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Henrik Ibſens

Sämtliche Werke

deutſcher Sprache

Neunter Band

Klein Eyolf John Gabriel Borkman

Wenn wir Toten erwachen

Berlin

S. Fiſcher, Verlag

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Henrik Ibſens

Sämtliche Werke

in

deutſcher Sprache

Durchgeſehen und eingeleitet von

Georg Brandes, Julius Elias, Paul Schlenther

Vom Dichter autoriſiert 8

Berlin S. Fiſcher, Verlag

Germany

Irene. „Aukerstehungstag“ nanntest Du Dein Lebenswerk.

Profeffor Rubek. Ich war damals noch jung und ohne alle Eebenserfahrung. Die Auf- erstehung, dacht’ ih mir, müßte am ſchönsten und wunderlieblichsten darzustellen fein als ein junges, unberührtes Weib das von keines Erdenwallens Erlebniſſen entweiht und aller Flecken und Schlacken ledig zu Licht und Herrlichkeit erwacht. Ich wurde weitklug in den Jahren, die folaten, Trene. Der „Auferstehungstag‘‘ wurde in meiner Vorstellung etwas lmfaffenderes etwas Viel— fältigeres. Der kleine runde sockel, auf dem Dein Bild ſchlank und einſam stand, der bot nicht mehr Raum für alles, was ich nun noch hinzudichten wollte

Trene. Was hast Du noch hinzugedichtet? Sag’!

Profeffor Rubek. Was ich rings um mich in der Welt mit meinen Augen ſah. Ich mußte das mit im Bilde haben. Ich konnte nicht anders, Irene. Ich erweiterte den Sockel, Io daß er groß und geräumig ward. Und legte darauf ein stück der gewölbten, berstenden Erde. Und aus den Furchen, da wimmelt's nun herauf von menſchen mit heim— lichen Tiergefichtern, Männern und Weibern, wie ih fie aus dem Leben kannte.

Irene. Aber mitten im schwarm steht das junge Weib in lichter himmelsfreude? Nicht, Arnold:

Profeffor Rubek. Nicht ganz in der mitte. Ich mußte leider die Statue etwas nach hinten rücken, der Geſamtwirkung halber, weißt Du. sie hätte fonst zu ſehr dominiert.

Irene. Aber der Schimmer verklärter Freude strahlt mir doch noch immer vom Antlitz?

Profeffor Rubek. Freilich, Irene. In ge- wiſlem Sinne wenigstens.

Aber nun höre auch, wie ich mich felbst in der Gruppe dargestellt habe. Vorn an einer Quelle, wie hier, ſitzt ein ſchuldbeladener Mann, der von der Erdrinde nicht ganz loszukommen vermag. Th nenne ihn die Reue über ein verlorenes Leben. Er taucht feine Finger in das rieſelnde Water um fie rein zu ſpülen und krümmt ſich und leidet bei

dem Gedanken, daß es ihm nie gelingen wird. In alle Ewigkeit wird er nicht frei werden, leben und auferstehen. Immer und ewig bleibt er in Jeiner Hölle ſitzen.

Trene. Dichter!

Profeffor Rubek. Warum Dichter?

Irene. Weil Du ohne Kraft und Willen bist und voll Abfolution für alle Deine Handlungen und Gedanken. Zuerst hast Du meine Seele gemordet und dann modellierst Du Dich ſelbst in Reue und Buße und selbstanklage und damit, meinst Du dann, ist Dein Konto beglichen.

Profeffor Kubek. ich bin Künstler, Irene, und ſchäme mich nicht der schwäche, die mir an- haften mag. Denn ich bin zum Künstler geboren, ſiehst Du. Und werde auch nie was andres als Künstler werden.

Trene. Dichter bist Du, Arnold. Daß Du liebes, großes, alterndes Kind das nicht ſehen kannst!

Profeffor Rubek. Warum nennst Du mich 19 beharrlich einen Dichter?

Irene. Weil in dieſem Wort eine Entſchuldigung liegt, mein Freund. Eine Ablolution die einen Mantel über alle schwächen breitet.

Wenn wir Toten erwachen IL

Inhaltsverzeichnis

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Einleitung

Vielleicht hat Ibſen, der ein ſchlechter Bücherleſer, aber ein ſehr aufmerkſamer Zeitungsleſer iſt, irgendwann einmal in irgend einem Blatt unter den Vermiſchten Nachrichten folgende Mit— teilung gefunden: Herr Rittergutsbeſitzer Alfred Allmers und ſeine Gattin, die, wie wir kürzlich meldeten, das Unglück hatten, ihr einziges Kind, ihr neunjähriges Söhnchen, durch den Tod im Waſſer zu verlieren, haben nunmehr einen hochherzigen Entſchluß gefaßt. Sie gedenken die Kinder der zum Gute ge— hörigen armen Leute zu ſich zu nehmen und ſie ihrem eigenen Stande gemäß zu erziehen. Der Reichtum der Frau Allmers, die Bildung des Herrn Allmers, der bekanntlich früher Schul— lehrer war, vereinen ſich ſo zu einem ſeltenen Werk edelſter Menſchenliebe; es iſt hier einmal der Beweis geliefert, daß Unglück ein Stifter des Guten werden kann. Wie ſo manches, was in der Zeitung ſteht, würde eine ſolche Notiz die Leſer be— fremden und beſchäftigen; aber die meiſten würden ſich an die nackte Thatſache halten und mit einem Seltſam oder Sonder— bar drüber weggehen. Den Dichter jedoch reizt es, dieſer That— ſache auf den Grund zu kommen, denn auf dem Grunde findet er pſychologiſche Motive zu einer ſolchen Handlungsweiſe. Er ſtellt ſich vor, daß der Tod des Unglücksknäbchens nicht bloß plumper Zufall war. Eine geheime, unheimliche Macht muß ihn ins Waſſer gelockt haben. „Halb zog es ihn, halb ſank er

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hin“. Meerweiber ſteigen nicht mehr, wie in Goethes Ballade, aus der Flut hervor. Aber dieſe Meerweiber waren nur Aus— geburten der Phantaſie, Sinnbilder, darin ſich Naturgewalten darſtellen. Solche Sinnbilder in der Wirklichkeit zu finden, fällt beſonders einer aufgeregten Kindesphantaſie nicht ſchwer. Wir alle haben als Kinder irgend ein unheimliches altes Weib ge— kannt, das Lumpen ſammelte oder den Ausſchlag beſprach oder Karten legte oder ſonſt wie, ſtark durch den Aberglauben oder durch die Spekulation auf den Aberglauben, in irgend ein Hand— werk pfuſchte. Begegneten wir Kinder ſolch einem Weibe, ſo hätt' uns der Schrecken am liebſten davongejagt; und doch blieben wir wie gebannt ſtehen, gebannt vielleicht durch einen böſen Blick. Trat dann gar das alte Weib mit freundlich grinſenden Gebärden auf uns zu, ſo war es vollends um uns geſchehen. Wir ſtarrten ſie an unter Thränen und Geſchrei. Hierauf gründet ſich wohl auch der wenig galante Aberglaube, daß eine morgendliche Be— gegnung mit alten Weibern Unglück bringe. Ibſen konnte und durfte ſich denten, auch an den kleinen Eyolf Allmers ſei ein ſolches ganz beſonders unheimliches altes Weib eines Morgens herangetreten. Ibſen ſelbſt hat als Kind ein ſolches Weib in ſeiner Vaterſtadt Skien einſt geſehen und wohl auch gefürchtet. Es war die ſogenannte Rattenmamſell, die mit ihrem kleinen Mops durchs Land ſtrich und, wie einſt der Rattenfänger von Hameln, durch die Macht der Muſik Ratten ins Waſſer lockte. Dieſe Rattenmamſell hat Ibſen nun verewigt. Wir ſind auf die Alte ſchon vorbereitet, ehe ſie eintritt; denn Aſta hat ſie vorher in der Stadt, Allmers hat ſie droben im Hochgebirge geſehen. Nun ſteht die Landſtreicherin leibhaftig im Zimmer vor Klein Eyolf, dem vor ihr graut, und der ihren Mops, trotzdem er das ſchrecklichſte Antlitz hat, wunderſchön findet. Ein flüchtiger Blick fällt ins Seelenleben der alten Mamſell:

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ſie ſcheint ihren treuloſen Liebſten ins Waſſer gelockt zu haben.

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Seitdem iſt ſie dem Waſſer verbündet und lockt hinein alles, was da „nagt und frißt“. Mit der Frage: „Haben die Herr— ſchaften im Hauſe was Nagendes?“ tritt ſie bei Eyolfs Eltern ein. Und wir erkennen bald, daß in Klein Eyolfs Daſein und Schickſal der Rattenzahn liegt, der an den Seelen der Eltern nagt. Die alte Mamſell arbeitet ſich müd' und matt an dem Geſchäft, aber es bleibt völlig im Dunkeln, ob ſie ihr Geſchäft mit oder ohne Erfolg betreibt, ob ihr, wie ſie verſichert und wohl auch ſelbſt glaubt, die Ratten wirklich ins Meer nachſchwimmen und ertrinken, oder nicht. Sie ſelbſt, geiſtig geſtört wie ſie iſt, dünkt ſich als eine Art Miſſionsreiſende, die den armen lieben kribbelnden und krabbelnden, nagenden und plagenden Kleinen eine Wohlthat erweiſe, wenn ſie ſie tief unten zur Ruhe bringe, wo ſie dann ſo ſüß ſchlafen und ſo lang. Der Glaube an dieſe Miſſion iſt bei ihr ſo tragikomiſch, ſo grotesk, ſo ſtark, daß er anſteckend wirkt. Auf geiſtig entwickelte Menſchen freilich, wie den Schullehrer Alfred Allmers und deſſen Stiefſchweſter Aſta, wirkt das alte wunderliche Geſchöpf mit ſeiner Rattenübermacht höchſtens wie ein Gleichnis unſichtbar zwingender und lockender Gewalten. Aber jchon die wildere Phantaſie der Frau Rita Allmers wird wie durch einen eklen Spuk von ihr phyſiſch be— unruhigt. Vollends der kleine nachdenkliche und gebrechliche Knabe Eyolf ſteht ganz unter ihrer Suggeſtion. Er geht den Weg der Ratten. Halb in kindiſcher Neugier, halb unter der Gewalt des unheimlichen Phantoms folgt er heimlich der alten Mamſell, ſteht dicht an der Landungsbrücke, als ſie mit ihrem Mops, auf der Maultrommel ſpielend, in den Fjord hinaus— rudert, und ganz Auge, ganz Ohr, verliert er mit ſeinem ſteifen, gelähmten Beinchen das Gleichgewicht, fällt ins Waſſer, kann ſich bei ſeiner Gebrechlichkeit nicht retten und liegt nun in der Tiefe. Auch die Dorfkinder konnten ihn nicht retten oder wagten es nicht, aber ſie ſahen ihn eine Weile im klaren Grund auf

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dem Rücken liegen, mit großen, offenen Augen, bis ihn eine Strömung wegreißt, und er für immer verſchwindet. Nur die Krücke, ohne die das Kind nicht gehen konnte, ſchwimmt weiter auf den Wellen und wird ſpäter aufgefiſcht.

Dieſer Hergang, das äußere Geſchehnis in Ibſens Stück, birgt ſchon all die Motive in ſich, die dem Stück den Vorwurf des Myſtiſchen, Übernatürlichen, Symboliſchen eintragen konnten. Der Vorwurf wäre nur dann ein Vorwurf, wenn das Sym⸗ boliſche, Übernatürliche, Myſtiſche keine reale Unterlage hätte. Die Rattenmamſell aber mit ihrem Mops, das lahme Kind mit ſeiner Krücke ſind reale Weſen. Das „Myſtiſche“ oder wie man es ſonſt nennen mag, liegt nicht in ihrer Exiſtenz, ſondern in ihrer Handlungsweiſe, die nicht dem ſogenannten geſunden Menſchen⸗ verſtand entſpringt, ſondern aus Einbildungen des erregten Gemütes hervorgeht. Solche Einbildungen aber ſind das Aller- menſchlichſte im Menſchen, das Allernatürlichſte in ſeiner Natur. Man darf ſie krankhaft nennen. Wer das Kranke aus der pſycho— logiſchen Poeſie verbannen will, darf Ibſen tadeln. Aber man darf Ibſen nicht tadeln, weil man dieſe Illuſionen für un⸗ realiſtiſch hält. Sie gehören freilich zu den Dingen auf Erden, von denen die Schulweisheit eines einſeitigen und beſchränkten Rationalismus nichts träumt. Nur wer im ordinärſten Sinne die Identität des Wirklichen und Vernünftigen behauptet, wird die Rattenmamſell und ihr armes Opfer, weil ſie höchſt unver⸗ nünftig ſind, für höchſt unwirklich halten.

Aber mag man an das Daſein der Rattenmamſell und ihres Opfers glauben oder nicht, ſie ſind, wiewohl das Stück nach dem ertrinkenden Kinde betitelt iſt, nicht das Weſentliche im Stück. Wie beide leiblich nach dem erſten Akte verſchwinden, ſo geben ſie nur den Anſtoß, der das Gefährt in Bewegung ſetzt. Vom Gefährt getragen wird Klein Eyolfs Elternpaar.

Was dieſem Elternpaare zuſtößt, der Verluſt des einzigen

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Kindes, iſt an ſich kein ungewöhnlicher Vorfall. Ungewöhnlich, nicht unwahrſcheinlich wird der Vorfall erſt dadurch, daß dieſes Kind nicht an der Diphtheritis oder ſonſt einer heim— tückiſchen Krankheit im Bettchen ſtirbt und unter Blumen be— erdigt wird, ſondern daß es ertrinkt und ſich unwiederbringlich ins weite Meer verliert. Die Eltern ſtehen da und haben nicht einmal die tröſtlichen Gemütserſchütterungen eines anſtändigen Begräbniſſes. Aber auch die Trauer dieſer Eltern iſt an ſich nicht ungewöhnlich. Sie ſind zunächſt außer ſich. Als ſie wieder zu ſich kommen, wird die lebhaft-leidenſchaftliche Mutter von ihrem Schmerze ruhlos umhergetrieben. Der ſtille, träumeriſche Vater verſinkt ganz in ſeine traurigen Gedanken, die, vom Ge— fühle beherrſcht, an der Weltordnung zweifeln. Während ſich die Mutter mit den konventionellen Abzeichen des Grams be— kleidet, grübelt der Vater nach dem tieferen Sinne dieſes Schickſalsſchlages, den er ſich nur als eine Vergeltung deuten kann. Während die Mutter heftig damit ringt, ihren Gram zu verwinden, reut es den Vater bitter, daß er ihn auf kurze Augenblicke vergeſſen kann. Die Mutter möchte über das Schwere hinweg, der Vater fühlt eine Verpflichtung zur Trauer. Die Mutter kämpft naiv gegen das Schrecknis, der Vater, durchaus ſentimentaliſch angelegt, benutzt den ſchweren Anlaß zu Seelen— ſtudien am eigenen Selbſt. Die Mutter möchte ſich entlaufen, der Vater wird ſich intereſſant. Gar bald treibt es die Mutter zu fiebriſchen Wünſchen nach Zerſtreuung, wie Reiſen, Geſellig— keit. Der Vater hingegen ſammelt ſich bei ſeinem Schmerz, er badet ſich darin, ohne Hjalmar Ekdals komödiantiſche Selbſt— gefälligkeit, aber doch nicht frei von jener echt menſchlich-eitlen Luſt am Schmerz.

All dieſe Gemütszuſtände ſind echt und allgemein menſch— licher Natur. Aber Ibſen begnügte ſich auch diesmal nicht mit dem Allgemein⸗Menſchlichen. Der Kenner der Höhen und Tiefen

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jteigt zum Beſonderen herab. Das Beſondere liegt in dem eigentümlichen Verhältniſſe der Eltern Klein Eyolfs zu einander. Wieder, wie im „Puppenheim“, in „der Frau vom Meere“, in „Hedda Gabler“, ſteht der Dichter vor einem Eheproblem. Auch das Ehepaar Allmers, der Grübler und die Genießerin, lebt zehn Jahre lang mit einander, ohne in einander aufzu= gehen. Zwei ringende Seelen! „Die eine hält, in derber Liebes- luſt, ſich an die Welt mit klammernden Organen; die andre hebt gewaltſam ſich vom Duſt zu den Gefilden hoher Ahnen“.

Wie nur je in einer Fauſtesbruſt dieſe Seelen mit einander gekämpft und durch einander geblutet haben, ſo hier im Ver— ſchluß einer Ehe.

Allmers iſt der Feinere, Klügere, Edlere, Beſonnenere, aber fie iſt ihm an Kraft der Natur in jeder Hinſicht, auch in geſchlechtlicher, weit überlegen. Und jo fällt auf alle jeine zarten Eigenſchaften jener Hauch von Lächerlichkeit, den Ibſen ſeinen Bürgern des dritten Reichs faſt nie erſpart.

Was ſie einſt zuſammenführte, war bei Rita ſinnliche Leidenſchaft für den feinen, ſchlanken, jungen Träumer: ſie hatte ſich in ihn bis über die Ohren vergafft. Auch er war gegen Ritas blühende Schönheit nicht unempfindlich geweſen; aber was den armen Schulmeiſter zuletzt beſtimmte, war doch die Ausſicht auf eine freie und ruhige Exiſtenz, die Ritas „goldene Berge“ ihm und ſeiner jungen, geliebten Stiefſchweſter ſicherten. Als Ritas Gemahl auf Ritas ſchönem Landgut am Fjord konnte der Schulmeiſter zum Schriftſteller und Weltweiſen werden. Er ſchloß mit dem heiß verlangenden Weib eine Vernunfſtheirat. Zunächſt ſiegte ihre Leidenſchaft: Klein Eyolf ward geboren. Aber der Mann iſt der Sprödere, Keuſchere, Scheuere. Oft genug rettet er ſich vor den Begierden des Weibes hinter ſeine Wiſſenſchaft. Oft genug ſehnt er ſich aus ihren wilden Um— armungen nach dem ſtillen Frieden, in dem er einſt Hand in

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Hand mit feiner milden Stiefſchweſter gegangen war, beide den gleichen Gedanken nachhangend. Zuweilen freilich wirken Ritas Reize noch; in einer ſolchen Stunde ſtürzt, von den Eltern im Sinnenrauſch vergeſſen, das Wickelkindchen Eyolf aus ſeinen Windeln zu Boden und wird durch die Unvorſichtigkeit derer, die ihm das arme Leben gaben, zum Krüppel geſchlagen. Er hinkte nun an der Krücke. Dieſe Krücke ward beiden Eltern der ewige Ankläger einer Unterlaſſungsſünde. Sie thaten, was das feige Menſchenherz gerne thut: ſie mieden den Anblick der Krücke, ſie mieden den Träger der Krücke.

Auch als Klein Eyolf tot iſt, iſt die Mahnerin alter Schuld nicht zugleich mit ihm verſunken. Die Krücke ſchwimmt weiter auf den Wellen. Sie wird ans Land gerettet. Sie iſt gegenwärtig wie das Schuldgefühl beider Eltern. Aber das Schuldgefühl wurzelt und wühlt von jeher beim Vater tiefer als bei der Mutter. Für Rita galt nach wie vor das mephiſtopheliſche „Und immer verliebt“. Sie iſt von einer Unſchuld der ſinnlichen Leidenſchaft, die ans Tieriſche grenzt. Sie will naiv genießen, naiv glücklich ſein und verſteht nichts von all den Skrupeln, womit ihr verſonnener Gatte umher— geht. Ihr Gefühl explodiert herzhaft und lebhaft und iſt immer im Begriff, ſie zu kompromittieren. Rubens hätte dieſes Natur— weib gemalt, aber er hätte ihr gutmütiger Weiſe einen Faun an die Seite gegeben, keinen Abſtinenzler. Die Befruchtung iſt ihr lieber als die Frucht. Zuerſt wollte ſie Weib, dann Mutter ſein. Und je heißer, je unbegrenzter das Weib verlangte, deſto kälter ward die Mutter. Klein Eyolf war faſt mutterlos und ſeiner Tante trat er näher. Wie Rita im Sinnengenuß alles vergaß, ſo wollte ſie auch ihr Kind mit ſeiner Krücke vergeſſen. Nicht aus angeborener, widernatürlicher Herzenskälte, ſondern weil das Kind dem Herzen des Vaters näher zu ſtehen ſchien als ſie. Sie hatte ein „robuſteres Gewiſſen“.

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Aber auch der Vater zog ſich in ſeinem Schuldgefühl ſcheu vom Kinde und von der anklägeriſchen Krücke zurück. Doch er büßte die Schuld nicht im Genuß, ſondern in der Arbeit, der Wiſſenſchaft. Aus einer Schuld heraus, die er nicht glaubt ver⸗ antworten zu können, ſchrieb er an einem Buch über die menſch⸗ liche Verantwortung. Gatte ohne rechte Luſt am Weibe, Vater ohne rechte Luſt am Kinde, fühlte er in ſeinem feinen und zarten Empfinden das ganze Unbehagen, die ganze Halbheit dieſer Exiſtenz. In dieſer Halbheit geriet ihm auch ſein wiſſenſchaft⸗ liches Arbeiten als etwas Halbes, Unbefriedigendes. Dieſe Qual ward ihm plötzlich unerträglich. Aus dieſem engen Menjchen- bann flüchtete er ſich ins Hochgebirge. Hier, vor den weiten Fernſichten, empfand er die Macht der großen Natur auf den Charakter des Menſchen. Unter der läuternden und doch wieder einſchüchternden, die eigene Unzulänglichkeit zum Bewußtſein bringenden Macht gewaltiger Natureindrücke, unter dem wohl— thätigen Einfluß zeitweiliger Trennung, durch eine gefahrvolle Wanderung mit dem Todesgedanken vertrauter geworden, kam er zu Vorſätzen und zu Verzichten. Er war ganz mit ſich allein geweſen und hatte furchtlos dem Tode gegenübergeſtanden. Er genoß dasſelbe, was die Rattenmamſell den kleinen Ratten ſo herzlich wünſcht, „den Frieden und das Wohlbehagen der Todes— empfindung“. Als ihn dann der Tod wieder freiließ, kam er mit einem großen Vorſatz ins Leben heim. Er verlangt von ſich ſelbſt, er wünſcht für ſich ſelbſt nichts mehr. Er will ſich, ein echter Ibſenſcher Opferbringer, opfern für Klein Eyolf. Er wird ſein Weib nicht mehr berühren, er wird ſein Buch nicht fertig ſchreiben, aber er wird ſeine Lehre von der menſchlichen Verantwortung praktiſch bethätigen. Er will nichts anderes, als ſeinem Sohn ein Vater fein. Er will in all die reichen Möglic)- keiten, die in dieſer Kindesſeele dämmern, Klarheit bringen. Er will alles, was das Kind an edlen Keimen in ſich trägt, zum

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Wachstum bringen. Vor allem andern will er in dem kind— lichen Gemüt das Glücksgefühl erwecken. Das höchſte Glück des Menſchen aber beſteht nach Allmers-Ibſen darin, ſeine Wünſche in Einklang zu bringen mit dem, was erreichbar vor ihm liegt. Klein Eyolf trägt gern eine Uniform und will mit ſeiner Krücke Soldat werden. Er will in ſeiner Lahmheit auf die Berge ſteigen. Er hat noch nicht das Glücksgefühl. So wenig wie ſein Vater ſelbſt. Er ſoll es durch den Vater em— pfangen. Doch ſo entſchloſſen Allmers iſt, zu Gunſten ſeines Kindes allem Eignen zu entſagen, ſo liegt doch auch ihm „die Furcht vor der Jugend“, die den Baumeiſter Solneß peinigte, nicht ganz fern: „Später kommt einer, der es beſſer macht“. Er ſpricht dieſe Worte zärtlich und lächelnd zum Knaben. Aber ganz frei und freudig iſt ſein Entſchluß doch noch nicht. Eine, die ihn ganz genau kennt, ſeine Stiefſchweſter, meint: „Das hat Dich einen furchtbar ſchweren Kampf gekoſtet“.

Dieſer unfrohen Opferwilligkeit des Vaters ſtehen überall die ſelbſtiſchen Anſprüche der Mutter leidenſchaftlicher als je zu— vor gegenüber. Ihre unbegnügte Begehrlichkeit artet zu frevlen Gedanken aus. Schon keimt der Wunſch, ihr Kind möchte dem Glück der Eltern zum Opfer fallen. Und in derſelben Stunde, da ſich aus der Mutterſeele dieſer Gedanke wie ein ſcheuer Mörder hervorſchlich, ereilt den kleinen Eyolf ein jäher Tod.

Nicht umſonſt ſteht dieſen Glückſuchern ein Pfadfinder des Glücks gegenüber, der nicht mehr will als er kann, und deſſen Können eben darum immer wächſt: die froheſte Geſtalt, die Ibſen geſchaffen hat, einer, der Wege baut und der es doch für ein Glück hält, Wegebauer zu ſein; einer der Seltenen, die mit ihrem Lebensberuf zufrieden ſind; einer, dem zwiſchen vollbrachter und beginnender Arbeit das ganze Leben vorkommt wie ein Spiel; einer, der Mühen und Beſchwerden allein trägt, die Freude aber teilen will; einer, der Ausdauer genug hat, Wege—

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bahner zu ſein; einer, der ſein Lebensglück mutig ergreift, noch eh ers ganz ſich erworben hat. Dem von des Gedankens Bläſſe Angekränkelten hat der Dichter mit Abſicht in Borgheim eine Fortinbras-Natur gegenübergeſtellt, die nichts will, was ſie nicht kann, und alles erreicht, was ſie will: ſogar das ſpröde Mädchen, das eigentlich an einem andern hängt. Dieſer friſch zugreifende, nicht allzu weitſichtige und tiefblickende Mann, der im Theater nicht zum Ibſenſchwärmer würde, ſondern oft genug mit den andern riefe: „Das iſt verrückt“, er hat das Glück und auch die Fähigkeit, glücklich zu machen. Das Mädchen, das ſich vor ſich ſelbſt nach langem Zaudern zu ihm flüchtet, mit einer Entſagung im Herzen, wird es gut bei ihm haben und am Ende noch glücklich werden.

Dieſe Fähigkeit, glücklich zu ſein und glücklich zu machen, iſt dem geiſtig weit höher ſtehenden Alfred Allmers ſo wenig ge— geben, wie ſie dem Baumeiſter Solneß, der Hedda Gabler, der Frau vom Meere, dem Pfarrer Rosmer und all den andern Anwärtern deſſen gegeben iſt, was Ibſen in „Kaiſer und Galiläer“ das dritte Reich nennt. „Die Lebensanſchauung der Rosmer adelt“, ſagt Rebekka Weſt, „aber ſie tötet das Glück“.

Allmers hatte geglaubt, das Glück nicht nur im Sohne, ſondern auch in ſich ſelbſt lebendig zu machen, als er ſich ent— ſchloß, auf ſich ſelbſt zu verzichten und nur dem Sohne zu leben. An dem Tage aber, da er mit dieſem großen Entſchluſſe heimkehrt, wird ihm ſein Sohn, das Objekt ſeiner Glücks— bethätigung, entriſſen, und er ſteht nun da wie ein Arbeiter ohne Werkzeug. Sein Lebensplan iſt vereitelt, noch bevor er be— gonnen hatte, ihn auszuführen. Der große Entſchluß mit all ſeinen Seelenkämpfen war vergebens. Das Elend dieſer Lage, ſeinen ganzen ſeeliſchen Notſtand hat er allein zu tragen. Denn Alta, die ihm nicht als ſeine leibliche Schweſter mehr gelten darf, aber doch weit mehr als das eigene Weib die Verwandte ſeiner

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Seele bleibt, verläßt ihn, weil er nicht mehr ihr Bruder iſt, und weil er ihr Ritas wegen nicht mehr als ein Bruder ſein darf. Er bleibt mit Rita allein zurück, und faſt ſcheint es, als ob die gemeinſame Qual die Kluft zwiſchen beiden weiterte. Das kranke Kind war ein wehmütiger Mahner geweſen, das tote Kind wird zum Verfolger. Der Zwiſt wächſt. Wenn ſonſt Eltern am Hügel ihres Kindes in Schmerz und Trauer ver— bunden ſtehen, ſo iſt dieſer nie zu begrabende, weit im Waſſer unfindbar umhertreibende Eyolf ein Schreckgeſpenſt, das Vater und Mutter in Reue, Qual und Vorwürfen auseinander, gegeneinander ſcheucht. Es kommt zur Ausſprache, zur Ab— rechnung. Alles, was jahrelang zwiſchen Mann und Weib ſich gedrängt hatte, jeder unredliche Wunſch, jeder ſtille Vorwurf, jedes Mißtrauen, alles was abſtieß und verletzte, alle gegen— ſeitige Schuldverſtrickung, alles das entlädt ſich nun endlich in ſchroffen, ſchimpflichen, bittern, bohrenden Worten. In die ges heimſten Falten dieſer Seelen wird erbarmungslos hineingewühlt; es iſt, als müßten die Herzen brechen, die Hirnſchalen ſpringen. Mann und Weib ängſtigen ſich vor einander. Sie wollen nicht allein gelaſſen ſein. Jetzt vermiſſen ſie den kleinen Eyolf, der ſie durch ſeine bloße Gegenwart vor einander geſchützt hätte.

Bei ihrer Angſt vor einander begegnen ſie ſich in demſelben Wunſch. Vereint flehen ſie zu Aſta Allmers, der vermeintlichen Schweſter, ſie möchte an Eyolfs Statt bei ihnen bleiben. Aber Aſta muß weg, denn ſie empfindet für den vermeintlichen Bruder mehr als Schweſterliebe; auch ihm ſteht ſie ſeeliſch näher als die eigene, fremd gebliebene Frau. Aſta iſt rein und klug und treu genug, einer Gefahr rechtzeitig zu entgehen. Was ſie noch an Herz mit ſich nimmt, überläßt ſie jenem ehrlichen, fröhlichen und fleißigen Naturburſchen, der ihr den Verzicht auf das Liebſte lohnen wird; ſeine Freuden werden ihre Freuden werden. Aſta iſt eine Mimoſennatur. Sie iſt die Ahnerin. Was in der

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wahlverwandten Seele ihres Alfred vorgeht, fühlt fie auch in der Ferne mit. Ibſen ſucht ſich hier in telepathiſchen Wahr- nehmungen zurechtzufinden. Auch mit Alfreds kleinem Sohne ver— knüpft ſie eine Art Seelenbund. Sie kennt ihn beſſer als die eigene Mutter. Er gleicht ihr auch mehr als der eigenen Mutter, obwohl ſie ihm nicht blutsverwandt iſt. Rita fühlt das auch, wollte ſie aus der Nähe haben und iſt ihr doch von Herzen gut: was für die Herzensgüte beider Frauen das Charakteriſtiſche iſt.

Allmers und ſeine Frau, die ihre gemeinſame Qual nicht gemeinſam tragen konnten, ſind nun ganz allein gelaſſen; einer iſt des anderen Kerker. Aber nun geſchieht das Wunderbare in dieſer Verlaſſenheit lernen ſie durch gemeinſame Ent— behrung des Glücksgefühls einander beſſer verſtehen.

Wie Allmers ſchon vorher zu einem Selbſtverzicht gelangt war, ſo erfährt nun auch Rita eine ähnliche Wandlung. Unter dem Eindruck alles deſſen, was ſie äußerlich und innerlich er— lebt haben, geht eine Veränderung in beiden vor. Was ſie von aller übrigen Welt trennt, bringt ſie einander näher. Allmers bemerkt, wie ſeine Frau langſam von Genuß und Glück Abſchied nimmt, wie der Gedanke an Eyolf und an ihre Ver— laſſenheit ſie nicht nur peinigt, ſondern auch reinigt, wie das Weltkind den Himmel ſucht, nach dem auch er, der Freigeiſt, Sehnſucht trägt. Und er ſieht, wie ſich alles Leidenſchaftliche und Verwegene ihrer Natur in der Verwandeltheit zur That— kraft feſtigt, wie dieſes erdgebundene Weſen, dieſes warmblütige Menſchenkind ſofort entſchloſſen iſt, das eigene Glück, das ver— loren ging, anderen zu beſcheren. Die Kinderloſe läſſet die Kindlein zu ſich kommen. Die vom Unglück Geläuterte wird denen helfen, die mühſelig ſind und beladen. Sie, der ihr Chriſtenglaube geſtört iſt, wird praktiſches Chriſtentum hienieden treiben.

XXI

Wie der „Volksfeind“ Doktor Stockmann die Straßeniungen zu freien Männern erziehen will, ſo will ſie die Kinder armer Leute zu ſich nehmen, um ihnen das zu geben, was Klein Eyolf entbehren mußte. Den Rachegott im eigenen Buſen ſollen Liebes— werke verſöhnen. Sie will ſich einſchmeicheln bei den zwei offenen toten Kinderaugen, die in ihr ſchuldgequältes reuiges Herz ſtarren. Auf dieſer Flucht aus ſchlimmen Gedanken zu edlen Thaten it die naiv empfindende Frau die Führerin, der ſentimentaliſch grübelnde Mann der Geleitete. Dieſe Flucht hat noch kein ſichtbares Ziel. Wir müſſen mit der Hoffnung fürlieb nehmen, daß zwei gequälte Erdenkinder, losgelöſt vom eignen Glück, vom eignen Ich, in der Arbeit für andere langſam ſich ſühnend, „zu den Gipfeln“, „zu den Sternen“, „zu der großen Stille“ empor— ſteigen werden. Und über beide, über das Weltkind wie den Freigeiſt, kommt eine ganz beſondere Frömmigkeit. Sie, die in ihrer bitterſten Qual von der Erde nicht laſſen konnten, fühlen ſich nun auch dem Himmel verwandt, den ſie auf die Erde ziehen wollen: „Denn hier, auf die Erde gehören wir Lebenden heim“. Ihr Glück iſt tot, aber ſie fühlen, wie ihre Seelen ſich adeln. Und ſie werden nicht, wie die Rattenmamſell ihre Ratten, die Kinder ins Verderben locken und peinigen, ſondern viel— leicht? frohe Bürger des dritten Reichs aus ihnen ſchaffen. Die Gefühle ſchweben auf. Alle unreinen Triebe ſcheinen ſich im Ather zu verlieren. Die „Kraft der Wandlung“, die ſchon die „Frau vom Meere“ an ſich verſpürte, der freie Sieg über ſich ſelbſt aus gequälter Seele iſt hier noch ſtärker, als irgendwo ſonſt bei Ibſen, die Macht, die den ſittlichen Menſchen erhebt. Ibſens Skepſis gewöhnt ſich wieder an Hoffnung. Wen das wundert, der weiß nicht, daß auch ein alter Dichter dem viel verſpotteten, auch von dem Wegebauer verſpotteten und doch nicht aus der Welt zu ſchaffenden „Geſetz der Wandlung“ unter- worfen iſt. Gerade die Wandlung Ibſens, die ſich in der

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Chronologie ſeiner Werke verfolgen läßt, hat, wie alles, was dieſer Mann ſchreibt und thut, etwas ſtreng Geſetzmäßiges. In dieſer geſetznäßigen Wandlung ſcheint Ibſen nun jo weit gelangt, mit der Welt Frieden zu ſchließen. Klein Eyolf, der ſoviel Unheil ſtiftet, iſt doch ein kleiner Friedensengel. Nie hat Ibſen ein ſo reines Frauenbild geſchaffen, wie Aſta, nie eine ſo kern— geſunde Männergeſtalt wie den Ingenieur: ein ernſter und ein luſtiger Bürge für die Güte des menſchlichen Herzens.

Wie im „Puppenheim“, in den „Geſpenſtern“, in „Baus meiſter Solneß“ verteilt der Dichter ſeinen Stoff auf drei Akte. Der erſte Akt ſchließt mit Eyolfs Todesſturz ins Waſſer. Vom Ufer her durch Garten und Veranda dringt das Geſchrei der Augenzeugen herauf ins Zimmer zu den Eltern und Angehörigen Eyolfs. Der erſte, der den Sachverhalt erkennt und an die Unglücksſtätte eilt, iſt jener Wegebauer Borgheim, der dem toten Kinde ein guter Kamerad geweſen iſt. Dann folgt Tante Aſta, um die Borgheim vorläufig noch vergeblich wirbt; dann der Vater. Mutter Rita aber ſinkt, vom Entſetzen über- wältigt, in einen Seſſel.

Wie Alfred Allmers zwiſchen den beiden Frauen ſteht oder vielmehr ſchwebt, iſt das Thema des mittleren Aktes. Zuerſt hat er hier mit Aſta, dann mit Rita die große Ausein- anderſetzung. Beide Male knüpft ſich das Geſpräch an den Verluſt Eyolfs: „Ich kann's nicht faſſen,“ ſagt er zu Aſta. „Kannſt Du's faſſen und begreifen, Alfred?“ fragt ihn dann Rita. Und der durch Aſta Beruhigte ſucht fie zu beruhigen. Aber die Ruhe hält nirgend ſtand. Das Schickſal kompliziert ſich. Wenn gemeinſame Erinnerungen an Aſtas Kinderzeit wie Troſt wirken, ſo folgt gleich darauf die tragiſch-ſpäte Erkenntnis, daß Aſta und Allmers nicht Geſchwiſter ſind: die Zuſammen— gehörigen hätten ein Paar fürs Leben werden können. Nun aber ſteht Rita im Wege: dieſelbe Rita, mit der ſchon alles

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zur Ausſprache kommt, und von der Allmers doch nicht los kann.

Aſtas Abſchied, Ritas Bleiben das iſt der Sinn des letzten Aktes. Aſta flüchtet ihr Herz vor Allmers zu Borg— heim. Das nämliche Dampfſchiff, das beide wegführt, leuchtet mit zwei glühenden Laternenaugen herauf in Ritas Gewiſſen, als wären es Klein Eyolfs offene, ſtarre Kinderaugen. Und die Schiffsglocke, die zum Einſteigen mahnt, ſcheint ihr die Totenglocke zu ſein, die ihr den Geſang von der ſchwimmenden Krücke in die Ohren gellt. Dann aber verſchwindet mit dem Dampfſchiff und ſeinen Paſſagieren der ganze tolle Furienſpuk. Eyolfs Eltern ſind allein mit ſich und ihren klaren Sinnen. Was thun? Die Luſt an der Luſt iſt nun auch bei Rita vor— über; das iſt es, verbunden mit der Einſicht in eine Schuld, was ſie umwandelt. Eine Metanoia im echteſten Chriſtenſinne geht in dieſer büßenden Magdalena vor. Ihre Liebe bekehrt ſich aus der Genußſucht zur Werkthätigkeit. Und alles Gute, was in ihrer Natur und ſeinem Geiſte ſteckt, ſoll armen Menſchen zu gute kommen. Dann wäre Klein Eyolf nicht umſonſt ge— ſtorben. Des zum Ende wird die Fahne, die trauernd auf Halbmaſt ſtand, emporgehißt, auf daß ſie hoffnungsfreudig in eine beſſere Zukunft grüße.

* *

„Klein Eyolf“, die Kindestragödie, Ende 1894 erſchienen, war ein Stück, das im Sommer ſpielt. „John Gabriel Borkman“, die Greiſestragödie, Ende 1896 erſchienen, iſt ein Winterſtück.

Draußen im Wald und auf den Bergen liegt Schnee. Die Flüſſe ſtarren von Eis. Schlitten klingeln über den Weg. Durch die Nachtluft flockt es. Das Wohnhaus iſt geheizt. Aber

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in den Seelen der Menſchen friert es vom Froſt verjährter Fieber. Es iſt ein Winterſtück, das nur ein alter, bald ſiebzig⸗ jähriger Mann dichten konnte, einer, der weiß, wie es in ge— alterten Seelen zugeht, wenn erloſchene Flammen wieder glimmen möchten, wenn alte Augen auf ein vergangenes, ver⸗ lorenes Leben zurückſehen, wenn letzte Wünſche, letzter Glaube entſchwinden, wenn über letzten Verluſten alter Hader einen Frieden ohne Troſt ſucht.

Das Drama hat vier Akte. Sie folgen einander auf dem Fuß in ſtrengſter Zeiteinheit. Kaum eine Minute liegt zwiſchen dem Schluß jedes früheren und dem Anfang jedes neuen Aktes. Ibſen rechnet hier durchweg mit wirklichen Minuten, wie ſie der Zeiger einer wirklichen Uhr angiebt. Das gebrechliche, unnatür⸗ liche Hilfsmittel der ſiebenmeilenſtiefligen ſogenannten Bühnen⸗ minute verſchmäht jetzt dieſer Meiſter des techniſchen Aufbaus.

Auch die andere ariſtoteliſche Forderung, die Einheit des Ortes, iſt wieder gewahrt. Im herrſchaftlichen Landhaus zwei Wohnräume; die Treppe, die vom Hausthor hinab in den Hof führt; das Waldgehege, das vom Hofraum bergan ins Weite ſteigt. Angeregt durch die Bayreuther Wandeldekoration und durch einige bühnentechniſche Kunſtſtücke, die er in München auf der ſogenannten Shakeſpearebühne Meiſter Lautenſchlägers voll— führen ſah, ſchreibt Ibſen im letzten Akt ein ſichtbares Wandern der Perſonen vor. Indem ſich die Landſchaft verändert, ſoll es ſo ſcheinen, als bewegten ſich die Menſchen im Raume vorwärts.

Da Ibſen auch im „John Gabriel Borkman“ lebenslange Menſchenſchickſale entwickelt, da er auch hier an zerwühlte und zerklüftete Menſchenſeelen das feinſte Hörrohr legt, ſo können auch hier in den engen Grenzen räumlicher und zeitlicher Ein— heit aus Vergangenem nur die letzten Schlüſſe gefolgert werden. Der Abend, da das Stück beginnt, geht der Todesnacht

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John Gabriel Borkmans voran. An dieſem ſelben Abend weiſt der vereinſamte Mann ſeinen letzten Freund von ſich ab. An dieſem ſelben Abend ſieht er nach unendlich langer Zeit die Geliebte ſeiner Jugend zum erſten Male wieder. An dieſem ſelben Abend verläßt er ſeit acht Jahren zum erſten Male wieder ſeinen Saal im oberen Stockwerk, um zum erſten Male ſeit acht Jahren wieder das Wohnzimmer ſeiner Frau im Erdgeſchoß zu betreten und ihr zu begegnen. An dieſem ſelben Abend ver— läßt ihn und ſeine Frau ihr einziger Sohn, um bei Nacht und tebel mit zwei Weibsleuten davonzugehen. Dieſe Verdichtung entſcheidender Ereigniſſe wird dadurch noch dichter, daß ſich an ihnen und durch ſie zugleich alles das aufrollt, was ſeit Jahr— zehnten geſchehen mußte, um endlich die kritiſche Winternacht herbeizuführen. über Mangel an „Handlung“ wird man im neuen Drama nicht klagen dürfen, und die Kunſt, mit der in freieſter Beherrſchung aller Formen die Handlung einheitlich und natürlich durchgeſtaltet iſt, mit der die Vergangenheit und auch der Augenblick einander gegenſeitig durchleuchten, iſt ſo vollendet, daß der alberne Vorwurf, Ibſen ſei ins „Greiſen— hafte“ verfallen, nur dann ſtichhielte, wenn man unter dem Greiſenhaften die höchſte Altersreife verſtände. So gemeint, iſt Ibſens Winterſtück freilich auch ein Altersſtück.

In der großartigen Schlußſcene ſteht der alte John Gabriel an ſeinem endlichen Ziel. Von einem Gebirgsvor— ſprung aus blickt er beim Schneelicht hinab ins Weite. Die alte Geliebte iſt bei ihm: „Sieh hin, wie frei und offen das Land vor uns daliegt, in weitem Umkreis . .. Das Traum— land unſeres Lebens. Und nun iſt das Land im Schnee be— graben. Und der alte Baum iſt abgeſtorben.“ Je weniger er von der wirklichen Gegend ſehen kann, deſto mehr ſieht ſeine Einbildung. Er ſieht große Dampfſchiffe: „Sie kommen und gehen, ſie verbrüdern das Leben auf dem ganzen Erdball“. Er

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ſieht Fabriken in Thätigkeit: „Tag und Nacht arbeiten ſie. Die ſtäder wirbeln und die Walzen blitzen immer herum, immer herum!“ Er ſieht „ſe in Reich“, ſein „tiefes, unermeſſenes, unerſchöpfliches Reich“. Dieſes Reich ſich zu erobern, wo Dampfſchiffe und Fabriken nur die Vorpoſten ſind, war die Aufgabe ſeines Lebens geweſen. Bis zur Hälfte des Weges war er dem Ziel entgegengeſtiegen, dann verſtieg er ſich und ſtürzte.

Auch John Gabriel Borkman hat, wie Gregers Werle ſagen würde, etwas von der Wildente an ſich. Er ſelbſt nennt ſich einen zu Schanden geſchoſſenen Auerhahn. Auch er hat, wie der alte Leutnant Ekdal, im Zuchthauſe geſeſſen. Aber nicht wie dieſer, um das Verbrechen eines andern zu büßen, ſondern wegen ſeiner eigenen Thaten. Er war Manns genug dazu. Er iſt mehr als eine Auerhahn-Natur. Wenn ſeine Frau ihn tagaus tagein von früh bis ſpät im großen Saal, der über ihrer Wohnſtube liegt, auf und ab gehen hört, ſo kommt es ihr manchmal vor, als hätte ſie dort oben im Käfig einen kranken Wolf, der da rumort und heult und immerfort die Freiheit ſucht. Borkmans Frau hält ihren kranken Wolf, den ſie nie wiederſehen will, für nichts anderes als einen Ver— brecher, der an ihrem eigenen Unglück die Schuld trägt. John Gabriel ſelbſt aber denkt über ſich weſentlich anders. Er hält

ſich Verbrechernaturen und Heldennaturen ſind nicht immer leicht zu unterſcheiden für einen Helden. Wenn der alte

Ekdal ſeine Leutnantsuniform, das ihm abgeſprochene Ehrenkleid, nur heimlich anzieht und heftig erſchrickt, ſobald ihn ein Fremder im armen Mummenſchanz überraſcht, ſo ſchreitet John Gabriel Borkman durch ſeinen Saal im ſtolzen Selbſtgefühl, ein Napoleon zu ſein, der in ſeiner erſten Feldſchlacht zum Krüppel geſchoſſen wurde. Er denkt dabei nicht an Napoleon den Verbrecher (wer dächte heute noch an den), ſondern er denkt an Napoleon den

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Helden. Wie er ſich einſt gleich einem König mit dem Doppel— namen nennen hörte, ſo wirft ſich John Gabriel noch heut in eine majeſtätiſche Haltung, ſo oft er die Thür gehen hört, und erwartet die Abgeordneten desjenigen Weltteils, der ſeiner endlich bedarf.

Es iſt der Größenwahn des kranken Wolfes. Er erinnert ſich genau daran, daß er vor anderthalb Jahrzehnten, er, der Bankdirektor, eines Nachts mit der Laterne unten im Bank— gewölbe ſtand und die anvertrauten Gelder und Wertpapiere an ſich nahm, um mit „mutiger“ Hand von ihnen Gebrauch zu machen. Er ſah darin nichts Niedriges; denn er, der ſich für einen „Auserwählten“, für einen hoch über der kompakten Menge Stehenden hielt, glaubte „mit unerſchütterlicher Gewißheit“ an ſeinen Sieg. Mit den geſtohlenen Depoſiten das große Ziel erreicht, und alle Wertpapiere hätten wieder an ihrem Platze gelegen, wie je zuvor. Kein einziger Menſch hätte einen Pfennig zu verlieren brauchen. Viele hätten mit ihm gewonnen.

Das war ſeine Meinung. Weit über Strafgeſetzbuch und bürgerliche Moral hinaus hebt dieſen Übermenſchen der Ein— bildung ſein Selbſtbewußtſein. Neue Minen ins Unendliche, Waſſerfälle, Steinbrüche, Handelsſtraßen und Schiffahrtverbin— dungen über die ganze Welt, alles wollte er allein ins Leben rufen. Alle Machtquellen wollte er ſich erſchließen. Alles, was der Boden und die Berge und die Wälder und das Meer an Reichtümern faßte, wollte er ſich unterwerfen, und er, der ehrgeizige Egoiſt, ſich ſelber die Gewalt zueignen. „Da lagen die gefeſſelten Millionen übers ganze Land, in der Bergestiefe, und riefen nach mir! Schrieen um Befreiung! Keiner von all den andern hörte es. Nur ich allein“. Für all dies Wollen fand die Geliebte ſeiner Jugend, die ihm lauſchte, das poetiſche Sinnbild und Schlagwort: „Des Goldes ſchlummernde Geiſter wollte er wecken“. Für John Gabriel lag in dieſem Streben

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zunächſt eine Befriedigung ſeiner perſönlichen Eitelkeit. BVier- ſpännig durchs Land fahren und ein Miniſterportefeuille aus- ſchlagen war ihm lieber, als treulich nach Heller und Pfennig rechnen. Aber ſein Ehrgeiz, ſeine Eitelkeit ſtellten ſich in den Dienſt der Allgemeinheit. Seine Unternehmungen ſollten dazu dienen, Wohlſtand zu ſchaffen für viele tauſend andere. Wenigſtens erſcheinen ihm ſeine Motive ſpäter in ſo altruiſtiſchem Licht. Als ihm ſeine Frau hart vorhält, er habe niemals etwas anderes geliebt als ſich ſelbſt, antwortet er mit ſtolzer Über- zeugung: „Ich habe die Macht geliebt die Macht, Menſchen— glück zu ſchaffen weit, weit um mich her“. Noch im Fieber- ſpuk des Endes, von der „Wirklichkeit“ befreit, „die nicht Träumen kennt“, ſieht er die Dampfſchiffe ſeiner Viſion, wie ſie der Seele Licht und Wärme in vielen Tauſenden von Heimſtätten ſchaffen. „Das zu ſchaffen, davon hat mir einſt geträumt“. Auch hier läßt der Egoismus einen Blick auf ſeine Kehrſeite, den Altruis- mus, fallen. Freilich, es iſt nur ein Blick. Denn nichts, was von John Gabriel Borkman kam, brachte Segen. Alles ſchlug zum Unheil aus. Der angebliche Volksbeglücker ruinierte, wie nur irgend ein erſter beſter Depoſitenräuber, ungezählte Exiſtenzen. In ſeinem Jugendfreunde, dem Kanzleiſchreiber Wilhelm Foldal, ſehen wir eine ſolche armſelige Exiſtenz, rührend ins Schickſal ergeben, vor uns.

Man muß fragen, woran lag es, daß John Gabriel, der doch ſchon Bankdirektor war und Miniſter hätte werden können, nicht wenigſtens einen Teil ſeiner Pläne durchführen konnte, woran lag es, daß er ſcheiterte und fünf Jahre im Zuchthaus ſitzen mußte. Ein gewöhnlicher Schwindler, ein bewußter Bankrottierer war er gewiß nicht. War er wirklich der Phantaſt, der nur in ein Traumland ſah? Er, der Bergmannsſohn, der ſchon als Kind mit in die Minen hinabfuhr und dort unter den Hammerſchlägen des Vaters das Erz klingen hörte, der dem

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Klange dieſes Erzes ein Gefühl gab, das Gefühl der Freude, hoch oben im Tageslicht den Menſchen dienen zu dürfen er war gewiß von einem üppigen Phantaſieleben erfüllt. Dasſelbe Phantaſieleben, das beim alten Ekdal in Erinnerungen ſchwelgt und ihm die Bodenkammer ſeines Alters zum Hochwald ſeiner Jugend verwandelt, ſchwelgte beim jungen John Gabriel in Erwartungen. Und wenn noch der Alte ſechzehn Jahre nach dem Sturz zu ſeinem Freunde Foldal, der ein Trauerſpiel ge— ſchrieben hat, ſagt: „Du biſt kein Dichter, Wilhelm“! ſo meint er damit eigentlich: Aber ich bin ein Dichter! Ich kenne eine höhere Gerechtigkeit, als die im Geſetzbuch ſteht. Und vor einer ſolchen Gerechtigkeit ſprech' ich mich frei. In den langen, einſamen Jahren der Unterſuchungshaft, der Strafzelle, des freiwillig gewählten Exils im großen Saale hat ſich dieſes Phantaſieleben bis zur Krankhaftigkeit verſtiegen, und oft genug ſteigert ſich dann der Größenwahn dieſes vermeintlichen „Aus— nahmemenſchen“ auch zum leicht berührten Extrem, dem Ver— folgungswahn. Aber wenn der alte John Gabriel unter der Wucht ſeiner Schickſalsſchläge ſchon Geſpenſter ſieht, wenn ihm nur noch ſelten Momente klarer Einſicht kommen, da er zu Foldal ſagt: „Wir haben am Ende uns ſelber betrogen“; oder da er zur alten Geliebten ſagt: „So ſind die Menſchen, Ella. Sie zweifeln und ſie glauben zu gleicher Zeit“; wenn der alte John Gabriel ſchon leere Hirngeſpinſte webt, jo ſpricht doch nichts dagegen, daß die üppige Phantaſie des jungen geſund und fruchtbar geweſen iſt, daß in ihm nicht nur der Wille, ſondern auch die Kraft lag, Segen für ſich und andere zu ſtiften. Warum verſagte dem Bergmannsſohn, der in die Tiefen dringen wollte, die Kraft ebenſo ſehr wie dem Baumeiſter Solneß, der in die Höhen ſteigen wollte? Der Dichter läßt uns nicht darüber im Zweifel. Dem Egoismus hielt der Opfermut nicht die Wage. Der Wille zur Macht war ſtark genug, aber nicht ſtark

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genug war der Wille zur Macht, Menſchenglück zu ſchaffen. Das war es, weshalb er zu gleicher Zeit an ſich glaubte und zweifelte. In dieſen Zweifeln verlor er die Sicherheit; in dieſen Zweifeln hat er Hilfe verſchmäht, wo Segen lag, und Hilfe geſucht, wo Fluch lag. Die treue Lebenskameradin, die ihm uneigennützige Liebe entgegenbrachte, ſtieß er von ſich und ſtützte ſich dafür auf den Beiſtand eines Menſchen, der für dieſen Beiſtand Gegen— dienſte forderte. Die Opferfreudigkeit ſtieß John Gabriel von ſich und ſtützte ſich dafür auf den Egoismus; was aber das Schlimmſte war, er verlor die eine durch den anderen.

John Gabriel glaubte ſeine Pläne nur durchführen zu können, wenn er Direktor einer großen Bank wurde. Dazu konnte ihm nur Advokat Hinkel verhelfen. Advokat Hinkel aber war ſelbſt in Johns Jugendgeliebte verliebt und forderte von John zum Dank, daß er ſie ihm abtrete. John zögerte nicht es zu thun. Als er Bankdirektor wurde, nahm er nicht Ella Rentheim, ſondern deren Zwillingsſchweſter Gunhild zur Frau. Ella Rentheim aber, von John verſchmäht, wies ihrerſeits den aufgedrungenen Freier ab. Dieſer argwöhnte hierbei Johns Hand im Spiel, und als John Gabriel die Grenzen des Straf— rechts überſchritten hatte, als er ſich vertrauensvoll an den Advokaten wandte, rächte ſich dieſer falſche Freund durch eine Denunziation. Darauf Haft, Konkurs, Urteil.

Kurz vor ſeinem Ende nennt John Gabriel dieſe ganze verzwickte Angelegenheit recht wegwerflich „ſo 'ne Art Weiber— geſchichte“. Aber noch kürzer vor ſeinem Ende kommt er auch zu dieſer Erkenntnis: „Das eben iſt der Fluch, daß ich bei keiner Menſchenſeele je Verſtändnis gefunden habe. Viel— leicht bei einer ausgenommen. Vor langer, langer Zeit. In den Tagen, da ich keines Verſtändniſſes zu bedürfen glaubte“. Vor wie nach der Zuchthauszeit ſteht dieſer Mann allein. Aber nicht im Sinne des „Volksfeinds“, bei dem bis zuletzt ſeine ſtarke

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Tochter ſteht. Er jteht allein nicht im Sinne der Stärke, ſondern im Sinne des Verlaſſenſeins von guten Geiſtern. Mit Recht darf er von ſich ſagen: „Ich habe niemand gehabt, der voll Wachſamkeit und immer in Bereitſchaft geweſen wäre, mich zu rufen mir zu läuten wie eine Morgenglocke mich wieder aufzumuntern zu fröhlicher Arbeit. Und dann mir beizubringen, daß ich nichts verübt, was nicht wieder gutzumachen wäre“. Seine harte Frau wies ihn ab, ſein Knabe ward ihm entzogen, die Freundin der Jugend iſt fern. Er hält ſich an den armen alten Foldal, der ſchließlich von ſeinem liebſten Kind überfahren wird; und mühſam halten die beiden Ge— ſcheiterten in einander das aufrecht, was in der „Wildente“ jener Cyniker und Ironiker das ſtimulierende Prinzip nennt, die Lebenslüge. John Gabriel hilft ſeinem Foldal an deſſen „kleine Dichterwelt“ glauben, und Foldal hilft ſeinem John Gabriel dran glauben, daß einſt für ihn die Stunde der Ge— nugthuung ſchlagen werde. Deshalb geht John Gabriel immer im ſchwarzen Anzug und mit weißer Binde durch ſeinen Saal deshalb ſteht er, ſobald es klopft, in aufrechter Würde an ſeinem Schreibtiſch, um die vornehm zu empfangen, die ohne ihn draußen nicht länger beſtehen können. Er will, ſo oft auch die Zweifel kommen mögen, den Glauben an ſich ſelbſt nicht verlieren und kann ſeinen Foldal nur ſo lange brauchen, als dieſer Gute ihn im Glauben an ſich ſelbſt beſtärkt. Aber die Zeit vergeht, die Jahre vergehen, das Leben und ſie kommen nicht, auf die er wartet. Statt ihrer kommt endlich eine andere. Sie bietet ihm keine Rehabilitation, keine Bankdirektion, aber ſie will ſeiner Seele den Frieden geben.

Es kommt zu ihm ſein guter Geiſt. Als der junge John Borkman, der Bergmannsſohn, in die Tiefen ſtarrte und grübelte, wie er dort unten die „gefeſſelten Millionen“ befreien könnte, ſtand neben ihm ein in Liebe lächelndes Weib: Ella Rentheim.

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Sie wäre die Frau geweſen, ihm freudig feine Erfolge, aber auch ſeine Schande, ſeine Vernichtung tragen zu helfen. John Gabriel Borkman hatte den guten Geiſt der Frau, die innerlich zu ihm gehörte, in blinder Verirrung von ſich geſtoßen. Und an ſeinem letzten Lebenstage ſteht nun dieſes Fräulein Ella Rentheim mit dem Vorwurf gegen ihn auf, daß er das ſchwerſte ſeiner Verbrechen an ihr und an ſich ſelbſt begangen habe: „Du ließeſt das Weib ſitzen, das Du liebteſt! Was Dir das Teuerſte war auf Erden, das warſt Du bereit zu veräußern, um des Vorteils willen. Das iſt der zwiefache Mord, den Du auf dem Gewiſſen haſt! Der Mord an Deiner eigenen Seele und der meinen“! Er hat ſein eigenes Liebesleben und das der Geliebten gemordet. Darum mußte er, wie ſeine unerbittliche Frau es aus⸗ drückt, bei lebendigem Leibe ein toter Mann werden, darum mußte er ein Grabesdaſein führen. Seine harte Frau denkt dabei freilich an die öffentliche Schande des Zuchthäuslers. Ella Rentheims Zorn denkt daran nicht. Was John Gabriel gegen die Paragraphen des Geſetzbuches verbrochen hat, iſt ihr ſo nichtig, wie der kleinen Nora ihr eigener frommer Betrug, wie der Frau Alving unter Umſtänden die Geſchwiſterehe wäre. Alle dieſe irdiſchen Verſchuldungen werden von jenen Sündern begangen, denen das Himmelreich dennoch offen ſteht, über deren Buß— fertigkeit ſogar Freude im Himmel herrſcht. Aber eine große, unverzeihliche Sünde, jene geheimnisvolle Sünde, für die die Bibel keine Vergebung kennt, iſt für Ella Rentheim das, was der Geliebte ihr und damit ſich ſelbſt angethan hat. Sie nennt es: „das Liebesleben morden in einem Menſchen“! Andere Ibſenſche Menſchen nennen es anders. Überall aber handelt es ſich um dieſelbe ideale Forderung, die Ibſen erfüllt ſehen will.

Mit ſolch idealer Forderung tritt Ella Rentheim in die Reihe jener Ibſenſchen Geſtalten, die unabhängig von Satzung und Ordnung, unabhängig von Herkommen und Sitte in ſich

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ſelbſt jenes ethische Weltgeſetz fühlen, das der kategoriſche Imperativ des opferfreudigen Egoismus diktiert. Ella Rentheim hat ein Recht zu dieſer Forderung. Sie läßt nur ihre eigene Herzens— angelegenheit gelten, aber ihr Herz iſt bereit zu jedem Opfer für die, die ſie liebt. Sie iſt es, die der gehäſſigen Schweſter und dem treuloſen Geliebten die Not der Bettelarmut wehrt. Sie iſt es, die das Kind dieſer beiden erzogen hat, als ihm das Elternhaus verwüſtet war, die Eltern mit einander zerfielen. Sie iſt es, die nun nach Jahren, am Rande des Grabes, kommt, um ihren Liebling, den Sohn des Jugendfreundes, wieder zu ſich zu rufen, damit ſie ihn allein habe für den kargen Reſt ihres Lebens. Aber das Kind iſt ein Jüngling geworden. Nicht die alte mütterliche Tante, ſondern die verführeriſche kemme de trente ans weiſt ſeinen erwachten Sinnen den Weg ins Glück. Und für dieſen Weg hat Ella Rentheim Verſtändnis; wie ſie in letzter Stunde aus eigenſtem Erleben das Wort ſpricht: „Es iſt vielleicht das ungeſtillte Bedürfnis nach Liebe, das die Kraft zur Liebe aufrecht erhält“, ſo konnte ſie auch aus eigenſtem Erleben das Wort ſprechen: „Die Glücksentbehrung iſt es vielleicht, die den Wunſch nach Glück ſteigert“. Und ſo beweiſt ſie ihre Liebes— kraft auch darin, daß ſie ihrem Liebling den Wunſch mit auf den Weg giebt: „Genieße Dein Leben, und ſei ſo glücklich, ſo glücklich, wie Du kannſt“! Sie, die kurz vorher zu ihm ſagen mußte: „Erhard, ich darf Dich jetzt nicht verlieren. Denn Du mußt wiſſen, daß ich ein einſamer, ſterbender Menſch bin.“

Und der friſche Junge, ein naiver Egoiſt, antwortet der Tante herzhaft entſchieden: „Ich kann mich jetzt nicht für Dich opfern.“ Etwas Ahnliches antwortet er ſeiner leiblichen Mutter, die ganz andere Forderungen an ihn ſtellt, die Opfer fordert, ohne ſelbſt des Opfers fähig zu ſein. Frau Gunhild Borkman, ge— borene Rentheim, iſt das Gegenteil ihrer Zwillingsſchweſter. Sie weiß nichts von jener geheimnisvollen Sünde. Sie ſelbſt,

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hat geholfen in Ella das Liebesleben töten, da ſie die Hand des Mannes annahm, deſſen Herz der Schweſter gehörte. Sie weiß deſto mehr von all den Sünden wider Strafrecht und bürgerliche Ordnung, gegen die ihr Gatte ſo ſchmählich ver— ſtoßen hat. Sie haßt ihren Gatten, weil er ſie arm gemacht, weil er im Zuchthaus geſeſſen hat. Das iſt es, was ſie ihm nie verzeiht. Und in ihrem brütenden, nagenden Schamgefühl hat ſie ſich etwas ausgedacht. Was der Vater am guten Namen ſündigte, ſoll der Sohn ſühnen. In ihm lebt ihr der Rächer. An dem Gedanken wärmt ſich dieſe Frau, die im Unglück ſo hart und kalt geworden iſt, daß ſie ihrem Kinde nur Pflichten, keine Rechte giebt. Aber der kecke Burſch, im Feuer junger Leidenſchaft geſtählt, thut das ganze Schuld- und Sühnegebäude, das die Frau Mutter auf ſeine Koſten emportürmen will, mit dem deſpektierlichen Wort „Redensarten“ ab, und wenn ſie von ſeiner großen Miſſion ſpricht, erklärt dieſes Weltkind, kein Talent zum Miſſionär zu haben. Er pocht allen dieſen Ge— alterten gegenüber auf ſeine Jugend und will ſein eigenes Leben leben. Wie in „Klein Eyolf“ der Ingenieur Borgheim, ſo öffnet im neuen Drama Erhard Borkman ein Gartenpförtchen aus grauen, nebelbrauenden Geiſtermauern ins grüne Leben hinein. Aus verſtiegenen Empfindungen und ſeherhaften Ge— danken, die der Menſchheit ein höheres Daſein ſuchen, geht es mit dieſen ſinnenfrohen, unbedenklich zugreifenden jungen Kerlen wieder heidi bergab zur Erde; kein noch ſo verſtumpfter Rezenſent könnte gegen all jene problematiſchen Kandidaten des „dritten Reichs“ eine derbere Kritik ſchreiben, als der Dichter ſelbſt durch ſolche Gegenbilder wie Borgheim und Erhard; mittel— mäßige Söhne dieſer Erde, aber dieſer Erde froh und gut zu leiden. Freilich ein Unterſchied iſt doch in der Lebensauffaſſung auch dieſer beiden. Was John Gabriel nur ſehr doktrinär ſagt, war für Borgheim Thatſache: leben, das hieß für ihn arbeiten; in

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der Arbeit lag ſein Glück, für das ihm nur die Teilerin der Freude fehlte; aber inzwiſchen wird ſich wohl ſeine geſunde Kraft zu jenem ſpröden, erinnerungsſchweren Mädchenherzen den Weg gebaut haben. Für Erhard Borkman heißt leben ganz etwas anderes als arbeiten. Ungeſtüm ruft er aus: „Ich will nicht arbeiten! Nur leben, leben, leben“. Und als er dann mit ſeinen zwei Weibsbildern, der reifen, bis zur Angefaultheit reifen Kokette und dem bleichſüchtigen Backfiſch, in den ſchönen ſilberbeſchellten Schlitten ſteigt, ſcheint ſich uns zwiſchen die bangen, nachrufenden Blicke ſeiner beiden verlaſſenen Mütter das mephiſtopheliſche Lächeln des Dichters zu drängen, als wollt' er ſagen: Warte nur, Bürſchchen, auch dein Schlitten wird die Silberſchellen ſchon verlieren! Der junge Borkman geht keinen weniger gefahrvollen Weg, als einſt der Alte ging. Aber des Dichters ſchmunzelnde Gunſt ſitzt doch hinten auf im Schlitten, der geſcheiterte Exiſtenzen umwerfend aufs Geratewohl ins blühende Leben hineinraſt, während dort oben beim Schneelicht über einem Toten ſich zwei Frauenſchatten die Hand zum troſtloſen Frieden reichen. Der Parole, die Ibſens Brand einſt ausgegeben hat, „Alles oder Nichts“, iſt auch John Gabriel in ſeinem Leben gefolgt. Er wagte ſein Alles und zog die falſche Nummer. Sein Los war das Nichts. Sein Leben verarmte, verkümmerte, verödete in dumpfer Stubenluft, in Kerkerluft. Er verlernte, den Hauch des friſchen Windes, den Hauch der Freiheit zu ertragen. Im Alleinſein verlor er ſeine Stärke. Zuſammen mit Rebekka vermag Rosmer froh und edel den einzigen Weg zu gehen, auf dem ſie neben ein— ander bleiben können, den Weg in den Mühlbach. Zuſammen mit Klein Eyolfs Mutter vermag Klein Eyolfs Vater ein Helfer der Menſchen zu werden. Was Alfred Allmers ſpät gewann, hat John Gabriel Borkman früh verloren. Er verlor mit Ella Rentheim ſeine Kraft. Jetzt im Alter, im Winter, im IE

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Schnee, im Froſt iſt es zu ſpät. Jetzt hat ſie nur noch ein letztes Liebesamt. Sie hat den kranken Wolf aus ſeinem Käfig gelaſſen und läßt ihn nun in der Wildnis des Waldes und in der kalten Freiheit traumfroh verenden: „Beſſer ſo, John Borkman. Für Dich iſt es beſſer ſo“. Die eiſige Erzhand ſeines Schickſals, deſſen halber Schmied der Menſch nur iſt, hat ihm die kranke Bruſt zerdrückt. Und nun ſchmilzt auch von Frau Gunhilds Innerem das Erz; die alte Frau vereinigt ſich mit der alten Schweſter zur Erinnerung an die gemeinſame Jugendliebe. Denn die Spur eines Liebeslebens war auch in Frau Gunhilds kargem, armem Herzen. Nun ſind die Jahre des Grolls verwiſcht und „das neugeborene Auge wandelt die alte That“.

Nach dem Sommer- und dem Winterſtück, dem Kindes- und dem Greiſesſtück ließ ſich der Dichter mehr Zeit als ſonſt. Nach den regelmäßigen Gewohnheiten der letzten Jahrzehnte hätte das nächſte Drama ſchon Ende 1898 erſcheinen ſollen. Das Hindernis mag im weſentlichen an Außendingen gelegen haben. Ibſen hatte inzwiſchen unter der Teilnahme ſeines Vaterlandes, im Beiſein der ganzen Welt das ſiebzigſte Jahr vollendet. So viel ſich der Einſame auch bei dieſer Gelegenheit zurückzog er konnte dem Anſturm näherer und fernerer Huldigungen doch nicht ganz ausweichen. Der lebhaftere Verkehr mit den Leuten aber ver— ſcheuchte die ſtillen, bleichen Geiſter, die in ſeiner ſchaffenden Ein— bildungskraft um Geſtaltung rangen und zum Leben drangen. Erſt als der Feſttumult vorbei war, konnte ſich der Dichter wieder zu ſeiner inneren Welt verſammeln. So ging noch ein Jahr hin, und das letzte Drama erſchien erſt zu Weihnachten 1899, knapp vor des Jahrhunderts Schluß.

