, op") op op» dp") ET u. 0 a. en \ ER ZNE D 7 ? p TIWaN NTEIT r — ep op) ot, ji op) op j op) op") I op) op) 3 gesetzt wird, & durch den Ausdruck gegeben ist I u ae = + p) —— 2 ala ha, m (5 J w d L, 1 op 1 op") ! op) ot, F op + p oL, pe K OL, po ob, pr 0. 2 pe) aL, op") ap) ot, op DS) op”) OEM SE LE EN) ah — — m) _ == ) — — — — — Se _ op op) ot op") op op pt op) En eH 0° „oH Fer - —p or) = - — pt) — re We — pp) ei —, op» d B op) op op‘ (or) Ip" op’ Nun ergiebt sich aus den beiden ersten und letzten der Gleichungen (47) mit Hülfe von (50) oH ‘) dp) = dp = -[|: a zb Ze] PR, (pp, m, p, p9) oH (56) m —= JE dp" Sen az dr jo: af dp“° am +. (p „er DD (10) ‚p er) d ge -:[ h 2 a: pl Zu +9,09, pP, pP), worin die Functionen Q,, Q,, ®,, welche jede nur je einen der zweiten Differentialquotienten enthalten, wie sogleich näher erörtert werden soll, durch die Bedingungen der Integrabilität und durch die vermöge der Beziehungen (50) stets erfüllbare dritte der Gleichungen (47) 0’H 0’H — -- = ee (57) B=2 bestimmt sind. Da nun vermöge eben dieser Beziehungen die rechten Seiten der Gleichungen (56) der Bedingung der Integrabilität ge- nügen, so wird sich hieraus wieder der Werth des kinetischen Po- tentials durch Quadraturen ergeben, für welche die hinzutretenden willkürlichen Funetionen von t,, t,, p, p"”, p®”, genau wie oben für kinetische Potentiale erster Ordnung, den Bedingungen (51), (52), (53) und (55) gemäss bestimmt werden. Es folgt wiederum unmittelbar, dass, weil für, =, =Ah=/, =/f,=o vermöge (51), (52) und (53) auch sämmtliche $,Y und w, 264 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. verschwinden, eine partielle Differentialgleichung dritter Ord- nung nie aus dem Hamıtron’schen Prinecip für ein kinetisches Potential zweiter Ordnung sich ergeben kann. Für den Fall, dass wieder die Coefficienten der vierten partiellen Ableitungen in der Differentialgleichung (46) nur von p abhängen sollen, sind für beliebige Functionen dieses Parameters die Bedingungsgleichun- gen (50) von selbst erfüllt, und während in Folge der Gleichungen (51) und (52) die sämmtlichen #- und V-Functionen verschwinden, werden sich für die »,-Functionen die Werthe ergeben — ah (PP HL, oe here, ehe" + Flop”. Das kinetische Potential, welches wiederum die unabhängigen Variabeln t, und Z, nicht explieite enthalten soll, wird in diesem Falle den Glei- chungen (56) gemäss durch die Beziehungen bedingt sein 9H ope) — PER po) oH = (20) 70 (02) (zz) (ro) (or) open) — A le U): oH ı 2 oI „a Er none so dass der Integrabilität gemäss @, und Q, nur von p, p"9,p“) ab- hängen dürfen, und sich vermöge (57) daraus für das kinetische Potential der Werth ergiebt: H= KPD HE HP HP +9, (2,2, PP +8, (p, PN POP alpin) worin jetzt Q,,0,,@ willkürliche Funetionen der in ihnen enthaltenen Grössen bedeuten. Bemerkt man endlich, dass nach (54) (19) feXe) = (20) (ro I 10 I 1 Io I m(Io L=p (7 DP”+ opt y ee (dp) + no en L, = pre | 0, on, 0 — ne L/en\ (er) (02) (o) (or L; u pP ( Ja (p)p + =) ip (% (pP) p u: 2) +p ap folgt, woraus sich nach (55) der Werth für w unmittelbar ergiebt, so finden wir, dass sämmtliche partiellen Differentialgleichungen vierter Ordnung, welche aus der Variation eines Doppel- (58) KoenIGsBERGER: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 265 integrales entstehen oder welche sich auf die erweiterte LAaeraneeE’sche Form on dom aa. 3H PP dt, op! (ro) RR Ip) Ir di? Op) a dt, dt, opı") rn dt? dp”) =O, reduciren lassen, vorausgesetzt, dass die Coefficienten der vierten partiellen Differentialquotienten nur von pabhängen sollen, in der Form enthalten sind LAUTET AN ERDT ADrAdr ze + ar (ap +, LP)” + ER HD Eee +) pP” IE Ey 4 ee He" +” pP”) al, pP) PUB, pP, P)\ „er ze ye +( Oper + Ip )® ”— po) pe3)) Z GR) + HER ( ) (ro)? er p\9 BE me I = D p)p BP” p NIoRy) 0? Q (10) (or) AKe) (xo) (or) AB Q po) (or) nen RB: 2 ‚P”)_ „9% (p, pP", p®”) _ Rp en ) Open op pi \ => (1) ler (p) (10)? + ) (ro) NGpre. N N (or)? Ing; „In BAVZ pe, BR) p pp (MP a rg (1o) pp, Pe) _ FB, PP”) ar 2p 0p) op = op) op! (10) ©2 „ or)? BR, 10) „(or or rn 2,( n )) a) be De (Dep I nn 9,(p, pP”, pP”), „9(p, PX”, p) _ to, pP”, p°”) — n(%o) . a, er >) J p op) op op op” upler Q,(p, 2 RR Fre, 0Q,(p a De - - 2 N) p pP’ pop” 0Q 2(p, p, De2) oR(p p p')) —p) —- B 2 —=.$), op dp”) op worin ,,0,,0 willkürliche Funetionen der in ihnen vor- kommenden Grössen bedeuten, dass diese Differentialglei- ehungen also sämmtlich auch in den dritten partiellen Ab- leitungen linear und in denzweiten Ableitungen vomzweiten Grade sind, und zwar lautet für alle diese Differentialglei- chungen das kinetische Potential Sitzungsberichte 1905. 24 266 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. 59) Hz + er”) 2,(p PP )p"” + 0,(p,P9, pp’ + 2(p, pP”). Für den Fall constanter CGoeffieienten der vierten par- tiellen Differentialquotienten werden auch die dritten par- tiellen Differentialquotienten aus der Differentialgleichung herausfallen und dieselbe, von dem Gliede p"” — pp") ab- gesehen, in den zweiten Differentialquotienten linear sein; sind 8, und 2, Constanten und ist Q eine reine Function von p, so lautet die Differentialgleichung ap") +a,p®) + a,p"”) + a,p"”+a,p""+f(p) = 0 und das zugehörige kinetische Potential H — = (a,p” ar a, pp) u a,p) = a,p") pi) an a, pe’) +/[f(p) dp Nach den in meiner oben erwähnten Arbeit durchgeführten Unter- suchungen wird das durch die Gleichung oH do rad oH En Ele d oH H— po ee REN — pe 2” = Op) dA Pe dt, dp pr) = pe A definirte Energieprineip, in welchem H die unabhängigen Variabeln t, und t, nicht explieite enthalten sollte, für den Fall der oben auf- gestellten partiellen Differentialgleichung (58) vermöge (59) die Form annehmen Hp Hp) + pe (fr? + p®) Ba en a En ee er a on, + pe) (Y pP + fi pp) — pp” 2 +) 12 10 10) „,(01) o1 90 10 eV op ( ep en, Open 2: 02 Kur, 10 01 7 (01) (10 an ep (er BD iR pe +2) + pe" 90, (on? 08, (zo) 02 BER (or) em S=h, op op op") d (or) und alle in der Form p=/f(l-+ et, enthaltenen Integrale desselben genügen auch der partiellen Differential- gleichung (58). Sollen aber sämmtliche Integrale des Energieprineips Koenigsgerger: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 267 jene Gleichung befriedigen, so muss, wie ich dort gezeigt habe, das kinetische Potential in p®%, p"”, p” linear von der Form H= F,(p,p”,p®)p®” + 2F.(p, p"", pP) p®” + F.(p, 29, pP) p” +F(p,p9,p®), und die Bedingungen am lor oueon op” Fr op") ’ ap) 2 op") identisch befriedigt sein, und es würde somit für die oben gefundene Form (59) des kinetischen Potentials er on, on, ” =, =h=-h-hm 09, pa Ip 7° sein; wir finden somit der Gleichung (58) gemäss, dass es keine partielle Differentialgleichung vierter Ordnung giebt, wel- che auf eine erweiterte Laeraner’sche Differentialgleichung redueirbar ist, in der die Üoefficienten des vierten par- tiellen Differentialquotienten nur vonp abhängen und wel- cher sämmtliche Integrale des zugehörigen Energieprineips Genüge leisten. Wesentlich anders gestaltet sich die Behandlung der Frage, wann ein simultanes System partieller Differentialgleichungen eine mechani- sche Deutung in dem Sinne erlaubt, dass es als ein erweitertes La- GRANGE’Sches partielles Differentialgleichungssystem oder als Lösung des erweiterten Hanstron’schen Prineips sich darstellen lasse, oder auch, da diese Frage identisch ist mit der Aufsuchung der nothwendigen und hinreichenden Bedingungen für die Existenz eines kinetischen Poten- tials, unter welchen Bedingungen es für ein simultanes partielles Diffe- rentialgleichungssystem vter Ordnung von p unabhängigen und u ab- hängigen Variabeln &,t,,...2,,2:>22»---D, Ne N — en ee —Re) eine Function H giebt, vermöge deren sich die u Differentialgleichun- gen in die Form setzen lassen Ole DE VEN Dee ar Zade nr Demon oO %=1,2,...n), 1 r wenn jetzt wieder, wie in dem ersten Theil der vorliegenden Untersuchung, Be _d°p, N eRaesont) Mn, In Ola... Ole Ps gesetzt wird. Für ein kinetisches Potential erster Ordnung von zwei Parametern p, und p,, und zwei unabhängigen Variabeln £, und &£, 24° 268 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. Et 1, 2: psp pp) lauten die Lasranee’schen Gleichungen Od so ano OLE doc 0 er a re oe oder (60) oH MH (69) oH (1) 0H (tr) 0’H (z1) 0’H rer u u en a op, por, op" op, op") op, op" op" Ip" (12) 9°H m(2) °H u a + np) o°H Hu + ee ee FA, ws E77 "op, (12) ®H (22) %°H (22) _ 9° H — + pe) + pl = op? Op" ) po’ Op dp) und (61) en! oH a oH @ OH en oH ee 0° 2 - + + pP} Pr —— + pi) — — + 5 Ipe at, Op® dp, op) op, dp® dp! 2 op w? are LE En ee et a aa, "Paper, (12) 9°H (22) 0°H (N 0’H (22) j — | 6) SUR I 2 2. Sr ’ a ae und soll ein simultanes System von zwei partiellen Differentialgleichungen zweiter Ordnung IN = Hl ..,9.,0:, 20,29, 29 Dez I, =F,(t,1.9,,2.,20,29, 9,2%, 219,29, 2°°, pP, Po) —=o die eben bezeichnete Lasraner’sche Form annehmen, so ist zunächst wieder unmittelbar zu sehen, dass N, und N, in den zweiten partiellen Differentialquotienten von p, und p, linear und die Coeffieienten von p9, 29,92% in N, denen von pl”, pl”, p®® in N, gleich sein müssen, so dass sich für die beiden partiellen Differentialgleichungen (62) (62) als nothwendig die Form ergiebt (ee a ” IN, = 0,p + 2,90) + 0,p®? + F,p” + 2F,p\” + F,p®® + F. Die Zusammenstellung von (63) mit den Lasrange’schen Gleichungen liefert für die von t,, t,, P, , pP», pP, p , p\’ , p®’ abhängigen Coefficienten in N, und N, die Beziehungen 0°H 0’H 0’H (64) fe el Fe I Fe) opt op.) op\" op% und somit, wie leicht zu sehen, für diese Coeffieienten unter einander | die nothwendig zu erfüllenden Bedingungsgleichungen KorniGsBerGEr: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 269 fh _% of _ (65) dp® = Ip® ’ Ip) = Ip" or, OF, OF, or, nn 7 ob, of, 0b, a Op" = opi)’ dp“ el N dp”) (re) 7 ob, of. ob, [ of, u) 0#, er of, o| BT 0 775) 7% CS a ea)” a ap i op, OF, op, 2 or, OF, 99, > oF, op lm Op’ Ip pr Opa)’ Op Amt während die Vergleichung der von den zweiten partiellen Ableitungen freien Glieder in N, und N, mit denen in (60) und (61) zunächst nur die Bedingungen Pe 2 IH En Fe, Pe, a er Fa FE aa, FRE per, ee apa Pe app, "Pr ap, 2 CH _ @ en p@ H \ op, pp, P> Oplap, ergiebt. Um die Beziehungen (68) von dem kinetischen Potential frei zu machen, differentiire man die erste dieser Gleiehungen nach pl, die zweite nach ah und erhält so durch Addition derselben A Be: ‚Ip, IP: 0b, IP: 9P: 9p® an “ + dp, > op, FR ot, ee? ): (69) ap er und mittels ähnlichen Verfahrens die analogen Beziehungen u = = +pe 7 n + PX + Fe Da on DZ oF nn “ ih ie or, ‚OF, oo Sn Et oe IF _E, Ei pa 9, op, op, dt, oF OF oF. \ Op”) = a op, Er op, = 9t, P op, +p®) 270 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. und Een of OF ( r ‚IP: nn en Pe), ee," Pr op, so dass die sämmtlichen bisher gefundenen Bedingungen durch die Gleichungen (65), (66), (67), (69), (70), (71) dargestellt werden. Nun ist aber auch unmittelbar zu sehen, dass sich vermöge der Bedingungsgleichungen (65), (66), (67) das kinetische Potential aus den Gleichungen (64) in der Form ergiebt (72) H = H-+9,P! +2.P? +9.P) +2," +2, ‚worin H, in bekannter Weise, da die Integrabilitätsbedingungen für (64) erfüllt sind, durch Quadraturen dargestellt ist, während Q,,,2.., Q,,,92,,® nur von t,,t,,P,, pP, abhängen, und den Bedingungen (69), (70), (71) unterworfen sind, welche wiederum für dieselben die Integra- bilitätsbedingungen erfüllen; wir finden somit dass die nothwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür, dass zwei simultane partielle Differentialgleichungen zweiter Ordnung N, =0, N,=o zwei aus dem erweiterten HanmıLron’schen Princip entspringenden LaerAansE’schen par- tiellen Differentialgleichungen äquivalent sind, oder dass für die beiden Ausdrücke N, und N, ein kinetisches Potential existirt, erfordern, dass die beiden Differentialgleichungen in den zweiten partiellen Differentialquotienten linear von der Form sind N=fp"+2f, En +9.P"+20,P +9, PH f N, = 9,p) + 29,pl? + 9,p'” ee worin die Functionen f, s F von t, 6, 0, B.220, 79 O2 den Gleichungen (65), (66), (67), (6 o); (70), (71) unterliegen, oder, wie unmittelbar zu sehen, N, und N, in der eben auf- gestellten Form den Bedingungen unterworfen sind oN, dr ONE LAN KON, oN, a A pe oN, d. .oN, d oN, oN, Onklı au dp) ld, An) 1.0p8 TR TS — a2 un ER — Eee So werden die beiden partiellen Differentialgleichungen N, — 2 pi pi») en 2 p® yak y 2 p" Ip +p®’ —» Pp: p S) N, = 2 pP’ pp” + 2 pi pp? + 2 pp pl — 2 p,p” + 2 P.pRp® —2pp den angegebenen Bedingungen unterliegen und für das kinetische Potential r . . pe . . . 7 KoENIGSBERGER: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 271 Hm. om nn sich in die Form transformiren lassen Herd oma aH orBeRdnnore dev nern — — — og, = 4 — 0 5: 0p, di, Op dt, dp® op, de dm" dt, op® Nehmen wir wieder an, dass die Differentialgleichungen die un- abhängigen Variabeln #%, und # nicht explieite enthalten, und die Coefficienten der vierten partiellen Differentialquotienten in N, und N, nur von den Parametern p, und p, selbst abhängen, so werden die Bedingungen (65), (66), (67) von selbst befriedigt sein, während die Gleichungen (70) die Ausdrücke liefern E77, Y ae 2 Du eat U at dp, p Pı P: op. Dan dp, 2 A; of, + pt Me ‘2 @ . -+u(P,,P,; IS) os) We een oF OF, OF, or F= 3 923 eye Z ei; : SenL © (?) —r 9°) Me 2 op, Si op, p P: op, p p op, OF, OF, OF np. pm. tpop. + 2(mup..p0,p)). Den en. mapun,p Setzt man aber diese Werthe für f und F in die noch zu be- friedigenden Bedingungsgleichungen (69) und (71) ein, so erhält man wg +p) BL an +p% Dei 5 ag u Pı op, I op, op") P3 0 - Pz op, op") a) 0 MM op, (3) Ze (2) = (2) 2 (Oe a en, of 0 IF OF, 90 PER RE Kennen (Oe 3 rosa op. pr woraus durch Differentiation nach p,p®,p®,pf) folgt, dass 0’w ei 0b, OF, O’w [of a ae Appel ap en 2 0 P: 2 un =:2 IB, ; _, In _ U 30% (1) TE op"op! op, om, dpe 2 op. dm, ist, und somit nach den obigen Gleichungen 272 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. d f) or, 06, OF, 7: )ro+(? 2 — nun. P.) op") op, op, dw „09 or, () 36, 2 (2) r Tel GE) Saar 7 a u 3 99 99, 9. 96, A; =? 9 3 )ns (3 dp, dp)? an (pı, P.) 09 u 04, of, (1) og, of. (es Ip0) =(: Ip; oh NE ak Sa) woraus sich „=(: en) + =, ) pn (> ge ) op, 0p, op, Op Op on.) 22 em op De ( 96, | 3) SR (: 9% _ 2) POpO + (: 9% er op, 0p.) 2 op, 0P. op, 9p.) 2 UP Ep En ergiebt, wenn Y,, W,,%,, %, willkürliche Funetionen von p, und p, bedeuten. Fassen wir die so gewonnenen Resultate zusammen, so finden wir, dass alle Systeme von zwei partiellen Differential- gleichungen zweiter Ordnung, welche aus der Variation eines Doppelintregrales entspringen oder dem Systeme zweier von den unabhängigen Variabeln freien LAGRANGE- sehen partiellen Differentialgleichungen äquivalent sind, in welehen die Coeffieienten der zweiten partiellen Diffe- rentialquotienten nur von den beiden Parametern p, und p, abhängen, die Form besitzen: N = fp®+ pp ++ +2 + +, ee (: ner 2 E 09, _ IR, pe+; KA pap® + pop d N op, 0 2 op, op, P: ‚9 le of, (: ob 2) 2 dr ( Ge Aa e-R. (x) Ver (r) En mer ee IR 2 w —ı/,p?) Ten — N, —: —h pi’ +29, pP +9, p®®? + F,pl”) + 2F,p\? + F,pl”) + an a IR, ws 9 _ K),, ( a en, %p 5 i a „Pr : . JE F, F. F DD pr I np a pe +++." p ei f 09 02 )n) Op ( 2 I 2 I 2) pr sm ( op, op, )» “\ m Yp: m KornıGsBERGER: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 273 worin die Funetionen /,6,F,\/,» willkürlich von p, und p, abhängen dürfen, so dass die Differentialgleichung nur linear in Bezug auf die zweiten Differentialquotienten und vom zweiten Grade in Bezug auf die ersten sein kann,:und zwar ist dann das den Lasranee’schen. Differentialglei- chungen zugehörige kinetische Potential GE En 3 ep) HR, Be +0.PPp? + 20,P0)P2) + 9,Pr P2 + 8 (Pr pP? — Pr Pz ) +u,P" +o,p) +w,p" +w.p’ tw, worin ‘eine beliebige Function von p, und p,, und die Functionen wo, , w,., %,,,w,, von 'p, und p, den Bedingungen unterliegen m — VW, un. nn Für den Fall, dass die Coeffieienten der partiellen Differential- quotienten zweiter Ordnung in den beiden partiellen Differentialglei- chungen Constanten sein sollen, ergiebt sich als die nothwendige und hinreichende Form für die Reduction derselben auf Lasrange sche Differentialgleichungen N, = ap. + 2,9? + a,p + b,p) + 2b,p + b,p Hp) bp — = = 0 op, (11) (12) (22) (tr) 12 (22 (1 (2 dw N, = b,p®.+ 2b,p'? + b,pC? + 6,p\) + 20,pl + c,p$” u a re —0)! dp. worin die a, b, ce beliebige Constanten und W, , ı, ; w beliebige Functio- nen von p, und p, bedeuten, während das zugehörige kinetische Po- tential durch H = :a,p®” + a,p9p9 +: a,p" + cp’ + c,P"p9+ c, pP” +b, pp’ + 2b, pp" +, + lH) + w; pP" + w;p + w.p+w,p+ w w,, mit &, und X, durch die oben 219 2 dargestellt wird, worin w,,; angegebenen Gleichungen verbunden sind, und 7% eine willkürliche Function von p, und p, bedeutet. Was das den vorher aufgestellten, auf Lasraner'sche Gleichun- gen redueirbaren partiellen Differentialgleichungen (73) zugehörige u) ] 129 Energieprineip' oH oH oH oH er. ee le (SET ge } H P: op") Pi op") P: op") P: op) = h ! In der oben angeführten Arbeit »Das Energieprineip usw.« 3. Gl. (32). Sitzungsberichte 1905. 25 274 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. betrifft, so existirt, wie nachgewiesen worden, ein solehes für alle Integrale der beiden Differentialgleichungen N. = ©, = ©, wiäldne als Funetionen von t,+.t,, worin & eine beliebige Constante ist, aus- drückbar sind, und welche, wenn man t, at, = l,P: —ı (k + o1,) == q, ’ P: = (+ «t,) == Q2 gesetzt wird, den beiden totalen Differentialgleichungen genügen ed) doaH) 3 ug) _ ae dq, Dareg: 04, dt dgL während das zugehörige Energieprineip die Form annimmt a) _ „un 0 dgl worin (H) nach dem oben für das kinetische Potential 7 aufgestell- ten Werthe (74) den Werth annimmt (H = (fi +af.+ ef) +CF+aF,+20F,)g +(9.+220,+2@°0,)94: Te (W;: Zur &W,.) % er (W.: = aw,.) g. +uv, und die Functionen f, F,$,» nur von g, und g, abhängen. Da nun die beiden totalen Lasraner’schen Differentialgleichungen nach den für N, und N, oben gefundenen Ausdrücken (73) in » a a ng) u ans . ER of, of. [d GEE a) + (®, ab, P;) qg: = 0g, „u 4, 0q I: ( od, a0 f) C „(der ine m, DEN. Ra 2 or 00.0 209: 0q, dq, of, of, of, dw m. - We ! — Gere —= -(; RE 27 +a \ue+, ad.) g. 57 o AV, A (9,+220,+@0,)94. + (F,+2aF,+a’F,)g,+ + - BiE +0? Ps og, "0 04: 20% ob, EN. ot ao N en Home u, dla ne oy 0q, 0g,; dg.. =2.0g: = 7. + Uta.) n— rk: übergehen, so wird für alle hieraus sich ergebenden Integralfunetionen g, und g, als Functionen von f, oder für die entsprechenden Integral- funetionen von (73) p, und p, als Functionen von f,—+-.at, das Energie- prineip, wie leicht zu sehen, die Form annehmen — (pr af pp Hp np in en) — 0, PP — 20, PP — PP pe +u—h. Dass andere Integrale der Lasranse’schen Gleichungen dem Energie- prineip nicht genügen, war früher gezeigt worden. > oH KoENIGSBERGER: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 275 Zur Ergänzung der hier und in meinen früheren Arbeiten über die Principien der Mechanik durchgeführten Untersuchungen mag noch eine allgemeine Bemerkung hinzugefügt werden, die auf dem Satze beruht'!, dass die nothwendige und hinreichende Bedingung dafür, dass eine Function H# von g unabhängigen Variabeln Z,t,,...Z, » abhän- gigen Variabeln 9,,P,...p, und deren partiellen Ableitungen bis zur v“" Ordnung hin sich als die Summe von z bez. nach t,,t,,...t, ge- nommenen totalen Differentialqguotienten von Functionen derselben un- abhängigen und abhängigen Variabeln und deren partiellen Differential- quotienten ebenfalls bis zur v“" Ordnung hin darstellen lassen soll, die ist, dass die Function den Hauptgleichungen 2v“ Ordnung der gleich Null gesetzten Variation des p-fachen Integrales der Function Hiden- tisch Genüge leistet. Die Existenz des Energieprineips in der Mechanik einer oder mehrerer unabhängiger Variabeln setzt bekanntlich voraus, dass das kinetische Potential 7 eben diese nicht explieite enthält; es ist aber nicht unwesentlich, die Frage zu beantworten, wie alle kinetischen Potentiale beschaffen sein müssen, wenn nur die Hauptgleichungen selbst von den unabhängigen Variabeln frei sein sollen. Dass dies der Fall ist, wenn das kinetische Potential selbst diese Variabeln nicht enthält, ist selbstverständlich, auch leuchtet es nach dem eben an- geführten Satze unmittelbar ein, dass, wenn ein von den unabhängigen Variabeln nicht freier Ausdruck des Potentials die von eben diesen Veränderlichen unabhängigen Hauptgleichungen liefert, alle die unend- lich vielen Formen deskinetischen Potentials, welche sich von derursprüng- lichen nur um totale Differentialquotienten der bezeichneten Functionen nach den einzelnen Variabeln genommen unterscheiden, wiederum die- selben, von den unabhängig Veränderlichen freien Hauptgleichungen lie- fern werden; es ist somit nur die Frage nach der Form aller kinetischen Potentiale zu beantworten, wenn die Hauptgleichungen oder die erwei- terten Lasrange’schen Ba len Differentialgleichungen 2v'” Ordnung doH doH d’ oH Wal et tee die unabhängigen Variabeln /,, £,,.... £, nicht explieite enthalten sollen. Da diese Gleichung somit der Forderung gemäss nach Z, partiell diffe- rentiirt identisch erfüllt sein soll und die identische Befriedigung von ud de „H „OH ——— Fe - [6 m— BE RE: ie ee u op, dt, Ip de ma ar: op Co dt,dt, op. 2 ! Vergl. meine Arbeit »Die Prineipien der Mechanik für mehrere unabhängige Variable«. Journal für Mathematik, Bd. 124. 276 Gesammtsitzung. vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. nach dem eben erwähnten Hülfssatze die Beziehung oH du, ei dw,, y Bi: dv,, & —= == an == Rn >... ot, dt, dt, dt nach sich zieht!, worin w,, w,,...w, wiederum von &,%,,...1,, Pı> Pz» .p. und deren partiellen Ableitungen bis zur v“* Ordnung hin ab- hängen, so folgt zunächst d d d : — 1) — Mh + + H,, H |» oh, + je eo, + + 5 GASHELER worin H, noch von allen übrigen Grössen, {, ausgenommen, abhängen wird. Da sich aber aus dieser Gleichung durch partielle Differentiation nach £ 7 IH A (dw, a ar = ax ann 22 Bene: M, d, a a | an ergiebt, welche mit oH dw, Mr dw. = dw ou TE di, ee * zusammengestellt, d| "ow, d dw, d dw I Wen) 2x a en) 2. + ER: Da [»- | 0L, | er |» | of, .|+ Tas, [»- Ir liefert, so folgt wie oben 2-4 ||» rd jan. + ‚je - (You ja. + 1. worin H, wiederum von denselben unabhängigen und abhängigen Va- riabeln und deren partiellen Ableitungen, nur nicht von Z, und £, ex- ‘ plieite abhängt. Schliesst man so weiter, dann ergiebt sich unter der oben ge- machten Annahme, dass die erweiterte Lasranee’sche partielle Diffe- rentialgleichung die unabhängigen Variabeln 4, %,...t, nicht explieite enthalten soll, die nöthwendige und, wie oben gezeigt worden, hin- reichende Form dan, we AN, Br er AN a de, worin 2,,0,,..., alle unabhängigen und abhängigen Variabeln und ! Vergl. die oben angeführte Arbeit im Journal für Mathematik und »Die Prineipien der Mechanik« S.7 Be 0 —..+orca tot or, Am di, dp? dE dp) dt.di, on!” KoENIGSBERGER: Die partiellen Differentialgleichungen d. allgem. Mechanik. 277 deren partielle Ableitungen enthalten, während die unabhängigen Variabeln t,,...Z, in H nicht explieite enthalten sind, und es ist zu- gleich ersichtlich, dass der von den unabhängigen Variabeln freie Ausdruck H auch als kinetisches Potential für die Hauptgleichungen der Variation gewählt werden darf. Wir finden somit, dass, wenn die in der Form oH d oa d oH d oH do —...—60 (=T, dargestellten Hauptgleichungen der gleich Null gesetzten Variation u | | | Haar ...ds EEG 2 FE} die unabhängigen Variabeln Z%,t,...t, nicht explieite ent- halten sollen, es stets einen von eben diesen Variabeln freien Werth H für das kinetische Potential giebt, welcher auf eben diese Hauptgleichungen führt,während alleanderen, auch von den unabhängigen Variabeln abhängigen Werthe desselben sich in der Form da, de, AN Zr = dt, =E dt, di, darstellen, worin 0,,0,,...@, Functionen aller unabhängi- gen und abhängigen Variabeln und deren partiellen Ablei- tungen sind. So wird z.B. für ein kinetisches Potential zweiter Ordnung von einer abhängigen und zwei unabhängigen Variabeln H = p®+ 21,pp"p® + Ep" p9 + at, t,pp® p "+ 1,p? +1 +12 p"”) + 26, pH pp pH 21, pp, pp" Hp" Hp pp’ pp”, welches die von f, und i, freie Lasrange'sche partielle Differential- gleichung (12 (2)? pP’ + app + 2pp")p) + 2p°p"”)+ 12p® p"? = o liefert, sieh nach der eben angegebenen Methode diepp®p®+t1,pp®) Uep+Ep® +5) 7 —= u WEBER 2E = 2 H dt se dt, er I MH, ergeben, worin ER a la) t2) (e)* H = pp“ +p’p"” p”+p Sitzungsberichte 1905. 26 H) 278 Gesammtsitzung vom 16. Februar 1905. — Mittheilung vom 2. Februar. ist und selbst wieder ein von # und t, freies kinetisches Potential derselben Lasrange’schen partiellen Differentialgleichung darstellt, Man erkennt unmittelbar, dass, wenn das kinetische Potential in einer unabhängigen Variabeln fund » abhängigen Variabeln p,, P:; - - - Pu von der v'” Ordnung ist und # explieite enthält, dagegen die zuge- hörigen Lasrange'schen totalen Differentialgleichungen oH dodH «@oH do a op, dt op, For op ee dt’ ap . . ” . Al 1 von 2 frei sind, das in der Form Hu [3 ; oH d oH PA er 1 ER oH % 2. n op, dt op, So de: dp" x ll oH d EEE ar je oH gr = . op, = dt op” FE de? op" ei dargestellte Energieprineip nicht mehr gültig ist, dass jedoch, da sich nach der obigen Auseinandersetzung das kinetische Potential dann stets in die Form setzen lässt Be dt worin H von £ unabhängig ist und wiederum als kinetisches Potential aufgefasst derselben LasrangE schen Gleichung genügt, das Energie- prineip die frühere Gestalt annimmt, wenn H durch H ersetzt wird. Dasselbe gilt für die früher gefundene Form des Energieprineips kinetischer Potentiale von mehreren unabhängigen Variabeln. ' Siehe »Die Prineipien der Mechanik« S. 56. Ausgegeben am 23. Februar. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. _ SITZUNGSBERICHTE DER -_ KÖNIGLICH PREUSSISCHEN * AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IX. X. 23. FeBruvAar 1905. BERLIN 1905. h # VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Auszug aus dem Reglement für die Redaetion der »Sitzungsberichte«. $1. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. 82. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Secretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte, Derselbe Secretar führt die Oberaufsicht über die Redae- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. $6. 1. Für die ee einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberiehte gelten neben $ 41,2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschnitten sollen Abbildungen auf‘ durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- sehaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. $8. 5. Auswärts werden Correcturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tea! $1l. \ i 1. Der Verfasser einer unter den „ Wissenschaftlichen Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und _ Kategorie der Sitzung, darunter der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nieht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, weleher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver- theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig. dem redigirenden Secretar angezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 BEREIE plare auf ihre Kosten abziehen lassen $ 28. 1. Jede zur Aufnahme in die Sistgeite be- stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung — vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder corre- spondirender Mitglieder direct bei der Akademie oder bei N einer der Classen. eingehen, so hat sie der vorsitzende ER Secretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der Akademie nicht angehören, hat er einem ee” scheinenden Mitgliede zu überweisen, [Aus Stat. $ 41,2. — Für die Aufnahme Ted einer ausdrücklichen Genehmigung der Akademie Be einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, A sobald das Manusceript druckfertig vorliegt, N gestellt und sogleich zur Abstimmung gebracht werden] _ 8.29. eh 1. Der revidirende Seeretar ist für den Inhalt des geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch nicht für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für diese wie für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte sind nach jeder Richtung nur die Verfasser verant- wortlich. Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte« an diejenigen Stellen, mit denen sie im Sehe oe En steht, wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich : > 4 die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, & ER 18 » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, 2 » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres nach Zertoaelurar Be u eg au Es 279 SITZUNGSBERICHTE 1905. IX. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 93.1 Bea Sienng der Blbsopmgehe historischen Ulasse. Vorsitzender Secretar: Hr. VAauren. *1]. Hr. Koser las »Über die Haltung Kurbrandenburgs in dem Streite zwischen Imperialismus und reichsständischer Libertät seit 1648«. Ausgehend von dem Streit zwischen Reinking, Chemnitz (Hippolithus a Lapide) und Pufendorf über das Wesen der Reichsverfassung, erörtert der Vortragende die Mittelstellung des Grossen Kurfürsten zwischen dem Kaiser und den beiden Garanten des Westfälischen Friedens; die brandenburgische Opposition auf dem Reichstag unter Friedrich I., die publieistische Thätigkeit seines Comitialgesandten Henniges und die tendenziösen Geschichtsceonstructionen von H. von Cocceji und J. P. von Ludewig; die Confliete Friedrich Wilhelm’s I. mit dem Reichshofrath; die Auffassung Friedrich’s 11. von der neueren deutschen Geschichte und die ausgesprochene Wiederaufnahme der antikaiserlichen Tendenzen des »Hippolithus« durch die preussische Publieistik des Siebenjährigen Krieges. 2. Hr. W. Scuurze legte eine Mittheilung des Hrn. Dr. F. N. Fınck in Berlin vor: »Die Grundbedeutung des grönländischen Sub- jektivs.« Die Doppelfunetion des sogenannten Subjectivs, der sowohl den Thäter wie den Besitzer bezeichnen kann, wird aus der Einheit ursprünglicher Dativbedeutung abgeleitet. 3. Hr. RoerHe legte von den »Deutschen Texten des Mittelalters« Band V Volks- und Gesellschaftslieder des XV. und XVI. Jahrhunderts. I. Die Lieder der Heidelberger Handschrift Pal. 343 herausgeg. von A. Korr, Berlin 1905, vor. * Erscheint nicht in den Schriften der Akademie. Sitzungsberichte 1905. 27 280 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 23. Februar 1905. Die Grundbedeutung des srönländischen Subjektivs. Von Dr. F. N. Fınck in Berlin. (Vorgelegt von Hrn. W. Scnurze.) Der Name Subjektiv für jene uns wundersam anmutende Kasusform, zu deren Wiedergabe wir bald eines Nominativs, bald eines Genitivs bedürfen, ist eine Schöpfung Samuer Kreimsscanmrs', und ohne Zweifel hat ihn bei dieser Benennung das Bestreben geleitet, seine Darstellung der grönländischen Sprache nach Möglichkeit von dem irreführenden Vorbild der Grammatiken indogermanischer Idiome zu befreien. Aus- drücklich wird dies zwar nirgends bemerkt. Aber die ganze Anlage seines Werkes drängt zu dieser Annahme und obendrein auch die auf das ganze Werk gemünzte Äußerung der Vorrede, daß der Ausgangs- punkt seiner Darlegung nicht europäisch, sondern grönländisch sei.” Auch Paur Esepe, der Bahnbrecher auf dem Gebiete der eskimoi- schen Sprachkunde, hatte schon erkannt, daß die grönländische Sprache eine ihrer Eigenart angemessene Behandlung erfordert. “Lingua itaque Groenlandiea’, so heißt es," “nobis redditur diffieilis; quod enim lin- guas quasdam caeteris faciliores reddit est communis illarum cum nos- tra lingua origo ete.; si ab una eademque originem non trahant om- nes Europaeae linguae, ope tamen negotiationum una alterave emergit similitudo, eum certae quaedam linguae ea, qua imperantes, libertate gaudeant, ut aliis praeseribere possint regulas; lingua autem Groen- landica proprias suas habet affeetiones non immutatas.” Aber er hatte sich doch noch nicht von der seine Zeit beherrschenden Zwangsvor- stellung befreien können, das lateinische Kasussystem auf alle Fälle in das fremde Idiom hineingeheimnissen zu müssen, und demgemäß die eine fremdartige Form im Einklang mit den indogermanischen ' Grammatik der grönländischen Sprache (Berlin ı85r) $16 und $ 38. S. Kreisscanr, Grammatik der grönländischen Sprache S.V. Paurus Eee, Grammatica Groenlandica Danico-Latina (Havniae 1760) S. VILf. 2 3 F. N. Fınck: Die Grundbedeutung des grönländischen Subjektivs. 281 Entsprechungen als zwei verschiedene Kasus auftreten lassen." Dieser recht äußerlichen Auffassung gegenüber erscheint Kreinscnmivrs Namen- gebung als ein selbst im Falle unzweckmäßiger Benennung achtens- werter Versuch, für die eine Form auch eine einheitliche Bezeich- nung zu schaffen, um das, was eben nur nach unserer einseitigen Anschauung zweierlei zur Darstellung bringt, den Täter im Gegensatz zum Tatziel und den Besitzer im Gegensatz zum Besitz, was aber für den Grönländer, weil es eben nur eine Form ist, auch immer nur eins besagt, auch als Einheit darzustellen. Wohl weniger in vollbewußter Anerkennung der hierin zutage tretenden wissenschaft- lichen Leistung als wegen des Wunsches, möglichst nieht an einmal Bestehendem zu rütteln, haben dann die dänischen Missionare Unr. Ras- MussEn und P. H. Sorensen die Bezeichnung Subjektiv in ihre wesentlich für praktische Zwecke bestimmten, innerhalb dieser Umgrenzung übrigens vortrefflicehen Lehrbücher” übernommen. Darauf weist wenigstens der Umstand, daß beide durchaus darauf verzichten, die Grundbedeutung des im Anschluß an Kreisscnmiwrt benannten Kasus genauer zu be- stimmen, die Bezeichnung Subjektiv vielmehr nur als einen bequemen zusammenfassenden Namen für die beiden, vom indogermanischen Standpunkte geschilderten,” mithin ganz verschieden erscheinenden Funktionen beibehalten. Die mehr auf die theoretische Behandlung des Grönländischen bedachten Forscher haben dagegen fast alle die von Kremsennivr geschaffene Bezeichnung wieder fallen lassen, haben aber meines Erachtens bei diesem Schritt nicht die wünschenswerte Richtung eingeschlagen. Franz Misteuı verwendet einmal! den Aus- druck Genitiv -Nominativ, die Unvereinbarkeit der beiden Funktionen durch das schlecht geleimte Kompositum offenbar nicht aus der Welt schaffend, dann’ auch, und das wohl im Anschluß an A. F. Porr®, die ersichtlich einseitige Benennung “transitiver Nominativ‘. Mit beiden Bezeichnungen tritt er in einen die Sache kaum fördernden Gegen- satz zu H. SteıwtuaL, dem eigentlichen Schöpfer des von Misteuı über- arbeiteten Werks, der in Ermangelung eines besseren Namens Kreim- scnmivts Ausdruck mit Recht unverändert übernommen hatte. Über- ! Paurus Esepe, a.a. O. S. 23: “Nominativus singularis quando verbum cum suffixo habet, tune b in fine aceipit' .... “Genitivus in fine habet b. 2 Car. Rasmussen, Gronlandsk Sproglaere. Kjebenhavn 1888 und P.H.Sorensen, 100 Timer i Gronlandsk. Kjobenhavn 1900. ® Vel. Car. Rasmussen, Gronlandsk Sproglaere $5 und P. H. Sprensen, 100 Timer i Gronlandsk S. 33. * Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprachbaus (Berlin 1893) S. 146. 5 Charakteristik S. 148. ° A. F. Porr, Unterschied eines transitiven und intransitiven Nominativs. Bei- träge zur vergleichenden Sprachforschung ..... hrsg. von A. Kunn, Bd. 7. 27° 282 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 23. Februar 1905. raschenderweise nennt Frreprıcn MÜLLER, obwohl er keinen Zweifel an dem possessiven Charakter des grönländischen Verbalnomens hegt, den von Krrıssenmivr als Subjektiv angeführten Kasus dauernd ein- fach Nominativ, nicht nur in dem 1881 erschienenen Bande seines Grundrisses', aus dem diese merkwürdige Benennung dann auch un- besehen in Wırurrm Wunprs fern von allen Quellen entstandene Völker- psychologie” übernommen worden ist, sondern auch noch in den 6 Jahre später veröffentlichten Nachträgen.” James Byese® endlich und W. Tuaueırzer” bezeichnen die in Frage kommende Kasusform als Genitiv, was im Hinblick auf den unleugbar possessiven Charakter des transitiven Verbalausdrucks berechtigter erscheint, aber — wie sich meiner Ansicht nach zeigen läßt — tatsächlich doch der eigent- lichen Natur des grönländischen Verbalnomens widerspricht. Die praktische Grammatik unterscheidet im Grönländischen intran- sitive und transitive Verba, die aber, da die Grundbedeutung ja noch nicht feststeht, vorläufig nur nach dem ganz äußerlichen Kennzeichen geschieden werden mögen, daß letztere im Gegensatz zu ersteren eine in den meisten Fällen ohne weiteres erkennbare Zusammenfügung bzw. Verschmelzung von zwei Possessivsuffixen aufweisen, wobei die Frage ganz außer acht gelassen werden darf, wieweit sonst noch ursprüng- liche Zusammensetzungen irgendwelcher Art in den Suffixen vorliegen. Man vergleiche beispielsweise #Aip-unga "ich komme’, tikip-utit "du kommst’, tikip-ox ‘er kommt’, tikip-ugut “wir kommen’, tkip-use “ihr kommt’, tikip-ut "sie kommen’ mit fakuv-a-ra “ich sehe ihn (sie, es)’, eigentlich “Gesicht-sein-mein’ (vgl. igdlu-a ‘sein Haus’ und arna-ra “meine Mutter’). takuv-a-t “du siehst ihn (sie, es)’, eigentlich “Gesicht- sein-dein’ (vgl. igdlu-a “sein Haus’ und igdiu-t “dein Haus’), takuv-d “er sieht ihn (sie, es)’, kontrahiert aus *Zakuv-a-a “Gesicht- sein - sein’ (vgl. igdhu-a "sein Haus’), takuv-a-rput “wir sehen ihn (sie, es)’, eigentlich ‘Ge- sicht-sein-unser’ (vgl. iydlu-a “sein Haus’ und ana-rput “unsere Mutter’), takuv-a-rse “ihr seht ihn (sie, es)’, eigentlich “Gesicht-sein-euer’ (vgl. igdlu-a “sein Haus’ und ana-rse “eure Mutter’), takuv-dt ‘sie sehen ihn (sie, es)’, kontrahiert aus *takuv-a-at “Gesicht-sein-ihr’ (vgl. igdlua-a ' Frieorıen Mürter, Grundriß der Sprachwissenschaft II. Bd., I. Abt. (Wien 1882) S. 167. ° Wiırnern Wunpr, Völkerpsychologie 1. Bd., II. T. (Leipzig 1900), S. 85. Frieprıch Mürrter, Grundriß der Sprachwissenschaft IV. Bd., I. Abt. (Wien 1888) S. 139 fl. * James Byene, General Prineiples of the Structure of Language? Bd. I (London 1892), S. 143. ° W. Tuarsırzer, Studiet af et primitivt sprog. Förhandlingar vid sjätte nor- diska filologmötet i Uppsala 1902 (Uppsala 1903) S. 60 und A Phonetical Study of the Eskimo Language (Kopenhagen 1904) S. 243. 3 F. N. Fınck: Die Grundbedeutung des grönländischen Subjektivs. 283 ‘sein Haus’ und igdlu-at “ihr Haus’). Es verschlägt nichts, daß sich nicht alle Formen gleich bereitwillig enthüllen. Es liegt genug des ohne weiteres Klaren vor, um die geäußerte Auffassung zu recht- fertigen. In Verbindung mit einem derartigen, durch zwei Suffixe be- stimmten Verbalnomen nun erscheint die Stammform eines Wortes, die man vielleicht besser als Absolutiv' bezeichnete, uns, sofern wir eben auf dem Boden indogermanischer Anschauung stehen, als Objekts- kasus. teriangniak” takuv-a-ra, wörtlich “Fuchs Gesicht-sein-mein’, d.h. “Fuchs mein sein-Gesicht” heißt nur ‘ich sehe (oder sah) den Fuchs’. H. Sreiytuar” glaubt den Grund für diese Bedeutungsentwickelung darin gefunden zu haben, daß das Objekt den Mittelpunkt des Satzes bilde, da es sich dem Grönländer lebhafter als alles andere ins Be- wußtsein dränge. Diese Bemerkung mag richtig sein und ist meines Erachtens auch unbedingt richtig, soweit damit dem Grönländer mehr Neigung für die Beobachtung der realen Objekte, der Dinge der Außenwelt zugeschrieben wird als für die Beobachtung des diese Dinge verwertenden Handelns, des dieses Handeln Ausübenden. Soll die Bemerkung aber auch besagen, daß diese Objekte der Wirklich- keit auch sprachlich als Objekte erscheinen, soll damit also dem grön- ländischen Absolutiv ein dem indogermanischen Objektskasus eigener Charakter beigelegt werden, so widerstreitet dies dem Gebrauch des Absolutivs in Verbindung mit dem sogenannten intransitiven Verb. In einem Satze wie wjarak mangerpok ‘der Stein ist hart’ beispielsweise kann doch wohl von einem objektiven Charakter des Absolutivs keine Rede sein. Da ließe sich noch eher eine Nominativbedeutung unter- schieben. Doch es liegt auf der Hand, daß die grönländische Stamm- form in Wahrheit keins von beiden ist, kein Subjekts- und kein Ob- jektskasus, daß sie vielmehr ein Ding ohne irgendwelchen Gedanken ! Und zwar namentlich mit Rücksicht auf die zahlreichen Wörter, deren so- genannte Stammform (Kreınscuuirs Objektiv des Singular) einen bei den Ableitungen schwindenden Endkonsonanten aufweisen, wie beispielsweise zaxa- x ‘Berg’ (Subjektiv: Kdka-p, Pluralis: zaxa-t) gegen nuna “Land’ (Subjektiv: nuna-p, Pluralis: muna-t), angut ‘Mann’ (Subjektiv: angut-i-p, Pluralis: angut-i-t) und andere, deren Endkon- sonant also offenbar irgend etwas vom bloßen Stamm abweichendes andeutet. Den Namen Absolutiv gebraucht übrigens auch schon W. Tuatsırzer, A phonetical Study of the Eskimo Language S. 242. 2 In Kreinscnumiprs Grammatik durchgehends Zerianiax geschrieben (z. B. $ 16, $ 73), in seinem Wörterbuche jedoch (Den Gronlandske Ordbog, Kjebenhavn 1871), wie jetzt allgemein üblich, Zeriangniax. Der Lautwert des schwankenden Komplexes ist der eines langen rn. Vgl. W. Tuarsrrzer, A phonetical Study &e. S. 273 und auch die Schreibung ierrienniak bei Frırprıch Ervmann, Eskimoisches Wörterbuch, Budissin 1864. ® Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprachbaus (Berlin 1860), S. 226. 284 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 23. Februar 1905. an irgendeine Beziehung einfach hinstellt. Der tatsächlich vorlie- gende Sinn eines teriangniak takuw-a-ra muß sich demnach aus der Auffassung des durch Zakuv-a-ra dargestellten Vorgangs erklären. Diesem takw-a-ra nun kommt offenkundig die ihm vom Indoger- manen leicht wider Wissen und Wollen zugeschriebene aktivische Bedeutung nicht zu, wie dies auch schon von W. TuAugırzer' her- vorgehoben worden ist. Wenn der genannte Forscher nun aber sagt: ‘Grundforestillingen er snarere af passiv end af aktiv karakter; det er ikke: han ser mig, men snarere: min bliven set af ham’, so legt er durch diese Betonung des passivischen Charakters doch noch zuviel des Indogermanischen hinein. So wenig Zeriangniak deshalb für einen Nominativ erklärt werden darf, weil es nachweisbar kein Akku- sativ ist, so wenig darf takuvara für ein Passivum ausgegeben werden, weil es nachweisbar kein Aktivum ist. Es hat als Nomen mit den dem subjektiven indogermanischen Verb entnommenen Anschauungen des Aktivs und Passivs überhaupt nichts zu schaffen, so wenig wie irgendein deutsches Substantiv, das einen Vorgang bezeichnet, etwa ‘Krieg’, “Ton’, “Schrei” u. dgl. Was takw-a-ra außer der einfachen Angabe des Vorgangs einer Gesichtsvorstellung noch an- deutet, ist, da es dazu zwei Suffixe verwendet, allem Anschein nach noch des bezeichneten Vorgangs Ausgangspunkt und Ziel. Mehr vorauszusetzen ist unberechtigt. Nimmt man nun an, daß der Aus- gangspunkt als das Näherliegende durch das unmittelbar folgende Pos- sessivsuffix angedeutet wird, was ja allerdings nicht nötig, aber doch hochgradig wahrscheinlich ist, so ergibt sich als eigentliche Bedeu- tung des Satzes feriangniak takuv-a-ra: “Fuchs Gesicht-sein mein’ oder “Fuchs-sein-Gesieht [ist] meins’, d.h., da “Gesicht” nicht als ein vom Fuchs ausgehendes Sehen aufgefaßt werden darf, “Fuchs-seine-Er- scheinung [ist] meine’ oder in freierer Übertragung: “der Fuchs er- scheint mir”. Diese Art der Darstellung eines Vorgangs, zu der die weite Welt der Sprachen nicht wenige mehr oder minder genaue Entsprechungen liefert,‘ hat im vorliegenden Falle nichts Merkwürdiges an sich. Findet der Sachverhalt im angeführten Beispiele doch eine unanfecht- bar richtige realistische Schilderung. Das Objekt, das den mein Auge treffenden physikalischen Reiz ausübt, erscheint auch sprachlich als Ausgangspunkt, und ich, der ich von diesem Reiz betroffen werde, \ Studiet af et primitivt sprog S. 60 f. ® Vgl. besonders Heıwrıcn WInkter, Zur Sprachgeschichte (Berlin 1887) S. 75 ff.; Huco Scaucnarpr, Baskische Studien (Wien 1893) I 44; Über den passiven Charakter des Transitivs in den kaukasischen Sprachen, Wien 1895, und JÄschkE-Wenzer, Tibetan Grammar (London 1883) S. 40 f. u U U U 0 = Zu F.N. Fıner: Die Grundbedeutung des grönländischen Subjektivs. 285 erscheine auch sprachlich als Ziel. Wendungen wie das lateinische taedet me, das deutsche “es friert mich’ und ähnliche legen Zeugnis davon ab, wie natürlich diese Auffassung ist. Denn der Indogermane huldigt bekanntlich im allgemeinen einer durchaus anderen Anschau- ung. Wundersam mutet es uns nur an, daß sich diese Art der Dar- stellung im Grönländischen nicht auf den Kreis der Empfindungs- verben beschränkt, sondern allen eigen ist; aber es wundert uns auch nur, weil wir Indogermanen sind. Wir nehmen Anstoß daran, daß man sagt orssox nerivd “Speck-sein-Futter [ist] sein’ statt “er frißt den Speck’, aber die nicht weniger unrealistische Darstellung “er sieht den Blitz’ erregt kein Befremden. Bezeichnet also im Grönländischen das Wort, das die indoger- manische Sprache durch den Objektskasus wiedergeben muß, in Wahr- heit den Ausgangspunkt des im Satze geschilderten Vorgangs, so muß das, was wir durch den Subjektskasus übersetzen, Kremscamivrs Sub- jektiv, in Wahrheit eine Angabe des Ziels enthalten. Ein Satz, wie teriangniap orssok takuvd, “der Fuchs sieht (oder sah) den Speck’, würde sich also bei möglichst getreuer Wiedergabe der Grundbedeutung folgendermaßen gestalten: ‘Fuchs [= Ziel der im folgenden erwähnten Erscheinung] Speck-seine-Erscheinung seine [nämlich des Fuchses]’, d. h. ‘die Speckerscheinung [ist] Fuchs-seine’. Es fragt sich nun nur noch, ob dies heißt “der Speck erscheint dem Fuchs’, oder ‘die Speckerscheinung ist des Fuchses’, ob dieser Kasus des Ziels unserem Genitiv näher steht oder unserem Dativ. Denn irgend etwas anderes, etwa ein Terminalis oder sonst ein Kasus von ausgeprägt lokalem Charakter kann nicht in Frage kommen, da für die Darstellung derartiger Verhältnisse besondere Formen vorhanden sind. Im Hinblick auf Sätze, in denen der soeben als Kasus des Ziels bezeichnete Subjektiv den Besitzer andeutet, wie beispielsweise Zeri- angniap orssua ajorpok “des Fuchses Speck ist schlecht’, scheint auf den ersten Blick Byrses und TuaAusıtrzers Deutung als Genitiv fraglos die einfachste, natürlichste zu sein. Sein Gebrauch würde dann ziemlich genau der Verwendung des kasikumükischen (lakischen) auf / auslautenden Kasus entsprechen, wenn auch nieht ganz genau, wie H. ScuucHArpr angibt', und das schon deshalb nicht, weil der grönländische Subjektiv auch noch den kasikumükischen Dativ bei Empfindungsverben wiedergibt, der einen Form also zwei gegenüber- stehen. Ganz abgesehen davon nun aber, daß der kasikumükische auf / auslautende Kasus sich wahrscheinlich aus einem Instrumental ent- wickelt hat, dessen sonst unbesetzte Rolle er auch noch zuweilen ! Über den passiven Charakter des Transitivs in den kaukasischen Sprachen S. 21. 286 Sitzung der philosophisch historischen Classe vom 23. Februar 1905. übernimmt'!, kann er dem grönländischen Subjektiv auch hinsichtlich seiner Verwendung als Possessiv nicht gleichgestellt werden. Denn dem grönländischen Kasus kommt die possessive Bedeutung an sich überhaupt nicht zu. Sie wird vielmehr nur durch das auf den Sub- jektiv bezogene Suffix geschaffen. Man vergleiche das kasikumükische Ha gimi marıa Hacpyrın na) ıya nexjaa aymaniym iyuy ypi? “eines Tages kam der Molla Nasr-ed-din (A| „), spazieren gehend, an das Ufer eines Flusses’ mit dem grönländischen teriangniap orssu-a ajorpor ‘des Fuchses Speck ist schlecht’, d.h. “Fuchs Speck-sein ist schlecht’. Hätte teriangniap schon kraft seiner Form die possessive Bedeutung, die dem kasikumükischen vexjau in Verbindung mit dem folgenden Dativ eigen ist, so müßte Zeriangniap orssok in dem Satze teriangniap orssoK takuvd einen Sinn wie “des Fuchses Speck’ ergeben, der Satz also bedeuten “er sieht des Fuchses Speck’. Da dies aber nieht der Fall ist, so verliert auch die Deutung als Genitiv ihren eigentlichen Halt, und ınan wird — übrigens in Übereinstimmung mit den Erfahrungen, die auf Gebieten mit ähnlich- oder gleich- gearteten Verbalausdrücken gewonnen sind — den grönländischen Subjektiv für einen Dativ erklären müssen. Daß ein solcher in Ver- bindung mit einem Possessivpronomen auch die Darstellung eines Besitzverhältnisses übernehmen kann, liegt auf der Hand, und volks- tümliche Wendungen wie ‘dem Fuchs sein Speck’ für “des Fuchses Speck’ zeigen, wie nahe auch uns ein solcher Bedeutungsübergang liegt.” Auffälliger mag schon der Umstand erscheinen, daß der Dativ, so geeignet er offenbar ist, bei Empfindungsverben das Ziel anzu- geben, auch da fungiert, wo unserem Gefühl nach nur eine Andeu- tung des Urhebers am Platz ist. Aber Ziel und Urheber treten nach- weislich im sprachlichen Leben so leicht in Berührung miteinander, daß die Verallgemeinerung des ursprünglich nur eins von beiden be- dingenden Verbaltypus nicht wundernehmen kann. Das Georgische beispielsweise, das für die Bezeichnung des Urhebers und des Ziels je eine lautlich deutlich gekennzeichnete Form hat, macht die Ver- wendung desselben vom Tempus’ abhängig, so daß das, was im ! Husco SchucHArpr, Über den passiven Charakter usw. S.22. Man beachte auch den teilweisen Zusammenfall des Instrumentals und Genitivs im Tibetischen (Jäscuke-Wenzer, Tibetan Grammar S. 22). ° I. RK. Yerape, Jaxerih sasıRB. Iruorpaein Kasrasa. Hesıkosmanie. IV. (Tuzauen 1890) S. 216. ° Vgl. Heissıcn Wınkter, Germanische Kasussyntax (Berlin 1896) S. 544ff. * Vgl. hierzu und zu den entsprechenden Erscheinungen der verwandten Sprachen H. Scuuc#arpr, Über den passiven Charakter des Transitivs in den kaukasischen Sprachen S.34ff. Vgl. hinsichtlich des Tscherkessischen auch noch A. Jlonarunekiü, Tpanmarnueckis sambrkn. COopHuRB MaTepia1oB% za onucania MbCTHoCTen H ILIeMeH% Kassasa XXI (Tux.mer 1896), II, 302—327. eo F. N. Fınex: Die Grundbedeutung des grönländischen Subjektivs. 287 einen Falle als Urheber aufgefaßt wird, im anderen als Ziel darge- stellt werden muß. Um wieviel leichter kann sich da die Ver- schmelzung in einer Sprache vollziehen, bei der die lautliche Scheidung weniger scharf ist. Darf man also annehmen, daß der von Kreisscunmipr als Subjektiv bezeichnete Kasus ein Dativ ist, so müssen naturgemäß auch die mit ihm auf eine Linie gestellten subjektiven Suffixe als dativische Formen aufgefaßt werden. Kreısscumors zu einiger Berühmtheit gelangtes Walfischbeispiel arferup sarpi-ata umiap suju-a agtorp-d “der Schwanz des Walfisches berührte des Bootes Vorderteil’ würde also folgender- maßen aufzufassen 'sein: ‘Dem-Walfisch seinem-Schwanz [wurde] dem- Boot sein-Vorderteil seine-Berührung-seine’, d. h. “des Boot-Vorder- teils Berührung traf den Walfisch’. Ist die hiermit entwickelte Ansicht richtig, so liegt also im Grön- ländischen eine der indogermanischen Verallgemeinerung der Tatverben (‘ich töte ihn’, danach “ich sehe ihn’) ähnliche, aber eben bedeutend weitergehende, zur Alleinherrschaft führende Ausbreitung der Empfin- dungsverben (“er erscheint mir’, danach “er stirbt mir’) vor, die vor- stellbar bleibt, solange ein passendes Wort die Anschauung ver- mittelt (“er stirbt mir’ = “ich töte ihn’), darüber hinaus aber nur noch begriffen werden kann. Aber diese einseitige Weltanschauung kann nicht auffallen bei einem Volk, das infolge des ihm nun einmal zugefallenen Wohnsitzes die es umgebende Natur nieht in größerem Umfange dienstbar machen kann, das auf stets allen Zufällen preis- gegebener Jagd warten lernt, bis der als Nahrung dienende Seehund erscheint, und sich so daran gewöhnt, die ganze Welt aus dieser einseitigen Jägerperspektive anzusehen und alles Geschehen für ein ihm Widerfahren zu halten. Ausgegeben am 2. März. 289 SITZUNGSBERICHTE a DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. Hr. Fischer las: »Über das Verhalten verschiedener Poly- peptide gegen Pankreasferment«, das er in Gemeinschaft mit Dr. E. ABperuALDen untersucht hat. Die Prüfung von 12 synthetischen Polypeptiden, von denen 7 durch Pankreassaft gespalten werden, ergab, dass die Wirkung des Fermentes sowohl von der Natur der Aminosäuren als auch von der Structur und Configuration des Moleküls abhängig ist. 290 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 23. Februar 1905. Über das Verhalten verschiedener Polypeptide gegen Pankreasferment. Von Emır Fıscuher und EmiL ABDERHALDEN. Nach Beobachtungen von E.FıscHer und P. BererLu! zeigen die künst- lichen Dipeptide den Fermenten des Pankreas gegenüber scharfe Unter- schiede. Die einen, wie Glyeylglyein, werden nicht in nachweisbarer Menge angegriffen, während andere, wie das Glycyl-l-Tyrosin, da- durch eine rasche Spaltung in die Componenten erfahren. Besonders interessant gestaltete sich der Versuch beim racemischen Leucylalanin; denn die Hydrolyse erfolgt hier asymmetrisch, d. h. sie beschränkt sich auf den einen optisch-activen Componenten des Racemkörpers. Die Ausdehnung dieser Untersuchungen auf die complieirteren Poly- peptide wurde damals durch die schlechte Beschaffenheit des käuf- lichen Pankreasfermentes und die dadurch bedingte Schwierigkeit, die Producte der Hydrolyse zu isoliren, verhindert. Durch die Güte des Hrn. Prof. Pawrow in St. Petersburg sind wir inzwischen in den Besitz von reinem Pankreassaft, der von Hunden mittelst einer Pankreas- fistel entnommen war, gelangt, und wir haben mit Hülfe dieses über- aus wirksamen Fermentes eine ganze Reihe von Polypeptiden prüfen können. Wir fassen die Resultate in folgende kurze Übersicht zu- sammen: Hydrolysirbar Nicht hydrolysirbar Glyeyl-l-Tyrosin Leucylprolin Leueyl-1-Tyrosin Glyeylphenylalanin Dialanyleystin Glyeylglyein Dileueyleystin Diglyeylglyein *Alanylleueylglyein Triglyeyiglyein Tetraglyeylglyein Triglyeylglyeinester (Currıvs’ Biuretbase) ' Ber. d. D. cheın. Ges. 36, 2592 (1903) und 37, 3103 (1904). Fıischrr u. E. AppernaLoen: Über das Verhalten verschiedener Polypeptide. 291 Bei dem auf der linken Seite befindlichen, durch ein * markirten Alanylleueylglyein konnte asymmetrischer Verlauf der Hydrolyse fest- gestellt werden. Wie der Vergleich zwischen den beiden Reihen er- giebt, ist der Angriff des Pankreasfermentes durch recht verschiedene Ursachen bedingt. Von den Dipeptiden sind die Derivate des Tyrosins und Cystins leicht spaltbar, dagegen stehen auf der anderen Seite als nicht spaltbare Dipeptide Leueylprolin, Glycylphenylalanin und Glyeyl- glyein. Besonders interessant ist der Vergleich der verschiedenen Glyeinkörper. Glyeylglyein, Diglyeylglycin und Triglyeylglyein werden nicht angegriffen, während beim Tetraglyeylglyein eine unverkenn- bare Spaltung eintritt. Bemerkenswertherweise schliesst sich ihm die Biuretbase an, die nach den neuen Untersuchungen von Övrrıus' der Aethylester des Triglyeylelyeins ist. Auf die älteren Beobachtungen von Schwarzschirp” bezüglich der Spaltung dieser Base durch Trypsin werden wir später zurückkommen. Man ersieht aus diesem Vergleich, dass einerseits die Länge der Glycinkette, andererseits aber auch die Veränderung des Carboxyls von Einfluss auf die Hydrolyse sind. Neben diesen Momenten und der Qualität der einzelnen Aminosäuren spielt dann die Configuration des Moleküls eine wesentliche Rolle, wie das bei der asymmetrischen Natur des Fermentes leicht begreif- lich ist. Die Beobachtungen bestätigen auch unsere Erwartung, dass die Prüfung mit Pankreassaft ein Mittel sei, die grosse Zahl der künst- lichen Polypeptide in biologisch verschiedene Classen einzutheilen und dieser Vortheil wird noch mehr hervortreten, sobald es gelingt, eine grössere Zahl der optisch-activen Polypeptide in gleicher Weise zu untersuchen. Der uns von Hrn. Prof. Pawrow gelieferte Pankreassaft war durch die neue von Pawrow erfundene Fistel entnommen und daher frei von Darmsaft. Er war für den Transport mit einer geringen Menge Thymol versetzt. Bekanntlich ist der frische Pankreassaft anfangs hydrolytisch kaum wirksam. Er muss dann aetivirt werden. Wir haben zu dem Zwecke 5 Procent Darmsaft zugesetzt, der uns ebenfalls von Prof. Pawrow überlassen war. Um dem Einwande zu begegnen, dass durch den Zusatz des Darmsaftes andere hydrolytische Fermente in die Flüssigkeit gelangt seien, die möglicherweise die Hydrolyse der Polypeptide bewirken könnten, so haben wir für einige typische Fälle spontan activ gewordenen Pankreassaft benutzt und dabei die gleichen Resultate erhalten. Der verwendete Pankreassaft war eine wasserklare Flüssigkeit und enthielt im Cubikcentimeter 0°03—0%04 ! Ber. d. D. chem. Ges. 37, 1284 (1904). ® Beiträge zur chemischen Physiologie und Pathologie, 4, 155 (1903). 292 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 23. Februar 1905. Trockensubstanz, die zum Theil noch aus anorganischen Stoffen be- stand und wegen ihrer geringen Menge die Untersuchung der hydro- Iytischen Producte kaum erschwerte. Abgesehen von diesem Vortheil ist der Pankreassaft auch in Bezug auf den Gehalt an Ferment wohl einheitlicher als das käufliche Trypsin oder Pankreatin, die durch Auslaugen der Pankreasdrüse gewonnen werden, und die neben den tryptischen Enzymen auch autolytische enthalten können. Wir halten deshalb die mit dem Pankreassaft erzielten Resultate für eindeutiger und darum für biologisch interessanter. Mit Rücksicht auf die Mühe, die die Darstellung der künstlichen Polypeptide macht, haben wir nur verhältnissmässig kleine Mengen dieser Stoffe verwenden können. In Folge dessen war es nicht mög- lich, alle Producte der Hydrolyse zu isoliren. Wir haben uns des- halb in der Regel damit begnügt, das charakteristische Spaltproduet zu gewinnen. Die Einzelheiten der Beobachtung finden sich bei jedem Beispiel erwähnt. Spaltung des Glyceyl-l-Tyrosin.! com 1° Glyeyl-l-Tyrosin wurde in 20°" Wasser gelöst, mit 3°“ activirtem Pankreassaft versetzt und nach Zugabe von Toluol im Brutraum bei 36° aufbewahrt. Nach 8 Stunden zeigte sich bereits eine deutliche Trübung der Lösung und ein leichter Bodensatz, der nach ı2 Stunden sich stark vermehrt hatte. Nach 24 Stunden betrug die Menge des bei 100° ge- trockneten Niederschlages 0°. Das Filtrat gab nach weiterem Stehen im Brutraum eine neue, ziemlich beträchtliche Krystallisation, die nach 2 Tagen 0°25 wog. Aus der Mutterlauge konnten trotz erneutem Zusatz von Pankreassaft und achttägigem Stehen im Brutraum nur noch 0%°04 desselben Productes gewonnen werden. Das Rohtyrosin wurde durch Umkrystallisiren aus heissem Wasser unter Zusatz von etwas Thier- kohle gereinigt. 0°1768 Subst. gaben 0%0973 H,O und 0%°3874 CO, Berechnet für C,H,, NO, 59.66 Procent C und 6.07 Procent H Gefunden: 59.7 OT Die Ausbeute an reinem Product betrug 0%°62 oder 81.6 Procent der Theorie. Um das gleichzeitig entstandene Glykokoll nachzuweisen, wurde die vom Tyrosin abfiltrirte Lösung im Vacuum unterhalb 40° zur ' E. Fıscner, Ber. d. D. chem. Ges. 37. 2495 (1904). Vergl. auch E. Fıscher und P. Bereerr, Ebenda 37, 3104 (1904). FiscHer u. E. AnperHALDEn: Über das Verhalten verschiedener Polypeptide. 293 yp®] Trockene verdampft, und der Rückstand mit 3°" eiskaltem Wasser ausgelaugt. Beim Verdampfen des Filtrates blieben 0°28 zurück. Da dem Glykokoll noch amorphe Producte beigemengt waren, die die Krystallisation erschwerten, so diente zum endgültigen Nachweis sein Esterchlorhydrat. Es wurde deshalb die Masse gepulvert, mit 3°" absolutem Alkohol übergossen, und unter Eiskühlung mit Salzsäure- gas gesättig. Um die Veresterung zu vervollständigen, wurde zum Schluss die leicht getrübte Lösung noch ı-2 Minuten erwärmt und dann sofort wieder abgekühlt. Nach Impfen mit einem Kryställchen von Glykokollesterchlorhydrat schied die in einer Kältemischung stehende Lösung ziemlich rasch einen dicken Krystallbrei ab, der nach dem Absaugen, Waschen und Trocknen über Kalk und Schwefelsäure bei 144° schmolz und alle Eigenschaften des Glykokollesterchlorhy- drats besass. Seine Menge betrug 032 = 0°17 Glykokoll oder 54.8 Procent der Theorie. Leueyl-l-Tyrosin. Zur Verwendung kam das amorphe Präparat, dessen Einheitlich- keit nach der früheren Beschreibung’ nicht sichergestellt ist. 0%5 wur- den in 30°” Wasser gelöst und mit 2 bei 36° aufbewahrt. Nach 4 Tagen war eine reichliche Menge (025) von Krystallen abgeschieden, die nach dem Umkrystallisiren aus heissem Wasser o°15 ziemlich reines Tyrosin gaben. Die vom Tyrosin möglichst befreite Mutterlauge gab nach dem Verdünnen und Kochen mit Kupferoxyd ein in blassblauen Blättchen krystallisirendes Kupfer- salz, das die grösste Ähnlichkeit mit dem Leucinkupfer zeigte. ccm Pankreassaft sowie Toluol Dialanyleystin.’ Eine Lösung von 1° in 15°” Wasser, die mit Toluol und 4°" Pankreassaft versetzt war, zeigte nach ı2stündigem Stehen bei 36° be- reits einen deutlichen Bodensatz, und nach 4 Tagen betrug die Menge des krystallisirten Niederschlages 0°35. Das Filtrat gab nach: weiteren 5 Tagen im Brutraum noch o®ı und aus der etwa auf die Hälfte eingeengten Mutterlauge fielen beim Abkühlen noch o®1ı8 aus. Der Niederschlag bestand zum grössten Theil aus Cystin. Zur Reinigung wurde er in wenig warmem 10procentigem Ammoniak gelöst, und die erkaltete Flüssigkeit durch Essigsäure gefällt. Die Menge des so er- haltenen Cystins betrug 0®5 oder 79 Procent der Theorie. Die Rein- heit wurde durch eine Schwefelbestimmung festgestellt. ı E. Fischer, a. a. 0. S. 2498. ® E. Fıscher und U. Suzuxı, Ber. d. D. chem. Ges. 37, 4579 (1904). 294 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 23. Februar 1905. o®"2012 Subst. gaben 0%3915 BaSO, = 0%0538 S Berechnet für C,H,,N,S,0, 26.66 Procent S Gefunden: 26.74 Dileucyleystin.' Leider stand uns nur eine sehr geringe Menge Material zur Ver- fügung. Immerhin dürfte der Versuch in der Hauptsache entschei- dend sein. o®2 amorphes Leucyleystin in 10o“® Wasser gelöst und mit Toluol und 1°” Pankreassaft versetzt, gab bei siebentägigem Stehen bei 36° o®ı krystallinischen Niederschlag. Dieser wurde in der üb- lichen Weise gereinigt und so 0°o6 eines Präparats erhalten, das die charakteristische Krystallform und auch sonst die Eigenschaften des Cystins zeigte. Alanylleucylglyein. Die von Hrn. Brunser im hiesigen Institut dargestellte Verbin- dung ist racemisch und scheinbar einheitlich. Die Beschreibung ihrer Darstellung wird später erfolgen. Die Hydrolyse durch Pankreassaft erfolgt asymmetrisch, denn die Lösung wird im Laufe des Versuchs optisch stark activ und als Producte der Hydrolyse konnten einerseits d-Alanin und andererseits optisch actives Leucylglyein isolirt werden. Es scheint demnach, dass von dem Racemkörper nur die eine Hälfte durch Ferment angegriffen wird. Man müsste mithin als drittes Pro- duet der Hydrolyse ein optisch actives Alanylleucylglyein erwarten. Aus Mangel an geeigneten Trennungsmethoden ist uns aber die Iso- lirung dieses Körpers bisher nicht gelungen. 2° racemisches Tripeptid werden in 20°” Wasser gelöst, mit Toluol und 5°" Pankreassaft versetzt und 8 Tage im Brutraum auf- bewahrt. Die vom Toluol getrennte, kurz aufgekochte und filtrirte Lösung drehte dann im ı°®-Rohr 2°2 nach rechts. Sie wurde im Vacuum unterhalb 40° zur Trockne verdampft, und der Rückstand mit 4°” eiskaltem Wasser ausgelaugt. Das wässerige Filtrat hinter- liess beim Eindampfen 0°79, die jetzt nur mit 1°” eiskaltem Wasser verrieben wurden, wobei 0°5 in Lösung gingen. Der beim Ver- dampfen des Filtrats verbleibende Rückstand enthielt das durch die Hydrolyse entstandene d-Alanin. Für seine völlige Reinigung haben wir die Verwandlung in den Ester angewandt. Die trockene Sub- stanz wurde mit 1°”5 absolutem Alkohol zerrieben und durch Ein- leiten von trockenem Salzsäuregas bis zur völligen Lösung verestert. ! Emır Fıscher und U. Suzukı, a. a. O. S. 4580. ee u EEE Fıscuer u. E. AnpernaLden: Über das Verhalten verschiedener Polypeptide. 295 Diese Flüssigkeit gab auch bei längerem Stehen in einer Kältemischung und nach Einimpfen eines Kryställchens von Glykokollesterchlorhydrat nur eine äusserst geringe Abscheidung. Sie enthielt also jedenfalls nur Spuren von Glykokoll. Zur Isolirung des Alaninesters wurde die filtrirte Flüssigkeit im Vacuum bei 35° zur Trockne verdampft, und der Ester in der gewöhnlichen Weise, aber mit grosser Vorsicht in Freiheit gesetzt. Bei der kleinen Menge von Alaninester war die erhaltene ätherische Lösung sehr verdünnt. Da beim Abdampfen einer solchen Lösung ein erheblicher Theil des leicht flüchtigen Amino- esters mit übergeht, so haben wir diese Eigenschaft direet zur Reini- gung unseres Präparats benutzt. Wir verdampften nämlich die äthe- rische Lösung bei gewöhnlicher Temperatur unter stark vermindertem Druck und sorgten durch starke Abkühlung der doppelten Vorlagen mittels einer Kältemischung für möglichste Condensation des Destillats. Im Destillationsgefäss blieb unter diesen Bedingungen nur ein ganz geringer Rückstand, der aber noch deutlich nach Aminoester roch. Das ätherische Destillat wurde zur Isolir&ung des Alaninesters mit verdünnter Salzsäure sorgfältig durchgeschüttelt, und die salzsaure Lösung auf dem Wasserbad zur Trockne verdampft. Der Rückstand war salzsaures d-Alanin und wog 0°°2669 oder 55 Procent der Theorie, wenn man annimmt, dass nur die eine Hälfte des racemischen Tri- peptides völlig gespalten wird. 0°°2014 in 5°” Wasser gelöst, drehten im Decimeterrohr Natrium- licht 0°37 nach rechts, mithin [d]D = + 9°5. Aus dem salzsauren Salz wurde in der üblichen Weise durch Kochen mit Bleioxyd das freie Alanin bereitet. Es zeigte bei raschem Erhitzen den Schmelz- und Zersetzungspunkt 296° (corr.) und die Zusammensetzung des Alanins: 0°1317 Subst. gaben 01959 CO, und 0°%0953 H,O. Berechnet für C,H,NO, 40.45 Procent © und 7.87 Procent H Gefunden: 40.56 8.04 Die durch Auslaugen mit 4°” eiskaltem Wasser von d-Alanin be- freite Masse enthielt das Dipeptid und noch andere stark active Sub- stanzen, wahrscheinlich das active Tripeptid. Als die ganze Menge nämlich in 30°" Wasser gelöst war, drehte diese Flüssigkeit im r""- Rohr ı°2 nach rechts. Wir haben uns damit begnügt, aus dem Ge- menge das Leuceylglyein zu isoliren. Zu dem Zwecke wurde das trockene Gemisch bei gewöhnlicher Temperatur mit 4°" Wasser sorgfältig aus- gelaugt, wobei der grössere Teil in Lösung ging. Der Rückstand ent- hielt das gesuchte Dipeptid. Er wurde in wenig heissem Wasser gelöst, die Flüssigkeit dureh Aufkochen mit Thierkohle entfärbt, und das Sitzungsberichte 1905. 28 296 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 23. Februar 1905. Filtrat eingedampft. Der Rückstand wog 0°1613 und zeigte ungefähr die speeifische Drehung —3°7. Er wurde nochmals in wenig heissem Wasser gelöst, und die Flüssigkeit im Exsiecator eingeengt. Dabei schied sich die Substanz als farbloses, krystallinisches Pulver ab. Nach der Analyse ist das Product ein Leueylglyein: 0°1406 Subst. gaben 0°2616 CO, und 0%1077 H,O Berechnet für C,H,,.O,N, 51.06 Procent C und 8.51 Procent H Gefunden: 50.74 8.51 Allerdings ist es fraglich, ob wir das Product bei der geringen Menge und der unvollkommenen Art der Isolirung ganz rein gehabt haben. Im Capillarrohr rasch erhitzt, begann das Präparat gegen 228° zu sintern, färbte sich dann braungelb und schmolz unter starkem Auf- schäumen bis gegen 238° (corr. 246°). Die geschmolzene Masse er- starrte beim Erkalten zu mikroskopisch feinen Nädelchen, die wahr- scheinlich das Anhydrid des Dipeptides sind. Polypeptide des Glykokolls. Untersucht wurde Di-, Tri-, Tetra- und Pentapeptid sowie der Aethylester des Tetrapeptids (Biuretbase von Tin. Currıus). Eine sicht- bare Veränderung war nur bei den beiden letzten Substanzen zu er- kennen. Als specielle Probe haben wir zum Nachweis der Hydrolyse die Isolirung des Glykokolls als Esterchlorhydrat benutzt. Triglyeylglyeinäthylester (Biuretbase von ÜCvurrivs). Das Verhalten der Base gegen Trypsin ist bereits von M. Scnwarz- scuirp' untersucht worden. Er fand, dass bei der Einwirkung des Fer- mentes die Biuretreaction verschwand, und dass dann in der Flüssig- keit Glykokoll enthalten war. Er glaubte ferner die Base als den Aethyl- ester des Hexaglyeylglyeins betrachten zu dürfen. In einer kurzen Kritik der Versuche und Schlussfolgerungen von SchwarzschiLn hat der eine von uns in Gemeinschaft mit Berserr? darauf aufmerksam gemacht, dass die Structur der Base auch durch die Versuche von SCHWARZ- scHıLp keineswegs festgestellt sei, und dass durch den Nachweis des Glykokolls die Hydrolyse der Base nicht bewiesen werde, da diese nach den älteren Versuchen von Currıus und GoEBEL selbst leicht in Glykokoll verwandelt werden könne. Inzwischen hat Ta. Currıus’ ge- Era): ® Ber. d. D. chem. Ges. 36, 2607 (1903). * Ber. d. D. chem. Ges. 37, 1234 (1904). Fiscner u. E. Appernatden: Über das Verhalten verschiedener Polypeptide. 297 zeigt, dass die reine Biuretbase der Aethylester des Triglyeylglycins ist, und dass das von ScnwarzscnıLn benutzte Präparat sehr stark mit Glyeinanhydrid verunreinigt war. Unter diesen Umständen schien eine Wiederholung des hydrolytischen Versuches unter Anwendung von Pan- kreassaft wünschenswerth. 1° Base, die nach der neuen Vorschrift von Currius hergestellt war, wurde in 30°" Wasser gelöst, mit Toluol und 4°" Pankreassaft ver- setzt und im Brutraum aufbewahrt. Nach 14 Tagen war die Biuret- reaction noch deutlich vorhanden. Im Laufe der dritten Woche wurde sie aber schon recht schwach und nach vier Wochen war sie eben noch walhrnehinbar, während eine Controlprobe der Base ohne Ferment bei gleicher Behandlung nach sechs Wochen noch sehr starke Biuret- reaction zeigte. Wenn ScnwarzscuiLn bei seinen Versuchen die Biuret- reaction schon am 5. oder 6. Tage verschwinden sah, so liegt dies vielleicht an der grösseren Menge oder auch an der verschiedenen Be- schaffenheit seines Fermentes, das aus Rinderpankreas nach 5—6- tägiger Autodigestion gewonnen und mittels der Uranylacetat-Methode gereinigt war, aber vielleicht trotzdem neben den pankreatischen auch autolytische Fermente enthielt. Zum Nachweis des Glykokolls wurde die biuretfreie Flüssigkeit vom Toluol getrennt, kurz aufgekocht, filtrirt, dann unter stark ver- mindertem Druck unterhalb 40° zur Trockne verdampft, und der Rück- stand mit 2°” eiskaltem Wasser sorgfältig ausgelaugt. Beim Verdunsten hinterliess diese Lösung 0°354 Rückstand. Er wurde gepulvert, mit 3°” absolutem Alkohol versetzt und durch Einleiten von trockenem Salzsäuregas anfangs unter Kühlung bis zur Sättigung verestert. Da ein geringer Rückstand blieb, so wurde die alkoholische Lösung fil- trirt. Beim längeren Stehen des Filtrates in einer Kältemischung nach Impfung mit einem winzigen Kryställchen von Glykokollesterchlorhy- drat begann eine reichliche Krystallisation, die nach ı2 Stunden ab- filtrirt und mit kaltem Alkohol gewaschen 0°2045 betrug und nach dem Schmelzpunkt 142° und den sonstigen Eigenschaften salzsaurer Glykokollesterchlorhydrat war. Unsere Resultate bestätigen also die Beobachtungen von ScHwAarz- scHiLp über die Zerstörung der Biuretbase durch das Pankreasferment und geben ausserdem den sicheren Beweis, dass dabei Glykokoll entsteht. Allerdings ist seine Menge so gering, dass als Haupt- product andere Substanzen entstehen müssen. In der That bleibt beim Auslaugen des Glykokolls mit eiskaltem Wasser ein erheb- licher Rückstand, der uns aus den abiureten Polypeptiden des Gly- kokolls zu bestehen scheint, den wir aber noch nicht genügend unter- sucht haben. 298 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 23. Februar 1905. Tetraglyeylglyein.' Das Pentapeptid ist in kaltem Wasser so schwer löslich, dass wir für den Versuch eine nur Iprocentige Lösung anwenden mussten. 100°" davon blieben mit 4°" Pankreassaft und mit Toluol im Brut- 'aum bei 36° stehen. Nach 3 Wochen war die Biuretreaction zwar noch nicht vollständig verschwunden, aber doch sehr viel schwächer geworden als die der Controlprobe oder einer frischen Iprocentigen Lösung des Pentapeptids. Die Flüssigkeit wurde nun zum Nachweis des Glykokolls genau in derselben Weise behandelt wie im vorigen Beispiel. Die Menge der in 2°” eiskaltem Wasser löslichen Substanz betrug 0°3122, und daraus wurden 0°3014 Glykokollesterchlorhydrat vom Schmelzpunkt 144° gewonnen. 0%°1976 Subst. gaben 02500 CO, und o®1290 H,O Berechnet für C,H.NO,0l: 34.43 Procent C und 7.18 Procent H Gefunden: 34.50 7625 Die übrigen Producte der Hydrolyse sind auch hier noch nicht genügend untersucht. Die drei anderen oben erwähnten Polypeptide des Glyeins zeigten unter ähnlichen Bedingungen keine nachweisbare Hydrolyse. Am sorg- fältigsten sind die Versuche mit dem Tetrapeptid” ausgeführt, weil dieses einerseits die der Biuretbase entsprechende freie Säure ist und andererseits auch wie jene die Biuretreaction giebt. Wegen der geringen Löslichkeit konnte nur eine 2$procentige Lösung verwendet werden. Wir haben drei Versuche ausgeführt mit einer Lösung von je ı® Triglyeyl- glyein in 40°” Wasser, die mit Toluol und 3°“ Pankreassaft versetzt war und bei 36° aufbewahrt wurde. Bei der ersten Probe wurde die Flüssig- keit nach 10 Tagen untersucht. Die beiden anderen blieben je 4 Wochen im Brutraum stehen. Nach dieser Zeit war die Biuretreaction der Flüssigkeit nicht merklich vermindert, und es gelang auch nicht, nach lem oben angegebenen Verfahren in der Flüssigkeit Glykokoll nach- zuweisen, denn es entstand bei der Veresterung nur eine äusserst ge- ringe Menge einer Abscheidung, die nieht einmal eine Schmelzpunkt- bestimmung gestattete. Jedenfalls war der allergrösste Theil des Tetra- peptids unverändert. Beim Glyeylglyein ist die Resistenz -gegen das gewöhnliche käufliche Trypsin schon früher” beobachtet worden. In Übereinstim- mung damit steht das Verhalten gegen Pankreassaft. Eine Lösung ‘ E. FıscHer, Ber. d. D. chem. Ges. 37, 2507 (1904). * E. Fıscner, Bericht d. d. chem. Ges. 37, 2501 (1904). ® E. Fıscner und P. Berserr, Ebenda 36, 2598 (1903). Fischer u. E. Arpernanden: Über das Verhalten verschiedener Polypeptide. 299 pe von 1° in 25°" Wasser wurde mit 3°” Pankreassaft und Toluol versetzt. Nach ı4tägigem Stehen bei 36° war keine wägbare Menge von Glyko- koll nachweisbar. Ebenso negativ war das Resultat beim Diglyeylglyein', wo eine Lösung von I® in 35°“ cem Wasser mit Toluol und 3 Pankreas- saft 14 Tage im Brutraum gestanden hatte. Glyeylphenylalanin. Angewandt 1° Dipeptid, 20°" Wasser, 3°" Pankreassaft und To- luol. Nach vierwöchigem Stehen bei 36° zeigte die Lösung keine Drehung des polarisirten Lichtes. Sie wurde dann im Vacuum zur cem Trockne verdampft und der Rückstand mit 2°" eiskaltem Wasser ausgelaugt. Diese Lösung hinterliess beim Verdampfen 0°1902 Rück- stand, aus dem kein Glykokollesterchlorhydrat gewonnen werden konnte. Es war also keine nachweisbare Hydrolyse eingetreten. Racemisches Leuceylprolin. Eine Lösung von 1° in 10°" Wasser blieb nach Zusatz von To- luol und 3 Flüssigkeit keine Drehung des polarisirten Lichtes, und eine Probe cem Pankreassaft bei 36° stehen. Nach 3 Wochen zeigte die blieb nach dem Kochen mit Kupferoxyd völlig farblos. Damit ist unzweideutig bewiesen, dass keine Hydrolyse des Dipeptides statt- gefunden hatte, denn die Spaltungsproducte, die dabei entstehen müssten, Leuein und Prolin, geben beide stark blau gefärbte Kupfer- salze. Die ursprüngliche Flüssigkeit wurde dann nochmals mit 3°” Pankreassaft versetzt und wiederum 3 Wochen im Brutraum aufbe- wahrt. Auch jetzt blieb die Kupferprobe negativ, und man kann deshalb sagen, dass das Dipeptid von dem Pankreassaft gar nicht angegriffen wird. Ob das an der eigentümlichen Struetur der Ver- bindung liegt, die wahrscheinlich auch das abweichende Verhalten gegen Kupferoxyd bedingt, oder ob ihr stereochemischer Aufbau dem Ferment nicht passt, müssen wir vor der Hand unentschieden lassen. denn das zweite von der Theorie vorgesehene stereoisomere Leucyl- prolin ist noch unbekannt, und man kann a priori über sein Ver- halten gegen Pankreasferment nichts sagen. Positive Zeichen der Hydrolyse durch Pankreasferment haben wir noch beim racemischen Leucylisoserin und dem racemischen Leu- ı - ü. Fischer, Ebenda 36, 2983 (1903). ®° H. Levens und U. Suzuxı, Ber. d. D. chem. Ges. 37. 3313 (1904). ® E. Fischer und Emm ARDERBALDEN, ebenda 37, 3074 (1904). Sitzungsberichte 1905. 29 300 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 23. Februar 1905. eylglyeylglycin! beobachtet, denn hier wird die Flüssigkeit beim längeren Stehen mit dem Ferment ziemlich stark optisch activ. Da aber die Producte der Hydrolyse noch nieht isolirt sind, so können wir den Versuch nicht als abgeschlossen betrachten. Auffallend ist, daß im Gegensatz zu dem vorgenannten Tripeptid das so ähnlich zu- sammengesetzte Dileueylglyeylglyein’ bei der Behandlung mit dem Ferment keine optisch active Lösung gab, und demnach wahr- scheinlich nicht angegriffen war. Über diese Beobachtungen und das Verhalten mancher anderer künstlicher Polypeptide gegen das Pankreasferment werden wir in einer zweiten Mittheilung berichten. ı E. Fıscuer, Ber. d. D. chem. Ges. 36, 2990 (1903). ® Derselbe, ebenda 37, 2506 (1904). Ausgegeben am 2. März. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. SITZUNGSBERICHTE KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. XL XI XI. 2. 9. März 1905. BERLIN 1905. _ VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. In’ oN Auszug aus dem Reglement für ‚die Re $ı. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach‘ jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch- mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. 82. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. $5. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Seceretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Secretar führt die Oberaufsicht über die Redac- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. iS 6. l. Für die Kubahme: einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $41, 2 Jer Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschnitten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- Redaction der »Sitzungsberichte«. öffentlichen RD als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt - Akademie oder der betreffenden Classe. ? j N 8. 5. Auswärts werden Correeturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damıt auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. s $1l. 12 Der Verfasser einer unter den . Wissenschaftlichen r ? Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberichte. mit Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter der AI der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. . Bei Mittheilungen,, die mit dem Kopf der Sitzungs- 7 iR und einem angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied. der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- .r hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver . theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rec] tzeitig. dem Sören Seeretar angezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung. der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 2 Exem- plare auf ihre Kosten. abziehen lassen ;- s 28. er x 1. Jede zur Aufnahme in. die | Seine ber Ei stimmte Mittheilung. muss in einer akademischen ‚Sitzung. vorgelegt werden. Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes. zu benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger ‚oder corre- spondirender Mitglieder direet bei ‚der Akademie oder bei einer der Classen eingehen, so "hat ‚sie er vorstende Secretar selber oder durch ein ‚anderes "Nitglied Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeignet scheinenden Mitgliede zu überweisen. % [Aus Stat. $ 41,2. — Für die Aufnahme bed einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, sobald das Manuseript druckfertig Mae] \ gestellt und sogleich zur Abstimmung. apbuche) werden, 1u% $.29. Ye einer ausdrücklichen Genehmigung ‚der A ıdemie oder Abwesende Mitglieder, sowie alle zum Feen Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der $ " ei 1. Der revidirende Seeretar ist für den Me I : itzungsberichte, jedoch. nicht geschäftlichen Theils der Si für die darin aufgenommenen. kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. "Für diese wie für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte sind nach jeder Richtung. nur e> N verant- wortlich. ® Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte- an diejenigen Stellen, mit denen sie San wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich: $ die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, ? » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, } » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres nach Fertgsilung de Rays + A zu De ee u 301 SITZUNGSBERICHTE 1905. X1. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 2. März. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. *]. Hr. Mürter-Brestau las Beiträge zur Lehre vom Gleich- gewicht sandförmiger Massen. Es wird ein einfaches Näherungsverfahren zur Bestimmung des Drucks an ge- krümmten Gleitflächen angegeben und zur Berechnung des Erddrucks auf Stützmauern verwerthet. Daran schliessen sich Mittheilungen über Versuche, die Gestalt der Gleit- fläche photographisch zu bestimmen. 2. Hr. Dırrurr legte eine erste Studie zur Grundlegung der Geisteswissenschaften vor. (Ersch. später.) Dieselbe behandelt zunächst Aufgabe, Methode und Anordnung der Grundlegung, dann erörtert sie weiter deseriptive Vorbegriffe, die für die Theorie des Wissens er- forderlich sind, und hiernach entwickelt sie die allgemeinen Eigenschaften des psychischen Structurzusammenhangs. 3. Die Akademie genehmigte die Aufnahme einer in der Sitzung der philosophisch historischen Classe vom 23. Februar 1905 von Hrn. Sıcnau vorgelegten Abhandlung: »Die arabischen Lehrbücher der Augenheilkunde. Ein Kapitel zur arabischen Litteraturgeschichte. Unter Mitwirkung von J. Lirvertr und E. Mırrwoch bearbeitet von J. Hırschgere.« in den Anhang zu den Abhandlungen 1905. Auf Grund der vorhandenen gedruckten und handschriftlichen Litteratur wird das ophthalmologische Wissen und Können der Araber zunächst in seiner Abhängig- keit von den Griechen, sodann in seiner besonderen nationalen Entwiekelung unter- sucht und dargelegt. Von etwa dreissig Lehrbüchern der Augenheilkunde aus der arabischen Litteratur, über die wir Nachricht haben, sind die folgenden dreizehn erhal- ten und in der Arbeit berücksichtigt worden: ı. Hunain’s Bücher vom Auge (Bagdad, gegen 870u.Z.); 2. “Ali b. Isa’s Erinnerungsbuch (Bagdad, nach 1000); 3. “Ammär’s Auswahl (Aegypten, um das Jahr 1000); 4. Zarrin-dast’s Licht der Augen (Persien, um 1088); 5. Gäfigi’s Führer in der Augenheilkunde (Spanien, r2. Jahrh.); 6. Alcoati. vom Auge (Spanien, 1160); 7. und 8. Anonym. I. Escor. Cod. 876; Anonym. Il. Escor. Cod. 894; 9. Qaisi’s Ergebniss (Aegypten, um 1250); ro. Halifa’s Genügendes von der Augenheilkunde (Syrien, 1256); ır. Saläh ad-din’s Licht der Augen (Syrien, * erscheint nicht in den akademischen Schriften. Sitzungsberichte 1905. E 30 302 Gesammtsitzung vom 2. März 1905. 1296); ı2. Sams ad-din’s Aufdeckung (Aegypten, gegen 1348); 13. Sädili’s augen- ärztliche Stütze (Aegypten, nach 1350). 4. Folgende Druckschriften wurden vorgelegt: von Hrn. MüLLer- Brestau seine Werke: Die neueren Methoden der Festigkeitslehre und der Statik der Baukonstruktionen. 3. Aufl. Leipzig 1904; Die gra- phische Statik der Baukonstruktionen. Band ı. 4. Aufl. Stuttgart 1905; Beiträge zur Theorie der Windverbände eiserner Brücken. I. II. Berlin 1904. 05. Sep.-Abdr.; vom Vorsitzenden: J. Tuomsen, Syste- matisk gennemforte termokemiske Undersogelsers numeriske og teo- retiske Resultater. Kobenhavn 1905, und das mit Unterstützung der Akademie erschienene Werk: A. HasengacH und H. Koxen, Atlas der Emissionsspektren der meisten Elemente. Jena 1905. 5. Die Akademie hat durch die physikalisch-mathematische Classe Hrn. Prof. Dr. Warruer Berer in Dresden zu einer geologisch-petro- graphischen Untersuchung des »Hohen Bogens« bei Furth im Bayeri- schen Walde 750 Mark und durch die philosophisch-historische Classe Hrn. Prof. Dr. Hays Grasau in Marburg für einen Aufenthalt in Paris zur Fortsetzung seiner Forschungen über Ludwig XVI. und die fran- zösische Revolution 1000 Mark bewilligt. Se. Majestät der König haben den Secretaren der Akademie gol- dene Ehrenketten, welche als Amtsauszeichnungen getragen werden sollen, verliehen. Diese Ehrenketten wurden von Sr. Excellenz dem vorgeordneten Minister Hrn. Dr. Stunt bei Eröffnung der Festsitzung zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät und des Frıerprıcns-Tages am 26. Januar d. J. der Akademie mit einer Ansprache übergeben. Der vorsitzende Secretar drückte den Dank der Akademie für diesen aber- maligen Beweis Königlicher Huld und Gnade aus, auf den er nachher noch in seiner Festrede Bezug nahm, und dankte auch Sr. Excellenz für die bei diesem Anlasse der Akademie bewiesene warme Antheilnahme. Se. Majestät der Kaiser und König haben darauf am 20. Februar dem Secretariate die aus diesem Anlass erbetene Audienz ertheilt und den Dank der Akademie huldvollst entgegenzunehmen geruht. Die Akademie hat in der Sitzung am 16. Februar den Professor an der Universität Marburg Dr. Bexepicrus Nıese und den Professor an der Universität Leipzig Geheimen Hofrath Dr. Lupwıe MiırtEis zu eorrespondirenden Mitgliedern der philosophisch-historischen Classe gewählt. Ausgegeben am 16. März. 303 SITZUNGSBERICHTE 1905. xn. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 9. März. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. *]. Hr. Vocer las über im verflossenen Jahre auf dem Astrophy- sikalischen Observatorium zu Potsdam ausgeführte Untersuchungen an den speetroskopischen Doppelsternen Algol und Mizar, sowie über neuere Untersuchungen im Laboratorium über die Spectra seltener Erden. Die Beobachtungen an Algol und Mizar führten zu Resultaten, die sich in voll- kommenem Einklange mit den in den Jahren 1889 bez. ıgor in Potsdam erhaltenen befanden. 2. Hr. van'r Horr legte einen weiteren Beitrag zu seinen Unter- suchungen oceanischer Salzablagerungen vor. XLI. Die Bil- dungstemperatur des Kaliumpentacaleiumsulfats. Gemeinschaftlich mit Hrn. Vorrman und Braspare wurde die Bildungstemperatur des Kaliumpentacaleiumsulfats aus Syngenit und Gips auf 32° festgestellt. Diese Tem- peratur wird durch die begleitenden Salze bei natürlicher Bildung derart herabgesetzt, dass voraussichtlich diese noch nicht als Mineral aufgefundene Verbindung überall dort auftritt, wo Syngenit und Gips bez. Anhydrit sich zu einander gesellen. 3. Hr. Voczr legte vor eine Mittheilung des Hrn. Prof. Harrmann in Potsdam »Über monochromatische Aufnahmen des Orion- nebels«. (Ersch. später.) Dem Verf. ist es gelungen, auf Grund speetroskopischer Beobachtungen durch Verwendung passender Farbenfilter photographische Aufnahmen des Orionnebels her- zustellen, die den Beweis liefern, dass die in dem Nebel anzutreffenden Stoffe nicht in allen Theilen des Nebels gleichmässig vertheilt sind. 4. Hr. Kontrauscn legte eine Arbeit der HH. L. Horsorv und F. Hexsıne in Charlottenburg vor: Über die Lichtemission und den Schmelzpunkt einiger Metalle. Für Platin, Gold und Silber wurde in weiten Temperaturgrenzen das Absorp- tionsvermögen dieser Metalle im sichtbaren Gebiet von der Temperatur unabhängig * erscheint nieht in den akademischen Schriften. 30° 304 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. März 1905. gefunden. Auf Grund dieses Ergebnisses, welches die Photometrirung hoher Tempe- raturen vereinfacht, werden die Schmelzpunkte von Platin und Palladium neu be- stimmt. 5. Vorgelegt wurden die Lieferungen 17 bis 30 des Werkes: Die Schmetterlinge Europas. Von ARNOLD SPULER, sowie desselben Werk: Die Raupen der Schmetterlinge Europas. Stuttgart 1903—05. Der Verfasser ist für diese Studien von der Akademie unterstützt worden. 305 Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der ozeanischen Salzablagerungen. XLI. Die Bildungstemperatur des Kaliumpentacaleiumsulfats. Von J. H. van’r Horr, G. L. VoerMmAn und W. C. BLAspALe. een: das Auftreten der Kalksalze in den Salzablagerungen eine Temperaturandeutung enthält, ist schon für Tachhydrit und Anhydrit festgestellt. Ersterer bildet sich aus Caleium- und Magnesiumchlorid bei 22°, unabhängig von den begleitenden Salzen'; letzterer aus Gips bei 60°, welche Temperatur jedoch stark von den begleitenden Salzen beeinflußt wird, so daß Chlornatrium allein dieselbe schon auf 35° herabdrückt, Chlormagnesium weit unterhalb 0°” Vom Syngenit hat sich inzwischen gezeigt, daß derselbe auch ohne begleitende Salze von den tiefsten Temperaturen an aus Gips und Kaliumsulfat entsteht und sein Auftreten also keine Temperaturandeutung enthält. Das vor kurzem beschriebene Kaliumpentacaleiumsulfat® zeigt dagegen eine Bil- dungstemperatur unweit 32°, wie aus den nachstehenden Versuchen hervorgeht. Die Entstehung vollzieht sich nach der Gleichung: K,Ca(SO ),H,O + 4CaSO,- 2H,O = K,Ca, (SO );H,O + 8H,O aus Syngenit und Gips unter Wasserabspaltung und wurde bei einer früheren Gelegenheit noch bei 83° von Geieer beobachtet‘, während bei gewöhnlicher Temperatur, allerdings langsam, das umgekehrte stattfindet. Zwischen beiden liegt also die zu bestimmende Um- wandlungstemperatur. Die Anwendung des Dilatometers erlaubte schon, die Grenzen be- deutend einzuschränken. Beschiekt mit einer Mischung von Syngenit Diese Sitzungsberichte 1897, 508. Zeitschr. für physik. Chemie (1903) 45, 257- Diese Sitzungsberichte 1904, 935: Darstellung und Bildungsverhältnisse des Krugits, Inauguraldissertation, Berlin er 1904. 306 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. März 1905. und Gips (am besten in der reaktionsfähigen Form, wie man den- selben aus Alabastergips und überschüssigem Wasser erhält) im Mole- kularverhältnis 1:4, unter Zusatz von einer kleinen Menge Pentasulfät, und mit einer Lösung 1000H,03.5K,SO, (welche bei 25° mit Gips und Syngenit in Gleichgewicht ist!; bei 60° steigt das Kaliumsulfat auf 5 Mol.) als Sperrflüssigkeit, zeigte sich die Pentasulfatbildung durch eine bedeutende Ausdehnung. In der bekannten Weise arbei- tend, war es dadurch möglich, die gesuchte Temperatur zwischen 25° und 50° einzuschränken: bei 50° Niveausteigung von 2”” in 50 Stunden; » 25° Niveausenkung von 2"”5 » 33 » Da ohne sehr bedeutenden Zeitaufwand weitere Einschränkung der Temperaturgrenzen nicht möglich war, wurde als zweite Methode die Löslichkeitsbestimmung benutzt, die sich in diesem Fall sehr einfach gestaltet. Die beiden Lösungen nämlich, gesättigt an Pentasulfat und, einerseits Gips, andererseits Syngenit, die bei der Umwandlungstempe- ratur zusammenfallen, sind Lösungen von Kaliumsulfat neben un- wesentlichen Gipsmengen. Bei 33° liegen dieselben nach den erwähn- ten Versuchen von GEIGER ziemlich auseinander: Pentasulfat und Gips (Anhydrit): 1000H,01.3K,SO,; Pentasulfat und Syngenit: 1000H,09.9K,SO,. Bei 60° fanden wir dann: Pentasulfat und Gips: 1000H,0 2.4K, SO, ; Pentasulfat und Syngenit: 1000H,06.8K,S0O,. Die Werte sind also einander bedeutend nähergerückt, und eine Extrapolation zeigt, daß die gesuchte Temperatur noch unterhalb 40° liegt, was der direkte Versuch bestätigte: Pentasulfat und Gips: 1000H,0 3.5K,SO, ; Pentasulfat und Syngenit: 1000H,04.4K,SO,. Die Temperatur, bei der die Lösungen zusammenfallen, ließ sich dann sehr scharf mit dem Bremer-Froweısschen Differentialtensimeter feststellen. Offenbar handelt es sich ja um zwei Kaliumsulfatlösungen, deren Zusammensetzung bei einer zwischen 40° und 25° liegenden Temperatur gleich wird, und beim Überschreiten dieser Temperatur- grenze einen Unterschied im umgekehrten Sinne zeigt, falls es gelingt, den Zerfall des Pentasulfats vorzubeugen, was bei der großen Zähig- ! Diese Sitzungsberichte 1900, 1143. van’r Horr: Öceanische Salzablagerungen. XLI. 307 keit dieses Körpers ohne weiteres geschieht. Diese Erscheinung muß sich in den Tensionen wiederspiegeln. So wurde dann das Differentialtensimeter, einerseits mit Penta- sulfat und Gips, andererseits mit Pentasulfat und Syngenit, beschickt, beiderseits angefeuchtet mit einer Lösung 1000H,04K,SO,, unter An- wendung von Paraffinöl als Meßflüssigkeit. Die erwartete Erscheinung zeigte sich sehr scharf durch einen Überdruck von mehreren Zenti- metern in entgegengesetztem Sinne, je nach der Temperatur. Gleich- heit besteht zwischen 31° und 32°, wie aus nachstehenden Zahlen hervorgeht: mm bei 31°1 Überdruck an der Syngenitseite von 4"”5; x 3202 » » » Gipsseite Von one: Das Tensimeter war auch nach längerer Zeit noch im gleichen Zu- stand, und ein paar Monate nach der obigen Bestimmung wurde mit demselben 31°8 als Umwandlungstemperatur festgestellt. Die Löslichkeitsbestimmung entsprach dem Ergebnis des Tensi- meterversuchs vollständig, indem die Löslichkeit von Pentasulfat, Syn- genit und Pentasulfat, Gips (sowie auch Syngenit, Gips) bei 3198 den- selben Wert 1000H,0 3.7K,SO, aufweist. Um den Einfluß anderer Salze auf diese Umwandlungstemperatur vollständig übersehen zu können, ist nunmehr die Gleichgewichtstension in der Umwandlung: K,Ca(SO,),H,0+4CaSO,- 2H,0 = K,Ca, (SO,),H,0+8H,0 ermittelt. Für die Umwandlungstemperatur entspricht derselben die Tension der erwähnten Kaliumsulfatlösung. Letztere wurde deshalb bestimmt. Die dazu verwendeten Tensimeter enthielten einerseits Wasser, andererseits bzw. Pentasulfat, Syngenit und Pentasulfat, Gips, ange- feuchtet mit der letzterwähnten Kaliumsulfatlösung. Bei 31°8 wurde eine Tensionsdifferenz von bzw. 4”"5 und 4""4 Paraffinöl beobachtet, was beim spezifischen Gewicht 0.86 des letzteren bei 3198, in Queck- silber NO mung 15-59 mm entspricht. Indem die Tension des Wasserdampfs 34"”97 bei 31°8 beträgt, ist die gesuchte Gleichgewichtstension bei der erwähnten Tem- peratur 34”°7. Zum selben Schluß führt eine Rechnung, welche nach Raourr die Tensionserniedrigung ergibt, unter Berücksichtigung, daß der i-Wert 308 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 9. März 1905. für die betreffende Kaliumsulfatlösung nach dem Gefrierpunkt 2.2 beträgt': SA SMS - —08218 IOOO Um auch bei einer zweiten Temperatur diese Gleichgewichtstension und so durch Rechnung für zwischenliegende Temperaturen kennen zu lernen, wurde die Umwandlungserscheinung bei einer durch einen Fremd- körper veranlaßten tieferen Umwandlungstemperatur verfolgt; als solcher zeigte sich Weinsäure geeignet. Ein Differentialtensimeter, in der früheren Weise beschickt, unter Zusatz von Weinsäure und angefeuchtet mit gesättigter Weinsäurelösung in den beiden Abteilungen, zeigte einen Tensionsschnittpunkt, also eine Umwandlungstemperatur, bei — 222. Die Tension der Lösung bei dieser Temperatur wurde bestimmt, indem einerseits ein Tensimeter mit der obigen Füllung gegen Phos- phorpentoxyd, andererseits ein mit Wasser gegen Phosphorpentoxyd beschickt wurde, mit Paraffinöl als Meßflüssigkeit. Der Quotient beider Tensionen zeigte sich zwischen 8° und 0°3 von der Temperatur un- abhängig als 1.36. Indem die Tension des Wassers 3"”9 bei —2°2 beträgt, ist die gesuchte Gleichgewichtstension: Um auch für andere Temperaturen dieselbe zu kennen, ist die Beziehung: di-p NN: daB TE: benutzt, unter Anwendung, einerseits auf die eben erwähnte Tension p,, anderseits auf diejenige des Wassers p,; durch Subtraktion ent- steht dann: oder, nach Integration, unter Annahme der Konstanz von 9,— q, und Einführung von gewöhnlichen Logarithmen: A log-p,— log-p, = B—-7 i Die zwei obigen Bestimmungen ergeben: I — ] Bi or 2 ı ARRHENIUS, Zeitschr. für physik. Chemie (1888) 2, 496. van'r Horr: ÖOceanische Salzablagerungen. XLI. 309 Die nunmehrige Bekanntheit der Gleichgewichtstension erlaubt, das Auftreten des Pentasulfats auch bei Anwesenheit beliebig anderer Kör- per zu überblicken. Aus Syngenit und Gips wird dasselbe sich bilden in jeder Lösung, die eine kleinere Teension als diese Gleichgewichtstension bei der betreffenden Temperatur aufweist. In erster Linie geht daraus hervor, daß bei 25° in den Salzlagern Pentasulfat durchweg zwischen Syngenit und Gips bzw. Anhydrit auf- treten muß. Die Gleichgewichtstension ist 22"” bei 25°. Sämtliche Lösungen, die im früheren Diagramm' mit Syngenit und Gips in Be- rührung sind, haben aber eine bedeutend kleinere Tension; die höchste, bei gleichzeitiger Anwesenheit von Syngenit, Gips, Chlornatrium und Glauberit (a im betreffenden Diagramm), beträgt nur 17"'"7. Da das Gebiet des Pentasulfats bei 25° immerhin ein wenig aus- gedehntes ist, dürfte das durch die nachstehende Figur (von dem frühe- ren’ nur durch Zusatz von der Grenzlinie ac abweichend) dargestellte Diagramm ein Bild der Paragenese darbieten: A Bischofit Rieserit Carnallit Kainit k Leo nit l Sehönit Astra kanit Glaserit 2 e G F Anbydeu er. each Glaubenitn. 22 2:Gdbe Syngenit . . . . . Bemlac Bolyhalıt u „ 2.2.22 mbRl Pentasulfatt . -: . . achk ! Diese Sitzungsberichte 1903. 1007. ® Ibid. 1009. 310 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 9. März 1905. Bei ansteigender Temperatur dehnt sich das Gebiet des Penta- sulfats aus; umgekehrt bei abnehmender, jedoch nicht derart, daß diese Verbindung ganz zum Verschwinden kommt. Dies würde der Fall sein in Berührung mit der Lösung kleinster Tension, in p, bei gleichzeitiger Anwesenheit von Chlornatrium, Kainit und Chlorkalium; jedoch behält auch diese Lösung bei den tiefsten Temperaturen eine Tension, die kleiner als die Gleichgewichtstension ist. Somit würde dieses als Mineral noch nicht aufgefundene Salz über- all dort zu erwarten sein, wo Syngenit und Gips bzw. Anhydrit neben- einander vorkommen, oder vielmehr sich zwischen diesen einschieben. 311 Über die Lichtemission und den Schmelzpunkt einiger Metalle. Von Prof. L. HoLsorn und Dr. F. HenninG in Charlottenburg. (Mitteilung aus der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt. Vorgelegt von Hrn. Kourrauscn.) Die Angaben optischer Pyrometer pflegt man auf die Strahlung des schwarzen Körpers zu beziehen, deren Abhängigkeit von der Tempe- ratur und Wellenlänge bekannt ist. Außerdem ist diese Temperatur- skale durch den elektrisch geheizten schwarzen Körper sicher repro- duzierbar. Daher beobachtet man mit dem Pyrometer »schwarze Tempe- raturen«, die sich bei der Mehrzahl der Körper je nach deren Strah- lungsvermögen von den wahren Temperaturen (in der Celsiusskale) mehr oder weniger unterscheiden. Der Fortschritt in der optischen Pyrometrie hängt also davon ab, dal? man die Emission verschiedener Stoffe in ihrem Verhältnis zur schwarzen Strahlung in großen Tempe- raturgrenzen bestimmt. Hierfür empfehlen sich zunächst die Edelmetalle, einmal der Ein- fachheit halber, weil sie sich beim Erhitzen an der Luft nicht ändern; sodann tragen die Metalle viel zu unserer Kenntnis bei, weil ihre Strahlung von der schwarzen stark abweicht. Es wurde Platin, Gold und Silber untersucht. Hierbei ergab sich nun, daß für eine bestimmte Wellenlänge im sichtbaren Gebiet das Verhältnis der Teilstrahlung des blanken Metalls zu der des schwarzen Körpers, beide auf dieselbe Temperatur bezogen, d.h. daß das Absorptionsver- mögen des Metalls von der Temperatur innerhalb der Ver- suchsfehler unabhängig ist, und zwar emittiert im roten Licht Platin etwa '/;, Gold '/s und Silber '/,,;, der schwarzen Strahlung. Der genaue Wert des Bruches hängt von der Wellen- länge ab und nimmt nach dem violetten Ende des Spektrums hin zu. 312 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. 9. März 1905. Da für die sichtbare Strahlung das Wırnsche Gesetz gilt, so be- steht bei konstantem Absorptionsvermögen die Beziehung I I Sa wo C eine Konstante bedeutet, 7 die wahre absolute Temperatur des frei strahlenden Metalls und 5 die des schwarzen Körpers, wenn er in der bestimmten Farbe dieselbe Helligkeit ausstrahlt wie das Metall, d. h. dessen »absolute schwarze Temperatur«. — E08 Das Ergebnis steht im Einklang mit den Untersuchungen über die Veränderung des Reflexionsvermögens mit der Temperatur. So fanden u. a. Zrrman' und KönıgsBerGer” bei Gold und Silber bis 360°, bei Platin bis 800° keinen merklichen Wechsel des Reflexionsver- mögens. Liehtemission. Platin. — Die Schwierigkeit, welche die Beobachtung des Emissionsvermögens von frei strahlenden glühenden Körpern bietet, liegt in der Temperaturmessung der strahlenden Oberfläche. Für Platin sind früher Beobachtungen mit der Anordnung von Lummer und Kurr- Baum” angestellt worden.“ Hierbei wurde die Temperatur eines elektrisch geheizten dünnen Platinbleches mit einem isolierten Thermoelement ge- messen, dessen Lötstelle kastenförmig von dem Blech umgeben ist. In der folgenden Tabelle sind die Beobachtungen an naheliegenden Punkten zu Mittelwerten zusammengefaßt; 7 bedeutet die wahre Tempe- t t v £ | At At beob | beob. ber. ber. 64° | 681° 685° +4° 683° +2 742 | 792 197 65 194 ez 766 817 824 +7 820 +3 908 980 983 +3 979 ZU 1057 1153 1153 [e) na — 6 1233 1366 | 1358 —8 13 Or 1417 1573 1575 SER ratur (in der Celsiusskale), s die entsprechende beobachtete schwarze Temperatur für rotes Licht (A = 0.643 u). Unter / ber. sind die Werte aufgeführt, die aus der Gleiehung I I I s+ 273 14273 nee ' P. Zeeman, Communications from the laboratory of Leiden 1895 und Arch. Neerl. 4, 314. 1900. ° J. Könıgsgereer, Verh. der Deutsch. Phys. Ges. 1, 247. 1899. ® O.Lummer und F. Kurtsaun, Verh. der Phys. Ges. 17, 106. 1898. * L. Horsorn und F. Kurrsaum, Ann. der Phys. 10, 240. 1903. L. Horsons u. F. Hensing: Liehtemission u. Schmelzpunkte von Metallen. 313 folgen. Die Unterschiede A? zwischen Beobachtung und Rechnung liegen innerhalb der Fehlergrenze. Auch reicht die Genauigkeit nicht hin, um dem kleinen Gang, den die Werte von Af noch zeigen, eine Bedeutung beizulegen. Das Verhältnis der Helligkeiten #, und £, des Metalls und des gleich temperierten schwarzen Körpers berechnet sich hieraus nach dem Wiırnschen Gesetz: E, E, log nat (72) — - :) oder E 103.19" Dieser Wert ist aus Beobachtungen zwischen 700° und 1600° Ü. abgeleitet. Für Zimmertemperatur ergibt er sich nach dem Kırcnnorr- schen Gesetz aus dem Reflexionsvermögen R,, für das wir uns auf die Zahlen von Hasen und Rugens' beziehen. Diese ergeben für die Wellenlänge 0.643 den Wert (1— R,) = 0.340. In welchem Maße die für £ berechneten Zahlen sich ändern, wenn man E,/E, = 0.340 anstatt 0.319 setzt, zeigen die beiden letzten Spalten (f und Af’) der Tabelle. Um ungefähr die Selektion von Platin bei hoher und tiefer Tem- peratur zu vergleichen, führen wir eine Einstellung im grünen und blauen Licht an. Diese beiden Farben des optischen Pyrometers sind freilich noch weniger homogen als die rote, wie die folgende Zu- sammenstellung der Durchlässigkeit zeigt: Grenzen Schwerpunkt rot 70.694 0,602 0.643 u grün 0.656 0.446 0.550 klau® 09573, '0:396 0.474 Es ist aber von Interesse, aus dem Beispiel einen Anhalt für den Einfluß entnehmen zu können, den die Unhomogenität des Glases auf die Temperaturmessung ausübt. Es wurde die schwarze Temperatur s eines konstant glühenden Platinbleches für die drei Farben gemessen. Aus der Beobachtung in rot berechnen wir die wahre Temperatur £ nach der obigen Gleichung, während grün und blau neue Werte für € und E,/E, liefern: 8 t C ei rot 15222 17022 0.0000507 0.319 grün 1554 (1702) 0.0000409 0.340 blau 1582 (1702) 0.0000327 0.368 ! E. Hasen und H. Ruzens, Ann. der Phys. 8, 16. 1902. € 314 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 9. März 1905. Geht man umgekehrt von den HaGEn-Rugensschen Werten (1 —R,,) für den Schwerpunkt der Farben aus, so erhält man für dieselben schwarzen Temperaturen: i—Rnm e" t Tot 0.340 0.0000478 1690° erün 0.389 0.0000358 1682 blau 0.434 0.000027 3 1681 Gold. — Um die Strahlung des Goldes zu messen, haben wir eine andere Methode verfolgt, weil der Metallkasten wegen des tieferen Schmelzpunkts weniger weit auf die Temperatur geheizt werden kann, wo die Strahlung einen guten Ausgleich bewirkt, und weil außerdem infolge der großen Leitfähigkeit eine starke Ableitung nach den Klemm- backen des Kastens erfolgt. Offenbar ist die Temperatur der frei strahlenden Oberfläche am genauesten während des Schmelzens oder Erstarrens zu bestimmen, wenn die Schmelztemperatur schon anderweitig bekannt ist. Eine Menge von 450° reinen Goldes wurde in einem Porzellantiegel in dem- selben elektrischen Ofen erhitzt, der früher zu Schmelzpunktbestim- mungen mit dem Thermoelement gedient hatte! Der Tiegel stand in dem Heizrohr, das eine Wickelung aus Platinband besaß, höher als früher, und beide Deckel waren entfernt, so daß man mit dem optischen Pyrometer von oben in den geneigten Ofen hineinsehen konnte. Bei passend regulierter Heizung lassen sich in dieser Weise Schmelz- und Erstarrungskurven beobachten, ähnlich wie mit dem Thermoelement. Die Zustandsänderung des Metalls ist von keinem merklichen Wechsel in der Helligkeit begleitet, wie sich am deutlichsten zeigt, wenn die Oberfläche teils fest, teils flüssig ist. Sie leuchtet dabei so gleichmäßig, daß man die Grenzen der beiden Phasen nur durch Er- schüttern des Tiegels erkennen kann. Folgende Werte haben wir für die schwarze Temperatur im roten Lichte beobachtet: Erstarrungspunkt Schmelzpunkt TORI 919° 922 922 916 916 916 914 Im Mittel ist für rot s= 918°, für grün fand sich s = 978°. Mit dem blauen Glas läßt sich wegen der geringen Intensität nicht ! L. Horsorn und A. Day, Ann. der Phys. 2, 523. 1900 und 4, 99. 1901. L. Horsorn u. F. Henning: Lichtemission u. Schmelzpunkte von Metallen. 315 mehr messen. Hieraus folgt, da die wahre Schmelztemperatur 1064° beträgt: Em s & 2 i Es rot 918° 0.0000916 (oa grün 978 0.0000514 0.258 Umgekehrt berechnet sich aus den Hasen-Rugexsschen Werten für das Reflexionsvermögen die wahre Temperatur in befriedigender Übereinstimmung: 1 Rom at te NObEEEONTENO 0.0000955 107.1° grün 0.260 0.0000511 1063 Silber. — In derselben Weise wurde Silber in einer Menge von 420° geschmolzen. Bei diesem Metall tritt freilich nach dem Erstarren ein helleres Aufleuchten ein, das aber auf die sekundäre Erscheinung des Spratzens zurückzuführen ist. Schaltet man die darauf bezüglichen Ablesungen aus, was an der Hand der Erstarrungskurven sicher aus- zuführen ist, so erhält man auch optisch übereinstimmende Schmelz- und Erstarrungspunkte. Es wurde gefunden im roten Licht: Erstarrungspunkt Schmelzpunkt —R ne SELL 808 807 im Mittel s= 809 und für grün s = 823°. Die wahre Schmelztemperatur t, die etwas kleiner ist als bei Sauerstoffabschluß, wurde durch ein in das Silber tauchendes Thermo- element kontrolliert. Sie ergab sich in Übereinstimmung mit frü- heren, unter ähnlichen Bedingungen angestellten Versuchen im Mittel zu 058% Hieraus folgt: Y Em s C m rot 809° 0.0001119 0.080 gerungs 1823 0.000I001 0.071 Aus dem bei Zimmertemperatur von Hasrn und Rugess beobachte- ten Reflexionsvermögen berechnet sich: ı— Rn C' ve rot 0.066 0.0001205 9712 grün 0.073 0.0000992 957 316 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 9. März 1905. Schmelzpunkte. Platin. — Nach einem früher angegebenen Verfahren! läßt sich die schwarze Temperatur des Schmelzpunktes messen, indem man mit dem optischen Pyrometer die Helligkeit eines elektrisch ge- glühten Bleches im Augenblick des Durchschmelzens bestimmt. Für schmelzendes Platin ergibt sich auf diese Weise für rot im Mittel s=1545°. Nehmen wir an, daß nach Analogie von Gold und Silber auch das Absorptionsvermögen von Platin bis zum Schmelzpunkt kon- stant bleibt, so folgt nach den oben abgeleiteten Beziehungen für die wahre Schmelztemperatur: 200 under Zur Kontrolle haben wir die wahre Schmelztemperatur aus den Angaben des Thermoelements Platin/Platinrhodium dadurch bestimmt, daß der Platindraht durchgeschmolzen wurde. Dieser Versuch läßt sich bequem unter Verwendung einer elektrisch geheizten Iridiumröhre anstellen, wie sie neuerdings von der Firma W.C. Heräus angefertigt werden. Auf diesem Wege fanden wir = To Hierbei ist zu bemerken, daß bis jetzt das Thermoelement nur bis 1150° mit dem Gasthermometer verglichen worden ist. Höher hinauf wurden die Werte durch Extrapolation gewonnen.’ Palladium. — Entsprechend seinen Leitvermögen für Wärme und für Elektrizität hat Palladium annähernd dieselbe Lichtemission wie Platin. Wenigstens konnte von uns bei Versuchen mit einem Palladiumkasten kein merklicher Unterschied gegen Platin gefunden werden. Nun ist die schwarze Temperatur des schmelzenden Palla- diums bei Anwendung von rotem Licht im Mittel s=1395°. Hieraus folgt, wenn wir das Emissionsvermögen gleich dem des Platins an- nehmen, ?— 15Aa9% und 1. 15208 Eine direkte Bestimmung der wahren Schmelztemperatur geschah mit dem Thermoelement, in dessen Lötstelle ein kurzer Draht aus Palladium eingefügt wurde. Zum Durchschmelzen genügt hier ein elektrisch geheiztes Platinrohr. Auf diese Weise ergab sich t= 1535°. ! L. Horzorn und F. Kurrsaun, a.a. 0. S. 237. L. Horsorn und A. Day, Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1899, S. 691 und Ann. der Phys. 2. 519, 1900. L. Horsorn u. F. Henning: Lichtemission u. Schmelzpunkte von Metallen. Sl Auch für Rhodium bzw. Iridium konnten die schwarzen Schmelz- temperaturen zu 1650 bzw. 2000° bestimmt werden. Es fehlen aber noch die Untersuchungen über die Strahlungsvermögen, die sich, wenn man auch hier aus den Leitvermögen schließen darf, von denen des Platins und des Palladiums wahrscheinlich unterscheiden. Von Bedeutung wird es sein, das Reflektionsvermögen des Iri- diums bei gewöhnlicher Temperatur zu kennen. Wenn dies der Fall sein wird, so besteht Aussicht, mit Hilfe der Strahlungsgesetze die Temperaturskale über 2000° hinaus auf experimentell einfacherem Wege fortzusetzen, als es zur Zeit mit dem schwarzen Körper mög- lieh ist. Ausgegeben am 16. März. B) Sitzungsberichte 1905. 31 >19 SITZUNGSBERICHTE 1905. XI. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 9. März. Sitzung der philosophisch -historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. VAuLEn. *]. Hr. von WILAMoWITz- MOELLENDORFF las über die Athena von Ilion. Der Athenatempel von Ilion ist auf Grund der Geschichten des jüngeren Epos im 6. Jahrhundert gegründet; Ende des Jahrhunderts hat ein Orakel die Lokrer ver- anlasst, Jungfrauen in diesen Tempel zu schicken. In die Zeit des jüngeren Epos gehört das Zeta der Ilias, das weder von dem seit Jahrhunderten zerstörten llios noch von dem noch nicht gegründeten Ilion etwas wissen kann. 2. Hr. Erman legte eine Mittheilung des Hrn. Dr. L. Borcuarpr über einen Fund in Theben vor. Bei Grabungen, die auf Kosten des Mr. Davis im Thale der Königsgräber vor- genommen wurden, ist das Grab der Eltern der Königin Tii gefunden worden, und es hat sich gezeigt, dass diese berühmte Gemahlin Amenophis’ III. und Mutter Ame- nophis’ IV., wirklich, so wie man es schon früher vermuthet hatte, von niederer Her- kunft, die Tochter eines Priesters gewesen ist. Ausgegeben am 16. März. * Erscheint nicht in den Schriften der Akademie. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. Pe RER ZI em ‚a re GL ns ; OT Fe Sn N Ä : ein ’ Pf en 1% Pl Ira een, 32 4 | AhrkbelaTwiLe E Mi Mi n: ur sah U vr le zn 7 BiTe:un il 124 Kurt Del NEL WE ae nl RT us DR Fin ey dEh]) Dakar DT R I i dl nTERENST EEE il De like MBH ae Alk Er E IalE uhr ARD TER u Zur OL LEER 1m ” m! =] Farm|ı KIT BL Br. 5 / [ ! f IE IR RD vin Ja Br RN A NEN Findr NAT, a IE ar = I=: f vun Teen Alan i FUTTBLA DA rn u iD Tata zalfer! SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. XIV. ie ne aaa ua a rl nl nn a Dlnmmegin Aula a a Te a nl at u a lud u a Ann. a ne em > 16. März 1905. F a n we q Na, 7 ar Me ee ee Ss; » Br: Ä BERLIN 1905. Ä FTRR Im) N - _YERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. ( AN BR s sl IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. \‘ Auszug aus dem Reglement für die Redaetion der »Sitzungsberichte«. 81. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Olasse ungerade Nummern. ; 82. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberiehten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen: konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind dureh ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht „über jede einzelne Sitzung stellt der Secretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Secretar führt die Oberaufsicht über die Redac- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. $ 6. l. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $ 41,2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschritten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. $8. 5. Auswärts werden Correcturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damıt auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. s1. 1. Der Verfasser einer unter den » Wissenschaftlichen Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver- theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar angezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exem- plare auf ihre Kosten abziehen lassen. 8 28. l. Jede zur Aufnahme in die Sitzungsberichte be- stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie alle Nichtmitglieder, haben bierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen, Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder corre- spondirender Mitglieder direct bei der Akademie oder bei einer der Classen eingehen, so hat sie der vorsitzende Secretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeignet scheinenden Mitgliede zu überweisen. [Aus Stat. $ 41,2. — Für die Aufnahme bedarf es einer ausdrücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, sobald das Manuseript druckfertig vorliegt, gestellt und sogleich zur Abstimmung gebracht werden.] 8.29. 1. Der revidirende Secretar ist für den Inhalt des geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch nicht für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für diese wie für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte sind nach jeder Richtung nur die Verfasser verant- wortlich. Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte« an diejenigen Stellen, mit denen sie im Schriftverkehr steht, wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich: die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres nach Fertigstellung des Registers. 321 SITZUNGSBERICHTE 1905. XIV. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 16. März. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. *]. Hr. Krkute von Stranonıtz las »Über römische Kunst«. Die eigenthümliche Stellung und die Epochen der Kunst in der Kaiserzeit von Augustus an werden an einzelnen Beispielen dargelegt. 2. Folgende Druckschriften wurden vorgelegt: L. KoOENIGSBERGER, Carl Gustav Jacob Jacobi. Festschrift zur Feier der hundertsten Wieder- kehr seines Geburtstages. Leipzig 1904, und E. Pıcarn, Sur le deve- loppement de l’analyse et ses rapports avec diverses seiences. Paris 1905. 3. Die Akademie hat durch die philosophisch-historische Classe Hrn. Prof. Dr. Lupwıs RADErMACHER in Greifswald zur Untersuchung vaticanischer Handschriften für eine von ihm beabsichtigte neue Aus- gabe der Institutio oratoria des Quintilian 700 Mark bewilligt. Sitzungsberichte 1905. 32 322 Gesammtsitzung vom 16. März 1905. — Mittheilung vom 2. März. Studien zur Grundlegung der Geistes- wissenschaften. Von W. DiLTaEy. (Vorgetragen am 2. März 1905 [s. oben S. 301].) Erste Studie. Die Geisteswissenschaften bilden einen Erkenntniszusammenhang, wel- cher eine gegenständliche und objektive Erkenntnis der Verkettung menschlicher Erlebnisse in der menschlich -geschichtlich-gesellschaft- lichen Welt: zu gewinnen strebt. Die Geschichte der Geisteswissen- schaften zeigt ein beständiges Ringen mit den hier entgegentretenden Schwierigkeiten: allmählich werden sie in gewissen Grenzen über- wunden und die Forschung nähert sich, wenn auch noch von ferne, diesem Ziel, das jedem einzelnen wahren Forscher unablässig vor- schwebt. Die Untersuchung der Möglichkeit einer solehen gegenständ- lichen und objektiven Erkenntnis bildet die Grundlage der Geistes- wissenschaften. Ich lege einige Beiträge zu einer solchen im fol- genden vor. Wie uns die menschlich-geschichtliche Welt in den Geisteswissen- schaften entgegentritt, ist sie nicht gleichsam eine Abschrift einer außer ihnen befindlichen Wirklichkeit. Eine solche kann das Erkennen nicht herstellen: es ist und bleibt an seine Mittel des Anschauens, Verstehens und begrifflichen Denkens gebunden. Und die Geisteswissenschaften wollen auch eine solche Abschrift nicht herstellen. In ihnen wird vielmehr das, was geschehen ist und geschieht, dies Einmalige, Zu- fällige und Momentane zurückbezogen auf einen wert- und sinnvollen Zusammenhang: in diesen sucht die fortschreitende Erkenntnis immer tiefer einzudringen: immer objektiver wird sie in seiner Erfassung: ohne doch jemals ihr Grundwesen aufheben zu können, daß sie eben das, was ist, immer nur nachfühlend, nachkonstruierend, verbindend, trennend, in abstrakten Zusammenhängen, in einem Nexus von Be- griffen erfahren kann. Und es wird sich zeigen, wie auch die histo- rische Darstellung des einmal Geschehenen nur auf der Grundlage der analytischen Wissenschaften der einzelnen Zweckzusammenhänge Dirrary: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. 323 sich einer objektiven Erfassung ihres Gegenstandes in den Grenzen der Mittel des Verstehens und denkenden Erfassens nähern kann. Solche Erkenntnis der Vorgänge selbst, in denen die Geistes- wissenschaften sich ausbilden, ist zugleich die Bedingung für das Ver- ständnis ihrer Geschichte. Von ihr aus erkennt man das Verhältnis der einzelnen Geisteswissenschaften zu der Koexistenz und Folge des Erlebens, auf welchen sie fundiert sind. Man sieht in ihr Zusammenwirken zu dem Zweck, in ihrer Totalität den wert- und sinnvollen Zusammenhang verständlich zu machen, der dieser Koexistenz und Folge des Erlebens zugrunde liegt, und dann aus ihm das Singulare faßlich. Und zu- gleich versteht man nun von diesen theoretischen Grundlagen aus, wie die Bewußtseinslage und der Horizont einer Zeit jedesmal die Voraus- setzung dafür sind, daß diese Zeit die geschichtliche Welt in einer be- stimmten Weise erblickt: die Möglichkeiten der Standpunkte histori- schen Sehens werden gleichsam in den Epochen der Geisteswissenschaften durchlaufen. Und ein letztes wird verständlich. Die Entwicklung der Geisteswissenschaften muß begleitet sein von ihrer logisch -erkenntnis- theoretischen Selbstbesinnung — nämlich dem philosophischen Bewußt- sein darüber, wie aus dem Erleben dessen, was geschehen ist, der anschaulich -begriffliche Zusammenhang der menschlich - gesellschaftlich- geschichtlichen Welt sich bildet. Für das Verständnis dieser und an- derer Vorgänge in der Geschichte der Geisteswissenschaften hoffen die folgenden Erörterungen sich nützlich zu erweisen. I. Aufgabe, Methode und Anordnung der Grundlegung. I. Die Aufgabe. Für die Grundlegung der Geisteswissenschaften ist selbstverständ- lich kein anderes Verfahren möglich als das in der Grundlegung des Wissens anzuwenden ist. Gäbe es eine Theorie des Wissens, welche zu allgemeiner Anerkennung gelangt wäre, so würde es sich hier nur um die Anwendung derselben auf die Geisteswissenschaften handeln. Aber eine solche Theorie ist eine der jüngsten unter den wissen- schaftlichen Disziplinen, Kant zuerst erfaßte ihr Problem in seiner All- gemeinheit, der Versuch Fıcntes, die Lösungen Kants zu einer voll- ständigen Theorie zusammenzufassen, war verfrüht, und auf diesem Gebiet stehen sich heute die Versuche genau so unversöhnlich gegen- über als auf dem der Metaphysik. So bleibt nur übrig, aus dem ganzen Gebiet der philosophischen Grundlegung einen Zusammenhang von 32* 324 Gesammtsitzung vom 16. März 1905. — Mittheilung vom 2. März. Sätzen auszusondern, welcher der Aufgabe der Begründung der Geistes- wissenschaften genugtut. Der Gefahr der Einseitigkeit in diesem Ent- wiekelungsstadium der Theorie des Wissens kann kein Versuch ent- gehen. Das Verfahren wird ihr indes um so weniger ausgesetzt sein, je allgemeiner die Aufgabe dieser Theorie gefaßt und je vollständiger alle Mittel seiner Lösung hinzugezogen werden. Und eben dies ist zugleich durch die eigentümliche Natur der Geisteswissenschaften gefordert. Ihre Grundlegung muß sich auf alle Klassen von Wissen beziehen. Sie muß sich auf das Gebiet der Wirklichkeitserkenntnis, der Wertsetzung wie der Zweck- bestimmung und Regelgebung erstrecken. Die einzelnen Geistes- wissenschaften setzen sich zusammen aus dem Wissen über Tatsachen, über giltige allgemeine Wahrheiten, über Werte, Zwecke und Regeln. Und das menschlich - gesellschaftlich-geschichtliche Leben geht in sich selbst beständig von Auffassung der Wirklichkeit zu Wertbestimmungen und von diesen zur Zwecksetzung und Regelgebung vorwärts. Wenn die Geschichte einen historischen Verlauf darstellt, so geschieht dies immer durch Auswahl aus dem in den Quellen Über- lieferten, und diese ist stets von einer Abschätzung des Wertes der Tatsachen bestimmt. Noch deutlicher ist dies Verhältnis in den Wissenschaften, welche die einzelnen Systeme der Kultur zu ihrem Gegenstande haben. Das Leben der Gesellschaft gliedert sich in Zweckzusammenhänge, und ein Zweckzusammenhang verwirklicht sich jedesmal in Handlungen, die an Regeln gebunden sind. Und zwar sind diese systematischen Geistes- wissenschaften nicht nur Theorien, in denen als Tatsachen der gesell- schaftlichen Wirklichkeit Güter, Zwecke und Regeln auftreten, sondern wie die Theorie selber aus der Reflexion und dem Zweifel über die Eigenschaften dieser Wirklichkeit, über die Wertung des Lebens, über das höchste Gut, über die überlieferten Rechte und Pflichten entstanden ist, so ist sie zugleich der Durchgangspunkt zu dem Ziel, Zweck- bestimmungen und Normen für die Regelung des Lebens zu gewinnen. Die politische Ökonomie hat ihre logische Grundlage in der Wertlehre. Die Rechtswissenschaft muß von den einzelnen positiven Rechtssätzen zu den in ihnen enthaltenen allgemeinen Rechtsregeln und Rechts- begriffen vordringen, schließlich trifft sie auf die Probleme, welche die Beziehungen von Wertschätzung, Regelgebung und Wirklichkeits- erkenntnis auf diesem Gebiet betreffen. Ist in der Zwangsmacht des Staates der ausschließliche Rechtsgrund der rechtlichen Ordnung zu suchen? Und wenn allgemeingültige Prinzipien im Recht eine Stelle haben sollen, haben sie ihre Begründung in einer dem Willen im- manenten Regel seiner Bindung oder in der Wertgebung oder in der Dirrney: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. 325 Vernunft? Und dieselben Fragen kehren auf dem Gebiet der Moral wieder, ja der Begriff einer unbedingt gültigen Bindung des Willens, die wir als Sollen bezeichnen, bildet recht eigentlich die Hauptfrage dieser Wissenschaft. So bedarf die Grundlegung der Geisteswissenschaften der- selben Ausdehnung auf alle Klassen von Wissen, wie sie in der all- gemeinen philosophischen Grundlegung zu fordern ist. Denn diese letztere muß sich auf jedes Gebiet erstrecken, in welchem das Bewußt- sein das Autoritative abgeschüttelt hat und durch den Standpunkt der Reflexion und des Zweifels zu gültigem Wissen zu gelangen strebt. Die philosophische Grundlegung muß zunächst das Wissen im Gebiete des gegenständlichen Auffassens rechtfertigen. Denn das naive Bewußtsein über eine gegenständliche Wirklichkeit und deren Beschaffen- heiten wird überschritten, die wissenschaftliche Erkenntnis sucht aus dem in den Sinnen Gegebenen eine gegenständliche Ordnung nach Gesetzen abzuleiten, und schließlich entsteht das Problem, für die Verfahrungs- weisen der Wirklichkeitserkenntnis und ihre Ergebnisse den Nachweis ihrer objektiven Notwendigkeit zu erbringen. Aber auch unser Wissen von Werten bedarf einer solchen Grundlegung. Denn die Lebenswerte, die im Gefühl auftreten, werden der wissenschaftlichen Reflexion unterworfen, und aus dieser entsteht auch hier die Aufgabe, ein objektiv notwendiges Wissen hervorzubringen; das Ideal seiner Voll- endung wäre erreicht, wenn die Theorie nach einem festen Maß den Lebenswerten ihren Rang zuwiese — die alte viel erörterte Frage, welche zunächst als die nach dem höchsten Gut aufgetreten ist. Endlich ist für das Gebiet der Zwecksetzung und Regelgebung eine solche philosophische Grundlegung nicht minder notwendig, als auf den beiden anderen Gebieten. Denn auch die Zwecke, die das Wollen sich setzt, sowie die Regeln, an die es sich gebunden findet, wie sie zuerst aus der Tradition der Sitte, der Religion und des positiven Rechts dem Men- schen zufließen, werden von der Reflexion zersetzt, und der Geist muß aus sich selbst ein gültiges Wissen auch hier hervorbringen. Überall führt das Leben zu Reflexionen über das, was in ihm gesetzt ist, die Reflexion zum Zweifel, und soll sich diesem gegenüber das Leben behaupten, so kann das Denken erst endigen in gültigem Wissen. Hierauf beruht der Einfluß des Denkens in allen Verhaltungs- weisen des Lebens. Immer wieder vom lebendigen Gefühl und von der genialen Intuition bekämpft, setzt dieser Einfluß sich siegreich durch: entspringt er doch aus der inneren Notwendigkeit, in dem unsteten Wechsel der Sinneswahrnehmungen, Begierden und Gefühle ein Festes zu stabilieren, das eine stetige und einheitliche Lebens- führung möglich macht. 326 Gesammtsitzung vom 16. März 1905. — Mittheilung vom 2. März. Diese Arbeit wird in allen Formen von wissenschaftlichem Nach- denken vollbracht. Schließlich aber ist es die Funktion der Philo- sophie, diese wissenschaftliche Besinnung über das Leben zusammen- fassend, verallgemeinernd und begründend zu vollenden. So erhält das Denken dem Leben gegenüber seine bestimmte Funktion. Das Leben in seinem unruhigen Fluß bringt Realitäten aller Art beständig hervor. Mannigfaltig Gegebenes wird von ihm an die Küsten unseres kleinen Ich herangespült. Derselbe Wechsel läßt in unserem Gefühls- oder Triebleben Werte aller Art zum Genuß gelangen — sinnliche Lebens- werte, religiöse, künstlerische. Und in den wechselnden Verhältnissen zwischen Bedürfnissen und den Mitteln der Befriedigung entsteht der Vorgang der Zwecksetzung: es bilden sich Zweckzusammenhänge, die durch die ganze Gesellschaft hindurchgehen und jedes Glied derselben umfassen und bestimmen: Gesetze, Verordnungen, Religionsvorschriften wirken als zwingende Mächte und bestimmen den einzelnen. Da ist es nun immer wieder das Geschäft des Denkens, die im Bewußtsein in und zwischen diesen Realitäten des Lebens bestehenden Beziehungen aufzu- fassen und von dem so zu klarem und deutlichem Bewußtsein gelangten Singularen, Zufälligen, Vorgefundenen zu dem in ihm enthaltenen not- wendigen und allgemeinen Zusammenhang fortzuschreiten. Das Denken kann nur die Energie des Bewußtwerdens steigern in bezug auf die Reali- alitäten des Lebens. An das Erlebte und das Gegebene ist es durch innere Nötigung gebunden. Und Philosophie ist nur die höchste Energie, bewußt zu machen: als Bewußtsein über jedes Bewußtsein und Wissen von allem Wissen. So macht sie sich denn schließlich die Gebundenheit des Denkens an Formen und Regeln und andererseits die innere Nötigung, die das Denken an das Gegebene bindet, zum Problem. Das ist die letzte und höchste Stufe der philosophischen Selbstbesinnung. Faßt man das Problem des Wissens in diesem Umfang, dann wird seine Lösung in einer Theorie des Wissens als philosophische Selbstbesinnung zu bezeichnen sein. Und diese wird zunächst die ausschließliche Aufgabe des grundlegenden Teils der Philosophie sein; aus dieser Grundlegung erwachsen die Enzyklopädie der Wissenschaften und die Lehre von den Weltansichten, und in diesen beiden vollendet sich die Arbeit der philosophischen Selbstbesinnung. 2. Die Aufgabe der Theorie des Wissens. Diese Aufgabe löst die Philosophie sonach zunächst als Grund- legung oder als Theorie des Wissens. Das Gegebene für sie sind alle die Denkprozesse, die von dem Zweck bestimmt sind, giltiges Wissen hervorzubringen. Ihre Aufgabe liegt schließlich in der Be- antwortung der Frage, ob und wiefern Wissen möglich sei. Dirıney: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. 327 Bringe ich mir zum Bewußtsein, was ich unter Wissen meine, so unterscheidet dasselbe sich von dem bloßen Vorstellen, Vermuten, Fragen oder Annehmen durch das Bewußtsein, mit welchem ein In- haltliches hier auftritt: in diesem ist objektive Notwendigkeit als der allgemeinste Charakter des Wissens enthalten. In diesem Begriff der objektiven Notwendigkeit liegen zwei Mo- mente, und diese sind nun die Ausgangspunkte für die Theorie des Wissens. Das eine liegt in der Evidenz, welche den richtig voll- zogenen Denkprozessen anhaftet, und das andere ist in dem Charakter des Inneseins der Realität im Erlebnis oder in dem der Gegebenheit, der uns an eine äußere Wahrnehmung bindet, enthalten. 