T-rtrc.', V.. 0- v-^ C ( ' Specielle Muskelphy Biologie oder Bewegungslehre. Von Dr. R. du Bois-lleyiuontl, Privatdoceiit iu Berlin. Mit 52 Abbildungen, Berlin 1903. Verlag von August Hirsch wald. N.W. Uuter den Liivdeu G8. Vorwort. In Folge der ejjochemachendeii IJntersuchiiiigen Otto Fischer's haben sich die Anschauungen auf dem Gebiete der Speciellen Muskelphysiologie in den letzten Jahrzehnten wohl mehr verändert, als in irgend einer anderen physiologischen Disciplin. Es lag daher nahe, die gesamraten neueren Ergebnisse einmal zu einer einheit- lichen Darstellung zusammenzufassen, die zugleich, nach Art eines Lehrbuches, von der Ausführlichkeit und wissenschaftlichen Strenge der Originalarbeiten soviel nachliesse, dass sie ohne besondere Vor- studien verständlich wäre. Zu dieser schwierigen Arbeit würde ich mich kaum berufen gefühlt haben, wäre ich nicht von verschie- denen Seiten durch wiederholte Aufforderungen dazu ermuthigt worden. Indem ich die Aufgabe übernahm, setzte ich mir zum Ziel, vor allem die allgemeinen Grundlagen, von denen die Unter- suchung auszugehen hat, der Anschauung näher zu bringen. Für den, der sich etwa als angehender Orthopaede oder Neurologe mit diesem Specialgebiet näher vertraut machen will, muss ja ein ein- ziger allgemeiner Satz, den er auf die einschlägigen praktischen Fälle anzuwenden weiss, grösseren Werth haben, als noch so viele Einzelheiten. Solche allgemeinen Sätze könnten nun in strenger Form aus rein physikalisch-mechanischer Betrachtung entwickelt werden. Viel leichter aber, scheint mir, gewinnt man ein Ver- ständniss für den mechanischen Zusammenhang zu untersuchender Vorgänge an einzelnen besonders augenfälligen Beispielen, die sich der Anschauung als allgemein gültige Schemata einprägen. Diesen Weg habe ich bei der Darstellung zu verfolgen gesucht, und bin daher weit weniger auf Exactheit, als vielmehr auf Anschaulichkeit des Ausdrucks bedacht gewesen. So steht beispielsweise fast dnrchweg; „Bewegung in dieser oder jener Richtung" für „Winkel- VI Vorwort. bewegung in dieser oder jener Ebene", weil die erste Ausdrucks- weise sich mehr dem alltäglichen Sprachgebrauch anpasst. Um das Verhältniss der allgemeinen Betrachtung zu der der ana- tomischen Einzelfcälle ins Licht zu setzen, schien mir die ange- nommene Eintheilung des Stoffes unerlässlich. Von den sechs Ab- schnitten ist der zweite, eine Uebersicht über die verschiedenen üntersuchungsweisen, eine Neuerung, die durch die Ausbildung von Fischer's photogrammetrischem Verfahren erforderlich wurde. Die äusserliche Scheidung der Allgemeinen von der Speciellen Muskelmechanik ist ebenfalls erst seit Fischer's Aufbau der A\\- gemeinen Muskelmechanik gerechtfertigt, indem dies Lehrgebiet jetzt einen viel breiteren Raum einnimmt als früher. Der fünfte Abschnitt, die fjehrc von der Function der einzelnen Muskeln, dürfte bislier nur in dem viel ausführlicheren Werke' Duchenne's im Zusammenhang dargestellt sein. Der sechste, die Lehre vom Stehen und Gehen, enthält wiederum die neuen Ergebnisse von Fischer's exacten Analysen. Um die durch diese Eintheilung gebotene Trennung der allgemeinen und speciellen Betrachtung wieder auszugleichen, sind zahlreiche Hinweise auf zusammenge- hörende Stellen in Gestalt von Absatzziffern in den Text eingefügt. Ausserdem mag noch ausdrücklich auf die Lihaltsübersicht am Anfang und das alphabetische Register am Schluss hingewiesen werden. Die Cursiv- Ziffern beziehen sich auf das Literatur- verzeichniss. liihaltsverzeichniss. Seite Erster Abschnitt. Einleitung. Von der Speci eilen Muskelphysiologie. § 1. Begriffsbestimmung 1 § 2. Yerhältniss der Spcciellen Muskeiphysiologie zur Mechanik . . 1 § 3. Ziel und Nutzen der Speciellen Physiologie der Bewegungen . . 4 § 4. Eintheilung des Stoffes 5 Zweiter Abschnitt. Untersuchungs verfahren. I. Bezeichnung der Lage und Bewegung. § 1. Die Grundebenen und Richtungen 7 § 2. Benennung der Bewegungen 8 § 3. Coordinatenebenen 12 § 4. Bewegtes Coordinatensystem 14 II. Kinematische Untersuchung der Gelenke. § 1. Untersuchung der Gelenkforraen 15 § 2. Untersuchung der Gelenkbewegungen 17 § 3. Untersuchung der Bewegungen am Lebenden 18 ^ 4. Röntengenuntersuchung 20 III. Geometrische Bedingungen für die Bestimmung der Bewegungen. § 1. Geometrische Bestimmung der Bewegung in Einer Ebene ... 23 § 2. Geometrische Bestimmung der Bewegung im Räume 27 IV. Ausführung der geometrischen Bestimmung. § 1. Bestimmung der Bahn dreier Punkte 31 V. Feststellung der einzelnen thätigen Muskeln und ihrer Leistung. § 1. Frage nach der Betheiligung der Muskeln ......... 37 § 2. Anatomische Prüfung. Methoden von Duchenne, von Strasser und Gassmann, Marey, Richer. Fick. Mollier, Braune und Fischer . 38 ^ 3. Anwendung von Modellen 42 § 4. Graphische Beobachtung der Mu.sk elthätigkeii 44 § 5. Die Vertheilung der Arbeit auf die einzelnen Muskeln .... 45 § 6. Die Grösse der zur Bewegung erforderlichen Arbeit 47 Vlll Inlialtsverzeichniss. Seile V[. UntcrsLicliung des Baues der Knuelieii und He lenke. § 1. Untersuchung der Knochenstructur 53 § 2. Untersuchung der Gelenkknorpel . . .>, f. 54 Dritter Abschnitt. Vom inneren Bau des Knochengerüstes. § 1. Beziehung der Structur zur Festigkeit 54 § 3. Beziehung 8er Structur der Knochen zur Function 60 § 3. Structurverhältnisse der Gelenkknorpel 63 § 4. Die Feistigkeit der Knochen 70 Vierter Abschnitt. Gelenklehre. I. Allgemeine Gelenklelire. § 1. Begriff und Eintheilung der Gelenklehre 73 § 2. Beweglichkeit ohne festes Gerüst 74 § 3. Hautskelet 75 § 4. Synarthrosis 76 § 5. Diarthrosis oder eigentliche Gelenkverbindung 79 § 6. Die zusammenhaltenden Kräfte 83 § 7. Darstellung der Beweglichkeit auf Grund der Flächengestalt . . 88 § 8. Die Gelenkmechanik vom Standpunkte der Bewegungsform . . 94 § 9. Die einzelnen einfachen Mechanismen 98 a) Amphiarthrose 98 b) Walzengelenk 99 c) Gelenke mit Schraulien flächen 102 d) Schraubengel enke mit querer Axe 103 e) Zapfengelenk 104 f) Schraubengelenk mit Zapfenform 105 g) Freies "Walzengelenk 106 h) Eigelenk 107 i) Sattelgelenk HO k) Kugelgelenk 116 1) Berührungsgelenke mit rollender Bewegung 117 m) Spiralgelenk und Wechselgelenk 120 n) Ginglymarthrodie ... 122 § 10. Vom Doppelgelenk 124 § 11. Combinirte Gelenke und zusammengesetzte Gelenke 126 § 12. Gemeinschaftliche Wirkung mehrerer Gelenke ....'... 127 II. Specielle Gelenklehre. § 1. Eintheilung 131 § 2. Kiefergelenk 131 § 3. Atlantooccipitalgelenk 135 § 4. Atlantoepistrophealgelenk 136 § 5. Wirbelsäule 139 § 6. Lendenwirbelsäule 144 § 7. Brustwirbelsäule 145 § 8. Halswirbelsäule 146 § 9. Rippengelenke 147 § 10. Verbindung der Rippen mit dem Brustbein 148 ^ 11. Verbindungen des Schlüsselbeins 149 § 12. Schultergelenk 152 § 13. Ellenbogengelenk 1^4 5j 14. ^ 15. ^ Ifi. !j 17. fj 18. ^ 19. Jj •20. ^ ■_>1. ^ 22. ij 23. ^ 24. Inhaltsverzeichniss. . IX Seite Pronation uml Supinatioii .' •. . . . 159 Handgelenk 161 Handwurzelmittelhan ^g-^lenk 173 Hamiwurzelniittelliandgelenk des Daumens 175 Mittclhand-Fingergelenke 176 Fingergelenke 178 Hecken 179 HiUtgelenk 180 Kniegelenk 184 Fussgelenk 191 Fusswurzelraittelfussgelenk . . , 196 25. Zehengelenke 200 Fünfter Abschnitt. Muskelmechanik. 1. Allgemeine Muskeim echanik. Eintheilung der Muskelmechanik 200 Einiges aus der Allgemeinen Muskelphysiologie 201 Muskelformen 205 Formen der Mu.skelwirkung 208 Vom Hebel und vom Kräftepaar 210 Bewegung eines einzigen beweglichen Gliedes durch einen Muskel 216 Bewegung zweigliedriger Systeme durch eingelenkige Muskeln . . 226 Bewegung von drei oder mehr gelenkig verbundenen Gliedern durch einen zweigelenkigen oder mchrgelenkigen Muskel .... 232 vj 9. Beziehungen der Innervation zur Muskelmechanik 239 II. Speeielle Muskeim echanik. § 1. Hauptsatz der Speciellen Muskelmechanik 244 § 2. Wirkung der einzelnen Muskeln 247 § 3. Die Bewegung ganzer Körpertheile 266 a) Kiefer 267 b) Wirbelsäule 268 c) Schulter 270 d) Ellenbogen 275 e) Hand 276 f) Hüfte 278 g) Knie 279 h) Fuss 280 Sechster Abschnitt. Vom Stehen und Gehen. I. Vom Stehen. § 1. Die physikalischen Bedingungen des Stehens 281 § 2. Die ..bequeme Haltung" beim Stehen 2S3 vj 3. Andere Arten des Stehens ." . . 294 II. Vom Gehen. $ 1. Die Thätigkeit der Beine 297 v^ 2. Die Bewegungen des Körpers 301 $ 3. Besondere Gangarten 308 § 1. ^ 2. ^ 3. ^ 4. ^ 5. ^ 6. 5j 7. ^ 8. Erster Abschnitt. Einleitiinir. Von der Speciellen Muskelphysiolog-ie. § 1. Begriffsbestimmung. • 1. Der Speciellen Muskelphysiologie steht, wie ihre Name an- deutet, die Allgemeine Muskelphysiologie gegenüber. Diese sucht die Ursache der Muskelbewegung im Allgemeinen zu erforschen, und beschcäftigt sich daher hauptsächlich mit der Frage nach dem Wesen der Muskelzusammenziehung. Dagegen besteht die Aufgabe der Speciellen Physiologie der Bewegungen darin, die Gesetze der Bewegungen zu erforschen, die der ganze Körper oder seine einzelnen Theile mit Hülfe der Muskelzusammenziehungen ausführen. 2. Die beiden Gebiete sind niclit vollkommen scharf von einander zu trennen. Die Vercänderung der Muskelkraft mit der Länge des Muskels ist offen- bar Gegenstand der allgemeinen Muskelphysiologie, die Form der einzelnen Bewegungen ist aber unter Umständen von dieser Veränderung abhängig. § 2. Verhältniss der Speciellen Physiologie der Bewegungen zur Mechanik. 3. Alle Physiologie ist angewandte Physik und Chemie. Der Theil der Physiologie, der sich mit der Beschreibung von Bewe- gungen beschäftigt, ist angewandte Mechanik. Die Aufgabe der Mechanik ist verschieden, je nachdem es sich darum handelt, wirklich stattfindende Bewegungen zu beschreiben, oder die Mög- lichkeit der Fiewegung von Körpern zu untersuchen, die unter den Die Ziffern in Parenthese beziehen sich auf die betr. Paragraphenzahlen, während die Cursiv-Ziffern auf das Literaturverzeichniss hinweisen. K. du B ü i s-U e y 111 u 11 (I . Spee. Muskelphysiologie. i 2 Erster Abschnitt. bestehenden Bedingungen in Ruhe sind. In beiden Fällen pflegt man sich stets so auszudrücken, dass man die Bewegungen aJs Wirkungen von Kräften auffasst, ohne dass man jedoch von einer Kraft eine andere Vorstellung hätte, als dass sie eben Bewegung hervorzurufen vermag. Der Zustand eines ruhenden Systems ist demnach dadurch zu bezeichnen, dass man sagt, alle die auf das System wirkenden Kräfte halten einander das Gleichgewicht. Di-e Grösse solcher Kräfte zu bestimmen und die Bedingungen festzu- stellen, unter denen sie einander das Gleichgewicht halten, ist die Aufgabe eines Zweiges der Mechanik, nämlich der Statik. Es ist daher ein Fehler, dass H. v. Meyer seinem bekannten Lehrbuch die Ueberschrift gegeben hat „Statik und Mechanik des menschlichen Knochen- gerüstes". Es müsste entweder heissen „Statik und Dynamik", oder kurzweg „Mechanik", worunter dann die Statik einbegriffen wäre. Der Statik steht gegenüber die Betrachtung bewegter Körper- systeme, die Dynamik oder „Kinetik". Hierbei handelt es sich ent- weder darum, die Wirkungsweise und die Veränderung der Kräfte zu untersuchen, die bei der Bewegung im Spiele sind, oder bloss die Form, die die Bewegung unter gegebenen Bedingungen an- nimmt. Das erste ist Aufgabe der Dynamik (im engeren Sinne), das zweite der Kinematik. Die Unterscheidung ist hier ziemlich fein, denn anter „Form der Bewe- gung" sind nicht nur die Bahnen der bewegten Körper im Räume, sondern auch die Veränderungen der Geschwindigkeiten mit einbegriffen. Die Be- stimmung der Bewegungsbahnen, die bestimmten Bedingungen entsprechen, bildet den Inhalt einer Disciplin der Mathematik, der „Geometrie der Bewe- gungen". In ihrer Anwendung auf concrete Vorgänge unterscheidet man sie von der Kinematik als „Phoronomie" {1). Untersucht man also die Grösse der Muskelspannungen, die erforderlich sind, den Körper in einer bestimmten Stellung zu er- halten, so fällt dies in's Gebiet der Statik. Ist der Körper in Bewegung, so ändern sich im Allgemeinen in jedem Augenblicke die vorhandenen Bedingungen. Wird zum Beispiel ein Glied bei gebeugter Haltung schnell im Kreise geschwungen, so kann durch die entstehende Centrifugalkraft das Glied gestreckt werden. Dieser Fall gehört dann in das Gebiet der „Kinetik", und zwar in die Dynamik, weil dabei eine erst durch die Bewegung entstehende Kraft, die Centrifugalkraft, auftritt. Wird das Glied in gestrecktem Zustande noch weiter mit zunehmender Geschwindigkeit geschwungen, Einleitung. 3 'fr so würde die Untersuchung des Gesetzes, nach dem die Geschwin- digkeit sich ändert, in das Gebiet der Kinematik fallen. Gilt es dagegen, gleichzeitig festzustellen, wie stark das Anwachsen der Centrifugalkraft die Muskulatur des Gliedes beansprucht, so mischt sich wiederum eine dynamische Betrachtung ein. Fasst man end- lich nur die Bahn in's Auge, die das Glied durchläuft, etwa um festzustellen, dass es sich um eine reine Kreisbewegung um einen festen Drehpunkt handele, so fällt die Untersuchung in's Gebiet der Phoronomie. 4. Nach diesen verschiedenen Gesichtspunkten wäre nun die Bewegung des Körpers zu untersuchen und die Specielle Physio- logie der Bewegungen einzutheilen. Dem stehen jedoch verschiedene Hindernisse entgegen, durch die die Forschung so sehr zurückge- halten worden ist, dass sie noch heute kaum über die Anfangs- gründe hinausreicht. Erstens ist die Aufgabe, um die es sich für die Physiologie handelt, der gerade entgegengesetzt, die gewöhnlich die Mechanik beschäftigt. Diese besteht nämlich darin, die Bewegungen zu er- mitteln, die durch gegebene Kräfte erzeugt werden, während es hier umgekehrt gilt, die unbekannten im Körper herrschenden Kräfte aus den Bewegungen abzuleiten {2). Zweitens lassen sich die Bewegungen, die der Organismus ausführt, überhaupt nicht scharf bestimmen, weil die Gelenke nicht mathematisch bestimmbaren Gesetzen folgen, und weil die Weich- theile der gegeneinander bewegten Körpertheile ohne Grenze in- einander übergehen (5) (74). Drittens sind die der Physiologie sich darbietenden mecha- nischen Aufgaben an sich ausserordentlich verwickelt. Um die Bewegungen zu verfolgen, die unter dem Einfluss verschieden- artiger Kräfte an einem System von drei untereinander beweglich verbundenen Gliedern (wie es die Gliedmaassen des Menschen dar- stellen) auftreten, hat der Meister der physiologischen Mechanik, Otto Fischer, erst eigens neue mechanische Lehrsätze auffinden müssen. Viertens ist mit der Ermittelung der Bewegungen und der bei der Bewegung thätigen Kräfte im Ganzen und Grossen noch keine genaue Keimtniss der Muskelthätigkeit im Einzelnen ge- wonnen. 4 Erster Abschnitt. 5. Soweit es diese Schwierigkeiten zulassen, wird sich die Specielle Physiologie der Bewegungen in ihrer Ausführung als eine Mechanik des Körpers darstellen, in der zunächst aus der rein phoro- nomischen und kinematischen Untersuchung die Dynamik der Körperbewegungen zu entwickeln ist. Damit würden die den Körper bewegenden Kräfte bekannt sein. In welchem Maasse die einzelnen Muskeln an der Hervorbringung der gefundenen Kräfte betheiligt sind, würde ferner durch besondere Erforschung der mechanischen Wirkung der einzelnen Muskeln zu ermitteln sein. Mit dieser Erkenntniss wäre das Gebiet der Speciellen Physiologie der Bewegungen erschöpft. § 3. Ziel und Nutzen der Speciellen Physiologie der Bewegungen. 6. Man wäre dann im Stande, für jede Bewegung genau die Function jedes einzelnen Muskels und seine Arbeitsleistung zu be- stimmen, und umgekehrt die Bewegungen oder Stellungen zu be- stimmen, die durch die Thätigkeit gegebener Muskeln eintreten. 7. Fragt man, worin der Nutzen dieser Erkenntniss bestehe, so ist darauf Verschiedenes zu antworten: Erstens ist wissenschaft- liche Erkenntniss jeder Art ihr eigener idealer Zweck. Zweitens würden die Ursache und die Wirkungen pathologischer Zustände der Bewegungsorgane grösstentheils klar vor Augen liegen, wodurch die Medicin, insbesondere die Orthopädie, wesentlich gefördert werden würde. Drittens würde für jede Art der körperlichen Arbeit alsdann die zweckmässigste Form auf wissenschaftlichem Wege bestimmt werden können. Im zweiten und dritten Punkte ist es leider heutzutage gerade umge- kehrt. Was der Physiologe oder Anatom auf diesem Gebiete mit vieler Mühe als neue Thatsache auffindet, ist dem Kliniker nicht selten eine wohlbekannte Erfahrung. Die praktische Kenntniss des ßewegungsapparates, die der Chirurg, der Orthopäde, der Neurologe bei der Untersuchung und Behandlung Kranker erwirbt, reicht oft weiter, als die theoretische Schulung und mitunter sogar als die scharfsinnigste Untersuchung des Anatomen und Physiologen. So ver- breitet in einer oder der anderen Form die Anschauung ist, dass der Physio- loge, ja der Mediciner überhaupt, die Leistung der einzelnen Muskelgruppen, zum Beispiel bei bestimmten Leibesübungen, beurtheilen, und danach über deren Zweckmässigkeit oder Unzweckmässigkeit entscheiden könne, so grund- falsch ist sie bei dem heutigen Stande der Wissenschaft. Vorläufig ist die rein praktische Erfaliriing in allen diesen Dingen die einzig zuverlässige Lehr- Einleitung. &• meisterin. Die höchste Leistung, die sich die Specielle Physiologie der Bewe- gungen fiir's Erste zutrauen darf, ist die, unter Umständen das Ergebniss der praktischen Erfahrung auch wissenschaftlich begreifen zu lehren. So zum Beispiel macht sie verständlich, warum die Supination mit grösserer Kraft aus- zuführen ist, als die Pronation, und deckt dadurch die Ursache auf, weshalb für den rechtshändigen Menschen Schrauben, Thürgriffe und Anderes mehr rechtsdrehend zweckmässiger sind (826). Die Thatsache der Zweckmässigkeit selbst ist aber durch einfaches Ausprobiren schon vor Alters festgestellt worden. Hier sei an die Anekdote von dem Anatomen Braune erinnert, der, von den Behörden um die zweckmässigste Form eines Säbelgriffs befragt, statt tief- sinnigen anatomischen Erwägungen nachzugehen, in einen Klumpen plastischen Thons gegriffen und so das gewünschte Modell auf praktischem Wege gefunden haben soll. Dies schliesst nicht aus, dass auf einer höheren Stufe der Erkenntniss die Specielle Phvsiologie der Bewegungen dem praktischen Verständniss vor- auseilen und der Technik nützlich werden könnte, insbesondere wo es sich um schwierigere körperliche Leistungen handelt. Dass es körperliche Thätig- keiten giebt, in denen auch ein geschickter Mensch nicht von selbst die zweck- mässigste Form der Ausübung findet, steht fest. So giebt es eine bestimmte Technik des Schaufeins (-i), eine künstliche Stellung, um den Schiebekarren in niedrigen Bcrgwerksstollen zu benutzen, und andere derartige Bewegungs- formen mehr, die so weit von dem abweichen, was dem Neuling zweckmässig und naturgemäss erscheint, dass sie besonders gelehrt und gelernt werden müssen. Wie gross die Unterschiede verschiedener Bewegungsformen in dieser Beziehung sind, dafür gewährt ein schlagendes Beispiel die Uebung des Wett- ruderns. Während es für den ungeschulten Ruderer am natürlichsten ist, seine Arbeit fast ausschliesslich mit den Armen zu leisten, geht die kunstgerechte Schulung dahin, einen möglichst grossen Theil der Arbeit durch die ungleich stärkeren Rücken- und Schultermuskeln ausführen zu lassen. Diese äusserst schwer zu erlernende und geradezu als Gipfel unnatürlicher Künstelei erschei- nende Bewegungsform bewährt immer von Neuem eine glänzende Ueberlegenheit über jede andere Art des Ruderns. Auch hier hat freilich rein praktisches Pro- biren die Lösung der Aufgabe gefunden, ohne die wissenschaftliche Bearbeitung abzuwarten, aber dies Beispiel zeigt, in welcher Weise und in welchem Grade die physiologische Erkenntniss der körperlichen Leistung förderlich werden könnte. Am ehesten dürfte man dies auf dem Gebiete der Pathologie erwarten, etwa, wenn es sich darum handelt, den Ausfall bestimmter Bewegungen durch passende Ersatzbewegungen zu decken. Hier kommt dem Einzelnen nicht, wie bei normalen Bewegungen, die Summe zahlloser Erfahrungen zu Hülfe. Trotz- dem aber muss vorläufig auch hier noch der Wahlspruch der Physiologen lauten: Probiren geht über Studiren. § 4. Eintheilung des Stoffes. 8. Man kann sagen, dass sich die Entwicklung der Speciellen Bewegungslehre thatsächlich in der Reihenfolge bewegt hat, die 6 Erster Abschnitt. Einleitunsr &• der eben gegebenen Uebersicht über ihren Inhalt entspricht. Wie alle Physiologie bestand auch sie ursprünglich nur in einer Er- weiterung der anatomischen Beobachtung in Beziehung auf die Function der Bewegungsorgane. Die Betrachtung der Gelenkformen führte zu Angaben über die Bewegungsform, die man durch ober- flächliche Untersuchung der Muskelwirkungen zu ergänzen suchte. Erst in neuester Zeit drang, wohl in Folge der überraschenden Ergebnisse der Augenblicksphotographie, die Anschauung durch, dass nur die Untersuchung am lebenden Körper zuverlässige Beob- achtungen ergeben könnte. Von diesem Gesichtspunkte begann mit Braunes Unterstützung Otto Fischer die Reihe seiner Unter- suchungen, die planmässig darauf ausgehen, die thätigen Kräfte aus der genau festgestellten Form der Bewegung zu ermitteln. Hiernach könnte man annehmen, dass eine Darstellung der Speciellen Physiologie der Bewegungen sich naturgemäss gliedern würde in eine Kinematik, .Statik und Dynamik des Körpers. 9. Demgegenüber sei auf das hingewiesen, was oben (4) über die Schwierigkeiten gesagt ist, die der Anwendung der Mechanik auf das physiologische Gebiet entgegenstehen. Der Stoff, der den Inhalt der Speciellen Bewegungsphysiologie ausmacht, ist von an- deren Gesichtspunkten aus, als von denen einer wissenschaftlichen physiologischen Mechanik zusammengebracht worden, und lässt sich nicht unter den neuen Gesichtspunkten anordnen. Es ist daher im Folgenden eine Eintheilung beibehalten worden, die sich an die hergebrachte anatomische Darstellung anschliesst. Der eigentlichen Behandlung des Gegenstandes geht eine einheitliche Betrachtung der üntersuchungsmethoden voraus, da manche von diesen sonst, ob- schon sie allgemein anwendbar sind, bei der Besprechung bestimmter einzelner Beobachtungen würden angeführt werden müssen. Darauf folgt, dem herkömmlichen Gange der physiologischen Lehrbücher gemäss, die Lehre von der Structur der Knochen. Dann kommt die Gelenklehre, die in einen allgemeinen Theil, der die Theorie und Eintheilung der Gelenkformen behandelt, und einen Speciellen Theil zerfällt, der die einzelnen Gelenke beschreibt. In derselben Weise ist dann die Wirkungsweise der Muskeln als All- gemeine und Specielle Muskelmechanik behandelt. Zweiter Abschnitt. Untersuchungs verfahren. Zweiter Abschnitt. Untersuchunasverfahren. I. Bezeichnung" der Lagen und Beweg'ung'en. § 1. Die Grundebenen und Richtungen. 10. Um die Bewegungen des Körpers oder seiner Theile be- schreiben zu können, bedarf es bestimmter Bezeichnungen für die Lage des Körpers und die Richtung der Bewegungen. Aus diesem Grunde geht man bei der Beschreibung im All- gemeinen stets von ein und derselben Stellung des Körpers aus, die man als Normal- oder Grundstellung bezeichnet. Man denkt sich den Körper grade aufrecht stehend, die Arme herabhängend, die Handflächen nach vorn gekehrt. Dadurch ist die Lage des Körpers im Raum gegeben, nach dessen drei Dimensionen dann jegliche Bewegung bestimmt werden kann. Die drei Dimensionen werden mit Rücksicht auf diese Ausgangsstellung einfach be- zeichnet als die senkrechte oder die von „oben" nach „unten", die sagittale, oder die von „vorn" nach „hinten" und die trans- versale oder die von „rechts" nach „links". Will man Missver- ständnisse ausschliessen, so bedient man sich besser der Ausdrücke „kopfwärts, fusswärts" (die bei Thieren als „oral, aboral" schon eingebürgert sind) und „bauchwärts, rückenwärts" (ventral, dorsal). Durch je zwei dieser Richtungen sind nun Ebenen bestimmt, die man sich durch den Körper gelegt denkt. Von allen solchen Ebenen ist durch den bilateral symmetrischen Bau Eine besonders ausgezeichnet, nämlich die Symmetrie-Ebene selbst. Man nennt sie die Medianebene, ihre Schnittlinie mit der Körperoberfläche die Medianlinie. Die Richtung der Medianlinie wird bestimmt durch die Richtung von oben nach unten und von vorn nach hinten, also durch die verticale und sagittale Richtung. Alle in dieser Richtung, also der Medianebene parallel ge- dachte Ebenen im Körper werden dem Sprachgebrauch nach als Sagittalebenen bezeichnet, obschon man sie ebensogut als Vertical- schnitte bezeichnen könnte. 8 Zweiter Abschnitt. Die verticale und transversale Richtung zusammen bestimmen die Richtung von Ebenen, die man als Frontalebenen bezeichnet. Die transversale und sagittale Richtung zusammen bestimmen die Richtung von Ebenen, die man als Transversalebenen, als Horizontalebenen, oder kurzweg als Querschnitte bezeichnet. Die Lage näher oder ferner von der Medianebene wird durch die Worte „medial" und „lateral'' bezeichnet, im Gegensatz zum Gebrauch von „innen" und „aussen" durch die alten Autoren. „Innen" und „aussen" wird dagegen jetzt nur im Sinne von „tief" und „oberflächlich" angewendet. Der Begriff der Medianebene, von der aus man nach beiden Seiten rechnet, ist nun mitunter vom ganzen Körper auch auf die einzelnen Extremi- täten übertragen worden. Bei gewissen Bewegungen, wie zum Beispiel die Spreizbewegungen der Finger, lässt sich eine derartige Auffassung garnicht vermeiden, weil thatsächlich die beiden gegenüberliegenden Hälften der Hand sich entgegengesetzt bewegen. Daher sind hier die Ausdrücke „innen" und „aussen" doppelt verfänglich, selbst das Wort „seitlich" kann zu Missver- ständnissen Anlass geben. „Lateral" bezeichnet zwar ganz bestimmt die von der Medianfläche des Körpers abgekehrte Seite, aber man muss dann immer erst an die Lage der Extremität zum Körper denken. Daher empfiehlt es sich für die verschiedenen Seiten der Ex- tremitäten besondere eindeutige Worte zu brauchen: Für die Hand radial und ulnar, dorsal und pahnar. Für den Fuss giebt es nur die entsprechenden Bezeichnungen dorsal und plantar. Zur Bezeich- nung der beiden »Seiten hilft man sich mit den Worten „Gross- zehenseite, Kleinzehenseite". Für die Ausdrücke „oben" und „unten", der Verticalrichtung in der Grundstellung entsprechend stehen mit Bezug auf die Extremitäten zweckmässig „proximal" und „distal", d. h. dem Centralpunkte (Herz oder Rückenmark) näher und ferner gelegen. § 2. Benennung der Bewegungen. 11. In ähnlicher Weise sind auch bestimmte Formen der Be- wegung mit Namen vei'sehen. Diese Benennungen lassen sich aber nicht allgemeingültig durchführen, und werden daher bei exacter Betrachtung gewöhnlich vermieden, oder erst durch geeignete Be- griffsbestimmungen eingeschränkt. Der gewöhnliche Sprachgebrauch bezeichnet als Bewegung, Flexion, die Winkelbewegung eines Gliedes um eine transversale Axe, durch die es also aus der ersterwähnten Grundstellung ge- Untersuchungsverfahren. 9 dreht wird, sodass in dem betreffenden Gelenk ein Winkel entsteht. Extension ist dieselbe Bewegung in umgekehrten^ Sinne. Diese Erklärung gilt aber nicht für alle Fälle, denn beispielsweise beim Schultergelenk giebt es keine Bewegung, die ohne weiteres als Beugung bezeichnet werden kann. Man pflegt hier, ohne eigentliche Analogie zu andern Flexions- bewegungen diejenige Bewegung, die zum Ausstrecken der Arme nach vorn oder oben fülrt, Extension, und die aus diese Stellung zurückführende Bewegung Flexion zu nennen. 12. Für die Bewegung von Schulter und Hüfte ist deshalb vorgeschlagen worden, eine ähnlich dem Erdglobus durch Meridiane und Parallelkreise ge- theilte Kugeltläche anzunehmen, deren Mittelpunkt mit dem Mittelpunkte des Gelenks übereinstimmt, und dann die Stellung der Längsaxe des betreffenden Gliedes anzugeben, wie die Lage eines Punktes auf dem Globus nach Längen- und Breitengraden angegeben wird. Die Lage der Pole wäre am zweckmässig- sten für die Schulter vorn medial und hinten lateral, sodass die Axe senkrecht zum Schulterblatt steht, für die Hüfte einfach medial und lateral anzunehmen. Der Null-Meridian wäre für beide Gelenke durch den untersten Punkt der Kugel zu legen. Die Meridiane und Parallelkreise würden nach beiden Seiten gezählt. Wo es sich um wiederholte genaue Angaben oder um Aufnahme von Bewe- gungsumfängen in vergleichende Zahlenübersicht handelt, wäre dies jedenfalls eine zweckmässige Einrichtung (5) (62, 236). 13. Ferner entsteht beim Handgelenk und anderen die Schwierigkeit, dass die Extension auch über die bei dem gewöhn- lichen Sprachgebrauch angenommene Grenze der Bewegung hinaus geführt werden kann, daher man auch wohl von üeberstreckung, Hyperextension, spricht. Dies gilt beim Fuss in noch höherem Grade, da er gewissermaassen dauerd in Hyperextensionsstellung ist, und bei äusserster „Flexion" eben nur eine eigentlich exten- dirte Stellung erlangt. Der Ausdruck „Üeberstreckung" ist für diesen Fall wenig bezeichnend, aber für diejenigen Fälle, in denen der Zustand der üeberstreckung allmählich aus geringeren Graden eigentlicher Streckung hervorgeht, insbesondere auch für pathologische Fälle, nicht zu entbehren. 14. Wie wichtig es ist, für diese verschiedenen Verhältnisse der Beu- gung und Streckung genaue und klare Bezeichnungen anzuwenden, kann man aus den grossen Schwierigkeiten ersehen, die es Herrn Geh.-Rath Dr. Stieda gekostet hat, seine Theorie der Homologie der Extremitätenknochen dem all- gemeinen Verständniss zugänglich zu machen. Die entgegengesetzte Beugung von Knie und Ellenbogen, die viele andere Forscher auf die Vorstellung geführt hat, dass eine Torsion der Gliedmaassen stattgefunden habe, erklärt Stieda 10 Zweiter Abschnitt. viel einfacher dadurch, dass von den Gelenken der beiden ursprünglich gleichen Extremitätenpaare das eine im Sinne der Ueberextension, das andere im Sinne der Flexion weitergebildet worden sei. Ein Beispiel derartig entgegengesetzter Ausbildung der Bewegungsweise bietet das Metacarpophalangealgelenk des Menschen, das aus der Streckstellung nur nach der Palmärseite, und das der Katzen, das aus der Streckstellung nur nach der Dorsalseite abzuweichen ver- mag (6'). 15. Noch viel mehr eingebürgert ist die Bezeichnung der Be- wegungen von (j-liedmaassen aus der Grundstellung heraus um sa- gittale Axen als Abduction und Adduction, je nachdem die Bewe- gung von der Medianebene ab, oder auf sie zu gerichtet ist. Diese Ausdrücke werden von Fingern und Zehen auch mit Bezug auf die Mittelebene des betreffenden Gliedes gebraucht. Auch die Bewegung der Stimmlippen wird von den Laryngologen als Abduction und Adduction bezeichnet: Da die Analogie zu den eigentlichen 7\bductionen und Adductionen gering ist, wäre eine andere Bezeichnung auch hier wünschenswerth. Ganz unverständlich aber ist, dass sogar eine Analogie der Abductoren und Adductoren der Stimmlippen zu den Flexoren und Exten- soren der Gliedmaassen statuirt wird (7). 16. Sowohl für Flexion und Extension, als für Abduction und Adduction ist es besser, bestimmtere Worte einzuführen, indem man ganz allgemein jede Winkelbewegung als Flexion bezeichnet, und durch einen Zusatz die Richtung angiebt. So werden zum Beispiel die vier Richtungen, in denen die Hand bewegt werden kann, am Besten bezeichnet als Radial-, Dorsal-, Ulnar- und Volar- flexion. 17. An diesem Beispiel kann zweckmässig auch gleich der Begriff der Circumduction erläutert werden, die aus einer Combi- nation von Flexionen nach verschiedenen Seiten entsteht. Es werde zum Beispiel von reiner Volarflcxionsstellung ausgehend eine Ra- dialflexion ausgeführt, während deren die Volarflexion allmählich vermindert wird, l)is die reine Radialflexionsstellung erreicht ist. Alsdann beginne eine Dorsalflexion, während deren die Radialflexion vermindert wird, bis die reine Dorsalstellung erreicht ist, dann eine Ulnarflexion, während deren die Dorsalflexion abnimmt, bis die reine Ulnarstellung erreicht ist, endlich folge eine Volarflexion, während deren die Ulnarflexion abnimmt, bis die Anfangsstellung wieder erreicht ist. Dann hat während der Bewegung das Ende des bewegten Gliedes, die Spitze der Hand, einen Kreis um ihre Uatersuchuns'sverfahren. 1 1 'o normale Rnhestelle beschrieben, aber offenbar, ohne dass der Be- wegungsvorgang irgendwie von den gewölinlichen Flexionen ver- schieden wäre. Es sollte deshalb der Ausdruck Circumduction, dem eine gewisse Unklarheit anhaftet, weil ja bei klarer Beschrei- bung nur Flexion herauskommt, ganz fallen gelassen werden. Statt dessen wird das Wort „Circumduction" sogar zur Beschreibung einfacher Flexionen in einer Ebene gebraucht, vorausgesetzt, dass die Ebene zu den obengenannten Hauptwirkungen geneigt ist. Als eine besonders zu bezeichnende Bewegungsform ist hin- gegen die „Opposition" zu erwähnen, die beim Daumen und un- eigentlich auch beim Kleinfinger angenommen wird. Diese Bewe- gung besteht aus der Verbindung von Flexionen mit Drehung um die Längsaxe (231). 18. Die Drehung um die Längsaxe bedarf noch der besonderen Bezeichnung. Man nennt sie „Rotation" oder „Rollung". Diese AVorte braucht man im Gegensatz zu dem geläufigeren Worte „Drehung", weil ja die bisher besprochenen Bewegungen ebenfalls Drehungen sind in dem Sinne, dass eine Winkel bewegung um die Gelenkaxe vorliegt. Die Rotation ist die Drehung des Gliedes um seine eigene Längsaxe, bei der also keine Veränderung der Richtung des Gliedes entsteht. Der Begriff kann freilich deshalb nicht v^öllig scharf gefasst werden, weil die Vorstellung der „Längsaxe" eines Gliedes eine unbestimmte ist. Lidessen lässt sich auch ohne ge- naue Bestimmung mit dieser Bezeichnung wie mit den vorher er- wähnten auskommen. Es sind hier endlich auch die Ausdrücke „Pronation" und „Supination" für die Drehung des Unterarms und der Hand um ihre gemeinsame Ijängsaxe zu erwähnen. Hier ist die Einführung einer besonderen Bezeichnung erforderlich, weil es sich um eine aus Bewegungen in mehreren Gelenken zusammen- gesetzte Bewegung ganz besonderer Art handelt (222, 325 — 326). Unter Pronation versteht man Linksdrehung der rechten Hand, durch die sie aus der Grundstellung mit nach vorn gekehrter Volarfläche in die Stellung mit nach vorn gekehrtem Handrücken gelangt. Supination ist die umgekehrte Bewegung. Diese Wörter werden mit Unrecht auch auf Bewegungen des Fusses und Unterschenkels übertragen. Man darf wohl von Drehung des Unterschenkels oder Fusses in pronatorischem oder supinatorischem Sinne reden, Pronation und Supination des Fusses als bestimmte Bewegungsform existirt aber nicht. 12 Zweiter Abschnitt. § 3. Coordinatenebeiien. 19. Dieser Art, die Stellung und Bewegung des Körpers im Verhältniss zu einer angenommenen Grundstellung zu betrachten, steht als für exacte Bestimmungen geeigneter die entgegen, die Lage der Körpertheile auf drei beliebig im Räume feststehende Ebenen zu beziehen. AVenn es sich durchführen lässt, wird man in der Regel diese drei Ebenen so legen, dass eine der Medianebene des Körpers entspricht, die andere etwa dem Fussboden, auf dem der Körper steht, und die dritte dann irgend einem für die betreffende Be- wegung in Betracht kommenden Punkt, etwa dem Mittelpunkt eines Gelenks. Auf diese Weise haben Braune und Fischer in ihren Arbeiten die Stellungen des Körpers angegeben. Die Lage jedes Punktes wird dann durch die drei Abstände von den drei angenommenen Ebenen bestimmt. Den Abstand von der Bodenebene bezeichnen Braune und Fischer mit z, den von der Medianebene mit}', den von der Frontalebene, die sie durch die Hüftgelenksmittelpunlite legen, mit x. Die Richtung des Abstandes nach oben, nach vorn und nach rechts wird durch positive, die Richtung nach unten, hinten, links durch negative Zahlen gemessen. Die Lage des Fussgelenks bei der „bequemen Haltung" wird zum Beispiel auf folgende Weise angegeben: X = — 5, y =- —4,5, z =^ 6. Das heisst: Der Mittelpunkt des linken Fuss- gelenks befindet sich 5 cm hinter der Frontalebene durch die Hüftgelenkmitten, 4,5 cm links von der Medianebene und 6 cm über dem Fussboden (6). 20. Jede Lageveränderung drückt sich nun durch entsprechende Veränderungen der drei Abstände aus, die mit x, y und z be- zeichnet werden, sodass durch Gleichungeh, die das Grössenver- hältniss von x, y und z angeben, die Bewegungen beschrieben werden können. Wird zum Beispiel die linke Hand in sagittaler Ebene mit gestrecktem Arm nach vorn gehoben, so beschreibt sie einen Kreis (Fig. 1). Dabei hat die Grösse der Vorwärtsbewegung zu der der Aufwärtsbewegung in jedem Augen- blicke ein ganz bestimmtes Verhältniss, und daher wird also die Grösse von x zu der von z in bestimmter, durch eine Gleichung auszudrückender Beziehung stehen. Die Gleichung lautet in diesem Falle x^ -\- (b— z)^ = r-. r ist der Radius des Kreises, also gleich der Länge des Armes, b die Höhe des Mittel- punktes (also des Schultergelenks) über dem Boden. Aus der gegebenen Gleichung kann man nun für jeden Werth von x einen entsprechenden Werth von z finden und umgekehrt, und kann folglich, indem man x eine Reihe von Untersuch ungs verfahren. 13 Figur 1. --X — -x- Bestimmung der Bewegungsbahn durch den Abstand des bewegten Punktes von einem festen Ebenensystem. Die Stellungen der Hand H während der Kreisschwingung werden bestimmt durch deren Abstände von der Frontalebene und vom Boden, x und z. In jeder der Stellungen ist im rechtwinkligen Dreieck HSD r^ = x^ + (h — z)-. Jedem Werthe von x entspricht also ein bestimmter Werth von z. Die Form der durchlaufenen Bahn ist durch die Gleichung bestimmt. verschiedenen Werthen giebt, eine Reihe von Stellungen berechnen, durch die die Bewegungsform als Kreisbewegung erkennbar wird. Somit ist durch die Gleichung die Bewegungsform bestimmt ausgedrückt. In diesem Beispiel war angenommen, dass die Bewegung in einer Sa- gittalebene stattfände, dass also der Abstand des bewegten Gliedes von der Medianebene unverändert bliebe. Dies wird durch die Gleichung y = c aus- gedrückt, das heisst, y ist constant, der Abstand von der Medianebene bleibt unverändert. Es könnte aber beispielsweise auch während der Kreisbewegung des Armes die Schulter so medianwärts bewegt werden, dass aus der Kreislinie, die die Hand zurücklegt, eine Schraubenlinie würde. Dann würde auch y sich ändern und zwar in dem bestimmten Verhältniss zur Grösse b — z, dass sich aus- drücken Hesse durch die Gleichung y = c -f- r cos «, wenn b— z = r sin a. Für diesen Fall hätte man dann für jedes x ein z und ein y zu berechnen, und die Form der ganzen verwickelten Bewegung wäre abermals durch die Formel genau bestimmt. 14 Zweiter Abschnitt. § 4. Bewegte Coordinatenebenen. 21. Für manche Formen der Bewegung ist aber diese Art der Betrachtung, bei der der ganze Vorgang auf ein System von Ebenen bezogen wird, die ihre Lage im Räume unverändert bei- behalten, unübersichtlich. Wenn man nämlich die Bewegungen untersuchen will, die irgend ein Punkt des Körpers ausführt, wäh- rend sich zugleich der ganze Körper im Räume bewegt, so ist mit der Erkenntniss der Bewegung des betreffenden Punktes gegen das feststehende Ebenensystem noch keine unmittelbare Erkenntniss seiner Bewegung gegenüber den anderen Körpertheilen gegeben. In diesem Falle pflegt man daher die Bewegungen auf ein System mit dem Körper mitbewegten Ebenen zu beziehen. Es soll zum Beispiel die Bewegung- der rechten Hand eines gehenden Menschen angegeben werden. Wird die Bewegung auf im Räume stillstehende Ebenen bezogen, so wird man nur aus dem periodischen schnelleren und lang- sameren Zuwachs der Entfernung von der ursprünglichen Stellung entnehmen können, dass die Hand vorwärts und rückwärts pendelt. Um aber beim ersten Blick auf die Zahlen einen deutlichen Eindruck zu geben, muss die Bewegung der Hand mit der des Körpers verglichen werden. Man denkt sich deshalb die Frontale Ebene des Systems mit dem Körper in Bewegung und bezieht die Ortsangaben über die Stellung der Hand auf diese gleichmässig vorrückende Ebene. Dadurch erlangt man den Vortheil, die periodische Vorwärts- und Rückwärtsbewegung der Hand beim Pendeln sogleich als positive und negative Zahlen deutlich ausgedrückt zu sehen. Dasselbe Verfahren wendet man auch an, um periodische Schwankungen in der Bewegungsgeschwindigkeit des gesammten Körpers deutlicher hervortreten zu lassen. Man bezieht dann die Bewegung des Körpers auf ein bewegtes Ebenensystem, das sich aber nicht mit dem Körper selbst bewegt, sondern eine gleich- massige Bewegung von der mittleren Geschwindigkeit des Körpers ausführt. Der ungleichmässig bewegte Körper wird dann dem be- wegten Ebenensystem balrl vorauseilen, bald dahinter zurückbleiben, Um die mittlere Geschwindigkeit festzustellen, muss man freilich vorher die absolute Bewegung gegebenüber einem feststehenden Ebenensystem bestimmt haben. Diese Bestimmung bildet die Grundlage der Untersuchung, während die Einführung bewegter Ebenensysteme nur der anschaulicheren Darstellung dient (9). Diese Betrachtungen bilden den Uebergang zu dem bei der mathemati- schen Behandlung naturwissenschaftlicher Gegenstände allgemein angewen- Untersuch unffs verfahren. 15 'ö deten Verfahren, beliebige Vorgänge unter dem Bilde von Curven darzustellen. So kann die Bewegung eines Punktes nach verschiedenen Richtungen, seine Geschwindigkeit mit ihren Schwankungen, ja sogar die Beschleunigung und Verzögerung der Geschwindigkeit an sich durch den Verlauf einer Curve dar- gestellt werden. Auf die mannichfachen Einzelheiten in der Anwendung dieses Verfahrens kann hier nicht eingegangen werden, sie ergeben sich in jedem Falle aus den besonderen Erläuterungen, die man den dargestellten Curven beizufügen pflegt. II. Untersuchung' der Gelenke. § 1. Untersuchung der Gelenkformen. 22. Die Angaben über die Bewegungsforinen beruhten früher fast ausschliesslich auf der Untersuchung der Gelenkflächenform. Doch ist der Bau der Gelenke nicht in der Weise mechanisch voll- kommen, dass nothwendig einer bestimmten Form auch eine be- stimmte Bewegung entspricht. Im Gegentheil haben eine Reihe von anderen Einflüssen, insbesondere die Anordnung von Bändern und Muskeln auf die Form der Bewegimg maassgebenden Einfluss. Daher hat die Untersuchung der Gelenkform nicht diejenige Be- deutung, die ihr früher beigemessen wurde. 23. Die Untersuchung der Gelenkform kann sich in der Regel nicht über sehr einfache Verfahren erheben. Meist giebt die blosse Anschauung schon hinlängliche Belehrung darüber, welcher Typus vorliegt. Handelt es sich um genauere Feststellung, so macht man Durchschnitte durch die Gelenkflächen in bestimmten Rich- tungen, um die Krümmung der Fläche in dieser bestimmten Rich- tung unmittelbar zur Anschauung zu bringen. Will man das Prä- parat nicht zerstören, so macht man Abgüsse, die man beliebig vervielfältigen kann, und hat es dadurch an der Hand, die Krümmung ein und derselben Fläche in verschiedenen Richtungen an Durch- schnitten studiren zu können. Solche Abgüsse, bei vorsichtiger Handhabung auch brauchbare Schnitte, kann man von kleineren Gelenkflächen leicht und bequem durch Abdrücken der Gelenk- fläche in „Oel-Thon" oder gewöhnlichem Thon herstellen {10). Wenn es sich darum handelt, die Beziehungen zweier sich berührender Gelenkflächen zu untersuchen, also die gegenseitige Lage zweier gekrümmten Flächen und deren Krümmungen kennen zu lernen, so empfiehlt sich die Methode H. von Meyer 's (ü), Gipsbrei in 16 Zweiter Abschnitt. • die Gelenkhöhle zu treiben und so einen Doppelabguss der beiden Flächen zu erhalten. Um den Abguss herauszunehmen, muss freilich das Gelenk eröffnet werden. Indem man von dem ersten Abguss der Gelenkhöhle wiederum einen Abguss nimmt, verschafft man sich aber eine Form, die die ursprüngliche Gestalt des Ge- lenkes wiedergiebt und mittelst deren man nun beliebig viele Gelenk- höhlenausgüsse herstellen kann, um die Flächenkrümmungen nach allen Richtungen an Einzelschnitten zu studiren. Am gefrorenen Hüftgelenke wies König {12) aus der Gestalt der Eisschale, die durch in der Gelenkhöhle gefrorenes Wasser entstanden war, die Abweichungen des Kopfes von der Gestalt der Pfanne nach. 24. In manchen Fällen ist die Form des Gelenks aus der blossen Betrachtung der Gestalt nicht so sicher zu bestimmen, wie mittelst einer anderen Methode, die die Form der Bewegung erkennen lässt. Dies ist die Methode der „Führungslinien" (153, 221). Sie besteht darin, dass man in die eine der Gelenkflächen einen kleinen Stift einsetzt, der mit einer Spitze aus der Fläche vorragt. Bewegt man nun die beiden Flächen aufeinander, so reisst die Spitze in die dagegen gedrückte andere Gelenkfläche eine Linie ein, die die Spur der Bewegung darstellt. An dieser Spurlinie lässt sich zum Beispiel der Schraubencharakter des Ellen- bogengelenks erkennen {13). 25. Hat man auf den angedeuteten Wegen eine mehr oder minder deutliche Vorstellung von der Gestalt der betreffenden Ge- lenkflächen gewonnen, so ist nicht in allen Fällen ohne Weiteres klar, welche Bewegungsform der gefundenen Flächenform entspricht. Diese Frage ist zunächst eine rein geometrische, und fässt sich daher theoretisch entscheiden, unabhängig von der Untersuchung des Gelenkes selbst. Die geometrische Betrachtung führt nun zu absolut sicheren allgemeinen Anschauungen, aber ob diese auf den concreten Fall anwendbar sind, kann wiederum nur die Beobach- tung dieses Falles selbst lehren. Denn wie schon Eingangs (22) angedeutet wurde, hängt dies davon ab, wie weit in dem wirk- lichen Gelenk die bei der geometrischen Betrachtung zu Grunde gelegten Voraussetzungen verwirklicht sind. Untersuchunffsverfahren, 17 'b Man findet zum Beispiel durch blosse Betrachtung der Gelenkflächen, dass die eine die Form einer Vollkugel, die andere die einer Hohlkugel hat. Es ist dann eine rein geometrische Untersuchung, zu bestimmen, welche Bewe- gungen in einem derartigen Gelenke möglich sind. Die wirklichen Bewegungen des Gelenks können aber durch Deformirung der Gelenkflächen, durch die An- ordnung der Bänder und Muskeln von den theoretisch möglichen abweichen (128). Da indessen diese Abweichungen in der Regel die Bewegungsform nur unwesentlich beeinflussen, so wird die geometrische Speculation im Stande sein, die Bewegungsform eines Gelenks im Allgemeinen erkennen 7ai lassen, wenn die Form der Gelenkflächen annähernd bekannt ist. Für die Aufgabe, ans der FLächenform die Bewegungsform zu erkennen, sind namentlich zwei Methoden im Gebrauch. Die eine ist die rein mathematische Speculation, für die eine Reihe von Sätzen aus der Geometrie der Bewegungen die Grundlage bildet. Diese Scätze werden in der Allgemeinen Lehre von den Gelenken näher besprochen werden (128 — 137). Die andere, die namentlich für die verwickeiteren Gelenkmechanismen Anwendung findet, besteht darin, dass man ein Bewegungsmodell construirt, das in möglichst strenger Form die Bedingungen, die man in dem betreffenden Gelenke erkannt hat, zur Anschauung bringt und nun durch Probiren am Modell die der Gelenkform entsprechende Bewegungsform feststellt. Die Anwendung von Bewegungsmodellen ist zur Demonstration, aber auch zur Untersuchung auf dem Gebiete der Speciellen Muskelphysiologie sehr werthvoll. Es sei die Bemerkung gestattet, dass diese Methode auch auf ihr an- scheinend gänzlich unzugängliche Fragen mit Vortheil anzuwenden ist. So wird sie als eine Eigenthümlichkeit der Forschungsweise Faraday's bezeichnet und soll sich in seinen Händen auf dem Gebiete der theoretischen Physik als der mathematischen Behandlung ebenbürtig bewährt haben. Genauere Messungen vermittelst dieser oder anderer Methoden anzustellen lohnt sich deswegen nicht, weil die Flächen theils zu klein, theils überhaupt zu ungleichmässig gestaltet sind, als dass man sichere Schlüsse aus der Gelenkform auf die Bewegungsform ziehen könnte. § 2. Untersuchung der Gelenkbewegungen. 26. Daher legt man in neuerer Zeit auf diese Art der Er- mittelung wenig Werth. Die Form der Gelenkflächen wird nicht R. du B ois-lley moiid, Spee. Muskelphysiologie. o 18 Zweiter Abschnitt, mehr als bestimmend für die Bewegungen erachtet, es gilt viel- mehr, die Bewegungen des Gelenks selbst unmittelbar zu beob- achten. Hierfür bietet das anatomische Präparat und sogar der un- versehrte Cadaver kein zuverlässiges Material, weil die normale Wirkung der Muskeln und Bänder durch das Präpariren gestört wird und auch schon das Absterben der Gewebe in dieser Be- ziehung einen Unterschied macht. Bei hinreichender Sorgfalt in der Auswahl und Behandlung der Präparate ist indessen auch dieses einfache Verfahren brauchbar. 27. H. Virchow hat sich das Verdienst erworben, eine zuver- lässige Methode der Präparation ausgebildet zu haben, die sich für die Untersuchung der Bewegungen von Hand- und Fusswurzel- knochen besonders fruchtbar erwiesen hat {14). Durch Gefrieren werden zunächst alle Theile in einer gegebenen Stellung fixirt. Sodann wird ein hinreichend grosser Theil des Präparates mit scharfem Messer vollkommen von allen Weichtheilen befreit und dieser Theil derart mit Gips umgössen, dass alle Knochen in ihrer natürlichen Lage in der Gipsform fixirt sind. Man kann nun das Präparat aus der Gipsform herausnehmen und maceriren, und wird später mit Hülfe der Gipsform die Knochen in genau der richtigen Stellung gegeneinander zusammenstellen können. Wird diese Art der Präparation an mehreren geeigneten Präparaten, die vorher in bestimmte Stellungen gebracht waren, benutzt, so wird man durch Vergleichung die Form der Bewegung der einzelnen Knochen gegeneinander mit grosser Schärfe und Deutlichkeit erkennen können. Doch auch dieser Methode gegenüber bleibt der Einwand be- stehen, dass die Verhältnisse an der Leiche denen beim Lebenden nicht vollkommen gleich sind. Entscheidend ist schliesslich also nur die unmittelbare Beobachtung am Lebenden. § 3. Untersuchung der Gelenkbewegungen am Lebenden. 28. Hierbei entsteht die Schwierigkeit einerseits den ruhenden Theil des Gelenkes während der Untersuchung sicher zu fixiren, andererseits die Lagen des bewegten Theiles während der Bewegung genau zu bestimmen. Diese Schwierigkeiten lassen sich in manchen Fällen leicht umgehen, indem man die Stellung der Gliedmaassen und die Form der Bewegung passend auswählt. Zum Beispiel die Rotationsbewegungen der Extremitäten kann man sehr deutlich zur Anschauung bringen, indem man das Glied beugen lässt. Um Untersuch 11 ngsvert'ahren. 19 etwa die Rotation des Humeriis im Schultergelenk zu zeigen, beugt man den Unterarm bis zum rechten Winkel. Dann bildet der vorstehende Unterarm einen Zeiger, der bei der Rotation des Humerus einen weiten Kreis beschreibt, und folglich für sehr kleine Rotationen schon deutlich sichtbare Ausschläge giebt. Das ge- beugte Glied dient bei manchen Einrenkungsmethoden ebenso als Hebel, um eine Rotation mit grosser Kraft zu bewirken. 29. In anderen Fällen muss man künstliche Fixirungsmittel, etwa Gipsverbände, zu Hülfe nehmen, mit denen man einen Theil des Körpers feststellt und an dem bewegten Theile ebenfalls feste Punkte herstellt, aus deren Bewegung die Bewegung des ganzen Gliedes zu erkennen ist. Der zu fixirende Körpertheil wird nun zwar durch das Ein- gipsen im Räume unbeweglich festgestellt, damit ist aber noch nicht die Lage der Gelenklläche selbst bestimmt, und folglich für die Untersuchung der Gelenkbewegung noch wenig gewonnen. Die L'Sige der Gelenkfläche kann aber erstens aus der Bestimmung benachbarter Knochenpunkte erschlossen werden , zweitens lässt sich aus der Bewegungsform ein Rückschluss auf die Lage und Form des Gelenkes machen. 30. Im Allgemeinen bestimmt man die Lage des Gelenkmittel- punktes einfach dadurch, dass man beobachtet, welcher Punkt bei Bewegung des Gliedes in Ruhe bleibt. Man fasst die Richtung des Gliedes auf das Gelenk zu in's Auge, bewegt das Glied und fasst nun die veränderte Richtung in's Auge, und schätzt, während man dies Verfahren mehrmals wiederholt, die Lage des Schnitt- punktes der beiden Richtungen ab, der mit dem Drehpunkt identisch ist. Da die Richtung der Knochen sich am unverletzten Körper nicht genau bestimmen lässt, so ist man bei dieser Beobachtung auf Schätzung und Augenmaass angewiesen. In dem Falle, dass es sich um eine einfache Bewegung eines Gliedes in einer Ebene, also eine reine Charnierbewegung, handelt, kann man aber die Bestimmung des Drehpunktes leicht mit grosser Genauigkeit ausführen. Fixirt man den einen Theil und lässt den andern Theil bewegen, so lässt sich die Bewegung, da sie in einer Ebene vor sich geht, als Curve verzeichnen, indem man einfach einen Schreibstift an dem bewegten Theile befestigt und eine Schreibtafel parallel zu der Ebene der Bewegung gegen den Schreibstift hält. Bei einer reinen Charnierbewegung ist diese Curve ein Kreis. Den Mittelpunkt des Kreises auf der Curve zu bestimmen, ist eine Aufgabe der elementaren 2* 20 Zweiter Abschnitt. Geometrie. Die Lage der Axe ist senkrecht zu der Ebene der Bewegung, die Form der Gelenkfl.ächen muss drehrund sein. Etwaige Abweichungen von der drehrunden Form, wie sie das sogenannte Spiralgelenk (174) bietet, würden bei dieser Methode durch eine Abweichung der Curve von der Form des Kreis- bogens, und den Uebergang zur Form der Spirale zu erkennen sein. Mitunter genügt es. dass man die Lage des Drehpunktes für die Bewegung in Einer Ebene feststellt, obschon auch andere Be- wegungen möglich sind. Dies gilt zum Beispiel für das Schulter- gelenk und Hüftgelenk, wo die Lage des Mittelpunktes wegen der dicken Schichten aufgelagerter Weichtheile auf andere Weise, als aus der Bewegungsform, schwer zu ermitteln ist. 31. Eine einfache Methode, die auch bei der praktischen Untersuchung pathologischer Fälle zweckmässig anzuwenden ist und deren Genauigkeit, ob- schon gering, für praktische Zwecke hinreicht, hatHaycraft angegeben {15). An dem bewegten Gliede, zum Beispiel am Oberarm, wird ein Täfelchen befestigt, auf dem ein System von horizontalen, parallelen Strichen gezogen ist. Das Täfelchen wird möglichst so angebracht, dass es den Gelenkmittelpunkt bedeckt. Wird nun über eine feste horizontale Linie, etwa einen gespannten Faden, auf das Täfelchen visirt, und währenddessen der Arm in der Ebene des Täfelchens geschwungen, so werden alle horizontalen Striche auf dem Täfelchen, die über oder unter dem Gelenkmittelpunkte liegen, die feste Hori- zontale Linie an zwei Punkten, rechts und links vom Gelenkmittelpunkt schneiden. Der Abstand der beiden Schnittpunkte wird am Kleinsten sein für die Linie, die am Nächsten am Gelenkmittelpunkt liegt. "Wenn ein Strich genau über den Gelenkmittelpunkt geht, so wird sich dieser um einen einzigen Schnitt- punkt mit der festen Horizontalen drehen, und die Lage dieses Schnittpunkts bezeichnet den Gelenkmittelpunkt. § 4. Anwendung der Röntgenstrahlen. 82. Es muss beim ersten Eindruck, scheinen, als ob die Untersuchung vermittelst Röntgenstrahlen, da sie gewissermaassen den Körper durchsichtig macht, für die Erforschung der Gelenk- bewegungen ein unübertreffliches Hülfsmittel sein werde. That- sächlich gilt dies aber nur für solche Fälle, in denen es sich um verhältnissmässig grobe Bewegungen handelt. So ist namentlich das Verhältniss der Bewegungen von Scapula und Humerus beim Erheben des Arms auf diesem Wege aufgeklärt worden. Sobald es sich aber um feinere Bewegungen handelt, entstehen Schwierig- keiten in der Deutung der Bilder. Diese Schwierigkeiten beruhen hauptsächlich darauf, dass das Röntgenbild, gleichviel, ob es sich um Beobachtung auf dem FluO" Untersuchungsverfahren. 21 rescenzschirm oder um photographische Aufnahme handelt, nur einen Schattenriss der bewegten Knochen von einem Punkte aus darstellt. Dieser Punkt ist die Antikathode der Röntgenröhre, von der die Strahlen ausgehen. Von zwei gleich grossen Körpern muss aber derjenige, der der Lichtquelle näher ist, einen grösseren Schatten werfen, als der, der weiter entfernt ist. Auch von einem und demselben Körper erscheinen daher die Theile, die der Röhre zugekehrt sind, auf dem Bilde grösser, als diejenigen, die von der Röhre abgewendet sind. Kurz, die Abbildung erfolgt gerade in derselben Weise gegenüber den wirklichen Verhältnissen verzerrt, wie es bei perspectivischer Darstellung auf einer Zeichnung ge- schehen müsste. Man pflegt deshalb von einer „Verzerrung", einer „Entstellung" der Röntgenbilder zu sprechen. Das ist aber insofern eine Ueber- treibung, weil die betreffende Form der Abbildung durchaus keine zufällige oder auch nur unbestimmte Abweichungen zulässt, vielmehr den Gegenstand vollständig treu und gesetzmässig darstellt, nur eben in der Weise, wie er sich vom Ausgangspunkte der Strahlen gesehen ausnimmt. Man nennt die Form der Abbildung, bei der die Linien, die die Umrisse des Gegenstandes mit den entsprechenden Punkten der Abbildung verbinden, durch Einen Punkt gehen „Centralprojection". Die Perspective, die Gegen- stände so darstellt, wie sie im Auge des Beschauers, also von Einem Punkte aus, erscheinen, ist eine derartige Projection. Wo es sich um Messungen han- delt, bei Constructionszeichnungen, Bauplänen und dergleichen, ist es da- gegen wesentlich, dass alle gleich grossen Körper (wenigstens in der der Ebene des Papiers parallelen Richtung) auch gleich gross erscheinen. Man. überträgt daher die Umrisse der Körper durch ein System paralleler Linien auf das Pa- pier, man macht eine „Parallelprojection". Bei der Centralprojection können beliebig grosse Körper in beliebiger Grösse abgebildet werden, sie erscheinen dann nur wie in grösserer oder kleinerer Entfernung vom Centralpunkt. Bei der Parallelprojection werden die Körper durch die Parallelen in Naturgrösse übertragen, wenn man nicht einen verkleinerten Maassstab einführt. 33. Aus dem Röntgenbilde kann man also auf die genaue Grösse der abgebildeten Körper oder ihrer Bewegungen nur schliessen, wenn man ihre Entfernung von der Röntgenröhre genau kennt. Hierfür aber hat man an dem Bilde selbst gar keinen An- halt, denn wenn man sich irgend einen Theil des Gegenstandes in der Richtung der Strahlen verschoben denkt, so wird dadurch die Form seines Bildes garnicht verändert, sondern nur die Grösse. 22 Zweiter Abschnitt. Wenn der ganze Gegenstand in der Richtung der Strahlen ver- schoben wird, ändert sich in erster Linie nur die Grösse des Bildes. Aus der Grösse des Bildes eines bekannten Gegenstandes kann man also wiederum dessen Entfernung bestimmen. Auf diesen Verhältnissen beruht eine grosse Zahl verschiedener Ver- fahren, um die Röntgenaufnahmen für genaue Messung verwendbar zu machen {16). Wenn man zum Beispiel über und unter dem aufzunehmenden Körpertheil ein Drahtnetz von gegebener Maschen- weite anbringt, so kann man aus den Verschiebungen, die die Bilder der Drahtnetze gegeneinander zeigen, ermessen, wie gross bei gegebener Dicke der abgebildeten Gegenstände deren perspec- tivische Vergrösserung oder Verkleinerung ausfällt. Ein sicliereres Mittel ist, statt des ganzen von der Röntgen- röhre ausgehenden Strahlenbündels nur einen einzigen dünnen Strahl zu verwenden, indem man die Randstralilcn durch Blcipiatten ab- blendet. Die Röhre wird alsdann in einem Apparate in der Weise beweglich angebracht, dass der Lichtstrahl stets seiner ersten Rich- tung parallel bleibt. Man lässt nun den Strahl alle einzelnen Punkte des Gegenstandes nacheinander durchleuchten, und erhält durch Aufzeichnung eine Parallelprojection. Dies Verfahren eignet sich aber nur für grössere Körpertheile. Eine andere Art, Röntgenaufnahmen zu genaueren Bestimmungen zu ver- wenden, würde darin bestehen, die Durchstrahlung in mehreren Richtungen zugleich vorzunehmen. Es würde dadurch, genau wie bei der weiter unten zu besprechenden photographischen Methode (57), die Möglichkeit gegeben, die Lage der durchstrahlten Gebilde im Räume genau festzustellen. Allein erstens wäre dazu erforderlich, dass man die Lage des Ursprungspunktes der Strahlen sehr genau bestimmen könnte, und zweitens ist "eine recht umständliche geo- metrische Construction und daraus abgeleitete Berechnung nöthig, um aus einer Doppelaufnahme die Ortsbestimmung zu entnehmen. Wegen dieser Schwierigkeiten hat man sich bei der Anwendung der Röntgenstrahlen zur Gelenkuntersuchung, die insbesondere das Handgelenk betroffen hat, darauf beschränkt, einfache Aufnahmen zu machen und aus diesen so viel wie möglich herauszulesen. Dabei bleiben aber die Ergebnisse dem Einwände ausgesetzt, dass sie durch die perspectivische Verzerrung gefälscht seien. Daher sind auch Alle, die sich dieses Verfahrens bedient haben, in dem ürtheil einig, dass es nur bei strenger Kritik und hinreichender Zurückhaltung zu brauchbaren Ergebnissen führe. Untersuch ungs verfahren.' 23 34. H. Virchow fordert daher mit Recht (17), dass man niemals auf Röntgenaufnahmen allein fussen solle, sr-hon deshalb nicht, weil diese allein die Lage der Knochentheile wiedergeben. Das Ergebniss der Röntgenaufnahme wird in der Regel erst richtig erkannt und gewürdigt werden können, M^enn daneben das Prä- parat selbst untersucht wird. Hierzu eignet sich vor Allem die oben (27) erwähnte Gefriermethode. Die Röntgenbilder für sich geben keine zuverlässige Grundlage für die Untersuchung so ver- wickelter Verhältnisse, wie sie zum Beispiel die Handwurzel dar- bietet. Ebenso sind bei der Gefrierraethode für sich folgenschwere Fehler möglich. Dagegen wird man sicher zuverlässige Ergebnisse bekommen, wenn man ein Verfahren durch das andere überwacht, also von dem, was die Röntgenbilder zeigen, nur das anerkennt^ was sich am Gefrierskelet nachweisen lässt, und umgekehrt am Gefrierskelet nur das für richtig hält, was auch an Röntgenbildern von Lebenden gefunden werden kann. in. Geometrische Beding-ung-en für die Bestimmung der Beweg-ung-en. § 1. Geometrische Bestimmung der Bewegung in einer Ebene. 35. Die bisher besprochenen Verfahren eignen sich zum Theil nur für gröbere Untersuchungen, zum Theil sind sie nicht allgemein anwendbar. Braune und Fischer haben sich daher die ^Aufgabe gestellt, ein Verfahren auszuarbeiten, das auf alle Bewegungen an- wendbar und zugleich hinreichend genau ist, auch die feinsten Eigenthümlichkeiten der Bewegung bemerkbar zu machen (18). Hierzu ist zuerst erforderlich, sich über die geometrischen Bedin- gungen Rechenschaft zu geben, die erfüllt sein müssen, um eine Bewegungsform durch Messung bestimmen, und wiederum Lage und Form der Gelenkfläche u. A. m. aus der bestimmten Bewegungs- form ableiten zu können. 36. Diese Bedingungen sind verhältnissmässig einfach, wo es sich um Bewegungen handelt, die in einer Ebene vor sich gehen. So wurde oben (30) angegeben, dass man den Mittelpunkt eines Charniergelenks finden kann, indem man die Bahn eines Punktes, der mit dem bewegten Gliede fest verbunden ist, auf- 24 Zweiter Abschnitt. zeichnet und den Mittelpunkt der bei der Bewegung entstehenden Kreiscurve aufsucht. Hierbei ist aber vorausgesetzt, dass es sich una ein reines Charniergelenk handelt, bei dem man von vornherein weiss, dass man eine Kreiscurve erhält. Auch für alle anderen Bewegungen in Einer Ebene kann man aber auf ähnliche Weise die Form der Bewegung bestimmen. Es ist dazu nur erforderlich die Kenntniss eines der Elementarsätze der Kinematik, der besagt: „Jede Verschiebung eines ebenen Systems in seiner Ebene kann durch Drehung des Systems um einen festen Punkt ausgeführt werden" {19). Unter den Begriff des „ebenen Systems" fasst man sämmt- liche beliebige Figuren, die auf der Ebene möglich sind (also auch Linien) zusammen. Figur 2. / ^ \ '^\ Ueberfühnmg einer Geraden auf einer Ebene in eine beliebige andere Lage durch einfache Drehung um Einen Punkt. AB sei die erste, Aißi die zweite Stellung. Der Schnittpunkt 0 der Mittel- senkrechten von AAi und BB^ ist der Drehpunkt, um den das Dreieck OAB in die Lage OA^ßi gedreht wird, sodass AB auf A^ßi fällt. 37. Für die an dieser Stelle zu betrachtenden Verhältnisse lässt sich nun derselbe Satz so aussprechen: Lehrsatz: Die Bewegung einer Figur oder einer Linie aus einer belie- bigen Lage auf einer Ebene in eine andere beliebige Lage auf derselben Ebene kann stets durch Drehung um einen festen Punkt ausgeführt werden. Der Be- weis folgt daraus, dass die angeführten Constructionen für alle Fälle gelten. üntersuchungsverfahren. 25 Aufgabe: Für zwei gegebene Lagen einer Streclie, AB und A^ßi, das Centrum der Drehung zu finden, durch die die Strecke aus einer Lage in die andere gebracht werden kann. Lösung: Errichte auf den Mitten M und M^ der Verbindungslinien AA^ und BB^ der entsprechenden Endpunkte der beiden gegebenen Strecken Lothe, so ist der Schnittpunkt 0 der Lothe das verlangte Drehungscentrum. Beweis: Das Lolh auf der Mitte der Verbindungslinie zweier Punkte ist der geometrische Ort aller Punkte, die von den beiden Punkten gleichweit entfernt sind. Da nun 0 auf beiden Lothen liegt, so ist OA == OA^ und OB = Oßi, nach Voraussetzung ist aber auch AB = A^B^, folglich Dreieck OAB ^ OA^ßi, folglich muss, wenn OA mit OA^ zur Deckung gebracht wird, auch AB auf A^B^ fallen. OA lässt sich aber durch einfache Drehung auf OA^ bringen. Andere Lösung der Aufgabe, eine Gerade aus einer Lage auf der Ebene in eine beliebige andere Lage durch Drehung um einen Punkt überzuführen (vgl. Text). Die angegebene Construction ist für den Fall unbrauchbar, dass die Verbindungslinien der Endpunkte parallel sind. Dies ist der Fall, wenn die Anfangs- und Endlage der Strecke entsprechende Stücken zweier Radien eines und desselben Kreises darstellt. Die Verbindungslinien der Endpunkte sind dann als entsprechende Tangenten oder Sehnen concentrischer Kreise parallel, die Lothe in ihren Mittelpunkten fallen auf demselben Radius zusammen und es ist kein erkennbarer Schnittpunkt vorhanden. Deshalb ist die etwas um- ständlichere folgende Construction, bei der diese Schwierigkeit nicht eintreten kann, als allgemeinere Lösung der Aufgabe vorzuziehen : Verlängere die eine Strecke, bis sie die andere oder deren Verlängerung im Punkte S schneidet. 26 • Zweiter Abschnitt. Trage von dem S näher gelegenen Endpunkt A^ der einen Strecke ein Stück A^C, gleich der Entfernung des (weiter gelegenen) Endpunktes A der anderen Strecke ab, das also über S hinausreicht. Errichte in der Mitte M des über S hinausreichenden Stückes SC^, und in der Mitte M^ des entsprechenden Stückes der anderen Verlängerungslinie SD Lothe, so ist deren Schnittpunkt der ver- langte Drehpunkt. Der Beweis folgt aus der Congruenz zweier rechtwinkliger Dreiecke. Für den eben erwähnten besonderen Fall vereinigen sich die Verlängerungs- stücken und die .Lothe in Einem Punkt, dem Drehpunkt. 38. Nach diesem Satze ist man im Stande, ohne den Be- wegungsmittelpunkt oder die Form des Gelenkes zu kennen, für den Fall,, dass eine Bewegung in einer Ebene vorliegt, die ganze Bewegung genau zu bestimmen, wenn man die Stellungen, die zwei mit dem bewegten Gliede fest verbundene Punkte nachein- ander einnehmen, beobachtet hat. Denkt man sich nämlich die beiden Punkte miteinander durch eine Linie verbunden, und die Stellungen, die diese Linie nacheinander durchläuft, in die Ebene der Bewegung eingetragen, so kann man zu je zwei beobachteten Stellungen den Drehpunkt bestimmen. Ergeben alle Stellungen von Anfang der Bewegung bis zu Ende den gleichen Drehpunkt, so handelt es sich um eine einfache Winkelbewegung. Ergeben die aufeinanderfolgenden Linienpaare im Laufe der Bewegung ver- schiedene Drehpunkte, so findet offenbar eine Verschiebung des Drehpunktes während der Bewegung statt. Man nennt dann jede einzelne Lage des Drehpunktes für zwei nacheinander liegende Stellungen des Gliedes den instantanen Drehungsmittelpunkt. 39. Man sieht, dass diese geometrische Betrachtung nichts Anderes ist, als die exacte allgemeine Form für das oben .angegebene Verfahren zur Schätzung der Ijage des Gelenkmittelpunktes aus der Richtung des bewegten Gliedes (30). Um aber die Unbestimmtheit der Schätzung auszuschliessen, muss die Richtung des bewegten Gliedes mit Sicherheit bestimmt werden können. Hierzu genügt es, wenn zwei Punkte, die möglichst weit aneinander liegen müssen, deutlich erkennbar sind. Wo geeignete Stellen, etwa Knochen- vorsprünge, von Natur nicht vorhanden sind, muss man künstliche Marken anbringen. Die technische Ausführung ist dieselbe, wie sie auch für die Untersuchung der Bewegung eines Gliedes ausserhalb der Ebene, der Bewegung im freien Räume, angewendet wird, und kann also mit dieser zugleich besprochen werden (48 — 58). 1 UntersHchungsverfahren. 27 § 2. Geometrische Bestimmung der Bewegung im Räume. 40. Dieselbe Methode, wie für die Bewegung in Einer Ebene kann nun auch auf jede beliebige Bewegung im Räume ausgedehnt werden. Hierbei ist davon auszugehen, dass die Lage eines Körpers im Raum bestimmt ist durch die Lage von drei Punkten dieses Körpers, die nicht in eine Grade Linie fallen. Zwei Punkte des Körpers bestimmen nämlich die Stellung einer graden Linie im Raum. Nun kann der Körper, ohne dass diese beiden Punkte ihre Lage im Raum ändern, um diese Grade gedreht werden, kann also noch un- zählige verschiedene Drehungslagen im Raum einnehmen. Ist nun aber noch Ein einziger dritter Punkt des Körpers, ausserhalb der vorher bestimmten Graden, ebenfalls der Lage nach bestimmt, so ist damit die Stellung des Körpers ein- deutig gegeben (140—14.3). Mithin muss auch die Bewegung des Körpers eindeutig be- stimmt sein, wenn die Bewegungen der drei Punkte bekannt sind. 41. Die Aufgabe, eine beliebige Bewegung eines Körpers im Raum kennen zu lernen, Lässt sich also zurückführen auf die, die die Bewegung von dreien seiner Punkte, die nicht auf einer Graden liegen dürfen, kennen zu lernen. Hierzu hilft, wie bei der vorher besprochenen Bewegung einer Strecke auf der Ebene, ein Satz der Kinematik, der besagt, dass ein Körper im Räume aus jeder beliebigen Stellung in jede beliebige andere Stellung gebracht werden kann, durch Drehung um eine im Raum feststehende Grade und Verschiebung parallel zu dieser Graden. Eine solche Bewegung nennt man eine schraubenförmige, weil ja die Bewegung einer Schraube in ihrer Mutter, oder einer Mutter auf der Schraube ebenfalls aus Drehung und gradliniger Ver- schiebung parallel zur Drehaxe besteht. 42. Von dem Inhalte des angeführten Satzes lässt sich vielleicht eine anschaulichere Vorstellung gewinnen, wenn man an eine materielle Ausführung des betreffenden ßewegungsvorganges denkt. Man stelle sich den Körper zu- nächst in der Anfangsstellung etwa in einer Ecke eines Zimmers vor, die End- stellung soll irgendwo mitten im Zimmerraum sein. Der Satz besagt nun, dass sich diese ganz beliebige angenommene Stellungsänderung auf folgende Weise erreichen lässt: Man denke sich das ganze Zimmer mit einer geeigneten Masse, etwa ^Yachs ausgegossen, sodass der Körper darin eingeschlossen ist, und 28 Zweiter Abschnitt. denke sich durch den Wachsklumpen in einer bestimmten Richtung, eine grade Eisenstange gestossen. Dann werde der gesammte Klotz um einen bestimmten "Winkel um die Eisenstange gedreht, und auf der Stange um eine bestimmte Strecke verschoben, und es komme, durch diese zwei Bewegungen, der Körper aus der gegebenen Anfangsstellung in die gegebene Endstellung. 43. Der Beweis lässt sich auf folgende Weise führen: Lehrsatz: Jede Ortsveränderung eines starren räumlichen Systems lässt sich dadurch vermitteln, dass dasselbe gezwungen wird, eine bestimmte Schraubenbewegung um eine gewisse Grade des Raumes als Axe auszu- führen {20). Beweis: Aus dem weiter oben angeführten Lehrsatz über die Verschie- bung einer Figur auf der Ebene lässt sich zunächst ein Satz ableiten, der für den vorliegenden Beweis als Voraussetzung dienen soll : Dieser Satz lautet in allgemeiner Form: Jede Ortsveränderung eines Körpers, von dem ein Punkt 0 fest bleibt, lässt sich durch Drehung desselben um eine feste, durch 0 hin- durchgehende Axe ausführen. Es beschreiben bei der Bewegung eines Körpers um einen festen Punkt alle Punkte des Körpers Bahnen, die je auf einer Kugelfläche liegen. „Mit Rücksicht darauf pflegt man die Drehung eines Körpers um einen festen Punkt auch in der Weise zu behandeln, dass man sie durch Bewegung eines sphäri- schen Systems auf seiner eigenen Kugelfläche ersetzt" {20). Der eben ange- führte Satz lässt sich also auch so ausdrücken, dass man sagt: Eine um ihren Mittelpunkt als festen Punkt drehbare Kugel kann aus jeder beliebigen Stellung in jede beliebige andere Stellung gebracht werden durch einfache Drehung um einen ihrer Durchmesser. Der Beweis für diesen Satz folgt einfach aus dem Lehrsatze über die Verschiebung einer ebenen Figur (36, 37), wenn man die Ebene als Oberfläche einer unendlich grossen Kugel auffasst. Die eine Lage der Ebenen Figur be- zeichnet dann eine Lage der unendlich grossen Kugel, die zweite Lage ebenso die zweite Lage der unendlich grossen Kugel. Nach dem oben angeführten Satze kann nun die Ebene Figur in jede an- dere Lage gebracht werden durch Drehung um einen Punkt der Ebene, den Drehungspunkt. Die Drehung der ebenen Figur um den Drehungspunkt entspricht dann einer Drehung der unendlich grossen Kugel um denjenigen Durchmesser, der durch den Mittelpunkt und den Drehungspunkt bestimmt ist. Es besteht also die Voraussetzung: Eine Kugel kann aus jeder beliebigen Stellung in jede beliebige andere Stellung gebracht werden durch eine einfache Drehung um Einen ihrer Durchmesser. 44. Beweis (Fortsetzung): Denkt man sich nun einen Körper in der beliebig gegebenen Anfangslage in eine Kugel K eingeschlossen, und in der zu erreichenden beliebigen Endlage im Räume ebenfalls auf genau dieselbe Weise in eine ebenso grosse Kugel K^ eingeschlossen, so ist es klar, dass die Kugel K auf folgendem Wege in die Lage und Stellung der Kugel K^ gebracht wer- üntersuchungsverfahrfn. 29 den kann: Es werde die Kugel K erst auf der Verbindungslinie der beiden Mittelpunkte von K und K^ verschoben, bis die Mittelpunkte zusammenfallen. Dann hat die Kugel K dieselbe Lage im Räume, wie die Kugel Kj und es be- darf nun, nach der Voraussetzung, nur noch einer einfachen Drehung von K um einen gewissen Durchmesser, damit K und K^ nach Lage und Stellung zu- sammenfallen. Ist diese Drehung ausgeführt, so muss auch der in K einge- schlossene Körper Lage und Stellung des auf die gleiche Weise in K^ einge- schlossenen Körpers angenommen haben. Somit wäre die Verschiebung des Körpers aus einer beliebigen Anfangsstellung in eine beliebige Endstellung zurückgeführt auf eine gradlinige Verschiebung in der Richtung der Verbin- dungslinie der Kugelmittelpunkte, und eine Drehung um einen gewissen Durch- messer der Kugel. Diese beiden Bewegungen würden zusammen eine Schrau- benbewegung ausmachen, wenn die Richtung der Verschiebung zur Richtung der Drehungsaxe parallel wäre. Da nun über die Lage des Mittelpunktes der Kugel K relativ zu dem Körper, und mithin über die Lage der Verbindungs- linie der Mittelpunkte der beiden Kugeln K und K^ gar keine Veraussetzungen gemacht worden waren, so kann diese Verbindungslinie jede beliebige Lage im Raum haben, und es muss für jeden gegebenen Fall eine Lage geben, in der sie der Axe der ausser der Verschiebung erforderlichen Drehung parallel ist. Damit ist dann die erforderliche Bewegung auf eine einfache Schrauben- bewegung zurückgeführt. 45. Construction: Aehnlich wie für die Bewegung in der Ebene der Drehungspunkt für je zwei beliebige Lagen gefunden wurde, kann dies nun auch für die Bewegung im Raum geschehen. Aufgabe: Für je zwei beliebige Lagen eines Körpers im Raum die Axe und den Steigungsgrad der Schraubenbewegung zu finden, durch die der Körper aus der einen Lage in die zweite übergeht. Lösung: Da die Lage eines Körpers durch die Lage dreier seiner Punkte, die nicht in eine Gerade fallen, bestimmt ist, so kann man sich drei Punkte des Körpers als Eckpunkte eines ebenen Dreiecks vorstellen, und die Lagen des Körpers sind dann durch die Lagen dieses Dreiecks bestimmt. Die Auf- gabe lautet also in vereinfachter Form : Zu zwei Lagen eines Dreiecks im Raum die Axe der Schraubenbewegung zu construiren, durch die eine in die andere übergeht. Hierzu müssen gewisse Eigenthümlichkeiten der Schraubenbewegung be- kannt sein. Diese Bewegung bedingt, dass alle Punkte des bewegten Systems, obschon sie wegen ihres verschiedenen Abstandes von der Schraubenaxe ver- schieden lange Bahnen zurücklegen, parallel zur Axe stets um gleiche Strecken vorrücken, deren Grösse von der Steigung der Schraube abhängt. Das heisst: die Projection der Bahnen aller Punkte auf die Schraubenaxe ist gleich. Aus dieser Eigenschaft der Schraubenbewegung ist zunächst die Richtung der ge- suchten Axe auf folgende Weise zu ermitteln {21): Gegeben sind zwei Lagen eines Dreiecks, mithin auch Richtung und Länge der Abstände ihrer Eck- punkte. Denkt man sich nun von einem beliebigen Punkte 0 des Raumes aus 4rei Strecken nach Richtung und Länge gleich diesen Abständen abgetragen 30 Zweiter Abschnitt. und durch deren Endpunkte eine Ebene gelegt, so ist das Loth vom Punkte 0 auf diese Ebene offenbar die Projection sämmtlicher drei Abstände zugleich. Die Projection der betreffenden Strecken auf jede andere gleichgerichtete Gerade ist aber offenbar gerade ebensogross und mithin auch für jede der drei Strecken gleich. Polglich ist für jede auf der construirten Ebene senkrechte Gerade die Projection der Abstände der Dreiecksecken gleich. Die Abstände der drei Punkte sind aber hinsichtlich der Projection das Maass der Bahnen, die sie bei der Schraubenbewegung durchlaufen. Da nun die Projectionen der Bahnen aller Punkte des bewegten Körpers auf die Schraubenaxe gleich ist, muss auch die Schraubenaxe auf der construirten Ebene senkrecht stehen. Mithin ist ihre Richtung gefunden. 46. Um nun auch ihre Lage zu finden, dient folgende Betrachtung: Wenn das Dreieck aus der einen gegebenen Lage in die andere geschraubt wird, bleibt offenbar, abgesehen von dem Vorrücken längs der Schraubenaxe, seine Lage zur Axe dieselbe. Folglich bildet die Ebene des Dreiecks zur Rich- tung der Schraubenaxe stets den gleichen Winkel. Folglich werden auch Pro- jectionen des Dreiecks auf eine zur Schraubenaxe senkrechte Ebene an jeder Stelle der Schraubenbewegung congruent ausfallen. Wenn man also das Dreieck in der ersten und zweiten gegebenen Lage auf die oben durch Construction gefundene Ebene, die ja senkrecht zur gesuchten Axe steht, projicirt, so stellen die Projectionen zwei verschiedene Lagen eines und desselben Dreiecks auf der Ebene dar. Conslruirt man nun zu diesen beiden Lagen des projicirten Dreiecks den Drehpunkt und errichtet in diesem auf der Ebene eine Senkrechte, so ist diese die gesuchte Schraubenaxe. Denn, weil sie durch den Drehpunkt geht und senkrecht steht, haben alle Punkte der projicirten Dreiecke, der Proji- cirenden und der gegebenen Dreiecke von ihr gleichen Abstand, und die beiden gegebenen Lagen können also durch Drehung um diese Gerade ineinander übergehen. Ausserdem sind aber nach Construction die Projectionen der Punkt- bahnen auf die gefundene Senkrechte gleich, folglich sind gleichzeitig die Punkte gleich weit längs der gefundenen Senkrechten vorgerückt. Mithin ist dies die Drehungsaxe. Der Steigungsgrad findet sein Maass in der Winkel- grösse der Drehung und der Länge der Projection der Punktbahnen auf die Schraubenaxe. 47. Auf Grund der vorstehenden Sätze ist man also im Stande, zu je zwei Lagen eines Körpers im Raum die Axe der Scbraubenbewegung zu construiren, durch die der Körper aus der einen Lage in die andere übergeht. Sind nun die zwei Lagen weit von einander entfernt, so kann natürlich die wirkliche Be- wegung des Körpers zwischen den Augenblicken, in denen er die betreffenden beiden Lagen einnahm, beliebig weit von der hypo- thetischen Schraubenbewegung abgewichen haben. Nimmt man aber während der Bewegung eine möglichst grosse Zahl von Stellungen des Körpers auf, sodass jede von den beiden benach- üntersuchunffsverfahren. 31 'b bartcn mir sehr wenig verschieden ist, so wird es auf etwaige Abweichungen der Bewegungsforra für jede der kleinen Einzel- bewegiingen zwischen zwei benachbarten Lagen nicht ankommen, und man wird von der ganzen Bewegung ein hinlänglich genaues Bild erhalten. Die Schraubenaxen für jede Einzelbewegung werden im Allgemeinen nur wenig von einander , abweichen und werden zusammen das Bild einer fortschreitend bewegten Schraubenaxe darbieten. Auf diese Weise setzt sich aus einer hinlänglich grossen Anzahl von Einzelconstructionen die genaue Bestimmung der ganzen Bewegung zusammen. Aus der genauen Kenntniss der Bewegung heraus kann nun einerseits auf rein geometrischem Wege auf den Charakter der Gelenkbewegungen geschlossen werden; andererseits auf die Rolle, die den Muskeln, einzeln oder in Gruppen betrachtet, bei der Be- wegung zukommt. IV. Ausführung" der geometrischen Bestimmung^. § 1. Bestimmung der Bahn dreier Punkte. 48. Bei der praktischen Anwendung der im Vorstehenden besprochenen Methode auf eine bestimmte Gelenkbewegung ist die erste Arbeit die Bestimmung der Bahnen von drei Punkten des bewegten Körpertheils. Zu diesem Zwecke werden zunächst die Punkte in geeigneter Weise kenntlich zu machen sein , wie schon oben für andere Methode angegeben wurde. Sind von Natur hinlänglich sicher bestimmbare Punkte an dem be- wegten Körpertheil vorhanden, so können diese als Merkzeichen gelten. Sonst müssen mit Hülfe von Gipsverbänden oder anderer zuverlässiger Befestigungs- mittel, künstliche Marken oder Zeiger angebracht werden. Die Stellung der drei Punkte ist so zu wählen, dass sie bei der Ausführung der Bewegung mög- lichst grosse Wege zurücklegen. Wenn dann auch die Bestimmung der Wege etwas ungenau ausfallen sollte, wird der dadurch begangene Fehler im Ver- gleich zu der Gesammtbewegung weniger in's Gewicht fallen. Braune und Fischer verfuhren bei der 2\-nwendung der Methode wie folgt: In einen Gips- verband an dem bewegten Körpertheil waren Holzbrettchen eingesetzt, auf denen lange, oben dünn zulaufende Holzstäbchen befestigt waren. Diese waren zugleich stark und leicht genug, um Verschiebungen durch zufällige Erschütte- rungen auszuschliessen [22). 49. Es gilt nun, eine hinlänglich grosse Anzahl von Stellungen des zu untersuchenden Gliedes während der betreifenden Bewegung 32 Zweiter Abschnitt, dadurch zu bestimmen, dass die Entfernung der drei Punkte von einem beliebig angenommenen System von drei senkrechten Ebenen im Raum gemessen wird. Das einfachste Verfahren würde darin bestehen, die zu jeder Lage jedes Punktes gehörenden drei Entfernungen mit dem Maass- stab zu messen. Die Bedenken, die dieser Methode entgegenstehen, sind leicht zu errathen. Es müsste in jeder einzelnen Lage das Glied so lange still gehalten werden, bis alle drei Entfernungen aller drei Punkte gemessen sind. Dabei wäre eine freie und ungezwungene Bewegung unmöglich, zumal wenn eine grössere Anzahl von Stellungen aufgenommen werden soll, durch die die Zahl der einzelnen Messungen sehr gross wird. 50. Sehr viel praktischer ist es schon, statt des Maassstabes, der jedes Mal erst angelegt werden muss, sich gewissermaassen universeller Maassstäbe zu bedienen, nämlich auf Tafeln auf- getragener Maassnetze, in die die Stellungen einfach eingetragen werden. Hierbei entsteht jedoch die Schwierigkeit, dass man, um die Stellung der Punkte auf dem Maassnetz richtig anzugeben, immer senkrecht, oder wenigstens immer in genau gleicher Rich- tung über den Punkt auf das Netz visiren müsste. Diese Schwierigkeit ist von Braune und Fischer {23) in einer ihrer Arbeiten dadurch überwunden worden, dass sie im Sonnenlicht die Lage der Schattenbilder des Punktes auf dem Maassnetz bestimmten. Bekanntlich bilden die Sonnenstrahlen , da sie aus einer für fast alle praktischen Ver- hältnisse unendlich grossen Entfernung kommen, mit einander so spitze Winkel, dass sie als parallel betrachtet werden dürfen. Der Schatten ergiebt gleichsam die Visirlinie von der Sonne aus, und diese Visirlinie hat wegen der grossen Entfernung der Sonne für die verschiedenen Punkte nicht merklich verschiedene Richtung, Dies gilt selbstverständlich nur für eine so kurze Dauer der ganzen Untersuchung, dass die Bewegung der Sonne am Himmel nicht in Betracht kommt. Dadurch entsteht eine Unbequemlichkeit dieses Verfahrens, dessen Anwendbarkeit ferner dadurch eingeschränkt wird, dass die Sonne nicht zu jeder Zeit und an jedem Orte zur Verfügung steht, und dass sie ausserdem immer nur in Einer bestimmten Richtung scheint. Daher ist diese Methode der Schattenaufnahme auch nur in einem Falle verwendet worden, in dem es genügte, die Projection der Bewegung auf Eine einzige Ebene kennen zu leinen. Man stellt dann zweckmässig das Maassnetz senkrecht zur Richtung der Sonnen- strahlen, und für alle Bewegungen parallel zum Maassnetz giebt dann die Be- wegung des Schattens unmittelbar das richtige Maass an. 51. Man braucht sich aber in vielen Fällen garnicht wirklich paralleler Strahlen, wie die Sonnenstrahlen es sind, zu bedienen, üntersucliungsverfahren. 33 um dennoch auf dieselbe Weise eine zuverlässige Aufzeichnung des Bewegungsvorganges zu erhalten. Es inuss nur die Stelle, von der man visirt, oder wenn man sich des Schattenbildes bedient, die Lichtquelle, so weit entfernt sein, dass die von den bewegten Punkten zurückgelegten Wege und die Entfernung der Punkte von den Maassebenen gegen die Entfernung der Lichtquelle ver- schwindend klein sind. Handelt es sich 7Aim Beispiel um Bewegungsgrössen von etwa 0,25 m, stellt man die Maassnetztafel 0,5 m hinter den bewegten Körpertheil und be- nutzt als Lichtquelle eine Lampe, die in 10 m Entfernung aufgestellt ist, so wird der grösste Fehler, der durch die verschiedene Richtung der Lichtstrahlen entstehen kann, nur etwa 6 mm betragen. Auch dieser Fehler lässt sich ver- hältnissmässig leicht durch Rechnung beseitigen. Wenn man sich in der beschriebenen Weise des Schattenbildes zur Auf- nahme der Bewegung bedient, so ist es klar, dass man auch die fertigen Maassnetze entbehren kann, indem man einfach die Stellungen des Schattens auf weissem Papier anzeichnet, und später von irgend einem bestimmten Punkte aus die Messungen vornimmt. 