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Aber zum äußeren Grund der Verzögerung mag noch ein innerer getreten ſein. Denn Ibſen giebt dieſes Drama wirklich als ſein letztes aus. Er nennt es einen „dramatiſchen Epilog“ und meint den Epilog zu jener gewaltigen Geſamtpoeſie, in der ſich alle ſeine modernen Dramen als einheitliches Ganze zuſammen— faſſen. Man hat während der letzten Jahre vielfach gemunkelt, Ibſen beſchäftige ſich nicht mehr mit einem Drama, ſondern mit ſeinen Memoiren. Das Gerücht ward dementiert und iſt nun durch die Thatſache widerlegt. Dennoch mag der alte Meiſter um die Siebzigerſcheide mehr als ſonſt zu den Erinnerungen ſeines Lebens heimgekehrt ſein, zu jenen Lebenserinnerungen, aus denen ſeine Dichtung aufgeſtiegen iſt; nicht zu den äußeren Begebenheiten des Weltlaufs, ſondern zu den inneren Erlebniſſen ſeiner dem Daſein vorausdenkenden, dem Daſein nachſchaffenden Künſtlerſeele. Und dieſem immanenten Memoirenwerk, dauernder als Erz und Stein, nun endlich die Schlußquader zu legen, mag er gezögert haben, weil ihm das erſt möglich ward, nachdem er durch ſein neugeborenes Auge die ganze alte Lebensthat noch ein— mal hatte überblicken können.

Nun iſt der Epilog: „Wenn wir Toten erwachen“ vorhanden; der Zweiundſiebzigjährige will ausruhen wenn es ihm nicht doch noch ſo ergeht, wie dem Helden dieſes letzten Dramas, der auch ein Künſtler iſt und von ſich ſagt: „Ich muß ununterbrochen arbeiten Werk ſchaffen auf Werk bis zu meinem letzten Tag“. Dieſe Verwandtſchaft zwiſchen Held und Dichter, uns die willkommenſte von allen, dürfte kaum die einzige ſein. Von all den kleinen und großen Künſtlerbeichten, die in dieſem Epilog verſtreut liegen, wird wahrlich nicht alles wortgeſtreng auf den Dichter ſelbſt zu beziehen ſein. Wie allen ſeinen proble— matiſchen „Helden“, iſt er auch dieſem letzten weit überlegen; in Kraft, Klarheit und Kühle des Geiſtes hoch über dieſen mit dumpfen Sinnen Taſtenden erhaben. Aber der Held erliegt an dem nur,

III

was ſein Dichter überwand. Und ſo haben dieſe Beichten zum wenigſten einen Stimmungswert auch für die künſtleriſche Pſycho— logie Henrik Ibſens, der noch nie einen ſeiner modernen Helden ſo nahe an ſich hat herankommen laſſen wie dieſen Bildhauer— profeſſor Arnold Rubek.

Geiſtig Strebende, in Form und Stil Schaffende waren auch Alfred Allmers mit ſeinem philoſophiſchen Lebenswerk, Baumeiſter Solneß mit ſeiner Sehnſucht nach der Kirchturm— ſpitze, Eilert Lövborg mit ſeiner verlorenen Handſchrift; ſogar im Photographen Hjalmar Ekdal läßt ſich die unbewußte Karikatur eines Künſtlernaturells finden, das ſein Ideal in der eigenen lumpigen Perſon vergöttert. Aber nicht nur Hjalmar, ſondern auch all die andern ſind der Ironie ihres Dichters ſtärker unterworfen geweſen als Arnold Rubek, der ganz nach Ibſenart die Bewunderer ſeines Meiſterwerks ein erkleckliches narrt und einteufelt. Rubek höhnt, daß die Leute angeſichts ſeines Werks in Verzückungen fallen über das, was ihm nie im Sinn gelegen habe. Aber etwas Verſtecktes, Verdächtiges, Heimliches, was drin liege, das könnten die Leute nicht ſehen. Man glaubt den alten Zecher Ibſen ſelbſt beim Champagner, der auch dieſem großen Schweiger bisweilen die Zunge löſt, ſitzen zu ſehen, wenn Rubek lachend das Glas leert und ſich über die zahlungsfähigen Leute beluſtigt, die dieſe „hinterliſtigen Kunſtwerke“ beſtellen und Geld in den Beutel des Künſtlers ſchaffen, ſo daß er ſich könnte Villen und Paläſte bauen laſſen. Denn wenn Kunſtwerke jemals „hinterliſtig“ waren, ſo ſind es Ibſens moderne Dramen. Auch auf manche darin handelnden und wandelnden Menſchen trifft zu, was Bildhauer Rubek zum eigenen „innerlichen Ver— gnügen“ von ſeinen Porträtbüſten ſagt: in ihrem tiefſten Grund ſeien es die Fratzen, Schnauzen, Schädel unſerer lieben Haustiere, mit denen die Menſchheit auf jo intimem Fuße ſteht.

Von ſeinem Meiſterwerk ſagt Rubek ferner: „Der Auf—

XXXIX

erſtehungstag ging in die Welt und brachte mir Ruhm und all die anderen Herrlichkeiten. Aber ich liebte mein eigenes Werk nicht mehr. Und vor den Kränzen und dem Weihrauch der Menſchen wäre ich am liebſten angewidert und verzweifelt in die finſterſten Wälder geflohen“. Auch hier haben wir den nirgends lange behauſten Henrik Ibſen, der jedesmal ſeinen Wohn— ort und ſeinen Stammtiſch gewechſelt hat, ſobald ihm die Schar der Gaffer und Anſprecher zu nahe kam oder zu groß wurde. Darum iſt er ſchließlich auch aus München und ſeinem Café Maximilian entwiſcht und zurückgekehrt, woher er ausging, in ſeine norwegiſche Heimat, nach der die ſtille Sehnſucht nie er— ſtorben war. So trifft ungefähr auch auf Ibſens ganzes Leben zu, was Frau Maja Rubek ihrem Gatten vorwirft: „Du gehſt ſeit einiger Zeit umher ohne Raſt und Ruh. Nirgends hält's Dich feſt. Zu Hauſe nicht und nicht draußen. Ganz menſchen— ſcheu biſt Du mit der Zeit geworden“.

Rubek it nach Jahren wieder einmal in ſeine engere Heimatgegend zurückgekehrt; als ihn Frau Maja fragt, ob's ihm wirklich Freude mache, wieder zu Hauſe zu ſein, ver— neint er es. Er ſei vielleicht zu lange weggeweſen. Sei all den Verhältniſſen im Lande ganz fremd geworden. Er findet, daß ſeine Landsleute inzwiſchen nicht gerade liebenswürdiger geworden ſeien; ihr Leben kommt ihm vor, wie wenn in der Dunkelheit auf kleinen Bahnſtationen der Zug halte, niemand ein⸗, niemand ausſteige, nur ein paar Männer auf dem Bahn— ſteig hin und her gehen, mit einer Laterne in der Hand, und zu einander ſprächen, „gedämpft, klanglos, nichtsſagend in die Nacht hinaus“. Es mag dahingeſtellt ſein, ob der nun auch in Norwegen hochgefeierte Dichter hier den eigenen Gefühlen über ſeine Landsleute Raum giebt. Vielleicht ſieht er die ganze Menſchenwelt außerhalb wie innerhalb des Heimatreiches im trüben Lichte jener Bahnwärterlaterne. Zum wenigſten

e

aus Rubeks Stimmungen vermag man nicht nur Weltſcheu, ſondern auch Weltekel herauszudeuten. Und doch! gerade Rubek iſt es, den daneben eine tiefe, ſchwere Sehnſucht nach dem Leben beherrſcht Rubek, der geprieſene Künſtler, dem ſein ganzer Künſtlerberuf und ſeine ganze Kunſtthätigkeit und alles, was damit zuſammenhängt, anfing, von Grund aus leer und hohl und nichtig vorzukommen, weil es ihn unvergleichlich wert— voller deuchte, „ein Leben in Sonnenſchein und Schönheit zu führen, als ſich bis ans Ende ſeiner Tage in einer naßkalten Höhle mit Thonklumpen und Steinblöcken zu Tode zu plagen“.

Ein Leben in Sonnenſchein und Schönheit! Das war es von je, was dem Idealiſten Henrik Ibſen als höchſtes, einziges Ziel der Menſchheitſehnſucht feſt vor Augen ſtand. Den Wand— lungen unterworfen war nur ſeine jeweilige Anſicht über die Wege zu dieſem Ziel, manchmal wohl auch ſein Glaube an die Erreichbarkeit dieſes Zieles. Der wechſelnde Kampf des Glaubens mit Zweifeln aller Art ſpiegelt ſich in der Reihenfolge ſeiner Dichtungen. Daß in einem „dritten Reich“ das Leben in Sonnenſchein und Schönheit möglich ſei, glaubt er unter Zweifeln. Denn auch er gehört zu den Menſchen, von denen J. G. Borkman ſagt, daß ſie zu gleicher Zeit glauben und zweifeln. Daß das Leben in Sonnenſchein und Schönheit in der modernen Welt jo wenig vorhanden iſt, wie in jenem Reich, um welches „Kaiſer und Galiläer“ kämpften, weiß er. Und die zwölf modernen Dramen, die nach der großen welthiſtoriſchen Doppeltragödie entjtanden find, haben dieſe Weltanſchauung immer aufs neu in den mannigfaltigſten Formen bezeugt.

Nun kommt der „Epilog“ und faßt das Ganze noch ein— mal mit einigen wenigen ſpinnwebdünnen, mondſcheinzarten, ſpukhaft feinen Sommerfäden zuſammen. Wie Ibſen, hat auch Bildhauer Arnold Rubek zeitlebens das Schönheitsideal geſucht. Dem plaſtiſchen Menſchengeſtalter ſtellt ſich's in Menſchengeſtalt,

XII

dem Manne ſtellt ſich's im Weibe dar. Für dieſes ideale Kunſtwerk glaubt er ein wirkliches Vorbild gefunden zu haben. Seinem Künſtleraug' erſchließt ſich dieſe nackte Frauenſchönheit ganz. Eines Tages ſteht das fertige Marmorbild ſtrahlend und einſam auf dem Sockel. Das Ideal ſcheint erreicht! „Das ſchönſte und wunderlieblichſte! Ein junges und unberührtes Weib, das, von keines Erdenwallens Erlebniſſen entweiht und aller Flecken und Schlacken ledig, aus dem Schlummer des Todes zu Licht und Herrlichkeit erwacht“.

Ungefähr das helleniſche Kunſtideal, dem u. a. Rubeks nordiſcher Landsmann Thorwaldſen nachgeſtrebt hat nun auch von Arnold Rubek in weißem, keuſchem, kaltem Marmor dargeſtellt. Alſo doch nur ein Kunſtideal in kaltem Marmor, kein Lebensideal von Fleiſch und Blut! Alſo doch das Ziel nur angeſchaut, nicht erreicht! Und dieſes Unzulängliche nur erreicht unter den ſchwerſten Opfern und Verzichten, durch einen künſtleriſch-ſittlichen Adel, der wie auf Rosmersholm das Glück tötet, wie in Borkmans Schickſal das Liebesleben mordet. Die marmorne Statue wird zur Leidensgeſchichte für beide, für den Bildner wie für ſein Vorbild. Während das keuſche Weib in freier, hüllenloſer Nacktheit vor ihm ſtand, ihm mutig, freudig, ohne Vorbehalt diente, hat ihrer Jugend Herzblut gepocht. In threm reinen Buſen ſtiegen ſinnliche Begierden auf. Die ich nur dem Künſtlerblick preisgab, verlangte insgeheim doch, ſchaudernd, nach der Umarmung des Mannes. Dem Mann erging es nicht anders; manchen Tag war er von all ihrer Schönheit wie von Sinnen. Aber keines geſtand es dem andern.

In Rubek, der faſt ſo wenig wie Alfred Allmers eine Faun⸗Natur, ſiegte der reine Künſtler, der an das hoch— heilige Werk ſeiner Schöpfung nur in anbetenden Gedanken rühren durfte, aus Furcht, er würde ſonſt nicht mehr weiter ſchaffen können, was er ſo ſehnſüchtig ſchaffen wollte. In

XLII.

Irene ſiegte der Keuſchheitsſtolz des Weibes über alle Wirrjal ihrer Sinne. Aber dieſer Sieg brachte keinem von beiden das Glück. Was Arnold für ſich fürchtete, wird bei Irene wahr. Sie verliert im Sieg den Verſtand. Der Stolz dieſer Opfer- mutigen entartet zur krankhaften Selbſtſucht: dem Künſtler, der ihrer unberührten Leibesſchönheit ſein Meiſterwerk dankt, joll nichts Ähnliches zum zweiten Mal gelingen; daher entſchwindet ſie ſpurlos; mit ihr entſchwindet dem Künſtler das Ideal aus dem Leben.

Nun ſieht er ſich dieſes Leben etwas gründlicher an. Und je gründlicher er drauf ſieht, deſto größer wird der Abſtand zwiſchen Leben und Ideal. Er findet ſein Marmorbild noch immer ſchön. Aber es iſt eine ſchöne Dichtung. Es iſt nicht wahr, oder nicht mehr wahr. Nun reizt es ihn, das Leben ſo darzuſtellen, wie das Leben wirklich iſt. Er erweitert den Sockel, er rückt das Idealbild mehr und mehr in den Hinter- grund, raubt ihm die erhabene Einſamkeit, entblößt ſeine nackte Schönheit vor Genoſſen einer plaſtiſchen Gruppe, dämpft auf Irenens Antlitz den Schimmer verklärter Freude und läßt aus der berſtenden Erdkugel allerlei Männer und Weiber mit heim— lichen Tiergeſichtern heraufwimmeln, wie er ſie mittlerweile im Leben kennen gelernt hat. Man möchte bei dieſen realiſtiſchen Viehmenſchen an den alten Dachs aus dem „Volksfeind“, an den „garſtigen Fiſch“ Gregers Werle und die verſchiedenen Wildenten, an das kleine Ferkel Jörgen Tesman, an die Rattenmamſell und ihren Mops, an Frau Gunhild Borkmans kranken Wolf und viele andere halbzoologiſche Geſtalten des alten Darwin— leſers Ibſen denken; nicht zuletzt auch daran, daß Arnold Rubek ſelbſt von ſeiner Frau Maja ein lahm- und zahm— geſchoſſener Raubvogel genannt wird.

Frau Maja! Wer iſt ſie? Mit ſeiner künſtleriſchen Welt— anſchauung hat ſich auch Arnold Rubeks äußeres Leben um—

XLIII

gewandelt. Auf die Idealgemeinſchaft mit Irene iſt eine veri— table Heirat mit der kleinen, friſchen, ſaftigen und vollblütigen Frau Maja gefolgt, und Frau Maja iſt auch eins von jenen Erdenwürmchen aus der berſtenden Wölbung. Einige Jahre lang hat dieſes ungleiche Paar bei einander kühl ausgehalten. In ihm begann der Künſtler zu veröden, in ihr ſchliefen un— begnügte animaliſche Triebe. So ſitzen ſie mitten im Sommer— ſonnenſchein unter den höchſt geregelten Verhältniſſen eines Kur— orts am heimatlichen Fjord und langweilen ſich ſelbander ent— ſetzlich. Wenn dieſe Kinderloſen zuſammen auf ſpielende Kinder ſehen, ſo ärgert ſie ſich über das Schreien und Springen der Kinder, während er, der mit ſeiner Irene noch ſelbſt unter Blumen am Waſſer ſpielen konnte, auch im kindiſchen Spiel den zieferen Sinn ſpürt, „etwas Harmoniſches, eine Art Muſik“. So ſehen Herr und Frau Rubek auf faſt jedes ing der Welt mit ganz verſchiedenen Augen. Da tritt tur nämlichen Stunde an jedes von beiden das Schick— ſal heran: an Maja in Geſtalt eines Mannes, an Rubek in Geſtalt einer Frau. Maja, die noch nichts Rechtes erlebt hat, ſieht ihr Schickſal zum erſten Mal; Rubek ſieht das un— vermeidliche Schickſal aus ſeiner reichen Vergangenheit wieder auferſtehen. Frau Majas Schickſal iſt die Zukunft, Rubeks Schickſal iſt die Vergangenheit. Frau Majas Schickſal iſt ein wilder Jäger; ein Kraftkerl, für deſſen ſchauſpieleriſche Dar— ſtellung der Ibſenhaſſer Ludwig Gabillon zu früh geſtorben ſein mag; ein Rieſe, tumb wie alle Rieſen, ſo dumm, daß ihn ein Weibchen betrügen konnte; gewaltthätig und roh, aber auch hilf— reich und gut; grotesk bis zum Überſchnappen, aber doch an Magen und Herz geſunder als all die „halbtoten Fliegen und Menſchen“, die in dem großen „Fliegenſchrank“ der Sommer— friſchen und Sanatorien herumſurren; einer, der die allgemeinen Verkehrsmittel mißachtet und auf ſeinem eigenen Kutter fährt;

Di

XLIV

einer, den das Leben nur im Sport freut, aber auch nur, wenn der Sport körperliche Anſtrengung fordert. So iſt dieſer Guts beſitzer Ulfheim, dieſer „Bauernköter“ und „Bärentöter“ gerade der Mann, der für Frau Majas Bedürfniſſe taugt: ganz und gar ein Faun und ganz und gar kein „Künſtler“. Hören wir über ihn ſie ſelbſt: „Und wie häßlich er iſt. So häßlich, ſo häßlich! Uh!“ Auch was er ihr vom Gebirge erzählt, vom Leben dort oben, iſt häßlich. „Häßlich, greulig, unglaublich widerwärtig iſt das meiſte, was er da zuſammenlügt . .. aber bei alledem iſt's doch ſo wunderlich verführeriſch.“ Und wie die Frau vom Meere der fremde Seemann lockt und zieht, ſo lockt und zieht Frau Maja der garſtige Hochgebirgsjäger hinauf zu den Lawinen durch Nebel und Ungewitter und dann wieder herab ins Leben, zur wilden Paarung.

Und nun gegenüber dieſem Sinnbild der Natur, deſſen Häßlichkeit verführt, weil Kraft und Mut und Sinnlichkeit drin liegen, wie in den naturaliſtiſchen Scenen und Geſtalten Henrik Ibſens das entſchwundene, jetzt wiederkehrende Ideal des armen, vom Helleniſten zum Naturaliſten gewordenen Bildhauers! Wie kehrt es wieder! Irene ſchreitet wie eine Marmor- ſtatue einher. Sie ſcheint zu Eis erſtarrt. Das Ideal iſt ſchwer erkrankt. Ein Wahn umhüllt ihren Geiſt. Sie hält ſich für tot und glaubt, daß ſie rund um ſich her den Tod ver— breite. Noch mehr, als J. G. Borkman, führt ſie ein Grabes— daſein. Weil ihr nackter Leib einmal unbefriedigt reinſten Kunſt— zwecken gedient, ſcheint ſie ſich proſtituiert und will ihn oftmals aller Welt zu niederen Lüſten ausgeſtellt haben. Sie fühlte ſich geheiligt durch die Weihe der Kunſt und zugleich geſchändet durch den wünſchenden Blick des Mannes, der nicht ihr Mann geworden iſt. An dieſem ſeeliſchen Zwieſpalt hat ſich ihr Geiſt zerſtört. Darüber verlor ſie ihre weibliche Ehre. Darüber verlor ſie den Verſtand. Seit dem armen Vererbungsopfer Oswald

XLN

Alving die einzige wirklich Irrſinnige unter Ibſens Geſtalten, die einzige, die im Irrenhaus war und noch jetzt unter Aufſicht ſteht. Und gerade ſie iſt das Menſchheitsideal, die einzige viel— leicht, hinter deren göttlich reinen Zügen keine Tierfratze ſteckt! Ibſens Ironie iſt hier grauſamer, fürchterlicher als überall dort, wo er die Welt verhöhnt hat und verhaßt gemacht. Neben dieſer reinen Tragik wirkt alles Frühere erſt recht wie Tragi— komödie. Für den alten unerſchütterlichen Idealiſten giebt es ein Ideal, aber es iſt krank, im Weltgetriebe zerſtört und hält ſich ſelbſt für tot.

Ein troſtloſer Epilog fürwahr, wenn das wirklich der Ibſenſchen Dichterweisheit letzter Schluß wäre. Aber ſchon aus dem Titel des Epiloges ſchimmert eine Hoffnung. Ihr toten oder tot geglaubten Ideale, vielleicht könnt ihr erwachen! Viel— leicht giebt es für unſere Ideale einen Auferſtehungstag. Bild— hauer Rubek verſprach zuerſt ſeiner Irene, dann ſeiner Maja, ſie auf einen hohen Berg zu führen, um ihnen von dort oben alle Herrlichkeit der Welt zu zeigen. Er hat ſein Verſprechen weder dem Weltkind noch der Heiligen gehalten. Zu ſpät kommt die Erkenntnis, daß ohne dieſen Höhenblick auf die Herrlichkeit der Welt das Leben kein Leben war, ſondern höchſtens „Epiſoden“ wandelbaren Scheinglücks brachte oder täuſchendes Spiel. Aber das Muſter der beiden Weltkinder wirkt belebend auf die beiden Seelen von jenſeits. Wie jene, ſo ſuchen auch dieſe als Symbol echten Lebens, wie ſie's nie gelebt haben, eine „Sommernacht in den Bergen“; aber je höher ſie ſteigen, deſto mehr umwölkt ſie Nebel und Schnee und Wind. Und während ſich die Weltkinder Körper eng an Körper wieder herunterretten ins bergende Menſchen— land, ſteigen die Sonnenpilger höher und höher, weiter und weiter, und verlieren ſich zuletzt in die Unendlichkeit der großen Natur. Einſam und mit Todesverachtung taſtet und tappt, von unten aus dem Land der Menſchen, auf ſchwindligem nächtlichen Pfad die

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barmherzige Schweſter dem flüchtigen Schützling in die Wildnis nach. Die chriſtliche Caritas folgt dem fliehenden Menjchheits- ideale, das den Schöpfer antiker Schönheit mit ſich lockt zu un— gewiſſen Höhen. Die Lawine reißt die beiden hin. Die barm— herzige Schweſter ſieht es und betet ihr Pax vobiscum!

Wird Irene der Friedensengel ſein, der in den Frieden eines „dritten Reiches“ führt? Und wird ſich der alte Dichter nicht doch noch rüſten, fortan nach Seherart von dieſem „dritten Reich“ einen Abglanz zu zeigen? Vor der Schwierigkeit dieſer Aufgabe ſcheut weder das Alter noch die Phantaſie Henrik Ibſens zurück. Gerade im neueſten Werk findet ſich ein offenſichtliches Selbſtbekenntnis zur Freude an ſtrenger Arbeit. Rubek, der Bildhauer, und Ulfheim, der Bärentöter, der Künſtler und der Faun, der Prophet und das Weltkind, der Idealiſt und der Materialiſt in einem einzigen Punkt verſtändigen ſie ſich. „Wir arbeiten“, ſagt Ulfheim, „in einem harten Material, wir beide . .. Er wird ſich wohl mit dem Marmor abſchinden müſſen. Und ich ſchinde mich ab mit krampfhaft zitternden Bären— ſehnen. Und beide kriegen wir dann das Material ſchließlich unter. Machen uns zum Herrn und Meiſter darüber. Geben nicht nach, bis wir den hartnäckig widerſtrebenden Stoff überwunden haben ... denn der Stein wird wohl auch wiſſen, warum er widerſtrebt. Er iſt tot und will ſich mit aller Gewalt nicht lebendig hämmern laſſen. Akkurat wie der Bär, wenn ihn in ſeinem Lager wer aufſtört“. Profeſſor Rubek unterbricht dieſen Speech mit der nachdenklichen Bemerkung: „Das iſt gar nicht ſo unrichtig“. Bei dieſer Übereinſtimmung iſt ſicherlich Henrik Ibſen, der Herr und Meiſter ſprödeſter Stoffe, Dritter im Bunde.

Und ſo grüßt uns von den Dämmerhöhen dieſer Schluß— dichtung doch noch eine jubelnde Botſchaft: der viel verrufene „Realiſt“ Ibſen, der noch viel mehr verſchriene „Naturaliſt“ hat jetzt mit den Wirklichkeiten des Lebens, die ihm nicht das

VII

wahre Leben, das Leben in Schönheit und Sonnenſchein find, gründlichſt abgerechnet. Er ſchließt ſeinen zoologiſchen Garten zu. Er vermauert die Eingänge zu all dieſen Muſeen eines Scheinlebens, das eigentlich der Tod war. Von dieſem Tode will er erwachen; mit allen denen, die an dieſem Scheinleben ſtarben, will er auferſtehen. Neuer Hauch ſoll in dieſe toten Seelen ziehen, aus lang verſchloſſenen Herzensſchreinen ſoll blühen— der Reichtum quillen. Gebt mal acht, was das wird für ein Leben werden, wenn wir Toten erwachen und im Sonnenſchein ſchwärmen: wir beiden alten Tanten aus Konſul Bernicks Haus, und Du, holder, tapferer Flüchtling aus dem Puppenheim, und Du, ſtolze Mater dolorosa von Hauptmann Alvings Aſyl, und jener wunderliche Volkstribun mit ſeiner ſtarken Tochter und Du, kleine Wildentenmutter, die ſo mutig ans Liebſte ihr Leben ſetzte, und wir zwei froh gewordene Adelsmenſchen auf Rosmers— holm, und wie immer wir heißen mögen, wir Bürger eines „dritten Reiches“, die an der Wirklichkeit ſtarben und nun zur Wahrheit und zur Schönheit erwachen nun leuchtet uns ja und ſengt uns nicht mehr die Sonne, die Oswald Alving in die Hand nehmen wollte! Nun ſind wir froh und adelig! Nun ſingen die Harfen, die Baumeiſter Solneß an der Turm— ſpitze vernahm. Nun flattert Eyolfs Fahne zu den Sternen empor, und hörbar wird die große Stille! Nun erklingt eine Harmonie aller körperlichen und ſeeliſchen Wünſche! Nun komm, alter prophetiſcher Dichter, komm wiederum her zu uns und zeige den Hjalmar Ekdals auf der berſtenden Erdwölbung, wie es hier oben ausſieht; wie es um uns beſtellt iſt; wie aus des Menſchen Wille und Macht ein Reich ward; wie ſelig wir Toten erwachten. Paul Schlenther.

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Klein Cyolf

Schauſpiel in drei Akten

Ibſen, Klein Eyolf.

Geſchützt auf Grund der Geſetze und Verträge.

Den Bühnen gegenüber Manufkript.

Perfonen.

Alfred Allmers, Gutsbeſitzer und Schriftſteller, früher Schullehrer.

Rita, ſeine Frau.

Eyolf, ihr Kind; neun Jahr alt.

Aſta Allmers, Alfreds jüngere Stiefſchweſter.

Borgheim, Ingenieur.

Die Rattenmamſell.

Das Stück ſpielt auf Allmers' Gut, das am Fjord einige Meilen von der Stadt gelegen iſt.

[Sprich: Warg (S. 12).

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Erſter Akt.

Ein elegant und geſchmackvoll eingerichtetes Gartenzimmer. Viele Möbel, Blumen und Blattpflanzen. Im Hintergrund offene Glasthüren, die zu einer Veranda führen. Weite Ausſicht auf den Fjord. Waldige Bergrücken in der Ferne. An jeder Längswand eine Thür; die auf der rechten Seite iſt eine Flügel— thür und liegt ganz hinten. Vorn rechts ein Sofa mit loſen Kiffen und Decken. An der Sofaecke Stühle und ein Tiſchchen. Vorn links ein größerer Tiſch mit Lehn— ſtühlen. Auf dem Tiſche ein offener Handkoffer. Es iſt frühmorgens im Sommer. und die Sonne ſcheint warm.

Rita ſteht am Tiſch, mit dem Rücken nach rechts, und packt den Koffer aus. Sie iſt eine ſchöne, ziemlich große, üppige, blonde Dame von etwa dreißig Jahren. Sie hat einen hellen Morgenrock an.

Nach einer Weile tritt Aſta Allmers durch die Thür rechts ein. Sie trägt ein hellbraunes Sommerkoſtüm, Hut, Jackett und Sonnenſchirm. Unter dem Arm hat fie eine größere Mappe, die verſchloſſen iſt. Aſta iſt ſchmächtig, mittelgroß, hat

dunkles Haar und tiefe, ernſte Augen. Sie iſt 25 Jahr alt.

Aſta an der Thür. Guten Morgen, liebe Rita!

Rita dreht ſich um und nickt ihr zu. Sieh mal an Du, Aſta! So zeitig ſchon kommſt Du aus der Stadt? Ganz bis zu uns heraus?

Alla legt ab und thut ihre Sachen auf einen Stuhl neben der Thür. Es ließ mir nicht Raſt noch Ruh. Mir war, als müßt' ich ) ) ) )

heute zu Euch heraus und klein Eyolf ſehen. Und Dich auch.

BR

Legt die Mappe auf das Tiſchchen am Sofa. Und jo bin ich mit dem Dampfſchiff gekommen.

Rita lächelt ihr zu. Und an Bord trafſt du gewiß irgend einen guten Freund? Natürlich nur ganz zufällig.

Ma ruhig. Nein, feine Seele, die mir bekannt war. Erblickt den Koffer. Aber Rita was iſt denn das?

Rita packt weiter aus. Alfreds Reiſekoffer. Kennſt Du ihn nicht?

Aſta voller Freude, tritt näher heran. Was? Alfred iſt wieder da?

Rita. Ja, denk' Dir nur er iſt ganz unerwartet mit dem Nachtzug angekommen.

Aſta. Alſo das war's, was ich fühlte! Das war's, was mich hertrieb! Und er hatte nichts vorher geſchrieben? Nicht einmal eine Poſtkarte?

Vila. Nicht eine Zeile.

Alla. Und telegraphiert auch nicht?

Rita. Doch, eine Stunde vor ſeiner Ankunft. Ganz kurz und kalt. Lacht. Sieht ihm das nicht ähnlich, Aſta?

Aſta. Jawohl. Er verſchließt alles immer ſo in ſich.

Nita. Doch um ſo netter war's, als ich ihn wieder da

Aſta. Das kann ich mir denken.

Rita. Volle vierzehn Tage früher, als ich ihn er— wartet hatte! |

Aſta. Und es geht ihm gut? Er iſt nicht verſtimmt?

Nita klappt den Koffer zuſammen und lächelt ihr zu. Geradezu ver⸗ klärt ſah er aus, als er zur Thür hereintrat.

Aſta. Und war auch gar nicht müde?

Rita. Doch, müde ſchien er mir ſchon zu ſein. Tüchtig müde ſogar. Aber der Armſte war ja meiſtens zu Fuß ge— gangen.

1

Aſta. Und dann iſt ihm die Hochgebirgsluft gewiß zu rauh geweſen.

Rita. Nein, das glaub' ich durchaus nicht. Ich habe ihn nicht ein einziges Mal huſten hören.

Aſta. Siehſt Du wohl! So war es doch gut, daß ihn der Arzt zu der Reiſe überredete.

Rita. Jetzt, da es endlich überſtanden iſt, da —. kannſt mir aber glauben, Aſta, es iſt für mich eine entſetzliche Zeit geweſen. Ich habe nie davon reden mögen. Und Du biſt ja auch ſo ſelten zu mir herausgekommen

Aſta. Das war gewiß nicht recht von mir. Aber

Rita. Na ja, na ja, Du hatteſt ja Deine Schule in der

J

11

Stadt. Lächelt. Und unſer Ingenieur der war doch auch verreiſt.

Aſta. Aber Rita, wie kannſt Du nur —!

Rita. Alſo, ſchön laſſen wir den Ingenieur aus dem

Spiel. Du haſt keinen Begriff davon, wie ſehr ich mich nach Alfred geſehnt habe! Dieſe Leere! Dieſe Ode! Puh es war, als ob hier im Haufe einer begraben wäre —!

Aſta. Mein Gott es waren doch nur ſechs ſieben Wochen

Rita. Jawohl, Du mußt aber bedenken, daß Alfred vor— dem noch nie von mir weg geweſen iſt. Keine vierundzwanzig Stunden. Nicht ein Mal in den ganzen zehn Jahren

Aſta. Aber gerade darum, mein' ich, war es dies Jahr wirklich höchſte Zeit, daß er mal ein bißchen 'raus kam. Jeden Sommer hätte er ins Gebirge ſollen. Hätte er das nur gethan!

Rila mit einem leichten Lächeln. Ach ja, Du haſt gut reden. Wäre ich ſo ſo vernünftig wie Du, dann hätte ich ihn wohl ſchon eher weggelaſſen vielleicht. Aber ich konnt' es nicht über mich gewinnen, Aſta!. Mir war, als würd' ich ihn nie wieder zurückbekommen. Kannſt Du denn das nicht begreifen?

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Aſta. Nein. Wohl deshalb, weil ich niemand zu verlieren habe.

Nita mit einem nediigen Lächeln. Haft Du wirklich gar niemand ?

Aſta. Nicht, daß ich wüßte. Abbrechend. Aber ſag' mir, Rita wo iſt denn Alfred? Schläft er vielleicht?

Rita. Keine Idee. Er iſt heute genau jo zeitig aufgeſtanden wie ſonſt.

Aſta. Na, dann wird er wohl auch nicht beſonders müde geweſen ſein.

Nita. O doch, heut Nacht. Als er ankam. Aber jetzt hat er über eine Stunde Eyolf auf ſeinem Zimmer bei ſich gehabt.

Aſta. Der arme, kleine, blaſſe Junge! Er ſoll wohl ſchon wieder mit dem ewigen Lernen anfangen?

Rita mit Achſelzucken. Alfred will e weißt Du. b

Aſta. Ja, aber ich finde, Du ſollteſt Dich dem wider- ſetzen, Rita.

Rita etwas ungeduldig. Hör’ mal, nein da kann ich mich wirklich nicht hineinmiſchen. Alfred muß dieſe Dinge viel beſſer verſtehen als ich. Und womit ſoll ſich denn Eyolf be— ſchäftigen? Er kann doch nicht herumlaufen und ſpielen

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3 doch ſo haben,

wie andere Kinder.

Aſta bestimmt. Ich werde mit Alfred darüber reden.

Rita. Thu das nur, liebe Aſta. Ei, ſieh da

Alfred Allmers, im Sommeranzug, tritt, Eyolf an der Hand, durch die Thür links herein. Er iſt ein Mann von ſchlankem, feinem Wuchs und tft 36 bis 37 Jahr alt; er hat ſanfte Augen; ſein Haar und ſein Bart ſind braun und dünn. Auf feinen Geſicht ruht ein ernſter, nachdenklicher Zug. Eyolf trägt eine Art Uniform mit goldenen Schnüren und Wappenknöpfen. Er hinkt und geht mit dem linken Arm an der Krücke. Das Bein iſt gelähmt. Er iſt klein von Geſtalt und ſieht kränklich aus, hat aber ſchöne, kluge Augen.

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Allmers läßt Eyolf los, geht vergnügt auf Aſta zu und reicht ihr beide Hände. Aſta! Liebſte Aſta! Du hier! Wie ſchön, daß ich Dich gleich ſehe! Aſta. Mir war's, ich müßte —. Herzlich willkommen!

Allmers ſchuüttett ihr die Hände. Das war lieb von Dir!

Rita. Sieht er nicht prächtig aus?

Aſta ſtarrt ihn unverwandt an. Wunderbar! Ganz wunderbar! Dieſe hellen, munteren Augen! Haſt wohl ſehr viel geſchrieben auf der Reiſe? In freudiger Erregung. Am Ende iſt das ganze Buch fertig, Alfred?

Allmers zuckt die Achſen. Das Buch —? Ach, das

Aſta. Ich hoffte, es würde Dir flott von der Hand gehen, wenn Du nur erſt heraus wärſt.

Allmers. Das hoffte ich auch. Aber, ſchau, es kam ganz anders. Ich habe wirklich an dem Buch keine Zeile geſchrieben.

Aſta. Keine Zeile —!

Rita. Drum auch! Ich begriff gar nicht, warum das ganze Papier unberührt im Koffer dalag.

Aſta. Aber, Alfred, was haſt Du denn die ganze Zeit über gethan?

Allmers lächelnd. Meinen Gedanken bin ich nachgegangen, nur meinen Gedanken —.

Nita legt den Arm um ſeine Schulter. Haſt Du auch ein bißchen an die gedacht, die zu Haus geblieben?

Allmers. Natürlich hab' ich das. Sehr viel ſogar. Tag— aus, tagein.

Kita läßt ihn los. Na, dann iſt ja alles in ſchönſter Ordnung.

Aſta. An dem Buche haſt Du gar nicht geſchrieben? Und doch ſiehſt Du ſo froh und zufrieden aus? Das pflegſt Du doch ſonſt nicht wenn Dir die Arbeit ſchwer fällt, mein' ich.

Allmers. Allerdings. Denn ſchau, früher bin ich ſo dumm geweſen. Denken iſt des Menſchen beſtes Teil. Was aufs Papier kommt, taugt nicht viel.

Bee

Aſta erregt. Taugt nicht

Rita lacht. Biſt Du von Sinnen, Alfred?

Enolf blickt treuherzig zu ihm auf. O doch, Papa, was Du ſchreibſt, das taugt ſchon was.

Allmers ſtreicht ihm lächelnd übers Haar. Natürlich, wenn Du es ſagſt, jo —. Aber glaube mir ſpäter kommt einer, der es beſſer macht.

Eyolf. Was für einer denn? Ach, ſag's doch!

Allmers. Nur Geduld. Er wird ſchon kommen und ſich melden.

Eyolf. Und was thuſt Du dann?

Allmers en. Dann geh' ich wieder ins Gebirg

Nika. Pfui, ſchäm' Dich, Alfred!

Allmers. hinauf zu den Gipfeln und großen Fernſichten.

Eyolf. Nicht wahr, Papa, ich werde bald jo gejund fein, daß ich mit kann?

Allmers ſchmerzlich berührt. O ja vielleicht, mein kleiner Kerl.

Euolf. Wie fein wär's, wenn ich auch in den Bergen herumklettern könnte!

Aſta ablentend. Biſt Du aber heut ſchmuck angezogen, Eyolf!

Eyolf. Nicht wahr, Tante?

Aſta. Freilich. Dem Papa zu Ehren haſt Du wohl den neuen Anzug an?

Eyolf. Jawohl, ich habe die Mama darum gebeten. Ich wollte, daß Papa mich drin ſieht.

Allmers leiſe zu Rita. Du hätteſt ihm ſolch ein Koſtüm nicht anſchaffen ſollen.

Nita ebenſo. Er quälte mich doch aber fortwährend. Er bat ſo inſtändig. Er ließ mich doch nicht in Frieden.

Eyolf. Ja, und dann, Papa Herr Borgheim hat mir einen Bogen gekauft. Und er hat mich auch gelehrt, wie man damit ſchießt.

Basa.! 1

Allmers. Seh einer, das iſt jo recht etwas für Dich, Eyoff.

Eyolf. Und das nächſte Mal, wenn er wieder kommt, dann bitte ich ihn, daß er mich auch das Schwimmen lehrt.

Allmers. Schwimmen! Was willſt Du denn damit?

Eyolf. Jawohl, unten am Strand die Jungen, die können alle ſchwimmen. Nur ich kann's nicht.

Allmers ſchließt ihn bewegt in die Arme. Was Du nur willſt, alles ſollſt Du lernen! Alles, wozu Du Luft Haft.

Euolf. Weißt Du, Papa, was ich am allerliebſten möchte?

Allmers. Nun? So ſag'!

Eyolf. Am allerliebſten möcht' ich Soldat lernen.

Allmers. Aber, Eyolfchen, es giebt doch fo viele Dinge, die beſſer ſind.

Eyolf. Aber wenn ich groß bin, dann muß ich doch Soldat werden. Das weißt Du ganz gut.

Allmers preßt die Hände zuſammen. Jawohl, ja wir werden ſehen

Aſta nimmt am Tiſche links Plat. Eyolf! Komm mal zu mir ich will Dir was erzählen.

Euyolf geht zu ihr hin. Was denn, Tante?

Aſta. Denk' mal, Eyolf, ich habe die Rattenmamſell geſehen.

Eyolf. Was! Du haſt die Rattenmamſell geſehen? Ach, Du hältſt mich nur zum beſten.

Aſta. Nein, es iſt wirklich wahr. Ich hab' ſie geſtern geſehen.

Eyolf. Wo haſt Du ſie denn geſehen?

Aſta. Auf der Landſtraße vor der Stadt draußen.

Allmers. Auch mir iſt ſie oben im Land da irgendwo begegnet.

Rita, die ſich auf das Sofa geſetzt hat. Vielleicht kriegen wir ſie dann auch zu ſehen, Eyolf.

Eyolf. Du, Tante, iſt das nicht komiſch, daß ſie die Ratten— mamſell heißt.

12

Aſta. Die Leute nennen ſie deshalb ſo, weil ſie im Land und an der Küſte herumzieht und die ganzen Ratten vertilgt.

Allmers. Ich glaube, ihr richtiger Name iſt Varg.

Eyolf. Varg? Das bedeutet ja einen Wolf.

Allmers freier ihm den Kopf. So, das weißt Du auch, Eyolf?

Eyolf nachdentlich. Dann iſt es am Ende doch wahr, daß ſie in der Nacht ein Werwolf iſt. Glaubſt Du das, Papa?

Allmers. Ach nein, das glaub' ich nicht. Aber jetzt geh' hinunter in den Garten und ſpiel' ein bißchen.

Eyolf. Soll ich nicht lieber ein paar Bücher mitnehmen?

Allmers. Nein, fortan keine Bücher mehr. Geh' lieber zum Strand hinunter zu den andern Jungen.

Eyolf verlegen. Ach nein, Papa, ich mag heute nicht zu den Jungen hinunter.

Allmers. Warum denn nicht?

Eyolf. Weil ich den Anzug hier anhabe.

Allmers runzelt die Stirn. Machen ſie ſich etwa luſtig über über Deinen hübſchen Anzug?

Euolf ausweichend. Nein, das getrauen fie ſich nicht. Denn ſonſt würde ich ſie hauen.

Allmers. Na alſo, weshalb denn —?

Eyolf. Die Jungen, die find jo ungezogen. Und dann ſagen ſie, ich könnte nie Soldat werden.

Allmers mit unterdrücktem Schmerz. Und warum, meinſt ſagen ſie das wohl?

Eyolf. Sie ſind gewiß neidiſch auf mich. Denn ſie ſind ſo arm, Papa, daß ſie barfuß gehen müſſen.

Allmers leiſe, mit erſtickter Stimme. Ach, Rita, wie herz⸗ zerreißend iſt das alles!

Rita beſchwichtigend, indem fie auſſteht. Ich bitte Dich, Alfred —!

Allmers drohend. Die Jungen, die ſollen noch erfahren, wer am Strand unten der Herr iſt!

gar Tu,

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Alta horchend. Es hat geklopft.

Eyslf. Das iſt gewiß Herr Borgheim.

Rita. Herein!

Die Rattenmamſell tritt ſacht und behutſam durch die Thür rechts ein. Sie iſt eine kleine, ſchmächtige, eingeſchrumpfte Perſon, betagt und grauhaarig, mit ſcharfen, ſtechenden Augen. Sie hat ein altfränkiſches, geblümtes Kleid, einen ſchwarzen Umhang an und einen ſchwarzen, kapuzenartigen Hut auf. In der Hand hält ſie einen großen, roten Regenſchirm und am Arm trägt fie, an einer Schnur, einen Beutel.

Eyolf zupft Aſta am Kleid, leiſe. Tante! Das iſt ſie gewiß!

Die Nattenmamſell macht an der Thür ein Kompliment. Mit aller- gnädigſtem Verlaub, haben die Herrſchaften im Hauſe was Nagendes?

Allmers. Wir? Ich glaube nicht.

Die Rattenmamſell. In dieſem Fall würde ich die Herr— ſchaften mit dem allergrößten Vergnügen davon befreien.

Rita. Jawohl, wir verſtehen. Aber jo was giebt es hier nicht.

Die Rattenmamſell. Was für ein Malheur! Ich bin näm— lich jetzt gerade auf der Tour. Und wer weiß, wann ich wieder in dieſe Gegenden komme —. Ach, wie bin ich müde!

Allmers deutet auf einen Stuhl. Sie ſehen in der That ſo aus.

Die Rattenmamſell. Man ſollte freilich niemals müde werden, ihnen wohlzuthun, den armen kleinen Dingern, die ſo bitter ge— haßt und verfolgt werden. Aber es greift einen arg an.

Rita. Wollen Sie nicht Platz nehmen und ſich ein wenig ausruhen ?

Die Nattenmamſell. Tauſend Dank. Setzt ſich auf einen Stuhl zwiſchen der Thür und dem Sofa. Bin ich doch die ganze Nacht in Geſchäften draußen geweſen.

Allmers. So, waren Sie das?

Die Rattenmamſell. Jawohl, drüben auf den Jujeln. mit einem gluckſenden Lachen. Man ſollt' es nicht glauben die Leute

*

haben mich holen laſſen. Schwer genug wird's ihnen gefallen fein. Es half aber nichts. Sie mußten ſchon hübſch in den ſauern Apfel beißen. Steht Eyolf an und nickt ihm zu. In den ſauren Apfel, junger Herr, in den ſauren Apfel.

Eyolf etwas zaghaft, unwillkürlich. Warum mußten ſie 7

Die Nattenmamſell. Was?

Eyolf. Hineinbeißen?

Die Nattenmamſell. Weil ſie ſich nicht mehr laſſen konnten vor Ratten und Rattenbrut, wie der junge Herr wohl verſtehen.

Rita. Mein Gott! Die armen Leute haben fie denn ſo viele?

Die Rattenmamſell. War das ein Geſchwärm und Ge— wimmel! Lacht ſtillvergnügt. In den Betten kribbelten und krabbelten ſie die liebe lange Nacht. In die Milchkübel plumpſten ſie. Und über die Fußböden ruſchelten und raſchelten ſie die Kreuz und Quer.

Eyolf teiie zu Ata. Da möcht' ich nie hin, Tante.

Die Rattenmamſell. Aber da bin ich gekommen und noch einer. Und wir haben ſie mitgenommen, alle, alle. Die lieben Dingerchen. Wir beide wurden mit allen fertig.

Eyolf aufſchreiend. Papa, ſieh, ſieh!

Rita. Um Gotteswillen, Eyolf!

Allmers. Was iſt denn los?

Euolf bindeutend. Da zappelt was im Beutel!

Rila ſchreit, nach links hinüber ellend. Herr Gott! Schaff' fie raus, Alfred!

Die Naltenmamſell lacht. Ach, ſchönſte gnädige Frau, haben Sie doch keine Angſt vor ſo 'nem Geſchöpſchen.

Allmers. Was iſt denn das?

Die Raltenmamſell. Das it ja bloß Moppelchen. Schuurt den Beutel auf. Komm heraus aus Deinem Dunkel, Du mein herzallerliebſter Freund.

Ein Hündchen mit breiter, ſchwarzer Schnauze Nedt den Kopf aus dem Beutel.

1

Die Baltenmamfell niet und wintt Eyelf zu. Komm getroſt näher, Du kleiner bleſſierter Krieger. Er beißt nicht. Komm her! Komm!

Eyolf nammert ſich an Aſta. Nein, ich traue mich nicht.

Die Raltenmamſell. Finden der junge Herr nicht, daß cr ein ſanftes und liebliches Geſicht hat?

Eyolf deutet erſtaunt auf den Hund hin. Der da?

Die Battenmanfell. Freilich, der.

Eyolf halblaut, indem er den Hund unverwandt anſtarrt. Ich finde, er hat das ſchrecklichſte Geſicht, das ich je geſehen habe.

Die Rattenmamſell macht den Beutel zu. Ach, das kommt ſchon. Das kommt ſchon.

Eyolf kommt unwillkürlich näher, geht ganz dicht zu ihr heran, und ſtreichelt vorſichtig den Beutel. Wunder —, wunderſchön iſt er doch!

Die Nattenmamſell vehutſam. Nur iſt er jetzt jo matt und müde, der arme Kerl. Rechtſchaffen müde iſt er. Blickt Allmers an. Denn ſo ein Reigen, der greift an, das dürfen der Herr mir glauben.

Allmers. Was für eine Art Reigen meinen Sie?

Die Rattenmamſell. Den Lockreigen.

Allmers. Aha, der die Ratten lockt, das iſt wohl der Hund?

Die Nattenmamſell nie. Moppelchen und ich. Wir beide zuſammen. Und das geht ſo flott. Wenigſtens dem Anſchein nach. Er kriegt bloß eine Schnur ans Halsband. Dann führe ich ihn drei Mal ums Haus herum. Und ich ſpiele auf der Maultrommel. Und wenn ſie das hören, dann müſſen ſie aus den Kellern herauf und von den Dachböden herunter und aus den Löchern heraus alle die lieben Geſchöpflein.

Eyolf. Beißt er fie dann tot?

Zie Rattenmamſell. J Gott bewahre! Nein! Wir gehen zum Boot hinunter, Moppelchen und ich. Und ſie kommen hinter uns drein. Die Alten wie die Puſſelchen.

16

Eyolf geſpannt. Und was dann —? Erzählen Sie!

Bie Rattenmamſell. Dann ſtoßen wir vom Lande ab. Und ich wricke mit dem Ruder und ſpiele auf der Maultrommel. Und Moppelchen, das ſchwimmt hinterher. Mit glügenden Augen. Und alle, die da kribbelten und krabbelten, die folgen uns weit und weiter aufs Waſſer hinaus. Das müſſen ſie nämlich.

Eyolf. Warum müſſen ſie?

Die Nattenmamſell. Gerade weil fie nicht wollen. Weil ſie vor dem Waſſer ſo grauſige Angſt haben darum müſſen ſie aufs Waſſer hinaus.

Eyolf. Ertrinken ſie dann?

Die Battenmanfell. Einer wie der andere. Leiſer. Und dann haben ſie es ſo gut und ſo ſtill und ſo ſchattenkühl, wie ſie ſich's nur wünſchen können, die herzigen Kleinen. Tief unten ſchlafen ſie einen gar ſüßen und langen Schlaf. Sie, die von den Menſchen gehaßt und verfolgt wurden. Steht auf. Ja, in früheren Zeiten, da hatte ich kein Moppelchen nötig. Da hab' ich ſelber gelockt. Ich ganz allein.

Eyolf. Was haben Sie denn gelockt?

Die Nattenmamſell. Menſchen. Beſonders einen.

Eyolf geſpannt. Ach, jagen Sie doch, wer war denn das?

Die Nattenmamſell lachend. Das war mein Schatz und Liebſter, Sie kleiner Herzenbrecher, Sie!

Eyolf. Und wo iſt er jetzt?

Die Rattenmamſell hart. Unten bei den Ratten. Wieder ſanft. Aber jetzt muß ich wieder hinaus an mein Geſchäft. Bin immer auf der Reiſe. Zu Rita. Brauchen mich die Herr- ſchaften heut wirklich nicht? Sonſt könnte ich's gleich in einem hin abmachen.

Rita. Nein, danke. Es iſt wohl nicht nötig.

Die Rattenmamſell. Jaja, liebſte, gnädige Frau, man kann nie wiſſen —. Sollten die Herrſchaften merken,

en

daß hier was nagt und frißt, und kribbelt und krabbelt, dann laſſen Sie nur ja mich und Moppelchen holen. Empfehle mich, empfehle mich allerbeſtens. Ab durch die Thür rechts. Eyolf teije triumphterend zu Aſta. Denk' nur, Tante, jetzt habe ich auch die Rattenmamſell-geſehen!

Rita tritt auf die Veranda hinaus und ſächelt ſich mit dem Taſchentuch. Kurz darauf entfernt ſich Eyolf behutſam und unbemerkt durch die Thür rechts. Allmers ergreift die Mappe auf dem Tiſch am Sofa. Gehört dieſe

Mappe Dir, Aſta?

Aſta. Ja. Es iſt ein Teil von den alten Briefen darin.

Allmers. So, von den Familienbriefen

Aſta. Du haſt mich doch gebeten, ſie während Deiner Ab— weſenheit für Dich zu ordnen.

Allmers ſtreichelt ihr den Kopf. Und dazu haſt Du noch Zeit gefunden?

Aſta. Ei freilich. Ich hab' es teils hier draußen und teils bei mir in der Stadt gethan.

Allmers. Schönen Dank, meine Liebe Na, haſt Du was Beſonderes darin gefunden? Aſta leicht hinwerfend. Ach, in ſolch alten Papieren, weißt

Du, findet man ja doch immer dies oder jenes Leiſer, eruſt— In dieſer Mappe ſind Briefe, die Mutter gehört haben.

Allmers. Die behältſt Du natürlich.

Aſta mit Überwindung. Nein. Ich will, daß auch Du ſie. durchſiehſt, Alfred. Eines Tages, ſpäter einmal. Heut hab' ich den Schlüſſel zur Mappe nicht mit.

Allmers. Thut nichts, liebe Aſta. Denn ich leſe die Briefe Deiner Mutter ja doch nicht.

Aſta richtet den Blick feſt auf ihn. Dann will ich Dir einmal, jo in einer traulichen Abendſtunde, etwas von ihrem Inhalt erzählen.

Ibſen, Klein Enolf.

8

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Allmers. Das ſchon eher. Aber behalte nur die Briefe Deiner Mutter. Gar ſo viele Andenken an ſie haſt Du ja nicht.

Er reicht Aſta die Mappe Sie nimmt ſie und legt ſie auf den Stuhl, unter die Jacke. Rita kommt wieder herein.

Rita. Puh, mir iſt, als habe das alte unheimliche Frauen- zimmer ſo was wie Leichengeruch mitgebracht.

Allmers. Ein bißchen unheimlich war ſie allerdings.

Rita. Mir war ganz ſchlecht, ſolange ſie im Zimmer war.

Allmers. Übrigens begreife ich die zwingende und ver— führeriſche Macht, von der ſie redete, ganz gut. Die Einſam— keit oben zwiſchen den Gipfeln und vor den großen Fernſichten hat etwas Ahnliches.

Aſta blict ihn aufmerkſam an. Was iſt Dir eigentlich wider⸗ fahren, Alfred?

Allmers lächelnd. Mir?

Aſta. Jawohl, etwas muß es fein. Beinah eine Art Wandlung. Rita hat es auch bemerkt.

Rita. Ich hab' es ſchon gleich bei Deiner Ankunft geſehen. Das iſt aber doch nur gut, Alfred?

Allmers. So ſollte man meinen. Und es muß und wird ſich zum Guten wenden.

Rita in Erregung. Du haft ein Erlebnis gehabt auf der Reiſe! Leugne nicht! Ich ſeh' es Dir an!

Allmers ſchüttelt den Kopf. Ganz und gar nicht äußerlich wenigſtens. Aber

Nita geſpannt. Aber —?

Allmers. In meinem Innern hat es allerdings eine kleine Umwälzung gegeben.

Rita. Gott

Allmers beruhigend, indem er ihr die Hand ſtreichelt. Nur zum Beſſeren, liebe Rita. Sei deſſen verſichert.

Rita jept ſich aufs Sofa. Das mußt Du uns gleich mal er— zählen. Alles, alles!

Allmers wendet ſich an Aſta. Nun denn, ſo wollen wir beide uns auch ſetzen. Und ich werde zu erzählen verſuchen. So gut ich kann.

Er ſetzt ſich aufs Sofa an Ritas Seite. Aſta rückt einen Stuhl heran und nimmt ganz in ſeiner Nähe Platz. Kurze Pauſe.

Rita blickt ihn erwartungsvoll an. Nun, alſo 2

Allmers ſieht vor ſich hin. Wenn ich auf mein Leben zurück blicke und auf mein Schickſal in den letzten zehn, elf Jahren —, dann kommt es mir beinahe wie ein Märchen vor oder wie ein Traum. Dir nicht auch, Aſta?

Aſta. In manchen Beziehungen, gewiß.

Allmers fortfayrend. Wenn ich daran denke, was wir beide früher waren, Aſta. Wir zwei armſeligen mittelloſen Waiſen

Rita ungeduldig. Ach, das iſt doch ſchon ſo lange her.

Allmers ohne auf ſie zu achten. Und da lebe ich jetzt in Wohl- ſtand und Herrlichkeit. Habe meinem Berufe nachgehen können. Habe arbeiten und ſtudieren können nach Herzensluſt. Streck die Hand aus. Und dies ganze große, unfaßbare Glück das verdanken wir Dir, meine teure Rita.

Nita giebt ihm halb ſcherzhaft, halb unmutig einen leichten Klaps auf die Hand. Wirſt Du wohl bald aufhören mit dem Gerede!

Allmers. Ich ſage das ja auch nur als Einleitung

Rita. So ſpar' die Einleitung!

Allmers. Rita, Du mußt nicht glauben, daß es der Rat des Arztes war, was mich ins Gebirge trieb.

Aſta. Nicht, Alfred?

Rita. Was hat denn ſonſt Dich hingetrieben?

Allmers. Die Sache war die, daß ich keine Ruhe mehr fand an meinem Arbeitstiſch.

20

Kita. Keine Ruhe mehr! Aber, beſter Alfred, wer hat Dich denn geſtört?

Allmers ſchüttelt den Kopf. Von außen her keiner. Doch ich hatte ein Gefühl, als ob ich meine beſten Kräfte geradezu miß— brauchte oder vielmehr, als ob ich ſie vernachläſſigte. Als ob ich meine Zeit vergeudete.

Aſta mit großen Augen Wenn Du über dem Buch ſaßeſt und ſchriebſt?

Allmers niet. Denn ich bin doch wohl nicht dazu nur ge— ſchaffen. Ich müßte doch auch ſonſt noch etwas vollbringen können.

Rita. Und das war der Inhalt Deines ewigen Grübelns?

Allmers. Das zumeiſt.

Rita. Und deshalb alſo warſt Du fo unzufrieden mit Dir ſelbſt in der letzten Zeit. Und mit uns andern auch. Denn das warſt Du, Alfred!

Allmers blickt vor ſich hin. Da ſaß ich über den Tiſch gebeugt und ſchrieb tagaus, tagein. Manchmal auch die halbe Nacht. Schrieb und ſchrieb an dem großen, dicken Buch über „die menſchliche Verantwortung“. Hm!

Aſta legt die Hand auf ſeinen Arm. Aber, Schatz, das Buch ſoll ja das Werk Deines Lebens werden.

Nita. Jawohl, das haſt Du doch oft genug gejagt.

Allmers. So dacht' ich. Schon zu einer Zeit, als ich noch kaum erwachſen war. mit Wärme im Blick. Und dann halt Du, liebe Rita, es mir ermöglicht, ans Werk zu gehen,

Rita. Ach, Unſinn!

Allmers lächelt ihr zu. mit Deinen goldenen Bergen

Nita halb lachend, halb ärgerlich. Kommſt Du mir wieder mit dem dummen Zeug, dann kriegſt Du eins.

Aſta ſieyt ihn betümmert an. Aber das Buch, Alfred?

Allmers. Das ſchien ſich allmählich zu entfernen. Immer mehr aber faßte der Gedanke an die höheren Pflichten und ihre Anſprüche Wurzel in mir.

Nita ergreift freudeſtrahlend ſeine Hand. Alfred?

Allmers. Der Gedanke an Eyolf, liebe Rita.

Nita läßt enttänſcht feine Hand los. Ach jo, an Eyolf!

Allmers. Stärker und ſtärker hat der arme kleine Eyolf Be— ſitz von mir ergriffen. Nach dem unglücklichen Fall vom Tiſche —. Und zumal, ſeit wir die Gewißheit haben, daß es unheilbar iſt

Rita eindringlich. Du nimmſt Dich doch ſeiner an, jo ſehr Du nur kannſt, Alfred!

Allmers. Wie ein Schulmeiſter, jawohl. Aber nicht wie ein Vater. Und ein Vater will ich fortan Eyolf fein.

Rita ſieht ihn kopfſchüttelnd an. Ich verſtehe Dich gewiß nicht ganz.

Allmers. Ich meine, ich will mit allen Kräften verſuchen, ihm das Unabänderliche ſo lind und leicht zu machen, wie möglich.

Rita. Wenn er es nun aber gottlob nicht jo tief empfindet.

Aſta bewegt. Doch, Rita, das thut er.

Allmers. Ja, ſei überzeugt, daß er es tief empfindet.

Nita ungeduldig. Aber, beſter Alfred, was kannſt Du denn noch mehr für ihn thun?

Allmers. Ich will verſuchen, Klarheit zu bringen in all die reichen Möglichkeiten, die in ſeiner Kinderſeele dämmern. Was er nur an edlen Keimen in ſich trägt, das will ich zum Wachstum bringen, es ſoll Blüten treiben und Früchte tragen. Immer wärmer, aufſtehend. Und noch mehr will ich thun! Ich will ihn dabei unterſtützen, ſeine Wünſche in Einklang zu bringen mit dem, was erreichbar vor ihm liegt. Denn ſo weit iſt er jetzt noch nicht. Sein ganzes Dichten und Trachten iſt

auf das gerichtet, was ſein Leben lang für ihn unerreichbar fein wird. Ich aber will Glücksgefühl in ihm erwecken. Er geht einige Male auf und ab. Aſta und Rita folgen ihm mit den Blicken. Rita. Du ſollteſt dieſe Dinge mit mehr Ruhe behandeln. Allmers bleibt am Tiſche links ſtehen und ſieht die beiden an. Eyolf foll mein Lebenswerk wieder aufnehmen. Wenn er will, heißt das. Oder er ſoll etwas wählen dürfen, was ganz und gar

aus ihm kommt. Das wäre vielleicht das Beſte. Jedenfalls aber laſſe ich mein Werk liegen. Nita erhebt ſich. Aber, Schatz, kannſt Du denn nicht für

Eyolf und für Dich ſelbſt arbeiten?

Allmers. Nein, das kann ich nicht. Unmöglich! Ich kann mich nicht teilen. Und darum weiche ich. Eyolf, der ſoll die Krone unſerer Familie werden. Und ihn dazu zu machen, das eben ſoll meine neue Lebensaufgabe ſein.

Aſta iſt aufgeſtanden und geht zu ihm hin. Das hat Dich einen furchtbar ſchweren Kampf gekoſtet, Alfred!

Allmers. Allerdings. Hier zu Hauſe hätt' ich nie den Sieg über mich ſelbſt gewonnen, mich nie zur Entſagung durchgerungen. Hier nicht!

Rita. Darum alſo biſt Du dieſen Sommer fortgegangen?

Allmers mit leuchtenden Augen. Ja! Und ſo kam ich hinauf in die unendliche Einſamkeit. Sah die aufgehende Sonne über die Gipfel leuchten. Fühlte den Sternen mich näher. Als ob wir uns verſtünden und Kameraden wären. Da vermochte ich's.

Aſta ſieyt ihn ſchwermütig an. Und an dem Buch über „die menſchliche Verantwortung“ wirſt Du nun nie mehr ſchreiben?

Allmers. Nie mehr, Aſta. Ich ſag' Euch ja, zwiſchen zwei Aufgaben kann ich mich nicht zerſplittern. Aber die menſchliche Verantwortung, die werd' ich erfüllen in meinem Daſein.

Rita mit einem Lächeln. Glaubſt Du thatſächlich, daß Du hier zu Hauſe ſo großartige Vorſätze wirſt durchführen können?

Allmers ergreift ihre Hand. Mit Dir im Bunde kann ich es. Streckt die andere Hand aus. Und im Bunde mit Dir, Aſta.

Rita zieht ihre Hand zurück. Mit zweien alſo. Du kannſt Dich alſo doch teilen.

Allmers. Aber, liebſte Rita —!

Rita läßt ihn ſtehen und ſtellt ſich unter die Gartenthür. Es klopft leicht und ſchnell an der Thür rechts. Ingenieur Borgheim tritt raſch ein. Er iſt ein junger Mann von etwa dreißig Jahren. Friſches, fröhliches Ausſehen. Grade Haltung.

Borgheim. Gut'n Morgen, gut'n Morgen, gnädige Frau! Erblickt Allmers und blelbt freudig überraſcht ſtehen. Ei, was ſeh' ich! Schon wieder da, Herr Allmers? N

Allmers ſchüttelt ihm die Hand. Ich bin heut Nacht angekommen.

Nita heiter. Er hatte nicht länger Urlaub, Herr Borgheim.

Allmers. Aber das iſt ja gar nicht wahr, Rita

Rita nähert ſich. Doch iſt es wahr. Sein Urlaub war ab— gelaufen.

Borgheim. Ei ei, jo feſt halten Sie Ihren Mann im Zaum, gnädige Frau?

Kita. Ich beſtehe auf meinen Rechten. Und ſchließlich muß doch alles ein Ende haben.

Borgheim. Ach, alles denn doch nicht, hoff' ich. Guten Morgen, Fräulein Allmers!

Aſta zurückhaltend. Guten Morgen.

Kita blickt Borgheim an. Nicht alles, jagen Sie?

Borgheim. Nun, ich bin feſt überzeugt, daß es in dieſer Welt jedenfalls etwas giebt, das kein Ende nimmt.

Rita. Jetzt denken Sie gewiß an die Liebe und der— gleichen.

Dorgheim mit Wärme. Ich denke an alles Liebe und Schöne.

Rita. Und was nie ein Ende nimmt. Schön, denken wir daran. Erhoffen wir's, wir alle hier.

Bea. >

Allmers tritt zu ihnen hin. Sie ſind wohl bald fertig mit dem Straßenbau in unſerer Gegend?

Borgheim. Ich bin ſchon fertig. Wurde geſtern fertig. Lang genug hat's gedauert. Aber, Gott ſei Dank, das nahm doch wenigſtens ein Ende.

Rita. Und darüber ſind Sie ſo furchtbar vergnügt?

Borgheim. Ja natürlich!

Rita. Nun, da muß ich geſtehen

Borgheim. Was, gnädige Frau?

Rita. Schön iſt das gerade nicht von Ihnen, Herr Borgheim.

Borgheim. So? Und warum nicht?

Rita. Gar jo oft werden Sie doch wohl nicht mehr in unſere Gegend kommen.

Borgheim. Da haben Sie recht. Daran dacht' ich nicht.

Nita. Na, dann und wann werden Sie uns doch noch mal beſuchen.

Borgheim. Leider wird mir das nun auf lange Zeit un- möglich ſein.

Allmers. So? Und warum denn?

Borgheim. Ich habe nämlich eine neue, große Arbeit über— nommen, an die ich gleich heran muß.

Allmers. So, wirklich? Drückt ihm die Hand. mich von Herzen.

Rita. Gratuliere, gratuliere, Herr Borgheim!

Zorgheim. Bit, pſt ich dürfte eigentlich noch nicht laut davon reden! Aber ich kann's nicht auf dem Herzen behalten. Es iſt ein ſchwieriger Straßenbau oben im Norden. Mit Gebirgsübergängen —, und die unglaublichſten Hinderniſſe ſind zu überwinden! Erregt. O du große, ſchöne Welt, und das Glück, Wegebauer zu ſein!

Nita lächelt und ſieht ihn neckiſch an. Iſt nur dieſe Arbeit daran

D

as freut

Ag

ſchuld, daß Sie heute fo ganz außer Rand und Band zu uns kommen?

Borgheim. Nicht ſie allein. Auch die glänzenden und viel— verſprechenden Ausſichten, die ſich mir aufthun.

Rita wie oben. Aha, dahinter ſteckt am Ende noch was viel Schöneres!

Borgheim blickt Aſta verſtohlen an. Wer weiß! Wenn das Glück erſt mal kommt, dann pflegt es zu kommen wie eine Frühlings— flut. Wendet ſich an Aſta. Fräulein Allmers, wollen wir beide nicht einen kleinen Spaziergang machen? Wie gewöhnlich?

Aſta ſchneu. Ich danke. Jetzt nicht. Heut nicht.

Borgheim. So kommen Sie doch! Nur einen ganz kleinen Spaziergang! Mir iſt, als hätt' ich Ihnen noch vieles zu ſagen, ehe ich reiſe.

Rita. Vielleicht etwas, wovon Sie noch nicht laut reden dürfen?

Borgheim. Hm, es kommt drauf an

Rika. Nun, Sie können ja auch flüſtern. Salblaut. Aſta, ſo geh doch mit.

Aſta. Aber liebe Rita

Borgheim bittend. Fräulein Aſta, bedenken Sie, daß dies vielleicht der letzte Spaziergang iſt auf lange, lange Zeit. Aſta nimmt Hut und Sonnenſchirm. Alſo ſchön, gehen wir

ein bißchen im Garten herum.

Boraheim. Wie bin ich Ihnen dankbar!

Allmers. Und gieb zugleich ein wenig auf Eyolf acht.

Borgheim. Eyolf, ja, richtig! Wo ſteckt denn Eyolf heut? Ich hab' ihm was mitgebracht.

Allmers. Er ſpielt irgendwo da unten.

Borgheim. Wahrhaftig? Zu ſpielen hat er jetzt angefangen? Sonſt hat er immer in der Stube gehockt und gelernt.

Allmers. Damit iſt's vorbei. Ein richtiger Freiluftjunge ſoll er werden.

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Borgheim. So iſt's recht! Hinaus in die freie Natur mit dem armen Kerl! Herrgott, was Geſcheiteres kann einer doch nicht treiben in dieſer ſchönen Welt als ſpielen. Mir kommt das ganze Leben vor wie ein Spiel! Vorwärts, Fräulein Aſta!

Borgheim und Aſta gehen über die Veranda in den Garten hinunter.

Allmers ihnen nachblickend. Du, Rita, meinſt Du nicht, daß zwiſchen den beiden etwas los iſt?

Rita. Ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll. Früher glaubt' ich es. Aber Aſta wird mir ſeit einiger Zeit immer rätſelhafter, immer unbegreiflicher.

Allmers. So? Wirklich? Während meiner Abweſenheit?

Rita. Jawohl, in den letzten Wochen.

Allmers. Und Du glaubſt, ſie mag ihn jetzt nicht mehr?

Rita. Ernſtlich, nein. Nicht ganz und ungeteilt nicht rückhaltlos. Ich glaube, nein. Blickt ihn forſchend an. Es wäre Dir wohl unangenehm, wenn ſie ihn möchte.

Allmers. Unangenehm gerade nicht. Allerdings würde der Gedanke mich ängſtigen

Vila. Angſtigen?

Allmers. Bedenke doch, daß ich verantwortlich bin für Aſta und für ihr Lebensglück.

Rita. Ach was verantwortlich! Aſta iſt doch erwachſen. Die weiß ſchon ſelbſt zu wählen, ſollt' ich meinen.

Allmers. Hoffen wir es wenigſtens, Rita.

Rita. Ich für mein Teil finde Borgheim gar nicht übel.

