c^j^xC^^^^S^^^'^^^^i^Xi^^^^^i^X^«^^^^!^ I^ 'M^. v: HARVARD MEDICAL LIBRARV IN THE Francis A.Countway Library of Medicine BOSTON SPEGIELLE PHYSIOLOGIE DES EMBRYO. "SPECIELLE PHYSIOLOGIE DES EMBRYO. UNTERSUCHUNGEN UEBER DIE LEBENSERSCHEINUNGEN VOR DER GEBURT VON W. E^R E YE R, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT JENA. HIT 9 LITHOGRAPHIRTEN TAFELN UND HOLZSCHNITTEN LM TEXT. LEIPZIG-, TH. GEIEBEN'S VERLAG (L. FEENAU). 1885. 3 G ' HARVARD UNtVERSrrV §@H©OU QF MEDiCiNE AND PUBUIC HEAUH LIBRARY Alle Rechte vorbehalten. Druck Tan Metzger & Wittig in Leipzig. DEM FREUNDE UND COLLEGEN B. S. SCHULTZE, Doctor der Medicin, Chirurgie und Geburtshülfe, o. ö. Professor der Geburtshülfe und Gynäkologie, Director der grossherzogl. Ent- bindungsanstalt und Frauenklinik in Jena, Geh. Hofrath, Comthur des Grossherzog]. Sachs. Ordens der Wachsamkeit, Eitter des Fürst- lich Reussischen Ehrenkreuzes 1. Classe, Ehrenmitglied und Mit- glied vieler gelehrter Gesellschaften usw. usw. GEWIDMET VOM VERFASSER. Digitized by the Internet Archive in 2011 with funding from Open Knowledge Commons and Harvard Medical School http://www.archive.org/details/speciellephysiolOOprey INHALT. EINLEITUIS^G. i Neuheit und Wichtigkeit der physiologischen Embryologie 3. — Ihr Verhältniss zur morphologischen Entwicklungsgeschichte 3. — Das Material der Untersuchung 4. — Menschliche normale und anomale Früchte 4. — Säugethier-Embryouen 7. — Vogel-Embryonen 9. — Brütofen 10. — Embryonen niederer Thiere 11. — Schwierigkeiten der experimentellen Untersuchung 11. ^ Verfahren beim Säuge thier- Embryo 12. — Vorbereitung des Vogel-Embryo im offenen Ei 12. — Präparir-Kasten geheizt 13. — Embryosko^j 14. — Beobachtung des Embryo im unverletzten Ei 14. — Eiwärmer 15. — Entwicklung im offenen Ei 15. — Begrenzung der Aufgabe 16. I. DIE EMBRYONx\LE BLUTBEWEGUXG. 19 A. Die embryonale Herzthätig-keit. 21 In Eiern niederer Thiere und in Fisch- und Eeptilien-Eieru 21. Im Hühnerei 23. — Zeitpunct des ersten Herzschlags 23. — Unregel- mässigkeit der ersten Pulsatipnen 24. — Ursache derselben 27. — Frequenz derselben 28. — Änderungen der Herzfrequenz 30. — Durch Temperatureinflüsse 31. — Durch elektrische Reizung 31. — Durch mechanische Reize 32. — Durch Wasserentziehung 33. — Durch chemische Reizung (Gifte) 33. — Beim Absterben 34. Im Säugethierei 36. — - Die ersten Pulsationen 37. — Einfluss der Tem- peratur 37. Im Menschenei 39. — Die ersten Pulsationen 39. — Die fötalen Herz- töne 41. — Ihre Frequenz 43. — Verschiedenheiten derselben in Beziehung zum Geschlecht 44. — Zu Fruchtbewegungen 50. — Zum Pulse der Mutter 51. — Zur Temperatur der Mutter 51. — Zum Fötus- Alter und -Gewicht 52. — Veränderungen der Herzfrequenz durch die Geburt 54. — Die hemmende Wirkung des Nervus vagus 61. — Die kurze Dauer des fötalen Herzschlags 66. B. Der embryonale Blutkreislauf. 67 In Eiern niederer Thiere und im Froschei 67. Im Hühnerei 67. — Primitive Dottercirculation 68. — Zweiter Dotter- kreislauf 69. — Allantoiscirculation 69. — Kreislauf kurz vor dem ei'sten Athemzuge 71. Yjlj Inhalt. Im Säugetbierei, insbesondere im Menschenei 72. — Strömungen vor dem ersten Herzschlage 72. — Der Dotterkreislauf oder die erste Circulation 73. — Der Placentarkreislauf oder die zweite Circulation 79. Der Blutkreislauf unmittelbar nach Beginn der Lungenathmung 88. — Beim Vogel 89. — Beim Säugethier, insbesondere beim Menschen 91. Die Wirkung der Abnabelung auf den Blutkreislauf des Ebengeborenen 93. II. DIE EMBRYOKiLE ATHMUNG. io3 A. Die Athmung' im Ei. 105 In Eiern niederer Thiere 105. — Im Amphibien- und Reptilien-Ei 106. Die Eespiration des Vogel-Embryo 109. — Nothwendigkeit des bewegten Sauerstoffs 110. — Partielle Luftabsperrung ohne Entwicklungs- hemmung 111. — Entwicklung in reinem Sauerstoffgas 116. 131. — Die Zunahme der Luftkammer im Ei 117. — Die Eigase 119. — Quantitative Bestimmungen der vom Vogel-Embryo respirirten Gase 123. — Gewichtsabnahme des bebrüteten Eies 123. — Das von ihm exhalirte W^asser- und Kohlensäure-Gas 126. — Das vom ihm auf- genommene Sauerstoffgas 127. 132. — Die Kohlensäureproduction des Embryo vor der Lungenthätigkeit 128. — Die Sauerstoffabsorp- tion desselben 129. — Die Wasseraufnahme des Embryo 130. — Die Kohlensäureproduction desselben von der Sauerstoffabsorption abhängig 132. Die Athmung des Säugethier-Embryo 133. — Sauerstoffzufuhr aus der Placenta 134. — Sauerstoffhämoglobiu im Nabelvenenblut 137. — Geringe Menge des dem Fötus erforderlichen Sauerstoffs 138. — Grosse Geschwindigkeit seines Verbrauchs 139. — Leben bei man- gelnder Sauerstoffzufuhr 141. — Dissociation des Sauerstoffhämo- globins in der Placenta 143. — Kohlensäurebildung des Säugethier- fötus 144. B. Die ersten Atheinbeweg-uug-eii. 446 Vorzeitige Athembewegungen 147. — Intrauterine Fruchtwasser- Aspi- ration 148. Die Ursache des ersten Athemzuges 151. — Venosität des Blutes, Haut- reize 152. — Auspressung der Placenta 155. — Athembewegungen bei intacter Placentarathmung 158. — Abwechselndes Luft- nnd Placentar-Athmen 164. — Unterbrechung des letzteren ohne Asphyxie und ohne Lungenathmen 167. — Zunahme der Erregbarkeit des Athemcentrums bei Venosität, Abnahme derselben bei Arterialität des Blutes 169. — Hautreize unerlässlich 170. Der Athmungsmodus Neugeborener 173. — Aufhebung der Atelektase 174. — Die thoracale und diaphragmatische Athmung 177, Die Athmungsfrequenz Neugeborener 179. IIL DIE EMBRYONALE ERNÄHRUNG. isi A. Bediiig-ung^en der Ernährung- des Embryo. 183 Bei Oviparen Thieren 183. — Atmosphärendruck 184. — Feuchtigkeit 186. — Licht 188. — Elektricität und Magnetismus 192. — Ruhe des Eies 193. — Unversehrtheit des Embryo 195. — Fernhaltung von schädlichen Stoffen 198. Inhalt. IX Einfluss einiger Veränderungen des Blutes und Blutkreislaufs der Mutter auf den Fötus 203. — Herabsetzung des mütterlichen Blutdrucks für ihn lebensgefährlich 204. Übergang von Stoffen aus dem Blute der Mutter in die Frucht 20.5. — Übergang geformter Gebilde 215. Der Übergang von Stoffen aus dem Fötus in die Mutter 218. — Ab- hängigkeit desselben von der Menge und Concentraction der diffun- dibeln Stoffe 222. B. Der embryonale Stoffwechsel. 229) Die Ernährung der Embryonen wirbelloser Thiere 231. Die Ernährung des Fisch Embryo 234. Die Ernährung des Amphibien-Embryo 288. Die Ernährung des Vogel-Embryo 240. — Unabhängigkeit von der Kalk- schale 242. — Wasseraufnahme 250. Die Ernähnmg des Säugethier- imd Menschen-Embryo 251. — Das Ver- schlucken und Verdauen des Fruchtwassers 252. — Resorption desselben durch die Haut 255. — Betheiligung der Nabelblase an der Ernährung des Embryo 257. — Die Nährstoffaufnahme durch die Nabelvene 260. — Die Uterinmilch als embryotrophisches Material 267. Die Producte des embryonalen Stoffwechsels 271. — Die Bildung und Aufspeicherung des Glykogens 271. — Des Fettes 273. — Der Albumine 275. — Die Zufuhr anaplastischer und Ausscheidung kataplastischer Stoffe 276. — Mineralischer Stoffe 278. Einfluss der Geburt auf den fötalen Stoffwechsel 280. IV. DIE EMBRYONALEN ABSONDERUNGEN. 283 Das Fruchtwasser 285. Benennung 285. — Physiologische Bedeutung, Menge und Beschaffen- heit 286. — Ursprung 291. — Übergang von Stoffen aus dem mütterlichen Blute direct in das Fruchtwasser 292. — Aus dem Fruchtkuchen in dasselbe 294. — Fruchtwasser vor der Placenta- bildung 297. — Betheiligimg der Eihäute imd Nabelgefässe 299. — Der fötalen Nieren 291. 303. Die embryonale I/yinp1ie 303. Lymphbewegung 304. — Hämatolymphe 304. — Lymphherzen 305. Die Verdauung s- Säfte des Embryo 306. Der embryonale Speichel 306. — Geringe Mengen desselben 306. — Diastatische Wirkung desselben 306. Der embryonale Mundschleim 308. Der embryonale Magensaft 308. — Peptische Wirkung desselben 309. — Lab Wirkung desselben 311. Der embryonale Pankreassaft 312. — Fettspaltende und tryptische Wirkung desselben 312. — Diastatische AVirkung desselben 313. — Der embryonale Darmsaft 314. Die embryonale Galle 314. Die Magen- und Darm-Gase des Neugeborenen 315. Fehlen derselben beim Fötus 315. — Luft- Aspiration nach dem ersten Athemzuge 178. 316. X Inhalt. Das Meconium 317. Herkunft vom verschluckten Fruchtwasser und von der Galle 317. 321. — Entleerung vor der Geburt 318. — Embryonale Darmbewegung 319. — Veränderungen des Darmlumens während der Entwicklung im Ei 321. — Zusammensetzung des Meconium 322. — Abwesenheit fauligen Albuminzerfalles im fötalen Darm 323. Der embryonale Harn 325. Urnieren-Function 325. — Fötale Harnbildung 325. — Harnexcretion Neugeborener 325. — Ebensolche Ungeborener 328. — Nieren- thätigkeit derselben 329. — Fötale Harnstauung 332. — Die Ab- sonderung der einzelnen Harnbestandtheile beim Fötus 333. Die Allantoisflüssigheit 337. Ihre Ähnlichkeit mit dem embryonalen Harn 387. — Herkunft ihrer Bestaudtheile 337. Der embryonale Scliweiss 337. Späte Bildung 337. — Schwitzen Neugeborener 506. Die Vernix caseosa 338. Ihre Identität mit Hauttalg 339. — Ihre Vermengung mit dem Frucht- wasser 339. Das Brustdrüsensecret Neugeborener 339. Seine Absonderung, Zusammensetzung und Herkunft 340. V. DIE EMBRYONALE WÄRMEBILDUNG. 341 A. Eiufluss der äusseren Temperatur auf deu Embryo im Ei. 343 Bei niederen Thieren 343. — Fischen 343. — Amphibien 346. — Beim Hühnchen 348. — Beim Säugethier 351, — Erträgliches Temperatur- Maximum 355. — Abkühlung des Fötus langsamer als die der Mutter 356. 362. — Erträgliches Temperaturminimum 357. 374. B. Die fötale Eigenwärme. 359 Die Wärme des bebrüteten Hühnereies 359. Embryonirte Hühnereier ceteris paribus wärmer als unbefruchtete so lange der Embryo lebt 361. Die Wärme des Säugefhier- Fötus 362. Uterus trächtiger Thiere wärmer als der nicht-trächtiger 362. — Fötus wärmer als die Mutter 362. Die Wärme des menschlichen Fötus 364. In den letzten Fruchtmonaten die der Mutter übersteigend 365. — Klein- heit des Unterschiedes 369. Die Wärme des Ebengeborenen 369. In der Mehrzahl der Fälle die der Mutter übersteigend 370. — Abnahme nach der Geburt 370. — Erwärmung der Mutter durch den Fötus vor derselben 373. — Erwärmung und Abkühlung der Frucht vor und nach der Geburt 377. — Einfluss des Bades 378. Die Firjemoärme des Embryo beweist, dass Oxydationen in ihm stattfinden 380. Wärme-reguHrendf Vorrichtungen ihm noch fehlend 358. 380. — Ver- brennungsproducte 381. Inhalt. XI VI. DIE EMBRYONALE MOTILITÄT. 383 A. Die Beweg-imgeü thierischer Embryoneu. 385 Lber die Beicegiuigen der Embryonen niederer Tliiere 385. Die Rotationen und Eigenbewegungen in MoUuskeneiern 385. TJher die Betoegiuigen der Embryonen allotliermer Wirhel- tliiere 392. Drehungen und C4estaltäuderungen des Froschembiyo 392. — Einfluss der Temperatur 395. — Selbständige und Reflex-Bewegungen des Fischembryo 396. 402. — Die Kiemendeckelschwingungen im Ei 397. — Die Stösse im Ei 399. — Einfluss der Alkalisalze da- rauf 400. — Complicirte Bewegungen der Salamander -Em- bryonen 402. — Motitität der Reptilien im Ei 403. Über die Betoegungen des Embryo im Vogelei 404. Zeitpunct der ersten Bewegmig des Hühnerembryo 405. — Das Amnionschaukeln 406. — Das Herzpendeln 41Ö. — Die activen Rumpf-, Extremitäten- und Kopf-Bewegungen 411. — Das Sprengen der Schale 413. — Das Zurückschnellen gehobener Extremi- täten 415. über die Beilegungen der Säugethier-Embryonen 416. Ihre Unabhängigkeit vom Athmen 417. — Ihre Zunahme nach Blut- verlusten der Mutter 417. — Ihre Unabhängigkeit vom Gross- hirn 420. — Reflexe und Reflexhemmung 421. Versuchsprotokolle und Einzelbeobachtungeu 423. B. Die Bewegimgen des menschliclieu Fötus. 429 Zeitpunct der ersten 429. — Verschiedene Einflüsse auf dieselben 431. — Die Gleichgewichtslage des Fötus 434. — Bewegungen kopf- und hirn-loser Früchte 435. — Übereinstimmung der Bewegungen Ungeborener und Neugeborener 438. C. Die Eiutheiluug- der fötalen Beweg-iingen nach ihren Ursachen. 441 AUokiuetische und autokinetische Bewegungen 444. — Passive Bewe- gungen des Fötus 445. — Irritative Bewegungen beim Fötus 447. — Reflexbewegungen des Fötus 451. — Impulsive Bewegungen 453. — Instinctive Bewegungen 455. D. Die Verschiedenheit des ruhenden und thUtigen embryonalen Nerven und Muskels. 461 Die embryonale Elektricität 462. — Chemismus und Todtenstarre em- bryonaler Muskeln 463. VII. DIE EMBRYONALE SENSIBILITÄT. 465 A. Die fünf Sinne vor der G^eburt. 468 Die Sautempfi7idlichkeit vor der Geburt 468. Hautreizung 468. — Wirkung anästhesirender Mittel 470. — Die sen- sorischen Functionen beim Embryo später als die motorischen er- scheinend 471. Das Schmechvermögen des Fötus 475. Das Vermögen Geschmacksreize zu unterscheiden früh vorhanden 475. — Ohne Betheiligung des Grosshirns 477. XII Inhalt. De)' Geruchsinn vor der Gehurt 477. Das Vermögen zu riechen vor der Geburt vorhanden 478. — Die Ge- ruchsunterscheiduug bei Neugeborenen 479. Der Gehörsinn vor der Gehurt 480. Die Erregbarkeit der Hörnerven vor der Geburt vorhanden 481. — Der Ohnnuscheh-eflex Neugeborener 481. — Das Hören Neugeborener 482. Der Gesichtsinn vor der Gehurt 483. Xiichtempfindlichkeit des Frühgeborenen 483. — Pupillen-Verengerung und -Erweiterung beim Fötus 485. ß. Gemeiug-efühle vor der Grebxirt. 486 Lvist viiad Unlust. , Hunger und Sättigung. Muskelgefühle 4^6. C. Das Schlafen und Erwachen vor der Gehurt. 488 Fehlen der Ermüdung beim Fötus 489. — Mangel an Si.nneseind rücken und Sauerstoffverbrauch beim Wachsen 491. — Ähnlichkeit des Fötusschlafes mit dem Winterschlaf 498. YIII. DAS EMBRYO^s^ALE WACHSTHUM. , 495 Embryometrie 497. — Läugen-Waehsthum des menschlichen Fötus 498. — Eelativ und absolut 499. — Körperlänge Neugeborener 501. — Massenwachsthum 503. — Gewicht Neugeborener 503. — Gewichts- abnahme nach der Geburt 506. — Wachsthum der Placenta und des Nabelstrangs 507. — Massenwachslhum des Meerschweinchen- fötus 507. — Wachsthum des Hühnerembryo 508. — Die Differen- zirung vom Wachsthum unabhängig 511. IX. ZUSAMMENEASSUNG DER ERGEBNISSE. 513 Die embryonale Circnlation 517. — Die Respiration des Fötus 524. — Die embryonale Ernährung 528. — Die embryonalen Absonde- rungen 533. — , Die embryonale Wärmebildung 537. — Die em- bryonale Motilität 540. — Die embryonale Sensibilität 547. — Das embryonale Wachsthum 549. BEILAGEN. 553 1. Physiologische Beohachtuugen des Verfassers Uher das Hühnchen im Ei vom ersten his zum letzten Tag-e der Behrütung- und sein Verhalten kurz nach dem Ausschlüpfen. 555 2. Beohachtung-en des Verfassers an lehenden Meerschweinchen- Embryonen. 586 3. Über den Blutkreislauf des Säug-ethier- und Menschen -Föüis von Dr. R. Ziegenspeck. 596 4. Literaturverzeichriiss nebst Namenregister. 608 h. Erläuterungen der Tafeln. 645 EINLEITUNG. Preyer, Physiologie des Embryo. EINLEITUNG. Während die morphologische Entwicklungslehre über eine Reihe von trefflichen Werken verfügt, welche sowohl die Ent- wicklung einzelner Organe und Organsysteme, als auch die Bildung der Leibesform im Ganzen behandeln, ist von einer physiologischen Embryologie nur hier und da beiläufig die Rede. Weder eine einzelne Function ist bis jetzt von ihrem ersten AuftrBten im befruchteten Ei an bis zur vollendeten Ausbildung chronologisch verfolgt worden, noch wurde ihr Substrat vom Augenblick seiner Entstehung an, bezüglich seiner chemischen Um- wandlungen, entwicklungsgeschichtlich verfolgt. Eine solche bio- chemische und physiologische Embryognosie ist aber für das Ver- ständniss der Functionen der geborenen Menschen und Thiere noth- wendig. Greradeso wie man das Organ, das Gewebe und die Zelle erst versteht, wenn deren Genesis erforscht worden, kann die Function nur mittelst ihrer eigenen Geschichte verstanden werden. Freilich setzt diese die morphologische Entwicklungsgeschichte voraus und ist im engsten Zusammenhang mit ihr zu behandeln. Sie be- hauptet aber gerade auch ihr gegenüber ihre Selbständigkeit so- fern nicht bestritten werden kann, dass die Organbildung nach den Functionen sich richtet, nicht etwa nur die Function nach dem Organ, wie es beim ausgebildeten Organismus den Anschein hat. Den sichersten Beweis dafür, dass sich die Organe nach den Functionen richten, liefert der Einfluss des Functionswechsels auf die morphologische Ausbildung. Wird z. B. eine Extremität mehr als die andere geübt, so nehmen die Muskelfasern und Nerven- fasern entsprechend zu. Hält man den Salamander- und Tritonen- Embryo unter Wasser, so entwickeln sich grosse Kiemen. 4 Einleitung. In der physiologischen Entwicklungsgeschichte des Einzel- wesens handelt es sich aber zunächst nicht um derartige Rück- wirkungen der Thätigkeit auf das Substrat, sondern um die Ver- folgung der Functionen im Einzelnen von demjenigen Stadium der embryonalen Entwicklung an, wo sie noch unerkennbar sind bis zu ihrer Umgestaltung durch die Geburt. Diese Aufgabe gehört zu den schwierigeren darum, weil das Material nur spärlich ist, weil die Unter suchungsobjecte zu Ex- perimenten schwer verwendbar sind und weil die morphologische Erforschung der embryonalen Gewebe gerade in den histologischen Fragen, an deren Beantwortung dem Physiologen am meisten liegt, die grössten Lücken aufweist. In Betreff des Materials muss man von vorn herein auf das interessanteste fast verzichten. Denn wenn schon die unversehrten todten menschlichen Em- bryonen aus den frühen Entwicklungsstadien zu den Seltenheiten gehören, so gilt dasselbe in noch höherem Grade von den lebenden. Wo eine Fehlgeburt stattfindet, da sind fast jedesmal die Um- stände einer sofortigen Untersuchung der ausgestossenen Frucht ungünstig. Man hat in der Eegel mit der abortirenden' Frau soviel zu thun, dass das Ei erst lange, nachdem es kalt geworden und der Embryo todt ist, untersucht wird. Ausserdem sind solche durch Abortus, also einen nicht physiologischen, sondern patho- logischen Vorgang zu Tage geförderten Eier in vielen Fällen schon vorher pathologisch. Indessen dieser Nachtheil darf nicht als Rechtfertigung für die seitherige Yernachlässigung der ge- nauen, auch physiologischen Beobachtung der bei Fehlgeburten ausgestossenen Früchte in Anschlag gebracht werden. Jede, auch die scheinbar unwichtigste Notiz über die etwaigen Bewegungen derselben kann durch Vergleichung mit andern Befunden werth- voll werden. Da festgestellt ist, dass ein ausgestossener mensch- licher Fötus von vier Monaten im unversehrten Ei sich be- [si wegt, wird man- auch von dem weniger weit entwickelten Embryo extrauterine Lebensäusserungen erwarten dürfen. Wenn die durch Fehlgeburten zu erhaltenden Früchte nur selten in brauchbarem Zustande in das Laboratorium gelangen, so ist dagegen die Untersuchung der durch Frühgeburten von der Mutter abgelösten Neugeborenen öfter möglich und nur zu verwundern, dass man von dieser Gelegenheit, Eiitdeckungen zu machen, sehr wenig Gebrauch gemacht hat. Das Verhalten der Sieben- und Acht -Monatskinder in den ersten Wochen ihres Einleitung. 5 extrauterinen Lebens ist darum von besonderer Wichtigkeit für die functionelle Entwicklungsgeschichte, weil es mit hoher Wahrschein- lichkeit in vielen wesentlichen Punkten zugleich als das des unge- borenen sieben- bis achtmonatlichen Fötus angesehen werden kann, wenigstens in Betreff der Leistungsfähigkeit vieler Organe, Auch gibt die geringere Lebensfähigkeit der zu früh geborenen Kinder und besonders der Missgeburten manchen Fingerzeig bezüglich der in den letzten Wochen der Schwangerschaft stattfindenden phy- siologischen Vorgänge. Das Verhalten der lebenden Anence- phalen und der Acephalen, aber auch das jedes anderen mit einem Defect geborenen Kindes muss auf das Genaueste von dem Geburtshelfer, der gerade zugegen ist, beobachtet werden. Beim Menschen ersetzen solche Fälle die Vivisectionen. Und bisweilen ist es nur crassen Vorurtheilen zuzuschreiben , wenn hirnlose Neu- geborene nicht lange lebend erhalten werden. Aber auch dieses Material ist spärlich. Natürliche und künstliche Frühgeburten kommen nirgends so häufig vor, dass man systematisch und eingehend die Früchte beobachten und mit ihnen experimentiren könnte, abgesehen von den oft unüberwindlichen Schwierigkeiten, die Trennung des Säuglings von seiner Mutter oder Wärterin zu bewirken. Also menschliche Embryonen und Frühgeborene können ebenso wie lebende Missgeburten nur ge- legentlich verwendet werden. Um so günstiger scheint die Beschaffung des Materials in einem etwas weiter vorgeschrittenen Stadium der Entwicklung zu sein, da es an reifen Neugeborenen in grossen Entbindungs- anstalten nicht fehlt. Wer jedoch weiss, welch ein umfangreicher Apparat dem Experimentalphysiologen meistens erforderlich ist, selbst wenn er nur fundamentale Fragen in Angriff nehmen, z. B. beim Neugeborenen die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Er- regung im Nerven oder die ersten Producte des kindlichen Stoff- wechsels bestimmen will, der wird die geringe Forscherthätigkeit nach dieser Richtung nicht auffallend finden. An dem rein äusser- lichen Übelstande, dass die ebengeborenen Kinder nicht oft genug in die physiologischen Institute gebracht werden können und dass aus diesen die z. Th. schwer transportabeln Instrumente nicht leicht in die Gebärhäuser gelangen, scheitern viele Versuche, am Neugeborenen methodisch zu experimentiren. Es wäre zu wünschen, dass zunächst einfache Versuchsreihen in ausgedehntem Maasse angestellt und von Vielen in mehreren grossen Findelhäusern und Entbindungsinstituten ausgeführt würden, 6 Einleitung. um Material zur statistischen Verarbeitung zu gewinnen. Bisher haben die statistischen Angaben über Ebengeborene nur aus- nahmsweise physiologische Fragen berührt, sich mehr auf ana- tomische und pathologische beschränkend. Die Körperlänge, das Gewicht, die Lage, die Kopfgrösse u. dgl. sind oft bestimmt, viele Ivrankheiten Neugeborener discutirt worden. Dagegen fehlt es noch gar sehr an zuverlässigen Angaben über die Herzthätigkeit, die Respiration, die Verdauung, die Beschaffenheit des Harns, die Reflexerregbarkeit, die Sinne und die Eigenbewegungen des Neu- geborenen. Hier könnten auch praktische Mediciner ohne allzuviel Apparat in kurzer Zeit viel Neues finden. Allerdings ist mit einer noch so genauen physiologischen Untersuchung des Neugeborenen über das Verhalten des Un- geborenen wenig ermittelt, denn mit dem Augenblick der Geburt erleidet der Mensch grössere Veränderungen seines Innern und seiner nächsten Umgebung, als jemals später. So gross und so plötzlich sind diese Veränderungen, dass es fast wunderbar er- scheint, wie so viele Menschen ihre Geburt überleben ohne Schaden zu nehmen. Gerade der Mensch wird von allen lebenden Wesen am schwersten geboren. Vorher befindet er sich lange in einer Flüssigkeit schwimmend von der Atmosphäre abgesperrt, so zwar, dass der Zutritt der Luft schon genügt ihn zu tödten, nachher kann er nur auf Augenblicke ohne Lebensgefahr sich aus der atmosphärischen Luft zurückziehen. Vorher wird ihm die Nahrung mühelos durch den Nabelstrang direct in die Blutmasse eingeführt, nachher muss sie durch Mund, Magen und Darm ungleich lang- samer und mühsam aufgenommen werden. Vorher weilt er in ununterbrochener Finsterniss, nachher im Lichte der Welt, vorher allein in lautloser Stille, nachher in geräuschvoller Gesellschaft, vorher in immer derselben Wärme, nachher in kälterer Luft von schwankender Temperatur. Vorher bewegt er sich nur unwill- kürlich wie ein Schlafender, überall unübersteiglichen Widerstand findend, nachher frei ohne die Schranken der Uteruswand. Solche Gegensätze zeigen wie wünschenswerth es ist, den lebenden Fötus in seiner natürlichen Umgebung zu beobachten oder wenigstens nach Möglichkeit seine Lebensäusserungen zu ermitteln, während er noch im Uterus sich weiter entwickelt. Aber das erstere ist beim Menschen nur unvollkommen ausführbar wegen der Undurch- sichtigkeit der Uteruswandung und der umgebenden Theile. Nur mit dem Tastsinn und dem Gehör ist hier die Beobachtung des Fötus ausführbar und ausgeführt, womit bekanntlich Frauenärzte Einleitung. 7 und Hebammen sich regelmässig befassen, ohne dass jedoch ihren Erfahrungen bis jetzt viel Physiologisches von Bedeutung zu entnehmen gewesen wäre. Die merkwürdigen Bewegungen der Früchte in der zweiten Hälfte der intrauterinen Zeit könnten z. B. bezüglich ihrer Abhängigkeit von verschiedenen Zuständen der Mutter, ihrer Lebhaftigkeit und Beziehung zur Kindeslage ohne besondere Schwierigkeit recht wohl, sogar z. Th. durch sorgfältige Betrachtung der sichtbaren Erhebungen und Senkungen der Bauchwand der Mutter, zum Gegenstande gründlicherer Arbeiten gemacht werden. Diese Kindsbewegungen sind nicht nur prak- tisch als sicheres Zeichen vorhandener Schwangerschaft, sondern auch physiologisch wichtig als eines der wenigen Symptome der fötalen Sonderexistenz im mütterlichen Organismus, welche ohne Verletzung des letzteren erkannt werden können. Ein anderes derartiges Symptom ist der hörbare Herzschlag des Fötus. Auch die mehrmals constatirte Thatsache, dass beim Touchiren Kreissender an dem eingeführten Einger, wenn er gerade an den Mund der Frucht gelangt, gesogen wird, gehört hierher. [409 Aber im Ganzen sind die Beobachtungen und Versuche — falls von letzteren die Rede sein kann — welche sich am un- geborenen Menschen anstellen lassen, nothwendig von äusserst beschränktem Umfang. Da überhaupt das vom l^enschen zu erhaltende Material, ab- gesehen von den ausgetragenen Neugeborenen, ein minimales ist, so muss zunächst der Säugethierfötus vorgenommen werden. Man kann denselben zwar in einiger Anzahl von kleineren Thieren, namentlich Hunden, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen, weissen Mäusen fast zu jeder Jahreszeit sich verschaffen, aber man ist auch hier nur selten in der Lage über ein reichliches Unter- suchungsmaterial zu verfügen, weil bei den meisten Versuchen die Mutter mitgeopfert wird. Ausserdem ist es gerade für die Haupt- fragen wichtig, das Alter der Embryonen so genau wie möglich zu kennen. Aus der Grösse allein oder dem Gewicht allein lässt es sich nur ungenau schätzen. Daher muss in allen den Fällen der Zeitpunkt des befruchtenden Coitus festgestellt werden, in denen es auf genaue Altersbestimmung ankommt. Dieser Zeitpunkt lässt sich aber oft nur schwer eruiren, da man die zusammen eingesperrten Männchen mid Weibchen nicht wohl ununterbrochen viele Stunden hintereinander beobachten kann und wenn man sie nur stundenweise in Paaren zusammen- bringt die Begattung oft genug nicht vorgenommen wird. Ausser- 8 Einleitung. dem verläuft bei manchen Thieren der Coitus ungemein schnell, z. B. bei dem von mir zu Experimenten vorzugsweise verwendeten Meerschweinchen. Dass man, um von ein und derselben Thierart Embryonen verschiedener Entwicklungsstufen zu haben, mehrere Weibchen an einem Tage belegen lässt, stempelt oder abge- sondert hält und nacheinander , etwa in gleichen Intervallen, öffnet um die Embryonen herauszunehmen, oder abortiren lässt, um womöglich sie selbst am Leben zu erhalten, ist nothwendig. Doch weiss man längst, dass auch bei gleicher Dauer der Entwicklung, vom Tage der Begattung an gerechnet, der Ent- wicklungsgrad oder die Reife keineswegs gleich ausfällt. Den besten Beweis dafür liefert das ungleiche Gewicht und die un- gleiche Grösse der Meerschweinchenembryonen eines und des- selben Thieres. Die Trächtigkeitsdauer ist auch für ein und das- selbe Individuum nicht dieselbe. Ein mir als vollkommen zuver- lässig bekannter Hundezüchter bestimmte für mich diese Trächtig- keitsdauer bei einer vorzüglichen Hühnerhündin. Sie betrug das erste Mal 61 Tage, das zweite Mal 64 Tage, das dritte Mal 65, das vierte Mal 63 Tage. Meerschweinchen, welche bei häufiger Kreuzung ein bis sechs Junge werfen, scheinen nach meinen Erfahrungen nach längerer In- zucht — Paarung der Geschwister, der Mütter und Söhne, der Väter und Töchter usw. — weniger Junge, dafür aber viel grössere, bis zu 148 Gramm schwere, die ein Viertel des Gewichtes der Mutter erreichen, zu erzeugen, was bei der physiologischen Untersuchung zu beachten ist. Die an thierischen Embryonen erhaltenen Resultate sind noch in anderer Hinsicht nur mit grosser Vorsicht zu verwerthen. Der excidirte oder durch künstlichen Abortus erhaltene Fötus be- findet sich in abnormen Verhältnissen, die Luft kann zwar ab- gehalten, die Temperaturabnahme verhindert werden, v/enn man in sehr verdünnte blutwarme Kochsalzlösung die Thiere austreten lässt, aber der Zusammenhang mit dem Mutterthier, auch wenn er bei excidirten Embryonen intact bleibt, ist nicht mehr der- selbe wie früher, und leicht kann es geschehen, dass durch den gewaltsamen Eingriff, welchen die Eröffnung des Uterus mit sich bringt, eine Störung des Blutkreislaufs eintritt. Ferner verhält sich der Thier- Fötus anders als der des Menschen und bei ver- schiedenen Thieren ungleich. Namentlich die erwähnten Thiere, aber auch die grösseren mit langer Trächtigkeitsdauer, wie z. B. die Kuh, die Stute, die Eselstute, bieten der Frucht wesentlich Einleitung. 9 andere intrauterine Entwicklimgsbedingungen als das Weib, dessen aufrechter Gang und dessen Ruhelage (auf dem Rücken) schon Unterschiede von Belang für den Fötus abgeben und seine Ge- burt erheblich erschweren. Was also an Säugethieren gefunden wird, ist nur mit Reserve auf den Menschen zu übertragen. In noch höherem Maasse gilt diese Regel für die Vogel- embryonen. Wenn die embryonischen Säugethiere zwar nicht selten, aber nicht gerade reichlich beschafft werden können, so sind dagegen bebrütete Hühner-, Enten-, Truthühner- und Qß,nse- Eier mit Leichtigkeit im Frühjahr und Sommer in mehr als der erforderlichen Anzahl zu erhalten. Auch gewährt hier die kürzere Dauer der Entwicklungszeit den Yortheil, dass man leichter jede einzelne Function vom Anfang an bis zum Geborenwerden, d. h. dem Ausschlüpfen aus der Eischale, verfolgen kann. Die bequeme Constanthaltung der Temperatur des Brütofens macht den ünter- sucher überhaupt von jeder Berücksichtigung des Mutterthieres frei; und dasselbe mvd nicht geopfert. Zu diesen Vorzügen des Vogelembryo als Untersuchungs- objectes gesellt sich noch die Sicherheit in der Altersbestimmung. Das Hühnchen im Ei braucht 21 Tage zur Ausbildung, wenn seine Temperatur nicht unter 37° sinkt und nicht über 39° steigt und wenn das Ei vor dem Beginn der Incubation nicht zu lange auf- gehoben worden ist, wodurch manchmal eine Abkürzung, manch- mal eine Verlängerung der Brütezeit bedingt wird. Handelt es sich daher um genaue Bestimmung der normalen Bebrütungsdauer, so muss das frischgelegte Ei noch warm in den Brütofen gebracht werden. Tag und Stunde und Nummer sind sogleich auf die Schale selbst zu schreiben. Lässt man die Eier vor dem Ein- legen in der Kälte liegen, so brauchen sie mehrere Stunden um nur die zur ersten Entwicklung, zur Keimblätter- und Embryo- bildung erforderliche Temperatur, die sie vorher hatten, wieder zu erreichen. Die Entwicklung wird also dann etwas verzögert. Bleiben dagegen die Eier vor dem Incubationsanfang bei gewöhn- licher Zimmerwärme längere Zeit liegen, dann verändern sie sich zum Theil schon in ähnlicher Weise wie in der Wärme des Brüt- ofens, nur langsamer. Es dringt Luft ein zwischen die beiden Lamellen der Schalenhaut an dem einen Ende des Eies (meistens dem stumpfen) so dass die Luftkammer sich bildet; es findet eine Gewichtsabnahme durch Wasserverdunstung statt und es kann auch der Differenzirungsprocess schon beginnen. So kommt es, dass derartige Eier einen oder zwei Tage vor dem normalen Termin 10 Einleitung. reife Hühnchen hefern können. Es ist beobachtet worden, dass drei Wochen alte Hühnereier zwei Tage früher als frische „auskamen." [iis Colasanti fand jedoch, dass Hühnereier, welche länger als drei Wochen „bei möglichst gleichmässiger Temperatur" (in Rom) [248 aufbewahrt worden waren, nur selten sich normal entwickelten. Poselger und Dareste (1883) bemerkten dasselbe. Es ist aber zu beachten, dass die Bestimmung einer solchen Zeitgrenze für die Lebensdauer der Keimscheibe eine genaue TemperaturreguHrung verlangt. Unbebrütete Eier verlieren Wasser und Kohlensäure und nehmen Sauerstoff auf, in der Kälte viel weniger, als in der Wärme. In der Kälte wird also voraussichtlich die Entwicklungsfähigkeit des Eies nicht so schnell wie in der Sommerwärme erlöschen. Nur wenn es auf eine genaue Altersbestimmung der Em- bryonen nicht ankommt, dürfen diese Umstände unbeachtet bleiben. Ob zum Ausbrüten der Yogeleier die Henne oder ein Brüt- ofen benutzt wird, ist an sich völlig gleich. Der Brütapparat hat jedoch den Yortheil, dass er ohne alle Unterbrechung, zuverlässiger und ohne Nachtheil längere Zeit hindurch gleichmässig brütet, als die Henne. Am besten brütet bekanntlich unter den do- mesticirten Vögeln die Truthenne. Welcher Brütapparat der zweckmässigste sei, darüber sind die Ansichten getheilt. Während ich mittelst des französischen Systems — Erwärmung der Eier von oben durch warme Luft — keine günstigen Resultate erzielte, wahrscheinlich weil die Eier oben schneller als unten erwärmt werden, wollen andere mit sol- chen ( Wengerschen) Apparaten von 100 Eiern 92 zur Reife gebracht haben, was vermuthlich sehr sel- ten vorkommt. Ich bin dagegen mit einem von mir construirten einfachen doppelwandigen Zinkblechkasten sehr bequem zu den befriedigend- sten Resultaten gekommen. Die Eier liegen auf Sand s, welcher durch das Wasser w unter und neben ihm zwischen den Metall- wandungen m, m stets zwischen 37 " und 39*^ warm ist. Die Luft hat nur von oben Zutritt. Die Erwärmung geschieht durch eine kleine, constant in derselben Grösse brennende Petroleumfiamme p. Einleitung. 1 1 Durch ein Thermometer t wird die Wasserwärme, durch ein zweites th die Sandwärme controlirt. Der Sand wird an einer Stelle stets feucht gehalten (durch einen Schwamm), die Lüftung durch Abheben des Deckels, welcher nicht dicht schliesst, beim Einlegen und Herausnehmen der Eier vermittelt. Ausserdem müs- sen die Eier täglich einmal „gewendet" werden, was die Henne ver- möge eines merkwürdigen Instincts bekanntlich mit dem Fusse be- werkstelligt. Ich habe zweimal Hühner mit asymmetrischem Skelet erhalten, wahrscheinlich weil die Eier nicht umgelegt wurden. Sie waren zwar stark und lebhaft, aber zeigten je älter sie wurden, um so deutlicher eine andere Gleichgewichtsstellung als gewöhn- liche Hühner. Nächst den Vogeleiern jeder Art sind die Eier von Reptilien, besonders von Schildkröten und Ringelnattern brauchbare Objecte, aber weniger leicht in genügender Anzahl zu beschaffen, als die Eier von Amphibien. Unter diesen nimmt der Froschlaich die erste Stelle ein. Froscheier sind leicht zu züchten und die Embryonen der nackten Amphibien gehören trotz ihrer Kleinheit zu dem besten physiologischen Beobachtungsmaterial. Fischembryonen, wo Anstalten zur künstlichen Fischzucht be- stehen, leicht zu haben, sind gleichfalls zum Studium geeignet. Ich erhielt von der Fischzucht -Anstalt in Zwätzen bei Jena durch die Güte des Herrn Amtmann Gräfe namentlich Lachs-, Forellen- und Äschen-Eier und fand letztere wegen ihrer grösseren Pellucidität vorzüglich geeignet zum Studium der Bewegungen, Herzpulsationen usw. im unverletzten Ei. Yon Mollusken liefern die Schnecken unserer Wälder und Felder viele Eier, welche verwendbar sind. Arthropoden bieten eine unübersehbare Mannigfaltigkeit em- bryonaler Formen dar. Eine Fülle von Embryonen verschiedenster Art liefern endlich die pelagischen Thiere, welche durch Aquarien besonders am Meere der experimentalen Untersuchung leicht zugänglich gemacht werden. Die meisten Embryonen der letztgenannten Gruppen sind jedoch wegen ihrer Kleinheit nur in beschränktem Maasse zur physiologischen Untersuchung geeignet. Schon der Hühnerembryo ist in den ersten Tagen, wenn gerade die wichtigsten Änderungen eintreten, wegen seiner geringen Grösse nicht leicht zu behandeln. Bei ihm genügt aber meistens zur Erkennung der ersten Be- wegungen die Anwendung der Lupe. Die Beobachtung der Blut- 12 Einleitung. bewegung in den Froschembryonen, welche ihre durchsichtigen Eier noch nicht verlassen haben, verlangt dagegen schon das zu- sammengesetzte Mikroskop. Und wie misslich es ist, mit so kleinen Objecten Reizversuche anzustellen, bedarf keiner Er- läuterung. Ausser der Kleinheit ist die Zersetzbarkeit und Vergäng- lichkeit der Embryonen aus der ersten Entwicklungszeit störend. Ein Hühnerembryo von einigen Tagen stirbt in der Regel sowie man ihn aus dem Ei nimmt. Es ist daher nothwendig, um sein normales Yerhalten kennen zu lernen, ihn im Ei selbst zu unter- suchen. Yor allem muss dabei die Temperatur constant erhalten werden. Bei Säugethierembryonen kann man zu dem Zweck die phy- siologische Kochsalzlösung (0,6 Gr. Chlornatrium in 100 Gr. de- stillirten Wassers) verwenden, welche constant auf 38^ erhalten wird und in welcher man untersucht. Dann vertritt die Salzlösung das Fruchtwasser. Sind jedoch die Früchte schon reifer, so wer- den sie thunlichst schnell aus dem Uterus und Amnion heraus- geschält, abgenabelt und in warmer Watte getrocknet. Sie athmen dann Luft und brauchen nur vor zu starker Abkühlung geschützt zu werden. Verfährt man aber bei der Excision nicht mit ge- nügender Behutsamkeit und Geschwindigkeit, dann aspiriren sie leicht Fruchtwasser und können in der Luft nicht zum Luftathmen kommen, weil die Bronchien mit Flüssigkeit gefüllt sind. Geöffnete bebrütete Hühnereier dürfen nicht in jener Koch- salzlösung warm gehalten werden, weil dadurch der Zutritt der atmosphärischen Luft verhindert würde und der Embryo ersticken müsste. Auch das von Einzelnen benutzte Verfahren, den Hühner- Embryo selbst in Wasser von etwa 40*^ zu beobachten, ist nicht zu empfehlen, selbst wenn man statt Wasser warme 0,6-procentige Kochsalzlösung anwendet, weil die Bedingungen gar zu verschieden von denen im Ei sind. Eher lässt sich der ganze Ei-Inhalt in frühen Stadien in einer solchen warm gehaltenen Chlornatriumlösung von der Schale be- freit untersuchen ; die auffallende Arhythmie des Herzens, welche dann eintritt, beweist aber für sich allein schon, dass man die Entwicklungsbedingungen zu sehr verändert hat. Man verwendet daher zweckmässig warmen grobkörnigen Sand zur Erwärmung des Eies und führt ein sehr kleines Thermometer von Zeit zu Zeit in den Ei-Inhalt ein , um sich zu überzeugen , dass er nicht unter 37^ und nicht über 39" hat. Sehr gut eignet sich folgende von Einleitung. 1 3 mir verwendete Combination eines Sandbades mit einem Wasser- bade zur physiologischen Untersuchung der Vogelembryonen im Ei: a ist ein mit Wasser von etwa 50*^ gefüllter Kasten von Zink- blech, der einen mit Sand gefüllten Trog b enthält und nui" wo dieser sich einfügt, eine ÖJÖnung hat, ausserdem durch den Deckel c mitsammt der Öffnung des Troges b verdeckt vperden kann, wenn die Beobachtung unterbrochen werden soll. In dem Sande in b liegt das offene Ei, welches dieselbe Temperatur wie der Sand hat. Dieses bleibt, weil der Trog in das Wasser taucht, stunden- lang warm. Durch Erneuerung des warmen Wassers oder eine kleine Gasflamme an einer Ecke des Kastens kann die Temperatur leicht in die gewünschten Grenzen eingeschlossen, durch Auflegen kleiner Holzplatten auf den Rand als Handstützen das Präpariren des lebenden Embryo ohne Beeinträchtigung durch das warme Metall ausgeführt werden. Um aber controliren zu können, ob das Verhalten des Hühner- embryo in diesem Eikasten normal ist oder nicht, ob z. B. schon der Zutritt der Luft ihm Bewegungen entlockt, die er sonst nicht ausführt, war es nöthig. den Embryo im uneröffneten Ei zu be- obachten. Alle Bemühungen, die Eischale durchsichtig zu machen, sei es durch Auflösung der Kalksalze desselben mit Säuren, sei es durch Aufhellen der unmittelbar unter der Schale befindlichen Schalenhaut mittelst verschiedener Flüssigkeiten, scheitern an der Empfindlichkeit des Embryo gegen die durch solche Reagentien herbeigeführte, wenn auch nur partielle Verschliessung der Poren, durch welche die atmosphärische Luft eindringt. Die nicht sel- tenen schalenlosen Eier mancher Hühner lassen sich nach meinen Versuchen nicht ausbrüten. Sie gehen beim Erwärmen sehr schnell in Fäulniss über trotz antiseptischer Cautelen. Glücklicherweise sind aber die unversehrten ungefärbten Vogel- eier, insbesondere die Hühnereier, so pellucid, dass man bei Anwen- dung genügend starker Lichtquellen, auch ohne die Schale aufzuhellen, den Embryo mit seinen Extremitäten, seinem Kopf, dem Amnion, den Allantoisgefässen recht deutlich erkennen kann. Es dient dazu ein einfaches von mir construirtes Instrument, das Embryoskop, dessen Einrichtung die schematische Zeichnung veranschaulicht: s ist ein kleiner in einem Winkel von 45° gegen b den Boden einer inwendig schwarzen cylindrischen Kammer von 5 Centimeter 14 Einleitung, Höhe und Durchmesser geneigter Spiegel. Oben ist diese Spiegel- kammer offen; die Öffnung, aus einem Stück schwarzen Leders ausgeschnitten, wird lichtdicht von dem Ei e verdeckt. An der Seite w, gegenüber der spiegelnden Fläche , hat die Spiegelkammer T noch eine runde Öffnung von < P vb \ etwa 2 Centimeter Durchmesser, und in diese mündet das Seh- s röhr r, welchem durch Ausziehen die Länge der deutlichen Seh- weite des Beobachters gegeben wird, und welches an seinem Ocularende einen grossen dunkeln Schirm p mit einem schwarzen Tuche trägt, damit fremdes, nicht durch das Ei gedrungenes, vom Spiegel durch r in das Auge des Beobachters reflectirtes Licht, abgeblendet werde. Es muss nämlich ausschliesslich das Ei selbst das Gresichtsfeld erleuchten. Um dasselbe möglichst ausgiebig zu durchlichten, ist das directe Sonnenlicht am besten geeignet. Mag- nesium- und Gaslicht oder eine Petroleumflamme nur im Nothfall zu verwenden. Elektrisches Licht stand mir nicht zur Verfügung, wäre aber für weitere Beobachtungen nothwendig, denn dieselben sind sonst stets von der Gunst der Witterung abhängig. Das Sonnenlicht kann durch eine Sammellinse l auf einzelnen Theilen der Eioberfläche concentrirt werden. Auch lässt sich hinter und über dem Ei ein Reflector anbringen, um die Belichtung zu stei- gern und die Strahlen vertical durchtreten zu lassen. Inwendig ist das Sehrohr wie die Spiegelkammer sorgfältig geschwärzt, so dass durchaus keine diffuse Reflexion stattfindet. [356 Mit diesem einfachen Listrument kann man die Entwicklung des Hühnerembryo von dem dritten Tage an Tag für Tag an ein und demselben Ei verfolgen und bis zum letzten an seinen Eigenbe- wegungen, sowie an der rothen Blutfarbe erkennen, ob er lebt oder abgestorben ist. Nur wird durch die zunehmende Verdichtung der embryonalen Göwebe und die Abnahme des Albumens das embryo- skopische Gesichtsfeld vom elften und zwölften Tage an z. Th. dunkel, so dass dann nur noch wenige Einzelheiten erkannt werden können. Vom vierten bis zum zehnten Tage aber ist die Beobachtung, zumal nachdem das Auge vorher einige Minuten im Dunkeln ausgeruht hat, nicht schwer, falls man im massig verdunkelten Räume operirt. Man erkennt mit Leichtigkeit die Augen und an deren Be- wegung die Bewegung des Kopfes. Ferner ist am sechsten Tage sogar der ganze Embryo im Umriss kenntlich, und viele oberfläch- Einleitung. 1 5 liehe Gelasse erscheinen mit ihren grösseren Verzweigungen wie ein rothes Netz in der Schale. Die Luftkammer stellt sich als eine, gegen das übrige besonders helle, kreisförmig scharf begrenzte Scheibe dar, deren Peripherie mit der Dauer der Bebrütung wächst^ und am 21. Tage kurz vor dem Ausschlüpfen durch ihre IJneben- heiten die Perforation des Septum zwischen Luft und Eiinhalt durch den Embryo bisweilen erkennen lässt. [io3 Soll längere Zeit hindurch ein Ei ooskopisch beobachtet wer- den, dann muss noch eine das Abkühlen verhindernde Vorrichtung angebracht werden. Sie besteht aus einem kleinen durchbohrten mit warmem Wasser gefüllten Zinkblechkasten, der auf die obere Öffnung der Spiegelkammer aufgesetzt wird: a ist die untere kreis- förmige Öffnung für den Durchtritt des Lichtes, b die centrale Lichtung für das Ei, c die Öffnung zum Eingiessen und Ausgiessen des Wassers. Diese Eiwärmer werden bei jedem Transport benutzt. Da sich durch dieses Verfahren die grösste Übereinstimmung im Verhalten des Embryo vor und nach dem Öffnen des Eies herausgestellt hat, so wird man die an dem biosgelegten Embryo erhaltenen Resultate als vertrauenswürdig ansehen dürfen und ältere Versuche, im offenen Ei die Entwicklung eines und des- selben Hühnchens zu verfolgen, wieder aufnehmen. Solche Versuche stellte nämlich vor mehr als 120 Jahren ein französischer Forscher, Namens Beguelin an. Er entfernte die [96 Eischale am stumpfen Ende und wendete mit Vorsicht das Ei so- lange, ohne Zerreissung der Dotterhaut eintreten zu lassen, bis die Keimscheibe oder der junge Embryo im aufrecht ge- haltenen Ei nach oben zu liegen kam. Dann deckte er das Ei mit einer halben Eischale eines andern Eies oben zu und stellte es vertical in einen von ihm selbst mit unsäglicher Mühe con- struirten Brütofen und hob, so oft er beobachten wollte, nur den Schalendeckel ab. Es gelang ihm in der That, die Embryonen mehrere Tage lang, einen sogar 15 Tage lang, lebend zu erhalten und dem Dauphin von Frankreich, dessen Lehrer er war, täglich den Fortschritt in der Entwicklung und die Bewegungen der Em- bryonen zu zeigen. Die Ursache ihres Zugrundegehens scheint IQ Einleitung. nur Schimmelbildung gewesen zu sein. Solche Yersuche wären demnach mit Anwendung der gegenwärtig leicht apphcirbaren antiseptischen Mittel namentlich Salicylsäure und Thymol zu wiederholen. Wenn man behutsam den ganzen Inhalt eines frischen be- fruchteten Hühnereies ohne Schale in ein vorher durch Thymol desinficirtes Glasgefäss bringt, so kann man die Entwicklung bis zum Ende des zweiten Tages verfolgen und das Thymol scheint in der That die Fäulniss zu verhindern, denn noch viele Tage nachher ist an solchen im Brütofen gehaltenen Eiern kein Eäul- nissgeruch wahrzunehmen. Ob aber das antiseptische Mittel selbst es war, welches zugleich die Entwicklung hemmte, bleibt dahin- gestellt. Wahrscheinlich ist es, dass der nur von oben ermög- lichte Luftzutritt nicht ausreichte. Man kann auch die Embryonen in gefensterten Eiern eine Zeitlang sich entwickeln lassen, wenn man die Öffnung in der Eischale mit einem dünnen Glase oder Glimmerplättchen bedeckt, welches mehrere D Centimeter gross sein darf, aber luftdicht schliessen muss. Da es sich jedoch nicht allein um Betrach- tung der Embryonen handelt und trotz aller Vorsicht solche gefensterte Eier keine im Yerhältniss zur Mühe ihrer Her- stellung stehenden Resultate liefern, habe ich nach mehreren Ver- suchen von diesem Verfahren abgesehen. Zur Demonstration eig- net es sich gut. Ich habe auch die Entwicklung normal vor sich gehen gesehen, nachdem ich einen Theil der Schale von der Luft- kammer entfernt und die Lücke mit Papier zugeklebt hatte, was hier nur angeführt wird, um die alte und oft wiederholte Be- hauptung zu widerlegen, ausschliesslich intacte Eier könnten sich entwickeln. Hat man nun auf die eine oder andere Weise sich lebende Embryonen verschafft und zur Beobachtung eingerichtet, so müssen dieselben mit «Rücksicht auf möglichst viele Functionen des aus- gebildeten Wesens geprüft werden. Die hierzu erforderlichen Hülfsmittel sollen bei der speciellen Darstellung der einzelnen in Betracht .kommenden Erscheinungen angegeben werden. Hier sei noch in morphologischer Hinsicht hervorgehoben, dass, so nothwendig ein gewissenhaftes Studium der morpholo- gischen Entwicklungsgeschichte ist, man doch zu weit gehen würde, wenn man sie in allen ihren Theilen als unerlässliche Vorbedin- gung der physiologischen Embryologie bezeichnete. Denn diese Einleitung. 17 beginnt erst mit dem Embiyo selbst. Daher wird für's Erste so- wohl die Entstehung des Eies, die Oogenesis, und die Reifung desselben vor der Befruchtung, als auch diese selbst, die Furchung, die Keimblätterbildung und die erste Phase der Embryogenesis von den folgenden Betrachtungen ausgeschlossen bleiben, obwohl ge- rade darüber von den Morphologen am meisten geschrieben wor- den ist. Andererseits wird die Physiologie des Embryo sich mit dem Geborenen nicht mehr zu befassen haben. Sowie der Embryo das Ei verlassen hat oder geboren ist, heisst er nicht mehr Em- bryo oder Fötus. Er ist dann „ebengeboren" oder „eben aus- geschlüpft.'' Um diese Zeitgrenze scharf zu bestimmen und zu- gleich die Aufgabe einzuschränken, habe ich als Termin die erste Nahrungsaufnahme ausserhalb des Eies gesetzt. Hierdurch wer- den also die Änderungen des Blutkreislaufs unmittelbar nach der Geburt, der erste Athemzug, die ersten Excrete des Neugeborenen, seine ersten Temperaturen, seine ersten Bewegungen und sen- sorischen Lebensäusserungen noch als zur Physiologie des Fötus gehörig ausführlich dargestellt, die Ernährung des Säuglings aber nicht. Von den Thieren fällt das Junge, welches ausserhalb des Eies Nahrung zu sich genommen hat, nicht mehr in den Bereich der Untersuchung, gleichviel ob es das unentwickelte an der Zitze hängende Beutelthier sei, oder die Kaulquappe, oder das Hühnchen, oder die Raupe, oder irgend welche Larve. In dieser Weise wird der Gegenstand naturgemäss abgegrenzt. Freilich kann es sich auch bei dieser Einschränkung nicht um ein abgeschlossenes Ganzes, sondern nur um einen ersten und deshalb unvollkommenen Versuch handeln. Namentlich ist es trotz jahrelangen Sammeins mir nicht an- iiähernd geglückt, alle in der physiologischen, gynäkologischen, anatomischen, zoologischen, embryologischen, landAvirthschaftlichen wissenschaftlichen Litteratur zerstreuten Angaben über Lebens- erscheinungen, d. h. jDhysiologische Functionen des ungeborenen Menschen und Thieres zusammenzubringen. Doch können die an den Schluss dieses Buches gestellten Litteratur-Nachweise be- anspruchen, zuverlässig zu sein. Die kleinen Ziffern am Rande des Textes beziehen sich auf jenes Verzeichniss. Auf eine anfangs beabsichtigte Darstellung der allgemeinen Physiologie des Embryo, welche sämmtliche, allen Embryonen ge- meinsame Lebenserscheinungen zu umspannen hätte, habe ich ver- zichten müssen, weil eine solche Wissenschaft über noch mehr Preyer, Physiologie des Embryo. 2 1 8 Einleitung. Einzelthatsachen verfügen muss, als bis jetzt vorliegen. Darum beschränke ich mich in diesem Werke auf die specielle Physio- logie des Ungeborenen. Ich beginne mit der Blutbewegung des Embryo. Daran schliesst sich die embryonale Athmung; an diese die embryonale Ernährung mit den Absonderungen und der Wärmebildung. Hierauf folgt die Elektricität, Motilität, Sensibilität des Embryo. Den Schluss bil- den einige Angaben über das embryonale Wachsthum und über- sichtliche Zusammenstellungen. Die psychischen Äusserungen und Anlagen des neugeborenen Menschen und dessen weitere psychische Entwicklung habe ich in einem besonderen Buche darzustellen versucht, welches „Die Seele des Kindes" (Leipzig 1882) betitelt ist. Eine zweite Auflage desselben wird vorbereitet. Beide Werke zusammen sind bestimmt, den Ursprung der Lebensvorgänge des Menschen durch den Nachweis ihrer Über- einstimmung mit thierischen Functionen aufzuhellen, die Anwend- barkeit physiologischer Methoden auf das werdende Leben zu zeigen und die grosse Fruchtbarkeit derartiger genetischer Unter- suchungen für die Physiologie, Morphologie, Pathologie, Pädagogik, und Psychologie, kurz für die Wissenschaft vom Menschen, zu be- weisen. I. DIE EMBPiYOMLE BLUTBEWEGÜNG. ^* A. Die embryonale Herzthätigkeit. tJber die Pulsationen des Herzens bei Embryonen niederer Thiere liegen nur einzelne beiläufige Angaben vor. Das bereits in eine Vorkammer und Kammer getheilte Herz des nicht mehr ganz jungen Plan orbis- Embryo mit sternförmigen, reicbverästelten Muskelfasern, deren Ausläufer mit einander in Verbindung stehen und ein Fasernetz bilden, sah Rabl anfangs nur langsam und gleichsam „schüchtern" probeweise mit [ii9 langen unregelmässigen Pausen und ohne bestimmten Rhythmus sich bewegen. Später wurden die Pulsationen etwas regelmässiger und folgten schneller aufeinander. Die Anzahl fand er bei reifen Embryonen ungefähr 90 in der Minute, doch den Rhythmus nicht annähernd so gleichmässig wie bei höheren Thieren. Sehr häufig contrahirte sich die Kammer bei der Systole nicht vollständig, sondern blieb in einem Zustande halber Systole stehen, bei der Diastole sich auch nicht ganz erweiternd, so dass sie also einige Zeit zwischen vollständiger Systole und Diastole auf und ab schwankte. Diesem embryonalen Herzen fehlt also ein Regulator und seine Muskelfasern contrahiren sich ungleichzeitig. Das Herz des Forellen- Embryo sah ich am 44. Tage nach der Befruchtung der Eier durch die pellucide Dottermasse hin- durch im unversehrten Ei schnell, ausgiebig und regelmässig schlagen, wenn ich mit einer starken Lupe das Ei im Wasser im ührglas bei guter Beleuchtung betrachtete. Die Frequenz stieg zu dieser Zeit im geheizten Zimmer ungefähr bis 120 in der Mi- nute (80 in 40 See. gezählt). Die Gefässe waren schon einige Tage vorher lebhaft blutroth. Es ist daher wahrscheinlich, dass das Herz viel früher zu schlagen angefangen hat. Leider fehlt 22 Die embryonale Blutbewegung. es aber an einem Mittel das geöffnete Ei unter solchen Bedingun- gen zu betrachten, dass die Herzthätigkeit nicht verändert wird, und im uneröffneten ist das Bild in dieser Zeit noch undeutlich. Ich beobachtete deshalb vorzugsweise eben ausgeschlüpfte Forellen, welche sich zum Theil noch nicht einmal von der Eihülle befreit hatten. Aber hier zeigen sich erhebliche Verschiedenheiten der Frequenz, welche auch bei derselben Temperatur bestehen bleiben. So kommen bei dem einen Forellen - Embryo 71 bis 72 Systolen auf die Mnute, beim zweiten 96, beim dritten 50, beim vierten 55. Die Durchsichtigkeit des Objectes gestattet, die Füllung und Ent- leerung des Herzens anhaltend zu beobachten, und die ganze Blut- circulation in den Aortenbögen, wie in den Arterien und Yenen, und namentlich in den Dottersackgefässen, bietet ein prachtvolles Bild dar. Sogar mit einer Lupe kann man die Bewegung des Blutes in den Gefässen, auch des Rumpfes, deutlich sehen und erkennen wie die rothen Blutkörper in den Arterien ruckweise vorgeschoben werden. Übrigens beginnt unmittelbar nach dem Ausschlüpfen die sehr schnelle rhythmische Bewegung der Kiemen- deckel die Beobachtung der Herzthätigkeit sehr zu erschweren. Doch zählte ich am 69. Tage nach der Befruchtung im intacten Ei 57 Systolen in der Minute, im gesprengten 55, im eben aus- geschlüpften Thier mit intermittirend thätigen Kiemendeckeln 65. Im bereits stark pigmentirten Thier, dessen Dottersack merklich kleiner geworden ist, machte das Herz (am 88. Tage) 75 und mehr Schläge in der Minute. Die Anzahl der Beobachtungen ist noch zu klein, um Schlüsse zu gestatten. Die Herzfrequenz scheint gegen Ende der Ent- wicklung im Ei geringer zu sein, als kurz nach dem Ausschlüpfen und auch geringer, als in der Mitte oder im zweiten Drittel der intraovären Entwicklungszeit. Doch kommen vorübergehende Fre- quenzänderungen ohne angebbaren Grund sehr oft vor. Da bei meinen Zählungen die Temperatur des Wassers etwas geschwankt haben kann — sie war jedoch in allen Fällen sehr niedrig — so sind die beobachteten Frequenzänderungen der Herz- thätigkeit im Ei vielleicht unvermeidlichen Temperatureinflüssen zum Theil zuzuschreiben. Das schlagende Herz eines Reptilien -Embryo habe ich nur einmal bald nachdem das Ei gelegt worden, gesehen, und zwar in dem Ei der Ringelnatter am 8. JuK 1882. Der Embryo lag in dem Ei der weissen derben häutigen Schale an mit spiralig 3 ^2 i^a-l gewundenem im Innern arteriellrothes Blut führendem A. Die embryonale Herzthätigkeit. 