3. Die hier angewandte Methode der Grundlegung. Die Methode der Lösung dieser Aufgabe besteht in dem Rück- gang von dem Zweckzusammenhang, der auf die Erzeugung des objektiv notwendigen Wissens in seinen verschiedenen Gebieten ge- richtet ist, zu den Bedingungen, unter welchen die Erreichung dieses Zieles steht. Eine solche Analyse des Zweckzusammenhangs, in welchem das Wissen hervorgebracht werden soll, ist von derjenigen unterschieden, die in der Psychologie vollzogen wird. Der Psychologe untersucht den psychischen Zusammenhang, auf Grund dessen Urteile auftreten, Wirklichkeit ausgesagt und Wahrheiten von allgemeiner Geltung aus- gesprochen werden. Er will feststellen, wie dieser Zusammenhang ist. In dem Verlauf seiner Zergliederung der Denkprozesse hat natürlich die Entstehung des Irrtums so gut ihre Stelle als die der Aufhebung desselben; der Prozeß des Erkennens könnte ja ohne diese Mittel- glieder von Irrtum und Aufhebung desselben weder beschrieben noch in seiner Entstehung aufgeklärt werden. So ist in gewisser Hinsicht sein Gesichtspunkt derselbe wie der des Naturforschers. Sie wollen beide nur sehen, was ist, und haben nichts zu tun mit dem, was sein soll. Dabei besteht aber zwischen dem Naturforscher und dem Psycho- logen ein wesentlicher Unterschied, und zwar ist dieser durch die Eigenschaften des ihnen Gegebenen bedingt. Der psychische Struktur- zusammenhang hat einen subjektiv immanent teleologischen Charakter. Darunter verstehe ich, daß in dem strukturellen Zusammenhang, dessen Begriff uns ausführlich beschäftigen wird, eine Zielstrebigkeit an- gelegt ist. Über objektive Zweckmäßigkeit ist hiermit noch nichts ausgesagt. Dieser subjektiv immanent teleologische Charakter des Ge- schehens ist der äußeren Natur als solcher fremd. Die immanente ob- jektive Teleologie wird in die organische Welt, als physische, nur als Auffassungsweise aus dem Seelenerlebnis hineingetragen. Dagegen ist 328 Gesammtsitzung vom 16. März 1905. — Mittheilung vom 2. März. ein subjektiv immanent teleologischer Charakter in den psychischen Ver- haltungsweisen wie in den strukturellen Beziehungen derselben inner- halb des psychischen Zusammenhangs gegeben. Er ist in dem Nexus der Vorgänge selber enthalten. Innerhalb des gegenständlichen Auf- fassens als des grundlegenden psychischen Verhaltens macht dieser Cha- :akter des Seelenlebens, nach welchem in dessen Struktur eine Ziel- strebigkeit angelegt ist (meine Abh. über Beschr. Ps. 1377 ff. [69 ff.]), in den beiden Hauptformen des Auffassens, nämlich der von Erlebnissen und von äußeren Gegenständen, sowie in der Stufenfolge der Formen von Repräsentation sich geltend. Denn die Formen der Repräsentation sind dadurch als Stufen in einem Zweckzusammenhang verbunden, daß in ihnen das Gegenständliche zu immer vollständigerer, bewußterer Repräsentation kommt, die den Auffassungsforderungen des gegen- ständlichen Erfassens immer besser entspricht und immer mehr die Einordnung des einzelnen Gegenstandes in den primär gegebenen Ge- samtzusammenhang ermöglicht. So enthält schon jedes Erlebnis un- seres gegenständlichen Auffassens eine im Gesamtzusammenhang des psychischen Lebens begründete Tendenz auf Erfassung der Welt. Da- mit ist schon im psychischen Leben ein Prinzip der Auswahl gegeben, nach welchem Repräsentationen bevorzugt oder verworfen werden. Und zwar je nachdem sie sich der Tendenz auf Erfassung des Gegenstandes in seinem Zusammenhang der Welt, als welcher in dem sinnlichen Horizont des Auffassens primär gegeben ist, einordnen. So ist in der psychischen Struktur schon ein teleologischer Zusammenhang gegrün- det, welcher auf Erfassung des Gegenständlichen gerichtet ist. Und dieser wird dann in der Theorie des Wissens zu klarem Bewußtsein erhoben. Damit aber begnügt sich die Theorie des Wissens nicht. Sie fragt, ob die im Bewußtsein angelegten Verhaltungsweisen wirklich ihr Ziel erreichen. Ihre Kriterien hierfür sind die obersten Sätze, welche abstrakt das Verhalten ausdrücken, an welches das Denken gebunden ist, soll es seinen Zweck tatsächlich realisieren. 4. Ausgangspunkt in einer Deskription der Vorgänge, in welchen das Wissen entsteht. So zeigt sich, wie die Aufgabe der Wissenschaftslehre nur gelöst werden kann auf Grund einer Anschauung des psychologischen Zu- sammenhangs, in welchem empirisch die Leistungen zusammenwirken, an welche die Erzeugung des Wissens gebunden ist. Hiernach entsteht das folgende Verhältnis zwischen psychologi- scher Deskription und Theorie des Wissens. Die Abstraktionen der Theorie des Wissens beziehen sich zurück auf die Erlebnisse, in denen das Wissen in zwiefacher Form und durch verschiedene Stufen hin- Dirıuey: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. 329 durch sieh ausbildet. Sie setzen die Einsicht in die Prozesse voraus, durch welche auf Grund der Wahrnehmungen Namen gegeben, Be- griffe und Urteile gebildet werden, und so das Denken allmählich vom Einzelnen, Zufälligen, Subjektiven, Relativen und darum mit Irr- tümern Versetzten zum objektiv Gültigen fortschreitet. Es ist sonach im einzelnen festzustellen, welches Erleben stattfindet und begrifflich be- zeichnet werde, wenn wir von dem Vorgang des Wahrnehmens, von der Gegenständlichkeit, der Namengebung und Bedeutung der Wortzeichen, des Urteils und seiner Evidenz und des wissenschaftlichen Zusammen- hangs reden. In diesem Sinne habe ich in der ersten Ausgabe der Geisteswissenschaften (XVII, XVII) und in der Abhandlung über be- schreibende Psychologie (1316 [8]) hervorgehoben, daß die Theorie des Wissens einer Beziehung auf die Erlebnisse des Erkenntnisprozesses bedarf, in denen das Wissen entsteht (1318 [ı0]), und daß diese psychologischen Vorbegriffe nur Deskription und Zergliederung dessen sein dürfen, was in den erlebten Erkenntnisprozessen enthalten ist (10). Daher schien mir in einer solchen beschreibend -zergliedernden Dar- stellung der Prozesse, innerhalb deren das Wissen entsteht, eine nächste Aufgabe als Vorbedingung der Theorie des Wissens zu liegen (eben- daselbst). Von verwandten Gesichtspunkten gehen nun die ausgezeich- neten Untersuchungen von HusserL aus, welche »eine streng deskriptive Fundierung« der Theorie des Wissens als »Phänomenologie des Er- kennens« und damit eine neue philosophische Disziplin geschaffen haben. Ich habe nun weiter behauptet, daß die Anforderung strenger Gültigkeit der Theorie des Wissens durch ihre Beziehung auf solche Deskriptionen und Zergliederungen nicht aufgehoben werde. Es wird ja in der Deskription nur ausgesprochen, was im Prozeß der Hervor- bringung des Wissens enthalten ist. Wie ohne diese Beziehung die Theorie, die doch aus diesen Erlebnissen und deren Verhältnissen zu- einander abstrahiert ist, gar nicht zu verstehen ist, wie die Frage nach der Möglichkeit des Wissens auch die Erledigung der anderen Frage voraussetzt, auf welche Art Wahrnehmen, Namen, Begriffe, Ur- teile sich auf die Aufgabe beziehen, den Gegenstand zu erfassen: so ist nun das Ideal einer solchen begründenden Deskription, daß sie auch wirklich nur Sachverhalte ausspreche und feste Wortbezeichnungen für dieselben schaffe. Die Annäherung an dieses Ideal ist davon abhängig, daß nur die im entwickelten Seelenleben des historischen Menschen, wie der beschreibende Psychologe es in sich selber vorfindet, enthal- tenen Tatsachen und Beziehungen von solchen aufgefaßt und zergliedert werden. Es gilt zumal immer weiterzugehen in der Ausschließung der Begriffe von Funktionen des Seelenlebens, welche gerade hier besonders 330 Gesammtsitzung vom 16. März 1905. — Mittheilung vom 2. März. gefährlich sind. Die Arbeit an dieser ganzen Aufgabe hat erst be- gonnen. Erst allmählich kann die Annäherung an den genauen Aus- druck für die Zustände, Vorgänge und Zusammenhänge erreicht werden, um welche es sich handelt. Und so erweist sich freilich schon hier, daß die Aufgabe einer Grundlegung der Geisteswissenschaften noch keineswegs in für jeden Mitarbeiter überzeugender Weise wird auf- gelöst werden können. Einer Bedingung der Auflösung des Problems können wir wenig- stens jetzt schon genügen. Die Deskription der Prozesse, welche das Wissen erwirken, ist nicht am wenigsten davon abhängig, daß das Wissen in allen seinen Gebieten umfaßt werde. Und dies ist auch die Bedingung, an welche das Gelingen einer Theorie des Wissens gebunden ist. So ist das Ideal des folgenden Versuches ein gleich- mäßiger Blick auf die verschiedenen Zusammenhänge von Wissen. Ein solcher wird aber nur dadurch möglich, daß die besondere Struktur der großen Zusammenhänge erforscht wird, welche durch die verschiedenen Verhaltungsweisen des Seelenlebens bedingt sind. Hierauf kann sich dann ein vergleichendes Verfahren in der Theo- rie des Wissens gründen. Dieses vergleichende Verfahren ermög- licht, die Analysis der logischen Formen und Denkgesetze bis zu dem Punkte zu führen, an welchem der Schein einer Unterordnung des Erfahrungsstoffs unter das Apriori von Formen und Denkge- setzen gänzlich schwindet. Dies geschieht nach folgender Methode. Die Leistungen des Denkens, welche ohne Zeichen an Erlebnis und Anschauung sich vollziehen, lassen sich in elementaren Operationen wie Vergleichen, Verbinden, Trennen, Beziehen darstellen: diese sind in bezug auf ihren Erkenntniswert als Wahrnehmungen höhe- ren Grades anzusehen. Und die Formen und Gesetze des diskur- siven Denkens können nun nach ihren Rechtsgründen aufgelöst wer- den in die Leistungen der elementaren Operationen, in die erleb- bare Funktion von Zeichen und in das in den Erlebnissen von An- schauen, Fühlen, Wollen Enthaltene, auf welches sich Wirklichkeits- auffassen, Wertgebung, Zweckbestimmung und Regelsetzung in ihrer Gemeinsamkeit wie nach ihren formalen und kategorialen Eigentüm- lichkeiten gründen. Ein solches Verfahren ist auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften rein durchführbar, und so kann nach dieser Me- thode die objektive Giltigkeit des Wissens auf diesem Gebiete be- gründet werden. Hierdurch ist nun bedingt, daß die Deskription die Grenzen der- Jenigen Erlebnisse, die sich als gegenständliches Auffassen darstellen, überschreiten muß. Denn wenn die folgende Theorie das Wissen in dem Erkennen der Wirklichkeit, den Wertschätzungen, Zweeksetzungen ve Dirruey: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. 331 sung und Regelgebungen gleichmäßig umfassen möchte: so bedarf sie auch der Rückbeziehung auf den Zusammenhang, in welchem diese ver- schiedenen seelischen Leistungen miteinander verknüpft sind. Es ent- steht ferner in der Wirklichkeitserkenntnis und verbindet sich mit den Erkenntnisvorgängen in einer eigentümlichen Struktur das Bewußtsein von Normen, an die der Vollzug des Erkenntniszweckes gebunden ist. Zugleich aber kann aus dem Charakter der Gegebenheit äußerer Objekte die Beziehung auf das willentliche Verhalten nicht fortgeschafft werden: hieraus folgt noch von einer anderen Seite die Abhängigkeit der abstrakten Entwickelungen der Wissenstheorie von dem Zusammen- hang des ganzen Seelenlebens. Dasselbe ergibt sich aus der Zergliede- rung der Vorgänge, in denen wir andere Individuen und ihre Schöpfun- gen verstehen: diese Vorgänge sind grundlegend für die Geisteswissen- schaften, sie selber aber gründen sich in der Totalität unseres Seelen- lebens (meine Abhandlung über Hermeneutik in den SıswArrT gewid- meten Abhandlungen 1900). Aus diesem Gesichtspunkt habe ich früher immer wieder die Notwendigkeit betont, das abstrakte wissenschaftliche Denken in seinen Bezügen zu der psychischen Totalität aufzufassen (Geistesw. XVO, XV. 5. Stellung dieser Deskription im Zusammenhang der Grundlegung. Eine solche Beschreibung und Zergliederung der im Zweck- zusammenhang der Erzeugung giltigen Wissens auftretenden Prozesse bewegt sich ganz innerhalb der Voraussetzungen des empirischen Be- wußtseins. In diesem wird die Realität äußerer Gegenstände und fremder Personen vorausgesetzt, und es ist in ihm enthalten, daß das empirische Subjekt von dem Milieu, in welchem es lebt, be- stimmt wird und wiederum auf dasselbe zurückwirkt. Indem die Deskription diese Verhältnisse als in den Erlebnissen enthaltene Be- wußtseinstatsachen beschreibt und zergliedert, ist natürlich damit über die Realität der Außenwelt und fremder Personen oder über die Ob- jektivität der Relationen von Tun und Leiden nichts ausgesagt: die auf die Deskription gebaute Theorie soll ja erst eine Entscheidung über die Berechtigung der im empirischen Bewußtsein enthaltenen Voraussetzungen herbeizuführen suchen. Eben so selbstverständlich ist dann, daß die Erlebnisse, die be- schrieben werden und der Zusammenhang derselben, der aufgezeigt wird, hier nur unter dem von der Wissenschaftslehre geforderten Gesichtspunkt betrachtet werden. Das Hauptinteresse liegt in den Beziehungen, in denen Leistungen zueinander stehen, in denen dann diese Leistungen von Bedingungen des Bewußtseins und von Gegeben- 332 Gesammtsitzung vom 16. März 1905. — Mittheilung vom 2. März. heiten abhängen und in denen schließlich die einzelnen Vorgänge, die in dem Prozeß der Erzeugung des Wissens auftreten, von diesem Zu- sammenhang bedingt sind. Denn der subjektive und immanent teleo- logische Charakter des psychischen Zusammenhangs, kraft dessen Vor- gänge in demselbeu zu Leistungen zusammenwirken und so eine Ziel- strebigkeit in ihm besteht, ist ja die Grundlage für die Auswahl gültigen Wissens von Wirklichkeiten, Werten oder Zwecken aus dem Gedankenverlauf. Fassen wir das Ergebnis über die Stellung der Deskription inner- halb der Grundlegung zusammen. Sie begründet die Theorie, und diese bezieht sich auf sie zurück. Ob nun die Deskription der Er- kenntnisprozesse und die Theorie des Wissens in den einzelnen Teilen der Theorie aufeinander bezogen werden, oder ob die zusammen- hängende Deskription der Theorie vorausgesandt wird, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Die Theorie selbst empfängt von der Deskription des Wissens die beiden Merkmale, an welche dessen Gültigkeit ge- bunden ist. Jedes Wissen steht unter den Normen des Denkens. Zu- gleich bezieht es sich nach diesen Denknormen auf ein Erlebtes oder Gegebenes, und die Beziehung des Wissens auf das Gegebene ist näher die des Gebundenseins an dasselbe. Alles Wissen steht nach dem Er- gebnis der Deskription unter der obersten Regel, daß es in dem Erlebten oder wahrnehmungsmäßig Gegebenen nach den Normen des Denkens gegründet ist. Hiernach werden die beiden Hauptprobleme der Grund- legung der Geisteswissenschaften sich sondern. In die Behandlung der- selben werden die vorliegenden Studien zur Grundlegung der Geistes- wissenschaften die Theorie des Wissens zusammenziehen, da sie für die Begründung der Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis entscheidend sind. Die nähere Bestimmung dieser beiden Probleme kann erst auf der Grundlage der Deskription abgeleitet werden. II. Deskriptive Vorbegriffe. I. Die psychische Struktur. Der empirische Verlauf des psychischen Lebens besteht aus Vor- gängen; denn jeder unserer Zustände hatte einen Anfang in der Zeit, ändert sich in ihr und wird auch in ihr wieder schwinden. Und zwar ' Dieser deskriptive Teil der Untersuchung ist eine Fortbildung des in meinen früheren Arbeiten eingenommenen Standpunktes. Diese Arbeiten waren darauf ge- richtet, die Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis der Wirklichkeit und innerhalb dieser Erkenntnis insbesondere die gegenständliche objektive Erfassung der psychischen Dirrary: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. 333 bildet dieser Verlauf des Lebens eine Entwicklung; denn so ist das Zusammenwirken der seelischen Regungen geartet, daß es die Tendenz erwirkt, einen zunehmend bestimmteren psychischen Zusammenhang herbeizuführen, wie er mit den Lebensbedingungen übereinstimmt — gleichsam eine Gestalt dieses Zusammenhangs. Und dieser erworbene Zusammenhang ist wirksam in jedem psychischen Vorgang: er bedingt das Auftreten und die Richtung der Aufmerksamkeit, die Apperzeptionen hängen von ihm ab, und die Reproduktion der Vorstellungen ist be- stimmt von ihm. Ebenso ist von diesem Zusammenhang das Auftreten von Gefühlen oder von Begehrungen oder die Entstehung eines Willens- entschlusses abhängig. Nur mit dem Tatsächlichen in diesen Vorgängen hat es die psychologische Deskription zu tun, physiologische oder psychologische Erklärung der Entstehung oder des Bestandes eines solchen erworbenen psychischen Zusammenhangs liegen außerhalb ihres Gebietes (Beschr. Psych. S. 39 ff.). Das einzelne individuell geartete Seelenleben in seiner Ent- wicklung bildet den Stoff der psychologischen Forschung, ihr nächstes Ziel ist aber die Feststellung des Gemeinsamen in diesem seelischen Leben der Individuen. F Hier heben wir nun einen Unterschied heraus. Im Seelenleben be- stehen Regelmäßigkeiten, welche die Aufeinanderfolge der Vorgänge be- stimmen. An diesen Regelmäßigkeiten besteht der Unterschied, der hier zu erörtern ist. Die Art der Beziehung zwischen Vorgängen oder Momenten desselben Vorgangs ist in dem einen Fall ein charakteristi- sches Moment des Erlebnisses selbst: so entstehen die Eindrücke von Zu- sammengehörigkeit, Lebendigkeit im seelischen Zusammenhang. Die anderen Regelmäßigkeiten in der Aufeinanderfolge psychischer Vorgänge sind nicht charakterisiert durch die Erlebbarkeit ihrer Verbindungs- weise. Das verbindende Moment ist nicht im Erlebnis aufzuweisen. Wirklichkeit zu begründen. Hierbei ging ich im Gegensatz zu der idealistischen Ver- nunftlehre nicht auf ein Apriori des theoretischen Verstandes oder der praktischen Ver- nunft, das in einem reinen Ich gegründet wäre, sondern auf die im psychischen Zu- sammenhang enthaltenen Strukturbeziehungen zurück, die aufzeigbar sind. Dieser Strukturzusammenhang »bildet den Untergrund des Erkenntnisprozesses« (Beschr. Psych. S.1321 [13]. Die erste Form dieser Struktur fand ich in der »inneren Beziehung der verschiedenen Seiten eines Verhaltens« (S. 1374 [66]). Die zweite Form von Struktur ist die innere Beziehung, welche die auseinanderliegenden Erlebnisse innerhalb eines Verhaltens verbindet: so etwa Wahrnehmungen, erinnerte Vorstellungen und an die Sprache gebundene Denkprozesse (ebd... Die dritte Form besteht in der inneren Beziehung der Verhaltungsweisen aufeinander im psychischen Zusammenhang ([67] 1375). Suche ich nun hier diese meine Grundlegung einer realistisch oder kritisch objektiv gerichteten Erkenntnistheorie fortzubilden, so muß ich ein für allemal im ganzen darauf hinweisen, wie vieles ich den in der Verwertung der Deskription für die Erkenntnistheorie epochemachenden »Logischen Untersuchungen« von HusserL (1900. 1901) verdanke. 33 Gesammtsitzung vom 16. März 1905. — Mittheilung vom 2. März. Das Bedingtsein wird erschlossen. Wir verhalten uns sonach hier ähn- lich wie gegenüber (der äußeren Natur. Daher der Charakter des Un- tebendigen und Äußerlichen in diesen Zusammenhängen. Die Regel- mäßigkeiten dieser letzteren Art stellt die Wissenschaft fest, indem sie aus dem Nexus der Vorgänge einzelne Prozesse aussondert und an ihnen Regelmäßigkeiten induktiv erschließt. Assoziation, Reproduktion, Ap- perzeption sind solche Prozesse. Die an ihnen festgestellte Regelmäßig- keit besteht in Gleichförmigkeiten, die den Gesetzen der Veränderungen in der Sphäre der äußeren Natur entsprechen. Und zwar können die verschiedenartigen Faktoren in dem gegen- wärtigen Bewußtseinsstande auch da den nächsten Bewußtseinsstand bedingen, wenn sie zusammenhangslos wie Schichten in dem seelischen Bestande (status conscientiae) übereinander gelagert sind. Ein Eindruck, der von außen auf eine gegenwärtige seelische Lage eindringt, als ein ihr ganz Fremdes, ändert dieselbe. Zufall, Zusammengeratensein, Übereinandergeschiehtetsein — solche Verhältnisse machen sich in dem Bewußtseinsstande eines gegebenen Moments und in der Entstehung der seelischen Veränderungen beständig geltend. Und Prozesse wie Reproduktion oder Apperzeption können von allen diesen Momenten des Bewußtseinsstandes bedingt werden. Von diesen Gleichförmigkeiten unterscheidet sich eine andere Art von Regelmäßigkeit. Ich bezeichne diese als psychische Struktur. Und zwar verstehe ich unter psychischer Struktur die Anordnung, nach welcher im entwickelten Seelenleben psychische Tatsachen von verschiedener Beschaffenheit regelmäßig durch eine innere erlebbare Beziehung miteinander verbunden sind (Beschr. Psych. S. 1374 [66)]). Die Beziehung kann Teile eines Bewußtseinsstandes oder auch Er- lebnisse, die zeitlich auseinanderliegen, oder in solehen enthaltene Ver- haltungsweisen miteinander verbinden (Beschr. Psych. S. 1374ff. [66 ff] 1376ff. [6Sff]). Diese Regelmäßigkeiten sind also verschieden von den Gleichförmigkeiten, die an den Veränderungen des psychischen Lebens festgestellt werden können. Die Gleichförmigkeiten sind Regeln, die an Veränderungen aufgezeigt werden können; jede Veränderung ist so ein Fall, der in dem Verhältnis der Unterordnung unter die Gleichförmig- keit steht. Die Struktur dagegen. ist eine Anordnung, in welcher psychische Tatsachen durch innere Beziehung miteinander verknüpft sind; jede der so aufeinander bezogenen Tatsachen ist ein Teil des Strukturzusammenhangs; so besteht hier die Regelmäßigkeit in der Beziehung der Teile in einem Ganzen. Dort handelt es sich um das genetische Verhältnis, in welchem die psychischen Veränderungen von- einander abhängen, hier dagegen um die inneren Beziehungen, die am entwickelten Seelenleben aufgefaßt werden können. Struktur ist ein Dirraey: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. 5533) Inbegriff von Verhältnissen, in welchen mitten in dem Wechsel der Vorgänge, mitten in der Zufälligkeit des Nebeneinanderbestandes psychischer Bestandteile und der Abfolge psychischer Erlebnisse ein- zelne Teile des psychischen Zusammenhangs aufeinander bezogen sind. Was unter diesen Bestimmungen zu verstehen sei, wird deutlicher durch den Hinweis darauf, welche psychischen Tatsachen solche innere Beziehungen zeigen. Die Bestandteile des sinnlich Gegenständlichen, das im Seelenleben vorgestellt wird, wechseln beständig nach den Einwirkungen der Außenwelt, und von diesen ist die dem einzelnen Seelenleben gegebene Mannigfaltigkeit abhängig. Die Verhältnisse, die so zwischen ihnen entstehen, sind z. B. Zusammensein, Trennbarkeit, Unterschied, Ähnlichkeit, Gleichheit, Ganzes und Teile. Dagegen tritt im psychischen Erlebnis eine innere Beziehung auf, in welcher dieser Inhalt zu gegenständlichem Auffassen, oder zu Gefühlen, oder zu einem Streben steht. Es ist augenscheinlich, daß diese innere Beziehung in jedem dieser Fälle eine andere ist. Die Beziehung einer Wahrnehmung auf einen Gegenstand, der Schmerz über ein Ereignis, das Streben nach einem Gute — diese Erlebnisse enthalten deutlich von einander unterschiedene innere Beziehungen. Jede Beziehungsart konstituiert nun weiter in ihrem Bereich regelmäßige Beziehungen zwischen zeitlich getrennten Erlebnissen. Und endlich bestehen zwischen den Beziehungs- arten selber regelmäßige Beziehungen, durch welche sie einen psychi- schen Zusammenhang ausmachen. Ich nenne diese Beziehungen innere, weil sie in dem psychischen Verhalten als solchem gegründet sind; Be- ziehungsart und Verhaltungsweise entsprechen einander. Eine solche innere Beziehung ist diejenige, in welcher im gegenständlichen Auffassen ein Verhalten zu einem inhaltlich Gegebenen steht. Oder diejenige, in welcher in der Zwecksetzung ein Verhalten zu inhaltlich Gegebenem als der Öbjektvorstellung der Zwecksetzung steht. Und innere Be- ziehungen zwischen den Erlebnissen innerhalb einer Verhaltungsweise sind das Verhältnis des Repräsentierten zum Repräsentierenden oder des Begründenden zum Begründeten im gegenständlichen Auffassen, oder die von Zweck und Mittel, von Entschließung und Bindung im willentlichen Verhalten. Diese Tatsache der inneren Beziehung ist wie die ihr übergeordnete der Einheit eines Mannigfachen dem psychi- schen Leben ausschließlich eigen. Sie kann nur erfahren und auf- gewiesen, aber nicht definiert werden. Die Theorie der Struktur hat es mit diesen inneren Beziehungen zu tun. Und zwar nur mit ihnen, dagegen gar nicht mit den Ver- suchen einer Einteilung des Seelenlebens nach Funktionen oder Kräften oder Vermögen. Sie behauptet weder, noch bestreitet sie, daß es etwas dergleichen gebe. Sie präjudiziert auch nicht der Frage, ob das Seelen- 336 Gesammtsitzung vom 16. März 1905. — Mittheilung vom 2. März. leben sich aus einem Einfacheren zu dem Reichtum der strukturellen Beziehungen in der Menschheit oder im Individuum entwickele. Solche Probleme liegen ganz außerhalb ihres Bereichs. Die psychischen Vorgänge sind durch diese Beziehungen zu dem strukturellen Zusammenhang verknüpft, und diese strukturelle Be- schaffenheit des seelischen Zusammenhangs hat, wie sich zeigen wird, zur Folge, daß Erlebnisse wie Leistungen zu einem Gesamteffekt zu- sammenwirken. Dem strukturellen Zusammenhang wohnt zwar nicht Zweckmäßigkeit im objektiven Sinne inne, aber ein Zweckwirken in der Richtung auf bestimmte Bewußtseinslagen. Dies sind die Begriffe, durch welche hier vorläufig bestimmt wird, was unter psychischer Struktur zu verstehen sei. Die Strukturlehre erscheint mir als ein Hauptteil der beschrei- benden Psychologie. Sie könnte als ein eigenes, umfangreiches Ganze entwickelt werden. In ihr liegt vor allem die Grundlage der Geistes- wissenschaften. Denn die in ihr zu entwickelnden inneren Beziehun- een, welche die Erlebnisse konstituieren, die alsdann zwischen den Gliedern der Reihe von Erlebnissen innerhalb einer Verhaltungsweise bestehen und die endlich den strukturellen Zusammenhang des Seelen- lebens ausmachen, ferner das Verhältnis, in welchem hier einzelne Leistungen zu einem subjektiv teleologischen Zusammenhang zu- sammenwirken, und schließlich die Relation von Wirklichkeiten, Werten und Zwecken sowie die von Struktur zur Entwickelung — all dieses ist begründend für den ganzen Aufbau der Geisteswissen- schaften. Sie sind ebenso grundlegend für den Begriff der Geistes- wissenschaften und für ihre Abgrenzung von denen der Natur. Denn die Strukturlehre zeigt bereits, daß die Geisteswissenschaften es mit einer Gegebenheit zu tun haben, von der in den Naturwissen- schaften nichts vorkommt. Die Bestandteile des sinnlich Gegenständ- lichen sind, unter der Beziehung zum psychischen Zusammenhang auf- gefaßt, dem Studium des Seelenlebens angehörig; dagegen konsti- tuieren die sinnlichen Inhalte nach ihrer Beziehung auf äußere Gegen- stände die physische Welt. Nicht machen diese Inhalte die physische Welt aus, sondern diese ist der Gegenstand, auf den wir im auffas- senden Verhalten die sinnlichen Inhalte beziehen. Aber unsere An- schauungen und Begriffe von der physischen Welt drücken nur den Sachverhalt aus, der in diesen Inhalten als Beschaffenheiten des Gegen- standes gegeben ist. Naturwissenschaften haben mit dem Verhalten gegenständlichen Auffassens, in welchem sie entstehen, nichts zu tun. Die inneren Beziehungen, in denen die Inhalte im psychischen Er- lebnis stehen können, Akt, Verhalten, struktureller Zusammenhang, sind ausschließend Gegenstand der Geisteswissenschaften. Sie sind ihr Direney: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. 337 Herrschaftsbereich. Und diese Struktur sowie ferner die Art, wie PSy- chischer Zusammenhang in uns erlebt und an anderen verstanden wird — schon diese Momente reichen aus, um die besondere Natur der logi- schen Verfahrungsweisen in den Geisteswissenschaften zu begründen. Es wird dabei bleiben: der Gegenstand und die Art der Gegebenheit entscheidet über das logische Verfahren. Welche Mittel haben wir nun, um zu einer einwandfreien Auf- fassung der Strukturverhältnisse zu gelangen? 2. Die Auffassung der psychischen Struktur. Mit dem Wissen vom Strukturzusammenhang hat es eine eigene Bewandtnis. In der Sprache, dem Verständnis anderer Personen, der Literatur, den Äußerungen der Dichter oder der Historiker tritt uns über- all ein Wissen von den regelmäßigen inneren Beziehungen entgegen, um die es sich handelt. Ich habe Kummer über etwas, ich habe Lust etwas zu tun, ich wünsche das Eintreten eines Ereignisses — diese und hundert ähnliche Wendungen der Sprache enthalten solche inneren Beziehun- gen. Ich drücke in diesen Worten einen inneren Zustand aus, ohne mich über ihn zu besinnen. Immer ist es die innere Beziehung, die darin zum Ausdruck kommt. Ebenso verstehe ich, wenn jemand so zu mir spricht, sofort auch was in ihm vorgeht. Und die Verse der Dichter, die Erzählungen der Geschichtschreiber von den frühest zu- gänglichen Zeiten ab, vor aller psychologischen Reflexion, sind erfüllt von denselben Ausdrücken. Ich frage nun, worin dieses Wissen be- gründet sei. Das Gegenständliche, sofern es aus Sinnesinhalten be- steht, Gleichzeitigkeit oder Abfolge in demselben, logische Verhält- nisse zwischen diesen Inhalten können nicht Grund eines Wissens dieser Art sein. Schließlich muß dasselbe irgendwie in dem Erleb- nis gegründet sein, das ein solches Verhalten in sich faßt — eine Freude über etwas, ein Verlangen nach etwas. Das Wissen ist da, es ist ohne Besinnen mit dem Erlelfen verbunden, und es ist auch kein anderer Ursprung und Grund desselben auffindbar als eben in dem Erleben. Und zwar handelt es sich hierbei um Rückschlüsse von Ausdrücken auf das Erlebnis, nicht um ein Hineininterpretieren. Die Notwendigkeit der Beziehung zwischen einem bestimmten Erlebnis und dem entsprechenden Ausdruck des Psychischen wird unmittelbar er- lebt. Es ist die schwierige Aufgabe der Strukturpsychologie, Urteile zu vollziehen, welche die strukturellen Erlebnisse mit dem Bewußt- sein der Adäquation wiedergeben, die in einem Deckungsverhältnis zu bestimmten Erlebnissen stehen. Als unentbehrliche Grundlage dienen ihr dazu die in tausendjähriger Arbeit ausgebildeten und ver- Sitzungsberichte 1905. 33 338 Gesammtsitzung vom 16. März 1905. — Mittheilung vom 2. März. feinerten Ausdrucksformen des Psychischen, die sie weiter auszubilden und generell zu fassen hat, indem sie wiederum die Adäquation dieser Ausdrucksformen an den Erlebnissen selbst prüft. Fassen wir einen Augenblick die Äußerungen des Lebensverkehrs und der Literatur in ihrem ganzen Umfang ins Auge. Denken wir uns eine Auslegungs- kunst, welche auf die Interpretation derselben gerichtet ist: und es ist sogleich deutlich, daß das, worin diese Hermeneutik alles vorhan- denen geistigen Verkehrs sich gründet, eben die festen strukturellen Beziehungen sind, welche regelmäßig in allen geistigen Lebensäuße- rungen auftreten (meine Abhandlung über Hermeneutik, SıewArr-Ab- handlungen 1900). Aber ebenso sicher als das Wissen über diese strukturellen Be- ziehungen auf unser Erleben zurückgeht und als es andererseits unsere Interpretation aller geistigen Vorgänge möglich macht — ebenso schwie- rig ist es nun, die Verbindung festzustellen zwischen diesem Wissen und dem Erleben. Nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen verbleibt ja der inneren Beobachtung das Erlebnis selber präsent. Auf sehr ver- schiedene Art bringen wir das Erlebnis zu distinkt konstatierendem Be- wußtsein. Bald in diesem, bald in jenem Wesenszuge. Wir distin- guieren an den Erinnerungen. Wir heben in der Vergleichung innere regelmäßige Beziehungen heraus. Wir probieren in der Phantasie in einer Art von psychischem Experiment. An dem direkten Ausdruck des Erlebens, den die Virtuosen desselben, die großen Dichter und Religiösen gefunden haben, können wir die ganze Inhaltlichkeit des Erlebens ausschöpfen. Wie arm und dürftig wäre unsere psychologische Kenntnis der Gefühle ohne die großen Dichter, welche die ganze Ge- fühlsmannigfaltigkeit ausgesprochen und oft in überraschender Weise die strukturellen Beziehungen in dem Universum der Gefühle heraus- gehoben haben! Auch hier ist es wieder ganz gleichgiltig für solche Deskription, ob ich von meinem Subjekt den Band Gedichte von Goethe oder dessen Person sondere: die Deskription hat es nur mit dem Er- lebnis zu tun und gar nicht mit einer Person, in welcher dasselbe stattfindet. Sollen diese Probleme weiterverfolgt werden, so handelt es sich dabei für den Psychologen immer um die sorgfältige Unterscheidung dessen, was unter Erleben, Selbstbeobachtung, und Reflexion über die Erlebnisse zu verstehen sei und was nun in diesen verschiede- nen Weisen von Strukturzusammenhang gegeben ist. Was hierüber für die Grundlegung des Wissens zu sagen notwendig ist, kann nur bei der Erörterung der einzelnen Verhaltungsweisen aufgeklärt werden. ,)* Dirruey: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. 339 3. Die strukturellen Einheiten. Jedes Erlebnis enthält einen Inhalt. Unter Inhalt verstehen wir hier nicht die in einem übergreifenden Ganzen enthaltenen Teile, die im Denken aus diesem Ganzen ausge- sondert werden können. So gefaßt wäre der Inhalt der Inbegriff des Unterscheidbaren, das im Erlebnis enthalten und wie in einem ein- schließenden Gefäße umfaßt wäre. Vielmehr wird hier von dem am Erlebnis Unterscheidbaren nur ein Teil als Inhalt bezeichnet. Es gibt Erlebnisse, in denen nichts bemerkbar ist als ein psy- chischer Zustand. In den physischen Schmerzgefühlen kann das lo- kalisierte Brennen oder Stechen unterschieden werden von dem Gefühl, aber in dem Erlebnis selbst sind sie ununterschieden, daher besteht zwischen ihnen keine innere Beziehung, und eine Auffassung des Erlebnisses, welche das Gefühl hier als eine Unlust über das Nagende oder Bohrende auffassen würde, täte dem Sachverhalt Gewalt an. Ebenso treten im Triebleben Zustände auf, in denen keine bestimmte Öbjektvorstellung mit dem Streben verbunden ist, und so ist auch hier im Sachverhalt nichts von einer inneren Beziehung zwischen Akt und Gegenstand enthalten. So darf man wol die Möglichkeit von Erlebnissen nicht ausschließen, in denen eine Beziehung eines Sinnesinhaltes auf einen Akt, in welchem er für uns da ist, oder auf einen Gegenstand oder eine Beziehung eines Gefühls oder Strebens auf diesen Gegenstand nicht enthalten ist.‘ Dies mag man sich nun zurechtlegen wie man will. Man mag sagen, daß diese Erlebnisse die untere Grenze unseres Seelenlebens bilden, daß über ihnen sich diejenigen aufbauen, in denen in Wahrnehmen oder Fühlen oder Wollen ein Verhalten zu einer Inhaltlichkeit, auf welche dies Ver- halten sich bezieht, als ein Unterscheidbares enthalten sind. Für die Feststellung der strukturellen Einheit in Erlebnissen, die hier unseren Gegenstand bildet, genügt der ausgedehnte Bestand von inneren Be- ziehungen zwischen Akt — dies Wort im weiteren Sinne genommen — und Inhalt an Erlebnissen. Und daß solche Sachverhalte im weitesten Umfang bestehen, kann nicht bezweifelt werden. So ist der Gegen- stand in dem Erlebnis der äußeren Wahrnehmung bezogen auf den Sinnesinhalt, in dem er mir gegeben ist. Dasjenige, worüber ich ! Diese Sätze wollen nur die höchst schwierigen Fragen, welche bei Einordnung der angegebenen Tatsachen unter den Begriff des Verhaltens entstehen, ausschließen; denn von ihrer Beantwortung ist der hier entwickelte Begriff von Struktur unabhängig. Zumal für die erkenntnistheoretische Grundlegung scheint mir nicht von Belang, ob eine genauere deskriptive psychologische Untersuchung eine solche Einordnung ablehnt oder, wenn sie dieselbe annimmt, wie sie dann den Sachverhalt sich zurechtlegt. 29% 6737 340 Gesammtsitzung vom 16. März 1905. — Mittheilung vom 2. März. Unlust empfinde, ist bezogen auf das Unlustgefühl selbst. Die Objekt- vorstellung in der Zwecksetzung ist bezogen auf das willentliche Ver- halten, welches auf die Verwirklichung des Objektbildes tendiert. Wir nennen das Gesichtsbild, die Harmonie oder das Geräusch den Inhalt eines Erlebnisses, und von diesem Inhalt ist unterschieden und auf ihn bezogen das Verhalten, das diesen Inhalt vermutet oder behauptet, fühlt oder wünscht oder will. Ich stelle vor, urteile, fürchte, hasse, begehre: dies sind Verhaltungsweisen, und immer ist es ein Was, auf das sie sich beziehen, so wie ein jedes Was, jede inhaltliche Be- stimmtheit in diesen Erlebnissen nur für ein Verhalten da ist. Ich gewahre eine Farbe, ich urteile über sie, sie erfreut mich, ich begehre ihre Gegenwart: mit diesen Ausdrücken bezeichne ich verschiedene Verhaltungsweisen, welche sich auf dieselbe Inhaltlieh- keit im Erlebnis beziehen. Und ebenso kann dasselbe Verhalten des Urteils wie auf die Farbe sich auch auf andere Gegenstände beziehen. So entscheiden weder die Verhaltungsweisen über die Anwesenheit von Inhalten, noch die Inhalte über das Auftreten von Verhaltungs- weisen. Wir sind daher berechtigt, diese beiden Bestandteile des Er- lebnisses voneinander zu sondern. Und zugleich finden wir dieselben im Erlebnis zu einer strukturellen Einheit verbunden. Denn zwischen dem Akt und dem Inhalt besteht eine im Verhalten gegründete Be- ziehung. Wir nennen sie eine innere, weil sie erlebbar und in einer Regelmäßigkeit des Verhaltens gegründet ist. So erweisen sich Erlebnisse als strukturelle Einheiten, und aus ihnen baut sich dann die Struktur des Seelenlebens auf. Nun aber tritt ein weiterer bedeutsamer Beziehungspunkt in dem Erlebnis auf. Wie dasselbe Inhaltliches auf die Gegenstände bezieht, so scheint es nach der anderen Seite auf ein Ich sich beziehen zu müssen, das sich verhält. In dem Erlebnis ist dieser zweite Be- ziehungspunkt keineswegs in der Regel enthalten. Je mehr die Hin- wendung auf das Gegenständliche in dem Auffassen oder Streben vor- wiegt, desto weniger ist im Erlebnis von einem Ich bemerkbar das auffaßt, ja selbst von einem solchen das strebt. Wenn Hamlet auf der Bühne leidet, ist für den Zuschauer sein eigenes Ich ausgelöscht. In dem Streben. eine Arbeit zu vollenden, vergesse ich im wört- lichen Verstande mich selbst. Wol ist in dem Lebensgefühl, in dem eine Lage zur Umwelt in Lust oder Unlust, in Haß oder Liebe ge- fühlt wird, diese Beziehung immer gegenwärtig. Und je entschiede- ner das Wollen sich der Welt in eigenen Zweckbestimmungen ent- gegensetzt, je stärker seine Einschränkung empfunden wird: desto entschiedener tritt die Beziehung seines Verhaltens ebenso wie auf Gegenstände, so auch auf das, das sich verhält, das wünscht, be- ee & : _ Dirsrney: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. 341 gehrt oder will, hervor. Aber das Hinzutreten der Ichvorstellung in diesen Vorgängen kann verschieden psychologisch interpretiert werden. Tritt man jedoch vom Erleben auf den Reflexionsstandpunkt, dann wird die Beziehung des Verhaltens auf dasjenige, welches sich ver- hält, unvermeidlich. Eben dies wird auf dem Reflexionsstandpunkt auch durch die Anwendung des Begriffes von Beziehung gefordert. Ist in dem Verhalten eine Art der Beziehung enthalten, dann fordert die Reflexion, ein Ich hinzuzudenken, das in einer bestimmten Be- ziehung zu den mannigfachen Inhalten steht oder zu einem bestimmten Inhalt in mannigfachen Beziehungen. So wird auf dem Standpunkte der Vergegenständlichung des Er- lebnisses und der Reflexion über dasselbe das neue Erlebnis in Ver- hältnis gesetzt zu meiner Kenntnis eines psychischen Zusammenhangs, welehem unter anderen Erlebnissen auch dies gegenwärtige angehört. Das innere Strukturgefüge, das so für die Reflexion entsteht, ist das des psychischen Zusammenhangs, der Zugehörigkeit des neuen Er- lebnisses zu diesem Zusammenhang und endlich eines Verhaltens dieses psychischen Zusammenhangs in diesem wie jedem anderen Erlebnis zu einer gegenständlichen Welt. Nenne ich diesen Zusammenhang mein Ich oder mein Subjekt, dann steht dieses in bestimmten Be- ziehungen zur gegenständlichen Welt: ich sehe Gegenstände, leide unter ihnen oder will sie haben. Diese Ausdrucksweise ist für das gegenständliche Denken auch dann richtig, wenn von einem Ich in dem Einzelerlebnis selbst nichts vorkommt. 4. Der Strukturzusammenhang. Wir fassen jetzt die Beziehungen ins Auge, welche zwischen den in Erlebnissen aufgefaßten Struktureinheiten bestehen. Wir finden in bestimmten Erlebnissen eine innere Beziehung zwischen Akt und Inhaltlichkeit. Der Charakter dieser Beziehung ist ein Verhalten zu der Inhaltlichkeit. Das Verhalten steht hier zu der Inhaltlichkeit nicht in einem nur zeitlichen oder einem logischen Verhältnis. Weder laufen hier nur gleichsam verschiedene Schichten geistiger Tatsachen als Inhalte und Verhaltungsweisen nebeneinander her, noch ist hier nur von einem logischen Verhältnis die Rede, das in der Reflexion auf diese beiden entsteht, sondern zwischen beiden besteht die innere Beziehung, die wir als Struktureinheit bezeichnet haben. Das Ver- hältnis von Trennbarem in einem Ganzen, das diese Beziehung aus- macht, ist sui generis: es tritt nur im psychischen Leben auf. Und zwar ist es der einfachste Fall psychischer Struktur (Beschr. Ps. 1374 [66)). Zugleich sind nun aber alle die Erlebnisse, in denen dasselbe Ver- halten gegenüber Inhaltliechkeiten stattfindet, nicht nur hierin ein- 342 Gesammtsitzung vom 16. März 1905. — Mittheilung vom 2. März. ander verwandt, sondern es treten auch zwischen ihnen solche Beziehungen auf, wie sie in der Natur der Verhaltungsweise ge- gründet sind. Endlich stehen die Verhaltungsweisen selber in inneren Bezie- hungen zueinander und machen so ein zusammengesetztes Ganze aus. So entsteht der Begriff eines strukturellen seelischen Zusammen- hanges. Und hier tritt nun ein weiterer merkwürdiger Zug der Struktur auf. Dieselbe verwebt auch in sich Wahrnehmen, Gefühl, Wollen zu Zusammenhängen durch Verbindung mehrerer innerer Beziehungen zu dem Ganzen eines Vorganges oder Zustandes. Das Erkennen ist in dem Forscher ein Zweckzusammenhang: hier ist die Beziehung, die wir Wollen nennen, mit der die wir als gegenständliches Auffassen bezeichnen, zu der Struktureinheit Eines Verlaufs verbunden, und in diesem ganzen Zweckzusammenhang wirken Einzelleistungen zusammen zur Herbeiführung von Zuständen, die irgendwie im Bewußtsein einen Wert- oder Zweckcharakter haben. Diese Struktur des psychischen Zusammenhanges zeigt augen- scheinliche Ähnlichkeiten auf mit der biologischen Struktur. Verfolgt man aber diese Ähnlichkeiten, so gelangt man doch nur zu vagen Analogien. Die Wahrheit ist vielmehr, daß eben in diesen Eigen- schaften des Seelenlebens, nach welchen es ein struktureller Zusammen- hang ist, der Unterschied beruht zwischen dem, was uns im Erlebnis sowie in der Reflexion über dasselbe gegeben ist und den physischen Gegenständen, die wir auf Grund der gegebenen Empfindungskom- plexe konstruieren. 5. Die Arten der strukturellen Beziehung. Die Mannigfaltigkeit des Inhaltlichen ist grenzenlos. Aus ihm setzt sich die ganze gegenständliche Welt zusammen, auf die wir uns in unserem Verhalten beziehen. Und auch was wir als Verhalten zu diesen Inhalten bezeichnen, stellt sich zunächst der Zahl nach als unbestimmt dar. Fragen, Meinen, Vermuten, Behaupten, Lust, Bil- ligung, Gefallen und ihr Gegenteil, Wünschen, Begehren, Wollen sind solche Modifikationen des psychischen Verhaltens. Seine Unterschiede können nicht aus dem Wechsel des Inhaltlichen abgeleitet werden, auf das ein Verhalten sich bezieht; denn bei dem Wechsel der In- halte kann dasselbe Verhalten fortbestehen. Zwischen den Modifika- tionen des Verhaltens bestehen Verwandtschaften. Indem man aber diese Modifikationen vergleicht, gelangt man auf ein Verhältnis wie das von gegenständlichem Auffassen und Gefühl: diese beiden sind nur darin verwandt, daß sie eben ein Verhalten sind. Auch zeigt Dirrney: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. 343 sich, daß bei der Änderung äußerer Bedingungen eine solehe Modi- fikation übergeht in eine andere. Wenn die Umstände, von denen die Verwirklichung eines Begehrens abhängt, in Wegfall kommen, so kann das Begehren in einen Wunsch übergehen. Und wenn die Be- ziehung eines Empfindungskomplexes auf einen Gegenstand sich als irrig erwiesen hat, so wandelt die Aussage über den Gegenstand sich um in Zweifel oder in Frage. Ein Prinzip, das in diese Mannigfaltigkeit des Verhaltens Ordnung bringt, liegt nur in der Unterscheidung der Arten von innerer oder struktureller Beziehung, welche in ihr vorgefunden werden. Es gilt sonach, dies Prinzip an den gegebenen psychischen Sachverhalten zur Anwendung zu bringen. Ausgegeben am 23. März. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. XV. XVI. " 23. März 1905. BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Auszug aus dem Reglement für die Redaetion der » Sitzungsberichte Ku 81. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr Pehteipen! Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Olasse ungerade Nummern. 52. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung ‘geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Seeretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte, Derselbe Secretar führt die Oberaufsicht über die Redac- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. °6. 1. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberiehte gelten neben $41, 2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nieht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt-Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzsehritten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforierliche Auflage eingeliefert ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- 4 für die darin aufgenommenen kurzen nee _ gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für die öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung. der Gesammt - Akademie oder der betreffenden Classe. h A S8. ? Aa 5. Auswärts werden Correeturen nur auf besonderes. Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tage Fall $ 11. l. Der Verfasser einer unter den » Wissenschaftlichen Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabäräcke mit einem Umschlag, auf welchem: der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, ‚Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter ‚der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- : berichte und einem angemessenen Titel nicht über SIE, Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag. fort. 2 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch. hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von. wein hundert (im ganzen also 350) zu unentge| tlicher r Ver- theilung abziehen zu lassen, sofern er diess. rechtzeiti ar dem redigirenden Secretar angezeigt hat; wünscht er auf \ seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder - erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Seeretar weitere 200 Exomz R plare Auf ihre "Kosten abziehen lassen. ee: 28. FONE 1. Jede zur Aufnahme in die Sitzungsberichte ber stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung: vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie, alle Nichtmitglieder, haben hierzu die‘ Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benu zen. 2 Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder corre- spondirender Mitglieder direet bei der Akademie oder bei einer der Classen FRE HEN so. hat sie der vorsi ende Secretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, ‚ deren Verfasser der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst eg & N scheinenden Mitgliede zu überweisen. 3 ur BR [Aus Stat. $ 41,2. — Für die Aufnahme bedarf es einer ausdrücklichen Genehmigung der ademie ode er 2 einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag. kanı sobald das Manuseript. druckfertig. Yarliaehe Br gestellt und sogleich zur Aukumug gebracht :rder 829. Ze ER 1. Der revidirende Secretar ist für den Inhalt de z für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte 2 Rs nach jeder Richtung nur die Meran verant- wortlich. i il ae Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte- an diejenigen Stellen, mit N sie im Schriftverkehr pen): wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämich®e die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, RR ER, » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, B3% » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres nach Fertigstellung des Raten 345 SITZUNGSBERICHTE 1905. XV. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 23. März. Sitzung der philosophisch -historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. VAuLen. *]. Hr. Lenz las über die Entstehung der Statuten der Ber- liner Universität. Die Entwürfe des provisorischen Reglements vom 24. November 1810 und der Statuten vom 31. October 1817, sowie die mit ihnen zusammenhängenden Verfügungen, Anschreiben und Eingaben seitens des Ministeriums und der Universität werden der Reihe nach bestimmt und besprochen, der Antheil der Mitarbeiter nach den Concepten festgestellt und einige besonders charakteristische Unterschiede hervorgehoben. 2. Hr. TogLer setzte die Mittheilung der früher (1902 S. 1072 bis 1092) gegebenen Vermischten Beiträge zur französischen Grammatik fort. Die diesmal vorgelegten beziehn sich auf Einzelheiten des heutigen Sprachge- brauchs: ı. auf den Gebrauch des (natürlich ohne «2 auftretenden) Gerundiums subjeect- loser Verba (n’y ayant rien de plus naturel), 2. auf den von einigen missbilligten satz- adverbialen Ausdruck aussi bien (»denn auch«, »ja auch«), 3. auf die viel eher an- fechtbaren und früher als im 17. Jahrhundert kaum nachzuweisenden Verbindungen von der Art von rien que de naturel u. dergl., die von niemand beanstandet werden. 3. Hr. Dırtury legte eine zweite Studie zur Grundlegung der Geisteswissenschaften vor. (Ersch. später.) Dieselbe behandelt das gegenständliche Auffassen und untersucht den structu- rellen Charakter der Auffassungserlebnisse und die Beziehungen zwischen ihnen, durch welche sie einen Zusammenhang ausmachen. 4. Derselbe legte die photographische Aufnahme eines Jugend- briefes von Kant (28. October 1759) vor, den Hr. Dr. GROETHUYSEN auf der Bibliotheque Vıcror Cousin vorgefunden und Hr. EmızE Cna- Teraın, Mitglied des Instituts, gütigst hat photographiren lassen und unsrer Akademie für die Kant-Ausgabe zur Verfügung stellt. 5. Vorgelegt wurde das mit Unterstützung der Akademie er- scheinende Werk A. Fıscner, Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts. Herausgegeben von W. Tümeer. Band 2. Güters- loh 1905. ı 3 ESitzungsberichte 1905. 34 346 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 23. März 1905. Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik. Von A. TogLEr. D» N’y ayant rien de plus naturel que ceci. vn dem ‚absolut’ d.h. nicht in klar erkennbarem Kasusverhältnis zum Verbum des Hauptsatzes auftretenden Gerundium ist viel gehandelt worden, sowohl von den Fällen, wo es von einem Substantiv zur Be- zeichnung des Subjekts für die im Gerundium angegebene Handlung begleitet ist (les medecins ayant permis que .., on transporta le malade ..), wie von denjenigen, wo in gleicher Funktion ein betontes Pronomen sich mit ihm verbindet (lwi-meme fe derobant, on interrogea la famille), von denen auch, wo eines Subjektes gar nicht ausdrücklich gedacht ist (humainement parlant, generalement parlant, s. Littre u. parler 30°), gar nicht zu gedenken derer, wo das Gerundium von der Präposition en begleitet auftritt. Fast nirgends aber ist davon die Rede, ob solcher Gebrauch auch für subjektlose Verba bestehe, bei denen ein Subjekt auch nicht in der unbestimmten Weise vorgestellt werden kann, wie es bei generalement parlant doch immer noch der Fall ist. Und wo die Sache berührt ist, scheint es mir nicht immer mit der nötigen Vor- sicht und Umsicht geschehen zu sein. Von denen ganz zu schweigen, die selbst zur Sache schweigen, während man erwarten durfte, sie würden sich darüber äußern, erwähne ich den trefflichen Hölder, der S.469 von dem Falle handelt, wo ‚das Subjekt das unpersönliche ist” oder doch, hätte er besser gesagt, ein solches ö auftreten würde, wenn ein Verbum finitum zur Anwendung käme, während neben dem Gerundium, wie Hölder richtig sagt, ‚das Subjekt des verkürzten Ad- verbialsatzes gar nicht ausgedrückt ist’. Er hat dabei nicht auseinander gehalten die Fälle, wo ein Subjekt tatsächlich doch vorhanden, nur daß es in Form eines dem Verbum nachfolgenden statt eines ihm vor- Siehe Sitzungsberichte 1902 S. 1072 —1092. Vgl. quante cofe belle & necejjario che fieno mandate a male, volendo ftabilire quefto nuovo ordine (‚wenn man diese neue Ordnung einführen will’), Leopardi, I Copernico Se. 1. . ErGBrT) -. . ‘ ler i Tosgter: Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik. 347 angehenden Substantivs oder auch in Form eines nachfolgenden Sub- jektsatzes gegeben ist und deshalb nach neufranzösischem Gebrauche dem Verbum finitum ein «/ vorangehen würde, und andererseits die- jenigen, wo wirkliche Subjektlosigkeit besteht. Die beiden Arten von Fällen haben soviel allerdings gemein, daß das im Altfranzösischen noch nicht erforderte :/, das heutiger Gebrauch dem Verbum finitum gemeiniglich zum Begleiter gibt, vor dem Gerundium ausbleibt, wie es denn da auch gar nicht stehn kann, weil das Gerundium von einem Pronomen als seinem Subjekt nur die betonte Form neben sich duldet, zu dem neutralen i/ aber eine solche nicht besteht. Sonst aber sollten ne hui reftant plus aucune efperance und etant etabli que c’etait affez nicht mit y ayant beaucoup de chofes zusammengefaßt werden. Daß ‚diese An- wendung des Partizips (Gerundiums) nicht mehr gebräuchlich’ sei, ist nicht richtig, wie sich aus unten beizubringenden Stellen er- geben wird. Lücking, Schulgramm. (1880) $361 Zus.2, Ayer, Gramm. comp. (1882) S.523 fügen nichts hinzu und behaupten gleichfalls, die in Rede stehende Ausdrucksweise sei veraltet, was wenigstens Seeger I, S.144,6 nicht wiederholt. Eingehender und unter Anführung zahl- reicher Beispiele handelt von der Sache Haase, Franz. Synt. des XVII. Jahrh. $95D (S.235 der sorgfältigen Übersetzung), wo allerdings die Scheidung zwischen Fällen wirklicher Subjektlosigkeit und solchen bloßer Nachstellung des in einem Substantivum oder in einem Infinitiv oder in einem abhängigen Satze gegebenen Subjektes auch nicht voll- zogen, aber doch die Behauptung nicht wiederholt ist, das Gerundium des subjektlosen Verbums komme nicht mehr vor. Das Verdienst, die Belege für die in Betracht kommenden Erscheinungen zusammengetragen zu haben, wird auch hier zum größeren Teil den Verfassern der In- troductions grammaticales in den Ausgaben der Grands eerivains gebühren. (Diesen haben sich 1900 auch die Herren Desfeuilles für Moliere zu- gesellt.) Hier folgen noch einige Beispiele, die zeigen sollen, daß das Gerundium ohne vorangehendes substantivisches Subjekt immer noch üblich ist. Es sollen aber die Fälle, wo ein Subjekt doch vorhanden ist, geschieden werden von den andern: n’etant pas probable que nous echappions jamais a la neceffite de mourir, nous fommes en prefence ici d’une caufe de pe/fimifme, Rev. bleue 1886 I ı4ıb; le perfonnage ou le portrait (des Onuphre bei La Bruyere) /’eloigne de la realite, .. n’etant point humain que Tartuffe n’ait point de defaut a fa cuiraffe, Brunetiere eb. 1891 I 791ıb; on ne f’explique pas d’abord pourquoi on a fait com- mencer ainfi cette pagination, etant d’ailleurs certain qui n'y a aucune lacune, Romania XV 167. Im anderer Weise liegt ein 34* 348 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 23. März 1905. Subjekt vor, wenn gesagt wird: les aveugles font gais, on la re- marque. Ils le font — en general, n’etant pas tous coules au meme moule, et [’en pouvant rencontrer d’humeur taciturne et ren- fermee, Rev. bl. 1902 II 336b, wo en ein Substantivum ‚mit ‚Teilungsartikel’ vertritt. Wirkliche Subjektlosigkeit liegt dagegen vor, wenn Bossuet sagt: ne pouvant pas y avoir grande difference entre de la boue et de la boue, Serm. Sept., wo powvoir dadurch, daß ein subjektloser In- finitiv von ihm abhängt, selbst subjektlos wird; i n’etait pas d’avis qu’on le regüt, en etant des poötes comme des femmes; quand il y en a deux dans une maifon, il y en a une de trop, Scarron, Rom. com. III, Kap. 3;' am häufigsten stößt man auf das Gerundium von Ü ya, wovon Beispiele aus dem siebzehnten Jahrhundert schon öfter gegeben sind, aber auch aus späterer und aus neuester Zeit nicht fehlen: en effet, n’y ayant aucun rapport entre chaque jenjalion et lobjet qui l’occafionne, ou du moins auquel nous le (1. la) rapportons, il ne parait pas qu’on puiffe trowver, par le raifonnement, de pa/fage poffible de l’un a lautre, D’Alembert, Dise. prelim. S; :2 poffedait une in/truction tres varice et tres profonde, qwil laiffait entrevoir dans es articles plus quil ne la deployait, n’y ayant pas chez lui ombre de pedanterie, Sarcey in Rev. bl. 1890 II 740a; n’y ayant pas de ‚terrain’, fi je puis ainfi parler, plus favorable au developpement des pa/fions que l’äme des grands et des puiffants de ce monde, il n’y a donc pas non plus d’dmes plus tragiques, Brunetiere eb. 1891 II 677a: on ne louera jamais trop Vexpofition de Tartuffe, n’y ayant rien peut- etre au Iheätre ni de plus large, ni de plus fimple, ni de plus habile, ders. eb. 1891 Il 790b; la femme eft presque loujours confervatrice, ce dont je ne fonge pas a la blämer, n’y ayant rien de plus na- turel que ceci, que U’homme ait linitiative et la femme le tempera- ment et la prudence, Rev. bl. 1902 1 609b. Daß im Italienischen in Fällen, wo das Subjekt nur unbestimmt vorgestellt wird (generalmente parlando) oder in Form eines Infinitivs ! Unter den Bemerkungen über guten Sprachgebrauch, die Frl. Samfirefeo aus Conrarts Nachlaß mitteilt (Festgabe für Brunot, 1904, S. 307), findet sich eine, die den va, il n’en va pas durch il en eft, il n’en e/t pas ersetzt wissen will (es handelt sich dabei, ohne daß es ausgesprochen wird, nur um die subjektlosen Ausdrücke mit der Bedeutung ‚es geht damit’, ‚es ist damit’). Er gibt als Beispiel des Nichtguten Plus nous fuyons notre mort, plus toft achevons-nous la courfe de noftre vie; allant d’elle proprement come d’une lampe, ol plus le lumignon eelaire, et plus toft U’huie y defaut, und fügt hinzu: Cet allant d’elle n’est pas fupportable, c’eft encore il en eft d’elle quil Jaudroit. Warum ersetzt er nicht Gerundium durch Gerundium? Man sollte denken, en etant d’elle hätte ihm noch nicht so ungebräuchlich vorkommen müssen, wie es heutigen Franzosen erscheinen darf. Toster: Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik. 349 oder eines Nebensatzes hinzugedacht werden kann (bifognando, occor- rendo) oder wirklich völlig fehlt, das Gerundium durchaus üblich ist, lehrt Vockeradt $ 323 Anm. ı, wo aber Beispiele für echte Imper- sonalia vermißt werden. Daß deren reichlich zu finden sein müßten (piovendo, nevicando), darüber ließ mir eigenes Erinnern keinen Zweifel. Nun hat die Dienstwilligkeit meines lieben Kollegen Hecker mich mit reichlichen Belegen aus der Literatur versehen, wie sie sich in Tom- maseo-Bellini zusammensuchen ließen: E anco, e/fendo piovigginato alguanto, [pruzzolava ancora un poco, Varchi, Storie X 314; e/fendo il freddo grande e nevicando tuttavia ‚forte, Decam. II 2 (Fanf. I S. 89); grandinando tuttavia, eb.V 7 (Fanf. II S. 49): /ampando alla fpe/fa e plovendo fortemente, Guido G.A.lib.31; beftia da donne gravide e piovani, e bifognando, beftia carrettiera, Gigli. Gazz. La mula di Pitti; verremo occorrendo, Tommaseo-B., Bd. Il, ı S. 567. An den beiden letzten Stellen und bei dem heute noch ganz gewöhnlichen a Dio piacendo ‚wenn es Gottes Wille ist’ wird von eigentlicher Subjektlosigkeit nicht zu reden sein, sondern nur von unausgesprochenem Subjekte. 6. auffi bien. Verdient es wirklich als ‚Verunstaltung der französischen Sprache’ gebrandmarkt zu werden, wie Emile Deschanel geurteilt hat, wenn man auffüi bien da braucht, wo allenfalls auch das bloße au/fi genügen würde? (Les deformations de la langue frangaife, Paris 1898 S. 31). Er hatte dabei natürlich nicht das au/fi im Auge, das vor Adjektiven oder Adverbien stehend Gleichheit des Grades einer Eigenschaft oder einer Modalität mit einem bereits bekannten oder sogleich zu be- stimmenden Grade anzeigt, sondern jenes andere, das als sogenanntes ‚Satzadverbium’ einen zweiten Sachverhalt als ganz entsprechend einem zuvor festgestellten ersten einführt, in der Weise entsprechend, wie die natürliche Wirkung ihrer Ursache oder umgekehrt die erklärende Ursache der aus ihr zu erklärenden Wirkung entspricht. Ganz zu- treffend und zugleich in glücklicher Kürze sagt der Dietionnaire general, dieses auffi bedeute conformement a ce qui vient d’etre ewprime, wozu man höchstens als Erläuterung, aber nicht als unentbehrlich, den Hin- weis auf die zwei Arten wünschen könnte, in welchen, dem eben Gesagten gemäß, jene conformite verwirklicht sein kann. Deschanel war der Meinung, von den zwei nach seiner Ansicht unerlaubterweise vermengten Arten der Satzverbindung (aussi und aussi bien) bedeute die eine ce/t pourquoi (sie würde also immer die Wirkung an die 350 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 23. März 1905. Ursache reihen). Die andere bedeute d’ailleurs; sie würde also viel- leicht einführen, was dem vorher Gesagten zur Begründung, Er- klärung dienen soll, wenn des Verfassers Meinung nicht eher dahin ging, es werde damit eine bisher noch gar nicht in Betracht gezogene, zu anderem hinzutretende, auch ihrerseits vorher Gesagtes recht- fertigende Tatsache angereiht, wie dies auch Sachs zu glauben scheint, wenn er au/fi bien mit ‚ohnehin’, ‚so wie so’ übersetzen heißt. Letzte- res nun trifft ohne Zweifel in manchen Fällen zu (man sehe z. B. die von den Hrn. Desfeuilles aus Moliere gesammelten Beispiele), aber keineswegs immer. In folgenden Sätzen z.B. handelt es sich nicht um weitere Begründung für bereits verständlich Gemachtes, sondern um einfache Zurückführung einer Tatsache auf eine andere: elle voit qu’ü (ihr Hund) e/t bon, et elle aime la bonte. Aussi bien (‚ja doch’, ‚auch wirklich’) /a bonte eft-elle une chofe douce a rencontrer, AFrance, PNoziere 66; es ist von gewissen paillettes inquietantes die Rede ge- wesen, qui f’allument parfois dans le regard de Louifette ... Aujffi bien, les paillettes n’avaient-elles pas trompe M"“ Voulnois; Louijette a un amant, das Auffallen jener leuchtenden Blicke war also berechtigt, Rev. bl. 1896 II 600a. Bei Corneille sagt Prusias zu seinem Sohn, da der Gesandte Roms empfangen werden soll: Vous l’ecouterez, prince, et repondrez pour moi. Vous etes auffi bien le veritable roi, Je n’en fwis plus que l’ombre (hier ohne Inversion), Nicom. I 2; bei Racine sagt Hermione, entschlossen den Tod des Pyrrhus, der sie verschmäht, herbeizuführen: qui periffe! auffi bien il ne vit plus pour nous; (gleich- falls ohne Inversion), Androm. V ı, und ähnliches lehren verschiedene der von Littre unter aussi 6 beigebrachten Stellen und solche, die man bei ihm im Historique (aus dem 16. Jahrh.) findet, z.B. aus Rabelais, wo dieser von der Gleichgültigkeit aller Menschen gegen- über dem Ergehn dessen handelt, der nie andern geborgt hat: il aura beau crier a Vaide, au feu, a l’eau, au meurtre: perfonne ne ira a fe- cours .., perfonne n’a interefi en fa conflagration, en fon naufrage, en sa ruine, en sa mort. Aussi bien ne preftoit il rien, II 3.‘ Aber auch ' Ein Sonett Sainte-Beuves (von 1841, mitgeteilt von Leon Seche in seinem Buche über den Diehter und Kritiker 1904, Bd. II S. 200) beginnt: Puisywaujfi bien tout pajfe et que l’amour a lu, Puisqu’apres le flambeau ce n’eft plus que la cendre, ... Si le loifir du chant me revient aujourd’hui, Qu’en faire, Mufe aimee! Man könnte daraus den Schluß ziehn wollen, es brauche, wo ein Satz mit aujfi bien eingeleitet wird, die Anknüpfung an Vorangehendes gar nicht stattzufinden. Der Schluß würde übereilt sein. Die Anknüpfung besteht auch hier, bloß diesmal an etwas unausgesprochen Gebliebenes, an das die Seele des Dichters unablässig quälende Bewußtsein, seine warme Neigung sei unerwiedert geblieben, eine frohe Hoffnung könne sich nicht er- füllen. Die schmerzliche Tatsache wird auch hier auf ein Allgemeines zurückgeführt, auf den Satz, daß nichts Bestand hat. Toster: Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik. 351 die andere Art der conformite tritt bei guten Schriftstellern, durch auffi bien angedeutet, entgegen, die zwischen der im zweiten Satze angegebenen Tatsache und der im ersten Satze zum Ausdrucke ge- brachten, von denen jene als natürliche Folge von dieser hingestellt werden soll, so daß beim Übersetzen ins Deutsche zu dem ‚denn auch’, ‚aber auch’, das wie aussi bien beide Arten der conformite andeutet, in diesem Falle ein ‚infolgedessen’ gefügt werden kann: tous les parents de Juliette Lamber .. et fes amis en exprimaient (nämlich des idees gene- rales) a qui mieux mieus, et d’excellentes, qui, auffi bien (weil sie von so vielen verschiedenen Seiten stammten), etaient contradictoires, Rev. bl. 1902 1 763a; elle (la France) f’apercevra bientöt que fa feule puiffance Jolide et durable fut dans fes orateurs, fes philofophes, fes cerivains et ‚fes favants. Auffi bien, faudra-t-i quelle reconnaiffe un jour que la force du nombre ... lhui echappe definitivement et quil e/ft temps pour elle de fe refigner a la gloire que hu affurent lexercice de Vefprit el Vusage de la raifon, AFrance, Sur la pierre blanche 234. Daß für die Einführung des auffi bien in gleichem Sinne wie auffi Jules Janin die Verantwortlichkeit zu tragen habe, wie Deschanel meint, ist keinesfalls richtig; der Gebrauch ist, wie wir gesehen haben, viel älter. Es scheint aber auch gegen ihn sich weiter gar nichts einwenden zu lassen, als daß neben auffi, das jene beiden Arten der Übereinstimmung oder Entsprechung schon für sich allein zum Aus- drucke zu bringen vermag, ein bien allenfalls entbehrt werden könnte. Darum ist es jedoch nicht müßig. Es bringt als ‚Satzadverbium’ zum Ausdrucke, daß an dem Sachverhalte, der den Inhalt des mit auffi eingeleiteten Satzes bildet. nicht zu zweifeln sei, daß er ‚wirk- lich’, ‚in der Tat’ bestehe; und der vorangehende Satz, der durch den nachfolgenden seine Erklärung erhalten oder nach seinen Folgen ge- kennzeichnet werden soll, empfängt unzweifelhaft dadurch ebenfalls erhöhtes Gewicht, daß dieser zweite nachdrücklich durch bien bekräf- tigt wird. Es bewährt sich darin eine Kraft, die bien auch sonst in sich hat und in behauptenden oder auch in fragenden Sätzen bewährt, ohne daß man sich immer darüber Rechenschaft giebt, wie es dazu kommt, und ohne daß man nach weiterem sucht als etwa nach dem deutschen Adverbium, das unter gleichen Umständen Dienste leisten könnte, das aber vielleicht durch eine von der französischen weit ab- liegende Gedankengestaltung gerechtfertigt ist. Behauptend: Je ne veux pas que ce miferable, qui m’a abandonnee, ait en plus fur moi lavantage de m’empecher de vivre. Il vit bien, lui (d.h. daran ist nicht zu zweifeln, daß er lebt: er lebt ja doch, warum sollte ich sterben?), Prevost, Jardin seeret 157; dites done tout! Je parle bien, moi! (Sie sehn doch, daß ich offen bin), Vogüe, 352 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 23. März 1905. Les morts qui parlent 285; jJ’ai perdu la tete. — C’eft bien de cela que je me plains, (das ist in der Tat der Grund meiner Un- zufriedenheit), Hermant, Carriere I 5. Fragend: veux-tu bien finir? Meilhae u. Halevy, Belle Helene I 3; qweft-ce quwil peut donc bien y avoir dans ces lettres-la? Rev. bl. 1897 1168a; il eft partage entre ume affez grande jatisfaction de cette abfence el une inquietude fur la queftion de favoir ou elle peut bien etre, eb. 1898 II 5365; il fe demande avec un Jerrement de cur ce que pourra bien faire M”“ Aubert pendant ce temps-la, eb. 537a; madame vous a bien donne tous les ordres pour l’arrivee de M"“ Gallardon? — La chambre eft prete, eb. 1898 I Soıb; qwWeft-ce qu'il peut bien avoir a me dire, celui-la? eb. Soıb. Man kann wohl sagen, gerade durch die Anwendung des bien erhalte die Frage den Charakter gesteigerter Unsicherheit, komme die Unwissenheit des Fragenden zu lebhafterem Ausdruck. Das ändert aber nichts daran, daß durch bien die Wirklichkeit, die Tatsäch- lichkeit angezeigt wird; die Unsicherheit verrät sich nur dadurch, daß der Sprechende andeutet, es wären für ihn viele verschiedene Antworten denkbar, und er wünsche zu wissen, was er denn nun ‚in Wirklichkeit’, ‚tatsächlich’ als das richtige anzunehmen habe. Auf gleichem Wege wird das deutsche ‚wohl’ zu der entsprechen- den Verwendung gekommen sein. Zu zeigen, daß auch schon im Altfranzösischen derartige Verwen- dung von bien unter verschiedenen Umständen begegnet (z. B. Por ce le me doiz bien doner (Que jel te cuit guerredoner, RCharr. 2911; li peres f’an rioit |wenn der Junge stahl] .. et difoit .. que d’ambler fe garderoit il bien |,schon’!], quant il feroit granz, Phil. Nov. QT 9), würde wohl verlohnen, da es doch Wörterbücher der alten Sprache nicht gibt, die Auskunft über dergleichen gewähren, würde aber hier nicht an seiner Stelle sein. Über den dazu gehörigen Gebrauch von bien in altfranzösischer Frage und Antwort handelt mit lobenswerter Umsicht Alfred Schulze, der altfranzös. direkte Fragesatz, Leipzig 1888 S.82ff. und 269. Aussi ohne hinzutretendes bien trifft man in der alten Zeit schon häufig zur Einführung eines Sachverhaltes, der einem zuvor hingestellten zur Begründung oder Erklärung dient, seltener wohl eines solchen, den man als natürliches Ergebnis des vorangestellten will erscheinen lassen: diex m’aime seue merci, Quant ceft bel oir que je voi ci Nous con- Sent ainfi a avoir; Aufi n’avions nous nul oir, Mont. Fabl.I S. 163; J'enprendrai a furnir la voie, Auffi ne me caut il de moi Riens nule, Ch. II esp. 569; N’i a mais a la par defcou/fe (l. pareftrou/fe nach Zts. f. rom. Phil. II 143) Fors ke me mete en aventure. Aufi B ” Er .-. . © ‘ Toster: Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik. 353 n’ont cil chevalier cure De furnir ceft douteus afaire, eb. 564; (Que vous foiez li mal venuz; Au/fi ne vint chevaliers nuz Piega vers nouz que tant häiffe Ne a qui pluz de mal vofiffe, Escan. 9049; Car me tranche la tefte, que plus ne puis garir; Aufi ne pourais tu a mon corps avenir, Ne jai n’avrais poufance certes de moi ovrir (mir die Schenkel zu öffnen), Orson 2012; Si en ales, fi feres bien. Auffi oi je chi venir gent, Rob. u. Mar. 306; Met ten jupel, Perrete, avant; Auffi eft il plus blans du mien, eb. 759; Entres, vilains, en cele foffe, Auffi eftoit li chartre feule, Th. fre. 178 (JBodel); car fuft il miens (der fermail, der vor Trunkenheit be- wahrt)/ Aufi boi je trop tote jor, GDole 1831. Da nun der hier in Betracht kommende Gebrauch von au/fi und nicht minder der von bien auch der sorglichen Satzanalyse gegenüber durchaus standhält und ganz und gar berechtigt erscheint, beide Ge- brauchsweisen auch in die Jugendzeit der Sprache hinauf sich nach- weisen lassen, so ist nicht zu erkennen, was dem Nebeneinandertreten der beiden Adverbien, die in ihrer Funktion durchaus nicht zusammen- fallen, im Wege stehn, warum ihre Paarung, wenn sie gleich nicht eben viel zum Sinne des bloßen au/fi hinzubringt, als deformation de la langue, als ‚Sprachdummheit' gelten sollte. Eher noch könnte man dagegen etwas einwenden wollen, daß man heutzutage das Adverbien- paar sehr oft zu pwisque hinzufügt. Aujfi führt ja doch, wie wir gesehn haben, in Form eines Hauptsatzes den Ausdruck eines Sach- verhaltes ein, der zu einem vorher festgestellten die ausreichende Er- klärung in sich tragen soll, eines solchen, bei dessen Bekanntsein jener erste Sachverhalt ohne weiteres verständlich wird; und in ganz ähnlicher Weise ist pwisgue die Einleitung eines Nebensatzes, aus dessen Inhalt, sobald er nur in Erinnerung oder zur Kenntnis ge- bracht ist, der des Hauptsatzes sich nach der Meinung des Sprechenden als gar nicht abzulehnende Folge ergibt. So könnte es denn scheinen, als ob in dem gleichzeitigen Gebrauche der beiden Wörter (zu denen dann dien noch hinzutreten kann) ein tadelnswerter Pleonasmus liege, und als ob man nicht sagen sollte: puisque au/fi bien j’ai affaire a un homme du metier, laiffez- moi vous avouer ce qui m’intereffe partieulierement dans ces romans con- temporains, Rev. bl. 1895 I 361a; il eft fans doute temps encore de parler du pawvre Louis Sautumier, puisque, auffi bien, Ja fucce/fion eft owverte, et que fa dramatique aventure peut etre un objet de me- ditations utiles, eb. 1396 Il 732 5; le mieuw nous femble des lors d’accepter le fait accompli et d’envifager hardiment les problemes a refoudre, puisque, auffi bien, on ne peut plus nier que ces problemes exiftent, eb. 1897 1 194 5b; cet etonnement ferait mal juftifie, puisque 354 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 23. März 1905. auffi bien ces predications paffionnees que dans d’autres milieux on a entreprifes contre Tarmee, n’ont jJamais trouve le plus faible echo parmi nous, eb. 1897 I ı1ı4a; puisque aujffi bien ces mois d’ete font vides de premieres (erste Aufführungen), on me permettra peut-etre de reparler de L’enfant malade, eb. 1897 U 251a; und ganz ähnlich: M”" Hahnemann meprifait foncierement les Schwartzpflanz, comme, auffi bien, elle meprifait le genre humain en bloc, Veber, Amour 249. Man beachte dabei, daß das e von puisque niemals elidiert ist, was ebenso, wie in einigen Fällen das Einschließen des auffi bien zwischen Kommata, darauf hinweist, daß letzteres Wortpaar satzadverbial gebraucht, als eine Parenthese dem mit puisgue oder comme eingeleiteten Satze einverleibt ist. Aber gerade wo es sich um Andeutung feinerer, leicht verkenn- barer Beziehungen zwischen Sätzen handelt und um Andeutungen durch Wörter, deren Funktionen manchmal recht verschiedenartig sind (wie dies von bien oder von auffi gilt), tut die Sprache (wenn nicht die dichterische, so doch die Prosa) gern ein übriges. Auch wir Deutschen lassen uns in manchen Fällen an einem einfachen ‚da’ oder ,ja’ nicht genügen, sondern schreiten leicht zu ‚da ja doch’ vor, und selbst wer in ungenügsamer Kumulation die in der Tat überschwäng- liche Fülle von ‚da nun ja doch eben einmal’ erreichen sollte, würde unter Menschenfreunden kaum Schlimmeres als ein Lächeln zu be- fahren haben. Übrigens wird auch dieser Wendung Zulässigkeit durch Achtung gebietende Gewährsmänner verbürgt. Schon La Rochefoucauld hat gesagt: .ls fe contenterent de ne f’y oppofer point, puisque auffi bien üs ne la pouvoient empecher, 11206, und La Fontaine: Un homme . . S’imagina qui feroit bien De fe pendre et finir lui-meme fa mifere, Puisque auffi bien fans lui la faim le viendroit faire, Fabl. IX 16, 6; und altfranzösisch finden wir, wenn nicht puis que, wenigstens das die Grundangabe einleitende car oder que mit dem ebenfalls die Erklärung einführenden auffi zusammengestellt: Mis vol morir qu’en France repairer, Car aufi Jai que li rois ma juge, Og. Dan. 382; fire, et je Fotroi, Car de moi auffi ne me chaut, Ch. Il esp. 2205; Et je liement le prendrai .., Car U m’eft aufi grans mejtiers, eb. 3596; avoec moi venes Anuit mais et Foftel prenes ..., Car aufi eft Ü pries de nuit, Pere. 40287; dift que la chambre verra elle, puis que veoir le (so!) veult, car auffi en font il moult pres, Merlin II 194: Foudre, car vien do ciel defus, Si fier en cefte tor quarree, Si que la mort me foit donee, Quwaufi ne jeit, on que je fui, Joufr. 1424. Toster: Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik. 355 Re. Rien que d’ordinaire. Motto: ie ne veois le tout de rien, Montaigne, Essais I, Kap. 50. Die Gesamtheit dessen, was um einer gemeinsamen Eigenschaft willen zu einer Einheit zusammengefaßt werden kann und soll, kann französisch durch das vom bestimmten Artikel begleitete Adjektivum im Singular bezeichnet werden, das jene Eigenschaft bedeutet: le vrai, le jufte, Vartificiel u. dgl., durch ein zum Substantivum werdendes Ad- jektivum und zwar männlichen Geschlechtes, wie das Altfranzösische unverkennbar zeigt (Verm. Beitr. II 178). Soll eine nicht bestimmt begrenzte Menge dessen gedacht werden, was von jener Gesamtheit umfaßt wird, so tritt ein de hinzu, und man hat mit dem nicht eben glücklich so genannten ‚Teilungsartikel’ zu tun: du vrai, du jufte, de Partificiel. Wird durch eines der sogenannten ‚Mengewörter' eine ge- wisse, allerdings nur wenig bestimmte Umgrenzung der auszusondern- den Menge gegeben oder auch jede denkbare Menge ausgeschlossen (beaucoup, peu, plus, moins; ne .. rien, ne .. point u. dgl.), so wird neben dem unentbehrlichen de der Artikel in der Regel wegbleiben; denn es kann nicht darauf ankommen zu sagen, eine große oder ge- ringe oder kleinste Menge werde gedacht von der vollen Gesamt- heit dessen, was das substantivierte Adjektivum mit Artikel bedeutet, sondern eine so oder so bemessene Menge von solchem, was zu jener Gattung gehöre (peu de vrai, beaucoup d’artificiel, ne .. rien de nouvean). Damit dürfte ausreichend an die jedem geläufigen Tatsachen des Sprach- gebrauches erinnert sein, die für die nachfolgende Darlegung in Be- tracht kommen; die ganze Lehre vom partitiven de mit oder ohne Artikel abzuhandeln, würde zwar vielleicht nicht überflüssig, hier aber nicht angebracht sein. Ist dem nun so, wie im Vorstehenden gesagt ist, so wird man eine Aussage des Inhalts, es liege irgendwo Neues vor, schwerlich in anderer Form erwarten können, als in der: ld y a du nouveau, und so trifft man in der Tat jeden Augenblick 7’y trowe du vrai, on y voit du jufte, und andererseits bei ‚Mengewörtern’ gu’y a-t-il de noweau? ıl dit beaucoup de vrai, je n’y vois rien de furprenant. Wenn nun aber 7’y trouve du connu und daneben Je n’y trowe rien de connu, auch je ne vois que du noir, JJ Rousseau, (Euvres XII 203, ohne weiteres gerechtfertigt sind, gilt denn ein gleiches auch von je n’y trowe rien que de connu? Hier besteht doch wahrlich keinerlei Beziehung zwi- schen dem ‚Mengewort’ rien und dem zu meinem Finden einzig zu- gelassenen Objekte des Bekannten; und setzen wir an die Stelle von 356 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 23. März 1905. connu ein wirkliches Substantivum, so wird dieses den vollen ‚Teilungs- artikel’ zu sich nehmen: je n’y trowe rien que des lieux communs, während bei direkter syntaktischer Beziehung zwischen Mengewort und Substantivum bekanntlich de ohne Artikel eintritt: point de lieux communs, pas d’erreur (rien in soleher Verbindung ist nicht möglich). Und doch ist jene dem überlegenden Betrachter höchst auffällige Aus- drucksweise heute ganz gewöhnlich: ces vues n’ont rien que de louable, JJRousseau, (Euvres XI 4: Ü ne f’eft rien paffe que de tres-ordinaire et de tres-naturel, GSand, Jacques 92; J’ecoutai, et faifis tout au loin le fon d’une mufette qui me parut n’avoir rien que de naturel, ders. Maitres sonneurs 46; il ne f’eft rien paffe que d’ordinaire pendant cette foiree, Th Gautier, Romans et contes 63; la prefence d’Esquiros n’avait rien que de fort explieable, eb. 419; peut-ätre auffi n’y a-t-il la rien que de naturel, eb. 210: Ü n’y a jamais rien que de tres-fimple dans les evenements les plus extraordinaires, Bourget, Idylle trag. 380; la perfpective de tirer quelques balles fur quelques Arabes n’a rien que de divertiffant, ders., Recommene. 149; en difant ‚je V’avais’, il waffirmait rien que de vrai, Pailhes, Chateaubr. 32; dans le mouve- ment de paffion qui lentraine (Marguerite Gautier) vers Armand Diwal, il n’entre rien que de tres-noble, j’allais dire de tres-pur, Schroeder, L’abbe Prevost 293; ‚fon idealifme n’a rien que de fuper- ‚Jiciel et de factice, Pellissier, Etudes de litt. contemp. II 253; tu n’aurais rien fait que de tres-naturel en prevoyant ce qui ne pouvait manguer d’arriver, Lavedan, Les Jeunes 200: en es-tu donc si Jurpris? Rien la que de naturel, Vogü@, Morts qui parlent 224: derriere les vitrines du fellier, de l’emballeur, du luthier, rien n’dtait que de connu, Paul Adam, Troupeau de Clar. 2; .. d quoi vous ne voyez fans doute rien que de tres-legitime, Rev. bleue 1896 I 567a; l’intrigue (de la nouvelle) en foi n’a rien que de banal, eb. 1896 I 7995: fi puiffants quon les fuppofe, ces liens n’ont rien que d’artificiel, eb. II 6455; mon hiftoire n’a rien que de vulgaire, eb. 1897 II 1075; combien de directeurs de journaux ont refufe des articles ou Üs ne trouvaient rien que de vrai, en alleguant la crainte de perdre des lecteurs! eb. 741a; y a-t-il la rien que de fortuit? eb. 1900 1 ı22a; le paffage a la caferne, dans les conditions ac- tuelles, na rien que de tres-bon pour la jeuneffe, eb. 4035; en matiere d’orthographe, de [yntaxe et m&me de style, ces grands mots de concurrence vitale ou de felection naturelle n’ont jJamais rien enve- lopp€ que d’imaginaire ou d’hypothetique, Rev. d. d. mondes 1. Sept. 1900, 143; la rime de ‚herbufe’ et de ‚arofe’ n’a rien que de naturel, Romania XXXII 442; Vempereur Julien avait, a bien peu de chofe Tosgter: Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik. 337 pres, la meme morale que Saint Gregoire de Naziance. Rien a cela que de naturel et d’ordinaire, A France, Sur la pierre blanche 177; und mit unwesentlicher Abweichung: a quoi bon lui parler? que lui dire finon d’inutile et de fuperflu? Rev. bl. 1903 II 51ıÖb. Wie weit hinauf mag solcher Sprachgebrauch reichen? Die freund- liche Hilfe eines ehemaligen Schülers verweist mich auf Corneilles Horace, wo man V 7 liest: tout ses traits n’auront rien que de dous, fi je les vois partir de la main d’un epoux. Livets Lexique de la langue de Moliere führt aus dem Depit amoureux an: qwun diable en cet inftant M’emporte, fi J’ai dit rien que de Ires-conftant! und so mag sich aus dem siebzehnten Jahrhundert wohl noch das eine oder andere Bei- spiel solcher Redeweise beibringen lassen; aus früherer Zeit aber schwerlich. Und das ist auch leicht zu erklären. rien hat im sechs- zehnten Jahrhundert von seiner ursprünglich substantivischen Natur noch mehr an sich als später und verbindet sich demgemäß gewöhn- lich mit einem noch durchaus attributiven Adjektivum und wohl nur seltener unter Hinzutritt eines de mit einem substantivierten. Mon- taigne sagt zwar: Üny a rien d’inutile en nature, Essais III Kap. ı (S. 499, Ausg. Hachette 1860); aber es herrschen bei ihm Verbin- dungen vor wie il n’eft rien fi doulx que l’occupation des lettres, eb. ll Kap. ı2 (S. 304); üÜ weft rien fi ordinaire que de rencontrer des traicts de pareille temerite, eb. (S. 305); a cha/que chofe il n’eft rien plus cher et plus e/timable que fon eftre, eb. (S. 333); und bei seinen Zeitgenossen stößt man sehr häufig auf il n’eft rien plus beau, il n’y a rien fi vray, s. Darmesteter et Hatzfeld, Le seizieme siecle, erster Teil $ 226, 2 und Littr@ unter rien 14, wie denn noch heute nach Littr@ unter de S. 9585 il n’y a rien tel ebenso gut ist wie il n’y a rien de tel und nach demselben Gewährsmann rien moins oder rien moindre neben rien de moins (moindre) ‚nichts Geringeres’ tadellos ist. Aus einer Zeit, wo solche Verbindungen ohne de die gewöhnlichen waren, darf man nicht erwarten ne..rien que de naturel zu finden; da würde ne..rien que naturel das einzig Natürliche gewesen sein, und derartiges wird sich wohl auch finden, wenngleich ich es im Augenblick nachzuweisen nicht in der Lage bin. Und je weiter wir in die Vergangenheit hin- aufsteigen, um so weniger werden wir die Verbindung auftreten zu sehn vermuten können; denn um so entschiedener macht sich die sub- stantivische Natur von rien auch insofern geltend, als es noch sehr häufig, wenngleich durchaus nicht immer, sein weibliches Geschlecht zeigt, so daß altfranzösisch am ehesten ne... (nule) rien fors bele, que bele, fe bele non zu gewärtigen ist. Wenn mit einer Wendung, die sich ohne weiteres selbst recht- fertigt, Rousseau gesagt hat je ne vois que du noir (s. oben), so ist 358 Sitzung der philosophisch historischen Classe vom 23. März 1905. schwer zu erkennen, warum beim Hinzutreten eines rien, das doch zu dem je ne vois jenes Satzes kaum etwas hinzubringen würde, auf einmal de roir das Richtige sein soll. Dies ist aber augenscheinlich das dem heutigen Gebrauch Entsprechende, und ist es so sehr, daß in langer Zeit, während deren ich auf die Sache achte, ich nicht mehr als ein einziges Beispiel dessen getroffen zu haben mich erinnere, von dem man annehmen möchte, es müsse die Regel bilden. La Revue ne donne rien que de l’inedit lese ich auf dem Umschlag der Zeitschrift ‚Humanite nouvelle'. Es sei wiederholt, daß zwischen dem ‚Mengewort’ rien und dem nachfolgenden substantivierten Adjektivum keinerlei grammatische Beziehung besteht, und daß, wenn gegen ‚nicht das Geringste von Ungedrucktem’ nichts einzuwenden ist, ‚nicht das Geringste als (außer, es sei denn) von Ungedrucktem’ dem Gedanken nicht zu entsprechen scheint, der zum Ausdruck gebracht werden soll. Wie in zahlreichen andern Fällen hat auch hier eine syntaktische Form über die Grenze hinaus gegriffen, innerhalb deren sie zunächst allein statthaft war; es hat die Gewöhnlichkeit von rien de vor einem Adjektivum ein rien que de nach sich gezogen, das Bedenken erregen muß. Es würde durchaus unzutreffend sein, wenn man sagen wollte, ne .. rien que sei grade so ein ‚Mengewort’ wie ne .. rien; denn über die zu den- kende Menge dessen, was das nachfolgende substantivierte Adjektivum bezeichnet, wird bei ersterem Ausdruck durchaus nichts ausgesagt, die Menge bleibt genau so unbestimmt, wie es eben sonst nur beim Gebrauche des vollen ‚Teilungsartikels’ der Fall ist. Ausgegeben am 30. März. 359 STTZUNGSBERICHTE 3 xXVl. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 23. März. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. Auwess (1. V.). *]. Hr. Frogenuvs las: Zur Theorie der linearen Gleichungen. In einem System homogener linearer Gleichungen und einem vollständigen System ihrer Lösungen theile man die Variabelen in zwei Abtheilungen und entsprechend die Matrizen aus den Coeffiecienten der Gleichungen und den Elementen der Lösungen. Ist dann in einer dieser Theilmatrizen der Rang kleiner als der grösste mögliche Werth, so ist er in der complementären Theilmatrix um eben so viel kleiner. 2. Derselbe legte ferner eine Abhandlung des Privatdocenten an der hiesigen Universität Dr. Issaı Scnur vor: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. Der Verf. theilt eine neue elementare Darstellung der von Hrn. Frosenıus be- gründeten Theorie der Gruppencharaktere mit. 360 Sitzung der phys.-math. Classe v. 23. März 1905. — Mittheilung v. 9. März. Monocehromatische Aufnahmen des Orionnebels. Von Prof. Dr. J. HARTMANN in Potsdam. (Vorgelegt von Hrn. Vocern am 9. März 1905 [s. oben S. 303].) Die eingehende Untersuchung des physikalischen Zustandes und der Bewegungen der Nebelflecke ist sowohl für die Erkenntnis des Baues des Weltalls, als auch seiner Entwicklungsgeschichte von grundlegender Bedeutung, und sie bildet daher eine der Hauptaufgaben der astro- physikalischen Forschung. Die Beobachtung dieser Himmelsobjekte wird jedoch durch deren Lichtschwäche meistens so erschwert, daß die Anwendung ganz besonderer Beobachtungsmethoden und licht- starker Apparate notwendig ist, und dies ist besonders dann der Fall, wenn durch spektrale Zerlegung des Lichts noch beträchtliche Lichtverluste herbeigeführt werden. Im folgenden will ich nun einige Mitteilungen über eine für die Beurteilung der Konstitution der Nebel wichtige Erscheinung machen, deren Nachweis mir mit verhältnis- mäßig einfachen Hilfsmitteln gelungen ist. Bekanntlich sind die in den Spaltspektrographen eintretenden Lichtverluste so groß, daß bei Verbindung dieser Apparate mit einem Refraktor nur wenige Prozent des in das Fernrohrobjektiv ein- fallenden Lichts die photographische Platte erreichen. Da die An- wendung des Objektivprismas in dieser Hinsicht viel günstiger ist, so habe ich vor einigen Jahren versuchsweise und daher in kleinen Dimensionen einen auf diesem Prinzip beruhenden Spektrographen konstruiert, der zur Erreichung der größten Lichtstärke folgender- maßen zusammengesetzt ist. Zur möglichsten Verminderung der Licht- absorption in den optischen Teilen wurden diese aus Quarz hergestellt und ihre Anzahl wurde auf das Minimum reduziert. Der Apparat ent- hält deshalb nur ein Öornusches 60°-Prisma und als Kameraobjektiv eine einfache Quarzlinse, die bei 40”” Öffnung 320”" Brennweite, also das Öffnungsverhältnis 1:8 hat; die sphärische Aberration wurde von Hrn. Dr. SreinueıL durch Retusche beseitigt. J. Hırımann: Monochromatische Aufnahmen des Örionnebels. 361 Dieser kleine und handliche Quarzspektrograph hat sich nun in der Tat, insbesondere für die ultravioletten Teile des Spektrums, als äußerst lichtstark erwiesen. So zeigt beispielsweise eine 150 Minuten belichtete Aufnahme des Nebels @.C. 4373 (IV 37) fünfzehn Linien des Nebel- spektrums, während die mit dem großen 80°"-Refraktor verbundenen Spaltspektrographen in der gleichen Belichtungszeit nie mehr als vier Linien abbilden. Ein besonders interessantes Resultat ergaben aber die Aufnahmen des Orionnebels mit dem besprochenen Apparate, in- dem sie zeigten, daß die einzelnen Teile des Nebels Licht von ver- schiedener Zusammensetzung aussenden, und daß namentlich ausge- dehnte und charakteristisch geformte Gebiete fast nur in dem ultra- violetten Licht von der Wellenlänge 3727 leuchten. Die einzelnen monochromatischen Bilder, in welche das Licht des Nebels durch das Objektivprisma zerlegt wird, sind wegen der kurzen Brennweite der Kameralinse natürlich sehr klein; ein Millimeter auf der photographischen Platte entspricht einem Bildwinkel von nahe ı0o Bogenminuten. Diese Größe genügt jedoch, um die Gestalt des Nebels deutlich erkennen zu lassen. Während sich nun die den übrigen Spektrallinien entsprechenden Bilder ziemlich gleichen, weicht das durch die Strahlen von der Wellenlänge 3727 entworfene Bild ganz auffällig von ihnen ab, indem es mit intensiven und gut be- grenzten Teilen um mehr als 10' über das Gebiet der anderen Bilder hinausgreift. Auf den ersten Anblick hat es den Anschein, als ob der Nebel im Lichte der Wellenlänge 3727 eine gänzlich andere Form hätte als im Lichte der übrigen Farben, und erst bei schärferem Nach- sehen kann man auf lange belichteten Aufnahmen eine Andeutung der erwähnten Gegenden auch in dem Lichte anderer Linien, insbe- sondere der beiden ersten Nebellinien (N, und N,) von der Wellen- länge 5007 und 4959, auffinden. Jedenfalls überwiegt die Intensität der Strahlen von der Wellenlänge 3727 so stark, daß man von einem fast monochromatischen, ultravioletten Lichte der betreffenden Gebiete sprechen darf. Eine so auffällige Erscheinung konnte nun bei den sehr zahl- reichen früheren Beobachtungen des Spektrums des Orionnebels nicht ganz verborgen bleiben. Husems', der das Vorhandensein der Linie X3727 im Spektrum des Orionnebels im Jahre 13882 zuerst nachwies, sowie CAMPBELL, der die eingehendsten Studien über dieses Spektrum ausgeführt hat, benutzten Spaltspektrographen und konnten daher nur über das Spektrum desjenigen schmalen Streifens etwas ermitteln, dessen Bild während der Spektralaufnahme gerade auf den Spalt fiel. Dieser ! Proc. R. Soc. London 33, S. 425. Sitzungsberichte 1905. 35 362 Sitzung der phys.-math. Classe v. 23. März 1905. — Mittheilung v. 9. März. Streifen hatte bei den Aufnahmen von Hussiıss eine Länge von 2.5 Bo- genminuten, enthielt also nur einen Querschnitt durch die hellste Gegend des Nebels, die sogenannte Huysrnssche Region; auch CAmpgeLıs Auf- nahmen, bei denen der Spalt einen Bildwinkel von etwa 7' umfaßte, reichten nicht bis an die von mir beobachteten ultravioletten Zweige heran, die mehr als 10' vom Trapez entfernt sind. Aus demselben Grunde haben auch die anderen Beobachter, welche Spaltspektrographen benutzten, nichts von der Erscheinung bemerkt. Günstiger lagen die Verhältnisse bei den mit spaltlosen Spektro- graphen ausgeführten Beobachtungen, von denen hier die folgenden beiden zu erwähnen sind. W. H. Pıcxerıne machte in den Jahren 1888 und 1890 unter Anwendung des Objektivprismas zwei Aufnahmen des Orionnebels, die er in den Annals of the Observatory of Harvard College XXXI, PartI, p.75 beschreibt. Er bemerkte, daß die Linie A3727 besonders intensiv war »längs des südöstlichen Randes der Huyeens- schen Region und in dem Teile westlich vom Trapez«. Nach diesen Worten liegen die von Pıckerıne bezeichneten Stellen dicht an der Hvverssschen Region, so daß es kaum möglich sein dürfte, dieselben mit den von mir beobachteten ultravioletten Gebieten zu identifizieren. In gutem Einklang mit meiner Beobachtung befindet sich dagegen die Angabe, welche MrrcHerL' über das von ihm mittels eines Konkav- gitters von 50° Brennweite direkt aufgenommene Spektrum des Orion- nebels macht. Er sagt, die Linie A3727 habe die größte Ausdehnung; die feinen äußeren Gegenden zeigen in dieser Linie eine größere In- tensität und größere Ausdehnung als in Hß; die Huysrnssche Region erscheine ungefähr gleich hell in A3727 und 4. Hiernach unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß auch MrrcuerLL gewisse Teile des Nebels nur im Lichte der Linie A3727 gesehen hat, obwohl er über deren Lage keine genaueren Angaben macht. Nachdem ich das Vorhandensein der ultravioletten Nebelteile durch mehrere Aufnahmen mit dem Quarzspektrographen unzweifelhaft fest- gestellt hatte, suchte ich auf einem anderen Wege deren Form und Lage genauer zu ermitteln und die Erscheinung weiter zu verfolgen; ich fand ein für diese Untersuchungen sehr geeignetes Verfahren in der Anwendung von Farbenfiltern bei direkten photographischen Auf- nahmen des Nebels. Die Benutzung von Strahlenfiltern bei astrophotographischen Ar- beiten wurde schon wiederholt zu dem besonderen Zwecke vorge- schlagen, um mit einem für die optischen Strahlen achromatisierten Refraktor scharfe photographische Aufnahmen zu erhalten. Über der- 1 Astrophysical Journal 10, S. 29, 1899. J. Harımann: Monochromatische Aufnahmen des Orionnebels. 363 artige Aufnahmen berichteten Lonse im Jahre 1886', SritaLer 1890°, und im Jahre 1900 stellte Rırcney” nach diesem Verfahren prächtige Aufnahmen mittels des großen Yerkes-Refraktors her. Der einzige Versuch, ein Farbenfilter zur Untersuchung des Intensitätsverhältnisses der verschiedenen Spektrallinien im Orionnebel zu verwenden, wurde von Keerer‘ im Jahre 1899 mit dem Crossley-Reflektor der Lick- Sternwarte ausgeführt. Er machte einerseits durch ein Filter, wel- ches nur die beiden ersten Nebellinien sowie Hß durchließ, eine Auf- nahme auf einer orthochromatischen Platte, andererseits ohne Filter eine Aufnahme auf einer gewöhnlichen Platte und zog dann aus der Verglei- chung beider Platten den Schluß, daß an denjenigen Stellen des Nebels, die sich auf der zweiten Aufnahme relativ intensiver abgebildet hatten, das Licht der Linie Hy sowie der übrigen Wasserstofflinien, und folg- lieh auch Hß, intensiver sein müsse als die beiden Nebellinien N, und N,. Dieser Schluß ist jedoch, wie meine gleich zu besprechenden Auf- nahmen ergeben haben, nicht zutreffend, da die große photographische Helligkeit der von Krrrer namhaft gemachten Stellen nicht von Ay, sondern von der Linie A3727 herrührt. Für den Grundgedanken der Kerterschen Arbeit, nämlich den Nachweis, daß das Licht nicht an allen Stellen des Nebels dieselbe spektrale Zusammensetzung hat, ist jedoch dieses Versehen, wie ich ausdrücklich hervorheben will, ohne Bedeutung. Für die Filteraufnahmen teilt man das Spektrum des Nebels am besten in drei Abschnitte, deren erster die drei Linien N,, N, und Hß, also die Gesamtheit des bei optischen Beobachtungen wirksamen Lichts, umfaßt. Der zweite Abschnitt erstreckt sich von Hß etwa bis zur Wellenlänge 3900 oder 3800 und enthält die Reihe der Wasser- stofflinien. Im dritten Abschnitte, jenseits von A 3800, liegt als einzige Hauptlinie die erwähnte ultraviolette Linie A3727. Von den wenigen außer den hier aufgeführten noch im Spektrum des Orionnebels vor- kommenden Linien kann wegen deren äußerst geringer Intensität, eben- so wie von dem schwachen kontinuierlichen Spektrum des Nebels ab- gesehen werden. Ich habe nun Filter herzustellen gesucht. welche für je einen der drei Abschnitte möglichst durchlässig sind, während sie die beiden übrigen absorbieren, und bin nach längeren Versuchen bei den folgenden stehen geblieben, die den genannten Zweck sehr gut er- füllen und überall leicht zu beschaffen sind. ! Astronomische Nachrichten 115, S.T. Annalen der k.k. Universitätssternwarte in Wien 7. S. 202. Astrophysical Journal ı2, S. 352. Astrophysical Journal 9, S. 133. » ww 364 Sitzung der phys.-math. Classe v. 23. März 1905. — Mittheilung v. 9. März. ı. Pikrinsäurefilter. Man fixiert eine unbelichtete photographische Platte aus und badet sie dann einige Minuten in einer konzentrierten Lösung von Pikrinsäure. Die Gelätineschicht färbt sich intensiv gelb und absorbiert von A = 4800 an alle kürzeren Wellenlängen vollständig, während die größeren Wellenlängen, speziell also die Linien N,, N, und Hß, fast ungeschwächt durchgelassen werden. 2. Chininkobaltfilter. Man badet in gleicher Weise eine Gelatineplatte in Chininsulfat und verwendet sie zusammen mit einem blauen Kobaltglase. Diese Kombination läßt nur den Spektralbereich zwischen A = 3880 und A = 4740 ziemlich gut durch und absorbiert alle anderen Strahlen. 3. Nitrosofilter. Badet man eine Gelatineplatte in konzentrierter Lösung von Nitrosodimethylanilin, so nimmt dieselbe eine dem Pikrin- säurefilter fast völlig gleichende Gelbfärbung an, unterscheidet sich aber von demselben erheblich in ihrer absorbierenden Wirkung. Der rote, der gelbe und der grüne Teil des Spektrums werden fast ungeschwächt durchgelassen. Die Absorption beginnt etwa bei A = 5050 und steigt dann rasch an, so daß Hß schon vollständig absorbiert wird; die Linien N, und N, werden, wenn auch geschwächt, noch durchge- lassen. Die starke Absorption erstreckt sich bis A= 4000; von da an nimmt die Durchsichtigkeit rasch zu, und A3727 wird wieder gut durchgelassen. Die geringe Durchlässigkeit dieses Filters für N, und N, macht man dadurch unschädlich, daß man für die Aufnahmen eine an dieser Stelle unempfindliche Plattensorte wählt, während man umgekehrt für die Aufnahmen hinter dem Pikrinsäurefilter im Blau- grün möglichst empfindliche Platten anwenden wird. Durch gleichzeitige Benutzung des ersten und dritten Filters kann man auch Aufnahmen herstellen, bei denen nur N, und N, zur Wirkung gelangen, während Hß ausgeschlossen wird. Diese Filter habe ich nun verwendet, um mit Hülfe eines Steinheil- schen Spiegels von 24°” Öffnung und 90°” Brennweite eine Reihe von Aufnahmen des Orionnebels zu machen. Leider war in den letzten Wintermonaten die Witterung so ungünstig, daß ich die geplante Unter- suchung nicht im vollen Umfange durchführen konnte; unter Aus- nutzung jeder zur Beobachtung nur einigermaßen brauchbaren Gelegen- heit erhielt ich innerhalb zweier Monate nur die folgenden Aufnahmen: Platte 3. 1905 Januar 23. Nitrosofilter 45" belichtet 25 „ 25. » 120 » vH Februar 13. Chininkobaltfilter 30 » „8. » 13. Pikrinsäurefilter m) » ».9 26. » 120 » » 10 » 27. Chininkobaltfilter 56 » BELTTE » 28. » 10 » 12: März 4 1. „ 60 » J. Harı mann: Monochromatische Aufnahmen des Orionnebels. 365 Nur am 25. Januar war der Himmel völlig klar; an allen an- deren Abenden störte, wie die teilweise sehr kurzen Beobachtungs- zeiten zeigen, aufziehender Dunst die Aufnahmen. Doch auch diese wenigen Aufnahmen haben schon zu einigen interessanten Resultaten geführt, auf die ich an der Hand der beigefügten Skizze hier nur kurz all un" R hinweisen will, da zu einer genaueren Besprechung eine photographi- sche Reproduktion der Aufnahmen unerläßlich ist. Ich bemerke je- doch, daß das als Negativ gezeichnete Kärtchen in keiner Weise das Aussehen des Nebels genau darstellen, sondern lediglich die Identifizie- rung der betreffenden Gegenden ermöglichen soll; der Maßstab ist ol. Zunächst ist die außerordentlich große Intensität der ultravioletten Linie A3727 in allen Teilen des Nebels bemerkenswert. Die mit dem Nitrosofilter in zweistündiger Belichtung erhaltene Aufnahme 5. zeigt ein Bild des Nebels von 45' Durchmesser, welches eine Menge Einzel- 366 Sitzung der phys.-math. Classe v. 23. März 1905. — Mittheilung v. 9. März. heiten der Struktur erkennen läßt. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß sich die Verdichtungen der Nebelmasse, welche dem Orionnebel das eigentümlich bewegte Aussehen verleihen, am schärfsten unter Anwendung dieses Filters darstellen, während das Licht der Wasser- stofflinien mehr einen gleichmäßigen Untergrund zu bilden scheint. Neben dieser allgemeinen Verbreitung und Intensität des ultra- violetten Lichts, die eine vollständige Aufnahme aller Teile des Nebels dureh das Nitrosofilter ermöglicht, tritt dieses Licht aber an einigen Stellen noch besonders intensiv hervor. Die auffälligste Erscheinung ist in dieser Beziehung die in der Karte mit AB bezeichnete Reihe von bogenförmigen Streifen 14' westlich vom Trapez, welche den schon mit dem Quarzspektrographen aufgefundenen ultravioletten Teil bilden. Das Licht der Linien N, und N, sowie der Wasserstofflinien ist in diesem Teile so schwach, daß derselbe für das Auge völlig unsicht- bar ist, während er auf jeder mit einem Reflektor gemachten Auf- nahme eines der auffälligsten Objekte bildet. KrELER schrieb das Licht dieser Partie, wie oben erwähnt, irrtümlich den Wasserstoff- linien', also besonders Hy zu. Die zweite von KrEter auf seiner Aufnahme mit dem Crossley- Reflektor aufgefundene Stelle, der mit CD bezeichnete zu dem großen Bogen DE (Proboseis major) parallele Streifen, leuchtet ebenfalls nicht im Lichte der Wasserstofflinien, sondern vielmehr der Linie A3727 so intensiv, daß dieser Teil auf der mit dem Nitrosofilter gemachten Auf- nahme gänzlich anders aussieht als auf den nach Okularbeobachtun- gen ausgeführten Darstellungen des Nebels oder auch auf Platten, die mit Objektiven, die ja stets das Ultraviolett schon stark absorbieren, aufgenommen sind. Auf letzteren ist die Proboseis major DE mit ihrer scharfen Begrenzung auf der westlichen Seite stets auffällig und bildet namentlich in dem flachen Bogen, der den bei D liegenden Stern Boxp 784 umzieht, eine charakteristische Figur, während der Krerersche Streifen CD kaum sichtbar ist. Im ultravioletten Lichte ist dieser Streifen dagegen mindestens ebenso hell wie die intensiv- sten Teile der Probosceis major, und er fließt bei D mit letzterer der- maßen zusammen, daß der genannte Stern völlig überdeckt wird. Andere durch ultraviolette Strahlung ausgezeichnete Teile habe ich in der Skizze durch Verstärkung der horizontalen Schraffierung angedeutet; es sind, wie man sieht, hauptsächlich die äußeren Teile der Huyernsschen Region, insbesondere die bogenförmige nördliche Be- grenzung, die sich vom Trapez nach F hinzieht, sowie ein vom Trapez nach A führender Streifen. Auch in den äußersten, durch Punktie- ! Astrophysical Journal 9, S.142. J. Harımann: Monochromatische Aufnahmen des Örionnebels. 367 rung angedeuteten Teilen des Nebels scheint das ultraviolette Licht zu überwiegen; in welchem Maße dies jedoch der Fall ist, konnte ich bisher noch nicht ermitteln, da ich im Lichte der Wasserstoff- linien mit dem Chininkobaltfilter noch keine hinreichend lange Auf- nahme ausführen konnte. Noch auf zwei weitere Erscheinungen will ich hier kurz hin- weisen. Erstens fehlt in dem Nebel G.C. 1180 (V 30), der 35' nörd- lich vom Trapez den Stern c Orionis umgibt, das Licht der Linien N, und N, fast vollständig. Auf den durch das Pikrinsäurefilter ge- machten Aufnahmen ist auch bei zweistündiger Belichtung kaum eine Spur dieses Nebels erschienen, während er auf den anderen Platten, ins- besondere auf der ultravioletten Aufnahme 5. sehr schön abgebildet ist. Da dieser Nebel jedoch auch die Wasserstofflinien zeigt, so ist er trotz der Schwäche von N, und N, auch für das Auge gut wahrnehmbar. Die zweite Bemerkung bezieht sich auf die Intensität der Stern- scheibehen, die auf den verschiedenen Filteraufnahmen äußerst starke Unterschiede zeigt. So sind selbst auf der zweistündigen Ultraviolett- aufnahme 5. von manchen Sternen kaum Spuren erschienen, die schon auf der nur 7 Minuten belichteten Aufnahme 8. im grünen Teile des Spek- trums deutlich abgebildet sind; als Beispiele mögen hier nur die Sterne Bonn 402 und 430 erwähnt werden. Eine vollständige Durchmusterung nach derartigen Objekten soll erst später vorgenommen werden, wenn auch für den mittleren Abschnitt des Spektrums eine gleich gute Auf- nahme wie für die äußeren Teile vorliegt. Man kann sich das Verhal- ten dieser Sterne wohl nur aus ihrem Spektraltypus erklären; während man bisher annahm, daß auch die schwächeren in der Nälie des Orion- nebels stehenden Sterne analog den helleren, deren Spektra unter- sucht werden konnten, dem ersten Typus angehörten, deutet obige Beobachtung darauf hin, daß auch Sterne vom zweiten oder gar vom dritten Typus in dieser Gegend vorkommen. Durch die hier mitgeteilten Beobachtungen wird zunächst die schon von Huseıns vermutete und später namentlich von CAmpBELL unzweifel- haft bewiesene Tatsache, daß das Licht des Orionnebels nicht homogen, sondern an den verschiedenen Stellen von wechselnder Zusammensetzung ist, aufs neue bestätigt. Die Schlüsse, die sich bisher aber nur auf das verschiedenartige Verhalten der Nebellinien N, und N, gegenüber der Wasserstofflinie Hß bezogen, sind nunmehr auch auf die Linie A3727 ausgedehnt worden. Nach allen bisherigen Schätzungen ist das Intensi- tätsverhältnis der beiden Linien N, und N, in allen Nebeln und auch an den verschiedenen Stellen des Orionnebels konstant, und dies wurde auch durch die Messungen von Wırsıne und ScHEINEr' auf das sicherste ! Astronom. Nachr. 159, S.181, 1902. 368 Sitzung der phys.-math. Classe v. 23. März 1905. — Mittheilung v. 9. März. bestätigt. Schloß man hieraus, daß diese beiden Linien dem Spektrum desselben Gases angehören, und wurde es durch ihr wechselndes In- tensitätsverhältnis zu der Wasserstofflinie wahrscheinlich gemacht, daß dieses Gas vom Wasserstoff verschieden sei, so ist nunmehr durch das von den genannten beiden Liniengruppen wiederum abweichende Verhalten der Intensität der Linie A3727 mit derselben Wahrschein- lichkeit nachgewiesen, daß außer jenen beiden Gasen mindestens noch ein drittes teils mit ihnen vermischt, teils aber auch räumlich getrennt in den Nebeln vorkommt. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß dieses dritte Gas der Sauerstoff sei, der bei A= 3727.5 eine ziemlich kräftige Linie hat, während die bisher beste Bestimmung von Wrieurt' für die Wellenlänge der Nebellinie den Wert 3726.4 ergeben hat; da diese Bestimmung jedoch noch nicht sehr sicher ist, dürfte es angebracht sein, eine möglichst scharfe Wellenlängenmessung beider Linien vor- zunehmen. Es ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden und wird auch durch die hier besprochenen Beobachtungen wieder bestätigt, daß es zum Nachweis etwaiger Veränderungen oder Bewegungen in einem Nebel unerläßlich ist, nur unter ganz gleichartigen Bedingungen her- gestellte Abbildungen des betreffenden Objekts miteinander zu ver- gleichen. Gerade zur Herstellung dieser konstanten Bedingungen sind nun die Strahlenfilter vom größten Werte, da man durch dieselben alle von der Farbenempfindlichkeit der zur Aufnahme verwendeten Plattensorte sowie von der selektiven Absorption in den optischen Teilen des Instrumentes und in der Atmosphäre herrührenden Fehler- quellen unschädlich machen kann. Werden beispielsweise durch das Nitrosofilter belichtete Platten von nahe demselben Empfindlichkeits- gradienten gleich dicht entwickelt, so sind sie direkt miteinander ver- gleichbar, und eine derartige Vergleichung, die eventuell mit dem Zeıss- schen Stereokomparator ausgeführt werden kann, wird, wenn auch erst nach vielen Dezennien, zur Ermittelung der bis jetzt noch gänzlich unbekannten Bewegungsvorgänge in den Nebeln führen. ‘ Astrophysical Journal 16, S. 53, 1902. Ausgegeben am 30. März. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN XV. 30. März 1905. BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Auszug aus dem Reglement für die Redaetion der » Sitzungsberichte«. en 81. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Olasse ungerade Nummern. 2 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftliehen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. $5. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Secretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Seeretar führt die Oberaufsicht über die Redac- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. $ 6. l. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $41, 2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist our nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschritten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. ’ KnuR: > 5. Auswärts werden Correeturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damıt auf Erscheinen ihrer eh nach ‚acht Tagen. # Bi FIRE Va $1l. BERN, 1. Der Verfasser einer unter len » Wissenschaftlichen. Mittheilungen « abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, ‚Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der, Sitzungs-. berichte und einem angemessenen Titel nicht. über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, weleher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere e gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl vo \ hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlie 3 theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig 3 dem redigirenden Seeretar angezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger _ Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exem- plare auf ihre Kosten abziehen lassen, FRE 828. r 1. Jede zur Aufnahme in die Stinungebesiehle a Y- stimmte Mittheilung muss in einer akademischen ‚Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines ihrem f Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder corre- ” spondirender Mitglieder direct bei der Akademie ‚oder bei einer der Classen eingehen, so hat sie der vorsitzende Seeretar selber oder durch ein ‚anderes Mitglied zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser ‚der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeignet r scheinenden Mitgliede zu überweisen. ar x YK [Aus Stat. $ 41,2. — Für die Aufnahme bedker, es einer ausdrücklichen Genehmigung der "Akademie i einer der Classen. Ein darauf ‚gerichteter Antrag kann, sobald das Mann uaRR Re vorliegt, vr . er 1 en 1. Der revidirende Seeretar ist für den Inhalt 1 geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte , ‚jedoch nieht für die darin aufgenommenen kurzen. Inhaltsangaben ‚der ie gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für diese wie für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte ra nach jeder na nur di Verfasser } wortlich. v. Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte an diejenigen Stellen, mit denen sie im Schrerkhr echt, wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich: ; y die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, ; » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres nach Fern d des a en 2 . ” 369 SITZUNGSBERICHTE 1905. xXVvn. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 30. März. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. l. Hr. Hrrrwıe las: Kritische Betrachtungen über neuere Erklärungsversuche auf dem Gebiete der Befruchtungslehre. Der Vortragende spricht über Versuche von Lor» und anderen Forschern, die Befruchtung als einen chemisch - physikalischen Vorgang zu erklären und führt eine Reihe von Gründen an, welche zeigen, dass auf diesem Wege eine Lösung des Pro- blems zur Zeit nicht zu erreichen ist und dass alle derartigen Erklärungsversuche das eigentliche Wesen der Sache gar nicht berühren. 2. Vorgelegt wurde das Werk: H. RosenguscHh, Mikroskopische Physiographie der Mineralien und Gesteine. 4. Aufl. Bd.ı. Hälfte ı. Stuttgart 1904. 3. Die Akademie hat durch die philosophisch -historische Olasse Hrn. Dr. Joser Karst aus Strassburg i. Els., z. Zt. in Venedig, zur Voll- endung seiner Ausgabe des Armenischen Rechtsbuches 700 Mark be- willigt. Sitzungsberichte 1905. 36 370 Gesammtsitzung vom 30. März 1905. Kritische Betrachtungen über neuere Erklärungs- versuche auf dem Gebiete der Befruchtungslehre. Von OscAr HERrTwie. In neuerer Zeit beginnen wieder bei der Erklärung des Befruchtungs- processes Ansichten hervorzutreten, welche schon einmal vor 60 Jahren erörtert wurden. Damals hatten die Biologen noch sehr unvollständige Kenntnisse und Vorstellungen vom Organismus der Zelle, namentlich aber war der Verlauf des Befruchtungsprocesses, wie er sich mikro- skopisch bis in feineres Detail hinein jetzt leicht feststellen lässt, noch ganz unbekannt. Um so mehr suchte man durch Speculation sich eine Vorstellung von den Aufgaben und dem Wesen der Befruchtung zu bilden, und wie es bei biologischen Fragen, von denen man am wenigsten weiss, so häufig geschieht, wollte man die Erklärung gleich auf chemischem oder physikalischem Gebiete finden. So bemerkte LeuckArr im Jahre 1853 in Wacner’s Handwörter- buch der Physiologie: »Die Samenkörperchen wirken entweder auf die Eier durch Übertragung ihrer Materie nach den Gesetzen der chemischen Affinität, oder sie wirken wie Fermentkörper durch Über- tragung ihres inneren Zustandes nach den Gesetzen des sogenannten Contactes«. Die Contacttheorie wurde besonders von dem Embryologen BıscHorF vorgetragen, welcher auf sie durch die chemischen Arbeiten und Theo- rien von Liesie hingeführt worden war. In seiner 1847 erschienenen » Theorie der Befruchtung« erklärte er: »Der Samen wirkt beim Contact, bei Berührung, durch katalytische Kraft, d. h. er constituirt eine in einer bestimmten Form der Umsetzung und inneren Bewegung be- griffene Materie, welche Bewegung sich einer anderen Materie, dem Ei, die ihr nur einen höchst geringen Widerstand entgegensetzt, oder wie wir auch sagen können, in dem Zustande der grössten Spannung oder der grössten Neigung zu einer gleichen und ähnlichen Bewegung und Umsetzung sich befindet, mittheilt und in ihr eine gleiche und ähnliche Lagerungsweise der Atome hervorruft«. Herrwısc: Erklärungsversuche zur Befruchtungslehre. 371 Solche und ähnliche chemisch -physikalische Speeulationen, denen übrigens von mancher Seite, wie z. B. von RupoLen WAGNER, schon damals berechtigte Einwände entgegengehalten wurden, traten mehrere Jahrzehnte in den Hintergrund, als es glückte, durch mikroskopische Beobachtungen tiefere Einblicke in die feineren Vorgänge bei der Be- fruchtung des Eies zu gewinnen. Aber jetzt regen sie sich, wie gesagt, wieder von Neuem, und zwar in Folge biologischer Experimente, welehe an und für sich von grossem Interesse, aber nach meiner Meinung zum Ausgangspunkt unrichtiger Schlussfolgerungen gemacht worden sind. Seit einer Reihe von Jahren haben verschiedene Forscher ver- sucht. durch künstliche Eingriffe reife Eizellen von geeigneten Ver- suchsthieren auch ohne Befruchtung zur Entwicklung zu bringen. Rıcnarnp Herrwıs fand, dass in Seeigeleiern Kerntheilungsfiguren ent- stehen, wenn geringe Dosen von Strychnin dem Meerwasser hinzu- gefügt werden. MorGan, YvEs DELAGE, Lorg stellten künstliche Salz- gemische her, in welche sie Eier von Echinodermen für ein oder mehrere Stunden vorübergehend einlegten und dann wieder in nor- males Seewasser zurückbrachten, um ihnen auf diese Weise einen Anstoss zur Entwicklung zu geben. MgCl’, KCl oder CaCl’ wurden gewöhnlich zur Herstellung geeigneter Mischungen hierbei verwandt. Ein ausgezeichnetes Mittel fand Yves DerasE in der Kohlensäure, durch deren Verwendung es ihm gelang, die Mehrzahl der Eier von Seesternen bis zum Stadium der Bipinnarialarve zu züchten. Dasselbe Ergebniss erzielte bei dem gleichen Object Marruerws durch einen mechanischen Eingriff, durch einfaches, vorübergehendes Schütteln der Eier in einem mit Meerwasser gefüllten Gefäss. Wieder andere Forscher, Pırrr und WiınkLer, haben aus den Samenfäden einen Extract hergestellt, von dem Gedanken ausgehend, dass ein fermentartig wir- kender, chemischer Körper das befruchtende Prineip in den Samen- körpern sei. Auch berichtet Wiınkter, dass er durch Zusatz von Spermaextract zum Meerwasser wenigstens einige von vielen Seeigel- eiern zu einzelnen Theilungen habe veranlassen können. Mehr als alle genannten Forscher hat sich indessen Loes, der bekannte Physiologe der Berkeley-Universität in Californien, seit längerer Zeit und in einer grösseren Anzahl experimenteller Arbeiten mit der Frage, das Ei künstlich zur Entwicklung zu bringen, beschäftigt. Gerade auf die Versuche und Ansichten dieses Forschers aber halte ich es für nothwendig, etwas näher einzugehen, da, wie Boverr mit Recht bemerkt, »vielfach und besonders in wissenschaftlichen Kreisen, die der Biologie ferner stehen, die Meinung herrscht, Lors habe durch seine Versuche die Befruchtung als einen chemisch-physikalischen Vor- 36* 372 Gesammtsitzung vom 30. März 1905. gang nachgewiesen und damit die Lösung der Frage in einer ganz anderen Richtung gefunden, als in der man sie bisher gesucht hatte«. Auch hat Lorg sich am häufigsten darüber ausgesprochen, wie er sich vorstellt, dass die Befruchtung als chemisch-physikalischer Vorgang aufzufassen sei. In seinen ersten Arbeiten, die mit dem Jahre 1899 beginnen, hat der americanische Forscher festgestellt, dass unbefruchtete See- igeleier sich zu Plutei entwickeln, wenn sie ein bis zwei Stunden in eine näher ausprobirte Mischung von MgCl’ und Meerwasser gebracht worden sind. Er folgert hieraus, dass schon das unbefruchtete Ei alle wesentlichen Elemente für die Bildung eines vollkommenen Pluteus besitzt, und dass Entwicklung nur deswegen nicht eintritt, weil das normale Seewasser entweder nicht die genügende Menge von Ionen (Mg, K, HO oder andere) besitzt, welche für den Mechanismus der Zelltheilung erforderlich sind, oder dass in ihm zu viel schädliche Ionen enthalten sind. Diesen Gedanken weiter verfolgend, sucht Lors die Rolle der Spermatozoen bei der Befruchtung durch die Annahme zu erklären, dass sie geeignete Ionen in das Ei hineintragen. »The ions and not the nucleins in the spermatozoon are essential to the process of fertilization«, 1899 p.137. Durch weitere, vielfach variirte Versuche konnte bald darauf er- mittelt werden, dass für das Gelingen des Experimentes die wesent- liche Bedingung die Erhöhung des osmotischen Druckes der Lösung ist, und dass es hauptsächlich darauf ankommt, dem Ei ein bestimmtes Quantum Wasser zu entziehen. Da nun aber höher con- centrirte Salzlösungen gleichzeitig auf die Eier auch schädigend ein- wirken, wenn sie lange Zeit in ihnen verweilen, müsse man sie recht- zeitig wieder in normales Seewasser zurückbringen, damit sich nor- male Larven entwickeln können (1900 p.182). Auf diesem zweiten Studium seiner Experimente versucht Lors seine Ergebnisse zur Er- klärung der Befruchtung durch die Annahme zu verwerthen, dass das Spermatozoon die Entwicklung in derselben Weise wie in den Ver- suchen mit concentrirten Salzlösungen anregt, dass es also mehr Salze oder einen höheren osmotischen Druck als das Ei besitzen muss. »There is no reason,« bemerkt er, »why the spermatozoon should not bring about the same effects, that we produce by reducing the amount of water in the egg in some different way. At present, how- ever, the only light that can be thrown upon the nature of the process of fertilization must be expected from an analysis of the effects of a loss of water upon the egg (1900 p.ı82).«e In mehreren seiner Publicationen gebraucht daher Lorg auch den Ausdruck »osmotische Befruchtung« (osmotic fertilization, 1900 und 1902 p.312, 313). Herrwıs: Erklärungsversuche zur Befruchtungslehre. 373 Später hat Lors seine Versuche auf die Eier eines Anneliden, des Chaetopterus, ausgedehnt und gefunden, dass man bei diesem Ob- jeet mit zwei verschiedenen Methoden zum Ziele kommt. Die eine Methode ist dieselbe wie bei den Echinodermeneiern: Erhöhung der Concentration des Meerwassers (osmotie fertilization). Die zweite Methode, welche als chemische Befruchtung (chemical fertilization) bezeichnet wird, besteht in einer Veränderung der ehemischen Zu- sammensetzung des Meerwassers ohne Erhöhung seiner Öoncentration. So genügte schon der Zusatz einer kleinen Menge eines Kalisalzes (KCI), um das Ei ohne Samen zur Entwicklung zu bringen, welche bis zum Trochophorastadium verfolgt werden konnte. Dagegen war ein entsprechender Zusatz von NaÜl wirkungslos, woraus sich schliessen lässt, dass für Chaetopterus die K-Ionen specifisch wirken. Seiner Auffassung vom Wesen des Befruchtungsprocesses hat Lors in Folge der neuen Experimente abermals eine andere Fassung ge- geben. Er nimmt an, dass jedes Ei die Fähigkeit hat, sich parthe- nogenetisch zu entwickeln, dass es aber unter normalen Verhältnissen abstirbt, ehe es Zeit zur Weiterentwicklung gehabt hat. Daher, meint er, dürfe man den Samenfaden nicht länger als die Ursache oder den Reiz für den Entwickelungsprocess halten, sondern nur als ein Agens, welches einen Process beschleunigt, welcher auch ohnedem vor sich zu gehen vermag, nur viel langsamer. Substanzen, welche chemische oder physikalische Processe beschleunigen, welche auch ohne sie er- folgen würden, werden katalytische genannt. Nach dieser Definition nimmt Lors an, dass der Samenfaden eine katalytische Substanz in das Ei hineinträgt, welche die Entwicklung beschleunigt, die sonst auch, aber viel langsamer beginnen würde. Doch er lässt es dahingestellt, ob die katalytischen Substanzen, welche durch den Samenfaden eingeführt werden, mit den im Experiment verwandten identisch sind. In vielen Kreisen haben die Speeulationen, welche Lors an seine Experimente geknüpft hat, wie es scheint, Zustimmung erfahren. So messen ihnen KorscueLr und Hemer in ihrem Lehrbuch eine grosse Bedeutung bei und meinen, dass Lors »unter Anwendung der Ionen- theorie auf die Eiweisskörper zu einer förmlichen chemischen Theorie der Befruchtung geführt worden sei«. Durch seine Versuche sehen sie bewiesen, »dass der Stimulus des eindringenden Spermatozoons auch durch andere Reize ersetzt werden könne«. ABDERHALDEN hofft, dass es auf dem von Lors betretenen Weg gelingt, wenigstens den rein äusseren Process der Entwicklung der Eier physikalisch - chemisch zu erklären (1904 p. 663). Dem Urtheil von KorscneLr, HEIDER, ABDERNALDEN und Anderen kann ich nicht zustimmen. Zwar erblicke ich auf der einen Seite in 374 Gesammtsitzung vom 30. März 1905. den Experimenten von Lore und anderen hier nur zum Theil aufge- führten Forschern eine interessante Vermehrung unserer Erfahrungen über Parthenogenese und finde es ganz passend, von der natürlichen Parthenogenese, wie sie regelmässig in einigen Thierabtheilungen, na- mentlich bei Blattläusen, Bienen, Daphniden u. s. w. beobachtet wird, jetzt eine experimentell erzeugte oder eine künstliche zu unterscheiden. Auf der anderen Seite aber muss ich die von Lorg gemachten chemisch- physikalischen Erklärungsversuche als verfehlte betrachten, besonders aber erblicke ich in dem Versuch, das Wesen der Befruchtung auf diesem Wege unserem Verständniss näher zu bringen, keinen Fort- schritt, sondern eine Rückkehr zu Ideengängen, die schon vor 60 Jahren in den Schriften von Bıscuorr und LEuckArT geherrscht haben und sich entschuldigen liessen, weil man von den feineren Vorgängen bei der Befruchtung damals noch keine Kenntniss hatte. Merkwürdigerweise hat Loes letztere bei seinen Erklärungsversuchen auch ganz unberück- sichtigt gelassen. Indem er den Physiologen vorhält, dass sie ein wenig mehr Beachtung der unorganischen Chemie zuwenden müssten (1899 p- 138), stellt er selbst eine chemisch-physikalische Erklärung eines biologischen Vorgangs auf, ohne sich die Frage vorzulegen, ob sie überhaupt auf die biologisch bereits ermittelten Verhältnisse zutrifft und sie unserem Verständniss näher bringt. Dass dies nicht der Fall ist, lässt sich leicht zeigen. Denn worin besteht das Wesen der Befruchtung? Doch vor allen Dingen darin, dass sich zwei Individuen derselben Art, von denen das eine weiblich, das andere männlich ist, vereinigen, um ein drittes zu erzeugen, welches Eigenschaften von beiden in sich vereinigt, also ein Mischproduet ist. Die Befruchtung ist, wenn wir ein von WEISMANN eingeführtes Fremdwort gebrauchen wollen, eine Amphimixis, eine Vermischung oder Verschmelzung der Eigenschaften zweier elterlicher Erzeuger. Bei niederen einzelligen Organismen geht die Amphimixis in unmittelbarster Weise vor sich, indem die Eltern in dem durch ihre Verschmelzung entstandenen kindlichen Organismus ganz aufgehen. Bei höheren vielzelligen Organismen werden zu dem Zweck nur einzelne Zellen, Eier und Samenfäden, in welchen die Eigenschaften der Eltern als Anlagen repräsentirt sind, abgetrennt, da eine Amphimixis nur im Zustand der Zelle möglich ist. Die Befruchtungsfrage hängt daher untrennbar mit dem Problem der Vererbung zusammen, ja sie geht eigentlich in ihm auf. Ei- und Samenfaden sind die Träger der von Vater und Mutter auf das Kind übertragenen Eigenschaften. Das wird besonders bei der Bastardzeugung offenbar, wenn auf ein Ei die Eigen- schaften einer ihm fernerstehenden Species durch den Samenfaden übertragen werden und wenn in Folge dessen aus ihm ein Bastard, Eur6e TE Herrwıc: Erklärungsversuche zur Befruchtungslehre. 375 ein fremdartiger Organismus, mit veränderten Speeieseigenschaften hervorgeht. Wie sollten auf das Ei durch Osmose oder durch Ionen oder dureh katalytische Substanzen Eigenschaften des Vaters übertragen werden? Wie kann man Angesichts dieses Thatbestandes von einer osmotischen oder chemischen Befruchtung sprechen? Die Befruchtung ist ein biologischer Vorgang, von dem sich zur Zeit nicht erwarten lässt, dass er mit den Denkmitteln und der Experimentirkunst des Chemikers und Physikers sich in einen chemisch-physikalischen Process wird auflösen lassen. Sie beruht auf der Verschmelzung zweier Orga- nismen zu einem dritten Organismus. Unzweifelhaft besteht der normale Gang der Naturwissenschaft darin, dass man zuerst nach den näheren Ursachen eines Ereignisses fragt, nicht aber mit der Frage nach den Endursachen beginnt. Dieses elementare naturwissenschaftliche Prineip sollte man bei Erklärungsversuchen nicht ausser Acht lassen, daher auch nicht zu Physik und Chemie greifen, um einen organisatorischen Vorgang zu erklären, der noch ganz dem Erklärungsgebiet der Biologie angehört, und zwar einem sehr schwierigen Gebiet, auf welchem die biologische Forschung gerade eine Reihe der wichtigsten Ergebnisse aufzuweisen hat. Denn man hat die bei der Befruchtung sich vollziehende Ver- schmelzung der beiden Zellorganismen mikroskopisch in ihren Einzel- heiten verfolgen und feststellen können, dass hierbei der wichtigste Vorgang die Verschmelzung ihrer Zellkerne zu einem gemischten Kern ist; man hat ermittelt, dass Ei- und Samenkern eine Substanz enthalten, das Chromatin, das wieder bei der Karyokinese eine sehr wichtige Rolle spielt und in genau äquivalenten Mengen dem Zeugungsproduct von den Eltern zugeführt und wahrscheinlich auch in äquivalenten Mengen allen späteren Kerngenerationen, die vom Keimkern abstam- men, weitergegeben wird. Man hat sich hierdurch veranlasst gesehen, das Chromatin bei der Frage nach der Übertragung der erblichen Eigen- schaften besonders hoch zu bewerthen und es mit einem von NÄGELI eingeführten Namen als Idioplasma zu bezeichnen. Mit immer neuen complieirten und der grössten Beachtung werthen Erscheinungen ist man bei weiteren Studien bekannt geworden. Ich erinnere nur an die Erscheinungen des sogenannten Reifeprocesses, durch welchen geraume Zeit vor der Befruchtung Ei- und Samenzelle gewissermassen für ihre spätere Aufgabe vorbereitet werden. Wieder ist es das Chromatin des Kerns, welches bei der Reife besonders betroffen ist, indem es in beiden Geschlechtern in iden- tischer Weise eine Reduction erfährt. Durch die Reduction der Kern- substanz, welche bei der Reife der Geschlechtsproducte vor sich geht, wird verhütet, dass bei der Befruchtung eine Verdoppelung oder Sum- 376 Gesammtsitzung vom 30. März 1905. mirung der Kernmasse durch die Verschmelzung zweier Kerne herbei- geführt wird. Indem gewissermaassen zwei Halbkerne verschmelzen, entsteht wieder ein einfacher Normalkern, ein Umstand, der für die Bedeutung des Chromatins wieder schwer in die Wagschale fällt. Hier ist noch zum tieferen Verständniss der Erscheinungen das Studium der eomplieirten Karyokinese und das hierbei ermittelte Zahlengesetz der Chromosomen heranzuziehen. Wenn in den mitgetheilten Thatsachen wesentliche Bestandtheile des Befruchtungsprocesses gegeben sind, so wird Jeder zugeben müssen, dass zu ihrer Erklärung mit der Behauptung, die Befruchtung sei ein osmotischer Process oder beruhe auf der Einführung besonderer Ionen oder katalytischer Substanzen in das Ei, nichts beigetragen, ja noch nicht einmal ein Weg eingeschlagen wird, auf welchem sich die An- bahnung eines Verständnisses in Zukunft erhoffen liesse. Zum Schluss sei noch die Frage aufgeworfen, wie in Loes und anderen Forschern die Ansicht entstehen konnte, dass durch die oben mitgetheilten Experimente »die Befruchtung als ein chemisch -physi- kalischer Vorgang nachgewiesen und damit die Lösung der Frage in einer ganz anderen Richtung gefunden sei, als in der man sie bisher gesucht hatte«. Die Erklärung hierfür ist darin gegeben, dass viele Forscher eine nebensächliche Erscheinung des Befruchtungsprocesses für das Wesentliche an ihm gehalten haben. Bei den meisten thierischen Eiern ist die erste, in die Augen springende Folge der eingetretenen Befruchtung der sofortige Beginn des Entwicklungsprocesses. Die reifen Eier, die bis dahin theilungsunfähig zu sein schienen und ohne Befruchtung bald abgestorben sein würden, werden durch den Zutritt des Samenfadens zu Theilungen angeregt. Insofern spielen die Samen- fäden bei der Befruchtung auch die Rolle eines Entwicklungs- erregers, wie es Rıcuarp Herrwıs ausgedrückt hat. Durch dieses Moment ist Loeß, wie schon früher Bıscuorr und LEUCKART, in seinem Urtheil offenbar so sehr bestimmt worden, dass er das eigentliche Wesen des Befruchtungsprocesses, welches in der Amphimixis besteht, verkannt und übersehen hat. Nun lehrt aber strengere Prüfung, dass die Entwicklungserregung nur eine Art Begleiterscheinung der Be- fruchtung ist, welche häufig beobachtet wird, aber ebenso gut auch fehlen kann. Denn wie an vielen verschiedenartigen Beispielen sich zeigen lässt, kann das Ei befruchtet werden, ohne dadurch den un- mittelbaren Anstoss zur Entwicklung empfangen zu haben. So tritt bei den Wintereiern der Daphniden und Aphiden nach der Befruchtung ein Ruhestadium ein, welches viele Monate dauert. Desgleichen ist bei Algen und vielen niederen, einzelligen Organismen das Resultat der Befruchtung bekanntlich eine Dauerspore, ein Product, welches Herıwıs: Erklärungsversuche zur Befruchtungslehre. 