Allmers. Aber, Kind, ich ja auch nicht. Im Gegen- teil. Dennoch

Rita fortfahrend. Und recht gern würde ich es ſehen, wenn aus den beiden ein Paar würde.

Allmers mißvergnügt. Warum denn nur?

Rita in wachſender Erregung. Nun, weil ſie dann weit weg

müßte mit ihm! Und weil ſie dann nicht mehr ſo oft zu uns känie, wie jetzt!

Allmers ſtarrt fie verwundert an Was! Du möchteſt Aſta los ſein?

Rita. Ja, Alfred, ja!

Allmers. Aber warum in aller Welt —?

Nita ſchlingt die Arme leidenſchaftlich um ſeinen Hals. Weil ich Dich dann endlich für mich allein hätte! Aber nein, auch dann noch nicht! Nicht ganz für mich! Bricht in krampfhaftes Weinen aus. Ach, Alfred, Alfred, ich kann von Dir nicht laſſen.

Allmers macht ſich ſanft von ihr los. Aber beſte Rita, ſo ſei doch vernünftig!

Rita. Ach, was mach' ich mir daraus, ob ich vernünftig bin! Nur aus Dir mach' ich mir etwas! Aus Dir einzig und allein! Wirft ſich wieder an feine Brut. Aus Dir, aus Dir, aus Dir!

Allmers. So laß doch, Du erwürgſt mich ja —!

Nita läßt ihn los. Ach könnt' ich's nur! Sieht ihn mit funkelnden Augen an. O wüßteſt Du bloß, wie ich Dich gehaßt habe —!

Allmers. Gehaßt —!

Rita. Jawohl, wenn Du da in Deinem Zimmer geſeſſen und über Deiner Arbeit gebrütet haſt. Tief tief in die Nacht hinein. Klagend. So lange, ſo ſpät noch, Alfred. O wie ich Deine Arbeit da gehaßt habe!

Allmers. Das hört ja doch nun auf.

Rita lacht ſchneidend auf. Ja freilich! Jetzt biſt Du ja von etwas noch Argerem in Anſpruch genommen.

Allmers empört. Argerem? Sprichſt Du von unſerem Kinde?

Rita heftig. Allerdings. In ſeinem Verhältnis zu uns nenn’ ich es jo. Denn das Kind, das Kind, das iſt ja noch oben- drein ein lebendiges Weſen. Mit wachsender Leidenſchaft. Aber ich duld' es nicht, Alfred! Ich duld' es nicht das ſag' ich Dir!

u; Date

Allmers ſieht fie feſt an und ſagt leiſe: Manchmal, Nita, fürcht' ich mich faſt vor Dir.

Rita ſinſter. Ich fürcht' mich vor mir ſelber. Und gerade darum ſollſt Du das Böſe in mir nicht aufwecken.

Allmers. Aber um Gottes willen, thu' ich denn das? Rika. Ja, das thuſt Du, wenn Du das Heiligſte

zwiſchen uns zerreißt.

Allmers eindringlich. Aber jo bedenke doch, Rita. Es iſt Dein eigen Kind, unſer einziges Kind, um das es ſich hier handelt.

Rita. Das Kind gehört mir nur zur Hälfte. Wieder leiden— ſchaftlch. Du aber ſollſt ganz mir gehören. Ausſchließlich mir! Mit Fug und Recht fordre ich das von Dir!

Allmers mit einem Achſelzucken. Ach, liebe Rita, fordern, das nützt ja doch nichts. Alles muß aus freien Stücken ge— geben werden.

Rita ſieht ihn geſpannt an. Und das kannſt Du wohl fortan nicht mehr?

Allmers. Nein, ich kann's nicht mehr. Du und Evolf, Ihr müßt Euch in mich teilen.

Rita. Wenn nun aber Eyolf niemals geboren wäre? Was dann?

Allmers ausweichend. Ja, das wäre was anderes. Dann hätt' ich ja nur Dich.

Nita leiſe, mit bebender Stimme. Dann wünſcht' ich, ich hätte ihn nie geboren.

Allmers fährt auf. Rita! Du weißt ſelbſt nicht, was Du da ſprichſt.

Nita vor Gemütserregung zitternd. Ich bracht' ihn zur Welt unter den unſäglichſten Qualen. Doch alles ertrug ich mit Jubel und Wonne um Deinetwillen.

Allmers mit Wärme. Gewiß, gewiß, das weiß ich wohl.

**

Rita entſchloſſen. Dabei aber muß es ſein Bewenden haben. Mein Leben will ich leben. Zuſammen mit Dir. Ganz mit Dir. Ich kann hier nicht immer nur Eyolfs Mutter ſein nur das und nichts anderes. Ich will nicht, ſag' ich! Ich kann's nicht! Nur Dein will ich ſein! Nur Dein, Alfred!

Allmers. Aber, Rita, das biſt Du ja. Durch unſer Kind

Rita. Ach, abgeſchmackte Phraſen das! Nichts weiter. Nein, Du, zu ſo was bin ich nicht geſchaffen. Mutter werden konnt' ich allerdings. Aber Mutter ſein, dazu tauge ich nun einmal nicht. Du mußt mich nehmen, wie ich bin, Alfred.

Allmers. Und doch haſt Du früher Eyolf ſo innig lieb gehabt.

Rita. Es that mir jo leid um ihn. Denn für Dich war er ſo gut wie Luft. Er ſollte nur immer lernen und büffeln. Sahſt ihn ja kaum einmal an.

Allmers nickt langſam. Gewiß ich war blind. Die Zeit war noch nicht gekommen

Rita ſieht ihn an. Nun aber iſt fie gekommen?

Allmers. Ja, endlich. Jetzt ſeh' ich ein, daß ich auf Erden keine höhere Aufgabe habe, als Eyolf wahrhaft ein Vater zu ſein.

Rita. Und mir? Was wirſt Du mir ſein?

Allmers ſauft. Dir werd' ich immer zugethan bleiben in ſtiller Innigkeit. Will ihre Hände ergreifen.

Kita weicht ihm aus. Aus Deiner ſtillen Innigkeit mach' ich mir nichts! Ich will Dich ganz und gar beſitzen! Für mich allein! So wie ich Dich beſeſſen habe in der erſten, wunder— ſchönen, entzückenden Zeit. Heftig und hart. Nie und nimmer lafj’ ich mich mit Reſten und Überbleibſeln abſpeiſen, Alfred!

Allmers ſanftmütig. Mich dünkt, Rita, hier gäb' es reichlich Glück für uns alle drei.

Rita höhniſch. Dann biſt Du genügſam. Set ſich an den Tiſc links. Jetzt hör' mich an.

Allmers nähert ſich. Was willſt Du?

Rita ſieht mit mattglänzenden Augen zu ihm auf. Als ich geitern Abend Dein Telegramm erhielt

Allmers. Nun, und

Rita. da kleidete ich mich in Weiß

Allmers. Ich hab' es wohl geſehen, daß Du bei meiner Ankunft ein weißes Kleid trugſt.

Rita. Das Haar hatt' ich aufgelöſt

Allmers. Dein üppiges, duftendes Haar

Rita. daß es hinabfloß über Nacken und Rücken

Allmers. Ich ſah's. Ich ſah's. O, wie warſt Du reizend Rita!

Nita. Über beiden Lampen waren roſenrote Schirme. Und wir waren allein, wir zwei. Sonſt niemand wach im ganzen Haus. Und Champagner ſtand auf dem Tiſche.

Allmers. Ich trank nicht davon.

Rita blickt ihn mit Vitterkeit an. Nein, das iſt wahr! Lacht Herb auf. „Du hatteſt Champagner und ließeſt ihn ſtehn,“ wie's im Liede heißt. Sie ſteht vom Lehnſtuhl auf und geht, als ob ſie müde wäre, zum Sofa hin, auf dem ſie ſich in halb liegender Stellung niederläßt.

Allmers geht durchs Zimmer und bleibt vor ihr ſtehen. Ich war ſo erfüllt von ernſten Gedanken. Ich hatte mir vorgenommen, von unſerem künftigen Leben mit Dir zu reden, Rita. Und vor allem von Cyolf. g

Kita lächelt. Das haſt Du ja auch gethan, beſter Alfred

Allmers. Nein, ich kam nicht dazu. Denn Du begannſt Dich zu entkleiden.

Rita. Jawohl, und derweilen ſprachſt Du von Eyolf. Be— ſinne Dich doch! Du fragteſt, wie's mit klein Eyolfs Magen ſtünde.

Allmers ſieht fie vorwurfsvoll an. Rita —!

Rita. Und dann gingſt Du zu Bett. Und ſchliefſt ganz ausgezeichnet.

Allmers ſchüttelt den Kopf. Rita, Rita!

Nita legt ſich ganz aufs Sofa und blickt zu ihm auf.

Allmers. Ja?

Nita. „Du hatteſt Champagner und ließeſt ihn ſtehn.“

Allmers faſt schroff. Nun ja, ich ließ ihn ſtehn.

a 2

Du, Alfred?

7

Er geht von ihr weg und ſtellt ſich unter die Gartenthür. Rita liegt eine Weile mit geſchloſſenen Augen regungslos da.

Rita ſpringt plößlich auf. Aber eins will ich Dir ſagen, Alfred!

Allmers wendet ſich um. Nun?

Rita. Du ſollteſt Dich nicht fo ſicher fühlen!

Allmers. Nicht ſo ſicher?

Rita. Nein, Du ſollteſt nicht gar ſo ſorglos nicht meiner gar ſo ſicher ſein!

Allmers nähert fh. Was meinſt Du damit?

Rita mit bebenden Lippen. Niemals bin ich Dir auch nur in meinen Gedanken untreu geweſen, Alfred! Auch nicht eine Sekunde.

Allmers. Aber, Rita, das weiß ich ja! Ich kenne doch meine Rita.

Nita mit glühenden Blicken. Aber verſchmähſt Du mich

Allmers. Verſchmähen —! Ich begreife nicht, wo Du hinaus willſt!

Rita. O, Du weißt nicht, was alles in mir wach werden könnte, wenn

Allmers. Wenn?

Rita. Wenn ich jemals merken ſollte, daß ich Dir gleich— gültig bin, daß Du mich nicht mehr ſo lieb hätteſt, wie früher.

Allmers. Aber, geliebte Rita des Menſchen Wandlung mit den Jahren, die muß ja doch in unſerm Zuſammen—

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leben auch einmal eintreten. Bei uns wie bei den andern Menſchen.

Rita. Bei mir niemals! Und auch bei Dir laſſ' ich eine Wandlung nicht gelten. Ich könnt' es nicht ertragen, Alfred. Ich will Dich für mich allein behalten.

Allmers siegt ſie betümmert an. Du biſt von einer fürchterlichen Eiferſucht

Rita. Ich kann mich nun einmal nicht umſchaffen. Drohend. Sollt' ich Dich mit einem andern teilen müſſen

Allmers. Was dann —?

Rita. Dann räch' ich mich an Dir, Alfred!

Allmers. Und womit fünntejt Du Dich rächen?

Rita. Das weiß ich nicht. O doch, ich weiß es!

Allmers. Nun?

Rila. Ich gehe hin und werfe mich weg.

Allmers. Du wirfſt Dich weg, ſagſt Du?

Rita. Jawohl, das thu' ich. Ich werfe mich dem erſten beſten an den Hals.

Allmers blickt ſie mit Wärme an und ſchüttelt den Kopf. Das thuſt Du nie, meine ehrliche, ſtolze, treue Rita.

Nita ſchlingt die Arme um ſeinen Hals Ach, Du weißt nicht, weſſen ich fähig wäre, wenn Du wenn Du nichts mehr von mir wiſſen wollteſt.

Allmers. Nichts mehr von Dir wiſſen wollte, Rita? Wie kannſt Du nur jo etwas jagen!

Rita halb lachend, indem fie ihn losläßt. Ich könnte ja mein Garn auslegen nach dieſem Ingenieur, der bei uns aus- und eingeht.

Allmers erleichtert. Gott ſei Dank, Du ſcherzt alſo nur.

Rita. Keine Idee. Warum nicht ebenſo gut nach ihm wie nach jedem andern?

Allmers. Weil er gewiß ſchon ſo gut wie gebunden iſt.

Rita. Um fo beſſer! Dann nähm' ich ihn ja einer andern weg. Hat doch Eyolf genau dasſelbe mir angethan.

Allmers. Das hätte unſer kleiner Eyolf gethan?

Nita mit ausgeſtrecktem Zeigefinger. Siehſt Du! Siehſt Du wohl! Sobald Du nur Eyolfs Namen nennſt, gleich wirſt D weich, und Deine Stimme bebt! Vall drohend die Hände. O, faſt wär' ich verſucht zu wünſchen —! Doch genug.

Allmers blict fie ängstlich an. Was könnteſt Du wünſchen, Rita —!

Nita heftig, indem ſie von ihm weggeht. Nein, nein, nein das ſag' ich nicht! Niemals!

Allmers nähert ſich ihr. Rita! Ich flehe Dich an, um Deinet- und um meinetwillen, laſſ' Dich zu nichts Böſem verleiten.

Borgheim und Aſta kommen vom Garten herauf. Beide ſind innerlich erregt, doch ſie beherrſchen ſich. Sie ſehen ernſt und verſtimmt aus. Aſta bleibt auf der Veranda ſtehen. Borgheim tritt ins Zimmer.

Borgheim. So. Nun haben wir unſern letzten Spazier— gang gemacht, Fräulein Allmers und ich.

Nita ſtutzt und ſieht ihn an. Ah! Und auf den Spazier— gang folgt keine längere Reiſe?

Borgheim. O doch, für mich.

Nita. Für Sie allein?

Borgheim. Für mich allein.

Nita wirft Allmers einen finſteren Blick zu. Hörſt Du's, Alfred? Wendet ſich zu Vorgheim. Ich möchte wetten, Ihnen hat hier der böſe Blick einen Streich geſpielt.

Borgheim ſieht ſie an. Der böſe Blick?

Rita nickt. Jawohl, der böſe Blick.

Borgheim. Glauben Sie an den böſen Blick, Frau Allmers?

Rita. Ich habe unlängſt angefangen, daran zu glauben. Beſonders an den böſen Kinderblick.

Ibſen, Klein Cyolf. 3

3

Allmers flüſtert ihr empört zu: Rita, wie kannſt Du —! Rita balblaut. Du ſelber machſt mich ſchlecht und garjtig, Alfred.

Fern vom Strande her hört man ein Durcheinander rufender und ſchreiender Stimmen.

Borgheim geht zur Glasthür. Was iſt das für ein Lärm —?

Aſta in der Thür. Seht nur die vielen Menſchen, die zur Landungsbrücke ſtürzen!

Allmers. Was kann da ſein? Sieht einen Augenblick hinaus. Wahrſcheinlich treiben die Gaſſenjungen wieder ihren Unfug.

Borgheim über das Geländer Hinausrufend. Heda, Jungens, was iſt denn los?

Man hört mehrere Stimmen unverſtändlich durcheinander antworten.

Nita. Was jagen ſie?

Borgheim. Sie ſagen, ein Kind ſei ertrunken.

Allmers. Ein Kind ertrunken?

Aſta unruhig. Ein kleiner Junge, ſagen ſie.

Allmers. Ach, die können ja alle ſchwimmen.

Rita mit einem Angſtſchrei. Wo iſt Eyolf?

Allmers. Nur ruhig. Ruhig. Eyolf, der ſpielt doch im Garten.

Aſta. Nein, im Garten war er nicht

Rita mit aufgehobenen Armen. O, wenn er's nur nicht iſt!

Borgheim yorcht und ruft hinunter. Sagt mal, weſſen Kind iſt es?

Man hört undeutliche Stimmen. Borgheim und Aſta ſtoßen einen unterdrückten Schrei aus und eilen in den Garten hinunter.

Allmers in Seelenangſt. Cyolf iſt's nicht! Eyolf iſt's nicht, Rita!

Rila auf der Veranda, borchend. Pit! Sei ſtill! Ich muß hören, was ſie ſagen!

Rita flüchtet mit einem gellenden Schrei in die Stube zurück.

Allmers ihr nach. Was haben ſie gejagt ?

An Me

Rita ſintt am Lehnſtuhl lints nieder. Sie ſagten: Da ſchwimmt die Krücke!

Allmers faſt gelähmt. Nein! Nein! Nein!

Nita mit heiſerer Stimme. Eyolf! Eyolf! O, ſie müſſen ihn doch retten!

Allmers hate wahnſinnig. Etwas anderes iſt undenkbar! So ein teures Leben! So ein teures Leben!

Er eilt in den Garten hinunter.

Sweiter Akt.

Ein kleiner enger Thalgrund in Allmers' Wald am Strande. Links große, alte Bäume mit Aſten, die weithin über den Platz ausladen. Im Hintergrund rauſcht, den Hügel herunter, ein Bach, der ſich zwiſchen den Steinen am Waldſaum verliert. Am Bach entlang ſchlängelt ſich ein Fußpfad. Rechts nur vereinzelte Bäume, zwiſchen denen der Fjord ſichtbar wird. Im Vordergrund erblickt man die Ecke eines Bootſchuppens mit einem ans Land gezogenen Boot. Unter den alten Bäumen links ſteht ein Tiſch mit einer Bank und ein paar Stühlen, alles aus dünnen Birkenſtämmen gezimmert. Es iſt ein düſterer, regneriſcher Tag. Nebelwolken treiben.

Alfred Allmers, in demſelben Anzug wie zuvor, ſitzt auf der Bank und ſtützt die Ellenbogen auf den Tiſch. Sein Hut liegt vor ihm. Er ſtarrt regungslos und geiſtesabweſend über das Waſſer hin.

Nach einer Weile kommt Aſta den Fußpfad herab. Sie hat ihren Regenſchirm aufgeſpannt.

Aſta tritt leiſe und behutſam an ihn heran. Du ſollteſt bei dem trüben Wetter nicht hier unten ſitzen, Alfred.

Allmers nickt langſam und ſchweigt.

Aſta macht den Regenſchirm zu. Ich bin lange nach Dir herum— gelaufen.

Allmers ausdruckslos. Ich danke Dir.

Aſta rückt einen Stuhl heran und ſetzt ſich neben ihn. Sitzt Du ſchon lange hier? Immerzu?

Allmers antwortet nicht. Nach einer Weile ſagt er: Ich kann's nicht faſſen. Es ſcheint mir rein unmöglich dies alles.

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Aſta legt teilnahmsvoll die Hand auf feinen Arm. Armer Alfred.

Allmers ſtarrt ſie an. Iſt's denn auch wirklich wahr, Aſta? Oder bin ich verrückt? Oder träum' ich nur? Ach, wenn's nur ein Traum wäre! Denk' mal, wie ſchön, wenn ich jetzt erwachte!

Aſta. Ach, wollte Gott, ich könnte Dich nur wecken.

Allmers blict auf das Waſſer hinaus. Wie unbarmherzig der Fjord heute ausſieht. Wie er ſchwer und ſchläfrig daliegt bleigrau mit gelben Lichtern und die Regenwolken ſpiegelt.

Aſta ſtehentlich. Aber, Alfred, ſtarre doch nicht ewig aufs Waſſer hin!

Allmers ohne auf ſie zu achten. So iſt's auf der Oberfläche,

ja. Aber in der Tiefe da geht der jähe Unterſtrom Aſta ängſtlich. Ach, um Gotteswillen, denk' nicht an die Tiefe!

Allmers blickt fie ſanft an. Du meinſt wohl, er liegt gleich hier draußen? Ach nein, liebe Aſta. Glaube das nicht. Be— denke nur, wie reißend die Strömung hier nach außen geht. Gerade ins Meer.

Aſta drückt die Hände vors Geſicht und wirft ſich ſchluchzend über den Tiſch. O Gott, o Gott!

Allmers ſchwermütig. Darum iſt klein Eyolf ſo weit weit von uns andern entfernt.

Aſta blickt bittend zu ihm auf. Aber, Alfred, ſag' ſo etwas

nicht! Allmers. Du kannſt es Dir ſelbſt ausrechnen. Biſt doch ſonſt fo tüchtig. In achtundzwanzig neunundzwanzia

Stunden. Wart' mal ! Wart' mal!

Alta ſchreit auf und hält ſich die Ohren zu. Alfred —!

Allmers preßt die Hand feſt an den Tiſch. Doch ſag', verſtehſt Du den Sinn von ſo etwas?

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Aſta blickt: in an. Den Sinn wovon?

Allmers. Von dem, was mir und Rita widerfahren iſt?

Aſta. Den Sinn?

Allmers ungeduldig. Jawohl. Denn einen Sinn muß es doch haben. Das Leben, das Daſein, das Schickſal, das kann doch nicht alles ganz ſinnlos ſein.

Aſta. Ach, wer weiß darüber Sicheres und Gewiſſes zu ſagen, lieber Alfred?

Allmers lacht bitter auf. Allerdings da haſt Du weiß Gott recht. Am Ende geht alles aufs Geratewohl —, ſich ſelbſt über— laſſen, wie ein treibendes ſteuerloſes Schiffswrack. Das iſt ſchon möglich. Wenigſtens hat's den Anſchein.

Aſta gedankenvoll. Wenn es nun bloß den Anſchein hätte —?

Allmers heftig. So? Kannſt Du mir vielleicht die Sache entwirren? Ich kann's nicht. Sanfter. Da ſteht Eyolf eben im Begriff, einzutreten in die Bewußtheit des Lebens. Un— endlich viele Möglichkeiten ruhen in ihm. Reiche Möglichkeiten vielleicht. Er ſoll mein Daſein mit Stolz und Freude füllen. Und da braucht nur ein verrücktes, altes Weibsbild daher: zukommen und einen Hund in einem Beutel vorzuzeigen

Aſta. Aber man weiß ja gar nicht, wie's eigentlich zu— gegangen iſt.

Allmers. Freilich weiß man's. Die Jungen ſahen ſie doch auf den Fjord hinausrudern. Sie ſahen Eyolf, wie er allein daſtand, am äußerſten Ende der Landungsbrücke. Sahen, daß er ihr nachſtarrte und wie von einem Schwindel erfaßt wurde. Erbebend. Und da ſtürzte er vorn über und verſchwand.

Aſta. Mag ſein. Aber trotzdem

Allmers. Sie hat ihn in die Tiefe gezogen. Verlaß Dich drauf.

Aſta. Aber, Lieber, warum ſollte ſie das?

Allmers. Ja, ſiehſt Du, da liegt's! Warum ſollte fie —? Eine Vergeltung ſteckt nicht dahinter. Nichts, was Sühne forderte, mein’ ich. Eyolf hat ihr nie etwas Böſes

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gethan Nie hat er ihr nachgerufen. Nie mit Steinen nach dem Hund geworfen. Er hatte ſie und ihren Hund ja bis geſtern mit keinem Auge geſehen. Alſo keine Vergeltung. Das Ganze ſo grundlos ſo ganz ſinnlos, Aſta. Und doch will die Weltordnung das ſo haben.

Aſta. Haſt Du darüber mit Rita geſprochen?

Allmers ſchüttelt den Kopf. Mir iſt, als könnte ich von fo etwas beſſer mit Dir ſprechen. Atmet ſchwer. Und über alles andere auch.

Aſta zieht Nähzeug und ein kleines Packet aus der Taſche. Allmers ſieht geiſtes— abweſend zu.

Allmers. Was haſt Du da, Aſta?

Alla nimmt feinen Fut. Ein Stückchen ſchwarzen Flor.

Allmers. Ach, was ſoll das?

Aſta. Rita hat mich darum gebeten. Darf ich?

Allmers. Na, meinetwegen.

Ste näht den Trauerflor um feinen Hut.

Allmers ihr zuſehend. Wo iſt Rita?

Aſta Sie geht ein bißchen im Garten ſpazieren, glaub' ich. Borgheim iſt bei ihr.

Allmers ein wenig verwundert. So? Iſt Borgheim auch heute da?

Aſta. Jawohl. Er iſt mit dem Mittagszug gekommen.

Allmers. Das hätt' ich nicht gedacht.

Aſta näßend. Er hatte Eyolf doch fo Lieb.

Allmers. Borgheim iſt eine treue Seele, Aſta.

Aſta mit ruhiger Wärme. Der iſt freilich treu. Ganz gewiß.

Allmers blict fie an. Du biſt ihm im Grunde gut.

Aſta. Ja, das bin ich.

Allmers. Und doch kannſt Du Dich nicht entſchließen —?

Aſta unterbricht ihn. Ach, beſter Alfred, ſprich nicht da von!

Allmers. Doch, doch, ſage mir bloß, warum Du nicht kannſt

do:

Aſta. Ach nein! Ich flehe Dich an frag' mich nicht. Denn ſieh mal, das iſt mir ſo peinlich. So. Jetzt iſt der Hut fertig.

Allmers. Danke.

Aſta. Nun den linken Arm

Allmers. Soll der auch einen Flor haben?

Aſta. Ja, das gehört ſich ſo.

Allmers. Na, wie Du willſt.

Sie rückt näher heran und beginnt zu nähen.

Aſta. Du mußt den Arm ruhig halten. Sonſt ſtech' ich Dich.

Allmers. mit einem halben Lächeln. Ganz wie in den alten Tagen.

Aſta. Ja, nicht wahr?

Allmers. Schon als kleines Mädchen ſaßt Du immer da und brachteſt mir meine Sachen in Ordnung.

Aſta. So gut ich konnte.

Allmers. Das erſte, was Du für mich genäht haſt, das war auch ein ſchwarzer Flor.

Aſta. So? Allmers. Um die Studentenmütze. Als uns der Vater ſtarb. Aſta. So, wirklich? Das weiß ich gar nicht mehr.

Allmers. Natürlich Du warſt ja noch ſo klein damals.

Aſta. Ja, da war ich noch klein.

Allmers. Und dann, zwei Jahre drauf, als wir Deine Mutter verloren da haſt Du mir auch einen großen Flor um den Armel genäht.

Aſta. Ich dachte, das gehört ſich ſo.

Allmers ſtreichelt ihr die Hand. Freilich gehörte ſich's jo, Aſta. Und als wir dann allein in der Welt ſtanden, wir beide —. Biſt Du ſchon fertig?

Aſta. II Legt das Nähzeug zuſammen. Es war doch eigentlich eine wunderſchöne Zeit, Alfred. Als wir zwei allein waren.

Bei

Allmers. Gewiß. So hart wir uns auch plagen mußten.

Aſta. Du haſt Dich geplagt.

Allmers lebhafter. O bewahre, Du auch auf Deine Art, lächelnd Du mein lieber, treuer Eyolf.

Aſta. Geh' doch erinnere mich nicht an die Kindereien mit dem Namen.

Allmers. Wärſt Du ein Junge geworden, dann hätteſt Du ja doch Eyolf heißen ſollen.

Alla. Ja, wenn —. Als Du aber Student wurdeſt lächelt unwillkürlich daß Du bloß ſo kindiſch ſein konnteſt —!

Allmers. Kindiſch? War ich kindiſch!

Aſta. Jawohl wenigſtens kommt es mir jetzt ſo vor, wenn ich daran zurückdenke. Schämteſt Du Dich doch, daß Du keinen Bruder nur eine Schweſter hatteſt. |

Allmers. Ach nein, das warſt Du. Du ſchämteſt Dich.

Aſta. Na ja, ich vielleicht auch ein bißchen. Und da that es mir ſo leid um Dich

Allmers. Das kann ich mir denken. Und ſo kramteſt Du denn meine abgelegten Knabenanzüge hervor

Aſta. Richtig! Den Sonntagsſtaat. Entſinnſt Du Dich noch der blauen Bluſe und der Kniehoſen?

Allmers läßt den Blick auf ihr ruhen. Wie deutlich ſeh' ich Dich vor mir, wenn Du fie anhatteſt und damit herumſpazierteſt.

Aſta. Aber doch nur, wenn wir allein zu Hauſe waren.

Allmers. Und wie ernſt und wichtig wir da thaten weißt Du noch? Und ich nannte Dich nur Evolf.

Aſta. Das haſt Du doch hoffentlich Rita nicht erzählt, Alfred?

Allmers. Doch, ich glaub', ich habe es ihr einmal erzählt.

Aſta. Aber, Alfred, wie konnteſt Du nur!

Allmers. Sieh mal, man erzählt doch ſeiner Frau alles oder doch ſo gut wie alles.

5

Aſta. Mag wohl ſein.

Allmers, als ob er erwache, greift ſich an die Stirn und ſpringt auf. Ach, da ſitz' ich nun und

Aſta ſteht auf und ſieht ihn beſorgt an. Was iſt Dir?

Allmers. Er kam mir faſt abhanden. Ganz abhanden!

Alta. Eyolf!

Allmers. Da ſaß ich und lebte in Erinnerungen. Und er war nicht dabei.

Aſta. Doch, Alfred, klein Eyolf ſtand hinter dem allen.

Allmers. Nein, nein! Er ſchwand aus meinen Sinnen aus meinen Gedanken. Während unſeres ganzen Geſpräches ſah ich ihn nicht einen Augenblick vor mir. Er war verſunken und vergeſſen die ganze Zeit.

Aſta. Aber Du ſollſt Dich von der Trauer auch ein wenig ausruhen.

Allmers. Nein, nein, nein, das eben ſoll ich nicht! Das darf ich nicht. Dazu habe ich kein Recht. Auch bringe ich es nicht übers Herz. Gent aufgeregt nach rechts. Mein Platz iſt da draußen, wo er jetzt dahintreibt in der Tiefe nur da!

Alla ihm nach, hält ihn feſt. Alfred, Alfred! Geh nicht ans Waſſer!

Allmers. Ich muß zu ihm! Laß mich los, Aſta! Ich will ins Boot!

Aſta entiegt. Geh nicht ans Waſſer, ſag' ich!

Allmers nachgiebig. Nein, nein, ich thu's ja nicht. Laß mich nur.

Aſta führt ihn zum Tiſh. Du mußt die Gedanken ruhen laſſen, Alfred. Komm her und ſetze Dich.

Allmers win ſich auf die Bank ſetzen. Nun ja, wie Du willſt.

Aſta. Nein, da ſollſt Du Dich nicht hinſetzen.

Allmers. Ach, laß mich doch.

Aſta. Thu's nicht! Dann blickſt Du ja doch nur ewig hinaus auf —. Nötigt ihn auf einen Stuhl, deſſen Lehne nach rechts gekehrt iſt. So, da ſitzt Du gut. Setzt ſich auf die Bant. Und nun wollen wir wieder ein bißchen plaudern.

Allmers atmet hörbar. Wie das wohl gethan hat, Leid und Verluſt auf einen Augenblick zu vergeſſen.

Aſta. Das mußt Du, Alfred.

Allmers. Aber komm' ich Dir nicht entſetzlich ſchlaff und ſtumpf vor, daß ich das vermag?

Alle. O nein. Denn man kann doch unmöglich immer denſelben Gedanken umkreiſen.

Allmers. Mir wenigſtens iſt es unmöglich. Ehe Du kamſt, da wand ich mich doch unſagbar in meinem herz— zerreißenden Leide

Aſta. Nun ja?

Allmers. Und willſt Du glauben, Aſta —? Hm

Aſta. Was?

Allmers. Mitten in meinem Schmerz ertappte ich mich auf dem Gedanken, was wir heut Mittag wohl zu eſſen bekämen. Aſta veſchwichtigend. Wenn Dich das nur beruhigt, jo

Allmers. Ja, Du, es war wirklich ſo etwas wie ein Ruhepunkt. Reicht ihr die Hand über den Tiſch hinüber. Wie gut, daß ich Dich habe, Aſta. Darüber bin ich ſo froh. Froh, froh trotz meinem Leide.

Aſta blict ihn ernſt an. Du ſollſt vor allen Dingen froh ſein, daß Du Rita haſt.

Allmers. Das verſteht ſich ja doch von ſelbſt. Aber mit Rita bin ich nicht verwandt. Eine Schweſter das iſt etwas anderes.

Aſta geſpannt. Meinſt Du wirklich, Alfred?

Allmers. Jawohl, unſere Familie, die iſt etwas Beſonderes für ſich. Salb im Scherz. Immer haben bei uns die Namen

Ber. =

mit hellen Buchſtaben angefangen. Weißt Du noch, wie oft wir früher davon geſprochen? Und die Verwandten, ſie ſind arm, einer wie der andere. Und alle haben wir dieſelben Augen.

Alta. Findeſt Du, auch ich ?

Allmers. Nein, Du biſt ganz nach Deiner Mutter ge— artet. Siehſt uns andern gar nicht ähnlich. Nicht einmal dem Vater. Dennoch

Aſta. Dennoch, ſagſt Du ?

Allmers. Nun, ich glaube, das Zuſammenleben hat uns beide umgeprägt, einen nach dem Ebenbild des andern. Ich meine: geiſtig.

Aſta innig bewegt. Sage das nicht, Alfred! Ich habe mein Gepräge von Dir erhalten. Und Dir verdank' ich alles, alles Gute in der Welt.

Allmers ſchüttelt den Kopf. Du verdankſt mir nichts, Aſta. Im Gegenteil

Aſta. Alles verdank' ich Dir! Das weißt Du ganz gut. Kein Opfer iſt Dir zu ſchwer geweſen

Allmers unterbricht ſie. Ach was Opfer! Komme mir nicht mit ſo etwas! Ich hab' Dich bloß lieb gehabt, Aſta. Von Kindheit an. Nach einer kurzen Pauſe. Und dann war mir's immer, als hätt' ich viel Unrecht wieder gut zu machen.

Aſta verwundert. Unrecht! Du?

Allmers. Nicht gerade für eigene Rechnung. Aber

Aſta geſpannt. Aber ?

Allmers. Für Vaters Rechnung.

Aſta fährt von der Bank auf. Für Vaters! Set ſich wieder. Wie meinſt Du das, Alfred?

Allmers. Vater war nie recht gut gegen Dich.

Aſta Heftige. Sag' das nicht!

Allmers. Doch, es iſt ſo. Er mochte Dich nicht leiden. Nicht ſo, wie er's hätte ſollen.

Aſta ausweichend. Vielleicht nicht jo, wie Dich. Das war doch natürlich.

Allmers fortfahrend. Und auch gegen Deine Mutter war er oft hart. Wenigſtens in den letzten Jahren.

Aſta leiſe. Mutter war doch viel, viel jünger als er. Ver— giß das nicht.

Allmers. Meinſt Du, ſie hätten nicht recht zuſammen gepaßt?

Aſta. Vielleicht nicht.

Allmers. Nun wohl, aber Vater, der ſonſt ſo weich und herzensgut war ſo freundlich gegen alle Menſchen

Alta leiſe. Mutter war wohl auch nicht immer, wie fie hätte ſein ſollen.

Allmers. Deine Mutter!

Aſta. Vielleicht nicht immer.

Allmers. Vater gegenüber, meinſt Du?

Aſta. Ja.

Allmers. Davon hab' ich nie etwas bemerkt.

Aſta ſteht auf, indem ſie mit den Thränen kämpft. Ach, lieber Alfred,

laß ſie ruhen, die Toten! Geht nach rechts hinüber. Allmers ſteht auf. Jawohl laſſen wir fie ruhen. Ringt die Hände. Aber die Toten, die laſſen uns nicht ruhen,

Aſta —. Nicht bei Tag, nicht bei Nacht.

Aſta mit einem warmen Blick. Mit der Zeit wirſt Du milder denken über alles, Alfred.

Allmers siegt fie hilflos an. Ja, nicht wahr? Wie aber komm' ich über dieſe erſten ſchrecklichen Tage hinweg —? wit heiſerer Stimme. Das weiß ich nicht.

Aſta legt die Hände auf ſeine Schultern, bittend. Geh zu Rita. Ich flehe Dich an

Allmers entzieht ſich ihr heftig. Nein, nein, kein Wort da- von! Sieh, ich kann's nicht. Ruhiger. Laß mich hier bei Dir bleiben.

Ei

Aſta. Jawohl ich verlaſſe Dich nicht.

Allmers ergreift ihre Hand und hält fie feſt. Ich danke Dir! Plan eine Weile auf das Waſſer hinaus. Wo iſt mein kleiner Eyolf jetzt? Lächelt ihr ſchwermütig zu. Kannſt Du das mir jagen, mein großer, kluger Eyolf? Schüttelt den Kopf. Keiner in der ganzen Welt kann's mir ſagen. Ich weiß nur das Eine, Furchtbare, daß ich ihn nicht mehr habe.

Aſta blickt nach links hinauf und zieht ihre Hand zurück. Da ſind ſie. Rita und Borgheim kommen den Fußpfad herab, ſie voran, er hinterher. Sie iſt dunkel gekleidet und trägt über dem Kopf einen ſchwarzen Schleier. Er hält einen

Regenſchirm unter dem Arm.

Allmers ihr entgegen. Wie iſt Dir, Rita?

Nita geht an ihm vorbei. Ach, frage nicht.

Allmers. Was willſt Du hier?

Rita. Nur nach Dir ſehen. Was treibſt Du?

Allmers. Gar nichts. Aſta war bei mir.

Rita. Nun gut, doch ehe Aſta kam? Du haft Dich den ganzen Morgen nicht bei mir ſehen laſſen.

Allmers. Ich habe hier geſeſſen und auf das Waſſer geblickt.

Rita. Ach daß Du das vermagſt!

Allmers ungeduldig. Am liebſten bin ich jetzt allein!

Nita geht unruhig auf und ab. Und ſtille ſitzen! Immer auf demſelben Fleck!

Allmers. Ich hab' ja nicht das Mindeſte zu verſäumen.

Rita. Ich kann es nirgends aushalten. Am allerwenigſten hier, wo man das Waſſer dicht vor Augen hat.

Allmers. Gerade, weil das Waſſer ſo nahe iſt.

Rita zu Vorgheim. Meinen Sie nicht auch, er ſollte mit uns jetzt hinaufgehen?

Borgheim zu Aumers. Ich glaube, Sie thäten gut daran,

Allmers. Nein, nein laßt mich bleiben, wo ich bin.

Rita. So bleib' ich bei Dir, Alfred.

Allmers. Meinetwegen. Bleib', Aſta.

Aſta flüftert Borgheim zu. Laſſen wir ſie allein!

Borgheim mit einem verſtändnisinnigen Blick. Fräulein Allmers, wollen wir ein bißchen auf und abgehen längs dem Strand? Zum allerletzten Mal?

Aſta nimmt ihren Regenſchirm. Kommen Sie. Laſſen Sie uns ein bißchen auf und abgehen.

Aſta und Borgheim entfernen ſich in der Richtung des Bootſchuppens. Allmers macht ein paar Schritte. Dann ſetzt er ſich auf einen Stein unter den Bäumen im Vordergrunde links.

Nita nähert ſich und bleibt vor ihm ſtehen, die herabhängenden Hände ge— faltet. Kannſt Du's faſſen und begreifen, Alfred, daß wir Eyolf verloren haben?

Allmers blickt ſchwermütig vor ſich nieder. Wir müſſen uns eben an den Gedanken gewöhnen.

Rita Ich kann's nicht. Ich kann's nicht. Und dann der grauenhafte Anblick, den ich Zeit meines Lebens vor Augen haben werde.

Allmers blict auf. Was für ein Anblick? Was haft Du gejehen ?

Rita. Ich ſelbſt habe nichts geſehen. Ich habe bloß er— zählen hören. O —!

Allmers. Sag's lieber gleich.

Rika. Ich kam mit Borgheim zum Landungsplatz hinunter

Allmers. Was wollteſt Du dort?

Rita. Die Jungen ausfragen, wie es zugegangen.

Allmers. Das wiſſen wir ja.

Nita. Wir haben mehr erfahren.

Allmers. Nun?

Nita. Es iſt nicht richtig, daß er auf einmal verſchwunden war.

Allmers. Das ſagen ſie jetzt?

ER

Nita. Ja. Sie jagen, unten auf dem Grunde hätten ſie ihn liegen ſehen. Tief unten im klaren Wajjer.

Allmers zühnetnirſchend. Und fie haben ihn nicht gerettet!

Rita Sie konnten gewiß nicht.

Allmers. Sie konnten ſchwimmen, alle wie ſie da waren. Und als ſie ihn ſahen wie lag er? Sagten ſie davon nichts?

Nita. Doch. Sie ſagten, er habe auf dem Rücken gelegen. Mit großen, offenen Augen.

Allmers. Mit offenen Augen. Doch ganz ſtill?

Nita. Ganz ſtill. Und da kam etwas und riß ihn von hinnen. Sie nannten es eine Stromrichtung.

Allmers nickt langſam. Das war alſo das Letzte, was ſie von ihm geſehen haben?

kita mit thränenerſtickter Stimme. Ja.

Allmers dumpf. Und kein kein Auge wird ihn mehr erblicken.

Nita jammernd. Tag und Nacht werde ich ihn vor mir ſehen, wie er da unten lag.

Allmers Mit den großen, offenen Augen.

Nita ſchaudernd. Mit den großen, offenen Augen. Ich ſehe ſie! Ich ſehe ſie vor mir!

Allmers ſteht langſam auf und ſieht ſie ſtill drohend an. Blickten ſie böſe, dieſe Augen, Rita?

Rita erbleicht. Böſe —!

Allmers tritt dicht an ſie heran. War es der böſe Blick, der aufwärts ſtarrte? Aus der Tiefe her?

Nita weicht zurück. Alfred 2

Allmers uhr nach. Antworte mir! War es der böſe Kinderblick?

Nita ſchreit auf. Alfred! Alfred!

Allmers. Nun hat ſich's ja erfüllt, was Du gewünſcht haſt, Rita.

0

Nita. Ich! Was hätte ich gewünſcht?

Allmers. Daß Eyolf nicht mehr wäre.

Nila. In meinem Leben hab' ich das nicht gewünscht! Eyolf ſollte nicht zwiſchen uns ſtehen, das hab' ich gewünſcht.

Allmers. Nun ja, das thut er ja nun auch nicht mehr.

Nita Leife, indem fie vor ſich hinſtarrt. Vielleicht mehr denn je. Führt zufammen. O, der grauenhafte Anblick.

Allmers nie. Der böſe Kinderblick, jawohl.

Rita weicht entſetzt zurück. Laß mich, Alfred! Ich fürchte mich vor Dir! Nie hab' ich Dich ſo geſehen.

Allmers blickt fie hart und kalt an. Der Schmerz macht ſchlecht und garſtig.

Nita üngſtlich, aber trotzig. Das merk' ich auch. Allmers geht nach rechts hinüber und blickt über den Fjord. Rita ſetzt ſich an den

Tiſch. Kurze Pauſe.

Allmers wendet den Kopf nach ihr um. Du haſt ihn niemals ſo recht von Herzen lieb gehabt. Niemals!

Mila talt und gemeſſen. Eyolf wollte ſich nie ganz und gar an mich feſſeln laſſen.

Allmers. Weil Du nicht wollteſt.

Rita. O doch. Ich wollt' es mehr als gern. Aber es ſtand einer im Wege. Von allem Anfang an.

Allmers wendet ſich ganz um. Ich, meinſt Du, ſtand im Wege?

Rita. O nein. Nicht im Anfang.

Allmers nähert ſich. Wer denn?

Nita. Seine Tante.

Allmers. Aſta?

Rita. Jawohl. Aſta verſperrte mir den Weg.

Allmers. Das kannſt Du ſagen, Rita?

Rita. Gewiß. Aſta, die feſſelte ihn an ſich gleich nachdem das paſſiert war mit dem unglücklichen Fall.

Allmers. That ſie's, ſo hat ſie's aus Liebe gethan.

Ibſen, Klein Evolf. 2 4

5 Nita heftig. Das iſt es eben! nichts zu teilen haben!

Allmers.

Ich will mit einem andern ſollen in Liebe.

In der Liebe nicht! Wir beide hätten ihn zu gleichen Teilen beſitzen Nita blickt ihn höhniſch an. Wir? Auch Du haft eigentlich ihn nie ſo recht lieb gehabt.

Allmers ſieht ſie erſtaunt an.

Nita.

Ich nicht —! Auch Du nicht.

Du warſt doch gleich ganz voll von Deinem Buch über die Verantwortung. Allmers mit Nachdruck. Allerdings. Aber gerade dieſes Buch, das hab' ich ja doch um Eyolfs willen geopfert. Rika. Nicht aus Liebe zu ihm. Allmers. Weshalb denn ſonſt? Nita.

Weil Du Dich in Mißtrauen gegen Dich ſelbſt ver— zehrteſt. 2

Weil Du anfingſt zu zweifeln, ob Du auch wirklich in der Welt zu einer großen Aufgabe berufen wärſt.

Allmers forſchend. Haft Du mir fo etwas anmerken können? Rita. O ja, nach und nach.

Allmers. Das iſt das Geſetz der Wandlung, Rita. Nita.

Da rum wollteſt Du den kleinen armen Eyolf zu einem Wunderkinde machen.

Und da ſuchteſt Du nach etwas Neuem, das Dich ganz erfüllen könnte. Ich genügte Dir wohl nicht mehr.

Allmers. Das wollt' ich nicht! Ich wollte ihn zu einem glücklichen Menſchen machen. Rita.

Nur das wollt' ich. Aber nicht aus Liebe zu ihm. ſcheuem Ausdruck.

Geh' in Dich! mit Und prüfe genau, was der ganzen Sache zu Grunde liegt und dahinter ſteckt. Allmers weicht ihrem Blicke aus. Nita.

Du auch.

Du willſt an etwas vorbei. Allmers ſieht ſie gedankenvoll an.

Verhält es ſich jo, wie Du denkſt, dann haben wir beide unſer leibliches Kind im Grunde nie beſeſſen.

Rita. Nein, nicht ganz. Die Liebe war nur halb dabei.

Allmers. Und doch trauern wir jetzt ſo bitterlich um ihn.

Rita mit Bitterkeit. Ja, it das nicht merkwürdig? So zu trauern um einen kleinen fremden Jungen.

Allmers erregt. O wie kannſt Du ihn nur fremd nennen!

Rita ſchüttelt ſchwermütig den Kopf. Wir haben ihn nie beſeſſen, Alfred. Ich nicht. Und Du auch nicht.

Allmers ringt die Hände. Und nun iſt es zu ſpät! Zu ſpät!

Rita. Und ſo ganz troſtlos alles!

Allmers plötzlich auffahrend. Du trägſt die Schuld!

Nita ſteht auf. Ich?

Allmers. Ja, Du! Du biſt ſchuld, daß er jo wurde, wie er war! Es iſt Deine Schuld, daß er ſich aus dem Waſſer nicht retten konnte.

Rita abweyrend. Alfred, das darfſt Du nicht auf mich ſchieben!

Allmers immer mehr außer ſich geratend. Und ich thu's doch! Warſt Du es nicht, die das zarte Kind ohne Obhut auf dem Tiſche liegen ließ?

Rita. Es lag fo ſanft in ſeinen Kiffen. Und es ſchlief jo feſt. Und Du hatteſt verſprochen, auf das Kind zu achten.

Allmers. Allerdings. Läßt die Stimme ſinken. Dann aber kamſt Du, Du, Du, und lockteſt mich zu Dir ins Zimmer.

Rita blickt ihn trotzig an. Geſtehe doch lieber, daß Du Kind und alles vergaßeſt.

Allmers in unterdrückter Wut. Ja gewiß Leiſer. Ich ver— gaß das Kind in Deinen Armen!

Rita empört. Alfred! Alfred, das iſt abſcheulich von Dir! Allmers leiſe, indem er die Hände gegen ſie ballt. In jener Stunde verurteilteſt Du klein Eyolf zum Tode. Rita außer ih. Du auch! Du auch, wenn es ſchon jo ſein ſoll! 4*

Allmers. Meinetwegen, zieh’ mich nur auch zur Ver— antwortung, wenn Du willſt. Alle beide haben wir uns verſündigt. Und deshalb war Eyolfs Tod ſchließlich doch eine Vergeltung.

Rita. Eine Vergeltung?

Allmers beherrscht ſich wieder. Jawohl. Ein Gericht über Dich und mich. Jetzt wird uns unſer Recht. In geheimer, feiger Reue haben wir uns vor ihm gefürchtet, da er noch lebte. Haben es nicht ertragen, das Ding zu ſehen, an dem er ſich herumſchleppen mußte

Nita leiſe. Die Krücke.

Allmers. Jawohl! Und was wir jetzt immerzu Schmerz und Trauer nennen, das ſind Gewiſſensbiſſe, Rita. Nichts anderes.

Nita ſtarrt ihn ratlos an. Mir iſt, als müßt' es uns alle beide zur Verzweiflung treiben geradenwegs in den Wahnſinn hinein. Denn wir können's ja nie nie wieder gutmachen. 8

Allmers in milderer Stimmung. Ich träumte dieſe Nacht von Eyolf. Mir war's, als käme er von der Brücke herauf. Er konnte rennen wie andere Jungen. Es war ihm alſo nichts zugeſtoßen. Überhaupt nichts. Die quälende Wirklichkeit war alſo nur ein Traum, dacht' ich bei mir. O, wie ich ihn gelobt und geprieſen habe hält inne. Hm

Nita blickt ihn an. Wen?

Allmers ausweichend. Wen ?

Rita. Ja —, wen haſt du gelobt und geprieſen?

Allmers aborechend. Ich träumte nur, hörſt Du doch

Nita. Ihn, an den Du ſelbſt nicht glaubſt?

Allmers. Es kam ja nun einmal ſo über mich. Es war im Schlaf

Rita vorwurfsvol. Du hätteſt mich nicht zur Zweiflerin machen ſollen, Alfred.

een

Allmers. Wär’ es recht von mir geweſen, wenn ich Dich mit leeren Vorſtellungen hätte durchs Leben gehen laſſen?

Rita. Es wäre beſſer für mich geweſen. Dann hätt' ich doch etwas gehabt, worauf ich bauen und vertrauen könnte. So aber weiß ich weder aus noch ein.

Allmers ſieht fie ſcharf an. Wenn Du nun die Wahl hätteſt wenn Du Eyolf dorthin folgen könnteſt, wo er jetzt iſt —?

Rita. Nun? Und was?

Allmers. Wenn Du die volle Gewißheit hätteſt, daß Du ihn dort wiederfinden würdeſt, ihn erkennen, ihn ver— ſtehen ?

Nita. Ja und was dann?

Allmers. Würdeſt Du dann aus freien Stücken den Sprung zu ihm hinüber wagen? Aus freien Stücken auf all das hier verzichten? Valet ſagen dem ganzen Erdenleben? Würdeſt Du das, Rita?

Nita leiſe. Jetzt gleich?

Allmers. Jawohl noch heute. In dieſer Stunde. Ant— worte mir. Würdeſt Du —?

Rita zögernd. Ach, ich weiß nicht, Alfred. Nein. Ich glaube, ich würde vorläufig noch eine Weile hier bei Dir bleiben.

Allmers. Mir zu Liebe?

Rita. Ja, nur Dir zu Liebe.

Allmers. Aber ſpäter? Würdeſt Du dann —? Ant⸗ worte mir!

Rita. Was ſoll ich auf dergleichen antworten? Ich könnte Dich ja nicht verlaſſen. Nie! Niemals!

Allmers. Wenn ich nun aber zu Eyolf ginge? Und Du hätteſt die volle Gewißheit, daß Du ihn und auch mich dort finden würdeſt. Würdeſt Du dann zu uns herüberkommen?

Rita. Ich möchte ſchon. Ach, wie gern! Wie gern! Aber

= 1

Allmers. Nun?

Nika leiſe ſtohnend. Ich könnt' es nicht, das fühl' ich. Nein, nein. Ich könnt' es nicht! Um alle Herrlichkeit des Himmels nicht!

Allmers. Ich auch nicht.

Rita. Nicht wahr, Alfred? Du könnteſt es auch nicht!

Allmers. Nein. Denn hier, hier auf die Erde gehören wir Lebenden heim.

Rita. Ja, hier ſindet ſich das Glück, ſo wie wir's ver— ſtehen.

Allmers finster. Ach, das Glück, das Glück, weißt Du

Nita. Du meinſt wohl, das Glück, das finden wir nie— mals mehr. Blickt ihn fragend an. Aber geſetzt den Fall —? Heftig. Nein, nein ich getraue mir's nicht zu ſagen! Nicht einmal es zu denken.

Allmers. Doch, ſag' es. Sag' es nur, Rita.

Rita zögernd. Könnten wir nicht verfuchen —? Wär' es nicht möglich, ihn zu vergeſſen?

Allmers. Eyolf vergeſſen

Nita. Die Reue und den Groll vergeſſen, mein’ ich.

Allmers. Das wünſchteſt Du?

Rita. Wenn's möglich iſt ja. In Erregung. Denn dieſen Zuſtand, den ertrage ich auf die Dauer nicht! Ach, läßt ſich

denn nichts finden, was uns vergeſſen macht!

Allmers ſchüttelt den Kopf. Was könnte das wohl ſein?

Rita. Könnten wir's nicht mit einer weiten Reiſe verſuchen?

Allmers. Reiſen? Du fühlſt Dich ja nirgends wohler als gerade zu Hauſe.

Rita. Nun, wie wär' es, wenn wir Menſchen bei uns ſähen? Ein großes Haus machten? Uns in ein Leben ſtürzten, das lindert und betäubt?

Allmers. Solch ein Leben iſt nicht nach meinem Geſchmack.

Be TEN.

Nein, da probier’ ich's doch lieber noch einmal mit meiner Arbeit.

Nita unwirſch. Mit Deiner Arbeit, die ſo oft wie eine Scheide— wand zwiſchen uns ſtand?

Allmers langſam, indem er ſie ſtarr anblickt. Zwiſchen uns muß fortan immer eine Scheidewand ſtehen.

Nita. Warum denn ?

Allmers. Wer weiß, ob nicht große, offene Kinderaugen uns anſchauen Tag und Nacht. i

Rita ſchaudernd, leiſe. Alfred, welch ein furchtbarer Gedanke!

Allmers. Wie ein verzehrendes Feuer war unſere Liebe. Jetzt muß ſie erloſchen ſein!

Rita auf ihn zu. Erloſchen!

Allmers bart. Sie iſt erloſchen, in einem von uns.

Rita wie verſteinert. Und das wagſt Du mir zu ſagen!

Allmers ſanfter. Sie iſt tot, Rita. Aber in den Gefühlen, die ich jetzt, in meiner Mitſchuld und Zerknirſchung, gegen Dich hege, darin ahne ich etwas wie eine Auferſtehung!

Rita ungeſtum. Von Auferſtehung will ich nichts wiſſen!

Allmers. Rita!

Rita. Ich bin eben ein warmblütiges Menſchenkind! Ich döſe nicht dahin mit Fiſchblut in den Adern. Ringt die Hände. Und da bin ich auf Lebenszeit eingeſperrt in Reue und Qual! Zuſammengeſperrt mit einem, der nicht mehr mein iſt. mein, mein!

Allmers. So mußt' es einmal enden, Rita.

Rita. So mußt' es enden! Und doch hat es zwiſchen uns begonnen mit ſolch einer verlangenden Liebe!

Allmers. Meine Liebe war nicht verlangend im Anfang.

Rita. Was haſt Du denn zu allererſt empfunden mir gegenüber?

Allmers. Schrecken.

Nita. Das begreif' ich. Aber wie konnt' ich Dich trotzdem feſſeln?

Be

Allmers mit gedämpfter Stimme. Du warſt ſo berückend ſchön, Rita.

Nika blict ihn prüfend an. Das allein war's alſo? Sag', Alfred! Das allein?

Allmers mit Überwindung. Nein —, es war noch etwas nebenher. V

Nita erregt. Ich ahne, was es war! Es waren die „goldenen Berge“, wie Du's nennſt. Iſt dem ſo, Alfred?

Allmers. Ja.

Bila blict ihn vorwurfsvoll an. Wie konnteſt, wie konnteſt Du nur!

Allmers. Ich hatte an Aſta zu denken.

Rita heftig. Aſta, ja freilich! Bitter. Eigentlich hat alſo Aſta uns zuſammengebracht.

Allmers. Sie wußte von nichts. Sie ahnt noch heute nichts.

Rita abweiſend. Aber Aſta war es doch! Leächett mit einem höhniſchen Seitenblik. Oder nein, klein Eyolf war's. Klein Eyolf, weißt Du!

Allmers. Eyolf —?

Rita. Nannteſt Du ſie früher nicht Eyolf? Ich glaube, Du ſagteſt es mal in einer heimlichen Stunde. Näßert ſich. Haſt Du ſie vergeſſen dieſe himmliſche Stunde, Alfred?

Allmers weicht zurü, wie wenn ein Grauen ihn erfaßte. Ich weiß nichts! Ich will nichts wiſſen!

Rita ihm nach. Es war in derſelben Stunde, da Dein anderer kleiner Eyolf zum Krüppel wurde!

Allmers ſtützt ſich auf den Tiſch, mit dumpfer Stimme. Die Vergeltung.

Nita drohend. Jawohl, die Vergeltung!

Aſta und Borgheim kommen zurück vom Bootſchuppen her. Sie trägt Waſſer⸗ lilten in der Hand.

Rita beherrſcht ſich wieder. Nun, Aſta, habt Ihr Euch gehörig ausgeſprochen, Du und Herr Borgheim?

Aſta. Ja, ſo ziemlich.

Sie ſtellt den Regenſchirm beiſeite und legt die Blumen auf einen Stuhl.

Borgheim. Fräulein Allmers iſt auf dem Spaziergang ſehr wortkarg geweſen.

Rita. Wirklich? Nun, da haben Alfred und ich uns fo ausgeſprochen, daß es vorhält

Aſta ſieht Aumers und Rita geſpannt an. Was war denn?

Rita. daß es vorhält fürs ganze Leben. Abbrechend. Jetzt kommt und laßt uns hinaufgehen, alle vier. Wir müſſen fortan Menſchen um uns ſehen. Alfred und ich werden allein nicht damit fertig.

Allmers. Geht Ihr nur voraus. Wendet ſich um. Mit Dir aber hab' ich erſt noch ein Wort zu reden, Aſta.

Rita blict ihn an. So? Schön, dann begleiten Sie mich, Herr Borgheim.

Rita und Borgheim gehen den Fußpfad hinauf.

Aſta ängſtlich. Alfred, was geht vor?

Allmers finſter. Ich halt' es hier nicht länger aus

Aſta. Hier! Meinſt Du, mit Rita?

Allmers. Ja. Rita und ich können fortan nicht zuſammen leben.

Aſta rüttelt ihn am Arm. Aber Alfred, ſag' doch nicht fo etwas Gräßliches!

Allmers. Es iſt, wie ich ſage. Wir machen uns gegenſeitig nur böſe und garſtig.

Aſta ſchmerzlich bewegt. Ach, nie, nie hätte ich fo etwas geahnt!

Allmers. Auch mir iſt erſt heut ein Licht aufgegangen.

Aſta. Und nun willſt Du —! Ja, was willſt Du eigent— lich, Alfred?

Allmers. Weg will ich. Weit weg aus allen dieſen Ver- hältniſſen.

das iſt's.

8

Aſta. Um ganz allein in der Welt zu ſtehen?

Allmers niet. Wie früher ja.

Aſta. Aber Du biſt nicht der Mann, allein zu ſtehen!

Allmers. O doch! War ich's doch früher.

Aſta. Früher jawohl. Da war ich auch bei Dir.

Allmers will ihre Hand ergreifen. Gewiß. Und zu Dir, Aſta, will ich denn auch jetzt heimkehren.

Aſta weicht ihm aus. Zu mir! Nein, nein, Alfred! Das iſt ganz unmöglich.

Allmers blickt fie trübe an. Alſo Borgheim ſteht doch im Wege?

Aſta eifrig. O nein das nicht! Da irrſt Du!

Allmers. Gut. Dann komme ich zu Dir, Du liebe, liebe Schweſter. Ich muß zu Dir zurück! Heim zu Dir, um mich zu läutern und zu veredeln nach dem Zuſammenleben mit

Aſta empört. Alfred, Du verſündigſt Dich an Rita!

Allmers. Ich habe mich an ihr verſündigt. Aber nicht damit. Denke zurück, Aſta, an die Zeit unſeres Zuſammen— lebens. War ſie nicht von der erſten bis zur letzten Stunde wie ein einziger hoher Feſttag?

Aſta. Das war ſie, Alfred. Aber ſo etwas läßt ſich nicht noch einmal erleben.

Allmers bitter. Meinſt Du, daß mich die Ehe rettungslos verdorben hat?

Aſta ruyig. Das meine ich nicht.

Allmers. Gut, ſo wollen wir unſer altes Leben wieder auf— nehmen.

Aſta beſtimmt. Das können wir nicht, Alfred.

Allmers. Und wir können es doch. Denn die Geſchwiſter— liebe

Aſta geſpannt. Was iſt mit ihr 2

Allmers. Sie iſt das einzige Verhältnis, das dem Geſetz der Wandlung nicht unterworfen iſt.

2.50) „2

Aſta erbebt und ſagt leiſe: Wenn nun aber ein folches Verhältnis nicht

Allmers. Nicht ?

Alta. nicht unſer Verhältnis it?

Allmers ſtarrt ſie erſtaunt an. Unſeres nicht? Kind, was meinſt Du damit?

Aſta. Ich ſag' es Dir lieber gleich, Alfred.

Allmers. Ich bitte darum!

Aſta. Mutters Briefe die dort in der Mappe liegen

Allmers. Ja 2

Aſta. Die ſollſt Du leſen wenn ich fort bin.

Allmers. Warum?

Aſta mit ſich ſelber kämpfend. Weil Du dann erfahren wirſt, daß

Allmers. Nun?

Aſta. daß ich nicht das Recht habe, den Namen Deines Vaters zu tragen.

Allmers prallt zurück. Aſta! Was ſagſt Du da!

Aſta. Lies die Briefe. Dann wirſt Du's wiſſen. Und es begreifen und vielleicht auch Vergebung haben für Mutter.

Allmers greift ſich an die Stirn. Ich kann's nicht begreifen, den Gedanken nicht faſſen! Du, Aſta, Du wärſt alſo nicht

Aſta. Du biſt nicht mein Bruder, Alfred.

Allmers raſch, halb trotzig, indem er ſie anſieht. Nun gut aber was ändert das eigentlich an unſerem Verhältnis? Im Grunde genommen gar nichts.

Aſta ſchüttelt den Kopf. Alles ändert es, Alfred. Unſer Ver— hältnis iſt nicht das wie zwiſchen Bruder und Schweſter.

Allmers. Mag ſein. Aber es iſt darum nicht weniger heilig. Und heilig wird es immer bleiben.

Aſta. Vergiß nicht, daß es dem Geſetz der Wandlung unterliegt, wie Du jetzt eben ſagteſt.

Ep

Allmers blickt fie forſchend an. Meinſt Du damit, daß ?

Aſta leiſe, innig bewegt. Kein Wort mehr, Du lieber, lieber Alfred. Nimmt die Blumen vom Stuhl. Siehſt Du dieſe Waſſer⸗ lilien?

Allmers niet langſam. Es ſind von denen welche, die empor— ſchießen tief vom Grunde her.

Aſta. Ich hab' ſie im Teich gepflückt. Da, wo er in den Fjord ausfließt. Reicht ihm die Blumen. Willſt Du ſie, Alfred?

Allmers nimmt ſie. Danke.

Aſta mit Thränen in den Augen. Es iſt wie ein letzter Gruß von klein Eyolf.

Allmers blict fie an. Von dem Eyolf draußen? Oder von Dir?

Afta leiſe. Von uns beiden. Nimmt ihren Regenſchtrm. Nun aber komm mit zu Rita.

Sie geht den Fußpfad hinan.

Allmers nimmt feinen Hut vom Tiſch und flüftert ſchwermütig: Alta

Eyolf Klein Eyolf —! Er folgt ihr.

Dritter Akt.

In Allmers' Garten ein Hügel, der mit Gebüſch bewachſen. Gegen den Hintergrund

eine ſteile Böſchung mit Geländer; links führt ein Aufgang hinauf. Weiter Aus—

blick auf den tief unten liegenden Fjord. Am Geländer ein Flaggenmaſt mit Leine,

aber ohne Flagge. Im Vordergrunde rechts eine Laube, die mit Schlingpflanzen und

wildem Wein überdacht iſt. Vor der Laube eine Bank. Später Sommerabend mit klarem Himmel. Zunehmendes Halbdunkel.

Aſta ſitzt auf der Bank, die Hände im Schoß. Sie hat die Jacke an und den Hut auf, hat ihren Sonnenſchirm neben ſich hingelegt und trägt ein Reiſetäſchchen an einem Riemen über der Schulter.

Borgheim erſcheint im Hintergrunde links. Auch er hat eine Reiſetaſche über der Schulter. Unter dem Arm trägt er eine zuſammengerollte Fahne.

Boraheim wird Aſta gewahr. Hier oben alſo halten Sie ſich auf?

Aſta. Ich ſitze und blicke hinaus, zum letzten Mal.

Borgheim. Dann war's gut, daß ich auch hier oben nachgeſehen.

Aſta. Haben Sie mich geſucht?

Borgheim. Allerdings. Ich wollte mich gern von Ihnen verabſchieden für diesmal. Hoffentlich nicht für immer.

Aſta mit einem leiſen Lächeln. Hören Sie Sie ſind ſtandhaft.

Borgheim. Das muß ein Wegebahner fein.

Aſta. Haben Sie Alfred geſehen? Oder Rita?

Vorgheim. Alle beide.

Aſta. Beiſammen?

Borgheim. Nein. Jeder hielt ſich allein.

Aſta. Was wollen Sie mit der Flagge?

Borgheim. Frau Rita hat mich gebeten, ſie zu hiſſen.

Aſta. Hiſſen? Jetzt?

Borgheim. Auf Halbmaſt. Tag und Nacht ſoll ſie wehen, ſagte Rita.

Aſta ſeufzt. Die arme Rita! Und der arme Alfred!

Borgheim mit der Flagge beſchäftigt. Bringen Sie es übers Herz, ſie zu verlaſſen? Ich ſehe, Sie ſind reiſefertig deshalb bin ich ſo frei, zu fragen.

Aſta mit leiſer Stimme. Ich muß fort.

Borgheim. Ja, wenn Sie müſſen,

Aſta. Sie reiſen doch auch heut Nacht.

Borgheim. Ich muß ebenfalls. Ich fahre mit der Bahn. Sie auch?

Aſta. Nein. Mit dem Dampfſchiff.

Borgheim blickt fie verſtohlen an. Jeder alſo ſeinen eigenen Weg.

Aſta. Ja. Sie ſieht ihm zu, während er die Flagge auf Halbmaſt hißt. Sobald er fertig iſt,

geht er zu ihr hin.

Borgheim. Fräulein Aſta, Sie können ſich nicht vor— ſtellen, wie ich um klein Eyolf traure.

Aſta blickt zu ihm auf. Davon bin ich überzeugt.

Borgheim. Und das iſt jo ein peinigendes Gefühl. Denn im Grunde iſt trauern gar nicht meine Sache.

Aſta richtet den Blick auf die Flagge. Das vergeht mit der Zeit, vollſtändig. Alle Schmerzen.

Borgheim. Alle? Glauben Sie?

Aſta. Wie ein Regenſchauer. Wenn Sie erſt in weiter Ferne ſind, ſo

1

Borgheim. Das müßte ſchon eine ſehr weite Ferne fein.

Aſta. Und dann haben Sie doch auch den neuen, großen Straßenbau.

Borgheim. Aber niemand, der mir dabei hilft.

Aſta. Sie werden ſchon wen haben!

Borgheim ſchüttelt den Kopf. Keinen. Keinen, mit dem ich die Freude teilen könnte. Denn es handelt ſich meiſt um die Freude.

Aſta. Nicht um die Mühen und Beſchwerden?

Borgheim. Pah, mit ſo was wird man ſchon allein fertig. Aſta. Aber die Freude, die muß man mit jemand

teilen, meinen Sie?

Borgheim. Ja, wie wär' es denn ſonſt ein Glück, froh zu ſein?

Aſta. Sie haben vielleicht recht.

Borgheim. Natürlich kann man eine Weile auch herum— laufen und ſtillvergnügt ſein. Aber auf die Dauer reicht's nicht aus. Nein, in der Freude, da muß man zu zweit ſein.

Aſta. Immer nur zu zweit? Niemals in der Geſellſchaft mehrerer vieler?

Borgheim. Dann, ſehen Sie, iſt es nicht mehr dasſelbe. Fräulein Aſta, können Sie ſich denn wirklich nicht ent— ſchließen, Glück und Freude und Mühen und Beſchwerden mit Einem zu teilen, mit Einem allein?

Aſta. Ich hab' es ſchon verſucht früher einmal.

Borgheim. Sie?

Aſta. Zur Zeit, als mein Bruder, als Alfred und ich zuſammen wohnten.

Borgheim. Mit Ihrem Bruder! Das iſt aber doch etwas ganz anderes. Ein ſolches Leben kann man meines Erachtens eher zufrieden nennen als glücklich.

1

Aſta. Herrlich war's doch.

Borgheim. Sehen Sie, ſchon das finden Sie herrlich. Aber wie erſt, wenn er nun nicht Ihr Bruder geweſen wäre?!

Aſta will aufſtehen, bleibt aber ſiten. Dann hätten wir doch nie zuſammen gelebt. Denn ich war damals noch ein Kind. Und er beinah auch.

Borgheim nach einer kurzen Pauſe. War die Zeit wirklich ſo herrlich?

Aſta. Ach, wahrhaftig, das war ſie!

Borgheim. Haben Sie denn damals etwas wirklich Frohes und Glückliches erlebt?

Aſta. O, ſo viel! So rieſig viel.

Borgheim. Erzählen Sie mir doch ein bißchen, Fräulein Aſta.

Aſta. Eigentlich waren's nur Kleinigkeiten.

Borgheim. Zum Beiſpiel? Nun?

Aſta. Zum Beiſpiel, als Alfred ſein Examen gemacht und ſo gut beſtanden hatte. Und wenn er mit der Zeit eine Anſtellung bekam an irgend einer Schule. Oder wenn er an einer Abhandlung ſchrieb und ſie mir vorlas. Und wenn ſie dann in einer Zeitſchrift abgedruckt wurde.

Borgheim. Ja, ich kann mir ſchon denken, daß das ein herrliches, zufriedenes Leben war. Geſchwiſter, die die Freude miteinander teilen. Schüttelt den Kopf. Nur begreif' ich nicht recht, wie Ihr Bruder ſich von Ihnen trennen konnte, Aſta!

Aſta in unterdrückter Erregung. Alfred hat doch geheiratet.

Borgheim. Das war hart für Sie, nicht?

Aſta. O ja, im Anfang. Mir war, als hätte ich ihn mit einem Schlage verloren.