52. Indessen bleibt auch bei diesen Abarten des Verfahrens der Einwand bestehen, dass die Bewegung unmöglich als eine ungezwungene angesehen werden kann, wenn sie in einer Anzahl Zwischenstellungen unterbrochen werden muss, um die Maasse auf- zuzeichnen. Daher erlangt die ganze Methode erst ihren vollen Werth, wenn man im Stande ist, ohne die Bewegung aufzuhalten oder irgendwie zu beeinflussen, die Bahn der bewegten Punkte zu messen. Hierzu giebt die Photographie ein geeignetes Mittel an die Hand. Man lässt die Bewegung ebenso wie bei der Schatten- aufnahme vor einem oder mehreren Maassnetzen vor sich gehen, und könnte nun zunächst jede einzelne Stellung, statt sie auf der Maasstafel anzuzeichnen, durch photographische Aufnahme fest- halten. Damit wäre noch sehr wenig gewonnen. Die photographische Aufnahme hat aber den Vorzug, dass sie nur einen Augenblick bedarf und daher ohne Unterbrechung der Bewegung ausgeführt werden kann. Statt der umständlichen Aufzeichnungen und Messungen in jeder einzelnen Stellung liefert die Photographie ein Abbild der genannten Bewegung in Gestalt einer Serie von Augen- blicksaufnahmen. Eine solche Serie herzustellen, ist nun freilich technisch keine ganz leichte Sache, besonders wenn es sich um Bewegungen handelt, die innerhalb weniger Sekunden vor sich R. du B 0 is-Key mond, Spco. Muskeliihysiologie. o 34 Zweiter Abschnitt, geben und von denen doch eine ganze Reihe von Zwischenstellungen festgehalten werden sollen. Es sind für dies Problem in seiner Anwendung auf die Aufnahme von laufenden Menschen und Thieren eine Reihe verschiedener Lösungen gefunden worden. 53. Man kann zum Beispiel soviel verschiedene Apparate aufstellen, wie Stellungen aufgenommen werden sollen, und diese während der Bewegung durch eine geeignete Vorrichtung einen nach dem anderen in Thätigkeit setzen. Dabei wird aber die Stelle, von der die Aufnahmen gemacht sind, wegen des Raumes, den eine solche Batterie von Apparaten einnimmt, nothwendig nicht genau dieselbe sein können {24). \¥egen der grossen Zahl der erforderlichen Apparate ist diese Methode sehr kostspielig. 54. Man kann ferner einen einzigen Apparat aufstellen, in den durch geeignete Vorrichtungen für jede Aufnahme eine neue Platte eingeschoben und der Moraentverschluss geöffnet wird. Diese Anordnung würde theoretisch nichts zu wünschen übrig lassen, doch ist sie technisch schwer herzustellen. Dagegen lässt sich, derselbe Erfolg verhältnissmässig einfach dadurch erreichen, dass man nur den Augenblicksverschluss wiederholt spielen lässt und die entstehenden Augenblicksaufnahmen alle auf dieselbe Platte fallen lässt. Dies Verfahren setzt voraus, dass das Bildfeld nicht zu hell sei, damit die Platte auch bei den letzten Aufnahmen noch nicht zu stark belichtet ist. Marey (.^5), der dieses Verfahren zuerst ausgebildet hat, erreichte dies, indem er als Hintergrund für die Bewegung einen mit schwarzem Tuch ausgeschlagenen Hohlraum benutzte. Damit die verschiedenen Aufnahmen des be- wegten Körpers einander nicht überdeckten, Hess Marey die Ver- suchsperson ganz schwarz kleiden und bezeichnete nur diejenigen Punkte, deren Bewegung untersucht werden sollte, durch glänzende Metallknöpfe. 55. Immerhin liegt eine bedeutende technische Schwierigkeit darin, die wiederholte Oeffnung und Schliessung des Apparates mit der nöthigen Genauigkeit auszuführen. Diese Schwierigkeit ist endlich von Braune und Fischer durch einen ebenso einfachen wie sinnreichen Kunstgriff überwunden worden, durch den die photographische Methode überhaupt erst den Grad der Genauigkeit erlangt hat, der für ihre Anwendung auf . feinere Probleme der Bewegungslehre erforderlich ist. Statt nämlich die wiederholte Belichtung der Platte durch einen Augenblicksverschluss am Apparat ausführen zulassen, benutzten Braune und Fischer zur Bezeich- Untersuchuno-sverfahren. 35 'b nung der drei Punkte, deren Bewegung aufgenommen werden sollte, periodisch überspringende elektrische Funken. Zu dem bewegten Körpertheil fülirte eine elektrische Leitung, die an den betreffenden drei Stellen unterbrochen war. Durch die Leitung wurde der Strom eines Inductoriums geführt, dessen Unterbrecher auf eine geeignete Zahl von Oscillationen eingestellt werden konnte. Der ganze Raum wurde verdunkelt und die photographische Kamera blieb dauernd geöffnet, Wcährend die Bewegung vor sich ging. Die periodisch an allen zu bezeichnenden Punkten gleichzeitig über- springenden Funken bildeten sich als feine scharfe Lichtflecken auf der im Uebrigen unbelichteten Platte ab und bezeichneten so eine Anzahl einzelner Stellungen während der Bewegung. Um die Lage, die die Funken im Raum innegehabt hatten, nachträglich genau bestimmen zu können, wurde dann, ohne dass etwas an der Aufstellung des Apparates geändert worden wäre, der Rand eines Maassnetzes, das sich in genau bekannter Lage zum photographischen Apparat befand, ebenfalls auf dieselbe Platte photographirt. Die Linien des Netzes konnten später auf der Platte nach Bedarf ergänzt werden (26). 56. Die Stellung eines jeden Punktes im Raum kann nun aus Einer derartigen Aufnahme allein noch nicht berechnet werden. Denn wenn man sich den bewegten Punkt in irgend einer seiner Stellungen mit seinem Bilde auf der Platte verbunden denkt, so ist es klar, dass der Punkt auf irgend einer Stelle dieser Ver- bindungslinie gelegen sein kann und sich doch stets auf derselben Stelle der Platte abbilden wird. Es ist eben durch Eine Aufnahme nur die Lage derjenigen Strahlen festgestellt, die von den Stellungen der Punkte aus durch die Linse in die Kamera fallen. Um die Lage der Punkte im Räume eindeutig zu bestimmen, bedarf es noch einer zweiten gleichzeitigen Aufnahme von einer anderen Stelle aus. Man stellt daher nicht nur Eine, sondern zwei photographische Kamera's, am besten in rechtem AVinkel zu einander, im ver- dunkelten Räume offen auf, sodass sie während der Bewegung die Bilder der Funken auffassen. Dann wird, wie oben angegeben, die Messtafel erst senkrecht zur Richtung der einen Kamera und in bekannter Entfernung, dann senkrecht zur Richtung der anderen Kamera und in der gleichen Entfernung auf dieselben beiden 3* 36 Zweiter Abschnitt. Treffen zusammen in Ki Treffen zusammen in Ki. Das Liniensystem, auf das die Lage des beobachteten Punktes P bezogen werden soll, ist der Anschauliclikeit halber durch die Kanten dargestellt, in denen zwei auf einem Bodenbrett unter rechtem Winkel zusammengestellte senkrechte Bretter einander berühren. Ebenso ist der beobachtete Punkt als eine kleine Kugel auf einer Stütze veranschaulicht. Der Coordinatenmitteli^unkt 0 ist die Stelle, wo die Kanten der drei Bretter zusammentreffen, die als Z-Axe, X-Axe, Y-Axe bezeichnet sind. Es ist in der X-Axe in der Entfernung L vom Coordinaten- anfangspunkt 0 eine Kamera Kj, in der Y-Axe in der Entfernung A vom Coordinatenanfangspunkt 0 eine Kamera K2 aufgestellt. Die Platte der Kamera K^ entwirft dann ein Bild von dem rechten, die der Kamera lu ein Bild von dem linken Brett. Die Grösse dieses Bildes verhält sich zu der wirklichen Grösse des Brettes wie der Abstand der Platte vom Objectiv der Kamera zu dem Ab- stand des Objectivs vom Brett. Indem man dies Verhältniss in Rechnung zieht, kann man also die Grösse der Strecken auf den Brettern an der Grösse der Strecken auf den Platten messen. Für die Kamera Kj fällt das Bild des Punktes P auf den Punkt A des rechten Brettes. Die Grösse des Abstandes PB des Punktes P von dem rechten Brette sei x, die vom linken y, die vom Boden- brett z. — Aus der Betrachtung des schrägliegenden Dreiecks KjOA und des X AB , AB AC GO ^ ^ , , und — r^- = -^^- = „^ . Dementsprechend Dreiecks AHO folgt •:- = AO ergiebt sich: ^ = (DI-x)A DE DO' ^"^^^ DE DO AO DF DI AH Gl GO HO woraus folgt: x und: Hieraus findet man für x den Werth AH. DLL (AH-y)L AH ■DI.L.A DI ■ —" — " — ■■ DI.AH — L.A. Ein entsprechender Werth ergiebt sich für y. Der Werth für z ist aus den Gleichungen, die GO enthalten, abzuleiten. Um die drei Werthe zu finden, m'uss man also auf der Platte AH, DI und 10 oder HO messen, die gemessenen Werthe in die Formel einsetzen und schliesslich mit dem vorher ei-wähnten Grössenverhältniss multipliciren. Untersucbungsverfahren. 37 Platten photographirt. Durch diese zwei Aufnahmen ist der Gang der Bewegung im Eaume dann vollkommen bestimmt. Eine besondere Sicherheit kann man der Bestimmung dadurch ertheilen, dass man nicht bloss diese beiden, sondern gleichzeitig eine dritte Aufnahme von einer dritten Richtung her vornimmt. Man kann dann die Stellung der Punkte aus je zwei der gemachten Aufnahmen ableiten und hat an der Ueber- einstimmung der Ergebnisse eine Gewähr für die Genauigkeit der Aufnahme (^7). 57. Die Technik der Berechnung im Einzelnen gestaltet sich dadurch ziemlich umständlich, dass, wie oben angegeben, die Lage jedes einzelnen Punktes erst aus zwei Aufnahmen abgeleitet werden kann, und dass die beiden Aufnahmen mit centraler Projection gewonnen sind, die erst in Parallelpro- jection umgerechnet werden muss (32). Die vorstehende Figur veranschaulicht den Zusammenhang dieser Berechnung {28). 58. Auf diese Weise erhält man für die Lage der drei mit dem bewegten Körpertheil verbundenen Punkte für eine beliebige Zahl von einzelnen Stellungen im Laufe der Bewegung die zaiilen- mässige Bestimmung. Hiervon ausgehend, kann man dann auf dem vorher angegebenen Wege die ganze Bewegung als aus einer Reihe einzelner Schraubenbewegungen zusammengesetzt construiren und die Lage der einzelnen Schraubenaxen bestimmen (40 — 47). Mit dieser Behandlungsweise gewinnt man in jedem Falle auch von den complicirteslen Bewegungsformen ein genaues Bild. Im Falle einfacherer Bewegungen wird dagegen die Veränderung der Lage der Schraubenaxen oder das Fortrücken längs der Axe während der Drehung, oder aber die Winkeldrehung selbst sich als minimal oder ganz verschwindend herausstellen, sodass man auf eine einfachere Form der Darstellung der Bewegung zurück- gehen kann. Vielfach wird sich auch die Methode von vornherein unter vereinfachenden Voraussetzungen anwenden lassen. V. Feststellung" der einzelnen thätigen Muskeln und ihrer Leistung". § 1. Frage nach der Betheiligung der Muskeln. 59. Vermittelst der vorbeschriebenen Methoden erhält man zunächst Kenntniss von der Form der Bewegungen und kann somit die Probleme der physiologischen Phoronomie lösen. Die Augen- blicksbilderreihen lassen ferner zugleich die Geschwindigkeit der 38 Zweiter Abschnitt. Bewegung erkennen und erschöpfen daher auch die Anforderungen der Kinematik (3). Die Muskelmechanik stellt nun aber noch weitere Aufgaben, indem sie fragt: Welche Muskeln müssen in Thätigkeit treten, um eine bestimmte Bewegung hervorzubringen? Oder: Welches ist die Bewegung, die die Thätigkeit eines bestimmten Muskels oder einer bestimmten Muskelgruppe hervorbringt? Diese Fragen be- treffen ein und denselben Gegenstand. Es kommt noch die neue Frage dazu: Welche Arbeitsleistung fällt bei gegebener Bewegung jedem einzelnen Muskel zu? § 2. Anatomische Prüfung. Methoden von Duchenne, von Strasser und Gassmann, Marey, Richer, Fick, Mollier, Braune und Fischer {29). 60. Auf die Frage nach der Wirkung der einzelnen Muskeln haben von jeher die Anatomen sehr bestimmte, aber auch meist sehr einseitige Antwort gegeben. Man findet denn auch in vielen Lehrbüchern für jeden Muskel eine kurze Andeutung über seine angebliche Wirkung, Diese Angaben gehen meist über das nicht hinaus, was die einfachste Prüfung am anatomischen Präparat erkennen lässt. Man durchschneidet einen Muskel und zieht an seiner End- sehne; erfolgt eine Bewegung, so gilt diese als die physiologische Wirkung des Muskels. Ob der Muskel sich normaler Weise wirklich an der betreffenden Bewegung betheiligt und ob er nicht andere Nebenwirkungen hat, bleibt unbe- stimmt. Für eine grobe Orientirung reicht dies Verfahren allenfalls aus, besonders wo es sich um einfache Fälle handelt. Ja, es hat dieselbe Methode in noch einfacherer Form sogar für vielumstrittene Fragen gewichtige Entscheidungs- gründe gebracht. Man kann nämlich, statt am Muskel zu ziehen und die Be- wegung zu beobachten, einfach die Bewegung ausführen und dabei beobachten, ob Ursprung und Ansatz des Muskels sich nähern. Freilich fehlt dann, wo er nicht durch Ausschliessung erbracht werden kann, der Beweis, dass die Zu- sammenziehung des Muskels wirklich die Ursache und nicht bloss eine Begleit- erscheinung der Bewegung war. Es sei hier beispielsweise an die Untersuchungen über die Wirkung der Intercostalmuskeln erinnert {30). 61. Ungleich werthvoller ist dies Verfahren, wenn es mit der nöthigen Umsicht und Erfahrung auf den Lebenden selbst an- gewendet wird. Vermag man die Wirkung der einzelnen Muskeln hinlänglich scharf von einander zu sondern, so kann man hier einwandsfreie Ergebnisse erzielen. Insbesondere lässt sich aber die Trennung einzelner Muskeln mit grosser Schärfe durch die Untersuch angsverfahren. 39 ■o Methode der elektrischen Reizung an Lebenden bewerkstelligen. Hauptsächlich durch dies Verfahren (das durch klinische Beob- achtung ergänzt wurde) hat Duchenne das umfangreiche Material zu seinem grundlegenden Werk „Physiologie du mouvement" ge- wonnen, das die einzige gründliche Darstellung der Wirkung der einzelnen Muskeln enthält {29). 62. Ein Verfahren , wobei von der Untersuchung des Muskels selbst gänzlich abgesehen wird, haben Strasser und Gassmann für die Muskulatur des Hüftgelenks ausgearbeitet. Es beruht auf genauer Feststellung der gegen- seitigen Lage von Muskelursprung und Ansatz, durch die die Richtung des Muskelzuges gegeben ist. Diese Verhältnisse werden nun nicht am Präparat selbst, sondern vielmehr an einem von den genannten Forschern ausgeführten Modell, dem sogenannten „Muskelglobus" untersucht. Man denke sich um das Hüftgelenk als Mittelpunkt eine Kugel beschrieben und die Grenzen der Ursprungsflächen sämmtlicher Hüftmuskeln von innen heraus auf die Ober- fläche dieser Kugel projicirt. Man denke sich ferner auf der Oberfläche der Kugel eine zweite auf der ersten frei beweglichen Schicht, auf die in derselben Weise die Grenzen der Ansatzflächen bezeichnet sind. Jeder Bewegung im Hüftgelenk entspricht dann eine Verschiebung der beiden Kugelflächen gegen einander. An der dabei auftretenden Verschiebung der einzelnen Ursprungs- und Ansatzgebiete kann man ablesen, welche einzelnen Muskeln bei der Be- wegung eine Verkürzung ausführen, welche passiv bleiben und welche gedehnt werden. Um die Verschiebungen bequem nach Grösse und Richtung augeben zu können, haben Strasser und Gassmann an ihrem Modell eine Grad- eintheilung angebracht, die der geographischen Eintheilung der Erdkugel ent- spricht und haben diese Art der Bestimmung für die allgemeine Verwendung bei Betrachtung von Kugelgelenken vorgeschlagen (12) (o). 63. Die Methode, so sinnreich sie ersonnen ist, hat dennoch so grosse Mängel, dass sie keine weitere Anwendung gefunden hat. Dies beruht darauf, dass sie an Stelle der thatsächlich vorhandenen anatomischen Bedingungen für die Muskelwirkung die theoretische Annahme zur Voraussetzung hat, dass die Muskeln in völlig gleichmässiger Weise Ursprung und Ansatz zur Deckung zu bringen streben. Den etwa durch besondere Anordnung der Muskelfasern, durch die Gestaltung und Lagerung der Sehnen verursachten Ablenkungen des Muskelzuges wird keine Rechnung getragen. Dies wäre kein sehr wesent- licher Fehler, da bei fast allen Methoden mehr oder weniger vereinfachende Bedingungen angenommen werden müssen, aber der Muskelglobus liefert sein theoretisches Ergebniss in einer Form, die jegliche Schätzung der begangenen Fehler ausschliesst. Die Beobachtungen an dem Modell sind an sich klar und unzweifelhaft, in jedem einzelnen Falle ist es aber unmöglich, zu erkennen, in wie weit das Modell der Wirklichkeit entspricht. Wo es sich um allgemeine Bewegungsgesetze handelt, kann ein Modell ohne Schaden benutzt werden, weil die Genauigkeit, mit der das Modell den Thatsachen entspricht, ein für alle Mal festgestellt werden kann, wo es sich aber um die Untersuchung so. 40 Zweiter Abschnitt. verwickelter quantitativer Verhältnisse handelt, wie die Vertheilung der Muskel- wirkungen auf das Hüftgelenk, da kann die Anwendung des Modelles in zwanzig Fällen geprüft und hinlänglich zuverlässig befanden worden sein, und der einundzwanzigste Fall kann den Thatsachen geradezu entgegenlaufen. 64. Das angegebene Princip, aus der Bewegung der Knochen die Verkürzung der Muskeln abzumessen und daraus auf die Be- thätigung der Muskeln zu schliessen, hat Marey {31) in neuerer Zeit in eigenthüm lieber Weise ausgebildet. Marey lässt von einem Versuchsthiere, dessen Bewegung analysirt werden soll, zunächst während der Bewegung eine Serie von Augenblicksbildern machen. Die Bilder werden nach Bedarf vergrössert. Alsdann wird das Versuchsthier skeletirt, das Skelet photographisch in geeignetem Maasstabe aufgenommen, das Bild ausgeschnitten und in die ver- schiedenen Stellungen der Augenblicksaufnahmen hineingepasst. Auf diese Weise werden die Stellungen des Skelets während der Bewegung, wenigstens so weit sie sich aus der Seitenansicht er- geben, mit hinlänglicher Genauigkeit dargestellt, um daraus die Betheiligung wenigstens einer Anzahl günstig gelegener Muskehi erkennen zu können. Wenn aus der ganzen Reihe von Serien- bildern die Abstände der Endpunkte eines Muskels ausgezeichnet werden, so erhält man unmittelbar eine Curve der Verkürzung, die der betreifende Muskel ausgeführt hat. Auf diese Weise weist die Aufnahme nach, dass sich gewisse Muskeln bei der Bewegung verkürzen und in welcher zeitlichen Reihenfolge dies geschieht. Dies wird aber bloss bei einzelnen, für das Verfahren günstig ge- legenen Muskeln möglich sein. Auf Vollständigkeit der Unter- suchung muss bei diesem Verfahren verzichtet werden. Dasselbe gilt von der von Rieh er ausgebildeten Methode, an sehr guten Bilderreihen von ausgewählten muskulösen Indivi- duen einfach nach der Schattirung und Zeichnung des Bildes die Verdickung der einzelnen Muskelbäuche zu erkennen {32). 65. Andererseits kann die ursprüngliche grobe Methode der anatomischen Untersuchung soweit vervollkommnet werden, dass sie zuverlässigere Ergebnisse gewährt. Dies ist in mehreren Ar- beiten auf dem vorliegenden Gebiet geschehen, indem Ursprünge, Ansätze und Faserrichtung jedes einzelnen in Betracht kommenden Muskels genau untersucht wurden, um auf Grund dieser Kenntniss Untersuch unffsverfahren. 41 'ö die Wirkung des Muskels am Präparat durch künstlichen Zug an Fäden zu ersetzen (55). Im Allgemeinen gilt hierbei der Grundsatz, dass, wenn sämmt- liche Fasern des Muskels gleichmässig wirken und die Fasern im Muskel gleichmässig vertheilt sind, der Zug des Muskels ersetzt werden kann durch den Zug eines Fadens , der zwischen dem Schwerpunkt der Ursprungsfläche und dem Schwerpunkt der Ansatzfläche ausgespannt wird. Bei regelmässiger, zum Beispiel kreisförmiger Gestalt der Ursprungsfläche fällt deren Schwerpunkt mit der Mitte der Fläche zusammen. Es wird im Ä.11- gemeinen nicht erforderlich sein, eine geometrische Construction des Schwer- punktes vorzunehmen, sondern man kann sich begnügen, den Faden schätzungs- weise „in die Mitte" der Fläche zu bringen, doch ist dem Gedankengange nach, genau zu reden, der Schwerpunkt der Fläche der richtige Befestigungs- punkt für den Faden. Ebenso müsste ein einziger Faden, der den Zug des Muskels möglichst getreu nachahmen soll, durch die Schwerpunkte jedes ein- zelnen Muskelquerschnittes verlaufen. In dieser Beziehung wird man sich darauf beschränken müssen, die gröberen Abweichungen von der graden Zug- richtung durch geeignete Führung des Fadens in Oesen oder in Rollen nach- zuahmen. Wenn die Faserrichtungen in verschiedenen Theilen eines Muskels sehr von einander abweichen, wie bei fächerförmigen Muskeln, so müssen für den betreffenden Muskel mehrere Fäden genommen werden. Die Fäden werden zweckmässig so angebracht, dass in Ursprungs- und Ansatzpunkt möglichst in der Richtung des Zuges kleine Oesen mit Schrauben eingelassen werden. Der Faden wird dann etwa in die Ansatzöse eingebunden, durch die Ursprungsöse hindurchgeführt und durch ein kleines Gewicht ge- spannt gehalten. Ist das Präparat so hergerichtet, so kann die .Beobachtung auf zwei Arten angestellt werden. Erstens kann man an den Fäden ziehen, wozu auch die freien Enden der Fäden mit einer Art Claviatur verbunden werden können, und dann die Form und Grösse der entstehenden Bewegung betrachten (34). Bei diesem Verfahren können ziemlich leicht Fehler entstehen, weil einer- seits die Widerstände des Präparats gegen die Bewegung wechselnde und unter Umständen verhältnissmässig hohe sind, sodass sich die Fäden mehr oder weniger strecken , andererseits die Form der Bewegung des Präparates von der normalen Bewegungsweise abweichen kann. Benutzte man zum Bei- spiel ein gewöhnliches Bänderpräparat aus dem Secirsaal, so würde die 42 Zweiter Abschnitt. Schlottrigkeit aller Gelenke die Zuverlässigkeit der Beobachtungen ganz illu- sorisch machen. Dagegen hat diese Art, die Untersuchung anzugreifen, wenn sie mit der nöthigen Achtsamkeit und Vorsicht gehandhabt wird, den grossen Vortheil, dass sie die Frage : welche Bewegung folgt auf Zusammenziehung dieses oder jenes Muskels, direkt beantwortet. Die andere Art, an dem beschriebenen Präparate zu studiren, besteht darin, dass man gegebene Bewegungen an dem Präparat ausführt und die Verkürzung oder Verlängerung der Fäden beob- achtet. Dabei verringert sich die Gefahr der angegebenen Fehler bedeutend, es fehlt aber der unmittelbar beweisende ursächliche Zusammenhang zwischen der dargestellten Muskelthätigkeit und der Bewegung (55). § 3. Anwendung von Modellen. 66. In manchen Fällen ist man gezwungen, ähnliche Methoden anzuwenden, selbst wo es sich nur um die gröbste Beobachtung einer einzigen anscheinend einfachen Muskelwirkung handelt, weil die äusseren mechanischen Bedingungen der Bewegung so ver- • wickelt sind, dass sie sich nicht leicht übersehen lassen. Dabei ist dann in der Regel, wegen solcher äusseren Verwickelung der Bedingungen, auch die Benutzung eines natürlichen Präparates ausgeschlossen. Ein solcher Fall ist unter Anderen die Erhebung des Körpers auf die Zehen, oder vielmehr die Frage nach der Wirkung der Wadenmuskulatur bei dieser Bewegung. Hier kann man die Bedingungen der normalen Bewegung nicht nachahmen, indem man an einem Cadaver Stricke an Stelle der Waden- muskeln einspannt und diese Stricke künstlich anzieht {S6). Es ist aber für die Entscheidung der hier auftretenden Fragen auch nicht nöthig, sich genau an den natürlichen Vorgang zu halten, wenn man nur die wesentlichen Bedingungen des natür- lichen Vorganges in die Yersuchsanordnung aufnimmt. In diesen Fällen genügt aber die Beobachtung eines Modelles, das diejenigen Punkte verwirklicht, auf die es bei der thatsächlichen Bewegung ankommt. Um bei dem gewählten Beispiel zu bleiben, wird ein auf einem Boden- brett durch ein Charnier befestigter, oben belasteter Stab, der von einer Seite durch einen Strick gehalten wird, genügen, um zu zeigen, dass die Waden- muskeln den in den Fussgelenken beweglichen Körper rückwärts über werfen, wenn nicht der Schwerpunkt vorher bis über den Zehenballen hinaus nach vorn verlegt ist und so fort (37). Unlersuchungsverfahren. 43 Bei einer derartigen Anwendung von Modellen, besonders wenn es zu den wesentlichen Bedingungen gehört, dass kein Theil des bewegten Systems fixirt ist (wie das beispielsweise bei der Untersuchung einer Sprungbewegung der Fall sein würde), stehen der technischen Ausführung der Modelle Schwierigkeiten entgegen. Man uiuss sich dann entweder auf eine veränderte, leichter her- stellbare Form des Modells beschränken, oder sich, wo es angeht mit gewissen Kunstgriffen helfen. So ist zum Beispiel in mehreren Modellen, die die Erhebung auf die Zehen darstellen, die Erhaltung des Gleichgewichts, die bei dem wirklichen Vorgang einen nicht unwesentlichen Theil des Problems bildet, durch eine feste, senkrechte Führung gesichert (56^). 67. Unter den Kunstgriffen, durch die man die in Rede stehende Schwierigkeit überwindet, sei zuerst erwähnt, dass, wenn nur Ein Punkt des Modelies in Ruhe bleiben soll, durch geeignete Leitung eines Fadenzuges an jedem Theile des Modelies eine örtlich beschränkte Zugwirkung erreicht werden kann. Ein solches Modell, von dem nur Ein Punkt in Ruhe zu bleiben braucht, kann man sich in einfachster Form vorstellen als eine Reihe beliebig gestalteter, gelenkig aneinander gereihter Theile, von denen der letzte oder erste um den festen Punkt drehbar ist. Soll nun zwischen irgend zweien dieser Theile eine Bewegung hervorgebracht werden, ohne dass die übrigen in Bewegung gesetzt oder deren Bewegung beeinflusst wird, so kann man dies durch einen gewöhn- lichen Fadenzug bewirken. Nur muss der Faden, der zwischen den zu bewe- genden Theilen ausgespannt wird, nicht etwa von da aus gleich angezogen werden, sondern er muss bis zu dem festen Punkt geführt und von dort ange- zogen werden, und die Führung muss so geschehen, dass sie jedes Mal genau durch die Mitte der Gelenke geht. Dann ist auf der ganzen Führungsstrecke die Wirkung des Fadens nur die, dass er die Gelenkpunkte einander zu nähern strebt, und diese Wirkung wird durch die Festigkeit der Glieder aufgehoben. Der Faden wirkt nur an der Stelle, wo er in einer gewissen Entfernung vom Gelenke frei von einem Theile zum anderen zieht {38). Wo auch der einzige feste Punkt fehlt, oder wo die blosse Führung des Fadens die Construction stören würde, hilft man sich, indem man die bewegende Kraft von einer Feder oder einem ge- spannten Gummifaden ausgehen lässt, die von einer äusseren Ein- wirkung unabhängig arbeiten können. Es entsteht dann die Schwierigkeit, die Auslösung der gespannten Kräfte zu bewirken, ohne im geringsten die Mechanik des Modelles zu beeinflusten. 44 Zweiter Abschnitt. Als zweckmässigstes Mittel zu diesem Zweck dient allgemein das Verfahren, das gespannte Modell durch einen Faden festzustellen, der, wenn die Bewe- gung stattfinden soll, mit einer Flamme durchgebrannt wird {39). 68. Im Anschluss hieran sei ein einfaches Verfahren angegeben, sich verwickeitere Bewegungen von Gliedersystemen in Einer Ebene vor Augen zu stellen, auf das zwar wohl Jeder, der sich mit solchen Fragen beschäftigt, von selbst kommen wird, das sich aber für allgemeinste Verwendung empfiehlt. Die beweglichen Glieder sind einfach Papierstreilen, die auf einem wagerechten Reissbrett gleiten. Man steckt sie an den Enden durch Heftzwecken zusammen, die, wenn ein fester Drehpunkt gegeben sein soll, in dem Brette festgesteckt sind, wenn dagegen der Drehpunkt lose sein soll, mit dem Kopfe nach unten gelegt werden, sodass sie die Papierstreifen von unten nach oben durchbohren. Damit die Papierstreifen nicht über die nach oben gekehrte Spitze abgleiten, steckt man auf diese ein Wachskügelchen. Ein solches Modell kann in wenigen Minuten hergestellt sein und mit Hülfe des oben geschilderten Fadenzuges Bewegungen, wie die der Rippen und Rippenknorpel durch die Intercostal- muskeln oder andere Wirkungen mehrgelenkiger Muskeln sehr schön veran- schaulichen. § 4. Graphische Beobachtung der Muskelthätigkeit. 69. Anhangsweise seien ferner Methoden erwähnt, die ver- wendet worden sind, um die Thcätigkeit bestimmter einzelner Muskeln bei bestimmten Bewegungen nachzuweisen. Von diesen Methoden beruhen die, die am lebenden Menschen verwendet werden sollen, auf der Feststellung der Verdickung des Muskels. Man befestigt über dem betreffenden Muskel entweder unmittelbar oder durch Vermittelung eines Fühlhebels eine Marey'sche Luftkapsel, die mit einer Schreibvorrichtung in Verbindung steht und auf diese Weise die Verdickung des Muskels angiebt {40)] oder man ver- wendet statt der Kapsel eine zangenähnliche Vorrichtung, die den Muskelbauch oder den ganzen Körpertheil, an dem der Muskel liegt, umfasst. Die Verdickung des Muskels setzt die Zangenarme in Bewegung und diese Bewegung wird durch Luftschi auch üb er- tragung, durch eine elektrische Verbindung oder auf beliebige andere Weise auf eine Schreibvorrichtung übertragen. Auf dieselbe Weise kann man beim Thierversuch auch vermittelst einer geeigneten Zangen- oder Tasterzirkel-artigen Vorrichtung, die in zwei Stellen mit Spitzen in den Muskel eingestossen wird , unmittelbar die Verkürzung selbst bemerkbar machen {41). Untersuchungsverfahren. 45 'ö § 5. Untersuchung der Vertheilung der Arbeit auf die einzelnen Muskeln, 70. Wenn man erforscht hat, welche Bewegung jeder einzelne Muskel hervorbringt und welche Muskeln an einer gegebenen Be- wegung theilnchmen, so bleibt noch die Frage übrig, mit welcher Kraft jeder Muskel die betreffende Bewegung ausführt, oder wie sich die Arbeit auf die einzelnen Muskeln vertheilt. Für einen einzigen Muskel kann man das Verhältniss des erforderlichen Muskelzuges zu einer gegebenen Arbeitsleistung unmittelbar messen. Wenn es sich zum Beispiel um die Wirkung des ßiceps handelt, würde man so ver- fahren, dass man den Humerus eines Armpräparates fest einspannt, au der Schwanzsehne des Biceps einen Faden befestigt und diesen mittelst Rollen in der Richtung nach dem Ursprung des Biceps zu anspannt. Uebt man nnn durch Anhängen von Gewichten an den Faden und am Unterarm bestimmte Kräfte aus, so ergiebt sich ohne Weiteres das Verhältniss zwischen Kraft des Biceps und Wirkung auf die am Unterarm angebrachte Last. Daraus aber lässt sich kein Schluss ziehen auf die Arbeit, die dem Biceps zufällt, wenn er, wie es im Leben der Fall ist, mit den übrigen Ellenbogen- beugern gemeinschaftlich thätig ist. Um diese Aufgabe zu lösen, muss man ein anderes Verfahren einschlagen. Zuucächst ist klar, dass die Arbeit sich auf die Muskeln nach dem Verhältniss ihrer Stärke vertheilen wird: ein starker Muskel zieht eben stärker, als ein schwacher. Die Stärke eines Muskels hängt, wenn man annimmt, dass die einzelnen Fasern aller Muskeln gleich leistungsfähig sind, von der Faserzahl ab, die durch den sogenannten „physiologischen Querschnitt" (251, 255) des Muskels bestimmt ist. Der physiologische Querschnitt fällt für die 31uskehi, deren Fasern in der Zugrichtung laufen, mit dem anatomischen Querschnitt zusammen. Auf Grund dieser Betrachtungen, die im Abschnitt über Muskelmechanik ausführlicher erörtert werden, kann man also das Verhältniss der Kräfte der einzelnen Muskeln bestimmen. 71. Die Wirkung hängt aber nicht allein von der Kraft des Muskels, sondern auch in sehr wesentlichem Maasse von der Zug- richtung ab, die sich ihrerseits mit der Stellung des Gelenkes ändert. Für jeden einzelnen Muskel ändert sich also, wie im Ab- schnitt über Muskelmechanik ausführlicher erörtert wird, mit der durch seine Thätigkeit erzeugten Bewegung die Grösse seiner Wirkung. Man kann nun für jeden Muskel das Verhältniss der 46 Zweiter Abschnitt. Grössen seiner Wirkung für jede beliebige Stellung bestimmen. Bringt man dann die Kraft der einzelnen Muskeln nach diesem Verhältniss für jede Stellung in Anschlag, so ergiebt sich die richtige Vertheiluhg ihrer Einzel Wirkung auf die gesammte Arbeits- leistung. 72. Die Bestimmung des Verhältnisses, in dem sich die Wirkung des Muskels mit der Stellung ändert, kann durch eine Reihe unmittelbarer Messungen, wie oben für den Biceps beschrieben, erreicht werden. Zweck- mässiger ist es, statt die Grösse des Zuges za messen, von der Grösse der Verkürzung auszugehen {35). Von der oben beschriebenen photographischen Methode von Marey ist schon gesagt (64), dass sie das Bild der Thätigkeit einzelner Muskeln durch eine Reihe von Augenblicksaufnahmen liefert, nach denen man die aufeinander folgenden Verkürzungsstadien ausmessen kann. Ebenso kann man an einem Präparat, an dem, wie oben beschrieben (65), die Muskeln durch Fäden ersetzt sind, die Verkürzungen ausmessen, die der je- weiligen Stellung des Präparates während einer Bewegung entsprechen. Zu diesem Zwecke leitet man am besten die sämmtlichen freien Enden der Fäden an Eine Stelle und lässt sie neben einander über Rollen vor einer senkrechten Tafel herunterhängen. Die Enden werden mit Gewichten beschwert, um die Fäden straff' zu halten. Das Präparat wird dann in eine bestimmte Ausgangs- stellung gebracht, die Länge der Fäden der üebersichtlichkeit wegen gleich gemacht. Führt man nun die Bewegung aus, so ändert sich die Stellung der Gewichte vor der Tafel nach dem Maasse der Verkürzung oder Verlängerung, die der entsprechende Muskel bei der Bewegung durchmachen würde. Auf der Tafel sei ein Maassstab angebracht, so kann man nun bequem für jede Stellung des Präparates die Längenänderung der Muskeln ablesen. Man erhält, indem man die Ablesungen für die Reihe der während der Bewegungen auf ein- ander folgenden Stellungen in gleichem Abstände auf Millimeterpapier zeichnet, die „Verkürzungscurve" jedes einzelnen Muskels während der Bewegung. Aus der „Verkürzungscurve" ergiebt sich nun einfach das Verhältniss der Wirkung des Muskels in jeder Stellung. Jede Arbeitsleistung wird ge- messen als Product von Kraft und Bewegung. Die Kraft des Muskels ist in dem Vorhergehenden besprochen, die Verkürzungscurve lehrt das Verhältniss der Bewegungsgrössen in jedem Abschnitt der Gesammtbewegung kennen. Denn wenn die Längen des Muskels sich stark ändern, ist die Verkürzungs- curve steil, wenn der Muskel gleich lang bleibt, läuft die Verkürzungscurve in gleicher Höhe gerade aus. Die Steilheit der Verkürzungscurve ist also das Maass der Bewegung des Muskelansatzes. Die Steilheit der Verkürzungscurve wird gemessen durch die trigonometrische Tangente des Winkels, den die Gurve mit der Basis der Eintragungen (der Abscisse) macht. So erhält man die Verhältnisszahlen der jeweiligen Wirkung jedes ein- zelnen Muskels. Für die Arbeitsleistung in jeder Stellung ist die Betheiligung der einzelnen Muskeln proportional ihrer Kraft, multiplicirt mit der Tangente der Verkürzungscurve {35). Untersuchungsverfahren. 47 § 6. Die Grösse der zur Bewegung erforderlichen Arbeit. 73. Um nun die Leistung der einzelnen Muskeln bei einer beliebigen Bewegung bestimmen zu können, muss man, da durch die vorhergehenden Untersuchungen nur das Verhältniss ihrer ße- theiligung ermittelt ist, noch die Grösse der geleisteten Arbeit kennen. Die bei einer beliebigen Bewegung geleistete Arbeit ist aber bestimmt durch die Grösse und Geschwindigkeit der Bewe- gung und die Grösse der bewegten Masse. Grösse und Geschwin- digkeit der Bewegung wird durch die oben angegebenen Methoden für jeden Fall zu ermitteln sein. Es bedarf, um die Kräfte zu erkennen, die bei der Bewegung als Ursache oder Wirkung erscheinen, nun noch der Bestimmung der Grösse und räumlichen Vertheilung der bewegten Massen. 7-4. Dies erfordert eine Untersuchung des Gewichts und der Lage des Schwerpunktes sämmtlicher für sich beweglicher Theile des Körpers. Was diese Aufgabe betrifit, so ist zunächst a priori zu bemerken, dass sie nicht mit absoluter Vollkommenheit, sondern nur annäherungsweise gelöst werden kann (4). Denn die einzelnen beweglichen Abschnitte des Körpers sind gegen einander nicht scharf abzugrenzen und vermögen ausserdem während der Bewe- gung sowohl ihre Gestalt, als auch durch Schwankungen der Blut- füllung u. A. m. ihre Masse selbst zu ändern (5). Ebenso wie bei der Untersuchung der Bewegungsform an Stelle der wirklichen complicirten Bewegung eine angenäherte vereinfachte Bewegungs- form gesetzt werden kann, reicht es aber auch für die Unter- suchung der Bewegungskräfte aus, die Massenvertheilung annähernd zu bestimmen. Man vernachlässigt einfach den Fehler, der dadurch entsteht, dsss einzelne Theile der Gliedmaassen bei gestreckter Stellung mehr dem einen, bei gebeugter mehr dem anderen Ab- schnitte angehören, und betrachtet die aus den Gelenken gelösten Körperabschnitte wie starre Maschinentheile, die keinerlei Aenderung während der Bewegung unterworfen wären. 75. Um das Gewicht und die Massenvertheilung aller einzelnen Abschnitte kennen zu lernen, ist der einfachste Weg der ana- tomische {42). Da man aber in der Regel nicht an demselben Lidividuum, an dem man einen Bewegungsvorgang während des Lebens beobachtet, anatomische Untersuchungen vornehmen kann. 48 Zweiter Abschnitt. SO muss man sich darauf beschränken, die erforderlichen Be- stimmungen an Cadavern auszuführen, deren körperliche Beschaffen- heit der des zu untersuchenden lebenden Individuums möglichst gleich ist. Diesen Weg haben Braune und Fischer bei ihrer Untersuchung über die Lage des Schwerpunktes des menschlichen Körpers eingeschhigen. Die für den bestimmten Zweck ihrer Untersuchung ausgeführten Messungen haben zu- gleich einen allgemeinen Werth, weil sie mit einiger Zuverlässigkeit als die Werthe für den normalen Körper überhaupt gelten können. Die Bestimmungen wurden an 4 geeigneten Cadavern ausgeführt und zwar in der Weise, dass der Körper gefroren in 12 Stücke zerlegt wurde: Rumpf, Hals und Kopf, Oberarm, Unterarm und Hand, Oberschenkel, Unterschenkel, Fuss. Diese Stücke wurden einzeln gewogen und alsdann die Lage des Schwerpunktes jedes einzelnen Theiles auf folgende Weise festgestellt: Es wurde durch das betreffende Stück eine lange, gerade Stahlnadel hindurchgestochen und diese an beiden Enden frei drehbar unterstützt. Das aufgespiesste Stück drehte sich nun um die Nadel als Achse natürlich so, dass der Schwerpunkt senkrecht unter der Achse, in deren Ebene zu liegen kam. Diese senkrechte Ebene wurde auf der Oberfläche des Körpertheils durch einen Strich bezeichnet. Indem nun dies Verfahren noch zweimal mit veränderter Richtung der Nadel wiederholt wurde, ergaben sich auf jedem Präparate drei ringsherum laufende Striche, die drei Ebenen bezeichneten, in denen jedesmal der Schwerpunkt gelegen war. Wurde nun der Körpertheil in den drei Ebenen auseinander geschnitten, so mussten die drei Schnitte im Schwerpunkte zusammentreffen. Es stellte sich heraus, dass der Schwerpunkt der einzelnen Gliederabschnitte mit hinreichender Annähe- rung auf der Verbindungslinie der Gelenkmittelpunkte gelegen ist. Die Ent- fernung des Schwerpunlites von den Gelenkmittelpunkten war natürlich an den so behandelten Präparaten unmittelbar leicht zu messen, 76. Im x\nschluss sei nun gleich die Aufgabe besprochen, aus den ermittelten Theilschwerpunkten für jede gegebene Stellung des Körpers den Gesammtschwerpunkt zu finden. Hierfür giebt es zwei Wege {43). Der eine ist der, für je zwei Theilschwer- punkte den geraeinsamen Schwerpunkt zu finden, für je zwei ge- meinsame Schwerpunkte wieder den gemeinsamen Schwerpunkt und so fort. Diese Lösung läuft also darauf hinaus, wiederholt den gemeinsamen Schwerpunkt zweier Massen zu finden. Der gemeinsame Schwerpunkt zweier Massen liegt bekanntlich auf der Verbindungslinie zwischen den Einzelschwerpunkten und theilt diese Linie nach dem umgekehrten Verhältniss der Massen. So zum Beispiel lag der Schwerpunkt des Oberarms (43) 14,5 cm vom Schultergelenkmittelpunkt, 17,2 cm über der Spalte des Ellenbogengelenks in Untersuchungsverfahren. 49 '& der Markhühle des Humerus, der des Unterarms mit Hand 19 cm unter der Spalte des Cubitalgelenks und 10,5 cm über dem Köpfchen des Capitatum innerhalb der Beugemuskeln, 0,5 cm vor dem Ansatz des Ligamentum interosseum am Radius. Der Oberarm wog 2580 g, Unterarm mit Hand 2370 g, der gemeinsame Schwerpunkt würde aiso auf der Verbindungslinie der ge- nannten Punkte liegen, und zwar würde sein Abstand vom Schwerpunkte des Oberarms sich zu dem vom Schwerpunkte des Unterarms verhalten wie 2370 zu 2580. Da der Abstand der beiden Punkte bei gestrecktem Arm 17,2 -|- 19 = 36,2 cm beträgt, und 36,2 : (2370 + 2580) 2370 = 17,3, so würde der gemeinsame Schwerpunkt zufällig fast genau in die Spalte des Ellenbogen- gelenks fallen. Statt dieser Rechnung kann man den gemeinsamen Schwerpunkt zweier Massen auch einfach durch Messung mittelst eines sogenannten Proportional- zirkels finden {44), der die Eigenschaft hat, wenn seinen Spitzen eine be- stimmte Spannweite gegeben wird, durch eine dritte Spitze die betreffende Ent- fernung nach einem gegebenen Verhältniss zu theilen. Für je zwei gegebene Massen muss erst ein entsprechender Zirkel construirt werden. 77. Die zweite, von 0. Fischer angegebene Methode er- fordert zunächst die Auffindung eines bestimmten Punktes, des „Hauptpunktes" für jeden Körpertheil. Der „Hauptpunkt" ist der Schwerpunkt, der dem betreffenden Körperabschnitt zukommt, Avenn man sich die gesammte Masse der übrigen mit dem be- treffenden Abschnitte zusammenhängenden Glieder in dessen End- punkten vereinigt denkt. Die Entfernungen der Hauptpunkte von den Endpunkten jedes Abschnittes heissen „Hauptstrecken". Kennt man die Lage der Hauptpunkte, so braucht man, um die Lage des Gesammtschwerpunktes zu finden, nur, von Einem beliebigen Hauptpunkte ausgehend, die nächstgelegene „Hauptstrecke" jedes einzelnen Abschnittes in beliebiger Reihenfolge nach Richtung und Grösse aneinander zu setzen. Dies ist, sofern die Hauptpunkte einmal bestimmt sind, ein bequemeres Verfahren als das vorher beschriebene (vgl. auch '632) {43). 78. Aus der auf die vorbeschriebene Weise (40 — 58) be- stimmten Form der Bewegung und aus den Werthen für Lage und Grösse der einzelnen bewegten Massen kann man nun die Grösse der für die Bewegung erforderlichen Arbeit berechnen {46). Unter Arbeit ist hier nur Arbeit im physikalischen Sinne zu verstehen, nämlich die Bethätigung von Kraft durch Aenderung der Geschwindigkeit be- wegter Masse. Denn es handelt sich hier eben nur um diejenige Arbeit, die zur Erzeugung der Bewegung verbraucht wird. Physiologische Arbeit, die R. du B o is-Re y m 0 n d, .Spec. Muskelphysiologie. i 50 Zweiter Abschnitt. durch die Grösse des Stoffumsatzes gemessen werden l^anu, leistet auch der ruhende Muskel. Die Bewegung wird in der Regel nicht allein durch die Muskel- kräfte beeinflusst, sondern auch durch äussere Kräfte: durch die Erdanziehung, den Widerstand und die Reibung am Boden und Anderes mehr. Diese Kräfte werden als theils mit der Muskelkraft, theils ihr entgegen wirkend in Anschlag zu bringen sein. Aus diesem Grunde hat Fischer, als er die ausführliche Bearbeitung dieses Gebietes begann, sich zunächst bemüht, für einfachere Fälle die sta- tischen Beziehungen zwischen Muskelwirkung und Erdschwere darzustellen, d. h. diejenigen Bedingungen zu ermitteln, in denen innere und äussere Kräfte unter einfachen Bewegungsbedingungen im Gleichgewicht sind {47). Für manche Fälle, wie zum Beispiel für die Gangbewegung, kann die Schwierigkeit der Rechnung einigermaassen vermindert werden, wenn man von den seitlichen Bewegungen der Körper- theile absieht und nur die Bewegung in Einer Ebene betrachtet. Immerhin bleibt die Aufgabe so verwickelt, dass hier nur die Grundzüge der Behandlung angedeutet werden können. An einem einzigen starren Körper, der sich frei im Raum befindet, können sich beliebige Kräfte nur auf zwei Weisen äussern: Erstens durch Verschiebung des Gesammtschwerpunktes, zweitens durch Drehung des Körpers um seinen Gesammtschwerpunkt. Die Summe aller einwirkenden Kräfte wird also gleich sein derjenigen Kraft, die den Schwerpunkt bewegt und derjenigen, die den Körper dreht. Für eine gegebene Masse m und eine gegebene Geschwindigkeit v ist nun die erstgenannte Kraft K = — - mv-, die zweite ist für eine gegebene Winkelgeschwindigkeit der Drehung w und einen gegebenen Trägheitsradius des Körpers r, D = — mr^w-. Mithin ist die ganze wirkende Kraft K -f- D = i- m (v2 + r%2). Diese einfache Rechnung würde schon genügen, die auf den mensch- lichen Körper wirkenden Kräfte zu bestimmen, wenn dieser etwa nach einem iSprunge mit unveränderter Haltung frei schwebend gedacht wird. Der erhaltene Werth würde noch das gemeinsame Ergebniss von Sprung- kraft und Erdanziehung ausdrücken, sodass man, um die Sprungkraft allein zu bestimmen, die Wirkung der Schwerkraft in jedem Augenblick abziehen müsste. Untersuchungsverfahren. 51 Hat man es statt mit Einem einzigen, mit zwei oder mehr gelenkig verbundenen Körpern zu thun, so gilt folgender von Fischer aufgestellter Satz: Jedes einzelne Glied eines beweglichen Gliedersystems verhält sich den auf es einwirkenden Kräften gegenüber, als sei die Masse aller übrigen mit jedem seiner Gelenkpunkte verbundenen Glieder in diesen Punkten vereinigt {48). Denkt man sich die Massenvereinigung für ein beliebiges Glied ausgeführt, so hat man an Stelle des ursprünglichen Systems einen einzigen Körper, ein „reducirtes System", von gleicher Masse wie das ursprüngliche System. Der Schwerpunkt dieses reducirten Systems ist derjenige Punkt, der oben als „Hauptpunkt" erwähnt worden ist. (77). Diesen Punkt hat Fischer als „Hauptpunkt" bezeichnet, weil er für alle die Mechanik der mehrgliedrigen Systeme betreffenden Fragen besondere Be- deutung hat. Der Hauptpunkt hat für jedes Glied eines gegebenen Systems eine bestimmte unvertänderliche Lage, die sich ein für alle Mal aus der Massenver- theilung im System berechnen lässt. Da die Schwerpunkte der menschlichen Gliedmaassen nahezu auf der Verbindungslinie der Gelenkpunkte liegen, liegen auch die Hauptpunkte auf dieser Linie. Der obige Satz kann nun mit Einführung des Begriffes der Hauptpunkte auch so ausgesprochen werden: Auf jedes beliebige Glied eines mehrgliedrigen Systems wirken beliebige Kräfte so, wie sie auf das reducirte System (des betreffenden Gliedes) wirken würden {49). 79. Fasst man nun eine beliebige Bewegung eines mehr- gliedrigen Systems in's Auge, so kann man die Bewegungen zer- legen in eine Bewegung des Gesammtschwerpunktes und eine Be- wegung der Theile des Systems relativ zum Gesammtschwerpunkt. Die Bewegung des Gesammtschwerpunktes ist unabhängig von der Bewegung der einzelnen Theile des Systems und kann infolgedessen behandelt werden, wie bei der Bewegung eines einzigen starren Körpers. Die Bewegung relativ zum Gesammtschwerpunkt besteht in Verschiebung der einzelnen Glieder gegeneinander ohne Veränderung des Gesammtschwerpunktes. Nun wirken aber, nach dem ange- führten Satz, alle beliebigen Kräfte auf jedes einzelne Glied, als wären in seinen Endpunkten die Massen der übrigen Glieder ver- einigt, das heisst, als wirkten sie auf das reducirte System. Am 4,* 52 Zweiter Abschnitt. reducirten System aber, als an einem einzigen starren Körper, können die Kräfte wiederum nur zweierlei Bewegung hervorbringen : Ortsbewegung des Schwerpunktes, oder Drehung um den Schwer- punkt. Ortsbewegung des Schwerpunktes des reducirten Systems wäre aber gleichbedeutend mit einer Verschiebung der gesammtcn Masse des ursprünglichen Systems. Es können also nach dem Gange der Betrachtung hier nur Kräfte vorkommen, die Bewegung ohne Ortsveränderung des Gesammtschwerpunktes hervorbringen. Folglich kann die Wirkung der Kräfte an jedem einzelnen Gliede ersetzt werden durch eine Drehung des reducirten Systems um seinen Schwerpunkt, das ist um den Hauptpunkt des Gliedes. Besteht das ursprüngliche System, wie angenähert der menschliche Körper, aus 12 Gliederstücken, so ist deren Bewegung relativ zum Gesammt- schwerpunkt zu ersetzen durch entsprechende Drehung der 12 reducirten Systeme (die sich durch Vereinigung aller übrigen Glieder je in den beiden Gelenkpunkten Eines Gliedes ergeben) um den Hauptpunkt jedes Gliedes. Bei jeder solchen Drehung machen die in den Gelenkpunkten vereinigten Massen der entsprechenden Gruppen von Gliedern alle dieselbe Bewegung. Die Gesammtwirkung ist dieselbe, als würden alle Glieder in einer bestimmten Richtung verschoben. Somit ist die gesammte Verschiebung der Körpertheile bei ruhendem Gesammtschwerpunkt darauf zurückgeführt, dass jedes einzelne Glied eine Drehung und zugleich alle übrigen Glieder eine Verschiebung er- leiden. Die Kräfte für diese Einzeldrehungen und Einzelverschiebungen sind wie auf einzelne freie Massen wirkende Kräfte zu berechnen und ergeben die Drehungsmomente, die auf die einzelnen Gelenke des Körpers einwirken. Bedenkt man, dass das angedeutete Verfahren in der Weise rechnerisch durchgeführt werden muss, dass die einzelnen Bewegungen aus derVeränderung der drei Coordinaten jedes Gelenkpunktes für jede verschiedene Phase der Be- wegung erst in Winkelbewegung und Winkelgeschwindigkeit der Gliedmaasson umgewandelt und dann diese zu den Drehungsmomenten der inneren und äusseren Kräfte in Beziehung gesetzt werden, von denen die letzteren zum Theil auch besonders berechnet werden müssen, so ist es klar, dass diese Untersuchungsmethode nur von besonders geschulten Forschern und selbst von diesen nur unter Aufwand unendlicher Mühe gehandhabt werden kann. Dafür aber bildet sie den einzigen Weg zu allgemeiner genauer und zuverlässiger Lösung der Aufgaben der Muskelmechanik und muss, wie Fischer sagt, „überall da Verwendung finden, wo es sich nicht nur um Aufstellung einer H}'pothese für die Thätigkeit der Muskeln bei den im Leben ausgeführten Bewe- gungen des menschlichen Körpers handelt, sondern wo man, auf der Grund- lage eingehender und genauer Messungen der Bewegungszustände der einzelnen Körpertheile und deren Aenderungen für den ganzen Verlauf der Bewegung, Berechnungen der Intensität der Muskelspannungen ausführen will" {50). Untersuchungsverfahren. 53 VI. Untersuchung" des Baues von Knochen und Gelenken. § 1. Untersuchung der Knochenstructur. 80. Obschon das Verfahren bei der Untersuchung der Gewebe im Allgemeinen zu den einfachen anatomischen Verrichtungen zu rechnen ist, sind mit Beziehung auf die mechanische Function einige Besonderheiten ausgebildet worden, die hier angeführt werden mögen. Die Bälkchenstructur der Spongiosa (83) wird an Knochen- schnitten geprüft, die in verschiedener Richtung aus den Knochen herausgeschnitten werden. Die Herstellung solcher Schnitte ist mit gewöhnlichem Werkzeug selbst für den Geübten nur in kleinerem Maassstabe ausführbar. Es ist daher meist erforderlich, die Schnitte in Elfenbeinschneidereien anfertigen zu lassen, wo Maschinensägen vorhanden sind. In neuester Zeit ist auch eine Doppelsäge für Handgebrauch eigens zu dem Zwecke construirt worden, Schnitte von Knochen und Zähnen herzustellen {51). Zuweilen muss der Schnitt, um den zu untersuchenden Stellen des gesammten Bälkchen- aufbau's zu folgen, nicht in einer Ebene, sondern in einer ge- krümmten Fläche geführt werden. Dadurch wird die technische Ausführung natürlich noch erschwert (91). Ferner hat sich herausgestellt, dass ein einzelner dünner Schnitt von der wirklichen Vertheilung der Bälkchen ein weniger zuverlässiges Bild giebt, als die Röntgenaufnahme eines dickeren Schnittes. Denn in der Röntgenaufnahme hat man die Uebersicht über die Gesammtheit einer grösseren Zahl von Bälkchen, die sich zu mehr oder weniger durchhässigen Zügen vereinigen (52). Man zieht es deshalb, besonders für die Demonstration vor, Röntgen- bilder an Stelle der wirklichen Schnitte anzuwenden. Uebrigens reichen gute Röntgenaufnahmen ganzer Knochen, selbst am Le- benden, in vielen Fällen schon hin, um Beobachtungen der feineren Structur anzustellen {53). Die mikroskopische Untersuchung bedient sich selbstverständ- lich des bekannten Verfahrens, eingebettete Knochenschliffe zu be- trachten {54). Ebenso wird die Festigkeit der Knochen nach rein technischen Methoden geprüft (98). 54 Dritter Abschnitt. • § 2. Untersuchung der Gelenkknorpel. 81. Als einer speciell für die Zwecke der Gelenkmechanik erfundenen histologischen Methode ist noch des Verfahrens von Hultkrantz zur Auffindung der Spaltrichtung des Gelenkknorpels zu gedenken {55). „Wenn man eine genau konische (nicht zu spitzwinldige) Ahle in den Knorpel senkrecht auf seine Oberfläche hineindrückt, lässt dieselbe nach dem Herausziehen gewöhnlich eine feine, gerade Spalte (seltener eine sternförmige Figur) zurück. Wenn man in die in solcher Weise gemachten Spalten feine schwarze Oelfarbe reibt, bekommt man an der Gelenkfläche ein System feiner Linien, die einander ziemlich parallel oder stellenweise leicht divergirend laufen". „Dass diese Linien in der Richtung der grössten Zugfestigkeit (oder der kleinsten Druckfestigkeit) liegen müssen, scheint mir schon aus den ersten axiomatischen Begriffen der Festigkeitslehre ziemlich klar hervorzugehen. — Nehmen wir an, dass in einem Körper die Zugfestigkeit zweier auf einander winkelrechten Richtungen verschieden gross ist, so müssen natürlich die Elementartheile des Körpers eben in derjenigen Richtung leichter von einander getrennt werden, in welcher die attrahirenden Molecularkräfte, welche ja die Zugfestigkeit bedingen, kleiner sind, schwerer dagegen da, wo sie grösser sind. Beim Ueherschreiten der Festigkeitsgrenze geschieht die Trennung zuerst da, wo die von der einwirkenden Kraft hervorgerufenen Zugspannungen mit der Richtung der kleinsten Zugfestigkeit zusammenfallen, das heisst in einer Linie, die gegen die Richtung der kleineren Zugfestigkeit winkelrecht, und mit der- jenigen der grösseren parallel ist". Dritter Abschnitt. Vom inneren Bau des Knochengerüstes. § 1. Beziehungen der Structur zur Festigkeit. 82. Ebenso wie der Bau der Gelenke, eigentlich ein Gegen- stand der beschreibenden Anatomie, wegen seiner Beziehungen zu den Gelenkbewegungen in der Speciellen Muskelphysiologie behandelt wird, pflegt auch dem Bau der Knochen, soweit er zur mecha- nischen Leistung in Beziehung steht, hier eine Stelle eingeräumt zu werden. Vom inneren Bau des Knochengerüstes. 55 o^ Es handelt sich dabei nm die Untersuchung der für die mecha- nischen Verhältnisse wichtigsten Eigenschaft der Knochen, ncämlich ihre AViderstandsfcähigkeit gegen cäussere Kräfte, ihre Festigkeit. Die Untersuchung könnte sich von diesem Standpunkte aus allerdings darauf beschränken, festzustellen, dass sich die Gestalt der Knochen bei allen normalen Bewegungen nicht wesentlich ändert. Die Knochen werden daher im Allgemeinen als unendlich fest, als absolut starre Körper zu betrachten sein. 83. Die Festigkeit einer gleichartigen zusammenhängenden Masse beruht auf dem Zusammenhang ihrer kleinsten Theile, auf der Cohäsion der Moleküle. Die Festigkeit eines Körpers, der, wie raeistentheils die Knochen, nicht gleichartig zusammenhängend den Raum erfüllt, beruht aber nicht allein auf der Festigkeit der Masse, sondern auch auf ihrer Anordnung. Wo sich eine grössere Anhäufung der Masse findet, ist die Cohäsion vieler Moleküle, wo die Masse spärlich vertheilt ist, die Cohäsion weniger Moleküle wirksam. Die Masse der Knochen ist nun innerhalb des Raumes, den die äussere Gestalt des Knochens einschliesst, nichts weniger als gleichartig vertheilt. In der Mitte der langen Knochen zum Beispiel befindet sich bekanntlich die Markhöhle, die gar keine Knochenmasse enthält, in den Wänden des Schaftes dagegen eine fast ganz gleichförmige, dichte Knochenmasse; an den Enden hat die Knochenmasse infolge zahlloser kleiner Höhlungen eine An- ordnung, die an den Bau eines Schwamraes erinnert. Dement- sprechend ist auch, ganz allgemein gesprochen, die Festigkeit des Knochens an diesen verschiedenen Stellen eine sehr verschiedene. Man erkennt das schon daran, dass die verschiedenen Theile von Knochen, die der Verwitterung und anderen zerstörenden Einflüssen ausgesetzt sind, ihre Gestalt in ganz verschiedenem Grade behalten. Diese Verschiedenheit könnte freilich auch auf eine örtliche Verschieden- heit der Knochensubstanz zurückzuführen sein. Es könnten die Bälkchen der schwammigen Substanz an sich aus minder festem Stoff gebildet sein, als die Wände des Schaftes. Die Verschiedenheit des Materiales müsste aber schon sehr gross sein, wenn sie gegenüber der Verschiedenheit der Massenvertheilung in Betracht kommen sollte. Also wird man nicht sehr weit fehlgehen, wenn man annimmt, die eigentliche Knochensabstanz sei überall gleich fest und die Unterschiede in der Festigkeit der verschiedenen Theile des Knochens beruhen nur auf der Anordnung der Masse. 84. Sobald man auf die Anordung der Knochenbälkchen zu achten begann, fand sich, dass sie zu der mechanischen Leistung 56 Dritter Abschnitt. des Knochens in Beziehung steht. An denjenigen Stellen, wo die von aussen auf den Knochen wirkenden Kräfte die grösste Wirkung üben, wo also der Knochen, wenn er schwächer wäre, zuerst nach- geben würde, ist die Masse am dichtesten aufgebaut. Um diese Beziehungen in 's Einzelne verfolgen zu können, muss man von der Art, wie die Festigkeit eines Körpers wirkt, eine Anschauung ge- winnen. Die Festigkeit äussert sich darin, dass ein Körper gegen- über äusseren Kräften seine Gestalt behält. Mithin ist die Wirkung der Festigkeit nichts weiter als die Gegenwirkung gegen den gestalt- verändernden Einiluss der äusseren Kräfte. Da die Gegenwirkung der Wirkung gleich ist, so lange der Körper seine Gestalt beibe- hält, ist mit der Kenntniss der einen auch die der anderen ge- geben. Da es sich um Untersuchung eines Gleichgewichtes zwischen inneren und äusseren Kräften (oder, wie man sich für diesen Fall ausdrückt, zwischen Festigkeit und Beanspruchung) handelt, so gehört die Betrachtung in's Gebiet der Statik. Dies Gebiet der Statik unterscheidet sich von dem gewöhnlichen dadurch, dass die in Betracht Itommenden Kräfte nicht Lageveränderungen einzelner beweglicher Körper, sondern kleinste Verschiebungen sämmtlicher kleinster Theilchen einer Masse hervorzubringen streben. DasVerhältniss der Festigkeits- lehre zur übrigen Statik ist demnach zu vergleichen etwa dem Verhältniss der Hydromechanik zur Mechanik fester Körper. 85. Jede Formveränderung eines festen Körpers kann zurück- geführt werden auf Zusammendrücken oder Auseinanderziehen. Da in der Regel das Volumen des Körpers sich nur sehr wenig ändern lässt, so treten meist beide Arten der Formänderung in bestimmter Abhängigkeit von einander ein. Die Grösse und Richtung der Zug- und Druckwirkungen, die sich bei der Formänderung ergeben, lässt sich für jeden Punkt eines gegebenen Körpers bestimmen. Auch ohne dass merkliche Formänderung eintritt, entstehen bei der Beanspruchung durch äussere Kräfte in einem festen Körper Zug- und Druckspannungen. Grösse und Richtung dieser Spannungen lässt sich bestimmen, indem man annimmt, dass jede noch so kleine Kraft unendlich kleine Formänderungen hervorbringt, deren Grösse und Richtung den Ausdruck der vorhandenen Spannung darstellt. An einem Gummimodell können die Zug- und Druckwirkungen unmittelbar anschaulich gemacht und gemessen werden. Es möge sich um den einfachsten Fall handeln, dass die Beanspruchung nur in Einer Ebene geschieht. Man Vom inneren Bau des Knochengerüstes. 57 D"- denke sich eine dicke Gummiplatte von der Gestalt des zu untersuchenden Körpers frei auf einer Tischplatte liegend, die die Ebene der Beanspruchung darstellt. Die Oberfläche des Gummi's sei überall mit kleinen Kreisen bemalt. Die Einwirkung der Beanspruchung werde nun nachgeahmt, indem durch Druck auf den Rand der Gummiplatte in der Richtung der beanspruchenden Krtäfte die Gestalt der Gummiplatte ein klein wenig geändert wird. Dadurch wird der Gummi an manchen Stellen gedehnt, an anderen zusammengedrückt. Dies wird sich an den aufgemalten Kreisen deutlich erkennen lassen. Jeder der Kreise wird in einer Richtung gedehnt, in einer anderen zusammengedrückt werden und wird daher Ellipscnform annehmen. Die Richtung grössten Zuges wird durch die Richtung des grossen Durchmessers, die Richtung grössten Druckes durch die Richtung des kleinen Durchmessers der Ellipse gegeben sein. Auch die relative Grösse des Zuges und Druckes an verschiedenen Stellen wird durch unmittelbare Vergleichung der Gestaltveränderung der Kreise zu ermitteln sein. Kennt man die Festigkeit des Gummi's, so ist mit der Grösse der Gestaltveränderung endlich auch die absolute Grösse der Spannungen gegeben. Dies Verfahren ist nur zur groben Veranschaulichung der Zug- und Druckwirkungen brauchbar. Für genauere Bestimmungen wird man die Be- rechnung nicht entbehren können. Zur Berechnung der in einem beliebigen Punkte eines beanspruchten Körpers auftretenden Spannungen bedient man sich gewisser Formeln, zu deren Ableitung es der Kenntniss einer ganzen Reihe von Grundsätzen bedarf. Diese Grundsätze beruhen zum Theil auf Anschauungen über das Wesen der Druck- wirkung in festen Körpern, die nur durch längere Beschäftigung mit diesem Gegenstande gewonnen werden können. Es wäre daher vergeblich, hier eine fassliche Darstellung des Verfahrens zu versuchen. Es sei vielmehr auf Fach- schriften verwiesen, mit dem Bemerken, dass man auch in diese ohne persön- lichen Unterricht durch besonders ausgebildete Fachmänner nicht leicht ein- dringt. Die Frage, die für den vorliegenden Gegenstand in Betracht kommt, nämlich: welche Form die Spannungen in einem beliebigen Körper bei be- stimmter Beanspruchung annehmen, liegt den Technikern, für die die Lehr- bücher geschrieben werden, fern, da es für sie vielmehr darauf ankommt, die Grösse von Spannungen festzustellen, deren Richtung bekannt ist. Aus dem ganzen Gebiete sei hier nur Ein Satz angegeben, der aus der blossen Anschauung einleuchtet: dass nämlich die Richtung der grössten Zugspannung und die der grössten Druckspannung aufeinander senkrecht stehen. 86. Wenn man nun für irgend eine Stelle eines Knochens, die vorzugsweise der Einwirkung ganz bestimmter Kräfte in be- stimmter Richtung ausgesetzt ist, die Richtung der Zug- und Druck- wirkungen bestimmt, die diese Kräfte in dem Knochen als in einem 58 Dritter Abschnitt. gleichartigen zusammenhängenden Körper hervorbringen würden, und dann die Richtung untersucht, die die Knochenbälkchen der der schwammigen Knochensubstanz an dieser Stelle haben, so tritt unverkennbar hervor, dass die ßälkchen vorzugsweise in den Rich- tungen des Zuges und Druckes verlaufen {56). Dies hat bekannt- lich der Mathematiker Culmann zuerst am Bau des Oberschenkel- kopfes nachgewiesen. Das Linienschema des „oberschenkelähnlichen Krahn's" von Culmann darf als bekannt angenommen werden. Dass dies Schema mit dem Verlauf der Knochenbälkchen übereinstimmt, ist unbestreitbar. Diese Uebereinstiramung beruht aber zum Theil auf der Darstellungsweise. Die Curven des Schema's bezeichnen nur die Richtung der Spannungen, ohne irgend welche Beziehung zu deren Grösse. Die Bälkchenzüge dagegen beruhen auf der Massenvertheilung und stehen daher in engster Beziehung zur Grösse der Spannung, die jeder Punkt des Knochens ertragen kann. Dieser Unterschied darf nicht ausser Acht gelassen werden. Die Richtung der Spannungen kann natürlich für jeden be- liebigen Punkt der Figur angegeben werden, mithin auch für alle diejenigen Punkte, die zwischen den Linien liegen. Also könnten auch in der Mitte des Körpers, mitten in der „Markhöhle", ebensoviele Richtungscurven angegeben werden, wie an irgend einer anderen Stelle, wodurch die Uebereinstimmung des Schema's mit dem Knochenschnitt sehr viel weniger auffällig werden würde. Die Vertheilung der Linien auf dein Schema hängt demnach zum Theil von der willkürlichen Auswahl der zu untersuchenden Punkte ab und nur in sofern zum Theil von der Richtung der Spannungen selbst, als die Linien, die im oberen Theil der Figur annähernd gleichmässig über die Fläche ver- theilt sind, sich im unteren Theile an den Rändern zusammenschliessen. Das Schema zeigt also nur den Verlauf der Spannungsrichtungen für eine Anzahl willkürlich gewählter Punkte, und der Vergleich mit dem Knochen lehrt, dass diese Richtungen mit den Richtungen dor Bälkchenzüge übereinstimmen. 87. So leicht es ist, sich von der Uebereinstimmung zwischen der Rich- tung der Knochenbälkchen und der der Zug- und" Druckcurven zu überzeugen, so schwer ist es, sich von der Bedeutung dieser Uebereinstimmung eine klare Anschaung zu bilden. Am Besten geht man vielleicht von der Bemerkung aus, die weiter oben gemacht wurde, dass sich dies Gebiet der Statik durch die Verschiedenheit des betrachteten Objects, nämlich eines starren Körpers, von den sonst in der Statik behandelten Gegenständen unterscheide (84). Man wird also die Auf- fassung der vorliegenden Verhältnisse dadurch erleichtern, dass man an die Betrachtung beweglicher Constructionen anknüpft. Wirkt auf einen beweg- lichen Körper eine Kraft, so bringt sie eine Bewegung hervor, und wenn diese Bewegung durch eine Befestigung, sei es mittelst Zug oder Druck, verhindert werden soll, so wird die Befestigung praktisch um so wirksamer sein, je näher sie an derjenigen Stelle angebracht ist, wo die Bewegung des Körpers unter dem Einflüsse der angenommenen Kraft am grössten ist. Vom inneren Bau des Knochengerüstes. 59 Man muss auf dem Gebiete der Festigkeitslehre natürlicli absehen von der sonst bei statischen Betrachtungen gewöhnlich angenommenen absoluten Starrheit der Körper. Bei rein theoretischer Betrachtung, bei der man absolute Starrheit vorauszusetzen pflegt, würde es selbstverständlich ganz gleich sein", ob der betrefi'ende Körper an einem oder einem anderen Punkte gestützt wird, sofern die wirkenden Kräfte im Gleichgewicht wären. 88. Man stelle sich ein praktisches Beispiel, etwa einen schiefstehenden Mast vor, auf den die Schwere in dem Sinne wirkt, dass sie ihn vollends umfallen zu machen strebt. Soll dieser Mast durch eine Stütze, die mittelst Druck oder durch ein Seil, das mittelst Zug wirkt, in seiner Lage festgehalten werden, so wird diese Befestigung desto wirksamer sein, je näher der Spitze des Mastes sie angreift, die beim Fallen die grösste Bewegung macht. Bringt man nämlich die Stütze oder das Seil ganz niedrig an, so wird schon ein ganz geringfügiges Nachgeben die Spitze des Mastes um ein sehr bedeutendes Stück sinken lassen. Bringt man aber die Stütze oder das Seil an der Spitze an, so wird der Mast Figur 5. B' ■ ■' E Der Pfeil AB sei durch den schief zu seiner Richtung angreifenden Faden OC festgehalten. Dehnt sich der Faden um die Strecke CE, so kann der Pfeil um das Stück Bßi = CC^ vorrücken, indem OC die Lage OCi erhält. Griffe der Faden in der Richtung der Bewegung AB an, so könnte bei der Dehnung um CE höchstens eine Bewegung gleich CE stattfinden. Die gleiche Betrachtung gilt umgekehrt, wenn man sich den Pfeil rückwärts bewegt und die Linie C^O als eine nachgiebige Stütze denkt. sich nur um soviel bewegen können, um wieviel eben Stütze oder Seil nach- geben. Hat man also nur eine Stütze oder ein Seil von gegebener Festigkeit zur Verfügung, so wird man den Mast um so sicherer in seiner Lage halten, je näher am Punkte der grössten Bewegung man die Befestigung anbringt. Umgekehrt, will man mit einer möglichst dünnen Stütze oder Seil den Mast möglichst sicher befestigen, so muss die Befestigung am Punkte der grössten Bewegung angreifen. 89. In einem Körper, der sich unter der Einwirkung einer äusseren Kraft verbiegt, findet nun eine Bewegung der kleinsten Theilchcn gegeneinander statt, indem sie in bestimmten Richtungen zusammen-, in anderen auseinander- rücken. Dieser Bewegung wirkt der Zusammenhang der Theilchen unterein- 60 Dritter Abschnitt. ander, also die Festigkeit des Körpers, entgegen, indem sie die Gestalt des Körpers unverändert zu erhalten strebt. Wo eine grössere Menge kleinster Theilchen angehäuft ist, wird diese Widerstandskraft eine grössere sein. Trotz- dem wird aber auch hier ein gewisser Grad von Nachgiebigkeit bestehen bleiben. Diese Nachgiebigkeit wird aber um so weniger in's Gewicht fallen, je grösser die Bewegung ist, die durch die Widerstandskraft gehemmt werden soll. Die grösste Bewegung der Theilchen erfolgt aber natürlich in der Richtung des Zuges und Druckes der äusseren Kraft. Greift die Widerstandskraft schief zu der Richtung dieses Zuges oder Druckes an, so wird die geringste Nachgiebig- keit der Bewegung in der Richtung des Zuges oder Druckes verhältnissmässig viel Spielraum lassen, wirkt aber die Widerstandskraft in der Richtung des Zuges oder Druckes selbst diesem entgegen, so kann die erfolgende Bewegung nur ebensogross werden, wie die Nachgiebigkeit des Widerstandes zulässt. Mithin wird die Massenanhäufung dann am besten der Veränderung der Ge- stalt entgegenwirken, wenn sie gerade in der Richtung grössten Zuges und Druckes liegt. 90. In dem Vorhergehenden ist die Einwirkung von Zug und Druck auf die Masse eines festen Körpers hergeleitet worden aus der Betrachtung eines beweglichen Systems von starren Körpern. Die Anhäufung der Theilchen einer festen Masse verhält sich eben ganz wie ein Gerüst aus einzelnen unter ein- ander verbundenen Baustücken. Die Verbreitung von Zug und Druck etwa in dem Netzwerk einer Gitterbrücke ist der Richtung nach dieselbe, wie sie in einer einzigen Trägerplatte sein würde, die an Stelle des Gitters gesetzt würde. Daher kann auch die Anschauung der Zug- und Druckcurven ohne Weiteres auf die Structur der Knochen, die ein derartiges Gitterwerk darstellt, ange- wendet werden, und der Einwand, dass die Beanspruchung nicht nach den betreffenden Curven erfolgen könne, weil keine homogene Substanz vorhanden sei, ist nicht stichhaltig. § 2. Beziehung der Structur der Knochen zur Function {57). . 91. Schon L. Ward erkannte in der inneren Structur des Oberschenkelhalses die Analogie zur Construction eines Hebekrahn's, bei dem ein schräg stehender Tragbalken durch eine nach seinem oberen Ende gespannte Zugstange oder Kette unterstützt wird. H. V. Meyer untersuchte Schnitte des oberen Endes des Ober- schenkelknochens, an denen Culraan dann die vollkommene LTeber- einstimmung der Bälkchenzüge mit den Zug- und Druckcurven zeigte. Erst Julius Wolff erwies aber durch eingehendere Forschung die allgemeine Bedeutung dieser Beobachtung als Grund- princip für Bau und Gestalt der Knochen überhaupt. Vom inneren Bau des Knochengerüstes. 61 o"- Zunächst galt es nachzuweisen, dass die Knochenstructur durch- aus nach der Richtung der Beanspruchung gebildet sei. Dies geht besonders deutlich aus zwei Thatsachen hervor: Erstens sind die Bälkchenzüge, wie es die Theorie verlangt, stets senkrecht auf einander gerichtet. Hier ist zu erwähnen, dass dieser Punkt auf älteren schematisirten Figuren mitunter falsch dargestellt ist. Zweitens findet man im Knochen, der in jeder anderen Schnitt- ebene ein verwickeltes System von Balkenzügen darstellt, in der theoretisch festzustellenden „neutralen Schicht", die eine gleich- massige Beanspruchung erfährt, auch eine vollkommen gleichmässige Structur. Für den Oberschenkelhals verläuft die neutrale Schicht sagittal in einer nach der Krümmung des Halses gebogenen, ein wenig lateral vom Mittelschnitt verlaufenden Fläche. Ein Knochen- schnitt, der diese Schicht aus dem Knochen herauslöst, ist also ein gekrümmtes Blatt, das ganz und gar aus gleichmässigen dorso- ventral und kopffusswärts laufenden Bälkchen besteht. Der schlagendste Beweis liegt aber darin, dass sich die Knochenstructur bei veränderter Beanspruchung im Sinne der An- passung verändert. 92. Obschon diese Vorgänge in's Gebiet der Pathologie gehören, müssen sie hier zur Ergänzung der physiologischen Beobachtung angeführt werden. Jede Veränderung der äusseren Form eines belasteten Körpers bedingt eine Abänderung der Richtungen des maximalen Zuges und Druckes und damit eine veränderte Beanspruchung seiner sämmtlichen Elemente. Wenn also ein Knochen durch irgend welche Einflüsse, etwa durch Bruch und Heilung in winklig dislocirter Stellung, in seiner Form verändert ist, so ist seine ursprüng- liche, der früheren normalen Gestalt angepasste Structur unzweckmässig ge- worden und der Knochen wird den veränderten mechanischen Anforderungen nicht mehr genügen können. Er wird erst dann wieder functionsfähig werden, wenn seine durch die Formänderung statisch werthlos gewordenen Bälkchen geschwunden und dafür neue, für die veränderte Form und statische Bean- spruchung brauchbare Bälkchenzüge entstanden sind. J. Wolff hat nun a priori in seinem „Gesetz der Transformation der Knochen" ausgesprochen, dass es die Wiederherstellung der Function, nicht der ursprünglichen Form, sein müsse, die für die Structur der Knochenneubildungen maassgebend sei. Diese Anschauung steht in geradem Widerspruch zu der älteren Lehre von der Heilung der Knochenbrüche und von der Entwickelung der Knochenformen überhaupt. Denn man nahm früher an, dass, etwa nach einem Kuochenbruch, die im Organismus wirkenden Kräfte bestrebt seien, die ursprüngliche Form möglichst vollkommen wieder herzustellen. Ferner glaubte man, dass das Wachsthum der Knochen wesentlich durch Zug und Druck beeinflusst werde 62 Dritter Abschnitt. in dem Sinne, dass das Gewebe unter Druck schwinden, unter Zug dagegen zunehmen müsse. Die Knochenvorsprünge, Leisten und Gräten an den Ausatz- stellen der Muskeln wurden danach als durch Zug hervorgerufen betrachtet. Nun zeigte Julius Wolff, dass zum Beispiel bei winkliger Heilung eines Röhrenknochens häufig eine vollkommene Abschliessung der Markhöhle bestehen bleibt, obwohl diese doch offenbar ein wesentliches Merkmal der normalen Knochenforra darstellt. Er zeigte ferner, dass ganz allgemein bei normal oder pathologisch gekrümmten Knochen die concave Seite, auf der Druckbean- spruchung besteht, eine Anhäufung, die convexe Seite, die auf Zug beansprucht wird, eine Verminderung des Knochengewebes aufweise. Die richtige Erkennt- niss dieser Verhältnisse ist mit Erfolg für die Methoden der orthopädischen Behandlung verwerthet worden. Die besprochenen Lehren beziehen sich nun nicht etwa bloss auf die innere Structur der Knochen, sondern auf den ganzen Knochen überhaupt, also auch auf seine äussere Gestalt. Die äussere Form eines Knochens ist in diesem Sinne nur als die Begrenzung des functionellen Aufbau's anzusehen. Es ist also auch die äussere Gestalt des Knochen's aus ihrer functionellen Bedeutung zu erkläien. 93. In diesem Punkte steht der Wolff 'sehen Lehre vom Knochenbau wiederum eine ältere Auffassung entgegen, die auf L. Fick zurückgeht, dass nämlich die Entwickelung der Knochenformen durch die Entwickelung der benachbarten Weichtheile bedingt sei. Diese Anschauung wird mit dem höchst unglücklichen Ausdruck der „Prägungstheorie" bezeichnet. Wenn es schon aller Anschauung widerspricht, dass die härtere Knochenmasse von der weicheren Umgebung gleichsam geprägt werden könne, so setzt das Wort Prägung überdies noch voraus, dass vor der Formgebung eine grössere unge- formte Masse vorhanden gewesen sei. Dies tritft natürlich für die Knochen nicht zu. Dagegen ist die ,,Prägungstheorie" (0(9), soweit sie nur eine gegen- seitige Beeinflussung benachbarter Theile im Laufe ihrer Entwickelung be- hauptet, durchaus nicht von der Hand zu weisen. Da offenbar die Löcher und Kanäle, die Lücken und Furchen in verschiedenen Knochen nur durch ihre Beziehung zu den entsprechenden Weichtheilen zu erklären sind, so ist es sogar nothwendig, diese Theorie in gewissem Masse anzuerkennen. 94. Es entsteht die Frage, wie weit rein morphologische Verhältnisse und wie weit die Function die Gestalt der Knochen bestimmen. Soweit sich diese Frage bisher beantworten lässt, scheint sich zu ergeben (55), dass Function, wenn auch nicht ausschliesslich, so doch in viel grösserem Maasse an der Formbildung betheiligt ist, als man a priori glauben sollte. So hat Roux als ein Beispiel für den Einfluss der benachbarten Gewebe die Form der Tibia aufgestellt: „Die Tibia hat zum Beispiel keine rein functionelle Gestalt, da sie statt des ihrer Function entsprechenden mehr elliptischen Querschnittes durch den Druck der anliegenden Muskeln einen dreieckigen Querschnitt erhalten hat". Vom inneren Bau des Knocheng-erüstes. 63 ö^ Dem gegenüber hat nun IL Hirsch gerade das Schienbein einer ein- gehenden Untersuchung auf das Verhältniss zwischen Form und mechanischer Function unterworfen. Die theoretische Analyse der Beanspruchung ergab, dass das Schienbein auf Biegung hauptsächlich in der Sagittalrichtung, und zwar am stärksten in seinem proximalen Abschnitt beansprucht werde. An zweiter Stelle steht die Beanspruchung in frontaler Richtung, und zwar auf Durchbiegung lateralwärts. Für diese Beanspruchung ergiebt die theoretische Construction nach den Grundsätzen der Festigkeitslehre eine annähernd mit der wirklichen Gestalt des Schienbeins übereinstimmende Form. Es lässt sich nun auch das Verhältniss der Kräfte feststellen, die in den verschiedenen Richtungen auf das Schienbein wirken, und es zeigte sich bei Festigkeits- prüfungen an einer grossen Zahl von Schienbeinen, dass das wirkliche Ver- hältniss der Festigkeit in verschiedenen Richtungen mit dem von der Theorie geforderten übereinstimmte. Es folgt demnach, dass die Gestalt des Schien- beins, insbesondere die dreieckige Gestalt des Querschnittes, durch die Function allein ausreichend erklärt ist. 95. Der innere Bau der Knochen ist bisher nur für vereinzelte Stellen untersucht und analysirt worden. Wie oben angedeutet, ist die Frage nach den Einzelheiten dieses Baues eine rein ana- tomische, da für die grobe physiologische Function die Knochen als vollkommen starr angesehen werden können. Es soll deshalb hier nicht weiter auf die* einzelnen Knochen eingegangen werden. Doch sei darauf hingewiesen, dass in solchen Fällen, wo eine physiologische Hypothese eine stärkere Beanspruchung irgend eines Knochens in bestimmter Richtung voraussetzt, die Untersuchung der Structur einen zuverlässigen Prüfstein abgeben kann. § 3. Structurverhältnisse der Gelenkknorpel. 96. Neben der Structur des Knochens verdient die Structur der Gelenkknorpel Beachtung. König hat zuerst an gefrorenen Hüftgelenken festgestellt, dass die Knorpelflächen des Kopfes und der Pfanne einander der Gestalt nach nicht genau entsprechen. Er vermuthete, dass sie durch Druck soweit umgeformt würden, dass sie in grosser Aus- dehnung auf einander passten {12). Braune und Fischer haben dies Verhalten beim Kniegelenk nachgewiesen {60) und. kommen zu dem allgemeinen Ergebniss: „Man findet bei der Vergleichuug thierischer Gelenke den Knorpel- überzug dann dünn, wenn die Knochenformen nur wenig von den reinen Formen der Flächenarten abweichen, die eine congruente 64 Dritter Abschnitt. Figur 6. v.m-ji eai T • •N*»-' V. - ■>-"»»fc»Vii» 1 Tafel IX aus: Braune und Fischer, Die Bewegung des Kniegelenkes etc. Abh. d. math.-phys. Cl. d. Kgl. Sachs. Ges. d. Wiss. Bd. XVII. No. 2. 1891. Sagittalschnitt durch die äusseren Condylcn eines menschlichen Kniegelenkes. Rechtes Bein desselben Individuums wie in Figur 7. Vom inneren Bau des Knochengerüstes. G5 Figur 7. i «f » A Tafel X von Braune und Fisclier. — Vergl. Figur 6. Entsprechender Sagittalschnitt vom linken Kniegelenk desselben Individuums, bei starker Zusaramenpressung der Knochenenden vermittelst einer Schrauben- vorrichtung. R. du B oi s-R e y m 0 n d, Spec. Muskeli)hysiologie. c 66 Dritter Abschnitt. Verschiebung auf sich selbst zulassen, wie zAim Beispiel bei den Charniergelenken am Fusse des Pferdes, des Rehes etc., dagegen sehr stark angelegt, wenn die Abweichung der Knochenform von einer dieser Flächenarten eine sehr grosse ist, wie zum Beispiel an dem oberen Ende der Tibia beim menschlichen Kniegelenk". Dies ist mit anderen Worten ungefähr dasselbe, was schon in älteren Lehrbüchern durch die Angabe bezeichnet wird, die Knorpelüberzüge seien da am dicksten, wo sie dem stärksten Druck ausgesetzt wären. Denn offenbar wird bei gleicher Belastung an solchen Stellen, wo die Gelenkfiächen am schlechtesten zusammen- passen, wo also die Berührungsstelle am engsten begrenzt ist, jedes einzelne Flächentheilchen dem stärksten Druck ausgesetzt sein (67). Mithin schliesst die letztere Fassung die erst angeführte ein, sie ist die allgemeinere und sogar eigentlich allein zutreffende, weil selbstverständlich die absolute Dicke des Knorpels auch von der absoluten Grösse des auftretenden Druckes abhängt. Ein verhält- iiissmässig gut schliessendes Gelenk bedarf, wenn es sehr starken Druck ertragen soll, eines dickeren Knorpelpolsters als ein Gelenk mit kleiner Berührungsfläche, das nur geringem Drucke ausgesetzt ist. Die Dicke sämmtlicher Knorpelüberzüge des menschlichen Knochengerüste^s ist von Werner gemessen und verglichen worden und die Ergebnisse stimmen mit obiger Betrachtung überein (Figur 8 u. 9, S. 68 u. 69). Die grösste Dicke, über 6 mm, fand sich an der Hinterfläche der Knie- scheibe, nächstdem an der von Braune und Fischer bezeichneten Stelle, also da, wo sehr starke Belastung auf schlecht aufeinander passende Gelenkflächen trifft. Dagegen ist auch am Schenkel- und Oberarmkopf, am Ellenbogengelenk und an anderen Stellen, wo die Gelenkflächen zwar in grosser Ausdehnung schliessen, aber durch die grossen auf sie wirkeaden Muskelmassen sehr hohem Drucke ausgesetzt werden, eine dickere Knorpelschicht vorhanden, als an weniger belasteten Gelenken, mögen sie auch noch so schlecht zusammen- passen {61). 97. In den dicken Knorpelschichten muss nun bei einwirkendem Druck eine gewisse Formveränderung entstehen, die zu inneren Spannungen führt. Diese Spannungen bis in's Einzelne theoretisch zu verfolgen, würde eine schwierige Aufgabe sein, dagegen lässt sich schon aus der einfachsten An- schauung erkennen, in welchen Richtungen die Spannung hauptsächlich ver- laufen muss. Senkrecht auf die Gelcnkflächen wird in Folge des äusseren Vom inneren Bau des Knochengerüstes. 67 to^ Druckes auf das Gelenk eine Druck-spannung entstehen, in der Fläche dagegen, je nachdem es sich um convexe oder concave Flächen handelt, Druck- oder Zugspannungen. In einer kugelförmigen Masse, die auf eine ebene Unterlage gedrückt wird, sodass sie sich an der Berührungsstelle abplattet, entsteht in Folge der Abplattung erstens eine Druckspannung von der Oberfläche her auf die Mitte der Kugel zu, zweitens in der Berührungsstelle selbst eine oberflächliche Druckspannung von der Mitte der Berührungsstelle auf deren Umkreis zu, endlich in Folge des Auseinanderpressens der nachgiebigen Masse «ausserhalb des Randes der Berührungsfläche eine am Rande entlang verlaufende Zugspannung. Bei einer Hohlkugelfläche, in die eine Vollkugel hineingepresst wird, kann statt der an zweiter Stelle aufgeführten Druckwirkung ebenfalls Zugspannung eintreten, da die ganze Kugelschale sich zu vertiefen strebt. Hultkrantz hat diese Betrachtungen für den Knorpelüberzug des Ellenbogengelenks durchgeführt, und ist zu dem Ergebniss gekommen, „dass in der Trochlea die Zugspannungen hauptsächlich transversal, parallel der Gelenkaxe verlaufen , wogegen die stärksten Drucksteigerungen vertical, also der Flexionsebene des Gelenks parallel verlaufen ". Umgekehrt ver- hält es sich mit den Knorpelflächen der Incisura sigmoidea. „In der concav- sphärischen Fovea cap. rad. müssen hauptsächlich Zugspannungen und zwar Erklärung der Figuren 8 u. 9 auf Seite 68 u. 69. Querschnitte durch menschliche Gelenkknorpel nach Werner {61). Fig. 1. Horizontalschnitt durch die Mitte der Schultergelenkpfanne, labrum glenoidale schraffiert. Fig. 2. Frontalschnitt durch die Mitte der Gelenkfläche des caput humeri. Fig. 3. Schnitt durch die Mitte der Gelenkfläche des caput humeri senkrecht zu Schnitt 2. Fig. 4, 5 u. 6. Frontalschnitte durch die Gelenkfläche des bumerus im EUen- bogengeleuk der distalsten Linie derselben entsprechend. Fig. 7. Sagittalschnitt durch die distalste Stelle des eminentia capitata. Fig. 8. SagittaLschnitt durch die Gelenkfläche der uina im Ellenbogengelenk, auf der Leiste gegen die Einsattelung der trochlea verlaufend. Fig. 9. Sagittalschnitt durch die Mitte der Gelenkfläche des Radiusköpfchens. Fig. 10 u. 11. Frontalschnitte durch die Geleukfläche des Radiusköpfchens. Fig. 12 u. 13. Frontalschnitte durch die Gclenkfläche des Femm-kopfes 5 mm vor dem vorderen Rande der fovea capitis vorüberführend. Fig. 14. Schnitt über die Mitte der Gclenkfläche des Femurkopfes vom vordersten zum hintersten Punkte der Gircumferenz derselben verlaufend. Fig. 15. Schnitt auf der Grenze zwischen mittlerem und hinterem Drittel der Condylen des femur quer über dieselben verlaufend. Fig. 16 u. 17. Frontalschnitte durch die Kniegelenkfläche der tibia über die Mitte der Condylenflächen. Fig. 18. Sagittalschnitt durch die Mitte der Patellargelenkfläche. Fig. 19. Sagittalschnitt durch die Mitte der distalen Gelenkfläche der tibia. Fig. 20, 21, 22 u. 23. Sagittalschnitte durch die Mitte der distalen Gelenk- fläche des metacarpus I u. III. Fig. 24. Sagittalschnitt durch die Mitte der distalen Gelenkfläche des meta- tarsus I u. III. Fig. 25. Horizontalschnitt durch die distale Gelenkfläche des metatarsus II auf der Grenze zwischen mittlerem und dorsalem Drittel verlaufend. 68 Dritter Abschnitt. Figur 8. •^fT^i^ y ?^' '^r^ 2^/^^^ Vom inneren Bau des Knochengerüstes. 69 Figur 9. ^/^/ 70 Dritter Abschnitt. in radiärer Richtung bestehen." Das Capitulum humeri zeigt nach dem oben ausgeführten Beispiel überwiegend Druckspannungen in radiärer Richtung. Es lässt sich nun nachweisen (81), dass der Knorpel that- sächlich vermöge seines inneren Baues in der angegebenen Richtung grösseren Zuges grössere Zugfestigkeit hat (55). Damit ist auch für die Structur des Knorpels, wenigstens beim Ellenbogengelenk, eine Beziehung zur mechanischen Function nachgewiesen. § 4. Die Festigkeit des Knochengerüstes. 98. Die absolute Widerstandsfähigkeit des Knochengerüstes kann auf verschiedene Arten untersucht werden. Man kann erstens die Festigkeit des Knochengewebes an sich feststellen, zweitens die Festigkeit der einzelnen Gerüsttheile für sich oder im Zusammen- hang. Derartige Prüfungen sind mehrfach ausgeführt worden. Es kommt aber für die Beurtheilung der erhaltenen Werthe sehr viel darauf an, in welcher Weise die Probe vorgenommen wird. Ein und dasselbe Material, also auch ein und derselbe Knochen zeigt auf verschiedene Beanspruchung ganz verschiedene Festigkeit. So wird zum Bei- spiel ein Draht von gegebenem Querschnitt durch ein gegebenes Gewicht, wenn es drückend auf ihn wirkt, nicht um ebensoviel verkürzt, wie er verlängert wird, wenn das Gewicht an ihm zieht. Daher unterscheidet man technisch eine ganze Reihe verschiedener Arten der Banspruchung des Materiales, für deren jede ein besonderes Maass der Festigkeit gilt, nämlich Zug oder Dehnung, Druck, Scheerung, Biegung, Knickung, Torsion. Jede dieser Arten Beanspruchung ergiebt ausserdem einen anderen Festigkeitswerth, wenn sie mit einem plötzlichen Stoss einsetzt. Es ist deshalb die Stossfestigkeit getrennt von d.er Festigkeit bei allmählich wachsender Beanspruchung zu untersuchen. Dies hat Triepel mit Bezug auf die Lehre von der Festigkeit der Knochen besonders hervorgehoben, weil die Form der Beanspruchung, die in der Praxis zu Knochenbrüchen führt, gewöhn- lich durch Stoss erfolgt {62). Was die Prüfung auf absolute Festigkeit anlangt, so zeigt sie, dass die Festigkeit das Maass der gewöhnlichen Beanspruchung bedeutend überschreitet. Die Knochen, Bänder, Knorpel, Sehnen müssen nicht bloss die Belastung aushalten können, die ihnen bei verschiedenen Stellungen des Körpers zufällt, sondern sie müssen auch äussere Gewalten, und plötzliche Stösse bis zu einem gewissen Maasse ertragen können, um die Functionsfähigkeit des Organismus aufrecht zu erhalten. Vom inneren Bau des Knochengerüstes. 