23 Schwänze. Sein Herz schlug bei der Temperatur der Luft, in der das Ei wenige Stunden, vielleicht nur eine Stunde zuvor, abgesetzt worden war, sehr regelmässig und kräftig 35 mal in der Minute. Die Augen des Embryo waren bereits pigmentirt. Das Salamander- Herz schlägt (nach Allen Thomson) im Ei am sechsten Tage noch seltener. • [387 Am häufigsten wurde das Herz im bebrüteten Hühnerei untersucht. Dasselbe ist am zweiten Incubationstage sichtbar, und zwar in der Mehrzahl aller Fälle in der zweiten Hälfte des zweiten Tages. Unter besonders günstigen Umständen scheint jedoch wenige Stunden nach dem ersten Tage schon das primitive Herz deutlich zu sein und dann sogleich das Pulsiren zu beginnen, wenn auch die meisten Beobachter erst nach der 36. Stunde das schlagende Herz wahrnahmen. Die Differenzen beruhen wahrscheinlich auf ungleicher Temperatur und Temperaturzunahme des Eies. Wenn ein noch warmes Ei, das eben erst den Körper des Huhnes ver- lassen hat, sofort bebrütet wird, dann erscheinen die ersten Spuren des Embryo einige Stunden früher, als wenn das Ei vorher ab- gekühlt wurde. [274 Hat dagegen das eben gelegte Ei mehrere Tage bei Zimmer- wärme an der Luft gelegen, dann beginnt schon die Entwicklung ehe es bebrütet wird. Das Herz bildet sich dann vom Beginn der Incubation an gerechnet scheinbar etwas früher. Wann aber das Herz, hiervon abgesehen, zum ersten Male sich zusammenzieht, ist schon darum ungemein schwierig zu be- stimmen, weil man bei der Beobachtung nie sicher ist, durch den erforderlichen Eingriff die vielleicht schon vor sich gehende Herz- action unterbrochen zu haben. Es ist also wahrscheinlich, dass die erste Systole früher da war, als die meisten Beobachter sie sahen. Die von Dr. Guido Sonnenkalb (1872) in meinem Labo- ratorium ausgeführten Versuche den Zeitjiunkt der ersten Con- traction genauer zu bestimmen sind wahrscheinlich an diesem Um- stand gescheitert. Er konnte bei Eiern von der 26., 28., 29. Stunde keine Contraction wahrnehmen, aber auch bei anderen von der 44., 45. und 47. Stunde schlug das Herz nicht. Ich selbst habe ebenfalls in entwickelten Eiern vor der 36. Stunde das Herz nicht schlagend gesehen. Sehr nahe der äussersten Grenze sind jedenfalls Laborde und Laveran gekommen, welche bestimmt behaupten, von [3i der 26. Incubationsstunde an könne man das Herz sich [i39 24 Die embryonale Blatbewegung. contrahiren sehen. Hiermit stimmt überein Carpenter's Angabe, dass in der 27. Stunde das Herz sich zu gestalten beginnt, [35 freilich die andere nicht, dass eine Bewegung erst in der 38. bis 40. Stunde gesehen werde. [387 Harvey beobachtete das jounctum. saliens, die atr/^iij [26 y.ivovLiivi] des Aristoteles gegen Ende des dritten Tages zu- [25 erst, mit der Lupe „den in der Systole dem Auge fast verschwin- denden rothen" Fleck betrachtend. Haller bemerkte die ersten Herzcontractionen in der [35 45. bis 51. Incubationsstunde, ebenso Baer gegen Ende des [27 zweiten Tages, Remak um die Mitte des zweiten Tages. Dasselbe fanden Prevost und Dumas, welche nach 36 bis [199 39 Stunden die Blutbewegung im Herzschlauch wahrnahmen. Schon Harvey wusste, dass die Entwicklung in dem einen Ei viel schneller als in dem andern fortschreitet. Differenzen um einen ganzen Tag sind aber lediglich der verbesserten Beobach- tung zuzuschreiben. Je mehr diese sich vervollkommnet hat, um so früher ist die erste Herzsystole wahrgenommen worden. Daher ist es auffallend, dass auch gute Beobachter, wie Everard Home (1822), der das Herz nach 36 Stunden sah, von seinen Pulsationen zu dieser Zeit nichts erwähnt. [274 Übrigens ist wichtiger als die Ermittlung der Zeitpunkte des ersten Herzschlags die Thatsache, dass das Herz sich rhyth- [se misch nicht eher contrahirt und expandirt, als bis der Herzcanal geschlossen ist, eine farblose Flüssigkeit das künftige Blut in [124 Bewegung setzend. Zuerst ist das primitive Herz bekanntlich ein gerader Canal mit den Anlagen der zwei Omphalomesenterialvenen am hinteren Ende und der zwei Aortenbögen am vorderen Ende. Gegen Ende des zweiten Tages krümmt sich dieser Herz- schlauch mit seinem mittleren Theil nach rechts und vorn und biegt sich S-förmig. Nur eine leichte Einschnürung markirt den Beginn des Kammertheils, Avelcher stark nach rechts und [30 vorn gewölbt ist und mit einem nach links oben gewendeten Theil, dem Aortenbulbus , abschhesst. Letzterer ist wieder durch eine verengte Stelle von der Kammer abgegrenzt und gibt vorn die beiden primitiven Aorten ab. Somit ist ein Vorhofstheil, Kammer- theil, Aortentheil geschieden. In dieser Zeit — Ende des zweiten und Anfang des drittten Tages — pulsirt das Herz anfangs unregelmässig, langsam und selten, dann regelmässig, schneller und frequenter. A. Die embryonale Herztbätigkeit. 25 PA., B.S.Y Aßt KK. Die Bewegung des Blutes im Herzen des Hühnerembryo in dieser ersten Zeit gestaltet sich folgendermaassen: Sogleich nach seinem Erscheinen presst das schlauchförmige Herz das in sein Hinterende aus den beiden Dottersackvenen ein- tretende Blut durch die beiden primitiven Aorten an seinem Vorderende. Das Blut tritt also zu dieser Zeit, am zweiten Tage, nur wenig verändert in den Gefässhof, aus dem es stammt, wieder ein. Der Herzcanal dient zur Erhaltung einer Strömung vom Gefässhof in die Embryo -Anlage. Am Schluss des zweiten Tages hat die S- förmige Herzkrümmung begonnen. Das Venen- blut strömt durch den Vorkammertheil VK in den Kammertheil K und durch den Aortenbulbus AB in die primitiven Aorten. Das Blut, welches einströmt, kommt frisch aus dem Gefässhof und kehrt, nach seiner Ausnutzung im vorderen Theil des Embryo, dahin zurück. Nur sehr wenig wird es auch durch die Herztbätigkeit selbst verändert werden können. Im Gefässhof nimmt es neues Material auf und geht am dritten Tage meist schon in geschlossenen Gefässen durch die Omj)halomesenterialveneu zurück in das Herz. Am dritten Tage mündet in den verlängerten Venenabschnitt des Herzens der venöse Körpervenenblutstrom durch den paarigen Cuvierschen Ductus CD, dessen Blut mit dem frischen des Omphalomesenterialvenen- stammes OMV zusammen in den Vorkam- mertheil VK und dann den Kammertheil K und den Aortenbulbus geht. Von da strömt es in die Aortenbögen ein. Am 4. Tage tritt die untere Hohlvene UH V auf. Durch sie erhält der Venenabschnitt ve- nöses Körperblut mit dem der Cuvierschen Ductus CD und dem frischen Area-Blut der Nabel- und Dottersack- Venen N VundDS V. Dieses gesammte Blut geht durch den Vor- kammertheil in den Kammertheil und Aorten- bulbus usw. wie oben. Nur hat der letztere ebenso wie der Vor- kammertheil vom Ventrikel sich etwas abgeschnürt und in diesem 26 Die embryonale Blutbewegung. die Bildung der Scheidewand begonnen, beginnen sich zu trennen. Auch die Yorkammern AB. CD. B.S.V. His (1868) meint, die Con- [124 tractionen hätten vom Anfang an dieselbe Regelmässigkeit der Reihen- folge wie später, und Unregelmässig- keiten träten durch Abkühlung ein, welche um so rascher erfolge, je kleiner der Embryo sei, während schon Baer und nach ihm Mehrere Anfangs die Pulsationen unregel- mässig, später regelmässig fanden. Ich habe auch bei constanter Ei- temperatur sogar am Anfang des dritten Tages die Regelmässigkeit nicht so ausgesprochen gefunden, wie später, und bin zu der Über- zeugung gekommen, dass allerdings die ersten Herzcontractionen in den verschiedenen Eiern sehr ungleichzeitig und in den einen regelmässig und anhaltend rhythmisch, in den andern arhythmisch auftreten, abgesehen von Änderungen durch Temperatureinflüsse. In jedem Falle ist anfangs die Energie der Zusammenziehungen viel geringer als später. Die allerersten Contractionen des em- bryonalen Herzens können unmerklich schwach sein, und was man bisher als den ersten Herzschlag bezeichnete, wäre schon der tausendste oder wenigstens der hundertste und durch Summirung von Reizen entstanden. Dieses gilt für Fischeier nicht weniger, als für Vogeleier. . Ich finde aber nirgends nähere Angaben über den Zeitraum zwischen der beendigten Herzbildung und der ersten merklichen Contraction. Auch Foster und Balfour sagen [ne nur, dass das Herz des Hühnchens bald nach seiner Ent- stehung zu schlagen beginnt, mit dem Venenende zuerst. Die Contraction setzt sich dann regelmässig zum arteriellen Ende hin fort. Diese frühesten embryonischen Herzcontractionen haben darum ein ausserordentliches physiologisches Interesse, weil sie zu einer Zeit stattfinden und schon sehr energisch sind, in der weder von Muskelfasern noch Nervenelementen die geringste Spur auffindbar ist. Die beiden Lagen, aus denen die Herz wand sich zusammensetzt, das Endothelrohr (die innere Herzwand) und die Herzplatte (äussere Herzwand) bestehen ganz aus einfachen [3o Zellen. Diese Zellen müssen sich also alle oder fast alle vermöge A. Die embryonale Herzthätigkeit. 27 ihrer eigenen Contractilität bei jeder Systole harmonisch zusam- menziehen. Wie kommen nun die ersten Contractionen des Embryo- herzens zu Stande? Schwerlich ist ihre Ursache dieselbe^ wie die der Systolen des ausgebildeten Herzens. Denn wenn auch His für die früheste Zeit nicht allein Muskelzellen, sondern auch Ganglienzellen [124 im embryonischen Herzen annehmen möchte, so widersprechen ihm darin alle anderen Beobachter. JSTicht als wenn das Herz anfangs, wie Eckhardt wollte, eine „ungegliederte Protoplasmamasse" [121 wäre. Im Gegentheil, His erkannte, dass am schlagenden Herzen schon in den frühern Entwicklungsstadien Grenzlinien zwischen den Zellen existiren; damit ist aber nicht gesagt, dass die letzteren Muskelfasern seien. Die nächste Bedingung, nicht Ursache, für die Zusammen- ziehungen des im Herzschlauch sich entwickelnden endocardialen Rohres ist höchstwahrscheinlich das in der Entwicklung begriffene Blut. Ein, sei es farbloses, sei es erst schwach gelblich gefärbtes Blutfluidum, eine Art Hämolymphe ist stets vor dem ersten Herz- schlage vorhanden. Ob Blutkörperchen zur Zeit der ersten Systole vorhanden sind oder nicht, ist hierbei eine Frage von secundärer Bedeutung, Hauptsache die Präexistenz einer Flüssigkeit, welche in das Herz einströmt und sein Endothelrohr zur Contraction ver- anlasst. Schon Baer erkannte, dass die Aufnahme des Blutes [27 in das Herz das Primäre, die Ausstossung desselben das Secun- däre sei, was ich namentlich bei ganz jungen und bei absterben- den oder abgekühlten embryonischen Herzen oft deutlich wahr- nahm. Hier dauert das Stadium der Anfüllung viel länger, und erst wenn es einen höheren Grad als sonst erreicht hat, tritt eine Contraction mit Entleerung ein. Diese Ansicht von der Kothwendigkeit eines blutartigen Fluidum für die Auslösung der ersten Contractionen ist von Dr. Robert Wernicke begründet worden gelegentlich einer in meinem [35 Laboratorium ausgeführten Untersuchung über das Herz des Hühner- embryo in den ersten Incubationstagen. Er schnitt nämlich die Blutzufuhr ab bei Herzen von drei und vier Tagen, indem er die Omphalomesenterialvenen durchschnitt oder mit einem glühenden Platindraht durchbrannte oder einfach durch Compression zer- quetschte. Jedesmal wurde das rothe Herz sogleich blass, zog sich sofort viel seltener und nach höchstens einigen Minuten, bei geglückter Isolirung, garnicht mehr zusammen. Es kann nicht 28 Die embryonale Blutbewegung. bezweifelt werden, dass es sich weiter contrahiren würde, wenn die Blutzufiihr sich wieder herstellen liesse. Da, wie ich fand und auch Yulpian (1857) für die fünf bis sechs letzten Brüttage be- [29 merkte, die zuführenden Blutgefässe in vorgeschritteneren Stadien durch Inductionswechselströme zu starken Contractionen — bei meinen Versuchen oft bis zum völligen Schwinden der rothen Farbe — gebracht werden können, so scheint ein einfaches Mittel gegeben, die Blutzufuhr zum embryonalen Herzen zu unterbrechen und wiederherzustellen. Alle Versuche aber dieser Art scheiterten an der Kleinheit des Objects und daran, dass gerade in der ersten Woche jene Contractilität nicht genügend ausgebildet ist. Das höher entwickelte embryonale Herz pulsirt aber gerade wie das geborener Thiere auch längere Zeit ohne Blut, wenn es nur warm, und nicht zu warm gehalten wird. Man kann sogar, wie Schenk richtig bemerkte, das Embryo-Herz des Hühnchens aus- [219 schneiden und zerstückeln, so dass alle Stücke, wenn sie nur warm gehalten werden, minutenlang weiter pulsiren. Dass diese Con- tractionen, welche durch die dabei unvermeidlichen starken Reize verursacht sind, die Nothwendigkeit des Blutes für die anfängliche Thätigkeit des Herzens im Ei nicht ausschliessen, ist klar. Denn es handelt sich hierbei um künstliche Reizung, die im Ei fehlt und um ein Stadium des "Überlebens von relativ kurzer Dauer. Die Schwierigkeit, welche diese Erklärung noch zu überwinden hat, bildet vielmehr das erste Einströmen der Hämolymphe, oder wie man den ersten Ernährungssaft sonst nennen will, in das Herz. Diese aber wird sich wahrscheinlich heben, lassen, wenn man die von Baer schon gesehenen Strömungen genau unter- [27 sucht, welche vor der ersten Systole im Ei existiren. Die erste Embryo - Anlage liegt oben im Ei und wird durch die Schale [35 convex. Das Herz kommt ganz oben zu liegen, so dass, wenn beim Erwärmen Strömungen entstehen, diese sehr wohl zumeist auf das Herz gerichtet sein können. Der Saft in den Gefässen ge- räth dann in icordipetaler Richtung in Bewegung, d. h. zum Herzen hin, und wenn nur eine einzige Systole stattfand, wird er cordifugal fortgeschafft, d. h. vom Herzen fort. Hiernach findet also die erste Blutbewegung in den Gefässen statt, aber nicht durch deren Contraction, sondern passiv durch Erwärmung. Ist einmal die Herzthätigkeit im Gang, so bleibt sie im Gang bis zum Tode, aber die Frequenz ist im Embryo nicht zu allen Zeiten dieselbe. Schon für den Anfang gehen die Angaben weit A. Die embryonale Herzthätigkeit. 29 auseinander. Eemak zählte nur 40, Baer bis zu 150 Systolen in der Minute, Kölliker gibt für den Anfang 40 bis 60 an. Wahrscheinlich sind diese grossen Unterschiede durch Ungleich- heiten der Temperatur bedingt. Für die ersten Tage fand R. Wernicke unter normalen Yer- hältnissen und stets nur in der ersten Minute nach dem Öffnen des Eies zählend, und zwar während 30 Secunden, folgende Zah- len für eine Minute: 2. Hälfte des 2. Tages 90 gezählt an 1 Ei. 2. 3. 90 bis 146 V >; 10 Eiern. 1. 4. 96 „ 172 V ?j 21 „ 2. 4. 90 „ 176 >? » 32 „ 1. 5. 112 ., 180 j; ,v 8 . 2. 5. 128 „ 176 V ?? 3 „ Ich benutzte öfters bei Keizversuchen die Herzschlagzahl, um die Constanz der Temperatur während mehrerer Minuten nach dem Öffnen des Eies zu controliren, da schon bei geringer Ab- kühlung die Frequenz abnimmt. Einige der als normal für die erste Minute nach dem Öffnen dem lebenden ganz frischen Em- bryo zukommenden Zahlen sind die folgenden, bei denen auf jede Ziffer ein Ei kommt und 100 Schläge gezählt wurden, Tag. Pulsationen in 1 Minute. 4. 101. 120. 125. 130. 139. _ — — — — 5. — — — 130. ___ — — — 6. 86. 128. 132. 133. 140. 150. — — _ — 7. _ 120. — — _ - 154. 162. — 181. 8. — — — — 139. 150. 154. — — — 9. — — — — — — 154. 162. 167. — 11. — — — — — — — — 167. — Die für normale Embryonen geltenden Zahlen Wernickes stelle ich mit diesen in folgender Tabelle zusammen. Auch hier bezieht sich jede Ziffer auf ein anderes Ei und nur die erste Minute nach dem Öffnen bei sonst unveränderter Brutwärme. Ich habe auch versucht mit dem Mikrophon den Herzschlag im uneröfifneten Ei namentlich in den späteren Brüttagen zu zäh- len. Diese Bemühungen scheiterten jedoch sämmtlich (und ich habe auch bei ebengeborenen und künstlich befreiten Meer- schweinchen mit dem Mikrophon keine zuverlässigen Zahlen er- halten). 30 Die embryonale Blutbewegung, Herzfrequenz des Hühnchens im Ei. Tage kleine: unter 120 mittlere: 120 bis 150 grosse : über 150 2. 90 — - — — — 3. 90 108 112 114 120 122 130 146 130 — — — — I — — — — — 136 — — — — — — 4. 90 101 110 120 130 134 140 150 152 160 172 96 — 112 120 130 134 140 150 156 160 172 — — 118 120 132 136 140 — 156 162 172 — — — 125 132 136 144 — 156 162 172 — — 126 132 136 148 — 158 164 176 — — — 132 136 148 — — 166 176 — — — — 132 136 — — — 166 — — — — — 132 139 — — 168 — — — — — 134 - — — — 168 — — — — — 134 — — — — 168 — 5. — — 112 128 130 142 — 164 176 180 _ _ — 128 — 144 — — 166 — — — — — — — 144 — 168 — — 6. 86 — — 128 132 140 150 — — — — — — — — 133 — — — — — — 7. — — — 120 — — 154 162 — 181 8. — — — — 139 ~ 150 154 — — — 9. ■— — — — — — — 154 162 — — — — — ■ — — — — — 167 — — 11. — — — — — — — — 167 — — Obwohl die Zahl der in der Tabelle zusammengestellten guten Beobachtungen nicht ausreicht über die Yeränderungen der Puls- frequenz während der ersten Hälfte der Bebrütung mit Sicherheit Aufschluss zu geben, folgt daraus doch mit grosser Wahrscheinlich- keit, dass die Herzfrequenz bis zum fünften Tage zunimmt, und dann sich nicht vermindert. Ferner sind die Werthe der Mnima und Maxima so selten, (86 und 181), dass man höhere wie geringere nach künstlichen Eingriffen constant herbeigeführte Pulszahlen diesen Eingriffen wird zuschreiben dürfen. Solche künstliche Eingriffe haben wir — R. Wernicke und ich — in mannigfaltiger Art einwirken lassen. Die Hauptresultate A. Die embryonale Herzthätigkeit. 31 fasse ich hier zusammen. Sie beziehen sich sämmtlich auf Eier von mehr als 46 und weniger als 170 Incubationsstunden, meistens auf solche vom vierten Tage. Die Methoden sind bereits 1876 [35 veröffentlicht worden. 1) Gegen jede Temperaturänderung zeigt sich, wie [26 schon Harvey sah, das embryonische Herz höchst empfindlich, in- dem seine Frequenz abnimmt bei der geringsten Abkühlung, zu- nimmt bei der geringsten Erwärmung. Ändert man die Tem- peratur des Eies vor dem Aufbrechen, so ist dieser Effect der- selbe, wie bei thermischer Beeinflussung nach der Öffnung. Beim Erkalten unter 10 '^ C. tritt jedoch völliger Stillstand in der Diastole ein, wenn das Ei offen war, während im unversehrten Ei die Abkühlung länger fortgesetzt werden kann, ohne dass die Contractilität erlischt. Selbst nach völligem durch Abkühlung herbeigeführtem Herz- stillstand kann aber, wie Ernst Heinrich Weber beobachtete und ich bestätigt finde, die Herzthätigkeit auf's Neue wieder [369 beginnen und zwar energischer und frequenter bei etwas höherer Temperatur, als bei der gewöhnlichen. Nach oben erlischt zwi- schen 49,5*^ und 50*^ das Contractionsvermögen völlig und zwar bei allmählicher Erwärmung von 38,6 an in etwa einer Stunde, wenn das Ei in lufthaltiger physiologischer Kochsalzlösung ge- öffnet wird und darin bleibt. Jede plötzliche Erwärmung bis gegen 43° hat sogleich eine vorübergehende Frequenzzunahme bis zur TJnzählbarkeit zur Folge oder verhindert in dem abster- benden Embryo die rapide Frequenzabnahme vorübergehend. Ein Wärmetetanus wurde nicht beobachtet, wenn das Herz im Em- bryo und Ei der Luft exponirt blieb. Dagegen hat Schenk das ausgeschnittene Herz des [219 Hühner - Embryo von drei Tagen bei 41° zwar stillstehend gesehen, es aber durch Abkühlen bis 32 '^ wieder zum Pulsiren gebracht. War es auf 45*^ erwärmt worden, dann konnte es nicht mehr durch Abkühlen zum Pulsiren veranlasst werden. Es war also totale Wärmestarre eingetreten. War es bis 8" abgekühlt, dann traten beim Erwärmen auf 34° einige Contractionen ein. Das ausgeschnittene Herz verhält sich eben, wie alle aus ihrer natür- lichen Umgebung gerissene Organe, anders als das in seiner natür- lichen Lage betrachtete, wegen der vielen Eingriffe. 2) Gegen elektrische Einflüsse verhält sich das embryonale Herz des Hühnchens schon in den frühen Stadien, nachdem es eben angefangen hat, zu pulsiren, und an den folgenden Tagen 32 Die embryonale Blutbewegung. sehr eigenthümlich. Bei Reizung mittelst massig starker Inductions- Wechselströme tritt nämlich eine Frequenzsteigerung ein, welche unter erheblicher Verkürzung der Diastole - Dauer bei stärkeren Strömen schliesslich in einen während der Reizungsdauer anhal- tenden systohschen Stillstand oder Herztetanus sich verwandelt. Derselbe beginnt jedoch nicht unmittelbar nach dem Beginn der Reizung und löst sich erst einige Secunden nach der Reizunter- brechung. Von keiner Stelle des Embryo aus kann die Frequenz- steigerung hervorgerufen werden, wenn nicht die die Nadel-Elek- troden verbindende gerade Linie durch das Herz geht. Nach der Reizung kann das Herz normal weiter schlagen, wenn es durch Elektrolyse nicht gelitten hat. Dagegen beeinflussen schwache und starke constante gal- vanische Ströme die Frequenz in den ersten Tagen durchaus nicht, auch einzelne Schläge nicht. Das Herz eben excidirter Meerschweinchen-Embryonen, welche zwar noch lange nicht reif, aber mit Zähnen und Haaren ver- sehen sind, scheint sich dem constanten Strom gegenüber anders zu verhalten. Ich sah wenigstens in zwei Fällen bei Anwendung eines gewöhnlichen Grenetschen Elementes jedesmal nach Schliessung des Stromes eine deutliche Zunahme der Herzfrequenz, so lange das Herz nicht abgekühlt war. Gegen Inductionswechselströme verhalten sich aber diese fötalen Herzen wie die junger Hühner- Embryonen, indem ein völliger Herztetanus bei genügender Reiz- stärke eintritt. Ist die Stromstärke gering, dann ist auch hier eine Zunahme der Frequenz, die in ein Oscilliren übergeht, wenn jene wächst, zu constatiren, wie ich (im Februar 1883) bei sechs Embryonen (von zwei Thieren) wahrnahm. 3) Gegen Berührungen mit einem Stiftchen erweist sich das Embryo -Herz, wie schon Harvey wahrnahm, empfindlich, so- fern eine kurz dauernde Berührung eine vorübergehende Frequenz- steigerung zur Folge hat. Lässt man aber das Stäbchen länger mit dem Herzen in Contact, dann hört die Berührung auf als Reiz zu wirken und es tritt bald eine Abnahme der Schlagzahl ein. Andererseits kann man, wenn beim Abkühlen die Herz- thätigkeit aussetzt, oft noch durch blosses Berühren Contractionen hervorrufen. Wie durch Zählungen in meinem Laboratorium von Dr. G. Sonnenkalb leicht festgestellt wurde, beträgt die Frequenz- steigerung nach einer Berührung mit einem Elfenbeinstäbchen nicht mehr als zehn Schläge (auf 60 Secunden berechnet) und geht jedesmal rasch vorüber. A. Die embryonale Herzthätigkeit. 33 4) Wasserentziehuiig durch Verdunstung des Eiwassers hat regelmässig eme Frequenzabnahme zur Folge. Wenn hingegen destillirtes Wasser von der Eitemperatur in das Ei gebracht wird scheint weder Zu- noch Abnahme der Frequenz einzutreten- Immer verzögert Wasserzusatz die Abnahme, welche die Aus- trocknung bedingt, erheblich. Ist das zugesetzte Wasser kälter als das Ei, so tritt eine plötzliche Verlangsamung der Herzthätigkeit ein, und die Eück- kehr zur Norm erfolgt allmählich. Bisweilen wurde jedoch gleich nach dem Zusetzen eine geringe Frequenzsteigerung bemerkt, ohne Zweifel eine Folge der mechanischen Reizung; denn es folgte regelmässig eine schnelle Abnahme. Ist das zugesetzte Wasser wärmer als das Ei, so steigt plötzlich die Herzfrequenz, um dann langsam wieder abzunehmen. Somit hat ein Zusatz von wenig kaltem und warmem Wasser denselben Effect wie schnelle Abkühlung und Erwärmung. IJnd da selbst ein beträchtlicher Wasserzusatz von der Wärme des Eies zum Ei -Inhalt die Frequenz nicht alterirt, so werden Frequenzänderungen nach dem Zusetzen wässeriger Lösungen ver- schiedener chemischer Verbindungen nur diesen zugeschrieben werden dürfen: ein für chemische Eeizungsversuche günstiger Umstand. 5) Die chemische Reizung ergab, dass Kaliumnitrat ein intensives Gift auch für das embryonische Herz ist, indem es schon in sehr kleinen Mengen in Wasser gelöst das Herz lähmt, während Natriumnitrat und Ammoniumnitrat sich indifferent verhalten. Hierdurch ist eine sehr wichtige Verschiedenheit des Ver- haltens contractiler Fasern, welche noch nicht Muskelfasern sind, gegen Natrium- und Kaliumsalze zum ersten Male bewiesen [35 (1876). Chlornatrium, in Substanz a,uf das Herz gebracht, bewirkt aber eine rapide Abnahme der Frequenz (1872 von G. Sonnen- kalb in meinem Laboratorium beobachtet). Äthylalkohol bewirkt schon in kleinen Mengen eine enorme Zunahme der Herzfrequenz (bis 240 in der Minute), in grossen sofort Stillstand in der Diastole. Äthyläther wirkt viel weniger energisch, während Chloralhydrat und Aldehyd starke Herz- gifte sind. Beide lähmen. Von Alkaloiden erwiesen sich Atropin, besonders aber Nicotin, dadurch als starke Herzgifte, dass sie, ähnlich 'wie Ammoniakwasser, das Herz des Embryo schnell lähmen. In noch Frey er, Physiolog'ie des Embryo. 3 in 12 : V 1 J7 6 V 1V3 ?? 2 ?? 5 34 Die embryonale Blutbewegung. liöherem Grracle kommt diese Wirkung dem Chinin zu, während Curarin in gleicher Menge keinen Einfluss auf die Herzfrequenz ausübt. Wie geringe Mengen der Herzgifte ausreichen, den Stillstand herbeizuführen, zeigt folgende Zusammenstellung. Herzstillstand tritt ein nach Zusatz von 0,005 Grm. Kaliumnitrat in 12 Minuten 0,005 „ Chloralhydrat 0,002 „ Aldehyd 0,00 1 „ Atropinsulphat 0,001 „ Nicotin 0,0004 „ Chininchlorhydrat wobei zu bedenken ist, dass die zur Wirkung kommenden Gift- mengen in Wahrheit sehr viel kleiner, als die zugesetzten Mengen sein müssen, weil diese sich mit dem ganzen Ei-Inhalt vermischten. Die chemische Reizschwelle des sehr jungen noch nicht voll- ständig musculösen Embryo -Herzens ist demnach bei weitem kleiner, als die irgend eines differenzirten contractilen Gewebes. Auch Säuren wirken , wie Schenk fand , in äusserst ver- [219 dünntem Zustande schnell tödtlich auf das Herz des dreitägigen Hühnerembryo. Nur in 2-procentiger Borsäure sah er die Con- tractionen, wie in 1-procentiger Chlornatriumlösung sich erhalten, desgleichen in Jodserum mit geringem Jodgehalt. In destillirtem Wasser dagegen schlug das ausgeschnittene Herz weniger an- haltend und Ammoniakdämpfe in das seit drei Tagen bebrütete Ei geleitet bewirkten sofort Stillstand des Herzens. 6) Während des Absterbens nimmt zwar im Allgemeinen die Herzfrequenz des Embryo ab, geschieht aber das xibsterben langsam, dann pflegt regelmässig eine kurzdauernde prämortale Steigerung der Frequenz einzutreten, welche an die vorüber- gehende Erregbarkeitszunahme absterbender Nerven beim ge- borenen Thiere erinnert. Auch wenn das offene dann mit Glas bedeckte Ei vor Ab- kühlung und Verdunstung gehörig geschützt wird, tritt dennoch regelmässig der Herztod ein, nur viel später, als ohne solche Yor- sichtsmaassregeln. Es ist jedoch, nachdem es gelang, in einem [96 offenen Ei 15 Tage lang im Brütofen den Embryo sich entwickeln zu sehen, kaum zu bezweifeln, dass bei noch weiter getriebenen Schützmaassregeln, zumal antiseptischen, das Herz im offenen Ei noch länger schlagen werde. A. Die embryonale Herzthätigkeit. 35 In dem unter physiologischer Kochsalzlösung von 38° bis 39 ° gehaltenen Embryo tritt eine auffallende Unregelmässigkeit der Herzthätigkeit ein, eine Arhythmie mit enormen Frequenzschwan- kungen (z. B. von 164 auf 104, dann auf 144 innerhalb 3 Mi- nuten). Beobachtet man während des Absterbens das Herz genauer, dann sieht man in der Regel, gleichviel welche Reizung vorher- ging, dass, je grössere Pausen zwischen zwei Systolen eintreten, um so länger die einzelne Contraction andauert und die Entleerung mn so ausgiebiger wird. Die Zeitunterschiede sind leicht mit dem Metronom zu constatiren. Diese Ergebnisse der ersten sorgfältigen experimentellen Un- tersuchungen des embryonalen Vogelherzens verdienen in jeder Beziehung geprüft, weiter verfolgt, und auf andere Embryo-Herzen ausgedehnt zu werden. Vergleicht man dieselben mit den Re- sultaten, zu welchen J. Dogiel kam bei seiner Untersuchung [i4o des Herzens der Larve von Coretlira plumicornis, so findet man einige Übereinstimmungen von Interesse. Bei beiden bewirkt eine Frequenzzunahme Prequenzabnahme Mechanischer Reiz, Abkühlung, Erwärmung, Kaliumnitrat, Intermittirender elektrischer Reiz Chloralhydrat, (bei beiden bis zum Tetanus), Atropin. Äthyläther. Die Mückenlarve ist kein Embryo und ihr langgestrecktes, durchsichtiges Herz mit seinen Muskelfasern, Klappen und gang- liösen Grebilden viel weiter differenzirt, als das des 3- und 4-tägigen Htihnerembryo , aber jene Übereinstimmungen fordern zu weiteren vergleichenden Experimenten auf, um über die Be- schaffenheit der contractilen Substanz Aufschluss zu erhalten. Nach meinen Beobachtungen (1880) ist die Contractionsweise des Corethra- Herzens, das sich streckenweise an allen Punkten zu- gleich bis fast zum Verschwinden des Lumens contrahirt, eine andere, als die des primitiven Herzschlauchs des Vogelembryo, indem letzteres vielmehr sich peristaltisch bewegt. Der Vergleich der Herzcontractionen mit peristaltischen Bewegungen ist gerade bei der durchsichtigen Corethra-Larve besonders leicht, weil man da unmittelbar neben dem Herzen die sich peristaltisch contra- hirende und expandirende Darmröhre vor sich hat. Man sieht 36 Die embryonale Blutbewegung. .. an dieser zuerst an einem Punkt die circuläre Verengung be- ginnen dann an einem folgenden vor sich gehen usw., während die erst verengte Stelle inzwischen wieder sich zu erweitern be- ginnt. Das Herz dagegen zeigt für das Auge am Ocular an vielen Stellen zugleich die Contraction, womit nicht geleugnet wird; dass auch regelrechte Peristaltik, wie ich sie z. B. am Vorderherzen wahrnahm, gleichfalls zur Blutbewegung mitwirkt. Übrigens ist der verschiedene Contractionsmodus des Corethra- Herzens jedenfalls wesentlich durch die es in Thätigkeit setzenden Nervenzellen mitbedingt, abgesehen davon, dass die Herzwand nach Dogiel quergestreifte Muskelfasern enthält. Die bei der Corethra von mir sehr deutlich gesehene secundäre Systole, welche nach einer kurzen systolischen Pause oft auf die primäre Systole folgt, so dass das verengte Herzschlauchlumen nun fast verschwin- det, fehlt dem Embryo-Herzen völlig. Diese merkwürdige That- sache scheint Dogiel entgangen zu sein. Beim Säugethier-Embryo ist nach Hensen und [30,2^5 KöUiker die erste Herzanlage wie beim Hühnchen zweifach, indem beim Kaninchen zwei völlig getrennte Herzhälften allmählich an- einander rücken und verschmelzen. Nach 9 Tagen ist nach Kölliker jede Herzhälfte stark gekrümmt und mit einer convexen Seite der anderen zugewendet, und jede zeigt dann schon die drei Abschnitte des späteren verschmolzenen Herzens, den Aortenbulbus, die Kam- mer und das Venenende. Am 10. Tage sind die beiden Hälften zum Gesammtherzen vereinigt, welches dann wie beim Vogel- embryo die S-Forin annimmt. Zu dieser Zeit ist die Kopfkrüm- mung gut ausgeprägt, die Herzthätigkeit schon im Gang. Denn im Kaninchenei sah Bischoff 9 Tage nach der Befruchtung das [36 Herz sich contrahiren und zwar 3 Stunden nach dem Ausschneiden des Eies aus dem Uterus. Vor dem Ablauf des 8. Tages war von dem Herzcanal keine Spur vorhanden, am 10. der erste Kreis- lauf gebildet. Es ist wahrscheinlich, dass die erste Systole nicht vor der vollständigen Verschmelzung eintritt, aber bald nach derselben. Jedenfalls wird die Herzmusculatur beim Kaninchenembryo erst am 9. Tage erkannt, unmittelbar nach der Verschmel- [30, a^^ zung der Hälften. Am 10. und 11. ist auch der primitive Aorten- stamm bis zu seiner Theilung mit einer gegen den 14. Tag wieder schwindenden Muskelschicht versehen. Genau ist übrigens der Zeitpunkt noch nicht bestimmt, denn Kölliker bildet einen A. Die embiyonale Herzthätigkeit. 37 Embryo von 9 Tagen und 3 Stunden mit getrennten, einen an- deren von 9 Tagen 2 Stunden mit vereinigten Herzliälften ab. Am 11. Tage hat das einkammerige primitive noch einfache Herz schon gut ausgebildete arterielle und venöse Klappen. [3o, 50:? Die am 9. Tage deutlich werdenden Muskelzellen zeigen am 10. die Querstreifung ihrer Fäserchen. [30,575 Beim Hirschembryo sah Harvey (1633) am 18. spä- pe testens 20. November das Herz zuerst schlagen; nur durch schräg auffallendes directes Sonnenlicht konnte jedoch von ihm das Oscilliren des kleinen rothen Schlauchs wahrnehmbar gemacht werden. Wie beim Hühnchen pulsirte das ausgeschnittene Em- bryoherz noch lange weiter. Ende December war der Herzschlag sehr kräftig, was ich besonders bemerke, weil vor Harvey die Ansicht herrschte , das embryonale Herz der Säugethiere fange erst mit der Geburt an zu schlagen, obgleich schon Galen den Nabelschnurpuls kannte. Sogar der Entdecker des Lungenkreis- laufs Michael Servet (Villanovanus) hielt das embryonale Herz für unbewegt. Allerdings findet man in ausgeschnittenen Em- bryonen der Säugethiere, wenn sie abgekühlt sind, meist das Herz nicht mehr in Bewegung. Wie leicht es aber durch Erwärmung wieder zum Schlagen gebracht werden kann, zeigen Versuche, welche ich an Meerschweinchenembry onen wiederholt an- gestellt habe, und aus denen sich ergibt, dass die durch Ab- kühlung bis gegen 10'' erloschene Herzthätigkeit durch schnelles wie durch langsames Erwärmen, wie beim Hühnerembryo, wieder in Gang gebracht werden kann, falls der Stillstand nicht zu lange dauerte. Am 23. Dec. 1879 schnitt ich einer trächtigen Cavia cobaya 3 Embryonen aus, welche zusammen 66 gr wogen, noch nackt und zahnlos waren und anfangs eine starke und frequente Herzthätigkeit erkennen Hessen. Ich fühx-te in jeden Thorax eine sehr dünne Insectennadel ein, welche die Herzschläge sichtbar machte, undliess die Thiere an der Luft bis 10° C abkühlen, nachdem ich die 3 Nabelstränge durchschnitten hatte. Aus keinem trat Blut hervor. Nach 85 Min. war kein Herzschlag während 5 Min. zu erkennen. Nun wurden die 8 Embryonen mit den 3 Herznadeln in Wasser von 10" gebracht und dieses Wasser erwärmt. Nach 4 Minuten , bei 25 ° C. Wasserwärme, begann die Nadel bei zweien wieder zu pulsiren, zuerst langsam, imregel- mässig und schwach, dann ganz regelmässig und stark, 82 mal in der Minute bei 38 ", zwölf Minuten nach dem Beginn des Erwärmens. Auch der dritte Embryo zeigte bald nach den zwei anderen die regelmässige Herzthätigkeit wieder. Sowie aber das Wasser abgekühlt wurde, sank die Frequenz, um beim Erwärmen derselben wieder zu steigen. Periphere Reize wie das Ein- führen der Thermometerkugel in die Mundhöhle schienen die Frequenz nicht Die Bewegungen der Herznadeln werden immer seltener und sind schwer wahrzunehmen. 38 Die embryonale Blutbewegung. zu beeinflussen. G-leieh nachdem die Herzschläge wieder begonnen hatten, begann aus den drei Nabelsträngen reichlich Blut auszuströmen. Offenbar pumpte nun das Herz das Blut aus, so dass nach einer Stunde der Tod eintrat. Übrigens gerann das Blut sehr langsam und unvollständig. Am 24. Dec. 1879 excidirte ich einer Cavia 3 Embryonen, welche zu- sammen 99 gr. wogen, I um 2'i25"\ H um 2^^ 40"', HI um 2'^43'", und brachte alle 3 nach Unterbindung der Nabelschnüre und Einführen einer sehr feinen Insectenuadel in jeden Thorax um 2''45™ in eine Schale unter Wasser von der Blutwärme. Die drei Herzen schlugen 2^' 52™ kräftig, als das Wasser schon auf 82 " sich abgekühlt hatte. Ich Hess es nun unbewegt sich weiter abkühlen, erwärmte es dann wieder und beobachtete die Excursionen der Nadelköpfe: 3113m Wasser 25,75° die 3 Herzen schlagen noch, 6"' Wasser 24° ebenso. 20™ Wasser 20,4 nur äusserst schwache und seltene Herzschläge. 27™ Wasser 18,9] 29™ Wasser 18,6 31™ Wasser 18,2 36™ Wasser 17,3 38™ Wasser 16,7 42™ Wasser 16,1 44™ Alle 3 Herzen minutenlang still. 45™ Erwärmung begonnen bei der Wassertemp. 14,5°. 46™ Wasser 16,75°. Bei H und HI schlägt das Herz langsam. Bei 22,5 ° fängt auch I an schwach zu schlagen, die anderen frequenter und kräftiger. 57™ Wasser 31° bei 11 in 1 Min. 24 Systolen. Diese beiden Yersucbe zeigen, wie leicht durch Abkühlung das embryonale Säugethierherz zum Stillstand gebracht und wie leicht es durch Erwärmung wieder in Thätigkeit gesetzt werden kann, ohne dass irgend welche Respiration stattfindet. Ausserdem habe ich aber bei nahezu reifen durch Asphyxie des Mutterthieres vor der Geburt gleichfalls asphyktisch gemachten Meerschweinchenembryonen, welche 10 Minuten nachher aus dem todten Thiere excidirt wurden, ohne dass sie einen Athemzug machten, doch das Herz nach Öffnung des Thorax an der Luft ohne Erwärmung kräftig und anhaltend schlagen gesehen. Auch Bischoff sah das Meerschweinchenherz in einem [79 16 Tage alten, 3,5 Millim. langen und in einem 17 Tage alten Embryo schlagen, ersteres 24, letzteres 48 Stunden nach dem Herausschneiden der Eier aus der Mutter. Hier hatten die zelligen Bestandtheile , welche den Herzcanal bildeten, kaum angefangen, sich zu Easern auszuziehen. Die Herzen älterer Meerschweinchenembryonen habe [isn ich selbst dann noch lange schlagen sehen, wenn das Blut, welches A. Die embryonale Herzthätigkeit. 39 sie enthielten, keine Spur vo.n Sauerstoffbämoglobin mehr enthielt. Dagegen sind diese für Temperaturdifferenzen höchst empfindlich. In einem Ei aus dem Uterus einer Hündin, welche 14 Tage vor dem Herausschneiden sich zum letzten Male hatte belegen lassen, sah Bischoff den Herzcanal sich in langen Pausen [41 rhythmisch contrahiren und zwar 4^2 Stunden nach dem Heraus- nehmen, obgleich der gegen 2 Linien lange Embryo in kalter Flüssigkeit lag. Diese ausdauernde contractile Thätigkeit war ihm um so staunenerregender, als der Herzcanal fast noch aus jDrimären Zellen bestand, die kaum sich in Fasern auszudehnen anfingen. Durch die Contractionen sah er auch die noch farb- losen Blutzellen innerhalb des Embryo bewegt werden. Aus diesen Beobachtungen folgt, dass gerade wie beim Hühnchen das embryonische Herz der Säugethiere eine ausser- ordentliche Lebenszähigkeit besitzt und zu einer Zeit, in der Muskel- fasern sich noch nicht differenzirt haben, bereits energisch sich con- trahirt und zwar rhythmisch. Man wird also für den Menschen- embryo dasselbe voraussetzen dürfen. Bei ihm erkannte Allen Thomson zu Ende der 2. Woche das Herz; der Embryo \:io,3o6 war über 2 Millim. lang. Die Schätzung auf 15 Tage ist, wie Kölliker mit Recht bemerkt, zu hoch. Das eine Ei von Allen Thomson war muthmaasslich 14, das andere etwa 8 Tage alt (His). Li beiden war die Herzanlage sichtbar. Desgleichen in dem Ei SR von His von 2,2 Millim. Embryolänge und etwa 14 Tagen. Hier aber war das Herz noch ungeschlossen, eine doppelseitige Halbrinne; es schlug also noch nicht. In dem Costeschen Menschenei aus der Mitte der 3. Woche war das Herz bereits S-förmig gekrümmt in der Halshöhle zu sehen, der Aortenbulbus deutlich, dagegen Vorkammern und Kammern noch kaum voneinander zu unterscheiden. In dem anderen von Coste vom Ende der 3. oder Anfang der [so.^ü 4. Woche war das Herz hinter den Kiemenbogen in einer stark vorspringenden Halshöhle zu sehen und man konnte eine doppelte Kammer, sowie die Vorkammern unterscheiden. Zu Ende der 4. Woche hat das Menschenherz schon ziemlich die Form, [30, 3u welche es später im Wesentlichen behält; Vorhöfe und Kammern sind vorhanden, desgleichen der Herzbeutel. Zu Ende der 5. Woche erscheint es nur mehr ausgebildet. Die untere [30,3^5 Hohlvene ist dann schon stark. [leo Hiernach kann nicht bezweifelt werden, dass das Herz des 40 Die embryonale Blutbewe^ung. menschlichen Embryo im Anfang der dritten Woche zu schlagen anfängt. In der That sah Pflüger an einem menschlichen Embryo [so der 3. Woche, welcher in seinem Ei über Nacht zwischen zwei Uhrgläsern kalt aufbewahrt worden war, am Morgen im geheizten Zimmer den schon S-förmigen HerzscMauch sich in Pausen von 20 bis 30 Secunden zusammenziehen, und zwar währten die Con- tractionen, allmählich an Frequenz abnehmend, länger als eine Stunde. Über den Herzschlag menschlicher Embryonen der 4. bis 15. Woche sind mir bis jetzt zuverlässige Beobachtungen nicht bekannt geworden. Nur E. ßawitz sah an einem dreimonatlichen 8 cm. [iss langen Fötus, den er in einem warmen Becken beobachtete, regel- mässige durch die Herzthätigkeit verursachte Hebungen des Thorax und machte nach Öfihung desselben die wichtige Entdeckung, dass in der Systole der Ventrikel die Füllung der Coronargefässe nachliess. Vier Stunden hindurch schlug das Herz im sehr warmen Zimmer durchschnittlich 20 mal in 1 Minute. Was der Beobachter selbst für ungünstig ansah, die Wärme der Umgebung, ist (nach meinen obigen Versuchen) gerade ein für das Ingangkommen und Imgangbleiben der Herzthätigkeit sehr günstiges Moment. Eben- dasselbe, die Erwärmung einer viermonatlichen Frucht im Wasser, gestattete auch Erbkam 10 Minuten nach dem Aufhören der übrigen Bewegungen den Herzschlag zu sehen. [231 Als ein 15 bis 20 Minuten nach der Geburt noch warm von Zuntz untersuchter 16 Wochen alter Fötus geöffnet wurde, [si blieb das Herz noch fast eine Stunde in lebhafter Thätigkeit. Es zeigte also noch in diesem vorgerückten Entwicklungsstadium eine grosse Ähnlichkeit mit dem Herzen eines niederen Wirbelthiers, sofern es Avie dieses eine weitergehende Unabhängigkeit von der Kespiration, Circulation und Temperatur bewahrte, als das Herz des Erwachsenen. Bei dem Menschen- Fötus von 17 bis 26 Wochen, welcher zwar lebend geboren werden kann, aber nicht am Leben erhalten werden zu können scheint, ist die Herzthätigkeit öfters beobachtet worden, noch öfter bei den lebenstähigen Frühgeborenen von 27 bis 39 Wochen, aber die Befunde an diesen dürfen nicht auf die ungeborene Frucht desselben Alters bezogen werden, weil dabei die Luftathmung wesontHch modificirend einwirkt. Um daher die Frequenz und die Änderung derselben durch A. Die embryonale Herzthätigkeit. 41 verschiedene Einflüsse im Normalzustand kennen zu lernen, muss man die Herzschläge des Pötus in der intacten Mutter mittelst des Ohres beobachten, was von der 17. bis 19. Woche an bei einiger Übung auch ohne Instrumente leicht ausführbar ist. Die Angaben, dass in der 16., sogar 12. Woche die Herztöne hörbar seien, sind jedoch zweifelhaft. Die denkwürdige Entdeckung, dass man überhaupt die fötalen Herztöne im^ mütterlichen Körper hören kann, machte der Arzt J. A. Lejumeau de Kergaradec, welcher am 26. Dec. 1822 der Akademie der Medicin in Paris seine Abhandlung vorlas über die auf das Studium der Schwangerschaft angewandte Auscultation. [125 Er hatte das durch die Kindsbewegungen im Fruchtwasser hervorgebrachte Geräusch hören wollen, vernahm aber statt dessen^ zuerst bei einer im letzten Monat Schwangeren die doppelschlägigen kurzen, harten, fötalen Herztöne, welche 143 bis 148 mal in der Minute auftraten, während der mütterliche Puls nur 70 betrug. Sogleich erkannte Lejumeau die ausserordentliche Tragweite dieser Entdeckung für die Praxis. Während der 2 Wochen zwischen dieser Beobachtung und der Entbindung variirte der Puls der Mutter zwischen 54 und 72, der des Kindes zwischen 123 und nahezu 160. Letzteres Maxi- mum trat nach ungewöhnlich starken Fruchtbewegungen ein; zugleich erreichte der mütterliche Puls sein Maximum 72. Doch ist zu bedenken, dass allein durch die plötzliche Stellungsänderung des Kindes der Mutter Schmerz und dadurch Pulssteigerung ver- ursacht werden kann. Lejumeau nahm die doppelten Schläge des Fötus im 6. Monat wahr, dagegen das gleichfalls von ihm entdeckte Uteringeräusch, welches von den grösseren Grefässen des Uterus stammt, schon im 5. Monat. Er meinte, es komme von der Placenta, daher der frühere unrichtige Name Placentargeräusch. Er entdeckte auch, dass während der Geburtswehen der fötale Puls abnahm (bis 136 und 139), der mütterliche stieg (bis 85). Unter den Folgerungen, welche der Entdecker, selbst der Geburtshülfe völlig fremd, hervorhebt, sind die wichtigsten, dass man nun ein sicheres Symptom eingetretener Gravidität habe, dass man über Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod des Fötus urtheilen, Zwillings- und Drillingsgeburten vorhersagen könne, auch dass verschiedene Zustände der Mutter, ausser dem Puls^, z. B. Schlafen, Wachen, Sattsein, Hungern, Bewegung, Ruhe, Krank- heit, Gesundheit u. a. in ihrem Einfluss auf den Fötus nunmehr sich würden erforschen lassen. 42 Diti embryonale Blutbewegung. Ausdrücklich bemerkt Lejumeau , dass aiicli ein Genfer Wundarzt Namens Major das Herz des Fötus im Uterus habe schlagen hören, von ihm sei jedoch daraus weiter nichts gefolgert worden, als dass man kurz vor der Geburt erkennen könne, ob das Kind lebt. Die aus hervorragenden Ärzten zusammengesetzte Com- mission, darunter auch der Begründer der Stethoskopie Laennec, beurtheilte die Arbeit sehr günstig und bestätigte Kergaradecs Entdeckungen. Dagegen erhoben andere lebhaften Widerspruch; Duges er- klärte es theoretisch für unwahrscheinlich oder unmöghch, [126 dass man das Herz durch das Schafwasser, den Uterus und die Bauchdecke schlagen hören könne. Er selbst hörte es auch in Wirklichkeit nicht. Baudelocque hörte das Tiktak, da es aber seinen Ort veränderte, konnte er sich nicht entschliessen, es dem Eötusherzen zuzuschreiben; es sei ein Zittern. Hierauf antwortete der Entdecker durch neue Beobachtungen, die er und andere ge- macht hatten. Dann prüften die Gegner gemeinschafthch. Duges überzeugte sich von der Hörbarkeit des Embryo -Herzens. Darin aber hat er gegen Lejumeau Recht, dass das Uteringeräusch nicht von der Placenta, sondern von den Uterusarterien stammt. Denn man hört es auch nach Lösung der Placenta und wenn diese entfernt worden. [127 In Deutschland bestätigte Anfangs 1823 zunächst d'Outrepont die Beobachtung der fötalen Herztöne. Dann machte die Ent- deckung die Runde durch Europa, und jetzt wird kein Arzt ver- säumen nach fötalen Herzschlägen zu forschen durch Auscultation, wo die Möglichkeit einer Schwangerschaft vorliegt. Hohl und andere modificirten zu dem Behufe das ursprüng- liche Laennec'sche Stethoskop. Es erhielt die Namen Gastros- kop und Metroskop. Die gewöhnliche Auscultation ist [127 aber vorgezogen worden und hat in der Praxis bekanntlich glän- zende Erfolge aufzuweisen, obgleich das Auscultiren mit einem diotischen Stethoskop, bei dem in jedes Ohr ein Rohr geht, nach meinen Versuchen noch viel deutlicher die Herztöne des Fötus hören lässt. Auch mit dem Mikrophon habe ich die fötalen Herz- töne an hochschwangeren Frauen (d. h. ihren Rhythmus) deutlich vernommen. Leider ist der Physiologie bis jetzt wenig Nutzen aus der mehr praktisch verwertheten wichtigen Entdeckung erwachsen, A. Die embryonale Herzthätigkeit. 43 obgleicli manche interessante Frage schon vor einem halben Jahr- hmidert aufgeworfen mid in Angriff genommen worden ist. Zunächst wurde versucht durch viele Zählungen die normale Frequenz in der zweiten Hälfte der Entwicklung zu ermitteln. Die nicht unerheblichen Widersprüche der Beobachter auf diesem Gebiete sind durch sehr zahlreiche Beobachtungen in der neuesten Zeit grösstentheils beseitigt. Y. Hüter fand (1861) an 200 Schwangeren in Marburg den [132 Fötalpuls in 1195 Zählungen von der 19. "Woche vor der G-eburt an auffallend constant. Er zählte aber in jeder einzelnen Be- obachtung nur während 5 Secunden und erhielt stets eine Fre- quenz zwischen 10 und 14, und zwar: 14 und 13 nur bei nachweisbaren Fruchtbewegungen 12 bei 10 Procent der Früchte in der Ruhe 11 JJ O^ 7) ij V 77 J> 77 l'J 77 * 77 77 77 77 77 77 somit schlägt nach Hüter das fötale Menschenherz am häufigsten 132 mal in der Minute und normalerweise, d. h. bei Gesunden und in der Ruhe, schwankt die Frequenz nur zwischen 120 und 144, durch Bewegungen der Frucht bis auf 168 steigend. Es haben für den Fötalpuls gefunden im Normal- [132 zustand : 1831 Dubois am häufigsten 144, 1833 Hohl am häufigsten 140 (108 bis 175), 1838 Naegele als Mittelzahl 135, 1847 Depaul am häufigsten 136, 140, 144, 1859 Frankenhäuser als Mittel 134, 1860 Hecker als Mittel 140, 1879 Dauzats als Grenzen 105 und 180. [265 Die Frequenz des Fötusherzens des Schafes und des Eindes fand Kehrer zu 120 bis 142, der Ziege bis zu 170, des Hundes 210 bis 224. [149 Darin stimmen fast alle Beobachter überein, dass nach Frucht- bewegungen der Fötalpuls vorübergehend steigt, bei sehr starken der des Menschen ausnahmsweise bis 180 und bis zur Unzählbar- keit. Und es ist gewiss, dass Fruchtbewegungen ohne eine ge- ringe Frequenzzunahme sehr selten vorkommen, wahrscheinhch wegen Beschleunigung des venösen Blutstroms durch die Com- pression der Venen nach Muskelcontractionen. Einen Übergang zu grösserer Frequenz beobachtete aber 44 Die embryonale Blutbeweguüg. Hohl schon im 5. Monat, ohne äusserlich Fruchtbewegungen deut- lich zu fühlen. Hüter dagegen leugnet, dass der Fötalpuls ohne gleichzeitige Fötusbewegungen steige, vorausgesetzt, dass alle pathologischen Einflüsse von Seiten der Mutter und Frucht fehlen. Er bestätigte den Ausspruch von Dubois, dass vom 5. bis [i33 10. Monat der Rhythmus der dikroten Herztöne derselbe bleibe. Da jedoch gewisse Einflüsse beim Geborenen für die normale Höhe der Pulsfrequenz bestimmend sind, so fragte es sich, ob diese nicht auch beim Fötus in Betracht kämen. Zunächst das Geschlecht. Hat, wie beim geborenen Men- schen, das weibliche Herz eine grössere Frequenz, als das männ- liche? Frankenhäuser behauptete 1859, man könne das Ge- [iss schlecht des Fötus in der letzten Zeit der intrauterinen Entwick- lung an der Herzfrequenz erkennen. Er meinte eine solche von mehr als 138 bis 150 in der Minute spreche für das weibliche,^ eine solche von 120 bis 132 für das männliche Geschlecht des Fötus, die niedrigen Ziffern, von etwa 124 im Durchschnitt, fän- den sich bei männlichen, die hohen von 144 im Durchschnitt bei weiblichen Früchten und bestimmte das Geschlecht des neugeborenen Kindes auf diese Weise 50 mal richtig im voraus, nur einmal falsch. Hiernach würde eine Frequenz von 132 bis 138 das Ge- schlecht zweifelhaft lassen. Da nur 10 Secunden lang gezählt wurde, so entsprach den Knaben am häufigsten 20, seltener 21^ sehr selten 22, den Mädchen fast regelmässig 24, seltener 25, ein- mal 23. Als Durchschnittszahl der Pulsfrequenz vor der Gebm^t figurirt 134. Bedeutend mehr soll Mädchen, bedeutend weniger Knaben vorherzusagen berechtigen. Um diese Theorie, wie man sie nannte, an der Erfahrung zu prüfen, sind sehr viele Zählungen ausgeführt worden, deren Er- gebnisse ich im Folgenden zusammenstelle. Zunächst prüfte Breslau 50 Schwangere, von denen er [i43 aber selbst 6 wegen unsicherer Beobachtung ausschliesst. Von 44 Vorausbestimmungen erwiesen sich nur 19 als richtig, nämlich 8 Knaben- und 11 Mädchen-Geburten. Von den 25 falschen ür- theilen lauteten nicht weniger als 18 auf Mädchen und nur 7 auf Knaben. Da die Pulszahlen bei einzelnen Früchten zwischen 132 und 152 (im Ganzen zwischen 116 und 156) sich bewegten, und im Allgemeinen etwas höher sind, als andere sie finden, so liegt die Vermuthung nahe, der Verfasser habe entweder selbst durch. das Auscultiren Fruchtbewegungen und damit eine Frequenz A. Die embryonale Herzthätigkeit. 