Borgheim. Nun, glücklicherweiſe war das nicht der Fall.

Aſta. Nein.

Borgheim. Immerhin, daß er das konnte. Heiraten, mein’ ich. Wo er Sie hätte im Hauſe haben können, allein um ſich!

8

Alla blickt vor ſich hin. Er ſtand unter dem Geſetz der Wand— lung, denk' ich mir. f f

Borgheim. Geſetz der Wandlung 2

Aſta. Alfred nennt es ſo.

Borgheim. Pah, muß das ein dummes Geſetz fein! An das Geſetz glaub' ich nicht abſolut nicht! 5

Aſta erhebt fig. Mit der Zeit werden Sie vielleicht dahin kommen, an dieſes Geſetz zu glauben.

Borgheim. In meinem Leben nicht! eindringlich. Nun aber

hören Sie, Fräulein Aſta! Seien Sie vernünftig ein ein— ziges Mal. In dieſem Punkte, mein' ich Aſta abbrechend. Aber nein, nein, kommen Sie mir nicht wieder da mit! N Borgheim wie oben. Doch, Alta, ich kann unmöglich fo

leicht von Ihnen laſſen. Jetzt hat doch der Bruder alles, was er ſich nur wünſchen konnte. Er führt ein ganz zufriedenes Leben auch ohne Sie. Er vermißt Sie gar nicht. Und dann ein Umſtand, der mit einem Schlage Ihre ganze Stellung hier im Hauſe ändert

Aſta zuſammenfahrend. Was meinen Sie?

Zorgheim. Den Verluſt des Kindes. Was ſonſt?

Aſta faßt ſich wieder. Klein Eyolf iſt nicht mehr, allerdings.

Borgheim. Und was haben Sie nun eigentlich hier noch zu thun? Für den armen kleinen Jungen haben Sie nicht mehr zu ſorgen. Keine Pflichten, keine Aufgaben irgend welcher Art

Aſta. Ich bitte Sie, lieber Borgheim, drängen Sie doch nicht ſo ſehr in mich!

Borgheim. Doch. Ich müßte ja nicht recht geſcheit fein, wenn ich nicht das Außerſte verſuchte. In den nächſten Tagen verlaſſ' ich die Stadt. Ich treffe Sie dort vielleicht nicht mehr.

Ibſen, Klein Evolf. 5

Er ne

Bekomme Sie vielleicht auf lange, lange Zeit nicht wieder zu ſehen. Und wer weiß, was inzwiſchen geſchieht!

Aſta mit einem ernften Lächeln. Haben Sie etwa doch Furcht vor dem Geſetz der Wandlung?

Borgheim, Nein, nicht im geringſten. Lacht bitter. Und es iſt ja auch nichts umzuwandeln. Bei Ihnen, mein' ich. Denn Sie machen ſich nicht ſo viel aus mir, das weiß ich ſchon.

Aſta. Sie wiſſen recht gut, daß dem nicht ſo iſt.

Borgheim. Ja, aber lange nicht genug. Nicht ſo, wie mir's lieb wäre. Heftiger. Herrgott, Aſta, Fräulein Aſta, das iſt ja doch alles ſo verdreht, wie nur möglich! Gleich hinter heute und morgen liegt am Ende das ganze Lebensglück und wartet auf uns. Und wir laſſen's liegen! Werden wir das nicht noch bereuen, Aſta?

Aſta ruhig. Ich weiß nicht. Und doch müſſen wir alle heiteren Ausſichten liegen laſſen.

Zorgheim blickt ſie an, indem er ſich beherrſcht. Alſo ich muß meine Wege allein bauen?

Aſta mit Wärme. Ach, könnt' ich nur mit dabei ſein! Ihnen die Mühe erleichtern. Die Freude mit Ihnen teilen

Zorgheim. Würden Sie das thun, wenn Sie könnten?

Aſta. Ja. Dann würde ich es thun.

Zorgheim. Sie können aber nicht?

Aſta ſchlägt die Augen nieder. Würde es Ihnen genügen, mich halb zu beſitzen?

Borgheim. Nein. Ganz und ungeteilt muß ich Sie beſitzen.

Aſta blickt ihn an und ſagt leiſe: Dann kann ich nicht.

Borgheim. So leben Sie wohl, Fräulein.

Er ſchickt ſich zum Gehen an. Allmers kommt im Hintergrunde links die Anhöhe herauf. Borgheim bleibt.

Allmers, noch an dem Aufgang, deutet auf die Laube und fragt mit gedämpfter Stimme: Iſt Rita in der Laube?

m 67

Doraheim. Nein. Fräulein Aſta iſt hier ſonſt niemand. Allmers kommt näher.

Aſta tüm entgegen. Soll ich gehen und fie ſuchen? Ihr viet— leicht ſagen, ſie ſoll hierher kommen?

Allmers abwehrend. Nein, nein, laß nur. Zu Borgbeim. Haben Sie die Flagge da gehißt?

Borgheim. Ja. Frau Rita hat mich darum gebeten. Deshalb bin ich hergekommen.

Allmers. Und heut Nacht reiſen Sie?

Borgheim. Jawohl. Heut mach' ich mit der Abreiſe Ernſt.

Allmers mit einem Blick auf Aſta. Und für gute Reiſebegleitung haben Sie geſorgt, wie ich mir denken kann.

Borgheim ſchüttelt den Kopf. Ich reiſe allein.

Allmers ſtutzt. Allein!

Borgheim. Mutterſeelenallein.

Allmers zerſtreut. So ſo ?

Borgheim. Und bleibe auch allein.

Allmers. Es liegt etwas Grauenvolles darin, allein zu ſein. Es durchfröſtelt mich geradezu.

Aſta. Aber Alfred, Du biſt doch nicht allein!

Allmers. Auch darin kann etwas Grauenvolles liegen, Aſta.

Aſta beklommen. Ach, ſprich doch nicht jo! Laß dieſe Gedanken!

Allmers ohne auf fie zu hören. Wenn Du alſo nicht mitreiſeſt —2 Wenn Du an nichts gebunden biſt? Warum willſt Du dann nicht bleiben, bei mir und bei Rita?

Aſta unruhig. Ich kann nicht. Ich muß notwendigerweiſe jetzt in die Stadt.

Allmers. Aber nur in die Stadt, Aſta! Hörſt Du?

Al. Ja.

Allmers. Und Du verſprichſt mir wiederzukommen.

5*

a

Aſta ſchnel. Nein, nein, das kann ich Dir fürs erſte nicht verſprechen. f

Allmers. Gut. Wie Du willſt. Dann ſehen wir uns alſo in der Stadt. N 45

Aſta bittend. Aber, lieber Alfred, Du mußt doch jetzt da⸗ heim bleiben, bei Rita!

Allmers wendet ſich, ohne zu antworten, an Borgheim. Vielleicht iſt's beſſer für Sie, noch keine Reiſebegleitung zu haben.

Borgheim unwillig. Wie können Sie nur jo etwas jagen!

Allmers. Sie können doch gar nicht wiſſen, wem Sie zu— fällig etwa begegnen hernach unterwegs.

Aſta unwillkürlich. Alfred!

Allmers. Dem richtigen Reiſegenoſſen. Wenn es zu ſpät iſt. Zu ſpät.

Aſta erbebend, leiſe. Alfred! Alfred!

Borgheim blickt die beiden abwechſelnd an. Was ſoll das heißen? Ich verſtehe nicht

Rita erſcheint im Hintergrunde links.

Rita flagend. Ihr müßt mich nicht alle verlaſſen!

Aſta geht ihr entgegen. Du wollteſt doch lieber allein ſein, wie Du ſagteſt

Rita. Ja, aber ich wag' es nicht. Es wird ſo unheim— lich dunkel. Mir iſt, als ob große, offene Augen mich anblickten.

Aſta teilnehmend, mit weicher Stimme. Und wenn dem nun ſo wäre, Rita? Vor den Augen brauchſt Du Dich nicht zu fürchten.

Rita. Wie Du nur ſo reden kannſt! Nicht fürchten!

Allmers eindringlich. Aſta, ich bitte Dich, um alles in der

delt, bleib’ hier bei Rita!

Rita. Ja! Und bei Alfred auch! Thu's! Thu's, Aſta!

Aſta mit ſich ſelber kämpfend. Ach, ich möchte jo unſagbar gerne

Rita. Nun, jo thu's doch! Denn Alfred und ich, wir können die Trauer und den Verluſt nicht allein tragen.

9

Allmers jiniter. Sag' lieber die Reue und die Qual.

Rita. Nenn' es wie Du willſt, wir beide können es . nicht allein tragen. Liebſte Aſta, ich flehe Dich an!

Bleib' da und hilf uns! Sei uns an Eyolfs Statt

Aſta weicht zurück. An Eyolfs —1

Rita. Sie darf doch, Alfred?

Allmers. Wenn ſie will und kann.

Rila. Du haft fie ja früher Deinen kleinen Eyolf genannt. ergreift ihre Hand. Fortan ſollſt Du unſer Eyolf ſein, Aſta! Eyolf, wie Du's früher warſt.

Allmers in verhaltener Erregung. Bleib' und teile das Leben mit uns, Aſta. Mit Rita. Mit mir. Mit mir, Deinem Bruder! 5

Aſta reißt entſchloſſen ihre Hand zurück. Nein. Ich kann nicht. Wendet ſich um. Herr Borgheim, wann geht das Dampfboot?

Dorgheim. Gleich.

Aſta. Dann muß ich an Bord. Wollen Sie mich be— gleiten ?

Boraheim mit einem verhaltenen Ausbruch der Freude. Ob ich will! Ja doch, ja!

Alta. So kommen Sie.

Rita langſam. Ach jo. Ja, dann kannſt Du nicht bei uns bleiben.

Aſta umarmt fie. Hab' Dank für alles Gute, Nita! Geht zu Allmers hin und ergreift feine Hand. Alfred, lebe wohl tauſend⸗, tauſendmal!

Allmers leiſe in Spannung. Was heißt das, Aſta? Das ſieht ja aus wie eine Flucht.

Aſla in ſtiler Angſt. Ja, Alfred, es tft auch eine Flucht.

Allmers. Eine Flucht vor mir!

Aſta flüſternd. Eine Flucht vor Dir und vor mir ſelbſt.

Allmers weicht zurück. Ah —1

* N AT

Aſta eilt nach dem Hintergrund, den Aufgang hinunter. Borgheim ſchwenkt den Hut und ſolgt ihr.

Rita lehnt ſich an den Eingang der Taube. Allmers geht in heftiger Gemüts⸗ erregung zum Geländer hin und bleibt dort ſtehen, indem <= hinunterſtarrt. Pauſe.

Allmers wendet ſich um und ſagt mit mühſam erkämpfter Faſſung: Da kommt das Dampfſchiff. Sieh her, Rita.

Rita. Ich getraue mich nicht hinzuſehen.

Allmers. Du getrauſt Dich nicht?

Rita. Nein. Denn es hat ein rotes Auge. Und ein grünes auch. Große, glühende Augen.

Allmers. Das ſind doch nur die Laternen!

Rita. Es find Augen. Fortan. Für mich. Sie ſtarren, ſtarren aus dem Dunkel hervor und auch ins Dunkel hinein.

Allmers. Jetzt legt das Schiff an.

Rita. Wo legt es heut an?

Allmers näfert ji. Aber wie gewöhnlich, Rita, an der Brücke

Rita richtet ih auf. Wie kann es dort nur anlegen!

Allmers. Es muß ja.

Rita. Aber dort iſt doch Eyolf —! Wie können nur die Leute dort anlegen?

Allmers. Das Leben iſt unbarmherzig, Rita.

Rita. Die Menſchen find herzlos. Sie nehmen keine Rüd- ſicht. Weder auf die Lebenden noch auf die Toten.

Allmers. Allerdings. Das Leben, das geht ſeinen Gang weiter. Genau, als ob gar nichts paſſiert wäre.

Rita blict vor ſich hin. Es iſt ja auch nichts paſſiert. Den andern, heißt das. Nur uns beiden.

Allmers in erwachendem Schmerz. Ja, Rita, ſo zwecklos war es, daß Du ihn unter Schmerzen und Qualen geboren haſt. Denn nun iſt er wieder dahin ohne Spur.

Nita. Nur die Krücke wurde geborgen. Allmers sertia. Still doch! Laß mich das Wort nicht hören!

Be

Rita klagend. O, ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß ver ihn nicht mehr haben.

Allmers talt und bitter. Du konnteſt recht gut ohne ihn fertig verden, als Du ihn noch hatteſt. Halbe Tage lang halt Du in ja nicht einmal angeſehen.

Rita. Weil ich wußte, ich könnte ihn ſehen, wann ich nur wollte.

Allmers. Auf die Art haben wir die kurze Zeit des Zu— ſammenſeins mit klein Eyolf vergeudet.

Rita lauſcht angſtvol. Hörſt Du, Alfred! Da läutet es wieder.

Allmers blickt hinaus. Es läutet auf dem Dampfboot. Gleich

geht's ab. Rita. Ach, die Glocke mein’ ich nicht. Den ganzen Tag hat es mir in den Ohren geklungen —. Da läutet's wieder!

Allmers geht zu ihr hin. Du irrſt Dich, Rita.

Rita. Nein, ich hör' es ganz deutlich. Es klingt wie Totenglocken. Langſam. Langſam. Und immer dieſelben Worte

Allmers. Worte? Was für Worte?

Rita niet den Tatt dazu. „Da ſchwimmt⸗die-Krük⸗ke ſchwimmt⸗ die⸗Krük⸗ke.“ Ach, ich meine, Du mußt es auch hören können.

Allmers ſchüttelt den Kopf. Ich höre nichts. Und es iſt auch nichts.

Rita. Doch Du magſt ſagen, was Du willſt. Ich hör' es ganz deutlich.

Allmers blickt über das Geländer hinaus. Jetzt find fie an Bord. Vas Schiff geht nach der Stadt.

Rita. Daß Du's nicht hörſt? „Da ſchwimmt-die-Krük⸗ke chwimmt⸗die⸗—“

Allmers nähert ſich ihr. Du ſollſt nicht fortwährend auf etwas auſchen, was nicht da iſt. Aſta und Borgheim ſind jetzt an Jord, ſagt' ich. Sind ſchon unterwegs Aſta iſt weg.

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Rita blickt ihn ſcheu an. Dann wirft Du wohl auch bald weg ſein, Alfred? Allmers ſchnell. Was willſt Du damit jagen? Nila. Daß Du Deiner Schweſter folgſt. Allmers. Hat Aſta etwas geſagt? Nila. Nein. Du ſagteſt doch ſelbſt, es ſei die Sorge um

Aſta geweſen, die uns zwei zuſammenführte.

Allmers. Nun ja, aber Du, Du ſelbſt haſt mich erobert. Im Zuſammenleben.

Nita. Ach, in Deinen Augen bin ich nicht nicht mehr

ſo berückend ſchön.

Allmers. Das Geſetz der Wandlung hält uns am Ende doch noch zuſammen. Mila nickt langſam. Eine Wandlung vollzieht ich freilich in mir. Ich fühl' es unter Schmerzen.

Allmers. Unter Schmerzen?

Rita. Ja, denn auch das it eine Art Geburt.

Allmers. Allerdings. Oder eine Auferſtehung. Ein Über— gang zu einem höheren Daſein.

Nita blickt verzagt vor ſich hin. Ja, aber unter dem Verluſt des ganzen, ganzen Lebensglückes.

Allmers. Der Verluſt iſt eben der Gewinn.

Rita heftig. Redensarten! Herrgott, wir ſind doch ſchließ— lich nur Menſchen.

Allmers. Auch mit Himmel und Meer ſind wir ein wenig verwandt, Rita.

Nita. Du vielleicht. Ich nicht.

Allmers. O doch. Mehr, als Du ſelber ahnſt.

Rika einen Schritt näher. Hör’ mal, Alfred, wär' es Dir nicht möglich, Deine Arbeit wieder aufzunehmen?

Allmers. Die Arbeit, die Du immer haßteſt ?

8

Nita. Ich bin genügſam geworden. Ich bin bereit, Dich mit Deinem Buch zu teilen.

Allmers. Warum?

Rita. Nur um Dich bei mir zu haben. In meiner Nähe.

Allmers. Ach, ich kann Dir ſo wenig helfen, Rita.

Nita. Vielleicht aber könnt' ich Dir helfen.

Allmers. Bei der Arbeit, meinſt Du?

Rita. Nein. Beim Leben.

Allmers ſchüttelt den Kopf. Mich dünkt, ich habe kein Leben mehr zu leben.

Nita. Nun, dann wenigſtens dabei, das Leben zu tragen.

Allmers finſter, vor ſich hin. Für beide Teile, mein’ ich, wär' es das Beſte, wenn wir auseinandergingen.

Rita siegt ihn forſchend an. Wo würdeſt Du dann Deine Zu— flucht ſuchen? Vielleicht doch bei Aſta?

Allmers. Nein. Bei Aſta nimmermehr.

Rita. Wo denn ſonſt?

Allmers. Oben in der Einſamkeit.

Rita. Oben zwiſchen den Gipfeln? Meinſt Du das?

Allmers. Ja.

Rita. Aber das find ja bloß Träumereien, Alfred! Dort oben könnteſt Du ja nicht leben.

Allmers. Und doch zieht es mich jetzt dort hinauf.

Rita. Sprich! Warum?

Allmers. Setz' Dich. Dann will ich Dir etwas erzählen.

Rita. Was Dir dort oben zugeſtoßen iſt?

Allmers. Ja.

Rita. Und was Du Aſta und mir verſchwiegen haft?

Allmers. Ja.

Rita. Du verſchließt alles immer ſo in Dich. Das ſollteſt Du nicht.

Allmers. Setz' Dich her. Dann werd' ich's Dir erzählen.

Be.

Rita. Ach ja, laß hören!

Sie ſetzt ſich auf die Bank vor der Laube.

Allmers. Ich war allein dort oben. Mitten im Hochgebirg. Da kam ich an einen großen, öden Bergſee. Und über den Bergſee, da mußt’ ich hinüber. Doch das konnt' ich nicht. Denn es waren da weder Boot noch Menſchen.

Rika. Nun? Und weiter?

Allmers. Dann ging ich aufs Geratewohl in ein Seiten— thal hinein. Denn dort vermutete ich einen Weg zum Ziele über die Höhen und zwiſchen die Felszinnen hindurch; und dann wieder hinunter nach der anderen Seite des Bergſees.

Nita. Da gingſt Du gewiß irre, Alfred!

Allmers. Ja. Ich verfehlte die Richtung. Denn ein Weg oder Pfad war nicht vorhanden. Und ich marſchierte den ganzen Tag. Und die ganze Nacht auch noch. Und ſchließlich ver zweifelte ich, je wieder zu Menſchen zu kommen.

Rila. Nicht wieder zu uns nach Haufe? O, da bin ich doch ſicher, daß Deine Gedanken hierher eilten.

Allmers. Nein, das thaten ſie nicht. Nita. Nicht? Allmers. Nein. Merkwürdig mir war, als ob Ihr in

weite, weite Ferne entſchwunden wäret, Du mit Eyolf. Und Aſta auch.

Nita. Aber woran haft Du denn gedacht?

Allmers. Ich habe gar nicht gedacht. Ich ging und ſchleppte mich vorwärts, die Abgründe entlang, und koſtete den Frieden und das Wohlbehagen der Todesempfindung.

Rita ſpringt auf. Laß doch dieſe Ausdrücke bei ſo grauen⸗ vollen Dingen!

Allmers. Ich empfand es ſo. Von Angſt keine Spur. Mir war, als ſchritten ich und der Tod einher wie zwei gute Reiſe— genoſſen. Die ganze Sache kam mir damals ſo natürlich,

ee,

fo einfach vor. In meiner Familie pflegen ja die Leute nicht alt zu werden |

Rita. Nun kein Wort mehr, Alfred! Schließlich kamſt Du doch mit heiler Haut davon.

Allmers. Ja mit einem Male war ich am Ziel. Auf der anderen Seite des Bergſees.

Rita. Es iſt für Dich eine Schreckensnacht geweſen, Alfred. Nur willſt Du es hinterher Dir ſelber nicht eingeſtehen.

Allmers. In dieſer Nacht rafft' ich mich zum Entſchluſſe auf. Und ſo kehrt' ich denn um und ging geradenwegs nach Haufe. Zu Eyolf.

Nita leiſe. Zu ſpät.

Allmers. Jawohl. Und als dann der Reiſegenoſſe daher— kam und ihn holte da erfaßte mich Grauen vor ihm. Grauen überhaupt. Vor alledem, was wir doch nicht auf— zugeben wagen. So erdgebunden ſind wir, Rita Du wie ich.

Nita mit einem Schimmer von Freude. Ja, nicht wahr! Auch Du! Nähert ſich. O jo laß uns das Leben zuſammen leben, fo lang’

es geht.

Allmers zuckt die Achſeln. Leben, jawohl! Ohne etwas zu haben, womit man das Leben ausfüllt. Alles öd' und leer wohin ich blicke.

Rita angſtvoll. Früher oder jpäter wirſt Du mich verlaſſen, Alfred! Ich fühl' es! Und ich ſeh' es Dir auch an! Du verläßt mich!

Allmers. Mit dem Reiſegenoſſen, meinſt Du?

Nita. Nein, ich meine Schlimmeres. Aus freien Stücken verläßt Du mich. Denn Du meinſt, nur hier im Hauſe das zu vermiſſen, wofür Du leben kannſt. Antworte! So denkſt Du?

Allmers blickt fie fett an. Und wenn ich nun jo dächte ?

Fern vom Strande her vernimmt man Lärm und Geſchrei wie von heftigen, zornigen Stimmen. Allmers geht an das Geländer.

re dr

Nita. Was iſt das? erregt. Du ſollſt ſehen, ſie haben ihn gefunden!

Allmers. Er wird nimmermehr gefunden.

Nita. Was iſt es ſonſt?

Allmers nähert ſich wieder. Bloß eine Schlägerei, wie gewöhnlich.

Nita. Unten am Strand?

Allmers. Jawohl. Man ſollte das ganze Stranddorf dem Boden gleichmachen. Jetzt ſind die Männer nach Hauſe ge— kommen. Betrunken, wie gewöhnlich. Prügeln die Kinder. Hör’ nur, wie die Jungen heulen! Die Weiber ſchreien um Hilfe

Rika. Wollen wir ihnen nicht wen zu Hilfe ſchicken?

Allmers hart und unwirſch. Zu Hilfe? Denen? Die Eyoli nicht geholfen haben? Nein, mögen ſie zu Grunde gehen, wie ſie Eyolf zu Grunde gehen ließen!

Bila. Du mußt nicht fo reden, Alfred! Nicht jo denken!

Allmers. Ich kann nicht anders. Die ganzen alten Kaſten müßte man niederreißen.

Rita. Und was ſoll dann aus den vielen armen Leuten werden?

Allmers. Die müſſen anderswo unterzukommen ſuchen.

Rita. Und die Kinder?

Allmers. Das iſt doch ziemlich gleichgültig, wo die zu Grunde gehen.

Rita mit stillem Vorwurf. Zu dieſer Härte mußt Du Dich zwingen, Alfred!

Allmers heftig. Es iſt fortan mein gutes Recht, hart zu ſein. Ja, meine Pflicht.

Nila. Deine Pflicht?

Allmers. Meine Pflicht Eyolf gegenüber. Er darf nicht ungerächt bleiben. Kurz und gut, Rita! Wie ich Dir ſage! Überlege Dir die Sache. Laß den ganzen Ort unten dem Erd— boden gleichmachen, wenn ich nicht mehr da bin.

Nita blickt ihn ernſt an. Wenn Du nicht mehr da biſt?

Allmers. Dann haſt Du wenigſtens etwas, womit Du Dein Leben ausfüllen kannſt. Und das mußt Du haben.

Rita entschieden. Sehr richtig. Das muß ich haben. Aber rat' einmal, was ich mache, wenn Du nicht mehr da biſt.

Allmers. Nun, was?

Rita langſam, entſchloſſen. Sobald Du weg biſt, gehe ich zum Strand hinunter und hole die armen, verkommenen Kinder ſamt und ſonders herauf ins Haus. Die ungezogenen Jungen alle

Allmers. Was haſt Du mit ihnen vor?

Rita. Ich will ſie zu mir nehmen.

Allmers. Du!

Rita. Jawohl, ich! Von dem Tage an, da Du mich ver— läßt, ſollen ſie hier hauſen, einer wie der andere, als ob ſie meine eigenen Kinder wären.

Allmers aufgebracht. An klein Eyolfs Statt! c

Nita. Jawohl, an klein Eyolfs Statt. Sie ſollen in Eyolfs Stuben wohnen. In ſeinen Büchern ſollen ſie leſen. Mit ſeinen Sachen ſpielen. Sie ſollen abwechſelnd auf ſeinem Stuhl ſitzen bei Tiſche.

Allmers. Das klingt ja wie der reine Wahnſinn! Ich! wüßte auf der ganzen Welt keinen Menſchen, der ſich zu ſo etwas weniger eignete als Du.

Rita. Dann muß ich mich dazu erziehen. Mich dazu heran— bilden. Mich darin üben. i

Allmers. Wenn das Dein voller Ernſt iſt, was Du da ſagſt, dann muß eine Wandlung mit Dir vorgegangen ſein.

Nita. Das iſt fie auch, Alfred. Es iſt Dein Werk. Du haſt eine leere Stelle in meinem Innern geſchaffen. Und die muß ich auszufüllen verſuchen. Mit etwas, was für eine Art Liebe gelten könnte.

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Allmers sent eine Weile gedantenvon da; er bliat fle an. Im Grunde haben wir nicht viel gethan für die armen Leute da unten.

Nita. Gar nichts haben wir für ſie gethan.

Allmers. Wir haben ihrer kaum einmal gedacht.

Rita. Niemals in Mitgefühl ihrer gedacht.

Allmers. Und hatten doch die „goldenen Berge“

Nita. Sie fanden unſere Hände zu. Und unſere Herzen auch.

Allmers niet. So iſt es am Ende doch ganz begreiflich, daß ſie ihr Leben nicht aufs Spiel geſetzt haben, um klein Eyolf zu retten.

Rita leiſe. Denk einmal nach, Alfred. Biſt Du ſicher, daß daß wir ſelbſt es gewagt hätten?

Allmers unruhig abwehrend. Zweifle daran nicht, Rita!

Rita. O, Du, wir ſind ſterbliche Menſchen.

Allmers. Was gedenkſt Du denn eigentlich für die ver— kommenen Kinder zu thun?

Rita. Zunächſt werd' ich einmal verſuchen müſſen, ob ich ihr Lebenslos mildern und veredeln kann.

Allmers. Gelingt Dir das, dann iſt klein Eyolf nicht ver— gebens geboren worden.

Rita. Und auch nicht vergebens uns wieder genommen.

Allmers blidt fie feſt an. Über eins ſei Dir klar, Rita. Nicht die Liebe iſt die Triebfeder dieſer Deiner Handlungen.

Rita. Allerdings nicht. Wenigſtens jetzt noch nicht.

Allmers. Was iſt denn eigentlich der Grund?

Rila halb ausweichend. Du ſprachſt doch jo oft mit Aſta über die menſchliche Verantwortung

Allmers. Über das Buch, das Du haßteſt.

Rila. Ich haſſe das Buch noch immer. Aber ich hörte aufmerkſam zu, wenn Du davon erzählt haſt. Und jetzt will ich ſelbſt mir weiter zu helfen ſuchen. Auf meine Art.

Allmers ſchuttelt den Kopf. Das unvollendete Buch iſt es nicht

Nita. Nein, ich habe noch einen anderen Grund.

Allmers. Und der iſt?

Nita leiſe, mit einem ſchwermütigen Lächeln. Ich will mich ein⸗ ſchmeicheln bei den großen, offenen Augen, weißt Du.

Allmers betroffen, blickt fie feſt an. Vielleicht könnt' ich da mit⸗ thun?! Und Dir helfen, Rita?

Rita. Das wollteſt Du?

Allmers. Ja, wenn ich nur wüßte, ob ich könnte.

Kita zögernd. Aber dann müßteſt Du ja hierbleiben.

Allmers leiſe. Verſuchen wir, ob es geht.

Rita num hörbar. Verſuchen wir's, Alfred. Beide ſchweigen. Darauf geht Allmers zur Flaggenſtange hin und hißt die Flagge

hoch. Rita bleibt an der Laube ſtehen und ſieht ihm ſtill zu.

Allmers nähert ſich wieder. Ein ſchwerer Werktag ſteht uns bevor, Rita.

Rita. Du wirſt ſehen, ab und zu wird Sonntagsſtille über uns kommen.

Allmers ſunbewegt. Da ſpüren wir vielleicht den Beſuch der Geiſter.

Rita flüſternd. Der Geiſter?

Allmers wie oben. Ja. Dann ſind ſie vielleicht um uns, die wir verloren haben.

Rita nickt langſam. Unſer kleiner Eyolf. Und Dein großer

Eyolf auch. Allmers ſtarrt vor ſich hin. Kann ſein, wir bekommen noch ab und zu auf dem Lebenswege etwas wie einen Abglanz

von ihnen zu ſehen.

Rita. Wohin ſollen wir ſehen, Alfred 2

Allmers richtet den Blick auf fie. Aufwärts.

Rita nickt beiſtimmend. Jawohl, aufwärts.

Allmers. Aufwärts, zu den Gipfeln. Zu den Sternen. Und zu der großen Stille.

Nita reicht ihm die Hand. Dank!

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John Gabriel Borkman

Schauſpiel in vier Akten

Jeſen, John Gabriel Borkman.

Geſchützt auf Grund der Geſetze und Verträge.

Den Bühnen gegenüber Manuffkript.

Perſonen.

John Gabriel Borkman, früher Bankdirektor.

Gunhild, ſeine Frau.

Erhard, Student, ihr Sohn.

Ella Rentheim, Frau Borkmans Zwillingsſchweſter. Fanny Wilton.

Wilhelm Foldal, Hilfsſchreiber bei einer Rechnungskammer. Frida, ſeine Tochter.

Stubenmädchen bei Frau Borkman.

Das Stück ſpielt an einem Winterabend auf dem Familiengute der Rentheims nahe der Hauptſtadt.

6 *

s

Erſter Akt.

Frau Borkmans Wohnzimmer. Die Einrichtung zeigt den verblichenen Glanz ver— gangener Tage. Eine offene Schiebethür führt zu einem Gartenzimmer mit Fenſtern und Glasthür im Hintergrund. Durch ſie blickt man in den Garten, wo im Dämmerlicht der Schnee treibt. An der rechten Seitenwand Entreethür vom Haus— flur her. Weiter vorn ein großer, alter eiſerner Ofen, der geheizt iſt. Links, etwas nach hinten, eine einzelne kleinere Thür. Vorn auß derſelben Seite ein Fenſter mit dichten Vorhängen. Zwiſchen dem Fenſter und der Thür ein Kanapee mit Roßhaarbezug und davor ein Tiſch mit einer Decke. Auf dem Tiſch brennt eine mit Schirm verſehene Lampe. Am Ofen ein Lehnſtuhl mit hohem Rücken.

Frau Borkman ſitzt auf dem Kanapee bei ihrer Häkelarbeit. Sie iſt eine ältere

Dame von kaltem, vornehmem Ausſehen, ſteifer Haltung und ſtrengen, ſtarren

Zügen. Ihr üppiges Haar iſt ſtark ergraut. Die Hände ſind fein und durch—

ſichtig. Sie trägt ein ſchweres, dunkles Seidenkleid, das vormals elegant geweſen,

aber jetzt ein bißchen zerſchliſſen und mitgenommen iſt. Um die Schultern ein wollener Shawl.

Sie ſitzt eine Weile aufrecht und regungslos da, mit der Häkelarbeit in der Hand. Von draußen ertönt das Schellengeläute eines vorbeifahrenden Schlittens. Trau Borkman horcht auf; in ihren Augen glänzt Freude, und ſie flüſtert unwillkürlich: Erhard! Endlich! Sie ſteht auf und blickt durch den Vorhang hinaus. Scheint enttäuſcht und seht ſich wieder aufs Kanapee an ihre Arbeit. Nach einer Weile kommt das Stubenmädchen durch die Entreethür mit einer Viſiten⸗ karte auf einer Tablette. rau Borkman ſchneu. Sit der Herr Studioſus doch ge— kommen?

BE pe

Das Stubenmädchen. Nein, gnädige Frau. Aber eine Dame iſt draußen

Trau Borkman legt die Sätelarbeit beiſeite. Ach jo, Frau Wilton

Das Stubenmädchen näher. Nein, eine fremde Dame.

Frau Borkman greift nach der Karte. Laſſen Sie ſehen tieit; ſteht raſch auf und ſtarrt das Mädchen an. Sind Sie ſicher, daß es für mich iſt?

Das Stubenmädchen. Jawohl. Ich habe ſo verſtanden, daß es für die gnädige Frau ſei.

Frau Borkman. Wünſchte die Dame Frau Borkman zu ſprechen?

Das Stubenmädchen. Ja, freilich wünſchte ſie das.

Frau Borkman turz entſchloſſen. Gut. So jagen Sie, ich ſei zu Hauſe.

Das Stubenmädchen öffnet der Fremden die Thür und geht ſelbſt ab. Ella Rentheim tritt ins Zimmer. Sie ſieht ihrer Schweſter ähnlich; doch hat ihr Geſicht mehr einen leidenden, als einen harten Ausdruck. Es trägt noch Spuren einſtiger hoher und charaktervoller Schönheit. Das üppige Haar iſt in ſeiner natürlichen Wellenform von der Stirn aufwärts geſtrichen und iſt ganz ſilberweiß. Sie trägt ein ſchwarzes Sammetkleid mit Hut und pelzgefüttertem Mantel von demſelben Stoff. Beide Schweſtern ſtehen eine Weile ſchweigend da und blicken einander prüfend an. Jede erwartet augenſcheinlich, daß die andere zuerſt ſpreche.

Ella, die in der Nähe der Thür geblieben. Ja, ſieh mich nur erſtaunt an, Gunhild.

Frau Borkman ſteht unbeweglich aufrecht zwiſchen dem Kanapee und dem Tiſch und ſtemmt die Fingerſpitzen gegen die Tiſchdecke. Haſt Du Dich nicht im Weg geirrt? Der Verwalter, weißt Du, wohnt doch im Seitengebäude.

Ella. Nicht mit dem Verwalter hab' ich heut zu reden.

Frau Borkman. So willſt Du von mir etwas?

Ella. Jawohl. Ich hätte ein paar Worte mit Dir zu reden.

Frau Borkman etwas vorgehend. Nun, jo nimm Platz.

Ella. Danke; ich kann ganz gut ſo lange ſtehen.

Frau Borkman. Ganz nach Belieben. So leg' doch wenigſtens den Mantel ab.

Ella knöpft den Mantel auf. Es iſt allerdings ſehr warm hier

Frau Borkman. Ich friere immer.

Ella ſteht eine Weile da und betrachtet ſie, während ſie den Arm auf dem Rücken des Lehnſtuhls ruhen läßt. Ja, Gunhild, nun find es bald acht Jahr, ſeit wir uns das letzte Mal geſehen haben.

Trau Borkman kalt. Jedenfalls ſeit wir uns das letzte Mal geſprochen haben.

Ella. Ganz recht: ſeit wir uns geſprochen haben, jawohl. Denn geſehen haſt Du mich wohl zuweilen wenn ich meine alljährliche Reiſe machen mußte hierher zum Verwalter.

Frau Borkman. Ein oder zwei Mal, glaub' ich.

Ella. Ich hab' Dich auch einige Mal flüchtig geſehen. Am Fenſter dort.

Frau Vorkman. Das muß hinter den Vorhängen geweſen fein. Du haft gute Augen. Hart und ſchneidend. Geſprochen aber haben wir uns das letzte Mal hier auf meiner Stube

Ella abwehrend. Ja, ja, ich weiß, Gunhild!

Frau Borkman. eine Woche bevor er, bevor er herauskam.

Ella geht durchs Zimmer. O, laß doch das ruhen!

Trau Borkman mit fejter, aber gedämpfter Stimme. Es war die Woche, bevor er der Bankdirektor wieder auf freien Fuß geſetzt wurde.

Ella geht nach vorn. Gewiß, gewiß! Die Stunde werde ich wohl nicht vergeſſen! Aber der Gedanke daran iſt zu nieder— ſchmetternd. Dabei auch nur einen Augenblick zu verweilen, o!

Frau Borkman dumpf. Und doch dürfen die Gedanken um nichts anderes kreiſen! Heftig erregt, indem ſie die Hände zuſammenſchlägt. Nein, ich begreif' es nicht! Mein Lebtag nicht! Ich faſſe es

8

nicht, wie ſo etwas etwas ſo Entſetzliches über eine Familie kommen kann! Und denk nur über unſere Familie! Über eine ſo vornehme Familie wie die unſere! Wer hätte denken ſollen, daß gerade ſie davon betroffen würde!

Ella. Ach, Gunhild da waren noch viele, viele andere Familien, die von dem Schlag betroffen wurden.

Trau Borkman. Na ja; aber dieſe andern gehen mich nicht viel an. Denn die, die haben doch nur ein Stück Geld oder einige Papiere zu verſchmerzen! Aber wir —! Ich! Und dann Erhard —, der doch damals noch ein kleines Kind war! In ſteigender Erregung. Der Schimpf, der uns Unſchuldigen angethan ward! Die Schande! Die häßliche, gräßliche Schande! Und dann noch obendrein der vollſtändige Ruin!

Ella behutſam. Sag' mir, Gunhild, wie trägt er's?

Frau Borkman. Meinſt Du Erhard?

Ella. Nein, er ſelbſt wie trägt er's?

Frau Borkman mit biſſigem Hohn. Glaubſt Du, daß ich da— nach frage?

Ella. Fragen? Du brauchſt doch nicht zu fragen

Frau Borkman ſieht fie erſtaunt an. Du glaubſt doch nicht etwa, daß ich mit ihm umgehe? Mit ihm zuſammenkomme? Ihn jemals ſehe?

Ella. Nicht das einmal!

Frau Borkman wie oben. Er, der hinter Schloß und Riegel fünf Jahr hat ſitzen müſſen! Vedeckt das Geſicht mit den Händen. O, dieſe drückende Schmach! Fährt auf. Und wenn man nun Des denkt, was ſeiner Zeit der Name John Gabriel Borkman be— deutete! Nein, nein, nein, ich will ihn nie wieder ſehen! Nie!

Ella blickt fie eine Weile an. Du biſt hartherzig, er

Frau Borkman. Gegen ihn, ja!

Ella. Er iſt doch Dein Mann.

22

ge

Frau Borkman, Hat er nicht vor Gericht gejagt, ich ſei's geweſen, die zum Ruin den erſten Anſtoß gegeben! Ich hätte übermäßig viel Geld gebraucht —?

Ella behutſam. War denn nicht etwas Wahres daran?

Frau Borkman. Hat er ſelbſt es nicht etwa haben wollen? Alles ſollte ſo ſinnlos luxuriös ſein

Ella. Das weiß ich wohl. Eben deshalb hätteſt Du ihn aber zurückhalten müſſen. Und das haſt Du ſchwerlich gethan.

Frau Borkman. Wußt' ich denn, daß es nicht ſein Eigen— tum war, das Geld, das er mir zu vergeuden gab? Und das er ſelbſt auch vergeudete. Zehnmal toller als ich!

Ella ruhig. Na, das wird wohl ſeine Stellung ſo mit ſich gebracht haben, denk' ich mir. Zum großen Teil wenigſtens.

Trau Vorkman höhniſch. Freilich, es hieß ja immer, wir müßten „repräſentieren“. Und repräſentieren, das that er denn auch gründlich! Viere lang kam er gefahren, als ob er ein König wäre. Ließ die Leute katzbuckeln, wie vor einem König. Lacht. Und beim Vornamen nannten ſie ihn im ganzen Lande, akkurat als wär' er der König ſelber. „John Gabriel“, „John Gabriel“. Jedes Kind wußte, was für eine Größe „John Gabriel“ war!

Ella feſt und mit Wärme. Er war auch damals eine Größe, Du.

Frau Borkman. Scheinbar, ja. Niemals aber ließ er mich auch nur mit einem Worte wiſſen, wie es eigentlich um ihn ſtand. Niemals ließ er verlauten, wo er die Mittel her— nahm.

Ella. Mag ſein, die andern ahnten das doch auch nicht.

Frau Borkman. Seine Handlungsweiſe anderen gegenüber, die mag ihm noch hingehen. Aber mir die Wahrheit zu ſagen, das war ſeine Pflicht. Und das hat er nie gethan! Nur mich anlügen that er, mich bodenlos anlügen

7

Ella unterbrechend. Das that er ſicher nicht, Gunhild! Er

verſchwieg vielleicht. Aber lügen das that er ſicher nicht. Trau Borkman. Nenn's, wie Du willſt. Es läuft doch auf eins hinaus. Dann kam aber auch der Zuſammenſturz. An

allen Enden. Und ſchließlich war die ganze Herrlichkeit zum Teufel.

Ella vor ſich hin. Ja, alles ſtürzte zuſammen ihm und anderen.

Frau Borkman richtet ſich drohend auf. Aber das ſag' ich Dir, Ella, noch geb' ich's nicht auf! Ich werde mir ſchon meine Genugthuung verſchaffen. Darauf kannſt Du Dich verlaſſen!

Ella geſpannt. Genugthuung? Was meinſt Du damit?

Trau Borkman. Genugthuung für den Verluſt des Namens und der Ehre und des Vermögens! Genugthuung für mein ganzes verpfuſchtes Leben, das meine ich! Ich habe nämlich wen in der Reſerve, damit Du's nur weißt einen, der das alles reinwaſchen ſoll, was was der Bankdirektor beſudelt hat.

Ella. Aber Gunhild! Gunhild!

Frau Borkman ſteigert den Ton. Höre, es lebt ein Rächer! Der alles wieder gutmachen ſoll, was ſein Vater an mir ver— brochen hat!

Ella. Erhard!

Frau Borman. Ja, Erhard, mein Prachtjunge! Der wird die Familie, das Haus, den Namen ſchon wieder aufrichten! Alles, was ſich aufrichten läßt. Und vielleicht noch mehr.

Ella. Und wie, meinſt Du, ſollte das geſchehen?

Frau Borkman. Mag's geſchehen, wie es will. Ich weiß nicht, wie es geſchehen wird. Aber ich weiß, daß es eines Tages geſchehen wird und muß. Blict fie fragend an. Ja, Ella, haſt Du Dich nicht, ſchon als er noch klein war, im Grunde mit demſelben Gedanken getragen?

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Ella. Das kann ich eigentlich nicht ſagen.

Frau Borkman. Nicht? Warum haſt Du Dich denn ſeiner angenommen? Als das Ungewitter losbrach über über dieſem Hauſe.

Ella. Du ſelbſt konnteſt es damals doch nicht, Gunhild.

Frau Borkman. Ach nein, ich konnte es ja nicht. Und ſein Vater, der hatte einen gewichtigen Abhaltungsgrund, ſaß er doch ſo feſt verwahrt

Ella empört. Daß Du ſo reden kannſt ! O Du —!

Trau Borkman mit giftigem Ausdruck. Und daß Du Dich dazu verſtehen konnteſt, Dich des Kindes von einem John Gabriel anzunehmen! So ganz, als ob es Dein eigenes wäre —. Mir es wegzunehmen, und damit heimzufahren! Und den Jungen zu behalten, jahraus jahrein. Bis er nahezu erwachſen war. Blickt ſie mißtrauiſch an. Warum haſt Du das eigentlich gethan, Ella? Warum haſt Du ihn behalten?

Ella. Ich gewann ihn mit der Zeit ſo lieb

Frau Borkman. Mehr als ich, ſeine Mutter!

Ella ausweichend. Das weiß ich nicht. Und überdies war Erhard etwas ſchwächlich, während ſeines Wachstums

Frau Borkman. Erhard ſchwächlich —!

Ella. So kam es mir vor wenigſtens damals. Außer— dem iſt an der Weſtküſte die Luft um vieles milder als hier, weißt Du.

Frau Borkman lächelt bitter. Hm. Iſt fie das? Abborechend Ja, Du haſt wirklich ſehr viel für Erhard gethan, Du. In veründertem Tone. Nun, Du haſt ja allerdings auch die Mittel dazu. Lachelt. Du hatteſt ja ſolches Glück, Ella. Gelang Dir's doch, alles zu retten, was Dir gehörte.

Ella getränkt. Ich habe in der Sache meinerſeits keinen Schritt gethan, das kann ich Dir verſichern. Ich hatte noch lange, lange nachher keine Ahnung davon, daß die Papiere.

die auf der Bank für meine Rechnung lagen, daß die nicht angetaſtet waren s

Trau Vorkman. Schon gut. Auf jo was verſteh' ich mich nicht. Ich ſage bloß, daß Du Glück hatteſt. Briet ſie fragend an. Als Du nun aber ſelbſtändig es unternahmſt, Erhard großzu— ziehen an meiner Statt —? Was hatteſt Du dabei für eine Abſicht?

Ella ſieht fie an. Abſicht ?

Trau Borkman. Ja, eine Abſicht haſt Du doch wohl gehabt. Zu was wollteſt Du ihn machen? Was aus ihm machen, mein' ich.

Ella langſam. Ich wollte Erhard den Weg ebnen, ein glück— licher Menſch zu werden im Leben.

Frau Vorkman wegwerfend. Pah, Leute in unſerer Lage haben mehr zu thun, als an das Glück zu denken. Ella. An was denn, meinſt Du?

Trau Borkman blickt ſie ernſt und ausdrucksvoll an. Erhard muß vor allen anderen Dingen danach ſtreben, ſo hoch zu ſteigen und ſo weit über das Land zu glänzen, daß kein Menſch mehr den Schatten ſieht, den ſein Vater auf mich geworfen hat und auf meinen Sohn.

Ella forſchend. Sag' mir, Gunhild, ſtellt Erhard ſelbſt an ſein Leben eine ſolche Forderung 2

Trau Borkman betroffen. Das wollen wir doch hoffen!

Ella. oder ſtellſt Du nicht vielmehr dieſe Forderung an ihn?

Frau Borkman tur. Die Forderungen, die wir an uns ſtellen, Erhard und ich, die decken ſich.

Ella dumpf und langſam. So ſicher biſt Jungen, Gunhild ?

Trau Borkman heimlich triumphierend. Ja, Gott ſei Lob und Dank das bin ich. Darauf kannſt Du Dich verlaſſen.

D

u alſo Deines

Ella. Dann, find' ich, mußt Du Dich doch eigentlich glücklich fühlen. Trotz alledem.

Frau Vorkman. Das thu' ich auch. In der Hinſicht, gewiß. Dann aber kommt jeden Augenblick, ſiehſt Du, die andere Geſchichte auf mich eingeſtürmt wie ein Ungewitter.

Ella in verändertem Tone. Sag' mir gerade heraus denn deshalb bin ich eigentlich zu Dir gekommen

Frau Borkman. Was?

Ella. Eine Sache, über die ich gern mit Dir geſprochen hätte. Sag' mir, Erhard wohnt doch nicht hier draußen bei bei Euch andern.

Trau Borkman hart. Erhard kann bei mir hier nicht wohnen. Er muß in der Stadt wohnen

Ella. Das hat er mir geſchrieben.

Trau Borkman. Wegen feiner Studien muß er das. Er kommt aber jeden Abend auf einen Sprung zu mir heraus.

Ella. So könnte ich ihn vielleicht ſehen? Und gleich mit ihm reden?

Trau Borkman. Er iſt noch nicht da. Ich erwart' ihn aber jeden Augenblick.

Ella. Doch, Gunhild, er muß ſchon da ſein. Denn ich höre ſeine Schritte oben.

Frau Borkman mit einem flüchtigen Blick. Oben im Saale?

Ella. Ja. Ich habe ſeine Schritte oben gehört von dem Augenblick an, als ich eintrat.

Trau Borkman mit abgewandtem Blick. Nicht er iſt das, Ella.

Ella ige. Nicht Erhard? Aßnungsvoll. Wer iſt es denn?

Trau Borkman. Der Bankdirektor.

Ella teife, in unterdrückte Schmerz. Borkman. John Gabriel Borkman!

Frau Borkman. So geht er auf und ab. Hin und her.

Vom Morgen bis zum Abend. Tagaus tagein.

2

Ella. Ich habe allerdings dies und das munkeln hören

Trau Borkman. Das glaub' ich gern. Die Leute munleln gewiß manches über uns hier draußen.

Ella. Erhard hat Andeutungen darüber gemacht. In ſeinen

Briefen. Daß ſein Vater ſich meiſtens iſoliert halte, da oben. Und Du hier unten.

Frau Borkman. Ja, jo haben wir's gehalten, Ella. Unausgeſetzt, ſeit ſie ihn freigelaſſen und ihn nach Hauſe geſchickt haben zu mir. Die ganzen acht Jahre.

4

Ella. Nie hab' ich mir aber vorſtellen können, daß e wirklich wahr ſei. Daß es überhaupt möglich ſei —!

Trau Borkman nie. Es iſt wahr. Und wird ſich auch nicht ändern.

Ella stiet ſie an. Ein furchtbares Leben muß das ſein, Gunhild.

Frau Borkman. Mehr als furchtbar! Bald nicht mehr zum Aushalten.

Ella. Das kann ich wohl verſtehen.

Frau Borkman. Stets und ſtändig ſeine Schritte oben zu hören! Vom frühen Morgen bis zum ſpäten Abend. Und wie das hier unten wiederſchallt!

Ella. Der Wiederſchall iſt allerdings ſehr ſtark.

Frau Borkman. Manchmal kommt es mir vor, als hätt' ich oben auf dem Saal einen kranken Wolf im Käfig. Gerade über meinem Kopf. Lauſcht und flüstert: Hör' nur! Hör! Auf und ab, auf und ab geht der Wolf.

Ella behutſam. Könnt' es nicht anders werden, Gunhild?

Frau Borkman ablepnend. Er hat nie einen Schritt gethan zu dieſem Zweck.

Ella. Aber könnteſt Du denn nicht den erſten Schritt thun?

Frau Borkman fährt auf. Ich! Nach alledem, was er an mir geſündigt! Ich danke! Dann ſoll der Wolf lieber oben weiter rumoren.

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Ella. Es wird mir hier doch zu warm. Du mußt mir ſchon geſtatten, abzulegen.

Frau Borkman. Ich habe Dich ja vorhin gefragt

Ella legt Mantel und Hut auf einen Stuhl bei der Eingangsthür.

Ella. Begegneſt Du ihm auch nicht gelegentlich außer dem Hauſe?

Frau Borkman lacht bitter auf. In der Geſellſchaft, meinſt Du?

Ella. Ich meine, wenn er ins Freie geht. Auf den Wald— wegen oder

Trau Borkman. Der Bankdirektor geht nie aus.

Ella. Auch in der Dämmerung nicht?

Trau Borkman. Niemals.

Ella ergriſen. Er kann es nicht über ſich gewinnen?

Frau Borkman. Wird wohl jo ſein. Sein großer Mantel und ſein Filzhut hängen im Wandſchrank. Im Hausfur, weißt Du

Ella vor ſich hin. Der Schrank, worin wir ſpielten, als wir noch klein waren

Trau Borkman nickt. Dann und wann, ſpät abends, da hör' ich ihn herunterkommen um ſich anzuziehen und auszugehen. Dann aber bleibt er gewöhnlich mitten auf der Treppe ſtehen, und kehrt um. Und dann geht er wieder hinauf in den Saal.

Ella behutſam. Kommt keiner von ſeinen alten Freunden zu ihm auf Beſuch?

Frau Borkman. Er hat keine alten Freunde.

Ella. Er hatte ihrer doch ſo viele ehemals.

Trau Borkman. Hm! Die wußt' er doch auf jo hübſche Art ſich vom Halſe zu ſchaffen. Er ward ſeinen Freunden ein teurer Freund, der John Gabriel.

Ella. Ach ja, darin magſt Du ſchon recht haben, Gunhild.

Frau Borkman heftig. Übrigens muß ich ſagen, daß es

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erbärmlich, gemein, elend, kleinlich iſt, jo großen Wert zu legen auf das bißchen, was ſie durch ihn etwa verloren haben. Das war ja doch nur ein Verluſt von Geld. Weiter nichts.

Ella, ohne zu antworten. Und ſo lebt er denn oben mutter— ſeelenallein. Ganz ſich ſelbſt überlaſſen.

Frau Borkman. Ja, das mag wohl ſein. Ich habe freilich jagen hören, ein alter Kopiſt oder Hilfsſchreiber komme dann und wann zu ihm hinauf.

Ella. Ach, das iſt ſicher ein gewiſſer Foldal. Die zwei waren doch Jugendfreunde, ſoviel ich weiß.

Frau Borkman. Ja, ich glaube, das waren ſie. Ich kenne ihn übrigens gar nicht. Denn in unſerem Kreis verkehrte er nicht. Als wir noch einen hatten

Ella. Aber jetzt kommt er alſo zu Borkman?

Trau Borkman. Ja. Er iſt eben nicht ſehr wähleriſch. Aber freilich kommt er auch nur in der Dämmerſtunde.

Ella. Dieſer Foldal gehörte mit zu denen, die beim Zu— ſammenbruch der Bank Verluſte erlitten haben.

Trau Borkman keichthin. Ich glaube mich zu entſinnen, daß er auch etwas Geld verloren hat. Das war aber gewiß ſo unbedeutend

Ella mit leichtem Nachdruck. Es war ſein ganzer Beſitz.

Trau Borkman lächelt. Na, Du lieber Gott, ſein Beſitz, hör' mal, der war doch wohl verſchwindend klein. Nicht der Rede wert.

Ella. Es war auch nicht die Rede davon von Foldals Seite während des Prozeſſes.

Frau Borkman. Und überhaupt kann ich Dir jagen, daß Erhard ihn reichlich entſchädigt hat für die Kleinigkeit.

Ella verwundert. Erhard! Wie hat Erhard das vermocht?

Trau Borkman. Er hat ſich der jüngſten Tochter Foldals angenommen. Hat ſie unterrichtet, ſo daß vielleicht mit der

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Zeit noch einmal etwas aus ihr wird, und ſie ihr eigenes Aus— kommen hat. Sieh, das iſt ſicher weit mehr, als was ihr Vater für ſie hätte thun können.

Ella. Ihr Vater, der lebt wohl in ärmlichen Verhältniſſen, denk' ich mir.

Frau Borkman. Und dann hat Erhard es durchgeſetzt, daß ſie Muſik ſtudiert. Sie iſt nun ſchon ſo tüchtig, daß ſie hinauf kann zu zu ihm da oben, um ihm vorzuſpielen.

Ella. Alſo die Muſik liebt er immer noch ſo ſehr?

Frau Vorkman. Ach ja, das mag er wohl. Er hat doch das Klavier, das Du ſchickteſt als er hier erwartet wurde

Ella. Und auf dem ſpielt ſie ihm vor?

Frau Borkman. Jawohl, von Zeit zu Zeit. In den Abendſtunden. Das hat Erhard auch fertig gebracht.

Ella. Da muß alſo das arme Mädchen den weiten Weg hier heraus und wieder zurück in die Stadt machen?

Frau Borkman. Nein, das hat ſie nicht nötig. Erhard hat es ſo arrangiert, daß ſie bei einer Dame bleiben kann, die hier in der Nähe wohnt. Es iſt eine gewiſſe Frau Wilton

Ella lebhaft. Frau Wilton!

Frau Borkman. Eine ſehr reiche Dame. Du kennſt fie ſchwerlich.

Ella. Ich habe den Namen gehört. Fanny Wilton, glaub' ich

Trau Borkman. Ganz recht.

Ella. Erhard hat ſie öfters erwähnt in ſeinen Briefen. Sie wohnt jetzt hier draußen?

Trau Borkman. Ja, fie hat hier eine Villa gemietet und iſt vor kurzer Zeit herausgezogen.

Ella etwas zögernd. Es heißt, ſie ſei von ihrem Mann ge— ſchieden.

Trau Borkman. Der Mann iſt wohl ſchon 1 Jahre tot.

Ibſen, John Gabriel Vorkman. 7

a er

Ella. Jawohl, aber geſchieden waren fie Er ließ ſich ſcheiden Trau Borkman. Er verließ ſie, das hat er gethan.

Die Schuld lag gewiß nicht auf ihrer Seite.

Ella. Kennſt Du ſie genauer, Gunhild?

Trau Borkman. So ziemlich. Sie wohnt ja ganz in der Nähe. Und ſo ſpricht ſie ab und zu mal bei mir vor.

Ella. Sie gefällt Dir?

Frau Borkman. Sie iſt fo ungemein verſtändig. So merk— würdig klar in ihrem Urteil.

Ella. In ihrem Urteil über Menſchen, meinſt Du?

Frau Borkman. Hauptſächlich darin. Erhard zum Beiſpiel, den hat fie förmlich ſtudiert. So recht aus dem ff aus dem Grunde ſeiner Seele. Und darum vergöttert ſie ihn auch, was nur natürlich iſt.

Ella etwas lauernd. Dann iſt ſie am Ende mit Erhard noch beſſer bekannt als mit Dir?

Frau Borkman. Jawohl. Erhard kam ſehr häufig mit ihr in der Stadt zuſammen. Ehe ſie herauszog.

Ella unüberlegt. Und doch zog fie aus der Stadt heraus?

Trau Borkman ſtutzt und blickt fie unwirſch an. D o ch! Wie meinſt Du das?

Ella ausweichend. Na lieber Gott, wie ſoll ich's meinen —?

Trau Borkman. Du ſagteſt das jo ſonderbar. Du meinteſt etwas damit, Ella!

Ella but ine feſt in die Augen. Nun ja, Gunhild. Ich habe wirklich etwas damit gemeint.

Trau Borkman. So ſag's doch nur grad’ heraus!

Ella. Vor allem will ich Dir das ſagen, daß auch ich eine Art Recht auf Erhard habe, wie mir ſcheint. Oder meinſt Du etwa nicht?

8

Trau Borkman ſieht das Zum mer entlang. Natürlich! Das viele Geld, das er Dich gekoſtet hat

Ella. Ach was! Nicht deswegen, Gunhild. Sondern weil ich ihn lieb habe

Frau Borkman mit einem Hohnlächelnn. Meinen Sohn? Kannſt Du das? Du? Trotz alledem?

Ella. Ja, ich kann es. Trotz alledem. Und ich thu' es. Ich habe Erhard lieb. So, wie ich überhaupt einen Menſchen lieb haben kann jetzt. In meinen Jahren.

Frau Borkman. Na ja, mag jein; aber

Ella. Und deshalb, ſiehſt Du, bin ich bekümmert, ſobald ich ſpüre, daß ihn etwas bedroht.

Frau Borkman. Erhard etwas bedroht! Ja, was bedroht ihn denn? Oder wer bedroht ihn?

Ella. Erſtens wohl Du, auf Deine Art

Frau Borkman erregt. Ich!

Ella. und dann dieſe Frau Wilton, ſo fürcht' ich wenigſtens.

Trau Borkman ſieht ſie eine Weile ſprachlos an. Und ſo etwas trauſt Du Erhard zu! Meinem Jungen! Ihm, der eine große Miſſion zu vollbringen hat!

Ella wegwerfend. Ach was, Miſſion —!

Frau Borkman empört. Und das wagſt Du mit ſolchem Hohn zu ſagen? i

Ella. Glaubſt Du, daß ein Menſch in Erhards Jahren, jung, friſch und geſund, glaubſt Du etwa, daß der hingeht und ſich opfert für für ſo was wie eine „Miſſion“!

Frau Borkman ſark und feſt. Erhard thut's! Ich weiß es ſicher.

Ella ſchüttelt den Kopf. Du weißt es nicht, noch glaubſt Du es, Gunhild.

Trau Borkman. Ich glaub' es nicht!?

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Ella. Du haft Dich da nur hinein getränmt! Denn wenn Du da ran Dich nicht feſtklammern könnteſt, jo würdeſt Du ficher- lich am Leben ſchier verzweifeln.

Frau Borkman. Allerdings würd' ich dann verzweifeln. Heftig. Und das ſäheſt Du vielleicht am liebſten, Ella!

Ella richtet den Kopf in die Höhe. Jawohl! Das ſäh' ich am liebſten, wenn Du Dir nicht anders zu helfen weißt, als daß Erhard dran glauben muß!

Frau Borkman drohend. Zwiſchen uns willſt Du treten! Zwiſchen Mutter und Sohn! Du!

Ella. Ich will ihn befreien von Deinem Einfluß, Deiner Gewalt, Deiner Herrſchaft.

Frau Borkman triumphierend. Das kannſt Du nicht mehr! Du hatteſt ihn in Deinem Garn bis zu ſeinem fünfzehnten Jahr. Aber ſchau, jetzt hab' ich ihn wiedergewonnen!

Ella. So werd' ich ihn Dir wieder abgewinnen! mit heiſerer Stimme, halb füfternd. Wir beide, wir haben ſchon einmal um einen Menſchen auf Leben und Tod gekämpft, Gunhild!

Trau Bockman ſchadenfroh. Jawohl, und ich trug den Sieg davon.

Ella mit Hohnlächeln. Biſt Du noch immer der Meinung, der Sieg ſei ein Gewinn für Dich geweſen?

Frau Borkman finſter. Nein; darin haſt Du grauſam recht.

Ella. Es wird auch diesmal kein Gewinn für Dich werden.

Trau Borkman. Sit das kein Gewinn, die mütterliche Gewalt über Erhard zu behalten?

Ella. Nein —; denn nur die Gewalt willſt Du über ihn haben.

Trau Borkman. Und Du?

Ella mit Wärme. Ich will ſein liebendes Gemüt, ſeine Seele, fein ganzes Herz —!

Trau Dorkman erregt. In Zeit und Ewigkeit bekommſt Du das nicht mehr!

Ella blickt fie an. Haft Du vielleicht da für ſchon geforgt?

Frau Borkman lächelt. Jawohl, ich war fo frei. Haft Du das ſeinen Briefen nicht entnehmen können?

Ella nickt langſam. Doch. Dein ganzes Weſen ſpiegelte ſich ſchließlich in ſeinen Briefen.

Frau Borkman ſtichennd. Ich habe die acht Jahre ausgenützt ſeit ich ihn wieder unter meinen Augen habe, meine Liebe.

Ella beherrſcht fih. Was haft Du Erhard von mir gejagt? Läßt ſich's erzählen?

Trau Borkman. O freilich!

Ella. So thu's doch!

Frau Borkman. Ich habe ihm nur die Wahrheit geſagt.

Ella. Nun alſo?

Frau Borkman. Ich hab' ihm unabläſſig eingeſchärft, er ſolle ſich freundlichſt gegenwärtig halten, daß wir Dir's ver— danken, wenn wir jetzt leidlich anſtändig leben können. Daß wir überhaupt leben können.

Ella. Weiter nichts?

Trau Borkman. O, jo was thut weh, Du. Das kenn' ich aus eigener Erfahrung.

Ella. Aber ungefähr hat das doch Erhard ſchon vorher gewußt.

Trau Borkman. Als er zurückkam zu mir, da bildete er ih ein, Du thäteſt das alles aus gutem Herzen. Blict ſie ſchaden— froh an. Jetzt glaubt er das nicht mehr, Ella.

Ella. Was glaubt er denn jetzt?

Trau Borkman. Er glaubt, was die Wahrheit iſt. Ich fragte ihn, wie er ſich's wohl erkläre, daß Tante Ella niemals zu uns käme auf Beſuch

Ella unterbricht jie. Das wußt' er längſt!

Frau Borkman. Er weiß jetzt mehr. Du hatteſt ihm ein— geredet, es ſei, um mich zu ſchonen und und den da oben

ge. oe

Ella. So war es auch.

Trau Borkman. Davon glaubt jetzt Erhard auch nicht ein Wort mehr.

Ella. Was für eine Meinung haſt Du ihm denn von mir beigebracht?

Frau Borkman. Er glaubt, was die Wahrheit iſt: daß Du Dich unſer ſchämſt, uns verachteſt. Oder thuſt Du das etwa nicht? Gingſt Du nicht ſeiner Zeit mit der Abſicht um, ihn mir ganz wegzunehmen? Beſinne Dich, Ella. Du haſt es gewiß nicht vergeſſen.

Ella ablehnend. Es war in der Zeit des ärgſten Skandals. Als die Sache öffentlich verhandelt wurde. Ich gehe jetzt nicht mehr mit ſolchen Gedanken um.

Trau Borkman. Das würde Dir auch nichts nützen. Denn was würde ſonſt aus ſeiner Miſſion werden! Ich danke ſchön, Du! Mich hat Erhard nötig, nicht Dich. Und darum iſt er für Dich tot! Und Du für ihn!

Ella kalt, entſchloſſen. Wir werden ja ſehen. Denn jetzt bleib’ ich hier!

Frau Borkman ſtarrt fie an. Hier auf dem Gute?

Ella. Ja, hier!

Frau Borkman. Hier bei uns? Die ganze Nacht?

Ella. Hier beſchließ' ich meine Tage, wenn's drauf ankommt.

Frau Borkman faßt ſich. Nun ja, Ella, das Gut gehört ja Dir.

Ella. Ach was —!

Frau Sorkman. Alles gehört ja Dir. Der Stuhl, auf dem ich ſitze, iſt Dein. Das Bett, in dem ich mich ſchlaflos wälze, gehört Dir. Das Brot, das wir eſſen, erhalten wir von Dir.

Ella. Das läßt ſich eben nicht anders machen. Borkman darf ja ſelbſt nichts beſitzen. Denn gleich würde einer kommen und es ihm nehmen.

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Trau Borkman. Ich weiß, ich weiß. Wir müſſen uns ſchon darein finden, von Deiner Gnade und Barmherzigkeit zu leben.

Ella rat. Ich kann Dir nicht verwehren, die Sache von der Seite anzuſehen, Gunhild.

Trau Borkman. Nein, das kannſt Du nicht. Wann ſollen wir ausziehen?

Ella ſieht fie an. Ausziehen?

Trau Borkman erregt. Ja, Du bildeſt Dir doch nicht etwa ein, daß ich hier wohnen bleibe unter einem Dache mit Dir! Nein, dann noch lieber ins Armenhaus oder auf die Landſtraße!

Ella. Gut. Dann gieb mir Erhard mit

Frau Dorkman. Erhard! Meinen Sohn! Mein Kind!

Ella. Ja dann fahr' ich gleich wieder nach Haus!

Trau Dorkman überlegt eine Weile, dann kurz entſchloſſen. Erhard ſoll ſelbſt wählen zwiſchen uns.

Ella ſieht ſie zweifelnd und unſicher an. Selbſt wählen? Ja riskierſt Du das, Gunhild?

Frau Borkman lacht grell auf. Ob ich's riskiere! Meinen Jungen wählen zu laſſen zwiſchen ſeiner Mutter und Dir! Ja freilich riskier' ich das.

Ella tausend. Kommt da wer? Mir iſt, als hört ich

Trau Borkman. Es wird wohl Erhard ſein

Es klopft ſchnell nach einander an die Eingangsthür, die dann ohne weiteres geöffnet

wird. Frau Wilton in Geſellſchaftstoilette und Mantel tritt ein. Hinter

ihr das Stuben mädchen, das nicht die Zeit gehabt Hat, ſie anzumelden, und ratlos

dreinſchaut. Die Thür bleibt halb offen. Frau Wilton iſt eine auffallend ſchöne,

üppige Dame in den dreißiger Jahren. Volle, rote, lächelnde Lippen. Lebhafte Augen. Starkes, dunkles Haar.

Trau Milton. Guten Abend, meine liebe Frau Borkman! Frau Vorkman etwas trocen. Guten Abend, gnädige Frau. Zum Stubenmädchen, indem ſie auf das Gartenzimmer deutet. tehmen Sie die Lampe da mit hinaus und zünden Sie ſie an. Das Stubenmädchen holt die Lampe und trägt ſie hinaus.

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Frau Wilton erölict ela. O, ich bitte um Entſchuldigung, Sie haben Beſuch

Frau Borkman. Nur meine Schweſter, die heut ange— kommen

Erhard Borkman reißt die halbgeöffnete Eingangsthür ganz auf und ſtürmt herein. Er iſt ein junger Menſch mit hellen, fröhlichen Augen. Elegant gekleidet. Keimender Schnurrbart.

Erhard Borkman an der Schwelle, freudeſtrahlend. Ja, was iſt denn das! Tante Ella da? Eitt auf fie zu und ergreift ihre Hände. Tante, Tante! Iſt's möglich! Du hier?

Ella ſchlingt die Arme um ſeinen Hals. Erhard! Mein lieber, guter Junge! Biſt Du aber groß geworden! Ach, wie das gut thut, Dich einmal wieder zu ſehen!

Frau Vorkman in ſcharfem Ton. Was ſoll das heißen, Erhard, Du hältſt Dich im Hausflur verſteckt?

Trau Wilton ſchnel. Erhard Herr Borkman hat mich herbegleitet.

Trau Borkman mißt ihn mit den Augen. So ſo, Erhard, Du kommſt nicht zuerſt zu Deiner Mutter?

Erhard. Ich war nur einen Moment bei Frau Wilton, um die kleine Frida abzuholen.

Trau Borkman. Sit Fräulein Foldal auch mit?

Frau Wilton. Ja, ſie ſteht im Hausflur draußen.

Erhard durch die Thür ſprechend. Gehen Sie nur hinauf, Frida. Pauſe. Ella beobachtet Erhard. Er ſcheint verlegen und etwas ungeduldig; ſein

Geſicht nimmt einen geſpannten und kühleren Ausdruck an. Das Stuben mädchen trägt die brennende Lampe ins Gartenzimmer, geht wieder hinaus und ſchließt die Thür hinter ſich.

Trau Dorkman mit erzwungener Höflichkeit. Frau Wilton, wenn Sie den Abend hier verbringen wollen, ſo

Frau Wilton. Beſten Dank, liebe Frau Borkman. Das iſt

Il we

durchaus nicht meine Abſicht. Wir ſind anderswo eingeladen. Man erwartet uns bei Advokat Hinkel. Frau Borkman ſieht fie an. Uns? Wen meinen Sie damit? Trau Wilton lachend. Na, eigentlich mein’ ich nur mich ſelbſt. Die Damen des Hauſes beauftragten mich aber, den Studioſus Borkman mitzubringen, wenn ich ihn zufällig zu Geſichte bekäme. Frau Borkman. Und das war der Fall, wie ich ſehe. Frau Wilton. Ja, glücklicherweiſe. Da er fo liebenswürdig

war, bei mir vorzuſprechen der kleinen Frida wegen. Trau Borkman toten. Du, Erhard, ich wußte gar nicht, daß Du die Familie kennſt, dieſe Hinkels.