71 Tn der Technik pflegt man so zu verfahren, dass man die Beanspruchung, der ein Theil einer Construction ausgesetzt sein wird, genau berechnet, den betreffenden Theil aber nicht bloss in der dazu ausreichenden Stärke herstellt, sondern das gefundene Maass noch mit einem gewissen Factor, dem Sicher- heitsfactor, multiplicirt, der oft das mehrfache der Einheitbeträgt. Auf diese Weise wird die Construction sowohl gegen unvorhergesehene grössere Beanspruchung, wie auch gegen etwa vorkommende Mängel in der Beschaffenheit des Materiales gesichert. Die überschüssige Sicherheitsfestigkeit ist bei Knochen, Knorpeln und Bändern grösser als bei Muskeln und Sehnen, bei denen im Gegen- theil die Beanspruchung zuweilen die Grenze der Festigkeit erreicht. Triepel erkennt in dem Umstände, dass die Knochen eine überschüssige Festigkeit zeigen, eine Ausnahme von der häufig als allgemeines Gesetz be- trachteten Lehre, dass die Natur sich zur Erreichung ihrer Zwecke stets der kleinsten zureichenden Ursache bediene. 99. Von der Festigkeit der Gewebe kann nachfolgende Ueber- sicht eine Vorstellung geben {63). Festigkeit verschiedener Gewebe (nach Triepel und Anderen). Art der Grösste Grösse der Festigkeit Art des Bean- Belastung Formänderung K Materials spruchung in K. (Kilogramm) in Procenten mm- (rund) Knorpel: Stäbe von 16 mm im Quadrat und 70 mm lang Zug Druck 2,72 39,3 18 7,5 0,15 Würfel 5 mm^ .... 7 1,5 Knochen: Stäbchen von 2,4 mm Querdm. aus Com- pacta der Tibia . . Zug 12.41 <4 (Wertheim) 10,00 (Hülsen) Würfel 5 mm .... Druck 426 — 1.5,0 Stäbchen, feucht, 3 . 2 . 80 mm ... . Biegung 9 9 12 — Würfel 10 mm, Sjjon- giosa aus Lenden- wirbel, frisch .... Druck 96,25 — 0,9' Sehne: Plantaris, 2.239 mm^ frisch, n. Triepel Zug 9,5 5 f> 72 Dritter Abschnitt, Vom inneren Bau des Knochengerüstes. ö^ Die Festigkeit der Bänder der einzelnen Gelenke ist von F essler geprüft worden, der ziemlich verschiedene, im Allgemeinen sehr hohe Werthe fand. Um den Femur aus dem Hüftgelenk aus- zureissen, bedurfte es in einem Falle der Zugkraft von nicht we- niger als 1000 Kilogramm, üeber die Widerstandsfähigkeit der einzelnen Theile des Knochengerüstes bringt Triepel eine ausführliche Zusammen- stellung der Ergebnisse von ihm selbst, von Lesshaft und nament- lich von Messerer. Es mögen hier nur einige Maximal- und Minimalzahlen an- geführt werden: 1, Lendenwirbel, in senkrechter Richtung auf Druck beansprucht: 30 jähr. Mann . . . 1000 kg 80 jähr. Weib . . . 240 „ 2. Brustkorb in transversaler Richtung coniprimirt: Rippenbrüche bei 30 jähr. Mann . , . 200 kg „ „ 82 jähr, Weib ... 40 „ in sagittaler Richtung: 40 jähr. Mann . , . 60 kg 82 jähr, Weib ... 40 „ 3. Becken: Crista gegen Crista transversal gedrückt führt zur Zerreissung der Artic. sacroil. bei 180 kg. Acetabulum gegen Acetabulum ebenso, Bruch bei 450—170 kg. Symphyse gegen Kreuzbein sagittal gedrückt. Bruch der Schambeinäste bei 250 — 170 kg. Kreuzbein gegen die Tubera ischii in longitudinaler Richtung gedrückt, führt zu Bruch in den Gelenkpfannen bei 2338—500 kg. 4. Röhrenknochen, quer zusammengepresst., zeigen die ersten Sprünge: Belastung mit Kilogramm: Hum. Rad. Uln. Fem. 31 jähr. Mann 850 525 550 1300 24jähr. Weib 600 390 310 1100 vollständige Zerquetschung des Femur bei 2900 kg „ „ der Tibia bei > 4100 „ 5. Röhrenknochen auf Biegung beansprucht durch Tib. Fib 600 300 650 310 Last in Kilogrammen: Hum. Rad. üln. Fem. Tib. Fib. Max. 300 140 140 475 500 55 Min. 120 55 70 230 135 21 Vierter Abschnitt. Gelenldehre. 73 6. Röhrenknochen, auf Knickung (Strebfestigkeit) beansprucht, Last in Kilogrammen: Clav. Hum. Rad. Uln. Fem. Tib. Fib. Max. . , 192 505 334 235 810 10(50 61 Min. . 90 250 105 90 400 450 20 Bruchstelle , . überall oben oder unten Mitte überall Hals unteres Ende Mitte Vierter Abschnitt. Gelenklehre. I. Allgemeine Gelenklehre. § 1. Begriff und Eintheilung der Gelenklehre. 100. Die Lehre von den Gelenken stellt sich nach dem in der Einleitung Gesagten dar als eine Anwendung der Kinematik auf den besonderen Fall der Bewegung des Knochengerüstes. Man kann sie eintheilen in Allgemeine Gelenklehre, in der die Theorie des Baues der thierischen Gelenke enthalten ist, und Specielle Gelenklehre, die Bau und Bewegungsform der einzelnen Gelenke behandelt. 101. Die Allgemeine Gelenklehre soll also die Theorie des Baues der Gelenke entwickeln. Hierzu gehört vor Allem die Be- stimmung des Begriffes „Gelenk", die Eintheilung dieses Begriffes nach seinen verschiedenen Merkmalen und die Bestimmung der einzelnen Merkmale. Unter diesen kommt wesentlich in Betracht die Beweglichkeit, die zu untersuchen ist auf ihre mechanisch-ana- tomische Grundlage, ihre Form und ihren Umfang. Der Begriff Gelenk umfasst im weitesten Sinne alle Verbin- dungen der Theile eines Organismus. Es ist nämlich ein eingeführter Gebrauch, ganz unbewegliche Verbin- dungen, wie die Knochennaht, in der Gelenklehre zu besprechen. Andererseits werden in die Gelenklehre Verbindungen durch zusammenhängende biegsame 74 Vierter Abschnitt. Weichtheile, wie Knorpel und Bänder aufgenommen, und es würde keinen Sinn haben, die Verbindung durch Weichtheile anderer Art auszuschliessen. 102. Die Gelenkverbindungen sind nun einzutheilen in unbe- wegliche und bewegliche. Die beweglichen Gelenke theilen sich nach der Art der Beweglichkeit ein in drei Arten: 1. Die beiden gegen einander beweglichen Theile können ohne besonderen Bewegungsmechanismus in einander übergehen, und die Beweglichkeit kann trotzdem durch die Biegsamkeit der verbindenden Theile hervorgebracht werden. 2. Es kann ein besonderer Bewegungsmechanismus vorhanden sein, ohne dass die Bedingungen zu voller Beweglichkeit erfüllt sind, sodass die thatsächlich erfolgenden Bewegungen wiederum hauptsächlich auf der Nachgiebigkeit der betreffenden Theile be- ruhen. 3. Es kann ein eigentliches Gelenk vorhanden sein, ein Bewegungsmechanismus, der freie Bewegung von mehr oder minder bestimmter Form zuLässt. Vom anatomischen Standpunkt pflegt man statt dieser drei Arten der Gelenkverbindungen nur zwei zu unterscheiden, nämlich die erste Form als Synarthrosis, die zweite und dritte als Diar- throsis. § 2. Beweglichkeit ohne festes Gerüst. 103. Man kann diese Eintheilung beibehalten, selbst wenn man alle Arten beweglicher Verbindung mit in Betracht zieht, die in der organischen Welt überhaupt vorkommen. Es gehören dann in's Gebiet der Synarthrosen auch alle diejenigen organischen Gebilde, in denen nicht besondere Gerüsttheile mit einander verbunden sind, sondern in denen die natürliche Nachgiebigkeit der betreffenden Substanzen die Beweglichkeit ermöglicht. Hier wäre die Formänderung des Protoplasma's namentlich in den Pseudo- podien der Protozoen anzuführen, sofern es sich bloss um active Contraction eines Theiles ihrer Masse und passives Nachgeben eines anderen Theils handelt. Aber die Bewegung des Protoplasma's zeigt häufig den wesentlichen Unter- schied gegenüber der hier in Betracht kommenden Bewegungsweise, dass es sich dabei nicht um blosse Formänderung, sondern um Massenverschiebungen handelt. Wenn zwei Pseudopodien einen Fremdkörper erfassen, indem das Protoplasma an ihren Spitzen durch nachströmende Massen zum Vielfachen seiner anfänglichen Menge anwächst, so hat dieser Vorgang bei den Bewegungs- organen der höheren Thiere kein Analogen. 104. Als Beispiel seien hier die Bewegungen der Weichthiere angeführt. Die Theorie dieser Bewegung ist im Allgemeinen genau dieselbe, wie die der Gelenklehre. 75 mit festen Gerüsten und Gelenken versehenen Gliedmaassen. Der Unterschied ist nur, dass die einzelnen Theile der Körpermasse nicht besonders für die einzelne Function ausgebildet sind, sondern beliebig bald dieRolle der Muskeln, bald die Rolle der Knochen und Gelenke des höher entwickelten Bewegungs- apparates übernehmen. Denn die Krümmung etwa eines Medusenarmes kommt dadurch zu Stande, dass sich die Muskulatur an einer Seite zusammenzieht, während die andere Seite entweder in dem anfänglichen Zustande beharrt, oder sich sogar durch die Thätigkeit von Ringmuskeln ausdehnt (294). Es bleibt aldann eine mittlere Schicht in ihrer Länge unverändert und stellt gleichsam den Knochen des bewegten Gliedes dar, der durch die Contraction nach der Seite der Contraction hingezogen, durch die Ausdehnung an der anderen Seite nach der Seite der Contraction hinüber gedrückt wird. Will man den Vorgang genauer analysiren, so lässt sich dies nach denselben Grund- sätzen durchführen, nach denen die Formveränderung fester Körper in Folge von Zug- und Druckspannung beurtheilt werden. Vom mechanischen Standpunkt aus sind dieser Bewegungsweise gleich zu setzen die Bewegungen vieler Organe selbst der höchsten Thierformen, wie beispielsweise der Rüssel des Elephanten, die Zunge des Menschen (298). Einen besonders interessanten Fall dieser Form der Bewegung gewähren die Pedicellen der Echinodermen, bei denen ein mit Wasser unter Druck ge- füllter Hohlraum die Stelle des gelenkigen Gerüstes, die contractile Wand des Hohlschlauches die bewegende Muskulatur vertritt. Obschon diese Form der Bewegung als Urform bezeichnet werden muss, und es daher nahe liegt, sie als einfachste und unvollkommenste Bewegungs- form anzusehen, trift't weder das eine noch das andere zu. Die subjecte Er- fahrung im Gebrauch der Zunge genügt schon zum Beweise, dass die Mannich- faltigkeit und Feinheit der Bewegungen, die grade durch den Wechsel der passiven und activen Rolle in jedem Theile des Organs erreicht werden kann, die Fähigkeiten der zu besonderen Leistungen ausgebildeten Bewegungs- werkzeuge in manchen Beziehungen übertrifft. § 3. Hautskelet. 105. Eine neue Stufe erreicht die Entwickelung der Bewegungsorgane, wenn durch Entstehung fester Gerüsttheile die zu bewegenden Massen be- stimmte Formen erhalten. In höherem Grade geschieht dies nur bei zwei Thier- kreisen, nämlich bei den Arthropoden und bei den Wirbelthieren. In jedem der beiden Thierkreise nimmt das Gerüst eine verschiedene typische Form an, nämlich bei den Gliederthieren die einer äusserlichen festen Bekleidung, eines Hautskelets, bei den Wirbelthieren die eines inneren Knochengerüstes. Im ersten Falle liegen also die bewegenden Weichtheile, Muskeln und Sehnen, innerhalb des festen Gerüstes, im zweiten ausserhalb. Abgesehen von ihrer Lage unterscheiden sich die festen Gerüsttheile der beiden Thierkreise durch ihre chemische Zusammensetzung, indem die Knochen bekanntlich durch Kalksalze und der Hautpanzer der Gliederthiere durch seine 76 Vierter Abschnitt. Chitinschicht ihre Starrheit erhalten. In mechanischer Beziehung wichtig ist die physil(alische Verschiedenheit dieser beiden Substanzen: Die Knochen sind starr und ziemlich spröde, das Chitin dagegen äusserst elastisch, wie Hörn. 106. Die Gelenke des Hautgerüstes zeigen ebenso mannichfache Formen, wie die des Knochengerüstes, und zwar kann man leicht mehrere Typen unter- scheiden, die eine von der oben beschriebenen, der Synarthrose angehörigen. Form bis zur eigentlichen Gelenkbildung fortschreitende Entwickelungsreihe darstellen. Geht man aus von einer glcichmässigen Bekleidung eines Gliedes durch eine festere Wandung, so ist bei dieser ersten typischen Form die Beweg- lichkeit auf die elastische Durchbiegung des Gerüstes beschränkt. Die Beweg- lichkeit ist bei der zweiten Form bedeutend erhöht, indem an beliebig vielen Stellen des Gliedes die Wandung verdünnt und in Form einer eingestülpten Falte nach innen eingezogen ist. Dadurch entsteht die fernrohr- oder schachtel- halmartige Bildung, die man an den Antennen und anderen Anhängen der Gliederthiere bemerkt und durch die ein hoher Grad allseitiger Beweglichkeit erzielt wird. In einer dritten Form ist der gleiche Mechanismus für Bewegung nach Einer Seite ausgebildet, indem die Verdünnung und Einziehung der Wandung sich im Wesentlichen auf Eine Seite beschränkt, sodass auf dieser Seite eine Höhlung entsteht. Diese Form bildet den Uebergang zu einer vierten, bei der die Höhlung zu einer förmlichen Knickung ausgebildet ist, und die dabei entstehenden seitlichen Falten förmlich zu zwei Gelenken mit Kopf und Pfanne ausgebildet sind. Die Bewegung ist dann vollkommen auf Beugung in einer Ebene beschränkt. An diese Form schliessen sich endlich eine Reihe zum Theil sehr verwickelter Gelenkbildungen an, bei denen neben dem für die Hautskeletverbindung charakteristischen Zusammenhang durch ganz dünne Häute (Synarlhrosis) auch den Knochengelenken analoge Verbindungen unzu- sammenhängender Gelenktheile (Diarthrosis) vorkommen. Eine Eigenthümlichkeit der Gelenke des Hautgerüstes ist ferner, dass unter ihnen sogenannte „geschlossene Gelenke" vorkommen. Dies sind Ge- lenke, deren Theile in sich einen fest geschlossenen, obschon beweglichen Zusammenhang darstellen, wie es bei den Gliedern einer Kette der Fall ist. Solche Gelenke kommen bei den Wirbelthieren nur in seltenen Fällen, zum Beispiel beim Kiefergelenk des Dachses vor. § 4. Synarthrosis. 107. Die Verbindungen der Knochen bei den höher entwickelten Thieren lassen sich nach einer cähnlichen Stufenfolge von der Syn- arthrosis zur Diarthrosis eintheilen. Ausgehend von der unver- änderlichen Verbindung zweier Knochen durch unmittelbare Ver- wachsung ihrer Substanz, stellt sich als erster Typus die Ver- bindung durch die Naht, Sutura, dar. An solchen Stellen, wo sich normaler Weise ein Gelenk befinden sollte, wird die vollkommene Verwachsung zweier Knochen als Ankylosis bezeichnet. Gelenklehre. 77 Im Allgemeinen vereinigt die Naht beide Knochen ebenso fest, als wären sie verwachsen. Dies geht daraus hervor, dass bei gewaltsamer Trennung der Nahtverbindungen gewöhnlich auch an einzelnen Stellen die Knochen selbst zerbrechen, zweitens daraus, dass nicht selten im Verlauf einer Naht that- sächlich verwachsene Stellen vorkommen. In mechanischer Beziehung ist also die Naht ganz allgemein als vollkommen unbewegliche Verbindung anzusehen. Daher hat auch die Unterscheidung verschiedener Formen der Naht nur morpho- logische Bedeutung. Die Nahtverbindung kommt dadurch zu Stande, dass Vorsprünge des einen Knochens in entsprechende Lücken des anderen Knochens eingreifen. Besonders ausgeprägt und deutlich erkennbar ist dies Verhalten bei den platten Knochen des Schädeldaches, die durch von beiden Seiten weit vorspringende vielfach ausgezackte Bälkchen zusammengeschlossen sind. Dies bezeichnet man als echte Naht (Sutura sensu strenuo). In einzelnen Fällen deckt der eine Knochen den anderen mit einer Kante, sodass eine schräge, ziemlich glatte Stossfläche entsteht. Dies nennt man Schuppennaht (sutura squamosa). Findet die Vereinigung durch breitere, nur mit kleineren Unebenheiten in einander schliessende Flächen statt, so nennt man die Verbindung Harmonie (Harmonia). 108. Als Abarten der Harmonie lassen sich zwei Arten der Knochen- vereinigung auffassen, bei denen ein schmaler Knochentheil in eine Lücke zwischen zwei anderen Knochen oder in der Substanz eines einzelnen Knochens gleichsam eingekeilt ist. Man unterscheidet hierbei die Verbindung durch Ein- keilung auf einer längeren Strecke, wie die des Rostrum ossis sphenoidei im Vomer (Schindylesis) von der Einkeilung eines zapfenförmigen Körpers, wie ihn die Zahnwurzeln darstellen (Gomphosis). Die letzte Form der Verbindung kommt nur an dieser Stelle vor und ist offenbar ihrem Wesen nach von den übrigen Knochenverbindungen durchaus verschieden. Für die mechanische Betrachtung ist es aber gleichgültig, ob es sich um die Verbindung zweier Knochen, oder eines Knochens mit einem Zahn handelt. Daher wird die Gom- phosis in der allgemeinen Gelenklehre mit Recht aufgeführt. 109. An die Verbindung durch Naht nebst ihren Abarten sind nun diejenigen Synarthrosen anzuschliessen, bei denen die beiden Knochenstücke durch zusammenhängende Weichtheile verbunden sind. Unter diesen ist zunächst die Verbindung durch lange Bänder (Syndesmosis) vorwegzunehmen. Als typisches Beispiel wäre zu nennen die Verbindung der Schildknorpel- hörner mit dem Zungenbein, am eigentlichen Skelet das Ligamentum stylo- maxillare. Auch die Membranae interosseae im Unterarm und Unterschenkel wären wohl hierher zu rechnen, ebenso etwa das Ligamentum apicum, die Liga- menta flava zwischen den Wirbelbögen und andere mehr. Die Verbindung durch ein langes schmales Band gestattet natürlich eine sehr freie Bewegung. Sie verhindert einzig und allein, dass sich die Knochenstücke weiter von einander entfernen. 78 Vierter Abschnitt. Im Falle der Membrana interossea ist nicht nur die Entfernung, sondern auch die seitliche Verschiebung in der Ebene der Membran verhindert, solange die Membran angespannt ist. 110. Eine der S3mdesmose ähnliche Form hat mehrfach die Verbindung der Knochen durch Knorpel, die als Synchondrose be- zeichnet wird. Sind zwei Knochen, wie zum Beispiel das Brust- bein mit den unteren Rippen, durch lange und schmale Bänder von Knorpel verbunden, so gestattet die Biegsamkeit des Knorpels eine fast ebenso freie Beweglichkeit, wie das Band bei der Syndes- mose. Namentlich ist die Drehung, freie seitliche Verschiebung und die gegenseitige Annäherung der Knochenenden in viel ge- ringerem Maasse beschränkt, als bei den später anzuführenden Gelenkarten. Doch ist in mechanischer Beziehung der Unterschied zu bemerken, dass der Knorpel stets eine bestimmte Stellung ein- zuhalten strebt, sodass die beiden Knochen nur durch Ausübung einer gewissen Kraftanstrengung gegen einander bcM^egt werden können, und, wenn sie sich selbst überlassen bleiben, zu einer durch die Gestalt des Knorpels bestimmten Ruhelage zurückkehren. 111. Eine viel grössere Rolle spielt unter den Knochenver- bindungen diejenige Form der Synarthrose, bei der die Knochen eng aneinander gelagert und durch Bandmassen in grosser Aus- dehnung verbunden sind. Diese Verbindung ist so häufig, dass sie unter der Bezeichnung Synarthrose kurzweg allein verstandan wird. Die Synarthrosen in diesem Sinne bilden die eine grosse Hauptgruppe der Gelenkverbindungen überhaupt, die der der eigent- lichen Gelenke oder Diarthrosen gegenüber steht. In anatomischer Beziehung ist die Grenze zwischen beiden Arten so schwer zu ziehen, dass Luschka (64), da er bei fast allen als Synarthrosen geltenden Gelenken die Merkmale der Diarthrose aufzufinden vermochte, die Bezeichnung Halbgelcnke einführte. Auf der anderen Seite geht die Synarthrose hinwieder vermittelst unmerklicher Zwischenstufen in die Harmonie über. Es ist ferner hervorzuheben, dass anatomisch, oder genauer histologisch, die Syn- arthrosen nach der Art des verbindenden Gewebes eingetheilt werden in Sym- physen, Synchondrosen und eigentliche Synarthrosen. Symphysen sind solche Verbindungen, in denen Faserknorpel, Synchondrosen solche, in denen hyaliner Knorpel die Bindeschicht bildet. In mechanischer Beziehung sind diese Ver- bindungen im Allgemeinen als gleichwerthig anzusehen, da ihnen allen nur eine sehr geringe, vielfach überhaupt nicht nachweisbare Beweglichkeit zu- kommt. In diesen Fällen würde die Verbindung also einer starren Vereinigung, .wie etwa durch Harmonie, gleichkommen. Dies gilt jedoch nur von solchen Geleuklehre. 79 mechanischen Beanspruchungen, bei denen es sich um grössere Bewegung unter dem Einfluss langsam wirkender Kräfte handelt. Gegenüber der Ein- wirkung plötzlicher Stösse wird die Elasticität der knorpligen Zwischenschicht ohne Zweifel dazu beitragen, Brüche des Knochens zu verhüten und so die Widerstandsfähigkeit des Gerüstes zu erhöhen. Bei Beanspruchungen dieser Art, die bis an die Grenze der Gesammtfestigkeit oder gar darüber gehen, wird dann auch ein Unterschied zu bemerken sein zwischen der Verbindung durch den zähen Faserknorpel und der durch den mehr oder minder spröden hyalinen Knorpel. Diejenigen Fälle, in denen der Synarthrose eine etwas grössere Beweg- lichkeit zukommt, sind ausnahmslos solche, in denen sich schon der Ueber- gang zur Diarthrose nachweisen lässt. Als solcher Fall sei die Verbindung der Wirbelkörper unter einander aufgeführt. Diese Form der Verbindung wird in mechanischer Beziehung von Ludwig durch die Angabe bezeichnet, „dass der Umfang ihrer Winkelbiegung im Verhältniss zur Grösse der bewegenden Kräfte im Allgemeinen wächst mit der Länge und abnimmt mit derVergrösserung des Querschnittes der verbindenden Masse'' (^o). 112. Bei genauerer anatomischer Untersuchung findet man ebensowohl bei den Synarthrosen wie bei den Diarthrosen, dass fast jede einzelne Knochenverbindung ihren bestimmten eigenthüm- lichen Charakter hat, sodass die gemeinsame Einordnung in grössere Gruppen schwer durchzuführen ist. Erst die specielle Gclenklehre lässt also die genaue mechanische Analyse der einzelnen Gelenke zu. § 5. Diarthrosis oder eigentliche Gelenkverbindung. 113. Den Synarthrosen stehen die Diarthrosen als Gelenk- verbindungen mit ausgebildetem ßewegungsmechanismus gegenüber (102). Dieser Mechanismus hat bei den AVirbelthieren insgemein die Form, dass die zwei gegen einander beweglichen Knochen mit freien Oberflächen aneinander stossen und nur durch die umgebenden Weichtheile zusammengehalten werden. Eine seltene Ausnahme bildet das „geschlossene Gelenk" (106), bei dem der Zusammenhang durch übergreifende Knochenränder gesichert ist. Die Enden der Knochen bilden da, wo sie einander berühren, mehr oder minder regelmässige Flächen, die man als „Gelenkflächen" bezeichnet. Meist ist die eine Gelenkfläche convex, die andere concav, man nennt dann die erste den Gelenkkopf, die zweite die Gelenkpfanne, L. Fick hat darauf hingewiesen, dass der Gelenkkopf meist dem distalen, die Pfanne dem proximalen Knochen zukommt, und hat diesen Befund durch Versuche über die Gestaltung bild- samer Massen unter dem Einfluss wiederholter Bewegung zu erklären versucht. Doch sind die Bedingungen in der Natur von denen des Versuchs verschieden, auch kommen Ausnahmen von dem erwähnten Befunde vor {06). 80 Vierter Abschnitt. Die Gelenkflächen sind mit einer Schicht hyalinen Knorpels v^on wechselnder Dicke überzogen (96). Rings um die Gelenkfläche entspringt an jedem der beiden Knochen eine Membran aus Bandfasern, die zu dem anderen Knochen hinüberziehen und sich dort ebenfalls am Rande der Gelenkfläche ansetzen. Die Membran hüllt also die beidem Gelenkenden zusammen ein und schliesst das Gelenk nach aussen ab. Daher heisst sie die Faserkapsel. Innen ist sie von einer Haut überzogen, die die Synovialhaut heisst. Das ganze so entstehende Gebilde heisst Gelenkkapsel, der eingeschlossene Raum der Binnen- raum des Gelenkes, die Synovialhöhle, der Kapselraum, der Gelenkraum, die Gelenkhöhle. Diese verschiedenen Bezeichnungen sind nicht vollständig gleich- werthig, da in vielen Fällen die Kapsel Ausstülpungen zeigt, die mit dem Gelenk nichts zu thun haben. In diesem Falle ist also die Synovialhöhle ein weiterer Begriff als „Binnenraum des Gelenkes". Der Kapselraum ist mit einer dickflüssigen, schlüpfrigen Flüssigkeit, der Synovia oder Gelenkschmiere, voll- ständig erfüllt. Ebenso wie an vielen anderen Stellen, wo die Anatomie von Räumen oder Höhlen spricht (wie die Pleurahöhle, die Peritonealhöhle u. A.) ist die Gelenkhöhle eigentlich kein Raum, denn die Knochen passen meist recht genau zusammen und die Kapsel schliesst aussen dicht an. Daher sind selbst in den grössten Gelenken normaler Weise nur wenige Cubikcentimeter Synovia vorhanden, die die Spalten zwischen Knochen und Kapsel vollkommen ausfüllen. Die Gelenkkapsel ist immer verhältnissmässig weit und schlaff, sodass sie der Bewegung des Gelenkes Spielraum lässt. Ausser durch die Gelenk- kapsel sind die beiden Knochen meist durch weitere, mehr oder minder deut- lich von der Gelenkkapsel zu trennende Faserzüge, die Gelenkbänder, ver- bunden. Sind die Gelenkbänder mit der Kapsel innig verwachsen, so bezeichnet man sie als „Verstärkungsbänder". Bänder können auch im Innern des Gelenks von Knochen zu Knochen ziehen, wobei sie aber die Kapsel nicht frei durch- setzen, sondern stets von der Synovialhaut überzogen sind. Solche Bänder nennt man Zwischenknochenbänder, Lig. interossea. Dieser Bau der eigentlichen Gelenke bringt es mit sich, dass die gelenkig verbundenen Theile gegen einander äusserst leicht beweglich sind. Selbst unter dem stärksten Druck kann der Gang der thierischen Gelenke ohne Fehler als völlig reibungslos angesehen werden. 114. Die Wirkung der Weichtheile auf das Gelenk ist nicht auf das blosse Verbinden der beiden Knochen beschränkt, sondern sie besteht in einem festen Zusammendrücken, dessen verschiedene und in weiten Grenzen wechselnde Kräfte weiter unten besprochen werden sollen (115 — 119). , Die Form der möglichen Bewegung der beiden Knochen gegen einander unter der Voraussetzung, dass sie fest aneinander gepresst Gelenldehre. 81 werden, hängt von zwei Bedingungen ab: Erstens von der Gestalt der Flächen, die zusammenstossen, zweitens von der Beschaffenheit der Weichthcilverbindungen (176). Der erste Punkt leuchtet von selbst ein und wird durch die weiter unten anzustellenden kinematischen Betrachtungen noch aus- führlicher erwiesen werden. Der zweite ist bisher noch nicht genügend beachtet und hervor- gehoben worden. Dies kommt wohl daher, dass schon auf die Voraussetzung, unter der die Bewegungsmöglichkeit hier besprochen wurde, nämlich die dauernde Zusammenpressung, der beiden Gelenktheile, nicht hinreichender Werth gelegt worden ist. An Stelle dieser Forderung findet sich bei A. Fick ein Satz, der als Grundlage der Lehre von den Diarthrosen bezeichnet wird (66) und der besagt, dass in den Gelenken nur solche Bewegungen möglich seien, bei denen der Binnenraum des Gelenkes eine unveränderte Grösse behält. Man darf wohl sagen, dass der Gedanke hier ziemlich unglücklich ausgedrückt ist. Denn die Raummenge der Synovia, die den Inhalt der Gelenkhöhle ausmacht, bleibt selbstverständlich stets dieselbe, da aber der Gelenkraum von aussen nur durch die schmiegsame Xapselwand begrenzt ist, und, Avie oben angegeben, bei vielen Gelenken die Kapsel umfangreiche Ausstülpungen nach aussen zeigt, so steht die Grösse des Binnenraums in gar keiner bestimmbaren Beziehung zu den Gelenkbewegungen. Die Grundlage der Lehre von den Gelenkbewegungen, die mit diesem verfehlten Satze angegeben werden sollte, ist in Wirklichkeit der Umstand, dass die Knochenenden nicht auseinander weichen können, sondern stets gegeneinander gepresst werden. Wenn die Zusammenpressung der beiden Knochen als eine Hauptbedingung für die Bewegungsform der Gelenke erkannt wird, wird es auch nicht auffallen, dass die Form der verbindenden Weichtheile bestimmend auf die Bewegung einwirkt. Dies spricht sich in dem Umstände deutlich und unzweifelhaft aus, dass es Gelenke von völlig gleicher Flächenform, und ganz verschiedener Bewegungsform giebt (144). Von den Gelenken, die als Walzengelenke bezeichnet werden, zeigen nämlich nicht wenige statt der eigentlichen Walzenform (149) die Form einer sanduhrartig eingezogenen Walze, mit anderen Worten eine Sattelform. Nach der Fläche beurtheilt, würden sie also als Sattelgelenke zu bezeichnen sein (162). Dass sie nicht die Bewegungsform der Sattelgelenke haben, beruht allein auf der Wirkung der Seitenbänder, die demnach als ein wesentliches Merkmal des Walzengelenkes anzusehen sind. Von diesem Falle, in dem die Gelenkver- bindung eine Bewegung nicht gestattet, die ihr der Flächenform nach zukommt, ist der Fall wohl zu unterscheiden, dass bestimmte Bewegungen in einem R. du Bois-Reymoud, Spec. Muskelphysiologie. e 82 Vierter Abschnitt. Gelenk nicht vorkommen, dessen Mechanismus sie wohl zulassen würde (222. Dies ist hinsichtlich der Rotation in den Metacarpophalangealgelenken der Fall (232). 115. Die Bewegungsform ist also von der Gestalt der Gelenk- llächen und von der Einwirkung der Weichtheile abhängig. Diese beiden Einflüsse begrenzen die Bewegungsmöglichkeit sowohl nach Richtung, wie nach Umfang. Umfang der Bewegung heisst der grösste Ausschlag eines Knochens gegen den anderen, den der Gelenkmechanismus zulässt. Der Umfang wird also gemessen durch eine Winkelgrösse. Die Begrenzung des Umfauges bezeichnet man als die „Hemmung" der Gelenkbewegung. Je nachdem sie von der Ge- stalt der Knochen selbst oder von der Wirkung der Weichtheile abhängt, unterscheidet man Knochen-, Bänder- und Muskel- hemmung. In älteren Schriften ist die Betrachtung der Gelenkhemmungen aus- schliesslich auf Knochen- und Bänderhemmung beschränkt. Es finden sich zahlreiche Angaben über mögliche Hemmungsmechanismen, die auf rein theo- retischer Betrachtung der Gelenkflächen beruhen. Ganz geringfügige Ungleich- mässigkeiten der Flächen werden als Hindernisse angesehen, die der Bewegung eine Grenze setzen sollen. Dem gegenüber ist auf einen Satz zu verweisen, der oben bei der Erörterung des Knochenbaues ausführlich dargestellt worden ist (87): Soll ein bewegter Körper an der Bewegung gehindert werden, so ge- schieht dies am wirksamsten an derjenigen Stelle des Körpers, die bei der Bewegung die grösste Bahn durchläuft. Soll also eine Gelenkbewegung, bei- spielsweise die Beugung des Unterschenkels im Knie, gehemmt werden, so wären Vorsprünge an der Gelenkdäche selbst das ungeeignetste Mittel, da der Theil des Unterschenkels, der dem Knie am nächsten ist, die kleinste Bewegung macht. Thatsächlich ist die einzige wirksame' Hemmung das Anschlagen der Fersen an die Tubera ischii. Das Gleiche gilt von der Bänderhemmung. Man hat Bänder, die dicht am Mittelpunkt des Gelenkes ansetzen, als Hemmungsbänder bezeichnet, ohne zu bedenken, dass eine wirksame Hemmung nur an einem fern vom Gelenk gelegenen Punkte angreifen darf. In neuerer Zeit wird daher auch der Muskel- hemmung die wichtigste Rolle bei der normalen Gelenkhemmung zuerkannt. Die Einwirkung der Flächengestalt und insbesondere der Druck, den die zusammenhaltenden Weichtheile auf die Gelenke ausüben, bedingen in manchen Fällen eine bestimmte Ruhelage des Gelenkes. Häufig ist indessen die Ruhelage schwer zu erkennen. Man bezeichnet diese Ruhelage wohl auch als „Normalstellung" der Ge- lenke. Dieser Begriff ist dann sorgfältig zu unterscheiden von denjenigen Gelenldehre. 83 „Normalstellungeir', die als Grundlage für Messungen in besonderen Fällen angenommen werden. Ferner muss mit der Ruhelage die Mittellage oder Mittel- stellung des Gelenkes nicht verwechselt werden, nämlich die Stellung, von der aus der Bewegungsumfang nach beiden Seiten gleich ist. § 6. Die zusammenhaltenden Kräfte. 116. Nachdem hiermit die Haiipteigenschaften der Diarthrose angegeben sind, sollen zuerst die Kräfte besprochen werden, die die Gelenkcnden zusammenhalten. In erster Linie ist der Muskelzug zu nennen, weil er nicht nur dauernd am stärksten einwirkt, sondern auch den grössten absoluten Druck auf die Gelenke ausübt. AVie in dem Abschnitte über Muskelmechanik anzugeben sein wird (252), sind die Muskeln im lebenden Körper dauernd ange- spannt. Da alle Muskeln, die über ein Gelenk hinwegziehen, mittelbar die beiden Knochen verbinden, so ist die Gesammt- wirkung stets die, die Knochen gegen einander zu drücken. Bei der Thätigkeit der Muskeln wirkt, weil die Muskeln im Allge- meinen der Richtung der Knochen, an denen sie ziehen, nahezu parallel laufen, ein verhältnissraässig grosser Theil der Muskelkraft in der Richtung des Knochens, und es wird dann der Druck, der auf die Gelenkflächen geübt wird, ausserordentlich hoch. Fischer {67) schätzt den Druck auf das Ellenbogengelenk, wenn durch Beugung des Arms ein halber Centner gehoben wird, auf mehrere Centner. Selbst bei tiefster Narkose, also vollkommener Erschlaffung aller Muskeln, ist die Spannung der Oberschenkelmuskulatur noeh gross genug, um das Ge- wicht des ganzen Beines zu tragen {68). 117. In derselben Weise, wie die Spannung der Muskeln, muss die Spannung der Haut wirken. Macht man an irgend einer Stelle der Haut einen geraden Schnitt, der sie ganz durchtrennt, so ziehen sich bekanntlich beide Hautränder sogleich weit zurück. Dies beweist, dass die Haut gespannt war. Ebenso ist es mit den Fascien. Wie gross die Summe dieser Spannungen sein inag, ist schwer zu sagen, doch mag sie gegen- über dem Gewichte der Extremitäten immerhin in Betracht kommen. 118. Die Befestigung durch Bänder spielt hier deshalb eine untergeordnete Rolle, weil sie nur für einen Theil der Gelenke überhaupt in Betracht kommt. Solche Gelenke, die eine allseitige Bewegung gestatten sollen (Kugelgelenke, Eigelenke und Andere), 84 Vierter Abschnitt. können nämlich an keiner Stelle durch Bänder zusammengehalten werden, weil sonst auch die Bewegung an dieser Stelle verhindert sein würde. Man denke sich zwei mit Gelenkfläche aneinanderstossende Knochen an einer Seite durch ein Band fest zusammengehalten. Oflenbar würde es dadurch unmöglich werden, das Gelenk nach der entgegengesetzten Seite zu beugen (149). Die Befestigung auf Einer Seite würde aber nicht einmal genügen, ein Auseinanderweichen der Flächen zu verhindern, sondern es müsste dazu noch ein Band auf der entgegengesetzten Seite vorhanden sein. Dadurch würde die Bewegung auf die beiden Richtungen nach den freigebliebenen Seiten des Gelenks beschränkt. Soll sich also ein Gelenk frei nach allen Seiten bewegen, so müssen alle Bänder lose sein. Bei den Gelenken, die sich nur nach einer oder zwei Seiten bewegen, wie die Walzengelenke, können die Knochen durch Bänder fest vereinigt werden, 119. Unter den Kräften, die die Gelenke zusammenhalten, wird gewöhn- lich auch der Luftdruck angeführt. Doch lässt sich gegen diese Lehre soviel einwenden, dass sie wohl schon aus den Lehrbüchern ausgemerzt worden wäre, wenn nicht mehrere zum Theil äusserliche Umstände ihr einen Bückhalt gäben. Diese Umstände sind erstens das hohe wissenschaftliche Ansehen, in dem ihre Urheber, die Gebrüder Weber, mit Recht stehen, zweitens, dass die Beobachtungen, auf die sich die Lehre stützt, unbestreitbar richtig sind, drittens, dass die Lehre auch in alle Leitfäden der Physik aufgenommen ist. Es sei nun zunächst die Frage erörtert, unter welchen Bedingungen der Luftdruck zwei Körper zusammenhalten kann. Solange die beiden Körper getrennt sind, wirkt der Druck der Luft gleich- massig auf ihre ganze Oberfläche und setzt daher der Verschiebung der beiden Körper in beliebiger Richtung gar keinen Widerstand entgegen. Nähert man die Körper einander, so ändert sich daran nichts, so lange noch eine Luft- schicht zwischen den beiden Körpern ist. Berühren sich endlich die beiden Körper mit einem Theil ihrer Oberfläche so genau, dass keine Luft mehr da- zwischen ist, so kann die Luft allerdings nicht mehr auf die Berührungsstelle drücken und es könnte also scheinen, als müsste sie dann die beiden Körper zusammenhalten. Das ist aber nicht der Fall, denn „Zusammenhalten" be- deutet, dass der Entfernung des einen Körpers von dem anderen Widerstand geleistet wird. Es wird sich aber nach wie vor der eine Körper vom anderen entfernen lassen, weil ja im Augenblick, wo die allerm'indeste Verschiebung eintritt, schon Luft in dem Spaltraum ist. 120. Die Prüfung dieser Angaben durch den Versuch ist deshalb nicht ausführbar, weil sich andere, der Betrachtung fremde Kräfte geltend machen würden. Die Oberfläche der Körper, die man zum Versuch verwendete, würden selbst bei inniger Berührung stets eine minimale Luftschicht zwischen sich haben, oder wenn das nicht der Fall wäre, würden die Massen beider Körper Gelenklehre. 85 einander durch Cohäsion festhalten, ja sie könnten in einander verschmelzen. Auch die Adhäsion, von der unten die Rede ist, würde störend eingreifen. Die Betrachtung gilt eben nur unter theoretisch vollkommenen Bedingungen. Da- gegen lässt sich das Gesagte gut veranschaulichen durch das Verhalten von Glasplatten in einem Quecksilbergefäss, die trotz des starken Quecksilberdruckes sich ohne Weiteres beliebig umherbewegen und, wenn sie aufeinander gelegt sind, von einander trennen lassen. 121. Von einem Zusammenhalten durch die Luft kann deshalb nur die Rede sein, wenn die Luft verhindert ist, in den Spaltraum einzutreten. Dies ist zum Beispiel der Fall bei einem Hohlcjiinder, in den ein VoUcylinder stempelartig eingesetzt ist. Ist der Spaltraum so eng, dass keine Luft hindurch kann, so kann die Luft nicht hinter den Stempel treten, und alsdann wider- setzt sich der Luftdruck dem Ausziehen des Stempels. Macht man in den Boden des C3'linders ein Loch, so kann hier Luft eintreten, der Luftdruck wirkt dann auf beide Seiten des Stempels und der Stempel ist frei beweglich. Da es hierbei nur auf die Einwirkung des Druckes der Luft ankommt, so ist es nicht nothwendig, dass gerade Luft in den Cylinder eintrete, man kann sich zum Beispiel den Boden nachgiebig denken, sodass er dem Stempel folgt und in dem Maasse, als der Stempel ausgezogen wird, in den Cylinder von hinten eintritt. Oder man kann sich denken, dass das Loch in eine Flüssigkeit eintaucht, dann wird statt Luft Flüssigkeit in den Cylinder eintreten. Dies ist das bekannte Princip der Saugpumpe. Die Bedingung also, unter der der Luftdruck zwei Körper zusammenhält, ist die, dass bei der Entfernung der Körper von einander weder Luft noch ein anderer Stoff zwischen die Körper eintreten kann. 122. Die Gebrüder Weber nahmen an, dass diese Bedingung für das Hüftgelenk erfüllt sei, indem sie sich auf ihren berühmten Versuch beriefen {69). Durchschneidet man an der Leiche bei frei herabhängendem Bein alle Weich- theile, die das Hüftgelenk umgeben und auch die Gelenkkapsel, so bleibt der Oberschenkelkopf trotzdem in der Pfanne hängen. Bohrt man von oben ein Loch durch das Hüftbein, in die Pfanne, so fällt der Oberschenkel sogleich heraus. Drückt man den Oberschenkelkopf wieder ein und schliesst das Loch mit dem Finger, so hängt das Bein wieder fest, nimmt man den verschliessenden Finger fort, so fällt das Bein wieder herab. Dieser Versuch ist wiederholt nachgeprüft worden und hat stets dasselbe Ergebniss gehabt. Das Hüftgelenk verhält sich also beim Web er 'sehen Versuch wie ein Cylinder mit luftdicht schliessendem Stempel. Gegen diesen Versuch ist zunächst der Einwand erhoben worden, es sei die Adhäsion der beiden Gelenkflächen und der dazwischen liegenden Schicht Synovia, die das Festhängen des Schenkelkopfes bewirke. Diesem Einwand wird schon durch die Probe mit dem Bohrloch die Spitze abgebrochen, spätere Untersucher haben ihn ungültig befunden, weil die Adhäsion unter den gege- benen Bedingungen nur viel zu schwache Wirkung hat {70). 123. Die Verhältnisse im lebenden Körper sind aber von denen beim Versuch insofern verschieden, als das Gelenk vollständig von Flüssigkeit oder. 86 Vierter Abschnitt, was mechanisch gleichbedeutend ist, nachgiebigem flüssigkeithaltigem Gewebe umgeben ist. Man muss also annehmen, dass der von aussen wirkende Luft- druck sich durch das umgebende Gewebe hindurch bis in die Flüssigkeits- schicht fortptlanzen würde, die zwischen Schenkelkopf und Pfanne steht. Gegen diese Vorstellung hat man geltend gemacht (?-?), dass der Rand der Pfanne des Hüftgelenks ringsum eine biegsame knorplige Erhöhung trägt, die sich an den Schenkelkopf anschrciiegt und den Binnenraum des Gelenkes wie ein Ventil abschliessen könnte. Wenn nämlich am Schenkelkopf gezogen werde, sodass er aus der Pfanne herauszuweichen begönne, so ströme nothwendig die Gelenk- flüssigkeit nach dem entstehenden Hohlraum in der Pfanne zu, und dieser Strom müsste sich selbst sofort den Weg absperren, indem er den freien Rand des ringförmigen Pfannenknorpels gegen den Schenkelkopf anpresse. Durch den ventilartigen Schluss des Knorpelrandes werde also der Gelenkraum gegen das Eintreten von Flüssigkeit von aussen her geschützt und dadurch der Schenkelkopf in der Pfanne zurückgehalten. Gegen diese Hypothese wäre vom physikalischen Standpunkte nichts einzuwenden. Sie wäre experimentell zu erproben, indem man versuchte, ob der Web er 'sehe Versuch auch unter Wasser oder Oel gelingt, was a priori zweifelhaft scheint. 124. Aber selbst wenn die Gelenkflüssigkeit von aussen nicht in den Spaltraum des Gelenks eindringen kann, ist damit die Gültigkeit des Weber- schen Versuchs für die Verhältnisse am Lebenden nicht erwiesen (263). Denn es befinden sich, wie im speciellen Theil näher anzugeben ist, im Innern des Gelenks Weichtheile, die von Blutgefässen durchsetzt sind. Das Blut in den oberflächlichen Gelassen des ganzen Körpers steht natürlich ausser dem durch die Herzthätigkeit erzeugten Blutdruck auch noch unter dem Druck der Atmosphäre, und wenn es in den Gefässen der Synovialhaut fliesst, überträgt es diesen Druck auch an diese Stelle. Der Abschluss des Atmosphärendrucks von der Berührungsfläche des Schenkelkopfs und der Pfanne müsste also durch die Gefässwandungen geleistet werden. Nun ist es aber leicht zu zeigen, dass die Gefässwände und die sie umgebenden Gewebe dazu nicht im Stande sind. Im Gegentheil ist offenbar, dass, wenn der Schenkelkopf aus der Pfanne zu rücken strebte, die im Innern der Pfanne befindlichen Weichtheile ebenso schwellen würden, wie die Haut unter einem Schröpfkopf. Die Blutgefässe im Gelenkinnern spielen eben die Rolle des Bohrloches beim Weber' sehen Ver- such, und das lebende Gelenk entspricht daher dem zweiten Theile des Ver- suchs, bei dem der Schenkel nicht von der Luft getragen wird. 125. Obschon es durch diese Ueberlegung {66) so gut wie ausgeschlossen erscheint, dass der Luftdruck die Theile eines lebenden Gelenks überhaupt zu- sammenhalten kann, sei nun noch die Frage besprochen, welche Bedeutung die Leistung des Luftdrucks haben würde, wenn sie im vollen Umfange der Web er 'sehen Darstellung thatsächlich bestände. Die Gebrüder Weber be- rechneten, dass der Luftdruck auf dem Querschnitt des Oberschenkelkopfes eben genüge, die Last des Beines zu tragen {67). Demnach würde der Schenkelkopf nach Durchschneidung der Weichtheile nebst Gelenkkapsel, vom Luftdruck getragen in der Pfanne schweben, genau wie die Kuppe einer Queck- Gelenklehre. 87 silbersäule im zugeschmolzenen Ende einer Barometerröhre, deren Länge genau dem herrschenden Luftdruck entspricht. Wer je eine solche Röhre in den Händen gehabt hat, weiss, wie bei dem leisesten .Stosse aufwärts oder abwärts das Quecksilber zu tanzen beginnt. Ebenso müsste, sobald das Hüftgelenk- präparat angestossen würde, der Oberschenkelkopf aus der Pfanne heraus- tanzen. Ferner müsste, wie schon frühzeitig eingewendet worden ist, bei niedrigem Barometerstände das Gewicht des Beines für den verminderten Luft- druck zu gross sein. Drastisch sagt E. Rose: „Beispielsweise also geht der Kurgast in Gastein (etwas über 3000', durchschnittlich 25 Zoll [Barometer- stand]) mit Luftdruck, auf den benachbarten Bergen fängt die Last an, auf der Schneekoppe trägt man 2, auf dem Piz Langard (10000') 8 Pfund mit sich herum! und diese kleine Zugabe entgeht einem dort so ganz und gar! Werden die Muskeln beim Spazierengehen in Gastein müde, so fallen beide Schenkelköpfe heraus und der Kranke kann sehen, wie er mit verrenkten Oberschenkeln wieder nach Hause kommt (68).'-'' 126. Diese Bemerkung geht indessen vielleicht etwas zu weit. Freilich berechnen die Gebrüder Weber, dass das Gewicht des Beines genau der Wirkung des Luftdruckes gleich sei, und sehen darin sogar den besonderen Vorzug einer „äquilibrirten Aufhängung". Aber es ist zu bedenken (und man muss sich wundern, dass weder die Gebrüder Weber noch die späteren Autoren hierüber irgend etwas sagen), dass der Begriff „das Gewicht des Beins" ein ganz unbestimmter ist. Wenn man das Bein in der Höhe des Hüft- gelenkes abschneidet, so schneidet man wahrscheinlich mehrere Kilogramm Haut und Muskeln mit ab, die sich von selbst tragen, und mithin nicht am Hüftgelenk hängen würden. Bei Berücksichtigung dieses Umstandes könnte sich ein Ueberschuss zu Gunsten des Luftdrucks ergeben, der wenigstens die Schwankungen des Barometerstandes reichlich aufwiegen würde. Aber trotz dieses Ueberschusses würde die Grenze, bei der der Luftdruck überwunden wird, in sehr vielen Fällen erreicht werden, und in allen diesen Fällen müssten, um das Herausgleiten des Schenkelkopfes zu verhüten, andere Kräfte den Luftdruck unterstützen. W^enn also in jedem Augenblicke viel grössere Kräfte bereit sind, wo bleibt die Bedeutung der hypothetischen Ijuftdruck- wirkung? Dazu kommt der noch wichtigere Umstand, dass die vorstehenden Erwägungen sich ausschliesslich auf das Hüftgelenk beziehen. Bei keinem anderen Gelenk liegt es so nahe, die Möglichkeit des Abschlusses der Gelenk- höhle anzunehmen. 127. Bei dem Metacarpophalangealgelenk kann man sogar unmittelbar zeigen, dass in dem Maasse, als man die Knochen von einander zieht, die Haut zu beiden Seiten der Strecksehne von aussen einfällt, sodass also hier offenbar der Luftdruck durch Vermittlung der nachgiebigen Gewebe und Flüssigkeiten auf die Berührungfläche der Knochen wirkt. Diese einfache Beobachtung steht im vollsten Widerspruch zu der von A. Fick ausgesprochenen Ansicht, dass in solchen Fällen ein Vacuum in der Gelenkhöhle entstehe (72). Aeby kommt zu dem Ergebniss, dass bei allen Gelenken der Luftdruck genüge, die entsprechenden Körperabschnitte zu tragen, aber bei seinen Ver- 88 Vierter Abschnitt. suchen ist ein ventilartiger Abschluss des Gelenltspaltes künstlich hergestellt, indem von der durchschnittenen Gelenkkapsel ein breiter Rand ringsherum stehen gelassen vt^urde. Dieser Pvand verhindert das Eintreten von Luft, aber im lebenden Körper besteht kein Hinderniss, das den äusseren Druck von der Gelenkflüssigkeit zwischen den Gelenkflächen abhalten könnte (70). Gesetzt aber auch , der Luftdruck wirke etwa auf das Handgelenk ganz in Weber' s Sinne, und die Fläche, auf die er wirkt, werde mit 10 Quadrat- centimeter, also wohl reichlich mit dem Doppelten des wirklich anzunehmenden Werthes, eingeschätzt, so würde ein Gewicht von 10 Kilogramm, das an der Hand hinge, vom Luftdruck getragen werden. Und was will das sagen bei einem Gelenk, das in unzähligen Fällen mit dem Vielfachen dieser Last in der unregelmässigsten Weise beansprucht wird? Selbst wenn man also die Web er' sehe Lehre vom Druck der Luft auf die Gelenke im weitesten Maasse festhält, wozu nach dem im Vorstehenden Ge- sagten kein Grund ist, würde diese Wirkung hinter der der vorgenannten Kräfte so weit zurückstehen, dass sie ohne Schaden ganz vernachlässigt werden ilürfte. Diese Auffassung wird gestützt durch die bekannte Erfahrung, dass bei Bruch des Oberschenkelhalses, wo die Verbindung des Gelenkkopfes mit der Pfanne ausser Wirkung gesetzt ist, das Bein nicht länger, sondern vielmehr kürzer wird. § 7. Darstellung der Beweglichkeit auf Grund der Flächengestalt. 128. Man hat versucht, die Theorie der Bewegung der Diar- throsen, ohne Berücksichtigung der Bandverbindungen allein aus der Gestalt der Gelenkflächen abzuleiten. Dies Vorgehen wird durch die Gestalt einzelner Gelenke, die sich be- stimmten Bewegungsformen fast mit mathematischer Genauigkeit anpassen, gerechtfertigt, es lässt sich aber, wie aus dem Folgenden hervorgehen wird, nicht gut einer allgemeinen Betrachtung der Diarthrosen zu Grunde legen. Nichts desto weniger mag hier dieser Gedankengang entwickelt werden, weil sich daraus zugleich eine deutliche Anschauung vom Einfluss der Flächenform auf die Bewegung gewinnen lässt. Die Gelenkflächen stossen unter Druck aufeinander. Dieser Druck wird allen Bewegungen des Gelenks Widerstand leisten, bei denen sich die beiden Flächen voneinander entfernen müssen. Wird dieser Widerstand überwunden, so können beliebige Bewe- gungen ausgeführt werden. Die Grösse des Widerstandes wird aber abhängen von der Festig- keit der Flächen, denn, wenn diese unter dena Einfluss des Druckes nachgeben, können ebenfalls beliebige Bewegungen ausgeführt werden, Gelenldehre. 89 diesmal, ohne dass sich die Flächen von einander entfernen, aber indem die Gestalt der Flächen selbst verändert wird. 129. Um zu bestimmten, für eine Bewegungstheorie verwerth- baren Voraussetzungen zu gelangen, hat man sich daher genöthigt gesehen, von vereinfachenden Annahmen über die Grösse des Druckes und die Festigkeit der Gelenkflächen auszugehen, und zwar hat man beide als unendlich gross angenommen. „Unendlich" gross bedeutet bei diesen, wie bei allen exacten Betrach- tungen nur, dass alle andern in Rechnung gezogenen Grössen der „unendlich grossen" gegenüber verschwinden. Die Voraussetzung der theoretischen Betrachtung lautet also: 1. Die Flächen seien absolut starr und unnachgiebig. (Von dieser Annahme kann im Laufe der Betrachtung Abstand genommen werden.) 2. Der Druck, der die Flächen gegeneinander presst, ist un- endlich gross, oder, was dasselbe besagt: Es sollen nur solche Bewegungen in Betracht gezogen werden, bei denen die Gelenkflächen sich nicht von einander entfernen. Dies ist A. Fick's Satz von der Unveränderlichkeit des Gelenk- raums (114). 130. Zur ersten von diesen Annahmen muss noch Folgendes bemerkt werden: Absolut starre Körper können einander, wenn sie nicht grade an der Berührungsstelle beide genau die gleiche Flächen bilden, nur in minimaler Ausdehnung, in Punkten oder Linien, berühren. Zwei materielle Körper, ins- besondere zwei knorpelüberzogene Gelenkflächen berühren einander stets in einer Fläche von gewisser Ausdehnung. Bei der Annahme starrer Gelenk- flächen nimmt man nun nicht diejenige Form an, die der unbelasteten Gelenk- lläche entspricht, bei der punktförmige Berührung vorkommen könnte, sondern die der aufeinandergepressten Knorpelflächen (96), die einander in einiger Aus- dehnung berühren. Wie gross diese Berührungsstelle ist, macht für die theo- retische Betrachtung keinen Unterschied. Daher ist auch die Eintheilung der Gelenke in „Berührungsgelenke" und „Schleifgelenke" zu verwerfen. Genau gesprochen sind alle Gelenke Berührungsgelenke, in Wirklichkeit aber werden selbst Gelenke von ausgesprochener „Berührungsgelenk "-Form unter dem Druck ihrer Verbindung zu Schleifgelenken (6'?). 131. Man hat es nun mit zwei absolut starren, mit einander übereinstimmenden Flächen zu thun, die sich nicht von einander entfernen dürfen. Die Bewegung des Gelenks beschränkt sich unter diesen Umständen auf die Bewegung, die zwei solche Flächen gegeneinander ausführen können. Die Verschiebung einer Fläche, 90 Vierter Abschnitt. die einer andern genau anliegt, ohne jede Entfernung der beiden Flächen von einander, kommt der Verschiebung eines Theiles einer Fläche auf der Fläche, oder der Verschiebung einer Fläche in sich selbst gleich. Die Möglichkeit derartiger Verschiebungen von Flächen gegen- einander hängt von rein geometrischen Bedingungen ab, die im Folgenden anschaulich gemacht werden sollen: Zunächst ist klar, dass jedes Stück einer Ebene beliebig auf der Ebene verschoben werden kann, ohne sich von der Ebene zu entfernen. Ebenso kann offenbar ein Stück einer beliebigen krummen Fläche auf derselben Fläche ver- schoben werden, ohne von ihr abzuweichen, wenn die Form der Fläche, das heisst ihre Krümmung, für jede Lage, die das Flächenstück während der Ver- schiebung einnimmt, dieselbe bleibt. In andern Worten: Eine Fläche lässt sich nur in solchen Richtungen in sich selbst verschieben, in denen ihre Krüm- mung gleich bleibt. Durch gleichbleibende Krümmung zeichnet sich die Kreis- linie aus. Folglich kann eine Fläche in sich selbst verschoben werden in solcher Richtung, in der sie kreisförmige Krümmung hat. 132. Wenn also ein Gelenk kreisförmig gekrümmte Flächen hat, so wird Bewegung nach der Richtung der kreisförmigen Krümmung erfolgen können. Kreisförmige Krümmung hat nun vor Allem die Kiigeifläche, die sich nach allen Richtungen vollkommen gleichmässig krümmt, ferner sämmtliche sogenannten Rotations- flächen, die man sich entstehend denken kann, indem eine beliebige Linie um eine beliebige Gerade mit gleichbleibendem Abstände aller ihrer Punkte herumbewegt wird. Solche Flächen sind der Cylindermantel, den eine Gerade beschreibt, wenn sie um eine parallele Gerade in gleichbleibendem Abstand herumgeführt wird, der Kegelmantel, den eine Gerade beschreibt, wenn sie um eine sie schneidende Gerade mit gleichbleibendem Abstände aller ihrer Punkte herum- geführt wird, endlich alle Flächen, die durch Herumführen einer Linie in gleichem Abstand um eine Gerade entstehen und die man sich übrigens als aus Abschnitten von Cylinder- und Kegelmänteln zusammengesetzt denken kann. In allen solchen Flächen ist Verschiebung in der Drehungsrichtung möglich. 133. Zu den Rotationsflächen kommt nun noch eine besondere Art Flächen hinzu, die sich ebenfalls durch gleichbleibende Krümmung auszeichnet, nämlich die Schraubenflächen. Eine Schraubenfläche wird von einer Geraden beschrieben, die um eine auf ihr senkrecht stehende Gerade als Axe gedreht und gleichzeitig in der Richtung dieser Axe verschoben wird. Werden beide Bewegungen ganz gleich- Gelenldohre. 91 förmig ausgeführt, so ist es klar, dass jedes neu entstehende Stück der Fläche dem vorhergehenden gleich sein muss. Folglich kann diese Fläche sich in sich selbst verschieben, aber nur, indem dabei die Drehung um die Axe genau ein- gehalten wird. Denn nähert oder entfernt man sich von der Axe, so wird die Krümmung der Fläche stärker oder schwächer, weil auf die gleiche Verschiebung längs der Axe ein kleinerer oder grösserer Kreisbogen entfällt. Andere Schraubenflächen entstehen überhaupt bei jeder Drehung einer Linie um eine Axe mit gleichzeitiger Verschiebung in der Richtung der Axe. 134. Die Schraubenfläche gestattet Verschiebung nur in Einer Richtung, ncämlich in der Richtung der Drehung um die Schraubenaxe. Die Rotationsflächen gestatten ebenfalls Verschiebungen nur in Einer Richtung, nämUch senkrecht zur Rotationsaxe. Die Kugel- fläche, die nach allen Richtungen gieichmässig gekrümmt ist, ge- stattet Verschiebung in jeder beliebigen Richtung und ausserdem Drehung des verschobenen Flächenstückes um sich selbst. Die Kugelfläche verhält sich in dieser Beziehung wie eine Ebene, die ja auch als Oberfläche einer Kugel von unendlich grossem Radius aufgefasst werden kann. Nun entsprechen thatsächlich viele Gelenkflächen annähernd sowohl den Voraussetzungen, als auch den eben angegebenen Flächenformen und zeigen auch die entsprechende ßewegungsforra. Man kann also die Bewegung dieser Gelenke nach der Flächenform beurtheilen und unterscheidet dann als Einaxige Gelenke, die nur Bewegung um Eine Axe zulassen, diejenigen Gelenke, deren Flächen sich der Form der Schraubenflächen oder Rotationsflächen nähern. Die Gelenke mit annähernd kugelförraigef Fläche, die Bewegungen um behebige durch den Mittelpunkt der Kugel gelegte Axen, also um unendlich viele Axen gestatten, werden als „Dreiaxige Gelenke" bezeichnet, wobei man an drei aufeinander senkrechte Axen zu denken hat. Jede beliebige Verlagerung eines Flächenstückes auf einer Kugel lässt sich nämlich durch Bewegungen um drei solche Axen erreichen, mithin schliesst die Möglichkeit der Bewegung um drei aufeinander senkrechte Axen jede be- liebige Lage der Bewegungsaxe ein. 135. Nun zeigt sich aber, dass gewisse Gelenke Bewegungen um zwei aufeinander senkrechte Axen zulassen. So ist die Handwurzel gegen den Unterarm beweglich, erstens in der Richtung dorsal- und palmarwärts, also um eine radioulnar gelegene Axe, zweitens in der Richtung radioulnarwärts, also um eine dorsoventrale Axe. Dagegen ist die Hand nicht gegen den Unterarm drehbar. 92 Vierter Abschnitt. Diese ßewegungsform lässt sich nicht in derselben Weise, wie die vorher erwähnten, aus der Flächengestalt erklären. Denn die einzige Fläche, die nach zwei Richtungen die gleiche Krümmung besitzt, also Bewegung um zwei Axen gestattet, ist die Kugelfläche und diese gestattet wiederum zugleich Drehung um die dritte, auf den zwei anderen senkrechte Axe. Es giebt also eigentlich keine Flächenlorm, die Bewegung um zwei und nur um zwei Axen ge- stattet. Allenfalls kann man den Cylindermantel als eine solche Fläche auffassen. Dieser hat insofern eine Ausnahmestellung unter den übrigen Rotations- körpern, als er in der Richtung der Rotation kreisförmig gekrümmt ist, dabei aber in der Richtung parallel zur Axe gradlinig verläuft. Daher kann er auch als durch gradlinige Bewegung eines Kreises senkrecht zu seiner Ebene entstanden gedacht werden. Aus dieser Anschauung heraus ist klar, dass die Cylinderfläche in sich selbst auch parallel zur Axe v^erschieblich sein muss. Diese gradlinige Verschiebung lässt sich, wie es schon für die Bewegung ebener Flächenstücke angedeutet wurde, als Bewegung um eine unendlich ferne Axe auffassen. Die Cylinderfläche verhält sich eben in der Richtung ihrer gradlinigen Erstreckung wie eine Ebene. Also kann man sagen, der Cylinder- mantel gestattet Verschiebung um zwei Axen, erstens um die Längsaxe des Cylinders, nämlich die Rotation, zweitens um eine zu dieser senkrechte, aber unendlich weit entfernte Axe, nämlich die gradlinige Längsverschiebung. Drehung um eine dritte quer zum Cylinder stehende Axe ist aber ausge- schlossen, da die gradlinige Richtung der Fläche stets der Cylinderaxe parallel bleiben muss. Dieser Umstand ist in der vorhergehenden Betrachtung deshalb übergangen, w'eil die Längsverschiebung auf einer Cylinderfläche unter den Bewegungen der wirklichen Gelenke nirgends mit Bestimmtheit nachgewiesen ist. Das Cricoarytaenoidgeleiik kann als ein solcher Mechanismus angesehen werden (156) {74). 136. Diese Eigenschaft des Cylindermantels ist zwar für die Erklärung der „zweiaxigen" Gelenke nicht verwerthbar, weil bei diesen nicht geradlinige Verschiebung, also Drehung um eine un- endlich ferne Axe, sondern wirkliche Drehung um eine ganz nahe an der Fläche liegende Axe in Frage kommt. Sie gewährt aber ein Hülfsmittel, um die Theorie auch der zweiaxigen Gelenke auf Grund der Flächengestalt durchzuführen. Man denke sich eine Flächenform, die zwischen der der Kugeloberfläche und der des Cylindermantels die Mitte hält, also in Einer Richtung wie Kugel und Cylinder kreisförmig, in der darauf senkrechten Richtung weder wie die Kugel ebenso kreisförmig, noch wie der Cylinder gradlinig, Gelenklehre. 93 sondern mit einer schwachen Krümmung versehen ist. Diese Fläche wird also etwa eiförmige Gestalt haben (157). Eine solche Fläche ist in sich selbst nur in der Richtung ihrer kreisförmigen Krümmung verschieblich, denn es leuchtet ein, dass die Eischale in der Mitte, wo das Ei den grössten Umfang hat, schwächer gekrümmt ist als an den Enden, und dass daher der mittlere Theil der Schale eben nur längs des Mittelumfangs ohne Abweichung verschoben werden kann. Streng genommen also würde ein Gelenk, das eiförmige Flächen hat, Bewegung nur um die Längsaxe des Eies gestatten. Aber in dem Maasse, in dem die Gestalt der Fläche der Kugelform angenähert ist, wird sich auch bei Bew^egung um eine auf die Längsaxe senkrechte Axe im Mittelpunkte des Eies nur eine verhältnissmässig geringe Abweichung der Flächen bemerkbar machen. Und in dem Maasse, in dem die Eiform sich der Cylinderform nähert, wird die Drehung um eine dritte zu den beiden ersten senkrechte Axe ausgeschlossen sein. Das heisst, die Drehung wird in einem gewissen beschränkten Um- fang wiederum mit sehr geringer Abweichung der Flächen möglich sein. Daher lässt sich die Bewegung der „zweiaxigen" Gelenke auf die Eigenschaften der eiförmigen Fläche zurückführen, indem man die Möglichkeit geringer Abweichungen in die Betrachtung auf- nimmt {73). Man bezeichnet den geringen, für die Bewegung derartig gestalteter Ge- lenke erforderlichen Grad der Abweichung beider Flächen von einander als „Dehiscenz". In weiterem Sinne kann dies Wort auch zur Bezeichnung des Abstandes an sich incongruenter Gelenkflächen, oder gar des Klaffens gewalt- sam auseinandergerissener Gelenkllächen angewendet werden. Was von den eiförmigen Flächen gesagt worden ist, gilt mit gewissen Abänderungen auch von den sattelförmigen Flächen. Diese sind streng genommen nicht einmal in Einer Richtung in sich selbst verschieblich, werden aber trotzdem, unter Berücksichti- gung einer gewissen Dehiscenz, als zw'eiaxige Gelenke betrachtet. Hierbei kann man sich darauf berufen, dass in Wirklichkeit die vorhandene Dehiscenz verschwinden wird, indem die nachgiebigen Knorpel sich einander anpassen (96). Man lässt also hier die Annahme fallen, dass die betrachteten Flächen absolut starr sein und nicht von einander abweichen sollen. 94 Vierter Abschnitt. Damit giebt man aber den Zweck der ganzen Betrachtung auf, nämlich, dass sich die ßewegungsmöglichkeit aus der Flächenform exact ableiten lässt. 137. Statt eines rein zweiaxigen Gelenks, wie es die Theorie in dem cylinderförmigen Gelenk erkennt, und wie es das Hand- gelenk thatsächlich darstellt, gelangt man von der Betrachtung der Flächenform aus immer nur zu Gelenkformen, die Bewegung um zwei Axen, daneben aber, wenn auch in beschränktem Maass, Be- wegung um die dritte darauf senkrechte Axe gestatten. Ebenso- wenig wie für die zweiaxigen Gelenke genügt die Betrachtung der Flächenform für solche Gelenke, die nahezu ebene oder ganz un- regelmässig gekrümmte Flächen haben. Diese pflegt man bei der Eintheilung als „Gelenke mit unbestimmten Axen" zusammen zu stellen, womit aber über ihre mechanische Eigenthümlichkeit nichts ausgesagt ist. Endlich giebt es Fälle, in denen zwar die Gelenk- form eine bestimmte Bewegung andeutet, die Bewegung selbst aber entweder beschränkter oder freier ist als nach der Flächenform zu erwarten wäre. Die Bewegung kann sogar eine Form annehmen, wie sie durch einfache Verschiebung von Flächen aufeinander über- haupt nicht zu Stande kommen kann. Aus allen diesen Gründen ist die Betrachtung der Gelenkflächen allein nicht genügend um einer allgemeinen Darstellung der Gelenk- bewegungen als Grundlage zu dienen. § 8. Die Gelenkmechanik vom Standpunkte der Bewegungsform. 138. Man kann die Theorie der Gelenke ferner entwickeln, indem man die Form der Bewegung ins Auge fasst. Die Bewe- gung ist natürlich von dem ganzen Mechanismus, einschliesslich der Bänder, abhängig und somit muss hier das Wesen der einzelnen Gelenkformen schärfer hervortreten. Bei genauer Untersuchung der Bewegungsform findet man für fast jedes Gelenk besondere, oft sehr verwickelte Verhältnisse. Um aus diesen allgemeine Gesetze abzuleiten, muss man von allen be- obachteten Einzelheiten absehen, und nur die Grundzüge der Be- wegung ins Auge fassen. Dies kann auf dem Wege erreicht wer- den, dass man zuerst rein theoretisch die verschiedenen Formen Gelenklehre. 95 möglicher Bewegungen feststellt, und dann untersucht, inwiefern die beobachteten Bewegungen diesen Formen entsprechen. 139. Die Bewegungsforra untersucht man in der Weise, dass man sich den einen der gelenkig verbundenen Körpertheile fest- stehend und den anderen gegen den ersten bewegt denkt. Unter diesen Bedingungen scheiden aus der Zahl aller theoretisch mög- lichen Bewegungen des untersuchten Körpertheils alle diejenigen aus, bei denen eine Trennung der beiden Gelenktheile von einander stattfinden würde. Es handelt sich also nur um solche Bewegungen, in denen ein Theil des bewegten Körpers annähernd an seiner Stelle bleibt. Um diese Bedingung exact ausdrücken zu können, sieht man von kleinen Bewegungen, wie sie in materiellen Gelenken stets vorkommen werden, ab, und betrachtet zunächst einen Punkt des bewegten Körpers als im ßaume feststehend. Es wäre dann der Körper um den festen Punkt nach allen Seiten frei drehbar, oder, was dasselbe ist, er kann um jede be- liebige durch den Punkt gehende Grade gedreht werden, er kann also auch um drei auf einander senkrechte Graden gedreht werden (40). Es ist also hier die Bewegungsweise des dreiaxigen Gelenks gegeben. A^om Standpunlvte der Bewegungsform bezeichnet man diese Beweglichkeit als die Beweglichkeit von drei Graden der Freiheit. (Der vierte Grad der Freiheit würde der sein, bei dem auch noch dbr Drehpunkt selbst längs einer Linie, der fünfte der, bei dem der Drehpunkt auf einer Fläche, der sechste, der der grösstmöglichen Freiheit, der, bei dem der Drehpunkt im Räume frei beweglich ist) {75). Diese Betrachtungsweise deckt sich, wie man sieht, beinahe mit der vorhergehenden. Eine in einer Kugelschale eingeschlossene Kugel ist gleich- zeitig das Modell eines dreiaxigen Gelenks, und das Modell eines Körpers, dessen Einer Punkt nämlich der Mittelpunkt der Kugel an Einer Stelle des Raumes festgehalten ist. 140. Bei den Bewegungen, die ein Körper um einen fest- stehenden Drehpunkt, also mit dem dritten Grade der Freiheit aus- führt, beschreibt jeder andere Punkt des Körpers Bahnen, die auf einer Kugeloberfläche liegen. Man kann sich die Bewegung des Körpers also dadurch ver- anschaulichen, dass man die Bewegung eines seiner Punkte auf 96 Vierter Abschnitt. einer im Kaum feststehenden Kugelscliale verfolgt. Bei drei Graden der Freiheit kann der betreffende Punkt auf der Kugel in zwei aufeinander senkrechten Richtungen umhergeführt, und ausserdem um sich selbst gedreht werden. (Genauer ausgedrückt, wird dabei der Körper um die Grade Linie gedreht, die den betrachteten Punkt mit dem festen Drehpunkt verbindet.) 141. Denkt man sich nun ausser dem erst betrachteten Dreh- punkt noch einen zweiten Punkt des Körpers im Räume festgelegt, so kann sich der Körper nur noch um die Linie drehen, die diese beiden Punkte verbindet. Die Beweglichkeit entspricht der des ein- axigen Gelenks, sie hat nur Einen Grad der Freiheit. 142. Dazwischen liegt die Bewegungsfreiheit von zwei Graden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich der Körper um alle Axen drehen kann, die in Einer Ebene liegen. Es ist also von den drei aufeinander senkrechten Axen eine fortgefallen. Jeder Punkt des Körpers wird sich wiederum auf einer Kugelschale beliebig bewegen lassen, indem sich jede kleinste Verschiebung des Punktes als eine Drehung um eine der möglichen Axen darstellt. Es wird aber keine Drehung des betrachteten Punktes möglich sein. Da es schwer ist, sich von dieser Art der Beweglichkeit eine Anschauung zu verschaffen, so sei die Bedingung noch auf eine andere Weise ausgedrückt: Man denke sich durch den Körper zwei auf einander senkrechte Axen, die in derselben Ebene liegen. Es sollen dann alle Bewegungen freigegeben sein, die so entstehen können, dass der Körper erst um die eine Axe gedreht wird, indem die andere die Bewegung mitmacht und dann um die zweite Axe in ihrer neuen Stellung. Ein Bewegungs- mechanismus, der diese B^ingungen verwirklicht, ist die sogenannte „Car- danische Aufhängung", wie sie für Compasse, Lampen etc. auf Schiffen ge- braucht wird. Die Beweglichkeit, die unter diesen Umständen gegeben ist, lässt sich folgendermaassen veranschaulichen. Man denke sich eine Kugel von einer Kugelschale umgeben , auf der ein Meridiansystem wie auf einem Globus auf- getragen ist. Auf der inneren Kugel sei ebenfalls eine Linie gezogen, die in die Richtung eines Meridians fällt. Die Bedingung, durch die die drei Grade der Freiheit, die die Kugel in ihrer Schale hat, auf zwei beschränkt werden, kann dann so ausgedrückt werden, dass alle Bewegungen möglich sein sollen, bei denen die auf der Kugel gezogene Linie die Richtung der Meridiane auf der Schale beibehält. 143. Diese drei Bewegungsformen von Einem, zwei oder drei Graden der Freiheit stellen also die Grundformen vor, denen die Gelenkbewegungen mehr oder weniger genau angenähert sein müssen. Man wird also jede einzelne Gelenkform bezeichnen und zugleich Gelenklehi-e. 97 ihre wesentlichen Eigenthümlichkeiten angeben können, indem man sagt: es ist ein Gelenk von dem oder dem Grade der Freiheit, dessen Bewegung noch diese oder jene Abweichung vom allgemeinen Gesetz zeigt. Doch wird man mit dieser Betrachtung nur den allergröbsten Zügen der Gelenkbewegung gerecht werden können. Denn erstens kann Bewegung von Einem Grade der Freiheit ganz ausserordentlich verschiedene Formen annehmen. Der Begriff erweitert sich dann zu dem der „Zwangläufigkeit". Als „zwangläufig" bezeichnet man eine Bewegung, die durch beliebige Bedingungen in eine bestimmte Form gezwungen ist, also nur Einen Grad der Freiheit, nämlich der Bewegung in der aufgezwungenen Bahn, aufweist. Ueber die Form der Bewegung ist damit aber garnichts ausgesagt. Eine Kugel in einer Kugelschale hat drei Grade der Freiheit. Denkt man sich die Kugel mit einem Stift versehen, der in einem Schlitz der Kugel- schale läuft, so ist nur noch ein Grad der Freiheit (Hin- und Herführen des Stiftes in dem Schlitz) übrig. Der Schlitz kann aber eine ganz beliebige, etwa eine S-förmige Krümmung haben. Es besteht dann bei Bewegung von Einem Grade der Freiheit ganz verschiedene Bewegungsform. Es kann ferner, wie das bei verschiedenen Gelenken thatsächlich der Fall ist, mit der Bewegung Rollung zwangläufig verbunden sein. Eine solche Bewegung ist dann von Einem Frei- heitsgrade, obgleich sie Elemente der Bewegungen um drei Axen in sich schliesst (222). Die Schraubenbewegung, die bei der obigen Betrachtung der Einfachheit wegen ausser Acht gelassen worden ist, gehört ebenfalls unter die zwangläufigen Bewegungen. 144. Zweitens hat die Betrachtung der Bewegungsform den Nachtheil, dass gleiche Bewegungsform durch sehr verschiedene Mechanismen hervorgebracht werden kann, die gar keine weiteren Beziehungen zu einander haben (114). 145. Drittens kommen Fälle vor, in denen die Bewegung bei der Beurtheilung der Gelenkmechanik geradezu irreleitet. Es giebt nämlich Gelenke, die einen grösseren Grad der Bewegungs- freiheit gestatten, als in ihnen ausgeübt wird. Solche kann man entw^eder nach ihren Eigenschaften als von höherem, oder nach der thatsächlichen Bewegung, als von niedrigerem Freiheitsgrad be- trachten (114). Man sieht also, dass sich auch auf diese Weise keine Grund- lage für eine einheitliche Darstellung der Gelenke gewinnen lässt. R. du Bois-Keymoiid, Spec. Miiskelphysiologie. n 98 Vierter Abschnitt. § 9. Die einzelnen einfachen Mechanismen. a) Amphiarthrose oder Wackelgelenk. 146. Gegenüber den Schwierigkeiten, auf die man bei Be- trachtung der Gelenkformen aus einheitlichem Gesichtspunkte stösst, bleibt nichts übrig, als sich an die Gelenke selbst zu halten und deren einzelne Typen, wie sie sich vom allgemein mechanischen Gesichtspunkt aus darstellen, nebeneinander zu betrachten. Dieses Verfahren ist auch deswegen das allein zweckmässige, weil unter den thatsächlich vorkommenden Gelenkformen die theoretisch möglichen Formen durchaus nicht vollständig vertreten sind. Selbst wenn man also einen allgemeinen Gesichtspunkt fände, von dem aus alle Gelenke zu be- trachten wären, würde man doch nachträglich zu willkürlichen Einschrän- kungen genöthigt sein. 147. Wenn zwei starre Körper mit ebenen FLächen zusammen- stossen, so sind, ohne dass sie von einander getrennt werden, wie oben erwcähnt, sowohl Verschiebungen in allen möglichen Richtungen, als auch Drehungen um zur Berührungsebene senkrechte Axen möglich. Sind aber die beiden Körper an mehr als Einem Punkte durch senkrecht zur Berührungsebene gespannte undehnbare Bänder mit einander verbunden, so ist gar keine Bewegung mehr möglich. Denn bei jeder Verschiebung oder Drehung müssto die Richtung der Bänder statt senkrecht schräg zur Berührungsebene zu stehen kommen, und die Bänder müssten also gedehnt werden. Bei dieser Art der Verbindung hätte man es also nach der theoretischen Anschauung mit einem Bewegungs- mechanismus zu thun, der keinerlei Bewegung gestattet. Handelt es sich aber statt um starre Körper um überknorpelte Knochen, und sind diese statt durch absolut undehnbare Bänder durch organische Fasermassen verbunden, so wird ein geringer Grad von Beweglichkeit in den angedeuteten Richtungen mög- lich sein. In dieser Form stellt die beschriebene Verbindung denjenigen Gelenktypus dar, der hier an erster Stelle aufgeführt werden soll und der als „Amphiarthrose" oder „Wackelgelenk" unterschieden wird. Während es für die Theorie genügt, die Verbindung an mindestens zwei Stellen in Betracht zu ziehen, sind thatsächlich ■die Amphiarthrosen allseitig durch eine straffe Gelenkkapsel ver- bunden, die oft durch dicke Bänder allseitig verstärkt wird. Es wird dadurch insbesondere die Drehung auf ein Minimum einge- schränkt, während seitliche Wackelbewegungen noch in etwas grösserem Umfange möglich sind. Gelenklehre. 99 Ebenso wie sieb in der Theorie kein Unterschied ergiebt, wenn die an zwei Punkten fest verbundenen Körper mit ebener Berührungsfläche, die so schon keinerlei Bewegung gegen einander machen können, nun in einer Fläche von beliebiger unregelmässiger Form zusammenpassend gedacht werden, macht es auch für die wirklichen „Wackelgelenke" keinen wesentlichen Unterschied, ob sich ihre Berührungsfläche einer Ebene nähert, oder ob sie andere Form zeigt. Wesentlich für den Typus ist nur, dass die beiden Flächen in grösserem Umfange auf einander passen. 148. Als Begriffsbestimmung für die Amphiarthrose ergiebt sich demnach, dass sie diejenige Form der Diarthrose ist, bei der ebene oder unregelmässige, aber schliessende Gelenkflächen durch Bänder allseitig verbunden sind, sodass nur in Form des Nachgebens der Verbindung eine Bewegung möglich ist. Die Amphiartrosen bilden daher hinsichtlich ihrer Bewegungsweise ein Mittelding zwischen Synarthrosen und Diarthrosen, denn sie haben eine Ruhestellung, nämlich die der gleichmässigen geringsten Spannung ihrer Bänder. Bei jeder Bewegung werden die Bänder angespannt und üben daher einen Widerstand gegen die Bewegung, der dem elastischen Widerstände der Synarthrosen zu vergleichen ist. Auch anatomisch bilden die Amphiarthrosen eine üebergangs- form, insofern als bei manchen Amphiarthrosen die Gelenkhöhle kaum nachzuweisen ist, während die Bänder so grossen Raum einnehmen, dass die Verbindung der Symphyse gleichkommt (111). Andererseits nähern sich viele Amphiarthrosen den anderen Formen der Diarthrosis, indem ihre Flächen mehr oder minder bestimmten Gesetzen folgen und dadurch in bestimmten Richtungen grössere Beweglichkeit gewähren. b) Das Walzengelenk. 149. Wenn in einem Wackelgelenk mit ebenen Flächen die Beweglichkeit nach Einer Richtung stärker ausgebildet wird, so ist erstes Erforderniss, dass die Kapselbänder an den Stellen des Gelenkrandes, die bei der Bewegung von einander entfernt werden, so schlaff sind, dass sie der Bewegung Spiel- raum lassen. Denn bei der Beugung des Gelenks nach Einer Richtung wird das Gelenkband an der entgegengesetzten Seite angespannt. Damit also das Gelenk in einer Ebene frei beweglich sei, müssen die in dieser Ebene liegen- den Gelenkbänder schlaff sein. Die in der darauf senkrechten Richtung können aber ihre volle Straffheit behalten, wenn nur die Flächen hinlänglich nach- giebig oder in hinreichendem Grade der Form der Bewegung angepasst sind. Y * 100 ^'ierter Abschnitt. Die Anpassung der Flächenform an die Bewegung in Einer Richtung besteht darin, dass sich die Fläche der eines Rotationskörpers mit auf die Bewegungs- richtung senkrechter Axe nähert. Die Araphiarthrose kann so in das Walzengelcnk übergehen: Die allseitig straffe Bandverbindung wird auf zwei straffe Seiten- bänder eingeschränkt und die ebene oder unregelraässige Gelenk- fläche geht in eine Walzen- oder Rotationsfläche über, deren Krümmungsrichtung der Richtung der Bewegung entspricht, deren Axe also ungeführ senkrecht zur Längsaxe der Knochen liegen muss. Diese beiden Kennzeichen des Walzengelenks stehen in gegenseitiger Abhängigkeit: Je mehr die Fläche sich der eines idealen Rotationskörpers nähert, um so schärfer wird die Bewegung auf die Drehung um die Axe des Rotationskörpers und um so strenger wird die Verbindung durch die Seiten bänder auf die An- heftung grade an der Stelle der Drehaxe beschränkt. Umgekehrt wird bei breiterem Bestehen der Seitenbänder eine eigentliche Drehung um eine Axe unmöglich sein, und es wird daher die Gestalt der Flächen nicht die Form eines Rotationskörpers inne zu halten brauchen. Es können in diesen Fällen sehr complicirte Bewegungsformen auftreten, die sich aber mehr oder weniger dem Typus der idealen Walzengelenkbewegung nähern. Wesentlich ist für diese Zwischenformen, dass die Bewegung eine mehr oder minder zwangläufige ist, das heisst, dass sie stets in genau derselben Bahn verläuft. In eben diesem Umstand liegt die Annäherung an das Walzen- gelenk, da dies den Typus der Bewegungen in Einer Richtung darstellt. 150. Die Begriffsbestimmung des „Walzengelenkes" würde demnach folgende Merkmale enthalten: Die Form der Berührungsfläche nähert sich der eines Rotationskörpers, dessen Axe annähernd senkrecht zur Längsaxe der Knochen liegt, und die Bewegung ist durch starke Seitenbänder auf eine zwangläufige Drehung um diese Axe eingeschränkt. Es sei hier ausdrücklich hervor- gehoben, dass die Flächengestalt an sich für den Begriff des AValzengelenkes unwesentlich ist, da die später aufzu- führenden Zapfengelenke dieselbe Flächenform, aber ganz andere Bewegungsweise darbieten (154). Aus der gegebenen Beschreibung geht hervor, dass der Begriff des Walzengelenks ebenso wie der der Amphiarthrose eine grosse Zahl verschiedener ünterformen umfasst. Daher hat man, indem bald diese, bald jene Form als die Hauptform angesehen wurde, Gelenldehre. -101 eine grosse Zahl von verschiedenen Bezeichnungen für dieses Gelenk angenommen, die hier folgen. „Walzengelenk", „Cylindergelenk" (bei Ludwig „Säulen- gelenk") bezeichnet den idealen Typus der vollkommenen Cylinder- form, die aber in Wirklichkeit kaum vorkommt. Eben aus diesem Grunde eignet sich die Benennung zur gemeinsamen Bezeichnung der ganzen Gruppe. „Scharniergelenk", oder mit dem deutschen Ausdruck „Ge- werbe- (richtiger wohl „Gewinde-) gelenk" (76'), bezeichnet zwar anschaulich die ideale Bewegungsform, nämlich die Beugung in Einer Ebene. Der Mechanismus eines Scharniers weicht aber von dem aller AVirbelthiergelenke, streng genommen von dem aller thierischen Gelenke überhaupt, wesentlich ab. Das Scharnier besteht bekanntlich darin, dass von beiden gegen einander beweglichen Theilen ineinandergreifende Stücke vorspringen, die sich um eine gemeinsame durch alle die vorspringenden Stücke hindurchgehende Axe drehen. Etwas Aehnliches findet sich an den thierischen Gelenken nur inso- fern, als mitunter in einander greifende Knochenvorsprünge vorhanden sind. „Ginglymus" (vom griechischen Glymos, die Thürangel) be- deutet dasselbe wie Scharniergelenk. Endlich hat man vom Standpunkte ausschliesslicher Berück- sichtigung der Flächengestalt als eine besondere Gelenkform das „Kegelgelenk" unterscheiden wollen, das aber nach der oben ge- gebenen Bestimmung bald den Zapfen-, bald den Walzengelenken zuzuzählen ist (154), da es sich nur durch die Eigenthümlichkeit seiner Rotationsfläche unterscheidet. 151. Dass diese ünterscheidimg unwesentlich ist, geht daraus hervor, dass die Berührungsfläche der meisten Walzengelenke statt der Cylinderfläche, die durch Rotation einer Geraden entsteht, eine Form zeigt, die durch Rotation einer gegen die Rotationsaxe con- vexen Curve entsteht (vergl. Fig. 14 (163)) und die also näherungs- weise als Mantel eines Doppelkegels bezeichnet werden kann. Man hat nun von jeher diese Doppelkegelfläche einfach als eine ge- furchte Cylinderfläche aufgefasst, indem man in diesem Falle die Einfurchung unter der Bezeichnung „Leitfurche" als unwesentlich ansah. Thatsächlich weicht die Gestalt einer Walzengelenklläche mit Leitfurche nicht von der einer Sattelgelenklläche ab (162). Hier zeigt sich deutlich die 102 Vierter Abschnitt. Mangelhaftiglceit der durch ausschliessliche Berücksichtigung der Flächen- form entstandenen Anschauung. Denn der Grund, warum in dem einen Falle ein „Walzengelenk mit Leitfurche", im anderen ein ganz anderer Typus das „Sattelgelenk" anzunehmen ist, liegt darin , dass im ersten Falle die Seiten- bänder die Bewegung zu einer zwangläufigen machen. Es ist also einerseits unumgänglich, die Seitenbänder als wesentlichen Bestandtheil der Walzen- Figur 10. Walzengelenk mit Leitfurche. Ist der Boden der Furche gerundet, wie in der Figur, so stellt er eine Sattelfläche dar. Das Gelenk unterscheidet sich dann vom Sattelgelenk wesentlich durch die Seitenbänder. gelenke aufzufassen, andererseits muss die Begriffsbestimmung die Gelenke mit Leitfurche, also von Doppelkegelform und mithin auch die einfache Kegelform einschliessen. Die Begriffsbestimmung wird aber dadurch insofern zu weit, als sie auch einen Theil der Schraubengelenke mit umfasst. Das ist jedoch deswegen nur ein geringer Fehler, weil sich die betreffenden Schrauben- gelenke thatsächlich von Walzengelenken wenig unterscheiden." c) Gelenke mit schraubenförmigen Flächen. 152. Unter der Bezeichnung „Schraubengelenk" sind bisher in der Allgemeinen Gelenklehre alle Gelenke zusammengefasst worden, die schraubenförmige Flächen haben. Hierbei werden grundverschiedene Mechanismen, die ganz verschiedenartiger Bewe- gung dienen, unmittelbar nebeneinander gestellt. Die Schraubengelenke zerfallen nämlich in zwei ganz verschiedene Gruppen, je nachdem sie entweder den Walzengelenken oder den später zu besprechenden Zapfengelenken verwandt sind (154). Die Unterschied lässt sich anschaulicher als an den wirklichen Gelenken, bei denen die Schrauben- form der Flächen meist nur ganz schwach angedeutet ist, an der Vorstellung von den in der Technik verwendeten Schrauben und Schraubenmuttern aus- einandersetzen (244). Die Schraubenmutter bewegt sich bekanntlich auf der zugehörigen Schraubenspindel, indem sie sich gleichzeitig dreht und auf der Spindel fortschiebt (41). Man unterscheidet rechtsgewundene Schrauben, bei Geleiiklehre. 103 denen, wenn die Spindel senla-echt steht, der Schraubengang im Sinne des Uhrzeigers hinabläuft, von linksgewundenen, bei denen der Schraubengang in gleichem Falle aufwärts läuft. Hat man es nun nicht mit einer regelmässig geformten Mutter, sondern mit einem beliebigen Körper zu thun, der sich auf der Schraubspindel fortschraubt, so wird es von der Gestalt dieses Körpers abhängen, welche Bewegung stärker bemerkbar wird. Fällt die Längsaxe des Körpers in die Richtung der Schraubspindel (vgl. Fig. 12 (155)), so wird sich der Körper um seine Längsaxe drehen, wird also durch die Drehung keine wesentliche Lageänderung erfahren, dagegen wird die Fortschiebung auf der Längsaxe deutlich bemerkbar sein. Fällt dagegen die Längsaxe des Körpers in eine Richtung quer zur Schraubspindel (vgl. Fig. 11), so wird bei der geringsten Drehung die Lage des ganzen Körpers eine andere, während die Verschiebung längs der Spindel noch verschwindend klein sein kann. Die Beweguiigsform der Schraubengelenke ist also verschieden, je nach der Ijage der Schraubenaxe zur Längsaxe des Knochens. Bei den Walzengelenken liegt die Krümraungsaxe der Gelenk- flcächen quer zur Längsaxe der Knochen. Es sollen hier zunächst diejenigen Schraubengelenke besprochen werden, die dem zweiten oben erwähnten Fall entsprechen, bei denen also die Schraub- spindel quer zur Längsaxe steht, und die also den Walzengelenken ähnlich sind. d) Schraubengelenke mit querer Axe. 153. Die angegebene Art der Schraubengelenke kann be- schrieben werden als Walzengelenk mit schräg verlaufender Leit- furche. Hierin liegt zugleich die Angabe, dass die Bewegungsform der der Walzengelenke ähnlich ist, das heisst in Drehung um eine quer zur Längsaxe des Knochens gelegene Axe besteht. Dadurch, dass die Leitfurche nun schräg zu dieser Axe verläuft, und gleich- sam einen Schraubengang darstellt, in den die anstossende Gelenk- fläche des bewegten Knochens eingreift, findet gleichzeitig mit der Drehung eine Parallelverschiebung dieses Knochens längs der Walzen- fläche statt. Die Grösse dieser Parallelverschiebung lässt sich mittelst der oben (24) angegebenen Methode der „Führungslinie" bestimmen. Sie kann aus mehreren Ursachen immer nur eine sehr geringe Grösse erreichen. Erstens beträgt der Winkel, um den sich ein Gelenk bewegen lässt, im günstigsten Falle etwa 180 o, die Leitfurche müsste also schon sehr schräg verlaufen, um in einem halben Umgang um die Walze einen merklichen Grad von Ver- schiebung hervorzubringen. Zweitens würde bei einer stärkeren Verschiebung 104 Vierter Abschnitt. Figur 11. ^ — 1 I ^^ S'-'' A- rr^ s Schematisclacs Modell eines Schraubengelenkes mit querer Axe. Die Schraub- spindel S ist feststehend gedacht. Der Körper M, zu dessen Längsaxe die Schraubspindel quer gerichtet ist, bewegt sich auf ihr längs des Schrauben- ganges G. Es ist zu beachten, dass der Schraubengang nicht grade, sondern schräg von hinten rechts nach vorn links über den Spindelkörper S hinläuft. die Befestigung des Gelenks durch Seitenbänder unmöglich sein, vs^eil straffe Seitenbänder mit der Parallelverschiebung unvereinbar sind. Thatsächlich ist die Steilheit der Schraube, das ist die Schrägung der Leitfurche, überall so gering, dass die seitliche Verschiebung innerhalb der Dehnbarkeitsgrenzen der Seitenbänder fällt. Die Begriffsbestimmung des Schraubengelenks mit querer Axe würde demnach etwa so lauten: Es ist ein Walzengelenk mit schräger Leitfurche, bei dessen zwangläufiger Bewegung ausser der Drehung um die Walzenaxe auch eine Parallelverschiebung längs der Axe stattfindet. e) Zapfengelenk. 154. Ein Beispiel dafür, dass bei gleicher Flächengestalt die Bewegungsform der Gelenke völlig verschieden sein kann (144), bildet das Zapfengelenk, Drehgelenk, Radgelenk, Trochoides, das der Flächenform nach mit dem Walzengelenk identisch ist. Der Unterschied zwischen beiden Formen besteht darin, dass beim Walzengelenk die Axe der Rotationsfläche cjuer zur Längsaxe der Knochen liegt, während die Axe der Gelenkfläche des Zapfengelenks rait der Längsaxe des Knochens zusammenfällt. Gelenklchre. 