45 Steigerung hervorgerufen oder vorhandene Bewegungen nicht ge- hörig ablaufen lassen. Er sagt, er habe sich überzeugt, dass das Kind „möglichst ruhig" geworden sei. Auf völlige Ruhe kommt hier alles an. Diese Arbeit kann also weder widerlegen noch be- stätigen, zumal auch die einzelnen Zählungen nicht genügend ver- vielfältigt wurden. Bei 5 männlichen Früchten kurz vor der Geburt fand Hen- nig im Mittel 143, bei 7 weiblichen, z. Th. mehrere Monate vor der Geburt, 150. Beide Zahlen sind auffallend hoch. Haake nahm an 50 Schwangeren 1119 Zählungen vor [i4i und fand für die letzten Monate i-zschläge in ^/^ ' Minute bei Knaben bei Mädchen 31 bis 33 1 3 34 „ 35 8 5 36 „ 40 14 19 41 1 0 Er diagnosticirte das Geschlecht keinmal mit Bestimmtheit und bezweifelt die Möglichkeit, aus dem Fötalpuls mit Sicherheit auf das Geschlecht des Fötus zu schliessen, schon weil eine dauernde Verlangsamung desselben durch anhaltende Ruhe und durch unbekannte Momente eine dauernde Beschleunigung ein- treten könne. C. Steinbach notirte (im Sommer 1859 in Jena) die [i43 fötale Herzfrequenz bei 56 Schwangeren in den letzten 3 bis 50 Tagen vor der Entbindung und bestimmte 43 mal richtig vorher das Ge- schlecht der Frucht. Er auscultirte Morgens und Nachmittags täglich bis zum Eintritt der Geburt nach Yiertelminuten zählend. Fanden Pulsschwankungen während des Zählens statt, so wurde das Mittel genommen. Eine Steigerung der Herzfrequenz kann schon nach dem Auflegen des Ohres oder dem Ansetzen des Stethoskops durch Hervorrufen von Fruchtbewegungen verursacht werden. Die Frequenz für die 31 richtig vorhergesagten Knaben be- trug im Mittel Vormittags 131 (der niedrigste Mittelwerth 123, der höchste 138), Nachmittags 132 (der niedrigste Mittelwerth 128, der höchste 138). Das tägliche Gesammtmittel war nicht kleiner, als 126 und nicht grösser, als 136; das Mittel der 31 täglichen Gesammtmittel betrug 131. Die absolut niedrigste Ziffer einer Zählung war 108 (nur einmal). Die Frequenz für die 12 richtig vorhergesagten Mädchen 46 Die embryonale Blutbewegung. betrug im Mittel Vormittags 143 (der niedrigste jMittelwerth 137, der höchste 156), Nachmittags 144 (der niedrigste Mittelwerth 138, der höchste 152). Das tägliche Gesammtmittel war nicht kleiner, als 138 und nicht grösser, als 154, und das Mittel der 12 täg- lichen Gesammtmittel betrug 144. Die absolut höchste Ziffer einer Zählung war 176. Von den 13 falsch beurtheilten Fällen betrafen 2 kranke Mütter, einer eine Zwillingsgeburt, welche nicht diagnosticirt wor- den war. Es bleiben also im Ganzen 53 Geburten mit 43 rich- tigen und 10 falschen Diagnosen, d. h. 81,1 °/„ waren richtig er- kannt worden. Bei 6 falsch beurtheilten Fällen war theils die Geburt unmittelbar bevorstehend, theils die Anzahl der Zählungen eine sehr geringe, theüs die Pulszahl eine stark schwankende (ein- mal z. B. 128 bis 144 in drei Zählungen), theils bewegte sie sich um den Grenzwerth auf und ab, und vier Fälle waren durch Xabel- schnurgeräusch complicirt. Da Nabelschnurdruck die fötale Herz- action beeinflussen kann, so ist dieser Einfluss zu berücksichtigen. Wenn nicht während des zu kurzen Zeitraums von 15 Secunden gezählt worden wäre, statt minutenweise, würde das Resultat viel- leicht ein anderes sein, denn bei einer Frequenz von 33 bis 85 (entsprechend 132 bis 140) macht ein Herzschlag mehr oder we- niger die Diagnose unsicher, also gerade für die häufigste Frequenz- ziffer. Im Ganzen spricht aber diese Arbeit zu Gunsten der Franken- häuserschen Ansicht. Dagegen bestreitet V. Hüter ihre Richtigkeit. Da er aber den Fötalpuls nur' durch Zählungen innerhalb 5 Secunden [132,45 bestimmte, so sind seine Befunde überhaupt für die vorhegende Frage nicht zu verwerthen. Ein Unterschied von der Grösse wie der verlangte kann nicht durch Zählungen in 5 Secunden er- mittelt werden. Knaben müssten dann 10 und 11, Mädchen 12 liefern. Es kommt aber gerade auf 10^3 und 11^2 ^^> nämlich auf 126 und 138, Ziffern, die bei Hüters Verfahren garnicht vorkommen könnnen. Daher beweist seine Untersuchung nichts für und wider die Theorie. Zu Gunsten derselben scheint eher eine Arbeit von ch4 F. A. Schurig zu sj)rechen, welcher an 31 Schwangeren meist in den letzten Monaten viertelminutenweise zählte und 22 mal richtig das Geschlecht vorhersagte. Die Frequenz betrug für die 14 richtig vorhergesagten Knaben im Mittel Vormittags 132 (bei 10 gezählt), wobei der niedrigste Mittelwerth 124, der höchste 138, A. Die embryonale Herzthätigkeit. 47 Naclimittags 131 (der niedrigste Mittelwerth 124, der höchste 136). Das täghche Gesammtmittel war nicht kleiner, als 124 und nicht grösser, als 134. Das Mittel der 14 täglichen Gesammtmittel beträgt 132. Die absohit niedrigste Ziffer einer Zählung war 120 (fünfmal). Die Frequenz für die 8 richtig vorhergesagten Mädchen be- trug im Mittel Vormittags bei zweien 139 und 142, Nachmittags 141 (niedrigster Mittelwerth 138, höchster 144). Das tägliche Gesammtmittel war nicht kleiner als 140 und nicht grösser als 144. Das Mittel der 8 täglichen Gesammtmittel beträgt 142. Von den 9 falsch beurtheilten Fällen betreffen 4 Anomalien (2 Krankheit der Mutter, 1 Frühgeburt, 1 sehr kleines Kind von abnormer Beweglichkeit) , bei 2 schwankt die Frequenz . um den Grenzwerth 136 auf und ab, und nur bei 3 ist für die falsche Diagnose kein Grund auffindbar. Denn auch bei vorhandenem Nabelschnnrgeräusch und bei jSTabelschnurumschlingung wurde mehrmals richtig diagnosticirt. Es bleiben somit 5 falsche Ur- theile unter 27, oder 81,5 °/q wurden richtig beurtheilt. Das Resultat kann aber nicht als zuverlässig angesehen werden aus demselben Grunde wie das entgegenstehende von V. Hüter, da nur 15 See. lang gezählt wurde. Aus einer kurzen Mittheilung von Zepuder geht hervor, [145 dass er unter 49 Fällen, bei denen er in einem Zeitraum von mindestens 6 Stunden und höchstens 26 Tagen vor der Entbindung die fötalen Herztöne auscultirte, nur dreimal falsch vorhersagte. Da aber keine Einzelheiten mitgetheilt sind, kann diese Unter- suchung hier nicht verwerthet werden. Die Notiz verdient Be- achtung, dass diejenigen Frauen, welche Mädchen gebaren, selbst eine höhere Pulsfrequenz hatten, als die Mütter männlicher Früchte. An anderer Stelle theilt Zepuder mit, er habe unter [ses 60 Fällen nur fünfmal das Geschlecht verkannt, Knaben hätten 120 bis 122, selten 132 bis 138, Mädchen 144 bis 150, selten 156 Schläge in der Minute. K. Schröder fand beim weiblichen Fötus (im Durch- [200 schnitt von 62) für 1 Minute rund 149, beim männlichen (von 61) rund 145 und erhielt bei Zwillingen verschiedenen Geschlechts die grössere Frequenz der Herztöne beim Mädchen (146 in einem, 152 in einem zweiten Falle, beim Knaben im ersteren 138, im letzteren 132), wurde aber so oft getäuscht, dass er zur Vorher- bestimmung des Geschlechts auf die Frequenzermittlung Werth zu legen nicht geneigt ist. 48 Die embryonale Blutbewegung. In 50 von ihm beobachteten Fällen fand C. Devil- [265,25 liers 1862 den Ivnabenpuls zwischen 124 und 140, meistens 128 bis 136, den Mädchenpuls zwischen 124 und 148, meistens 136 bis 140. Er irrte „mehrmals" beim Vorhersagen des Geschlechts, desgleichen Joulin (1867). [26.5,30 Dagegen behauptet J. Hutton (1872), dass die Frequenz 144 J:^ 6 ein Mädchen, die Frequenz 124 jf 6 einen Knaben vorherzusagen berechtige. In sieben Fällen traf dies zu. Auch Stoltz (1873) ist der „Theorie" zugeneigt. Ebenso Hicks (1873). [265, 5i F. C. Wilson behauptet sogar, unter 100 Fällen nur [265, ^i neunmal sich geirrt zu haben (1873). Bei 24 weiblichen Früchten fand Willis E. Ford (1873) das Minimum 120, das Maximum 160, das Mittel 143, bei 38 männlichen 110, 170, 142 V2; was gegen die Frankenhäusersche Hypothese spricht. Streng (1874) hatte unter 50 Fällen nur 28 richtige Vorhersagungen, indem er 128 als Maximum für den männlichen Fötus annahm. Seine Zahlen variiren zwischen 118 und 180. Das Mittel aller ist 136. James Cumming setzte nicht weniger willkürlich voraus, dass < 140 einen Knaben, > 140 ein Mädchen erwarten lasse und prophezeite nur 62 mal richtig in 112 Fällen. Dauzats [265, 3^ zeigte jedoch, dass diese Beobachtungen ungenau sind. Im Jahre 1876 behauptete Mattei, ein Fötus mit [205,55 130 bis 135 Pulsen sei gewöhnlich ein Knabe, ein solcher mit 150 bis 160 gewöhnlich ein Mädchen, und er habe unter „mehreren Hundert" Fällen nur 3 falsche Vorhersagungen zu verzeichnen. Dyers Peters dagegen kam durch seine Beobachtungen an 30 Frauen in Boston zu dem Resultate, dass, wenn auch ein frequenter Puls ein Mädchen, ein weniger frequenter einen Knaben ver- muthen lasse, doch zuviele unbekannte, die Frequenz ändernde Factoren vorhanden sind, als dass man den Unterschied zur Vor- hersagung des.Geschlechtes verwerthen könnte. Noch entschiedener sprechen sich Budin und Chaignot auf Grund ihrer [2,65,40 Zählungen an 70 Schwangeren aus, es müssten jetzt die Bemühungen der Geburtshelfer ein Ende nehmen, das Geschlecht aus der Puls- frequenz zu bestimmen. Auch Hecker kam zu einem durchaus ablehnenden [230, i, 20 Eesultat. Denn in 109 Fällen gaben 50 männliche Früchte 7019, und 59 weibliche 8293 Herzschläge, also ein Geschlecht im Durch- schnitt genau soviel wie das andere: 140. Dieses Ergebniss eines der hervorragendsten Beobachter ist darum von besonderem A. Die embryonale Herzthätigkeit. 49 Werthe, weil stets eine Minute lang und nur bei völliger Fötus- rulie gezählt wurde. Nur die letzten Monate wurden berücksichtigt und dabei fanden sich Fälle mit 114 und mit 180 Schlägen in der Minute. Ferner hat noch Engelhorn an 37 Müttern den Fötal- [i37 puls bestimmt und die Durchschnittsfrequenz für Knaben zu 138 (rund), für Mädchen zu 141 (rund) gefunden. Die Differenz ist zur Vorherbestimmung des Geschlechts zu klein. Auch kamen in dieser Reihe die grössten Frequenzen, z. B. 160, auch bei Knaben, die niedrigsten, z. B. 120, auch bei Mädchen vor. Endlich hat Dauzats eine zusammenfassende Arbeit ge- [265 liefert und 140 eigene Fälle den vorhandenen hinzugefügt. Er zählte in der Regel eine volle Minute, eine Viertelminute nur wenn während mehrerer aufeinanderfolgender Viertelminuten die Ziffern dieselben blieben. Wenn 2 bis 4 Minuten lang auscultirt worden war und stets annähernd dieselbe Pulszahl sich ergab bei normalem Ruhe- zustand der Mutter und Frucht, dann erst erschien es ihm un- nöthig, die Zählungen fortzusetzen. Er stellt seine Resultate in vier Tabellen zusammen. Die erste Tabelle umfasst 34 Fälle mit nur einmaliger Be- obachtung. Hier sind die Grenzwerthe 128 und 160, und zwar ist es leicht zu erkennen, was der Verfasser nicht erwähnt, dass die 19 männlichen Früchte im Durchschnitt 144,8, die 15 weib- lichen im Durchschnitt 141,9 hatten, letztere also sogar eine ge- ringere Frequenz als erstere. Eine Pulsfrequenz von > 145 hatten von 11 Früchten nur 5 weibliche, eine solche von < 135 von 4 nur 1 männliche. Die zweite Tabelle umfasst 1 8 Fälle mit veränderlichen Fre- quenzen und den Grenzen 132 und 150. Hier hatten 10 Knaben im Durchschnitt 139,1 und 8 Mädchen im Durchschnitt 139,0. Es ist also fast Gleichheit vorhanden. Die dritte Tabelle enthält 55 Fälle mit fast unveränderlichen Frequenzen zwischen 119 und 157, und zwar kommen hier auf die 26 Knaben 139,1, auf die 29 Mädchen 145,2 im Mittel Die vierte Tabelle gibt 42 Fälle, bei denen in den Wehen- pausen gezählt wurde, und zwar mehrmals in jedem Falle. Die Knaben haben hier durchschnittlich 140,8, die Mädchen 144,1. Im Ganzen kamen, wie ich aus sämmtlichen 149 Fällen be- rechne, auf 73 Knaben 10268, auf 76 Mädchen 10912 Herzschläge in der Minute, d. h. die ersteren hatten die mittlere Frequenz 140,6, die letzteren 143,5. Preyer, Physiologie des Embryo. 4 50 Die embryonale Blutbewegung. Nun hat Dauzats, welcher trotzdem die Frankenhäusersche Lehre nicht ganz aufgibt, 535 Fälle von den obigen Autoren und seinen eigenen zusammengestellt. Davon zieht er aber 198 ab, bei denen nur eine Zählung stattfand, was ungenügend sei; somit bleiben 337. Von diesen ergeben 174 Fälle Frequenzen von 135 bis 145 und ebensoviele Knaben wie Mädchen, d. h. die Hälfte der guten Beobachtungen fällt fort, denn 174:337 ist nahezu 50 7o- Nun folgt aber weiter aus der Gresammtheit der vorliegenden Beobachtungen, dass in der „Mehrzahl" der Fälle bei Frequenzen über 145 Mädchen, bei solchen unter 135 Knaben geboren wurden. Ungefähr 70 7o dieser Fälle würde die „Mehrzahl" bezeichnen. Es existirt also wirklich eine Beziehung der Pulsfrequenz zum Geschlecht des Fötus, aber dieselbe ist im einzelnen Fall nicht zu ermitteln, also zur Vorherbestimmung des Geschlechts un- brauchbar. Denn bei den häufigen Frequenzen (50%) von 135 bis 145 sind beide Geschlechter gleich oft vertreten, bei den hohen jenseit 145 kommen immer noch etwa Ys Knaben vor und bei den niedrigen unterhalb 135 ebensoviele Mädchen. Für die Praxis kann die Zählung der fötalen Herzschläge somit keine verwerthbare Methode zur Vorhersagung des Ge- schlechts abgeben. Das ist das Resultat dieser mühsamen Unter- suchungen. Das Gesammtresultat aller behufs Prüfung der Franken- häuserschen Hypothese ausgeführten Zählungen der fötalen Herz- schläge ist, wie die Darstellung der Einzelergebnisse zeigt, auch nicht geeignet die, Hoffnung zu stützen, dass es später gelingen werde, mit Sicherheit aus der fötalen Herzfrequenz das Geschlecht des Neugeborenen vorherzusagen. Einige Beobachter haben öfter richtig prophezeit, als andere. Beim Hazardspiel hat einer mehr Glück als der andere. Selbst wenn der Puls schon vor der Ge- burt mit dem Geschlecht variirt, was nicht einmal nach der Ge- burt ausnahmslos unter sonst möglichst gleichen Umständen zu- trifft, würde dieser Umstand diagnostisch nicht verwerthbar sein, weil der Fötalpuls aus anderen, zum Theil bekannten, zum [62 Theil unbekannten Gründen erhebliche Ungleichheiten seiner [265 Frequenz zeigt. Von diesen anderen in theoretischer und praktischer Hinsicht interessanten Einflüssen sind bis jetzt nur wenige geprüft worden. Darin stimmen jedoch, wie schon hervorgehoben wurde, alle Beobachter überein, dass unmittelbar nach starken Kinds- A. Die embryonale Herzthätigkeit. 51 bewegungen jedesmal die fötale Herzfrequenz zunimmt und zwar um so mehr, je lebhafter und anhaltender dieselben sind. Sie kehrt in der Ruhe meist schnell zur Norm zurück. Jedoch bemerkte Dauzats, dass manchmal schwache und auch sehr häufige Kindsbewegungen gar keine Änderung der Herz- frequenz zur Folge hatten. Auch constatirte er eine Abnahme derselben, nachdem sie nach den Fötusbewegungen zugenommen hatte. Beides, Zu- wie Abnahme, dauerte aber sehr kurze Zeit. Derselbe fleissige Beobachter fand sogar in einzelnen Fällen, dass während der Kindsbewegangen die Herzschlagzahl abnahm. Dieses könnte auf vorübergehender Compression der Nabelschnur beruhen. Da man beim Fötus, der sich sehr lange nicht bewegt hat, eine geringere Frequenz findet, als bei dem lebhafteren, und beim schlafenden Neugeborenen eine geringere, als beim wachen Neu- geborenen, so meint Hohl auch intrauterin könne der Schlaf Frequenz mindernd wirken. Einen Sinn könnte diese Yermuthung nur haben, wenn man nicht annimmt, dass der Fötus ohne Unter- brechung schläft, wovon später. Eine Abhängigkeit des Fötuspulses von dem Puls der [137 Mutter ist im gesunden Zustande nicht constatirt worden, vielmehr kann die fötale Frequenz durch Kindsbewegungen zunehmen, während die mütterliche abnimmt, und umgekehrt die fötale z. B. durch Wehen abnehmen, während die mütterliche steigt. Doch ist in pathologischen Zuständen (beim Fiebern) [265 ein dem Steigen und Fallen des mütterlichen Pulses paralleles [230 Steigen und Fallen des Fötuspulses beobachtet worden. Es fragt [62 sich aber, ob bei Müttern mit hoher Pulsfrequenz regelmässig auch der Fötus eine höhere Frequenz hat, und ob etwa eine erb- liche niedrige Pulsfrequenz sich schon vor der Geburt zu erkennen geben kann. Und es ist noch zu entscheiden, ob die durch Fieberwärme der Mutter etwa veränderte Fötus wärme Ur- [385 Sache erhöhter Frequenz ist oder ob letztere vom Fieber- [132 puls der Mutter beeinflusst wird, was unwahrscheinlich ist. [isr Über den Einfluss der Temperatur bemerkt Ziegenspeck mit Recht, dass nach der Geburt derselbe, wie meine obigen [i7i Versuche an Thieren beweisen, handgreiflich, also vor derselben wahrscheinlich sei. Dauzats, der ihn leugnet, bestimmte [265 stethoskopisch die Frequenz vor und nach dem Auflegen von Eis oder eines kalten Magneten auf den Leib der Schwangeren und fand keine Verminderung der Schlagzahl. Dieses Verfahren ist 52 Die embryonale Blutbewegung. deshalb fehlerhaft, weil die thierischen Gewebe die schlechtesten Leiter sind, und weil der Fötus von einer wässerigen Flüssigkeit umgeben ist, das Wasser aber eine sehr hohe Wärme capacität hat, endlich weil die in der Bauchwand und Uteruswand circulirende Blutmenge genügt, um die locale Abkühlung mit der gesammten Körpertemperatur schnell auszugleichen. Den Einfluss der mütterlichen Temperatur beweist dagegen namentlich Ziegenspecks Beobachtung No. 6, in welchem [174^ Falle die Mutter in Folge entzündlicher Processe am Uterus und vielleicht auch am Peritoneum mehrmals abendliche Temperatur- erhöhungen mit morgendlichen Remissionen zeigte. Am 17. April Abends 10 Uhr betrug die Temperatur SO,^'' C^ die Frequenz 155; am 18. früh 8 Uhr die Temperatur 36,3*^ C.^ die Frequenz 123; Abends 10 Uhr die Temperatur 38,g° C, die Frequenz 162; am 19. April früh und Abends Temperatur und Frequenz normal, das ist 132 Morgens und 145 Abends; am 20. Abends Temperatur 39,2 ^^'^^ Frequenz 182. Am 22. April Ge- burt eines gesunden Knaben. Dass die Temperaturerhöhung der Frequenzerhöhung nicht vollständig parallel verläuft, mag seinen Grund in dem Wärmeabsorptionsvermögen des Fruchtwassers haben, so dass Temperaturveränderungen sich erst später beim Fötus geltend machen können. Über einen etwaigen Einfluss des Alters der Frucht ist wenig bekannt. Da aber das menschliche Herz bereits in der dritten Woche schlagend gesehen worden ist, so wird man im Vergleiche zum Thierherzen der Analogie nach vermuthen dürfen, dass es anfangs weniger frequent schlägt, als später, womit übrigens die Behauptung, dass die Frequenz in der tiefsten Fötusruhe vom 5. Monat bis zur Geburt in der Norm nahezu constant bleibt [265 und bei einigen überhaupt unregelmässig ist, nicht unvereinbar wäre. Wenn man aber bei frühgeborenen Früchten vom 7. Monat an die Herzfrequenz bestimmte mit Rücksicht auf das Gewicht und die Körperlänge, würden sich bei gehäufter Beobachtung wahrscheinlich constante Differenzen finden lassen. Wenig- [137 stens behauptet Devilliers, je schwerer ein Fötus sei, um so ge- ringer finde man die Pulsfrequenz, daher auch lange vor der [260 Geburt weibliche Früchte, wenn sie gross und schwer sind, eine eben so niedrige Frequenz wie der Geburt nähere mann- [124 liehe Früchte zeigen können. Da auch nach der Geburt Individuen von grossem Gewicht und Volum einen weniger frequenten Puls zu haben pflegen, als kleinere, deren Kreislaufsdauer eine A. Die embryonale Herzthätigkeit. 53 geringere ist, so ist es allerdings wahrscheinlich , dass auch von gleich alten Früchten beim Menschen die schwereren eine geringere Frequenz haben werden. Nun hat sich aber herausgestellt, dass die darüber bis jetzt .ausgeführten Beobachtungen gar keine Beziehung der Pulsfrequenz zum Gewicht erkennen lassen. Dauzats, welcher die we- [265 nigen Fälle zusammenstellte, kommt zu einem rein negativen Re- sultat. Die von mehreren Beobachtern an reifen Neugeborenen, welche gesogen hatten, gewonnenen Zahlen sind untereinander nicht vergleichbar. Es wäre wünschenswerth , die Herzfrequenz auch bei reifen Neugeborenen beiderlei Geschlechts und ver- schiedener Rassen innerhalb der ersten Stunden, während sie schlafen und noch nicht gesogen haben, mit Rücksicht auf ihr Gewicht, ihre Länge und Rasse genauer, als es bisher geschehen ist, zu bestimmen, und zu prüfen, ob bei ihnen Extremitäten- bewegungen, Schreien, geringe Erwärmung eine Zunahme, stärkere Hautreize, wie Druck, Klopfen, Abkühlung eine Abnahme der Herz- schlagzahl herbeiführen. Freilich muss bezüglich des letzteren Punctes die periphere Reizung so ausgeführt werden — am besten während das Neugeborene schläft — dass Schreien oder ein an- derer Reflex keine Frequenzsteigerung bewirkt. Beim Erwachsenen genügt schon das klopfende öfters wiederholte Auflegen der Hand auf die Bauchdecke um die Pulsfrequenz herabzusetzen. Wegen der Eigenthümlichkeit des Herzvagus TJngeborener ist aber das- selbe bei Neugeborenen fraglich. Gelingt bei diesen der Versuch, durch sanftes Klopfen auf den Bauch eine Herabsetzung der Herz- frequenz herbeizuführen, dann wird man dem Herzvagus des Eben- geborenen die hemmende Function zuschreiben dürfen, gelingt es nicht, dann ist ihre Existenz noch nicht widerlegt, da die cen- tripetalen Bahnen noch unwegsam sein könnten. Künftige Untersuchungen werden ferner feststellen, ob und wie die Kindeslage, die Stellung der Frucht und die bereits ■erwähnten physiologischen Zustände der Mutter die fötale und neonatale Herzthätigkeit beeinflussen. Dass weder das Gehirn noch das Halsmark für das Im- gangbleiben der fötalen Herzthätigkeit nothwendig ist, beweisen zwei von Lussana beobachtete Fälle von lebend mit schlagendem [349 Herzen geborenen Acephalen ohne Halsmark, welche nicht athmeten. Man wird also für die Veränderungen der fötalen Herzfrequenz ■während der Wehen und unmittelbar nach der Geburt nervöse 54 Die embryonale Blutbewegung. Einflüsse nur mit grosser Einschränkung in Anspruch nehmen dürfen. EnclHch ist bei allen Untersuchungen der fötalen Herztöne zu beachten, dass bisweilen selbst die besten Beobachter sie nicht aufzufinden vermögen oder bei Zwillingsschwangerschaften nur das eine Herz schlagen hören, was nur auf ungünstige [?3o, 25 Schallleitung zurückzuführen sein wird. Ton sicher ermittelten Einflüssen unmittelbar nach der Ge- burt, verdienen namentlich die ersten Athemzüge in der Luft Beachtung. Bei einem neugeborenen Knaben fand Breslau eine halbe [142 Stunde nach der Geburt 136 Herzschläge in der Minute, bei einem Mädchen ebenso 116, ferner bei 11 Knaben in der 2. bis 16. Stunde 100 bis 132, im Durchschnitt 118, bei 6 Mädchen in der 12. bis 20. Stunde 96 bis 132, im Durchschnitt 113. Die Frequenz wurde durch Auscultation stethoskopisch ermittelt an nüchternen Kindern. Die Zahl der Fälle ist zu klein um allgemeinere Schlüsse zu ge- statten. Doch ist wichtig, dass in den sämmtlichen 15 Fällen, bei denen vor der Geburt und innerhalb der ersten 20 Stunden nach derselben die fötale Herzfrequenz bestimmt wurde, ein be- deutendes Sinken derselben hervortritt. Es ergibt sich nämlich aus Breslaus Zahlen: für Knaben vor der Geburt 1 156 2 152 3 140—144 4 140 (5) 144 6 124—140 (7) 138—144 (8) 140—152 9 ^ 128 für Mädchen vor der Geburt 1 152 2 140 3 140 4 132—136 5 124 (6) 140 Die Abnahme nach der Geburt ist constant und sogar der Parallelismus der hohen und niederen Frequenzen vor und nach nach der Geburt 136 132 132 124 120 116 108 104 100 nach der Geburt 132 116 116 112 108 96 A. Die embryonale Herzthätigkeit. 55 der Geburt auffallend. Ihm widersprechen nur die eingeklammerten Nummern. Ausnahmslos ist aber der absolute postnatale Abfall in der ganzen Reihe ein sehr erheblicher. Nur in einem Falle einer Zwillingsgeburt, die Hecker [230,1,75 beobachtete, war kein Abfall zu constatiren. Intrauterin hatte die eine Frucht 128, die andere 144 gezeigt; nach der Geburt blieb die erstere Frequenz 128, während die letztere noch stieg. Welche besonderen Umstände in diesem Falle den Abfall ver- hinderten, oder ob bei Zwillingen er überhaupt nicht regelmässig eintritt, ist unbekannt. Für gewöhnliche Geburten gilt allgemein die Regel, dass eine bedeutende Abnahme eintritt. Sie beruht vielleicht darauf, dass erst nach oder in der Geburt der später permanente Yagustonus beginnt, indem bei Erregung des Respi- rationscentrums zugleich der Herzvagusursprung miterregt würde. Jedoch kommt hier auch der Blutdruck in Betracht. Bei den unmittelbar nach der Geburt abgenabelten Kindern soll die Fre- quenz dieselbe wie vor der Geburt sein, bei den spät abgenabelten stark abnehmen, z. B. von 138 auf 96 herabgehen, wie Adrian Schücking bemerkte. Yielleicht kommt es aber bei diesen [le;) Zählungen mehr auf den Zeitpunkt des ersten Athemzuges, als den der Abnabelung an, worüber Angaben fehlen. Auf die Hebung der durch verspäteten Beginn der Lungenathmung bei Neugeborenen enorm gesunkenen Herzthätigkeit hat die künstliche Lufteinblasung und künstliche Einleitung der Athmung, besonders nach der Methode von B. S. Schnitze, einen ausserordentlich rasch [237 und stark wirkenden Einfluss. Hier muss die beschleunigte Sauerstoffzufuhr Frequenz steigernd wirken. Da bei den bisherigen Beobachtungen die Frequenzänderungen unmittelbar nach der Geburt nicht für sich besonders beachtet wurden, so hat Dr. Ziegenspeck auf meinen Wunsch sowohl die Herzschläge vor und während als auch unmittelbar nach der Ge- burt bei denselben Individuen und zwar während ganzer Minuten gezählt (in Jena). Aus seiner preisgekrönten Abhandlung ist namentlich folgendes hervorzuheben: [174 1) Während der Schwangerschaft wird die Herzfrequenz des Fötus beeinflusst durch Bewegungen, aktive und passive, und durch die Temperatur. Die Schwankungen sind aber vollständig atypisch, d. h. die Frequenz steigt oder fällt nicht constant mit dem Verlauf der Schwangerschaft. 2) Während der Geburt wird die Frequenz beeinflusst durch die genannten Ursachen und die Wehen. 3) Nach der Geburt beobachtet man nach den ersten 56 Die embryonale Blutbeweguug. Athemzügen zuerst eine beträchtliche Steigerung der Frequenz, entsprechend dem Zeitpunkte, wo das Blut sich in die neu eröffnete Lungenblutbahn ergiesst, dann einen bedeutenden Abfall der Frequenz, entsprechend jenem Zeitpunkte, wo der linke Ventrikel allein den an ihn gestellten Anforderungen noch nicht gewachsen ist, und dann nach einigen Tagen ein allmähliches Wiederansteigen der Herzfrequenz, welches dem Erstarken der Muskelwand des linken Ventrikels zu entsprechen scheint, aber dieselbe Höhe wie vor der Geburt normal nicht erreicht. Ausser diesen durch 15 Beobachtungsreihen an 15 Fällen er- haltenen Ergebnissen ist noch anzuführen, dass ein Einfluss des Alters nicht constatirt werden konnte, dass Bewegungen der Frucht ohne nachfolgende Frequenzsteigerung vorkommen, dass sehr selten die Herzfrequenz schlafender Neugeborener diejenige der ünge- borenen erreicht, dass die fötale Frequenz Nachts nicht merklich von der bei Tage gefundenen abweicht. Die Gesammtmittel er- gaben für normale Früchte Morgens Nachmittags Abends 137,22 137,31 137,06 Auch ist zu bemerken, dass der Frequenz steigernde Einfluss der Fruchtbewegungen in der Ruhe ungemein schnell wieder schwindet. Während der Vorwehen nahm die Herzschlagzahl fast jedesmal zu. Eine constante Verminderung der Herzschlagzahl glaubt Ziegenspeck bei regelmässigen Geburten kurz vor oder kurz nach dem Blasensprung constatirt zu haben. Jedoch ist die An- zahl der Beobachtungen noch zu klein, um diese Schwankung als typisch gelten zu lassen, zumal Dauzats in 24 Fällen sie keines- wegs regelmässig wahrnahm. Dagegen ist an dem von Schwartz, Frankenhäuser und Depaul behaupteten Steigen der Frequenz zu Beginn und zu Ende jeder Wehe nach Ziegenspeck nicht mehr zu zweifeln, so lange es sich um regelmässige Geburten handelt. Sieht man nun von diesen kurzdauernden Schwankungen wäh- rend der Geburt ab, so beantwortet sich die Frage nach der Frequenz unmittelbar vor dem Beginn der ersten Wehe und un- mittelbar nach dem Ende der Geburt auf Grund der sorgfältigen Beobachtungen von Ziegenspeck dahin, dass sogleich nach Aus- treibung des Kindes eine Beschleunigung der Herzthätigkeit wäh- rend der ersten Athemzüge stattfindet, wie sie weder vorher noch nachher überhaupt normaler Weise erreicht wird. Höchstens um A. Die embryonale Herzthätigkeit. 57 den 8. Tag wurde während des Schreiens eine annähernd so liohe Frequenz gefunden. Sie lag in den beobachteten Fällen zwischen 150 und 192 Herzschlägen. Dabei sind die Kinder um diese Zeit feucht und der kühlen Atmosphäre ausgesetzt, was beides Puls- verlangsamung erzeugen müsste. Schon nach 15 bis 20 Minuten sinkt aber meist diese Frequenz bedeutend und hält selten theil- weise noch eine Stunde lang an. Meist schläft das Neugeborene, imd man beobachtet während des Schlafes ein Sinken der Frequenz bis weit unter 100, zuweilen bis auf 78 Schläge. Diese Frequenz- verminderung bleibt selten ein bis zwei Tage aus, sie tritt aber immer ein und weicht erst am dritten bis fünften Tage einer allmählichen Steigerung. [i74 Schon in dieser kurzen Zeit muss also der linke Ventrikel erheblich an Kraft gewinnen. Der schon durch Breslaus Zählungen bewiesene (auf die bisher übersehene kurzdauernde Erhöhung während der ersten Athembewegungen regelmässig folgende) bedeutende Abfall wurde von Ziegenspeck an fünf Knaben und acht Mädchen constatirt. Er fand im Mittel für Knaben für Mädchen vor der Geburt 136,01 139,39 nach der Geburt 110,83 113,56 Bei dieser Frequenzabnahme kann sehr wohl der sich all- mählich ausbildende Yagustonus, welcher in den ersten Augen- blicken nach der Geburt nicht zur Geltung käme, betheiligt sein. Dass sobald nach der Geburt der Herzvagus eine hemmende Wirkung auf die Herzthätigkeit auszuüben im Stande sei, könnte zwar nach den von Soltmann an neugeborenen und ganz [47 jungen Hunden, Katzen und Kaninchen ausgeführten Versuchen zweifelhaft scheinen. Aber Tarchanoff fand bei neu- [201 geborenen Cavien, dass die Vagusreizung wie bei erwachsenen Thieren Herzfrequenzabnahme und diastolischen Stillstand bewirkt, Bochefontaine beobachtete bei drei Tage alten Hündchen das- [ir^ selbe und Kehrer stellte fest, dass bei ganz jungen Kaninchen die dmxh Compression des Schädels mit den Fingern bewirkte Abnahme der Herzfrequenz nach der Vagotomie nicht ein- [149 tritt. Ich vermuthe, dass bei Soltmanns Versuchen, welche übrigens keinen Beweis für die völlige Wirkungslosigkeit der elektrischen Vagusreizung liefern, sondern höchstens eine ge- [47 ringere Erregbarkeit der hemmenden Vagusfasern darthun könn- ten, durch anhaltende künstliche Kespiration und vielleicht durch 58 ' Die embryonale Blutbewegung. die damit verbundenen Insulte jene aSTervenfasern zum Theil erst an Erregbarkeit verloren haben, womit übereinstimmen würde^ dass Yagusdurchschneidung bei Neugeborenen — also ohne Zweifel auch bei Un geborenen — keine Änderung der Herzfrequenz [47- bewirkte und bei ihnen der Goltzische Klopfversuch negativ ausfiel. Doch sprechen Soltmanns Versuche und die ihnen ähn- lichen von Anrep im Ganzen zu Gunsten der Ansicht, dass [251 die hemmende Wirkung nicht lange vor der Geburt vorhanden ist und jedenfalls erst nach der Geburt sich ausbildet. Letzterer fand nämlich, dass die Vagusreizung bei eben geborenen oder nur einige Stunden alten Katzen weder einen Herzstillstand noch Kammer- oder Vorhofsruhe hervorruft, bei zwei bis sieben Tage alten nach starker Reizung nur die Ventrikel ruhen, erst bei ein bis zwei Wochen alten völliger Herzstillstand eintritt, Vagotomie in den ersten Lebenstagen auf die Herzfrequenz nicht steigernd wirkt und Vergiftung mit Atropin gleichfalls die Herzfrequenz nicht ändert. Letzteres fand auch Langendorff für neugeborene [202 Thiere. Er bemerkte aber, dass doch die elektrische Vagusreizung bei Neugeborenen Frequenzabnahme und Herzstillstand bewirkt, wenn der Nerv nicht gequetscht wird. Muscarin bewirkte bei seinen Versuchen gleichfalls Abnahme der Herzfrequenz bis zum Stillstand bei Neugeborenen, und Atropin hob diese Wirkung auf. Derselbe Forscher constatirte auch, dass Compression der Trachea und Suspension der künstlichen Athmung bei offenem Thorax Frequenzabnahme bedingt, welche nach vorheriger Atropinisirung ausbleibt. Also enthält der Vagus Neugeborener bereits hem- mende Fasern. Die sich widersprechenden Versuchsergebnisse finden wahr- scheinlich in den angewandten Reizmethoden, und in der ungleichen Reife der Neugeborenen ihre Erklärung, was einer erneuten Unter- suchung wohl werth wäre. Neugeborene Meerschweinchen sind viel weiter entwickelt als neugeborene Kaninchen, und eine Ver- schiedenheit der Hemmungsnervenerregbarkeit Neugeborener bei verschiedenen Thierarten ist sehr wahrscheinlich. Eine viel discutirte Änderung der fötalen Herzthätigkeit, bei welcher die Vaguswirkung mit zur Erklärung herangezogen wurde,, ist die Abnahme der Frequenz während der Geburtswehen. Nachdem Lejumeau 1822 und nach ihm viele Praktiker [125 bemerkt hatten, dass während der Geburtswehen die Herz- [i49' thätigkeit abnimmt, nach einigen nur die Frequenz, nach [i3o A. Die embryonale Herzthätigkeit. 59 anderen auch die Energie der fötalen Herzschläge, untersuchte Hermann Schwartz den Fötalpuls in der Geburt ge- [75,212,24s nauer und fand, dass in allen Fällen, in denen der Geburtsact nicht störend in das Fötalleben eingreift, so dass die Frucht ohne Spuren vorzeitiger Athemnoth und völlig lebensfrisch zur Welt kommt, die Frequenz des fötalen Herzschlags, abgesehen von schnell vorübergehenden Modificationen, vom Beginn der Geburt bis zum Austritt der Frucht unverändert bleibt. Dasselbe fand er für die Intensität der Herzschläge, soweit die wechselnden äusseren Bedingungen der Schallstärke der Herztöne dieses be- urtheilen Hess. In der Mehrzahl der Fälle betrug die Normal- frequenz der letzten Monate 12 in 5 Secunden, also 144 in der Minute, nur einmal 180, selten 120 und nie weniger. Viel häufiger als diese Constanz der Herzfrequenz des Fötus im Status nascens beobachtete Schwartz eine Verlang- [10, 2i» samung um 1 bis 5 Schläge in 5 Secunden während der Uterus- contractionen und eine Schwächung der Herzschläge, so dass beides noch physiologisch genannt w^erden muss, da sich die Verlang- samung in der Wehenpause schnell wieder ausgleicht und [70,25» in der Regel keinen Nachtheil mit sich führt. Diese Thatsache wurde bestätigt namentlich von V. Hüter, [238 B. S. Schnitze und F. A. Kehrer. Letzterer fand, dass [132 in den Wichen auch der vorgerückten Austreibungsperiode die Verlangsamung bald deutlich eintritt, bald ganz ausbleibt, in einzelnen Fällen sogar während der Wehe eine Beschleunigung eintritt (von 116 auf 156) und möchte diese Verschiedenheiten auf die wechselnde Grösse des Wehendrucks beziehen. In den W^ehenpausen fand Dauzats bei 24 normalen Geburten — [265 nach dem Blasensprung — neunmal Abnahme, dreimal Zunahme,- viermal Constanz, zweimal erst Abnahme, dann starke Zunahme, sechsmal Veränderlichkeit der Frequenz, die physiologisch hierbei zwischen 100 und 200 variirt. Um nun den die Herzfrequenz herabsetzenden Einfluss der Wehe auf die fötale Herzthätigkeit zu erklären sind mehrere Hypothesen aufgestellt worden. Schwartz nahm anfangs an, dass durch die Uterus- [10, ns contraction eine Pressung der Placenta, dadurch eine Stauung des Blutes in den Nabelarterien, ein vermehrter Zufluss in die Nabelvene, somit eine Überfüllung der fötalen Gefässe mit Blut und eine Abnahme der Herzfrequenz eintrete, gab aber diese An- sicht auf, nachdem B. Schnitze eingewendet hatte, durch die [239. 60 Die embryonale Blutbewegung. Compression der Zottengefasse müsse der Nabelvene weniger Blut zugeführt werden. Nun hat aber die ursprüngHche Meinung von Schwartz, die vermehrte Blutzufuhr in der Nabelvene während der Wehe, durch den von A. Schücking gelieferten Nachweis des [les in der Wehe bedeutend erhöhten Blutdrucks in der Nabel- [ißp vene wieder eine starke Stütze erhalten. Der manometrisch ge- messene Druck wurde in der Wehe sogar mehr als doppelt so grosSj als in der Wehenpause, gefunden. Diese Stütze ist jedoch einseitig, denn es fragt sich, ob im Fötus eine Blutfülle wie die anfänglich supponirte überhaupt Pulsverlangsamung oder Puls- beschleunigung hervorrufen würde, gleichviel ob die Placenta, wie Poppel meint, einseitig, oder wie B. S. Schnitze will, allseitig [^ss in der Wehe comprimirt wird. Ein anderes Moment, welches von Mehreren zur [149 Erklärung herangezogen wurde, ist der sogenannte allgemeine Inhaltsdruck, unter dem die Frucht während der Wehe steht. Da eine bedeutende Zunahme des Drucks der das Geborene umgeben- den Luft regelmässig eine Pulsverlangsamung bewirkt, könnte auch die Zunahme des Drucks, den der Uterus auf das Fruchtwasser und den ganzen Fötus in der Wehe ausübt, die Abnahme der Herz- frequenz bedingen, wenigstens mitbedingen, wie B. S. Schultze [233 besonders hervorhob. Die Beeinflussung des Pulses geborener Aerozoen durch erhöhten Luftdruck ist jedoch eine so wesent- lich andere, als die des Pulses ungeborener Aerozoen durch er- höhten allgemeinen Lihaltseindruck, dass Kehrer glaubte, durch Beobachtung des Einflusses gesteigerten Wasserdrucks auf die Herzthätigkeit unentwickelter Hydrozoen der Entscheidung näher zu kommen, ob überhaupt der allgemeine Inhaltsdruck für die Pulsverlangsamung des Fötus in Anspruch genommen werden dürfe. Er setzte daher Tritonenlarven abwechselnd einem Wasser- druck von 0,11 und 11 Meter aus, fand aber dass durch diese be- deutende Änderung des Drucks keine Veränderung der Herz- frequenz jener Kiemenathmer eintrat, während dieselbe bei ge- ringer Temperaturzunahme des Wassers bedeutend stieg und bei Abnahme der Wasserwärme sank. Hieraus schliesst nun Kehrer, dass keine Berechtigung vorliege, die fötale Pulsverlangsamung während der Wehen von der Steigerung des allgemeinen Inhalts- drucks abzuleiten, indem er noch die Yersuche, den Wehendruck (mittelst des Tokodynamometers von Schatz und auf andere we- niger zulässige Weise) zu messen, erwähnt. Wenn auch thatsächlich kein Wehendruck ein Drittel Atmo- A. Die embryonale Herzthätigkeit. 61 Sphäre übersteigen sollte, was etwa 3,4 Meter Wasserdruck ent- spricht, so wäre doch jener Schluss schon deshalb völlig unannehm- bar, weil die Tritonenlarve mit ihrer, von der Aussentemperatur in hohem Grade abhängigen niedrigen Körperwärme, ihren Kiemen und ihrem relativ geringen Sauerstoff bedürfniss, abgesehen von ihrem gänzlich abweichenden Bau, von dem warmblütigen gegen Sauerstoffentziehung höchst empfindlichen, gar nicht äusserlich athmenden Menschenfötus allzu verschieden ist. Selbst wenn der hohe Wasserdruck eine Abnahme der Schlagzahl des jugend- lichen Tritonenherzens zur Folge gehabt hätte, würde daraus nichts für die Erklärung der Abnahme beim Menschenherzen in der Wehe zu folgern sein. Und dasselbe gilt für die nach Steigerung des pneu- matischen Drucks beobachtete Frequenzabnahme der Herzschläge geborener Menschen und Thiere. Also der Einfluss, welchen die gesteigerte Compression des Fötus während der Wehe auf die Herzthätigkeit ausüben könnte, ist zur Zeit weder bewiesen noch widerlegt. Eine dritte Hypothese geht davon aus, dass die Compression des Schädels, welche bei jeder Wehe eintrete, durch Reizung des Vagusursprungs die fötale Herzfrequenzabnahme verursacht. Durch sinnreiche Experimente ist von Leyden, Schwartz und An- [149 deren an trepanirten Thieren die Thatsache festgestellt worden, dass ein starker Druck auf das Gehirn Vagusreiz und dadurch Herzfrequenzabnahme bedingt, denn nach der Vagotomie ist der Hirndruck wirkungslos. Bei Zangengeburten hatte Frankenhäuser bereits die be- deutende Pulsfrequenzabnahme dem durch die Application der Zange an den Fötuskopf herbeigeführten Hirndruck zugeschrieben. Dass nun der Hirndruck auch normal in der Wehe stattfinde und den Vagus errege, behauptet Kehrer. [149 Kaninchen der ersten Lebenstage zeigen, wie Schwartz dar- that, wenn sie möglichst apnoisch gemacht worden sind, nach Compression des Schädels mit den Fingern, eine Abnahme der Herzschlagzahl und keine Inspirationsbewegung. Kehrer fand, dass die Abnahme nicht eintritt nach der Vagotomie. Diese An- gaben stehen zwar nicht im Einklang mit Soltmanns Befund, demzufolge der Vagus in den ersten Tagen noch nicht oder nicht constant hemmend wirkt, aber das Alter der Thiere ist nicht ge- nau angegeben, sie verhalten sich schon in der ersten Zeit Ijezüglich der Hemmungsapparate sehr ungleich, und Anrep be- obachtete bei einer Katze von sechs Tagen nach Vagusreizung keine 62 Die embryonale Blutbewegung. Frequenzabnahme, bei einer von sieben (desselben Wurfes) völligen Herzstillstand. Auch sind Soltmanns Versuche, wie erwähnt wurde, .anfechtbar. Hieran scheitert die Hirndruck-Hypothese also nicht. Dagegen ist von Wichtigkeit, dass auch in der Steisslage geborene Kinder idie Pulsfrequenzabnahme in der Geburt zeigen sollen. Auch ist noch keineswegs bewiesen, dass bei der Schädellage noth wendig ein genügender Hirndruck zu Stande kommt, um den Vagus zu -erregen. Die Versuche, künstlich an Modellen dieses zu beweisen, sind darum unzureichend, und das gilt auch für Kehrer's Versuche, weil sie eben nur einen Theil der mitwirkenden Factoren be- rücksichtigen. Vor allem aber, wenn es richtig wäre, was Kehrer behauptet, dass der Kindesschädel bei stehender [149,4- Blase in der Wehe gegen die Uteruswand anstossend oder die- selbe vortreibend, einen höheren Druck als das übrige Ei erlitte (indem er nicht in der Wehe in das Fruchtwasser zurückweichen könne und die vorgedrängte Uterusgegend stärker gereizt sich energischer zusammenzöge), dann wäre gar kein Grund vorhanden, warum bei normalen Geburten sehr häufig, nach V. Hüter ;bei 19 7o 5 keine Änderung der Herzfrequenz eintritt. Es müsste also dann keine Vagusreizung eintreten. Das eine Mal soll der Hirndruck den Vagus reizen und das andere Mal nicht? Da wird zunächst die von Labs aufrechterhaltene [119,45 Ansicht bestehen bleiben, dass vor dem Blasensprung ein höherer Druck auf den Kopf nicht wirkt und die vermeintliche ins, 4? observafio crucis, welche von Kehrer den Veterinären empfohlen wird, kann nicht entscheiden, dass nämlich bei Thieren, deren Sehädelknochen unbeweglich schon bei der Geburt verbunden seien — bei Wiederkäuern — unter den Wehen keine Herzfrequenz- .abnahme zu Stande komme, wenn seine Hypothese vom Hirii- druck richtig sei. Diese Beobachtung wäre nicht entscheidend, weil der Hypothese zufolge bei vorstehendem Kopf jedesmal durch Schädelcompression die Herzfrequenz abnehmen müsste, wenn die Wehe eintritt und wenn der Kopf nicht vorliegt die Abnahme der Herzschlagzahl ausbleiben müsste, was beides nicht zutrifft. Dagegen könnte sehr wohl nach künstlich gesteigertem Druck auf den Schädel, z. B. durch die Zange, der Vagus gereizt werden und dadurch die Herzthätigkeit abnehmen, wie Frankenhäuser .zuerst aussprach. Es bleibt noch eine Hypothese, die vierte, zur Erklärung des A. Die embryonale Herzthätigkeit. 63 Einflusses der "\^'ehe auf das fötale Herz zu begutachten, die von B. Schnitze begründete Ansicht, dass durch Abnahme [76. 238 der Arterialität des Fötusblutes in der Wehe der Yagus erregt und das Herz hemmend beinflusst werde. Der Zeit nach geht sie der letzterwähnten voran (1866), und die Idee den Vagus beim Fötus in dieser Weise in Anspruch zu nehmen hat zuerst Schnitze auf Grund eines Versuches von Thiry ausgesprochen. [238 Die Hirndruck - Hypothese Kehrers differirt von der von ihm als bereits widerlegt angesehenen Sclmltze'schen Darlegung nur bezüglich der Art des Vagusreizes: Hirndruck statt Venosität. Der Versuch von Thiry ergibt, dass ein durch Lufteinblasen apnoisch gewordenes Thier nach Unterbrechung der künstlichen Athmung zunächst eine Abnahme der Herzfrequenz zeigt, die nach Vagotomie ausbleibt und dann erst Dyspnoe. Beim Fötus kann also, lehrt Schultze, wenn die Uteruscontraction durch Com- pression die Placentarathmung beeinträchtigt, die beginnende Sauer- stoffabnahme im Blute allein den Herzvagus reizen ohne sogleich das Athemcentrum zu reizen — sonst müssten vorzeitige Athem- bewegungen eintreten, was normalerweise bei der Pulsverminderung nicht der Fall ist. In der Wehenpause gleicht sich die Behin- derung des Gasaustausches in der Placenta wieder aus, der Vagus- reiz lässt nach, das Herz schlägt normal. Gegen diese sinnreiche Lehre lässt sich einwenden: 1) Der Vagus könne vor dem ersten Athemzuge noch keine hemmende Wirkung entfalten. Die Herzfrequenz des Ungeborenen ist viel höher, als die des Geborenen, wie sich oben zeigte (S. 54). und einzelne Versuche an Thieren sprechen für eine geringere Erregbarkeit der Hemmungsnerven in den ersten Tagen nach der Geburt. Ausserdem ist die normale Frequenz des Fötusherzens die höchste, welche überhaupt im ganzen Leben vorkommt und auffallend constant. Man könnte diese Thatsache zwanglos dem noch mangelnden Vagustonus zuschreiben und behaupten, erst nach dem Beginne der Luftathmuug oder mit dieser komme (durch Hautreizung) allmählich der Vagustonus zu Stande. So richtig aber diese Anschauung sein mag, aus der fehlenden Erregung vor der Geburt folgt nicht die fehlende Erregbarkeit. Daher könnte möglicherweise eine Veränderung des Blutes im Sinne Schultzes während der Geburt doch den Herzvagusursprung erregen. Die Versuche an Thieren fallen sehr ungleich aus und ihre Er- gebnisse sind auf den Menschen nicht übertragbar. Dieser Einwand ist also nicht schwerwiegend. 64 Die embryonale Blutbewegung. 2) Eine Compression der Gefässe des Uterus in der Wehe, durch welche die Placentarcapillaren verengert werden sollen, ist, wie Kehrer bemerkt, fraglich. Abgesehen davon, dass im con- trahirten Muskel im Allgemeinen die Geschwindigkeit des Blut- stroms zunimmt, in dem nur die kleinsten Gefässzweige stark ver- engt werdenl, hat man gemeint, es komme schwerlich bei irgend einer Contraction der Uterusmusculatur zu einer erheblichen Ver- engerung der zu- und abführenden mütterlichen Gefässe, und namentlich werde ein mechanisches Zusammendrücken der Zotten- capillaren schon wegen des überall gleichgrossen intrauterinen Druckes schwerlich zu Stande kommen. Dass jedoch eine [149, s^^ Behinderung des Gasaustausches in der Placenta während der üteruscontractionen wahrscheinlich ist, wird in jedem Falle zuzu- geben sein. Denn der thätige Muskel, in welchem Blut strömt, verbraucht bekanntlich mehr Sauerstoff als der ruhende, daher auch der thätige Uterus mehr als der ruhende. Dieses in der Wehe dem zuströmenden Blute entzogene Plus an Sauerstoff kann in der Ruhe dem Fötusblut im Fruchtkuchen zu Gute kommen. Die Hauptsache ist, dass in der Wehe auch bei nicht ge- hemmter Circulation, doch die Placentarrespiration beeinträchtigt sein kann. Dem zweiten Einwand ist somit gleichfalls kein grosses Ge- wicht beizulegen. 3) Auch wenn die verlangte Veränderung der Blut-Zufuhr und -Abfuhr normal durch die Wehe stattfindet und durch die ge- steigerte Herzthätigkeit der Mutter nicht compensirt wird, würde daraus eine bedeutend erhöhte Venosität des Blutes im Fötus nicht resultiren, eine wenig erhöhte noch keine erhebliche Ab- nahme der Herzthätigkeit herbeiführen, weil der Herzvagus gegen geringe Änderungen des Sauerstoff- und Kohlensäure-Gehaltes des Blutes überhaupt wenig empfindlich ist, bei grösseren aber das Respirationscentrum in Thätigkeit gerathen würde. Vorzeitige Athembewegungen sind aber durchaus nicht regelmässige Be- gleiterscheinungen der verminderten Herzthätigkeit während der Wehe. [149, IS2 Dieser in ähnlicher Form von Kehrer gemachte Einwand trifft um so mehr zu, als der Herzvagus beim Neugeborenen that- sächlich eine geringere Erregbarkeit zeigt, als das Respirations- centrum. 4) Wenn jede Wehe die Venosität des fötalen Blutes steigert, so dass Vagusreiz eintreten kann, dann ist nicht zu verstehen, A. Die embryonale Herzthätigkeit. 65 dass bei etwa ein Fünftel der Geburten keine Abnahme der Herz- frequenz eintritt, man müsste denn eine individuell sehr ver- schiedene Vaguserregbarkeit annehmen wollen oder den Grad der Yenosität des Blutes sehr ungleich setzen. 5) Das Thiry'sche Experiment am Thier ist zwar insofern, wie Schwartz fand, richtig, als die Herzfrequenz nach Unterbrechung der künstlichen Athmung bei offenem Thorax eher abnimmt als Dyspnoe eintritt, aber doch immer erst nach dem Wiederbeginn rhythmischer Zwerchfellcontractionen , d. h. Athembewe- [ug, 5« gungen. Beim ungeborenen Fötus dagegen soll der Vagus allein ohne das Athmungscentrum erregt werden durch das venöse Blut. Somit ist der Thiry'sche Versuch keine Stütze der Hypothese (Kehrer). Ich habe ihn gleichfalls mehrmals wiederholt und ge- funden, dass beim Meerschweinchen mit offenem Thorax Unter- brechung der Lufteinblasungen jedesmal zuerst mehrere inspira- torische Zwerchfellbewegungen, dann Pulsverlangsamung zur Folge hat, und dass letztere beginnt, ehe die Diaphragmacontractionen dyspnoisch werden, also in vollem Einklang mit Schwartz und Donders. Von diesen fünf Einwänden ist der letzte so gewichtig und schwer zu widerlegen, dass er die Aufrechterhaltung der Schultze- schen Ansicht in ihrem ganzen Umfange vorläufig nicht gestattet. Es wird zwar die von Schnitze betonte Betheiligung des Vagus immer noch am meisten für sich haben, aber die Erregung des- selben wird nicht durch das Blut, sondern vermuthlich reflectorisch durch den vom contrahirten Uterus auf die Oberfläche des Fötus ausgeübten Druck zu Stande kommen. Zahlreiche Erfahrungen beweisen, wie leicht der Herzvagus auf solche periphere Reize reagirt. Ist er bei geringerer Venosität weniger leicht auf re- flectorischem Wege zu reizen oder sind dann, wofür gleichfalls Erfahrungen am erwachsenen apnoischen Thiere sprechen, die Hautnerven weniger erregbar, dann bliebe (ohne die hypothetische individuelle Verschiedenheit der Vaguserregbarkeit) die Wirkung auf das Herz aus, beim Fötus wie beim Geborenen. Die seltenen Fälle einer beschleunigten fötalen Herzthätig- keit in der Wehe und die ebenfalls seltenen einer sehr grossen Un- regelmässigkeit in derselben sprechen dafür, dass mehrere Fac- toren zusammenwirken : Vagusreizung durch periphere Hautnerven- erregung, Änderungen der in gleichen Zeiten vom Herzen zu be- wältigenden Blutmengen, Vagus ermüdung, Reizung acceleratorischer Herznerven, Änderungen der Erregbarkeit der Herznerven und Frey er, Physioloffie des Embryo. 5 66 Die embryonale Blutbewegung. Herzcentren mit dem veränderKchen Sauerstoffgehalt des Herz- blutes werden jedenfalls dabei in Betracht kommen. Die Fälle, in denen unmittelbar vor der Wehe eine geringe kurz dauernde Zunahme der Herzfrequenz beim menschlichen Fötus beobachtet wurde, können möglicher Weise ohne Nerven- einfluss erklärt werden. Diese Beschleunigung vor der Wehe tritt wahrscheinlich ein, wenn eine energische Wehe rasch ein- setzt und zur Akme anwächst. Das Blut in der Placenta wird nach dem Herzen gedrängt, und wenn Füllung der Ventrikel für die Nervencentren des Herzens der hauptsächliche Reiz zur Cou- traction ist, so muss eine Beschleunigung der Herzthätigkeit durch beschleunigte Füllung erfolgen. Die Beschleunigung nach der Wehe erklärt sich aus einem Nachlass der Vagus -Erregung bei Er- leichterung der Herzarbeit durch Wiedereröffnung des Placentar- capillarsytems nach der Wehe. [174 Aus den mitgetheilten Zahlen über die Anzahl der Herzschläge des ungeborenen Menschen ergibt sich für die Dauer eines Herzschlags, dass innerhalb physiologischer Grenzen dieselbe zmschen etwa 0,3 und 0,6 Secunden betragen muss, denn weiter, als 100 und 200 Schläge in der Minute liegen die beobachteten Frequenzzahlen innerhalb der physiologischen Breite der Schwan- kungen nicht auseinander. Für die gewöhnliche Frequenz von 140 ergibt sich eine Herzschlagdauer von fast 0,43 Secunden. Davon entfällt ohne Zweifel die Hälfte oder mehr auf die Systole der Ventrikel, und die für das auscultirende Ohr fast gleiche Pause zwischen 1. und 2. Ton und 2. und 1. Ton macht es wahrschein- lich, dass beim Fötus die Herzpause, d. h. die Dauer der diasto- Kschen Ruhe des Gesammtherzens , relativ kleiner, als beim Er- wachsenen ist. Andernfalls würde die Zeit zur Contraction und Expansion der Kammern schwerlich ausreichen und namenthch der 1. Herzton nicht so deutlich sein, wie er ist. Übrigens* liegt nicht der mindeste Grund vor, für die Ent- stehung der Herztöne des Fötus eine andere Erklärung als für die des Geborenen zu suchen. B. Der embryonale Blutkreislauf. Bei Embryonen niederer Thiere geschieht die Bewegung des Blutes oder der Hämatolymphe unregelmässig, vornehmlich durch Contractionen des Rumpfes, so bei dem Embryo der [119 Tellerschnecke, der Ackerschnecke. Letzterer besitzt (nach Yan- beneden und Windischmann) zwei contractile Blasen, welche einen [ise lymphe - ähnhchen Saft vor wie nach der Bildung des Herzens im Körper des Embryo hin- und hertreiben, indem sie sich alternirend, jedoch nicht regelmässig coutrahiren. Beide sind vor dem Aus- kriechen völlig zurückgebildet oder ihr Inhalt resorbirt. Das Herz zeigt sogleich zwei primitive Aorten. Auch beim Amphibienembryo sind vor dem Verlassen des Eies die heftigen Bewegungen, welche Lage- und Stellungs-Änderun- gen herbeiführen von Wichtigkeit für die Fortbewegung des in der Ausbildung begriffenen Blutes. Bei manchen Amphibienembryonen, deren Kiemen schon im Ei nach aussen hervortreten, sieht man mittelst des Mikroskops das Pulsiren in den Kiemen. So habe ich beim Embryo [162,^7 des braunen Glrasfrosches sehr deutlich den Puls an dem stoss- weisen Fortbewegtwerden der grossen noch nicht entwickelten Blutkörper in den eben angelegten Kiemen gesehen. Das Object ist eines der günstigsten zur anhaltenden Beobachtung des Pulses beim Embryo im Ei vor dem Beginne der continuirlichen Blut- strömung. Unter den Embryonen idiothermer Thiere ist es wieder das Hühnchen, dessen Kreislaufserscheinungen am besten bekannt sind. Man findet sie gut, wenn auch nicht im Zusammenhang, beschrieben in den Grundzügen der Entwicklungsgeschichte [iie des Hühnchens von Balfour und Foster, auf welche ich zur weiteren 68 r)ie embryonale Blutbewegung. Begründung eines Theiles der folgenden Angaben verweise. Im Gan- zen beruht meine Darstellung des Blutkreislaufs beim Embryo ebenso auf eigener Beobachtung des lebenden Objects, wie auf einer Kritik der vorhandenen Beschreibungen nach anatomischen Präparaten. ^STachdem am zweiten Tage der Gefässhof vom Fruchthof sich zu sondern und das Herz zu schlagen angefangen hat, wird schon das künftige Blut, welches von hinten durch die beiden Keimhaut- venen, Omphalomesenterial- oder Dottersack -Venen in das Herzrohr eintritt, vorn in die beiden primitiven Aorten durch die Herzcontractionen getrieben. Diese führen es zu beiden Seiten der Chorda dem Schwanzende des Embryo zu. Der grösste Theil des Aortenblutes verlässt aber seitlich durch die beiden Keimhaut- pulsadern, Omphalomesenterial- oder Dottersack -Arterien, abfliessend den Embryo und geht in den Gefässhof. Hier ent- wickeln sich aus den Blutinseln die rothen Blutkörperchen und mit bemerkenswerther Geschwindigkeit entstehen hier kleinste Arterien und Capillaren, in denen, wie schon Fontana (1797) [214 sah, die Blutkörper immer weiter vordringen. Durch die Arterien tritt das Blut theils in die Capillaren, theils in das Eandgefäss, den Sinus ierminalis oder die Terminalvene. Aus dieser fliesst es theils durch zahlreiche kleine Venen, theils durch die grossen Dottervenen [V. vitelUnae) in die beiden Dottersackvenen [V. omphalo-mesaraicae) und so in das Herz zurück. Diese ein- fache Blutbewegung nennen wir die primitive Dottercir- culation. Hierbei werden Sauerstoff und Nährstoffe in den Capillaren des Dottersacks in das Blut aufgenommen, aber schon in dem rasch wachsenden und stark arbeitenden Herzrohr zum Theil wieder verbraucht, so dass bereits unmittelbar nach seinem Austritt aus dem Herzen das Blut nicht mehr in dem Grade ar- teriell genannt werden kann wie beim Eintritt in dasselbe. In seinem weiteren Lauf durch die Aorten wird immer mehr Bau- material abgegeben und Sauerstoff verzehrt, so dass in den Ver- zweigungen der Ümphalomesenterialarterien das venöseste Blut strömt. Eine Übersicht dieses ganzen Blutlaufs gibt Taf. I Fig. 1 schematisch, Fig. 2 halbschematisch im Ei in natürlicher Grösse. Die nächste Veränderung des Blutstroms wird durch die Ver- einigung der beiden Primitivaorten herbeigeführt, welche hinter dem Herzen zu einem dorsalen Aortenstamm {A.D.) verschmelzen, so dass aus den zwei dem Aortenbulbus {A. B.) entspringenden Aortenbögen ein gemeinschaftlicher absteigender Aortenstamm wird, der sich gabehg in zwei caudale Aorten theilt. Vom dritten B. Der embryonale Blutkreislauf. 