301 erst längere Zeit, mitunter vielleicht Jahre, ruht, ehe es zu keimen beginnt. Auch bei den Infusorien hat die Conjugation, bei welcher es zu einem Austausch von Kernsubstanzen, daher zu einer gegen- seitigen Befruchtung kommt, nach der Trennung der Paarlinge keine Vermehrung zur unmittelbaren Folge, sondern ein längeres Ruhe- stadium, in welchem eine Reorganisation des Organismus vor sich geht. Entwicklungserregung gehört also, wie die angeführten Beispiele gelehrt haben, nicht zum Wesen der Befruchtung, sondern kann nur als etwas ihr unter Umständen Hinzugeselltes bezeichnet werden. Auch kann ja das Ei sich theilen und entwickeln, ohne überhaupt befruchtet worden zu sein. Das lehren die zahlreichen Fälle von Parthenogenese, überhaupt die Thatsache, dass die Mehrzahl pflanzlicher und thierischer Organismen sich sowohl auf ungeschlechtlichem als auf geschlechtlichem Wege, oft in regelmässig alternirenden Cyklen, fortpflanzen. Mit Recht hat daher Rıcnarp Hrrrwıe bemerkt: Wie es Befruchtung ohne Ent- wieklungserregung giebt, so giebt es Entwieklungserregung ohne Be- fruchtung (die Parthenogenese). Dureh unsere Erörterungen sind wir zu dem Ergebniss gelangt, dass die Experimente von Lorg das Wesen der Befruchtung gar nicht berühren und daher auch zu ihrer Erklärung nichts beitragen können. Wir werden durch sie nur mit einigen Agentien bekannt gemacht, durch welche Eizellen zur Theilung und zu einer bald mehr. bald minder weit vor sich gehenden Entwicklung, welche meist eine pathologische oder anormale' ist, angeregt werden. Hier tritt noch eine letzte Frage an uns heran: Ist auf diesem Wege zu erhoffen, dass es gelingt, wie ÄBDERHALDEN meint, wenigstens den rein äusseren Process der Ent- wicklung der Eier physikalisch-chemisch zu erklären? Auch auf diese Frage ist mit einem »Nein« zu antworten. Meine Stellung zu ihr werde ich am raschesten durch einen Vergleich erläutern. Nehmen wir ein sehr complieirt gebautes mechanisches Kunstwerk, z. B. eine Uhr, die verschiedenen Zwecken dient und deren Gang daher auf dem kunstgerechten Ineinandergreifen vieler Rädehen beruht und auf dem richtigen Funetioniren der verwandten Triebkräfte, dem Spännungs- grad der Federn oder dergleichen. Wenn ein solches mechanisches Werk nicht geht, so kann dies, und zwar je complieirter es gebaut ! Beiden früher erwähnten Experimenten beginnt immer nur ein baldgrösserer, bald kleinerer Theil der zum Versuch verwandten Eier sich zu furchen. Nach Durchlaufung der ersten Entwicklungsstadien sterben häufig die Eier früher oder später nachträglich ab. Nicht selten zeigt der Furchungsprocess Abnormitäten, wie Knospenfurchung u.s. w. Bei Chaetopterus trennen sich bei einem grossen Theil der Eier die zuerst gebildeten Embryonalzellen in 2 oder 3 Gruppen, die sich getrennt von einander weiter ent- wickeln, so dass aus einem Ei mehrere Zwerglarven hervorgehen. Sitzungsberichte 1905. 37 ‘ 378 Gesammtsitzung vom 30. März 1905. ist, um so mehr auf den verschiedensten Ursachen oft sehr gering- fügiger Art beruhen, entweder darauf, dass ein Sandkörnchen sich zwischen zwei Zähnchen eingeklemmt und das Räderwerk zum Still- stand gebracht hat, oder darauf, dass eine Feder nicht mehr ge- nügend angespannt ist, um die erforderliche Triebkraft zu liefern, oder auf anderen derartigen Umständen, deren man sich noch viele je nach der complieirten Structur des Werkes ausdenken könnte. Je nachdem das eine oder andere der Fall ist, würde man durch sehr verschiedene Eingriffe das Werk wieder in Gang bringen können. Ein Verständniss der Uhr, einen Einblick in die Ursachen, warum die Uhr in der be- stimmten Weise gesetzmässig geht, würde man jedoch durch diese Eingriffe nicht gewinnen, wenn die in einem Gehäuse eingeschlossenen Strueturtheile der Uhr und ihr Ineinandergreifen uns unbekannt blieben. Nicht anders verhält es sich mit dem lebenden Zellenorganismus, weleher ein noch viel complicirteres Naturwerk und zugleich auch unserem Verständniss viel ferner gerückt ist, weil sein Leben vor- zugsweise auf dem Ineinandergreifen chemischer Processe von ausser- ordentlich zahlreichen und verschiedenartigen chemischen Bestandtheilen beruht. Eine der fundamentalen Grundeigenschaften des Organismus, welche mit seinem ganzen Bau zusammenhängt, ist seine Fähigkeit, sich durch Theilung zu vermehren, wie es eine Eigenschaft der Uhr ist, mit dem Zeiger die Stunden anzuzeigen. Ob eine Zelle oder ob das Ei sich zu einer Theilung anschiekt, das hängt von vielerlei begleiten- den Umständen ab, von Ursachen oft sehr geringfügiger Art im Ver- gleich zu dem complicirten Ursachencomplex, der in der Organisation der Zelle selbst gegeben ist. Wir können durch sehr verschiedene äussere Eingriffe den Theilungsprocess, zu dem in der Organisation der Zelle Alles vorbereitet ist, in Gang bringen, und dabei erfahren wir durch die Natur des Eingriffes über die Organisation der Zelle und über die in ihr gelegenen Ursachen, durch die jetzt ihre Theilung erfolgt, nicht das Geringste. Durch Schütteln wird das Ei der See- sterne, durch Osmose, welche einen Wasserverlust von Seiten des Eies herbeiführt, das Ei der Seeigel, durch Kaliverbindungen in geringer Menge das Ei von Chaetopterus, durch Temperaturgrade von 30—40 C. das befruchtete Vogelei, welches sich bei 15° C. trotz Befruchtung nicht entwickelt und abstirbt, zu Theilungen und eventuell auch zu weiterer Entwicklung veranlasst. Wie die Eizellen verhalten sich auch die übrigen Gewebszellen; sie können durch äussere Eingriffe, welche man in der Pathologie gewöhnlich als Entzündungsreize zusammen- fasst, zu Teilungen von uns veranlasst werden, Hornhautzellen durch Ätzung der Hornhaut mit dem Silberstift, Pflanzengewebe durch den Heriwıs: Erklärungsversuche zur Befruchtungslehre. 379 Stich von Inseeten, welche Gallenbildung zur Folge haben. Durch alle derartigen Erfahrungen, die etwas Gemeinsames haben und dem Gebiet der Reizphysiologie angehören, erweitern wir unsere Kennt- nisse über die Reactionsweise der lebenden Substanz gegen äussere Eingriffe, die mechanische, chemische, thermische, elektrische u. s. w. sein können; aber irgend eine Grundlage, auf welcher sich ein chemisch- physikalisches Verständniss der Zelltheilung, der Entwicklung, der Befruchtung und derartiger complieirter Lebensprocesse gewinnen oder auch nur erhoffen liesse, ist bisher in keinem Falle geschaffen worden. Ausgegeben am 6. April. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. rn ü es RR) ARE IT, Be NL; Aurel ! IVH 1, f ä oh 1 I " Be ;; IA % A m 4 * je 4 ta ei ii a el DER Den L Dre, I Be jr j ars cn AG Tu 32 N c + 4 SDERF TI. ET eu SITZUNGSBERICHTE KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. XVII. XIX. 6. Arrır 1905. BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. mn Mi IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. REN, Y ” h . \- PSes?] Auszug aus dem Reglement für die Redaetion der » Sitzungsberichte«. $1. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Domnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Olasse ungerade Nummern. $2. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Secretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Secretar führt die Oberaufsicht über die Redac- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. 56. 1. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $ 41, 2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschnitten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte« an diejenigen Stellen, mit. denen. sie ‚im Sehr, steht, wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich : £ die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats. Mai, » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, | » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres Ph ertgng öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. $8. 5. Auswärts werden Correeturen nur auf t beshudeh Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tereie e g11.) Re 1. Der Verfasser einer unter den RS Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter ‚der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis ‚zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher ‚Ver- theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar angezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exem plare anf aus Kosten abziehen lassen. : $ 28. ; ag: a 1. Jede zur Aufnahme in die En. stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. ‚Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder ‚corre- spondirender Mitglieder direet bei der Akademie oder bei : einer der Classen eingehen, 'so hat sie der vorsitzende r Seeretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum gu Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der ; Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeignet j scheinenden Mitgliede zu überweisen. es ; [Aus Stat. $ 4l, 2. — Für die ufnahme® bedarf“ ea einer ausdrücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antr: rag kann, sobald das Manuseript druckfertig. vorliegt, gestellt und sogleich zur ‚Abstimmung Bebrakkt, werden.] 5:29. ee © 1. Der revidirende Seeretar. ist für “PR Inhalt t des geschäftlichen Theils der Sizungeherichte, jedoch nicht für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsan zaben E gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für ı für alle übrigen Theile der ee nach jeder Richtung. Ber ah a ant- wortlich. 2 } 5% 4 381 SITZUNGSBERICHTE 190. XV. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 6. April. Sitzung der physikalisch-mathematischen Qlasse. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. 1. Hr. Pranck las: Normale und anomale Dispersion in nichtleitenden Medien von variabler Dichte. Nach einer einleitenden Besprechung der Grundlagen der vom Verf. entwickel- ten Theorie werden die verschiedenen Formen, welche die Dispersionscurve einer Substanz annehmen kann, an der Hand der Ausdrücke für den Brechungsexponenten abgeleitet und geschildert. 2. Hr. Kıeım legte eine Mittheilung des Hrn. Prof. Dr. W. Berer in Dresden vor: Das Gabbromassiv im bayrisch-böhmischen Grenzgebirge. Den bayrischen Teil des im Rücken des Hohen Bogens (1073") bei Furth im Wald gipfelnden Gebietes setzt nicht Glimmerschiefer mit Einlagerungen, sondern eine ungeteilte Masse von Augit-Hornblendegesteinen zusammen. Diese, früher Diorit, Dioritschiefer, Amphibolit, Gabbro genannt, bilden, durch Übergänge innig verbunden, eine petrographische Einheit und sind, lediglich als verschiedene Ausbildungen von Gabbro, entsprechend z.B. als Gabbro, Hornblende- und Uralitgabbro, Gabbroschiefer und Hornblendegabbroschiefer zu bezeichnen. Die Gabbromasse ist eruptiv und wahr- scheinlich ein Teil eines grossen Granit- (»Gneiss-«) Massivs des bayrisch-böhmischen Grenzgebirges, das Glimmerschiefer- und Phyllitformation durchbrochen hat. Glimmer- schiefer und Phyllit stellen wahrscheinlich kontactmetamorphes Paläozoikum dar (Be- weis auf böhmischer Seite zu führen). 3. Derselbe legte vor: einen Bericht von Hrn. Prof.. Dr. G. Kıemm in Darmstadt über Untersuchungen an den sogenannten »Gneissen« und den metamorphen Schiefergesteinen der Tessiner Alpen. II. (Ersch. später.) Die mit akademischen Mitteln fortgeführten Untersuchungen beschäftigen sich einerseits mit der Gliederung der Schiefergesteine bei Airolo und im Val Bedretto, anderseits mit deren Beziehungen zu den Gotthardgraniten, die der Verfasser nach Struetur und Mineralbestand als eng zusammengehörig mit den Tessiner Graniten auf- fasst und deren dynamometamorphe Beeinflussung er nicht bestätigt findet. Sitzungsberichte 1905. 38 382 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 6. April 1905. Normale und anomale Dispersion in nichtleitenden Medien von variabler Dichte. Von Max PLANnck«. Einleitende Bemerkungen zur Theorie. Near ich in zwei vorhergehenden Abhandlungen! die Folgerun- gen der von mir entwickelten elektromagnetischen Dispersionstheorie hinsichtlich des »Extinctionscoefficienten« eines selectiv absorbirenden Mediums im Einzelnen dargestellt und, soweit es mir möglich war, mit den vorliegenden Ergebnissen der Erfahrung verglichen habe, be- absichtige ich in der folgenden Abhandlung das Nämliche für den »Brechungsexponenten« durchzuführen, und zwar auch wieder für den speciellen Fall, dass die in dem dispergirenden, als elektrisch nicht- leitend vorausgesetzten Medium befindlichen Moleküle oder Resonato- ren nur eine einzige scharf ausgeprägte Eigenschwingung besitzen. Dabei wird auch der Einfluss von Veränderungen der Dichte des Me- diums, durch Annäherung oder Entfernung der Moleküle von einander, wieder ausführlich besprochen werden; denn für diesen ergiebt die vorliegende Theorie besonders charakteristische Resultate. Zur ex- perimentellen Prüfung derselben wird sich die Dispersion nichtioni- sirter Gase am besten eignen, weil für diese die Voraussetzung der Theorie, dass die Entfernungen benachbarter Moleküle gross sind gegen ihre Dimensionen, am ehesten erfüllt ist. Zunächst mögen einige allgemeinere Bemerkungen über die Grund- lagen der ganzen Theorie vorausgeschickt werden. Als Hauptcharakte- risticum derselben lässt sich die Voraussetzung bezeichnen, dass die Erscheinungen, welche die Dispersion und die Extinetion von Licht- strahlen in einem elektrisch nichtleitenden Medium bedingen, durch Vorgänge bewirkt werden, die sich innerhalb der einzelnen, als ruhend gedachten Moleküle des Mediums abspielen. Insbesondere ist von dem Einfluss der fortschreitenden Bewegung der Moleküle und dem ihrer Zusammenstösse ganz abgesehen. Dass ein solcher Einfluss stets ' Diese Berichte, 30. April 1903 und 21. April 1904. . . 0 Praner: Normale und anomale Dispersion. 383 vorhanden ist und sich im Allgemeinen auch merklich geltend machen wird, soll hier ausdrücklich hervorgehoben werden. Allein es er- scheint mir von prineipiellem Interesse, zunächst einmal diejenigen Erscheinungen gründlicher kennen zu lernen, welche lediglich den Strahlungs- und Schwingungsvorgängen bei ruhenden Molekülen ent- stammen, und welche bei der Dispersion höchstwahrscheinlich allein ausschlaggebend sind. Denn nur hierdurch kann es gelingen, die in Wirklichkeit zur Beobachtung kommenden Erscheinungen genauer zu analysiren. Wenn ein Lichtstrahl auf ein nichtleitendes Medium trifft und dort durch seleetive Absorption eine Schwächung seiner Intensität er- leidet, so findet man diesen Vorgang häufig so dargestellt, dass die Energie der Strahlung sich im Innern des Mediums vermittelst einer Art von Resonanzwirkung, die sie auf die Moleküle ausübt, in leben- dige Kraft der Molecularbewegung, d.h. in Wärme, umsetzt. Im Lichte der elektromagnetischen Dispersionstheorie ist aber der Vor- gang nicht so direceter Art. Vor Allem ist zu bedenken, dass eine directe Einwirkung strahlender Energie auf die Bewegung elektrisch neutraler Moleküle überhaupt nicht stattfindet. Denn nach der Elek- tronentheorie können die von einem elektromagnetischen Felde aus- gehenden Wirkungen sich immer nur an elektrisch geladenen Par- tikeln, Elektronen oder Ionen, äussern. In einem elektrisch leitenden Medium also, wo solche geladenen Partikel frei beweglich vorhanden sind, kann die elektrische Feldintensität allerdings die Molecular- bewegung beschleunigen, und auf diesem Wege, wie E. Rırcke und P. Drupe gezeigt haben, (Joure'sche) Wärme erzeugen. Ein nicht- leitendes Medium dagegen, wie es hier angenommen ist, enthält keine frei beweglichen, elektrisch geladenen Partikel, sondern nur elektrisch neutrale, d.h. gleichviel positive wie negative Elektrieität enthaltende Moleküle, und diese erleiden durch das elektrische Feld einer Licht- welle, deren Länge gross ist, sogar gegen den mittleren Abstand zweier benachbarter Moleküle, keine merkliche Beschleunigung ihres Schwer- punkts. Das magnetische Feld der Welle übt allerdings eine mecha- nische Kraft aus auf die bewegten geladenen Bestandtheile des Mole- küls. Indessen diese Kraft, die den sogenannten Strahlungsdruck der Welle liefert, ist von kleinerer Grössenordnung und kann daher keine merkliche Arbeit leisten. Der ganze Einfluss der elektromagnetischen Welle auf ein Molekül redueirt sich mithin auf die Erregung von Relativ- bewegungen der elektrisch geladenen Bestandtheile des Moleküls, d.h. intramoleeularer Schwingungen. Nach dieser Auffassung wird also die Energie einer Lichtwelle niemals direct in Wärme, d.h. in le- bendige Kraft ungeordneter Molecularbewegung, sondern immer zu- 38° 384 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 6. April 1905. nächst in geordnete intramoleculare Schwingungsenergie verwandelt, wobei die Schwingungen eines jeden Moleküls unter dem Einfluss der es erregenden elektrischen Kraft so erfolgen, als ob es sich ganz allein im Vacuum befände. Nun erfahren alle in einem isolirten Molekül stattfindenden elektrischen Schwingungen eine bestimmte Dämpfung in Folge der vom Schwingungscentrum nach allen Richtungen in den Raum hinaus erfolgenden Ausstrahlung von Energie. Das Dämpfungs- deerement hängt allein ab von den Constanten, welche die physi- kalische Natur des Moleküls bestimmen; es ist insbesondere unabhängig von der erregenden Welle, sowie von allen sonstigen äusseren Vor- gängen. Da nun jede Dämpfung der durch eine Lichtwelle erregten intramoleceularen Schwingungen eine Schwächung der Intensität der fortschreitenden Strahlung herbeiführt, so bewirkt das Mitschwingen aller Moleküle eine Extinetion des Lichtes in dem durchstrahlten Me- dium, und die dabei verloren gehende Energie der primären, erregenden Strahlung findet sich wieder in der Energie secundärer, diffuser Strah- lung. Der ganze Vorgang der Extinction des Lichtes in einem solchen Medium beruht hiernach nicht auf Verwandlung von Strahlungsenergie in Wärme, d.h. nicht auf eigentlicher Absorption, sondern auf Ver- wandlung von einseitig gerichteter Strahlungsenergie in diffuse Strah- lungsenergie, d.h. auf Zerstreuung. Während also die vorliegende Theorie eine Extinction des Lichtes auch bei ruhenden Molekülen ergiebt, vermag sie von der Verwand- lung der Lichtenergie in Wärme oder in Energie der Molecularbewe- gung keine Rechenschaft zu geben, und in diesem Punkte liegt ihr Unter- schied gegenüber der von H. A. Lorentz aufgestellten Theorie, der sie sonst unter allen Dispersionstheorien am nächsten verwandt ist. Nach den Entwicklungen von Lorentz! findet eine reguläre Dämpfung der innerhalb eines Moleküls erregten elektrischen Schwingungen über- haupt nicht statt, sondern die Dämpfung der Schwingungen wird le- diglich durch die Zusammenstösse je zweier Moleküle bewirkt, bei denen jedesmal Energie der Schwingungen in Energie der ungeord- neten Molecularbewegung verwandelt wird. Danach würde also ein Medium, in welchem keine Zusammenstösse von Molekülen stattfinden, weder Extinetion des Lichtes noch Verwandlung von einseitig ge- richteter Strahlung in diffuse Strahlung zeigen. Ein Fall, in welchem die Extinetion des Lichtes nicht durch die Zusammenstösse der Moleküle bewirkt wird, scheint mir bei der Ex- tinetion des Sonnenlichtes in der Atmosphäre vorzuliegen, besonders ' H.A. Lorentz, Kon. Akademie van Wetenschappen Amsterdam, 6. April 1898 und 4. Mai 1898. . . ‘ es Pranck: Normale und anomale Dispersion. 385 in den höheren Regionen, wo die Luft dünner, die Temperatur nie- driger, und in Folge dessen die Zusammenstösse der Moleküle seltener sind. In diesen Luftschichten ist die Extinction des direeten Sonnen- lichtes schon sehr merklich, aber die Strahlungsenergie wird hier nicht in Wärme der Luft, sondern in diffuse Strahlung verwandelt, und zwar für kürzere Wellen in steigendem Maasse, gerade nach den Ge- setzen, welehe die vorliegende Theorie für diesen Fall ergiebt, und welehe genau mit den bekannten von Lord Ravrzeıen zur Erklärung der blauen Himmelsfarbe abgeleiteten Formeln übereinstimmen. Die Frage, ob und in welchem Maasse hierbei ausser den Luftmolekülen selber fremde in der Luft suspendirte Partikel mitwirken, kann hier ganz ausser Betracht bleiben; denn in optischer Hinsicht verhalten sich solche Partikel, deren Dimensionen als klein gegen eine Licht- welle vorausgesetzt werden, nicht anders wie ruhende Moleküle. We- sentlich ist nur, dass die Extinction der Strahlung ganz unabhängig von der ungeordneten Molecularbewegung erfolgt. Fassen wir das Bisherige zusammen, so haben wir zwei ganz verschiedene Arten der Extinction des Lichtes zu unterscheiden. Erstens: die Verwandlung von einseitig gerichteter Strahlung in diffuse Strah- lung (Zerstreuung). Dieser Vorgang erfolgt, unabhängig von jeder Molekularbewegung, durch Schwingungen, welche die auffallende Strah- lung innerhalb der Moleküle erregt. Zweitens: die Verwandlung von intramolecularer Schwingungsenergie in lebendige Kraft der fortschrei- tenden Molecularbewegung (Absorption).' Dieser Vorgang ist bedingt durch die Zusammenstösse der Moleküle, da nach der kinetischen Theo- rie sich in jedem Molekülsystem mit der Zeit ein constantes Verhältniss zwischen der Energie der fortschreitenden und der Energie der inneren Bewegungen der Moleküle herzustellen strebt. Wenn also die intra- moleculare, durch einfallende Strahlung erregte Energie einen Betrag annimmt, der grösser ist als jenem constanten Verhältniss entspricht, so wird beim Zusammenstoss zweier Moleküle durchschnittlich innere Energie in Bewegungsenergie der Moleküle übergehen, d.h. die Mole- küle werden mit grösserer lebendiger Kraft auseinander fliegen als sie zusammengestossen sind, und dieser Process wird so lange andauern, bis nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung statistisches Gleichgewicht zwischen dem Betrag der Energie der schwingenden und der der fortschreitenden Bewegungen der Moleküle eingetreten ist. Wenn diese Anschauung zutrifft, so muss ein jedes Medium, wenn es Lichtstrahlen dispergirt und absorbirt, eine etwas grössere in- ! Über die Nothwendigkeit der Unterscheidung zwischen Absorption und Zer- streuung vergl. A. Schuster, Astrophysical Journal, vol. XXI, p.ı, 1905. 386 Sitzung der physikalisch -matlıematischen Classe v. 6. April 1905. tramoleculare Energie besitzen als seiner Temperatur entspricht, ebenso wie man das bei lumineseirenden Substanzen annimmt, und der Über- schuss an intramolecularer Energie muss im Allgemeinen um so grösser sein, je seltener die Zusammenstösse der Moleküle sind; er wird sich daher am ersten bei verdünnten Gasen bemerklich machen. Auch die im Folgenden angeführten Resultate der Theorie gelten am angenähertsten für Gase. Wegen der sonstigen Voraussetzungen vergleiche den $ ı des ersten der am Eingang eitirten Aufsätze, in welchem auch einige andere Punkte, besonders bezüglich des Extinc- tionscoeffieienten, ausführlicher als hier besprochen sind. $ ı. Allgemeiner Ausdruck für Brechungsexponent und Üxtinetionscoefficient. Der Brechungsexponent v und der Extinetionscoefficient x der Wellenamplitude' ist für eine ebene, der Zeit nach periodische Welle bestimmt durch die Ausdrücke: „_ V@+P or +P+(@+B=a) 2(a? + B?) Yo r Baar BE_(a2 rg \ u) a A ee) Ta 2(@? + P?) wobei Dr A198 or: (2) A ist die Wellenlänge, bezogen auf das reine Vacuum, A, die Wellen- länge der Eigenschwingung eines einzelnen, isolirt gedachten Moleküls, ebenfalls bezogen auf das reine Vacuum. Ferner ist © das als klein vorausgesetzte logarithmische Decrement der Schwingungsamplitude eines isolirt gedachten Moleküls, und endlich: u ae oN‘, eh I wobei N die in der Volumeneinheit befindliche Anzahl der Moleküle vorstellt. Von den drei für die optischen Eigenschaften des betrach- teten Mediums charakteristischen Constanten A,, co und g hängen also A, und © nur von der Natur eines einzelnen Moleküls, g dagegen auch von der Anordnung der Moleküle im Raum ab. Dieser Umstand ge- stattet es, aus der Theorie einige Schlüsse zu ziehen auf die Ab- hängigkeit des Brechungsexponenten v von der Vertheilungsdichte N der Moleküle, welche der Grösse g proportional ist. ! z ist dadurch definirt, dass ein im Medium fortschreitender Strahl von der auf das Vacuum bezogenen Wellenlänge A nach Zurücklegung der Strecke ?% auf den Bruchtlieil e=*”* seiner Intensität gekommen ist. Pranexr: Normale und anomale Dispersion. 387 Wenn wir uns die Werthe von A als Abseissen nach rechts, die dazugehörigen Werthe von v als Ordinaten nach oben aufgetragen denken, so erhalten wir die »Dispersionsceurve« des betrachteten Me- diums. Die Gestalt dieser Curve und ihre Veränderlichkeit mit der Vertheilungsdichte N der Moleküle ist es, welche den Gegenstand der folgenden Erörterungen bildet. Welche Form die Dispersionsceurve im Grossen und Ganzen annimmt, ist bekannt und schon oft graphisch veranschaulicht worden. Der Brechungsexponent v ist für sehr kleine Werthe von A gleich 1; mit wachsendem A nimmt er an Grösse ab bis zu einem Minimum, wo das Gebiet der anomalen Dispersion be- ginnt. Hierauf steigt v mehr oder weniger schnell zu einem Maximum an, wo das Gebiet der anomalen Dispersion endigt, und sinkt dann herab, zuletzt sehr langsam, bis schliesslich für A = © v gleich der Quadratwurzel aus der Dielektrieitätsconstanten wird. Eine nähere Betrachtung ergiebt, dass die Dispersionseurve im Einzelnen recht verschiedene Formen annehmen kann, und dass die verschiedenen Formen sich gegenüber Änderungen in der Vertheilungs- dichte N der Moleküle typisch verschieden verhalten. Wir wollen daher, ebenso wie beim Extinctionscoefficienten %, drei verschiedene Typen der Dispersionsceurve unterscheiden, je nachdem der Quotient 22 [2 einen grossen, einen kleinen oder einen mittelerossen Wert besitzt. ’ to} $ 2. Dispersionscurven des ersten Typus. Wir setzen hier den Fall voraus, dass der Quotient I_ einen [7 grossen Wert besitzt. Dabei ist o klein, und g ein echter posi- tiver, möglicherweise auch kleiner Bruch. $& hat dann einen kleinen positiven Werth, da der Fall, dass A klein ist gegen A,, unberück- sichtigt bleiben kann. Dann lassen sich v* und x* aus den Gleichungen (1) nach steigenden Potenzen von $° entwickeln, vorausgesetzt, dass nicht &”—-c& klein ist, d.h. dass x weder nahezu = 1, noch nahezu = 0. Unter dieser Voraussetzung ergiebt sich, da die Quadratwurzel in (1) positiv ist: I. für &>]1 oder «<0 2 0 x Di oder A?> ) EIZEr FENDT N (1429) A 2 A Zug) 22 aM 1-9 p2 ga’g’i, | » f ern. Mein): 4a’(a—1) 47° (%- (1-9) -(1+29)%) > 388 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. 6. April 1905. Dies ist das Gebiet der normalen Dispersion, in welchem v mit 2 2 wachsendem A abnimmt. Für %<_——- ist v—- 1+2g a) ist v1: 5 s 5, 1+2 h Speciell ist frrä=0 v=1, ud fir! =m: ’= = (Di- elektrieitätsconstante). AT) % N ( — — << — 1+29 1Zg 2 ge?grrrr? — En — —— 2 — ——— (klein), 4a°(1-a) am (R-(1-gA)((1 + 29)R°—%) 1+29)%° — 2 Bee Ne (mittelgross). 2 A (1-g)A Da v hier überall klein ist, so zeigt das Medium in diesem ganzen Gebiet starke Reflexion (gegen das Vacuum). Dies ist deshalb besonders bemerkenswerth, weil der Streifen metallischer Absorption (<>1) erst . r a a % : R Ka bei der Wellenlänge A? = — "— beginnt, sich also auf einen Bruch- 142 theil des ganzen Gebietes beschränkt. In diesem Gebiet liegt auch das Minimum von v. Dasselbe wird erreicht für: D) % Vozg+=un Au ve 3. Ist x nahezu = 1 ( nahezu — =: und zwar so, dass 12229 (&-1) von der Grössenordnung ®, so wird: Br —— Er em 2 e 2 (klein). I Das Medium zeigt starke Reflexion, aber noch verschwindend kleine Extinetion. Der Brechungsexponent nimmt mit wachsender Wellenlänge A, d.h. mit abnehmendem «, continuirlich ab. x ; % s Bünsas (x = — ) wird: 1+29 Ne — ag a 679 ” . ‘ Pranck: Normale und anomale Dispersion. 389 Hier schneiden sich also Dispersionseurve und Extinetionscurve, indem mit wachsender Wellenlänge A der Brechungsexponent v kleiner, der Extinetionscoeffieient x grösser wird. 4.. Ist & nahezu = 0 (r nahezu = = -). und zwar von der Grössenordnung ®, so wird: vr Ver + Be gross) 2(a? + 6?) Zu a — Ve+ De (gross) AED nie In diesem Gebiet liegt der zweite Schnittpunkt der Dispersions- 0 eurve und der Extinetionseurve, nämlich bei «= 0 oder %° = 2 entsprechend dem Werthe: na2 37rg 2 (1-9) de Von da ab wird mit wachsender Wellenlänge A der Brechungs- exponent v, welcher hier immer noch im Wachsen begriffen ist, wieder grösser als der Extinetionscoeffieient x, welcher hier schon wieder ab- nimmt. Ferner liegen in diesem Gebiet die Maxima von v und x, und zwar zu beiden Seiten des Schnittpunktes der beiden Ourven. Links vom Schnittpunkt (bei kleineren A) liegt das Maximum des Extinetions- coefficienten #, nämlich bei « = 7 ‚ im Betrage von: 3 Kar — 3V3 = Rechts vom Schnittpunkt (bei grösseren A) liegt das Maximum des 2 ie Brechungsexponenten v, nämlich bei «= -- —, im Betrage von: I v3 S ey = Aus diesen Daten ergiebt sich folgendes Bild einer Dispersions- curve von dem hier betrachteten Typus. Die Curve beginnt, bei kleinen Wellenlängen (links) angefangen, mit dem Werthe v = 1, den der Brechungsexponent für A=0 er- 390 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 6. April 1905. reicht, und senkt sich dann mit wachsender Wellenlänge A allmählich 2 22 gegen die Abseissenaxe herab. Bei X° = 1398 ängt der Brechungs- exponent an klein gegen 1 zu werden (starke Reflexion), erreicht in der Nähe von A, ein flaches Minimum und wächst dann wieder lang- sam, doch immer noch klein bleibend, bis dicht an die Wellenlänge 2 1-9 Werthen von v, erreicht kurz hinter 2° = = ihr Maximum, und fällt Ne Hier steigt die Curve sehr steil von kleinen zu grossen dann wieder herab, erst schneller, dann immer langsamer, bis zu dem Werthe v =] — *, dem sie sich asymptotisch annähert. © Die Dispersionscurve des ersten Typus ist also charakterisirt durch eine merkliche Ausdehnung des Gebietes der anomalen Dis- persion, ferner, ebenso wie die Extinetionscurve desselben Typus, durch eine unsymmetrische Form, ein flaches Minimum und ein steiles Maximum des Brechungsexponenten. Während aber bei der Extinktions- curve die rechte Seite des Maximums die steilere ist, verläuft bei der Dispersionseurve die linke Seite steiler. Wir untersuchen nun weiter den Einfluss, welchen die Grösse g, die der Anzahl N der in der Volumeneinheit enthaltenen Moleküle proportional ist, auf die Gestalt der Dispersionscurve besitzt. Für das Gebiet der normalen Dispersion kommt, wie man sieht, der Werth von g allein in Betracht, und liefert hier für eine bestimmte Wellen- länge die bekannte Lorentz’sche Beziehung —— r — const., während im Gebiet der anomalen Dispersion der Verlauf der Curve auch noch von o abhängt. Lassen wir nun, bei constantem A, und o, g wachsen, von kleinen Werthen angefangen, indem wir die Vertheilungsdichte N immer grösser nehmen, so wird im Gebiet der normalen Dispersion bei kleinen Wellenlängen, wo v|1, v immer grösser werden, d. h. die Disper- sionseurve wird sich im Gebiet der normalen Dispersion überall von der Geraden v =1 entfernen. Daraus folgt, dass eine jede Disper- sionscurve von einer anderen Dispersionscurve, der ein etwas grösseres 9 entspricht, einen Punkt gemeinsam hat, der dem Gebiet der anomalen Dispersion se Die Lage dieses Punktes ergiebt sich aus der Bedingung 2 — 0, wo die Differentiation bei eonstantem A auszuführen & BETT 5 dß da RR ; ist. Berücksichtigen wir, dass gegen —, zu vernachlässigen ist, lH so folgt hieraus <= - ——, d.h. eine Dispersionscurve wird von V3 Prancr: Normale und anomale Dispersion. 391 einer benachbarten Dispersionscurve, der ein etwas grösserer Werth von 9 entspricht, in ihrem Scheitelpunkt, wo der Brechungsexponent sein Maximum besitzt, geschnitten. Rechts davon verläuft die neue Dispersionscurve höher, links davon tiefer als die alte. Dabei rückt der Scheitelpunkt der Dispersionscurve mit wachsendem g nach rechts oben, d. h. die dem Maximum des Brechungsexponenten entsprechende Wellenlänge wird grösser, und der Betrag des Maximums nimmt zu, und zwar Beides unbegrenzt. $ 3. Dispersionsceurven des zweiten Typus. Ein von dem vorigen Typus gänzlich abweichendes Verhalten zeigt die Dispersionscurve, wenn der Quotient 7 einen kleinen Werth 7 a besitzt. Da o klein, so muss hier g von höherer Ordnung klein sein. Dadurch wird & gross, während & grosse, mittlere und kleine Werthe annehmen kann. Nehmen wir der Allgemeinheit halber & von gleicher Grössenordnung wie 9, so ergiebt sich, da & und ® gross sind, aus (1) durch passende Entwicklung der Quadratwurzel: v—=1- SER), (nahe gleich 1) DRIN. a: DT — 2(@® +9) (klein). Diese Formeln gelten in erster Annäherung für das ganze Gebiet des fo) to} fo} Spectrums. Dabei kann gesetzt werden: 2—X) (2 ee eng — const. Die Dispersionscurve verläuft, ebenso wie die Extinetionscurve, symme- trisch zu beiden Seiten der Wellenlänge? =, Für AA, ist v>1. Dabei entfernt sich die Dispersionseurve über- all nur sehr wenig von der Geraden v — 1, verläuft also ganz flach; Minimum und Maximum von v erscheinen eng zusammengerückt, sie ergeben sich aus der Gleichung & = SEO decke sr 107 = ll F —]. 27 Das Gebiet der anomalen Dispersion ist also sehr schmal, von der Grösse —A,. Die Beträge des Minimums und des Maximums sind: 7 ze _ 379 —t om Z, x = 4B T 4o unterscheiden sich mithin nur wenig von einander. Bei den Öurven vom Typus Il ist daher sowohl das Reflexionsvermögen als auch die 392 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. 6. April 1905. Dispersion des Mediums sehr klein, während die Curven andererseits einen wohldefinirten und bei dickeren Schichten leicht nachweisbaren schmalen Absorptionsstreifen besitzen. Dies Stimmt mit der Erfahrung überein, dass vereinzelte schmale Linien im Absorptionsspectrum einer Substanz keinen merklichen Einfluss auf den Gang der Dispersionscurve der Substanz bei der betreffenden Wellenlänge äussern. Bei wachsender Vertheilungsdichte der Moleküle, d.h. bei wachsen- dem g, ändert sich die Gestalt der Dispersionseurve symmetrisch zu beiden Seiten von A = A,, indem rechts, für grössere Wellenlängen, das Maximum von v proportional g ansteigt, während links das Minimum von v um denselben Betrag sinkt. Die dazugehörigen Abseissen rücken dagegen nicht von der Stelle, d.h. das Gebiet der anomalen Dispersion behält seine geringe Breite —A, ungeändert bei. Schmaler als dieser Br 7 Betrag kann dies Gebiet überhaupt nicht werden. $4. Dispersionscurven des dritten Typus. Zwischen die beiden in den vorigen Paragraphen betrachteten extremen Fälle, dass der Quotient I_ einen grossen, oder dass er einen a kleinen Werth besitzt, reiht sich der im Folgenden zu untersuchende Fall, dass Z mittelgross ist, als verbindendes Glied ein. Er ver- mittelt den stetigen Übergang von den Dispersionseurven des Typus I zu denen des Typus II und umfasst somit jene beiden Typen mit als Grenzfälle. Doch bildet er insofern wieder eine Specialisirung des ersten Falles, als 9 hier nicht, wie dort, irgend ein echter Bruch sein kann, sondern nothwendig eine kleine Zahl ist, und in Folge dessen das Gebiet der anomalen Dispersion nur einen schmalen, bei der Wellen- länge A, gelegenen Raum im Spectrum einnimmt. Auch olıne besondere Rechnungen anzustellen, kann man eine un- gefähre Vorstellung von der Gestalt der Dispersionscurven dieses Typus gewinnen, wenn man bedenkt, dass durch stetig wachsende g, von sehr kleinen Werthen angefangen, die Curven aus dem Typus II durch stetige Änderung ihrer Form in die des Typus I übergehen müssen. Die allgemeine Bedingung des Minimums und des Maximums des Brecehungsexponenten v erhält man aus der Gleichung (1) durch Diffe- rentiation nach & und Nullsetzen des Differentialquotienten, wobei zu dß aA da mr werden kann. Dann gelangt man zu der Gleichung: bedenken ist, dass als kleine Zahl gegen 1 vernachlässigt 4° —- 30-4 + —=0. { $ © Pranex: Normale und anomale Dispersion. 393 Diese in & cubische Gleichung besitzt 3 reelle Wurzeln &, die grösste &, zwischen 78 und ©o, die mittlere &, zwischen 0 und ei die kleinste &, zwischen 0 und —co. «, entspricht dem Minimum, «, dem Maximum von v, während «, das Maximum des Extinctionscoefficienten x ergiebt. Setzt man zur Vereinfachung: 7 0 Ar >, > S A ——- oO L : 1 4 3 2 1 4 2V eos cos a IR 3 1 ee e——— — >>) 4 — 4 2 V cos p cos. 1 3 N — nr Fam) ((>,;>-o). 2V cos p Für grössere Werthe von ß (nahe dem Typus I) wird p nahe TE 1 e < = =, unda=®, = Dez Für kleinere Werthe von 8 a » 3 (nahe dem Typus I) wird g nahe = 0 und 4, = ein 0,0, =0% Die den 3 Werthen von « entsprechenden Wellenlängen ergeben sich aus Gleichung (2): Ao 2 Der nahe 5) 1—-9(1-3a) und die entsprechenden Werthe von v und x aus (1); es sind im All- gemeinen mittelgrosse Zahlen. In einiger Entfernung von dem Ge- : 5 i A A - - biete der anomalen Dispersion & merklich von 1 verschieden) ist & 0 gross, während 8 mittelgross bleibt. Dann redueiren sich die Glei- chungen (1) auf die für den Typus II geltenden Annäherungen. Lassen wir nun, von sehr kleinen Werthen von g angefangen, durch Vergrösserung der Vertheilungsdichte N der Moleküle g allmäh- lich wachsen, und betrachten die damit verbundene Änderung der Form der Dispersionseurve in allgemeinen Umrissen. Anfänglich wird diese Curve durch eine symmetrische Figur vom Typus I dargestellt; 394 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 6. April 1905. Minimum und Maximum des Brechungsexponenten v liegen auf beiden Seiten der Wellenlänge A,, gleich weit und sehr wenig entfernt von ihr, und unterscheiden sich um den nämlichen kleinen Betrag von dem Werthe 1. Mit wachsendem g ändert sich die Curve zunächst symmetrisch, indem das Maximum von v proportional g wächst, das Minimum proportional g abnimmt, ohne dass jedoch die Wellenlängen des Maximums und Minimums von der Stelle rücken. Erst wenn die Curve in den Typus Ill eintritt, fängt das Gebiet der anomalen Dis- persion an sich zu verbreitern, und zwar unsymmetrisch, zuerst sehr langsam, indem das Minimum von v langsamer abnimmt als das Maxi- mum zunimmt. Doch bleibt das Gebiet der anomalen Dispersion für alle dem Typus III angehörigen Curven noch sehr schmal. Die Curve flacht sich in der Gegend des Minimums immer mehr ab, während sie vom Minimum gegen das Maximum zu allmählich immer steiler ansteigt. Das Medium beginnt metallische Absorption (x > 1) zu zeigen, während die Reflexion zunächst noch keineswegs besonders stark wird, da vim ganzen Verlauf der Dispersionscurve weder kleine noch grosse Werthe annimmt. Erst wenn bei weiter wachsendem g der Typus I erreicht ist, nimmt die anomale Dispersion einen merklich endlichen Bezirk im Spectrum ein, das Medium zeigt in dem ganzen Gebiet von . ° BR a — 15 bisa, 135 starke Reflexion, während dagegen die metal- 29 I » x lische Absorption auf das engere Gebiet von A? = — — bis X? — — an 1-9 2 beschränkt bleibt. Weitere Einzelheiten sind aus den speeiellen For- meln zu ersehen. 395 Das Gabbromassiv im bayrisch-böhmischen Grenz- gebirge. Von Prof. Dr. W. Berer in Dresden. (Vorgelegt von Hrn. Kreın.) Die Versuche, die schwierige Frage nach der Entstehung der kristal- linen Schiefer zu beantworten, sind, nachdem sie lange Zeit fast geruht hatten, neuerdings wieder lebhaft aufgenommen, in ungeahnter und überraschender Weise erweitert und vertieft worden und liefern unaus- gesetzt neue, zu den schönsten Hoffnungen berechtigende Ergebnisse. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stand diese Frage unter der Herrschaft einer zu einseitigen neptunistischen Auffassung, ganz besonders in den letzten Jahrzehnten. Dieser Neptunismus bestimmte Streichen und Fallen, Konkordanz und Diskordanz der parallel struierten und geschieferten Gesteine, konstruierte nach diesen Beobachtungen den Gebirgsbau auch im Bereich der kristallinen Gesteine und gab das Urteil über die Entstehung der kristallinen Schiefer ab. Aber mit den fortschreitenden Untersuchungen verloren die geltenden Hypothesen ihre Beweiskraft; die Frage nach der Entstehung der kristallinen Schiefer war schließlich nur noch mit einem »Ignoramus« zu beantworten. Unterdessen ist allenthalben ein neuer kritischer Plutonismus sieg- reich mit einem hoffnungsfreudigen » Agnoscebimus« auf den Plan ge- treten und verbessert die Fehler, die sein Vorgänger in der Geologie und Petrographie begangen hatte. Der Hauptfehler der dem Neptunismus im Verein mit einer allzu mineralogischen Systematik der Gesteine und einem Überwiegen von Einzeluntersuchungen und Spezialaufnahmen zur Last gelegt werden muß, ist, daß er geologisch und petrographisch Zu- sammengehöriges auseinanderriß, daß er geologische und petrogra- phische Einheiten zerstörte, die zusammengehörigen Teile an ganz ver- schiedenen und entfernten Stellen seines Systems unterbrachte. Zwar hat die neptunistische Auffassung der kristallinen Schiefer auch Ein- heiten und scheinbar geologische Einheiten »gleichaltriger« Teile ge- schaffen, z. B. das archäische System mit seiner Gneis-, Glimmerschiefer- 396 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 6. April 1905. und Plyllitformation; aber es war nur eine künstliche, auf die Dauer unhaltbare Einheit, deren Glieder häufig nicht nur im Alter, sondern auch in der Entstehung nichts miteinander gemein hatten. Die archäi- schen Formationen werden so unter dem Ansturm des neuen kritischen Plutonismus ihres ehrwürdigen Alters entkleidet, sie zerfallen in eine ganze Reihe von Teilen, die miteinander nichts zu tun haben, die ganz verschieden und meist jüngeren Alters sind, als der Neptunismus glauben machen wollte. Zu den auffälligsten Beispielen gehören gewisse zentral- alpine Granite, die aus der archäischen Gneisformation einen Sprung in das Tertiär machen mußten. Bei den granitischen Gesteinen, die unter der Herrschaft des Neptunismus wegen ihrer verschiedenen Textur einerseits zu den Graniten, andererseits zu den Gneisen und Granuliten gestellt wurden, ging dabei der innere Zusammenhang wegen der außerordentlich ähnlichen, in vielen Fällen ganz gleichen Zusammen- setzung nicht so verloren, wie z.B. bei den basischen Augit- und Horn- blendegesteinen, bei den Gliedern der Diabas- und Gabbrogruppe. Hier ist die Zerreißung von geologisch und petrographisch Zusammen- gehörigem am auffälligsten. Hier verlor man die Erkenntnis der innigen inneren Beziehungen, ja der vollkommenen Gleichheit der augit- und hornblendehaltigen Glieder, der körnigmassigen und schiefrigen Aus- bildungen zuweilen vollständig. Man sah die Hornblendeschiefer (zum Teil), Eklogite, Hornblende- und Pyroxengneise, Pyroxengranulite u. a. zwar hier und da vergesellschaftet mit Diabas und Gabbro, reihte aber die ersten bei den kristallinen Schiefern ein, die zugehörigen Gesteine Diabas und Gabbro bei den Eruptivgesteinen. Ja diese geologische und petrographische Einheiten vernichtende Behandlung erfulır der Gabbro an sich selbst, indem man einen Teil seiner typischen Vorkommnisse für eruptiv, einen anderen Teil für gleich entstanden mit den kristal- linen Schiefern, d.h. meistens metamorph-sedimentär, ansah. Allmählich, und zwar schrittweise mit der Überwindung der neptu- nistischen Auffassung wird der natürliche Zusammenhang wieder her- gestellt, und gegenwärtig arbeitet man allenthalben daran, die in der Natur vorhandenen großen geologischen Einheiten zu erkennen. Wie in der Botanik das natürliche System, so wird in der Geologie der neue kritische Plutonismus im Verein mit der angestrebten, nicht minera- logischen, sondern petrographischen Systematik der Gesteine ein richti- geres Bild von der Zusammensetzung und Entstehung der Erdrinde geben. Merkwürdig ist, daß man dabei vielfach zu Ansichten zurück- kehrt, die in den letzten Jahrzehnten bekämpft wurden. Hatte z. B. der überwundene Neptunismus die Granulitfor- mation des sächsischen Granulitgebirges in eine große Zahl verschieden benannter und scheinbar einander ganz fremder Glieder W. Berger: Das Gabbromassiv im bayrisch-böhmischen Grenzgebirge. 397 aufgelöst, die abweichende, kristallin gewordene Sedimente darstellen sollten, so vereinigte der neue Plutonismus alles zu einem einzigen Eruptivmassiv, das nur durch Sonderungen im Magma und stellen- weise Mengung mit Sedimenten eine schon an Granitmassiven wohl- bekannte Mannigfaltigkeit in der Mineralzusammensetzung und durch örtliche Einflüsse einen Wechsel in der Textur und Struktur zeigt. Hatte der Neptunismus den Schiefermantel des Granulitmassivs in eine Reihe verschiedenartiger Formationen zerlegt, die sogar zu ganz verschiedenen Formationsgruppen und Perioden (Archaikum und Paläozoikum) gehörten, so beschränkte der neue Plutonismus dies alles auf eine einzige Periode, indem er, zugleich auf neue paläonto- logische Beweise’ gestützt, den kristallinen Schiefermantel für kontaktmetamorphes älteres Paläozoikum erklären konnte. Von großem Einfluß ist die neue plutonistische Auffassung nun auch auf die Beurteilung des Gabbros und seines Verhältnisses zu den ihn begleitenden Gesteinen Amphibolit, Eklogit, Hornblendegneis, Pyroxengranulit, Serpentin usw. geworden. Die darauf bezüglichen Fragen zu prüfen, erschien dem Verfasser das Gabbro-Amphibolitgebiet im bayrisch-böhmischen Grenz- gebirge besonders geeignet, weil es, im Herzen Mitteleuropas ge- legen, lange nicht untersucht, zu den größten bekannten, mannig- faltigsten und interessantesten derartigen Gebieten überhaupt gehört. Dieses Gabbro-Amphibolitgebiet liegt in Bayern und Böhmen. Der bayrische Anteil, bei Furth im Wald in dem malerischen Rücken des Hohen Bogens sich zur größten Höhe (1073"”) erhebend, ist einheitlich und geschlossen und besitzt oberflächlich die Gestalt eines gleichschenkligen Dreiecks von 130°" Flächenraum, dessen Spitze im Südwesten Bayerns zugewendet ist, dessen Grundlinie mit der von Nordwesten nach Südosten verlaufenden bayrisch-böhmischen Grenze zusammenfällt. Der böhmische Anteil bedeckt eine bedeutend größere Fläche, ermangelt aber der einfachen, einheitlichen und ge- schlossenen Gestalt. »In das Innere des Landes erstrecken sie (die Hornblendegesteine) sich in zwei Zügen, die durch die Phyllitpartie zwischen Taus, Kollautschen, Bischofteinitz und Stankau voneinander geschieden sind. Der östliche Flügel erstreckt sich über Neugedein bei abnehmender Breite nordostwärts ..... Der westliche Zug er- streckt sich vom Hohen Bogen in Bayern über Vollmau böhmischer- seits entlang des böhmischen Waldes ... bis gegen Plan« (KaArtzer, ' E. Danzıs, Erläuterungen zur geologischen Spezialkarte des Königreichs Sachsen. Blatt Mittweida 77, 2. Aufl. 1905, S.16— 19. — W. Berer, Die Phyllit- formation am Südostflügel des sächsischen Granulitgebirges ist nicht azoisch. Zentral- blatt für Mineralogie 1905, 109—114. Sitzungsberichte 1905. 39 398 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 6. April 1905. Geologie von Böhmen 1892, S. 621/22) und setzt sich mit Unter- brechungen bis weit über Marienbad hinaus nach Norden fort. Um Fehlerquellen möglichst auszuschließen, wurde die gleich- mäßige Untersuchung und Berücksichtigung des ganzen Gebietes ge- plant, und nach Vorarbeiten im Jahre 1900 beging der Verfasser im Herbst 1904 zunächst den bayrischen Teil. Der Preußischen Aka- demie der Wissenschaften, die ihm für 1904 eine namhafte Unter- stützung gewährte, spricht er auch hier den ehrerbietigsten Dank aus. Sichere Ergebnisse sind natürlich erst nach der Begehung des ganzen Gebietes und nach den nötigen umfangreichen Laboratoriums- arbeiten zu erwarten. Hier sollen nur einige, bei der Begehung des bayrischen Teiles hervorgetretene Punkte erwähnt werden. Der bayrische Teil des Gabbromassivs. Der besser bekannte bayrische Anteil ist zweimal von C. W. GüngeL beschrieben und kartographisch dargestellt worden: 1. Geognostische Beschreibung des Königreichs Bayern, II. Bd.: Geognostische Beschreibung des ostbayrischen Grenzgebirges. 1868, S. 604 — 607 ff. Dazu: Geognostische Karte des Königreichs Bayern, Bl. IX, 1866. 2. Geologie von Bayern, II. Bd. 1894, S. 449—450ff. Mit einer geologischen Übersichtskarte 1: 1000000. Das zweite Werk ist wenigstens für das hier in Betracht Kom- mende nur eine wenig veränderte Kürzung des ersten. Außerdem enthält die »Geologische Karte des Deutschen Reiches « von R. Lersıws, 1894 — 1897, im Maßstab von 1:500000, auf Blatt Regensburg Nr. 24 Einzelheiten für unser Gebiet. Die Darstellung auf der Karte von Lersiws weicht wesentlich von der Güngers ab, indem sie im Bereich des Hohen Bogens die Farbe des Glimmerschiefers als herrschend zeigt und darin ein- zelne getrennte, wenn auch zahlreiche und zum Teil ausgedehnte Einlagerungen von D = Diabas, Diorit, Gabbro, dies aber nur auf bayrischer Seite, während in Böhmen dem Glimmerschiefer die »Ein- lagerungen« ganz fehlen. Die Farbe des Glimmerschiefers bedeckt auf der Karte von Lersıus weite Strecken; nach GüngeL (1894, S. 427) dagegen »ist die Verbreitung des Glimmerschiefers im ostbayrischen Grenzgebirge eine nicht beträchtliche« und beschränkt sich auf ein sehr kleines Gebiet im Süden des Hohen Bogens. Die Augit- und Hornblendegesteine hat GümsEL auf seinen beiden Karten in Bayern und Böhmen (hier in Übereinstimmung mit W.Berer: Das Gabbromassiv im bayrisch-böhmischen Grenzgebirge. 399 Fr. KAtzer, Geologie von Böhmen, 1892) als eine einheitliche ge- sehlossene Masse eingetragen, auf der älteren Karte von 1866 mit H = Hornblendegestein und Schiefer als Hauptgestein, darin zahlreiche langgestreckte, von Nordwesten nach Südosten streichende Einlage- rungen von D = Diorit, Gbb = Gabbro und gabbroähnliche Gesteine, Sp = Serpentin, vereinzelt Sch = Schillerfels, Gr = Winzergranit und en = Gneis. Auf der neueren Karte (1894) findet man als Hauptge- stein gh = Hornblendegneis und Hornblendegestein und vereinzelte Einlagerungen von S = Serpentin und Gabbro, G = Granit. Im Text von 1894 werden S. 449 »als herrschend hornblendehaltige Gesteine, und zwar überwiegend Diorit, teils in schieferiger Form als Diorit- scehiefer, teils massiges Gestein im steten Wechsel mit mehr oder weniger reinem Hornblende- oder Amphibolitschiefer und mas- sigem Amphibolit« angegeben. »Nur in untergeordneten Lagen werden sie von Gabbro, Serpentin und körnigem Kalk begleitet und sind gegen das Liegende zu durch hornblendeführende Gneis- schiehten (Hornblendegneis) mit dem Hauptstock des Gebirges eng verbunden. « Schon bei der flüchtigen Begehung im Jahre 1900 konnte fest- gestellt und 1904 genauer bestätigt werden, daß von den beiden ab- weichenden Darstellungen die Gümsgersche richtig ist. Nirgends sind in dem ganzen großen Gebiete Spuren von Glimmerschiefer zu ent- decken, überall trifft man nur »Amphibolit« oder »Diorit« oder Gab- bro usw. Nur diesen Gesteinen gehören auch die größeren oder klei- neren Bruchstücke und Bröckehen an den Wiesenrändern, Feldrainen, in den frischgeackerten Feldern an. Sobald man aber die Grenzen des geschlossenen Gabbro- Amphibolit-Gebietes überschreitet, machen sich ‘sofort die Nachbargesteine Gneis oder Granit, wie an der West- und Südwestgrenze, Glimmerschiefer am Südrand, Chloritschiefer und Phyllit am Südost- und Ostrand geltend. Es kann also keine Rede davon sein, daß Glimmerschiefer mit untergeordneten Einlagerungen vorliegt, daß etwa, wie es nach der Karte von Lersıvs scheinen mag, die Rücken, Berge und Hügel des Gebietes aus den Augit-Hornblende- Gesteinen, die tiefliegenden, mehr erodierten Stellen aus Glimmer- schiefer beständen. Der felsige Untergrund wird überall aus den Hornblendegesteinen usw. zusammengesetzt, diese bil- den eine einheitliche geschlossene Masse, deren Grenzen von Günger richtig dargestellt und am besten auf dessen älterer größerer Karte vom Jahre 1866 verfolgt werden können. Zum Unterschied von vielen anderen Gebieten, z.B. auch vom östlich benachbarten Westrandgebirge, haben wir hier kein linsen-, sondern stoeck- oder massivartiges Auftreten der Hornblendegesteine. 9° 400 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 6. April 1905. In diesem großen einheitlichen Gebiete herrscht nun unter den Hornblende- und Augitgesteinen petrographisch eine außerordent- liche Mannigfaltigkeit, ein bunter und sich häufig wiederholender Wechsel in der mineralischen Zusammensetzung, in der Korngröße, in der Textur und Struktur. Dem hat GüÜngeL in seinen Gesteins- bezeiehnungen auch Ausdruck gegeben. In Bezug darauf war nun zu untersuchen: In welchem Verhältnis stehen alle diese Gesteine zueinander und zur Glimmerschieferformation ? und welcher Art ist ihre Entstehung? Wie schon HocHsTtETTErR und GÜngBEL betonten, erweisen sich die Verhältnisse für die Feststellung der Lagerungsverhältnisse und der gegenseitigen Beziehungen der Gesteine in der Natur als sehr ungünstig. Der Mangel an Aufschlüssen, die ausgedehnte Wald- und Wiesenbe- deekung, die Blocküberrollung in den stark gebirgigen Teilen, stellen- weise die starke oberflächliche Zersetzung vereinigen sich, die Feld- arbeit zu erschweren. Das ganze bayrische Gebiet von 130%” wird nur am Rande bei Furth (Tunnel von Furth) von einer Eisenbahn durehschnitten. Neue Straßen mit Sprengungen von anstehendem Fels gehören zu den größten Seltenheiten, Steinbrüche sind nur vereinzelt vorhanden und meist außer Betrieb, verwittert und verwachsen. Man ist also im günstigsten Falle auf angewitterte anstehende Felsen, sonst auf Blöcke, Lesesteinhaufen und Bröckehen aus den frischbestellten Feldern angewiesen. Dankbar muß man es schon begrüßen, wenn beim Bau von Forstwegen, wie am Hohen Bogen, durch Sprengungen der angewitterten und moosbewachsenen Blöcke der Felsenmeere frisches Gestein zum Vorschein gekommen ist. Trotzdem hat sich allen Beob- achtern der innige untrennbare Zusammenhang der Gesteine des Ge- bietes aufgedrängt. Am deutlichsten tritt das vielleicht in einer der ältesten Darstellungen des böhmischen Teiles von Hoc#sterter' her- vor. »Alle diese Gesteine erscheinen am Fuße des Böhmerwaldes hier durchaus als gleichzeitige Bildungen. Zumal Amphibolschiefer und Amphibolit wechseln so häufig miteinander und sind durch Gesteins- übergänge so enge verbunden, daß es eine vergebliche Mühe ist, die- selben auf der geognostischen Karte zu trennen.« (S.775.) Den Namen Diorit und Dioritschiefer vermeidet er absichtlich, »um diese Gesteine damit nicht in eine Kategorie mit den gangförmig auftretenden Grünsteinen zu setzen«. — »Das gegenseitige Verhältnis des Gabbro und der Amphibolite ist nicht ganz deutlich bei der starken Verwitterung der Massen.« (S.783.) 1 F. Hoc#sterrer, Geognostische Studien aus dem Böhmerwalde. Jahrb.d.k.k. g. Reichsanst. Wien, 1855, 6, 749— 810. W. Berer: Das Gabbromassiv im bayrisch-böhmischen Grenzgebirge. 401 Interessant ist die Bemerkung HocastEtters S.784: »Wenn die Diallaggesteine in anderen Ländern unter Verhältnissen auftreten, daß die meisten Geologen denselben eine spätere eruptive Bildung zu- schreiben, deren Epoche selbst bis in die Kreideperiode gesetzt wird, so halte ich dieses Vorkommen (von Gabbro) in unregelmäßigen, rings von Hornblendegesteinen umgebenen Massen für ein entschiedenes Bei- spiel, daß Gabbros auch gleichzeitig mit kristallinischen Schiefern des Urgebirges gebildet erscheinen.« (S.784.) Es ist deutlich ersichtlich, wie die Betrachtung und Beurteilung von den ihrer Entstehung nach doch so problematischen kristallinen Schiefern und nicht vom Eruptiv- gestein ausgeht. Übereinstimmung herrscht in den Angaben der früheren Beob- achter auch darin, daß keine gangförmigen Vorkommnisse auftreten. »Man findet in der Regel nur die Blöcke (Gabbro von Warzenried und Eschelkam) an der Oberfläche liegend, es unterliegt aber keinem Zweifel, daß sie nicht von gangförmigen, sondern von lagerförmigen Massen abstammen, welche sich zu dem herrschenden Amphibolitgestein wie ein untergeordnetes Glied verhalten« (HocasTETTEr S. 780). Günger hat sich über die Lagerungsverhältnisse und die gegenseitigen Beziehungen der Gesteine nur kurz geäußert und weicht darin nicht von HocustETTer ab. Selbst in neueren Arbeiten über kleine Teile des Gebietes be- gegnet man nur kurzen unbestimmten Angaben. So sagt Marrın': »Der Gabbro scheint in seinem Auftreten an den Hornblendeschiefer gebunden zu sein und steht auch vielleicht mit dem Pegmatit in irgend- einer Beziehung.« Erst Weischesk hat gelegentlich an verschiedenen Stellen seiner Arbeiten den Verhältnissen entsprechende und vollkommen befriedigende Angaben über gegenseitige Beziehungen und Entstehung der Gesteine des Gebietes gemacht und durch einen seiner Schüler, v. Lvezızky’, seine Auffassung über ähnliche Verhältnisse im Westrand- gebirge des Bayerischen Waldes ausführlicher dargelegt. Trotz der oben angedeuteten ungünstigen Verhältnisse in der Natur läßt sich jetzt schon folgendes über die Beziehungen der Gesteine zu- einander feststellen. Typischer massiger Gabbro in verschie- dener Ausbildung hat eine viel größere Verbreitung in dem bayerischen Anteil des Gebietes, als sich nach den bisherigen Angaben erwarten ließ. Neben frischem Diallaggabbro kommt auch reichlich mit ihm innig verbundener Uralitgabbro vor, ferner auch Gabbro, in dem neben dem Pyroxenmineral braune oder grüne ! Fr. Marrın, Die Gabbrogesteine in der Umgebung von Ronsperg in Böhmen. TscHErmAX, Min. u. petr. Mitteil. 1897, 16, 105 — 132. 2 W.v. Luczizky, Petrogr. Studien zwischen Erbendorf und Neustadt an der Waldnaab (Oberpfalz). Zentralblatt für Mineralogie usw. 1904, 577—596. 402 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 6. April 1905. kompakte Hornblende vertreten ist. Daß hier kein anderes Gestein, kein Diorit oder Syenit vorliegt, wie man früher angegeben hat, be- weisen die Übergänge, die basische Natur der Feldspate, vor allem aber und ganz besonders in die Augen springend die gemeinsame, dem Pyroxengabbro eigentümliche Struktur, die später für alle Glieder bildlich dargestellt werden soll und die mit der Struktur anderer Gesteine nicht zu verwechseln ist. Der an zahlreichen Stellen und in allen Teilen des Gebietes auftretende Gabbro ist also als reiner Diallag- oder Pyroxengabbro, als reiner Hornblendegabbro, weiter als Uralit- gabbro und in Mischgliedern aller ausgebildet. Von den körnigmassigen Gabbros führen fernerhin alle Textur- und Strukturübergänge zu flasrigen, langflasrigen, schiefri- gen und gebänderten Ausbildungen, die als dunkelen Silikatgemeng- teil meistens grüne oder braune Hornblende, aber auch Pyroxen haben. Je weniger an ihnen die Flaserung und Schieferung ausgeprägt ist, je näher sie den körnigmassigen Gesteinen stehen, desto deutlicher erkennt man die Gabbrostruktur. Je flasriger und schiefriger sie sind, desto undeutlicher wird die Gabbrostruktur, oder richtiger, desto mehr geht sie in eine gestreekte Gabbrostruktur über. Der Übergang er- folgt am schnellsten parallel der Schieferung und »Streekung«; senk- recht dazu im Querbruch erhält sie sich außerordentlich lange und ist hier selbst bei ausgeprägter Schieferung und Parallelstruktur des Gesteines noch unverändert. Auch im Mikroskop offenbart sich die Gleichheit oder Verwandtschaft der Struk- tur bei den verschiedenen Ausbildungen mit außerordentlicher Schärfe. Schon diese Verhältnisse, der innige geologische und petrogra- phische Zusammenhang und die Übergänge in mineralischer Zusammen- setzung und Struktur, beweisen zur Genüge, daß die sogenannten Dioritschiefer und Amphibolite nichts anderes sind als flasrig bis schiefrig ausgebildete Gabbros und Hornblendegabbros. Diese Schiefer des »Hohen Bogens« stehen zum Gabbro in dem gleichen Verhältnis wie die Hornblendeschiefer der Flasergabbrogruppe des säch- sischen Granulitgebirges.. Sie bilden mit dem Gabbro eine pe- trographische und geologische Einheit, und diese Einheit muß sich auch in der Benennung ausdrücken. Die Sächsische Landesanstalt hat dieser Forderung durch die zusammenfassende Be- zeichnung »Flasergabbrogruppe« gerecht zu” werden gesucht, stellt aber dem Gabbro die Amphibolite gegenüber. Die Badische Landes- anstalt nennt »Amphibolite«, die durch die Struktur ihre Gabbronatur verraten, »gabbroide Amphibolite«.'" Die Bezeichnung »Dioritschiefer « ! Geolog. Spezialkarte von Baden. A. Sauer, Erläuterungen zu Blatt Gengenbach Nr. 82, 1894, S.23 und zu Blatt Hornberg-Schiltach Nr. 94/95, 1897, S. 17. W. Berer: Das Gabbromassiv im bayrisch-böhmischen Grenzgebirge. 403 ist natürlich unangebracht und irreführend; denn mit Diorit haben die Gesteine nichts zu tun. Auch für Beibehaltung des Namens » Amphi- bolit« oder »Hornblendeschiefer« u. a. kann sich der Verfasser nicht erwärmen, weil sie nichts über Natur und Entstehung der Gesteine sagen. Die bisherige Gruppe der Amphibolite enthält viel zu hetero- gene und ungleichartige Dinge, als daß sie in dem Umfang bestehen bleiben kann. Die Glieder eruptiven Ursprungs dürfen nicht den gleichen Namen führen wie die aus Sedimenten, besonders Tuffen entstandenen Paraamphibolite. Wenn man in dem vorliegenden Falle zunächst von neuen Namen absehen will, dann erscheint die Bezeichnung J. Lenmanss' »Gabbroschiefer oder Amphibolgabbroschiefer« am geeignetsten. Auf die wichtige, aber schwierige, gegenwärtig im Vordergrunde der Erörterungen stehende Frage der Entstehung dieser flasrigen und schiefrigen Ausbildungen des Gabbros in unserem Ge- biete kann hier noch nicht eingegangen werden. Es soll nur noch die Frage gestreift werden: Ist der Gabbro des bayrisch-böhmischen Grenzgebirges eruptiv und welche Beziehung hat er zum Glimmerschiefer ? Die Doppelnatur, die man dem Gabbro zugeschrieben hat und teilweise noch zuschreibt, wurde oben schon angedeutet. Ein Teil seiner Vorkommnisse gilt als eruptiv, ein anderer Teil trotz voll- ständiger petrographischer Gleichheit und im Widerspruch zu seiner ausgesprochenen normalen Eruptivstruktur als ein archäischer kristal- liner Schiefer. Wenn sich die eruptive Deutung auch der zuletzt ge- nannten Vorkommnisse zur Zeit noch nicht mit mathematischer Sicher- heit beweisen läßt, so steht doch fest, daß sie ohne Schwierigkeit möglich, ja besser und weniger widerspruchsvoll ist als die auf zweifel- hafte und mehrdeutige geologische Verhältnisse gegründete Zugehörig- keit zu den archäischen kristallinen Schiefern. Es dürfte nur noch eine Frage kurzer Zeit sein, daß man allgemein nur einen erup- tiven Gabbro kennt. Hierbei zeigt sich, daß die Struktur, we- nigstens eine so ausgeprägte Eruptivstruktur wie die des Diabases und Gabbros, ein sichereres Erkennungsmittel darstellt, als die oft recht schwer festzustellende und mehrfach deutbare Lagerungsform. Wie unter den vielfach noch als »Amphibolit« bezeichneten Gesteinen an der Struktur oft leicht die Diabase erkannt werden können, so ist auch hier bei den »Dioritschiefern« und »Amphiboliten des »Hohen Bogens« die Struktur ein genügender Beweis für deren Gabbronatur. Gesteine, die als Paraamphibolite, z. B. als metamorphe Tufte, auf- ! J. Leumans, Untersuchungen über die Entstehung der altkristallinischen Schiefergesteine. 1884, S. 191. 404 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 6. April 1905. zufassen wären, sind mir bisher nicht begegnet. Im böhmischen Ge- biet scheinen sie vorhanden und mit der benachbarten Phyllitformation verknüpft zu sein. Man könnte gegen die Eruptivität unserer Gesteine das Vorkommen von Einlagerungen kristallinen Kalkes als kristallin gewordenen sedimentären und organogenen Kalksteins geltend machen. Der Ver- fasser hat in dem ganzen Gebiet der Augithornblendegesteine nirgends Kalk angetroffen und nichts davon gehört. GünmseL verzeichnet ihn nicht auf der Karte, erwähnt ihn aber am Hohen Bogen ganz kurz im Text. Vielleicht erklärt sich dies durch die folgende freundliche Mitteilung des Kgl. Forstmeisters Hrn. Husrıcn in Kötzting. Der Fund eines Blockes von Urkalk am Nordabhang des Burgstalls unmittelbar am Weg von Schwarzenberg dürfte in Zusammenhang zu bringen sein mit der Anlage eines Kalkofens, auf die man nebst Schlacken und geschmolzenen Hornblendegesteinen oben auf dem Burgstall selbst ge- stossen ist. Höchstwahrscheinlich ist der Kalk von dem, nahen, im Gneis auftretenden Lager bei Zenching unweit Me unge- brannt nach dem Burgstall befördert und dort erst gebrannt worden. Der Verfasser vertritt so nach den bisherigen Beobachtungen die Ansicht, daß das große bayrisch-böhmische »Dioritamphibo- litgebiet« eine einheitliche eruptive Gabbromasse darstellt. Er teilt natürlich nicht die Auffassung Martins (s. o.), daß ebensoviele Eruptiv- (Intrusiv-) Zentren wie Verbreitungsgebiete des Gabbros vor- handen wären. Die weitere Untersuchung muß prüfen, ob obige Be- hauptung aufrecht erhalten werden kann oder nicht. Ferner ist zu untersuchen, ob diese Gabbromasse ein selbständiges Massiv bildet oder ob sie nur als Teil zu einem viel größeren, meist aus Granit und »Gneis« bestehenden Eruptivmassiv des bayrisch - böhmischen Grenzgebirges gehört. Der Schiefermantel. Die Beziehung des Gabbrogebietes zu der im Westen angrenzenden »Gneisformation« wurde eben berührt. Meine bisherigen Untersuchungen waren nur auf jenes selbst gerichtet, sind deshalb zu erweitern. Einen wertvollen Anhalt müssen dabei die in dem westlich anstoßenden Gneisgranitgebiet, besonders in dem sogenannten Westrandgebirge (vgl. oben) gelegenen zahlreichen und zum Teil ausgedehnten Amphibolit-Gabbro-Vorkommnisse bieten. Dagegen läßt sich schon mit einiger Sieherheit ein Urteil über das Verhältnis zum Glimmerschiefer am Südabhang des Hohen Bo- gens abgeben. Wie oben angedeutet wurde, rechnen GÜüngeL und Ler- sıus die Gabbroamphibolitmasse zur Glimmerschieferformation. _Nach GümgeL »ist sie als eine Faziesbildung des Glimmerschiefersystems zu betrachten« (1594, S. 449), obwohl sich ihr Zusammenhang mit dem W. Bere: Das Gabbromassiv im bayrisch -böhmischen Grenzgebirge.. 405 am Südabhang des Hohen Bogens anstehenden Glimmerschiefer auf ein äußerliches Nebeneinander beschränkt. »Höchst merkwürdig sind die Beziehungen zwischen dem Hornblendegestein des Hohen Bogens und dem Glimmerschiefer des künischen Gebirges, die zwischen Jäger- haus bei Ansdorf und Rittsteig unmittelbar aneinanderstoßen. Man beobachtet hier in der Grenzzone weder einen allmählichen Gesteins- übergang noch eine Verbindung durch Wechsellagerung. Beide Ge- birgsarten treten plötzlich nebeneinander zutage, und zwar in gleich- förmiger Lagerung, so daß der Glimmerschiefer das Liegende ausmacht « (GüngeL 1868, 605). Ein Blick auf die Karte zeigt. daß die Gabbromasse in Böhmen mitten in die Phyllitformation (nach Lersıus Kambrium) hineinsetzt; mit anderen Worten: der Gabbro durchsetzt den Glimmerschiefer und den Phyllit (Kambrium), er hat mit der Glimmerschiefer- formation innerlich nichts zutun. Daß ein derartiges Verhältnis vorliegt, dafür spricht noch folgender Punkt. Günsger führt im Gneis und Glimmerschiefer besonders am Südabhang des Hohen Bogens un- mittelbar am Kontakt mit dem »Amphibolit« mehrere Vorkommnisse von Andalusitan. Der ausgezeichnetste Fundort dafür ist das Jäger- haus über Ansdorf. Fingergroße Kristalle und Gruppen des Minerals können hier in Platten und Blöcken von quarzknollenreichem Glimmer- schiefer, die zu einer Mauer aufgehäuft sind, massenhaft gesammelt werden. Die mikroskopische Untersuchung von dünnschiefrigem Glim- merschiefer ohne Quarzknollen und -knauern ergab auch reichlichen, dem Gesteinsgewebe angehörigen Andalusitgehalt, neben anderen Merk- malen ein Hinweis darauf, daß dieser Glimmerschiefer ein Kon- takterzeugnis ist. Die Phyllitformation (Kambrium) liegt vorwiegend auf dem noch zu begehenden böhmischen Gebiet. Gegenstand der Untersuchung wird hier sein müssen, ob dieser Phyllit nicht ähnlich wie die Phyllitformation im sächsischen Granulitgebirge (vgl. oben) versteinerungsführendes kontaktmetamorphes Paläozoikum ist. Reich- lich darin vorkommender Kiesel- und Alaunschiefer macht dies wahr- scheinlich. 406 Neue Begründung der Theorie der Gruppen- charaktere. Von Dr. Issaı Scuur, Privatdozent an der Universität zu Berlin. (Vorgelegt von Hrn. Frogenıus am 23. März 1905 [s. oben S. 359].) Die vorliegende Arbeit enthält eine durchaus elementare Einführung in die von Hrn. Frogentus begründete Theorie der Gruppencharaktere', die auch als die Lehre von der Darstellung der endlichen Gruppen durch lineare homogene Substitutionen bezeichnet werden kann. Eine elementare Begründung dieser Theorie ist zwar in neuerer Zeit bereits von Hrn. Burusıpe” gegeben worden. Hr. Burssive macht Jedoch noch von einem dem Gegenstand im Grunde fernliegenden Hilfsmittel, nämlich dem Begriff der Hrrmıteschen Formen, Gebrauch. Ich halte es daher nicht für überflüssig, eine neue Darstellung der Frogznıusschen Theorie mitzuteilen, die mit noch einfacheren Hilfs- mitteln operiert. Zum Verständnis des Folgenden ist aus der Theorie der linearen Substitutionen im wesentlichen nur die Kenntnis der Anfangsgründe des Kalküls der Matrizen erforderlich. Abgesehen von den rein for- malen Regeln dieses Kalküls werden nur noch zwei übrigens sehr leicht zu beweisende Sätze als bekannt vorausgesetzt, die der besseren Übersicht wegen hier angeführt werden mögen: a) Ist P eine Matrix mit m Zeilen und n Spalten, und sind A und B zwei Matrizen der Grade m und n, deren Determinanten nicht verschwinden, so besitzen die beiden Matrizen P und APB den- selben Rang. b) Ist P eine Matrix mit m Zeilen und n Spalten, deren Rang gleich r ist, so lassen sich zwei Matrizen A und B der Grade m und n von nicht verschwindenden Determinanten bestimmen, so daß in der Matrix APB = (q,.) die r Koeffizienten 911, 9» ---» 9, gleich 1, die übrigen Koeffizienten gleich 0 sind. 1 Sitzungsberichte 1896, S.985 und S.1343, ferner 1897, S.994 und 1899, S.482. Acta Mathematica, Bd. 28 (1904), S. 369, und Proceedings of the London Mathematical Society, Ser. 2, Vol.r (1904), S. 117. 2 I. Scuur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 407 Der zuletzt angeführte Satz ist identisch mit dem bekannten m n Theorem, welches besagt, daß eine bilineare Form f=3 Zp.,%.Y5 «=ı ßB=1 vom Range r sich auf die Gestalt f= wv, +%% +: +u,v, bringen läßt, wo %,%,:'-,% und ©,,%,:'-,®d, linear unabhängige lineare homogene Funktionen der n Variabeln &, und der z2 Variabeln %, be- deuten. Die eigentliche Theorie der Gruppencharaktere wird in den $$ 1—5 entwickelt. Der $ 6 enthält eine Anwendung auf die Theorie der charakte- ristischen Einheiten der endlichen Gruppen'; die in diesem Paragraphen durchgeführte Untersuchung verdanke ich einer Anregung des Hrn. FROBENIUS. SET: Es sei 5 eine endliche Gruppe der Ordnung A, deren Elemente Een. . Hr „sind. Sind dann (1.) (ENAWEA): + ,(Hh-ı) h Matrizen (lineare Substitutionen) n'“ Grades, welehe den A’ Relationen (R)(S)= (RS) (de Sı— End, zen) genügen, so bezeichnen wir das System der Matrizen (1.) als eine Darstellung der Gruppe 9. Hierbei brauchen die Matrizen (1.) nicht voneinander verschieden zu sein. Sind ferner Ups Cn, Re) IHm,_, h unabhängige Variable, so soll die Matrix lo), (R= Hu, Hı,---, Hi) R die der Darstellung entsprechende Gruppenmatriw genannt werden. Die Zahl n bezeichnen wir als den Grad der Darstellung oder der Gruppen- matrix. N Eine Gruppenmatrix X = (x,,) kann durch folgende Eigenschaften charakterisiert werden: ı. Die Koeffizienten x,, sind lineare homogene Funktionen der Variabeln %,, , &, >», Im_.- 2. Ist Ya» Ym >» Ym,_, ein zweites System von Ah unabhängigen Variabeln, setzt man ferner sYs-ıRr (BR SI—rEn, His, Hrı)), ! Frosenius, Sitzungsberichte 1903, S. 328. 408 Sitzung der phys.- math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. und geht X in Y oder Z über, falls in X die Variabeln x, durch %x oder 2, ersetzt werden, so soll die Gleichung Z= XY bestehen. Bedeutet # das Hauptelement der Gruppe, so ist offenbar (By X Daher ist die Determinante |X| der Matrix X dann und nur dann identisch gleich 0, wenn die Determinante der Matrix (#£) verschwindet. X| nicht identisch gleich 0, so ist (Z)=E, n Ist ferner die Determinante die Einheitsmatrix n“” Grades. Da ferner für jedes Element R der Gruppe ®'=E, also auch (R)' = (EZ) ist, so sind, falls |X]#0 ist, die Determinanten aller A Substitutionen (R) von Null verschieden. Ist X eine Gruppenmatrix und A eine konstante Matrix', deren Determinante nicht verschwindet, so ist auch X'—= A"'XA eine Gruppen- matrix. Jede auf diese Weise aus X hervorgehende Gruppenmatrix X’ bezeichnen wir als eine der Gruppenmatrix A ägquivalente Gruppenmatrix. Ebenso nennen wir die der Matrix X’ entsprechende Darstellung der Gruppe 9 der aus X hervorgehenden Darstellung äquivalent. Eine Gruppenmatrix X soll reduzibel genannt werden, wenn sich eine ihr äquivalente Gruppenmatrix angeben läßt, welche die Form X 0 VERS besitzt. Hierbei bedeuten X, und X, zwei quadratische Matrizen ge- wisser Grade r>0 und s>0, während U eine Matrix mit s Zeilen und r Spalten ist. — Jede der Matrizen X, und X, besitzt dann ebenfalls die Eigenschaften einer Gruppenmatrix. Eine nicht reduzible Gruppenmatrix nennen wir irreduzibel.” In analoger Weise nennen wir eine Darstellung der Gruppe redu- zibel oder irreduzibel, je nachdem die zugehörige Gruppenmatrix redu- zibel oder irreduzibel ist. Für die Äquivalenz der Gruppenmatrizen gelten folgende unmittel- bar zu beweisende Regeln: ı. Ist X’ der Gruppenmatrix X äquivalent, so ist auch X der Gruppenmatrix X’ äquivalent. 2. Zwei Gruppenmatrizen, die einer dritten äquivalent sind, sind auch untereinander äquivalent. 3. Eine Gruppenmatrix X geht in eine ihr äquivalente Gruppen- matrix über, wenn die Zeilen und Spalten von X in derselben Weise ) reduzibel. permutiert werden. Daher ist z. B. die Gruppenmatrix ( x X 1 ' D.h. eine Matrix mit konstanten, von den x, unabhängigen Koeffizienten. ?2 Strenggenommen, müßte auch die Funktion 0 der Variabeln x, als eine irredu- zible Gruppenmatrix angesehen werden. Dieser triviale Fall soll aber, wenn im fol- genden von einer irreduziblen Gruppenmatrix gesprochen wird, als ausgeschlossen gelten. l. Scnur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 409 4. Sind zwei Gruppenmatrizen äquivalent, so sind ihre Deter- minanten, ihre Rangzahlen und ihre Spuren einander gleich. — Hier- bei ist unter der Spur einer Matrix (a,,) die Größe $a,, zu verstehen. @ 5. Sind X = (w,;) und X’= (x,) zwei äquivalente Gruppen- matrizen, so ist die Anzahl «ler linear unabhängigen unter den Funk- tionen &,; der AVariabeln x, gleich der analogen Anzahl für die Funk- tionen &s. Die zuletzt genannte Regel geht daraus hervor, daß die x,, als lineare homogene Funktionen der x, und umgekehrt die w/; als lineare homogene Funktionen der x,, darstellbar sind. «8 un 2. Es sollen zunächst einige Eigenschaften der irreduziblen Gruppen- matrizen abgeleitet werden. Die Grundlage der Untersuchung bildet folgender Satz, der auch in der Burnsiıpe’schen Darstellung der Theorie eine wichtige Rolle spielt: I. Es seien X und X" zwei irreduzible Gruppenmatrizen der Grade f und f'. Ist dann P eine konstante Matrix mit f Zeilen und f’ Spalten, für die die Gleichung XP PX besteht, so ist entweder P—= U oder es sind X und X’ äquivalent, und P ist eine quadratische Matrix des Grades f — f' von nicht verschwindender Determinante. Es sei nämlich P von Null verschieden und r > 0 der Rang von P. Es werde f-r =s, f—-r = t gesetzt. Man bestimme dann (vgl. Ein- leitung) zwei Matrizen A und B der Grade f und f’, deren Determi- nanten nicht verschwinden, so daß die Matrix APB=Q die Gestalt I ne NE "st annimmt; hierbei soll allgemein EZ, die Einheitsmatrix x" Grades be- deuten, während unter N,, die x Zeilen und A Spalten enthaltende Null- matrix verstanden werden soll. Setzt man nun AXAR—ER, BIXTB- RN, so wird (2.) XıQ =. OX:. Schreibt man nun X, und X} in der Form a ed N Ar er x Kr S a es a) ; z Zr = .) ö 410 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. wo X, und X/, Matrizen mit x Zeilen und A Spalten bedeuten, so folgt aus (2.) N er ea Kr X | Re "st ger Nr N, : N) ’ HE denmeszist Wäre nun r1, so würde sich ergeben, daß X reduzibel ist. Hieraus folgt: III. Eine zu einer Apgıschen Gruppe gehörende Gruppenmatrix ist dann und nur dann irreduzibel, wenn ihr Grad gleich 1 ist. Wir beweisen nun den wichtigen Satz: IV. Es sei X = (2,8) (@,B 2, N), I. Scaur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 411 eine irreduzible Gruppenmatrixw des Grades f. Ist dann Vaß — 2 aa8 ÜR (R=H,, H,, H,) so bestehen die Gleichungen Reg h (1.) > ap an — Tea 6y8 al, 2, Re 7 t wo e, gleich 1 oder gleich 0 zu setzen ist, je nachdem z gleich 5 oder von © verschieden ist. Ist ferner X’ = (£/,) nn) eine der Gruppenmatriv X nicht äquivalente irreduzible Gruppenmatrix des Grades f und ist o, =2abRar (RB HHRer): R so gelten die (ff')” Relationen (1I.) Zar —o! (a,P=1,2,---,f; Klee ja): R Es mögen nämlich die Matrizen (al,;) und (5X) mit A, und B, bezeichnet werden. Dann ist für je zwei Elemente R und 5 der Gruppe ArAs — EA BrBs = Bas: Es sei nun U = (u,,) eine Matrix f“" Grades, deren Koeffizienten u,; beliebige Konstanten sind. Setzt man dann (3.) = 2A ıUA,, so ist für jedes Element S der Gruppe As-ı VA, — >= As-ız-ı UA;s; R da nun das Element RS zugleich mit R alle Elemente der Gruppe durchläuft, ferner S"!R"' — (RS)" ist, so ist die rechts stehende Summe gleich V. Folglich erhält man As-ıVA;, = V und, weil A, A, = A, = E, ist, VA, = A,V. Daher ist V mit allen A, und also auch mit X vertauschbar und muß mithin die Form vE, besitzen. Die Größe v ist jedenfalls eine lineare homogene Funktion der w,;. Setzt man ! Die Relationen (l.) und (ll.) sind in den bisherigen Darstellungen der Theorie nicht ausdrücklich angegeben. Sie sind aber implizite in den für die Gruppencharaktere geltenden Formeln enthalten. 412 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. so ergibt sich aus (3.) * >> ar u, af, —e> C5, Up,» Be ey BEER Daher ist SI R-loRze (4-) = Lar, en Zr: ISE Setzt man speziell d = « und bildet die Summe über —=1,2,:--,f, so erhält man se Sea, — - > Aa a8 . a Die linke Seite wird aber, weil die Gleichung AA, = A,= E, mit den Relationen ZaR aß! er Aa On — — as ya eyß identisch ist, gleich Ahe,,; daher ist «;, = ri Setzt man dies in (4.) ein, so erhält man die Relationen (l.). Bildet man ebenso, falls jetzt U = (u,,) eine Matrix mit / Zeilen und f’ Spalten bedeutet, deren Koeffizienten beliebige Größen sind, die Matrix V= en UBr, so ergibt sich auf‘ demselben Wege die Gleichung XV = VX'. Da nun X und X’ nicht äquivalent sein sollen, so muß V = 0 sein. Folg- lich ist De 5a up — —— AR R ß,x Hieraus folgen, da die v;, beliebiger Werte fähig sind, die Relationen (1l.). Aus den eben bewiesenen Relationen ergibt sich leicht einer der Hauptsätze der Theorie: V. Sind X=l(las) , A-lm), beliebig viele zu der Gruppe $ gehörende irreduzible Gruppenmatrizen der Grade F.f.---, von denen nicht zwei äquivalent sind, so sind die P+f’-+- linearen homogenen Funktionen der Variabeln x, untereinander linear un- abhängig. In der Tat möge eine Gleichung der Form I 080 + 2 cChahH+-—0 &,ß Kr,‘ bestehen. Dann ergibt sich, wenn a%, und 54 dieselbe Bedeutung haben wie früher, für jedes R die Gleichung > R 4 a5+2 ch ba + et )pe Ca a, 0 I. Scaur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 413 Multipliziert man nun diese Gleichung mit a, und bildet die Summe über R= H,,H,:--, H,-,, so erhält man wegen (I.) und (II.) = I, 049 Eu &y8 —Z0R 27 ER i ; : ? i h a 4 Die linke Seite dieser Gleichung ist aber gleich F Cz,. Folglich sind alle Koeffizienten c,, gleich 0. Ebenso zeigt man, daß die f’* Koeffi- zienten c,, verschwinden müssen, usw. Es eilt ferner der Satz: VI. Die Determinante einer irreduziblen Gruppenmatrix ist eine irre- duzible Funktion der h Variabeln &,. Ferner sind zwei irreduzible Gruppen- malrizen dann und nur dann äquivalent, wenn ihre Determinanten einander gleich sind. Denn ist X = (x,;,) eine irreduzible Gruppenmatrix des Grades f, so bilden die Koeffizienten x,; nach Satz V ein System von f” linear unabhängigen Funktionen der Variabeln x,. DBedeuten nun die f? Größen u,; beliebige Variable, so kann man die x, als lineare homo- gene Funktionen der «,, derart bestimmen, daß x,; = u,, wird. Wäre nun die Determinante |.s| eine zerlegbare Funktion der Variabeln x;, so würde sich ergeben, daß die Determinante |w.,| als ein Produkt (16) von zwei ganzen rationalen Funktionen der u,, darstellbar ist, was bekanntlich nicht der Fall ist. — Sind ferner X = (x,,) und X’ — («/,) zwei nicht äquivalente irreduzible Gruppenmatrizen, so kann man die Variabeln x, so wählen, daß die Koeffizienten x,, und «/, beliebig vorgeschriebene Werte annehmen. Daher können die Determinanten von X und X’ nicht einander gleich sein. Die Relationen (l.) und (II.) lassen sich noch verallgemeinern. Es seien S und T zwei feste Elemente der Gruppe. Ersetzt man in (1.) die Indizes « und y durch p und s, multipliziert dann die Glei- und bildet die Summe über ? und o, so ergibt sich chung mit a,,a,, PR SR-1 TR _ Se (IIT.) = Am Qu, — 79 05 Q,ß . Diese Formel kann noch anders geschrieben werden. Ersetzt man nämlich links R durch T”R”, so geht die Gleichung über in Kurt , BeeNSETr RE 5-7 (IIT“.) Zar a — TU ip- R ti Speziell ergibt sich aus (II.) für T—= E die Relation . SR-1 hs (IV.) = as N F au, ey8- Sitzuugsberichte 1905. 40 414 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. In analoger Weise erhält man aus der Gleichung (I.) die Formel (v.) zb N R Auf eine andere Verallgemeinerung der Relationen (l.) hat mich Hr. Frogentus aufmerksam gemacht: Es sei = S (c%) u2 eine der Gruppenmatrix X äquivalente Gruppenmatrix, und es möge die Matrix P= (p,;) der Gleichung X, = P"XP genügen. Setzt man P’'= (g,,), so ist also R Cs >= en Iye Re Pers Es ergibt sich dann h >3 a = aus I >> & I% Prs = a Ar u F = Ay Pers Car 0,3- Daher ist 3 au a — 7 Pas Iyß* Diese Gleichung lehrt uns (was auch aus Satz II leicht hervor- geht), daß die Matrix P durch die Bedingung X, — P"XP bis auf einen konstanten Faktor eindeutig bestimmt ist, und liefert eine ex- plizite Methode zur Berechnung der Koeffizienten p..- Mit Hilfe dieser Formel (oder auch auf Grund des Satzes V) be- weist man leicht: ı. Stimmen die Af Koeffizienten c{, mit den Af Koeffizienten a,, überein, so ist P eine Diagonalmatrix (pe) und es ist = an 2. Bestehen für ein festes y die Af Gleichungen Zr B—1,2,=-,5, BZH,n. su so sind alle Koeffizienten c/, den Koeffizienten a, gleich. S3- Wir wenden uns nun zur Betrachtung der reduziblen Gruppen- matrizen. An erster Stelle beweisen wir den in dieser Form zuerst von Hrn. Mascnke (Math. Ann. Bd. 52, S..363) aufgestellten Satz: VI. Ist die Gruppenmatrix X der Gruppenmatrix BE Be x<-(7 x) I. Scaur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 415 äquivalent, so ist sie auch der Gruppenmatrix u X 0 N äquivalent. Es braucht offenbar nur bewiesen zu werden, daß sich eine kon- stante Matrix P von nicht verschwindender Determinante bestimmen läßt, so daß X"—= PıX'P wird. Es seien nun r und s die Grade der Gruppenmatrizen X, und X,, und es werde, falls X’ = 3(R)x; ist, R Be gesetzt, wo A, und D, quadratische Matrizen der Grade r und s, dagegen (', eine rechteckige Matrix mit s Zeilen und r Spalten be- deutet. Es liegt nahe, die Substitution P in der Form BO pP ® n) anzusetzen und zu fragen, ob sich die s Zeilen und r Spalten ent- haltende Matrix F so bestimmen läßt, daß für jedes R Ar 0 = DER Zur, n.) wird. Als notwendige und hinreichende Bedingung hierfür erhält man leicht (5-) Cr+ DrF = FAr. Daß sich nun in der Tat eine Matrix F angeben läßt, die dieser Bedingung genügt, läßt sich folgendermaßen einsehen. Da für je zwei Elemente R und S der Gruppe die Gleichung (R)(S) = (RS) gilt, so bestehen die Relationen (6.) ArAs = Ars , DrDs = Drs, (7-) CrAs+ DrÜs —— Ors: Man multipliziere nun die Gleichung (7.) rechts mit A,-, und bilde die Summe über S—= H,,H,,---,H,,. Setzt man dann noch Bea ee hs so ergibt sich wegen A,As-ı = Az hORAz+ Dr-hF’ == CrsAs-ı 6 Ss 40* 416 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. Ersetzt man nun in der rechts stehenden Summe S durch RS, also S" durch S"R, so ergibt sich wegen (6.) >> Crs As-ı nn >2 Cs As-ır 5 Ss = > Cs As-ı Ar — a oralns Daher ist (8.) CrAz+ DrF' = F’Ar. Ist nun die Determinante von X, nicht 0, so ist A,= E,; daher genügt F = F’ der Gleichung (5.). In jedem Falle wird diese Gleichung durch die Matrix IE — F'-D; Cr befriedigt. Denn setzt man in (7.) S= EZ, so erhält man (9.) CrRAz+ Dr [0 —— Or, und hieraus folgt durch Multiplikation mit A,, daß D,C,;A; = 0 ist. Daher ist FAr = F'Ar- Dz (05 Ar —= F’Ar. Andererseits ist Cr+ DEF = Cr- Dr Cz+ D;rF'. Die rechte Seite dieser Gleichung ist aber wegen (8.) und (9.) gleich 02 Az+D;F’ = F'A,. Folglich ist in der Tat, wie zu beweisen ist, (2. D;R— HAz. ! Hr. Maschke beweist den Satz nur für den allein wichtigen Fall, daß die Determinanten der Substitutionen (R) von 0 verschieden sind, und stützt sich hierbei auf den zuerst von den HH. A. Loewy (Comptes Rendus 1896, S.168) und E. H. Moorr (Math. Ann. Bd. 50, S. 213) bewiesenen Satz, daß sich für jede endliche Gruppe linearer Substitutionen von nicht verschwindenden Determinanten eine positive Herurresche Form angeben läßt, deren Determinante nicht Null ist, und die bei allen Substitutionen der Gruppe ungeändert bleibt. Auf den hier angegebenen elementaren Beweis bin ich durch die folgende Mit- teilung des Hrn. Frogrnıus geführt worden, die eine Vereinfachung und Präzisierung des Mascakeschen Beweises enthält: Es sei f = = h.a%.%g eine positive Herrurresche Form von nicht verschwin- &; 2 Ar 9 dender Determinante, die durch alle Substitutionen Q — (R) = & o) der Gruppe Nur. AR: In Or in sich transformiert wird. Ist dann Q'’— 0 Dr giert komplexe Substitution, so besteht, falls H die Matrix (R.a) bedeutet, die Gleichung die zu Q konjugierte und konju- ü EIBERG Q’HQ=H. Schreibt man nun entsprechend H in der Form (5 ae so erhält man die Gleichungen D;LA,;+D,AMOG, =L „, DEMDE MN Nun ist — und dies ist der springende Punkt des Beweises — in einer positiven Hermrreschen Form von nicht verschwindender Determinante jede Hauptunterdeter- I. Scuur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 417 Ehe ich in der Untersuchung weitergehe, will ich als eine ein- fache Folgerung des Satzes VII einen bekannten Satz über Matrizen ableiten. Es sei J eine Matrix des Grades n, die der Gleichung J*’ = genügt. Ist nun r der Rang von J, so lassen sich zwei Substitutionen A und B von nicht verschwindenden Determinanten angeben, so daß AJB=K die Form ee & 3 070 annimmt. Setzt man dann B"JB = J', so wird KJ’ = K. Hieraus folgt leicht, daß J’ die Form E, 0 CD besitzt. Hierbei muß, da r auch der Rang von J’ ist, D=( sein. Nun läßt sich aber J als eine Darstellung der allein aus dem Haupt- element E bestehenden endlichen Gruppe auffassen. Daher muß J nach Satz VII auch der Matrix (10.) Je 7 0) ähnlich sein. Da ferner auch die Spuren von J und J” übereinstimmen, die Spur von J” aber gleich r ist, so ergibt sich zugleich, daß für jede Matrix, die der Gleichung J* = J genügt, Spur und Rangzahl ein- ander gleich sind. Es sei nun X = = (R)x;, eine zu der Gruppe 9 gehörende Gruppen- matrix von verschwindender Determinante. Es werde (E) = J gesetzt. Ist nun r der Rang von J, so läßt sich, wie wir gesehen haben, eine Matrix P bestimmen, so daß J”—= P",JP die Form (10.) annimmt. Setzt man nun P"XP=X”, so ergibt sich aus der Gleichung DEN Xrdabe RX die Form x 0 0 0 besitzt, wo X, eine Gruppenmatrix des Grades r ist, deren Determi- nante, weil X, für &=1,22.=0(R-+E) gleich Z, wird, von Null verschieden ist. Hieraus folgt: minante von Null verschieden, und mithin ist die Determinante von M nicht Null. Durch Elimination von D7; aus den obigen Gleichungen ergibt sich Cr + MT’LAR = D;MT1. Daher genügt die Matrix F—= — M"'"L der Gleichung (5.) des Textes. 418 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. VII. Ist X eine Gruppenmatrix vom Ranger, so ist X einer Gruppen- matriw der Form X 0 (0) äguivalent, wo X, eine Gruppenmatriw des Grades r von nicht verschwin- dender Determinante ist. Man zeigt auch leicht, daß, wenn X noch einer zweiten Gruppen- I matrix I ) äquivalent ist, wo X, ebenfalls von nicht verschwin- dender Determinante ist, X, und X; äquivalent sein müssen. Allgemeiner ergibt sich aus dem Satze VII leicht: IX. Jede Gruppenmatriv X des Grades n und des Ranges r ist einer Gruppenmatrix äquivalent, welche die Form X 00 0 0 %--0 0 (11.) 2 Eee > 0 DO 0 El AN hat, wobei X, ,X,, :*: , X, irreduzible Gruppenmatrizen bedeuten, und N,_, die Nullmatrix des Grades n—r ist. Ist insbesondere 5 eine Agersche Gruppe, so ist jede zu 9 ge- hörende irreduzible Gruppenmatrix vom Grade 1. Aus IX folgt daher speziell, daß jede Darstellung einer Agerschen Gruppe der Ordnung Ah durch lineare Substitutionen von nicht verschwindenden Determinanten einer Darstellung äquivalent ist, deren Substitutionen in der Haupt- diagonale A“ Einheitswurzeln, sonst überall Nullen enthalten. Für (den weiteren speziellen Fall der zyklischen Gruppe ergibt sich hieraus der bekannte Satz, daß jede periodische Substitution A, d.h. jede Sub- stitution des Grades n, für die eine Gleichung der Form A" = E, be- steht, einer anderen ähnlich ist, unter deren Koeffizienten die in der Hauptdiagonale stehenden A“ Einheitswurzeln, die übrigen aber gleich Null sind. Hieraus folgt auch, daß die Spur jeder periodischen Sub- stitution als eine Summe von Einheitswurzeln darstellbar ist. Ist wieder 9 eine beliebige endliche Gruppe und X = > (S)as eine zu $ gehörende Gruppenmatrix des Ranges r, so ergibt sich aus dem Satz VII. leicht, daß, wenn s die Ordnung des Elementes S be- deutet, die Spur der Substitution (S) einer Summe von r Einheits- wurzeln des Grades s gleich ist. Ferner gilt der Satz: X. Ist eine Gruppenmatriv X, deren Determinante nicht verschwindet, zwei Gruppenmatrizen I. Scaur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 419 2. (eene xl 0722%.0 ODER N) X--- 0 0 (BE 0 0 ale äguivalent, wo die X, und X, irreduzibel sind, so muß m — m’ sein und die Gruppenmatrizen X,,X,,:':, X, müssen, abgesehen von der Reihen- folge, der Gruppenmatrizen X), X,,--, X, äquivalent sein. Es seien nämlich ®, ®, und ®\ die Determinanten von X, X, und X. Dann sind nach Satz VI die Funktionen ®, und ® irredu- zibel, ferner ist 9 —=8:.-.0, — 88}:-.. Bl, Da nun bekanntlich eine Funktion ® nur auf eine Weise in Prim- faktoren zerlegbar ist, so muß m = m’ sein, ferner müssen die Funk- tionen ®,,®,,-:-,®,, abgesehen von konstanten Faktoren, in einer ge- wissen Reihenfolge mit den Funktionen ®|, ®,, --- , ®, übereinstimmen. Beachtet man jedoch, daß die Determinante einer Gruppenmatrix, sofern sie nieht verschwindet, für das Wertsystem 2,— 1,0, = 0 (R+E) gleich 1 wird, so ergibt sich, daß die Funktionen ®,, abgesehen von der Reihenfolge, den Funktionen ®, direkt gleich sein müssen. Nach Satz VI folgt hieraus aber, daß die Gruppenmatrizen X,, abgesehen von der Reihenfolge, den Gruppenmatrizen X, äquivalent sind. Betrachtet man nun zwei äquivalente irreduzible Gruppenmatrizen als nicht wesentlich voneinander verschieden, so folgt aus IX und X, daß jeder Gruppenmatrix X ein wohlbestimmtes System von irredu- ziblen Gruppenmatrizen X,,X,, --, A, entspricht, so daß, falls » den Grad und r den Rang von X bedeutet, X der Gruppenmatrix (11.) äquivalent ist. Die Gruppenmatrizen X,,.X,...: A, mögen nun als die irreduziblen Bestandteile von X bezeichnet werden. Die irreduziblen Bestandteile einer Gruppenmatrix lassen sich ferner stets so wählen, daß je zwei äquivalente unter ihnen einander gleich werden. Kommt dann X, genau r, mal vor, so wollen wir r, den Index von X, nennen.” Es gehört daher zu jeder Gruppenmatrix X ein gewisses System von / irreduziblen Gruppenmatrizen, von denen nicht zwei äquivalent sind, und ein gewisses System von / Indizes "1,73, °°, 77, die wir kurz die Indizes der Gruppenmatrix X nennen. ! Dieser Satz ist als spezieller Fall in einem allgemeinen von Hrn. A. Lorwy (Transactions of the Amer. Mathematical Society, Bd. 4, S.44) bewiesenen Satze ent- halten. 2 Bedeuten ® und ®, die Determinanten von X und X, und ist ® nicht gleich 0, so gibt r, den Exponenten der höchsten Potenz der irreduziblen Funktion ®, an, die in ® aufgeht. 420 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. Es gilt dann der Satz: XI. Es sei X = (x,,) eine Gruppenmatrix von nicht verschwindender Determinante, es seien 513, ‘-:,r, die Indizes von X und fi, fa, fi die Grade der zugehörigen irreduziblen Gruppenmatrizen. Dann ist fi + fe+-+fi gleich der Anzahl g der linear unabhängigen unter den Funk- tionen x,, der h Variaben x,. Ferner ist ry+r7 +. :+r, gleich der Anzahl v der linear unabhängigen unter den mit X vertauschbaren konstanten Matrizen P. Endlich ist 1 gleich der Anzahl v’ der linear unabhängigen unter den konstanten Matrizen, die mit X und zugleich mit allen eben charakterisierten Matrizen P vertauschbar sind. Es seien nämlich X,,X,, :::, X, die irreduziblen Bestandteile von X, so daß X der Gruppenmatrix IE 0 »-- 0 Zr A 0 0: 2X äquivalent ist. Dann sind unter den Koeffizienten von X’ nach Satz V genau fr+f2 ++ fr linear unabhängig. Daher ist in der Tat gefhthtrrf- Um noch die beiden letzten Behauptungen unseres Satzes zu be- weisen, nehmen wir, was ohne Beschränkung der Allgemeinheit ge- schehen darf, an, die Matrizen X,,X,,::-,X\, seien so gewählt, daß die r, ersten, die r, folgenden usw. einander gleich werden. Es mögen dann die Grade von N,,X,,:'-, X, fortlaufend mit 5,8, ''. 5. be- zeichnet werden. Die Zahlen v und »’ bleiben offenbar ungeändert, wenn man X durch X’ ersetzt. — Es sei nun P eine mit X’ vertauschbare kon- stante Matrix. Wir können dann P in der Form Bi Pı Bm D— Pıı Pr Pam \ Ian Pa Ss I schreiben, wo P,, eine Matrix mit s, Zeilen und s; Spalten bedeutet. Aus X P= PX’ folgt dann PSP Sind nun X, und X; nicht einander gleich, also auch nicht äqui- valent, so ist P, = 0; ist ferner X, = X,, so muß P,, die Form aF, besitzen, wo F,—= E,, die Einheitsmatrix des Grades s, = s; be- « deutet. Daher hat P die Form l. Scuur: Nene Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 42] / PııFı A 0 "5 0 \ PraFı Pan Fi 0 no 0 P= 0 0 Yıfr+ı° OR PIE; Ma ey 0 Inıfr.rı a EIS we Umgekehrt ist jede Matrix P von dieser Form mit X vertausch- bar. Daher ist vo gleich der Anzahl der in P willkürlich bleibenden Koeffizienten 9,5, 9,5; , d.h. es ist in der Ttvo=r+rj+-- +ri. Soll ferner die konstante Matrix Q mit X und zugleich auch mit allen P vertauschbar sein, so muß zunächst Q dieselbe Form haben wie P. Es möge etwa Q aus P dadurch hervorgehen, daß für Pap» 9,5; die Größen Die» g.5 -- gesetzt werden. Soll nun Q noch mit allen P vertauschbar sein, so muß, wie man leicht sieht, die Matrix (p/,) mit allen Matrizen (p,s). ebenso (9,4) mit allen Matrizen (9,,;) vertauschbar sein, usw. Hieraus folgt aber, daß die Matrizen (p/,), (9); --- sich von den Einheitsmatrizen der Grade r,,r,,:': nur um konstante Faktoren unterscheiden. Diese Bedingung ist auch offenbar hinreichend dafür, daß Q mit X und zugleich mit allen P vertauschbar sei. Die Anzahl » der linear unabhängigen unter den Q ist aber gleich der Anzahl der in Q willkürlich bleibenden Koeffizienten. Da diese Anzahl gleich / ist, so ist, wie zu beweisen ist, v2’ —= 1. $4- Aus dem Satz V geht bereits leicht hervor, daß die Anzahl der zu der Gruppe 9 gehörenden, einander nicht äquivalenten irreduziblen Gruppenmatrizen endlich und zwar höchstens gleich A ist. Um nun die sämtlichen verschiedenen irreduziblen Gruppenmatrizen zu charakterisieren und ihre genaue Anzahl zu bestimmen, betrachten wir die spezielle Gruppenmatrix 4” Grades von nicht verschwindender Determinante X = (wm-ı), deren Zeilen und Spalten man erhält, indem man für P und Q der Reihe nach die Elemente H,,H,,:--, H,_, der Gruppe setzt. Diese Gruppenmatrix entspricht der bekannten Darstellung von 9 als Gruppe regulärer Permutationen und möge daher als die reguläre Gruppen- matrix bezeichnet werden. Es seien nun unter den irreduziblen Bestandteilen von X im ganzen k einander nicht äquivalent, etwa die Gruppenmatrizen X,,X,, ' ; X, ,. Es sei ferner f, der Grad von X, und e, der zugehörige Index, 422 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. so daß also, wenn die Determinanten von X,X,,:'',X,., mit ®, ®,,':-,®,, bezeichnet werden, 2. Eee e=3'®% ®,, wird. Es gilt dann der Satz: XI. Die Zahlen f, und e, sind einander gleich. Ferner ist die Zahl k gleich der Anzahl der Klassen konjugierter Elemente der Gruppe. Der Beweis ergibt sich auf Grund des Satzes XI sehr einfach. Zunächst ist offenbar (12.) ah tahr: +11 =h. Da ferner unter den Koeffizienten der Matrix X genau A linear unab- hängig sind, so ist (13.) To Eee lie Wir betrachten nun die mit X vertauschbaren Matrizen Y= (Y>.0) (P,Q= H,,H,,:--,H,1), deren Koeffizienten von der x; unabhängig sind. Man zeigt leicht, daß Y dann und nur dann mit X vertauschbar ist, wenn Yp,a — Irp,rq (P,RQ,R=H,,H,,...,H,,) ist. Setzt man nun Ye JiRE so wird Y> 9 = Yo-ır, also V= (99-12) . Die Anzahl der in Y willkürlich bleibenden Koeffizienten, die uns die Anzahl der linear unabhängigen unter den Y angibt, ist nun gleich A. Folglich ist nach Satz XI (14.) etat+ ta, mh. Aus den Gleichungen (12.), (13.) und (14.) folgt aber (op) +la- fh” + th)” > 0, folelich ist in der Tate re Um nun die Anzahl % genauer zu bestimmen, haben wir noch die konstanten Matrizen = (22,0) zu betrachten, die mit X und zugleich mit allen Y vertauschbar sind. Es ergibt sich, daß Zen ne OR mn l. Scauur: Neue Begründung der Theorie der Gruppeneharaktere. 423 sein muß. Setzt man Zr,5 = Zr, SO wird Ersetzt man P durch PQ, so erhält man (15.) 2p — ?g-ıpg" Umgekehrt ist jede Matrix Z= (2g-ır), deren Koeffizienten 2,,,, 2g,,"",2 den Bedingungen (15.) genügen, mit X und auch mit Y vertauschbar. Hierbei wird also z, dann und nur dann gleich z,, wenn R auf die Form Q"PQ gebracht werden kann, d.h. wenn Pund R konjugierte Elemente sind. Daher ist die Anzahl der in Z willkürlichen bleibenden Koeffizienten, die nach Satz XI mit % übereinstimmen muß, gleich der Anzahl der Klassen konjugierter Elemente, in die die Elemente der Gruppe zerfallen. Aus der Gleichung (13.) ergibt sich leicht der wichtige Satz: XII. Die Anzahl der zu der Gruppe 9 gehörenden, einander nicht äquialenten irreduziblen Gruppenmatrizen (Darstellungen) ist genau gleich der Anzahl k der Klassen konjugierter Elemente der Gruppe. Zunächst folgt aus dem Vorhergehenden, daß mindestens k nicht äquivalente irreduzible Gruppenmatrizen existieren, nämlich die %k irre- duziblen Bestandteile X,, X, . »-, X,_, der regulären Gruppenmatrix. Es muß aber jede andere irreduzible Gruppenmatrix X’ einer dieser k Grup- penmatrizen äquivalent sein. Denn wäre dies nicht der Fall, so müßten, falls f’ den Grad von X’ bedeutet, die Val Koeffizienten der %+ 1 irreduziblen Gruppenmatrizen X, X, >, X... X’ untereinander linear unabhängig sein. Dies ist jedoch nicht mög- lich, da nicht mehr als A linear unabhängige lineare homogene Funk- tionen der A Variabeln x, existieren können. $ 5: Bilden die Substitutionen (H,),(H,),:--,(H,_,) eine Darstellung der Gruppe 9, und ist (R) die Spur der Substitution (R), so nennt man das System der % Zahlen %(R) den der Darstellung oder der zugehörigen Gruppenmatrix X entsprechenden Charakter. Insbesondere bezeichnet man jeden einer irreduziblen Darstellung entsprechenden Charakter als einen einfachen Charakter der Gruppe. Da nun zwei äquivalenten Darstellungen derselbe Charakter ent- spricht, so ist die Anzahl der einfachen Charaktere der Gruppe gleich 424 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. der Anzahl % der nicht äquivalenten irreduziblen Gruppenmatrizen X, , Ns, A41. Die zugehörigen Charaktere sollen mit xO(R) ! xW(R) on x) (R) bezeichnet werden. Die Zahl (#£) = r gibt den Rang der Matrix (#£) und also auch den Rang der Gruppenmatrix X an. Diese Zahl soll der Grad des Charakters %(R) genannt werden. Insbesondere ist der Grad xdE)=R des einfachen Charakters „"(R) gleich dem Grade der zugehörigen Gruppenmatrix A, . Allgemeiner ist %(AR) eine Summe von r Einheitswurzeln. Ist x(R) = 9TtPp+t'""tPp-ı so ist A) II an A ee daher sind %(R) und (AR) konjugiert komplexe Größen. Ersetzt man ferner in den Matrizen (A) jeden Koeffizienten durch den kon- Jugiert komplexen Wert, so bilden auch die so entstehenden Matrizen eine Darstellung der Gruppe. Ist daher (A) ein Charakter, so bilden auch die Zahlen g (R) = %(R'') einen solchen. Die Charaktere (R) und %(R) werden inverse Charaktere genannt. Man schließt auch leicht, daß, wenn g®(R) ein einfacher Charakter ist, der inverse Cha- rakter „P(RT) = y,)(R) ebenfalls ein einfacher Charakter ist. Da ferner für je zwei Matrizen (R) und (S) die beiden Produkte (R)(S) und (S)(R) dieselben Spuren besitzen, so ist für je zwei Ele- mente R und S der Gruppe (VI.) x(RS)=x(SR). Ersetzt man hierin R durch S"R, so ergibt sich (N) x(R) =x(SRS). Gehören daher zwei Elemente P und R derselben Klasse konjugierter Elemente an, so ist stets (P)=x(R). Ist unter den irreduziblen Bestandteilen der Matrix X die irre- duzible Gruppenmatrix X, genau r,2 0 mal enthalten, so ist offenbar (16) x) = x OR) HMKOR) + +ruxeR). Bedeutet X speziell die reguläre Gruppenmatrix, so wird, da die Spur von X = (27.-ı) gleich Rx; ist, Salze) hen» I. Scnur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 425 wo &; gleich 1 oder gleich 0 zu setzen ist, je nachdem R gleich E oder von E verschieden ist. Da ferner für X = (#79-ı) die Zahl r, gleich f, ist, so folgt aus (16.) k-ı (VII) Z Sx®l(R) = he,- ag Es seien ferner op und co zwei verschiedene Zahlen der Reihe 0,1,---,k-1. Setzt man Nolan 25 a ( »P=1,2,..,% ? a 3) Ur 2 (6) R» aa so wird RE , KR =EB. Aus der Gleichung (vgl. Formel (IV.)) R hs SR-I >= as a = A.,e aa feIc) ergibt sich dann, indem man die Summe über & und & bildet, VIH. 3 XO(SR-')xO(R) = xls). ( R r Speziell erhält man für S= E die Formel (IX.) Z xo(R)xO(R) = A. Aus der Gleichung (vgl. Formel (IIT.)) : h S SR-A TR __V% s_ T Au nr Aa VB R Je ergibt sich ferner, indem man über & und 8 summiert und beachtet, daß 3 a2,a8, = al! ist, ß (X.) xa(S)x@(T) = hi > xQ(SR"TR). R In analoger Weise erhält man aus der Formel (V.) die Gleichung (X1.) ZXENSRT IR) 0 (e=+0); hieraus ergibt sich speziell fürrS=E ExXdR\xOR) — 0. (XIL.) EUER) Bildet man in der Gleichung (X.) die Summe über ? = 0,1, .--, k—-1, so folgt auf Grund der Formel (VII.) r xXIS)xP(T) = - ESR-ITR' 426 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. Sind nun S und T”' zwei nicht konjugierte Elemente der Gruppe, so wird die Gleichung SR" TR = E durch kein Element R befriedigt, daher ist in diesem Fall (XII.) = xO(S)XO(T) = 0. Gehören dagegen S und T” einer Klasse konjugierter Elemente an, die aus As Elementen besteht, so besitzt die Gleichung SZ" TR —= E h n j genau „- Lösungen R. Ferner wird dann x®(T) =x®%(S"); daher Ss besteht die Gleichung (XIV.) ZN) REINE 2 s Die Relationen (VI.) bis (XIV.) bilden die Grundlage der Theorie der Gruppencharaktere. Die wichtigsten unter ihnen sind die Formeln (VI.), (VII). (IX.), (X.) und (XIl.). Die übrigen lassen sich aus diesen durch eine einfache Rechnung ableiten. Es sei nun X eine beliebige Gruppenmatrix, für die die Zahlen %(R) und r, dieselbe Bedeutung haben wie früher. Multipliziert man dann die Gleichung (16.) mit %®(R”) und bildet die Summe über R= H,,H,,:--.H,_,, so ergibt sich auf Grund der Relationen (IX.) und (XN.) Daher sind die Zahlen r, und folglich auch die irreduziblen Bestand- teile der Gruppenmatrix X allein durch den Charakter %(R) bestimmt. Hieraus ergibt sich der fundamentale Satz: XIV. Zwei Darstellungen der Gruppe 9 durch lineare Substitutionen von nicht verschwindenden Determinanten sind dann und nur dann äqui- valent, wenn ihnen derselbe Charakter entspricht. Allgemeiner sind zwei Darstellungen dann und nur dann äquivalent, wenn sie denselben Grad und denselben Charakter besitzen. Ferner besteht der Satz: XV. Der Grad jeder irreduziblen Darstellung der Gruppe 5 ist ein Divisor der Ordnung der Gruppe. Dies folgt aus der Gleichung (VIII), die man auch in der Form x OR) | en xOER")| = 0 schreiben kann. Da nämlich die } Zahlen %®(R) nicht sämtlich gleich 0 sind!', so muß die Determinante A" Grades ' Die Zahl „@(E) =,f, ist jedenfalls nicht Null. N - E} . lad I. Scaur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 427 h 7 Epg-ı x (PQ) (PRQ=H.4,::--,‚Ah-ı) J verschwinden. Beachtet man noch, daß die Größen y®(R) ganze alge- £ i B : 3 ZN 2: > braische Zahlen sind, so ergibt sich, daß die Zahl r einer Gleichung der Form arts + Ho —0 k ; en e ne Mr h mit ganzen algebraischen Koeffizienten genügt. Folglich ist die Zahl F f eine ganze algebraische und also, da sie rational ist, eine ganze ratio- nale Zahl. 8 6. Als eine charakteristische Einheit der Gruppe 5 bezeichnet man ein System von h Größen für die die A Relationen = And, u: (RISSE EEE) R bestehen. Ehenso nennt man dann auch die Matrix h"" Grades A = (Apg-ı) eine Einheit. Damit die Zahlen a, eine Einheit bilden, ist notwendig und hinreichend, daß die Gleichung A’? = A erfüllt sei. Ist ferner X = (279-1). so nennt man die Matrix X= (&g-ır) die zu X antistrophe Matrix. Setzt man Y = (Yrg-ı) und Y= (Ya-ır), SO sind X und F vertauschbar, ferner ist, falls XY =Z wird, die zu Z antistrophe Matrix Z gleich IX. Ist nun A = (az.-ı) eine Einheit, A die antistrophe Matrix, so ist auch A’ — A, ferner besitzt die Matrix X’ — AX die Eigenschaften einer Gruppenmatrix. Ihre Spur ist gleich Da we S-ıR-ı Bi SR-ıs"r Daher bilden die Zahlen o(R)= 3a S-IRS Ss einen Charakter des Grades ha,. den man als den durch die Einheit az bestimmten Charakter bezeichnet. Ist p(R) ein einfacher Charakter, so heißt die Einheit eine primitive. Kennt man eine den einfachen Charakter 4 (R) bestimmende Ein- heit A = (a,,-), so kann man auch eine dem Charakter %(R) ent- sprechende irreduzible Gruppenmatrix X, konstruieren. Hierzu hat 428 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. man, wenn 5, die zu a, konjugiert komplexe Größe bedeutet und FD (b.-ır) ist, eine Matrix A” Grades L zu bestimmen, so daß L"BL= ® ) Velo; wird. Dann hat LZ'BXL= (L"BL)(L"'XL) = (I"XL)(L"BL) die Form XER0 020)N wo die Gruppenmatrix X, die verlangte Eigenschaft besitzt. Es soll hier umgekehrt gezeigt werden, wie man die sämtlichen den einfachen Charakter %(R) bestimmenden primitiven Einheiten zu berechnen hat, falls es auf irgendeinem Wege gelungen ist, eine dem Charakter ,(£) entsprechende Darstellung der Gruppe zu bestimmen. Es seien X = (2) X = (0) zwei nicht äquivalente irreduzible Gruppenmatrizen der Grade f und f', ferner %(R) und X (R) die ihnen entsprechenden Charaktere. Ist dann h = EN EN SELBIER a FL SE nn Dee so mögen die Matrizen A" Grades ü PgQ-\ gi PQ-! (Fat ’ nd mit A, und B,,. ferner die Matrizen \ f , > Au = },x(PQa)| r > Bu — x (PQ) | mit J und J’ bezeichnet werden. Die früher erhaltenen Relationen (III.), (IV.) und (V.) lassen sich dann in den Formeln Aup Ays —— e,8 Aes » = h e (1 io) Aa A,s — (7 0.50%, a Aa BD, —— AsBa — 0 zusammenfassen; hierbei bedeuten A,, und B,, die zu A,, und B,, anti- strophen Matrizen. Ebenso sind die Relationen (VIII.) und (XI.) iden- tisch mit den Gleichungen JR = 5 I; Die f” Matrizen A,, sind untereinander linear unabhängig; denn aus _ «, > As 0 ß I. Scnuur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 429 folgt wegen (17.), indem man links mit A,,, rechts mit A,, multi- pliziert, 0,4, = 0, also „=. Es werde nun gesetzt. Dann ist In der Tat ist [DEN 8 =72a, Be ae «is 2 Jos = — 6 ie: E p ? He: i : : EL Die rechte Seite ist aber, wie zu beweisen ist, gleich 7 esX(R)- Die Gleichung A;, = A,. lehrt uns insbesondere, daß die h Größen # 7 Ian eine Einheit bilden. Da der durch sie bestimmte Charakter gleich ParlR) = KR) ist, so ergibt sich: XVI. Bilden die h Substitutionen f“" Grades (a",) eine irreduzible Dar- stellung der Gruppe, die Si Charakter %(R) entspricht, so repräsentieren für jedes « die h Größen ns eine den Charakter %,(R) bestimmende cha- rakteristische Einheit. Ferner gilt der Satz: XVI. Ist A= (a7g-ı) eine den Charakter x(R) bestimmende (pri- mitive) Einheit, so lassen sich (auf eine und nur eine Weise) f* Größen l.a berechnen, so daß % AR — Er > oa. wird. Die Matriv A = (l,;) genügt dann der Gleichung A—= A und ist vom Range 1. Ist nämlich wie früher X = (2#7,-ı) die reguläre Gruppenmatrix, so besitzen AX und DAN ONE dieselbe Spur > 4(R”)x,. Daher muß sich eine Matrix A" Grades X bestimmen lassen, so daß AX—=K"'AuXK wird. Speziell ergibt sich für X = E, die Gleichung A=KTYA,cK. Setzt man nun X = J, so erhält man, da, wie leicht zu beweisen, A,nJ= A, ist, ke JA=AJ=K-A,.K=A. Sitzungsberichte 1905. 4l 430 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. Daher ist (18.) x x (RS), — I 9. Man setze nun S Ne — AgAza Tr” lan NS Dann wird 2 a; u a lg, — > as 20a N, S aß Nun ist aber x SIE ZIPER SEE —1 =; 9.5 AB u Ge x(RS ) «,ß « h > l,,a TE fr a, also — R ar — 7; — lu5 %aß [43 Diese Gleichung kann auch in der Form A a,B geschrieben werden. Es ergibt sich nun = 3 laalys Asp Ays = > LolasÄes- &,B,y8 «.B,8 Da andererseits AA Ara «8 ist, die Matrizen A,, ferner linear unabhängig sind, so ergibt sich 3 Ikalas — las» a,ö also in der Tat A’ = A. Außerdem wird = as-ırs =X(R) = 2 1.3Q.2(R) —=x(R) la: N a@,8 & Daher ist die Spur 3 /,. oder, was hier dasselbe ist, der Rang der Matrix A gleich 1. Aus der eben durchgeführten Rechnung ergibt sich zugleich, daß eine Matrix A=*3[/,A,, dann und nur -dann eine Einheit bildet, @.,8 wenn A = (/,,) der Gleichung A’ = A genügt, und daß der alsdann durch A bestimmte Charakter gleich %(R) = /,. ist. Soll A eine primi- tive Einheit sein, so kommt noch hinzu, daß 3 /,= 1, also A vom [43 Range 1 sein muß. I. Scaur: Neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere. 431 Es ist noch folgendes zu bemerken. \ . Gala Re. Da die Determinanten ] . sämtlich verschwinden, so lassen De) 8 . .. ! . D * sich 22 Größen k, und %k, bestimmen, so daß /,; = k/k, wird. Die Bedingung 3 /,. = 1 besagt dann, daß 3 k,k,.=1 ist. Sind umge- kehrt A und A, irgendwelche 2r Größen, zwischen denen die Relation > k,k.—= 1 besteht, und setzt man /,, — k/k,, so genügt die Matrix A= (l,,) der Gleichung A’= A und ist vom Range 1. Man erhält daher die sämtlichen den Charakter %(R) bestim- menden Einheiten A = (a,9-ı), indem man auf. alle möglichen Arten 2n Größen A und A, bestimmt, die der Gleichung $ kk,=1 ge- nügen, und r A—Ehikzdas setzt. Schreibt man ferner für %, das Zeichen %,,, so lassen sich, wie man leicht schließt, n (n-1) Größen koua $) as CI Tagäghsr} Teen bestimmen, so daß A , . 4 2 kaka — 0, 7,2 kolıan — 0 [0] » wird, und daß außerdem die Determinante | R | von Null verschieden et. Setzt man dann K=(%,) und K’= (k,,), so wird A. = ka. Bezeichnet man nun die Matrix (af,) mit A, und setzt KEAGR (5) so wird h a SI RL Ru 1 — 2 hrultgı dus — Fe Ap- Hieraus folgt, daß, wenn die Zahlen a, eine den Charakter % (R) bestimmende primitive Einheit bilden, man stets eine dem Charakter %(R) entsprechende Darstellung angeben kann, deren Substitutionen ESSE h in der ersten Zeile der Hauptdiagonale die Größen — a, enthalten. Vi Es seien allgemeiner II (0A (aa) (a$)ı) irgendwelche f den Charakter %(R) bestimmende Einheiten, für die noch die Gleichungen el) (&=#u) bestehen. Es sei nun A Ice kopr AB ’ «,ß 41* 432 Sitzung der phys.-math. Classe v. 6. April 1905. — Mittheilung v. 23. März. so daß ZA,k, = | ist. Dann ergibt sich aus A, A, = 0 leicht Da) R#+p). Setzt man daher K = (k,,), so wird |%,,|+#0 und K" = (%/,); ferner erhält man, falls wie früher K"A,K = (c%) ist, a 7 ale. Sind daher A,, A,,-:-, A, irgendwelche f Einheiten der betrachteten Art, so läßt sich eine dem Charakter % (R) entsprechende Darstellung der Gruppe angeben, deren Substitutionen in den Hauptdiagonalen die Größen h h h a enthalten. Ausgegeben am 13. April. 433 SITZUNGSBERICHTE 1905. XIX. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 6. April. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. VAHtEn. l. Hr. Zmmer las über die Kriterien zur Bestimmung der altirischen Procliticae. Diese Kriterien sind hauptsächlich zu gewinnen aus den Lautveränderungen, die der Satzaccent in den in den Vorton tretenden Wörtern bewirkt: Vocalschwächungen, Consonantveränderungen verschiedener Art und Silbenschwund. Subsidiär tritt die in den altirischen Handschriften zu beobachtende Regel über Worttrennung hinzu. 2. Vorgelegt wurde das mit Unterstützung der Akademie heraus- gegebene Werk “Das Johannesbuch der Mandäer’. Von Mark Linz- BARSKI. Erster Teil. Text. Giessen 1905. 434 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 6. April 1905. Untersuchungen über den Satzaccent des Alt- irischen. Von H. Zimmer. I. Die Proclitieae. ı. Die Kriterien zur Bestimmung der altirischen Procliticae. A ceentbezeiehnung ist im Altirischen wie in den jüngeren Perioden dieser Sprache unbekannt; ebensowenig haben wir fürs Altirische und Mittelirische Angaben über den Accent, sei es Wort- oder Satzaccent. Wie nun der Bestimmung des Wortaccentes im Altirischen das Auf- finden von Kriterien über die Wirkung des stark expiratorischen Accentes auf betonte und unbetonte Silben voranging (s. Zimmer, Über altirische Betonung, Berlin 1884, S. Sff), so muß für die Fest- stellung der Wörter und Wortformen, die im Altirischen ausschließ- lich oder in gewissen Fällen proklitisch verwendet werden, ein ähn- licher Weg eingeschlagen werden. Es sind die in der schriftlichen Wiedergabe des Altirischen vereinzelt oder regelmäßig zum Ausdruck kommenden Lautveränderungen gewisser Wörter oder Wortgruppen in ihrer Stellung vor andern Wörtern, die in erster Linie die ge- suchten Kriterien abgeben. Diese Lautveränderungen, die der Satz- accent in den vortonigen, ursprünglich selbständigen und zum größten Teil noch selbständig neben ihrer proklitischen Verwendung erschei- nenden Wörter im Altirischen bewirkt, bieten nach den Ergebnissen der nachfolgenden Untersuchung kein so einheitliches Bild dar, wie es in den unbetonten, hauptsächlich nachtonigen Silben der betonten Wörter erscheint (s. Zimmer, Über altirische Betonung S. 8, 134— 144). Gründe mancherlei Art lassen sich hierfür anführen, namentlich sind die verschiedenen Möglichkeiten des Angleichs und Ausgleichs der in proklitischer Stellung entstandenen geschwächten Formen mit den in selbständiger Stellung erhaltenen betonten Formen hierbei wirksam. Fast nicht minder bedeutungsvoll ist das Bestreben der Sprache, Zimmer: Untersuchungen über den Satzaccent des Altirischen. 435 gewisse Normalformen für gewisse Kategorien zu schaffen, wobei dann für die eine Kategorie die unbetonte und für die andere die betonte Form verallgemeinert wird. So dürfen wir wohl annehmen, daß z.B. bei den Präpositionen in Verbindung mit Pronominibus sowohl die Betonung ‘von mir, zu mir’ als ‘von mir, zu mir’ im vorhistorischen Irisch vorkamen und ebenso bei Verbindung von Präposition mit Artikel und Substantiv die drei Betonungen “in dem Hause’, “in d&m Hause’ und “in dem Hause’ je nach dem Zusammenhang; im tatsächlichen altirischen Sprachzustande kommt bei nachfolgendem Pronomen nur die Betonung ‘von mir, zu mir’ und bei nachfolgendem Artikel mit Sub- stantiv nur die Betonung “in dem Hause’ vor. Es erscheint also bei nachfolgendem Pronomen in der Regel die ursprüngliche, betonte Form der Präposition und bei nachfolgendem Artikel mit Substantiv die ge- schwächte Form der Präposition. Diese Schaffung von Normalformen hat lautlich zur Folge, daß z.B. die von Präpositionen abhängenden Personalpronomina enklitisch und weiterhin so geschwächt werden, daß geradezu eine Art Deklination der Präpositionen im Altirischen entstanden ist, nicht nach Kasus, sondern nach Personen; sachlich folgt, daß die Sprache im Verlauf gezwungen ist, zum Ausdruck von Verbindungen, in denen der Accent auf dem Personalpronomen liegt — also ‘von mir’, “mit dir’? — an die allein herrschend gewordenen Formen für ‘von mir’, ‘zu mir’ neue, das fast unkenntlich gewordene Pronomen hervorhebende Elemente treten zu lassen. Damit nicht genug ist nach der Schaffung der Normalformen für die Präpositionen und nach dem Herabsinken der mit ihnen verbundenen Personal- pronomina zu Enclitieis, also nach der Entstehung der Präposition- abwandlung, z.B. bei der Präposition betont f6, unbetont do, das an- lautende d der unbetonten Form regelmäßig in die feste Verbindung mit den Personalpronomina hineingetragen — wohl nach Analogie von betont d? zu unbetont do —; bei anderen Präpositionen sind in ein- zelnen Personen Charakteristika der unbetonten Form (z.B. in tarais) in den Pronominalabwandlungen nachzuweisen. Diese und zahlreiche andere Arten des Ausgleichs und Angleichs bleiben, um den Zu- sammenhang zerreißende FErörterungen zu vermeiden, in dem nach- folgenden ersten Teil der Untersuchung, der die Kriterien zur Be- stimmung der proklitisch verwendeten Wörter gewinnen will, mög- lichst unberücksichtigt; sie kommen in einem späteren zweiten Teil, der die in Proklise auftretenden Wörter und Kategorien von Wort- formen systematisch erörtert, zur Behandlung. Die Lautveränderungen, aus denen hauptsächlich die Kriterien für Bestimmung der altirischen Procliticae können gewonnen werden, erstrecken sich gleichmäßig auf den Vokalismus und Konsonantismus. 436 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. April 1905. Vokalismus. Die Veränderungen fallen unter den Begriff Schwächung und sind im wesentlichen gleich oder ähnlich den Vokalschwächungen, welche im Wort die auf die hochbetonte Silbe folgenden Silben erleiden. Also: 1. Kurze Vokale verlieren ihre Qualität (Klangfarbe) und werden zu dunklem, indifferenten Vokal, der meist a geschrieben ist, so daß für ursprüngliches und in betonter Stellung erhaltenes e, i, o, a einförmig a erscheint: nech : nach (nacherüth, nachrann); es : as (esib, esorcun : asachiunn); dile : ala (aile deac : alarann deac brötto; indalafer : infer aile). Nom. und Ace. Sing. Neutr. des Artikels an, san aus *sen; ala “qui sunt’ im Vergleich mit berte; am “sum? für *im aus *esmi, as ‘qui est’, ammi “sumus’, adib “estis’; torut, törunn : tarcenn, darcenn, dar£si; calleice, calleic “unterdessen’ (wörtlich “bis er läßt’) neben corricci; altir. noch o/ “inquit’, aber mittelir. al, ar (cf. olchene : archena). 2. Lange Vokale und Diphthonge werden kurz und im Verlauf zu indifferentem dunklen Vokal: cäch : cachball, cia : cehe, cesi, cote, cate (kymr. pwy : py, pa); cian “fern’ : cen ‘ohne’ (mittelir. neuir. gan; vgl. noch mittelir. arn 'nach’, dan "wenn’, da "zu seinem’ für altir. irn, dian, dia); ailiu : ala (dondalahtcht ... dondhicht ailiu). Präpos. kymr. irwy : altir. ire, tri; Präpos. di : di, de, do (ZE. 637); kymr. meu "meum’ (altir. miisse), teu “tuum’ : altir. momäthir, domathir; kyınr. neu- (aus novo-) : altir. Verbalpartikel no-; altir. & “suum’ (kymr. eid-), di “eorum' : a- 'eius’, an- “eorum’ vor Substantiven; roböi : robufoirbthe; Futur bieid : bidfür; *seit (aus *senti) : itfoilsi, relativ ala. 3. Schwindet ein Nasal vor tonlosem Konsonant, so bleibt der Vokal kurz: aus in + talam wird itdlam; mit atir für an + tor aus *sen tor vgl. oac aus iovenco-; retüs, repröinn aus ren und tls, proinn. 4. Retardierende Wirkung übt auf den Vokal ursprünglich fol- gende Doppelkonsonanz aus: Artikel ind, in, inna, innan, deren Vor- tonigkeit im Altirischen durch den unter ‘Konsonantismus 3° erörterten Lautwandel und die Formen na, nan neben inna, innan (s. unter "Silben- schwund') sichergestellt ist und auch durch die neuirischen Formen an, ant; is “est' (aus indogerm. &sti) — dessen Tonlosigkeit durch häufigen Schwund des Vokals im frühen Mittelirischen (s. Quısem, Die lautliche Geltung der vortonigen Wörter und Silben in der Book of Leinster Version der Tain bo Cualnge, Greifswalder Dissertation 1900, S.S ff.) und die breite” Aussprache des s im Neuirischen (s. unter “Konsonantismus 1’) gesichert ist — neben as ‘qui est’ verdankt die Bewahrung der Schreibung mit ö wohl der Parallele i : ala, wo i für *seit (*senti) nach Regel 2 berechtigt ist. - “ ar m’ Am MER: rsuchur über den Satzaccent des irischen. 4: Zimmer: Untersuchungen über den Satzaccent des Alt | 137 Konsonantismus. Die Erscheinungen sind mannigfacher Art und an erster Stelle ist eine solche zu erwähnen, die in engem Zusammenhang mit den be- trachteten Vokalschwächungen steht. ı. Konsonanten mit palataler Klangfarbe verlieren ihre palatale Aussprache, da die ihnen folgenden Vokale zu indifferentem Vokal mit dunkler Aussprache werden: un- betonte do, ala für betonte di, aile, ailiu,; die proklitischen Kopula- formen am (: *esmi), at, is ‘est’ (dessen s im Neuir. ‘breite’ Aussprache hat), as “qui est‘, ata “qui sunt'; ferner archenn, arachiunn : dirium, diriu, dirdirc; cote, cateet (vgl. neuir. ga mhead mit neukymr. pa faint) : cla, mittelir. dan “wenn, da “zu seinem’ für altir. dien, dia; madbochı. madgenair : maith; amal “instar’, amal ‘sicut’ (in Wb. prima manus noch amail) : samail "simile', intamail; intain “cum, quando’ noch neben intan, das im Mittelir. nur mehr vorkommt. 2. In Folge Wegfalls des expiratorischen Accentes in der Pro- klise werden die Fortes (Tenues) zu Lenes (Mediae), wie beim Wort- accent für intervokal. { im Auslaut der Tonsilbe th (süth, bith, cath), aber d (d.h. dh) im Auslaut der unbetonten Silben (berid, molad, biad') steht: do "dein’ (domäthir : tathir) neben t& und gleich betontem kymr. teu,; Präposition do (dosleib) neben tögu, tomailt, Präposition dar (dar- limne, darcenn, daresi) : törunn, tarais; madbocht : maith. Bei anlau- tendem c vollzieht sich der Wandel erst im frühen Mittelirisch: gach- bliadain, gomaith, ga mhead, gan ohne’, gon-, gur-, wo altir. noch cach, co, ce, cen, con, conro geschrieben ist. 3. Treten Wörter mit den anlautenden tonlosen Geräuschlauten s und f in Proklise, so sind nach dem Lautwandel unter 2 die tö- nenden Spiranten 2 und v zu erwarten; diese im Altirischen im Anlaut (und z auch im Inlaut) nicht vorhandenen Laute sind im reinen An- laut geschwunden: tönend gewordenes s schon im Altirischen und aus / entstandenes v im Verlauf. Hierher die Formen des Artikels ind, in, inna, innan, an neben den Formen isind, lasinn, frisinn, trisan, isnaib, forsna, wo das s durch den Auslaut der vorangehenden Prä- position vor dem Wandel in tönende Spirans geschützt wurde. Ferner proklitisches amal ‘instar’ und amal "sieut’ : samail "simile’; it "sunt’ (ata “qui sunt’) proklitisch für *seit (*senti). So ist die altir. Präpo- sition for über mittelir. dar (d.h. var) im Neuir. mit ar, der tonlosen Form für dir, zusammengefallen', und altir. farn "vester’ über mittelir. barn (d.h. varn) zu neuir. gesprochenem "rn geworden. ı Für altir. enklitisches o/ “inquit’ gleich neuir. ar (s. unter “Consonantismus 4') erscheinen im frühen Mittelirisch (in LL.) neben a/ und ar auch die Formen for und bar (s. Quiscin, 1.1. S.15). Diese Sonderbarkeiten sind nur erklärlich. wenn zur Zeit Sitzungsberichte 1905. 42 438 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 6. April 1905. 4. Von Altir. zum Mittelir. ist altes / in der Proklise zu r ge- worden: altir. o/ “inquit’ zu mittelir. al, ar, neuir. ar; altir. olchene : mittelir. archena; altir. indalafer : mittelir. indarafer, neuir. an dara; ebenso für das altir. durch Silbenschwund aus proklitischem ala ent- standenen "la (cachlasel, cachlacein) mittelir. "ra (cachrandair .. inndair aile, cachrachtchi), vielleicht auch mittelir. und neuir. mar gleich altir. Präposition und Konjunktion amal. Silbenschwund. Die weiteste Schwächung der im Vorton stehenden ursprünglich selbständigen Wörter geht dahin, daß Vokale noch über den indiffe- renten Vokal (das Schwa) hinaus verstummen und Silbenschwund eintritt. Im gesprochenen Neuirischen schwinden so im weitesten Umfang — soweit die Sprechbarkeit es zuläßt — einsilbige Procliticae, und wenn zwei oder mehr Silben im Vorton stehen, schwindet die zweite Silbe vor dem Satzaceent, während altir. im Wort bekanntlich die erste auf den Wortaccent folgende Silbe die schwächste (peectho aus "peecatho) ist. Bemerkenswerte Anfänge dieser Entwicklung, deren frühmittel- irische Zeugnisse aus einem Teil der Hs. LL. Quisem a. a. O0. S. S— 22 gesammelt hat, zeigen sich schon im Altirischen, wenn in der Proklise zwei und mehr Silben stehen: befinden sich zweisilbige Formen des Artikels allein in der Proklise, so erscheinen im Altir. noch die zwei- silbigen Formen inna, innan (für *sinda, *sindan) neben den durch Silbenverlust entstandenen na, nan (ZE. 21 1— 217), die durchs Mittelir. ins Neuir. die allein üblichen werden; geht aber zweisilbigen Formen des Artikels noch eine proklitische Präposition voraus, also wenn drei Silben im Vorton stehen, dann ist die erste Silbe des Artikels schon völlig geschwunden: isnaib, forsnaib, donaib, arnaib, lasna, ısna für *isinnaib, *forsinnaib, *dosinnaib, "arsinnaib, *lasinna, "isinna. Vereinzelt bietet schon Wb. malle, manetar neben gewöhnlichem immalle, immanetar. Neben dem aus betontem aile entstandenen ala (indalafer) erscheint in einzelnen Verbindungen mit Schwund der ersten Silbe la: cachlasel .. . insel aile, cachlackin.... inc£in aile, cachlatän .... tan aile (mittelir. cach- ramdair ... inndair aile). Ferner dardoen “Donnerstag” für etardoen des Schreibers von LL. oder vielmehr zur Zeit der von ilun für die Täin bo Cualnge benutzten Vorlage die vortonige Form der Präposition /or schon über dar (d.h. var) zu ar geworden war; waren altes o/ und altes for im Vorton schon in ar zusammen- gefallen, dann ist begreiflich, wie ein Selmreiber für ar aus ol die ihm bekannten älteren Schreibungen für ar aus /or — nämlich for, dar — gebrauchen konnte. In neuir. orm, ort, orrainn, orraibh, orra ist im Anlaut derselbe Ausgleich eingetreten wie schon im altir. dom, duit, duum usw. (s. oben S. 435), d.h. der konsonantische Anlaut der proklitischen Form ist auf die betonte Form übertragen. Zimmer: Untersuchungen über den Satzaccent des Altirischen. 139 (= etar da öen). Bei Verbindung der altir. Präpositionen oc ‘bei’ und in “in” mit vokalisch anlautenden Possessivpronomina vor Substantiven wird im Mittel- und Neuirischen "gardd "bei seinem Sagen’, "nasılidi “in seinem Sitzen‘, 'nammedon “in ihrer Mitte’; man wird in den eigen- artigen altir. Schreibungen innachridiu, innarleid, occaforcitul (ZE.627.635) in dem nn und cc einen Versuch sehen dürfen, die schon zu Schwa reduzierte erste Silbe zu bezeichnen. Zu diesen aus dem Lautwandel gewonnenen Kriterien für Be- stimmung der altir. Procliticae tritt subsidiär noch ein weiteres aus dem Schreibgebrauch der altirischen Handschriften. Stellt man nämlich, was im zweiten Teil der Untersuchung geschehen soll, die nach Ausweis dieser Kriterien ausschließlich oder in gewissen Fällen in der Proklise stehenden Wortgruppen und Wörter zusammen, so sieht man sofort, daß in den guten altirischen Handschriften eben diese Wortgruppen und Wörter mit dem auf sie folgenden, den Satz- accent tragenden Wort in der Regel — soweit nicht Zeilenschluß oder Raumrücksichten in den interlinear geschriebenen Denkmälern dies hindern — in ein Wort zusammen geschrieben werden, oder es ist der Zwischenraum zwischen den Einzelelementen der unter einen Accent fallenden Unterabteilungen eines größeren Satzganzen, zwischen denen ja auch immer Satzsandhi besteht, kleiner als zwischen den im Satz selbständigen Wörtern. Dieser Schreibgebrauch dient in den unaccentuierten altirischen Handschriften demselben Zweck wie in accentuierten griechischen Texten das Fehlen des Accentes bei Pro- elitieis und Enclitieis. So entbehrt die in Ausgaben älterer irischer Texte in usum delphini beliebte Zerreißung der handschriftlich über- lieferten Gebilde nach jeder Seite hin der wissenschaftlichen Berech- tigung. Ausgegeben am 13. April. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. XX. 13. Aprın 1905. BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 4 UBR \RV EN H IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. (4, I } aA In‘ \ Fo \ SaE 2 Auszug aus dem Reglement für die Redaction der »Sitzungsberichte«. $1. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch- mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. 8.2. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nieht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternehen (*) bezeichnet. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Secretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte, Derselbe Seeretar führt die Oberaufsicht über die Redae- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. $ 6. 1. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $41, 2 ler Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Oetav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt-Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschritten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 1 SE 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittlıeilung diese anderweit früher zu ver- Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte an diejenigen Stellen, mit denen sie im Schrifterkehr eich, 4 wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich : die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, | Sehr » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, i » October bis December zu Anfang des nächsten er nach Petite du Ram N öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt - Akademie oder der betreffenden Classe. e 88. 5. Auswärts werden Correeturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. s$1. - 1. Der Verfasser einer unter den »Wissenschafllichen ; Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberiehte mit Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem ‚angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere ‚gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von. zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver- theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar angezeigt hat; wünscht er auf scine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exem- plare auf ihre Kosten abziehen lassen. ; er " J $ 28. EIER 1. Jede zur Aufnahme in die Sitzungsberichte be- stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden. ordentlichen Mitgliedes zu "benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger ‚oder corre- spondirender Mitglieder direet bei der Akademie oder bei einer der Classen eingehen, so hat sie der vorsitzende Secretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeignet. scheinenden Mitgliede zu überweisen, [Aus Stat. $ 41,2. — Für die Aufnahme bedarf es einer ausdrücklichen Genehmigung der Akademie ‚oder einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, sobald das Manuscript druckfertig vorliegt, gestellt und sogleich zur AetmmaunE gebracht werden.] $ 29. A h) 1. Der revidirende Secretar ist für den Inhalt der geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch nicht für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für diese wie für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte ‚sind nach jeder Richtung nur die Verfasser verant- wortlich. i 35 441 SITZUNGSBERICHTE 1905. xXX. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 13. April. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. 1. Hr. Deesser las: Über die Münzen von Priene und das Tempelbild der Athena Polias. (Ersch. später.) Nach einer allgemeinen Übersicht über die Münzprägung von Priene wurde der wichtigste unter den dortigen Münztypen, die Darstellung der Athena, besprochen, aus der sich Anhaltspunkte für die Geschichte der berühmten Tempelstatue der Athena Polias ergeben. Auf den Münzen lassen sich mit voller Sicherheit nachweisen: der Kopf des Tempelbildes aus alexandreischer Zeit, der Kopf des von Orophernes um 150 v. Chr. gestifteten Bildes und die Cultstatue der römischen Kaiserzeit. 2. Folgende Druckschriften wurden vorgelegt: Nestoriana. Die Fragmente des Nestorius gesammelt, untersucht und herausgegeben von F. Loors. Halle a. S. 1905 und H. Moıssan, Traite de chimie minerale. Tome 2. Fasc. ı und Tome 4. Fasc. ı. Paris 1905. Die Akademie hat das correspondirende Mitglied der philosophisch- historischen Classe Hrn. Rıcnarp Heıszen in Wien am 4. April durch den Tod verloren. Sitzungsberichte 1905. 43 442 Gesammtsitzung vom 13. April 1905. — Mittheilung vom 6. April. Berieht über Untersuchungen an den sogenannten „Gneissen“ und den metamorphen Schiefergesteinen der Tessiner Alpen. Von Prof. Dr. G. Kremum in Darmstadt. (Vorgelegt von Hrn. Kreın am 6. April 1905 [s. oben S. 381].) IR | ersten Theile' des Berichtes über die vom Verfasser mit Unter- stützung der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften aus- geführten geologischen Untersuchungen in den Tessiner Alpen suchte derselbe den Nachweis zu führen, dass der sogenannte »Gneiss« der Tessiner Alpen ein vorwiegend deutlich parallelstruirter Granit ist, durch den die ihn bedeckenden Sedimente contactmetamorph beein- flusst worden sind. Hierbei sind die Sedimente unter Beibehaltung ihrer ursprünglichen Texturen völlig umkrystallisirt worden, was sich durch ihre überall vorzüglich entwickelte Hornfelsstructur zu erkennen giebt. Zwischen Granit und Sedimenten liegen Zonen von Misch- gesteinen beider, die oft eine sehr beträchtliche Mächtigkeit erreichen. Da sich unter den Sedimenten solche befinden, in denen noch Reste liasischer Fossilien vorhanden sind, muss der Granit postliasisches Alter haben. Da aber weder Granit noch contactmetamorphe Schiefer Spuren eines nach ihrer Verfestigung bez. Umkrystallisation erfolgten Gebirgs- druckes in Form von Quetschzonen aufweisen, ist, unter der Voraus- setzung, dass die Annahme der Schweizer Geologen auf Richtigkeit beruht, dass nämlich die letzten Gebirgsbewegungen in den Tessiner Alpen in jungtertiärer Zeit erfolgten, der Granit als jungtertiär an- zusprechen. Im Verfolge dieser Arbeiten suchte der Verfasser im Sommer 1904 einerseits die Lagerungs- und Verbandsverhältnisse der metamorphen Sedimente der Umgebungen von Airolo, andererseits deren Beziehungen zu den Protoginen des Gotthardmassivs zu ermitteln. ! Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. Physikal.-math. Classe. 1904. S. 46—65. G. Kresm: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. 443 Die Untersuchungen werden sehr erschwert durch den Umstand, dass die Gehänge des Tessinthales bis in beträchtliche Höhe von gla- eialen und jüngeren Schuttmassen derartig bedeckt sind, dass oft auf weite Erstreckung hin, selbst an steilen Gehängen, fast gar kein an- stehendes Gestein zu Tage tritt, so dass Aufschlüsse in diesem fast nur in den Schluchten der Wildbäche zu finden sind. Einer der besten Aufschlüsse dieser Art ist in der schon im vorigen Berichte des Verfassers (S. 61) besprochenen, auf der Siegfried- karte (Blatt Faido Nr. 503) als »Ronco di Berri« bezeichneten Schlucht nahe am Ausgange des Val Canaria bei Airolo. Die tieferen Theile dieses Profils sind von GRUBENMANN' ausführlich behandelt worden. Derselbe wies nach, dass drei Zonen von Dolomit bez. Rauchwacke oder Kalkglimmerschiefer und Gips vorhanden sind, die durch Glimmer- schiefer von sehr wechselvoller Beschaffenheit getrennt und überlagert werden. Er fasst diese Schichten als Doppelmulde auf. Verfasser wies in seinem vorjährigen Bericht darauf hin, dass dies durchaus unwahrscheinlich sei, weil die eigenthümlich ausgebildeten, durch das Auftreten grosser büschelförmiger Hornblenden charakterisirten Garben- schiefer der »südlichen Schiefer- und Gneisszone des Gotthardmassivs«, die jene angebliche Doppelmulde als mächtige Masse völlig concordant überlagern, also mit den Gesteinen derselben gefaltet sein müssten, nirgends in der »Doppelmulde« auftreten. Verfasser suchte schon im vor- jährigen Berichte wahrscheinlich zu machen, dass die angebliche Faltung des unteren Theiles des Profils nicht existire, dass vielmehr auch an an- deren Stellen in der metamorphen Schieferdecke der Tessiner Alpen die gleichen Lagerungsverhältnisse herrschen, so dass man diese Schieferhülle sich folgendermaassen aufgebaut denken könne (von oben nach unten): 7. Hornblende- und granatreiche Garbenschiefer und Glimmer- schiefer, vielfach in reine Amphibolite übergehend, Dolomitlager (oft mit Gips), Glimmerschiefer, Dolomit oder Kalkglimmerschiefer - Lager, . Glimmerschiefer, Dolomit und Gips, . Glimmerschiefer und Amphibolite. en folgt eine Mischgesteinszone zwischen Schiefer und Granit, die allmählich in den reinen Granit übergeht. Im Folgenden sollen nun zuerst die wichtigsten Ergebnisse der zur genaueren Untersuchung dieses Schichtenprofils unternommenen Excursionen gegeben werden. HB ©. p wu O\ ! Mittheilungen der Thurgauischen naturforschenden Gesellschaft. Heft VIII, Frauenfeld 1888. 43° 444 Gesammtsitzung vom 13. April 1905. — Mittheilung vom 6. April. Zunächst wurde in dem Profil des Ronco di Berri festgestellt, dass der Übergang des höchsten Dolomitbandes in die hangenden Schiefergesteine ein ganz allmählicher ist, und dass völlige Concordanz zwischen allen Schichten daselbst herrscht. Auf den Dolomit folgt in der genannten Schlucht etwa 7” unterhalb des sie kreuzenden Weges nach der Alpe Pontino (Kreuzungsstelle etwa 1500" Meereshöhe) eine 3— 4°” mächtige Schicht mit nur vereinzelten Glimmerflasern, die sich aber bald immer mehr anreichern. Der silbergraue Glimmer zeigt im Schliff parallel zur Verticalachse deutlichen Pleochroismus (hellbraun bis farblos), er ist oft ganz erfüllt von Carbonatkörnchen und um- schliesst viele Turmalinsäulchen, etwas seltener Rutilkryställchen. Dies Gestein geht wiederum in einen weissen, schwarz gebänderten Para- gonitschiefer über, der local bis über centimetergrosse Granate enthält und im Schliff auch die Anwesenheit von Staurolith erkennen lässt. Hierauf folgen recht verschiedenartige Glimmerschiefer, zum Theil deut- lich schieferig, zum Theil fast von hornfelsartigem Aussehen und etwa 10” über dem Wege steht zum ersten Male einer jener weissen Glimmer- schiefer an, auf deren Schichtfläche schwarze, zu garben- oder hand- förmigen Figuren zusammentretende, mehrere Centimeter lange Horn- blenden liegen, Gesteine, die sich in keiner tieferen Schicht des Pro- fils anstehend wiederfinden. Hornblende - Garbenschiefer aus dem Ronco di Berri bei Airolo, Etwa 4/s d. nat, Gr, G. Kresu: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. 445 Fig. ı stellt ein derartiges, höchst charakteristisches Schieferge- stein in #/; der natürlichen Grösse dar. In einer feinschuppigen licht- grauen Grundmasse liegen schwarze Hornblendenadeln, die bei einer Dicke von 1— 2"” bis über 5°” lang werden und sich häufig zu besen- förmigen oder divergentstrahligen, garbenartigen Gebilden vereinigen. Diese Garben können bis 10° Länge erreichen. Viele derselben liegen auf den Schichtenflächen des Gesteins, andere aber sind unter allen möglichen Winkeln zu ihnen gelagert. Neben den Hornblenden fallen besonders braunrothe Granatkrystalle auf, meist recht unvollkommen ausgebildete Rhombendodekaöder, die bis über 1°" im Durchmesser er- reichen. Im Dünnschliff zeigt das Gestein die typischste Hornfels- structur. Die Granate sind durchaus skeletartig ausgebildet, indem zahllose Quarze und Paragonitschüppchen in paralleler Anordnung und stellenweise so dicht gedrängt, parallel der Schieferung des Gesteins mit der Granatsubstanz verwachsen sind, dass diese an vielen Stellen fast nur als dünnfädiges Maschenwerk zwischen den anderen Gemeng- theilen erscheint. Eine Störung der einfachen Lichtbrechung ist hier- bei nirgends im Granat zu erkennen. Ganz ähnlich verhält sich auch die Hornblende und der oft in ziemlich grossen Lamellen vorhandene Biotit, an denen auch nirgends optische Anomalien zu beobachten sind, die auf Druckwirkungen hinwiesen. Der Schiefer enthält ausser den bis jetzt genannten Gemengtheilen noch Malakolith, Apatit, stellenweise auch Feldspath, ferner Rutil, Zirkon und Eisenerz. Häufig treten mit dem eben beschriebenen Garbenschiefer in Wechsellagerung kleinkörnige gebänderte Hornblendeschiefer, deren wesentliche Gemeng- theile Quarz und Hornblende sind. Letztere ist oft idiomorph ausge- bildet, aber im Innern meist dicht erfüllt mit eckigen oder rundlichen Quarzkörnchen. Biotit kommt neben der Hornblende nur in verein- zelten Blättchen vor. Die Grundmasse des Gesteins besteht aus einem Haufwerk von Quarzkörnchen in Pflasterstruetur, die aber auch nicht selten mit einander verzahnt sind. Sehr zahlreiche Körnchen eines hellen Augitminerals, meist ganz unregelmässig gestaltet, liegen darin. Feldspath fehlt dem Gestein nicht völlig, tritt aber sehr zurück. Von accessorischen Gemengtheilen ist besonders Rutil zu nennen. Eisenerz ist ziemlich reichlich vorhanden. Auch feinkörnige, schwarze Amphi- bolite finden sich nicht selten, so z. B. am Eingange in das Val Tre- mola und in tiefem Niveau, fast unmittelbar im Hangenden des ober- sten Dolomitlagers im Val Bedretto bei der Einmündung des Gotthard- Tessins und weiter aufwärts. Nicht selten kann man eine regelmässige Wechsellagerung dieser Gesteine mit Glimmerschiefern erkennen und so allmähliche Übergänge zwischen denselben, dass man diese Amphi- bolite nur als umgewandelte Sedimente ansprechen kann. Sehr häufig 446 Gesammtsitzung vom 13. April 1905. — Mittheilung vom 6. April. sind auch in demselben Schiehtencomplex reine Glimmerschiefer, wahr- scheinlich Paragonitschiefer, zum Theil mit über centimetergrossen Almandinen in Rhombendodekaödern, ferner Glimmerschiefer mit grün- lichem, chloritartigem Glimmer neben dem Paragonit, während Clin- tonitschiefer, die in den unteren Lagen des Profils, also im Liegenden des oberen Dolomites sehr verbreitet sind, im Hangenden desselben stark zurücktreten. Die hornblendereichen Glimmerschiefer wechseln oft mit ganz hornblendearmen oder hornblendefreien weissen, grauen oder grünlichen Schiefern ab, die an Stelle der Hornblenden grosse Granate führen, und mit gewöhnlichen Glimmerschiefern ohne hervor- stechende Gemengtheile. Die Mannigfaltigkeit dieser Gesteine ist über- aus gross und der Wechsel in der Gesteinsbeschaffenheit vollzieht sich sehr rasch. Diese Schichten bilden einen Gesteinscomplex von sehr beträchtlicher Mächtigkeit, die auf 600— 700” zu veranschlagen ist. Dieselben finden sich ausser dem genannten Profil z. B. an der Gott- hardstrasse, allerdings nicht fortlaufend, aufgeschlossen. Hier liegt das oberste Dolomitband in der Mündung des grossen Tunnels, und am Fort Fondo del Bosco sowie an verschiedenen Stellen der Strasse sind gute Aufschlüsse in den schönen Glimmerschiefern vorhanden. Auch neben dem grossen Bergsturz zwischen Airolo und Stuei sind an vielen Stellen die Schiefer, welche den Dolomit überlagern, zu studiren. Von Airolo aus findet sich westwärts der Dolomit an vielen Stellen in der Sohle des Tessinthales aufgeschlossen, so kurz unter- halb der Einmündung des Gotthard-Tessins und gegenüber von Fon- tana. Das Streichen der den Dolomit überlagernden Schiefer ist auf dieser Strecke stets N. 40—60°0., das Einfallen mit 40—60° nach NW. gerichtet. Geht man hier auf das andere Ufer des Tessins, so findet man Kalkphyllite anstehen, die ebenfalls etwa N. 40°0. streichen, aber mit 35° nach SO. einfallen. Man kann sich in dem steilen Val Ru- vina von der Constanz dieses Einfallens überzeugen, das auch im Ronco di Val Pozzolo bei Airolo und in mehreren Schluchten östlich von diesem wahrzunehmen ist. Hier stossen also in der Sohle des Tessinthales zwei verschiedene Gesteinsserien mit gleichem Streichen aber gegensinnigem Einfallen hart an einander ab, und die beide tren- nende Störung scheint noch bis zum Stalvedro bei Airolo zu ziehen, in dem ja auch schon durch Srarrr eine deutliche Störung nachge- wiesen worden war. Wie der Verfasser schon im vorjährigen Be- richt betonte, kann aber diese Störung nicht jungen Datums sein, da sie nicht in den Granit unterhalb Stalvedro übergreift, sondern es muss eine bei der Aufrichtung des Gebirges entstandene Verschie- bung in der Mittelebene des Sattels sein, zu dem nach der vom Ver- G. Kreum: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. 447 fasser entwickelten Anschauung (vorjähriger Bericht S.61) die Sedi- mente der Tessiner Alpen zusammengefaltet worden sind. In dem Südflügel dieses Sattels ist die Lagerung der Schichten anscheinend weit unregelmässiger als im Nordflügel. Zwar im Osten, bei Faido, zeigen sie zumeist regelmässiges Einfallen nach SW., das aber, wie im vorjährigen Bericht auseinandergesetzt wurde, nach West zu bei Ambri und Piotta immer steiler wird, und zum Theil auch widersinnig, also nach NO., so dass hier also Überfaltung ein- getreten ist. Weiter nach Airolo zu tritt aber in der Thalsohle Süd- fallen ein (bei Nante an vielen Stellen), das aber beim Anstieg wieder nach Norden umschlägt. In diesem Gebiet bemerkt man fast an allen Klippen und auch an vielen losen Rollsteinen die allerstärksten Fal- tungen und Windungen der Schichten, deren Neigung aber am Fusse der gewaltigen Steilwände, in denen Pizzo Sassello, Poncione di Mez- zodi und Poneione di Vespero nach Norden abbrechen, sich wieder nach Süden wendet. Es ist daher hier der Südflügel in sich im stärk- sten Maasse gefaltet und zum Theil auch überfaltet worden, und die- sem Umstande ist auch die auffällige Mächtigkeit der monotonen grauen, oft Granat und Disthen führenden Kalkphyllite zuzuschreiben, die das Südgehänge des Tessinthales von der Sohle bis zu seinen höchsten Erhebungen zusammensetzen. Dasselbe Verhältniss wurde auch im Val Bedretto oberhalb Airolo bei vielen Begehungen festge- stellt. Hier wurde aber auch zugleich constatirt, dass beim Anstiege von Ossaseco nach dem Naretpasse (2443”) in diesem dieselben cha- rakteristischen Gesteine erscheinen, welche im Val Piora das Gehänge zwischen Tom- und Ritomsee zusammensetzen, die Schichten, welche zwischen dem mittleren und dem oberen Dolomithorizont gelegen sind. Hier freilich unterlagern sie scheinbar die Kalkphyllite, indem sie deutlich nordwärts einfallen; dies scheint aber auch hier auf eine locale Überfaltung zurückzuführen zu sein, da in tieferen Lagen des Gehänges, besonders deutlich in den Umgebungen der Alpe Pianaseio, das normale Südfallen vorherrscht. Unter den am Naretpasse aufge- schlossenen Gesteinen findet man besonders die durch knotenförmige Individuen dunklen Glimmers (nach GrugEmann Meroxen) ausgezeich- neten, oft Granat und sehr häufig Zoisit führenden Glimmerschiefer und Phyllite, ferner disthenreiche Schiefer und endlich auch jene an grossen Granaten und Staurolithen reichen Gesteine, die im Val Piora in der Nähe von San Carlo anstehen. Leider wurde die genauere Untersuchung der Lagerungsverhältnisse am Naretpasse und am Nu- fenenpass, an dem im Wesentlichen dieselben Schichten anstehen, durch den Eintritt einer Periode sehr ungünstigen Wetters vereitelt. Auch hier konnte indess constatirt werden, dass in unmittelbarer 448 Gesammtsitzung vom 13. April 1905. — Mittheilung vom 6. April. Nachbarschaft der metamorphen Schiefer flaserige bis schieferige Granitgesteine anstehen, von denen erstere in mannigfaltigster Weise injieirt werden. In sehr deutlicher und bequemer Weise lassen sich die Verbands- verhältnisse der Schiefer und der Protogine an der Gotthardstrasse untersuchen. Beim Eintritt in das Val Tremola steht man in schwarzen Amphiboliten, die ungefähr senkrecht zur Thalrichtung streichen und steil nordwärts einfallen. Dieselben wechsellagern oft mit dunklen Biotitschiefern. Da, wo sich die Strasse in zwei, bald wieder zu- sammentretende Arme gabelt, sieht man in diesen dunklen Schiefern zuerst nur vereinzelt auftretende granitische Apophysen, die sich durch ihre lichte Farbe sehr deutlich abheben. Dieselben zeigen oft, wie die in jenem Gebiete ebenfalls sehr reichlich vorkommenden Quarz- adern, linsenförmige Erweiterungen, um sich bald wieder zu grosser Dünne zusammenzuziehen. Bei weiterem Anstiege wird die Injeetion immer stärker und es entstehen in dem sogenannten »Soresciagneiss« Gesteinstypen, die man leicht mit manchen der »körnigstreifigen Gneisse« des Spessarts verwechseln könnte. Die starke Aufblätterung und Resorption der Biotitschiefer durch den Granit erzeugt ungemein wechselvolle Mischgesteine, von denen kaum ein Handstück dem andern völlig gleicht. Manche dieser »Soresciagneisse« erweisen sich unter dem Mikroskop als malakolithreich, andere besitzen eine Struetur, Fig. 2. Injeetion von Biotitschiefer durch Granit im Val Tremola. G. Kremn: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. 449 wie sie sich an contactmetamorphen Sandsteinen oder Grauwacken findet. Es umgeben nämlich dicht gedrängte, parallel gestellte Biotit- schüppehen im Durchschnitte kreisrunde oder elliptische Quarze und Feldspathe, so dass hierdurch ganz das Bild gewisser Grauwacken mit Glimmercement geboten wird. Dass aber die scheinbar klastischen Gesteinselemente doch auch eine völlige Umkrystallisation erfahren haben, geht aus der Erfüllung derselben mit rundlichen Glimmer- blättchen oder — beim Feldspath — Quarzkörnchen und aus der innigen Verwachsung der scheinbar klastischen Körner mit den Glimmer- schüppchen, die sie umgeben, hervor. Die Art und Weise der Injection dieser »Soresciagneisse« durch den Gotthardgranit zeigt vorstehende Figur 2, ein Bild des wasser- armen Bettes des Tremolabaches unweit der Stelle, an welcher die Gotthardstrasse in zahlreichen Serpentinen die Steilwand zu erklimmen beginnt. Die hellen Granitadern sind, wie dies bei derartigen Injections- vorgängen so häufig ist, vorwiegend parallel zur Schichtung des Sedi- mentes eingedrungen, die sie aber auch nicht zu selten in spitzem Winkel durchqueren, wobei eine Aufblätterung der Schichten statt- findet. Kurz ehe man das Gebiet des »Protogins« betritt, sieht man in der Strassenböschung die Grenze einer grossen Schieferscholle gegen den Granit vorzüglich aufgeschlossen. Dieser letztere hat an der Grenze rein massige Structur mit ganz wirrer Anordnung seiner Biotite. Von dort hat man nun an der Strasse die beste Gelegenheit, die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit der Protoginstructuren zu studiren, die aus rein massigen in völlig schieferige Abarten übergehen; sehr oft sieht man flaserige Varietäten, die denen des Granites der Dazio- Grande-Schlucht zwischen Faido und Rodi völlig gleichen, und sehr oft kann man auch das Auftreten von Schieferschollen beobachten, deren Dimensionen vom kleinsten Bröckchen an bis zu gewaltiger Aus- dehnung schwanken. Die Resorptionserscheinungen dieser Schiefer- fragmente im Granit gleichen makroskopisch und mikroskopisch voll- ständig den im vorjährigen Berichte geschilderten. Auf der Nordseite des Passes steht da, wo die Strasse den Ab- fluss des Lucendrosees kreuzt, eine mächtige Scholle von Granit in- jJieirten Schiefers an, deren Aufblätterung durch den Granit im Grossen man auch aus Starrr’s Zeichnung' sehen kann, obwohl dieser doch den »Gneiss des Gotthardmassivs« keineswegs für eruptiv gehalten hat. Überall zeichnet er aber auf diesem Blatt die Verbandsverhältnisse ! Geologische Übersichtskarte der Gotthardbahnstrecke im Maassstabe 1 : 25000. Blatt IV. Sitzungsberichte 1905. 44 450 Gesammtsitzung, vom 13. April 1905. — Mittheilung vom 6. April. zwischen dem »Gotthard- oder Sellagneiss« und dem »braunen Glim- mergneiss« so, dass ersterer in Form breiter, gangförmiger Massen zwischen die Schichten der letzteren eindringt, und am St. Anna- Gletscher hat er auch eine echte Apophyse des ersteren eingetragen, die spitzwinklig zum Streichen des Glimmergneisses verläuft. Solche Injectionen finden sich aber auch in den Schiefern der »Urseren- mulde« nach Hospenthal zu, und auch Srarrr zeichnet einige linsen- förmige »Gneisseinlagerungen« ein. Jedenfalls hat aber der Verfasser beim Durchwandern des Reussthales denselben Eindruck bekommen wie Saıromon', der sich der Ansicht zuzuneigen scheint, dass die meisten alpinen Centralmassive gleichalterig sind. Damit wäre dann wohl auch ihr directer Zusammenhang sehr wahrscheinlich. In der That begegnet man in den Schöllenen, bei Wasen, Gurtnellen u. s. w. überall wieder genau denselben Structurformen wie auf dem Gotthard und bei Faido und kann verfolgen, dass der Granit da, wo er Schiefergesteine, sei es in kleinen Fragmenten, sei es in grossen Schollen, eingeschlossen hat, selbst schieferige Structur annimmt, während er sonst oft fast rein massigen Habitus aufweist. Dieser fortwährende Wechsel der Structur, der in so deutlicher Weise an das Vorhandensein oder Fehlen der Schieferschollen geknüpft ist, beweist die Ursprünglichkeit der er- steren. Wenn man beobachtet, wie aus einem Granit mit ebenflächig verlaufender Fluidalstructur sich plötzlich da eine stark wellige Struetur zu entwickeln beginnt, wo man Schiefereinschlüsse im Granit wahr- nimmt, wird man immer mehr zu der Vorstellung gedrängt, dass diese Einschlüsse durch die Gebirgsbewegungen, welche noch eine Zeit lang nach der Injection des Granites fortdauerten, in die noch bewegliche Masse hinein versenkt wurden und so die localen Störungen der Struc- tur hervorriefen. Es wurde im Vorhergehenden bei der Besprechung der metamor- phen Schiefer stets hervorgehoben, dass (wie auch schon im vorjährigen Bericht betont wird) dieStructur derselben überall eine »Hornfelsstruetur « sei und es wurde zugleich betont, dass sich in keinem der zur Unter- suchung gelangten Gesteine Spuren von mechanischer Einwirkung nach der Umkrystallisation nachweisen lassen. Wegen der völligen Übereinstimmung der Structur der metamorphen Schiefer der Gotthard- gruppe und der Tessiner Alpen mit derjenigen, welche unzweifelhaft eontactmetamorphe Schiefer erkennen lassen, erscheint es dem Ver- fasser nicht möglich, für erstere eine andere Art der Umwandlung an- zunehmen als etwa für die Hornfelse des Odenwaldes. Dass eine so ! Neue Beobachtungen aus den Gebieten des Adamello und des St. Gotthard. — Diese Berichte 1899, S. 27— 41. BERN G. Krenn: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. 451 überaus charakteristische Structur wie die »Hornfelsstructur« an man- chen Orten durch eontactinetamorphe Einwirkung von Tiefengesteinen, an anderen aber vorwiegend durch Gebirgsdruck (Stress) unter gleich- zeitiger Mitwirkung hoher Temperatur u. s. w. entstehen könnte, er- scheint dem Verfasser ganz undenkbar. Während aber die Möglich- keit der Entstehung auf ersterem Wege bewiesen ist, ist für die zweite der Beweis erst noch zu erbringen. Nur der Umstand könnte von An- hängern der »katogenen Dynamometamorphose« Becke's zu ihren Gun- sten geltend gemacht werden, dass bis jetzt in den metamorphen Schie- fern der Central-Alpen sich manche Mineralien nicht haben nachweisen lassen, die sonst in Graniteontaethöfen öfters beobachtet worden sind, wie z.B. Andalusit. Dies dürfte aber wohl darin seinen Grund haben, dass die alpinen Gesteine eine chemische Zusammensetzung besassen, die der Andalusitbildung nicht günstig ist. Sehen wir doch z. B. in den contactmetamorphen Gesteinen der Lausitz Andalusit nur an einer einzigen Stelle auftreten, ebenso im Odenwald nur an ganz vereinzelten Punkten, so dass vorläufig wenigstens der Beweis für das Fehlen von Andalusithornfelsen unter den centralalpinen metamorphen Gesteinen noch nicht erbracht sein dürfte, da ja nur verhältnissmässig wenige derselben genauer untersucht worden sind. Zwar hat A. GrAMmAnN ge- funden, dass das Muttergestein der schweizerischen Andalusitvorkommen im rhätischen Flüela- und Sealettagebiet'! selbst frei von Andalusit ist, ‚und dass dieser zusammen mit Cordierit nur in Feldspath führenden Quarzlinsen auftritt; aber es ist doch wohl denkbar, dass an anderen Stellen, an denen Andalusit in ähnlicher Weise in den Alpen auftritt wie im Flüelagebiet, sich auch echte Andalusithornfelse finden können. Die Structur der Gotthardgranite ist bis jetzt wohl allgemein als kataklastisch angesehen worden; so ist z. B. in Rosenguscu’s Physio- graphie der massigen Gesteine (III. Auflage 1896) auf Taf. I in Fig. 4 ein Fibbiagranit als Beispiel für »hochgradige Kataklasstruetur« ab- gebildet. Dieser Anschauung entspricht aber der geologische Befund nicht. Bei wiederholten Begehungen der Gotthardstrasse hat der Ver- fasser vielmehr die Überzeugung gewonnen, dass in diesem Gebiet alle Anzeichen für Gebirgsbewegungen nach Erstarrung des Granites voll- ständig fehlen. Nirgendswo sieht man Quetschzonen auftreten und der Wechsel in der Structur des Gesteines, die Übergänge vom Massigen bis zum Flaserigen vollziehen sich zwar oft sehr rasch, aber doch nir- gends sprunghaft. Keinesfalls kann man annehmen, dass nach Er- starrung des Granites irgend ein Theil des Gotthardgebirges anderen ı Über die Andalusitvorkommnisse im rhätischen Flüela- und Scalettagebiet und die Färbung der alpinen Andalusite. Inaugural-Dissertation. Zürich 1899. 452 Gesammtsitzung vom 13. April 1905. — Mittheilung vom 6. April. Druckkräften ausgesetzt gewesen ist als die benachbarten. Nun werden aber grade von den Anhängern der Dynamometamorphose die flase- rigen Granite als Producte der Einwirkung des Gebirgsdruckes auf das festgewordene Gestein gedeutet, aber, wie auch die mikroskopi- sche Untersuchung erkennen lässt, ganz mit Unrecht. Die Gotthardgranite zeigen zwar sehr gewöhnlich unter dem Mi- kroskop eine Auflösung der grösseren Quarzkörner in ein »Sandquarz- aggregat«, sie zeigen auch oft optisch anomales Verhalten in undulöser Auslöschung u. s.w:; ferner finden sich auch manchmal am Plagioklas Verbiegungen der Zwillingslamellen, aber das sind alles Erscheinungen, die durchaus gut vereinbar sind mit der Annahme einer Auskrystal- lisation unter Druck, Erscheinungen, die als protoklastisch oder piezokrystallin (WEINSCHENK) zu bezeichnen sind. Dies geht unzweifel- haft aus der oft zu beobachtenden Erscheinung hervor, dass mitten in solchen Aggregaten von Quarzkörnern, ganz unverletzte Glimmer- lamellen liegen oder dicht neben ihnen grosse mit Quarz durchspickte Feldspäthe, die vollständig einheitliche optische Orientierung zeigen. Dies sind aber Erscheinungen, die mit der Annahme von Kataklase unvereinbar sind. Will man sich ein Bild davon machen, was aus dem Granit des Gott- hardtypus unter dem Einfluss von Gebirgsdruck nach seiner Verfesti- gung geworden ist, so kann man dies vorzüglich zwischen Altdorf und Erstfeld im Reussthal studiren. Daselbst ist eine ausgezeichnete Über- schiebungsfläche aufgeschlossen, an der die Massen des Jurakalkes auf den Granit hinaufgeschoben worden sind unter stärkster dynamo- metamorpher Beeinflussung beider Theile. Diese Überschiebungsfläche, die wahrscheinlich auch durch die von Sauer beschriebene prachtvolle Quetschzone von Innertkirchen angedeutet wird, ist gut aufgeschlossen auf der Nordseite des Bochithales unterhalb Erstfeld. Srtarrr hat das Profil sowie das weniger gut aufgeschlossene auf dem gegenüberliegen- den Reussufer am »Haldeneck« auf Blatt. I der geologischen Übersichts- karte der Gotthardbahnstrecke skizzirt. Dort liegt unter Liaskalk und Röthikalk nebst Quartenschiefer, welche sämmtlich starke Quetschung zeigen, eine etwa 5” mächtige Ablagerung, die Srtarrr als »Zer- quetschter Glimmergneiss, Brockengestein in situ, Verrucanoäquivalent?« bezeichnet. Diese auf der Überschiebungsfläche gebildeten Zermal- mungsproducte tragen (den Stempel ihrer dynamometamorphen Ent- stehung in deutlichster Weise aufgeprägt. Verfasser sammelte daselbst Kalksteine, die im Dünnschliff die stärkste Trümmerstructur zeigen und Flasern total zerriebener krystalliner Gesteinsmaterialien enthalten, und andererseits granitische Quetschproducte, in denen sich durch Gebirgsdruck gebildete Kalksteingerölle finden, in die zahlreiche scharfe G. Kremm: Über die »Gneisse« und die Schiefer der Tessiner Alpen. 453 Quarz- und Feldspathsplitter randlich eingepresst worden sind. Die deutlichen Anzeichen des gewaltigen, bei der Überschiebung der nicht umgewandelten Sedimente über die Granitmassen ausgeübten Druckes sind noch bis über Erstfeld hinaus zu verfolgen und die Schilderung, die Sauer von der Quetschzone bei Innertkirchen gegeben hat, passt völlig auf die des Reussthales. Man kann sich aber kaum einen schär- feren Gegensatz denken als den zwischen diesen gequetschten und zer- trümmerten Graniten und den nach ihrer Erstarrung durch keinen Ge- birgsdruck beeinflussten Fluidalgraniten des Gotthardgebietes. Wäre deren wechselvolle Structur durch dynamische Beeinflussung nach ihrer Erstarrung entstanden, so hätte sich diese nur in einer Verschiebung zahlreicher Schollen gegen einander äussern können, deren jede einem Wechsel in der Structur entspräche. Dann müssten sich aber auch analoge makroskopische und mikroskopische Druckspuren zeigen wie bei Erstfeld. Wer aber beide Gebiete kurz nach einander aufmerksam und ohne Voreingenommenheit durchwandert, der wird die Überzeu- gung mit sich nehmen müssen, dass die Structuren des Tessiner und des Gotthardgranites durchaus primäre Erscheinungen sind, die ebenso wenig mit dynamometamorpher Beeinflussung zu thun haben als die Structuren der in diesen Gesteinsmassen eingeschlossenen contactmeta- morphen Schiefergesteine. Ausgegeben am 27. April. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei Sitzungsberichte 1905. 45 SITZUNGSBERICHTE KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. XXL. XXI 27. Arrır 1905. . BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. — mm ARV Alay m k IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. % 2 Auszug aus dem Reglement für die Redaction der » Sitzungsberichte«. $1. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. 2 S.2. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, drucktertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt ER Secretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Secretar führt die Oberaufsicht über die Redae- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. 6. 1. Für die Aubuakane einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $ 41, 2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Oectav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt-Aka- demie oder der betreffenden Classe stattlıaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschnitten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. ST. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte: an diejenigen Stellen, mit denen sie im Scherer steht, 2 wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich: t die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, n » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, De » October bis December zu Anfang des nächsten Re nach Pertting des Register. B _ für alle übrigen Theile der ‚Sitzungsberichte : sind öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. SB. 0) ri 5. Auswärts werden Correeturen nur auf Vesper Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. $ UT: fi 1. Der Verfasser einer unter den «Wisserischaftliehen, & Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem _ der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. ie] 2. Bei Mittheilungen, ı die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nieht über zwei. Seiten füllen, fällt in der Regel der. Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere ‚gleiche he Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver- M theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig ” dem redigirenden Secretar angezeigt "hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exem- Blare auf ihre en abzichen lassen. } ER $ 28. . Ei 1. Jede zur Auen in die Sitzungsberichte. RES ” stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung ( eines ihrem. Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. er" Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder corre- ; spondizender Mitglieder direet bei der Akademie ‚oder bei einer der Classen eingehen, so hat sie der vorsitzende Seeretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser dr Akademie nicht en "hat er einem zunächst geeignet scheinenden Mitgliede zu überweisen. = ? [Aus Stat. $41,2. — Für die Aufnahme bedarf ee einer ausdrücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, sobald das Manuscript druckfertig vorliegt, ei gestellt und sogleich zur ee Behrache ver 829. R 3 1. Der revidirende Seeretar ist für den Anh dr geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch nicht für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für diese wie ‘ nach jeder Richtung nur Aa Verfasser verant- wortlich., RAR ER vE£ B « 455 SITZUNGSBERICHTE un XXı. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 27. April. Sitzung der philosophisch-historischen Ülasse. Vorsitzender Secretar: Hr. Vanuren. Hr. Burpaca sprach über den Prosadialog Der Ackermann aus Böhmen’ vom Jahre 1399. (Abh.) Stilistisch-sprachliche Abhängigkeit von der königlichen Kanzlei wird aus der syimmetrischen Tautologie sowie aus den rhythmischen Formen des Satzschlusses (eursus’) und des Satzinnern nachgewiesen. Weiterhin werden die humanistischen Elemente, die auf Petrarca weisen, die Frage nach der Person des Verfassers (Johannes Pflug von Rabenstein) und die Beziehungen zur Gestalt des “Piers plowman’ von Wıruıam LANGLAND erörtert. Ausgegeben am 4. Mai. Sitzungsberichte 1905. 46 N _.': A 457 SIBZUNGSBERICHTE. 17% XXX. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. l. Hr. Wargure las: »Über die Reflexion der Kathodenstrah- len an dünnen Metallblättchen.« Nach Versuchen von S. Wıruıans. Kathodenstrahlen werden von dünnen Blättchen ebenso wie von dicken Platten desselben Metalls retlectirt. solange die Geschwindigkeit oder das Potential der auf- fallenden Strahlen kleiner ist als ein gewisser kritischer Werth, welcher bei Aluminium für Blättchen von 0.53. 1.9. 2.44 u Dicke bez. 11000, 21800, 28000 Volt beträgt und bei dem dichteren Kupfer für die Blättchendicke 0.66 « grösser ist als 28000 Volt. Oberhalb des kritischen Potentials reflectiren dünnere Blättehen schwächer, die Ab- nahme beginnt bei den Strahlen grössten Geschwindigkeitsverlustes und schreitet mit wachsendem Potential zu Strahlen kleineren Geschwindigkeitsverlustes fort. 2. Hr. WALpEvER besprach, unter Demonstration von Original- präparaten S. Ramön y Cayar's in Madrid, den gegenwärtigen Stand der Neuronen-Lehre und berichtete dabei über die neueren Mitthei- lungen von G. Rerzıus und SCHIEFFERDECKER. 3. Derselbe demonstrirte, unter Hinweis auf eine im Jahre 1826 in der Akademie erfolgte Mittheilung C. A. Runorrars, ein mensch- liches Gehirn mit vollkommenem Defect des Traetus olfactorius der linken Seite. Hier fehlte auch vollständig der Suleus olfactorius, so dass der Defeet als ein angeborener angesehen werden muss. Über den Befund an der Regio olfactoria konnte keine Mittheilung gemacht werden, da dieselbe nicht zur Verfügung gestanden hatte. 4. Hr. Scuortky legte eine Mittheilung des Hrn. Dr. H. June in er 2 S a . E Marburg vor: Über die allgemeinen Thetafunctionen von vier Veränderlichen. (Ersch. später.) Die Aufgabe wird dadurch gelöst, dass eine besondere Rıemann’sche Classe AgEr- scher Funetionen von sieben Variabeln in Betracht gezogen wird, die sich rational darstellen lassen durch Thetafunetionen von vier, und solche von drei Variabeln. Es werden algebraische Ausdrücke aufgestellt für die Werthe, in die die Thetaquotienten übergehn, wenn man für jedes Argument je ein Integral mit bestimmter oberer und bestimmter unterer Grenze einsetzt. 46* 158 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 27. April 1905. Über die Reflexion der Kathodenstrahlen an dünnen Metallblättehen. Nach Versuchen von S. Wırrıams mitgeteilt von E. WARBURGE. Se Vo der Stelle, an welcher die Oberfläche eines Körpers von Kathodenstrahlen getroffen wird, gehen nach allen Richtungen hin Kathodenstrahlen aus. Dieses Phänomen, welches als Reflexion der Kathodenstrahlen bezeichnet wird, kann man sich wohl am ein- fachsten so vorstellen, daß die Elektronen, nachdem sie teils mehr teils weniger tief in den Körper eingedrungen sind, von den Körper- molekülen zurückgeworfen werden.‘ Hr. J. J. Tuomson® nimmt hin- gegen an, daß der größte Teil der reflektierten Strahlen aus Elek- tronen gebildet wird, welche durch den Stoß der auffallenden Elek- tronen aus den Körpermolekülen frei gemacht werden. Wie dem auch sein mag, so ist es jedenfalls von Interesse, zu untersuchen, wie dick die an der Oberfläche liegende Schicht ist, in welcher der Vorgang der Reflexion sich abspielt. Darüber haben Ver- suche des Hrn. Wırzıams über die Reflexion der Kathodenstrahlen an dünnen Metallblättehen einigen Aufschluß gegeben, Versuche, über welche hier zu berichten ich mir erlaube. $2. Fig. ı zeigt den benutzten Apparat. X), Ku sind zwei gleiche zur Erde abgeleitete Aluminiumkathoden, r,, rı zwei Reflektoren, die als Anoden dienen, r; eine dieke Platte, 7, ein dünnes Blättchen aus demselben Metall. Die einfallenden Kathodenstrahlen sind, was wichtig ist, senkrecht zur Reflektoroberfläche gerichtet. Die von rı und rı re- tlektierten Strahlen passieren je zwei Diaphragmen s,, s; und Sır, Sn- 1" Jang, 6”” breit, so daß auf dem Fluoreszenzschirm S zwei helle Flecke fi, /iı entstehen, deren einer von ry, deren anderer von ry herrührt. Sofern der Apparat um die Achse A A’ symmetrisch ist, kann man aus der relativen Helligkeit von /; und /i die relativen Re- flexionskoeffizienten von r; und 7, ermitteln. Hierbei ist vorausge- ' E. WargurG, Verh. der Deutschen phys. Ges. 1904, S. 9. ® J.J. Tuomson, Conduction of electrieity through gases S. 509. Cambridge 1903. Warsurg: Reflexion der Kathodenstrahlen. 459 setzt, daß die Stromstärken, mithin auch die Kathodenstrahlen, in I und II die gleiche Intensität besitzen. Reflektiert nun 7, stärker als 77), so gelangen in II mehr reflektierte Kathodenstrahlen als in I, wo- Fig. 1. D = Elektrometer. G = Galvameter. M = Influenzmaschine. K, Ku = Kathoden. AA'’—= Anode. Tırı = Reflektoren. Sı Sn 8’ St = Spalte. bbu = Blende. L = Linse. H = Kondensator. Q = Schlift. B = Kasten. €, Cu = Spulen. W = Abschlußplatte. P = Photometer. p = Prisma. S = Schirm. ff = Fluoreszenzfläche. g = Glühlampe. 5 = Zur Erde. X = Schlüssel. R = Widerstand. durch vermöge der ionisierenden Wirkung der Strahlen der Strom in II stärker als in I wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn r, eine Kupfer- platte, r, eine Aluminiumplatte ist, und wird durch das Galvanometer G erkannt, durch welches man mittels des Schlüssels A sukzessive den von X, und X kommenden Strom hindurchschickt. Dabei geht 460 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 27. April 1905. die Stromdichte in , = ı gesetzt wird. Bezeichnet man nun durch H, H’ die Helligkeiten zweier durch Kathodenstrahlen auf demselben Schirm erzeugten Fluoreszenzflecke, durch ö und ? die Stromdichte der beiden Bündel, durch V und V’ deren Potentiale, so ist nach LeirnÄuser für die hier vorkommenden Potentiale HB! ı an Era wo die Werte der Funktion F aus den Lerrnäuserschen Messungen! zu entnehmen sind. Also © AN) i lm) 1) Die Potentiale der mit gleichen arabischen Ziffern bezeichneten Bezirke in beiden Spektren sind gleich, die mittleren Potentiale verschieden stark abgelenkter Bezirke verhalten sich umgekehrt wie die Quadrate der Ablenkungen. Die Ablenkung 2 eines Bezirkes wurde der Ablen- kung seines Mittelpunktes, das Potential der Bezirke L und H, — nicht ganz genau — der Potentialdifferenz der Elektroden gleichgesetzt. Man mache Mm h, 1 . —N, nn = Mr (2) Y m %,ı und bezeichne durch J; und J, die Integralwerte der die beiden Spek- tren erzeugenden Ströme, welche sich — sofern die mehr als 3 ab- gelenkten Strahlen zu vernachlässigen sind — wie die Reflexions- koeffizienten r;, und r, verhalten. Dann ist, indem der Flächeninhalt der einzelnen Bezirke gleich 1 und die Stromdichte im Bezirk I, gleich 1 gesetzt wird, Jı N MEN hr HN h, Pe (3) Die © werden nach (1). die n und k nach (2) berechnet. $5. Zur Prüfung der Methode wurde die Reflexion von 16500 Voltstrahlen an dicken Platten aus Kupfer (I) und Aluminium (H) ver- glichen. Die Ergebnisse waren folgende: Bezirk I 2 3 zu Te 2.2 227 174 16500 9850 6550 NEN, 0.518 F(V) 182.6 110.1 ee 0.601 110.1 Hı 0.601 0.178 0.044 \ ei, 182.6 _ Bean n 0.518 0.616 0.787 = 0.601 56.4 Jil 0.518 + 0.616 - 0.518 + 0.787 - 0.237 1.006 N r Alumin. 8 m 1+0.518+0.237 Bee rKupfer "” 9 ' G.E. LerrnÄuser, Ann. d. Phys. (4) 15, 296, 1904. Warsurg: Reflexion der Kathodenstrahlen. 461 der Strom immer gleichzeitig durch I und II über gleiche Widerstände zur Erde. Die genannte Fehlerquelle wurde praktisch dadurch beseitigt, daß man bei d, und db, Schirme mit schmalen Spalten einsetzte, so daß die durch s;, si und Sy, Sı gelangenden Strahlen von den Projektionen der ı”” langen, 15"" breiten Spalte in d, und 5, auf die bezüglichen Reflektoren 7; und 7, herkamen. Dies beeinträchtigte die Helligkeit der Flecke fi und /n nicht wesentlich, während «der größte Teil der reflektierten Kathodenstrahlen von den Röhren I und II abgehalten war. Man eliminierte jede weitere Unsymmetrie, indem man die Beob- achtung nach Umlegung der Reflektoren r, und rı, um 180° mittels des Schliffes Q wiederholte. Der gewünschte Grad der Luftverdünnung wurde, nach Vorpum- pen mit einer SpreneeL-Pumpe, nach Drwar' durch einen Behälter mit Kokusnußkohle in einem Bade von flüssiger Luft leicht und be- quem hergestellt. Zur Erzeugung der auffallenden homogenen Kathodenstrahlen diente eine 2oplattige Törtersche Influenzmaschine. $ 3. War nun r, eine dicke Aluminiumplatte, 7, ein 0.53 4 dickes Aluminiumblättehen, so bemerkte bei 20000 Voltstrahlen® schon das bloße Auge, daß fi heller war als /n, daß also das dünne Blättchen weniger als die dicke Platte retlektierte. Da aber homogene Kathoden- strahlen bei der Reflexion unhomogen werden’, so nahm man die photometrischen Messungen an den magnetischen Spektren der reflek- tierten Strahlen vor. Die Spektren wurden hervorgebracht durch die Wirkung der Magnetisierungsspulen €, und CO, und waren ungefähr dreimal so lang wie die 5 angen unabgelenkten Flecke f. Die Me- thode der Messungen war folgende. Die Spektren I und II (Fig. 2) wurden je in drei 5"” lange Bezirke ı, 2, 3 ge- teiltzunde n. I mit I und L,722 1%, mi IE mit II,, I, mit II, durch ein Martenssches Photo- meter verglichen. Als Vergleichslichtquelle diente mm 1 Fig. 2. im allgemeinen eine Glühlampe; nur bei niedrige- ren Potentialen, bei welehen die Kathoden I und II zugleich miteinander betrieben werden konnten, geschahen die Vergleichungen unter 2. direkt. $4. Es handelt sich darum, aus diesen Messungen die Strom- dichte in den verschiedenen Bezirken der Spektren zu bestimmen, indem J. Dewar, Compt. rend. 139. 261, 1904. Potentialdifferenz zwischen Anode und Kathode gleich 20000 Volt. E. GEuRkE, diese Berichte 1901, S. 461. * F.F. Marrens, Physik. Zeitschr. 1, 299, 1900. w 462 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 27. April 1905. Nach Hrn. Srarke' ist dieses Verhältnis vom Potential der ein- 2 fallenden Strahlen unabhängig und gleich n - —= 0.56, eine befriedi- gende Übereinstimmung, wenn man bedenkt, daß die Fehler der obigen Messungen auf 6 Prozent zu veranschlagen sind. Man bemerkt, daß die n-Werte steigen, wenn man zu größeren Ablenkungen fortschreitet; d.h. daß die starke Reflexion des Kupfers besonders die schnelleren, weniger ablenkbaren Strahlen betrifft. Kurve ı enthält die graphische Darstellung, 2, ist das 2 des 1“ Bezirks. $ 6. Hierunter folgen die Ergebnisse der Versuche mit dünnen Aluminiumblättehen. Der nach Hrn. Starke vom Potential der auf- @ 5 10 15 Kurve 4. Entladungspotential 21800 Volt. Kurve ı. Entladungspotential = 16500 Volt. Blättchendicke = 0.53 u. I L 1047 | | | | Amar E zT | DA zizot o 5 10 15 o 5 10 15 Kurve 2. Entladungspotential ı 000 Volt. Kurve 5. Entladungspotential 27800 Volt. Blättehendicke = 0.53 u. Blättchendicke = 0.53 u. [6) 5 10 15 [) 5 10 15 Kurve 3. Entladungspotential 16500 Volt. Kurve 6. Entladungspotential 16500 Volt. Blättchendicke = 0.53 u. Blättchendicke = 1.90 u. ! H. Starke, Ann. d. Phys. (4) 3. 95, 1900; L. Ausrın und H. Srarke, Verh. der Deutschen phys. Ges. 1902, 9.124. Wargurg: Reflexion der Kathodenstrahlen. 463 Kurve 7. Entladungspotential 21800 Volt. Kurve 8. Entladungspotential 21800 Volt. Blättehendicke = 1.90 u. Blättchendicke = 2.55 u. Kurve 9. Entladungspotential 27800 Volt. Blättchendicke = 2.55 u. fallenden Strahlen unabhängige Reflexionskoeffizient für eine dicke Aluminiumplatte wurde gleich ı gesetzt. r bedeutet also den Reflexions- koeffizienten des Aluminiumblättchens relativ zu dem einer dieken Alu- miniumplatte. V, ist das Potential der auffallenden Strahlen. Die graphische Darstellung ist in den Kurven 2—9 gegeben. Dabei ist die Stromdichte im Bezirk ı des Reflexionsspektrums einer dicken Aluminiumplatte = IO gesetzt. Blättchendicke 0.53 u V,= ııo0oo r=0.99 Kurve 2 Bezirk 2m 1% Nm ar I 2.3 11000 1.021 2 2.8 7400 0.958 0.508 3 3-3 5350 0.949 0.318 Blättchendicke 1.94 V,= 16500 r=0.60 Kurve 3 V,= 16000 r=ı Kurve6 2 \% Nm kmz I 2 16500 0.656 2a 16500 1.023 2 2.5 10600 0.517 0.489 2.6 10800 0.973 0.358 3 3 7350, 0.A5X 0.133 3.1 7600 0.934 0.214 Blättchendicke 2.44 u V,=21800 r=0.43 Kurve 4 V,=2180 r=o0.77 Kurve 7 V, = 2180 r=ı I 1.8 21800 0.518 1.8 21800 0.796 2 2.9 13400 0.274 0.331 2.3 13400, 0.7110. ons 3 2.8 9000 0.216 0.142 2.8 9000 0,555 0.099 Vı = 27800 r=0.30 Kurve 5 V,=27800o r=0.5 Kurve 8 V,= 27800 r= 0.91 Kurve g z V A Me. 1 1.5 27800 0.329 1.5 27800 0.671 1.5 27800 0.947 2 2.0 15600 _ 0.096 2.0 15600 0.5I0 0.125 2.0 15600 0.756 0.222 3 D— — — — — — _— .— — Sitzungsberichte 1905. 47 464 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 27. April 1905. $7. Es wurde noch die Reflexion eines Kupferblättchens (un- echtes Blattgold) von der Dicke 0.664 mit der Reflexion einer dicken Kupferplatte verglichen. Selbst bei dem Potential 27800 Volt der auffallenden Strahlen konnte kein Unterschied der Helligkeit in den beiden Spektren bemerkt werden. $ 8. Aus diesen Messungen kann man folgende Schlüsse ziehen: 1. Die Reflexion der Kathodenstrahlen erfolgt an einem dünnen Metallblättehen ebenso wie an einer dicken Platte aus demselben Metall, solange die Geschwindigkeit bzw. das Potential der auffallenden Strahlen kleiner ist als ein gewisser Wert, welcher der kritische Potentialwert heißen mag. Überschreitet das Potential der auffallenden Strahlen den kritischen Wert, so nimmt die Reflexion ab, und zwar tritt diese Ab- nahme im Spektrum der reflektierten Strahlen zuerst bei den mehr abgelenkten Strahlen auf und schreitet bei wachsendem Potential der auffallenden Strahlen zu den weniger abgelenkten im reflektierten Bündel fort. Der kritische Potentialwert hängt ab von der Dicke und von der Natur des Blättchens und beträgt bei Aluminium für Blättchen- dicken von 0.534, 1.94, 2.444 bzw. 11000, 16500, 21800 Volt. Für ein Kupferblättchen von der Dicke 0.66u ist der kritische Potentialwert größer als 27800 Volt. 2. Sofern eine möglicherweise vorhandene Verschiedenheit in der Beschaffenheit des Metalls an der Oberfläche und im Innern auf diese Phänomene ohne Einfluß ist, geht aus dem Gesagten hervor, daß die Dicke der an der Oberfläche liegenden Schicht, in welcher die Re- flexion sich abspielt, bei Aluminium für 11000 Voltstrahlen 0.53%, für 16500 Voltstrahlen 1.94, für 21800 Voltstrahlen 2.444 beträgt. Viel dünner ist diese Schicht bei dem dichteren Kupfer, bei welchem sie für 27800 Voltstrahlen dünner als 0.66 ist. Diese Ergebnisse entsprechen im allgemeinen den Vorstellungen, welche ich mir von der Bewegung der Elektronen in wägbaren Kör- pern a. a.0. gebildet habe. Im einzelnen aber und besonders in quantitativer Beziehung zeigt sich schlechte Übereinstimmung mit den a. a.O. gegebenen, auf das Verhalten der durchgehenden Strahlen gegründeten Berechnungen, worauf hier nicht näher eingegangen wer- den soll. Ausgegeben am 4. Mai. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. XXI. XXIV XXV. 4. 11. Maı 1905. MIT TAFEL IL BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Auszug aus dem Reglement für die Redaetion der »Sitzungsberiehtee. 81. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. $.2. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- tbeilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, ah die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Secretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Seeretar führt die Oberaufsieht über die Redae- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. $ 6. l. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $41,2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschritten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auclı nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte= an diejenigen Stellen, mit denen sie im Sehrferkehr steh wofern nichl im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich: ie die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, Kr » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres Bazk Fertigstellung d des Registern. en Überschreitung dieser Grenzen ist _ | ae öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt - Slenle oder den betreffenden Classe. : ” 8 Ä GE 5. Auswärts werden. Correeturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten Bau) auf Erscheinen Auree Mittheilungen nach 537 Tem a MEI, E a = 1. Der Verfasser ‚einer unter den »Wissenschaftlichen Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich. ; fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberichte mit. Jahreszahl, ‚Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. De Bi 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie - ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch "hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar angezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exem- plare auf ihre Kosten abziehen lassen. ae A : $ 28. n- 1. Jede zur Aufnahme in die ee ber 8. stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines ihrem < Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger ‚oder corre- spondirender Mitglieder direct bei der Akademie oder bei einer der Okksen eingehen, so hat sie der vorsitzende Seeretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeignet scheinenden Mitgliede zu überweisen. 2 [Aus Stat. $4, 2. — Für die Alfashuner bedarf ı es einer ausdriickliehen Genehmigung der Akademie "oder 2 einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, / sobald das Manuscript druckfertig vorliegt, gestellt und sogleich zur Abstimmung SbeAlE ee aa RE 1. Der revidirende Secretar ist für Ars Inhalt. des geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch nie 2 für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für diese wie für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte sind. nach jeder Richtung nur die Verfasser verant- wortlich. 2 = u 2 ı =, 465 SITZUNGSBERICHTE _ 1905. Er XXI. KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 4. Mai. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers. *]. Hr. Warsurg las über die Ozonisirung des Sauerstoffs durch Spitzenentladung. Bei der Ozonisirung des Sauerstoffs durch die Spitzenentladung steht die Aus- beute (Gramm Ozon pro Coulomb) in engem Zusammenhang mit der Beschaffenheit des Spitzenlichts; Veränderungen desselben, nur mikroskopisch sichtbar, steigerten die Ausbeute bei negativer Spitze auf das 24fache. Die Ausbeute wird durch Druckstei- gerung erhöht, durch Temperatursteigerung bis 80° nur wenig verändert, wenn die Dichte durch gleichzeitige Drucksteigerung constant erhalten wird. Bei der Ozonisirung der atmosphärischen Luft durch Entladung aus metallischen Spitzen wurde die grösste technische Ausbeute (Gramm Ozon pro Pferdestunde) durch Gleichstrom, bei positiver Spitze mit positivem Büschel erhalten im Betrage von 208" Ozon pro Pferdestunde. 2. Die folgenden Druckschriften wurden überreicht: Die griechi- schen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte. Kop- tisch-gnostische Schriften. Erster Band. Her. von Dr. C. Schmipr, Leipzig 1905 (Veröffentlichung der Hrrwmann und Erise geb. Hrckmann WentzeL-Stiftung); und F. Kontrauscn, Lehrbuch der praktischen Phy- sik. Zehnte Auflage, Leipzig u. Berlin 1905. 3. Hr. Warpeyer hat in der Sitzung der physikalisch-mathemati- schen Classe am 6. April eine mit akademischer Unterstützung be- arbeitete Abhandlung des Hrn. Dr. med. O. Kauıscher hierselbst vor- gelegt: Das Grosshirn der Papageien in anatomischer und physiologischer Beziehung. Die Akademie genehmigte die von der Classe beantragte Aufnahme in den Anhang zu den Abhandlungen des Jahres 1905. Verf. gibt zunächst eine eingehende Darstellung der Anatomie des Papageien- gehirns, einschliesslich des Faserverlaufs und der feineren Structurverhältnisse; her- vorzuheben ist insbesondere die Richtigstellung dessen, was als Grosshirnhemisphäre bezeichnet werden muss. Hieran schliessen sich eine Reihe physiologischer Unter- suchungen, welche die Darlegung des Einflusses des Grosshirns auf das Sehen, das . Sitzungsberichte 1905. 48 466 Gesammtsitzung vom 4. Mai 1905. Sprechen, auf Bewegung und Empfindung, auf die Nahrungsaufnahme und Orientirung, sowie die Feststellung der Localisation dieser Functionen und der in Betracht kommen- den Bahnen zum Ziele haben. 4. Hr. Dr. H. A. Lorentz, Professor der Physik an der Universität Leiden, wurde zum correspondirenden Mitglied in der physikalisch- mathematischen Classe gewählt. Hr. Frıeprıcn Kontrauscn, bisher ordentliches Mitglied der physi- kalisch-mathematischen Classe, hat am ı. April seinen Wohnsitz von hier fort nach Marburg verlegt und ist damit statutengemäss in die Reihe der Ehrenmitglieder der Akademie übergetreten. Die Akademie hat das correspondirende Mitglied der physikalisch- mathematischen Classe Hrn. Orro Struve in Karlsruhe (Baden) am ı4. April durch den Tod verloren. 467 Das Tempelbild der Athena Polias auf den Münzen von Priene. Von HEınricH Dress£ı. (Vorgetragen am 13. April 1905 [s. oben S. 441].) Hierzu Taf. 1. Athena ist für Priene die wichtigste Gottheit. Ihr war dort ein Tempel errichtet, der Weltruhm genoss als Muster für den ionischen Baustil. Werkstücke davon, die jetzt in London und Berlin aufbe- wahrt werden, und zahlreiche Aufnahmen seiner noch an Ort und Stelle befindlichen Trümmer lassen uns Form und Schönheit des Bau- werks erkennen. Aber von dem Cultbilde in diesem Tempel, das Pau- sanias (VII, 5, 5) als den Anziehungspunkt des Heiligthums rühmt, sind uns nur dürftige, für das Aussehen der Statue völlig belanglose Reste erhalten." Aus der Technik dieser Überreste hat man geschlossen, dass »die mit Gewand bekleideten Theile der Figur aus vergoldetem oder mit Goldblech überzogenem Holz, nur die nackten Theile aus Marmor bestanden«.” Und weiter hat man behauptet, dass die Tempel- statue erst um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. errichtet wurde’ und eine Copie des Goldelfenbeinbildes war, das Phidias für den Par- thenon geschaffen hatte.‘ Das ist Alles, was man bisher über das Bild der prienischen Athena Polias wusste oder vermuthet hat. Und doch hätte man für die Geschichte und das Aussehen des Tempelbildes werthvolle An- ! Theile der beiden Füsse, ein Stück der linken Hand und ein aus vielen Frag- menten wieder zusammengesetzter Oberarm, dann die Flügel der ehernen Nike, die sich auf der Hand der Athena befand: vergl. A. H. Surrn, Catalogue of seulpture (British Museum) II n. 1150, 1—4 und H. B. Warrers, Catalogue of the bronzes (Bri- tish Museum) n. 1728. 2 WıEGAnD und SchrADER, Priene S. ırı. Dass die Figur wahrscheinlich ein Akrolith war, hatte bereits FurrwÄnster (Archäol. Zeitung 1881 S.308) ausgesprochen. 3 Vergl. S. 469. 4 WIEGAnD und SCHRADER, a.a.0. S.110. 48* 468 Gesammtsitzung vom 4. Mai 1905. — Mittheilung vom 13. April. haltspunkte gewinnen können, wenn man die Münzen von Priene nicht fast ganz ausser Acht gelassen hätte. Schon mit dem Beginn der Prägung, d.h. bald nach der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr., erscheint der Kopf der Athena auf der Vorderseite der Münzen und bleibt dann etwa drei Jahrhunderte lang der Haupttypus von Priene.e Um den Anfang oder die Mitte des ı. Jahrhunderts v. Chr. tritt an die,Stelle des Kopfes das Brustbild der Göttin, und noch unter Augustus ist ein solches auf der einzigen Münze dieses Kaisers dargestellt. Später finden wir Athena in ganzer Gestalt, offenbar als Tempelbild, in voller Rüstung mit der Sieges- göttin auf der rechten Hand, besonders sorgfältig ausgeführt auf Mün- zen des Hadrianus, dann unter Septimius Severus, Severus Alexander und Valerianus. Jede dieser drei Formen, unter denen Athena auf den prieni- schen Münzen erscheint, schliesst eine Anzahl auffälliger Veränderun- gen in sich, die eine sorgfältige Prüfung verlangen. Überblicken wir zunächst die Athenaköpfe, den vornehmlichen Typus der autonomen Prägung, so lassen sie sich ohne Schwierigkeit in drei Gruppen vertheilen, die, abgesehen von ihrem Stil, besonders durch die Form und die Ausschmückung des attischen Helms sich von einander unterscheiden. Die auf Tafel I mit A, B (Bı, Bo), C bezeichneten Münzabbildungen — sie sind der Deutlichkeit wegen alle stark vergrössert — werden durch ihre Gegenüberstellung die charak- teristischen Merkmale jeder einzelnen Gruppe am besten veranschau- lichen. Die durch A repräsentirte Gruppe hat einen glatten Helm mit einem einzigen Busch; der Nackentheil des Helms ist kurz, schmal und stark eingekehlt. Die Formen des Kopfes sind schlicht, der Stil ist noch etwas streng. In Gruppe B ist der Helm durch Ranken und andere Ornamente mehr oder weniger reich verziert (Bı, B2) und mit drei weit von einander gestellten Büschen versehen; der Nackentheil ist ungewöhn- lieh stark entwickelt, indem er tief herabreicht und den Hals hinten und seitlich umschliesst. Der Kopf zeigt, besonders auf dem Silber, üppige Formen; der Stil ist etwas weichlich. Der Helm der Gruppe C ist weniger reich verziert, hat drei nahe bei einander befindliche Büsche und ist mit einer Ohrberge ver- sehen, die aufgeschlagen ist. Der Nackentheil hat ungefähr dieselbe Form wie bei der vorhergehenden Gruppe. Der Kopf hat auf dem einzigen uns erhaltenen Silberstück und auf einem Theil des Kupfers gefällige Formen, auf der Mehrzahl der Kupfermünzen ist er breit und flach, der Stil etwas trocken und hart. NE Pu RT Li s Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1905. Taf. 1. Dresseu: Das Tempelbild der Athena Polias auf den Münzen von Priene. DresseL: Athena Polias auf den Münzen von Priene. 469 Von diesen drei Typen kann der zweite (B) mit Sicherheit als derjenige bezeichnet werden, welcher der Blüthezeit von Priene ange- hört, weil er nicht nur auf der Mehrzahl der Silbermünzen erscheint, die ja den Höhepunkt der wirthschaftlichen Entwieckelung bedeuten, sondern auch für die grösste, zusammenhängende Gruppe des prieni- schen Kupfergeldes verwendet wird, die durch stilistische Anzeichen und durch wiederkehrende Beamtennamen als eine dem Silber gleich- zeitige Prägung sich zu erkennen giebt. Der Höhepunkt der Entwicke- lung ist für Priene die Zeit Alexander’s des Grossen und die unmittel- bar darauf folgende Periode gewesen. Höchst wahrscheinlich hat Alexander für die Ehre, seinen Namen auf das Heiligthum der prie- nischen Polias setzen zu dürfen', nicht allein die Baukosten für den Tempel erstattet”, sondern auch das Tempelbild gestiftet. Oder sollte dieses nieht ein Geschenk Alexander’s gewesen sein, jedenfalls wird man annehmen dürfen, dass es bald nach der Vollendung des Tempels entstanden ist, also ein Werk aus alexandreischer Zeit war. Ich möchte dieses besonders betonen, weil über das Alter des Tempelbildes ganz falsche Ansichten bestehen. Raver hat in seiner Studie über den Tempel von Priene aus einem Münzfunde in der Basis des Tempelbildes, auf den ich später zurückkommen werde, ge- folgert, dass der Tempel erst in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. durch den cappadoeischen König Orophernes sein Qultbild erhielt.’ Diese auch von Anderen wiederholte Ansicht wird noch in dem neuen Werk über Priene von ScHRADER vertreten, der damit seine auf ge- wissen baulichen Anzeichen beruhende Annahme stützt, dass das In- nere des Tempels bis um 150 v. Chr. in einem sehr provisorischen Zustande liegen geblieben sei.‘ Die Ansicht, ein griechischer Tempel, und noch dazu ein Tempel wie der von Priene, habe fast zwei Jahr- hunderte hindurch kein Cultbild gehabt, ist eine so verfehlte, dass sie nicht erst widerlegt zu werden braucht. Allerdings wurde, wie man aus den in der Basis gefundenen Orophernesmünzen richtig ge- schlossen hatte, von Orophernes eine Athenastatue in den Tempel ge- stiftet; aber dieses Cultbild ist nicht das erste gewesen, das der Po- liastempel erhielt, sondern war gewiss der Ersatz für ein anderes, ! Vergl. Cuanpter und Reverr, Ionian antiquities I S.ı5f. CuoıseuL- GoUuFFIER, Voyage pittoresque de la Grece I S. 183. Wappıngrow bei Le Bas, Voyage archeol. en Grece et en Asie min. Ill, 2 zu n. 187. Hicks im Journal of Hellenie studies VI S.265. Rayer et Tuomas, Milet et le golfe Latmique II S.5f. Lenscuau, De rebus Prienensium in den Leipziger Studien zur celassischen Philologie XII S. 196. 2 Boeeka im 0.1. G. zu n. 2904. 3 Rayer et Tuomas, a.a.0.II S.8. * WıEGAnD und ScHRADER, Priene S.116f., vergl. 215. 470 Gesammtsitzung vom 4. Mai 1905. — Mittheilung vom 13. April. für das Bild aus alexandreischer Zeit, das vielleicht Schaden erlitten hatte. Auf dieses alexandreische Tempelbild ist nun, wie ich glaube, der auf prienischen Münzen bald im Profil, bald in Vorderansicht dar- gestellte Athenakopf mit dem reich verzierten und mit drei weit von einander gestellten Büschen versehenen Helm zurückzuführen: zweifel- los älter als der Typus der Gruppe © und etwas jünger als der ein- fache Kopf, den Typus A uns veranschaulicht, entspricht dieser Athenakopf durch seinen reichen Schmuck und die üppigen Formen durchaus der Glanzperiode, die durch Alexander’s erkenntliche Huld über Priene angebrochen war. Wir gehen nun gleich zu dem Athenakopfe C über, da dieser, wie sich zeigen wird, mit dem vorhin erwähnten Orophernes in engem Zusammenhang steht. In der Geschichte von Priene spielt der cappadocische Prätendent Orophernes eine kurze, aber wichtige Rolle. Um das Jahr 158 v. Chr. hatte Orophernes, von dem syrischen Könige Demetrius Soter unter- stützt, seinen Bruder Ariarathes V Eusebes Philopator aus Cappadoeien verjagt. Während seiner kurzen Regierung übergab Orophernes, der sich auf dem unrechtmässig erworbenen Throne nicht sicher fühlte, einen Nothpfennig von 400 Talenten, etwa zwei Millionen Mark, der Stadt Priene zur Verwahrung. Dieses Geld wurde an heiliger Stätte, im Athenatempel, deponirt.' Bald darauf wurde Ariarathes, vom König Attalus II. von Pergamon unterstützt, in die Herrschaft über Cappa- docien wieder eingesetzt und Orophernes vertrieben. Ariarathes for- derte nun von den Prienäern die von seinem Bruder deponirten 400 Talente als cappadoeisches Staatsgeld für sich zurück. Die Prienäer verweigerten die Herausgabe und erklärten, sie würden das Geld kei- nem Anderen aushändigen als dem, der es ihnen anvertraut hatte. Infolge dessen fielen Ariarathes und Attalus von Pergamon in das Ge- biet von Priene ein und belagerten die Stadt. Hart bedrängt wandten sich die Prienäer an die Rhodier und an die Römer, durch deren Vermittelung der Frieden, wie es scheint, wieder hergestellt wurde. Die 400 Talente erhielt später Orophernes zurück.’ Soweit die geschichtlichen Thatsachen. Es ist anzunehmen, dass Orophernes den Prienäern die treue Anhänglichkeit nicht vergessen ı Vergl. Hıcks, Ancient Greek inscriptions in the Brit. mus. III, ı n. CCCCXXIVd (dazu Hıcks im Journal of Hell. studies VI S. 272). ? Die geschichtlichen Notizen sind zusammengestellt von €. T. Newrow im Nu- mismatie Chroniele 1871 S.2r f. und Hıcxs im Journal of Hell. studies VI S. 269 ff.; vergl. auch Hıcks, Ancient Greek inseriptions in the Brit. mus. III, ı S. 44 f.; Lenscnau, De rebus Prienensium in den Leipziger Studien zur class. Philologie XII S. 209 f. Dresser: Athena Polias auf den Münzen von Priene. 471 hat und die opfermuthige Stadt für die in schwerer Kriegszeit erlit- tenen Verluste später in irgend einer Weise entschädigte. Die deut- schen Ausgrabungen haben in der That gezeigt, dass in der gross- artigen Marktanlage von Priene wenigstens der prächtigste Theil, die Nordhalle, der Zeit des Orophernes angehört und mit seinem Namen verknüpft ist." Aber auch die Stätte, die den Schatz des cappadoci- schen Königs geborgen hatte, ging nicht leer aus. Bald nach der letzten Untersuchung des Athenatempels durch die Engländer wurden im Jahre 1870 durch einen Zufall in den untersten Schichten des Postaments, auf dem einst die Tempelstatue gestanden, einige Silber- 2 münzen mit dem Bilde und dem Namen des Orophernes gefunden‘, die einzigen Münzen, die wir bis heute von diesem Könige besitzen. Diese Orophernesmünzen im Sockel der Tempelstatue sind wie eine geschriebene Urkunde, in der gemeldet wird, dass Orophernes aus Dankbarkeit für die ihm bewiesene Treue den Prienäern ein neues Bild der Athena Polias gestiftet hat. Auch sonst liegen Anzeichen vor, dass Orophernes für die Ausschmückung des Tempels ge- sorgt hat." Wenn wir nun auf den älteren Prägungen von Priene lange Zeit hindurch immer wieder den Kopftypus B sich wiederholen, dann fast unvermittelt den mit € bezeichneten Typus erscheinen sehen, und zwar auf Münzen, die nach Stil und Technik dem 2. Jahrhundert v. Chr. angehören, so werden wir zu dem Schlusse gedrängt, dass der neue Kopf mit dem von Orophernes gestifteten neuen Bilde in Zusammenhang steht. Auf das Cultbild der alexandreischen Zeit ist um das Jahr ı50 das Cultbild des Orophernes gefolgt; auf diese bei- den Statuen sind also die durch den Helm und im Stil merklich sich unterscheidenden Köpfe zu beziehen, die wir auf der Hauptmasse der prienischen Münzen dargestellt sehen. Wir kommen nun zu dem mit A bezeichneten Athenakopfe. Er weicht von den beiden, die uns bisher beschäftigt haben, in jeder Beziehung ab: der Helm hat eine andere Form und ist nur mit einem Busch versehen, der Stil des Kopfes ist ein anderer. Dieser schlichte, noch etwas strenge Athenakopf ist ohne Zweifel älter als der prunk- volle Kopf des Typus B, den ich auf die Tempelstatue der alexan- ! WıIEGAND und ScHRADER, Priene S. 215. 2 Vergl. €. T. Newrow im Numismatie Chroniele 1871 S. ıg ff. Hicks im Jour- nal of Hellenie studies VI, S. 268f. Tn. Reınaca in der Revue numism. 1886 S. 344 f. (= Tr. Reınaca, Trois royaumes de l’Asie mineure S. 44 f.). Wırsann und ScHRADER, a.2.0..S. ıır. 3 Fries mit einer Gigantomachie, Pflaster der Cella u. s. w.; vergl. WıEGAnD und ScHRADER, a.a.0. S. ııı ff., 116 f., 127. 472 Gesammtsitzung vom 4. Mai 1905. — Mittheilung vom 13. April. dreischen Zeit zurückgeführt habe. Auch die Münze, auf der er er- scheint, erweist sich durch das Fehlen des Beamtennamens, durch die Form des Mäanderkreises und durch ihre ganze Technik als eine der frühesten Prägungen, die uns aus der Stadt des 4. Jahrhunderts erhalten sind. Die Wiederaufnahme der Prägung kann aus politischen Gründen nicht früher als in das Jahr 334 gesetzt werden, nach der Schlacht am Granicus und der Wiederherstellung der Autonomie. Da- mals war der Tempel noch nicht vollendet, das Tempelbild noch nicht vorhanden.' Der Athenakopf A kann daher nur ein beliebig gewählter sein, der ganz allgemein auf den Athenacultus der Prienäer hinweisen sollte. Das wird dureh eine andere, derselben Zeit angehörige Münze bestätigt, die den Kopf der Göttin wiederum anders darstellt, mit dem korinthisehen Helm ohne Busch’, ein Typus, der während der ganzen autonomen Zeit in Priene nieht wieder vorkommt. Über die Münzen mit dem Brustbilde der Athena, die chrono- logisch zwischen den Münzen mit dem Kopfe des von Orophernes ge- stifteten Tempelbildes und den Prägungen der Kaiserzeit liegen, lässt sich nicht viel sagen. Die Göttin erscheint da in einer vom Typus B und (© verschiedenen Form, nicht im Helm mit den drei Büschen, sondern in einem eng anliegenden, nur mit einem Busch versehenen Helm mit kurzem Nackentheil, mit etwas längerem Haar und mit der Ägis auf der Brust. Die Münzen mit diesem Athenabilde sind nur in ganz geringer Zahl vorhanden und offenbar alle innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums geprägt, vielleicht bei einer besonderen Veranlassung, die möglicherweise mit dem Biascultus im Zusammenhang steht, da ! Die Annahme, dass Priene, d.h. die Stadtanlage um den berühmten Athena- tempel, »nicht über den Beginn der Herrschaft Alexanders in Kleinasien«, also nicht über das Jahr 334 hinausgeht (Wıesanp und SchrRADER, Priene S. 45), ist gewiss nicht richtig. Diese Stadt ist nicht eine Neugründung Alexander’s gewesen; sie hat sich vielmehr während des letzten Abschnitts der persischen Herrschaft, vom Frieden des Antalkidas (386) bis zur Schlacht am Granieus (334), der für die kleinasiatischen Küsten- städte eine Periode friedlicher Entwickelung und innerer Erstarkung war, erst allmählich entwickelt. Mit dem Bau des grossen Athenatempels hängt dann gewiss die schliess- liche Ausgestaltung und Erweiterung der Stadt nach einem neuen, einheitlichen Plan zusammen. Der Tempel kann aber zur Zeit, als Alexander nach Ionien kam, noch nicht vollendet gewesen sein. Denn das Interesse Alexander’s für Priene knüpft eben an den Athenatempel an. Was die Ephesier ihm für ihren noch unvollendeten Artemis- tempel versagt hatten, nämlich die Erlaubniss, gegen Erstattung der Baukosten, den Tempel in seinem Namen der Göttin zu weihen (Strabo XIV p. 640), das müssen die Prienäer für ihren noch unvollendeten Athenatempel dem Könige zugestanden haben, wie die noch vorhandene Weihinschrift Alexander’s beweist. Wie der Beginn des prie- nischen Tempelbaus eine Reihe von Jahren vor 334 anzusetzen sein wird (dieser An- sicht sind auch die französischen Erforscher des Poliastempels, vergl. Rayer et Tomas, Milet et le golfe Latmique II S.6f.), so fällt seine Vollendung aller Wahrscheinlich- keit nach erst einige Zeit nach 334. ® Revue numismatique 1869/70, S. 182 n. 40, Taf. VIII, 40. . & : Fr Dresser: Athena Polias auf den Münzen von Priene. 473 zwei von ihnen auf der Rückseite den prienischen Weisen darstellen, wie er, auf einen Stock sich stützend, dahinwandelt.‘ Aus welchem Grunde für diese wenigen Münzen ein Athenatypus gewählt wurde, der, soweit wir beurtheilen können, in keinem Zusammenhange mit dem Gultbilde steht, entzieht sich unserer Kenntniss. Wir sind bis zum Beginn der römischen Kaiserzeit gelangt. Aus Inschriften, die während der englischen und deutschen Grabungen ent- deekt wurden, wissen wir, dass unter Augustus mit dem Heiligthum der Athena eine Veränderung vorging; sie bestand darin, dass Tempel und Altar der Athena Polias und dem Kaiser Augustus gemeinschaft- lich geweiht wurden.” Diese merkwürdige Thatsache steht in engem Zusammenhang mit den Weihungen von Tempeln und Altären an die Göttin Roma und den Kaiser Augustus, die damals an vielen Orten des Reiches erfolgten und auf den Wunsch des Kaisers zurückzuführen sind, man möchte, wenn man ihm Tempel dedieiren wolle, diese nur communi suo Romaeque nomine” errichten. So entstanden im Osten und Westen des römischen Reichs Tempel und Altäre, die, wie zahlreich noch erhaltene Münzen bekunden, die Inschrift Romae et Augusto tru- gen. In Priene hat man sich die Sache leichter gemacht. Statt einen neuen Tempel zu erbauen, liess der Demos den alten Athenatempel nebst Altar umweihen und mit Inschriften versehen, welche die ge- meinschaftliche Widmung an Athena und Augustus bezeugten; damit war zugleich die Assimilirung der prienischen Stadtgöttin Athena mit der römischen Stadtgöttin Roma vollzogen worden. Dieser Vorgang spiegelt sich auch in der Münzprägung von Priene wieder. Die einzige Münze, die wir vom Kaiser Augustus besitzen, zeigt auf der einen Seite den Kopf des Kaisers, auf der anderen das Brustbild der Athena‘, bringt also durch die Gleichartigkeit der Typen die gemeinschaftliche Ehrung der Stadtgöttin und des Augustus deut- lich zum Ausdruck. Die Münze zeigt uns aber noch etwas, was sonst keine Inschrift, kein anderes Zeugniss uns meldet: bei der neuen Weihung des Athena- heiligthums wurde auch das Cultbild verändert. Statt im attischen Helm erscheint jetzt Athena mit dem korinthischen Helm, der, wie der frühere attische, mit drei Büschen versehen ist; und mit dem neuen Helm sehen wir dann Athena auf allen uns noch erhaltenen Prägungen der Kaiserzeit, wenngleich die Stempelschneider auf die Dreizahl der Büsche nieht immer Rücksicht genommen haben. Ob die ! Eine abgebildet bei Innoor- BLuner, Kleinasiatische Münzen I, Taf. III, 20—21. 2 Vergl. Wıesanp und ScHRADER, Priene S. ıTo. 126. 3 Suetonius, Augustus 52. * Diese noch unpublieirte Münze befindet sich im Berliner Münzeabinet. 474 Gesammtsitzung vom 4. Mai 1905. — Mittheilung vom 13. April. Änderung auf die ganze Figur sich erstreckte oder auf den Kopf be- schränkt blieb, lässt sich nicht entscheiden, da wir von den früheren Cultbildern den Kopf allein kennen. Als wahrscheinlicher möchte man annehmen, dass unter Augustus nur der Kopf der Statue durch einen neuen, dem «damaligen Geschmack entsprechenden ersetzt wurde, weil ja die Basis des Tempelbildes, wie der erwähnte Fund von Oro- phernesmünzen beweist, die ganze Kaiserzeit hindurch und darüber hinaus dieselbe geblieben ist, die um 150 v. Chr. Orophernes hatte errichten lassen. Auf das Athenabrustbild der Augustusmünze folgt dann die Dar- stellung der ganzen Tempelstatue auf einigen Münzen der späteren Kaiser. Zuerst in flüchtiger, roher Zeichnung und ohne das Attribut der Schlange, das später nie fehlt, auf der Münze eines Kaisers, der sieh nieht mit voller Sicherheit bestimmen lässt, aber aller Wahrschein- lichkeit nach entweder Nero oder Vespasianus ist'; dann viel sorg- fältiger ausgeführt auf Münzen des Hadrianus. Von einem besonders guten Exemplar, auf dem alle Einzelheiten der Figur deutlich hervor- treten, giebt Tafel ID ein vergrössertes Bild. Athena steht aufrecht da, nach vorn gewendet. Wenn der Kopf und der rechte Arm mit der Siegesgöttin trotz der Wendung nach vorn in Profilstellung ge- zeichnet sind, so ist das eine auf antiken Münzen fast regelmässig vorkommende Licenz, die dem Stempelschneider die Arbeit erleich- terte — ein Kopf oder ein gebogener Arm ist ja in der Vorderansicht viel schwerer wiederzugeben, als in der Profilstellung —, zugleich aber auch die Möglichkeit bot, gewisse Einzelheiten deutlicher und vollständiger darzustellen; in Wirklichkeit waren also Kopf und rechter Arm nach vorn gerichtet, der Kopf wohl mit einer leichten Wendung nach seiner rechten Seite. Die Göttin trägt den ärmellosen Chiton mit Überschlag und den korinthischen Helm mit drei hochragenden Büschen; auf der Brust liegt die mit unruhig sich bewegenden Schlan- gen versehene Ägis. Der linke Arm ist gesenkt, die Hand leicht auf den am Boden stehenden Schild gestützt, dessen Mitte das Gorgonen- haupt schmückt. Die Lanze, die hier wie hinter dem Schilde senk- recht aufgepflanzt erscheint, haben wir uns, etwas schräg gestellt, im linken Arm lehnend zu denken.” Die auf der rechten Hand der Athena schwebende Nike ist der Göttin zugewandt und hält ihr den Kranz entgegen’, während sie mit der Linken einen Palmzweig hält. Neben ! Catalogue of the Greek coins in the British mus., Ionia, S. 234 n. 54. Inmoor- Bruner, Kleinasiatische Münzen I S. 95 n. 6. ® So ist die Lanze dargestellt auf der erwähnten Münze des Nero oder Vespa- sianus und auf einer Münze des Valerianus. ®? Die Stellung der Nike ist nicht immer dieselbe; sie kommt, auf den Münzen anderer Kaiser, auch linkshin gewendet vor. ri ER Dresser: Athena Polias auf den Münzen von Priene. 475 Athena, an ihrer rechten Seite, befindet sich die mit Kamm und Bart versehene Schlange, halb zusammengeringelt, halb sich emporrichtend. Das ist das Tempelbild der prienischen Polias, wie es uns auf den Münzen des ı. und 2. Jahrhunderts n. Chr. erhalten ist. Auch noch zu Anfang des 3. Jahrhunderts sehen wir es auf einer Münze des Septi- mius Severus' in ganz ähnlicher Weise dargestellt. Nicht lange darauf wurde an der Statue eine Änderung vorge- nommen. Der vorgestreckte rechte Arm der Göttin, der die Last des auf der Hand befindlichen ehernen Nikebildes zu tragen hatte, muss wohl eine Beschädigung erlitten haben, die das Anbringen einer Stütze nöthig machte. Mit dieser Stütze unter der Hand erscheint das Tempel- bild zuerst auf einer Münze des Severus Alexander’, dann in der Mitte des 3. Jahrhunderts auf Münzen des Valerianus, den letzten prie- nischen Prägungen, auf denen Athena dargestellt ist (Tafel IZ in ver- grössertem Maassstabe). Die Stütze ist auf dem sonst äusserst roh ge- zeichneten Bilde recht deutlich als ein Baumstamm charakterisirt, von dem die Äste abgehackt sind — es könnte auch der Stamm eines Palmbaums gemeint sein — und der oben mit einem Wulste versehen ist, auf dem die Hand der Athena aufliegt. Wir haben aus den Münzen den Kopf des unter Alexander dem Grossen errichteten Athenabildes kennen gelernt, dann den Kopf der von Orophernes gestifteten Statue, zuletzt das ganze Cultbild, wie es während der römischen Kaiserzeit ausgesehen hat. Aus dem letzteren lassen sich die beiden früheren reconstruiren, da wir mit Sicherheit annehmen dürfen, dass, wie so manches an- dere, auch das prienische Cultbild, abgesehen von einigen Stil- und Modeänderungen (zu den letzteren gehört die Helmform), in der Ge- sammtanlage immer dasselbe geblieben ist. Seit Phidias das Athenabild aus Gold und Elfenbein für den Par- thenon geschaffen, haben die griechischen Künstler Athena in mehr oder minder enger Anlehnung an jene Statue oft dargestellt. Auch die Polias von Priene lässt diese Anlehnung deutlich erkennen; sie ist aber keineswegs eine Copie des berühmten Vorbildes, wie SCHRADER mit Hinweis auf die prienischen Münzen der Kaiserzeit behauptet hat’, sondern eine freie Abwandlung von selbständigem Werthe. ! Im Berliner Münzcabinet; die Münze ist noch unpublieirt. ?2 Catalogue of the Greek coins in the British museum, Ionia, S. 234 n. 55. 3 WIEGAND und SCHRADER, Priene S. Iıo. 476 Gesammtsitzung vom 4. Mai 1905. — Mittheilung vom 13. April. Nachweis für die auf Tafel I abgebildeten Münzen von Priene (alle vergrössert). A. Bronzemünze, Durchmesser 0.019. Kopenhagen, Münzcabinet. — Unedirt. Bı. Silbermünze (Didrachmon), Durchmesser 0.019— 0.020, Gewicht 6°%93. Kopen- hagen, Münzeabinet. — Unedirt. Ba. Silbermünze (Drachme), Durchmesser 0.016, Gewicht 3°%.63. London, British Museum. — Londoner Catalogue, Ionia, Taf. XXIV, 4. €. Silbermünze (Drachme), Durchmesser 0.017, Gewicht 3°'54. Berlin, Königliches Münzcabinet. — Unedirt. D. Bronzemünze des Kaisers Hadrianus, Durchmesser 0.030— 0.032. Berlin, Kö- nigliches Münzeabinet. — Unedirt. E. Bronzemünze des Kaisers Valerianus, Durchmesser 0.030. London, British Mu- seum. — Londoner Catalogue, Ionia, Taf. XXIV, 13. (Die Vorlagen für A, Bı werden Hrn. Dr. JörRGEnsen in Kopenhagen, für B2, E Hrn. G. F. Hırı in London verdankt.) Ausgegeben am 18. Mai. 477 SITZUNGSBERICHTE 17% XXIV. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 11. Mai. Sitzung der physikalisch-mathematischen Glasse. Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers. 1. Hr. van’r Horr machte eine weitere Mittheilung aus seinen Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der oceanischen Salzablagerungen. XLI. Die Bildung von Glauberit. Glauberit Na, Ca(SO,)» entsteht aus Glaubersalz und Gips bei 29°; bei der na- türlichen Bildung wird diese Temperatur durch die begleitenden Salzmineralien herab- gedrückt bis auf ein Minimum von 10°, 2. Hr. Enerımann legte eine Mittheilung der HH. Prof. H. Kro- NECKER in Bern und Prof. F. Srauırra in Palermo vor: Reflexwirkung der Vagusganglien bei Seeschildkröten. (Ersch. später.) Die meisten der vom Vagusganglion zum Herzen gehenden Nervenfasern können nicht nur centrifugal, sondern auch centripetal hemmend auf das Herz wirken, und zwar auch nachdem die Stämme des Vagus und Sympathieus oberhalb ihrer Ganglien durchschnitten sind. 478 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 11. Mai 1905. Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der ozeanischen Salzablagerungen. XLI. Die Bildung von Glauberit. Von J.H. van’r Horr. kan früher nachgewiesen wurde, daß der Glauberit zu denjenigen Kalkmineralien gehört, die schon bei 25° auftreten‘, ist nunmehr dessen Bildungstemperatur genau festgestellt, zunächst ohne Berück- sichtigung der begleitenden Salzmineralien. A. Bildung von Glauberit bei 20°. Der Glauberit, als Doppelverbindung von Caleium- und Natrium- sulfat, kann unter Austreten von Wasser aus beiden entstehen: CaSO,.2H,0+-Na,SO,. ı0H,0 = CaNa, (SO,),+ 1ı2H,O und sich umgekehrt, je nach der Temperatur, unter Wasseraufnahme darin verwandeln. Letztere Erscheinung zeigt sich durch ein bei gewöhnlicher Tem- peratur nach kurzer Zeit stattfindendes Abbinden einer Mischung von gepulvertem Glauberit und der entsprechenden Wassermenge. Daß es sich dabei um Bildung von Gips und Glaubersalz handelt, zeigt sich mikroskopisch, besonders wenn etwas mehr als die theoretische Wassermenge benutzt wird, so daß Gelegenheit zur Kristallbildung besteht. Auch makroskopisch sind dann die beiden Umwandlungs- produkte leicht zu isolieren. Die umgekehrte Erscheinung, die Bildung von Glauberit aus den Bestandteilen, wird getrübt durch das Auftreten eines anderen Körpers, dem schon Frrzzschre bei der ersten Darstellung des Glauberits begegnete” und den er als CaNa,(SO,),2H,O beschrieb. Seine äußere Ähnlich- ! Diese Sitzungsberichte 1899, S1o. ? Journal für praktische Chemie 1357, 291. van’r Horr: ÖOceanische Salzablagerungen. XLII. 479 keit mit Syngenit (feine Nadeln oder Fasern mit Asbestglanz, die eine große Flüssigkeitsmenge verfilzen können) legt aber die Vermutung nahe, daß nur ein Molekül Kristallwasser vorhanden ist wie im Syn- genit selbst, und so wird diese Verbindung kurz als Natriumsyngenit bezeichnet werden. Auf eine direkte Entscheidung wurde verzichtet, da der Körper schwer ganz von der Mutterlauge zu trennen ist und auch für den vorliegenden Zweck, die Verfolgung der stabilen Verhält- nisse, weniger wichtig ist, indem Natriumsyngenit schon bei seiner Bildungstemperatur sich instabil zeigt und allmählich in Glauberit verwandelt. Die Bildungstemperatur von Natriumsyngenit läßt sich im Beck- mann an einer Mischung von Glaubersalz (70°), Gips (27°) und Wasser (30°) verfolgen. Zunächst zeigt sich die Umwandlungstemperatur des Glaubersalzes bei 32°4; durch Erwärmen auf etwa 60° entsteht dann der Natriumsyngenit und macht ohne den erwähnten Zusatz von Wasser die ganze Masse fest. Wenn man in bekannter Weise arbeitet, zeigt sich jetzt nach Unterkühlung eine Umwandlungstemperatur bei 3092. Eine dritte Erscheinung tritt auf, falls die Masse nunmehr auf etwa 100° erhitzt wird: die feinen Fasern verwandeln sich allmählich in Glauberit, der sich leicht absetzt, und die Umwandlungstemperatur ist wiederum gesunken, läßt sich jedoch im Beckmann nicht mehr scharf bestimmen, weil die Umwandlung sich zu langsam vollzieht. So wurde denn das Dilatometer verwendet und angefüllt mit einer aus Glauberit und Wasser erhaltenen Mischung von Glaubersalz und Gips. Indem man in gewöhnlicher Weise arbeitet, zeigt eine allmäh- liche Ausdehnung bei 30° (6”” Niveausteigung in 22 Stunden) die Glauberitbildung an, eine Kontraktion bei 28° (5”” Niveausenkung in 22 Stunden) das Umgekehrte, und so liegt die gesuchte Umwandlungs- temperatur bei 29°. Drei Erscheinungen begleiten sich also fast unmittelbar: 1. Entwässerung von Glaubersalz (Thenarditbildung) bei 3294: 2. Bildung von Natriumsyngenit bei 30°2; 3. Glauberitbildung bei 29°. B. Bildungstemperatur von Glauberit bei der natürlichen Ausscheidung (10°). Die oben erwähnte Bildungstemperatur von Glauberit (29°) wird bei der natürlichen Ausscheidung durch die begleitenden Salze er- niedrigt, und so sei zunächst die frühere paragenetische Tafel ange- führt, welche die möglichen Kombinationen bei 25° wiedergibt. Das Glauberitfeld zeigt sich dort als Cebd. 480 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. 11. Mai 1905. A L Z ? D Kieserit Carnallit E h c C B e G F Es handelt sich nun darum, zu verfolgen, welche Verwandlungen sich in diesem Gebiet bei Abkühlung in Berührung mit der Lösung zeigen und bei welcher Temperatur schließlich, unter Abspaltung in Glaubersalz und Gips, der Glauberit zum Fortfallen kommt. Diese Aufgabe wird wesentlich dadurch erleichtert, daß nach dem Obigen die nicht so leicht zu verfolgende Glauberitspaltung von zwei Erscheinungen fast unmittelbar begleitet wird, die sich viel leichter fassen lassen. Die erstere von diesen, die Verwandlung von Thenardit in Glaubersalz und umgekehrt, sei zunächst verfolgt. Sie spielt sich auf dem Gebiet CHSG ab, und die bezüglichen Bestimmungen sind schon früher erwähnt." Dieselben ergaben, daß die Glaubersalzbildung erfolgt bei Anwesenheit von: 1. Chlornatrium (in ©) bei 17°9, 2. Chlornatrium und Glaserit (in G) bei 16°3, 3. Chlornatrium und Astrakanit (in H) bei 1593, 4. Chlornatrium, Glaserit und Astrakanit (in S) bei 1397. Vorübergehend sei bemerkt, daß diese Zahlen eine Regelmäßig- keit zeigen, auf die nachher zurückzukommen ist; derselbe Körper veranlaßt nämlich dieselbe Erniedrigung in verschiedenen Fällen: Glase- rit das eine Mal von 17°9 auf 16°3, also 1°6; das andere Mal von 15°3 auf-ı13°7, also ebenfalls 1°6. ! Diese Sitzungsberichte 1903, 1000. van’r Horr: Öceanische Salzablagerungen. XLII. 481 Astrakanit drückt in beiden Fällen die Temperatur um 2°6 herab. Gleichzeitig geht aus den obigen Daten hervor, daß die Bildungs- temperatur des Glauberits wahrscheinlich unterhalb 1327, der tiefsten der erwähnten Temperaturen, liegt. Deshalb sei zunächst eine para- genetische Tafel für etwa 10° gegeben unter Annahme, daß der Glauberit dann fortgefallen ist. Nach früherem' ist dann das Bild wesentlich vereinfacht durch Fortfallen von Kieserit, Hexahydrat und Scehönit; dann ist auch die Grenzlinie zwischen Gips und Glauberit db verschwunden, Thenardit (Na, SO,) ist durch Glaubersalz (Na, So, . 10H,O) ersetzt. A Bischofit Carnallit Kainit MsSO, 7H:0 Schönit Astrakanit Glaserit C B eG F Das Gebiet von Gips (und Anhydrit) erstreckt sich jetzt oberhalb und links von ebh. Dort, wo in diesem Gebiet Gips und Glaubersalz zusammentreffen, also in CefH, ist zunächst die Bildung von Glauberit zu erwarten, und zwar zuerst in Berührung mit derjenigen Lösung, welche die größte wasserentziehende Wirkung, also die kleinste Tension aufweist. Dieselbe befindet sich in f, schon aus dem Grund, weil hier Sättigung an den fünf Körpern besteht, Chlornatrium, Glaubersalz, Astrakanit, Gips und Syngenit, von denen in C nur drei, ine und H nur vier vertreten sind. Ein weiterer Schritt wurde dann getan durch Bestimmung der Temperatur, bei der Natriumsyngenit, bei Anwesenheit von Chlornatrium, also in C, sich bildet. Eine thermometrische Be- ! van’r Horr, Zur Bildung der ozeanischen Salzablagerungen, Braunschweig 1903, 63. Sitzungsberichte 1905. 49 482 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 11. Mai 1905. stimmung mit 70° Glaubersalz, 13° Chlornatrium (welche Mischung 1ı7°9 als Umwandlungstemperatur aufwies) und 20° Gips ergab für den gesuchten Wert 1508. Auch hier zeigt sich die schon oben betonte Gleichheit in Temperaturdifferenz: die Verwandlung von Glaubersalz findet ohne Chlornatrium bei 32°4, die Bildung von Natriumsyngenit bei 3092 statt, also eine Differenz von 2°2; mit Chlornatrium sind die bz. Zahlen 17°9 und 15°8, entsprechend einer Differenz von 2°1. Höchstwahrscheinlich liegt also die entsprechende Temperatur bei H, unter dem Einfluß von Astrakanit, nach Obigem um 2°6 tiefer, also unweit 13°2. In Punkt f, der so nahe an S liegt, daß weder Tension (wie eigens bestimmt) noch Analyse! eine wesentliche Differenz zeigen, ist entsprechend eine um 1°6 tiefere Temperatur, also 11°6, zu er- warten. Danach liegt die, um 1°2 tiefere, untere Bildungstemperatur von Glauberit unweit 10°, wie auch folgende Tabelle zum Ausdruck bringt: in Anwesenheit von: Bildung von: CINa. CINa, CINa, Astr. „CINa, Astr., 5 Glas oder Syng. = Glas oder Syng. 610) (in G oder e) (mh) (in S oder f) Thenardit 32°4 17°9 1023 1603 13% Natriumsyngenit 30°2 1528 (142) (1352) (11°6) Glauberit 29° (14°8) (a35) (222) (10°4) Die erwartete untere Grenze von 10° für die Glauberitbildung wurde durch einen Dilatometerversuch bestätigt. Unter Berücksichti- gung, daß bei der Verwandlung sich eine zwischen H und S liegende Lösung: 1000H,0 44Na,0l, 4K,Cl, 17MgSO, 5Na,SO, bildet und also eine Reaktion sich abspielt entsprechend: 76Na,SO,.ı0oH,0+88CaS0, . 2H,0 +48Na,Cl, + CaK,(SO,), H,O +17MgNa,(SO,),4H,O = 92CaNa, (SO,), + Lösung wurde ein Dilatometer mit einer Mischung von 4°9 Glaubersalz, 3° Gips, ı°ı Chlornatrium, 0°3 Syngenit, ı°ı Astrakanit und extra 1° Glauberit angefüllt. Der ursprüngliche Niveaustand war: N, = 54.5 + 2.4t, während die Bildung des Glauberits eine Steigerung von 27 an der Millimeterskala aufwies. Nachdem nunmehr die Verwandlung etwa zur Hälfte sich vollzogen hatte, wurde das Dilatometer in einem großen Wasserreservoir im Freien aufgestellt, unter täglicher Beobachtung. ! Diese Sitzungsberichte 1903, Iooo. van’r Horr: Öceanische Salzablagerungen. XL1l. 483 Das Resultat ist in folgender Tabelle enthalten, unter Umrechnung des Niveaustands auf 10°. Datum Temperatur Niveaustand Umrechnung auf 10° ı1. April 895 gI 94-6 Dar 6°5 81.5 89.9 I4. » Sr 74 86 703 6° 75 84.6 2 8 78 75 82.2 24. » 993 80 81.7 (N: = 73.5) 29. » 122 97 92.2 BO = 1392 110 102.3 (N, = 105.5) Es findet also unterhalb 10° eine allmähliche Kontraktion, oberhalb eine allmähliche Ausdehnung statt, welche erstere zum Niveau bei totaler Rückverwandlung, letztere zu demjenigen bei totaler Umwand- lung führt. Der Inhalt zeigte die wohlausgebildeten Glauberitkristalle. 49* 484 Die allgemeinen Thetafunktionen von vier Ver- änderlichen. Von Dr. HeınkıcHn Jung in Marburg. (Vorgelegt von Hrn. Scnorrzy am 27. April 1905 [s. oben S. 457].) Ile folgenden sollen die allgemeinen Thetafunktionen von vier Ver- änderlichen algebraisch dargestellt werden. Die angewandte Methode ist allgemein von Hrn. Scuorrky in seiner Arbeit: »Über die charak- teristischen Gleichungen symmetrischer ebener Flächen und die zu- gehörigen Agerschen Funktionen« im 106. Bande des Ürrrreschen Journals auseinandergesetzt. Die Methode ist kurz folgende. Es wird zu einem Körper X vom Geschlechte r die Quadrat- wurzel 2 aus einer rationalen Funktion adjungiert. Ist der so ent- standene Körper vom Geschlechte r*+c = p, so gibt es in ihm außer den 7 Integralen erster Gattung des Körpers X noch o andere, die sich so wählen lassen, daß sie nur 20 primitive Perioden haben. Diese geben Veranlassung zur Bildung von Thetafunktionen von o Ver- änderlichen, die allgemeiner sein können als die Rırmannschen. Hr. Scnortky hat in der angegebenen Abhandlung den Fall r=ı aus- führlich behandelt. Ich habe dann in einer Arbeit: »Über Theta- funktionen, die nicht zur Rıemannschen Klasse gehören« im 126. Bande des Crerreschen Journals den Fall r = 2 genauer durchgeführt. Im fol- genden wird der Fall r = 3 behandelt unter der Beschränkung © = 4, der uns die allgemeinen Theta von vier Veränderlichen liefert. Eine ausführlichere Abhandlung wird später erscheinen. Die hier gegebene Darstellung der Thetafunktionen von vier Ver- änderlichen scheint mir gegenüber der von Hrn. WIRTINGER in seiner Preisschrift: »Untersuchungen über Thetafunktionen« (Leipzig 1895) gegebenen den Vorteil zu haben, einmal, daß die Funktionen voll- ständig dargestellt werden, dann, daß nur zehn Parameter auftreten, während bei Hrn. Wırrınser mehr auftreten, nämlich zwölf. . B . . . .. . 0-4 Il. Jung: Die allgemeinen Thetafunctionen von vier Veränderlichen. 485 N Es sei K ein algebraischer Körper vom Geschlechte 3. Es seien ferner dw“) , dıw®) , dw drei in ihm enthaltene linear unabhängige Differentiale erster Gattung. Zu diesem Körper gehören 4° Theta- funktionen erster Ordnung mit zweiteiliger Charakteristik. Diese be- zeichnen wir mit (wow, w9, w®) = I(w) oder auch, um die untere Grenze der Integrale 0), w, ı'% hervortreten zu lassen, mit I(w— w)). Die 4° verschiedenen Funktionen unterscheiden wir dadurch, daß wir jeder zweiteiligen Charakteristik ein Zeichen zuordnen und dann jeder Thetafunktion das Zeichen ihrer Charakteristik als Index geben. Wir bezeichnen diejenige Charakteristik, die in der ersten Zeile an der n'”" Stelle eine ı und sonst nur Nullen enthält, mit », und diejenige, die in der zweiten Zeile an der n“" Stelle eine ı und sonst nur Nullen enthält mit 7,. Die aus lauter Nullen bestehende Charakteristik be- zeichnen wir mit », oder v,. Aus den so bezeichneten Charakteristiken lassen sich alle anderen zusammensetzen. Solch eine zusammenge- setzte Charakteristik bezeichnen wir dadurch, daß wir die Zeichen ihrer Komponenten neben einander schreiben. Im folgenden soll immer eine Charakteristik =; oder eine aus ihnen zusammengesetzte bezeichnen und eine analoge Bedeutung soll » haben. Jede Charakteristik definiert gleichzeitig eine bestimmte Periode und diese bezeichnen wir gerade so wie die entsprechende Charakte- ristik. Wir brauchen im folgenden außer den Funktionen $(w) noch diejenigen Theta zweiter Ordnung, die die Perioden » mit den Funk- tionen I(w) gemein haben, für die aber die Perioden = nur halbe Perioden sind. Diese Theta bezeichnen wir mit ®(w) oder auch mit e(w— w). Zu dem Körper X adjungieren wir die Quadratwurzel 2 aus einer rationalen Funktion, die an vier Stellen von ungerader Ordnung und im übrigen nur von gerader Ordnung Null oder unendlich wird. Den so erhaltenen Körper bezeichnen wir mit X(2). Es seien &, 5,8; &, die Stellen, an denen 2° von ungerader Ordnung Null oder unendlich wird und es seien w,, w,, w,, w, die Werte der Integrale w für diese vier Stellen. Ist dann S(w—w) irgendeine der ungeraden Funk- tionen I(w), so genügt es, zu setzen S(w — w,) I (w — w,) S (w — w,) $(w — w,) (nt rar u Eng (10) ı Hierzu vergleiche man: Scuorr&y, Cretres Journal, Bd. 106 S. 199f. 486 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. Mai 1905. — Mittheilung v. 27. April. Der Körper K(2) enthält zunächst als Differentiale erster Gattung die drei Differentiale dw des Körpers X. Außerdem aber noch andere, die wir so gewählt annehmen können, daß sie nach Multiplikation mit 2 rational werden. Diese bezeichnen wir mit dv. Stellen wir G dv soleh ein dv in der Form —- dar, so ist dv’ ein Differential zweiter » © Gattung aus X, das an den Unendlichkeitsstellen von 2 wie 2 un- endlich werden kann und an den Nullstellen zweiter Ordnung von 2° von der ersten Ordnung Null werden muß. Das Differential hat also 5 Unendlichkeitsstellen und von den 4+5 = 9 Nullstellen sind 3 vor- geschrieben. Da X vom Geschlechte 3 ist, so gibt es 6-3 +1=4 linear unabhängige Differentiale dv’. Im ganzen haben wir also 3+4 —=7 linear unabhängige Differentiale erster Gattung in K(2). Zu dem Körper Ä(z) gehören 4’ Thetafunktionen erster Ordnung mit zweiteiliger Charakteristik. Wir bezeichnen sie mit ®(v, w). Als Funktionen der w haben diese Funktionen die Perioden zw der Funk- tionen S$(w) zu halben Perioden. Ist daher ©,(®v, w) irgendeine der Funktionen ®(v, w) und vermehren wir die Argumente w um eine Periode rw, so geht ®,, bis auf einen Exponentialfaktor in eine andere der Funktionen ®(v, w) über, die wir mit ©,,., bezeichnen können. Auf diese Weise werden jeder Funktion ©(v, w), den 63 Möglichkeiten entsprechend zw von oO verschieden zu wählen, 63 Funktionen zuge- ordnet. Es werden also alle Funktionen ©(v, w) in Gruppen von je 64 zusammengefaßt und jede Funktion gehört einer und nur einer Gruppe an. Unter diesen Gruppen gibt es solche, in denen immer diejenigen 8 Funktionen, deren Indizes sich nur durch ein » unterscheiden, gleich- zeitig gerade oder ungerade sind. Je 64 solche Funktionen nennen wir verwandt. Es bedeute (r|w) das Zeichen +1 oder — I, je nach- dem die Charakteristik rw gerade oder ungerade ist. Dann bilden wir aus einer Gruppe von verwandten Funktionen die über die 8 Charak- teristiken » erstreckten Summen 2. > (#|w) Oaru(d , W). (w) Diese Summen haben als Funktionen der w mit den Funktionen ®(w) die Eigenschaft gemeinsam, die » zu Perioden und die = zu halben Perioden zu haben; ja, jede dieser Summen ist gleich einer der Funk- tionen ®(w), multipliziert mit einer Funktion der v allein. Diese Funktionen der v, die wir so bekommen, sind Thetafunktionen der vier Größen v» mit zweiteiliger Charakteristik, und zwar bekommen wir sie alle. Wir bezeichnen sie mit @(o). Ehe wir genauer die Art . . 21 . . r .. - ol.r/ H. Jung: Die allgemeinen Thetafunctionen von vier Veränderlichen. 487 des Zerfallens der Summen (2) angeben, müssen wir den Funktionen ®(v) Indizes beilegen. Wir bezeichnen die Charakteristiken erster Ord- I I o [6) ’ nung ; ; mit O0, I, 2, 3 und verstehen dann unter el ZT o I (6) rwa(l& =0O,1,2,3) diejenige Charakteristik vierter Ordnung, die aus der Charakteristik rw dadurch entsteht, daß man die Charakteristik & als vierte Reihe hinzufügt. Die Funktionen ®(v) bekommen als In- dex das Zeichen ihrer Charakteristik. Wir unterscheiden verschiedene Fälle. Ia. Die 64 verwandten Funktionen ©,,, sind ungerade. Es gibt nur eine solche Gruppe von verwandten Funktionen. Wir setzen den Index m gleich ©. Dann haben wir Ia. +)I (#|u)®,..(, w) = 0,.(w)9,.(). (w) Ib. Die 64 verwandten Funktionen sind gerade. Drei Möglich- keiten: mM =T,2,3- Ib. =p3 (#|w)®,..®, w) = ®,.(w)0,.(). (de 1,2.5) (w) Von den in diesen Gleichungen vorkommenden Funktionen ®(v, w) und ®(v) sagen wir, sie gehören zur Gruppe O. II. Die 64 verwandten Funktionen sind zur Hälfte gerade und zur Hälfte ungerade. Es sind 7 verschiedene Unterfälle zu unter- scheiden, je nach den Funktionen, welche gleichartig sind. Die ein- zelnen Fälle sind einander analog, und es genügt einen zu betrachten. Wir nehmen den Fall, wo ©,, ©,,,; Onr, » (6) Möglichkeiten: m = m,, m, , m, , m,. I. >> (| w) Se (v ’ w) — 9,..,(%) oO, (w) Ken a m er) ungerade sind. Vier MEZ, el v) C} Da hier rechts der Index w, vorkommt, so sagen wir, diese Funk- tionen gehören zur Gruppe w,. Die anderen Unterfälle von II unter- scheiden sich dadurch, daß rechts eine andere der Charakteristiken w im Index steht. Es sei noch der Satz angeführt: Die Funktionen 0,„(®, w) d .(w) Or (® 9 w) = 3,.(%) unterscheiden sich nur durch einen rationalen Faktor, wenn die Funk- tionen ©,(v, w) und ®,;,(v, w) verwandt sind.' ! ScHorTkY, CrRELLES Journal Bd.106, S. 226 (16). 488 Sitzung der phys.-matlı. Classe v. 11. Mai 1905. — Mittheilung v. 27. April. 2 Jedes Differential erster Gattung du von K(z) läßt sich durch die im $ ı definierten Differentiale dv und dw darstellen. Es sei also du = dv—+ dw. Jedes du hat 2-7— 2 = ı2 Nullstellen. Wir haben alle die Diffe- rentiale du zu bestimmen, deren Nullstellen paarweise zusammenfallen. Ist dU ein solches Differential, so ist YdU VdU’ einer der ungeraden Funktionen E(o—v’, w—w’) proportional. In dem Ausdruck für du kann dv nicht Null sein; denn dann wäre du = dw und dw wird an den Nullstellen erster Ordnung von 2° mindestens von der ersten Ord- nung Null, sicher aber von ungerader Ordnung. Wohl aber kann dw gleich Null sein. Wir unterscheiden danach die beiden Fälle: I. dw —Ho%, I. dw 5 O. I. du= dv. Es sei $(w—w’) die schon in $ ı benutzte ungerade Thetafunktion. Diese Funktion ist einer Wurzelform in X proportional. Diese sei YAW. dW wird Null von der zweiten Ordnung an den von w = w' verschiedenen Nullstellen von S(w—w’) und an den einfachen Nullstellen von 2° von der ersten Ordnung, wird also genau so Null wie / %(w— w,)I(w — w,)I(w — w,)I(w — w,). Daher wird die Funktion de V S(w— w)I(w — w,)S(w — w,)SI (w — w,) dW ( rn mn) SIw— 4 Mar, , > nur an den Nullstellen von $° (r- se rn = ) unendlich. Fer- di ner ist diese Funktion rational in X. Denn 8 wird nach Multi- dW dv. plikation mit 2 rational und der Faktor von Aw unterscheidet sich von 2 nur durch einen rationalen Faktor, wie man gleich sieht, wenn man ihn mit dem Ausdruck für 2 ((r1), S.485) vergleicht. Daher hat die Funktion, da sie nur von gerader Ordnung Null werden soll, die Darstellung w+w+Ww,+w Se (»- - ) 4 S („+ rete) 4 und daraus folgt, wenn wir eine Wurzelform immer mit einem großen Buchstaben bezeichnen und zur Abkürzung setzen 3. AM=w+w+tw,+u,, H. Jung: Die allgemeinen Thetafunetionen von vier Veränderlichen. 489 Bar aw 4. VaV„=>.w—))- B 5 VS (w — w,)S (w — w,)S (w — w,) I (w — w,) wobei dem dV gleich ein passender Index gegeben ist. Wir erhalten so, da rw irgendeine der 64 Charakteristiken bedeuten kann, 64 Wur- zelformen. Da der Quotient je zweier dieser Formen gleich dem Quo- tienten zweier der Funktionen $(w) ist und dieser Quotient sich nach dem am Schluß von $ ı angeführten Satze von dem Quotienten zweier verwandten Funktionen © (»,w) und durch einen rationalen Faktor unter- scheiden kann, so sind die 64 Wurzelformen 64 verwandten ungeraden Funktionen ®(v,ı0) proportional, also den ungeraden Funktionen der Gruppe ©. Wir können daher setzen Ia. e,.w—v, w—w’) = e,ES,.(w— 1), (w— |), wo die e Konstanten sind, und wo E einen transzendenten Faktor bedeutet, der nie unendlich wird, und nur Null, wenn die obere und untere Grenze der Argumente in Ä(z) zusammenfaällen. Wir bestimmen nun die geraden Funktionen der Gruppe ©. Dabei betrachten wir zunächst die Funktionen nur als Funktionen der oberen Grenze. Es sei ©,,, eine der ungeraden Funktionen ®(v, w) der Gruppe 0. Dann ist @;,,(0,w) = konst. EI, (w— |). Setzen wir nun, wenn &,ß,y die Ziffern 1,2, 3 bedeuten, Al. = — 4b, = WH+ WW. — W— u, = 4l— 2W, — 2w, = 2W.+ 2w,— 4l, so ist S(w— w)S(w— w I Ww—w +.) + /,.) Suw—w)2,w—D) eine rationale Funktion. Daher können wir schreiben VSw— w.)S )w- — W, .) 6. © = = (05:0) BR Slw— w w') x us (w— w-+1,,) VR, wo R eine rationale Funktion ist. VR ist sicher nicht rational. Da aber das Quadrat von YR rational ist und da, wie aus (6) folgt, YR sich überall rational verhält, so gibt es zwei Funktionen ®,(v, w), E,(v,w), so daß ®, VR —YR 9 rational ist. Da es ferner zu den drei Funktionen ®,.,; ©,, ©, eine vierte ©,..., Zibt, so daß 490 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. Mai 1905. — Mittheilung v. 27. April. rational ist, so folgt VS(w— w,)$(w— w,) 4 ® Vo Ze mE cr A: N 2 ) S(w— w') " ( ) I; wo g eine rationale Funktion bedeutet. Dieser Ausdruck läßt sich weiter umformen. Da diese Umformung genau so ist wie im Falle =ıund r=2', so sei hier nur das Resultat angegeben. Zur Ab- kürzung sei gesetzt . VSw—-w)Sw—w) = PB; , VS(w — w;)$(w — w,) le By ® Dann ist Ib. e,.,0—v, w—w) = Guru \P..(w) P;,(w’)S,,(w — w'+ 1,.) ). Ne Zi 2 au W ) = S(w— w’) a) + By zu o@ +P,.(w') P;,(w)S,.,(wW— w+1,.)}. (e—622,5) Die so dargestellten Funktionen sind sicher gerade; denn die un- geraden müssen sich als das Produkt einer Funktion der oberen Grenze mit einer Funktion der unteren Grenze darstellen. Wir be- kommen drei Reihen von je 64 Funktionen und diese entsprechen den 3-64 geraden Funktionen der Gruppe 0. Daß die Zuordnung in der angegebenen Weise richtig ist, sieht man mit Hilfe des am Schlusse von $ ı angegebenen Satzes« « 5 3. II. Es sei in du = dv+dw das Differential dw nicht gleich Null. do + dw darf nur von gerader Ordnung verschwinden. Das gilt noch, wenn wir 2 durch — 2, also dv durch — dv ersetzen. Der quadratische Differentialausdruck (dv + dw) (dv — dw) = dv’— dw’, der rational in X ist, wird also nur von gerader Ordnung Null. Setzen wir 8. dv’ — dw” — dt”, so wird dt ein Differential sein, das nirgends unendlich wird und an seinen Nullstellen nur Null wird wie eine rationale Funktion aus Ä. Es verhält sich aber dt noch nicht wie ein rationales Differential in K; denn ein solches wird an den einfachen Nullstellen von 2° gerade so Null wie z. dt aber wird an diesen Stellen überhaupt nieht Null, da an ihnen zwar dw, aber nicht dv Null wird. Es verhält sich also erst zdt wie ein rationales Differential in X. zdt kann nicht rational sein. Denn dann würde aus der Gleichung (8) folgen zdv+2zdt zdv — zdt div dw z ! ScHorıKY, ÜRELLES Journal Bd. 106, S. 261f. Jung, ÜrELtes Journal Bd. 126 S. 45 £. 2 m — | H. Jung: Die allgemeinen Thetafunetionen von vier Veränderlichen. 491 also eine Zerlegung der Funktion 2° in das Produkt zweier in X rationalen Funktionen, die nur unendlich werden, wo 2° unendlich wird. Das ist aber im allgemeinen nicht möglich. Da nun z’dt rational ist, so muß zdf rational werden durch Multiplikation mit einer Wurzelform zweiter Ordnung aus X. Jede dieser Wurzelformen gehört zu einer bestimmten von © verschiedenen Charakteristik. Wir nehmen an, daß zdt rational wird durch Multiplikation mit einer zur Charakteristik », gehörenden Wurzelform. Es seien mit dW diejenigen Differentiale erster Gattung aus Ä bezeichnet, die nur von gerader Ordnung Null werden. Dann ist jede der Wurzelformen YdW einer ungeraden Funktion S(w— w’) proportional. Wir geben ihr den Index dieser Thetafunktion. Es entsprechen nicht allen .64 Indizes Wurzel- formen, sondern nur den 28 ungeraden. Ist & ein ungerader Index -und: ebenso aw,, so ist VaW,.dW,,, eine Wurzelform zweiten Grades der Charakteristik »,. Solche Indizes # gibt es 6, nämlich: W,W,, T,T,W,, T,T,W 9. 7,0,, T,W,, T,W,W,, T,W,W,, 20 3 die wir auch einfach mit I, 2, 3,4, 5, 6. bezeichnen. Wir‘ setzen (AW.dW.,, Rt „ _VaW.aW.. dhv wo dw irgendein Differential erster Gattung aus Ä ist. Von den 6 Größen £, sind nur 2 linear unabhängig und der Quotient zweier ist rational. Es wird zdt rational durch Multiplikation mit irgend- einem der £. Aus der Gleichung (8) folgt (dv + dt) (dv — di) = dw* . Wir setzen 17% de+ dt = da, dv— dt —= db. Es sei 2 irgendeines der £,. Es sind dann zda und zdb Diffe- rentiale im Körper Ä(£) und da und db unterscheiden sich nur durch das Vorzeichen von &. Wir nennen sie daher konjugiert. Sie werden Null an den Nullstellen von dıw. Nun entsprechen jeder Stelle in X zwei durch das Vorzeichen von & unterschiedene — wir nennen sie konjugierte — Stellen in Ä(£). Da da und db konjugiert sind, so wird db an den konjugierten Nullstellen von da Null. Die Nullstellen von dw sind erstens die einfachen Nullstellen &, &,, &, &, von 2’ und dann die 4 Nullstellen, die dw in X hat. Sind da und db bestimmt, dann ist die gesuchte Wurzelform 12. Von 492 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. Mai 1905. — Mittheilung v. 27. April. S4- Der Körper K(2) enthält außer den Differentialen dw, von denen drei linear unabhängig sind, noch die Differentiale erster Gattung VaW.dW.,, vom Geschlechte 3+2 = 5. Der Körper Ä(£) gehört zu denen, die Hr. WirrıneEer in seiner Arbeit: Untersuchungen über Thetafunktionen, Leipzig 1895, betrach- tet, freilich zu einem ganz andern Zwecke. Unter den zu dem Körper von denen zwei linear unabhängig sind. Er ist also gehörenden Thetafunktionen zweiter Ordnung sind solche, die in das Produkt einer Thetafunktion erster Ordnung von A und einer Theta- funktion von zwei Veränderlichen zerfallen. Wir bekommen so die ı6 T'hetafunktionen zweiteiliger Charakteristik von zwei Veränderlichen. Wir bezeichnen sie mit (2). Nehmen wir als Argumente Integrale erster Gattung, so werden die Differentiale der f, da diese nur vier primitive Perioden haben dürfen, lineare Funktionen der Differentiale VaW,dW,,-' Sind daher n und 7 zwei konjugierte Stellen in Ä(£), und ebenso », und 7,, so gilt die Gleichung fa+ es oder at = — ve 9, n, N, 7, 7 und folglich in u Ar 7 "y 9 [a = dt + |dt = |dt+ |dt+ |dt, ”, 7 N, 7 N n bu] n I I L di = —- |d—-— Id. 2 2 N ” N Wir können daher setzen 12. ı=2 a. «/ 7 ı Dann ist der konjugierte Wert von £ gleich —t. Wir betrachten irgendeine der Funktionen S(— a), wo die aKon- stanten sind, als Funktion der Grenzen des Integrals {. Wie im An- fang dieses Paragraphen gesagt, ist das Produkt von $(!—.a) mit einer passend gewählten Thetafunktion erster Ordnung aus Ä gleich einer Thetafunktion zweiter Ordnung von K(£). Da als Funktion der Stelle 7 jedes Theta zweiter Ordnung aus Ä(&) an 2-5 = 10 Stellen und jedes ! June, Diese Berichte 1904, LII. H. June: Die allgemeinen Thetafunetionen von vier Veränderlichen. 493 Theta erster Ordnung von X innerhalb X an 3, also innerhalb X(£) an 6 Stellen verschwindet, so verschwindet $(£—.a) an 10—6 = 4 Stellen. Die Funktion $(£+.a) verschwindet dann, da —? der konjugierte Wert von t ist, an den 4 konjugierten Stellen. Nun ist, wenn die db auch Konstanten sind, S(t—b) S(t+b) S(t—a) S(t+a) eine rationale Funktion in Ä(£) und da sie mit ihrer konjugierten übereinstimmt, gleich einer rationalen Funktion aus X. Diese in X rationale Funktion hat in X vier Unendlichkeitsstellen, und da die beiden Konstanten db willkürlich gewählt werden können und man außerdem zu der Funktion noch eine willkürliche Konstante hinzufügen kann, so gibt es zweifach unendlich viele Funktionen mit denselben vier Un- endlichkeitsstellen. Daraus folgt, daß diese Unendlichkeitsstellen, also die Nullstellen von $(!— a) S$(t+.a), die Nullstellen eines Differentials dw erster Gattung aus X sein müssen. Folglich wird $(£—a) bei be- liebigen a an vier Stellen Null, die mit ihren konjugierten zusammen die Nullstellen eines Differentials erster Gattung aus Ä bilden. Um- gekehrt: Ist dw ein beliebiges Differential erster Gattung aus Ä, so kann man die beiden Konstanten @ so bestimmen, daß zwei der Null- stellen von $(£—.a) mit zweien der Nullstellen von dıo zusammenfällen. Dann müssen aber die beiden anderen Nullstellen auch Nullstellen von dıw sein, da dıw durch zwei seiner Nullstellen bis auf einen konstanten Faktor bestimmt ist. Über die Nullstellen von $(£—a) gilt noch der Satz, daß sie nicht die einzigen Nullstellen einer in Ä(£) rationalen Funktion bilden können." Wir betrachten noch speziell den Fall, wo die a gleich Null sind, also die Funktion $(f). Sie wird an vier Stellen Null, und da sie von ihrer konjugierten $(—t) höchstens durch das Vorzeichen verschieden ist, so wird sie auch an den konjugierten Null. Das ist aber, da eine Stelle mit ihrer konjugierten nie zusammenfallen kann, nur möglich, wenn die vier Nullstellen von $(f) paarweise zusammenfallen. Also wird S(£) an den Nullstellen einer Wurzelform aus X Null, oder die 16 Funktionen $(f) sind 16 der Funktionen VYaW proportional. Nun kann (2) nicht an den Stellen Null werden, wo eine der 12 Funktionen VaWw,, Vaw,,, (&= 1, 2,:..-.6) Null wird, weil es dann eine rationale Funktion gäbe, die nur an den Nullstellen von $(£) Null würde, näm- dW, / lich eine der Größen vr oder 17 Wen, dW, d Wr [23 ! Wırringer, Untersuchungen über Thetafunktionen, $ 42 und 43. 494 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. Mai 1905. — Mittheilung v. 27. April. Außer diesen gibt es aber nur noch 23—ı2=16. Es sind daher die 16 Funktionen $(t) den 16 noch übrigen Wurzelformen YdW pro- portional. Die Indizes dieser 16 Wurzelformen enthalten entweder 7,, nämlich die 6: TA. T,W,T,, M,W,T,T,, W,W,T,, 7,W,%,T,, T,W,W,T,, T,W,W,T, oder 7,w,, nämlich die Io: 15. 7,0%, , M,0,%,, R,d,R,, F,W,T,T,, T,ı,UW,, TR, W,W,T,, T,W,D,, T,W,W,T,, T,W,W,W,, T,W,W,W,T,T,. Denken wir uns von diesen Indizes =, und w, fort, so stellen die übrigbleibenden Indizes diejenigen Charakteristiken dritter Ordnung dar, die in der ersten Reihe zwei Nullen enthalten. Denken wir uns diese erste Reihe fort, so erhalten wir alle Charakteristiken zweiter Ordnung. Wir geben daher jeder Charakteristik zweiter Ordnung das Zeichen der- jenigen Charakteristik dritter Ordnung, die aus ihr durch Vorsetzen von zwei Nullen entsteht. Die Theta von zwei Veränderlichen be- kommen als Index das Zeichen ihrer Charakteristik. Die Zuordnung der Funktionen S(f) zu den Funktionen.YdW muß nun so gewählt werden, daß, wenn $,, S,, S, den Funktionen Vaw,, VaWw,, VdaW, entsprechen, daß dann S,,. der Funktion VaW 50 ent- spricht. Das ist der Fall, wenn wir bei ungeradem $ die Funktion $, der Funktion Vaw,. und bei geradem $ der Funktion VW. entsprechen lassen. Wir betrachten nun noch die 6 ungeraden Funktionen für das Argument ?—{, wo t von der Stelle £ und ? von der Stelle „ ab- hängen möge. Es seien $, und $, irgend zwei der ungeraden Funk- tionen. Die Funktion 3,(t—f‘) (tt) ist nicht rational, aber sie verhält sich wie eine rationale Funktion und ihr Quadrat ist jedenfalls rational. Zähler und Nenner der Funk- tion werden je an vier Stellen Null, die mit ihren konjugierten zu- sammen die Nullstellen eines Differentials dw bilden. Da Zähler und Nenner die Nullstelle &=„ gemeinsam haben, so wird die Funktion nur an drei Stellen Null und unendlich. Es läßt sich zeigen, daß jede solche Funktion die Form hat VaWw.aW., #VaW.aW.,, Vaw;aW;, +VaW;aW;,, H. June: Die allgemeinen Thetafunctionen von vier Veränderlichen. 49? Aber es ist eine rationale Funktion in K(£). Also muß entweder ab = «ß oder ab = xßw, sein. Da aber & durch «w, ersetzt werden kann, so können wir annehmen, ab —= aß. Die Indizes & und 8 sind aus der Reihe (9) und a und db aus der Reihe (14) zu wählen. Daraus folgt a= a, b=%. Wir können daher, wenn a einen ungeraden Index bedeutet, setzen (tt) = kugl) VaW.aW..., + VAW.. Wa.» [/2:2 Am, wo %k, eine Konstante, g eine vom Index a unabhängige Funktion und e ein Vorzeichen ist. Wäre nun e= —ı, so könnte g nirgends Null werden. Denn es könnte höchstens an einer den sechs ungeraden Funktionen $,({—t’) gemeinsamen Nullstelle verschwinden, also höch- stens für &= n; dafür verschwindet aber, wenn e= — I ist, sehon der Faktor von g. Ebensowenig könnte g unendlich werden. Es würde dann $,(£—t’) die vier Nullstellen von Va w,daW, .—Vd W;,.d We zu Nullstellen haben. Nun gibt es aber in X(£) eine rationale Funk- tion, die an denselben vier Stellen und nur an diesen Null wird, nämlich VaW,. dW,,.—VaW,,d Vaw. aW.... +VaW._dW.. Das darf aber, wie wir in $ 3 angegeben haben, nicht möglich sein. Es ist daher e=-+1 und 8.1) = kg dWAW., Wen, + VAW Want ArWr g wird an der Stelle n„ Null und an der konjugierten 7’ unendlich. Gehen wir zur konjugierten Gleichung über, so bekommen wir S(+t) = kg N) VaW,.aW.,., —VAW, Wan; arı Arjwr AR: ’ 9(—t) wird an der Stelle 7’ Null und an der konjugierten 4 unendlich. Setzen wir 6 (£ ) v9 ) I (t a f) Va Wer, Wen = Va we Wet I = ei Sal; Wen Wer d 9—)) SEHE) VaW,.dW,,..+VdW.,dW..., so ist #(£&,») eine Funktion, die nur an der Stelle „ Null und nur an der konjugierten 7 unendlich wird. Die Funktion #(£,) wird umgekehrt an der Stelle „' Null und an der Stelle „ unendlich und es ist 17. EHEN =. 496 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. Mai 1905. — Mittheilung v. 27. April. $ 5. Wir können nun die in ÄX(£) konjugierten Differentiale da und db bestimmen. Jeder der Nullstellen &,&,,&,&, von 2° entsprechen zwei kon- jugierte Stellen in Ä(), die wir mit &, und &/ bezeichnen. Wir unterscheiden sie so. Es bedeute dW® den Wert von dW für die Stelle &.. Es sei ferner y ein in Ä() geschlossener Weg, der keine der Nullstellen von YdW,_dW®, —VdaW®dW,..„(@= 0,1,2,3) um- schließt, der aber so beschaffen ist, daß VaW,., und an ihr Zeichen ändern, wenn dieser Weg durchlaufen wird. Für diesen Weg setzen wir eine bestimmte Richtung als positive fest. Durch- läuft nun die variable Stelle & den Weg y in positivem Sinne, so ändern die beiden Funktionen VdW,. ‚awd,, —Vaw@awW,, „u, und Vaw,,, aw®. +Vaw® dW,, «hr ah Mr Produkt ist aber rational, und da y keinen der Nullpunkte dieses rationalen Diffe- rentials umschließt, so nimmt dieses Differential bei dem Umlaufe gar keinen Faktor an. Bekommt also bei dem Umlaufe die eine der Funktionen VYdW,. ‚aw® +VaWw® dW,,. 15 den Faktor e*”, so Arıwy bekommt die andere den Faktor e””. Die Vorzeichen seien nun so bestimmt, daß VdaW,,d dw®, N —VaW® dW,... den Faktor e*” an- nimmt. Die Nullstelle de unktion bezeichnen wir dann mit £, und die konjugierte Nullstelle mit £. Es ändert sich dann jede der Funktionen $(£,&,) bei einem positiven Umlaufe der Stelle £ über den Weg y um den Faktor e+”. 3 Wir bilden nun das Produkt A,=]]J»(£, £). Ersetzen wir in Be diesem Produkt den Faktor #(£,&) durch seinen konjugierten, so er- halten wir ein neues Produkt, das wir mit A, bezeichnen. Ersetzen wir in A, die beiden von $(£,£) und (£, &) verschiedenen Fak- toren durch ihre konjugierten, so nennen wir das neue Produkt A,;. Wir bezeichnen ferner die konjugierten der Produkte A, mit B,, so daß immer A,B, = 1 ist. Zur Abkürzung sei, wenn f, den Wert der Integrale ? für die Stelle &, bedeutet, 18. =M=LHththHl, 21, = Lt, 2%, = tt ta — 2A. Es bedeute ferner S,, eine beliebige der Theta von zwei Veränder- lichen und es sei dw,,, das Differential erster Gattung aus X, dessen Nullstellen mit den Nullstellen von S,,(£+,)S,,(t—?,) zusammenfallen. Dann können wir setzen H. Jung: Die allgemeinen Thetafunetionen von vier Veränderlichen. 497 n u % 3 a on rose, De ng 5 “a RN Zunächst sind da und db in K(£) konjugiert, dann sind sie Differen- tiale erster Gattung, weil für die Unendlichkeitsstellen von A und B und für die Nullstellen von $_,(£+A,) und $,,(£—A,) dw gleich Null wird. Ferner ist dadb = dw’. Es bleibt noch übrig zu zeigen, daß da db ‚ 2 und z rational sind. Lassen wir die obere Grenze einen ge- dw dıv schlossenen Weg durchlaufen, so ändern sich die £ um Perioden. Da- j da db _ 3 bei bleiben aber z2-—- und 2-— zufolge der Werte der Größen A un- w ) geändert. Sollte der geschlossene Weg einen oder mehrere der Null- stellen Z, von 2 einschließen, so bleiben die Funktionen doch unge- ändert, da sie an diesen Stellen so Null werden wie 2°. Durehläuft schließlich die obere Grenze den Weg y, so ändern : & : a db i sich die Funktionen 2-—— und 2-— um den Faktor +1 oder — 1, je dıw dıw nachdem die Anzahl der in A enthaltenen Faktoren #(£,£/) gerade oder ungerade ist. Diese Anzahl muß also gerade sein, d.h. für den Index n sind nur die Werte 00, 01,02,03 zulässig. Aber dann sind 4 db 2 - und z-- auch rational, da sie bei allen geschlossenen Wegen dw dıw ungeändert bleiben. Es sei noch dW das schon früher benutzte Differential erster Gattung, und es seien die u so bestimmt, daß $,(t+u)S,(t—u) an den Nullstellen von dW verschwindet. Dann ist diw,.. Sr, +28. —8) dW een Al und dW — seh t - 20 | dm EN ran i dW „—!t E ) SEES Als Wurzelformen haben wir nun zu nehmen Vda=+ Vdb 2 ae - oder, da wir einen gemeinsamen Faktor fortlassen können, \ u. =VAS.&n+D+VBS.&A—), U... =VAS. a +dD—VBS(n—1); wo wir gleich passende Indizes hinzugefügt haben. IE Sitzungsberichte 1905. 50 498 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. Mai 1905. — Mittheilung v. 27. April. Wir erhalten so, den vier Werten von n entsprechend, vier Reihen von Wurzelformen. Da rw irgendeinen der 16 Indizes bedeutet, so enthält jede Reihe 32 Wurzelformen. Der Quotient zweier sich nur durch das Zeichen unterscheidenden Wurzelformen wird rational nach Multiplikation mit <. Denn es ist Vda+Vdb _ zda +2db+ 22V dadb Va—VYdb zda — zdb und, da zda und 2db konjugierte Differentiale sind, da ferner 2V dadb — zdw rational in X (2), so wird der Zähler rational in X(z), der Nenner aber erst nach Multiplikation mit &. Der Quotient zweier durch das Vorzeichen von Vdb unterschiedenen Wurzelformen unterscheidet sich /dW. *. lw—w) i ; ro — — Znungumgenengraugs dW, I, (w — w’) nalen Faktor. Entspricht also die eine der Funktion ©,(v, w), so ent- spricht die andere nach dem Satze um Schlusse von $ ı der Funk- tion ©, (®, ). Betrachten wir ferner den Quotienten zweier anderen Wurzel- formen derselben Reihe, etwa aw ( daher von £ oder von V BR De) Ne Een A Va ya, Sen er Tan ind + un Vda-+Vab ar 2(V da + Vab)' SE Diese Funktion wird nach Multiplikation mit - Er EN, rational. Denn der Zähler wird dann sicher rational in X(z,£) und, da er sich nicht ändert, wenn man & in —£ verwandelt, so wird er rational in Ä(2). Der Nenner aber ist, wie wir schon eben sahen, rational in Ä(2). (a i Sul). e - j n Der Quotient — -— ist aber gleich dem Quotienten zweier Wurzelformen Sf) aus Ä und also gleich dem Quotienten zweier der Funktionen S(w—w'). Es ist daher der Quotient zweier Wurzelformen derselben Reihe bis auf einen rationalen Faktor gleich dem Quotienten zweier der Funktionen S(w— uw). Daher sind die 32 Wurzelformen einer Reihe nach dem Satze am Schlusse von $ı 32 verwandten Funktionen proportional und zwar wie eine genauere Betrachtung zeigt, 32 Funktionen der Gruppe w,. Daher können wir setzen, wenn rw eine r, nicht enthaltende Charaktetistik bedeutet, E.V. oarmw — Oami ? I BO, —v, w—w') = e oa H. Jung: Die allgemeinen Thetafunctionen von vier Veränderlichen. 499 wo die e Konstanten sind, und wo Z, einen transzendenten Faktor bedeutet, der zu dem bei den Funktionen der Gruppe o eingeführten Faktor E in der Beziehung steht (zufolge der bei der Bildung der Wurzelformen fortgelassenen Faktoren) 2 m Le w— w,)S(w— w,)]| ZU: E, = —— = sun: VHS Die Werte der geraden Funktionen @(v,w) der Gruppe w, zu bestimmen, ist für unsere Zwecke unnötig. $ 6. Wir setzen jetzt die Werte der Funktionen ®(v,w) aus la, $2 (S.489) in die Gleichung Ia, $ı (S.487) ein, nachdem wir in ihr =’ gleich =, gesetzt haben. Dann folgt 212, 0.(w)® (ev) = +E)e,.(r|w)S I, w— NS, (w—1). («) Nun lassen sich aber die Funktionen $,(w — /)S,(w—!) linear mit kon- stanten Koeffizienten durch die 8 Funktionen ©_(w — w’)-©_(w + w— 21) ausdrücken. Da aber die linke Seite der Gleichung (22) durch ©, (w— w’) teilbar ist, und es also auch die rechte sein muß, so folgt Ia. e.w—v) = (,EO, (w+ w—.2l), wo (C, eine vom Index = unabhängige Konstante ist, was analog wie im Falle r=ı und r=2' bewiesen wird. Nun setzen wir die Werte aus Ib, $ 2 (S. 490) in die Gleichung Id, $ ı (S. 487) ein, nachdem wir in ihr =’ gleich =, gesetzt haben. Nach analoger Umformung wie eben bekommen wir Ir 8_k-v)=: En VS(w w)S(w— w, \(w— ww; )Sw—w,)®, (w— w'+ 2]1,,.) +YVS(w— w,)S{w’ nn w,)O_(w— w+ 21,.)| (@=1,2,3) wo wieder die C vom Index = unabhängig sind. Setzen wir vo=v,w= w', so bekommen wir für die Nullwerte, die wir mit c bezeichnen, le. C,. = k(,9,(21,.) wo gesetzt ist DER, ee en zn Ben 23. k= „lim, So w—w)S (w — w,)S(w— w, )S (w— w,) - ! ScnorrKY, ÜRELLES Journal Bd. 106, S.259. Jung, Ürerres Journal Bd. 126, S.43. 50* 500 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. Mai 1905. — Mittheilung v. 27. April. Die Konstanten C, lassen sich so darstellen G=H#]]S(w.— w;), (e<ß=0,1,2,3) Id. C: = 4I(w, — WS (w; — W,) , @=1,2,3) wo Ah einen naturgemäß unbestimmt bleibenden Faktor bedeutet. Die Formeln werden besonders einfach, wenn wir noch w —= w, annehmen. Dann haben wir, wenn wir zur Abkürzung 2: 21, — 21m 23: >(w,— Wp)I (wg — w,)I(w, — W,) = (By) setzen, 1 0.0 = DNB nz wo 26. E=- eeL Be N h — - 4, es Br 27: r 2 a VS(w— w,) V S(w, — w,)S(w, — w,)S (w, — W,) 72] 7l- Wir setzen die Werte aus I’, $ 5 (S. 498) in die Formel IL, $ ı (S. 487) ein, in der wir unter 7’ eine 7, nicht enthaltende Charakteristik verstehen müssen, damit die in dieser Formel vorkommenden Funktionen O(v,w) ungerade sind. Wir bekommen 1.7 0,...@—W)o, .„ w—2)— +E>(® De, (w) ‚w—w’) eine ungerade Funktion, verschwindet also für = w‘, und zwar, da sie unabhängig von z ist, welches Zeichen auch z hat. Rechts wird aber Z, nur für einen Wert von 2 Null und deshalb muß für den anderen der Faktor von ‘, verschwinden. Daraus folgt, daß die Konstanten e, deren Indizes sich nur um w, unterscheiden, einander gleich sein müssen. Aber es müssen überhaupt die Konstanten e, deren Indizes sich um irgend- ein w unterscheiden, einander gleich sein. Wir nehmen das zunächst so an und werden bald sehen, warum das so sein muß. Wir unter- scheiden im folgenden die beiden Fälle, wo = den Index 7, enthält (IIa) und wo nicht (II). Der Fall IIa liefert uns gerade Funktionen O(v) und der andere ungerade. Ferner wollen wir im folgenden unter z immer einen Index verstehen, der =, nicht enthält, ebenso unter w einen Index, der w, nicht enthält. Beachtet man die Gleichungen Us oar'w Enthält = den Index 7,, so ist © Trm'w (7,#|ww,) — (.|»w,)(# | ww,) = (#,|w.)(#,|w)(# | w,)(# | w) = — (#|w), H. Jung: Die allgemeinen T’'hetafunetionen von vier Veränderlichen. 501 da (?7,w,) eine ungerade, 7,» und rw, aber gerade Charakteristiken bedeuten, so folgt Ile. ©,... (w—w)®,. ev) =. | (mo) e.V — U erz: Von} (5) Eon ne... ev) — tr. ED eo) U U Vera - (w) In diese Gleichungen haben wir die Werte der U aus II, $ 5 (S. 497) einzuführen. Die Formeln werden einfacher, wenn wir außer den Funktionen (ft) von zwei Veränderlichen noch diejenigen Funk- tionen zweier Veränderlichen einführen, die die Perioden » mit den (ft) gemein haben, für die aber die Perioden x nur halbe Perioden sind. Diese Funktionen bezeichnen wir mit ®(f). Sie stehen zu den Funktionen (2) in demselben Verhältnis wie die Funktionen ®(w) zu den Funktionen S$(w). Nun bestehen für beliebige Argumente die Gleichungen 27. > (#|o)S,. 98,8) = 49. !)O,(t+t). (w) Benutzen wir diese Gleichungen, so folgt aus Ha und IIb 102707... w%))0, . 0) = Ko) 46... 2,9. (t+1)) |VA..B..@,((—t' +22.) + VALB_o,( —t+22,.)}, Ib. o,., (w— w’)® Mel) — 46,0 BE, 9,.(— 1) VA. A0.(t+t'+22,)+VB.Bo lH a8. Denken wir uns in a =’ durch einen andern Index 7” ersetzt und die so erhaltene Gleichung durch IIa dividiert, so folgt 2 8 Oh, (w Zu w') ga Gar © all ar t )) BO, WW) om 0. (+) Die linke Seite ist hier ganz unabhängig von z, also muß es auch die rechte sein. Das ist nun tatsächlich der Fall; aber das kommt nur daher, daß wir die Konstanten e, deren Indizes sich nur durch ein » unterscheiden, als gleich angenommen haben; denn nur dann können wir die Gleichungen (27) anwenden. Ersetzen wir in (28) # durch =r’=” und multiplizieren die neue Gleiehung mit (28), so folgt Eoam" I= 2 ’ Coar — re, 5 Eoan' Aus (28) schließen wir also, indem wir” =rundr’”=r, an- nehmen, 9,6+t) |, eLl+t) 29. — er 2 0,., (ww) E,. (w—w’) 502 Sitzung der phys.-math. Classe v. 11. Mai 1905. — Mittheilung v. 27. April. Ebenso folgt aus II o.d—L) e,t—t) 30. ee en o.w—w) o,w — w I Nehmen wir nun in Ha und Id =’ =7r, und setzen sa A van, — ——— K, ’ so folgt mit Benutzung von (29) und (30) o,(t+t) ‚ Ile. 0, ev) =K, ES er FE U ABe B..9,(t—t' + 2X ,.) +VALB. Ol —t+ 22,.)| t— IId. © FjWıTan, w—v' )= = K, =, 6) nl w') „ VAnAL, (+ + 2X,.) +VB,„BL9.+t— 22, (7 ='7,, %., 7.0.90, 0, 70 0. = eh jür ae Setzen wiro=v', w=w', {=t', so bekommen wir aus Ila für die Nullwerte IIe. Cumn, = k,K„9,(2%..) 9 wo E ie EL lim ——— ; 2 oe, we) gesetzt ist. Die Konstanten X, lassen sich so darstellen: En el) (En zo) (e. Sie sind also von der größten Allgemeinheit. Die Argumente sind zwar nicht frei veränderlich, aber davon kann man sich mit Hilfe des Additionstheorems frei machen. Es möge zum Schluß noch die Bedingung aufgestellt werden, der die 10 Parameter genügen müssen, damit der Rırmanssche Fall eintritt. Es seien 7,, 7, und 7, drei zu je zweien syzygetische Perioden und es bedeute r, die Periode ©. Es bezeichne ferner irgendeine der 8 Perioden, die sich aus den 7, zusammensetzen lassen. Dann gibt es unter den T'hetafunktionen von vier Veränder- lichen drei, etwa ®,,©,,®, von der Art, daß die 24 Funktionen 0_.,,©,,©,, von einander verschieden und alle gerade sind. Be- zeichnen wir den Nullwert von ®,, mit c_, und das über die 8 Pe- rioden = erstreckte Produkt [ Je... mit r., so ist die Bedingung für (r) den Rırmansschen Fall in der Form darstellbar! Blalz Vr,&Vr,&Vr, 0% Nun sind aber die 24 geraden Funktionen der Gruppe oO gerade solche Funktionen, wie sie zu diesem Satze gebraucht werden. Wir können unter den Größen e,, direkt die Größen ec, in der Gleichung Ice auf Seite 499 verstehen. Setzen wir die Werte in die Gleichung (34) ein, so bekommen wir als Bedingung für das Eintreten des Rırmansschen Falles 35. S(w,— w,)S (w,— w,) y1le-@.. +3 (w,— w,)S (w, — w,) yıl ®,(21,,) (") (r) + 3(10,— w,)S (w, — ı,) yılee«) —n eo); (#) wo die Produkte über die 8 Perioden 7 zu erstrecken sind. ! ScHorrkY, ÜRELLES Journal Bd. 102. Ausgegeben am 18. Mai. 505 SEPZUNGSBERICHTEE 7 1208 AXV. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 11. Mai. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. DıELs. 