105 Der dadurch hervorgebrachte Unterschied der Bewegungsf orm ist sehr gross, denn bei der Bewegung des Zapfengelenks findet überhaupt keine wesentliche Lagevereänderung, sondern nur eine Drehung des bewegten Körper- theils statt. Ein zweiter wesentlicher Unterschied liegt darin, dass die Seiten- bänder, die beim Walzengelenk eine so wichtige Rolle spielen, beim Zapfen- gelenk gänzlich in den Hintergrund treten. Statt dessen finden sich bei dem Zapfengeleuk Bandschlingen, die den einen Gelenkkörper zu einem den andern vollständig umschliessenden Ringe ergänzen. Dabei kann entweder der um- schlossene Körper eine hohle, rollenähnliche Rotationsfläche haben, sodass ihn die Bandschlinge in der Furche hinziehend auch vor Längsverschiebung be- wahrt, oder er kann eine gewölbte, fassförmige Fläche darbieten, die sich in einer entsprechenden Höhlung des anderen Knochens und der Bandschlinge dreht. Die Gelenkfläche kann entweder den ganzen Umfang des zapfenförmigen Knochentheils einnehmen, wo sich dann ein sehr grosser Umfang der Drehungs- bewegung ergiebt oder bei beschränkter Drehungsmöglichkeit nur einen Theil. Man hat nach der Gestalt der Gelenkfläche noch verschiedene Formen dieses Gelenks unterscheiden wollen, als das eigentliche Zapfen- oder Kegelgelenk, dessen Flächenform eben diesen Gebilden entspricht und das Drehgelenk, das eine annähernd cylindrische Fläche haben soll. Diese Unterscheidung ist wohl überflüssig. Die Begriffsbestimmung für das Zapfengelenk lässt sich so fassen : Es ist ein Gelenk, in dem ein drehrundes Knochenstück so in einer röhrenförmigen Umhüllung eingeschlossen ist, dass es sich nur um eine eigene Längsaxe drehen kann. f) Schraubengelenk mit Zapfengelenkform. 155. Wie dem Walzengelenk, dessen Drehaxe quer zur Knochenlängsaxe steht, das Schraubengelenk mit querer Axe ent- spricht, so entspricht dem Zapfengelenk, in dem sich der Knochen um seine Längsaxe dreht, ebenfalls eine Form des Schraubenge- lenks. Diese Form geht aus dem Zapfengelenk hervor, wenn man sich die Rotationsfläche des Zapfengelenks mit einer schrägen Leit- furche versehen denkt. Von dieser Furche braucht auch nur die eine Seite ausgebildet zu sein, so dass die Gelenkfläche nur einen ganz kleinen Abschnitt aus einem sehr viel grösseren Schraubengang darstellt. Unter diesen Umständen kommt es auch nicht darauf an, dass die Flächen sich wirklich genau nach den Gesetzen der Schraubenfläche richten, ja es brauchen die beiden Gelenkkörper einander in der Schraubenfläche nur in Einem Punkte zu berühren. Das Wesentliche ist, dass die Fläche schräg zur Drehaxe verlaufe, sodass eine Steigung der theo- 106 Vierter Abschnitt. retisch angenommenen Schraube nachzuweisen ist. Eine solche schrauben- förmig ansteigende Fläche bewirkt bei der Drehung des Gelenks Fortrücken in der Richtung der Drehaxe, und in dieser Form der Bewegung liegt das sicherste Kennzeichen für die vorliegende Art der Schraubengelenke. Figur 12. Schematisches Modell eines Schraubengelenkes mit Zapfengelenkform. Die Schraubspindel S ist feststehend gedacht. Der Körper M, dessen untere Fläche in der Zeichnung von der entsprechenden Fläche von S abgehoben dargestellt ist, dreht sich um die Schraubenaxe Z, wie die Umhüllung eines Zapfengelenks um den Zapfen. Die Längsaxe des cylindrischen Körpers M fällt mit der Drehungsaxe der Schraube zusammen. Von dem ganzen Mechanismus ist in wirklichen Gelenken meist nur ein kleines Stück Schraubenfläche, entsprechend etwa AB CD ausgebildet. Demnach ist der Begriff dieser Gelenkform etwa folgender- maassen zu bestimmen: Das Schraubengelenk mit Zapfengelenkform ist ein Zapfengelenk mit schräger Leitfurche, in dem zugleich mit der Drehung ein Fortrücken des bewegten Gelenktheiles in der Richtune der Drehaxe stattfindet. g) Freies Walzengelenk oder eigentliches Oylindergelenk. 156. Verf. glaubt, in dem Giessbeckenschildknorpelgelenk das Beispiel einer Gelenkform zu erkennen {74), deren thatsächliches Vorkommen be- zweifelt worden ist (135). Diese Gelenkform, die ,, freies Walzengelenk" ge- nannt werden möge, hat eine walzenförmige Fläche, ebenso wie ein Walzen- gelenk, aber keine straffen Seitenbänder, sondern nur eine lose Kapsel. In Folge dessen ist in diesem Gelenk sowohl Beugung im Sinne der Krümmung der Walzenfläche als auch freie Verschiebung längs der Walzenaxe möglich. Gelenklehre. 107 Finden beide Bewegungen zugleich statt, so beschreibt die Längsaxe des be- wegten Knochens eine Schraubenfläche. Die Bewegung ist dann der eines Schraubengelenks mit querer Axe gleichzustellen, mit dem Unterschiede, dass es sich beim Schraubengelenk um eine zwangläufige Bewegung handelt, weil ja die Verschiebung in der Längsrichtung durch die schräge Leitfurche be- stimmt ist, während bei dem freien Walzengelenk die Bewegung jede beliebige Zwischenform zwischen reiner Scharnierbewegung und reiner Längsver- schiebung annehmen kann. Beim Schraubengelenk ist eben das Fortrücken in einem bestimmten, durch die Schrägheit der Leitfurche gegebenen Verhältniss an die Scharnierbewegung gebunden, beim freien Walzengelenk sind beide Bewegungsformen unabhängig von einander und können in jedem beliebigen Verhältniss gemischt auftreten. Die Begriffsbestimmung für diese Gelenkform wäre demnach so aufzu- stellen : Das freie Walzengelenk ist ein Gelenk mit walzenförmiger Gelenkfläche, in dem sowohl freie Drehung um die Walzenaxe als auch freie Verschiebung längs der Walzenaxe stattfindet. Es bleibt bei dieser Betrachtung dahingestellt, ob nicht durch die An- ordnung der auf das Gelenk wirkenden Muskeln und die anderen Weichtheil- verbindungen die thatsächlich vorkommenden Bewegungen sich auf eine be- stimmte Schraubenbewegung beschränken. Vom Standpunkte der Allgemeinen Gelenklehre ist jedenfalls die Möglichkeit der freien von der Beugung unab- hängigen Verschiebung zu beachten. h) Eigelenk. 157. Denkt man sich das Wackelgelenk nicht nur in Einer Richtung, sondern nach zwei etwa aufeinander senkrechten Rich- tungen durch Erschlaffen der Gelenkbänder und geeignete Krüm- mung der Fläche beweglich gemacht, und zwar so, dass durch stärkere Krümmung in der einen, schwächere in der andern, ein verschiedener Grad der Beweglichkeit in beiden Richtungen ent- steht, so erhält man die als Eigelenk bezeichnete Gelenkform. 158. Wie schon oben bei der allgemeinen Betrachtung über den Einfluss der Flächengestalt erklärt wurde (136), kann in einem Gelenk mit eiförmiger Fläche, wenn die beiden Gelenkkörper starr und unnachgiebig sind und genau auf einander passen, überhaupt keine Bewegung stattfinden. Die Be- wegungsmöglichkeit in den Eigelenken beruht also ganz und gar darauf, dass die beiden Gelenkflächen nicht absolut genau zusammenschliessen, oder dass sie so schmiegsam sind, dass sie die zur Bewegung erforderliche Formänderung erlauben. Der letztere Umstand spielt offenbar die geringere Rolle, denn sonst müsste den Eigelenken wie den Wackelgelenken eine bestimmte Ruhelage zu- kommen. Ausserdem ist der Druck, durch den einzelne Eigelenke wie z. B. 108 Vierter Abschnitt, das Hancigeleiik zusammengepresst worden, im Vergleich zur Grösse ihrer Oberfläche zu klein, um eine starke Aenderung der Knorpeldicke hervorzubringen. Die beiden Flächen des Eigelenks dürfen also nicht vollkommen genau auf- einanderpassen, sondern es wird der hohle Theil des Gelenks eine etwas schwächere Krümmung haben als der dazu gehörige Gelenkkopf. 159. Demnach berühren sich die Flächen, genau genommen, nur in Einem Punkt, und werden in gewissem Umfange auf einander wackeln oder rollen und sich auch gegen einander drehen können. Sieht man von diesen Bewegungen ab, so stellen sich die Hauptbe- wegungen des Eigelenks dar, als die Bewegung eines Walzengelenks sowohl in der Richtung der stärkeren wie auch der schwächeren Krümmung. Die Axen dieser beiden Krümmungen werden nun in verschiedener Entfernung von der Fläche gelegen sein, und in Folge dessen wird ein gleicher Ausschlag in der Richtung der schwachen Krümmung einer kleineren Winkelbewegung des beweglichen Theiles entsprechen, als in der Richtung der stärkeren Krümmung. Durch gleichseitige Bewegung um beide Axen werden Bewegungen in allen Richtungen möglich. Um dabei eine richtige Vorstellung von der stattfinden- den Verschiebung der Gelenktlächen zu behalten, muss man sich erinnern, dass der gleiche Ausschlag, auf die beiden verschieden weit von der Fläche liegenden Axen bezogen, verschiedenen Winkelgrössen entspricht. Macht man in dem Gelenk Bewegungen um beide Axen nach allen Seiten bis zu einer bestimmten Winkelgrösse, so wird deshalb in der Richtung der stärkeren Krümmung eine viel grössere Bewegung stattfinden als in der Richtung der schwachen Krümmung. 160. Diese Beschreibung der Bewegungsform rauss deswegen einigermaassen unbestimmt bleiben, weil der ganze Mechanismus auf der ungenauen Uebereinstimmung der Flächen beruht. Man ist aus diesem Grunde auch lange Zeit nicht im Stande gewesen, eine bestimmte Flächenform anzugeben, der sich die Gelenkflächen nähern müssen, um einem bestimmten Umfange und einer bestimmten Form der Bewegung zu entsprechen. Diese Unsicherheit hat wieder darin ihren Ausdruck gefunden, dass die Benennungen des Gelenkes von einer ganzen Reihe verschiedener Flächen formen entlehnt sind, ohne dass irgend ein Zusaramenliang zwischen diesen Flächen und der Function des Gelenkes nachgewiesen wäre. Von diesen Benennungen seien hier folgende erwähnt: „Eigelenk" empfiehlt sich durch Kürze, Anschaulichkeit, und hält sich nur an die allgemeinsten Eigenschaften der Fläche. Gleichbedeutend ist „Oval- gelenk". „EUipsoi'dgelenk" dagegen erweckt den Eindruck, als handle es sich um eine bestimmte geometrisch definirte Körperform, um ein eigentliches Elli- psoi'd, während, wie eben bemerkt, die Krümmungsgesetze des Ellipso'ides zu der Function des Gelenks keine Beziehung haben. In dieser Beziehung ist die Bezeichnung ,,Sphaeroidgelenk" vorzuziehen. Gelenklehre. 109 Um der Unbestimmtheit, die in allen Angaben über den Mechanismus des Eigelenlvs bemerklich wird, ein Ende zu machen, und eine Theorie der that- sächlichen Bewegungen zu begründen, insbesondere aber, um die Beziehungen der Drehungsmöglichkeit zu den anderweitigen Bewegungen festzustellen, ist es von Interesse, die ideale Flächenform aufzusuchen, die den Anforderungen an den Mechanismus am Vollkommensten entspricht. Die hierbei anzustellen- den Betrachtungen kommen mit den gleichartigen Betrachtungen über die Flächengestalt des Sattelgelenkes überein, und mögen mit diesen zusammen besprochen werden (162). 161. Es sei hier nur die Thatsache nochmals hervorgehoben, dass ein Eigelenk, das keine Drehung der Gelenkflächen aufeinander zulässt, undenkbar ist. Denn nimmt man starre Flächen an, so wird, wie oben angedeutet wurde, die Möglichkeit jeder Bewegung ausgeschlossen, falls die Flächen aufeinanderpassen. Falls sie einander nur in Einem Punkte berühren, ist wieder Drehungsraöglichkeit gegeben. Nimmt man nachgiebige Flächen an, so muss abermals Drehung in gewissem Umfange möglich sein. Hierbei ist noch in Betracht zu ziehen, dass, selbst wenn die Flächen- form nur sehr geringe Drehung gestattet, doch die Möglichkeit der Drehung im beträchtlichen Umfange vorhanden ist, sobald die Entfernung der beiden Ge- lenktheile von einander sich nur im Allergeringsten vergrössert. So gut wie man mit der Gestaltveränderung der Knorpel rechnet, so gut muss man aber auch damit rechnen, dass die Knochen eines Gelenks in Wirklichkeit nicht mit unendlich grosser Kraft zusammengehalten sind (136). Man muss demnach die Drehungsmöglichkeit zu den eigen- thümlichen Merkmalen des Eigelenks zählen, obschon die Drehung nicht als normale, sondern nur als passive Bewegung vorkommt. Die Begriffsbestimmung des Eigelenks würde nach Allem dem etwa folgendermaassen zu fassen sein: Das Eigelenk ist ein Gelenk, in welchem die Knochen in einer eiförmigen, das heisst in einer Richtung stark, in der darauf senkrechten Richtung schwächer gekrümmten Fläche annähernd vollkommen aufeinanderpassen und an keiner Seite durch straffe Bänder verbunden sind. Die Bewegungen sind Drehungen um eine oder beide Krüm- mungsaxen, wobei die Drehung um die Axe der stärkeren Krümmung grössere Bewegungsfreiheit erreicht. Es besteht passive Rotations freiheit. 110 Vierter Abschnitt. i) Sattelgelenk. 162. Im Vorhergehenden ist das Walzengelenk als eine Amphiarthrose dargestellt worden, deren Flächen der Bewegung in einer Richtung vollkommen angepasst sind, und das Eigelenk als eine Amphiarthrose, deren Flächengestalt nach zwei Richtungen in gewissem Grade der Bewegung angepasst ist. Ebenso kann man sich auch das Sattelgelenk aus der Amphi- arthrose hervorgehend denken, indem die Anpassung an dieselbe Beweglichkeit wie beim Eigelenk zwar auf die gleiche Weise, aber in anderer Form hergestellt ist. a Schematische Darstellung eines Sattelgelenkes. — b und c Schnitte durch die in Figur a dargestellten Körper in den Ebenen SNNS und OWWO. Die Bewegungsform ist durch Verschiebung des Körpers B angedeutet. Man denke sich zwei Knochen A und B, Piff. 13a. die zunächst in einer Ebene zusammenstossen mögen. Es soll nun die gemeinsame Berührungsfläche der Bewegung in einer bestimmten Richtung dadurch angepasst werden, dass sie die Form einer Rotationsfläche mit auf die Bewegungsrichtung senkrechter Axe annimmt. Dies kann geschehen, indem die Gelenkfläche von A zur Voll- cylinderfläche, die Gelenkfläche von B zur entsprechenden IlohIc3'linderfläche wird. Oder umgekehrt B kann die Vollcylinderfläche und A die Hohlcylinder- fläche erhalten. Dies ist in Fig. 13 b und c veranschaulicht. Für die Bewe- gungsform im Allgemeinen ergiebt sich dabei kein Unterschied, da sie in beiden Fällen aus einer Scharnierbewegung besteht, nur dass die Drehungsaxe einmal in M, Fig. 13b, das andere Mal in M\ Fig. 13 c, gelegen ist. Betrachtet man nun nach Fig. 13a den Fall, dass A der Vollkörper, B der Hohlkörper für die Gelenklchre. 1 1 1 Bewegung in der Richtung SN ist, und denkt sich nun weiter das Gelenk der Bewegung auch in einer zweiten auf die erste senkrechte Richtung angepasst, und zwar in ganz derselben Weise, in dem sich die Fläche von A auch in der neuen Richtung der eines Vollcylinders nähert, dessen Axe senkrecht auf die neue Bewegung steht, so gelangt man zum Eigeleuk. Für die Bewegung in der zweiten Richtung ist es aber wiederum gleichgültig, ob der eine oder der an- dere Körper zum Vollkürper oder Hohlkörper wird. Für die erste ange- nommene Bewegungsrichtung (NS, Fig. 13a) sollte A Vollkörper, B Hohlkörper sein. Nimmt man auch für die zweite Bewegung A zum Vollkörper, so erhält A die nach zwei Richtungen abgerundete Gestalt der Eigelenkflache, B die ent- sprechende Hoblform. Nimmt man aber für die zweite Bewegungsrichtung (0 W, Fig. 13 a) B zum Vollkörper, A zum Hohlkörper, so erhält die Gelenk- fläche von A eine Form, die in der ersten Bewegungsrichtung convex, in der zweiten, darauf senkrechten Richtung concav gekrümmt ist, eine Form, die als ^Sattelfläche" bezeichnet wird. Die Bewegungsform bleibt dabei im Allgemeinen dieselbe wie beim Eigelenk, nur dass die Drehungsaxen für die erste und zweite Bewegung nicht auf derselben, sondern auf verschiedenen Seiten des Gelenks gelegen sind. In der erst angenommenen Richtung bewegt sich die hohle Krümmung von B auf der convexen von A, um eine im Körper A gelegene Axe, in der zweiten Bewegungsrichtung gleitet die convexe Krümmung von B auf der hohlen Krümmung von A, und dreht sich dabei um eine in B selbst gelegene Axe (Vergl. Fig. 13a und b). Die Anpassung der Amphiarthrose an Bewegung in zwei auf- einander senkrechten Richtungen ist also für jede der beiden Rich- tungen beim Eigelenk in gleicher, beim Sattelgelenk in verschie- dener Form durchgeführt. 163. Diese Ableitung der Sattelgelenkform aus der Amphiarthrose ist hier gegeben, um die Beziehungen des Sattelgelenks zum Eigelenk und ihre Gleichheit in Bezug auf die Beweglichkeit ins rechte Licht zu stellen. Dagegen entbehrt sie vielleicht der Anschaulichkeit, die den Vorzug derjenigen Dar- stellung bildet, die A. F ick in seiner ersten Behandlung des Sattelgelenk- mechanismus giebt {77). Diese ist im Grunde genommen eine Herleitung des Sattelgelenks aus dem Walzengelenk. Zwei Körper, die sich in einer Cylinder- fläche berühren, können sich gegen einander durch Drehung um die Cylinder- axe bewegen. Quer zur Krümmung des Cylinders kann aber keine Bewegung stattfinden, weil in dieser Richtung die Flächen nicht gekrümmt sind. Denkt man sich aber quer um den Cylinder eine Furche von kreisförmigem Q,uer- schnitt gegraben, so wird die kreisförmige Höhlung der Furche eine hohle Krümmung in einer Richtung, die ursprüngliche Wölbung der Cylinderfläche eine convexe Krümmung in der andern Richtung ergeben, sodass eine Sattel- 112 Vierter Abschnitt. fläche mit Bewegungsfreiheit nach zwei aufeinander senkrechten Richtungen entsteht. Diese Darstellung ist wohl anschaulicher, hat aber den Fehler, dass sie von exacten Formen ausgeht, also einen Cylinder, eine Kreisform annimmt und dadurch leicht zu falschen Vorstellungen führen kann. Denn weder ist es für ein Sattelgelenk nothwendig, dass die Krümmungen kreisförmig seien, noch lässt sich die bei der Beschreibung der Fläche vorhandene Exactheit der Anschauung beibehalten, sobald die Bewegung in Betracht gezogen wird. Denn ebenso wie beim Eigelenk ist streng genommen beim Sattelgelenk eine Bewegung nur dadurch möglich, dass die Flächen nicht genau zusammen- schliessen. Daher ist die ebenfalls von A. Fick zur Veranschaulichung des Sattelgelenks gegebene Beschreibung vielleicht noch zutreffender, wonach die Figur 14. \ \ A I t 1 t ^~~" "" Ay M Der Kreisbogen CD mit dem Mittelpunkt M erzeugt durch Rotation um die Gerade AB einen Rotationskörper mit Sattelfläche. Gelenkflächen als die Flächen zweier überkreuzt auf einander gelegten Hyper- boloide bezeichnet werden. Dies erweckt aber wieder den falschen Begriff, dass die Flächen nothwendig gerade nach den Gesetzen des Hyperboloids ge- staltet sein müssen, während eigentlich weiter nichts über sie ausgesagt werden sollte, als dass es Flächen sind, die in einer Richtung convex, in der andern concav gekrümmt seien. Dies ist im Grunde genommen schon deutlich genug mit dem einen Worte : Sattelgelenk ausgesprochen. Von der Bewegungsform des Sattel- gelenks giebt eben auch die Bewegung des Reiters im Sattel, der nach rechts und links hinabrutschen und sich nach vorwärts und rückwärts überbeugen kann, eine einleuchtende Anschauung. Auch die beschränkte Möglichkeit der Rotation wird durch dieses Bild gut angedeutet. Sehr gut entsprechen dem unbestimmten Charakter des Gelenks die französische und englische Be- zeichnung: ,,Articulation ä emboitement reciproque" und Articulation by re- ciprocal reception". Gelenklehie. 113 164, Ebenso anschaulich ist die Herleitung der SattcUlächen aus der Betrachtung der Oberfläche ringförmiger Körper. Statt den Cylinder aus der obigen Darstellung mit einer Furche zu versehen, kann man ihn sich auch zum Ringe gebogen denken. Zwei ringförmige Flächen, die kreuzweis auf einander liegen, wie es an der Berührungsstelle je zweier Ringe einer ge- spannten Kette geschieht, veranschaulichen sehr einfach den Mechanismus des Sattelgelenks. Von dieser Anschauung ist Henke bei der Darstellung des Sattelgelenks ausgegangen (76'), indem er die Flächen als die Flächen zweier vollkommen gleichen kreisrunden Ringe mit kreisförmigem (»Querschnitt ansah , deren Dicke Figur 15. Darstelhmg des Sattelgelenkes nach Henke. Zwei congruente Kreisringe um- fassen einander gegenseitig. .Jeder von ihnen kann, indem der andere stillsteht, Drehungen um zwei auf einander senkrechte Axen, nämlich 1 und 2, ausführen. gerade so gross ist, wie die Weite ihrer Oeffnung. Zwei solche Ringe sollen in einander greifen, so dass der eine die Dicke des andern umspannt und sie einander gegenseitig vollständig erfüllen. Sie berühren einander dann nur in zwei Linien, nämlich in den beiden Dickenumfängen, die je der andere Ring umspannt. Das den Kreuzungspunkt der beiden Berührungslinien umgebende Oberflächenstück eines der Ringe kann dann an der Innenseite des andern gleiten, indem es ihn immer noch in zwei gekreuzten Linien berührt. Sobald es aber nach der Aussenseite des Ringes verschoben wird, kommt es auf immer flachere Krümmungen zu liegen und wird schliesslich, statt wie Anfangs auf einer Kreislinie zu gleiten, auf der convexen Seite des Ringes führungslos umher rollen können. Daher kann diese Beschreibung der Flächen auch nur zur Veranschaulichung der Bewegungsform des Sattelgelenks im Allgemeinen, R. (In B o i s-I! 0 y in o n d, .Spec. Miiskeli]liysiliysii)logie. q 130 Vierter Abschnitt. I. Figur 20. Jl. D yiji '- '' ■ ' 1". D"f.. V- ->, ' » 0^ ,. ^_^ - - - -\ '-' - - ^ - - j » / \ * / * / r ^B ---.,D- Darstellung des Bewegungsumfanges, der sich ergiebt, je nachdem zur Beweg- lichkeit eines Kugelgelenkes noch die eines Walzengelenkes hinzukommt oder umgekehrt. I. Der feste Stab AB ist in B durch ein Kugelgelenk mit BC, ßC in C durch ein Walzengelenk mit CD verbunden. BC kann jede Lage innerhalb des Kegels BC'CC" annehmen und sich um sich selbst drehen. CD kann bei jeder Stellung von BC einen Halbkreis wie D'D"D'" beschreiben und durch die Drehung von BC den Kreis D"D"" nebst der darüber gelegenen Halbkugel bestreichen, und sich um sich selbst drehen, wenn er in Verlängerung von BC steht. II. Der feste Stab DC ist mit CB in C durch ein "Walzengelenk, CB in B mit BA durch ein Kugelgelenk verbunden. CB kann um C nur in Einer Richtung den Halbkreis B'BB" beschreiben. In jeder Lage von B kann BA sich inner- halb eines Kegels wie A'AA" bewegen, was auch für die Lagen B' und B" an- gedeutet ist. Ausserdem kann sich BA in jeder Stellung um sich selbst drehen. 187. Ebenso wie die Beweglichkeit der verschiedenen Gelenke eines Gliedes je nach ihrem Bau eine besondere Gesamratbeweg- lichkeit ergiebt, bedingt Bau und Anordnung der betheiligten Ge- lenke auch eine bestimmte Art der Zusammenwirkung bei der Aus- führung bestimmter Bewegungen. Es mag hier ein Beispiel an- Specielle Gelenklehre. 131 geführt werden, um dies Gebiet der Gclenklehre zu kenn- zeichnen (324). Um der Hand eine beliebige Bewegung zu ertheilen, pJlegen Ellenbogen und Schultergelenk in ganz bestimmter Weis*e zusammen- zuwirken. Wird das Ellenbogengelenk in bestimmter Beugestellung festgehalten, so ist die Bewegung der Hand unmittelbar von der der Schulter abhcängig. Vorausgesetzt, dass die anfänglich ange- nommene Bewegung unter dieser Bedingung überhaupt möglich ist, wird sie nun eine ganz andere Bewegung der Schulter erfordern. Umgekehrt, wird die Schulter in einer bestimmten Stellung fest- gehalten, so erfordert die Bewegung, sofern sie überhaupt auszu- führen ist, eine ganz andere Bewegung des Ellenbogens. Die gleiche Bewegung eines Gliedes kann demnach durch Bewegungen ganz verschiedener Gelenke hervorgebracht werden. Dieser Um- stand ist für die Beurtheilung der gemeinsamen Thätigkeit der Gelenke von Bedeutung. Der Mathematiker Tschebitschew, der sich viel mit der Construction von Gelenkmechanismen zur Hervorbringung bestimmter Bewegungsformen be- schäftigt hat, hielt die Wirkungsweise des menschlichen und thierischen Knochengerüstes in dieser Beziehung für vorbildlich {85). II. Specielle Gelenklehre. § 1. Eintheilung. 188. Man könnte den Inhalt der Speciellen Gelenklehre nach den Grund- sätzen der Allgemeinen eintheilen, sodass etwa zuerst die einzelnen Synar- throsen, dann die einzelnen Diarthrosen, und zwar der Reihe nach Kugel- gelenke, Walzengelenke und so fort beschrieben würden. Doch würde es in vielen Fällen streitig bleiben, ob ein besonderes Gelenk etwa als Walzen- oder als Schraubengelenk aufzufassen sei. Daher verfährt man besser so, dass man die einzelnen Gelenke nach der in der descriptiven Anatomie gebräuchlichen Reihenfolge aufführt. Danach steht an erster Stelle das Kiefergelenk, Articulatio cranio- mandibularis. § 2, Kiefergelenk. 189. Bei den imteren Klassen der Wirbelthiere findet sich eine aus mehreren Gliedern (Hyomandibülare, Symplecticum, Quadratum) bestehende Knochenkette, die den ebenfalls aus verschiedenen Stücken zusammengesetzten Unterkiefer mit dem Schädel verbindet (<%'). 132 Vierter Abschnitt. Diese Einrichtung wiederholt sich in der Thierreihe mit mannichfachen Abänderungen, die grosse physiologische Unterschiede setzen. Die lang- gestreckte Form und bewegliche Verbindung der betreffenden Theile gewährt den Schlangen, die Fähigkeit, den Raum zwischen Ober- und Unterkiefer in unglaublichem Maasse zu erweitern. Bei den anderen Reptilien dagegen, bei Krokodilen und Schildkröten, sind die Knochen in der Weise verschmolzen, dass nur ein einziges, zu um so kräftigerem Schlüsse geeignetes Gelenk übrig bleibt. Beim Schädel der Säugethiere ist die Verschmelzung und Vereinigung der verschiedenen Elementarbestandtheile so weit fortgeschritten, dass die Deutung des Befundes streitig geblieben ist. 190. Es findet sich jederseits nur Ein Gelenk zwischen dem Schläfenbein an der Schädelbasis und dem Gelenkfortsatz des Unterkiefers. Da die beiden Unterkieferhälften schon im ersten Lebensjahre völlig verschmelzen und verknöchern, so bewegt sich der Unterkiefer im Allgemeinen in beiden Gelenken gleichzeitig, sodass sie zusammen als Ein „combinirtes Gelenk" angesehen werden könnten. Doch wird sich bei Besprechung der ßewegungs- weise zeigen, dass diese Auffassung nur für das Unterkiefergelenk der Raubthiere zutreffend wäre. Das einzelne Gelenk jeder Seite ist durch einen Zwischenknorpel in je zwei getheilt und dadurch als ein „Doppelgelenk" gekennzeichnet. 191. Der Gelenkfortsatz bildet oben einen platten Kopf, der eine etwas nach vorn gerichtete Gelenkfläche trägt. Diese ist länglich sphaeroidal, von vorn lateral, nach hinten medial schräg gestellt. Die Gelenkfläche des Schläfenbeins liegt auf der unteren Fläche des Schuppentheils. Sie besteht aus zwei Theilen, einer Grube, Cavitas glenoidca, und einem Vorsprung, Tuberculum arti- culare, der aus der vorderen Wurzel des Processus zygomaticus hervorgeht. Lage und Gestalt der Grube ist der des Unterkiefer- köpfchens entsprechend, von vorn und lateral nach hinten medial queroval und von sphaeroider Krümmung. Das Tuberculum gleicht einer ausgekehlten Walze mit entsprechend schräg verlaufender Axe. Von den Gelenkflächen ist nur das Tuberculum und das Kieferköpfchen mit einem Knorpelüberzuge versehen, über dem sich noch eine dünne Bindegewebsschicht findet, welche, in das Periost übergehend, den übrigen Theil der Gelenkfläche allein bedeckt. Ebenso besteht der sogenannte Zwischen-„Knorpel" eigentlich aus Bindegewebe. Er ist unten concav, oben in transversaler Richtung leicht convex, in sagittaler Richtung concav, sodass die Mitte i Specielle Gelenklehre. 133 dünner ist als der Kand, der iiinten bedeutend dicker ist als vorn. Mit der Kapsel ist der Zwischenknorpel allseitig so verbunden, dass eine obere grössere, eine untere kleinere Gelenkhöhle entsteht. Beide sind mit Synovialhaut ausgekleidet. Die Kapsel ist ziemlich schlaff. Am Unterkiefer setzt sie vorn dicht an der Gelenkiläche, hinten ein wenig weiter unterhalb an. Vom Schläfenbein entspringt sie vorn unmittelbar am Rande des Tuberculum, hinten vor der Glaser'schen Spalte. Die Kapselbänder sind sehr schwach. Man unterscheidet ein Ligamentum accessorinm laterale vom hinteren Theile des Processus zygomaticus zur lateralen Fläche des Pro- cessus condyloideus, mid ein mediales, das einen Zipfel bis zum Rande des Foramen maxillare internum hinabschickt. Zwischen dem medialen Band und der Kapsel liegt eine Anhäufung lockeren Bindegewebes. Vom Processus styloideus zum Foramen maxillare läuft ein dünner Bandstreifen, Lig. stylomaxillare, der jedoch für die Bewegung des Unterkiefers keine Bedeutung hat. Ebensowenig dürfen die Seitenbänder als Hemmungsbänder angesehen werden (115) (67). 192. Als Bewegungsmechanismus stellt sich das Kiefergelenk jederseits als ein aus zwei Charniergelenken zusammengesetztes Doppelgelenk dar. Da beide Gelenke zum Theil durch den elasti- schen Zwischenknorpel gebildet werden, darf man die Eigenthüm- lichkeiten der Krümmung ihrer Knochenflächen, die übrigens indi- viduellen Schwankungen unterliegt, vernachlässigen und für beide Gelenke einfache Charnierbewegung annehmen. Die Axe des unteren Gelenkes ist im Kieferköpfchen, die des oberen im Tuberculum maxillare zu suchen. Für die symmetrische Bewegung der Gelenke beider Körperhälften muss- ferner auch die Schrägstellung dieser Axen ohne Bedeutung sein. Der Unterkiefer muss sich nämlich dabei um eine Axe bewegen, die durch entsprechende Punkte des jederseitigen Gelenkes, also genau frontal verläuft (182). In den Bewegungen des Kiefers lassen sich drei Typen unterscheiden: 1. Gemeinsame Charnierbewegung der beiden Kiefergelenke = Oeffnen und Schliessen des Mundes. 2. Gemeinsame Vorwärts- und Rückwärtsbewegung der beiden Gelenke bei geschlossenen Zahnreihen. 3. Ungleichseitige Vor- und Rückwärtsbewegung in den einzelnen Gelenken. 134 Vierter Abschnitt. 193. Bei der Untersuchung der ersten Bewegung fällt zunächst auf, dass mit dem Oeifnen des Mundes stets Vorrutschen der Kieferköpfe auf die Tuber- cula verbunden ist. Dies ist am Lebenden mit aufgelegtem Finger deutlich zu fühlen. Die eigentliche Gelenkarbeit wird also vom Tuberculum, nicht von der Cavitas glenoidea geleistet, was sich auch durch die oben erwähnte Be- schaffenheit des Knorpelüberzuges bestätigt. Bei dem Vorwärtsgleiten schiebt sich jederseits im oberen Gelenke der Zwischenknorpel auf dem Tuberculum vor, während sich im unteren das Köpfchen auf dem Zwischenknorpel dreht. Die Angabe, dass das obere und untere Gelenk hierbei in gleichen Zeiträumen gleiche Bruchtheile ihres Bewegungsumfanges zurücklegen, bedarf der Bestäti- gung. Zweifellos ist, dass kleinere Oeffnungsbewegungen ohne wesentliche Verschiebung des Zwischenknorpels möglich sind, während bei grösseren die Verschiebung sehr stark wird. Es lässt sich daher auch keine bestimmte Be- wegungsbahn für den Unterkiefer angeben, sondern die Bewegungen fallen in einen zwischen den Kreisbögen um den Mittelpunkt der Cavitas glenoidea und den Mittelpunkt des auf das Tuberculum vorgeschobenen Köpfchens, gelegenen „Verkehrsraum", innerhalb dessen sie verschiedenen Bahnen folgen können. 194. Der zweite Bewegungstypus hat nur in diesem Zusammenhang mit dem ersten Bedeutung und wird unter gewöhnlichen Umständen wohl nie in seinem vollen Umfange angewendet. Es kann aber das zeitliche Verhältniss der beiden Bewegungen beim Beissen so bemessen sein, dass die Schliessung durch das untere Gelenk erfolgt ist, ehe der Zwischenknorpel ganz zurück- geglitten ist, worauf dann eine typische Sagittalbewegung im oberen Gelenk ausgeführt wird. 195. Nach einer neueren Untersuchung ist die Fläche, in der die Zähne aufeinanderstossen, nicht eben, sondern die Zahnreihe erscheint in der Profil- ansicht als ein Kreisbogen. Man kann sich also einen Cylinder mit transversaler Axe vorstellen, auf dessen Mantelfläche die geschlossenen Zahnreihen zusammen- treffen, und es findet sich, dass die Oberfläche des Tuberculum auch in dieser Cylinderfläche liegt. Statt von einer geradlinigen Gleitbewegung müsste man also eigentlich von einer Rotation auf der Cylinderfl'äche sprechen. Die Axe dieser Bewegung fällt in die Gegend des inneren Augenwinkels (88). Die Ab- schleifung der Vorderzähne bei manchen älteren Individuen macht aber diese Anschauung unwahrscheinlich. 196. Die dritte Art der Bewegung ist im Grunde dieselbe wie die zweite, nur mit dem Unterschied, dass sie nicht auf beiden Seiten gleichzeitig statt- findet. Das bewegte Gelenk macht die typische Vorwärtsbewegung, in dem anderen Gelenk wird der Unterkiefer um eine senkrechte Axe gedreht, zweitens aber auch um eine sagittale Axe, weil der bewegte Gelenkkopf um die Höhe des Tuberculum nach fusswärts rückt. Für diese Bewegungen des zurück- bleibenden Gelenkes dürfte die frontale Krümmung der Gelenkflächen wesent- lich sein. Den grössten Umfang würde diese Bewegung erreichen, wenn gleich- zeitig der eine Gelenkkopf bis an die Grenze des Tuberculum nach vorn, der andere bis an den hinteren Rand der Cavitas glenoidea rückwärts bewegt Speclelle Gelenklehre. 135 würde. Gewöhnlich bleibt indessen der ruhende Gelenkkopf in seiner normalen Lage im vorderen Bereich der Cavitas gienoidea stehen. Durch abwechselnde derartige Bewegung beider Kiefergelenke kommt eine kreisende Mahlbewegung der Zahnreihen zu Stande, die für die Kaubewegung der Wiederkäuer typisch ist. Beim Menschen werden weniger regelmässig periodische, als vielmehr aus allen verschiedenen Bewegungsmöglichkeiten combinirte Bewegungen aus- geführt. § 3. Atlantooccipitalgelenk. 197. Das Gelenk, das den Schädel mit der "Wirbelsäule verbindet, gehört nach der Anschauung, dass sich der Wirbelthierkörper aus einer Anzahl hinter einander geordneter gleichartiger Segmente aufbaut, zu der Reihe der Gelenke, die je zwei solche Segmente, je zwei Wirbel, verbinden. Aber die obersten beiden dieser Gelenke sind durch die abweichende Organisation der vordersten Segmente und die dadurch entstandenen besonderen Functionen in ganz be- sonderer Weise entwickelt. Es werden daher diese beiden Gelenke jedes für sich unter einem eigenen Namen beschrieben, während die übrigen Gelenke der Wirbelsäule unter den gemeinsamen Begriff der Zwischenwirbelgelenke fallen. Das Gelenk zwischen Schädelbasis und oberstem Halswirbel heisst Atlantooccipitalgelenk. Die Form dieses Gelenkes ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal für die verschiedenen Klassen der Wirbelthiere, indem es bei Reptilien und Vögeln unpaar ist, bei Amphibien und Säugern dagegen aus zwei symmetrischen Ge- lenken zwischen dem jederseitigen Proc; condyloideus des Hinterhauptbeines und der Massa lateralis des Atlas besteht. Es handelt sich also wieder um ein combinirtes Gelenk. Beide Gelenke haben ziemlich weite schlaffe Kapselbänder. Die Verbindung wird ergänzt durch die Ligamenta obturatoria anteriora und posteriora, welche die Lücken zwischen den vorderen und hinteren Bögen des Atlas und des Epistropheus ausfüllen. Diese Bänder geben sich durch gelbe Farbe als elastisches Gewebe zu erkennen. Von Bedeutung für den Mechanismus des Gelenkes ist überdies das Ligamentum nuchae, das als Hemmungsband be- trachtet werden kann. Die beiden oberen Gelenkflächen des Atlas sind Hohlflächen von doppelter Krümmung, um eine transversale und eine sagittale Axe und können als Abschnitte eines und desselben Rotationsellipsoids mit transversaler Längsaxe aufgefasst werden. Daher ist es richtiger, die Gelenkverbindung, obgleich sie aus zwei getrennten Gelenken besteht und also als ein „combi- nirtes Gelenk" bezeichnet werden könnte, als ein einziges Gelenk zu betrachten und zwar als ein Ellipsoid- oder Eigelenk. Es ge- 136 Vierter Abschnitt. stattet Drehung um seine transversale Axc in der Richtung der stärksten Krümmung in ziemlich bedeutendem Umfange und in ge- ringem auch um seine Sagittalaxe, in der Richtung der schwächeren Krümmung. Genauer betrachtet, entsprechen die Gelenktlächen aber nicht vollständig einer Rotationsfläche, sondern ihre hinteren und vorderen Hälften sind je um eine besondere Axe gekrümmt und stossen in einer Kante zusammen (89). Die Gelenkflächen des Hinterhauptbeines entsprechen dieser Form genau, sodass das Gelenk in der Mittelstellung völlig schliesst. Daher empfindet man bei der Verschiebung der Gelenkflächen auf einander am Präparat an einer be- stimmten Stelle einen Kuck. Diese Eigenthümlichkeiten des Gelenkes, die Henke in allen ihren durch schräge Lage der Flächenaxen bedingten Compli- cationen verfolgt, dürften indessen für die Bewegungsform nicht maassgebend sein, zumal da die Gelenkform gerade hier starken individuellen Schv^^ankungen unterliegt. 198. Die Bewegung des Atlantooccipitalgelenkes ist von der der tiefer gelegenen Zwischenwirbelgelenke schwer zu trennen, wie dies Strecker {90} ausführt. Am Lebenden lässt sich nicht unter- scheiden, ob sich der Atlas allein oder mit der Halswirbelsäule gemeinschaftlich bewegt hat, am Präparat fehlt die Gewissheit, dass die normalen ßewegungsbedingungen erhalten sind. Es sind Bewegungen um die transversale und in viel geringerem Maasse auch um die sagittale Axe möglich, aber in individuell sehr ver- schiedenem Grade. Die Bewegung wird gehemmt durch die Hais- und Nackenmuskulatur, erst in letzter Linie durch das Anstossen der vorderen und hinteren Atlasbögen an das Hinterhauptsbein. Drehung um eine senkrechte Axe ist durch den verhältnissmässig grossen Abstand der beiden Einzelgelenke völlig ausgeschlossen. § 4. Atlantoepistrophealgelenk. 199. Die Verbindung zwischen dem ersten und zweiten Hals- wirbel, die Articulatio atlantoepistrophealis, weicht noch stärker als die zwischen Atlas und Hinterhaupt von der Form der übrigen Wirbelverbindungen ab, und erhält dadurch ihr eigenthümliches Gepräge, dass sie hauptsächlich die Drehung des Kopfes ver- mittelt. Das Gelenk nimmt je nach der Form des Atlas bei den verschiedenen Thierarten sehr verschiedene Formen an. Specielle Gelenklehro. 187 Beim Menschen berühren sich die beiden Knochen an drei Stellen, deren zwei ein combinirtes Gelenk (Articulatio atlanto- epistrophealis im engeren Sinne) darstellen, und von denen die dritte (Articulatio atlantoodontoidea) zwischen dem vorderen Bogen des Atlas und dem Zahn des Epistropheus gelegen ist. Die Kapselbänder der beiden ersterwähnten Gelenke werden auf der Hinterseite durch schräg von oben lateral, nach unten me- dial verlaufende Ligamenta accessoria verstärkt. Ergänzt wird diese Verbindung durch das Ligamentum longitudinale anterius, welches den vorderen Bogen des Atlas an den Körper des Epistro- pheus heftet, und die Ligamenta intercruralia, welche die Zwischen- räume zwischen den hinteren Bögen beider Wirbel ausfüllen. Das dritte Gelenk wird vervollständigt dadurch, dass der Zahnfortsatz des Epistropheus in einen geschlossenen Ring eingreift, welcher ge- bildet wird vorne vom Bogen des Atlas, zu beiden Seiten von den Massae laterales, hinten von einem starken Bande, dem Liga- mentum transversum, welches die Massae laterales quer verbindet. Innerhalb dieses Ringes besteht ein vorderes und ein hinteres Ge- lenk, jedes mit einer schlaffen Kapsel. Verstärkt wird diese Gelenkverbindung dadurch, dass die Spitze des Zabnfortsatzes durcli ein schmales mittleres Band (Ligamentum Suspensorium) und zwei starke seitliche (Ligamenta alaria) an den Rand des Foramen maguum und die mediale Fläche der Gelenkhöcker des Hinterhauptbeines angeheftet ist. Das Ligamentum transversum ist in ähnlicher Weise durch einen Bandstreifen nach oben an das Hinterhauptsbein, durch einen zweiten nach unten an den Körper des dritten Halswirbels angeschlossen, so dass eine kreuzförmige Ver- bindung entsteht, welche zusammengefasst als Ligamentum cruciatum be- zeichnet wird. Die ganze Gelenkverbindung mit allen ihren Hilfsbändern wird schliesslich noch von einer breiten häutigen Bandmasse, dem Apparatus liga- mentosus überzogen und vereinigt, welche vom Clivus ossis occipitis bis zum dritten Halswirbel hinabreicht. 200. Das Atlantoepistrophealgelenk ist im Wesentlichen ein Drehgelenk (154). Die Gelenktlächen des Zahnfortsatzes bilden Theile eines Kegels, dieser Theil des Gelenkes ist also ein ausge- sprochenes Rotationsgelenk. Seine Vollkommenheit in dieser Hinsicht führt dazu, dass sich die Be- trachtung ihm mit Vorliebe zuwendet, ohne zu bedenken, dass Drehung des Atlas um den Zahnfortsatz doch nur insofern möglich ist, als es die Verbin- dung der Massae laterales mit den Processus condyloidei und die der vorderen und hinteren Bögen zulässt. Offenbar ist hier und in den Ligamenta accessoria 138 Vierter Abschnitt. die Hemmung für die Drehbewegung zu suchen, soweit sie nicht durch die Halsmuskeln (301, 302) gegeben ist, aber sicherlich nicht in der Spannung der Lig. alaria, wie mehrfach angegeben wird (115) {91). Der Umfang der Drehung wird von Henke zu 30° nach jeder Seite an- gegeben. An den Flächen der beiden Seitengelenke, in welchen man demnach Stücke einer Rotationsfläche mit derselben Axc vermuthen sollte, lässt sich dieser Charakter nicht erkennen. Sie bestehen eine jede aus einem vorderen und einem hinteren Felde. Ebenso sind die entsprechenden Gelenkflächen des Atlas getheilt, doch sind sie so gestaltet, dass ihre hinteren Abschnitte auf die vorderen des Epistropheus passen, die vorderen auf die hinteren des Epistropheus. Demnach schliessen die Seitengelenke nur dann gut zusammen, wenn der Atlas soweit nach links oder rechts verdreht worden ist, dass je ein vorderes Feld seiner (re- lenkfläche auf ein hinteres des Epistropheus, ein hinteres auf ein vorderes Feld des Epistropheus zu stehen kommt. In der Mittel- stellung dagegen klaffen die Gelenkflächen an ihrem medialen Rande sehr bedeutend. Hieraus geht hervor, dass bei seitlicher Drehung der Atlas und mit ihm der ganze Kopf ein wenig herab- sinkt, in dem die besser schliessenden Theile des Gelenkes auf einander treffen, während umgekehrt beim Zurückdrehen des Kopfes in die Mittelstellung eine Hebung stattfinden muss. 201. Dies lässt sich nach Henke leicht am Lebenden nachweisen, wenn man wie zur Messung der Körpergrösse ein Richtscheit direct über dem Scheitel an die Wand hält, und nun den liopf seitwärts dreht. Es entsteht eine deutlich fühlbare Lücke zwischen dem Richtscheit und dem Scheitel. Auf dieser Beobachtung fussend, hat Henke das Gelenk als ein Schrau- bengelenk bezeichnet, in welchem der rechte hintere und linke vordere Ab- schnitt der Epistropheusflächen zusammen eine rechtsgewundene, der linke hintere und rechte vordere zusammen eine linksgewundene Schraube bilden sollten. Es wäre also hier eine zweigängige Schraube anzunehmen, deren Steigung Henke zu 25 mm auf den genzen Umgang schätzt {92). Doch dürften eigentliche Schraubenflächen an dem Epistropheus ebensowenig zu fin- den sein, wie von einer wirklichen Schraubenbewegung die Rede sein kann, welche rein gleitend und ohne jede Dehiscenz vor sich gehen soll. Dagegen zeigt das Atlantoepistrophealgelenk vieler Säugethiere eine aus- gesprochene Schraubenform. Bei den Hufthieren zum Beispiel, ist nur Eine herzförmige Gelenkfläche vorhanden, die die vordere Fläche des Zahnfortsatzes und die obere Fläche des Körpers nach beiden Seiten überzieht, und einen hohlen, beim Pferde recht steil, beim Rinde flacher ansteigenden Schrauben- gang darstellt, und zwar ist die Schraube der rechten Seite links, der linken Seite rechts gewunden. I Specielle Gelenklehre. 139 Hier ist also in ganz anderer Form derselbe Bewegungstypus hervor- gebracht wie bei dem menschlichen Gelenk: Die beiden Knochen stehen in der Mittellage weiter von einander entfernt, als in jeder seitlich gedrehten Lage. Der Zweck dieser eigenthümlichen Einrichtung, die sich unter verschiedenen Bedingungen wiederholt, ist offenbar der, dass das verlängerte Mark bei der Drehung des Kopfes nicht gedehnt wird, sondern vermöge der Verkürzung der Halswirbelsäule trotz der Drehung seine normale Länge behalten kann, § 5. Die Wirbelsäule als Ganzes. 202. Die Wirbelsäule als Ganzes betrachtet stellt eine aus den einzelnen gelenkig verbundenen Wirbeln aufgebaute elastisch biegsame Säule dar, die beim Erwachsenen constant eine zweifache S-förmige Krümmmig zeigt, ausserdem eine ganz leichte seitliche Krümmung im Brusttheil, deren Convexität nach rechts gerichtet ist. Die Krümraungen in der Sagittalebene sind : die nach hinten convexe Krümmung von Steissbein und Kreuzbein, die nach vorn convexe Lendenkrümmung, die nach hinten convexe Brustkrüm- mung und die nach vorn convexe Haiskrümmung. Die beiden mittleren sind beim Neugeborenen nicht vorhanden \mä treten im Lauf der Entwicklung auf. Inwiefern hierbei mechanische Eintlüsse wirksam sind, ist unbekannt. Jedenfalls beruht die natürliche Krümmung der Wirbel- säule beim Erwachsenen grossentheils auf der Knochenform der Wirbelkörper. Der Grad der Biegung zeigt die verschiedensten Abstufungen bis zur patho- logischen Verkrümmung. 203. Die einzelnen Wirbel sind unter einander an je drei Stellen gelenkig verbunden. Erstens ist jeder Wirbelkörper mit dem Körper der benachbarten Wirbel durch die sogenannten Band- scheiben verbunden. Zweitens articuliren je die beiden oberen und unteren Gelenkfortsätze mit den unteren und oberen des nächsten oberen und unteren AVirbels. Erstere Verbindung ist eine Syndes- mose von verhältnissmässig grosser Beweglichkeit. Nach Luschka (111, 148) sind zwar in den Zwischenwirbelscheiben rudimentäre Gelenkhöhlen nachweisbar, doch darf das nicht hindern, dass diese Verbindung wegen ihrer unten beschriebenen Eigenthümlichkeiten vom Standpunkte der Gelenkmechanik als Syndesmose aufgefasst wird (.9-5). Die übrigen Articulationen sind Diarthrosen, die den Am- phiarthrosen beizuzählen sind. Die Beweglichkeit der gelenkigen Verbindungen ist wesentlich beeinflusst durch die Bänder, die theils zwischen je zwei Wirbeln, wie die Ligg. flava, interspinalia und intertransversalia, theils über die ganze Länge der Wirbelsäule, wie 140 Vierter Abschnitt. das Lig. loiigitudinale anticum und posticura und das Lig. spinosum, hinziehen. Obschon die erwähnten Syndesmosen und die Amphiarthrosen zwei ge- trennte Systeme bilden, indem die durch die Bandscheiben vereinigten Wirbel- körper als eine allerseits bewegliche Säule, die durch die Summe sämmtlicher Amphiarthrosen verbundenen Wirbelanhänge als eine „gegliederte Platte" (94) aufgefasst werden können, müssen sie offenbar hinsichtlich ihrer Function als einheitlicher Mechanismus wirken. Nach Analogie der niederen Thiere, z. B. der Fische, bei denen die Verbindung der Wirbelanhänge eine ganz neben- sächliche Rolle spielt, würde dabei der Verbindung der Wirbelkörper eine grössere Bedeutung zukommen. 204. Da aber der Mechanismus der Syndesmose allseitige Bewegung ge- stattet, so ist es klar, dass alle bestimmten Modificationen der Beweglichkeit auf Rechnung der Gelenke der Wirbelfortsätze kommen, dass also diese me- chanisch wichtiger sind. Die Flächen dieser Gelenke zeigen in den verschie- denen Abschnitten der Wirbelsäule nach Lage und Form beträchtliche Ver- schiedenheiten. Im Allgemeinen haben sie aber als Amphiarthrosen, deren Kapselbänder ziemlich weit und schlaff sind, in mechanischer Beziehung unbestimmten Charakter. Dazu kommt, dass ihre Flächen nur geringe Aus- dehnung und meist unbedeutende Krümmung haben und nur unvollkommen auf einander passen. Vom einzelnen Gelenke kann man also nur sagen, dass es nur- solche Bewegungen zulässt, die annähernd in der Richtung seiner Fläche verlaufen. Die Beweglichkeit des einzelnen Gelenks spielt aber bei der Bewegung zweier Wirbel gegeneinander eine unbedeutende Rolle. Denn es handelt sich immer mindestens um zwei Gelenke, die dieselben Knochenstücke verbinden, von denen sich also eines nicht bewegen kann, ohne dass das an- dere mitwirkt. Bei der geringen Ausdehnung der Einzelgelenke kann man unter diesen Umständen jedes von ihnen in Bezug auf die gemeinschaftliche Bewegungsmöglichkeit als einen festen Punkt auffassen. Durch die zwei festen Punkte, also durch die Mittelpunkte der beiden Amphiarthrosen, geht die ge- meinschaftliche Bewegungsaxe des combinirten Gelenks (141). Die Amphiarthrosenverbindung der Wirbel gestattet also im Allgemeinen Bewegung um die transversale Verbindungslinie eines jeden Gelenkpaarcs. 205. Ausser der gemeinsamen Wirkung der zusammenge- hörigen Amphiarthrosen ist nun aber auch die Syndesmose zu be- rücksichtigen. Mit Recht bemerkt H. v. Meyer: „Die öfter aufgestellte Angabe, dass die beiden unteren Processus obliqui eines oberen Lendenwirbels zusammen einen Drehzapfen darstellen, welcher sich in der Hohllläche bewegt, die durch die beiden oberen Processus obliqui des darunterliegendea Lendenwirbels ge- bildet wird, ist nur scheinbar richtig, indem dabei nicht bsrücksichtigt wurde, dass die Symphysenscheibe eine solche Verzerrung nicht erfahren könnte, wie Specielle Gelenklehre. 141 sie nothwendig- wäre, wenn die Achse der spiraligen Drehung in den Processus obliqui gelegen wäre" (94). Die durch die Syndesmose gegebenen Bewegungs- bedingungen sind leicht /-u ermitteln: Die sogenannten Bandscheiben, die die Wirbelkörper vereinigen, haben nur am Rande faserigen Bau und enthalten in der Mitte einen elastischen Knorpelkern, der, wenn die Fasern am Rande durchschnitten werden, stark vorquillt. Die Wirbelkörper sind also nur am Rande aneinandergeheftet, in der Mitte aber durch die Elasticität des Knorpel- kerns auseinandergedrängt. H. v. Meyer's Versuche lehren, was sich nach dem beschriebenen Befunde a priori annehmen Hess, dass sich die Wirbel- körper aufeinander bewegen, indem die Bandscheibe auf einer Seite gedehnt, auf der anderen zusammengedrückt wird. In der Mitte der Bandscheiben muss sich ein „Neutralpunkt" befinden, in dem die Dicke der Bandscheibe sich nicht merklich ändert. Es kann sich also ein Wirbel gegen den andern nur hewegen, indem er über den Neutralpunkt kippt, das heisst, sich um eine horizontal durch den Neutralpunkt laufende Axe dreht. 206. Da luin für jedes Wirbelpaar die beiden Amphi- arthroseii schon zwei feste Drehpunkte darstellen und durch die Syndesmose noch ein dritter, nämlich der Neutralpunkt, hinzukommt, bleibt von einer im Mecha- nismus der Verbindungsweise begründeten Bewegungs- möglichkeit Nichts übrig. Ebenso wie zwischen Sprungbein und Fersenbein besteht zwischen den Wirbeln eine Verbindung, die dem mechanischen Princip ihrer Form nach gar keine Bewegung gestattet. Die that- sächlich stattfindenden Bewegungen kommen lediglich dadurch zu Stande, dass die Knochen unvollkommen auf einander passen und die Bcänder elastisch dehnbar sind. Obschon sich aus diesem Grunde keine mechanische Regel für die Bewegung der Wirbel gegeneinander aufstellen lässt, ist diese doch nicht regellos. „Denn", sagt Henke, „wenn auch eine Syndesmose oder ein Gelenk der Art, wie sie hier vorliegen, an sich nur eine allseitige beschränkte Beweglichkeit zuliesse, so be- dingt doch die gegenseitige Lage der zwei Gelenke und der Syn- desmose, welche zwei Wirbel verbinden, eine bedeutende Begün- stigung gewisser typischer Drehungen und Ausschliessung anderer." Für die Untersuchung besteht aber hier noch mehr als auf anderen Gebieten die Schwierigkeit, dass die Bewegungen nur an freige- legten Theilen zu erkennen sind, dass aber die Bewegungsbedin- gungen wesentlich geändert werden, sobald der natürliche Zusam- menhang des Körpers gestört ist. 142 Vierter Abschnitt. Figiir 21. Richtung der Axen für die seitliche Bewegung der Wirbelkorper auf einander, nach Henke. Daher lässt sich aus den Messungen H. v. Meyer's, nach denen die Beweglichkeit zwischen je zwei benachbarten Wirbeln durchschnittlich ö*^ Umfang erreichen soll, nicht auf die Beweglichkeit der Wirbel- säule beim Lebenden schliessen. Auch diejenigen Messungen, bei denen das Kreuzbein fixirt und die Biegung der Wirbel- säule durch den Winkel ange- geben wird, den bei äusserster Biegung nach vorn oder nach hinten die Verbindungslinie von Kreuzbein und Atlas be- schreibt, geben nur einen sehr unbestimmten Begriff. Der Ver- gleich zwischen der Beweglich- keit einzelner Theile der Wirbel- säule lässt sich nach diesem Messverfahren nicht anstellen. Denkt man sich nämlich die Wirbelsäule durch ein an be- liebiger Stelle eingeschaltetes gerades Stück verlängert, so würde dadurch scheinbar die Biegsamkeit erhöht, da der er- wähnte Winkelwerth zunehmen müsste {96). Thatsächlich ist sicherlich • die Bewegungsfreiheit grösser, als man erwarten sollte. Nach H. Virchow lernen selbst aus- gewachsene Individuen in kurzer Zeit die Wirbelsäule so stark rückwärts biegen, dass die Schultern auf das Kreuz zu liegen kommen (.96'). 207. Ueber den Mechanismus der seitlichen Biegung sagt Henke: „Die Achse einer relativ freien Bewegung muss mitten durch den Kern der Syndesmosen gehen und auf der annähernd ebenen Berüiirungsfläche der Gelenke senkrecht stehen. Es genügt also zur Bestimmung derselben an allen Verbindungsstellen der Specielle Gelenklehre. 143 einzelnen Wirbel, dass man in einer Profilansicht Linien mitten durch die Syndesmosen und senkrecht zu dem Sagittalschnitte der Gelenke oder dessen Fortsetzung zieht" (97). 208. Hier ist noch der Darstellung Henke's (98) entgegenzutreten, nach der die Beugung in anderer Richtung als in rein seitlicher ein besonderes Kennzeichen der höheren Thiere sein soll. „ . . . bei Fischen, Schlangen, Cetaceen ist sie eine reine Seitenbewegung, geschieht ganz ausschliesslich zwischen je zwei Wirbeln eine Drehung um eine in der Medianebene zu der Längsaxe der ganzen Wirbelsäule senkrechte Axe, daher die Windungen des Schlangenleibes nur in horizontaler Richtung sich ausbreiten, die Vordertläche des Leibes ganz am Boden bleibt, und die vielberühmte Seeschlange schon deshalb ein fabelhaftes Wesen und keine natürliche Schlange ist, weil sich nach den Beschreibungen und Abbildungen derer, die sie gesehen haben wollen (.95*), die Biegungen ihres Riesenleibes wie die Wellen des Meeres in senkrechter Richtung aus der Fläche desselben erheben sollen. Die Wirbel- körper dieser niederen Thiere sind zwar auch nicht durch Diarthrosen ver- bunden, sondern umfassen mit ihren durch Bänder verbundenen Rändern einen elastischen Syndesmosen-Kern, über dem sie sich allseitig schaukelnd auf ein- ander bewegen lassen, aber die langen nach hinten und vorn von ihnen aus- gehenden Fortsätze und ihre Verbindungen schliessen jede beträchtliche Be- M'egung ausser jener einen aus". Dies gilt allenfalls von den Fischen, aber nicht von den übrigen Thieren, denn Jeder, der Schlangen beobachtet hat, wird bestätigen, dass sie erhebliche Biegungen in der Sagittalebene ausführen. Bei vielen Schlangen bringt es die gewöhnlichste Haltung mit sich, dass ein Theil des Körpers aufrecht getragen wird. Was Henke von der Seeschlange sagt, ist nichtsdestoweniger richtig, aber es ist nur auf die normale Kriech- bewegung zu beziehen, nicht auf die Bewegungsmöglichkeit überhaupt. 209. Neben der Beugung ist auch die Möglichkeit der Drehung um die Längsaxe zu betrachten {100). Hierbei muss die Beweg- lichkeit je zweier benachbarter AVirbel gegeneinander theoretisch offenbar fast Null sein. Henke betrachtet die Rotation nur als einen Theil der Beugung um schiefe Axen, die aus der Combination der drei x\rticulationsstellen entstünde {101). Wenn man also etwa den Versuch machte, einen Wirbel auf dem anderen zu drehen, so könnte das bis zu einem gewissen Grade gelingen, weil die Rotation sich mit Beugung combinirte. Wenn aber, wie beim Ver- such reiner Drehung der ganzen Wirbelscäule um ihre Längsaxe^ die Beugung ausgeschlossen ist, müsste auch die Rotation gleich Null sein. Diese Anschauung stimmt mit einer Beobachtung überein, die man am Körper der Schlangen machen kann: So leicht und vollkommen die Wirbel- 144 Vierter Abschnitt. säule der Schlange der Beanspruchung auf Biegung allseitig nachgiebt, so überraschend starr verhält sie sich gegen Torsion. Es ist aber nicht richtig, diese Beobachtung auf die Wirbel- säule anderer Thierarten, insbesondere des Menschen, zu über- tragen. Zwar am Lebenden ist es schwer, die Drehung der Wirbel- säule einwandsfrei nachzuweisen. An der Leiche aber kann man ohne Mühe sehen, dass thatsächlich ein beträchtlicher Grad von Rotations- freiheit besteht und zwar in fast allen Theilen der Wirbel- säule. Eine Beziehung dieser Beweglichkeit zur Gelenkform lässt sich nicht erkennen, da gerade die Lendenwirbelsäule, deren Gelenke die Form eines Zapfengclenkes nachahmen, die geringste Rotations- freiheit zeigt. § 6. Lenden Wirbelsäule. 210. Da das Kreuzbein Ein Stück bildet, ist die Lenden- wirbelsäule der unterste bewegliche Abschnitt der Wirbelsäule. Sie besteht bekanntlich aus 5 Wirbeln, die sich durch ihre grossen cylindrischen Körper auszeichnen. Die Höhe dieser Körper ist namentlich bei den untersten vorn grösser als hinten, und ebenso sind die Zwischenknorpel keilförmig gestaltet. Daher zeigt die Lendenwirbelsäule normaler Weise dauernd eine nach vorn convexe Krümmung {102). Die Gelenkflächen zwischen den Processus obliqui der Lenden- wirbel sind so gestaltet, dass die beiden unteren Gelenkflächen jedes höher gelegenen Wirbels ungefähr Abschnitte aus der Mantel- fläche eines und desselben kopffusswärts gerichteten Cylinders bilden, der zwischen die, entsprechende Abschnitte eines senk- rechten Hohlcylinders bildenden, oberen Gelenkflächen des nächst unteren Wirbels eingeschoben ist. Dieser Gestalt nach scheint es, „dass die beiden Processus obliqui eines oberen Lendenwirbels zusammen einen Drehzapfen darstellen, welcher sich in der Hohlfläche bewegt, die durch die beiden oberen Processus obliqui des darunter liegenden Lendenwirbels gebildet wird". Doch ist, wie H. v. Meyer betont, diese Auffassung unrichtig, weil die Symphysenverbindung jede solche Drehung unmöglich macht (100). Die Form der Gelenkflächen lässt hier über- haupt keinen Einfluss auf die Bewegungsmöglichkeit erkennen. Specielle Gelenklehre. 145 Die Beugung und Streckung, also die Bewegung in sagittaler Ebene, geschieht nach Henke durch Drehung der Wirbel gegen- einander um transversale Axen, die etwas hinter dem Mittelpunkt der Symphj^senverbindung liegen. Dabei müssen die Gelenkflächen der Processus obliqui des oberen Wirbeis nicht wie ein „Dreh- zapfen" drehend, sondern wie ein Führungsstift auf- und abgehend zwischen denen des unteren sich bewegen. Selbst bei starker Vorwärtsneigung bilden die drei untersten Lendenwirbel mit ihren Zwischenscheiben immer noch einen nach vorn convexen Bogen {103). In Bezug auf die Rotation ist die Beweglichkeit der Lenden- wirbelsäule nach H. v. Meyer geringer als die der höher gele- genen Theile der Wirbelsäule. Die Beweglichkeit im Ganzen ist offen bar individuell stark verschieden. Die seitliche Beugung geschieht nach Henke um Axen, die in der Medianebene liegen und auf dem von der normalen Lendenkrümmung gebildeten Bogen annähernd senkrecht stehen, also nur für die oberen Wirbel rein sagittal, für die unteren schräg nach vorn fusswärts verlaufen (vgl. Fig. 21) {07). Dadurch kommt zu Stande, dass bei der seitlichen Beugung zugleich der Körper jedes Wirbels nach der convexen Seite hingewendet wird, was bei dauernder Skoliose in stärkerem Grade zu erkennen ist. Die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule in Bezug auf Biegung in sagittaler und frontaler Ebene ist ohne Zweifel grösser als die der Brustwirbelsäule, aber anscheinend geringer als die der Hals- wirbelsäule. Die Rotationsfreiheit beträgt nach Hughes {100) zwischen je zwei Wirbeln höchstens 3° und ist demnach gegenüber der der anderen Theile der Wirbelsäule verschwindend klein. § 7. Die Brustwirbelsäule. 211. Die Brustwirbelsäule unterscheidet sich von den übrigen Abschnitten wesentlich dadurch, dass ihre einzelnen Bestandtheilo durch ihren Zusammenhang mit dem gesammten Brustkorb in gegenseitiger Bewegung behindert sind. Im Gegensatz zu den Lendenwirbeln haben die Körper der Brustwirbel ventral geringere Höhe als dorsal und bilden daher li. du B o is-lle ym 0 n (l, Spec. Miiskelphysiologie. JQ 146 Vierter Abschnitt. in ihrem Gesaramtau f bau den nach vom offenen Bogen der ^Thoracalkrümmung". Die Gelenkflächen der oberen Processus eines jeden Brust- wirbels schauen nach hinten, oben und lateralwärts, das heisst, sie stehen nahezu in frontalen Ebenen, nur dass ihre laterale und obere Kante etwas nach vorn abweicht. Jeder obere Wirbel er- scheint also als von hinten auf den nächst unteren aufgeschoben, sodass seine unteren Processus die oberen des unteren Wirbels von beiden Seiten bedecken. Die Beweglichkeit dieses Theiles der Wirbelsäule ist so gering, dass das Stück vom zweiten bis neunten Brust- wirbel praktisch als vollkoraiiien starr betrachtet werden kann. Die Axen der möglichen Seitenbewegung verlaufen nach Henke für den untersten beweglichsten Abschnitt fast rein sagittal, im oberen Abschnitt steigen sie in zunehmendem Maasse nach hinten auf {97). Auffallender Weise hat die Brustwirbelsäule einen ganz erheb- lichen Antheil an der Rotationsfreiheit. Die leichte Krümmung der Gelenkflächen, die gemeinsam eine nach vorn concave Fläche darstellen, deutet nach Hughes auf eine vor dem Wirbelkörper gelegene Rotationsaxe. Die Drehungsmögiichkeit nimmt nach dem Befunde von Hughes von unten nach oben zu, was damit gut zusammenstimmt, dass die Lendenwirbel weniger, die Halswirbel mehr Rotationsfreiheit haben (100). Doch bestehen hier jedenfalls sehr grosse individuelle Unterschiede, sodass vielleicht häufiger im Gegentheil dem unteren Abschnitt eine ganz besonders ausgebildete Drehungsfähigkeit zuzuschreiben sein dürfte. § S. Hals Wirbelsäule. 212. Die Körper der Halswirbelsäule sind erheblich kleiner als die der übrigen Abschnitte, ihre Flächen in sagittaler Richtung schmäler als in transversaler, die Flächen sattelförmig, und zwar die obere in transversaler, die untere in sagittaler Richtung concav. Die Höhe der Körper ist, der nach vorn convexen Halskrümmung entsprechend, vorn etwas grösser als hinten. Schon aus Grösse und Gestalt der Körper könnte man auf die grössere Beweglichkeit der Halswirbelsäule schliessen. Specielle Gelenldehre. 147 Es kommt dazu, dass die Bandscheiben verhältnissmässig höher, die GeJenke loser sind, als in den übrigen Abschnitten. Die Richtung der Gelenkflächcn, die an den Proc. obl. sup. nach oben hinten und medial schauen, lässt keine Anpassung an eine be- stimmte Bewegung erkennen, doch ist dadurch, dass die Flächen gross und schwach gewölbt sind und dass sie gemeinsam eine an- nähernd horizontale Ebene bilden, im Allgemeinen eine freie Be- weglichkeit gegeben. Ueber die Winkelwerthe der Beugung liegen keine bestimmten Angaben vor. Die Rotation fand Hughes mehr als doppelt so gross als bei den oberen Brustwirbeln, nämlich zu 15 — 30 ^ zwischen je zwei Wirbeln {100). § 9. Rippengelenke. 213. Die Verbindung der einzelnen Rippen mit den Wirbeln setzt sich aus je zwei Gelenken zusammen, dem zwischen Rippen- köpfchen und Wirbelkörper, und dem zwischen Rippenhöcker und Querfortsatz. Durch erstere sind die Köpfchen der zehn obersten Rippen an der Vereinigungsstelle je zweier Wirbelkörper eingelenkt, die der zwei untersten Rippen in Gelenkgruben des unteren der betreffenden zwei Wirbelkörper. Ein Kapselband (Lig. radiatum) umgiebt diese Gelenke, eine noch stärkere Verbindung besteht aber innerhalb der Gelenkhöhle zwischen der Inter- vertebralscheibe und den Rippenköpfchen durch das Ligamentum intermedium capituli costae und Ligamentum cristae capituli. Die andere Gelenkverbindung heftet das Tuberculum der Rippen an den Querfortsatz des untersten der beiden Wirbel, mit welchen das Capitulum in Verbindung steht. Dies Gelenk fehlt den beiden untersten Rippen. Die Gelenkkapsel wird durch ein Ligamentum tuberculi costae inferius und ein Superius, vom oberen Querfortsatz her, verstärkt. Ferner treten an den Rippenhals vom oberen Quer- fortsatz ein starkes Ligamentum colli costae superius anterius und ein schwaches, dreieckig zulaufendes Ligamentum colli costae posterius. — Beide fehlen der ersten Rippe. Ein Ligamentum colli costae intermedium bindet den Hals an den zugehörigen Querfortsatz, ein inferius an den nächst unteren. Diese doppelte Verbindung könnte als ein combinirtes Gelenk aufgefasst werden. Statt dessen wird sein gemeinschaftlicher Mecha- nismus in folgender Weise aufgefasst: Die Bewegungsmöglichkeit ist auf Drehung um eine Axe beschränkt, welche durch beide Ge- 10* 148 Vierter Abschnitt. lenke hindurchgeht (141). Das Köpfchen ist überdies so straff be- festigt, dass es fast gar nicht aus der Stelle zu bringen ist. Die Bewegungen im Costotransversalgelenk beschreiben also einen Kegel, dessen Spitze sehr wenig über das Capitulum hinaus, und dessen Axe horizontal etwa in der Richtung des Rippenhalses ge- legen ist. Obschon die Gelenkflächen zu klein sind, als dass man ihre Eigenschaft durch Messung nachweisen könnte, wird daher das gemeinsame Gelenk den Kegelgelenken zugezählt. 214. Die Rippen können sich also nicht anders bewegen, als dass sie um die Axe dieses Kegels, also um die Richtung des Rippenhalses ein wenig ge- dreht werden. Ihre Gestalt legt es zwar nahe, an andere Bewegungen zu denken, diese sind jedoch durch die Beschaffenheit des Gelenkes unzweifelhaft ausgeschlossen. Die Richtung der Rippen geht von ihrer Befestigungsstelle schräg abwärts und erreicht selbst bei der stärksten Hebung, welche das Gelenk zulässt, noch lange nicht die Horizontale. Bei der Hebung entfernt sich also das Ende der Rippe von der Wirbelsäule, bei der Senkung nähert es sich ihr wieder. Da aber die Drehungsaxe in einem Winkel von durchschnittlich fast 45° zur Transversalen steht, findet diese Näherung und Entfernung nicht in sagittaler Ebene statt, sondern in der, auf der Drehungsaxe senkrechten, also schräg nach vorne und aussen mitten zwischen sagittal und frontal stehenden Ebene. Die Rippenenden entfernen sich daher bei der Hebung in der Drehungs- ebene nicht nur von der Wirbelsäule, sondern auch von der Medianebene. Denkt man sich diese Bewegung von allen Rippen zugleich ausgeführt, so geht daraus eine Erweiterung des Brustkorbes nach vorne sowohl als nach den Seiten hervor. Die Drehung der Rippen ist aber, namentlich im oberen Theile des Brustkorbes dadurch beschränkt, dass die unmittelbare Verbindung der Rippen mit dem Brustbein den oberen Paaren nicht gestattet, sich frei in den divergirenden Ebenen zu heben. Diese wahren Rippenpaare haben daher eine feste Mittelstellung, aus welcher sie nur verdrängt werden können, indem sie sich um eine gemeinschaftliche transversale Axe drehen. § 10. Verbindung der Rippen mit dem Brustbein. 215. Zwischen den Sternalenden der Rippenknorpel und dem Brustbein finden sich vielfach kleine Gelenkhöhlen, durch die diese Gelenkverbindung als wahre Diarthrose gekennzeichnet wird. Die erste Rippe entbehrt eines solchen Gelenkes und ihr Knorpel setzt unmittelbar an das Brustbein an. Die zweite bis siebente Rippe haben jede am Sternalende ihres Knorpels ein Gelenk, verstärkt durch ein straffes Kapselband, Lig. radiatum. Im Innern befindet sich eine kleine mit Synovialmembran ausgekleidete Gelenkhöhle, oder zwei, eine obere und eine untere. An den übrigen, falschen Specielle Gelenldehre. 149 Rippen finden sich ähnliche Gelenke, wo zwei der Knorpel sich seitlich berühren. Die Enden der Knorpel sind durch Bandraasse bis ins Brustbein verlängert. Die erwähnten Gelenke sind sämmt- lich Aniphiarthroscn und auf eine sehr unbedeutende Winkelbewe- gung eingeschränkt. Diese kommt folgendermaassen zu Stande: Die Rippenpaare hängen von ihren Costovertebralgelenken in einem Winkel von fast 45 ^ unter die Horizon- tale geneigt herunter. Diese Gelenke erlauben den einzelnen Rippen nur Drehung in einer annähernd mitten zwischen der medialen und der frontalen stehenden Ebene. Folglich können die Rippenpaare nicht aus ihrer geneigten Lage gehoben werden, ohne dass die vorderen Enden, in besagter Ebene auf- steigend, sich von der Medianebene entfernen. Und zwar werden beide Bewe- gungen für die unteren Rippen am grössten ausfallen, erstens weil sie an sich länger sind, zweitens weil sie eine grössere Winkelbewegung machen. Die Verbindung der Rippen mit dem Brustbein muss diesen Bewegungen folgen. Der Bewegung nach aufwärts und vorwärts kann das Brustbein ausweichen, indem es sich nach aussen hebt. Um der Bewegung nach seitwärts folgen zu können, muss dabei die Verbindung der beiden Rippenenden mit dem Brust- bein verlängert werden. Dies geschieht, indem der unter einem spitzen Winkel eingeknickte Rippenknorpel einen stumpferen Winkel annimmt. Diese Verän- derung findet an der Winkelstelle durch Biegung innerhalb der Knorpelmasse selbst statt, sie ist aber mit einer entsprechenden Aenderung der Winkcl- stellung des Knorpels zum Brustbein verbunden, welche das Costosternalgelenk vermittelt. Ausserdem ist aber eine gewisse Torsion der Rippenknorpel uner- lässlich. Bei den unteren Rippen fällt diese bei der Länge der biegsamen Knorpelverbindung nicht ins Gewicht. Bei den oberen Rippen ist es aber nach Helmholtz wesentlich die Torsionselasticität, die die Ruhelage des Brust- korbes bestimmt. Freund hat zwischen der Verknöcherung des obersten Rippenknorpels, die die Torsionsfreiheit beschränkt, und dem Auftreten der Lungentuberculose einen ursächlichen Zusammenhang nachgewiesen [104). § 11. Verbindungen des Schlüsselbeins. 216. Schulterblatt und Arm sind mit dem übrigen Knochen- gerüst nur durch das Schlüsselbein verbunden und das Schlüssel- bein articulirt im Sternoclaviculargelenk mit dem Brustbein. Das Gelenk ist ein Doppelgelenk, da sich zwischen das Sternalende des Schlüsselbeines und die Incisura clavicularis sterni eine starke Faserknorpelscheibe einschiebt. So entstehen zwei getrennte Ge- lenkhöhlen, die mit Synovialmembran ausgekleidet sind. Die Ge- lenkkapsel ist ausserordentlich stark, daher an ihr auch zwei be- sondere Verstärkungsbänder (Lig. sternoclaviculare anterius und posterius) unterschieden werden können. 150 Vierter Abschnitt. Vervollständigt wird die Befestigung des Schlüsselbeines am Brustkorb noch durch das starke rundliche Lig. interclaviculare, welches, quer über das Ende des Brustbeines gespannt und damit fest verwachsen, die Enden der beiden Schlüsselbeine verbindet; ferner durch das Lig. rhomboides s. costo- claviculare, welches zwar nicht unmittelbar zum Gelenk gehört, aber für die Befestigung des Schlüsselbeines von wesentlicher Bedeutung ist. Es vereinigt als eine starke Bandmasse die auf der Unterseite des sternalen Endes der Clavicula gelegene Tuberositas claviculae mit der oberen Fläche der ersten Rippe. Die Gelenkfläche der Clavicula ist bedeutend grösser, als die entsprechende des Brustbeines, und annähernd walzenförmig um eine sagittale Axe gewölbt. Der Faserknorpel ist biconcav linsen- förmig und oben medial, unten lateral mit der Wand der Gelenk- Figur 22. i ^ o ^ ^^ N / / ^^ ---^ &- 5 \ /, ^ ^ ^^ "-—, "^ ^ S \ / A ■ — " \ ^ s Im ' — - — \1 ^^ h i \ \ \ ■^ \ \\ K __- .rf-i y // '--^ \ ^ c ^ ^y ^ ^ S '^ ^ """" IL ^ ^ 1k «^ ■- -— ""** Umfang der Bewegungen des Schlüsselbeins nach Moll i er. Die Curven stellen die Bewegung des acromialeu Endes, auf eine sagittale Ebene projicirt, in halber Naturgrössc dar. Curve 3 stellt die Bewegung dar, wie sie sich beim Lebenden ergeben würde. Curve 2 ist durch P\ihrung der Clavicula mit der Hand am Präparat gewonnen, Curve 3 durch die corabinirten Fadenzüge des Modelles. Die Linien an Curve 2 stellen die Grösse der Drehung dar, die für Cmwe 1 etwa ebenso angenommen werden muss. C ist die Ruhestellung (54). kapsel verwachsen. Die Gelenkfläche des Brustbeines ist in senk- rechter Richtung leicht convex. Das Gelenk gleicht also hinsicht- lich der Flächenkrümraungen einem Sattelgelenk. Abgesehen von der Einschiebung des Zwischenknorpels ist jedoch, wie Henke Specielle Gelenklehre. 151 betont, der Mechanismus des Gelenks so unvollkoimrien ausgeprägt, dass die Verbindung „mehr den Charakter einer Syndesmose" hat. Trotzdem besteht erhebliche Bewegungsfreiheit. Denn nach Mol- lier kann die Clavicula eine vollkommene Kegelbewegung be- schreiben, in dem ihr acromiales Ende sich auf einer Ellipse mit annähernd horizontal gelegener grosser Axe bewegt. Bei dieser Bewegung . findet eine Abweichung aus der Ruhelage um volle 10 cm nach oben, um etwa je 6 cm nach vorn und hinten, aber nach fusswärts nur um 1 cm statt. Hier ist der Be- wegung durch das Anstossen an die erste Rippe ein Ziel gesetzt. Offenbar sind dagegen das Ligamentum costoclaviculare und der M. subclavius, die als Hemmungsorgane für die Bewegung nach oben bezeichnet werden, aus den in der allgemeinen Gelenklehre dargestellten Gründen hierzu ungeeignet (115). Es ist vielmehr Muskelhemmung am Schulterblatt selbst anzunehmen. Bei der Bewegung findet, Avie Mollier angiebt, eine Drehung der Clavicula um ihre Längsaxe statt, in dem bei der Erhebung nach vorn und oben der vordere Rand des Knochens sich senkt. Diese Drehung erreicht bei der höchsten möglichen Erhebung ihr Maximum mit etwa 30°. Bei der Bewegung nach hinten findet eine entgegengesetzte Drehung bis zu - — 10° statt {105). 217. Das Schulterblatt ist an das Schlüsselbein wiederum beweglich angeheftet durch das Acromialgelenk. Die Gelenkfläche des Acromions ist flach concav und in sagittaler' Richtung länglich oval. Das Schlüsselbein stösst mit seiner entsprechend convex geformten überknorpeltcn Endfläche dagegen. Die Ebene der Ge- lenkhöhle weicht von der sagittalen nach vorn innen ab. Das Ge- lenk ist eine Amphiarthrose. Selten findet sich ein keilförmiger Zwischenknorpel, der mit seinem breiten Rande dem oberen Theile der Gelenkkapsel anhängt, häufiger ein-e doppelte communicirende oder getrennte Gelenkhöhle mit äusserst zarter Synovialhaut aus- gekleidet. Das Kapselband (Ligamentum acromio-claviculare) wird von oben durch ein starkes Ligamentum acromio-claviculare supe- rius, von unten durch ein schwächeres Ligamentum acromio-clavi- culare inferius verstärkt. Ergänzt wird die Gelenkverbindang noch durch ein sehr starkes Band, welches den Rabenschnabelfortsatz mit der unteren Fläche des Schlüsselbeines verbindet. Ein vorderer ausgebreiteter Theil dieses Bandes wird als Ligamentum 152 Vierter Abschnitt. trapezoides, ein hinterer von oben nach unten zusammenlaufender als Liga- mentum conoiiles unterschieden. Die Bewegungen ira Acroraioclaviculargelenk kommen theils so zu Stande, dass bei Bewegungen der Schulter das Schlüsselbein sich um sein Sternalende dreht, und das Schulterblatt, durch seine anderen Befestigungen in einer bestimmten Lage gehalten, der Bewegung nur folgen kann, indem es gleichzeitig seine Stellung zum Schlüsselbein ändert, theils, und zwar zum grösseren Theile durch Drehungen des Schulterblattes um das Acromialgelenk. Es muss betont werden, dass die letzteren Bewegungen die ausgiebi- geren sind, ganz im Gegensatz zu den älteren Anschauungen, nach denen fast ausschliesslich Bewegungen des ganzen Schultergürtels um das Sternoclaviculargelenk in Betracht gezogen werden {161). Wenn von Drehung des Schulterblattes „um das Acromialgelenk" die Rede ist, so soll damit nicht gesagt werden, dass das Schullerblatt sich um das Gelenk als um einen festen Punkt bewegt, sondern dass durch Bewegung des Schulterblattes gegenüber der relativ ruhenden Clavicula Drehungen im Gelenk hervorgebracht werden. 'o"- § 12. Das Schultergelenk. 218. Das Schultergelenk ist ein Kugelgelenk von grossem Bewegungsumfang, das noch grössere Freiheit dadurch erhält, dass das Schulterblatt selbst in sehr loser und frei beweglicher Verbin- dun;g mjt dem übrigen Knochengerüst steht. - ■ Der Gelenkkopf des Humerus ist nahezu halbkugelförmig und hat nur in der Richtung von kopfwärts nach fusswärts etwas grösseren Durchmesser als in der Sagittälrichtung. Die Axe der Halbkugel bildet mit der Längsaxe des Humerus einen Winkel von etwa 1350, indem bei senkrecht herabhängender Stellung des Armes der Gelenkkopf medianwärts der Pfanne zu geneigt ist. Der Um- fang der Pfanne ist von länglicher Gestalt und im Vergleich zu dem des Kopfes sehr klein. Er umfasst in der Richtung von kopf- wärts nach fusswärts etwa die Hälfte, also nahezu 90 ^ der Peri- pherie des Kopfes; in der Sagittälrichtung bedeutend weniger. Diesen Verhältnissen entsprechend ist die Gelenkkapsel weit und schlaff. Sie entspringt dicht oberhalb des Pfannenrandes und er- streckt sich nur längs der Sehne des Musculus subscapularis etwas weiter, indem sie häufig mit dessen Bursa mucosa communicirt. Specielle Gelenklehre. 153 Am Huraerus ist sie längs des Collum anatomicum angeheftet, ausgenommen im Sulcus intertubercularis, wo sie sich ziemlich weit hinabsteigend auf die Sehne des langen Bicepskopfes um- schlägt, die sie in ihrem Verlaufe innerhalb der Gelenkhöhle in Form einer geschlossenen Scheide bis zum Ansatz überzieht. Die Kapsel ist in allen ihren Theilen von der Synovialmembran aus- gekleidet. Der Rand der Pfanne wird innerhalb der Kapsel durch einen mit breiter Basis aufgehefteten, scharfrandigen, ringförmigen Faserknorpel erhöht. Die Kapsel enthält nur einen etwas stärkeren Faserzug, der vom Fusse des Rabenschnabels in der Richtung auf das Tuberculum majus hinabzieht und als Ligamentum coraco-hu- raerale unterschieden wird. Fast von allen Seiten ist dagegen das Gelenk von Muskeln umschlossen, die in breiten und dicken Schichten darüber hinziehen. Endlich ist die ganze Aussenseite des Gelenks vom Deltoideus wie von einer zweiten Schutzhülle überzogen, während von oben her der Rabeischnabel mit den sich daran ansetzenden Sehnen und das Acromion mit seinen Bändern nach dem treffenden Ausdrucke Henke's eine Art Gelenkpfanne in weiterem Sinne bilden, die den Humeruskopf in seiner Lage fixiren hilft. Trotz dieser accessorischen Befestigungsmittel kann der Gelenkkopf ver- hältnissmässig leicht aus der Pfanne herausgleiten. Mehr als die Hälfte aller vorkommenden Verrenkungen finden im Schultergelenk statt. Dafür ist auch sein Bewegungsumfang grösser als der irgend eines andern Gelenks im mensch- lichen Körper. 219. Bei der Untersuchung der Bewegungen im Schulter- gelcnk ist zu beachten, dass, wie eingangs erwähnt wurde, das Schulterblatt am Rumpfe leicht beweglich ist. Durch Bewegung des Schulterblattes kann nämlich die Stellung des Schultergelenks verändert und dadurch der Umfang der Beweglichkeit des Oberarms scheinbar vermehrt werden (324). Es ist daher sorgfältig zu unterscheiden zwischen dem Grade der Beweg- lichkeit, den der Oberarm überhaupt erreichen kann, und dem, der bei fixirtem Schulterblatt allein aus Bewegung im Schultergelenk hervorgeht. Mit Zuhilfe- nahme der Bewegung des Schulterblattes kann der Arm bekanntlich in an- nähernd sagittaler Ebene geschwungen werden, seine Bewegungen beschreiben also eine volle Halbkugel, ja sie können deren Grenze im vorderen Umfange noch beträchtlich nach medianwärts überschreiten. Viel geringer, obschon im Vergleich zu anderen Gelenken immer noch sehr beträchtlich, ist die Bewe- 154 Vierter Abschnitt. gungsfreiheit des Kugelgelenks für sich. Obgleich das Verhältoiss von Pfanne zu Gelenkkopf, wie oben angegeben, im Allgemeinen nur Bewegungen von etwa 90 0 zu gestatten scheint, bewegt sich thatsächlich der Oberarm auch bei llxirter Schulter um grössere Winkel. Selbst wenn das Schulterblatt in seiner lluhelage bleibt, kann der Arm aus der herabhängenden Lage nach seitwärts bis zur Wagerechten erhoben werden. Hierbei beschreibt er einen Winkel von 90°, Damit ist aber der Umfang der Beweglichkeit nicht erschöpft, sondern der Arm könnte auch nach medianwärts um einen Winkel von gegen 60° be- wegt werden, wenn nicht die Thoraxwand im Wege stände. Diese scheinbar überllüssige Beweglichkeit macht es möglich, dass der Arm, auch wenn das Schulterblatt soweit erhoben ist, dass er bei äusserster Abduction nahezu senk- recht nach oben gerichtet wäre, ohne Bewegung der Schulter bis zur senk- rechten Hängelage adducirt werden kann. Der grösste Umfang der Bewegung in frontaler Ebene (Ab- duction und Adduction), der auf diese Weise gemessen werden kann, beträgt etwa 150°. Ungefähr ebensoviel beträgt der Umfang der Bewegung in sagittaler Ebene (Flexion, Pendelbewegung). Die Grenzen der für jede Stellung in der Sagittalebene möglichen Ab- und Adductionen sind noch nicht genau bestimmt worden. Der Untersuchung steht die Schwierigkeit im Wege, das Schulterblatt absolut fixirt zu erhalten. Ferner ändert sich auch die Bewegungsfreiheit des Oberarms mit dessen Pvotationsstellung. Endlich dürften sich bei verschie- denen Individuen sehr bedeutende Unterschiede in der Beweglichkeit ergeben. Die Richtungen grössten Bewegungsumfanges fallen übrigens nicht genau mit den hier schematisch angenomimenen Drehungsebenen zusammen, sondern die Bewegung erscheint im vorderen Theile des Bewegungsgebietes median- wärts, im hinteren lateralwärts freier. Der Umfang der Rotation des Oberarms ist aus dem Winkel zu ersehen, um den der rechtwinklig "gebeugte Unterarm in der Ebene senkrecht zum Oberarm gedreht werden kann. Innerhalb des angegebenen Bewegungsgebietes beträgt er überall etwa 90°. An den Grenzen bei rückwärts bewegtem oder über den Kopf er- hobenem Arme ist die Rotation beschränkt. Passiv kann die Ro- tation bei manchen Individuen erheblich weiter getrieben werden. § 13. Ellenbogengelenk. 220. Das Ellenbogengelenk entsteht durch das Zusammen- treffen dreier Knochen, des Oberarmbeines und der beiden Knochen des Unterarmes, Radius und Ulna. Das Gelenkende des Oberarmes ist in transversaler Richtung verbreitert und abgeplattet. Die nn- Speciellc Gelenldchre. 155 tere Kante des platten Humeriiscndes ist ein wenig nach vorn ge- bogen und zu einer walzenförmigen Gelcnktläche geformt. Die mediale Hälfte dieser Walze ist leicht concav und durch eine vor- springende Kante von der lateralen getrennt, dies ist die Trochlea, Der laterale Theil, convex allseitig abgerundet, heisst Eminentia capitata. Oberhalb der Trochlea zeigt die Vorderfläche des Hu- merus eine Vertiefung, Fossa anterior, die Hinterfläche eine noch viel bedeutendere Aushöhlung, Fossa posterior, so dass an dieser Stelle der Knochen nur wenige Millimeter dick bleibt, mitunter sogar ganz durchlöchert ist, und die Walzen form der Trochlea fast ringsum vollständig wird. Das Ende der Ulna umfasst von dieser Walze fast 180*^ mit anschliessender Gelenkfläche. Quer mitten ijber die Gelenkfläche der Ulna läuft eine rauhe Rinne. An ihrer lateralen Seite trägt das Ulnaende zur Verbindung mit dem Radius eine concave Gelenkfläche, welche an der Kante mit der für den Huraerus zusaramenstösst. Der Radius stösst mit seiner leicht gehöhlten Endfläche gegen die Eminentia capitata und passt mit seinem drehrunden Kopfe seitlich in die Incisura semilunaris der Ulna. Durch ein starkes ringförmiges Band, Ligamentum annulare, das an der vorderen und hinteren Begrenzung der Incisur ent- springt und das Radiusköpfchen umschlingt, wird dies Gelenk zu einem ausgebildeten Zapfengelenk (155) vervollständigt. Da der Rand des Radiusköpfchens nicht rein cylindrisch ist, sondern viel- mehr einem nach handwärts verjüngten Kegel gleicht, so ist durch das Ringband der Radius zugleich gegen Verschiebung nach hand- wärts gesichert. Alle drei Knochenenden des Ellenbogens werden von einer gemeinsamen weiten Gelenkkapsel eingeschlossen, welche von den oberen Begrenzungen der Fossae anterior und posterior und der Gelenkfläche des Humerus zum Rande der Gelenkfläche der Ulna und, mit dem Ringbande verwachsen, zum Halse des Radius hinab- steigt. Die Faserschicht enthält nur an der Vorderseite einen stärkeren Bandstreifen, der über der Fossa anterior humeri ent- springt und sich an den Processus coronoideus der Ulna und an das Ringband ansetzt. Dagegen ist die Gelenkverbindung an den Seiten durch starke Bänder befestigt. Das mediale geht vom Condylus des Huraerus aus und setzt fächerförmig verbreitert an den medialen Rand der Incisura semilunaris maior an. Das late- 156 Vierter Abschnitt. rale hat entsprechenden Verlauf, seine Fasern schliessen sich an das ringförmige Band an und lassen sich namentlich auf der Hinterseite bis an die Ulna verfolgen. Für die Knochenverbindung kommt hier noch mehr als bei anderen Gelenken die Verstärkung durch Muskeln in Betracht. Die starke breite Sehne des Triceps brachii ersetzt ein hinteres Kapselband, um so mehr, da sie auch das Humeroradialgelenk vollständig mit bedeckt. Ulna und Radius untereinander sind durch die Membrana interossea der ganzen Länge nach aneinander angeschlossen und ausserdem durch ein be- sonderes schmales Band verknüpft, Lig. accessorium s. Chorda transversalis cubiti, welches vom Processus coronoideus ulnae zum medialen Rande des Radius hinabhäuft. 221. Das Ellenbogengelenk wird als ein zusammengesetztes Gelenk bezeichnet, weil es drei verschiedene Gelenke dem Orte nach zusaramenfasst. Diese drei Gelenke bilden zwei Mechanismen, deren Bewegungsweisen einzeln betrachtet werden müssen (183), Für die erste, nämlich Beugung und Streckung des Unter- armes ist das Humeroulnargelenk allein maassgebend. Es ist ein Walzengelenk. Die Fläche des Humerus ist ein Cylinder, der in der Trochlea ausgekehlt, in der Eminentia capitata vorgewölbt er- scheint. Dem entsprechen die Fläche der Ulna und die Höhlung des Radiusköpfchens. iVusser dieser Anpassung erkennen wir eine sehr ausgeprägte Führungslinie in dem zwischen Radius und Ulna vorspringenden lateralen Rande der Trochlea. Endlich finden wir durch die starken Seitenbänder den Typus des Ginglymus voll- endet. Die quere Unterbrechung der Gelenkfläche der Ulna durch die erwähnte Furche zwischen Olekranon und Processus coronoideus ist ohne Einfluss auf den Gang des Gelenkes. An diesem scheinbar einfachen Gelenke finden sich bei genauerer Untersuchung verschiedene Besonderheiten. Man nimmt für ge- wöhnlich an, dass die Axe eines Charniergelenkes senkrecht zur Längsaxe der betreffenden Knochen stehe. Die Bewegung geschieht dann in einer durch die Axe beider Knochen senkrecht zur Gelenkaxe gedachten Ebene, der Plexions- ebene. Die Axen der Armknochen sind aber nicht senkrecht auf der Axe des Ellenbogengelenks, sondern ein wenig nach lateral geneigt und schliessen daher bei gestreckter Stellung einen lateralwärts offenen Winkel, den „Cubital- winkel" von etwa 173° ein. Die Längsaxen vom Oberarm und Unterarm bewegen sich daher nicht in einer Ebene, sondern sie beschreiben den Mantel eines flachen Kegels, dessen Spitze im Gelenk liegt und dessen Grundfläche die Emi- nentia capitata schneidet (106). Die zweite Eigenthümlichkeit des Ellenbogen- Specielle Gelenklehre. 157 Figur 23. Axenkegel- des Ellenliogengelenkes nach Fischer. Die Schwankungen der Axe für Flexion des Unterarms im Ellenbogen sind so dargestellt, als sei die Axe eine Gerade, die sich um den Mittelpunkt der Troehlea drehe, und während elf auf einander folgender Verschiebungen des Unterarms gegen den Oberarm elf verschiedene Siellungen annehme. Dadurch wird eine unregelmässige, kegelmantelähnliche Fläche bestrichen, von der Fig. 1 eine Ansicht von oben, Fig. 2 eine Ansicht von der Seite giebt. (Siehe folgende Seite.) 