69 Tage an geht aus diesen durch kleine Arterien Bhit in den Embryo - Rumpf und in Capillaren, aus denen es in die vordere (0. C. V.) und hintere paarige Cardinalvene {U.C.V.) als venöses Körper- blut gesammelt wird. Aus den Cardinalvenen fliesst beiderseits dieses primitive venöse Körperblut durch den paarigen Cuvier- schen Gang (CD.) in das hintere Herzende, den venösen Herz- sinus ( V. S.), zurück. Inzwischen ist zu dem e r s t e n A o r t e n b o g en - paar ein zweites und dann ein drittes hinzugekommen. Das Blut, welches durch die Aortenbögen strömt, und zwar nur in cordifugaler Richtung, ist sonach gemischt aus dem frischen Omphalomesenterialvenenblut ( O. M. V.) , das vom Dottersack her- kommt, und dem schon einmal ausgenutzten venösen Körperblut. Taf. n versinnlicht diese Verhältnisse. Sie zeigt die Richtung des Blutstroms und die Beschaffenheit des Blutes in den einzelnen Ge- fässen an. Ich bemerke dazu, dass es sich vielmehr empfiehlt in Bezug auf diese Zeit zur Beschreibung der Blutbewegung die Rich- tung des Blutstroms, als seine Beschaffenheit zu wählen, weil die Ausdrücke „arteriell" und „venös" nur bei völlig getrenntem grossem und kleinem Kreislauf anwendbar sind. Daher nannte ich (S. 28) das vom Herzen fortströmende Blut cordifugal, das zu ihm hinströmende cordipetal. Dieser zweite Dotterkreislauf wird bald wesentlich modi- ficirt durch die beginnende Allantoiscirculation. Am vierten Tage bildet sich die Allantois aus. In sie hinein strömt Blut durch die beiden Allantois- oder Nabel-Arterien; von jeder Iliaca (oder cauda- len Aorta) entspringt eine. Die Omphalomesenterialarterien gehen nun von dem unpaari- gen Aortenstamm als ein sich bald in zwei ungleiche Zweige spaltender Ast ab. Das erste Aortenbogenpaar obHterirt; statt dessen ent- steht ein viertes. Auch das zweite Aortenbogenpaar ob- literirt und es entsteht dann ein fünftes Paar. Die rechte Omphalome- senterialvene {V.o.m.d.) ist fast nur noch ein Zweig der linken (Ko. ???.«.). In die letztere gehen die vereinigten beiden Nabel - Leber, fX.i V.o.m.s. 70 Die embryonale Blutbewegung. oder Allantois-Venen [V.U.), welche das Blut aus der AUantois zurückbringen. Der Omphalomesenterialvenenstamm erscheint am fünften oder sechsten Tage getheilt, sofern durch den venösen Duc- tus (Z>. F.) sein Blut z, Th. direct, durch Zweige desselben, die so- genannten Vasa advehentia ( V. adv.) z. Th. indirect, nämlich durch die Leber und die Lebervenen oder Vasa revehentia {V. rev.) in den venösen Herzsinus {S. V.) gelangt. Die Leber erhält also das frischeste Blut, dem nur wenig mit der Pfortader einströmendes Darmblut beigemischt ist, das Herz {H.) dagegen Nabelvenenblut mit viel Venenblut aus der Leber vermischt. Die Figur auf voriger Seite veranschaulicht diesen cordipetalen Blutstrom. Durch das rapide Wachsthum des Embryo wird die Menge des venösen Körperblutes schnell grösser, so dass bereits am vier- ten Tage eine beträchtliche Quantität durch die neu entstandenen Jugular-, Vertebral- und Flügel-Venen, sowie durch die untere Hohlvene [V.c.i.) und die stärker gewordenen unteren Cardinalvenen sich mit dem frischen Blute der Dotter sackvenen und des Nabel venenstamms zusammen in das Herz ergiesst. Auch die Pulmonalvenen haben sich bereits gebildet, führen aber sehr wenig Blut. Das aus dem venösen Herzsinus, d. h. der unteren Hohlvene, kommende Blut strömt z. Th. in die rechte Vorkammer, zum grössten Theil durch das ovale Loch direct in die linke Vor- kammer, welche grösser als die rechte ist. Das Blut der linken oberen Hohlvene geht in den rechten Vorhof, ohne in den linken einzutreten. Die rechte obere Hohlvene ist noch von der linken geschieden. Das Blut derselben geht in das rechte, nicht in das linke Atrium, sondern in dieses nur das der unteren Hohlvene und der Pulmonalvenen. Die beiden oberen Hohlvenen sind übrigens die früheren Cuvierschen Ductus. [116,254 Zu dieser Zeit ist also schon ein unvollkommener doppelter Kreislauf ausgebildet. Denn das Blut der unteren Hohlvene, mit dem der Dottersack- Venen, Allantois-Venen und Leber- Venen vereinigt, geht durch die Atrien, den hnken Ventrikel und das 3. und 4. Aortenbogenpaar theils in den Kopf und von da durch die oberen Hohlvenen in den rechten Vorhof und den rechten Ventrikel, theils in die Aorta und Allantois zurück, während das Blut des rechten Ventrikels in das 5. Aortenbogenpaar und dann in die Pulmonalarterien und durch den paarigen Botallischen Ductus in die absteigende Aorta geht, welche es in die Allantois führt. Somit ist das Blut rein arteriell nur in den Allantois- und B. Der embryonale Blutkreislauf. 71 Dottersack -Yenen, rein venös nur in den oberen Hohlvenen und deren Verzweigungen, sowie in dem unteren Theile der unteren Hohlvene und in den Cardinalvenen. Schon am siebenten Tage verliert die Terminal-Vene ihre Bedeu- tung, und die mit ihr zusammenhängenden Gefässe sind grösstentheils verschwunden. Mit der Ausbildung der AUantoiscircnlation nimmt der Dotterkreislauf weiter rasch ab. Die Omphalomesenterial-Venen und -Arterien, beide je einstämmig geworden, erscheinen fast als Äste der inzwischen stark entwickelten Darmgefässe, d. i. der Mesenterial-Venen und -Arterien, und gegen Ende der In- cubation sieht man am hernienartig vortretenden Dottersack nur relativ wenige Gefässe. Dagegen entwickeln sich die AUantois- gefässe immer mehr. Beim Öffnen des Eies sieht man die AUantoisarterien mächtig pulsiren, bei guter Beleuchtung mittelst des Embryoskops auch im unversehrten Ei, so dass sich die Puls- frequenz ermitteln lässt. Hat jedoch die Lungenathmung im Ei begonnen, dann beginnt auch und schreitet rasch vorwärts die Entleerung und Eückbildung der Allantoisgefässe. In den späteren Incubationstagen vor dem Beginn der Lungenathmung gestaltet sich der Kreislauf folgendermaassen: (Vgl. Taf. III z. Th. nach Eoster's und Balfour's Eig. 66.) ine, 214 Von der rechten Kammer (r. V.) strömt das Blut in das fünfte Bogenpaar (V.r.^V./.) und von da grösstentheils durch die Botallischen Gänge {D.B.d., D.B.s.) in die Eückenaorta {E.A.), zum kleinen Theil durch die noch kleinen Pulmonalarterien {A.p.r., A.p.L) in die Lungen. Von der linken Kammer (Z. F.) geht das Blut durch die andere Aortenwurzel in das 3. und 4. Bogenpaar. Der durch ersteres strömende Antheil versorgt den Kopf und die Flügel durch die äusseren und inneren Carotiden. Das Blut des rechten 4. Bogens geht grösstentheils in die Kückenaorta, ein kleiner Theil in die Flügelarterien. Das Blut des linken 4. Bogens dagegen versorgt hauptsächlich die Flügel, und nichts davon geht in die ßücken- aorta seit die Verbindung des linken 4. und 5. Bogens nicht mehr besteht. Da aber die des rechten 4. und 5. Bogens bleibt, ist das Blut der Bückenaorta noch gemischt aus dem der linken und rechten Kammer. Die vordere Körperhälfte erhält nur das Blut aus dem linken Ventrikel. Von der absteigenden Aorta geht das Blut 1) durch die ein- stämmige bald sich theilende Omphalomesenterialarterie in den Dottersack, 2) durch die aus jeder Iliaca entspringende paarige 72 Die embryonale Blutbewegung. Allantoisarterie in den Harnsack (die AUantois), 3) durch die paarige Iliaca direct in die hintere Körperhälfte. Zurück strömt das venöse Blut aus dem Kopf und den Elügeln durch die beiden oberen Hohlvenen in das Herz; und zwar geht es aus der rechten oberen Hohlvene mit dem der unteren durch das Foramen ovale z. Th. in den linken Vorhof und die linke [iie, 221 Kammer; das der linken oberen Hohlvene geht nur in den rech- ten Vorhof und die rechte Kammer. Das Blut der unteren Hohl- vene kommt 1) von den Lebervenen [Le. V), die es aus der Pfort- ader beziehen, 2) direct durch den venösen Ductus {A.D.) aus der Pfortader {P.A.), die es vom Darm erhält, 3) von den Allantois- venen {N. F.), 4) von der Omphalomesenterialvene {O.M. V.). Da die Pfortader als die Vereinigung der Allantois-, Omphalomesenterial- und Mesenterial- Venen zu betrachten ist, so kann man auch sagen: die untere Hohlvene erhält ihr Blut aus der Leber , der Pfortader und den Venen der hinteren (unteren) Körperhälfte. Aus den Lungen geht das Blut durch die beiden kleinen Lungenvenen in den Hnken Vorhof und linken Ventrikel. Schliesslich münden die drei Hohlvenen nur in den rechten Vorhof. Diese cordipetale Blutströmung gegen Ende der Licubation wird durch die Taf. IV. anschaulich gemacht, welcher ein Schema von Poster und Balfour zu Grunde liegt. [116,207 Etwas anders im Einzelnen, wenig anders im Wesentlichen ist der Blutkreislauf des menschlichen und der des höheren Säuge- thier-Fötus beschaffen. Hier sind zeitlich gleichfalls drei Stadien zu unterscheiden, nachdem die Strömungen vor und während der Entwicklung der Gefässe , des Herzens und des Blutes wie im Vogelei stattgefunden haben: 1) a. der primitive Dotterkreislauf, mit dem ersten Herzschlage beginnend wie beim Hühnchen ; b. der zweite Dotterkreislauf mit der Verschmelzung der beiden dorsalen Aorten anfangend, gleichfalls wie beim Hühnchen; 2) der sog. zweite Kreislauf, welcher mit der Bildung der Nabelgefässe beginnt und den Placentar- Kreislauf umfasst, der Allantoiscirculation des Vogels entsprechend; 3) der Kreislauf des Neugeborenen, mit dem ersten Athemzuge anhebend, der Circulation des im Ei zum ersten Male athmenden Hühnchens entsprechend. Von den Strömungen vor dem ersten Herzschlage ist sehr wenig bekannt. Baer hat sie zuerst im Hühnerei gesehen. Sie haben für die Keimblätterbildung und dann für das Ingang- B. Der embryonale Blutkreislauf. 73 kommen der Herzthätigkeit jedenfalls eine grosse, noch nicht im Einzelnen bekannte Bedeutung, von welcher oben (S. 28) die Rede war. Die Existenz strömender Flüssigkeiten im Säugethierei vor der Embryobildung bewies zuerst T. L. W. Bischoff. Er sah auch schon vor der Fixirung des Eies im Uterus eine merkwürdige, wie er ausdrücklich hervorhebt, auf Wimperbewegung beruhende Drehung der Dotterkugel. [36 Am 31. August 1840 untersuchte er vier Eier in der Mitte des Eileiters von einem Kaninchen, welches vor Kurzem belegt worden war. Zwischen dem Dotter und der inneren Fläche der Zona befand sich eine durchsichtige Flüssigkeit, in welcher in drei Eiern noch zwei kleine gelbliche Körper von verschiedener Grösse schwammen. „Wie erstaunte ich aber," sagt er, ,,als ich nun unter dem Mikroskope die Dotterkugel sich ganz stet und ordentlich majestätisch um sich selbst drehen sah, und zwar in der Eichtung von dem Uterus gegen den Eierstock hin. Die Bewegung war ununterbrochen und der Dotter veränderte dadurch seine Stellung in der Höhle der Zona. Die ihn umgebende Flüssigkeit wurde auch mitbewegt, wie ich an den in ihr schwimmenden Körperchen erkannte. Ich überzeugte mich dann auf das bestimmteste, dass die Oberfläche des Dotters mit sehr feinen Cilien besetzt war, die ich auch noch nachher, als ich das Ei isolirt auf ein Glasplättcheu gebracht hatte, bei starker und stärkster Vergrösserung von 800 mal er- kannte." Hierbei lagen die Eier ganz ruhig. Nur der Dotter vollzog die Eotation, welche sogar mittelst einer starken Lupe noch ganz sicher er- [41 kannt wurde und erst auf Zusatz von Augenkammerwasser aufhörte. Diese Bewegung erinnert an die später zu betrachtende der Embryonen der Amphibien und vieler niederer Thiere im Ei. Der Dotterkreislaiif oder die erste Circiilation. Beim Kaninchen und Hunde, höchstwahrscheinhch auch beim Menschen, verhält sich die vorhin beschriebene erste und zweite Form des Dotterkreislaufs in allen wesentlichen Puncten physio- logisch so wie beim Hühnchen trotz einiger Abweichungen in morphologischer Hinsicht. Beim Säugethier geht anfangs nicht nur ein Paar Omphalo- mesenterialarterien an das Nabelbläschen (den Dottersack) von den absteigenden Aorten ab, sondern eine grössere Anzahl. Und von diesen bleiben zwei, schliesslich nur eine, die rechte übrig. Der ganze Omphalomesenterialkreislauf ist aber von geringerer Be- deutung, weil der Nahrungsdotter bei den placentalen Säugethieren sehr klein, nämlich ganz rudimentär ist, oder fehlt, obwohl beim Menschen der Dottersack, die Vesicula umbilicalis, bis zum Ende des Fötallebens, wie B. Schnitze entdeckte, persistirt und noch [es im 4. bis 5. Monat 7 bis 11 Millim. im Durchmesser hat. [30,525 74 Die embryonale Blutbewegung. Bei denjenigen Aplacentalen hingegen, welche das Junge ausser- halb des Uterus, wie die Marsupialien, zur Keife bringen, und bei den Monotremen ist ein grösserer Nahrungsdotter vorhanden. Bei Macropus hatte Owen die völlige iVbwesenheit einer Placenta constatirt (1834). Chapman fand bei einem Känguru- Fötus [355 von nicht ganz zwei Wochen ein durchsichtiges Chorion ohne Zotten, welches sich in Falten der Uteruswand inserirte und leicht ablösen liess. Das Amnion war sehr zart, die Allantois klein und birnförmig. Bei diesem aplacentalen Fötus war die Nabelblase sehr gross und durch eine ringförmige Yene von dem Chorion abgegrenzt. Auf ihr verzweigten sich eine Dottersackarterie und zwei Dottersackvenen, welche viel stärker waren, als die Allantois- gefässe. Es kann hiernach nicht bezweifelt werden, dass bei den Beutelthieren ohne Placenta die Ernährung und Athmung im Uterus durch die Dottersackgefässe vermittelt wird, wie beim Vogelembryo vor der Allantoisbildung. Die Allantois erscheint wie eine verkümmerte Vogel- Allantois , wenigstens bei dem ^/^ Zoll langen Macropus -Fötus von nicht ganz 14 Tagen. Wenn die Dottercirculation nach dem Verlassen des Uterus aufhört, beginnt bei diesen Thieren sogleich die Lungenathmung und zwar durch die Nasenöffnungen, indem sie mit dem Munde an der Zitze im Marsupium hängen. Der Transport vom Uterus in letzteres wird, wie ich durch eine mündliche Mittheilung des Herrn Chapman erfuhr, durch das Mutterthier bewerkstelligt, indem dieses mit dem Munde den Fötus aus der Scheide zieht und in den Beutel an die Zitze bringt, wo es sich sogleich festsaugt. Die Beobach- tung wurde in einer Privatmenagerie des Lord Derby gemacht (Gewährsmann: Eichard Owen). Bezüglich des Zeitpunctes der beginnenden und endigenden Dottercirculation lässt sich für den menschlichen Embryo auf Grund der spärlichen anatomischen Angaben folgendes als ziemlich sicher — hauptsächlich nach Köllikers Zusammenstellungen und den Beobachtungen von His — bezeichnen. In der dritten Woche sind zwei getrennte primitive absteigende Aorten vorhanden, sowie zwei Dottersackarterien und zwei [30,500 Dottersackvenen, also der erste Dotterkreislauf im Gange, [so, 50s In der inneren Lage des Chorion finden sich in dem sich ent- wickelnden Bindegewebe überall feine Blutgefässe ; auch amDotter- sack und an der Allantois sind Gefässe bemerklich. Ende der dritten oder Anfang der vierten Woche ist das B. Der embryonale Blutkreislauf. 75 Chorion in seiner ganzen Ausdehnung gefässhaltig. Auch [ßo,3ii sind dann die beiden Aorten zu einer Rückenaorta verschmolzen pro und der Aortenbulbus vorhanden, desgleichen der Stamm 130,315 der Nabelvenen. Die rechte Omphalomesenterialarterie verläuft längs des Dotterganges, während die linke schon obliterirt ist. Nur eine der beiden Omphalomesenterialvenen, die linke, kommt vom [370 Dottersack zurück. Auf jeder Seite des Allantoisstiels finden sich zwei Gefässe, nämlich zwei Nabelvenen und zwei Nabelarterien; die rechte Nabelvene ist aber bereits schwächer geworden. In dieser Zeit [3o, 315 besteht also zugleich ein Dottersack- und ein Allantois- Kreislauf. Die Allantois, welche in der zweiten Woche noch nicht isi.iu vorhanden ist, zu Ende der zweiten Woche jedoch einmal [30,505 als eine „hervorsprossende, seicht zweilappige Blase, ein Drittel so gross wie der Dottersack" von Hennig und einmal zu Anfang der [loo dritten Woche von Preuschen als „blasenartiges" frei von dem [374 Schwanzende sich abhebendes Gebilde, das aber solide war, ge- sehen wurde, ist (nach Coste-Kölliker) in der dritten Woche am hinteren Leibesende in Form eines Stranges vorhanden, welcher durch einen breiten Stiel, den künftigen Urachus, mit dem End- darm zusammenhängt und dann in das Chorion sich verliert, [so, sor dessen innere Lamelle er bildet. Ende der dritten Woche ist die Allantois mit Gefässen an das Chorion geheftet, so dass dieses nun, wie durch einen kurzen dicken Stiel, den Nabelstrang, [30, sos mit dem Embryo verbunden ist. Zu dieser Zeit, oder noch [230,7/ zu Anfang der vierten Woche stellt die Allantois eine keulen- [3o, 310 förmige kurze Blase dar. Ende der vierten Woche zeigt sich in der Mitte ihres Stieles eine Öffnung, welche dem später zur Harn- blase werdenden Theile des Urachus zugehört. His ist der [so, 315 Ansicht, dass der Embryo zu keiner Zeit vom Chorion getrennt ist, vielmehr von Anfang an durch den Bauchstiel als „das Über- gangsstück des embryonalen zum Chorion -Antheil der ur- [370 sprünglichen Keimblase" mit ihm zusammenhängt. Und diese Auffassung wird durch die von Preuschen (am Embryo von kaum 2^2 Woche) gesehene bandartige Verbindung des Embryo mit dem Chorion bei freier Allantois gestützt. Jedenfalls ist zu Ende des ersten Fruchtmonats die zweite Form des Dotterkreislaufs, durch die grössere Ausdehnung des Dottersacks charakterisirt, schon im Gange. Aber es hat dann auch schon die Allantois- oder Chorion -Circulation begonnen. Um die zeitlichen Verhältnisse der letzteren zu bestimmen, ist die Betrachtung des Chorion nothwendig. 76 Die embryonale Blutbeweguug. Ende der zweiten Woche ist das Chorion mit kurzen [30,505 dünnen Zotten besetzt. In der dritten Woche besteht es ans zwei Schichten, deren innere mit Bkitgefässen versehen, zottenlos ist, während die äussere hohle verästelte Zotten besitzt, deren Höhlung an der der Allantois zugewendeten Fläche durch je ein rundes Loch mündet. Die Zotten bestehen aus epithelartigen Zellen, die innere Schicht ist in der Entwicklung begriffenes Bindegewebe mit feinen Blutgefässen. [30, 30& Ende der dritten oder Anfang der vierten Woche ist das Chorion in seiner ganzen Ausdehnung gefässhaltig und mit baum- förmig verästelten Zotten besetzt. [30,377 Ende der vierten Woche ist das Chorion an seiner ganzen Innenfläche von den Nabelgefässen reichlich versorgt, aussen [3o, sie mit verästelten Zotten besetzt. Letztere zeigen einen binde- gewebigen Strang mit Blutgefässen, der von der inneren Lamelle des Chorion stammt. In der fünften und sechsten Woche ist das Chorion noch in seiner ganzen Ausdehnung mit Zotten besetzt, welche aber an der künftigen Placentarstelle zahlreicher, grösser und mehr ramificirt, als an den übrigen Stellen erscheinen. Anfangs der sechsten [99 Woche sind wenigstens die Zotten an jener Stelle etwas stärker ausgebildet. [30, sn In der siebenten und achten Woche entfalten sich die ge- fässhaltigen Zotten immer mehr an der Placentarstelle, an dem übrigen Chorion spärlicher werdend, an einzelnen Stellen fast gänzlich fehlend. [99 In der neunten Woche beginnt die Placenta sich auszubilden. Sie ist zu Anfang des dritten Monats 4 Cm. lang, 3 breit, [100 1 dick und 10 Gr. schwer gefunden worden. Hiernach dauert die sog. Allantoiscirculation nur bis gegen das Ende des zweiten Monats. Während derselben hat sich aus dem Bauchstiel oder dem sog. Stiel der Allantois der Nabelstrang gebildet, über welchen noch folgendes zu bemerken ist: Er ist Ende der zv/eiten Woche nicht vorhanden, aber [3o, 305 in der dritten Woche bereits erscheint der Embryo durch einen kurzen Strang an das Chorion befestigt. [30,507 Ende der dritten oder Anfang der vierten Woche inserirt sich der über ein Millimeter dicke kurze Nabelstrang oder sogenannte Allantoisstiel mit zwei Nabelarterien und zwei Nabel- [30,570-572 venen an das Chorion. In der vierten Woche ist der Allantoisstiel oder [30,575,575 B. Der embryonale Blutkreislauf. 77 Nabelstrang gut ausgebildet, in der fünften eine enge 1 Millim. [loo lange Scheide, die noch zwei Nabelvenen enthält. iz\,i2o Anfangs der sechsten Woche ist der Nabelstrang immer noch kurz und dick. Statt der früheren vier Allantois- oder Umbilical- gefässe enthält er jetzt nur noch drei, nämlich zwei Nabelarterien und die frühere linke Nabelvene. Die rechte ist obliterirt. In den Nabelstrang geht bruchartig eine lange Schleife des Darm- canals, welche vom ganzen Dünndarm und Dickdarmanfang ge- bildet wird. Ausserdem zeigt der Nabelstrang in seiner ganzen Länge den hohlen Urachus. [30, 57^ Ende der sechsten Woche ist der kurze dicke Nabelstrang noch nicht gewunden. 1^,220 In der siebenten und achten Woche beginnt die Spiral- [so, 3^3 drehung. Ob dabei von Anfang an die ßichtung der Windungen dieselbe ist, wie die später persistirende, bleibt zu ermitteln. Es könnte in dieser frühen Zeit durch Drehungen des Embryo die anfängliche Rechtsdrehung in eine Linksdrehung verkehrt werden und umgekehrt. Bei 315 Ebengeborenen fand Hecker die [230,1,52 Windungen gerichtet: von rechts nach links 245 mal und von links nach rechts 70 mal. Das Verhältniss 1:8^/2 ist unerklärt. Yon der neunten Woche an nimmt die Torsion zu, die Darm- schlingen ziehen sich aus dem Nabelstrang heraus. \ßi,i22 Wenn man den Stiel der Allantois von der Zeit an, in welcher die Placentabildung beginnt, Nabelstrang nennt, so liegt darin eine Willkür. Er hat von der sechsten Woche an die drei Gefässe, die er behält, und von der neunten Woche an wird er zum Ver- bindungsstück des Embryo mit der Placenta. Übrigens persistiren in ihm die Omphalomesenterialgefässe ziemlich häufig. [222 Beim Menschen sind demnach die obigen Stadien zeitlich folgendermaassen voneinander abzugrenzen: 1) a. Die primitive Form des Dotterkreislaufs mit dem ersten Herzschlage beginnend, d. h. zu Ende der zweiten Woche oder zu Anfang der dritten Woche. b. Die zweite Form des Dotterkreislaufs mit der Verschmelzung der beiden primitiven Aorten beginnend, d. h. in der vierten Woche oder schon Ende der dritten Woche. 2) a. Die Chorioncirculation mit der Ausbildung der Nabelgefässe beginnend, d. h. zu Ende der dritten Woche oder in der vierten Woche. b. Die Placentarcirculation, mit der Placentabildung anfangend, d. h. im dritten Monat. 78 Die embryonale Blutbewegung. 3) Die Circulation des Neugeborenen mit dem ersten Athemzuge in der Luft beginnend, nach zehn Fruchtmonaten. Die Bestimmung der Zeitgrenzen ist nicht frei von Willkür, eine scharfe Trennung nicht durchführbar. Namentlich läuft die zweite Form des Dotterkreislaufs neben der beginnenden AUan- toiscirculation einher. Die „Anheftung" der Allantois an das Chorion ist noch problematisch, kann daher nicht als ihr Anfang bezeichnet werden. Ausserdem kann ein rudimentärer Nabelbläschen -Kreislauf noch bis gegen Ende der intrauterinen Entwicklung bestehen bleiben. Denn Hecker beobachtete bei einem 5^/^ Pfund [230,1,55 schweren 45 Cm. langen weibhchen Fötus in der Nabelschnur, und zwar von der Abdominalinsertion an bis zur Placenta, ein hell- rothes Blutgefäss, welches sich am placentaren Ende in ein baum- förmig verzweigtes Netzwerk feiner Gefässe auflöste. Diese um- kreisten einen gelben linsenförmigen Körper, das Nabelbläschen, welches sich wie bei jeder reifen Placenta verhielt. Früher schon hatte, wie erwähnt ward, B. S. Schnitze die Persistenz des Nabel- [63 bläschens in der normalen Placenta entdeckt, auch den Ductus omphalo-entericus in seltenen Fällen von Strängen begleitet ge- funden, den Resten der Omphalomesenterial-G-efässe. Aber eine soweit gehende Erhaltung derselben wie im Heckerschen Falle ist, wie es scheint, sonst nicht zur Beobachtung gelangt. Jedenfalls liegt hier ein merkwürdiger Fall von Rückschlag vor mit theil- weiser Erhaltung der Function. Ich bemerke ausdrücklich, dass mir selbst, wie den meisten anderen Physiologen, eigene Beobachtungen über die Blutcirculation beim Menschen in den ersten Wochen der Embryonalzeit fehlen und trotz der ausserordentlich dankenswerthen Untersuchungen von His, welche aber erst zum Theil veröffenthcht sind, eine [370 ganz zuverlässige Darstellung des menschlichen Dotterkreislaufs noch nicht gegeben werden kann. Am meisten lassen die Zeit- bestimmungen zu wünschen übrig, und die von His bereits hervor- gehobenen Verschiedenheiten des menschlichen und thierischen Embryo — z. B. bezüglich des früheren Verschlusses der Am- nionhöhle und Ijezüglich der Allantois — fordern dringend zur Sammlung jüngster menschhcher Eier auf, deren Untersuchung in physiologischer Beziehung kaum weniger wichtig ist, als in mor- phologischer. B. Der embryonale Blutkreislauf. 79 Der Placentarkreislauf oder die zweite Circulation. Das Verständniss des fötalen Blutkreislaufs nach der Placenta- bildung erfordert die genaue Feststellung der Änderungen des anatomischen Substrates vom dritten Monat an, welche nicht leicht ist. Die Entdeckung des wahren Sachverhalts hat eines langen Zeitraums bedurft, und noch gegenwärtig sind einzelne Fragen, welche den Unterschied des fötalen und neonatalen Kreislaufs be- treffen, nicht genügend beantwortet, wie man am besten aus einem Vergleiche der herrschenden Ansichten mit der sehr sorgfältigen historisch-kritischen Darstellung der Untersuchungen des fötalen Blutlaufes von J. H. Knabbe vom Jahre 1834 erkennt. [i^e Eine vergleichende physiologische Betrachtung der mannig- faltigen Formen der Placenten fehlt, wiewohl im Jahre 1822 Everard Home damit einen guten Anfang gemacht hat. Er [273 bildet u. a. schon die gürtelförmige Katzenplacenta ab, und seine Yermuthung vom Zusammenhang der Trächtigkeitsdauer mit der grösseren oder geringeren Ausbildung der Placentargefässe ver- dient eingehendere Prüfung. Wichtig sind auch Turners Untersuchungen von Thierplacenten, obwohl kaum physiologisch zu verwerthen. Die merkwürdigen Abweichungen der menschlichen Placenta von allen bisher unter- suchten Thierplacenten bedürfen noch sehr gründlicher und [384 umfassender Erforschung. Da es sich in diesem Werke aber nicht um morphologische, sondern physiologische Fragen handelt, so werde ich nur die Bewegung des Blutes im Fötus be- [233 schreiben, wie sie thatsächlich stattfindet, mich dabei auf den Menschenfötus vom vierten Monat an beschränkend. Yon der Placenta geht in der Nabelvene durch den Nabel- strang Blut mit Nährstoffen beladen in die Leber des Fötus. Es strömt durch Äste der Nabelvene zugleich mit dem Blute der Pfortader direct in die Lebergefässe, und verlässt die Leber in den Lebervenen ( Venae hepaticae revehentes), welche es in die untere Hohlvene ergiessen. Aber nicht sämmtliches Blut der Nabelvene gelangt auf dem Umwege durch die Leber in die untere Hohlvene, ein grosser Theil geht durch den dem Fötus eigenen, von Juhus Cäsar Arantius entdeckten Canal {Ductus venosus Aranti) un- mittelbar in die untere Hohlvene, wo er sich mit dem von der unteren Körperhälfte des Fötus kommenden venösen Blute mischt. 80 Die embryonale Blutbewegung. um dann mit dem Lebervenenblute zusammen in das Herz ein- zutreten. Der Arantische Canal kann als die directe Fortsetzung der Nabelvene bezeichnet werden. Wie beim Geborenen ergiesst sich (zugleich mit diesem Blute) das der oberen Hohlvene in den rechten Vorhof. Von diesem gelangt das Blut der oberen Hohlvene wie beim Erwachsenen ausschliesslich in die rechte Herzkammer durch Aspiration seitens des diastolisch erweiterten Ventrikels und systolische Contraction des Vorhofs, aber das der unteren Hohlvene geht zum grössten Theil direct in den linken Vorhof durch das schon Galen bekannte, dem Fötus eigenthüm- liche ovale Loch oder Foramen ovale ^ welches eine besondere (obere linke) Mündung der unteren Hohlvene bildet. Während ci74 durch dieses frisches, aus der unteren Hohlvene stammendes Blut sogleich in den linken Vorhof geht, ohn-e den rechten Vorhof zu passiren, strömt aus einer zweiten, dicht daneben gelegenen nur durch den Isthmus atriorum davon getrennten Mündung der un- teren Hohlvene etwas Blut in die rechte Vorkammer und das von der oberen Körperhälfte stammende weniger Sauerstoff enthaltende Blut der oberen Hohlvene geht mit diesem zusammen durch die Tricuspidalklappe in die rechte Kammer, so lange diese diastohsch erweitert ist. Aus dem linken Vorhof gelangt das Blut bei der Systole desselben in den linken Ventrikel durch die Bicuspidalklappe, denn der Rückweg in die untere Hohlvene und am Isthmus atriorum vorbei in den rechten Vorhof ist ihm versperrt durch die grössere Blutspannung im rechten Vorhof, indem nämlich der linke, diastolisch erweiterte Ventrikel geradezu das Blut aus dem linken Vorhof ansaugt. Ausserdem wirkt hierbei mit die Klappe des eirunden Loches, welche sich nur nach dem linken Vorhof zu öffnet. Diese Falte aber, anfangs ganz fehlend, bildet sich erst in den späteren Monaten weiter aus. Ihre Haupt- function hängt mit dem Lungenkreislauf zusammen. Eine kleine Quantität Blut nämlich tritt auch durch die — beim Menschen in der Vierzahl vorhandenen — Pulmonalvenen in den hnken Vorhof und von da in den linken Ventrikel, und zwar um so mehr je älter der Fötus. Diese mit dem Wachsthum der Lungen immer mehr zu- nehmende Blutmenge könnte schliesslich die Spannung im hnken Vorhof bei vermindertem Blutzuüuss zum rechten Atrium aus den Hohlvenen so steigern, dass bei der Systole des ersteren das Blut in die Hohlvene zurücktreten müsste. Ein solches Hinüberströmen verhindert in der letzten Fötalzeit die Klappe des ovalen Loches. B. Der embryonale Blutkreislauf. 31 Yor ihrer Ausbildung stellt aber das Foramen ovale, wie Caspar Friedrich Wolff (1775) entdeckte, nichts weiter vor, als die [i46 (linke) obere Einmündung der unteren Hohlvene in den linken Vorhof, während die (rechte) durch den Isthmus atriorum von jener getrennte untere Mündung derselben einen Theil ihres Blutes in den rechten Yorhof und rechten Yentrikel gehen lässt zusammen [406 mit dem Blute der oberen Hohlvene. Dieses von Dr. E,. Ziegen- speck durch Untersuchung des Meerschweinchenfötus in meinem Laboratorium in völliger Übereinstimmung mit der vergessenen Entdeckung von Wolff festgestellte Yerhalten kann, wie schon [i74 Wolff andeutete, eine grosse regulatorische Bedeutung zur Aus- gleichung plötzlicher Störungen des Kreislaufs haben, indem näm- Hch um so mehr Blut von der unteren Hohlvene in den rechten Yentrikel gelangt, je weniger in den linken fliesst und umgekehrt. In der Zeichnung Tafel Y sind die beiden Öffnungen der unteren Hohlvene ganz getrennt, um zu zeigen, dass nur aus der einen Blut in den linken Yorhof gelangen kann (durch F.o.). Sowie nun die Yorhöfe ihre isochrone Systole beendigt haben, beginnt die isochrone Systole der beiden Yentrikel, und dann tritt das Blut, sich selbst wie beim Erwachsenen den Rück- weg in die Yorhöfe durch die Atrioventricularklappen versperrend, in die grossen Gefässe, und zwar geht es aus dem rechten Yentrikel in die Pulmonalarterie [A.p.), aber nicht, wie beim Greborenen, seiner ganzen Masse nach in die Lunge, sondern zum weitaus grössten Theil durch den dem Fötus eigenthümlichen Botallischen Grang [D.a.B.) in die Aorta. Dieser Gang verbindet die Pulmonalarterie mit der Aorta, wo sie abzusteigen beginnt, und ist so geräumig, dass nur ein relativ kleiner Theil des Kammerblutes in die noch functionslosen Lungen gelangt. Aus der linken Herzkammer geht zu gleicher Zeit das Blut, wie beim Erwachsenen, direct in die aufsteigende Aorta (yi.a.) und die oberen Körpertheile, von wo es durch die obere Hohl vene (F.c.äkjo.) zum rechten Yorhof (i2.^.) zurückkehrt. Das Blut der absteigenden Aorta (^.c/.), welches nur zum kleineren Theil aus dem linken Yentrikel {L.H.), zum grösseren aus dem Botallischen Gang, somit aus dem rechten Yen- trikel {R.H.) stammt, geht theils in die untere Körperhälfte, theils in die beiden von der Bauchaorta {A.abd.), nämlich den Arteria e hypqgastricae entspringenden Nabelarterien {A.u.) in die Placenta, wo es durch osmotischen Yerkehr mit dem mütterlichen Blute verändert wird und von wo es nach Durchströmung der die N abelarterien mit den Wurzehi der Nabelvene ( V. u.) verbindenden Frey er, Physiologie des Embryo. g 82 Die embryonale Blutbewegung. placentaren Capillaren in der Nabelvene zum Fötus zurückkehrt. Eine directe Verbindung der mütterlichen und der fötalen Blut- gefässe in der Placenta ist nirgends vorhanden. Da die arteriellen Gefässe unterhalb der Theilungsstelle der Aorta von den Anatomen mit verschiedenen Namen belegt worden sind, so ist folgende Zusammenstellung nicht überflüssig: Aus der ersten Theilung resultiren die linke und rechte lUaca communis. Jede von beiden theilt sich in eine Iliaca externa oder Cruralis oder Femoralis und Iliaea interna oder Hypogastrica. Aus jeder Hypogastrica entspringt nicht weit von der Stelle, wo sie von der Iliaca communis abgeht, eine Umbilicalis oder Nabelarterie, deren Puls bis in die Placenta mit den fötalen Herzschlägen überein- stimmt und, vde schon Galen fand, nach ihrer Unterbindung [76, 8 auf der Placentaseite erlischt. Bezüglich des vorhin erwähnten Pfortaderblutes [V.port.) sei noch bemerkt, dass es wie beim Erwachsenen aus den Darm- gefässen stammt, welche es ihrerseits von den mesaraischen, aus der Bauchaorta entspringenden Arterien erhalten {A.m..s). Das Schema Tafel Y erläutert die hier beschriebenen charak- teristischen Erscheinungen des fötalen Blutumlaufs. Die Darstellung ist in allen wesentlichen Puncten dieselbe, welche Harvey im Jahre 1628 gab, jedoch mit den Verbesserungen von C. E. Wolff, die Sabatier und Bichat (1818) z. Th. acceptirten und die ich aus eigenen Untersuchungen am Meerschweinchen- embryo für allein richtig erklären muss. Bis Harvey herrschte fast allgemein die alte Galenische [233 Doctrin, derzufolge das mütterliche Blut durch die Nabelvene, die Lebensgeister oder Herzwärme der Mutter dagegen durch die Nabelarterien in den Eötus gelangen sollten. Dass die Nabelvene ihr Blut in die Leber ergiesst, wusste schon Galen; er fehlte aber darin, dass er aus ihr alles Blut in die Leber gehen Hess; auch kannte er den Botallischen Gang, meinte aber durch ihn gelange der Lebensgeist aus der Aorta in die Lungen, während durch das ovale Loch Blut aus der Hohlvene in die Lungen ströme zur Er- nährung derselben. Man sieht, wie wenig Galen vom Blutlauf wusste, trotz relativ guter anatomischer Kenntnisse, und es ist zu verwundern, dass seine Ansicht fast anderthalb Jahrtausende in Geltung blieb bis Harvey sie stürzte durch den Nachweis, dass die fötalen Lungen für so grosse Blutmengen keinen Platz haben und die Richtung des Blutstromes im Botallischen Gang und den Nabelarterien der von Galen supponirten entgegengesetzt ist. B. Der embryonale Blutkreislauf. 83 Von AViclitigkeit für die Erkeniitniss des fötalen Blutumlaufs sind namentlich noch folgende Einzelheiten: Die Eustachische Klappe oder Falte begünstigt die Blut- strömung von der unteren Hohlvene in das linke Atrium durch das ovale Loch, wenn sie mehr gegen das Lumen der unteren Hohlvene — durch gesteigerte Blutspannung im rechten Vorhof — zu liegen kommt. Sie erschwert dann zugleich den Eintritt des Blutes aus der unteren Hohlvene in den rechten Vorhof und Ventrikel. Umgekehrt wird das Einströmen des Blutes aus der unteren Hohlvene in den rechten Vorhof begünstigt, wenn die Val- vula Eustachi — bei geringer Blutspannung im rechten Vorhof — das Lumen der rechten Mündung der Cava inferior nicht verengt, gleichviel ob dabei die Valvula foraminis ovalis geschlossen ist oder nicht. Schon Casp. Eriedr. Wolff hatte gefunden, dass die untere Hohlvene, welche ihr Blut bis zum dritten Monat [i46, 55/<; fast ganz in den linken Vorhof ergiesst, später, während die Klappe des Foramen ovale wächst, mehr und mehr in den rechten Vorho mündet, so dass im reifen Eötus schon der dritte Theil des Cava- ■Blutes in ihn gelangt, nach der Greburt aber die ganze Vene sich am rechten Vorhof allein ansetzt. Hieraus folgt, dass die Eustachi- sche Falte weder dem Erwachsenen noch dem reifen Fötus, son- dern dem dreimonatlichen Fötus von der grössten Bedeutung ist und nach und nach, während die Valvula foraminis ovalis [146,^5 wächst, ihre Bedeutung verliert. Beim Erwachsenen ist die Eustachische Falte bekanntlich rudimentär, oft spurlos ver- schwunden. Das von Lower an Thierherzen entdeckte Tuberculum zwischen den Einmündungssteilen beider Hohlvenen im rechten Vorhof scheint im menschlichen Herzen kaum von Bedeutung zu sein. Höchstens wird der kleine Wulst oder Vorsprung dem [153 Blutstrom aus der oberen Hohlvene bezüglich seiner Richtung in die rechte Kammer zu Gute kommen. Im menschlichen Herzen ist das Lowersche Tuberculum bekanntlich sehr klein. Das ovale Foramen, über welches am meisten gestritten wurde, ist anfangs sehr gross und ganz offen, so dass ein Isthmu^ atriorum kaum vorhanden ist. Von der ersten Hälfte des dritten Monats an wächst aber die Klappe des ovalen Loches so schnell, dass bereits im sechsten Monat nur ein relativ kleiaer, immer mehr sich verengender Canal zwischen dem oberen Klappenrand und dem oberen Theil des Ringes bleibt, welcher das Foramen begrenzt. Das nicht ganz 84 Die embryonale Blutbewegung. seltene Offenbleiben des Foramen lange nach der Geburt beweist, dass die Klappe auch später nicht unerlässlich nothwendig ist. In der That kann die ihr früher zugeschriebene Function, den RücMuss des Blutes aus dem linken Vorhof in den rechten zu verhindern, vor der Ausbildung der Lungen um so mehr entbehrt werden, als beide Atrien gar nicht durch das Foramen direct mit- einander communiciren, sondern nur das linke mit dem Stamm der unteren Hohlvene. Da sich aber beide Vorhöfe zugleich con- trahiren und entleeren, so bleibt für einen Eückfluss des linken Vorhofblutes in die Hohlvene nur wenig Spiebaum. Nur gegen Ende der intrauterinen Zeit, wenn immer reichlichere Blutmengen durch die Pulmonalvenen ( Vv.p.) in den hnken Vorhof strömen, würde dieser Rückiluss leichter von Statten gehen, wenn eben nicht die Klappe des ovalen Loches ihn verhinderte. Das Experiment lehrt, wie Senac (1777) zeigte, dass gefärbte Flüssigkeit in die linke [i46, 149 Vorkammer eines Fötusherzens eingefüllt in die rechte nicht [174 überströmt, sie geht aber auch von der rechten in die linke Vor- kammer nicht ohne Verletzung der Hohlvene über, wenn in diese Nichts eindrang. Es gibt eben keine directe Verbindung voni rechten zum hnken Atrium. Der Weg geht nur durch die untere Hohlvene. Alles Lungenvenenblut des Fötus geht zu allen Zeiten seiner Entwicklung wie beim Geborenen nur in den hnken Vorhof und in die linke Herzkammer und von da in die Aorta, alles Blut der oberen Hohlvene nur in den rechten Vorhof und rechten Ven- trikel, das Blut der unteren Hohlvene z. Th. direct in den linken Vorhof und z. Th. in den rechten, aber in diesen nur durch eine besondere untere , rechte Mündung der unteren Hohlvene. — Die Spiraldrehung der Nabelarterien beim menschlichen Em- bryo hat, wie Kehrer bemerkt, eine Verlangsamung des Blut- [149 Stroms zur Folge. Jedoch kann über die Geschwindigkeit des Blutstroms im Fötus etwas Bestimmtes kaum gesagt werden. Das inconstant auftretende und höchst veränderliche Nabelschnur- geräusch gibt 'darüber keinen Aufschluss, sei es dass dasselbe, wie Hecker meint, an der Austrittstelle der Nabelarterien aus [230, /. 30 dem fötalen Körper entsteht, sei es dass ihm eine andere Ur- sprungsstätte zukommt. — Dass eine vorzeitige Unterbrechung des Blutstroms in den Nabelgefässen den Tod der Frucht zur Folge hat, war Everard [76. n (1661) bereits bekannt und wurde von Mauriceau schon 1668 durch die Unmöglichkeit der Erneuerung und „Belebung" des fötalen Blutes in der Placenta erklärt. B. Der embryonale Blutkreislauf. 85 Dass auch ohne Unterbrechung der Placentarcirculation nur durch bedeutende Herabsetzung des mütterlichen Blutdrucks der fötale Blutkreislauf — wahrscheinlich wegen Erstickung — auf- hört, bewies zuerst experimentell M. Runge, indem er träch- [84 tigen Thieren das Halsmark durchschnitt und nach 13 bis 30 Mi- nuten die Früchte nicht mehr am Leben fand. Aus der Beschreibung des fötalen Blutkreislaufs ergibt sich von selbst, dass eine Trennung der Blutströme in arterielle und venöse wie beim Erwachsenen nicht existirt. Zum Mindesten dreierlei venöses und dreierlei arterielles Blut muss unterschieden werden, je nach dem Wege, welchen das Blut im Fötus zurück- legt. Man hat nämlich: Das ungemischte arterielle oder das arteriellste Blut allein in der Nabelvene in den Vasa advehentia liepatis und im Arantischen Ductus: Blut a. Mit dem venösesten Blute v des Körpers und mit Lebervenen- blut l gemischtes arteriellstes Blut im oberen Theil der unteren Hohlvene und in den ersten Entwicklungsphasen auch im linken Vorhof, im linken Yentrikel und in der aufsteigenden Aorta: Blut b ^ a + [v -\- T). Dieses Blut b mit dem der Pulmonalvenen c gemischt (in den späteren Monaten) im linken Vorhof, im linken Ventrikel und in der aufsteigenden Aorta: Blut c -{- b. Das venöse Blut der oberen Hohlvene, Blut d^ mit Blut b .gemischt im rechten Ventrikel, in der Pulmonalarterie und im Botallischen Gang : Blut d -\- b. Das venöse Blut d-{- b mit arteriellem [c + b) gemischt in der absteigenden Aorta, in den Nabelarterien, Gekrösarterien: Blut b -{- c + d. Also nach dem Grade der Arterialität kurz vor der Geburt: 1) Blut der Nabelvene und des Arantischen Ganges a. 2) Blut des oberen Theiles der unteren Hohlvene, das heisst a + (u + Z) = 3. 3) Blut der aufsteigenden Aorta a + (v + Z) + c = (/5> -|- c) 4) Blut der absteigenden Aorta, der Nabelarterien und Gekrös- arterien a + (?; + Z) + c + ö?=((5 + c) + c?. 5) Blut der Pulmonalarterie und des Botallischen Ganges d + a+ [v -\-l) = b + d. 6) Blut der oberen Hohlvene d. 86 Die embryonale Blutbewegung. 7) Blut der Pulmonalvenen c und der Pfortader f. 8) Blut des unteren Theiles der unteren HoMvene v. Demnach erhält der rechte Ventrikel mit den Lungen a + V + l -{- d, der linke, sowie der Kopf a + u + / + c, und es strömt zur Leber das Blut a -\-f, welches / liefert, zu der unteren Körperhälfte « + (u + ^) + o + d, welches v liefert. Eben dieses Blut geht in den Darm, welcher /liefert, und zur Placenta, welche a liefert. Hieraus folgt, dass dasselbe Blut, welches bereits einmal in der unteren Körperhälfte war, dahin zum Theil zurückkehrt, das Blut des unteren Theiles der unteren Hohlvene, u; es wird nicht erneuert, sondern nur mit frischem Blute vermischt, es geht durch die untere Hohlvene, beide Atrien, beide Ventrikel, den Aorten- bogen in die absteigende Aorta, in die grossen Arterien der un- teren Extremitäten und von da wieder in die untere Hohlvene. Eerner geht, was noch merkwürdiger ist, ein kleiner Theil des in der Placenta arterialisirten Blutes unverändert oder unbenutzt in dieselbe zurück a, nämlich durch die Nabelvene, beide Atrien, beide Ventrikel, die absteigende Aorta und die Nabelarterien. Während in jenem Falle die Wiederkehr des venösen Blutes seiner Ausnutzung seitens der Gewebe günstig erscheint, ist die Kückkehr zur Placenta hier ein Nachtheil. Der Nachtheil kann aber darum nur ein geringer sein, weil von dem Blute aus dem linken Herzen wegen der Grösse des Botallischen Ganges nur relativ wenig in die absteigende Aorta und von dieser aus davon wieder nur wenig in die Nabelarterien gelangt. Auch ist zu be- denken, dass die Aorta selbst wächst und wahrscheinlich die dazu erforderlichen Nährstoffe sowie den Sauerstoff dem eigenen Blute entzieht. Immerhin ergibt sich hieraus , wie sehr in Bezug auf die Ver- sorgung mit frischem Blut die Leber und das Gehirn, überhaupt der Kopf, allen anderen Theilen gegenüber bevorzugt sind, wie beim Vogelembryo. Die Leber ist aber in dieser Beziehung das am meisten begünstigte Organ. Denn der linke Ventrikel erhält das arterielle Blut erst nachdem es z. Th. die Leber passirt, z. Th. sich mit dem venösesten Blut, dem der unteren Hohlvene, ver- mischt hat. Das von der Leber bereits veränderte Blut l geht in den Kopf, in die unteren Extremitäten, in den Darm, in die Pla- centa und zwar auf diesen Bahnen immer zusammen mit dem Blute c aus den Lungen und dem frischen Nabelvenenblute a. B. Der embryonale Blutkreislauf. 87 Es ist daher wahrscheinlich, dass letzteres in der Leber eine für die embryonale Gewebebildimg geeignete Veränderung er- fährt. Die Kenntniss der Blutbewegung im Fötusherzen selbst er- forderte vor Allem die Entscheidung der Frage, ob das Blut der unteren Hohlvene vollständig in den linken Yorhof oder z. Th. auch in den rechten strömt. Es kann jetzt nicht mehr zweifel- haft sein, dass Casp. Friedr. Wolff Recht hatte, wenn er auf Grund seiner sehr sorgfältigen anatomischen Untersuchungen (1775) be- hauptete, der linke Vorhof erhalte gar kein Blut aus dem rechten Vorhof, sondern nur aus der unteren Hohlvene (und später den Lungenvenen), welche hinten an der Grenze beider Atrien, wie er fand, doppelt einmündet, so dass die Hnke obere Mündung nur dem linken, die rechte untere Mündung nur dem rechten Vorhof Blut zuführt. Das Blut der beiden Vorhöfe kann sich also gar- nicht mischen, wie auch Sabatier richtig betonte und wie ich [i46 nach eigener Anschauung ebenfalls behaupten muss. Dr. R. Ziegen- speck hat, wie schon oben erwähnt wurde, in der doppelten Ein- mündungsweise der Cava inferior bei dem reifen Meerschweinchen- fötus und einem Menschenfötus (später noch 19) in Übereinstimmung mit C. F. Wolff eine für den Kreislauf vortheilhafte Einrieb- [i74 tung erkannt, indem sie den rascheren Ausgleich wechselnder Blutzufuhren zum Herzen ermöglicht. Er bemerkt sehr richtig, dass der Kreislauf des Fötus und seine Blutvertheilung einer Menge äusserer Lisulte ausgesetzt sind, wie dem Einflüsse der Wehen, durch welche eine grosse Menge Blut ganz plötzlich aus der Placenta in das Herz des Fötus getrieben wird, oder dem Einflüsse mannigfaltiger Compressionen des übrigen Capillarsystems durch die Geburt. Wenn nun alles von der Placenta oder sonst woher kommende und jetzt mit einem Überdruck andrängende Blut in einen Vorhof strömen würde, selbst wenn ein Loch im Septum bestände, so würde doch der eine Ventrikel sich früher füllen als der andere. Wäre aber ein Ventrikel früher gefüllt als der andere, so würde die Blutvertheilung gestört werden, weil immer, vermöge der Synchronie der Contractionen beider Herzhälften, von dem einen Ventrikel eine grössere Blutmenge in die entsprechenden Ge- biete gefördert würde, als durch den anderen. Durch die genannte Einmündungsweise aber regulirt sich jede Störung der Blutver- theilung sehr rasch von selbst und kehrt rasch zur Norm zurück, indem jeder Ventrikel so viel als zur vollständigen Füllung nöthig, vom Blute der unteren Hohlvene ansaugt. Daher kommt es 88 Die embryonale Blutbewegung. jedenfalls, dass Veränderungen in der Frequenz der Herztöne so rasch zur Norm zurückkehren. [i74 Eine andere bei G-elegenheit dieser Untersuchungen von dem- selben Forscher in meinem Laboratorium entdeckte Thatsache ist die ungleiche Dicke der linken und rechten Yentrikelwand lange vor der Geburt beim Meerschweinchen. Er fand die Wandung [174 des linken Ventrikels durchweg (an 19 Früchten) dicker, als die des rechten. Der Unterschied betrug 0,2 bis 0,3 Millim. in allen Fällen, d. h. die linke Ventrikel wand war um ^/- bis ^3 dicker als die rechte, und zwar bei reifen 12 bis 14 Ctm. langen wie bei 8^2 Ctm. langen Embryonen. Links waren auch die Papillar- muskeln mehr ausgebildet. Dieser auch von mir wahrgenommene Dickenunterschied schon lange vor der Geburt — beim Menschen nicht vorhanden — hängt jedenfalls mit der grösseren Eeife des neugeborenen Meerschweinchens zusammen und wird als eine erbliche Eigenthümlichkeit zu bezeichnen sein. Denn der periphere Widerstand kann vor dem Beginn der Lungenathmung schwer- lich dafür in Anspruch genommen werden. Nach der Geburt nimmt das Wachsthum der linken Ventrikelwand noch bedeutend zu im Verhältniss zu dem der rechten, weil dann erst die Ar- beit des linken Herzens durch Zunahme des peripheren Wider- standes im Verhältniss zu der des rechten erheblich und schnell zunimmt. Der Blutkreislauf unmittelbar nach Beginn der Lungenathmung. Bei niederen Thieren, deren Eier sich im Wasser entwickeln und welche schon vor dem Verlassen des Eies mit Kiemen ath- men, ist eine durch die Sprengung der Eihüllen etwa verursachte wesenthche Änderung der Kreislaufsverhältnisse weder beobachtet noch annehmbar. Auch diejenigen hydrozoischen Embryonen, welche, wie die Frösche, nach dem Verlassen des Eies längere Zeit als Larven kiemenathmend im Wasser zu leben fortfahren und dann erst in der atmosphärischen Luft mit Lungen respiriren, kommen hier nicht in Betracht, weil die Larve kein Embryo ist, nur dieser aber hier Gegenstand der Untersuchung und Darstellung sein soll. Dagegen wird bei Aerozoen, Vögeln und Säugethieren, deren Embryonen sofort nach Sprengung der Eihüllen mit den bis dahin B. Der embryonale Blutkreislauf. 89 functionslos gebliebenen aber weit entwickelten Lungen Luft athmen, eine plötzliche Umgestaltung des Blutkreislaufs durch den ersten Athemzug herbeigeführt, welche nun zur Darstellung kommt. Beim Hühnchen, das regelmässig schon vor dem Verlassen der Eischale (am 2L Tage, seltener am 20. oder 22. und sehr selten am 19. Tage) Grebrauch von seiner Lunge macht und oft im intacten Ei piept, werden durch den ersten Athemzug folgende Veränderungen bewirkt: Die erste Ausdehnung der atelektatischen Lunge hat zur Folge ein reichlicheres Einströmen des Blutes der Pulmonalarterien durch Aspiration. Die Lunge wird zu- gleich lufthaltig und blutreicher. Ihre Capillaren füllen sich mit grosser Geschwindigkeit, und dadurch ändert sich sogleich die Farbe der Lunge, wie schon Harvey auch beim Säugethier be- merkte, indem die atelektatische Lunge dunkelroth, die lufthaltige weisslich-roth erscheint. Da nun bisher das aus dem rechten Ventrikel stammende Blut zum grössten Theil durch die Botallischen Gänge in die ab- steigende Aorta und nur zum kleinsten Theil in die Lungen ging, jetzt aber mit einem Male das Umgekehrte stattfindet, so dass der Botallische Ductus beiderseits nur noch sehr wenig Blut erhält, so coUabirt derselbe, er verödet und verschliesst sich zuletzt durch Contraction seiner Kingmusculatur und Thrombenbildung, und zwar um so schneller, je besser die Lungenathmung und damit die Aspiration des Lungenarterienblutes in Gang kommt. Li Folge der Obliteration des beim Vogel paarigen, beim Säugethier einfachen Botallischen Ganges (Taf. ILI D.B.s, und D.B.d. und Taf. V D.a.B.) wird die in die absteigende Aorta ge- langende Blutmenge sehr rasch so bedeutend vermindert, dass der Blutdruck in der ganzen unteren Partie derselben plötzlich um ein sehr Erhebliches abnehmen muss. Den augenfälligen Beweis für diese Abnahme des arteriellen Blutdrucks liefert das Kleiner- werden und Schwinden des Pulses der Nabelarterien bei neu- geborenen Säugethieren und Kindern und die Abnahme der Blut- fülle in den Arterien der Allantois beim reifen Hühnchen im Ei. Die unmittelbare Wirkung dieser Abnahme des Seitendrucks ist nämlich nothwendig eine Abnahme der Blutfülle der Umbilical- oder Allantois -Arterien, welche mit ihren Verzweigungen sehr wenig Blut enthaltend in der Allantois beim Ausschlüpfen des Hühnchens aus der Eischale daselbst zurückbleiben. 90 Die embryonale Blutbewegung. Wenn die zuführenden Allantoisgefässe nicht mehr wie bisher mit Blut gespeist werden, so müssen die abführenden, nämlich die zum Nabelvenenstamm vereinigten Allantoisvenen, schnell sich ent- leeren, wie es thatsächlich geschieht. In Folge dieses Ausfalles an zuströmendem Blute erhält die Pfortader nicht mehr genügende Blutmengen, um die zuführenden Lebergefässe und zugleich den Arantischen Canal zu speisen. Beide erhalten auch darum viel weniger Blut als früher, weil die Omphalomesenterialvene (wegen des immer mehr durch ßesorption abnehmenden resorbirbaren Theiles der Dottermasse) sehr klein geworden ist. Sie wird zu einem Zweige der Pfortader. So kommt es, dass einerseits die Vasa advehentia der Leber, andererseits der Ductus Aranti weniger Blut erhalten, als vorher (Taf. IV). Letz- terer, welcher vorzugsweise von dem frischen Blute der Allantois- venen gespeist wurde, das nun ganz fortfällt, verschliesst sich und bleibt oft als ein bandförmiger Strang zurück. [116,205 Somit strömt in die untere Hohlvene (den venösen Herzsinus) nur noch das Lebervenenblut unmittelbar vor ihrer Einmündung in die Yorkammern. Dadurch nimmt der Blutdruck in letzteren erheblich ab. Das in die linke Hohlvenenmündung eindringende Blut kann jetzt nicht mehr durch das Foramen ovale in den linken Vorhof hinüberströmen, weil daselbst ein zu starker Gegendruck durch Ansammlung des nun reichlichen arteriellen Lungenvenen- blutes entstanden ist und die Klappe des ovalen Loches sich beim Einströmen des Lungenvenenblutes in der Diastole schliesst. In der Systole verhindert dieser Verschluss im linken Vorhof allein das Übertreten von Blut in die Hohlvene. Demnach bleibt dem Blute der unteren Hohlvene nur noch der W^eg in das rechte Atrium und die rechte Herzkammer. Diese pumpt es in die Lungenarterie. Zu gleicher Zeit aber entleert sich der linke Ventrikel in die aufsteigende Aorta, wie es auch vor dem Beginn der Lungenathmung geschah, nur mit dem wesent- lichen Unterschiede, dass jetzt ausschliesslich arterielles (Lungen- venen-) Blut in dieselbe befördert wird. Dadurch erhalten fast mit einem Schlage auch der Arcus aortae und die Aorta descendens mit allen ihren Ästen sauerstoffreiches Blut ohne Beimischung von venösem Blute. Der Unterschied in der Speisung der oberen und unteren Körpertheile hört auf, der kleine und der grosse Kreis- lauf sind völlig gesondert, eine Vermengung von Venen- und Ar- terien-Blut findet nirgends mehr statt, und je mehr die Lungen- B. Der embryonale Blutkreislauf. 