Erhard irritiert. Nein, eigentlich kenne ich ſie ja auch nicht. Etwas ungeduldig hinzufügend: Du weißt doch ſelber am beſten, Mutter, welche Leute ich kenne und welche nicht.

Trau Wilton. Du lieber Gott! In dem Haus wird man bald bekannt! Muntere, luſtige, gaſtfreie Leute. Eine Maſſe junger Damen!

Frau Borkman mit Nachdruck. Wie ich meinen Sohn kenne, iſt das eigentlich keine Geſellſchaft für ihn, Frau Wilton.

Trau Wilton. Herrjeh, aber er iſt doch auch jung, Frau Borkman!

Frau Borkman. Ja, Gott ſei Dank iſt er jung. Es wäre ſonſt traurig.

Erhard ſeine Ungeduld ſchlecht verhehlend. Nun ja, Mutter, es verſteht ſich doch von ſelbſt, daß ich heut nicht zu Hinkels gehe. Ich bleibe natürlich bei Dir und Tante Ella.

Frau Borkman. Das wußt' ich wohl, mein lieber Erhard.

Ella. Nein, Erhard, meinetwegen laß Dich nur ja nicht abhalten

Erhard. Doch, doch, liebe Tante die Sache iſt erledigt. Sieht Fran Wilton unſicher an. Aber was thun wir nun? Wird

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ſich's eigentlich machen laſſen? Sie haben ja ſchon zugeſagt für mich. j

Trau Wilton aufgeräumt. Unſinn! Warum ſollt' es ſich nicht machen laſſen? Bin ich erſt da in den hellen, feſtlichen Salons, einſam und verlaſſen! dann ſag' ich eben ab für Sie.

Erhard gedehnt. Ja, wenn Sie meinen, daß es geht, dann

Frau Wilton leicht und flott. Ich habe ſchon jo manches liebe Mal zugeſagt und wieder abgeſagt für meine Perſon. Und Sie wollten Ihre Tante verlaſſen, wo ſie eben angekommen iſt? Pfui, Monſieur Erhard, heißt das wie ein Sohn gehandelt?

Trau Borkman unangenehm berührt. Wie ein Sohn?

Frau Wilton. Oder ſagen wir ein Pflegeſohn, Frau Borkman.

Frau Borkman. Das müſſen Sie ſchon hinzufügen.

Trau Milton. Ach, ich finde, man hat einer guten Pflege— mutter mehr zu verdanken als der rechten Mutter.

Trau Borkman. Haben Sie ſelbſt dieſe Erfahrung gemacht?

Frau Wilton. Du lieber Himmel, meine Mutter hab' ich ſo gut wie gar nicht gekannt. Hätt' ich aber auch ſo eine gute Pflegemutter gehabt, dann wär' ich vielleicht jetzt nicht fo fo unartig, wie die Leute von mir behaupten. Zu Erhard. Nun alſo hübſch zu Hauſe geblieben bei Mama und Tante und Thee getrunken, Herr Studioſus! Zu den Damen. Adieu, liebe Frau Borkman! Empfehle mich, gnädiges Fräulein!

Die Damen erwidern ſchweigend ihren Gruß. Sie ſchickt ſich zum Gehen an.

Erhard geht hinter ihr her. Soll ich Sie nicht ein Stückchen begleiten ?

Frau Wilton bei der Thür, abwehrend. Keinen Schritt jollen Sie mich begleiten. Ich bin ſchon daran gewöhnt, meinen Weg allein zu gehen. Bleibt in der Thüröffnung ſtehen, blickt ihn an und nickt. Nun nehmen Sie ſich aber in acht, Herr Studioſus Borkman, das ſag' ich Ihnen!

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Erhard. Wovor ſoll ich mich in acht nehmen?

Frau Wilton lustig. Je nun wenn ich jetzt meines Weges ziehe, einſam und verlaſſen, wie geſagt, dann erprob' ich den Runenzauber an Ihnen.

Erhard lacht. Ach ſo! Das wollen Sie wieder probieren.

Trau Wilton halb im Ernſt. Sehen Sie fi) vor! Wenn ich

jetzt meiner Wege gehe, dann ſag' ich innerlich, ſo recht aus meinem innerſten Willen heraus ſag' ich: Studioſus Erhard Borkman, gleich nehmen Sie Ihren Hut!

Trau Borkman. Und dann nimmt er ihn, meinen Sie? Frau Wilton lachend. Und ob —z; ſofort greift er nach dem Hut. Und dann ſage ich weiter: Ziehen Sie hübſch den Überzieher an, Erhard Borkman! Und die Gummiſchuhe! Ver— geſſen Sie ja die Gummiſchuhe nicht! Und kommen Sie mir nach! Folgſam, folgſam, folgſam! Erhard mit erzwungener Heiterkeit. Da können Sie ſicher ſein! Trau Wilton mit erhobenem Zeigefinger. Folgſam! Folgſam! Guten Abend! Sie lacht, nickt den Damen zu und ſchließt die Thür hinter ſich. Frau Borkman. Treibt ſie wirklich ſolche Künſte? Erhard. Ach, keine Idee. Wie kannſt Du glauben? Sie macht nur Spaß. Abbrechend. Aber reden wir nicht mehr von Frau Wilton. Er nötigt Ella, in dem Lehnſtuhl am Ofen Platz zu nehmen.

Erhard ſteht eine Weile da und ſieht ſie an. Daß Du die weite Reiſe gemacht haſt, Tante Ella! Und noch dazu im Winter! Ella. Sie wurde ſchließlich zur Notwendigkeit, Erhard.

Erhard. So? Warum denn das?

Ella. Ich mußte endlich einmal Arzte hier in der Stadt konſultieren.

Erhard. Recht ſo!

Ella lächelt. Sit Dir das fo recht?

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Erhard. Daß Du Dich endlich dazu entſchloſſen haſt, mein' ich.

Trau Borkman vom Kanapee her; kalt. Biſt Du krank, Ella?

Ella blickt fie mit Härte an. Du weißt ganz gut, daß ich krank bin.

Trau Borkman. Na ja, etwas kränklich, wie Du's ſeit Jahr und Tag geweſen

Erhard. Als ich noch bei Dir war, hab' ich Dir oft genug geſagt, Du ſollteſt mit dem Arzte reden.

Ella. Ach, in meiner Gegend, da iſt keiner, zu dem ich rechtes Vertrauen habe. Und dann machte es ſich damals auch nicht ſo arg fühlbar.

Erhard. Geht es Dir denn jetzt ſchlechter, Tante?

Ella. O ja, mein Junge, es geht mir allerdings ſchlechter.

Erhard. Aber es iſt doch nicht gefährlich?

Ella. Na, wie man's nimmt.

Erhard eifrig. Ja, aber dann, liebe Tante, dann darfſt Du ſo bald nicht wieder nach Hauſe.

Ella. Das will ich auch nicht.

Erhard. Du mußt in der Stadt bleiben. Denn da haſt Du die beſten Arzte zur Auswahl.

Ella. Das war auch mein Gedanke, als ich dieſe Reiſe unternahm.

Erhard. Und ſieh nur zu, daß Du ein recht gutes Logis bekommſt, ſo in einem ſtillen, gemütlichen Penſionat.

Ella. Ich bin heut Morgen in meinem alten Quartier ab— geſtiegen.

Erhard. Na, da haſt Du's ja auch ganz gemütlich.

Ella. Das ſchon aber ich werde trotzdem auf die Dauer dort nicht bleiben.

Erhard. So? Warum denn nicht?

Ella. Weil ich mich eines Beſſeren beſonnen habe, ſeit ich hier bin.

109

Erhard verwundert. So —? Du haſt Dich eines Beſſeren beſonnen ?

Frau Borkman hatelr; ohne aufzubliten: Deine Tante will hier auf ihrem Gute wohnen, Erhard.

Erhard sieht die beiden abwechſelnd an. Hier! Bei uns! Bei uns hier! Iſt das wahr, Tante?

Ella. Ich bin jetzt dazu entſchloſſen.

Frau Borkman wie oben. Du weißt doch, es gehört alles Deiner Tante.

Ella. Und ſo bleib' ich hier bei Euch, Erhard. Vorläufig wenigſtens. Bis auf weiteres. Ich wohne für mich allein. Drüben im Verwalterhauſe

Erhard. Recht ſo. Da haſt Du ja ſtets Zimmer für Dich bereit ſtehen. Mit plötzlicher Lebhaftigteit. Was mir da einfällt, Tante, biſt Du nicht ſehr müde von der Reiſe?

Ella. Ein wenig müde bin ich allerdings.

Erhard. Nun, da müßteſt Du doch zeitig zu Bette gehen, find' ich.

Ella ſieht ihn lächelnd an. Das will ich auch.

Erhard eifrig. Dann könnten wir ja morgen weiter plaudern, nicht wahr, oder einen andern Tag? Nach Herzensluſt. Von allem Möglichen. Du, die Mutter und ich. Wäre das nicht weit beſſer, Tante?

Trau Borkman erregt, indem ſie ſich vom Kanapee erhebt. Erhard, ich ſeh' es Dir an, Du willſt weg!

Erhard zuct zuſammen. Wie meinſt Du das?

Trau Borkman. Du willſt hin zu zu Hinkels.

Erhard unwillkürlich. Ach jo! Fast ſich. Ja, meinſt Du denn, ich ſollte lieber bis tief in die Nacht dableiben und Tante Ella um ihren Schlaf bringen? Tante Ella iſt doch krank, Mutter. Bedenke das!

Frau Borkman. Du willſt zu Hinkels, Erhard!

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Erhard ungeduldig. Aber mein Gott, Mutter, ich finde, ich kann nicht gut umhin. Oder was meinſt Du, Tante?

Ella. Das Beſte iſt, Du handelſt in voller Freiheit, Erhard.

Trau Borkman geht drohend auf fie zu. Du willſt ihn mir ab⸗ ſpenſtig machen!

Ella ſteht auf. O könnt' ich das nur, Gunhild!

Von oben ertönt Muſik.

Erhard windet ſich wie in Schmerzen. Das halt' ich nicht aus! Sieht ſich um. Wo habe ich meinen Hut? Zu Ella. Kennſt Du das Stück, das da oben auf dem Saal geſpielt wird?

Ella. Nein. Was iſt denn das?

Erhard. Die „Danſe macabre“. Der Totentanz. Kennſt Du den Totentanz nicht, Tante?

Ella mit ſchwermütigem Lächeln. Noch nicht, Erhard.

Erhard zu Frau Vortman. Mutter, ich flehe Dich an, laß mich gehen!

Trau Borkman blickt ihn mit Härte an. Du willſt nicht bei Deiner Mutter bleiben? Alſo wirklich nicht?

Erhard. Ich komme ja wieder vielleicht ſchon morgen!

Frau Borkman in keidenſchaftlicher Erregung. Du willſt mich ver- laſſen! Zu den fremden Menſchen willſt Du! Zu zu nein, ich mag den Gedanken nicht ausdenken!

Erhard. Dort brennen viele Lichter. Und junge, fröhliche Geſichter giebt es da. Und Muſik, Mutter!

Trau Borkman deutet nach oben. Da oben, da giebt es auch Muſik, Erhard.

Erhard. Die Muſik, die treibt mich doch gerade aus dem Hauſe.

Ella. Gönnſt Du Deinem Vater nicht das bißchen Selbſt— vergeſſen?

Erhard. Natürlich Ich gönn's ihm tauſendmal. Wenn ich's nur ſelber nicht mit anzuhören brauche.

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Trau Dorknan ſieht ihn ermahnend an. Sei ſtark, Erhard! Stark, mein Junge! Vergiß niemals, daß Du Deine große Miſſion haſt!

Erhard. Ach, Mutter, verſchone mich doch mit ſolchen Redensarten! Ich tauge nun einmal nicht zum Miſſionär. Gute Nacht, liebe Tante! Gute Nacht, Mutter!

Eilig ab durch den Flur.

Frau Borkman nach einer kurzen Pauſe. Du wirst ihn doch wohl bald wieder haben, Ella.

Ella. Könnt' ich's nur glauben.

Trau Borkman. Aber Du ſollſt ſehen: nicht lange, und Du wirſt ihn wieder verlieren. 5

Ella. Durch Dich, meinſt Du?

Frau Borkman. Durch mich oder durch die andere.

Ella. Dann ſie noch lieber als Du.

Frau Borkman nickt langſam. Ich verſtehe. Das ſag' ich auch. Sie noch lieber als Du.

Ella. Mag's ihn ſchließlich auch führen, wohin es will

Frau Borkman. Das wär' am Ende einerlei, hätt' ich faſt geſagt.

Ella nimmt ihren Mantel und Hut. Zum erſten Mal im Leben ſind wir beiden Zwillingsſchweſtern einig. Gute Nacht, Gunhild. Ste geht durch den Flur ab.

Die Muſik oben ertönt ſtärker.

Trau Dorkman fteht eine Weile unbeweglich da, fährt dann zuſammen, krümmt ſich und flüſtert unwilltürlich: Der Wolf heult wieder. Der kranke Wolf. Steht einen Augenblick da, wirft ſich dann auf den Zimmerteppich, wo ſie ſich ächzend windet, und flüſtert in ihrem Jammer: Erhard! Erhard, bleib' mir treu! Ach, ſo komm' doch zurück und hilf Deiner Mutter! Denn dieſes Leben ertrag' ich nicht länger!

Sweiter Akt.

Der alte große Prunkſaal des Rentheimſchen Hauſes. Die Wände ſind mit alten Gobelins bekleidet, auf denen Jagdſcenen, Hirten und Hirtinnen dargeſtellt ſind, alles in verſchoſſenen, ſchwindenden Farben. An der linken Wand eine Flügelthür und weiter vorn ein Klavier. In der linken Ecke der Hinterwand eine Tapetenthür ohne Einfaſſung. In der Mitte der rechten Wand ein großer, geſchnitzter, eichener Schreibtiſch mit vielen Büchern und Papieren. Gleichfalls rechts, aber weiter vorn ein Sofa mit Tiſch und Stühlen. Die Möbel ſind in ſteifem Empireſtil gehalten. Auf dem Pulte und auf dem Tiſche brennen Lampen.

John Gabriel Borkman ſteht am Klavier, die Hände auf dem Rücken, und hört Frida Foldal zu, die eben die letzten Takte der „Danſe macabre“ ſpielt. Borkman iſt ein mittelgroßer, ſtrammer und kräftig gebauter Mann in den ſechziger Jahren. Vornehmes Ausſehen, fein geſchnittenes Proſil, durchdringende Augen. Haar und Bart ſind grauweiß und kraus. Er trägt einen ſchwarzen, nicht mehr ganz modernen Anzug und eine weiße Halsbinde. Frida Foldal iſt ein hübſches, bleiches Mädchen von 15 Jahren; ihr Geſicht hat ein wenig den Ausdruck der Müdig⸗

keit und Überanftrengung. Ste trägt ein helles Kleid, dürftig herausgeputzt. Das Muſikſtück iſt zu Ende. Pauſe.

Vorkman. Raten Sie einmal, wo ich zuerſt Töne wie dieſe gehört habe!

Frida blict zu ihm auf. Nun, Herr Borkman ?

Borkman. Unten in den Minen.

Frida verſteht ihn nicht. In den Minen jo?

Borkman. Ich bin eines Bergmanns Sohn, wiſſen Sie wohl. Oder wiſſen Sie das vielleicht nicht?

Frida. Nein, Herr Borkman.

Borkman. Eines Bergmanns Sohn. Und mein Vater nahm mich zuweilen mit hinunter in die Minen. Da in der Tiefe ſingt das Erz.

Frida. So? Das ſingt?

Borkman nickt. Wenn es gebrochen wird. Die Hammerſchläge, die es brechen, das iſt die Mitternachtsglocke, die läutet und es erlöſt. Darum ſingt das Erz vor Freude in ſeiner Weiſe.

Frida. Warum thut es das, Herr Borkman?

Borkman. Es will ans Tageslicht und den Menſchen dienen.

Er geht auf und ab, die Hände fortwährend auf dem Rücken.

Trida ſitzt eine Weile da und wartet, blickt dann auf ihre Uhr und ſteht auf. Entſchuldigen Sie, Herr Borkman, ich muß nun leider fort.

Borkman bleibt vor ihr ſtehen. Jetzt wollen Sie ſchon fort?

Frida legt die Noten in ihre Mappe. Ich muß wohl. Sichtlich vers legen. Denn ich bin heute Abend wohin beſtellt.

Borkman. Zu einer Geſellſchaft?

Frida. Jawohl.

Borkman. Und Sie ſollen ſich hören laſſen da vor der Geſellſchaft?

Frida beißt ſich auf die Lippe. Nein, ich ſoll zum Tanz aufſpielen.

Borkman. Nur zum Tanz?

Frida. Ja. Man will nach Tiſche tanzen.

Borkman otiet fie eine Weile an. Spielen Sie gern zum Tanz? So in den Häuſern herum?

Frida zieht ihren Mantel an. Wenn ich einen Auftrag kriegen kann, jo —. Es giebt immerhin etwas dabei zu verdienen.

Borkman ausforſchend. It das Ihr erſter und einziger Gedanke, wenn Sie ſo ſitzen und zum Tanz ſpielen?

Ibſen, John Gabriel Borkman. 8

114

Trida. Nein. Ich denke vor allem, wie traurig es iſt, daß ich nicht ſelbſt beim Tanzen mitthun darf.

Borkman nit. Das eben wollt' ich wiſſen. Geht unruhig auf und ab. Ja, ja, ja, ſelbſt nicht mitthun dürfen, das iſt das allertraurigſte. Bleibt ſtehen. Eins aber wiegt Ihnen alles auf, Frida.

Frida blickt ihn fragend an. Und das wäre, Herr Borkman?

Borkman. Dieſes eine: Sie haben zehnmal mehr Muſik im Leibe, als die ganze Tanzgeſellſchaft zuſammen genommen.

Frida lächelt ausweichend. Ach, das iſt doch noch gar nicht ſo ſicher.

Borkman hebt warnend den Beigefinger. Sie werden doch nicht ſo verrückt ſein, an ſich ſelber zu zweifeln!

Frida. Aber lieber Gott, wenn nun niemand davon weiß?

Borkman. Wenn Sie nur ſelber es wiſſen, das genügt. Wo ſpielen Sie denn heut Abend.

Frida. Drüben bei Advokat Hinkel.

Borkman blict fie plögtic) ſtreng an. Hinkel, ſagten Sie?

Trida. Ja.

Borkman mit einem bitteren und ſcharfen Lächeln. Gehen zu dem Mann Leute ins Haus? Kann der Mann Verkehr bekommen?

Frida. O ja, es ſollen viel Leute hinkommen, nach dem, was Frau Wilton ſagt.

Borkman heftig. Aber was für Leute? Können Sie mir das ſagen?

Trida etwas ängstlich. Nein, das weiß ich wirklich nicht. Ja, richtig, Herr Studioſus Borkman ſoll heut dort ſein.

Borkman betroffen. Erhard! Mein Sohn?

Frida. Jawohl, er ſoll dort fein.

Borkman. Woher wiſſen Sie das?

Frida. Er hat es ſelbſt gejagt. Vor einer Stunde.

Borkman. Sit er denn heut hier draußen?

15

Trida. Jawohl, er iſt den ganzen Nachmittag bei Frau Wilton geweſen.

Borkman forſchend. Wiſſen Sie, ob er auch hier im Hauſe war? Ich meine, ob er unten war und mit jemand geſprochen hat?

Frida. Jawohl, er war ein Weilchen bei der gnädigen Frau im Zimmer.

Borkman bitter. Aha, dacht' ich mir's doch.

Frida. Aber noch eine fremde Dame war, glaub' ich, bei ihr.

Borkman. So? Wirklich? Na ja, zur gnädigen Frau kommt ja wohl mitunter der und jener.

Frida. Wenn ich den jungen Herrn nachher treffe, ſoll ich ihm dann ſagen, er möchte doch auch zu Ihnen heraufkommen?

Borkman barſch. Nichts ſollen Sie jagen! Das will ich mir ſehr verbeten haben! Die Leute, die mich zu ſprechen wünſchen, die ſollen von ſelber kommen. Ich bitte niemand darum.

Trida. Nein, nein, dann werd' ich nichts ſagen. Gute Nacht, Herr Borkman.

Borkman hrummt, auf und ab ſchlendernd. Gute Nacht.

Frida. Dürft' ich vielleicht die Wendeltreppe benutzen? Da geht's ſchneller.

Borkman. Ja doch! benutzen Sie meinetwegen, welche Treppe Sie wollen. Und jetzt gute Nacht.

Frida. Gute Nacht, Herr Borkman.

Ab durch die kleine Tapetenthür im Hintergrund links.

Borkman geht in Gedanken ans Klavier und will es zumachen, unterläßt es aber. Er ſieht ſich um in dem öden Raum und beginnt dann, auf und ab zu wandeln zwiſchen der Ecke am Klavier und der rechten Ecke des Hintergrundes, ohne Ruhe und Raſt, beſtändig hin und her. Schließlich geht er an den Schreibtiſch, horcht in der Richtung der Flügelthür, nimmt ſchnell einen Handſpiegel, beſieht ſich darin und bringt ſeine Halsbinde in Ordnung. Es klopft an die Flügelthür. Vorkman hört das Klopfen, blickt ſchnell zur Thür hin, ſchweigt aber. Nach einer Weile klopft es wieder, diesmal ſtärker.

8*+

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Borkman ſtützt, am Schreibtiſch ſtehend, die linte Hand auf die Tischplatte und ſteckt die Rechte in die Bruſt.

Herein! Wilhelm Foldal tritt behutſam ein. Er iſt ein Mann von abgearbeitetem Aus⸗ ſehen, gebeugter Haltung und hat ſanfte, blaue Augen und dünnes, langes, graues Haar, das ihm über den Rockkragen herabfällt. Unter dem Arm hat er eine Mappe. Er hält einen weichen Filzhut in der Hand und trägt eine große Hornbrille, die er

auf die Stirn hinaufſchiebt.

Borkman verändert ſeine Stellung und blickt den Eintretenden mit einem Gemiſch von Enttäuſchung und Befriedigung an. Ach, Du biſt's bloß.

Toldal. Einen ſchönen guten Abend, John Gabriel. Ich bin's, in eigenſter Perſon.

Borkman mit einem ſtrengen Blick. Ich finde übrigens, Du kommſt rechtſchaffen ſpät.

Foldal. Na hör' mal, der Weg hierher iſt keine Kleinigkeit. Beſonders für einen, der zu Fuß gehen muß.

Borkman. Ja, warum gehſt Du denn immer, Wilhelm? Ou haſt ja die Pferdebahn ganz in der Nähe.

Foldal. Gehen iſt geſünder. Und dann ſpar' ich auch die zehn Pfennig. Na, iſt Frida vorhin dageweſen und hat Dir vorgeſpielt?

Borkman. Dieſen Augenblick iſt fie gegangen. Biſt Du ihr nicht draußen begegnet?

Foldal. Nein. Ich hab' ſie ſeit Urzeiten nicht geſehen. Solange ſie zu dieſer Frau Wilton ins Haus kommt.

Dorkman ſetzt ſich aufs Sofa und deutet mit einer Handbewegung auf einen Stuhl. Setz' Dich nur auch, Wilhelm.

Toldal ſetzt ſich auf die Stuhltante. Danke ſchön. Blickt ihn ſchwer⸗ mütig an. Ach, Du glaubſt gar nicht, wie einſam ich mich fühle, ſeit Frida von Hauſe fort iſt.

Borkman. Herrjeh, Du haft doch noch genug Kinder.

Toldal. Weiß Gott, ja. Ganze fünf Stück. Aber Frida,

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die war die einzige, die mich ſo ein bißchen verſtanden hat. Schüttelt ſchwermütig den Kopf. Die andern, die verſtehen mich alle abſolut nicht.

Dorkman blickt finſter vor ſich hin und trommelt auf den Tiſch. Ja, das eben iſt die Geſchichte. Das iſt der Fluch, der auf uns einzelnen, auf uns auserwählten Menſchen laſtet. Die Maſſe, die Menge, der Durchſchnitt, die verſtehen uns nicht, Wilhelm.

Foldal resigniert. Verſtändnis, das verlangt man ja nicht gleich. Mit 'nem bißchen Geduld, da kann man immerhin ein Weilchen warten, bis es kommt. Wit thränenerſtickter Stimme. Aber Du, es giebt noch etwas Bittereres!

Borkman heftig. Etwas Bittereres als das giebt es nicht!

Toldal. O doch, John Gabriel. Ich hatte eben, bevor ich wegging zu Hauſe eine Scene.

Borkman. So? Warum denn?

Toldal berausplatend. Zu Hauſe, da da verachten fie mich.

Borkman fährt auf. Verachten Dich —!

Toldal wiſcht ſich die Augen. Ich hatt' es ſchon lange gemerkt. Heut aber kam es ſo recht zum Ausdruck.

Borkman nach einer kurzen Pauſe. Du trafſt gewiß keine gute Wahl, als Du heirateteſt.

Toldal. Es blieb mir doch jo gut wie keine Wahl. Und übrigens, man heiratet doch gern, wenn man ſo langſam in die Jahre kommt. Und ſo reduziert, ſo ganz auf den Hund, wie ich da— mals war

Borkman fpringt zornig auf. Soll das auf mich gemünzt ſein? Ein Vorwurf —!

Toldal ängstlich. Aber um des Himmels willen, John Gabriel —!

Borkman. Doch, Du denkſt jetzt an das Unglück, das über die Bank hereinbrach —!

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Toldal begütigend. Aber in der Geſchichte ſchieb' ich doch die Schuld nicht auf Dich! Gott ſoll mich bewahren —!

Bockman brummt, indem er ſich wieder ſett. Na, dann iſt es gut.

Toldal. Übrigens glaube nur nicht, daß ich mich über meine Frau beklage. Sehr gebildet iſt ſie ja nicht, die gute Seele, das geb' ich zu. Aber es iſt mit ihr doch auszukommen. Nein, Du! Die Kinder ſind es

Borkman. Das kann ich mir denken.

Toldal. Denn die Kinder, die haben doch mehr Kultur. Und ſtellen darum auch höhere Anforderungen ans Leben.

Borkman fest ihn teiinehmend an. Und darum verachten Dich die Rangen, Wilhelm?

Toldal zuckt die Achſenn. Sieh mal, ich habe ja keine ſonderliche Carriere gemacht. Das muß ich ja zugeben

Borkman rückt näher und legt die Hand auf ſeinen Arm. Wiſſen ſie denn nicht, daß Du ein Trauerſpiel geſchrieben haſt in Deiner Jugendzeit?

Toldal. Ja, natürlich wiſſen ſie das. Es ſcheint aber keinen beſonderen Eindruck auf ſie zu machen.

Borkman. Dann find fie eben verſtändnislos. Denn Dein Trauerſpiel iſt gut. Das iſt meine feſte Überzeugung.

Toldal, deſſen Geſicht ſich aufgent. Ja, nicht wahr, es iſt manches Gute darin, John Gabriel? Ach Gott, wenn ich's nur endlich ſchon angebracht hätte. Beginnt eifrig die Mappe zu öffnen und in den Papieren zu blüttern. Paß mal auf! Jetzt will ich Dir einige Anderungen zeigen

Dorkman. Haſt Du's bei Dir?

Foldal. Ja, ich hab's mitgebracht. Es iſt ſchon lange her, ſeit ich Dir's vorlas. Und darum dacht' ich, es würde vielleicht eine Zerſtreuung für Dich ſein, einen Akt oder zwei zu hören

Dorkman abwehrend, indem er ſich erhebt. Nein, nein, laſſen wir das lieber für ein ander Mal.

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Toldal. Gut, wie Du willſt.

Borkman geht auf und ab. Foldal packt das Manuſkript wieder ein.

Borkman bleibt vor ihm ſtehen. Es iſt wahr, was Du vorhin ſagteſt, Du haſt keine Carriere gemacht. Aber das ver— ſprech' ich Dir, Wilhelm: wenn einmal die Stunde der Genug— thuung für mich ſchlägt

Toldal will aufſtehen. Ach, wie dankbar bin ich Dir —!

Zorkman mit einer Handbewegung. Du darfſt ſitzen bleiben. In wachſender Erregung. Wenn die Stunde der Genugthuung für mich ſchlägt wenn ſie einſehen, daß ſie ohne mich nicht fertig werden wenn ſie zu mir kommen, hierher, und zu Kreuze kriechen und bitten und betteln, daß ich die Leitung der Bank wieder übernehme ! Der neuen Bank, die fie gegründet haben und nicht bemeiſtern können Stellt ſich an den Schreib- tiſch wie vorhin und ſchlägt ſich an die Bruft. Hier will ich ſtehen und ſie empfangen! Und weit im Lande ſoll's ruchbar werden, was für Bedingungen John Gabriel Borkman ſtellt, wenn er Hält plötzlich inne und ſtarrt Foldal an. Du ſiehſt mich ſo zweifelnd an! Glaubſt Du etwa nicht, daß ſie kommen? Daß ſie einmal zu mir kommen müſſen, müſſen? Glaubſt Du das nicht?

Toldal. Ja, weiß Gott, das glaub' ich, John Gabriel.

Borkman jest ſich wieder aufs Sofa. Ich glaube es fo feſt. Weiß es mit ſo unerſchütterlicher Gewißheit, daß ſie kommen. Hätte ich die Gewißheit nicht gehabt, dann hätt' ich mir längſt eine Kugel durch den Kopf gejagt.

Toldal erſchrotken. Ach, um Gottes willen —!

Borkman triumphierend. Aber fie kommen! Sie kommen ſchon! Paß auf! Jeden Tag, jede Stunde kann ich ſie hier erwarten. Und Du ſiehſt, ich halte mich parat, ſie zu empfangen.

Toldal mit einem Seufzer. Wenn ſie nur recht bald kämen.

Borkman unruhig. Allerdings; die Zeit vergeht; die Jahre vergehen; das Leben, nein, nein, ich wage nicht daran

eh

zu denken! Sieht ihn an. Weißt Du, wie ich mir manchmal vorkomme?

Toldal. Nun?

Borkman. Ich komme mir vor wie ein Napoleon, der in feiner erſten Feldſchlacht zum Krüppel geſchoſſen worden iſt.

Toldal legt die Hand auf die Mappe. Die Empfindung kenn' ich auch.

Borkman. Na ja, das heißt im kleineren Maßſtabe.

Toldal ruhig. Meine kleine Dichterwelt hat für mich einen großen Wert, John Gabriel.

Borkman heftig. Ja, aber ich erſt, der ich Millionen hätte haben können! Die Bergwerke alle, die ich mir erſchloſſen hätte! Neue Minen ins Unendliche! Die Waſſerfälle! Die Steinbrüche! Handelsſtraßen und Schiffahrtsverbindungen über die ganze weite Welt. Alles, alles hätt' ich allein ins Leben gerufen!

Toldal. Ja, ich weiß wohl. Du wärſt vor nichts zurückgeſchreckt.

Borkman preßt die Hände zuſammen. Und nun muß ich hier ſitzen wie ein zu Schanden geſchoſſener Auerhahn und mit anſehen, wie die andern mir zuvorkommen und mir's vor der Naſe weg— ſchnappen, Stück für Stück!

Toldal. Du! So geht mir's auch.

Borkman, ohne ihn zu beachten. Hat man ſchon jo etwas erlebt! Ich ſtand knapp vor dem Ziel. Nur acht Tage Friſt, um mich zu rangieren, und alle Depofiten wären wieder eingelöſt worden. Alle Wertpapiere, die ich mit kühner Hand angegriffen, die hätten wieder auf dem alten Platz gelegen. Um ein Haar wären die rieſenhaften Aktiengeſellſchaften damals zu ſtande gekommen. Kein einziger Menſch hätte einen Pfennig verloren

Toldal. Lieber Gott ja, fo nah’ am Ziel, wie Du warſt

Dorkman in verbiſſener Wut. Und da fiel mir die Verräterei in den Nacken! Gerade in den Tagen der Entſcheidung! Suat

121

ihn an. Weißt Du, was ich für das infamſte Verbrechen halte, das ein Menſch begehen kann?

Toldal. Nein, ſag' es mir.

Borkman. Es iſt nicht Mord. Auch Raub nicht oder nächt— licher Einbruch. Nicht einmal Meineid. Denn ſolche Thaten werden doch meiſtens nur gegen Leute verübt, die man haßt, oder die einem gleichgültig ſind und einen nichts angehen.

Zoldal. Nun alſo, John Gabriel, das Infamſte —?

Borkman mit Nachdruck. Das Infamſte iſt, wenn ein Freund das Vertrauen des Freundes mißbraucht.

Foldal etwas bedenklich. Ja, aber höre mal

Borkman auffahrend. Ich ſehe Dir an, was Du ſagen willſt. Das trifft aber nicht zu. Die Leute, die ihre Wertpapiere auf der Bank hatten, die hätten alles zurückbekommen. Auf Heller und Pfennig! Nein, mein Lieber, das Infamſte, was ein Menſch begehen kann, das iſt, wenn er die Briefe ſeines Freundes mißbraucht, wenn er das der Offentlichkeit preisgiebt, was einem Einzigen nur anvertraut war, unter vier Augen, wie zugeflüſtert in einem leeren, dunkeln, verriegelten Zimmer. Ein Mann, der zu ſolchen Mitteln greift, der iſt durch und durch vergiftet und ver— peſtet von einer mehr als ſchurkiſchen Moral. Und einen ſolchen Freund hab' ich gehabt. Und der hat mich zerſchmettert.

Toldal. Ich ahne ſchon, auf wen Du anſpielſt.

Borkman. In meinem ganzen Wandel war keine Falte, die ich ihm nicht enthüllt hätte. Und dann, als er den Augenblick gekommen ſah, da richtete er wider mich die Waffe, die ich ihm ſelber in die Hände gegeben.

Toldal. Ich habe nie begreifen können, warum er —? Allerdings munkelten die Leute damals mancherlei.

Borkman. Was munkelte man? So ſag's. Ich weiß ja nichts. Ich wurde ja doch gleich iſoliert. Was munkelten die Leute, Wilhelm?

12

Toldal. Du hätteſt Miniſter werden ſollen, hieß es.

Borkman. Die Stellung wurde mir angeboten. Aber ich lehnte ab.

Toldal. Da ſtandſt Du ihm alſo nicht im Wege.

Borkman. O nein, aus dem Grunde verriet er mich nicht.

Toldal. Ja, dann begreife ich wahrhaftig nicht

Borkman. Dir kann ich's ſchon ſagen, Wilhelm.

Toldal. Nun?

Borkman. Es war ſo 'ne Art Weibergeſchichte, weißt Du.

Toldal. Eine Weibergeſchichte? Aber John Gabriel ?

Borkman abbrechend. Na ja, reden wir nicht mehr von den alten, dummen Geſchichten. Aber Miniſter wurden wir beide nicht.

Toldal. Doch er kam in die Höhe.

Borkman. Und ich ſtürzte in den Abgrund.

Toldal. O, welch” fürchterliches Trauerſpiel

Borkman nickt ihm zu. So fürchterlich faſt wie Deines, wenn ich mir's überlege.

Toldal arglos. Ja, mindeſtens ſo fürchterlich.

Borkman lacht leiſe. Aber von einer andern Seite betrachtet, iſt es doch auch wieder 'ne Art Komödie.

Toldal. Komödie? Das?

Borkman. Wie ſich's jetzt entwickeln will ja. Denn nun paß mal auf

Toldal. Alſo?

Dorkman. Als Du kamſt, da fandeſt © Du Frida nicht mehr hier.

Toldal. Nein.

Rorkman. Nun, während wir beide hier ſitzen, ſpielt ſie zum Tanz auf, bei dem Mann, der mich verraten und ruiniert hat.

Toldal. Aber davon hatt’ ich ja keine Ahnung!

Borkman. Jawohl, ſie nahm ihre Noten und ging von hier aus in das Haus dieſer Herrſchaften.

Toldal eniſchuldigend. Ja, ja, das arme Kind Borkman. Und rate mal, wem unter andern ſie aufipielt? Toldal. Nun?

Borkman. Meinem Sohn.

Toldal. Was!

Borkman. Ja, was ſagſt Du dazu, Wilhelm? Mein Sohn ſchwingt dort heut Abend das Tanzbein. Darf ich da nicht von einer Komödie reden?

Foldal. Aber dann weiß er ſicherlich nichts.

Borkman. Was weiß er nicht?

Toldal. Er weiß ſicherlich nicht, auf welche Art er dieſer na

Borkman. Nenn’ nur ruhig den Namen. Es erregt mich jetzt nicht mehr, wenn ich ihn höre.

Toldal. Ich bin überzeugt, Dein Sohn kennt den Sach— verhalt nicht, John Gabriel.

Dorkman ſitzt finſter da und klopft auf den Tiſch. Er kennt ihn, Du, ſo wahr ich hier ſitze!

Toldal. Sollte man's aber dann für möglich halten, daß er in dem Haus verkehrt?

Borkman ſchüttelt den Kopf. Mein Sohn ſieht wohl die Dinge mit andern Augen an als ich. Ich möchte darauf ſchwören, daß er auf der Seite meiner Feinde ſteht! Er meint jedenfalls, wie ſie, daß der Advokat Hinkel nur ſeine verdammte Pflicht und Schuldigkeit gethan hat, als er hinging und mich verriet.

Toldal. Aber, Beſter, wer ſollte ihm denn die Sache in dem Lichte geſchildert haben?

Borkman. Wer? Vergißt Du denn, wer ihn erzogen hat? Zuerſt ſeine Tante ſeit ſeinem ſechſten oder ſiebenten Jahr. Und ſpäter dann ſeine Mutter.

Toldal. Ich glaube, Du thuſt ihnen Unrecht in dem Punkt.

Borkman auffahrend. Ich pflege keinem Menſchen Unrecht zu

= ae

thun! Ich ſage Dir, fie haben ihn gegen mich aufgehetzt, eine wie die andere!

Eoldal nachgiebig. Na ja, ja, dann wird's wohl ſo fein.

Borkman erbittert. O, dieſe Weiber! Das Leben verleiden und verſtören ſie einem! Verpfuſchen unſer ganzes Schickſal, unſern ganzen Siegeslauf.

Toldal. Du, nicht alle!

Borkman. So? Nenne mir eine einzige, die was taugt!

Toldal. Nein, das iſt es eben. Die paar, die ich kenne, die taugen nichts.

Borkman höhniſch. Was hat es dann für einen Nutzen, daß es ſolche Weiber giebt, wenn man ſie nicht kennt!

Foldal mit Wärme. O doch, John Gabriel, es hat einen Nutzen. Denn iſt es nicht ein herrlicher und erhebender Ge— danke, gleichwohl da draußen, um uns her, in weiter Ferne irgendwo das wahre Weib zu wiſſen?

Borkman mit einer ungeduldigen Gebärde. Aber ſo hör' doch auf mit Deinem Dichtergewäſch!

Toldal blickt iyn tief geträntt an. Dichtergewäſch fo nennſt Du meinen heiligſten Glauben?!

Borkman mit Härte. Jawohl, ich bin fo frei! Und wenn Du nicht weiter gekommen biſt in der Welt, ſo liegt der Grund eben da rin. Wollteſt Du nur ſolche Sachen laſſen, ſo könnt' ich Dir noch auf die Beine helfen, Dich in die Höhe bringen.

Toldal innerlich kochend vor Erregung. Ach, das kannſt Du doch nicht.

Borkman. Ich kann's, wenn ich nur wieder zur Macht gelange.

Foldal. Damit hat es ſicherlich noch feine guten Wege.

Borkman heftig. Biſt Du etwa der Meinung, die Zeit werd nie kommen? Antworte mir!

Toldal. Ich weiß nicht, was ich Dir antworten ſoll.

la =

Borkman fteht auf, kalt und vornehm, indem er mit einer Handbewegung zur Thür hindeutet. So biſt Du hier überflüſſig.

Toldal schnellt auf. Überflüſſig —!

Borkman. Wenn Du nicht glaubſt, mein Schickſal werde ſich wenden

Toldal. Aber ich kann doch nicht glauben, was wider die Vernunft iſt! Du müßteſt doch Genugthuung bekommen

Borkman. Weiter! Nur weiter!

Foldal. Mein Examen habe ich freilich nicht gemacht; aber ſo viel hab' ich doch zu meiner Zeit gelernt

Borkman ſchnell. Unmöglich, meinſt Du?

Zoldal. Es liegt kein Präcedenzfall vor.

Borkman. Braucht's auch nicht für Ausnahmemenſchen.

Foldal. Das Geſetz kennt ſolche Rückſichten nicht.

Borkman hart und abſprechend. Du biſt kein Dichter, Wilhelm.

Toldal faltet unwilltürlich die Hände. Sagſt Du das in vollem Ernſt?

Borkman abweijend, ohne ihm zu antworten. Wir beide vergeuden nur die Zeit mit einander. Das Beſte iſt, Du kommſt nicht mehr.

Toldal. Du willſt alſo, daß ich gehe!

Borkman ohne ihn anzuſehen. Ich hab' Dich nicht mehr nötig.

Toldal ſanftmütig, indem er ſeine Mappe nimmt. Na ja doch das mag ſchon ſein.

Borkman. Die ganze Zeit haſt Du mich alſo belogen.

Toldal ſchüttelt den Kopf. Hab' nicht gelogen, John Gabriel.

Borkman. Haft Du nicht ewig Hoffnung und Glauben und Zuverſicht in mich hineingelogen?

Toldal. Es war keine Lüge, ſolange Du an meinen Beruf glaubteſt. So lange Du an mich glaubteſt, ſo lange glaubte ich an Dich.

Borkman. Wir haben uns alſo gegenſeitig betrogen. Und am Ende uns ſelber betrogen einer wie der andere.

126

Zoldal. Aber ift das denn im Grunde nicht Freundſchaft, John Gabriel?

Borkman mit einem bittern Lächeln. Gewiß, ja, betrügen, das iſt Freundſchaft. Sehr richtig! Die Erfahrung hab' ich ſchon mal gemacht.

Toldal richtet den Blick auf ihn. Alſo nicht den Beruf zum Dichter. Und das fonnteft Du mir jo unbarmherzig jagen.

Borkman in etwas weicherem Ton. Na, ich bin ja doch nicht ſachkundig auf dem Gebiet.

Toldal. Mehr vielleicht als Du ſelber ahnſt.

Borkman. Ich?

Toldal leiſe. Ja, Du. Denn wiſſe, ich habe ſelbſt meine Zweifel gehabt, dann und wann. Den grauenvollen Zweifel ob ich nicht mein Leben verpfuſcht habe um einer Einbildung willen.

Borkman. Wenn Du an Dir ſelbſt zweifelſt, dann ſtehſt Du auf ſchwachen Füßen.

Toldal. Darum war es jo ein Troſt für mich, herzukomme n und mich auf Dich zu ſtützen, der den Glauben hatte. Nimmt ſeinen Hut. Aber jetzt biſt Du für mich ſo viel wie ein Fremder.

Borkman. Du für mich auch.

Toldal. Gute Nacht, John Gabriel.

Borman. Gute Nacht, Wilhelm.

Foldal links ab. Borkman ſteht eine Weile da und ſtarrt auf die Thür, die ſich inzwiſchen geſchloſſen, macht eine Bewegung, als ob er Foldal zurückrufen wollte, beſinnt ſich aber anders

und fängt an, auf und ab zu gehen, die Hände auf dem Rücken. Darauf bleibt er am Sofatiſch ſtehen und löſcht die Lampe aus. Es wird halbdunkel im Saale.

Bald darauf klopft es an die Tapetenthür links im Hintergrund. Dorkman, der am Tiſch ſteht, fährt zuſammen, dreht ſich um und fragt mit lauter Stimme: Wer klopft da?

Keine Antwort; es klopft zum zweiten Mal.

Vorkman bleibt ſtehen. Wer iſt da? Herein!

Ella Rentheim, eine brennende Kerze in der Hand, erſcheint in der Thür. Sie trägt dasſelbe ſchwarze Kleid wie zuvor, den Mantel loſe über die Schultern geworfen.

Borkman ſtarrt fie an. Wer ſind Sie? Was wollen Sie von mir!

Ella macht die Thür Hinter ſich zu und nähert ſich. Ich bin's, Borkman.

Sie ſtellt die Kerze aufs Klavier und bleibt dort ſtehen.

Borkman ftept wie vom Blitz getroffen da, ſtarrt ſie unverwandt an und Hüftert halblaut: Iſt das iſt das Ella? Sit das Ella Rent— heim?

Ella. Ja. Es iſt „Deine“ Ella, wie Du mich in früheren Zeiten genannt. Einſtmals. Vor langen langen Jahren.

Borkman wie oben. Ja, Du biſt es, Ella, ich ſeh' es jetzt.

Ella. Kannſt Du mich wiedererkennen?

Borkman. Ja, jetzt fang’ ich an

Ella. Die Jahre ſind herb und hart mit mir umgeſprungen, Borkman. Findeſt Du nicht?

Borkman gezwungen. Du haſt Dich etwas verändert. So auf den erſten Blick

Ella. Die dunkeln Locken, die über den Nacken herabfielen, die hab' ich nun nicht mehr. Die Locken, die Du einſt ſo gern um Deine Finger ſchlangſt.

Borkman ſchneu. Richtig! Jetzt ſeh' ich es, Ella. Du haſt Deine Friſur verändert.

Ella mit traurigem Lächeln. Ganz recht die Friſur, die macht es.

Borkman ablentend. Ich wußte übrigens nicht, daß Du in unſerer Gegend ſeiſt.

Ella. Ich bin auch eben erſt angekommen.

Borkman. Warum dieſe Reiſe, jetzt, zur Winterzeit?

Ella. Das werd' ich Dir ſagen.

Borkman. Willſt Du etwas von mir?

128

Ella. Auch von Dir. Ehe wir aber da von reden, muß ich weit zurückgreifen.

Borkman. Du biſt gewiß müde.

Ella. Ja, ich bin müde.

Borkman. Willſt Du Dich nicht ſetzen? Dorthin, aufs Sofa.

Ella. Danke ſchön. Ich muß mich wirklich ſetzen. Sie geht nach rechts und ſetzt ſich in die vordere Sofgecke. Borkman ſteht am Tiſch,

die Hände auf dem Rücken, und ſieht ſie an. Kurze Pauſe.

Ella. Es iſt unendlich lange her, ſeit wir zwei uns gegen— übergeſtanden, Aug' in Auge, Borkman.

Borkman finſter. Lange, lange iſt's her. Viel Furchtbares liegt dazwiſchen.

Ella. Ein ganzes Menſchenleben liegt dazwiſchen. Ein ver— fehltes Menſchenleben.

Borkman blickt fie unwirſch an. Verfehlt!

Ella. Ja, verfehlt. Für uns beide.

Borkman in kaltem Geſchäftston. Ich erachte mein Leben noch nicht für verfehlt.

Ella. Nun gut, aber mein Leben?

Borkman. Daran biſt Du ſelber ſchuld, Ella.

Ella mit einem Ruck. Und das ſagſt Du!

Borkman. Du hätteſt ſehr wohl glücklich werden können ohne mich.

Ella. Glaubſt Du?

Borkman. Wenn Du ſelbſt nur gewollt hätteſt.

Ella bitter. Ja, ich weiß allerdings, daß ein anderer mit offenen Armen bereit ſtand

Borkman. Doch Du haſt ihn abgewieſen.

Ella. Das that ich.

Borkman. Ein Mal übers andere wieſeſt Du ihn ab. Jahr— aus jahrein

ra

Ella böhnich. jahraus, jahrein hab' ich das Glück ab» gewieſen, willſt Du ſagen?

Borkman. Du konnteſt ſehr wohl auch mit ihm glücklich werden. Und dann wär' ich gerettet geweſen.

Ella. Du 2

Borkman. Ja, dann hätteſt Du mich gerettet, Ella.

Ella. Wie meinſt Du das?

Borkman. Er glaubte, ich ſteckte hinter Deiner Ablehnung, Deinen ewigen Weigerungen. Und da nahm er Rache. Denn

das konnt' er ſo leicht, weil er ja doch die rückhaltloſen, vertrauensſeligen Briefe von mir alle in Händen hatte. Davon machte er Gebrauch, und da war's mit mir aus, fürs

erſte wenigſtens. Siehſt Du, an alledem biſt Du ſchuld, Ella!

Ella. Ei, ſieh mal an, Borkman, am Ende liegt wohl die Sache ſo, daß ich in Deiner Schuld ſtehe.

Borkman. Wie man's nimmt. Ich weiß recht wohl, was ich Dir alles zu verdanken habe. Du erwarbſt den Hof hier in der Verſteigerung, das ganze Gut. Du ſtellteſt das Haus mir und und Deiner Schweſter ganz und gar zur Verfügung. Du nahmſt Erhard zu Dir, und ſorgteſt für ihn in jeder Beziehung

Ella. ſolange es mir erlaubt wurde

Borkman. es Dir von Deiner Schweſter erlaubt wurde, heißt das. Ich habe mich in dieſe häuslichen Fragen nie hinein— gemiſcht. Ja, wie geſagt, ich weiß, welche Opfer Du mir und Deiner Schweſter gebracht haſt. Du konnteſt es aber auch, Ella. Und Du darfſt nicht vergeſſen, daß ich es war, der Dich in den Stand geſetzt, es zu können.

Ella empört. Da biſt Du gewaltig im Irrtum, Borkman! Mein innerſtes Gefühl, meine warme Zuneigung für Erhard, und auch für Dich, das war es, was mich dazu antrieb.

Ibſen, John Gabriel Borkman. 9

Borkman unterbricht fi. Liebe Ella, laſſen wir Gefühle und derlei Dinge aus dem Spiele. Was ich ſagte, war natürlich ſo gemeint: wenn Du ſo handelteſt, wie Du gethan, ſo war ich es, der Dir dazu die Möglichkeit gegeben.

Ella lächelt. Hm, die Möglichkeit, die Möglichkeit

Borkman feurig. Jawohl, die Möglichkeit! Als die große, entſcheidende Schlacht geliefert werden ſollte, als ich weder Verwandte noch Freunde jchonen konnte, als ich zu den Millionen, die mir anvertraut waren, greifen mußte und auch griff, da verſchonte ich alles, was Dein war, Dein ganzes Eigentum und Beſitztum, obwohl ich dariiber hätte ver— fügen und es verwenden können wie alles Übrige. Ella tar und ruhig. Das iſt ganz richtig, Borkman.

Borkman. Allerdings. Und darum als ſie kamen und mich einſteckten, da fanden ſie denn auch Deine ganze Habe unangerührt im Gewölbe der Bank.

Ella richtet den Blick auf ihn. Ich habe oft darüber nachgedacht, warum verſchonteſt Du eigentlich alles, was mir gehörte und nur das allein?

Borkman. Warum?

Ella. Ja, warum? Sag' mir das.

Borkman hart und höhniſch. Du denkſt vielleicht, ich that es, um etwas in der Reſerve zu haben wenn die Sache ſchief gehen ſollte?

Ella. Ach nein, daran dachteſt Du zu der Zeit ſicher nicht.

Borkman. Niemals! Ich baute felſenfeſt auf meinen Sieg.

Ella. Aber warum denn eigentlich —?

Borkman zuckt die Achſeln. Du lieber Gott, Ella, es iſt nicht ſo leicht, ſich auf Beweggründe zu beſinnen, die an die zwanzig Jahre zurückliegen. Ich erinnere mich nur: wenn ich da einſam herumging und im ſtillen mich mit den gewaltigen

Unternehmungen trug, die ich ins Werk ſetzen wollte, daun war mir zu Mut, wie es etwa einem Luftſchiffer zu Mute ſein muß. In den ſchlafloſen Nächten war mir's, als ob ich einen Rieſenballon füllte und im Begriff ſtünde, über ein unſicheres, gefahrvolles Weltmeer zu ſegeln.

Ella lächelt. Und haſt doch nie am Siege gezweifelt?

Borkman ungeduldig. So ſind die Menſchen, Ella. Sie zweifeln und ſie glauben zu gleicher Zeit. Vor ſich hin. Und das war wohl der Grund, weshalb ich Dich und Deine Habe nicht mitnehmen wollte in den Ballon.

Ella geſpannt. Warum, frag' ich! Sag', warum!

Borkman, ohne fie anzublicen. Man nimmt nicht gern das Teuerſte mit an Bord auf ſolcher Fahrt.

Ella. Du hatteſt ja das Teuerſte mit an Bord. Dein ganzes zukünftiges Leben

Borkman. Das Leben iſt nicht immer das Teuerſte.

Ella atemlos. Haſt Du das damals ſo angeſehen?

Borkman. Mir iſt fo.

Ella. Daß ich Dir das Teuerſte wäre, dachteſt Du?

Borkman. Ich habe den Eindruck.

Ella. Und damals war doch Jahr und Tag darüber ver—

gangen, daß Du mich ſitzen ließeſt und Dich verheiratet hatteſt mit mit einer andern!

Borkman. Dich ſitzen ließ, ſagſt Du? Du weißt ganz genau, daß es höhere Rückſichten waren, na ja, ſagen wir

andere Rückſichten, die mich dazu gezwungen haben. Ohne yeinen Beiſtand konnte ich nicht vorwärts kommen.

Ella nit überwindung. Du ließeſt mich alſo ſitzen aus höheren Rückſichten.

Borkman. Ich konnte ſeine Hilfe nicht entbehren. Und er

beanſpruchte Dich als den Preis ſeiner Hilfe. 9*

132

Ella. Und Du haft den Preis bezahlt. Die volle Summe. Ohne zu handeln.

Borkman. Es blieb mir keine Wahl. Ich mußte ſiegen oder fallen.

Ella mit bebender Stimme, indem ſie ihn anſieht. Kann das wahr ſein, was Du ſagteſt: daß ich Dir damals das Teuerſte war auf der Welt?

Borkman. Damals und auch ſpäter, lange, lange noch.

Ella. Und doch verſchacherteſt Du mich. Machteſt aus dem Rechte Deiner Liebe mit einem andern Mann ein Handelsgeſchäft. Verkaufteſt meine Liebe um den Poſten eines Bankdirektors!

Borkman finfter, mit geſenttem Kopf. Ich ſtand unter dem Zwange der Notwendigkeit, Ella.

Ella ſteht vom Sofa auf, in leidenſchaftlicher, zitternder Erregung. Ver⸗ brecher!

Borkman fährt zuſammen, beherrſcht ſich aber. Das Wort habe. ich ſchon einmal gehört.

Ella. Ach, denke nur nicht, daß ich auf das anſpiele, was Du gegen das Recht und die Geſetze des Landes verbrochen haben magſt. Was Du mit den Aktien oder Obligationen, oder was es ſonſt war, was Du damit angefangen haſt das, glaube mir, iſt mir gleichgiltig! Wäre mir's vergönnt geweſen, an Deiner Seite zu ſtehen, als alles über Dir zuſammenſtürzte

Borkman geſpannt. Was dann, Ella?

Ella. Glaube mir, ich hätt' es froh und freudig mit Dir getragen. Die Schande, den Ruin, alles, alles hätt' ich Dir tragen helfen

Borkman. Dazu hätteſt Du den Willen gehabt? Und die Kraft?

Ella. Den Willen und die Kraft. Denn damals kannte ich ja nicht Dein großes, furchtbares Verbrechen

Dorkman. Welches Verbrechen? Was meinſt Du?

Se ST

Ella. Ich meine das Verbrechen, für das es keine Ver— gebung giebt.

Borkman ſtarrt ſie an. Du mußt von Sinnen ſein.

Ella tritt näher an ihn heran. Du biſt ein Mörder! Du haſt die große Todſünde begangen!

Borkman weicht in der Richtung des Klaviers zurück. Du raſeſt, Ella!

Ella. Du haſt das Liebesleben in mir gemordet. Immer näher. Verſtehſt Du, was das heißt? Die Bibel redet von einer geheimnisvollen Sünde, für die es keine Vergebung giebt. Ich habe früher nie verſtehen können, was damit gemeint war. Jetzt verſteh' ich es. Die große, unverzeihliche Sünde, iſt die Sünde, die man begeht, wenn man das Liebesleben mordet in einem Menſchen.

Borkman. Und das, meinſt Du, hätt' ich gethan?

Ella. Du haſt es gethan! Ich hatte eigentlich nie ein rechtes Bewußtſein von dem, was mir widerfahren war, bis zum heutigen Abend. Daß Du mich ſitzen ließeſt und dafür Dich Gunhild zuwandteſt, das nahm ich einfach für eine Unbeſtändigkeit von Deiner Seite. Und für das Ergebnis ihrer herzloſen Kunſtgriffe. Und ich glaube beinahe, ich ver— achtete Dich ein bißchen trotz allem. Aber jetzt ſeh' ich es! Du ließeſt das Weib ſitzen, das Du liebteſt! Mich, mich, mich! Was Dir das Teuerſte war auf Erden, das warſt Du bereit zu veräußern, um des Vorteils willen. Das iſt der zwie— fache Mord, den Du auf dem Gewiſſen haſt! Der Mord an Deiner eigenen Seele und der meinen!

Borkman talt und ſich beherrſchend. Daran erkenn' ich Deine leidenſchaftliche, zügellofe Gemütsart wieder, Ella! Es paßt Dir ſo, die Sache von dieſem Geſichtspunkte aus zu betrachten. Du biſt ja ein Weib. Und da willſt Du denn von nichts anderm wiſſen, nichts anderes gelten laſſen in der ganzen Welt.

Ella. Allerdings —, das will ich auch nicht.

das

134

Zorkman. Bloß Deine eigene Herzensangelegenheit

Ella. Bloß die! Bloß die! Ganz recht.

Dorkman. Du darfſt aber nicht vergeſſen, daß ich ein Mann bin. Als Weib warſt Du für mich das Teuerſte auf Erden. Allein wenn's ſein muß, ſo kann doch ein Weib durch ein anderes erſetzt werden

Ella blickt ihn mit einem Lächeln an. Machteſt Du die Erfahrung, als Du Gunhild zur Frau genommen hatteſt?

Borkman. Nein. Aber meine Lebensaufgaben halfen mir auch das ertragen. Alle Machtquellen dieſes Landes wollte ich an mich bringen. Alles, was der Boden und die Berge und die Wälder und das Meer an Reichtümern bargen, alles wollte ich mir unterwerfen, wollte mir ſelbſt die Gewalt aneignen und dadurch Wohlſtand ſchaffen für viele, viele tauſend andere.

Ella in der Erinnerung verloren. Ich weiß. So manchen lieben Abend haben wir von Deinen Plänen geſprochen

Borkman. Ja, mit Dir konnt' ich das, Ella.

Ella. Ich ſcherzte über Deine Entwürfe und fragte, ob Du ſie alle wecken wollteſt, des Goldes ſchlummernde Geiſter.

Borkman nic. Auf den Ausdruck beſinn' ich mich noch. Langſam. „Des Goldes ſchlummernde Geiſter“.

Ella. Du nahmſt es aber nicht für Spaß. Du ſagteſt: Jawohl, Ella, das eben will ich.

Borkman. So war's auch. Hatt' ich nur erſt den Fuß im Bügel —. Und das hing damals von dem einen Mann ab. Er konnte und er wollte mir an der Bank die leitende Stellung verſchaffen, wenn ich dafür

Ella. Richtig, ja! Wenn Du dafür auf das Weib ver- zichteteſt, das Du lieb hatteſt, und das Dich unſäglich wieder liebte.

Borkman. Ich kannte ſeine blinde Leidenſchaft für Dich. Wußte, daß er unter keiner andern Bedingung

135

Ella. Und da ſchlugſt Du ein.

Borkman heftig. Ja, ich that's, Ella! Denn ſchau, die Machtbegierde, die war in mir unbezw inglich! Und da ſchlug ich ein. Mußte einſchlagen. Und er half mir halbwegs empor zu den verführeriſchen Höhen, wohin es mich zog. Und ich ſtieg und ſtieg. Jahr um Jahr ſtieg ich

Ella. Und ich war wie ausgelöſcht aus Deinem Leben.

Borkman. Und gleichwohl ſtürzte er mich wieder hinunter in den Abgrund. Um Deinetwillen, Ella. ö

Ella nach kurzem, gedankenvollem Schweigen. Borkman, glaubſt Du nicht, über unſerm ganzen Verhältnis habe etwas wie ein Fluch gelaſtet?

Borkman blickt fie an. Ein Fluch?

Ella. Jawohl. Glaubſt Du das nicht?

Borkman unruhig. Ja. Aber warum eigentlich ? erregt. Ach, Ella, ich weiß bald nicht mehr, wer recht hat, ich oder Du!

Ella. Du biſt es, der ſich verſündigt hat. Du haſt alles Menſchenglück in mir getötet.

Borkman angſtvol. Sag' das doch nicht, Ella!

Ella. Wenigſtens des Weibes ganzes Menſchenglück. Von der Zeit an, da Dein Bild in mir zu erlöſchen anfing, hab' ich dahingelebt wie unter einer Sonnenfinſternis. In dieſen ganzen Jahren hat es mir mehr und mehr widerſtrebt, ein lebendes Geſchöpf zu lieben, bis es ſchließlich mir ganz unmöglich ward. Nicht Menſchen, nicht Tiere noch Pflanzen. Nur einen einzigen Borkman. Wen —2

Ella. Erhard natürlich.

Borkman. Erhard ?

Ella. Erhard, Deinen Sohn, Borkman.

Borkman. War er Dir wirklich ſo ſehr ans Herz gewachſen?

Ella. Warum, meinſt Du, hätte ich ihn ſonſt zu mir ge—

136

nommen? Und ihn behalten ſo lange, wie ich nur konnte? Warum?

Borkman. Ich dachte, es wäre aus Barmherzigkeit geſchehen. Wie alles andere.

Ella in heftiger innerer Erregung. Barmherzigkeit, ſagſt Du! Haha! Ich habe von keiner Barmherzigkeit etwas gewußt, ſeit Du mich ſitzen ließeſt. Ich konnt' es einfach nicht. Kam einmal ein armes, ausgehungertes Kind in meine Küche, das fror und weinte und um Eſſen bat, ſo ließ ich die Köchin dafür ſorgen. Nie fühlte ich den Drang, das Kind zu mir ins Zimmer zu nehmen, es an meinem eigenen Ofen zu er⸗ wärmen, mich zu weiden an dem Anblick, wie es ſich ſatt eſſen durfte. Und ſo war ich doch in meiner Jugend nie geweſen; deſſen erinnere ich mich ganz genau! Du trägſt die Schuld, daß in mir die Ode und Leere einer Wüſte herrſchte in mir und um mich herum!

Borkman. Nur für Erhard nicht.

Ella. Ja. Für Deinen Sohn nicht. Aber ſonſt für alles, alles, was da lebt und ſich regt. Du haſt mein Leben um die Freude und das Glück einer Mutter betrogen. Und auch um die Sorgen und Thränen einer Mutter. Und, wiſſe, das war für mich vielleicht der ſchwerſte Verluſt.

Borkman. So? Denkſt Du, Ella?

Ella. Wer weiß? Mit den Sorgen und Thränen einer Mutter wäre mir vielleicht am meiſten gedient geweſen. In wachsender Erregung. Ich konnte mich aber damals bei dem Verluſte nicht in Geduld faſſen! Und darum nahm ich Erhard zu mir. Gewann ihn ganz. Gewann mir ſein armes, ver— trauensvolles Kinderherz, bis zu der Stunde, da O!

Borkman. Bis zu welcher Stunde?

Ella. Bis ſeine Mutter, ſeine leibliche Mutter, mein' ich, ihn mir wieder nahm.

Borkman. Er mußte wohl wieder von Dir fort. Mußte in die Stadt. N

Ella ringt die Hände. Ja, aber ich ertrage das Alleinſein nicht mehr! Dieſe Ode! Ertrag' es nicht, das Herz Deines Sohnes verloren zu haben!

Borkman mit einem gehäſſigen Ausdruck in den Augen. Hm, Du haſt es ſicherlich nicht verloren, Ella. Man verliert nicht leicht Herzen an Leute hier unten in der Parterrewohnung.

Ella. Ich habe Erhard hier verloren. Und ſie hat ihn zurückgewonnen. Oder auch eine andere. Das geht deutlich genug aus den Briefen hervor —, die er mir dann und wann ſchreibt.

Borkman. Du biſt alſo gekommen, um ihn zurückzuholen?

Ella. Ja, wenn ſich das nur machen ließe —!

Borkman. Machen läßt ſich's ſchon, wenn Du durchaus willſt. Denn Du haſt ja den größten und erſten Anſpruch auf ihn.

Ella. Ach, Anſpruch, Anſpruch! Was gilt denn hier ein Anſpruch? Kommt er nicht aus eigenem Antrieb, ſo hab' ich ihn gar nicht. Und das eben muß ich! Ganz und un— geteilt muß ich jetzt das Herz meines Kindes haben!

Borkman. Du darfſt nicht vergeſſen, daß Erhard ſchon in den Zwanzigern iſt. Lange würdeſt Du wohl nicht darauf rechnen können, ſein Herz ungeteilt zu beſitzen, wie Du Dich aus— drückſt.

Ella mit einem trüben Lächeln. Es brauchte auch nicht gar ſo lange zu ſein.

Borkman. Nicht? Ich dachte, was Du beanſpruchſt, das beanſpruchteſt Du bis ans Ende Deiner Tage.

Ella. Das thu' ich auch. Aber darum braucht es nicht ſo lange zu dauern.

Borkman betroffen. Was willſt Du damit jagen?

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Ella. Du weißt doch wohl, daß ich kränklich geweſen bin die ganzen letzten Jahre?

Borkman. So?

Ella. Weißt Du das nicht?

Dorkman. Nein, eigentlich nicht

Ella blickt ihn überraſcht an. Hat Dir Erhard das nicht erzählt?

Borkman. Kann mich wahrhaftig im Augenblick nicht be— ſinnen.

Ella. Er hat vielleicht überhaupt nie von mir geſprochen?

Borkman. Doch, geſprochen hat er von Dir, das glaub' ich wohl. Übrigens ſehe ich ihn ſelten. Faſt nie. Dort unten iſt wer, der ihn von mir fern hält. Fern, fern, verſtehſt Du.

Ella. Weißt Du das ſo gewiß, Borkman?

Borkman. Gewiß weiß ich das. In verändertem Ton. Alſo, Du biſt kränklich geweſen, Ella?

Ella. Jawohl. Und dieſen Herbſt nahm das Übel ſo ſehr zu, daß ich hierher mußte, um mit erfahreneren Arzten zu ſprechen.

Borkman. Und haft am Ende ſchon mit ihnen geſprochen?

Ella. Heut früh.

Borkman. Und was ſagten ſie?

Ella. Sie verſchafften mir volle Gewißheit über das, was ich ſchon längſt geahnt hatte

Borkman. Nun?

Ella ſchlicht und ruhig. Ich leide an einer tödlichen Krankheit, Borkman.

Borkman. Ach, glaub' doch jo was nicht, Ella!

Ella. Es iſt eine Krankheit, Du, für die es nicht Hilfe noch Heilung giebt. Die Arzte wiſſen kein Mittel. Sie müſſen dem Übel ſeinen Lauf laſſen. Können nichts thun, es auf— zuhalten. Nur etwas Linderung können ſie vielleicht ſchaffen. Und das iſt ja noch ein Glück.

Norkman. Ach, das kann noch lange dauern, glaube mir.

139

Ella. Es kann möglicherweiſe noch den Winter über dauern, ſagte man mir.

Borkman, ohne ſie etwas dabei zu denken. Nun ja, der Winter, der iſt ja lang.

Ella leiſe. Wenigſtens iſt er lang genug für mich.

Borkman eifrig, ablenkend. Woher in aller Welt haft Du aber die Krankheit nur bekommen? Du haſt doch ſicherlich ein ge— ſundes und regelmäßiges Leben geführt —! Wie haſt Du Dir nur ſo etwas zugezogen?

Ella olict ihn an. Die Arzte meinten, ich hätte vielleicht ein— mal eine ſtarke Gemütserſchütterung durchzumachen gehabt.

Borkman aufbrauſend. Eine Gemütserſchütterung! Aha, ich verſtehe! Daran ſoll ich ſchuld ſein!

Ella in wachſender, innerer Erregung. Das zu unterjuchen, dazu it es jetzt zu ſpüt! Aber ich muß mein Herzblatt von Sohn wiederhaben, eh' ich von hinnen gehe. Es iſt für mich ein ſo unſagbar trauriger Gedanke, daß ich von allem ſcheiden ſoll,

was da lebt, von Sonne und Luft und Licht ſcheiden, ohne hier ein einziges Weſen zurückzulaſſen, das meiner gedächte, das, mich in warmer und wehmütiger Erinnerung behielte, ſo, wie ein Sohn der Mutter gedenkt, die er verloren hat. Borkman nach einer kurzen Pauſe. Nimm ihn, Ella, wenn

Du ihn erringen kannſt.

Ella lebpaft. Giebſt Du Deine Einwilligung? Kannſt Du das?

Borkman finſter. Ja. Und es iſt auch fein jo großes Opfer. Denn ich beſitze ihn ja doch nicht.

Ella. Dennoch dank' ich Dir von Herzen für das Opfer! Nun hab' ich aber noch eine Bitte. In meinen Augen, eine große Bitte, Borkmann.

Borkman. Na, ſo ſprich!

Ella. Du wirſt es vielleicht kindiſch von mir finden, es nicht einmal verſtehen können

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Borkman. So ſag's nur, ſag's!

Ella. Wenn ich tot bin und lange dauert's ja nicht mehr ſo hinterlaſſ' ich ein nicht unbedeutendes Vermögen

Borkman. Das kann ich mir denken.

Ella. Und es iſt meine Abſicht, Erhard alles zu vermachen.

Borkman. Es ſteht Dir ja auch niemand näher.

Ella mit Wärme. Nein, es ſteht mir wahrlich niemand näher als er.

Borkman. Niemand aus Deiner eigenen Familie. Du biſt die letzte.

Ella nickt langſam. Das iſt es gerade. Wenn ich ſterbe, ſo ſtirbt auch der Name Rentheim aus. Und das iſt für mich ein jo quälender Gedanke. Ausgelöſcht aus dem Daſein und der Name mit

Borkman fährt auf. Aha, ich ſehe, wo Du hinauswillſt!