1. Hr. Pıscner las über den Ursprung des christlichen Fisch- symbols. Es wird versucht zu zeigen, dass der Fisch als Symbol Christi, des Erretters, seinen Ursprung in Indien hat. Der Fisch, der Manu, den Stammvater der Menschen, rettet, wird als der Gott Brahman, oder meist Visnu aufgefasst. Von den Visnuiten übernahmen das Symbol die Buddhisten, bei denen die Christen es in Turkestän kennen lernten. Bereits vom 5. Jahrhundert v. Chr. an ist der Fisch in Indien als Glücks- zeichen (mangala) nachweisbar. 2. Hr. Krkute von Srtravonızz legte den von Hrn. Director TnEopor Wirsann eingesandten vierten vorläufigen Bericht über die Aus- grabungen der Königlichen Museen zu Milet vor. 3. Folgende Druckschriften wurden vorgelegt: Aıonvciov A Aorrinoy mer) YrYovc tertium edidit I. Vanten. Lipsiae 1905: Hanserecesse von 1477—1530 bearbeitet von D. ScHärer. Bd.7. Leipzig 1905; Das Bauernhaus im Deutschen Reiche und in seinen Grenzgebieten. Heraus- gegeben vom Verbande Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine. Historisch-geographische Einleitung von D. ScHÄrer. Dresden. 506 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 11. Mai 1905. Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. Von R. PıscHeı. Di älteste Zeugnis dafür, daß der Fisch als Symbol Christi gebraucht wurde, findet sich bei Tertullian, De baptismo e.ı (ed. Önter I, 619): Sed nos piscieuli secundum ixeyn nostrum Jesum Christum in aqua nascimur, nec aliter quam in aqua permanendo salvi sumus. Nach Acnerıs' ist die Schrift De baptismo jedenfalls vormontanistisch, fällt also noch in das zweite Jahrhundert. Da Tertullian das griechische Wort ixerc gebraucht, war ihm, wie man mit Recht bemerkt hat, bereits die Deutung des Wortes als ‘Iuco?c XPıictTöc eco? Yiöc CWTHP bekannt. Die Versuche, das Symbol aus dem Neuen Testamente zu erklären, sind gescheitert. Weder die Erzählung von dem Fisch mit dem Stater im Munde (Matthäus 17, 27), noch die wunderbaren Fisch- fänge (Lukas 5, 4 ff.; Johannes 21, 6 ff.), noch die Speisung der Massen mit zwei oder sieben Fischen (Matthäus 14, 17 ff.: 15, 34 ff.; Markus 6, 38 ff.; 8, 7; Lukas 9, 13 ff.; Johannes 6, 9 ff.) tragen irgend etwas zur Aufhellung der Entstehungsgeschichte des Symbols bei. Auch das Alte Testament bietet keinen Anknüpfungspunkt. Die Behaup- tung von Winternırz’, daß der Fisch in der Mythologie und im Kult der Semiten überhaupt eine hervorragende Rolle spiele, was bei den Indogermanen gewiß nicht der Fall gewesen sei, ist nicht richtig. Der babylonische Ea wurde von alters her in halber Fischgestalt dar- gestellt, und noch Sinacherib warf als Opfer für ihn einen goldenen Fisch und ein goldenes Schiff in die See.” Mit Ea hängt möglicher- weise der Hauptgott der Philister Dagon zusammen, dessen Bild nach jüngerer Überlieferung den Körper eines Fisches mit Kopf und Hän- den, vielleicht auch Füßen eines Menschen zeigte.” Atargatis, die ! Das Symbol des Fisches (Marburg 1888), S. 16. 2 Die Flutsagen des Alterthums und der Naturvölker (Wien ıgor), S. 328 (SA. aus Band XXX] der »Mittheilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien«). Dort findet sich die übrige Literatur über die Flutsagen verzeichnet. 3 Tiere, Geschichte der Religion im Altertum bis auf Alexander den Großen (Gotha 1896) I, 152. *4 TiELE, a.a.0. S. 258 f. Pıscner: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 507 Hauptgöttin der Syrer stürzte sich der Sage nach mit ihrem Sohne ins Wasser, und beide wurden in Fische verwandelt. Daher waren in Syrien die Fische der Atargatis heilig. In der Nähe ihres Heilig- tumes in Bambyke (Hierapolis) war ein Teich, in dem sich zahlreiche heilige Fische befanden, darunter auch ein mit Gold verzierter.' Noch heute werden heilige Fische in den Teichen bei den Moscheen von Tripolis und Edessa gehalten.” Die Heiligkeit der Fische scheint sich aber selbst in Syrien nur auf bestimmte Arten von Fischen erstreckt zu haben.” Die Hebräer aßen Fische, opferten sie aber nicht.‘ Es handelt sich also überall um Lokalmythen und Lokalsitten, die nichts eigentümlich Semitisches haben. Ähnliches findet sich auch bei den Indogermanen, speziell den Indern. Das Mahabharata 3, 82, 57 be- richtet uns, daß in dem heiligen Badeplatz Vimala sich goldene und silberne Fische befanden, und 12, 265. 9 rechnet es «die Fische unter die verbotenen Speisen, womit die Gesetzbücher übereinstimmen, die aber einzelne Arten von Fischen ausnehmen.”° Dwusoıs erzählt, daß an den Badeplätzen die Fische von den Brahmanen gefüttert werden und so zahm sind, daß sie aus der Hand fressen. Sie zu fangen, ist streng verboten.” Noch heute gibt es an vielen Stellen in Indien heilige Fische, die gefüttert und geschützt werden.” Heilige Fische zu essen, hatte Pythagoras verboten.” Der Versuch von G. Ficker, die Inschrift des Aberkios als heid- nisch zu erweisen," ist einstimmig für mißglückt erklärt worden. Der dort erwähnte Fisch hat mit Attis nichts zu tun, sondern ist, wie bei Tertullian, auf Christus zu deuten. Wir können daher das Fisch- symbol nicht aus dem Attismythus und Attiskultus erklären, wozu FicKEr geneigt war. Versagen aber alle semitischen Quellen, so entsteht die Frage, ob nicht das Symbol aus einer fremden Religion übernommen worden ist. Sein Sinn ist, daß unter dem Bilde des Fisches der Erlöser oder Retter bezeichnet werden soll. Deswegen deutete man auch das c des Wortes ! TıELE, a.a.0. S. 248; Roserıson Smirn, Die Religion der Semiten (Frei- burg i. B. 1899) S.ı35 mit Anm. 231. Rosgerrson SuriH, a.a.0. S. 136. Rosgerrson Smria, a. a.0. S.166. 222. Roserrson SmitH, a. a.0. S. 166. 5 Jorry, Recht und Sitte (Straßburg 1896) $ 59, S.157. Vgl. auch MBh. ı2, 36, 22. M&urs, institutions et ceeremonies des peuples de !’Inde (Paris 1825) II, 437 f. Croore, An Introduction to the Popular Religion and Folklore of Northern India ® p. 344 f. (Allahabad 1894). ® Boreus, De symbolis Pythagoreis (Berolinum 1905) p.17 ft. ° Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss. 1894, S.ıor ff. Die reiche, daran sich anschließende Literatur verzeichnet die Orientalische Bibliographie, Band 9 und ı2 Ss. v. G. Ficker. 508 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. ixevc als cwrAr. Gibt es also ein Volk, in dessen Sage und Kultus der Fisch die Rolle des Erretters gespielt hat, so wird es wahrschein- lich, daß das christliche Symbol von diesem Volke entlehnt ist, wenn sich auch sonst Beziehungen zwischen der Religion dieses Volkes und dem Christentume nachweisen lassen. Beides ist der Fall in Indien. Von ältester Zeit an sind uns Sagen überliefert, in denen ein Fisch als Retter erscheint, und zwar bei Brahmanen wie bei Buddhisten. Das Lied Rgveda 8,67 ist ein an die Adityas gerichtetes Gebet um Hilfe. Nach der Anukramanı ist sein Verfasser entweder Matsya Sammada, oder Manya Maitravaruni, oder viele in einem Netze gefangene Fische. Matsya »Fisch« ist nach der Sarvanukramanı (ed. MAcponELL p. 141) Name des Sohnes des Sammada, der König der Großfische (mahamina) genannt wird. Sayana bezeichnet den Sammada nicht als König, sondern nur als Großfisch.‘ In dem Liede selbst finden sich zwei Stellen, die man auf Fische deuten kann. In Strophe 8 heißt es mä nah sctuh sised ayam »möge uns nicht dieses Band binden«, und in Strophe ıı parsi dine gabhira a Ugraputre Jighamsatah mä kis tokasya no risat »rette uns, 0 du, die du gewaltige Söhne hast (= Aditi), in seichtem und in tiefem (Wasser)” vor dem, der uns zu töten wünscht; niemand möge unsere Nachkommenschaft schädigen«. Auch auf die krtrimä@ sarulı »den künstlichen Pfeil« in Strophe 20 kann man hinweisen, und darauf, daß zweimal im Vergleich das Wort baddha » gebunden «, » gefesselt« vorkommt, Strophe 14 »löse uns wie einen gefesselten Dieb « und Strophe 18 »das uns befreit wie einen, der gefesselt ist, aus der Fessel«. Diese Hindeutungen sind aber so schwach, daß ohne die An- gabe der Anukramanı niemand daran denken würde, das Lied gefangenen Fischen in den Mund zu legen oder auf gefangene Fische zu beziehen. Dennoch zweitle ich nicht, daß es in der Sage von Matsya Sammada eine Rolle gespielt hat. Im Satapathabrähmana 13,4, 3.12 Asyas layana, Srautasütra 10, TS — Sänkhäyana Srautasütra 16, 2, 22 ff. wird berichtet, daß am achten Tage des Pferdeopfers der König Matsya Sammada ist, seine Untertanen die Wasserbewohner. Diese, die Fische und Fischer (SBr. matsyahanas , AS. punyisthäh , SS. matsyavidah) sitzen vor dem Hotar und Adhvaryu. Der Veda dieses Tages ist nach SBr. und SS. der Itihasaveda ‚ nach AS. die Puranavidya, also das alte Itiha- sapurana. Aus ihm erzählt der Hotar eine Geschichte zur Belehrung. ! Nach Susruta p. 198, 16 ed. Cale. 1873 ist mahamına eine bestimmte Art von Seefisch. Der Name zeigt, daß es ein großer Fisch war. ® Vgl. RV. 10, 68, 8 mdtsyam nd dind udani ksiydntam. ® Vgl. auch die Kommentare dazu. Bei Sänkhäyana Ill, 347 ist 24 mit AD zu lesen ye tan va. So liest richtig Escrrıns, SBE. XLIV, p. 369, Anm. * GELDNER, Vedische Studien ı, 290fl.; Sıra, Die Sagenstoffe des Rgveda (Stutt- gart 1902), S. 20ff. Pıscher: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 509 Daß diese Geschichte dem Publikum angepaßt war, dem sie vorgetragen wurde, hier also den Fischern, ist selbstverständlich. Sie wird also von Fischern und Fischen gehandelt haben, und da Matsya Sammada ausdrücklich erwähnt wird, wird er voraussichtlich die Hauptrolle in ihr gespielt haben. Von einem Könige Matsya berichtet uns das Mahäbhärata ı, 63, ıff. folgende Geschichte. Der König der Cedi Uparicara bekam einst, als er im Frühling im Walde auf der Jagd war, solche Sehnsucht nach seiner Frau Girika, daß sich sein Samen ergoß. Da er nicht wünschte, daß der Samen nutzlos zugrunde gehe, wiekelte er ihn in ein Blatt und beauftragte einen Falken, das Blatt schnell der Girika zu überbringen, die an diesem Tage gerade zur Empfängnis besonders geeignet war. Unterwegs begegnete dem Falken ein anderer Falke, der ihn angriff, weil er das Blatt für ein Stück Fleisch hielt. Während des Kampfes fiel das Blatt in die Yamuna und wurde von einem Fische verschlungen. Dieser Fisch war die Apsaras Adrikä, die infolge des Fluches des Brahman in einen Fisch verwandelt worden war. Nach zehn Monaten fingen Fischer dieses Fischweibehen, und als sie ihm den Bauch aufschnitten, kam ein Knabe und ein Mädehen daraus hervor. Die Fischer, über das Wunder er- staunt, brachten die Zwillinge zum König Uparicara, der den Knaben behielt, das Mädehen aber einem Fischer als Adoptivtochter übergab. Die Apsaras Adrika wurde auf diese Weise von ihrem Fluche befreit, der Knabe wurde der gerechte, wahrhafte König Matsya, das Mädchen, Satyavatı, vom heiligen Parasara verführt und die Mutter des Vyasa, der für den Verfasser des Mahabhärata gilt. Die Geschichte ist echt indisch, nach unserem Empfinden freilich weniger erbaulich als schmutzig. Sie könnte sehr wohl beim Pferdeopfer vorgetragen worden sein, bei dem mehrere sehr obszöne Zeremonien stattfanden." Der gerechte, wahrhafte König Matsya des Mahabhärata dürfte nicht verschieden sein.von dem Matsya, den eine Legende in der Brhaddevata 5, 149ff. ed. MAcponerL erwähnt, da hier sein Ursprung in ähnlicher Weise geschildert wird wie im Mahäbhärata. Die beiden Adityäs Mitra und Varuna sahen bei einem Opfer die Apsaras Urvası, und es ging ihnen dabei wie dem König Uparicara im Walde. Der Same fiel teils in einen Krug, teils ins Wasser, teils aufs feste Land. Auf dem Festlande entstand der Muni Vasistha, im Kruge der heilige Agastya°, im Wasser der glanz- reiche” Matsya. Sırs hat zu dieser Erzählung bereits auf den Matsya Simmada der Anukramanı hingewiesen.” In der nur kurz angedeuteten Hıtregranor, Ritual-Literatur, S. 150. 152. Sıes, Sagenstoffe, S. 105 ff. Vgl. die v. 1. bei Macoonerır II, 204. Sagenstoffe, S. 106, Anm. 2. 510 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 11. Mai 1905. Legende wird Sammada nicht genannt. Wir kennen ihn aber aus einer andern Erzählung. Einen Fischkönig Sammada erwähnt nämlich das Visnupuräna 4, 2. 19ff. Dort wird erzählt, daß der heilige Saubhari, ein Anhänger des Rgveda, zwölf Jahre lang im Wasser wohnte. An dieser Stelle hielt sich der König der Fische Sammada auf, der viele Nachkommenschaft hatte und von außerordentlicher Größe war (ati- bahuprajo "tipramano minädhipatih). Als Saubhari sah, wie Sammada Tag und Nacht mit seinen Kindern und Enkeln in reizender Weise spielte, da überkam ihn das Verlangen, auch seinerseits mit eigenen Kindern zu spielen. Er stieg aus dem Wasser heraus, begab sich zum König Maändhätar und bat diesen, ihm eine seiner Töchter zur Frau zu geben. Maändhatar hatte fünfzig Töchter, aber er trug doch Be- denken, dem vom Alter mitgenommenen Heiligen eine Tochter zu geben. Da er aber die Bitte aus Furcht vor dem Fluche des Heiligen nicht abzuschlagen wagte, überließ er die Entscheidung seinen Töchtern. Während der Eunuch in das Frauengemach ging, um den Heiligen an- zumelden, verwandelte sich dieser in einen überaus schönen Mann. Als er darauf in das Frauengemach trat, umringten ihn die fünfzig Töchter voll Verlangen und Liebe wie die Elefantenkühe das Haupt der Herde, und jede wünschte ihn zum Manne. Er heiratete sie alle fünfzig und hatte hundert Kinder mit ihnen. Schließlich sah er aber doch ein, daß auch Kinder nicht das Glück des Menschen ausmachen, sondern nur immer neue Wünsche erregen. Er zog sich daher mit allen seinen Frauen in den Wald zurück und wurde Einsiedler. Das Visnupurana kennt also einen Fischkönig Sammada, der zahlreiche Nachkommenschaft hat, das Mahabharata einen König Matsya, der aus dem Leibe eines Fisches geboren wird, die Brhaddevata einen Matsya, der im Wasser aus dem Samen des Mitra und Varuna ent- steht. Daß wir hier den Matsya Sammada vor uns haben, dem die Anukramanı das Lied RV. 8, 67 zuschreibt, wird um so sicherer, wenn wir sehen, daß neben Matsya Sammada als Verfasser auch Manya Maiträvaruni, d. h. Agastya, genannt wird, der nach der Brhaddevata auf dieselbe Weise wie Matsya und zu gleicher Zeit mit ihın entsteht. Da Matsya aus dem Samen der Adityas Mitra und Varuna entstanden ist, wird es auch begreiflich, daß er sich in der Not an die Adityas um Hilfe wendet. Die Brhaddevata 6, 88 —90 erzählt zu dem Liede RV. 8,67 als Erläuterung nur, Fischer hätten unerwartet Fische im Wasser der Sarasvatı gesehen, ein Netz ausgeworfen, die Fische ge- fangen und aufs Trockene geworfen. Die Fische, erschreckt durch das Aufschlagen ihrer Leiber, priesen die Söhne der Aditi, die sie befreiten und den Fischern gnädig versprachen, daß sie nie Hunger leiden und in den Himmel kommen würden. In dieser Fassung der Pıscnet: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 511 Erzählung wird Matsya Sämmada nicht erwähnt. Sie findet sich, ebenso wie die vorher angeführte von der Entstehung des Matsya, nur in der Rezension B der Brhaddevata, die MAcponeLL geneigt ist, für die ältere zu halten. Die gefangenen Fische selbst zu Sprechern des Liedes RV. 8,67 zu machen, lag sehr nahe, da in allen Strophen nur der Plural gebraucht wird. ® Die Sage von Matsya Sammada muß, wie das SBr. zeigt, sehr bekannt gewesen sein. Leider läßt sie sich mit Sicherheit nicht rekonstruieren. Nur so viel scheint sicher zu sein, daß in der Sage ein Fischkönig auftrat, der die Adityas Mitra und Varuna zu Eltern hatte und der durch Anrufung seiner Väter sich und seine Fische befreite, als sie von Fischern in einem Netze gefangen worden waren. Ob es sich in der Erzählung des Mahabhärata vom König Uparicara und der Apsaras Adrika um eine spätere Fassung derselben Sage oder eine Parallelerzählung handelt, wage ich nicht zu entscheiden. Das gleiche Motiv zeigen buddhistische Erzählungen. Jataka 75 (I, 331f.) = Cariyapitaka 3, 10 — Jatakamala p. 95 ff. wird erzählt, daß der Bodhisattva einst als König der Fische wiedergeboren wurde. Da regnete es lange Zeit nicht. Die Felder verdorrten, und die Ge- wässer vertrockneten. Die Fische blieben im Schlamme stecken und wurden von den Krähen und andern Vögeln aufgefressen. Da wurde der Fischkönig ihr Retter. Er ging aus dem Schlamme heraus, öffnete seine Augen, sah nach dem Himmel und zwang Parjanya (= Indra) zu regnen mittels der Beteuerung,' daß er nie nach Fisch- art einen andern Fisch, auch nicht den kleinsten, verschlungen, über- haupt nie ein Wesen ums Leben gebracht habe. Als Fischkönig tritt der Bodhisattva auch auf in Jataka 236 (U, 234). Hier rettet er die Fische vor einem Reiher, der sich scheinheilig an das Ufer eines Teiches gesetzt hatte, und dem die Fische Vertrauen schenken wollten. In Jataka ı14 (I, 426 ff.) rettet der Bodhisattva als Fisch Mitaeinti seine beiden Gefährten aus dem Netze. Zu den Menschen hinüber führt uns das Avadana vom König Padmaka (Avadanasataka ed. Srever p. 16Sff.). Als vor alten Zeiten in Benares der fromme und gerechte König Padmaka herrschte, befiel seine Untertanen die Gelbsucht. Nachdem die Ärzte alle Mittel ver- geblich versucht hatten, erklärten sie schließlich, nur ein Rohitafisch CHıLDers Ss. v. saccakiriya,; Haroy, Buddha (Leipzig 1903), S. 17 f. ?2 Zu diesem matsya nyaya (Kämasuütra p. 21, 2; Epigr. Ind. 4. 251, Anm. 7), wo- nach ein Fisch den andern verschlingt, vgl. Pıscarr., Materialien zur Kenntnis des Apabhramsa (Berlin 1902) S. ı7; ferner Ind. Sprüche ® 4666; Bhäratamanjarı 1305; Sabhäranjanasataka 43; Dasävatäracarita 1, 21; Mahäbhärata 5, 72, 48; 7. 101, 6; 8,40, 27; 12,15, 30; B.-R. s. v. svakulaksaya; HoErNLE and Grierson, A Comparative Dietionary of tlıe Bihäri Language (Caleutta 1885) s. v. akharb. 512 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 11. Mai 1905, könne Hilfe bringen. Trotz alles Suchens fand sich kein Rohita. Da beschloß der König, sich für sein Volk zu opfern. Er übergab die Herrschaft seinem ältesten Sohne, stieg auf die Zinne seines Palastes, beteuerte, daß er sein Leben um seiner Untertanen willen aufgebe und stürzte sich herab, mit dem Wunsche, in der nächsten Geburt als Rohitafisch wiedergeboren zu werden. Da die Beteuerung der Wahrheit entsprach, ging sein Wunsch in Erfüllung. Er wurde so- fort auf dem Sande des Flusses als großer Rohitafisch wiedergeboren. Die Gottheiten verbreiteten die Kunde davon im ganzen Reiche. Das Volk strömte herbei und schnitt mit Messern das Fleisch des Fisches ab, was diesen nicht hinderte, trotz der Schmerzen sehr glücklich zu sein, da seine Untertanen geheilt wurden. Er gab sich ihnen zu erkennen und bekehrte sie zum Buddhismus. Diese Geschichten zeigen, daß es in Indien mehr als eine Er- zählung gab, in der ein Fisch als Retter auftrat. Aber sie genügen keineswegs, um zu erklären, daß gerade der Fisch zum Symbol des Retters gewählt wurde. Auch in andern Geburten als Tier tritt Buddha als Retter seiner Mitgeschöpfe auf. So rettet er z. B. als Gazellen- könig Nigrodha (Jataka 12: I, 149 ff.) nicht bloß die Gazellen, sondern alle Vierfüßler, Vögel und Fische im Reiche des Königs von Benares. Dieses Jataka war sehr bekannt und hat auch Parallelen im Abend- lande.' Danach hätte ebensogut die Gazelle zum Symbol des Retters werden können wie der Fisch. Anspruch darauf, die Quelle zu sein, kann nur eine Sage erheben, in der der Fisch nicht bloß als Retter einzelner Tiergattungen oder Menschen erscheint, sondern der ganzen Menschheit. Und das ist der Fall in der Sage von Manu und dem Fisch, deren älteste Fassung sich im Satapathabrähmana I, 8, I, I—IO findet.” Die Sage lautet dort: »Dem Manu brachten sie am Morgen Wasch- wasser, so wie man es zum Waschen der Hände bringt. Als er sich wusch, geriet ihm ein Fisch in die Hände. Der sprach zu ihm: »Ziehe mich auf, ich werde dich retten.«e »Wovor wirst du mich retten?« »Eine Flut wird alle Geschöpfe hier wegspülen; davor werde ich dich retten.« »Wie soll ich dich aufziehen?« Er sprach: »So lange wir klein sind, drohen uns viele Gefahren; ein Fisch verschlingt ja den andern. Zuerst ziehe mich in einem Kruge auf; wenn ich ! Literatur bei Annersen, A Päli Reader (London, Leipzig. Kopenhagen 1901), p- 116. Daß die Abbildung auf dem Bharhut-Stüpa sich nicht auf dieses Jätaka bezieht, sondern auf das Ruru-Jätaka 482 (1V, 255 ff.) bemerkt Huser mit Recht (Bulletin de l’Eeole Frangaise d’Extreme-Orient IV, 1093). Zuerst übersetzt von WEBER, Ind. Stud. ı, 163ff., zuletzt von Esgrring, SBE. XI, 216 ff. PıscaeL: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 513 für ihn zu groß werde, grabe eine Grube und ziehe mich darin auf. Wenn ich dafür zu groß werde, so schaffe mich ins Meer. Dann werde ich über die Gefahren hinweg sein«e. Schnell wurde er zu einem Jhasa; denn der wird am größten.‘ »In dem und dem Jahre wird die Flut kommen. Dann zimmere ein Schiff und wende dich an mich. Wenn die Flut sich erhebt, so gehe in das Schiff; dann werde ich dich retten.« Nachdem er ihn so aufgezogen hatte, schaffte er ihn ins Meer. Und in dem Jahre, das er ihm angegeben hatte, zimmerte er ein Schiff und wandte sich an ihn. Er ging, als die Flut sich erhob, in das Schiff. Der Fisch schwamm zu ihm heran. An dessen Horn (srüge) befestigte er das Tau des Schiffes. Dadurch kam er (Manu) auf diesen nördlichen Berg. Er (der Fisch) sprach: »Ich habe dich gerettet. Binde das Schiff an einen Baum. Damit dich, wenn du auf dem Berge bist, das Wasser nicht abschneide, so steige immer so weit herab, als das Wasser fällt.« Er stieg immer so weit herab. Diese (Stelle nennt man) noch heut am nördlichen Berge »das Herabsteigen des Manu«.” Die Flut spülte alle Geschöpfe hier weg. Manu allein blieb übrig.«< Es wird dann weiter erzählt, daß Manu betend und fastend lebte, nach Nachkommenschaft begierig. Er verrichtete das Kochopfer, und aus den Opferspenden, die er in Gestalt von Schmelzbutter, saurer Milch, Molken und Quark ins Wasser opferte, entstand nach einem Jahre ein Weib, die Ida. »Auf ihrer Fußspur befindet sich Schmelzbutter (fasyai ha sma ghrtam pade sam- tisthate).«e Mitra und Varuna wünschen, daß Ida sich für ihre Tochter erklärt. Aber sie schlägt dies ab, geht zu Manu, gibt sich ihm als seine Tochter und als das Bittgebet zu erkennen, und Manu erzeugt mit ihr die Menschen. Die Sage von Manu als Vater der Menschen und erstem Opferer ist dem Rgveda wohlbekannt.” Auch Ida ghrtapadi (RV. 10, 70, 8; AV.7,28 (27 ed. Rorn), ı), eine der drei Göttinnen der Aprı-Lieder, ist sicher identisch mit der Ida der Legende, auf deren Fußspur (pade) sich Schmelzbutter (ghrtam) befindet.‘ Sonst lassen sich aber aus dem Rgveda weitere Spuren der Sage nicht nachweisen. Von den andern Samhitas spielt nur das Kathaka XI, 2 (p. 146, 6) kurz auf sie an: »das Wasser vertilgte diese (Welt); Manu allein blieb übrig«.° Un- ı Mit Börrriner hierin eine »ganz ungehörige, rationalistisch gefärbte Glosse« zu sehen und die Worte aus dem Texte zu entfernen (Sanskrit- Chrestomathie 2 356), liegt kein Grund vor. Die Bedeutung von sasvad dha ist unsicher. Harisvämin er- klärt es mit ksipram. ® So nach Harisvämin, mit dem MBh. 3, 187, 51 adyapi übereinstimmt. ® BERGAIGNE, Religion vedique 1, 65 ff. * Weser, Indische Studien 1, 168 f. ° Zuerst erwähnt von Weser, Indische Streifen ı, ır, Anm. 3. Sitzungsberichte 1905. 5l 514 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. sicher ist, ob AV. 19, 39, 8 hierher zu ziehen ist, da die Lesarten sehr schwanken." Auch ist schwerlich ein Zusammenhang daraus zu entnehmen, daß das I/ds padim, an dem nach RV. 2, 10, ı Manu’ zuerst Agni entzündet, nach Aitareya Brahmana 1, 28, 23 der nörd- liche Teil der Vedi ist (vgl. Sayana zu RV. 2, 10, ı ilayah pada uttaravedyatmake sthäne, zu 2, 23, 4 utlaravedyam und sonst), und Manus Schiff nach dem nördlichen Berge (uttaram girim) fährt, wor- unter nur der Himalaya verstanden werden kann, auf dessen Gipfel die spätere Mythologie ein Gebiet Vedyardha kennt, das in die zwei Teile Uttara- und Daksinavedyardha zerfiel.’ Die Rolle, die Mitra und Varuna in der Sage spielen, ist, wie schon WEBER bemerkt hat,’ dunkel. Ich vermute, daß sie auf Ida An- spruch erheben, weil sie in enger Beziehung zu den Gewässern stehn.” MS. IV, 5, 2 (p. 64, 16) wird gesagt, daß Mitra und Varuna über das Wasser herrschen (Miträvarunau Iny apam tsäte); MS. 1V, 7,8 (p. 104, 9) wird Varuna mit dem Meere identifiziert (samudro vai Varunah), MS. IV,8,5 (p.ı12, 4.6), Kathaka XII, 2 (p. 180, 21) mit dem Wasser (@po vai Varunah). Es wäre nicht unmöglich, daß in der ältesten Fas- sung der Sage Mitra und Varuna die Retter des Manu aus der Was- sersnot waren, ja, daß Varuna selbst die Gestalt des Fisches annahm.” Später ist jedenfalls der Fisch stets als ein verwandelter Gott aufge- faßt worden.” Im Mahäabhärata 3, 187 wird erzählt,° daß Manu, der Sohn des Vivasvant, sich während einer Myriade von Jahren harter Buße unter- zog. Einst kam ein kleiner Fisch an das Ufer der Cırinı und bat Manu um Schutz, wofür er ihm eine Gegenleistung versprach. Manu, von Mitleid bewegt, ergriff ihn mit der Hand, brachte ihn in einen Krug und pflegte ihn wie ein Kind. Nach langer Zeit wurde der Fisch sehr groß. Manu brachte ihn nun nach einem großen Teiche, wo der Fisch wieder viele Jahre wuchs, dann in den Ganges, wo er einige Zeit blieb, schließlich in das Meer. Der Fisch verkündet nun dem Manu, daß bald die Welt durch eine Überschwemmung vernichtet wer- den würde. Er solle ein Schiff bauen, daran ein Seil befestigen, das ! BroonrieLp, SBE. XLII, 679 f. Ich fasse Manus hier mit BERGAIGNE, a.a.0. 1,65 als Eigennamen. ® B.-R.s.v. vedi 4. Ind. Studien ı, 169. BERGAIGNE, a. a.0. 3, 122; Pıscaer, Ved. Studien 2, 124 f. An den oben erwähnten Matsya, den Sohn von Mitra und Varuna, ist nicht zu denken. ? BERGAIGNE, a. a.0. 3, 81. Eine wörtliche Übersetzung aller Fassungen einschließlich der des SBr. findet sich bei Muır, Original Sanskrit Texts 1,3 181 ff. Ich beschränke mich darauf hervor- zuheben, was für meinen Zweck wichtig ist. w 6 8 PıscHeL: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 515 Schiff zusammen mit den sieben Rsis besteigen, allen Samen mitneh- men, den diese ihm angeben würden und, wenn er im Schiffe sei, ihn (den Fisch) erwarten. Er (der Fisch) werde dann mit einem Horne versehen (srüg?), woran er zu erkennen sei, herbeikommen. Es heißt dann (34. 35) wörtlich: »So mußt du dies machen. Lebe wohl! Ich gehe. Ohne mich kannst du nicht über die große Flut hinwegkom- men. An diesem meinem Worte darfst du auch nicht zweifeln.« Es geschah nun alles, wie vorher angegeben. Sobald Manu an den Fisch dachte, schwamm dieser herbei, und Manu befestigte das Seil an dem Horn (srnge) auf dem Kopfe des Fisches, der viele Jahre lang das Schiff durch die Wasserflut zog und schließlich es auf dem höchsten Gipfel des Himalaya landen ließ, der danach bis heute den Namen Naubandhana »Anbinden des Schiffes« führt. Darauf sprach der Fisch zu den sieben Rsis: »Ich bin Brahman, der Schöpfer; etwas Größeres als mich gibt es nicht (aham prajapatir Brahmäa mat param nädhigamyate). Durch mich, in Gestalt eines Fisches, seid ihr von dieser Gefahr be- freit worden. Durch Manu sollen alle Wesen samt Göttern, Dämonen und Menschen, alle Welten, was sich regt und nicht regt, geschaffen werden. Und infolge harter Buße wird ihm durch meine Gnade die Einsicht kommen, wie er die Geschöpfe schaffen soll, und er wird nicht irren.«e Nachdem der Fisch so gesprochen hatte, verschwand er im Nu; Manu aber erschuf die Welt neu. In der Bearbeitung des Mahabharata, die Ksemendra im 11. Jahr- hundert in seiner Bharatamanjarı gegeben hat, steht diese »Episode vom Fisch« (Matsyopakhyana) in Strophe 1302— 1310. Der Fisch er- scheint auch hier mit einem Horn versehen (srügavan), gibt sich aber hier nicht als Brahman zu erkennen. In der viel ausführlicheren Dar- stellung der Legende, die Ksemendra in einem anderen Werke, dem Dasavataracarita 1, 18 ff., gegeben hat, ist der Fisch selbst der Schöpfer des Schiffes. Als die Flut kommt, teilt Manu sie mit den Armen und schwimmt zu dem Fische, dessen Augen Sonne und Mond gleichen und der ein dem Meru ähnliches goldenes Horn auf dem Kopfe trägt (bibhranam Merusamkasam Sragam Sirasi käncanam ı, 42). Als Manu ihn erblickt, erkennt er, daß es Visnu ist, und verbeugt sich verehrungs- voll vor ihm. Auch hier ist das Schiff an das Horn des Fisches ge- bunden (Zaduccasrhgasamlagnam navam 1,44; matsyasrhgagrakrstayd 1, 50), im übrigen aber eine Episode eingeflochten, die mit der alten Erzählung nichts zu tun hat. Bei der knappen Darstellung, die Ksemendra in seiner Bharatamafjarı gibt, ist kein Gewicht darauf zu legen, daß die Erwähnung des Brahman fehlt. Dazu kommt, daß Ksemendra, der ursprünglich Sivait war, später Visnuit wurde. Er war es schon zur Zeit, als er die Bharatamanjarı verfaßte, wie Strophe 5 zeigt (pranamya 5l* 516 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. paramam dhama Vismum dhataram acyutam). Für ihn war daher der Fisch nicht Brahman, sondern Visnu, wie das Dasavataracarita zeigt. Mit Visnu bringen auch alle anderen Werke, die die Geschichte von Manu erwähnen, den Fisch in Verbindung. Im Matsyapurana ı, 12 ff.‘ wird Manu als ein König geschildert, der die Herrschaft seinem Sohne über- geben hat und in einer Gegend des Malayagebirges harte Buße übt. Brahman gewährt ihm dafür einen Wunsch, und Manu wünscht sich, daß er bei der großen Flut am Weltuntergange alle Wesen retten möge. Die Bitte wird ihm gewährt. Als er einst in seiner Einsiedelei die Manenspende darbringt, geriet eine Sapharı, ein kleiner, sehr schneller Fisch, der in seichtem Wasser lebt, in seine Hände. Voll Mitleid legte Manu ihn in einen Wasserkrug. Innerhalb eines Tages und einer Nacht wuchs der Fisch 16 Daumenbreiten. Auf die Bitte um Schutz brachte Manu ihn in einen großen Wassertopf, wo der Fisch in einer Nacht um drei Händebreiten wuchs, dann der Reihe nach in einen Brunnen, einen Teich, wo er ein Yojana lang wurde, den Ganges, das Meer, das der Fisch vollständig anfüllte.e Da sprach Manu voll Furcht: »Du bist irgendein Gott, oder vielmehr du bist Vasudeva. Wie könnte ein anderer derartig werden? Wessen Leib könnte wohl 20 Myriaden von Yojanas gleich werden? Du bist erkannt; unter der Gestalt des Fisches ängstigst du mich, o Kesava; Hrsikesa, Herr der Welt, Heimat der Welt, dir sei Verehrung! So angeredet, sprach der heilige Janar- dana in Gestalt des Fisches: Schön, schön! Du hast, o Schuldloser, es richtig erkannt.« Visnu verkündet dann die Wasserflut, die nach einer langen Dürre eintreten werde. Manu solle ein Schiff besteigen, das von allen Göttern erbaut sei, ferner den Samen von allem mit- nehmen, das Schiff an das Horn (srüge) des Fisches binden, außer- dem Sonne und Mond, ihn, Visnu, selbst, Brahman zusammen mit den vier Welten, den heiligen Fluß Narmada, den Rsi Markandeya, Siva, die Veda, Purana und Wissenschaften in das Schiff bringen. Er, Visnu, werde dann bei der Neuschöpfung durch Manu die Veden verkündigen. Es wird dann nur noch gesagt, daß zu der angegebe- nen Zeit die Flut eintrat, Visnu in Gestalt eines gehörnten Fisches er- schien (srag? prädur babhüvätha matsyarüpt Janardanah) und die Schlange Ananta als Seil zu Manu kam. Im Agnipurana 2,3ff. wird die Geschichte von Manu an die Krtamala verlegt. Manu bringt den Fisch erst in einen Krug, dann in einen Schöpfeimer, einen Teich, endlich ins Meer, wo er in einem Augenblick 100000 Yojana lang wurde. »Als Manu diesen wunder- baren Fisch gesehen hatte, sprach er erstaunt: Wer bist du? Sicher- ' Kritischer Text bei Aurrecnr, Catalogus Oxon. p. 347 f., nach dem ich übersetze. Pıscnen: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. aa lich bist du Visnu; Verehrung sei dir, Narayana. Weshalb, o Janardana, machst du mich durch ein Trugbild irre?« Visnu verkündet nun dem Manu, daß am siebenten Tage das Meer die Welt überschwemmen werde. Manu solle auf das Schiff, das dastehen werde, Samen usw. bringen und von den sieben Rsis begleitet die Brahminacht zubringen, das Schiff aber mittels der großen Schlange an das Horn (srüge) des Fisches binden. Als die Flut gekommen war, erschien das Schiff und ein goldener, eine Million Yojanas langer Fisch mit einem Horn (eka- sragadharo matsyo haimo niyutayojanah). Manu band das Schiff an dessen Horn (tacchrnge), hörte von dem Fisch das sündentilgende Matsya- purana und pries Visnu mit Lobpreisungen. Wie im Agnipurana, so spielt sich auch im Bhagavatapurana 8, 24 die Geschichte an der Krtamäla ab. Sie wird hier in Verbindung ge- bracht mit der Erzählung von dem Dämon Hayagrıva, der dem Brahman während des Schlafes die Veden geraubt hatte und mit ihnen ins Meer geflohen war. Um sie herauszuholen verwandelte sich Visnu in eine Sapharı (so auch das Matsyapuräna) und geriet in die Hände des frommen Satyavrata', eines Fürsten der Dravida, der durch die Gnade des Visnu in dieser Weltperiode zu Manu Vaivasvata wurde (8, 24, 58; vgl. ı1). Satyavrata brachte den Fisch erst in einen Krug, für den er in einer Nacht zu groß wurde, dann in einen Schöpf- eimer, wo er in einem Augenblick um drei Händebreiten wuchs, dann in einen Teich, einen unversieglichen See und schließlich ins Meer. Als er ins Meer gebracht wurde, bat er den Satyavrata, ihn nicht dorthin zu werfen, da ihn die sehr starken Makara und andere Un- geheuer des Meeres auffressen würden. »Als er von ihm, der mit angenehmer Stimme sprach, so in Verwirrung gebracht worden war, sprach er zu ihm: »Wer bist du, der du uns in der Gestalt eines Fisches irre machst? Einen so mächtigen Fisch haben wir weder gesehen, noch von ihm gehört, der du in einem Tage einen 100 Yojana langen Teich anfüllst. Sicherlich bist du leibhaftig der ewige Hari Narayana. Zum Heile für die Wesen nimmst du die Gestalt der Fische an.« Darauf preist er ihn und fragt ihn nach dem Zwecke der Verwand- lung. Visnu verkündet ihm nun die bevorstehende Flut. Wie im Agni- purana erscheint auch hier Visnu in Gestalt eines goldenen, eine Million Yojana langen Fisches mit einem Horn,” Satyavrata bindet mittels der Schlange das Schiff an dessen Horn (facchrnge) und preist Visnu, der ihm in Fischgestalt die Geheimlehre über sich vollständig ent- hüllt, indem er ihm und den Rsis die göttliche Sammlung der Pu- ! Das ist der Sattiawiraden bei Sonnerar, Reise nach Ostindien und China (Zürich 1783) 1, 134. ® Die Worte des Originals sind identisch mit denen im Agnipuräna. 518 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. ränas, die die Lehre vom Samkhya und Yoga enthält, erzählt. Visnu tötet den Asura Hayagrıva und bringt dem Brahman die Veden zurück. Auch das Agnipuräna erwähnt am Schlusse der Erzählung von Manu 2, ı6f., daß Visnu den Dämon Hayagrıva, den Räuber der Veden, tötete und die Veden schützte. Beide Legenden verbindet ferner das Näradapaücarätra 4, 3,57, wo Visnu genannt wird: »der Gott in Gestalt des Fisches, der mit großem Horn versehene (ma- hasrnga), der das Schiff mit dem Samen der Welt hielt, der spielend Wind und Meer durchdrang, der Urheber der vier Veden«. Ursprüng- lich hatten die Erzählungen von Manu und Hayagrıva' nichts mit- einander zu tun. Die kanonische Zahl der Verkörperungen Visnus ist IO, nur selten werden mehr angegeben, wie z. B. 22 im Bhaga- vatapurana I, 3, 5ff. Außer im Mahabharata 12, 339, 103, wo die Ver- körperung als Hamsa an der Spitze steht, und im Bhagavatapurana 1, 3,6, wo Visnu als Brahman erscheint, ist die erste Verkörperung stets die als Fisch. In ihr rettet Visnu die Veden nach Varahapu- rana I, 5; Padmapurana 6, 258; Brhannaradıyapurana 2, 31; Gitagovinda 1,5. Mit der Sage von Manu wird die erste Verkörperung des Visnu in Verbindung gesetzt im Matsyapurana und Dasavataracarita; beide Er- zählungen verbinden das Bhagavatapurana, das Agnipurana und das Naradapaäcaratra. Im Satapathabrähmana verbarg sich unter der Gestalt des Fisches, wie wir sahen, wahrscheinlich Varuna; im Mahabharata ist der Fisch Brahman. Wie nun später alle Eigenschaften Brahmans auf Visnu übertragen wurden’, so trat Visnu auch in der Legende von Manu später an die Stelle von Brahman, und dann wurde die Legende mit der ersten Verkörperung verknüpft. In allen mir be- kannten Darstellungen des ersten Avatara wird Visnu mit einem menschlichen Oberkörper abgebildet, oder als aus dem Maule eines Fisches hervorkommend.” Für Weihgeschenke gibt Hemadri, Catur- vargaeintamani I, 327 nach dem Pafcarätra® an, daß Visnu in der Ver- körperung als Fisch darzustellen sei mit zwei Armen, in deren linkem er die Muschel, im rechten die Keule trägt, und einem Fischleib, oder mit Fischleib und menschlichen Füßen. Diese Darstellung bezieht sich ! Bei Zıesensarg, Genealogie der malabarischen Götter ed. Germann (Madras 1867) S. 95 ist der Dieb ein Büßer namens Somäsüra (so!). Noch andere Namen des »Riesen« bei Sonnerar, Reise nach Ostindien und China (Zürich 1783) S. 134. ®2 Horvrzmann, ZDMG. 38, 200f.; Horkıns, The Religions of India (Boston and London 1895) p. 404, note 1. > Moor, Hindu Pantheon (London ıSro), Plate 48; WortHEeım DA Fonseca, Mythologie des alten Indien (Berlin 1856) S. 38; Paurzınus a Sr. BARTHoLOMAEo, Dar- stellung der Brahmanisch-Indischen Götterlehre (Gotha 1797), Tafel IXb; Sonnerar, a.a.O.I, Tafel XXXV. * Richtiger jedenfalls Päncarätra, wie Mummanı KrsyarAsa Opyar, Tattvanidhi (Bombay 1901) p. 54 schreibt. Vgl. Aurrecar, Cat. Cat. 1, 332. PıscueL: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 519 nur auf die Legende von Hayagrıva. Auf einigen Bildern trägt auch Visnu dementsprechend in einer Hand den Veda. In der Literatur findet diese Darstellung außer bei Hemadri keine Stütze. Hier hat Visnu in der Legende von Hayagrıva nur die Gestalt eines Fisches, im Padmapurana 6, 258, 27 die eines Delphins (m@karam rupam ästhitah). Vgl. auch Kurmapurana 6, 18 (namas te matsyarapine). Auch in der Legende von Manu erscheint Visnu überall nur in der Gestalt des Fisches, und zwar eines gehörnten Fisches. Auch diese Darstellung kennt Hemadri, Caturvargacintamani II, I, 115, wo er aus dem Visnu- dharmottara zitiert: hamso matsyas tatha kurmah karyas tadrüpadharinah | Srügt matsyas tu kartavyo devadevo Janardanahı || »Der Gott der Götter Janardana ist als Hamsa, Fisch und Schild- kröte in diesen Gestalten darzustellen, als Fisch aber mit einem Horn.« Das Horn erklärt sich einfach daraus, daß Manu das Schiff mit einem Seile an dem Fische befestigt. Dazu war ein Horn sehr geeignet, zumal der Fisch als ungeheuer groß gedacht wurde, und das Horn in Indien ein Merkmal der Kraft und Stärke ist.' Im Dasavataracarita ist das Horn, im Agni- und Bhagavatapurana der ganze Fisch aus Gold. In Gestalt eines goldenen Fisches wird Visnu auch bei einer Feier dargestellt, die ihm zu Ehren am zwölften Tage des Monats Margasiras oder Margasırsa, dem ersten Monate des indischen Jahres, stattfindet. Sie wird im Varahapurana 39, 34ff. beschrieben. Nach verschiedenen Zeremonien werden vor Visnu vier Krüge hingestellt, die voll Wasser, bekränzt, mit Sesamkörnern an- gefüllt und aus Gold sind. Diese vier Krüge stellen die vier Meere dar. In ihre Mitte wird eine schöne, mit Tüchern gepolsterte Bank gestellt, ferner eine Schale aus Gold oder Silber oder Kupfer oder Holz.” Nachdem diese mit Wasser angefüllt worden ist, wird Visnu in Gestalt eines goldenen Fisches hineingelegt, in voller Gestalt, mit allem Schmuck geschmückt, mit Darbringungen verschiedener Art ge- ehrt und mit den Worten angeredet: »Wie du, o Gott, in Gestalt eines Fisches die in der Unterwelt befindlichen Veden gerettet hast, so rette auch mich, o Kesava.« Die Krüge werden den vier Priestern des Rg-, Sama-, Yajur- und Atharvaveda, der goldene Fisch dem Lehrer des das Gelübde (Matsyadvadastorata) Vollziehenden geschenkt. Goldene Fische werden auch sonst als Geschenke erwähnt. Als Mandhatar Yauvanasva Hunderte von Roßopfern und ein Hundert von U B.-R. s. v. srüaga m) n). * Für das sinnlose vadaravam des Textes ist v@ daravam zu lesen (Wever, Krishnajanmäshtami, S. 276 Anm.ı). Dazu stimmt freilich der nächste Vers alabhe sarvapatranam palasam patram isyate schlecht. 520 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 11. Mai 1905. Königsweiheopfern dargebracht hatte, schenkte er den Priestern gol- dene Rohitafische, die ein Yojana hoch und hundert Yojana lang waren (Mahabharata 7, 62, 12f.; etwas abweichend 12, 29, gıf.).' Daß Visnu zu dieser Form der Geschenke Anlaß gegeben hat, ist sehr wahrscheinlich. In Fischgestalt weilte er auch, mit dem Kopfe nach Osten gerichtet, bei den Uttarakurus, den indischen Hyper- boreern (Märkandeyapurana 59, 26 tatrapi bhagavan Visnuh praksira matsyarapavan). In Gestalt eines großen Fisches ist Visnu ferner ab- gebildet auf einer schwarzen Schieferplatte, die aufrecht in den Erd- boden in der Nähe des Tempels der Mummura oder Chinnamastikä Devı im Tavjha Mahalla von Lalitapattana gesetzt ist. Lalitapattana oder Patana, das heutige Pätan, liegt ı+ englische Meile östlich von Katmandu, der Hauptstadt von Nepal. Auf der Schieferplatte ist eine Inschrift des Königs Jisnugupta eingegraben, die aus dem Jahre 48 wahrscheinlich der Sriharsa-Samvataera, also 654/55 n. Chr., stammt.? In der Inschrift wird Pasupati, d.h. Siva, angerufen. Daß aber Jis- nugupta dem Visnuismus mindestens nicht feindlich gegenüberstand, beweist sein Name und der des ausführenden Beamten, des Yuvaraja Visnugupta. Die religiösen Verhältnisse sind genau dieselben, wie in dem dem Sriharsa zugeschriebenen Drama Nägänanda um dieselbe Zeit. Der Grundzug dieses Dramas ist buddhistisch, der Held des Stückes verehrt die Frau des Siva, und aufgeführt wurde es an einem Feste des Indra.” In Nepäl scheint der Visnuismus jedenfalls geblüht zu haben. In der Mitte eines kleinen Teiches, der den Namen Budda Nilkanth »der untergetauchte Siva« führt, und aus dem ein Bach mit Namen Rudramatı fließt, liegt ein Bild des Visnu.‘* BuaevAnıAL ver- mutet mit Recht, daß der Teich ursprünglich ein Linga enthielt, und daß einer der späteren Vaisnava-Könige das Bild des Visnu hinein- stellte. Daß man gerade den Teich wählte, erklärt sich daraus, daß Visnu bei Katmändu in seiner ersten Verkörperung als Fisch verehrt wurde. Nahe an dem südlichen Tor von Katmandu steht ein Tempel des Visnu, der dort unter dem Namen Mına-Näarayana »Visnu als Fisch« verehrt wurde.’ Diese Bezeichnung haben die Buddhisten in Nepal auf Avalokitesvara übertragen, der von dem gewöhnlichen Volk ‘ Sehr mißverstanden hat die Verse Nilakantha zu 7, 62, 13. Wie alles, waren auch die Fische aus Gold zur Zeit des Suhotra Atithi, wo Indra Gold regnete (MBh. 12, 29, 28). Über goldene Fische im Tirtha Vimala s. oben $. 507. ® BuasvAnraL Inpräsi, Twenty-three Insceriptions from Nepäl. Translated from Gujaräti by G. Bünter (Bombay 1885) p. off., 45ff.; Kırrnorn, A List of the Inserip- tions of Northern India from about A.D.400 (Caleutta 1899) Nr. 534; vgl. p.73, note 3. ® PıscheL, GGA. 1883, S.1237. * BuacvAntäu Inoräsi, a.a.0. pP: 6, note 18. ° BuasvAntiL Inpräri, a.a. 0. p-Iı, No.ıo. IF Pıscnuer: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 521 als Matsyendranätha »der Herr als Fürst der Fische« bezeichnet wird. Daß der Fisch auf der Inschrift des Jisnugupta also Visnu darstellt, wird schon durch diese Tatsachen wahrscheinlich. Es wird aber da- durch bewiesen, daß der Fisch deutlich das für den Visnu-Fisch cha- rakteristische Horn hat. Im siebenten Jahrhundert wurde also in Nepal Visnu als Fisch verehrt und als bloßer Fisch ohne alle menschlichen Abzeichen abgebildet. Das ist um so wichtiger, als in Nepal Brah- manen und Buddhisten nebeneinander lebten. Es fand hier, wie Ava- lokitesvara Matsyendranätha zeigt, ein starker Austausch religiöser An- schauungen statt. Und wie im äußersten Norden, geben uns auch im Süden die Inschriften über das Fischsymbol Aufschluß. Auf der Wand eines Tempels des Ranganatha, d. h. Visnu, in Sriranga im Distrikt Tri- chinopoly im Dekhan befindet sich eine Inschrift des Königs Sundara- Pändyadeva I., die zu beiden Seiten das Bild eines großen Fisches zeigt.” Sundara-Pändyadeva I. bestieg den Thron im Jahre 1251. In einer andern Inschrift‘ wird er »der Madhava der Stadt Mathura, ein zweiter Rama bei der Plünderung der Insel Ceylon« genannt. Er war also offenbar ein eifriger Visnuit, wie sich auch aus unserer In- schrift ergibt, nach der er den Tempel des Visnu mit Gold deckte. Die Pandya-Könige hatten als Wappen zwei Fische, die sich auf ihren Münzen öfter finden’ und daher auch auf der Inschrift als Wappen zu denken sind. Auch diese beiden Fische haben deutlich das Horn, sind also ursprünglich als Bild des Visnu gedacht. Noch im drei- zehnten Jahrhundert wurde also Visnu im Dekhan in Fischgestalt verehrt. Damit fällt von selbst die Hypothese von Winterniz°, daß der indische Gott in Fischgestalt nichts anderes sei als der babylonische Ea, der »Oannes« des Berosus, ein Wesen halb Mensch, halb Fisch, das die Nächte im Wasser verbringt, am Tage aber herauskommt, um die Menschen zu unterweisen, und daß der gehörnte Fisch mög- licherweise einer altsemitischen Vereinigung von Stierkult und Fisch- kult seinen Ursprung verdanke. Der Gott, der die Welt vor der Vernichtung durch die Flut rettet, wird in Indien nicht als ein Wesen ! BuaGvAnLAL Inpräsi, a. a. 0. p.7, note 21. ®2 Herausgegeben von Hurrzscn, EI. III, p. 7 ff. ® Hurrzscn, EI.VI, p. 306, No. ı1; Kırrnorn, A List of Inseriptions of Southern India from about A.D. 500 (Caleutta 1904) p. 144, note 5. * KıeLHorn, a.a. O. p. 145, No. 904. ° Tayror, A Catalogue raisonne (Madras 1857— 1862) III, 54; Hurrzscn, EI. II, p- 8; Rarson, Indian Coins (Straßburg 1898) $ ı24 mit Tafel V, 10. Zusammen mit dem Cera-Wappen, dem Bogen, und dem eigenen Wappen, dem Tiger, finden sie sich auch auf Münzen der Cola (Rarson $ 126 mit Tafel V, 13). ° Flutsagen, S. 328. 522 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. halb Mensch, halb Fisch gedacht, sondern von der Zeit des Sata- pathabrähmana, also spätestens vom sechsten Jahrhundert vor Chr. an bis zum dreizehnten Jahrhundert nach Chr. nachweislich nur als Fisch. Das Horn hat, wie wir sahen, keinen religionsgeschichtlichen Grund, sondern erklärt sich einfach daraus, daß das Schiff mit einem Seile an dem Fische, der es zieht, befestigt wurde. Das Ziehen des Schiffes durch einen Fisch ist ein Zug, der der semitischen Sintflut- sage ganz fremd ist. Während bei den Semiten und andern Völkern die Flut etwas Außerordentliches, einmal Vorkommendes ist, trat sie in Indien in Zusammenhang mit der Lehre von der in langen Zwischen- räumen regelmäßig vor sich gehenden Zerstörung und Wiedererneue- rung der Welt. Erst wird die Welt durch Feuer, dann durch Wasser vernichtet. In den Anschauungen über die Kosmologie und die Welt- perioden stimmen Brahmanen', Buddhisten” und Jainas® ganz überein. Die älteren Upanisads kennen zwar den Gedanken einer periodisch wiederholten Weltschöpfung und Weltvernichtung nicht.‘ Er ist zu- erst nachweisbar in der Svetäsvatara-Upanisad.‘° Daß der Verfasser dieser Upanisad ihn aber nicht erfunden hat, ist zweifellos. Wie Svetasvatara eine »Vorliebe für die personifizierende Auffassung des Göttlichen in der Weise der Volksreligion«® zeigt, so wird er auch in der Lehre von der Welt alte, volkstümliche Anschauungen wieder- geben. Und es ist von Wichtigkeit, daß Svetasvatara Kapila und dessen Lehre, das Samkhya, sowie den Yoga voraussetzt.” Beide Systeme aber kennen die Lehre von der Weltschöpfung (sarga) und Weltvernichtung (pralaya),‘ die daher in die Zeit vor Buddha fallen wird. Jedenfalls ist sie so alt, daß wir zur Erklärung der indischen Flutsage keine Anleihe bei den Semiten zu machen brauchen.’ Von der Zeit des Rgveda an war in Indien der Glaube an Omina, Portenta und Träume ganz allgemein. Eine große Rolle spielten dabei die sogenannten Mangala, d.h. die »Glückszeichen«, die man bei allen ! Vet Geschichte der indischen Religion (Basel 1874), S. 86. ff.; 225; Hopkıns, The Religions of India (Boston and London 1895) p. 418f. Harpy, A Manual of Budhism (London 1860), p. 7f.; 28ff. Bünter, Über die indische Secte der Jaina (Wien 1887), S.1o. Deussen, Allgemeine Geschichte der Philosophie I, 2, 199. Deussen, a. a. OÖ. S.2o1fl. Deussen, Sechzig Upanishad’s des Veda, S. 289. So richtig Garee, Die Sämkhya-Philosophie, S. gf.; 26ff.. Irrig Deussen, Upanishad’s, S. 290f.; 304, Anm. 2; 308, Anm. 3. 8 GARBE, 2.2.0. S. 220 fl. s So urteilen richtig E. Hırvy, Die vedisch-brahmanische Periode der Religion des alten Indiens, S. 134; Horzıns, The Religions of India, p. 160; Lınpner, Fest- gruß an Roth, S. 213 ff.; Macvonerr, Vedie Mythology, p.139. Für Entlehnung von den Semiten treten mit den meisten Forschern ein OLDensers, Die Religion des Veda, S. 276, Anm. 3, und Wınterntrz, Flutsagen, S. 327 f. aa» u» 7 Pıscner: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 523 wichtigen Ereignissen beachtete, wie bei der Hochzeit (Apastamba, Grhyasutra 2, 14 mit dem Kommentar des Sudarsanarya p. 43 ed. Wın- TERNITZ), vor dem Schlafengehen im Schlafzimmer (Harıta bei Madhava zu Paräsarasmrti I, p. 440 ed. Vaman Sästri Islamapurkar), überhaupt möglichst oft anbrachte, weil ihr Anblick allein schon als glückbrin- gend galt. Als ihr Gatte verreist, legt Sändihi, das Muster einer Ehe- frau, viele Mangala an (Mahabharata 13, 124, 16). Ihr Anblick im Traume bedeutet Glück (Svapnaecintamani ı, 120). Buddha hat gegen den Glauben an sie geeifert (Suttanipata 258 ff., 360; vgl. dazu Jataka I, 374; IV, 72ff.), aber nicht hindern können, daß sich im Buddhis- mus der Glaube an die Mangala ebenso gehalten hat, wie im Jainis- mus und Brahmanismus. Zu diesen Mangala gehört auch der Fisch, worauf bereits Bünter!' und Zacuarıe” aufmerksam gemacht haben. Die Zahl der Mangala wird mehrfach als acht angegeben. Unter den acht von brahmanischen Schriftstellern (vgl. auch Manava Grhyasutra 1,8, 5; Nılakantha zu MBh. 7, 127, 14; Hemadri II, ı, 49) erwähnten befindet sich der Fisch nicht,” wohl aber in dem ausführlicheren Ver- zeichnisse im Agnipurana (229, 9)' und unter den acht Mangala, die in dem jainistischen Aupapatikasütra ($ 49, I" und |[$ 10]) aufgezählt werden. Er steht hier zusammen unter anderem mit dem Svastika, dem Wasserkrug’ und dem Spiegel.‘ Auch unter den acht Mangala, die die nördlichen Buddhisten aufführen,’ erscheint der Fisch. Nach Wirson® werden diese acht Mangala auf buddhistischen Monumenten abgebildet, besonders auf den Stein- oder Marmorfüßen des Buddha, die oft in den buddhistischen Tempeln aufgestellt werden. In den buddhistischen Tempeln in Tibet werden die Altäre mit den heiligen allegorischen und symbolischen Figuren geschmückt. Unter den acht »Altarstücken« befinden sich auch das mystische Kreuz, d.h. der Svastika, und zwei Goldfische.” Unter den 216 Glückszeichen (manga- Iyalaksana), die sich auf den Fußsohlen des Buddha befinden, ist auch ETF sır22 ” WZKM. XVIlII, 306; Zeitschrift des Vereins für Volkskunde in Berlin 1905, Sr ta (ZV.VB:): ® Zacuarıaer, ZVVB. 1905, S.77. Der Kommentar zu dem Mänava Grhyasütra schweigt leider über die Mangalya. * ZacHARIAE, WZKM. XVIII, 306. ° ZacHARIAE, Zeitschrift des Vereins für Volkskunde in Berlin 1905, S. 77, Anm. 4. 6 ZACHARIAE, a.2.0. S.74fl. ” Wırson, Works Il, 15, note ı; Burnour, Le Lotus de la bonne loi p. 647. 8 Wiırson, a.a.0. ° Körren, Die Religion des Buddha 2, 307 mit Anm. 3. Originale im Museum für Völkerkunde in Berlin: Führer durch das Museum für Völkerkunde 9 (Berlin 1902), S. 204, Glaskasten 186. 524 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. der Svastika, ein goldener Fisch und ein Delphin.‘ Der Anblick eines Fisches ist stets ein günstiges Omen. Wer am Morgen einen Rohitafisch sieht oder berührt, für den ist dies ein unübertreffliches Glückszeichen (Jataka IV, 72f.)” Wer eine Reise antritt und dabei Fische sieht, wird glücklich heimkehren (Särhgadharapaddhati Nr. 2564; Visnusmrti 63, 33; Susruta I, 29, 26).” Auch wer im Traume Fische sieht, wird Glück haben (Pasakakevalı 108 ed. Schröter; Uttarakami- katantra fol. 64” matsyasya bhaksanam ... viksanam vapi, Svapnadhyaya in Bengalidruck 0.0. u. J. 53); wer sie im Traume ißt, erlangt Wohlstand und Gesundheit (Susruta I, 29, 75; Särngadharasamhitä I, 3, 10; Matsyapuräna 242).‘ Ungünstig ist nur, wenn jemand im Traume von einem Fische verschlungen wird (Susruta I, 29, 59; Särngadharasamhitä I, 3, 10). Wer einen Feind vernichten will, kocht einen Reisbrei, den er mit dem Liede Atharvaveda 2, 12 bespricht. Frühmorgens am dreizehnten Tage gibt er ihn dem Feinde zu essen. Die Überreste streut er in einen fischreichen Teich. Wenn die Fische in Menge darauf zuschwimmen, ist der Feind vernichtet.° Bis auf den heutigen Tag werden in Indien Fische beständig auf die Wände der Häuser gezeichnet als Schutz gegen die Dämonen.° Als Glückszeichen muß der Fisch auch angesehen werden, wenn er beim Wettschießen als Ziel diente. Das Mahäbharata ı, 185, off. erzählt, daß Drupada, der König der Pancalas, bei der Selbstwahl seiner Tochter Krsna einen schwer zu spannenden Bogen und eine in der Luft schwebende künstliche Maschine anfertigen ließ, hinter der sich ein der Maschine entsprechendes Ziel (laksya) befand. Wer mit fünf Pfeilen durch die Öffnungen der sich beständig bewegenden Ma- schine das Ziel treffen würde, sollte die Hand der Krsna erhalten. Die Aufgabe löst Arjuna. Nach Nilakantha zu MBh. ı, ı, 127 war das Ziel ein in der Höhe befindlicher sich bewegender Fisch. Weder das Mahabharata, noch Ksemendra, Bharatamanjarı ı, IO1gff., noch Amaracandra, Balabharata ı, 5, 77ff., noch Anantabhatta, Campubha- rata 2, 77. 80, noch Rajasekhara, Pracandapandava p. ff. ed. Cappeller — Balabharata p. 6ff. ed. Durgaprasada and Paraba (Kavyamala. 4) geben 1 Harpy, Manual p. 368. ® Daß gerade der Rohitafisch erwähnt wird, kann mit der S. 5ır angeführten Erzählung von König Padmaka zusammenhängen, die ich allerdings bei den südlichen Buddhisten nicht nachweisen kann. ® ZacHarıae, WZKM. XVII, 306. * ZACHARIAE, a. a.0.; vgl. Artemidorus ed. HERcHER p.65,1ff.; 107, 18 ff. ° Carann, Altindisches Zauberritual (Amsterdam 1900), S. 163f; Henry, La magie dans l’Inde antique (Paris 1904), p. 235. ° ZacHArıar, WZKM. XVII, 306 nach Crooxe, Popular Religion and Folklore of Northern India 11, 254. Pıscner: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 525 etwas über die Gestalt des Zieles an, sooft sie es auch erwähnen. Wie der Kommentar des Nıilakantha zeigt, muß es aber volkstümliche Überlieferung gewesen sein, daß das Ziel die Gestalt eines Fisches hatte. Das erwähnt, worauf mich A. Horrzmann aufmerksam macht, auch DEnErRIos GaLanos, Banasarata MmeTArawTTicesica (Athen 1847), p- 118, Anm.: ckorröc Än ixeyc KremAmenoc und JOHN GARRETT, Glassical Dietionary of India (Madras 1871), p. 184, wo von einem goldenen Fisch die Rede ist, der danach in Horrzmanss Arjuna (Straßburg 1879), S. 5 übergegangen ist. Nach Lupwic' wird der goldene Fisch auch in dem Auszuge im Mujmil ettawarikh erwähnt. Einen schwebenden Fisch zeigt ferner das Bild, das dem ersten Bande der Bombayer Aus- gabe des Mahabharata vom Sakajahre 1810 vorgeheftet ist. Auch in die Rämasage scheint der Fisch in der Volksüberlieferung übergegangen zu sein. Bei Moor’ findet sich ein Bild, das Rama dar- stellt, wie er bei der Werbung um Sıta mit einem Pfeile nach einem schwebenden Fische schießt. Links von Rama liegt zwischen diesem und Laksmana (?) ein zweiter Fisch auf einem Postamente. Es sieht so aus, als sei dieser Fisch bereits herabgeschossen worden. Mir ist nicht bekannt, daß in irgendeiner literarischen Darstellung der Rama- sage von einem Wettschießen um Sitä die Rede ist. Überall spannt Rama den Bogen des Janaka, der dabei zerbricht. Vielleicht liegt in der Deutung des Bildes bei Moor ein Irrtum vor. Nicht Rama, son- dern Arjuna könnte gemeint sein.’ * Sie finden sich öfter auf Denkmälern abgebildet. So auf den Trägern von Säulen Auch zwei Fische zusammen gelten als gutes Omen. des brahmanischen Tempels in Ghumlı.° An dem Torweg einer jJainistischen Höhle in Junagadh sind neben andern Mangala, wie dem Svastika, dem Spiegel, dem Wasserkrug, auch zwei kleine Fische angebracht.” Auf einer, ebenfalls jainistischen, Weihtafel aus Ma- thura befinden sich zwei Fische gegenüber dem Svastika.” Zwei Fische finden sich an Schmuckstücken auch auf buddhistischen Skulpturen’, ! Lupwıs in seiner Anzeige von Daurmanss Buche: Das Mahäbhärata als Epos und Rechtsbuch (Sitzungsberichte der Kgl. Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaf- ten. Klasse für Philosophie, Geschichte und Philologie. 1896), S. 69. 2 Hindu Pantheon, Plate 52. ® Über ein Fischorakel bei der Hochzeit in Südindien vgl. ZacuAarıar, WZKM. XVII, 304. * ZACHARIAE, a.a.O. nach WaArnouse, Indian Antiquary V, zra. ° Büsrer, EI. II, 312 nach Bureess, Archsological Survey of Western India II, Plate XLII, No. 9 und 17. ° BünLer, a.a.O. nach Bursesss, a.a. O., Plate XVIII, 3; vgl. auch Bhagvänläl Indräjı, Actes du sixieme Congres international des Orientalistes III, 2, 137. * BÜHLER, a.a.O. mit Plate 1. ® Bünrer, El.II, 312 nach Fereusson, Tree and Serpent Worship? Plate III, Fig. 4. 526 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. ferner neben Muschel, Rad, Sonnenschirm, Krug und einer Blume auf dem blattförmigen Heiligenschein einer Statue des Avalokitesvara aus China im Musce Guimet.' Wie hier und auf den jainistischen Denk- mälern von Junagadh und Mathura die Fische neben andern Mangala sich befinden, so zeigt auch eine alte, vielleicht noch vor 200 v. Chr. zu setzende Münze aus Ayodhya einen Fisch unter dem Svastika.” Es kann also keinem Zweifel unterliegen, daß der Fisch hier überall als Mangala gedacht ist. Das älteste Beispiel dafür bietet die prachtvolle Kristallbüchse, die sich im Grabe des Buddha in Piprava gefunden hat.” Sie stand unmittelbar rechts neben einer Urne, die nach der darauf befindlichen Inschrift »die fromme Stiftung der Säkyas, der Brüder mit den Schwestern, mit Frauen und Kindern«* war, und die Reliquien des erhabenen Buddha enthielt. Die Kristallbüchse wird also etwa aus dem Jahre 480 v. Chr. stammen. Zu ihr gehörte ein Deckel, der hohl und mit gekörnten Sternen aus Blattgold angefüllt war. Der Griff des Deckels hat die Gestalt eines Fisches. Links von der Urne stand eine Vase, vor beiden ein flaches, korbartiges Kästchen mit Deckel, und links von der Vase eine zweite Urne, die größer ist als die erste, aber keine Inschrift hat. Alle diese Gefäße waren zur Hälfte angefüllt mit Zieraten aus Gold, Silber, Edelsteinen, Kristall, die die verschiedensten Formen aufwiesen, wie Sterne, Blumen, männliche und weibliche Figuren, Vögel, die eines Elefanten, Stücke aus Blattgold, in die die Figur eines Löwen eingeprägt war u. dgl.” In geringerer Mannigfaltigkeit der Formen haben sich diese Zieraten auch in dem buddhistischen Stupa von Bhattiprolu im Dekhan gefunden,‘ der keines- falls später ist als das zweite Jahrhundert v. Chr. Die Ähnlichkeit mit den Funden von Piprava wird noch größer dadurch, daß sich auch im Stupa von Bhattiprolu drei Kristallbüchsen gefunden haben, die kleiner sind als die von Piprava, ihr aber in der Form gleichen. Die erste der Bhattiprolu-Inschriften erwähnt ein Kästchen und eine 1 Mirrovur, Petit guide illustr@ au Musee Guimet3 (Paris 1897), p. 137. ® Rarson, Indian Coins $ 44 mit Taf. IV, 2. ® Prrrz, JRAS, 1898, p. 575. Gute Photographie und Abbildung auch bei FÜHrer, Annual Progress Report of the Archxologieal Survey Circle, North -Western Provinces and Oudh, for the year ending zoth June 1898, No.D 740, und Muknerrı, Archzxological Survey of India, New Imperial Series No. XXVI, Part I (Caleutta ıgor), Plate XXVIII, Fig. 2. * Pıscner, ZDMG. 56, 157f. ° Abbildungen bei Prrprz, a.a.O. auf Taf. I zu p. 576. Danach auch bei Ruys Davıps, Buddhist India (London 1903), p. 89. ° Rea, South Indian Buddhist Antiquities — Archzologieal Survey of India, New Imperial Series, Vol. XV (Madras 1894), p. 9ff. Auch in Buddhagayä haben sich Gefäße mit ähnlichen Gegenständen gefunden: Cunnıneuam, Mahäbodhi (London 1892), p- 24 mit Plate XXI. Pıscnuer: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 527 Kristallbüchse, die die Eltern eines Kura, dieser selbst und ein Siva gekauft hatten, um Reliquien des Buddha hineinzulegen.' Beide haben sich zusammen mit dem größeren Steinkästchen, in dem sie standen, ge- funden. Vor dem ersten größeren Steinkästehen waren 24 Silbermünzen in der Form des Svastika am Boden befestigt.” Den Svastika zeigen auch mehrere Stücke des Stupa von Piprava, teils allein, teils rechts unten auf den Plättehen mit dem Bilde des Löwen, über dem der Dreizack (iristla) sich befindet” Danach ist es mir zweifelhaft, ob alle Zieraten nur zur Ehre der Reliquien des Buddha beigefügt worden sind, wie Fünrer meint.‘ Der Svastika ist nirgends bloßes Schmuck- stück, sondern stets guter Vorbedeutung wegen gebraucht worden. Daher wird auch der Griff in Fischgestalt nicht bedeutungslos, son- dern ein Mangala sein. Die Mangala hatten hier wohl den Zweck, die Reliquien vor Beschädigung zu schützen. Über einen brahmanischen Gebrauch, den Gebeinen des Toten die Ruhe zu sichern, gibt uns das Pitrmedhasutra des Gautama (1, 26—31) Nachricht.” Neben die Ge- beine des Toten, die auf einem Blatte der Butea frondosa (palasa) liegen, wird ein Krug gestellt. In ihn werden unter Hersagung eines Verses® die Gebeine gelegt. Über sie wird saure Milch, flüssige Butter, Honig und Wasser gegossen, und darauf ein Stückchen Gold (hiranya- sakala) gelegt. Die genannten Dinge werden unter Hersagung des Verses der Reihe nach in Gedanken den Flüssen Ganga, Godavarı, Yamuna, Käverı, Bhimarathı gleichgesetzt. Dann heißt es wörtlich: »Solange nicht ein Knochen weggenommen wird (Ahriyate), wird er (d.h. der Tote) im Himmel geehrt«. Die Blıımarathı wird als ein Fluß bezeichnet, der die Sünde und Furcht tilgt (p@pabhayapah@; MBh. 3, 88, 3). An sie soll beim Auflegen des Stückchen Golds gedacht werden. Allen Schulen gemeinsam ist, daß dem Toten, wenn er auf dem Scheiterhaufen liegt, auf die »sieben Stätten des Aushauchs« (pran@yatanani), d.h. den Mund, die beiden Nasen- und Ohrlöcher und die Augenwinkel, kleine Stücke Gold (hiranyasakala, wie bei Gautama) gelegt werden.’ Gold ist das reinste aller reinen Dinge, das erste Kind des Agni, es ist Licht und Nektar. ! Bünter, EI. II, 326f.; Pıscuet, GN. 1895, 215. 2 Abbildung bei ReA, a.a.O. Plate IV, Fig. 13. ® Auf den Tafeln bei PrrrE und Rays Davıops, a.a. ©. Nr. 1. 13. 16. 47 A.a.0.p.4. ° The Pitrmedhasütras of Baudhäyana, Hiranyakesin, Gautama edited by W. Caranp (Leipzig 1896). Verständlich wird der Text nur durch die Aurdhvadehika- paddhati des Krsnadiksita, ibid. p. 92. Gautama 1, 31 lese ich: yavad asthi na kim cid dhriyate tavat svarge loke mahıyate. Danach übersetze ich auch. Anders Carano, Die altindischen Todten- und Bestattungsgebräuche (Amsterdam 1896) S. 107. ‘ Der mit den Worten vahemam beginnende Vers: ist leider sehr verderbt. Woher er stammt, weiß ich nicht. ” Caranp, Die altindischen Todten- und Bestattungsgebräuche S. 47 fl. 528 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. Wer Gold schenkt, reinigt sich selbst.‘ Die Zeremonie bei Gautama ist also eine Reinigungs- und Sühnzeremonie, die von den Gebeinen des Toten alles Unheil abhalten soll, und es wird nicht grundlos sein, daß unter den Zieraten in den Stupas sich so viel Gold gefunden hat. So wird auch der Fisch, der uns wiederholt in Verbindung mit dem Svastika begegnet ist, im Grabe des Buddha als ein Mangala anzusehen sein. In allen buddhistischen Klöstern von China findet sich ein Gegenstand, der den Namen mu yü »hölzerner Fisch« führt. An ihn schlagen die Mönche bei ihren Gebeten und Gesängen, um den Takt zu markieren.” Das Museum für Völkerkunde in Berlin besitzt mehrere solehe hölzerne Fische, die schwerlich jemand für Fische halten wird. Etwas deutlicher tritt die Fischgestalt hervor bei einem Exemplar aus Tonkin, das im Kataloge die Nummer I. ©. 30084 trägt. Als Modell haben offenbar Kugelfische gedient. Denn, daß wirklich ein Fisch gemeint ist, beweisen die Exemplare aus Tonkin, die Dumourier beschrieben und abgebildet hat.” In Tonkin heißt das Instrument mo. Das in den buddhistischen Tempeln gebrauchte hat die Form des Kugelfisches (p. 144), das in den Ratshäusern der Dörfer verwen- dete, mit dem die Einwohner zusammengetrommelt werden, hat da- gegen die Gestalt eines gewöhnlichen, langen Fisches (p.145). Auch in der Vorhalle oder den Höfen der buddhistischen Tempel in China hängt ein langer, hölzerner Fisch in gewöhnlicher Gestalt. Seine Be- deutung ist den Mönchen nicht mehr bekannt. Hr. Legationssekretär Dr. O. Franke hatte die Güte, mir darüber die folgende Mitteilung zu machen: »P‘ien ts@ lei pien Cap.ı99 fol.ı6r° und P’ei wen yün fu Cap.6 fol.ır? findet sich folgendes Zitat aus einem Pei shi chi yen genannten Werke: Ein Laie fragte den (buddhistischen) Ältesten aus Indien: Warum ist in den Wohnungen [d. h. Klöstern] der Buddha- priester ein hölzerner Fisch aufgehängt? Der antwortete: Man tut das, um die Menge zu mahnen. Der Laie sagte: Was hat es aber für einen Grund, daß man dazu durchaus einen Fisch schnitzen muß? Darauf konnte der Älteste nicht antworten. Da sandte man einen Buddhapriester aus, um den Meister Wu pien vom Karneolberge (?) zu fragen. Der Meister sagte: Der Fisch schließt niemals, weder bei Tage noch bei Nacht, die Augen. So werden auch die, die ihren Lebenswandel zu erneuern wünschen, bei Tage und bei Nacht ihres Lagers vergessen, bis sie den Pfad (der Vollkommenheit, tao) erreichen. « Velez.B. TS. 5,7, 5, 250,06, 7, 55, MS. 1,26,,40(P:793:83)52 MBh23302008255 Atrisamhitä im Dharmasästrasamgraha (Bombay $aka 1805) p. 4, 2; 39, Ig usw. ® Epeıns, Chinese Buddhism (London 1880), p. 252. 257 f. ® Dumovrier, Les symboles, les emblemes et les accessoires du culte chez les Annamites (Paris 1891), p.143 ff. PıscnheL: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 529 Daß die Erklärung des Meisters Wu pien irrig ist, unterliegt keinem Zweifel. Allerdings bedeuten im Sanskrit die Worte animisa animisadrs, animesa »die Augen nicht schließend« zugleich »Gott« und »Fisch«. Wie für die Fische, ist auch für die Götter das Nichtschließen der Augen charakteristisch. In der Vikramorvası des Kalidasa (p. 48, 14 ff. ed. BoLtensen) erklärt der Vidusaka, er verstehe nicht, wie Urvası sich nach dem Himmel sehnen könne. Dort esse und trinke man nicht, sondern man stiere nur wie die Fische mit offenen Augen (kevalam animisehim acchthim minad@ avalambiadi). Während dies aber bei den Göttern als ein Zeichen ihrer Wachsamkeit gilt, ist es bei den Fischen nicht der Fall. Überhaupt spielt der Fisch an sich in Indien keine Rolle, die es begreiflich erscheinen ließe, weshalb er den Laien zur Mahnung in den buddhistischen Tempeln aufgehängt wurde. Fisch und Wasser sind unzertrennlich, wie der Udumbara und die Mücken WEBRNT22194,406,0248,,23577285,734;) 309,235 315,145 318,74 %-; 14, 48, 12). In seichtem Wasser befindet sich der Fisch nicht wohl (MBh. ı2, 175, 12; 277, ıı), aber er ist auch mit dem Wasser allein zufrieden, wie die Gazelle mit ddem Gras und gute Menschen mit dem, was man ihnen gibt, so daß es unverständlich ist, daß ihm die Fischer nachstellen (Ind. Sprüche? 4931). TS. 2, 6, 6, ı wird dies daraus er- klärt, daß ein Fisch Agni verriet, als er sich aus Furcht im Wasser versteckt hatte und die Götter ihn suchten. Agni fluchte den Fischen, daß man sie mit List töten solle. Der Gang des Fisches im Wasser ist so schwer zu erkennen wie der Charakter der Frauen (Jataka 1, 300, 21; 5, 94, 24; 450, 31). Wie man die Spur der Vögel im Luft- raum und der Fische im Wasser nicht sieht, so auch nicht die der Brahmakundigen und Frommen, wenn sie sterben (MBh. 12, ı8r, 19; 239, 24; 322, 19). Wünscht man einem neugeborenen Kinde Schnellig- keit, so gibt man ihm Fische zu essen (Paraskara, Grhyasutra 1, 19, 9). Baudhayana, Grhyasutra ı, 13 berichtet von einem eigenartigen Hoch- zeitsgebrauch, über den ZacnArıae gehandelt hat.” Die Gatten steigen bis zum Knie ins Wasser und fangen mit einem neuen Gewande, dessen Saum nach Osten gerichtet ist, Fische. Und sie fragen einen Brahma- carin: »Brahmacarin, was siehst du?« Der Gefragte antworte: »Söhne und Vieh.« ZAcHARIAE hat mit großer Belesenheit höchst interessante anderweitige Belege für diese Sitte beigebracht, auch außerhalb In- diens, und mit Recht bemerkt, daß es sich um ein Orakel handelt. Der Grund dafür, daß man Fische wählte, ist darin zu suchen, daß ! Vgl. auch SiSupälavadha 3,42; 5,57; Rudrata, Srügäratilaka 2,22. Auch von den griechischen Göttern galt das gleiche: Roupe, Der griechische Roman (Leipzig 1876), S. 262, Anm. 4. 2 WZKM.XVIII, 299 fi. Sitzungsberichte 1905. on [5 530 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 11. Mai 1905. die Fische sich schnell und stark vermehren. Sie waren also in diesem Falle ein Symbol der Fruchtbarkeit. Fischbrühe galt als be- sonders tauglich zur Stärkung der Manneskraft.' Der indische Liebes- gott führt den Fisch im Banner und hat danach viele Namen.” Wahr- scheinlich hängt es mit der erotischen Eigenschaft der Fische zu- sammen, daß der Fisch (matsya) unter den 5 M (Makara) der Tantrika erscheint, neben madya (berauschendes Getränk), mamsa (Fleisch), mudra (Amulett) und maithuna (Begattung).’ Das Bhagavatapurana 8, 24, 2 läßt vor der Erzählung von Satya- vrata und dem Fisch den König Visnurata an Suka die Frage stellen, weshalb Visnu in seiner ersten Verkörperung die Gestalt eines Fisches, vor der die Menschen Abscheu hätten, angenommen habe (yadartham adadhäd rupam mätsyam lokajugupsitam). Nach Mahabharata 12, 342,27 wurde das Wasser infolge des Fluches des Brhaspati durch Fische, Delphine und Schildkröten verunreinigt. An und für sich hat also der Fisch keine Eigenschaften, die ihn geeignet machten als Vorbild zu dienen. Zum Symbol und Mangala wurde er durch die Rolle, die er in der Sage von Manu spielt. Die Texte heben ausdrücklich hervor, daß der Fisch der Retter des Manu und damit der Menschen war. Im SBr. 1,8, ı,2 sagt der Fisch zu Manu: »ich werde dich retten« (pärayisyami tvä,; p@rayıtasmi) und 6: »ich habe dich gerettet« (apr- param vai tvä). Im MBh. 3, 187,9 sagt er: »schütze mich; für deine Tat werde ich Vergeltung üben« (fratum arhasi kartasmi krte pratikrtam lava), und 52: »durch mich, in Gestalt eines Fisches, seid ihr von dieser Gefahr befreit worden« (matsyarzpena yuyam ca mayasman mok- sita bhayät). Im Bhagavatapurana 8, 24, 43 fordern die Munis den Satyavrata auf, an Visnu zu denken: »der wird uns aus dieser Fähr- lichkeit retten und uns Heil schaffen« (sa vai nah samkatad asmad avita sam vidhäsyati). Als Satyavrata an ihn denkt, erscheint Visnu in Fisch- gestalt. 8, 24, 27 heißt es: »Zum Heile für die Wesen nimmst du die ! J. J. Meyer zu seiner Übersetzung von Ksemendras Samayamätrkä, S. 14, Anm. 5. ® Z.B. jhasaketana, jhasadhvaja, mmaketana, mmaketu, minadlhvaja, minalanchana. Eine Abbildung in dem merkwürdigen Buche von Nırras Mürrer, Glauben, Wissen und Kunst der alten Hindus (Mainz 1822), Tafel 1, Fig.7, wozu p. 552 die Bemerkung: »Zugleich ist dieses Kupidoskepter eine Standarte, worauf der Fisch der Minne (Mina) abgebildet ist.« Häufiger sind Beiwörter mit makara (Delphin). matsya wird nicht gebraucht. Im Raghuvamsa 7,37 (40 ed. Paraba) führt das Heer des Aja Fahnen in Gestalt von Fischen (matsyadhvaja). ® Wırson, Works I, 256; DE LA VALLEE Poussın, Bouddhisme (London 1898) p-135. Weniger bekannt als die 5M sind die 4G, die sich in einem Einschub MBh. 6, 43, 3 finden, den nach Nilakantha die Gaudäs nicht kennen: gita Gamga ca gayatrı Govindeti hrdi sthite | caturgakarasamyukte punarjanma na vidyate || PıscnetL: Der Ursprung des christlichen Fischsymbols. 531 Gestalt der Fische an.« Vgl. auch oben S. 519 die Anrufung beim Matsyadvädasıvrata. Der Erlöser des Hinduismus ist Visnu. »Sooft eine Abnahme des Rechts eintritt und ein Emporkommen des Unreehts, erschaffe ich mich selbst. Zum Schutz für die Guten und zur Ver- nichtung der Bösen, um das Recht zur Geltung zu bringen, werde ich in jedem Zeitalter geboren«, sagt Krsna-Visnu in der Bhagavad- gitä 4.7.8. Neunmal hat sich Visnu zu diesem Zwecke bereits auf der Erde verkörpert, das letztemal als Buddha. Das Mahabharata 12, 339, 103 kennt die Verkörperung als Buddha nicht; später ist sie allgemein anerkannt, z.B. Bhägavatapurana 1, 3, 24; Agnipurana 16, ı ff.; Ksemendra, Dasävataracarita 9, ı ff.; Visnupadadikesantavarnana- stotra 49 (Kävyamala II, 19); Hemadri, Caturvargaeintamani I, 327; Gitagovinda 1, ı3. Vgl. auch zu Varahapurana ı, 10. Damit war der Weg gewiesen, auf dem das Fischsymbol vom Visnuismus zum Bud- dhismus gelangen konnte. Wie eng sich beide Religionen im Norden Indiens, in Nepal, berührten, habe ich oben gezeigt (S. 520). Gerade in seiner ersten Verkörperung als Fisch wurde Visnu in Nepal besonders geehrt, und diese Verehrung wurde mit dem auf den Fisch hinwei- senden Namen von den Buddhisten auf Avalokitesvara übertragen, den Kern mit Recht den Visnu der nördliehen Buddhisten genannt hat.' Aus den Himalayaländern kam das Symbol nach Tibet, China, wo der Fisch in der Vorhalle oder dem Hofe aller buddhistischen Tempel hängt, und nach Turkestan. Hier lernten es die Christen kennen und über- trugen es auf ihren Erlöser. Mit dem Fische des Manu hat das christliche Symbol des Fisches bereits AnGEeLO DE Gugernarıs in Verbindung gebracht.” Seine Dar- legungen mußten aber notwendig unbeachtet bleiben, da sie sich in den schwindelnden Höhen der vergleichenden Mythologie statt auf dem sicheren Boden der indischen Philologie bewegten. Gusernarıs hat Legenden herbeigezogen, die mit der Frage des Fischsymbols nichts zu tun haben, und sie in der unwissenschaftlichen Weise gedeutet, die das Merkmal der vergleichenden Mythologie ist. Damals waren auch noch lange nicht alle Materialien bekannt, auf die ich mich stützen konnte, und vor allem war es ganz unklar, wo ein Einfluß des Zoro- astrismus und Buddhismus auf das Christentum hatte stattfinden können. Heute wissen wir, daß dies in Turkestan der Fall war. Schon 1893 hat Ernsr Kunn darauf hingewiesen, daß im östlichen Iran mit seiner nördlichen Nachbarschaft seit Jahrhunderten Zoroastrismus, baktrischer und chinesischer Buddhismus und später Christentum in innigste Be- ! Der Buddhismus und seine Geschichte in Indien. Übersetzung von HERMANN Jacosı 1,416. Letture sopra la mitologia Vedica (Firenze 1874), p. 216 ff. 532 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 11. Mai 1905. rührung kamen', daß wir dort also die Stätte zu suchen haben, wo fremde Elemente in das Christentum eindrangen, und daß unzweifel- haft die Spuren mehr sein würden, wenn die Literatur der gnostischen und manichäischen Kreise uns anders als in Trümmern erhalten wären.” Die glänzenden Entdeckungen von F.W.K. Mürrer’ haben ihm recht gegeben, und wir dürfen hoffen, bald noch mehr und umfangreicheres Material zu erhalten. Auf dem von OLDENBERE eingeschlagenen Wege! werden wir freilich nie weiter kommen. Er ist nicht der richtige und steht in Widerspruch mit gesicherten Ergebnissen der religionsge- schichtlichen Forschung. Der frische Hauch, der jetzt durch die neu- testamentliche Exegese weht, wird auch hier Klarheit schaffen. Die Geschichte hat Zeit. ! Barlaam und Joasaph (München 1893), S. 36f. 2 Festgruß an Rudolf von Roth (Stuttgart 1893), S. 221. Vgl. Pıscher, Deutsche Literaturzeitung 1904, S. 2940. 5 3 Handschriften - Reste in Estrangelo-Schrift aus Turfan, Chinesisch - Turkistan. II. Teil (Berlin 1904). * Deutsche Rundschau 1904, S. 254 ff.; Theologische Literaturzeitung 1905, S. 66 ff. Wegen der Einwendungen, die OLDENBERG gegen meine Deutung von EN T& TINEYMATI macht, verweise ich auf van DEN BErGH van Eysınaa, Indische Einflüsse auf evan- gelische Erzählungen (Göttingen 1904), S. 23, Anm. ı, die ich im einzelnen geprüft hatte. Auch die in der Anzeige von Sch[ür]m[ann] im Literarischen Centralblatt 1904 S. 1353f. gegebene Deutung von En TINEYMATI mit »auf Grund von Geisteseingebung« scheint mir nicht befriedigend. Warum könnten nicht in Lukas 2, 25. 26 Arıon und Ärloy später hinzugefügt worden sein, wenn 2, 27 EN T® TINEYMATI die ursprüngliche Lesart wäre? Vorsicht ist natürlich geboten. 1 533 Vierter vorläufiger Bericht über die Ausgrabungen der Königlichen Museen zu Milet. Von TuEopDor WIEGAND. (Vorgelegt von Hrn. KrkuLE von STRADONITZ.) Nach der Sommerpause begannen die Arbeiten am 12. September 1903, wurden vom 30. April bis 2. September 1904 wiederum ausgesetzt und dauern seitdem fort. Als Architekten waren tätig Hr. Regierungs- baumeister Hugerr Knackruss aus Kassel, Hr. Dr. JuLıus Hürsen aus Frankfurt a. M. und Hr. Gror6 Kawerauv aus Stettin, letzterer bekannt durch die wertvollen Dienste, die er der Archäologie als Leiter der Akropolisausgrabung zu Athen geleistet hat. Als Epigraphiker arbeiteten die HH. Dr. Arsert Renm aus München und Dr. Erıcn ZıEBARTH aus Hamburg, als archäologischer Volontär war Hr. Dr. E. HrrkexkatH aus Mörs drei Monate lang anwesend. Die Arbeitsobjekte haben an Fülle und Zahl so zugenommen, daß ich ohne Rücksicht auf den Gang der Grabung über jedes einzelne getrennt berichten muß. 1. Die spätrömische Stadtmauer (sogenannte Gotenmauer). Dieses große Verteidigungswerk (Sitzungsber. 1901, S.9IO; 1904, S.75) hat sich auch diesmal als Fundgrube von Inschriften, Archi- tektur und Skulptur erwiesen. Wir sind dem Mauerzug erst auf der Westseite (Plan Fig. ı), dann vor dem Theater, besonders aber beim Rathaus, die Nordgrenze des südlichen Marktes entlang, sowie öst- lich darüber hinaus bis zu den Bogen der römischen Wasserleitung nachgegangen. Im Westen fanden sich wichtige Grabmonumente der dort liegen- den Nekropole verbaut. Als Fundamentschicht lagen Marmorsäulen in langen Reihen nebeneinander, darüber Kapitelle und Architrave dorischer Bauten, Triglyphen und Orthostaten, gewölbte und gerade Kassetten, Konsolen, Giebel und Doppelgiebel von Naisken, zierliche Pfeiler mit Akanthusschmuck und vieles andere. Besonders stattlich sind die Teile vom Monument des Staatsmannes Aristeas, dessen in 534 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. das 2. Jahrhundert v. Chr. weisende Grabschrift auf einem profilierten Marmororthostaten erhalten ist (Höhe ıı1“", Breite 128°): O$Ttoc 6 MınATolo MÄTPAC TIPÖMOC, OYToc Ö AHMOY PYTHP Kal TIÖAEWC HNIOX@N BIOTON, oYToc 5 TIÄCIN ÄPICTOC, Ö XPYCEIoIcI KONOCCOIC TIMABEIC, TTÄTPAC A ENTÖC EXWN KTEPEA, matpröc APıcTeoy Yidc ÖMWNYMOC, 0% KnEoc EcenON AenioY XPYC&wN ÄTXI BEBHKE Al$PWN. 300M Derselben Zeit gehört das bedeutende Grabmal der Menesthiden- familie an (Marmorplatte, Höhe 62°s5, Breite 142°”, Abschrift von Rem): Tu. Wıesann: Ausgrabungen in Milet. IV. 535 CAmA Men Ice’, OTI TOYTO MenececeıaAn Em Alccoic KIOCIN W@NKWEH, ZEINE, KATAPBIMENOIC, Ei TINAC EY6nBOY MerAnAc TIAPÄA TIAlAl CeneYkoy Aciaoc YYHnoYc EknvYec ÄTEMÖNAC. Offenbar haben wir hier das Grabepigramm des Menestheus, welcher mit Demetrios I., dem Sohn Seleukos’ IV., nach Rom gegangen und diesem Fürsten später bei seiner Flucht nach Syrien behilflich war. Polybios (XXXI 21, 2) erzählt darüber: Avoin A’ YTIAPxöNTuN AnEen®@N, MeneArpoY kai Meneceewc, TOYTOIC EKOINWCATO THN TIPÄEIN, AAAW A OYAENI TON MET’ AYTOF, KAITOI TIAEIONWN ÖNTWN. OYTOoI A Acan Arton- AWN!OY KATÄ ®YCIN Yiol TO? METÄAHN MEN EYKAIPIAN EXONTOC TIAPA Cenevkw, METACTÄNTOC AE& KATÄ THN ANTIOXOY METÄAHYIN TÄc ApxAc eic MinHton (vgl. B. Nıese, Geschichte der griechischen und makedonischen Staaten II S. 245). In derselben Gegend fanden sich u. a. der Rest eines Ehren- beschlusses der Stadt Eretria für milesische Schiedsrichter, eine Agora- nomeninschrift, der Rest eines Erlasses des Kaisers Marcus, das Frag- ment eines Schwures an Apollon, eine Weihung an (Ievc) Bacıneyc "Ennkooc, beim Theater eine solehe an Ievc Merictoc “Hnioc. Nahe der modernen Dorfwasserleitung liegt im Verbande der Mauer noch die Grabinschrift des Stadtarchitekten Granius, auf den Faszien zweier ionischer Marmorarchitrave eingemeißelt: “"Hpöon TIo. Tpaniov AcıaTıkof, ÄPXITEKTONOC TÄC TTÖNEWC, KAl TON TEKNWN AYTOY KAl EKTONWN. Beim Südmarkt, zwischen Nymphäum und Rathaus, hatte die Gotenmauer einen großen Turm, welcher einen Torgang schützte. Dort fanden sich u. a. Inschriften zu Ehren der Kaiser Traian, Hadrian, Antoninus Pius und Teile einer großen lateinischen und griechischen Widmung eines Cäsaren auf dem Architrav einer der Hallen des Süd- marktes. Eine Abraxasgemme aus Chrysopras trägt folgende Auf- schriften: Av. (hahnenköpfiger, schlangenfüßiger Dämon mit Schild, Geißel, Panzer): IEVAO H W Rev.: covM APTAL MAPMAL KAPB AE In jener Gegend fanden sich auch die Reste eines lebensgroßen Reiterstandbildes aus Marmor hellenistischer Zeit. Die Marmorbasis 536 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. eines dem ersten Ptolemaios noch in der Zeit vor seiner Thronbestei- gung (306 v. Chr.) errichteten Bronzebildes trägt die Widmung (Ab- schrift von Reun): TTronemaloc AAroy MakeAawNn (zwei getilgte Zeilen) &irnwn Kal “Hräcınroc "OnYmwnoc ATönnun! An der römischen Wasserleitung springt wiederum ein starker Turm vor, aus dem eine Pforte führt. An der Außenseite las ZIEBARTH die originelle Drohung: Oi üAe xeıontec en(n)E” Wra(c) MA Öreoien. Nur kurz kann des erst soeben gewonnenen, weitaus wertvollsten Resultates der Grabung zwischen Rathaus und Nymphäum Erwähnung geschehen: die konsequente Verfolgung der »Gotenmauer« brachte die unerwartete Erkenntnis, daß ein großes Prachttor unter dem Goten- turm nahe dem Nymphäum liege und in den Südmarkt hineinführe. Dieser 27” breite, zweistöckige Marmorbau stammt aus frührömischer Zeit. Er hatte drei Durchgänge; die Schmuckseite lag nach Norden, so daß durch die großen korinthischen Tabernakel mit ihrem reichen Statuenschmuck der Eindruck des schon durch die Propyläen des Rathauses und die Fassade des Nymphäums ausgezeichneten Platzes zu einer großen Gesamtwirkung gesteigert wurde. Die völlige Re- konstruktion des durch ein Erdbeben in verhältnismäßig später Zeit niedergeworfenen Bauwerkes ist gesichert, da von den Baugliedern fast alles vorhanden ist. Die bei dieser Gelegenheit gleichzeitig, unter spezieller Aufsicht des Hrn. Dr. Hürsen, vorgenommene Grabung in der nächsten Um- gebung des Nymphäums hatte die Auffindung einer großen Menge von Baugliedern zur Folge, wodurch sichergestellt wird, daß die Schmuckwand des Nymphäums dreistöckig war und daß auch die Seitenwände des Hauptbassins eine Tabernakelarchitektur trugen. Die im Archäologischen Anzeiger 1902, S.ı52 Fig. 8 mitgeteilte Rekon- struktionsskizze erleidet somit eine völlige Umgestaltung. Einem besonders großen und wichtigen Bau sind wir gleich zu Beginn des Herbstes 1904 auf die Spur gekommen, dem Stadion. Ein Versuchsgraben führte uns genau auf die 22”75 breite Eingangs- portikus, die aus zwei Reihen von je acht, Arkaden tragenden korin- thischen Säulen von 2"'88 Axweite bestand. Nur die Mittelaxe war breiter (3”82). Dieses Marmortor scheint gleichzeitig mit dem zweiten Tu. Wıersanp: Ausgrabungen in Milet. IV. Dal römischen Bühnengebäude des Theaters errichtet zu sein. In seiner Anlage hat es große Ähnlichkeit mit dem Eingang des Stadions zu Ephesos. Ob auch die Länge mit der des ephesischen Stadions (250") übereinstimmt, werden die nächsten Nachgrabungen lehren. Vom Zuschauerraum ist die mit einem gewölbten Aufgang versehene nördliche Paradoswand (Länge 2193) mit den Resten der anstoßenden Sitzreihen freigelegt. Die Gesamtbreite der Stadionfront betrug 73"70, also etwa die Hälfte der Breite des Theaters. 2. Die Löwenbucht. Wie im vorigen Bericht (1904, S. 76) in Aussicht genommen war, ist das Hauptaugenmerk auf dieses wichtige Gebiet gerichtet worden. Es hat sich dabei gezeigt, daß der Hafen durch eine helle- nistische Festungsmauer von 2” Dicke geschützt war, die auf der Plan- skizze Fig. ı als eine sich im stumpfen Winkel brechende Linie am Ostfuß des Theaterhügels erscheint; die weitere Verfolgung nach beiden Seiten hin ist durch das Grundwasser gehindert worden, wird aber in besserer Jahreszeit fortgesetzt werden. Südlich davon entdeckten wir einen großen Zug dorischer Hafenhallen mit angebauten Kammer- fluchten aus hellenistischer Zeit. Nach Osten öffnete sich ein Flügel von etwa 35” Länge, der nach Norden gerichtete Teil ist 125” lang. Bei dieser Grabung haben wir die Trümmer eines ebenso umfang- reichen wie bisher rätselhaften hellenistischen Denkmals verstehen ge- lernt. Auf dem Quai am Nordende des kürzeren Hallenflügels fand sich nämlich ein kreisförmiger, vierstufiger Unterbau von 10" Durch- messer, der drei einwärtsgebogene Sitzbänke trägt. Es ist der unterste Teil eines riesenhaften Marmordreifußes. Die drei Sitzbänke endigen gegeneinander in stumpfen Ecken. Ihre Rücklehnen sind von 2” hohen Orthostaten gebildet, welche die Biegung der Bänke mitmachen. Da sich in der Mitte des später zu schildernden Apollonheiligtums ein ganz übereinstimmender Unterbau gefunden hat, so darf ich zur Er- läuterung schon hier auf die Mitte des Planes Fig. 3 verweisen. Über dem Deckprofil der Orthostaten erhob sich eine zweite Plattenreihe mit der Reliefdarstellung überlebensgroßer, das Muschelhorn blasender Ichthyokentauren und sich tummelnder Delphine. Über diesen folgten Reliefs mit Darstellungen von Kriegsschiffen in der Weise, daß an jeder der drei stumpfen Ecken ein Schiffsschnabel aussprang, in welchen von beiden Seitenflächen her je ein Schiff auslief. In der Mitte der Seiten standen sich, wie es scheint, die beiden Aphlasta ornamental gegen- über. Die Komposition war demnach so gedacht, daß die Schiffe auf 538 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 11. Mai 1905. dem durch Seekentauren und Delphine symbolisierten Meer schwimmend erscheinen sollten. Über diesem etwa 7” hohen Aufbau erhob sieh, vermutlich von kauernden Löwen getragen, der beinahe 4” hohe schlanke Dreifuß, dessen löwenfüßige Beine durch glatte konkave Marmorflächen ver- bunden waren. Das Becken war an der Außenseite mit drei lang- bärtigen Dämonen geschmückt. Verschlungene, reiche Akanthusranken füllten den Zwischenraum zwischen den hochstehenden Ringhenkeln aus. Eine mit Lorbeergewinde umschlungene Deckplatte krönte das Ganze. Erst allmählich haben wir die Bedeutung dieser weit verstreu- ten Bruchstücke verstehen gelernt. Mühsame Zusammensetzungen und Restaurationen, welche schon seit einem Jahr betrieben werden, lassen jetzt hoffen, daß der Dreifuß in seiner alten Gestalt, wenn auch mit einigen (gesicherten) Ergänzungen, wiedererstehen wird. Dann werden wir ein vortreffliches Ersatzbeispiel für jene verlorenen Erzvotive be- sitzen, deren Metallformen der milesische Dreifuß deutlich nachbildet. Es wird sich bei diesem Monument wohl weniger um das Symbol apollinischer Weissagung als um ein Siegesdenkmal nach Art der Denk- mäler in der Tripodenstraße zu Athen handeln, das aber vielleicht aus Anlaß eines kriegerischen Ereignisses zur See gestiftet ist. Für eine Weihung an Apollon spricht nur der Umstand, daß das Monument am Beginn der heiligen Straße vom Hafen nach Didyma steht und ein Gegenstück dazu im Heiligtum des Apollon Delphinios aufgestellt war. Für Poseidon, dem ja der Dreifuß ebenfalls nicht fremd ist (z. B. Pausanias VII, 4, 10; Reıscn bei PauLy-WıssowA V, Sp.1686), spricht der maritime Charakter des Unterbaues, auch die Auffindung einer in jener Gegend gefundenen Votivinschrift an Poseidon. Wenige Schritte südlich des Monumentes ist ein Altarfundament aus Poros nebst zwei Untersteinen für Stelen in situ gefunden worden. Ein sehr viel kleinerer Dreifußbau aus Marmor, in derselben Art mit Sitzbänken umgeben, lag nördlich ganz in der Nähe. Vom Öber- bau sind korinthische Pilasterkapitelle und gebogene Orthostaten vor- handen, deren einer den Rest einer Weihung trägt (Höhe 40°“, Breite 92°"5): C. Graitio ©. F. Gai... 3. Das hellenistische Heroengrab innerhalb der Stadt. Am östlichen Theaterbergabhang war schon früher ein sehr gut kon- struiertes, kammerähnliches Gewölbe bemerkt worden (Sitzungsber. 1904, S. 76). Dieses hat sich jetzt als Grabkammer eines großen Heroon er- Tu. Wıesann: Ausgrabungen in Milet. IV. 539 wiesen, das die Grundfläche eines rechteckigen Straßenquartiers ein- nimmt (Fig. 2) und so liegt, daß es fast von der ganzen Stadt weithin Fig. 2. En a EN GEGDEEEGEEIEGGEG RE AKUMANTÜNÄAUNUN IIIIIIITIISIUIN — 4350 {le Me Te erblickt worden sein muß. Marmorquadermauern besten hellenistischen Charakters umschlossen den Bau, dessen Mitte die Grabkammer bildete. Sie ist in einem kreisförmigen Poroskern wie in einem Tumulus ein- gebaut. Daß der Kernbau auch äußerlich hervorragte — etwa nach Art eines Kegels vom Grab zu Albano (Durm, Baukunst der Etrusker und Römer’ S. 143 Fig. 164) —, ist möglich, aber bis jetzt nicht nach- zuweisen. Die Grabkammer, deren Verschlußplatte eine einfache Gir- lande ziert, war vom Untergeschoß aus durch einen kurzen Dromos zugänglich. Fünf nebeneinanderliegende Gräber zeigten sich in der Westwand, ferner im Marmorfußboden ein von Orthostaten umgebener, etwa 1" tiefer Behälter, dessen Deckplatte zerschlagen ist. Hier fanden sich mit anderen Knochen ein wohlerhaltener Schädel, ein silberner Fingerreif, ein Stück Goldblech, einige Glaspasten, ein Plättehen aus Knochen mit den Umrissen eines ionischen Kapitells. Alle Gräber waren beraubt; was wir im Behälter vorfanden, kann von einer späten Beisetzung stammen. Die Ost- und Westseite des den Kernbau um- gebenden Hofes ist mit je einer Zimmerflucht ausgestattet, von der sich im Osten nur Untergeschosse erhalten haben. Sowohl die Hinter- 540 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. gemächer der westlichen Kammern als auch die vorgelegte Halle sind auffällig schmal. Von der Hallenarchitektur haben sich vorzügliche ionische Säulenreste, Zahnschnitte, Gesimse und Rankensimen gefunden, deren Formen in das vierte vorchristliche Jahrhundert weisen. In zwei Räumen liegen Kieselmosaike in alter Lage, auch diese ein Beweis relativ früher Entstehung. Die geplante Abräumung der Schuttmassen unmittelbar unterhalb des Heroon wird uns hoffentlich den noch feh- lenden Namen der Grabinhaber liefern. Das einzige bis jetzt gefundene, auf den Heroenkult bezügliche Einzelmonument ist ein Naiskos von Marmor (Höhe 90°, Breite 54°”), der keine Inschrift trägt. Die Fläche zwischen den Pfeilern ist glatt, sie war einst vermutlich bemalt. Der Giebel ist mit einer runden Platte gekrönt, auf welcher eine zusammen- gerollte Schlange ruht. Diese Platte ist zugleich der Abschluß eines Kalathos, der auf der Rückseite im Relief angebracht ist. Denkt man an Gräber intra muros wie das des Brasidas in Amphipolis', des Themi- stokles in Magnesia, an das Heroon des Antigonos Gonatas”, das Tımo- neonteion, das Grab der Gypia zu Cherson’, so sind wir gewiß berechtigt, auch für das milesische Heroon sehr bedeutende Inhaber zu erwarten. Ausgeschlossen sind die Neliden wegen Paus. VII 2, 6. Nahe läge es dagegen, den Bau mit Ereignissen aus der Zeit der Eroberung Milets durch Alexander den Großen zusammenzubringen. 4. Das Heiligtum des Apollon Delphinios. Das wichtigste Ergebnis aller bisherigen Grabungen in Milet über- haupt ist die Auffindung dieses Bezirkes (Fig. 3), welcher bei der ganz systematischen Aufklärung der architektonischen Umgebung des Löwenhafens entdeckt wurde, als wir mit der Verfolgung der Hafen- halle in den südöstlichen Winkel der Bucht vordrangen. Zunächst stießen wir auf die breite, vom Hafen zum Rathaus führende Straße, die hier durch ein monumentales Tor, wie sie neuerdings besonders häufig in römisch-afrikanischen Städten bekannt geworden sind, ab- geschlossen war. An die westliche Umfassungsmauer des Delphinion gelangten wir Mitte November 1903 und die Freilegung hat uns von da ab ein Jahr lang beschäftigt. Der Bezirk ist im Norden und Osten von gepflasterten Straßen, im Süden von einer großen römischen (später einer seldschukkischen) ! Busorr, Griechische Geschichte III 2, S. 1181. ® Usener, Rheinisches Museum XXIX, 35 ff. ° SchnEiperwirtu, Zur Geschichte von Cherson, Berlin 1897, S. 23; dazu Monnusen, Römische Geschichte V, S. 2gı. | 541 IV. Ausgrabungen in Milet. Ti. WıEGAnND: Fig. 3. or I3SSVyu1lS 3SSYYLs r Kavwa 'UNH9Sa13s ARLLÄLZS SKI SS A PP LH TTITFETTITFESTFTTITITTT INETTTTIIH u TEPIZITTITITTIERT [OR OTTTEST SL STT REN TOT NIT LEI KON TLoR 07 . . 3SSVY1S 542 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 11. Mai 1905. Therme, im Westen vom Staden der lLöwenbucht begrenzt. In der Mitte dieses Rechteeks von rund 50 zu 60” stand nicht etwa ein Tempel, sondern ein in den Dimensionen ebenso gewaltiger und auch im Aufbau ganz ähnlicher Dreifußbau wie der auf der Westseite der Löwenbucht. Östlich von diesem Zentralpunkt fand sich ein rundes, tiefes Marmorgefäß von 2” Durchmesser, westlich liegen zunächst Reste zweier einander zugekehrter bogenförmiger Exedren, dann folgte ein großer rechteckiger Altar aus archaischer Zeit, an den sich ein eben- falls archaischer Rundaltar mit schweren Perl- und Eierstäben lehnte. Er enthält die bustrophedon geschriebene Weihung zweier Prytanen an Hekate. Im südwestlichen Winkel des Bezirkes stehen an ihrer alten Stelle drei Rundaltäre mit derselben Dekoration wie der Hekate- altar, aber schon dem 5. Jahrhundert v. Chr. angehörig, deren einer dem Zeus Soter, der zweite der Artemis geweiht war; der dritte trägt keine Inschrift. Namentlich in der Nähe der Exedren fanden sich in situ noch Untersteine mit Einsatzlöchern für Inschriftstelen. Dieser freie Platz war von Hallen umgeben. In hellenistischer Zeit waren es dorische, zweischiffige Kolonnaden, die nach und nach erbaut wurden; nur die Westhalle war einschiffig. Zwei schmale Türen führten im Westen, eine im Norden in das Heiligtum. In der römischen Kaiserzeit hat man diese Anlagen niedergerissen und durch breite, ein- schiffige Hallen korinthischer Ordnung von fast überreicher Ornamentik ersetzt. Statt der Türen wurde in der Mitte der Westseite ein Pro- pylaion angelegt. Allem Anschein nach geschah diese Veränderung erst im zweiten Jahrhundert n. Chr. Auf dem Plan Fig. 3 sind die älteren Hallen schwarz (die Westhalle punktiert) angegeben, die römi- schen Hallen sind mit einfachen Linien gezeichnet. Der Hof war mit einem Marmorpflaster bedeckt. Da er tief und nahe dem Wasserspiegel des Hafens lag, so war er Überschwemmungen offenbar schon in spätantiker Zeit ausgesetzt, und damals muß es ge- schehen sein, daß eine große Anzahl Marmorstelen mit der Schrift- seite nach unten umgelegt wurden, um das Niveau des Hofes zu er- höhen. Nur ein so glücklicher Umstand konnte die Auffindung einer solch außerordentlichen Fülle der wichtigsten Urkunden ermöglichen. In wenigen Tagen gelangten wir in den Besitz eines epigraphischen Materials, welches für die Geschichte der Stadt und ihres Gebietes eine neue Grundlage liefern wird. Aber nicht nur der freie Platz des Heiligtums, sondern auch die Hallenwände trugen schon in helleni- stischer Zeit so viel Inschriften, daß Strafandrohung nötig war, um Säulen und Holzwerk vor Beschädigungen durch unpassende Aufna- gelung von Schrifttafeln zu bewahren: “Eaoze TA Boyah Kai TO AHmw, OHrHCIÄNAE EITTE" TIPÖC TAN ZYAWcıN TÄC CTOIAC TÄC KAINAC TÄC En TO Iep@ a1 Tu. Wıersasp: Ausgrabungen in Milet. IV. 543 To? Arönnwnoc MH EEZEINAI TIINAKA ANAGEINAI MHAE AnnO MHAEN, ÖOTIWC MH BAÄTITHTAI H zYAWcIc, MHAC TIPOC ToYc K'onac. "En (Sic) AE TIC BOYAHTAI ÄNATIBENAI TI EIC THN CTOIHN TAT KAINHN, ANATIBETW TIPÖC TOYC TO XOYC TOYC ÄNEIBOMENOYC YTIOKÄTW TOY ANTIAOKIOY TOF nieinoY. "HN AE TIc ÄNAOH TIAPÄ TO YHOICMA, ÖBEINETW ACKA CTATÄPAC Tepovc TOT Arönnwnoc. Das nieınon ÄNTIAÖKION ist die oben profilierte, oberste Quaderschicht der Hallen- wand, auf welcher die aokxoi des Holzdaches ruhten. Es würde die Form eines Berichtes weit übersteigen, wenn von den Urkunden hier mehr mitgeteilt würde als eine Übersicht, welche der mit der Bearbeitung beschäftigte Hr. Dr. ALzerr Reum aufge- stellt hat: ı. Auf sechs etwa 2”5o hohen Steinplatten, die in die Hallen- wände eingelassen waren, stehen Beamtenverzeichnisse mit der Über- schrift o/ae monrmön AcymnHcan. Eine 1904 gefundene siebente Liste, welche in römischer Zeit in die Rückseite der unter 3a genannten Stele gemeißelt wurde, lieferte mit dem Titel cresanheöroı ol Kal aicymnArtaı die urkundliche Bestätigung für die bereits durch Kombi- nation mit anderen Inschriften gesicherte Gleichsetzung der Aisymneten mit den Stephanephoren, den eponymen Beamten Milets. Zwei der Listen geben, aneinander anschließend, lückenlos die Eponymen für 523 — 260 v.Chr., eine dritte gehört der Mitte des 2. Jahrhunderts an, die drei übrigen, die wiederum eine Reihe darstellen. umfassen den Zeitraum von etwa 89 v.Chr. bis 20 n. Chr. Im ganzen haben wir die Eponymen für 434 Jahre. Da die Verzeichnisse neben spär- lichen, aber wertvollen Angaben über das Verfassungsleben der Stadt auch berühmte Namen (Anezanaroc ®ıninmoy, Bacınevc MiepaaärtHc) bieten, bilden sie unmittelbar eine wichtige Quelle für die Geschichte Milets; noch höher ist indes wohl der Nutzen anzuschlagen, den sie als Hilfs- mittel für die Chronologie zahlreicher anderer Urkunden aus Milet gewähren. 2. So z.B. wird durch unsere erste Liste die bereits (Sitzungs- ber. 1904, S. 619) von Hrn. von Wıramowırz- MOELLENDoRFF behandelte Aufzeichnung der »Satzungen einer milesischen Sängergilde« auf 448 v. Chr. fixiert. Eine neuerliche Einschärfung gewisser kultlicher Li- turgien, die auch dort erwähnt sind, enthält eine 1904 gefundene stattliche Inschrift, dem Schrifteharakter nachı aus dem ı. Jahrhundert n.Chr. Den Angelegenheiten des Kultus gilt ferner (abgesehen von den schon oben erwähnten Altären) ein 1904 gefundenes Fragment einer archaischen Inschrift. 3. Die Kultverhältnisse spielen auch mehrfach herein in die Ver- träge und Beschlüsse, durch welche in frühhellenistischer Zeit die Be- ziehungen Milets zu seinen Pflanzstädten geregelt werden. Gefunden 544 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 11. Mai 1905. wurde: a) ein Beschluß der Einwohner von Apollonia am Rhyndakos (Fragment), b) ein Beschluß der Milesier für Kios, c) ein Vertrag mit Kyzikos, d) ein Vertrag mit Olbia. Mit den drei letztgenannten Städten wird Isopolitie vereinbart, von a sind die Einzelheiten des Beschlusses nicht erhalten. 4. Mit einer großen Anzahl von Nachbarstädten setzt sich Milet in zahlreichen ansehnlichen, leider teilweise übel erhaltenen Urkunden auseinander. Ihrer zwei betreffen Friedensschlüsse mit Magnesia am Mäander, je eine stipuliert freundschaftliche Verhältnisse mit Herakleia am Latmos, Mylasa, Pidasa, Sardes, Seleukeia-Tralleis. 5. In weitere Fernen führen Verträge mit einer großen Anzahl kretischer Städte über die Behandlung von Kriegsgefangenen, auf einer Stele vereinigt, sowie eine ähnliche Sammelurkunde, die das Verhältnis Milets zu König Ptolemaios II. Philadelphos betrifft. 6. Von den Wandblöcken der Halle (außer dem Architravbloek mit der oben abgedruckten Polizeiverordnung) enthalten mehr als 60 zum Teil mehrspaltige Fragmente die Verzeichnisse von TPözenoı und von Neubürgern, die aus verschiedenen Städten übergesiedelt sind, dazu die in einigen Fällen umfangreichen Beschlüsse über ihre Aufnahme; ein solches Stück ist schon seit 1874 bekannt (Micneı 665; Dirrex- BERGER?469): der dort genannte Stephanephor "Onvmmixoc Arıcrorenoy kehrt in unserer dritten Liste wieder, wie denn zu hoffen ist, daß gerade in diesem wirren Material mit Hilfe der unter ı beschriebenen Eponymenverzeichnisse wenigstens streckenweise Ordnung geschaffen werden kann. 7. Drei kulturgeschichtlich oder nationalökonomisch interessante Stücke behandeln innere Angelegenheiten der Stadt. a) Eudemos, des Thallion Sohn (Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr.), stiftet eic maAıaclan TON Eneveerun malaun IO Talente Silber, über deren Verwendung auf 39 Zeilen eingehend Verfügung getroffen wird. b) Um 300 v. Chr. ist die Stadt genötigt, ein Anlehen bei ihren wohlhabenden Bürgern aufzunehmen, gegen 280 v. Chr. wendet sie sich mit dem gleichen Anliegen an Knidos. 3. Neben solchen Dokumenten verblaßt die Bedeutung auch um- fangreicher Stücke, die sich im gewöhnlichen Schema halten, wie die Ehrendekrete für milesische Richter von seiten der Byzantier (49 Zeilen) und der Methymnäer und Eresier (106 Zeilen). 9. Als Zentralheiligtum der Stadt enthielt das Delphinion eine stattliche Zahl von Ehrenstatuen; die Basis einer solehen wird es sein, die als Inschrift einen Brief des Kaisers Claudius an die dionysischen Künstler trägt. Andere Basen scheinen zu einem langen Sockel ver- einigt gewesen zu sein. Im ganzen sind im Heiligtum oder in seiner Tu. Wıesannp: Ausgrabungen in Milet. IV. 545 Umgebung dreizehn Basen ganz oder in Fragmenten gefunden, von frühhellenistischer Zeit bis in die späte Kaiserzeit reichend. Wenn man zu all dem Genannten die zum Glück geringe Zahl kleinerer Fragmente rechnet, welche sich bisher näherer Bestimmung entziehen, so ergibt sich, daß uns allein das Delphinion über hun- dert beschriebene Steine beschert hat. Reichlich der vierte Teil davon sind höchst ansehnliche und aufschlußreiche Stücke, der Erhaltungs- zustand bei vielen von ihnen hervorragend. 5. Der archaische Athenabezirk. In ausgiebigem Maße wurden wir in die archaische Periode Milets geführt bei der Freilegung einer Tempelruine westlich des Stadions, auf welche wir bei der Suche nach dem ursprünglichen Standort des Eumenesbriefes (Sitzungsber. 1904, S. 86) stießen (vgl. Plan Fig. ı und 4). Das ı8"15 breite, 29.70 lange, aus großen Glimmerschiefer- 76,30 - -7 l ESCHÄKRIILE SZraS / ı \ S h \ x ca.29,70 = Y N ( 5 10 15 Atr blöcken geschichtete Fundament ist nach SW. orientiert und gehört einer peripteralen Anlage an, die in spätarchaische Zeit zu datieren ist, weil die Grundmauern über zerstörten archaischen Hausmauern errichtet sind. Die Menge der zwischen diesen hervorgezogenen Vasenscherben gewährte zum erstenmal einen umfassenden Überblick über die ältere Keramik der Stadt. Die älteste Ware schließt sich deutlich an die ausgehende mykenische Zeit an; dann folgen einige, am ehesten wohl den böotisch-geometrischen Vasen verwandte Gat- tungen, dann in besonders großer Zahl sogenannte rhodische Er- zeugnisse mit den bekannten Dekorationen in Tierstreifen (Vögel, Steinböcke) und den charakteristischen, vom Rande in das Bildfeld ragenden ÖOrnamenten (Dreiecke, Häkchen u. ä); die Fikelluraabart Sitzungsberichte 1905. 53 546 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 11. Mai 1905. ist daneben nicht selten. Auch Scherben der Naukratisgattung sind zum Vorschein gekommen. Besonders zahlreich aber sind natür- lich Reste derber, alltäglicher Ware, Gefäße mit einfachen horizon- talen Firnisstreifen und grob gepinselter Schulterranke, wie sie GEOR6 Löscucke in der milesischen Kolonie Olbia nachwies (Archäologischer Anzeiger 1891 S.ı8) und darauf als milesisch erklärte. Ob wir berechtigt sind, die zahlreichen archaischen Architektur- glieder, welche in die zweite römische Bühne des Theaters verbaut sind und von einem einzigen großen Abbruch herrühren, diesem Fundament zuzuteilen, müssen weitere Beobachtungen lehren. Es fällt auf, daß sich neben jenen archaischen Baugliedern im Theater nur eine einzige archaische Inschrift verbaut gefunden hat, und diese bezieht sich auf Athena (Sitzungsber. 1904, S. 85). Ihr aber war der archaische Bezirk sicher geweiht. Unter dem Pronaosfundament des spätarchaischen Tempels fand sich der Rest eines älteren, östlich orientierten Marmortempels ohne Ringhalle. Die Vorhalle ist im Ober- bau noch etwa 0”50 hoch erhalten und zeigt die feinste Fügung be- hauener Marmorquadern; die Langwände der Cella erkennt man nur noch teilweise in den tiefsten Fundamentlagen. Im Schutt dieses Tempels fand sich außer einer schwarzfigurigen attischen Scherbe mit der Weihung Ae#naiHı eine Porossäule mit der zweimal aufgeschriebenen Bustrophedoninschrift (nach Renus Abschrift): I. „.. ÄNEBHKEN OÖ ÄAcArPpew TACHNÄHI ®... . NIKÄCAC ET TON AEWEI... D ..owoc m’ Aneenken 5 AecAlrpew ... .. ON NIKÄHCAC EMI TÜÖN AEWO... 6. Die Nekropolis und der heilige Weg nach Didyma. Dieselben Gattungen archaischer Scherben, wie sie am Athena- tempel zu Tage kamen, sind auch in der Nekropolis vertreten. Ge- schlossene Grabfunde archaischer Zeit sind auch diesmal nicht ge- macht worden. Überall scheint sich die spätere Nekropolis über die ältere auszudehnen und diese gestört zu haben. Vom Tore ab wurde der heilige Weg auf etwa 300” hinaus verfolgt. Sein 5” breiter Fahr- damm ist beiderseits durch niedrige, mit rundem Abschluß gekrönte Mörtelmauern von den Grabstätten abgegrenzt. Deutlich erkennt man bei einem Durchschnitt des Fahrdammes die hellenistische Schicht, aus deren Zeit sich dicht am Wege eine große halbkreisförmige Exedra Tu. Wıesann: Ausgrabungen in Milet. IV. 547 aus Marmor erhalten hat. Darüber wird besonders deutlich die tra- ianische Schicht, welcher die Mehrzahl der den Weg begleitenden, oft mit Sitzbänken umgebenen Grabtempel, Sarkophage, Hyposorien und Össuarien angehören. Darüber endlich die Schichten seit dem dritten Jahrhundert n. Chr., die bis zur türkischen Zeit herabreichen. Unter den Inschriftfunden der Grabung dicht vor dem heiligen Tore, welche bis auf 5” Tiefe seitlich des Weges hinabreichte, verdient Er- wähnung eine Statuenbasis mit dem Namen eines hellenistischen Künst- lers; sie ist im westlichen Turm des älteren heiligen Tores bei einer Reparatur eingebaut worden: MenAneioc Karewnoc iepeyc "AoHunA CwTeipa KA @EOIC TIACIN “Arroandawpoc MenectPpAToY ETTOIHCEN Von Skulpturen ist hervorzuheben die Marmornachbildung eines römi- schen Panzers in mehr als dreifacher Naturgröße, der von einer Schlange umwunden ist. Die weitere Suche nach dem heiligen Wege war in- sofern von Erfolg, als es am 5. November 1903 gelang, auf den heute TA cTesAnıa und TO Yyxıkö genannten Höhen südlich des Dorfes Akköi den Prozessionsweg wiederzufinden und ihn von da durch die Schlucht AYw gpyceic über Hagios Konstantinos in der Richtung auf den alten Pilgerhafen Panormos zu verfolgen. Jene Höhe ist offenbar das Akron, dessen die Schilderung des Prozessionsweges in den Satzungen der Sängergilde des Delphinion Erwähnung tut (von Wıramowırz-MoELLEn- DORFF, Sitzungsber. 1904 S.628f.). Die ebenda erwähnten Nymphen auf der Wiese bei der Höhe sind vermutlich bei dem aus der Schlucht Saltranorhewma kommenden Rinnsal zu suchen, wo sich ein archaischer Nymphenkult hat feststellen lassen. Es scheint, daß auf jenen Höhen auch noch einige in der Sängersatzung nicht erwähnte Heiligtümer lagen. Wenigstens möchte man dort am ehesten, wenn auch nicht nahe dem Wege nach Didyma, den Festort dionysischer Frauenorgien vermuten, von welchen das späthellenistische Epigramm einer Statuen- basis aus der Löwenbucht spricht: THAN ÖciHN XAlPEIM TIONIHTIAEC EITTATE BAKXAI IPEIHN,, XPHCTÄ TOFTO FYNAIKI BEMIC, YMAc Kelc ÖPoc Äre Kal ÖPrIA TIÄNTA Kal IPA HNEIKEM TIÄCHC EPXOMENH TIPO TIÖNEWC. TOYNOMA AI TIC ZEINOC ÄNEIPETAI" "AAKMEIÖNIC “HpoAloy, KAN@N MOIPAN ETITICTAMENH. 548 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 11. Mai 1905. Die heute vielfach durch Geröll verschüttete und mit Gebüsch verwachsene Straße läuft von der Höhe an der rechten Seite der er- wähnten Schlucht abwärts, rechts in den Kalkfelsen gebrochen, links mit künstlicher Steinlegung aufgebaut, die mitunter durch früher über- deckte Wasserdurchlässe (bis zu ı" Breite) durchschnitten ist. Die Gesamtbreite der Straße betrug etwa 7”. Führte uns so die Forschung allmählich und selbstverständlich nach dem Gebiet des größten milesischen Heiligtums hinüber, so ist inzwischen auch die praktische Konsequenz solchen Fortschreitens ge- zogen worden. Ein im Januar 1904 eingereichtes Gesuch um die Er- laubnis zur Freilegung des Apollontempels zu Didyma wurde durch Irade Sr.M. des Sultans Abdul Hamid am 8. Dezember 1904 genehmigt. Unter dankenswertester finanzieller Mithilfe privater Freunde ist bereits ein großer Teil der den Tempel bedeckenden modernen Häuser des Dorfes Ieronda erworben worden. Mit ihrer Demolierung wird im Frühjahr das neue Werk eingeleitet werden. Ausgegeben am 18. Mai. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. Ya ER 1 A | = TSISTSISTSIETSISTSISTSI STETS TSISTSISTISTSISTSISTSJ STETS T=ISTSISTJSTSJSTelSTeISTSJETeIT=1ST=1ST=eT=leT=JST=JeTeloTet ern ! e: SITZUNGSBERICHTE KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. XXVI XXVHM XXVHL | “ 25. Mar 1905. BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Gal=TAI TI STETS IST IST STETS STSLSTSJ STETS TSSTEISTSTSISTSITSETS ITS ITS -T= Ita leTe1 Te 12721 Tel SFeleTzle Tele Tee [nleraleraleTeletelet=1 Tel TS 1STSlSTeJSTelSTS[orS IST] eTelerzlerelepelere[ere[ere Auszug aus dem Reglement für die Redaetion der »Sitzungsberichte«. $1: 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. s2 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nieht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Seeretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Secretar führt die Oberaufsicht über die Redac- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. $ 6. 1. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $41,2 der Statuten und $ 28 dieses RES die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der rlankihe darf 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Sehrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschritten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittlieilung diese anderweit früher zu ver- Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte an diejenigen Stellen, mit denk sie im "Sehnen eh, ‚ofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich: BE ; f die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Mai, SEO er Zi » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, r » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres nach Fortitlung dis R ist 7 hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ve scheinenden Nitgliede zu überweisen. öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der. Gesammt - Akademie oder der betreffenden ER "LE | ss Sr 5. Auswärts werden Correeturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. IE ; 1. Der Verfasser einer unter den »Wissenschaftlichen Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich E fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, Stück- % nummer, Tag und Katepanıe der Sitzung, darunter der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der itzungs- berichte und einem angemessenen Titel nicht über : zwei a Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. ig 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Arsdanke 5a ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche ‘ 3 ä Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und. 2 auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- 2 theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeiti dem redigirenden Seeretar angezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesamm Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger 2 Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exem- t plare auf ihre Kosten abziehen lassen. ES | 828. j j eh Jede zur Aufnahme in die Sitzungsberiel te ben stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung” vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines ee Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes” zu benutzen Ar: ‚Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder corre- spondirender Mitglieder direer. bei der Akademie oder bei einer der Classen eingehen, so hat sie der vorsitzende Seeretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeignet RE 1 ” [Aus Stat. & 4, 2. — Für die Aufnahme. bedarf einer ausdrücklichen Seuehruiguug? der Akademie ‚oder sobald das Ma nus eript druckfertig vorli t, gestellt und sogleich zur Abstimmung ‚Eekacklege ne 80, N : 1. Der revidirende Seeretar ist für den Inhalt des x für alle übrigen Theile der ee ii nach SE Richtung“ nur gie PIRaSEES, erant- wortlich. a f ech 549 SITZUNGSBERICHTE 1905. xXXVl. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 18. Mai. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. *]. Hr. Rorrue las über Johann von Würzburg’s “Wilhelm von Östreich”. Der Roman wird charakterisirt als der Typus eines Epigonenwerkes, das die Vorgänger in Allem überbieten will. Der Rahmen der Handlung war wohl Rudolf’s “Wilhelm von Örlens’ entnommen; ihre sehr reiche und bunte motivische Ausstattung im Detail geht vielfach auf den jüngeren Titurel zurück; auch Beziehungen zu Ru- dolf’s “Weltekronik” sind nachzuweisen. In der Schilderung des grossen Entscheidungs- kampfes der Christen und Heiden sind historische und sagenhafte Nachrichten vom dritten Kreuzzug verquiekt mit persönlichen Tendenzen und Beziehungen des Dichters. Die Eigenthümlichkeiten der Reimtechnik, des Enjambements, der Wortwahl, der Com- position u. Ähnl. werden analysirt. 2. Hr. Branco hat in der Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am ıı. Mai eine Arbeit von Hrn. Dr. Max Sauter hierselbst vorgelegt: Die geographische Verbreitung von Mysis relicta, Pallasiella quadrispinosa, Pontoporeia affinis in Deutschland als Erklärungsversuch ihrer Herkunft. Die Akademie geneh- migte die Aufnahme in den Anhang zu den Abhandlungen. Die genannten, ursprünglich im polaren Meere lebenden Krebse müssen in dilu- vialer Zeit, als das Becken der Ostsee nach. Rückzug des Eises sich mit Wasser erfüllt hatte, in diese eingewandert sein. Mit fortschreitender Aussüssung der Ostsee haben die Krebse sich an die veränderten Lebensbedingungen angepasst und umgewandelt. Aus der Ostsee sind sie dann in die Süsswasserseen, die nach dieser hin entwässern, gewandert. Unabhängig davon haben sich diese polaren Krebse aber auch im peri- pheren Gebiete Irlands, in Nord-Amerika und in Nordrussland unter dem Einflusse gleicher Verhältnisse in gleicher Weise umgewandelt. 3. Vorgelegt wurde das Werk: L. Dies und E. Prıtzer, Frag- menta Phytographiae Australiae oceidentalis. Leipzig 1905, ein Er- gebniss einer mit Mitteln der Humsorpr-Stiftung unternommenen Reise nach Australien. 4. Zu wissenschaftlichen Unternehmungen hat die Akademie durch die philosophisch-historische Classe bewilligt: Hrn. Diers zur Fort- Sitzungsberichte 1905. 54 550 Gesammtsitzung vom 18. Mai 1905. führung der Arbeiten an einem Katalog der Handschriften der antiken Mediein 3000 Mark; Hrn. Koser zur Fortführung der Herausgabe der Politischen Correspondenz FrıeprıcH's des Grossen 6000 Mark; der Deutschen Commission zur Fortführung ihrer Arbeiten 3000 Mark; weiter für die Bearbeitung des Thesaurus linguae latinae über den etatsmässigen Beitrag von 5000 Mark hinaus noch 1000 Mark und zur Bearbeitung der hieroglyphischen Inschriften der griechisch -römischen Epoche für das Wörterbuch der aegyptischen Sprache 1500 Mark; endlich Hrn. Prof. Dr. Karı BRocKkELMmAnNn in Königsberg i. Pr. zur Her- ausgabe des 3. Bandes von Ibn Qutaiba’s “Ujun al ahbär 500 Mark. 5. Die Akademie hat auf den Vorschlag der vorberathenden Com- mission der Borr-Stiftung aus den Erträgnissen der Stiftung 900 Mark dem Professor an der Universität Jena Hrn. Dr. OrTro SCHRADER zur Fortsetzung seiner Arbeiten auf dem Gebiete der indogermanischen Alterthumskunde und 450 Mark dem Professor an der Universität Leipzig Hrn. Dr. Herman Hırr in Anerkennung seiner Arbeiten über den indo- germanischen Accent zuerkannt. 6. Der am 13. Februar 1903 hierselbst verstorbene Amtsgerichts- rath a.D. Hr. Paur Rırss hat der Akademie durch letztwillige Ver- fügung ein Capital von 250000 Mark vermacht zur Verwendung im Interesse der Chemie, Physik und Astronomie. Durch Allerhöchsten Erlass vom 30. Januar d.J. ist der Akademie die landesherrliche Ge- nehmigung zur Annahme dieser Zuwendung, vorbehaltlich der Abfin- dung von hülfsbedürftigen Verwandten des Erblassers ertheilt worden, und das Legat in dem durch diese Abfindungen auf 240000 Mark ermässigten Betrage gegenwärtig in ihren Besitz übergegangen. Die Akademie spricht hiermit Öffentlich ihren aufrichtigen und warmen Dank für dieses Vermächtniss aus, welches im Sinne und zum Ge- dächtniss des Hrn. Pausn Rırss der Wissenschaft nutzbar zu machen sie bemüht sein wird. Sie wird dieser Aufgabe sich jedoch erst später unterziehen können, da einstweilen ein auf Lebenszeit in die Nutz- niessung der Hinterlassenschaft von Hrn. Paur Rızss eingesetzter Erbe die Erträgnisse des der Akademie zugefallenen Capitals bezieht. Ausgegeben am 8. Juni. Sal SITZUNGSBERICHTE 229% XXVI DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 25. Mai. Sitzung der philosophisch -historischen Ulasse. Vorsitzender Secretar: Hr. Dies. l. Hr. Scuärer las ı. über die Ungarnschlacht von 955, 2. über die agrarii milites des Widukind (I, 35), 3. über das Strassburger Zollprivileg von 831. ı. Die Ungarnschlacht ist mit Wyneken in das Gelände nordnordwestlich von Augsburg, nicht auf das Lechfeld zu verlegen. 2. Die agrarii milites sind Ministeriale, nicht heerbannpflichtige Leute. 3. In der Urkunde ist Selusas als Mont Cenis, nicht als Sluis zu erklären. 2. Hr. Brunner legte den von Hrn. Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Hoıper-Eeser verfassten Jahresbericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae historica vor. 3. Es wurde vorgelegt: Die Kaiserlichen Verwaltungsbeamten bis auf Diocletian von Orro HırscarenLn. Zweite Auflage. Berlin 1905. 54* 552 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. Mai 1905. Die Ungarnschlacht von 955. Von DIETRICH SCHÄFER. De Ungarnschlacht von 955 geht allgemein unter dem Namen der Schlacht auf dem Lechfelde. GirsegrecHnt läßt in seiner Darstellung (Geschichte d. dtsch. Kaiserzeit I’, 418, 1881) nicht deutlich hervor- treten, daß er den Kampf auf die Ebene zwischen Lech und Wertach verlegt, überschreibt aber das ganze Kapitel: »Die Schlacht auf dem Lechfelde«. Im gleichen Jahre 188ı hat dann E. F. Wyneken in einem »Die sogenannte Schlacht auf dem Lechfelde« betitelten Aufsatze (Forschungen z. dtsch. Gesch. XXI, 239— 250) den Nachweis geführt, daß die Quellen nötigen, die Schlacht links von Lech und Wertach, nördlich oder nordwestlich von Augsburg zu verlegen. Er ist aber mit dieser Meinung nicht durchgedrungen. Nızzsch (Gesch. d. dtsch. Volkes I, 324, 1883) sagt vorsichtig: »in der Nähe von Augsburg«; aber RankE (Weltgeschichte VI, 2, 202, 1885) spricht wieder von der Schlacht auf dem Lechfelde, ebenso Manırıws (Deutsche Gesch. unter d. sächsi- schen und salischen Kaisern S.134, 1889), Gusrt. Richter und Horst Konr (Annalen d. dtsch. Gesch. II, 77, 1890) dann GesHArpT (Hand- buch d. dtsch. Gesch. I, 256, 1891) und LanmprecHt (Deutsche Gesch. II, 149, 150, 1892), während GRANDAUR inzwischen (1890) in einer Bei- lage zu seiner Übersetzung der Vita Oudalriei (Geschichtschreiber d. dtsch. Vorzeit? XNXI, 2, 96fl., 1S90) Wynekens Ansicht mit einigen Bemerkungen zu widerlegen versucht hatte. In den Regesta imperii II, 120ff. (1893) stellt von OrrentuaL die Ereignisse des 9. und 10. August unter dem gleichen Stichwort für beide Tage »campum Lehefeld« zu- sammen und sagt: »Das Schlachtfeld bezeichnet am genauesten Ger- hardi Vita Oudalriei ce. 3, MS. IV, 388: in campum, quem Lehefeld vulgo dieunt, während doch diese Stelle der Vita Oudalriei mit der Ungarnschlacht schlechterdings nichts zu tun hat und nur eine für die Schlacht ganz bedeutungslose Erwähnung des Lechfeldes ist. Er erklärt sich (S.ı21) ausdrücklich gegen Wyneren. Endlich eröffnet die neueste (3.) Ausgabe des Widukind in den Seriptores rer. Germani- carum S.105 (1904) ihre Zusammenstellung der Litteratur mit dem n & Le zE: ScHÄrer: Die Ungarnschlacht von 955. 598 Satze: De hac pugna vulgo ac recte, ut censeo, in Lechfeld eollocata vide usw., stellt sich also auch auf den allgemeinen, von WVYNnEkEN zurückgewiesenen Standpunkt. Es soll hier versucht werden, den Nachweis zu führen, daß Wr- NEKEN in der Hauptsache Recht hat, und daß gegenüber dem klaren Wortlaut der Quellen die Vorstellung von der auf dem Lechfelde ge- schlagenen Entscheidungsschlacht aufgegeben werden muß. Es ist zu diesem Zwecke nicht nötig, die gesamte Überlieferung noch einmal einer umfassenden Erörterung zu unterziehen und alles zu besprechen, was mit der Schlacht in Zusammenhang steht; es genügt, an die Haupt- momente zu erinnern und sich für diese Wert und Inhalt der Quellen zum klaren Bewußtsein zu bringen.” Schon der oberflächlichste Blick auf die Quellen zeigt, daß die Berichte des Widukind und der Vita Oudalriei breit im Vordergrunde stehen, Basis unserer Kenntnis und Grundlage jeder Untersuchung sind bzw. sein müssen. Die beiden Berichte zeigen aber einen sehr ver- schiedenartigen Charakter. Der Biograph des Bischofs schreibt als Augenzeuge der unmittelbar vor und um Augsburg sich abspielenden Ereignisse und besitzt die entsprechende Lokalkunde; über den Ver- lauf der Entscheidungsschlacht selbst sagt er nichts. Dieser wird da- gegen von Widukind verhältnismäßig ausführlich besprochen, natürlich aber, wenn auch nach Mitteilungen von Augenzeugen, doch nur aus ! In dieser Übersicht ist K. Kösırer, Die Ungarnschlacht auf dem Lechfelde und die Folgen der Ungarnkriege überhaupt, Augsburg 1884, unberücksichtigt ge- lassen, und zwar nicht deshalb, weil der Verfasser die drei Jahre früher erschienene Abhandlung Wynekens »erst nach Vollendung dieser Studie« kennen lernte, sondern weil seine Arbeit überhaupt auf die Quellen nicht zurückgeht, und dieser Mangel natürlich nicht ersetzt werden kann durch Zusammenhäufung von Notizen aus ver- schiedenartigster belangloser Literatur, die ja gerade über diese Frage wegen ihres lebhaften lokalen Interesses so überaus reich ist. Kösrter hat diesen Mangel auch nicht ausgeglichen durch die von ihm S. 28 in Aussicht gestellte und in der Beil. z. Münchener Allgem. Ztg. 1884 Nr.130, 135, 2. Beil. gelieferte »Widerlegung der Hypo- these Wynekense. Mit Recht bezeichnet von OrrEntHaL, a. a.0. S.1ı21 diese Arbeiten als »unkritische Aufsätze«; sie sind von der wissenschaftlichen Diskussion ausgeschlossen. ®2 So gut wie erschöpfend sind alle den Feldzug berührenden Quellen heran- gezogen von von OrTENTHAL, a.a.0. S.ııg fe Für die Erforschung der Hergänge können doch kaum andere in Betracht kommen als: Widukindi res gestae Saxonicae III, 44, 47—49, MS. III, 457 ff., bzw. in der neuen Ausgabe von K. A. Krur (Script. rer. Germanicarum) S.105 ff.; Gerhardi vita s. Oudalriei e.12, 13, MS. IV, 40or!!—-40239.; Ruotgeri v. Brunonis c. 35, 36, MS. IV, 268, bzw. in der Ausgabe von Perız (Ser. rer. Germ.) S. 35.; Continuatio Reginonis zu 955, MS. 1,623, bzw. in der Ausgabe von Fr. Kurze (Ser. rer. Germ.) S.168.; Flodoardi Annales zu 955, MS. III, 403 % 2: ff.; Ann. Sangallenses majores zu 955, MS. I, 79, bzw. Mittlg. z. vaterländ. Gesch., herausgeg. v. histor. Verein zu St. Gallen, N. F., H. 19, 283.; Thietmari chronicon II, 4, MS. Ill, 746, besser in der Ausgabe von Fr. Kurze ]I, 9 (Ser. rer. Germ.) S. 23.; Annales Zwifaltenses zu 942, MS. X, 53. 554 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. Mai 1905. zweiter Hand und ohne das Bedürfnis und die Möglichkeit, von den geographischen Verhältnissen klare Vorstellungen zu gewinnen. Es kann demnach kein Zweifel sein, daß die Untersuchung sich zunächst der Vita Oudalriei zuzuwenden hat, um einen, wenn auch beschränkten, so doch festen Bestand von Nachrichten zu gewinnen.' Da muß nun zunächst hervorgehoben werden, daß die Mitteilungen, mit denen Udalrichs Biograph GrrnuAarp seine Erzählung beginnt, aus- nahmslos, soweit ich sehe, von allen, die sich bisher mit diesen Dingen beschäftigt haben, falsch verstanden worden sind. GERHARD berichtet: Altero pro certo statim anno, quod est anno incarnationis domini nostri Jesu Christi 955, tanta multitudo Ungrorum erupit, quantam tune tem- poris viventium hominum nemo se antea vidisse in ulla regione pro- fitebatur, et Noriecorum regionem a Danubio flumine usque ad nigram silvam, quae pertinet ad montana, simul deva- stando oceupavit, et cum Lieum transcenderet et Aleman- niam occuparet, aeccelesiam sancetae Afrae concremavit et totam provineciam a Danubio usque ad silvam depraedavit et maximam partem usque ad Hilaram fluvium igne combussit. Augustam autem eivitatem obsedit, quae tune imis sine turribus eir- cumdata muris firma ex semet ipsa non fuit usw. Allgemein ist die nigra silva, die hier erwähnt wird, mit Schwarz- wald übersetzt worden. Und doch muß die einfachste Erwägung zu der Überzeugung führen, daß das nieht richtig sein kann. Daß Nori- corum regio Baiern bedeutet, wird niemand bestreiten und ist nie anders angenommen worden. Wenn das aber richtig ist, so läßt die herrschende Auffassung den Gerhard sagen, daß die Ungarn Baiern von der Donau bis zum Schwarzwald verwüstend durchzogen. Das ist ja aber der offenkundige Unsinn, denn ein Baiern zwischen Donau und Schwarzwald gibt es nicht. Zwischen Donau und Schwarzwald liegen der südwestliche Teil des Schwäbischen Jura und das Gebiet des oberen ! In einer Baseler Dissertation vom Jahre 1889: Studien z. Gesch. d. sächsischen Kaiser S.17—24 hat Karr Brückner nachzuweisen versucht, »daß das in erster Linie erbauliche Zwecke verfolgende Leben des heiligen Ulrich den Anspruch auf volle Glaub- würdigkeit im einzelnen nicht erheben kann«., Es hieße Raum verschwenden, wollte man seine Ausführungen eingehend widerlegen, denn Flüchtigkeit und Mangel an Text- verständnis sind bei dem Verfasser so groß, daß er das Recht auf eine derartige Be- rücksichtigung verwirkt hat. Dieses Urteil durch einige Beispiele zu belegen, werden die weiteren Ausführungen noch Gelegenheit bieten. Der zweite Nachweis, den der Verfasser versucht, daß nämlich »der Angriff der Ungarn nicht so planlos, als gemein- hin angenommen wird, ausgeführt wurde«, kämpft gegen einen eingebildeten Feind. Niemand, der Beachtung verdient, hat den Ungarn planloses Vorgehen nachgesagt. vox Örrentuan hat mit Recht Brückners Arbeit mit Stillschweigen übergangen. Er sagt vom »Biographen Udalrichs von Augsburg«, daß er »als Schwabe und Augenzeuge besonderen Glauben verdient«, und sagt damit das Richtige. ScHÄrer: Die Ungarnschlacht von 955. 555 Neckar, der Kern, kann man sagen, des Schwabenlandes. Daß der Biograph nicht an diese Gegenden, sondern nur an Baiern denkt, wird ja auch dadurch völlig klar, daß er fortfährt: »Als die Ungarn den Lech überschritten hatten und in Alemannien eingefallen waren, brann- ten sie die Kirche der heiligen Afra (südlich vor dem damaligen Augs- burg) nieder, plünderten im ganzen Gebiet von der Donau bis an den Wald und brannten und sengten im größten Teil des Landes bis an die Dler.«c Wer bei der nigra silva an unsern Schwarzwald denkt, der läßt den Biographen nicht nur sagen, daß die Ungarn Baiern von der Donau bis zum Schwarzwald durchzogen, sondern auch, daß sie den Lech überschritten, nachdem sie schon bis zum Schwarzwald ge- kommen waren. Dazu entsteht die Schwierigkeit, zu sagen, was die silva ist, bis zu der, wiederum von der Donau ab, die Ungarn das Land westlich vom Lech verwüsten. Soll es abermals der Schwarz- wald sein, so sehiebt man dem Gerhard unter, daß er die Ungarn bis an dieses Gebirge ziehen, dann den Lech überschreiten, wieder bis an den Schwarzwald vordringen und doch am Ende an der ler Halt machen läßt. Man sieht, Unsinn über Unsinn! Und doch ist offenkundig, daß der Biograph eine völlig klare Vorstellung von den Hergängen und von der Geographie der in Betracht kommenden Ge- biete hat. Durch Baiern läßt er die Ungarn über den Lech kommen, diesen überschreiten und so in Schwaben (Alemannien) eindringen, dann dieses Land bis zur Iller hin plündern und verwüsten. Über die Iller hinaus gelangen die Ungarn nach seinem Bericht nicht. Daß unser Schwarzwald für ihn gar nicht in Frage kommt, steht fest. WYneken, der in diesem Punkte den allgemeinen Vorstellungen folgt, hat versucht, die Stelle a Danubio flumine usque ad nigram silvam noch etwas näher zu erörtern, allerdings in der wunderlichsten Weise. Er sagt (a.a. 0. S. 242): »Die beiden Grenzlinien sind also der Schwarzwald und die demselben parallele Strecke der Donau, wo diese mit der Theiß sich nach dem Süden wendet«. Man kann sich nicht denken, daß jemand, der so schreibt, sich die Mühe gegeben hat, auch nur einen Blick auf eine Karte zu werfen. Denn erstens laufen Donau und Schwarzwald nirgends parallel. Von der Baar aus, wo Donau- und Neckarquelle unweit von einander liegen, schlagen Ge- birge und Fluß eine divergierende Richtung ein, jenes nahezu nörd- lich, dieser ostnordöstlich; sie gehen auseinander wie die Schenkel eines Winkels von mehr als 45°. Zweitens bewahrt die Donau nicht von der Quelle bis Waitzen, wo sie sich »mit der Theiß«, wie WYNEKEN nicht gerade glücklich sich ausdrückt, nach Süden wendet, die gleiche Richtung; am Donauknie bei Regensburg, das Wyneken ganz über- sieht, wendet sie sich ostsüdöstlich. Und drittens sind es zwei eigen- 556 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. Mai 1905. tümliche Grenzlinien, von denen die eine, der Schwarzwald, reich- lich 100 km lang ist, die andere, die Donau von der Quelle bis Waitzen, mehr als 1000. Wenn WYneken im unmittelbaren Anschluß an den oben zitierten Satz fortfährt: »Von da nun sind die Ungarn« usw., so fragt sich doch wohl jeder, der das, was er liest, auch ver- stehen will: Was bedeutet hier »da«? Dieser Erklärungsversuch ist einer der in unserer wissenschaftlichen Literatur nicht so seltenen Belege, daß der rühmliche Trieb, zu klaren Vorstellungen zu gelangen, der die deutsche historische Forschung im allgemeinen auszeichnet, be- denklich nachzulassen beginnt, wenn es sich um geographische Fragen handelt. Man könnte gegenüber dem Verfahren mancher Historiker variirend sagen: Geographica sunt, non meditamur. Was ist denn aber unter der silva nigra bzw. der silva Gerhards zu verstehen, wenn nicht der Schwarzwald? Die Antwort liegt ziemlich auf der Hand. Es ist das noch heute reichbewaldete Vorland der Alpen, das damals gewiß noch weit stärker mit Wald bedeckt war und daher den gleichen Anlaß zu einer entsprechenden Benennung geben konnte wie der Schwarzwald. Diese Annahme löst alle Schwierigkeiten. Ger- berichtet, daß die Ungarn Baiern von der Donau bis gegen die Alpen hin verwüstend durchziehen, sich also über das ganze angebaute Baiern rechts der Donau ergießen, daß sie dann den Lech überschreiten, in Schwaben einfallen und wiederum denjenigen Teil dieses Landes, der zwischen Donau und Alpen liegt, bis zur Iller hin mit Brand und Plünde- rung heimsuchen. Das ist klar und verständlich. Was bei der Erwähnung Baierns als nigra silva bezeichnet wird, heißt bei Schwaben einfach silva, worin keinerlei Schwierigkeit gefunden werden kann. Daß die Vorberge der Alpen gemeint sind, bestätigt mit unverkennbarer Deut- lichkeit noch der Zusatz: quae pertinet ad montana. Wie kann man denn vom Schwarzwald sagen, daß er sich »bis zum Gebirge« erstrecke, oder, wenn man so übersetzen will. »zum Gebirge gehöre«. Zu welchem Gebirge gehört denn der Schwarzwald oder zu welchem Gebirge hin erstreckt er sich? Faßt man aber die nigra silva als Vorland der Alpen, so ist der Zusatz völlig verständlich. Es kann, wie mir scheint, gar keinem Zweifel unterworfen sein, was Udalrichs Biograph hat sagen wollen. Er hat durchaus klare Vorstellungen und exakte Kenntnisse. Es kommt in diesem Zusammenhange die Frage auf die Lippen: »Läßt sich etwa die Benennung »schwarzer Wald« für Vorberge oder Vorlande der baierischen oder Algäuer Alpen auch sonst nachwei- sen?