91 gefässe sich ausbilden, um so grössere Blutmengen werfen sie in den linken Ventrikel, so dass nach und nach der anfangs gesunkene arterielle Blutdruck immer mehr gehoben wird. So ist in lückenloser Reihe von Ursache und Wirkung die Gesammtheit der Veränderungen des embryonalen Blutkreislaufs, welche mit dem Beginne der Luftathmung eintritt als nothwen- dige Folge der ersten Inspirationen erkannt, als mechanische Con- sequenz der Aspiration des Blutes der Lungenarterien bei der Entfaltung der Lungenalveolen. Unabhängig von der Luftathmung ist nur ein früher mäch- tiges System von Blutgefässen kurz vor dem Ausschlüpfen des Hühnchens verkümmert, die Dottersackgefässe. Je mehr das gelbe DottermLaterial vom Blut in diesen anfangs sehr starken und sehr fein verzweigten Gefässen resorbirt wird, je mehr seine re- sorbirbaren Theile sich vermindern, um so mehr wird das jenen Gefässen zugängliche Areal verkleinert. Die Gefässe können sich nicht mehr füllen, sie obliteriren, und so findet man am 19. Tage auf dem hernienförmig prolabirenden Dottersack nur noch gegen früher unscheinbare Zweige der Omphalomesenterial- Arterien und Venen. Die gelbe Dottermasse ist dickflüssiger geworden. In allem Wesentlichen stimmt die Veränderung des Blut- kreislaufs eben geborener Säugethiere, im Besonderen des Men- schen, nach dem Beginne der Lungenathmung überein mit der eben beschriebenen des Hühnchens. Nur muss man statt „Allan- tois" setzen „fötale Placenta" und erwägen, dass die Dottersack- gefässe in der Regel längst obliterirt sind, weil der Nahrungs- dotter fehlt. Beim eben geborenen Kinde lassen sich sämmtliche durch die Geburt bedingten Veränderungen der Circulation auf die Unter- brechung des Placentarkreislaufs (durch Unterbindung, Zerreissung, Durchschneidung, Compression der Nabelschnur) und die dieser Störung unmittelbar vorhergehende oder unmittelbar nachfolgende Lungenathmung zurückführen. Es kann auch sich zufällig so treffen, dass im Momente der Nabelschnurunterbindung die Luft- athmung beginnt. Bei jeder normalen Geburt ist aber die Störung des Placentarblutlaufs der primäre Anstoss zur Änderung der fötalen Circulation, sei es direct durch Abschneiden der Blut- zufuhr aus der Placenta, sei es indirect durch Einleitung der Lungenathmung. 92 Die embryonale Blutbewegning. Ich stelle hier der Deutlichkeit halber die wichtigsten beim Menschen stattfindenden Veränderungen der Circulation, weiche der erste Athemzug einleitet, übersichtlich zusammen: Vor der Geburt: Nabelvene Nabelarteri en ) bringt arterielles Blut in das 1 Herz und die Leber. f führen venös-arterielles Blut in \ die Placenta. A r a n t i s c h e r | führt arterielles Blut in die Vor- Canal 1 kammern. Botanischer Canal I führt venöses Blut mit wenig < arteriellem aus der rechten Herz- kammer in die Aorta. ! offen für das Einströmen des Blutes aus der unteren Hohl- vene in die linke Vorkammer. Lungen \ Lungenarterien luftfrei, relativ blutarm und dunkelroth. führen relativ wenig venöses Blut mit wenig arteriellem aus der rechten Kammer in die Lungen, f führen relativ wenig venöses Lungenvenen | ^^^^^ .^ ^.^ ^-^^^ Vorkammer. Absteigende Aorta f führt Blut aus beiden Herz ■ kammern, mehr venöses aus der rechten durch den Botallischen Gang, mehr arterielles aus der linken. , bringt Körpervenenblut mit Untere Hohl- j Lebervenenblut und arteriellem vene 1 Placentablut in beide Vorkam- Nach der Geburt: obliterirt: Ligamentum rotundum, s. teres hepatis. obliteriren: Ligamenta lateralia vesicae, obliterirt: Ligamentum rotundum s. teres hepatis. obliterirt: Ligamentum arterio- sum. geschlossen: dasHohlvenenblut geht nur in die rechte Vor- kammer. lufthaltig, relativ blut- reich und hellroth. führen viel rein ve- nöses Blut aus der rechten Kammer in die Lungen. führen relativ viel ar- terielles Blut in die linke Vorkammer. führt ausschliesslich arterielles Blut aus der linken Herzkammer. bringt ausschliesslich Körpervenenblut nur in die rechte Vorkam- ß. Der embryonale Blutkreislauf. 93 Difi TTirkimg- der Abnabelung auf den Blutkreislauf des Ebengeborenen. Yon besonderem Einfluss auf die Blutmenge und dadurch die Circulation und Blutvertheilung im Neugeborenen ist der Zeit- punct des Abnabeins. Wird die Nabelschnur sofort nach dem Austritt der Frucht unterbunden, dann bleibt viel Blut in dem fötalen Theil der Placenta zurück, aus dem es Budin (1876) sam- melte und das von Adrian Schücking (1877) Reserve blut [les genannt wurde. Dieses Blut kann bei später Abnabelung zum grössten Theile durch Compression der Placenta der Frucht mit- telst der Nabelvene zugeführt werden. Die Menge des Reserve- blutes ist eine schwankende und soll beim Menschen ungefähr 90 bis 100 Gr. betragen. [los Wenn nun die Gesammtblütmenge des Neugeborenen, [les welches sofort abgenabelt worden, viel weniger, etwa 90 Gr. weniger, als die des nach mehreren Minuten abgenabelten und diese weniger, als die nach dem Exprimiren der Placenta ge- fundene beträgt, so kann der Zeitpunct des Abnabeins für das Kind wichtig werden. Die Bestimmungen der Blutmenge von fünf frischen Kinder- leichen ergaben Schücking folgende Zahlen: [igs nach mehreren Minuten abgenabelt. sofort abgenabelt. Bei I wurde erst abgenabelt, als bereits die Placenta exprimirt war. Die Gewichte sind in Grm. ausgedrückt. Die Blut- mengen wurden durch Ausspritzen mit 0,6-procentiger Kochsalz- lösung, im Übrigen nach Welcker's Verfahren bestimmt. Dieser selbst hatte früher an einem schwächlichen sehr schnell ab- [i77 genabelten Neugeborenen 1 : 19 gefunden. Weitere Bestimmungen der Gesammtblütmenge ungeborener und neugeborener Menschen und Thiere (nach dem von mir [iss angegebenen Verfahren, welches J. Steinberg zuerst benutzte) [i82 sind in hohem Grade wünschenswerth. Denn die mitgetheilten Körpergewicht Gesammt- Gewichts- des Kindes: Blutmenge : Verhältniss : I. 4295 604 1: 7 II. 3320 309 1:11 " III. 3780 367 1:10J IV. 3197 215 1:14\ V. 3208 198 l:16i •94 Die embryonale Blutbewegung. Schückingschen Yersuche reichen nicht aus, den behaupteten [les grossen Unterschied sofortiger und verzögerter Abnabehmg auf [i69 den Kreislauf des Kindes als allgemeingültig zu beweisen. Er bemerkt in Betreff der Entleerung des fötalen Theiles der Placenta in der Geburt, dass durch den auf letztere wirkenden intrauterinen Druck eine Art physiologischer Transfusion zu Stande komme, indem die fötalen Placentargefässe unter dem Druck der con- trahirten Uteruswandungen sich durch die Nabelvene schon vor dem ersten Athemzug in das unter Atmosphärendruck befindliche Ejnd zu entleeren beginnen, während in den Nabelarterien eine mehr oder minder hochgradige Stauung entstehe. „Die erste Inspiration beschleunigt die Strömung in der Nabelvene durch die aspirirende Wirkung des negativen Thoraxdruckes und schafft zu- gleich Raum für das einströmende Blut". Durch das Sinken des Aortendrucks nach dem Beginn der Lungenathmung wird mittelst der Gefässmuskeln das Lumen der Nabel- und Placentar- Arterien verengt und „der Effect des arteriellen Verschlusses besteht wieder in einem vermehrten Zustrom des Placentarbluts zum Kinde" ; es erscheine jedoch der Einfluss der fötalen Circulation und Re- spiration verschwindend gegen die Auspressung der Placenta durch den intrauterinen Druck. Dass der Blutübergang während der ersten Minuten nach der Geburt in der That erfolgt, zeigte Schücking durch directe [les Wägung der Neugeborenen vor der Abnabelung (sie nahmen auf der Wage um 30 bis 110 Gr. zu) zeigte er durch Messungen [i69 des Blutdrucks in der Nabelvene (welche 40 bis 60 Millim. Queck- silberdruck in der Wehenpause, während der Wehe 100 Millim. und selbst das Doppelte ergaben) und durch Auffangen des aus der aufgeschlitzten Nabelvene ausströmenden Placentarblutes. In Bezug auf letzteres ist bemerkenswerth, dass Litzmann [isi nach Abnabelung eines durch Kaiserschnitt geborenen Kindes aus dem Uterinende der durchschnittenen Nabelvene das ßeserveblut, welches aber'schon dunkel war „in ziemlich kräftigem Strahle und beträchtlicher Menge" hervortreten sah. Der Uterus zog sich zusammen, so dass man in Intervallen eine zunehmende Erhärtung desselben beobachtete. So richtig nun die ganze Auffassung von Schücking ist, darin geht er zu weit, dass er die Wirkung der kindlichen Athmung auf die Aspiration des Reservebluts „völlig bedeutungslos" und „verschwindend'' gegen die des Wehendrucks nennt. Denn vor dem ersten Athemzug müsste das in den Eötus gepresste Blut B. Der embryonale Blutkreislaut. 95 in jeder Wehenpause wieder durch die Nabelarterien in die Pla- centa zurückfliessen , hier also der intrauterine Druck effectlos sein, nach dem Beginn der Lungenathmung aber strömt (durch die Aspiration seitens der Lungen) auch dann noch viele Minuten durch die Nabelvene Placentablut in den kindlichen Körper, wenn die Placenta blossliegt und der Fötus aus dem Uterus und Amnion herausgeschält wurde, wie ich oftmals an Thieren sah. Die Nabel- arterien werden dabei hellroth und ihre Füllung nimmt allmählich — früher als die der Nabelvene — ab. Es wird also beim eben geborenen Menschen gerade die Lungenathmung von grosser Wichtigkeit für die Aufnahme des Reservebluts sein müssen. Eine Begünstigung muss dieselbe auch dadurch erfahren, dass nach der Geburt das Kind nur unter Atmosphärendruck steht, worauf Schücking und auch Fritsch mit Eecht aufmerksam machen, [i7i und dadurch, dass die Herzthätigkeit nach dem ersten Athemzuge frequenter wird (S. 56). Nun sind aber schwere Bedenken erhoben worden gegen die Behauptung, dass auf die Blutmenge des Neugeborenen die Ab- nabelungszeit überhaupt von Einfluss sei. Namentlich haben M. Wiener und L. Meyer im Gegensatz zu Budin und Zweifel [179 gefunden, dass der Blutgehalt der Placenta bei früher Ab- [i78 nabelung nicht erheblich grösser sei als bei später. Ersterer schliesst daher, dass die Aufnahme des ausreichenden Blutquantum durch Uteruscontractionen und die ersten Athemzuge zu Stande komme, eine weitere Auspressung der Placenta in den nächsten Minuten nach der Geburt nur geringe Blutmengen dem Kinde zuführe — bei einem Mittelgewicht der Placenta von 600 Gr. zwischen 12 und 13 Gr. Gegen diese Schlussfolgerung ist aber geltend zu machen erstens, dass doch ein Unterschied von 2 bis 3^0 im Blutgehalt der Placenten zn Gunsten der Schückingschen Ansicht gefunden wurde, auch von L. Meyer etwa 16 Gr., zweitens, dass bei später Abnabelung diejenigen Bestimmungen des Blutgehalts der Pla- centen allein in Betracht kommen dürfen, bei welchen zugleich mit oder sofort nach der Ablösung der Placenta abgenabelt wurde. Denn bei der Abnabelung ^/^ bis 15 Minuten nach der Geburt des Kindes vor der Lösung der Placenta kann leicht Blutplasma von den verengten fötalen Gefässen in das mütterliche Blut in der Placenta übergehen, wodurch deren Blutgehalt nach der colori- metrischen Methode zu hoch, dagegen beim Exprimiren zu niedrig gefunden wird. Deshalb ist die Bestimmung der Blutmenge in 96 Die embryonale Blutbewegung. den spät abgelösten Placenten überhaupt ungeeignet eine Ent- scheidung herbeizuführen. Obgleich sich daher bei vergleichender (colorimetrischer) Be- stimmung des Blutgehalts der Placenten nach Frühabnabelung, gewöhnlicher Abnabelung und Spätabnabelung, welche Mayring [255 und von Haumeder ausführten, ein deutlicher Einfluss der [i76 Abnabelungszeit gezeigt hat, indem der Blutgehalt durchschnittlich bei früher Abnabelung 164 bis 184, bei gewöhnlicher 111 bis 130, bei später 89 bis 91 Gr. betrug, so darf daraus doch nicht ge- folgert werden, dass ersterenfalls 73 bis 95, und beim gewöhn- lichen Verfahren 22 bis 39 Gr. Blut dem Neugeborenen vorent- halten würden. Die folgenden Zahlen sind den Mayringschen Versuchen ent- nommen : Abnabelung: früh: gewöhnlich: spät: Gewicht der Placenta 474 —892 454 —762 413 —664 Nabelschnurlänge 44 — 78 38 — 68 31 — 54 Ausgedrücktes Blut 15,3— 50,0 3,3— 13,3 4,6— 22,1 Rückständiges Blut 90,7—285,8 90,5—114,2 41,1—125,4 Blutgehalt der Placenta 114,8—291,3 100,3—125,1 46,1—130,5 Gewicht des Kindes 2510—4430 2730—3830 2530—3770 Länge des Kindes 48 — 52 48 — 51 45 — 51 und durchschnittlich nach Mayring (9 Eälle I) und Haumeder (10 Fälle n): I. Blut der Plac. II. Blut der Plac. Abnabelung Kind Plac. absol. pi'oc. absol. proc. früh ^ 3152 ^40 184,3 28,8 164,8 27,4. gewöhnlich 3221 556 111,3 20,5 130,3 21,7 spät 3119 557 88,8 15,7 91,4 15,2 So deutlich aus diesen Zahlen ein Einfluss der Abnabelungs- zeit auf die Blutmenge der Placenten hervorzugehen scheint, die Zahl der Fälle (19) und die grosse Abweichung der Einzel- bestimmungen voneinander gestatten nicht, den Durchschnitts- zahlen einen hohen Werth einzuräumen; auch fehlt der Nachweis, dass die Neugeborenen bei später Abnabelung wirklich mehr Blut enthielten, als bei früher. Adrian Schücking lieferte für seine Fälle diesen Beweis und Illing findet die spät abgenabelten Kinder durchschnittlich um [i7o 57 Gr. schwerer, als die früh abgenabelten. Friedländer findet [255 B. Der embryonale Blutkreislauf. 97 die späte Abnabelung gleichfalls rathsani;, Zweifel bei spät [172 abgenabelten die Gewichtsabnahme nach der Geburt geringer, als bei früh abgenabelten, ebenso Hofmeier, welcher bei Spätabnabelung ein Gewichts-Plus für die Neugeborenen und ein Gewichts-Minus [173 für die Placenten fand. In demselben Sinne spricht sich auf Grund seiner Beobachtungen Ribemont aus und ähnlich R. Luge, [255 welcher die Abnabelung normaler Weise erst eine Viertelstunde nach der Geburt des Kindes — nach vollständigem Zusammenfallen der Nabelvene vorgenommen haben will. Dagegen meint Stein- mann, die späte Abnabelung sei für das Kind nicht vortheilhaft, weil er bei den täglich vorgenommenen Wägungen eher ein un- günstigeres Verhalten in Bezug auf Verlust des Körpergewichtes der spät, nämlich nach Aufhören des Nabelpulses, abgenabelten Kinder fand. Doch hat er bei seinen 52 Fällen nur in sieben nach mehr als 3 72 Minuten nach der Geburt und in keinem Falle nach mehr als sechs Minuten nach derselben die Abnabelung vor- genommen. Seine Versuche sind also nicht entscheidend. Die Gewichtszunahme des Ebengeborenen während der C173 Nachgeburtsperiode (60 bis 70 Gr. nach Hofmeier) spricht jeden- falls sehr zu Gunsten der „physiologischen Transfusion". Die Beobachtung von Hayem, dass im Blute spät ab- [260 genabelter Neugeborener sich mehr rothe Blutkörper finden, als in dem früh abgenabelter spricht dafür, dass gerade die zuletzt aus der Placenta überfliessenden Blutmengen körperchenreicher sind, als die zuerst nach der Geburt austretenden, was vielleicht durch einen reichlicheren Übergang von Blutplasma aus der Pla- centa in die Mutter nach dem Ausstossen des Kindes zu erklären ist. Hiermit stimmt auch überein, dass im Blute spät abgenabelter mehr Hämoglobin vorkommen soll. iios, 3s Übrigens bemerkt M. Wiener mit Recht, dass viel auf das [179 Verhältniss der Blutmenge im Kinde zu der im Mutterkuchen ankommt. Wiegt letzterer 600 Gr., in einem anderen Fall nur 400 und beidesfalls die Frucht drei Kilo, so kann diese doch in beiden Fällen gleich viel Blut enthalten. Es muss die Gesammtblutmenge grosser neugeborener Thiere, und zwar bei Multiparen, nach früher und später Abnabelung be- stimmt werden, um die letzten Zweifel zu beseitigen. Nach meinen Erfahrungen an Thieren — allerdings in diesem Falle nur Meerschweinchen — muss ich Schücking darin voll- kommen beistimmen, dass bei später Abnabelung viel mehr Blut in den Fötus (oder das Neugeborene) strömt, als bei früher Com- Preyer, Physiologie des Embryo. 7 98 I^ie embryonale Blutbewegung. pression des Nabelstranges, und zwar ist mir dafür beweisend die vom ersten Athemzuge an abnehmende Füllung der Nabelarterien, welche selbst bei biosgelegter und abgelöster Placenta regelmässig sehr viel schneller eintritt, als die der Nabelvene. Man könnte einwenden, es sei auf diesen Unterschied schwerHch viel Gewicht zu legen, weil überhaupt die Placenta beim Meerschweinchen im Verhältniss zum Neugeborenen klein ist. Am 9. JuH 1883 excidirte ich drei kräftige Früchte. Sie wurden sogleich nebst ihren Placenten gewogen. Es ergab sich: 1. Fötus 92 Gr. Placenta 5,3 Gr. entspr. 1:17 2. „ 92 „ „ 5,8 „ „ 1 : 16 3. „ 96,5 „ „ 5,5 „ „ 1:17 Beim Menschen wiegt dagegen die Placenta zwischen 400 und 900 Gr. bei einem Körpergewicht des Ebengeborenen von 2500 , bis 4500, das Verhältniss kann also, da die kleinsten Placenten bei den grössten Früchten nicht vorkommen, von 1 : 5 nicht ein- mal bis auf 1:11 herabgehen, während es beim Meerschweinchen 1:16 und sogar weniger als 1:17 normalerweise betragen kann. Aber es würde bei diesem schon ein Gramm von der Placenta trans- fundirendes Blut dem achten oder zehnten Theil der Gesammt- blutmenge des Thieres gleichkommen, die späte Abnabelung also natürlich erscheinen. Es kommt noch hinzu, dass ein Nachtheil später Abnabelung nicht bekannt ist. Im Gegentheil scheinen die Neugeborenen [i69 in diesem Falle kräftiger zu sein oder zu werden und die von B. Schnitze schon 1860 gegebene Vorschrift, das Kind sei erst, nachdem es geathmet und geschrieen habe, abzunabeln, er- scheint vollkommen gerechtfertigt. Auch hat derselbe Forscher bereits 1864 gezeigt, dass der Fruchtkuchen bei Lösung der Pla- centa durch den Uterus selbst sein Blut nicht nach aussen ent- leert, indem die fötalen Gefässe unversehrt bleiben, also kann es, abgesehen von Diffusionsvorgängen, nur in den Fötus strömen. Denn wenn man eine eben vom Uterus ausgestossene Placenta in warmem Wasser von der durchschnittenen Nabelvene aus mit warmer Milch injicirt, so kann man, wie Schnitze bemerkt, [236 den Druck im kindlichen Gefässsystem sehr hoch steigern ohne dass auf der Uterinfläche der Placenta ein Tropfen Milch hervor- quillt. Die Placenta schwillt an, krümmt sich wie im Uterus convex auf der Uterinscite, concav auf der Amnionfläche, und das in den mütterlichen Gefässen zurückgebliebene Blut wird aus den B. Der embryonale Blutkreislauf. 99 offenen Mündungen derselben herausgepresst. Ja es Hessen sich sogar die sämmtlichen Cotyledonen von einander brechen, der einzelne Cotyledon Hess sich anreissen, so dass die von Milch strotzenden Gefässe sichtbar wurden, ohne dass Milch ausfloss. Sowie aber ein Cotyledon mit dem Messer seicht angeschnitten wurde, quoll reichlich die eingespritzte Milch hervor. Da also das Blut der kindhchen Placentargefässe weder in die mütterlichen Grefässe noch nach aussen sich bei Lösung der Placenta entleert, so muss es dem Neugeborenen zu Gute kom- men, ausser dem Antheil an Blutplasma, welcher nach der Geburt und vor der Placentalösung in die mütterlichen Gefässe hinein- filtrirt. Es erscheint daher im Allgemeinen gerechtfertigt, wie Mi- chaelis und Fritsch empfehlen. Ebengeborene — wenigstens [i7i sehr kleine Kinder und Frühgeborene — so spät als möglich abzu- nabeln, tiefer als die Mutter zu halten, so lange die Placenta nicht gelöst ist und selbst nach ihrer Lösung vom Uterus die Abnabelung nicht sogleich vorzunehmen, sondern die Placenta höher als das Kind zu halten, damit Blut durch die Nabelvene allmählich in dasselbe hineinströme, ohne gewaltsam in es gedrückt zu werden, wie schon von Alters her durch das „Streichen" der Nabelschnur seitens der Hebamme oft geschieht. Ob es in jedem Falle wünschenswerth ist, dem Ebengeborenen durch späte Abnabelung ein Plus von 20 oder 50 oder 100 Gramm Blut zukommen zu lassen, ist eine andere Frage. Manche ver- neinen sie, ohne freilich genügende Gründe dafür beizubringen, [-es Der Hauptgrund, es müsse eine enorme Blutdrucksteigerung durch Blutüberfüllung eintreten, erscheint wenig plausibel, da ja durch das Athmen des Kindes in den Lungen ein grosser neuer Baum geschaffen wird. Die Lungen enthalten schon nach dem ersten Athemzug viel mehr Blut, als vorher. Ferner ist gewiss, dass gleich nach der Geburt der Blutdruck in der Aorta erheblich sinkt, und niemand wird bezweifeln, dass die Gefässe der Baucheingeweide vor der Geburt nichts weniger als maximal gefüllt sind; also Raum für das Beserveblut ist zweifellos vorhanden, so dass Gefahren aus der vorsichtigen Zufuhr desselben sich nicht unmittelbar er- geben, zumal es das eigene Blut des Kindes ist, welches ihm wiedergegeben wird. Die Natur scheint selbst auf eine späte Abnabelung hinzu- deuten. Denn bei vielen Säugethieren, z. B. Meerschweinchen, findet die Zerreissung oder Zerbeissung der Nabelschnur, wie ich öfters wahrnahm, nicht sofort nach dem Austritt statt; und [io7 7* 100 Die embryonale Blutbewegung. vergleicht man die Blutfülle der AUantois, des Ersatzes lür die Placenta beim Vogel, vor und nach dem Sprengen der Schale, so ergibt sich eine enorme Yerminderung derselben. In den in der Eischale nach dem Ausschlüpfen zurückbleibenden Gefässen ist oft nur eine minimale Blutmenge vorhanden, falls nur das Hühnchen sich ohne alle Hülfe befreit, und es scheint mir die lange Zeit, da das Hühnchen im Ei mit den Lungen athmet, den Nutzen zu haben, dass durch Aspiration möglichst viel Allantoisblut in seinen Körper gelangt. Dafür, dass eine späte Durchtrennung der ISTabelschnur auch beim Menschen erfahrungsmässig sich besser bewährt hat, als eine unmittelbar nach dem Ausstossen des Kindes vorgenommene, [390 sprechen die von Bloss zusammengestellten Angaben von Reisenden über das Verfahren verschiedener uncultivirter Völker. Die In- dianeriimen, welche in den Brasilianischen Urwäldern allein nieder- kommen, reissen die Nabelschnur ab oder zerbeissen sie mit den Zähnen. Sie werden dazu nicht sogleich im Stande sein, also findet hier bei diesem rohesten, thierischen Verfahren eine späte Abnabelung statt. Von den Caraiben wird der Nabelstrang ab- gebrannt, in Nicaragua derselbe erst nachdem die Placenta zu Tage getreten ist, durchschnitten, auch in Guatemala die Nach- geburt abgewartet. Die Negritas auf den Philippinen, welche ohne allen Beistand niederkommen, gebären stehend und fangen das Kind auf warmer Asche auf; sie legen sich alsbald neben dem- selben nieder und zerschneiden dann die Nabelschnur mittelst eines scharf geschnittenen Bambusrohrstückchens, einer Austern- schale oder eines Steines. In allen diesen und ähnlichen Fällen von Entbindungen ohne Beistand muss die Abnabelung eine späte sein, weil die Mutter sich erholen muss, ehe sie die Operation ausführen kann. In anderen Fällen freiHch, wo der Vater oder eine Frau sogleich nach der Geburt des Kindes und absichtlich vor Lösung der Placenta mit einer Muschel die Nabelschnur durch- schneidet, wie in Neu-Holland und Neu-Caledonien, ist die frühe Abnabelung constatirt. Diese Fälle bilden aber die Minderzahl soweit mir die durch Ploss compilirten Berichte aus älteren und neueren Reisewerken bekannt geworden sind, und es lässt sich vermuthen, dass bei sehr früher Abnabelung die Kindersterblich- keit in jenen Ländern grösser als bei später sein wird. Dass durch zu weit getriebenes Warten mit der Abnabelung beim Menschen der Ikterus begünstigt, oder ein anderer Nach- theil herbeigeführt werde, ist keineswegs bewiesen. Jedenfalls [203 B. Der embryonale Blutkreislauf. 101 spricht die Gesammtheit des guten Beobachtungsmaterials, welches bis jetzt vorliegt, für des Hippokrates Lehre, nicht sogleich [255 nach der Geburt des Kindes abzunabeln; die Erfahrung von Yiolet dagegen, welcher meint, dass man nicht bis zur Aus- [263 stossung der Placenta mit der Abnabelung warten soll, weil in diesem Falle 100 ^/^ der Kinder ikterisch wurden, bei früher Ab- nabelung dagegen 70 bis 80 °/g , ist nicht bestätigt worden. Auch Porak fand zwar bei später Abnabelung häufiger Ikterus, als bei früher, Hofmeier und Luge aber nicht. [256.173.175 Die geburtshülfliche Praxis hat zu entscheiden, ob bald nach dem Aufhören des Nabelschnurpulses oder erst mehrere Minuten nach dem Erlöschen desselben oder nach Lösung der Placenta ab- [7 zunabeln sei. Aber gegen das sofortige oft mit unüberlegter Hast so- gar vor dem ersten Athemzug vorgenommene Unterbinden der Nabel- schnur wird jeder Fachmann protestiren, weil dann die Blutmenge -dem Neugeborenen vermindert und ihm die Sauerstoffeinathmung, an der sein Leben hängt, erschwert wird. Mag die Menge des den Sauerstoff aus der Luft bindenden Hämoglobins im fötalen Blute noch so gross sein, sie ist kleiner als die des Erwachsenen bei demselben relativen Blutgehalt des Körpers. Da aber das [si Neugeborene vom Augenblick der Geburt an sehr viel mehr Sauer- stoff braucht, als vorher — schon weil es sich erwärmen muss und sich viel mehr bewegt — so erscheint es zweckmässiger, das Hämoglobin aus der Placenta möglichst dem Fötus zu erhalten, was durch langsame Abnabelung erreicht wird. Bei Thieren wird durch spätes Zerreissen der Nabelschnur ausserdem die Gefahr eines grösseren Blutverlustes durch die Nabelarterien beseitigt. Denn anfangs kann der Blutdruck in der Aorta und die Blutfülle jener Arterien bei weitem nicht so ab- nehmen, wie nach länger fortgesetzter Lungenathmung. Es wäre von erheblichem Literesse, zu messen, wie viel Blut aus den Nabelarterien bei früh und spät durchschnittener Nabelschnur un- gleich entwickelter Thierembryonen ausfliesst. Man müsste dazu multipare Thiere verwenden und könnte, da die Herzthätigkeit beim Embryo auch ohne Athmung andauert, auf diese Art schon approximative Werthe für die Geschwindigkeit des Blutstroms in der Nabelschnur gewinnen und, wenn gleichzeitig von den be- treffenden Placenten, wie es Budin und Steinmann thaten, das [los aus der Nabelvene ausfliessende Blut gesammelt würde, eine werth- voUe Controle haben. Dass die Menge des nach der Geburt des Kindes in dasselbe durch die Nabelvene einströmenden Blutes grösser aus- 102 Die embryonale Blutbewegung. fallen muss, als die in gleicher Zeit durch die Nabelarterien abfliessen- den Mengen ist gewiss, weil letztere sichtbar früher sich verengen und früher blutleer werden. Wahrscheinlich ziehen sich die Ring- muskeln der Gefässe der fötalen Placenta nach der Geburt des Kindes (und auch noch nach Lösung der Placenta) stark zusammen, so dass ihr Inhalt in die Nabelvene gelangt. Auch steigt die Menge des durch diese zurückfliessenden Blutes, wie Steinmann [los zeigte _, deutlich mit der Stärke des vorher beobachteten Nabel- schnurpulses. Entsprechendes muss gelten für die aus dem Fötus und Ebengeborenen durch die durchschnittenen Nabelarterien aus- fliessenden Blutmengen; doch wird hier die bereits von Virchow [373 betonte starke Zusammenziehung der Eingmuskelfasern schnell die Blutung vermindern müssen, wie auch die Erfahrung lehrt. Die spätere Schrumpfung der Nabelschnur gehört ebenso wenig wie die durch Thrombenbildung und Muskelcontractionen erfolgende Obliteration des Botallischen Ganges in den Rahmen dieses Werkes; beide seien hier nur genannt als Vorgänge, welche im späteren Leben nur pathologisch vorkommen. Der ebengeborene Mensch zeigt vermöge der Nabelschnur als physiologische für seine Fortdauer nothwendige Processe Erscheinungen, die, wie z. B. die Thrombose, die Transfusion, die Entzündung, die Mumification (auch Gangrän) für den seit längerer Zeit geborenen leicht tödt- lich werden können. Wegen der grossartigen Yeränderungen seines Blutkreislaufs, die der Mensch erleidet, wenn er in die Welt eintritt und welche geradezu lebensgefährlich sind, ist es überhaupt nicht zu ver- wundern, dass soviele ihre eigene Geburt nicht oder nur kurze Zeit überleben. n. DIE EMBRYONALE ATHMÜNG. A. Die Athmung im Ei, Ob vor der Geburt im Ei eine Athmung stattfinde oder nicht, ist Gegenstand vieler Speculationen in der alten und neuen Lite- ratur gewesen, aber Beobachtungen und Experimente über den Gaswechsel embryonirter Eier im Vergleiche zu dem ebenso be- handelter, unbefruchteter Eier waren nur in kleiner Zahl vorhanden und äusserst mangelhaft. Ich habe daher vor Allem Thatsachen fest- zustellen gesucht, welche die intraoväre Respiration beweisen. Die von mir und die unter meiner Leitung in meinem Laboratorium ausgeführten Untersuchungen haben in der That erst sicher ge- stellt, dass vom Embryo im Ei normaler Weise ununterbrochen Sauerstoff aufgenommen wird und dass das Hämoglobin seines Blutes ihn bindet und festhält, aber nur eine kurze Zeit lang. Denn die Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr hat schnell den asphyktischen Embryotod zur Folge. Ferner gelang es mir zum ersten Male widerspruchsfrei auch für die Kohlensäure-Ausathmung wenigstens des Yogel- Embryo im unversehrten Ei thatsächliche Beweise beizubringen. Der Beweis für den Sauerstoffverbrauch der Embryonen wirbel- loser Thiere ist hingegen bis jetzt ebensowenig geliefert wie der für eine Kohlensäureproduction seitens derselben. Baudrimont [iio und Martin -Saint- An ges haben zwar gefunden, dass die Eier der Gartenschnecke während der Entwicklung Kohlensäure ver- lieren, sie versäumten es aber unbefruchtete Eier derselben ebenso zu untersuchen, ob diese weniger Kohlensäure in gleicher Zeit exhaliren. Erst wenn ein solcher constanter Unterschied ermittelt sein wird, kann die Kohlensäurebildung im Schnecken -Embryo als bewiesen angesehen werden. Bis jetzt kann man sie nur als höchst- wahrscheinlich bezeichnen. 106 Die embryonale Athmung. Dass der Froschembryo in seinem unversehrten Ei mittelst der Kiemen, so unvollkommen dieselben auch noch sind, athmet, d. h. Sauerstoff aufnimmt, ist mir nicht zweifelhaft, seit ich in diesen Kiemenstümpfen die rothen embryonalen Blutkörper cir- culiren gesehen habe. Auch lässt sich nicht leugnen, dass der Sauerstoff aus dem umgebenden Wasser durch die Eihaut endos- motisch in das Ei -Innere gelangen muss, wenn inwendig der da- selbst diffundirte Sauerstoff — auch vor der Hämoglobinbildung — verbraucht wird oder von Anfang an daselbst kein absorbirter Sauerstoff vorhanden war. Ausserdem ist schon (1 843) von Baudrimont und Martin-Saint- Anges gezeigt worden, dass Froschembryonen, wenn die Eier [uo in luftfreies Wasser unter Luftabschluss gebracht werden, wie in kohlensäurereichem, sauerstofffreiem Wasser, in wenigen Tagen zu Grunde gehen, während die Controleier in Gläsern mit lufthaltigem Wasser an der Luft sich entwickeln. Man muss aus diesen Ver- suchen, soweit sie mit Seine -Wasser angestellt wurden, auf die Nothwendigkeit des Sauerstoffs für das Embryoleben schliessen, während bei den mit destillirtem Wasser ebenso angestellten Experimenten die Möglichkeit besteht, dass ausserdem der Mangel an Salzen tödtlich gewirkt habe. Ob die durch Kiemen, Haut und Magen (mittelst Schluckens) vom Froschembryo aufgenommene Sauerstoffmenge auch nach dem Yerlassen des Eies genügt, das Leben zu erhalten, so dass die Lunge garnicht in Function tritt, ist eine bisher nicht untersuchte Frage von hohem morphologischem und physiologischem Interesse. Ich habe daher eine grössere Anzahl embryonirter Froscheier unter Luftabschluss in Gefässe gebracht, in welche sauerstoff- haltiges Wasser continuirlich einströmte (aus einer Quelle von nahezu constant 13° C.) so jedoch, dass keine Luftblasen sich an- sammeln konnten, wenn durch den Einfluss des Lichtes auf das Chlorophyll der sorgfältig geschonten Algen Sauerstoffgas sich entwickelte. ' Die Einrichtung war diese : Durch ein T-Rohr gelangt das Wasser einerseits mittelst eines Kautschukschlauchs unten in eine Klärflasche, andererseits in das Freie. Die Flasche ist nur durch einen lose aufgesetzten Trichter verschlossen, so dass keine Gasblasen sich oben ansammeln kön- nen. Die Flasche und der Trichter sind permanent vom langsam fliessenden Wasser angefüllt. Die Froschlarven werden in diesem sehr gross, erhalten aber nach drei Monaten ihre Extremitäten, und verlieren den Schwanz vollständig. Die Larven nehmen nach A. Die AthmuQg im Ei. 107 höchstens vier Monaten — ich beobachtete fast täglich vom, April bis Anfang August 1882 und 1883 — vollständig den Froschcharakter an. Nur sucht keine an die Luft zu gelangen. Einen solchen Frosch von 34 Millim. Länge opferte ich am 8. August 1882, konnte aber nur eine sehr kleine Lunge mit viel dunkelem Pigment auffinden. Ich bin sogar zweifelhaft, ob das zarte luftfreie Gebilde eine functionsfähige Lunge war. Magen, Darm, Leber (mit grosser Gallenblase), die Brachial- und Schenkel- nerven waren sehr gut, die Muskeln schlecht ausgebildet. Man muss demnach ein solches künstlich durch Verhinderung der Lungenathmung auf die Aufnahme des im Wasser dififundirten Sauerstoffs beschränktes Thier ein verkümmertes nennen. Es zeigt auch die Macht der Vererbung. Denn vor der Eückbildung des Euderschwanzes waren die Larven äusserst kräftig. Trotz seines Nutzens mussten sie ihn einbüssen wie gewöhnliche Frösche an der Luft. Bei dem zweiten Verfahren, welches ich mit Erfolg anwendete^ tropft frisches, Infusorien enthaltendes, sauerstoffreiches Wasser in einen vielfach durchlöcherten Porzellan-Trichter, der lose auf einem grossen Becherglase steht. Das zufliessende Wasser dringt durch die Öffnungen des Trichters ein, das abfliessende wird durch den kreisförmigen Spalt zwischen Becherglasrand und Trichter fortgedrängt. Auch so gelang es mir im Sommer 1883 vollständige Frösche zu züchten, welche nicht an die Luft kamen. Hier behielten auch einige Frösche bis zum August ihre langen Ruderschwänze neben den Extremitäten. Sie müssen aber reichlich genährt werden — mit frisch getödteten Kaulquappen — wenn sie eine Länge von mehr als vier bis fünf Cm. erreichen sollen. Ob sie geschlechts- reif werden können, bleibt zu ermitteln. Hier ist die Thatsache constatirt, dass einzig durch Absperrung der Embryonen und Larven des Frosches von der atmosphärischen Luft, also durch Verhinderung der Lungenathmung, einerseits das Larvenstadium erheblich verlängert, andererseits eine neue Abart des Frosches erzeugt werden kann, die ohne Lungen und unter Wasser athmet. Wie verhält es sich nun mit der Athmung solcher Kiemen- tragenden Embryonen, die, durch keine Blutgefässe mit dem Mutter- thier in Verbindung stehend, von diesem in einem relativ weit differenzirten Stadium unter Zerreissung der Eihaut in das Wasser abgesetzt werden? Beim Erdsalamander (Salamandra maculata) 108 Die embryonale Athmung. ist solches der Fall. Unmittelbar nach der G-eburt im Wasser findet die Kiemenathmung statt. Woher bezieht aber der Em- bryo vor der Geburt seinen Sauerstoff? Nach Rusconi's sorg- [298 fältigen Beobachtungen sind die Kiemen am 30; Tage nach der Befruchtung von einer erstaunhchen Grösse und nehmen erheblich an Oberfläche und Verzweigungen ab, ehe die Geburt stattfindet, so dass sie am 65. Tage nach der Befruchtung auffallend klein erscheinen. Man muss hiernach annehmen, dass im Ei durch Diffusion in die Kiemen Sauerstoff aufgenommen wird, dass also geradezu eine Kiemenathmung im Ei vor der Geburt monatelang vor sich geht. Das Kleinerwerden der Kiemen im weiteren Verlauf der embryonalen Entwicklung würde keineswegs die Annahme eines verminderten Sauerstoffverbrauchs nöthig machen, da die Zahl der Blutkörper und die Hämoglobinmenge zunehmen müssen und durch die oberflächlichen nun weiter entwickelten Blutgefässe des Dotters und der Haut gleichfalls Sauerstoff endosmotisch aus der Lunge (?) und aus dem Blute der Mutter aufgenommen werden kann. Kusconi selbst gesteht, er finde keine Erklärung für das Kleinerwerden der Kiemen des Embryo vor der Geburt. Nach der obigen Auffassung erscheint sie weniger räthselhaft. Auch ist gerade bei dem von mir genauer beobachteten neugeborenen Erdsalamander die Kiemenathmung nur dann sehr ausgiebig, wenn man die Larven künstlich verhindert an die Oberfläche des Wassers zu schwimmen. Nur dann und dann immer fand ich die [343 Kiemen sehr stark ausgebildet und die Lungen luftleer und atelek- tatisch, sogar nach 14 Monaten. Wenn ich aber die Larven nicht — in der oben beschriebenen Weise (S. 106) — verhinderte, an der Wasseroberfläche Luft aufzunehmen, fanden sich jedesmal Luftblasen in der Lunge und die Kiemen wurden bald zurück- gebildet. Es ist also gewiss nicht richtig, was der sonst vorsichtige Rusconi behauptet, die Luft, welche er in den Lungen der jungen Larven in einer flachen Wasserschale fand, stamme nicht aus der Atmosphäre, sondern aus den Lungen selbst. Nur wenn die Thiere unter merklich vermindertem Luftdruck im Wasser längere Zeit verweilen, kommt es zu einer stets lebensgefährlichen Entwicklung von Gasperlen in ihnen und an ihrer Oberfläche, wie ich oft wahr- nahm, wenn ich die Embryonen in hohen mit Wasser gefüllten Cylindern hielt, welche oben geschlossen unten offen im Wasser standen. Werden in den ersten Entwicklungsphasen befindliche Frosch- A. Die Athmung im Ei. 109) eier in Wasser gehalten, das reines Sauerstoffgas statt Luft enthält, dann bleiben, wie Rauber beobachtete, die Kiemen auf einer [367. niederen Entwicklungsstufe stehen. Bei Erleichterung der Athem-_ function werden also die Respirationsapparate dieser variabeln Wesen in der Ausbildung reducirt, bei Erschwerung derselben — in meinen obigen Versuchen — stärker ausgebildet. Dass die Embryonen der Reptilien im Ei Kohlensäure, bilden, ist noch nicht bewiesen, da aus der von Baudrimont [iio. und Martin-Saint- Anges nachgewiesenen Kohlensäure-Abscheidung - der befruchteten Ringelnatter- und Eidechsen-Eier nicht folgt, dass . die Embryonen selbst die Kohlensäure bildeten. Es hätten zum, Vergleiche auch unbefruchtete Reptilien -Eier untersucht werden müssen. Auch die Sauerstoffaufnahme ist noch nicht direct dargethan. Man kann diese jedoch schon deshalb für sicher erklären, weil- die Embryonen der Ringelnatter, die ich einmal fast unmittelbar- nach dem Absetzen der Eier beobachtete, hellrothes Blut haben,, welches unzweifelhaft Sauerstoffhämoglobin enthält (vgl. S. 22). Wie der Sauerstoff aber vorher im Körper des Mutterthiers in das Ei hineingelangt, ob etwa von der eingeathmeten Luft aus den- Lungen durch Diffusion direct oder aus dem Blute indirect, ist unbekannt. Dass vor dem Absetzen der Eier das gesammte rothe Blut des Embryo vollkommen frei von Sauerstoff sei, dieser also-, erst nach dem Legen, wie beim Vogel, aus der Luft durch die hier weiche Schale eindringe, lässt sich nicht annehmen, weil der Embryo im frisch gelegten Ei zu weit entwickelt ist. Die Eespiration des Yogel-Emibryo. Wegen der relativ geringen technischen Schwierigkeiten ist die Athmung des Hühnerembryo im Ei am häufigsten untersucht- worden, doch konnten erst in der neuesten Zeit bestimmte Be- weise für die Kohlensäurebildung seitens des Embryo vor dem. Beginn der Lungenathmung geliefert werden, weil man es früher versäumt hatte, nicht befruchtete bebrütete Eier, die ebenfalls Kohlensäure an die Atmosphäre abgeben, mit befruchteten ebenso-, bebrüteten desselben Alters unter gleichen Umständen zu ver- gleichen. Zwar hatten schon Prevost und Dumas behauptet, dass auch unbefruchtete Eier Sauerstoff aufnehmen und Kohlensäure exha- liren und zwar weniger als befruchtete, auch Baudrimont und. 110 Die embryonale Athmung. Martin-Saint-Anges Ähnliches angenommen, aber die unter- [208,53s suchten Eier befanden sich unter ganz anomalen Bedingungen, in trockener Luft, die gasometrischen Analysen sind den damaligen Zeiten entsprechend ganz ungenügend und die mitgetheilten Zahlen beweisen gar nicht die grössere Sauerstoffaufnahme und Kohlen- säure-Exhalation seitens des embryonirten Eies, weil sie an sich fehlerhaft sind und Controlversuche fehlen, wie ich bereits an anderer Stelle zeigte. [208 Die ganze Frage musste daher noch einmal gründlich ex- perimentell in Angriff genommen werden. Ich habe diese Arbeit zusammen mit Dr. Eobert Pott in den letzten Sommern durch- geführt. Eine kurze Zusammenstellung der für die Sauerstoff-Aufnahme des Vogelembryo überhaupt sprechenden Thatsachen sowie einige Beobachtungen über die Eigase seien der Darstellung der durch unsere quantitativen Bestimmungen der vom Hühnerembryo aus- geathmeten Grase ermittelten Thatsachen vorausgeschickt. — Wenn die Allantois aus irgend welchem Grunde sich unvoll- kommen entwickelt, so gehen die Embryonen asphyktisch zu [243 Grrunde. Die Erstickung tritt regelmässig ein, weil, wie jetzt fest- steht, die Sauerstoffaufnahme seitens des Blutes, nämlich des Hämoglobins, in den Allantoisgefässen mangelhaft wird. Wenn das Ei im kleinen geschlossenen Luftraum erwärmt wird, kommt entweder keine Embryobildung zu Stande oder der Embryo stirbt früh ab, wie Dareste fand und ich bestätigen [sa kann. Dabei wurde von uns Pilzbildung regelmässig beobachtet. Auch dann tritt die letztere, am Septum in der Luftkammer zu- meist, ein, und damit sehr leicht der Embryotod, wenn die Eier in einem nur Sauerstoffgas enthaltenden kleinen geschlossenen Kaum bebrütet werden, wie ich und Dr. Pott feststellten. Die [286 Luft in der nächsten Umgebung des bebrüteten Eies darf nicht -einen Tag stagniren, wenn der Embryo sich weiter entwickeln soll. Noch weniger darf sie sauerstofffrei sein, wie Erman trotz Yiborg behauptet hatte und Einige [388.393 annahmen, ehe Schwann (1834) die Ermanschen sehr rohen [330 Versuche gründlich widerlegt und gezeigt hatte, dass sie nur die Mögliclikeit der embryonalen Entwicklung in einer Luft beweisen, welche weniger Sauerstoff, als die Atmosphäre enthält. Erstickung des Embryo tritt aber schnell ein, wenn das un- versehrte bebrütete Ei in der Luft selbst ein (noch festzustellendes) A. Die Athmung im Ei. 111 Minimum SaiierstoiFgas nicht mehr aufnehmen kann. Eintauchen des Eies in Wasser von seiner Temperatur ist nicht erforcier- [iio lieh, schon Beölung oder Firnissen der Eischale genügt, um den Übergang des atmosphärischen Sauerstoffs durch die Schale, die Schalenhaut und das Chorion an die Blutkörper in den Allantois- gefässen so zu erschweren, dass stets, wenn die ganze Respirations- fläche bedeckt wird, in Hühnereiern schleunigst der Tod des Em- bryo eintritt. Herzstillstand und Venöswerden des gesammten [274 Blutes habe ich vom siebenten Tage an in einigen Secunden auch nach dem Herausnehmen des Embryo aus dem Ei unter Ab- trennung der Allantois eintreten gesehen; ich sah dasselbe nach partieller Zerstörung der Allantois im geöffneten warmen Ei sich ereignen. Von spätestens der zweiten Woche an ist also das Leben des Embryo an die respiratorische Function der Allantois ge- bunden. Es fragt sich aber, ob die letztere auch im intacten Ei in ihrer ganzen Ausdehnung unversehrt sein muss, oder ob etwa bei theilweiser Ausschaltung derselben das Leben des Embryo, obzwar nur unter Missbildungen seiner Organe, bestehen bleiben kann. Schon Greoffroy St. Hilaire versuchte (1820) durch partielles Überziehen des Eies mit Firniss und anderen vermeintlich imper- meabeln Stoffen die Ausbildung der Allantois local zu verhindern. Die früheren Versuche mit partiellem Firnissen der Eier haben in der That zu auffallenden Resultaten geführt. Wird nur der Theil des Eies gefirnisst (mit 2 Th. Wachs auf 1 Th. Colophonium) wo sich die Luftkammer befindet, dann soll, wie Baudrimont und Saint- Anges fanden, schnell der Embryo- [iio tod eintreten, während in drei Eiern, deren Luftkammer -Schale allein ungefirnisst blieb, die Entwicklung normal vor sich ging, obwohl sie sieben Tage lang uneröffnet gefirnisst blieben. Die- selben Forscher beobachteten noch, dass, wenn die Eier zur Hälfte gefirnisst und mit der gefirnissten Hälfte nach unten liegend er- wärmt wurden, die Entwicklung normal (bis zum siebenten Tage) fortschritt, aber die Allantois sich dann nur halbseitig ent- ivickelte bis an den Rand des gefirnissten Theiles soweit die Luft Zutritt hatte. (Ich komme auf diese nur theilweise richtigen An- gaben zurück). Wurden dagegen die zur Hälfte gefirnissten Eier mit der gefirnissten Hälfte nach oben ausgebrütet, dann liess sich nur eine Spur beginnender Entwicklung (am siebenten Tage) wahrnehmen. Gute Bruthennen legen täglich die Eier um, so dass keine 112 Die embryonale Athmung. Fläche keines Eies lange der Luft entzogen bleibt. GescMeht die TJmwendung der im Brutofen auf Sand liegenden Eier gar nicht oder geschieht sie zu häufig, dann entwickeln sich manchmal, wie ich be- reits (S. 11) bemerkte, asymmetrische Embryonen. Zwerg-Embryonen konnten L. Gerlach und H. Koch (1882) dadurch entstehen [ssr lassen, dass sie das ganze Ei bis auf einen 4,5 oder 6 Millim. im Durchmesser haltenden „Luftfleck" in der Nähe oder unmittelbar über der Keimscheibe, firnissten. Es fanden sich dann häufig sehr kleine, aber entwickelte Embryonen vor, woraus folgt, dass der atmosphärische Sauerstoff für das Wachsthum mehr erforder- lich ist, als für die Differenzirung. Leo Gerlach fand denn [soi auch, dass beim partiellen Firnissen befruchteter Eier die bisweilen^ darauf folgenden Wachsthumsanomalien oder Missbildungen (am dritten bis sechsten Tage der Bebrütung) den Entwicklungsstadien^ der ersten 15 Stunden entsprechen. So früh also muss die par- tielle Sauerstoffentziehung fühlbar werden. Ganz in Übereinstimmung damit hatte schon im Jahre 1834 Theodor Schwann gefunden, dass frische befruchtete Hühner- [sso eier im Wasserstoffgas sich nur bis zu 15 Stunden entwickeln und nach 30-stündiger Bebrütung im Wasserstoffgas auch in der Luft absterben, nach 24-stündiger Bebrütung in demselben aber in der atmosphärischen Luft sich weiter entwickeln können. Sauerstoff ist also vom Anfang an nothwendig. Diese Versuche bestätigte 1840 John Marshall, indem er [4i3 Hühnereier nach dem Bekleben mit mehrfachen Schichten Papiers und Eierweiss zwar sich entwickeln sah, wie früher Towne, [4i6 nicht aber in Darm eingebundene unter Öl gehaltene Eier. Li diesen kam es nicht zur Embryo- und Blut - Bildung. Obwohl nun hierdurch die Experimente von Towne wider- legt wurden, welcher wie Erman behauptet hatte, dass der Embryo im Yogelei sich ohne Sauerstoffzutritt von aussen normal ent- wickeln könne, so sind doch eben diese Experimente keineswegs überflüssig gewesen. Denn sie beweisen, dass die Embryobildung und die Entwicklung normal sogar lange Zeit fortgehen kann, wenn der Sauerstoffzutritt erheblich erschwert, die Menge des zur Ver- fügung stehenden Sauerstoffs bedeutend vermindert ist. Selbst nach Bekleben des Hühnereies mit drei bis fünf Lagen Papiers und Eierweiss schlüpften nach 21 Tagen normale Hühnchen aus. Marshall zeigte, dass das Eierweiss zahlreiche Sprünge und Risse hatte und das Papier für Luft permeabel war, wie es Schwann für den Gyps bei Ermans Versuchen gezeigt hatte. Nur A. Die Athmimg im Ei. 113 impermeable Überzüge über das ganze Ei machten die Embryo- Bildung unmöglich. Als aber ein Firniss (deux parties de gomme laque et une partie de colophane pour une pinte d'esprit de vin) auf die ganze Oberfläche mehrerer Hühnereier von Keaumur applicirt worden, gelang es nach der Entfernung desselben — vermuthlich durch Auflösung in Alkohol — selbst dann noch einmal ein Hühn- chen, allerdings mit einer Missbildung, durch Ausbrüten zu er- halten, als die Eier 2'^/^ Monate gefirnisst bei gewöhnlicher Tem- peratur aufbewahrt worden waren. Wenn diese Beobachtung [4i9 bei exacter Ausführung des Versuches sich bestätigen sollte, so würde folgen, dass die Ursache des Sterilwerdens frischer be- fruchteter Eier nach vierwöchentlichem Aufbewahren bei gewöhn- licher Temperatur durch Grasaustausch des Ei -Inhaltes und der Luft viel mehr, als durch innere, davon unabhängige Zersetzung bedingt ist, namentlich durch Wasserverlust, wovon weiter unten die Rede sein wird. Auch Dareste stellte zahlreiche Versuche über die Wirkung [307 des partiellen Firnissens bebrüteter Eier an. Er verwendete dazu mit Vorliebe gewöhnliche Stiefelwichse ohne über deren (wech- selnde) Zusammensetzung etwas anderes anzugeben, als dass sie ihm unbekannt sei ! Wenn die Eier nur am stumpfen Pol gefirnisst wurden, wo die Luftkammer zu liegen kommt, dann gingen die Embryonen keineswegs jedesmal zu Grunde, aber die Allantois entwickelte sich angeblich an der Breitseite des Eies, wie schon Baudrimont und Martin -Saint -Anges behauptet hatten, da wo die Schale der Luft direct exponirt geblieben war, nicht aber an der die Luftkammer inwendig begrenzenden inneren Schalenhaut- lamelle. Wurde der stumpfe Pol erst gegen den fünften Tag gefirnisst, dann gingen die Embryonen zu Grunde, weil die Allantois dann schon an das Septum gegen die Luftkammer sich angelegt habe; beim Firnissen nach diesem Termin aber blieben die Embryonen bis zum zwölften Tage am Leben, weil sie sich ausgebreitet habe. Firnissen des spitzen Eipoles hatte eine Störung der Entwicklung nicht jedesmal zur Folge. Hier konnten die Allantois und Luft- kammer sich wie gewöhnlich ausbilden. Diese Versuche hat in meinem Laboratorium Dr. Karl Düsing wiederholt und statt des Firniss den zum Verkitten mikroskopischer Präparate dienenden Asphaltlack verwendet, welcher sich zu diesem Zwecke vorzüglich geeignet erwies. Es stellte sich aber heraus, dass die Angaben von Dareste bezüglich der Allantois Preyer, Physiologie des Embryo. 8 114 Die embryonale Athmung. sehr ungenau sind. Wir sahen nach Schwärzung des stumpfen Eipoles in grosser Ausdehnung normale Hühnchen ohne Kunst- hülfe im Brütofen ausschlüpfen, und niemand war nachher im Stande, die überall gleichartige gleichmässig das Hühnchen um- hüllende Allantois unter der Schalenhaut (nach Ablösung der letzteren unter Wasser) von einer gewöhnHchen Allantois zu unter- scheiden. Dass der Asphaltlack aber die Gasdiffusion enorm ver- mindert, wurde durch Wägungen bewiesen, indem total lackirte Eier nur etwa Yio ^^^ Gewichtsverlustes nicht lackirter Eier beim Bebrüten erlitten. [394 Auch die andere durch keine Detailangaben erhärtete Be- hauptung von Dareste kann nicht richtig sein, dass die Gaskammer nach Schwärzung des stumpfen Pols sich regelmässig an der Breit- ^ Seite bilde, sonst müssten wir sie daselbst gefunden haben. End- lich ist es nicht richtig, dass Firnissen des stumpfen Poles gegen den fünften Tag den Embryo tödte, weil die Allantois sich dann schon an das Septum — die innere Schalenhautlamelle — angelegt habe. Denn es ist längst bekannt, dass die Allantois erst am vierten Tage sich ausstülpt und erst am Ende des fünften Tages, [ne gefässreich geworden, die Athmung vermittelt. Vers le cinqideme [307 jour kann nur das Ende des vierten oder den Anfang des fünften Tages bedeuten. Dann ist die Allantois aber noch nicht an der (noch kleinen) Luftkammer angelangt. Daher wird die spätere Angabe du cinquihne au Ituitieme jour richtig sein. Die un- [419, 5s gleiche Ausbildung und Ausdehnung der Allantois bei partiell lackirten Eiern, aus denen Hühnchen ausschlüpften oder in denen sie sich bis zum 19. oder 20. Tage entwickelten, habe ich aber überhaupt in keinem Falle constatiren können. Die Versuche von Dareste, bei denen in total gefirnissten Eiern die Embryo - Anlage sich bildete, erklären sich durch die Permeabilität des Überzuges; desgleichen die von Martin- [4.19 Saint- Anges und Baudrimont. Collodium und Schuhwichse sind dazu ungeeignet, und Dareste selbst bemerkte, dass die damit total gefirnissten Eier während der Bebrütung 0,19 bis 0,27 Gr. täglich an Gewicht verloren, es konnte also der Überzug nicht gasdicht sein. Auch bildete sich in einem unmittelbar nach dem Legen noch warm gefirnissten Ei nach dreitägiger Bebrütung eine Luftkamnier mit etwa ein Cc. Luft. Als aber Dareste frische Eier mit Olivenöl bestrich und einrieb, bildete sich nur eine sehr kleine Luftkammer oder keine, und es kam nicht zur Bildung des Em- bryo. Nur nachdem beim Brüten das Ol — durch die Federn der A. Die Athmung im Ei, 115 Bruthenne — wieder abgerieben worden, entwickelten sich Em- bryonen in den beölten Eiern, nicht aber in dem sonst bewährten Brütofen. Dem entsprechend war auch die Gewichtsabnahme der total beölten nicht bebrüteten Eier eine minimale. Sie betrug 0,003 bis 0,013 Gr. täglich, 16 bis 19 Tage nach der Beölung. Frische nicht beölte Eier verlieren durchschnittlich 0,079 Gr. an der Luft in 21 Tagen im Sommer im Zimmer — und zwar [208, ^2s im Minimum 0,066 im Maximum 0,105 täglich — also fast das Zehnfache. Dieser Unterschied beseitigt zwar den Verdacht, dass doch die ölschicht nicht impermeabel gewesen sei, nicht ganz, zeigt aber, dass die Beölung den Sauerstoffzutritt enorm erschweren muss. Da bei derartigen Beölungen und den sämmtlichen früheren Versuchen, die Eier mit gasdichtem Eirniss oder Lack zu über- ziehen, grosse Elächen der Kalkschale continuirlich dem Zutritt der Luft entzogen waren, so konnte das Überwiegen der sehr zahl- reichen negativen Resultate über die seltenen positiven, bei wel- chen lebende Hühnchen ausschlüpften, recht wohl durch die Asymmetrie der der Luft entzogenen und exponirten Oberflächen- theile und dadurch bedingte ungleiche Entwicklung beim Be- brüten beruhen. Es war daher wünschenswerth zu wissen, ob beim Betupfen der Ei-Oberfläche mit Asphaltlack und Glimmerplättcheu mit gleichen Abständen der Tüpfel die Entwicklung etwa normal vor sich gehe, auch wenn die Hälfte der Oberfläche der Luft entzogen würde. Diese Frage hat Dr. Düsing in meinem Laboratorium (1883) durch viele Experimente entschieden. [394 Wurden die frischen befruchteten Eier stellenweise mittelst grosser oder kleiner Tupfen von etwa ^/^^ bis 2 D Cm. Oberfläche bemalt, künstlich gesprenkelt, so dass mehr als ^3 und ^2 ^^^ ganzen Ei -Oberfläche nicht mehr für die Luft durchgängig war, so entwickelten sich dann doch die Hühnchen bis zum 18. und 19. Tage normal, einmal nur mit einer Missbildung (Polydaktylie). Da aber ganz dieselbe Missbildung (Verdoppelung der Hinterzehe) bei einem aus einem unveränderten Ei ausgeschlüpften Hühnchen bald darauf ebenfalls beobachtet wurde , so ist hier eher an eine erbhche Disposition zu Hyperplasien, als an einen teratogenen Einfluss des Lackirens zu denken. Das zweite Ei stammte übrigens von einem anderen Huhne. Li nicht wenigen Fällen schlüpften ganz gesunde Hühnchen aus solchen mit Asphaltlack bemalten Schalen aus. Es gelang indessen nicht mit Sicherheit Anomalien der Allantois zu constatiren. Wahrscheinlich war der Gaswechsel 116 Die embryonale Athmung. mit der Atmosphäre an den freien Stellen im Vergleich zur Norm gesteigert, die Ausgleichung der Wärmeleitungsdifferenzen er- leichtert. Die Grösse der abgesperrten Oberfläche erreichte in einem Falle, als gerade ein vollkommen "wohlgebildetes kräftiges Hühnchen ohne alle Kunsthülfe im Brütofen am 21. Tage aus- schlüpfte, genau die Hälfte der ganzen Ei -Oberfläche, was Dr. Düsing dadurch feststellte, dass er sie schachbrettartig in kleine schwarze und weisse Vierecke von Y2 ^^i^l Yj, ^ Cm. mit Asphalt- lack völlig symmetrisch eintheilte. Trotz des starken Asphalt- geruchs während drei Wochen kamen die Embryonen zur Reife; in einem Falle gedieh der Embryo bis zum 19. oder 20. Tage normal mit normaler Allantois bei ^/g Schwärzung. Aus allen diesen Thatsachen folgt, dass der Vogelembryo schon sehr früh, nämlich sicher lange vor Ablauf des zweiten Tages, Sauerstoff aus der atmosphärischen Luft auf- nimmt und unmittelbar darauf verbraucht. Ich habe denn auch mit Sicherheit im unversehrten bebrüteten und normal ent- wickelten Hühnerei mittelst einer Combination des Embryoskops und Spectroskops die Gegenwart von Sauerstoöliämoglobin in den Allantoisgefässen am Spectrum erkannt. Der Embryo mag der Luft viel oder wenig — im Verhältniss zum ausgeschlüpften Vogel — in der Zeiteinheit entnehmen, fest steht, dass er den mittelst seines Hämoglobins aufgenommenen Sauerstoff sofort in irgend welcher Weise verwendet. Denn sofort zeigt die Blutfarbe nach Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr das charakteristische Aussehen des Erstickungsblutes. Doch kann die Menge des zum Ei gelangenden Sauerstoffs enorm vermindert werden, ohne die Entwicklung zu stören. Es wäre interessant zu wissen, ob beim Gegentheil, in einem permanenten Strome reinsten warmen Sauerstoffgases und bei gesteigertem Sauerstoffdruck, etwa die Incubationsdauer abgekürzt oder durch Steigerung der in- traovären Oxyd"ation der Embryo getödtet wird. Ein Versuch von Baudrimont und Saint -Anges mit drei [uo Eiern vom 18. Tage angestellt, welche 22 Stunden warm in einem sehr sauerstoffreichen (etwa 85 proc. enthaltenden) Gasraum ver- weilten, ergab bemerkenswerthe Resultate. Sie fanden nämlich den Embryo roth, die Blutgefässe stark geröthet, die Allantois sehr resistent und ein Milhmeter dick, das Amnioswasser roth. Dasselbe enthielt Blutkörper, welche sich rasch in der Flüssigkeit senkten und gequollen schienen. Diese auffallenden Veränderungen A. Die Athmung im Ei. 117 zeigten drei Eier. Ein anderes nur zehn Tage bebrütetes Ei ver- hielt sich aber ebenso im SauerstofFgas ; ein fünftes (in der Ent- wicklung vorher zurückgebliebenes) zeigte nichts abnormes. In allen Fällen liess sich hierbei für die 10 und 18 Tage be- brüteten Eier eine Sauerstoflaufnahme — aus der Verminderung des anfänglichen Sauerstoff-Volums — nachweisen. Die von Dr. Roh. Pott in meinem Laboratorium vor- [286 genommene Wiederholung dieser Versuche mit reinem Sauerstoff- gas und sechsstündiger Durchleitung hat bestätigt, dass Allantois und Embryo auffallend roth aussehen: ihre ganze äussere Haut, sogar die Eüsse und das Amnioswasser sind roth. Ich fand in dem letzteren aber keine rothen Blutkörper, sondern nur Leuko- €yten und constatirte mit Sicherheit spectroskopisch, dass die rothe Farbe von aufgelöstem Sauerstoffhämoglobin herrührt. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass für dessen Bildung — am zweiten Tage — der Sauerstoff zutritt erforderlich ist. In stag- nirendes Sauerstoff'gas enthaltenden abgeschlossenen Räumen (ab- gesperrten Glasglocken) trat, wie (S. 110) erwähnt wurde, Schimmel- bildung im Ei ein, und zwar immer zuerst in der Luftkammer, selbst wenn der Sauerstoff täglich einmal erneuert wurde. Die Höthung war aber auch da zu sehen. Was nun die BetheiHgung der Luft in der Luftkammer am Respirationsprocess des Embryo betrifft, so ist bekannt, dass un- mittelbar nachdem das Ei gelegt worden, schon die Bildung der Gaskammer (Cavitas s. Folliculus aeris) am stumpfen, sehr selten am spitzen Eipol beginnt. Der Luftraum vergrössert sich beim befruchteten wie beim unbefruchteten Ei, indem Luft durch die Kalkschale und die äussere Lamelle der ihr bis zuletzt dicht an- liegenden Schalenhaut eindringt und der Abstand der inneren Schalenhautlamelle von der äusseren stetig zunimmt. Bis zum Ende der Incubation dauert dieses Grösserwerden der Luftkammer im Ei, gleichviel ob darin ein Embryo sich entwickelt oder nicht. Aber sowohl bezüglich der absoluten Grösse, wie der Gestalt derselben zeigen die einzelnen Eier erhebliche Abweichungen. An mehreren Eiern habe ich mittelst des Embryoskops die [3ö6 allmähliche Zunahme der Luftkammer verfolgen können und durch directe Aufzeichnimg der Grenzlinien auf die Eischale auch anschau- liche Bilder des Wachsthums hergestellt, ohne dass die Entwicklung des Embryo im Geringsten gestört worden wäre. Folgende Zeich- nungen zeigen, wie gross die Luftkammer beim Hühnerei in der 118 Die embryonale Athmung. Regel wird, wie sie zummmt und bald regelmässigj bald unregel- mässig begrenzt erscheint. Fig. a stellt das Resultat, das vier Eier gaben, dar. Die oberste Grenzlinie ist am siebenten Tage von zwei Eiern über- einstimmend erhalten worden, die darauffolgende zeigte ein Ei am 21. Tage einige Stunden vor der Schalensprengung; die beiden untersten Linien geben die periphere Begrenzung für ein viertes Ei zu derselben Zeit und beziehen sich auf den grössten von mir überhaupt beobachteten Luftraum. Fig. ß zeigt ein unbefruchtetes Ei, das wie die Eier a im Brüt- ofen erwärmt wurde. Man sieht deutlich, dass am 22. Tage die Grösse der Luftkammer hinter der des entwickelten Eies zurückbleibt. Die dritte Figur zeigt die oos- kopisch aufgezeichneten Grenz- linien vom Pol aus gesehen an einem befruchteten Ei, aus wel- chem trotz der häufigen Drehungen beim Zeichnen am Embryoskop am 21. Tage ein normales Hühnchen, ohne die geringste Hülfe, auskroch. Die excentrischen in sich zurücklaufenden Linien, z. Th. fast kreis- förmig, zeigen das Wachsthum der Luftkammer an. ///// '/.Ta^ //// 'e.Jhff /// 's. Tay / /O.Ta^ A. Die Athmung im Ei. 119 Nur einmal unter mehreren hundert Fällen habe ich die Luft- kammer nicht an einem Eipol gefunden, sondern in der Mitte, so dass sich die Grenze ooskopisch ungefähr in dieser Weise zeigte : Das Hühnchen, welches aus diesem Ei im Brütofen ohne alle Hülfe ausschlüpfte, war in jeder Be- ziehung normal und blieb wie die anderen am Leben. Ein wahrscheinliches Ergebniss meiner Beobachtungen ist, dass bei gleicher Erwärmung und sonstiger Behandlung unbefruchtete Eier oft, aber nicht regelmässig, eine kleinere Luftkammer haben, als entwickelte. Der Embryo verursacht keine regelmässige Ver- grösserung der Luftkammer. Sowohl das befruchtete wie das un- befruchtete Ei entnimmt der Luft Sauerstojff vom Anfang an. Denn nach Allem, was über den Gasgehalt der Secrete und Excrete des Körpers bekannt ist, enthalten dieselben entweder gar keinen gas- förmigen Sauerstoff oder nur Spuren davon , wenn sie frisch sind. Das eben gelegte Vogelei wird demnach vor der Berührung seitens der atmosphärischen Luft kein Sauerstoffgas als solches frei oder diffundirt enthalten. Somit muss es, gleichviel ob es befruchtet ist oder nicht, sein Sauerstoffgas aus der Atmosphäre beziehen. Ein Theil geht in die Luftkammer, ein Theil weiter in das Albumen, wo schon Mayow viel Sauerstoff, seinen Spiritus nitro-aereus ver- muthete, als er mittelst der Luftpumpe Gas daraus entwickelte. Über die Zusammensetzung der Eigase in der Luftkammer Hegen jedoch nur wenige ältere Beobachtungen vor. Fabricius von Acquapendente scheint der erste gewesen zu sein, welcher behauptete, die , Gaskammer enthalte gewöhnliche atmosphärische Luft und das Hühnchen brauche sie (kurz vor dem Ausschlüpfen) zum Athmen. Andere wiesen darin Kohlensäure nach, so Paris 1810. Die Voreiligkeit, mit der man daraus [4i9 die Athmung des Embryo im Ei, sein Vermögen Kohlensäure zu bilden, als bewiesen ansah, obgleich Niemand damals die Gase in der Luftkammer unbefruchteter bebrüteter Eier prüfte, ist um so auffallender, als bereits Spallanzani gefunden hatte, dass auch un- bebrütete Eier, ja sogar Eierschalen mit der Schalenhaut etwas Sauerstoffgas absorbiren und Kohlensäure bilden, wenn sie über Quecksilber in gewöhnlicher Luft mehrere Tage eingeschlossen wurden. Dareste wiederholte diese Versuche zwar und fand [419 120 Die embryonale Athmung. angeblich nicht mehr Kohlensäure, als in der atmosphärischen Luft, er theilt aber keine Zahlen mit, und die von mir mit Dr. Pott ausgeführten Versuche beweisen, dass Spallanzani in der Hauptsache richtig beobachtet hatte, wovon weiter unten. Gustav Bischof, in der Absicht mit Nasse (in Bonn) zu- [267 sammen i. J. 1823 die Veränderungen festzustellen, welche Eier in abgeschlossener atmosphärischer Luft während der Bebrütung hervorbringen, sammelte zunächst über ausgekochtem Wasser die Eiluft und bestimmte eudiometrisch ihren Sauerstoffgehalt. Er fand in der Luft von fünf Eiern zwischen 21,9 und 24,3 "/q Sauer- stoffgas dem Volum nach, im Mittel 23,47 7o; und war überrascht, dass in der Eiluft mehr Sauerstoff enthalten ist, als in der At- mosphäre. Hätte er nicht über Wasser, sondern über Quecksilber die Luft aufgefangen, so würde er vielleicht den Unterschied noch grösser gefunden haben, als 1 bis 3,4%. Übrigens ist es nicht sicher, dass die Zahlen für bebrütete und nicht für unbebrütete Eier gelten, da Bischof erwähnt, die ungleiche Menge der Luft in jedem Ei rühre wohl vom verschiedenen Alter der Eier her. Eine Erklärung des hohen Sauerstoffgehaltes fehlt. Derselbe wurde auch von Dulk (1830) gefunden, welcher [64 die Gase aus acht unbebrüteten Eiern zusammen über ausgekoch- tem Wasser auffing und in einem Versuche 25,26 in einem an- deren 26,77 7o Sauerstoff fand. Die atmosphärische Luft gab 20,5 bis 21. Li den aus einem 20 Tage lang bebrüteten Ei mit abgestorbenem Embryo erhaltenen Kammer-Gasen wurden gefun- den 6,197o Kohlensäure. In drei anderen 20 Tage lang be- brüteten Eiern hatte das Sprengen der Schale durch das piepende Hühnchen bereits begonnen, ein Theil der Kohlensäure stammt hier also sicher aus den Lungen. Bemerkenswerth ist bei diesen Bestimmungen (welche auf Veranlassung von Karl Ernst von Bär unternommen wurden) die Übereinstimmung der Zahlen trotz der schlechten Methode. Es ergaben sich für die Eigase in Volumprocenten: Bebrütungs- Kohlensäure Tage Sauerstoff Kohlensäure Stickstoff plus Sauerstoff 0 25,26 u. 26,77 — — — 10 22,47 4,44 73,09 26,91 20 — 9,40 — — 20 17,55 9,23 73,22 26,78 20 17,90 8,48 73,62 26,38 Der eingeathmete Sauerstoff war also ohne merkliche Volum- änderung durch ausgeathmete Kohlensäure ersetzt worden. Die A. Die Athmung im Ei. 121 Gase des unbebrüteten Eies hat aber Dulk auf Kohlensäure nicht untersucht. Ferner behaupten Baudrimont und Martin- Saint -Anges, [iio welche ebenfalls über Wasser auffingen (1847), dass in der Eiluft mehr Sauerstoff als in der das Ei umgebenden Luft vorkommt, obgleich es ihre Versuche nicht jedesmal zeigen. Kohlensäure fanden sie bisweilen keine, jedenfalls weniger in der Eikammerluft, als in einem kleinen an das Ei gekitteten Kautschuk-Beutel. Die Yersuche sind wegen dieses Materials und auch sonst so mangel- haft, dass sie neue Analysen der Eigase nöthig machen, namentlich um zu ermitteln, ob die Eischale, wie jene Autoren meinen, zu- erst an der Stelle der Luftkammer Sauerstoff eintreten lässt, dann mit der Allantois- Entwicklung fortschreitend an allen Puncten (am 13. Tage) und ob die Kohlensäure reichlicher an der er- wähnten Stelle, als an anderer, die Schale verlässt, während das Wasser im Ei an allen Puncten zu gleicher Zeit vom Anfang an verdunstet. Wenn man das stumpfe Ei-Ende nach Bildung der Luftkammer luftdicht verklebte, würde sich wahrscheinlich beim befruchteten und unbefruchteten Ei mehr Kohlensäure in der Luftkammer fin- den, als normalerweise. Es ist zwar von Berthelot in den über Quecksilber auf- gefangenen Gasen der Kammern unbebrüteter wie drei bis fünf Tage bebrüteter Eier überhaupt keine Kohlensäure gefunden wor- den, wie Dareste berichtet, und nur 14 bis 20,5 Yolum- [419,5/ procent Sauerstoff; erwägt man aber, dass von ihm nur wenige Analysen ausgeführt wurden, dass die gesammte Gasmenge ein- mal nur 0,2 Cc, ein andermal nur 0,4 Cc. und 1,0 Cc. betrug, dass der Sauerstoff mittelst Kaliumpyrogallat bestimmt wurde und selbst ein Berthelot bei so kleinen Mengen zuverlässige Re- sultate nicht erhalten konnte — im ersten Versuch mit 0,2 Cc. fand er 0,04 Cc. Sauerstoff! — dann wird man die Abwesenheit der Kohlensäure bezweifeln dürfen. Dass atmosphärischer Sauerstoff und Stickstoff ebenso in das unentwickelte, wie in das sich entwickelnde Ei an irgend einer Stelle eindringen müssen, ist die natürliche Folge der Gewichts- abnahme beider in der Luft. Denn beide verlieren Kohlensäure und Wasser, und zwar in trockener, warmer Luft in grossen Men- gen in kurzer Zeit. Es muss also wegen der Starrheit der Kalk- schale sehr bald nach dem Legen des Eies in diesem ein ne- 122 ^^^ embryonale Athmung. gativer Druck entstehen, so dass atmosphärische Luft durch die Kalkschale eindringt. Dass aber diese Luft procentisch mehr Sauerstoff und weniger Stickstoff enthält, folgt aus den bekannten Erfahrungen über Gasdiffusion. Denn nach Grahams Versuchen über Atmolyse (1867) enthält die in einen mit Kohlensäure ge- füllten Kautschukballon eindringende atmosphärische Luft mehr Sauerstoff als Stickstoff» Nun können freilich die Bestimmungen von Bischof und Dulk nicht genau sein, weil sie die Gase über Wasser auffingen, und die Eischale mit der Schalenhaut verhält sich anders, als eine dünne Kautschukmembran, der Reibungs- coefficient derselben muss auch ein anderer sein, als der eines Gypsplättchens , aber es ist doch wahrscheinlich, dass aus rein physikalischen Gründen in das Ei mehr Sauerstoff einströmt, als Stickstoff. Ausserdem muss die Eiluft zu jeder Zeit der Bebrütung Kohlensäure enthalten, weil der Ei-Inhalt diese fortwährend abgibt. Für die Athmung des Embryo vor dem Beginn der Lungen- thätigkeit folgt aus dem vorliegenden Material über die Luft- kammergase jedenfalls, dass der an der inneren Schalenhautlamelle anliegende höchst gefässreiche AUantoisantheil leichter Sauerstoff- gas aufnehmen und Kohlensäure abgeben kann, als andere Theile. Insofern ist die Luftkammer durch ihren Sauerstoffreichthum der Entwicklung günstig. Nach dem Beginn der Lungenathmung im Ei ist sie aber von besonderem Nutzen für die Athmung jedesmal, wenn das Hühnchen die Schale noch nicht gesprengt hat. Ich habe oft in der vollkommen unversehrten Eischale das reife Hühn- chen am 21. Tage piepen gehört. Es athmet dann eine Zeitlang nur durch die Luftkammer, ohne welche es unfehlbar ersticken müsste. Ob ausser Kohlensäure und Wasser vom bebrüteten Ei noch andere Gase, Stickstoff und ein schwefelhaltiges Gas abgegeben werden, müssen neue genauere qualitative und gasometrische Ver- suche zeigen,' als diejenigen, aus welchen man es folgerte. Jeden- falls sind derartige Ausscheidungen, z. B. von Schwefelwasser- stoff* (?), der Wasser- und Kohlensäure -Abgabe gegenüber ver- schwindend klein. Ich habe daher diese ausschliesslich im Fol- genden berücksichtigt, bemerkte aber, dass weder durch quan- titative Bestimmungen des vom Ei absorbirten und exhalirten Stickstoffs, noch durch den Nachweis von Spuren anderer Gase die neu gefundenen Thatsachen erschüttert werden können. A. Die Athmuug im Ei. 123 Quantitative Bestiramungeu der Yom Yogelembryo respirirten Gase. Um über die Grösse des Gaswechsels bebrüteter Eier Auf- schluss zu erhalten, war es vor Allem erforderlich, die Gewichts- abnahme des Eies während der Gewichtszunahme des Embryo in ihm genau zu bestimmen. Sodann erschien es nöthig, unbefruchtete ebenso bebrütete Eier bezüglich ihrer Gewichtsabnahme an den einzelnen Brüttagen zu untersuchen, um festzustellen, ob überhaupt der Gaswechsel des Embryo einen Einfluss auf die Gewichts- abnahme während der Bebrütung hat. Die von Dr. Rob. Pott und mir ausgeführten Untersuchungen [208 beantworten beide Fragen. Durch häufige Wägungen befruchteter Hühnereier, in denen sich der Embryo vom ersten bis zum letzten Tage normal entwickelte, einerseits, unbefruchteter mit jenen in demselben Brutofen ebenso erwärmter Hühnereier andererseits er- gab sich die überraschende Thatsache, dass in beiden Fällen das Ei innerhalb der 21 Tage unter normalen Verhältnissen nahezu gleichviel an Gewicht verliert; es tritt sogar im Falle der Embryo abstirbt keine erhebliche Abweichung der die auf die Zeit bezogene Gewichtsabnahme ausdrückenden Linie von einer Geraden auf. [20& Schon Erman hat 1810 in einem Briefe an Oken die Be- [ßsa- hauptung ausgesprochen, dass unbefruchtete Eier während der Bebrütung denselben Gewichtsverlust wie diejenigen erleiden, in welchen sich ein Embryo entwickelt. Es fehlen aber alle Zahlen- angaben. Daher diese Notiz nur einen zweifelhaften historischen Werth hat. Prevost und Dumas hatten dagegen behauptet, [402 dass befruchtete Eier im ganzen Verlauf der Bebrütung mehr als unbefruchtete an Gewicht verlieren, etwa im Yerhältniss von 13,5% zu 12,5°/o- Wir fanden die totale Gewichtsabnahme in 21 Tagen für: [208,52* Entwickelte Eier Unentwickelte Eier Unbebrütete Eier Proc. Grm. Proc. Grm. Proc. Grm. im Minimum 16,8 8,87 16,5 8,18 2,95 1,40 im Maximum 21,3 11,63 21,4 12,07 4,37 2,11 im Mittel 19,6 10,27 18,5 9,70 3,47 1,66 Demnach verlieren bebrütete Eier mehr als sechsmal soviel an Gewicht in 21 Tagen, als unbebrütete bei Zimmerwärme im Sommer. Ob dagegen ein bebrütetes Ei einen Embryo enthält oder nicht, das lässt sich aus dem Gewichtsverlust nicht diagnosti- 124 Die embryonale Athmung. ciren. Bei Brutwärme verlieren befruchtete und unbefruchtete Eier in 21 Tagen mehr als 7 und weniger als 13 Grm., die entwickelten in der Regel einige Decigramm mehr als die unentwickelten. Da die Anfangsgewichte dieser Thüringischen Hühnereier zwischen 48,3 und 59,86 lagen — das Mittel aus 70 frischen Eiern war 49,92 Grm. — so sind die relativen Werthe für ci48 den Gewichtsverlust allein untereinander streng vergleichbar. Aber auch hier zeigt sich, wie an den Procentzahlen zu erkennen, zwar der Unterschied der bebrüteten und unbebrüteten Eier sehr auf- fallend, nicht aber der der befruchteten sich entwickelnden und der unbefruchteten ebenso bebrüteten. Beiderlei Eier nehmen in der vorliegenden Reihe um weniger als 22 "/^ und um mehr als IQ^/q oder im Ganzen um etwa Ve bis Vs ihres Anfangsgewichtes ab ; auch hier bleibt für die entwickelten Eier das Mittel um etwa l"/o höher, als für die unentwickelten bebrüteten Eier. Dieser Unterschied kommt aber erst in der letzten Brütwoche zum Vorschein. Ein Vergleich früherer Befunde mit diesen ganz zuverlässigen Zahlen zeigt, dass die totale relative Gewichtsabnahme bebrüteter Hühnereier sehr nahe constant ist. Denn R6aumur fand Ve» C^i^'^'^ Copineau nach 20 Brüttagen 7? bis Vßr Chevreul nach 21 etwa [275 Ve, Prout desgleichen 16^0 7 Sacc H'^/o- [338 Über den Verlauf der Gewichtsabnahme vom 1. bis zum 21. Tage waren hingegen die Ansichten bisher so verschieden, die directen Ergebnisse der Wägungen widersprachen einander so sehr, dass eine neue Experimentaluntersuchung nöthig wurde mit Vermeidung der jene mangelnde Übereinstimmung bedingenden Fehlerquellen. Man braucht nur Originalabhandlungen früherer Forscher anzusehen, um diese Fehlerquellen zu er- [402.338.275.270 kennen. Es wurden nämlich verschiedene Eier an verschiedenen Brüttagen gewogen, die Temperaturen nicht constant gehalten, die Wassermengen in der Brütluft nicht beachtet, unbefruchtete und befruchtete Eier nicht gehörig gesondert, Hennen statt des Brütofens benutzt u. a. m. Ich habe daher besonders darauf geachtet, dass ein und das- selbe Ei oft unter immer denselben äusseren Umständen gewogen wurde, so dass sich die absolute tägliche Gewichtsabnahme des- selben nach einem einfachen Ausgleichungsverfahren sehr genau finden liess. Das letztere ist mit den Einzelergebnissen der sehr zahlreichen von Dr. Rob. Pott in meinem Laboratorium aus- geführten Wägungen bereits 1882 veröffentlicht worden. Hier [203 A. Die Athmung im Ei. 125 seien nur nnter Verweisung auf jene Abhandlung die Hauptresultate angegeben, sofern sie für die Physiologie des Embryo von Be- lang sind. [117 Es stellte sich heraus, dass bei völlig ungestörtem Verlauf der Bebrütung der tägliche Gewichtsverlust für jedes einzelne Ei constant ist ausser in den ersten und letzten Brüttagen. Der ab- solute tägliche Gewichtsverlust ist für entwickelte wie unentwickelte Eier zwischen 0,38 und 0,58 Grm. eingeschlossen, der relative zwischen V;32 und V95; er beträgt im Mittel ^no? entspr. 0,45 Grm. Der absolute tägliche Gewichtsverlust des entwickelten wie des unentwickelten Eies in den ersten Brüttagen ist, wahrschein- lich wegen grösseren Wasserverlustes der hygroskopischen Kalk- schale beim schnellen Erwärmen auf 38°, etwas grösser, als in den folgenden, der zunehmende Verlust des entwickelten Eies in den letzten Brüttagen durch die schon vor der Schalen-Sprengung beginnende Lungenathmung erklärlich. Beim unentwickelten be- brüteten Ei verläuft die Gewichtsabnahme bis zum 22. Tage und darüber hinaus der Brütezeit in der Regel sehr nahe oder genau proportional. Die Constanz der täglichen Gewichtsabnahme entwickelter Eier (welche übrigens, wie ich nach Abschluss der sie beweisenden Untersuchungen erfuhr, für das entwickelte Ei C. Ph. Falck [370 in Marburg durch zweimalige Wägung verschiedener Eier von un- gleichen Brüttagen schon 1857 wahrscheinlich gemacht hatte) und ihre Übereinstimmung mit der ebenso der Brütezeit proportionalen Gewichtsabnahme unbefruchteter bebrüteter Eier, legte die Ver- muthung nahe, dass der Embryo auf die Gewichtsabnahme bis in die dritte Brütwoche hinein keinen Einfluss habe. In der That haben unsere Bestimmungen der vom entwickel- ten und unentwickelten bebrüteten Hühnerei in die umgebende Luft exhalirten Wassergas- und Kohlensäure -Mengen, sowie die daraus sich ergebenden Werthe für die gleichzeitig aufgenommenen Luft-Mengen, mit Sicherheit zu dem überraschenden Resultat ge- führt, dass wenigstens in der ganzen zweiten Woche die täglich verdunstenden Wassermengen W dem Gewichtsverlust G beim ent- wickelten Ei gleichkommen. Es muss zeitweise die Menge der ent- wickelten Kohlensäure K (zusammen mit anderen etwa vom Ei abgegebenen Gasen) dem Gewichte nach gleich sein der Menge des in derselben Zeit aufgenommenen Sauerstoffs S (zusammen mit dem etwa vom Ei der Luft entnommenen Stickstoff). Denn in der Gleichung G = K+ W- S \%i K= S, wenn G=W ist. 126 Diß embryonale Athmimg. Was mm die absoluten Mengen dieser drei vom Hüliner- embryo respirirten Gase betrüft, so war die Thatsache, dass be- fruchtete bebrütete Hühnereier Wassergas und Kohlensäure ex- haliren, bereits zu Anfang des Jahrhunderts bekannt. Schwann fand, dass sogar im Wasserstoff- und Stickstoffgas etwas Kohlen- säure von den Eiern abgegeben wird. Es war aber jeder Schluss auf die Betheiligung des embryonalen Stoffwechsels an dieser Kohlensäure-Exhalation so lange völlig unbegründet, als nicht die Mengen der von unbefruchteten Eiern gelieferten Kohlensäure quan- titativ bestimmt und mit denen der befruchteten sich entwickelnden verglichen worden waren, was auch J. Baumgärtner unterliess. [395 Alle bisherigen Bestimmungen des von bebrüteten Eiern ab- gegebenen Wassers sind fehlerhaft und werden deshalb hier über- gangen. Denn sie beziehen sich nur auf Eier, die in trockener Luft gehalten wurden, in welcher der Embryo bald abstirbt. Ich habe durch einen einfachen Kunstgriff die normaler Weise ex- halirten Wassermengen recht genauer Bestimmung zugänglich ge- macht: das zu untersuchende Ei befindet sich nämlich in einem kleinen Luftraum von der Bruttemperatur, in welchen zwar trockene Luft einströmt, in welchem aber ausser dem gewogenen Ei noch ein kleines gewogenes, offenes, Wasser enthaltendes Glasgefäss sich befindet. jS'ach sechsstündiger Luftdurchleitung mittelst eines Tropf-Aspirators wird das Wasserfläschchen mit eingeschliffenem Glasstöpsel wieder gewogen und der Gewichtsverlust von der Ge- wichtszunahme der vorgelegten, das gesammte aus dem Ei-Raum stammende Wasser zurückhaltenden Chlorcalciumröhren subtrahirt. Was übrig bleibt entspricht dann dem vom Ei exhalirten Wasser- gas. Controlversuche ohne Eier zeigten, dass dieses Verfahren für unseren nächsten Zweck genau genug ist. Denn die Zunahme des Chlorcalciumrohres betrug nur sechs bis neun Milligramm mehr als die Abnahme des Wassergefässes, und diese Differenz kann dem schon vorher im Ei-Raum vorhandenen Wassergas zugeschrieben werden. ' [203 Die vom Ei ausgeathmete Kohlensäure wurde mittelst der Kali-Apparate durch Wägung gefunden, Wasser und Kohlensäure überhaupt mit all den bei organischen Elementar- Analysen üblichen Cautelen, darum auch mit denselben Fehlerquellen, also bis auf ± 0,2 ^Iq genau, bestimmt. Die Luft trat langsam und gleichmässig stets trocken und kohlensäurefrei in den Ei-Raum ein und hatte daselbst stets die Brutwärme. Der Respirationsapparat [286, ra/. in ist in ähnlicher Form von Rob. Pott früher verwendet worden, [us A. Die Athmung im Ei. 127 doch konnte er damals keine physiologischen Resultate liefern, [isi weil das Ei sich in trockener Luft befand. Unsere neuen Yer- [208 suche haben zu den in der folgenden Tabelle zusammengestellten Zahlen geführt, von welchen nur die für den Sauerstoff S nicht durch directe Wägung, sondern aus der Formel G=fV+ K— S gefunden wurden. Alle Zahlen beziehen sich auf das Durch- schnitts-Ei von 50 Gramm und auf 24 Stunden. Gewichtsabnahme G Wasserverlust Kohlensäureabgabe Sauerstoffaufnahme W K S Tage 'Entw. Uneutw. Entw. ünentw. Entw. Unentw. Entw. Unentw. Tage 1 2 — - — — — — — — 1 2 3 — — — — — — — — 3 4 — — — — — — — — 4 5 — 0,40 — 0,32 — 0,08 — — 5 6 — 0,40 — 0,38 — 0,10 — 0,08 6 7 0,40 0,40 0,40 0,38 0,09 0,10 0,09 0,08 7 8 0,40 0,40 0,40 0,44 0,10 0,11 0,10 0,15 8 9 — 0,40 — (0,48) — 0,11 — (0,19) 9 10 0,40 0,40 0,40 0,46 0,11 0,11 0,11 0,17 10 11 — 0,40 — 0,46 — 0,11 — 0,17 11 12 — — — — — — — — 12 13 0,40 0,40 0,40 0,59 0,24 0,14 0,24 0,33 13 14 — 0,40 — 0,60 — 0,15 — 0,35 14 15 0,40 0,40 0,40 0,61 0,40 0,15 0,40 0,36 15 16 0,40 0,40 0,40 0,61 0,42 0,15 0,42 0,36 16 17 0,46 0,40 0,40 0,64 0,59 0,15 0,53 0,39 17 18 0,53 0,40 0,40 0,64 0,65 0,15 0,52 0,39 18 19 0,53 — 0,40 — 0,67 - 0,54 — 19 20 0,53 0,40 0,40 0,65 0,68 0,16 0,55 0,41 20 21 0,58 0,40 0,40 0,67 0,86 0,16 0,68 0,43 21 Die Zahlen für die unentwickelten Eier wurden durch 48 Einzel- bestimmungen an 16 Eiern gewonnen, deren jedes zu einem seclis- stündigen Respirationsversuche diente. In diesen sechs Stunden betrug die Gewichtsabnahme auf 50 Grm. Ei reducirt im Minimum 0,094, im Maximum 0,111, im Mittel 0,10, also in 24 Stunden 0,40 Grm. vom 5. bis 21. Tage. Der Wasserverlust für dieselben Eier nahm in dieser Zeit von Tag zu Tag zu, so dass das unent- wickelte Ei am 20. Tage doppelt soviel Wasser an die umgebende Luft abgab, als am fünften Tage. Ebendasselbe gilt für die von ihm exhalirte Kohlensäure, nur dass diese durchweg dem Gewichte nach viermal kleiner ist, als die abgegebene Wassermenge. 128 Die embryonale Athmung. Die Zahlen für die entwickelten Eier wurden durch 44 Einzel- bestimmungen an 16 Eiern gewonnen, deren jedes ebenfalls zu einem sechsstündigen Respirationsversuche diente. In diesen sechs Stunden betrug die Gewichtsabnahme auf 50 Grm. Ei reducirt in der Zeit vom 7. bis 17. Tage, d. h. vor dem Beginn der Limgen- athmung und nach Ablauf der ersten Brüttage, im Minimum 0,097, im Maximum 0,109, im Mittel 0,10, also in 24 Stunden gleichfalls 0,40 Grm. Vom 17. bis 21. Tage nahm aber die täghche Ge- wichtsabnahme etwas zu, von 0,46 bis 0,58. Die tägliche Wasser- exhalation für diese 1 6 entwickelten Eier betrug im Minimum für das Ei von 50 Grm. 0,08, im Maximum 0,11, im Mittel 0,10, also vom 7. bis 21. Tage in 24 Stunden durchschnittlich geradesoviel wie die tägliche Gewichtsabnahme: 0,40 in der Zeit vom 7. bis 17. Tage. Die vom entwickelten Ei in sechs Stunden ausgeschiedenen Kohlensäuremengen wurden zu Anfang der dritten Woche viermal so gross wie zu Anfang der zweiten Woche und am 20. Tage im noch nicht gesprengten Ei fast zehnmal so gross gefunden, wie zu Ende der ersten Woche. Die täglich vom embryonirten Ei exhahrte Kohlensäure wird im Laufe der zweiten Woche mehr als ver- doppelt, im Laufe der dritten Woche abermals mehr als ver- doppelt. Vergleicht man nun die für entwickelte und unentwickelte- Eier unter gleichen äusseren Bedingungen erhaltenen Zahlen der Tabelle miteinander, so ergeben sich einige für die Physiologie des Embryo sehr wichtige bisher z. Th. als wahrscheinlich be- zeichnete, aber nicht bewiesene, z. Th. sogar geleugnete Sätze mit voller Sicherheit, nämlich: 1) Der Vogel-Embryo producirt und exhalirt lange vor dem Beginn der Lungenathmung Kohlensäure im Ei. , Diese Thatsache wird dadurch bewiesen, dass das unbefruchtete Ei des Haushuhnes von der Mitte oder dem Ende der zweiten Brüt- woche an erlieblich weniger Kohlensäure ausscheidet, als das be- fruchtete, in welchem ein Embryo sich entwickelt. Der Unter- schied beträgt in 24 Stunden bei dem mittleren Eigewicht von 50 Grm.: am 13. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. Tage in Grm.: 0,10 0,25 0,27 0,44 0,50 (0,52) 0,52 0,70 Kohlensäure. Dieser Unterschied kann nur durch den Stoffwechsel des lebenden Embryo bedingt sein. Zugleich beweisen die Zahlen, noch folgenden Satz: A. Die Athmung im Ei. 129 2) Der Embryo im Hühnerei producirt in der letzten Brütwoche täglich wachsende Kohlensäuremengen. 3) Der Yogel-Embryo im Ei absorbirt lange vor dem Beginne der Lungenathmung Sauerstoffgas aus der at- mosphärischen Luft, Diese Thatsache wird dadurch bewiesen, dass das unbefruchtete Hühnerei vom Beginne der dritten Brütwoche an bis über ihr Ende hinaus erheblich weniger Gase aus der Luft aufnimmt, als das befruchtete, in welchem ein Embryo sich entwickelt. Der Unterschied beträgt in 24 Stunden für das Ei von 50 Grm.: am 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. Tage in Grm.: 0,04 0,06 0,14 0,13 (0,14) 0,14 0,25. Dass diese Differenzen in der That sich nur auf das Gewicht des vom Embryo , d. h, zunächst von dem Hämoglobin in den Allantoisgefässen , der Atmosphäre entnommenen Sauerstoffs be- ziehen, zeigt folgende Überlegung: Das Ei kann der umgebenden Luft nur Sauerstoffgas und Stickgas in wägbarer Menge ent- nehmen. Da ich mittelst des Embryoskops mit Sicherheit die Gegenwart von Sauerstoffhämoglobin im intacten entwickelten Ei spectroskopisch nachgewiesen habe (s. S. 116), so geht Sauerstoff aus der Luft durch die Kalkschale in die AUantois und wird un- unterbrochen vom Embryo verbraucht, denn die Absperrung der Luft vom Ei hat seinen Tod schleunigst zur Folge. Es kann sich also nur noch darum handeln, ob neben dem Sauerstoff auch Stickstoff in wägbarer Menge durch die Eischale eindringt. Dass etwas Stickstoff beim Brüten in die Luftkammer des Eies gelangt, ist durch die oben mitgetheilten Analysen der Gase in derselben festgestellt, aber weder ein Verbrauch dieses Gases seitens des Embryo, noch eine chemische Bindung desselben durch irgend einen Eibestandtheil ist annehmbar, vielmehr wahrscheinlich, dass in das befruchtete und unbefruchtete Ei entweder annähernd gleiche Stickstoffmengen aus der Luft eintreten, die keine physio- logische Verwendung finden, oder aber in das unentwickelte Ei etwas mehr Stickstoffgas, als in das entwickelte gelangt, weil dieses letztere durch seine stärkere Kohlensäurepro duction die Diffusion erschwert. Wie es sich aber auch damit verhalten mag, die nach der Formel G=K-\-W-L das heisst: Gewichtsverlust = Kohlensäure plus Wasser minus Luft Frey er, Physiologie des Embryo. 9 130 Die embryonale Athraung. für die aufgenommene Luft erhaltenen Werthe, welche in der dritten Brütwoche für das entwickelte Ei viel grösser ausfallen, als für das unentwickelte, müssen solange auf Sauerstoff bezogen werden, bis gezeigt ist, dass wägbare Mengen von Stickstoffgas aus der Luft vom Embryo im Ei verbraucht werden. Jedenfalls ent- spricht aber die Differenz wo e und u sich auf „entwickelte" und „unentwickelte" Eier be- ziehen und die in der dritten Incubationswoche stets positiv aus- fällt, dem Sauerstoff, welchen der Embryo, d. h. sein Hämoglobin, bindet. Diese Werthe sind auch nicht einmal als maximale an- zusehen, weil die in gleichen Zeiten den Embryo in der Kohlen- säure, die er bildet, verlassenden Sauerstoffmengen zu gross sind. Z. B. würde er der Subtraction zufolge am 20. Tage 52 Cgrm. Kohlensäure, und darin über 37,8 Cgrm. Sauerstoff ausscheiden, aber nur 14 Cgrm. Sauerstoff aufnehmen. Es ist also in hohem Grade wahrscheinlich, dass ein dem vom unbefruchteten Ei auf- genommenen Sauerstoff gleiches Quantum ausserdem dem Embryo zu Gut kommt. Er scheidet thatsächlich, wenn er fast den gan- zen Eiraum ausfüllt, am 20. Tage, 68 Cgrm. Kohlensäure aus und absorbirt 55 Cgrm. Sauerstoff, also sechs Cgrm. mehr, als er in der Kohlensäure abgibt. Der Kohlensäure bildende Process und die Sauerstoifabsorption, welche im unentwickelten Ei stattfinden, können in der letzten Brütwoche im entAvickelten Ei neben den Oxydationen und der Sauerstoff bindenden Function des Em- bryo darum nicht stattfinden, weil dann die Bedingungen fehlen: an die Stelle des unentwickelten Ei -Inhalts ist der Embryo ge- treten. In der ersten und zweiten Woche dagegen gehen beide Vorgänge im befruchteten Ei nebeneinander her. 4) Der Vogel-Embryo exhalirt kein Wassergas vor dem Beginne der Lungenathmung. Die nach Ablauf der zweiten Brütwoche continuirlich zunehmenden, vom unentwickelten Ei täglich ausgeschiedenen Wassermengen sind merklich grösser, als die vom entwickelten Ei in derselben Zeit exhalirten. Der Em- bryo hat also vor der Lungenathmung auf die Wasserausscheidung des Eies gerade den entgegengesetzten Einfluss wie nach der- selben. Denn er bewirkt eine Verminderung der Wasserabgabe. Von der ersten bis nach der Mitte der letzten Brütwoche verliert das embryonirte Ei täglich dieselbe Wassermenge, und diese Wasser- exhalation stammt nicht vom Embryo. Sie beruht auf Verdunstung A. Die Athmung im Ei. 131 des Eiwassers, wodurch allerdings die Gewebe und Säfte des Embryo concentrirter werden müssen; aber sie bildet keinen Theil der embryonalen Athmung, der Embryo nimmt vielmehr bis zum Beginne der Lungenthätigkeit Wasser auf. — Eüi' die Kenntniss der Athmung des Vogel-Embryo im Ei ist es von besonderer Wichtigkeit die neugewonnene Thatsache der Kohlensäurebildung und Sauerstoffbindung durch directe quan- titative Bestimmungen des aufgenommenen Sauerstoffs zu erhärten. Bis jetzt hat nur Baumgärtner solche Versuche unternommen. Ich habe aber an anderer Stelle gezeigt, weshalb diese Bestim- [208 mungen nicht als zuverlässig bezeichnet werden können. Eine Wiederholung derselben erschien schon wegen der Complicirtheit des von Baumgärtner angewendeten Apparates mit seinen un- vermeidlichen Fehlerquellen nicht rathsam. Ich erachtete es viel- mehr für wünschenswerth, Bedingungen herzustellen, unter welchen die Grleichung G = K-\- W— S vollkommen zutrifft. Da nun allein das Stickstoffgas der atmosphärischen Luft der absoluten Triftig- keit dieser Eormel entgegenstand, so war es nur nöthig, die em- bryonirten Eier in reinem Sauerstoff zu untersuchen. Dr. Kobert pse Pott hat diese Versuche mit grosser Sorgfalt geradeso wie unsere früheren mit Durchleitung von Luft in meinem Laboratorium aus- geführt. Zunächst musste aber festgestellt werden, ob das Hühnerei in Sauerstoffgas sich überhaupt entwickelt. Wir fanden, dass ein grosser Unterschied in dieser Hinsicht zwischen bewegtem, strömen- dem, wenn auch sehr langsam strömendem, reinem oder fast ganz reinem Sauerstoffgas und ruhendem Sauerstoffgas besteht. Wurden die befruchteten Eier in Glocken ausgebrütet, die durch Salicyl- säure enthaltendes Wasser gegen die Luft abgesperrt und mit Sauerstoff gefüllt waren, so trat allemal (S. 117) selbst dann Schimmelbildung ein, wenn täglich das (aus Kaliumchlorat dar- gestellte) gereinigte Sauerstoffgas erneuert wurde. Doch gelang es Embryonen unter diesen Bedingungen am Leben zu erhalten vom 1. bis 6. Tage vom 4. bis 5. Tage „ 3. V 7. ;> „ 5. „ 8. V „ 3. „ 10. ij „ 9. „ 12. V „ 3. » 13. )) „ 11. „ 14. V also würde vielleicht bei besseren antiseptischen Maassregeln" der Embryo auch im stagnirenden, nur einmal täglich erneuerten Sauerstoff am Leben erhalten werden können. \^2 -Diß embryonale Athmung. "Wurde wiederholt sechs Stunden lang Sauerstoffgas durch den kleinen Respirationsraum unseres bereits erwähnten Apparates durchgeleitet, dann trat in keinem Falle der Emhryotod ein (vgl. oben S. 110). Solche sechsstündige Versuche ergaben nun zunächst die wich- tige neue Thatsache, dass das einen Embryo enthaltende Ei mehr Kohlensäure producirt, wenn es von einer Sauerstoffatmosphäre umgeben ist, als wenn es wie gewöhnlich in atmosphärischer Luft ausgebrütet wird; also existirt unzweifelhaft eine Beziehung des eingeathmeten Sauerstoffs zur ausgeathmeten Kohlensäure lange vor dem Beginn der Lungenathmung. Es wurde auch unzweifel- haft mehr Sauerstoff absorbirt. Ich stelle einige Zahlen zusammen, die, um die Fehler nicht zu vervierfachen, sich auf die sechs Stun- den jedes Versuchs beziehen. Sie bedeuten Centigramm und gelten für das Durchschnitts-Ei von 50 Grm. Das entwickelte Ei producirt Kohleusäure Brut- nimmt Sauerstoff auf in Luft in Sauerstoff' Tage aus Luft aus Sauerstoff — 3 < — 1 — >- — 4 — 3 -< — 2 — >■ — 6 — 3 < — 3 — >- — 5 _ _ -< — 5 — >- — — — 3 -< — 6 — >- — 5 2 3 < — 7 — ^ 2 5 2 4 < — 8 — >- 2 7 — 4 ^ — 9 — >- — 3 3 . (10) -< — 10 —>- 3 (9) — 5 -< — 11 — >- — 4 — — -< — 12 — >- — — 6 8 -< — 13 — >- — 6 — 18 < — 14 — >■ — 13 10 15 < — 15 — >- 10 14 10 — -< — 16 — >- 10 — 15 ' — -<— 17 — >- 13 — 16 — -< — 18 — >- 13 — 17 — < — 19 — >- 13 — 17 26 < — 20 — >- 14 24 21 — <— 21 — >- 17 — Hierbei ist vorausgesetzt, dass ein entwickeltes Ei im Sauer- stoff unter sonst gleichen Umständen geradesoviel Wasser durch Verdunstung verliert, wie in Luft, nämlich zehn Centigramm in sechs Stunden. Die gesteigerte Kohlensäureausscheidung am zehnten A. Die Athmung im Ei. 133 Brüttage bezieht sich auf ein Ei, welches vor dem Versuche gegen sieben Tage ohne Unterbrechung in Sauerstoffgas geathmet hatte. Hier zeigt sich besonders deuthch die Wirkung der reichhcheren Sauerstoifabsorption auf die oxydativen Processe im Embryo. Um aber dem Einwände zu begegnen, dass es nicht die em- bryonalen Gewebe seien, welche die Kohlensäure reichlicher bil- deten, sondern der übrige Inhalt des Eies, mussten noch Control- versuche mit unbefruchteten Eiern in einer Sauerstoffatmosphäre ausgeführt werden. Zehn derartige Bestimmungen zeigten, dass [sse in keinem Falle ein unentwickeltes Ei mehr Kohlensäure im Sauer- stoff als in der Luft liefert. Die erhaltenen Kohlensäuremengen waren sogar in allen zehn Fällen kleiner als die bei den früheren Versuchen erhaltenen, was wahrscheinlich durch mehrwöchentliches Liegenlassen der Eier an der Luft, ehe sie in den Brütofen kamen, bedingt ist. Sie hatten Wasser verloren und waren dadurch etwas consistenter geworden. Für den Embryo im Hühnerei ergab sich ferner als sehr wahrscheinlich, dass die Menge der von ihm producirten Kohlen- säure nicht nur in einer Sauerstoffatmosphäre überhaupt grösser ist, als in der Luft, sondern auch in dieser und in jener um so grösser wird, ein je längerer Aufenthalt in Sauerstoff vorherging. Hierdurch wird der Zusammenhang der Sauerstoffeinathmung und Kohlensäure-Bildung des Embryo im Vogelei lange vor dem Beginn der Lungenthätigkeit wiederum als ein physiologischer dargethan. Ob bei trächtigen Säugethieren ein langer Aufenthalt im Sauerstoff statt in Luft und lange fortgesetzte Apnoe in ähnlicher Weise auf die Embryonen wirken, so dass etwa die Dauer der Schwangerschaft abgekürzt werden könnte, darüber werden erst künftige Untersuchungen Aufschluss geben können. Die kurze Dauer der Trächtigkeit kleiner Säugethiere kann ebenso wie die geringe Dauer der Incubation kleiner Vögel sehr wohl mit der bei kleinen Eiern und kleinen Thieren relativ reichlicheren Sauer- stoffaufnahme in gleicher Zeit zusammenhängen. Die Atlimung des Säugetliier- Embryo. Dass der Embryo athmet, dass Sauerstoff von ihm verbraucht wird und in der Placenta in das Fötusblut gelangt, war schon zu Ende des vorigen Jahrhunderts allgemein angenommen. [247 Mayow hat es sogar • hundert Jahre vor der Darstellung des [239 134 Die embryonale Athmung. Sauerstoffs dnrch Priestley ausgesprochen. Er behauptete nämlich, dass die Placenta beim Fötus die Function der Lunge habe, in- dem sie nicht nur Ernährungsmaterial, sondern auch Sauerstoff, seinen Spüitus nitro-aereus dem Fötus durch den Nabelstrang zu- kommen lasse, und verglich scharfsinnig den apnoischen Zustand des Fötus mit dem eines von ihm durch Transfusion arteriellen Blutes apnoisch gemachten Hundes. Die nähere Beschreibung dieses letzteren, jedenfalls unsicheren Versuchs fehlt zwar, aus den historischen Untersuchungen von B. S. Schnitze folgt aber, [239 dass Mayow bereits richtigere Vorstellungen vom Athmungs- [76, 15 process hatte, als z. B. hundert Jahre später Haller, und ich stimme ihm bei, wenn er Mayow seiner wissenschaftlichen Be- deutung nach unmittelbar neben Harvey stellt. Borelli er- [38o kannte ebenfalls klar die Nothwendigkeit der Luftzufuhr von der Placenta zum Fötus. Der erste, welcher bestimmt aussprach, dass fortwährend nicht Luft, sondern Sauerstoff von der Placenta in den Fötus geht und dass dieser im Uterus erstickt, wenn er „kein Sauerstoffgas aus dem Blute seiner Mutter erhält und keines aus der Atmosphäre erhalten kann" ist Grirtanner (1794) ge- wesen. [76, 26 Aber auch Vesal brachte durch ein einfaches Experiment [76, 4 einen Beweis für die Placentarrespiration, indem er aus einer hochträchtigen Hündin oder Sau einen Fötus in der unversehrten Eihaut herausnahm und vergebliche Athembewegungen machen sah, bei denen Fruchtwasser aspirirt wurde. Als er dann die Eihaut entfernte, begann lebhafte Luftathmung. Also ist, so schloss man, dem von der Mutter getrennten und unter Luftabschluss im Ei gehaltenen Embryo das Bedürfniss nach Luft eigen. Voll- ständig wird aber das Vesal'sche Experiment erst dadurch, dass er nun einen zweiten Fötus beobachtete, welcher im Zusammen- hang mit der Placenta im mütterlichen Körper nicht den ge- ringsten Versuch zu athmen machte, sowie aber die Bloslegung [76 stattfand, wobei die Placentarcirculation unterbrochen wurde, an- fing Luft zu athmen. Schon diese Versuche von Mayow und von Vesal zeigen, wie B. Schultze hervorhob, dass der normale Placentarverkehr [240 denjenigen Reiz vom Fötus fernhält (d. h. nicht zur Wir- kung kommen lässt, wenn er da sein sollte, oder nicht zu Stande kommen lässt, wenn er nicht da sein sollte, wie ich einschalten muss), welcher, sobald er durch Unterbrechung des Placentarverkehrs zur Wirkung kommt, Inspirations- A. Die Athmung im Ei. 135 bewegungeu veranlasst. In dieser Fassung wird durch die Behauptung, die Lungenathmung komme normaler Weise bei intactem Placentarverkehr nicht zu Stande, keine Theorie präjudi- cirt, und es ist nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, dass bei in- tactem Placentarverkehr ein anomaler starker Eeiz doch die Lun- genathmung in Gang bringe und dass normal schwache periphere Reize vorhanden sind, welche nicht zur Wirkung kommen. Hierauf lege ich grosses Gewicht, wie sich weiter unten zeigen wird. Seiner Zusammenfassung der früheren Beweise für die Existenz der Placentarrespiration — Analogie mit der Allantoisathmung, Sauerstoffverbrauch bei der Herzaction, Beginn der Lungenathmung nach Unterbrechung der Placentarcirculation — fügt Schnitze [240 noch einen hinzu. Er folgert nämlich aus dem Umstände, dass während vieler Monate auf grosser Fläche sauerstoffreiches mütter- liches Blut in der Placenta unter osmotischen Yorgängen gün- stigen Verhältnissen neben dem fötalen esistire, die Nothwendig- keit des Übergangs gewisser Antheile des Blutsauerstoös aus dem Blute der Mutter in das des Fötus. Ja er meint sogar das Nabel- venenblut sei, wie das der Lungenvenen des Geborenen, mit Sauer- stoff fast gesättigt, was nicht der Fall sein kann, weil der Über- gang des Sauerstoffs von Blutkörperchen zu Blutkörperchen, also von Sauerstoffhämoglobin zu sauerstofffreiem und sauerstoffarmem Hämoglobin stattfindet. Der Farbenunterschied des Nabelvenen- und Nabelarterien- blutes pflegt ausserdem nicht so gross zu sein, wie der zwischen Pulmonalvenen- und Arterienblut des Geborenen. [377,255 Frühere Beobachter konnten meist den Farbenunterschied des Blutes der Nabelgefässe überhaupt nicht wahrnehmen, jedoch nicht wegen zu geringer Differenz, sondern wahrscheinlich weil sie die Öffnung der Leibeshöhle des Mutterthieres und des Uterus nicht schnell genug und vielleicht auch nicht behutsam genug vornahmen. Doch sah ihn Joh. Müller beim Fötus des Schafes [69 und zwar auch an den Choriongefässen. Ich habe nicht nur oft bei Meerschweinchenembryonen die prall gefüllte Nabelvene ar- teriellroth neben den dunkelbraunrothen Nabelarterien gesehen, sondern, mehrere Minuten lang den Embryo in Salzwasser in der Hand haltend, diesen Unterschied festgehalten, wenn ich mit der grösstmöglichen Geschwindigkeit und Yorsicht operirt hatte. Ich lasse durch den Bauchschnitt den Uterus prolabiren, schlitze so- fort am Kopfende des Embryo denselben auf, lasse den letzteren im Amnion in meine Hand ausschlüpfen, während der Uterus 136 Die embryonale Athmimg. über die Placenta zurückgeschlagen wird, öffne das Amnion am Kopfende schnell, streife es ab und hüte mich dabei namentlich vor Zerrungen der Placenta und des Nabelstrangs. So sah ich z. B. am 23. Dec. 1879 einen erst 22 Grm. schweren Meer- schweinchenfötus sechs Minuten lang in der Luft hellrothes Blut aus der bloss- liegenden Placenta aufnehmen, dunkelrothes durch die Nabelarterien in die- selbe abgeben und zugleich unregelmässige Athembewegungen machen. Die zwei anderen ebenso nackten, zahnlosen, weichnägeligen Embryonen desselben Thieres, welche erst später excidirt wurden, athmeten nicht und bei ihnen war die Farbe der drei Nabelgefässe fast ganz gleich dunkel. [Vergi. 183, 222 Ich habe jedesmal die arterielle Farbe der Nabelvene bei dem zuerst ausgeschnittenen Embryo wahrgenommen, nicht oft beim zweiten und dritten. Je länger die Beobachtung dauert, um so mehr nimmt übrigens die Füllung derselben mit Blut ab. Ich 'habe ferner bei einem nur 19 G-r. wiegenden Meerschweincheufdtus, welcher noch keine Athembewegungen machte (am 6. März 1883) die in- tensiv hellrothe Nabelvene durch die dünne Bauchdecke hindurch verfolgen können und nach Bloslegung derselben am lebenden Thier sie bis in den Arantischen Canal in der Leber ebenso hellroth gefunden, während das leb- haft schlagende Herz und das aus der Leber abfliessende Blut dunkelroth aussahen. Die Placenta hatte ich durch Zurückschlagen des Uterus vor Luftzutritt geschützt, und ich sah die fötale Leber an der Luft in wenigen Minuten auffallend hellroth werden, während die Nabelarterien noch dunkel blieben, die Nabelvene während der ganzen Operation arteriellroth war. Von älteren Beobachtungen über den Farbenunterschied ver- dient namentlich diejenige von P. Scheel (1798) hervorgehoben [247 zu werden. Derselbe schrieb in seiner vortrefflichen Inaugural- abhandlung folgendes : „Das arterielle Fötusblut, welches der Wirkung der Placenta ausgesetzt gewesen ist und durch die Nabelvene zurückströmt, ist etwas heller roth (wenn auch nur wenig), als das venöse der Nabelarterien". Dieses erscheine aber, mit dem Blute Erwachsener verglichen, nicht mehr roth als dessen venöses Blut. „Man kann daher schliessen, dass im Uterus das Fötusblut entweder wegen geringerer Affinität zum Sauerstoff weniger davon aufnimmt, oder weniger mit ihm in Contact kommt, als es in den Lungen eines vollständiger Athmung sich erfreuenden Thieres der Fall ist. Zwar kann auch das Nabelvenenblut des Neugeborenen ganz die Farbe arteriellen Blutes Erwachsener zeigen, aber dieses trifft nur dann zu, wenn der Nabelstrang nicht sogleich nach der Geburt be- trachtet wird; wenn er nämlich nur etwa eine Stunde der Luft ausgesetzt war, wirkt das Sauerstoffgas sehr schnell durch die A. Die Athmung im Ei. ' 137 Gefässwand ein und ertheilt dem Blute eine sehr hellrothe Farbe". Auf die weniger exponirten und mit dickeren Wänden ver- sehenen Nabelarterien dagegen wirke der Sauerstoff weniger leicht ein. Ich kann diesem hinzufügen, dass doch nach Bloslegung der Placenta und des Nabelstrangs auch das Nabelarterienblut an der Luft in weniger als einer Stunde sehr hell werden kann (bei Meer- schweinchenembryonen), so dass nur ein ganz geringer Farben- Unterschied bleibt, indem alle drei Grefässe schon lange vor Ab- lauf einer Stunde hellarteriellroth gefärbt erscheinen. Schon aus diesem G-runde, aber auch wegen der mit einer noch so vorsichtigen und schnellen Bloslegung des Nabelstrangs nothwendig verbundenen Eingriffe ist die hellrothe Farbe des Nabelvenenblutes natürlich kein zwingender Beweis für die völlige Unversehrtheit der gesammten placentaren Athmung des Embryo, wie M. Runge mit Recht hervorhob. Sie beweist nur, dass [344 Sauerstoffhämoglobin in der Nabelvene reichlicher als in den Nabelarterien enthalten ist, also dem Embryo auch nach der Blos- legung unter Wasser Sauerstoff auf diesem Wege zugeführt wird. Ausser der Farbe des Blutes in den Nabelgefässen dient zum Beweise des Sauerstoffverbrauchs seitens des Embryo der directe Nachweis des Sauerstoffliämoglobins in demselben. Im Jahre 1874 wurde in meinem Laboratorium vorzüglich [231 sorgfältig von Albert Schmidt, damals Studirendem, unter meinen Augen das Herzblut und Nabelvenenblut von Meerschweinchen- [129 embryonen, welche noch nicht geathmet hatten, unter Luftabschluss spectroskopisch untersucht, und wir konnten darin jedesmal Sauer- stoffhämoglobin mit Sicherheit nachweisen. Die Methode, welche ich damals zur Untersuchung von Blut unter Luftabschluss angab, hat sich inzwischen auch in anderen Fällen der Blutuntersuchung unter Luftabschluss vorzüglich bewährt. Hierdurch ist das Vorhandensein einer Placentarathmung de- finitiv bewiesen worden. Bald darauf bestätigte Zweifel den wichtigen Befund auch [135 für das menschliche Neugeborene, indem er in der Vene des bei der Geburt vor dem ersten Athemzug abgebundenen Nabelstranges spectroskopisch gleichfalls Sauerstoffhämoglobin nachwies. Auch sah er die Nabelvene dunkel werden, wenn dem Mutterthier die Luftzufuhr abgeschnitten wurde. Bei Emleitung der künstlichen Respiration nahm sie wieder eine arterielle Farbe an und zwar in zwei Versuchen innerhalb einer halben Minute. 138 Die embryonale Athmung. Auch diesen Yersuch hatte ich, ohne von Zweifels Arbeit etwas zu wissen, in ähnhcher Weise angestellt. Wenn man bei einem hochträchtigen Meerschweinchen einen Fötus mit hellrother Nabelvene und dunkelrothen Nabelarterien bloslegt und die Trachea des Mutterthiers comprimirt, so wird schnell die Nabelvene dunkel und, falls der Fötus lebhaft Luft athmet, das Nabelarterienblut hellroth. Nach Aufhebung des Tracheaverschlusses nimmt das Nabelvenenblut wieder eine hellere Farbe an und die sämmtlichen Nabelgefässe sind dann hellroth. Da aber die Placenta sich an der Luft sehr schnell hellroth zu färben pflegt, so ist darauf zu achten, dass sie nicht der Luft mit exponirt bleibe. Alle derartigen Versuche müssen in einem Bade von 0,6-pro- centiger Kochsalzlösung angestellt werden. Ich bemerkte aber auch im Wasser ein Hellerwerden des Placenta- und Nabelgefäss- blutes, wenn die Concentration der Salzlösung über jenen niedrigen Werth steigt, wegen directer Einwirkung des Salzes auf die Blutkörper. Durch diese Beobachtungen und Versuche ist endgültig dar- gethan, dass der Säugethier-Embryo, nachdem einmal die Placenta entwickelt ist, an rothen Blutkörperchen haftenden Sauerstoff durch die Nabelvene regelmässig und ununterbrochen in sich auf- nimmt. Wieviel Sauerstoff aufgenommen wird, ist streitig. Einige nehmen an, es werde sehr viel Sauerstoff vom Fötus in kurzer Zeit verbraucht, andere sehr wenig. Zu jenen gehören B. Schnitze und Zweifel, zu diesen Pflüger und Zuntz. Namentlich hat [si Pflüger zuerst mit guten Gründen gezeigt, dass der Sauerstoff- [228 verbrauch des Fötus wegen seiner relativ geringen Wärmebildung und Wärmeverluste und der geringen Energie seiner Muskel- bewegungen — ausser der Herzthätigkeit — ein sehr viel ge- ringerer als beim Greborenen sein muss, und Zuntz zeigte, dass bei Erstickung der Mutter der Sauerstoff aus dem fötalen Blute in der Placenta zurück in das mütterliche daselbst gehen muss, wenn letzteres sauerstofffrei wird. Ich habe wie gesagt den Zweifei- schen Versuch« bestätigt gefunden, aus welchem Zuntz dieses fol- gert. Man legt im körperwarmen Bade in physiologischer Koch- salzlösung den Fötus äusserst vorsichtig soweit frei, dass die Nabelgefässe sichtbar bleiben. Ist nun die Nabelvene hellroth, so wird sie dunkelroth bei Asphyxie der Mutter: nicht allein weil das Blut keinen Sauerstoff in der Placenta erhält, sondern auch weil das Blut der Nabelarterien daselbst seinen Sauerstoff abgibt; denn die Nabelvene wird bald dunkeler, als die Nabelarterien, [si Auch zeigte Zuntz, dass das Blut der TJtcrusgefässe, wenn es A. Die Athmung im Ei. 139 sauerstoffarm geworden, bedeutende Sauerstojffmengen dem Fötus, der zu athmen angefangen hat, entziehen kann. Sehr wichtig ist ferner die Beobachtung von Zuntz, dass jede länger dauernde Bewegung des Fötus das Bhit der Nabelarterien dunkel macht. Denn hieraus folgt, dass auch im Embryo Muskel- bewegungen mit Sauerstoffverbrauch verbunden sind. Doch muss die dazu erforderliche Menge sehr klein sein, weil bei einem vom Kopf bis zur Fussspitze 15 Centim. messenden menschlichen Embryo noch 20 Minuten nach der Unterbrechung jeder Sauerstoffzufuhr Reflexbewegungen eintraten. DieThat- \ß.i,6i7 Sache, dass bei günstigen Beobachtungsumständen die ISTabelvene hellarteriellroth gefärbt erscheint, kann nicht gegen die Annahme einer geringeren Oxydation im Fötus geltend gemacht werden, weil bekanntlich die hellarterielle Blutfarbe auch zu Stande kommt, wenn in viel Plasma die Blutkörper nicht so dicht zusammen- gedrängt sind, wie im weniger hellarteriellen Blute. [228 Hingegen spricht die grosse Geschwindigkeit des Sauerstoff- verbrauchs im fötalen Blute nach vorzeitiger Abnabelung der ver- schiedensten Embryonen und die von mir dmxh besondere Ver- suche festgestellte Thatsache, dass der Fötus eine vorübergehende, auch eine sehr kurz dauernde Asphyxie der Mutter sehr oft nicht überlebt, entschieden für eine weitgehende Abhängigkeit des Fötus- lebens von den geringen Mengen Sauerstoff, die er aus der Pla- centa erhält. Ein Beispiel mag zeigen, wie solche Versuche von mir angestellt wurden. Am 15. März 1883 comprimirte ich einem trächtigen Meerschweinchen genau 60 Secunden lang die Trachea bis zum völhgen Verschwinden ihi-es Lumens von 11 Uhr 42 Min. bis 11 Uhr 43 Min. Während dieser Minute fanden lebhafte Fruchtbewegungen statt. Die Pupille war erweitert, Exoph- thalmus, Cyanose traten ein. Die Bindehaut des Auges sowie die Cornea reaffirten auf Berührungen nicht im Geringsten. Erst nach 11 Uhr. 44 Min. war der normale Eeflex wieder da und ich liess das Thier sich von der lebensgefährlichen Sauerstoffentziehung in frischer Luft erholen. Um 11 Uhr 47^2 Min. sah ich wieder starke Fruchtbewegungen, also 47.2 Min. nach Lösung des Tracheaverschlusses. In diesem Falle hatten somit die Em- bryonen die Asphyxie der Mutter überlebt. Das Thier blieb sich selbst über- lassen, erhielt aber kein Futter. Von 4 Uhr 80 Min. 0 See. bis 4 Uhr 31 Min. 30 See. desselben Tages comprimirte ich wiederum die Trachea. 