Ella leidenſchaftlich. Gieb es nicht zu! Laß Erhard den Namen tragen als mein Erbe!

Borkman blickt ſie mit Härte an. Ich verſtehe Dich wohl. Du willſt meinen Sohn davon befreien, daß er den Namen ſeines Vaters trägt. So liegt die Sache.

Ella. Nimmermehr! Ich ſelber hätte ihn trotzig und freudig getragen zuſammen mit Dir! Aber eine Mutter, die bald ſterben wird —. Ein Name iſt ein feſteres Band, als Du Dir wohl vorſtellſt, Borkman.

Borkman tatt und ſtolz. Schön, Ella. Ich bin Manns genug, meinen Namen allein zu tragen.

Ella ergreift ſeine Hände und drückt ſie. Dank, Dank! Nun haben wir reſtlos mit einander abgerechnet! Ja, ja, laß nur! Du haſt wieder gutgemacht, was Du gutmachen konnteſt. Denn wenn ich aus dem Leben bin, ſo überlebt mich Erhard Rentheim! Die Tapetenthür wird aufgeriſſen. Frau Borkman, das große Tuch über den

Kopf geworfen, ſteht in der Thüröffnung.

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Trau Borkman in furchtbarer Erregung. Nie und nimmermehr ſoll Erhard ſo heißen!

Ella prant zurück. Gunhild!

Borkman Hart und drohend. Niemand hat von mir die Erlaubnis, mein Zimmer zu betreten.

Trau Borkman macht einen Schritt in den Saal. Ich nehme mir die Erlaubnis.

Borkman ine entgegen. Was willſt Du von mir?

Frau Vorkman. Ich will für Dich kämpfen und ſtreiten. Dich verteidigen gegen die böſen Mächte.

Ella. Die böſeſten Mächte, die ſind in Dir ſelbſt, Gunhild!

Frau Borkman hart. Davon iſt nicht die Rede. Drohend, mit aufgehobenem Arm. Das aber ſag' ich Euch, ſeines Vaters Namen ſoll er tragen! Und ſtolz ſoll er ihn tragen und ihn wieder zu Ehren bringen! Und ich allein will ſeine Mutter ſein! Ich allein! Mir ſoll das Herz meines Sohnes gehören. Mir und keiner anderen.

Ab durch die Tapetenthür, die ſie hinter ſich zumacht.

Ella erſchüttert und mitgenommen. Borkman, Erhard wird zu Grunde gehen in dieſen Stürmen. Es muß zu einer Verſtändigung kommen zwiſchen Dir und Gunhild. Wir müſſen gleich zu ihr hinunter.

Borkman otiet fie an. Wir? Du meinſt, ich auch?

Ella. Wir alle beide.

Borkman ſchuttelt den Kopf. O, fie iſt hart. Hart wie das Erz, das dem Bergesſchacht zu entreißen einſt mein Traum war.

Ella. So verſuch' es denn jetzt!

Borkman ſteht, ohne zu antworten, da und blickt ſie unſchlüſſig an.

Dritter Akt.

Frau Borkmans Wohnzimmer. Die Lampe auf dem Kanapeetiſch brennt noch immer. Im Gartenzimmer iſt es finſter.

Frau Borkman, das Tuch über den Kopf geworfen, tritt in heftiger innerer Er⸗

regung durch die Entreethür ein, geht ans Fenſter und zieht die Vorhänge ein wenig

zurück, darauf geht ſie zum Ofen hin und ſetzt ſich, ſpringt aber bald wieder auf und

zieht die Klingel. Sie bleibt am Kanapee ſtehen und wartet eine Weile. Niemand erſcheint. Sie klingelt wieder, diesmal heftiger.

Bald darauf kommt das Stubenmädchen vom Hausflur herein. Sie macht einen verdroſſenen, ſchlaftrunkenen Eindruck und ſieht aus, als ob ſie ſich in aller Eile in die Kleider geworfen habe.

Frau Borkman ungeduldig. Wo ſtecken Sie denn, Malene? Ich habe ſchon zweimal geklingelt!

Das Stubenmädchen. Hab's ſchon gehört, gnädige Frau.

Frau Borkman. Und doch kommen Sie nicht.

Das Stubenmädchen mürriſch. Na, ich hab' mich doch erſt ein bißchen anziehen müſſen.

Frau Borkman. Ziehen Sie ſich ordentlich an. Und dann laufen Sie raſch und holen Sie meinen Sohn.

Das Slubenmädchen vriet fie erſtaunt an. Den Herrn Studioſus ſoll ich holen?

Frau Borkman. Jawohl. Sagen Sie ihm nur, er ſoll gleich herkommen; ich hätte mit ihm zu reden.

1

Das Stubenmädchen maulend. Dann iſt es wohl das beſte, ich wecke beim Verwalter drüben den Kutſcher.

Trau Borkman, Warum das?

Das Stubenmädchen. Damit er den Schlitten anſpannt. So'n ſcheußliches Schneewetter, wie heut Nacht iſt.

Frau Borkman. Ach, das thut nichts. Beeilen Sie ſich nur und gehen Sie! Es iſt ja hier gleich um die Ecke.

Das Stubenmädchen. Aber gnädige Frau, gleich um die Ecke iſt das doch nicht.

Trau Borkman. Ach freilich. Wiſſen Sie denn nicht, wo Advokat Hinkels Villa liegt?

Das Stubenmädchen anzuüglich. Ach jo, da iſt der Herr Studioſus heut Abend?

Trau Borkman betroffen. Ja, wo ſollte er 99 ſonſt ſein?

Das Stubenmädchen lächelt. Na, ich meinte bloß, er wäre da, wo er gewöhnlich iſt.

Trau Borkman. Wo, meinen Sie?

Das Stubenmädchen. Bei der Frau Wilton oder wie ſie heißt.

Frau Borkman. Bei Frau Wilton? Zu der pflegt doch mein Sohn nicht ſo oft zu gehen. g

Das Stubenmädchen halb murmelnd. ch hab' von den Leuten gehört, er kommt jeden lieben Tag hin.

Trau Borkman. Das iſt lauter Schnickſchnack, Malene. Jetzt gehen Sie nur zu Hinkels hinüber und ſehen Sie zu, daß Sie ihn zu ſprechen kriegen.

Das Stubenmädchen wirft den Kopf in den Nacken. Gott im Himmel, ja ich gehe ſchon.

Sie ſchickt ſich an, durch den Flur hinauszugehen. In demſelben Augenblick öffnet ſich die Eingangsthür. Ella Rentheim und Borkman erſcheinen auf der Schwelle.

Trau Borkman wankt einen Schritt zurück. Was ſoll das be— deuten?

Das Stubenmädchen erſchrocken, faltet unwillkürlich die Hände. Je eſſi 18!

*

e

Frau Borkman fluſtert dem Mädchen zu: Sagen Sie ihm, er ſoll augenblicklich herkommen! Das Slubenmädchen leiſe. Schön, gnädige Frau. Ella und nach ihr Vorkman treten ins Zimmer. Das Stubenmädchen ſchleicht ſich hinter ihnen hinaus und macht die Thür hinter ſich zu.

Kurze Pauſe.

Trau Borkman, die ihre Faſſung wiederfindet, wendet ſich zu Ella. Was will er hier unten?

Ella. Er will verſuchen, mit Dir zu einer Verſtändigung zu gelangen, Gunhild.

Trau Borkman. Den Verſuch hat er nie noch gemacht.

Ella. Er will es jetzt.

Frau Borkman. Das letzte Mal, daß wir uns gegenüber ſtanden, das war vor Gericht. Als ich vorgeladen war, um auszuſagen

Borkman nähert ſich. Und heute bin ich es, der aus— zuſagen hat.

Trau Dorkman blickt ihn an. Du!

Borkman. Nicht über meine Vergehungen. Denn die kennt ja die ganze Welt.

Frau Vorhman mit einem bitteren Seufzer. Nur zu wahr! Die ganze Welt kennt ſie.

Borkman. Aber fie weiß nicht, warum ich mich vergangen habe. Warum ich mich vergehen mußte. Die Menſchen be— greifen nicht, daß ich das mußte, weil ich eben ich war, weil ich John Gabriel Borkman war, und nicht ein anderer. Und Dir darüber Aufſchluß zu geben, das will ich jetzt verſuchen.

Trau Borkman ſchüttelt den Kopf. Nützt nichts. Antriebe ſprechen nicht frei. Und Eingebungen auch nicht.

Borkman. Vor ſich ſelbſt können ſie den Menſchen frei— ſprechen.

Trau Dorkman macht eine abwehrende Handbewegung. Ach, laß doch

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das! Ich habe mehr als genug nachgedacht über dieſe Deine dunkeln Geſchichten.

Borkman. Ich auch. Während der fünf endloſen Jahre in der Zelle und anderswo hatte ich Zeit dazu. Und in den acht Jahren dort oben hatt' ich noch mehr Zeit. Ich habe den ganzen Rechtsfall wieder aufgenommen, zu erneuter Prüfung. vor mir ſelber. Zu wiederholten Malen hab' ich ihn wieder aufgenommen. Ich bin mein eigener Ankläger geweſen, mein eigener Verteidiger und mein eigener Richter. Unparteiiſcher als irgend ein anderer, das darf ich wohl ſagen. Im Saale da oben bin ich hin und her gegangen und habe prüfend jede meiner Handlungen nach allen Seiten gedreht und gewendet. Habe fie von vorn betrachtet und von hinten ebenſo ſchonungs— los, ebenſo unbarmherzig wie nur irgend ein Advokat. Und der Rechtsſpruch, zu dem ich immer wieder komme, lautet fo: der Einzige, an dem ich mich vergangen habe, das bin ich ſelbſt.

Frau Borkman. Und an mir etwa nicht? Und nicht an Deinem Sohn?

Borkman. Du und er, Ihr ſeid mit einbegriffen, wenn ich von meiner Perſon rede.

Trau Borkman. Und die vielen hundert andern? Die Du rniniert haben ſollſt, wie die Leute ſagen?

Borkman heftiger. Ich beſaß die Macht! Und dann das unbezwingbare Gebot in meinem Innern! Da lagen die ge— feſſelten Millionen übers ganze Land, in der Bergestiefe, und riefen nach mir! Schrieen um Befreiung! Keiner von all den andern hörte es. Nur ich allein.

Frau Borkman. Jawohl, zum Schimpf und zur Schande des Namens Borkman. i

Borkman. Ich möchte nur wiſſen, ob die andern, wenn fie die Macht gehabt hätten, nicht genau ſo gehandelt hätten wie ich.

Ibſen, John Gabriel Borkman. 10 6

146

Frau Borkman. Keiner, keiner außer Dir hätt' es gethan!

Borkman. Vielleicht. Doch nur deshalb nicht, weil ſie nicht meine Fähigkeiten beſaßen. Und hätten ſie's gethan, ſo hätten ſie eben bei ihrem Thun meine Zwecke nicht vor Augen gehabt. Die That wäre dann eine andere geworden. Kurz und gut, ich habe mich ſelbſt freigeſprochen.

Ella weich und bittend. Darfſt Du das aber auch jo zuver— ſichtlich ſagen, Borkman?

Borkman niet. Ich hab' mich freigeſprochen in dem Punkte. Nun kommt aber die große, erdrückende Selbſtanklage.

Trau Borkman. Und die wäre?

Borkman. Da oben bin ich herumgegangen und habe volle acht koſtbare Jahre meines Lebens vergeudet! Noch an dem— ſelben Tag, als ich freikam, hätte ich hinaustreten ſollen in die Wirklichkeit, in die Wirklichkeit, die hart wie Eiſen iſt und das Träumen nicht kennt! Ich hätte von unten wieder anfangen und mich von neuem emporſchwingen ſollen hinauf zu den Höhen, und höher hinauf als je zuvor, allem, was dazwiſchen lag, zum Trotze.

Frau Borkman. Ach, das wäre nur ganz dasſelbe Leben wieder geworden wie früher, glaube mir.

Borkman ſchüttelt den Kopf und ficht fie belehrend an. Es geſchieht nichts Neues. Aber was geſchehen iſt, das wiederholt ſich auch nicht. Das Auge iſt's, was die Thaten wandelt.“ Das neugeborene Auge wandelt die alte That. Abdrechend. Doch das verſtehſt Du nicht.

Trau Borkman kurz. Allerdings nicht.

Borkman. Ja, das eben iſt der Fluch, daß ich bei keiner Menſchenſeele je Verſtändnis gefunden habe.

Ella std ihn an. Bei keiner, Borkman?

Borkman. Vielleicht bei einer ausgenommen. Vor langer, langer Zeit. In den Tagen, da ich keines Verſtändniſſes zu bedürfen glaubte. Sonſt, ſpäter, bei gar keinem! Ich habe

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niemand gehabt, der, voll Wachſamkeit und immer in Bereitichaft geweſen wäre, mich zu rufen, mir zu läuten wie eine Morgenglocke, mich wieder aufzumuntern zu fröhlicher Arbeit —. Und dann mir beizubringen, daß ich nichts verübt, was nicht wieder gutzumachen wäre.

Frau Borkman lacht ſpöttiſch. So, das muß Dir alſo doch von andern beigebracht werden?

Borkman zornentflammt. Jawohl, wenn die ganze Welt im Chorus mir entgegenkläfft, ich ſei ein unrettbar verlorner Mann, ſo können wohl Augenblicke über mich kommen, wo ich nahe daran bin, es ſelbſt zu glauben. Richtet den Kopf in die Höhe. Dann dringt aber mein innerſtes Bewußtſein wieder ſiegreich nach oben. Und das ſpricht mich frei!

Frau Vorkman ſieht ihn mit Härte an. Warum kamſt Du nie, um bei mir das zu ſuchen, was Du Verſtändnis nennſt?

Borkman. Hätte das genützt, wenn ich zu Dir ge— kommen wäre?

Trau Borkman macht eine abwehrende Handbewegung. Du haſt immer nur Dich ſelbſt geliebt, das iſt des Pudels Kern.

Borkman ſtolz. Ich habe die Macht geliebt

Frau Borkman. Die Macht, jawohl!

Borkman. die Macht, Menſchenglück zu ſchaffen weit, weit um mich her!

Frau Borkman. Es ſtand einmal in Deiner Macht, mich glücklich zu machen. Haſt Du ſie dazu verwendet?

Borkman, ohne fie anzuſehen. Einer muß gewöhnlich untergehen bei einem Schiffbruch.

Frau Borkman. Und Dein eigener Sohn! Haſt Du Deine Macht dazu verwendet oder haſt Du dafür gelebt und ge— atmet, ihn glücklich zu machen?

Borkman. Ihn kenne ich nicht.

Trau Borkmann. Ja, allerdings. Du kennſt ihn nicht einmal.

10*

143

Borkman mit Härte. Dafür haft Du, Du, feine Mutter, geſorgt.

Frau Borkman blickt ihn an und jagt mit Hoheit im Ausdruck: O, Du weißt nicht, wofür ich geſorgt habe!

Borkman. Du?

Frau Borkman. Ja, ich. Ich allein.

Borkman. Nun?

Frau Borkman. Für Dein Andenken habe ich geſorgt.

Borkman mit kurzem, trockenem Lachen. Für mein Andenken? Sieh mal an! Das klingt ja beinah, als ob ich ſchon tot wäre.

Frau Borkman mit Nachdruck. D

Borkman langſam. Da haſt Du vielleicht recht. Auffahrend. Aber nein, nein! Noch nicht! Ich war nahe, ſehr nahe daran. Aber jetzt bin ich erwacht. Bin wieder munter geworden. Noch liegt das Leben vor mir. Ich ſehe es, dieſes neue, ſchimmernde Leben, das da gärt und harrt. Und auch Du wirſt es noch zu ſehen bekommen.

Frau Borkman mit erhobener Hand. Träume Du nicht mehr vom Leben! Verhalte Dich ruhig da, wo Du liegſt!?

Ella empört. Gunhild! Gunhild, wie kannſt Du nur —!

Frau Borkman, ohne auf fie zu achten. Ich will das Denkmal errichten über dem Grabe.

Borkman. Die Schandſäule, meinſt Du wohl?

Frau Borkman in wachſender Erregung. O nein, kein Denkmal von Stein oder Metall ſoll es werden. Und niemand ſoll eine höhnende Inſchrift in dieſes Denkmal eingraben dürfen, das ich errichte. Es ſoll ſein wie ein Gehege, wie ein natürlicher Zaun von Bäumen und Büſchen, dicht, ganz dicht gepflanzt um Dein Grabesleben. Verdecken ſoll es alles Dunkle, das einmal war. Und vor den Augen der Menſchen Vergeſſenheit breiten über John Gabriel Borkman!

Das biſt Du auch.

Borkman mit heiſerer und ſchneidender Stimme. Und dieſes Liebes— werk willſt Du üben?

Trau Borkman. Nicht durch eigene Kraft. Daran darf ich nicht denken. Aber ich habe mir einen Helfer auferzogen, daß er ſein Leben einſetze für dieſes Eine. Er ſoll ein Leben führen in Reinheit und Hoheit und lichtem Glanz, ſo daß Dein eigenes Leben unter dem Tage getilgt iſt aus der Erinnerung der Menſchen!

Borkman finfter und drohend. Wenn Du Erhard meinſt, jo ſag' es nur gleich!

Trau Borkman ſieht ihm feſt in die Augen. SA; Erhard iſt's Mein Sohn. Er, auf den Du Verzicht leiſten willſt als Sühne für Deine eigenen Thaten.

Borkman mit einem Blick auf Ella. Als Sühne für meine ſchwerſte Verſündigung.

Trau Borkman abſprechend. Für das, was Du an einer Fremden geſündigt. Gedenke deſſen, was Du an mir geſündigt! VBlict beide triumphierend an. Aber er gehorcht Euch nicht! Wenn ich ihn rufe in meiner Not, dann kommt er! Denn bei mir will er ſein! Bei mir und bei keinem ſonſt hält lauſchend inne und ruft aus: Da hör' ich ihn! Da iſt er, da iſt er! Erhard! Erhard Borkman reißt eilig die Entreethür auf und tritt ins Zimmer. Er hat

den Überzieher an und den Hut auf dem Kopf.

Erhard bleich und ängstlich. Aber Mutter, um Gotteswillen, was —| Er erblickt Borkman, der an der Thüröffnung zum Gartenzimmer ſteht, führt zu⸗

ſammen und nimmt den Hut ab.

Erhard ſchweigt eine Weile; dann fragt er: Was willſt Du von mir, Mutter? Was iſt hier vorgefallen?

Trau Borkman breitet die Arme nach ihm aus. Ich will Dich ſehen, Erhard! Du ſollſt bei mir ſein immer! a

Erhard ſtotternd. Bei Dir —? Immer! Was meint Du damit?

Trau Borkman. Hierhaben, hierhaben will ich Dich! Denn s will Dich einer mir nehmen!

Erhard prallt einen Schritt zurück. Ah, Du weißt alſo!

Trau Borkman. Gewiß. Weißt Du es auch?

Erhard ſtutzt und ſieht fie an. Ob ich es weiß? Ja, natürlich

Frau Borkman. Aha, ein abgekartetes Spiel! Hinter meinem Rücken! Erhard, Erhard!

Erhard ſchnel. Mutter, ſag' mir, was weißt Du?

Trau Borkman. Ich weiß alles. Ich weiß, daß Deine Tante hier iſt, um Dich mir abſpenſtig zu machen.

Erhard. Tante Ella!

Ella. So hör' nur mich erſt einen Augenblick!

Trau Borkman fortfahrend. Sie wünſcht, ich ſoll Dich an. ſie abtreten. Sie will Dir Mutter ſein. Du ſollſt ihr Sohn ſein und nicht meiner fortan mehr. Du ſollſt alles erben, was ſie beſitzt. Deinen Namen ablegen und den ihren dafür annehmen!

Erhard. Tante Ella, iſt das wahr?

Ella. Ja, es iſt wahr.

Erhard. Keine Silbe hab' ich davon bis jetzt gewußt. Warum willſt Du mich wieder bei Dir haben?

Ella. Weil ich fühle, daß ich Dich hier verliere.

Frau Borkman mit Härte. Durch mich verlierſt Du ihn, jawohl! Und das iſt nur in der Ordnung.

Ella ſtetzt ihn bittend an. Erhard, ich darf Dich jetzt nicht ver— lieren. Denn Du mußt wiſſen, daß ich ein einſamer, ſterbender Menſch bin.

Erhard. Sterbender

Ella. Ja, ein ſterbender Menſch. Willſt Du bei mir bleiben bis an mein Ende? Dich ganz an mich anſchließen? Mir ſein wie ein leiblich Kind

5

151

Frau Borkman unterbricht fie. und Deine Mutter im Stich laſſen und Deine Lebensaufgabe vielleicht auch? Willſt Du das, Erhard?

Ella. Es iſt über mich verhängt, daß ich bald ſterbe. Antworte mir, Erhard.

Erhard bewegt und mit Wärme. Tante Ella, Du biſt un— ſagbar gut zu mir geweſen. In Deinem Hauſe hab' ich auf— wachſen dürfen in einem ſo ſorgloſen Glücksgefühl, wie es ſchöner keinem Kinde beſchert ſein kann

Frau Borkman. Erhard, Erhard!

Ella. Ach, wie das wohlthut, daß Du immer noch ſo denkſt!

Erhard. aber ich kann mich jetzt nicht für Dich opfern. Es iſt mir unmöglich, Dir ein Sohn zu ſein und in einem ſolchen Daſein ganz aufzugehen

Frau Borkman triumphierend. Ah, ich wußt es wohl! Du bekommſt ihn nicht! Du bekommſt ihn nicht, Ella!

Ella ſchwermütig. Ich ſeh' es. Du haſt ihn zurückerobert.

Frau Borkman. Ja, ja, mein iſt er und mein bleibt er!

Erhard! nicht wahr, wir beide, wir werden noch eine gute Strecke Weges zuſammen gehen. Erhard mit ſich ſelber kämpfend. Mutter, ich ſag's lieber

gleich grad' heraus

Frau Borkman geſpannt. Nun?

Erhard. Die Strecke Weges, Mutter, die wir zuſammen gehen, wird wohl nur kurz ſein.

Trau Borkman ſteht da wie vom Schlag gerührt. Was ſoll das heißen?

Erhard ermannt ſich. Lieber Gott, Mutter, ich bin doch jung! Mir iſt, als müßt' ich in der Stubenluft hier noch ganz erſticken.

Frau Borkman. Hier bei mir!

Erhard. Ja, hier bei Dir, Mutter!

BE

Ela. So fomm doch mit mir, Erhard!

Erhard. Ach, Tante Ella, es iſt um kein Haar beſſer bei Dir. Anders iſt es da. Aber darum nicht beſſer. Nicht beſſer für mich. Nach Roſen und Lavendel riecht es! Stuben— luft dort wie hier!

Trau Borkman erſchüttert, aber mit erkämpfter Faſſung. Stubenluft bei Deiner Mutter, ſagſt Du!

Erhard mit wachſender Ungeduld. Ja, ich weiß nicht, wie ich's anders nennen ſoll. Dieſe ganze krankhafte Fürſorge und und Vergötterung oder was es ſonſt ſein mag. Ich halt' es nicht mehr aus!

Trau Borkman ſieht ihn mit tiefem Ernſt an. Vergißt Du die Aufgabe, der Du Dein Leben geweiht haſt, Erhard?

Erhard impulſio. Sag' doch lieber: der Du mein Leben ge— weiht haſt! Du, Du biſt mein Wille geweſen! Selber habe ich nie einen haben dürfen! Aber ich kann dieſes Joch jetzt nicht länger ertragen! Ich bin jung! Bedenke das doch, Mutter! Mit einem höflichen, rückſichtsvollen Blick auf Borkman. Ich kann nicht mein Leben einſetzen, um die Schuld eines andern zu ſühnen. Dieſer andere ſei, wer er mag.

Trau Borkman, von wachſender Angſt erfaßt. Wer hat Dich ſo verwandelt, Erhard?

Erhard betroffen. Wer —? Könnt’ ich's denn nicht ſelbſt ſein —?

Frau Borkman. Nein, nein, nein! Du biſt unter fremde Einflüſſe geraten. Deine Mutter hat keinen Einfluß mehr auf Dich. Und auch nicht Deine Deine Pflegemutter.

Erhard in erzwungenem Trotz. Ich ſtehe unter meinem eigenen Einfluß, Mutter! Und auch unter der Kraft meines eigenen Willens!

Borkman nähert ſich Erhard. Dann iſt vielleicht auch meine Stunde endlich gekommen.

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Erhard kühl und mit abgemeſſener Höflichteit. Wie ? Wie meinen Vater das?

Frau Borkman ſpottiſch. Ja, das möcht' ich wirklich auch wiſſen?

Borkman unbeirrt fortfahrend. Höre, Erhard, willſt Du nicht mit Deinem Vater gehen? Durch den Lebenswandel eines andern kann nicht einem Menſchen aufgeholfen werden, der zu Fall gekommen iſt. Das ſind alles leere Träume, die man Dir vor— gefabelt hat hier unten in der Stubenluft. Auch wenn Du ein Leben führteſt wie alle Heiligen zuſammengenommen, es würde mir nicht das geringſte nützen.

Erhard, niit abgemeſſener Ehrerbietung. Ein ſehr wahres Wort.

Borkman. Allerdings. Und ebenſo wenig würde es nützen, wenn ich ſo hinvegetieren wollte in Reue und Zerknirſchung. Mit Träumen und Hoffnungen habe ich verſucht mir durchzuhelfen in den ganzen Jahren. Aber ſo etwas iſt nicht meine Sache. Und jetzt will ich heraus aus den Träumen.

Erhard mit einer leichten Verbeugung. Und was will was wollen Vater demnach thun?

Borkman. Mich aufraffen will ich. Wieder von vorn an— fangen. Nur durch ſeine Gegenwart und durch ſeine Zukunft kann der Menſch ſeine Vergangenheit ſühnen. Durch Arbeit, durch unabläſſige Arbeit für all das, was in der Jugend mir vor Augen ſtand, als wär' es das Leben ſelbſt. Aber jetzt in tauſendmal höherem Maße als damals. Erhard, willſt Du mit mir ſein und mir helfen in dieſem neuen Leben?

Trau Borkman erhebt warnend die Hand. Thu's nicht, Erhard!

Ella mit Wärme. Doch, doch, thu es. Hilf ihm, Erhard!

Frau Borkman. Und das rätſt Du ihm? Die Einſame, die Sterbende!

Ella. Mit mir mag's gehen, wie's will.

Frau Borkman. Sofern nur ich es nicht bin, die ihn Dir nimmt.

e

Ella. Sehr richtig, Gunhild.

Borkman. Willſt Du, Erhard?

Erhard in peinlicher Verlegenheit Vater, ich kann nicht mehr. Es iſt ein Ding der Unmöglichkeit.

Borkman. Aber was willſt Du denn eigentlich?

Erhard auflodernd. Ich bin jung! Ich will auch einmal leben! Mein eigenes Leben will ich leben!

Ella. Nicht einmal ein paar kurze Monate willſt Du opfern, um ein armes, erlöſchendes Menſchendaſein zu erhellen?

Erhard. Tante, ich kann es nicht, ſo gern ich auch wollte.

Ella. Auch nicht einem Weſen zuliebe, das Dir ſo un— ſäglich gut iſt?

Erhard. So wahr ich lebe, Tante, ich kann es nicht.

Frau Borkman faßt ihn ſcharf ins Auge. Und auch Deine Mutter kann Dich nicht mehr halten?

Erhard. Ich werde Dich immer lieb haben, Mutter. Aber ich kann fürder nicht mehr für Dich allein leben. Denn das iſt für mich kein Leben.

Borkman. Nun ſo komm und ſchließ Dich doch mir an. Denn leben heißt arbeiten, Erhard. Komm, laß uns Hand in Hand ins Leben hinauswandern und arbeiten!

Erhard eidenſchaftlich. Aber ich will jetzt nicht arbeiten! Denn ich bin jung! Bis heute habe ich nicht gewußt, daß ich's bin. Jetzt aber fühl' ich, wie's mich warm durchſtrömt! Ich will nicht arbeiten! Nur leben, leben, leben!

Trau Borkman ruft abnungsvol aus: Erhard für was willſt Du leben?

Erhard mit funtelnden Augen. Fürs Glück, Mutter!

Frau Borkman. Und wo glaubſt Du das zu finden?

Erhard. Ich hab' es ſchon gefunden!

Frau Borkman ſchreit auf. Erhard —!

Erhard geht raſch zur Eingangsthür und öffnet ſie.

Erhard ruft hinaus: Fanny, jetzt kannſt Du kommen Frau Wilton, im Mantel, erſcheint auf der Schwelle.

Trau Borkman mit erhobenen Händen. Frau Wilton —!

Trau Milton ein wenig ſcheu, mit einem fragenden Blick auf Erhard. Ich darf alſo —?

Erhard. Ja, jetzt kannſt Du kommen. Ich hab' alles geſagt. Frau Wilton tritt ins Zimmer. Erhard ſchließt die Thür hinter ihr zu. Sie macht eine abgemeſſene Verbeugung vor Borkman, der ſchweigend ihren Gruß

erwidert.

Kurze Pauſe.

Trau Wilton mit gedämpfter, aber feſter Stimme. Das Wort iſt alſo geſprochen. Und ich begreife recht wohl, daß ich hier ange— ſehen werde wie jemand, der im Haus ein großes Unglück an— gerichtet hat.

Trau Borkman langſam, indem ſie ſie ſtarr anblickt. Sie haben den letzten Reſt von dem vernichtet, wofür ich noch leben konnte. Leidenſchaftlich. Aber das, das iſt ja doch ganz unmöglich!

Frau Wilton. Ich verſtehe ſehr wohl, daß es Ihnen un— möglich erſcheinen muß, Frau Borkman.

Frau Borkman. Sie müſſen ſich doch ſelber jagen können, daß es unmöglich iſt. Oder wie —?

Frau Wilton. Ich möchte eher ſagen, es ſei total wider— ſinnig. Aber es iſt nun einmal ſo.

Frau Borkman wendet ſich an Erhard. Iſt das Dein voller Ernſt, Erhard?

Erhard. Es iſt für mich das Glück, Mutter. Das ganze große, herrliche Lebensglück. Weiter kann ich nichts ſagen.

Frau Borkman zu Frau Wilton, indem ſie die Hände zuſammenpreßt. Ach, wie haben Sie meinen unglücklichen Sohn bethört und verführt.

Trau Wilton wirſt ſtolz den Kopf in den Nacken. Das habe ich nicht gethan.

Frau Borkman. Sie hätten das nicht gethan, ſagen Sie?!

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Trau Wilton. Nein. Ich hab' ihn weder bethört noch ver— führt. Aus freien Stücken hat ſich Erhard mir genähert. Und aus freien Stücken bin ich ihm auf halbem Wege entgegen— gekommen.

Trau Borkman mißt fie mit einem verächtlichen Blick von oben bis unten. Sie, ja! Das glaub' ich gern.

Frau Wilton beherrſcht ſich. Frau Borkman, über dem Menſchenleben walten Mächte, von denen Sie nicht ſonderliche Kenntnis zu haben ſcheinen.

Trau Borkman. Was für Mächte, wenn ich fragen darf?

Trau Wilton. Die Mächte, die zweien Menſchen gebieten,

ihren Lebensweg untrennbar und rückſichtslos zu vereinen. Frau Borkman lächelt. Ich dachte, Sie wären ſchon uns trennbar vereint mit einem andern.

Frau Milton kurz. Jener andere hat mich verlajjen.

Frau Borkman. Aber er lebt doch, ſagt man ſich.

Frau Wilton. Für mich iſt er tot.

Erhard eindringlich. Ja, Mutter, für Fanny iſt er tot. Und was geht mich überhaupt dieſer andere an!

Frau Borkman wirft ihm einen ſtrengen Blick zu. Du kennſt ſie alſo, dieſe Geſchichte mit dem andern?

Erhard. Ja, Mutter, ich kenne ſie von Anfang bis Ende.

Frau Borkman. Und doch ſagſt Du, fie gehe Dich nichts an!

Erhard in abweiſendem übermut. Ich weiß nur das eine, daß ich glücklich ſein will! Ich bin jung! Ich will leben, leben, leben!

Trau Borkman. Jawohl, Du biſt jung, Erhard. Zu jung für dergleichen.

Frau Wilton eruſt und nachdrücklich. Glauben Sie nur, Frau Borkman, ich habe ihm genau dasſelbe geſagt. Meine ganzen Verhältniſſe hab' ich ihm dargelegt. Immer wieder habe ich ihm vorgeſtellt, daß ich volle ſieben Jahre älter ſei als er

157

Erhard unterbricht ſte. Aber, Fanny, das war mir ja längſt bekannt.

Frau Wilton. doch nichts, nichts hat gefruchtet.

Frau Borkman. So? Wirklich nicht? Warum haben Sie ihn denn nicht ohne weiteres abgewieſen? Ihm Ihr Haus ver— boten? Sehen Sie, das hätten Sie rechtzeitig thun ſollen!

Frau Wilton blickt ſie an und ſagt mit gedämpfter Stimme. Das konnt' ich einfach nicht, Frau Borkman.

Frau Borkman. Warum konnten Sie nicht?

Trau Wilton. Weil auch für mich nur in dieſem Einen, Einzigen das Glück ſich verkörperte.

Frau Borkman geringſchätzig. Hm, das Glück, das Glück

Frau Wilton. Ich habe bis jetzt nicht gewußt, was es heißt: im Leben glücklich ſein. Und ich kann doch unmöglich das Glück von mir weiſen, bloß weil es ſo ſpät kommt.

Trau Borkman. Und wie lange, glauben Sie, wird das Glück währen?

Erhard unterbrechend. Ob kurz, ob lang, Mutter, das iſt einerlei!

Frau Vorkman zornig. Verblendeter Menſch Du! Siehſt Du denn nicht, wohin das alles führt?

Erhard. Was geht mich die Zukunft an. Mag nicht vor— wärts noch rückwärts ſchauen! Nur auch einmal zu leben ver— lang ich!

Trau Borkman ſchmerzlich. Und das nennſt Du leben, Erhard!

Erhard. Ja, ſiehſt Du denn nicht, wie herrlich ſie iſt!

Frau Borkman ringt die Hände. Und dieſe erdrückende Schande ſoll ich alſo auch noch tragen!

Borkman im Hintergrund mit ſchneidender Härte. Ha, Du biſt's ja gewohnt, Gunhild, ſo was zu' tragen.

Ella flehentlich. Borkman —!

Erhard ebenſo. Vater —!

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Trau Borkman. Ich ſoll tagtäglich mit eigenen Augen ſehen, wie mein leiblicher Sohn zuſammen mit einer einer

Erhard unterbricht ſie mit Härte. Nichts wirſt Du ſehen, Mutter! Hab' nur keine Furcht! Ich bleibe nicht länger hier.

Frau Wilton raſch und entſchloſſen. Wir, wir reiſen, Frau Borkman.

Trau Borkman ertlaſſend. Sie reiſen auch! Am Ende miteinander?

Frau Wilton nict. Ich gehe nach dem Süden. Ins Aus- land. In Geſellſchaft eines jungen Mädchens. Und Erhard geht mit.

Frau Borkman. Mit Ihnen und einem jungen Mädchen?

Frau Wilton. Jawohl. Es iſt die kleine Frida Foldal, die ich zu mir ins Haus genommen. Sie ſoll in die Welt, um Muſik zu ſtudieren.

Frau Borkman. Und ſo nehmen Sie ſie mit?

Frau Wilton. Ja, ich kann doch das junge Ding nicht allein hinausſchicken.

Frau Borkman unterdrückt ein Lächeln. Was ſagſt Du denn dazu, Erhard?

Erhard etwas verlegen, zuckt die Achſeln. Ja, Mutter, wenn Fanny es durchaus haben will, ſo

Trau Borkman kalt. Darf man fragen, wann die Herr- ſchaften reiſen?

Frau Wilton. Wir reiſen ſofort, noch heute Nacht. Mein Wagenſchlitten hält unten auf der Straße vor der Hinkelſchen Villa.

Trau Borkman stiet fie von oben bis unten am. Aha, das war alſo die Abendfete!

Frau Wilton lächelt. Es waren allerdings nur Erhard und ich dort. Und die kleine Frida ſelbſtverſtändlich.

Trau Borkman. Und wo iſt die jetzt?

Frau Wilton. Sie ſitzt im Schlitten und wartet auf uns.

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Erhard in peinlicher Verlegenheit. Mutter, Du begreifſt Ich wollte Dir dieſen Auftritt erſparen Dir und den andern. Trau Borkman blickt ihn tief geträntt an. Du wollteſt reiſen,

ohne mir Lebewohl zu ſagen?

Erhard. Ja, ich fand, es wäre ſo beſſer geweſen. Beſſer für beide Teile. Alles war fix und fertig. Die Koffer waren gepackt. Als Du dann aber nach mir ſchickteſt, da —. Wi ihr die Hände reichen. Alſo, leb' wohl, Mutter.

Trau Borkman macht eine abwehrende Handbewegung. Komm mir nicht nahe!

Erhard zaghaft. Iſt das Dein letztes Wort?

Trau Borkman mit Härte. Ja.

Erhard wendet ſich zu Ella. Leb' wohl, Tante Ella.

Ella drüct ihm die Hände. Leb' wohl, Erhard! Und genieße Dein Leben, und ſei ſo glücklich, ſo glücklich, wie Du kannſt!

Erhard. Ich danke Dir, Tante. Verbeugt ſich vor Borkman. Adieu, Vater. Fluſtert Frau Wilton zu. Mach', daß wir fortkommen, jo ſchnell wie möglich.

Frau Wilton (eiſe. Ja, gehen wir.

Trau Borkman mit einem böſen Lächeln. Frau Wilton, Sie meinen gewiß, klug zu handeln, wenn Sie das junge Mädchen mitnehmen?

Trau Wilton erwidert das Lächeln halb ironiſch, halb ernſthaft. Die Männer ſind ſo unbeſtändig, Frau Borkman. Und die Frauen ebenfalls. Iſt Erhard mit mir fertig, und bin ich's mit ihm, dann wird es für beide Teile gut ſein, wenn der armen Junge etwas in der Reſerve hat.

Frau Borkman. Aber Sie ſelbſt?

Frau Wilton. Ach, ich arrangiere mich ſchon da ſeien Sie unbeſorgt. Ich empfehle mich den Herrſchaften!

Sie grüßt und geht durch die Entreethür ab. Erhard ſteht einen Augenblick da, als ob er unſchlüſſig ſei; darauf wendet er ſich um und ſolgt ihr.

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Frau Borkman, die geſentten Hände gefaltet. Kinderlos. Borkman gleichſam zu einem Entſchluß erwachend. Wohlan! Allein denn ins Unwetter hinaus! Meinen Hut! Meinen Mantel! Er geht eilig zur Thür. Ella tritt ihm angſtvoll in den Weg. John Gabriel, wo willſt u hin? Borkman. Hinaus ins Unwetter des Lebens, hörſt Du. Laß mich, Ella! Ella hält ion feſt. Nein, nein, Du darfſt mir nicht hinaus! Du biſt krank. Ich ſeh' es Dir an! Borkman. Laß mich gehen, ſag' ich! Er reißt ſich los und geht in den Hausflur hinaus. Ella in der Thür. Hilf mir ihn zurückhalten, Gunhild! Trau Borkman fteht mitten im Zimmer; kalt und hart: Ich halte keinen Menſchen zurück, wer es auch ſei. Sie mögen von mir gehen, alleſamt. Einer wie der andere. Sie mögen ziehen, ſo weit ſoweit fie nur wollen. Pöötlich, mit einem gellenden Auf⸗ ſchrei. Erhard, bleib' hier!

D 2

Sie ſtürzt mit ausgebreiteten Armen auf die Thür zu. Ella tritt ihr in den Weg.

Vierter Akt.

Offener Platz vor dem Hauptgebäude des Gutshofes, das rechts liegt. Man ſieht eine Ecke des Hauſes mit einem Portal, zu dem eine niedrige ſteinerne Treppe hinauf— führt. Den Hintergrund entlang, bis dicht an das Gut hin, dehnen ſich ſchroffe, tannenbewachſene Abhänge aus. Links vereinzelt kleine Gruppen niedrigen Gehölzes. Das Schneegeſtöber hat aufgehört, der friſchgefallene Schnee aber hat den Boden mit einer hohen Decke überzogen. Ebenſo die Tannen, deren Zweige ſich ſchwer beladen neigen. Dunkle Nacht. Treibende Wolken. Der Mond tritt hie und da ſchwach hervor. Nur der Schnee wirft einen matten Widerſchein auf die Umgebung.

Borkman, Frau Borkman und Ella Rentheim ſtehen draußen auf der Treppe.

Borkman lehnt ſich müde und abgeſpannt an die Mauer. Er hat einen altmodiſchen

Mantel über die Schultern geworfen, hält einen weichen, grauen Filzhut in der einen

Hand und einen ſchweren Knotenſtock in der andern. Ella Rentheim trägt ihren

Mantel auf dem Arm. Frau Borkman iſt das große Tuch über den Nacken herab— geglitten, ſo daß ihr Haar unbedeckt iſt.

Ella hat ſich Frau Borkman in den Weg geſtellt. Geh' ihm nicht nach, Gunhild!

Frau Borkman in angſtvoller Aufregung. Laß mich durch, ſag' ich! Er darf mich nicht verlaſſen!

Ella. Es iſt ganz zwecklos, ſag' ich Dir! Du holſt ihn doch nicht ein.

Frau Borkman. Laß mich's verſuchen, Ella! Ich werde laut hinter ihm herſchreien, die Landſtraße hinab. Und den Schrei ſeiner Mutter, den muß er doch wohl hören!

Ibſen, John Gabriel Borkman. 11

Re

Ella. Er kann Dich nicht hören. Er ſitzt ſicherlich ſchon im Schlitten

Trau Borkman. Nein, nein, er kann doch noch nicht im Schlitten ſitzen!

Ella. Er ſitzt längſt im Schlitten, verlaß Dich drauf.

Trau Borkman in Verzweiflung. Wenn er im Schlitten ſitzt, dann ſitzt er da mit ihr, mit ihr, ihr!

Borkman mit finſterem Lachen. Und da hört er gewiß den Schrei ſeiner Mutter nicht.

Trau Borkman. Nein, da hört er ihn nicht. Lauſcht. Still! Was iſt das?

Ella ebenfalls lauſchend. Es hört ſich an wie Schellenklang.

Trau Borkman mit einem gedämpften Ausruf. 55 iſt ihr Schlitten!

Ella. Oder vielleicht ein anderer

Trau Borkman. Nein, nein, es iſt Frau Wiltons Wagen— ſchlitten. Ich kenne die Silberſchellen! Horch! Jetzt fahren ſie gerade hier vorbei am Berg unten!

Ella ſchnell. Gunhild, wenn Du hinter ihm herſchreien willſt, dann thu's jetzt! Vielleicht wird er doch noch —!

Der Schellenklang ertönt ganz nahe im Walde.

Ella. Beeil' Dich, Gunhild! Jetzt ſind ſie gerade unter uns!

Trau Borkman ſteht einen Augenblick unſchlüſſig, erſtarrt dann wieder zu eiſiger Härte. Nein. Ich ſchreie nicht hinter ihm her. Erhard Borkman mag an mir vorüberfahren. Hinaus in die weite Ferne, dem entgegen, was er jetzt das Glück nennt und das Leben.

Das Geläute verliert ſich.

Ella nach einer Pauſe. Jetzt hört man das Geläut nicht mehr.

Trau Borkman. Es klang mir wie ein Grabgeläut.

Borkman mit trockenem, gedämpftem Lachen. Hoho, mir läuten ſie noch nicht zu Grabe!

163

Trau Borkman. Aber mir. Und ihm, der mich ver— laſſen hat.

Ella niet gedantenvol. Wer weiß, ob fie ihm nicht doch das Glück und das Leben einläuten, Gunhild.

Trau Borkman auffahrend, blickt fie mit Härte an. Das Glück und das Leben, ſagſt Du!

Ella. Für ein kleines Weilchen wenigſtens.

Trau Borkman. Würdeſt Du ihm das Glück und das Leben gönnen an ihrer Seite?

Ella warm und innig. Ja, von ganzem Herzen und von ganzer Seele würd' ich das!

Frau Borkman tat. Dann mußt Du reicher ſein an Liebes— kraft als ich.

Ella blickt verloren vor ſich hin, als ſähe ſie in die Ferne. Es iſt viel⸗ leicht die Liebes entbehrung, die dieſe Kraft aufrecht erhält.

Frau Borkman richtet den Blick auf ji. Wenn dem fo iſt, dann werd' ich wohl bald ebenſo reich ſein wie Du, Ella.

Sie wendet ſich um und geht ins Haus.

Ella ſteht eine Weile da und blickt Borkmann beſorgt an; darauf legt ſie behutſam die Hand auf ſeine Schulter. John, jetzt komm und geh' auch Du hinein.

Borkman als ob er erwache. Ich ?

Ella. Ja. Du verträgſt die ſcharfe Winterluft nicht. Das ſehe ich Dir an, John. So komm und geh' mit mir hinein. Ins Zimmer, wo's warm iſt.

Borkman unwirſch. Vielleicht in den Saal hinauf?

Ella. Lieber zu ihr in die Stube.

Borkman fäyrt beftg auf. Mein Lebtag ſetz' ich nicht mehr den Fuß in dieſes Haus.

Ella. Wo willſt Du denn aber hin? So ſpät in der Nacht, John?

Borkman jest den Hut auf. Vor allen Dingen will ich nach meinen verborgenen Schätzen ſehen.

117

Ella siegt ihn ängstlich an. John, ich verſtehe Dich nicht!

Borkman mit einem hüſtelnden Lachen. Ach, ich meine nicht ver— ſtecktes Diebesgut. Hab' deswegen keine Angſt, Ella. San inne und deutet nach außen. Schau mal den an! Wer iſt denn das?

Wilhelm Foldal kommt an der Ecke des Hauſes zum Vorſchein. Er trägt einen

alten, ſchneebedeckten überrock, hat die Hutkrempe abwärts gebogen und hält einen

großen Regenſchirm in der Hand. Er bewegt ſich mit Mühe vorwärts durch den Schnee, indem er merklich mit dem linken Fuße hinkt.

Borkman. Wilhelm! Was willſt Du hier bei mir auf einmal wieder?

Toldal blict auf. Herrjeh, Du ſtehſt draußen auf der Treppe, John Gabriel? Grüßt. Und Deine Frau auch, wie ich ſehe!

Borkman turz. Es iſt nicht meine Frau.

Zoldal. Bitte um Entſchuldigung. Ich habe nämlich meine Brille im Schnee verloren. Aber daß Du, der ſonſt nie einen Schritt zur Thür hinaus thut ?

Borkman keckluſtig. Es iſt hohe Zeit, daß ich mich wieder ans Freie und die Luft gewöhne, weißt Du. Faſt drei Jahre in der Unterſuchungshaft, fünf Jahre im Gefängnis, acht Jahre da oben im Saal

Ella veſorgt. Borkman, ich bitte Dich,

Toldal. Ach ja, ja, ja

Borkman. Aber, was willſt Du von mir, frag' ich Dich.

Toldal der noch immer unten an der Treppe ſteht. Ich wollte hinauf zu Dir, John Gabriel. Mir war, als müßt' ich zu Dir, in den Saal. Du lieber Gott, der Saal!

Borkman. Zu mir wollteſt Du, der Dir die Thür gewieſen hat.

Toldal. Herrgott, das iſt ja ganz gleichgültig.

Borkman. Was iſt denn mit Deinem Fuß? Du hinkſt ja?

Toldal. Ja, denk' nur, Du, ich bin überfahren worden.

165

Ella. Überfahren!

Foldal. Jawohl, von einem Schlitten

Borkman. Oho!

Toldal. mit zwei Pferden davor. Sie kamen in ſauſender Fahrt den Berg herunter. Ich hatte nicht Zeit, auszuweichen, und da

Ella. und da haben ſie Sie überfahren? Toldal. Sie find direkt auf mich los gefahren, gnädige Frau oder Fräulein. Direkt auf mich los fuhren ſie, ſo ) )

daß ich in den Schnee purzelte und meine Brille verlor und mir den Regenſchirm zerbrach; reibt ſich den Knöchel und auch der Fuß kam ein bißchen zu Schaden.

Borkman lacht in ſich hinein. Weißt Du, wer in dem Schlitten ſaß, Wilhelm?

Toldal. Nein, wie hätt' ich das ſehen können? Es war ja ein geſchloſſener Schlittenwagen, und die Vorhänge waren heruntergelaſſen. Und der Kutſcher, der hielt keinen Augenblick an, wie ich da jo hinpurzelte —. Doch das iſt auch einerlei, denn erregt. Ach, mir iſt ſo eigentümlich froh zu Mute, Du!

Borkman. Froh?

Foldal. Ja, ich wüßte nicht, wie ich es ſonſt nennen ſollte. Froh, das wird wohl das Richtige ſein. Denn was ganz Merkwürdiges iſt paſſiert! Und ſo konnt' ich nicht anders, ich mußte her und die Freude mit Dir teilen, John Gabriel.

Borkman barſch. Na, ſo teile denn die Freude!

Ella. Aber erſt geh' mit Deinem Freund ins Haus, Borkman.

Borkman mit Härte. Ich will nicht ins Haus, hab' ich ſchon gejagt.

Ella. Du hörſt doch, daß er überfahren wurde.

Borkman. Ach, überfahren werden wir alleſamt einmal im Leben. Dann muß man eben wieder aufſtehen. Und thun, als ob nichts geſchehen wäre.

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Toldal. Das war ein tiefſinniges Wort, John Gabriel. Ich kann's ja auch recht gut hier draußen erzählen in aller Eile.

Borkman in ſanfterem Ton. Bitte, Wilhelm.

Toldal. Jetzt paß mal auf! Du, denk' Dir wie ich

vorhin nach Hauſe komme von dem Beſuch bei Dir, da find' ich einen Brief. Rate mal, von wem?

Borkman. Vielleicht war er von Deiner kleinen Frida?

Toldal. Richtig! Wie Du das gleich getroffen haft! Es war ein langer ziemlich langer Brief von Frida, weißt Du. Ein Bedienter war dageweſen und hatte ihn gebracht. Und weißt Du, warum ſie ſchreibt?

Borkman. Möglicherweiſe um von den Eltern Abſchied zu nehmen.

Toldal. Auf ein Haar! Merkwürdig, wie gut Du raten kannſt, John Gabriel! Jawohl, ſie ſchreibt, Frau Wilton hätte ein großes Intereſſe für ſie gefaßt. Und jetzt wolle die gnädige Frau mit ihr ins Ausland reiſen. Damit Frida Muſik ſtudieren könnte, ſchreibt ſie. Und Frau Wilton habe auch für einen tüchtigen Lehrer geſorgt, der mitreiſen ſolle. Um Frida zu unterrichten. Denn ihre Erziehung iſt ja leider Gottes in mancher Hinſicht ein bißchen verbummelt, verſtehſt Du.

Borkman lacht in ſich hinein, daß es ihn ſchüttelt. Jawohl, jawohl. Ich verſtehe alles großartig gut, Wilhelm.

Toldal eifrig fortfahrend. Und denke Dir, ſie bekam erſt dieſen Abend von dem Reiſeplan etwas zu erfahren. In der Geſell— ſchaft, Du weißt ſchon, na! Und gleichwohl nahm ſie ſich Zeit zum Schreiben. Und wie warm der Brief geſchrieben iſt, und wie ſchön und herzlich, das kannſt Du Dir nicht vorſtellen. Keine Spur mehr von Geringſchätzung ihrem Vater gegenüber. Und dann noch der feine Zug, weißt Du, daß ſie uns ſchrift— lich Lebewohl ſagen wollte ehe fie reiſte. Lacht. Aber daraus wird nun freilich nichts!

en ;

Vorkman blickt ihn fragend an. Wieſo?

Toldal. Sie ſchreibt, ſie reiſten morgen früh. Ganz früh.

Borkman. Sieh mal an morgen? Schreibt fie das?

Toldal lacht und reibt ſich die Hände. Ja, aber ich bin jetzt der Schlauberger, ſiehſt Du! Nun geh' ich gleich zu Frau Wilton

Borkman. Jetzt in der Nacht?

Toldal. Na, mein Gott, ſo furchtbar ſpät iſt es doch noch gar nicht. Und ſollte die Hausthür ſchon zu fein, jo klingle ich. Ohne weiteres. Denn ich will und muß Frida vor ihrer Abreiſe ſehen. Alſo gute Nacht, gute Nacht!

Er ſchickt ſich zum Gehen an.

Borkman. Hör’ mal, mein armer Wilhelm, Du fannft Dir das mühſame Stück Weges ſparen.

Toldal. Ach, Du denkſt an den Fuß da

Borkman. Ja, und dann wirſt Du bei Frau Wilton doch nicht ins Haus kommen.

Toldal. O freilich werd' ich das. Ich klingle und reiße ſo lange an der Glocke, bis einer kommt und mir aufmacht. Denn Frida, die will und muß ich ſehen.

Ella. Ihre Tochter iſt ſchon weg, Herr Foldal.

Toldal ſteht wie vom Schlag gerührt. Frida ſchon weg! Wiſſen Sie das ſicher? Von wem haben Sie das?

Borkman. Wir haben es von ihrem zukünftigen Lehrer.

Toldal. So? Und wer iſt denn das?

Borkman. Ein gewiſſer Studioſus Erhard Borkman.

Toldal freudeſtrahlend. Dein Sohn, John Gabriel! Der geht mit!

Borkman. Jaha —; der ſoll Frau Wilton behilflich ſein, Deine kleine Frida auszubilden.

Toldal. Na, Gott ſei Lob und Dank! Dann iſt ja das

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Kind in den beſten Händen. Aber iſt es auch ganz ſicher, daß ſie ſchon mit ihr fort ſind?

Borkman. Sie ſaßen mit ihr in dem Schlitten, der Dich auf der Straße überfahren hat.

Toldal ſchlägt die Hände zuſammen. Herrjeh, meine kleine Frida in dem Prachtſchlitten!

Borkman nict. Ja, ja, Wilhelm, Deine Tochter iſt weich

gebettet. Und der Studioſus Borkman auch. Na, haſt Du auch die Silberſchellen bemerkt? Toldal. J freilich. Silberſchellen, ſagſt Du? Du,

waren das Silberſchellen? Ganz echte Silberſchellen? Borkman. Da kannſt Du ſicher ſein. Alles war echt.

Außen und innen. Toldal ſtubewegt. Es iſt doch eigentümlich, wie der Menſch manchmal ſo Glück hat! Da hat ſich mein mein bißchen

Dichtertalent bei Frida in Muſik umgeſetzt. Und ſo bin ich denn doch nicht vergebens Dichter geweſen. Denn jetzt darf ſie in die große, weite Welt hinaus, nach der ich einſt mich in herrlichen Träumen geſehnt habe. Im geſchloſſenen Schlitten darf die kleine Frida ſich auf die Reiſe machen. Und Silberſchellen am Sattelzeug

Borkman. und hat ihren Vater überfahren dürfen Toldal fröhlich. Ach was! Das ſchert mich nicht viel, wenn bloß das Kind —. Na, nun bin ich doch zu ſpät

gekommen. Und ſo will ich denn wieder nach Hauſe und ihre Mutter tröſten, die in der Küche ſitzt und weint.

Borkman. Sie weint?

Toldal lächelnd. Ja, denk' Dir, ſie weinte ſich faſt die Augen aus, als ich ging.

Borkman. Und Du lachſt, Wilhelm.

Toldal. Ich, freilich ja! Doch ſie, die gute Seele, die verſteht's nicht beſſer, ſiehſt Du. Na, adieu denn! Es iſt

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doch gut, daß die Pferdebahn jo nahe iſt. Adieu, adieu, John Gabriel! Empfehle mich, Fräulein! Er grüßt und entfernt ſich hinkend in derſelben Richtung, in der er gekommen iſt.

Dorkman fteht eine Weile ſtill da und blickt vor ſich Hin. Adieu, Wil⸗ helm! Es iſt nicht das erſte Mal im Leben, daß Du über— fahren wurdeſt, alter Freund.

Ella blickt ihn mit unterdrückter Angſt an. Du biſt ſo bleich, fo bleich, John

Dorkman. Das kommt von der Gefängnisluft da oben.

Ella. So habe ich Dich noch nie geſehen.

Borkman. Du haſt auch wohl noch nie einen ausgebrochenen Sträfling geſehen.

Ella. Komm doch jetzt und geh' mit ins Haus, John!

Borkman. Hör’ auf mit Deinen Locktönen. Ich hab' Dir ſchon gejagt

Ella. Wenn ich Dich nun aber von Herzen bitte? Um Deinetwillen

Das Stuben mädchen erſcheint auf der Treppe.

Das Stubenmädchen. Entſchuldigen die gnädige Frau hat geſagt, ich ſoll jetzt das Hofthor zumachen.

Borkman teife zu Ela. Da hörſt Du's fie wollen mich wieder einſperren!

Ella zum Stubenmädchen. Dem Herrn Direktor iſt nicht ganz wohl. Er will noch ein bißchen friſche Luft ſchöpfen.

Das Stubenmädchen. Die gnädige Frau hat aber ausdrück— lich geſagt,

Ella. Ich werde das Thor zumachen. Laſſen Sie nur ſo— lange den Schlüſſel ſtecken

Das Stubenmädchen. Na meinetwegen, wie Sie wollen.

Wieder ab ins Haus. Borkmann ſteht einen Augenblick lauſchend da; darauf geht er eilig in den

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Hof hinunter. Jetzt bin ich über die Mauer, Ella! Jetzt kriegen ſie mich nicht wieder!

Ella bei ihm unten. Aber Du biſt ja doch auch im Haus ein freier Mann, John. Kannſt kommen und gehen, ganz nach Belieben.

Dorkman leiſe, wie von einem Schrecken erfaßt. Ins H aus zurück? Nie wieder! Hier draußen in der Nacht iſt gut ſein! Ging' ich jetzt in den Saal zurück die Decke und die Wände würden zuſammenſtürzen. Und mich erdrücken. Mich breit quetſchen wie eine Fliege

Ella. Wo willſt Du denn aber hin?

Borkman. Nur weit weg und immer weiter! Ich will ſehen, ob ich wieder zur Freiheit gelangen kann und zum Leben und zu Menſchen. Willſt Du mit mir, Ella?

Ella. Ich? Jetzt?

Borkman. Ja, jetzt gleich! Ella. Und wie weit denn? Borkman. So weit wie möglich. u

Ella. Aber jo bedenke doch. In die feuchte, kalte Winter— nacht

Borkman mit rauhem Kehllaut. Oho, Fräulein ſind um ihre Geſundheit beſorgt? Ja ja, die iſt allerdings etwas ſchwächlich.

Ella. Ich bin um Deine Geſundheit beſorgt.

Borkman. Hahaha! Um die Geſundheit eines toten Mannes! Ich muß über Dich lachen, Ella!

Er geht weiter.

Ella hinter ihm her, hält ihn feſt. Was ſagſt Du, daß Du biſt?

Borkman. Ein toter Mann. Halt Du vergeſſen, daß Gunhild ſagte, ich ſolle mich ruhig verhalten da, wo ich läge?

Ella wirft entſchloſſen den Mantel um. Ich geh' mit Dir, John.

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Borkman. Ja, Ella! Gehören wir wei doh auch zuſammen. Geht weiter. So komm! Sie find allmählich in das Gehölz links hinübergelangt. Dies entzieht fie nach und nach den Augen der Zuſchauer, ſo daß man ſchließlich nichts mehr von den beiden ſieht. Das Haus und der Gutshof entſchwinden dem Geſichtskreiſe. Die Landſchaft, mit Abhängen und Höhenzügen, verändert ſich fortwährend langſam und nimmt einen

immer wilderen Charakter an.

Ellas Slimme aus dem Walde rechts. Wo ſind wir, John? Ich kenne mich hier nicht mehr aus.

Borkmans Stimme weiter oben. Halte Dich nur an die Schnee— ſpuren hinter mir!

Ellas Stimme. Aber warum müſſen wir denn ſo hoch

ſteigen? Borkmans Stimme näter. Wir müſſen den krummen Steig hinauf.

Ellas Stimme. Ach, aber ich kann bald nicht mehr.

Borkman am Waldſaum rechts. Komm nur, komm! Jetzt haben wir's nicht mehr weit bis zur Fernſicht. Dort ſtand vor Zeiten eine Bank

Ella erſcheint zwiſchen den Bäumen. Daran denkſt Du noch?

Borkman. Da kannſt Du ausruhen. Sie ſind bei einer ſchmalen, hochgelegenen Lichtung des Waldes angelangt. Hinter ihnen ein ſchroffer Abhang. Links, tief unten, dehnt ſich eine weite Landſchaft mit dem Fjord und hohen, fernen Bergrücken aus, ein Höhenzug immer hinter dem andern. In der Lichtung links eine abgeſtorbene Fichte mit einer Bank davor. Die

Lichtung iſt hoch mit Schnee bedeckt.

Borkman und hinter ihm Ella waten von rechts her mühſam durch den Schnee. Borkman bleibt am Abgrund links ſtehen. Komm, Ella, dann ſollſt Du etwas ſehen. Ella bei ihm. Was willſt Du mir zeigen, John? Borkman zeigt hinaus. Sieh hin, wie frei und offen das Land vor uns daliegt in weitem Umkreis!

Ella. Auf jener Bank ſaßen wir früher oft und blickten in noch viel, viel weitere Fernen.

Borkman. In ein Traumland blickten wir damals.

Ella nickt ſchwermütig. Das Traumland unſeres Lebens war das. Und nun iſt das Land im Schnee begraben. Und der alte Baum iſt abgeſtorben.

Borkman, ohne auf ſie zu hören. Kannſt Du ſehen, wie von den großen Dampfſchiffen Rauch aufſteigt, draußen auf dem Fjord?

Ella. Nein.

Borkman. Ich ſeh's. Sie kommen und gehen. Sie verbrüdern das Leben auf dem ganzen Erdball. Sie ſchaffen der Seele Licht und Wärme in aber und aber tauſend Heim— ſtätten. Das zu vollbringen, davon träumte mir einſt.

Ella leiſe. Und beim Traum, dabei iſt es geblieben.

Borkman. Es iſt beim Traum geblieben, jawohl. Horst auf. Und drunten am Fluß horch! Die Fabriken gehen! Meine Fabriken! Alle, die ich hätte ſchaffen wollen! Hör' nur, wie ſie gehen. Sie haben Nachtarbeit. Tag und Nacht arbeiten ſie alſo. Horch, horch! Die Räder wirbeln und die Walzen blitzen immer herum, immer herum! Hörſt Du's nicht, Ella?

Ella. Nein. e

Borkman. Ich kann es hören.

Ella ängstlich. Ich glaube, Du irrſt Dich, John.

Borkman gerät mehr und mehr in Feuer. Aber all dieſe Dinge, weißt Du, ſind ſozuſagen nur die Vorpoſten rings um das Reich!

Ella. Um das Reich? Was für ein Reich meinſt Du ?

Borkman. Mein Reich! Das Reich, von dem ich um ein Haar Beſitz ergriffen hätte damals, als ich als ich ſtarb.

Ella erſchüttert, mit leiſer Stimme. Ach, John, John!

Borkman. Und da liegt es nun ſchutzlos, herrenlos, preisgegeben den Überfällen und Plünderungen der Banditen

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Ella! Siehſt Du die Bergketten dort in weiter Ferne? Eine über der anderen. Sie werden höher. Sie türmen ſich. Dort iſt mein tiefes, unermeſſenes, unerſchöpfliches Reich!

Ella. Ach, John, aber ein ſo eiſiger Hauch weht von dem Reiche her!

Borkman. Dieſer Hauch wirkt auf mich wie Lebensluft. Dieſer Hauch weht mich an wie ein Gruß von unterthänigen Geiſtern. Ich wittere ſie, die gefeſſelten Millionen; ich fühle die Erzadern, die ihre ſchlängelnden, aſtigen, verführeriſchen Arme nach mir ausſtrecken. Ich ſah ſie vor mir wie lebendig gewordene Schatten in jener Nacht, als ich im Bankgewölbe unten ſtand, die Laterne in der Hand. Ich ſollte Euch befreien damals! Und ich verſuchte es. Aber ich vermocht' es nicht. Der Schatz ſank wieder in die Tiefe. Wit vorgeſtreckten Händen. Aber ich will es euch zuflüſtern hier, in der Stille der Nacht. Ich liebe euch, die ihr ſcheintot liegt in dunkler Tiefe! Ich liebe euch, ihr lebenheiſchenden Werte mit eurem ganzen leuchtenden Gefolge von Macht und Herrlichkeit! Ich liebe, liebe, liebe euch!

Ella in verhaltener, doch wachſender Erregung. Ja, dort unten iſt nach wie vor Deine Liebe, John. Sie iſt immer dort geweſen. Doch hier oben im Licht des Tages, da war ein warmes, lebendiges Menſchenherz, das für Dich pochte und ſchlug. Und dieſes Herz haſt Du zertreten. Ach, mehr als das! Zehnmal Schlimmeres haſt Du gethan Du haſt es verkauft um um

Borkman erbebt, wie wenn ihn ein Schauer überliefe. Um des Reiches und der Macht und der Herrlichkeit willen, meinſt Du?

Ella. Jawohl, das meine ich. Ich hab' es Dir heut ſchon einmal geſagt. Du haſt das Liebesleben gemordet in dem Weibe, das Dich liebte. Und das Du wieder liebteſt. Soweit Du über— haupt wen lieben konnteſt. Wit erhobenem Arm. Und darum prophezei' ich Dir, John Gabriel Borkman, nie wirft Du den Preis empfangen, den Du für den Mord verlangt haſt.

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Nie wirſt Du als Sieger einziehen in Dein kaltes, dunkles

Reich.

Borkman wankt zur Bank hin und läßt ſich wuchtig auf jie nieder. Faſt muß ich fürchten, Du haſt richtig prophezeit, Ella. Ella geht zu ihm hin. Nicht fürchten ſollſt Du es, John.

Dir könnte nichts Beſſeres widerfahren.

Borkman ſchreit auf und greift ſich an die Bruſt. Ah —1 Watt.

Jetzt ließ ſie mich los.

Ella rüttelt ihn. Was war das, John!

Borkman ſintt gegen die Lehne zurück. Eine Hand von Eis griff mir ans Herz.

Ella. John! Haſt Du die Eishand jetzt empfunden!

Dorkman murmelt. Nein. Keine Eishand eine Hand von Erz war es.

Er gleitet ganz auf die Bank hin.

Ella reißt ihren Mantel herunter und deckt ihn damit zu. Bleib' ruhig da, wo Du liegſt! Ich gehe, Dir Hilfe zu holen.

Sie macht ein paar Schritte nach rechts, dann bleibt ſie ſtehen, geht zurück und be⸗

fühlt ihm lange den Puls und das Geſicht. Ella teife und fett. Nein. Beſſer jo, John Borkman. Für

Dich beſſer ſo.

Sie hüllt ihn dichter in den Mantel ein und ſetzt ſich vor der Bank in den Schnee nieder. Kurze Pauſe.

Frau Borkman, in einen Mantel gehüllt, erſcheint zwiſchen den Bäumen rechts. Vor ihr her geht das Stubenmädchen, mit einer brennenden Laterne. Das Stubenmädchen teuchtet in den Schnee hinein. Doch, doch,

gnädige Frau. Da ſind ja ihre Fußſpuren

Trau Borkman blickt ſpäbend umher. Jawohl, da find ſie! Da drüben ſitzen fie auf der Bank. Ruft: Ella!

Ella ſtebt auf. Suchſt Du uns?

Frau Borkman bart. Ja, das muß ich wohl.

Ella zeigt auf Bortman. Schau, da liegt er, Gunhild.

Trau Borkman. Er ſchläft?

Ella nie. Einen tiefen und langen Schlaf, glaub' ich.

Trau Borkman außer ſich. Ella! Beherrſcht ſich und fragt mit ge— dümpfter Stimme: Hat er freiwillig geendet?

Ella. Nein.

Frau Borkman erleichtert. Alſo nicht durch eigene Hand?

Ella. Nein. Es war eine eiſige Hand von Erz, die ihn am Herzen packte.

Frau Borkman zum Stubenmädchen. Holen Sie Hilfe. Wecken Sie die Gutsleute.

Bas Stubenmädchen. Ja, gnädige Frau. Leiſe. Jeſſus, Jeſſus

Ab durch den Wald rechts,

Trau Borkman ſteht hinter der Bank. Alſo die Nachtluft hat ihn getötet

Ella. Es wird wohl ſo ſein.

Trau Vorkman. Den kräftigen Mann!

Ella tritt vor die Bant hin. Willſt Du ihn Dir nicht anſehen,

Gunhild? Trau Borkman abwehrend. Nein, nein, nein. Mit gedämpfter Stimme. Er war eines Bergmanns Sohn, der Bankdirektor.

Die friſche Luft vertrug er nicht.

Ella. Es war wohl mehr die Kälte, was ihn tötete.

Trau Borkman ſchüttelt den Kopf. Die Kälte, ſagſt Du? Die Kälte, die hatte ihn ſchon längſt getötet.

Ella nickt ihr zu. Ja, und uns beide in Schatten ver— wandelt.

Trau Borkman. Da haſt Du recht.

Ella mit ſchmerzlichem Lächeln. Ein Toter und zwei Schatten, das hat die Kälte gethan.

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Trau Borkman. Ja, die Herzenskälte. Und ſo können wir zwei wohl einander die Hände reichen, Ella.

Ella. Ich denke, jetzt können wir es.

Trau Borkman. Wir Zwillingsſchweſtern über ihm, den wir beide geliebt haben.

Ella. Wir beiden Schatten über dem toten Mann.

Frau Borkman, hinter der Bank, und Ella Rentheim, vor der Bank, reichen ſich die Hände.

Wenn wir Toten erwachen

Ein dramatiſcher Epilog in

drei Akten

Ibſen, Wenn wir Toten erwachen. 12

Geſchützt auf Grund der Gelege und Verträge.

Den Bühnen gegenüber Manuſtript.

Perlonen.

Profeſſor Arnold Rubel, Bildhauer Frau Maja Rubek. Der Badeinſpektor. Ulfheim, Gutsbeſitzer. Eine reiſende Dame. Eine Diakoniſſin. Dienerſchaft, Badegäſte und Kinder.