158 Vierter Abschnitt. gelenlvs wird darin gefunden, dass die Führungslinien (24) des Ginglymus nicht in einer Ebene um den Cylinder verlaufen, sondern nach Art eines Schraubenganges ein wenig vorrücken sollen {12). Um einer geringen Stei- gung der Führungslinien willen jedoch den Ginglymuscharakter des Ellenbogen- gelenkes zu leugnen, um es den Schraubengelenken zuzurechnen, wäre über- trieben. Fischer {107) findet überhaupt keine Andeutung der Schrauben- bewegung, Hultkrantz {108) fand dasselbe unter 13 Fällen 3 mal, dagegen 6 mal Verschiebung in einer, 4 mal in der entgegengesetzten Richtung und nimmt daher an, dass meist eine am rechten Arme rechts, am linken Arme links gewundene Schraube vorliege. Demnach würde die Führungslinie, indem sie von hinten nach vorn die Trochlea umläuft, nach lateral vorrücken, und zwar um ungefähr 2 mm. Drittens endlich findet sich, dass die Golenk- fläche der Ulna nur in ihrem mittleren Theile wirklich auf der 'rrochlea schleift. Der laterale Theil der Gelenkfläche am Olekranon weicht etwas zurück und trifft nur bei gestreckter Stellung eine entsprechende Stelle der Trochlea, ebenso der mediale Theil nur bei der Beugung. Wo die Gelenk- fläche des Processus coronoideus hinten zur Articulationsstelle des Radius übergeht, ist sie ebenfalls so weggekrümmt, dass sie nur bei äusserster Streckung mit dem hinteren Theile der vorspringenden Trochleakante zu- sammenstösst. Man hat hierin eine Hemmung für die Streckbewegung des Ge- lenkes finden wollen. Aus diesen Eigenthümlichkeiten ist zu erklären, dass nach Fischer 's exacter Untersuchung das Ellenbogengelenk überhaupt keine feste Axe hat, sondern dass die Axe während der Bewegung den Mantel eines Kegels mit unregelmässig gestalteter Basis beschreibt. Will man sich von dieser Bewegungs- form eine Anschauung machen, so denke man an die Bewegung eines Stabes, dessen eines Ende zwischen zwei Drahtösen geschoben und vermittelst eines querdurch getriebenen Stiftes charnierartig befestigt ist. Der Stift bildet dann eine feste Drehungsaxe, um die jeder Punkt des Stabes bei der Bewegung in Einer Ebene kreist. Wird nun an Stelle der einen Oese ein weiter Ring gesetzt, so wird der Stift, wie die Mechaniker sagen, .in dem Ringe „leiern" können, das heisst, er wird bei der Bewegung in dem Ringe kreisen und dadurch mit seiner ganzen Länge einen Kegelmantel beschreiben, dessen Spitze die enge Oese bildet. Dadurch wird die Bewegung des Stabes so verändert, dass sie der Bewegung des Ellenbogengelenkes ähnlich wird, bis auf den Umstand, dass die Axe des Ellenbogengelenkes nicht frei wackelt, sondern stets dieselbe unregelmässige Kegelbewegung ausführt. Eine solche Bewegung kann theo- retisch nicht aus der Gestalt der Flächen abgeleitet werden. Die Unregel- mässigkeiten des Gelenks zusammen mit dem Druck der Muskeln, der nach Hultkrantz schon für den unbelasteten gebeugten Arm 6 — 7 kg beträgt, er- zwingen aber diesen eigenthümlichen Gang des Gelenkes. (116) {109). Die Articulation zwischen Radius und Eminentia capitata hat eigentlich die Form einer Arthrodie, da die kugelförmige Fläche der Eminentia in eine entsprechende Höhlung des Köpfchens passt. Specielle Gelenklehre. 159 Offenbar Jedoch dient die allseitige Gleichmässigkeit des Radius- köpfchens nur zu dem Zwecke, dass es auch bei jeder beliebigen Drehung immer, ein gleiches Profil gegen die Eminentia capitata biete. Denn die oben beschriebenen Verbindungen des Radius mit der Ulna lassen nur die J3eugung in einer Ebene und Axendrehung zu (U3). Somit ist die Bewegung zwischen Radius und Humerus ganz von der zwischen Ulna und Humerus abhcängig und bildet mit ihr gemeinschaftlich den ersten und eigentlichen Mechanismus des Ellenbogengelenkes. 222. Die Hemmung dieser Bewegung im Ellenbogen wird, abgesehen von den Muskeln, durch die Bänder und durch die Gestalt der Knochen bewirkt. Der Ansatz der Seitenbänder an den Condylen des Humerus ist nicht auf Einen Punkt beschränkt, sondern so breit, dass sich bei der Beugung der dorsale, bei der Streckung der volare Rand der Bänder spannt. Die Streckung spannt ausserdem das Ligamentum cubiti anticum. Zugleich mit der Hemmung durch die Bänder tritt jedoch die Hemmung durch die Knochen ein, indem bei der Beugung der Processus coronoideus, bei der Streckung das Olekranon am Grunde der Fossae des Humerus anstösst. Bei gewaltsamer Ueberstreckung oder üeberbeugung wird dieses Anstossen zu einer Hebelbewegung, durch welche die Ulna aus dem Gelenke gehoben und luxirt werden kann. Der zweite Mechanismus des Ellenbogengelenks, dem die Arti- culation zwischen Radius und Ulna angehört, ist nur ein Theil eines anderen Bewegungsapparates, der sogleich im Zusammenhang besprochen werden soll. ' § 14. Pronation und Supination. 223. Eine besondere Stellung unter den Gclenkbewegungen des Armes nimmt die Rotation des Unterarms gegen den Oberarm, die sogenannte Pronation (18) und Supination ein. Zwei anatomisch weit getrennte Gelenke, die Articulatio radioulnaris superior und inferior arbeiten dabei gemeinsam als combinirtes Gelenk (182). Die Articulatio radioulnaris superior ist schon bei der Be- sprechung des Ellenbogengelenks beschrieben (220). Sie ist ein typisches Drehgelenk. Die Articulatio radioulnaris inferior ist ihrer Bewegungsform nach ein Drehgelenk, obschon ihre Form vom Typus einigermaassen abweicht. Das cylindrische Köpfchen der Ulna liegt mit seinem überknorpelten lateralen Rande in einem entsprechenden Ausschnitte des Radius (Incisura semilunaris radii). 160 Vierter Abschnitt, Die Gelenkflächen beider Knochen sind von einer schlaffen Kapsel (Membrana sacciformis) eingeschlossen, die durch einzelne Faser- züge hinten und vorn verstärkt wird. Vom Rande der Incisura semilunaris erstreckt sich quer über die Endfläche der ülna ein dreieckiger Faserknorpel (Cartilago triquetra), der durch ein sehr bewegliches Band (Ligamentum subcruentura) mit seiner Spitze an den Processus styloideus radii geheftet ist. Ulna und Radius sind ferner ihrer ganzen Länge nach durch die Membrana interossea verbunden, deren ulnarwärts absteigende Fasern zwischen den einander zugekehrten Kanten der Knochenschäfte straff ausge- spannt sind (109). In der als normale Grundstellung betrachteten Stellung des Unterarms und der Hand, der Supinationsstellung, sieht der Hand- teller nach vorn. Die beiden Unterarmknochen liegen ungefähr in einer Ebene neben einander, die Ulna medial, der Radius lateral. Li der Pronationsstellung ist dagegen die laterale Hälfte der Hand und mit ihr das distale Ende des Radius nach vorn und medial- wärts gedreht, sodass der Handrücken nach vorn sieht. Die beiden Unterarmknochen überkreuzen sich, da der Radius an seinem proxi- malen Ende nach wie vor lateral von der Ulna, an seinem distalen Ende nunmehr medial von der Ulna liegt. Der Radius geht quer vor der Ulna vorbei. Indem der Radius aus der ersten Stellung in die zweite übergeht, be- schreibt seine Längsaxe den Mantel eines Kegels, dessen Spitze in der Mitte des Capitulum radii und dessen Basisniitte im Processus styloideus ulnae ge- legen ist. Die Basis des Kegels ist also ein Kreis, den man mit dem Abstände des Radius vom Processus styloideus ulnae beschrieben denkt. Zu dieser Be- wegung ist der Radius durch die Form seiner beiden Gelenkverbindungen mit der Ulna gezwungen. Denn die Mitte des Capitulum radii, das in das Liga- mentum annulare eingeschlossen ist, muss bis auf die Drehung unbeweglich bleiben. Dieser feste Punkt bildet die Spitze des Kegels. An seinem unteren Ende ist aber der Radius nicht in ein Band eingeschlossen, sondern er umfasst vielmehr selbst die ülna vermöge seiner Incisur. Soll er sich gegen die Ulna drehen, so muss diese Drehung in der Richtung der Gelenkfläche, also im Kreise um das untere Ende der Ulna geschehen. Daher beschreibt das untere Ende des Radius den Kreis um die Ulna, der die Basis des gedachten Kegels darstellt. Auch dieser Mechanismus beruht, genau genommen, nur auf der durch die UnvoUkommenheit der Gelenkverbindungen gegebenen Beweglichkeit. Das Radiusköpfchen kann, abgesehen von der Drehung, seine Lage fast unver- ändert beibehalten, obgleich der untere Theil des Schaftes seine Stellung ver- Specielle GelenKlehre. 161 ändert. Denkt man sich die L.änge des Unterarms aiit wenige Centimeter ein- geschränkt, sodass die obere und untere Gelenkverbindung uninittelbar unter einander zu liegen kommen, so leuchtet ein, dass bei vollkommen sicherer Führung im proximalen Drehgelenk die Kreisbewegung des distalen Radius- endes unmöglich wäre (206). Das Radiusköpfcheji ändert bei der Bewegung seine Beziehungen zum Ellenbogengelenk in keiner Weise, da es allseitig gleich ge- formt, nämlich drehrund ist. Daher kann auch die Pronation und Supination bei jeder beliebigen Beugestellung des Ellenbogens aus- geführt werden. Was den Umfang der Bewegung betrifft, so erscheint sie, da einmal der Handteller, das andere Mal der Handrücken nach vorn sieht, schematisch als eine Drehung um 180 o. In Wirk- lichkeit kann die Drehung in diesem Umfange nur ausgeführt werden, wenn ausser der Pronation und Supination Rotation im Schultergelenk zu Hülfe genommen wird. Bei fixirtem Oberarm dagegen beschränkt sich die Drehungsmoglichkeit auf etwa 120°. Hiervon entfallen etwa 30*^ medianwärts von der Sagittalebene, die Handfläche hat also in Supinationsstellung thatsächlich frontale Richtung. Die Pronationsbewegung wird gehemmt durch das Aufeinander- stossen der Knochen, indem der Radius die Ulna kreuzt. Für die Supination wirkt neben den Muskeln die Spannung des Lig. inter- osseum als Hemmung. Die Pronationsstellung hat neuerdings die Bedeutung erhalten, dass sie als diejenige Stellung erkannt worden ist, in der die obere Extremität als der unteren homolog betrachtet werden kann. Da man von einer primären Mittel- stellung beider Extremitäten auszugehen pflegt, betrachtet man den Unter- schenkel, im Gegensatz zum beweglichen Vorderarm, als in Pronationsstellung fixirt. § 15. Handgelenk. 224. Das Handgelenk vereinigt anatomisch eine Anzahl me- chanisch zu unterscheidender Gelenke, nämlich erstens die Gelenk- verbindung zwischen Radius und Ulna, zweitens die Verbindung der Unterarmknochen mit den Handwurzelknochen, drittens die Ver- bindungen der Handwurzelknochen untereinander, viertens die Ver- bindung der Handwurzelknochen mit der Mittelhand. I!. du R o i s-1! ey 111 (1 11 (I, Spec. Miiskelpliysiolufjic. 11 s 162 Vierter Abschnitt. Der Radius hat an seinem unteren Ende eine längliche hohle Gelenkfläche, deren radialer Rand als Processus styloideus vorsteht, während der ulnare, zur Incisura sigmoi'dea ausgehöhlt, das untere Ende der ülna urafasst. Die untere Gelenkfläche der Ulna ist kreisförmig und ziemlich eben, nur an den Rändern abgerundet, am ulnaren Rand springt zapfenförraig der Processus stylo'ideu ulnae hervor. Das Ende der Ulna tritt gegen das des Radius zurück und zwischen seine Gelenkfläche und die entsprechende Fläche der Handwurzelknochen schiebt sich eine Zwischenscheibe, das Ligamentum trianguläre, ein. Die erste Reihe der Handwurzel- knochen besteht in radioulnarer Folge aus Os naviculare, Os lunatum, Os triquetrum. Das Os pisiforme, für sich allein durch eine von den anderen Gelenken gesonderte Aniphiarthrose mit dem Triquetrum verbunden, hat für den Zu- sammenhang des Handgelenks keine Bedeutung. Die beiden ersten Knochen, Naviculare und Lunatum, passen mit convexen Flächen gegen zwei entsprechende Abschnitte der Radiusfläche, der Rand des Lunatum und die gleichfalls convexe Fläche des Triquetrums stossen gegen das Lig. trianguläre. Gegen einander bieten sie unregelmässige nahezu ebene Flächen. Die distale Fläche des Naviculare zeigt an der radialen Seite eine weit vorstehende convexe Fläche, an der ulnaren eine fast in der Sa- gittalebene zurückspringende hohle Fläche, die durch die ebenfalls hohlen Distalflächen des Lunatum und Triquetrum fortgesetzt wird. Im zweiten (Intercarpal-) Gelenk articuliren mit dem convexen Theil des Naviculare entsprechende Flächen des Os multangulum majus und minus, mit der Hohlfläche des Naviculare und Lunatum der convexe Kopt des Os capitatum und mit der übrigen Hohl- fläche des Lunatum und Triquetrum die entsprechend geformte Fläche des Os hamatum. Alle erwähnten Gelenke (mit Ausnahme des Pisiforme) können von einer einzigen gemeinsamen Kapsel umschlossen sein, meist ist jedoch die Kapsel zwischen Radio- carpalgelenk und Litercarpalgelenk abgeschlossen. Es können sechs einzelne Kapseln vorkommen: l. Radioulnargelenk, 2. Radiocarpal- gelenk, 3. Erbsenbeingelenk, 4. Litercarpalgelenk, 5. und 6. Carpo- metacarpalgelenk der Finger und des Daumens. Das Radiocarpal- gelenk wird an der Volarseite durch das Ligamentum volare über- zogen, das von den ünterarmknochen auf die Knöchelchen der Specielle Gelenklehre. 168 ersten Reihe übergeht und verstärkt wird durch das Ligamentum aecessorium obliquum, einen schrägen Faserzug vom Processus styloideus radii zum Triquetrum, und das Ligamentum aecessorium rectum, von der Vereinigungsstelle des Radius mit der ülna zum Lunatum. Seitlich findet sich ein Ligamentum radiale und ulnare, vom Processus styloideus des Radius und der Ulna an die ent- sprechenden Handwurzclknochen, an der Dorsalscite das Liga- mentum rhomboideum carpi, welches vom Rande der Radiusfläche zum Lunatum und Triquetrum schrägt hinüberzieht. Alle diese Bänder gehen mehr oder weniger über in die Verstärkungs- und Yerbindungsbänder des Jntercarpalgelenks, durch welche die Hand- wurzelknochen untereinander verbunden werden. Es sind dies zahlreiche kleine Bänder, durch die sämmtliche Handwurzelknochen sowohl dorsal als volar mit einander bald gerade, bald schief mehr oder weniger fest vereinigt sind. Zwischen den Knochen der ersten und denen der zweiten Reihe unter ein- ander sind auch Zwischenknochenbänder vorhanden. Auf einzelne dieser Verbindungen wird weiter unten genauer einzugehen sein. 225. Die Verbindung der Handwurzclknochen unter sich ist übrigens von der mit den Unterarm- und Mittelhandknochen und von der dieser Theile unter- einander nur theoretisch zu trennen, da durch die Vereinigung der benachbarten Knochen auch die Handwurzelknochen zusammengehalten werden. Besonders gilt dies vom volaren Bandapparat, in dem Faserzüge von der zweiten Reihe der Handwurzelknochen zum Radius hervortreten. Alle diese V^erbindungen werden ausserdem verstärkt und vereinigt durch die zahlreichen über die Ge- lenke hinlaufenden Sehnen, Sehnenscheiden und das quer über die Sehnen hingestreckte Ligamentum carpi volare proprium. Indem dieses die Endglieder beider Reihen Handwurzelknochen, Naviculare und Multangulum majus radial- seits und Hamulus und Pisiforme ulnarseits straff verbindet, erhält es die Gesammtheit der Handwurzelknochen in dorsalwärts gewölbten Bogen gegen den Druck, den beim Aufstützen des Armes der Radius von dorsal- und proxi- malwärts auf sie ausübt. Wenn man diese Bogenconstruction als ein „Gewölbe" bezeichnet, so ist damit die äussere Erscheinung treffend geschildert, mecha- nisch betrachtet entspricht sie {126)^ da sie auf ßänderspannung beruht, mehr dem Begriff eines „Sprengwerks". 226. Das Gelenk zwischen Radius und ülna ist von den anderen mechanisch selbstverständlich zu trennen (223), denn es dient ausschliesslich der Bewegung der Unterarmknochen gegen- einander. Die längliche hohle Gelenkfläche des Radius und die Fläche 11* G 164 Vierter Abschnitt. der Cartilago triquetra bilden die Pfanne des Gelenkes zwischen Unterarm und Handwurzel. Dies Gelenk pflegte man früher unter der Bezeichnung Brachiocarpalgelenk, erstes oder oberes Hand- gelenk von der Verbindung zwischen der ersten und zweiten Reihe der Handwurzelknochen, deiulntercarpalgelenk, zweitem oder unterem Handgelenk zu trennen. Man nahm an, was auch annähernd mit der Wirklichkeit übereinstimmt, dass die beiden Reihen der Handwurzelknochen jede für sich, als ein unbe- weglicher Körper betrachtet werden dürften. Nach dieser Auflassung wäre, zumal sich an der ersten Reihe der Handwurzelknochen kein Muskel ansetzt, das Handgelenk als ein Doppelgelenk aufzufassen, in dem die erste Reihe der Handwurzelknochen die Rolle des Maniscus spielte. Diese vereinfachende An- nahme beherrscht alle älteren Darstellungen der Bewegung des Handgelenks. Henke gab illO) für jedes der beiden Gelenke eine bestimmte schräggelegene Drehungsaxe an, und alle Bewegungen wurden als aus Drehungen um die beiden schrägen Axen zusammengesetzt erklärt. Die Axe für das erste Gelenk, das als Ellipsoidgelenk zu bezeichnen wäre, sollte von radial- proximal- dorsal nach ulnar- distal- volar von der Kante des Os naviculare zum Triquetrum an der Anheftungsstelle des Pisiforme verlaufen. R. Fick macht darauf auf- merksam, dass Henke's zwei Figuren einander in Bezug auf die Lage dieser Axe widersprechen [112). Die Axe für das zweite Gelenk, das als ein Cy- lindergelenk mit stark gefurchter, ja eingeschnittener Fläche erscheint, sollte in transversaler Ebene von radial- volar nach ulnar- dorsal verlaufen. Beide Axen sollten einander im Mittelpunkte des Köpfchens des Capitatum schneiden, der als Mittelpunkt der Gesammtbewegung erscheint. Diese Darstellung entspricht, wie auch später die Untersuchung der Bewegungsform durch Braune und Fischer lehrte (iü), annähernd dem wirklichen Befund. Doch zeigte sich bei dieser Untersuchung, dass, wie auch Henke schon vorausgesetzt hatte, Verschiebungen der einzelnen Hand- wurzelknochen untereinander bei der Bewegung wesentlich betheiligt sind. Braune und Fischer wiesen den Eintliiss dieser Bewegungen nach, indem sie die Beweglichkeit des Gelenks in möglichst normalem Zustande mit dem- jenigen Grade von Beweglichkeit verglichen, der zurückbleibt, wenn die Knochen der ersten Reihe gegen einander durch Stifte fixirt wurden. 227. Erst in neuester Zeit ist es gelungen, mit Hülfe der Röntgen -Strahlen die Form dieser Einzelbewegungen zu er- mitteln {112). Damit war indessen im die mechanische Erklärung wenig gewonnen, die vielmehr neben der blossen Bewegungsform die Bevvegungsbedingungen, ins- besondere die Bandverbindungen zu berücksichtigen hat. Das Röntgenbild, das nur eine Flächenprojection der Knochen selbst liefert, muss ergänzt wer- den: erstens durch die Untersuchung am Knochen selbst, zweitens durch sorg- fältiges Nachprüfen am frischen Präparat. Um die Knochen selbst auf ein- Specielle Gelenldehre. 165 zelnen Stufen der Bewegung festzuhalten, hat H. Virchow seine Gefriev- methode {'21) ausgebildet, und durch Vergleichung der Ergebnisse dieser Methode mit denen der Röntgendurchleuchtun-c und der Beobachtung am Bänderpräparat (34) hat er es erreicht, die Mechanik des Handgelenks bis in ihre Einzelheiten aufzuklären. Figur 24. Pigui- 24, 25, 26: Umrisse von Röntgenaufnahmen des Handgelenkes in ver- .schiedenen Stellungen nach R. Fick (Platte dorsal, Röntgenlampe volar, Anti- kathode 30 cm von der Platte). Rechte supinirte Hand in Normalstellung (Längsaxe des III. Mittelhandknochens in Verlängerung der Unterarmlängsase). Um H. Virchow's Darstellung zu folgen, muss man natürlich von den oben angeführten vereinfachenden Annahmen absehen, dass die beiden Reihen der Handwurzelknochen zwei an sich unverrückbar voreinigte Körper dar- stellen, dass sich diese beiden Körper um die Henke 'sehen Axen drehen und so fort. 166 Vierter Abschnitt. Vielmehr ist das gesammte Handgelenk aufzufassen als zusammengesetzt aus einer grossen Anzahl Einzelmechanismen, die jeder für sich nach seinen Be- wegungsbedingungen, Bändern, Flächenform, Drehungsaxen, Bewegungsumfang zu analysiren sind. Hierauf ist zu beachten, in welcher Weise die Bewegung jedes einzelnen Apparates durch seine Verbindung mit den übrigen beeinflusst wird.. Es kommt nämlich vor, dass ein anscheinend gut ausgebildetes Gelenk, Figur 25. Rechte supinirtc Hand in untermaximaler Radialflexion. das einen grossen Bewegungsumfang zulassen würde, im Zusammenhang mit den übrigen Gelenken nur auf einem ganz kleinen Theiie seiner Gesammtbe- weglichkeit ausgenutzt wird. Nach H. Virchow's Ausd-ruck kommt die Ge- samunbewegung des Handgelenks grösstentheils durch „Compromisse" zwi- schen den Einzelbewegungen zu Stande. Daher sind auch für die Gesammt- bewegung von der grossen Zahl derGelenkflächen nur Einzelne eigentlich gang- bestimmend. Specielle Gelenklelire. 167 Wie schon oben orvvähnt, scheiden aus der mechanischen Betrachtung des Handgelenkes das Gelenk zwischen Ulna und Radius, ferner das Gelenk zwischen Triquetrura und Pisiforme aus. Ferner kann abgesehen M^erden von der Beweglichkeit der Knochen der zweiten Reihe unter einander, sowie von deren Beweglichkeit Fio-ur 26. Rechte supinirte Hand in untermaxinialcr Uluarllexion. gegenüber der Mittelhand, da in beiden Fällen nur minimale Ver- schiebungen nachweisbar sind. Das Gelenk zwischen Unterarm und Handwurzel ist als ein Ellipsoidgelenk (157) anzusehen, da die drei Knochen der ersten Reihe gemeinschaftlich eine eiförmig gewölbte Fläche gegen die 168 Vierter Abschnitt. durcli die Cartilago triangularis ergänzte eiförmige Hohlfläche des Radius kehren. Dass, wie H. v. Meyer {113) hervorhebt, die Fläche des Radius zwei durch eine kaum erlcennbare Leiste abgegrenzte Felder für Lunatum und Na- viculare bildet, kommt nicht wesentlich in Betracht. Noch weniger ist daraus, dass diese Leiste etwas schräg verläuft, auf einen Schraubencharakter des Ge- lenks zu schliessen. Endlich darf auch der Umstand, dass die Gestalt des ei- förmigen Gelenkkopfs durch die Verschiebung der drei Knochen gegeneinander seine Gestalt ändert, vernachlässigt werden. 228. Es bleibt demnach der Mechanismus der Gelenkverbin- dungen zwischen den einzelnen Knochen der ersten Reihe unter einander und mit denen der zweiten Reihe zu untersuchen. Figur 27. Die Einzelmechanismen des Handgelenks nach H. Virchow. 1. Das Gelenk zwischen Lunatum und Capitatum + Hamatum. — 2. Das Gelenk zwischen Lunatum und Triquetrum. Vergl. auch Figur 28. — ■ 3. Das Gelenk zwischen Triquetrum und Hamatum. — 4. Das Gelenk zwischen Lunatum und Naviculare. — 5. Das Gelenk zwischen Capitatum und Naviculare. — 6. Das Gelenk zwischen Naviculare und den Multangulis. Diesen theilt H. Virchow {112) in 6 Einzelgelenke: nämlich zwei zwischen den drei Knochen der ersten Reihe und vier zwischen denen der ersten und zweiten. Als erstes dieser Gelenke möge das zwischen Lunatum einer- seits, Capitatum und Hamatum andererseits betrachtet werden, das durch die Bezeichnung als „centrales Ginglymusgelenk" ge- kennzeichnet wird. Die concave Fläche des Lunatum zeigt eine der. Grenzfurche zwischen Capitatum und Triquetrum entsprechende Leiste, die der Ginglymusbewegung als Führung dienen kann. Specielle Gclcnklehre. 1B9 aber nicht hindert, dass bei den seitlichen Bewegungen der Hand („Randbewegungen") die zweite Reihe sich gegen die erste ver- schiebt, sodass zum Beispiel bei Radialflexion die Mitte des Köpfchens vom Capitatum auf der Leiste zu stehen kommt. Die Ginglymusbewegung dorsalwärts wird durch ein volares Band, Lig. radiocapitatum, gehemmt. Das zweite Gelenk, zwischen Lunatum und Triquetrum, kann als „ulnares Stellgelenk" bezeichnet werden. Es ist eine Arthrodie mit nahezu ebenen Flächen und wurde deshalb früher als nahezu unbeweglich aufgefasst, sodass die Annahme, die Knochen der ersten Reihe bildeten ein gemein- sames Ganzes, gerechtfertigt schien. Thatsächlich ist aber die Figur 28. Scheniati.sches Modell fies Gelenkes zwischen Lunatum und Triquetrum nach H. Virchow. Bei der Bewegung in der Richtung des Pfeiles gleitet das „Triquetrum" frei in die punktirte Stellung. Die entgegengesetzte Bewegung über die Anfangsstellung hinaus ist nicht möglich. proximale Reihe keine Einheit, das Triquetrum vermag gegen das Lunatum eine beträchtliche Verschiebung und sogar Drehung aus- zuführen, sodass der Gelenkspalt proximalwärts klafft. Dies kommt dadurch zu Stande, dass die Bänder zwischen Lunatum und Tri- quetrum nicht senkrecht zur Richtung der Gelenkflächen, sondern quer zur Axe des Armes, also schräg auf die schräg von proximal ulnar nach distal radial verlaufende Ebene des Gelenks gerichtet sind. Folglich spannt das Triquetrum, wenn es proximalwärts ge- schoben wird, indem es aut der schiefen Fläche gleitet, die Bänder an. und lässt sie erschlaff'en, wenn es distalwärts gleitet. Die mechanische Bedeutung dieser Einrichtung ist klar. Bei 170 Vierter Abschnitt. gerade gestreckter Hand ist das Triquetrum durch seine ganze Verbindung mit den Weiclitheilen sowie durch den Druck, der von dem ulnaren Theile der Hand ausgeübt wird, proximalwärts ge- schoben, es liegt infolgedessen dem Lunatum fest an und bildet für die Volar-dorsalflexion einen Theil des nahezu festgcschlossenen, gemeinsamen Gelenkkopfes. Bei der Radialflexion dagegen, wenn der ulnare Rand der Mittelhand distalwärts entweicht, gleitet das Triquetrum distalwärts, die Bänder erschlaffen, und es vermag der Hand so weit distalwärts zu folgen, dass es die Fühlung mit der Gelenkfläche des Unterarms ganz verliert. Bei der ülnar- flexion, bei der das Naviculare einen grossen Theil seiner Stütz- fläche am Unterarm aufgiebt, müsste dafür das Triquetrum ein- treten. Da aber die Ulna, oder vielmehr der vermittelnde drei- eckige Knorpel keinen Stützpunkt gewährt, erscheint es in hohem Grade zweckmässig, dass das Triquetrum, dem Muskelzuge am ulnaren Rande der Hand nachgebend, proximalwärts gleitet und durch Spannung der Bänder fest an das Lunatum angeschlossen wird. Das dritte Einzelgelenk, zwischen Hamatum und Triquetrum, hat eine deutlich schraubenförmige Windung der Fläche. Daher findet bei ülnarflexion, bei der der distale Theil der Hamatum- fläche sich auf das Triquetrum schiebt, eine dorsalflectorische, bei Radialflexion dagegen eine volarflectorische Wirkung auf das Tri- quetrum statt, die in gleichem Sinne wirkt, wie der auf der folgenden Seite geschilderte Mechanismus am medialen Rande und auch schon von mehreren älteren Beobachtern erkannt worden war. Die vierte Verbindung, die zwischen Lunatum und Naviculare, hat sehr unbestimmten Charakter, da die Flächen nahezu eben, die Band Verbindungen ziemlich schlaff sind. Die Bewegungen werden deshalb hier mehr durch die äussere Einwirkung der be- nachbarten Knochen bestimmt. Bei ülnarflexion wird das Navi- culare vom andrängenden Lunatum radialwärts verschoben, bei Radialflexion schiebt es seinerseits das Lunatum ulnarwärts. Bei Volar-dorsalflexion dagegen kann sich die Beweglichkeit des Ge- lenkes geltend machen. Das Naviculare wird von der Bewegung der distalen Handwurzelknochen mitgenommen und es findet in dem Gelenk eine Drehung statt um einen Punkt, der dem dorsalen, strafferen Bande nahe liegt. Das fünfte Gelenk wäre das zwischen der seitlichen Fläche Specielle Gelenklehre, 171 des Capitatumkopfes und der entsprechenden Fläche des Navicnlare. Letztere hat die Gestalt eines Elh'psoides mit nahezu dorsovolarer längerer Axe und 8 mm Krümmungsradius, während die des Navi- culare Hohlkrümmung von nicht weniger als 30 mm Radius zeigt. Die sehr freie Verbindung, die ein solches Gelenk gestatten würde, ist aber durch die anderen Verbindungen der beiden Knochen stark be- schränkt. Die Anheftung des Naviculare mit seinem radialen Rande an das Multangulum, das wiederum mit dem Capitatum nahezu unbeweglich verbunden ist, bedingt, dass sich das Navi- culare gegen die zweite Reihe nur um eine Axe bewegen kann, die durch die Ecke am Rande des Naviculare und die Mitte der Gelenkfläche zum Capitulum capitati geht. Diese Axe entspricht ungefähr Henke's zweiter Axe. Sie hat aber, wie aus der Dar- stellung hervorgeht, in Wirklichkeit eine andere und zwar viel ge- ringere Bedeutung für die Gesammtbewegung, als ihr nach Henke zugeschrieben wurde, denn sie stellt nicht die Drehungsaxe der festen zweiten Reihe gegen die feste erste Reihe vor, sondern nur die Drehungsaxe für die Verschiebung des Naviculare gegen seine Nachbarn. Da bei der Dorsovolarflexion das Naviculare mit der distalen Reihe mitgeht, kommt diese Drehung hauptsächlich bei den Rand- bewegungen in's Spiel, indem um sie bei Radialflexion volar-, bei Ulnarflexion dorsalflectorische Drehung des Kahnbeines statt- flndet. Diese Drehung ist ausserdem mit einer Rotation in supi- natorischera Sinne verbunden , die Radialflexion umgekehrt mit pronatorischer Rotation. In wieweit hierbei die Muskelwirkung auf die Mittelhand im Spiele ist, bleibt fraglich. Für die Bewegung des Naviculare kommt endlich noch das sechste Gelenk, zwischen der distalen Convexität des Naviculare und den Multangula in Betracht. Diese ist, wie schon Henke angiebt, eine ellipsoi'de Rotationsfläche mit derselben Axe, wie sie für das Gelenk zwischen Naviculare und Capitatum angegeben wurde. Doch ist die Gestalt gerade dieser Fläche sehr niannich- fachen Abänderungen unterworfen. Auch zeigt sich schon in der Mittelstellung und noch mehr bei ulnarer Abduction an dieser Stelle ein Auseinanderweichen der Flächen, das mit der Vorstellung einer regelmässigen Rotationsbewegung um eine feste Axe unver- einbar ist. 172 Vierter Abschnitt. 229. Während H. Virchow in der eben dargestellten Weise die Bewegung der Handwurzel, wie sie wirklich ist, zu erklären sucht, lässt sich die Bewegung der ganzen Hand im Handgelenk im Grossen und Ganzen viel einfacher auffassen. Da sich näm- lich die Gesammtbewegung der Hand aus allen den Einzelbewe- gungen zusammensetzt, kommt offenbar wirkliche Bewegung um bestimmte Axen ebensowenig in Frage, wie gesonderte Beweg- lichkeit eines „ersten" und „zweiten" Handgelenkes. Will man sich einer vereinfachenden Annahme bedienen, um die Bewegungs- form des Handgelenkes im Allgemeinen zu verdeutlichen, so bedarf es darum nicht erst der umständlichen Voraussetzung zweier schräger Axen, sondern die Bewegung wird nahezu ebensogut unter dem einfachen Bilde eines einzigen Kugelgelenkes gegeben, dessen Drehungsmittelpunkt im Capitulum capitati liegt. Selbst- verständlich muss man bei dieser Annahme von der Rotations- freiheit absehen, die ein Kugelgelenk gewähren würde. Zu diesem Schlüsse führen die schon oben erwähnten Unter- suchungen 0. Fische r's {111) über Form und Umfang der Be- wegungen im Handgelenk. Ein Theil dieser Arbeit diente zur Widerlegung der Anschauung H. v. Meyer 's, der zu Folge das „erste" Handgelenk vorzugsweise die Randbewegungen, das zweite fast ausschliesslich die Dorsalvolarflexionen übernehme. Die Unter- suchung über den Antheil jedes dieser Gelenke am Umfang der Bewegung nach den verschiedenen Richtungen kann nach dem oben Gesagten hier nur noch insofern von Bedeutung sein, als auch aus ihrem Ergebniss folgt, dass für eine grundsätzliche Trennung beider Gelenke keine Ursache ist. Denn die Beweglichkeit in jedem der beiden Gelenke ist fast ganz gleich, nur dass der Umfang des „ersten" dorsalwärts, des zweiten volarwärts grösser ist. Die Gesammtbewegiichkeit beträgt ITO^ in dorsovolarer, 54 ^ in radioulnarer Richtung. Hierbei ist die Richtung der Flexions- ebenen nicht, etwa genau parallel oder genau senkrecht auf die Ebene der Handfläche angenommen, sondern die Radialulnarebene nach radialwärts unter einem Winkel von 15 0 40' nach der Volar- seite abweichend, die Dorsalvolarebene volarwärts um ebensoviel nach der Ulnarseite, weil in diesen beiden Richtungen die grössten Ausschläge des Gelenkes gelegen sind. SpecicUe G'elenklchrc. Fio;ur 29. 173 tolar' Umfang der Bewegungen im Handgelenk nach Braune und Fischer. Der Mittelpunkt des Handgelenkes ist in der Mitte einer mit Gradeintheilung versehenen Kugelschale gedacht. Die Curven zeigen die Grösse der Winkel- ausschläge, die die Läugsaxe der Hand von ihrer Mittelstellung aus nach allen Seiten machen kann. Die volarwärts gelegene punktirte Curve entspricht dem Bewegungsumfang des ersten Handgelenkes allein. Die dorsalwärts gelegene punktirte Curve entspricht dem Bewegungsumfang des zweiten Handgelenkes allein. Die ausgezogene Curve ist die Curve der Gesammtbeweglichkeit. Die Bezeichnung ,. Dorsal" und ,. Volar" bezieht sich nicht auf die Ebene der Hand- Häche, sondi;'rn nur auf die Richtung grössten Bewegungsumfanges in dorso- volarer Eliene. § 16. Hand Wurzel mitte lli an d gel en k. 230. Wie oben schon anoegeben, ist die Verbindung zwischen Hand- wurzel und Mittelhand so gut wie unbeweglich. 174 A'ierter Abschnitt. Hiervon ist indessen der Mittelhandknochen des Daumens auszunehmen, der deshalb am Besten für sich zu besprechen sein wird. Die proximalen Gelenkköpfe der vier Ossa metacarpi der Finger passen rait ihren Seitenflächen dicht aneinander und arti- culiren mit ihrer Endfläche an den Handwurzelknochen in einem gemeinschaftlichen Gelenk. Der zweite Mittelhandknochen ist mit einer tiefen sagittalen Einkerbung dem Multangulum minus und mit' seitlichen Flächen dem Multangulum majus und Capitatum und den benachbarten Mittelhandknochen verbunden. Das dritte "Metacarpale articulirt mit dem Capitatum und mit seinen Nachbarn. Die Basis des Vierten zeigt zwei durch eine Kante getrennte Flächen für Capitatum und Hamatum, an den Rändern Flächen für die Nachbarknochen. Endlich das Fünfte ist ebenfalls dem Hamatum und seitlich dem Vierten verbunden. Das gemeinschaftliche Handwurzel-Mittelhandgelenk kann mit dem Handgelenk eine gemeinsame Kapsel haben, oder auch für sich abgeschlossen sein. Die vier Mittelhandknochen sind mit den Handwurzelknochen durch Ligamenta dorsalia und volaria, und untereinander durch Ligamenta dorsalia, volaria und interossea ver- bunden. Diese Bänder sind so kurz und straff, dass die drei mittleren Metacarpalknochen in einer durch Wölbung der Hand- wurzel bestimmten Wölbung festgestellt sind, und weder einzeln noch zusammen gegen die Handwurzel bewegt werden können. Ob- gleich die Form einzelner Gelenke auf bestimmte Bewegung hin- zudeuten scheint, sind sie demnach doch nur als Amphiarthrosen aufzufassen. Allenfalls kann hiervon der Mittelhandknochen des kleinen Fingers ausgenommen werden. Die Flächen seines Ge- lenkes sind gewöhnlich deutlich sattelförmig gekrümmt, und es lässt sich eine gewisse flectorische Beweglichkeit nachweisen. Die seitliche Bewegung ist dagegen, wie Röntgenaufnahmen {114) von Ciavierspielerhänden lehren, kaum merklich. In dieser Beziehung ist zu beachten, dass die distalen Enden der Mittelhandknochen der Finger miteinander zwar nicht durch Gelenke, aber durch Bänder verbunden sind. Auf der Dorsalseite sind diese nur schwach, auf der Yolarseite dagegen werden sie durch Fasern verstärkt, die quer über die Metacarpophalangealgelenke hinlaufen und ein zusammenhängendes Ligamentum transversum capitulorum Specielle Gelenklehre. 175 herstellen. Dies Band muss die Entfernung der Köpfchen von einander hindern. Dagegen kann eine Annäherung dadurch ent- stehen, dass die „Wölbung" der Mittelhand zunimmt. § 17. Handwurzel-Mittelhandgelenk des Daumens. 231. Das Carpometacarpalgelenk des Daumens ist von den übrigen Carpometacarpalgelenken durch seine freie Beweglichkeit unterschieden. Es ist der Typus des Sattelgelenkes, in dem all- seitige Flexion und beschränkte Rotation möglich ist (162). Das Gelenk verbindet ausschliesslich Multangulura majus und den Metacarpus des Daumens. Es hat eine von den übrigen Kapseln des Handgelenkes getrennte, schlaffe Kapsel. Die Gelenk- fläche des Multangulum majus ist unregelmässig vierseitig, etwas nach volarwärts und stark nach radialwärts abgedacht. In dorso- volarer Richtung ist sie stark convex, in radioulnarer, genauer in der durch die Wölbung der Handwurzel entstehenden schrägen Richtung scharf concav gekrümmt. Der Mittelhandknochen des Daumens steht ungefähr senkrecht auf die Richtung seiner Gelenk- fläche, also in der Mittelstellung auch auf der des Multangulum. Seine Fläche zeigt annähernd dorsovolar eine concave, annähernd radioulnar eine convexe Krümmung. Erstere ist wesentlich schwächer, letztere stärker als die entsprechende entgegengesetzte Krümmung der Gelenkfläche des Multangulum, sodass die beiden Knochen einander nur in der Mitte berühren. Die Flächen sind demnach Sattelflächen, deren Axen ungefähr unter 45° zu den normalen Hauptrichtungen stehen. Nach der Krümmung der Flächen vermag der Mittelhandknochen sowohl eine Flexion um die von radial proximal volar nach ulnar distal dorsal laufende Axe der convexen Krümmung des Multangulura auszuführen, als auch eine Ab-Adductionsbewegung um eine auf der Richtung der angegebenen Axe senkrecht stehende Axe, die in der Basis des Metacarpus selbst gelegen ist. Dies lässt sich durch Röntgen- strahlen deutlich erkennen. Die Flexion erreicht einen Umfang von etwa 60°, die Abadduction von 40 o. Hierzu kommt noch die Möglichkeit der Rotation um die Längsaxe, die etwa 30^ Umfang errreicht, aber nur in ganz bestimmter Verbindung mit den Flexions- bewegungen auftritt. 176 Vierter Abschnitt. Zugleich mit der Flexion volarwärts tritt iicämlicli während des volaren Abschnittes der Bewegung eine Drehung in pronatorischem Sinne ein, durch die die Volar- fläche des Daumens der der übrigen Finger gegenüber zu stehen kommt (17). Diese mit der Flexion combinirte Rotation ist die sogen. „Opposition" des Daumens {llo). In fast allen Lehrbüchern wird auf Grund einer schematischen Dar- stellung des Satteigelenks die Möglichkeit der Rotation des Metacarpus auf dem Maltangulum geleugnet. Daher wird zur Erklärung der Bewegung eine in Wirklichkeit nicht be- merkbare Drehung des Multangulum angenommen, oder es wird der Versuch gemacht, die Drehung durch die schräge Lage der Flexionsaxe zu erklären. Die Rotation lässt sich aber sowohl am Präparat, wie am Lebenden ein- wandsfrei demonstriren. Insbesondere ist die passive Rotationsfreiheit ohne Weiteres zu erkennen, aus der zum Mindesten folgt, dass die Rotation nicht durch den Bau des Sattelgelenkes ausgeschlossen ist (165). Die Rotation dürfte in diesem Falle nicht durch den von 0. Fischer gefundenen, dem Listing'schen Gesetz entsprechenden Eintluss der Flächengestalt (166) zu erklären sein. Denn sie ist erstens zu stark und steht zweitens nicht in einem gleichmässigen Verhältniss zur Flexion, sondern tritt erst gegen Ende der Oppo- sitionsbewegung ziemlich plötzlich auf. Es handelt sich also um den Einfluss der Weichtheilverbindungen, wahrscheinlich um active Muskelthätigkeit. § 18. Mittelhand-Fingergelenke. 232. Die Gelenke zwischen Mittelhandknochen und Grund- phalanx eines jeden Fingers werden auch als erste Fingergelenke bezeichnet, obschon sie von den anderen Fingergelenken ganz ver- schieden sind. Die Gelenkfläche der Mittelhandknochen ist in dorsovolarer Richtung viel ausgedehnter als die der Phalanx. Sie hat die Gestalt einer Halbkugel, von der, entsprechend der seit- lichen Abplattung der Capitula, beiderseits ein Abschnitt fehlt. Die Fläche der Phalanx ist ein viel kleinerer Abschnitt einer Halb- kugel von geringerer Krümmung. Volarwärts ist sie durch einen halbmondförmigen Faserknorpelrand vergrössert. Beide Gelenk- tlächen sind überknorpelt und von einer schlaffen Kapsel einge- schlossen. An beiden Seiten sind die Knochen durch starke Liga- menta collateralia verbunden, die an den Phalangen weiter nach Specielle Gelenklehre. 177 volarwärts zu ansetzeri, als an den Mittelhandknochen, sodass sie in der Streckstellung- schräg nach volarwärts verlaufen. Auf der Volarfläche der Kapsel liegt eine dicke Bandmasse aus queren und gekreuzten Faserzügen, Ligamentum transversum volare s. trochleare. In diesem Bande finden sich namentlich am zweiten und fünften Finger oft Sesambeine. Auf der Dorsalseite ist die Kapsel von einer Faserschicht bedeckt, die in die Ligamenta capi- tulorum übergeht. Endlich wird die Kapselwand auf der Volar- seite von der Beugesehne, auf der Üorsalseite von der Strecksehne und seitlich von den Sehnen der Lumbricales und Interrossei über- zogen. Das Metacarpophalangealgelenk des Daumens ist ähnlich beschaffen, mit dem Unterschiede, dass die Gelenkfläche breiter, dafür aber in dorsovolarer Richtung weniger ausgedehnt ist. Da- durch verliert sie ihre sphärische Gestalt und lässt sich eher als cylindrisch bezeichnen. Im Ligamentum volare sind zwei Sesam- beine constant, die durch besondere Ligamenta metacarposesamoidea in ihrer Lage befestigt sind. Die Metacarpophalangealgelenke erscheinen nach der oben beschriebenen Gestalt ihrer Gelenkflächen als Arthrodieen mit all- seitig freier Bewegung um den im Capitulum . gelegenen Kugel- mittelpunkt. Da aber vermöge des oben beschriebenen schrägen Ansatzes die Seitenbänder in der Beugestellung angespannt werden, ist seitliche Bewegung nur in der Streckstellung möglich. Man hat deswegen für diese Gelenke einen besonderen Typus „Ginglymo- arthrodie" aufgestellt, indem man den volaren Theil des Gelenkes als Charnier, den dorsalen als Arthrodie auffasste (176). Dies trifft iedoch nicht ganz zu, da in einer Arthrodie der Regel nach auch Rotation stattfindet, welche bei diesen Gelenken zwar denkbar und passiv ausführbar ist, activ aber nicht zu Stande kommen kann, weil dazu geeignete Muskeln fehlen. Doch findet nach Braune und Fischer zugleich mit der Radioulnarbewegung stets eine gewisse unwillkürliche Rotation statt, und zwar für Ulnar- flexion im Sinne der Supination des Vorderarms, für Radialflexion umgekehrt. Der grösste Umfang dieser Zwangsrotation fand sich bei mittlerer Flexionsstellung des Zeigefingers und betrug 11*^. Bei reiner Dorsovolarflexion tritt keine Rotation auf. Diese Rotation, die in derselben Weise auch am Handgelenk beobachtet wird, entspricht dem Listing'schen Gesetze der Augendrehungen und bewirkt, R. du Bois-Ucy ni Oll (1, Spec. Maskeljiliysiologie. 10 178 Vierter Abschnitt. dass sich die Gelenkfläche bei den Flexionsbewegungen auf dem kürzesten Wege verschiebt (83). Beim Daumen ist diese Rotation besonders stark und bildet eine wesentliche Ergänzung zu der Rotation des Mittelhandknochens bei der Opposition. Die Rotation des ersten Daumengliedes beträgt gegen 30° und tritt in dem Momente ein, in dem bei der Opposition der Mittel- handknochen des Daumens dem des Zeigefingers gegenübersteht. Die Hemmung der Fingerbewegungen geschieht fast allein durch Muskelwirkung. Der Umfang der activen Beweglichkeit kann daher durch üebung ausserordentlich vermehrt werden. Von grosser Bedeutung gerade für diese Gelenke ist ferner die passive Beweg- lichkeit. In den Metacarpophalangealgelenken tritt zum Beispiel beim Aufstützen des Körpers auf die gestreckten Finger passive Dorsalflexion ein, durch die der Umfang der activen Beweglichkeit fast um das -Doppelte überschritten werden kann. § 19. Fingergelenke. 233. Als Fingergelenke sollten eigentlich nur die Gelenke zwischen den Fingergliedern selbst, die Interphalangealgelenke, bezeichnet werden, wobei an jedem Finger ein erstes Gelenk, zwischen dem untersten und zweiten, und ein zweites, zwischen dem zweiten und letzten Gliede, am Daumen nur ein Gelenk zu unterscheiden wäre. Doch wird das Gelenk zwischen Finger und Mittelhand, das, wie aus der Beschreibung hervorgeht, einer ganz anderen Bewegungsform dient, gewöhnlich unzweckmässiger ^¥eise als erstes, die eigentlichen Fingergelenke als zweites und drittes gezählt. Die Phalangealgelenke sind einander im Wesentlichen gleich. Der proximale Gelenkkopf ist eine der Krümmung der ganzen Phalanx entsprechend volarwärts geneigte, convexe, in der Mitte ausgekehlte Cylinderfläche mit radioulnarer Axe. Auf ihr schleift die ent- sprechende Hohlfläche des distalen Knochens. Eine schlaffe Kapsel umschliesst das Gelenk, an beiden Seiten finden sich starke Liga- menta collateralia, radiale und ulnare, an der Volarfläche ein breites Ligamentum volare, w^elches einen faserknorpeligen Kern, Fibro-cartilago sesamoidea, enthält. Die Fingergelenke sind reine Charniergelenke. Die convexe Gelenkfläche umfasst gegen 180 o, die concave etwas weniger als die Hälfte, dementsprechend erreicht die Bewegung mehr als 90 o, die jedoch durch die oben erwähnte Volarneigung des Gelenkkopfes Specielle Gelenldehre. 171) zwischen die gestreckte und volarwärts gebeugte Lage fallen. Ge- hemmt wird die Bewegung nach volarwärts durch das Zusammen- stossen der Knochen, dorsalwärts durch Spannung der Weichtheile. § 20. Becken. 234. Im Gegensatz znm Schultergürtel, dessen Theile gegen einander und gegen die Wirbelsäule beweglich sind, ist das Becken uiit dem Kreuzbein fest und so gut wie unbeweglich verbunden. Die beiden Ossa innominata, vorn in der Symphyse zusammenstossend, bilden gleichsam einen hinten offenen King, in dessen Lücke das Kreuzbein eingefügt ist. Man hat deshalb das Kreuzbein mit dem Schlussstein eines Gewölbes verglichen, aber sehr mit Un- recht {116). Denn für den Schlussstein, wie für die übrigen Steine eines Ge- wölbes ist wesentlich, dass sie von aussen nach innen (im Sinne der Wölbung) keilförmig gestaltet seien, dagegen ist das Kreuzbein auf seiner inneren Fläche breit, auf seiner Dorsalfläche schmal. Die zur Anheftung der Beckenknochen dienenden Flächen divergiren demnach nach ventral und fusswärts. Ein von hinten oben auf das Kreuzbein geübter Druck treibt die Flächen nicht, wie es beim Gewölbe der Fall sein würde, fester aufeinander, sondern strebt sie von einander zu entfernen (247). Die Verbindungsflächen beider Knochen sind un- regelmässig gekrümmt und mit Knorpel überzogen. Zwischen ihnen findet sich eine kleine, mit Synovialmembran ausgekleidete Gelenkhöhle. Luschka zählt deshalb diese Verbindung {6'-i) zu den Amphiarthrosen, gewöhnlich aber wird sie als Synchondrose, Symphyse, oder als Harmonie aufgefasst. Nach den vorstehenden Angaben über die Stellung der Knochen ist die Verbindung des Kreuzbeins mit dem Becken als eine Art Aufhängung anzusehen. Dement- sprechend ist die Bändermasse der Vorderseite (Ligamentum sacroiliacum an- terius) verhältnissmässig dünn, während hinten der ganze Raum zwischen der hinteren Fläche des Kreuzbeins und der Tuberositas ossis ilei von Bänder- massen ausgefüllt ist. Man unterscheidet daran ein Ligamentum sacroiliacum interosseum und, mehr oberflächlich gelegen, ein Ligamentum sacroiliacum posterius longum und breve, das erste vom oberen, das zweite vom unteren hinteren Darmbeinstachel zum Q.uerfortsatz des dritten und vierten Kreuz- wirbels. Ausserdem ist das Gelenk von oben her durch eine doppelte Band- schicht verstärkt, deren untere Lage die Ränder beider Knochen verbindet, während die obere von der Crista ossis ilei zum Querfortsatz des untersten Lendenwirbels zieht. Unterhalb des Gelenkes kommt ferner die Verbindung des Kreuzbeins mit dem Becken durch das Ligamentum spinososacrum und tuberososacrum in Betracht. Bewegungen sind in diesen Gelenken nicht nachweisbar. Die Symphysis ossium pubis verhält sich ganz ähnlich. Auch hier lässt sich die Spur einer Gelenkhöhle erkennen, sodass nach Luschka das Gelenk -ZU den Amphiarthrosen zählen müsste. Allseitige starke Bandverbindung giebt aber dem Gelenk die Eigenschaft der unbeweglichen Symphyse. 12* 180 Vierter Abschnitt. § 21. Hüftgelenk. 235. Das Hüftgelenk ist das Gelenk zwischen Schenkclbein und Becken, durch welches die untere Extremität mit dem Rumpf verbunden ist. An der Vereinigungsstelle von Darmbein, Schambein und ab- steigendem Sitzbeinast befindet sich die Hüftgelenkpfanne, eine halbkugelförmige Grube, deren Rand mit Ausnahme einer etwa den fünften Tlieil des Umfanges betragenden, nach vorn und ab- wärts gelegenen Stelle, Incisura acetabuli, über die Fläche der ßeckenknochen vorspringt. Im Anschluss an diese Lücke ist auch der Grund der Pfanne bis in die Mitte vertieft, sodass die eigent- liche Gelenkfläche hufeisenförmig ausgeschnitten erscheint. Der Gelenkkop[ des Femur ist annähernd kugelförmig, und setzt mit dem Halse (Collum) in einem melir oder weniger stumpfen Winkel am Schafte des Schenkelbeines an. Der Stelle der Fossa ace- tabuli entsprechend, findet sich auch an der Kugelfläche eine kleine Vertiefung (Fovea capituli). Schenkelkopf und Pfanne sind mit hyalinem Knorpel überzogen, der in beiden Fällen in der Mitte am dicksten ist. Der Rand der Pfanne wird erhöht durch eine ringförmige Bandmasse von dreieckigem Querschnitt (Labrum fibro- cartilagineum), deren Fasern, vom Lirabus schräg entspringend, ringförmig verlaufen, die Licisura acetabuli als Ligamentum trans- versum acetabuli überspringen und den Schenkelkopf am Halse scharfrandig umfassen. Vom äusseren Rande des Labrum, dessen Kante sie freilässt, entspringt die Gelenkkapsel, umgiebt den Schenkelkopf und setzt vorn an den Fuss des Trochanter major, iin übrigen Umkreise etwas näher am Gelenk an den Schenkelhals an. Im vorderen Rand der Kapsel finden sich Falten, die als PHcae, Retinacula oder Frenula capsulae beschrieben werden. Die Fossa acetabuli ist durch lockere, fetthaltige ßindegewebsmassen ausgefüllt. Frei durch das Innere der Kapsel erstreckt sich aus der Fossa acetabuli her aufwärts zur Fovea capituli das Liga- mentum teres, ein schwaches Bändchen, das mit einem Theile seines breiten, platten Ursprungs von der äusseren Fläche des Sitzbeins, unter dem Ligamentum transversum hinweg, entspringt. Der Zu- sammenhalt der fibrösen Kapselwand wird ferner durch mehrere zum Theil ausserordentlich starke Bänder unterstützt. Vom oberen Specielle Gelenklehre. 181 Pfannenrande geht ein sehr starkes Band (Ligamentum ileofemorale, s. „ßertini") mit einem oberen und einem unteren besonders starken Bündel zum unteren Theil des Schenkelhalses. Ein Theil seiner Fasern setzt sich ringförmig um die ganze Kapsel fort als Zona orbicularis. An der unteren und hinteren Fläche der Kapsel finden sich zwei schwächere Bänder, Ligamentum pubofemorale und ischio- femorale, die an den betreffenden Hüftknochen breit entspringen und am Schenkel schmal ansetzen. Die Kapsel ist ferner im oberen vorderen Theil durch den Psoas, oben durch den Glutaeus minimus, von dem Sehnenfasern in die Kapselwand übergehen, hinten und unten von den kleinen Hüftmuskeln umspannt. 236. Bei Betrachtung des Hüftgelenkes als Mechanismus fällt zunächst auf, dass der Schenkelkopf nicht ganz genau kugelförmig ist. Bei Gefrierschnitten ist ein Spaltraura zwischen Kopf und Pfanne gefunden worden (23) {11). Indessen sind die Abweichungen nur gering und es lässt sich annehmen, dass sie im lebenden Körper durch die Elasticität des Gelenkknorpels ausgeglichen werden. Das Gelenk ist also ein Kugelgelenk, und da über die Hälfte der Kugel von Pfanne und Faserring umspannt wird, wird es zur ün-terabtheilung des Nussgelenkes, Enarthrosis, gerechnet, von der im menschlichen Körper nur dies eine Beispiel vorkommt. Um die Bewegungen des Sch^enkels, die um unendlich viele Axen und sogar um mehrere gleichzeitig erfolgen können, zu verfolgen, muss man von einer festen Stellung ausgehen und zunächst die Stellung des Beckens be- stimmt haben. Der Beckeneingang wird um 55 ^ gegen den Horizont geneigt angenommen. Die Lage der Axen relativ zur Stellung des Beckens kann be- liebig gewählt werden. Es sind zwei Systeme gebräuchlich. Gemeinsam ist beiden die Lage einer Axe (Flexionsaxe) horizontal durch die Mittelpunkte beider Schenkelköpfe. Entweder werden dann, nach Fick, zwei andere Axen, die eine sagittal und senkrecht zur gewöhnlichen Lage der Schenkelaxe (Ab- adductionsaxe), die andere in der Schenkelaxe gedacht und zwar mit dem Schenkel beweglich (Rotationsaxe) {117). Oder man ersetzt nach Strasser die zweite Axe durch Annahme eines sphärischen Gradnetzes (62). Immer wird bei solcher Betrachtung der Bewegung des Schenkels von der winkeligen Richtung des Schenkelhalses abgesehen, der bei der Rotation um die Längs- axe Winkelbewegungcn macht. Die Grenze der möglichen Bewegungen, in St rasser 's Grad- netz eingetragen, ergiebt eine regelmässige elliptische Figur, deren lange Axe auf dem zehnten lateralen Parallelkreis liegt und bis — 20^ nach hinten, bis -\- 120° nach vorn reicht. Die kleine Axe um- 182 Vierter Abschnitt. fasst 90°, d. h. der Schenkel kann aus der Grundstellung bis — 55*^ lateralwärts und bis + 35° medialwärts gestellt werden. Fisur 30. Umfang rler Bewegung des Schenkels im Hüftgelenk und dessen Rotations- stellungen nach Strasser und Gassmann. Der Mittelpunkt des Hüftgelenkes ist als Mittelpunkt eines Globus gedacht, der durch Meridiane und Parallelkreise nach Graden eingetheilt ist. Die Pole liegen lateral und medial, die Aee|uatorebene sagittal. Der erste Meridian liegt in der Frontalebene. Die Grade zählen von fusswärts nach vorwärts und medial positiv. Die Rotation wird als Winkel gegen den Meridian einwärts negativ, auswärts positiv gerechnet. Die Curve giebt die Gradwerthe an, die der Schenkel nach jeder Richtung erreichen kann, die Querlinien die Rotationsstellung, die er an der Grenze annimmt. Die Curve entspricht nicht der wirklichen Be- grenzung der Bewegung, die vielmehr aus den Gradzahlen zu ersehen ist, die jedem Cur\'enpunkte entsprechen. Specielle Gelenklehre. 183 Noch bei der äusserstcn Flexion nach vorn iimfasst die seitliche Beweglichkeit 20 o, während sie bei extrem rückwärts gebeugtem Schenkel verschwindet. Bei jeder maximalen Beugestellung ist die Rotationsbewegung ausgeschlossen, sodass im Gegentheil nur bei bestimmten Rotationsstellungen die maximale Beugung möglich wird. Diese Rotationsstellungen, gemessen durch den Winkel zwischen Epicondylenlinie und Meridianrichtung schwanken von einer Einwärtsstellung von etwa — 20° im hinteren einen Theil, bis zu einer Auswärtsstellung von fast + 40° im lateralen Theil der Grenzfigur. Den grössten Umfang, 60°, hat die Rotation bei einer mittleren Vorwärtsbewegung um + 60°. 237. Die Hemmung des Hüftgelenkes erscheint ausschliesslich als Muskelhemmung, da zum Beispiel die vielfach angenommene Hemmung der Extensionsbewegung durch das Ligamentum ileo- femorale am Präparate erst nach Durchschneidung des lleopsoas eintritt. Wegen des Gegensatzes zu den älteren, auch heute noch nicht ganz verdrängten Anschauungen muss dieser Punkt besonders betont werden. Dass zum Beispiel beim Stehen die Hüftgelenke nicht durch Bänder fixirt sind, ergiebt der einfache Versuch, ent- weder das Becken oder den Schenkel aus der beim Stehen vor- handenen Lage nach beliebigen Richtungen zu bewegen. Da dies stets nach allen Richtungen, wenn auch in geringem Grade, mög- lich ist, können die anfänglich vorhandenen Stellungen keine Grenz- stellungen gewesen sein, was für die Bänderhemmung erforderlich wäre. Dies gilt sowohl für die von H. v. Meyer angegebene Hemmung weiterer Rückwärtsneigung bei vorgeschobenem Becken, als auch für die in neuester Zeit von Jendrassik erwähnte angebliche Hemmung beim Stehen mit seitlich verschobener Hüfte {118). Das als Hemmungsband gedeutete Ligamentum teres würde für diese Function viel zu schwach sein, auch wenn es nicht an der denkbar ungünstig- sten Stelle, nämlich dicht am Drehpunkte des Schenlcelkopfes, ansetzte. Eher lässt es sich als Leitband für Blutgefässe auffassen, da aber diese oft fehlen, so dürfte ihm nur morphologische Bedeutung zukommen. Beim Pferde ist es be- sonders entwickelt, bei einer Reihe von Thieren fehlt es ganz. Der Annahme, dass das Hüftgelenk nur durch die Muskeln gehemmt werde, entspricht die Thatsache, dass durch Uebung der Bewegungsumfang weit über das gewöhn- liche Maass hinaus entwickelt werden kann. 184 Vierter Abschnitt. § 22. Kniegelenk. 238. Das Kniegelenk ist das Gelenk zwischen Ober- und Unterschenkel, in dem Femur und Tibia articuliren. In anatomischem Zusammenhang (183) mit dem Kniegelenk steht die Gelenkverbindung zwischen dem oberen Ende der Fibula und der Tibia, indem das laterale Seitenband des Kniegelenkes am Köpfchen der Fibula angreift. In mehr als zehn Procent der Fälle communiciren auch die Gelenkkapseln. Die Gelenkflächen sind oval mit transversaler Axe, mitunter mehr dreieckig. Die der Fibula ist leicht concav, die der Tibia entsprechend convex. Beide sind von einer ziemlich dicken Knorpelschicht überzogen und ringsum durch eine straffe Kapsel, an den Seiten durch Bänder vereinigt, von denen das late- rale besonders stark ist. Das Gelenk ist eine Amphiarthrose mit sehr geringer Beweglichkeit. Das Oberschenkelbein steigt schräg nach medialwärs gerichtet und in nach hinten hohlen Bogen leicht gekrümmt herab. Sein unteres Ende wendet sich ein wenig nach hinten und verdickt sich zu einem Gelenkkopf, dessen seitliche Theile, Condylus medialis und lateralis, namentlich nach hinten stark vorspringen, während in der Mitte eine sagittale Furche, Fossa intercondyloidea, er- scheint. Die Ebene der Gelenkfläche steht in transversaler Richtung gegen die Längsaxe des Knochens derart schräg, dass sie bei der Normalstellung horizontal liegt. Bei senkrechter Stellung des Femur springt also der mediale Condylus nach unten weiter vor. Auf dem vordersten Theil der Fossa intercondyloidea (Fossa pa- tellaris) liegt die convexe Gelenkfläche der Kniescheibe. Der late- rale Eand der Fossa patellaris ist höher als der mediale. Die Condylen bilden mit der Fossa patellaris zusammen eine hufeisen- förmige Fläche, die mit Knorpel überzogen ist. Der hintere Theil der Fossa intercondyloidea ist frei von Knorpel. Die Knorpel- schicht ist in der Fossa patellaris und am hinteren Ende der Condylen dünn, in der Mitte fast 3 mm dick. Der Schaft der Tibia ist nach oben ziemlich gleichmässig verdickt und endet mit einer horizontalen ov^alen Gelenkfläche, die durch eine sagittale rauhe Leiste (Eminentia intercondyloidea) in zwei getrennte Felder für die Condylen des Femur getheilt wird. Diese Flächen sind mit einer dicken nachgiebigen Knorpelschicht überzogen, die in der Mitte 5 mm Mächtigkeit hat, nach den Specielle Gelenklehre. 185 Rändern zu dünner wird (96). Jederseits schiebt sich zwischen den Condylus des Femiir und den der Tibia ein halbmondförmiger Zwischenknorpel ein, der mit dickem Rande den Raum zwischen den Gelenkflächen erfüllt, die Mitte aber frei lässt. Namentlich der mediale ist auf einen ganz schmalen Kranz beschränkt. Sie sind an ihrem äusseren Umfange mit der Kapsel verwachsen und an ihren Endpunkten durch Bandstreifen an die Eminentia inter- condyloidea geheftet. Die Gelenkkapsel des Kniees ist sehr aus- gedehnt. Wo sie nicht durch Bänder oder Aponeurosen verstärkt, sondern durch Muskeln bedeckt wird, ist sie dünn und schlaff. Den Rand der tibialen Gelenkfläche umfasst sie knapp, mit Aus- nahme einer Stelle an der Hinterseite, wo sie sich in den Schleim- beutel des Musculus popliteus fortsetzt und sogar in die Kapsel des Tibiofibulargelenkes übergehen kann. Am Femur reicht sie hinten bis über die Condylen an den Schaft, vorn noch etwas höher hinauf (Recessus subcrurahs). An die Patella schliesst sich die Kapsel rings dicht um die überknorpelte Hniterfläche an. Im Innern der Kapsel finden sich zahlreiche Falten und Anhänge aus Fettgewebe (Plicae adiposae), die besonders im vorderen Bereich der Fossa intercondyloidea sehr umfangreich sind. Hier sind sie durch einen besonderen Strang (Plica synovialis s. Ligamentum raucosum) gegen die Fossa intercondyloidea hinaufgezogen. Zwei ähnliche, aber derbere halten zu beiden Seiten der Kniescheibe werden als Ligamenta alaria bezeichnet. Zusammengehalten wird das Kniegelenk im Wesentlichen durch vier Bänder, zwei äussere (Seitenbänder) und zwei innere (Kreuzbänder). Die inneren Bänder (Ligamenta cruciata) entspringen am Femur jederseits aus einer Vertiefung in der Fossa intercondyloidea, und heften sich, das laterale vor, das mediale hinter der Eminentia intercondyloidea, an die Tibia an. Das laterale Seitenband ist ein rundlicher Strang, der über dem lateralen Condylus des Femur entspringt und sich an das Köpfchen der Fibula ansetzt. Das me- diale überzieht in breiter Ausdehnung die Kapsel, indem es an den medialen Flächen von Femur und Tibia schmaler entspringt und mit einer starken Verbreiterung nach hinten an den Rand des medialen Zwischenknorpels ge- heftet ist. Ausserdem unterscheidet man an der hinteren Fläche der Kapsel noch ein schräges Verstärkungsband, das fast quergerichtet vom lateralen Femurknorren zum medialen Tibiaknorren hinabzieht, und ein schwaches Ligamentum popliteum arcuatum vom Köpfchen der Fibula zum Femur. An der Vorderseite vertritt die Sehne des Quadriceps cruris die Stelle der Gelenkbänder. Die Patella dient dieser Sehne gleichsam als Sesambein. 186 Vierter Abschnitt. Die vereinigten Sehnenfasern des Rectus cruris und der Vasti heften sich als Tendo extensorius s. Ligamentum patellae superius an den oberen Rand der Kniescheibe und setzen sich als Ligamentum patellae inferius vom unteren Rande der Patella zür Spina tibiae fort. Die Vorderfläche der Patella und der Kapsel wird noch bedeckt von einer aponeurotischen Ausbreitung der Vasti, von denen der mediale sogar muskulös bis unter den Rand der Patella hinabgeht. Darüber liegt noch die Fascia lata, von der namentlich die als Maissiat'scher Streifen oder Ligamentum iliotibiale bezeichnete Sehne des Tensor fasciae latae wichtig ist, die über die laterale vordere Fläche des Kniees zur Tibia und Fibula hinabzieht. Die anliegenden Muskeln und Sehnen haben für das Gelenk ferner die besondere Bedeutung, dass die Kapsel an vielen Stellen mit den Schleimbeuteln unter diesen Theilen communiciren kann. Dies geschieht, wie oben erwähnt, immer bei der Bursa poplitea, meist auch bei der Bursa subcruralis, oberhalb des Recessus subcruralis, der nur in früher Jugend geschlossen zu sein pflegt; weniger oft bei der Bursa semimembranosa, zwischen den Sehnen des Semimembranosus und des medialen Gastro- knemiuskopfes, selten bei den drei zwischen der Haut, der Fascie, der Apo- neurose und dem Knochen an der Kniescheibe möglichen Schleimbeuteln, Bursa praepatellaris subcutanea, subfacialis und subaponeurotica, oder der Bursa bici- pitalis zwischen der Sehne des Biceps und dem Ligamentum laterale genu. 239. Als ßewegiingsapparat betrachtet, erscheint das Knie- gelenk im Allgemeinen als ein Charniergelenk, genauer als Spiral- gelenk (174). Die einander berührenden Flächen des Femur und der Tibia haben aber eine sehr verwickelte Gestalt, die auch durch die Zwiscbenknorpel nicht zur üebereinstiraraung gebracht wird. Man hat früher fünf einzelne Gelenke unterscheiden wollen, aus deren zum Thcil rollender, zum Theil schleifender Bewegung die Eigenthümlichkeiten der Gesammtbewegung erklärt wurden : das Gelenk zwischen Femur und Patella (vergl. unten) und vier Ge- lenke zwischen den Condylen des Femur und der Tibia und den betreffenden Flächen der Zwischenknorpel (178). Die Femurcondylen erscheinen als Rotationskörper mit von der Frontal- richtung wenig abweichenden Krümmungsaxen, die sich hinten unten schneiden. Für den vorderen Abschnitt des medialen Condylus ist eine besondere, von der frontalen Richtung in demselben Sinne, aber stärker abweichende Axe an- zunehmen. Von den Gelenkflächen der Tibia bildet die laterale annähernd die Hälfte eines flachen Kegels mit senkrechter, in der Eminentia gelegener Axe. Die mediale ist concav. Beide Flächen sollen in horizontalen Ebenen kreis- förmige Schnitte geben. In diesen Kreisen sollen die Zwischenknorpel gleitend rotiren, um stets der Schrägstellung der Femurcondylen entsprechende Lagen annehmen zu können. Wegen der Ungleichheit der Condylen kann jedoch trotz- I Specielle Gelenklehre. 187 dem keine reine Flexion und Extension entstehen, sondern die rotatorische Wirkung der schiefen Axe, namentlich des vorderen Theiles des medialen Con- dylus soll eine mit der Beugung und Streckung combinirte Rotationsbewegung der Tibia hervorbringen. Mit der Streckung soll gleichzeitig Supination, mit der Beugung Pronation stattfinden, und zwar am stärksten nahe an der Strecklage. 240. Diese Lehre ist ganz und gar auf diejenige Gestalt der Gelenkflächen gegründet, die an geöffneten Präparaten gefunden wird. Wegen der Nachgiebigkeit der dicken Knorpelschichten ist aber die Flächengestalt für die Bewegungsbedingungen nicht durch- aus maassgebend (96). Vielmehr ist klar, dass im Gegensatz zu der obigen Lehre gerade für die Hauptbewegung des Kniees, die Flexion, wegen der starken Krümmung der Feraurknorren und der nahezu ebenen Fläche der Tibia eine eigentliche Schleifbewegung ausge- schlossen ist (171). Obschon die Flächen durch Vermittelung der Knorpel scheinbar zu einem gewissen Schluss gelangen, lässt sich nach H. Virchow zeigen, dass nach Entfernung der Knorpel der Gang des Gelenkes im Wesentlichen unverändert ist {119). Nur Ein Hauptpunkt bezüglich der Bewegungsform geht aus dem Bau des Kniegelenkes mit Bestimmtheit hervor, das ist jene Eigenthümlichkeit, um derentwillen die Gebrüder Weber das Knie- gelenk als eine ganz besondere Art Gelenk, als „Spiralgelenk" bezeichneten (174). Die Fläche der Tibia kann als eine Ebene angesehen werden, die Masse der Zwischenknorpel als ein elasti- sches Polster. Die Krümmung der Femurrknorren nimmt nun von ventral- nach dorsalwärts zu, sodass ein Sagittalschnitt der Fläche eine Spirallinie ergiebt (vergl. Fig. 18). Bei gestreckter Stellung ist der am weitesten vom Mittelpunkt entfernte Theil der Spiral- linie, nämlich ihr ventrales Ende, mit der Tibia in Berührung und die Seitenbänder sind gespannt. Mit zunehmender Beugung kommen immer weiter dorsalwärts gelegene, also dem Mittelpunkt der Spi- rale näher gelegene Abschnitte der Condylenfläche mit der Tibia in Berührung, und infolgedessen kann der Mittelpunkt der Spirale und mit ihm das ganze Femurende der Tibia näher rücken, sodass die Seitenbänder erschlaffen. Daher ist in der Beugestellung der Unterschenkel gegen den Oberschenkel beweglich, in der Streckstellung dagegen stellt er sich fest. 188 Vierter Abschnitt. Hiervon kann man sich am Präparat wie auch am Lebenden überzeugen, Letzteres am besten so, dass man den Oberschenkel in gebeugter Haltung dicht oberhalb des Kniees mit beiden Htänden kräftig packt und hin und her schüttelt. Man nimmt dann das seitliche Schlottern des Unterschenkels wahr und fühlt zugleich, dass es nicht auf Rotationen des Überschenkels beruht. Zu diesem Ergebniss trägt auch die Breite des medialen Seitenbaudes bei. Obschon hiernach die Bewegungsbedingungen für Beugung und Streckung in gewisser Beziehung von denen eines typischen Walzen- gelenkes abweichen, ist doch die Hauptbewegung des Kniees die Charnierbewegung. Nun zeigt aber die Bewegung des Unter- schenkels bestimmte Eigenthümlichkeiten, die schon den oben rait- getheilten Angaben über die Einwirkung der FJächenform zu Grunde lagen. Es ist nämlich mit der Charnierbewegung eine Rotation um die Längsaxe in bestimmter Weise verbunden. Nach den von Braune und Fischer {120) vermittelst des photograrametrischen Verfahrens gewonnenen Ergebnissen gestaltet sich die Bewegung folgendermaassen: Wird das Knie aus der gestreckten Stellung gebeugt, so findet gleichzeitig Einwärtsrotation (Pronation) statt, die anfänglich 30' auf jeden Grad der ßeugebewegung beträgt, bei weiterer Beugung jedoch schnell abnimmt und bei etwa 20° Beu- gung ganz schwindet. Die alsdann erreichte Rotationslage weicht von der in der Streckstelliing um etwa 6*^ ab. Von da an tritt bei weiterer Beugung eine ganz geringe Auswärtsrotation (Supi- nation) ein, sodass bei 90° Beugung die vorhergegangene Einwärts- rotation ausgeglichen und die ursprüngliche Rotationslage der Streck- stellung wieder erreicht ist. Ueber 90 ^ Beugung hinaus soll nur noch schwächere Auswärtsrotation stattfinden, die schliesslich ganz schwindet. Diese Rotationsbewegungen, die, auf je fünf Grad ge- messen, sich auf wenige Minuten belaufen, sind mit der Beuge- und Streckbewegung unveränderlich verbunden, sodass sie bei wiederholter Messung mit der grössten Regelmässigkeit wieder- kehren. Bei dem üebergang aus der Beugung in die Streckung tritt die gleiche Rotation in ungekehrtem Sinne auf. Es ist also mit dem letzten Theile der Streckbewegung eine merkliche Supinations- drehung verbunden, die als „Schlussrotation" bezeichnet wird. Nun bemerkt H. Virchow, dass die Streckung gewöhnlich nur bei auf- Specielle Gelenklehre. 189 gesetztem Fusse, im Stehen ausgeführt wird. Ja diesem Falle ist iiatürli(3h der Fuss und, soweit es hier in Betracht kommt, auch der Unterschenkel gegen den Boden festgestellt. Es kann also bei der Drehbewegung nicht der Unterschenkel nachgeben, sondern statt dessen dreht sich der Oberschenkel auf dem feststehenden Unterschenkel in entgegengesetztem Sinne. Im Augenblicke der Streckung des Kniees im Stehen findet daher eine Drehung des Femur zwischen Knie und Becken in pronatorischem Sinne statt {121). Den Einfluss dieser Drehung auf die Gestalt des Kniegelenkes hat H. Virchow an Präparaten untersucht, die in spitzwinkliger Beugung fixirt worden waren. Es zeigt sich, dass die Hinterkante des medialen Femurknorrens weiter vorn steht, als die des late- ralen, der mit der Tibiakante gleich steht und ferner, dass die Knochen hier an der hinteren Grenze der Gelenkflächen in fast unmittelbarer Berührung stehen, während sie im Uebrigen weit aus- einanderklaffen. Die Zwischenknorpel sind stark zurückgezogen und nehmen nur etwa die hinteren zwei Drittel des Flächenraumes ein, den sie bei Streckstellung bedecken. Ihr hinterer Rand kommt auf diese Weise hinter der engsten Stelle des Knochenspaltes zu liegen- Hier ebensowenig wie sonst ist eine bestimmte Beziehung zwischen der Gestalt der Knorpel und der stattfindenden Bewegung zu erkennen [119). (Vgl. Fig. 31 und 32 auf folgender Seite.) 241. Obschon die bisher erwähnte Rotation im Kniegelenk während der Flexion eine zwangläufige ist, das heisst, unwillkürlich und stets in derselben bestimmten Weise abläuft, ist auch v/ill- kürliche Rotation, wenigstens in der Beugesteliung, nicht ausge- schlossen. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich daraus, dass während der Bewegung das Gelenk dem Einflüsse des Muskel- druckes unterliegt, ruhend aber, in der Beugestellung, vermöge der oben angegebenen Spiralkrümraung der Gelenkflächen, vollkommen schlaff werden kann. Unter diesen Umständen besteht dann Frei- heit zu willkürlicher Rotation, die von der Ruhelage aus in supi- natorischem und pronatorischem Sinne ungefähr gleich weit, im Ganzen durchschnittlich bis zu einem Umfange von 25 '^ ausgeführt werden kann. Die Gebrüder Weber geben' für rechtwinklige Beugung nach Messungen an Fräparaten den sehr hohen Werth von 34*^ an, ähnlich H. v. Meyer, Henke sogar einen mehr als doppelt so hohen, sodass man wohl ein Versehen vermuthen darf. 190 Vierter Abschnitt. L./.a Figur 31. T Lct Oberseite der linken Tibia und der Bandscheiben vom gestreckten Knie, nach H. Virchow. ca. Partie das vorderen gekreuzten Bandes, welches die Verbindung des letzteren mit der lateralen Bandscheibe zeigt; C.l. laterale. Cm. mediale (ielenkfläche der Tibia: F. Köpfchen der Fibula; L.e.t. mediales Seitenband; L.I.a. vorderes, L.l.p. hinteres Befestigungsband der lateralen Bandscheibe; f. femorales Be- festigungsband der latei'alen Bandscheibe; L.m. a. vorderes, L.m.p. hinteres Befestigungsband der medialen Bandscheibe: M. 1. laterale, M. m. mediale Band- scheibe; M' Verbindung iler Bandscheibe mit der Kapsel; T. Tuberositas tibiae; t. Liff. transverhUin o-enu. Figur 32. T. L.cr Oberseite der linken Tibia und der Bandscheiben vom spitzwinklig gebeugten Knie, nach H. Virchow. Bezeichnungen wie in Figur 31, ausserdem: L.c.f. laterales Seitenband, unge- spannt; CD., m.D. vordere Grenzlinie der lateralen und. medialen Druckstellen. Jede der letzteren zerfällt in einen meniscalen und praemeniscalen Abschnitt. Specielle Gelenklehre. 191 Die Feststellung dieser Zahlen ist deswegen von Wichtigkeit, weil die Möglichkeit der willkürlichen freien Rotation im Kniegelenk in Zweifel gezogen worden ist [122). 242. Bei der Beugung und Streckung findet im Kniegelenk ausser der Coadylen auf einander auch eine Verschiebung der Patella auf ihrer Unterlage statt, da sie ja in die Strecksehne eingelagert ist. In voller Strecklage wird sie durch den Muskelzug ganz auf die vordere Fläche des Femur hinaufgeholt, sodass nur ihr unterer Rand in der Fossa patellaris liegt. Dabei verhindert der stärker vortretende laterale Rand der Fossa, dass die Patella der schrägen Richtung des Quadriceps nach aussen folgt. Bei voller Beugelage gleitet sie, durch das Ligamentum patellae inferius in derselben Entfernung von der Spina tibiae festgehalter., in Folge der Lageveränderung des Femur tief in die Inci- sura intercondyloidea hinab. Dies ist am Lebenden deutlich an der abge- rundeten Gestalt des gebeugten Kniees zu erkennen. Der Umfang der Charnierbewegung des Kniees betrcägt 140*^ bis 150°. Beugung ist bis zu dem Grade möglich, dass die hintere Fläche des Unterschenkels der des Unterschenkels anliegt. Hier ist also keine besondere Hemmung nothwendig. Bei angestrengter Streckung (Durchdrücken) bilden die Längsaxen von Femur und Tibia, Jas heisst, die Verbindungslinien der Mittelpunkte des Hüft- und Fussgelenkes mit dem des Kniegelenkes einen Winkel von etwas mehr als 180 o, der also nach vorn offen ist. Doch kommt diese Stellung, da sie nur durch gewaltsame Muskelanspannung erreicht wird, für normale Verhältnisse nicht in Betracht. Für die Hemmung der Streckbewegung wirken alle drei Hemmungs- arten zusammen. Die Rotation am Schluss der Streckung endet damit, dass die Zwischenknorpel und mit ihnen der Rand der Tibia gegen das vordere Ende der Femurcondylen anstossen, wo sich auch eine entsprechende Vertiefung findet. Den Gegendruck bei diesem Anstossen haben alle vier Hauptbänder gemeinsam zu halten. Die wesentlichste Rolle spielt aber auch beim Knie die Muskelhemmung, sowohl beim Beugen, wie beim Strecken. § 23. Fussgelenk. 243. An der Gelenkverbindung zwischen Unterschenkel und Fuss, dem Fussgelenk, betheiligen sich beide Unterschenkelknochen. Das untere verdickte Ende der Tibia bildet eine leicht gehöhlte Gelenkfläche, an deren medialem Rand der Malleolus medialis, an deren lateralem Rand das untere Ende der Fibula hervorragt. Diese 192 Vierter Abschnitt. auf der Innenseite überknorpelten Yorsprünge fassen den obersten Fusswurzelknochen, das Sprungbein, zwischen sich. Das Sprung- bein besteht aus einem annähernd würfelförmigen Körper, dessen obere und seitliche Flächen, wie eben angedeutet, dem Unterschenkel eingelenkt sind, während seine untere Fläche mit dem zweiten Fuss- wurzelknochen articulirt, und dem nach vorne vorspringenden rund- lichen Kopfe, der zugleich eine zweite Articulationsstelle lür das Fersenbein und die Geienkfläche für das Kahnbein bildet. Der zweite Fusswurzelknochen, das Fersenbein, zeigt auf seiner Ober- seite zwei denen des Talus entsprechende Gelenkllächen, durch eine tiefe Furche getrennt, nach vorne eine dritte zur Verbindung mit dem Würfelbein, und ist nach hinten durch einen weit vorstehenden Fortsatz, die Ferse, verlängert. Diese beiden Knochen bilden für sich eine Gruppe unter den Fusswurzelknochen, indem ihre vorderen Gelenkflächen beinahe wie eine einzige zu betrachten sind, deren medialen Theil der Taluskopf, deren lateralen der Calcaneus bildet. Vor dem Kopfe des Talus liegt das Kahnbein, das mit seiner Hinterfläche dem convexen Taluskopf angepasst, an der vorderen selbst eine convexe Gelenkfläche bietend, ein Zwischenstück zwischen dieser Gruppe und der zweiten Reihe darstellt. An das Fersenbein schliesst sich das Würfelbein an, das zur zweiten Reihe gezählt werden muss, da es nach vorne schon die Gelenkfläche für den fünften und vierten Mittelfussknochen bildet. Die Reihe wird er- gänzt durch die drei keilförmigen Beine, die eng aneinander angeschlossen vor dem Kahnbein liegen und die ersten drei Mittel- fussknochen tragen. Das Gelenk zwischen Tibia, Fibula und Talus ist von einer gemeinsamen Gelenkkapsel umschlossen, welche sich zwischen den erstgenannten Knochen ein Stück aufwärts erstreckt, und durch Seitenbänder zusammengehalten. Zwischen den Unterschenkel- knochen ist ihrer ganzen Länge nach eine Membrana interossea ausgespannt, welche dicht über dem Gelenk durch die Ligamenta tibiofibularia, anterius und posterius verstärkt wird. Ausserdem verbindet die Knöchel, die hintere Wand der Gelenkkapsel bildend, ein Ligamentum tibiofibulare transversum. Vorne verläuft ein schwaches Band von der Tibia zum Talus. Die viel stärkeren Seitenbänder greifen über den Talus hinweg bis auf das Fersen- bein. Das mediale entspringt schmal vom Malleolus medialis und Specielle Gelenklehre. 193 setzt sich an die FJächc des Sprungbeines und den Fortsatz des Fersenbeines breit an. Das laterale zerfällt in drei divergircnde Bündel, von denen namentlich das mittlere das Ende der Fibula so fest mit den Fusswurzelknochen verbindet, dass die Fibula leichter gebrochen, als aus dieser Verbindung losgerissen werden kann. Das Sprungbein ist auf dem Fersenbein ausser durch diese gemeinsamen Bänder noch durch eine dicke Bandmasse befestigt, welche den ganzen Sinus tarsi zwischen den beiden unteren Gelenk- flächen des Talus und der entsprechenden Stelle des Calcaneus ausfüllt. Die hintere Gelenkfläche hat eine eigene durch Bänder verstärkte Kapsel, die vordere ist mit dem Gelenk zwischen Sprung- bein und Kahnbein in eine gemeinsame Kapsel eingeschlossen, in die ein starkes Dorsalband verwoben ist. Die Verbindung zwischen Fersenbein und Würfelbein geschieht durch eine dritte besondere Kapsel und ist lateral-, dorsal- und plan- tarwärts durch Bänder verstärkt. Das plantare Band, Ligamentum calcaneo-cuboideum plantare, ist eines der stärksten Bänder des ganzen Körpers. Unter einander sind Kahnbein und Würfelbein durch ein Ligamentum dorsale, interosseum und plantare verbunden, mitunter ist auch an dieser Stelle ein Gelenk ausgebildet. Die Gelenke der drei Keilbeine unter einander und mit dem Kahnbein haben eine geraeinsame Kapsel mit entsprechenden Band- verstärkungen. Dieselbe Kapsel schliesst manchmal das Gelenk zwischen Würfelbein und lateralem Keilbein ein, sonst besteht hier ein eigenes Gelenk. Diesen Verbindungen kommt keine erkennbare Beweglichkeit zu. 244. Aus diesen Angaben folgt, dass die Fusswurzel vor- nehmlich drei Articulationsstellen enthält: 1. Zwischen Unterschenkel und Sprungbein; 2. zwischen Sprungbein und den übrigen Fusswurzelknochen; 3. zwischen Sprungbein und Fersenbein einerseits und Kahn- bein und Würfelbein andererseits. Für diese drei Gelenkverbindungen sind folgende Bezeichnungen gebräuchlich : L Articulatio talo-cruralis s. pedis prima (erstes) Fussgelenk^ Knöchelgelenk, oberes Fussgelenk, oberes Sprung(bein)geienk. 2. Articulatio talocalcaneo-navicularis s. pedis secunda, unteres Fussgelenk, unteres Sprung(bein)gelenk. R. du Bo i s-Re y m () n d, Spec Muskelithysiologie. io 194 Vierter Abschnitt. 3. Articulatio raediotarsea, s. tarsi transversa, drittes oder mittleres Fussgelenk, Chopart'sclies Gelenk. Die Bewegungen des Fusses sind: 1. Dorsale und plantare Flexion (Beugung und Streckung); 2. tibiale und fibulare Flexion (Adduction und Abduction). Die Drehung- des Fusses um die Axe des Unterschenliels, durch die die „Fussspitzen einwärts" und „auswärts" gesetzt werden, kommt durch Drehung des ganzen Beines im Hüftgelenk, bei gebeugtem Knie durch Drehung des Unterschenkels im Kniegelenk zu Stande (241), doch findet auch bei der Adduction im Fussgelenk eine Beimischung dieser Rotation statt. Die Beugung und Streckung geschieht fast ausschliesslich im ersten Fussgelenk. Dies ist ein so ausgeprägtes Charniergelenk, dass man es durch emen durch die Knöchel getriebenen Dorn in ein wirkliches Charnier verwandeln kann. DieFläche des Sprungbeines ist aber nicht genau cylindrisch, sondernhinten etwas flacher gekrümmt und in ihrem mittleren Theil leicht ausgekehlt. Man findet an ihr die Andeutung einer Schraubenform, durch die der Unterschenkel sich beim Vorwärtsgleiten nach lateral verschiebt. Diese Erscheinung ist jedoch nicht constant. Als Abschnitt eines Cylinders betrachtet, umfasst die Gelenkfläche des Sprungbeines 116 '^, die entsprechende Hohlfläche der Tibia 67 0, es bleibt also nur ein Winkel von etwa 40 — 50 '^ für die Bewegung frei, der selbst bei starker Steigung der Schraube kaum eine merkliche Verschiebung gestatten würde. Doch ist die Bezeichnung des Gelenkes als Schraubengelenk insofern gerechtfertigt, als sich bei manchen Thieren, zum Beispiel beim Pferde, an dieser Stelle eine wundervoll ausgebildete Schraubenfläche findet (152). Die Fläche des Sprungbeines ist ferner vorne fast um die Hälfte breiter als hinten, das heisst, ihre Ränder weichen nach vorn auseinander, ihre Rich- tung kann also für die Bewegung des Unterschenkels als eines Ganzen nicht maassgebend sein. Dagegen folgt, dass die Knöchel, wenn sie bei der mittleren Stellung des Fusses die Seiten des Sprungbeines berühren, bei der Dorsal- flexion auseinandergetrieben werden. Ihre Yerbindung muss also so viel Spiel- raum gewähren. Umgekehrt tritt bei Plantarflexion ein schmalerer Theil der Gelenkfläche zwischen die Knöchel ein, und der Fuss ist in dieser Stellung beweglicher. Die Plantarflexion kann, wenn die Grenze der Bewegung im ersten Gelenk erreicht ist, durch Bewegung in den unteren Gelenken verstärkt werden. Durch die verschiedene Lage der Drehungsaxen dieser Gelenke tritt dann gleichzeitig Adduction des Fusses ein. 245. Bei der Adduction und Abduction des Fusses bleibt die Stellung des Sprungbeines zum Unterschenkel unverändert und der übrige Fuss bewegt sich im zweiten und dritten Gelenk. Das zweite Gelenk zerfällt, anatomisch betrachtet, in Specielle Gelen klehre. 195 zwei Einzelgelenke, nämlich das zwischen dem Körper des Sprung- beines und dem Fersenbein, Articulatio talocalcaneo posterior und das zwischen dem Kopf des Sprungbeines, dem Sustentaculum tali des Fersenbeines, und dem Kahnbein, Articulatio talo-calcaneo- navicularis. Vom mechanischen Standpunkt aus müssen aber die Gelenke anders zusammen gestellt werden, denn offenbar kann sich das Sprungbein als starrer Körper gegen das Fersenbein, das ebenfalls Ein starrer Körper ist, nur in seinen beiden Gelenken zugleich bewegen. Dagegen ist das Gelenk zwischen Taluskopf und Kahnbein als ein Theil des dritten Fussgelenkes mit dem Gelenk zwischen Fersenbein und Würfelbein zusammen zu be- trachten. Die beiden Berührungsflächen zwischen Sprungbein und Fersen- bein sind Rotationsflächen, die aber in entgegengesetztem Sinne gekrümmt sind. Die vordere ist nach oben concav, ihre Axe ver- läuft von hinten oben lateral nach vorne unten medial durch den Kopf des Sprungbeines. Die hintere dagegen ist nach oben convex, ihre Axe verläuft demnach unter dem Gelenk durch das Fersen- bein und der anderen annähernd parallel. ^ Theoretisch betrachtet, lässt ein solcher Mechanismus durchaus keine Bewegung zu (223). Es muss als'o, damit in einer der beiden Flächen Bewegung möglich sei, an der anderen Dehiscenz ein- treten. So lange der Fuss belastet und dadurch eine innige Be- rührung der Fläche gegeben ist, kann daher keine Adduction und keine Abduction stattfinden, der Fuss kann nicht „umknicken". Bei unbelastetem Fuss dagegen kommt die Adductionsbewe- gung durch Auseinanderweichen der Gelenkflächen zu Stande, die durch die Bewegung des dritten Gelenkes ergänzt werden. Die Fläche des Taluskopfes gegen das Naviculare hat annähernd kugel- förmige Krümmung, die Fläche des Fersenbeines gegen das Würfel- bein ist in der Richtung von oben medial nach unten lateral concav, in der darauf senkrechten annähernd horizontalen Richtung convex gekrümmt. In dieser Richtung ist also die Krümmung des , Talonaviculargelenkes und des Calcaneocuboid- gelenkes gleichlaufend. Daher fasst man, wie oben angegeben, diese beiden Gelenke unter der Bezeichnung drittes Fusswurzel- gelenk oder Chopart'sches Gelenk zusammen. In diesem Gelenke ist also die Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Bewegung des 13* 196 . Vierter Abschnitt. ganzen Fusses um eine schräge Axe gegeben , die durch die Krümmungsmittelpunkte der beiden Convexitcäten liindurchgeht. Die Bewegung in diesem Gelenke ist nun nach H. Virchow •mit der im zweiten Fussgelenk, also zwischen Talus und Calcaneus, dadurch verknüpft, dass das Kahnbein durch ein besonderes, am medialen unteren Rand des Sprungbeines verlaufendes Band an das Fersenbein geheftet ist. Wird das dritte Fussgelenk in Be- wegung gesetzt, so spannt die Verschiebung des Kahnbeines dieses Band und drückt die mediale Ecke des Kahnbeines so gegen den Taluskopf, dass der Talus in seinen Gelenken gegenüber dem Fersenbein ebenfalls bewegt wird. Die entstehende Bewegung, die am besten als Adduction des Fusses zu bezeichnen ist, besteht in einer Hebung des medialen Fussrandes mit gleichzeitiger pronatorischer Biegung der ganzen Fusswurzel. Beide Bewegungen sind so schwer zu trennen, dass bald die eine, bald die andere als die wesentlichere erscheint. Eigentliche Abduction im Gegensatze zu dieser Adduction kommt aiicht vor, sondern die Normalstellung des Fusses ist die Grenz- stellung, von der aus der Fuss nur in adductorischer Richtung bewegt und dann wieder in die Anfangsstellung zurückgeführt werden kann {123). § 24. Fusswurzelmittelfussgelenk. 246. Die distalen Fusswurzelknochen, nämlich die drei Keil- .beine und das Würfelbein sind untereinander und mit den Mittel- iussknochen nahezu unbeweglich verbunden. Die Gestalt der Mittelfussknochen ist im Ganzen dieselbe wie die der Mittelhandknochen. Das Gelenk zwischen ihren Basal- enden und den Fusswurzelknochen heisst Articulatio tarsometa- iarcea oder Lisfranc'sches Gelenk. Das Metatarsale hallucis arti- culirt mit dem Cuneiforme I. Die Endfläche des zweiten Meta- tarsalknochens stösst gegen das, zwischen erstem und drittem be- trächtlich zurückweichende Guneiforme II, gegen den vorspringenden •Theil des Cuneiforme 1 ist eine dorsalgelegene, gegen den des Cuneiforme III sind zwei dorsal- und volargelegene seitliche Gelenk- flachen gerichtet. Der dritte Metatarsalknochen articulirt mit dem Cuiieiforme III, der vierte und fünfte mit dem Cuboideum. Ausser- SpecicUe Gelenklelire. 