4 Uhr 33 ^o Min. reagirte die Cornea noch nicht, 88^/4 reagirte sie. Um 4 Uhr 35 Min. Fruchtbewegungen. Das Thier erholte sich. Um 4 Uhr 38 Min. schnitt ich zwei Früchte aus, welche zwar asphyktisch waren, aber beide noch soweit wiederbelebt werden konn- ten, dass sie schrieen. Sie starben gleich darauf. Thatsächlich überlebten diese Embryonen die 3 V2 Min. währende Asphyxie der Mutter (davon 140 Die embryonale Athmung. 1^2 Min. bei absoluter Sauerstoffentziehung), aber sie konnten nicht am Leben erhalten werden. Um zu erfahren, ob der Embryo den ihm normaler Weise von der Placenta her zugeführten Sauerstoff für sich in kurzer Zeit verbraucht, wenn er keinen Sauerstoff an das mütterHche Blut bei Asphyxie derselben abgeben kann, wie in diesen Ver- suchen, sondern ihn in seinen eigenen Geweben verliert, habe ich die trächtigen Meerschweinchen mit Kohlenoxyd oder Leuchtgas, die der eingeathmeten Luft beigemengt wurden, vergiftet und in verschiedenen Zeitintervallen nach dem Beginn der Kohlenoxyd- Einathmung die Embryonen untersucht. War nämlich der Sauer- stoffverbrauch der letzteren ein sehr rapider, so mussten sie schon in frühen Stadien der Vergiftung, während das Mutterthier noch athmete, sauerstofffreies dunkeles (asphyktisches) Blut in ihrem Herzen und in ihren sämmtlichen Gefässen enthalten, weil das Kohlenoxydblut der Mutter ohne (wegen der Anhäufung des Kohlenoxyd -Hämoglobins, CO -Hb, in diesem) dem Fötusblut Sauerstoff entziehen zu können, ihm keinen neuen Sauerstoff zu- führen konnte und kein directer Übergang der hellrothen CO- Blutkörper aus der Mutter in den Fötus stattfindet. Es stellte sich nun bei allen diesen Versuchen regelmässig heraus, dass die Embryonen in der That sehr dunkeles asphyk- tisches Blut enthielten, während das der schnell durch Kohlen- oxyd getödteten Mutterthiere hellroth war, wie Kohlenoxydblut zu sein pflegt. Da bei diesen Versuchen die Thiere in einer kleinen Glasglocke sich befanden, in welche Leuchtgas eingeleitet wurde ohne Absperrung der atmosphärischen Luft, so ist es sehr un- wahrscheinlich, dass im mütterlichen Blute gar keine unveränderten Blutkörper mehr vorhanden gewesen seien. Es kann aber wegen des Luftzutritts ein Kückgang des Fötus-Sauerstoffs in die Mutter nicht angenommen werden, folglich müssen die Embryonen ihren Sauerstoff selbst und zwar in wenigen Minuten vollständig oder fast vollständig verbraucht haben. Liess ich die trächtigen Thiere nur eben solange kohlenoxydgashaltige Luft athmen, dass sie sich ohne Kunsthülfe an der Luft wieder erholten, so fand ich doch nicht in allen Fällen die Embryonen noch lebend, ein schlagender Beweis, dass der Fötus nicht nur seinen Sauerstoff schnell ver- braucht, sondern auch eine Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr ohne nachweisbare Störung des Placentarkreislaufs nicht lange er- trägt. Ich führe zwei Beispiele an, welche die Grenze der Ver- giftungsdauer kennen lehren. A. Die Athmung im Ei. 141 Am 5. Jan. 1883 begann ein liochträchtiges Meerschweinchen um 11 Uhr 20 Min. miter einer Glasglocke Leuchtgas mit der Luft zu athmen; 11 Uhr 25 Min. war in der reinen Luft die Respiration erloschen. Compressiouen des Thorax genügten aber, um die Athmung wieder in Gang zu bringen, so dass 11 Uhr 32 Min. das Thier vollkommen wiederhergestellt war. Hierauf excidirte ich vier Früchte, von denen keins eine Inspirationsbewegung machte; bei dreien schlug das Herz noch, das vierte war todt. Hier war es also ganz allein die mangelnde Sauerstoffzufuhr in der Placenta, w^elche den intrauterinen Tod herbeiführte. An demselben Tage Hess ich ein anderes hochträchtiges Meerschweinchen wieder gerade fünf Minuten lang kohlenosydhaltige Luft athmen und sich dann in der Luft vollständig erholen; 23 Min. nach dem Herausnehmen aus der Leuchtgas- Glocke excidirte ich diesem Thiere drei Früchte, welche sämmt- lich Inspirationsbewegungen machten und deren Herzen sämmtlich thätig w^aren. In diesem Falle war also die Abschneidung der Sauerstoffzufuhr gerade noch überlebt worden. Übrigens folgt aus der Thatsache, dass aus Todten lebende reife Früchte excidirt worden sind, die Fähigkeit des Embryo, ohne [430 Zufuhr von Sauerstoff aus der Placenta kurze Zeit auszudauern. Ich habe mich aber durch mehrere Versuche an hochträchtigen Meerschweinchen davon überzeugt, dass selbst im günstigsten Falle die Zeit, welche vom letzten Athemzuge der Mutter an bis zum Augenblick der Befreiung reifer Früchte vergehen darf, ohne diese ihrer Lebensfähigkeit zu berauben, nur nach Minuten zählt. Am 13. März 1883 liess ich ein solches Thier nur sechs Secunden lang an einem kleinen Glase riechen, das 12-procentige Blausäure enthielt. Nach einer Minute verfiel es in Convulsionen und war dann respirationslos. Es gelang auch nicht mehr durch künstliche Athmung — Compression des Thorax und darauf Tracheotomie — die Athmung wieder in Gang zu brin- gen. Das Herz schlug nicht mehr fühlbar. Trotzdem bewegten sich die Früchte lebhaft noch nach sechs, nach sieben, sogar nach acht Minuten, wie man an den starken Hebungen und Senkungen der Bauchdecke sah. Als ich jedoch 13 Minuten nach der Vergiftung die Bauchhöhle öffnete, waren die zwei völlig reifen sehr grossen Früchte asphyktisch. Sie machten keine Athembewegung und es liess sich keine mehr durch kein Mittel hervorrufen, während die Herzen noch schlugen, auch ehe sie der Luft exponirt wurden. Auch das mütterliche Herz schlug in der Luft noch längere Zeit (sowohl die Vorkammern wie die Ventrikel). Dieser Versuch beweist, dass die reife Frucht den durch Athmungsstillstand der Mutter herbeigeführten Sauerstoff- mangel nur kurze Zeit erträgt. Denn von einer directen Blausäurevergiftung des Fötus kann in diesem Fall nicht die Rede sein, weil nur der Dampf einer kalten 12-]orocentigen Lösung während sechs Secunden mit viel Luft eingeathmet wurde. Bei den Versuchen von Breslau — an trächtigen Meerschwein- chen, Hasen und Kaninchen — wurden wie bei diesem Versuche [sie die Früchte nicht allein durch Abschneiden der Sauerstoffzufuhr, 142 Die embryonale Athmung. sondern auch durch Entziehung ihres eigenen Blutsauerstoffs in sehr ungünstige Bedingungen versetzt. Daher ist es nicht zu ver- wundern, dass bei Tödtung der Mutter durch Erstickung, Er- stickung und Verblutung, Verblutung allein, Chloroform, Cyan- kalium im günstigsten Falle nur fünf JMinuten nach dem Tode der Mutter lebende Junge erhalten wurden, nach mehr als fünf Minuten nur scheintodte, welche bald darauf abstarben, und nach acht Minuten nur todte. Wahrscheinlich ist bei diesen Experimenten die Todesursache mehrfach, indem Herabsetzung des Blutdrucks der Mutter für sich allein schon tödtlich wirken kann. [s* Die alte Erage, wie lange der von der Mutter völlig ge- trennte Eötus am Leben bleiben kann ohne Athembewegun- gen zu machen, schliesst sich hier an, sofern es bei den Ver- suchen sie zu beantworten sich darum handelte zu finden, wie lange ein isolirter Eötus ohne Sauerstoffzufuhr, z. B. unter Wasser, eine wichtige Lebenserscheinung, wie die Herzthätigkeit, erkennen lässt. Diese Erage ist bis jetzt nicht beantwortet. Denn weder die alten Versuche vonBoyle, Legallois, Joh. Müller, noch die neueren [69 von P. Bert (1864) über die grössere Resistenz Neugeborener ge- gen den Erträn kungstod noch überhaupt irgendwelche Experimente haben den Fötus nach der Isolirung in annähernd dieselben Be- dingungen wie im Uterus versetzt. Einige dahin gehörende Beo- bachtungen hat Prunhuber (1875) zusammengestellt, aus wel- [sse eben hervorgeht, dass ein im unversehrten Amnion geborener menschlicher Eötus von ungefähr vier Monaten noch ^/^ Stunden lang im Fruchtwasser lebte, wie an seinen lebhaften und manig- faltigen Bewegungen sich erkennen Hess (Vignard 1853). Dass das Herz eines Fötus, der in 0,6-procentiger Kochsalz- lösung von 38*^ C. von dem Mutterthiere losgetrennt verbleibt, sehr viel länger schlägt, als das eines älteren Thieres, was leicht an einer Acupuncturnadel erkannt wird, habe ich wiederholt ge- sehen und auch erwähnt, dass die fötale Herzthätigkeit selbst dann noch fortdauern kann, wenn im Herzblut keine Spur von Sauerstoffhämoglobin mehr nachgewiesen werden kann. In dieser Beziehung gleichen die Embryonen niederen Wirbelthieren, nament- lich Amphibien. Es ist zweifellos, dass sie, je jünger sie sind, um so weniger Sauerstoff, nicht nur absolut, sondern auch relativ, verbrauchen und ihre Lebensfähigkeit ohne Sauerstoff um so länger bewahren können, je weniger ihnen bereits im Ganzen zugeführt worden ist. Die Ursache dieses Verhaltens liegt wahrscheinlich in der sehr geringen oxydativen Thätigkeit des ganz jungen Embryo. A. Die Atlimung im Ei. 143 Es fragt sich, ob überhaupt vor der Placentabildung und der Bildung der Nabelvenen von dem mütterlichen Blute stammender Sauerstoff seitens des Embryo in messbarer Menge verbraucht wird. Die Untersuchung der Embryonen aplacentaler Säugethiere könnte darüber vielleicht Aufschluss geben. A¥enn nämlich das Herzblut des Känguru-Embryo, so lange er noch im Uterus sich befindet, Sauerstoffliämoglobin enthält, und das ist sehr wahrscheinlich, dann wird nicht bezweifelt werden können, dass auch in so frühen Ent- wicklungsstadien der Embryo Sauerstoff verbraucht (wie das Hühn- chen); und woher als durch Diffusion von den Blutkörperchen der Mutter sollte er ihn erhalten? In die Dottersackgefässe kann jedenfalls aus dem Nahrungsdotter bei Macropus nur sehr wenig Sauerstoff übergehen, weil nicht abzusehen ist, woher der Dotter neuen Sauerstoff erhalten sollte, es müsste denn die alte Ansicht von dem Zutritt der atmosphärischen Luft durch die Vagina des Mutterthieres wieder aufgenommen werden, [69 Auch für die Placentar-Athmung bildet übrigens der Über- gang des Sauerstoffs vom mütterlichen Blute in das fötale eine grosse theoretische Schwierigkeit. Denn auf der einen Seite be- findet sich Sauerstoffliämoglobin 0^-Hb, auf der anderen sauer- stofffreies Hämoglobin i/5 oder dieses mit wenig O^-Hb, und die Gesammtheit des Hb haftet beiderseits an den farbigen ßlut- körpern. Weshalb zerfällt nun das mütterliche 0^-Hb^ indem es seinen Sauerstoff an das Hb des Eötus abgibt? Unter scheinbar denselben Umständen findet mütterlicherseits die Dissociation, kind- licherseits die Association des Sauerstoffs und Hämoglobins statt. Oder sind die Umstände beiderseits nicht die gleichen? Schon eine geringe Temperaturverschiedenheit würde genügen die Sauer- stoffspannung der Blutkörperchen einseitig zu erhöhen, anderseitig zu vermindern; aber wenn ein Temperatur -Unterschied existirt, so ist das kindliche Blut das wärmere, was der Association un- günstig wäre. Vielleicht handelt es sich hier um eine Art Massen- wirkung, indem viel sauerstofffreies Hämoglobin mit relativ wenig O.^-Hb in gegebener Zeit in Beziehung tritt und zugleich das fötale — immer nur relativ wenig Sauerstoff enthaltende — Blut schneller strömt, womit die Structur der Placenta wohl überein- stimmt. [183 Für die Entscheidung dieser Frage sind quantitative Bestim- mungen des Hämoglobins im mütterlichen und fötalen Blute er- forderlich. Es liegen aber bis jetzt nur wenige Zahlen darüber vor. Ich hatte den Hämoglobingehalt des fötalen Blutes aus einer 144 Die embryonale Athraung. noch warmen menschlichen Placenta zu 12,20 *^/q gefunden, [iss Hoesslin fand ihn für das aus dem placentaren Ende des Nabelstrangs ausfliessende Blut zu 11,93°/q, für das aus dem fötalen Ende ausfliessende 12,89°/^, im Maximum 13,827o- -^^s diesen untereinander und mit anderen Angaben (von Sörensen) sehr gut übereinstimmenden Befunden folgt, dass der reife mensch- liche Fötus relativ hämoglobinreiches Blut besitzt. Hoesslin [362 fand auch, bei 18,72°/^ Hb, in diesem 5,88 Millionen Blutkörper auf das Cubikmillimeter Blut, also viel mehr, als im Prauenblut ge- funden wird. Aus meinen Zusammenstellungen des Hämoglobin- gehaltes des Blutes Schwangerer geht deutlich hervor, dass der- selbe nicht höher und öfters erheblich niedriger ausfällt, \im,in als der des Fötus. Denn bei Schwangeren wurden gefunden 8,81 ; 10,69 (Mittel aus neun Fällen); 11,67 (als Maximum der Schwan- geren) und 13,33 ist schon eine Ausnahme. Wiskemann fand (1875) namentlich gegen Ende der Schwangerschaft den Hämo- [363 globingehalt des mütterlichen Blutes vermindert und constatirte spectroskopisch, dass Neugeborene im Nabelarterienblute mehr Hämoglobin enthalten, als ihre Mütter in gleichen Blutmengen. Schon früher hatte Nasse auf die Verminderung der Blutkörper- Anzahl und des Blutrothes während der Schwangerschaft aufmerk- sam gemacht. Spiegelberg und Gscheidlen fanden bei trächtigen Hündinnen ebenfalls das Hämoglobin relativ vermindert und zwar bei gesteigerter Blutmenge im Ganzen. Wenn nun alle Beobachter darin übereinstimmen, dass gegen Ende der Schwangerschaft der Fötus relativ mehr Hämoglobin in seinem Blute enthält, als die Mutter, so gewinnt meine Hypothese an Wahrscheinlichkeit, derzufolge die Sauerstoffaufnahme in der Placenta wesentlich auf einer Massenwirkung beruht. Viel Hb durch eine permeable Membran von weniger 0^-Hb getrennt und mehr bewegt, nimmt diesem einen Theil des Sauerstoffs fort, was sich experimentell prüfen Hesse. Wenn durch das Obige der Sauerstoffverbrauch des Embryo, gleichsam die intrauterine Sauerstoffeinathmung ohne specifisches Respirationsorgan, nachgewiesen ist, so wird dadurch noch nichts über die intrauterine Kohlensäure -Abgabe des Fötus ausgesagt. Ob das Nabelvenenblut weniger Kohlensäure, als das Nabelarterien- blut enthält, ist unbekannt. Aber die Existenz von Oxydations- producten im Fötus, welche nicht von der Mutter stammen, wie z. B. Allantoin, machen es wahrscheinlich, dass Kohlensäure, wenn A. Die Athmung im Ei. 145 auch nur in geringen Mengen, vom Embryo producirt und aus- geschieden wird. Sie muss dann vom mütterlichen Bkite in der Placenta aufgenommen werden, worüber noch jede Untersuchung fehlt. Denn aus den von X. 0. Bernstein in Ludwig's Laboratorium ausgeführten Yersuchen über den Austausch von Blutgasen ergibt sich weder für den Übertritt der Kohlensäure, noch für den [204 des Sauerstoffs etwas auf die Verhältnisse in der Placenta Anwend- bares. Nur aus der von Roh. Pott und mir durch sehr zahlreiche und genau controlirte Versuche am Hühner - Embryo festgestellten Thatsache, dass im Vogelei der Embryo vom Anfang der Bebrütung an Kohlensäure entwickelt, folgt bis jetzt, dass wahrscheinlich auch der Säugethier- und Menschen-Fötus Kohlensäure bildet. Dann muss er sie auch durch die Placenta an die Mutter abgeben. Das Venen- blut dieser, welches aus der Placenta zurückkommt, muss also mehr Kohlensäure enthalten , als das vom nicht schwangeren Uterus zu- rückkommende, was ebenfalls sich experimentell feststellen Hesse. Es wäre auch keineswegs die Entgasung unter Luftabschluss aufgefangenen ISTabelvenen - und ISTabelarterien- Blutes grösserer Thiere mit unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden. Nur der- artige gasometrische Versuche können direct beweisen, dass der Fötus im Uterus Kohlensäure bildet, die sich dann reichlicher in den Arterien, als in der Vene des Nabelstrangs finden muss. Preyer, Physiologie des Embryo. JQ B. Die ersten Athembeweguugen. Das Problem, wie die erste Athembewegung des Neugeborenen zu Stande kommt, ist trotz einer sehr grossen Anzahl von Schriften darüber aus alter und neuer Zeit noch heute nicht gelöst. Frühere Autoren haben nicht selten schon nach einigen gelegentlichen Beobachtungen, ja sogar auf Grund eines einzigen pathologischen Falles, Hypothesen über Ursache und Wesen des ersten Athem- zuges aufgestellt, welche allgemein gelten sollten. Eine experimen- telle Prüfung derselben wurde nicht für nöthig gehalten. Erst seit 1812, seit Legallois das ßespirationscentrum entdeckte, ist über- haupt die Fragestellung präcisirt worden. Denn jetzt wird der Reiz gesucht, welcher jenes Centrum nach der Geburt zum ersten Male erregt, so dass von ihm aus die Inspirations - Nerven und -Muskeln in Thätigkeit gesetzt werden und die erste Thorax- erweiterung eintritt. Dieser Reiz wird von Vielen im Blute ge- sucht. Kohlensäure -Anhäufung und Sauerstoff- Mangel oder An- häufung leicht oxydabeler Stoffe im Blut sollen beim Erwachsenen das Athemcentrum erregen, wenn die gewöhnliche Athmung er- schwert, wenn also Dyspnoe, nämlich Verstärkung der Athem- bewegungen, beobachtet wird. Daraus folgerte man, eben jene Reize seien beim ersten Athemzuge wirksam, in der Voraussetzung, dass, was vorhandene Athembewegungen verstärke, noch nicht vor- handene wachrufen müsse. Die Unzulässigkeit einer solchen Schlussfolgerung liegt auf der Hand. Nicht weniger willkürlich war die Ansicht, weil das überreichlich mit Sauerstoffgas ver- sehene erwachsene Thier keine Athembewegung mehr macht, müsse der nicht athmende Fötus ebenfalls darum apnoisch sein, weil sein Blut sehr viel Sauerstoff enthalte, er also nicht athmcn könne oder gewissermaassen nicht zu athmen brauche. B. Die ersten Athembewegungen. 147 Ich habe mich bemüht, diese und andere Meinungen that- sächHch zu widerlegen und eine grosse Anzahl von neuen [iso Experimenten an trächtigen Thieren angestellt, welche das [345 Zustandekommen der ersten Athembewegungen höherer Wirbelthiere wesentlich anders als bisher zu erklären nöthigen. Eine kurze Betrachtung der vorzeitigen Athembewegungen ungeborener oder im Ei geborener Menschen und Thiere wird zweckmässig der Untersuchung des ersten Athemzuges Eben- geborener vorausgeschickt, weil sie das Yerständniss des Ver- haltens dieser wesentlich erleichtert. Vorzeitige Athembewegimgeii. Wenn der Säugethier-Fötus noch ehe die atmosphärische Luft mit seiner Mund- oder Nasen -Öffnung in Berührung gekom.men ist, Athembewegungen macht, so heissen dieselben vorzeitig, gleichviel ob sie intrauterin oder extrauterin im Amnioswasser stattfinden. Schon Yesal sah (s. oben S. 134) deutlich derartige Be- L7g,4 wegungen. Winslow (1787) bemerkte beim Fötus des Hundes und der Katze die rhythmische Erweiterung und Verengerung der Nasenöffnungen, die Erhebung und Einziehung der Thoraxwand, die Bewegung der Bauchwand im Fruchtwasser nach Bloslegung im Uterus mit Schonung der Nabelschnur und sagte : Liquorem [2^7 amnü respirare videntur. P. Scheel (17Q8) war der Meinung, [247 es komme regelmässig Fruchtwasser in der Trachea vor^ welches durch die ersten Lufteinathmungen in die Lungen aspirirt werde, und Herholdt kam durch Versuche an Thieren zu derselben Über- zeugung. Er schreibt: [2i7 „Oft entleert es die Natur selbst unter der Geburt, manch- mal aber bedarf es künstlicher Unterstützung. Vor der Entfernung jenes Wassers kann die Athmung nicht normal vor sich gehen. Die Asphyxie der Neugeborenen entsteht öfter, als man glaubt aus dieser Ursache, meine ich; nicht nur muss der Schleim aus der Kachenhöhle entfernt, sondern hierauf der Neugeborene in solcher Stellung gehalten werden, dass die Flüssigkeit ausfliessen kann." Auch bei neugeborenen reifen Meerschweinchen habe ich öfters wegen des Verbleibens von Fruchtwasser im Munde erschwerte, hustende Exspirationen und dyspnoische Lispirationen wahrge- nommen. Dass dieselben beim Menschen sehr oft tödtlich enden, 10* 148 Die embryonale Athmuug. ist bekannt, auch dass vor vollendeter Geburt bisweilen mit dem Fruchtwasser Luft aspirirt wird. [412 Beclard öffnete hochträchtigen Thieren den Uterus und sah [lo den Fötus Athembewegungen im Ei ausführen, jedoch langsamer, als nach der Geburt. Jede Einathmung wurde durch Öffnen des Mundes, Erweiterung der Nasenlöcher, Hebung der Brustwände bezeichnet. Diese Bewegungen wurden schneller und stärker, je grösser die Störung des Placentarkreislaufs war. Wurde der Hals des lebenden Eötus unterbunden und die Luftröhre geöffnet, so fand sich eine dem Fruchtwasser ähnliche Flüssigkeit in derselben; wurde vorher eine gefärbte Flüssigkeit in das Fruchtwasser ge- spritzt, so war die in den Bronchien enthaltene ebenso gefärbt. Ich stellte, um zu ermitteln, ob bei vorzeitigen intrauterinen Athembewegungen wirklich Fruchtwasser in die Bronchien gelangt, denselben Versuch an: Einem liochträchtigen Meerschweinchen, welches am 9. März lebhafte Fruchtbewegungen erkennen Hess, öffnete ich am 17. März die Bauchhöhle, so dass der Uterus prolabirte. Ich injicirte 11 Uhr 12^2 Min. mittelst Ein- stichs 0,8 Cc. einer wässerigen blutwarmen Fuchsinlösung ohne Verletzung der Frucht in das Amnios -Wasser, sah wie der Fötus den Mund auf- und zumachte, desgleichen wie er die Nasenlöcher erweiterte und verengte und am Halse, dass er eine Schluckbewegiing machte. Hierauf injicirte ich am andern Ende, wo ich Füsse wahrnahm, noch einmal 0,8 Cc. derselben Lösung 1 1 Uhr 1 3 Min. ohne Berührung des Fötus in das Fruchtwasser und trennte den Uterus ab. Das Junge bewegte sich nun in meiner Hand in dem sonst unverletzten Ei, aus welchem nichts ausfloss, sehr lebhaft strampelnd, meist mit beiden Vorderbeinen gleichzeitig, dann mit beiden Hinterbeinen gleich- zeitig, und zwar so stark, dass 11 Uhr 14 Min. die Eihaut zerplatzte. Nun lag noch mit einer sehr grossen Placenta verbunden in meiner Hand ein ungewöhnlich grosser reifer Fötus, welcher mit pffenen Augen stark schrie und bald mit geöffuetem Munde Luft athmete, während viel rosenrother Schaum aus den Nasenlöchern hervorkam , hierauf mit dem Athmen wieder pausirte, um dann aufs neue krampfhaft zu inspiriren. Er litt offenbar an hochgradigster Athemnoth und stellte bald alle Athembewegungen ein. Trotz seiner Eeife und ungewöhnlichen Stärke konnte er die Dyspnoe nicht über- leben. Er wog -nämlich gerade 125 Grm. ohne die volle 10 Grm. schwere Placenta, während das Mutterthier ohne beide 704 Grm. wog [also betrug das Gewicht der Frucht zwischen Ve ^^^ Vs ^^^ Gewichts der Mutter, bei- läufig bemerkt, ein Verhältniss wie es vermuthlich von keinem anderen Säugethier erreicht wirdj. Ich untersuchte nun, wo etwa im Innern des Fötus sich Fuchsin finde und sah sogleich, dass die Lippen, die Zunge, der Gaumen, der ganze Schlund intensiv fuchsinroth gefärbt waren, ebenso die Lungen auf ihrer ganzen Obei-fläche rosenroth und die Innenfläche des Magens noch stärker roth. Die Lungen schwammen aber auf Wasser. Sie wurden dann in Weingeist gelegt und schrumpften darin sich entfärbend zusammen, während das umgebende farblose Liquidum sich nach und nach immer B. Die ersten Athembewegungen. 149 deutlicher färbte. Nach di-ei Stunden lagen die entfärbten Lungen in der aniÜnrothen alkoholischen Fuchsinlösung. Es kann also nicht der geringste Zweifel darüber bestehen, dass durch das vorzeitige Athmen im intacten Säugethierei Frucht- wasser in die Lungen des Fötus gelangt, und zwar geht dasselbe in alle Theile der Bronchien bis in die Lungenalveolen ebenso wie nach der Geburt die Luft es thut. Die farbige Flüssigkeit war vor der gewaltsamen Sprengung des Eies sowohl aspirirt als auch verschluckt worden. Denn der Magen allein enthielt viel- mehr fuchsiuhaltige Flüssigkeit, als die bereits sehr stark gefärbte Mundhöhle enthalten konnte, als das Thier frei war. Leider ging der Befreiungsact so schnell vor sich, dass eine Ligatur vor dem- selben sich nicht anbringen Hess, aber schon die grosse Menge des Farbstoffs in allen Theilen der Lunge beweist, worauf es an- kommt, dass intrauterin Fruchtwasser geradeso ausgiebig aspirirt werden kann, wie nach der G-eburt die Luft inspirirt wird, wenn nur genügend starke vorzeitige Athem- bewegungen stattfinden. Ich habe auch bemerkt, dass der noch unreife Fötus vom Kaninchen und Meerschweinchen, wenn ich ihn so schnell aus dem mütterlichen Körper herausschneide, dass keine intrauterine Athem- bewegung stattfinden kann, ohne Schwierigkeit Luft athmet und in warmer Watte lange am Leben bleibt, während die aus den- selben Thieren langsam excidirten, im Ei vorzeitig den Thorax erweiternden und mehrmals inspirirenden Embryonen, dyspnoisch Luft athmen und trotz der grössten Sorgfalt fast jedesmal bald nachher zu Grunde gehen, indem sie in immer längeren Pausen mit weit offenem Munde nach Luft schnappen. Offenbar ist hier, wie in dem obigen Fall, das in die Lungen aufgenommene Frucht- wasser Ursache der Athemnoth und des Todes wegen Absperrung des Sauerstoffs vom Blute. Doch wird die zuerst von B. Schnitze aufgestellte Behauptung, dass die Frucht intrauterine Inspirationen mit Aspiration des Fruchtwassers ausführen, sich aber vor der Geburt von dem dyspnoischen oder asphyktischen Zustande erholen kann, nicht allein durch theoretische Erwägungen, sondern auch namentlich durch ein Experiment von Geyl bestätigt. Der sehr instructive Yersuch ist dieser: [290 Einem am 21/22 März 1879 geschwängerten Kaninchen wurde unter Chloroformnarkose und strengsten Lister'schen Cautelen am 12. April die Laparotomie gemacht. Im linken Uterushorn fanden sich vier, im rechten 150 Die embryonale Athmung. drei Junge. In jedes Ei wurde ein halbes Gramm einer wässerigen Anilin- blaulösung injicirt. Nach einer ungefähr eine Minute lang fortgesetzten Com- pression der die Uterushörner versorgenden Gefässe wurde die Bauchhöhle mit Catgut geschlossen. Am folgenden Tage nahm das Kaninchen wieder Nahrung zu sich, am darauffolgenden bot es nichts Abnormes dar, als dass es sich wenig bewegte. Am 15. April (so ist wohl die Angabe „am 10. April" zu berichtigen) warf es sieben Junge, drei todte und vier lebende. Bei den ersteren wurden blau verfärbte Stellen in den Lungen wahrgenommen und bei einem der lebendig geborenen. Die Frucht kann also vor ihrer Geburt Fruchtwasser aspiriren und mit .dem Leben davonkommen. Denn aus Experimenten von Kehrer geht hervor, dass auch bei hohem Druck in die atelektatische Lunge ohne inspiratorische Bewegungen keine Flüssigkeit ein- dringt; sie kann nur bis zu den Stimmbändern vordringen. Hiernach ist das Vorkommen von intrauterinen Athem- bewegungen mit Aspiration des Amnioswassers auch beim mensch- lichen Fötus in den letzten Monaten der Schwangerschaft wahr- scheinlich weder so selten noch so gefährlich, wie früher an- genommen wurde. Ich habe auch manchmal beim Meerschweinchenfötus, den ich unter lebenswarmem Salzwasser im Amnion austreten Hess, einzelne ganz deutliche Athembewegungen unmittelbar nach dem Prolabirenlassen des Uterus wahrgenommen, die sich nicht wieder- holten und keine nachtheiligen Folgen hatten. Denn wenn nach längerem Zuwarten das Thier befreit wurde, zeigte es an der Luft die gewöhnliche Reflexerregbarkeit und Respiration Neugeborener ohne irgend ein Symptom der Asphyxie. Endlich ist noch von besonderer Bedeutung, dass unzweifel- haft auch allein durch Stechen des Fötus, z. B. mittelst der Pravaz'- schen Spritze durch die Bauch wand der Mutter hindurch, in- trauterine Athembewegungen ohne nachtheilige Folgen ausgelöst werden können. Denn ich habe, wenn der Uterus in Salzwasser biosgelegt wurde, so dass man den Kopf des Fötus sehen konnte, Verengerung und Erweiterung der Nasenlöcher und andere in- spiratorische Bewegungen nach dem Einstich wahrgenommen. Wie die vorzeitigen Athembewegungen zu Stande kommen, ist eine Frage von eben so grossem praktischem wie theoretischem Interesse. Sie wird im Folgenden ihre Beantwortung finden. Hier sei nur noch eine wichtige von mir gefundene und [345 bereits an anderer Stelle ausgesprochene Thatsache, welche weiter unten ihre Begründung findet, angefüln^t: Kein Embryo ist im Stande eine vorzeitige Athembewegung auszuführen I B. Die ersten Athembeweguugen. 151 oder nach Öffnung des Eies in der Luft zu inspiriren, wenn er nicht vorher auf Reflexreize mit Bewegungen der Extremitäten zu reagiren vermag. Mit anderen Wor- ten: Das Zustandekommen der vorzeitigen und rechtzeitigen Athem- bewegungen des Eötus ist an das Vorhandensein der ßeflex- erregbarkeit gebunden. Die Richtigkeit dieses Satzes wird durch meine Versuche an den Embryonen des Meerschweinchens, Kaninchens und Huhnes bewiesen, deren Beschreibung sich theils im Folgenden und in dem Abschnitt über die embryonale Motilität, theils im Anhang zu diesem Werke finden. Wenn dieser Satz früher bekannt gewesen wäre, dann würden ohne Zweifel die wichtigen Untersuchungen von Schwartz (1858) über die vorzeitigen Athembeweguugen und die scharf- [102.75.393 sinnigen Erörterungen der Ursache des ersten Athemzuges von Krahmer (1851) nicht so allgemein acceptirt worden sein, wie [391 es der Fall ist. Bie Ursache des ersten Atiiemzuges. Die verbreitetsten Ansichten über die Ursache des ersten Athemzuges weichen erheblich von einander ab. Eine Gruppe von Autoren nimmt als Reiz für die Athmungscentren ausschliesslich die veränderte Beschaffenheit des fötalen Blutes an, welches durch die Unterbrechung der Placentarcirculation in der Geburt venös wird, indem eine Kohlensäure-Anhäufung oder Sauerstoff- Abnahme oder beides eintritt. Diese Störung des Gasaustausches zwischen Mutter und Frucht soll allein die erste Athembewegung, sei es vorzeitig, sei es rechtzeitig, intrauterin wie extrauterin zu Stande kommen lassen. Ob es dabei die Behinderung der Kohlensäure- Abgabe in der Placenta oder der Sauerstoff- Aufnahme in derselben sei, welche das Blut venös macht, so dass es das Respirations- centrum reizt und die erste Athembewegung auslöst, wird nicht erörtert, vielmehr als bewiesen angesehen, dass etwas mit Sauer- stoffmangel oder Kohlensäure-Anhäufung im Fötusblute solidarisch Verbundenes dafür allein ausreiche und nothwendig sei. Der un- bekannte Reiz, nach Pflüger leicht- oxydirbare Stoffe aus den Geweben, erregt das Centrum, so dass dann vermittelst der Phrenici das Zwerchfell, der Intercostalnerven die Zwischenrippen- muskeln usw. sich contrahiren, den Lungenraum erweiternd und so das Eindringen der Luft nothwendig bewirkend. 152 I^ie embryonale Atlimung. Eine zweite Gruppe von Forscliern nimmt lediglich äussere Reize als Athmungserreger an: unvermeidliche Insulte beim [427 Geburtsact, vor allem die schnelle Abkühlung der Haut, durch [77 welche centripetale Nerven stark erregt werden. Diese pflanzen die Erregung auf das Athmungscentrum fort, von dem aus dann die Inspirationsmuskeln, wie oben, in Thätigkeit gesetzt werden, gerade wie beim schon athmenden Menschen ein plötzliches kaltes Bad, eine kalte Übergiessung, eine starke Einathmung zur Folge hat. Eine dritte Gruppe von Autoren schreibt beiden Factoren, den inneren und den äusseren Reizen, für die erste Athembewegung die gleiche Bedeutung zu; wenn der eine Reiz vorsage, trete der andere ein, auch könnten beide zusammenwirken, die Yenosität des Blutes und die periphere Reizung. Eine Erklärung des ersten Athemzuges ohne Zugrundelegung dieser beiden Momente oder eines der beiden kann entweder keine Gültigkeit für alle Fälle beanspruchen oder ist an sich für jeden Fall ebenso ungenügend, wie z. B. die alte wieder aufgenommene Annahme, dass Compression der Nabelschnur darum im eröffneten Uterus Athembewegungen auslöse, weil ein Gefühl von Luftmangel (a se?ise of luant of air Austin Flint 1880) entstehe. Wie das [253 Gefühl die motorischen Inspirationsnerven erregen soll, bleibt unerörtert und unbegreiflich, zumal auch hirnlose Neugeborene athmen, wenn das Halsmark unverletzt ist. Auch die von vielen noch für nothwendig erachtete Berührung des Fötus oder seiner Mund- oder Nasen- Öffnung mit atmos- phärischer Luft kann als Ursache der ersten Athembewegung nicht gelten, weil ja ohne Berührung mit Luft intrauterin Frucht- wasser aspirirt und eine Reihe von ausgiebigen Respirations- bewegungen ausgeführt werden kann. Schon 1841 betonte [382 Volkmann mit Recht, dass Landthiere athmen, auch wenn sie unter Wasser geboren werden, und H. Nasse sah, nachdem er die Aorta einer hochträchtigen Hündin comprimirt hatte, den Fötus „gähnen, nach Luft schnappen" (wie er sich etwas ungenau aus- drückt), obgleich derselbe in der uneröffneten Amnionhöhle be- lassen wurde. Daher meint er, dass der „Antrieb" zum Athmen vom Venenblut ausgehe, d. h. also hier vom Venöswerden des Blutes nach Absperrung der Zufuhr des arteriellen Blutes. [383 Aus der Thatsache, dass nach dem Venöswerden des mütter- lichen Placenta-Blutes der Fötus Athembewegungen macht, folgt B. Die ersten Athembewegungen. 153 aber noch niclit, dass gerade venöses Blut das Atlimungscentrmn direct erregt. Ebenso kann auch Vierordts Auflassung, der erste Athemzug sei die Folge der Athemnoth, welche durch Behinderung des G-as- wechsels zwischen dem Blute der fötalen Capillaren der Nabel- gefässe in der Placenta und dem mütterlichen Blute zu Stande komme — und dadurch auch zwischen dem Blute und dem Pa- renchym der Organe — nicht für ausreichend erklärt werden. Denn wie die Athemnoth und „das Bedürfniss, dass der Gas- wechsel auf anderem Wege vermittelt werde, nämlich durch die Lungen" das Zwerchfell zum ersten Male zur Contraction brin- gen können, bleibt dabei unerörtert. [383 Voltolini meinte sogar, nur der ßeiz der in die Lungen [414 eindringenden Luft auf die Vagus endigungen in der Lunge rufe die ersten Athembewegungen hervor. Er vergisst, dass schon eine Athembewegung gemacht worden sein muss, um die Luft in die Lungen zu bringen. Zuerst dehnt sich die atelektatische Lunge aus. Dann dringt Luft ein. Der Inspirationsreiz geht also der hypo- stasirten Erregung der Vagusenden in der Lunge nothwendig vor- her, und es kann gar keine Luft in die Lungen eindringen, wenn ihr nicht vorher Platz gemacht worden ist durch active Erweiterung des Thoraxraumes. Ausser diesen zwingenden Gründen, welche auch von Anderen allzuoft übersehen werden, widerlegt schon die oben erwähnte Thatsache vollkommener Athembewegungen des Fötus im Fruchtwasser im unversehrten Ei alle Ansichten, die für den ersten Athemzug die Erregung von Nerven durch che atmos- phärische Luft verlangen. Viele Praktiker bezeichneten daher als alleinige Ursache des ersten Athemzuges den in Folge des gestörten Placentarkreislaufs eintretenden Sauerstoffmangel, nicht periphere Reize und nament- lich nicht den Einfluss der atmosphärischen Luft. 0. Franque ver- [iss wies (1862) zur Begründung dieser Meinung auf einen Fall, in wel- chem das Kind in vollen Eihäuten geboren wurde und ohne von der Luft berührt zu werden, vollständige Respirationsbewegungen machte. Er dachte nicht daran, dass in diesem Fall die Be- rührung mit fremden Gegenständen als Hautreiz gewirkt haben kann. Schon vorher (1858) hatte Vulpian für den ersten Athemzug des Hühnchens im Ei die Venosität des Blutes in Anspruch ge- nommen, durch welche das Respirationscentrum erregt werde. Aber beim Vogelembryo kommen starke Hautreize dadurch zu 154 , Die embryonale Athmung. Stande, dass er sich., wenn ihm nach Vollendung des embryonalen AVachsthums das Ei zu eng wird, gegen die Schale stösst. Er weckt sich selbst durch Eigenbewegungen. Diese bewirken Hautreize und dadurch kann die Lungenathmung in Gang kommen. Durch das gesteigerte „Sauerstoffbedürfniss" ensteht in den Allantoisgefässen nicht nothwendig Yenosität des Blutes, denn dieses nimmt nach wie vor atmosphärischen Sauerstoff auf. Aber die aufgenommene Sauerstoffmenge genügt nicht mehr dem grösser gewordenen Hühn- chen im Ei. Nun kann nach den oben (S. 116) mitgetheilten Thatsachen über die Sauerstoffaufnahme seitens des Hühnchens im Ei der Mehrbedarf desselben vor dem Beginn der Lungenathmung sehr wohl durch reichlichere Sauerstoffaufnahme gedeckt werden, wie es auch höchst wahrscheinlich der Fall ist. Wie soll aber dann die Venosität des Blutes zu Stande kommen? Solange die Lunge noch unthätig ist, kann normaler Weise allein durch schnelleren Sauerstoffverbrauch schwerlich im Yogelei der ver- langte Sauerstoffmangel im Blute erreicht werden. Dagegen ist sehr bemerkenswerth, dass schon vor dieser Epoche, mehrere Tage vor dem Ausschlüpfen ungewöhnliche periphere Eeize, ein Nadel- stich, eine Berührung tiefe Inspirationen des Hühnchens auslösen können, wie ich oftmals wahrnahm. Dasselbe gilt für ungeborene Säugethiere. Und doch — wollte man allein periphere ßeize als nothwendig und ausreichend für die Auslösung des ersten Athemzuges bezeichnen, dann wären erst sehr bestimmte gegentheilige Angaben zu widerlegen. Z. B. konnte Schwartz in manchen Fällen von Nabelschnur -Eepositionen und Wendungen ohne merkliche Störungen der Placenta- Respiration den Fötus betasten und bestreichen ohne Athembewegungen. her- vorzurufen. Er schliesst daraus etwas voreilig, dass Hautreize ohne Störung des placentaren Gasaustausches unwirksam sind; denn wenn er stärkere Hautreize angewendet hätte, würden die In- spirationen nicht ausgeblieben sein. Umgekehrt hat man oft die peripheren Reize für vollkommen überflüssig angesehen auf Grund solcher Fälle, bei denen die [344 Frucht intrauterin abstirbt und doch tief inspirirt hatte, etwa bei Nabelschnurcompression. Im Kehlkopf in den Bronchien und Lungen-Alveolen solcher todtgeborener Kinder ist Fruchtwasser, kenntlich an Lanugo - Haaren und Meconium, gefunden worden. Daraus zu folgern, hier sei der Beweis einer ersten Inspiration ge- geben ohne jeden Hautreiz, nach alleiniger Beschränkung der Sauer- stoffzufuhr, wie M. Ptunge und mit ihm Viele thaten, ist unstatthaft, B. Die ersten Atliembewegungen. 155 weil Hautreize im Uterus so wenig wie später jemals ganz fehlen können. Schon die gegenseitige Berührung der Hautflächen des Fötus, das Keiben am Amnion, die Bewegungen der Mutter müssen zu Erregungen der Hautnervenenden führen. Es fehlen also nie- mals beim ersten Athemzuge alle Hautreize, sowenig wie vorher, und nachher. Trotzdem nimmt B. Schnitze für das neugeborene Kind an, der Sauerstofi'mangel „und die mit ihm verbundene Kohlen- säm-eanhäufung errege das Athemcentrum", fügt aber hinzu, [237 wenn das letztere auf zu weit gehende Abnahme des Sauerstoffs im Blute nach Vollendung der Geburt nicht mehr reagire, dann sei es über die Norm gesteigerten Reizen anderer Art oft noch zugänglich ; zu diesen gehöre namentlich Reizung der Hautnerven durch rasche Temperaturänderungen; daher sei das Schwingen behufs Wiederbelebung scheintodter Neugeborener (welches übri- gens schon 1834 E. Rosshirt empfahl) mit flüchtigem Eintauchen [425 in kaltes Wasser und dazwischen Yerweilen im warmen Bade zu combiniren. Die praktisch bewährte Vortrefflichkeit dieser Vor- schrift beweist die Wirksamkeit der Temperaturreize als starker Erregungsmittel der Hautnerven, die mit dem Athmungscentrum in A^erbindung stehen. Bei dem Schultze'schen Schwingverfahren kommt auch der sehr feste Halt, der Druck mit dem Daumen und die unwillkürHche Reibung der Einger des Operateurs an der Haut des Kindes als Haut- reizung nach meinen Erfahrungen mit in Betracht. Ohne nun noch mehr Ansichten über die Betheiligung der Venosität des Blutes und der peripheren Reize an dem Zustande- kommen der ersten Athembewegung hier zu erwähnen - — sie führen nicht weiter — muss ich eine andere Hypothese kritisch betrachten, welche Lahs aufstellte. Ihm zufolge vdrd zwar durch Mangel an Sauerstoff im fötalen Blute ein starker Athmungsreiz hervorgebracht, er spricht auch den äusseren Hautreizen die ath- mungerregende Wirkung nicht ganz ab, aber für das typische Eintreten des ersten Athemzuges, ehe nach ihm Sauerstoffmangel und Hautreize zur Wirkung kommen, nimmt er die plötzliche oder hochgradige iVuspressung der placentaren Blutbahnen gegen das fötale Herz in Anspruch. Bei der ohne Kunsthülfe beendigten [245 normalen Geburt soll eine solche Auspressung der Placenta zum ersten Mal während des Durchschneidens der Frucht oder bald nach demselben zu Stande kommen und wo sie ausbleibt, zunächst auch die Apnoe des Fötus bestehen bleiben. 156 Die embryonale Athmung. Zur Begründung dieser Ansicht wäre es vor Allem nöthig ge- wesen zu zeigen, dass gesteigerte Blutzufuhr zum apnoischen Fötus für sich — ohne periphere Reize — überhaupt eine Inspiration auszulösen im Stande ist. Dieser Nachweis fehlt. Mit der An- nahme, dass durch Auspressung der Placenta „eine kräftige In- jection der Lungenblutbahnen" eintreten müsse, ist keineswegs die ISTothwendigkeit einer Erregung der Zwerchfellnerven dargethan. Selbst wenn alle Zweige der Lungenarterie vor dem ersten Athem- zuge prall gefüllt würden, ist eine Erregung des Athemcentrums nicht nothwendig mitgegeben. Ohne eine solche Erregung tritt aber keine Inspiration ein. Die Versuche bei künstlich apnoisch gemachten Kaninchen und Hunden durch Injectionen grösserer Blutmengen in die Jugularvenen Athembewegungen hervorzurufen, ergaben kein sicheres Resultat, und wenn auch um vier bis acht Se- cunden früher, als ohne Injection, die Apnoe aufhörte, so ist doch zu bedenken, dass allein schon durch den mit der Einspritzung verbundenen centripetal fortgeleiteten Nervenreiz eine Inspiration wohl ausgelöst werden kann, wofür die vorher eintretenden (re- flectorischen) Extremitätenbewegungen sprechen. Weder das oft beobachtete minutenlange Yerharren in der Apnoe nach der Geburt, noch das Luftathmen unmittelbar nach dem Austritt des Kopfes begünstigt eine solche Hypothese, welche nicht allein überflüssig, sondern auch unzulässig ist. Denn jede Wehe muss den Blutdruck in der Nabelvene erhöhen und doch sind vorzeitige Athembewegungen nicht normal. Nimmt man aber an, erst nach dem Durchschneiden des Kopfes werde die Aus- pressung der Placenta — wegen Abnahme des allgemeinen Inhalts- drucks — ausgiebig genug, dann müsste in der Mehrzahl der Fälle die Luftathmung vor der vollendeten Geburt beginnen (immer die unbewiesene Füllung der Lungen mit Blut als unbewiesenen Ath- mungserreger vorausgesetzt), während das Gegentheil der Fall ist. Ausserdem tritt unmittelbar nach Compression der Nabelvene mit Schonung der 'Nabelarterien beim Thierfötus der erste Athemzug leicht ein, wie ich oft constatirte, also nach Absperrung des placentaren Blutstroms, und es ist bekannt, dass nach früher Ab- nabelung das apnoisch geborene Kind sogleich zu athmen beginnen, nach später Abnabelung die Apnoe verlängert werden kann. Li jenem Falle fehlt die Entleerung des Fruchtkuchenblutes in die Frucht, in diesem erreicht sie ihr Maximum und doch beginnt in jenem die Lungenathmung früh, in diesem spät. Endlich kann auch die vereinzelte Beobachtung von Kehrer [245 B. Die ersten Athembewegungen. 157 nicht zur Stütze dienen. Hier blieb das Kind zwei Minuten lang apnoisch und wurde nicht abgenabelt. Nach oder mit dem Ein- tritt der nächsten Wehe aber, die sich durch Herabrieseln von Blut aus den Geschlechtstheilen neben der Nabelschnur deutlich ankündigte, trat der erste Athemzug ein, aber nicht weil nun durch Lösung der comprimirten Placenta neues Blut in den Fötus strömte, auch nicht weil plötzlich der Sauerstoffmangel sich geltend machte, sondern, weil inzwischen die Erregbarkeit des Athemcen- trums während der zunehmenden Yenosität des Fötus- blutes zugenommen hatte, so dass jetzt die Abkühlung und andere Hautreize, welche vorher nicht wirkten, zur Wirkung gelangten, wie ich nun zeigen werde. Ich schicke nur die Bemerkung voraus, dass eine vortreffliche historisch - kritische Darstellung der Erkenntniss des Zusammen- hanges der ersten Athembewegung mit Störungen der Placentar- respiration von B. Schnitze in seinem Buche: „Der Scheintod Neugeborener" gegeben worden ist, eine Darstellung, durch die ich selbst erst auf mehrere wichtige Arbeiten und Gedanken früherer Autoren aufmerksam geworden bin. Namentlich findet sich darin auch die Geschichte des Nachweises, dass Unterbrechung der Placentar-Circulation (somit auch -Kespiration) Erstickungs- gefahr für die Frucht und Erstickung der Frucht zur Folge hat. Es ist auch in jenem Werke die Beziehung der Lungenathmung zum placentaren Blutstrom besonders klar dargelegt und ge- zeigt worden, dass mit dem Beginne der Lungenthätigkeit die placentare Circulation verändert und zwar herabgesetzt werden muss. Dagegen ist der Fall nicht erwähnt, dass ohne vorherige Störung der placentaren Respiration Athembewegungen der Frucht möglich seien. Diese Möglichkeit finde ich überhaupt nirgends angedeutet, ausser ganz beiläufig bei Kehrer. Sie wird entweder ohne [149 Gründe geleugnet oder garnicht erwähnt. Namentlich hat Schwartz mit Entschiedenheit behauptet, es trete bei völlig ungestörter [75 Placentar-Circulation und -Respiration durch Hautreize keine Athembewegung ein. Hier knüpfen meine Untersuchungen an. Vom rein physiologischen Standpuncte aus schien es mir sehr unwahrscheinlich, dass ein erregbares nervöses Gebilde, wie das Legallois'sche Centrum vor der Geburt absolut unerregbar sein und bleiben sollte bis der geringe Sauerstoffgehalt der fötalen Blut- körper noch etwas geringer geworden sei. Ein Hautreiz, welcher 158 I^iG embryonale Athmung. im letzteren Falle eine mächtige Inspiration zur Folge hat, wie unzählige Wiederbelebungen asphyktischer Neugeborener beweisen, soll gar keine Wirkung haben, auch nicht die geringste inspira- torische Zuckung wachrufen, wenn der geringe Sauerstoffgehalt des fötalen Blutes nicht abnimmt durch Störung der placentaren Circulation? Mir schien es wahrscheinlicher, dass das Respirations- centrum auch vor der Geburt, vor der Störung des Placentar- Kreislaufs erregbar sein müsse. Kann aber bei intacter Placentar- Circulation und -Respiration der Fötus zum Athmen intrauterin und extrauterin durch Hautreize gebracht werden, dann sind sämmtliche bisherige Theorien des ersten Athemzuges unrichtig oder wenigstens unvollständig. Dass nun wirklich von den bestehenden Ansichten keine richtig sein kann, ist weniger durch eine kritische Beleuchtung derselben, als durch vielfältige Versuche und Beobachtungen, die ich an Hunden, Meerschweinchen und Kaninchen vor, während und nach der Ge- burt, sowie am Hühnchen im Ei und an einigen neugeborenen Menschen anstellte, jetzt nicht mehr schwer zu zeigen. Ich habe nämlich, ohne Unterbrechung der Placentarcirculation bei Thieren den Fötus Inspirationsbewegungen machen gesehen. Beim Meerschweinchen ist die TJteruswand gegen Ende der Tragzeit so durchscheinend, dass man bei hellem Sonnenlicht vollkommen deutlich die Bewegungen des Fötus erkennt, und es ist leicht bei diesem Thiere und dem Kaninchen die Embryonen mit unverletztem Amnion in blutwarmem Salzwasser herauszu- schälen. Oft wird freilich schon beim Herausnehmen oder Pro- labirenlassen des. trächtigen Uterus an der Luft aus der auf- geschnittenen Bauchhöhle der Placentarkreislauf trotz aller Vor- sicht unterbi^ochen. Am 23. Jan. 1879 liess ich einen Fötus austreten. Er machte im Uterus eine unverkennbare Inspirationsbewegung, wie es nicht selten bei reifen Früch- ten unter gleichen Umständen geschieht. Jetzt scliälte ich ihn ohne Ver- letzung des Amnion heraus und hielt ihn in blutwarmes Salzwasser. Es traten nun mehrere Athembewegungen ein. An sich wäre dieses Verhalten nicht ungewöhnlich. Es wird aber ausserordentlich merkwürdig dadurch, dass die ganze Zeit über intensiv hellrothes Blut in der prall gefüllten Nabel- vene von der Placenta in den Fötus strömte, während die Nabolarterien venös gefärbt waren. Auch nach Ablösung des Amnion blieb der Farben- unterschied sehr auffallend. Trotz der hierdurch bewiesenen reichlichen Zu- fuhr von sauerstoffreichem Blute machte das Thier doch nicht ganz seltene Athembewegungen, indem es die Nasenlöcher erweiterte, den Brustraum et- was ausdehnte, die Bauchwand vorwölbte und sogar zuletzt, als ich es in der Hand halb aus dem warmen Wasser emporhob, seine Stimme hören liess. B. Die ersten Athembewegungen. 159 Volle acht Minuten laug genoss ich dieses Schauspiel, wartend, dass die Nabelvene dunkel werde. Als ich dann in einer Pause, während gerade keine Inspirationen mehr stattfanden, mit der Pincette die Nabelschnur comprimirte, war die Füllung der immer noch intensiv arteriellroth gefärbten Vene auf der placentalen Seite prall, auf der fötalen collabirte sie fast ganz. Bei den Nabelarterien war dieser Unterschied nicht wahrnehmbar. Gleich nach der Compression begann uim das Thier energisch und häufiger zu athmen, wie Neugeborene, und blieb am Leben. Am 15. Dec. 1879 sah ich einen der Keife nahen Fötus, den ich eben aus der Bauchhöhle des Mutterthiers hatte prolabiren lassen, beim Anfassen durch die Uteruswand hindurch zwei Athembewegungen im intacten Ei aus- führen. Sofort wurden Uterus und Amnion aufgeschlitzt und die Frucht schnell herausgeschält. Als ich dieselbe nun an der Luft in der Hand hielt und den Nabelstrang betrachtete war ich nicht wenig verwundert die Nabel- vene intensiv arteriellroth, die beiden Nabelarterieu dunkelvenös ge- färbt zu sehen, während der Fötus bereits Luft athmete. Nach meh- reren Minuten nahm die Blutfülle der drei Nabelgefässe ab, so dass eine der beiden Arterien nur noch wie ein dünner Faden erschien. Dabei zeigte sich, dass in dem Maasse, wie die Dauer der Luftathmung zunahm, während zu- gleich das Thierchen sich lebhaft bewegte, die Farbe des Blutes der noch stark gefüllten einen Nabelarterie immer heller roth wurde, bis sie in der sechsten Minute nur wenig dunkler als das sehr helle Nabelvenenblut erschien. Es war also bereits in dieser Zeit trotz erhaltener Placentar- circulation und -ßespiration durch die Lungenathmung das Aortenblut ar- teriell geworden. Das durch die Nabelvene einströmende Blut blieb noch länger hellroth, nahm aber zusehends an Menge ab. Ich unterband nun den Nabelstrang. Das Thier blieb am Leben. Diese vorzüglich günstigen Beobachtungen an Meerschweinchen beweisen, dass auch bei erhaltener Sauerstoffzufuhr periphere Reize sowohl intrauterine Inspirationen (bei denen Fruchtwasser aspirirt wird) als auch extrauterine Lufteinathmungen auslösen können. Gleichfalls am 15. Dec. 1879 schnitt ich einen sehr kleinen unreifen Fötus aus einer anderen Cavie, fand aber in diesem Falle die Nabelvene nur eben merklich heller als die Nabelarterieu. Der Fötus machte sehr seltene und nicht tiefe Inspirationen, nachdem er von den Eihäuten befreit worden war. So\vie ich aber mit der Pincette eine der vier Extremitäten plötzlich stark comprimirte, trat jedesmal eine sehr tiefe Einathmung mit weit offenem Munde und Abwärtsbewegung des Zwerchfells ein. Kneipen der Rückenhaut hatte den gleichen Erfolg, doch weniger ausgesprochen, und schliesslich blieb jede mechanische 'Eeizung erfolglos. Das Thier war noch nicht lebensfähig. Diesen Versuch stellte ich in der Vorlesung an. Er beweist, dass auch bei ganz unreifen fast erstickten Früchten, deren Pla- centarcirculation unterbrochen worden, starke periphere Reize A-thembewegungen veranlassen. Freilich sind dieselben vor der Reife des Fötus, wenn auch energisch und frequent, meist nicht 160 Die embryonale Athmung. anhaltend und nicht immer im Stande die Lungen so mit Luft zu versehen, dass sie auf Wasser schwimmen. Denn: Am 26. Dec. 1879 excidirte ich einer trächtigen Cavie, an der lebhafte Fruchtbewegungen sichtbar waren, zwei sehr viel grössere Embryonen, als im letzterwähnten Versuch. Die erste wog öl^o G-rm und machte sogleich an der Luft viele und tiefe Inspirationen. Kein Theil der Lungen schwamm aber auf Wasser. Lässt man jedoch den reifen Fötus 4 bis 5 Minuten lang Luft athmen, dann gibt die Schwimmprobe ein positives Resultat. Die obigen Versuche beweisen, dass periphere Reize, welche schon die Herausnahme aus der Bauchhöhle und Eihautlösung mit sich bringen, oder allgemeiner andere Eingriffe, als die Unterbrechung der placentalen Sauerstoffzufuhr, die erste Inspirationsbewegung bei fortdauernder Sauerstoffzufuhr auslösen können. Hiermit ist folgender Versuch zu vergleichen. Am 6. Jan. 1879 schnitt ich einen fast reifen Meerschweinchenfötus aus, welcher im unversehrten Mutterthier fühlbar und sichtbar sich nicht selten lebhaft bewegt hatte. Da er aber innerhalb mehr als einer Minute, während der ich ihn in der Hand hielt, durch die pellucide Uteruswand ihn genau betrachtend, gar keine Bewegung machte, auch namentlich nicht eine einzige Athembewegung, so schälte ich ihn schnell aus dem Uterus heraus. Selbst jetzt trat im unversehrten Amnion immer noch keine Athembewegung oder sonstige Bewegung ein. Als ich aber die Nabelschnur comprimirte, vergingen nur 1 bis höchstens 2 Secunden, ehe eine starke inspiratorische Bewegung stattfand. Das Amnion wurde abgelöst und der Nabelstrang unterbunden. Die Athmung kam dann nach einigen tiefen Inspirationen in Gang und das Thier blieb am Leben. Dieser Versuch beweist schlagend, dass auch dann, wenn trotz [75 äusserer Reize keine Athembewegungen seitens des Fötus gemacht w^orden sind, allein die Unterbrechung der Placentarathmung schleunigst die Lungenathmung durch Auslösung der ersten Lispi- ration in's Leben ruft. Dasselbe ergibt ein Versuch, den ich am 15. Jan. 1879 mit Kaninchen- embryonen anstellte. Ich liess den Uterus mit acht nahezu reifen Früchten in blutwarmes Salzwasser aus der Bauchwunde des Mutterthieres prolabiren. Es fand bei keiner eine Bewegung statt. Kaum hatte ich aber von einem Fötus den Uterus abgelöst, so bewegte er die vier Extremitäten im Ei, ohne eine Athembewegung zu machen. Ebenso die sieben anderen. Nach der Abnabelung machten alle sieben kräftige Inspirationen. Nur beim ersten aber sah ich die Nabelvene etwas heller roth, als die dunkeln Nabelarterien, und binnen weniger als einer Minute wurde sie ebenso dunkel wie diese. Dann durchschnitt ich den Nabelstrang und sah sofort bei diesem bis dahin ap- noischen Fötus, wie bei den sieben anderen, starke Inspirationen eintreten mit Heben und Senken des Unterkiefers, Kopfnicken und Hervortreten der Bauchwand, also Zwerchfellcontractionen. Dagegen hörten die Bewegungen B. Die ersten Athembewegungen. 