Der erſte Akt ſpielt in einem Badeort an der Küſte; der zweite wie der dritte Akt bei einem Sanatorium im Hochgebirge.

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Erjter Akt.

Vor dem Badehotel, deſſen Hauptgebäude teilweiſe zur Rechten fichtbar iſt. Offener

parkähnlicher Platz mit Springbrunnen, Gruppen von großen, alten Bäumen und

Buſchwerk. Links ein kleiner, mit Grün und wildem Wein faſt bedeckter Pavillon.

Tiſch und Stuhl davor. Im Hintergrunde der zuletzt ins offene Meer übergehende

Fjord mit Landzungen und kleinen Inſeln in der Ferne. Es iſt ein ſtiller, ſonnig marmer Sommervormittag.

Profeſſor Rubek und Frau Maja ſitzen in Korbſtutzten an einem gedeckten Tiſch

auf dem Raſenplatz vor dem Hotel und haben ſoeben ihr Frühſtück eingenommen.

Jetzt trinken ſie Champagner mit Selter, und jedes hat ſeine Zeitung in der Hand.

Der Profeſſor iſt ein älterer, diſtinguierter Herr in ſchwarzem Samtjackett und im

übrigen ſommerlich gekleidet. Frau Maja iſt noch ganz jugendlich; ſie hat lebhafte

Züge und muntere Augen voll Laune, über denen jedoch eine gewiſſe Müdigkeit lagert. Sie trägt ein elegantes Reiſekoſtüm.

Trau Maja ſitzt eine Weile wie in Erwartung, daß der Profeſſor etwas ſagen ſoll. Dann läßt ſie das Blatt ſinken und ſeufzt: Ach ja, ja

Profeſſor Nubek blickt von ſeiner Zeitung auf. Na, Maja? Was iſt denn los mit Dir?

Trau Maja. Hör' nur, wie ſtill es hier iſt.

Profeſſor Rubek nachſichtig lächernd. Und das kannſt Du hören?

Trau Maja. Was?

Profeſſor Aubek. Die Stille hier?

Frau Maja. Allerdings kann ich das.

Profeſſor Rubek. Du halt am Ende nicht fo unrecht, mein Kind. Man kann die Stille wirklich hören.

Frau Maja. Weiß Gott, das kann man. Wenn fie einen ſo ganz erdrückt wie hier

Profeſſor Rubek. wie hier im Bade, meinſt Du?

Trau Maja. Ueberall hier in der Heimat, mein’ ich. In der Stadt drinnen war ja Lärm und Unruh' genug. Und doch für mich hatte auch dieſer Lärm und dieſe Unruhe etwas Totes.

Profeſſor Rubek mit forſchendem Blic. Macht's Dir keine rechte Freude, wieder zu Hauſe zu ſein, Maja?

Frau Maja ihn anblickend. Macht's Dir Freude?

Profeſſor Rubek ausweichend. Mir ?

Trau Maja. Ja, Dir. Du biſt doch ſo viel, viel länger weg geweſen als ich. Macht's Dir wirklich Freude, wieder zu Hauſe zu ſein?

Profeſſor Aubek. Nein offen und ehrlich jo recht nicht

Trau Maja lebhaft. Siehſt Du! Als ob ich das nicht gewußt hätte!

Profeſſor Aubek. Ich bin vielleicht zu lange weg geweſen. Ich bin dieſen ganzen Verhältniſſen hier zu Lande durchaus fremd geworden.

Trau Maja rückt mit ihrem Stuhl näher zu ihm; eifrig Siehſt Du, Rubek. Laß uns doch einfach wieder abreiſen! Und das ſo bald wie möglich.

Profeſſor Rubel ein wenig ungeduldig. Gewiß, das haben wir ja auch vor, liebe Maja. Das weißt Du doch.

Trau Maja. Aber warum nicht gleich? Denk' Dir doch nur, wie nett und gemütlich könnten wir's haben in unſerm neuen hübſchen Haus

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Frofeſſor Rubel nachſichtig lächelnd. Eigentlich ſollten wir wohl ſagen: in unſerm neuen hübſchen Heim.

Frau Maja turz. Ich ſage lieber Haus. Bleiben wir dabei.

Urofeſſor Rubel läßt ſeinen Blick auf ihr ruhen. Du biſt im Grund ein wunderliches Perſönchen.

Frau Maja. Bin ich jo wunderlich?

Brofeflor Rubek. Ja, wirklich.

Frau Maja. Aber warum denn? Etwa, weil ich nicht gerade übermäßige Luſt dazu habe, hier oben herumzubummeln und die Zeit totzuſchlagen ?

Profeſſor Rubek. Wer von uns wollte denn für ſein Leben gern dieſen Sommer nach Norden reiſen?

Trau Maja. Na ja, ich.

Profeſſor Rubek. Ja, ich wahrhaftig nicht.

Trau Maja. Aber, mein Gott, wer konnte auch ahnen, daß ſich hier bei uns alles ſo furchtbar verändert hätte! Und noch dazu in ſo kurzer Zeit! Wenn man bedenkt, daß es noch nicht viel mehr als vier Jahre her iſt, ſeit ich von hier fort— gegangen

Profeſſor Rubek. als verheiratete Frau, ja.

Trau Maja. verheiratete Frau? Was ſollte das damit zu thun haben?

Profeſſor Rubel fortfabrend. und ſeit Du Frau Profeſſor geworden biſt und ein prächtiges Heim bekommen haſt Ver— zeihung ein herrſchaftliches Haus, muß ich wohl ſagen, und eine Villa am Taunitzer See, wo ja nun alles aufs feinſte hergerichtet iſt —. Ja, zu fein und prächtig, Maja,

darf ich dreiſt ſagen. Und Platz iſt auch. Wir brauchen ein— ander nicht immer ſo auf die Füße zu treten.

Frau Maja gleichgültig. Nein, nein, nein, Platz im Haus und ſo weiter daran fehlt's ja durchaus nicht

* x

184

A

Ww Profeſſor Rubek. Und dann auch, daß Du in feinere und größere Verhältniſſe überhaupt gekommen biſt. In gebildeteren Verkehr, als Du zu Hauſe gewohnt warſt.

Trau Maja ihn anblicend. Na ja, alſo nach Deiner Anſicht habe ich mich verändert?

Profeſſor Ruben. In der That, Maja.

Trau Maja. Nur ich? Und die Leute hier nicht?

Profeſſor Rubek. O ja, die auch, jo ein bißchen. Yiebens= würdiger ſind ſie nicht gerade geworden. Das kann ich getroſt zugeben.

Trau Maja. Das glaub' ich wohl auch.

Profeſſor Nubek ſchlägt einen andern Ton an. Weißt Du, in welche Stimmung ich komme, wenn ich das Leben der Leute hier um mich her betrachte?

Frau Maja. Nein. Sag' doch.

Profeſſor Rubek. Da kommt mir die Nacht in den Sinn, als wir mit der Eiſenbahn hier herauf fuhren

Trau Maja. Da haſt Du ja doch im Coupe geſchlafen.

Profeſſor Rubek. Nicht ganz. Ich merkte, wie ſtill es

auf einmal wurde an den vielen kleinen Halteſtellen —. Ich hörte die Stille, wie Du, Maja

Frau Maja. Hm, wie ich, ja.

Profeſſor Rubek. Und ich begriff, daß wir nun über die Grenze gekommen waren. Jetzt waren wir richtig zu Hauſe. Denn an all dieſen kleinen Halteſtellen hielt der Zug, ob— wohl von Verkehr keine Rede war.

Trau Maja. Aber warum hielt er dann? Wenn nichts los war?

Profeſſor Ruben. Weiß nicht. Kein Reiſender ſtieg aus und keiner ſtieg ein. Aber der Zug, der hielt trotzdem eine lange, endloſe Zeit. Und auf jeder Station hörte ich zwei Männer auf dem Perron auf und ab gehen, der eine hatte

15

eine Laterne in der Hand, und ſie jprachen miteinander, ge— dämpft, klanglos, nichtsſagend in die Nacht.

Trau Maja. Ganz recht. Immer gehen da ſo ein paar Männer auf und ab und ſprechen zuſammen

Profeſſor Ruben. von nichts. In lebhafterem Ton. Aber wart' nur bis morgen. Da haben wir den großen bequemen Dampfer hier im Hafen. Dann gehen wir an Bord und fahren die Küſte herum, immer weiter nach Norden, bis hinauf zum Eismeer.

Frau Maja. Aber dann ſiehſt Du ja nichts von Land und Leben. Und das wollteſt Du doch gerade. :

Profeſſor Ruben turz, unwillig. Ich habe mehr als genug geſehen.

Trau Maja. Meinſt Du, eine Seereiſe würde Dir beſſer bekommen?

Profeſſor Rubek. Es iſt jedenfalls einmal eine Abwechſelung.

Frau Maja. Ja, ja; wenn es nur Dir gut bekommt

Profeſſor Ruben. Mir? Gut? Mir fehlt doch aber gar nichts.

Trau Maja ſteht auf und tritt zu ihm. Doch, Dir fehlt etwas, Rubek. Das mußt Du doch ſelbſt fühlen.

Profeſſor Rubek. Aber, liebſte Maja, was denn?

Trau Maja hinter ihm, beugt ſich über die Stuhllehne vor. Ja, das mußt Du mir ſagen. Du gehſt ſeit einiger Zeit umher ohne Raſt und Ruh'. Nirgends hält's Dich feſt. Zu Hauſe nicht und nicht draußen. Ganz menſchenſcheu biſt Du mit der Zeit geworden.

Profeſſor Rubek etwas ſpöttiſh. Nein, daß Du das be— merkt haſt?

Frau Maja. Das kann doch keinem entgehen, der Dich kennt. Und dann find' ich es ſo traurig, daß Du die Luſt zum Arbeiten verloren haſt.

Profeſſor Rubek. Hab' ich das auch?

186

Trau Maja. Wenn man bedenkt, wie Du früher fo un- ermüdlich arbeiten konnteſt, von Morgen bis Abend.

Profeſſor Aubek verdüſtert. Ja früher —.

Frau Maja. Aber ſeit Dir Dein großes Meiſterwerk glücklich

gelungen Profeſſor Rubek nickt nachdenklich. Der „Auferſtehungstag“ Frau Maja. und über die ganze Welt gegangen iſt

und Dich ſo berühmt gemacht hat

Profeſſor Rubek. Das iſt vielleicht das Unglück dabei, Maja.

Trau Maja. Wieſo?

Profeſſor Rubek. Als ich dies mein Meiſterwerk geſchaffen hatte mit einer heftigen Handbewegung denn der „Auferſtehungs⸗ tag“ iſt ein Meiſterwerk! Oder war es doch im Anbeginn. Nein, iſt es noch. Soll, ſoll, ſoll ein Meiſterwerk ſein.

Trau Maja blickt ihn verwundert an. Ja, Rubek, das weiß ja doch die ganze Welt.

Profeſſor Aubek turz und abwelſend. Nichts weiß die ganze Welt. Nichts verſteht ſie.

Trau Maja. Nun, jo ahnen fie doch zum mindeſten etwas

Profeſſor Rubek. was gar nicht da iſt, ja. Was mir nie im Sinn gelegen hat. Siehſt Du, darüber fallen ſie in Verzückungen. Brummt vor ſich hin. Es iſt nicht der Mühe wert, ſich ſo immerfort abzurackern für den Mob und die Maſſe und dieſe „ganze Welt“.

Trau Maja. Hältſt Du es da für beſſer oder, jagen wir, Deiner würdiger, hier und da nur ſo im Vorübergehen eine Porträtbüſte zu machen?

Profeſſor Rubek lächelt launig. Wenn es nur richtige Porträt⸗ büſten wären, was ich da mache, Maja!

Trau Maja. Aber was denn ſonſt, weiß der liebe Himmel! So in den letzten zwei, drei Jahren ſeit Du Deine große Gruppe fertig und aus dem Hauſe hatteſt

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Profeſſor Rubek. Es find trotzdem keine eigentlichen Porträt— büſten, ſag' ich Dir.

Trau Maja. Was denn ſonſt?

Profeſſor Rubek. Es liegt etwas Verdächtiges, etwas Ver— ſtecktes in und hinter dieſen Büſten, etwas Heimliches, was die Menſchen nicht ſehen können

Trau Maja. So?

Profeſſor Nubek überlegen. Nur ich kann es ſehen. Und dabei amüſiere ich mich ſo köſtlich. Von außen zeigen ſie jene „frappante Ahnlichkeit“, wie man es nennt, und wovor die Leute mit offenem Munde daſtehen und ſtaunen, läßt die Stimme ſinken aber in ihrem tiefſten Grund ſind es ehrenwerte, rechtſchaffene Pferdefratzen und ſtörriſche Eſelsſchnuten und häng— ohrige, niedrigſtirnige Hundeſchädel und gemäſtete Schweinsköpfe, und blöde, brutale Ochſenkonterfeis ſind auch drunter

Trau Maja gleichgültig. all unſere lieben Haustiere alſo.

Profeſſor Rubek. Sehr richtig, Maja. All dieſe lieben Tiere, die der Menſch nach ſeinem Bilde verpfuſcht hat. Und die den Menſchen dafür wieder verpfuſcht haben. Leert ſein Champagner— glas und lacht. Und dieſe hinterliſtigen Kunſtwerke beſtellen nun die biederen, zahlungsfähigen Leute bei mir. Und kaufen ſie in gutem Glauben und zu hohen Preiſen. Wiegen ſie ſchier mit Gold auf, wie man zu ſagen pflegt.

Trau Maja ſchenkt ihm ein. Pfui, Rubek! Komm, trink und ſei vergnügt.

Profeſſor Aubek ſtreicht ſich ein paar Mal über die Stirn und lehnt ſich im Stuhl zurück. Ich bin vergnügt, Maja. Wirklich vergnügt. In gewiſſer Hinſicht wenigſtens. Schweigt einen Augenblick. Denn es iſt doch immerhin ein Glück, ſich nach allen Seiten hin frei und unabhängig zu fühlen. Vollauf alles zu haben, was man ſich nur wünſchen mag. Außerlich wenigſtens. Findeſt Du das nicht auch, Maja?

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Trau Mlaja. O ja, gewiß. Das iſt ja ſchon ſehr viel. But ihn an. Aber haſt Du vergeſſen, was Du mir an dem Tag verſprochen, als wir über über dieſe ſchwierige Sache einig wurden

Profeſſor Nubek niet. über unſere Heirat, meinſt Du. Der Schritt wurde Dir ja etwas ſchwer, Maja.

Trau Maja unbeirrt fortfahrend. und darüber, daß ich mit Dir ins Ausland reiſen und dort für immer wohnen und es gut haben ſollte. Weißt Du noch, was Du mir damals verſprochen haſt?

Profeſſor Rubel ſchüttelt den Kopf. Nein, ich weiß es wirklich nicht mehr. Na, was hab' ich Dir denn verſprochen?

Trau Maja. Du ſagteſt, Du wollteſt mich mitnehmen auf einen hohen Berg und mir alle Herrlichkeit der Welt zeigen.

Profeſſor Rubek ſtuzig. Wirklich? Das hab' ich Dir auch verſprochen?

Trau Maja blict ihn an. Mir auch? Wem denn ſonſt noch?

Profeſſor Rubek gleichgültig. Nein, nein, ich meine nur, hab' ich Dir das verſprochen —?

Frau Maja. alle Herrlichkeit der Welt, jawohl. Und dieſe ganze Herrlichkeit, ſagteſt Du, ſollte mir und Dir gehören.

Rrofeſſor Rubek. Das war eine Redensart, die ich früher ſo im Munde führte.

Trau Maja. Bloß eine Redensart?

Profeſſor Rubek. Ja, noch eine von der Schulzeit her. So eine, womit ich die Nachbarskinder lockte, wenn ich ſie mit mir hinaus zum Spielen in Berg und Wald haben wollte.

Frau Maja blict ihn feſt an. Wollteſt Du vielleicht auch mich nur ſo hinaus locken, um dann mit mir zu ſpielen?

Profeſſor Aubek ſchlägt einen ſcherzhaften Ton an. Na, haſt Du Dich denn nicht trotzdem ganz gut amüſiert bei dem Spiel, N

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Frau Maja tat. Ich bin nicht mit Dir gegangen, bloß um zu ſpielen.

Profelor Nubek. Nein, nein, das glaub' ich ſchon.

Frau Maja. Und Du nahmſt mich auch nie mit Dir auf einen hohen Berg und zeigteſt mir

Profeſſor Rubel gereizt. alle Herrlichkeit der Welt? Nein, allerdings nicht. Denn ich will Dir etwas verraten: Du biſt nicht eigentlich zum Bergſteiger geſchaffen, kleine Maja.

Frau Maja ſucht ſich zu beherrſchen. Du ſchienſt es doch einmal zu glauben.

Profeſſor Rubek. So vor vier, fünf Jahren, ja. Streit ſich im Stuhl. Vier, fünf Jahre, das iſt eine lange, lange Zeit, Maja.

Trau Maja blickt ihn mit bitterem Ausdruck an. Iſt Dir die Zeit gar ſo lang geworden, Rubek?

Profeſſor Rubek. Sie wird's mir jo nach und nach ein wenig. Gähnt. So dann und wann.

Frau Maja geht wieder an ihren Platz hinüber. Ich werde Dich nicht weiter langweilen. Sie ſetzt ſich in ihren Stuhl, nimmt die Zeitung und blättert darin.

Beiderſeitiges Schweigen.

Profeſſor Aubek lehnt ſich mit den Ellbogen auf den Tiſch zu ihr hin- über und fixiert ſie leicht lächelnd. Fühlen Frau Profeſſor ſich gekränkt?

Frau Maja kalt, ohne aufzublicken. Nein, durchaus nicht.

Badegäſte, meiſt Damen, kommen einzeln und in Gruppen von rechts und links durch den Park promeniert.

Kellner bringen Erfriſchungen vom Hotel und verſchwinden damit hinter dem Pavillon.

Der Badeinſpektor, Stock und Handſchuhe in der Hand, kommt von ſeinem Rundgang im Park, grüßt verbindlich die ihm begegnenden Gäſte und wechſelt mit Einzelnen einige Worte.

Der Infpektor tritt an Profeſſor Rubeks Tiſch und zieht höflich den Hut. Meinen ehrerbietigſten guten Morgen, Frau Profeſſor. Guten Morgen, Herr Profeſſor.

FL,

Profeſſor Ruben. Guten Morgen, guten Morgen, Herr Inſpektor.

Der nfpektor zu Frau Maja. Darf man fragen, ob die Herr— ſchaften angenehm geruht haben?

Frau Maja. Danke ſehr; ganz ausgezeichnet ich für mein Teil. Ich ſchlafe nachts immer wie ein Bär.

Der Inſpektor. Freut mich außerordentlich. Die erſte Nacht am fremden Ort hat oft ihre Unbequemlichkeiten. Und Sie, Herr Profeſſor —?

Profeſſor Rubek. Ach, mit meinem Schlaf iſt es ſchlecht be— ſtellt. Zumal in letzter Zeit.

Der Inſpektor nimmt eine teilnehmende Miene an. Ach, das thut mir leid. Aber ſeien Sie nur erſt ein paar Wochen hier im Bad und es wird ſich geben.

Profeſſor Aubek bliat zu ihm auf. Sagen Sie, Herr Inſpektor, haben Sie unter Ihren Patienten wen, der zur Nachtzeit Bäder nehmen muß?

Der Inſpektor verwundert. Zur Nachtzeit? Davon iſt mir nichts bekannt.

Profeſſor Rubek. Nicht?

Der Inſpektor. Meines Wiſſens iſt hier niemand fo krank, daß er das nötig haben ſollte.

Profeſſor Ruben. Na, aber dann iſt wenigſtens jemand bei Ihnen, der nachts im Park ſpazieren geht?

Der Infpektor lächelt und ſchüttelt den Kopf. Nein, Herr Profeſſor das wäre gegen das Reglement.

Trau Maja ungeduldig werdend. Mein Gott, Rubek, wie ich Die heute Morgen ſchon gejagt habe, Du haſt eben ge— träumt.

Profeſſor Rubek trocken. So? Wirklich? Geträumt? Zum Inſpettor. Ich ſtand nämlich heute Nacht auf, da ich nicht ein— ſchlafen konnte, und wollte nachſehen, was das Wetter macht

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Ber Inſpektor aufmertſem. Jawohl, Herr Profeſſor? Na, und 2

Profeſſor Rubek. Und da ſchaue ich aus dem Fenſter und ſehe eine helle Geſtalt draußen unter den Bäumen wandeln.

Frau Maja lächelnd zum Inſpektor. Und ferner will Rubek geſehen haben, daß die Geſtalt im Badekoſtüm war.

Profeſſor Rubek. oder in fo etwas Ähnlichem. Ich konnt' es nicht ſo genau unterſcheiden. Aber etwas Weißes war es jedenfalls.

Der Inſpeklor. Höchſt merkwürdig. War es ein Herr oder eine Dame?

Profeſſor Rubek. Ich hatte die beſtimmte Vorſtellung, daß es eine Dame ſein müſſe. Hinterdrein aber kam noch eine andere Geſtalt. Und die war ganz dunkel. Wie ein Schatten

Der Inſpektor betroffen. Dunkel? Am Ende ſchwarz?

Profeſſor Nubek. Ja, mir kam es faſt jo vor.

Der Inſpektor, als ob ihm ein Licht aufginge. Hinter der Weißen? Unmittelbar hinter ihr —?

Profeſſor Rubek. Ja. In einigem Abſtand.

Ber Infpektor. Aha! Dafür kann ich Ihnen vielleicht eine Erklärung geben, Herr Profeſſor.

Profeſſor Rubek. Na, was war es denn alſo?

Frau Maja gleichzeitig. Sollte Rubek wirklich niht bloß ge— träumt haben?

Der Inſpektor plötzlich im Flüſterton, indem er nach dem Hintergrund rechts deutet. Pſt, meine Herrſchaften! Sehen Sie dort hin. Sprechen Sie jetzt nicht laut von dieſer Sache, bitte.

Eine ſchlanke Dame, in feinen cremefarbenen Kaſchmir gekleidet, kommt, begleitet von einer Diakoniſſin, die ſchwarz angezogen iſt und auf der Bruſt ein ſilbernes Kreuz an einer Kette trägt, hinter der Ecke des Hotels hervor und geht durch den Park nach dem Pavillon links im Vordergrund hinüber. Ihr Geſicht iſt bleich, die Züge ſind wie erſtarrt; die Augenlider geſenkt, die Augen ſcheinbar ohne Sehkraft. Ihr Gewand fällt lang herab und umſchließt in geraden Längsfalten ihren Körper. Über Kopf, Nacken, Bruſt, Schultern und Armen trägt ſie einen großen weißen Kreppſhawl. Unbeweg⸗

1 a

liche Haltung. Steife abgemeſſene Schritte. Die Haltung der Diakoniſſin iſt eben⸗ falls gemeſſen und wie die einer Dienerin. Sie folgt der Dame unverwandt mit ihren braunen ſtechenden Augen. Kellner, mit der Serviette auf dem Arm, zeigen ſich in den Thüren des Hotels und gucken neugierig den beiden Fremden nach. Dieſe achten auf nichts und verſchwinden, ohne den Blick zur Seite zu wenden, in dem Pavillon.

Profeſſor Aubek hat ſich unwillkürlich langſam von ſeinem Stuhl erhoben und ſtarrt auf die geichlofjene Thür des Pavillons. Wer war die Dame?

Ber Infpektor. Eine Fremde, die den kleinen Pavillon da gemietet hat.

Profeſſor Rubek. Eine Ausländerin?

Der Inſpektor. Es ſcheint ſo. Jedenfalls ſind beide vom Ausland zugereiſt. Vor einer Woche etwa. Sie ſind bisher noch nicht hier geweſen.

Profeſſor Aubek ihn anblickend, beſtimmt. Die und keine andere hab' ich heut Nacht im Park geſehen.

Der Inſpektor. Das war es ganz ſicher. Ich habe mir's gleich gedacht.

Profeſſor Rubek. Wie heißt die Dame, Herr Inſpektor?

Der Inſpektor. Sie hat ſich eingetragen als: Madame de Satow mit Geſellſchafterin. Mehr wiſſen wir nicht.

Profeſſor Nubek dentt nach. Satow? Satow

Trau Maja locht ſpöttiſch. Kennſt Du wen dieſes Namens, Rubek? Wie?

Profeſſor Rubek ſchüttelt den Kopf. Nicht daß ich wüßte. Satow? Das klingt ruſſiſch. Oder jedenfalls ſlaviſch. Zum Juſpettor. Was ſpricht ſie für eine Sprache?

Der Inſpektor. Wenn die beiden Damen zuſammen ſprechen, ſo reden ſie eine Sprache, aus der ich nicht klug werden kann. Aber ſonſt ſpricht ſie ein unverfälſchtes Norwegiſch.

Profeſſor Rubel erstaunt. Norwegiſch? Irren Sie ſich da auch nicht? d

Der Inſpektor. Nein, darin kann ich mich doch nicht irren.

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Profeſſor Rubek blict ihn geſpannt an. Sie haben es ſelbſt gehört!

Der Infpektor. Ja. Ich habe ſelbſt mit ihr geſprochen. Ein paarmal. Übrigens nur ein halbdutzend Worte. Denn ſie iſt ſehr ſchweigſgaam. Aber

Profeſſor Ruben. norwegiſch war es?

Der Infpektor. Reines, gutes Norwegiſch. Sagen wir, mit einem ganz leichten Stich ins Nordnorwegiſche.

Profeſſor Rubel ſtarrt betroffen vor ſich hin, flüſternd. Auch das.

Trau Maja etwas pitiert und unangenehm berührt. Vielleicht hat Dir die Dame einmal Modell geſtanden, Rubek? Denk' mal nach.

Profeſſor Aubek blidt fie durchdringend an. Modell!

Trau Maja mit einem herausfordernden Lächeln. Nun ja, in Deinen jüngeren Jahren. Du ſollſt ja ſo unzählig viele Modelle gehabt haben. Dazumal, natürlicherweiſe.

Profeſſor Nubek im ſelben Ton. Ach nein, meine kleine Frau Maja. Ich hab' im Grunde immer nur ein einziges Modell gehabt. Ein einziges zu allem, was ich geſchaffen habe.

Der Inſpektor, der ſich abgewendet und nach links hinüber geſehen hat. Ja, jetzt werd' ich mich wohl leider empfehlen müſſen. Denn ein Rencontre mit dem Herrn, den ich da ſehe, gehört nicht gerade zu den ausgeſuchten Annehmlichkeiten. Beſonders nicht in Gegenwart von Damen.

Profeſſor Aubek blickt ebenfalls nach links. Sie meinen den Jäger, der da kommt? Wer iſt das? a

Der Inſpektor. Gutsbeſitzer Ulfheim

Profeſſor Ruben. So, Gutsbeſitzer Ulfheim.

Der Inſpektor. der Bärentöter, wie man ihn nennt.

Profeſſor Rubek. Den kenne ich.

Der Inſpektor. Ja, wer ſollte den nicht kennen?

Profeſſor Rubek. Nur ganz flüchtig übrigens. Iſt der nun endlich auch Ihr Patient geworden?

Ibſen, Wenn wir Toten erwachen. 13

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Der Inſpektor. Nein, merkwürdig genug, noch immer nicht. Er kehrt nur einmal im Jahr hier ein, wenn er nach den Bergen unterwegs iſt, zur Jagd. Aber entſchuldigen Sie Wil ins Hotel ab.

Alfheims Stimme von außen. So warten Sie doch 'n bißchen! Warten Sie doch, zum Teufel noch einmal! Warum rennen Sie denn immer vor mir weg?

Der Inſpektor bleibt ſtehen. Ich renne ja gar nicht, Herr Gutsbeſitzer.

Gutsbeſitzer Ulfheim kommt von links herein, begleitet von einem Diener, der eine Koppel Jagdhunde führt. Ulfheim trägt einen Jagdanzug, Schaftſtiefel und einen Filzhut mit Feder. Er iſt eine magere, lange, ſehnige Erſcheinung, mit wirrem Haar und Bart, lauter Stimme, und, ſeinem Ausſehen nach, von unbeſtimmbarem Alter, doch nicht mehr jung.

Alfheim fährt den Inspektor an. Sit das eine Art, Fremde zu empfangen, wie? Sie kneifen ja aus, den Schwanz zwiſchen den Hinterbeinen, als ob Ihnen der Teufel auf den Ferſen wäre.

Der Inſpektor ruhig, ohne ihm darauf zu antworten. Sind der Herr Gutsbeſitzer mit dem Dampfer gekommen?

Alfheim brummend. Hatte nicht die Ehre, irgend eines Dampfers anſichtig zu werden. Die Hände in den Seiten. Wiſſen Sie nicht, daß ich auf meinem eigenen Kutter fahre? Zu ſeinem Diener. Sorg' gut für Deine Mitkreaturen, Lars. Aber paß auf, daß ſie mir trotzdem noch hungrig bleiben. Friſche Knochen, doch mit nicht zu viel Fleiſch dran, verſtanden. Und daß es noch gehörig roh iſt und von Blut raucht! Und dann ſchlag' Dir auch ſel ber was in den Wanſt. Mit einem Fußtritt nach ihen hin. So, und nun zum Teuſel mit Dir!

Der Inſpektor. Wollen der Herr unterdeſſen nicht in den Speiſeſaal gehen?

Alfheim. Da zu dieſen halbtoten Fliegen und Menſchen hinein? Nein, dafür dank' ich ſchönſtens, Herr Inſpektor.

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Der Inſpektor. Ganz wie Sie belieben.

Alfheim. Aber laſſen Sie wie gewöhnlich die Jungfer den Proviant für mich zurecht machen. Reichlich zu eſſen. Und tüchtig Branntwein! Sagen Sie ihr nur, daß ich oder der Lars wie ein Donnerwetter über ſie herfalle, wenn ſie nicht

Der Inſpektor unterbricht ihn. Wir wiſſen von früher her Beſcheid. Sich nach der andern Seite wendend. Soll ich dem Kellner irgend was beſtellen, Herr Profeſſor? Oder vielleicht von der gnädigen Frau.

Profeſſor Rubek. Nein, danke ſehr von mir nicht.

Trau Maja. Von mir auch nicht.

Der Inſpektor ab ins Hotel.

Alfheim fixiert die beiden einen Augenblick; dann zieht er den Hut. Kreuz⸗ bombenelement! Hier hat ſich wohl ein Bauernköter in pikfeine Geſellſchaft verirrt?

Profeſſor Rubel blickt auf. Was meinen Sie damit, Herr Ulfheim?

Alfheim ruhiger und manierlicher. Ich ſcheine da vor Herrn Bildhauer Rubek in höchſteigner Perſon geraten zu ſein.

Profeſſor Rubek nickt. Wir haben uns ein paar Mal in Geſellſchaften getroffen. Den letzten Herbſt, den ich hier oben war.

Alfheim. Ja, vor langen Jahren. Und zu der Zeit war Ihr Name auch noch nicht ſo bekannt wie jetzt. Denn damals durfte ſogar ein ruppiger Bärenjäger ſich in Ihre tähe wagen.

Profeſſor Rubek lächelt. Ich beiße auch jetzt noch nicht.

Trau Maja blickt Ulfheim intereſſiert an. Sie ſind wirklich ein richtiger Bärenjäger? ü

Alfheim ſetzt ſich an den benachbarten Tiſch, der dem Hotel etwas näher ſteht. Am liebſten geh' ich auf Bären. Sonſt aber nehm' ich auch mit jeder Art Wild vorlieb, das mir vor den Lauf kommt. Ob's nun

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Adler find oder Wölfe oder Weibsleute oder Elche oder Renntiere. Nur friſch müſſen ſie ſein und ſaftig und vollblütig. Tout einen Trunk aus der Jagdflaſche.

Trau Maja betrachtet ihn unverwandt. Am liebſten aber gehen Sie auf Bären?

Alfheim. Ja, das am liebſten. Denn da kann man ſo ſchön ſein Meſſer brauchen, wenn man in die Klemme kommt

lächelt leicht. Wir arbeiten in einem harten Material, wir zwei beide, Gnädige, ſowohl ich wie Ihr Mann. Er hat den

Marmor, an dem er ſich abſchinden muß, wie ich mir's ſo vorſtelle. Und ich ſchind' mich ab an krampfhaft zitternden Bärenſehnen. Und beide kriegen wir dann das Material ſchließlich unter. Machen uns zum Herrn und Meiſter darüber. Geben nicht eher nach, als bis wir den hartnäckig wider⸗ ſtrebenden Stoff bezwungen haben.

Profeſſor Nubek nachdenklich vor ſich hin. Das iſt gar nicht ſo unrichtig, was Sie da ſagen.

Alfheim. Na ja, denn der Stein wird wohl auch wiſſen, warum er widerſtrebt. Er iſt tot und will ſich mit aller Ge— walt nicht lebendig hämmern laſſen. Akkurat wie der Bär, wenn einer kommt und ihn in ſeinem Lager aufſtört.

Trau Maja. Wollen Sie jetzt hinauf in die Wälder und jagen?

Alfheim. Ganz bis oben hinauf will ich. Sie ſind wohl nie im Hochgebirg' geweſen, Gnädige?

Frau Maja. Nein, niemals.

Alfheim. Donnerwetter, ſo nehmen Sie's dieſen Sommer wahr! Sie können ſich mir ja anſchließen. Sie mit Ihrem

Herrn Gemahl, immerzu. Frau Maja. Sehr freundlich. Aber Rubek hat eine See— reiſe vor.

Profeſſor Rubek. Eine Küſtenfahrt innerhalb der Schären.

an a

Alfheim. Pfui Teufel, was wollen Sie denn in dem verdammten, ſtinkigen Rinnſtein! Ihre Zeit totſchlagen im Brackwaſſer? Brechwaſſer wär' eine beſſ're Bezeichnung dafür.

Frau Maja. Da hörſt Du's, Rubek.

Alfheim. Kommen Sie doch lieber mit ins Gebirg' hinauf. Da iſt's menſchenfrei und menſchenrein. Sie glauben gar nicht, was das für mich heißt. Freilich, ſo ein kleines Frauchen hält inne. Die Diakoniſſin kommt aus dem Pavillon und geht ins Hotel.

Alfheim folgt ihr mit den Augen. Seh'n Sie mal die da! Den ſchwarzen Vogel! Wer ſoll denn begraben werden?

Profeſſor Rubek. Meines Wiſſens iſt hier niemand

Alfheim. Na, dann liegt hier jemand am Krepieren. In irgend einem Winkel. Dieſe Kranken und Siechen, die ſollten ſich doch gefälligſt begraben laſſen und das ſo ſchnell wie möglich.

Frau Maja. Sie ſind niemals krank geweſen, Herr Ulfheim?

Alfheim. Nein. Sonſt ſäß' ich nicht hier —. Aber meine beſten Freunde die ſind oft krank geweſen, die armen Schlucker.

Trau Maja. Und was haben Sie da mit ihnen gemacht?

Alfheim. Erſchoſſen hab' ich ſie, natürlich.

Profeſſor Rubek blict ihn an. Erſchoſſen?

Trau Maja rückt ihren Stuhl zurück. Totgeſchoſſen?

Alfheim nic. Ich ſchieße nie vorbei, meine Gnädige.

Trau Maja. Aber Menſchen wie können Sie die denn einfach totſchießen?

Alfheim. Menſchen ? Davon red’ ich ja gar nicht

Trau Maja. Sie ſagten doch Ihre beſten Freunde

Alfheim. Meine beiten Feunde, das find doch wohl meine Hunde.

Trau Maja. Ihre Hunde —?

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Alfheim. Ich hab' keine beſſeren, als dieſe meine ehr—

lichen, treuen, grundbraven Jagdkameraden —. Wird einer von denen krank und ſchwach, dann puff! Und der Freund

iſt hinüberſpediert ins Jenſeits. Die Diakoniſſin kommt aus dem Hotel mit einer Tablette, worauf Milch und Brot. und ſtellt ſie auf den Tiſch vor dem Pavillon, in dem ſie wiederum verſchwindet. Alfheim verächtlich. Das da, das ſoll Speiſe für Menſchen ſein! Wäſſrige Milch und weiches, klitſchiges Brot. Nein meine Freunde die ſollten Sie freſſen ſehen! Haben Sie nicht Luſt, ſich die Sache mal anzuſchauen? Trau Maja lächelt ihrem Manne zu und ſteht auf. Ja, warum nicht. Alfheim ſteyt auch auf. Bravo! Sie find eine Dame, meine Gnädige, die Schneid' hat. Alſo kommen Sie. Große, dicke Knochen ſchlingen die Kerle ganz hinunter. Würgen ſie wieder aus und ſchlingen ſie abermals. Eine Wonne, ſag' ich Ihnen, das mitanzuſehen. Und dann wollen wir auch von der Gebirgs— tour noch ein Wörtchen reden —. Ab um die Ecke des Hotels. Frau Maja folgt ihm. Faſt im gleichen Augenblick tritt die fremde Dame aus dem Pavillon heraus und ſetzt ſich an den Tiſch. Die Fremde führt ihr Glas zum Munde, um zu trinken, hält aber mitten darin inne und blickt mit leeren, ausdrucksloſen Augen auf Rubek.

Profeſſor Rubek bleibt an ſeinem Tiſch ſitzen und ſtarrt ſie ernſt und un⸗ verwandt an. Endlich ſteht er auf, macht ein paar Schritte auf fie zu, bleibt ſtehen

und ſagt leiſe: Ich erkenne Dich gar wohl, Irene.

Die Dame mit klangloſer Stimme, während fie das Glas hinſtellt. Du errätjt, wer ich bin, Arnold?

Profeſſor Aubek einer Antwort ausweichend. So erkennſt Du mich alſo auch?

Die Bame. Mit Dir iſt das etwas ganz anderes.

Profeſſor Rubeͤk. Weshalb mit mir?

Die Dame. Weil Du noch lebendig biſt.

Profeſſor Nubek, ſie nicht begreifend. Lebendig —2

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Die Dame faſt gleichzeitig. Wer war die andere? Die Du da bei Dir hatteſt dort am Tiſch?

Profeſſor Rubek ein wenig zögernd. Die? Meine meine Frau.

Die Bame nickt langſam. So. Das iſt gut, Arnold. Alſo eine, die mich nichts angeht

Profeſſor Nubek unſicher. Nein, das verſteht ſich doch

Die Dame. eine alſo, die Du nach meinem Tode zu Dir genommen haſt.

Profeſſor Aubek ſieht fie plötzlich ſtarr an. Nach Wie meinſt Du das, Irene? a

Irene einer Antwort ausweichend. Und das Kind? Dem geht's ja auch gut. Unſer Kind überlebt mich. In Herrlichkeit und Ehren.

Profeſſor Nubek lächelt wie in einer fernen Erinnerung. Unſer Kind, ja, ſo nannten wir's wohl dazumal.

Deinem —2

Irene. Zu meinen Lebzeiten.

Profeſſor Rubek ſucht einen munteren Ton anzuſchlagen. Ja, ja, Irene, jetzt iſt „unſer Kind“ in der ganzen weiten Welt berühmt. Du haſt doch gewiß darüber geleſen, nicht?

Irene nic. Und hat auch ſeinen Vater berühmt gemacht. Davon haſt du immer geträumt.

Profeſſor Rubek leise, bewegt. Dir allein ſchuld' ich alles, alles, Irene. Hab' Dank dafür.

Irene grübelt nach. Wenn ich damals mein gutes Recht geübt hätte, Arnold

Profeſſor Rubek. Nun? Was hätteſt Du dann gethan?

Irene. Ich hätte das Kind getötet.

Profeſſor Rubek. Getötet, ſagſt Du!

Irene flüſternd. Getötet, bevor ich Dich verließ. Zer— trümmert. Zu Staub zertrümmert.

Sr

Profeſſor Nubek ſchüttelt vorwurfsvoll den Kopf. Das hättet Du nicht vermocht, Irene. Das hätteſt Du nicht übers Herz gebracht.

Irene. Nein, damals hatte ich nicht das Herz zu jo einer That.

Profeſſor Bubek. Aber ſpäter? Hinterher?

Irene. Hinterher hab' ich es unzählige Male getötet. Am helllichten Tage und im Dunkel der Nacht. Getötet in Haß

und Nache und Qual. Profeſſor Aubek tritt ganz an den Tiſch heran und fragt leije: Irene, nun ſag' mir endlich einmal nach ſo vielen Jahren,

warum Du mich damals verlaſſen haſt und jo ſpurlos davon— gingſt und nicht mehr zu finden warſt ?

Irene ſchüttelt langſam den Kopf. Ach, Arnold, wozu Dir das ſagen nun, da ich hinüber bin.

Profeſſor Rubek. Warſt Du vielleicht in einen andern verliebt?

Irene. Nur in Einen, und der brauchte meine Liebe nicht. Der brauchte mein Leben nicht mehr.

Profeſſor Rubek ablentend. Hm, laſſen wir die Vergangen— heit ruhen —.

Irene. Ja, ja, nur ruhen laſſen, was jenſeits liegt. Was für mich jetzt jenſeits heißt.

Profeſſor Rubek. Wo biſt Du nur geweſen, Irene? Soviel

ich nach Dir auch forſchte, Du warſt wie von der Erde ver— ſchluckt. Irene. Ich ging ins Dunkel, als das Kind im Lichte

der Verklärung ſtand.

Profeſſor Rubek. Biſt Du viel in der Welt herumgezogen?

Irene. Ja. In vielen Reichen und Ländern.

Profeſſor Aubek riet fie teilneymend an. Und was haſt Du ge⸗ trieben, Irene?

Irene richtet die Augen auf ihn. Wart einen Augenblick; laß mich nachdenken. Ja, jetzt hab' ich's. In Variétés hab'

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ich auf der Drehſcheibe geſtanden, als nackte Statue ge— ſtanden in lebenden Bildern. Und viel Geld eingeſtrichen. Das war ich von Dir her nicht gewohnt Du hatteſt keins. Und dann bin ich zuſammengeweſen mit Manns— leuten, denen ich den Kopf verdrehen konnte. Das war ich auch nicht gewohnt von Dir her, Arnold. Du biſt ſtandhafter geweſen.

Profeſſor Nubek an der Frage vorbeieilend. Und dann haſt Du Dich verheiratet?

Irene. Ja; mit einem von ihnen.

Profeſſor Rubek. Wer iſt Dein Mann?

Irene. Er war ein Südamerikaner. Ein hoher Diplomat. Blickt mit einem verſteinerten Lächeln ins Leere. Den macht' ich ſchließlich ganz verrückt, ganz toll, heillos, unſinnig toll. Du, das war höchſt ſpaßhaft im Anfang. Ich hätt' immerfort lachen können, innerlich. Wenn ich da drinnen noch etwas gehabt hätte.

Profeſſor Rubek. Und wo iſt er jetzt?

Irene. Irgendwo da unten auf einem Kirchhof. Über ſich ein hohes ſtattliches Monument. Und in ſeiner Hirnſchale eine klappernde Bleikugel.

Profeſſor Nubek. Hat er ſich ſelbſt ?

Irene. Ja. Es beliebte ihm, mir zuvorzukommen.

Profeſſor Rubek. Trauerſt Du nicht um ihn, Irene?

Irene verſtändnislos. Trauern? Um wen?

Profeſſor Ruben. Nun, um Herrn von Satow.

Irene. Er hieß nicht Satow.

Profeſſor Rubek. Nicht?

Irene. Mein zweiter Mann heißt jo. Ein Ruſſe

Profeſſor Rubek. Und wo iſt der?

Irene. Weit von hier, im Ural. Bei feinen Goldminen.

Profeſſor Rubek. Da lebt er alſo?

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Irene zuckt die Achſen. Lebt? Lebt? Eigentlich hab' ich ihn getötet.

Profeſſor Rubek fährt zuſammen. Getötet —!

Irene. Jawohl, mit einem kleinen ſpitzen Dolch, den ich immer bei mir im Bett habe

Profeſſor Nubek (eidenſchaftlich. Ich glaube Dir nicht, Irene!

Irene lächelt ſanft. Du kannſt es ruhig glauben, Arnold.

Profeſſor Aubek blict fie teilnehmend an. Haſt Du nie Kinder gehabt?

Irene. O ja, viele.

Profeſſor Rubek. Und wo ſind die jetzt?

Irene. Ich hab' fie getötet.

Profeſſor Bubek ſtreng. Jetzt lügſt Du wieder.

Irene. Ich hab' ſie getötet. Wenn ich's Dir ſage! So recht mit Inbrunſt gemordet. Sowie ſie zur Welt kamen. Oder ſchon früher, viel früher. Eins nach dem andern.

Profeſſor Ruben gepreßt, ernſt. Es liegt ein verborgener Sinn in allem, was Du ſprichſt.

Irene. Was kann ich dafür? Jedes Wort, das ich Dir ſage, wird mir ins Ohr geflüſtert.

Profeſſor Rubek. Ich glaube, ich bin der einzige, der den Sinn ahnt.

Irene. Der wirſt Du wohl fein.

Profeſſor Nubek ſtützt ſich mit den Händen auf den Tiſch und blickt ihr tief in die Augen. Es ſind Saiten in Dir geſprungen, Irene.

Irene weich. Das iſt wohl immer jo, wenn ein junges heißblütiges Weib ſtirbt.

Profeſſor Rubek. Aber Irene, mach' Dich doch frei von dieſen verworrenen Vorſtellungen —! Du lebſt ja! Du lebſt lebſt!

Irene erhebt ſich langſam und ſagt bebend: Ich war tot, jahrelang. Sie kamen und banden mich. Sie ſchnürten mir die Arme auf

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dem Rücken zuſammen. Und dann ſenkten ſie mich hinab in eine Gruft. Die war mit Eiſenſtangen vergittert und hatte gepolſterte Wände, ſo daß oben auf Erden niemand den Schrei der Begrabenen hören konnte —. Doch jetzt fang'

ich nach und nach an, wieder von den Toten aufzuerſtehen. Setzt ſich wieder.

Profeſſor Rubek nach kurzer Pauſe. Hältſt Du mich für den

Schuldigen? Irene. Ja. Profeſſor Rubek. Für ſchuld daran, was Du Deinen

Tod nennſt?

Irene. Für ſchuld da ran, daß ich ſterben mußte. Schlägt einen gleichgültigen Ton an. Warum nimmſt Du nicht Platz, Arnold?

Profeſſor Rubek. Darf ich?

Irene. Ja. Du wirſt nicht erfrieren hab' keine Angſt. Denn ſo richtig zu Eis geworden, glaub' ich, bin ich noch immer nicht.

Profeſſor Rubek rückt einen Stuhl an den Tiſch und ſetzt ſich. So, Irene. Jetzt ſitzen wir zwei wieder bei einander wie in alten Tagen.

Irene. Und in einem gewiſſen Abſtand von einander. Auch wie in alten Tagen.

Profeſſor Rubek rückt näher. Das mußte damals ſo ſein.

Irene. Mußte?

Profeſſor Rubek in entſchiedenem Ton. Jawohl, es mußte ein gewiſſer Abſtand zwiſchen uns ſein.

Irene. So, mußte das wirklich fein, Arnold?

Brofeſſor Rubek fährt fort. Weißt Du noch, was Du mir für eine Antwort gegeben auf meine Frage, ob Du mir hinaus folgen wollteſt in die Ferne?

Irene. Ich ſtreckte drei Finger zum Himmel und gelobte,

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NE

daß ich Dir folgen wollte bis ans Ende der Welt und bis ans Ende des Lebens. Und Dir dienen in allen Dingen Profeſſor Rubek. Als Modell für mein Kunſtwerk

Irene. in freier, hüllenloſer Nacktheit Profeſſor Aubek bewegt. Und wie halt Du mir gedient, Irene, wie mutig, wie freudig und rückhaltlos.

Irene Ja, mit all meiner Jugend pochendem Herzblut diente ich Dir

Profeſſor Aubek nickend und mit einem dankbaren Blick. Das darfſt Du mit ſo gutem Recht ſagen.

Irene. und fiel nieder zu Deinen Füßen und diente Dir, Arnold. Baut die Hand gegen ihn. Aber Du, Du, Du —!

Profeſſor Rubek abwehrend. Ich habe mich nie wider Dich vergangen! Niemals, Irene.

Irene. Doch haft Du das gethan! Du haſt Dich wider mein innerſtes Weſen vergangen.

Profeſſor Aubek rüctt auf feinem Stuhl zurück. Ich —?

Irene. Ja, Du! Ich ſtellte mich Dir zur Schau, wie man ſich nur zur Schau ſtellen kann —. Leise. Und nicht ein einziges Mal haſt Du mich berührt.

Profeſſor Rubek. Irene, begreifſt Du denn nicht, daß ich manchen Tag von all Deiner Schönheit wie von Sinnen war?

Irene fährt unbeirrt fort. Und doch, wenn Du mich be— rührt hätteſt, ich glaube, ich hätte Dich auf der Stelle getötet. Denn ich hatte eine ſpitzige Nadel bei mir im Haar ver— borgen ſtreicht ſich grübelnd über die Stirn. Nein, aber dennoch dennoch daß Du es konnteſt

Profeſſor Rubel blickt ſie jet an. Ich war Künſtler, Irene.

Irene. Eben darum.

Profeſſor Aubek. Zuerſt und vor allem Künſtler. Wie ein Kranker ging ich umher und wollte das große Werk meines Lebens ſchaffen. Verliert ſich in Erinnerung. „Auferſtehungstag“ ſollte

* di N * Ta

205

es heißen. Und die Auferſtehung ſollte verkörpert werden in dem Bilde eines jungen Weibes, das aus dem Schlummer des Todes erwacht

Irene. Unſer Kind, ja

Profeſſor Nubek fortfahrend. Sie ſollte das edelſte, reinſte, idealſte Weib der Erde ſein, die Erwachende. Da fand ich Dich. Dich konnt' ich brauchen in jedem Zuge. Und Du, Du fügteſt Dich ſo gern und froh. Und ließeſt Familie und Heimat und folgteſt mir.

Irene. Das wurde die Wiederauferſtehung meiner Kindheit, daß ich Dir folgte.

Profeſſor Rubek. Gerade darum konnte ich Dich wie keine andere brauchen. Du wurdeſt mir zu einem hochheiligen Werk der Schöpfung, an das nur in anbetenden Gedanken gerührt werden durfte. Ich war ja doch damals noch jung, Irene. Und mich erfüllte jener Aberglaube: wenn ich Dich berührte, wenn ich Dich in Sinnlichkeit begehrte, ſo würden meine Gedanken unheilig werden, und ich würde nicht zu Ende ſchaffen können, was ich ſo ſehnſüchtig ſchaffen wollte. Und ich glaube noch heut, es lag etwas Wahres darin.

Irene nickt mit einem Anflug von Hohn. Zuerſt das Kunſtwerk dann das Menſchenkind.

—Profeſſor Rubek. Du magſt das beurteilen, wie Du mil

Profeſſor Rubek. Du magſt das beurteilen, wie Du willſt. Ich jedenfalls habe damals ganz und gar im Banne meiner Aufgabe geſtanden und mich dabei ſo voll jubelnden Glücks gefühlt

Irene. Und Du haſt Deine Aufgabe gelöſt, Arnold.

Profeſſor Rubek. Mit Deiner Hilfe, Du Geſegnete, hab' ich ſie gelöſt. Das reine Weib ſollte aus meiner Schöpfer— hand hervorgehen, wie es mir bei ſeinem Erwachen am Auf— erſtehungstage vor Augen ſtand. Ohne Verwunderung über irgend etwas Neues oder Unbekanntes oder Ungeahntes. Aber voll einer heiligen Freude darüber, ſich ſelbſt unverändert wieder

a

zu finden, Sid, das Weib der Erde, in den höheren, freieren, froheren Regionen nach dem langen traumloſen

Schlummer des Todes. Leiſer werdend. So ſchuf ich es. Nach Deinem Bilde ſchuf ich es, Irene.

Irene legt die Hände flach auf den Tiſch und lehnt ſich im Stuhl zurück. Und dann warſt Du mit mir fertig

Profeſſor Aubek vorwurfsvoll. Irene!

Irene. und hatteſt mich nicht länger nötig

Profeſſor Rubek. Wie kannſt Du nur ſo ſprechen!

Irene. ſahſt Dich allmählich nach andern Idealen um

Profeſſor Rubek. Ich fand keines, keines mehr nach Dir.

Irene. Auch keine andern Modelle, Arnold?

Profeſſor Ruben. Du warſt kein Modell für mich. Du warſt der Urborn meiner Schöpfung.

Irene ſchweigt einen Augenblick. Was haſt Du ſeitdem gedichtet? In Marmor, mein' ich. Seit jenem Tage, als ich von Dir ging?

Profeſſor Rubek. Nichts mehr hab' ich gedichtet ſeit jenem Tage. Bloß ſo herumgepuſſelt und herummodelliert hab' ich.

Irene. Und das Weib, mit dem Du nun zuſammen— lebſt ?

Profeſſor Rubek fäut ihr heftig ins Wort. Sprich jetzt nicht von ihr. Das würde mich umbringen.

Irene. Wohin denkſt Du mit ihr zu reiſen?

Profeſſor Aubek müde und abgespannt. Ich werde wohl eine lange und langweilige Küſtenfahrt nach dem Norden machen müſſen.

Irene blickt ihn an, lächelt faſt unmerklich und ſtüſtert: Steig’ lieber hinauf in's Gebirge. So hoch Du kommen kannſt: höher immer höher, Arnold.

Profeſſor Aubek in geſpannter Erwartung. Willſt Du da hinauf?

207

Irene. Hätteſt Du den Mut, noch einmal mit mir zu— ſammen zu treffen? a

Profeſſor Rubel unſicher, mit ſich ktämpfend. Wenn wir das könnten, das könnten —!

Irene. Warum ſollten wir nicht können, was wir wollen? Sieht ihn an und flüſtert bittend, die Hände gefaltet. Komm, komm, Arnold! Komm hinauf zu mir —!

Frau Maja erſcheint, heiter, mit glühenden Wangen, hinter der Ecke des Hotels und eilt auf den Tiſch zu, wo ſie vorhin geſeſſen hatte.

Trau Maja noch an der Ecke, ohne ſich umzuſehen. Du magſt ſagen,

was Du willſt, Rubek, aber deeibt ſtehen, als fie Irene erblickt. Ach, entſchuldige, Du haſt eine Bekanntſchaft gemacht, wie ich ſehe.

Profeſſor Aubek tur. Eine Bekanntſchaft erneuert. Steht auf. Was willſt Du denn von mir?

Trau Maja. Nur das wollt' ich Dir jagen, daß Du für Deine Perſon thun kannſt, was Du willſt, aber ich fahr, nicht mit auf dieſem ekligen Dampfſchiff.

Profeſſor Rubek. Warum nicht?

Trau Maja. Weil ich ins Gebirg' hinauf will und in die Wälder, jawohl, will. eeinſchmeichelnd. Ach, Du mußt mir's erlauben, Rubek! Ich will auch nachher ſo lieb, ſo lieb zu Dir ſein!

Profeſſor Rubek. Wer hat Dich auf die Gedanken gebracht?

Trau Maja. Dieſer greuliche Bärentöter. Nein, Du kannſt Dir gar nicht vorſtellen, was der einem alles für wunder— liches Zeug vom Gebirge erzählt, vom Leben da oben! Häßlich, greulich, unglaublich widerwärtig iſt das meiſte, was er da zu— ſammenlügt —. Faſt glaub' ich, es muß erlogen ſein. Aber bei alledem iſt's doch ſo wunderlich verführeriſch. Darf ich ihn nicht begleiten? Nur daß ich ſehen kann, ob's wahr iſt, was er ſagt, weißt Du. Darf ich, Rubek?

208

Profeſſor Ruben. Meinetwegen ja. Zieh” Du nur ins Gebirge fo weit Du willſt und jo lange Du willſt. Viel— leicht zieh' ich desſelben Wegs wie Du.

Frau Maja raſch. Nein, nein, nein, das brauchſt Du wirk— lich nicht! Meinet halben nicht!

Profeſſor Rubek. Ich will aber ins Gebirge. Ich hab' mir's anders überlegt.

Trau Maja. O vielen Dank! Darf ich das gleich dem Bärentöter erzählen?

Profeſſor Rubek. Erzähl! Du dem Bärentöter, jo viel Du magſt.

Trau Maja. O vielen, vielen Dank! Wil ſeine Hand ergreifen, er wehrt es ab. Biſt Du aber heut lieb und nett, Rubek!

Eilig ins Hotel ab. Zugleich öffnet ſich ein Spalt der Pavillonthür ſacht und lautlos. Die Diakoniſſin ſteht hinter der Thür ſpähend auf der Wacht. Niemand ſieht ſie.

Profeſſor Nubek bestimmt, zu Frene. Wir treffen uns alſo oben?

Irene erhebt ſich langſam. Beſtimmt. Ich bin jo lange auf der Suche nach Dir geweſen.

Profeſſor Rubek. Wann fingſt Du an, Dich wieder nach mir umzuſehen, Irene?

Irene mit einem bitteren Zug. Seit es mir klar wurde, Arnold, daß ich Dir etwas ganz Unerſetzliches gegeben hatte. Ein Gut, von dem man nie ſich trennen ſollte.

Profeſſor Rubel beugt das Haupt. Ja, das iſt eine ſchmerzliche Wahrheit. Du gabſt mir drei, vier Jahre Deiner Jugend.

Irene. Mehr, viel mehr als das. Verſchwenderin, die ich damals war!

Profeſſor Rubek. Ja, verſchwenderiſch warſt Du, Irene. Du gabſt mir Deine ganze nackte Schönheit

Irene. zur Betrachtung

Profeſſor Ruben. und zur Verherrlichung.

209

Irene. Ja, zur Verherrlichung Deiner ſelbſt und des Kindes.

Profeſſor Rubek. Auch zu Deiner, Irene.

Irene. Aber das koſtbarſte Geſchenk haft Du vergeſſen.

Profeſſor Rubek. Das koſtbarſte ? Und das war?

Irene. Ich ſchenkte Dir meine junge lebendige Seele, und ſtand da, mit leerer Bruſt; ſeelenlos. Blickt ihn ſtarren Auges an. Daran bin ich geſtorben, Arnold.

Die Diakoniſſin öffnet die Thür ganz und macht ihr Platz.

Sie geht in den Pavillon.

Profeſſor Nubek ſieht ihr beſtürzt nach; daun flüſtert er: Irene!

Ibſen, Wenn wir Toten erwachen. 14

weiter Akt.

Gegend bet einem Hochgebirgs-Sanatorium. Die Landſchaft erſtreckt ſich als ein uns ermeſiliches, baumloſes Kammplateau auf einen langen Bergſee zu. Auf der andern Seite des Waſſers ſteigt eine Reihe Hochgebirgskuppen, bläulichen Schnee in den Mulden, empor. Im Vordergrund links rieſelt ein Bach in geteilten Streifen eine ſchroffe Felswand hernieder und fließt von da in ebenem Laufe nach rechts über das Plateau. Buſchgeſtrüpp, Pflanzen und Steine längs des Bachlaufes. Im Vorder- grund rechts eine Anhöhe mit einer Steinbank auf ihrem Gipfel. Es iſt ein Sommer- nachmittag kurz vor Sonnenuntergang.

In einiger Entfernung auf dem Plateau jenſeits des Baches ſpielt und tanzt ein Haufe ſingender kleiner Kinder. Sie ſind teils in ſtädtiſchen Kleidern, teils in Volks⸗ tracht. Frohes Lachen iſt während des Folgenden gedämpft hörbar. Profeſſor Rubek ſitzt oben auf der Bank, ein Plaid über den Schultern, und ſieht dem Spiel der Kinder zu.

Bald darauf taucht Frau Maja zwiſchen Büſchen auf dem Plateau links im Mittel⸗ grund auf und ſpäht, die Augen mit der Hand beſchattend, umher. Sie trägt eine flache Touriſtenmütze, einen kurzen aufgeſteckten Rock, der nur bis zur Mitte der

Wade reicht, und hohe ſolide Schnürſtiefel. In der Hand hat ſie einen langen Gebirgsſtock.

Trau Maja entdeckt endlich Rubek und ruft: Hallohoi!

Sle kommt über das. Plateau nach vorn, ſpringt mit Hilfe des Gebirgsſtockes über den Bach und erſteigt die Anhöhe.

Trau Maja puſtend. Bin ich herumgerannt und hab' Dich geſucht!

211

Profeſſor Rubek niet gleichgültig und fragt: Kommſt Du vom Sanatorium herauf?

Trau Maja. Ja, jetzt eben komm' ich da aus dem Fliegen— ſchrank.

Profeſſor Rubek blick fie ſtüchtig an. Du warſt nicht bei Tiſch, hab' ich bemerkt.

Frau Maja. Ganz recht. Wir zwei, wir hielten unſern Mittag unter freiem Himmel.

Profeſſor Rubek. „Wir zwei“? Was für „zwei“?

Frau Maja. Na, ich und dieſer greuliche Menſch, der Bärentöter. Wer ſonſt.

Profeſſor Rubek. Ach ſo, der.

Frau Maja. Ja. Und morgen früh wollen wir wieder hinaus,

Profeſſor Rubek. Auf Bären?

Frau Maja. Ja. Meiſter Petz den Garaus machen.

Profeſſor Rubek. Habt Ihr die Spur von einem gefunden?

Frau Maja überlegen. Ich bitte Dich, hier oben auf dem nackten Kamm giebt's doch keine Bären.

Profeſſor Rubek. Wo denn ſonſt?

Trau Maja. Tief drunten, an den Berghalden; da, wo der Wald am dichteſten iſt und gewöhnliches Stadtvolk überhaupt nicht mehr durchkommt.

Profeſſor Rubek. Und da wollt Ihr morgen hinunter?

Trau Maja wirft ſich in die Heide. Ja, ſo haben wir ver— abredet. Aber vielleicht brechen wir auch ſchon heut Abend auf, vorausgeſetzt, daß Du nichts dagegen haſt?

Profeſſor Rubek. Ich? Weit entfernt

Frau Maja raſc. Übrigens begleitet uns Lars natürlich. Mit der Koppel.

Profeſſor Rubek. Ich habe mich gar nicht erkundigt nach dem Herrn Lars und feiner Koppel. Aborechend. Aber willſt Du Dich nicht lieber ordentlich hier auf die Bank ſetzen?

14*

212

Trau Maja müde. Nein, danke. Ich lieg’ jo ſchön in der weichen Heide.

Profeſſor Rubek. Du biſt müde, ſeh' ich.

Trau Maja atmet tief. Glaub' faſt, fang's an zu werden.

Profeſſor Rubek. Das kommt eigentlich erſt hinterher; wenn die Spannung vorüber iſt

Trau Maja in ſchläfrigem Ton. Ich will nur die Augen ein bißchen zumachen.

Kurze Pauſe.

Trau Maja plötzlich ungeduldig. Uh, Rubek, daß Du das aushalten kannſt, immerfort das Gejohle der Kinder mit anzu— hören! Und dieſen ewigen Bockſprüngen zuzuſehen, die ſie da machen.

Profeſſor Ruben. Es liegt in gewiſſen Momenten etwas Harmoniſches in ihren Bewegungen eine Art Muſik, möcht' ich faſt jagen. Mag noch jo viel Ungeſchicklichkeit und Unbeholfenheit mit unterlaufen. Aber dieſe einzelnen immer wiederkehrenden Momente entſchädigen einen dafür.

Trau Maja lacht ein wenig verächtlich. Hm, Du biſt doch immer und ewig Künſtler.

Profeſſor Ruben. Und wär' froh, wenn ich's immer bliebe.

Trau Maja dreht ſich auf die Seite, ſo ldaß ſie ihm den Rücken wendet. Er iſt keine Spur von Künſtler.

Profeſſor Nubek aufmertſam. Wer iſt kein Künſtler?

Trau Maja wieder in ſchläfrigem Ton. Er der andre halt.

Profeſſor Rubek. Der Bärenſchütz, meinſt Du?

Frau Maja. Ja. Keine Spur von Künſtler iſt der. Keine Spur.

Profeſſor Rubek lächelt. Nein, da magſt Du, weiß Gott, recht haben.

Frau Maja vejtig, ohne ſich zu rühren. Und wie häßlich er iſt. Rauft ein Büſchel Heidekraut aus und wirft es wieder von ſich. So häßlich,

ſo häßlich! Uh!

Profeſſor Rubek. Gehſt Du deshalb fo gern mit ihm —- auf die Jagd?

Trau Maja turz. Was weiß ich. Wendet ih ihm zu. Du biſt auch häßlich, Rubek.

Profeſſor Ruben. Entdeckſt Du das erſt jetzt?

Trau Maja. Nein, das hab' ich längſt geſehen.

Profeſſor Rubel zuckt die Achſeln. Man wird älter, Frau Maja. Man wird älter.

Frau Maja. So mein’ ich's gar nicht. Aber Dein Blick hat etwas ſo Müdes, Reſigniertes bekommen Wenn Du mir jo hier und da allergnädigſt einen Seitenblick ſchenkſt —.

Profeſſor Rubek. Das willſt Du bemerkt haben?

Frau Maja nickt. Mehr und mehr haben Deine Augen dieſen ſchlimmen Ausdruck angenommen. Faſt als ob Du etwas gegen mich im Schilde führteſt.

Profeſſor Rubek. So? Zreundlich, aber ernſt. Komm und ſetz' Dich zu mir, Maja. Wir wollen ein paar Worte miteinander reden.

Frau Maja richtet ſich halb auf. Läßt Du mich auf Deinen Knien ſitzen? Wie in den erſten Jahren?

Profeſſor Rubek. Nein, das geht nicht. Man kann uns vom Hotel aus ſehen. Niüct ein Stücchen. Aber hier auf der Bank kannſt Du ſitzen neben mir.

Trau Maja. Nein, danke; dann bleib' ich lieber liegen. Ich hör' auch hier ſehr gut. Blick ihn fragend an. Na, alſo von was wollteſt Du reden?

Profeſſor Rubek beginnt langſam. Was hältſt Du wohl für den eigentlichen Grund, der mich zu dieſer Sommerreiſe beſtimmt hat?

Frau Maja. Je nun, Du haſt zwar unter anderm be— hauptet, ſie würde mir ſo außerordentlich gut thun, aber

Profeſſor Ruben. Aber ?

214

Frau Maja. Aber jetzt glaub' ich weiß Gott nicht mehr daran.

Profeſſor Ruben. Sondern ?

Trau Maja. Jetzt glaub' ich, daß Du jener blaſſen Dame zuliebe gereiſt biſt.

Profeſſor Rubek. Frau von Satows wegen 2!

Frau Maja. Ja, dieſer Frau wegen, die uns auf den Ferſen ſitzt. Geſtern Abend iſt ſie ja auch hier aufgetaucht.

Profeſſor Rubek. Aber was in aller Welt —!

Trau Maja. Na, Du haſt ſie doch ſo ſehr gut gekannt. Längſt bevor Du mich kennen gelernt.

Profeſſor Rubek. Und hatte fie auch wieder vergeſſen längſt bevor ich Dich kennen gelernt.

Frau Maja jest ſich aufrecht. Kannſt Du jo leicht vergeſſen, Nubef?

Profeſſor Rubek turz. Nur zu leicht. Fügt brüst Hinzu: Wenn ich vergeſſen will.

Frau Maja. Auch ein Weib, das Dir Modell geſtanden hat?

Profeſſor Rubek abweiſend. Wenn ich fie nicht länger nötig habe

Frau Maja. Auch eine, die ſich vor Dir ganz ausgezogen hat?

Profeſſor Rubek. Das will nichts heißen. Dafür ſind wir Künſtler. Schlägt einen andern Ton an. Und dann wenn ich fragen darf wie hätte ich denn ahnen ſollen, daß ſie hier im Lande iſt? i

Frau Maja. Ach, Du hätteſt ja ihren Namen in einer Badeliſte leſen können. In irgend einer Zeitung.

Profeſſor Bubek. Aber ich kannte ja gar nicht den Namen, den ſie jetzt trägt. Hatte in meinem Leben von keinem Herrn von Satow gehört.

Frau Maja ſteut ſich müde. Na, du lieber Gott, fo wollteſt Du eben aus irgend einem andern triftigen Grunde reiſen.

215

Profeſſor Rubek ernſt. Ja, Maja, es iſt aus einem andern Grund geſchehen, einem ganz andern Grund. Und da rüber müſſen wir uns endlich einmal ausſprechen.

Trau Maja unterdrückt einen Lachanfall. Herrjeh, wie feierlich Du ausſiehſt!

Profeſſor Zubek, indem er fie mißtrauiſch zu ergründen fucht. Ja, vielleicht feierlicher als nötig.

Frau Maja. Wie ?

Profeſſor Rubek. Und nötig dürfte es für uns beide fein.

Frau Maja. Du fängſt an, mich neugierig zu machen, Rubek.

Profeſſor Rubek. Bloß neugierig? Gar nicht ein bißchen unruhig?

Frau Maja ſchüttelt den Kopf. Keine Spur.

Profeſſor Rubek. Gut. So höre denn. Du haft jüngſt im Bade unten gejagt, ich wäre Dir in letzter Zeit jo neroös vorgekommen

Trau Maja. Ja, das warſt Du auch.

Profeſſor Rubek. Und was hältſt Du wohl für die Urſache?

Frau Maja. Wie kann ich wiſſen ? Raſch. Dur haft vielleicht das ewige Zuſammenleben mit mir ſatt bekommen?

Profeſſor Rubek. Ewige ? Sag' doch gleich: immer und ewige.

Frau Maja. Na denn: tägliches Zuſammenleben. Wir zwei kinderloſen Leute, wir ſind doch auch nun volle vier, fünf Jahre neben einander hergegangen und kaum eine Stunde ge— trennt geweſen. Immer waren wir beiden ganz allein für uns.

Profeſſor Rubek intereſſiert. Na ja, und —?

Trau Maja etwas gedrückt. Du biſt eben kein Geſellſchafts⸗ menſch, Rubek. Du gehſt am liebſten Deinen Weg für Dich und beſchäftigſt Dich mit Deinen eigenen Intereſſen. Und ich kann nun einmal von Deinen Sachen nicht ordentlich mit Dir reden, von dieſen Kunſtfragen und jo weiter. Macht eine weg»

216

werfende Handbewegung. Und das intereſſiert mich, wahrhaftigen Gott, auch nicht ſonderlich.

Profeſſor Ruben. Na eben, eben; darum ſitzen wir ja auch meiſtens am Kamin und ſchwatzen von Deinen Sachen.