« Diese Frage hat man mit nein zu beantworten, aber die Bezeich- nung »Wald« für größere Gebiete ist diesen Gegenden doch nicht fremd. Sıscmunp RırzrLer, an den ich mich wandte, antwortet mir, daß ihm der Gebrauch dieses Namens in der Ausdehnung über ScHÄFER: Die Ungarnschlacht von 955. 557 die ganzen baierischen Alpen nicht vorgekommen sei, macht aber darauf aufmerksam, daß das Flachland vor den Alpen noch heute ausgedehnte Wälder besitzt (er nennt den Ebersberger, Deisenhofer, Sauerlacher, Horstenrieder Forst, die südöstlich, südlich und süd- westlich von München liegen). Er verweist auf SchmELLER, der unter »Wald« mitteilt. daß die Gegend von Holzkirchen westlich bis zur Isar und hinauf zum Gebirge im Volksmunde einfach »der Wald« heiße. Auch findet sich dort, daß von den »vier Wäldern«, von denen z. B. der bekannte Spruch des 14. Jahrhunderts: »Zwischen den vier Wäldern eine große Schweiz« redet, der eine zweimal als die Scharnitz erklärt wird (SCHMELLER-FromMmAann, Baierisches Wörter- buch I, 859ff.). Scharnitz und Karwendelgruppe, die Gegend um Mittenwald (das obere Isargebiet), werden urkundlich nach RırzLer als Scherenzer Wald bezeichnet. Benediktbeuern, das nach Lokal- nachrichten (MS. IX, 218, 222, vgl. Dünmter, a. a. O. S. 252 Anm. 3) von den Ungarn zerstört wurde, liegt unweit nördlich von diesem Gebiet. Und dazu kommt nun gleichsam die Gegenprobe, die ergibt, daß der Name Schwarzwald im heutigen Sinne vor der Entstehungs- zeit der Vita Oudalrici nur ein einziges Mal nachzuweisen ist. Um sicherer zu gehen, bat ich Professor Vıxtor Erxst in Stuttgart, dem früheren Vorkommen des Wortes nachzuforschen; er gelangte zu dem gleichen Ergebnis. Die Mönche von St. Gallen überlassen 868 (859? an Toto im Austausch, quiequid in saltu Svarzwald juxta fluvium Melia hodierna die extirpatum et eultum haberent.' Die Möhlin ist ein Flüß- chen, das bei Ehrenstetten eine starke Meile südwestlich von Freiburg aus dem Gebirge tritt und oberhalb Breisach in den Rhein mündet.” Erst 983 wird der Schwarzwald wieder in der Immunitätsurkunde Ottos II. für St. Blasien erwähnt: Cella in silva Svvarzvvalt a beato Reginberto haeremita noviter constructa.” Fast 60 Jahre später begegnet er bei Wipo, Gesta Chuonradi e.28: Dux vero Ernestus reversus iterum in Alamanniam venit, ibique in quadam eremo, quae nigra silva dieitur, in loeis tutissimis moratus. Die beiden ersten Erwähnungen deuten auf den südlichsten, höchsten und schroffsten Teil des Gebirges und stammen dort her;* die ! WARTMANN, Urkundenbuch der Abtei St. Gallen II, 147. 2 Die Erklärung des Urkundenbuchs, daß die Möhlin ein Nebenfluß der Neumagen sei, ist nach Reichskarte n. 643 nicht zutreffend; das Verhältnis ist das umgekehrte. ® DO.II 297, MD.1l, 350°3. Was OEsrertey, Historisch -geographisches Wörter- buch des deutschen Mittelalters S. 620 aus dem Liber Heremi, Geschichtsfreund, Mittei- lungen des historischen Vereins der fünf Orte 1 99, 147 heranzieht, gehört nicht hierher. * Auf diese Gegend weist auch die Bemerkung des mit Wipo und Hermann von Reichenau gleichzeitigen Ekkehard IV, Casus s. Galli e. III, MS. II, 1103 (Mit- teilungen zur vaterländischen Geschichte, N.F. 5/6, 231): Navibus Ungri de Swarz- walde multis paratis in Alsatiam ipsi priores suas legiones transponunt. 558 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. Mai 1905. des Wipo läßt deutlich erkennen, daß wenigstens diesem sonst doch wohl und vielseitig unterrichteten Autor die Bedeutung, in welcher der Biograph des Augsburger Bischofs den Namen gebraucht haben soll, unbekannt war. Hermann von Reichenau, wenig jünger als Wipo, bezeichnet bei der Erzählung der gleichen Hergänge den Schwarz- wald als silva Martiana (MS. V, ı21°)." Erst gegen Ende des ı1. Jahrhunderts finden wir bei Bernold einen gleichsam ständigen und ganz verschiedene Teile des Gebirges bezeichnenden Gebrauch: Coenobium s. Blasii in nigra silva 1083; duo monasterii in n. s., unum s. Georgii, alterum s. Gregorii (Reichenbach) 1091; monasterium novum s. Petri in n.s. 1093; in n. s., in loco qui de s. Blasio cognominatur 1094.” Im nächsten Jahrhundert wird der Name häufiger, aber immer nur in Quellen, die der Nachbarschaft des Schwarzwaldes oder ihm selbst entstammen. Dazu kommt noch die geographische Schwierig- keit, daß dem von Osten Heranziehenden der Schwarzwald ja gar nicht als Gebirge erscheint, eine sich auftürmende Grenze, wie von Westen und Süden her, nicht darstellt. Spräche Gerhards Text auch nicht so deutlich, wie er es für jeden, der dem Verfasser nicht direkt geographischen Unsinn unterschieben will, tut, so müßte schon aus diesen Erwägungen heraus vermutet werden, daß nicht der Schwarz- wald, sondern das Gelände an den Alpen gemeint ist. Und damit ist nun für das Verständnis der Hergänge eine wertvolle Grundlage geschaffen. Die Ungarn greifen nach Gerhards Erzählung mit starker Macht, bei der sich ihr oberster Führer befindet, Augs- burg an. Sie stehen also mit einer geschlossenen Truppe, höchst wahrscheinlich mit dem Gros, vor dieser zwischen Lech und Wer- tach gelegenen, damals aber an keinen dieser beiden Flüsse heran- reichenden Stadt, überwiegend natürlich südlich von ihr. Streifende Scharen sind durch das jetzige baierische Schwaben bis zur Iller ver- breitet. Was Gerhard über die Angriffe auf Augsburg erzählt, kann zu ernsten Zweifeln keinen Anlaß geben. Deutlich tritt hervor, daß diese Angriffe sich in der Hauptsache auf zwei unmittelbar aufeinanderfol- gende Tage verteilen. Am ersten Tage sind sie überwiegend gegen das östliche, nach dem Wasser (d.h. nach dem Lech, dem Augsburg wohl näher lag als der Wertach) führende Tor gerichtet,’ am zweiten ' Als eine Kompilation Tschudis aus den Annales Sangallenses majores, Wipo und Hermann von Reichenau ist die Aufzeichnung des Liber Heremi, Geschichtsfreund I, 127 zu 1030 anzusehen: Castrum Valkenstein in silva Martiana, quae et nigra appellatur. ®” MS.V, 439"9, 451'9. 45632, 460°. Vel. noch Württbg. Urkdb. I. n. 236 S. 284. ° Dümuter, a.a.0. 8.252 identifiziert es nach Brunsers Vorgang mit dem Barfüßertor, die Erklärung zu MS. IV, 4or mit dem Jakobstor. GrawpAur bestreitet a.a.0. S.98 die Richtigkeit beider Annahmen. ScuÄrer: Die Ungarnschlacht von 955. 559 Tage gegen die ganze Umwallung. Daß die Stürmenden mit Peitschen- hieben gegen die Mauern getrieben werden müssen, erinnert an Ähn- liche Hergänge, die aus den Belagerungen Wiens durch die Türken 1529 und 1683 erzählt werden. Die Angriffe erreichen am zweiten Tage ihr Ende dadurch, daß Bertold, der Sohn des im Jahre zuvor im Aufstande gegen den König gefallenen baierischen Pfalzgrafen Ar- nulf, von der Burg (de castello) Reisensbürg her zum Könige der Ungarn kommt und ihm den Anmarsch Ottos meldet. Der König läßt das Heer zusammenrufen, hält Beratung und führt dann die Seinen gegen den heranziehenden Gegner, um »nach seiner Besiegung über die Stadt und das ganze Reich verfügen zu können« (ut vietor rediens eivitatem et totum regnum libere habere potuisset). In der folgenden Nacht verläßt Graf Diepold, der Bruder des Bischofs, mit den Streitern, die sich mit ihm nach Augsburg hineingeworfen und dieses mit ver- teidigt hatten, die Stadt, um zu König Otto zu stoßen.‘ Mit dem Abzuge der Ungarn und Diepolds verliert der Biograph Udalrichs die Hergänge, die sich nun nicht mehr unmittelbar in und um Augs- burg und um die Person des Bischofs abspielen, aus den Augen. Es erhebt sich nun die Frage, in welcher Richtung sind die Ungarn abgezogen. Als ausgeschlossen muß die Richtung ostwärts, zurück über den Lech, bezeichnet werden. Sie würde in direktem Widerspruch zu dem klaren Wortlaute der Quellen stehen. Denn Widukind berichtet, daß die nach ihrer Niederlage fliehenden Ungarn bei dem Versuche, den Lech zu überschreiten, zum Teil ertranken, die vita, daß man von den Mauern der Stadt die Fliehenden habe herannahen und an der Stadt vorüber dem Lech habe zueilen sehen. Ausdrücklich erzählt die vita, daß König Otto am Abend des Schlachttages die Ungarn verfolgend nach Augsburg gekommen sei und am nächsten Tage die Verfolgung nach Baiern hinein fortgesetzt habe. Die Ungarn haben also bei der Schlacht Baiern, nicht Schwaben im Rücken gehabt, jenes, nicht dieses, hat auf ihrer Rückzugslinie gelegen. Selbstver- ständlich kann der Ungarnkönig von Augsburg aus auch nicht süd- wärts, aufs Lechfeld, abgezogen sein, denn von dieser Seite her rückte sein Gegner jedenfalls nicht heran. Wenn GranDaur a.a. 0. S.98 das für möglich erklärt und meint, Otto hätte nach einer Niederlage seinen Rückzug in die Algäuer Alpen nehmen können, so ist mit solchen Vorstellungen wohl nicht ernstlich zu rechten. Es soll ein Vorteil sein, wenn ein Heer sich in ein rauhes, menschenleeres Grenz- und ! BRÜCKNER S.18 setzt diesen Abzug gegen die klare Erzählung der Vita und gegen jede Vernunft schon in die Nacht zwischen dem ersten und dem umfassenderen zweiten Angriffe. Ebenso übrigens, allerdings zweifelnd, Wyneren, a.a.0. S. 247. 560 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. Mai 1905. Hochgebirge seines Reiches zurückziehen kann, dem Feinde freies Feld lassend! Es möchte nicht leicht einen Feldherrn geben, der sich freiwillig in eine Lage brächte, die zu einem solchen Schritt zwingen könnte. Das wäre die Lage der Westgoten in Spanien bei der arabischen Eroberung.‘ So bleibt nur eins möglich. Als die Ungarn von Augsburg abzogen, um sich mit dem deutschen Heere in offener Feldschlacht zu messen, marschierten sie westlich, nordwestlich oder nördlich, aber in jedem dieser Fälle über die Wertach im Lande links vom Lech. Und in diese Richtung weist ja auch die Angabe, daß es Bertold von Reisensburg war, der dem Ungarnkönige die Nachricht vom An- marsch der Deutschen brachte. Reisensburg liegt am rechten Ufer der Donau, eine halbe Stunde abwärts von Günzburg, westnordwest- lich von Augsburg. Widukind (ce. 44) sagt, Otto habe in der Nach- barschaft von Augsburg (in confiniis Augustanae urbis) ein Lager be- zogen, und dort seien der Heerbann der Franken und Baiern und ebenso Herzog Konrad mit seiner Mannschaft zu ihm gestoßen. Es ist durchaus nicht notwendig, den Ausdruck confinia auf die nächste Umgebung Augsburgs zu beschränken. Auch Land links der Donau, die an der Stelle, wo sie sich Augsburg am meisten nähert, in der Luftlinie ungefähr 35 km von dieser Stadt entfernt bleibt, konnte von einem fern Wohnenden,. für den sich die Schlacht naturgemäß mit dem Namen Augsburgs, das gerettet wurde und das Otto am Abend des Schlachttages erreichte, verknüpfte, in diese Bezeichnung einbe- zogen werden. Dazu ist ja sicher, daß Otto die Vereinigung seiner, nach Widukinds durchaus glaubwürdigem Bericht schwachen sächsi- schen Streitkräfte (zu denen man sich allerdings wohl die tausend böh- mischen Reiter schon hinzudenken muß) mit dem Heerbann der Franken und Baiern und mit Konrads Schar an einer vor den Ungarn gedeckten Stelle vollziehen mußte, und eine solche bot nur das Land links der Donau, die ja die natürliche, von Gerhard auch zweimal deutlich bezeichnete Grenze des Ungarneinfalls darstellte. Es ist auch selbst- verständlich, daß diese Vereinigung nicht zu weit nach Osten ver- legt werden konnte, denn sonst hätte man ja den Ungarn, deren Ein- dringen in Lothringen nach der vita Brunonis schon so sehr gefürchtet wurde, daß man dieses Land nicht dureh Entsendung des Heerbanns zum Könige zu entblößen wagte, auf dem Wege westwärts nicht ent- gegentreten können. Daß die Baiern links der Donau zum Könige ' von Onventmar, a.a.0. S.120 sagt: »Das ungarische Heer veränderte die Front und zog Otto (gegen Süden?) entgegen.« Ich denke mir, daß das Fragezeichen hinzugesetzt ist, um Granpaurs Bemerkung in Zweifel zu ziehen. ScHÄrer: Die Ungarnschlacht von 955. 561 stießen, kann nicht auffallen. Sie sind dem Angriff der Ungarn aus- gewichen und konnten das nur, indem sie nördlich vom Flusse Deckung suchten; sie mußten aber auch hier sich Mühe geben, auf ihrer Seite der Donau einigermaßen, Schritt zu halten mit dem Vordringen des Feindes südlich von ihnen. Sie konnten nicht etwa in der Regens- burger Gegend stehen bleiben, während die Ungarn schon Augsburg erreicht hatten. So führen auch diese Erwägungen zu dem Ergebnis, daß die Vereinigung des Heeres in einer Gegend gesucht werden muß, die den Ungarn gegenüber eine gesicherte Flankenstellung ge- währte und zugleich gestattete, angriffsweise gegen sie vorzugehen, und diese Möglichkeit bot nur das Gelände links der Donau zwischen Dler- und Lech-Mündung, die Gegend, auf die der Name Reisens- burg hinweist. Wvyneken, der zuerst klargelegt hat, daß man sich eine Vorstellung machen muß über den Ort der Vereinigung des deutschen Heeres, möchte diese (a.a.0. S.243 ff.) in die Gegend von Donauwörth, also nahe der Lech-Mündung, verlegen. Dünnter, weitaus der genaueste und sorgfältigste Darsteller der Begebenheiten, läßt (Otto der Große S. 254) Otto »über Ulm heranziehend die Gegend von Augsburg zur Vereinigung mit den übrigen Streitkräften bestimmen «, ohne sich über deren Vollzug auszusprechen. Er stützt sich für die Nennung von Ulm auf den mehr als 300 Jahre später schreibenden ungarischen Geschichtschreiber Simon de Keza. von OTTENTHAL (a.a.0. S.120) schließt sich ihm an. Das Heranziehen dieser entlegenen Quelle ist doch mehr als fragwürdig. An welcher Stelle zwischen Ulm und Donauwörth, das will sagen zwischen Iller- und Lech-Mündung, sich die Sammlung des Heeres vollzog, wird sich mit Sicherheit nicht bestimmen lassen. Man wird sie aber eher abwärts von Günzburg als aufwärts, also von diesem Orte aus eher nach Donauwörth als nach Ulm zu zu suchen haben. Denn die Hergänge des nächsten Tages nach der Vereinigung und dem Flußübergang nötigen, beide in die möglichst größte Nähe von Augsburg und zugleich nicht all- zuweit vom unteren Lech zu verlegen. Diese Bedingung erfüllt die Gegend zwischen Dillingen und dem schlachtberühmten Höchstädt, etwa mittwegs zwischen Günzburg und Donauwörth, etwas näher an letzterem. Dazu kommt, daß man sich, wie Wyxeken richtig be- merkt, den Anmarsch Ottos auf die erste Nachricht vom Einfall der Ungarn in Baiern hin ja gegen dieses Land gerichtet denken muß, so daß der König zur Vereinigung mit den Franken und Baiern mehr aus nordöstlicher oder nördlicher als aus nordwestlicher Richtung her- anzog, eine Vereinigung bei Ulm oder zwischen Günzburg und Ulm für ihn wie besonders auch für die Baiern also ein Zeitverlust auf dem Wege an den Feind und zur Rettung Augsburgs gewesen wäre. 562 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. Mai 1905. Aus dem Ausdruck praestitutum diem der Vita Brunonis' darf man nicht mit Dünuter herauslesen, daß Otto gleich zu Beginn der Rüstungen Tag und Ort der Vereinigung der Truppen dicht vor dem Feinde be- stimmt hätte. Die Entfernung der bezeichneten Gegend von Augs- burg beträgt in der Luftlinie etwa 35 km, die Donauwörths gut 40, die Günzburgs etwa 48, die Ulms dagegen gut 70. Mit jenen Ent- fernungen ist das, was Widukind über den Tag vor der Schlacht erzählt, das will sagen über den Tag, an dem die Ungarn von Augs- burg weg und dem Könige entgegenzogen, vereinbar, mit der Ulmer kaum oder gar nicht. Legt man besonderes Gewicht darauf, daß die Schlacht stattgefunden haben muß an und auf der Ebene, die den Lech abwärts von seiner Vereinigung mit der Wertach an seinem linken Ufer begleitet, so wird man geneigt, Vereinigung und Donau- übergang noch weiter abwärts als Höchstädt, in die Nähe von Donau- wörth, zu verlegen. So will WYxeken. Widukind berichtet über den Tag vor der Schlacht, daß nach vollzogener Vereinigung des Heeres beiderseitige Streifscharen aufein- ander gestoßen und dadurch beide Gegner Kunde von einander erhalten hätten; Otto habe dann Bereitschaft zum Kampfe für den folgenden Tag angeordnet.” Das Zusammenstoßen der Streifschaaren kann nur südlich der Donau geschehen sein. Die Deutschen müssen also am 9. August ganz oder teilweise über den Fluß hinüber gewesen sein. Da an dem- selben Tage, allerdings wohl schon ziemlich in der Frühe, durch den Reisensburger von der Donau her die erste Kunde vom An- marsch Ottos ins ungarische Lager vor Augsburg kam, müssen sich Zusammenschluß und Flußübergang rasch hintereinander vollzogen haben, wie man denn ja auch, sofern etwa keine näheren Berichte vorlägen, von einem Könige und Heerführer wie Otto gar nicht anders annehmen könnte, als daß er gegenüber einem so gefährlichen und so schwer zu fassenden Feinde mit größter Raschheit und Entschlossen- heit handelte. Die Mitteilung, daß die durch Konrads Ankunft er- ! c.36: [Bruno] cum videret se ad praestitutum diem seniori et fratri suo magno imperatori cum auxiliaribus copiis non posse occurrere, simulque esset sollieitus, ne forte barbari bellum vitantes in Galliam, suo juri commissam provinciam, declinarent... ® Widukind III, 44: Castris positis in confiniis Augustanae urbis oceurrit ei exereitus Francorum Baioariorumque. Cum valido quoque equitatu venit in castra Cuonradus dux, cujus adventu erecti milites jam optabant non differre certamen. Nam erat natura audacis animi et, quod rarum est audacibus, bonus consilii et, dum eques et dum pedes iret in hostem, bellator intolerabilis, domi militiaque sociis carus. Igitur ab utriusque exereitus latrocinantibus agminibus notificabatur, non longe exer- eitus ab altero fore. Jeiunio in castris predicato, jussum est, omnes in crastino paratos esse ad bellum. ScHÄrEr: Die Ungarnschlacht von 955. 563 mutigten Krieger eine weitere Verschiebung des Kampfes nicht wünsch- ten, bietet dieser Auffassung auch eine quellenmäßige Stütze. Wir können, ohne wesentlich fehlzugreifen, den Übergang über die Donau auf den S., allerspätestens auf die frühen Morgenstunden des 9. August ansetzen. Als der Entschluß, am 10. zu schlagen, gefaßt wurde, war sicher schon ein wesentlicher Teil der zwischen der Donau und Augsburg zu durchmessenden Wegstrecke zurückgelegt. Andererseits wissen wir aus der Vita, daß die Augsburger über den Verlauf der Schlacht völlig im unklaren blieben, wodurch festgelegt ist, daß diese denn doch in einer größeren Entfernung von der Stadt sich abspielte. Im Morgengrauen des 10. August setzte sich das deutsche Heer in acht Abteilungen in Marsch. Es wurde durch unebenes und schwieri- ges Gelände geführt, damit dem Feinde keine Gelegenheit geboten werde, die Abteilungen, die durch diehten Baumbestand gedeckt wur- den, mit ihren Pfeilen, »welche die Ungarn vortrefflich zu gebrauchen verstehen«, zu beunruhigen.' Voran zogen drei Scharen Baiern, geführt von Beauftragten ihres Herzogs Heinrich (prefuerunt prefeeti dueis Heinrieci), weil diesen die Krankheit, an der er dann starb, hinderte, am Kampfe teilzunehmen. Es folgten die Franken unter Konrads Führung, dann der König mit der zahlreichsten aller Scharen, per- sönlich umgeben von .einer aus dem ganzen Heere auserlesenen jungen Mannschaft, und mit dem ebenfalls unter dichter Bedeckung einher- getragenen königlichen Feldzeichen, dem Erzengel Michael. An sechster und siebenter Stelle zogen die Schwaben unter Burkhard, und die achte und letzte Schar bildeten 1000 böhmische Reiter. Zu ihr ge- hörte auch der gesamte Troß, der hier am sichersten bewahrt schien (in qua legione et sarcinae omnes ac inpedimenta quaeque, quasi ipsa esset tutissima, quae esset novissima).” ! Primo dilueulo surgentes, pace data et accepta operaque sua primum duei, deinde unusquisque alteri cum sacramento promissa, ereetis signis proce- dunt castris numero quasi octo legionum. Ducitur exereitus per aspera et diffieilia loca, ne daretur hostibus copia turbandi sagittis asımina, quibus utuntur acerrime, arbustis ea protegentibus. Die Über- setzung des arbustis ea protegentibus in den Geschichtschreibern der deutschen Vor- zeit mit »wenn Gebüsch sie (nämlich die Ungarn) deckt« ist natürlich abzulehnen, da »ea« sich nur auf »agmina« beziehen kann, die Ungarn ihre Bogen selbstverständlich in offenem Gelände ebenso gut zu gebrauchen verstanden wie in baumbestandenem. — Über das Datum des 10. August vgl. Dünnter a.a.0. S.255 Anm. 2. 2 Die Versuche, die Stärke der beiden Heere zu bestimmen, können, wie mir scheint, ein befriedigendes Ergebnis nicht haben. Mit den allgemeinen bzw. in die Hunderttausende gehenden Angaben über das ungarische Heer ist nichts anzufangen, und mit den octo legiones des Widukind recht wenig. Daß legio eine geschlossene, unter einem einheitlichen Kommando stehende Abteilung bedeutet, ist sicher, ihre Stärke aber ganz unsicher. Die Zahl der Böhmen wird auf 1000 angegeben, die königliche Schar als die stärkste bezeichnet; darnach mag man annehmen, daß diese 564 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. Mai 1905. Die Sache kam aber, wie Widukind fortfährt, anders. Die Ungarn überschritten den Lech, umgingen das Heer, griffen die Nachhut an und zwangen zunächst die Böhmen, dann auch die Schwaben, also die 8., 7. und 6. legio, zur Flucht. Sie standen also unmittelbar hinter Ottos eigener Schar. »Als der König nun sah, daß die Schlacht in der Front zu schlagen, zugleich aber im Rücken seine Nachhut ge- fährdet sei, schickte er den Herzog (Konrad) mit der 4. legio, ließ die Gefangenen befreien, die Beute heraushauen und die raubenden Haufen der Feinde forttreiben. Als diese überall in die Flucht ge- schlagen waren, kehrte Herzog Konrad siegreich zum Könige zurück «.! Über das vollzogene Manöver kann kein Zweifel sein. Der König, der die Ungarn dicht hinter sich die Schwaben überwältigen sieht (post mehr als 1000 Streiter umfaßte, obgleich nicht völlig sicher ist, daß bei dem Gebrauch der Worte quae erat maxima die böhmische Schar in den Vergleich einbezogen worden ist. Da die Schwaben zwei Legionen bilden, müssen sie wohl zahlreicher gewesen sein als des Königs Schar. Entsprechendes kann man von den drei baierischen Legionen sagen. Die Franken sind wohl schwerlich über 1000 zu schätzen, da sie doch des Königs Schar nachstehen. So könnte man etwa zu folgenden Annahmen kommen: Böhmen 1000 Königsschar über 1000 Franken vielleicht 1000 Schwaben mindestens 1500 Bayern » 2000 Mindeststärke also vielleicht 6500 berittene und vollbewaffnete Streiter. Wir kennen die Kriegsverhältnisse der Zeit zu wenig, um aus diesen Annahmen die volle Mannschaftszahl des deutschen Heeres be- rechnen zu können. Auch hat man sich bei der Beurteilung des Wortes legio zu vergegenwärtigen, daß Fähnlein und Regiment im 16. und 17. Jahrhundert auch im allgemeinen feststehende Begriffe sind, die unter diesen Bezeichnungen zusammen- gefaßten Mannschaftszahlen aber ganz außerordentlich verschiedene. Man beachte doch, daß die österreichische Armee erst in allerneuester Zeit eine gleichmäßige Regimenter- einteilung erhalten hat, die englische überhaupt noch nicht. — Wenn Kösırer, a. a. 0. S.29 sagt, daß die Baiern an die Spitze gestellt worden seien, »weil sie mit der Fechtweise der Ungarn am vertrautesten waren«, so ist das zurückzuweisen. Die Ungarn hatten sich in allen deutschen Landen bekannt genug gemacht. Die Baiern haben den »Vorkampf«, weil sie, deren Land in Feindeshänden war, die nächsten dazu waren. Es ist allgemein mittelalterlicher Brauch, daß die Landschaft, die zunächst an einem Kriege beteiligt ist, auch Ehre und Last des Vorstreits auf sich nimmt. Die Reichssturmfahne der Schwaben, die bei so vielen italienischen Zügen die Vorhut bildeten, schreibt sich von solchem Brauche her. ! Sed aliter res acta est ac arbitrabatur. Nam Ungarii nichil cunetantes Lech fluvium transierunt eireumeuntesque exereitum extremam legionem sagittis lacessere eoeperunt, et inpetu cum ingenti vociferatione facto, +aliis caesis vel captis, sarcinis omnibus potiti caeteros legionis illius armatos fugere compulerunt. Similiter septimam ac sextam aggressi, plurimis ex eis fusis, in fugam verterunt. Rex autem cum in- tellexisset, bellum ex adverso esse et post tergum novissima agmina periclitari, misso duce cum quarta legione captivos eripuit, predam excussit latro- einantiaque hostium agmina proturbavit. Fusis latrocinantibus undique adversariorum agminibus, signis vietrieibus dux Cuonradus ad regem revertitur. BER: & er £ ScHÄrer: Die Ungarnschlacht von 955. 565 tergum novissima agmina periclitari), will seine eigenen Leute, die besten von allen, den Kern des Heeres, nicht Kehrt machen lassen, weil er weiß, daß der Hauptkampf in der Front zu führen ist, ent- nimmt also den nach dieser Seite hin zur Verfügung stehenden Streit- kräften die Frankenschar Konrads, läßt sie aus der Schlachtordnung, wahrscheinlich doch nach beiden Seiten hin, herausschwenken und sich gegen die im Rücken angreifenden Ungarn wenden, was denn auch zur Folge hat, daß dem Feinde die errungenen Vorteile wieder entrissen werden. Nach der vielbesprochenen, für alle Hauptfragen doch völlig be- langlosen Einschiebung zweier Abschnitte ganz anderen Inhalts fährt dann Widukind in unverkennbar unmittelbarem Zusammenhange mit der abgebrochenen Erzählung ce. 46 fort: »Als der König sah, daß der Kampf in der Front beginnen müsse (totum pondus prelii ex ad- verso' jam adesse conspiciens rex)«, läßt Otto die bekannte Ansprache an seine Krieger halten, Schild und heilige Lanze nehmen und als erster sein Roß gegen den Feind wenden, der überwältigt wird. Teile desselben werfen sich mit ihren ermüdeten Pferden in benachbarte Ortschaften, werden aber umzingelt und finden in den in Brand ge- setzten Wohnstätten ihren Tod; andere durchschwimmen den benach- barten Fluß, werden aber, da das jenseitige Ufer den Aufstieg nicht gestattet, vom Wasser fortgerissen. An demselben Tage noch wird das feindliche Lager genommen; die Gefangenen werden befreit. Aus der Vita wissen wir, daß Otto, mit den Seinigen den Feind verfolgend und niedermachend, wen er erreichen konnte, noch abends in Augs- burg einzog, in der Frühe des nächsten Tages den fliehenden Barbaren folgte und, nachdem durch Eilboten angeordnet worden war, daß alle Fähren und Furten der Flüsse bewacht werden sollten, um den Feind zu vernichten, Baiern absuchte. Damit stimmt überein, wenn Widu- kind erzählt, daß »am zweiten und dritten Tage die übrige Menge der Ungarn von den benachbarten Burgen (umwallten Plätzen) her so aufgerieben worden sei, daß keiner oder wenige entkamen, doch sei der Sieg über das wilde Volk nicht ohne Verluste erfochten worden«. Darauf folgt (e. 47) die bekannte Erzählung über den Tod Konrads, der also nach dem Kampfe zum Schutze der Nachhut auch an dem Kampfe in der Front teilgenommen hat.” ! BRÜCKNER, a.a.0.S.23 will das ex adverso der beiden Stellen auf die Nach- hut beziehen, liest also das genaue Gegenteil des richtigen Sinnes heraus. ® Hostium audaciores primum resistere, deinde, ut socios viderunt terga vertere, obstupefacti nostrisque intermixti extinguuntur. Caeterorum vero alii equis fatigatis villas proximas intrant cireumfusique armatis cum moenüs pariter coneremantur; alii flumen contiguum transnatantes, dum ripa ulterior ascendentes non sustinet, flumine 5 on Sitzungsberichte 1905. 566 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. Mai 1905. Es ist nun die Frage, wohin man diese klar und deutlich berich- teten, in sich nichts Auffälliges, Ungewöhnliches oder gar Unmögliches enthaltenden Hergänge, so weit sie sich am 10. August abspielen, zu verlegen hat. Nach dem, was gesagt worden ist, kann die Antwort nur lauten: Zwischen Augsburg und die Stelle des Donauüberganges, und zwar weder in die unmittelbare Nähe des einen noch des anderen. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die ausdrückliche Erwähnung des unebenen und schwierigen Geländes. Das Lechfeld als Schlachtort an- zunehmen, ist, ganz abgesehen von den angeführten Gründen, schon durch diese Bemerkung ausgeschlossen, da es meilenweit eine nach Süden zu zwar allmählich ansteigende, doch aber irgendwelche nennens- werte Höhenunterschiede nicht aufweisende Fläche darstellt. Unebenes Gelände, das durch den erwähnten dichten Baumbestand noch erhöhte Schwierigkeiten bieten konnte, findet sich aber in dem bezeichneten Gebiet und zwar in dessen Mitte, von der Donau sowohl wie vom Lech durch Streifen ebenen Landes von der Breite einer halben bis zu einer ganzen Meile getrennt, also in einer gewissen Entfernung von beiden, wie die Quellen sie anzunehmen nötigen. Es ist das Gelände, was nach Osten durch die dem Lech parallel fließende Schmutter, nach Nord- westen etwa durch die Linie Aislingen, Wertingen, Mertingen be- grenzt wird, nahe dem letzteren Orte sein Ende findet. Da der Weg dureh dieses unebene und schwierige Gelände gewählt wird, um der Gefahr empfindlicher Schädigung durch die Geschicklichkeit der Ungarn im Bogenschießen zu entgehen, so ist anzunehmen, daß ebenes Land so nahe war, daß ohne ein derartiges Bedenken der Marsch wohl durch dieses gegangen wäre. Auch daß vom deutschen Heere aus beobachtet werden konnte, wie die Ungarn den Lech überschritten, nötigt ja, die Hergänge nach Osten zu verlegen. Das verweist uns an den Ostrand des Hügellandes, in die Nähe des Schmutterbaches, wo z.B. die Achsheimer Hart zwei kleine Meilen nordwestlich von Augsburg sich bis zu 527” erhebt über dem 439” hoch liegenden Orte, nach dem sie genannt ist, d.h. in die Gegend, in die auch obvolvuntur et pereunt. Eo die castra invasa captivique omnes erepti; secundo die ac tertio a vieinis urbibus religua multitudo in tantum consumpta est, ut nullus aut rarus evaderet. Sed non adeo ineruenta vietoria fuit de tam saeva gente. Über urbs vgl. Körxe, Widukind von Korvei S.ı53 ff. Die Vita Oudalriei berichtet (MS. IV, 402°): .Rex autem cum suis eos sequens et quibus se conjungere potuit oceidens vespertina hora diei ad Augustam pervenit..... Mane autem facto fugitivas barbarorum acies sequendo regionem Bawariorum revisit festinisque legatis missis tota remigia et vada fluminum observare precepit ad occisionem eorum. (uod et ita faetum est. Brückner läßt S. 20 Otto Truppen abschicken, um die Schiffe mit Be- schlag zu belegen und die Furten zu besetzen! Was Brückner auf S. 19 —2ı an mangelndem Verständnis und Außerachtlassen der Quellen sowie an sinnlosem Gerede leistet, findet nicht leicht seinesgleichen in deutscher wissenschaftlicher Literatur. Scuärer: Die Ungarnschlacht von 955. 567 schon Wyneken (a.a.0. S. 247) den Kampf verlegt hat, wenngleich er ihre geographische Beschreibung ungeschickt genug gestaltet.' In diesem Zusammenhang gewinnt die Nachricht der späteren Annales Zwifaltenses, daß die Schlacht bei Kühlenthal, das etwa 25” nord- nordwestlich von Augsburg am Ostrande des Hügellandes über dem Schmutterbache liegt, stattgefunden habe, eine gewisse Bedeutung. Sie verdient um so mehr herangezogen zu werden, als ihre drei anderen, wohl dem guten Bericht des Hermann von Reichenau entnommenen Nachrichten (Datum der Schlacht, Tod Konrads und Diepolds) durch- aus exakt sind.” Selbstverständlich kann die Umgehung durch die ungarische Abteilung, welche die Nachhut angriff, nur mit zweimaliger Überschreitung des Lech geschehen sein. Aber zu dieser Annahme ist man ja unter allen Umständen gezwungen, es sei denn, daß man sich, was die Quellen ja aber schlechterdings nicht zulassen, die Schlacht rechts vom Lech denken will. Übrigens hindert ja auch nichts anzunehmen, ja es ist sogar das Wahrscheinlichere, daß der Ungarnkönig gleich aus seiner Stellung vor Augsburg bei seinem Ab- marsch von dort einen Teil der Seinen zu einer Umgehung des Feindes und einem Angriff im Rücken desselben abschickte. Dann wäre der zwiefache Lechübergang an zwei verschiedenen Tagen ausgeführt worden. Daß die Augsburger von den Mauern ihrer Stadt die fliehenden Ungarn heranziehen sahen und zunächst der Meinung waren, diese hätten noch keinen Kampf bestanden, bis sie dann bemerkten, daß die Feinde an der Stadt vorüberziehend eilig das jenseitige Ufer des Lech zu gewinnen suchten, kann nicht die Schwierigkeiten machen, die GRAnDAUR a.a. 0. S. 97 darin findet. Denn die Entfernung zwischen Augsburg und der Vereinigung der beiden Flüsse beträgt auch heute, wo der Lauf beider Flüsse rektifiziert ist, nur zwei bis drei Kilometer, so daß unterhalb der Vereinigung den Lech überschreitende Kriegerscharen recht gut von Augsburg aus (de propugnaculis Augustae civitatis) beobachtet werden konnten. Auch ist ja eine Flucht südlich an Augsburg vor- bei über beide Flüsse hinweg keineswegs deshalb undenkbar, weil die ! »Von Augsburg zieht sich nach Norden am linken Ufer des Lech ein schma- leres, vertieftes, im Westen von dem Schmutterbach und dem jenseits desselben sich erhebenden Hügellande eingefaßtes Tal.« — GrAnDAuUrR a.a.0. S.97 sagt, daß die Ebene links von Lech und Wertach »bis gegen das Dorf Gablingen« (gegen 14 Meilen nordnordwestlich von Augsburg) »das sogenannte Breitfeld« sei. Die vom baierischen Generalstabe herausgegebene Sektion 623 der Reichskarte hat diesen Namen nicht. wohl aber trägt sie eine »alte Heerstraße« ein, die von Augsburg auf Gablingen läuft und die als von dort einerseits nach Höchstädt, andererseits nach Donauwörth führend zu denken ist. ® MS.X, 53 zu 942: Ungari juxta Augustam apud Kolital ab Öttone rege bello vineuntur 4. idus augusti, ubi ex nostris Counradus dux et Diepolt frater sancti Oudalriei oceubuerunt. [>| [3,1 568 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. Mai 1905. Wertach in diesem Zusammenhange nicht erwähnt wird. Unter allen Umständen überschritt König Otto diese doch auch, ohne daß sie er- wähnt wird. Auch war ja die Wertach ein leichteres Hindernis als der Lech. Mir ist nicht zweifelhaft, daß diese Bedenken weit ge- ringer wiegen als jene, die sich erheben, wenn man die Schlacht auf dem Lechfelde oder gar rechts vom Lech sich abspielen läßt. Die hier vertretene Auffassung bietet gegenüber dem wohlverstandenen Text der an sich klaren und widerspruchslosen Überlieferung weit- aus die geringsten sachlichen Bedenken. Versuche, den Ort der Schlacht noch näher zu bestimmen, müßten allerdings andere Stützen suchen als die uns erhaltene Überlieferung. Wollte dabei jemand Gewicht legen auf die Nachricht der von L. Brunner (Die Einfälle der Ungarn in Deutschland p. XXXIV, Anm. 2) angezogenen Weberchronik, daß »das deutsche Heer den Weg durch die Reichenau hinter dem Sandberg in den Wäldern herauf und bei Bergheim heraus«, also links von der Wertach etwa eine Meile südwestlich von Augsburg, genommen habe, so würde auch das mit den Grundlinien der hier vertretenen Auf- fassung nicht unvereinbar sein. Ein Eingehen auf die spätere Überlieferung, die Lechfeld und Gonzenlee mit der Schlacht in Verbindung bringt, ist überflüssig. Sie würde nur nebensächliche Bedeutung haben, wenn sie mit der guten zeitgenössischen Überlieferung im Einklange stände und diese etwa in Einzelheiten ergänzte. Sie verliert jeden Anspruch auf Be- rücksichtigung, wenn diese nur erfolgen kann, indem man sich mit unseren besten Quellen in Widerspruch setzt. Die agrarii milites des Widukind. Von DiETRicH SCHÄFER. D:e. bekannte Stelle Widukinds (Res gestae Saxonicae I, 35), in der er die Maßnahmen Heinrichs I. für Hebung der Landesverteidigung bespricht, ist von Warrz in den Jahrbüchern des Deutschen Reichs unter König Heinrich (3. Aufl. S.98, 1885) so gedeutet worden, daß er die agrarii milites, »von denen jeder neunte Mann in die urbes versetzt werden soll«, auffaßt als »abhängige Leute des Königs«. Er befand sich damit in Übereinstimmung mit Körke, den man neben Waırz wohl als besten Kenner des Widukind gelten lassen muß, und der die agrarii milites als Ministeriale ansieht (Widukind von Korvei, S.95 ff. und 156 ff.). Die Zeitgenossen von Wartz und Körke haben die Stelle meist ähnlich verstanden, unter ihnen auch GIESEBRECHT (Gesch. d. deutsch. Kaiserzeit I’, 224 und 812). Warrz hat a.a.O. ab- weichende Meinungen, auch von Älteren, abgelehnt. Die Späteren sind der Auffassung von Waırz, Körke und GiEsr- BRECHT zum Teil gefolgt. Manırıus sagt in seiner Deutschen Ge- schichte unter den sächsischen und salischen Kaisern I, 61 (1889): »Der Befehl konnte nur solche Leute betreffen, welche in einem di- rekten Dienstverhältnis zum Könige standen, also Ministeriale oder eigene Leute.«< GesHuarpr im Handbuch der deutschen Geschichte I, 248 (1891) meint: »Es bezog sich diese Vorschrift wohl nur auf die herzoglichen Dienstleute.« Auch Laumprecat kann wohl als zustimmend aufgefaßt werden, wenn er 1892 (Deutsche Geschichte II, 125) sagt, daß Heinrich I. bei seinen Versuchen, feste Zufluchtsstätten herzu- stellen und eine brauchbare einheimische Reiterei zu schaffen, »von der Verfügung über die besseren Unfreien seiner Grundherrschaft aus- gegangen sei«. E. O. Scuuzze, Die Kolonisierung und Germanisierung der Gebiete zwischen Elbe und Saale S.49 ff. (1896), schließt sich ebenfalls an Waıtz an.' ! Vgl. auch Schurzes Beitrag zur Sächsischen Volkskunde, herausgegeben von R. Wurrke, S.74 (1903). 570 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. Mai 1905. Aber die fragliche Auffassung ist doch weit davon entfernt, all- gemeine Gültigkeit erlangt zu haben. Raske, von dessen Weltgeschichte der betreffende Teil gleichzeitig mit der letzten Auflage von Waırz’ Heinrich I. erschien, sagt (VI, 2, 133): »Neun — wie man doch an- nehmen muß — größere Grundbesitzer«, eine Fassung, die nicht ge- rade geeignet ist, klare Vorstellungen zu vermitteln. Gustav RıcHTER und Horst Kont lassen in ihren Annalen der deutschen Geschichte (III, 1, 10, 1890) den Ausdruck agrarii milites ganz unberücksichtigt, während der Erstgenannte ihm 1881 in seinen »Zeittafeln der deutschen Geschichte« in der Wiedergabe des Widukind-Textes ausdrücklich die Übersetzung »seine Ministerialen« hinzugefügt hatte. Kırı Hrerr sagt in seinem Aufsatze: »Lateinische Wörter und deutsche Begriffe« (Neues Archiv d. Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtskunde XVII, 214 von 1893): »Ihre Besatzung« (nämlich die der Burgen) »wurde aus Um- wohnern des Landes — ex agraris militibus — gebildet, von denen der König je den neunten Mann auswählte.« Für diese Autoren waren also die Feststellungen von Warrz und Körke nicht vorhanden. Es haben die letzteren aber auch direkten Widerspruch erfahren. Im Jahre 1895 erschienen F. Keursens verdienstliche » Untersuchun- gen über den Ursprung der deutschen Stadtverfassung«. Der Verfasser sagt dort S.45: »Die milites agrarii halten Warrz und GIESEBRECHT für königliche Ministerialen. Mehr spricht dafür, daß die heerbannpflichtigen Bauern gemeint sind. Der Heerbann wurde in Sachsen immer noch aufgeboten, wie GIESEBRECHT zugibt. Welche Bedeutung er besaß, zeigen die Siege der sächsischen Bauern über Heinrich IV. anderthalb Jahr- hunderte später. Daß es in Sachsen damals neunmal soviel könig- liche Ministerialen gegeben habe, als zur Besatzung der zahlreichen Burgen, die angelegt wurden, ausreichten, ist undenkbar. GIEsSEBRECHT sieht sich zu der Annahme gezwungen, daß in den Marken königliche Ministerialen den Hauptstamm der herrschenden Bevölkerung bildeten, und daß deshalb Widukinds Worte zunächst nur auf die Marken be- zogen werden können. Dafür fehlt aber die Berechtigung, und es widerspricht den Tatsachen. Warrz stößt sich an dem Ausdruck con- familiares. Ich vermute, daß Widukind das Wort nur eingeführt hat, weil er eines zusammenfassenden Ausdruckes für die Abteilungen von Je neun Mann bedurfte; jede solehe Abteilung war gewissermaßen eine familia. Um die Verteidigung der Pfalzen, wie Warrzz — wohl auch in Bedrängnis wegen der Zahl der Ministerialen — vermutet, kann es sich doch nicht handeln. Und was die Frage betrifft, die ebenfalls Waıtz aufwirft, wie der König anderen als seinen abhängigen Leuten »solches befehlen« konnte, so ist auf die allgemeine Landesverteidi- gungspflicht hinzuweisen und darauf, daß es regali consensu regalium- ScHÄrER: Die agrarii milites des Widukind. 571 que prineipum decreto sancitum est et jussum, wie es in dem schon angeführten Hersfelder Bericht heißt. Für die Pflicht der Dorfbewoh- ner, die Mauern der nächsten Stadt mitzubauen, jedes Dorf sein Stück, wofür sie im Notfall in der Stadt Schutz fanden, sind urkundliche Belege vorhanden. Um die systematische Durchführung dieser Ein- richtung in Sachsen handelt es sich bei den Maßregeln Heinrichs. « Krurern hat später seine Auffassung geändert. In seinem dem Buche gleich betitelten Aufsatz in den Neuen Jahrbüchern f. d. klass. Altertum, Jahrg. 1900 8.287 ff. sagt er: »Ich glaube, daß es sich nicht um die heerbannpflichtigen Bauern handelt — unter milites kann man ja wohl nur Leute verstehen, die das Waffenhandwerk zu dem ihrigen gemacht hatten — es sind aber auch nicht bloß könig- liehe Ministerialen, wie GIEsSEBRECHT und Waıtz meinten, sondern be- waffnete Leute der Grundherren überhaupt.« Er sucht das mit einem Hinweis auf englische Einrichtungen zu belegen. Inzwischen aber hatte sich schon C. RopEnBERG ihm angeschlossen, ja diese Auffassung noch schärfer betont. In einem Aufsatz über die Städtegründungen Heinrichs I. (Mitteilungen d. Instituts f. österreich. Gesch. XVII, ı61ff., 1896) urteilte er, daß »Widukinds Bericht nur Äußerlichkeiten ohne strenge logische Verknüpfung gebe«, fügte aber hinzu: »Wesen und Zweck von Heinrichs Anordnungen läßt sich daraus doch mit hinreichender Klarheit erkennen. — Der König verfügte, daß bestimmte Orte von der umwohnenden Landbevölkerung, zu der auch die agrarii milites gehörten, befestigt, verproviantiert und mit einer Besatzung versehen und diese von den draußen Wohnenden unterhalten wurde. Dafür sollte das Landvolk, wenn der Feind drohte, in den neuen Städten Schutz und Aufnahme finden. Streitig ist, ob Heinrich diese Anordnungen nur für seine königlichen und herzog- lichen Domänen getroffen hat oder auch anderswo. Man hat früher in den agrarii milites freie Grundbesitzer gesehen; indessen nach dem Vorgange von Waıtz und GIEsEBRECHT hat man in neuerer Zeit meist angenommen, daß es abhängige Leute des Königs waren, da dieser anderen dergleichen nicht hätte befehlen können.« RODENBERG sucht dann seine abweichende, Heer und Krursrn zustimmende Auffassung durch Hinweise auf den Burgbann der sächsischen sowie früheren und späteren Zeit zu bekräftigen. Die folgenden Ausführungen bezwecken den Nachweis, daß der Widerspruch zu Unrecht erhoben worden ist, und daß die Sache so liegt, wie Waırtz, Köpke und GIESEBRECHT sie aufgefaßt haben. Widukind berichtet (I, 35): Igitur Heinrieus rex accepta pace ab Ungariis ad novem annos quanta prudentia vigilaverit in munienda patria et in expugnando barbaras nationes, supra nostram est vir- - 572 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. Mai 1905. tutem edicere, licet omnimodis non oporteat taceri. Et primum quidem ex agrariis militibus nonum quemque eligens in urbibus habitare feeit, ut ceteris confamiliaribus suis octo habitacula extrueret, frugum omnium tertiam partem exei- peret servaretque, ceteri vero octo seminarent et meterent frugesque colligerent nono et suis eas locis reconderent. Üon- eilia et omnes conventus atque convivia in urbibus voluit celebrari; in quibus extruendis die noctuque operam dabant, quatinus in pace discerent, quid contra hostes in necessitate facere debuissent. Vilia aut nulla extra urbes fuere moenia. Es erscheint mir als selbstverständlich, daß die Untersuchung auszugehen hat von der Interpretation dieser Stelle. Es ist bezeich- nend, daß Krurgen und RopEnBERG (Heser versucht keinen Beweis) ihren Widerspruch nur gegen WaAırz und GIESEBRECHT richten, Körke gar nicht erwähnen. Und doch hat Körke, der Philologe Widukinds, am meisten für das Textverständnis dieses Autors getan, und an ihn wird daher jeder weitere Versuch anknüpfen, bzw. er wird wider- legt werden müssen, wenn man abweichende Anschauungen geltend machen will. Körke hat der Frage, in welcher Bedeutung Widukind das Wort miles gebraucht, auf S. 94—ıIoı seines Buches eine ein- gehende Untersuchung gewidmet. Abgesehen von den nicht sehr häufigen Fällen (in den von Körke S. 94 hierher gerechneten ist die Bedeutung wiederholt mindestens zweifelhaft), wo miles gebraucht wird, um ganz allgemein den Kämpfer zu bezeichnen, oder das abge- leitete militia allgemein für eine Kriegerschar, ist der miles ausnahms- los ein jederzeit zur Verfügung seines Herrn, hier also des Königs und Herzogs, stehender, Reiterdienst tuender Krieger. Die Grundlage der Verptlichtung ist eine verschiedene, und sie kann sich auf Leute freien und unfreien Standes erstrecken. Sie beruht zum Teil auf der Inhaber- schaft kleinerer oder größerer Lehen, zum Teil aber auch auf dem per- sönlichen Verhältnis der Hof- oder Gefolgsgenossenschaft. Illa multi- tudo, quae in palatio semper esse debet (um mit Hinkmar von Reims und seiner Schrift de ordine palatii zu reden), die so häufig in den Quellen der Zeit erwähnt wird, und deren Zusammensetzung, richtige Leitung und Unterhaltung Hinkmar in der angezogenen Schrift bespricht, setzt sich aus milites zusammen. Diese Benennung ist aber auch die tech- nische einerseits für Inhaber großer Lehen, die auf Grund dieser dem Könige Kriegsdienste zu leisten haben, an Macht und Ansehen aber eben durch ihren Lehnbesitz den Fürsten nahestehen, andererseits für die kleinen Lehnsleute, deren Zahl König Heinrich wohl besonders im östlichen Sachsen stark vermehrt hat, für die ihr Lehen den Lebens- unterhalt darstellt, die aber eben dafür jederzeit dem Winke des Königs ScnHÄrer: Die agrarii milites des Widukind. 573 zum Kriege bereitstehen müssen. Diese letzteren eben sind die agrarii milites unserer Stelle. Das ist der Sprachgebrauch des Widukind, wie ihn Körke festgestellt hat. Wer Widukind anders auslegen will, der wird erst nachzuweisen haben, daß Körkes eingehende Darlegungen irrig sind. Daß dieser Sprachgebrauch auch der der Zeit ist, daß andere Quellen, urkundliche wie Geschichtschreiber, das Wort miles in gleicher Weise anwenden, braucht nicht weiter nachgewiesen zu werden." Entscheidend ist nun aber, daß Widukind die milites, die dem Könige oder ihrem Herrn (denn auch andere als der König können selbstverständlich milites und zwar in beiderlei Gestalt haben) zu steter Verfügung stehenden Streiter, scharf sondert vom allgemeinen Heer- bann. 1, ı7 schildert Widukind die Tüchtigkeit des heranwachsenden Heinrich und berichtet: Pater (Herzog Otto) autem videns prudentiam adolescentis et consilii magnitudinem reliquit ei exereitum et mi- litiam adversus Dalamantiam, contra quos diu ipse militavit. Daß unter exereitus hier der Heerbann zu verstehen ist, unterliegt keinem Zweifel; neben ihm aber steht die militia.” — I, 21 erzählt Widukind, daß König Konrad Bedenken getragen habe, dem neuen Herzog die ganze Macht des Vaters zu überlassen: Quo factum est, ut indigna- tionem incurreret totius exereitus Saxonici, was hier zu übersetzen ist »des ganzen sächsischen Volkes«, Volk, wie ja häufig, in dem Sinne »alle wehrhaften Freien« gefaßt. Der König habe aber nicht gewagt, den Herzog offen zu bekämpfen: nec posse publieo bello eorum ducem conterere, subpeditante illi fortium militum manu, exereitus quoque innumera multitudine. Der König fürchtet die Schar tapferer milites und die ungezählte Menge des Volkes, d.h. des Heerbanns, die dem König zur Verfügung stehen. — Beim slavi- schen Aufstande von 929 und der Einnahme von Walsleben erzählt Widukind I, 36: Ad quarum (nämlich barbararum nationum) ferocitatem ! Vgl. Hinemarus de ordine palatii, M. Cap. II, 525, 526, vgl. 526°. Urkund- liche Belege für diesen Gebrauch des Wortes miles weisen die Register der Diplomata in Menge nach. Vgl. ferner z.B. ML Concilia I, 1982", 204'° von etwa 627; ML For- mulae 173, 20:6 von etwa 675; M Epistolae IV, 378° von Sor; ML Capitularia I, 350° ff. von 817; ML Cap. II, 432?9 von 858; Liutprandi Hist. Ottonis ce.7 MS. III, 341; Chron. s. Andreae castri Cameracesii MS. VII, 5303 von 1025; ML Constitutiones I, 650?° von 1071; Hist. Welforum Weingartensis MS. XXI, 465:° von 1133. — Daß der strenuus miles et vir nobilis in DOlı1z3 (MD.I, 2133°), den Sıcker mit einem Hinweis auf DO 1165, wo miles aber in ganz anderem Sinne gebraucht wird, glaubte rechtfertigen zu können, für diese Zeit unmöglich ist, hat mit Recht OrrentuAar, Regesta imperii 1]. 92 n. 195 bemerkt. ®2 Die Übersetzung in den Geschichtsschreibern der deutschen Vorzeit: »Der Vater vertraute ihm ein Heer und einen Feldzug gegen die Dalaminzier an« ist ab- zulehnen. 574 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. Mai 1905. reprimendam traditur exereitus cum presidio militari Bernhardo, cui ipsa Redariorum provineia erat sublegata, d.h. es wird dem Bern- hard (und dem ihm beigegebenen Genossen Thietmar) zur Bekämpfung des eingedrungenen Feindes der aufgebotene Heerbann überwiesen mit einer Bedeckung von milites, die den Kern der Streitmacht darstellen. — Ähnlich wird im Ungarnkriege von 933 (I, 38) dem Gegner, um ihn an den aus milites bestehenden Kern des Heeres heranzulocken, der thü- ringische Heerbann, untermischt mit wenigen milites, entgegengeschickt, damit der Feind diese Abteilung angreife und verfolge, eine Kriegs- list, die mißlingt: Rex vero veritus est, quemadmodum evenit, ut hostes, viso milite armato, fugae statim indulsissent; misit lesionem Thuringorum cum raro milite armato, ut inermes prosequerentur et usque ad exereitum protraherentur. Actumque est ita; sed nichilominus videntes exercitum armatum, fugerunt. Daß exereitus hier, wie auch sonst häufig, in dem allgemeinen Sinne von Heer, Streitmacht gebraucht wird, ändert nichts an der Unterscheidung der milites vom thüringischen Heerbann, der IH, 3 auch als exereitus Thuringorum und in gleicher Weise militärisch minderwertig auftritt. — Auch die Schilderung des Kampfes von 953 zwischen Herzog Konrad und den gegen ihn sich erhebenden Lothringern (II, 17),von denen gesagt wird, daß der Herzog eine incredibilis multitudo aus ihnen mit eigener Hand niedergestreckt habe, kann kaum anders verstanden werden, als indem man sich des Unterschiedes bewußt bleibt, der zwischen dem Heerbann (exereitus) und den milites besteht: Itaque illi fortissimo (nämlich dem Konrad) subpeditante fortium militum manu, ad- verso exereitui dum növus semper additur, a meridie usque in vesperum protrahitur bellum. Eine Schar tapferer milites hat es mit einem Aufgebot des Heerbannes zu tun, das sich durch Zuströmende fortwährend vermehrt. Die milites des seines Herzogtums entsetzten Konrad sind jene zu seiner persönlichen Verfügung stehenden Leute, mit denen er zwei Jahre später dem Könige gegen die Ungarn folgt und so wesentlich zum Siege mithilft. — Ebenso wird III, 52 (955) das presidium militare des Herzogs Hermann dem exereitus hostium gravis der Slaven gegenübergestellt. Das presidium militare, das III, 10 als Besatzung von Pavia zurückgelassen wird, ist ebenfalls als eine per- sönlich dem Könige verpflichtete Kriegerschar anzusehen, nicht als eine solche, die auf Grund der allgemeinen Heerbannspflicht im Felde steht.! Wenn so der Sprachgebrauch des Widukind keinen Zweifel dar- über läßt, daß er mit milites und agrarii milites nicht die Gesamtheit ! Richtig versteht SpannAGEL, Zur Geschichte d. dtsch. Heerwesens vom 1o. bis zum 12. Jahrh. S.5 die milites: »Den Gegensatz zum exereitus bilden die milites, d.h. die Dienstmannen als berufsmäßige Krieger.« Scuärer: Die agrarii milites des Widukind. 575 der heerbannpflichtigen Leute bezeichnen will, so erhebt sich die Frage, ob die Auslegung der agrarii milites als Inhaber königlicher Lehen und auf Grund dieser Lehen dem Könige auch ohne Heerbannsauf- gebot und außerhalb des Heerbanns kriegsdienstpflichtig mit dem Ge- samtberieht Widukinds über Heinrichs Maßnahmen vereinbar ist. Ich kann diese Frage nur bejahen; ich sehe schlechterdings nichts, das einer Bejahung im Wege stände. Zunächst ist es nicht nötig, darauf hinzuweisen, daß »der Heer- bann in Sachsen immer noch aufgeboten wurde«. Die Heerbanns- pflicht läßt sich für niedersächsische Gebiete nachweisen bis weit über das Mittelalter hinaus. Und nicht nur für Sachsen, sondern auch für andere Gegenden Deutschlands. Ob es richtig ist, für seine Bedeu- tung auf »die Siege der sächsischen Bauern über Heinrich IV.« hin- zuweisen, kann hier unerörtert bleiben. Wenn aber für »undenkbar« erklärt wird, »daß es in Sachsen damals neunmal so viele königliche Ministerialen gegeben habe, als zur Besatzung der zahlreichen Burgen, die angelegt wurden, ausreichten,« so ist zu erwidern, daß der Text ja auch keineswegs eine solche Annahme fordert. Denn die in die urbes beorderten neunten milites bilden ja keineswegs eine kriegs- mäßige Besatzung derselben, sondern sie sind Leute, die in Friedens- zeiten für die Herrichtung der urbes zur Verteidigung, zur Aufnahme von Schutzsuchenden und zur Unterbringung von Vorräten zu sorgen haben. Dazu genügen wenige, denn sie haben ja ihre Knechte, und für diese Vorbereitungen tritt sicher der königliche Burgbann in Kraft. Das extruere, exeipere, servare ist ja gewiß so zu fassen, daß die milites die erforderlichen Arbeiten leiten, nicht eigenhändig ausführen. Kommt der Feind ins Land — und das ist doch, abgesehen von in- neren Fehden, die bei dieser königlichen Anordnung nicht in Frage stehen, der einzige Fall, wo die urbes ihrem Zweck dienstbar werden — so liefert das flache Land Verteidiger mehr, als man brauchen kann. Sicher ist die Sache doch so gedacht, daß die Angehörigen der wehr- haften Leute mit ihrer fahrenden Habe in den befestigten Orten Schutz finden sollen, von den Wehrhaften aber, den Heerbannpflichtigen so- wohl als den milites, die Masse im freien Felde aufzutreten hat, hinter den Mauern nur verschwindet, was zu deren Verteidigung notwendig ist. Daß der Krieg gegen den ins Land gedrungenen Feind sich so abspielt, belegen ja die Ereignisse des Jahres 933, wie sie uns Widu- kind überliefert, mit kaum zu übertreffender Deutlichkeit. Wenn auch GIESEBRECHT I’, Sr meint, daß Widukinds Schilderung »voraussetze, daß die Bevölkerung des Landes in der Masse aus milites agrarii be- standen habe«, so sieht auch er Schwierigkeiten, die nicht vorhanden sind. Und deshalb ist auch hinfällig, wenn er meint, daß » Widu- 576 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. Mai 1905. kinds Worte zunächst nur auf die Marken bezogen werden können, « da nur in den Marken »königliche Vasallen und Ministerialen den Hauptstamm der herrschenden Bevölkerung« gebildet hätten. Von welchen Orten wir mit einiger Sicherheit annehmen können, daß sie durch Heinrich I. in der fraglichen Weise in befestigte Plätze ver- wandelt worden sind, hat Warzz S.95ff. im einzelnen dargelegt. Sie sind keineswegs auf die Marken beschränkt. Kerursens Bemerkung: » Waıtz stößt sich an dem Ausdruck confamiliares« findet in der angezogenen Stelle (Wartz ® S.98 Anm. 6) keinen Anhalt. Keureens Erklärungs- versuch der eonfamiliares braucht nicht widerlegt zu werden; über die Bedeutung von familia und confamiliares können Zweifel nicht bestehen. Vor allem aber muß betont werden, daß Waıtz durchaus im Rechte ist, wenn er S. 98 sagt: »Gemeint können ohne Zweifel nur abhängige Leute des Königs sein, denen er solches befehlen und die er zur Verteidigung seiner Pfalzen bestimmen mochte.« Der Hinweis auf die in den Miracula Wigberti ce. 5 (MS. IV, 225) überlieferte Nachricht, daß Kloster Hersfeld befestigt worden sei re- gali consensu regaliumque prineipum decreto (oben S. 571 bei Keutezn, bei RODENBERG a. a. O. S. 166), kann Warrz’ Behauptung nicht ent- kräften. Denn diese Nachricht spricht von der Herstellung einer Be- festigung, nicht von der Einweisung von Mannen in dieselbe in Friedens- zeiten. Auch läßt sich durch einen Hinweis auf englische Einrich- tungen nicht der Beweis erbringen, daß unter agrarii milites »nicht bloß königliche Ministerialen, sondern bewaffnete Leute der Grundherren überhaupt« zu verstehen seien. Denn das von KEUTGEN angezogene Buch von Maıranp, Domesday-Book and Beyond erbringt keineswegs den Beweis, daß eine derartige Einrichtung von jeher und bei allen boroughs in England bestand, und wenn es diesen Beweis auch er- brächte, wäre es belanglos für die deutschen Verhältnisse gegenüber dem klaren Text des Widukind und den gut beglaubigten historischen Geschehnissen der Zeit.‘ Übrigens fehlt es ja auch in Deutschland nicht an befestigten Plätzen, deren Verteidigung, und zwar für den König, Sache von Grundherren ist. Will man das Verständnis durch Analogien fördern, so liegen die sächsischen Bauernburgen in Sieben- bürgen nahe, die wenigstens dem einen der alten Zwecke, der Bergung von Vorräten, noch heute dienen. Die Zusammenstellungen Ropen- BERGS über die Ausübung des Burgbannes sind zwar sehr verdienstlich, tun aber nichts zur Sache, da das Bestehen des Burgbannes von niemandem bestritten wird und bestritten werden kann. Wenn aber ! Auf den Castle Guard kommt noch einmal zurück J. H. Rounp in Arch&olo- gical Journal LIX, 1902 S. 144 ff. ScnÄrer: Die agrarii milites des Widukind. ud die allgemeine Landesverteidigungspflicht« herangezogen wird und wenn ROoDENBERG (S. 166) gar sagt: »Der Herrscher konnte das Heer auf- bieten, wann er wollte, und es verwenden, wie es ihm beliebte. Auf Widerspruch mußte er nur gefaßt sein, wenn er Unerträgliches oder Unmögliches verlangte«, so muß dem entschieden widersprochen werden. Der König konnte aus eigener Machtvollkommenheit den Heerbann nur aufbieten zur Landesverteidigung, zur defensio. Zu Angriffszwecken, zur expeditio, oder zu einer Verwendung, wie sie hier in Frage kommt, konnte er ihn nur in Anspruch nehmen, wenn ein entsprechender Beschluß des Volkes, das will in dieser Zeit natür- lich sagen: seiner prineipes (regalium prineipum der miracula!) vor- lag, und es ist nieht sicher, ob der Heerbann selbst unter dieser Voraussetzung immer zur expeditio ganz oder teilweise herangezogen werden konnte. Zu freier Verfügung in dem Sinne, wie RoDENBERE will, hatte der König höchstens seine milites; höchstens, denn unser Quellen- bestand gestattet nicht, apodiktisch zu behaupten, daß auch nur diese milites so völlig in der Hand ihrer Herren sind wie etwa ein modernes Heer in der seines obersten Kriegsherrn." Wenn RopEnBERG meint: »Die Mannschaften in den sächsischen Städten« (den urbes) »werden mit ihrem langen Kriegsdienste, der sie fast zu einem stehenden Heere machte, schwerlich unzufrieden gewesen sein, wenn sie dafür von anderen unterhalten wurden«, so ist das irreführend, denn um »langen Kriegsdienst« handelt es sich bei diesen Mannschaften ja gar nicht. Allerdings, Unzufriedenheit wird Heinrichs Maßregel bei den Betroffenen kaum erregt haben, wenngleich man sich die milites nicht als Leute vorstellen darf, die sich widerspruchslos allem fügten. Das belegen die aufsässigen milites des Gero (II, 30) und die Nachsicht, die Otto wider Willen gegen seine milites wegen der Tötung Thankmars üben muß (I, ı1). Ich kann von den erhobenen Einwänden keinen als berechtigt anerkennen und bin überzeugt, daß die Auffassung von Waıtz, Körke und GiesegrecHt als die allein zu Recht bestehende anzusehen ist. ! Vel. im allgemeinen Warız, Verfassungsgeschichte VIII, 98 ff., 108 ff., 123 fl.; Weırann, Die Reichsheerfahrt von Heinrich V. bis Heinrich VI., Forschg. z. dtsch. Gesch. VII, ıı3 ff.; Spannacer, Zur Geschichte des deutschen Heerwesens S.4 fl. Srawnasers Behauptung, daß das Volksaufgebot nur noch in Sachsen bestanden habe, ist nicht haltbar. Man braucht nur einen Blick in die tlandrisch -niederlothringische Geschichte zu tun, etwa den Giselbert zu lesen, um zu sehen, daß das nicht der Fall ist. Mit der bekannten Bemerkung des Liutprand (Antapodosis II, 25, MS. III, 2937) läßt sich diese Behauptung nicht erweisen; vgl. z. B. Antap. II, 3, 6, 24. Zu Öttos Feldzug gegen Frankreich hat sich 946, wie man nach Widukind III, 2 annehmen muß, der sächsische Heerbann bei Kamerik, also zu einer expeditio, gesammelt; es ist aber auch, soweit ich sehe, der einzige derartige nachweisbare Fall. 578 „Selusas“ im Straßburger Zollprivileg von 831. Von DieErTRIicH ScHÄFER. De Urkunde Nr.ı5 in Wırsanps Urkunden und Akten der Stadt Straß- burg I, ı = Mühlbacher 199 (195) vom Jahre 775 ist 1897 von Brocn in der Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, N. F. XII, 484 ff. als eine Fälschung GrAnDipDiers nachgewiesen worden, bei der WıEsAnD Nr. 23 — Mühlbacher 890 (861) vom Jahre 831 als Grundlage gedient hat. In der Quelle wie in der Ableitung finden sich als Plätze, an denen die den Leuten der Straßburger Kirche gewährte Abgaben- freiheit nicht statthaben soll, Quentowie, Duurstede und »Sclusas« ge- nannt (excepto Quentowico, Dorestato atque Selusas). Letzteres wird im Register des Straßburger Urkundenbuchs als Sluis (bei Brügge in Flandern, jetzt niederländische Provinz Seeland) erklärt. Die Urkunde findet sich auch in den Formulae. In deren Ausgabe (MLFormulae 315") wird »ad Olusas«, wie es hier heißt, trotz des Anstoßes, der mit dem »ad« gegeben war, ebenfalls als Sluis verstanden. Allerdings fällt dem Herausgeber auf, daß kurz vorher (315") das Wort elusas schon ein- mal vorkommt, und er macht zu diesem ersten Vorkommen die Be- merkung: »Hie aliter ac infra omnino clusas imperii significatas esse, neque vero certum illum locum Sluis nominatum, erediderim.« Er ist also nur beim ersten Vorkommen des Wortes nicht ganz sicher, beim zweiten zweifelt er nicht. Diesen Autoritäten, Editoren und Kritikern ersten Ranges, sind die späteren natürlich gefolgt, Mühlbacher a. a. O. und Abel-Simson, Karl der Große I’, 247 (190) und II, 564, wo Sluis auf Grund der Urkundeninterpretation unter den »Haupt-See- und -Handelsplätzen« im Reiche Karls des Großen aufgezählt wird. Dünnter, Ostfränkisches Reich II?, 367 versteht die Stelle ebenso und nicht anders Ar. ScuuLtE, Geschichte des mittelalterlicehen Handels und Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien I, 76 Anın. 5, wo noch die Urkunde von 775 angezogen wird. Ohne Zusammenhang mit der Straßburger Urkunde, aber in ähnlichen Vorstellungen befangen sagt E. Wınkermann, Kaiser Friedrich II 2, 233 Anm. ı vom Legaten Otto, der 1233 von Brügge nach Dänemark reiste: »Sein Aufenthalt in Brügge 41 < . N n sine 5 zu Scuärer: »Selusas« im Strassburger Zollprivileg von 831. 579 weist darauf hin, daß er sich in Sluis, dem großen Emporium für den Norden, einschiffte«, und Keutezn, der in seinen Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte S.40 (1901) auch noch das Privileg von 775 abdruckt, übersetzt im Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 1904 nach der Formula: »Quentowie, Sluis und Duurstede«. Die Wahrheit ist, daß sich Sluis unter diesem Namen vor dem 14. Jahrhundert nicht nachweisen läßt, und daß es überhaupt als Ort wenig älter ist, schwerlich in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts hinaufreicht. Der Nachweis könnte eigentlich mit einem bloßen Verweise ge- führt werden. Da aber gegen denkbare Einwände einiges zu bemerken, auch einige Ergänzungen vorzunehmen angezeigt erscheint, so mag hier doch etwas näher auf die Sache eingegangen werden. GILLIODTS-VAN SEVEREN, der fleißige Stadtarchivar von Brügge, hat nämlich in der Coutume de la ville de Sluis (Coutumes des Pays et Comte de Flandre. Quartier de Bruges. Coutumes des petites villes et seigneuries enclavees IV, 499 fl., Brüssel 1892) das entscheidende Material zusammengestellt. Wir erfahren, oder richtiger, es wird uns, da die betreffenden Stücke schon früher veröffentlicht waren, ins Gedächtnis zurückgerufen, daß der später Sluis genannte Ort 1290 und 1293 noch Laminsvliet, Lambinsvliete hieß. Das von GirLioprs- VAN SEVEREN in seinem Inventaire des archives de la ville de Bruges I, S. 27 beschriebene Siegel einer von Schöffen und Gemeinde von Lamminsvliete 1290 Nov. 23 ausgestellten Urkunde trägt die Inschrift: Sigillun seabinorum Lamminsvliete. Die Begründung des Ortes reicht auch nicht viel weiter zurück. GILLIopts-vAN SEVEREN möchte selbst (Introduction, a. a. O. S. 449) ein etwas höheres Alter wahrscheinlich machen und beruft sich dafür auf van der Aa und Warnkönig. Aber unter den Belegen, die van der Aa, Aardrijkskundig Woordenboek der Nederlanden X, 459 beibringt, sind nur zwei älter als 1300, und von diesen gehört der eine aus dem Jahre 1132 gar nicht her, denn der erwähnte Ort ist, wie unten S. 580 nachgewiesen werden wird, nicht Sluis, sondern L£eluse in Frankreich zwischen Douai und Kamerik, und der andre wird dadurch gewonnen, das für den Hafen Zwin, von dem aus nach den Quellen Richard Löwenherz 1194 nach England zurückkehrte, willkürlich der Name Sluis eingesetzt wird.‘ Warnkönig aber teilt zwar (Flandrische Staats- und Rechtsgeschichte IH, Nach- trag S. 55) aus einem späteren, von Pierre d’Estampes herrührenden flandrischen Register des Pariser Nationalarchivs ein Regest einer Ur- ! Vgl. Rogeri de Hoveden Chronica MS. XXVI, 1704; Wilhelmi Neuburgensis Historia Anglicana ebd. 243 3%. 580 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. Mai 1905. kunde von 1237 mit, die von Johanna von Flandern »scabinis et omnibus illis de l’Escelusa« bestimmt ist und eine Bürgschaft verlangt; da aber in sieben anderen dort S. 51 —6ı mitgeteilten und bis ins Jahr 1278 herabreichenden Verzeichnissen von Bürgschaft leistenden tlandrischen Städten Sluis nie genannt ist, wohl aber die Nachbar- orte Damme, Aardenburg und Muiden (St. Anna ter Muiden), die es teilweise ersetzte, so ist mehr als walırscheinlich, daß Lecluse gemeint ist, oder daß auch hier eine Einschiebung des Namens, wie sie noch von allerneuesten Editoren vollzogen wurde, stattgefunden hat. ©s könnte jemand auf den Gedanken kommen, einzuwenden, daß die M.G. H. mehrfach Quellenstellen, die einer früheren Zeit angehören, auf Sluis deuten. Es geschieht das von BETHmAnn zu der Stelle der Genealogia comitum Flandriae VI, 31 (MS. IX, 324*): Willelmus de Lo ex castro dieto Sclus resistens homieidis ...... contra illum (den flan- drischen Grafen Dietrich) est debacchatus (1133). Berumann erklärt: Sluys ad ostia Scaldis, inter Brugge et Vlissingen. Aber HoLper- Esser, der Simonis gesta abbatum s. Bertini Sithiensium herausgab, aus denen (vgl. MS. XII, 606'°) die Stelle der Genealogia entnommen ist, hat Sclus richtig erläutert: L’Eeluse, praefecturae Douai (MS. XII, 659”). Und ebenso erklärt mit Recht KruschH im Register zuMS. XXV, wo (799°) die gleiche Stelle in Johannis Longi chronica s. Bertini wiederkehrt. Es ist die oben (S. 579) berührte Stelle, die van der Aa heranzieht, und die auch Warnkönıe, a.a. O. II, 2, 36 fälschlich auf Sluis deutet. — MS. XVI erklären dann Vater und Sohn Prrrz das in den Annales Cameracenses des Lambert von Waterlos dreimal (510° zu 1102, 515’ zu 1138, 528° zu 1153) vorkommende Sclusa mit Sluis, während es in allen drei Fällen Lecluse ist. Als Kaiser Hein- rich IV. 1102 dem Bistum Kamerik gegen den Grafen Robert von Flandern zu Hilfe zog, eroberte er die flandrischen Grenzfesten Mar- quion, Palluel, Incy, Lecluse, Bouchain, die geschlossen in den Nie- derungen der Scarpe, Sensee und Schelde liegen.‘ Der Name Lecluse erklärt sich zur Genüge noch aus der jetzigen Lage am Westende eines die tiefste Stelle einer lang sich hinstreckenden Niederung bildenden, vier Kilometer langen Sees, an dessen Ostende Palluel liegt, und der durch die Sensee in die Schelde abwässert, hart an der Grenze des Bistums gegen Flandern. Daß der gleiche Ort an den beiden andern Stellen von 1138 und 1153 gemeint ist, ergibt sich aus dem Zusam- menhange als zweifellos. Er kommt auch in den später edierten Bän- den der MS. noch häufig vor, besonders in Gisleberti chronica Ha- 1 Vgl. MS. VII, 50533, 51619, 5355, 5452"; XIII, 223 zu 1ıo2; XVI, 510 zu 1102. Vgl. Gıesegrecur, Deutsche Kaisergesch. III3, 715, 1175. = ScHÄrer: »Sclusas« im Strassburger Zollprivileg von 831. 581 noniensis (XXI, 541" zu 1184, 547" zu 1185, 576" zu 1191), und wird ausnahmslos von den Herausgebern richtig gedeutet." Sluis kennt keine in den MS. gedruckte, der Zeit vor 1300 angehörende Quelle. Die älte- sten Erwähnungen dieses Ortes finden sich dort in den Flores Historia- rum qui Mathei Westmonasteriensis dieuntur (XXVIH, 492°, nicht vor 1307 geschrieben) und in den Annales Lubicenses zu 1323 (XVI, 429”). Die erste Erwähnung von Sluis (Esceluse) überhaupt ist, soweit ich sehe, die in einer Brügger Rechnung von 1303 (Inventaire des arch. de la ville de Bruges I, 166); über das weitere Vorkommen gibt das Ortsregister dieses großen Werkes Aufschluß. In den Hansischen Ur- kunden wird Sluis zuerst in einer Urkunde Eduards Il. von England 1316 erwähnt (Lübeckisches Urkundenbuch I, n. 1046, Hansisches Urkunden- buch II, n. 291), von da an dann häufiger. Die im Lübeckischen Ur- kundenbuch I, n. 741 gedruckte und gegen Ende des 13. Jahrhunderts angesetzte, Sluis nennende Urkunde, sowie die damit zusammenhängen- den I,n. 117; IV, n. ı 1, 12 gehören in die zwanziger Jahre des 14. Jahr- hunderts (vgl. Hansisches Urkundenbuch I, S.177 Anm. 3). Daß im Hansischen Urkundenbuch II, n. 13 (etwa 1302) Sluis genannt wird, ist irreführend; der Herausgeber hat hier diesen Namen willkürlich ein- gesetzt für portus Swenonis (Swin), was die Urkunde selbst hat (vgl. Hanserezesse I, n. 79). Ein besonderes Licht fällt auf das Aufkommen des Namens bzw. den Namenswechsel durch einen Vergleich von Maerlants nicht lange vor 1300 entstandenem Wapene Martijn und seinem ein halbes Jahrhundert später schreibenden Übersetzer Jan Bukelare. Dort heißt es: Waert al dijn, dat comt int Swin, Gout, selver, stael, loet, ijser, tin. Jan Bukelare übersetzt: Lieet tui fore densus Sluse thesaurus immensus.” Es bedarf wohl keiner weiteren Zeugnisse, daß das Straßburger Privileg von 831 nicht an das flandrische Sluis gedacht haben kann. Was ist dann aber mit dem Selusas der Urkunde, dem ad elusas der Formula gemeint? Die Frage ist leicht zu beantworten. Das, was ZrumEr bei der Erklärung des zwei Zeilen vorher in der Formula ! HorLper-EsGer erläutert MS. XXVI, 79439: A Douaco versus meridiem; vgl. XXVI, 207°. 2 Wapene Martiin met de Vervolgen, krit. uitgegeven door E. Verwijs II, 7, S.47; Jacob van Maerlants drie boeken van den Wap. Mart. in het latijn vertaeld door Jan Bukelare, in het lieht gegeven door C.P. Serrure S.53. Auf diese Stelle machte mich Prof. J. N. Murrer in Utrecht aufmerksam. Sitzungsberichte 1905. >6 582 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. Mai 1905. vorkommenden celusas richtig im Auge hat, ein Alpenpaß.‘ Das ist ja in nahezu allen Fällen die richtige Übersetzung dieses Wortes, wenn es in den Quellen der karolingischen und späterer Zeiten vorkommt. Dafür Belege anzuführen, ist überflüssig; sie finden sieh zu Hunderten. Es kann aber auch keinem Zweifel unterworfen sein, welcher Paß ge- meint ist; es ist der über den Mont Cenis. Er ist in diesen Jahrhunder- ten der durchaus übliche Weg nach und von Italien für alle linksrhei- nischen Landstriche und auch für die nördlichen rechtsrheinischen. Damit aber fällt ein helles Licht auf die Handelsbeziehungen der Straßburger. Sie reichen von Italien bis nach England und Dänemark, denn Quentowie ist der Einschiffungsplatz für jenes, Duurstede der für den Norden. >83 Jahresbericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae historica. Von Geh. Reg.-Rath Prof. Dr. OÖ. HoLper - Escer. (Vorgelegt von Hrn. Bruxntr.) De: Centraldireetion der Monumenta Germaniae historica war in den Tagen vom 6. bis 8. April zu ihrer einunddreissigsten ordentlichen Plenar- versammlung in Berlin vereinigt. Es nahmen an der Sitzung des ersten Tages sämmtliche dreizehn Mitglieder Theil, nämlich die HH. Prof. BressLau aus Strassburg, Geh. Justizrath Prof. Brunser, Geh. Ober- Regierungsrath Prof. Koser, Archivrath Krusch aus Breslau, Hofrath Prof. Luscnuin Ritter von EBENGREUTH aus Graz, Prof. von ÖTTENTHAL und Prof. Repricn aus Wien, Geh. Rath Prof. von Rırzrer aus München, Geh. Rath Prof. ScuÄrer, Prof. STEINMEYErR aus Erlangen, Prof. Tansı, der das Protokoll führte, Prof. Zruner und der Verfasser dieses Be- richtes, der noch einmal den Vorsitz zu führen hatte. An den Sitzungen des 7. und 8. April konnte Hr. Scnärer, da er verreisen musste, nicht mehr Theil nehmen. Auf den dem Hrn. Staatsseeretär des Innern am 27. April 1903 erstatteten Bericht über die von der Centraldirection für die Stelle des Vorsitzenden präsentirten Candidaten war von diesem ein Schreiben vom 7. März 1905 eingegangen, in welchem er um weitere Vorschläge ersuchte. Diesem Ersuchen kam die Centraldireetion nach. Im Laufe des Geschäftsjahres 1904 wurden folgende Bände aus- gegeben: In der Abtheilung Auctores antiquissimi: Auetorum antiquissimorum t.XIV. Fl. Merobaudis reliquiae. Blossii Aemilii Dracontii carmina. Eugenii Toletani episcopi carmina et epistulae. Edidit FRIDERICUS VOLLMER. In der Abtheilung Scriptores: Scriptores rerum Germanicarum: Ionae Vitae sanetorum Columbani, Vedastis, Iohannis. Recognovit Bruno Kruscn. 56 584 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 25. Mai 1905. In der Abtheilung Leges: Legum sectio III. Coneilia. Tomi II. pars prior. Bearbeitet von ALBERT W ERNINGHOFF. Vom Neuen Archiv Bd. XXIX, Heft 3 und Bd. XXX, ı. und 2. Heft. Unmittelbar bevor steht das Erscheinen eines weiteren Bandes der Scriptores rerum Germanicarum, Vitae Bonifatü archiepiscopi Moguntini und von Diplomata Karolina t. 1, welche Bände nach Drucklegung dieses Berichts vermuthlich schon ausgegeben sein werden. Ausserdem sind sechs Quart- und zwei Oktav-Bände im Druck. Die Abtheilung Auctores antiquissimi ist mit dem XIV. Bande ab- geschlossen. In der Serie der Scriptores rerum Merovingicarum waren deren Leiter Hr. Archivrath Kruscn und Hr. Privatdocent Dr. Levısox in Bonn wäh- rend des abgelaufenen Geschäftsjahres vornehmlich mit der Bearbeitung und Drucklegung der oben genannten Bände der Seriptores rerum Germa- nicarum beschäftigt, aber auch die Arbeiten für den V. Band der Scriptores rerum Merovingicarum sind so weit gefördert, dass der Druck in diesem Jahre wird beginnen können. Insbesondere liegt das Manuscript der werthvollen alten Vitae Germani Grandivallensis und Wandregiseli fertig vor, die Bearbeitung der Vitae Salabergae und Remacli ist weit vor- geschritten. Hr. Krusc# ist durch die Sorge für seine Gesundheit leider genöthigt, die Arbeiten für diese Serie vom 15. August 1905 bis 31. März 1906 zu unterbrechen. Hr. Dr. Levısox, der auf einer Reise nach England im Sommer 1904 nicht nur für diese Serie, sondern auch für andere Theile der Scriptores gearbeitet hat, hofft nach Voll- endung der ihm übertragenen Ausgaben für den V. und VI. Merovinger- band schon in diesem Jahre der Bearbeitung der Fortsetzung des Liber pontificalis sich zuwenden zu können. Ihn verpflichteten folgende HH. durch gefällige Besorgung von Collationen und Mittheilungen zu grossem Dank: Rev. W. J. Enmonps von der Kathedralbibliothek zu Exeter, Geh. Regierungsrath Prof. Keur, Dr. E. GöLLer und Dr. F. SchxEiper vom Königlich Preussischen Historischen Institut in Rom, Prof. H. LeskevE in Paris, Prof. Dr. Mircnsack, Director der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, und Bibliothekar Dr. O. Scuirr in Frankfurt am Main. In der Hauptserie der Scriptores hat der Druck des XXXI. Bandes, der die Chronik des Minoriten Salimbene de Adam von Parma nebst einigen Appendices bringen wird, begonnen und ist so weit vorge- schritten, dass ein erster Halbband, der nur Text, noch ohne Vorrede, enthält, vor Ende des Jahres 1905 ausgegeben werden wird. Das Erscheinen des zweiten Halbbandes kann für das Rechnungsjahr 1906 in Aussicht gestellt werden, sofern es mir möglich sein wird, die 4 O. Horver-Esser: Monumenta Germaniae historica. Jahresbericht. 585 Arbeit dafür ohne Störung fortzusetzen. Einen Dienst, welcher nicht hoch genug geschätzt werden kann, hat der Präfeet der Biblioteca Apostolica Vaticana, Hr. Franz Eurte S.J., der Centraldireetion und dem Heraus- geber erwiesen, indem er diese Ausgabe so unterstützte, dass es ermög- licht wurde, eine, soweit es in menschlichen Kräften steht, völlig genaue Wiedergabe des vielfach äusserst schwierigen, ganz von des Verfassers eigenerHand geschriebenen Codex zu veröffentlichen. Hr. Dr. F.GÜTErBocK verpflichtete den Bearbeiter zu grossem Dank, indem er eine Abschrift der Salimbene-Chronik aus dem 16. Jahrhundert untersuchte. Zwar stellte sich heraus, dass die Originalhandschrift schon damals, als die Abschrift gemacht wurde, genau die zahlreichen bedauerlichen Lücken durch herausgerissene Blätter hatte wie heute, aber eine Stelle, die heute durch Reagenz -Tinctur so verdorben ist, dass sie nicht mehr vollständig lesbar ist, konnte nach der Abschrift doch ganz hergestellt werden. Der am 1. April 1904 eingetretene Mitarbeiter Hr. Dr. B. Scnmeiprer leistete bei den Correcturen für den XXXN. Band Hülfe, besorgte einige Ab- schriften aus Handschriften, so für die Ausgabe der Annales Mettenses oder für spätere Benutzung, und hatte die Chronik des süditalischen Cistereienserklosters S. Maria de Ferraria, die dem verstorbenen Mit- arbeiter Dr. K. A. Krur früher übertragen war, quellenkritisch und sachlich zu bearbeiten. Die Collation der einzigen jungen Handschrift dieser Chronik steht noch aus. Es ist zu hoffen, dass es dem Ab- theilungsleiter möglich werde, diese Vergleichung sowie zahlreiche andere sehr dringende Arbeiten für die italienischen Quellen der Staufer- zeit und manche andere auf einer Reise nach Italien in diesem Jahre zu erledigen. In Übereinstimmung mit vielfach laut gewordenen Wünschen, wie sie z. B. durch ein Schreiben der Württembergischen Commission für Landesgeschichte uns ausgesprochen wurden, gedenkt die Central- direction die handlichen und billigen Ausgaben der Seriptores rerum Germanicarum nach Möglichkeit, d.h. nach Maassgabe der vorhandenen brauchbaren Arbeitskräfte, zu vermehren. Es sind viele Arbeiten für diese Serie in Angriff genommen oder geplant. Das Manuseript der Annales Mettenses priores hat der Herausgeber, Hr. Geh. Hofrath Prof. von Smsox zu Freiburg im Breisgau, schon vor Ende des Jahres 1905 eingesandt; es ist jetzt im Druck. Die sehr er- wünschte Ausgabe wird nach zwei bis drei Monaten erscheinen. Dem älteren Text der Handschrift von Durham werden die Abweichungen und Zusätze der jetzt in Berlin befindlichen, ehemals Cheltenhamer, Handschrift beigegeben. Neue Auflagen von Einhardi Vita Karoli Magni und Nithardi historiae müssen besorgt werden, da die Exemplare der früheren Auf- 586 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. Mai 1905. lagen vergriffen sind. Für die Vita Karoli ist viel Arbeit nicht auf- zuwenden, da der von G. Waıtz hergestellte Text ohne Änderung wiederholt werden kann. Hr. Landesarchivar Dr. Breruorz in Brünn, der die Neubearbeitung der Chronik des Cosmas von Prag übernommen hat, ist bedauerlicher Weise im vergangenen Jahre von schwerer Krankheit befallen worden, die ihm fast ein halbes Jahr lang die Arbeit unmöglich machte. Daher kann der Beginn des Druckes noch nicht in Aussicht gestellt werden. Das überaus complicirte Handschriftenverhältniss veranlasste den Be- arbeiter auch noch jüngere Handschriften mehr heranzuziehen. Die Bearbeitung der Chronik Ötto’s von Freising, welche von Grund aus neu gestaltet werden muss, hat der am ı. April 1905 ein- getretene Mitarbeiter Hr. A. Hormeısrer übernommen und ist jetzt mit der Collation der ältesten Handschriften beschäftigt. Den Druck der Annales Marbacenses und anderer kleinerer Elsässi- schen Annalen gedenkt Hr. Prof. Brocn in Rostock in den Sommer- ferien dieses Jahres zu beginnen und bald zu beenden. Hr. Prof. Unuımz in Graz hat im Herbst voriges Jahres für die Ausgabe der Annales Austriae in den Stiftern Lilienfeld und Melk ge- arbeitet, wo er sich der liebenswürdigsten Aufnahme von Seiten der hochwürdigsten HH. Prälaten Jusrın Panscmapg und ALEXANDER KARL und der freundlichsten Unterstützung durch die hochwürdigen HH. Bibliothekare P. TneogaLn WreA und Dr. RupoLr ScHACHINGER zu er- freuen hatte. Sonst konnte er, durch seine Amtsgeschäfte verhindert, noch wenig Zeit der Arbeit widmen, hofft jedoch sie in diesem Jalıre mehr fördern zu können und wird zu dem Zweck eine neue Reise nach Melk und St. Pölten unternehmen. Für dieses Geschäftsjahr ist in den Scriptores rerum Germanicarum auch der Druck der Monumenta Reinhardsbrunnensia in Aussicht ge- nommen, welche die werthvollen Theile der Cronica Reinhards- brunnensis und die Schrift De ortu prineipum Thuringiae (Historia brevis prineipum Thuringiae), d. i. den allein erhaltenen Auszug der in Reinhardsbrunn verfassten wichtigen Quellenschrift, u. A. enthalten werden. Der Druck des Liber certarum historiarum des Abtes Johannes von Vietring ist dadurch verzögert worden, dass der Herausgeber, Hr. Dr. F. SchnEiDEr, am 1. Juli 1904 aus seinem Verhältniss als Mitarbeiter der Monumenta Germanide historica schied und an das Kgl. Preussische Historische Institut in Rom überging, doch ist zu hoffen, dass das Manuseript, von dem sich ein grosser fertiggestellter Theil in den Händen des Abtheilungsleiters befindet, bald vollständig vorliegen wird, und dass der Druck dann beginnen kann. Ei OÖ. HorLper-EsgEer: Monumenta Germaniae historica. Jahresbericht. 587 Von seiner Mitwirkung bei der Ausgabe der noch unedirten Chronik des Cremoneser Abtes Albert de Bezanis ist Hr. Prof. Karı Wesck in Marburg zurückgetreten und hat den von ihm abge- schriebenen Theil des Werkes der Centraldireetion zur Verfügung ge- stellt. Die Ausgabe ist im Wesentlichen fertig, es ist nur noch wünschenswerth, gewisse Theile noch einmal mit der erhaltenen Öriginalhandschrift in Rom zu vergleichen, ehe sie zum Druck ge- geben wird. Ferner ist für die Seriptores rerum Germanicarum eine neue Aus- gabe der Annales Placentini Gibellini, dieser Quelle allerersten Ranges für die Geschichte des 13. Jahrhunderts, in Aussicht genommen, nachdem Hr. Dr. Levısox auf zwei Reisen 1903 und 1904 die einzige werthvolle Handschrift in London, die aber doch sicher nicht Original des Verfassers ist, verglichen hat. Für den VI. Band der Deutschen Chroniken hat Hr. Prof. SEEmüLLer in Innsbruck den Text der sogenannten Hagen-Chronik vollendet. Deren Verfasser kennen wir nicht, sie muss daher unter ihrem wahren Titel als Österreichische Chronik von den 95 Herrschaften heraus- gegeben werden. Der Druck hat begonnen, und das Erscheinen des Bandes ist im Jahre 1906 zu erwarten. — Hr. Privatdocent Dr. GEBHARDT in Erlangen hat erst gegen Ende des vorigen Berichtsjahres die Arbeiten für die Thüringischen Quellen in deutscher Sprache aufnehmen können und hat zunächst die Bearbeitung des Gedichtes von der Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwig III. angefangen. Eben jetzt hat er in Wien die nicht versendbare einzige Handschrift eollationirt. Hr. Privatdocent Dr. Hrısrıch Meyer in Göttingen hofft das Manu- seript der historischen Lieder bis zum Jahre 1300 vor Ende dieses Rech- nungsjahres druckfertig einreichen zu können. Hr. Prof. Rorrne hat die Güte, seine überwachende Thätigkeit sowohl diesem ersten Theil der Sammlung wie auch deren weiterer Fortsetzung zuzuwenden. In den Serien der Abtheilung Zeges, welche Hr. Geheimrath Prof. Brunner leitet, hat Hr. Prof. Freiherr von Scawmp in Wien die Be- arbeitung der Lex Baiuwariorum weiter gefördert, so dass der Beginn des Druckes etwa binnen Jahresfrist erhofft werden kann. Hr. Prof. SECKEL hat die Untersuchung der Quellen, welche dem ersten Buch des Benedietus levita zu Grunde lagen, abgeschlossen und wird dem- nächst ein Verzeichniss dieser Quellen als VI. Studie zu Benedictus im Neuen Archiv geben. Eine knappe Darstellung der Entstehungs- geschichte der Sammlung, ihres Inhalts und ihrer Tendenzen bot er in seinem Artikel Pseudoisidor im XVI. Bande der 3. Auflage der Realeneyelopädie für protestantische Theologie und Kirche. Für die Fortsetzung der Bearbeitung ist zunächst eine Abschrift der soge- 588 Sitzung der philosophisch -hıstorischen Classe vom 25. Mai 1905. nannten Colleetio Hispana-Gallica Augustodunensis aus einer Vatika- nischen Handschrift erforderlich, die beschafft werden soll. Hr. Prof. Taner hat im Sommer 1904 auf einer Reise in Frank- reich das noch fehlende Material für die Placita zum grössten Theil gesammelt. Es bleibt noch ein geringer Rest in Frankreich, München und Österreich zu erledigen, der auf Reisen in diesem Sommer nach- geholt werden soll. Es wird dann der Druck des Bandes gegen das Ende dieses Geschäftsjahres begonnen werden können. Auf der fran- zösischen Reise hatte sich Hr. Prof. Taser des freundlichsten und hülfs- bereiten Entgegenkommens des Conservateurs der Handschriften - Ab- theilung der Bibliotheque nationale Hrn. Hrsreı Omoxnt und der HH. Bibliothekare Dorez und LAver und der Archivare der Archives natio- nales zu Paris, der HH. Archivare der Archives departementales zu Carcassonne, Dijon, Mäcon, Marseille, Montpellier, Nimes, Rodez und Tours, der HH. Stadtbibliothekare zu Dijon, Poitiers und Tours zu erfreuen, denen allen er zu grossem Dank verpflichtet ist. In den Serien der Abtheilung Leges, welche Hr. Prof. Zeuner leitet, hat Hr. Dr. Schwarm den Druck des III. Bandes der Constitutiones et Acta publica, nachdem er am 1. October 1904 seine Stellung am König- lich Preussischen Historischen Institut zu Rom aufgegeben und eine solehe an der Hamburger Stadtbibliothek angenommen hat, so eifrig fördern können, dass der Text dieses Bandes vollständig gesetzt, auch der Druck des IV. Bandes schon begonnen ist. Es fehlen nur noch die Register des III. Bandes, die jetzt von ihm und Hrn. Dr. StEneEL hergestellt werden. Die Vollendung der Ausgabe der Constitutionen bis zum Jahre 1347 durch Hrn. Dr. Schwaın erscheint in nahe abseh- barer Zeit gesichert. Für die Fortsetzung von da an ist der Mit- arbeiter Hr. Dr. StEnser thätig gewesen und hat namentlich die Material- sammlung für die Goldene Bulle fortgesetzt. Dabei hat sich schon herausgestellt, dass neben den bekannten Originalen noch selbständige Überlieferungen zu berücksichtigen sind. Die HH. Dr. H. Hrrrr (Mün- chen), Archivar Dr. Krussex (Köln), Dr. PosATscHer und Dr. J. Prıiesack in Rom haben uns durch gefällige Besorgung von Collationen für die Constitutionen zu Dank verpflichtet. Nachdem der erste Halbband der Coneilia II. ausgegeben ist, hat Hr. Privatdocent Dr. Wermınenorr das Manuscript des zweiten Halb- bandes vollendet, das demnächst zum Druck gegeben werden wird. Hr. Prof. Zrumer selbst war leider durch ein Augenleiden im Winterhalbjahr in seiner Thätigkeit behindert, hat aber doch unter Hülfe seiner Mitarbeiter die Leitung der ihm unterstellten Serien fort- setzen und namentlich auch an den Vorarbeiten für die Lex Salica sich betheiligen können, die Hr. Dr. Kraumer weiter fortgesetzt hat, wobei O. Horver-Esser: Monumenta Germaniae historica. Jahresbericht. 589 er wiederum aus Paris hergesandte Handschriften collationirte. Über die Textgrundlagen hat er in einem Aufsatz im XXX. Bande des Neuen Archivs gehandelt. Die zahlreichen zu Paris befindlichen Hand- schriften der Lex Salica emendata wird er auf einer Reise dorthin in diesem Sommer erledigen, dann auch das für die Placita noch in Frank- reich verbliebene Material aufarbeiten. Für die Diplomata Karolina war das vergangene Jahr nach dem Tode des Hrn. Prof. Müntsacner eine Übergangszeit, in der die Ar- beiten noch nicht in regelmässiger Weise fortgeführt werden konnten. Der Leiter, Hr. Prof. Taner, hat unter Mithülfe des Mitarbeiters Hrn. Dr. Hırscn, der am 1. Juli zu den Diplomata des ı2. Jahrhunderts übertrat, die Register, das Glossar und die Nachträge zum I. Bande der Diplomata Karolina vollendet, deren Drucklegung sich über Er- warten verzögert hat. Der Mitarbeiter Hr. Privatdocent Dr. Lecnxer in Wien war laut dem im vorjährigen Bericht erwähnten Beschlusse der Centraldireetion vornehmlich mit der Fertigstellung der Schluss- lieferung des I. Bandes von Müntsacner’s Karolinger-Regesten be- schäftigt. Auch er ist am ı. April dieses Jahres zu den Diplomata saeculi XII. übergetreten. Erst jetzt wird der Apparat der Diplomata Karolina von Wien nach Berlin übergeführt, am ı. Juni und 1. Juli wird je ein neuer Mitarbeiter bei dieser Serie eintreten, und erst dann werden die Arbeiten für die Urkunden Ludwig’s des Frommen, deren Bearbeitung Hr. Dr. Lecnser schon begonnen hatte, und der späteren Herrscher regelmässig fortgeführt werden können. Der Leiter der Diplomata saeculi XI., Hr. Prof. BressLau in Strass- burg, hat einen Aufenthalt in Italien benutzt, um an einigen Orten für die Urkunden Konrad’s II. nothwendige Arbeiten auszuführen. Unter Mitwirkung seiner Mitarbeiter, von denen Hr. Dr. Hrsser für das ganze Winterhalbjahr 1904/05 und den April dieses Jahres be- urlaubt war, hat er die Bearbeitung der Urkunden Konrad’'s I. so gefördert, dass der Druck des IV. Bandes der Diplomata, der sie ent- halten soll, im Januar dieses Jahres begonnen werden konnte. Er wird regelmässig vorschreiten, so dass das Erscheinen des Bandes für das Ende des Geschäftsjahres 1906 erhofft werden kann. Der Mit- arbeiter Hr. Dr. Wiser hat auf einer Reise nach Österreich, München, Dresden und Donauwörth, Hr. Prof. Bressrau im Herbst in Reims, für die Urkunden Konrad’s I. und Heinrich’s III. gearbeitet. Bis auf wenige Schweizer Stücke sind alle Diplome des letzteren, welche nicht nach Strassburg geschickt werden können, erledigt. Mit der Bear- beitung der Urkunden Heinrich’s III. für den V. Band, die nach Strass- burg gesandt werden, soll gleich nach Wiedereintritt des Hrn. Dr. Hesse begonnen werden. Die auf Scnorr's und andere damit zu- 590 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 25. Mai 1905. sammenhängende Fälschungen bezüglichen Untersuchungen hat Hr. Dr. Wieser im dritten Heft des XXIX. Bandes des Neuen Archivs ver- öffentlicht. Es wurden die Kosten für Beschaffung eines photographi- schen Apparates für diese Serie der Diplome bewilligt. Mit dem 1. Juli 1904 begannen die Vorarbeiten für die Diplome Lothar’s II. und der älteren Staufer-Könige und Kaiser bis 1197 unter Leitung des Hrn. Prof. von OrtextuaL in Wien. Der Mitarbeiter Hr. Dr. Hırscn stellte zunächst ein Empfängerverzeichniss von 1I25—1197 her und begann die systematische Zusammenstellung der Bibliographie für die Urkunden dieses Zeitraumes. Dann wurde mit der Bearbei- tung einzelner Gruppen von Urkunden Lothar’s II. und Konrad’s II. angefangen, deren Originale in Wien benutzt werden konnten, und zwar zunächst mit der der Diplome für Bamberg und Prüfening, deren Originale der Director des Kgl. Bayrischen Reichsarchivs, Hr. Dr. Bau- MANN, gütigst nach Wien senden liess. Der Director des K.K. Haus-, Hof- und Staatsarchivs, Hr. Hofrath WisTter, gestattete gütigst, dass Hr. Dr. Hırscn die Originale in dem vorzüglich ausgestatteten photo- graphischen Atelier des neuen Archivgebäudes photographirte, und dieser hatte sich dabei der gütigen Unterstützung des Vorstandes des Ateliers, Hrn. Dr. V. Krarocuwir, zu erfreuen. Nach Übertritt des Hrn. Dr. Lecnwer zu dieser Serie werden die Arbeiten mit verstärkter Kraft fortgeführt werden können. Die Arbeiten für die Abtheilung Zpistolae, deren Leitung Hr. Prof. Taner provisorisch führte und auch ferner noch vorläufig beibehalten wird, wurden durch das schon erwähnte Ausscheiden des Hrn. Dr. SCHNEIDER schwer gestört, um so mehr, als er die ihm übertragene Bearbeitung der Briefe des Papstes Nicolaus 1. bereits als dritter, nach- dem auch zwei frühere Mitarbeiter ausgetreten waren, überkommen hatte. Jetzt hat die Arbeiten dafür und für die Briefe des Papstes Hadrian’s U. Hr. Dr. Prrers, der am 1. September 1904 als Mitarbeiter eintrat, fortgesetzt. Er wird auf einer Reise nach Italien im Herbst dieses Jahres das handschriftliche Material dafür in Rom vervollstän- digen, dort auch Handschriften der Lex Salica untersuchen bez. be- nutzen und noch andere Arbeiten für die Abtheilung Zeges ausführen. In der Abtheilung Antiquitates sind die zahlreichen und grossen Arbeiten, die Hr. Prof. vox WintErRFELD für die Poetae Latini über- nommen hatte, verwaist, seit er am 1. October 1904 aus seinem Ver- hältniss als Mitarbeiter ausschied und am 5. April d.J. verstarb. Es ist keine Aussicht, in absehbarer Zeit einen geeigneten Bearbeiter für sie zu finden. Um den IV. Band der Poetae Latini, dessen erster Halbband schon im Jahre 1899 erschien, abzuschliessen, wurde be- schlossen, ihm die Gedichte Aldhelm’s, die ebensowohl in den Auctores OÖ. HoLver-Esser: Monumenta Germaniae historica. ‚Jahresbericht. 591 antiquissimi hätten gegeben werden können, als Appendix anzuschliessen. Der Bearbeiter der Gedichte Aldhelm’s, Hr. Prof. Enwarn in Gotha, hat für sie fast alle deutschen, schweizerischen und belgischen Hand- schriften verglichen und gedenkt in diesem Sommer nach England zu gehen, um das handschriftliche Material zu vervollständigen. Die Nekrologien der Diöcesen Brixen, Freising und Regensburg sind für den dritten Band der Neerologia fertig gedruckt. Die Register hat deren Herausgeber Hr. Reichsarchivdireetor Dr. Baunass in München soeben im Manuscript vollendet und zum Druck eingesandt. Der Halb- band wird also bald erscheinen. Für den zweiten Halbband hat der erzbischöfliche Bibliothekar Hr. Dr. Fastumeer in München die Nekro- logien des bayrischen Antheils der Diöcese Passau, von denen eins schon Hr. Reichsarchivdirecetor Dr. Baumann geliefert hatte, vollstän- dig bearbeitet und gedenkt jetzt die des österreichischen Antheils der Passauer Diöcese vorzunehmen. Von dem Neuen Archiv sind in regelmässiger Weise drei Hefte erschienen. Hr. Prof. Steiısuever in Erlangen, der die beiden letzten Bände redigirte, sieht sich genöthigt, um genügende Zeit für eigene grosse Arbeiten zu gewinnen, nach Vollendung des XXX. Bandes, dem er ein Inhaltsverzeichniss der letzten zehn Bände, wie gebräuch- lich, beigiebt, die Redaetion niederzulegen. Diese wird vom XXXI. Bande an der Verfasser dieses Berichtes übernehmen. Von diesem Bande an wird die neue amtliche Orthographie angewendet werden. Bei der Bearbeitung der Nachrichten für das Neue Archiv wurden unsere Mitarbeiter auf der Journal- Abtheilung der Königlichen Biblio- thek hier wiederum in gütigster Weise durch die HH. Bibliothekare Dr. LAur und Prof. WuspErLicH unterstützt. Die Centraldireetion hat mit dazu beigetragen, dass die von der Direcetion der Königlichen Bibliothek zu Dresden geplante Publication der ganzen Thietmar-Handschrift in’s Werk gesetzt werden konnte. Die vorzüglich gelungene Reproduction in Platin- (Matt-) Photographie ist soeben bei der Firma F. & O. Brockmann’s Nachfolger R. Tamme in Dresden erschienen. Die Centraldirection richtete während ihrer diesjährigen Sitzungen Schreiben an Hrn. Leororv Drusste, der kürzlich die lange Zeit mit dem grössten Segen für die Wissenschaft geführte Direetion der Biblio- theque nationale zu Paris niederlegte, und Hrn. Franz Eure, den Präfeeten der Biblioteca Apostolica Vaticana, um diesen Herren ihren wärmsten Dank auszudrücken für die grosse und vielfache Unter- stützung, die sie unseren Arbeiten haben zu Theil werden lassen. Ausgegeben am 8. Juni. 593 SITZUNGSBERICHTE __ 190. xxXVIi. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 25. Mai. Sitzung der physikalisch-mathematischen Qlasse. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. Hr. Hrınerr sprach über die Genauigkeit der Kriterien des Zufalls bei Beobachtungsreihen. Es wird gezeigt, dass man sich für die Angabe der Genauigkeit bei den Vor- zeichenprüfungen und bei den Prüfungen der mittleren Fehlergrösse der mittleren Ab- weichungen bedienen kann, die nach Art des Gauss’schen mittlern zu befürchtenden Fehlers gebildet werden. 594 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 25. Mai 1905. Über die Genauigkeit der Kriterien des Zufalls bei Beobachtungsreihen. Von F.R. HELnERrr. 1. Ba Ausgleichung von Beobachtungsreihen prüft man zum Schluß in bekannter Weise gern die übrigbleibenden Fehler darauf hin, ob sie sich hinlänglich als zufälligen Ursprungs betrachten lassen — namentlich dann wenn es sich um Interpolationsformeln handelt und also Einflüsse vernachlässigter Glieder, überhaupt der Theorie, sich geltend machen können. Meines Wissens ist aber über die Genauig- keit der Kriterien des Zufalls wenig bekannt; für die Vorzeichenfolge existiert eine Wahrscheinlichkeitsuntersuchung von SEELIGER und für die Prüfung des Grades der Übereinstimmung mit dem Gavszschen Fehlergesetz eine solche von Leumans -Fırnes.' Im folgenden will ich zeigen, daß man für die Angabe der Ge- nauigkeit bei den Vorzeichenprüfungen und bei den Prüfungen der mittleren Fehlergröße sich der mittleren Abweichungen bedienen kann, die nach Art des Gauszschen mittleren zu befürchtenden Fehlers unter Voraussetzung eines »geraden« Gesetzes für das Vorkommen der Beob- achtungsfehler gebildet werden. Diese Genauigkeitsmaße zeichnen sich durch Strenge und Einfachheit der Herleitung aus. Bei den Vorzeichen- prüfungen gehe ich allerdings auch auf Wahrscheinlichkeitsbetrach- tungen ein, aber mehr des rein wissenschaftlichen Interesses wegen, da sie zweifellos eine Ergänzung des Überblicks über den Sachverhalt bieten, der hier ein ungewöhnlicher ist, weil die zu betrachtenden Größen eine diskrete Wertreihe mit dem Intervall 2 bilden. Ich setze bei meinen Betrachtungen auch voraus, daß die zu unter- suchende Fehlerreihe in ausreichender Annäherung als eine Reihe wahrer ! H. SEELIGER, Über die Verteilung der nach einer Ausgleichung übrigbleibenden Fehler (Sitzungsber. der math.-phys. Klasse der bayer. Akad. d. W. 1899, Bd. 29). — Lenmann-Fırues, Über wahrscheinlichste Fehlerverteilungen (Astr. Nachr. Bd. 127, Nr. 3043). — Vgl. auch Borıs WeEıngerG, Über die Wahrscheinlichkeit einer Fehler- verteilung (Astr. Nachr. Bd.153, Nr. 3659). Bun... Herserr: Genauigkeit der Kriterien des Zufalls bei Beobachtungsreihen., I95 Fehler e aufgefaßt werden kann. Mit dieser Voraussetzung wird man wenigstens immer beginnen. Zum Schluß werde ich die Frage nach ihrer Berechtigung streifen. 2 2. Die einfachste Vorzeichenprüfung besteht darin, daß man die Summe der Vorzeichen bildet. Bei gerader Fehleranzahl n soll sie nahe an null liegen, denn null ist der Durchschnittswert für unendlich viele Fälle; bei geradem rn ist es auch (wie wir sehen werden) der wahrscheinlichste Wert, bei ungeradem ist dieser wenig abweichend zugleich +I wie —ı. Die Vorzeichenprüfung setzt voraus, daß man es mit gleichartigen und insbesondere gleichsinnigen Größen zu tun hat, wie den Ordinaten einer Kurve, Dreieckswinkeln usw. Nötigenfalls muß man also vorher den gleichen Sinn durch Zeichenwechsel herbeiführen, oder diese Prüfung ganz unterlassen. Bezeichnen wir die Vorzeichen mit V und setzen demgemäß V=-+1ı oder —I, so ist, wie schon bemerkt, die Summe V+YV,+..+V), =s (1) im Durchsehnitt unendlich vieler Wiederholungen der Beobachtungs- reihe gleich null, da für jedes Glied V; gleich viele Fälle mit +ı und- — I zu rechnen sind. Das mittlere Fehlerquadrat der Annahme s=o wird erhalten, indem man den Durchschnittswert der Quadrate der Abweichungen des Wertes s von null für unendlich viele Fälle bildet. Es ist aber s=BV+H2VV, wobei in der Summe der Produkte V;V, die Indexe © und A alle Kombinationen je zweier verschiedener Werte der Zahlen ı...n durch- laufen müssen. Sind aber, wie stillschweigend vorausgesetzt, die Fehler der betrachteten Reihe voneinander unabhängige Größen, so ist be- kanntlich der Durchschnitt jedes einzelnen V;V, gleich null, weil für ein bestimmtes V, das Vorzeichen V; ebenso oft +ı wie —ı sein wird. Da nun ferner V immer gleich ı ist, so folgt als Durchschnittswert von s’ die Größe DEREN (2) 4, ist der mittlere zu befürchtende Fehler der Annahme s = null. Wir haben also das Ergebnis: Vorzeichensumme = null mit dem mittleren Fehler # Vn. | (3) 596 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. 25. Mai 1905. Ist die Vorzeichensumme (abs. gen.) wesentlich größer als Vn (sie kann im Maximum n erreichen), so sind systematisch wirkende Fehlerein- flüsse angedeutet: auch schon dann, wenn s nahe bei Vn liegt. Um dies genauer zu erkennen, betrachten wir das Verteilungs- gesetz der Werte von s, das bei unendlich vielen Wiederholungen der Beobachtungsreihe sich zeigen würde. 3. Die n Werte V, die+1 oder —ı sind, gruppieren sich zu (R+ 1) Werten, deren relative Häufigkeit den Binomialkoeffizienten pro- portional ist: 5: —n —n+2 —Nn+4...+n—4 +n—2 +n Häufigkeit: ı (n), Vol ao (WM (ne I Dies folgt bekanntlich aus der Betrachtung der Entwicklung von (a in welcher Entwicklung der Exponent von t die Größe s, der Koeffizient von t die Anzahl der Fälle, in denen s entsteht, angibt. Bei kleinem 2 kann man die Binomialkoeffizienten direkt aufstellen. Da die Summe aller einschließlich der ı an beiden Enden gleich 2” ist, so ergibt sich leicht die relative Häufigkeit. Für größere n ist ein Näherungsaus- druck für (n); erforderlich. Es ist aber (4) nn! Uns (5) Für die drei rechter Hand stehenden Produkte wendet man die Formel von STIrLIse an: al=Yar-a te tan (6) m 2 127 R Bereits das nächste Glied im Exponenten, 1/360«°, bleibt für den vorliegenden Fall unerheblich. Damit folgt I I Ti F,, (7) (n); = SERERT B SHE: V2r jitz(m jr-'tz wobei I I I F =— — — — log ı2n ı2i ı2m—) Ö Man setzt nun zweckmäßiger für den Augenblick Zınmle =: (9) — Hernerr: Genauigkeit der Kriterien des Zufalls bei Beobachtungsreihen. D97 und erhält I art, MW ee — - R.. V2rA N + N ++ (10) ve er Be Ö Mit Hilfe der bekannten Reihenentwicklung für log (: +) kann man den Nenner in eine Exponentialgröße verwandeln und findet „rt 2 Mi = en: RE (11) V 2#rA mit EN Lee ot 2) Setzt man wieder [vel. (9)]: n=2ıuds=2d=n-—2i, (13) und zieht F,F, in F zusammen, so findet sich: ee (— Ver a I s Sa VE (14) en & & s’ s 5 2n ı2n s 4n* % 3on> “5 En Da, wie bemerkt, die Summe der Koeffizienten ı, (n), usw., vgl. (4), gleich 2” ist, folgt endlich als relative Häufigkeit p(s) der Summe s=n—2i bei n Vorzeichen =ı der Wert: ale a en (15) abgesehen von einem Faktor F, dessen natürlicher Tegiiluns gleich ist dem log F in (14)". Zufolge der Reihenentwicklung von (10) muß |ö| [woa. (23) Dies gibt mit (19) zusammen w-4-ı W* = 0.683 + > [sa oder angenähert IN 770,683 + Eur ey (24) Nre Vn 600 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 25. Mai 1905. Hiermit sind die Werte W* der Tabelle I berechnet. Es zeigt sich, daß die Formeln (22) und (24) praktisch ganz brauchbare Nähe- rungswerte W* für W ergeben. Um die Wahrscheinlichkeit W zu finden, daß die Vorzeichen- summe s zwischen den Grenzen &$ liegt, wo S bei geradem n als eine gerade Zahl, bei ungeradem n als ungerade Zahl angenommen werden wird, hat man mit Benutzung von (16) angenähert S+ı Vzn S+1 2 nn ak N — > [sa Vz erde (25) Hiermit erhält man folgendes Täfelehen, wo als Argument nicht die obere Integralgrenze, sondern (S+ ı)/Vn genommen ist. II. Wahrscheinlichkeit, daß Is| =Sast SEE W er Di Vn Vn 0.1 0.080 1.2 0.770 0.2 0.159 | 1.3 0.806 0.3 0.236 1.4 0.838 0.4 0.311 1.5 0.866 0.5 0.383 1.6 0.890 0.6 0.451 1.7 0.911 0.7 0.516 1.8 0.928 0.8 0.576 1.9 0.943 0.9 0.632 | 2.0 0.954 1.0 0.683 | 2.5 0.988 no 0.729 3.0 0.997 - 1.2 0.770 IstazaBabewr—mor Vn=7, S=13, 80, ist (S+1):Vn = 2 und ® = 0.954. Die Wahrscheinlichkeit, daß |s| größer als 13 ist, beträgt somit I—0.954 = 0.046. Fände sich nun s gleich 15, so ist es also wenig wahrscheinlich, daß nur zufällige Fehlerursachen gewirkt haben. 4. Systematische Fehlerursachen beeinflussen die ebenbehandelte Vor- zeichenverteilung nicht immer ungünstig. Es ist daher notwendig, auch die Vorzeichenwechsel der Fehlerreihe zu untersuchen. Hat man eine Vermutung auf systematische Einflüsse, die von der Zeit oder HeErnerr: Genauigkeit der Kriterien des Zufalls bei Beobachtungsreihen. 601 einer anderen Variablen abhängen, so ordnet man die Beobachtungen nach dieser Variablen. ° Die entstehende Vorzeichenreihe V,,V,...V, wird dann eventuell Anhäufungen von positiven oder negativen Zei- chen aufweisen. Mit f werde die Anzahl der Folgen zweier gleicher Vorzeichen bezeichnet, mit w jetzt die Anzahl der Zeichenwechsel. Dann besteht die Gleichung J-uw=VV,.+VV,+V,V, +... rn: ( n—ıI 19) [o)) — Denn V;V;,, ist +ı für eine Folge, —ı für einen Wechsel. Der Durehschnittswert von f—w für unendlich viele Fälle ist null, da für jedes Produkt V;V;,, auf zwei positive Werte (+1-+1 und —I-—ı) zwei negative (+1-—I und —I--+I) zu rechnen sind. Die mittlere Abweichung des Wertes f—w von null ist die Qua- dratwurzel des Durchschnitts von dem Quadrat des Ausdruckes (26) für unendlich viele Fälle. Dieses Quadrat enthält a—ı Quadrate von der Form V?V?,, und (ra—ı)(a—2) Produkte von der Form V;V},,V:r. bzw. V;V;,,V,V;;., mit A>i+1. Die Quadrate geben zusammen 2 —I, die Produkte verschwinden. Folglich ist die mittlere Abweichung #Vn—ı. Als Ergebnis haben wir daher: Unterschied der Zeichenfolgen f und Zeichenwechsel a f-w = null (27) mit dem mittleren Fehler #Vn—ı. \ Um zu erkennen, wie bei verschiedenen Werten von rn sich die möglichen Werte von f— w verteilen, nehmen wir zunächst der Reihe nach n=2, 3 und 4. Bei n= 2 gibt es 4 verschiedene Werte von f-w, die sich wie folgt verteilen: Vı Vz | f-w | also /-w =-+ı 2mal + +1 | +1 » —ı 2ma. Si en | —I ——] I —I -I -I | +1 Bein= 3 findet sich: Va Va 2 Va f-w | also f-w=+2 2mal +4 +41 +1 +2 | D o 4mal + +41. -1 o » —2 2mal. 4 —I + _2 rt —I —ıI o -—I +40 + o -—I +41 -—1I —2 —I -I + o —I —Yr —iI +2 602 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 25. Mai 1905. Bein=4 wird erhalten: VEIEEVZE VE | J-w | also -—w=+3 2mal +41 4 + + +3 | +1 6mal 4 +4 +1 -ı +1 | —ı 6mal +4 +4 .-I + —ı | —3 2mal. +4 +4 -Iı -—I +1 | a —ı u | —3 ya irn —1I | +1 -—ıI —I —ıI +1 | a ae +1 — ee —ı een Br =) —I +4 -I -I —ıI Pr Ta) +I —Iı u Ser —ı | —ı In Han | Sa a Te +3 Man erkennt, daß durch Hinzutreten eines neuen Fehlers V aus jedem Einzelfalle zwei neue werden, einer mit f—w um ı mehr, der andere mit /—w um ı weniger. Die Häufigkeitszahlen fürn = 3,4,5... bilden sich daher wie die Binomialkoeffizienten durch schrittweise Addition nach dem Schema: n f-u=-5 —4 —3 —2 -ıo +1 +2 +3 +44 +5 2 o 2 2 o Sn nn an 3 F ° 2 4 2 o Häufigkeitszahlen U _- 0... 4 o 2 6 6 2 [6) Se a De Fan 5 2 8 12 8 2 usw. Das sind die doppelten Werte der Binomialkoeffizienten. Das Verteilungsgesetz der f—w nach ihrer Größe berechnet sich also mittels der Binomialkoeffizienten ganz ähnlich wie im vorigen Fall; es ist nur anstatt n überall na—ı einzusetzen. Dies gilt ins- besondere für die Tafeln I und II, wo auch f—w an Stelle von s tritt. Die zugehörigen Formeln (22), (24) und (25) gehen über in folgende: Ist YVn—ı =u-+r, wo u bei geradem n die an Yn—ı nächst- liegende gerade Zahl, bei ungeradem n die nächste ungerade Zahl sein soll und r ein echter Bruch ist, so wird die Wahrscheinlichkeit, daß f—w innerhalb #Yn—ı liegt, angenähert gleich wi = 0.608, OB (28) V4.270(n—1) Ist Vn—ı eine ganze Zahl, so ist diese Wahrscheinlichkeit an- genähert gleich W* —:0:683 ee (29) Vn—ı Hernerr: Genauigkeit der Kriterien des Zufalls bei Beobachtungsreihen. 603 Die Wahrscheinlichkeit, daß f— w zwischen den Grenzen & D liegt, ist angenähert gleich D-+1 Vz(n—1) VB - Tai. (30) Vgl. hierzu auch Tafel I, wo im Argument für n jetzt n—ı und für S nun D zu lesen ist. Da f+w=n-—1 ist, so folgt mit f—w==D auch n--ı , D BDE=——I- Er —, 2 2 zugehörig zu W nach (30); d.h. W ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Anzahl der Zeichenwechsel zwischen den Grenzen — — a liegt. Der wahrscheinlichste Wert von f— w ist bei ungeradem rn gleich null, bei geradem n gleich +ı oder —ı. Die Formel für W stimmt im wesentlichen überein mit SEELIGERS Endformel a.a.0. S.ı5 im Falle m = n; diese Größen m und n sind dann die Hälfte des in (30) vorkommenden Wertes n. Die Entwicklung ist aber eine ganz andere, da SEELIGER zunächst m positive und n negative Fehler voraussetzt und die Häufigkeit der Fälle nach den Permutationen dieser m-+n in eine Reihe gestellten Fehler bemißt. St Im vorhergehenden ist keine Rücksicht genommen auf das Vor- kommen des Beobachtungsfehlers null. Obwohl seine Wahrschein- lichkeit unendlich klein ist, tritt er doch wegen der Abrundung der Zahlenwerte in wirklichen Fehlerreihen nicht selten auf. Da man nun über das Vorzeichen des eigentlichen Fehlerwertes im ungewissen ist, so kann man die Summe s der Vorzeichen und diejenige der Zeichenfolgen und -wechsel /—w zweimal bilden, einmal für positives Vorzeichen und einmal für negatives. Das Mittel beider Annahmen kommt darauf hinaus, in der Vorzeichensumme s für den Fehler null wirklich null zu setzen und ebenso für f—w den Anteil, welchen der Fehler null mit den beiden Nachbarfehlern gibt, zu vernachlässigen. Auf die mittleren Fehler hat der Fehler null überhaupt keinen Einfluß. Er muß nur in n mitgezählt werden. 604 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 25. Mai 1905. 6. Unter den Prüfungen durch mittlere Fehlergrößen ist die nahe- liegendste, die Summe der wahren Fehler e oder was wesentlich dasselbe ist: den Durchschnittswert [e]:n mit Rücksicht auf die Vorzeichen der e, zu bilden. Ist das Gesetz des Vorkommens der e eine gerade Funktion, so wird im Durchschnitt unendlich vieler Wiederholungen der Beobachtungs- reihe [e] = 0, oder es ist die Summe der positiven Fehler gleich der- jenigen der negativen. Das mittlere Fehlerquadrat der Annahme [e] = o ist der Durch- schnittswert von [e]’, d. i. nu’, wenn gleiche Genauigkeit der Beob- achtungen vorausgesetzt wird und #* den Durchschnittswert von e’ für unendlich viele Fälle bezeichnet, so daß näherungsweise Ba lee] 27 (31) ist. Für eine andere Annahme von [e] als gleich null, etwa gleich s, wird das mittlere Fehlerquadrat größer, nämlich gleich ® + nu’. Folglich ist die Annahme s= o die günstigste, sicherste. Wir haben daher als Ergebnis: mit dem mittleren Fehler = uVn (32) oder #V/ee] . Fehlersumme = null | Bemerkenswert ist gegenüber sich hier und da vorfindenden Mei- nungen, daß die Fehlersumme [e] mit wachsendem n einen immer größeren m. F. hat. Man kann also nicht sagen: je größer n, um so genauer ist []]= 0. Wenn man dagegen den Durchschnitt [e]:r be- trachtet, dessen m. F. #u:/n ist, so kann man sagen: je größer n, um so genauer ist [e]:r = o. Liegt der Wert von [e] außerhalb der Grenzen +Y[ee], so hat man Anlaß zu der Vermutung, daß in den e systematische Einflüsse, insbesondere ein konstanter Anteil, enthalten sind, weil diese Grenzen dem Durchschnittswert von [e]’ entsprechen. Auch kann man an- nehmen, daß bei zufälligem Charakter der e die Wahrscheinlichkeit von [e], innerhalb der bezeichneten Grenzen zu fallen, etwa doppelt so groß ist wie für außerhalb, weil bekanntlich eine Summe gleich- artiger Fehler um so genauer Gausz’ Gesetz befolgt, je größer ihre Anzahl ist, und für Gausz’ Gesetz die betreffenden Wahrscheinlich- keiten 0.683 und 0.317 sind. Herner: Genauigkeit der Kriterien des Zufalls bei Beobachtungsreihen. 605 Die Prüfung mittels der Fehlersumme läßt selbstverständlich in dem Falle ganz im Stich, wo keine wahren Fehler e, sondern übrig- bleibende Fehler A aus einer Ausgleichung vorliegen, bei welcher [2] zu null gemacht wurde. 7. Gelegentlich der Bildung von [e] wird man die Summen der Quadrate der positiven und negativen Fehler miteinander ver- gleichen. Bei geradem Fehlergesetz wird man zu erwarten haben, daß sie einander gleich sind; wenigstens entspricht dies dem Durch- schnitt unendlich vieler Fälle. Sind V; die Vorzeichen der g,, so heißt dies, daß VEe+tygt +), =0o (33) anzunehmen ist. Die Genauigkeit dieser Annahme ergibt sich durch Bildung des durchschnittlichen Quadrates der Abweichung der Summe n DV von null. Bezeichnet v* den Durchschnittswert von e*, wofür I man angenähert "= (34) setzen kann, so wird das in Rede stehende Durchschnittsquadrat gleich nv‘; der mittlere Fehler des Ansatzes (33) ist somit #v’Vn. n Eine andere Annahme für >V;e als (33) würde, wie leicht zu finden, einen größeren m. F. haben. (33) ist daher die sicherste Annahme. Hiermit folgt als Ergebnis: Quadratsumme der pos. Fehler = Quadratsumme der neg. Fehler mit dem m. F.+v’Vn oder +V[e]. Liegt der Unterschied beider Quadratsummen außerhalb der mittleren Fehlergrenzen, so ist eine systematisch wirkende Ursache zu vermuten. Denn die Wahrscheinlichkeit, daß eine Abweichung beider Quadrat- summen voneinander innerhalb der mittleren Fehlergrenzen fällt, ist etwa doppelt so groß wie für außerhalb, da eine Summe von gleichartigen Größen der Form V;e um so genauer Gausz’ Gesetz befolgt, je größer ihre Anzahl ist, wenn die g; zufälligen Charakter haben. 606 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 25. Mai 1905. 8. Die in den beiden vorhergehenden Abschnitten behandelten Prü- fungen sind nicht besonders durchgreifend, da systematische Fehler- ursachen häufig die positiven und negativen Fehler gleichmäßig be- einflussen. Bekanntlich sucht man daher den mittleren Beobachtungs- fehler durch verschiedene Gruppierung der Beobachtungen auf mehrfache Art zu bestimmen, so daß etwa vorhandene systematische Einflüsse einerseits möglichst eliminiert werden, andererseits aber wirksam sind. In dieser Beziehung ist besonders erwähnenswert das Kriterium, welches E. Asse angegeben hat.' Man ordnet die Fehler e,---e, nach der Variablen, deren systema- tischen Einfluß man vermutet, und bildet die beiden Quadratsummen A und B wie folgt: Et+2+23+ +, =A (E; Fu &)” Sp (ee ies); SPessse (EsE — 8,)” + (e,— Eon — B B (36) Während nun die systematischen Einflüsse der Variablen in A voll zur Geltung kommen, wird bei B in der Regel (wenn es sich nicht gerade um Einflüsse kurzer Periode handelt) eine teilweise Elimi- nation durch die Bildung der Differenzen der Nachbarwerte eintreten. Nur das letzte Glied (e,—e,) kann hiervon eine Ausnahme machen, wenn die Reihe nicht gerade eine Periode des Einflusses umfaßt. In- dessen behalten wir es zunächst bei, weil es die Formeln vereinfacht. Bei rein zufälligem Charakter der e ist nun der Durchschnitts- wert von A für unendlich viele Wiederholungen der Beobachtungs- reihe gleich nu’, für B dagegen 2nw’. Im Durchschnitt ist also B=2A und die halbe Differenz 0-4" gleich null. Um den mittlern Fehler dieser Annahme zu erkennen, schreiben wir A. =0= 5, +, + Lt: (37) Bilden wir den Unterschied dieses Fehleraggregats mit der An- nahme null, quadrieren und nehmen den Durchschnitt für unendlich viele Fälle, so verschwinden bei geradem Fehlergesetz die doppelten Produkte und es bleibt nu°- u’, d.i. nu‘. Der m.F. ist demnach + u’Vn. Würde man für C einen von null abweichenden Wert annehmen, so würde zu nu‘ noch dessen Quadrat hinzutreten. Die Annahme C=o0 ist somit die sicherste. ! Über die Gesetzmäßigkeit in der Verteilung der Fehler bei Beobachtungsreihen. Jena 1863 (Habilitationsschrift). HELNErRT: Genauigkeit der Kriterien des Zufalls bei Beobachtungsreihen. 607 Als Ergebnis haben wir nun: A—” oder C = null mit dem m. F. £u’Vn; (38) hieraus folgt wegen A = nu* auch Ferner kann man schreiben: Se 8 — null 2n n B (40) mit dem m.-E. ZE-——=. 2Vn } Zugleich zeigt sich, daß nach (33) mit wachsender Anzahl n der Unterschied von A und B/2 keineswegs abnimmt, sondern zunimmt. Erst in der Fassung (39) und (40) tritt bei wachsendem n eine Ab- nahme des Unterschieds der Ergebnisse aus A und B hervor. J Wir modifizieren nun das Asgesche Kriterium dadurch, daß wir bei Bildung von B bzw. C die letzten Glieder weglassen. Es sei also Be _ 4 (a &), (8) +..+(&_, 85) — Br "BE 5, +++ _, Ar 5 ——(*. Der m. F. der Annahme C* — null wird &u’Vn— ı und an Stelle der Formeln (38) bis (40) treten die Formeln: * B Zen, A*— oder C* = null mit dem m. F.#wVn—1ı; B* er (42) 155= u ve ı —nullemitedemaemahseEn PER 2Vn—ı Die Anwesenheit a Fehler wird zu vermuten sein, wenn in den vorstehenden Relationen die m. F. überschritten werden. 608 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 25. Mai 1905. Sind die e zufälliger Natur, so müssen die Abweichungen des Wertes C* (und die von C im Falle des vorhergehenden Abschnitts) vom Durchschnittswert null das Gauszsche Gesetz um so genauer be- folgen, je größer n ist. Denn in der Summe von Gliedern Dasir: sind die einzelnen Produkte in der Mehrzahl unabhängig voneinander: jedes Glied hängt nur mit seinen beiden Nachbargliedern durch ein e zusammen, nicht aber mit allen andern. Je größer n ist, desto mehr muß dieser Zusammenhang zurücktreten und dasjenige Gesetz zum Vorschein kommen, welches bei völliger Unabhängigkeit aller Glieder entsteht, d.i. bei n = 00 das Gauszsche Gesetz. Schon bei mäßig großem n wird dieses eine Annäherung geben. Das zeigt sich auch gleich, wenn man die Durchschnittswerte der 2. und 4. Potenzen von C*, D, und D,, und daraus den ersten der kanonischen Parameter Havusvorrrs (die erste der Halbinvarianten Tieres) bildet: D 3: welche im vorliegenden Falle für die Abweichung von Gausz’ Gesetz maßgebend sind." Dieser Parameter ist umgekehrt proportional 2 — ı und verschwindet für n = ©. Bei zufälliger Natur der e wird man daher näherungsweise die Wahrscheinlichkeit, daß C* innerhalb der mittleren Fehlergrenzen +wVn—ı liegt, doppelt so groß annehmen können, als daß es außerhalb liegt. Dies gilt entsprechend auch für die anderen Ausdrücke in (42), sowie für (38) bis (40). 10. Sind nicht wahre Fehler e, sondern übrigbleibende Fehler A einer Ausgleichung gegeben, und man behandelt sie wie wahre Fehler nach den vorstehenden Formeln, so wirkt der Zwang, den die Ausgleichung in den A ausübt, wie ein systematischer Fehlereinfluß. Die syste- matischen Beobachtungsfehler kann man auf diese Art also nur er- kennen, wenn dieser Zwang gering ist, d.h. im allgemeinen wenn m der Quotient — aus der Anzahl m der bestimmten Elemente und der n Anzahl n der Beobachtungen ein kleiner Bruch ist. Eine Berücksichtigung des Ausgleichungszwanges bei den vor- stehenden Untersuchungen erscheint keineswegs leicht durchführbar; ! F. Hausporrr, Beiträge zur Wahrscheinlichkeitsrechnung. Leipziger Berichte 1901, mathematisch-physikalische Klasse S. 166 ff. — T. N. TuıeLe, Om Jagttagelses- leerens Halvinvarianter. Kopenhagener Verhandlungen 1899, Nr. 3. — T.N. Tuıere, Theory of Observations. London 1903, S. 30— 35. Hermerr: Genauigkeit der Kriterien des Zufalls bei Beobachtungsreihen. 609 am einfachsten ist sie noch bei der Untersuchung der mittleren Fehler- größen. Man könnte u. a. beim Asseschen Kriterium recht wohl Formeln auf Grund der A aufstellen; im allgemeinen aber werden sie zu kompliziert, als daß sie sich zur Anwendung empfehlen. Wir be- trachten in folgender Nummer ıı nur den einfachen Fall des arithmeti- schen Mittels. Im allgemeinen bleibt immer noch der Versuch, das Material in Teilausgleichungen zu bearbeiten und die mittleren Fehlerquadrate mit dem aus der Gesamtausgleichung folgenden zu vergleichen. Nun ist es aber wieder schwierig, die mittlere Unsicherheit der Unterschiede dieser Werte rechnerisch genau anzugeben. EI Das Assesche Kriterium fürs arithmetische Mittel. Hier ist es zweckmäßig, diejenige Form zu wählen, die sich auf Ausdrücke von der Form A und B* der bisherigen Entwicklungen stützt. Wir setzen also RHRHRH..H+n—=A ] Be ee Ist nun #° der Durchschnitt des wahren Fehlerquadrats «® und also genähert ze nn: (44) so ist bekanntlich aus A’ näherungsweise: El ee: (45) Aus B’ folgt, da allgemein ,— A, = 5;—g; ist: 2 B 2u — Per (46) Man hat daher auch A=P, (47) welche Gleichung streng für den Durchschnitt unendlich vieler Fälle gilt. Drücken wir nämlich die A durch die e aus, so ist bekanntlich el A; — Esera nur und daher B=&E+22+25+ 0 +25_, +8 — 28,8, — 28,8, — ''—28,_,E “n—ı"n) 610 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 25. Mai 1905. also 2[e]’ DA = a, n +223g8&%, E (48) wobei 3g;5;,, für 8, +8,,+'''+8,_,:, gesetzt ist. Hiervon ist der Durchschnittswert gleich null. Zieht man nun die gleichen Fehlerquadrate und Produkte zu- sammen, bildet das Quadrat und dessen Durchschnitt, so folgt als mittleres Fehlerquadrat der Annahme 2A’—B’=o der Ausdruck ne eo (49) N Wenn die e das GAauszsche Gesetz befolgen, so ist zu’ = v*', dem Durchschnitt von e*. Dann verschwindet der zweite Teil in (49). Jedenfalls ist der zweite Teil in (49) klein, und es genügt der erste als Annäherung. Damit folgt: 7} B, A—— =null | 2 (50) mit dem mittleren Fehler #u’Vn—2. \ Mit Rücksicht auf A’= (n—ı)w ergibt sich ferner 24 I —— = —. I = 75 (51) Ebenso wird a B V ——— |) — = null Nn—1I 2(n— 1 Ki (52) mit dem mittleren Fehler &—— —.. \ 2Vn Ein konstanter Fehler der Beobachtungen kann selbstverständlich nicht erkannt werden. 12. Beispiel. Bei einer Reise zur Bestimmung der Schwerkraft mit sogenannten invariablen Pendeln ergaben sich für den Unterschied der beiden nahezu gleichen Schwingungsdauern (0°5) zweier der Pendel Hernerr: Genauigkeit der Kriterien des Zufalls bei Beobachtungsreihen. 611 bei 26 vollen Bestimmungen nachstehende Abweichungen gegen die Anschlußstation in Zehnmillionstelsekunden: —I0+6—14 +5 —-1—- 7—6+2— 2+1—-9 0o—4 +15 —Io— 4+8+2 +14 —II —3 —27 +1 —-II+14 —5. Da die Schwerkraft im Messungsgebiet nur geringen Änderungen unter- liegt, so können diese Größen als gleichartige Fehler angesehen werden. Die Betrachtung der Vorzeichenfolgen und -wechsel sowie die Prüfung nach Asse deuten nun einen systematischen Einfluß an. Die Anzahl der Vorzeichenfolgen f= 7 und die der Wechsel w = 16 geben f—w= —9; der mittlere zu erwartende zufällige Betrag ist aber #V25, d.i. #5. Die Wahrscheinlichkeit, daß |f—w|<5 ist, wird nach (29) gleich 0.780, nach (30) und Tab. II etwas genauer gleich 0.770. f—-w=—-9 ist somit recht unwahrscheinlich, wenn lediglich zufällige Ursachen angenommen werden. Die Quadratsumme der Abweichungen gibt A= 2356 und die Quadratsumme der Unterschiede ihrer Nachbarwerte nach Asse B Di —5020,8, 3,2903. Es ist also B A— Ex = — 607 B B = Der mittlere zufällige Betrag von A— — wird dagegen #u°V 26, d.i. B mit # = 2356/26. = 90.6 gleich #462. Zu | < 462 gehört aber nahezu die Wahrscheinlichkeit 2/3; es ist also recht unwahr- scheinlich, daß der bedeutend größere Betrag 607 lediglich zufälligen Ursprungs ist. Es sei noch bemerkt, daß [e] = — 56 #49, [e]n = — 2.2# 1.9 wird. Dieser Berechnung liegt die Voraussetzung zugrunde, daß das Mittel der Messungen auf der Anschlußstation fehlerfrei sei, was je- doch aus mehreren Gründen nicht ganz zutrifft. Angedeutet wird es schon durch den Unterschied von 5 Einheiten zwischen den Anschluß- messungen vor Beginn und nach Schluß der Reise. Würde man diese beiden Bestimmungen mit in die Reihe aufnehmen und nun das arith- metische Mittel der 28 Bestimmungen zugrunde legen, so würde im übrigen doch das Ergebnis der Betrachtung dasselbe sein, nämlich daß systematische Fehler zu vermuten sind. 612 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 25. Mai 1905. Diese entstehen durch die Veränderlichkeit der Pendel. Die Ver- änderung der Schwingungsdauer der beiden Pendel ist zwar während der Reise nur 5 Einheiten in ihrem Unterschied, einzeln aber 26 und 31 Einheiten, also im Vergleich zu den e beträchtlich. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Veränderungen beider Pendel von Bestimmung zu Bestimmung immer gleich oder annähernd gleich gewesen sind, so daß also hierdurch ein systematischer Einfluß gegeben ist. Auffällig ist dabei allerdings, daß er wie eine Schwankung von kurzer Periode wirkt; doch kann das zufällig sein. 613 Reflexwirkung des Vagusganglion bei Seeschild- kröten. Von H. Kronecker und F. SPALLITTA in Bern. in Palermo. (Aus dem physiologischen Laboratorium der Universität Palermo. Vorgelegt von Hrn. Exgermann am 11. Mai 1905 [s. oben S. 477].) In October 1880 untersuchte der Eine von uns in der Zoologischen Station zu Neapel auf einem Platze der Königlich Preussischen Aka- demie der Wissenschaften zu Berlin die Herznerven von Thalassochelys corticata und theilte folgende Hauptresultate seiner kurzen Untersuchungs- reihe dem damaligen Secretare der physikalisch-mathematischen Classe Hrn. E. pu Boıs-Reymonn mit. 1. Jeder der beiden Vagi vermag den Herzschlag zu hemmen, während A.B. Meyer bei Zmys lutaria nur den rechten Vagus wirk- sam fand. 2. Wenn die Herzkammer, durch gestautes Blut asphyktisch geworden, anstatt vollkommener Systolen nur peristaltische Bewegungen macht, so vermögen die gereizten Vagi diese nicht zu hemmen, während die normal pulsirenden Vorhöfe in Diastole versetzt bleiben. 3. Wenn die Kammer durch Massage ihr Blut erneuert erhielt und hellroth wieder pulsirte, so gewann der Vagus wieder Macht über den Ventrikel wie über die Aurikel. 4. Die Vagi hemmen, wie bei Säugethieren, das durch Accelerans- reizung frequenter pulsirende Herz. 5. Nervenfäden, welche das Ganglion stellatum mit dem Vagus- ganglion verbinden, verhielten sich bei verschiedenen Individuen und auf verschiedenen Seiten des gleichen Thieres verschieden: beschleuni- gend oder verlangsamend. Weszey Mirzs setzte 3 Jahre später diese Versuche in der speciell physiologischen Abtheilung des Physiologischen Instituts der Universität Berlin fort und veröffentlichte die Resultate kurz im Vol. 5 des Journal of Physiology. Später behandelte er, ebenso wie GAsKELL, ausführlich die Anatomie und Physiologie von Reptilienherzen. Sitzungsberichte 1905. 58 614 Sitzung der phys.-math. Classe v. 25. Mai 1905. — Mittheilung v. 11. Mai. In diesem April — 25 Jahre nach der ersten physiologischen Untersuchung der Herznerven von Seeschildkröten — haben wir, dank Unterstützung der hohen Akademie, diese Versuche in Palermo fortsetzen können. Wir versuchten zuerst die Endvertheilung und Bedeutung der Herznerven, ähnlich wie WooLpriveE und Lomakına durch partielle Ligaturen zu ermitteln. Einmal sahen wir nach Unter- bindung der isolirten Nervenfäden auf der extrakardialen Vorhöfe- kammerbrücke die Kammer dauernd unabhängig von den Vorhöfen pulsiren. Die Vorhöfe machten 12.5 Pulse in ı Minute, die Kammer vollführte zu gleicher Zeit 30 Pulse. Die gereizten Vagi vermochten die Vorhöfe zu hemmen, aber nicht die Kammer. Bei anderen Individuen sahen wir, nach Durchtrennung der Brücke, während Vagusstammreizung das ganze Herz in Diastole verharren. Dabei hemmte Tetanisirung desjenigen Brückenstumpfes, der mit den Vorkammern zusammenhing, das ganze Herz, Reizung des Kammer- endes nur die Kammer. Bei einer Schildkröte hemmte der Vorhofbrückenstumpf das ganze Herz, der Kammerstumpf aber nicht die Kammer. Der Eine von uns (Sparuıtrta) präparirte nunmehr bei mehreren Schildkröten sorgfältig alle Verzweigungen des Vagus, unterhalb seines Ganglions. Wir tetanisirten jeden Faden, unterbanden denselben hierauf in- mitten seines Verlaufes und reizten das periphere, sowie auch das cen- trale Ende. Hierbei fanden wir, dass die meisten Fäden nicht nur centrifugal, sondern auch centripetal hemmende Wirkung auf das Herz ausüben, auch nachdem die Stämme von Vagus und Sympathieus oberhalb ihrer Ganglien durchschnitten waren. Ein dem Recurrensbündel angehöriger Faden war nur centripetal wirksam. Bei geringer constanter Reizstärke hemmten einige Fäden vollkommener als andere; bei manchen war die Reflexwirkung mäch- tiger als die directe. Es genügte ein dünnes centrifugal leitendes Fädchen, um bei direeter Reizung oder vom Vagusstamme aus das Herz in dauernde Diastole zu versetzen. Wenn dieses letzte Fädehen durehbunden war, so blieb die Stammreizung des gleichseitigen Vagus unwirksam, während der andersseitige Vagus noch unvermindert hemmte. Es ist also dem Vagusganglion eine Retlexfunction zuzuschreiben. So wirkt es analog den von N. LaneLey mit großem Erfolge studirten sympathischen Ganglien. Ob auch bei uns »postganglionäre Axonreflexe« eine Rolle spielen, ınuss eine nähere Untersuchung zeigen. H. Kronecker und F. Srarrrvra: Retlexwirkuug des Vagusganglion. 615 Jedenfalls haben wir gefunden, dass auf verschiedenen centri- petalen Wegen der Reiz auf die herzhemmenden Nerven übertragen werden kann. Der Herzvagus zeigt ja auch die charakteristische Eigenheit centripetaler Nerven: dass er auf wiederholte Reize leichter und stärker reagirt als auf einzelne. Palermo, April 1905. Ausgegeben am S8. Juni. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, a, zn 12 . [2 B de 21 Rs 7) PLCIhRN ER a Fehr Myuneien IN fe e- en 14 nr | ’ 0 WON | URTITERTITER) ur Ali MirE Maik se SPY mE i a an-ı- Te ame ji h - fi ’ \“ van Bi. Buy Mn e Bias ur ER Mor [4 NAT } neh rn ug WER "Ir Sneen a re . Be, Ä 2.3 U A ’ er ce") > Sa I m od Ente! near [r3e72legel=[=l- Tele TeISTSIETSISTSLETSIETISTSISTSJSTSITSISTSJETSETSISTSITSJST=EETS1eTzJeT=1T=Jer=JT=lSr=JEr=lSr=lerSlernlerZle Tee SITZUNGSBERICHTE KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. XXIX. 8. Junı 1905. | BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. D Auszug aus dem Reglement für die Redaction der » Sitzungsberichte«. 81. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch- mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. $.2. 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberiehten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welehe nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Secretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Secretar führt die Oberaufsicht über die Redac- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. $6. 1. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $ 41,2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschritten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erfor-lerliche Auflage eingeliefert. ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- Die Akademie versendet ihre -Sitzungsberichte« an diejenigen Stellen, mit denen sie im Sch wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich: die Stücke von Januar bis Apr il in der ersten Häljte des Monats Mai, » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, \ » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres nach ne ellun .de Regist öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. 8. 5. Auswärts werden Correcturen nur auf ee Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. gl. . a ! 1. Der Verfasser einer unter den » Wissenschaftlichen Mittheilungen « abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, ‚darunter der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver- theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Sceeretar angezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- , Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Seeretar weitere 200Exem- plare auf ihre Kosten abziehen lassen En 8 28. 1. Jede zur Aufnahme in die Sitzungsberichte be stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, sowie alle \ Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines‘ ihrem Faehe angehörenden ordentlichen Mitgliedes zul benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder eorme- spondirender Mitglieder direct bei der Akademie oder bei einer der Classen eingehen, so hat sie der vorsitzende Secretar selber oder durch ein anderes Mitglied ZU Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeign 3# scheinenden Mitgliede zu überweisen. rs [Aus Stat. $ 41,2. — Für die Anand bedark es, einer ausdrücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, sobald das Manuseript druckfertig vorliegt gestellt und. sogleich zur Ab eingrun gg Sehrache ro $29. 1. Der revidirende Seeretar ist für den. Inhalt des geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch Ar für die darin aufgenommenen kurzen en der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für di iese wie für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte \aindessi;:% nach jeder Richtung nur die Verfasser veran! dr wortlich. b { Rt 617 SITZUNGSBERICHTE _ 1905. XXIX. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 8. Juni. Gesammtsitzung. Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER. l. Hr. vos Rıcntnoren las »über Art und Alter der Boden- bewegungen im Gebiet des mittleren Yangtszekiang«. (Er- scheint später.) Zweck der Arbeit ist die Untersuchung des Mechanismus der tektonischen Aus- bildung der ostasiatischen Landstaffeln an einem durch den Quereinschnitt eines grossen Stromes besonders lehrreichen Beispiel. Es wird an der Hand des äusseren und in- neren Baues und der Formationsfolge dargethan, dass die Anlage des mittleren Yangtsze und seiner Zuflüsse zwischen dem osttibetischen Bruch und dem Hukwang-Bruch in mesozoischer Zeit geschah und die Arbeit einerseits in der Überwindung der zuneh- menden westlichen Neigung der 730Xm breiten Staffel, andererseits im diagonalen Durchschneiden von Antiklinalen festeren Gesteines bestand. Eine bedeutende Fort- bildung der Bewegungen hat in jüngster Zeit stattgefunden, und noch jetzt senkt sich der Boden am Ostfuss eines jeden der beiden Bruchränder. 2. Hr. Coxnze legte den Jahresbericht über die Thätigkeit des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts im Rech- nungsjahre 1904 vor. 3. Die Akademie hat Ihren Kaiserlichen und Königlichen Hoheiten dem Kronprinzen und der Kronprinzessin des Deutschen Reiches und von Preussen anlässlich Höchstderen Vermählung eine Glückwunsch- adresse durch ihre Seeretare überreichen lassen, deren Wortlaut unten folgt. 4. Die Akademie hat zu wissenschaftlichen Unternehmungen durch die physikalisch-mathematische Classe bewilligt: Hrn. EneLer zur Fortführung des Werkes »Das Pflanzenreich« 2300 Mark; Hrn. Lun- wıe zur Vollendung seiner Monographie der Holothurien des Mittel- meeres 1000 Mark; Hrn. Privatdocenten Dr. Erwın Baur in Berlin zu Untersuchungen an Pfropfbastarden 600 Mark; Hrn. Prof. Dr. Warruer Berer in Dresden zur Fortsetzung seiner geologisch - petrographischen Untersuchung des Hohen Bogens bei Furth im Bayerischen Walde Sitzungsberichte 1905. 59 618 Gesammtsitzung vom 8. Juni 1905. 400 Mark; Hrn. Prof. Dr. Jusıus Bernstem in Halle a. S. zur Fort- führung seiner Untersuchungen an elektrischen Fischen 690 Mark: Hrn. Dr. Max Branckennorn in Halensee zu einer geologisch -stratigra- phischen Erforschung der jüngeren Bildungen im Nilthal und Jordan- thal 4000 Mark; Hrn. Prof. Dr. Maxmırıan Braun in Königsberg i. Pr. zu einer Reise nach Island und eventuell den Faer-Oer zwecks Unter- suchungen an Walen 4000 Mark; Hrn. Prof. Dr. Frreprıcn Dan in Berlin zur Fortsetzung seiner Untersuchung der deutschen Spinnen- fauna 650 Mark; Hrn. Prof. Dr. Huco Grück in Heidelberg zur Heraus- gabe eines Werkes »Biologische und morphologische Untersuchungen über Wasser- und Sumpfgewächse« 640 Mark; Hrn. Prof. Dr. Gustav Kreum in Darmstadt zur Fortsetzung seiner geologischen Untersuchun- gen im Tessinthal 250 Mark; der Assistentin am Zoologischen Institut der Universität Bonn Dr. Gräfin Marıa von Linpen zur Fortsetzung ihrer Untersuchungen über Schmetterlingsfarbstoffe 500 Mark; HH. Prof. Dr. Anorr Lorwy und Privatdocenten Dr. Karr Neugere in Berlin zur Ausführung von Versuchen über die Physiologie der Verdauung 750 Mark; Hrn. Privatdocenten Dr. JuzLıus Meyer in Breslau zu Unter- suchungen über das Atomgewicht des Wasserstoffs 500 Mark; HH. Dr. Frırz Röner in Frankfurt a.M. und Privatdocenten Regierungsratlı Dr. Frırz Scnaupısn in Berlin zur Herausgabe des 4. Bandes der »Fauna Arctica« 1200 Mark; Hrn. Prof. Dr. Ernst ScHELLwıen in Königsberg i. Pr. zur Fortsetzung seiner geologischen Untersuchungen in den Ostalpen 1000 Mark; Hrn. Prof. Dr. Karı. Wersicke in Halle a. S. zur Heraus- gabe des 4. Bandes seines Photographischen Atlas des Gehirns 1000 Mark. 5. Die Akademie hat durch die philosophisch -historische Olasse Hrn. von Wıramowırz- MOELLENDORFF zur Fortführung der Sammlung der griechischen Inschriften 5000 Mark bewilligt. Die Akademie hat das correspondirende Mitglied der philosophisch- historischen Classe Hrn. AnorLr Mussarıa in Wien am 7. Juni durch den Tod verloren. 619 Jahresbericht über die Tätigkeit des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts. Von ALEXANDER ÜONZE. Im Rechnungsjahre 1904 bereitete sich ein für das Institut bedeut- samer Personenwechsel vor, indem der erste Sekretar in Rom, Hr. Pr- TERSEN, zum I. Oktober v.J. um seinen Abschied einkam, auf Ansuchen der Zentraldirektion aber noch bis zum 31. März d. J. im Amte zu ver- bleiben sich bereit finden ließ. Die Sitzung der römischen Zweiganstalt am 31. März war die letzte, in welcher Hr. Prrersen den Vorsitz führte. Der Kaiserliche Botschafter Graf von Monts sprach dem Schei- denden in dieser Sitzung mit Überreichung einer von Seiner Majestät verliehenen Auszeichnung die Anerkennung der Reichsregierung für seine Amtsführung aus. Der ebenfalls anwesende Generalsekretar brachte den Dank der Zentraldirektion zum Ausdrucke. Als Beamter gehörte Hr. Perersen dem Institute seit dem Jahre 1856 an, in welchem er als erster Sekretar nach Athen berufen wurde. Von dort ging er im folgenden Jahre als Nachfolger Wırsern Heszens in die gleiche Stelle nach Rom hinüber. Was er in seiner Institutsstellung wissen- schaftlich dort leistete, daran mögen nur die Namen Lokri, Markus- säule, Ara Paeis Augustae erinnern, auch seines sonstigen Eintretens für die römisch-italischen Aufgaben des Instituts sei gedacht, und wie er mit besonderer Hingebung den Führungen deutscher Gymnasiallehrer bei den Herbstkursen des Instituts sich widmete. Es wird ihm alles unvergessen bleiben. An Hrn. Prressens Stelle trat am ı. April d. J. durch Allerhöchste Ernennung vom 19. Oktober 1904 Hr. Gustav KöRrrtE. Durch den Tod verlor das Institut aus der Reihe seiner Ehren- mitglieder Hrn. von SWENIGORODSKOr (7 schon am 10. November 1903), von seinen ordentlichen Mitgliedern RupoLr GAEDECHENS (7 6. Oktober 1904), WırneLm Guruitr (f 13. Februar 1905), Aucust KALkMANN (F 17. Februar 1905), der dem Institute als Mitarbeiter besonders nahestand, von seinen korrespondierenden Mitgliedern G. von ALTEN (F ı7. April 1904), A. pe Barru£eremy (j 27. Juni 1904), L. Borsarı 59* 620 Gesammtsitzung vom 8. Juni 1905. (+17. November 1904), Marchese G. Erorı (7 August 1904), G. Nico- zuccr (F 15. Juni 1904), J. d. na Sırva Pereira Carpdas, G. Sıxr (+ 2. August 1904) und Emm Szanto (j 14. Dezember 1904). Es wurden zu ordentlichen Mitgliedern ernannt die HH. H. Bır- DERNAGEL-Alexandrien, G. Bonı-Rom, B. C. Bosanguer- Athen, F. Fıra- Madrid, H. Stuarr-Jones-Rom, M. HorreAux-Lyon, jetzt Athen, Aurr. Körrr-Basel und E. Rırreruıns-Wiesbaden. Zu korrespondierenden Mitgliedern wurden ernannt die HH. Tu. Asugy-Rom, D. Hapscampmv- Aidin, Run. Hrrzoe-Tübingen, H. Knackruss-Milet, L. PErnıer - Florenz, H. Scnärer-Berlin, K. Warzmerr-Berlin und G. WourrAu-Metz. Die ordentliche Gesamtsitzung der Zentraldirektion fand statt vom 18. bis 20. April 1904, eine außerordentliche Gesamtsitzung am 12. Juni des Jahres. Die Stipendien für 1904/05 erhielten: das Jahresstipendium für klassische Archäologie die HH. Currıus, Hrrpıne und Köster, das Halbjahrstipendium für Gymnasiallehrer die HH. Mır und Runtanp, das Stipendium für christliche Archäologie Hr. Wırrie. Der Zentraldirektion wurde vom ı. Oktober v.J. an eine verstärkte Hilfe bei den Bureauarbeiten zuteil. Seit Oktober 1891 hatte die Geschäfte in dankenswertester Weise Hr. Rechnungsrat SCHERINGER ver- sehen, neben seinem Hauptamte an den Königlichen Museen. An seine Stelle trat der bisherige Oberfeuerwerker Hr. BureuArpr als Bureauassistent im etatmäßigen Amte. »Jahrbuch« und »Anzeiger« sind regelmäßig erschienen. Die Bibliographie weiterzuführen hatte auch nach seinem Übergange nach Jena Hr. Branpıs sich bereit finden lassen. In Berlin ist als Hilfs- arbeiter bei der Redaktion Hr. Marten eingetreten. — Für ein neues Heft der »Antiken Denkmäler« hat das Material aus den Funden von Thermon in Ätolien und keramischen Fundstücken aus Klazomenai erst kürzlich soweit fertiggestellt werden können, daß an die Reproduktion gegangen werden kann. — Von Hrn. ReısnoLn bearbeitet wurde das Register zu den ersten zehn Bänden des »Jahrbuchs« und des »An- zeigers« herausgegeben. Die Fortsetzung für die folgenden Bände ist sogleich in Angriff genommen. Ein noch verfügbarer Restbestand der Zinsen des Iwanorr- Fonds wurde in Fortsetzung früherer Unterstützung derselben Unternehmung Hrn. RupoLr Hrrzoc-Tübingen bewilligt zur Beendigung seiner Aus- grabung des Asklepiosheiligtums auf Kos. Wirklich ermöglicht wurde die Durchführung der Aufdeckung aber erst durch eine abermalige außerordentliche Beisteuer des Herrn Reichskanzlers und eine gleich ansehnliche Gabe des Hrn. Srmsuıv in Stuttgart, welcher bereits wiederholt für deutsche archäologische Untersuchungen freigebig ein- Conze: Jahresbericht des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts. 621 getreten ist. Ein vorläufiger Bericht über die so auf Kos im vori- gen Herbst erzielten Ergebnisse ist im »Anzeiger« (1905, 8.1 ff.) erschienen. Zu Reisen des Generalsekretars gaben auch im vorigen Jahre die mit Unterstützung der römisch-germanischen Kommission des Instituts erfolgreich fortschreitenden Ausgrabungen der westfälischen Altertums- kommission bei Haltern an der Lippe Anlaß. Der Generalsekretar nahm auch an den Sitzungen der römisch - germanischen Kommission in Frankfurt a. M. und des Vorstands des Zentralmuseums in Mainz teil, reiste im Mai v. J. zu Besprechungen nach Patras und nach Rom, und nahm im Spätherbst an den Ausgrabungen in Pergamon teil. Am letzten Tage des Rechnungsjahres war er in Rom zu der Sitzung des dortigen Instituts, in welcher Hr. PErTErsEn sich von seinem Amte ver- abschiedete. Die von da ab weiter zum internationalen archäologischen Kongresse nach Athen führende Reise fällt bereits in das laufende Rechnungsjahr. Die älteste unter den Serienpublikationen des Instituts, die Samm- lung der »Antiken Sarkophagreliefs«, hat unter der dankenswerten ausdauernden Leitung des Hrn. Rogert ihren Fortgang genommen. Das Material für Band III, 3 ist weiter gesichtet und ergänzt worden, für die Zeichnungen ist in Hrn. DEweErzenv in Halle eine neue Kraft gewonnen. Die Reproduktion der etwa 45 Tafeln des Bandes nimmt jetzt ihren Anfang. Photographien zweier in seinem Besitze befind- licher Sarkophage schenkte Hr. Barnını;: dem römischen Sekretariate, Hrn. Erıexse Micuox in Paris und besonders auch Hrn. Hrusıs in Rom wird mannigfache Förderung des Werks verdankt. Bei der unter Leitung «des Hrn. KekuLE von STRADONITZ stehenden Sammlung der »Antiken Terrakotten« handelt es sich jetzt um die Fertigstellung der zwei Bände der »Campana-Reliefs«, für die neben Hrn. von Ronpen Hr. WInNErFELD tätig gewesen ist. Die Vollendung des ersten Bandes im laufenden Rechnungsjahre erscheint gesichert. Von den im Auftrage der Kaiserlichen Akademie der Wissen- schaften in Wien mit Unterstützung auch seitens des Instituts heraus- gegebenen »Attischen Grabreliefs« ist die 13. Lieferung erschienen, die Fertigstellung der 14. ist durch Störungen in der Druckerei ver- zögert worden. — Für die Fortführung der Herausgabe der »Süd- russischen griechischen Grabreliefs« ist Hr. WATZINGER eingetreten. —- Das Material zur Sammlung und Herausgabe der »Griechischen Grabreliefs Kleinasiens und der Inseln« hat Hr. Prunt in Italien und Deutschland, in London und Paris ergänzt; auch aus Korfu sind noch Photographien eingegangen. Einzelne Abschnitte der Bearbeitung sind für das »Jahrbuch« zum Drucke bestimmt worden. 622 Gesammtsitzung vom 8. Juni 1905. Von anderen Serienpublikationen ist nur zu erwähnen, daß die Unterstützung der Sammlung »Römischer Militärreliefs«e des Hrn. von DomAszEwsKI insoweit auf die römisch-germanische Kommission des Instituts übergegangen ist, daß die germanisch-britannischen Reliefs von da aus zur Herausgabe gebracht werden sollen. Nach Hrn. Hırscnrervs Bericht ist Band IX, 2 der »Ephemeris epigraphica« mit der Abhandlung des Hrn. Zıesarrn über die ältesten Inschriftensammlungen erschienen. Das römische Sekretariat wird die Herausgabe des 19. Bandes seiner »Mitteilungen« binnen kurzem mit dem einen noch fehlenden Heft abschließen. Von Hrn. Hürsens Berichte über römische Topo- graphie (I901— 1904), welcher das erste Heft des 20. Bandes füllen wird, sind bereits drei Bogen gesetzt. Hr. Amezune ist leider behindert gewesen, die Beschreibung der »Skulpturen des Vatikanischen Museums« so zu fördern, wie in Aus- sicht genommen war. Die noch übrige Arbeit läßt es jetzt notwendig erscheinen, dem ersten Bande noch zwei folgen zu lassen. Hr. Mau hat die Ausarbeitung eines dritten Bandes des Real- katalogs der römischen Institutsbibliothek fortgesetzt. Die Sitzungen und die Vorträge beider Herren Sekretare fanden bei reger Beteiligung in gewohnter Weise statt; Hr. Mau erklärte vom 4. bis 13. Juli die Monumente von Pompeji. Ein Kursus für deutsche Gymnasiallehrer fand im vorigen Jahre mit Rücksicht auf den bevorstehenden Personenwechsel im römischen Sekretariate nicht statt. Beide Herren Sekretare benutzten ihre Urlaubsreisen nach Deutsch- land, der eine zum Studium der lehrreichen Vasensammlung im Uni- versitätsmuseum in Bonn, der andere zum Besuche des Römerplatzes bei Haltern. Außerdem wurden nur kleinere Studienaufenthalte inner- halb Italiens in Quinto Fiorentino, in Sinigaglia-Ostra und in mehreren Orten Oberitaliens genommen. Die Bibliothek des römischen Instituts vermehrte sich um 431 Num- mern, wozu die Schenkungen der seit Jahren in ihrer Gunst sich gleich- bleibenden Regierungen und Anstalten erheblich beitrugen. Hr. Hof- kunsthändler Kenpxer in Rom schenkte 24 Blatt Stiche in sehr guten Abdrücken aus Lafreri, Speculum Romanae magnificentiae. Die Biblio- thek besitzt jetzt ein Exemplar dieses Werkes von 110 Blättern. Einzel- geber waren auch die Gräfin Lovarzıuı, die HH. Porzax und Savı- 6Nonı und die Familie TuEopor Monmnsens. Die Weimarische Regierung lieferte die neu erschienenen Bände der großen GorrnE-Ausgabe zur Vervollständigung des von Hermann Grium dem Institute vermachten Conze: Jahresbericht des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts. 623 Exemplars. Für die Hergabe von Dissertationen sind wir allen deut- sehen Universitäten dankbar. Aus dem Barperer-Fonds hat auch im vorigen Jahre eine Anzahl kostspieliger Werke angeschafft werden können. Ferner wurden aus ihm die Photographien seltener Stadtpläne Roms vervollständigt dureh die Aufnahmen des großen Planes von Maser in der Biblioteea Vittorio Emanuele und des Planes des Marıo Karraro nach dem einzigen bisher bekannten Exemplar im Britischen Museum. Die sonstige Photographiensammlung wurde durch 328 Blätter vermehrt. Das Athenische Sekretariat hat von seinen »Mitteilungen« den 29. Band vollendet. Die Redaktion hatte wie bisher der zweite Sekretar Hr. Scnraper. Im Drucke des Gesamtregisters der ersten 25 Bände ist durch längere Abwesenheit des Bearbeiters eine Stockung eingetreten. Der Apparat zur Herausgabe der Akropolisvasenscherben ist nach Würzburg übergeführt, wo Hr. WorTters sich der Bearbeitung zusammen mit Hrn. GrÄr in Jena weiter widmet, wie er auch die Fertigstellung der Herausgabe der Funde aus dem böotischen Kabirenheiligtume in der Hand behält. Die Sitzungen haben, immer mit zahlreichen Besuchern, regel- mäßig stattgefunden, ebenso die Vorträge der beiden Herren Sekretare vor den Monumenten und in den Museen; auch fanden einmal in der Woche abends wissenschaftliche Besprechungen statt. Im Frühjahre v.J. wurden unter Führung des ersten Sekretars Hrn. DörrrELp die schon seit einer Reihe von Jahren üblichen drei Studien- reisen ausgeführt, nach dem Peloponnes, nach den Inseln und nach Troja. Der erste Herr Sekretar benutzte eine Urlaubsreise im Sommer zu Studien im Theater zu Pompeji, gemeinsam mit Hrn. Mav. Der zweite Herr Sekretar übernahm innerhalb Griechenlands die Führung einer auf dem Dampfer des Norddeutschen Lloyd »Schleswig« reisen- den deutschen Gesellschaft, welche reiche Förderung archäologischer Untersuchungsarbeiten gebracht hat. Die wichtigste Ausgrabungsarbeit des Instituts war wiederum die in Pergamon unter Leitung des ersten Herrn Sekretars in Athen, unter Assistenz der HH. Hrrpıme und Sursos, unter Mitwirkung auch des Hrn. KorLse und unter Beteiligung des Generalsekretars, welcher sich besonders der Ordnung der in Pergamon verbliebenen Fundstücke wid- mete. Der ausführliche Bericht wird erst zusammen mit dem eines folgenden Arbeitsjahres erscheinen. Vorläufiges ist in den Athenischen Mitteilungen 1904, S. 386ff. und im Anzeiger 1905, S. 33ff. mitgeteilt worden. 624 Gesammtsitzung vom 8. Juni 1905. Eine kleinere Ausgrabung hat in Tiryns stattgefunden zur Unter- suchung älterer Kulturschichten unter dem Palaste. Es waren hierbei nach Anweisung des ersten Herrn Sekretars die HH. Gurrıus und Hrr- DING tätig. Mit Genehmigung des Instituts hat Hr. Dörrrerp Hrn. Oberleut- nant von Mar£es auf Leukas eingeführt, welcher auf‘ Befehl Seiner Majestät des Kaisers die kartographische Aufnahme von Leukas aus- führen wird. Bei der Bibliothek war im vergangenen Jahre Hr. Lısco als Hilfs- arbeiter tätig. Die Neuerwerbungen beliefen sich auf 166 Nummern, darunter zahlreiche Schenkungen. Sehr erfreulich ist eine zwischen dien verschiedenen fremden Instituten zu Athen getroffene Vereinbarung, nach welcher die Bibliotheken der einzelnen Institute sich untereinander in Kenntnis ihrer Neuanschaffungen halten, um namentlich auch be- sonders kostspielige Werke möglichst nicht an allen Stellen anzu- schaffen, vielmehr das in einer der Bibliotheken vorhandene Exemplar allen Fachgenossen durch Hinweise in den Katalogen zugänglich zu machen. Sehr gewachsen ist die Sammlung von Photographien, Positiven, Negativen und Diapositiven. Von letzteren sind 258 Stück hinzuge- kommen und in den Sitzungen, sowie mit leihweiser Abgabe mehrfach auch außerhalb des Instituts, zu Vorträgen benutzt worden. Die Anzahl der abgegebenen photographischen Kopien stieg im vorigen Jahre auf 4500. Ein Katalog ist soweit gefördert, daß er im laufenden Jahre wird gedruckt werden können. Die römisch-germanische Kommission ordnete ihre Tätig- keit in der Jahressitzung, welche im vorigen Jahre bereits am 4. Januar stattfand. Bei Haltern wurden gemeinsam mit der Altertumskommission für Westfalen die beiden Ostfronten des großen Lagers untersucht und die Ausgrabung im Uferkastell zu einem vorläufigen Abschlusse ge- bracht. Der Bericht erscheint im 4. Hefte der Mitteilungen der Alter- tumskommission für Westfalen. Mit derselben Kommission verband man sich zur Untersuchung der Befestigungsanlage bei Kneblinghausen. Unterstützt wurden Hrn. SoLpans Ausgrabungen vorrömischer Wohn- stätten bei Butzbach, Traisa und Heppenheim in Hessen. Die Kom- mission beteiligte sich bei der vom Direktor des Provinzialmuseums in Trier unternommenen Untersuchung einer ansehnlichen römischen Villen- anlage bei Wittlich. Kleinere Feststellungen erfolgten in der Wetterau. Eine in der Jahressitzung eingesetzte Kommission, bestehend aus den HH. Ranke, ScHUCcHHARDT, Woırr, trat im Oktober in Frank- Conze: Jahresbericht des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts. 625 furt a. M. zusammen, mit Beteiligung auch der HH. Anrnes, Bornvau und Tomas, um sich über Anteilnahme der Kommission an der Er- forschung von Ringwällen, deren drei im Taunus besichtigt wurden, zu besprechen. An einem solchen Ringwalle bei Wirtheim im Spessart unternahm Hr. Tmomas eine Ausgrabung. Hr. OntenscnLaGer arbeitete an dem 3. Hefte der »Römischen Überreste in Bayern«. Hrn. Hrsker wurde zum Zwecke seiner Ver- öffentlichung über römische Fingerringe der Besuch deutscher, hollän- discher, belgischer und französischer Sammlungen ermöglicht. Der von der Kommission herauszugebende »Jahresbericht über die Fortschritte der römisch-germanischen Forschung« ist soweit ge- fördert, daß die erste Herausgabe unmittelbar bevorsteht. Die Handbibliothek der Kommission beginnt zu wachsen, nament- lich auch durch dankenswerte Zuwendungen verschiedener Vereine, die ihre Zeitschriften zur Verfügung stellten, sowie der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, welche das Corpus in- seriptionum latinarum schenkte. Der Direktor der Kommission Hr. DrasEnporrr hat durch zahl- reiche Reisen seine Kenntnis des Arbeitsgebietes sowie seine Be- ziehungen zu den einzelnen Forschern zu erweitern gesucht. Er nahm teil an den Versammlungen des Westdeutschen Verbandes in Mann- heim, der Anthropologischen Gesellschaft in Greifswald, an der des deutschen Gesamtvereins in Danzig und besuchte zu vergleichenden Studien die Sammlungen in Kopenhagen. Schon in den Beginn des laufenden Rechnungsjahres fällt die erste Sitzung des im Herbst v. J. in Hannover neugegründeten Nordwestdeutschen Verbandes von Alter- tumsvereinen, die in Münster stattfand und an welcher der Direktor unserer Kommission sich ebenfalls beteiligte. Der Stadt Frankfurt a. M. gebührt fortdauernd unser Dank für die pekuniäre Unterstützung und sonstige gastfreundliche Förderung, welche sie der Kommission zuteil werden ließ. Wir danken auch dem Verwaltungsrate der Dampfschiffahrts- Gesellschaft des Österreichischen Lloyds und der Direktion der Deut- schen Levantelinie für Begünstigung der Reisen unserer Beamten und Stipendiaten. Sitzungsberichte 1905. 60 626 Adresse an Ihre Kaiserlichen und Königlichen Hoheiten den Kronprinzen und die Kronprinzessin zum 6. Juni 1905. Durchlauchtigster Kronprinz, Gnädigster Kronprinz und Herr! Durchlauchtigste Kronprinzessin und Frau! ulmasn Kaiserlichen und Königlichen Hoheiten gestattet sich die Königlich Preussische Akademie der Wissenschaften ihre ehrfurchts- vollsten Glückwünsche zu Höchstihrer Vermählung darzubringen. In froher Bewegung vernahm vor Jahresfrist das preussische Volk die Kunde, dass auf den Stufen des Thrones die Herzen sich ge- funden, nicht von Erwägungen der Staatsklugheit zusammengeführt, sondern von menschlicher, innerster Neigung zu einander gezogen. Freudige persönliche Theilnahme an solchem Ereigniss zu empfinden und zu bekunden ist Recht und Bedürfniss eines jeden Mannes, einer jeden Frau, die unter den Schwingen des preussischen Aars sich ge- borgen wissen, die durch Verehrung und Treue für das angestammte Hohenzollern-Haus der schirmenden Hut werth bleiben wollen, in die diess hohe Haus auf Preussens Thron alle Güter des Vaterlandes und die Wohlfahrt seiner Bürger genommen hat. Ganz besonders aber empfindet den Beruf und den Drang, ihrer Freude an dem nunmehr besiegelten Lebensbunde Ausdruck zu geben, die Preussische Aka- demie, die, gleichaltrig mit dem Preussischen Königreich, von An> beginn einer bevorzugten Stellung nahe an dem Throne von Preussens Königen gewürdigt ist und alle Vorgänge auf diesem Thron und seinen Stufen aus nächster Nähe mit ihrer ehrfurchtsvollen Theilnahme an Freude und Leid begleiten darf. Freudige, wenn auch zugleich noch heute unsäglich leidvolle Er- innerung wird geweckt, wenn in unser kronprinzliches Haus wiederum eine Tochter des erlauchten, altbefreundeten Fürstengeschlechts ein- zieht, dem die Idealgestalt der preussischen Königinnen entspross. Denn trennt uns auch fast ein volles Jahrhundert von dem Abschluss EEE 2202 Adresse. 627 ihres Erdenwallens, Königin Luise, Ihr Glück und Ihr Leid stehen uns noch heute, zumal für diejenigen von uns, denen Ihr Andenken noch durch das gottbegnadete lange Leben Ihres grossen Sohnes gleich- sam persönlich übermittelt worden ist, in Gedächtniss und Empfin- dung so nahe, als hätte Sie Selbst unter uns gelebt, und unwillkür- lich gestalten sich die Wünsche, die wir für unser durchlauchtigstes Kronprinzenpaar hegen und heute äussern dürfen, zu dem Gebet: möge Glück und Segen, wie sie einmal die Meeklenburgische Prin- zessin in unser Fürstenhaus begleitet, darin aufs neue in gleicher Fülle erblühen, Ihr Leid möge sich in Preussens, Deutschlands Geschichte niemals wiederholen! Ehrfurchtsvollst und treuergebenst Die Königlich Preussische Akademie der Wissenschaften. Ausgegeben am 22. Juni. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. SITZUNGSBERICHTE DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. XXX. XXXL 22. Junı 1905. BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Auszug aus dem Reglement für die Redaction der » Sitzungsberichte«. $1. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch-mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. S2 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welche nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. j Den Berieht über jede einzelne Sitzung stellt der Secretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte. Derselbe Secretar führt die Oberaufsicht über die Redac- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. $ 6. 1. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $41, 2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Une der Mittheilung darf 32 Seiten in Octav in der gewöhnlichen Schritt der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von erfassen: welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklieher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. f 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschritten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- erhalten, so bedarf es der Ce niee er ‚plare SuR ihre Kosten abziehen lassen. I ö wortlich. öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies Rn ‚den gelten- den Rechtsregeln zusteht, 'so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt- Akademie ‚oder der betreffenden | Classe. u R: . ss. 2 x a 5. Auswärts werden Correeturen. nur auf besonderes | Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit N auf Erscheinen ihrer Annan ner, ‚nach ‚acht Tagen. B . ns Se : e 1. Der Verfasser einer unter den „Wissenschaftlichen Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich f fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welche m der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und Kategorie der Sitzung, darunter d Titel der Mittheilung und der "Name des Verfassers. tehen. 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nicht“ über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der re 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied d er Akademie e ist, steht es frei, auf Kosten der Akademi weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von. noch "hundert, auf seine Kosten noch weitere bis. zur Zahl von hundert (im ganzen also 350) zu unentge tlicher Ver- D- theilung. abziehen zu lassen, sofern er ‚diess chtze dem redigirenden Begtgeat angezeigt hat; Bi; Akademie oder der betreffenden Classe. = eieh j erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach ı Te ehtz« Anzeige bei dem redigirenden Seeretar weitere 200 ? > 828. Im ZN 1. Jede zur Aufnahme in die Be be- stimmte Mittheilung muss in eine akademischen S zung vorgelegt werden. Abwesende Mi glieder, sowie Ile Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines ih em Fache angehörenden ordentlichen Mitglie des zu benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger od er eorre- spondirender Mitglieder direet bei der Akademie ‚oder be einer der Classen eingehen, so hat sie der vorsitzende Secretar ‚selber oder durch ei anderes Mitglied zum. Vortrage zu bringen. _ Mitthe n ‚ deren Verfasse d er ; Akademie nicht angehören, ‚hat eı I ‚eig [Aus Stat. $ 41,2. — Für die 1 uf Ani einer ausdrücklichen Genehmigung ‚der Akademi od einer der Classen. Ein darauf gerichtete: Antra; sobald ‚das Manuseript druckfertig vorliegt £ gestellt und sogleich 2 zur a en werden] i Br, 829 . N Oi a 1. Der revidirende Secretar ar ist | a 1 Inhalt des geschäftlichen Theils der Sitzun; ungsberi ichte, jedoch nicht u für die darin aufgenommenen ku ee gelesenen Abhandlungen verantwo ortlich r diese wie für alle übrigen Theile der Sitzungsberiehte si dı fasser v. i nach jeder Richtung nur a Verfass yeran! Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte« an diejenigen Stellen, mit en sie wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlic die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats. Mai » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres BER Fert 0 2 629 SITZUNGSBERICHTE 19%- AÄXX. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 22. Juni. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe. Vorsitzender Seeretar: Hr. Auwers. l. Hr. Branco las über seine gemeinsam mit Hrn. Prof. Dr. E. Fraas in Stuttgart gemachten Untersuchungen über das kryptovulcani- sche Beeken von Steinheim auf der schwäbischen Alb. (Abh.) Die den Klosterberg im Centrum des Beekens bildenden Schichten des Braun- und des Untern Weiss-Jura sind senkrecht um etwa 150" aufgepresst, was auf die Einwirkung eines in der Tiefe befindlichen Laceolithen zurückgeführt wird. Die vul- canischen Erscheinungen des Rieses von Nördlingen, des Vor-Rieses und dieses Stein- heimer Beckens werden in Zusammenhang gebracht und als verschieden geartete Wir- kungen eines ausgedehnten Tiefengesteins betrachtet. 2. Hr. Kırın legte eine Mittheilung des Hrn. Prof. R. Brauns in Kiel vor über eine mit akademischen Mitteln ausgeführte Unter- suchung der zur Diabasgruppe gehörenden Gesteine des rhei- nischen Schiefergebirges. Je nach dem Mineralbestand und dem geologischen Auftreten lassen sich folgende drei Arten von Diabas unterscheiden. Stromdiabas. Hierzu gehört der oberdevonische Deckdiabas, ein gleichartiger aus dem Mitteldevon und der Diabasporphyrit; er ist von Bombenhaufwerken und von Schalstein mit Rotheisenstein begleitet und den Basaltlaven, z.B. vom Aetna, vergleichbar. Intrusiver Diabas. Führt Hornblende oder Biotit im Mitteldevon, ist frei davon im Oberdevon. Struectur divergent strahlig. Gang- diabas. Steht chemisch dem Stromdiabas nahe, gleicht in der Struetur mehr dem in- trusiven Diabas. An diese echten Diabase schliesst sich der olivinreiche Pikrit an, der im Mitteldevon Hornblende führt, im Oberdevon hornblendefrei ist. Sitzungsberichte 1905. 6l 630 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 22. Juni 1905. Die zur Diabasgruppe gehörenden Gesteine des Rheinischen Schiefergebirges. Von Prof. Dr. R. Brauns in Kiel. (Vorgelegt von Hrn. Krrın.) D:. zur Diabasgruppe gehörenden Gesteine des rheinischen Schiefer- gebirges sind auf das Devon beschränkt; im Unterdevon selten, haben sie ihre Hauptverbreitung im Mittel- und Oberdevon. Aus dem Kulm ist echter Diabas bisher nicht bekannt geworden; an dem Bahnhof Herborn tritt zwar zwischen Schichten von Kulmkieselschiefer ein aus Diabasmaterial bestehendes Gestein auf, aber dies ist nicht fester Diabas, sondern ein glasreicher Tuff, vielleicht der letzte Zeuge einer späten, in die Zeit der Ablagerung des Kieselschiefers fallenden schwa- chen Eruption. In dem ganzen Gebiet sind Decken, Intrusivlager und Gänge von Diabas bekannt; Gänge treten vorzugsweise im Ge- biete der Lenne auf, Decken und Intrusivlager sind im Gebiet der Lahn und Dill weit verbreitet. Nach ihrem Auftreten werden Strom- diabase, Intrusivdiabase und Gangdiabase unterschieden. An die eigent- lichen Diabase schließe ich den Pikrit an, weil er zu dieser Gruppe in weiterm Sinne gehört. Stromdiabase. Die mächtigsten und ausgedehntesten Deeken- ergüsse bildet der zu Ende des Oberdevon hervorgebrochene Deck- diabas. Er läßt an vielen Orten die Merkmale eines Obertlächen- ergusses deutlich erkennen, indem die mit tauartigen Wulsten be- deekte ursprüngliche Stromoberfläche noch deutlich erhalten und die Rinde glasig entwickelt ist. Neben diesen gewundenen Oberflächen- formen zeigt der Deckdiabas überall kugelige. Der Durchmesser der Ku- geln beträgt 10 bis über 50 em; sie sind dieht nebeneinandergepackt, sackartig, durch kurzen dicken Hals mit dem Gestein verwachsen; die freie größere Seite ist verhältnismäßig glatt. Ihr Inneres ist von radialen Rissen durchsetzt, die oft von Kalkspat ausgefüllt sind, wodurch eine eigenartige Speichenstruktur hervortritt. / : Be ee R 29 R. Brauns: Diabasgesteine des rheinischen Schieferzebirges. 63 > nn bee] Die glasige Rinde ist immer nur dünn und im ganzen selten gut erhalten; zu den besten Vorkommnissen dieser Art gehört der Diabas von der Schwerspatgrube westlich von Burg bei Herborn und der früher von mir beschriebene Diabas von Homertshausen.' An dieser Stelle und an der Landstraße oberhalb Oberscheld in der Nähe des Nikolausstollens tritt zugleich Variolit in ausgezeichneter Aus- bildung auf; das Gestein besteht hier aus erbsengroßen Kügelchen, die stark verwittert sind und durch eine ebenfalls verwitterte Zwischen- masse nur lose zusammengehalten werden; es gelingt leicht, die Körner für sich herauszulesen. Die Hauptmasse des Gesteins ist recht dicht, nahe der Ober- fläche oft blasig und schlackig, im frischesten Zustand dunkelgraugrün, meist aber durch Oxydation braun. Säulenförmige Absonderung ist hier und da zu schen (an der Bahn oberhalb Oberscheld), aber im ganzen doch nur selten. Der dureh seine ausgezeichnete säulenförmige Absonderung schon dem Theologen Kart Avsusr ÜREDNER aufgefallene Diabas von Niederbiel im Kreise Wetzlar gehört nach gefälliger Mit- teilung des Herrn Prof. Dr. E. Horzarrer, der mit der geologischen Spe- zialaufnahme dieses Gebietes beschäftigt ist, dem Mitteldevon an. Wie dureh seine Oberflächenform, so zeichnet sich der Deck- diabas auch durch seinen Reichtum an Einschlüssen von Kalk- stein vor allen andern Diabasen aus. Die Einschlüsse werden über kopfgroß, und sind im allgemeinen um so größer, je näher der Ober- fläche sie in dem Diabas stecken. Die Hitze des Lavagesteins hat sie offenbar wenig und nur am Rande verändert, Farbe und Ver- steinerungen sind noch erhalten; der Kalk ist durchaus so dicht wie anderer devonischer Kalkstein, nur mag er durch die Hitze zersprengt sein, an der Lavaoberfläche im ganzen weniger als mehr nach dem Innern zu. Stellenweis, z. B. in dem Tälchen zwischen Medenbach und Langenaubach, ist Kalkstein in solchen Mengen eingeschlossen, daß er mit dem Diabas eine förmliche Breceie bildet. Die ursprünglichen Mineralien des Deckdiabases waren Olivin, Augit, Feldspat, Magnet- und Titaneisen, dazu kommt immer mehr oder weniger Glas. Der massenhaft vorhandene Kalk hat auf diese Mineralien stark verändernd eingewirkt und sie mehr oder weniger vollständig verdrängt, wobei dahingestellt sein mag, ob dies schon eingetreten sei, solange das Gestein noch heiß war oder erst später. Die Olivinsubstanz ist völlig verschwunden, und kohlensaurer Kalk ist an ihre Stelle getreten und füllt, wie ein Pflaster in eckigen Körnern U R. Brauns, Mineralien und Gesteine aus dem hessischen Hinterland. Il. Zeitschr. d. Deutschen Geol. Gesellsch. 1339, S. 502. 61* 632 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 22. Juni 1905. aneinander gefügt, die Form aus, bald für sich allein, bald mit erdigem Fisenoxyd, bald zusammen mit Quarz. Der Feldspat ist mit Kalk- spatkörnchen durchspiekt, das ganze Gestein mit kohlensaurem Kalk imprägniert. Ein Deckdiabas, den ich als scheinbar frisch zur Analyse ausgesucht hatte und in dem man mit bloßem Auge kaum Kalkspat erkennen konnte, enthielt 13% Prozent kohlensauren Kalk. Nach drei mir vorliegenden Analysen von Deekdiabas und Variolit kann die Zusammensetzung, nach der von A. Osann! angegebenen Methode berechnet, durch folgende Typenformel ausgedrückt werden: 43.7 Q, 7 14° Trotz der starken Umänderung, die die Bestandteile erfahren haben, tritt immer noch «die nahe Verwandtschaft mit Basalt hervor, auf die der Mineralbestand mit Bestimmtheit hinweist. Unter den von A. Osann' bereehneten Formeln entsprechen unserer am meisten die des Typus Dardanelles (1) und Aetna (2): I. 85.5 da 045 ss 2. 554 An; 05 Ira: An einzelnen Orten wird der Deckdiabas von ausgedehnten und mächtigen Haufwerken von Bomben begleitet, die durch ihre Größe und Massenhaftigkeit immer darauf schließen lassen, daß sich in ihrer Nähe eine Eruptionsstelle befunden hat. Die besten Aufschlüsse be- finden sich dieht am Schelder Eisenwerk bei Niederscheld und dem Steinbruch am Steinbeil bei Oberscheld. Die Bomben sind nuß- bis kopfgroß, jede ist von einer glasigen Rinde umgeben, und sie liegen in einer lockeren, aus Glasfetzen und Kalkspat bestehenden Masse; das Material der Bomben selbst ist das gleiche wie das des Deck- diabases. Die glasige Rinde ist ungewöhnlich reich an großen, in Kalkspat und Eisenoxyd umgewandelten Olivinkrystallen. Unterbrochen werden diese Bombenhaufwerke von festeren, aus Deckdiabas be- stehenden Bänken, und ihr ganzes Auftreten erinnert sehr an die Schlackenberge bei Eich und Nickenich im Gebiet des Laacher Sees, wo ebenfalls festere Lavabänke zwischen den Schlackenmassen auftreten. Nicht zu verwechseln mit diesen Bomben sind kopfgroße Aus- würflinge aus dem oberdevonischen Schalstein der Gegend von Bicken und Oberscheld, auf die E. Kayser” zuerst aufmerksam gemacht hat. Sie bestehen nicht aus Diabasmaterial, sind auch keine Tiefenaus- scheidungen, sondern sind zweifellos Teile von in der Tiefe anstehen- den Gesteinen (Quarzit oder Granit und Kalkstein), die von der Diabas- ! A. ÖOsans, Versuch einer chemischen Klassifikation der Eruptivgesteine. Tscuernars Mineralog. u. petrograph. Mitteilungen Bd. 19, 350. 20, 397- 22, 322 u. 403. ® E. Kayser, Vulkanische Bomben aus nassauischem Schalstein. Zeitschr. der Deutschen Geol. Gesellsch. 1896, 217. ” . ne y ” ” . ».,*+ R. Brauns: Diabasgesteine des rheinischen Schiefergebirges. 633 lava losgerissen sind, durch den Eintluß dieser und der Hitze Ände- rungen erlitten haben und bei der Eruption mit dem Material, das jetzt den Schalstein bildet, an die Luft befördert sind. Mit dem oberdevonischen Deckdiabas stimmen andere, dem Mittel- devon angehörende Diabase petrographisch und chemisch so sehr überein, daß sie ohne Bedenken als gleichartige Deckenergüsse an- gesehen werden können, wenn ihnen auch die charakteristische Strom- oberfläche fehlt. Hierher gehören u. a. die von Fr. Hrimeek' be- schriebenen Diabaslaven und Bomben von der Westseite des Tunnels bei Eisemrot. Aus der von Fr. Hrıneck an frischem Material aus- geführten Analyse berechne ich die Formel: Sy; 42 (45 Iass T,.s6- Wenn so diese Diabase selbst einander gleich sind, so gilt dies auch für ihre Auswurfsmassen: die Bomben und Schalsteine. Die Auswurfsmassen bestehen an manchen Orten aus den vorher schon erwähnten kompakten Bomben, an andern treten die Bomben mehr zurück (Grube » Alte Hoffnung« bei Haiger); meistens bestehen sie nur aus feinem Material, Diabas, Kalkspat und Sedimenten und sind um so mehr umgewandelt, eine je größere Oberfläche sie dem eindringen- den kohlensauren Kalk und den Eisenlösungen boten. Die Menge von Kalkspat ist manchmal außerordentlich groß, das elasreiche Diabasmaterial liegt derart zwischen den Kalkspatkörnern und schmiegt sich diesen so an, daß man zu der Vorstellung gedrängt wird, daß Kalkstein und Asche gleichzeitig in die Luft geblasen und niedergefallen sei. Bei der späteren Verwitterung, vielleicht auch durch eisenreiche Quellen, die nach der Eruption zu Ende des Mitteldevons hervorgebrochen sind, ist der kohlensaure Kalk mehr und mehr ver- (lrängt und Eisenoxyd als Roteisenstein an seine Stelle getreten, auch Schwefelkies und Kupferkies hat sich hierbei gebildet, so daß diese Lagen bald auf Eisenerz, bald auf Kupfererz abgebaut wurden. Zur Zeit hat nur noch der Abbau der Eisenerze Bedeutung. Daß der Rot- eisenstein zum Teil sicher aus Kalkstein hervorgegangen ist, be- weisen die Versteinerungen, die außen aus Roteisenstein bestehen (Ober- scheld) und die Pseudomorphosen von Roteisenstein nach Kalkspat mitten im dichten Roteisenstein (Bieber bei Gießen); daneben mag sehr wohl Eisenerz auch aus Quellen direkt abgeschieden worden sein. An einzelnen Orten ist der Roteisenstein durch Kontakt mit Deckdiabas in Magnet- eisen umgewandelt (Grube Königszug bei Oberscheld), ein Beweis, ! Fr. Hrıneer, Die Diabase an der Bahnstrecke Hartenrod-Übernthal bei Herborn. Neues Jahrb. f. Min. Beil. Bd. XVII, 1903, 77— 162. 634 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 22. Juni 1905. daß er älter ist als dieser; seine Bildungszeit erstreckt sich von dem ' An an- Ausgang des Mitteldevons bis weit in das Oberdevon hinein. deren Orten (Südeingang von Dillenburg) ist Magneteisen mit Deck- diabas so innig verbunden, daß man es eher für eine magmatische Ausscheidung halten möchte. An der Grenze von Deckdiabas gegen den Kulm tritt in dem Gebiet von Dillenburg bis über Biedenkopf hinaus und ebenso im Kellerwald roter Eisenkiesel so häufig auf, daß er gradezu als ein Leitgestein bezeichnet werden kann. Das Gestein erscheint äußerlich dicht oder körnig, rot und weiß geadert, auf Spalten ist hier und da Quarz auskrystallisiert; unter dem Mikroskop erweist es sich in der Haupt- sache aus diesem Mineral bestehend, das regelmäßig begrenzt ist, so- weit es der Raum erlaubte; im Innern und zwischen den feinsten Fugen ist der Quarz von Eisenoxyd imprägniert, das zum Teil staub- förmig fein als Pigment auftritt, zum Teil in kleinen Kryställchen, von denen die dünnsten rot durchsichtig, die dickeren metallisch und un- durehsichtig sind. Wenn ein Teil des ältern, meist quarzführenden Roteisensteins als Quellabsatz angesehen wird, so kann man auch wohl diesen Eisenkiesel als solehen betrachten, und annehmen, daß seine jetzige Beschaffenheit eine Folge allmählicher Umkrystallisation sei. Von dem Deckdiabas und dem genannten mitteldevonischen Strom- diabas unterscheidet sich der früher von mir beschriebene Diabas mit geflossener Oberfläche von Quotshausen?, nach seiner Äußeren Beschaffen- heit wenigstens, recht wesentlich; er stellt einen andern Typus dar, den ich in der gleichen Beschaffenheit bisher nirgends wieder ange- troffen habe. Die Oberfläche ist in so zarte Spitzen ausgezogen und zu so dünnen Seilen gewunden wie niemals beim Deckdiabas. Nahe unter der dichten, glasarmen, hell gefärbten Oberfläche entwickelt sich das Gestein zu divergentstrahligem Diabas, ist frei von Kalkein- schlüssen, enthält keinen Olivin und zeigt keine Andeutung von kuge- lieen Oberflächenformen. Von einem oberdevonischen intrusiven Diabas unterscheidet sich das Gestein nur durch seine geflossene Oberfläche, die es zu einem Deckenerguß stempelt. Zu den Stromdiabasen dürften schließlich auch die ausgesprochen porphyrischen, zur Diabasgruppe gehörenden Gesteine zu rechnen sein, die als Labradorporphyr, Augitporphyr und Diabasporphyr beschrieben sind. Sie treten in der Dillenburger Gegend an der Grenze des obern Mitteldevon zum Oberdevon auf und finden sich zwischen Langenau- bach und Sechshelden und weiter in der Streichrichtung der hier an- ! Lorz, Über die Dillenburger Rot- und Magneteisenerze. Zeitschr. d. Deutschen Geol. Gesellsch. Bd. 54, 1902, S. 139. ® Zeitschr. d. Deutschen Geol. Gesellsch. 1889, S. 4g1. R. Brauns: Diabasgesteine des rheinischen Schiefergebirges. 635 ? [e} >» stehenden Sedimente, fehlen aber dem untern Mitteldevon und obern Oberdevon völlig. Sie sind zuletzt von L. DoErmer' untersucht worden und ich kann mich darauf beziehen; eine vollständige Analyse liegt noch nicht vor. Intrusiver Diabas. Als intrusive Diabase bezeichnen wir die, welche zwischen Sedimenten eingelagert auftreten, keine Stromober- fläche zeigen und weder blasig noch schlackig sind. Wenn sie selbst auch keine Oberflächenergüsse sind, so können sie doch mit solchen in Beziehung stehen und zur Zeit einer Eruption zwischen die älteren Sedimente eingepreßt sein. Der jüngste intrusive Diabas gehört dem Oberdevon an, enthält als nie fehlende Gemengteile Augit, Labrador und Titaneisen, ist körnig, oft grobkörnig und besitzt die typische divergentstrahlige Struktur, die in den grobkörnigsten Arten mehr körniger Struktur Platz macht. Zu den genannten Gemensteilen tritt bisweilen noch (uarz, der dann mit Feldspat mikropegmatitisch ver- wächst, Olivin fehlt dem oberdevonischen Intrusivdiabas so gut wie vollständig, im ganzen ist es ein sehr eintöniges Gestein und meist stark verwittert: der von Fr. Hrıseck beschriebene, durch den Bahn- bau bei Hartenrod aufgeschlossene Diabas zeichnet sich durch besondere Frische und Schönheit aus. Dort konnte man auch gut beobachten, daß das Gestein am Salband dicht war und nach der Mitte zu grober krystallinisch wurde. Fr. Hemecx hat dies ausführlich beschrieben, ich kann hier darauf verweisen. Aus der von Fr. Hrınecx mitgeteilten Analyse eines grobkörnigen Diabases berechne ich die Formel: 556.4 43 O5 Jaes Ng.,- Von den von A.Osann berechneten Analysen steht diesem der Typus Halleberg am nächsten mit der 'Typenformel Se See: Die dem Mitteldevon eingelagerten intrusiven Diabase unterschei- den sich von dem oberdevonischen durch größern Wechsel im Mi- neralbestand und vor allem durch das Auftreten von primärer Horn- blende, die im oberdevonischen völlig fehlt.” Sie bestehen zunächst immer, wie dieser, aus Augit, triklinem Feldspat und Titaneisen. Dazu tritt in den meisten Biotit, in vielen braune und grüne primäre Horn- blende, nur selten Olivin. Titanit scheint auch primärer Gemengteil zu sein. Biotit und Hornblende treten bisweilen so sehr an Menge und ! Lupwıs DoErrmerR, Beiträge zur Kenntnis der Diabasgesteine aus dem Mittel- devon der Umgebung von Dillenburg. Neues Jahrb. f. Mineral. Beil. Bd. XV. 1902, S. 631. 2) ° Vgl. hierüber die obengenannte Arbeit von L. Doerner. 636 Sitzung der physikalisch- mathematischen Classe v. 22. Juni 1905. Größe hervor, daß sie mit bloßem Auge leicht zu erkennen sind und es begreiflich machen, daß diese Gesteine früher als Diorit angesehen wurden. Eine vollständige Analyse eines solchen Diabases aus der Gegend von Dillenburg liegt noch nicht vor. Das am Eingang des Rupbachtales bei Balduinstein anstehende Gestein, das G. T. Prıor zutreffend beschrieben und als Riebeckit-Aegi- rin-Tinguait bestimmt hat!, muß noch genauer, namentlich chemisch untersucht werden; in der von Hırerr” mitgeteilten Partialanalyse er- scheint die Menge der Alkalien im Verhältnis zu der des Feldspats viel zu gering. Mit irgend einem Glied der Diabasgruppe hat das Gestein keine Ähnlichkeit. Der im obern Teil des Rupbachtales durch ausgedehnten Steinbruchsbetrieb aufgeschlossene Diabas ist dagegen ein mitteldevonischer, hornblendeführender Diabas. Gangdiabas. Gangförmig auftretender Diabas ist in der Dillen- burger Gegend bisher nur selten beobachtet worden; um so häufiger ist er im Lennegebiet, wo dafür echte Decken und Intrusivlager viel seltener sind. Das Fehlen von Decken mag eine Folge von Abrasion sein, die Seltenheit der Intrusivlager kann durch das Gefüge der Schichten bedingt sein. Daß in der Dillenburger Gegend Decken so häufig, Gänge so selten sind, ist schwer zu erklären. Ein Grund da- für dürfte wohl darin liegen, daß Gänge wegen der außerordentlich komplizierten Lagerungsverhältnisse nur sehr schwer als solche zu er- kennen sind. Ein gangförmiger Diabas, der im intrusiven Diabas von Harten- rod aufsetzt, ist von Fr. Hrmeck beschrieben worden. Das Gestein ist schwarz, am Salband dicht, in der Mitte mehr porphyrisch, die Mächtigkeit des beobachteten Ganges betrug nur 6 cm. Nach der von Fr. Hriseek mitgeteilten Analyse kann man die Zusammensetzung durch die folgende Formel ausdrücken: Ss4.s Die Zusammensetzung steht hiernach der des intrusiven Diabases näher als der von Deckdiabas. Beobachtungen über die im Lennegebiet in Gängen auftretenden Diabase hat in jüngster Zeit P. Sıcntermann” mitgeteilt. In ihrem ur- sprünglichen Mineralbestand und ihrer Struktur gleichen sie am meisten dem oberdevonischen intrusiven Diabas, in ihrer chemischen Zusam- ! G.T.Prıor, Tinguaites from Elfdalen and Rupbachtal. Mineralog. Magazine, vol. XIII, No. 59, 1901, p. 88. ® Hırser, Neues Jalhrb. f. Mineral. 1879 S. 128. ° P. Sıcmrervann, Diabasgänge im Flußgebiet der unteren Lenne und Volme. Diss. Gießen. 1905. : Ser : 197 R. Brauns: Diabasgesteine des rheinischen Schiefergebirges. 637 mensetzung nähern sie sich mehr dem Deckdiabas. Die Verwitterung verläuft etwas anders als bei diesen, indem der Augit stärker, meist völlig verwittert und an seine Stelle chloritische Substanz getreten ist, die von dunklen feinsten Körnchen bis zur Undurehsichtigkeit durchstäubt ist. Am Salband wird der Diabas feinerkörnig, Magnet- eisen tritt bisweilen in sehr zierliehen Wachstumsformen auf, der Habitus nähert sich mehr dem von Deekdiabas, Olivin aber fehlt den Gangdiabasen, wie es scheint, völlig. Nach der von P. Sıcurermansn mitgeteilten Analyse eines ver- hältnismäßig frischen Diabases mit frischem Augit und divergent- strahliger Struktur (von Höllerhagen bei Wiplingwerde) berechne ich die Formel: Ste Ihe Die Abweichung von der für Deekdiabas und der mitteldevoni- schen Diabaslava oben mitgeteilten Formel ist nur gering. Der Pikrit ist ein dunkles, schwarzgrünes Gestein, für das eine pockennarbige Verwitterungsoberfläche recht charakteristisch ist. Noch mehr wie manchem Diabas fehlen ihm die Merkmale eines Oberflächen- ergusses, es ist niemals blasig oder schlackig, zeigt keine Stromober- tlächenformen und keine porphyrische Struktur. Einschlüsse von Ralk- stein, die in benachbartem Deckdiabas häufig sein können, fehlen ihm völlig; der Gehalt an Kohlensäure ist in dem frischesten, immer aber sehon stark verwitterten Gestein wie in dem Grus, zu den es bei völliger Verwitterung zerfällt, gleich Null. Nie fehlende ursprüngliche, wesentliche Gemengteile sind Olivin, Augit und ein basischer Kalknatronfeldspat. Dazu tritt in dem mittel- devonischen Pikrit' braune und blaugrüne primäre Hornblende, die als wesentlicher Gemengteil dem oberdevonisehen Pikrit” fehlt. Titan- eisen tritt an Menge sehr zurück, Apatit ist nur in sehr vereinzelten Kryställchen vorhanden. Titanit kommt in dem Amphibolpikrit in so großen und scharfen Kryställchen vor, daß man ihn wohl als primär ansprechen darf. Das Gestein ist immer stark umgewandelt, der Olivin ist in aus- gezeichneter Weise serpentinisiert, seltener ist Tremolit aus ihm hervor- gegangen; sein Magnesiasilikat hat sich mit Bestandteilen des Feld- spats vereinigt und ihn ebenso in Adern durchzogen wie den Olivin, so daß er auch unter dem Mikroskop leicht dem suchenden Auge ent- geht. Der Augit hält sich am frischesten; nur hier und da ist ein Kalkeisengranat aus ihm hervorgegangen, an anderen Stellen ist er in ! L. Dorrmer, a.a. 0. S. 596 — 610. ® R. Brauns, Der oberdevonische Pikrit und die aus ihm hervorgegangenen Neubildungen. Neues Jahrb. f. Min. Beil. Bd. XVII, S. 285. 1904. 638 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 22. Juni 1905. Salit, nur an einer Stelle (bei Wommelshausen) durch Kontakt mit einem Diabas in Uralit übergegangen. Auf Spalten, die den Pikrit durchziehen, haben sich die folgen- den Mineralien als Neubildung angesiedelt: die Varietäten von Ser- pentin, Pikrolith, Metaxit und Chrysotil, eine andere Modifikation der Serpentinsubstanz, Radiotin, ferner der wasserreiche und begierig Wasser anziehende Webskyit, faseriger Salit, Kalkeisengranat, selten Eisenglanz, Magneteisen, Apatit, Quarz, Kalkspat und Aragonit. Der oberdevonische Pikrit steht zum Teil mit Deckdiabas in gene- tischer Beziehung, indem er sich ohne merkbaren Übergang in größe- rer Tiefe aus ihm entwickelt; ob dies allgemein gilt und jeder Pikrit zu einem Feldspatdiabas in einer solehen Beziehung steht, muß ich noch dahingestellt sein lassen. Aber auffallend ist jedenfalls, daß in dem tiefern Niveau des Mitteldevons der Pikrit ebenso wie der be- nachbarte Diabas Hornblende führt, die dem oberdevonischen fehlt. Nach der Struktur lassen sich zwei Typen von oberdevonischem Pikrit unterscheiden, ein ausgesprochen körniger Pikrit mit gabbro- ähnlichem Habitus und ein anderer, der Anklänge an porphyrische Struktur zeigt. Pikrite des ersten Typus sind am häufigsten, sie stehen mit Deckdiabas nicht so deutlich in Beziehung wie die anderen, die gabbroähnliche Struktur ist um so deutlicher, je frischer der Feld- spat ist, und Feldspat ist der zuletzt ausgeschiedene Gemengteil. In dem Pikrit des zweiten Typus ist der Augit nach dem Feldspat aus- geschieden, und es ist eine Zwischenmasse vorhanden, die als ehemalige Glasmasse gedeutet werden könnte. Dieser Pikrit entwickelt sieh aus Deckdiabas, indem der Olivin an Menge zunimmt, der Feldspat ab- nimmt, Augit und Feldspat aber die gleiche Entwicklung zeigen. Lokal ist er immer an Deckdiabas gebunden. Aus den vorhandenen Analysen habe ich die folgenden Formeln für die chemische Zusammensetzung der drei verschiedenen Pikritarten berechnet: I. Frischester Pikrit von Wommelshausen, oberdevonisch, gabbroartig. U. Pikrit von Medenbach, oberdevonisch, diabasartig. III. Glimmerführender Amphibolpikrit von Sechshelden, mitteldevo- nisch, gabbroartig. : a C Sz39.3 Ro. Or4 Jr8.3 N Ausgegeben am 29. Juni. SITZUNGSBERICHTE 190. XXXL DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 22. Juni. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. T R Q Vorsitzender Secretar: Hr. Dirrs. l. Hr. Mever las über die Mosesag@en und die Lewiten. Der Sinai ist ein Vulcan in Midian, Jahwe ein Feuergott; der feurige Dorn- busch dagegen liegt bei Qades. Mose gehört nach Qades und ist der Ahnherr der Priesterschaft des hier ansässigen Stammes Lewi. Diese Priester üben, anders als die israelitischen Priester, die Gerichtsbarkeit und sind im Besitz alter Rechtssatzungen, die die Grundlage der späteren Gesetzbücher bilden. Zum Schluss werden die ägyp- tischen Bestandtheile in den israelitischen Traditionen besprochen. 2. Vorgelegt wurde: Deutsche Texte des Mittelalters herausge- geben von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Bd. U. Rudolfs von Ems Willehalm von Orlens herausgegeben von V.Junk. Berlin 1905. 640 Sitzung der philosophisch - historischen Classe vom 22. Juni 1905. Die Mosesagen und die Lewiten. Von EpvAarp MeEYver. |kan gestatte mir, einige Ergebnisse von Untersuchungen zur Sagen- geschichte und Religion des Alten Testaments in knapper Fassung vorzulegen, deren eingehende Begründung ich demnächst in einem grösseren Werke zu veröffentlichen beabsichtige. ı. Für die Ermittelung des Wesens und der eigentlichen Bedeu- tung der Gestalt des Mose kommt seine Jugendgeschichte nicht in Betracht. Das ist bekanntlich eine Sage, die ihre nächsten Parallelen in den Sagen von Sargon von Agade und von Danae und Perseus hat, sodann in der von Tyro und ihren Söhnen Pelias und Neleus in der Form, die ihr Sophokles gegeben hat', entferntere in den Sagen von Kyros, Oedipus, Siegfried, Kr$na und zahlreichen ähnlichen. In der Regel wird einem mächtigen Herrscher der Tod durch den Sohn seiner Tochter verkündet, er sucht sich dagegen zu schützen und lässt ihn aus- setzen, und führt dann eben dadurch, da das Kind wunderbar gerettet wird, schliesslich seinen Untergang herbei. Auch Mose wird gewiss ursprünglich der Sohn der Tochter des Tyrannen (jetzt ist sie seine Ziehmutter) und vermuthlich göttlichen Ursprungs gewesen sein. Der Befehl, ihm das Leben zu nehmen, ist im A. T. zur Ausmalung der Noth der Israeliten verwendet und auf alle Knaben übertragen. Die Königstochter, die ihn rettet und als ihr Kind aufzieht, übernimmt zugleich die Rolle der rettenden Gottheit, die sonst von ihr geschieden ist. Auch der Tod des Tyrannen kann nicht gefehlt haben: hier ist er auf seinen Nachfolger übertragen, der in den Wellen des Schilf- meers zu Grunde geht. Im Exodus ist diese Sage völlig verblasst und historisirt. Es ist aber klar, dass sie ursprünglich mit Mose gar nichts zu thun hat, sondern an diesen nur angesetzt ist, weil er bereits eine anderweitig völlig ausgebildete und gefeierte Sagengestalt war. Dass sie ganz für sich steht, wird dadurch bestätigt, dass alle in ihr enthaltenen Motive ! Wie Trieser, Rhein. Mus. 43, erwiesen hat. ist die Romulussage aus der Tragödie des Sophokles entlelnt. Meyer: Die Mosesagen und die Lewiten. 641 sofort fallen gelassen werden, sobald sie erzählt ist: in Midian ist Mose nicht mehr ein Aegypter und der (adoptirte) Enkel des Pharao, sondern ein israelitischer Hirt; bei den Verhandlungen mit dem König über den Auszug ist von seinen alten Beziehungen mit keiner Silbe die Rede, und eben so wenig von dem Befehl des Pharao, die neu- geborenen Knaben der Israeliten zu tödten. Auch der Heldencharakter, den die Kindheitssage voraussetzt, ist hier völlig geschwunden: Mose ist nur noch der Gottesmann, ein von Jahwe mit übernatürlichen Kräften ausgerüsteter Wunderthäter, sowohl bei den Verhandlungen über den Auszug wie beim Kampfe mit Amaleq; und bei der Katastrophe der Aegypter im Schilfmeer spielt er überhaupt gar keine Rolle: sie voll- zieht sich ausschliesslich durch das unmittelbare Eingreifen Jahwe’s. Von selbständiger Bedeutung ist nur, dass die Sage in Aegypten localisirt und der Tyrann der Pharao geworden ist. Das ist natürlich geschehen, weil sie in die Sage vom Auszug der Israeliten aus Aegypten eingefügt ist; darauf kommen wir am Schluss noch zurück. 2. Schon Werumausen hat nachgewiesen, dass der Sinai ursprüng- lieh mit dem Berg und der Halbinsel, denen wir diesen Namen geben, gar nichts zu thun hat, sondern viel weiter östlich, jenseits des Golfs von Aila, in Midian in Arabien liegt (Segen Mose’s, Deut. 33, 2; De- boralied; Habaquq 3). Eben darum beginnt die echte Mosesage damit, dass er der Schwiegersohn »des Priesters von Midian« ist (J) und seine Herden weidet. Nach der Schilderung der Gesetzgebung auf dem Sinai, Exod. 19, ist dieser aber, wie meines Wissens zuerst: GunkEL ausgesprochen hat, unzweifelhaft ein Vulean. »Und der Berg Sinai stand ganz in Rauch, weil Jahwe im Feuer auf ihn herabgestiegen war; und sein Rauch stieg auf wie der Rauch eines Schmelzofens, und der Berg zitterte gar sehr« erzählt J® Exod. ı9, ı8. Auch E 19, 16 hat diesen Zug bewahrt (dagegen das »Zittern« in sehr charakteristischer Weise vom Berg auf das Volk übertragen); dazu kommt das starke Hörnergetön, das das unterirdische Donnerrollen beim vulcanischen Ausbruch wieder- giebt. Diese Thatsache erklärt sich jetzt sehr einfach; denn das Mi- dianiterland ist voll von alten Vulcanen und Lavafeldern, die sich im nördlichen Arabien von Tebük über Medina bis in die Gegend von Mekka hinziehen. Einer dieser ausgebrannten Vulcane, der vor 3000 Jahren noch in Thätigkeit gewesen sein wird (vergl. den Al- banerberg), wird der Sinai sein.' ! So erklärt sich auch die Sage von Sodom und Gomorrha, die auf die Ent- stehung des Todten Meers erst secundär übertragen ist (Gunker), ursprünglich aber die Vernichtung der Städte durch einen vulcanischen Ausbruch erzählt: sie wird die Entstehung der grossen Lavafelder der llarra’s erklären sollen. 642 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 22. Juni 1905. Den Charakter eines Feuerdämons trägt Jahwe in allen ursprüng- lichen Erzählungen. Dalıer zieht er beim Auszug vor dem Volke einher, bei Tage in einer Wolken-, bei Nacht in einer Feuersäule: der Feuerglanz des Vulcans ist eben nur bei Nacht sichtbar. Zwischen Abraham’s Opferstücken schreitet er, Gen.15,17, bei Nacht in tiefer Finsterniss hindurch »als rauchender Ofen und Feuerfackel«; vergl. auch die Gideongeschiehte Jud. 6 u.s.w. Daher tritt die volle Wirk- samkeit Jahwe’s in den alten Sagen immer nur bei Nacht ein, und daraus erklärt sich zugleich das Unheimliche, Gespenstische und Un- berechenbare seines Wesens, sein plötzliches Losfahren, seine Unnah- barkeit. Aus dem Feuerdämon ist er dann zum Gewittergott geworden (vergl. das Opfer Elia’s, Reg. I 18), der in triefenden Wolken einher- zieht und vor dem die Erde bebt und die Berge wanken, und dann weiter zum Kriegsgott, der mit dem Himmelsheer (den Sternen) seinem Volke zu Hülfe zieht (Jahwe seba’öt). 3. Exod. 3 sind zwei in der Auffassung völlig verschiedene Erzählungen mechanisch in einander geschoben, die sich äusserlich durch den Gebrauch der Gottesnamen Jahwe und Elohim sondern. E ist wie immer von J abhängige, hat aber seine Vorlage absichtlich aufs stärkste geändert. Die Localität ist bei beiden ganz verschieden. Bei E zieht Mose mit der Herde Jetros »über die Wüste hinaus zum Gottesberge Choreb [also unserem Sinail«, und hier offenbart sich ihm Elohim. Bei J dagegen eelanet er zu dem Dornbusch (07), der von einer Wawerlohe umgeben ist, d.h. zu einem Erdfeuer, und erhält hier die Verheissung, dass Jahwe selbst nach Aegypten hinabziehen und sein Volk befreien will. Er soll mit den Ältesten zum König Aegyptens' gehen und fordern, dass er das Volk auf drei Tage zu einem Opferfeste in der Wüste entlasse — natürlich in der vom König auch sofort verstandenen Absicht, alsdann niemals zurückzukehren. Hier ist Jahwe also auch ein Feuergott, aber er wohnt nicht auf dem Sinai, sondern in einem Erdfeuer. Dies befindet sich nach dem mit grosser Wahrscheinlichkeit herzustellenden Zusammenhang von J' auf dem Wege von Midian nach Aegypten’, d.h. in Qades. Wenn Jahwe hier seinen Wohnsitz hat und von hier nach Aegypten ziehen will, so ist es selbstverständlich, dass er, und das Volk mit ihm, hierher zurückkehrt und dass das grosse Opferfest hier gefeiert wird.” ı ,J" sagt nur om» 752; Pharao gehört überall zu J” oder zu E. ®? Der ursprüngliche Zusammenhang von J’ ist: Exod.2, 23a; 4,19. 20a. 24—26; 3.2—4a. 5. 7. 85 3,16—4,12. 29. 30b, mit unbedeutenden Interpolationen. ° Dass die Entfernung von der Östgrenze Aegyptens bis nach @adeS grösser ist als 3 Tagemärsche [sie beträgt etwa 25 Meilen], stelt dem natürlich nicht ent- gegen. Genaue geographische Anschaunngen hat wohl E, aber ‚J noch nicht. . . . +) Meyer: Die Mosesagen und die Lewiten. 643 4. Die grosse und fruchtbare Oase von Qades wird von einem Bach bewässert, der aus einer mächtigen Quelle hervorbricht. Das ist die »Processquelle« M& Meriba (später als »Haderwasser« gedeutet; Gen. 14 vpwn 7% »Gerichtsquelle«). Auch die Localität Massa » Versuchung« muss hier gelege,. haben und mit dem Processverfahren zusammen- hängen; es mag die Stätte der Gottesurtheile gewesen sein. Nun heisst es im Segen Moses Deut. 33, Sff. von dem als ein fietiver Stamm Lewi zusammengefassten Priesterstande (angeredet ist Jahwe): »Deine Tummim und Urim [die Loosorakel] gehören dem Manne [d.h. den als einheitlicher Stamm personifieirten fietiven Nachkommen] deines Getreuen [= Mose], den du versucht hast in Massa und mit dem du gestritten hast an den Wassern Meriba’s; der zu seinem Vater und seiner Mutter sagt: ich habe sie nicht gesehen, und der seinen Bruder nicht kennt und von seinem Sohn nichts weiss; sondern deine Gebote bewahren sie und dein Gesetz hüten sie; sie weisen Jakob deine Rechtssatzungen und Israel deine Weisungen (Töröt), sie bringen Opferrauch in deine Nase und Ganzopfer auf deinen Altar. Segne Jahwe seinen Wohlstand und seiner Hände Werk begnade, zerschmettere die Hüften seiner Gegner und seiner Hasser, dass sie sieh nicht er- heben können !« Also hier ist Mose der Ahnherr des lewitischen Priesterstandes — und als solcher erscheint er bekanntlich in den alten Traditionen überall; seine Ersetzung durch seinen Bruder Aharon ist ganz se- eundär —; dieser Stand ist ein echter Berufsstand, der sich that- sächlich aus den verschiedensten Elementen reerutirt, dessen Einheit man sich aber nur in genealogischer Form vorstellen kann. Von Mose aber wird als seine grosse That erzählt (nicht etwa, dass er das Volk aus Aegypten geführt hat, sondern) dass er in Qades mit Jahwe gekämpft hat. Das Object des Kampfes ist, das ist klar genug angedeutet, die Gewinnung der Loosorakel der Urim und Tummim gewesen. Mose hat Jahwe im Kampfe gezwungen, ihm seine Geheim- nisse (darunter ursprünglich wohl vor Allem seinen Namen) zu 'offen- baren; diese hat er dann weiter den Priestern überliefert, deren Stel- lung und Einkommen auf diesem kostbaren Besitz beruht. Wir besitzen im A. T. zu diesem Gotteskampf zwei Parallelen. Die eine, der Kampf Jakob’s mit Jahwe, ist nach einer Andeutung W.Max Mürrer's von B. Lurner im Wesentlichen richtig hergestellt'!: »Und Jakob blieb allein zurück (es ist Nacht, v. 23). Da rang Jemand ! Gen. 32, wo zu J gehören 25. 26a. 27. 30 und der Anfang von 32; vergl. Hosea ı2, 4ft. 644 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 22. Juni 1905. mit ihm bis zum Heraufziehen der Morgenröthe. Und als er sah, dass er ihn nicht bewältigen könne, schlug er ihn auf die Hüftpfanne.' Der sprach: lass mich los, denn die Morgenröthe zieht herauf. Der aber (Jakob) sagte: ich lasse dich nicht los, es sei denn, dass du mich seenest. Und Jakob fragte: Künde mir deinen Namen. Da sprach er: weshalb fragst du nach meinem Namen? Und er segnete ihn daselbst. Da ging die Sonne auf.« Die älteste Erzählung ist hier schon ab- geschwächt: ursprünglich hat Jahwe natürlich seinen Namen nennen müssen, um sich zu lösen.” Die Gewinnung des geheimen Namens und des Segens ist das, worauf es der Geschichte ankommt, wie beim Kampf Mose's. Die andere Parallele ist Exod. 4, 24— 26. Mose zieht mit seinem Weibe Sippora und seinem Sohne Ger$som nach Aegypten. »Und auf dem Wege im Nachtquartier”, da begegnete ihm Jahwe und trachtete ihn zu tödten. Da nahm Sippora einen Stein und schnitt die Vor- haut ihres Sohnes ab und warf sie ihm an die Beine [d.i. wie all- gemein richtig erklärt wird »an die Scham«] und sprach: Du bist mir ja Blutsbräutigam. Da liess er von ihm.« Der Getroffene ist natürlich Jahwe, nicht Mose; Sippora wendet einen Blutzauber an, der ursprünglich einen sehr realistischen geschlechtlichen Sinn hat, und dadurch wird die zum Jahwecult gehörige Sitte der Beschneidung begründet. Auch hier also führt der Zusammenstoss mit Jahwe zur Entdeekung einer rituellen Handlung, durch die man auf ihn Einfluss gewinnen und ihn gnädig stimmen kann. Der Schauplatz der Scene ist in der Nähe von @ades: auf dem heiligen Boden, wo Jahwe haust, geht er bei Nacht um und will tödten, was ihm begegnet. Nachdem durch den Zauber sein Grimm gebrochen ist, erweist er sich am nächsten Tage gnädig und lässt sich in seiner Wohnung im Dornbuseh in der Wawerlohe schauen. Denselben unheimlichen Charakter trägt das Fest in der Wüste, das Jahwe gefeiert werden soll und zu dem sich die Weiber von ihren ägyptischen »Nachbarinnen und Clientinnen ihres Hauses« silberne und goldene Gefässe (für das Opfermahl) und Gewänder leihen. Es ist, wie allgemein anerkannt, das Passahfest, das grosse Opfer der örstgeburt des Viehs im Frühjahr (die Erstgeburt der Menschen wird ' Natürlich Jakob den Jahwe, wie IHosea ausdrücklich erzählt: »er kämpfte mit dem Engel und überwältigte ihn (>> wie Gen. 32, 26), der weinte und flehte ihn um Gnade.« D) Bei E wird die Geschichte umgekehrt: Gott fragt nach Jakobs Namen und giebt ihm den Namen Israel. ° Natürlich nicht »in der Herberge«, wie allgemein übersetzt wird; sie liegen auf dem Felsboden, daher kann Sippora einen Stein ergreifen. Meyer: Die Mosesagen und die Lewiten. 645 bekanntlich durch ein Opfer gelöst). Das Passahfest unterscheidet sich aufs stärkste von den drei Bauernfesten Palästinas (Mazzen — Beginn der Ernte; Wochenfest = Erntefest; Laubhütten = Weinlese) und stammt von den viehzüchtenden Nomaden und Halbnomaden der Wüste. Die Thiere werden bei Nacht geschlachtet und verzehrt, was übrig bleibt, verbrannt, während draussen Jahwe umgeht und tödtet, wen er an- trifft. Daher dürfen seine Verehrer während der Nacht das Haus (ursprünglich das Zelt) nicht verlassen und schützen sich gegen die Gottheit durch Beschmieren der Schwellen und Pfosten mit Blut. Aus dem Passahopfer ist in secundären und tertiären Versionen die Tödtung der Erstgeburt der Aegypter entwickelt'; nach einer dieser Versionen (Exod. 4, 22 f., ganz isolirt) wird nur der erstgeborene Sohn des Pharao getödtet, als Ersatz für Jahwe’s Erstgeborenen Israel. 5. Der Gotteskampf am Quell von Meriba ist in den späteren Versionen, die in mehreren Dubletten vorliegen, in ein Hadern des Volkes mit Jahwe umgewandelt und von Qades losgelöst; geblieben ist von alten Zügen nur, dass Mose den Quell aus dem Felsen schlägt, und dass hier ein Kampf mit den “Amalegitern stattfindet, die nörd- lich von Qade$ in dem Steppenland südlich von Palästina hausen. Nach dem Eingang des Segens Mose’s ist Jahwe vom Sinai über Se‘ir und den Berg von Pa’ran nach Meribat Qades gezogen: er kommt also zu seinem Volk, nicht dies zu ihm. Dass das die älteste Version der Exoduserzählung ist, hat schon WELLHAUsENn an einzelnen Spuren erkannt, die von GArL vermehrt hat; in der That lässt sich der ent- sprechende Bericht von J' fast völlig herstellen. Mose und die Älte- sten fordern die Entlassung zu dem Wüstenfest; durch die Plagen’ wird der König gezwungen, seine Einwilligung zu geben. Aber that- sächlich will das Volk sich der Herrschaft der Aegypter entziehen. »Da wurde dem König Aegyptens berichtet, dass das Volk entflohen sei; da sammelte er seine Reiter, und sein Volk nahm er mit sich« (Exod. 14, 5a. 6). Er erreicht die Fliehenden am Ufer des Meeres, na- türlich auf der Ostseite — von einem Durchzug durch’s Rothe Meer weiss der älteste Bericht gar nichts. Aber Jahwe tritt trennend zwischen die Israeliten und Aegypter; in der Nacht, die er in der Flammensäule erleuchtet, legt er durch einen Ostwind den Meeresstrand trocken und erregt nun in der letzten Nachtwache einen panischen Schrecken unter ! Auch das Mazzenfest und schliesslich selbst das Passahopfer der Israeliten werden bekanntlich in den späteren Versionen nach Aegypten selbst verlegt. 2 Die immer weiter gehende Ausmalung der Plagen darzulegen, erfordert eine sehr eingehende Analyse, die hier nicht gegeben werden kann. Bekanntlich kennt die Plagen auch die parallele Sage über Abrahams Aufenthalt in Aegypten, Gen. 12, ebenso den in Aegypten gewonnenen Reichthum. Sitzungsberiehte 1905. 62 646 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 22. Juni 1905. den Aegyptern, so dass sie fliehen. Das Meer kehrt beim Morgengrauen in sein Bett zurück, während die Aegypter, von Jahwe getrieben, ihm entgegenfliehen; so werden sie vom Meere bedeckt, und ihre Leichen liegen am Strande. Von hier aus zieht das Volk drei Tage lang in die Wüste nach Qades; und hier findet das Quellwunder statt. »Und dort setzte er ihnen Gesetz und Recht, und dort versuchte er es« Exod. 15, 25b. Qades bleibt der Aufenthaltsort des Volkes, solange es in der Wüste weilt; von hier geht der Zug zur Eroberung Palästinas aus. Diese älteste Erzählung betrachtet also den Dornbusch von Qades als die eigentliche Wohnung Jahwe’s, und zugleich als Filiale des Sinai; und nichts anderes will es besagen, wenn Mose der Schwieger- sohn des Priesters von Midian ist. Daher heisst denn auch dieser Dorn- busch :0, nicht wie sonst 708. Aber diese Anschauung ist gegenüber der populären vom Sitze Jahwe’s in dem Sinaivulcan nicht durchge- drungen.' Daher hat J? einen Zug nach dem Sinai eingeschoben und die Gesetzgebung hierher verlegt, E an seine Stelle den »Gottesberg Choreb« (d.h. unseren Sinai) gesetzt und den Zug dorthin mit geogra- phischem Detail weiter ausgemalt.” 6. Als Kern der Mosesage bleibt also, dass Mose der Ahn der lewitischen Priester ist, von dem ihre Orakelkunst, ihre Offenbarungen (Töröt) und Rechtssatzungen stammen, und dass Qades sein Sitz ist, also auch die Heimat der lewitischen Priesterschaft und ihrer Satzungen. Nun kennen die Traditionen des A. T. bekanntlich einen alten Stamm Lewi, der im äussersten Süden gesessen haben muss und mit den anderen Südstämmen Juda, Sim’on, Qain, @enaz, Kaleb — die zum Theil zu Israel gerechnet werden, zum Theil nicht — eng zusammengehört. Dieser Stamm ist später verschollen; nur sein Name hat sich erhalten, ist aber zum Namen der Priester geworden, die @Qades als ihren Ausgangspunkt betrachten. Daraus ergiebt sich, dass der Stamm Lewi in der Oase von @Qades gesessen haben muss. Hier lag offenbar ein centrales Heiligthum, wie wir deren in der Wüste zu allen Zeiten finden, dessen Ansehen sich über eine grosse Zahl von Stämmen erstreckte — nur “Amaleq stand ihnen feindlich gegenüber —; hier herrschte Gottesfriede, und die Priester übten ! Der Dornbusch findet sich bekanntlich ausser Exod. 3 nur noch im Segen Moses Deut. 33, 16 in dem Spruch über Joseph. ® Die Angaben von E über Mara und Elim, Exod. ı5, 22a. 23—25. 26—27 erklären sich vollständig durch Agatharchides’ Bericht über die Maraniten und ihren Palmenhain (bei Tür) mit einem Heiligthum, das fünfjährige Fest und die Heilkraft seiner Quellen (Diod. III 42 f. und Photius, bei MürLLer, Geogr. Graee. I 175 ff.; Arte- midoros bei Strabo XVI 4, ı8). Diese Heilquelle wird von E für Jahwe in Anspruch genommen: »denn ich Jahwe bin Dein Arzt«, Meyer: Die Mosesagen und die Lewiten. 647 Rechtsprechung auf Grund der Orakeltheilung und der alten Rechts- satzungen, die sich bei ihnen vererbten und die ihr Ahnherr Mose einst der Gottheit abgerungen hatte. Dieses Heiligthum ist mit dem Stamm zu Grunde gegangen; die lewitischen Priester aber haben sich anderswo! durch ihre Kunst ihren Lebensunterhalt gesucht — so finden wir sie vielleicht bei den Minäern von el ‘Öla (südlich von Midian) als Priester des Wadd —, vor allem aber in Juda und Israel, wo Jahwe gleichfalls als Nationalgott verehrt wurde, freilich in sehr andern Formen und Anschauungen, die unter der durch die Sesshaftig- keit und höhere Cultur entstandenen Umwandlung sich gebildet hatten. Hierhin haben sie ihre Traditionen, Rechtssätze und An- schauungen mitgebracht. Dadurch rückt die bekannte Thatsache in ein ganz anderes Licht, dass das A. T. zwei Ausdrücke für »Priester« kennt, Kohen und Lewi”, und dass jener in den geschichtlichen Überlieferungen ebenso aus- schliesslich verwendet wird, wie dieser in der Sagengeschichte und den Gesetzbüchern. 7. Israelitische Traditionen (im correeten, historischen Sinne des Wortes, im Gegensatz zu Juda und den Südstämmen) und Sagen be- sitzen wir bekanntlich im A. T. nur sehr wenig; dagegen sind wir über die Zustände Israels von der Zeit Debora’s an ziemlich gut unter- richtet. Sicher ist, dass die Israeliten ursprünglich Nomaden waren, die von Osten her über den Jordan gekommen sind, und dass sie gleichfalls den Sinaigott Jahwe mitgebracht (und dann gründlich um- gewandelt) haben, dass sie aber mit Juda und den Südstämmen erst durch die Philisternoth und das Königthum Saul’s und David’s in nähere Verbindung getreten sind. Die israelitischen Priester, 273, sind Diener der Hausväter, der Gemeinde, der Könige (und daher Beisassen, Metöken 2%, ohne Grund- besitz). Sie besitzen die Kunst, mittels des Gottesbildes Loosorakel (Urim und Tummim) zu erteilen, und kennen den Ritus der Opfer und des sonstigen Gottesdienstes, aber niemals haben sie eine autoritative Stellung, und nie wendet man sich an sie um Rechtsbelehrung; die Rechtssprechung liegt vielmehr in den Händen der Ältesten der Ort- schaften (die sich in schwierigen Fällen zur Feststellung des That- bestandes, aber nicht etwa des Rechtssatzes, an das Orakel der Priester ! Vermuthlich auch schon vorher, da die Culturländer Priester brauchten und hier reicher Gewinn in Aussicht stand. So mag das Haus ‘Eli’s in der That von Qades nach Silo gekommen sein und sich von Alters her auf Mose zurückgeführt haben. 2 Der spätere Unterschied zwischen Beiden ist bekanntlich erst aus der Ein- führung des Deuteronomiums als unbeabsichtigte Konsequenz entstanden und von Ezechiel und dem Priestercodex sancetionirt worden. 62* 648 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 22. Juni 1905. wenden können). — Dagegen die Tora der Lewiten ist vor Allem die Rechtssatzung — natürlich sind profanes und sakrales Recht hier so wenig geschieden wie z. B. im Islam —; wo Richter vorhanden sind, beanspruchen sie über ihnen die höhere Autorität.’ Die verschiedenen Schiehten der Gesetzbücher sind immer neue, den fortschreitenden Forderungen der wachsenden Cultur angepasste Formulirungen dieses lewitischen Rechts. Dasselbe ist aufs Engste verbunden mit bestimmten religiösen Forderungen, vor Allem der Alleinverehrung Jahwes, der Ver- werfung des Gottesbildes, der religiösen Prostitution, der Zauberei und Todtenbeschwörung usw., und mit hohen sittlichen Anforderungen; und durchweg tritt es auf als das uralte Recht, dessen Befolgung den Segen Jahwes sichert, während jede Abweichung von ihm schwer geahndet wird. Diese Forderungen dringen in der Königszeit, etwa seit der Dynastie “Omri’s, in Israel und Juda ein, und werden von den Pro- pheten aufgenommen.” Mit dem Sturz der Omriden und der “Ataljah errangen sie ihren ersten grossen Erfolg, der die Grundlage für die weitere Entwicklung zum Deuteronomium und zum Priestercodex ge- worden ist. Die Ideale, die sie vertreten, sind, wie oft ausgesprochen, durchaus nomadisch und stehen im schroffen Gegensatz zur Cultur und den aus ihr erwachsenen Einrichtungen: Rückkehr zum Alten, zu den idealen Zuständen, die in der Wüste herrschten, ist die Losung. Statt aller weiteren Belege setze ich nur die Vorschriften hierher, die Jeho- nadab ben Rekäb, bekanntlich der Hauptgehülfe Jehu’s und kein Israelit, sondern zu Qain oder Kaleb gehörig, seinem Geschlecht auferlegt hat (Jerem. 35): »keinen Wein trinken, kein Haus bauen, keinen Samen säen noch Weinberge pflanzen oder besitzen, sondern in Zelten wohnen. « Damit vergleiche man die Schilderung, die Hieronymos von Kardia im Jahre 312 von den Nabatäern giebt (Diod. XIX 94£f.), die damals bekanntlich in den Wohnsitzen Edoms und der alten Südstämme saßen, Kamele und Schafe züchteten, durch das Escortiren von Karawanen große Reichthümer gewannen und wegen ihrer Freiheitsliebe und ihrer »Gerechtigkeit« (Agatharchides bei Diod. III 43, 5; vergl. Strabo XVII 4,18) gepriesen werden, was nicht hinderte, daß sie arge Piraten waren. »Bei ihnen besteht das Gesetz, weder Getreide zu säen, noch ! Das ist vor Allem von E in der Jethrogeschichte Exod. 18 ausgeführt: Mose setzt Richter aus den angesehensten Männern des Volkes ein, aber die Rechtsbelehrung und die schwierigeren Fälle behält er sich vor. ® Die Propheten, Schaaren von Verrückten und besessenen Heiligen, gehören bekanntlich ursprünglich der Jahwereligion nicht an, finden sich dagegen bei den Kana’anäern und Phönikern. Da sie aber auf die religiösen Forderungen eingingen und sich unter ihrer Einwirkung umwandelten, sind sie wie so vieles Andere vom Jahwismus anerkannt und seine Hauptwerkzeuge geworden. Meyer: Die Mosesagen und die Lewiten. 649 irgend eine fruchttragende Pflanze zu pflanzen, noch Wein zu genießen, noch ein Haus zu bauen; wer dagegen handelt, wird mit dem Tode bestraft. « Wie es gekommen ist, daß diese Anschauungen, die Rückwendung zum Wüstengott und zu den Idealen der Urzeit, in Israel eingedrungen sind und die Herrschaft gewonnen haben, kann und braucht an dieser Stelle nicht ausgeführt zu werden; allbekannt ist, dass das vor allem durch die sociale Umwandlung, die zersetzenden Folgen der Sesshaftig- keit, daneben durch die politische Nothlage herbeigeführt ist.' 8. Durch einen Blick auf die sagengeschichtliche Überlieferung im A. T. werden unsere Ergebnisse durchaus bestätigt. Dieselbe zer- fällt in drei Hauptgruppen: a) Kosmogonie und Urgeschichte (Paradies, älteste Menschen und Cultur, Göttersöhne und Heroen, Thurmbau). Diese Erzählungen sind ihrem Ursprung nach durchaus heidnisch, aber von der Jahwe- religion assimilirt. Im Centrum steht durchweg Babel, während von Aegypten nie die Rede ist; sie sind aber nicht, wie man jetzt meist zu glauben geneigt ist, direct von Babylonien her übernommen — ab- gesehen von der erst später eingefügten Sündfluthsage, wo denn auch die Entlehnung einen ganz anderen Charakter trägt —, sondern zeigen die engste Berührung mit dem, was uns von den Traditionen und Speculationen der Phöniker erhalten ist. Sie sind also in Israel von der Culturbevölkerung Syriens übernommen worden. In ihnen ist, wie namentlich GuskeL betont hat, der Mensch durchweg Ackerbauer und Culturmensch; von Stämmen und genealogischer Auffassung der soci- alen und politischen Ordnungen ist nirgends die Rede. b) Dazwischen stehen einzelne Sagen, in denen der Mensch Vieh- züchter und Nomade ist, und in denen sich dann sofort auch Namen und Sagen der Südstämme finden. Hierher gehören die Geschichte von @Qain, von Lamech, und von Lamech’s Söhnen (Theilung der Menschen in Viehzüchter, Musikanten und Metallarbeiter = Hand- werker). Derselben Gruppe gehören die Patriarchensagen an. Sie kennen nur Viehzucht und Zeltleben, sie spielen fast alle im äussersten Süden, sie zeigen das lebhafteste Interesse an den nicht zu Israel gehörigen nomadischen Nachbarn, wie Edom und Isma’el; von den zu Israel gerech- neten Stämmen wird nur Juda eingehender berücksichtigt. Das gleiche gilt ! Darauf, dass auch die Weisheitslitteratur, der Hiob und wenigstens ein Theil der Spruchdichtung, bei den Nomaden der Wüste localisirt ist, sei hier nur kurz hin- gewiesen, ebenso auf das lebhafte Interesse der Propheten an den Nachbarstämmen, an die nach ständigem Schema (die einzige Ausnahme bildet Hosea) ihre Verkündungen sich ebenso gut richten wie an Israel und Juda. 650 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 22. Juni 1905. von der Exodus- und Eroberungsgeschichte; auch hier herrscht wie für Qades, so für Qain, Kaleb, “Otniel ein lebhaftes Interesse, bei der Eroberung hören wir fast nur von Juda etwas mehr. c) Dagegen erfahren wir von dem eigentlichen Israel, seinen Ahnen und Heiligthümern fast gar nichts (im Gegensatz zu der wirk- lichen Geschichte, wo die Verhältnisse umgekehrt liegen). Was von ihm erzählt wird, ist fast ausschliesslich an Jakob angeknüpft (Heiligthümer von Machanaim, Pnuel, Sukkot, Sichem, Bet’el, Ephrata), und hier zeigt sich deutlich, dass die Gestalt Jakobs völlig umgewandelt und den jahwistischen Anschauungen adaptirt worden ist — trotzdem ist sie den Propheten anstössig genug geblieben. Die Culte aber werden legitimirt, der Bilder- und Thierdienst gestrichen — während daneben die Geschichte vom goldenen Kalbe den Stierdienst von Bet’el als Götzendienst bekämpft. 9. Werfen wir zum Schluss noch einen Bliek auf die Beziehun- gen zu Aegypten. Über ein Jahrtausend lang (schon seit dem Alten Reich) haben Palästina und die Wüstengebiete unter dem ununter- brochenen Einfluss der Cultur und Politik Aegyptens gestanden; von hier aus ist die Eroberung Aegyptens durch die Hyksos ausgegangen'; dann haben die Aegypter Jahrhunderte lang über das südliche Syrien seherrscht. Wenn im Norden Palästinas daneben immer der Einfluss Babyloniens und der von diesem beeinflussten Cultur der sesshaften Bevölkerung Syriens einwirkt, so gravitiren die Nomaden des Südens nach Aegypten, das ihre Karawanen fortwährend aufsuchen. Es ist daher nur natürlich, dass uns Traditionen, die diese Ge- biete mit Aegypten verbinden, vielfach begegnen.” So hat Isma’el eine Aegypterin Hagar zur Mutter (J, Gen. 16, 1) oder eine Aegypterin zur Frau (E, 21, 21). Die Gründung von Chebron erfolgte 7 Jahre vor der von Tanis (J, Num. 13, 22). Die Josephsgeschichte ist durch Benutzung eines ägyptischen Märchens ausgeschmückt.” Man erzählt, dass die Ahnen einmal in Aegypten ihre Herden geweidet haben, sei es Abra- ham, sei es Joseph mit seinen Brüdern und seinem Vater, dass sie dann von dort ausgebrochen und durch Jahwe’s Hülfe vor den nach- folgenden Feinden gerettet seien. Dem liegt gewiss eine geschichtliche Thatsache zu Grunde — ähnliche Vorgänge mögen sich oft genug ab- ! Ein Hyksoskönig führt einen Namen, den wir kaum anders als Ja’gob-her »Jakob ist zufrieden« transeribiren können, und der die Annahme, dass Jakob ur- sprünglich ein kana’anäischer Gott war, zu bestätigen scheint. Ein anderer Hyksosfürst heisst “"Anat-her »"Anat ist zufrieden«. ? Ich bemerke, dass ich an die Existenz eines Landes und Reichs Musri südlich von Palästina nicht zu glauben vermag. ® Auch die Gestalt des Nimrod, der nach Name und Thätigkeit ursprünglich nach Libyen gehört, kann nur von Aegypten aus zu den Hebräern gekommen sein. Meyer: Die Mosesagen und die Lewiten. 651 gespielt haben —, nur dass wir dieselbe aus unserem Material ab- solut nicht mehr ermitteln können, und dass sie mit Israel natürlich nicht das Geringste zu thun hat, sondern nur mit irgend einem in den Südstämmen enthaltenen Element, bei dem die Tradition fort- gelebt hat. Die Beziehungen gehen weiter. Der Name Mose ist wahrschein- lich, der Name Pinchas in dem Priestergeschlecht von Silo (nach dem später ein Enkel Aharon’s erfunden wird) zweifellos ägyptisch. Das beweist natürlich nicht, dass diese Geschlechter ägyptischen Ursprungs waren, wohl aber, dass sie Beziehungen zu Aegypten hatten; so wird es um so begreiflicher, dass die Sage den Mose von Qades in die Exodussage eingeführt und ihm ägyptischen Ursprung gegeben hat. In der Gottesvorstellung und dem eigentlichen Cultus vermag ich nirgends ein ägyptisches Element zu entdecken; dafür waren offenbar die Verhältnisse der ägyptischen Bauern und der zeltenden Viehzüchter der Wüste zu verschiedenartig. Wohl aber ist die Beschneidung aus Aegypten übernommen, wie noch Jos. 5, 9 offen anerkannt wird, genau wie Herodot II 104' es ausspricht. Ausserdem aber wird noch ein anderes und weit wichtigeres Element auf Aegypten zurückgehen, die Prophezeiungen über die Zu- kunft des Volks — nicht die Propheten, von denen oben die Rede war, wohl aber das feste traditionelle Element, welches das ständige Gerippe ihrer Verkündigung bildet. In Aegypten hat es offenbar eine umfangreiche Litteratur dieser Art gegeben: wir besitzen ein der- artiges Schriftstück aus dem Mittleren Reich” und finden sie dann wieder bei Manetho in den Prophezeiungen des weisen Amenophis, in den von Krarı besprochenen demotischen Prophezeiungen des Lamms unter König Bokchoris’, in Papyri des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr.‘, und wohl auch in der sogenannten demotischen Chronik. Das stän- dige Schema ist, dass ein Weiser (oder bei Bokchoris ein inspirirtes Lamm) das Hereinbrechen schweren Unheils verkündet, den Um- sturz aller Ordnungen, die Eroberung Aegyptens durch fremde Völker, welche die Götter verfolgen, die Tempel zerstören, das Land aus- plündern u.s. w.; dann aber wird die Erlösung folgen durch einen gerechten, göttergeliebten König, der die Fremden verjagt, Ordnung ! Cyroı oi en TA TTAMAICTINH sind natürlich die Juden (und Samaritaner), so oft dies auch bestritten ist. Es ist die älteste nachweisbare Erwähnung der Juden in der griechischen Litteratur. ?2 Lange, Ber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1903, 6o1ff. ® Krarr, Vom König Bokehoris, in den Festgaben für Büdinger 1898. * Siehe jetzt Rerrzenstein, Ein Stück hellenistischer Kleinlitteratur, Nachr. Gött. Ges. phil.-hist. Cl. 1904, 309ff., bei dem die hier angedeuteten Zusammenhänge zu sehr zurücktreten. 652 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 22. Juni 1905. und Cultus wiederherstellt, und eine lange gesegnete Regierung führt. Das ist also genau dasselbe Schema wie bei den israelitischen Pro- pheten. Je öfter ich mir das Problem überlegt habe, desto weniger kann ich mich der Einsicht verschliessen, dass hier nicht nur analoge Bil- dungen vorliegen, sondern ein wirklicher geschichtlicher Zusammen- hang, d.h. dass der Inhalt der Zukunftsverkündung genau so gut aus Aegypten übernommen ist, wie etwa die Geschichte von Joseph und der Frau seines Herrn. Dass das Schema einschliesslich der messia- nischen Zukunft nicht etwa von Amos oder Jesaja geschaffen, sondern überkommenes Gut ist, bedarf keines Beweises, wenn es auch oft nicht genügend beachtet wird; die gewaltige Vertiefung der zu Grunde lie- genden Gedanken dagegen ist das Werk der grossen Geister, welche Israel seit dem 8. Jahrhundert hervorgebracht hat. Ausgegeben am 29. Juni. Berlin, gedruckt in der’Reichsdruckerei. SITZUNGSBERICHTE KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. XXX 29. Junı 1905. BERLIN 1905. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. Auszug aus dem Reglement für die Redaetion der » Sitzungsberichte«. 81. 2. Diese erscheinen in einzelnen Stücken in Gross- Octav regelmässig Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Die sämmtlichen zu einem Kalender- Jahr gehörigen Stücke bilden vorläufig einen Band mit fortlaufender Paginirung. Die einzelnen Stücke erhalten ausserdem eine durch den Band ohne Unterschied der Kategorien der Sitzungen fortlaufende römische Ordnungs- nummer, und zwar die Berichte über Sitzungen der physi- kalisch- mathematischen Classe allemal gerade, die über Sitzungen der philosophisch - historischen Classe ungerade Nummern. $2 1. Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mit- theilungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten geschäftlichen Angelegenheiten. 2. Darauf folgen die den Sitzungsberichten über- wiesenen wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar in der Regel zuerst die in der Sitzung, zu der das Stück gehört, druckfertig übergebenen, dann die, welche in früheren Sitzungen mitgetheilt, in den zu diesen Sitzungen gehö- rigen Stücken nicht erscheinen konnten. Mittheilungen, welehe nicht in den Berichten und Abhandlungen er- scheinen, sind durch ein Sternchen (*) bezeichnet. 85. Den Bericht über jede einzelne Sitzung stellt der Secretar zusammen, welcher darin den Vorsitz hatte, Derselbe Secretar führt die Oberaufsicht itber die Redae- tion und den Druck der in dem gleichen Stück erschei- nenden wissenschaftlichen Arbeiten. $ 6. 1. Für die Aufnahme einer wissenschatftlichen Mit- theilung in die Sitzungsberichte gelten neben $41,2 der Statuten und $ 28 dieses Reglements die folgenden beson- deren Bestimmungen. 2. Der Umfang der Mittheilung darf 32 Seiten in Oetav in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte nicht übersteigen. Mittheilungen von Verfassern, welche der Akademie nicht angehören, sind auf die Hälfte dieses Umfanges beschränkt. Überschreitung dieser Grenzen ist nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Gesammt- Aka- demie oder der betreffenden Classe statthaft. 3. Abgesehen von einfachen in den Text einzuschal- tenden Holzschnitten sollen Abbildungen auf durchaus Nothwendiges beschränkt werden. Der Satz einer Mit- theilung wird erst begonnen, wenn die Stöcke der in den Text einzuschaltenden Holzschnitte fertig sind und von besonders beizugebenden Tafeln die volle erforderliche Auflage eingeliefert ist. 87. 1. Eine für die Sitzungsberichte bestimmte wissen- schaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor der Aus- gabe des betreffenden Stückes anderweitig, sei es auch nur auszugsweise oder auch in weiterer Ausführung, in deutscher Sprache veröffentlicht sein oder werden. 2. Wenn der Verfasser einer aufgenommenen wissen- schaftlichen Mittheilung diese anderweit früher zu ver- Die Akademie versendet ihre »Sitzungsberichte« an diejenigen Stellen, mit denen sie im Schriftverkehr ‚steht, wofern nicht im besonderen Falle anderes vereinbart wird, jährlich drei Mal, nämlich: R We 5 die Stücke von Januar bis April in der ersten Hälfte des Monats Maier BES, BAT = . » Mai bis Juli in der ersten Hälfte des Monats August, ah N Bu, im » October bis December zu Anfang des nächsten Jahres nach Fertigstellung des Registers. öffentlichen beabsichtigt, als ihm dies nach den gelten- den Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein- willigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden | Classe. I i $8. i 5. Auswärts werden Correeturen nur auf besonderes Verlangen verschickt. Die Verfasser verzichten damit | auf Erscheinen ihrer Mittheilungen nach acht Tagen. BD BR 1. Der Verfasser einer unter den » Wissenschaftlichen | Mittheilungen« abgedruckten Arbeit erhält unentgeltlich fünfzig Sonderabdrücke mit einem Umschlag, auf welchem der Kopf der Sitzungsberichte mit Jahreszahl, Stück- nummer, Tag und Kategorie der ‘Sitzung, Jarunter der Titel der Mittheilung und der Name des Verfassers stehen, 2. Bei Mittheilungen, die mit dem Kopf der Sitzungs- berichte und einem angemessenen Titel nicht über zwei Seiten füllen, fällt in der Regel der Umschlag fort. 3. Einem Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, steht es frei, auf Kosten der Akademie weitere gleiche Sonderabdrücke bis zur Zahl von noch hundert, und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von zwei- hundert (im ganzen also 350) zu unentgeltlicher Ver- theilung abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar angezeigt hat; wünscht er auf, seine Kosten noch mehr Abdrücke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der betreffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 50 Freiexemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exem- plare auf ihre Kosten abziehen lassen 8 28. f 1. Jede zur Aufnahme in die Sitzungsberichte be- stimmte Mittheilung muss in einer akademischen Sitzung vorgelegt werden. Abwesende Mitglieder, ‚sowie alle Nichtmitglieder, haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen. Wenn schriftliche Einsendungen auswärtiger oder corre- spondirender Mitglieder direet bei der Akademie oder bei einer der Classen eingehen, so hat sie der vorsitzende Secretar selber oder durch ein anderes Mitglied zum Vortrage zu bringen. Mittheilungen, deren Verfasser der Akademie nicht angehören, hat er einem zunächst geeignet scheinenden Mitgliede zu überweisen. hal j [Aus Stat. $ 41,2. — Für die "Aufnahme bedarf es einer ausdrücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Classen. Ein darauf gerichteter Antrag kann, I sobald das Manuscript druckfertig vorliegt, gestellt und sogleich zur Abstimmung Er: z + - Bade ERICH 1. Der revidirende Secretar ist für den Inhalt des geschäftlichen Theils der Sitzungsberichte, jedoch nicht für die darin aufgenommenen kurzen Inhaltsangaben der gelesenen Abhandlungen verantwortlich. Für diese wie R für alle übrigen Theile der Sitzungsberichte sind nach jeder Richtung nur die Verfasser verant- wortlich. a Fe ie ad L 3 | | 653 SITZUNGSBERICHTE 19%. XXX DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 29. Juni. Öffentliche Sitzung zur Feier des Lewnizischen Jahrestages. Vorsitzender Secretar: Hr. VAHLEn. Der Vorsitzende eröffnete die Sitzung mit folgendem Vortrag. Erinnerungen an Leibniz. Als ich am Leibniztage des Jahres 1397 die Festrede hielt, ging ich von dem Gedanken aus, dass die unserer Akademie gleichsam als ein Vermächtniss hinterlassene Fürsorge für den litterarischen Nachlass von Leibniz noch immer ihrer Verwirklichung harre: denn auch in den letzten Decennien des neunzehnten Jahrhunderts gemachte Versuche, Leibniz’ Werke gesammelt zur Herausgabe zu bringen, haben den ge- wünschten Erfolg nicht gehabt, da sie theils abgebrochen und un- vollendet geblieben sind, theils auf eine besondere Gattung von Schrif- ten beschränkt, schon in der Anlage ihr Ziel verfehlten: und ver- suchte in einer Eigenthümlichkeit Leibnizischer Schriftstellerei Einen Grund aufzuweisen, der eine umfassende Sammlung seiner Schriften, wie er sie selbst unausgeführt gelassen, den Nachfahren so sehr er- schwere. Denn die Aufgabe, alles was Leibniz in einem langen und arbeitsamen Leben auf den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft schriftstellerisch ausgeführt, wohlgeordnet in einer Reihenfolge von Bänden zu vereinigen, ist nach Art und Umfang eine so unermess- liche, dass unsere Akademie, die zunächst berufen war, obwohl es ihr weder an Mitteln noch an Kräften gebrach, nicht ohne Grund Bedenken trug, für sich allein diese Last auf ihre Schultern zu nehmen. Als aber im Jahre 1901 unter den Unternehmungen, die der in- zwischen in’s Leben getretenen internationalen Vereinigung sämmt- licher Akademien der Wissenschaften zu unterbreiten seien, von Paris aus die Herstellung einer neuen vollständigen Ausgabe von Leibniz’ Werken und Briefen angekündigt ward. fand der Vorschlag im Schoosse unserer Akademie lebhaften Anklang: denn die Überzeugung brach sich Sitzungsberichte 1905. 63 654 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. Bahn, dass was der einzelnen Akademie unerreichbar scheinen durfte, im Zusammenwirken mehrerer zu gleichem Zweck verbundener zu ge- deihlichem Ende geführt werden könne. Und kein Vorhaben konnte würdiger sein von der neuen Gemeinschaft der Akademien ergriffen zu werden, als die Sorge für Leibniz’ Geisteswerke, der in seiner vor- ahnenden, seiner Zeit weit voraneilenden Seele die Verbindung aka- demischer Körperschaften zu gemeinsamen Zielen als möglich und wünschenswerth gedacht hatte. Daher sich unsere Akademie entschloss auf der ersten Generalversammlung der geeinigten Akademien zu Paris 1901 dem von der academie des sciences morales et politiques ausgegan- genen, von der academie des sciences aufgenommenen und unterstützten Antrag durch ihre Vertreter Zustimmung und Beitritt zu erklären. Da auch die übrigen Akademien der Versammlung diesem Unternehmen ihren Beifall nieht versagten, ward beschlossen, dass von den ge- nannten drei Akademien, die ungefähr den Hauptgruppen der von Leibniz gepflegten Forschung entsprechen, nach einer unter ihnen fest- gestellten Sonderung von Kategorien Leibnizischer Schriften, die einer jeden zur Bearbeitung zufallen sollten, die unerlässlichen Vorberei- tungen in Angriff zu nehmen seien, aus deren befriedigendem Ab- schluss erst ein vollgültiger Plan zur Durchführung des Ganzen sich werde gewinnen lassen. Seitdem hat sich auf unserer Seite, über die allein mir zu urtheilen zusteht, eine erfolgreiche Thätigkeit ent- faltet zu dem Zweck vorab durch sorgsame an Ort und Stelle ge- führte Untersuchungen festzustellen, was von Leibniz’ Schriftstellerei in Druck oder Schrift vorbanden sei oder noch jetzt aus dem Ver- borgenen an das Licht sich ziehen lasse, damit. wenn das gesammte verfügbare Material in Übersicht gebracht ist, auf dieser unentbehr- lichen Grundlage der Bau sich erheben könne. So darf die Akademie sich des Bewusstseins erfreuen, dass sie Leibniz’ unvergleichliche Verdienste hochzuhalten fortfährt, nicht bloss indem sie seinem Andenken alljährlich eine Festfeier widmet, son- dern auch dadurch, dass sie unablässig bemüht ist, an ihrem Theile mitzuwirken, auf dass das grosse Werk gelinge, in der Erneuerung seiner Geistesarbeit ihm ein unvergängliches Denkmal zu stiften. Da ich nun heute wiederum in dieser Feierstunde ein Wort zu Leibniz’ Gedächtniss zu sprechen beauftragt bin, will ich versuchen einige Erinnerungen an ihn zu sammeln, zu denen ich die Anlässe Zeitungsnachrichten entnehme. Zuerst der Meldung: “Eine Ehrung der Königin Sophie Charlotte ist in recht hübscher Form an einem neuen stattlichen Gebäude an der Ecke der Mommsen- und Leibnizstrasse zu Charlottenburg ausgeführt worden. Die anmuthige “philosophische Königin’ erscheint dort wie Vanten: Erinnerungen an Leipnız. 655 als Reliefbild in ganzer Figur; die Darstellung ist bekrönt von der umrahmten Ansicht des COharlottenburger Schlosses. Unten ist der Name über einem schwebenden Adler eingezeichnet. Das Ganze geht auf der Wandfläche durch zwei Stockwerke. Auch der beiden grossen Gelehrten, nach denen die hier sich kreuzenden Strassen benannt sind, hat man an dem Neubau gedacht: Leibniz und Mommsen erscheinen in Medaillonform neben einander.” Hier sehen wir drei Namen vereinigt, die unserer Akademie in seltenem Maasse verehrungswürdig sind: die edle Königin, die so leb- haften Antheil an der Gründung dieser Societät der Wissenschaften genommen hat; Leibniz, ihr Stifter, der 16 Jahre lang an ihrer Spitze stand, ihre Geschicke lenkend und leitend und ihren Bestand nach Kräften sichernd; Mommsen, der das zweite Jahrhundert ihres Be- stehens sich vollenden sah und mit seinem nur wenig darüber hin- ausreichenden, in ihr und für sie rastlos thätigen Leben eine Epoche ihrer Entwicklung abschloss. Leibniz’ Beziehungen zur Königin Sophie Charlotte beginnen nicht erst mit der Zeit, da die Kurfürstin von Brandenburg an der Seite ihres Gemahls den königlichen Thron von Preussen bestiegen hatte, sondern reichen mehrere Jahre zurück, aber sie sind enger und inniger geworden, seit die Königin an ihrem Lieblingssitz Lützenburg (dem später zum Andenken an sie in Charlottenburg umgetauften) Hof zu halten pflegte, wohin Leibniz von Hannover, wo ihn sein Dienst- verhältniss fesselte, in den knapp fünf Jahren von der Krönung bis zum Tod der Königin zu wiederholten Malen auf Wunsch der Königin zu längerem Aufenthalte kam. Es fehlt nicht an brieflichen Zeug- nissen dieses denkwürdigen Verkehrs, die, obwohl nicht zahlreich, doch ausreichend sind zu erkennen, wie sehr die Königin Leibniz, den grossen Leibniz schätzte und nach seinen Unterhaltungen sich sehnte,' und Leibniz es sich angelegen sein liess, der hochbegabten Fürstin den Weg auch in die Tiefe seiner philosophischen Weltan- schauung zu öffnen. Und oft schon hat der anziehende Gegenstand die Kunst der Darstellung gereizt. Ich werde mich begnügen einen in diese Zeit fallenden Brief von Leibniz an die Königin herauszugreifen und mit einigen Bemerkungen zu begleiten, nicht einen der wichtigsten seiner Art, der aber doch Züge aus diesem Verkehr enthält und zugleich auf Leibniz’ Eigenart ein Streiflicht fallen lässt.’ Leibniz, weil ihn der Schnupfen hindert, zur Königin zu gehen, hat über das Buch mit dem Titel Z’art de bien penser” dans les ouvrages d’esprit, das er unlängst aus dem Cabinet der Königin mitgenommen, 63* 656 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. eine Kritik niedergeschrieben, die er der Königin sendet als Ersatz für eine Unterredung, und wohl auch als Antrieb zu einem nach- folgenden mündlichen Gedankenaustausch. Leibniz beginnt mit der zierlichen Bemerkung, dass diese Kunst des Denkens Angesichts der Königin ein recht überflüssiges Werk sei, da sie diese Kunst, wie sich versteht, besitze, von der sie tagtäglich ohne daran zu denken ansprechende Beispiele gebe. Der Verfasser dieser in Dialogen ausge- führten Schrift, die 1687 zuerst gedruckt erschien, hat nicht die Ab- sicht nach Art der Logik oder Rhetorik die Kunst des Denkens zu lehren, sondern bezweckt zu zeigen, wie man in schöngeistigen Werken, sei es der Dichtkunst oder Beredsamkeit und Geschichtschreibung, sinn- reiche und gefällige Gedanken und Urtheile einführen könne, die der Wahrheit nicht entbehren, oder die Forderungen der Erhabenheit, der natürlichen Anmuth und Zierlichkeit, nicht ohne die der Klarheit erfüllen. In Anlehnung an die Lehren der antiken Rhetorik, Cicero’s und Quin- tilian’s, aber auch der Griechen, Dionysius von Halikarnass und Deme- trius von Phaleron, nicht am wenigsten des Verfassers der Schrift vom Erhabenen, versucht er seine Rathschläge nicht so sehr theoretisch zu begründen als durch eine Fülle von Beispielen aus aller Welt Litte raturen, antiker und moderner, französischer wie spanischer und ita- lienischer, in das Licht zu stellen, zumeist solchen, die das Verfehlte und Mangelhafte zur Anschauung bringen, in dessen Beurtheilung die beiden Unterredner ihre entgegengesetzten Standpunkte geltend machen. Der eingeschlagene Weg musste vieles ergeben, das tadelnswerth war oder schien, bei einem Kritiker zumal, dem das Kritiküben als solches ein Gegenstand besonderer Befriedigung war. Anders war Leibniz gestimmt, der die Ansicht hegte, dass, wo Gedanken und Ausdruck kräftig und wohlgefällig seien, man sich nicht stören lassen dürfe durch einen Mangel, einen Verstoss, den nur ein sehr aufmerksames Auge wahrnehme: diese scharfsichtigen Grübler, die nicht ruhen bis sie einen verborgenen Fehler aufgedeckt haben, verdürben sich, meinte er, selbst das Vergnügen, das sie aus dem was schön und anziehend sei hätten schöpfen können, wie umgekehrt die allzuserupulosen Schriftsteller Gefahr liefen ihre Darstellungen um Kraft und Saft zu bringen. Dennoch hat Leibniz, obwohl ihm solehe Kritik wenig zusagt und er es nicht liebt die Fehler bei andern aufzusuchen‘, an einigen Beispielen zeigen wollen, was sich auch an diesem Tadler aussetzen lasse, der nicht bloss den Seneca, auch den Taeitus herabdrückt, Tasso und die Italiener den Franzosen weit nachstellt, von Franzosen aber den Voiture gegen Balzac ausspielt, und der nur ihren grossen König und seine Verherrlicher preist. 7 nl nm Vanrven: Erinnerungen an Leısnız. 657 So sehüzt Leibniz einen tadellosen Vers des Tasso, eine an- sprechende Schilderung Balzae's vor ungerechtfertigter Anfechtung, erklärt und vertheidigt einen falschverstandenen Satz in dem oft getadelten Panegyricus des Plinius, weiss besser als der Franzose die Antithesen in einem pointirten Epigramm des Ausonius über Dido zum Ausdruck zu bringen, und vor allem den zum Sprichwort gewordenen berühmten Vers des Lucan Vietrixv causa dis placuwit sed vieta Catoni durch sachgemässe Erklärung dem Missverständniss und darauf gegründeten Tadel zu entziehen, indem er zugleich, wie er zu thun liebt, vom Einzelnen zum Allgemeinen aufsteigend, das Ver- hältniss der Diehter, der heidnischen wie der christlichen, zur Gott- heit einer belehrenden Betrachtung unterzieht. Der Verfasser der Maniere de bien penser hat sich nicht genannt, aber dureh wiederholte Beziehung auf ein früher von ihm erschienenes Werk sich kenntlich gemacht, und war Leibniz sehr wohl bekannt. Es ist der Jesuit Dominique Bouhours, ein seiner Zeit geschätzter Schriftsteller, auch heute noch in Frankreich nicht vergessen’ der in den schon 1671 herausgegebenen Zntretiens d’Ariste et d’ Eugene, die mit unserer Schrift auf‘ vielen Punkten sich berühren, die französische Sprache über alle Sprachen erhebt und den wahren bel esprit den Franzosen allein vorbehalten hat, an dem den Deutschen, massiv und plump wie ihre Sprache‘, kein Antheil zugefallen sei: eine Abschätzung der beiden Nationen und ihrer geistigen Fähigkeiten, die Friedrich dem Grossen reichlich Gelegenheit gegeben, in Briefen an seine fran- zösischen Freunde, d’Alembert und Voltaire und sonst vielfach, selbst in dem Gedicht Za Guerre des Confederes, unter dem Schein der Zu- stimmung und Bekräftigung seiner spöttischen Laune Luft zu machen. Auch Leibniz, hat man angenommen, habe über diese französische Beurtheilung deutschen Wesens seine Ironie spielen lassen in einem Schreiben an Huet, den spätern Bischof von Avranches, dem er sich bereit erklärte, an einem von ihm geplanten litterarischen Unternehmen durch Bearbeitung des Martianus Capella Theil zu nehmen. Denn wenn Leibniz äussert, dass er sich dabei zwar Geist und Gelehrsam- keit nieht anmasse, wohl aber das Lob des Fleisses bei billigen Be- urtheilern zu erwerben hoffe, und mehr könne man von einem Deut- sehen nicht erwarten, einer Nation, der unter allen Geistesgaben nur die Arbeitsamkeit verblieben sei, so hat Moriz Haupt in einem am Leibniztag 1869 in unserer Akademie gehaltenen Vortrag für die über- demüthige und fast unpatriotisch klingende Schlussbemerkung die Er- klärung darin zu finden gemeint, dass dies nichts sei als der ironische Widerhall jener von Bouhours ausgegangenen Geringschätzung deutscher Geistesart. 658 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. Unser Brief, der mehr als ein abfälliges Urtheil persönlicher Art über den Verfasser enthält, obwohl er ein auteur celebre genannt wird, würde der Annahme nicht entgegen sein, ihr eher zur Unterstützung gereichen, zumal Leibniz auch sonst erkennen lässt wie er über Pere Bouhours und französische Urtheile über Deutsche gedacht hat. Allein Wortlaut und Zusammenhang lassen Bedenken, die durch Leibniz’ dauerndes Verhältniss zu dem Adressaten geschärft werden, und ich bekenne geneigter zu sein, ohne für Leibniz’ patriotische Gesinnung zu fürehten, die unbezweifelt ist, diesen Ausdruck der Bescheidenheit für einen zwar übertriebenen aber ehrlich gemeinten zu halten.’ Doch wie dem sei, wir sehen an unserem Brief, wie schön- geistige Litteratur am Hof der Königin Sophie Charlotte gepflegt ward und Leibniz auch darin den Wünschen der Königin entgegen- kam‘, der von dem Verhältniss der Dichter zur Gottheit auf die natürliche Religion geführt, sein Schreiben mit der verbindlichen Wendung schliesst, dass, wenn die natürliche Religion ebenso wie die geoffenbarte über das was man mit Augen sieht hinausgehe, der Königin sichtbare Beweise der göttlichen Gerechtigkeit zu Theil ge- worden in der eben erfolgten glücklichen Heimkehr des Königs, der eine schwierige Expedition, in der er gegen Wind und Meer zu kämpfen gehabt, erfolgreich beendigt, in einem Augenblick, da ein Krieg beginnt, der über das Schicksal Europas entscheiden soll.” Eine zweite Erinnerung an Leibniz ziehe ich aus der Zeitungs- nachrieht, dass “Friedrich von Spee, dem bekannten Dichter der “Trutz- Nachtigall’ und verdienten Bekämpfer des Hexenwahns dem- nächst auf seiner Grabesstätte in der Jesuitenkirche zu Trier ein Denkmal errichtet werden soll, das den Gefeierten in stehender Haltung, eine Hand auf die Cautio eriminalis, eines seiner bedeutendsten Werke, stützend, darstellt.” Bei dieser Nachricht haben wohl nicht viele sich an Leibniz erinnert, der zuerst dieses Mannes Verdienst verbreitet und bei verschiedenen Gelegenheiten sein Lob verkündigt hat. Zeugniss dessen ist’vor allem ein umfangreiches Schreiben, das Leibniz an seine Landesherrin, die Kurfürstin Sophie von Hannover, Sophie Charlottens Mutter, gerichtet hat zu einer Zeit, als in Frankreich eine neue Art mystischer Frömmig- keit, die ein eigenthümliches in Gott ruhendes Seelenleben erzielt, der sogenannte Quietismus, wie er namentlich von einer Dame Namens Guyon ausgebildet und eultivirt worden, den Streit der beiden an- gesehensten Prälaten Frankreichs, Bossuet und Fenelon, herbeigeführt hatte, den 1699 ein päpstliches Breve schlichtete, das Fenelon ver- urtheilte und den Quietismus verbot." r a » VAHLEN: rinnerungen an Leısnız. 659 Die Kurfürstin Sophie, die an Leibniz seit Jahren auch in wich- tigeren Angelegenheiten einen verlässlichen und stets bereiten Rath- geber fand, hatte ihn auch über diesen noch schwebenden Process um seine Meinung befragt. Leibniz antwortet, er habe nur zwei oder drei Stücke (pices) daraus gelesen, aber wenn er sie alle gelesen hätte, würde er sich doch hüten sein Urtheil abzugeben. Überlassen wir, schreibt er, diese Sorge dem Papst. Er wolle hier nur die Ideen darlegen, «die er ehemals über den Gegenstand gehabt, von denen einige auch bei der Fürstin Beifall gefunden hätten. Es sei gewiss, dass unter allen Gegenständen der Theologie es keinen gebe, über den die Frauen mehr Recht hätten zu urtheilen: denn es handle sich bei dieser Frage um das Wesen der Liebe. Aber wenn dazu auch solche Erleuchtung nicht erforderlich sei, wie sie die Fürstin besitze, die mit ihrem durchdringenden Verstande auch tief denken- den Autoren überlegen sei, so wünsche er doch auch nicht, dass sie, wie die erwähnte Madame Guyon beschrieben werde, unwissende Frömmlerinnen (devotes ignorantes) seien, der er andere heller den- kende und unbefangen urtheilende Frauen entgegenstellt.'' Auf seine Ideen zu kommen, geht Leibniz von dem Begriff der Liebe aus. Lieben, sagt er, heisst Vergnügen finden an den Voll- kommenheiten oder Vorzügen und überhaupt an dem Glück Anderer. So liebe man Gegenstände, die schön sind, und vor allem denkende Wesen, deren Glück unsere Freude ausmacht und denen wir Glück und Wohlfahrt wünschen, auch wenn uns daraus nichts zu Theil wird als das Vergnügen sie glücklich zu sehen: was er nach seiner Art mit einem schmeichelnden Appell an seine Fürstin erläutert, in- dem er sagt, das sei die Empfindung derer, die das Glück hätten, ihrer Hoheit unvergleichliche Tugenden zu kennen." Die Definition aber, dass Liebe sei das Vergnügen an den Voll- kommenheiten und dem Glücke Anderer, das der Liebe ein ebenso wesentliches sei, wie andere Vergnügen oder erwarteter Vortheil davon ausgeschlossen ist, soll ihm dienen eine interesselose Liebe zu Gott zu gewinnen, der der Inbegriff aller Vollkommenheiten und des höchsten Glückes ist, welche ohne Hoffnung und Furcht und ohne jede Rück- sicht auf eigenen Vortheil zu betrachten das grösste Vergnügen und das höchste Glück des Betrachtenden sei. Darin nämlich sah Leibniz den Kern der viel verhandelten Streitfrage, die er auf diesem Wege zu lösen gedachte." ‘s ist nicht zu leugnen, dass seine Ausführung, die ich nur mit den äussersten Spitzen wiedergebe, hier und da an die Lehren Fenelon’s und der Quietisten anklingt, wie umgekehrt Leibniz den einen und andern Satz jener ausdrücklich als irrig abweist. Aber 660 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. seine Betrachtung hält sich doch wesentlich in begrifflicher Deduction und bleibt von mystischen Überschwänglichkeiten fern. Leibniz legt Werth darauf, dass er diesen Gegenstand schon vor mehren Jahren ergründen wollen, bevor noch die Frage in Frankreich angeregt worden: und schon 1693 habe er sie in der lateinisch ge- schriebenen Vorrede, die er seinem Codex iuris gentium diplomatici vor- ausgeschickt, entwickelt und dazu benutzt, das noch immer vielfach misskannte Wesen der Gerechtigkeit aufzuklären, die er als die caritas sapientis definiert, d. h. als das allgemeine Wohlwollen, wie es nach den Vorschriften der Weisheit geübt wird, die caritas selbst aber als eine Form der Liebe, wie er diese erklärt habe. Allein die Ausbildung dieser Ideen, betont er, gehe zurück bis in seine Jugend, und es habe dazu viel beigetragen ein grosser Fürst der zugleich ein grosser Prälat war, indem er ihn mit dem deutsch geschriebenen Buch des P. Spee von den drei christlichen Tugenden bekannt gemacht habe. Es ist Friedrich Spee, ein Jesuit aus adlichem Geschlecht, der zu Kaiserslautern am Niederrhein geboren, zu Trier im Jahre 1635 in einem Alter von nur 44 Jahren starb. Von ihm sind lange nach seinem Tod, 1649 zwei deutsch geschriebene Bücher gedruckt und veröffentlicht worden: “Trutznachtigall’ und "Güldenes Tugendbuch d.i. Werk und Übung der drei göttlichen Tugenden, des Glaubens, Hoffnung und Liebe.” Das erste ist eine Sammlung geistlicher Lieder; das andere ein pro- saisch abgefasstes Erbauungsbuch mit eingelegten Gedichten. Von diesem redet Leibniz, der es der Kurfürstin eifrig anpreist als eines der ge- diegensten und rührendsten Erbauungsbücher, die er je gesehen habe, in welchem (wie er an anderm Orte schreibt) die rechte Natur einer unverfälschten und nicht auf Hoffnung oder Furcht sondern einzig und allein auf die Schönheit und Vollkommenheit Gottes gegründeten und also uninteressirten Liebe zu Gott gut und eindringlich erklärt und dargestellt werde. Diesem Büchlein ist eine ausführliche Vorrede vorausgeschickt, die in katechisierendem Gespräch das Wesen der drei christlichen Tu- genden und ihr Verhältniss zu einander eingehend erörtert und ins- besondere die rechtfertigende Kraft der rechten Gottesliebe, die den lebendigen Gottesglauben in sich schliesse, zu begründen sucht. Hier vor allem fand Leibniz seine Anschauungen in einer Weise wiederge- geben, dass er sich entschlossen hatte, von diesem Gespräch eine fran- zösische Übersetzung anzufertigen, die er jetzt der Kurfürstin nebst dem Büchlein selbst und seinem Schreiben überreicht. Die Sorgfalt, die Leibniz an die Übertragung gewendet, giebt einleuchtenden Beweis wie hoch er das Gespräch und das Büchlein a Vanrren: Erinnerungen an Leısnız. 661 überhaupt gehalten, das er nicht bloss der Kurfürstin von Hannover, sondern auch dem Herzog Rudolf August von Braunsch weig-Lüneburg (1693) mit seiner angelegentlichen Empfehlung zugesendet und durch den Staatsminister von Imhof auch der Königin Elisabeth Christine von Spanien überreichen liess, indem er in beiden Schreiben den Kurfürsten von Mainz, Johann Philipp von Schönborn, als den grossen Fürsten und Prälaten namhaft macht, dem er die Kenntniss des Buches und das Exemplar selbst ehemals zu danken gehabt habe. Obwohl Leibniz des öftern bekennt, dass er hier Ideen begegnet sei, die den seinigen entsprachen und ihn in seiner früh gewonnenen Auffassung bekräftigten, so war ihm doch nicht entgangen, dass der Jesuit sich mitunter Wendungen bediente, die dem Katholiken zu- standen, von dem strengen protestantischen Lehrbegriff aber abwichen, und er hat sowohl sonst ab und zu auf die Nothwendigkeit gewisser Beriehtigungen hingewiesen, als ganz besonders in der Übersetzung an verschiedenen Stellen durch ergänzende Bemerkungen kenntlich ge- macht, wie der Ausdruck in protestantischem Sinne hätte lauten müssen. Aber er hielt diese Differenzen doch nur für Kleinigkeiten (bagatelles), die das was ihm der Hauptwerth war nicht verringern dürften. Nur Eines in dem Buche hat Leibniz’ Missfallen erregt, die ein- gelegten Gedichte, die er am liebsten beseitigt gesehen hätte. In dem Schreiben an die Kurfürstin bemerkt er, dass Spee keine Vorstel- lung gehabt habe von der Vollendung der deutschen Dichtung, die durch das Verdienst des unvergleichlichen Opitz erreicht sei, von dem jener wohl nie gehört habe, und hat auch an andern Orten, wo er des Buches selbst rühmend gedenkt, auf diesen Mangel mit Nachdruck hin- gewiesen; ja er sieht sogar einen Gegensatz der Bekenntnisse darin, dass die von dem Protestanten Martin Opitz herbeigeführte Reform der deutschen Verskunst den Papisten, die die echte Weise deutsche Verse zu machen noch immer nicht gelernt hätten, so fremd geblieben sei wie die religiöse Reform. Leibniz hat selbst zahlreiche Gedichte, in lateinischer und fran- zösischer Sprache, aber auch in deutscher, verfasst, mehr auf äussere Anlässe als aus dem innern Drang eines bewegten Dichtergemüths, und da er an den ihm von Jugend auf vertrauten elassischen Dichtern der Römer sich gebildet und geübt hat, ist es begreiflich, dass er an Opitz’ Neuerung besonderes Wohlgefallen fand, die aus derselben Wurzel hervorgegangen ist. Was aber Spee’s Dichtungen betrifft, nicht bloss die in dem Tugendbüchlein enthaltenen, sondern auch die der Sammlung “Trutz-Nachtigall’, die auch Leibniz wohl bekannt war, so liegt, wenn ich mir ein Urtheil erlauben darf, der Mangel nicht so sehr in der metrischen Form der Verse als in den Verstümmelungen 662 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. und Verrenkungen der Worte, die durch den Verszwang herbeigeführt werden und den poetischen Eindruck nicht selten beeinträchtigen. Denn an dichterischem Vermögen, warmer Empfindung, lebendiger Phantasie ragt Spee über Opitz hinaus: was auch Leibniz nicht ver- kennt, der von den Liedern der “Trutz-Nachtigall’ urtheilt, dass sie ohne den von ihm gerügten Fehler zu den Zierden unserer Sprache gerechnet würden (inter linguae nostrae ornamenta censeri); wofür sie denn auch in der Folgezeit meist immer gegolten haben, deren reiz- volle Eigenart unseres Scherer unnachahmliche Kunst der Charakteristik mit wenigen Strichen meisterlich gezeichnet hat. Dem andern grossen Verdienst Friedrich Spee’s, an das die Trierer Meldung besonders erinnert, hat auch Leibniz seine Bewun- derung gezollt, der sich darüber in dem Schreiben an die Kurfürstin, von dem unsere Betrachtung ihren Ausgang nahm, nachdem er Spee’s Tugendbüchlein gepriesen, mit folgenden Worten ausspricht. “Dieser Pater ist einer der grossen Männer seiner Gattung gewesen, der es verdient besser bekannt zu sein als er es ist. Derselbe Fürst (dem Leibniz die Bekanntschaft mit Spee’s Tugendbuch verdankt) hat mir auch eröffnet, dass Spee der Verfasser des berühmten Buches sei über die Vorsichtsmassregeln, die man in den Prozessen gegen die Hexen zu beobachten habe, ein Buch, das soviel Lärmen in der Welt ver- ursacht hat, das aus dem lateinischen Original in die verschiedensten Sprachen übersetzt worden, und das die Hexenverbrenner in so grosse Aufregung versetzt hat, ohne dass sie doch erfahren konnten, von wo es kam.’ Es war im Jahr 1631, mitten in der Zeit, da zahllose Frauen und Männer unter dem Verdacht und der Anklage vom Teufel be- sessen und dem Hexenspuk ergeben zu sein dem Feuertod geopfert wurden, dass Friedrich Spee, der mit Hülfe seiner geistlichen Func- tionen sich überzeugt hatte, dass unter denen, die er auf ihrem letzten Gange geleitet, auch nicht Einer sei, der nicht unschuldig verurtheilt worden, sich entschloss seine Schrift zu verfassen, der er den Titel gab Cautio criminalis seu de processibus contra sagas liber. Er schrieb lateinisch, an die Machthaber und die intelligente Welt sich wendend, aber mit dem ausgesprochenen Wunsch, dass durch eine deutsche Übersetzung auch dem Volk die Augen geöffnet werden möchten. Als Verfasser hielt er sich im Verborgenen, um nicht nutzlos von dem unwiderstehlichen Strom der Verblendung hinweggerafft zu werden: denn wer es wagte dem herrschenden Unfug entgegenzutreten, setzte sich der Gefahr aus, selbst der Zugehörigkeit verdächtigt und ver- urtheilt zu werden. In seiner Beweisführung aber schlug er den Weg ein, nicht den Hexenwahn als eine Ausgeburt cerassen Aber- r AR ap*® VAHLEN: Erinnerungen an Leısnız. 663 glaubens zu brandmarken, sondern das bei diesen Processen übliche, aller Vernunft und Gerechtigkeit spottende Gerichtsverfahren der Prüfung zu unterziehen, überzeugt, dass wenn man nur mit Einsicht und ohne Vorurtheil inquirieren wolle, es bald keine Hexen mehr in Deutschland geben würde. In diesem Sinne ist sein ganzes Bemühen dahin gerichtet, die unerhörten Schäden dieser Processführung aufzudecken und ihre Be- seitigung herbeizuführen, die insbesondere in der Handhabung der Folter ein Mittel besass nicht die Wahrheit zu erforschen, sondern auch die Unscehuldigen unter grässlichen Qualen zur Bekenntniss einer Schuld zu zwingen, die ihnen fremd war. Er redet mit patriotischem Eifer den Fürsten in das Gewissen, dass sie solchen Makel zur Schande Deutschlands nicht bestehen lassen und ruft die Verantwortung aller geistlichen und weltlichen Obern auf mit Kraft und Einsicht dem Greuel entgegenzuwirken. Friedrich Spee starb 1635, hatte aber bei Lebzeiten noch den Erfolg, den Kurfürsten und Erzbischof von Mainz, als derselbe noch Domherr war, von der Richtigkeit seiner Anschauungen zu überzeugen. Daher dieser, als er 1647 die Regierung in seinem Erzbisthum Mainz antrat, in seiner Diöcese die Hexenverbrennung verbot und damit ein Beispiel gab, dem zuerst die Herzöge von Braunschweig und weiter- hin die Mehrzahl der Fürsten und Staaten von Deutschland sich anschloss. Und Leibniz also hat, einer der ersten, den Namen des Verfassers des berühmten Buches aus demselben Munde erfahren, der ihm Spee’s Tugendbuch so erfolgreich angepriesen hatte. Leibniz aber hat, was ihm in seiner Jugend bekannt geworden, bis in sein reiferes Alter bewahrt, und von den angezogenen Briefen nicht zu reden, die alle späteren Jahren angehören, schon im Jahre 1677 in einem lateinisch abgefassten Elogium Patris Friderici Spee 8.1. die Verdienste des Mannes in knappem aber kräftigem Ausdruck zusammengefasst, und noch in den 1710 erschienenen, aber aus verschiedenen Jahren stammenden Essais de Theodieee‘'* seinem Andenken einen ausführlichen Exeurs ge- widmet, der gleichmässig seine Lehre von den christlichen Tugenden wie seine Bekämpfung der Hexenprocesse eingehend und mit einer Wärme der Empfindung würdigt, die beides erkennen lässt, welch hohen Werth Leibniz seiner Überzeugung von der Gottesliebe bei- mass, die er in fesselnder Form bei dem Jesuiten wiederfand, und wie sehr ihm am Herzen lag dem ungewöhnlichen Verdienst um Deutsch- lands Gesittung spät noch zu der ihm gebührenden Anerkennung zu verhelfen. Aber mit der Erinnerung an Spee hat Leibniz jederzeit verbunden einen verehrungsvollen Ausdruck des Andenkens an Johann Philipp 664 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. von Schönborn, den Kurfürsten und Erzbischof von Mainz, der nicht bloss einer der hellsehendsten Kirchenfürsten seiner Zeit sondern ein in allen politischen Fragen und Verwicklungen, die die Welt bewegten, erfahrener und erfolgreich thätiger Staatsmann war. An dessen Hofe zu Mainz hat Leibniz in jungen Jahren (von etwa 1667) gelebt, und war in den letzten Jahren bis zu des Kurfürsten Tode (1673) mit einem angesehenen Posten in seinem Dienste betraut: eine Epoche in Leibniz’ Jugend, die von nachhaltigem Einfluss für sein ganzes späteres Leben geworden ist. Um so mehr ist es mir erfreulich, am Schluss meines Vortrags zum Anfang zurückkehrend mittheilen zu dürfen, dass die im Interesse des internationalen Leibnizunternehmens von unserer Akademie angestrengten Forschungen neuester Zeit ein reiches noch unausgenutztes Material zu Tage gefördert haben, das über Leibniz und seinen grossen Gönner Johann Philipp von Schönborn die erspriesslichsten Aufschlüsse verspricht." Vauren: Erinnerungen an Leipnız. 665 Anmerkungen. ı 0. Klopp, Die Werke von Leibniz, Bd. 10 S. 136, schreibt die Königin an Leibniz (xxxı) ‚Je vous envoye cette lettre, Monsieur, et j’espere quelle vous trouvera sur vostre depart, et je vous attends avec impatience & Tautzburg, ou je vais a Pasques. (xxx) Vous verrez par ce billet, Monsieur, l’impatience que j’ay de vous voir icy, et combien j’estime votre conversation, la recherchant avec tout l’empressement imaginable. Ich habe nicht die Absicht alle hierher gehörigen Briefe zu excerpieren, zu denen ausser den bisher bekannten auch einige in der neuen Sammlung von Doebner kommen. Aber ein paar Stellen, wie die angeführten, werfen Licht auf die persönlichen Beziehungen. ®2 Gerhardt, Die philosophischen Schriften von Leibniz, Bd. 6, S. 522 — 528, der S.477 bemerkt, dass dieser Brief vorher noch nicht gedruckt worden. 3 Leibniz schrieb Z’art de bien penser, und wenige Zeilen weiter /’art de penser dans les ouvrages d’esprit. Der Titel des Werkes lautet aber: La maniere de bien penser dans les ouvrages d’esprit. Dialogues. A Paris 1687; und ist verschieden von einem Werk mit dem Titel L’art de penser. * Leibniz an Basnage (Hannover 1697) bei Gerhardt Bd.3 S. 133: J’ay lü une partie du livre du Mons. Jaquelot, ou je voy qu’il y a plusieurs bonnes choses; quand il y auroit aussi quelques endroits foibles, je n’ay point coustume d’y donner attention. Ma maxime est de profiter des livres, et non pas de les critiquer. 5 Vol. Un ‚Jesuite homme de lettres au dix-septieme siecle. Le pere Bouhours. Par George Doncieux. Paris 1886. % Les entretiens d’Ariste et d’Eugene (ed. 5. 