197 dem besitzen die vier lateralen Knochen seitliche Gelenkflächen zur Articulation unter einander. Die Gelenkfläche des Metatarsus hallucis zeigt concave Krümmung um eine dorsovolare Axe, kann sich jedoch auch durch Hervortreten einer transversalen Convexität der Sattelform nähern. Die FJächen der übrigen Mittelfussknochen sind unregelmässig und nur schM'ach gekrümmt. Die des zweiten und dritten haben drei- eckige Gestalt, der der Cuneiformia entsprechend, die des vierten ist endlich viereckig, und die des fünften nach dem Fussrand drei^ eckig auslautend. Die beiden letzteren sind nach Henke um eine transversale Axe convex gekrümmt und dementsprechend freier beweglich als die anderen {124). Die seitlichen Gelenk- flächen zur Verbindung der Metatarsi untereinander, die mir zwischen Hallux und Metatarsus II fehlen, sind fast so gross wie die Endflächen, sodass nicht wie bei der Hand nur eine Erweiterung des Endgelenkes, sondern eine ausgebildete Gelenkverbindung durch Amphiarthrose vorliegt. Die Synovialkapseln des Tarsometatarsal- gelenkes sind so vertheilt, dass für das erste Gelenk sich eine .abgeschlossene Kapsel am Cuneiforme I findet, für das zweite und dritte zwei, die unter sich und auch mit der zwischen Naviculare und den Cuneiformia communiciren können, zwischen Cuneiforme I und II und Metatarsus II, und zwischen Cuneiforme III und Meta- tarsus II und III, und endlich eine wiederum abgeschlossene Kapsel zwischen Cuboideum und Metatarsus IV und V. Diese Kapseln umfassen auch die entsprechenderen Intermetatarsalgelenke und sind an dieser Stelle durch Ligamenta basiura metatarsorum s. interraetataraea dorsalia (4), plantaria (3) und interossea (3) verbunden. Von diesen sind die ersteren nur schwach, die Plantar- bänder dagegen stark entwickelt. Die Interossea sind kurz, straff und sehr stark, ihre Anheftungsstelle ist durch rauhe Stellen am Knochen erkennbar. Zwischen Tarsus und Metatarsus unterscheidet man sieben bis acht Ligamenta dorsalia, nämlich eins zwischen Cunei- forme I und Metatarsus halllucis, drei vom Metatarsus II zu den Cuneiformia, zwei oder drei zwischen Cuboideum und den beiden lateralen Mittelfussknochen. Die acht bis zehn Ligamenta plantaria stellen sich am ersten und zweiten Gelenk als Fortsetzung der Fusswurzelbänder dar, bei den anderen als blosse Verstärkung der 198 Vierter Abschnitt. Faserkapsel. Auch die Ligamenta interossea stehen im Zu- sammenhang mit entsprechenden Bändern der Fusswurzelknochen. Das stärkste verläuft schräg vom Cuneiforrae I zum Metatarsus II, Ligamentum Lisfrancii. Die anderen sind dünnere, gekreuzt und gerade angeordnete Faserzüge zwischen Metatarsus II und III, wie IV und V, und den entsprechenden Tarsalknochen. Endlich finden sich noch zwei besondere Bänder: Ligamentum tarsometatarseum plantare laterale s. tarseum transversum laterale von der unteren Kante des Cuneiforme III zur Basis des Metatarsus V, Ligamentum tarsometatarseum mediale s. tarseum transversum mediale s. bifur- catum sublime vom unteren Theil der lateralen Fläche des Cunei- forme I schräg nach lateral und vorn zur Basis metatarsi III. 247. Durch diese Verbindungen sind die proximalen Enden der Mittelfussknochen in einem stark gewölbten Bogen zusammen- geschlossen, während' die Distalen divergirend einen flacheren Bogen bilden. Der mediale Theil des proximalen Bogens entspringt vom dorsalen Theil der Fusswurzel, die sich ihrerseits beim Auftreten nur auf Caloaneus und Cuboideum stützt. Der Fuss erscheint demnach sowohl der Quere, als auch der Länge nach gewölbt. Die Längswölbung ist am stärksten am medialen Rande und ent- steht durch Zusammenfügung von Oalcaneus, Naviculare, den Cunei- formia, dem gebogenen Schaft des Metatarsus hallucis und den unter dem Köpfchen ruhenden Sesambeinen. Nach dem lateralen Rande zu wird die Wölbung flacher und kann ganz verschwinden. Die Wölbung in der Querrichtung ist am stärksten an den Basal- enden der Metatarsi und wird nach vorn geringer. Wie H. Virchow bemerkt, ist der grösste Durchmesser der Köpfchen senkrecht zur Sohlenfläche, der grösste Durchmesser der Basaltheile senkrecht zu der W^ölbung des Fussrückens orientiert, sodass sich für jeden Metacarpalknoohen ein „Drehungswinkel" ergiebt, der für den dritten am grössten, nämlich zu über 30 ^ gefunden wurde {125). Der Ausdruck „Wölbung" ist hier nur im allgemeinsten Sinne zu ver- stehen. Die Lehrbücher pflegen das Fussgerüst geradezu als Nischengewölbe zu bezeichnen, was zu dem Irrthuni Anlass geben kann, als sei der mecha- nische Zusammenhang des Fussgerüstes der eines gemauerten Gewölbes. Die Cuneiformia werden geradezu Gewölbsteinen, der Talus dem Schlussstein ver- glichen. Aber die Steine eines gemauerten Bogens müssen stets von einer ge- wissen Regelmässigkeit und oben dicker als unten sein. Sie stellen ferner, da sie hei wachsendem Druck immer fester zusammengekeilt werden, ein durchaus Specielle Gelenklehre. 199 starres Gefüge dar. Der Zweck, den das Fussgevvölbe erfüllt, ist ganz im Gegentheil, als eine nachgiebige Feder durch elastische Gestaltveränderung Stösse auszugleichen und sich verschiedenen Unterstützungsflächen anzu- passen. Dementsprechend ist der Zusanmienhalt der Bogen des Fusses nicht durch die Gestalt der Knochen, sondern durch Bänder- und Muskelwirkung bedingt. Dies ist bei H. v. Meyer ausführlich beschrieben, obschon daselbst die Bezeichnung Gewölbe gebraucht wird. Will man das thatsächliche Ver- hältniss mit einem technischen Ausdruck bezeichnen, so passt am besten der BegrifT des „Sprengwerkes" {126). Die Querwölbiing wird erhalten durch die Ligamenta interossea der Fusswurzel- und Mittelfussknochen, namentlich durch die Tjiga- menta tarsea transversa und durch die sich kreuzenden Sehnen Figur 33. Typus des Gewölbes und schematisches Modell des Fussgewölbes, nach H. Vircliow. In dem Gewölbe A wird die Verbindung der einzelnen Gewölbtheile nur auf Druck beansprucht, bei dem Modell des Fussgewölbes B, das mechanisch dem „Sprengwerk" entspricht, wird die Verbindung auf Zug beansprucht und vermag federnd nachzugeben. des Tibialis posticus und Peroneus longus. Am distalen Ende erhalten den Bogen die Ligamenta capitulorum piantaria mit ihren Querverbindungen, der Musculus transversus plantea und die quer- verlaufenden Faserzüge der Plantaraponeurose. Die Längswölbung ist, abgesehen von den starken Plantarbändern der Fusswurzel, gespannt durch die Ligamenta piantaria der Tarsometatarsalgelenke, ferner ebenfalls durch die Sehnen des Tibialis und Peroneus, end- 200 . Fünfter Abschnitt. lieh durch die Flexoren der Zehen überhaupt und die Plantarapo- neurose. Die vorderen Enden der Mittelfussknochen sind genau wie die der Mittelhandknochen unter einander durch Ligamenta capitularum s. intermetatarsea anteriora, mit den Grundphalangen durch Arti- culationes metatarsophalangeales verbunden. Diese unterscheiden sich von den Metacarpophalangealgelenken nur dadurch, dass die Gelenkfläche des Metatarsi etwas mehr dorsalwärts gerichtet ist, sodass die Dorsalflexion die Plantarflexion an Umfang übertriff't. Das Metatarsophalangealgelenk der grossen Zehe unterscheidet sich von den übrigen nur durch etwas freiere Beweglichkeit. Von den Bändern, die sich ebenfalls wie die an der Hand verhalten, sind die Ligamenta plantaria transversa besonders an der grossen und kleinen Zehe stark entwickelt und die in ihnen enthaltenen Sesam- beine bilden die Grundlage für den sogenannten lateralen und medialen Fussballen. § 25. Zehengelenke. 248. Die Gelenke der Zehen entsprechen denen der Finger (233). Fünfter Abschnitt. Miiskelmechaiiik. I. Allg-emeine Muskelmeehanik. § 1. Eintheilung der Muskelmechanik. 249. Die Thätigkeit der Muskeln ist nach zwei verschiedenen Richtungen zu erforschen, die man als die Allgemeine Muskelphysiologie und die Specielle Muskelphysiologie bezeichnet. Die Allgemeine Muskelphysiologie beschäftigt sich mit denjenigen Eigenschaften des Muskels, die allen Muskeln gemein sind, unter denen die Fähigkeit, sich zusammenzuziehen, die Wesentlichste ist. Ihr vornehmstes Ziel ist, das Wesen des Contractionsvorganges zu er- gründen und sie sucht sich diesem Ziele durch Untersuchungen auf den ver- Allgemeine Miiskeliiicchanik. 201 schiedensten Gebieten, auf dem der chemischen, elektrischen, thermischen und der mechanischen Erscheinungen zu nähern. Die Specielle Muskelpliysiologie dagegen befasst sich allein mit der mechanischen Wirkung der Muskeln. Sie kann daher auch als Muskelmechanik bezeichnet werden. Innerhalb dieses engeren Gebietes der Speciellen Muskel- physiologie ergiebt sich nun von Neuem eine Theilung in allge- meine und in's Einzelne gehende Forschung. Denn über die mecha- nische Wirkung der einzelnen Muskeln lassen sich eine Reihe von Grundsätzen aufstellen, die wenigstens bei einem grossen Theile des Gesammtgebietes Anwendung finden. Andererseits ist es das letzte Ziel der Speciellen Muskelphysiologie, die mechanische Wirkungsweise jedes einzelnen Muskels, oder die Thätigkeit der einzelnen Muskeln bei jeder beliebigen Bewegung kennen zu lernen. Hierbei müssen auch solche Verhältnisse in Betracht gezogen werden, die eben nur für einen einzigen Muskel vorhanden sind. Diese Zweitheilung der Speciellen Muskelphysiologie mag dadurch ausgedrückt werden, dass unter „Muskelmechanik" ausschliesslich die allgemeinere Betrachtung verstanden wird, während die Unter- suchung der einzelnen Muskeln als „Specielle Muskelmechanik" unterschieden werden soll. Für beide Unterabtheiiungcn gemeinsam ist zu beachten, dass sie nur die Wirkung des Muskels als Ganzes in's Auge fassen lind deshalb, wie Fischer sich ausdrückt, durch den Umstand, dass das Wesen des Contractionsvorganges {127) noch nicht hat erklärt werden können, ebensowenig behindert werden, wie die Physiker bei Aufstellung der Fallgesetze durch den Umstand, dass die Schwerkraft ihrer Ursache nach räthselhaft ist. In mechanischer Beziehung wirkt die auf unbekannte ■Weise hervorgerufene Muskelkraft ebenso wie jede andere bekannte Kraft, und es lassen sich daher ihre Wirkungen ohne Rücksicht auf ihren Ursprung untersuchen. § 2. Einiges aus der Allgemeinen Muskelphysiologie. 250. Obwohl nach dem eben Gesagten die Muskelraechanik die Kenntniss der Ursache der Contraction entbehren kann, bedarf sie doch einiger Ergebnisse der Allgemeinen Muskelphysiologie, die sich auf den Verlauf der Contraction beziehen. Denn die Muskel- •202 • Fünfter Abschnitt. kraft ist zwar von einer beliebigen auf andere Weise erzeugten Kraft nicht verschieden, aber nur, wenn diese Kraft in jedem Augenblicke in entsprechendem Maasse wirkt. Für die meisten Fälle geht allerdings die Muskelmechanik von der vereinfachenden Annahme aus, dass die Muskeln einen einfachen, völlig gleich- massigen Zug ausüben. Ehe man aber diese Voraussetzung an- nimmt, muss man darüber unterrichtet sein, in wiefern sie von den wirklichen Bedingungen abweicht. 251. Die Zusammenziehung des Muskels beruht auf der Zu- sammenziehung seiner kleinsten Theile, die man als Muskelelemente bezeichnet {128). Wenn sich alle Muskelelemente mit gleicher Kraft um ein gleiches Stück ihrer Länge verkürzen, so ist es klar, dass die Gesammtverkürzung des Muskels um so kräftiger sein wird, je mehr Muskelelemente er neben einander enthält, und um so grösser, je mehr Elemente er der Länge nach hinter ein- ander enthält. Da die Elemente gruppenweise zusammengesetzt die Muskelfasern bilden, so gilt dasselbe von den Muskelfasern: Die Zusaramenziehung ist um so kräftiger, je mehr Fasern gleich- zeitig wirken, und um so grösser, je länger die Fasern sind, oder je mehr Fasern hinter einander gereiht sind. Die Gesammtmenge der neben einander liegenden Fasern wird aber gemessen durch einen Querschnitt, der an der dicksten Stelle des Muskels senk- recht zur Faserrichtung gedacht wird, oder besser gesagt, durch den grössten aller der Querschnitte, die senkrecht zur Faserrichtung gedacht werden können (255). Diesen Querschnitt nennt man den „physiologischen Querschnitt" des Muskels. Der physiologische Querschnitt ist also der Ausdruck der Zahl der im Muskel neben einander wirkenden Fasern, und folglich ist die Kraft des Muskels dem physiologischen Querschnitt proportional. Der phj'siologische Querschnitt lässt sich annähernd berechnen aus dem Volumen des Muskels und der Länge seiner Fasern, nach demselben Princip, nach dem man den Querschnitt eines Cylinders aus Volum und Länge be- rechnet. Das Volum des Muskels in Cubikcentimetern ist sehr nahe gleich seinem Gewicht in Gramm (255), weil das specifische Gewicht des Muskel- gewebes sich von dem des Wassers nicht erheblich unterscheidet. Es beträg-t höchstens 1060. Man findet also annähernd den physiologischen Querschnitt in Quadratcentiraetern, indem man das Gewicht des Muskels in Gramm durch 4ie mittlere Faserlänge in Centimetern dividirt {129). Allgemeine Muskolmechanik. 203 252. Der zeitliche Verlauf der Miiskelziisamraenziehiing cr- giebt sich aus der „Zuckungscurve", die man erhält, indem man den Muskel die V^eränderung seiner Länge während der Verkürzung auf eine an ihm vorübergeführte Schreibfläche verzeichnen lässt. Es geht aus dieser Curve hervor, dass die Verkürzung nicht gleich- massig schnell, sondern mit abnehmender Geschwindigkeit vor sieh geht. Die Curve lässt ferner die „Hubhöhe", nämlich die absolute Grösse der Zusammenziehung erkennen, die bis zu ^/g der Länge des Muskels betragen kann. Hat der Muskel bei der Verkürzung ein Gewicht zu heben, so fällt die Curve flacher aus, das Gewicht wird nicht so hoch gehoben, wie das unbelastete Muskelende. Die Hubhöhe ist also vermindert. 3Ian kann dies so auffassen, dass der Muskel während der Thätigkeit durch das Gewicht eine Dehnung erfährt. War die Hubhöhe des unbelasteten Muskels a Millimeter, die des mit c Gramm belasteten b Millimeter, so kann man sagen, die Last dehne den thä- tigen Muskel um die Strecke a— b. Denkt man sich nun den unbelasteten Muskel in der Höhe b mm plötzlich mit dem Gewicht von c g belastet, so wird die weitere Verkürzung gehemmt sein. Die Last c g ist also das Maass für die Verkürzungskraft, die der Muskel bei dem Verkürzungsgrade besitzt, der der Höhe b mm entspricht. Es leuchtet ein, dass die Last um so grösser sein muss, in je früherem Stadium die Verkürzung gehemmt werden soll. Dies wird umgekehrt ausgesprochen in dem Satze: Dass die Verkürzungskraft des Muskels mit dem Vor- schreiten der ZusammenzieJiung sehr schnell abnimmt. Am Höhepunkte der Verkürzung angekommen, hat der Muskel gar kein Verkürzungsbestreben mehr, er übt keine Verkürzungs- kraft mehr aus, denn schon durch die geringste Last wird die Verkürzung etwas vermindert. Dieser Satz wird dadurch am anschaulichsten , dass man die beiden äussersten Fälle vergleicht, den, dass die Kraft der Verkürzung in der Ruhe- länge des Muskels gemessen wird, wo er beinahe seiner Maximalleistung fähig ist, und den, dass die Kraft der Verkürzung ganz dicht am Gipfelpunkt der Hubhöhe bestimmt wird, avo sich das Contractionsbestreben schon fast voll- ständig erschöpft hat. Umgekehrt wird die Zusammenziehung eines Muskels um so kräftiger, je stärker er schon vor der Contraction gedehnt war. Dies geht aus der Betrachtung über die Abnahme der Contractions- 204 Fünfter Abschnitt. kraft mit zunehmender Verkürzung unmittelbar hervor. Wirkt ein Muskel zwischen zwei Punkten, die näher an einander liegen, als der Muskel selbst bei maximaler Verkürzung lang ist, so kann er sich selbst bei maximaler Verkürzung nicht anspannen, würde also gar keine Zugwirkung ausüben. Sind die Endpunkte ein wenig weiter entfernt, so wird der Muskel nur bei äusserster Zu- sammenziehung schwach angespannt werden können. Sind die Endpunkte so weit entfernt, dass der Muskel in der Ruhe eben angespannt ist, so kommt die volle Contractionswirkung zur Geltung. Dies ist der bei Versuchen mit ausgeschnittenen Muskeln gewöhn- lich betrachtete Fall. Werden nun aber die Endpunkte noch weiter auseinander gezogen, sodass der Muskel in der Ruhe gedehnt ist, so kommt bei der Contraction nicht bloss die Elasticität, mit der schon der ruhende Muskel zog, zu der Wirkung hinzu, sondern die Contractionskraft steigt unverhältnissmässig stark an. Eine Anspannung des ruhenden Muskels um wenige Procente seiner Länge kann die Contractionskraft bis zum Anderhalbfachen steigern. Das sogenannte ,, Ausholen" unmittelbar vor heftigen Bewegungen, wie Schlagen, Werfen und andere, wird hiermit in Verbindung gebracht, doch dürften dabei noch andere Verhältnisse im Spiele sein. Für die Wirkungsweise der Muskeln im lebenden Körper ist nun von der grössten Bedeutung, dass nur in wenigen Ausnahme- fällen die Endpunkte bis zur Ruhelänge des Muskels genähert werden können. Es sind daher die Muskeln im .Allgemeinen als dauernd gespannte Stränge anzusehen. Diese dauernde Spannung hat zwei verschiedene Ursachen. Erstens ist jeder Muskel, wie eben angegeben, rein mechanisch durch die Lage seiner Endpunkte gezwungen, eine grössere Länge innezuhalten, als ihm im Ruhezustande zukommt. Der Muskel ist also gedehnt und mithin elastisch gespannt. Zweitens besteht in allen lebenden Muskeln für ge- wöhnlich ein geringer Grad von Erregung der contractilen Substanz, die durch das Nervensystem vermittelt wird. J\lan bezeichnet die dadurch hervorgebrachte Spannung als den normalen Muskeltonus. Allgemeine Muskelmecbanik. 205 Durchschneidet man den zu einem Muskel gehörigen motorischen Nerven, so hört der Tonus auf und es tritt eine gewisse Erschlaffung und Verlängerung des Muskeln ein. Durchschneidet man nun eine der Sehnen, so zieht sich der Muskel noch weiter zusammen, zum Zeichen, dass unabhängig vom Nerven- system auch der Muskel selbst elastisch gespannt war. Die Abnahme der Muskelkraft mit fortschreitender Verkürzung tritt bei der Untersuchung ausgeschnittener Muskeln, die sich be- liebig stark verkürzen und bis zum Zerreissen ausdehnen lassen, sehr deutlich hervor. So lange aber der Muskel in seiner natür- lichen Verbindung mit dem Knochengerüst ist, sind sowohl seiner Ausdehnung wie seiner Zusammenziehung ziemlich enge Grenzen gesetzt. Es wird aus der ganzen Verkürzungscurve normaler Weise nur ein kurzer mittlerer Abschnitt ausgenutzt. 253. Aus der Abnahme der Verkürzungskraft ergiebt sich ferner, dass der Muskel hinsichtlich der Arbeitsleistung ungünstiger gestellt ist, wenn er ein kleines Gewicht hebt, als wenn er eine mittlere Belastung erhcält. Die Arbeit wird gemessen durch das Product von Last und Hubhöhe. Wenn nun der Muskel mit einer kleinen Last dieselbe Arbeit leisten soll, wie mit einer grösseren, muss er sich sehr stark verkürzen und wird alsbald an die Grenze kommen, wo die Verkürzungskraft zu klein ist, auch nur die gegebene geringe Last zu heben. Andererseits wird bei sehr grosser Belastung die Hubhöhe so gering sein, dass abermals ein geringer Arbeitswerth herauskommt. Die Last, bei der die grösste Arbeit erreicht wird, ist eine mittlere. Der grösste Arbeitswerth, den der Muskel bei einer einzigen Zusammenziehung leisten kann, wird aber überhaupt nicht erreicht, wenn die Belastung constant ist. Sondern es muss die Belastung, entsprechend der Abnahme der Verkürzungskraft, während des Hubes abnehmen, um die günstigste Arbeitsbedingung zu gewähren (273) {130). § 3. Muskel formen. 254. Die eben beschriebenen Eigenschaften kommen schon dem Muskelemente an sich zu und gelten deshalb für alle Muskeln. Die Wirkungsweise der einzelnen Muskeln ist aber erheblich ver- schieden, je nach der Anordnung der Muskelelemente. In allen Muskeln sind die Elemente hinter einander zu „Fibrillen" gereiht, 206 Fünfter Abschnitt. und je eine Anzahl „Fibrillen" zu einem „Pmuitivmuskelbündei" mit gemeinsamem ümhüllungsschlauch , „Sarkolemm" vereinigt. Mehrere Fasern sind in der Regel wieder zu gröberen „Muskel- bündeln" durch bindegewebige Hüllen verbunden, und zahlreiche solche Bündel bilden den Muskel, der seinerseits von einer derberen Hülle, der Muskelfascie, umgeben ist. Die Muskelfasern sind an ihren Enden an die Sehnen befestigt, durch die ihre Zugwirkung auf die zu bewegenden Theile übertragen wird. Die Anordnung der Fasern in den einzelnen Muskeln ist nun wesentlich verschieden. Der einfachste Fall ist der, dass eine Anzahl Muskelfasern parallel neben einander verlaufen und an ihren Enden durcli Vermittlung je einer kurzen Sehnenfaser be- festigt sind. Dies bezeichnet man als den „parallelfaserigen" Bau, wobei daran zu denken ist, dass die Fasern der Zugrichtung pa- rallel laufen. Der Typus eines solchen Muskels ist der bandförmige M. sartorius des Frosches, an dem eben seiner Einfachheit halber mit Vorliebe die Lehrsätze der Allgemeinen Muskelphysiologie geprüft werden. Nicht wesentlich unterscheiden sich von den parallelfaserigen Muskeln die „spindelförmigen". Es ist hier nur der Muskelstrang so dick, dass er im Vergleich zu seinen Endsehnen als „Muskel- bauch" erscheint. Der Verlauf der Fasern kann dann auch nicht vollkommen parallel sein, da die äusseren Fasern, um sich an die dünne Sehne anzusetzen, nach einwärts über die anderen hinlaufen. Typus dieser Muskel form ist der Biceps brachii des Menschen. Eine andere Abart des paralielfaserigen Muskels bildet die „Muskelhaut", die als aus einer Reihe platter, parallelfaseriger Muskeln neben einander entstehend, oder als . ein einziger, breiter, parallelfaseriger Muskel betrachtet werden kann. Solche Muskel- häute liegen gewöhnlich mehrere über einander, deren Fasern ver- schiedene Richtung haben, sodass einerseits allseitig gleichmässige Zusammenziehung stattfinden kann, zweitens die Durchbrechung der Haut durch Auseinanderweichen der parallelen Fasern ver- hindert wird. 255. Im Gegensatz zu diesen Muskeln, bei denen die Fasern der Zugrichtung des Muskels parallel laufen, stehen die „schräg- faserigen Muskeln". Während bei den. parallelfaserigen Muskeln die Grösse der Zusammenziehung des Muskels mit der Grösse der Allgemeine Miiskelmechanik. 207 Verkürzung der Fasern identisch ist, zieht sich der schrägfaserige Muskel nur um einen Theil der Verkürzungsgrösse seiner Fasern* zusammen, weil sie schräg zur Zugrichtung angeordnet sind. Da- gegen kann bei dieser Anordnung eine sehr viel grössere Zahl von Fasern, bei gleichem Volum des Muskels, an der Sehne angreifen. Diese grosse Faserzahl ermöglicht eine sehr grosse Kraftentfaltung, aber, wie eben angegeben, bei geringerer Verkürzung des Muskels. Das Verhältniss wird am leichtesten verständlich, wenn man sich be- stimmte Maassverhältnisse vor Augen stellt. Man denke sich einen parallel- faserigen Muskelstrang von 1 ccm Querschnitt und 10 cm Länge, also 10 ccm Volum. Dieser Muskel möge sich bei einer Belastung von 3 kg um 2 cm ver- kürzen können. Um nun die Eigenschaften des schräg faserigen Muskels zu erkennen, denke man sich wiederum einen Muskel, der aber 10 ccm Querschnitt und nur 1 cm Länge hat. Das Volum des zweiten Muskels ist also dasselbe wie das des ersten, auch die Form mag dieselbe sein. Dieser Muskel wird sich dann, gleiche Eigenschalten seines Gewebes vorausgesetzt, bei einer Last von 30 kg und zwar um 0,2 cm verkürzen. Das wäre seine Leistung als parallel- faseriger Muskel. Nun sollen aber seine sämmtlichen Fasern zwischen zwei je 10 qcm Oberfläche darbietenden, 1 cm von einander verlaufenden Sehnen- streifen ausgespannt sein, deren einer an einem, der andere am anderen Ende der Muskelmasse in einen Zugstrang übergeht. Die Fasern werden sich schräg zur Richtung des Zuges an den beiden Sehnehenden stellen, und bei ihrer Verkürzung werden sich die beiden Zugstränge um weniger als 0,2 cm gegen einander verschieben. Dies ist der Bau der schrägfaserigen Muskeln, aus dem sich eine grosse Kraft bei kleinem Hub ergiebt. Beispiele dieser Anordnung sind der, allerdings noch etwas verwickelter geformte M. gastrocnemius des Frosches und des Menschen, der Peronaeus des Menschen u. A. m. (251). Aus dieser Betrachtung geht der Unterschied zwischen dem oben ange- führten Begriff des ,, physiologischen Querschnittes" und dem des gewöhn- lichen anatomischen Querschnittes deutlich hervor: Volum und Gestalt beider im Beispiel angenommenen Muskeln war gleich. Im Falle des parallelfaserigen Muskels trifft der anatomische Querschnitt, der 1 qcm Inhalt zeigt, mit dem physiologischen, der senkrecht zu der Faserrichtung verläuft, zusammen. Im Falle des schrägfaserigen Muskels würde der einfache anatomische Querschnitt wieder nur 1 qcm Fläche haben, um den Muskel in eine obere und untere Hälfte zu trennen, der physiologische Querschnttt dagegen zeigt 10 qcm Fläche und theilt den Muskel seiner ganzen Länge nach mitten zwischen beiden Sehnenstreifen. 256. Ausser diesen Muskelformen, die sich durch verschiedene Wirkungsweise auszeichnen, unterscheidet man nun noch eine Reihe von Formen, der äusseren Gestaltung nach. Hier ist zunächst der zwei- oder mehrbauchigen Muskeln zu gedenken, die wie aus einer 208 -Fünftel- Abschnitt. Reihe der Faserrichtung nach aneinander gesetzten Muskeln er- *scheinen, da sich die Sehne des ersten Muskelbauches in einen zweiten fortsetzt, der wiederum in eine Sehne übergeht, auf die dann wiederum ein Muskel folgen kann und so fort. Mechanisch entsteht hierbei nur der Unterschied, dass der ganze Strang durch den festen Zusammenhalt der Sehnen im Gegensatz zu einem ein- fachen Muskel von gleicher Ausdehnung weniger nachgiebig wird, und dass ferner die Verkürzung etwas kleiner wird, da ja die eingeschalteten Sehnen ihre Länge nicht ändern. Doch dürfte das Vorlfommen der mehrbändigen Muskeln überhaupt eher auf morphologischem als mechanischem Wege zu erklären sein. So werden die zweibauchigen Muskeln am Halse, Biventer und ümohyoideus als Ueber- bleibsel von den Kiemenbögen des Fischzustandes primitiver Entwickelungs- l'ormen gedeutet, der vielbäuchige Rectus abdominis findet sein Homolog in der Kumpfmuskulatur der Fische, die durchgehends aus schmalen Schichten „Myocommata-' mit zwischengelagerten Sehnenhäuten besteht. Am gekochten Fisch sind die Sehnenschichten gelöst und man sieht deutlich die Fleisch- schichten lose übereinander liegen. Als „gezähnte" oder „sägeförmige" Muskeln bezeichnet man solche, deren Fasern in einzelnen Gruppen an eine Reihe einzelner Knochen punkte geheftet sind, sodass jede Gruppe aus der Gesammt- masse des Muskels wie eine Zacke vorspringt. „Gefiederte" Muskeln nennt man schrägfaserige Muskeln, deren Fasern nicht nur nach Einer, sondern nach zwei Seiten schräg von einer Mittelsehne abgehen. Die „fächerförmigen" Muskeln endlich sind schon durch die Benennung genügend gekennzeichnet. § 4. Formen der Muskelwirkung. 257. Die Muskeln wirken durch die Zusammenziehung ihrer Fasern, also im Allgemeinen durch Zug in der Faserrichtung, indem sie ihre beiden Endpunkte einander nähern. Es kommt aber auch der Fall vor, dass die Endpunkte eines Muskels an- nähernd in Ruhe bleiben, während der mittlere Theil sich anspannt und dadurch eine Seitenwirkung quer zur Faserrichtung entfaltet. Dies ist namentlich bei den ringförmigen Muskeln und bei den flächenhaft ausgebreiteten Muskeln der Fall, die die Wände von Hohlräumen bilden. In diesem Falle ist der Widerstand, den der Muskel zu überwinden hat, gewöhnlich in der Form des gleich- massigen Druckes von Flüssigkeiten oder Gasen gegeben und die Allgemeine Muskelmechanik. 209 Spannung der Muskelschicht wird durch diesen Druck zu messen sein, da die Spannung, die in die Faserrichtung fällt, von der (^>aerspannung nicht zu trennen ist. Für die Grösse der Spannung kommt hier in Betracht, dass mit wachsender Dehnung die Grösse der Oberfläche und folglich auch die Ge- sammtwirkung des Druckes wächst, auch wenn der Druck selbst nicht zu- nimmt. Die Zahl der Fasern bleibt aber dieselbe, ihre Spannung muss daher stärker werden. Yergrössert oder verkleinert sich also ein Hohlraum durch Muskelthätigkeit, so steigt oder sinkt (gleichbleibenden Innendruck voraus- gesetzt) der von jeder Muskelfaser zu überwindende Widerstand mit ihrer Ver- längerung oder Verkürzung (^131). Wird zum Beispiel einer kugelförmigen Blase Wasser unter 10 cm Druck- höhe zugeführt und die Blase hat 2 cm Durchmesser, so lastet auf jedem der 12,56 qcm Oberfläche (nach der Formel S = 47Tr-) dieselbe Druckhöhe von 10 g. Es mag nun die Wand der Blase auf joden Quadratcentimeter 100 Muskel- fasern in einer Richtung und 100 in der darauf senkrechten enthalten, so werden Figur 34. . Wirkungsweise eines Muskels quer zur Zugrichtung. Aus der Spannung des Muskels zwischen Ursprung und Ansatz ergeben sich zwei Zugkräfte, MV und MA, deren gemeinsame Wirkung nach Grösse und Kichtung durch die Diagonale MD des Parallelogramms DUMA angegeben wird. die 200 Fasern zusammen von dem Druck von 10 g betroffen. Lassen die Fasern nun ein wenig nach und der Durchmesser der Kugel wächst auf 3 cm an, so hat sie nun 28,26 qcm Oberfläche. Es entfallen demnach nicht mehr 200 Fasern, sondern nur noch 90 auf jeden Quadratcentimeter Oberfläche. Wächst der Durchmesser der Blase auf 4 cm, so ist die Oberfläche schon über 50 qcm gross. Es entfallen dann nur noch etwa 50 Fasern auf jeden Quadrat- centimeter und auf diesen lastet immer der gleiche Druck von 10 g. Die ein- zelne Faser wird also 4 mal so stark belastet. In dem Falle, dass nicht eine Muskelhaut durch ihre Anspannung einen FJächendruck aushalten, sondern ein Muskelstrang auf die- selbe Weise in einem einzigen Punkte seiner Länge durch seit- lichen Druck wirken soll, lässt sich leicht zeigen, dass die Spannung des Muskels sehr viel stärker sein muss, als der zu überwindende Widerstand. K. du B o is-lley in 0 11 (l, Spec. Muskel|)liysiologie. -[ä 210 Fünfter Abschnitt. Wenn der Muskel sich anspannt, so werden die beiden Strecken von einem Endpunkte bis zu dem Punkte des seitlichen Widerstandes einen nahezu gestreckten Winkel bilden. In der Richtung der beiden Schenkel des Winkels wirkt der Muskelzug. Die resultirende Wirkung stellt sich dar als die Dia- gonale des Parallelogramms, das über diese beiden Strecken als Seiten er- richtet wird, die desto kleiner ausfällt, je mehr der betreifende Winkel sich zwei Rechten nähert (262). 258. Die. Zugwirkung, die ein gradlinig angespannter Muskel entfaltet, wirkt stets gleichmässig auf beide End- punkte. Wenn ein Muskel an beiden Endpunkten an nahezu gleich leicht bewegliche Theile angeheftet ist, bringt er gleichmässige Bewegung an beiden Enden hervor (313). Die Unterscheidung von Ursprung und Ansatz, die im anatomischen Sprachgebrauch eingebürgert ist, beruht nur darauf, dass die meisten Muskeln in der Mehrzahl der Fälle, oder unter Voraussetzung bestimmter Stellung, etwa der anatomischen Grundstellung, an einem ihrer Endpunkte grösseren Widerstand finden. Dieser wird dann als Ursprung bezeichnet, der andere Endpunkt als Ansatz. Doch ist diese Unterscheidung in vielen Fällen un- durchführbar, wofür der Rectus abdominis ein gutes Beispiel giebt. § 5. Vom Hebel und vom Kräftepaar. 259. Die Muskeln wirken an den Knochen als an Hebeln. Die Bewegungsform der Hebel wird gemeinhin beschrieben durch den Hinweis auf die Bewegungsweise das Werkzeuges, von dem die Bezeichnung hergenommen ist, des „Hebebaumes" oder „Hebels". Wo es auf genauere Be- stimmung der physikalischen Gesetze dieser Bewegungen ankommt, muss man natürlich von der Anschauung der groben Massen, die die wirklichen Hebel darstellen, absehen, und engt die Betrachtung ein auf die Betrachtung idealer Linien und Punkte, um die die Bewegung stattfindet. Die Betrachtung aber bleibt dieselbe. An Stelle der Abbildung eines Hebelarmes, den die Hand eines Arbeiters unter einen schweren Stein schiebt, wie sie in physikalischen Lehrbüchern am Anfange des Kapitels ,, Hebelgesetze" zu stehen pflegt, tritt eine Figur, in der der Hebebaum durch eine feine gerade Linie, die hebende Hand, die wuchtende Last und die stützende Erde durch je einen Punkt be- zeichnet sind. Für andere Arten der praktischen Anwendung des Hebels dient dasselbe Schema der geraden Linie, auf der drei Punkte besonders be- zeichnet sind. Die gewöhnliche Darsteliungsweise der Hebelgesetze beschränkt sich auf diejenigen Fälle, in denen der eine von den drei Punkten als feststehend betrachtet werden kann. Die Lage dieses fest- Allgemeine Muskelmechanik. 211 stehenden Punktes, der als Angelpunkt, Drehpunkt, Hebelpunkt, Punctum fixuni, Fulcrum, bezeichnet wird, hat für die Bewegung des Hebels natürlich ausschlaggebende Bedeutung, da die einzige Bewegung, die dem Hebel übrig bleibt, die der Drehung um diesen festen Punkt ist. Was die anderen beiden Punkte betrifft, so pflegt man sie als Angriffspunkt der Kraft und Angriffspunkt der Last zu be- zeichnen, indem man wiederum von der ursprünglichen Vorstellung des Hebebaumes ausgeht, mit dem etwa ein Steinklotz in Be- wegung gesetzt wird. Diese Unterscheidung ist aber vollständig willkürhch, da ja der Stein in ganz derselben Weise, nur in um- gekehrter Richtung auf den Hebel wirkt, wie die Hand. Je nach der Lage des Drehpunktes zu den anderen beiden Punkten w'erden nun zwei Arten Hebel unterschieden, solche, bei denen der Drehpunkt zwischen den beiden anderen Punkten gelegen ist, oder zweiarmige Hebel, und solche, bei denen der Drehpunkt ausserhalb der beiden anderen gelegen ist, oder ein- armige Hebel. 260. Bei dieser Eintheilung, die eben der Anschauung von Hebebäumen entstammt, wird eine Trennung gemacht, die für die mathematische Betrachtung des Hebels fortfällt. Denn es leuchtet ohne Weiteres ein, dass, wenn man an einem zweiarmigen Hebel die Länge des einen Hebelarmes bis auf Null ab- nehmen und dann den Angriffspunkt der Kraft über den Drehpunkt hinaus noch weiter rücken lässt, aus dem zweiarmigen Hebel ein einarmiger wird. Dies würde bei der mathematischen Behandlung einfach dadurch auszudrücken sein, dass das Vorzeichen des Werlhes, der die Länge des Hebelarmes be- zeichnet, umgekehrt wird. Es wird also hier eine Bedingung zum Eintheilungs- grund erhoben, die für die Sache selbst ganz unwesentlich ist. Man denke zum Beispiel an eine Wage, die an einem starken Träger aufgehangen und auf der eine leichte Last gewogen wird, so stellt zunächst der Wagebalken einen zweiarmigen Hebel dar, denn er dreht sich um den Aufhängepunkt in der Mitte, während Kraft und Last an den Enden angreifen. Es mögen aber nun auf die eine Wagschale eine sehr schwere Last gelegt und auf die andere allmählich Gewichte gepackt werden, sodass schliesslich die Tragfähigkeit der Aufhängung überschritten wird und die Mitte der Wage sich zu senken be- ginnt. Dann bietet plötzlich der Wagebalken nicht mehr das Bild eines zwei- armigen, sondern eines einarmigen Hebels. Ferner braucht durchaus nicht immer der Fall verwirklicht zu sein, dass die drei Punkte in einer graden Linie liegen. Im Gegentheil ist der Fall des sogenannten Winkelhebels, bei dem die Angriffspunkte von Kraft und Last mit dem Drehpunkte ein Dreieck bilden, bei weitem häufiger. 14* 212 Fünfter Abschnitt. 261. Aus allen diesen Gründen ist es zweckmässiger, von vornherein den speciellen Fall des Hebebaumes ausser Acht zu lassen und eine allgemeinere Betrachtungsweise der Hebelbewegung durchzuführen. Diese beruht auf der Lehre vom „[vräftepaar" {132). Wirken auf einen beliebigen Körper zwei Kräfte in beliebiger Richtung ein, so kar.n ihre gemeinschaftliche Einwirkung im Allgemeinen durch die einer einzigen Kraft ersetzt werden. Treibt zum Beispiel der Wind ein Boot quer über einen Strom, während der Strom es abwärts führt, so fährt das Boot in schräger Richtung thalab. Ein einziges in dieser schrägen Richtung wirkendes Schlepptau würde also dieselbe Wirkung üben, wie die beiden auf einander senkrechten Kräfte von Wind und Strom. Ebenso kann die gemein- schaftliche Wirkung von Wind und Strom durch ein einziges in derselben Richtung schräg gespanntes Tau aufgehoben w^erden. Aus dieser Betrachtung geht auch hervor, dass eine einzige, der eben besprochenen resultirenden Kraft entgegengesetzte Kraft, den beiden Einzelkräften das Gleichgewicht halten kann. Zwei beliebige auf einen Körper wirkende Kräfte lassen sich also im Allgemeinen durch eine ,,Resultirende" ersetzen, oder, was .dasselbe ist, durch eine (der Resultirenden entgegengesetzt gleiche) einzige Kraft aufwiegen. 262. Die Construction der Resultirenden lässt sich im Aligemeinen nach dem Satze vom Parallelogramm der Kräfte wie folgt ausführen: Der Angriffs- punkt einer Kraft kann, ohne die Wirkung zu ändern, in der Richtung der Kraft beliebig verlegt werden. Denn wenn mit einem Seil ein Zug oder mit einer Stange ein Druck ausgeübt wird, ist es für die Wirkung gleich, ob das Seil oder die Stange lang oder kurz ist. Die beiden Kräfte werden der Richtung nach durch Linien dargestellt, die einander in der Regel schneiden. "Vom Schnittpunkt werden auf den Linien Strecken im Verhältniss der Grösse der beiden Kräfte abgetragen. Dann stellen diese Strecken nach Richtung und Grösse die beiden Kräfte dar. Construirt man auf den beiden Strecken als Seiten ein Parallelogramm, so entspricht die Diagonale des Parallelogramms nach Richtung und Grösse der resultirenden Mittelkraft. Sind die Richtungen der Kräfte parallel, so ist diese Construction nicht unmittelbar durchzuführen. Man hilft sich dann, indem man zwei entgegen- gesetzte gleiche Hülfskräfte einführt, die, weil sie einander aufheben, an dem Ergebniss nichts ändern, wohl aber die Durchführung der Construction ermög- lichen, indem sie, jede mit einer der parallelen Einzelkräfte auf die oben ange- gebene Weise vereinigt, zwei Resultirende erzeugen, die nicht parallel sind, und so die gesuchte gemeinsalme Resultirende ergeben. 263. Es giebt nun einen Ausnahmefall, für den die ange- führten Angaben nicht gelten, das ist der Fall, dass zwei parallele entgegengesetzte, gleiche Kräfte auf einen Körper wirken. Zwei solche Kräfte bilden zusammen ein Kräftepaar. Allü-emeine Muskelmechanik. 213 Die Wirkung eines solchen Kräftepaares ist eine rein drehende und kann in Folge dessen nicht durch eine einzige Kraft, die immer nur eine Fortbewe- gung in einer bestimmten Richtung hervorbringt, ersetzt werden. Davon kann man sich eine deutliche Anschauung verschaffen, indem man einen Stab mit beiden Htänden c^uer vor sich hält und nun mit einer Hand schiebt, mit der anderen zieht. Der Stab wird sich dann um einen Punkt zwischen den Händen drehen. Wird nun, etwa an einem Ende des Stabes, durch einen angebundenen Strick oder einen entgegengedrückten Widerstand irgendwelcher Art eine ein- zelne Gegenkraft ausgeübt, so wird dadurch die Drehung nicht verhindert, vielmehr rückt dann der übrige Theil des Stabes mitsammt den haltenden Händen um den durch den Widerstand mehr oder minder festgestellten Theil des Stabes herum, der Beobachter rudert sich gleichsam vorwärts oder rückwärts. Es ist klar, dass die Bewegung, die in diesem Falle auftritt, der oben beschriebenen Bewegung des Hebebaumes gleich ist. Figur 35, Wirkung eines Kräftepaares. Auf einen beliebig gestalteten Körper wirken die durch die beiden Pfeile dar- gestellten parallelen, gleichen und entgegengesetzten Kräfte P und P' im Ab- stand a. Sie bringen eine Drehung hervor, die gemessen wird durch die Grösse der einen Kraft raultiplicirt mit dem Abstand a, dem sogenannten Hebelarm des Kräftepaares. Die Bewegung des Hebels lässt sich demnach als die Wirkung eines Kräftepaares auffassen. „Kraft" und „Last'', die gegenseitig auf den Hebel drücken, heben einander bis zu einem gewissen Grade auf. Es bleibt nur der üebcrschuss der einen Kraft über die andere übrig. Diese übrig bleibende Kraft wirkt auf den Hebel und bringt dadurch in dem Drehpunkt eine Druckwirkung hervor, die ihr gleich und entgegengesetzt ist, also mit ihr ein Kräftepaar darstellt, das den Hebel dreht. 264. Um die Vereinigung der Wirkung von Kraft und Last durchzuführen, die Grösse und Richtung des Ueberschusses der 214 Fünfter Abschnitt. einen über die andere festzustellen, bedarf es der Einführung des Begriffes „Drehungsmoment". Denkt man sich zwei parallele, gleiche und entgegengesetzte Kräfte, also ein Kräftepaar, an beiden Enden einer Strecke wirkend, so wird offenbar die Strecke auf beiden Seiten in genau gleicher, aber entgegengesetzter Weise beeinflusst und wird sich um ihre Mitte drehen. Je grösser der Abstand, in dem die Kräfte von der Mitte aus angreifen und je grösser die Kräfte selbst, um so grösser wird auch das Drehungsbestreben. Folglich wird die Grösse des Drehungsbestrebens, das jede der beiden Kräfte, einzeln ge- nommen, hervorruft, gemessen durch das Produkt aus dem Ab- stand der Kraft von der Mitte der Strecke und der Grösse der Kraft. Da beide Kräfte gleich weit von dem Mittelpunkte der Strecke entfernt und einander gleich sind, so kann man ihre ge- meinsame Drehwirkung auch ausdrücken durch das Produkt der einen Kraft und ihres Abstandes von der anderen. Dieses Produkt heisst das Drehungsmoment des Kräftepaares. Da eine beliebige einzelne Kraft, wenn sie auf einen um einen festen Punkt drehbaren Körper wirkt, in dem festen Punkte eine ihr gleiche und entgegengesetzte Widerstandskraft findet, so ist auch die Drehwirkung einer solchen Kratt auszudrücken durch das Produkt aus ihrer Grösse in den Abstand ihrer Richtung von dem Drehpunkt (vgl. auch Fig. 40) (270). Das Gleichgewicht oder das Wirkungsverhältniss von Kraft und Last an einem Hebel ist auf diese Weise zu betrachten als die Gleichheit oder das Grössenverhältniss der Drehungsmomente. Dabei nähert sich, wie man sieht, die Anschauung vom Drehungs- moment sehr der des Hebels, so sehr, dass man den zweiten Factor: Abstand der Kraftrichtung vom Drehpunkt, auch geradezu als „Hebelarm" der Kraft bezeichnet. Dennoch kommen beide Vor- stellungen nicht ganz auf dasselbe hinaus, denn die des Drehungs- momentes hat den Vorzug, dass sie auch alle die Fälle umfasst, in denen die Kräfte unter verschiedenen Winkeln am Hebel an- greifen, während das Schema vom Hebel nur parallele Kraft- richtungen berücksichtigt. 265. Während für den Fall eines langen Knochens, etwa wie die Ulna, wenn sie vom Brachialis internus bei belasteter Hand im Ellenbogengelenk gebeugt wird, die Analogie mit der schema- Alk-emeine Muskelmechanik. 215 tischen Hebelbewegung anschaulich hervortritt, ist die Form der Hcbelvvirkung in vielen anderen Fällen viel weniger leicht zu er- kennen (294). Wenn zum Beispiel der Oberarm im Schultergelenk durch den Infras])!- natus in supinatorischem oder durch den Latissinuis dorsi in pronatorischem Sinne gedreht wird, wobei die Längsaxe des Knochens ihre Stellung garnicht zu verändern braucht, so scheint hier eine Muskelwirkung vorzuliegen, die mit einer Hebelwirkung nichts gemein liat. Dies kommt aber nur daher, dass man gewohnt ist, bei der mechanischen Betrachtung der Skeletbewegungen die Knochen als Linien ohne wesentliche Ausdehnung anzusehen. Bei dem gewählten Beispiele ist das nicht zulässig, da bei der Drehung einer Linie um Figur 36. Hebelwirkung bei der Rotation eines Knochens. Die Muskeln m und m', die sich an entgegengesetzten Seiten des Gelenkkopfes K ansetzen, drücken ihn gegen die Pfanne P. Es entsteht eine Gegenwirkung w, die im Mittelpunkt des Kopfes angreift. Der Durchmesser vom Ansatz von m Ijis zum Ansatz von m' dreht sich bei der Rotation als zweiarmiger Hebel um w. Der thätige Muskel ist die Kraft, der passiv gedehnte die Last. sich selbst kein einziger Punkt seinen Ort verändert und daher die zu unter- suchende Bewegung selbst aus der Betrachtung ausgeschaltet werden würde. Bei der Drehung des Oberarmknochens, der eine merkliche Dicke hat, be- schreiben die Punkte seiner Oberfläche Kreise um die Drehungsaxe. Diese Axe ist durch das Schultergelenk und die jeweilige Haltung des Armes bestimmt. Die erwähnten Muskeln greifen, der eine vor, der andere hinter der Längsaxe des Armes an. Ganz schematisch kann man also sagen: Der sagittale Durch- messer des Humeruskopfes ist der Hebel, der Mittelpunkt des Schultergelenks (oder allgemeiner, der Schnittpunkt der sagittalen Hebellinie mit der Längsaxe des Armes) ist der Drehpunkt, der Ansatzpunkt des Muskels ist der Angriffs- punkt der Kraft. Der Angriffspunkt der Last ist nicht ohne Weiteres anzugeben,, da sie sich offenbar aus allerhand Kräften zusammensetzt, die der Drehung des Armes widerstehen. Man kann sich aber alle diese verschiedenen Einzel- kräfte durch eine einzige auf einen Punkt des angenommenen Hebels wirkende Last ersetzt denken (.305). -216 Fünfter Abschnitt. Bei manchen, genau genommen bei fast allen Bewegungen des Körpers ist nicht bloss wie hier Ein Hebelpunkt unbestimmt, sondern zwei oder gar alle drei. Die Anschauung, dass sich die Muskelthätigkeit ganz allge- mein auf die Lehre vom Hebel zurückführen lasse, ist nur solange festzuhalten, als nur bestimmte Muskeln, nämlich die sogenannten «ingelenkigen Muskeln unter vereinfachenden Bedingungen betrachtet werden. „Eingelenkige Muskeln" nennt man solche Muskeln, die von Einem Knochen unmittelbar an den benachbarten, über nur Ein Gelenk hinwegziehen. Im Gegensatz dazu spricht man von jiwei- und mehrgelenkigen Muskeln, die über zwei oder mehr Ge- lenke fortziehen, § 6. Bewegung Eines einzigen beweglichen Gliedes durch einen Muskel. 266. Bei der Untersuchung der Bewegung der knöchernen Hebel durch die Muskeln ist zunächst der einfachste Fall in's Auge zu fassen, dass der Knochen sich um eine im Räume völlig feststehende Axe dreht und durch einen einzigen von einem eben- falls feststehenden Punkt ausgehenden Muskel bewegt wird. Diese Bedingungen sind annähernd verwirklicht in dem von Alters her für die Darstellung der Muskelwirkung benutzten Beispiele der Bewegung des Unterarms durch den Biceps, wenn vorausgesetzt wird, dass Oberarm und Schulter im Raum fixirt sind. Um eine ■exacte Darstellung der mechanischen Bedingungen zu ermöglichen, muss aber auch von diesen scheinbar einfachen anatomischen Ver- hältnissen abgesehen werden. Das Ellenbogengelenk mit seiner unregelmässigen Bewegung werde ersetzt durch eine ideale Drehungs- axe, der Unterarm mit seiner, wegen des unbestimmbaren Ueber- ganges in den ruhenden Oberarm wechselnden, unregelmässig ge- stalteten Masse durch eine einzige gewichtlose Linie, die an einem bestimmten, etwa der Hand entsprechenden Punkte belastet ge- dacht werden kann, endlich der Biceps durch einen einzigen feinen Faden, streng genommen eine blosse Linie, die von einem einzigen nahe an der Drehungsaxe gelegenen Punkte der Unterarmlinie aus- gehend die Richtung des Muskelzuges andeutet. Unter diesen ver- einfachenden Annahmen lassen sich die elementaren Lehrsätze der Mechanik auf die Wirkung des Muskels anwenden. Die Ergeb- Allgemeine Muskelmeclianik. 217 nisse dieser Sätze gelten dann im Grossen und Ganzen auch für den wirklichen, Muskel unter den thatsächlichen anatomischen Ver- hältnissen, und zwar natürlich nicht nur für Biceps und Unterarm, sondern für jeglichen Muskel oder jegliche Muskelgruppe, die ein einziges bewegliches Glied an einem festen Gelenk in Bewegung setzt. Die Zuverlässigkeit, mit der man den mechanischen Lehrsatz auf das anatomische Präparat anwenden kann, hängt aber davon ab, in welchem Grade die anatomischen Verhältnisse von den eben angegebenen exacten mechanischen Verhältnissen abweichen. Es ist deshalb wichtig, sich die verschiedenen Punkte klar vor Augen zu stellen, in denen der wirkliche Befund von dem theoretischen Erforderniss abzuweichen pflegt. Fiüur 37. r^ Einfluss der Breite der Ansatzsehne auf die Wirkung des Muskels. Am beweglichen Knochen K setzt sich die Sehne ADE an. Wird sie in der Richtung nach B angezogen, so spannt sich der Rand DB, während EB er- schlafft. Ebenso spannt sich bei Zug von C aus der Rand CE, während CD erschlafft. Der Angriffspunkt des Zuges, der bei senkrechter Richtung in der Mitte der Sehne zwischen D und E gelegen ist, nähert sich bei schrägem Zuge den Randpunkteu D und E. 267. Erstens sind die anatomischen Gelenkaxen nicht genau bestimmbar und vollkommen unveränderlich. In dieser Beziehung sind aber die Abweichungen meist unbedeutend. Zweitens liegen die Ansatzpunkte der Muskeln und die Punkte, die als Angriffs- punkte der Last, oder Messpunkte für die Grösse der Bewegung angenommen werden, wegen der Dicke und der Krümmungen der Knochen nicht auf einer Geraden. Dieser Punkt wird meist auch nicht in's Gewicht fallen. Drittens sind die Ansatzpunkte der Muskeln nicht bestimmbar, weil die Anheftungsstellen der Sehnen eine mehr oder weniger grosse Ausdehnung haben. Dies fällt 218 Fünfter Abschnitt. schon bei einer verhältnissmässig schmalen Sehne, wie die des Biceps, in's Gewicht, weil der Muskelziig nicht g^eichmässig auf die ganze Anheftungsstelle der Sehne wirken kann, sondern, je nach der Stellung der Sehne zum Knochen, bald der eine, bald der andere Theil der Sehne stärker angespannt wird (vgl. Fig. 37), Viertens lässt sich schon aus diesem Grunde der Zug eines aus unzähligen Bündeln bestehenden Muskels, geschweige denn der einer Gruppe von Muskeln, nicht durch einen oder mehrere einzelne Zugfäden wiedergeben (65). Fünftens wird die Richtung des Muskelzuges sehr häufig dadurch beeinflusst, dass die Sehne über Knochenvorsprünge oder auch nur zwischen Weichtheilen gleitet, wodurch die mechanischen Bedingungen sehr stark beeinflusst werden können. Sechstens ändert sich, wie bekannt, die Kraft des Muskelzuges im Laufe der Verkürzung (252). Diese Ver- änderung lässt sich nach den von der allgemeinen Muskelphysio- logie gelieferten Formeln in Rechnung bringen, aber nur insofern, als die Verkürzung der einzelnen Muskelbündel wirklich bekannt ist {133). Alle diese Umstände können im einzelnen Fall Abweichungen von dem durch die mechanische Theorie geforderten Verhalten hervorbringen, die eben nur die allgemeine Grundlage für die Be- urtheilung der einzelnen Fälle abgiebt. 268. Die exacte Betrachtung geht also aus von der Vor- stellung eines idealen Charniergelenkes, in dem nur Drehung um Eine Axe in Einer Ebene stattfinden kann, und nimmt ferner an, dass die Eine der in dem Gelenk zusammentreffenden Linien fest- stehe, dass die Kraft in Form gradlinigen Zuges in der Bewegungs- ebene an einem einzigen Punkt der bewegten Linie angriffe, und dass die Last ebenfalls in einem einzigen Punkte derselben Linie vereinigt sei. Die Kraft des Muskelzuges wird nur dann ganz und gar als bewegende Kraft im Sinne der Drehung in Rechnung kommen, wenn der Muskelzug gerade in der Richtung der Drehung wirkt, also in der Richtung der Tangente des Kreises, den der Ansatzpunkt des Muskels um die Drehungsaxe beschreibt. Wenn dagegen der Muskel in einer anderen Richtung zieht, so wird seine Wirkung zu theilen sein in eine rein drehende, die in die erwähnte Tangentialrichtung fällt, und eine auf dieser senkrechte Kraft, die in die Richtung des bewegten Knochens fällt. Der bewegte Knochen Allgemeine Muskeimechan ik. 219 kann sich in seiner Längsrichtung nicht verschieben, da er in dem Charniergelenk festsitzt, also wird der Theil der Zugkraft, der in seine Längsrichtung fällt, nichts weiter thun, als eine vergebliche Zug- oder Druckwirkung auf das Gelenk ausüben (306). Dies wird besonders deutlich in dem Falle, dass man sich das Gelenk soweit gebeugt oder gestreckt denkt, dass die Richtung des bewegten Knochens genau in die des Muskelzuges fällt. Dieser Fall ist in Wirklichkeit zwar un- möglich, da der wirkliche Knochen und der wirkliche Muskel, als dicke, mehr oder weniger feste Gebilde nicht in denselben Raum zusammenrücken können, doch kann er näherungsweise bis zu einem Gewissen Grade eintreffen. In diesem Fall wird der Muskel genau in der Richtung des Knochens selbst wirken, er wird den Knochen in das Gelenk hinein zu schieben oder aus diesem heraus zu reissen streben, aber gar keine Bewegung hervorbringen. Figur 38. Wirkung schrägen Zuges auf ein um Eine feste Drexaxe bewegliches Glied. Mit dem feststehenden Knochen SE sei der bewegliehe Knochen EH durch ein Charniergelenk E verbunden. Der Zug des Muskels MA zerfällt in zwei Compo- nenten, von denen die eine, in der Richtung AE, nur die Wirkung hat, den Knochen gegen das Gelenk zu drücken, während die andere, in der Richtung der Tangente der Kreisbewegung von A um E, rein drehend wirkt. Diese wirksame Componente ist, wenn der ganze Zug des Muskels = z gesetzt wird, = z.sin.a. Wenn MA || SE, ist a = ß. Es ist dann also das Verhältniss der wirksamen Componente zum ganzen Zuge gleich dem Sinus des Gelenk- winkels ß. Es sind damit bis hierher drei verschiedene Stellungen des Gelenkes er- wähnt worden, in denen sich die Wirkung des Muskelzuges verhält wie folgt: Erstens eine Streckstellung, bei der die Richtung des bewegten Knochens und die des Muskelzuges zusammenfallen. Der Muskelzuff wirkt, wie eben be- Zweitens die- schrieben. rein drückend auf das Gelenk und nicht bewegend. 220 Fünfter Abschnitt. ■ jenige Stellung, in der der Muskel tangential zum Drehungskreise, oder, was dasselbe ist, senkrecht zur Richtung des bewegten Knochens angreift. Der Zug wirkt rein drehend, ohne in der Richtung des Knochens auf das Gelenk zu schieben oder zu ziehen. Drittens eine Beugestellung, bei der wiederum die Richtung des Knochens mit der des Muskels zusammenfällt und nun eine rein in der Richtung des Knochens ziehende Wirkung des Muskels eintritt, ohne jede drehende Wirkung. Denkt man sich den Knochen der Reihe nach durch diese drei Stellungen hindurchgefiihrt, so wird es deutlich, dass in den dazwischen liegenden Stellungen ein allmählicher üebergang von den Bedingungen der einen Stellung zu denen der anderen stattfinden muss. Der bewegende Antheil der Muskel- kraft, die Drehwirkung des Muskelzuges auf den Knochen wächst also von einem Mihimum in der ersten Stellung zu einem Maximum in der zweiten an und sinkt dann bis zur dritten Stellung wieder auf Null herab. In jeder beliebigen Stellung ist die drehende Componente des Muskelzuges durch die Construction* des Kräftei)arallelogramms zu finden, deren Diagonale die Kraft des Zuges darstellt und von dessen Seiten eine in der Richtung des Knochens, die andere darauf senkrecht verläuft. Letztere stellt die drehende, bewegende Kraft dar. Diese Seite des Parallelogramms ist aber weiter nichts als das Loth von dem Endpunkte der den Muskelzug bezeichnenden Strecke auf die Richtung des bewegten Knochens. Wenn im Laufe der Bewegung sich die Grösse des Winkels zwischen der Richtung des Muskelzuges und der des Knochens ändert, ändert sich auch die Grösse dieses Lothes, und zwar, da das Loth den Sinus des betreffenden W^inkels darstellt, einfach nach dem Verhältniss des Sinus zum Winkel. Die andere Componente, die in die Richtung des Knochens fällt, ist der Cosinus des erwähnten Winkels. Diese ßetrachtung lehrt also, die Wirkung des Muskelzuges in der Bewegungsebene eines vollkorainenen Charniergelenkes für jede Stellung anzugeben. Zu der vorhandenen Zugkraft des Muskels als Einheit verhält sich die drehende Wirkung wie der Sinus, die in der Knochenrichtung das Gelenk beanspruchende Wirkung wie der Cosinus des Winkels zwischen Zugrichtung und Richtung des bewegten Knochens. Elementarer ausgedrückt verhalten sich die beiden Theilwirkungen zur Gesammtwirkung wie die Seiten des oben bezeichneten Krcäfteparallelogramras zur Diagonale. W^enn der betrachtete Muskel ziemlich lang ist und dem feststehend ge- dachten Knochen annähernd parallel läuft, wie das zum Beispiel für den Biceps annähernd zutrifft, so bleibt sich die Zugrichtung während der ganzen Bewegung annähernd gleich und der Winkel zwischen der Richtung des Muskel- zuges und Richtung des bewegten Knochens ist dann gleich dem Beugungs- winkel des bewegten Knochens gegen den feststehenden. Das obige Ergebniss Allaemeine Muskelmechanik. 221 lässt sich dann so aussprechen, dass man sagt: Die bewegende Kraft des Muskels verhält sich zu der gesammten Kraft des Muskelzuges wie der Sinus des Beugewinkels des bewegten Knochens (vgl. Fig. 38). 269. Man kann den Sinn der besprochenen Construction kurz ausspreclien, indem man sagt: Von dem Zuge des Muskels kommt nur so viel als bewegende Kraft zur Geltung, wie auf die Richtung der einzig möglichen Bewegung, nämlich auf die Richtung der Drehung, entfcällt, und wenn die Kraft des Zuges durch die Länge einer Strecke angegeben ist, wird die bewegende Kraft angegeben durch die Projection der Strecke auf die Richtung der Bewegung. Figur 39. AVirkung schief angreifenden schrägen Zuges auf ein um Eine feste Drehaxe bewegliches Glied. Von dem schiefen Zuge MA wirkt eine Componente rein seitlich und strebt das Gelenk aus seiner Bewegungsebene zu brechen, nur die Componente AM', die in die Bewegungsebene fällt, kann in dieser Ebene bewegend wirken. Diese Componente ist nach Figur 38 wiederum zu zerlegen in eine Componente, die in der Richtung des Knochens wirkt und nur auf das Gelenk drückt, und die Componente AM", die den Knochen um seine Axe dreht. Von dem ursprüng- lichen Zuge MA ist nur der Bruchtheil M"A für die Bewegung wirksam. Dann lässt sich auch der Fall, dass der Muskel nicht in der Ebene der Bewegung gelegen ist, sondern von einem seitlich ge- legenen Ursprungspunkt herkommt, sehr schnell erledigen. Denn 222 Fünfter Abschnitt. es bleibt dann bei ganz genau demselben Satze: die Projection der Strecke, die den Zug des schrägen Muskels darstellt, auf die Richtung der einzig raöglichen Bewegung, Ucämlich die Tangente an den Drehungskreis in der Drehungsebene, giebt wiederum den Antheil der Zugwirkung an, der als drehende Kraft zur Geltung kommt. Gewöhnlich wird die Erörlerung- dieses Falles {134) umständlicher so vorgenommen, dass man durch Zerlegung der schräg wirkenden Kraft nach dem Parallelogramm der Kräfte zunächst den Antheil ermittelt, der in der Bewegungsebene, und den Antheil, der senkrecht auf die Bewegungsebene wirkt. Der zweite beansprucht das Gelenk auf seitliches Wackeln, hat aber, da ein ideales Gelenk vorausgesetzt ist, keine Bewegung zur Folge. Der erste Antheil wird dann, genau wie oben die in der Drehungsebene gelegene Zug- kraft, wiederum getheilt in eine Componente, die in die Bewegungsrichtung fällt und eine, die in die Richtung des bewegten Knochens fällt. Da die Theilung beide Male genau wie in dem obigen Falle ausgeführt wird, soll hier auf die Gonstruction im Einzelnen nicht eingegangen werden. Rechnerisch gestaltet sich die Aufgabe so, dass die in die Drehungsebene fallende Componente des schrägen Zuges sich zu der Zugkraft des Muskels selbst als Einheit verhält wie der Cosinus des Winkels, den die Zugkraft mit der Drehungsebene einschliesst, und die in die Bewegungsrichtung fallende Componente zu dieser Componente als Einheit wie der Sinus des Winkels, den sie mit der Richtung des bewegten Knochens einschliesst. 270. Dieselbe Betrachtung über die Veränderung der als Drehkraft wirksamen Componente des Muskelzuges ergiebt sich in etw^as anderer Form, wenn man vom Begriff des Drehungs- momentes ausgeht (264). Drehungsmoment heisst das Product aus der Grösse der Kraft und dem Abstand ihrer Richtung vom Drehpunkt. Das Drehungsmoment eines Muskels ist also gleich der Kraft seines Zuges multiplicirt mit der Entfernung des Muskels vom Gelenk, die natürlich senkrecht auf die Richtung des Muskels zu messen ist. Bei den verschiedenen Stellungen des bewegten Knochens ist auch die Richtung des Muskels verschieden, und mithin ändert sich ihr Abstand vom Gelenk. Der Abstand des Muskels vom Gelenk verhält sich aber zu der Entfernung des Ansatzpunktes vom Gelenk als Einheit wie der Sinus des AVinkels zwischen Muskel und bewegtem Knochen. Folglich ergiebt sich derselbe Satz wie oben, dass die drehende Kraft des Muskels sich ändert wie der Sinus des genannten Winkels. Allo-eineino Muskelmcchanik. 223 Der Unterschied gegenüber der obigen Betrachtung ist nur der, dass dort eine veränderliche Kraft, nämlich die wirksame Componente des Muskel - zuges, stets in demselben Abstand vom Drehpunkt, nämlich am Ansatzpunkt des Muskels angreifend gedacht wurde, während hier stets die ganze Kraft des Muskelzuges, aber mit einem veränderlichen Factor (nämlich dem Abstand ihrer Richtung vom Drehpunkt) multiplicirt in Betracht gezogen wird. 271. Sind die beiden Knochen, von denen der eine wiederum unbeweglich zu denken ist, statt durch ein Charniergelenk durch ein allseitig bewegliches Gelenk, wie ein Sattelgelenk, ein Kugel- gelenk verbunden, und wirkt auf den beweglichen Knochen ein Muskel in beliebiger Richtung, so bringt er stets eine drehende Wirkung in der Ebene .hervor, die durch den Mittelpunkt des Ge- Fiffur 40. Das Dreliungsmoment, das eine beliebige Kraft m auf den um die feste Axe G beweglichen Körper GA ausübt, ist gleich dem Produkt der Kraft m in ihrem Abstand a von G. lenkes, den Ursprungspunkt und den Ansatzpunkt des Muskels bestimmt ist. Diese Ebene ist dann die Drehungsebene für den betreffenden Muskel, und seine Wirkung verhält sich dann genau so, als sei das Gelenk ein Charniergelenk, mit der betreffenden Ebene als Drehungsebene. 272. Greifen an den Knochen an verschiedenen Punkten mehrere Muskeln in verschiedenen Richtungen an, so ist ihre ge- meinsame Wirkung auf folgende Weise zu bestimmen: Da die drehende Wirkung der verschiedenen Muskeln erstens von ihrer Kraft, zweitens aber von der Lage ihres Ansatzpunktes 224 Fünfter Abschnitt. abhängt, kann man sie nicht ohne Weiteres nait einander vereinigen. Man kann aber leicht die Wirkung jedes einzelnen Muskels dar- stellen durch die einer entsprechend veränderten Kraft, die an einem bestimmten, beliebig gewählten Ansatzpunkt angreift. Denn ein Muskel, der mit einer Zugkraft von 25 kg in einer Entfernung von 25 mm vom Gelenk angreift, hat genau dieselbe Wirkung wie ein Muskel von 12,5 kg Zugkraft, der in einer Entfernung von 50 mm vom Gelenk angreift. Auf diese Weise kann man also sämmtliche Muskeln durch entsprechende Kräfte mit einem gemein- samen Ansatzpunkt ersetzen. Je zwei von diesen Kräften können dann nach dem Parallelogramm der Kräfte durch Eine Resultirende ersetzt werden, bis schliesslich nur eine einzige auf den Knochen wirkende Kraft als das Gesammtergebniss der sämmtlichen einzelnen Muskelwirkungen übrig bleibt. In diesem Falle ist die Darstellung mit Hülfe der Drehungs- momente weniger anschaulich. 273. Aus dem Vorhergehenden folgt, dass sich die Kraft der Einwirkung eines Muskels auf einen Knochen unter theoretisch vereinfachten Bedingungen mit der Bewegung um das Gelenk nach einem bestimmten Gesetz ändert. Weiter oben (267) ist schon darauf hingewiesen, in welchen Beziehungen sich die wirk- lichen Vorgänge von dem soeben theoretisch erörterten unter- scheiden. Durch diese Unterschiede wird die theoretisch anzu- nehmende Veränderung der bewegenden Kraft im Laufe der Be- wegung erheblich beeinflusst. Doch wird sie in der Regel nicht völlig aufgehoben, denn man findet im Allgemeinen, dass die Wirkung der Muskeln auf den Knochen bei der Stelhmg am grössten ist, bei der die Zugrichtung des Muskels senkrecht auf den Knochen steht. Daraus ist zu schliessen, dass in der Richtung des Zuges zu der Bewegung die wichtigste Bedingung für die Kraftentfaltung der Muskeln liegt, abgesehen natürlich von der Stärke der einzelnen Muskeln selbst. Ferner nimmt die Kraft des Muskels an sich, infolge der all- gemeinen, im Wesen des Verkürzungsvorganges begründeten Eigen- schaften des Muskelgewebes mit zunehmender Verkürzung ab (252). Diese Aenderung spielt deswegen eine geringe Rolle, weil unter normalen Verhältnissen die Längenänderungen des Muskels im Ver- gleich zu der grössten möglichen Verkürzung nur unbedeutend sind AUa'emeine Muskelmechanik. 225 'o (252). Dennoch tritt wiederum nicht selten hervor, dass die Wirkung der Muskeln sich in den Stellungen, in denen sie lang ausgestreckt sind, unter sonst annähernd gleichen Bedingungen als stärker erweist, als in solchen Stellungen, bei denen der Muskel mehr verkürzt ist (277). Betrachtet man diese Ursache der Aenderung der wirksamen Muskelkraft mit der ersten zusammen, so ergiebt sich, dass bei einem einfachen von einem Muskel bewegten Gelenk die Kraft in der Stellung am grössten sein wird, bei der die Zugrichtung senk- recht zum bewegten Knochen steht, dass sie aber in gestreckteren Stellungen weniger stark vermindert sein wird, als bei stärker ge- beugten Stellungen, weil in den gestreckteren Stellungen der Muskel länger ist, bei den gebeugteren kürzer {133). Für die Anwendung der theoretischen Sätze auf wirkliche Befunde ist weiter die Dicke der Muskeln und Sehnen und der Einfluss der Knochenvorsprünge in Betracht zu ziehen, durch die die Richtung des Muskelzuges geändert werden kann. Hierüber gilt folgende einfache und von selbst verständliche Regel: Wird die Richtung des Muskelzuges durch mit dem feststehenden Knochen verbundene, also nicht mit zu be- wegende Theile abgelenkt, so ist für die Beurtheilung der Zugrichtung die Stelle der Ablenkung als Ursprungspunkt des Muskels zu rechnen, das heisst, es kommt nur die Richtung des Muskels zwischen der Ablenkungsstelle und dem Ansatzpunkt in Betracht (280). Umgekehrt, wird der Muskel durch an dem bewogten Knochen haftende, also mit ihm bewegliche Theile abgelenkt, so ist die Ablenkungsstelle als Ansatzpunkt aufzufassen und nur die Richtung des Muskels von. seinem Ursprung an dem festen Knochen bis zu der Ablenkungsstelle an dem bewegten Gliede in Rechnung zu bringen {135). Die Ablenkung des Muskelzuges ist also so aufzufassen, wie in der tech- nischen Mechanik die Wirkung einer Rolle aufgefasst wird, nämlich so, dass die "Wirkung eines über die Rolle geführten Seiles stets als von der Rolle selbst ausgehend angesehen werden kann, gleichviel in welcher Richtung das Seil jenseits der R,olle weitergeführt ist. Um von dem Einfluss solcher Ablenkungen auf die Kraft- wirkung der Muskeln eine x^nschauung zu gewinnen, denke man R. du Bo i s-Ke y mond, Speo. Mnskelphysiologie. ic 226 Fünfter Abschnitt. an das gewöhnliche Beispiel: das Ellenbogengelenk, das bei fixirtera Oberarm vom Biceps gebeugt werden soll. Ist das Gelenk voll- ständig gestreckt, so zieht der Biceps nahezu in der Richtung des gestreckten Unterarms und drückt diesen daher mit grosser Kraft gegen das Gelenk, während er nur eine geringe drehende Wirkung entfaltet. Denkt man sich nun einen Klotz zwischen das untere Ende des Humerus und die Sehne des Biceps geschoben, so wird dadurch die Sehne, die vorher dicht an dem Gelenk anlag, von dem Knochen abgesteift und zieht von dem Klotz herunter in ganz steiler Richtung zum Unterarm. Uebt jetzt der Biceps seine Zug- wirkung aus, so rauss er, da seine Sehne nun fast senkrecht auf dem Unterarm steht, fast rein drehend wirken. Aehnlich, allerdings in geringerem Maasse, wirken auch die natürlichen Verdickungen und Vorsprünge der Knochen, über die die Muskelsehnen hinziehen. Da die erwähnten Verhältnisse bei jedem einzelnen Muskel und jedem einzelnen Gelenk eine mehr oder weniger grosse Ab- weichung von den allgemeinen theoretisch vereinfachten Bewegungs- gesetzen bedingen, so können die Gesetze der Bewegung der wirk- lichen Gelenke nur durch Beobachtungen und Messungen an den Gelenken selbst gewonnen werden. Solche Messungen haben am anatomischen Präparat Braune und Fischer für die Beugemuskeln des Ellenbogengelenkes ausgeführt. Hierbei musste das Gesetz, nach dem die Kraft des Muskels mit seiner Verkürzung ab- nimmt, nach Angaben aus der allgemeinen Muskelphysiologie angenommen werden. Das Ergebniss ist je nach dem hierfür zu Grunde gelegten Werthe erheblich verschieden, doch zeigt sich unter allen Umständen, dass die Kraft viel gleichmässiger auf die verschiedenen Stellungen vertheilt ist, als nach der vereinfachten theoretischen Betrachtung zu erwarten wäre (133). (Siehe nebenstehende Tabelle.) Zu dem gleichen allgemeinen Ergebniss führen Bestimmungen am Lebenden {136). § 7. Bewegung zweier gelenkig verbundener Glieder durch einen von einem zum anderen ziehenden Muskel. 274. Im Vorhergehenden ist ausdrücklich immer nur der Fall der Bewegung eines Gelenks durch einen Muskel betrachtet worden, in dem der eine der durch das Gelenk verbundenen Knochen unbe- weglich festgestellt ist. Man könnte meinen, mit der Betrachtung dieses Falles allein wenigstens für die Untersuchung aller söge- Allgemeine Muskelmeohanik. 227 Rotationsmomente der Ellenbogenbeuger nach Fischer. Winkel der Beuoung Pronator teres Rad. ext. long. Brach. int. Biceps c. 1. Biceps c. b. Brachio radialis Unter der Annahme konstanter Muskelkraft von 1 kg auf den Quadrat- centimetcr des natürlichen Querschnittes: 30« 600 90« 1300 20,6 •28,7 39,1 51,7 42,9 27,2 41,2 93,7 140,7 137.4 135,9 189,3 285,2 415,9 389.9 62,0 115,3 202,1 245,0 193,5 43,9 74,4 132,9 163,9 135,1 29,2 91,6 169,3 225,6 217,9 Unter der Annahme, dass die Muskelkraft proportional mit der Verkürzung abnähme: 00 21 300 26 600 31 90« 33 1300 17,5 41 83 100 5G 136 176 235 279 159 62 108 165 157 79 44 29 70 88 109 143 107 153 55 89 Unter der Annahme, dass die Muskelkraft proportional dem (Quadrate der Yer- kürzung abnimmt: 00 300 600 90° 1300 21 24 25 22 7 40 74 71 23 136 163 194 185 86 62 101 133 100 33 44 29 65 83 89 121 69 104 23 37 nannten eingelenkigen Mii-skeln auszukommen, das heisst solcher Muskeln, die von Einem Knochen unmittelbar auf den nächsten übergehen, also nur über Ein Gelenk hinwegziehen. Denn es er- scheint so, als könne ein solcher Muskel immer nur Drehungen der betreffenden beiden Knochen gegen einander ausführen und wäre infolgedessen ganz unabhängig davon, ob die einzelnen Knochen im Räume feststehen oder nicht. Man ist daher auch in allen älteren Untersuchungen über den oben betrachteten Fall nicht hinausgegangen, indem man annahm, dass eingelenkige Muskeln eben nur das Eine Gelenk, über das sie hinwegziehen, und zwar ■nach den oben entwickelten Gesetzen zu bewegen im Stande seien. 15* 228 . Fünfter Abschnitt. Otto Fischer hat zuerst erkannt, dass diese Vorstellung irrig sei, und hat gezeigt, dass ein eingelenkigcr Muskel, indem er die beiden Knochen, an denen er befestigt ist, gegeneinander in Be- wegung setzt, auch Bewegungen in an den Endpunkten dieser Knochen gelegenen Gelenken hervorzubringen vermag {137). Dies ist zunächst für die eingelenkigen Muskeln ausgesprochen und er- wiesen und mag auch hier zunächst für die eingelcnkigen Muskeln ausführlich erörtert werden. Es handelt sich dabei aber nur um die Anwendung der ganz allgemein gültigen mechanischen An- schauung, die lehrt, dass ein Muskel durch seine Zugwirkung zwischen Ur- sprung und Ansatz auch Gelenke in Bewegung zu setzen vermag, über die er nicht hinwegzieht, die also ausserhalb des Ursprungs- oder Ansatzpunktes gelegen sind. Diese Bewegungen entstehen durch Kräfte, die erst durch die Bewegung selbst erzeugt werden. Die Betrachtung fällt also in's Gebiet der Dynamik. Ist, wie früher bei der Betrachtung der eingelenkigen Muskeln ausnahmslos angenommen wurde, der eine Knochen im Raum un- beweghch befestigt, so kann selbstverständlich nur der eine Knochen bewegt, also nur Ein Gelenk gedreht werden. Die Bewegung, die ein eingelenkiger Muskel hervorbringt, ist also verschieden, je nach- dem der eine Knochen des zu bewegenden Knochenpaares voll- ständig oder nur durch ein Gelenk in seinem Endpunkte be- festigt ist. Dies gilt natürlich ganz allgemein von jedem System aus zwei gelenkig' verbundenen Körpern, zwischen denen eine gemeinsame Zugkraft irgend welcher Art wirkt. Der grösseren Anschaulichkeit halber möge es aber gestattet sein, hier nur von Einem Beispiel za reden, und zwar wie gewöhnlich wiederum von den im Ellenbogengelenk verbundenen Armknochen, die diesmal durch einen eingelenkigen Muskel, den Brachialis internus gebeugt werden sollen. Man hatte früher immer nur den einfachsten Fall erörtert, dass der Oberarm vollkommen unbeweglich festgehalten werde, während der Unterarm durch den Muskel in Bewegung gesetzt wurde. Wie gestaltet sich aber die Bewegung des Armes, wenn der Oberarm nicht ganz festgehalten wird, sondern im Schultergelenk beweglich ist? Otto Fischer hat gezeigt, dass alsdann der Muskel sowohl den Unterarm wie auch den Oberarm bewegt, sodass eine Drehung im Ellenbogengelenk und auch im Schultergelenk auftritt. Der Ellenbogen wird gebeugt, im Schultergelenk lindet eine Dorsalflexion statt. Allgemeine Miiskelmechanik-. 229 Man muss sich hüten, diese Bewegung etwa mit der zu ver- wechseln, die bei frei herabhängendem Arm bei Beugung des Ellenbogens durch die Wirkung der Schwere herbeigeführt wird. Diese durch die Schwere bewirkte Bewegung hat allerdings rait der in Rede stehenden xMuskelbewegung viel Aehnlichkeit. Wird nämlich bei frei herabhängendem Arm der Unterarm nach vorn gebogen, so bewirkt seine Schwere, dass der ganze Arm ein wenig rückwärts pendelt und bei einer etwas dorsalflectirten Schulter- stellung zur Ruhe kommt. Dieses Zurückpendeln in Folge' der Schwere hat aber mit der Rückwärtsdrehung des Schultergelenkes durch den eingelenkigen Ellenbogenbeuger nichts zu thun. Um letztere rein beobachten zu können, muss man im Gegentheil die Schwerewirkung ausschliessen , was leicht zu erreichen ist, indem man die Bewegung in einer horizontalen Ebene vor sich gehen lässt. Die doppelte Bewegung in Ellenbogen- und Schultergelenk lässt sich so auch am Lebenden leicht zeigen, doch ist hier immer der Einwand möglich, dass sich die Schultermuskeln activ an der Bewegung betheiligen. Da es sich um einen allgemein für die gesammte Miiskelmechanik gültigen Satz handelt, ist es auch unwesentlich, dass diese Art der Bewegung that- sächlich am Körper selbst nachgewiesen werde. Es genügt, die Thatsache an der Bewegung von Modellen und auf theoretischem Wege nachzuweisen und sie dann auf die Verhältnisse beim Lebenden zu übertragen. Fischer hat, um zugleich die richtigen Grössenverhältnisse bestimmen zu können, ein Modell verfertigt, das in mechanischer Beziehung dem Arm des Menschen gleich zu setzen war, und hat so die s}3eciellen Verhältnisse für die Bewegung des Schultergelenkes bei Beugung und Streckung des Ellenbogengelenkes ermittelt. 275. Wodurch kommt nun die Einwirkung des Brachialis in- ternus auf das Schultergelenk zu Stande? Um hiervon eine Anschauung zu gewinnen, empfiehlt es sich, zunächst die wirklichen anatomischen Verhältnisse ausser Acht zu lassen und sich an einfachere mechanische Bedingungen zu halten. Man stelle sich ein Modell aus zwei aimähernd gewichtlosen Stäben vor, die in einem Gelenk, „Ellenbogengelenk"', in horizontaler Ebene beweglich verbunden sind. Das freie Ende eines dieser Stäbe des „Oberarms" sei in einem zweiten Gelenk, „Schultergelenk", be- festigt, das ganze System auf einer horizontalen Unterlage ohne merkliche Reibung beweglich. Der „Ellenbogen" sei leicht gebeugt 230 Fünfter Abschnitt. und das freie Ende des zweiten Stabes, „des Unterarms", werde mit einem Gewncht beschwert, gegen das das Gewicht des ganzen beweglichen Systems verschwindet. Wird nun durch eine zwischen zwei Punkten des Oberarms und Unterarms wirkende Zugkraft^ etwa ein stark angespanntes Gummiband, der Ellenbogen stärker gebeugt, während der „Oberarm" mit der Hand in seiner Stellung gehalten wird, so muss das schwere, am freien Ende des Unter- arms befindliche Gewicht sich im Kreise um den Ellenbogen be- wegen. Denkt man sich die Kraft des Gummibandes recht gross^ und plötzlich losgelassen, so wird das Gewicht einen kräftigen Schlag nach „vorwärts" thun. Solch ein Schlag wird, wie aus der praktischen Erfahrung bekannt ist, von einem heftigen Rückstoss begleitet sein, den die fixirende Hand am „Oberarm" deutlich spürt. Macht man den Versuch nun, ohne den „Oberarm" zu halten, so gestaltet er sich ganz anders. Die nahezu gewichtlosen Stäbe geben für die Kräfte, die dem Gewicht den Stoss nach vor- wärts ertheilen sollten, gar keinen Widerhalt, folglich rückt auch das Gewicht nicht „vorwärts", vielmehr weichen die beiden Stäbe zusammen nach „rückwärts". Einen Widerhalt zur Bewegung des schweren Gewichtes findet die Kraft des Gummibandes nur an dem „Schultergelenk". Die gemeinsame Beugebewegung der Stäbe kann auf das Gewicht daher nur in der Weise wirken, dass sie die Entfernung zwischen den äusseren Enden der Stäbe, also zwischen dem Gewicht und dem „Schultergelenk" vermindert. Die Bew^egung gestaltet sich deshalb so, dass das Gewicht in grader Linie dem Schultergelenk genähert wird, während die beiden Stäbe sich gemeinschaftlich „rückwärts" verschieben müssen, wobei eine Drehung des „Oberarms" um das „Schultergelenk" eintritt. Kommt das Gewicht der beiden Stäbe gegenüber der ange- nommenen Last in Betracht, so bildet ihr Beharrungsvermögen einen gewissen Widerhalt für die Bewegung des Gewichtes und es wird daher bei der plötzlichen Beugung des Ellenbogengelenkes ein entsprechender Ausschlag des „Gewichtes", nach „vorwärts" stattfinden, während die Rückwärtsbewegung der Stäbe kleiner ausfällt, also auch eine geringere Drehung im „Schultergelenk" stattfindet. Ueberträgt man diese iVnschauung auf die Verhältnisse beim unbelasteten Arm, so zeigt sich, dass die dem „Gewichte" in der Allgemeine Muskelmeclianik. 231 obigen Darstellung entsprechende Schwere des Unterarmes nebst der Hand hinreicht, um auf den Oberarm eine beträchtliche Rück- wirkung auszuüben, sodass Beugung keineswegs bloss im Ellcn- bogengelenk, sondern in beträchtlichem Maasse auch im Schulter- gelenk erfolgt. Umgekehrt wird aus ganz denselben Gründen bei der Streckung des Ellenbogens, durch die der Unterarm einen Ausschlag nach „rückwärts" zu machen gezwungen ist, der Oberarm im Schulter- gelenk nach „vorwärts" gedreht. Fiaur 41. .Schematiscbes Modell der Bewegung eines zweigliedrigen Systems durch einen eingelenliigen Muskel. Das Modell besteht aus den leichten Stäben SE und EG. die in S um eine teste senkrechte Axe drehljar, in E beweglich verbunden, in G mit einem schweren Gewichte belastet sind. Z ist ein starkes Gummiband. Das Modell bewegt sich reibungslos auf einer wagerechten Fläche. Das Modell in I möge sich zuerst in der piiuktirten, gestreckten Stellung befinden, an SE sei ein unbeweglicher Klotz W angedrückt. Wird das Modell losgelassen, so schleudert die Zugkraft des gespannten (lummibandes, Z, das Gewicht G im Kreisbogen in die Lage G', die mit ausgezogeneu Linien gezeichnet ist. In II sei das Modell ebenfalls zuerst in gestreckter Stellung, aber ohne den Klotz W. Wird es nun losgelassen, so geht es in die durch ausgezogene Linien bezeichnete Stellung von II über, wobei der Stab SE um S gedreht wird. 276. Der ßrachialis internus wirkt also auf das Schultergelenk. Dieser Ausdruck, der in Fisoher's Arbeiten mehrfach in der Form wiederholt wird:^ „Muskeln wirken auf Gelenke, über die sie nicht hinwegziehen", ist aber nich ganz einwandfrei. Zwischen der Wirkungsweise eines eingelenkigen Muskel 232 Fünfter Abschnitt. auf das Gelenk, über das er hinwegzieht, und auf die Nachbargelenke bestehen nicht unwesentliche Verschiedenheiten. Dies geht schon daraus hervor, dass die Grösse der Bewegung in den Nachbargelenken von der Stärke des Muskelzuges und von dem Ansatz und Ursprungspunkt unabhängig ist, dagegen vollständig verändert wird durch die Gewichtsvertheilung in dem bewegtem Gliede. Denkt man sich den „Ober- arm" sehr schwer, den „Unterarm" gewichtslos, so ist die Wirkung des ein- gelenkigen Brachialis internus auf das „Schultergelenk" gleich Null. Es ist also nicht eigentlich die Muskelkraft, die diese Bewegungen hervorbringt, sondern vielmehr, es sind „passive" Bewegungen der Gelenke infolge der Widerstände, die die Masse der Gliedmaassen der Bewegung entgegensetzt. So überraschend namentlich im Gegensatz zu den älteren Erörterungen über die Bewegung des Armes im Ellenbogen der Fischer 'sehe Satz klingt: dass der Brachialis internus drehend auf das Schultergelenk einwirke, so selbstverständlich erscheint derselbe Gedanke, wenn er auf andere Bewegungs- vorgänge übertragen wird. Wenn der Körper sich im Stehen auf die Fuss- spitzen hebt, so wird das Fussgelenk hauptsächlich durch den Soleus, einen cingelenkigen Muskel, gestreckt. Dabei findet zugleich infolge des Widerstandes des Erdbodens eine passive Bewegung in den Metatarsophalangealgelenken des Fusses statt. Diese kann mit ganz demselben Recht wie oben die Bewegung des Schultergelenkes durch Wirkung des Brachialis internus als eine Muskel- wirkung des Soleus angesehen werden. Eigentlich ist sie keine Wirkung des Soleus, denn wenn der Fuss in die Luft gehoben ist, kann sich der Soleus contrahiren so viel er will und er wird nie eine Dorsalflection der Zehen hervor- bringen. Ebenso ist die Dorsalllexion des Uberarmes in der Schulter auch nicht eigentlich eine Wirkung der Ellenbogenbeuger, denn wäre der Rumpf (beim Modell die ganze Unterlage, an der die Achse des Schultergelenkes be- festigt ist) nicht durch die Schwere festgehalten, so würde der Rumpf ohne Drehung im Schultergelenk der Bewegung des Oberarm.s folgen, so gut wie die Zehen in der Luft der Bewegung des Mittelfusses. Durch diese Betrachtung verliert jedoch Fisch er 's Untersuchung keineswegs an Bedeutung. Ihr Werth liegt nicht darin, eine neue besondere Function bestimmter Muskeln aufzudecken, sondern viel- mehr darin, die Abhängigkeit der Bewegungen jedes Gelenkes von den Bewegungen der Nachbargelenke zu erweisen. § 8. Bewegung von drei oder mehr gelenkig verbundenen Gliedern durch einen zweigelenkigen oder mehrgelenkigen Muskel. 277. Der im Vorhergehenden betrachtete Fall, dass ein Gelenk für sich allein oder nur unter passiver Betheiligung der Nachbar- gelenke durch einen oder mehrere eingelenkige Muskeln bewegt Allgemeine Muskelmechanik'. 233 wird, kommt in reiner Ausbildung in Wirklichkeit nicht vor. Teberall sind neben den eingelenkigen auch zweigelenkige oder mehrgelenkige Muskeln vorhanden. Die Wirkung der mehrgelenkigen ]\Iuskeln kann aber der der eingelenkigen sehr nahe kommen, wenn nämlich das eine Gelenk im Vergleich zum anderen nur wenig oder garnicht bewegt wird. Daher wird für viele Fälle trotz der Betheiligung mehrgelenkiger Muskeln die oben gegebene Darstellung der Bewegungsbedingungen für eingelenkige Muskeln angewendet werden können. Auch für diejenigen Fälle, in denen im Allgemeinen beide Gelenke bei den Bewegungen in gleichem Maasse theilnehraen, kann man zunächst eine für die Wirkungsweise der zweigelenkigen Muskeln sehr bedeutsame Thatsache auf dem Wege finden, dass man eins der beiden Gelenke als unbeweglich ansieht und nur die Wirkung des Muskels auf das andere in's Auge fasst. Es ist klar, dass die Bewegungsbedingungen, die man dadurch für das zweite Gelenk erhält, andere sein werden, je nach der Stellung, in der man das erste Gelenk als feststehend annimmt. Denkt man sich zuerst diejenige Stellung beider Gelenke, in der der Muskel am stärksten gespannt ist, und betrachtet dann das eine Gelenk als in der betreffenden Stellung unbeweglich fest- stehend, so wird die Wirkung des Muskels auf das andere Gelenk sowohl was Umfang, als was Kraft der Bewegung betrifft, den grössten möglichen Werth haben (272). Denkt man umgekehrt an die Stellung beider Gelenke, in der die beiden Endpunkte des Muskels einander so sehr wie möglich genähert sind, und denkt sich nun das eine Gelenk fixirt, so wird selbst bei äusserster Streckung des anderen Gelenkes die Spannung des Muskels keinen so hohen Werth erreichen können, wie im vorhergehenden Fall, ja es ist denkbar, dass durch die angenommene Stellung des ersten Gelenkes die Ursprungsstelle des Muskels seiner Ansatz- stelle so weit genähert würde, dass er selbst bei äusserster Zu- sammenziehung das zweite Gelenk nicht mehr in vollem Umfange zu bewegen im Stande wäre. In geringerem Grade wird unter allen Umständen die Wirkung des zweigelenkigen Muskels auf das eine Gelenk von der Stellung des anderen Gelenkes abhängig sein. Dieses Verhalten zweigelenkiger Muskeln bezeichnet Henke mit 234 Fünftßi- Abschnitt. dem Ausdruck „relative Insufficienz", weil eine Abnahme der Leistung, eine Insufficienz, auftritt in Relation zu der jeweiligen Stellung der Gelenke {1S8). 278. Es ist nicht leicht, auch nur Ein Beispiel ausgesprochener relativer Insufficienz zu finden. Der angegebene äusserste Fall, dass der Muskel selbst in contrahirtem Zustande nicht mehr gespannt ist, kommt wohl überhaupt nicht vor. In anderen Fällen tritt vielleicht für einzelne Muskeln nahezu In- sufficienz ein, aber es wirken zugleich andere Muskeln auf das Gelenk, die die Beobachtung stören. In manchen Fällen, wie bei den Fingermuskeln, kann die Spannung der Antagonisten (285) Insufficienz der Agonisten vortäuschen, auch wo sie nicht vorhanden ist. Haycraft führt als Beispiel {1S9) der rela- tiven Insufficienz an, dass die Rückwärtsbeugung des Unterschenkels gegen den Oberschenkel im Stehen mit viel grösserer Kraft ausführbar sei, wenn das Becken gleichzeitig vornüber geneigt werde. Ein Mann könne ein Kind auf seiner Ferse reiten lassen, wenn er den Oberkörper horizontal über einen Tisch beugt, dagegen werde ihm die Last zu schwer, sobald er den Rumpf und mit ihm das Becken aufrichte. Hierbei ist aber ausser Acht gelassen, dass zu der angegebenen Kraftleistung auch erforderlich ist, dass der Oberschenkel in seiner senkrechten Loge fixirt werde, worauf die Stellung des Beckens ebenfalls grossen Einfluss hat. Ein besseres Beispiel dürfte die Abhängigkeit deslleopsoas von der Haltung der Wirbelsäule, oder die Spannung des langen Kopfes des Quadriceps durch Rückwärtsneigung des Beckens darbieten. Des letzten Umstandes wegen muss die Adaptation bei Querfracturen der Kniescheibe in sitzender Stellung des Patienten vorgenommen werden. 279. Bei freien Gelenken gestaltet sich die Wirkung der zweigelenkigen Muskeln ungleich verwickelter, als bei den einge- lenkigen, schon deshalb, weil die beiden Gelenke verschiedene Form haben können. An den Gliedmaassen des Menschen findet man zum Beispiel ein Kugelgelenk, das die Verbindung mit dem Rumpf herstellt, und ein Charniergelenk, in dem Beugung und Streckung des Gliedes stattfindet, von gemeinsamen zweigelenkigen Muskeln in Bewegung gesetzt. Wird also in der Beugestellung des Charniergelcnkes im Kugelgelenk eine Rotation ausgeführt, so werden die zweigelenkigen Muskeln, die über das Kugelgelenk und das Charniergelenk hinweg an das gebeugte Glied ziehen, sich gewissermaassen um den rotirten Knochen umwickeln. Ihre Zusammenziehung wird dementsprechend neben der Beugewirkung auch eine rotirende Wirkung auf das Kugelgelenk haben. Von diesen verwickelten Bedingungen darf man aber um so eher absehen, weil bei einem sehr grossen Theil der wirklich statt- findenden Bewegungen die Gelenke nur in der Weise verwendet Allgemeine Muskelmechanik. 