Frau Maja. Ach, du lieber Gott, was ſollten denn das für Sachen ſein!

Profeſſor Rubek. Und wenn es auch nur Kleinigkeiten ſind. Aber die Zeit vergeht uns jedenfalls auch ſo, Maja.

Trau Maja. Ja, da haſt Du recht. Die vergeht. Sie ſchickt ſich an, von Dir Abſchied zu nehmen, Rubek. Und das iſt es wohl auch, was Dich ſo unruhig macht

Profeſſor Nubek niet heftig. Und jo unſtet. Windet ſich auf der Bank. Ich halte dieſes armſelige Leben bald nicht mehr aus!

Trau Maja ſteht auf und blickt ihn eine Weile an. Willſt Du mich los ſein, ſo ſag's nur heraus.

Profeſſor Ruben. Was iſt das nun wieder für ein Aus— druck? Dich los ſein!

Trau Maja. Nun ja, wenn Du frei ſein willſt, ſo ſollſt Du das gerade heraus ſagen. Und die Stunde noch ſchnür' ich mein Bündel.

Profeſſor Aubek lächelt fast unmertlich. Das klingt ja wie eine Drohung, Maja?

Trau Maja. Für Dich kann das doch gewiß keine Drohung ſein.

Profeſſor Rubek erhebt ſich. Nein, Du haft recht, eigentlich nicht. Fügt nach einer Weile Hinzu: Du und ich, wir können unmöglich ſo weiter zuſammenleben

Trau Maja. Na alſo —!

Profeſſor Rubek. Bitte kein alſo. Mit Nachdruck. Können wir beide nicht mehr allein zuſammen leben, ſo brauchen wir uns ja deshalb noch nicht ſcheiden zu laſſen.

Frau Maja lächelt verächtlich. Nur ein bißchen getrennt zu leben, was?

a

Profeſſor Rubek. Auch das nicht einmal,

Trau Maja. Na, jo rück' heraus damit, was willſt Du denn mit mir machen?

Profeſſor Rubek etwas unſicher. Was ich jetzt ſo lebhaft und ſo ſchmerzlich vermiſſe, das iſt ein Menſch, der mir wirklich innerlich nahe ſteht

Frau Maja unterbricht ihn geſpannt. Thu' ich das nicht, Rubek?

Profeſſor Rubel abweiſend. Verſteh' mich nicht falſch. Ich müßte mit jemand zuſammen leben, der mich gleichſam ausfüllte, ergänzte, eins wäre mit mir in all meinem Thun und Schaffen.

Trau Maja langſam. Ja, jo hohen Anſprüchen würde ich wohl nicht genügen können.

Profeſſor Rubek. Das würde Dir wohl auch ſauer werden, Maja.

Frau Maja heftig. Und ich hätte, weiß Gott, auch gar keine Luſt dazu.

Profeſſor Rubek. Das weiß ich nur zu gut. Und ich dachte ja auch gar nicht an eine ſolche Hülfe, an ſolch ein Verſtändnis in meinen vitalſten Intereſſen, als ich Dein Schickſal an meines knüpfte.

Frau Maja, ihn beobachtend. Ich ſeh' Dir an, daß Du jetzt an eine andere denkſt.

Profeſſor Rubek. So? Als Gedankenleſerin hab' ich Dich noch nicht gekannt. Das ſiehſt Du alſo?

Frau Maja. Ja, das ſeh' ich. Ach, ich kenn' Dich ſo gut, Rubek, ſo gut!

Profeſſor Rubek. So weißt Du am Ende auch, an wen ich denke?

Trau Maja. Ja, allerdings.

Profeſſor Rubek. Nun? Bitte —?

Frau Maja. Du denkſt an dies an dies Modell, das Du einmal gehabt haft Verliert plötzlich den Faden. Weißt Du, daß man ſie im Hotel für verrückt hält?

218

Profeſſor Ruben. So? Und was hält man denn im Hotel von Dir und dem Bärentöter?

Trau Maja. Das gehört nicht hierher. Fahrt fort, wo fie abbrach. Aber an dieſe blaſſe Fremde haſt Du jedenfalls gedacht.

Profeſſor Rubek fen. An ſie und keine andere. Als ich ſie nicht mehr nötig hatte und ſie mich außerdem ver— ließ und ſpurlos verſchwand, da

Trau Maja. Da haft Du mich als eine Art Not- behelf genommen, wie?

Profeſſor Rubek rüchichtsloſer. Offen geſtanden, jo war es ungefähr, meine kleine Maja. Ich war da ein Jahr oder andert— halb einſam grübelnd umhergegangen und hatte die letzte die allerletzte Hand an mein Werk gelegt. Der „Auferſtehungs— tag“ ging in die Welt und brachte mir Ruhm und all die anderen Herrlichkeiten. Wärmer. Aber ich liebte mein eigenes Werk nicht mehr. Und vor der Menſchen Weihrauch und Kränzen wär' ich am liebſten, verzweifelnd und angewidert, in die finſterſten Wälder geflohen. Blick fie an. Du biſt ja Ge— dankenleſerin, kannſt Du erraten, auf was ich da verfiel?

Trau Maja wegwerfend. Hm, ja. Darauf, Porträtbüſten von Herren und Damen zu machen.

Profeſſor Rubek niet. Auf Beſtellung, jawohl. Mit Tier- fratzen hinter den Masken. Die bekamen ſie gratis; als Zugabe, verſtehſt Du. Lächelnd. Aber das war's nun eigentlich nicht, was ich zunächſt meinte.

Trau Maja. Sondern?

Profeſſor Aubek wieder ernſt. Dieſer ganze Künſtlerberuf und dieſe ganze künſtleriſche Thätigkeit und alles, was damit zuſammenhängt, fing mir an, ſo von Grund aus leer und hohl und nichtig vorzukommen.

Trau Maja. Was wollteſt Du denn ſtatt dejjen?

Profeſſor Aubek. Leben, Maja.

219

Trau Maja. Leben?

Profeſſor Rubek. Ja, iſt's denn nicht unvergleichlich wert— voller, ein Leben in Sonnenſchein und Schönheit zu führen, als ſich bis ans Ende ſeiner Tage in einer naßkalten Höhle mit Thonklumpen und Steinblöcken zu Tode zu plagen?

Trau Maja mit einem kleinen Seufzer. Ganz meine Meinung.

Profeſſor Rubek. Und dann war ich ja nun auch reich ge— nug geworden, um in Überfluß zu leben und eitel Sonnen— ſchein. Ich konnte mir die Villa am Taunitzer See bauen und das Palais in der Hauptſtadt. Vom übrigen zu ſchweigen.

Trau Maja im Ton ihres Mannes. Und zuguterletzt haſt Du auch noch die Mittel gehabt, Dir Deine jetzige Frau anzuſchaffen. Und all Deine Schätze gehörten von nun an auch ihr.

Profeſſor Rubek scherzhaft ablentend. Wollt' ich Dich nicht mit mir auf einen hohen Berg nehmen und Dir alle Herrlichkeit der Welt zeigen? l

Trau Maja mit einem ſanftmütigen Ausdruck. Es mag ja ein recht hoher Berg geweſen ſein, auf den Du mich mitgenommen haſt, Rubek, aber alle Herrlichkeit der Welt haſt Du mir nicht gezeigt.

Profeſſor Rubek lacht gereizt. Biſt Du unzufrieden, Maja! So unzufrieden! seftig. Aber weißt Du, was das Traurigſte iſt? Haſt Du da von eine Ahnung?

Trau Maja in ſtilem Trotz. Daß Du mich fürs ganze Leben mitgenommen haſt, das wirds wohl ſein.

Profeſſor Rubek. Ich würde mich nicht jo herzlos aus— gedrückt haben.

Trau Maja. Aber der Sinn wäre gewiß ebenſo herzlos geweſen.

Profeſſor Rubek. Du haft keinen rechten Begriff davon, wie es in einer Künſtlernatur ausſieht.

Frau Maja lächelt und ſchüttelt den Kopf. Du lieber Gott, ich hab'

ja nicht einmal einen Begriff davon, wie's in mir felber ausſieht.

Profeſſor Rubek unbeirrt. Ich lebe fo ſchnell, Maja. Wir leben nun einmal ſo, wir Künſtler. Ich für mein Teil habe in den paar Jahren, die wir uns kennen, ein ganzes Leben durchlebt. Menſchen wie ich finden kein Glück in müßigem Genuß; das hab' ich allmählich einſehen gelernt. So einfach liegt das Leben nicht für mich und meinesgleichen. Ich muß ununter⸗ brochen arbeiten Werk ſchaffen auf Werk bis zu meinem letzten Tag. Mit Überwindung. Darum kann ich nicht länger mit Dir auskommen, Maja. Wenigſtens nicht mit Dir allein.

Trau Maja ruhig. Soll das mit klaren, nackten Worten heißen, daß Du meiner überdrüſſig biſt?

Profeſſor Rubek aufbrauſend. Jawohl! Überdrüſſig dieſes Zuſammenlebens mit Dir, unausſprechlich müd' und überdrüſſig! Nun weißt Du's. Vegerrſcht ſich. Harte, häßliche Worte ſag' ich Dir da. Das fühl' ich ſelber nur zu gut. Und Du kannſt nichts dafür, das erkenn' ich gern an. In mir, und nur in mir hat ſich eine Umwandlung vollzogen Halb vor ſich hin ein Wiederaufwachen zu meinem eigentlichen Leben.

Frau Maja faltet unwilltürlich die Hände. Aber warum in aller Welt können wir dann nicht von einander gehen?

Profeſſor Aubek blickt ſie überrascht an. Du wollteſt —?

Frau Maja zuckt die Achſenn. Ja, wenn es ſein muß

Profeſſor Aubek eifrig. Es muß aber nicht ſein. Es giebt einen Ausweg

Frau Maja hebt den Finger. Jetzt denkſt Du wieder an die blaſſe Dame!

Profeſſor Rubek. Ja, offen gejtanden, ich muß unabläſſig an ſie denken. Von dem Augenblick an, als ich ſie wieder— geſehen habe. Einen Schritt näher. Denn jetzt will ich Dir etwas anvertrauen, Maja.

Trau Maja. Nun?

Profeſſor Ruben ſchlägt ſich an die Bruft. Siehſt Du, hier drinnen, hier hab' ich einen winzig kleinen, verſchloſſenen Schrein. Und in dieſem Schrein liegen all meine Bildnerträume ver— wahrt. Als ſie nun aber ſpurlos verſchwand, da fiel der Deckel ins Schloß. Und ſie hatte den Schlüſſel und nahm ihn mit. Du, meine kleine Maja, hatteſt keinen Schlüſſel. Deshalb liegt alles unbenutzt darin. Und die Jahre ver— gehen! Und ich komme und komme nicht zu dem Schatz.

Trau Maja, ein liſtiges Lächeln unterdrückend. So laß Dir von ihr wieder aufſchließen

Profeſſor Nubek nicht gleich verſtehend. Maja —2

Trau Maja. Sie iſt doch jetzt hier. Und wird wohl auch wegen dieſes Schreins gekommen ſein.

Profeſſor Aubek. Mit keinem Wort hab' ich ihr gegenüber dieſe Dinge berührt.

Trau Maja ſieht ihn naiv an. Aber, lieber Rubek, iſt denn eine ſo einfache Sache wie die ſo viel Redens und Aufhebens wert?

Profeſſor Rubek. Findeſt Du ſie fo einfach?

Trau Maja. Allerdings. Thu’ Dich nur mit dem Menſchen zuſammen, den Du am beſten brauchen kannſt. Nickt ihm zu. Ich werde ſchon ein Unterkommen zu finden wiſſen.

Profeſſor Rubek. Und wo?

Frau Maja ſorglos, ausweichend. Na, ich brauch' ja bloß in die Villa hinauszuziehen, falls es nötig wird. Aber es wird gar nicht nötig ſein. Denn in der Stadt, in unſerm großmächtigen Haus wird ſich doch wohl bei einigem guten Willen Platz für drei ſchaffen laſſen.

Profeſſor Aubek unſicher. Und glaubſt Du, jo könnt' es auf die Dauer gehen?

Frau Maja in leichtem Ton. Lieber Gott, geht's nicht, jo geht's nicht. Darüber wollen wir uns jetzt nicht den Kopf zerbrechen.

222

Profeſſor Rubek. Und wenn es nun nicht geht, Maja, was dann?

Trau Maja unbetümmert. So gehen wir einander einfach aus dem Weg. Ganz aus dem Weg. Ich finde immer noch meinen Platz in der Welt. Wo ich frei bin, frei, frei! Damit hat's keine Not, Herr Profeſſor. Zeigt plötzlich nach rechts. Da! Da iſt ſie ja.

Profeſſor Nubek wendet den Kopf. Wo?

Trau Maja. Da drüben. Wie eine Marmorſtatue ſchreitet ſie einher. Sie kommt hierher.

Profeſſor Aubek ſtarrt hinaus, die Hand über den Augen. Iſt ſie nicht die verkörperte Auferſtehung? Vor ſich hin. Und ſie konnt! ich zurückſetzen in den Schatten ſtellen umſchaffen —. O, ich Thor!

Frau Maja. Worauf ſoll das hinaus?

Profeſſor Aubek abwehrend. Auf nichts. Wenigſtens nicht auf etwas, was Du verſtehen könnteſt.

Irene kommt von rechts über das Plateau. Die ſpielenden Kinder haben ſie ſchon

vorher kommen ſehen und ſind ihr entgegengelaufen. Jetzt iſt ſie von ihnen um⸗

ringt; einige ſcheinen beherzt und zutraulich, andere ſcheu und ängſtlich. Sie ſpricht

leiſe mit ihnen, indem ſie ihnen bedeutet, nach dem Sanatorium hinunterzugehen;

ſie ſelbſt wolle ſich am Bach ein wenig ausruhen. Die Kinder laufen links im Mittel⸗

grund die Böſchung hinunter. Irene geht auf die Bergwand zu und läßt ſich die kühlenden Waſſerſtrahlen über die Hände rieſeln.

Trau Alaja mit gedämpfter Stimme. Geh hin zu ihr und ſprich mit ihr allein, Rubek. Profeſſor Rubek. Und wo gehſt Du inzwiſchen hin? Trau Maja blickt ion bedeutſam an. Ich gehe von heut ab meine eigenen Wege. Sie geht die Anhöhe hinab und ſchwingt ſich mit Hülfe des Gebirgsſtocks über den Bach. Bei Irene bleibt fie ſtehen. Frau Maja. Rubek erwartet Sie da oben, gnädige Frau. Irene. Was will er von mir?

Trau Maja. Sie ſollen ihm bei einem Schrein helfen, deſſen Deckel ihm ins Schloß gefallen iſt.

Irene. Dabei könnte ich ihm helfen?

Frau Maja. Er meint, Sie ſeien die einzige dazu.

Irene. So will ich's verſuchen.

Trau Maja. Das ſollten Sie in der That, gnädige Frau.

Sie geht den Weg nach dem Sanatorium hinab. Bald darauf kommt Rubek zu Irene herabgeſtiegen, doch fo, daß der Bach zwiſchen ihnen bleibt.

Irene nach einer kurzen pauſe. Die andere ſagte, Du hätteſt auf mich gewartet?

Profeſſor Rubel. Ich habe Jahr um Jahr auf Dich ge— wartet, ohne es ſelbſt zu wiſſen.

Irene. Ich konnte nicht zu Dir, Arnold. Ich lag ja darnieder und ſchlief den langen, tiefen, träumeſchweren Schlaf. Profeſſor Rubek. Aber jetzt biſt Du erwacht, Irene!

Irene ſchüttelt den Kopf. Ich hab' den ſchweren, tiefen Schlaf noch immer in den Augen.

Profeſſor Rubek. Du ſollſt ſehen, es wird für uns beide dämmern und tagen.

Irene. Glaub’ das nicht.

Profeſſor Rubek eindringlich. Das glaub' ich! Und das weiß ich! Jetzt, da ich Dich wiedergefunden habe

D. da u Irene. auferſtanden Te N e Ar | .

Profeſſor Rubek. und verklärt!

Irene. Nur auferſtanden, Arnold. Nicht verklärt.

Er balanciert auf den Steinen unterhalb des Waſſerfalls zu ihr hinüber.

Profeſſor Rubek. Wo biſt Du den ganzen Tag geweſen, Irene?

Irene weist in die Ferne. Weit draußen auf den großen Gefilden des Todes

Profeſſor Rubek ablentend. Du haft Deine Deine Freundin heut nicht bei Dir, wie ich ſehe.

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1

3

Irene lächelt. Meine Freundin behält mich trotzdem getreulich im Auge.

Profeſſor Rubek. Kann ſie das?

Irene ſieht ſich fen um. Davon ſei überzeugt. Wo ich gehe und ſtehe. Nie verliert fie mich aus dem Geſicht, ftüftert bis ich ſie eines ſchönen Morgens umbringe.

Profeſſor Rubek. Möchteſt Du das?

Irene. Und wie gerne! Wenn ich nur eine Gelegenheit fände.

Profeſſor Rubek. Weshalb denn?

Irene. Weil fie eine Hexe iſt. Geheimnisvoll. Denk' Dir, Arnold, ſie hat ſich in meinen Schatten verwandelt.

Profeſſor Aubek ſucht fie zu beruhigen. Na, na einen Schatten müſſen wir doch alle haben.

Irene. Ich bin mein eigener Schatten. Seftig. Verſtehſt Du mich denn nicht!

Profeſſor Rubek gepreßt. Doch, doch, Irene, ich verſtehe nur zu gut. Er ſetzt ſich auf einen Stein am Bache. Sie ſteht hinter ihm, an die Felswand gelehnt.

Irene nach einer Pauſe. Was ſitzt Du da und wendeſt Deine Augen von mir?

Profeſſor Nubek leise, ſchüttelt den Kopf. Ich darf Dich nicht darf Dich nicht anſehen.

Irene. Warum nun nicht mehr?

Profeſſor Rubek. Dich quält ein Schatten. Und mich meine nagende Reue.

Irene mit einem Freudenſchrei. Endlich!

Profeſſor Rubel springt auf. Irene was haſt Du!

Irene abwehrend. Nur ruhig, ruhig, ruhig! Atmet tief und fagt, wie von einer Laſt befreit: So. Nun haben ſie mich freigelaſſen, für dies Mal. Jetzt können wir uns ſetzen und uns unterhalten wie früher im Leben.

Hrofeſſor Rubek. Ach, wenn wir das doch nur wieder könnten!

225

Irene. Setz' Dich auf Deinen alten Platz. Dann ſetz' ich mich hier zu Dir.

Er ſetzt ſich wieder auf den Stein, ſie ſich auf einen andern in der Nähe.

Irene nach kurzem Schweigen. Nun bin ich zu Dir zurückgekehrt von den fernſten Reichen, Arnold.

Profeſſor Rubek. Ja wahrlich, und von einer endlos langen Reiſe.

Irene. Heimgekehrt zu meinem Herrn und Gebieter

Profeſſor Rubek. Nach Haufe wo wir zu Haufe find, Irene.

Irene. Haſt Du auf mich gewartet tagaus tagein?

Profeſſor Rubek. Wie konnt' ich das?

Irene mit einem Seitenblick. Ach ja, wie konnteſt Du das! Du haſt ja nichts gewußt.

Profeſſor Rubek. Haft Du Dich damals wirklich nicht eines andern wegen ſo auf einmal davon gemacht?

Irene. Konnte es denn nicht Deinetwegen geweſen fein, Arnold?

Profeſſor Aubek ſieht ſie unſicher an. Ich verſtehe Dich nicht —?

Irene. Als ich Dir mit Leib und Seele gedient hatte und die Statue fertig daſtand, unſer Kind, wie Du ſie nannteſt, da hab' ich Dir mein teuerſtes Opfer zu Füßen ge⸗ legt und mich ſelbſt ausgelöſcht für alle Zeit.

Profeſſor Rubek geſenkten Hauptes. Und haſt damit mein Leben brach gelegt.

Irene plötzlich aufbrauſend. So hab' ich erreicht, was ich wollte! Nie, nie mehr ſollte Dir etwas zu ſchaffen gelingen nachdem Du dies unſer einziges Kind geſchaffen hatteſt.

Profeſſor Rubek. War's Eiferſucht, was Dich damals be— herrſchte? i

Irene kalt. Ich glaube, es war eher Haß.

Profeſſor Rubek. Haß? Wider mich?

Irene heftig. Ja, wider Dich, wider den Künſtler, der

Ibſen, Wenn wir Toten erwachen. 15

22

ſo ganz unbekümmert und ſorglos einen warmblütigen Leib nahm, ein junges Menſchenleben, und ihm ſeine Seele ſtahl, weil er ein Kunſtwerk draus ſchaffen wollte.

Profeſſor Rubek. Und das muß ich von Dir hören ? Haſt Du nicht glühend vor Eifer und hochheiligem Verlangen meine Arbeit geteilt? Dieſe Arbeit, zu der wir uns jeden Morgen ſammelten wie zu einer Andacht.

Irene kalt wie vorher. Ich will Dir etwas jagen, Arnold.

Profeſſor Ruben. Nun?

Irene. Nie hab' ich Deine Kunſt geliebt. Nicht vorher, eh' ich Dich kennen lernte, und auch nicht nachher.

Profeſſor Rubek. Aber den Künſtler, Irene.

Irene. Den Künſtler haſſ' ich.

Profeſſor Aubek. Auch den Künſtler in mir?

Irene. Den am allermeiſten. Wenn ich jo ganz entkleidet daſtand vor Dir, da haßt' ich Dich, Arnold

Profeſſor Nubek heftig. Das thateſt Du nicht, Irene! Das iſt nicht wahr! ra

Irene. Ich habe Dich gehaßt, weil Du jo unberührt dajtehen konnteſt

Profeſſor Rubek lacht. Unberührt? Glaubſt Du?

Irene. oder wenigſtens jo voll unerträglicher Selbſt— beherrſchung. Und weil Du Künſtler warſt, nur Künſtler, nicht Mann! Geht in einen warmen, herzlichen Ton über. Aber die Statue im naſſen, lebendigen Thon, die liebte ich, wie ſie ſo nach und nach aus dieſer rohen, unförmlichen Maſſe emporſtieg, ein beſeeltes Menſchenkind, denn das war unſer Geſchöpf, unſer Kind. Meins und Deins.

profeſſor Rubek ſchwermütig. Das war es im Geiſt und in der Wahrheit.

Irene. Siehſt Du, Arnold, um dieſes unſeres Kindes willen habe ich dieſe lange Pilgerfahrt unternommen.

227

Profeſſor Ruben vlötzich aufmerkſam. Um des Marmor— bildes —?

Irene. Nenn's, wie Du magſt. Ich nenn’ es unſer Kind.

Profeſſor Rubek unruyig. Und nun willſt Du es fehen? Fertig? Im „kalten“ Marmor, wie Du immer ſagteſt? Eifrig. Du weißt am Ende noch gar nicht, daß es in einem großen Muſeum ſteht draußen in weiter Welt?

Irene. Ich habe dunkel davon gehört.

Profeflor Bubek. Und Muſeen waren Dir doch ſtets ein Greuel. Du nannteſt ſie immer Totengrüfte

Irene. Ich will eine Wallfahrt dahin machen, wo meine Seele und das Kind meiner Seele begraben liegt.

Profeſſor Nubek in angſtvoller Unruhe. Du darfſt das Werk nie wieder ſehen! Hörſt Du, Irene. Ich flehe Dich an —! Nie wieder, nie wieder!

Irene. Glaubſt Du vielleicht, ich würde noch ein Mal daran ſterben?

Profeſſor Rubel ringt die Hände. Ach, ich weiß ſelbſt nicht, was ich glaube. Aber wie hätt' ich mir auch denken können, daß Du Dich ſo unlöslich mit dieſem Werke verknüpft fühlen würdeſt? Du, die mich verließ noch eh' es vollendet war?

Irene. Es war vollendet. Darum konnte ich von Dir gehen und Dich allein laſſen.

Profeſſor Nubek, die Ellbogen auf den Knien, wiegt den Kopf, mit den Händen vor den Augen. Es war noch nicht das, wozu es ſpäter wurde.

Irene zieht unhörbar und blitzſchnell ein dünnes, ſpitzes Meſſer halb aus dem Kleide oben an der Bruſt und fragt, heiſer flüſternd: Arnold, —— haſt Du unſerm Kind etwas zu Leide gethan?

Profeſſor Rubek ausweichend. Zu Leide? Wie ſoll ich ſo genau entſcheiden, was Du damit bezeichnen willſt?

Irene atemlos. Sag' mir, was haft Du gemacht mit dem Kind! 198

228

Profeſſor Rubek. Ich werd' es Dir jagen, wenn Du Dich ſetzen und mir ruhig zuhören willſt.

Irene verbirgt das Meſſer. Ich werde jo ruhig zuhören, als eine Mutter kann, wenn

Profeſſor Rubek, fie unterbrechend. Und dann ſieh mich nicht an, wenn ich erzähle.

Irene ſetzt ſich auf einen Stein hinter ſeinem Rücken. Hier jeß’ ich mich hinter Dich. Und nun erzähle mir

Profeſſor Bubek nimmt die Hände von den Augen und blickt vor ſich hin. Als ich Dich gefunden hatte, da war mir auch im ſelben Augenblicke klar, wie aus Dir mein Lebenswerk erſtehen ſollte.

Irene. „Auferſtehungstag“ nannteſt Du Dein Lebenswerk. Ich nenn' es „unſer Kind“.

Profeſſor Rubel. Ich war jung damals. Ohne alle Lebenserfahrung. Die Auferſtehung, dacht' ich mir, müßte am ſchönſten und wunderlieblichſten darzuſtellen ſein als ein junges, unberührtes Weib das von keines Erdenwallens Erlebniſſen entweiht und ohne von irgend welchen Flecken und Schlacken ſich reinigen zu müſſen zu Licht und Herrlichkeit erwacht.

Irene raſch. Ja, und ſo ſteh' ich doch da in unſerem Werk?

Profeſſor Rubek zögernd. Eigentlich nicht ganz jo, Irene.

Irene in wachſender Spannung. Nicht ganz ? Nicht jo, wie ich vor Dir gejtanden ?

Profeſſor Rubek, einer Antwort ausweichend. Ich wurde weltklug in den Jahren, die folgten, Irene. Der „Auferſtehungstag“ wurde in meiner Vorſtellung etwas Umfaſſenderes etwas Vielfältigeres. Der kleine runde Sockel, auf dem Dein Bild ſchlank und einſam ſtand, er bot nicht mehr Raum für alles, was ich nun noch hinzudichten wollte

Irene taſtet nach dem Meſſer, läßt es aber wieder ſein. Was haſt Du denn noch hinzugedichtet? Sag'!

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Profeſſor Rubek. Was ich rings um mich in der Welt mit meinen Augen ſah. Ich mußte das mit im Bilde haben. Ich konnte nicht anders, Irene. Ich erweiterte den Sockel, ſo daß er groß und geräumig ward. Und legte darauf ein Stück der gewölbten, berſtenden Erde. Und aus den Furchen, da wimmelt's Dir nun herauf von Menſchen mit heimlichen Tier— geſichtern, Männern und Weibern, wie ſie das Leben draußen mich kennen gelehrt hatte.

Irene in atemloſer Spannung. Aber mitten im Schwarm ſteht das junge Weib in ſtrahlender Himmelsfreude? Nicht, Arnold?

Profeſſor Rubek ausweichend. Nicht ganz in der Mitte. Ich mußte leider die Statue etwas nach hinten rücken, der Geſamtwirkung halber, weißt Du. Sie würde ſonſt zuſehr dominiert haben. 5

Irene. Aber der ſtrahlende Freudenſchimmer verklärt doch noch immer mein Antlitz?

Profeſſor Rubek. O ja, Irene. In gewiſſer Art wenigſtens. Ein wenig gedämpft vielleicht. Wie's meine neue Idee erforderlich machte.

Irene ſteht lautlos auf. Dies Bild drückt das Leben aus, jo wie Du es jetzt ſiehſt, Arnold.

Profeſſor Rubek. Ja, das thut es wohl.

Irene. Und in dieſem Bilde ſteh' ich nun ein wenig verblaßt als eine Hintergrundfigur in einer Gruppe.

Zieht das Meſſer hervor.

Profeſſor Rubek. Nicht im Hintergrund ſagen wir im Mittelgrund oder ſo etwa.

Irene ftüftert heiſer: Damit haſt Du Dir ſelbſt Dein Urteil geſprochen. Will zuſtoßen.

Profeſſor Rubek wendet ſich um und blickt fie an. Mein Urteil?

Irene verbirgt raſch das Meſſer und ſagt dumpf, gleichſam ſtöhnend: Meine

ganze Seele, Du und ich, wir, wir, wir und unjer Kind waren in dieſer einſamen Geſtalt.

Profeſſor Aubek eifrig, nimmt den Hut vom Kopfe und trocknet ſich die Schweißperlen von der Stirn. Aber nun höre auch, wie ich mich ſelbſt in die Gruppe hineingeſtellt habe. Vorn an einer Quelle, wie hier, ſitzt ein ſchuldbeladener Mann, der von der Erdrinde nicht ganz loszukommen vermag. Ich nenne ihn die Reue über ein verwirktes Leben. Er taucht und taucht ſeine Finger in das rieſelnde Waſſer um ſie rein zu ſpülen und krümmt ſich und leidet bei dem Gedanken, daß es ihm nie, nie gelingen wird. In alle Ewigkeit wird er nicht frei werden, leben und auferſtehen. Immer und ewig bleibt er ſitzen in ſeiner Hölle.

Irene Hart und kalt. Dichter!

Profeſſor Rubek. Warum Dichter?

Irene. Weil Du ohne Kraft biſt und ohne Willen und voll Abſolution für all Deine Handlungen und für all Deine Gedanken. Du Haft meine Seele gemordet, und dann modellierſt Du Dich ſelber in Reue und Buße und Selbſtanklage fäüdiett und damit, meinſt Du dann, ſei Deine Rechnung beglichen.

Profeſſor Rubek trotzig. Ich bin Künſtler, Irene. Und ich ſchäme mich nicht der Schwäche und Unvollkommenheit, die mir anhaften mag. Denn ich bin zum Künſtler geboren, ſiehſt Du. Und werde trotz allem auch nie etwas andres als Künſtler werden.

Irene blickt ihn mit einem verſteckten, böſen Lächeln an und ſagt weich und ſanft: Dichter biſt Du, Arnold. Streicht ihm leis übers Haar. Daß Du liebes, großes, alterndes Kind das nicht ſehen kannſt!

Profeſſor Bubek verſtimmt. Warum nennſt Du mich jo beharrlich Dichter?

Irene mit lauernden Augen. Weil in dieſem Wort eine Ent— ſchuldigung liegt, mein Freund. Eine Abſolution, die einen Mantel über alle Schwäche und Unvollkommenheit breitet. grögtie tn anderem Ton. Aber ich war damals ein Menſch! Und hatte

a.

auch ein Leben zu leben und ein Menſchenſchickſal zu erfüllen. Sieh, all das ließ ich liegen, warf ich hin, um Dir unterthänig zu ſein. O, das war ein Selbſtmord. Ein unverzeihliches Ver— brechen an mir ſelbſt. Halb ftüfternd: Und dies Verbrechen kann ich

nimmermehr ſühnen. Sie ſetzt ſich in ſeiner Nähe an den Vach, verfolgt ihn unbemerkt mit den Augen und pflückt, wie geiſtesabweſend, Blüten von den Büſchen ringsum.

Irene ſcheinbar gefaßt. Ich hätte Kinder zur Welt bringen ſollen. Viele Kinder. Richtige Kinder. Nicht ſolche, wie man ſie in Totengrüften aufbewahrt. Das wäre mein Beruf ge— weſen. Nie hätt' ich Dir dienen ſollen, Dichter.

Profeſſor Rubek in Erinnerung verloren. Es waren doch ſchöne Zeiten, Irene. Wunderſchöne Zeiten, wenn ich ſo zurück— denke —.

Irene blickt ihn mit weichem Ausdruck an. Weißt Du noch, was für ein Wort Du brauchteſt, als Du fertig warſt fertig mit mir und unſerm Kinde? Niet ihm zu. Denkſt Du noch an das kleine Wort, Arnold?

Profeſſor Rubel blickt fie fragend an. Hab' ich damals ein Wort geſagt, das Du Dir gemerkt haſt?

Irene. Ja. Kannſt Du Dich feiner nicht mehr erinnern?

Profeſſor Nubek ſchüttelt den Kopf. Nein, wahrhaftig nicht. Jedenfalls nicht augenblicklich.

Irene. Du nahmſt meine beiden Hände und drückteſt ſie warm. Und in atemloſer Erwartung ſtand ich vor Dir. Und da ſagteſt Du: Ich danke Dir von ganzem Herzen, Irene. Dies iſt, ſo ſagteſt Du, eine ſegensreiche Epiſode für mich geweſen.

Profeſſor Rubek zweifelnd. Sagt’ ich Epiſode? Ich pflege dies Wort nicht zu gebrauchen.

Irene. Du ſagteſt Epiſode.

Profeſſor Rubek mit angenommener Unbefangenheit. Na ſchön, aber im Grunde war's ja auch eine Epiſode.

Brene kurz. Auf das Wort hin hab' ich Dich damals verlaſſen. Profeſſor Rubek. Du nimmſt alle Dinge fo ſchmerzlich ſchwer, Irene.

Irene ftreicht ſich über die Stirn. Du magſt recht haben. Schütteln wir alles Schwere und Trübe von uns ab! Pflückt Blätter von einer Bergroſe und ſtreut ſie in den Bach. Da ſieh, Arnold! Da ſchwimmen unſere Vögel.

Profeſſor Ruben. Was für Vögel?

Brene. Flamingos ſiehſt Du das nicht? Roſenrote Flamingos.

Profeſſor Rubek. Flamingos ſchwimmen nicht. Die waten nur.

Irene. Dann ſind's alſo keine Flamingos. Sondern Möven.

Profeſſor Rubek. Möven mit roten Schnäbeln, ja, das ſchon eher. Pflüctt breite grüne Blätter und wirft fie in den Bach. Nun ſend' ich ihnen meine Schiffe nach.

Irene. Aber Vogelfänger dürfen keine an Bord fein.

Profeſſor Rubek. Nein, Vogelfänger nicht. Leachelt ihr zu. Denkſt Du noch des Sommers, als wir jo vor dem Bauern- häuschen am Taunitzer See ſaßen?

Irene nickt. Samstag abends, ja, wenn wir mit unſerm Wochenpenſum fertig waren

Profeſſor Ruben. und mit der Bahn hinausfuhren und den Sonntag über draußen blieben

Irene aufblitzenden Haß im Auge. Es war eine Epiſode, Arnold.

Profeſſor Rubek, als ob er nicht höre. Da ließeſt Du auch Vögel ſchwimmen im Bach. Es waren Waſſerlilien

Irene. Weiße Schwäne waren's.

Profeſſor Rubek. Ich meinte Schwäne, jawohl. Und ein- mal, das weiß ich noch, befeſtigte ich ein großes, rauhes Blatt an einem ſolchen Schwan. Es war ein Sauerampferblatt

Irene. Da ward es Lohengrins Boot mit dem Schwan davor.

233

Profeſſor Rubek. Wie gern Du ſo ſpielteſt, Irene.

Irene. Wir ſpielten oft fo.

Profeſſor Rubek. Jeden Samstag, glaub' ich. Den ganzen Sommer über.

Irene. Du nannteſt mich Deinen Schwan, der Dein Boot ziehe.

Profeſſor Rubek. Nannt' ich Dich fo? Ja, das mag wohl ſein. Mit dem Spiel beſchüftigt. Sieh nur, wie die Möven den Fluß hinab ſchwimmen!

Irene lacht. Und Deine Schiffe ſtranden alle.

Profeſſor Rubek wirft mehr Laub in den Bad. Ich hab' noch Schiffe genug in Vorrat. Verfolgt das Laub mit den Augen, macht einige Blätter wieder frei und ſagt nach einer kleinen Pauſe: Du, Irene =, das Bauern= häuschen am Taunitzer See, das hab' ich gekauft.

Irene. Haft Du's jetzt gekauft? Du haft oft davon ge— ſprochen, Du wollteſt es thun, ſobald Du die Mittel dazu bekämſt.

Profeſſor Rubek. Mit der Zeit bekam ich ſie. Und da hab' ich's gekauft.

Irene ſchielt nach ihm ein. Wohnſt Du nun dort in unſerm alten Haus?

Profeſſor Rubek. Nein, das hab' ich längſt niederreißen laſſen. Und auf das Grundſtück mir eine große, prächtige, be— queme Villa hingebaut mit einem Park darum. Da ſind wir gewöhnlich Hält inne und verbeſſert fid da bin ich ge— wöhnlich im Sommer

Irene bezwingt ſich. So, Du und die andere, Ihr ſeid jetzt immer da draußen?

Profeſſor Rubek etwas trogig.. Ja. Wenn meine Frau und ich nicht auf Reiſen ſind wie dies Jahr.

Irene verlorenen Blies. Schön, ſchön war das Leben am Taunitzer See.

Proſeſſor Aubek, als ob er in ſich ſelbſt hineinblicte. Und doch, Irene

Ba: pm

rene ergänzt ihn. und doch ließen wir zwei all die Schön⸗ heit dieſes Lebens ungenoſſen liegen

Profeſſor Rubek (eise, eindringlih. Kommt die Reue zu ſpät jetzt?

Irene antwortet nicht, ſondern ſitzt eine Weile ſtill; dann zeigt ſie in die Ferne. Sieh, Arnold. Nun geht die Sonne hinter den Gipfeln unter. Sieh nur, wie rot ihre ſchrägen Strahlen die Heide- krautmatten dort überall färben.

Profeſſor Rubek blict auch dorthin. Das iſt lange her, daß ich einen Sonnenuntergang im Gebirge geſehen habe.

Irene. Auch einen Sonnenaufgang?

Profeſſor Rubek. Einen Sonnenaufgang, glaub' ich, hab' ich noch nie geſehen.

rene lächelt, wie in Erinnerung verloren. Ich hab’ einmal einen wundervollen Sonnenaufgang erlebt.

Profeſſor Ruben. So? Wo denn?

Irene. Hoch, hoch oben auf ſchwindelndem Grat. Du lockteſt mich hinauf und verſprachſt mir alle Herrlichkeit der Welt, wenn ich ſie bricht jäh ab.

Profeſſor Ruben. Wenn Du —? Nun?

Irene. Ich that nach Deinen Worten und folgte Dir auf die Höhe. Und da fiel ich auf meine Knie und betete Dich an und diente Dir. Schweigt einen Augenblick, dann ſagt fie teife: Da ſah ich die Sonne aufgehen.

Profeſſor Rubel abtentend. Hätteſt Du nicht Luft, mit hinunter zu reiſen und in der Villa bei uns zu wohnen?

Irene blict ihn verächtlich lächelnd an. Zuſammen mit Dir und der andern Dame?

Profeſſor Rubel eindringlich. Zuſammen mit mir wie in den alten Tagen des Schaffens. Wieder aufzuſchließen all das, was in mir ins Schloß gefallen iſt. Möchteſt Du das nicht thun, Irene? 8

Örene ſchüttelt den Kopf. Ich habe den Schlüſſel zu Dir nicht nicht mehr, Arnold.

Profeſſor Rubek. Du haft den Schlüſſel! Niemand als Du hat ihn! Vittend und flehend. Hilf mir, damit ich das Leben noch einmal zu leben vermag!

Irene unbeweglich wie vorher. Leere Träume. Müßige tote Träume. Unſerem Zuſammenleben folgt keine Auferſtehung mehr.

Profeſſor Nubek kurz aborechend. So laß uns denn weiter ſpielen!

Irene. Ja, ſpielen, ſpielen, nichts als ſpielen.

Sie ſtreuen Laub und Blumenblätter in den Bach und laſſen fie davonſchwimmen.

Über den Abhang im Hintergrund links kommen Ulfheim und Frau Maja in

Jagdausrüſtung. Hinter ihnen der Diener mit der Koppel, die er nach rechts abführt.

Profeſſor Rubek bemerkt ſie. Ei, da zieht ja die kleine Maja mit dem Bärenſchützen aus.

Irene. Deine Dame, ja.

Profeſſor Rubek. Oder die ſeine.

Trau Maja ſpäht im Gehen herüber, ſieht die beiden am Vache ſitzen und ruft: Gut' Nacht, Profeſſor. Träum' von mir. Jetzt geht's hinaus auf Abenteuer!

Profeſſor Rubek ruft zurück:: Und worauf hinaus ſoll das Abenteuer gehen? g

Frau Maja näherkommend. Ich will leben ſtatt all des andern.

Profeſſor Rubek ſpöttih. So, Du willſt das auch, kleine Maja?

Frau Maja. Ja! Und dann hab' ich einen Vers gemacht, der heißt ſo: Singt und jubelt.

Ich bin frei! Ich bin frei! Ich bin frei! Der Gefangenſchaft Zeit iſt vorbei! Ich bin frei wie ein Vogel! Bin frei! Jawohl! Denn ich glaub', jetzt bin ich erwacht jetzt endlich.

Profeſſor Rubek. Es ſieht faſt jo aus.

Trau Maja atmet aus voller Bruft. Ah, wie himmliſch leicht macht ſolch ein Erwachen!

Profeſſor Rubek. Gut’ Nacht, Frau Maja, und Glück zur

Alfheim ruft abwehrend: Werden Sie wohl —! Zum Teufel mit Ihren Wünſchen! Wollen Sie uns Pech anhexen! Sehen Sie nicht, daß wir auf die Jagd wollen

Profeſſor Rubek. Was bringſt Du mir mit von der Jagd, Maja?

Trau Maja. Du ſollſt einen Raubvogel haben, zum Model⸗ lieren. Ich werd' einem eins in die Schwingen verſetzen.

Profeſſor Rubek lacht bitter und ſpöttiſch. Ja, einem eins in die Schwingen zu verſetzen ſo aus Verſehen das iſt immer etwas für Dich geweſen.

Trau Maja wirft den Nacken zurück. Ah, überlaß Du mich künftig nur mir ſelber —! Niet und lacht ſchelmiſch. Leb' wohl! und eine gute, ruhige Sommernacht hier auf Bergeshöhen!

Profeſſor Rubek luftig. Danke! Und alles Unglück der Welt über Euch und Eure Jagd!

Alfheim lacht dröhnend. Bravo, das iſt ein Wunſch, wie er ſein ſoll.

Frau Maja lachend. Vielen Dank, Profeſſor, vielen Dank! Sie haben beide den ſichtharen Teil des Plateaus durchquert und gehen durch das

Gebüſch rechts ab.

Profeſſor Aubek nach kurzer Pauſe. Sommernacht auf Berges⸗ höhen. Ja, das wäre das Leben geweſen.

Irene plötzlich, mit einem wilden Ausdruck in den Augen. Willſt Du eine Sommernacht auf Bergeshöhen mit mir?

Profeſſor Rubek breitet die Arme aus. Ja! Ja! Komm!

Irene. Mein geliebter Herr und Gebieter!

Profeſſor Rubel. Ach Irene!

1

Irene lächelt und taſtet nach ihrem Dolch; Heifer: Es wird nur eine Epiſode raſch, flüfternd: Still! Sieh Dich nicht um, Arnold!

Profeſſor Rubek ebenſo leiſe. Was giebt's?

Irene. Ein Geſicht ſtarrt mich unverwandt an.

Profeſſor Nubek wendet ſich unwillkürlich um. Wo? Fährt zuſammen. Ah! Der Kopf der Diakoniſſin iſt zwiſchen dem Gebüſch links, wo man Hinab- ſteigt, halb zum Vorſchein gekommen. Ihre Augen ſind unverwandt auf Irene gerichtet.

Irene erhebt ſich und ſagt mit gedämpfter Stimme: Wir müſſen uns trennen. Nein, Du ſollſt ſitzen bleiben, hörſt Du! Du darfſt mich nicht begleiten. Beugt ſich über ihn und flüstert: Auf Wieder⸗ ſehen heut Nacht! Hier draußen auf Bergeshöhen.

Profeſſor Rubek. Und Du kommſt, Irene?

Irene. Ich komme beſtimmt. Erwarte mich hier.

Profeſſor Rubek wiederholt wie im Traum: Sommernacht auf Bergeshöhen. Mit Dir. Mit Dir. Seine Augen begegnen den ihrigen. Ach Irene, das hätte das Leben ſein können. Und das haben wir verſcherzt alle beide.

Irene. Was unwiederbringlich verloren iſt, ſehen wir erſt, wenn bricht kurz ab.

Profeſſor Aubek ſieht fie fragend an. Wenn —?

Irene. Wenn wir Toten erwachen.

Profeſſor Aubek ſchüttelt ſchwermütig den Kopf. Ja, was ſehen wir da eigentlich?

Irene. Wir ſehen, daß wir niemals gelebt haben. Sie geht den Weg nach dem Sanatorium hinunter. Die Diakoniſſin macht ihr Platz und folgt ihr. Profeſſor Rubek bleibt unbeweglich am Bache ſitzen. Man hört Frau Maja von den Felſen droben her jubeln und ſingen:

Ich bin frei! Ich bin frei! Ich bin freil Der Gefangenſchaft Zeit iſt vorbei! Ich bin frei wie ein Vogel! Bin frei!

Dritter Akt.

Wild zerklüftetes Hochgebirge mit ſteil abfallenden Abgründen im Hintergrund.

Schneebedeckte Gipfel erheben ſich rechts und verlieren ſich hoch oben in treibenden

Nebeln. Links in einer Geröllhalde liegt eine alte, halb verfallene Hütte. Es iſt früher Morgen. Der Tag graut; die Sonne iſt noch nicht aufgegangen.

Frau Maja kommt rot und erhitzt die Halde links herunter. Ulfheim folgt ihr halb zornig, halb lachend und hält ſie am Arm feſt.

Trau Maja verſucht ſich loszumachen. Laſſen Sie mich los! Laſſen Sie mich los, ſag' ich!

Alfheim. Na, na, das fehlte bloß noch, daß Sie beißen. Sie ſind ja ungeberdig wie ein Marder.

Trau Maja ſchlägt ihn auf die Hand. Sie ſollen mich loslaſſen, hab' ich geſagt! Und ruhig ſein

Alfheim. Da ſollte mich doch

Trau Maja. Dann geh' ich keinen Schritt weiter mit Ihnen! Hören Sie keinen einzigen Schritt —!

Alfheim. Hoho, wo wollen Sie in dieſer Felſenwildnis ohne mich hin?

Trau Maja. Ich ſpringe einfach die Wand dort hinunter, wenn's ſein muß

Alfheim. Um zermalmt und zermahlen dazuliegen als leckeres, blutiges Freſſen für Hunde was? Laßt ſie los. Bitt' ſchön. Springen Sie die Wand hinunter, wenn Sie Luſt haben. Sie iſt

ſchwindelnd ſteil. Nur ein ſchmaler Steig führt hinunter, und der iſt faſt ungangbar.

Frau Maja ſäubert ihr Kleid mit der Hand und ſieht ihn mit zornigen Augen an. Mit ſo einem Menſchen wie Sie muß man auf die Jagd gehen!

Alſheim. Sagen Sie lieber: Sport treiben.

Trau Maja. Ach ſo, Sie nennen das hier Sport?

Alfheim. Ja, ich nehme mir die ehrerbietige Freiheit. Dieſe Art Sport, ſehen Sie, lieb' ich am meiſten.

Frau Maja wirft den Kopf zurück. Na da muß ich aber ſagen —! Nach einer kleinen Pauſe; blickt ihn forſchend an. Warum haben Sie denn da oben die Hunde losgelaſſen?

Alfheim blinzelt und lächelt. Um ihnen auch ein kleines Jagd— vergnügen zu machen, verſtehen Sie wohl.

Frau Maja. Das iſt ja nicht wahr! An die Hunde haben Sie gar nicht gedacht, als Sie ſie losgelaſſen haben.

Alfheim lächelt noch immer. Na, weshalb hab' ich's denn ſonſt gethan? Laſſen Sie hören —?

Trau Maja. Darum, weil Sie den Lars los ſein wollten. Er ſollte den Hunden nach und ſie wieder einfangen. Und mittler— weile —. Sie ſind mir ein Feiner!

Alfheim. und mittlerweile —?

Frau Maja kurz abbrechend. Ja, ja, ſchon gut.

Alfheim in vertraulichem Ton. Lars findet ſie nicht ſo bald. Darauf können Sie Gift nehmen. Der kommt nicht eher mit ihnen zurück, als bis es Zeit dazu iſt.

Trau Maja blict ihn zornig an. Hm, das kann ich mir denken.

Alfheim greift nach ihrem Arm. Denn ſehen Sie, Lars der kennt meine Sportgewohnheiten.

Trau Maja weicht ihm aus und mißt ihn mit den Augen. Wiſſen Sie, wie Sie ausſehen, Herr Ulfheim?

Alfheim. Doch wohl wie ich ſelbſt.

240

Trau Maja. Aufs Haar getroffen. Leibhaftig wie ein Faun.

Alfheim. Ein Faun ?

Trau Maja. Ja, grad’ wie ein Faun.

Alfheim. Ein Faun das iſt ſo 'ne Art Untier, was? Oder ſo was wie 'n Waldteufel, nicht?

Frau Maja. Jawohl, grad' ſo einer wie Sie! So einer mit Bocksbart und Beinen wie ein Ziegenbock. Ja, und Hörner hat der Faun auch!

Alfheim. Ei, ei, der hat auch Hörner?

Frau Maja. Ein paar greuliche Hörner, wie Sie, jawohl.

Alfheim. Sie können die Hörnerchen ſehen, die ich habe?

Trau Maja. Ja, mir iſt, ich könnt' ſie ganz deutlich ſehen.

Alfheim zieht die Hundeleine aus der Taſche. So its wohl am beiten, ich binde Sie mal 'n bischen.

Trau Maja. Sind Sie vollſtändig verrückt geworden?! Binden wollen Sie mich ?

Alfheim. Soll ich ſchon Teufel ſein, ſo laſſen Sie mich's auch ganz ſein. Sieh mal an! Sie können alſo die Hörner ſehen?

Trau Maja beruhigend. Na ja, na ja, nun ſeien Sie hübſch artig, Herr Ulfheim. unterbricht ſich. Aber wo iſt denn eigentlich Ihr Jagdſchloß, von dem Sie mir ein Langes und Breites vor- geredet haben? Das ſollte ja hierherum irgendwo liegen?

Alfheim zeigt auf die Hütte. Hier haben Sie's unmittelbar vor Augen.

Frau Maja blict ihn an. Der alte Schweinekofen da?

Alfheim lacht ſich in den Bart. Der hat ſchon mehr als eine Königstochter beherbergt.

Trau Maja. Und dadrin hätte der eklige Kerl die Königs- tochter in der Geſtalt eines Waldbären beſucht, wie Sie mir er— zählt haben?

Alfheim. Jawohl, Frau Jagdkamerad, hier war's. mit einladender Handbewegung. Wenn Sie gefälligſt eintreten wollen,

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Frau Maja. Brr! Nicht mit der Fußſpitze möcht' ih —! Brr!

Alſheim. Ach, eine Sommernacht kann da ein Pärchen recht angenehm verſchlafen. Oder auch gleich einen ganzen Sommer wenn's ſein ſoll.

Frau Maja. Danke ſchön! Dazu müßte beſonderer Appetit gehören. ungeduldig. Aber jetzt hab' ich ſowohl Sie wie auch Ihre Jagdpartie ſatt. Ich will ins Hotel zurück, eh' man da unten aufſteht.

Alfheim. Wie denken Sie ſich denn den Abſtieg von hier?

Trau Maja. Das müſſen Sie beſſer wiſſen als ich. Irgend— wo wird ſich doch wohl ein Abſtieg hier finden.

Alfheim zeigt nach dem Abgrund. J freilich; eine Art Abſtieg

giebt es ſchon über die Wand da hinunter

Frau Maja. Na, alſo —. Sie ſeh'n, mit ein bißchen gutem Willen

Alfheim. aber verſuchen Sie's bloß, dieſen Weg zu gehen.

Frau Maja veſorgt. Sie halten es nicht für möglich?

Alfheim. Nie und nimmermehr. Wenn ich Ihnen nicht helfen darf.

Frau Maja unruhig. Na, jo kommen Sie und helfen Sie mir! Wozu ſind Sie ſonſt da?

Alfheim. Soll ich Sie auf den Rücken nehmen

Trau Maja. Unſinn!

Alfheim. oder Sie lieber auf den Armen tragen?

Trau Maja. Kommen Sie jetzt nicht wieder mit dieſen Dummheiten.

Alfheim mit verbiſſenem Grimm. Ich hab' einmal ein junges Ding von der Straße aufgeleſen und ſie auf meine Arme gehoben. Auf Händen hab' ich ſie getragen. Und wollte ſie ſo durchs ganze Leben tragen, auf daß ihr Fuß nicht an einen Stein ſtoße. Denn ſie hatte damals recht ausgetretene Schuhe, als ich ſie fand

Ibſen, Wenn wir Toten erwachen. 16 J

22

Frau Maja. Und trotzdem haben Sie ſie aufgehoben und auf Händen getragen? i

Alfheim. Ich hab' ſie aus dem Dreck emporgehoben und ſie über dem Boden getragen ſo hoch und ſo vorſichtig, als ich nur konnte. Mit einem brummenden Lachen. Und wiſſen Sie, was ich zum Dank dafür gekriegt habe?

Frau Maja. Nein. Was denn?

Alfheim blict ſie an und nickt lächelnd. Hörner hab' ich gekriegt. Dieſelben Hörner, die Sie ſo deutlich ſehen. Iſt das nicht eine putzige Geſchichte, Frau Bärentöter?

Frau Maja. O ja, ganz putzig. Aber ich weiß eine Ge⸗ ſchichte, die iſt noch putziger.

Alfheim. Und wie iſt die?

Frau Maja. Folgendermaßen. Es war einmal ein dummes Mädelchen, das lebte bei Vater und Mutter. Aber in ziemlich dürftigen Verhältniſſen. Da platzte ein großmächtiger Herre in all dieſe Dürftigkeit hinein und hob das Mädelchen auf ſeine Arme wie Sie und reiſte weit, weit fort mit ihm

Alfheim. Wollte ſie ſo gerne bei ihm leben?

Trau Maja. Ja; denn, ſehen Sie, ſie war dumm.

Alfheim. Und er war wohl, was man ſo ein richtiges hübſches Mannsbild nennt?

Trau Maja. Ach nein, er war gar nicht beſonders hübſch. Aber er wußte ihr einzureden, er würde ſie auf einen Gott weiß wie hohen Berg führen, allwo Licht und Sonnenſchein über die Maßen ſei.

Alfheim. Er war alſo Bergſteiger, der Mann?

Trau Maja. Jawohl, in feiner Art.

Alfheim. Und da hat er das Mädel mit ſich hinaufgenommen

Trau Maja wirft den Kopf zurück. Ei ja, gar herrlich hat er ſie mit ſich hinaufgenommen —. Ach nein, er hat ſie in ein kaltes, feuchtes Bauer gelockt, wo weder Sonne noch friſche Luft war nach

Ihrer Meinung wenigſtens ſondern nur alles vergoldet und großer verſteinerter Menſchenſpuk rings an den Wänden.

Alfheim. Das mochte ihr, Gott verdamm' mich, ſo paſſen!

Frau Maja. Aber finden Sie die Geſchichte nicht doch ganz putzig? |

Alfheim blickt ſie eine Weile an. Hören Sie mal, mein lieber Jagdkamerad

Trau Maja. Na? Was giebt's denn nun wieder?

Alfheim. Sollten wir zwei unſere lumpigen Exiſtenzen nicht zuſammenwerfen?

Frau Maja. Haben der Herr Luft, Flickſchneider zu werden?

Alfheim. Ja, warum nicht. Könnten wir zwei nicht ver— ſuchen, die Fetzen da und dort zuſammenzuflicken, | daß ſchließlich doch noch jo was wie 'n Menſchenleben heraus- käme?

Trau Maja. Und wenn die Jammerlappen nun ganz zer— ſchliſſen wären was dann?

Alfheim mit einer energiſchen Handbewegung. Dann ſtehen wir da, ſtolz und frei, als wir ſelbſt.

Frau Maja lacht. Sie mit Ihren Bocksbeinen, ja!

Alfheim. Und Sie mit Ihren —. Na, verfolgen wir's nicht weiter.

Frau Maja. Ja, kommen Sie und verfolgen wir endlich den Weg weiter.

Alfheim. Stopp! Wohin, Kamerad?

Trau Maja. Ins Hotel, wohin ſonſt.

Alfheim. Und hinterher?

Frau Maja. Dann jagen wir einander hübſch Lebewohl und Dank für die Begleitung.

Alfheim. Können wir uns trennen, wir zwei? Meinen Sie, wir können es? 0

1675

Trau Maja. Ja, gebunden haben Sie mich meines Wiſſens doch nicht.

Alfheim. Ich habe Ihnen ein Schloß zu bieten

Trau Maja zeigt auf die Hütte. Eins wie das da?

Alfheim. Nein, bis jetzt iſt es noch nicht eingeſtürzt.

Trau Maja. Und am Ende auch alle Herrlichkeit der Welt?

Alfheim. Ein Schloß, ſag' ich

Trau Maja. Danke! Von Schlöſſern hab' ich gerade genug.

Alfheim. mit prächtigen Jagdgründen, Meilen und Meilen im Umkreis.

Frau Maja. Giebt's auch Kunſtwerke in dieſem Schloß?

Alfheim tangiem. Nein, Kunſtwerke allerdings nicht; aber

Trau Maja erleichtert. Na, das wär' auch noch beſſer.

Alfheim. Alſo, wollen Sie mit mir gehen, ſo lang und ſo weit, wie ich will?

Trau Alaja. Ja, wenn nicht ein zahmer Raubvogel wäre, der mich bewachte —!

Alfheim wild. Dem ſchießen wir eins in die Schwingen, Maja!

Trau Maja ſieht ihn einen Augenblick an und ſagt entſchloſſen: So kommen Sie denn und tragen Sie mich durch die Tiefe hinunter.

Alfheim ſchungt den Arm um ihren Leib. Es iſt höchſte Zeit! Der Nebel iſt über uns —!

Trau Maja. Iſt der Weg hinunter furchtbar gefährlich?

Alfheim. Der Bergnebel iſt gefährlicher. Sie macht ſich los, tritt an den Rand des Abgrundes und ſieht hinunter, fährt

aber raſch zurück.

Alfheim geht ihr entgegen und lacht. Es wird Ihnen wohl etwas ſchwindlig?

Trau Maja matt. Das auch. Aber ſehen Sie ſelbſt mal nach, was für zwei da herauffommen

Ulfheim tritt an den Abgrund und beugt fich über den Rand. Das iſt ja nur Ihr Raubvogel und ſeine fremde Dame.

245

Trau Maja. Können wir nicht an ihnen vorbei, ohne daß ſie uns ſehen?

Alfheim. Unmöglich. Der Steig iſt zu ſchmal. Und einen andern Abſtieg giebt es nicht.

Frau Maja ermannt ſich. Gut denn, fo wollen wir ihnen hier Trotz bieten.

Alfheim. Das war geſprochen wie ein echter Bärentöter, Kamerad!

Profeſſor Rubek und Irene erſcheinen am Rande der Tiefe. Er hat ſein Plaid über den Schultern, ſie trägt einen Pelzmantel loſe über ihr weißes Gewand geworfen und eine Kapuze aus Schwanenpelz.

Profeſſor Aubek, exit zur Hälfte über der Felſenkante ſichtbar. Wie, Maja! Wir zwei müſſen uns noch einmal begegnen?

Trau Maja mit angenommener Sicherheit. Zu Befehl. Bitte, nur näher zu treten.

Profeſſor Rubek ſteigt ganz herauf und reicht Irene, die ebenfalls ganz nach oben kommt, die Hand.

Profeſſor Rubek kalt zu Frau Maja. Du biſt alſo die ganze Nacht in den Bergen geweſen, Du auch, wie wir?

Frau Maja. Auf der Jagd bin ich geweſen, jawohl. Du haſt mir ja Urlaub gegeben.

Alfheim zeigt nach der Tiefe. Sind Sie den Steig da herauf gekommen?

Profeſſor Rubek. Das haben Sie doch geſehen.

Alfheim. Und die fremde Dame auch?

Profeſſor Rubek. Ja, verſteht ſich. Mit einem Blick auf Frau Maja. Dieſe fremde Dame und ich, wir gedenken fortan unſere Wege nicht mehr zu trennen.

Alfheim. Wiſſen Sie, daß der Weg, den Sie gekommen find, Ihnen das Leben hätte koſten können ?

Profeſſor Rubek. Wir haben ihn trotzdem verſucht. Denn im Anfang hat er gar nicht ſo ſchlimm ausgeſehen.

246

Alfheim. Nein, im Anfang iſt kein Ding ſchlimm. Aber, eh' man ſich's verſieht, kann man an einer Stelle ſtehen, wo man weder vorwärts noch rückwärts kann. Und dann ſitzt man feſt, Herr Profeſſor! Bergfeſt, wie wir Jäger ſagen.

Profeſſor Rubek blickt ihn lächelnd an. Das ſollen wohl Sprüche der Weisheit ſein, Herr Ulfheim?

Alfheim. Gott bewahre mich davor, Sprüche der Weisheit zu liefern! Eindringlich, zeigt in die Höhe. Aber ſehen Sie nicht, daß das Unwetter über unſern Köpfen iſt! Hören Sie nicht die Windſtöße?

Profeſſor Rubek horcht. Es klingt wie das Vorſpiel zum Auferſtehungstag.

Alfheim. Das iſt Wirbelſturm von den Gipfeln, Mann! Sehen Sie nur, wie die Wolken ſich über uns wälzen und ſenken! Bald umhüllen ſie uns wie ein Leichentuch.

Irene fährt zuſammen. Das kenn' ich, das Tuch.

Trau Maja wil ulfheim fortziehen. Machen wir, daß wir hinunter kommen.

Alfheim zu Profeſſor Rubet. Mehr als einem kann ich nicht helfen. Halten Sie ſich, ſolange der Sturm tobt, in der Hütte dort auf. Ich ſchicke dann Leute herauf und laſſe Sie beide holen.

Irene von Schrecken. Uns holen! Nein! Nein —!

Alfheim barſch. Die Leute werden nötigenfalls Gewalt brauchen. Denn hier geht's um Tod und Leben. Jetzt wiſſen Sie's. Zu Frau Maja. Kommen Sie denn und vertrauen Sie ſich getroſt Ihrem Kameraden an.

Trau Maja klammert ſich an ihn. Wie ich ſingen und jubilieren will, wenn ich mit heiler Haut hinunter komme!

Alfheim beginnt abzuſteigen und ruft den andern zu: Warten Sie alſo in der Jagdhütte drin, bis die Männer mit Seilen kommen und Sie holen.

Ulfheim, Frau Maja in den Armen, klettert eilig, aber vorſichtig den Abgrund hinunter.

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Irene blickt eine Weile mit ſchreckensſtarren Augen auf Nubek. Haſt Du gehört, Arnold? Es wollen Männer heraufkommen und mich holen! Viele Männer werden herauffommen

Profeſſor Rubek. Sei nur ruhig, Irene!

Irene in wachsendem Entjegen. Und ſie, die Schwarze, die wird auch kommen. Denn jetzt muß ſie mich längſt vermißt haben. Und dann wird ſie mich packen, Arnold! Und mir die Zwangs— jacke anlegen! Ja, denn die hat ſie bei ſich im Koffer. Ich hab' ſie ſelber geſehen

Profeſſor Rubek. Kein Menſch auf der Welt ſoll Dich berühren!

Irene mit irrem Lächeln. O nein, dagegen hab' ich ſchon ſelbſt ein Mittel.

Profeſſor Rubek. Was für ein Mittel meinſt Du?

Irene zieht das Meſſer hervor. Dies hier!

Profeſſor Aubek greift danach. Ein Meſſer haft Du bei Dir —!

Irene. Immer, immer. Tag und Nacht. Im Bett auch.

Profeſſor Rubek. Gieb mir das Meſſer, Irene!

Irene verbirgt es wieder. Du bekommſt es nicht. Das kann ich ſelber zu gut brauchen.

Profeſſor Rubek. Wozu willſt Du es hier brauchen?

Irene blickt ihn feſt an. Es war jür Dich beſtimmt, Arnold.

Profeſſor Rubeck. Für mich?

Irene. Eines Abends, als wir am Taunitzer See

ſaßen Profeſſor Rubeck. Am Taunitzer —? Irene. vor dem Bauernhäuschen und mit Schwänen

ſpielten und Waſſerlilien

Profeſſor Rubeck. Nun, und nun und —?

Irene. und als ich Dich jo mit des Grabes eiſiger Kälte ſagen hörte ich ſei in Deinem Leben nichts andres geweſen als eine Epiſode

248

Profeſſor Rubek. Das haſt Du gejagt, Irene! Nicht ich.

Irene fährt fort. da griff ich nach dem Meſſer. Denn ich wollte es Dir in den Rücken ſtoßen.

Profeſſor Rubek duſter. Und warum haft Du da nicht zugeſtoßen?

Irene. Weil ich zu meinem Entſetzen gewahr wurde, daß Du ſchon tot warſt ſchon lange tot.

Profeſſor Nubek. Tot? b

Irene. Tot! Tot, Du wie ich. Da ſaßen wir am Taunitzer See, wir zwei ſtarre Leichen, und ſpielten mit einander.

Profeſſor Ruben. Ich nenne das nicht tot. Doch Du verſtehſt mich nicht.

Irene. Wo iſt ſie denn, Deine Leidenſchaft für mich, dieſe flammende Leidenſchaft, mit der Du rangſt und kämpfteſt, als ich frei vor Dir ſtand als das auferſtandene Weib?

Profeſſor Rubek. Unſere Liebe iſt gewißlich nicht tot, Irene.

Irene. Die Liebe, die von dieſer Welt iſt von dieſer köſtlichen, wunderſamen, dieſer rätſelvollen Welt die Liebe iſt tot in uns beiden.

Profeſſor Nubek keidenſchaftlich. O Du, eben dieſe Liebe, die brennt und loht in mir jo heiß wie je.

Irene. Und ich? Haft Du vergeſſen, wer ich jetzt bin?

Profeſſor Rubel. Sei meinetwegen wer und was Du willſt! Für mich biſt Du das Weib, das meine Träume in Dir ſehen.

Srene. Ich hab' auf der Drehſcheibe geſtanden nackt und mich nach Dir den Augen vieler hundert Männer preis— gegeben.

Profeſſor Rubek. Wer anders als ich trieb Dich dahin⸗ auf. Verblendet, wie ich damals war, ſtellt' ich das Gebilde aus totem Thon über das Glück des Lebens das Glück der Liebe.

Irene ficht zu Boden. Zu ſpät! Zu ſpät!

Profeſſor Aubek. Was auch immer dazwiſchen liegt, nicht um eines Haares Breite hat ſich Dein Wert in meinen Augen verringert.

Irene erhobenen Hauptes. Auch in den meinen nicht.

Profeſſor Rubek. Nun alſo! Dann find wir ja frei. Und noch iſt es Zeit für uns, zu leben, Irene.

Irene blict ihn ſchwermütig an. Der Lebenstrieb iſt tot in mir, Arnold. Jetzt bin ich auferſtanden. Und ſpähe nach Dir. Und finde Dich. Und da ſeh' ich, Du und das Leben, Ihr ſeid Leichname, wie ich einer geweſen.

Profeſſor Rubek. O, wie biſt Du im Irrtum! Das Leben in uns und um uns, das gährt und brauſt wie zuvor.

Irene lächelt und ſchüttelt den Kopf. Dein junges, auferſtandenes Weib ſieht das ganze Leben auf der Leichenſtreu liegen.

Profeſſor Aubek nimmt fie ungeſtüm in feine Arme. So wollen wir beiden Toten ein einzigſtes Mal das Leben bis auf die Neige koſten bevor wir in unſere Gräber zurückkehren.

Irene mit einem Freudenſchrei. Arnold!

Profeſſor Rubek. Aber nicht hier im Dämmer. Nicht hier, wo uns das naſſe, häßliche Linnen umflattert

Irene von Leidenſchaft hingeriſſen. Nein, nein, empor zum Licht und zu all der ſtrahlenden Herrlichkeit! Empor auf den Berg der Verheißung.

Profeſſor Rubek. Dadroben wollen wir unſer Hochzeitsfeſt feiern, Irene, Geliebte!

Irene ſtolz. Mag immer die Sonne auf uns ſehen, Arnold.

Profeſſor Rubek. Alle Mächte des Lichts mögen auf uns ſehen. Und alle Mächte der Finſternis auch. Ergreift ihre Hand. So willſt Du mir folgen, Du meine begnadete Braut?

Irene wie verklärt. Ich folge willig und gern meinem Herrn und Gebieter.

Profeſſor Rubek zieht fie mit ſich font. Durch die Nebel müſſen wir erſt, Irene, und dann

Irene. Ja, durch alle die Nebel. Und dann hoch hin- auf bis zur Zinne des Turms, die da leuchtet im Sonnen⸗ aufgang.

Die Nebelwolken ſenken ſich dichter auf die Landſchaft. Rubek und Irene ſteigen Hand in Hand über das Schneefeld rechts empor und verſchwinden in den niedrig ziehenden Wolken. Jähe Sturmſtöße jagen und pfeifen durch die Luft.

Die Diakoniſſin erſcheint in der Geröllhalde links. Sie bleibt ſtehen und ſieht ſich ſtumm und ſpähend um.

Frau Maja fern aus der Tiefe ſingend und jubelnd.

Ich bin frei! Ich bin frei! Ich bin frei!

Der Gefangenſchaft Zeit iſt vorbei!

Ich bin frei wie ein Vogel! Bin frei! Plötzlich hört man ein donnerähnliches Getöſe vom oberen Teile des Schneefeldes her. Eine Lawine gleitet und wirbelt mit raſender Schnelligkeit thalwärts. Man

ſieht undeutlich, wie Rubek und Irene in den Schneemaſſen mitgeriſſen und begraben werden.

Die Diakoniſſin ſchreit auf, ſtreckt die Arme nach den Fallenden aus und ruft: Irene! Steht eine Weile ſtumm; dann ſchlägt ſie ein Kreuz vor ſich in die Luft und ſagt:

Pax vobiscum!

Frau Majas Geſang und Jubel hallt noch von fern aus der Tiefe.

Herroſé & Ziemſen, Wittenberg.

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