1683) p.93 les Allemans ont une langue rude et grossiere, selon le temperament et les moers de leur pais. ° Exeurs über Leibniz und Bouhours. Die Hauptstelle in Les entretiens d’Ariste et d’ Eugene. Paris 1683 (ed. 5.) p. 321 lautet: I! faut du moins que vous confessiez, dit Ariste, que le bel esprit est de tous les pais et de toutes les nations; c’est-@-dire, que comme il y a eü autrefois de beaux esprits Grecs et Romains, il y en a maintenant de Frangois, d’Italiens, d’Espagnols, d’Angleis, d’Alle- mands mesme et de Moscovites. (est une chose singuliere qu’un bel esprit Allemand ou Moscovite, reprit Eugene; et s’Ü y en a quelques-uns au monde, is sont de la nature de ces esprits qui n’apparoissent jamais sans causer de l’etonnement. Le Cardinal du Perron disoit un jour, en parlant du Jeswite Gretser: il a bien de l’esprit pour un Allemand ; comme si c’eust este un prodige qu'un Allemand fort spirituel. Darauf gehen die Bemerkungen Friedrich’s des Grossen, wie an d’Alembert (25. Juli 1771) vol. xxıv S. 542 Le pere Bouhours l’a bien dit, que hors de la France on pouvait a toute riqueur avoir du bon sens, mais nom de l’esprit. Vous etes dans le beau pays d’Eldorado ete. nebst d’Alembert’s Antwort S. 543; vgl. ebend. S. 625 u. 628; an d’Alembert (6. Jun. 1779) vol. xxv S. 124 Bouhours l’avait bien dit, l’atmo- sphere de l’esprit s’etend de la Garonne jusqu’a la Moselle; au dela, point de sens commun; an denselben (28. Mai 1781) vol.xxv S.183 Ah! pöre Bouhours, me suis-je derie, je suis contraint d’avouer que vous aviez vaison, et que, hors de Paris, on ne trouve que ce gros sens commun qui ne merite pas qu’on en parle, an Voltaire (19. März 1771) vol. xxım S. 191 Sans doute, Bouhours avait raison: mes chers compatriotes et moi, nous n’avons que ce gros bon sens qui trotte par les rues. Ma faible chandelle s’eteint. \Vel. vol. xxv S. 332fg. — La Guerre des Confederes Ch. v. vol. xıv S. 224. Oui, ce Bouhours, c’etait un grand oracle ; Il dit tres-bien que c’est un vrai miracle, (Qui meme encor dans nul temps ne se wit, Que, hors des lieus que renferme la France, Un pauvre humain puisse avoir de l’esprit. Paris en est le magasin immense _ete. Der Ausdruck selbst lässt meistens deutlich erkennen, wo das Fünkchen Wahrheit der Sache aufhört nnd der Spott beginnt. Denn Friedrich schreibt auch ohne Ironie (an Pöllnitz) vol. xx S. Sı vous dites de Meinders qu’il avait de la finesse, ce qui serait 666 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. extraordinaire chez un Allemand, oder an Darget ebend. 47 (49) von dem flegme de nos bons Allemands und der petulance de vos beaux esprits. Um Leibniz’ Absicht zu würdigen, ist seine Äusserung vorab in weiterem Zu- sammenhang anzuführen (Gerhardt, Die philosophischen Schriften von Leibniz, Bd. 3 S. 7): oplarem suppetere maiora testando cultui, quem magnis hominibus omnes debent, ego privatim Tibiz sed litterulae meae non sunt feraces rerum Te dignarum. Superest umum ergo, ut Tibi, quando studia non possum, saltem obsequium probem, quod facturus sum etiam cum periculo famae meae. Er bespricht dann die Nützlichkeit des grossen Planes, die latei- nischen Autoren cum interpretatione et notis in usum Delphini herauszugeben, für welches Unternehmen Huet auch Leibniz zu gewinnen versuchte. S.8: Hwie tantae molitioni vestrae administros esse lectos viros praestantes nemo dubitat qui vos novit. (Quo magis miror tudieü Tui benignitatem, qui hominem mei similem nonnihil conferre posse nuper cere- debas: id ego primum naturali cuwidam bonitati_tribuebam , qua optimi quique viri welt praeventi de aliis humanissime sentiunt. Sed ut Te perstare vidi, de cuius acerrimo iu- dicio non poteram dubitare, re mecum eapensa modum reperi conciliandi conscientiam meam cum spe tua. Id enim fateor, tametsi neque ingenium neque doctrinam mihi arrogem, dili- gentiae tamen laudem aliquando apud aequos censores consecuturum (Gerhardt consecutum). Et quid aliud exspectes a Germano, cui nationi inter animi dotes sola laboriositas relieta est? Restabat de scriptore deliberare ete. Man sieht, Leibniz ist bemüht, indem er Huet’s Wunsch zu erfüllen bereit ist, zu verhüten, dass er nicht irgend besondere Hoffnung an seine Betheiligung knüpfe. Diese Stelle in Leibniz’ Brief ist es, die Haupt Anlass gegeben hat, in drei keden über den Gegenstand sich auszusprechen: zuerst 4. Juli 1861 in einer Rede “über Leibniz’ verhältniss zur deutschen sprache’ (Opp. ıı S. ı12). “Leibniz selbst hat überall sich als Deutscher gefühlt und bekannt. es war ein seltsamer irrthum wenn man in seiner bekannten äusserung in einem briefe an Huet, fleissige arbeit könne er versprechen, und was sei denn anderes von einem Deutschen zu erwarten, da diesem volke von allen geistesgaben ja nur die arbeitsamkeit zugetheilt sei, wenn man in dieser äusserung, deren ironie erkennbar wäre wenn sich auch ihre beziehung auf leeren übermut der kurz vorher die Deutschen abzuschätzen versucht hatte nicht bestimmt nachweisen liesse, eine bescheidenheit zu finden meinte die dem eigenen volke zu nahe trete und dem gerechten selbstgefühle widerspreche mit dem Leibniz in demselben briefe sagt, er habe die eigenheit nicht gern einen gegenstand anzu- rühren wenn er nicht hoffe ungemeines zu leisten. Die letztere Bemerkung steht nicht in demselben Briefe, sondern in einem dritten Briefe von Leibniz an Huet (Gerhardt, a. a.0. S. ıofl.), und will auch nur im Zusammenhang, betrachtet werden, um zu erkennen, dass obige Wiedergabe nicht zutreffend ist. Leibniz hat zur Bear- beitung auch an Vitruv gedacht, von dem eine neue Ausgabe von Valesius erwartet wird; daher schreibt er: est et aliud cogitandum mihi, an nimirum post messem eius spi- eilegium mihi relictum sit observationum quarundam non contemmendarum. Ita enim ego animatus sum, ul ne attingere quidem argumentum velim, ubi spes non sit, praestari ali- quid extra ordinem posse: nam medullam bonorum interpretum clare brevitergue exhibere, Jortasse non adeo diffieile fuerit. Leibniz will sich nieht an einen Schriftsteller wagen, bei dem ihm möglicherweise nichts übrig blieb als die guten Anmerkungen eines anderen abzuschreiben. Sodann am 21. Januar 1864 in einer erst nach seinem Tode gedruckten Rede “über die beziehungen Friedrichs des Grossen zu der entwiekelung der deutschen litteratur” (a. a. ©. S.159). “sein königliches walten war im innersten doch ein deutsches, und deutsche ehre hat er nicht bloss durch thaten, sondern auch den Franzosen gegenüber in ernsten und ironischen aussprüchen behauptet. wie zum bei- spiel Leibniz in einem briefe an Huet mit ironischer demuth auf das unverschämte ur- theil des jesuiten Bouhours über die geistesfähigkeiten der Deutschen anspielt, so that es auch Friedrieh mit derselben ironie in mehreren briefen an Franzosen. das ist ernster gemeint als andere äusserungen die Friedrich in augenblieklicher laune oder verstim- nung gethan hat.’ r 80 am Vanuten: Erinnerungen an Leinnız. 667 Zum dritten Male und am ausführlichsten am 2. Juli 1869 in einer gleichfalls erst später gedruckten Rede “über Leibniz’ beziehungen zur elassischen philologie' (a. a.0. S. zrgfl.). Nachdem Haupt den Anlass des Briefwechsels mit Huet und die oben angeführte Äusserung von Leibniz mitgetheilt, fährt er fort: “der überbescheidene ton dieser äusserung hat nicht selten verwunderung erregt, das vermeintliche un- patriotische geständniss unwillen. Guhrauer sucht es zu entschuldigen. bemerkens- werth ist dass auch Lessing durch jene äusserung befremdet ward. und doch steht sie in so grellem widerspruche zu der vaterländischen gesinnung, die Leibniz niemals und den Franzosen gegenüber am wenigsten verleugnete, dass sie nicht ernsthaft ge- nommen werden kann. und doch war Lessing in der französischen litteratur, in der die aufklärung des befremdlichen leicht zu finden war, überaus bewandert und von allem was Leibniz angeht unterrichteter als irgend einer. was Leibniz an Huet schreibt birgt unter dem scheine schüchterner demuth und des zugeständnisses zu sein was ein Deutscher höchstens sein könne, ein arbeitsamer mann, eine bittere ironie, die er dem Franzosen sichtlich mit innerer lust zu kosten giebt. ein oberflächlicher und anmasslicher aber in Frankreich gelobter vielschreiber der jesuit Dominique Bouhours hatte in seinen Entretiens d’Ariste et d’ Eugene ausführ- lich die Franzosen als das in jedem betracht erste volk der welt gepriesen, den geist- losen und gedankenarmen Deutschen als einen mageren brocken ein lob ihrer arbeit- samkeit hingeworfen. dass Leibnizens ironie sich hierauf bezieht wäre zweifellos wenn auch nicht der monatliche auszug vom jahre 1700 eine unverkennbar von Leibniz verfasste oder veranlasste anmerkung enthielt die nach 23 jahren die unverschämtheit des Franzosen, der spöttisch ein galantgelehrter genannt wird, in erinnerung bringt. Mit Haupt scheint einigermassen übereinzustimmen Michael Bernays, der in dem aus seinem Nachlass herausgegebenen 4. Band seiner "Schriften zur Kritik und Litteratur- geschichte’ (1899) S. 264 einiges über Bouhours aus seiner reichen Litteraturkenntniss zusammengestellt hat. Ob Haupt mit Recht für Leibniz’ Äusserung ironische Auffassung verlangt, ist eine rein hermeneutische Frage, wie auch der Erklärer der Alten mitunter in dem "alle ist zu entscheiden, was ironisch aufzufassen ist, was nicht. Sehen wir also zu. Wie Leibniz französische Urtheile über Deutsche angesehen hat, kann besonders eine Stelle in einem Briefe desselben an Henri Basnage de Beauval aus dem Jahre 1697 lehren; auf die Bemerkung von Basnage (Gerhardt Die philos. Schriften v. Leibn. Bd. 3 S. 136) on a aussi publi Chevreana, quoyque M. Chevreau soit encore vivant. Apparemment qwil a recueilli Im meme ses bons mots antwortet Leibniz (a. a. O. S. 138) Monsieur Cramer, informateur du Prince Blectoral de Brandebourg, Apologiste des Allemands contre le Pere Bouhours, avoil vü les Chevraecana. Il en avoit bien profite. Monsieur Chevreau connoist P’ Allemagne et le Nord un peu mieuws que des Frangois qui se melent d’en juger sur un ouy dire et se font une idee des nations sur le modelle de quelque jeune etourdi qwils ont vü a Paris. Chevreau, der lange Jahre in Deutschland gelebt hat (S. 162), spricht (Chevraeana ou diverses pensces d’histoire, de critique, d’erudition et de morale. Recueillies et publiees, par Mr. Chevreau. Amsterd. 1700) S. 91. 92 und an anderen Orten zu Gunsten der Deutschen und gegen Bouhours und die verkehrte Manier über Na- tionen nach Einzelnen zu urtheilen. In lo. Frid. Cramer’s Vindiciae nominis Germaniei contra quosdam. obtrectatores Gallos (Berol. 1694) finde ich die Chevraeana nicht erwähnt, obwohl er sie benutzt haben kann. Doch mit Leibniz’ obigem gegen Bouhours ge- wendeten Urtheil wird man verbinden können, was der “Monatliche Auszug aus aller- hand neu herausgegebenen nützlichen und artigen Büchern’ im Jahre 1700 (S. 259 fgg.) über Bouhours enthält. Auf Anlass einer 1700 erschienenen Schrift desselben “Pensces ingenieuses des Peres de l!’Eglise par le P. B. Paris 1700! wird in der Anmerkung ein Ver- zeichniss seiner übrigen Schriften gegeben; und über die Zntretiens d’Ariste et d’ Eugene, ı Ein ‘Galantgelehrter” wird Bouhours nicht ‘spöttisch’ wie Haupt sagt genannt, sondern in dem Sinne wie die Recension der neuen Schrift die “galanten Studia’ desselben in Gegen- satz stellt zu seiner Beschäftigung mit den Kirchenvätern. 668 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. ‘darinnen er die französische Nation auf alle Weise erhebet, hingegen alle andern, sonder- lich die Teutschen aufs äusserste verachtet und ihnen den scharfsinnigen Verstand ganz und gar abspricht’, wird bemerkt, “dass sie vielen Gelehrten die Federn wider ihn geschärft haben. Sonderlich hat der berühmte Herr J. F. Cramer an den Sel. Fr. Bened. Carpzov eine schöne Epistel deswegen geschrieben und unterin Titel Vindieiae usw. zu Berlin 1694 drucken lassen, die in Holland in 8° wieder aufgelegt und mit einem überaus artigen Epigramm auf den P. Bouhours vermehrt ist. Der französische Autor des Sentimens de Oleanthe sur les Entretiens d’Ariste et d’Eugene ist selbst des- wegen übel auf ihn zu sprechen, wie auch M. Chevreau in seinen Pensees [die gleich- falls in diesem Auszug eine Besprechung gefunden]; Io. Braunius in Sacris selectis 1. v. p.675 seq. hat in einem eigenen Capitel de Bahouri (wie er ihn unrecht nennt) Galli ignorantia et maledicentia die Teutschen wider seine Verleumdungen verfochten.. (Vgl. G. Doneieux Le Pere Bouhours p. 124 seg.) Es ist bekannt, dass Leibniz diese Zeitschrift, eine Art deutschen journal des sgavans in das Leben gerufen und in beständiger Beziehung zu derselben gestanden, wie namentlich in einigen Briefen von Leibniz an den Ober- ceremonienmeister von Besser von 1701 (‘Aus dem Briefwechsel König Friedrich's 1. von Preussen‘. Herausg. von E. Berner. Berlin tgor S. 435 ff.) zu besonderem Zweck ausgeführt wird. Ob aber die Anmerkung, die, wie nicht zu verkennen, die fran- zösischen und deutschen Polemiken gegen Bouhours angelegentlich zusammenstellt, von Leibniz veranlasst oder verfasst sei, wie Haupt als sicher annimmt, ist nicht zu erweisen, und mag dahin gestellt bleiben. Denn es verschlägt in der That nicht viel. Dass Leibniz auch schon 1673, als er nach Paris kam und mit P. D. Huet in Ver- bindung trat, mit Bouhours’ Entretiens, die 1671 zuerst und in den nächstfolgenden Jahren 1672. 1673 wiederholt von Neuem erschienen, zu deutlichem Beweis, wie sehr sie damals gelesen und besprochen wurden, bekannt war und schon damals darüber nicht anders als später (1697) in dem Briefe an Basnage u. s. geurtheilt haben wird, ist nicht zu bezweifeln. Daraus aber folgt noch nicht, dass Leibniz’ Äusserung in dem Briefe an Huet aus demselben Jahre (1673) eine Beziehung auf Bouhours enthalte. Leibniz hat Bouhours nicht genannt (wie Friedrich d. Gr. immer thut) noch auch Franzosen überhaupt als Vertreter der Meinung, die er ironisierend sich aneignen solle. Und Bouhours hat in seinen Zntretiens davon nicht gesprochen, dass den Deutschen von allen Geistesgaben nur die Arbeitsamkeit verblieben sei. Ihm handelt es sich nur um den del esprit und dessen Ausdehnung in und ausserhalb Frankreichs. Ja zieht man eine Bemerkung von Leibniz in einem andern Brief an Basnage vom Jahre 1693 (Gerhardt Bd. 3 S. 100) in Betracht, wo er aus Anlass seines (Codex diplomaticus schreibt Vous supposes que jaye voulu donner une collection complete des pieces du droit des gens. Mais je n’en ay jamais eu la pensee, Dieu m’en garde! Je may jamais este d’humeur “ faire le transcripteur. En cela vous ne me trowwveres nulle- ment de linclination qu'on attribue aux Allemands, eine Äusserung verwandt der oben S. 666 berührten, dass er nicht bloss die Anmerkungen eines andern abschreiben wolle, so möchte man glauben, wenn schon sein Bekenntniss deutscher Arbeitsamkeit eine Ironie ist, dass sie nicht in der Beziehung auf Bouhours, sondern in anderer Richtung zu suchen sei. Aber welchem Zwecke sollte die Ironie in dem Brief an Huet dienen, die, wenn sie wirklich beabsichtigt war, nur als eine Art nationalen Spottes empfunden werden konnte. Als Leibniz im Jahre 1673 nach Paris kam, war er ein zwar noch junger (1646 geb.), aber kein unbekannter Mann, der damals mit namhaften Gelehrten Frank- reichs Verbindungen anknüpfte, die für das Leben dauerten. Pierre Daniel Huet, ı6 Jahre älter als Leibniz, war damals noch nicht Bischof von Soisson, was er 1685, oder von Avranches, das er 1689 wurde, aber er war schon damals ein sehr ange- sehener Gelehrter, der dem Hofe nahe stand und neben Bossuet an der Erziehung des Dauphin betheiligt war, wofür das von Huet mitgeleitete Unternehmen der Ausgaben lateinischer Schriftsteller in usum Delphini bestimmt war. S. Ezechiel Spanheim Relation de la cour de France en 1690. Publiee par E. Bourgeois. Paris 1900. S. ı12 ff. Für dieses I. A 12 PR VAnten: Erinnerungen an Leıssiız. 669 Unternehmen wünschte Huet Leibniz’ Mitwirkung zu erlangen, und Leibniz, der sich durch den Antrag geehrt fühlte, war nicht abgeneigt, wenn irgend möglich, ihm zu entsprechen. Wozu also, wird man fragen dürfen, mitten in der Bereitwilligkeits- erklärung ein Spott auf die Franzosen und französische Gesinnung, der, wenn er empfunden ward, die ganze Erklärung in ein zweifelhaftes Licht rücken musste. Mochte Bouhours und andere Franzosen abfällig über die Deutschen urtheilen, hatte Leibniz auch nur den geringsten Grund zu glauben, dass Huet ebenso dachte? Wie sehr dieser Leibniz schätzte, lag nicht bloss, wie Leibniz selbst anerkannte, in dem Antrag, sondern ist in Huet’s Antwortschreiben (Gerhardt Bd. 3 S. 10) in den Worten aus- gesprochen: “Martianum Capellam exornandum et curis tuis perpoliendum quod susceperis, gratulor et auctori ipsi, cui nova lux novusque accedet cultus, et tibi viro et philosophiae totius et humaniorum litterarum peritissimo: quae duo subsidia ad operis huius perfectionem nihil nisi praeclara conferre possunt. Und wer Leibniz ausführliches Schreiben an Huet mit ruhigem Blut und ohne Vorurtheil, aber im Zusammenhang betrachten will, wird, bin ich des Glaubens, zwei Dinge wahrnehmen, Leibniz’ ausnehmende Be- scheidenheit und zweitens Leibniz’ besondere Hochachtung vor Huet: und mit beiden will sich schwer vereinen ein Ausdruck, wie ihn Haupt von jener Äusserung Leibniz’ gebrauchte: “eine bittere Ironie, die er dem Franzosen sichtlich mit innerer Lust zu kosten giebt.’ Und beides, Leibniz’ Bescheidenheit, auch Franzosen gegenüber, wie seine aufrichtige Verehrung für Huet, den Bischof von Avranches, wie er ihn zu nennen pflegte, lässt sich, um jeden Zweifel zu beseitigen, noch mit manchem anderen Briefe erhärten. Ich begnüge mich einiges wenige anzuführen. In einem Briefe an Nicaise (Gerhardt Bd. 2 S. 533 ff.), der ihm seine gelehrte Dissertation des Sirenes geschickt hat, antwortet Leibniz (Hannover, Juni 1692), der ihm ent- sprechendes zu schicken wünscht: .. augmente extremement le degre de l obligation que je vous ay et me rend un peu confus, lorsque je pense que j’auray de la peine & m’acquitter de mon devoir, @ cause de la sterilite de ces pays en matiere de belles lettres. Und weiter: ‚J’excepterois pourtant Vendroit ou il parle trop avantageusement de ce qui y a de moy joint @ Vexcellent ouvrage de M. Pelisson, si je ne sgavois qu’on le doit prendre pour Peffect de Uhonnestetd dont on use envers les Estrangers. Je considere aussi qu’on auroit grand tort de s’attribuer les honneurs quwon regoit lorsqu’on se trowe en compagnie d’un grand personnage. Ainsi je me fais justice, et je comprends fort bien que Phonneur dü @ Mons. Pelisson a rejailli en quelque fagon sur moy. Woran sich weiter anschliesst j’Aonore infiniment Mons. PEveque d’Avranches, et je vous supplie, Monsieur, de le luy temoigner quand loccasion s’en presente, womit zu verbinden eine entsprechende Äusserung der Verehrung für Mons. d’ Avranches in einem zweiten Brief an Nicaise (1693) bei Gerhardt a.a.0.S.538. Ebendort S. 558 Je vous supplie, Monsieur, de marquer ü M. d’Avranches que la veneration que j'ay pour son merite eminent m’a fait remarquer avec plaisir que M. de Spanheim, dans un endroit de son Julien, luy donne comme de raison principatum eruditionis in Galha, und S. 564 Vous faites tres bien, de ramasser les pourtraits de M. d’Avranches, de M. de Spanheim et d’ autres personnes ilustres, sSiÜl y en a encor de cette force. Mais de penser au mien, quand il s’agit de ces hommes excellens, c’est leur faire tort. Iln’a pas este grave. Dass aber auch von Huet’s Seite die Würdigung von Leibniz’ Verdiensten nicht geringer war, dafür giebt das von Gerhardt Bd. 3 S.5 n. mitge- theilte Schreiben von Huet an Nicaise vom Jahre 1692 beredtes Zeugniss. ° Vgl. ©. Klopp Bd.ıo S.178. Leibniz an die Königin (undatirt). J’ay receu enfin la Traduction de Lucrece entier en vers italiens, et je l’envoye icy a V.M. Le commence- ment est ce que feu M. Palmieri nous avoit deja lü. Cette traduetion paroist belle; les vers de l’original le sont encor d’avantage, et meme beaucoup de pensees sont fort bonnes en ce qui regarde l’explication mecaniques des choses physiques. Womit zu verbinden aus Doebner’s Sammlung der Briefe der Königin Sophie Charlotte an H. C. von Bothmer v. 9. Decemb. 1702 (S.26) Monsieur Leibniz vous aura apparemment deja rendu compte, Monsieur, de ce qui regarde Laucrece, ainsi je ne vous en parle pas. Wonach auch der erstere zu datiren ist. S. auch was Leibniz in einem Briefe an Burnet (0. Klopp Bd.8 S. 87) über den goust des Mesdames les Electrices schreibt. I! leur faut quelque chose qui soit Sitzungsberichte 1905. 64 670 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. en meme temps spirituel et rejouissant. De jolies satyres, des recits curieus et plaisans, de belles productions des ecrits en matiere de religion etc. ® Aus der Schlussbemerkung lässt sich die Zeit des undatirten Briefes annähernd bestimmen. Die Reise, auf die Leibniz anspielt, ist die, welche König Friedrich nach dem Tode König Wilhelms Ill. von England, der am 19. März 1702 starb, zur Siche- rung seiner Oranischen Erbschaft nach Holland unternommen, über deren Verlauf uns die von Ernst Berner (Berlin ıgor) herausgegebenen “Briefe König Friedrichs I. von Preussen’ genauere Daten ergeben. Wir erfahren (s. Berner, a. a. ©. S. 335), dass der König am 22. Juni des Jahres 1702 im Haag angekommen ist; und obwohl ihm die Verhandlungen viel Schwierigkeiten bereiten (Berner, a.a.O. S. 336 Anm.), so äussert er doch in einem Schreiben an die Erbprinzessin Luise v. 18. Juli 1702, dass er trotz des langen Aufenthalts noch hoffe zufrieden aus dem Haag abzureisen. Die Abreise verzögerte sich aber noch bis Ende des Monats; und erst vom 5. August datiren die Briefe des Königs aus Schönhausen (Berner, a. a. O. S. 337n.). Vgl. den Brief der Königin Sophie Charlotte an H. €. von Bothmer Lützenburg 25. Juli 1702 (Doebner S.15). ‚Je vois que les aflaires de l’heritage d’Orange trainent encore. Pourvu quil le fissent JusgwWau quatriöme d’aoüt, j’en serais bien aise. Unter dem ro. August 1702 schreibt die Königin Sophie Charlotte an ihre Stieftochter, die Erbprincessin Luise (Berner, a. a. O. n.758 S.389) vous savez, je crois, que le roi est revenu Dieu merci en bonne sante et content de ce qu'il a acquis en Hollande. Damit stimmt, was die Königin Sophie Charlotte an H. €. von Bothmer von Lützenburg am 8. August 1702 schreibt: Le temps se passe ici a faire la cour en promenades, et depuis que le roi y est a aller et venir a Schoen- hausen ... le roi est fort content de son voyage et il me semble quil a raison, so dass über die Beziehung beider Briefe kein Zweifel sein kann, und dahin geht doch auch Leibniz’ Andeutung über den Erfolg der Reise (vgl. auch O. Klopp Bd. 8 S.350). Von früheren Briefen der Königin an H. C. von Bothmer sei noch erwähnt, dass sie Lützenburg 1. Juli 1702 (Doebner S.ı2) schreibt: Vous saurez mieux quand le roi sera ici, que moi. ‚J’espöre que son bon droit l’empcertera: car il me semble quil est fort nettement expose dans l’imprime ete. Leibniz aber war, wie seine Briefe ausweisen (s. ©. Klopp Bd. 8 S.351ff.), schon seit Juni 1702 in Berlin oder Lützenburg und verblieb daselbst bis tief in das Jahr 1703. Vor Anfang August des Jahres 1702 kann demnach unser Brief nicht geschrieben sein, ist es aber auch nicht viel später. Bouhours ist 27. Mai 1702 gestorben: Leibniz’ Schreiben aber enthält keine Andeutung, dass der Verfasser der maniere de bien penser nicht mehr am Leben sei, im Gegentheil; man wird also seinen Tod in Lützenburg noch nicht gewusst haben, als Leibniz schrieb. — Die Ein- sicht in die von Doebner besorgte aber noch nicht publicierte Sammlung von Briefen der Königin Sophie Charlotte danke ich der Güte meines verehrten Collegen Hrn. Koser, der mich auch sonst noch mit litterarischen Hülfsmitteln versehen hat. [So eben erfahre ich, dass die Doebner’sche Sammlung, die ich nur in den Aushängebogen benutzen konnte, inzwischen erschienen ist.] ‘" S. die Werke von Leibniz, herausg. v. O. Klopp, Bd.3 S. 56ff. Vgl. auch dessen Vorrede S.xıvff. Der Brief ist undatiert, wird aber in die Jahre 1697 —98 gehören, d. h. in dieselbe Zeit, in welcher die beiden Briefe an Nicaise (Gerhardt, die philos. Schriften von Leibniz Bd. 2) n. xv (S. 573ff.) und xvı (S. 580f.) verfasst sind, deren erster, dem eine die Frage der Gottesliebe eingehend behandelnde Beilage bei- gefügt ist, August 1697, der andere May 1698 geschrieben ist. Vgl. die Vorrede von Gerhardt S. 528fg. und den Brief von Basnage 1697 (Gerhardt 3 S. 136); sowie Leibniz’ Brief an Madame de Brinon vom 2. Jan. 1699 (O. Klopp, Bd.8 S. 99). ! Leibniz schreibt: „J’en voudrois qui ressemblassent a Me de Scudery qui a si bien eclairei les caracteres et les passions dans ses Romans, et dans ses conversations de morale; ou du moins qui fussent comme cette Mrs. Noris, dame Angloise, qu'on dit avoir si bien ecrit depuis peu sur U’amour desinteresse. Die erstere ist Mademoiselle de Scudery, an welche Leibniz Novemb. 1697 ein Gedicht, Januar 1698 einen Brief gerichtet hat (0. Klopp, Bd.6 8.175 u. S.180; val. Bd.8 S.36. 43). Über das Gedicht schreibt Leibniz an Nicaise 1698 (Gerhardt 2 S.583) r N * 7 Vanuten: Erinnerungen an Leısxız. 671 mes vers a mademöiselle de Scuderi n’estoient point sur lamour desinteresse. Was er aber über die dame Angloise bemerkt, scheint dieselbe Person anzugehen, über die er in der Beilage zu dem Brief an Nicaise (Gerhardt, Bd. 2 S. 579) schreibt: ‚J’ay appris que depuis peu une jeune demoiselle Angloise, nommee Mlle Ash (s. Gerhardt's Anm.), a echange des belles lettres avec un Theologien habile, nomme M. Norris, au sujet de l’amour de Dieu desinteresse dont on parle tant maintenant en France, wo er entsprechend dem was er an die Kurfürstin schreibt hinzufügt: Rien n’est plus de la jurisdietion des dames que les notions de ’amour. Et comme l’amour divin et ’amour humain ont une notion commune, les dames pourront fort bien approfondir cette partie de la Theologie. = In Leibniz’ Gedicht auf den Tod der Königin (0. Klopp, Bd.ıo S. 295) kehrt der Gedanke wieder: “Was ist die wahre Lieb’, als dass man sein Ergezen, In des Vollkommenheit, so man geliebt, muss sezen? Weil Liebe dann in Gott die stärkste Probe thut, Entsteht die grösste Freud’ auch aus dem höchsten Gut.’ Vgl. Essais de Theodicee c. 278 (Gerhardt, Bd. 6 S. 282): Tout plaisir est un sentiment de quelgue perfection: lon aime um objet, & mesure quon en sent les perfections: rien ne sur- passe les perfections Divines: d’ow il suit que la charitd et Pamour de Dieu donnent le plus grand plaisir qui se puisse concevoir ete. In einem Brief an die Königin (0. Klopp, Bd. 10 S. 144) heisst es: Vostre Majeste a grande raison de vouloir que la crainte et Vespe- rance ne doivent pas estre nostre motif dans la recherche de la verit€ meme qui merite un amour desinteresse. 13 In den oben Anm. ro erwähnten Briefen an Nicaise und der Beilage zum ersteren ist Leibniz’ Ansicht über die Liebe übereinstimmend, ja im Einzelnen hier und da deut- licher entwickelt, auch Bezug genominen auf das in der Vorrede zu seinem Codex diploma- ticus über die Gerechtigkeit Ausgeführte (Gerhardt 2 S. 577 und 58r), aber auch Spee’s gedacht, über den er (Gerhardt a. a. O. 579) schreibt: „’ay surtout trouve de la satisfaction dans les excellens ouvrages du Pere Spee ‚Jeswite dont le merite a este infiniment au dessus de la reputation qu'Ü a acquise. Im weiteren Verlaufe kommt Leibniz noch einmal auf Spee’s Prineipien zu sprechen. Beachtenswerth aber ist, dass in diesen Darlegungen Leibniz’ Verhältniss zu der Theorie F&nelons (Mons. de Cambray) deutlicher hervortritt. Wie viel Werth er auf seine Lehre von der Liebe legte, mag noch folgende Bemerkung in dem Briefe an Nicaise vom Jahre 1698 (Gerhardt Bd. 2 S. 582) darthun: Zntre nous, je vous laisse juger, si ce que je viens de vous &crire ne pourroit esitre envoyd & M. Abbe Bourdelot, pour estre communiqud @ M. le president Cousin. Mais il seroit bon que cela ne se fist que comme de vous. Il suffiroit de ne mettre mon ncm que par des initiales, comme par exemple: Extrait d’une lettre de M. D. L. a Monsieur ! Abbe Nicaise, touchant lamour desinteresse et les fondemens de la justice. Ob dieser Gedanke ausgeführt wor- den, habe ich nicht constatieren können. 1 Essais de Theodicee c. 96. 97. Gerhardt Bd. 6 S.156. 157. Erwähnenswerth ist, wie Leibniz in einem Brief an de Bosses vom J. 1708 (Gerhardt Bd. 2 S. 362) Spee's gedenkt, quomcdo vester Fridericus Spee elegantissimo libello modum docuwit indesinenter Jaudandi Deum_ete. '® Neue Leibniz-Funde. Reisebericht von Dr. Paul Ritter. Aus dem Anhang zu den Abhandlungen der Königl. Preuss. Akad. d. Wiss. v. J. 1904. 64* 672 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. Sodann hielten die seit dem letzten Leissız-Tage in die Akademie eingetretenen Mitglieder, HH. SrruvE, Zımmermann und MARTENS ihre Antrittsreden, welche durch den vorsitzenden Seeretar der physikalisch- mathematischen Classe beantwortet wurden. Antritisreden. Antrittsrede des Hrn. STruve. Die Fortschritte der Naturwissenschaften in den ersten zwei Jahr- hunderten des Bestehens der Akademie werden uns deutlich vor Augen geführt durch die Wandlung, die sich im Verhältniss der Astronomie zu den anderen in der Akademie vertretenen Wissenschaften vollzogen hat. Astronomische Fragen standen bei der Stiftung im Vordergrunde. Leısnız beschäftigte der Gedanke, ein Observatorium und eine an das- selbe sich anschliessende Societät zu gründen. Kann es auch nicht zweifelhaft sein, dass der Philosoph darin nur ein Mittel zur Förde- rung seiner viel weitergehenden Pläne erkannte, für die Stellung, welche die Astronomie zu jener Zeit einnahm, ist es bezeichnend, dass. der Bau der Sternwarte der erste Schritt zu ihrer Verwirklichung war. Heute, wo die Naturwissenschaften sich von ihrer Führung los- gelöst und ihr ebenbürtig an die Seite getreten sind, kann die Astro- nomie mit Genugthuung darauf zurückblicken, dass sie es gewesen ist, von welcher der stärkste Impuls zur raschen Entwickelung der Mathematik und Physik im 17. und 18. Jahrhundert ausging. Zugleich aber muss sie dankbar bekennen, dass für die Dienste, die sie den Schwesterwissenschaften geleistet hat, ihr von diesen Gegendienste in reichem Maasse zu Theil geworden sind. Physik und Chemie haben neue Zweige der Astronomie erstehen lassen, welche auch der alten Astronomie zugute kommen; durch die Fortschritte der Analysis ist die Gravitationstheorie zu einer hohen Stufe der Ausbildung gelangt; die Fortschritte der Technik gestatten dem Astronomen den Kreis der Untersuchungen immer weiter zu ziehen und die Genauigkeit der Messungen zu vergrössern. So hat auch die Astronomie gegenwärtig eine Ausdehnung gewonnen, welche es dem Einzelnen kaum mehr möglich macht, das Ganze gleichmässig zu überschauen. Immer weiter schreitet auch hier die Arbeitstheilung fort, hier noch dadurch be- schleunigt, dass nicht bloss der Umfang des Beobachtungsmaterials wächst, sondern auch die zunehmende Genauigkeit der Beobachtungen eine ganz erhebliche Steigerung in den an die Bearbeitung derselben zu stellenden Anforderungen bedingt. SrruvE: Antrittsrede. 673 Auch meine Arbeiten haben sich hauptsächlich auf einem erst im Laufe des letzten Jahrhunderts durch die Vervollkommnung der Beob- achtungsmittel und Messungsmethoden zu grösserer Bedeutung gelang- ten Specialgebiete bewegt, auf welches ich durch meinen Entwicke- lungsgang gewiesen wurde. Aufgewachsen an einer berühmten Pfilanz- stätte für Himmelsforschung. wurde ich schon früh mit deren Beob- achtungsmethoden vertraut. Noch während meiner Studienzeit war mir vergönnt, an einer der von Russland nach Ostasien entsandten Expeditionen zur Beobachtung des Venusvorübergangs vor der Sonnen- scheibe im Jahre 1874 theilzunehmen. Gleichwohl lag es damals noch nicht in meiner Absicht, der Tradition der Familie zu folgen. Auf der Universität wurde mein Interesse besonders für Mathematik und Physik geweckt, und angeregt durch Minpise in Dorpat und namentlich durch KırcnnHorr, dessen Vorlesungen ich hier in Berlin hören durfte, waren es zunächst Aufgaben der theoretischen Optik und ihrer Anwendung auf die Theorie der Fernrohre, welche mich während der ersten Jahre, nachdem ich die Universität verlassen hatte, beschäftigten. Zur Astro- nomie zurückzukehren veranlasste mich ein äusserer Beweggrund. Die Pulkowaer Sternwarte, zur Zeit ihrer Gründung auf's reichste ausge- stattet, war nach Ablauf von vier Decennien durch die rasche Entwicke- lung der Technik und der physikalischen Diseiplinen von jüngeren Stern- warten überholt worden. Nicht nur, dass sie auf wichtigen Gebieten der Stellarastronomie, in ihren Mitteln beschränkt, nicht mehr die im Anfang eingenommene Stellung behaupten konnte, auch die neuen Zweige der Astronomie, die damals rasch emporblühten, forderten eine Erweiterung ihrer Thätigkeit und Vermehrung der instrumentellen Mittel. Nachdem unter der Leitung meines Vaters einige Jahre zuvor die astrophysikalische Abtheilung gegründet worden war, gelangte die Sternwarte 1885 in den Besitz des grossen Refractors von ÜLArK- RersorLp, und mir fiel die dankenswerthe Aufgabe zu, welche meine fernere Thätigkeit bestimmte, das neue, ebensowohl durch seine op- tische Kraft, wie auch durch die mechanische Ausführung gleich voll- kommene und auch später kaum mehr übertroffene Messinstrument für die Wissenschaft nutzbar zu machen. Unter den an diesem Instrumente ausgeführten Beobachtungs- reihen stehen, der Zeit und dem Umfange nach, an erster Stelle die- jenigen des Saturnsystems, welche in Bezug auf einige der helleren Trabanten schon am alten Pulkowaer Refraetor von mir begonnen waren, aber erst am neuen nach einem umfassenderen Plane fort- geführt und auf sämmtliche Trabanten ausgedehnt werden konnten. An diese schlossen sich späterhin die Beobachtungen der Partialsysteme von Mars, Jupiter und Neptun an. 674 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. Nach den Entdeekungen von Wiıruıam HErscHeL und den grund- legenden Untersuchungen von LaArLAc war auf diesem Gebiete ein längerer Stillstand eingetreten, bis Besser die Aufmerksamkeit wieder darauf lenkte. Seine Beobachtungen der Trabanten von Jupiter und Saturn bezweckten in erster Linie die Ableitung der damals noch sehr ungenügend bekannten Planetenmassen, ermöglichten aber zu- gleich die ersten sicheren Bahnbestimmungen der Trabanten. Es verdient auch hervorgehoben zu werden, dass diese Untersuchungen, ebenso wie einige auf anderem Gebiete liegende Arbeiten von BesseL, mit der Vorgeschichte der Neptunsentdeckung verknüpft sind, indem sie ihren gemeinsamen Ausgangspunkt von der Frage der Allgemein- heit des Attraetionsgesetzes nahmen, auf welche Besser bei den fort- gesetzten Bemühungen, die Unregelmässigkeit in der Bewegung des Uranus zu erklären, geführt worden war. In den folgenden Decennien erhielt das Studium der Satellitenbewegungen einen weiteren Anstoss durch die Beobachtungen und Entdeckungen von LasseLL, Bon u. A. Vor Allem aber waren es die überraschenden Leistungen des Washingtoner Refractors, berühmt durch die Entdeckung der Mars- monde, welche mir die Anregung gaben, mich auf diesem noch wenig bebauten Felde zu versuchen. Die Erforschung der Bewegungen der Planetenmonde vervoll- ständigt und erweitert in wesentlichen Theilen unsere Kenntniss des Sonnensystems und darf auch in theoretischer Hinsicht ein hervor- ragendes Interesse beanspruchen. Wir sehen hier in kurzen Zeit- räumen Bewegungsvorgänge sich abspielen, die uns ein Abbild geben von den viel langsameren, in ihrem ganzen Verlauf nur durch Rech- nung zu verfolgenden Änderungen im Planetensystem; andere Ano- malien, die in der Bewegung unseres Mondes nur schwach angedeutet sind, treten hier in voller Deutlichkeit hervor. Besondere Beziehungen in der Anordnung der Bahnen, in den Umlaufszeiten und Säcular- bewegungen lehren uns die Wirkungen der Gravitation noch von andern Seiten kennen, für welche wir keine Analoga in den Planetenbewe- gungen haben, und stellen der Himmelsmechanik neue wichtige Auf- gaben. Die aus dem Gravitationsgesetze fliessenden Folgerungen setzen uns in den Stand: die Massen der Trabanten abzuleiten, die Rich- tung der Umdrehungsaxen der Planeten, ihre Abplattung und Prä- cession zu bestimmen, sie gewähren uns ‘zugleich interessante Ein- blicke in die Constitution der Planeten, in die Beschaffenheit und Masse der Ringe des Saturn und streifen Fragen, die mit der Kos- mogonie auf’s engste verknüpft sind. Und darüber hinaus gewinnen diese Untersuchungen noch eine erhöhte Bedeutung durch ihre Be- ziehung zu Problemen, deren Inangriffnahme einer späteren Zeit vor- Srruve: Antrittsrede. 675 behalten bleibt, für welche jedoch schon die Gegenwart Material zu- sammenzutragen hat. Es sei in dieser Hinsicht nur auf die funda- mentalen Fragen nach der Allgemeingültigkeit des Gravitationsgesetzes und nach der Veränderlichkeit unseres Zeitmaasses, der Rotationsdauer der Erde hingewiesen. Neben den die Satelliten betreffenden Rechnungen, die sich auch auf ältere Beobachtungsreihen erstreckten und erst nach meiner Über- siedelung nach Königsberg zum Abschluss gebracht wurden, haben mich längere Zeit Arbeiten über Doppelsterne beschäftigt, ein Zweig der Stellarastronomie, der, als Erbe von Dorpat übernommen, sich auch auf der Pulkowaer Sternwarte stets einer besonderen Pflege zu erfreuen hatte. Die von mir ausgeführten Messungen beziehen sich vorzugsweise auf Sternpaare der Kataloge von Dorpat und Pulkowa, welche für genaue Bahnbestimmungen in erster Linie in Betracht kommen und damit für die Beantwortung der sich hier darbietenden wichtigsten Frage, inwieweit die Bewegungsgesetze im Sonnensystem auch im Universum gelten, mit der Zeit immer grössere Bedeutung er- langen werden. Schliesslich kann ich noch meiner Betheiligung an einigen kleineren Beobachtungsreihen über Planeten- und Stern -Par- allaxen, die Polhöhe von Königsberg u.a., und an der Bearbeitung und Herausgabe der ältesten Königsberger Beobachtungen erwähnen. Der heutige Tag bietet mir Gelegenheit, der Akademie meinen tiefgefühlten Dank für die mir durch die Erwählung zum Mitgliede erwiesene hohe Ehre auszusprechen. Mit besonderer Freude muss es mich erfüllen, derselben gelehrten Körperschaft angehören zu dürfen, in der seit einer langen Reihe von Jahren unser Fach in so ausgezeich- neter Weise vertreten war, welcher auch meine Familie bereits in zwei Generationen nahe stand, und ich erhoffe von meinem Eintritt in die Akademie nicht nur vielfache Anregung für fernere wissenschaftliche Bethätigung, sondern auch eine Förderung derjenigen Aufgabe, die hier in meine Hände gelegt ist. Schon die Begründung der ersten Stern- warte in Berlin fällt mit derjenigen der Akademie zusammen. An der Verlegung der Sternwarte in den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts haben Mitglieder der Akademie hervorragenden Antheil gehabt. Gegenwärtig, wo das schnelle Wachsthum der Grossstadt die zweite Berliner Sternwarte in ihrer wissenschaftlichen Thätigkeit immer mehr eingeengt, in ihrer Entwiekelung gehemmt und von der Ausführung grösserer Arbeiten ausgeschlossen hat, ist es wiederum die Akademie gewesen, von welcher die Anregung ausgegangen ist, dem alten Zweige der Astronomie eine neue würdigere Forschungs- stätte zu bereiten. Indem die Akademie heutzutage ihre Hauptauf- gabe in der Organisirung wissenschaftlicher Arbeit erbliekt, hat sie 676 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. dureh ihr Eintreten für die Bedürfnisse der astronomischen Forschung zugleich ihr von jeher für dieselbe bezeigtes Interesse von neuem dargethan. Antrittsrede des Hrn. ZIMMERMANN. Unter den Zweigen des Ingenieurwesens, die erst in neuerer Zeit aus dem Zustande des bloßen Tastens und Probierens in den Bereich der planmäßigen wissenschaftlichen Arbeit eingetreten sind, nimmt die Lehre vom Eisenbahnoberbau eine wichtige Stelle ein. Ist doch jeder Fortschritt im Bau und in der Unterhaltung der Gleise von weittragender Bedeutung, einmal für das Wohlbefinden der zahl- losen Menschen, die sich zu ihren Reisen der Eisenbahn bedienen, sodann aber auch für jeden Staatsbürger als Mitbesitzer dieses großen Verkehrsmittels. Denn die Summen, die alljährlich allein auf die In- standhaltung und Erneuerung der Gleise verwendet werden, belaufen sich nur für die preußischen Staatsbahnen schon auf etwa hundert Millionen Mark. Und da nun einmal die wissenschaftliche Tätigkeit des Ingenieurs ebenso wie die praktische auf das Ziel gerichtet sein muß, mit den kleinsten Mitteln die größte Wirkung zu erreichen, so lagen Gründe genug vor, die Gesetze näher zu erforschen, denen das Spiel der Kräfte am Eisenbahngleise folgt. Die ersten Bestrebungen in dieser Richtung gingen von einem deutschen Fachmanne aus: Max MarıA von WEBER. Er erkannte schon vor etwa vierzig Jahren, daß die elastische Nachgiebigkeit der Unter- lage, auf der das eigentliche Gleis ruht, nämlich der Bettung, einen maßgebenden Einfluß ausübt auf die Größe der Formänderungen und Beanspruchungen, die die Schwellen und Schienen durch den Angriff der Räder erleiden. WEBER hat auch Versuche und Messungen hierüber angestellt, die aber wegen der Unzulänglichkeit der ihm zur Verfügung stehenden Einrichtungen nicht zu brauchbaren Ergebnissen führten. Im Jahre 1877 sind dann von der Verwaltung der Reichseisen- bahnen, der ich damals angehörte, umfangreiche Versuche ausgeführt worden, durch die zum ersten Male sichere Aufschlüsse über die in Rede stehende Eigenschaft der Gleisbettung gewonnen wurden. Die zu jener Zeit ermittelten Zahlenwerte für die sogenannte Bettungs- ziffer stehen noch heute in Geltung, wenn auch bei den von neueren Forschern wie Ast und Wasıurysskı mit vollkommneren Geräten an- gestellten Messungen hier und da etwas abweichende Werte gefunden wurden. Daß die Bettungsziffer keine Konstante im strengen Sinne des Wortes sein kann, hatten schon die anfänglichen Versuche der Reichseisenbahnen ergeben; noch deutlicher trat dies, und insbeson- dere die Abhängigkeit von der Beschaffenheit des Untergrundes her- ZINMERMANN: Antrittsrede. 677 vor, als im Jahre 18853 auf meinen Vorschlag die Versuche von der Verwaltung der Reichseisenbahnen wieder aufgenommen und diesmal an der Hand der inzwischen entwickelten Theorie planmäßig und in größerem Umfange durchgeführt wurden. Dabei hat sich der schon an den ersten Versuchen beteiligte, leider früh verstorbene Ingenieur Häntzschen große Verdienste erworben. Mit Hilfe der von ihm ent- worfenen, selbstzeiehnenden Meßvorrichtungen konnten die Versuchs- ergebnisse ganz einwandfrei festgelegt werden. Hiermit war nun die Grundlage für die weitere theoretische Be- handlung der Aufgabe gegeben. Die Querschwellen, Langschwellen und Schienen waren als stabförmige, elastische Gebilde zu betrachten, die entweder stetig oder in einzelnen Punkten auf dem elastischen Mittel ruhen und die Radlasten tragen. Die Aufgabe, die Form- änderungen und Beanspruchungen aller Teile einer solchen Anord- nung für jede beliebige Lastgruppe und Laststellung rechnerisch zu ermitteln, bot noch Schwierigkeiten genug. Mein Amtsvorgänger ScHwEDLER hatte eine Abschrift der Messungsergebnisse von der Ver- waltung der Reichseisenbahnen erhalten u:d sich bemüht, eine all- gemeine Lösung der Aufgabe zu finden. Mit Hilfe eines sehr sinn- reichen Kunstgriffes — Ersatz der zu unübersichtlichen Ergebnissen führenden rein mathematischen Elimination durch statische Betrach- tungen — gelang ihm dies zum Teil. Immerhin hatten seine Glei- chungen aber noch die Form unendlicher, wenn auch ziemlich schnell konvergierender Reihen. Mir ist es dann gelungen, das Verfahren SCHWEDLERS noch weiter auszubilden und nunmehr die Ergebnisse zum erstenmal in geschlossener, dabei sehr regelmäßiger und über- sichtlicher Form darzustellen. Hierdurch sowie durch Einführung der hyperbolischen Funktionen und Berechnung einer ganzen Reihe von Hilfstafeln ist der Gang der Rechnung soweit vereinfacht worden, daß der Anwendung in der Praxis kein Hindernis mehr entgegensteht. Auch die Theorie der wichtigen Nebenteile, wie z.B. der die Schienenenden miteinander verbindenden Laschen, an die man sich bis dahin nicht herangewagt hatte, konnte jetzt mit Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden. Diese Aufgabe ist freilich noch viel verwickelter als die allgemeine Berechnung des Oberbaues, wo- für als Probe angeführt werden kann, daß eine von mir gefundene strengere Lösung auf der Integration einer Differentialgleichung achter Ordnung beruht, wobei mit Rücksicht auf vorhandene Stetigkeits- unterbrechungen 24 Integrationskonstanten zu bestimmen sind. Neben dieser für den praktischen Gebrauch zu umständlichen Lösung habe ich noch eine weniger strenge und entsprechend einfachere angegeben, die sich in vielen Fällen als ausreichend erwiesen hat. 678 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. Dieses Beispiel legt die Frage nahe, welcher Genauigkeitsgrad denn überhaupt der bisher entwickelten Oberbautheorie beizumessen ist. Die Antwort lautet, daß eine solche Theorie nur unter weit- gehender Vereinfachung der Rechnungsannahmen zustande gebracht werden konnte. Es ist wohl Ihnen allen geläufig, daß die wenigsten Aufgaben der Naturforschung eine ganz strenge mathematische Lösung gestatten, deren Ergebnisse man als ein vollkommen treues Abbild des untersuchten Naturvorganges betrachten könnte. Selbst der For- scher, der im Laboratorium die Bedingungen seiner Versuche so ein- fach gestalten kann wie nur möglich, ist oft genötigt, feinere Neben- umstände zunächst außer Betracht zu lassen, um seine Rechnung überhaupt durchführen zu können. Wer dies weiß, wird es verstehen, wie viel mehr der unmittelbar an die so verwickelten Aufgaben des praktischen Lebens herantretende Ingenieur gezwungen ist, sein Augen- merk zunächst nur auf das Allerwichtigste zu richten und die kleinen Größen höherer Ordnung bis auf weiteres aus dem Spiel zu lassen. Früher oder später wollen aber auch diese berücksichtigt sein. Hier muß die Beobachtung, mul der Versuch einsetzen, und zwar der Versuch nicht an kleinen Nachbildungen, sondern womöglich an und mit dem Gebrauchsgegenstande selber. Das hat freilich mitten in dem alltäglichen Getriebe des Verkehrs seine Schwierigkeiten. Als großartigstes Beispiel dieser Art stehen die bekannten Versuche der Studiengesellschaft für elektrische Schnellbahnen da, an denen von An- fang bis zu Ende mitwirken zu dürfen, ein besonderes Glück für mich war. Welche Folgen diese Versuche für die Einführung des elektri- schen Betriebes in den Vollbahnverkehr zeitigen werden, ist noch niclıt abzusehen; jedenfalls haben sie uns diesem Ziele wesentlich näher ge- bracht. Sie haben aber auch eine große Menge höchst wertvoller Beob- achtungen ermöglicht, die dem Eisenbahnwesen im allgemeinen zugute kommen; so u.a. zahlreiche Messungen des Luftwiderstandes bei hohen, bis zu 55m in der Sekunde gehenden, noch niemals zuvor erreichten Geschwindigkeiten. Die Versuche haben ferner als Beispiel nützlich ge- wirkt, haben schon ähnliche Versuche in anderer Richtung zur Folge gehabt und die Überzeugung im allgemeinen gekräftigt, daß noch viel mehr in dieser Art geschehen muß. Die Verwaltung, der ich angehöre, ist im Begriffe, ein besonderes Oberbau-Versuchsgleis zu bauen, auf dem die zu erprobenden Oberbauformen ununterbrochen Tag und Nacht mit einem sehr schweren, elektrisch angetriebenen Lastzuge befahren werden. Genaue Messungen werden es dabei ermöglichen, über das Verhalten der Versuchsstücke im Laufe einiger Jahre die Erfahrungen zu sammeln, die im wirklichen Betriebe erst nach Jahrzehnten ge- wonnen werden können. Um aber auch die Einflüsse genauer zu er- ZINMMERMANN: Antrittsrede. 679 mitteln, die das in der Einführung begriffene schnellere Fahren der Züge auf die Gleise, sowie umgekehrt deren Lage auf den Gang der Fahrzeuge ausübt, wird demnächst ein Prüfungswagen in den Dienst gestellt werden, der hierfür besonders gebaut und mit einer ganzen Reihe der verschiedensten zum Teil selbsttätigen Meßeinrichtungen ausgestattet ist. Dieses Fahrzeug soll zwar in erster Linie dem prakti- schen Zweck der Gleisüberwachung dienen, es wird aber auch dazu be- nutzt werden, die wissenschaftliche Seite der Oberbaulehre zu pflegen und weiter auszubauen. Denn erst die so gewonnenen, aus den Zu- fälligkeiten des Einzelvorganges herausgelösten allgemeinen Wahrheiten sind sicherer und dauernder Besitz. Nur ein Teil meines Arbeitsfeldes ist es, den ich Ihnen zu schildern versucht habe, aber ein solcher von besonderer Eigenart, mit einem Boden, der vor einigen Jahrzehnten noch ganz jungfräulich war und auch jetzt noch nur von wenigen angebaut wird, obgleich er reiche Früchte getragen hat und weitere verspricht. Ich habe daher ge- glaubt, hierauf etwas näher eingehen zu sollen, und begnüge mich nun, um Ihre Geduld nicht zu lange in Anspruch zu nehmen, mit der Bemerkung, daß es mir in meiner weiteren Tätigkeit auf dem Gebiete der Baukonstruktionen, insbesondere der Brücken, Hallen usw. zwar auch vergönnt gewesen ist, an der Erweiterung der Grenzen der Wissen- schaft mitzuarbeiten. Neben den Anforderungen des täglichen Bedarfs an Entwürfen für die Ausführungen in dem großen Gebiete der Staats- eisenbahnen mußte aber die wissenschaftliche Tätigkeit, mehr als im Oberbauwesen, an einzelne Fälle anknüpfen und diese für sich zu lösen suchen. Als Beispiele solcher will ich nur die Ermittlung der Schwin- gungsgesetze für einen elastischen Träger, über den sich eine Last be- wegt, und die Ausbildung einer neuen Art von Kuppeln nennen, zu der meine Mitwirkung beim Bau des Reichstagshauses den Anlaß ge- geben hat. Der zuletzt erwähnte Umstand veranlaßt mich, dem herzlichen Dank für die hohe Auszeichnung, die mir durch Ihre Wahl zuteil ge- worden ist, die Bitte um eine gewisse Nachsicht anzufügen. Den meisten von Ihnen ist ja die akademische Arbeit nur ein Teil, eine Fortsetzung der Berufstätigkeit. Ich dagegen muß in meinem Amte ganz anderen als akademischen Zwecken dienen und die zu wissenschaftlicher Arbeit erforderliche Zeit und Geistesruhe mit Mühe den alltäglichen Geschäften abringen. Es soll mein eifriges Bestreben sein, hierin nicht zu erlahmen und das Vertrauen zu rechtfertigen, das Sie mir durch die Berufung in diese erlesene Körperschaft erwiesen haben. 650 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. Antrittsrede des Hrn. MaARrTEns. Die Geschichte der Akademie lehrt, wie schon der grosse Leısnız, dessen Gedächtnissfeier sie alljährlich öffentlich begeht, immer wieder die Nothwendigkeit betonte, neben der Forschungsarbeit als Selbst- zweck auch die Anwendung auf das praktische Leben zu fördern, und sie hebt oft genug den hohen Wert der Wechselwirkung zwischen dieser Körperschaft und dem technischen Leben hervor. Als Tech- niker, der stolz ist auf seinen Beruf, darf ich der hohen Freude Aus- druck geben, die wir empfinden, wenn Sie Männer aus unserer Mitte zur Theilnahme an Ihrem hohen Streben heranziehen. Aber auf jeden Einzelnen, dem diese hohe Ehre zu Theil wird, sehen auch unsere Fachgenossen mit der berechtigten Erwartung, dass wir unsere Stelle voll ausfüllen und tüchtige Arbeit in Ihrer Mitte leisten werden. Das hohe Maass von Verantwortlichkeit, das daher mit der Annahme Ihres Rufes verbunden ist, drängt mir die Frage auf, ob das Amt, das ich zu führen habe, mir wieder die Musse für ungestörtes persönliches Schaffen lassen wird, wie es tiefe wissenschaftliche Forschung erfor- dert. Ich hoffe aber, dass die reiche Anregung, die die innige Zu- sammenarbeit mit der lebendigen technischen Praxis zu geben vermag, sowie die tüchtige Unterstützung, die ich bei meinen Mitarbeitern im Amte finde, es mir erleichtern werden, Ihre Zufriedenheit und die- jenige meiner Fachgenossen zu erringen. Die Sitte dieses Tages fordert, dass ich kurz Rechenschaft gebe von meinem Wirkungskreise und von dem, was ich erstrebt und was in Zukunft mich leiten soll. Die Materialienkunde der Technik, insbesondere das Material- prüfungswesen, hat in vielen Zweigen erst in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durch vermehrte Benutzung des Rüstzeuges und der Erfahrungen der Naturwissenschaften ihr heutiges Gepräge erhalten. Seine Aufgabe ist es, die Grundlagen für die immer vollkommenere technische Ausnutzung der uns von der Natur gebotenen Rohstoffe ständig zu erweitern, und die Umwandlung der Rohstoffe in unseren technischen Betrieben vervollkommnen zu helfen, so dass der wirth- schaftliche Gewinn immer grösser, der Verlust an nutzlosem Abfall und an nutzloser Arbeit immer kleiner, die Leistung der erzeugten Materialien beim Verbrauch oder in unseren Constructionen immer er- giebiger wird. Durch die Materialprüfung müssen also die techni- schen Eigenschaften in allen Zuständen festgestellt werden, in denen die Stoffe der Technik dienstbar werden; die Gebiete der Physik, Chemie, Botanik, Zoologie, Mineralogie werden heute in Anspruch genommen. MARrvEns: Antrittsrede. 681 Der Hauptausgangspunkt für die heutige Gestaltung des Material- prüfungswesens war die mechanische Untersuchung der Baustoffe — der Metalle, Steine, Hölzer, Bindemittel u. s. w. — und neben vielen anderen hätte man Männer wie FAıkBaıRn, WÖHLER, Knut Stvrr£, Kırkaıpy, BAUSCHINGER, Von TETMAJER als Bahnbrecher zu nennen. In- sonderheit hat unser Meister Bauschiserr die technische Festigkeitsprü- fung durch Einführung der Spiegelablesung bei der Formänderungs- messung ausserordentlich gefördert. Bauscniseer’s Vorbild und seine umfassenden Forschungen waren Anlass und Haupttriebfeder für die Ausbildung und Einrichtung von grossen Laboratorien für Festigkeits- versuche und Baustoffprüfung an vielen technischen Hochschulen. Diese mechanischen Laboratorien mussten naturgemäss ihren Kreis erweitern, denn das Material kann in seinen Eigenschaften und in seinem technischen Werth nur vollkommen erkannt werden, wenn zu- gleich auch seine anderen physikalischen Eigenschaften und seine chemische Natur erforscht und regelmässig geprüft werden. So entstanden in allen Ländern grosse Anstalten für die Mate- rialprüfung im öffentlichen Dienste, mit eigenen Abtheilungen für die verschiedenen Sonderzweige; meistens für die Prüfung der Baustoffe im Maschinenbau und im Bauwesen. Aber auch für die Prüfungen von Papier-, Textil-, Leder-Industrieerzeugnissen und für allgemeine physikalische und chemische Prüfungen mussten sie sich bald ein- richten; die Metallographie hat heute vielfach besonderen Platz an diesen Anstalten gefunden. Das Arbeitsfeld gewann sehr rasch an hoher Bedeutung für die industrielle Entwickelung; für das Materialprüfungswesen ergab sich immer mehr die Nothwendigkeit der gemeinsamen Arbeit und des Gedankenaustausches unter den Forschern dieses Gebietes. So ent- standen aus deutschen Anfängen, die Bauscnhisger in's Leben rief, die internationalen Congresse für die Materialprüfungen der Technik. Als meine wesentlichste eigene Leistung in der Förderung meines Faches darf ich die Entwickelung der von mir seit 1884 geleiteten früheren mechanisch -technischen Versuchsanstalt zu dem heutigen Ma- terialprüfungsamt der Technischen Hochschule zu Charlottenburg nennen, sowie die hierdurch bedingte persönliche Anregung und Mitarbeit auf den einzelnen Forschungsgebieten des Amtes. Meine ersten Forschungsarbeiten vor meinem Amtsantritt waren der mikroskopischen Erforschung des Kleingefüges im Eisen gewidmet. Wenn auch ältere Arbeiten von Sorgey und TscHErNorr bereits vor- lagen, so gaben doch wohl meine Veröffentlichungen in der Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure und anderen, Blättern den eigent- lichen Anstoss dazu, dass dem Gebiete allgemeine Aufmerksamkeit 682 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. zugewendet wurde und dass es sich heute als Metallographie durch OsmonD, LE CHATELIER, ÜHARPY, STEAD, ROBERTS- Austen, Hrycock und Nevirre, Howe, RoozEBoonm eine wesentliche Stelle in der Erforschung der Metalle errang. Ich selbst musste mich später leider immer mehr von der persönlichen Mitarbeit auf diesem Forschungsgebiete zurück- ziehen, habe aber die Freude, es im Materialprüfungsamte unter den Händen meines Collegen Heyx erblühen zu sehen. Der Eintritt in das Amt gab mir Gelegenheit, meine Neigung für Feinmechanik und mein Studium der Instrumentenkunde durch die Ausbildung zahlreicher Apparate und Maschinen für das Material- prüfungswesen zu verwerthen. Namentlich gelang es mir, den Spiegel- apparat für die Formänderungsmessungen sicher und einfach zu ge- stalten, so dass er Längenänderungen von der Grössenordnung 0.14 schnell und zuverlässig bestimmen lässt. Ich hatte Anlass zur Ver- vollkommnung des Turxer’schen Verfahrens zur Ermittelung der rela- tiven Härte durch Ritzen polirter Flächen mit Diamantspitzen von be- stimmter Form. Das an die Arbeiten von Herz anschliessende tech- nische Verfahren zur Bestimmung der relativen Härte zäher Körper durch Eindrücken von Stahlkugeln suchte ich zu vervollkommnen. Die Thätigkeit des Amtes gab mir Anlass zu einer Reihe von Ar- beiten über Härte, Zähigkeit und Abnutzbarkeit von Metallen und an- deren Stoffen, zum Studium der Aufbauverhältnisse im Cementmörtel und Beton, zum Studium der Festigkeitsänderungen von Metallen (Eisen, Kupfer, Legirungen) mit der chemischen Zusammensetzung, mit der Veränderung der Eigenwärme zwischen — So bis + 600 C°, mit dem Grade voraufgegangener bleibender Formänderung, mit der Art und dem Grade der mechanischen Bearbeitung in der Werkstatt, bei einmali- ger und oft wiederholter Erhitzung auf bestimmte Wärmegrade u. a. m. Im Anschluss an die Arbeiten von WÖHLER, BAUSCHINGER u. A. wurden Dauerversuche mit eisernen Flaschen zur Aufbewahrung flüssiger und verdichteter Gase unternommen. Die Dauerversuche mit Baustoffen für Rohrleitungen für hoch gespannten und hoch erhitzten Dampf werden mit grossen Mitteln und in grossem Umfange weitergeführt und ganz besonders auf Dauerversuche bei verschiedenen Wärmegraden erstreckt werden. Dabei soll auch den Nachwirkungserscheinungen Aufmerksam- keit geschenkt werden, wie ich sie bereits an Magnesium, Drahtseilen u.s. w. verfolgte. Das Studium der Erscheinungen beim Fliessen zäher Metalle unter grossen Spannungen und der Bruchvorgänge soll fort- gesetzt und vertieft werden; ebenso die an Zink und Kupfer vorge- nommenen Studien über den Einfluss der Geschwindigkeit auf die Form- änderungsfähigkeit bei Versuchen in der Festigkeitsprobirmaschine und unter dem Fallwerk. . . . . ?Q% Preisertheilungen und Preisausschreibungen. 655 An der Ausbildung der physikalischen und mechanischen Prüfungs- verfahren der Schmiermittel, insbesondere der Reibungsversuche, und an der methodischen Ausbildung der Papierprüfung habe ich persön- lichen Antheil genommen. Wenn es mir auch in Zukunft schwer fallen wird, durch persön- liche Forscherarbeit Ihre Erwartungen zu befriedigen, so hoffe ich doch, dass für die Beurtheilung meiner Leistungen auch die Summe der nicht in der Öffentlichkeit erscheinenden geistigen Aufwendungen mit in die Wagschale fallen wird, die zur gewissenhaften Förderung des mir anvertrauten Amtes gemacht werden müssen. Die wissenschaftliche Ausbildung verdanke ich der ehemaligen Gewerbeakademie zu Berlin, wo namentlich AroNHoLD, GROSSMANN, ÜHRISTOFFEL, (JUINCKE, SCHWEDLER, REULEAUx meine Lehrer waren. Richtunggebend aber wurde für mich meine zwölfjährige Thätigkeit im Eisenbrückenbau, die mich für sechs Jahre in die Industriebezirke West- falens und Schlesiens führte und mich mit der Materialabnahme und Bauausführung beschäftigte; sie gab mir insbesondere den Anstoss zu meinen mikroskopischen Arbeiten. Für die mir durch die Aufnahme in den Kreis der Akademie der Wissenschaften erwiesene hohe Ehrung sage ich meinen tiefsten Dank. Schliesslich erfolgten Mittheilungen betreffend die Akademische Preisaufgabe für 1905 aus dem Gebiete der Philosophie, die Akademische Preisaufgabe für 1905 aus dem Gebiete der Phy- sik, die Preisaufgabe über eine Geschichte der Autobiogra- phie, die Preisaufgabe aus dem Coruenıus’schen Legat, den Preis der STEINER'schen Stiftung, die Preisaufgabe der CHARLOTTEN- Stiftung und das Stipendium der Epvarn GErHARD-Stiftung; sowie den Generalberichtüber Gründung, bisherige Thätigkeit und weitere Pläne der Deutschen Commission. Akademische Preisaufgabe für 1905 aus dem Gebiete der Philosophie. In der Leıssız-Sitzung des Jahres 1898 hatte die Akademie für das Jahr 1901 folgende Preisaufgabe gestellt: »Die Akademie wünscht eine Darstellung des Systems von Leıissız, welche in eindringender Analyse der Grundgedanken und ihres Zusammenhangs, sowie in der Verfolgung ihrer Quellen und allmählichen Entwickelung über die bisherigen Darstellungen wesent- 684 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. lich hinausgeht. Obgleich diese beiden Ziele bei jeder Lösung der Aufgabe in gewissem Maasse mit einander verknüpft werden müssen, bleibt es doch den Bearbeitern überlassen, welches von beiden sie mehr in den Vordergrund stellen wollen. « »Bei der Darstellung des ausgebildeten Systems sind vor allem die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Hauptsätzen durch Belege festzustellen und hierbei thunlichst alle von Leısnız gepflegten Gebiete zu berücksichtigen. Deduetive Erwägungen sollen ergänzend eintreten, wo die auffindbaren Belege den Zusammenhang nicht ausreichend erkennen lassen.« »Analoges gilt von der entwickelungsgeschichtlichen Seite der Aufgabe. Die gedruckt vorliegenden Quellen sollen auch hierbei so vollständig als möglich ausgenutzt und der Spielraum blosser Construetionen möglichst eingeschränkt werden. Ein Zurückgehen auf Leignızens handschriftlichen Nachlass, wie es zur vollständigen Lösung des Problems allerdings unentbehrlich wäre, kann aus äusseren Gründen nicht verlangt werden, doch werden selbstver- ständlich Beiträge nach dieser Richtung willkommen sein.« ‘s waren 1901 zwei Bewerbungsschriften eingelaufen, doch konnte der Preis nicht ertheilt und lediglich das Accessit einer der eingegangenen Schriften zuerkannt werden. Es wurde dann die näm- liche Aufgabe noch einmal in derselben Fassung zur Preisbewerbung für das Jahr 1905 aufgestellt, sie hat aber diessmal keine Bewerbung gefunden. Indess wünscht die Akademie, besonders auch im Hinblick auf die geplante interakademische Leissız- Ausgabe, dass das Thema nicht verlassen werde, und sie will zu weiteren Forschungen auf diesem Gebiete anregen, indem sie die Aufgabe in veränderter Form wie folet stellt: »Es soll untersucht werden, was über die Abhängigkeit der Metaphysik Leissızens von seiner Logik mit Sicherheit aus den vor- handenen gedruckten Quellen sich ergibt; auf Ungedrucktes zurück- zugehen, wird nicht gefordert.« Der ausgesetzte Preis beträgt Fünftausend Mark. Die Bewerbungsschriften können in deutscher, lateinischer, franzö- sischer, englischer oder italiänischer Sprache abgefasst sein. Schriften, die in störender Weise unleserlich geschrieben sind, können durch Be- schluss der zuständigen Classe von der Bewerbung ausgeschlossen werden. Jede Bewerbungsschrift ist mit einem Spruchwort zu bezeichnen, und dieses auf einem beizufügenden versiegelten, innerlich den Namen und die Adresse des Verfassers angebenden Zettel äusserlich zu wieder- holen. Schriften, welehe den Namen des Verfassers nennen oder deut- Preisertheilungen und Preisausschreibungen. 685 lich ergeben, werden von der Bewerbung ausgeschlossen. Zurück- ziehung einer eingelieferten Preisschrift ist nicht gestattet. Die Bewerbungsschriften sind bis zum 31. December 1907 im Bu- reau der Akademie, Berlin W. 35, Potsdamer Str. 120, einzuliefern. Die Verkündigung des Urtheils erfolgt in der Leıssız-Sitzung des Jahres 1908. Sämmtliche bei der Akademie zum Behuf der Preisbewerbung ein- gegangenen Arbeiten nebst den dazu gehörigen Zetteln werden ein Jahr lang von dem Tage der Urtheilsverkündigung ab von der Akademie für die Verfasser aufbewahrt. Nach Ablauf der bezeichneten Frist steht es der Akademie frei, die nicht abgeforderten Schriften und Zettel zu vernichten. Akademische Preisaufgabe für 1905 aus dem Gebiete der Physik. In der Leisxız-Sitzung des Jahres 1902 hat die Akademie fol- gende Preisaufgabe für das Jahr 1905 gestellt: »Nach dem übereinstimmenden Ergebniss neuerer Forschungen betrachtet man die Kathodenstrahlen und ebenso die BECQUEREL- Strahlen als Schwärme äusserst schnell bewegter elektrisch geladener Partikel. Es ist weiter wahrscheinlich gemacht worden, dass die nämlichen Partikel auch bei der gewöhnlichen Elektrieitätsleitung in Gasen und in Metallen, sowie auch bei der Emission und Ab- sorption des Lichts die Hauptrolle spielen. Gewünscht werden neue, mit theoretischer Discussion verknüpfte Messungen, durch welche unsere Kenntnisse von den Eigenschaften jener Partikel in wesent- lichen Punkten erweitert werden. « Es ist rechtzeitig eine Bewerbungsschrift eingelaufen mit dem Motto: »In die Tiefe musst du steigen, soll sich dir das Wesen zeigen.« Evacuirte Glasgefässe, in kräftigen inhomogenen elektrischen Fel- dern bewegt, zeigen Leuchterscheinungen, herrührend von elektrischen Strömen, welche in dem verdünnten Gase entstehen. Der Verfasser beschreibt und diseutirt derartige Leuchterscheinungen sowie auch die Wirkung magnetischer Kraftfelder auf dieselben. Die von ihm be- schriebenen Versuche sind zum Theil recht hübsch angeordnet; doch ist prineipiell Neues von denselben kaum zu erwarten, da es gleich- gültig ist, ob Theile der Glaswand oder, wie bei den gewöhnlichen Geisszer’schen Röhren, Metallflächen als Elektroden dienen. Zu Messun- gen, wie sie in der Preisaufgabe verlangt werden, scheinen diese Ver- suche wenig geeignet, schon deshalb, weil elektrisirte Glaswände, deren elektrischer Zustand nie genau festzustellen ist, einwirken. Messungen Sitzungsberichte 1905. ® 686 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. hat der Verfasser auch nicht angestellt; als Grund dafür gibt er an, dass er keine Messinstrumente besitzt. Die Bewerbungsschrift kann daher in keiner Weise als eine Lösung der Preisaufgabe angesehen werden. Indem die Akademie von ihrer Befugniss Gebrauch macht, unter solehen Umständen dem Verfasser einer in das Gebiet der gestellten Preisaufgabe einschlagenden innerhalb des Zeitraums 1902— 1905 ver- öffentliehten Schrift oder dem Urheber einer in der gleichen Zeit aus- geführten wissenschaftlich hervorragenden Arbeit die Preissumme als Ehrengabe zu überweisen, erkennt sie den ausgesetzten Betrag von Fünftausend Mark Hrn. Dr. Pmump Lenarp, Professor der Physik an der Universität Kiel, zu. Diesem Forscher gelang es im Jahre 1894 durch geschickte Be- nutzung einer Entdeckung von Hrısrıcn Hertz, den Kathodenstrahlen aus dem geschlossenen Raum des Geıissrer’schen Rohres, in welchem sie entstehen, durch ein dünnes Aluminiumblättehen hindurch einen Weg in’s Freie zu eröffnen. Dadurch waren für die Erforschung dieser Strahlen günstige Bedingungen derselben Art hergestellt, wie man sie für die Lichtstrahlen schon lange besass; es war nämlich dadurch die Möglichkeit gegeben, die Kathodenstrahlen unabhängig von dem Ort und der Art ihrer Entstehung zu untersuchen. Die erlangten Vorteile hat Hr. Lexarp alsbald zu seinen grundlegenden Versuchen über die magnetische Ablenkung und Absorption jener Strahlen benutzt. Die letztgenannten Untersuchungen hat er bis in die neueste Zeit fortge- setzt und im vorigen Jahre erheblich vervollständigt, indem er sie auf die langsamen Kathodenstrahlen ausdehnte, welche er durch An- wendung ultravioletter Strahlung zu erzeugen gelehrt hatte. Durch diese und andere Arbeiten hat er sich in hervorragendem Maasse ver- dient gemacht um die Erforschung jener Strahlen, an welchen unsere Kenntnisse von den Elektronen sich zuerst entwickelt haben. Preisaufgabe über eine Geschichte der Autobiographie. Hr. Stadtrath Prof. Dr. WAarrer Sımox in Königsberg i. Pr. hat der Akademie im Jahre 1899 die Summe von 7500 Mark zur Aus- schreibung einer Preisaufgabe zur Verfügung gestellt. Er hatte bemerkt, wie wichtig eine Geschichte der Selbstbiographie für das Studium des geistigen Lebens sein würde, und er wünschte daher, dass die Preis- aufgabe die Geschichte dieses bedeutsamen Theiles der europäischen Litteratur zum Gegenstand haben möge. Die Akademie der Wissen- schaften kam dem gern entgegen, und so wurde zu Beginn des Jahres 1900 die folgende Preisaufgabe gestellt: Preisertheilungen und Preisausschreibungen. 687 »Es wird eine Geschichte der Autobiographie im strengsten Sinne (mit Ausschluss aller Memoirenlitteratur) gewünscht. « »Von den weniger hervorragenden Werken dieser Litteratur- gattung, die nur kurz und ohne erschöpfende Vollständigkeit zu charakterisiren sind, soll die Darstellung hinführen zu den typischen Hauptwerken der wichtigsten europäischen Culturnationen. Diese sollen ausführlich analysirt und ihre Nachwirkung in der weiteren Entwiekelung dieser litterarischen Form soll verfolgt werden.« Es wurde ein Hauptpreis von 5000 Mark ausgesetzt, und einer etwa eingehenden zweiten des Preises würdigen Arbeit sollte ein Ac- cessit von 2500 Mark zuerkannt werden. Zu dem auf den 31. December 1904 angesetzten Termin sind zwei Arbeiten eingeliefert worden. Sie sind beide aus gründlichem und einsichtigem Quellenstudium hervorgegangen. Und zwar kamen die beiden Verfasser von verschiedenen Seiten an das Thema heran. Der eine derselben ist von litterarhistorischen Interessen und Gesichts- punkten ausgegangen, der andere erscheint vornehmlich von ceultur- historisch -philosophischen Gesichtspunkten beherrscht, aber eben darin liegt nun eine eigenthümliche Stärke seiner Leistung, dass er aus der Geistesverfassung der Zeiten, Nationen und einzelnen Schriftsteller die innere Form und den Stil der Selbstbiographien verständlich macht und so auch den Zusammenhang erleuchtet, der zwischen ihnen und den verwandten Werken anderer Gattungen besteht. Jener vertieft sich liebevoll in das Detail, dieser strebt es einem allgemeinen Zusammen- hang einzuordnen. Wären die beiden Arbeiten so gründlich, wie sie angelegt sind, durchgeführt worden, so würden sie einander in schätzenswerther Weise ergänzen. Indess ist dem Verfasser der Arbeit, welche das Motto trägt: »Der Seele Grenzen kannst du nicht ausfinden, und wenn du jede Strasse abschrittest; so tiefen Grund hat sie« nicht gelungen, den grossen Stoff, über den er umfassende Vorstudien gemacht hatte, zu bewältigen. Seine fortlaufende Darstellung reicht bis zum Ausgang des Mittelalters. Von da ab liegen nur über die beiden Höhepunkte der modernen Selbstbiographie, Rousseau und GoETHE, Darstellungen vor, und zwar ist die Rousszrau’s vollständig, dagegen reicht die GoETHE’s nach ausführlichen und gründlichen Vorbereitungen nur bis zu dem Punkte, an welchem »Dichtung und Wahrheit« selbst, nach Quellen, geschichtlichem Standpunkt und Composition, behandelt werden sollte. Nimmt man das Vorhandene, so zeigt diese Arbeit vorzügliche Schulung in der Analyse eines schriftstellerischen Werkes und eine entschiedene Begabung zu eigenen Beobachtungen auf diesem Gebiete. Der Thatbestand wird überall mit feinem Sinn für die Nuancen des 65* 688 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. geistigen Lebens dargelegt; die Beziehungen der Selbstbiographie zu Geschichtsschreibung und Dichtung werden einsichtig verfolgt: dagegen ist das Verhältniss der Selbstbiographie zu den philosophischen Ideen und der psychologischen Forschung der Zeit nicht immer ausreichend und richtig zur Erfassung gelangt. Und der innere Zusammenhang zwischen den Leistungen der verschiedenen Zeiten und Völker hätte von dem Verfasser erst zureichend erfasst werden können, wenn er auch die neueren Zeiten, in denen die Selbstbiographie doch ihren Höhepunkt erreicht, vollständig durchgearbeitet hätte. Die andere Schrift mit dem Motto: »Und bist du vom Gefühl durchdrungen, was fruchtbar ist, allein ist wahr« umfasst die ganze Entwickelung der Selbstbiographie bis zur Gegenwart. Der Verfasser schöpft überall aus den Quellen im ganzen Gebiete der Hauptsprachen Europas, die in Betracht kamen. Er gewinnt ihnen für jede der grossen Epochen des geistigen Lebens neue Ergebnisse ab. Er bringt die breite Mannigfaltigkeit selbstbiographischer Arbeiten in den Zusammen- hang der fortschreitenden Besinnung über die Natur des Menschen und sein Verhältniss zur Welt. Und er macht unter diesem Gesichtspunkt die Beziehungen der verschiedenen Gattungen der Litteratur zur Selbst- biographie deutlich. Eine solche Aufgabe war nur zu lösen durch einen Wagemuth, der manches Detail opferte, das an und für sich wissenswürdig ist; aber es wird doch noch manche Lücke auszufüllen sein. Vom 18. Jahrhundert ab macht sich bemerklich, dass die Dar- stellung des Verfassers eiliger wurde, um noch das Ziel zu erreichen. Auch würde der Verfasser, wenn er vom Schluss aus rückwärts bliekend die Zeit gehabt hätte, alles zur letzten Reife zu bringen, seine all- gemeinen Erörterungen zu Beginn und Schluss der grossen Partien, welche das Ganze zusammenhalten, gewiss klarer und zuweilen vor- sichtiger gestaltet haben. Solche Mängel wird der Verfasser sicherlich bei der Vorbereitung zum Druck zu heben wissen. Alles in allem liegt hier eine bedeutende Leistung vor, ausgezeichnet durch unge- wöhnliche Arbeitskraft, Fülle der Gesichtspunkte, Gelehrsamkeit und einen in den Hauptpartien glänzenden Stil. Sie wird der Absicht des Preisstifters vollständig gerecht. Demnach ertheilt die Akademie der Arbeit mit dem Motto: »Und bist du vom Gefühl durchdrungen, was fruchtbar ist, allein ist wahr« den Hauptpreis von Fünftausend Mark. Der anderen unvollständigen Abhandlung mit dem Motto: »Der Seele Grenzen kannst du nicht aus- finden, und wenn du jede Strasse abschrittest; so tiefen Grund hat sie« gewährt sie das Accessit von Zweitausendfünfhundert Mark. — Die nach Verkündung des vorstehenden Urtheils vorgenommene Eröffnung der Namenszettel ergab als Verfasser der mit dem Haupt- Preisertheilungen und Preisausschreibungen. 689 preise gekrönten Arbeit Hrn. Dr. Mıscn in Charlottenburg und als Ver- fasser der durch den zweiten Preis anerkannten Arbeit Hrn. Dr. Kurr Jan in Berlin. Preisaufgabe aus dem Coruexıvs’schen Legat. In der Leiısnız-Sitzung des Jahres 1902 hat die Akademie die folgende Preisaufgabe für das Jahr 1905 unverändert zum dritten Male ausgeschrieben, nachdem auf die beiden früheren Ausschreibungen Be- werbungsschriften nicht eingegangen waren: »Die Königliche Akademie der Wissenschaften wünscht eine auf eigenen Versuchen und Beobachtungen beruhende Abhandlung über die Entstehung und das Verhalten neuer Getreidevarietäten im Laufe der letzten zwanzig Jahre. « Diessmal sind vier Bewerbungsschriften rechtzeitig eingelaufen, von denen aber zwei von der Concurrenz ausgeschlossen werden mussten, die eine, weil ihr Verfasser sich genannt hatte, die andere, weil sie im wesentlichen bereits veröffentlicht und anderweitig durch einen Preis ausgezeichnet war. Von den verbleibenden beiden Schriften entspricht die eine mit dem Motto »Es geschieht noch Neues unter der Sonne, trotz Prediger Salomonis I, 9« insofern am meisten der Aufgabe, als sie die Ent- stehung und das Verhalten neuer Getreidevarietäten im Laufe von 20 bis 30 Jahren auf Grund eigener Versuche und Beobachtungen schildert. Der Verfasser hat von Weizen, Roggen und Gerste zahlreiche, von Hafer und Hirse einige neue Varietäten erzogen, welche zum grössten Theil auf Mischlingsbefruchtungen, zum kleinern Theil auf spontane Variation zurückzuführen sind. In mehreren Fällen wurde constatirt, dass das erste Product der Kreuzung zweier Varietäten einförmig war, dass aber in der zweiten Generation zahlreiche verschiedene Varietäten fielen, die sich im Laufe der Jahre theilweise zur Constanz erziehen liessen. Auch lieferten die späteren Aussaaten Formen, welche sich nicht aus Combination der ursprünglichen Eltern erklären liessen, son- dern ganz abweichend waren. Leider ist in mehreren Fällen nicht sicher bekannt, von welchen Formen das erste Produet abstammt, dagegen hat der Verfasser zahlreiche Angaben darüber gemacht, wann die einzelnen von ihm gezogenen Varietäten constant geworden sind, und hat auch von allen getrocknete Exemplare als Beleg eingesendet. Aus Rücksicht auf die zahlreichen, durch drei Jahrzehnte fort- gesetzten und von Erfolg begleiteten Versuche wird dieser Abhandlung der mit Zweitausend Mark ausgeschriebene Preis ertheilt. Die zweite, in französischer Sprache verfasste, von zahlreichen Photographien begleitete Abhandlung mit dem Motto »On juge l'arbre 690 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. A ses fruits« schildert zwar nur sechsjährige Versuche mit Hafer, aber diese Versuche werden auf Grund sehr sorgfältiger Erwägungen voll- kommen zielbewusst auf dem Wege der Selection vorgenommen; auch ist die Darstellung aller in diesen sechs Jahren durchgeführten Aus- lesen als eine durchaus lückenlose und wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende zu bezeichnen. Endlich muss auch anerkannt werden, dass diese Art der hier durchgeführten Selection, welche namentlich Werth darauf legt, aus den im Lande bereits cultivirten Rassen er- tragreichere zu erzielen, für die Landwirthschaft besonders erfolgreich zu werden verspricht. Darum wird diese Arbeit, wenn sie auch nicht den Preis erhält, von der Akademie doch als preisfähig bezeichnet. — Als Verfasser der preisgekrönten Arbeit ergab die Eröffnung des zugehörigen Namenszettels Hrn. Professor Dr. Frıeprıcn KÖrNnIıckE in Bonn. Für die Eröffnung des zweiten Zettels und Angabe des Verfassers der als preisfähig bezeichneten, aber nicht gekrönten Arbeit bleibt die Einwilligung des Hrn. Verfassers abzuwarten. Preis der Steıser'schen Stiftung. In der Lrisxız-Sitzung am 4. Juli 1895 und wiederholt in der- jenigen am 28. Juni 1900 hat die Akademie für den Srtemer’schen Preis die Aufgabe gestellt: »Es soll irgend ein bedeutendes, auf die Lehre von den krum- men Flächen sich beziehendes, bis jetzt noch nicht gelöstes Pro- blem möglichst mit Berücksichtigung der von J. STEINER aufgestellten Methode und Prineipien vollständig gelöst werden.« »Es wird gefordert, dass zur Bestätigung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Lösung ausreichende analytische Erläuterungen den geometrischen Untersuchungen beigegeben werden. « »Ohne die Wahl des Themas einschränken zu wollen, wünscht die Akademie bei dieser Gelegenheit die Aufmerksamkeit der Geo- meter auf die speciellen Aufgaben zu richten, auf welche J. STEIER in der allgemeinen Anmerkung am Schlusse seiner zweiten Abhand- lung über Maximum und Minimum bei den Figuren in der Ebene, auf der Kugelfläche und im Raume überhaupt hingewiesen hat.« Eine Bearbeitung ist für dieses Thema auch diessmal nicht ein- gegangen. Den Statuten der Sremer’schen Stiftung gemäss will die Akademie den hiermit frei gewordenen Preis von Sechstausend Mark zur An- erkennung hervorragender in den letzten zehn Jahren veröffentlichter Arbeiten aus dem Gesammtbereich der Geometrie verwenden. Der- Preisertheilungen und Preisausschreibungen. 691 selbe wird zuerkannt den ausgezeichneten, von wissenschaftlichem Forschergeiste Zeugniss ablegenden Untersuchungen, welche der im Januar d.J. der Wissenschaft entrissene Professor an der Technischen Hochschule in Charlottenburg Dr. Gumo Hauck in den letzten Jahren veröffentlicht hat, und durch welche eine Weiterbildung der »G£eo- metrie descriptive« im Moner’schen Geiste angebahnt worden ist. Von diesen Arbeiten ist besonders zu nennen die inhaltreiche, den Abschluss einer grösseren Zahl früher veröffentlichter Einzelab- handlungen bildende, im Bande 128 des Journals für die reine und angewandte Mathematik abgedruckte Abhandlung: » Theorie der parallel- projeetiv-trilinearen Verwandtschaft ebener Systeme. « Zugleich wiederholt die Akademie die unbearbeitet gebliebene obenstehende Preisaufgabe abermals für das Jahr 1910. Für die Lö- sung derselben wird von neuem ein Preis von Viertausend Mark und ein Accessitpreis von Zweitausend Mark ausgesetzt. Die Bewerbungsschriften können in deutscher, lateinischer, franzö- sischer, englischer oder italiänischer Sprache abgefasst sein. Schriften, die in störender Weise unleserlich geschrieben sind, können durch Beschluss der zuständigen Classe von der Bewerbung ausgeschlossen werden. Jede Bewerbungsschrift ist mit einem Spruchwort zu bezeichnen, und dieses auf einem beizufügenden versiegelten, innerlich den Namen und die Adresse des Verfassers angebenden Zettel äusserlich zu wieder- holen. Schriften, welehe den Namen des Verfassers nennen oder deut- lich ergeben, werden von der Bewerbung ausgeschlossen. Zurück- ziehung einer eingelieferten Preisschrift ist nicht gestattet. Die Bewerbungsschriften sind bis zum 31. December 1909 im Bu- reau der Akademie, Berlin W. 35, Potsdamer Str. 120, einzuliefern. Die Verkündigung des Urtheils erfolgt in der Lemsxız-Sitzung des Jahres 1910. Sämmtliche bei der Akademie zum Behuf der Preisbewerbung ein- gegangene Arbeiten nebst den dazu gehörigen Zetteln werden ein Jahr lang von dem Tage der Urtheilsverkündigung ab von der Akademie für die Verfasser aufbewahrt. Nach Ablauf der bezeichneten Frist steht es der Akademie frei, die nicht abgeforderten Schriften und Zettel zu vernichten. Preisaufgabe der Cu4RLoTTen - Stiftung. Gemäss dem Statut der CuarLotten-Stiftung für Philologie hat die Akademie in der Leissız-Sitzung am 30. Juni 1904 die folgende Preisaufgabe gestellt: 692 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. »Als erste Vorarbeit zu einer kritischen Ausgabe der Biogra- phien Plutarch’s soll die Geschichte und Überlieferung derselben vom Alterthum ab so weit verfolgt werden, dass die Bildung der einzel- nen Sammlungen und die Zuverlässigkeit des Textes so weit kennt- lieh wird, um zu bestimmen, welche Handschriften vornehmlich zu vergleichen sind. Es genügt, wenn das für die einzelnen Gruppen an Stichproben gezeigt wird.« »Ausser dem gedruckten Materiale, das in Ausgaben, Einzel- schriften und Katalogen vorliegt, hat Hr. Stadtschulrath Dr. MicnAetuıs den von ihm zusammengebrachten Apparat freundlich zur Verfügung gestellt. Er kann auf dem Lesezimmer der Königlichen Bibliothek benutzt werden.« Daraufhin ist eine Arbeit eingegangen mit dem Motto Permitte divis cetera. Der Verfasser bespricht für einige Biographien das Hand- schriftenverhältniss, am eingehendsten von solchen, deren Text keine besonders schwierigen Probleme bietet. Er bespricht auch die Reihen- folge der Biographien in den Handschriften, ohne jedoch eine wirk- liche Textgeschichte der ursprünglich in einzelnen numerirten Paaren erschienenen Vitae zu versuchen. Es fehlt nicht an richtigen und fruchtbaren Beobachtungen; allein das Geforderte hat der Verfasser nicht geleistet. Dessen ist er sich bewusst, und gibt selbst die Er- klärung, er hätte sich der Arbeit erst seit dem November widmen können. So ist es denn ganz unmöglich, ihm den Preis zuzuerkennen. Die Akademie legt indessen auf das Thema so grossen Werth, dass sie es für das nächste Jahr in unveränderter Form wiederholt. Die Stiftung der Frau CHARLOTTE STIEPEL geb. Freiin von Hoprr- GARTEN ist zur Förderung junger, dem Deutschen Reiche angehöriger Philologen bestimmt, welche die Universitätsstudien vollendet und den philosophischen Doctorgrad erlangt oder die Prüfung für das höhere Schulamt bestanden haben, aber zur Zeit ihrer Bewerbung noch ohne feste Anstellung sind. Privatdocenten an Universitäten sind von der Be- werbung nicht ausgeschlossen. Die Arbeiten der Bewerber sind bis zum 1. März 1906 an die Akademie einzusenden. Sie sind mit einem Denk- spruch zu versehen; in einem versiegelten, mit demselben Spruche be- zeichneten Umschlage ist der Name des Verfassers anzugeben und der Nachweis zu liefern, dass die statutenmässigen Voraussetzungen bei dem Bewerber zutreffen. Schriften, welche den Namen des Verfassers nennen oder deutlich ergeben, werden von der Bewerbung ausgeschlossen. In der öffentlichen Sitzung am Leisxız-Tage 1906 ertheilt die Aka- demie dem Verfasser der des Preises würdig erkannten Arbeit das Stipen- dium. Dasselbe besteht in dem Genusse der Jahreszinsen (1050 Mark) des Stiftungscapitals von 30000 Mark auf die Dauer von vier Jahren. : ; ; e 208 Preisertheilungen und Preisausschreibungen. 093 Stipendium der Epvarn GERHARD- Stiftung. Das in der Lrisnız-Sitzung des Jahres 1904 mit dem Betrage von 7200 Mark ausgeschriebene Stipendium der Epvarn GERHARD- Stiftung ist dem Privatdocenten Hrn. Dr. Rıcnarn Dersrück in Berlin zur Auf- nahme und Herausgabe der datirbaren stadtrömischen Bauten vom 3. vor- ehristlichen Jahrhundert bis zur Zeit des Sulla zuerkannt worden. Für das Jahr 1906 wird das Stipendium mit dem Betrage von 2400 Mark ausgeschrieben. Bewerbungen sind vor dem 1. Januar 1906 der Akademie einzureichen. Nach $ 4 des Statuts der Stiftung ist zur Bewerbung erforderlich: I. 2. Nachweis der Reichsangehörigkeit des Bewerbers; Angabe eines von dem Petenten beabsichtigten durch Reisen be- dingten archäologischen Planes, wobei der Kreis der archäo- logischen Wissenschaft in demselben Sinn verstanden und an- zuwenden ist, wie diess bei dem von dem Testator begründeten Archäologischen Institut geschieht. Die Angabe des Planes muss verbunden sein mit einem ungefähren sowohl die Reisegelder wie die weiteren Ausführungsarbeiten einschliessenden Kosten- anschlag. Falls der Petent für die Publication der von ihm be- absichtigten Arbeiten Zuschuss erforderlich erachtet, so hat er den voraussichtlichen Betrag in den Kostenanschlag aufzuneh- men, eventuell nach ungefährem Überschlag dafür eine ange- messene Summe in denselben einzustellen. Gesuche, die auf die Modalitäten und die Kosten der Veröffent- lichung der beabsichtigten Forschungen nicht eingehen, bleiben un- berücksichtigt. Ferner hat der Petent sich in seinem Gesuch zu ver- pflicehten: 1. vor dem 31. December des auf das Jahr der Verleihung fol- 19} genden Jahres über den Stand der betreffenden Arbeit sowie nach Abschluss der Arbeit über deren Verlauf und Ergebniss an die Akademie zu berichten; falls er während des Genusses des Stipendiums an einem der Palilientage (21. April) in Rom verweilen sollte, in der öffent- lichen Sitzung des deutschen Instituts, sofern diess gewünscht wird, einen auf sein Unternehmen bezüglichen Vortrag zu halten; . jede durch dieses Stipendium geförderte Publication auf dem Titel zu bezeichnen als herausgegeben mit Beihülfe des Envarn GERHARD-Stipendiums der Königlichen Akademie der Wissen- schaften; drei Exemplare jeder derartigen Publication der Akademie ein- zureichen. 694 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. Generalbericht über Gründung, bisherige Tätigkeit und weitere Pläne der Deutschen Kommission. Aus den Akten zusammengestellt. Neckar durch den Eintritt der HH. Burpacn und RorTHE die Ver- tretung der deutschen Philologie in der Akademie eine willkommene Verstärkung erfahren hat, wurde im Sommer des Jahres 1903, um für die längst erwünschte Erweiterung und Vertiefung der akademi- schen Arbeiten auf dem Gebiete deutscher Sprache und Art eine sichere und breite Grundlage zu schaffen, eine besondere » Deutsche Kommission « errichtet, der außer den drei Germanisten der Akademie, den HH. ScHMiDT, BURDACH, ROETHE, die HH. Dies, Koser, Dirtuey angehören. Für das Programm dieser Deutschen Kommission waren im all- gemeinen die Gesichtspunkte leitend, welche die Akademie bereits im Juni des Jahres I9gOO, noch unter entscheidender Mitwirkung Karr WeEınHoLps, für die künftige Pflege der deutschen Studien aufgestellt hatte, angeregt und ermutigt durch das fürsorgende Interesse ihres erhabenen Protektors, Seiner Majestät des Kaisers und Königs, dessen hochherzige Entschließung bei dem zweihundertjährigen Jubiläum der Akademie drei neue akademische Stellen, » vorzugsweise für deutsche Sprachwissenschaft«, ins Leben rief. Aus der im Anschluß daran von der Akademie an den ihr vorgeordneten Herrn Minister gerichteten Ein gabe (datiert 18. Juni 1900) seien hier die folgenden Sätze mitgeteilt: »Die allerhöchste Bestimmung der drei neuen Stellen in der philo- sophisch-historischen Klasse vorzugsweise für deutsche Sprache fassen wir in dem weiten Umfange, den Jakog Grıum der deutschen Sprach- wissenschaft gegeben hat, wonach sie die Wissenschaft vom deutschen Leben ist und die Aufgabe hat, die Lebensäußerungen unseres Volks- geistes in Sprache, Literatur, in Glauben, Recht und Sitte zu erforschen und darzustellen. « »Da jene akademischen Stellen, wenn sie tiefer eingreifen sollen, auf dem weiten Arbeitsfelde bestimmte Aufgaben bekommen müssen, will die Akademie als zunächst wichtig und dringend folgende be- zeichnen. « Generalbericht der Deutschen Commission. 695 »Es ist an der Zeit, daß die Geschichte der neuhochdeut- schen Schriftsprache bearbeitet werde. Grammatische und lexika- lische Forschung hat hier in die Tiefe und Breite zu gehen. Die Kultur- strömungen, die im 14. Jahrhundert anheben, im 15. zur Herrschaft gelangen, sind durch die Reformationszeit, durch das 17. Jahrhundert hindurch bis zur Gegenwart zu verfolgen. Sie sind in den Bestre- bungen nach sprachlicher Einigung wie in dem Widerstande dagegen, sie sind in den neu aufkommenden wie in den absterbenden Wort- schichten, in den wechselnden Bedeutungen, in den veränderten Satz- bildungen, sie sind in dem wandelbaren literarischen Geschmack dar- zulegen. Sie offenbaren sich in der breiten Masse wie in einzelnen emporragenden Erscheinungen. Die mannigfachen Aufgaben, von denen nur wenige und auch diese nicht im ganzen Umfang angegriffen werden konnten, warten des kräftigen Arbeiters oder, da sie eines Einzelnen Kraft übersteigen, einer Arbeiterschar.« »Im engen Zusammenhange mit diesen Aufgaben steht die Samm- lung eines umfassenden sprachlichen Materials, die Anlage eines Thesaurus linguae Germanicae, der die Grundlage für ein deut- sches Wörterbuch der Zukunft geben soll, wie es das Griuusche, das eine dankbar zu benutzende Vorarbeit sein wird, nicht sein konnte.« »Bei diesen Arbeiten wird nun das Bedürfnis zuverlässiger Texte der Schriftsteller sehr häufig empfunden werden.... Um nur auf das 18. Jahrhundert zu verweisen, wird längst eine historische Ausgabe der Werke Wırranps vermißt. Des patriotischen Geschichtschreibers Justus Möser Schriften verdienen sie in hohem Maße. W1INcKELMAnNNn, den Entdecker der Antike, Hamann, den Magus im Norden, in zuver- lässigen Texten studieren zu können, ist nach vielen Seiten hin wichtig. Auch hier öffnet sich eine Arbeit, zu der sich unsere Akademie rüsten soll, olıne absehbare Grenzen. « »Auf ein drittes denkt sodann unsere Klasse. ...an eine um- fassende landschaftlich gegliederte Aufnahme des Sprachschatzes der sämtlichen deutschen Dialekte und nicht bloß derer des Reiches. « »...So müssen wir es denn aussprechen, daß wir in der Be- setzung der neuen Stellen für deutsche Sprache die nächsten Ausgangs- punkte zwar für große wissenschaftliche Unternehmungen unserer Aka- demie dankbar anerkennen, daß wir aber glauben und hoffen, die- selben werden ihren künftigen Herd in einem akademischen deut- schen Institut finden, das der Mittelpunkt für die Erforschung des ganzen deutschen Lebens in Vergangenheit und Gegenwart sein wird.« Gleichzeitig richtete die Akademie an Seine Majestät ein Immediat- gesuch, worin sie die aus der Errichtung der neuen akademischen Pläne erwachsenden Aufgaben in Kürze bezeichnet (datiert 22. Juni 1900): 696 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. »Die Bezeichnung ‚deutsche Sprache‘ kann, ja muß wieder im Sinne des ersten Meisters, JAKoB GRIMM, und gewiß nach den Eurer Majestät vorschwebenden Absichten auf alle Regungen des deutschen Geistes weit über die schriftlichen Denkmäler hinaus erstreckt werden. « » Wir bedürfen einer gründlichen, vom 15. Jahrhundert anhebenden Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache, die zeigen soll, welches Einigungswerk nach und nach durch das deutsche Kaisertum, durch Humanismus und Reformation, durch den breiten Einfluß des Bücher- druckes sich vollzog, im Zusammenhange mit der ganzen Kultur, so wie weiterhin Fortgang und Hemmnisse, Reinigung und Trübung, Bereicherung und Einbuße, die steigende Kraft des Dichterwortes und die Ausbildung der wissenschaftlichen Sprache nur im Hinblick auf das gesamte Geistes- und Verkehrsleben Europas und auf jeweilige politische Zustände klargelegt werden können.« »Wir bedürfen für diesen ganzen Zeitraum noch gar mancher Ausgaben, die den Text wichtiger Schriftsteller vom Frühneuhoch- deutschen an bis zu sehr hervorragenden Prosaikern und Dichtern des 18. Jahrhunderts vollständig und sauber darbieten. So mögen denn allgemach den ‚Monumenta Germaniae Historica‘ freundnachbar- lich ‚Denkmäler der deutschen Literatur‘ zur Seite treten. Und diese werden einst einem umfassenden deutschen Wörterbuch dienen als Grundlagen, die den Brüdern Grmm großenteils noch fehlten; keinem kahlen Verzeichnis, sondern einem Hort deutschen Denkens und Empfindens in allen Abschattungen. « » Wir bedürfen neben den Denkmälern der deutschen Schriftsprache und ihrer Geschichte seit langem einer erschöpfenden Aufnahme des Wortschatzes der Mundarten im Deutschen Reich und bei stamm- verwandten Nachbarn. .... « »Von diesen Aufgaben schaut die Akademie, angefeuert durch die ihr jüngst zuteil gewordene allergnädigste Stiftung, auf das erreich- bare Ziel eines mit Hilfskräften hier und auswärts versehenen, zu sorglichem, doch unbeengtem Großbetrieb berufenen ‚Akademischen Instituts für deutsche Sprache‘ unter dem werktätigen Schutz Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestät.« In seiner Antwort auf die Antrittsrede des Hrn. BurpacHa, dem die neufundierte deutsche Stelle durch Allerhöchsten Erlaß vom 9. Mai 1902 übertragen worden war, faßte dann die Hoffnungen und Wünsche der Akademie ihr Sekretar Hr. Vanıen zusammen (Öffentliche Sitzung zur Feier des Leissızischen Jahrestages vom 3. Juli 1902, Sitzungs- berichte 1902 S. 798): »Unvergeßlich ist allen, die es miterlebt, der Augenblick, als Seine Majestät, unser erhabner Protektor, in dem Wunsche, seiner E \ Generalbericht der Dentschen Kommission. 697 Akademie der Wissenschaften an ihrem Jubeltage eine freudige Über- raschung zu bereiten, beiden Klassen eine Bereicherung ihrer Stellen verkündigte, der philosophisch-historischen mit der Maßnahme, daß die Vermehrung ihrer Kräfte vorzugsweise der Pilege der deutschen Sprache zugute kommen sollte. Zwar hat die Akademie zu keiner Zeit diese Aufgabe außer Acht gelassen, in der schon Leısxız, ihr Stifter, ihr ein würdiges Feld ihrer Tätigkeit angewiesen hatte, und das 19. Jahrhundert hindurch bis auf die Gegenwart hat sie jeder Zeit namhafte Vertreter dieses Gebietes gehabt, zuzeiten eine erheb- liche Mehrheit glänzender Namen nebeneinander. Dennoch war es ein heller Blick, der hier einen Punkt erschaute, an dem die Spann- kraft der Akademie eine zeitgemäße Steigerung erheische und vertrüge und eine lebendigere Wechselwirkung mit den Bedürfnissen des Lebens und der Nation erzielt werden könne. Und indem die Akademie, dem gegebenen Anstoß folgend, Umschau hielt, welche Aufgaben vor an- dern zu ergreifen rätlich sei, ergab sich eine Fülle lohnender und dringlicher Probleme, deren Ausführung auf lange Zeit vieler Hände Arbeit beschäftigen könne. Insbesondere, um weniges beispielsweise zu erwähnen, stellte sich als ein unabweisbares Bedürfnis dar, daß eine Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache geschrieben oder von neuem geschrieben werde, die von ihren Anfängen durch die Jahrhunderte hinab bis zur Gegenwart den Gang dieser Entwickelung im Zusammenhang mit den gleichzeitigen Kulturbewegungen und unter den mächtigen Einflüssen hervorragender sprachschöpfender Dichter und Schriftsteller alter und neuer Zeit zur Anschauung bringe: eine Aufgabe, die, wie sie zahlreiche Einzeluntersuchungen speziellster Art erfordern wird, so die Neubearbeitung mehrerer namhafter Schrift- steller deutscher Zunge zur Voraussetzung hat; ebenso unerläßlich erschien es, die mit jedem Tage mehr abbröckelnden Mundarten des deutschen Volkes endlich in einem wissenschaftliche Anforderungen be- friedigenden Wortschatz zu sammeln und vor weitergehendem Unter- gang zu sichern.« Von der Überzeugung erfüllt, daß auch in der wissenschaftlichen Welt Großes nur erreicht werden kann, wenn man von einem fest umschriebenen, übersehbaren Kreis sofort möglicher Leistung seinen Ausgang nimmt, hat die »Deutsche Kommission«, ohne die weiter- greifende Organisation, insbesondere die Vorbereitung jenes akademi- schen »Deutschen Instituts« jemals aus dem Auge zu lassen, alsbald eine Reihe von Unternehmungen in Angriff genommen, über deren Anfänge und Fortschritte sie zweimal öffentlich Rechenschaft abgelegt hat, die im Auszug hier wiederholt werden soll: 698 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. Bericht in der öffentlichen Sitzung am 28. Januar 1904. (Sitzungsberichte 1904, S. 241 ff.) »Die Deutsche Kommission hat heute zum erstenmal über ihre Pläne und Arbeiten zu berichten. Ins Leben gerufen, um mit aka- demischen Mitteln die Erkenntnis der heimischen Sprache und Lite- ratur zu fördern, wird sie bemüht sein, in ruhiger, aber weitgreifen- der Vorbereitung den breiten und festen Grund zu legen, auf dem sich dereinst die nationalen Werke errichten lassen, die von der Aka- demie längst ins Auge gefaßt sind: eine Geschichte der neuhoch- deutschen Sprache und der große Thesaurus linguae Germanicae, der Leben und Reichtum unserer Muttersprache in seinen Schatzkammern bergen soll.« »Die Kommission hat zunächst eine Inventarisierung der lite- rarischen Handschriften deutscher Sprache bis ins 16. Jahrhun- dert in Angriff genommen, die sich zu einer Handschriftenkunde des deutschen Mittelalters auswachsen soll. Nur so wird es möglich werden, das reichbewegte sprachliche und geistige Leben voll zu erfassen und zu verstehen, aus und in dem sich Humanismus, Reformation und Schriftsprache bei uns entwickelt haben; insbesondere wird nur so ein umfassender Überblick zu gewinnen sein über die erbauliche, wissen- schaftliche, technische und Übersetzungsprosa der mächtig ringenden Zeit, die dem Buchdruck unmittelbar vorhergeht. Auch deutsche Hand- schriften des späteren 16. und des 17. Jahrhunderts, sowie die mittel- und neulateinischen Manuskripte Deutschlands sollen berücksichtigt werden, soweit sie Werke von ästhetischem Anspruch, vornehmlich Dichtungen, enthalten. Die Leitung dieser Handschriftenaufnahme ist so verteilt worden, daß Hr. Burnack das größte und wichtigste Ge- biet übernimmt, die Bibliotheken Mittel- und Süddeutschlands, der preußischen Provinzen Ost- und Westpreußen, Posen, Schlesien, ferner Österreich-Ungarns und der Schweiz, Italiens und Rußlands, wäh- rend Hrn. Rorrtue das übrige Preußen, die kleineren norddeutschen Staaten, Hessen-Darmstadt, Luxemburg, ferner Frankreich, England, die Niederlande und die nordischen Länder zufallen. Natürlich be- darf es einer sehr großen Zahl von Mitarbeitern ...... a Die einlaufenden Beschreibungen sollen zu einem Archive gesanme und in ihm sofort derartig verzettelt werden, daß jederzeit eine voll- ständige und vielseitige Übersicht über das vorhandene Material ge- sichert ist.« »Es soll ferner in rascher Folge eine Reihe von ungedruckten deutschen Werken des Mittelalters und der frühneuhoch- deutschen Zeit publiziert werden: leidet doch die literarhistorische Generalberieht der Deutschen Commission. 699 wie die sprachgeschichtliche Forschung schwer darunter, daß die poetische und namentlich die prosaische deutsche Literatur von 1250 bis 1500 nur in einer unzulänglichen, oft fast zufälligen Auswahl herausgegeben worden ist. Die Akademie beabsichtigt weniger kriti- sche Ausgaben als die zuverlässige Wiedergabe guter Handschriften mit den unentbehrlichsten Berichtigungen und Erklärungen: saubere Handschriftenabdrücke haben ihren eigentümlichen bleibenden Wert für die Erkenntnis der Sprach- und Geschmacksentwicklung auch neben den kritisch durchgearbeiteten Editionen, für die sie zugleich die beste Vorbereitung bilden. In Zukunft sollen diese Publikationen die Prosa jeder Art, namentlich auch die Fachprosa, in ihren Kreis ziehen: zunächst aber schien es geboten, eine Anzahl der noch un- gedruckten gelesenen Dichtungen des ausgehenden Mittelalters schnell zugänglich zu machen. In Vorbereitung oder doch in feste Hände gelegt sind folgende Ausgaben: die Weltchronik, der Alexander und der Wilhelm Rudolfs von Ems, der Rennewart Ulrichs von Türheim, Seifrids Alexandreis, der Wilhelm von Österreich Johanns von Würz- burg, Friedrich von Schwaben, die Christherrechronik, Karl und die Schotten, Dichtungen des deutschen Ordens, das Buch der Märtyrer, die Sprüche des Teichners, Sammelbände von kleineren Erzählungen und Beispielen, von Volks- und Gesellschaftsliedern; dazu die Oxforder Mystikerhandschrift. Wir haben begründete Aussicht, daß schon im laufenden Jahre die ersten Hefte erscheinen werden. Den Verlag dieser »Deutschen Texte des Mittelalters«, die Hr. Rorrur leitet, hat die Weidmannsche Buchhandlung übernommen. « »Endlich sind durch Hrn. Scauipr über eine der deutschen Litera- tur-, Bildungs- und Sprachgeschichte höchst wünschenswerte Gesamt- ausgabe der Werke WırLanns, die auch seine Übersetzungen und Briefe umfassen soll, eingehende Beratungen mit dem besten Kenner, Hrn. BERNHARD SEUFFERT in Graz, gepflogen, die Grundsätze für das ganze Unternehmen entworfen und Mitarbeiter ins Auge gefaßt worden. Die Verteilung der Werke auf Bände ist im Gang, ebenso ein Register aller handschriftlichen Materialien und maßgebenden Drucke. Er ... An Wiıevanp sollen sich andere wichtige Schriftsteller des 18. Jahr- hunderts anreihen.« »Es liegt in der Natur der Sache, daß die Deutsche Kommission heute fast nur von Plänen und Zielen zu berichten hatte, über denen sich fernere und höhere Ziele aufbauen. Wenn wir mit Zu- versicht auf den allseitigen kräftigen Fortschritt unserer Arbeiten rechnen, so berechtigt uns dazu die verständnisvolle und tätige Hilfs- bereitschaft, die wir fast überall und über Erwarten gefunden haben, wo immer wir Mitarbeit und Unterstützung warben.« 700 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. Bericht in der öffentlichen Sitzung vom 26. Januar 1905. (Sitzungsberichte 1905, S. 136 ff.) »Die Arbeiten der deutschen Kommission haben auf der ganzen Linie einen ruhigen, aber gleichmäßigen und befriedigenden Fortgang genommen. « »Das gilt insbesondere auch für ihr größtes und schwierigstes Unternehmen, für die Inventarisierung der literarischen deut- schen Handschriften. Die Zahl der Mitarbeiter und der in An- griff genommenen Sammlungen ist beträchtlich gewachsen .. .« »Schon häufen sich die Stöße der einheitlich gearbeiteten Hand- schriftenbeschreibungen, schon sammelt sich ein reiches, bisher un- genutztes Material, das geeignet ist, wissenschaftlich bedeutungsvolle Fragen zu beantworten oder anzuregen. Aber den rechten frucht- baren Gewinn wird die Handschriftenaufnahme erst bringen, wenn der in großem Maßstabe anzulegende Zettelkatalog den Inhalt der gesammelten Beschreibungen nach allen Seiten erschließt und so das akademische Handschriftenarchiv zu einer zuverlässigen und ergiebigen wissenschaftlichen Auskunftsstelle macht, wie sie für philologische Arbeit bisher schwerlich existiert. Auch dafür sind alle Vorbereitungen getroffen: der Katalog wird sofort systematisch und konsequent in Angriff genommen werden, sobald die Deutsche Kommission die Ar- chiv- und Arbeitsräume beziehen kann, die ihr der Herr Minister vom ı. April an in dem Hause Behrenstraße 70 zur Verfügung gestellt hat.« »In das Programm der ‚Deutschen Texte des Mittelalters‘ sind zu den im vorjährigen Bericht verzeichneten Werken neu auf- genommen und Herausgebern übertragen: die Diehtungen Gundackers von Judenburg und Andreas Kurzmanns, das Marienleben des Sch weizers Wernher, die Londoner Marienregel, die Übersetzungen Hartliebs, die ungedruckten Sterzinger Spiele... .« »Während die bisherigen Unternehmungen der Deutschen Kom- mission wesentlich auf das historische Verständnis der deutschen Sprache gerichtet waren, hat die Akademie neuerdings beschlossen, auch die lebende Sprache in den Rahmen ihrer Arbeitspläne einzubeziehen. Sie griff dabei auf eine Anregung KarıL WeısHuoLps zurück, der ihr längst dringend empfohlen hatte, auch dem nördlichen Deutschland mundartliche Idiotika zu schaffen, wie sie für Bayern und Schwaben, für das Elsaß und die Schweiz vorhanden oder im Entstehen sind: eröffnet doch ein solches Idiotikon, recht bearbeitet, mit den Schätzen der Volkssprache zugleich den sichersten Einblick in die besondere Art des Stammes. Die Akademie hat zunächst das kultur- und sprach- geschichtlich gleich wichtige Gebiet des Niederrheins ins Auge gefaßt, Generalbericht der Deutschen Commission. 701 und zu ihrer großen Befriedigung hat Prof. Jonannes Franck in Bonn, mit der Sprache seiner engeren Heimat aufs nächste vertraut, sich bereit erklärt, die Leitung des geplanten Niederrheinischen Idioti- kons zu übernehmen. « Zu außerakademischen Mitgliedern der Deutschen Kommission sind die HH. Prof. France in Bonn und SeEurrerT in Graz gewählt worden. Um den Fortgang dieser Forschungen zu sichern und auch die Durehführung der vorerst noch zurückgestellten weitergreifenden Pläne für die Zukunft zu ermöglichen, hat die Akademie im Juni des vorigen Jahres (1904) sich an den Herrn Minister mit dem Gesuch um die Erwirkung außerordentlicher dauernder Mittel gewendet. Aus der zur Begründung dieses Gesuchs dienenden Denkschrift, deren Wortlaut in der Gesamtsitzung vom 2. Juni 1904 beschlossen wurde, sei hier das Folgende abgedruckt. »Die Akademie erkennt im Einklang mit ihrem wissenschaftlichen Begründer Leisnız die allseitige geschichtliche Erforschung der Mutter- sprache, ihrer gesamten äußeren und inneren Entwicklung wie des in ihr beschlossenen geistigen Lebens als ihre Ehrenpflicht und als einen würdigsten Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit. Sie bleibt eingedenk der glänzenden Namen aus dem Bereich der nationalen Philologie: ihrer einstigen Mitglieder Lacnmann, JAKOB und WILHELM Grimm, MÜLLENHOFF, SCHERER, die ebensoviele Staffeln einer aufsteigen- den Bahn bezeichnen und denen Grundlegung, Festigung und erster Ausbau jener Wissenschaft gedankt wird, die in der Wiedergeburt des Vaterlandes geboren wurde und mit dem Jahrhundert der Neu- begründung des Deutschen Reichs heranwuchs. Im Bewußtsein der unverjährbaren Verdienste dieser Männer betrachtet die Akademie sich als die Verwalterin ihres Erbes. « »Jetzt, da die Wissenschaft, der sie dienten, zur vollen Selb- ständigkeit und Reife gediehen ist, hegt die Akademie die Über- zeugung, daß, je dringender nach errungener politischer Freiheit und Einheit des Staates ein inneres Zusammenwachsen der vielartigen Volks- anlagen ersehnt werden muß, desto wertvoller ein zusammenfassender geschiehtlicher Überblick sich erweisen. wird, der das letzte große Wegstück der nationalen geistigen Arbeit Deutschlands enthüllt, die Zeit der Vorbereitung, Entstehung und Ausgestaltung der modernen deutschen Bildung. Wenn wir Deutschen gleich anderen europäischen Kulturvölkern unseren nationalen Charakter zu sichern und unserer Bildung einzuprägen entschlossen sind, so wird dies — unbeschadet der Macht führender und schöpferischer Persönlichkeiten — nur ge- schehen, indem die Einsicht in den weiten Zusammenhang der Ent- wicklung der heimischen Sprache und ihrer höchsten Erscheinung. Sitzungsberichte 1905. 66 702 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. der deutschen Literatur, bereichert und geschärft, das Bewußtsein von der Notwendigkeit und dem Segen geschiehtlicher Überlieferung, die Ehrfurcht vor dieser Überlieferung als der mütterlichen Lehr- meisterin und Hüterin aller echtesten und lautersten Kräfte des natio- nalen geistigen Lebens gestärkt oder aufs neue entzündet wird.« »Die Akademie mußte es daher als eine im höchsten Sinne zeit- gemäße und fruchtbringende Tat mit ehrfurchtsvollem Dank begrüßen, daß Seine Majestät, ihr erhabener Schirmherr, gerade an ihrem Fest- tage im Jahre 1900, wo die freudige Erinnerung an Erreichtes zu neuem Wagen spornte, die Zahl ihrer im Dienst. der deutschen Sprach- forschung arbeitenden Mitglieder vermehrte. Dem Augenblick stolzen Rückschauens auf die mannigfaltigen fachwissenschaftlichen Leistungen der Akademie während derjenigen beiden Jahrhunderte, darin sich das glorreiche Emporsteigen des Preußischen Staates als des Vollbringers des deutschen Gedankens abspielte, entsprang der Plan jenes zu- sammenfassenden geschichtlichen Überblieks über die Entwicklung der neueren deutschen Sprache, Literatur und Bildung gleichsam wie von selbst, als die natürliche Frage nach dem innersten und eigentlichen nationalen Gehalt dieses denkwürdigen Zeitabscehnittes und nach seinen Wurzeln in den voraufgehenden Jahrhunderten. Als unabweisbares Bedürfnis stellte sich damals insbesondere die Vorbereitung einer Ge- schichte der neuhochdeutschen Schriftsprache dar, welche deren Ent- wicklungsgang von ihren Anfängen bis zur Gegenwart im Zusammen- hang mit den Wandlungen der deutschen Bildung und dem Walten sprachformender und sprachneuernder Dichter und Schriftsteller vor Augen hringe und auf der sich dann später auch ein umfassendes, inner- lich erschöpfendes geschichtliches Wörterbuch der deutschen Sprache aufbauen lasse. So setzte sich die geschichtliche Selbstbetrachtung der Akademie aus Anlaß ihres glanzvollen Gedenktages um in ein Postulat vernünftiger Erwägung, nunmehr auch das große Werk einer geschichtlichen nationalen Selbsterkenntnis im Sinne der Wissenschaft von deutscher Sprache, Art und Kunst zu fördern und selbst in Angriff zu nehmen.« »Die Unternehmungen der »Deutschen Kommission« finden ihre Einheit in dem ihnen allen gemeinsamen Ziel: die Entwieklung des sprachlich -literarischen Lebens in Deutschland seit dem Abwelken der mittelalterlichen Kultur sichtbar zu machen und zu begreifen. Zwei Grundmächte haben die neuere Bildung Deutschlands seit dem 14. Jahr- hundert bestimmt: die Renaissance des klassischen Altertums und die Reformation der christlichen Kirche, diese gipfelnd in Luther, jene in Goethe. Und es ist kein Zufall, daß gerade diese beiden Gewaltigen auch die wahrhaft schöpferischen und die einflußvollsten Meister der Generalbericht der Deutschen Commission. 703 deutschen Sehriftsprache gewesen sind. Schriftsprache, Humanismus, Reformation haben sich neben-, mit- und auseinander entwickelt. Die weitverzweigte Bewegung, in der sie zusammen ihre Macht entfalten, klarzustellen, das ist der leitende Gesichtspunkt aller von der Deutschen Kommission begonnenen und vorbereiteten Arbeiten. — Es sind im einzelnen die folgenden. « L 1. Die Inventarisierung der literarischen Handschriften Deutschlands bis ins 16. Jahrhundert. (Unter Leitung der HH. Burpaca und RoerHe.) »Die Handschriftenbeschreibungen sollen zunächst in ein Archiv gesammelt werden, wobei für die Zukunft auch Publikationen geeigneter Stücke gruppenweise je nach Bedürfnis in Aussicht genommen sind. Das eingelaufene Material wird an der Sammelstelle in Zettel über die einzelnen literarischen Werke, Verfasser, Schreiber, Besitzer, Anferti- gungs- und Aufbewahrungsort aufgelöst, und diese Zettel werden dann alphabetisch und außerdem systematisch geordnet. Das Ziel ist eine Handschrifterkunde des deutschen Mittelalters und der frühneuhoch- deutschen Zeit, eine gründlichere und reichhaltigere Erneuerung dessen, was seit den Anfängen der deutschen Philologie wiederholt unzureichend versucht und seitdem immer Gegenstand der lebhaften Sehnsucht ge- blieben ist. Naturgemäß ruht das Schwergewicht dieser Arbeit auf den letzten Jahrhunderten des Mittelalters und auf der nächstfolgenden Zeit, auf jener Periode, in «der die Zahl der Handschriften massenhaft an- schwillt und sich daher bis jetzt der wissenschaftlichen Übersicht, geschweige genauerer Kenntnis, zum großen Teil noch entzogen hat. Daß mit dieser Handschriftenaufnahme der bibliotheksgeschicht- lichen Forschung ein großer Dienst geleistet werden wird, liegt am Tage. Noch wichtiger aber, wenn auch weniger von vornherein in die Augen fallend, ist ihre Bedeutung für die Literaturgeschichte: auf die Entstehung, Wirkung, Verbreitung und Umbildung (Verkürzun- gen, Erweiterungen), das Nachleben und Absterben der literarischen Schöpfungen des deutschen Mittelalters fällt hier helles Licht. ‘Auch die Handschriften erscheinen so als literarische Individuen, deren Schicksale über die Bezirke und die Dauer bestimmter literarischer Geschmacksrichtungen und Leserkreise Aufschluß geben .. .« 2. Veröffentlichung ungedruckter deutscher Werke des aus- gehenden Mittelalters und der frühneuhochdeutschen Zeit. (Unter Leitung des Hrn. Rorrne.) »Auch dieses Unternehmen verfolgt den Zweck, die sprachlichen und literarischen Bewegungen der wenig bekannten Zeit des Über- 66* 704 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. gangs vom Mittelalter zur Neuzeit zusammenhängender geschichtlicher Betrachtung zugänglich zu machen. Soll die Handschrifteninventari- sierung den Einblick eröffnen in die Beteiligung der verschiedenen aufeinanderfolgenden Generationen und Gesellschaftskreise an Leben, Verbreitung, Umgestaltung, überhaupt an der Wirkung des literari- schen Schaffens, sofern sich diese Beteiligung spiegelt in der Her- stellung und Vervielfältigung von Abschriften, so soll diese Sammlung als Seitenstück die Handschriften selbst mit ihren Texten in urkund- licher Realität vorführen. Ein überreiches, noch halb vergrabenes Material wird dadurch in zuverlässiger Gestalt ans Licht treten. « »Bis etwa um das Jahr 1230 überschaut man die deutsche Literatur auf Grund mehr oder minder durchgearbeiteter Ausgaben oder Text- abdrucke. Über den literarischen Leistungen der späteren Zeit da- gegen liegt immer noch ein Halbdunkel, aus dem nur durch Zufall und nach Laune vereinzelt dieses oder jenes literarische Denkmal auf- taucht, dem gerade das Glück einer Publikation geblüht hat. Aber die wichtigsten, einflußreichsten Dichterwerke, z. B. die großen Epen des hochbegabten Meisters sinnig beredter Sprachkunst, Rudolfs von Ems, verbergen sich immer noch in undurchforschten, wo nicht gar ungekannten Handschriften. Nicht besser steht es mit dem reichen Vorrat der spätmittelalterlichen Prosa erbaulichen, erzählenden, lehr- haften, wissenschaftlichen, technischen Charakters, z. B. mit den Rhe- toriken und Formularien, den deutschen Übersetzungen lateinischer, antiker oder spätmittelalterlicher Werke aller Art, insbesondere der Reisebeschreibungen, Romane, Novellen der romanischen Länder. Die Periode des deutschen Geisteslebens, in der für Humanismus, Reformation und die moderne Schriftsprache der Grund gelegt worden ist, verlangt aber gebieterisch, daß ihre literarische Produktion im Zusammenhang, als Ganzes von der Forschung wirklich gekannt, daß über die Fülle der literarischen Durchschnittsleistungen, von denen die breiten Massen sich nährten, wenigstens eine deutliche Übersicht gewonnen werde.« »Die geplante Sammlung ‚Deutscher Texte des Mittelalters‘ wird im Verlage der Weidmannschen Buchhandlung erscheinen. Zu- nächst werden Dichtungen, später auch prosaische Denkmäler jeder Art "berücksichtigt werden. 21.4... cr Sue N: 3. Kritische Ausgaben moderner deutscher Schriftsteller. (Unter Leitung des Hrn. Scauipr.) »Zunächst wird unter Mitwirkung von Prof. BERNHARD SEUFFERT in Graz eine längst dringend gewünschte Gesamtausgabe von Wielands Werken, Übersetzungen und Briefen vorbereitet. Wielands tiefe und weite literarische Wirkung wird erst, wenn diese Ausgabe vorliegt, Generalbericht der Deutschen Commission. 705 voll zu ermessen sein: als glücklicher Vorkämpfer des weimarischen Klassizismus, als Schmeidiger des gebildeten Ausdrucks in Vers und Prosa ist er in hervorragendem Sinne einer der Grundleger der gegen- wärtigen Literatursprache, und in seiner persönlichen künstlerischen Entwicklung spielt sich ein gutes Stück der allgemeinen Geistes- und Sprachgeschichte Deutschlands ab.« »Eine Reihe ähnlicher Ausgaben wird sich anschließen. Ins Auge gefaßt sind Winckelmann, Justus Möser, Hamann, Klopstock: alle vier Wegweiser und Führer der neueren deutschen Bildung, Befreier und Erneuerer, zugleich Meister und Muster der deutschen Sprache«. Ir »Die beschriebene erste Reihe von Unternehmungen der Deutschen Kommission, die abzielen auf Feststellung, Sammlung und Zubereitung eines reichen sprachlich -literarischen Materials, berührt sich nahe mit einer zweiten, davon unabhängigen, die, ohne Textpublikationen aus- zuschließen, doch überwiegend in selbständiger individueller Forschung, sei es in zusammenfassender Behandlung, sei es in Einzeluntersuchungen, einer künftigen "Geschichte der neuhochdeutschen Schrift- sprache‘ den Weg ebnen soll. Es sind dies die selbständigen Ar- beiten des Inhabers der neugegründeten akademischen Fachstelle für deutsche Sprachgeschichte, des Hrn. Burpacn, die von diesem teils allein, teils mit Unterstützung von Mitarbeitern durchgeführt werden sollen. Diese "Forschungen zur Geschichte der neuhoch- deutschen Schriftsprache‘ betreffen zunächst Ursprung und Empor- kommen der neuhochdeutschen Schriftsprache des 14. und 15. Jahr- hunderts. »Die Verarbeitung des auf längeren Reisen mit Unterstützung der Akademie in den Jahren 1897—1899 gesammelten reichen hand- schriftlichen Materials, das im einzelnen noch mancher Ergänzung be- darf, soll in einem auf vier Bände angelegten Werk erfolgen, das den Titel führt: ‚Vom Mittelalter zur Reformation. Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung. ....‘ Der Inhalt ist in folgender Weise angeordnet: ı. Band. Die Kultur des deutschen Ostens im Zeitalter Karls IV. 2. Band. Quellen und Forschungen zur Vorgeschichte des deut- schen Humanismus. 3. Band. Die deutsche Prosaliteratur des Zeitalters. 4. Band. Texte und Untersuchungen zur Geschichte der ost- mitteldeutschen Schriftsprache von 1300 bis 1450.« »Später würden sich anschließen: Forschungen über die Eini- gung der neuhochdeutschen Schriftsprache im 16., 17. und 706 Öffentliche Sitzung vom 29. Juni 1905. 18. Jahrhundert und im Zusammenhang damit eine Darstellung der Sprache Goethes mit Rücksicht auf die Entstehung der modernen Literatursprache. ös wird sich darum handeln, in die Kämpfe und Wandlungen, die dureh landschaftliche Zerklüftung zu einer annähernden Spracheinheit, durch Verwilderung und Ausländerei zu einer gebildeten und reinen Literatursprache führten, eine genauere Einsicht zu gewinnen. Dazu ist es notwendig, daß nach einem einheitlichen Plan das weitschichtige Material herbeigeschafft und durchgearbeitet werde für eine Reihe sprachstatistischer Einzeluntersuchungen. Es kommen dabei etwa die folgenden Gesichtspunkte in Betracht: Geltung und Veralten der Bibel- sprache bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, fortschreitende Moderni- sierung und Ausgleichung der Sprache der Kirchengesangbücher, das langsame Zurückweichen der in Süddeutschland noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts vorbildlichen Kanzleisprache, Auftreten und Festi- gung einer anerkannten Kunstsprache in der neuen Renaissancepoesie des 17. Jahrhunderts sowie einer literarischen Prosa, die Läuterung der Sprache der Predigt und der Schule von mundartlichen Bestand- teilen, die Reinigung und Veredlung der Bühnensprache, die Leistungen der Grammatiker und Sprachgesellschaften für einheitliche Regelung und Kodifizierung der Sprachnorm, die Gegenwirkungen der Volks- sprache im Volks- und Gesellschaftsliede, die Anfänge der publizisti- schen Prosa in den Flugschriften und den aufkommenden Zeitungen, die Reaktion gegen das regulierte Grammatikerdeutsch nach der Mitte des ıS. Jahrhunderts durch die großen Dichter und Schriftsteller und durch die vertiefte Anschauung von der Natur der Sprache, der Be- deutung der angeborenen Mundart, von den Rechten des poetischen Stils, die Begründung der modernen Dichter- und Literatursprache. Überall kommen laut-, form- und wortgeschiehtliche, namentlich aber auch syntaktische Erscheinungen, z. B. Wort- und Satzstellung, Bau und Gliederung der Periode, gleichmäßig in Frage. Das Ziel ist eine auf charakteristische Quellenbelege gegründete sprachliche Vorgeschichte der politischen Einheitsbewegung unseres Volkes.............. « » Freilich darf die Akademie nicht unterlassen, bei dieser Gelegenheit aufs neue die Überzeugung auszusprechen, der sie bereits in ihrer Eingabe vom IS. Juni 1900 und in dem Immediatgesuch an Seine Majestät vom 22. Juni 1900 Worte geliehen hat: der wissenschaftlichen und nationalen Bedeutung, der Weite und Dauer der Arbeiten, zu denen die einheitliche groß angelegte Erforschung deutscher Sprache und Literatur hindrängt, entspräche befriedigend erst die Begründung eines der Akademie anzu- gliedernden ‚Instituts für deutsche Sprache‘, mit bleibender Organisation, mit planmäßig und dauernd angestellten Hilfskräften. « Generalbericht der Deutschen Commission. 107 »Schon für die archivalische Aufbewahrung und die wissenschaft- liche Verarbeitung der Sammlungen, die aus den begonnenen Unter- nehmungen der »Deutschen Kommission« hervorgehen, wird es bald bibliothekarisch eingerichteter und verwalteter Arbeitsräume bedürfen, in welchen den Mitarbeitern auch die Benutzung von auswärtigen Hand- schriften möglich wäre. Ganz besonders wird sich diese Notwendigkeit herausstellen bei einem weiteren Ausbau und einer umfassenderen Örganisierung der grammatischen und lexikalischen Arbeiten zur Ge- schiehte der neuhochdeutschen Schriftsprache, die sich gründen müßten auf eine systematisch gegliederte, Laute, Formen und Satzbau berück- sichtigende sprachstatistische Materialsammlung. « »Aber die Akademie bliekt über diese näheren Aufgaben hinaus. Nur ein solches ‚Institut für deutsche Sprache‘ vermöchte der rechte Mittelpunkt zu werden für die deutsche Mundarten- und Namenforschung und diese, die immerhin ihre Kraft aus der Arbeit der engeren Heimat ziehen mag, vor der Gefahr örtlicher Vereinzelung zu bewahren. Nur ein Institut für deutsche Sprache könnte die breite und feste Grundlage schaffen zu jenem großen ‚Wortschatz der deutschen Sprache‘, der für die Akademie ein fernes, doch kein unerreichbares Ziel bedeutet und dem zuzustreben ihr von jeher als ein Gebot nationaler Selbsterkenntnis erschienen ist. « Ausgegeben am 6. Juli. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. Ir L a), EN a ' Ta Tr wir nu ’ a u" Tan ame IT a min Te) Nr SRH Er DORT Lıı) 107] ke tet); RAR 5 LunIe® br rn a ee, a h raue An. BE ın Arckr SUR Ar Gin \ I san ar A TE ve 3 Are “ 2 4 I hi T hi - b Br: > SEN j e al u Pal: ur Far RR 1 f n Akın tanl etz en IR TEE alurr WER E,#i RK Kg . Kia 3 7 ik VERZEICHNISS DER »WISSENSCHAFTLICHEN MITTHEILUNGEN« G | zu St. XXX. Seite Vans: Festrede 653 Smewe: Antrittsrede 682 ZISIMERMANN: Antrittsrede 686 Muntexs: Antrittsrede . x 680 Akademische Preisaufgabe für 1905 aus Be Gebiete dal Philosophie 683 "Akademische Preisaufgabe für 1905 aus dem Gebiete der Physik. 655 ‚Preisaufgabe über eine Geschichte der Autobiographie . 686 Preisaufgabe aus dem Cornextus’schen Legat . ä 659 Her eis der Steixer’schen Stiftung 690 Preisaufgabe der CHARLOTTEN- Stiftung 691 ‚Stipendium der Epvarn GERRARD -Stiftung . En ER a ee ne BEER SR RD, ‚Generalbericht über Gründung, bisherige Thätigkeit und weitere Pläne der Deutschen Commission 694 N en der Akademie. Ennzlungen aus dem Jahre 1904 . N NM. 60.— FE °Daraus: Mathematische Abhandlungen . » . 2. 2. nn ann non A 2.50 a; » Physikalische Abhandlungen Re, a NEE IE TI MEDIEN) = » Philosophische und historische Abhandlungen BE ET IE TI NEE 0 P Einzelne Abhandlungen aus den Jahren 1904 und 1905. EırscareLp: Gedächtnissrede auf Tneovor Monusex . e M. 1.50 Diers: Latereuli Alexandrini aus einem Papyrus ptolemäischer "Zeit . » 1.50 Meyer: Aegyptische Chronologie. . er - 11.50 'ScuÄrer: Zur Beurteilung des Wormser Konkordats . £ .-» 4. STRUVE: ERDSCHnENN von Flecken auf dem Planeten Jupiter am Refractor der Königsberger 1 Sternwarte ; ES eE El nn 2. "Mirreis: Über drei neue Handschriften des syrisch - römischen Rechtsbuchs -» 2.50 N R 7. Krause und S. Kresıpeser: Untersuchungen über den Bau des Centralnervensystems der Affen. Das Nachliirn vom Orang Utan . . . : - - AM. 3.— G. Frıtscn: Die Retinaelemente und die Dreifarbentheorie . . » 1.50 0. Fraske: Beiträge aus chinesischen Quellen zur Kenntnis der Türkvölker und Skythen Zentral- asiens . - -» 4.50 ÄR. Krause und S. KıemPseR: Untersuchungen über den Bau des Centralnervensystens der Affen. Das Hinter- und Mittelhirn vom Orang Utan - 4.50 Ez Ronsere: Über die chemische Zusammensetzung der Eruptivgesteine” in den Gebieten von Predazzo und Monzoni : Eee . 6.— B. SEUFFERT: Prolegomena zu einer Wirraxp-Ausgabe . ed FW. K. Mörter: Handschriften-Reste in Estrangelo- Schrift aus Tur fan, Chinesisch-Turkistan. I. - 7.— eK. Haussuann: Magnetische Messungen im Ries und dessen Umgebung N BEE ‚P. Rırter: Neue Leibniz-Funde . 5 h - 2 J. SıeezL: Untersuchungen über die Ätiologie der Pocken und der Maul- und Klauenseuche . » 2.50 .J. SırgeL: Untersuchungen über die Ätiologie des Scharlachs . ER VHS . 1 I. Sıesen: Untersuchungen über die Ätiologie der Syphilis . .„ 2.— d. Hinscnpzze: Die arabischen Lehrbücher der Augenheilkunde » 45 Sitzungsberichte der Akademie. Preis des einzelnen Jahrgänge, 1852 —1904 MM: 12.— 2 Daraus besonders zusammengestellt: Mathematische und Naturwissenschaftliche Mittheilungen. 1832 —1897. Preis des Jahrganges . » 8— Sonderabdrücke aus den Sitzungsberichten. I. ‚ Halbjahr 1904. E. Conx: zur Elektrodynamik bewegter Systeme ._. N. H. STönser: Sanskrittexte in Brähmischrift aus Idikutsahri, Chinesisch- 1 Furkiin, I (ierzu Tat xvim - Fr. N. Fınex: die samoanische Partikel 0. . . Eu ad. 3 - WaıpeEyer: Bemerkungen über das »Tibiale extenmm. a ne ARE Eee = Fıscner und U. Stzuxr: Polypeptide der Diaminosäuren . 778 - KoenıGsBERGER: das Energieprineip für kinetische Potentiale beliebiger Ordnung und“ einer belie- bigen Anzahl abhängiger und unabhängiger Variabeln er & H. Juss; über die Perioden der redueirten Integrale erster Gattung” B de K. For: die Sprache der türkischen Turfan-Fragmente in manichäischer Schrift 1. E. Conx: zur Flektrodynamik bewegter Systeme. II. van’r Horr und W. MEYERHOFFER: PB hunein über die Bildungsy sverhältnisse® der ozeanischen Salzablagerungen. NNXIX. Bildungstemperaturen unterhalb a a) G. Herısann: über die relative Regenarmuth der deutschen Flachküsten .. . , Se ae W, Seruzze: Lit. klausiu und das indogermanische Futurum . » . . 2...» 2 una. ® Sonderabdrücke aus den Sitzungsberichten. I. Halbjahr 1905. HaARrnAcK: Untersuchungen über den apokryphen Briefwechsel der Korinther mit dem u Paulus M L. Coax: ein Philo- -Palimpsest (Nas Er a1 BD) ve ee ER E a a W. Korse: Bericht über eine Reise in Messenien . . . 0 C. Freprıcn: Bericht über eine Bereisung der Inseln des Thrakischen Meeres und der Nördlichen a Sporaden’. Erna ae ee ee DE NS a Te U. Benn: über das Verhältniss der mittleren (Bussex’schen) Calorie zur 15°- Calorie (Fee) 0 16. sa I. Scnur: über eine Olasse von endlichen Gruppen linearer Substitutionen . ....2.. -» 05 Kreis: über Theodolithgoniometer . ee ee Sa RW: Mösıus: die Formen und Farben der Insekten ästhetisch betrachtet. 2... u a EN OstwArp: ikonoskopische Studien . 0, Enger: über. floristische Verwandtschaft zwischen dem tropischen Afrika und Amerika, sowie über die Annahme eines versunkenen brasilianisch-äthiopischen Continents . . DER van’r Horr und Licstexstein: Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der ozeanischen Sala- | ablagerungen. XL. Existenzgrenze von Tachhydrit . . . . 2 2. nn a2 2 2 20 050 O. Franke: hat es ein Land Kharosıra gegeben? . . - 0.50 KoENIGSBERGER: über die aus der Variation der mehrfachen Integrale entspringenden Parteien EHER Differentialgleichungen der allgemeinen Mechanik . . . k a F. N. Fıxer: die Grundbedeutung des grönländischen Subjekts . . » 050 Fıscrer und E. Anpernarpen: über das v "erhalten verschiedener Polypeptide gegen Pankreasferment » 0,50 van’t Horr, G. L. Voerstaw und W.C. BraspAze: Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der oceanischen SER DESADESR., XLI. Die Bildungstemperatur des El ae - sulfats . PER 2 ‚50 L. Horsornx und F. Hexsısd: über die Lichtemission und den Schmelzpunkt einiger 2 Metalle. BER) Dirraey: Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften . . . : ER ENE Tosrer: vermischte Beiträge zur französischen Grammatik . j » 0.50 J. Hartmann: monochromatische Aufnahmen des Orionnebels . » 0.50 Herrwis: kritische Betrachtungen über neuere Erklärungsversuche auf den Gebiete der Befruch- tungslehre. - . Ne, Praxck: normale und anomale Disper ‚sion in nichtleitenden Medien von " variabler Dichte. a ehe W. Berer: das Gabbromassiv im bayrisch-böhmischen Grenzgebirge . . . . » 2.2.2.2.» I. Scuur: neue Begründung der Theorie der Gruppencharaktere . Sr BRENNT Zimmer: Untersuchungen über den Satzaccent des Altirischen . » G. Kreum: Bericht her Untersuchungen an den Ben »Cnbingane = den metamorphen x Schiefergesteinen der Tessiner Alpen RR ne (N Warzure: über die Reflexion der Kathodenstrahlen an "dünnen Metallblättchen . er Dxesser: das Tempelbild der Athena Polias auf den Münzen von Priene (hierzu Taf. Dr van’t Horr: Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der ozeanischen RalzablBsaunEen: XLO. Bildung von “Glauberit . . RO RER et H. Jung: die allgemeinen Thetafunktionen ‘von vier "Veränderlichen er een ten ie ra SEE Pıscner: über den Ursprung des Fischsymbols . ö RE Tu. WıEsaxp: vierter vorläufiger Bericht über die Ausgrabungen der "Königlichen Museen zu ı Milet » SCHÄFER: die Ungarnschlacht ' VOnSHSS RT. Ar re GER a NE STETS ScHÄFER: die agrarii milites des Widukind NE 3 ,\ SchÄrer: »Sclusas« im Strassburger Zollprivileg von Bar er BEN ERS Herxerr: über die Genauigkeit der Kriterien des Zufälls bei‘ Beobachtungsreihen en ee R. Brauns: die zur Diabasgruppe gehörenden Gesteine des Rheinischen Schiefergebirges Par U ARE Mever: die Mosesagen und die Lewiten DS TER RE NE Ar BEER AS le N WEN Pr ce 4287 EN, ie \c An? SMITHSONIAN INSTITUTION LIBRARIES NIINNNNLLINNN 3 9088 01298 9646