235 'e werden, als handele es sich ausschliesslich nni Chaniicrgelenke mit parallelen Axen. Das hcisst also, das Kugelgelenk wird oft nur in der Ebene bewegt, in der auch die Bewegung des Charnicr- gelenks vor sich geht. Diesen verhältnissmässig einfachen Fall kann man sich für die theoretische Betrachtung der zweigelenkigen Muskeln weiter in der "Weise vereinfacht denken, dass man die Lähgsaxen der drei Knochen, als drei in Einer Ebene liegende, durch zwei Gelenke verbundene Strecken veranschaulicht, von denen die beiden äusseren [n je einem beliebigen Punkte durch einen gradlinigen Muskelzug ver- l)unden sind. Auch unter diesen vereinfachten Annahmen aber hat man es mit sehr verwickelten Bedingungen zu thun (140). Es genügt nicht, sich die Wirkung des Muskels erst für den Fall klar zu machen, dass das Eine Gelenk festgestellt ist, dann für den Fall, dass das zweite Gelenk festgestellt ist, und sich diese beiden Wir- kungen vereinigt zu denken, denn bei freier Beweglichkeit beider Gelenke sind die Bedingungen für die Bewegung jedes einzelnen Gelenkes andere, als wenn je das andere Gelenk festgestellt ist. Es genügt aber auch nicht, den zwischen beiden Gelenken liegenden Knochen als feststehend anzusehen und die gleichzeitige Wirkung der Muskelzusammenziehung auf beide Gelenke zu untersuchen. Denn der zweigelenkige Muskel bewegt im Allgemeinen auch den mittleren Knochei], über den er frei hinwegzieht. 280. Bei der Anwendung dieses theoretischen Schema's auf die Wirk- lichkeit ist zu bedenken, dass unter ,,Längsaxe" in diesem mechanischen Zusammenhange nicht die anatomischen Längsaxen der Knochen zu verstehen sind, sondern vielmehr die Verbindungslinien von Gelenkmiltelpunkten und Muskelansatzpunkten. Im Schema greift der Muskel in einem Punkte der Längsaxe an, in Wirklichkeit an der Oberfläche des Knochens. Ferner ist zu be- achten, dass die Ablenkung des Muskelzuges durch Knochenvorsprünge auf deren Bewegungsbedingungen sehr grossen Einflnss hat. Gehören die Vor- sprünge zu demselben Knochen, an dem sich Ursprung oder Ansatz befindet, so ist der an dem Vorsprungspunkte als Ursprung oder Ansatz zu rechnen. Geht der Vorsprung vom Mittelknochen aus, so ist von diesem Punkte jeder Tbeil des zvveigelenkigen Muskels für sich, also als ein eingelenkiger Muskel zu betrachten (273). 281. Die Schwierigkeit, auf die man bei der Untersuchung der Bewegungen dieses Systems mit zwei freien Gelenken stösst, besteht darin, dass der Muskelzug, indem er auf die Ansatzpunkte wirkt, gleichzeitig den mittleren Knochen bewegen, mithin also 236 Fünfter Abschnitt. die Gelenkpunkte verschieben kann. Die Knochen werden sich also nicht um feste Punkte zu drehen brauchen, sondern der Dreh- punkt kann sich während der Bewegung ändern {141). Dadurch verliert der Bewegungsvorgang alle Beziehung zur Lehre vom Hebel, die von der Annahme fester Drehpunkte aus- geht. Dagegen tritt sehr deutlich hervor, dass auf jeden der drei Knochen ein Kräftepaar wirkt, nämlich auf die beiden äusseren der Muskelzug und der Gegendruck, den der mittlere Knochen im Gelenk ausübt, und auf den mittleren Knochen die Bewegungs- antriebe, die die beiden äusseren Knochen auf die Gelenkpunkte ausüben. Figur 42. Schematischc Darstellung der Wirkung eines zweigelenkigen Muskels nach 0. Fischer. Der zwischen den beweglichen Gliedern I und III ausgespannte Muskel übt an seinen Endpunkten gleiche und entgegengesetzte Zugkräfte, + K und — K aus, die in den Gclenlipunkten parallele gleiche und entgegengesetzte Gegen- kräfte wecken. Auf jeden der drei Körper I, II, III Nvirkt in Folge des Muskel- zuges ein Kräftepaar, dessen Drehungsnioment gegeben wird durch die Grösse der Kraft K, nuiltiplicirt mit dem Abstände senkrecht zwischen den Richtungen der parallelen Gegenkräfte. Dieser Abstand ist in dem dargestellten Falle am grössten für den Körper I, am kleinsten für den Körper II. Da der Muskelzug geradlinig, mithin sich selbst parallel und auf beide Ansatzpunkte mit derselben Kraft, aber in entgegen- gesetzter Richtung wirkt, da ferner der Gegendruck, den dieser Muskelzug in jedem der beiden Gelenke hervorruft, dem Muskel- zuge parallel, gleich und entgegengesetzt ist, steht jeder der drei Knochen unter dem Einfluss zweier paralleler, gleicher und ent- gegengesetzter Kräfte, also unter dem Einfluss eines Kräfte- paares (263). Die Betrachtung dieser Kräftepaare giebt ohne Weiteres die Grösse und Richtung des Drehungsbestrebens an, mit dem der Allgemeine Muskelmechanik. 237 Muskelzug- auf jeden der drei Knochen einwirkt. Die Grösse des Drehungsraomentes eines Kräftepaares bestimmt sich bekanntlich aus der Grösse der Kräfte und ihrem Abstände von einander. Die Grösse der Kräfte ist in dem betrachteten Falle überall dieselbe. Die Abstände der Kräfte sind aber je nach der Stellung der drei Knochen gegeneinander verschieden. Steht zum Beispiel einer der äusseren Knochen auf der Richtung des Muskelzuges senkrecht, so ist der Abstand der Muskelzugkraft von der Gegendruckkraft im Gelenk gleich dem Abstände des Ansatzpunktes vom Gelenk. 7. Figur 43. Jl M ra 13 verschiedene Lagen eines Systems von drei beweglichen Gliedern, in denen die AVirkung eines vom ersten zum dritten Gliede verlaufenden zweigelenkigen Muskels verschiedene Drehungsmomente ausübt (nach 0. Fischer). In Figur 43 a sind 6 verschiedene Lagen dargestellt, die für wirkliche Fälle in Betracht kommen. Die Linien bei I, 11 und III stellen die Längsaxen der be- wegten Körper, die Winkel zwischen I und II und II und III die Gelenke. Je nach der Stellung wird das Drehungsbestreben, das eine zwischen den End- punkten von I und III wirkende Zugkraft hervoiTuft, für die verschiedenen Kürper verschieden sein. Im Fall 2 ist es für die Linie II gleich Null, im Fall 4 für die Linie III, im Fall 6 für die Linie I. In Figur 43 b sind 6 theoretisch verschiedene Fälle dargestellt, in denen das Drehungsbestreben für alle drei Körper gleich Null ist. Steht der Knochen dagegen schräg, so wird der Abstand der beiden Kräfte und damit das Drehungsmoment des Kräftepaares geringer. Ist der mittlere Knochen dem Muskelzuge parallel, so fallen die beiden durch den Muskelzug in den Gelenkpunkten hervorgerufenen 238 Fünfter Abschnitt. Druckkräfte auf dieselbe Linie, ihr Abstand ist Null, der Muskel übt auf den Mittelknochen keine drehende Wirkung. Je nachdem nun der Mittelknochen nach einer oder der anderen Seite von dieser Parallelsteliung abweicht, wird zugleich mit dem dadurch entstehenden Abstand der auf die Gelenkpunkte wirkenden Kräfte ein Drehungsmoment in einer oder der anderen Richtung entstehen. Ebenso kann der Muskelzug auf jeden der beiden äusseren Knochen in einem oder dem anderen Sinne drehend wirken, je nachdem der Knochen sich in gebeugter oder in überstreckter Stellung be- findet. Dadurch ergeben sich für die Drehungen, die ein zwei- gelenkiger Muskel an den drei Gliedern einer zweigelenkigen Knochenreihe hervorzubringen vermag, je nach den verschiedenen Stellungen der Gelenke nicht weniger als 13 verschiedene Möglich- keiten (siehe Figur 43 auf voriger Seite). Für alle diese Fälle gilt als allgemeines Gesetz, dass die Summe je zweier der drei Drehungsmomente dem dritten gleich sein muss, da ja der Muskel an seinen beiden Enden gleiche und entgegengesetzte Kräfte entfaltet und die Drehungen nur von diesen beiden Kräften herrühren. Für jeden einzelnen gegebenen Fall ist die Grösse der be- treffenden Drehungsmomente abhängig von der Grösse der Muskel- kraft, der Länge der Strecken zwischen Gelenken und Ansätzen, der Länge des Mittelknochens, und von der Winkelstellung der Knochen gegen die Richtung des Muskelzuges. 0. Fischer hat Formeln angegeben, um aus diesen Stücken unmittelbar Richtung und Grösse der Drehungsmomente zu finden und so die Aufgaben aus der Statik der zweigelenkigen Muskeln zu lösen {141). Für die allgemeine Betrachtung ist namentlich der Fall zu beachten, dass der Muskel nur dann drehend einwirkt, wenn der betreffende Knochen nicht parallel zur Richtung des Muskelzuges steht. Wenn also der Mittel- knochen parallel zum Muskel ist, wirkt der Muskel nur auf die beiden äusseren Glieder der Kette. Freilich wird durch deren Bewegung in der Regel der Parallelismus sogleich aufgehoben, die Betrachtung gilt also nur in statischer Beziehung. Ferner ist der Fall hervorzuheben, dass der Muskel auf zwei benachbarte Knochen der Kette genau in gleichem Maasse drehend einwirkt, sodass sich wohl eine drehende Wirkung auf die beiden Knochen, aber keine drehende Wirkung auf das dazwischen liegende Gelenk ergiebt. Allgemeine Muskelmeclianik. 239 282. Mit diesen Angaben über die Wirkungsweise zweigelenkigcr Muskeln ist aber über die Bewegungen, die sie in Wirklichkeit iiervor- rufen, noch nichts gesagt. Zwar bleibt das Drehungsmoment, das der Muskel auf jeden der betheiligten Knochen ausübt, unbecintlusst, gleich- viel welche äusseren Kräfte auf den Knochen ausserdem einwirken. Würde zum Beispiel der eine Endpunkt der zweigeienkigen Kette von drei Gliedern durch äussere Kräfte im Raum festgehalten, so würde der zweigelenkige Muskel trotzdem genau dasselbe Drehungs- bestreben ausüben, wie bei vollkommener Freiheit der Bewegung. Nur würde dann im Allgemeinen eine Drehung des ganzen Systems um den fixirten Endpunkt zu den Wirkungen des Muskels hinzu- kommen. Es würden also neben den durch Muskel unmittelbar hervor- gerufenen Drehungsmomenten noch andere Drehungsmomente durch die Einwirkung der äusseren Kräfte wachgerufen. Aber die Kennt- niss der Drehungsmomente allein genügt noch nicht, um die Form der wirklich stattfindenden Bewegungen angeben zu können. Viel- mehr hängen die Bewegungen, die in dem mehrgliedrigen System auftreten, von der Vertheilung der Massen im System ab. Dies wird unmittelbar anschaulich, wenn man an den einfachen Fall denkt, dass zwei der beweglich verbundenen Glieder sehr schwer, das dritte fast gewichtlos wäre. Gleichviel wie das Drehungs- bestreben des Muskels sich auf die drei Glieder vertheilt, würde bei der Zusammenziehung offenbar das dritte, gewichtslose Glied die grösste Bewegung ausführen. Es kommt aber nicht nur die Schwere und die Lage des Schwerpunktes der einzelnen beweg- lichen Abschnitte, sondern auch die Vertheilung der Masse um den Schwerpunkt innerhalb der einzelnen beweglichen Abschnitte für die Bewegungsform in Betracht. „Dies'', sagt Fischer, „ist die Ursache, dass die Probleme der Muskeldynamik viel ver- wickelter und schwerer zu lösen sind, als die der Muskel- statik" {142). i? 9. Beziehung der Innervation zur Muskelmechanik. 283. Im Vorstehenden ist gezeigt worden, in welcher Weise das Knochengerüst von bestimmten einzelnen Muskeln in Bewegung gesetzt wird. Es zeigt sich zum Beispiel, dass ein eingelenkiger Beugemuskel, der über das Ellenbogengelenk hinwegzieht, gleich- zeitig mit der Vorwärtsbeugung des Unterarms eine Rückwärts- 240 Fünfter Abschnitt. drehung des Oberarms hervorbringt (275). Zwischen der Bewegung des Ellenbogens und der der Schulter besteht also ein mechanischer Zusammenhang. Die zweigelenkigen Muskeln bewegen ebenfalls, wie oben angeführt, mehrere Gelenke auf einmal, und zwar je nach den mechanischen Bedingungen auf ganz bestimmte Weise. Der Biceps wird zum Beispiel Eilenbogen und Schulter im Allge- meinen beide vorwärts zu beugen streben. Die Bewegung des Ellenbogengelenkes wird wiederum die zweigelenkigen Unterarm- muskeln anspannen und dadurch einen gewissen Einfluss auf die Bewegung des Handgelenkes haben und so fort. Im Allgemeinen ist auf diese Weise jeder einzelne Theil des Bewegungsapparates mechanisch von allen übrigen abhängig und zwar sowohl durch unmittelbaren Muskelzug, als durch die Einwirkung der Massen- bewegung in Folge der Gelenkverbindung der Glieder unter einander. Hieraus ergiebt sich ein bestimmter, allerdings sehr mannichfach veränderlicher Zusammenhang zwischen den Bewegungen in den einzelnen Gelenken. Das Kennzeichen dieser rein mechanischen Beziehung zwischen zwei Bewegungen ist, dass sich mit mehr oder weniger Deutlichkeit die mechanischen Gesetze erkennen lassen, die den Zusammenhang der Bewegungen bedingen, und, was auf dasselbe hinausläuft, dass die eine Bewegung unter allen Umständen auftreten muss, wenn die andere ausgeführt wird, es sei denn, dass besondere neue Kräfte eingeführt werden. Der mechanische Zu- sammenhang zweier Bewegungen muss sich daher an dem ana- tomischen Präparat genau so zeigeu, wie am Lebenden, w^enn nur der Muskelzug entsprechend in derselben Weise nachgeahmt wird. Zum Beispiel die Rückwärtsdrehung des Schultergelenkes bei Beugung des Ellenbogengelenkes hat Fischer sogar von einem mechanischen Modell des Armes ausführen lassen {137). Die erwähnten Beziehungen zwischen den Bewegungen mehrerer Gelenke sind, da sie aus mechanischen Ursachen entstehen, nothwendig, aber sie sind durchaus nicht immer für die beabsichtigte Leistung des Bewegungsapparates zweckmässig. So wird die Bewegung des Ellenbogens häufig in der Absicht ausgeführt werden, die Hand nach vorn zu bringen, die mit der Beugung ver- bundene Pvückwärtsdrehung des Oberarms in der Schulter vereitelt aber diesen Zweck und muss dann erst durch besondere Thätigkeit der Schultermuskulatur aufgehoben werden. Für diesen Fall ist vielleicht der Umstand als besondere Zweckmässigkeitserscheinung anzusehen, dass der Biceps, der bei der Ellen- Allgemeine Muskelmechanik. 241 'ö bogenbeugung mitwirkt, als zweigelenkiger Muskel das Schultergelenk nach vorn dreht und also der mechanischen Wirkung der Ellenbogenbeugung ent- gegen arbeitet (306). 284. Im Gegensätze zu diesen mechanischen Beziehungen verschiedener Bewegungen unter einander beobachtet man nun vielfach auch gesetzmässige Verknüpfungen von Bewegungen, die sich nicht auf mechanische Ursachen zurückführen lassen. Sie bleiben daher auch bei der Nachahmung der Bewegung am ana- tomischen Präparat oder am mechanischen Modell aus. Man kann also hier nicht von einem eigentlichen Zusammenhange der Bewe- gungen an sich sprechen. Vielmehr beruhen diese gesetzmässigen Verknüpfungen einfach auf gleichzeitiger Innervation verschiedener Muskelgruppen, die wegen ihrer mechanischen Zweckmässigkeit oder aus anderen Gründen stets gemeinschaftlich erfolgt. Die Erörterung des Zusammenhanges zwischen der Innervation verschiedener Muskelgruppen gehört zwar eigentlich in's Gebiet der Physiologie des Nervensj^stems, doch würde die mechanische Betrachtung des Bewegungsapparates ohne den Hinweis auf dies Gebiet unvollständig bleiben. Man kann vom Standpunkte der Bewegungslehre vier Arten der Innervations- Verknüpfung unterscheiden. Als erste sei die „Coordination" genannt, die einen sehr weiten Umfang begreift. Bekanntlich ist jeder einzelne Muskel aus unzähligen Muskelfasern zusammengesetzt, die im Allgemeinen jede ihre besondere Nervenfaser erhalten, und jede dieser Nerven- fasern stammt von einer besonderen motorischen Zelle des Central- nervensystems her. Es muss also, damit der Muskel sich einheit- lich contrahirt, die Gesammtmenge der zugehörigen motorischen Zellen gleichzeitig thätig werden. Schon diese geordnete Zusammen- wirkung motorischer Zellen kann als Coordination bezeichnet werden. Die Coordination kann sich nun viel weiter als über die zu Einem Muskel gehörige Zellgruppe erstrecken. Sie kann, wie beispielsweise bei der Athmung, eine grosse Zahl völlig getrennter Muskelgruppen zu einheitlicher Zusammenwirkung vereinigen. Sie kann aber auch eine auf einen längeren Zeitraum vertheilte Folge einzelner Muskel- thätigkeiten zusammenfassen, wofür abermals die Athembewegungen ein gutes Beispiel geben. Der Begriff der Coordination umfasst aber nicht nur solche gemeinsame Thätigkeit von Muskeln, die un- 1{. liu Bo i s-Ke ymoud, Spee. Muskelphysiologie. ig 242 Fünfter Abschnitt. willkürlich oder gar nothwendig immer in derselben Weise erfolgt, sondern man bezeichnet auch die Zusammenarbeit jeder beliebigen Gruppe von Muskeln zu jedem beliebigen Zwecke ganz allgemein als Coordination. Neben der Coordination stellt die „Association" von Bewe- gungen ein engeres Gebiet dar. Hier handelt es sich um Verknüpfung von gleichzeitigen Bewegungen zu geraeinsamem Zweck, die in der Regel durch besondere nervöse Apparate bedingt ist. Der Begriff wird am besten durch den Hinweis auf das vornehmste Beispiel associirter Bewegung, nämlich die Bewegung der Augäpfel er- läutert. Eine dritte Art der Innervationsverknüpfung tritt bei den so- genannten „Mitbewegungen" ein. Diese steht in einem gewissen Gegensatz zur Coordination, insofern, als es sich nicht um zweck- mässiges, sondern anscheinend um rein zufälliges Zusammenarbeiten bestimmter Muskelgruppen mit der beabsichtigten Bewegung handelt. Die vierte Art der Innervationsverknüpfung beruht nicht auf unmittelbarem, sondern auf mittelbarem Zusammenhang der Thätig- keit verschiedener motorischer Apparate auf reflectorischem Wege. Sie bildet gewissermaassen die Grundlage, auf der sich die Coor- dination überhaupt erst durch Erfahrung und üebung entwickelt und sie beherrscht dauernd die gesammte Thätigkeit des Bewegungs- apparates. Bei der Beurtheilung des Körpers als Bewegungs- maschine wird diese wichtige Thatsache gewöhnlich nicht genügend beachtet. Meist ist nur davon die Rede, dass durch die „Willens- thätigkeit" eine Erregung im Centralnervensystem gesetzt wird und dass im üebrigen die Muskulatur als blosser Mechanismus die beabsichtigte Bewegung zweckmässig ausführt. Dem gegenüber kann man behaupten, dass von tausend Erregungen motorischer Zellen kaum eine unmittelbar auf „Willensthätigkeit" zurückzuführen ist, während neunhundertneunundneunzig oder mehr reflectorisch entstehen und dadurch die Bewegung dauernd dem vorhandenen Bedürfniss anpassen {143). Daher ist denn auch die Coordination durchaus nichts Fest- stehendes, Unabänderliches, obschon sie in gewissen Fällen in so regelmässiger Weise auftritt, dass man auch auf diesem Gebiete Bewegungsgesetze aufstellen zu können geglaubt hat, und dass Allgemeine Muskelmechanik. 243 auch Verwechselungen dieser Innervationsgesetze mit den mecha- nischen Bewegungsgesetzen vorkommen können {144). 285. Auf der Vorstellung, dass die Coordination der Muskeln für jede Bewegung ein für alle mal bestimmt sei, beruht die An- schauung, dass man die Muskeln in Antagonisten und Synergisten eintheilen könne. Aus dieser Anschauung heraus hat man weiter das Gesetz ableiten wollen, dass bei einer Bewegung stets nur die Eine dieser beiden Gruppen thätig sei, während die Antagonisten erschlafften {145). Schon nach dem, was oben über den mechanischen Zusammenhang zwischen den einzelnen Bewegungen gesagt worden ist, über die Mannichfaltigkeit der Bewegungen die ein einziger zweigelenkiger Muskel hervorrufen kann und anderes mehr, ist es klar, dass dieselben Muskeln unter gewissen Bedingungen Anta- gonisten, unter andern Synergisten sind. Der Zusammenhang zwischen den Innervationen der einzelnen Muskeln geht aber noch viel weiter, als der mechanische, oder vielmehr, er ist auch da noch deutlich erkennbar, wo sich der mechanische kaum erweisen lässt. Wenn zum Beispiel ein Mensch im Stehen eine Bewegung mit der Hand macht, ist zur Erhaltung des Gleichgewichts eine Aenderung der Innervation in den Bein- muskeln erforderlich. Zu jeder stärkeren Bewegung eines Körper- theils gehört die coordinate Thätigkeit sehr vieler Muskeln, die anscheinend mit der Bewegung nichts zu thun haben. Alle Muskeln die dieser Thätigkeit entgegen arbeiten würden, können als Anta- gonisten der betreffenden Bewegung aufgefasst werden. Offenbar ist aber bei der grossen Mannichfaltigkeit der Bewegungen an ein dauerndes festes Verhältnis solcher grossen Muskelgruppen unter- einander nicht zu denken. Der Begriff Antagonismus und Synergismus ist nur für jede einzelne ganz bestimmte Stellung mit Rücksicht auf die für sie geltenden mechanischen Bedingungen anwendbar. Mithin ist auch kein allgemeines Bewegungsgesetz an diese Begriffe zu knüpfen (287). 286. Weit besser entspricht den Anforderungen an ein all- gemeines Gesetz eine Beobachtung, die von Duchenne herrührt, und von Hering als ein allgemeiner Begriff mit dem Ausdruck „pseudoantagonistische Synergie" bezeichnet worden ist." Bei ge- 16* 244 Fünfter Abschnitt. raeinschaftlicher Bewegung aller Finger gegen die Mittelhand bemerkt man, dass mit der Volar-Bewegung der Finger Dorsalflexion des Handgelenks auftritt und umgekehrt. Diese Bewegung föllt der Richtung nach zusammen mit der von Fischer für Ellenbogen und Schultergelenk nachgewiesenen mechanischen Folge der Beugung oder Streckung eines Gelenks für das Nachbargelenk (274). Die Be- trachtung der an der Bewegung betheiligten Massen schliesst jedoch die mechanische Erklärung iu diesem Falle aus. Es handelt sich vielmehr um eine zweckmässige Coordination, bei der die Streck- muskeln durch Fixirung des Handgelenks in Dorsalflexion die Thätigkeit des Beugens unterstützen. Wären die Beuger der Finger allein thätig, und das Handgelenk bliebe frei beweglich, so würde es eine volarflectirte Stellung annehmen können, bei der die Beuge- sehnen entspannt werden würden. Dieselben Verhältnisse gelten in umgekehrtem Sinne für die Streckung, und spielen ohne Zweifel auch an andern Stellen des Körpers eine mehr oder weniger wichtige Rolle. Immer wird hier die erwähnte Form der Coordination durch Erfahrung und üebung ausgebildet worden sein, und sie wird daher als gesetzmässige, zum mindesten als vielfach wieder- holte Bewegungsbedingung anzusehen sein. Eine mindestens ebenso gesetzmässige Verknüpfung von Innervationen, die aber zum Zweck der Bewegung nicht in erkennbarer Beziehung steht und deshalb in die Gruppe der Mitbewegung zu zählen ist, veranschaulicht folgender Versuch: mit Fuss und Hand derselben Körperseite werde eine Kreisbewegung rechts herum ausgeführt, und man gehe dann mit der Hand durch Beschreiben einer 8 zur Bewegung links herum über. Augenblicklich folgt auch der Fuss dieser Bewegung. Der Versuch gelingt ebenso sicher, auch wenn die 8förmige Bewegung der Hand in ganz kleinem Maassstabe aus- geführt wird, wie beim Schreiben eines lateinischen grossen D. Hier ist offenbar an einen mechanischen Zusammenhang nicht zu denken, sondern es handelt sich um zwangsmässige Verbindung der Bewegungen auf rein nervösem Gebiet. II. Specielle Muskelmechanik. § 1. Hauptsatz der Speciellen Muskelmechanik. 287. Bei jeder Betrachtung auf dem Gebiete der Speciellen Muskelmechanik gilt' ein Satz, auf den als Grund- und Hauptsatz dieses ganzen Gebietes nicht nachdrücklich genug hingewiesen Specielle Muskelmechaiiik'. 245 werden kann. Dieser äusserst wichtige Satz kann in aller Kürze so ausgesprochen werden: Die einzeln benannten Muskeln sind anatomische, aber nicht mechanisch-physiologische Einheilen. Die Specielle Muskclphysiologie niuss selbstständige Einheiten unterscheiden, wo die Anatomie nur „Portionen" oder Theile eines und desselben Muskels anerkennt. Die Specielle Muskelphysiologie muss Muskelgruppen zusammen stellen, die die Anatomie als ver- schiedenen Schichten oder Systemen angehörend trennt. Dieser Satz wird so vielfach ausser Acht gelassen, dass es nöthig erscheint, seine Richtigkeit ausführlich nachzuweisen. Die anatomischen Lehrbücher geben gewöhnlich nur eine einzige Wirkung eines Muskels an, wobei zu verstehen ist, dass dies die Wirkung der Zusammenziehung sämmtlicher Fasern dieses Muskels bedeutet. Viele der anatomisch als Einheit betrachteten Muskeln enthalten aber Fasern von so verschiedener Richtung, dass ihre einzelnen Theile für sich allein ganz verschiedene, ja entgegengesetzte Bewegungen hervorrufen. So wirkt der obere Rand des M. trapezius rein hebend auf das Schulterblatt, der untere Rand wirkt dagegen herabziehend. Es ist leicht zu zeigen, dass sich bei der Hebung des Schulterblattes der obere Rand allein betheiligt. Ferner werden mitunter ganze Gruppen von Muskeln anatomisch unter einem einzigen Namen zusammengefasst, während sie ihrer Function nach getrennt werden können. Duchenne hat mittelst elektrischer Reizung am Lebenden die Unabhängigkeit einer Anzahl Gesichtsmuskeln nachgewiesen, die von den Anatomen für Theile ein und desselben Muskels erklärt worden waren (292) {146). Langekehrt richtet sich die physiologische Gruppirung der Muskeln einzig und allein nach der Form der Bewegung die diese Muskeln hervorbringen, unbekümmert um ihre anatomische Ver- schiedenheit. Während die Anatomie etwa die Glutaeengruppe oder die Schulterblattmuskeln in deutlich getrennte Einzelmuskeln zerlegt, sind diese Gruppen vom Standpunkte der Bewegungs- mechanik als gemeinsame Massen zu betrachten, an denen man etwa eine hintere, eine mittlere und eine vordere Partie zu unter- scheiden hat, die eine mehr nach rückwärts, eine mehr seitwärts und eine mehr nach vorwärts zu flectirende Wirkung auf das Gelenk ausüben. 246 Fünfter Abschnitt. Dieser Unterschied in der Auffassung ist nicht darauf zurückzuführen^ dass die Bewegungsphysiologie die Feinheiten der Bewegungen nicht so scharf zu trennen vermag, wie sie durch die Gestaltung der Muskulatur eigentlich gegeben sind, sondern er beruht darauf, dass die Bewegung thatsächlich von den Einzelheiten der Muskelanatomie unabhängig ist. Denn wenn die Muskeln eine Bewegung hervorbringen, arbeiten sie nicht einzeln, sondern in grossen Gruppen, indem alle Fasern, die der Bewegung dienen können, gleichviel welchem Muskel sie angehören, in Thätigkeit treten. 288. Den oben aufgestellten Grundsatz betont aufs nach- drücklichste auch der grösste Kenner der Speciellen Muskel- physiologie: Duchenne. „L'action rausculaire isolee n'est pas dans la nature" heisst es in der Vorrede seines grossen Werkes, und derselbe Ausdruck kehrt am Schlüsse mit ausführlicherer Er- örterung wieder. Eine Bestätigung dieses Satzes liegt in der Beobachtung, au( die Duchenne wiederholt hinweist, dass die Contraction einzelner Muskeln auf elektrischen Reiz Stellungen hervorruft, die der willkürlichen Bewegung überhaupt versagt sind (324). Der ßewegungsapparat ist so wenig für die Wirkung der einzelnen Muskeln eingerichtet, dass solche Wirkungen, wenn sie künstlich hervorgerufen werden, die Knochen aus den Gelenken heraustreiben und die Gefahr der Verrenkung nahelegen. Man könnte nun glauben , wenn die Muskelmechanik die Muskeln nicht nach ihrer anatomischen Anordnung betrachtet, werde sie eine physiologische Eintheilung an deren Stelle setzen. Das ist aber aus dem Grunde nicht ausführbar, weil die physio- logische Gruppirung keine bleibende ist. Während für eine Bewegung die Muskeln A, B, eine Hälfte des Muskels C und die Muskeln D, E und F zusammenwirken, so wirken für eine andere Be- wegung vielleicht wiederum A und B, diesmal aber mit der anderen Hälfte von C und mit einer Reihe anderer Muskeln, G, H, I und so fort, zusammen. Schliesslich lässt sich auch die Grenze für die Mitwirkung bei einer einzelnen Bewegung gar nicht feststellen, da sie je nach der Stellung des Körpers eine verschiedene sein wird (284). Dessenungeachtet soll im Nachfolgenden die Zusammenstellung über die mechanische Wirkung der einzelnen Muskeln und der physiologischen Muskel- gruppen in groben Zügen versucht werden. .Speoielle Muskelmeohaiuk. '247 § 2. Wirkung der einzelnen Muskeln. 289. Die mechanische Wirkung der einzelnen Muskeln hängt von soviel verschiedenen Umständen ab, dass sie nur für be- stimmte Fälle mit einiger Genauigkeit angegeben werden kann. In diesen Fällen handelt es sich vorwiegend um die einfache Zugwirkung zwischen zwei leicht bestimmbaren Knochenpunkten. Sobald aber Ursprung und Ansatz des Muskels eine grössere Aus- dehnung, die Fasern eine erheblich verschiedene Richtung haben, die Sehnen zwischen Knochenvorsprüngen gelagert sind, endlich wenn überhaupt die durch den Muskel erzeugte Bewegung grösseren Umfang annimmt, wird die Wirkung so mannichfach, dass sie sich weder gradehin beschreiben, noch in ihrem Zusammenhange mit der Bewegung übersehen lässt. Trotzdem sollen im Folgenden die gebräuchlichen Angaben über die Wirkung der einzelnen Muskeln zusammengestellt werden. Zwar muss eine solche Zusammenstellung nothwendig lückenhaft und die Behandlung der Frage oberllächlich sein. Es scheint aber, dass ein unabweisliches, praktisches Be- dürfniss vorliegt, ein wenn auch noch so unzulängliches Schemader Speciellen Muskelmechanik zu besitzen. Dies lässt sich daraus schliessen, dass die An- gaben der anatomischen Lehrbücher über die Wirkungsweise der Muskeln viel- fach citirt undvondenAerzten ganz allgemein zur Grundlage ihrer mechanischen Betrachtungen erhoben werden. Diese Angaben sind, wie schon einmal hervor- gehoben wurde, so unzulänglich, dass es vielleicht nützlich ist, wenn durch eine zusammenhängende Darstellung die vorhandenen Lücken bemerkbar ge- macht werden. Es werde nun die specielle Muskelmechanik zunächst in der Form durchgesprochen, dass die Wirkungsweise jedes einzelnen Muskels für sich ins Auge gefasst wird. Es mag dabei die in den anatomischen Lehrbüchern befolgte Reihe innegehalten werden. Vielfach werden die Angaben nicht übei- die gebräuchlichen kurzen Andeutungen hinausgehen können. 290. Der M. occipito frontalis besteht aus den M. occipitales und frontales, mit der dazwischenliegenden Aponeurose. Die M. occi- pitales können, da sie vom Knochen entspringen, nur die Aponeu- rose in Bewegung setzen. Ihre Wirkung wird im Allgemeinen in Spannen der Aponeurose bestehen, ßemerkenswerth ist, dass zwischen ihnen, ebenso wie zwischen den Frontalmuskeln eine Lücke ist, sodass hauptsächlich die seitlichen Partieen der Apo- 248 Fünfter Abschnitt. iieurose gespannt werden. Dadurch mnss durch den Muskelzug zugleich eine Querspannung hervorgebracht werden. Ein viereckiges Tuch, das an allen Punkten seiner Pvänder zugleich ge- zogen wird, erhält in der Mitte schwächere Spannung als ein Tuch, das mit der gleichen Kraft nur an den vier Ecken auseinander gezogen wird. Die M. frontales bilden, wenn sie an ihrer vorderen Endigung durch die Gesichtsrauskulatur mehr oder weniger fixirt sind, das Gegengewicht zum Zuge der Occipitales. Da aber ihre Zusamraen- ziehung an der Aponeurose viel stärkeren Widerstand findet als an den Gesichtsrauskeln und der Gesiehtshaut, so ziehen sie diese bei stärkerer Thätigkeit ausnahmslos in die Höhe, sodass die Stirn gerunzelt wird {147). Die Ausbildung dieser Muskeln und die Fähigkeit sie zu innerviren ist bei verschiedenen Individuen sehr verschieden. Bekannt ist das Kunststück, einen schweren, auf dem Kopf getragenen Gegenstand durch eine heftige Contraction des einen oder anderen Muskel- paares nach vorn oder hinten hinabzuwerfen. 291. Bei den Muskeln der Ohrmuschel, M, auriculari^ superior s. attollens, anterior s. attrahens, posterior s. retrahens, besteht zwischen den Widerständen, die einerseits die Ohrmuschel anderer- seits die Kopfaponeurose bietet, ein so ungleiches Verhältnis, dass sich die Bewegung ausschliesslich an der Ohrmuschel bemerklich machen muss. Die fächerförmige Ausbreitung deutet darauf hin, dass die anatomische Eintheilung der Function nicht vollkommen entspricht, da ohne Zweifel der hintere Rand des Superior den Posterior, der vordere den Anterior unterstützt. Die Fähigkeit zum Gebrauch dieser Muskeln geht den meisten Individuen ab. 292. Die Muskeln der Schutzorgane des Auges werden in ihrer Beziehung zum Sehorgan hier nicht zu betrachten sein. Es ist nur der Corrugator super- cilii nnd der Orbicularis palpebrarum zu erwähnen, weil sie die wesentlichen Stützpunkte oder Widerstände für die Bewegung des Epicranius frontalis bilden. Der Orbicularis ist eigentlich kein reiner Kreismuskel, da er am inneren Augenwinkel fester angeheftet ist als in seinem übrigen Verlauf. Daher ver- lieht sich die ganze Lidspalte bei festem Schluss der Augen ein wenig median- wärts. Nach den Angaben von Duchenne {146) ist seine obere Hälfte von ■der unteren physiologisch unabhängig. Bei leichtem Schluss der Augen würde demnach nur die obere Hälfte des Orbicularis thätig sein. Nach Duchenne ist ausserdem die Elasticität der Gewebe des oberen Lides als mitwirkend an- zusehen, da sich auch bei Lähmung des Orbicularis das Auge, wenn auch nur mangelhaft, schliesst. Specielle Muskelmechanik. 249 293. Von den Muskeln der Nase ist der M. pyramidalis nasi ebenfalls als Widerhalt des M. frontalis zu erwähnen, kann aber auch in umgekehrter Richtung wirken, und erscheint dann als Antagonist des Compressor. Der untere Theil zieht nämlich wegen des schrägen Verlaufs seiner Fasern die Haut über der Nasenwurzel quer zusammen, während der Compressor nasi, durch Anspannung seiner Aponeurose die entgegengesetzte Wirkung hat. Auf die Heber der Nasenflügel, als bei der Athmung betheiligt, soll hier nicht eingegangen werden. 294. Die Muskeln der Mundöflnung, die den übrigen Theil der Gesichtsmuskulatur bilden, lassen sich vom mechanischen Standpunkt in drei Gruppen theilen. Der Buccinator hat eine mechanische Wirkung für sich, insofern als sein hinterer Theil die muskulöse Wand der Mundhöhle darstellt, und sowohl bei der Bewegung des Mundinhalts als auch beim Blasen und Saugen eine Hauptrolle spielt. Im wesentlichen ist seine Function die einer contractilen Membran. Der Orbicularis oris bildet den zweiten Haupttheil der Lippenmuskulatur, indem er den sämmtlichen andern Muskeln (grade Mundmuskel), die von verschiedenen Seiten an ihn herantreten, als Ansatzpunkt dient. Die graden Mundmuskeln, einschliesslich des Buccinator, haben im wesentlichen die Wirkung den ganzen Orbicularis oder einen Theil von ihm in ihrer Faser- richtung anzuziehen. Der Orbicularis selbst verengt, wegen des ringförmigen Verlaufes seiner Fasern die Mundöffnung und drängt die ganze Substanz der Lippen in verschiedene Form. Hierbei ist namentlich zu unterscheiden diejenige Form des Mundschliessens bei der die Lippen nach vorn zugespitzt oder breit nach vorn ge- schoben werden, und die bei der sie platt an die Vorderzähne an- gepresst werden. Diese verschiedenen Formen werden- durch die Art der Betheiligung der graden Mundmuskeln erklärt. Bei der zweiten Form sollen sie sämmtlich angespannt sein und daher die Lippen von allen Seiten her rückwärts ziehen. Bei der ersteren sollen einzelne dieser Muskeln (Levator menti) die Lippen nach vorn aussen ziehen. Hiergegen ist einzuwenden, dass diese Muskeln sowohl der Lage als der Stärke nach dazu kaum geeignet scheinen. Dagegen ist es vollkommen verständlich, dass der Orbicularis selbst, bei geeigneter Vertheilung der Thätigkeit auf verschiedene seiner Fasern, die betreffenden Bewegungen des Mundes hervorbringen kann. 250 Fünfter Abschnitt. Denkt man sich die Masse des M. orbicularis, die ja einen grossen Theü der Substanz der Lippen ausmacht, in Form eines Ringes der aus contractilen Fasern besteht, so wird je nachdem die vorderen, hinteren, äusseren oder inneren Fasern sich zu- sammenziehen, die Gestaltveränderung des Ringes verschieden sein. Die Zusaramenziehung der hinteren äusseren Fasern (unter „aussen" ist hier „von der Mundöffnung abgekehrt" zu verstehen) wird den in Ruhe bleibenden Theil des Muskels und mit ihm die ganzen Lippen nach vorn drängen, wobei sich zugleich die Innenfläche nach aussen kehren wird. Der Muskelring wird sich so gewisser- Figur -14. Wirkung der Orbicularis oris beim Spitzen des Mundes. Die Kreise 0 und 0' stelJen die Querschnitte des gesammten Kingmuskels oberhalb und unterhalb der Mundöffnung vor. Die Zusammenziehung der im oberen und unteren hinteren Quadranten gelegeneu Fasern wirkt in der Richtung der Pfeile m und m' auf die in den punktirten Linien gelegene Muskelmasse als Hebel, der sich um den passiven Widerstand der inneren Muskelmassen w und w' in der Richtung der gebogenen Pfeile dreht. ' Dadurch entsteht die Ver- schiebung der inneren Fläche in der Richtung der Pfeile b und b'. maassen umstülpen, Diese Form der Bewegung kann ausserdem durch die Mitwirkung der graden Muskeln verändert werden, sie bildet aber wohl die Grimdlage für jede stärkere Bewegung von Seiten des Orbicularis oris. Aehnliche Bewegungen nimmt man an allen Gebilden wahr, die mit ring- förmigen Muskeln versehen sind, beispielsweise am After der Thiere und des Menschen, besonders deutlich aber am durchschnittenen Oesophagus des Frosches, von dem sich nicht selten längere Stücke vollständig „umkrempeln". 295. Vom Platysma myoides wirkt der oberste mediale Aus- läufer, der auch von den Anatomen als „Risorius" unterschieden r Specielle Muskelmechanik. 251 wird, wie die graden Muskeln der Mundöffnung, indem er den Mundwinkel abwärts und auswärts zieht. Durch die Gesanirat- thätigkeit wird die Haut des Halses und der Brust bis zu einigen Fingerbreit unterhalb der ClavicuJa gegen den Unterkiefer und un- gleich schräg gegen die Mittellinie emporgezogen, sodass sie in Längsfalten hervorspringt. Die Spannung des Platysma rauss dann natürlich auch den Unterkiefer und die Gesichtsmusculatur ent- sprechend belasten. Daher ist das Platysma auch als Herabzieher des Unterkiefers angesprochen worden. Es ist aber ohne weiteres durch Betasten zu erkennen, dass selbst wenn der Unterkiefer gegen einen starken Widerstand herabgedrückt wird, das Platysma unbetheiligt bleibt. 296. Die Wirkung der Kaumuskeln, }[. temporalis, masseter, Pterygoideus externus und mternus, ergiebt sich zur Genüge aus ihren anatomischen Verhältnissen. Die ersten beiden sind wesentlich kSchliesser des Mundes, die zweiten bringen seitliche und sagittale Bewegungen des Unterkiefers hervor, je nachdem sie einseitig oder auf beiden Seiten ungleich thätig sind. Genaueres über die inneren ünterkiefermuskeln ist nicht mit Bestimmtheit anzugeben, doch ist anzunehmen, dass sie beim Oeffnen des Mundes eine wesentliche Rolle spielen. Beachtenswerth ist, dass die Kaumuskeln sehr weit vom Drehpunkt und fast senkrecht auf die Axe des bewegten Knochens eingreifen, sodass fast ihre volle Kraft auf einen zwischen den Zähnen liegenden Widerstand wirken kann. Bei weit geöffnetem Mtmde nimmt allerdings dies günstige Kraftverhältniss sehr schnell ab', weil eine grössere Componente des Muskelzuges in die Richtung des Knochens fällt. Durch das Vorrücken des Gelenkkopfes auf das Tuberculum wird diese Veränderung sehr verstärkt. Bei ge- schlossenem Munde ist der vordere Rand des Masseter etwa an der vorderen Grenze des vorletzten Mahizahnes zu fühlen. Auf einem zwischen die hintersten Backzähne geschobenen kleinen Gegenstand können die vorderen Fasern des Masseter mit ihrer ganzen Kraft wirken. Wird aber der Mund geöffnet, um einen grösseren Gegenstand zwischen die Zähne zu fassen, so stellt sich der Unterkiefer so schräg, dass ein grosser Theil des Zuges der Kaumuskeln nur drückend auf das Kiefergelenk wirkt. 297. Zahlrerche kleine Muskeln verbinden das Zungenbein mit den Sdiädelknochen, nämlich Stylohyoideus, ßiventer, Genio- 252 Fünfter Abschnitt. hyoideus, Mylohyoideus. Die Wirkung der meisten ist ohne weiteres aus ihrer Lage verständlich, und ihre Function ist nur in Beziehung zu besonderen Vorgängen der Athmung und des Schluckactes von Bedeutung. Dagegen miiss die Wirkung des Biventer erörtert werden. Diese ist verschieden, je nachdem der vordere oder der hintere Bauch für sich, oder beide zusammen thätig sind, und je nachdem das Zungenbein durch die von unten angreifenden Muskeln omohyoideus und sternohyoideus (zu dem sich als mechanisch gleich- wirkend der Sternthyreoideus nebst Thyreohoideus gesellt) fixirt ist. Im ersten Falle zieht der vordere Bauch (gemeinsam mit dem Geniohyoideus) das Zungenbein nacii vorn und oben, im zweiten Falle (gemeinsam mit dem Stylohyoideus) nach oben und hinten, im dritten wird das Zungenbein gehoben, im vierten soll der Di- gastricus sich als Oeffner des Mundes bethätigen. Sternohyoideus und Sternothyreoideus ziehen Zungenbein und Kehlkopf fusswärts, beispielsweise nach der beim Schluckact ein- tretenden Erhebung. Von ihrer Thätigkcit muss die passive Be- wegung, die durch die Spannung der Luftröhre bei verschiedenen Respirationsvorgängen auftritt, sorgfältig unterschieden werden. So findet sich die Angabe, dass beim Hervorbringen tiefer Töne die genannten Muskeln in Thätigkeit treten. In diesem Falle wird aber, wie sich leicht zeigen lässt, die Exspiration vornehmlich durch die Brustathmung ausgeführt (149). Das Zwerchfell kann geradezu abwärts getrieben werden, und es werden also die Lungen und mit ihnen der Kehlkopf passiv nach abwärts getrieben, ebenso wie es sonst bei tiefer Inspiration geschieht. 298. Die Muskulatur der Zunge bildet ein interessantes Bei- spiel der Bewegung ausschliesslich aus contractiler Substanz ohne festes Gerüst bestehender Organe (104). Dieser Umstand findet überraschenden Ausdruclv in der von E. du Bois- Reymond {150) wiedergegebenen Anschauung des Naturphilosophen Steffens: „.Jedes Organ des menschlichen Körpers entspricht einem be- stimmten Thier, ist ein Thier. Beispielsweise die allerwärts bewegliche feucht- schlüpfrige Zunge ist ein Tintenfisch, eine Sepie. Denn der Knochen der Zunge, das' Zungenbein, hängt mit keinem anderen Knochen des Skelets zu- sammen. Nun hat aber die Sepie nur einen Knochen, das bekannte Os Sepiae. Folglich hängt dieser Knochen mit keinem anderen Knochen zusammen. Folg- lich ist die Zunge eine Sepie". Specielle Muskelinechanik. 253 Die Muskeln, die von relativ festen Punkten aus in die Zunge eingehen, Genioglossus, Hyoglossus, Styloglossus, haben von diesem Gesichtspunkt aus kein besonderes Interesse, sie ziehen die Zunge je nach ihrem Ursprungspunkte zu. Die fein ausstrahlenden verästelten Endfasern dieser Muskeln aber, und die eigene Muscu- latur der Zunge, die aus Längs- und Querfasern besteht, bilden, unter einander dicht verflochten, eine für sich allseitig contractile Masse. Diese vermag sich, unter dem Einfluss der querlaufenden Pasern, activ zu verlängern, wie das beim Herausstrecken der Zunge geschieht. Es sind namentlich die senkrecht zur Fläche der Zunge laufenden Fasern hierbei betheiligt, wie man an der Abplattung der Zunge beim Hervorstrecken erkennen kann. Die Muskeln des Schlundes, die nur für die Ernährungsthätigkeit, nicht für andere mechanische Verrichtungen des Körpers in Betracht kommen, können hier übergangen werden. 299. In der Wirkungsweise des Sternocleidomastoideus kann man vier verschiedene Punkte unterscheiden. Betrachtet man das sternale Ende als relativ festeren Punkt, so wird er am Processus mastoideus seine Zugwirkung ausüben. Es scheint, als könne diese für die Bewegung des Kopfes nur geringe Bedeutung haben, weil die Warzen fortsätze ungefähr in derselben Transversalen gelegen sind wie die Hinterhauptshöcker, also in die schematische Drehaxe des Kopfes selbst fallen. Es ist aber daran zu denken, dass die Neigung des Kopfes ebenso sehr durch Biegung der oberen Hals- wirbelsäule, als durch Bewegung im Atlasgelenk zu Stande kommt. Der Sternocleidomastoideus trägt, wie man sich leicht überzeugen kann, zur Beugung des Kopfes nach vorn wesentlich bei. Die Bezeichnung „Kopfnicker" ist trotzdem unpassend, weil die eigent- liche Nickbewegung ohne viel Betheiligung der Beugemuskeln durch den Einfluss der Schwere ausgeführt werden kann. Durch dieselbe Wirkung auf die Halswirbelsäule betheiligt sich der Sternocleidomastoideus bei schon vorhandener Rückwärtsbiegung der W'irbelsäule und vorgeschobenem Kinn auch an der Rückwärts- neigung des Kopfes, indem er wahrscheinlich die Wirbelsäule gegen den Zug der Nackenmuskeln versteifen hilft. Namentlich bei rückwärts horizontal gelagertem Körper, wenn der Kopf steif getragen werden soll (wie z. B. beim Wechseln des 254 Fünfter Abschnitt. Kopfkissens), sind beide Sternomastoidei angestrengt thätig, und zwar im wesentlichen zur Steifung der Wirbelsäule, denn raan kann sich leicht überzeugen, dass man in dieser Stellung mit dem Kopfe nicken kann, ohne dass die Sternocleidomastoidei merklich be- theiligt sind. Drittens übt der Sternocleidomastoideus auf seinen unteren Ansatzpunkt kräftige Wirkungen, wenn der obere anderweitig fixirt ist. Bei allerhand Rumpfbewegungen, insbesondere bei angestrengter Athmung ist der Sternocleidomastoideus betheiligt. Viertens endlich besteht eine Hauptfunction dieser Muskeln in in ihrer einseitigen Wirksamkeit. Vermöge seines schrägen Ver- laufes und seines Angriffspunktes ganz am äusseren Rande der Schädelbasis wirkt jeder einzelne Sternocleidomastoideus stark drehend auf den Kopf, und zwar ist. dies am deutlichsten bei ge- senktem Kopfe. Ebenso wichtig ist aber die Rolle der Sterno- cleidomastoidei bei seitlichem Neigen des Kopfes. Hierbei muss die drehende und vorwärtsneigende Wirkung durch entsprechende Thätigkeit der Nackenmuskeln aufgewogen werden, sodass eine rein seitliche Wirkung herauskommt, die wiederum wegen des weit nach aussen gelegenen Ansatzes am Warzenfortsatz einen grossen Hebelarm hat und mithin kräftig wirken kann (151). 300. Die Scaleni wirken in ähnlicher Weise zur Versteifung der Wirbelsäule und des Brustkorbes gegen den Zug der angreifenden Muskeln. Ihre Mitwirkung als Rippenheber bei der Athmung ist bekannt. 301. Die kleinen tiefen Halsmuskeln, Recti capitis, Longus colli, werden mitunter genannt, wo es sich um Bewegungen handelt, die sie zwar ihrer anatomischen Lage nach auszuführen im Stande wären, für die aber andere viel grössere Muskelmassen verfügbar sind. Beispielsweise ist für die seitliche Beugung des Kopfes offenbar kein einziger Muskel so ausschliesslich bestimmt, wie der Rectus capitis lateralis. Die Wirkung dieses Muskels ist aber offenbar gleich Null, wenn sie mit der erwähnten Thätigkeit des Sternocleidomastoideus verglichen wird. 302. Die Muskeln des Rückens und Nackens, in so viele Einheiten sie die Anatomie auch trennen mag, sind vom physio- logischen Standpunkt als Eine gemeinsame Masse anzusehen. Damit soll nicht gesagt sein, dass diese gesammte Muskelmenge Specielle Muskelmechanik. 255 immer nur gemeinsam in Thätigkcit trete, im Gegentiieil kann sicher die Rückenmuskulatnr jeder einzelnen Stelle längs der Wirbelsäule für sich thätig sein. Auch innerhalb eines jeden Körper- abschnittes Morden die einzelnen langen und kurzen Muskeln wahr- scheinlich nicht immer auf genau dieselbe Weise zusammen arbeiten, doch ist bis jetzt keine eingehendere Analyse möglich. Demnach muss die Wirkung dieser Muskelmasse im Grossen und Ganzen bezeichnet werden: Sie ist Strecker, Seitwärtsbeuger und Dreher der Wirbelsäule. Die .,Streckung" der Wirbelsäule besteht je nach dem Abschnitte, um den es sich handelt, aus ganz verschiedenen Bewegungen. Die Lendenkrümmung wird durch die Streckmuskeln A^erstärkt, sodass hier die „Streckung" vielmehr eine Rückwärts- beugung ist, die Rücken- oder Brustkrüramung dagegen vermindert. Dieselbe Muskulatur, die zwischen Wirbeln oder Wirbeln und Rippen verlaufend, die Wirbelsäule biegt, wirkt im obersten Abschnitt als Nackenmuskulatur vorzugsweise auf den leicht beweglichen Kopf ein. Ebenso kann die Muskulatur der Lendenwirbelsäule bei fest- stehendem Oberkörper das Becken und mit ihm die untere Körper- hälfte in Bewegung setzen. Die seitliche Krümmung der Wirbelsäule kommt durch ein- seitige Wirkung des gemeinsamen Rückenstreckers zu Stande und kann ebenfalls an einzelnen Stellen der Wirbelsäule getrennt aus- geführt werden, ja beispielsweise im Lenden- und Halstheil nach entgegengesetzter Richtung. Ohne Zweifel sind bei dieser Bewegung die Reihen kleiner Muskeln, wie die Intertransversarii, die ihrer Lage nach reine Seitenbeuger sein müssen, mit thätig. Es ist aber offenbar falsch, diese Muskeln besonders als Seitenbeuger zu nennen, weil sie wegen ihrer Kleinheit und ihrer Lage nahe an der Drehungs- stelle unter der gesaramten betheiligten Muskulatur wahrscheinlich gar keinen hervorragenden Platz einnehmen. Etwas anders verhält es sich mit der Drehung der Wirbel- säule. Hier sind offenbar bestimmte einzelne Bündel aus der ganzen Fasermasse als Dreher anzuerkennen, und zwar vornehm- lich Semispinalis, Multifidus, Rotatores (also die als Transverso- spinalis zusammengefasste Gruppe). Auch die fälschlich sogenannten Levatores costarum haben offenbar diese Function, da sie so nahe am Drehpunkt der Rippen angesetzt sind, dass sie auf diese nicht bewegend einwirken können {152). 256 Fünfter Abschnitt. 303. Von den xMuskeln der oberen Extremität sind zunächst diejenigen anzuführen, die unmittelbar auf das Schulterblatt wirken. Zu diesen gehören Rhombo'ideus major und minor, die, wenn sie gemeinsam gleichmässig thätig sind, den hinteren Rand des Schulter- blattes schräg nach oben gegen die Wirbelsäule ziehen. In offen- barem mechanischem Zusammenhange ist nun gleich der Serratus anticus zu nennen. Sein unterer Theil bildet gewissermaassen nur eine Verlängerung der Faserzüge der Rhromboidei bis auf die vor- dere Thoraxwand. Seine Zusammenziehung muss die Rhomboi'dei dehnen, und wenn diese sich gleichzeitig mit dem Serratus ver- kürzen, wird der hintere Rand des Schulterblattes fixirt. Hierbei übt der Serratus eine Zugwirkung auf die vordere Thoraxwand. Da nun beide Muskeln, Serratus und Rhomboi'dei, nicht einheitlich zu wirken brauchen, sondern in ihren einzelnen Theilen ganz un- abhängige Thätigkeit entwickeln können, so ist klar, dass die Fixation des Schulterblattes in jeder beliebigen Rotationslage statt- linden kann. Die obersten Bündel des Serratus wirken ziemlich stark hebend auf das Schulterblatt, natürlich zugleich nach vorn ziehend. Der Levator anguli scapulae zieht das Schulterblatt gerade nach oben. Vom Trapezius zieht der obere Rand den äusseren Winkel des Schulterblattes schräg kopfwärts. Bei festgestellter Schulter wirkt umgekehrt der Levator jeder Seite als seitlicher Beuger, der obere Rand des Trapezius als Rückwärtsbeuger und Dreher der Halswirbelsäule und des Kopfes. Der mittlere Theil des Trapezius zieht den hinteren Rand des Schulterblattes ohne Drehung grade gegen die Wirbelsäule. Wirkt der ganze Trapezius, so entsteht zugleich mit der Zurückziehung des Schulterblattes eine Drehung, durch die der untere Winkel etwas nach lateral verschoben wird. Dies kommt daher, dass die oberen hebenden Fasern am la- teralen Theil der Spina scapulae, die unteren herabziehenden Fasern am medialen Ende der Spina scapulae angesetzt sind. Die Zug- wirkungen von oben und unten können einander also nicht, wie meist angenommen wird, aufheben, sondern vereinigen sich zu einer Drehwirkung {153). Diese Drehwirkung kann durch die drehende Componente im Zuge des Levator und der Rhomboidei aufgewogen werden, wenn diese zugleich mit dem Trapezius thätig sind. Specielle Muskelmechanik. 257 Der Pectoralis minor bildet gewissermaassen eine Fort- setzung der Faserzüge des oberen Trapeziusrandes bis auf die vor- dere Brustwand. Er zieht den lateralen Theil des Schulterblattes nach ventral fusswärts. Seine Function erhält je nach der Stellung des Schultergürtels grössere oder geringere Bedeutung. Dem Subclavius, obschon er als Senker des Schlüsselbeins erwähnt wird, ist wegen seiner für diese Function ungünstigen Lage keine Bedeutung für die Bewegung des Schultergürtels bei- zumessen. 304. Es mögen nun die Muskeln folgen, die vom Rumpf unmittelbar zum Humerus gehen, nämlich Latissimus dorsi und Pectoralis major. Beide können den Arm, mittelbar aber auch die Schulter bewegen. Der Pectoralis major zieht den Arm in allen Stellungen ven- tralwärts, am stärksten aber in der nach rückwärts tlectirten Stellung. In der normalen Stellung ist er der stärkste Adductor, ebenso bei nach vorn gestreckten Armen. Bei kopfwärts erho- benem Arm wirkt er nach vorn herabziehend, und zwar bis zur Horizontalstellung. Bei fixirtem Arm bringt der Pectoralis ent- sprechend umgekehrte Wirkungen auf den Rumpf hervor, insbe- sondere beim Aufziehen des Körpers vermittelst der Arme beim Klettern und beim Stützen auf den Händen. Ebenso wie die übrigen Schultermuskeln wirkt der Pectoralis in diesen Fällen mittelbar auch auf das Ellenbogengelenk ein. Die Bewegung der Schulter nach oben und vorn, wie beim Einhüllen in ein Tuch, wird durch den oberen Theil des Pectoralis hervorgebracht {154). Der Latissimus dorsi zieht den Oberarm in allen Stellungen nach hinten und bildet gleichsam ein Gegengewicht gegen die Ein- wirkung des Pectoralis und Trapezius. Wegen der Aufwicklung seiner Sehne auf den Humerus bringt er gleichzeitig eine Rotation im Sinne der Pronation hervor. Er ergänzt die Adductorenwirkung des Pectoralis und wirkt auf den erhobenen Arm in demselben Sinne wie der Pectoralis, aber in weiterem Umfang. 305. Es folgen die Muskeln, die vom Schulterblatt an den Oberarm gehen. Supraspinatus, Lifraspinatus, Teres minor, Subscapularis haben, da sie dicht am Gelenk ansetzen, offenbar nur eine geringe be- wegende Wirkung, und dienen wahrscheinlich mehr der Fixirung R. du B o i s-]\ e y in ci n (1 , Spec. Mnskel])liysiologie. -in 258 Fünfter Abschnitt. des Oberarms während der . Bewegung im Schultergelenk. Dies giebt Duchenne ausdrücklich für den Supraspinatns an, der ausserdem nicht ganz unbedeutende Abductionswirkung entfaltet. Der Infraspinatus, dessen Ansatzpunkt hinter der Längsaxe des Humeriis gelegen ist, erweist sich in der Normalstellung des Armes als kräftiger Rotator (265), in supinatorischem Sinne. Bei erhobenem Arm müsste er demnach als pronatorischer Rotator ■wirken können. Der Teres. minor bildet gleichsam eine Ver- breiterung des Infraspinatus, und unterstützt dessen Wirkung. Der Subscapularis, der sich vor der Längsaxe des Humerus ansetzt, rotirt in der Normalstellung pronatorisch. In andern Stellungen dürfte die oben angedeutete gelenkverstärkende Wirkung dieser Muskeln wesentlich sein. Der Deltoideus muss in mindestens drei Portionen getheilt betrachtet werden. Die mittlere Portion wirkt rein abducirend auf den Humerus und vermag ihn ohne ßetheiligung anderer Muskeln aus der Normalstellung bis zur Horizontalen zu heben (324). Normalerweise wird aber diese Bewegung auf ganz andere Weise ausgeführt (288). Die vordere Portion wirkt in der Normalstellung vorwärts- hebend, die hintere rückwärtsziehend und sogar adductorisch, also der Mittelportion entgegen. Der ganze Muskel tritt daher wohl nur bei erhobenem Arm gleichmässig in Thätigkeit. Der Deltoideus wird als eine Fortsetzung des Trapezius über die Schulter hinaus betrachtet, doch ist diese Anschauung einseitig, weil diese beiden Muskeln gemeinschaftlich zu keiner bestimmten Wirkung befähigt sind, indem vielmehr zur Fixirung der Schulter viele andere Muskeln mitwirken müssten. Der Coracobrachialis dürfte der vorderen Portion des Deltoideus gleichzustellen sein. Der Teres major übt eine rein adducirende Wirkung auf den Arm, indem er den Winkel zwischen lateralem Schulterblattrand und Humerusaxe verkleinert. Er kann den Arm nur sehr wenig nach hinten ziehen, weil sein Ursprung nicht weit hinter dem Schultergelenk liegt, und er wirkt auch nicht merklich rotatoriscli. 306. Der Biceps brachii hat drei Hauptfunctionen: Erstens beugt er den Ellenbogen, zweitens rotirt er den Radius und bringt dadurch Supination hervor (325), drittens wirkt er im Sinne der Specielle Muskelmechanik. 259 Beugung auf das Schultergelenk. Diese drei Wirkungen treten stets gemeinsam auf. Soli also der Arm in Pronationsstellung gebeugt werden, so muss der Radius durch die Pronationsmusculatur lixirt sein. Die Wirkung auf das Schultergelenk (268) ist nur schwach, weil die Sehne sehr nah ain Drehungspunkt vorübergeht. Da die Richtung, in der die Sehne liegt, sich bei Rotation des Humerus- kopfes ändert, wird die ganze Flexionsebene, in der der Muskel wirkt, zu- gleich rotirt. Nach 0. Fischer's Darstellung der Wirkung eingelenkiger Muskeln {137) muss der Biceps als Ellenbogenbeuger zugleich eine Riickwärtsdrehung des Oberarms im Schultergelenk hervon'ufen. Dieser Rückwärtsdrehung wirkt ofl'enbar der Umstand entgegen, dass die lange Bicepssehne vom Schulter- blatt entspringt und folglich vorwärtsbeugend auf den Oberarm einwirken muss. Es wird daher die Fi seh er 'sehe Rückwärtsdrehung etwas kleiner aus- fallen, als wenn der Biceps als eingelenkiger Muskel vom Oberarm selbst ent- spränge. Duchenne sieht die wesentliche Bedeutung des Schulterblatt- ursprungs des Biceps darin, dass der Humerus an die Gelenkpfanne angedrückt werde [155). Im Uebrigcn zeigt die Fischer'sche Untersuchung, dass der Biceps ebenso wie die anderen Ellenbogenbeuger eine sehr beträchtliche Wir- kung auf das Schultergelenk auszuüben vermag. Namentlich bei fixirter Hand, wie zum Beispiel beim Klettern wird die Beugung des Ellenbogens stets von einer entsprechenden Stellungsänderung des Oberarms gefolgt sein, die eben- sowohl von den Ellenbogenbeugern wie activ von der Schultermuskulatur ver- ursacht wird. Der Triceps brachii ist, was seine kurzen Köpfe betrifft, ein eingelenkiger Muskel; vermöge ihrer Faserrichtung strecken diese Portionen mit sehr bedeutender Kraft den Arm im Ellenbogen- gelenk. Der lange Kopf vermag analog zu der eben erwähnten Wirkungsweise des Biceps auch unmittelbar auf das Schultergeienk zu W'irken. In der Norraalstellung muss diese AVirkung eine schwach adducirende, in der nach vorn gestreckten Haltung des Arms eine schwach senkende Kraft ausüben u. s. f. Unter allen Umständen entsteht auch hier die von Duchenne (155) in den Vordergrund gerückte Anpressung des Huraeruskopfes gegen die Gelenkpfanne (268). Bei fixirter Hand hat die Streckung des Ellenbogengelenks in der Regel Bewegungen in dem Schultergelenk und auch im Handgelenk zur Folge. Der Brachialis internus ist reiner eingelenkiger Ellenbogen- beuger. Dem Anconaeus quartus wird eine Rolle bei der Supinations- bewegung zugeschrieben, doch dürfte seine Thätigkeit mehr der 17* 260 Fünfter Abschnitt. Verstärkung der Gelenkverbindung gegenüber bestimmten Muskel- wirkungen gelten. 307. Von den Muskeln des Unterarms, die gewöhnlich nur in ihrer Beziehung zur Bewegung der Hand betrachtet werden, wirken alle diejenigen, die oberhalb des Ellenbogengelenks ent- springen, unmittelbar auch auf dies Gelenk ein. Die daraus ent- stehende Gesammtwirkung ist, wie aus Braune und Fischer's Untersuchung hervorgeht, durchaus nicht gering, da bei recht- winkliger Beugung Extensor carpi radialis, Supinator longus und Pronator teres zusammen mehr als die Hälfte der Beugekraft des Biceps und Brachialis internus entwickeln {133). Dem Supinator longus kommt fast ausschliesslich diese Wirkung zu, neben der nur bei äusserster Pronationsstellung eine supinatorische Nebenwirkung auftritt (325), daher er besser ßrachioradialis heisst. 308. Flexor carpi radialis und ulnaris wirken schwach beugend auf das Ellenbogengelenk, sind dagegen kräftige Beuger des Hand- gelenks. Der erstere bringt gleichzeitig eine abductorische Wirkung hervor, die mit Hülfe des Extensors derselben Seite die Radial- llexion des Handgelenks bewirkt. Von den Extensoren, Extensor carpi radialis longus und brevis und Extensor carpi ulnaris, wirkt der erste stark, die anderen schwach beugend auf das Ellenbogengelenk; hauptsächlich aber strecken sie das Handgelenk und bewirken mit den Flexoren, wie eben angedeutet, die Ulnar- und Radialabduction. Hierbei ent- wickelt der lange Extensor carpi radialis eine viel stärkere ab- ductorische Wirkung wie der kurze, der vielmehr fast als reiner Extensor erscheint. Der Extensor ulnaris bildet, wenn seine extendirende Wirkung durch den Flexor aufgehoben ist, die wesent- lichste auf Ulnarflexion gerichtete Kraft. Der Palmaris longus wirkt rein beugend auf das Handgelenk. Der Pronator teres ist neben seiner pronatorischen Function starker Armbeuger {133). Der Pronator quadratus dagegen wirkt, indem er sich von der Ulna abwickelt, rein pi'onatorisch drehend auf die Hand. Auch der Supinator brevis ist reiner Supinator. Die gemeinsamen Fingerbeuger, Flexor digitorum communis, profundus und sublimis, können eine beträchtliche Beugekraft auf das Ellenbogengelenk ausüben. Ferner wirken sie, sobald ihre beugende Wirkung auf die Finger vollendet oder durch äusseren Specielle Muskelinechanik. ' 261 Widerstand gehemmt ist, stark beugend auf das Handgelenk. Damit sie auf die Finger einwirken, ist es daher auch erforderlich, dass das Handgelenk gestreckt {144) gehalten werde (286). Die Wirkung auf die Finger ist unter die beiden Muskeln so getheilt, dass der Flexor sublimis die zweite Phalange gegen die erste, der Profundus die zweite und dritte gegen die erste und zweite beugt. Die Beugewirkung auf die erste Phalange kommt erst bei weiterer Zusammenziehung in zweiter Linie zu Stande. Diese Beugung wird auch auf die Lumbricales und Interossei zurückgeführt, jedenfalls ist aber der kräftige Schluss der sämmtlichen Phalangen um einen fest in die Faust gefassten Gegenstand auch ohne die Beihülfe dieser kleinen Muskeln durch die Wirkung der langen Fingerbeuger zu erklären. Der Extensor digitorum communis streckt in erster Linie die untersten Phalangen vermittelst der aponeurotischen Ausstrahlung seiner Sehnen auf deren Basis. In zweiter Linie wirkt er auf die distalen Phalangen, die jedoch durch die Wirkung der Beuger trotzdem in Beugung gehalten werden können. Ebenso hemmt die Spannung des Extensors bei äusserster Volarflexion der Hand nur Beugung der ersten, nicht die der zweiten und dritten Phalanx. Neben dieser Streckwnrkung auf die Finger tritt bei der Thätigkeit des Extensor Spreizung auf. Wie der Extensor communis wirkt auch der Extensor proprius des Index und kleinen Fingers. 309. Von den Muskeln des Daumens ist der Extensor longus Strecker beider Phalangen und zugleich Adductor des ganzen Daumens. Der Extensor brevis abducirt das Metacarpale und streckt die erste Phalanx. Der Abductor longus bringt dagegen eine Volar- flexion des Metacarpale hervor. Die Muskeln des Daumenballens zerfallen vom mechanischen Standpunkt in eine radiale und ulnare Gruppe. Erstere umfasst den Abductor brevis und die radiale Portion des Flexor brevis; zu dieser kann auch der Opponens mit gezählt werden. Ihre AVirkung ist zugleich (17) Flexion, Abduc- tion und Rotation in pronatorischem Sinne am Metacarpale und an der ersten Phalanx, mithin die Opposition des Daumens (115). Die ulnare Gruppe umfasst den Adductor pollicis und die ulnare Portion des Flexor brevis und dient zur Adduction des Daumens. Die quere Portion des Adductor ist eins der seltenen 262 ■ Fünfter Abschnitt. Beispiele, dass ein Muskel fast genau in der Richtung der Be- wegung des Knochens verläuft (268). Der Flexor longus ist Beuger der zweiten Phalanx. Entsprechend verhält sich die viel schwächere Wirkung der Muskeln des Kleinfingerballens. 310. Die Interossei, die gewöhnlich nur als Adductoren und Abductoren der Finger angesehen werden, sind ausserdem Strecker der zweiten und dritten Phalanx, indem sie zugleich die erste Phalanx beugen. Dieselbe Wirkung entfalten auch die Lumbricales. Im Bezug auf Abduction und Adduction sind die Interossei so vertheilt, dass die Interossei dorsales die Finger von der ge- meinsamen Axe des ]\Iittelfingers entfernen, also die Hand spreizen,. während die Interossei dorsales sie an diese Axe heranziehen. 311. Die Intercostales, das Zwerchfell und die Bauch- muskulatur vereinigen sich zur Fixirung des Brustkorbes, der dann der Wirbelsäule und dem Schultergelenk als feste Stütze dient. Daneben dienen die Intercostalmuskeln und die Bauchmuskulatur auch der Bewegung des Rumpfes, indem die Thoraxwand fixirt und von ihr aus das Becken bewegt wird. Insbesondere der Rectus abdominis ist für die ventrale Flexion der Lendenwirbelsäule we- sentlich. Bei fixirtem Oberkörper wirkt er dadurch nach vorn hebend auf das Becken. Den seitlichen Bauchmuskeln kommt dem entsprechend seitliche Flexionswirkung, daneben auch rotato- rische Wirkung auf die Wirbelsäule zu. 312. Der Glutaeus maximus wirkt in der Beugestellung des Schenkels, wie zum Beispiel beim Steigen oder vornübergebeugtem Lasttragen als Strecker, in der Streckstellung bringt er daneben eine geringe supinatorische Rotation hervor. Seine einzelnen Por- tionen wirken jede für sich ihrer Lage entsprechend verschieden. Der Glutaeus medius hat infolge der fächerförmigen Ausbrei- tung seiner Fasern in seinen verschiedenen Theilen verschiedene Zugrichtung. Die Gesammtwirkung ist die einer kräftigen Ab- duction, oder bei feststehendem Bein entsprechende Hebung der andern Hüfte. Der vordere Rand wirkt in der Normalstellung pro- natorisch rotirend und beugend, der hintere supinatorisch rotirend und streckend. Der Glutaeus minimus unterstützt die mittlere Partie des Medius. Specielle Muskelniechanik. 263 Die kleinen inneren Hüftmuskeln sind sämmtlich supinato- rische Rotatoren, ohne merkliche flexorische Nebenfunction. 313. Der lleopsoas ist der stärkste Hüftbeuger. Seine supi- natorisch rotirende Wirkung ist unwesentlich. Dagegen ist zu be- achten, dass er bei lixirtcm Schenkel rückwärts auf die Wirbel- säule wirkt, indem er das Kreuz hohl macht {lo6) und das Becken vornüber kippt. Er ist daher auch Hemmungsmuskel für die Rückwärtsneigung des Beckens, oder die Rückwärtsstreckung der Schenkel (258). 314. Von den Adductoren hat der Pectineus neben der ad- ductorischen auch beugende Wirkung und rotirt in supinatorischem Sinne. Ebenso verhalten sich Adductor brevis und longus. Der Adductor magnus vermag in seinem oberen Theile eine beugende, im unteren eine extendirende Wirkung zu entfalten, bei schon vor- handener Beugestellung wirken alle seine Fasern streckend. Seine Ilauptwirkung ist selbstverständlich die Adduction, dagegen haben nur die obersten Fasern rotirende, und zwar supinatorische Neben- wirkung. Der Gracilis ist Flexor, indem er den gestreckten Schenkel beugt, aber schon bei geringer Bewegung in Streckwirkung über- geht, gleichzeitig Adductor und pronatorischer Rotator. 315. Der Tensor fasciae latae wirkt, wie man sich leicht überzeugen kann, nicht nur als Fascienspanner, sondern betheiligt sich an der Beugung des Oberschenkels. Hierin wird er vom Sartorius unterstützt, wobei sich die rotatorischen Wirkungen der beiden Muskeln gegenseitig aufheben. Ganz ähnlich wirkt der lange Kopf des Quadriceps, der in der Beugestellung ausserdem gleichzeitig abducirt. Die beiden seitlichen Köpfe wirken gemeinschaftlich als eigentliche Extensores eruris, und zwar herrscht der Zug des lateralen Muskels derart vor, dass die Kniescheibe an den äusseren Rand der Fossa pa- tellaris angedrückt und unter Umständen nach aussen luxirt wird. 316. Die am Oberschenkel gelegenen ünterschenkelbeuger sind typisch zweigelenkig, indem sie zugleich als Strecker des Hüft- gelenks und Beuger des Unterschenkels dienen. Die Beugewirkung des Semimembranosus und Seraitendinosus wird vom Gracilis unter- stützt, zu dem sich auch der Sartorius, obgleich im übrigen Beuger 264 Fünfter Abschnitt. des Hüftgelenks, zugesellt. Diese auf der medialen Seite der Tibia angreifenden Muskeln bewirken gleichzeitig bei freiem Knie- gelenk die pronatorische Rotation des Unterschenkels (241). Der Biceps ist Strecker des Oberschenkels, Beuger des Knie- gelenks und Supinator des Unterschenkels. Der Popliteus wirkt dieser supinatorischen Drehung entgegen. Seine Anheftung an den lateralen Zwischenknorpel ist wahrschein- lich für dessen Bewegung bei der Beugung des Knies von Bedeutung. 317. Den Unterschenkelbeugern gesellen sich auch die am Unterschenkel gelegenen langen Kfipfe des Triceps surae, die Ge- melli, da sie vom Femur entspringen und über das Kniegelenk hinwegziehen. Ihre beugende Wirkung auf das Kniegelenk ist aber gering. Bei stark gebeugtem Knie sind die Gemelli an sich ver- kürzt, und können deshalb auch zur Streckung des Fusses nur wenig beitragen, die dann vornehmlich der Soleus übernimmt. Die Plantarflexion des Fusses, die der Gastrocnemius hervorbringt ist mit Adduction oder supinatorischer Drehung des Fusses verbunden. Daher drückt infolge der Thätigkeit des Gastrocnemius hauptscäch- Hch der äussere Fussrand auf den Boden. Bei fixirtem Fuss, und zwar auch schon beim Stehen auf festem Boden, wobei ja der Plantarflexion ein starker Widerstand entgegen gesetzt wird, übt der Wadenmuskel die umgekehrte Wirkung aus, nämlich den Unterschenkel im Fussgelenk nach rückwärts zu drehen, also den Unterschenkel, wenn er nach vorn geneigt war, aufzurichten. Da- durch wirkt der Wadenmuskel mittelbar als Strecker des Knies, und zwar ist es diese Nebenwirkung des Wadenmuskels allein, die beim normalen Stehen die Streckstellung der Kniee aufrecht erhält {157) (329). Der Plantaris longus hat vom mechanischen Standpunkt keine Bedeutung. Seine Sehne geht nicht in die Fascia plantaris über, sondern schliesst sich der Achillessehne an. 318. Der Peroneus longus ergänzt die Thätigkeit des Waden- muskels, indem er eine pronatorische oder abductorische Drehung des Fusses hervorbringt. Die Spannung seiner Sehne ist für den Aufbau des Mittelfusses von Bedeutung. Durch die Anordnung seiner Fasern ist dieser Muskel im Stande, trotz seiner geringen Masse eine sehr bedeutende Kraft zu entfalten, allerdings nur auf Specielle Muskelmechanik. 2(55 eine entsprechend kleine Strecke, die aber für die beschränkte Beweglichkeit des Fusses in der angegebenen Richtung hinreicht. Der Peroneus brevis wirkt als reiner Abductor oder Pronatoi', indem er den lateralen Fussrand anzieht. 319. Der Tibialis posticus ist reiner Adductor oder Supinator, da er den inneren Fussrand anzieht. Der Tibialis anticus bringt Dorsalflexion des Fusses, verbunden mit Adduction oder supinatorischer Drehung des Fusses herV'Or. Als Dorsalllector wird er wesentlich unterstützt durch Extensor digitoiuni communis longus, Extensor hallucis longus und Peroneus tertius. 320. Der Extensor digitorum communis wirkt ferner, gemein- schaftlich mit dem Extensor communis brevis, streckend auf die erste Phalange der Zehen, wobei die zweite und dritte Phalange durch die Spannung der Beugesehne in Beugung gehalten wird. Ebenso streckt der Extensor hallucis longus die erste Phalanx des grossen Zehes. Der Flexor digitorum communis wirkt hauptsächlich auf die letzten Phalangen ein, und beugt dadurch mittelbar die Zehen im Ganzen. Flierbei werden zugleich die Spitzen der Zehen derart zusammengezogen, dass eine geringe Rotation in den einzelnen Zehen hervorgebracht wird, indem die medialen Zehen pronatorisch, die lateralen supinatorisch der Mittelaxe zugewendet werden. Diese Zugwirkung wird durch den Accessorius unterstützt, der selbst- ständig keiner mechanischen Wirkung fähig ist. Der Flexor digitorum brevis beugt dagegen nur die zweite Phalanx, ohne auf die erste eine wesentliche Wirkung auszuüben. Dasselbe gilt vom Flexor hallucis longus. Der Flexor hallucis brevis ist gemeinsam mit dem Abductor und Adductor zu be- trachten. Die an das mediale Sesambein ansetzenden Muskel- bündel bedingen tibiale, die an das laterale Sesambein ansetzenden fibulare Flexion des grossen Zehes, gemeinsam bringen sie Beugung der ersten Phalanx hervor, bei der gleichzeitig die zweite Phalanx gestreckt wird. Ebenso wirken die Interossei an den übrigen Zehen. Verein- zelt bringen sie bekanntlich Ab- und Adductionsbewegungen der Zehen gegen die Axe des zweiten Zehes hervor. Paarweise auf die einzelnen Zehen wirkend, beugen sie, ganz wie die Interossei 266 Fünfter Abschnitt. der Hand, die erste Phalanx, indem sie gleichzeitig die zweite und dritte strecken (310). Die quere Portion des Adductor trägt offenbar weniger zur Bewegung bei, als zur Querspannung des Fussgewölbes (247). Die sämmtlichen als Plantarflectoren aufgezählten Muskeln wirken bei fixirten Zehen, also auch beim Stehen auf dem Zehen- ballen, umgekehrt rückwärts neigend auf den Fuss. Diese Wirkung ist bei weitem häufiger und wichtiger als die der Zehenbewegung vom fixirten Fuss aus (330). § 3. Die Bewegung ganzer Körpertheile. 321. Nach dem am Anfang dieses Theiles (287) aufgestellten Hauptsatze ist es klar, dass eine üebersicht über die Wirkung der einzelnen Muskeln für die Beurtheilung der Bewegungen des Le- benden nur sehr wenig Werth hat. Denn der einzelne Muskel wirkt nie allein, und die Wirkung mehrerer Muskeln setzt sich aus der Einwirkung nicht durch einfache Summirung, sondern in viel ver- wickelterer Weise zrsammen. Ausserdem sind die Bewegungen des Körpers, wie in der Allgemeinen Gelenkmechanik und der Allge- meinen Muskelmechanik ausgeführt worden ist, auch abhängig von der gegenseitigen Beeinflussung der Körpertheile, und überdies meist noch von äusseren Kräften, wie die Anziehung der Erde, der Wider- stand des Bodens oder anderer fester Punkte der Umgebung und anderer mehr. Statt die Bewegungsweise des Körpers nach der anatomischen Eintheilung der einzelnen Muskeln darstellen zu wollen, was erst der allerletzte Schritt in dem Ausbau der Speci- ellen Physiologie der Bewegungen sein kann, sollte man daher vielmehr die unendliche Mannichfaltigkeit der Bewegungen plan- raässig in einzelne Bewegungsformen eintheilen, und diese jede für sich als einheitliches Ganzes untersuchen. Dabei wäre zugleich auf die äusseren Bedingungen zu achten, unter denen die betreffende Bewegung stattfindet. Denn es macht einen grossen Unterschied, ob zum Beispiel die Beugung der Knie frei in der Luft oder unter dem Einfluss der Körperlast im Stehen vor sich geht. Um wenigstens eine Vorstellung davon zu erwecken, wie sich die Darstellung der Bewegungsweise bei dieser sachgc- gemässen Anordnung gestaltet, wird der in Folgendem gegebene Specielle Muskelmechanik. 267 Abriss hinreichen. Es soll dadurch die vorliegende Aufgabe niclit etwa gelöst, sondern nur deutlicher vorgeschrieben werden. 322. Die Bewegungen des Kiefergelenks lassen vier einzelne Hauptformen erkennen: Schliessen und Oeffnen des Mundes, die stets in beiden Gelenken gleichzeitig vor sich gehen, und Ver- schieben des Unterkiefers, das entweder gleichseitig oder nur auf einer Seite stattfinden kann. Das Schliessen des Mundes, oder die ßeissbewegung des Unterkiefers ist ein Beispiel dafür, dass die Muskelkraft nicht immer unter ungünstigen Hebeverhältnissen ausgenutzt wird. Die Schliessmuskcln, Temporaiis und Masseter, greifen ungefähr senk- recht der Richtung des Unterkiefers, also grade in der Richtung der Bewegung an (268), und die hinteren Molarzähne sind nicht viel weiter vom Gelenk entfernt, als die äussere Grenze der Muskel- ansätze. Daher wirkt an dieser Stelle bei annähernd geschlossenem Munde fast die volle Muskelkraft. Bei geöffnetem Munde ändert sich jedoch die Zugrichtung der ^Muskeln gegen den Unterkiefer sehr stark, besonders weil die Ge- lenkköpfc dabei nach vorn gleiten. Dadurch ist bei geöffnetem Munde die Beisskraft sehr viel geringer, bei äusserster Oeffnung fast Null. Die Bewegung des Mundöffnens ist insofern räthselhafr, als sie, wie sich leicht feststellen lässt, im Gegensatz zu der Angabe anatomischer Lehrbücher, mit sehr beträchlicher Kraft ausgeführt werden kann, ohne dass die mechanische Wirkungsweise irgend eines Muskels hierzu besonders geeignet erschiene. Die kleinen Zungenbeimuskeln, denen gewöhnlich diese Verrichtung zugeschrieben wird, haben gar nicht soviel Kraft. Auch während der Unterkiefer mit sehr grosser Kraft im Sinne der Oeffnung gegen einen Widerstand gepresst ist, lässt sich das Zungenbein zwischen zwei Fingern ganz leicht hin und her schieben. Man muss daher wohl annehmen, dass die sogenannten Kaumuskeln auch die Oeffnungsbewegung des Unterkiefers ausführen. Vom Pterygoideus externus wird ange- geben, dass er sich beim Oeflnen des Mundes contrahirt. Es ist denkbar, dass durch Vorwärtsziehen des Ramus condyloideus, während der untere Theil des Kieferwinkels zurückgehalten wird, eine starke Drehung des Unterkiefers im Sinne der Oeffnung zu Stande kommt. 268 Fünfter Abschnitt. Das einseitige und zweiseitige Vorschieben des Unterkiefers geschieht unzweifelhaft vornehmlich durcli die Pterygoidci, dereu ganzer Bau diesem Zweck entspricht. 323. Bei den Bewegungen der Wirbelsäule sind drei Haupt- formen zu trennen: Flexion in der Sagittalebene, Flexion in der Frontalebene, Rotation. Alle drei können auch gemeinsam gleich- zeitig ausgeführt werden. Da die anatomische Trennung der ein- zelnen Muskeleinheiten der Wirbelsäulenmuskulatur in mechanischer Beziehung nicht durchführbar ist, hat man die Bewegungen der Wirbelsäule von jeher im Ganzen betrachten müssen. Was hier zu sagen wäre, würde sich also mit den Bemerkungen decken, die schon in dem vorhergehenden Theile angeführt worden sind (302). Doch ist auf die Beziehungen der Bewegung der Wirbelsäule zu der anderer Gelenke und zu äusseren Kräften, wie zum Beispiel die Anziehungskraft der Erde, hinzuweisen. Was zunächst die Halswirbelsäule in ihrer Beziehung zum Kopf betrifft, so kommt die Schwere des Kopfes bei allen Stellungs- änderungen des Körpers wesentlich in Betracht. Es ist deshalb sehr häufig die Hals- und Nackenmuskulatur in der Lage, auf die Gewichtsvertheilung einen Einfluss zu üben, und betheiligt sich daher an Bewegungen, auf die sie dem Anschein nach gar keinen Einliuss ausüben kann. Die Art und Weise, wie die Halsmuskulatur wirkt, hängt dabei sehr stark von der Einwirkung der Erdschwere ab. Weber nahm an {158), dass der Kopf normaler Weise auf den Condylen des Hinterhauptes im Gleichgewicht ruhe. Braune und Fischer (159) haben dagegen gefunden, dass der Kopf ge- wöhnlich so gehalten wird, dass er nach vorn überzukippen strebt. Demnach wird gewöhnlich die Nackenmuskulatur eine gewisse Spannung ausüben müssen, um den Kopf im Gleichgewicht zu halten. Um eine Nickbewegung auszuführen, braucht nun diese Spannung bloss nachzulasen. Aehnlich wird sich die seitliche Muskulatur bei seitlich geneigtem Körper verhalten. Ganz dasselbe gilt in stärkerem Maasse von der Muskulatur der ganzen Wirbelsäule, insbesondere vom grossen Rückenstrecker. Dieser entfaltet seine Thätigkeit theils bei fixirtem Becken, um die Wirbelsäule in bestimmten Streckstellungen zu halten, haupt- sächlich aber gemeinschaftlich mit der Bewegung des Beckens um die gemeinsame Axe der Hüftgelenke. Der Rumpf stellt gewisser- i Specielle Muskelraeohanik. 269 maassen einen verlcängerten Hebelarnn dar, durch den die Bewegung des Beckens auf die arbeitenden oberen Extremitcäten übertragen wird. Dieser Hebelarm ist aber nicht starr, sondern biegsam, und seine Muskulatur trägt zu der Arbeitsleistung bei, schon wenn sie bloss die Wirbelsäule während der Bewegung des Beckens steif- hält. Meist aber trägt sie ausserdem noch activ zur Bewegung bei. Dies ist der Mechanismus, durch den eine schwere Last gehoben wird, die sich schon etwa in Kniehöhe befindet. Der Rumpf wird durch Neigung des Beckens und Biegung der Wirbelsäule vorgebeugt, die herabhängenden Hände ergreifen die Last und nun werden das Becken in den Hüftgelenken und zugleich die Wirbelsäule auf dem Becken wieder aufgerichtet. Die Arme bilden gleichsam nur das Tragband zwischen dem oberen Ende des Rumpfes und der Last, machen aber unter dem Einfluss der Bewegung der Wirbelsäule eine passive Bewegung im Sinne der Flexion im Schultergelenk (7). Bei solchen Bewegungen des Rumpfes, gleichviel mit oder ohne Belastung, spielt die Anziehungskraft der Erde wiederum eine wesentliche Rolle. Ist der Rumpf nach vorn geneigt, so strebt er vornüber zu fallen. Dies verhindert die Streckrauskulatur des Rückens. Soll nun der Rumpf weiter nach vorn gebeugt werden, so braucht keine active Beugebewegung gemacht zu werden, sondern es genügt, wenn die Thätigkeit der Strecker nachlässt. Die Beuger können also während einer Beugebewegung voll- kommen unthätig sein, während die Strecker dauernd in gewissem Grade thätig sind. Man darf dies aber nicht so ausdrücken, dass man sagt es seien die Strecker, die die Beugebewegung ausführen. Denn die bewegende Kraft ist in dem vorliegenden Fall die Schwere. Eine irrige Auffassung dieses Verhältnisses hat zu der Annahme geführt (160), dass bei einseitiger Lähmung des grossen Rückenstreckers die Wirbel- säule, statt durch den Zug des gesunden Muskels nach der gesunden Seite herübergezogen zu werden, vielmehr nach der kranken Seite überhänge, weil die angebliche Beugewirkung des gesunden Muskels nicht mehr durch die des erkrankten aufgehoben werde. Falls die Beobachtung richtig ist, ist doch die Erklärung sicherlich falsch. Es wäre nur denkbar, dass der Patient den Streck- muskel der gesunden Seite erschlaffen und mithin die Wirbelsäule nach der kranken Seite überhängen lässt, damit auf der kranken Seite die Schwere den fehlenden Muskelzug ersetzen könne. In solchen Fallen, in denen die Schwere überhaupt nicht oder nicht kräftig genug im Sinne der Rumpfbeugung wirkt, tritt erst die eigentliche Wirkung der Beugemuskeln ein. Hier ist in erster 270 Fünfter Abschnitt. Linie der Rectiis abdominis zu nennen. Ist der Oberkörper fixirt, Wirbelsäule und Becken dagegen frei, wie es zum Beispiel beim Hang an den Armen der Fall ist, so zieht er Becken und Wirbel- säule zugleich gegen den Brustkorb empor und beugt dadurch die Wirbelsäule. Ist dagegen, wie beim Stehen, das Becken mehr oder weniger in den Hüftgelenken festgestellt, so kann er auf die- selbe Weise eine typische Rumpfbeugung hervorbringen (258). Hierzu bedarf es activer Muskelwirkung wenn die Bewegung schneller gemacht werden soll als sie durch die blosse Schwere \or sich geht, ferner zum Anfange der Beugung, wenn die Schwere den aulgerichteten Rumpf noch nicht stark genug vornüber zieht, endlich bei äusseren Widerständen. Aehnlich wie der Rectus abdominis wirkt auch der Psoas, nur dass er nicht unmittelbar, sondern erst durch Vermittlung des Hüftgelenks und der Lenden Wirbelsäule auf das Becken wirken kann. Er wird daher die Krümmung der Wirbelsäule erst dann kräftig beeinflussen, wenn durch vollendete Beugung des Hüft- gelenks sein unterer Ansatzpunkt festgestellt ist (313). Auf die Bewegung der Wirbelsäule wirkt ferner die gesammte Athemmuskulatur ein. Bei jeder grösseren Anstrengung wird der Brustkorb, zur Unterstützung der Wirbelsäule festgestellt. Auch die Spannung der Bauchmuskulatur und der dadurch ausgeübte Druck auf die ßaucheingewcide trägt zur Steifung der Wirbel- säule bei. 324. xAm deutlichsten tritt der Unterschied zwischen der Be- trachtung der einzelnen Muskeln und der der ganzen Bewegungen an den Schulterbewegungen hervor. Die Zahl der betheiligten Muskeln und der möglichen Bewegungen ist hier sehr gross, und die einzelnen Muskeln arbeiten daher in Wirklichkeit unter fort- während wechselnden Bedingungen, sodass sie in ihrer Gesaramt- wirkung ganz andere Bewegungen hervorbringen, als nach den unter gleichbleibenden Bedingungen angestellten Beobachtungen am Einzelmuskel zu vermuthen wären. Bei der freien Beweglichkeit des Armes wird man für eine grosse Zahl von einzelnen Stellungen die Bewegung nach zwei Hauptrichtungen und ausserdem die Rotation untersuchen müssen, um von den Bewegungen des Armes in der Schulter ein voll- ständiges Bild zu geben. Specielle Muskelmechanik. 271 Hier mögen nur einzelne Bewegungen als Beispiele kurz be- jiandelt werden. Die Abduction des Armes aus der fnsswärts ge- streckten Grundstellung in der frontalen Ebene zur kopfwärts gestreckten Stellung wird zum Theil durch Bewegung im Schulter- gelenk, zum Theil durch Bewegung des Schulterblattes hervor- gebracht. Wird der Deltoi'deus allein elektrisch gereizt, oder ist die Schulterblattrauskulatur gelähmt, so wird der Arm nur bis zur Schulterhöhe gehoben indem das Schulterblatt der Last des Armes nachgiebt (288). Daraus hat man geschlossen, dass auch normaler- weise die Hebung bis zur Schulterhöhe durch Drehung im Schulter- gelenk vermittelst des Deltoideus, die weitere Erhebung des Armes durch Drehung des Schulterblattes hervorgebracht werde. Es ist wohl das wichtigste Ergebnis der Röntgenuntersuchung, dass sie das wirkliche Verhältnis zwischen der Bewegung des Schulter- blattes und des Schultergelenks unmittelbar veranschaulicht. Selbst Duchenne war in dem oben bezeichneten Irrthum verfallen. Steinhausen {16t) hat sich das Verdienst erworben, ausführlich und klar nachzuweisen, dass bei der beschriebenen Erhebung des Armes der Winkel zwischen der lateralen Kante des Schulter- blattes und der Längsaxe des Humerus während der Hebung dauernd zunimmt, und zwar sogar zuletzt am stärksten. Fio-ur 46. Figur 45. 272 Fünfter Abschnitt. Figur 47. Figur 45, iG und -47: Die Bewegungen der Schulter beim seitlichen p]rhebca des Armes nach Stein hausen. Die Figuren sind Umrisse von Röntgenbildern des Lebenden. In Figur 45 ist die Ruhestellung des herabhängenden Armes wiedergegeben. Der Winkel zwischen Hunierusaxe und Schulterblattrand beträgt 32''. In Figur 46 ist der Arm bis zur Wagerechten gehoben. Der Winkel zwischen Schulterblattrand und Humerusaxe beträgt 86°, dabei ist aber der Schulterblattrand um 36° nach lateralwärts gedreht. In Figur 47 ist die Humerusaxe senkrecht emporgerichtet, der Winkel zwischen ihr und dem Schulterblattrand beträgt 152", der Schulter- blattrand ist aus der Ruhestellung um 60° latei'alwärts gedreht. Daraus geht hervor, dass die' Bewegung im Schulter- gelenli, also die Thätigkeit des Deltoideus durchaus nicht auf die Hebung bis zur Sohulterliöhe beschränkt ist, und dass sich das Schulterblatt auch an den geringeren Graden der Abductionsbewegung betheiligt. Dies Ergebnis ist von anderer Seite noch bestätigt worden {162). Unter den Muskeln, die dieser Bewegung des Schulterblattes dienen, wird der Trapezius, dessen Thätigkeit von aussen bemerkbar ist, meist an erster Stelle genannt. Duchenne schreibt aber wohl mit Recht dem Serratus anticus die wichtigste Rolle zu. Die Betrachtung dieser Bewegung zeigt sehr deutlich, dass die systematische Trennung von Bewegungen des Schulterblattes Specielle Muskelmecliauik 273 und Bewegungen des Schultergelcnks unnatürlich ist. Die Be- wegung des Schulterblattes ist eine nothwendige Ergänzung der Bewegungen des Schultergelenks, sie dient dem Endzweck der Bewegung des Armes. In derselben Weise sind weiterhin auch die Bewegungen des Schultergelcnks und Ellenbogengelenks ihrer- seits auf den Hauptzweck der Bewegungen der Hand zu beziehen. Dies mag an einer anderen Bewegung der Schulter, nämlich der Bewegung des Armes in der Sagittalebene erläutert werden. Figur 48. ^35- ,,3 .,, Uebersicht über die Winkelbewegung des Schulterblattrandes und der Huraerus- längsaxe beim seitlichen Erheben des Armes, nach Steinhausen 's Angaben. Die Winkel sind füi- 5 verschiedene Stellungen während der Bewegung ange- geben. SA — SA^ sind die Stellungen des Schulterblattrandes. SH — SH* die entsprechenden Stellungen der Humerusaxe. SAH ist die Ruliestellung. Ist der Arm in dieser Ebene vorwärts erhoben (extendirt) und soll einem erheblichen Widerstände entgegen wieder in die Grund- stellung gebracht werden, so wirken auf ihn zwei kräftige Muskeln, Pectoralis major und Latissimus dorsi, die unmittelbar vom Rumpf auf den Humerus übergehen. Damit diese Muskeln eine kräftige Wirkung auf den Arm ausüben können, ist es nöthig, dass der Drehpunkt, um den der Arm als Hebel beweglich ist, also das Schultergelenk, fixirt werde. Sonst würde der Arm annähernd R. du Bois-R ey moiul, Spec. Muskelphysiologie. 18 274 Fünfter Abschnitt. seine Lage behalten, und die Zusamraenzieiiung der Muskeln würde nur das Schulterblatt fusswärts drängen. Auch hier ist also Vor- bedingung für die Bewegung des Armes, dass die Muskeln in Thätig- keit treten, die das Schulterblatt fixiren. Es braucht aber nicht beim Fixiren allein zu bleiben, sondern die Bewegung wird offenbar gefördert, wenn sich das Schulterblatt activ der Beanspruchung entgegen bewegt. Diese Anschauung wird gestützt durch die Betrachtung eines analogen Falles, der bei Luxationen vorkommt. Der Deltoideus zum Beispiel kann ge- spannt werden durch seine eigene normale Zusammenziehung. Er kann aber auch dadurch gespannt werden, dass der Humeruskopf aus der Pfanne heraus in diö Achselhöhle tritt. Ebenso wird es zur Spannung des Latissimus dorsi beitragen, wenn die Schulter durch Vorschieben des Schulterblattes nach vorn gerückt wird. • Man kann dies auch ausdrücken, indem man sagt, dass das Schulterblatt während der Bewegungen des Armes stets die Stellung annehmen wird, in der die auf den Arm wirkenden Muskeln die stärkste Wirkung entfalten können. Die beschriebenen Bewegungen des Armes in der Schulter wirken selbstverständlich auf die Hand, gleichviel ob das Ellen- bogengelenk während dessen durch seine eigenen Muskeln fest- gestellt ist oder nicht. In letzterem Falle wird die Bewegung des Oberarmes zusammen mit einem an der Hand angreifenden Wider- stände die Bewegung des Ellenbogens bedingen. Dieser Einfluss der Schulterbewegungen auf das Ellenbogen- gelenk wird dadurch noch verändert, dass zweigolenkige Muskeln ins Spiel kommen (283) (306j. Doch ist dieser Umstand hier von geringer Bedeutung, weil die Stellung des Schultergelenks die Lage der Muskeln zu ihrem Ursprungspunkt nicht sehr stark ändert. Hängt der Körper au den Händen und sollen die Ellenbogen gebeugt werden, um ihn in die Höhe zu ziehen, so kann dies in ausgiebigem Maasse nur geschehen, wenn gleichzeitig die Schultergelenke gebeugt werden. An der gesammten Bewegung wird sich daher die Muskulatur der Schulter ebenso kräftig betheiligen, wie die des Ellenbogens. Von dem Einflüsse der Bewegungen des Ellenbogengelenks auf das Schultergelenk ist schon in der Allgemeinen Muskelphy- siologie ausführlich gehandelt worden (274). Specielle Muskclmechanik. 275 325. üeber die Beugung und Streckung des Ellenbogens und deren Beziehungen zu Schulter- und Handgelenk sind im Vorher- gehenden so viele Andeutungen gemacht, dass hier wohl darüber hinweggegangen werden kann (306, 307). Dagegen rauss der Einfluss der Pronations- und Supinations- bewegung des Unterarms erwähnt werden, der der Hand die Mög- lichkeit der Drehung um 120 ^ gewährt, und so gewisserraaassen dem Ellenbogengelenk die Bewegungsfreiheit eines Kugelgelenks -giebt. Die Form der Bewegung ist oben (223) beschrieben. Die Bewegung wird hervorgebracht durch Abwickeln und Auf- wickeln der Sehnen auf den Knochen. Daher sind diejenigen Muskeln die stärksten Pronatoren und Supinatoren, die quer an den Knochen herangehen und folglich in der Drehungsrichtung wirken können. Dies gilt vom Biceps, der ausserdem durch eine grosse Muskelmasse zu sehr kräftiger Wirkung befähigt ist, und vom Pro- nator epadratus. Dagegen sind Supinator brevis und Pronator teres wegen ihres schrägen Verlaufes nur mit einer kleinen Com- ponente ihrer Zugkraft als Dreher wirksam. Ausser diesen vier besonders betheiligten Muskeln können je nach der Stellung des xA.rmes auch andere Muskeln in einem oder den andern Sinne drehend auf die Hand einwirken. So spannt sich bei angestrengter Pronation auch der Extensor carpi ulnaris an. Ebenso ist es bei der Supination. Bekanntlich hiess der ßrachioradialis früher Supinator longus, weil er in Pronationsstellung supinatorische Wirkung hat. Die Supinationsbewegung lässt sich, wohl haupt- sächlich wegen der Mitwirkung des Biceps, mit sehr viel grösserer Kraft ausführen, als die Pronation. Aus diesem Grunde ist bei allen Vorrichtungen, die vermittelst der rechten Hand gedreht werden sollen, Schrauben, Thürklinken und anderem mehr, die Rechtsdrehung zweckmässiger (7). In solchen Fällen, wo eine Linksdrehung des rechten Armes kraftvoll ausgeführt werden soll, wird daher in der Regel nicht die Pronation, sondern vielmehr die Rotation des Schultergelenks zur Aushülfe herbeigezogen. Die Pronation und Supination hat wegen der Aufwickelung der Sehnen des Biceps und Pronator teres eine Beziehung zu dem Kraftmaass des Ellenbogens. Ist der Arm in Pronalionsstellung, so ist die Bicepssehne durch die Auf- wickelung verkürzt, der Muskelbauch also angespannt, woraus man auf eine -grössere Kraftentwickelung schliessen kann (252). Indessen muss, damit der 18* 276 Fünfter Abschnitt. Arm in dieser Stellung gebeugt werde, die supinatorische Wirkung des Biceps durch andere Kräfte aufgehoben werden, wobei der scheinbare Vortheil der Pronationsstellung verloren geht. Denn die Erfahrung zeigt, dass sich der an den Händen hängende Körper bei Supinationsstellung öfter an den Armen emporziehen kann (,, Klimmzug mit Untergriff"), als bei Pronationsstellung (,, Klimmzug mit Aufgriff"). 326. Bei genauer Betrachtung der Pronations- und Supinations- bewegung wird man gewahr, dass nicht der Radius allein, wie oben beschrieben (223), um die vom Capitulum radii zum Pro- cessus styloideus ulnae verlaufende Axe einen Kegelmantel be- schreibt, sondern dass auch die ülna an der Bewegung theilnimrat. Ihr unteres Ende beschreibt gleich dem des Radius einen Kreis- bogen, aber nur einen viel kleineren, in entgegengesetzter Richtung (108). Dies erklärt sich daraus, dass die Ulna im Ellenbogen- gelenk nicht absolut zwangläufig geführt wird, sondern, wenn sie nicht durch Muskelzug fixirt ist, mit ihrem distalen Ende wackelt. Wird nun die Hand in drehende Bewegung gesetzt, so wirkt ihr Trägheitsmoment im umgekehrten Sinne auf die Ulna drehend zurück, und statt dass die Hand um den Processus styloideus ulnae als absolut festen Punkt gedreht wird, strebt sie vielmehr, sich um ihre Schweraxe zu drehen, sodass als thatsächliche Be- wegung eine Drehung um eine zwischen der schematischen Kegel- axe und der Schweraxe der Hand gelegene Linie herauskommt. Um diese Linie beschreibt der Radius einen grossen, die Ulna einen kleinen Kreisbogen. Dieser Umstand kann bei Untersuchung von Verletzten Täuschungen veranlassen. 327. Die Bewegungen der Hand sitid, wie schon oben ange- deutet, in den meisten Fällen der Zweck, auf den sich die Bewe- gungen von Ellenbogen und Schulter beziehen. Die Mechanik der oberen Extremität müsste also streben, aus den bei der Bewegung der Hand gesetzten mechanischen Bedingungen das Verständniss der Armbewegungen zu entwickeln. Was die Bewegung der Hand selbst und die verwickelten Be- ziehungen ihrer einzelnen Theile zu einander betrifft, sind die wesentlichsten Punkte schon im Vorhergehenden angegeben (286 bis 308). Die Beugung der einzelnen Phalangen steht in be- stimmtem Abhängigkeitsverhältniss von einander, die Beugung der Specielle Muskelmechanik. 277 Finger im Ganzen ist wieder von der Stellung der Mittelhand ab- liängig (283). Die Bewegung der Hand ist aber nicht nur von ihrem inneren Bau, sondern in hohem Grade auch von der Gegenwirkung äusserer Widerstände abhängig. Dies tritt in folgender Schilderung von Zuckerkandl und und Erben deutlich hervor: „Das Erfassen geschieht nicht so, dass wir "die Finger um den Gegenstand legen und denselben gegen die Hohlhand pressen, was man voraussetzen würde. Man legt stets die Gegend des ersten Interphalangealgelenkes an das Object, daran schliesst sich erst eine Beugung der Endphalange; der Widerstand des Objectes ersetzt in diesem Falle die Fixation der Mittelphalange. Nun wird die Faust durch eine Beugung der Grundphalange geschlossen. Bei dieser Beugung wird aber nicht das periphere Glied gegen den den centralen Theil bewegt, sondern umgekehrt, der Gegenstand bleibt der Fixpunkt und die Hohlhand wird an denselben heran- gezogen, wodurch unter anderm eine Streckung im Handgelenk bewirkt wird" {163). Die Gesararatbewegung der Hand hängt anderseits auf mehr- fache Weise mit der des Ellenbogens zusammen. Wenn man bei aufgestütztem, rechtwinklig gebeugtem Ellenbogen die lässig empor- stehende Hand zur Faust ballt, so erfolgt durch die Wirkung der zweigelenkigen ünterarmmuskeln eine Beugung des Ellenbogens. Ferner muss, nach der von Fischer für Ellenbogen und Schulter entwickelten Lehre, der ganze Arm bei den Beugungen der Hand, durch die Schwere der in Bewegung gesetzten Massen, in gewissem Grade beeinflusst werden. Viel bedeutender ist aber der Einlluss, den unter gewöhnlichen Bedingungen die Anziehungskraft der Erde auf die Stellung der Hand und des Armes ausübt. Für jede noch so einfache Bewegung der Hand besteht aus diesen Gründen eine fein abgestufte wechselseitige Beeinflussung der peripherischen und centralen Theile des Bewegungsapparates. Im weiteren Sinne tritt schliesslich der ganze Körper, je nach der Stellung, die er einnimmt, zu der einzelnen Bewegung in Beziehung. Diese gemeinsame Thätigkeit ist aber durch die fortwährende üebung so zur Gewohnheit ge- worden, dass sie unbewusst und fast unmerkbar abläuft. Man denke beispielsweise an die Bewegung, mit der mau einen etwa von 278 Fünfter Abschnitt. einem Schranke herabgefallenen Gegenstand aufhebt und wieder zurücklegt. Die Hand ergreift den Gegenstand am Erdboden und hebt ihn in grader Linie bis zur erforderlichen Höhe empor. Welche verwickelte Zusammenarbeit von Beinen, Rumpf und Arm ist nicht erforderlich, die Gradführung der Hand auf diesem Wege zu bewerkstelligen! Hier ist selbstverständlich von keinem gesetz- mässigen mechanischen Zusammenhang die Rede, sondern die Thätigkeit der Muskeln wird durch coordinirte Innervation geregelt. Es besteht aber auch eine rein mechanische Beziehung der einzelnen Gelenkbewegungen zu einander, die nur eine weitere Ausdehnung derselben mechanischen Beziehungen dar- stellt, wie sie etwa zwischen Hand und Schulter bestehen. 328. Bei der Betrachtung der unteren Extremität tritt der Unterschied zwischen der systematischen Darstellung der Wirkung einzelner Muskeln auf die frei beweglichen Körpertheile und der Untersuchung der wirklichen Bewegungen noch stärker hervor, als, bei der der oberen Extremität. Die wirklichen Bedingungen sind den scheraatischcn geradezu entgegengesetzt, indem hier in den allermeisten Fällen gerade der peripherische Theil, der Fuss, den festen Punkt abgiebt, von dem aus die übrigen Theile bewegt werden. Die vom Becken zum Oberschenkel verlaufende Muskulatur dient nur ausnahmsweise der Bewegung des Oberschenkels, in der Regel vielmehr der Feststellung des Beckens auf dem Schenkel, der seinerseits als festgestellte Stütze anzusehen ist. Hinsichtlich der Bewegung des Beckens auf den Schenkeln sind namentlich zwei Fälle zu unterscheiden: Das Becken bewegt sich um die gemeinsame Axe beider Hüftgelenke wie auf einem combinirten Gelenk (182), es kippt also vorwärts oder rückwärts in sagittaler Richtung. Dann erscheinen die hinteren Oberschenkelmuskeln als Becken- oder Rumpfstrecker, bei äusserster Beugung vom Glutaeus maximus unterstützt, die vorderen Oberschenkelmuskeln als Rumpf- beuger. Der zweite Fall ist der, dass das Becken auf Einem Hüftgelenk seitlich bewegt wird. Dann sind es die Adductoren des Oberschenkels, insbesondere der Glutaeus medius, die das Medialwärtskippen, die Adductoren, die bei stark seitlich geneigtem Rumpf das Lateralwärtskippen des Beckens hindern. Die Bewegungen des Beckens sind in gewissem Grade ab- hängig von der gleichzeitigen Stellung der Kniee. So ist die Beu- gung des Rumpfes bei durchgedrückten Knieen erschwert (316). Specielle Muskelmechanik. 279 Umgekehrt sind die Bewegungen des Kniegelenkes in verschiedener Weise von der Bewegung des Hüftgelenkes abhängig. 329. Im Kniegelenk handelt es sich fast allein um die zwei Hauptbewegungen der Beugung und Streckung. Dieser Fall ist also als ein möglichst einfaches Beispiel geeignet, um die mannich- fachen Bedingungen anschaulich zu machen, die beim wirklichen Gebrauch der Glieder in Betracht kommen. Die Bewegungs- bedingungen sind andere, je nachdem das Bein auf dem Erdboden steht, sodass der Fuss in gewisser Beziehung festgestellt ist, oder sich frei in der Luft, bei fixirtem Oberschenkel, bewegt. Der zweite Fall ist wiederum verschieden, je nachdem die Bewegung mit oder gegen den EinÜuss der Schwere ausgeführt wird. Denkt man sich den Körper in Rückenlage auf einem Tische liegend, über den nur die Unterschenkel hinausragen, so ist es klar, dass die Schwere allein genügt, die Beugung auszuführen, und dass also die Beugemuskulatur während dieser Bewegung in Ruhe bleibt. Dagegen wird bei langsamer Beugung die Streckmuskulatur, also der Quadriceps cruris, in Thätigkeit sein. Dieser Fall ist derselbe, der oben beim Rückenstrecker erörtert wurde. Der Streckmuskel allein ist während der Beugung thätig (323). Aber man darf nicht sagen: Der Strecker beugt den Unterschenkel. Es giebt aber noch einen verwickeiteren Fall, in dem wirklich der Quadriceps cruris zum Beuger des Unterschenkels wird, wenn nämlich das Knie nahezu gestreckt, der Ober- schenkel ziemlich stark gebeugt ist. Dann wirkt die Zusammenziehung des Quadriceps stark beugend auf den Oberschenkel, aber nur schwach streckend aut das Knie. Es tritt eine heftige Bewegung des Hüftgelenks ein, der gegen- über die Masse des Un.terschenkels passiv zurückbleibt. Das Knie als End- punkt des Oberschenkels muss natürlich dessen Bewegung mitmachen. Der Puss aber bleibt zurück und es ergiebt sich eine Beugung des Knies. Diese Bewegung ist unabhängig von der Anziehung der Erde, sie entsteht allein in Folge der eigenen Schwere und des Beharrungsvermögens des Unterschenkels. Um diesen Punkt ausser Zweifel zu stellen, denke man sich die ganze be- schriebene Bewegung in horizontaler Ebene ausgeführt. Dieser Fall, der hier besonders handgreiflich zu schildern ist, tritt unter ähnlichen Bedingungen an anderen Körperstellen in weniger deutlich nachweisbarer Form auf. Er mag alsBeispiel dafür gelten, dass.diemechanischeWirkungdesMuskelzugesnicht ein für allemal aus der anatomischen Untersuchung abgeleitet werden kann {164}. Bei der Beugung des Kniees gegen den Einfluss der Erd- schwere, etwa in horizontaler Bauchlage des ganzen Körpers, tritt dagegen die eigentliche Beugerauskulatur in Thätigkeit. Haupt- sächlich sind es die hinteren Oberschenkelmuskeln, die diese Be- 280 Fünfter Abschnitt. Specielle Muslcelmechanik. wegung ausführen. Die langen Köpfe des Gastrocnemius kommen wenig in Betracht, weil ja ihr distaler Ansatzpunkt nicht fest ist. Soll im Stehen eine Beugung des Kniees ausgeführt werden, so liegt die Sache theilweise genau wie in dem zuerst betrachteten Fall. Die Erdschwere wirkt so stark im Sinne der Beugung ein, dass eine active Thätigkeit der Beuger nicht erforderlich ist. Da- gegen müssen die Strecker thätig sein, um das vollständige Ein- knicken der Kniee zu verhindern. Ausser den Streckern wirkt in diesem Sinne anfänglich auch der Gastrocnemius, indem er die Bewegung des Unterschenkels im Fussgelenk und dadurch mittelbar die Bewegung des Kniegelenkes hindert {157). Umgeliehrt kann bei der Streckung des frei beweglichen Unterschenkels die Wirkung des Streckmuskels durch die der Erdschwere ersetzt sein, sodass nur die Beuger während der Streckung thätig sind. Man denke sich den Körper auf wagerechter Unterlage auf dem Bauch liegend, die Unterschenkel gebeugt, sodass sie senkrecht emporstehen. Zur Streckung genügt dann das Nachlassen der Beugung. Soll dagegen in Rückenlage bei herabhängendem Unterschenkel dieser durch Streckung des Kniees gehoben werden, so ist eine erhebliche An- strengung des Quadriceps erforderlich, und zwar um so mehr, je stärker gleich- zeitig das Becken gebeugt ist. Beim Strecken der Kniee aus der gebeugten Stellung beim Stehen kommt neben der Wirkung des Quadriceps auch die des Gastrocnemius und wahrscheinlich auch die der Hüftgelenkstrecker in Betracht. Es ist klar, dass Rückwärtsbewegung des Ober- schenkels im Hüftgelenk, verbunden mit gleichzeitiger Rückwärts- bewegung des Unterschenkels im Fussgelenk, eine rein passive Streckung des Kniees bewirken können. Im Allgemeinen treten aber alle Muskeln, die eine Bewegung hervorbringen können, bei dieser Bewegung auch wirklich in Thätigkeit. 330. Im Vorhergehenden ist der Zusammenhang zwischen den Bewegungen von Fussgelenk und Knie beim Stehen schon erwähnt worden (317). Es geht daraus hervor, dass die Feststellung des Unterschenkels im Fussgelenk auch eine Feststellung des Kniees be- deutet (157). Dasselbe Verhältniss besteht nun bei gestrecktem Fussgelenk beim Stehen mit gehobener Ferse zwischen dem Meta- tarsophalangealgelenk und dem Fussgelenk. So wenig das Knie im Stehen gebeugt werden kann, ohne dass zugleich eine Dorsal- flexion des Fusses erfolgt, kann das Fussgelenk plantarflectirt Sechster Abschnitt. Vom Stehen. 281 werden, ohne dass das Metatarsophalangealgelenk gleichzeitig (passiv) dorsalflectirt wird (320). Unter normalen Bedingungen müssen alle diese untereinander auf die angedeutete Weise in mechanischem Zusammenhang stehenden Bewegungen in der Weise ausgeführt werden, dass dabei das Gleich- gewicht des auf den Beinen aufgebauten Körpers gewahrt wird. Die dadurch an die Innervation der Muskeln gestellte äusS'erst ver- Avickelte Aufgabe wird aber in diesem wie in anderen Fällen dadurch erleichtert, dass die Bewegung reflectorisch corrigirt wird (284). Sechster Abschnitt, Vom Stehen und Gehen. I. Vom Stehen. § 1. Die physikalischen Bedingungen des Stehens. 381. Insofern der Körper beim Stehen unbewegt auf den Füssen erhalten wird, gelten für ihn die allgemeinen Sätze über das Stehen fester Körper. Genau genommen befindet sich aber der Köper beim Stehen nie in absoluter Ruhe, sondern er wird fortwährend durch Wirkung und Gegenwirkung verschiedener Muskeln unter ganz geringen Schwankungen im Gleichgewicht erhalten (284). Diese Schwankungen veranschaulichte Vierordt {16o) indem er sie ver- mittelst einer am Kopfe der Versuchsperson befestigten Schreibspitze auf be- russtem Papier verzeichnete. Genau genommen kann man daher auf das Stehen des Menschen die phykalischen Begriffe des stabilen und labilen Gleichgewichts nicht anwenden. Betrachtet man den Körper als todte Masse, so kann er, wegen der Be- weglichkeit der Gelenke, gar nicht, oder höchstens in labilem Gleichgewicht stehen. Auch labiles Gleichgewicht könnte aber nur vorübergehend bestehen, weil die Weichtheile ihre Gestalt unter dem Einfluss der Schwere nicht voll- kommen beibehalten. Der festweiche thierische Körper wäre also hinsichtlich 282 Sechster Abschnitt. des Stehens fast wie eine Plüssigkeitsmenge anzusehen. Zieht man die Fest- stellung der Körpertheile durch den Muskelzug in Betracht, so wäre ein stabiles Gleichgewicht denkbar, indem die Wirkung des Muskelzuges an allen einzelnen Theilen gerade der Wirkung der Schwere das Gleichgewicht hielte. Diese Vor- stellung entspricht aber wiederum nicht genau den thatstächlichen Verhält- nissen, weil die Muskeln nicht dauernd einen bestimmten Spannungsgrad bei- behalten. Hiervon pflegt man indessen abzusehen, und den Körper als voll: kommen in stabilem Gleichgewicht ruhend zu betrachten. Unter dieser Annahme ist die Grundbedingung des Stehens nach physikalischen Gesetzen: dass der Schwerpunkt über der Unterstützungsfläche liege, oder dass das Loth vom Schwerpunkte aus, die Schwer- linie, innerhalb der Grenzen der Unterstütziihgsfläche falle. 332. Die Unterstützungsflcäche wird gebildet durch die Fläche, mit der die Füsse auf den Boden stehen, und dem zwischen ihnen eingeschlossenen Flächenraum {166). Je nach der Stellung der Füsse kann sie also ganz verschiedene Ausdehnung und Form haben. Es soll in Folgendem vorläufig nur vom Stehen uuf ge- schlossenen Füssen bei gleichmässiger Vertheilung des Gewichts auf beide Seiten, vom sogenannten „symmetrischen Stehen" mit geschlossenen Füssen, die Rede sein. Steht man mit geschlossenen Füssen, indem die Füsse einen Winkel von 45° bilden, so hat die Unterstützungsfläche annähernd die Gestalt eines Trapezes, dessen hintere kleine Parallelseite 20 cm dessen vordere Grundseite 40 cm und dessen Höhe etwa 20 cm be- trägt. Werden die Zehen mit in Betracht gezogen so erhält dies sogenannte „Fussviereck" vorn einen Zuwachs, durch den seine Höhe etwa 25 cm erreicht. Bei dieser Bestimmung der Grenzen ist aber ausser Acht gelassen, dass die „wirksame Sohlenfläche", das heisst die Fläche um deren Kante der starr gehaltene Körper beim Um- fallen kippen müsste, wegen der Nachgiebigkeit der Sohlenränder erheblich kleiner sein muss. Thatsächlich droht beim Stehen auf blossen Füssen schon die Gefahr des Umkippens, wenn die Schwer- linie sich dem Fussrande auf 3 cm nähert {167). Die Grenzen der wirksamen Sohlenfläche sind auf folgende Weise leicht zu finden: Ein Brett ist an einem Ende durch eine Querleiste, am anderen Ende durch eine ausreichend starke Feder (am einfachsten eine gewöhnliche Federwage [Wirthschaftswage]) unterstützt. Steht auf dem Brett eine Ver- Vom Stehen. 283 Suchsperson, so wird die Feder um so stärker beansprucht, je näher der Schwerpunkt der Versuchsperson dem von der Feder unterstützten Ende des Brettes ist. Kennt man das Gewicht der Versuchsperson, so kann man die jeweilige Lage des Schwerpunktes aus der Grösse der Belastung der Feder und der Länge des Brettes leicht berechnen. Mithin kann man auch die grösste Verschiebung der Schwerlinie innerhalb der Sohlenfläche, die ohne Umkippen möglich ist, auf diese Weise bestimmen. Es zeigt sich, dass Stiefelsohlen unter den Füssen die Grenzen der wirksamen Sohlenfläche wesentlich erweitern, denn man kann in Stiefeln die Schwerliuie bis auf 1,5 cm dem Sohlenrande nähern ohne zu kippen. Die Bedeutung der ünterstützungsfläche für die Festigkeit des Stehens erhellt daraus, dass zwischen der Gestalt der ünterstützungs- lläche und der Ausdehnung der Körperschwankungen die Beziehung erkennbar ist, dass die Vierordt'schen Schwankungsfiguren in der Richtung senkrecht auf die grösste Erstreckung der ünterstützungs- fläche ihre grösste Ausdehnung erreichen (168). 333. Der Körper kann in jeder Haltung stehen, bei der die Schwerlinie innerhalb der Grenzen der Unterstützungsfläche fällt. Damit ist über die Stellung des Körpers um so weniger gesagt, weil die Lage des Schwerpunktes und somit auch die Schwerlinie abhängt von der Lage der Theilschwerpunkte der einzelnen Glieder, und folglich für jede Stellung verschieden ist (76). Mit absoluter Genauigkeit ist der Schwerpunkt überhaupt nicht zu be- stimmen, da er mit der Athmungs- und Circulations-Bewegung schwankt (i6'5). Auf Grund der früher erwähnten Ermittelung der Theilschwer- punkte der einzelnen Körperabschnitte lässt sich aber für jede Stellung die Lage des Gesammtschwerpunktes mit ausreichender Genauigkeit bestimmen. Man nimmt an, dass die Haltung und mithin die Lage des Schwerpunktes beim Stehen für alle Menschen annähernd dieselbe sei. § 2. Die „bequeme Haltung" beim Stehen. .334. Aus theoretischen Gründen setzte man voraus, dass die Stellung des Körpers beim Stehen eine solche sein müsse, die mit der geringsten An- strengung der Muskulatur verbunden sei. Daher suchte man einerseits die Be- obachtungen über die wirkliche Haltung beim Stehen so zu erklären, dass sie ohne Muskelarbeit zu Stande kommen könnten, und stellte andrerseits bestimmte Haltungstypen als normal auf, weil man annahm, dass diese geringe Muskel- thätigkeit erforderten. So wurde denn die Haltung des Körpers beim Stehen folgendermaassen construirt: Die Füsse ruhen ausreichend unterstützt auf dem 284 • Sechster Abschnitt. Boden. Da der Körper auf beiden Füssen steht, und nach beiden Seiten sym- metrisch ausgebildet ist, kann vom Fallen seitwärts keine Rede sein, und es handelt sich nur um die Möglichkeit des Umfallens oder Zusammenbrechens in der Sagittalrichtung. Die Unterschenkel sind in den Sprunggelenken festgestellt, weil erstens die iJelenkfläche nach vorn an Breite zunimmt, zweitens die schräge Leitfurche den Unterschenkel seitlich andrängen, ja sogar „auf dem Fusse festschrauben" soll, drittens weil die beiden Füsse gewöhnlich auswärts gestellt werden, sodass beide Unterschenkel nicht zusammen, sondern jeder nur in der Richtung des betreffenden Fusses nach vorn kippen kann. Die Oberschenkel sind auf dem Unterschenkel festgestellt, indem das Knie über- streckt ist, sodass es einen nach vorn offenen Winkel bildet, und nur nach vorn zu knicken strebt, woran es durch Bänder verhindert ist. Das Becken ist auf den Hüftgelenken festgestellt, indem es soweit nach hinten übergesunken ist, dass sich die vorderen Bänder anspannen und weitere Bewegung hindern. Ebenso steht die Wirbelsäule in Folge ihrer Bandverbindungen steif auf dem Becken. Endlich der Kopf ist auf den Gelenkhöckern des Atlas im Gleich- gewicht. Diese künstlich zurechtgelegte Darstellung der Körperhaltung beim Stehen ist in allen Punkten so völlig falsch, dass es Wunder nehmen muss, wie sie überhaupt jemals hat angenommen werden können [170). Jeder einzelne Punkt ist mit Leichtigkeit vollständig zu widerlegen: Zwar der Fuss ruht ausreichend unterstützt auf dem Boden. Der Unterschenkel aber ist nicht darauf festgestellt, denn man kann sich jederzeit aus dem Stand vornüber sinken lassen, indem mandasFussgelenk in stärkere Dorsalllexion treten lässt. Auch die Auswärtsstellung der Füsse ändert hieran nichts, da die Ver- bindung der Fusswurzelknochen dem Sprungbein mehr als ausreichende Freiheil gewährt, sich der Bewegung des Unterschenkels anzupassen. Das Knie ist wohl nur in ganz vereinzelten Fällen überstreckt, und braucht es jedenfalls auch nicht zu sein, um gegen Einknicken nach hinten geschützt zu sein. Denn man kann im gewöhnlichen Stehen die Kniee sowohl merklich weiter durch- drücken, als auch sie andrerseits ganz erheblich krumm werden lassen, ohne dass es nöthig wird, dass die Streckmuskeln in Thätigkeit treten (317). Das Becken ist nicht soweit hinten übergekippt, dass die vorderen Bänder gespannt werden, denn man kann im ruhigen Stehen, ohne die Neigung des Beckens zu ändern, jeden der beiden Oberschenkel noch ganz beträchtlich rückwärts be- wegen, was unmöglich wäre, wenn das Hemmungsband straff wäre. Ebenso kann man die Wirbelsäule durch blosses Nachlassen der Innervation jederzeit weiter hinten übersinken lassen, als beim Stehen der Fall war. Endlich fällt bekanntlich der Kopf bei gewöhnlicher Haltung vornüber, sobald man die Nackenmuskulatur entspannt, er befindet sich also nicht im Gleichgewicht auf seinen Gelenken. 335. Der Gedanke, dass beim Stehen der Körper eine Hal- tung annehmen müsse, die mit dem geringsten Maasse von Muskel- Vom Stehen. 285 anstrengung inne gehalten werden kann, erweist sich nicht allein in der eben angegebenen Form als falsch, sondern er ist überhaupt unhaltbar. Denn die Gelenke sind beim Stehen, wie schon die einfachste Beobachtung lehrt, auf keine Weise festgestellt, sie können beliebig nach jeder Richtung bewegt werden. Steht man auf einem beweglichen Boden, etwa auf dem Verdeck eines rollenden Schiffes, so passt sich das Fussgelcnk vorwärts und rückwärts der Bewegung des Schiffes an. Das Knie kann beim Stehen sowohl leicht gebeugt, wie auch durchgedrückt werden, es steht also nicht fest. Vom Hüftgelenk, von der Wirbelsäule ist dasselbe schon angegeben. Bei beweglichen Gelenken nun könnte der Körper nur auf eine einzige Weise ohne Zuhülfenahrae der Muskeln aufrecht gestellt werden, nämlich indem alle einzelnen Abschnitte in labilem Gleich- gewicht aufeinander ruhen, sodass den Muskeln nur die x4ufgabe zufällt, diese Stellung labilen Gleichgewichts zu erhalten. Braune und Fischer haben gefunden, dass es thatsächlich eine Haltung giebt, bei der alle wichtigen Gelenkpunkte und zu- gleich die Schwerpunkte der betreffenden Körperabschnitte in eine und dieselbe Frontalebene fallen {171). Diese Stellung ist un- gefähr dieselbe, die der auf einer ebenen Unterlage auf dem Rücken liegende Körper annimmt. Es wird also auch ungefähr die Stel- lung sein, die man annimmt, wenn man die Rückenfläche des Körpers an eine senkrechte Wand oder an eine Thür andrückt. Dass diese Haltung von der beim natürlichen Stehen weit abweicht, ergiebt sich sogleich aus dem deutlichen Gefühl von Unsicherheit, das man empfindet, wenn bei diesem Versuche die stützende Wand entfernt, etwa die Thüre geöffnet, wird. Damit nämlich alle Körpertheile in labilem Gleichgewichte übereinander stehen können, müssen sie alle senkrecht über dem Fussgelenk stehen. Kippen sie aus dieser Stellung nur ein klein wenig nach hinten, so muss der ganze Körper rückwärts stolpern, da vor dem Fussgelenk keine Muskulatur von ge- nügender Stärke vorhanden ist, um die Schwankungen des gesammten Körpers auszugleichen. Daher steht man in dieser Haltung sehr unbehaglich, mit dem Gefühl, gegen das Umfallen nach hinten niclit gesichert zu sein. I 336. Dagegen zeigt sich, dass beim natürlichen Stehen, oder wie Braune und Fischer es bezeichnen bei der „bequemen Hal- tung" der Schwerpunkt des ganzen Körpers beträchtlich vor die 286 Sechster Abschnitt. gemeinsame Axe der Fussgelenke verlegt, wird. Auf diese Weise ist die Gefahr des üeberkippens nach hinten aufgehoben, dafür aber ein dauerndes Ueberhängen des ganzen Körpers nach vorn hervorgerufen, das nur durch dauernde Musl^elthätigkeit aufge- wogen werden kann. In diesem Punkte zeigt sich also sehr deut- lich, dass das Stehen mit Muskelanstrengung verbunden ist. Die „bequeme Haltung" ist nun von Braune und Fischer weiter eingehend analysirt worden {172). Die nachfolgende Darstellung stützt sich auf folgende der er- mittelten Maassangaben: G-ewicbtc der Körpertheile in ka: Abstände von der Frontalebene durch die beiden Hüftgel enksniittelpunkte (-|- bedeutet vorwärts, ■ — rückwärts) in cm Kopf 4,14 Rumpf 25,06 Oberschenkel. . . 6.80 Oberarm . . . . | 1,18 Unterarm . . . . | 1,34 Hand 0,49 Hüftgelenk . Fussgelenk . Kniegelenk . Atlasgelenk. 0 5 1 1,5 Kopf (Schwerpunkt) Rumpf „ Oberarm „ Unterarm „ Hand . . .. 1 0,6 1,9 1,3 0 Die durch diese Angaben im Wesentlichsten bezeichnete Hal- tung führt zu folgender Auifassung vom Stehen: Man kann den Zustand des Körpers beim Stehen am besten in der Weise untersuchen, dass man vom obersten beweglichen Abschnitte an den Aufbau eines Theiles auf dem anderen verfolgt. Will man, wie es in den älteren, oben (334) dargestellten Schilderungen geschehen ist, von unten anfangen, so ent- steht die Schwierigkeit, dass man die Bedingungen nicht übersieht, die die oberen Theile durch ihre Einwirkung auf die unteren hervorrufen. Es soll deshalb hier in der Reihenfolge von oben nach unten fortgeschritten werden. Der Schwerpunkt des Kopfes liegt um 0,5 cm vor dem Mittel- punkt des Atlantooccipitalgelenks. Folglich strebt der Kopf nach vorn zu kippen, und muss durch die Nackenmuskulatur daran ge- hindert werden. Hierzu dürfte schon eine sehr geringe Spannung einer so grossen Muskelmasse genügen, da ja der Schwerpunkt nur sehr wenig vor dem Gelenk liegt. Die Halswirbelsäule, ebenso wie die Wirbelsäule im Ganzen, muss auch offenbar durch Muskelthätigkeit Vom Stehen. 287 aufrecht und steif gehalten werden. Die hierbei im einzelnen ent- stehenden Verhältnisse mögen hier ausser Acht gelassen werden, sodass der gesammte Rumpf, in sich starr gedacht, als nächster Abschnitt zu betrachten ist. Der Rumpf ist auf der gemeinsamen Hüftgelenkaxe beweglich. Sein Schwerpunkt fällt nach der obigen Angabe 0,6 cm hinter die Ebene der gemeinsamen Hüftgelenkaxe. Diese Angabe genügt aber nicht, um zu erkennen ob der gesammte Oberkörper nach hinten oder vorn überzukippen strebt, weil ja auf dem Rumpf noch der Kopf ruht, und ausserdem die Arme an ihm hängen. Man kann aber die Lage des gemeinsamen Schwerpunktes von Kopf, Armen und Rumpf leicht nach der früher erwähnten Methode (76) aus den obigen Angaben berechnen, und erhält das Er- gebnis, dass der Oberkörper auf dem Becken nach hinten zu kippen neigt, da sein Schwerpunkt etwas mehr als 0,8 cm hinter die Ebene der frontalen Hüftaxe fällt. Diesem Bestreben müssen Muskehl, die vor dem Hüftgelenk vorbeiziehen, Widerstand leisten, unter denen dem lleopsoas die Hauptrolle zufallen wird. Ist der Oberkörper auf diese Weise auf dem Becken im Gleichgewicht ge- halten, so bilden Oberkörper und Oberschenkel wiederum einen gemeinsamen Abschnitt, der auf den Kniegelenken steht. Der ge- meinsame Schwerpunkt dieses Abschnittes fällt, weil die Schwer- punkte der beiden Oberschenkel nur 0,4 cm von der Hüftgelenk- ebene entfernt sind, näher an diese Ebene als der des Oberkörpers allein, und zwar um etwas mehr als 0,2 cm, und ist mithin nur etwa 0,6 cm hinter der Hüftgelenkebene anzunehmen. Da aber der Mittelpunkt des Kniegelenks nach der obigen Angabe 1,0 cm hinter der Hüftgelenkebene liegt, so strebt das gesammte System auf den Kniegelenken nach vornüber zu kippen. Daher ist keine Muskelkraft erforderlich das Knie gestreckt zu halten, im Gegen- theil, es wird die Muskulatur hinter dem Knie als Hemmung gegen die Ueberstreckung des Knies wirken. Thatsächlich ist beim Stehen der Quadriceps, der ein- zige Streckmuskel des Knies, vollkommen schlaff' und un- thätig. Hiervon kann man sich überzeugen, indem man die Kniescheibe befühlt, die sich lose nach beiden Seiten verschieben lässt. Der hier gefundene Abstand zwischen der Lage des Schwerpunktes von Oberkörper mit Oberschenkeln einerseits und Frontalebene des Kniees anderer- 288 Sechster Abschnitt. seits, der nur 4 mra beträgt, ist allerdings sehr gering. Bei der leisesten Beugung oder Rückwärtsschwankung des Oberkörpers müssten die Knie ein- knicken und es müsste der Quadriceps zu Hülfe genommen werden. Es ist anzunehmen, dass in der Regel der Schwerpunkt des Oberkörpers mit den Oberschenkeln gegen das Knie noch etwas weiter nach vorn liegt, indem viel- leicht der Rumpf weniger als nach den hier angegebenen Maassen nach hinten verlegt ist. Vermuthlich wird sogar häufig der Oberkörper auf dem Becken eher nach vorn zu fallen streben, dafür aber der Schwerpunkt von Oberkörper mit Oberschenkeln beträchtlich vor die Ebene der Kniegelenke verlegt sein. Denn nur so lässt es sich erklären, dass man im Stehen die Knie merklich einknicken lassen kann, ohne dass der Quadriceps in Thätigkeit zu treten braucht, um sie gestreckt zu halten {15?). Auf den Kniegelenken ruhen auf diese Weise die drei oberen beweglichen Abschnitte als eine gemeinsame Last. Das Knie be- findet sich 1,0 cm hinter der Hüftgelenkebene, das Fussgelenk nicht weniger als 5 cm. Die Unterschenkel stehen also wie schräge Säulen unter der Last des Körpers, und müssten unfehlbar vorn- überfallen, wenn sie nicht dauernd durch einen sehr kräftigen Muskelzug aufrecht erhalten würden. Dies ist die Function der Wadenrauskeln, die beim Stehen dauernd stark angestrengt werden, und in denen man daher auch die Ermüdung zuerst empfindet. Mittelbar verhindern die Wadenmuskeln, indem sie den Unter- schenkel emporhalten, auch das Einknicken der Kniee, das ja ohne gleichzeitige Bewegung der Fussgelenke unmöglich ist, wenn nicht etwa der ganze Oberkörper mit den Obersehenkeln rückwärts- über geworfen würde (317, 330). 337. Man kann die eben erörterten Beziehungen auch in der Weise darstellen, dass man für jeden einzelnen Körpertheil die Bedingungen aufstellt, denen er im Zusammenhang mit den andern Theilen unterliegt. Dann ist es gleichgültig ob man von oben oder unten oder in welcher Reihenfolge sonst die einzelnen Abschnitte durch- geht. Im Allgemeinen wirken auf jeden Körpertheil mindestens zwei Kräftepaare ein, deren eines durch die Schwere, das andere durch Muskelzug hervorgerufen wird. Jedes der Kräftepaare besteht im Allgemeinen aus einer Zugkraft, die durch den Muskel oder die Schwere ausgeübt wird, und einer gleichen entgegengesetzten Druck- kraft, die durch die Zugwirkung hervorgerufen wird. Vom Stehen. 289 Auf den Fiiss wirkt im Fussgelenk die Schwere des ge- rammten übrigen Körpers, die den Fuss gegen den Boden drückt und unter der Ferse wie unter dem Ballen je eine parallele entgegengesetzte Gegenkraft hervorruft, deren Grössen sich umge- kehrt proportional wie ihr Abstand vom Fussgelenk verhalten. Das heisst auf gewöhnliche Weise ausgedrückt: Der Fuss wird von der Schwere des ganzen Körpers gegen den Boden gedrückt, dessen Widerstand ihn ausreichend unterstützt. Auf den Fuss Fisur 49. Schema der beim Stehen auf den Fuss wirkenden Kräfte. Die dicke Linie stellt das Gerüst des Fasses dar. Auf dieses wirkt im Fuss- gelenk F die Schwere S, der entsprechender Gegendruck des Bodens B und B' das Gleichgewicht hält. Am Fuss zieht der "Wadenmuskel W und bringt eine entsprechende Gegenwirkung b in F hervor. Durch dieses Kräftepaar würde der Fuss gedreht werden, aber das Drehungsbestreben findet in der an der Fussspitze entstehenden Gegenkraft b' des Bodens einen Widerstand, der die Bewegung aufhebt. Die Schwere des Fusses selbst ist ausser Betracht gelassen. wirkt ferner der Zug des Wadenmuskels, der wiederum im Fuss- gelenk einen entsprechenden Gegendruck hervorruft, der sich zu der Schwere hinzufügt und ebenfalls durch den Widerstand des Bodens aufgehoben wird. Es wäre ausserdem die Schwere des Fusses selbst in Rech- nung zu ziehen, doch kann diese vernachlässigt werden. Auf den Unterschenkel wirkt am oberen Ende die Schwere der darauf ruhenden Körpertheile, die wie immer senlirecht zieht, im Fussgelenk wird eine ihr gleiche senkrecht nach oben wirkende Gegenkraft hervorgerufen. Da das Fussgelenk hinter dem Knie liegt, so strebt dies Kräftepaar den Unterschenkel vorwärts zu neigen. Das heisst auf gewöhnliche Weise ausgedrückt: der schräg 1{. du Bois-Key ra 011 (I. Spcc. Muskelphysiologie. 19 290 Sechster Abschnitt. stehende Unterschenkel strebt unter dem Einfluss der Körperlast vornüber zu fallen. Auf den Unterschenkel wirkt ferner der Zug der Wadenmuskeln, der am oberen Ende schräg von hinten unten angreift, und seinerseits im Fussgelenk eine parallele gleiche und entgegengesetzte Druckkraft hervorruft. Dies Kräftepaar strebt umgekehrt den Unterschenkel nach rückwärts zu neigen, und hält Figur 51. Jl S W'\\ S' . w Figur 50. Schema der beim Stehen auf den Unterschenkel wirkenden Kräfte. Die Linie KF veranschaulicht den Unterschenkel. Auf das Kniegelenk K wirkt die Schwere S der darauf ruhenden Körpertheile und erweckt einen entsprechenden Gegendruck S' im Fussgelenk. Durcli dieses Kräftepaar würde der Unter- schenkel vornüber gedreht werden, wenn nicht der Zug der Wadenmuskeln, W, lind der entsprechende Gegendruck des Fussgelenkes W ein im entgegoi- gesetzten Sinne wirkendes Kräftepaar von gleichem Moment erzeugte. Das Eigengewicht des Unterschenkels mrd vernaclilässigt. Figur 51. Schema der beim Stehen auf den Oberschenkel wirkenden Kräfte. Die Linie HK stellt den Oberschenkel dar. In H wLrkt die Schwere des Rumpfes mit Armen und Kopf ein mit der Kraft S, der der Gegendruck S' in K ent- spricht. Die Spannung des Psoas p mit ihrer Gegenkraft p' und die Spannung der Muskeln und Bänder der Kniekehle W mit ihrer Gegenkraft W bilden zwei Kräftepaare, die dem ersten entgegenwirken. Die Schwere des Schenkels selbst, die ähnlich der Rumpfschwere wirken würde, ist nicht mit dargestellt. beim Stehen dem ersten das Gleichgewicht. Das Gewicht des Unterschenkels selbst kann abermals vernachlässigt oder zu der Wirkung der Schwere hinzu gerechnet werden. Auf den Oberschenkel wirkt die Schwerkraft ähnlich so, wie auf den Unterschenkel. Das Gewicht des gesammten Ober- körpers drückt auf den Schenkelkopf senkrecht von oben, und Vom Stehen. 291 ruft einen entsprechenden Gegendruck im Kniegelenk hervor, der senkrecht nach oben gerichtet ist. Ausserdem wirkt, vom Schwer- punkt des Oberschenkels aus, die Schwere des Oberschenkels selbst, 4\e aber der Einfachheit halber ausser Acht gelassen werden möge. Diese beiden Kräftepaare streben den Oberschenkel nach vornüber zu werfen. Ferner wirken auf den Oberschenkel die Muskeln vor der Hüfte, insbesondere der Psoas; der am oberen Ende nach vorn und oben zieht, und im Hüftgelenk einen Gegendruck nach hinten unten erzeugt. Endlich wirkt auf das untere Ende die Muskulatur Figur 52. Schematische Darstellung der beim Stehen auf den Rumpf wirkenden Kräfte. Die Schwere von Kopf, Rumpf und Armen ist durch den Pfeil S dargestellt, der im Schwerpunkt von Kopf, Rumpf und Armen angreift. Dieser bildet mit der entsprechenden Gegendruckkraft des Hüftgelenkes S' ein Kräftepaar, das den Rumpf rückwärts zu drehen strebt. Diesem Kräftepaar hält ein anderes das Gleichgewicht, das durch den Zug des Psoas P mit dem dazugehörigen Gegendruck des Hüftgelenkes P' gebildet wird. hinter dem Knie sowie die ßänderspannung, die von hinten unten zieht und im Knie einen Gegendruck nach vorn oben erzeugt. Diese Kräftepaare streben den Oberschenkel nach rückwärts zu neigen und halten den beiden ersten das Gleichgewicht. Auf den Oberkörper wirkt die Schwere in seinem Gesammt- schwerpunkt, der entsprechende Gegendruck entsteht im Hüftgelenk. Da der Schwerpunkt etwas hinter der Ebene des Hüftgelenks liegt, muss das Kräftepaar eine drehende Wirkung nach hinten ausüben. Ferner aber wirkt auf den Oberkörper der Zug des Psoas mit der 19* 292 Sechster Abschnitt. ihm entsprechenden Gegenkraft im Hüftgelenk, und dies Kräfte- paar hebt die Wirkung des vorigen auf. In diesem Falle ebenso wie in den vorhergehenden müssten bei genauer Analyse noch eine Anzahl Kräftepaare für die Mit- wirkung antagonistischer Muskeln und anderes mehr eingeführt werden. Doch ist dies ausser Acht gelassen M'orden, weil nur die Hauptkräfte in Betracht gezogen werden sollten. Obschon die obige Darstellung in manchen Beziehungen ver- einfacht und scheraatisii't ist, so zeigt sie doch unzweifelhaft dass beim Stehen in bequemer Haltung eine Anzahl Muskeln dauernd angestrengt wird. Welche Muskeln im Einzelnen in Betracht kommen, lässt sich vorläufig nicht bestimmen. Es ist jedoch zu bemerken, dass mit den im Vorstehenden angedeuteten Muskelgruppen die Zahl der wirklich arbeitenden Muskelgruppen noch lange nicht erschöpft ist. Denn die einzelnen Abschnitte, in die der Körper bei der obigen Betrachtung zerlegt wurde, sind in Wirklichkeit nicht mechanische Einheiten. Namentlich der Rumpf kann durch Be- wegung des Beckens und der Lendenwirbelsäule, der Halswirbel- säule und der Schulter seine Gestalt erheblich ändern. Zur P'ixi- rung dieser Theile gegeneinander, die im Vorstehenden als gegeben vorausgesetzt worden ist, sind ebenfalls Muskelkräfte erforderlich. Grade die Analyse dieser Verhältnisse bietet für die genauere Er- forschung der mechanischen Bedingungen des Stehens besonders schwierige Aufgaben. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass neben den rein rauskelmechanischen Wirkungen auch noch andere Kräfte im Spiel sind. Die Brust- und Baucheingeweide stellen vom mechanischen Standpunkt eine fast wie Flüssigkeit bewegliche schwere Masse dar, die an der Wirbelsäule lastet. Im allgemeinen wird zu erwarten sein, dass diese Last eine Vorneigung der Wirbel- säule bedingt. Parow {173) hat aber gezeigt, dass im Gegentheil die Spannung der Bauchwand eine stützende Wirkung auf die Wirbel- säule ausübt. An aufgerichteten exenterirten Leichen sinkt die Wirbel- säule weiter vornüber, als an solchen, deren Bauchhöhle im normalen Spannungszustand ist. Zwar ist die Spannung der Bauchwände in weiterem Sinne auch den Muskelthätigkeiten zuzurechnen, es wirken aber hier die Gewichtsverhältnisse des annähernd flüssigen Bauch- inhaltes in besonderer Weise mit ein. Vom Stehen. 293 Ferner ist hervor zu heben, dass zur Fixirung eines Gliedes in irgend einer Stellung die Anspannung Einer Muskelgruppe nicht genügt, sondern dass auch von der andern Seite ein antagonistischer Gegenzug ausgeübt werden muss. Dieser Gegenzug wird im all- gemeinen nicht der blossen Schwerkraft überlassen bleiben können, w^eil diese nicht stark genug wirken würde. Die Schwankungen des Körpers beim Stehen zeigen das abwechselnde Ueberwiegen von Zug und Gegenzug an. Es sind vielmehr bei der obigen Uebersicht nur die Muskelgruppen erwähnt worden, die dauernd der Schwere entgegen wirken müssen um den Körper im Stehen zu erhalten. Zu diesen werden in Wirklichkeit ihre sämmtlichen Antagonisten hinzuzählen sein, die der Fixation der bestehenden Haltung dienen, und deren Zug zu der Wirkung der Schwere hin- zukommt. 338. Es ist vielleicht nothwendig, gegenüber den älteren Darstellungen des Stehens nochmals auf die Begründung der oben gegebenen Schilderung zurückzukommen. Obschon die angeführten Maasse von einem einzelnen Individuum herrühren, dürfte die Haltung im Ganzen und Grossen dem allgemeinen Typus entsprechen. Denn einerseits ist selbstverständlich das Individuum so gewählt, dass an seiner Haltung beim Stehen keinerlei Eigenthümlichkeiten bemerkbar waren, andererseits ist die „bequeme Haltung" des Einzelnen otl'enbar eine ganz bestimmte, nur innerhalb enger Grenzen veränderliche Stellung. Ferner lassen sich aber noch gewichtigere Gründe dafür beibringen, dass die be- schriebene Stellung ein richtigeres Bild vom Stehen giebt, als die ältere, aus •der Hypothese minimaler Muskelthätigkeit abgeleitete Darstellung (334). Der Körper kann nämlich beim Stehen jederzeit in fast allen seinen Gelenken ziemlich umfangreiche Bewegungen machen, ohne dass eine wesentliche Ver- änderung der Bedingungen eintritt. Man kann wie erwähnt, die Kniee mehr oder weniger weit einknicken lassen, man kann den ganzen Körper in den Fussgelenken, oder den Überkörper auf den Hüftgelenken ein wenig vorwärts oder rückwärts verschieben, und empfindet dabei nur eine geringe Vermehrung der Spannung in den betreffenden Muskelgruppen. Wäre aber im Stehen der Körper unter ganz besonderen mechanischen Bedingungen, durch Feststellung einzelner Gelenke, durch labiles Gleichgewicht seiner Theile aufeinander und anderes mehr aufgebaut, so würde bei jeder Stellungsänderung die Muskulatur plötzlich ganz anders beansprucht werden als vorher. Ferner ist der wesent- liche Punkt der alten Auffassung stets der, dass den Gelenkbändern die Rolle zugeschrieben wird, die man den Muskeln nicht zumuthen wollte. Ueber diese Annahme der Bänderhemmung sagt aber schon Henke: „Das Hängen der Last des Körpers an den Hemmungsmitteln von Gelenken, die passiv extreme Stellungen einnehmen, ist sicher keine normale Oekonomie der Kräfte, sondern ein Nachlass, der, wo er vollständig einträte, zu übermässiger Ausdehnung der 294 Sechster Abschnitt. Bänder und Druckschwund der gegeneinander angestemmten Ränder der Ge- lenkflächen führen müsste" {174). Dass man in der von H. v. Meyer {175} als Normalhaltung, ja als „militärische Hallung" beschriebei.e Stellung mit vorgeschobenem Becken und rückwärts hängender Wirbelsäule vorübergehend eine gewisse Erholung von langem Stehen finden kann, darf nicht zu Gunsten der Meyer'schen Lehre gedeutet werden, denn es erklärt sich zur Genüge durch die Ablösung der ermüdeten Muskelgruppen durch andere frischere. Endlich lässt sich die Thatsache der dauernden erheblichen Muskelanstrengung am schärfsten dadurch beweisen, dass der Gaswechsel beim Stehen nach Zuntz und Katzenstein um bis zu 22 pCt. des Ruhewerthes erhöht gefunden wird {176). § 3. Andere Arten des Stehens. 339. In noch viel höherem Grade als bei der „bequemen Haltung" wird die Muskulatur in Anspruch genommen bei der militärischen ,,Grundstellang". Zweck dieser Stellung ist, wie Virchow sagt, objectiv und subjectiv Energie auszudrücken (i??). Damit ist ausgesprochen, dass diese Haltung von manchen Gesichtspunkten beeinflusst ist, die mit der Mechanik des Stehens keinen Zu- sammenhang haben. Der ganze Körper ist auf den Fussgelenken soweit nach vorn geneigt, dass selbst bei gewaltsam hohlgemachtem Kreuz Brustkorb und Schultern weiter vorgeschoben sind als bei der bequemen Haltung. Die Lage des Gesammtschwerpunktes im Körper wird beim Uebergang von bequemer zu militärischer Haltung nicht sehr geändert, sie rückt 4 mm nach vorn. Die Schwerlinie fällt aber in Folge der nach vorn geneigten Stellung des ganzen Körpers um volle 72 mm vor die Fussgelenkaxe, also näher an die Fussballen als an die Fussgelenke. Die Wadenmuskeln sind also erheblich stärker ange- spannt als bei der bequemen Haltung. Der Schwerpunkt des Oberkörpers fällt aus demselben Grunde beträchtlich vor die die Hüftgelenkaxe, so dass zwar die vorderen Muskelgruppen entlastet, dafür aber der Rückenmuskulatur eine erhebliche Arbeitsleistung aufgebürdet wird, nämlich den Oberkörper aufrecht zu halten. Ausserdem müssen bekanntlich die Schultern gewaltsam zurück- genommen, die Kniee starr durchgedrückt und die Glutaei angespannt werden, was alles eine erhebliche Anstrengung ohne merkliche mechanische Wirkung darstellt (178). Die verschiedenen Körperhaltungen beim Stehen unterscheiden sich im Allgemeinen hauptsächlich in denselben Punkten, die eben bei der militärischen Haltung hervorgehoben werden, nämlich in der Neigung des gesammten Körpers nach vorn, und in der Neigung der Wirbelsäule in Bezug auf die Hüftaxe. Aus den oben gemachten Angaben über die Gewichtsvertheilung folgt, dass schon geringe Veränderungen die mechanischen Bedingungen auch für alle übrigen Köpertheile beeinflussen. Daher wird eine stärkere Biegung oder Streckung der Wirbelsäule zugleich auf die Neigung des ganzen Vom Stehen. 295 Körpers und auf die Glcichgcwiclitsbedingungen der Kniegelenke zurückwirken. Umgekehrt lässt sich am Lebenden leicht nach- weisen, dass jede Veränderung in der Haltung der Arme und des Kopfes schon merkliche Unterschiede in der Stellung der Wirbel- säule zur Folge hat. Noch grössere Unterschiede in der Haltung zeigen sich bei Belastung des Körpers. An Stelle des Körperschwerpunktes tritt hierbei der gemeinsame Schwerpunkt von Körper und Last, der, wie oben ausgeführt, auf der Verbin- dungslinie der beiden Schwerpunkte liegt, und diese nach dem umgekehrten Verhältniss der Massen theilt. Hat also ein Mann eine Last auf dem Rücken, so liegt der Gesammtschwerpunkt von Last und Körper weiter hinten als der Schwerpunkt des Körpers allein. Damit dieser neue Gesammtschwerpunkt zur Unterstützuugfläche dieselbe Lage hat, wie der des unbelasteten Körpers, muss sich also der Mann vorn über beugen. Ebenso muss man sich, um seitlich an- gebrachte Lasten zu tragen, auf die entgegengesetzte Seite, um eine Last vor sich zu tragen, rückwärts neigen. Auf diese Weise entsteht die characteristische Rückwärtsbeugung der Wirbelsäule beim hochschwangeren Weibe: Die Schwere des hervorragenden Uterus wird durch entsprechendes Zurückziehen der Schultern compensirt. 340. Weit zahlreicher und mannigfacher als die Abarten des symmetrischen Stehens sind die des asymmetrischen Stehens. Durch beliebige Aenderung der Fussstellung auf dem Boden können un- zählige ganz verschiedene Formen der Unterstützungsfläche, durch beliebige Gewiehtsvertheilung auf beide Füsse unzählige ganz ver- schiedene Haltungstypen im Stehen hervorgebracht werden. That- sächlich spielen die asymmetrischen Stellungen im Leben eine viel grössere Holle als die symmetrischen, die man fast nur absichtlich unter besonderen Umständen annimmt. Unter den asymmetrischen Stellungen verdient Eine besoridere Beachtung, weil sie eigenthch mit mehr Recht als die betrachtete symmetrische Stellung als natürliche Ruhestellung des Körpers be- trachtet werden darf. Es ist das die Stellung, die Turner und Soldaten auf das Commando: „Rührt euch!" einnehmen. Bei dieser Stellung wird die ganze Körperlast von Einem Beine ge- tragen. Der Schwerpunkt ist deshalb seitlich verschoben, damit er über die Sohlenfläche des unterstützenden Fusses zu liegen komme. Der Winkel zwischen der Längsaxe des Beines und der Queraxe des Beckens ist verkleinert, indem das Becken ein wenig nach der nicht unterstützten Seite herabhängt. Diese Seitenneigung 296 Sechster Abschnitt, des Beckens ist durch entgegengesetzte Neigung der Wirbelsäule ausgeglichen. Dcas nichtstützende Bein wird mit leichter Beugung im Knie ein Stück nach vorn auf den Boden gesetzt. Nach den scharfsinnigen Ausführungen Vierordt's wird bei dieser Stellung dadurch (i6'ö) Arbeit gespart, dass der Körper viel feiner im Gleichgewicht eingestellt werden kann als sonst. Denn erstens wirken die Schwankungen auf den Drucksinn der einzelnen, mit dem ganzen Körpergewicht belasteten Sohle stärker, und zweitens ist das Muskelgefühl des freien Beines, von dem die Er- haltung des Gleichgewichts wesentlich abhängt, bei dessen unbe- lasteten Zustande feiner. Die Schwankungen des Körpers fallen des- halb auch bei der asymmetrischen Ruhestellung nur etwa halb so gross aus wie bei symmetrischem Stehen. Uebrigens wird bei dieser Stellung auch der Schwerpunkt bis fast über das Fussgelenk zurück verlegt, indem sich der Körper aus seiner vorgeneigten Stellung aufrichtet (179). Hierdurch wird die Wadenmuskulatur des Stützbeins fast vollständig entlastet, ohne dass die Gefahr des Hintenüberkippens sich fühlbar macht, weil ja der Körper an dem vorgeschobenen freien Bein gleichsam verankert ist. Mehr als alle diese Umstände dürfte der Vorzug dieser Stellung darauf beruhen, dass sie gestattet, ein Bein vorübergehend ganz zu ent- lasten, und so die beiden Körperhälften einander gegenseitig ab- lösen zu lassen. Jedenfalls darf der Vortheil der erwähnten Haltung nicht, wie von ge- wisser Seite geschieht (180), darin gesucht werden, dass bei der Schräg- stellung des Beckens ein Theil des Zuges durch die Bänder des Hüftgelenks übernommen werde. Denn einerseits gilt auch hier- das oben (338) angeführte Wort Henke's, zweitens aber lässt sich leicht zeigen, dass die seitliche Neigung des Beckens jederzeit willkürlich vergrössert werden kann, sodass Bänderhemmung offenbar ausgeschlossen ist. Wesentlich anders verhält sich das Stehen auf einem Fusse, ohne dass der andere den Boden berührt. Die Schiefstellung des Beckens und die ausgleichende Biegung des Rumpfes ist noch grösser als bei der asymmetrischen Ruhestellung, weil das Gewicht des freien Beines getragen werden muss. Die Unter- stützungsfläche ist auf die wirksame Sohlenfläche des Standfusses eingeschränkt. Diese hat ungefähr die Gestalt eines Dreiecks, dessen Spitze durch den Hacken, dessen Grundlinie durch den Fuss- \'om Gehen. 297 ballen gegeben ist. Der Schwerpunkt muss, um gegen seitliches Schwanken bewahrt /u sein, weit nach vorn über den breiten Fuss- ballen verlegt werden. Alle diese Umstände führen zu einer sehr merkbaren Anstrengung der Muskulatur des Standbeins. Das Stehen ist auch auf noch beschränkterer Unterstützungstläche mög- lich, nämlich auf Pussballen und Zehen allein, bei gehobener Ferse. Die Schwerlinie muss alsdann vor dem Fussballen durch die Zehen verlaufen. Schwankungen in sagittaler Richtung werden durch Flexion der Zehen (330), Schwankungen in seitlicher Richtung durch seitliche Bewegungen im zweiten Fussgelenk ausgeglichen. Der Schwerpunkt muss, um möglichst sicher unter- stützt zu werden, an den medialen Rand der Unterstützungsfläche, also über die grosse Zehe, verlegt sein. Das Stehen auf den eigentlichen Zehenspitzen ist von den Gebrüdern Weber für unmöglich erklärt worden (181), doch wird gs von ausgebildeten Tänzern und Tänzerinnen allgemein, auch auf Einem un- bekleideten Fusse geleistet. Allerdings ist dann das Stehen immer nur vor- übergehend, da bei der Kleinheit der Unterstützungsfläche das Gleichgewicht des Körpers labil bleibt. IL Vom Gehen. § 1. Die Thätigkeit der Beine. 341. Die Bewegung des Gehens lässt sich aus der Darstel- lung des asymmetrischen Stehens in der Weise ableiten, dass man sich den Schwerpunkt auf das nach vorn gesetzte Bein hinüber geschoben denkt, bis das Stützbein gänzlich entlastet ist, worauf dann das frei gewordene Bein nach vorn gesetzt und dertelbe Vor- gang mit diesem Beine wiederholt wird. Bei fortgesetzter Wiederholung dieser Bewegung hört die Beziehung zum Stehen gänzlich auf, es tritt im Gegentheil diejenige Wirkung der Muskulatur in den Vordergrund, durch die dem Schwerpunkt die Bewegung nach vorn ertheilt wird. Dies geschieht namentlich dann, wenn bei sehr schnellen Gange die Zeit, während deren beide Füsse auf dem Boden stehen, verschwindend kurz wird, sodass der Körper dauernd von dem jeweils hinteren Bein nach vorn geschoben wird, während das andere Bein in der Luft nach vorn schwingt. Im Augenblicke, wo das Bein aufgesetzt wird, hat dann das andere seine vor- wärtsschiebende Wirkung schon gethan, und beginnt seinerseits zu schwingen. Der Schwerpunkt ist dann nur ganz vorübergehend wirklich unterstützt. Die Thätigkeit der beiden Beine ist also eine abwechselnd periodische, und zwar kann man zunächst zwei Perioden bei der Thätigkeit eines Jeden Beines unterscheiden, die während der es in der Luft schwebt, und die während der es auf dem Boden steht. •298 Sechster Abschnitt. Diese zweite Periode lässt sich nun abermals in zwei ver- schiedene Perioden eintheilen, die allerdings nicht ganz scharf zu trennen sind, nämlich die während der die Schwerlinie hinter den Unterstütziingspunkt des Fusses auf der Erde fällt, und die, wenn der Schwerpunkt über den stützenden Fuss hinaus vorge- schoben ist, sodass nunmehr das Bein von dem Unterstützungs- punkte aus vorwärts schiebend auf den Schwerpunkt wirken kann. Vom mechanischen Standpunkt aus lässt sich also die Rolle jeden Beines beim Gehen dreifach eintheilen: Es ist "erst Hangbein, dann Stützbein, endlich Sterambein, um dann wieder Hangbein zu werden. 342. Es mögen nun die Bedingungen dieser drei verschiedenen Thätigkeiten etwas genauer verfolgt werden, und zwar von dem Augenblicke an, in dem der Fuss auf den Boden gesetzt wird. Wie schon Helmholtz angegeben hat {18.2) geschieht dies mit dem Hacken zuerst, nicht, wie es die Gebrüder Weber dar- gestellt hatten, mit der Fussspitze. Der Grund, der die Gebrüder Weber zu dieser Annahme führte, und der offenbar Ursache ist, dass die Tanzmeister, und die Vorschriften für den Parademarsch noch heute das Auftreten mit der Fussspitze lehren, dürfte sein, dass mau ein leichteres Auf- fangen der Körperlast erreichen will. Es ist aber klar, dass ebenso wie der Körper auf der vorgestreckten Fussspitze federnd aufge- fangen werden kann, auch die vorgestreckte Ferse einen federnden Stützpunkt bildet, der bei der unmittelbar erfolgenden Plantarllexion des Fusses um ein merkliches Stück nachgiebt. Diese Anschauung erhält eine überraschende Bestätigung durch die Angabe 0. Fischer's, dass die vor dem Fuss gelegene Muskulatur im Augenblick des Auftretens in Thätigkeit sein muss (347). Unmittelbar nachher legt sich die ganze Fusssohle auf den Boden auf. In diesem Augenblicke berühren noch beide Füsse den Boden, der Körper befindet sich in Schrittstellung, der Rumpf ist ungefähr in der Mitte über beiden Füssen. Mithin befindet sich der Gesammtschwerpunkt beträchtlich hinter dem vorgestellten Fuss, die Schwerlinie fällt beträchtlich hinter die Sohlenfläche des eben auf den Boden gestellten Fusses. Damit der Schwerpunkt bis über diese Fläche gelange, muss er also nach vorn geschoben werden, und das geschieht bei langsamem Gehen durch unmittcl- Vom Gehen. 299 bares Nachschieben mit dem hinteren Bein, bei schnellem Gehen durch den Schwung, den das hintere Bein, gleichsam mit einem Abstoss, dem Schwerpunkt ertheilt. Dadurch ist es möglich, dass das hintere Bein den Boden verlässt und zum Hanghein wird, während das vordere noch lange nicht die senkrechte Stellung erreicht hat, also den Schwerpunkt nicht würde unterstützen können. Es vereinigt sich hier der Schwung, den der Körper von hinten nach vorn besitzt, mit der schräg rückwärts wirkenden Stützkraft des vorwärts ge- setzten Beins, um eine senkrecht hebende, unterstützende Wirkung auf den Schwerpunkt zu üben. Wenn nun das vorn aufgesetzte Stützbein ein starre Strebe wäre, so müsste der Schwerpunkt unter dem Einfluss des ihn vor- wärts treibenden Schwunges einen Kreisbogen über dem unter- stützenden Fuss beschreiben. Dabei müsste der Schwerpunkt um ungefähr 7 — 8 cm gehoben werden, wozu die vorhandene Schwung- kraft schwerlich ausreichen würde. An Stelle der Kreisbewegung tritt aber in Wirklichkeit eine sehr viel, nämlich etwa um die Hälfte flachere. Curve, die sich anfänglich sogar noch senkt, statt anzusteigen, indem das Stützbein zunächst beträchtlich, um fast 15'' im Knie gebeugt wird, um dann erst, wenn der Schwerpunkt schon fast senkrecht über dem Fuss steht, allmählich wieder in Streckung überzugehen. Diese Beugung tritt in dem Umstände zu Tage, dass der Unterschenkel sich auf dem Fussgelenke aufrichtet, während der Oberschenkel annähernd sich selbst parallel fortrückt. Von dem Augenblick an, wo der Schwerpunkt senkrecht über dem Stützfuss angekommen ist, würde er nun bei steifbleibendera Beine im Kreisbogen vorn über fallen können. Diese Bewegung wird wiederum gemildert und in eine gleichmässigere Vorwärts- bewegung übergeführt, indem das Stützbein nunmehr zum Stemm- bein wird und den Körper durch Streckung im Fussgelenk vor- wärts schiebt, während das Knie sich schon zu beugen beginnt. Bei der Streckung des Fussgelenks hebt sich die Ferse vom Boden, der Fuss ruht nun nur noch auf dem Ballen, schliesslich hebt sich auch dieser und nun erfolgt der letzte Nachschub von der Zehenspitze aus. Dies ist das sogenannte „Abwickeln" der Sohle vom Boden. 300 Sechster Abschnitt. Die genaue Analyse der Bewegungen des Fusses, die 0. Fischer bei einer Untersuchung über den Gang des Menschen vorgenommen hat, zeigt, dass das Stützbein auf dem weichen Fettpolster der Sohle gewissermaassen schwimmt, wie etwa auf einem Luftl?>) F. A. M. W. Gebhardt, Ueber functionell wichtige Anordnungsweisen der gröberen und feineren Bauelemente des Wirbelthierknochens. Arch. f. Entwickelungsmechanik der Organismen. 1901. Bd. XI, Heft 3 und 4. XII. Heft 1 und 2. 55. (54 u. 70) J. W. Hultkrantz, Das Ellenbogengelenk und seine Mechanik. Jena 1897. S. 43. 56. (58) Vgl. J. Wolff, Das Gesetz der Transformation der Knochen. 57. (60) Wie oben unter 52 und 56. Ferner: J. Wolff, Die Lehre von der functionellen Knochengestalt. Virchow's Archiv. Bd. 155. 2. S. 256. Ref. im Biol. Centralbl. XIX. No. 22. 1899. 58. (62) L. Fick, Ueber die Ursache der Knochenformen. Göttingen 1857. 59. (62) H. H. Hirsch, Die mechanische Bedeutung der Schienbeinform u.s.w. S. 10 u. 4. 60. (63) Wie oben unter 26. 2. S. 9. 61. (66) H. Werner, Die Dicke der menschlichen Gelenkknorpel. Inaug.-Diss. Berlin 1897. Führt S. 8 die Lehrbücher der Anatomie von Sappey, Cru- veillier und Quaiu-Hofi'mann an. Ferner: Braune u. Fischer wie unter 60. 62. (70) H. Triepel, Die Stossfestigkeit der Knochen. Arch. f. Anat. 1900. S. 229. 63. (71) H. Triepel, Einführung in die physikalische Anatomie. Wiesbaden 1902. Enthält ein umfangreiches Verzeichniss der in dies Gebiet fallenden Arbeiten, unter denen folgende im Text erwähnt sind: P. Lesshaft, Grundlagen der theoretischen Anatomie. Leipzig 1892. Derselbe: Die Architektur des Beckens. Anat. Hefte. I. Abt. 3. Bd. 1894. S. 171, C. Hülsen, Specifisches Gewicht, Elasticität und Festig- keit des Knochengewebes. Anz. des biolog. Laborat. St. Petersburg. 1898. S. 1. 0. Messerer, Ueber Elasticität und Festigkeit der mensch- lichen Knochen. Stuttgart 1880. A. Raub er, Elasticität und Festigkeit der Knochen. Leipzig 1876. G. Wertheim, Memoire sur l'elasticite et la cohesion des principaux tissus du Corps humain. Ann. de Chimie et de Physique. 3. G. I. 21. — Ferner: J. Fessler, Die Festigkeit der menschlichen Gelenke mit besonderer Berücksichtigung des Bandapparates. Habilitationsschr. München 1894. 314 Literaturverzeichniss. 64. (78) Luschka, Die Halbgelenke des menschlichen Körpers. Müller's Arch. 1855. S. 481. und Monographie gleichen Titels. Berlin 1858. 65. (79) C. Ludwig, Lehrb. d. Physiol. Heidelberg 1852. I. S. 367. ßQ. (79) R. Fick (im Text irrthümlich L. Fick), Ueber die Form der Gelenk- flächen. Archiv f. Anat. 1890. S. 31. 66. (81) A. Fick, Die medicinische Physik. 3. Aufl. Braunschweig 1885. 67. (83 11.89) Fischer, wie oben unter 26. 2. S, 9. 68. (83) (68 (87) siehe unter 70). H. Buchner, Kritische und experimentelle Studien über den Zusammenhalt des Hüftgelenks während des Lebens in allen normalen Fällen. Arch. f. Anat. 1877. S. 22. 68. (85) Wilhelm Weber und Eduard Weber, Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge. Göttingen 1836. IL Theil. § 64. S. 147. 70. (86) (70 (88) siehe oben unter 68). E. Kose, Die Mechanik des Hüftgelenks. Archiv für Anat. u. Physiol. 1865. S. 545. Aum. 71. (86) Wie oben unter 69. S. 135. 72. (87) A. Fick, Specielle Bewegungslehre im Handbuch der Physiologie von Hermann. Bd. I. Th. II. S. 276. 73. (88) (73 (93) siehe unter 75). Chr. Aeby, Beiträge zur Kenntniss der Ge- lenke. Deutsche Zeitschr. für Chirurgie. 1876. Bd. 6. S. 394. 74. (92) E.Will, Ueber die Articulatio cricoarytaenoidea. Inaug.-Diss. Königs- berg 1895. S. 9. 75. (93U.95) 0. Fischer, Ueber Gelenke von zwei Graden der Freiheit. Arch, für Anat. 1897. Suppl. S. 242. 76. (101) C. F. V. Ehrenberg, Ed. Knoblauch und L. Hoffmann, Bau- lexikon. Frankf. a. M. 1854. Art. „Band". S. 40. 77. (111) A. Fick, Ueber Gelenke mit sattelförmigen Flächen. Zeitschr. f. rat. Med. 1854. Bd. IV. 78. (113) Ph. J. W. Henke, Handbuch der Anatomie und Mechanik der Ge- lenke u. s. w. Leipzig und Heidelberg. 1863. S. 21. 79. (114) R. du Bois-Reymond, Ueber das Sattelgelenk. Arch. f. Physiol. 1895. S. 433. 80. (114) 0. Fischer, wie oben unter 75. 81. (121) Wie oben unter 69. 82. (122) H. Pütz, Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Sprunggelenks. Inaug.-Diss. Bern 1876, und Zeitschr. f.* pract. Vet.-Wissensch. 1876. Ferner: R. du Bois-Reymond, Ueber die sogenannten Wechselgelenke beim Pferde. Verh. d. physiol. Ges. zu Berlin. Jahrg. 1897-98. S. 23. 83. (iiJ3) W. Braune und 0. Fischer. Wie oben unter 23. 84. (129) Wie oben unter 75. 8. 248. 85. (131) N. Delaunay, Die Tschebyscheff'schen Arbeiten in der Theorie der Golenkmechanismen. Hist. litt. Abth. d. Zeitschr. f. Math. u. Phys. 44. Bd. 1899. 4. H. S. 101. 86.(131) R. Wiedersheim, Grundriss der vergl. Anat. d. Wirbelthiere. n. Aufl. Jena. 1888. S. 73. 87. (133) Wie oben unter 78. S. 107. Literaturverzeichniss. 315 88. (134) Graf V. Spee, DioVerschiobungsbahn des Unterkiefers am Schädel. Arch. f. Anat. 1890. S. 285. 89. (13«) Wie oben unter 78. S. 97. 90. (136) C. Strecker, üeber die Condylen des Hinterhauptes. Arch. für Anat. 1887. S. 301. 91. (138) H. V. Meyer, Physiologische Anatomie. 3. Aull. S. 101. Derselbe: Statik und Mechanik des menschlichen Knochengerüsts. Leipzig 1873. S. 241. Henke, wie oben unter 78. S. 101. Quain's Anatomy. 7 th Ed. London 1864. p. 126. 92. (138) Wie oben unter 78. S. 95. 93. (139) Wie oben unter 64. 94. (140) H. V. Meyer, Physiologische Anatomie. 3. Autl. S. 40. Derselbe: Statik und Mechanik u. s. w. S. 208. 95. (142) H. V. Meyer, Statik und Mechanik des menschlichen Knochenge- rüstes. Leipzig 1873, S. 213. 96. (142) H. Yirchow, Verhdl. d. Berliner anthropolog. Gesellsch. 27. Febr. 1886. S. 172. 97. (143) Wie oben unter 78. S. 69. 98. (143) Wie oben unter 78. S. 67. 99. (143) Vergl. Oudemans, The great sea Serpent. London 1892. (Zu- sammenstellung von über 200 Berichten und Abbildungen von der See- schlange). 100. (143) I. Wie oben unter 95. S. 212. II. A. W. Hughes, Die Drehbewe- gungen der menschlichen Wirbelsäule und die sogenannten Musculi rota- tores. Arch. f. Anat. 1892. S. 265. 101. (143) Wie oben unter 98. 102. (144) A. Blumeufeld, Die Lendenkrümmung der Wirbelsäule bei ver- schiedenen Menschenrassen. Inaug.-Diss. Berlin 1892. 103. (145) Wie oben unter 95. S. 214. 104. (149) H. V. Helmholtz, üeber die Bewegung der Kippen. Ges. Abh. Bd. It. S. 484. W. A. Freund, üeber Thoraxanomalien als Praedispo- sition zu Lungenphthise und Emphysem. Die Therapie der Gegenwart. 1902. Jahrg. 43. H. I. S. 26. 105. (151) Wie oben unter 29. S. Mollier. 106. (15R) Wie oben unter 95. S. 142. 107. (158) 0. Fischer, Das Ellenbogengelenk. Abhandl. der math.-physikal. Gl. d. K. Sachs. Gesellsch. d. Wissensch. Bd. XIV. 1887. S. S3. 108. (158) Wie oben unter 55. 109. (159) Wie oben unter 107. S. 105. 110. (164) Wie oben unter 78. S. 173 u. 181. 111. (1(54) W. Braune u. 0. Fischer, Untersuchungen über die Gelenke des menschlichen Armes. II. Th. Das Handgelenk. Abh. d. math.-physikal. Gl. d. K. Sachs. Gesellsch. d. Wissensch. Bd. XIV. 1887. S. 107. 112. (164 u. 168) Pv. Fick, üeber die Bewegungen in den Handgelenken. Abh. d. math.-physik. Gl. d. K. Sachs. Gesellsch. d. Wissensch. Bd. XXVI. 316 Literaturverzeichniss. No. 6. 1901. S. 419. G. Forsseil, Ueber die Bewegungen im Hand- gelenk des Menschen. Skandin. Arch. f. Pliysiol. XII. 3/4. S. 168. II. Virchow, wie oben unter 17. 113. (168) Wie oben unter 95. S. 172. 114. (174) W. Cowl und R. du Bois-K eymond , Die Stellung der Mittel- handknochen beim Spreizen der Finger. Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen. Bd. II. 1898. 115. (176) R. du Bois-Reymond , Ueber die Oppositionsbewegung. Arch. f. Physiol. 1896. S. 154. 116. (179) Wie oben unter 95. S. 285. 117. (181) Wie oben unter 66 und 72. Ferner: Wie oben unter 5. 118. (183) H. V. Meyer, wie oben unter 95. S. 193. E. .lendrassik, Klin. Beitr. zum Studium der normalen und pathologisciien Gangarten. Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. LXX. 1901. 89. 119. (187 u. 189) H. Virchow, Bedeutung der Bandscheiben im Kniegelenk. Verhandl. d. Physiol. Gesellsch. zu Berlin. .Jahrg. 1899—1900. S. 83. 120. (188) Wie oben unter 26. 2. 121. (189) Wie oben unter 119. S. 79. 122. (191) R. du Bois-Reymond, Ueber die Pvotation des Unterschenkels. Verh. d. Physiol. Gesellsch. zu Berlin. .lahrg. 1895/99. S. 89. 123. (i9(;) H. Virchow, Ueber die Gelenke der Fusswurzel. Verh. d. Physiol. Gesellsch. zu Berlin. Jahrg. 1898/99. S. 103. 124. (197) Wie oben unter 78. S. 280. 125. (198) H. Virchow, Ueber das Skelett eines wohlgebildeten Fusses. Verh. d. Physiol. Gesellsch. zu Berlin. Jahrg. 1900/1901. S. 39. 126. (199) Wie oben unter 125. 127. (201) 0. Fischer, wie oben unter 2. S. 370. 128. (202) J. Rosenthal, Allgemeine Physiologie der Muskeln und Nerven. 2. Aufl. Leipzig 1899. S. 19. 129. (202) Wie oben unter 128. S. 65. 130. (20Ö) Wie oben unter 128. S. 39. 131. (209) Roy und Adami, Philosoph. Transactions of the Royal Society. London 1892. Vol. 183, geben mit Bezug auf die Spannung des Herz- muskels die Curve der Oberflächenvergrösserung bei gleichmässiger Volumzunahme wieder. Auch H. Triepel, vergl. unter 63, macht auf S. 206 entsprechende Angaben. 132. (212) Vgl. H. B. Lübsen, Einleitung in die Mechanik. Leipzig 1876. S. 81. 133. (218, 226 II. 260) Wie oben unter 29. W. Braune und 0. Fischer. 134. (222) A. Fick, Specielle Bewegungslehre in Hermann's Handbuch der 'Physiologie. Bd. I. Th. H. 135. (225) I. Otto Fischer, Ueber die Drehungsmomente ein- und mehrge- lenkiger Muskeln. Arch. f. Anat. 1894. S. 133. II. Derselbe, Ueber Grundlagen und Ziele der Muskelmechanik. Arch. f. Anat. 1896. S. 371. 136. (226) A. Bum, Ueber Muskelmechanik. Wien. med. Presse. 1898. No. 27. Literaturverzeichniss. 317 137. (228 u. !;4o) Wie oben anter 39. 1.38. (234) J. W. Th. Henke, Zeitschr. für rat. Med. 3. R. Bd. 33. S. 141-148. 139. (234) Wie oben unter 15. p. 244. 140. (23:0 0. Fischer, Das statische und das kinetische Maass für die Wirkung eines Muskels, erläutert an ein- und zweigelenkigen Muskeln des Ober- schenkels. Abhandl. d. math.-physik. Gl. d. K. Scächs. Gesellsch. der Wissensch. Bd. XXVII. 1902. S. 508. 141. (236 11. 23S) Wie oben unter 135. 142. (239) Wie oben unter 39. S. 61. 143. (242) Bei La Mettrie (L'homme machine. Leyde. 1748. p. 81) findet sich diese Anschauung in folgender Form ausgesprochen: ,,C'est en vain qu'on se r'ecoie sur l'Empire de la volonte. Four on ordre qu'elle donne, eile subit cent fois le joug." 144. (243 u. 261) H. E. Hering, Ueber die Wirkung zweigelenkiger Muskeln auf drei Gelenke und über die pseudoantoganistische Synergie. Pflüger's Archiv. Bd. 65. 1897. S. 636. 145. (243) Pv. du Bois-Reymond, Ueber das angebliche Gesetz der reciproken Innervation antagonistischer Muskeln. Arch. f. Physiol. 1902. Suppl. S. 27. 146. (245 11.248) G. B. Duchenne. Wie oben unter 29. p. 818. 147. (24S) Wie oben unter 146. p. 823. 149. (252) H. Sewall und E. M. Pollard, On the relations of diaphragmatic and costal respiration. Journ. of Physiol. XI. 1890. p. 159. 150. (252) E. du Bois-Reymond, Der physiologische Unterricht sonst und jetzt. Berlin 1878. S. 8. 151. (254) E. Zuckerkandl und S. Erben, Untersuchungen über die Physio- logie der willkürlichen Bewegungen am Lebenden. Verh. des Physiolog. Clubs zu Wien. Centralbl. für Physiologie. Bd. XI. 1897. H. 9. 152. (255) R. Fick, Ueber die Athemmuskeln. Arch. für Anat. 1897. SuppL S. 60. 153. (256) Wie oben unter 105. S. 13. 154. (257) Wie oben unter 146. S. 94. 155. (2ö;i) Wie oben unter 146. S. 111. 156. (263) M. Rothmann, Ueber das Rumpfmuskelcentrum u. s. w. Neurolog. Centralblatt. 1896. No. 24. 157. (264 u. 230) R. du Bois-Pveymond, Ueber die Fixation des Kniegelenks beim Stehen. Verh. der Physiol. Gesellsch. zu Berlin. Jahrg. 1899/1900. XV. S. 91. 158. (2G8) Wie oben unter 69. S. 97. 159. (268) Wie oben unter 8. S. 79. 160. (269) I. E. Zuckerkandl und S.Erben, Zur Physiologie der willkür- lichen Bewegungen. Wiener klin. Wochenschr. 1898. No. I. — II. Die- selben, Zur Physiologie der Rumpfbewegungen. Wien. klin. Wochen- schrift. 1898. No. 43. 318 Literaturverzeichniss. 161. (271) Steinliausen, Beiträge zur Lehre vom Mechanismus der Bewe- gungen des Schultergürtels. Arch. für Physiol. 1899. Suppl. S. 402. 162. (272) Thöle, Mechanik der Bewegungen im Schultergelenk u. s. w. Arch. für Psychiatr. 1900. XXXllI. I. S. 159. Bei Mollier, vergl. unter 29, sind ältere Beobachtungen über dieselben Thatsachen angeführt. 163. (277) Wie oben unter 151. 164. (279) R. du Bois-Reymond, Demonstration einer Thatsache aus der Gelenkphysiologie. Verhandi. der Physiol. Gescllseh. zu Berlin. .Jahrg. 1896/97. "XVIII. S. 94. 165. K. Vierer dt, Grundriss der Physiologie des Menschen. 2.Aull. Tübingen 1862. S. 364. 166. (282) Wie oben unter 8. S. 81. 167. (282) R. du Bois-Reymond, Ueber die Grenzen der Unterstützungs- lläche beim Stehen. Verhandi. der Physiolog. Gesellsch. zu Berlin. •Jahrg. 1899/1900. VIII. 53. 168. (283) L ei tens torfer. Das militärische Training. Mit 49 Helmspitzen- zeichnungen (Kephalogramme) in der Beilage. Stuttgart 1897. 169. (233) A. Mosso, Arch. ital. de Biol. T. V. 1884. 170. (284) I. H.V.Meyer, Die Statik und Mechanik des menschlichen Knochen- gerüstes. Leipzig 1873. Derselbe, Arch. für Physiol. 1853. S. 9. — II. Th. .L W. Henke, Handb. der Anatomie und Mechanik der Gelenke u. s. w. Leipzig 1863. S. 285 und 214. — III. R. du Bois-Reymond, Artikel Stehen in .J. Gad. Medicin. propaedeut. Reallexicon. Wien 1893. S. 1195. — IV. W. Braune und 0. Fischer, Wie oben unter 8. S. 67. 171. (285) Wie oben unter 8. S. 41. 172. (2SG) Wie oben unter 8. S. 79. 173. (2!ii') W. Parow, Studien über die physikalischen Bedingungen der auf- rechten Stellung und die normalen Krümmungen der Wirbelsäule. Archiv für pathol. Anatomie von Rudolf Virchow. Bd. 31. 1864. Ss. 74 u. 109. 174. (294) Wie oben unter 170. II. S. 215. 175. (294) Wie oben unter 170. 1 und III. 176. (294) G. Katzenstein, Leber die Einwirkung der Muskelthätigkeit auf den Stoffverbrauch des Menschen. Pflüger's Archiv. 1891. Bd. 49. S. 361. 177. (294) H. Virchow, Beiträge zur Kenntniss der Bewegungen des Menschen. Verhdl. der Würzburger phys.-med. Gesellsch. 1883. Sep.-Abdr. S. 12. 178. (294) Wie oben unter 8. S. 82. 179. (29(i) Pv. du Bois-Reymond, Beitrag zur Lehre vom Stehen. Verhandi. der Physiol. Gesellsch. zu Berlin. Jahrg. 1896/97. IX. S. 34. 180. (29G) Wie oben unter 118. 181. (297) Wie oben unter 69. S. 213. 182. (298) E. du Bois-Reymond, Gedächtnissrede auf Hermann von Helm- holtz. Abh. der K. Acad. der Wissensch. 1896. S. 29. 183. (300) 0. Fischer, Der Gang des Menschen. HI. Theil. S. 41. Abband!. der math.-2)hysikal. Gl. d. K. Sachs. Ges. d. Wissensch. Bd. 26. No. HL Literaturverzeichniss. 319 184. Wie oben unter 69. S. 249. 185. (301) Wie oben unter 118. S. 82. 186. (301) Wie oben unter 26. I. 187. (30fi) Referat über 0. Fischer, Der Gang des Menschen, im Centralbl. f. Physiol. ßd. IX. 1895. S. 409. Ferner: Wie oben unter 118. S. 87. 188. (308) 0. Fischer, Der Gang des Menschen. IV. Theil. Abhandl. der math.-physilf. Gl. der K. Sachs. Gesellsch. d. Wissensch. Bd. XXVII. No. X. 189. (30S) Wie oben unter 118. S. 105. 190. (308) Wie oben unter 69. S. 347. 191. (308) F. A. Schmidt, Unser Körper. Leipzig 1899. S. 426. 192. (309) G. A. Guldberg, Etudes sur la dyssymmetrie morphologique et fonctionnelle chez l'homme et les vertebres superieurs. Christiania 1897. Register. (Die Zahlen sind Seitenzahlen). A. Abnahme der Muskelkraft 205. Acroiiiialgelenk 151. Am^jhiarthrose 99. Antagonisten 243, 293. Arbeit der Muskeln 45. — Physiolo- gische und physikalische 49. Association 242. Atlasgelenke 135, 136. B. Bänder 80. — Hemmung 82. — Wir- kung 83, 99. Berührungsgelenk 89. — B. mit Roll- bewegung 117. Becken 179. — Bewegung 278. — B. beim Stehen 287, 296. ßewegungsform 95. — B.-freiheit 95. ■ — B. zweier Gelenke 129. — Um- fang 82. — Hemmung 82. — Unter- suchung 27. Bodenreibung 307. du Bois-Reymond, E., Zunge und Sepie 253. Braune, W. (und 0. Fischer), Me- thode 23. — Knieknorpel 63. — Rotation 188. — Handgelenk 164, 172. — Fingergelenke 177. — Schwerpunkt 48, 46. — Stehen 285. c. Chitin 76. Circumduction 10. Combinirtes Gelenk 126. •-(jordinaten 12. < oordinatiou 241. Culnian 60. CycloVde 119. Cylindergclenk 99, 106. D. Dachs, Kiefergeleuk 76. Dehiscenz 93, 171. 195. Diarthrosis 79—83. Doppelgeleuk 124. Drehgelenk 104. Drehungsmoment 214. — D. der Ellen- bogenbeuger 227. Druck von Flüssigkeit in Hohlräumen 209. ~ D. der Sohle auf den Boden 307. — seitlicher D. von Muskeln 209. — D. auf die Gelenke 80, 83 bis 88, 158. 219. — Drucksinn der Fusssohle 296. Duchenne, Methode 39. — Gesichts- muskeln 245, 248. — Muskeln wirken nie einzeln 246. — Pseudo- antagonismus 243. — Schulterbe- wegung 271. 272. Dynamik 2, 239. E. Eigelenk 93, 107. Eilschritt 308. Eingelenkiger Muskel 226—232. Ellenbogen 154 — 159. — Beugemuskeln 227. — passive Bewegung 274. F. Fadenzug 41, 43, 43. Festigkeit 55, 56. — F. der Gewebe 71. Fick, A., Gelenkraum 81, 89. — Register. 321 Luftrlmok 87. — Sattelgelenk 11-2. — Hüftaxni ISl. — Miiskul- statik 222. Fick, L., Prägungstheorie 62. Fiek, R... Flächen 79. — Handgelenk 16-4, Fisc*her, 0„ Neue Lehrsätze 3. — Methode 23, 34. — Schwerpunkt 48, -49. — Hauptpunkt 49, 51. — Muskel und Schwere 50. — Muskel- mechanik 52, 201. — Eingelenkige Muskeln 228—232, 259, 277. — Zweigelenkige Muskeln 236—39. — Knieknorpel 63. — Ellenbogen 158. — Handgelenk 164, 172. — Sattel- gelenk 114, 176. — Fingergelenke 188. — Knierotation 188. — Vor- würfe gegen F. 306. — Fussbewe- gung 298, 307. — Normalstellung 285. — Kopfschwerpunkt 268. Flächen, Gelenkeintheilung 88. — in sich selbst verschiebliche F. 93. Freund, Rippenknorpei 149. FühiTingslinien 16. Fussgelenk 191. — F. beim Stehen 284. 293. G. Gassmaun und Strasser 9, 39, 181. Gefrierskeletraethode 18, 165. 189. Gehen 297. 309. Gelenk. Lehre 73. — Flächen, Kapsel, Bänder 80. — Hemmung 82. — Druck auf die G. 80, 84. — Reibung 80. — Form, Bestimmung der G. 15. Eintheilung nach der G.- Form 94. — nach der G. -Bewegung 94. — Eintheilung 146. — G. der Arthropoden 76. — Geschlossenes G. 76, 79. — Combinirtes G. 126, 278. — Zusammengesetztes G. 126. — Summirter Umfang zweier G. 129. Ginglymarthrodie 122. Ginglymus 99. Gleichgewicht 281. Globus, Muskel-G. 9, 39, 181. Gewölbe 163, 198. Greifbewegung 277. H. Hand 273. 277. Handgelenk 161. Handwurzelmittelhandgelenk 173. — H. des Daumens 175. IX. du 1) (> i s-K e y m o u il, .Spec. Muskel physiol Hauptpunklc 49, 51.. llaycraft, (ielenkniittr l'O. — In- sufllcienz 234. Hebel. 210. — bei Rotation 215. Helmholtz, Rippen 149.— Fu.'^s 298. Henke, S^ttclgeleak 113. — Wirbcl- sä,ule. 141. — :S(}eschlange 143. — Atlas 138. — Schulter 153. — Handgelenk 164. — Mittelfuss 197. — Insufficienz 233. — Stehen 293. Hering, Pseudoanta'sonistische Syner- gie 243. Hirsch, Form des Schienl)eins 63. Homologie der Glieder 9, 161. Hughes, Rotation der Wirbelsäule 145, 147. Hüftgelenk 180. — Luftdruck 83—88. Hultkrantz, Ellenbogen 158. — Knorpel, Spaltrichtung im 67. — Spannung im 67. I. J. .Jendrassik, Bänderhemmung im Hüftgelenk 183. — Muskeln beim Gehen 308. Innervation, Verknüpfung der I. 239. Insufficienz 233. Intercostalmuskeln 262. K. Katzenstein, Stoffwechsel 294. Kaumuskeln 249, 251. 267. Kiefergelenk 131 — 135. Kinematik 2. — Sätze der K. 24, 27. Kniegelenk 184 — 191. — Bewegungen 264, 278—80. — K. beim Stehen 264, 287. Kniescheibe 1.91. — Bruch 234. Knochen, Bau der K. 54. — Unter- suchung des K. 53. Knochenvorsprünge 225. Knorpel, Spaltrichtung 54. — Nach- giebigkeit 63. — Dicke 66. — Feaiig- keit 71. König, Hüftgelenk 16, 63. Kopf, Nicken 253, 268. — Schwer- punkt 268. 286. - Drehung 254. — Bewegung beim Gehen 305. Kräfte, K.-parallelogramm 212. — K.- paar 212. — K. -paare beim Stehen 288—292. Kugelgelenk 90, 97, 116, 129. 21 322 Register. ■Zwisclicn- Symphyse L. Listing's Gesetz 116, 176. Tjinlwig, Synarthfosc 7!). [juttwirlcrsland o06. Luschka,Halbgelciake78. - •wirbelscheibcn 189. — 179. M. Marcy, Chronophotographie 40, 46. — Luftkapsel 44. — Beugegang 309. Markhöhle 55. Mechanik, Aufgaben der M. o. Meyer, H. v., Wirbelsäule 140—145. — Radiuspfanne 168. — Handge- gelenk 172. — Bänderhemmung der Hüfte 183. — tiewölbe 199. — Stehen 283, 293—94 Militärische Haltung 294. Mitbewegung 242, 244. Mittelhand 176. Modelle 17, 42. — M. von Gummi zur Darstellung der Zug- und Druck- curven 57. — M. des Armes 229, 231, 240. Mol Her, S., 38. — M.'s Modell 41. — Schlüsselbein 151. Mund 250. — Ocfifnen des M. 267. Muskel, Physiologie, Allgemeine und Specielle 1. — Eintheilung 3, 5. — Nutzen 4. — Elemente 202. — Kraft 203. — Schrägfaseriger M. 207. — Muskelhaut 206, 209. — Schräger Zug 219 — 224. — Ana- tomische nicht physiologisshe Ein- heit 246. — Eingelenkige M. 226 bis 232. 259. — Zweigelenkige M. 232—239, 277. — Antagonismus 243, 293. Muskeln, Wirkung der einzelnen M. 247—66. Muskelmechanik, Allgemeine 200. — ■ Specielle 201, 244. Muskelzange 44. N. Naht 77. Normalstellung des Körpers 7. — N. der Gelenke 82. • — N. nach Fischer 285. P. Papiermodell 44. Pnrallclngramni der Kräfte 212. Parallelprojeetion 21. Parow, Bauchwand beim Stehen 292. Patella 191. — Fractur 234. Pendelbewegung des Beins 300. — P. des Arms 305. Phoronomie 2. Photographie 33. — Pli. nach Marey 34, 40; nach Riebe r 40: nach Braune und Fischer 34. I'rägungstheorie 62. Pronalion 11, 159. 275—276. Protoplasmabewegung 74. (»luerschnitt, phvsiologischer 45, 202, 207. R. R. 0. Upposition 11, 176. Reibung in den Gelenken 80. - am Boden 307. Rieh er, Serienbilder 40. Rippen 147—149. — R.-Muskelu 262 Rollbewegung 117. Röntgenverfahren 20. — R. für Knochen- schnitte 53. — Handgelenk 164 Sattelgelenk 175. — Schulter 271 Rotation 11. — Hebelwirkung bei R 215. — R. der Finger 177. — R des Unterschenkels 194. Rotationsflächen 109. Rotatiousmoment 214. — der Ellen- bogenbeuger 227. Rumpf, Beugung und Streckung 268 — ■ Schwankungen beim Gehen 303 s. Säge für Knochenschnitte 53. Sattelgelenk 110, 175. Schiebkarren 5. Schlüsselbein 150—152. Schlussrotation 188. Schraubenbewegung 27, 97. — Gelenk 103, 105. Schultergelenk 152—154. — Muskeln 256—259. — Bewegung 271. — beim Gehen 304. Schwerpunkt, Bestimmung 47. — Seh. der Gliedmaassen 48. — Seh. beim Reo:ister. 323 Stehen 282. — Scli. bei Belastung -_)J)5_ _ Seil, brilli «irlini 301. Scesehlange 148. Sehne, Ansatz 217. — Ablenkung 225. — Sohlenilächr. wirksame 282. — Polster beim (iehen 300. — Druck der S. 307. Spiralgelcnk 120, 187. Sprengwerk 163, 199. Stehen 281. — Knie-St. 264, 287. — symmetrisches St. 282. — Stoff- wechsel beim St. 294. — asymme- trisches St. 295. — St. auf den Zehenspitzen 297. — St. auf dem Ballen 266, 296. Steinhausen, Schultcrbewegung 271. Stieda, Homologie 9. Stiefelsohle 282. Strasser und Gassmann, Globus 9, 39. — Umfang der Hüftbewegung 181. Strecker, Atlasgelenk 136. Supination 11, 159, 275, 276. Synarthrose 76—79. System, Bewegung einer ebenen S. 24. — „reducirtes" 51. T. Thcilschwerpunkt 48, 286. Triepel, Festigkeitslehre 71. T s c h e b i t s c h c w , Gelenkmechanismen 131. u. Unterschenkel, Rotation des U. 194. Unterstützuno-sfläche 282. V. \'irchii\v. [I.. (ii'liiefskrlclmrlliiiilc 18, 165. — Hiintgenvorfakron 23. — Schlangenmenschen 142. — Handgelenk 166 — 172. — Kniege- lenk 188, 189. — Fus.sgelenk 196, 198. — Militärische Haltung 294. Vierordt, Schwankungsliguren 281. — Asymmetrisches Stehen 296. w Wackelgelenk 99. Walzengelenk 99. Weber, Gebrüder, Kniegelenk 187. 189. — Kopfschwerpunkt 268. — Pendelliewegung 300. — Eilschritt, gravitätischer Schritt 308. M'echselgelenk 122, 123. Werner, Knorpeldicke 66. Wett-Gehen 305. — Rudern 5. Wirbelsäule 139. — Bewegung 255. Wolff, J., Rnochenstructur 61. z. Zahnreihe 134. Zähne, Gomphosis 77. Zapfengelenk 104. Zehen 266, 296. Zuckerkandl und Erben, Greifbe- wegung 277. Zug- und Druckcurven 58. Zunge 75, 252. Zuntz und Katzenstein 294. Zusammengesetztes Gelenk 12(i. Zwangläufigkeit 97. Zweigclenkige Muskeln 236—239. Zwischenknorpel 124, 131. Druck von L. Schumacher in Berlin. y ^ o