161 der Beine nach der Durchschneiduug der Nabelschnur bei allen acht Früch- ten fast sogleich auf, während die Athembewegungen immer seltener wer- dend fortgesetzt wurden. Aus diesen Versuchen könnte man mit Schwartz folgern, [75. 393 dass der erste Athemzug allein durch die Unterbrechung der Placentarrespiration hervorgerufen werden könne, wenn nicht die Operation selbst Hautreize mit sich führte. Wenn bei Zeiten die Aspiration des Fruchtwassers verhindert worden wäre, was im letzten Falle nicht geschah, um stärkere Reize möglichst auszuschliessen, so wäre die Respiration wie gewöhnlich im Gang geblieben. Der letzterwähnte Versuch lehrt ausserdem, dass der durch Ablösung des Uterus gesetzte periphere Reiz Bewegungen ohne Inspirations- bewegungen im Ei bewirken kann. Letztere traten erst nach der Abnabelung ein. Also kann ein äusserer Reiz allerlei Muskelbewegungen ver- anlassen, ohne die Respiration durch die Lungen beim Fötus zu erwecken, die dann ohne neue Reize erst nach Eintritt des Sauer- stoffmangels ausgelöst wü-d. Da mir aber viel daran lag die mit der Freilegung der Nabel- schnur nothwendig verbundenen Eingriffe auf ein Minimum zu re- duciren oder ganz zu beseitigen und den Fötus vor dem ersten Athemzuge in seiner normalen Apnoe fremden Reizen zugänglich zu machen, so verfiel ich darauf nur den Kopf oder nur die Mund- und Nasen-Öffnung des Fötus unter Salzwasser durch einen Bauch- schnitt freizulegen. Da sich beim trächtigen Meerschweinchen durch Palpation die Stelle, wo der Vorderkopf liegt, leicht finden lässt, so gelingt diese Operation ziemlich sicher. Bei den mittelst derselben peripherer Reizung ohne Bloslegung des Uterus zugäng- lich gemachten Früchten trat in der Luft meistens nach einer halben Minute eine eigenthümliche, sehr unregelmässige flache [345 Athmung mit langen Pausen ein. Unter warmem Salzwasser aber blieben die Nasen-Offnungen bei einiger Vorsicht unbeweglich bis ich durch einen starken Hautreiz, etwa einen Stich in eine Lippe, eine Inspiration hervorrief, während die Placentarcirculation im normalen Gang blieb. Ich konnte nämlich durch starke me- [iso chanische und elektrische Hautreizungen bei genügender Reife des Embryo jedesmal eine Inspiration hervorrufen, so dass der Fötus im Uterus Flüssigkeit aspirirte, in der Luft Luft athmete und sogar schrie, und dennoch enthielt, wenn ich ihn rasch ex- trahirte, oder durch einen Schnitt die Placenta freilegte, die Nabel- vene intensiv arteriellrothes Blut. Beim Einführen eines Glas- Preyer, Physiologie dts Embryo. \\ Iß2 Die embryonale Athmung. Stabes oder des Thermometers in die Mundhöhle der sonst in situ und im Amnion und Uterus befindhchen Frucht verstärkte sich öfters das Schreien, und es begannen dann die Nasenlöcher sich stärker unregelmässig zu erweitern und zu verengern. Doch konnte ich deutlich einmal 60 Inspirationen in 22 Secunden bei 10*^ Luft- temperatur zählen. In anderen Versuchen war die Frequenz viel geringer. Überhaupt kommt es für die vorliegende Frage nur auf den ersten Athemzug an. Zur Erläuterung dienen die folgen- den Protokolle: Am 5. Februar 1880 legte ich durch den Uterus -Bauchschnitt in einer hochträchtigen Cavia den Kopf eines Fötus mit den Vorderfüssen allein blos, ventral, 9^ 15"^. Nach wenigen Secunden athmet der Fötus, schreit an- haltend und stark, zuckt mit Kopf und Vorderbeinen. Das Lid schliesst sich bei Berührung der Cornea fast ganz und ziemlich schnell. Der Fötus ist also fast reif. Er athmet vom Anfang an nicht im Geringsten dyspnoisch, nur sehr flach und unregelmässig, durch die Nase, um 9'' 23™ in einer Min. 38 mal. Zwischendurch schreit das halbgeborene Thier. Die Mutter 46 In- spirationen in 30 See. 9'' 24 °\ Um 9'' 25" arbeitet sich der Fötus von selbst durch die Wunde in's Freie. Ich erfasse ihn schnell und sehe die Nabel- vene intensiv hellroth, die Nabelarterien dunkel, jedoch eine bereits etwas heller geworden. Nun athmet das Thier stürmisch, bewegt sich leb- haft mit den vier Extremitäten, schreit zwischendurch. Kespirationsfrequenz unbestimmbar. Nabelvene stets hellarteriellroth. Nach ^^ 30'" nahm aber die Füllung derselben sichtlich ab. 9^ 33™ Eesp. 16 in sechs See, dann Pause. Augen oflPen. 9'' 37™ Fötus II mit dunkeler Nabelschnur extrahirt. Erster Athemzug nach sechs Secunden auf Hautreize. Dann Fötus III asphyktisch. Nabelschnur schwarz. Keine Bewegung. Conjunctiva reactionslos. Auf jedes Kneipen an beliebiger Stelle des Körpers trat aber eine Inspiration mit Schreien ein. Gewicht der drei Embryonen zusammen 210 Grm. Alle drei wurden in Watte gewickelt und blieben am Leben. Am 12. Febr. 1880. Hochträchtige Cavia in der Rückenlage festgebunden. Ein kleiner Bauchschnitt da, wo ein Fötuskopf fühlbar war, hatte das so- fortige gewaltsame Hervordringen des sehr grossen und starken Embryo I zur Folge. Er athmete sogleich lebhaft während die Nabelvene arteriell ge- färbt war, wurde abgenabelt und blieb am Leben. Vom Schnitt bis zur Ab- nabelung drei Minuten: 3'' 47 bis 3'' 50. Fötus II kam von selbst mit dem Vorderkopf gerade in die Wunde zu liegen, aus der nur noch die Vorder- füsse hervorragten. Er blieb 20 See. lang apnoisch, während ich mit Dau- men und Zeigefinger ohne starken Druck den Kopf am weiteren Vortreten hinderte. Dann begann plötzlich die Luftathmung und zwar durch die Nasen- löcher, flach und unregelmässig. Bei jedem Druck, jedem stärkeren Haut- reiz am Gesicht oder an den Füssen schrie das ungeborene Thier kräftig. In dieser Weise athmete es von 3'' 50^2 bis 3'' 55. Dann zog ich es schnell heraus, sah dass die Nabelvene intensiv arteriollroth war, decajjitirte d(Mi starken Fötus .soghncli, nalnii die Lungen heraus und üb(u-zeugte mich, dass sie mitsammt dem Herzen auf Wasser schwammen. Um 4'' 2 hatte ich noch den Kopf von Fötus III in der Bauchwund(! freigelegt. Er athmete nicht. B. Die ersten Athembewegungpn. 163 Jedesmal aber, wenn ich mit der Pincette die Lippen comprimirte, erfolgte eine tiefe Inspiration; dann nach jedem Hautreiz ein Schrei, 4'' 6 extrahirt, Nabelveue völlig arteriellroth; abgenabelt. Das Thier bleibt am Leben. Gegen diese Yersuche, welche beweisen, dass bei hellrother Nabelvene durch starke Hautreize Athembewegungen ausgelöst werden können, und zwar sowohl in der Luft, wie im geschlossenen Ei — in warmem Salzwasser — ist von M. Runge eingewendet C34i worden, dass sie keineswegs die bisherige, hauptsächlich von Schwartz begründete Ansicht widerlegen, derzufolge bei völlig un- gestörter Placentarcirculation kein Hautreiz eine Inspiration aus- lösen könne. Denn wenn auch die Nabelvene hellroth sei, könne doch der Placentarkreislauf gestört und unterbrochen sein, selbst im doppelt abgeklemmten Nabelstrang bleibe die Farbendifferenz bis zu einer halben Stunde sichtbar unter Wasser, und jedenfalls dürfe bei den obigen Versuchen nicht das Fortbestehen des normalen Grasaustausches in der Placenta angenommen werden, da derselbe durch den ersten Athemzug alterirt werde und schon die Yivi- section ihn beeinträchtigen müsse. Die Früchte seien eben as- phyktisch, und darum wirkten die Hautreize auch bei hellrother Nabelvene, bei apnoischen Thieren dagegen seien sie ganz wirkungslos. Diese Einwände sind leicht zu widerlegen. Denn für die Be- weiskraft meiner Versuche ist es völlig irrelevant, ob nach dem ersten Athemzuge der Placentarkreislauf gestört ist oder nicht. Es handelt sich darum, dass er vor demselben normal sei, so dass ohne anomale starke Reize keine Inspiration eintritt. Dieses ist aber wirklich der Fall. Denn der einzige Grund, weshalb er es nicht sein sollte, wäre durch die mit der vivisectorischen Operation gegebenen Verletzung bedingt. In der That kann die Operation den Placentarkreislauf leicht stören, sie muss es aber nicht; und wenn Schwartz und Runge meinen, jede Berührung des trächtigen Uterus mit Luft, jeder Schnitt veranlasse stürmische Contractionen desselben, beschränke dadurch die arterielle Blutzufuhr und unter- breche schnell die fötale Apnoe, so ist diese Behauptung thatsächlich nicht richtig. Denn die Apnoe kann bei vorsichtiger Ausführung des Versuchs erhalten bleiben, bis es dem Experimentator beliebt, sie zu unterbrechen, sei es durch Herbeiführung eines asphyk- tischen Zustandes — durch Nabelschnurcompression, Compression der Trachea des Mutterthieres — sei es durch starke Hautreize. Es ist mir sogar in einzelnen Fällen, wenn das Mutterthier sich längere Zeit ruhig verhielt, geglückt, mehrmals die Lungen- il* 164 Die embryonale Athmung. athmung mit der Placentarathmung abwechseln zu lassen. Ein Beispiel: Am 13. März 1882 wurde einem trächtigen Meerschweinchen im ge- räumigen Salzwasserbade von permanent 37,5 bis 38,5 o die Bauchhöhle er- öfinet, so dass nacheinander drei Früchte austraten. Fötus I machte sogleich, wegen zufälliger Bewegungen des Mutterthiers während der Excision, im Wasser einzelne Athembewegungen bei hellrother Nabelvene und nach stai-ker mechanischer Hautreizung noch mehrere kräftige Inspirationen ohne im ge- ringsten asphyktisch zu sein oder zu werden. Er wurde entfernt. Fötus II reagirte lebhaft auf sehr leise Berührungen durch bilateral - symmetrische Eeflexe, machte aber vom Anfang an keine Athembewegung. Ich fasste nun die Nabelschnur mit Daumen und Zeigefinger und comprimirte sie ganz all- mählich mit Vermeidung jeder anderen Berührung und Erschütterung. War das Thierchen durch die Operation asphyktisch geworden und athmete es deshalb nicht, so durfte es auch jetzt nicht athmen, war es apnoisch, so musste nach Absperrung der Sauerstofifzufuhr mindestens eine Inspiration nach leiser Berührung eintreten, die vorher ausblieb. Es trat eine solche, als ich die Nabelschnur ganz comprimirt hatte ohne erneuerte Heizung auf. Ich Hess dann sogleich die Nabelschnur los und sah wie nach einigen hef- tigen Bewegungen des Fötus der Blutstrom in derselben sich wiederherstellte und die Athembewegungen völlig aufhörten, ohne dass irgend ein Symptom der Asphyxie erschienen wäre. Der Fötus wurde entfernt. Fötus III machte weder im Uterus noch nach Lösung der Häute im blutwarmen Wasser eine Athembewegung, antwortete aber auf leise Berührungen der Haut mit Ke- flexbewegungen der Extremitäten. Ich überzeugte mich auf das Bestimmteste, dass er mehrere Minuten lang höchst erregbar für solche schwache Keflex- reize war ohne auch nur eine einzige Inspirationsbewegung zu machen. Dann hob ich das halbe Thier bis dicht über dem Nabel über die Wasserfläche empor und comprimirte an einer Stelle die Haut, während die Nabelvene hellroth war. Jetzt begann es unregelmässige Athembewegungen zu machen mit ziellosen meist symmetrischen Beugungen und Streckungen der Beine. Diese Hess ich dauern von 9 Uhr 50 Min. bis 9 Uhr 57 Min. Dann tauchte ich das Thierchen wieder unter Wasser. Es machte darin keine Athem- bewegung mehr, obwohl es fünf Minuten darin blieb; 10 Uhr 2 Min. hob ich es wieder wie vorhin heraus, worauf die unregelmässige Luftathmung wieder begann; 10 Uhr 5 Min. wieder eingetaucht, keine Athembewegungen; 10 Uhr 10 Min. wieder an die Luft gebracht und abgenabelt. Das Thier athmet jetzt stürmisch und schreit, konnte aber wegen mangelnder Eeife (die Nägel waren noch weich) nicht am Leben erhalten werden. Dieser Versuch beweist, dass man unter besonders günstigen Bedingungen einen Fötus abwechselnd mit der Placenta allein und mit der Lunge und Placenta zugleich athmen lassen kann, ohne dass er asphyktisch gemacht wird. Die Unterscheidung eines normal -apnoischen Fötus, sei es in dem das Fruchtwasser er- setzenden warmen Salzwasser, sei es mit dem in dieses oder in die Luft aus dem Körper des Mutterthieres hervortretenden Kopf, B. Die ersten Athembewegungen. 165 ist so leicht, dass die Entstehung des Einwandes, bei meinen obigen Yersuchen seien die Früchte, welche nach Hautreizung bei hell- rother Nabelvene Athembewegungen machten, asphyktisch gewesen, nur durch ungünstige Bedingungen bei Wiederholung derselben er- klärt werden kann. Alle charakteristischen Erscheinungen der As- phpüie fehlen: Cyanose, Bewegungslosigkeit, Abnahme derKeflexer- regbarkeit, Unempfindlichkeit gegen Licht usw. Die Embryonen sind natürlich gefärbt, weder blass noch hyperämisch, die Schleimhäute rosenroth, ihre Beweglichkeit, besonders nach Hautreizen sehr auf- fallend, die Empfindlichkeit des Auges gegen Licht vorhanden. [345,250 Der fernere Einwand, bei geborenen Thieren bewirkten Haut- reize während der künstlich erzeugten Apnoe keine Inspirationen, es läge also kein Grund vor, anzunehmen, dass es bei der natür- lichen Apnoe des Eötus sich anders verhalte, wird durch die That- sache hinfällig, dass es überhaupt nicht gelingt, bei ganz jungen Thieren künstlich durch Sauerstoffeinblasungen eine Apnoe zu er- zeugen. Die künstliche Apnoe bei Erwachsenen ist aber der in- trauterinen Apnoe nicht gleich zu stellen. Ich habe mich zwar wiederholt davon überzeugt, dass bei apnoischen Kaninchen starke Hautreize keine oder nur schwache Inspirationen hervor- rufen. Dasselbe gilt aber auch für normal athmende. Damit ist für die Erklärung des ersten Athemzuges nichts gewonnen. Der sehr wesentliche Unterschied zwischen der künstlichen und der natürlichen fötalen Apnoe im Ei besteht darin, dass im letzteren Falle nur darum keine Athembewegungen eintreten, weil es an genügend starken peripheren Reizen fehlt, während im ersteren a,uch bei Application solcher Eeize keine starke Inspiration ein- tritt. Bei der fötalen Apnoe enthält das Blut absolut und relativ wenig Sauerstoff und das Athmungscentrum ist deshalb nicht so schwer erregbar wie das des künstlich apnoisch gemachten Thieres, dessen Blut sehr viel Sauerstoff enthält und das an periphere Reize gewöhnt ist. Schliesslich ist noch hervorzuheben, dass alle die vorgebrach- ten Einwände sich nur auf meine an Säugethieren angestellten Versuche beziehen und noch weniger, als bei diesen, bei den zahl- reichen von mir am Hühnchen im Ei gemachten Beobachtungen zutreffen. Denn bei letzterem ist es ohne Unterbrechung der AUantois-Athmung, ja sogar ohne die geringste Störung derselben, leicht nach partiellem Abbrechen der Kalkschale und Ablösen der Schalenhaut am stumpfen Pol über der Luftkammer am 16. bis 20. Brüttage durch Stösse oder Nadelstiche Inspii'ationen 166 Die embryonale Athmung. hervorzurufen, so dass jeder Reiz eine Inspiration, und nur eine^ zur Folge hat, worauf dann die frühere Apnoe wieder eintritt. Dass nicht der Sauerstoffmangel oder Lufthunger, überhaupt keine unmittelbare Consequenz der Störung des Placentarverkehrs^ wie zunehmende Venosität oder abnehmende Arterialität des fötalen Blutes, Kohlensäurezunahme desselben oder Anhäufung leicht oxydirbarer Substanzen im Fötusblute, als Reiz für ein In- spirationscentrum angesehen werden darf, der allein im Stande wäre die erste Athembewegung zu bewirken, geht auch deutlich hervor aus guten Beobachtungen Anderer über das Verhalten reifer im unversehrten Ei excidirter Embryonen. Dieselben machen nämlich öfters, wie Pflüger bemerkte als er Kaninchenembryo- [228 nen bioslegte, bei behutsamer Manipulation gar keine oder nur sehr wenige Inspirationen, sogar nach Freilegung der Schnauze [227 nicht immer, während sie unmittelbar nach dem Aufschlitzen des ganzen Amnion stürmisch zu athmen beginnen. Ferner sah V. Preuschen, der dieses am Hundefötus constatirte, denselben im uneröffneten Ei, das sich selbst überlassen blieb, absterben ohne eine irgend wie auffallende Inspirationsthätigkeit entfaltet zu haben, was Pflüger ebenfalls gesehen hatte. [228 Mit Recht bemerkt aber v. Preuschen, dass hieraus keines- [227 wegs die Nothwendigkeit des Luftzutritts zu den Luftwegen des Fötus folge, ebenso könnte durch die Verhinderung der plötzlichen Abkühlung der Haut, als des Hauptreizes für die Auslösung der regelmässigen Athmung, das Ausbleiben derselben erklärt werden; schliesslich habe das Halsmark seine Erregbarkeit verloren. Hätte der Verfasser den Embryo im Ei von aussen gereizt, z. B. durch einen Stich oder eine Quetschung, so würde er sich überzeugt haben, dass er auch ohne Abkühlung und ohne Luftzutritt sehr starke Athembewegungen ausführt. Denn wenn ich aus einem hochträchtigen Thiere einen Fötus mit dem Uterus ausschneide, und ihn nichf athmen sehe, so brauche ich nur seine Haut stark zu reizen, dann tritt jedesmal eine tiefe Inspiration ein. Bekannt ist von Alters her die Wirkung starker Hautreize und ihre Apphcation an bestimmten Stellen, z. B. das Besprengen der Magengrube mit einem Strahle kalten Wassers, um das [232 asphyktische Neugeborene zur Inspiration zu veranlassen. [77 Auch die bei neugeborenen Thieren (Meerschweinchen, Kanin- chen) von mir durch Streicheln des Rückens verursachten reflec- torischen Stimmlaute, welche an den Quarrversuch von Goltz er- innern, zeigen die Wirkung peripherer Reize auf den Athmungs- B. Die ersten Athembewegungen. 167 apparat gleich nach der Geburt. R. Olshausen machte beim Men- schen eine ähnhche Beobachtung. Bei asphyktischen Xeu- [232 geborenen, welche noch keine oder nur sehr seltene Athembewegun- gen gemacht hatten, gelang es ihm durch energische Eeizung der Nackenhaut mit den Fingerspitzen quiekende Töne hervorzurufen, welche Schlag auf Schlag jedesmal auf den Hautreiz folgten. Diese Laute hervorzurufen gelang lange ehe das Kind zu schreien be- gann und bei Kindern, welche nicht wieder belebt und nicht zum Schreien gebracht wurden. Die reflectorischen Laute waren übri- gens inspiratorisch. Sie zeigen, wie lange die Reflexbahn von den Hautnerven zum Inspirationscentrum und von diesem in die cen- trifugalen inspiratorischen Nervenbahnen bestehen bleiben kann. Jedoch ist dabei nicht zu übersehen, dass „irgend eine Methode der künstlichen Respiration" vorher angewandt wurde. Auch durch die Untersuchungen von B. Schnitze über die [465 Asphyxie Neugeborener wird, soweit sie rein thatsächlich sind, meine Behauptung gestützt, dass ein Yenöswerden des fötalen Blutes für sich allein nicht ausreicht, eine Athembewegung aus- zulösen. Schnitze zeigte nämlich, dass Behinderung des placen- taren Gasaustausches tiefe Asphyxie herbeiführen kann, ohne dass eine einzige Athembewegung eintritt. Zunächst ist in dieser Frage bemerkenswerth, dass durch die normale noch so kräftige Wehe keine Athembewegung hervor- gerufen wird, obgleich dieselbe regelmässig die Sauerstofiaufnahme im Fruchtkuchen mehr oder weniger beeinträchtigt. Als eine der Ursachen, weshalb die normale, wenn auch kräftige Wehe Athem- bewegungen nicht veranlasst, sieht nun B. Schnitze das lang- same Anwachsen der Beschränkung des Gaswechsels im kind- lichen Körper an. Er meint mit dem Nachlass der Wehe bleibe ein gewisser Grad von Sauerstoffmangel zurück, welcher eine ver- minderte Erregbarkeit der Nervencentra mit sich führe. Wenn nun die nächste Wehe langsam anwachsend folgt, bevor jener Mangel ausgeglichen ist, und so fort, so könne durch die wieder- holte langsame Steigerung der Venosität, ohne Ausgleichung, eine solche Herabsetzung der Reizbarkeit (eine Art Narkose) herbei- geführt werden, dass auch der schliesslich enorm gesteigerte Sauer- stoffmangel (oder eine mit ihm untrennbar verbundene Beschaffen- heit des Blutes) nicht mehr als Reiz wirken könne. Gegen diese Auffassung ist zweierlei geltend zu machen: erstens fehlt der Nachweis, dass die Erregbarkeit des Respirations- centrum schon bei der beginnenden Venosität abnimmt — es ist 168 Die embryonale Athmimg. vielmehr sicher, class sie steigt — zweitens ist es nicht bewiesen, dass überhaupt die Yenosität für sich allein einen Reiz für die MeduUa abgibt. Ich behaupte vielmehr, dass sie nur deren Er- regbarkeit für periphere Reize steigert. Wirken dann periphere Reize ein — und zu diesen kann auch unter Umständen die Wehe gehören — so tritt die erste Inspiration ein, fehlen genügend starke derartige Reize, so bleiben sie aus, auch wenn die Venosität maximal wird. Die Thatsachen stehen hiermit in vollem Einklang. Schultze selbst schreibt: „Doch constatirte Beclard die wichtige That- [76,55 Sache, dass parallel der zunehmenden Uteruscontraction die Aus- dehnung und die Häufigkeit der Athembewegungen sich steigerten, eine Thatsache, welche sogar von Beclard die richtige Deutung erfuhr", die Deutung nämlich, dass die Athembewegungen zu- nahmen, weil die Placentarcirculation immer mehr gestört wurde. In Wirklichkeit können aus diesem Grunde gerade bei Beclards Versuch (s. oben S. 148) die Wehen selbst den peripheren Reiz abgegeben haben durch Steigerung des Drucks auf den Fötus. Die Frage verdient eine nähere Prüfung. Ferner schreibt Schultze: „Nicht ganz selten ereignet es sich, dass bei normalen Ge- burten das Kind mit wenig oder gar nicht veränderter Pulsfrequenz, mit kräftiger Pulsation im Nabel sträng, mit gesundem Aussehen, weder blauroth noch bleich, zu Tage tritt und doch zunächst nicht athmet. Ich habe mir öfters die Beobachtung gestattet, ein solches Kind von selbst zum Athmen kommen zu lassen. Es ver- geht eine Pause von Secunden, selbst mehreren Minuten, bis das Kind entweder sogleich mit lautem Geschrei oder mit anfangs ganz seichten, nach und nach an Tiefe gewinnenden Respirationen die Athmung beginnt, um sie ungestört fortzusetzen". Dabei sind inr trauterine Athembewegungen nicht gemacht worden. Diese Erscheinung habe ich selbst wahrgenommen und durch einen starken Schlag bei einem nicht im geringsten asphyktischen, aber apnoischen Kinde die erste Einathmung, dann Schreien ein- treten lassen. Offenbar wird, wenn das Kind von selbst zu ath- men anfängt, der Schlag als Hautreiz ersetzt durch die zunehmende Abkühlung. Ist nun bei Abwesenheit aller asphyktischen Symp- tome, wie in den vorliegenden Fällen, die Erregbarkeit der Me- dulla gering, so dauert es eine Weile, ehe sie auf Abkühlung und andere durch die Geburt bedingte Reize antwortet. Mit dem Sauerstoifverbrauch steigt ihre Erregbarkeit, und wenn — durch Verdunstung von der Hautoberfläche — auch die Reizstärke nicht B. Die ersten Athembeweguugen. 169 zunähme; würde die vorhandene Berührung und Kälte schon aus- reichen, da eben die Erregbarkeit des Centrums steigt. Wäre die Arterialität des Blutes Bedingung für die hohe Erregbarkeit, und wirkte Venosität des Blutes sogleich Erregbar- keit-mindernd, dann müsste bei der Geburt die Erregbarkeit der Medulla sofort abnehmen, nach meiner Theorie aber nimmt die Er- regbarkeit sofort zu, so dass Reize, welche vorher nicht die Athmung in Gang bringen konnten, weil sie zu schwach waren oder fehlten, nun ein leicht reagirendes Centrum vorfinden, nämlich Hautreize. Darin hat Schnitze unstreitig Recht, dass seine Methode der künstlichen Respiration „die Bedingungen für "Wiedergewinnung der Erregbarkeit des Athemcentrum gibt, während die Ein- wirkung der Kälte einen starken Reiz für dieselbe ausmacht." [237 Aber es ist hierbei erstens nicht ausser Acht zu lassen, dass die Erregbarkeit des Halsmarks nicht nur bei maximal gesunkenem, sondern auch bei maximal gesteigertem Sauerstoffgehalt des Blutes abnehmen muss, in letzterem Falle vielleicht mehr als in ersterem. Denn bei asphyktischen Thieren, z. B. nach Blausäurevergiftung, kann eine starke traumatische Hautreizung, wie ein Stich oder Schnitt, viel tiefere Inspirationen veranlassen, als bei apnoischen. Es gibt also für die Erregbarkeit des Athemcentrum ein Optimum zwischen weitgehender Venosität und Arterialität seines Blutes ge- legen. Zweitens kann der Sauerstoffgehalt des Blutes, wenn er eine gewisse Grenze überschreitet, nicht die Erregbarkeit des Athemcentrum herabsetzen und dann ein wirksames Erregungs- mittel für dasselbe sein. Unterbrechung der Placentarrespiration soll mittelst hochgradiger Yenosität des Blutes das Halsmark erregen, doch aber bei hochgradiger Yenosität vorher das Halsmark seine Erregbarkeit einbüssen, da ja viel Blutsauerstoff für die Erhaltung derselben nothwendig sei. Diese doppelte Rolle, welche der Sauer- stoffgehalt des Blutes dem Athemcentrum gegenüber nach B. Schnitze spielen sollte, kann jetzt nicht mehr aufrecht erhalten bleiben. Viel- mehr habe ich gezeigt, dass die Yenosität des Blutes für sich allein kein Reiz für die Medulla ist, sondern diese dm'ch die Hautreizung in Thätigkeit geräth und die Yenosität des Blutes die Erregbarkeit der Medulla für Hautreize bis zu einer gewissen Grenze erhöht. Im Einklang mit meinen Versuchen steht auch die Angabe von Kehrer, dass man unter normalen Verhältnissen ein re- [149 spiratorisches Spiel der Nasenflügel beobachtet, wenn sich der Kopf über dem Damm entwickelt, aber eine tiefe Inspiration erst eintrete, nachdem der Thorax die ihn umschnürenden Genitalien 170 I^iß embryonale Athmung. verlassen hat. Offenbar wird hier allein schon durch die Ab- kühlung der Haut des Gesichts ein Athmungsreiz gesetzt, aber wegen der Compression des Thorax kommt es noch nicht zur LuDgenentfaltung. Übrigens geschieht es bisweilen, dass dennoch das Kind, dessen Kopf allein ausgetreten ist, schon schwach schreit, was ich selbst in zwei Fällen wahrgenommen habe. Bei Wiederkäuern sah Kehrer manchmal vor dem Austritt des Kopfes in den "Wehenpausen den zähen Cervicalschleim [149 aspirirt werden, Luft drang dann bereits mit in die Luftwege und trat in grossen Blasen, ähnlich den Seifenblasen sogar rhythmisch wieder aus: ein neuer Beweis dafür, dass ohne Abkühlung der Fötus-Oberfläche und Reizung mit fremden Objecten die Lungen- athmung in Gang kommen kann. Hier wird also abgesehen von dem Schleim nur der Druck des Uterus und die Bewegung der Frucht als peripherer Eeiz wirken können nach Störung des pla- centaren Gaswechsels. Doch sind solche Fälle selten. In der Regel beginnen auch bei Säugethieren die Athembewegungen erst nach vollendeter Geburt. Aus allen obigen und andern damit übereinstimmenden Er- fahrungen ergibt sich, dass der erste Athemzug des neugeborenen Menschen nicht ausschliesslich durch das Venöswerden seines Blutes verursacht wird, obgleich diese durch die Unterbrechung der Placentarcirculation bedingte Veränderung regelmässig eintritt und dem Eintritt der Luftathmung sehr günstig ist. Die wahre Ursache der ersten Athembewegung ist vielmehr periphere Reizung, welche auch für sich allein ohne Venöswerden des fötalen Blutes die Lungenathmung wachrufen kann, wenn sie nur stark genug ist, und zwar vorzeitig (intrauterin) wie rechtzeitig (extrauterin). Sehr richtig erklärte schon 1841 Volkmann: Ort der Erregung [382 ist jeder Theil des Körpers, nicht blos die Schleimhaut der Lunge; reizender Nerv ist jeder Nerv mit centripetaler Leitung, der bis zum verlängerten Mark Avirkt, nicht ausschliesslich der Vagus. Nun gehört aber zur Auslösung der ersten Athembewegung beim Neugeborenen ausser dem Reiz noch die Erregbarkeit des Respi- rationscentrums. Wenn in der Geburt die Verarmung des fötalen Blutes an Sauerstoff sehr langsam und continuirlich vor sich geht, dann kann es geschehen, dass keine einzige Athembewegung eintritt, weil in keinem Augenblick die Reizstärke gross genug ist, um, trotz der anfangs steigenden, dann sinkenden Erregbarkeit des Athem- centrum dieses in Thätigkeit zu setzen, und das Kind wird sterbend B. Die ersten Athembewegungen. 171 geboren oder stirbt ohne Athmiing also apnoisch-asphyktisch, [76 oder es muss zu künstlichen Reizen und künstlicher Athmung ge- schritten, werden, um es am Leben zu erhalten. Ist andererseits die Erregbarkeit des Halsmarks gross, dann kann schon bei intacter Placentarcirculation ein vorzeitiges Ath- men durch periphere Keizung, wozu auch die Abkühlung gehört, bewirkt werden. Dazu kommt, dass oft beim Freilegen des Fötus die Pla- centarathmung gestört wird, ohne dass die Lungenathmung be- ginnt, welche aber dann durch die Abnabelung in Gang kommt. Also ist das Yenöswerden des fötalen Blutes zwar von grossem Einfluss auf das Zustandekommen der ersten Inspiration, aber nicht von so grossem wie die ohne Reizung unmögliche Aufhebung des Fruchtkuchenkreislaufs. Ein verbreiteter Irrthum identificirt die schnelle Sauerstoffentziehung mit dieser Aufhebung bezüg- lich der Wirkung auf den fötalen Respirationsapparat. Wenn aber wirklich die Compression oder Unterbindung der Nabelschnur, wie Schwartz meint, einzig durch Absperrung des Blutsauer- [75 Stoffs vom Fötus athmungserregend wirkte, dann müsste bei reifen Früchten auch jede andere schnelle Sauerstoffentziehung bei in- tactem Placentarkreislauf intrauterine Athembewegungen veran- lassen, was durchaus nicht der Fall ist. Denn nach Tödtung trächtiger Meerschweinchen durch Strangulation, Kohlenoxydgas- athmung und Verblutung findet man keineswegs jedesmal Frucht- wasser in den Lungen oder Bronchien der Embryonen, und aus dem von Schwartz selbst angeführten Versuche von Mayer er- [78 gibt sich, wenn er richtig ist, dass die Erstickung des Mutterthiers durch Einführen farbiger Flüssigkeit in die Trachea den Tod des Fötus bewirkt ohne dass dessen Lungen eine Spur des Farbstoffs enthalten (vgl, oben S. 149 den Versuch von Greyl), während der- selbe im fötalen Magen sich vorfindet. (Ith komme später auf den allzuoft citirten fehlerhaften Mayerschen Versuch zurück.) Es ist also nicht die erste Athembewegung ausschliesslich nothwendige Folge der Sauerstoffentziehung. Bei erhaltener Nabel- circulation und Sauerstoffreichthum des Fötus kann das Respirations- centrum durch äussere Reize anomaler Weise erregt und eine Inspirationsbewegung ausgelöst werden, bei erhaltener Nabel- circulation und Sauerstoffmangel unter Umständen gleichfalls aber nicht jedesmal, bei Unterbrechung der Nabelcirculation sehr häufig, aber in keinem Falle ohne nachweisbare periphere Erregungen, welche bei jeder Geburt sehr stark sind und in keinem Falle einer 172 Die embryonale Athmuug. vorzeitigen Athembewegung fehlen. Der Umstand, dass die in- trauterinen schwachen Reize erst wirken, wenn die placentare Re- spiration durch irgend welche Ursache, wie Nabelschnur -Um- schlingung, -Conipression , -Usur (durch Torsion), Asphyxie der Mutter, gestört ist, ohne nothwendig unterbrochen zu sein, erklärt sich durch die Abhängigkeit der Erregbarkeit der Medulla oblongata von dem Gasgehalte des fötalen Blutes. Diese Erregbarkeit nimmt eben mit abnehmendem Sauerstoffgehalte für periphere Reize zu bis zu einer gewissen Grenze und mit zunehmendem Sauerstoff- gehalte ab. Es kann aberbekanntermaassen bei nervösen Ap- paraten der Effect einer Reizung bei geringer Erregbarkeit doch ebenso gross wie bei grosser Erregbarkeit sein, wenn nur die Reizstärke entsprechend gesteigert wird. Das ist es, worauf es hier ankommt. Bei unversehrter oder fast unversehrter Nabel- circulation konnte ich sehr oft den frischen Fötus im warmen Salz- bade zu Reflexbewegungen durch mechanische Hautreizung bringen ohne dass er athmete; sowie aber der periphere Reiz stark war, trat die erste Athembewegung ein. Endlich — und dieses ist von der grössten praktischen Be- deutung — muss bei allen Versuchen, ein asphyktisches Kind zum Athmen zu bringen die ausserordentliche Lebenszähigkeit desselben, auch seiner nervösen Centralorgane nicht ausser Acht gelassen werden. Selbst wenn das Herz gar nicht mehr fühlbar schlägt, wenn das Kind für todtgeboren angesehen wird, kann es doch noch gelingen durch Anwendung der künstlichen Lufteinblasung nach Einführung einer Röhre in die Stimmritze das Leben zu er- halten. So hat Robert Bruce in Edinburgh (1883) nach 30, in [ses einem zweiten Fall nach 35, in einem dritten nach 45 Minuten langem Lufteinblasen in die Trachea die Wiederbelebung erzielt. Das Respirationscentrum erholt sich während der künstlichen Ath- mung, und darum halte ich es für die Pflicht jedes Arztes, nachdem er vergeblich nach B. Schnitze, Sylvester, Marshall Hall, Pernice durch starke thermische, mechanische, elektrische Reize die er- loschenen oder noch gar nicht eingetretenen Athembewegungen hervorzurufen versucht hat, direct Luft in die Lungen einzublasen, auch wenn das Herz schon still steht, und zwar in der Noth mit einem gewöhnlichen reinen Blasebalg. Das Kind muss während der Zeit in 37 bis 38'* warmem Wasser sich befinden. Dieses Ver- fahren ist nach Versuchen an Thieren von allen Wiederbelebungs- versuchen das aussichtsvollste und namentlich bei Weitem der Trans- fusion von Blut oder physiologischer Kochsalzlösung vorzuziehen. B. Die ersten Athembewegungeo. 173 Der Athmuiigsmodus Neugeborener. Auch wenn der gewölinliche Geburtstermin noch lange nicht erreicht ist. schon im sechsten Monate, pflegt das neu- c^io geborene Kind wie das künstlich zu früh geborene Säugethier sehr bald nach der Geburt seinen Thorax auszudehnen, eine noch zu bestimmende Luftmenge einzuathmen. Der grösste Theil der- selben wird gleich darauf, meistens schreiend, wieder exspirirt. Diese Inspiration und Exspiration machen den ersten Athemzug aus. Auf ihn folgen in ungleichen Pausen weitere Ein- und Aus- Athmungen, bald stürmisch, bald ruhig; tiefe und flache Inspü-a- tionen, apnoische Euhezustände, Schreien und Schweigen wechseln miteinander ab, bevor die Lunge soviel Luft aufgenommen hat, dass sie im Wasser nicht mehr untersinkt (S. 160. 162). Derjenige Zustand, in welchem die Lunge vor der Luftathmung sich un- unterbrochen befindet und welchen 1835 Ed. Jörg Atelektase, [426 neuerdings Ludimar Hermann Anektase nannte, ist dann für [359 immer geschwunden und damit eine der wichtigsten Veränderun- gen herbeigeführt, die der Mensch überhaupt erleben kann. Diese Thatsache, dass nach der mit Luftaufnahme verbun- denen ersten Inspiration niemals wieder eine vollständige Atelek- tase der Lungen eintritt, hat Y. Mardner (1861) durch eine [405, 2i eigenthümliche Annahme erklären wollen. Er meint, durch die erste ausgiebige Einathmung erhielten die inspiratorisch wirkenden Muskeln einen „Tonus". J. Bernstein (1878) suchte die Annahme einer Überdehnung der exspiratorisch wirkenden elastischen [iis Apparate, so dass sich namentlich die Muskeln und Bänder nicht mehr zu ihrer ursprünglichen Länge verkürzen, wahrscheinlich zu machen. Er meinte aber, anfangs von dieser Hypothese selbst nicht befriedigt, es könnte auch im Costovertebralgelenk des Neu- geborenen eine Art Sperrzahnmechanismus das Zurücksinken der Eippen in die gesenkte Stellung nicht mehr gestatten; später [loi liess er diese Ansicht fallen. Dass wirklich eine bleibende Aus- dehnung des kindlichen Thorax nach den ersten Athemzügen durch Erhebung der Rippen allein zu Stande kommen könne, suchte er durch Versuche an todtgeborenen Kindern zu beweisen, bei denen mit dem Blasebalg ausgeführte Lufteinblasungen in die Trachea eine — allerdings sehr geringe — dauernde Vergrösserung des sagittalen Thoraxdurchmessers bewirkten. Ohne alle active Muskel- thätigkeit konnte auch nur durch solche Lufteinblasungen ein 174 Diö embryonale Athmung. negativer Druck im Thoraxraume erzeugt werden, der nach Ein- binden eines endständigen Quecksiibermanometers in die Trachea und bilateraler Öffnung der Brustwand 6 bis 7 Millimeter betrug. Eine bleibende Aspirationsstellung des Brustkorbes liess sich also an der Leiche künstlich herbeiführen. Dass aber die Aspiration beim lebenden Neugeborenen so eintritt und dass sie bleibend sei, ist durch diese Versuche nicht dargethan, sondern eine Hypothese. Diese Hypothese wurde anfangs von Hermann (1879) acceptirt und sogar eine geringe Aspiration des Thorax auch beim ungeborenen reifen Fötus von ihm vorausgesetzt. Gegen die Erklärung der postnatalen Aspiration aus einer bleibenden Veränderung an der Thoraxwand machte aber Hermann geltend, es sei viel wahrscheinlicher, dass die Adhäsion und [isi Verklebung der Bronchialwände vor der ersten Entfaltung dem Lufteintritt einen grossen Widerstand bieten, als dass die Ex- spiratoren überdehnt würden oder Sperrzähne eingriffen. Es wurde in der That von ihm und 0. Keller festgestellt, dass eine atelektatische Lunge eines erheblich grösseren Druckes der ein- zuführenden Luft behufs ihrer Entfaltung benöthigt, als eine nicht atelektatische. Zu den Versuchen dienten künsthch mittelst des leicht absorbirbaren Kohlensäuregases atelektatisch gemachte Lungen von erwachsenen Kaninchen. Bei diesen ergab sich, dass der atelektatische Zustand der Entfaltung einen besonderen Wider- stand entgegenstellt, der durch den geringsten Luftgehalt der Lunge vermindert wird. Diesen Widerstand findet nun Hermann in der Verklebung und Adhäsion der Bronchialwände, welche der (expansiven) Elasticität des Thorax so lange beim apnoischen Fötus mit atelektatisch en Lungen entgegenwirken sollen, bis Luft unter einem gewissen Druck eindringt. Hiergegen machte Bernstein (1882) geltend, dass weder [loi die Bedingungen für eine Verklebung der Bronchialwände in der atelektatischen Lunge vorhanden seien, noch die vorausgesetzte elastische Spannung des Thorax, die ihn auszudehen tendire, vor der ersten Athmung sich nachweisen lasse; die neue — aspira- torische — Gleichgewichtsstellung des Thorax trete sogleich nach den ersten Athemzügen ein und werde durch die erwähnte Über- dehnung bleibend; dass man die lufthaltige Lunge ausserhalb des Thorax nicht durch Druck allein wieder atelektatisch machen könne, sei wohl, abgesehen von Knickungen der Bronchien, der vor der völligen Entleerung der Alveolen eintretenden Schliessung der kleinen Bronchien zuzuschreiben. ß. Die ersten Athembewe^ungen. 175 Die von Bernstein manometrisch nachgewiesene Abwesenheit einer thoracalen Aspiration bei Todtgeborenen veranlasste wiederum Hermann experimentell zu prüfen, ob denn überhaupt in den [359 ersten Lebenstagen, selbst nach ausgiebigem Luftathmen, ein negativer Druck mittelst der auch von Bernstein angewendeten Donders'schen Methode erkennbar sei. Die an Leichen von 1 Stunde bis 4 Tage alten Kindern angestellten Versuche ergaben unzweifel- haft, dass auch nach der ersten Athmung der Thorax des Neugeborenen keine Aspiration in der Leichenstellung besitzt. Sie war sogar bei einem Kinde, das acht Tage gelebt hatte, minimal oder Null. Die Lunge sinkt nach Eröffnung des Thorax nicht zusammen. Die Ursache der Abweichung dieses Befundes von dem Bernstein's liegt in dem Umstände, dass letzterer mit dem Blasebalg unter viel zu starkem Drucke Luft einblies, so dass eine Überdehnung und 6 bis 7 Millim. negativer Spannung wohl erzielt werden konnten, während Hermann die bis zur deut- lichen Erhebung der Brustwand dauernden Einblasungen aus einem Gasometer manometrisch controlirte. Beim Schaf- Fötus war es ihm ein Leichtes, das fehlerhafte Resultat willkürlich herbeizuführen durch Steigerung des Druckes der eingeführten Luft. „Die natürliche Inspiration des Neugeborenen erweitert also den Thorax nur innerhalb seiner Elasticitätsgrenzen", so dass er nach der ersten Einathmung sein ursprüngliches Volum wieder einnehmen würde, wenn nicht ein Quantum Luft durch die Adhä- sion der Bronchialwände in der Lunge zurückgehalten würde. Die obige Hypothese von Bernstein ist somit unzulässig. Aus der für die Kenntniss der Athmung des Neugeborenen wichtigen Entdeckung Hermanns folgt zunächst, dass in den ersten Tagen nach der Geburt die Lunge schon ohne Schreien oder actives Ausathmen viel ausgiebiger ventilirt wird, als beim Er- wachsenen. Denn beim Neugeborenen setzt sich die Residualluft nicht zusammen aus der beim Collabiren der todten Lunge in der Luft entweichenden Collapsluft (Hermann) und dem Theil, der nicht ausgetrieben werden kann, der Minimalluft (Hermann), sondern sie ist selbst die Minimalluft, da die Lunge des Neugeborenen, welcher geathmet hat, beim Freilegen behufs Collabirenlassens keine Luft mehr abgibt. Nennt man mit Hermann die lufthaltige coUabirte, im Wasser nicht untersinkende Lunge „protektatisch", um sie von der luftleeren untersinkenden atelektatischen zu unter- scheiden, so zeigt folgende Zusammenstellung den Unterschied der neugeborenen und ausgewachsenen Lunge. [359 176 Die embryonale Athmung. Beim Erwachsenen: Beim Neugeborenen: Tiefste Inspiration 1 j Tiefste Inspiration Gewöhnliche Inspiration | ] Grewöhnliche Inspiration GewöhuUche Exspiration j Respu-ationsluft | Gewöhnliche Exspiration Tiefste Exspiration | Eeserveluft | Tiefste Exsp. = Protektase Protektase J CoUapsluft 1 ) Atelektase J Minimalluft j | Atelektase Wieviel Wochen nach der Geburt die CoUapsluft ein mess- bares Volum zeigt, ist noch zu ermitteln. Die ersten Athemzüge sind beim Hühnchen im Ei ebenso wie beim künstlich herausgeschnittenen oder normal geborenen Säugethier und Menschen unregelmässig, bald tief, bald flach, bald schnell, bald langsam, selten und frequent. Sehr oft be- ginnt, wie schon Aristoteles wusste und ich oft wahrnahm, das [25 ganz sich selbst überlassene Hühnchen vor dem Sprengen der Eischale zu piepen, indem es die Luft aus der Luftkammer athmet und dann durch die Schale weiter respirirt. Auch das kräftige Kind schreit normalerweise, wenn es lebensfrisch zur Welt kommt, meistens sogleich oder nach wenigen Augenblicken. Neugeborene Kaninchen und Cavien dagegen und andere Säugethiere lassen ihre Stimme nicht so früh hören, wenigstens nicht in der Mehrzahl [149 der Fälle. Vielleicht handelt es sich hierbei, wie oben bereits angedeutet wurde (S. 166), um einen dem von Goltz entdeckten Quakreflex des Frosches analogen Reflex, indem eine Reizung der Rückenhaut durch, den Act der Geburt den exspiratorischen Schrei auslöst. Denn das Grosshirn kann unmittelbar nach der Geburt seine hemmenden Wirkungen nicht entfalten. Ich habe neu- geborene Meerschweinchen und Kaninchen nach Streicheln des Rückens wie die enthirnten Frösche regelmässig zum Quieken gebracht, während sie in den Pausen schweigen. Ich habe ferner sogleich nach der Geburt enthirnte und decapitirte Meerschweinchen sich lebhaft bewegen und athmen gesehen und einem zweitägigen anencephalen Kinde durch Reiben des Rückens rauhe Töne entlockt. In zwei Fällen hörte ich (S. 170) das Kind vor der Voll- [407 endung der Geburt, nachdem eben der Mund frei geworden war, schwach schreien. In dem einen wurde es mit der Hand vor dem Gesicht geboren. In beiden war das Schreien unmittelbar nach der Geburt stärker. Elsässer berichtet über sieben der- [408 B. Die ersten Atliembewegungeu. 177 artige Fälle uud C. H. A. Müller (Wiedebach) stellte 26 Fälle von frischen Todtgeborenen zusammen, deren Lungen Luft enthielten; einen davon beobachtete er selbst. Immer sind bei solchem Luftathmen der Frucht während des Geburtsactes vorzeitige Lispirationen mit Fruchtwasseraspira- tion vorhergegangen, und wenn nach Verminderung des Frucht- wassers für die atmosphärische Luft Raum gewonnen wurde, ist kein Grund vorhanden, weshalb sie nicht mit dem Fruchtwasser und Meconium, oder auch beim Vorrücken des Kopfes für sich, in die Lunge gelangen sollte, falls nur nochAthembewegungeu (bei ano- maler Störung der Placentarathmung) stattfinden. Der letztgenannte Autor hat das Wesentliche, worauf es bei solchem verfrühtem und pathologischem Luftathmen ankommt, klar dargestellt. [431 Die bei neugeborenen Kindern und Säugethieren häufig be- obachteten Rasselgeräusche während der ersten Athemzüge erklären ■sich einfach durch Aspiration von Cervical - Schleim und Mund- Fruchtwasser. Sie werden sehr viel stärker, wenn mehr Fruchtwasser in den Mund gelangte oder durch intrauterine Athembewegungen aspirirt worden war, sind aber weniger von physiologischem als prak- tischem Interesse. Indessen ist bemerkenswerth, dass ich ein solches Kind bereits in der ersten halben Stunde vollkommene Husten- bewegungen habe ausführen sehen, durch welche das aspirirte Fruchtwasser z. Th. entfernt wurde. Auch das Umgekehrte kommt sehr häufig vor, dass Luft nicht in die Trachea, sondern in die Speiseröhre, den Magen und Darm gelangt, nachdem die ersten Athembewegungen in der Luft zu ■Stande gekommen sind. Ich sah öfters grosse Luftblasen im Magen der vor dem Ablauf der dritten Brütwoche von der Schale befreiten Hühnchen und in dem der Meerschweinchenfötus, die unmittelbar vorher Fruchtwasser geschluckt hatten. Auf dieses Verschlucken von Luft bei den ersten Athembewegungen, welches zu den con- stanten (physiologischen) Erscheinungen gerechnet wird, komme [419, s ich bei Besprechung der Darmgase des Ebengeborenen zurück. Hier ist noch der den Athmungsmodus Ebengeborener betreffen- den Entdeckung Kehrers (1877) zu gedenken, dass bei Neugeborenen die thoracale Athmung das Zwerchfellathmen bei Weitem über- wiegt. Er stützt sich auf folgenden von ihm an neugeborenen Kindern und Thieren oft angestellten Versuch: [149 Das freie Ende eines elastischen Katheters wird mit einem dünnen Kautschukschlauche und dieser mit einer U-förmigen Glas- Preyer, Physiologie des Embryo. 12 178 Die embryonale Athmung. röhre verbunden. Nachdem dießöhre mit lauem Wasser gefüllt wor- den, klemmt man den Schlauch zu, führt den Katheter in den Magen ein, entfernt die Klemme und beobachtet das Niveau der Wasser- säule imU-Rohr. Bei jeder Einathmung sieht man dann ein Zurück- weichen derselben gegen das Kind hin, bei jeder Ausathmung eine Schwankung in entgegengesetzter Richtung. Bei erwachsenen Hunden findet das Gegentheil statt. Da bedingt die Inspiration eine positive, die Exspiration eine negative Magendruckschwankung. Oder: „Bei Erwachsenen geschehen die normalen, respiratorischen Druckschwankungen der Bauchhöhle in entgegengesetztem Sinne wie in der Brusthöhle, bei Neugeborenen dagegen in beiden Höhlen im gleichen Sinne." Die Ursache dieser Verschiedenheit ist wahrscheinlich nur auf die bei Neugeborenen noch mangelhafte Thätigkeit des Zwerch- fells zu beziehen. Denn Kehrer fand, dass nach Durchschneidung der Zwerchfellnerven auch bei erwachsenen Hunden der Magen- druck inspiratorisch abfällt, exspiratorisch ansteigt. Zu Gunsten seiner Erklärung führt er an: 1) öffnet man bei jungen Hunden die Bauchhöhle, so sieht man bei der Inspiration die Costaltheile sich tief aushöhlen, in- dem „die dünnen Muskelplatten dem Zuge der sich inspiratorisch stark erweiternden Thoraxbasis mehr folgen, als sie ihm durch Contractionen entgegenwirken. " 2) Bei Neugeborenen zieht sich der obere Rand des Epi- gastrium in einer A-Form inspiratorisch tief ein, während sich die Seitentheile der Thoraxbasis stark (das Brustbein weniger) vorwölben. Bei erwachsenen Hunden tritt dieselbe Art der Ath- mung nach völliger Zwerchfell-Lähmung ein. 3) Beim Fötus steht das Diaphragma so hoch, dass seine Kuppe bis zum dritten Rippenknorpel hinaufgeht. Nach der Ge- burt rückt es allmählich gegen die Bauchhöhle hinab. Bei Kindern in den ersten Tagen steht die Kuppe noch am vierten bis fünften Rippenknorpel. Der fötale Stand derselben entspricht dem noch geringen Volum der atelektatischen Lunge. Die unvollkommene Entfaltung der Lunge nach der Geburt wird daher ein Hinabrücken der Zwerchfcllkuppe hintanhalten. 4) Bei reiner Zwerchfellathmung und tiefem Stand des Dia- phragma tritt nach Lufteinblasung durch den Katheter eine inspi- ratorische Magendrucksteigerung ein, wie bei einem asphyktisch geborenen Kinde mit künstlich aufgeblähten Lungen beobachtet wurde. Die Zwerchfellkuppe am sechsten Rippenknorpel. B. Die ersten Athembewegungen. 179 Auf Grund dieser Thatsachen wird das Überwiegen der Thorax- athmung bei Neugeborenen als eine durch geringe Energie des Zwerchfellmuskels verursachte Erscheinung anzusehen sein. Auch bei neugeborenen Kaninchen und Meerschweinchen und frisch aus dem Uterus genommenen fast reifen Früchten jener Thiere macht das Luftathmen ohne Zweifel darum den Eindruck des „stürmischen Athmens", weil es weit mehr thoracal als dia- phragmatisch ist. Wann der später normale Typus beginnt, in- dem sich das Yerhältniss umkehrt und das abdominale Athmen dauernd überwiegt, muss noch ermittelt werden. Kehrer wies noch bei einem 27 Tage alten Hunde inspiratorische Magendruck- abnahme nach, aber bei Kindern in der zweiten Woche schon inspiratorische Drucksteigerung. Dass beim Neugeborenen je nach dem Geschlechte die costale und abdominale Athmung prävalire, beim weiblichen erstere, beim männlichen letztere, wie im späteren Leben, ist nach meinen Be- obachtungen eine unhaltbare Behauptung. Ich finde bei allen Neugeborenen erstere vorherrschend. Dass aber auch in der allerfrühesten Jugend die costale Athmung allein nicht ausreicht, beweist der schnelle Tod ganz junger Thiere nach Durchschneidung der Zwerchfellnerven. Kronecker fand (1879), dass einige [436 Wochen alte Kaninchen sogleich nach der Durchschneidung des zweiten Phrenicus asphyktisch sterben, solche von einigen Mo- naten jedoch die Operation mehrere Tage überleben, während er- wachsene Thiere, wie schon früher (1855) Budge feststellte, nach Durchschneidung beider Zwerchfellnerven Monate lang fortleben. Bei ihnen tritt die vorher wenig verwendete Rippenathmung in Wirk- samkeit. Dieser Unterschied des neugeborenen und erwachsenen Thieres zeigt, dass bereits unmittelbar nach der Geburt das Dia- phragma geradezu das Leben des eben geborenen Säugers erhält. Die vom Athemcentrum ausgehenden inspiratorischen Impulse bewirken den obigen Versuchen zufolge vermittelst des Phrenicus und Zwerchfells keine so ausgiebige Thoraxerweiterung und da- durch Lungenausdehnung, als vermittelst der thoracalen Inspira- toren, dennoch genügt die Ausschaltung der ersteren, wegen Vermin- derung der Ventilation, den Tod herbeizuführen: ein neuer Beweis für das relativ grössere Sauerstojffbedürfniss des Neugeborenen. Die Athmuiigsfrequenz Neugeborener. Wenn es schon schwer ist für den Erwachsenen im wachen Zustande eine Zahl anzugeben, die seiner Athmungsfrequenz ent- 12* 180 Die embryonale Athmung. spricht, weil durch geringfügige äussere und psychische Vorgänge der Rhythmus beeinflusst wird,' so erscheint es doch noch viel schwerer, für das neugeborene Kind eine Zahl für die Athemzüge in einer Minute anzugeben, welche nicht allein für die eine Mi- nute der Zählung gilt, sondern auch für die folgende und die darauffolgende Minute. Denn es ist noch keine Rhythmik vor- handen. Die Athmungsmechanik kann sich erst nach der Geburt ausbilden. Ich habe oftmals versucht, bei eben geborenen Kindern die Einathmungen zu zählen, aber die grosse Unregelmässigkeit derselben, die aperiodischen Pausen, in denen sie gar nicht athmen, gestatten nicht, bestimmte Zahlen als normale anderen vorzuziehen. Bei einem eben geborenen weiblichen Kinde (12. Febr. 1869) zählte ich, nm nur ein Beispiel anzuführen, di'ei ruhige Athemzüge mit offenem Munde innerhalb der ersten 30 Secunden, dann folgte ein Schrei, eine Pause, hierauf eine Reihe von 13 Schreien in 18 Secunden. Eine Minute nach der Geburt wurden die Finger bewegt und die Arme getrennt; eine Minute später im warmen Bade 5 Schreie in 13 Secunden. Das Bad dauerte zwei Minuten. Eine Minute nach demselben 30 Athemzüge in 34 Secunden, dann 18 in 25. Diese Athembewegungen waren äusserst unregelmässig, von wechselnder Tiefe und Frequenz, bald mit Schreien verbunden, bald nicht. Die Pausen dauerten mitunter mehrere Secunden. Das Kind war reif, es wog 3283 Grm. und war 48,5 Cm. lang. Die grösste Schädelbreite betrug 9,5 Cm. Bei neugeborenen Thieren kann man eine ganz ähnliche Arhythmie der ersten Athmung beobachten. Sie ist ausgesprochen bei vollkommen gesunden Knaben und Mädchen. Die erhebliche Verminderung der Respirationsfrequenz, welche bei erwachsenen Säugethieren nach doppelseitiger Vagotomie [227 eintritt, ist von Preuschen auch beim fast reifen Hundelötus be- obachtet worden. Die Thiere ertrugen die Operation auffallend gut. Es gelang ihm sogar die doppelseitige Durchschneidung vor dem Eintritt der ersten Inspiration, und die vagotomirten Embryonen' athmeten nach völliger Befreiung von den Eihäuten wie die intacten, nur langsamer und tiefer, beiläufig ein weiterer Beweis dafür, dass für die Auslösung der ersten Athembewegung nach der Geburt die Erregung der centripetalen Lungenvagusendigungen nicht er- [227 forderlich ist und zugleich ein Beweis dafür, dass die centripetalen Vagusfasern, welche von der Lunge an das Athemcentrum gehen, schon vor der Geburt functionsfäliig sind; sie können aber nicht fungiren, weil der periphere Keiz noch fehlt, welcher jenem Cen- trum durch die Hautnerven zugeführt wird. in. DIE EMBMONALE ERNÄHRUNG. A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. Wenn der Embryo, gleichviel ob er viviparen oder Oviparen Tbieren zugehört, einen selbständigen Stoffwechsel besitzt und als ein lebendes Wesen bezeichnet werden muss, welches eine Sonder- existenz in seinem Ei hat, so leuchtet ein, dass nothwendig alle diejenigen äusseren Lebensbedingungen für ihn erfüllt sein müssen, deren alle lebenden Körper überhaupt zu ihrer Fortdauer bedürfen. Es muss ihm also Luft von einer gewissen Dichte und Temperatur, es muss ihm Wasser und Nahrung zugeführt werden. Da aber ferner der Embryo nicht im Stande ist, in der allgemeinen Con- currenz aller lebenden Wesen um diese fundamentalen äusseren materiellen Lebenserfordernisse sich gegen Schädlichkeiten, Ver- wundungen, Vergiftungen, Erschütterungen u. a. m. zu wehren und noch weniger durch actives Angreifen Anderen, was ihm nöthig ist, zu nehmen, weil seine Angriffs- und Yertheidigungs- Organe noch nicht entwickelt sind, so kann er nur dann am Leben bleiben, wenn er von Haus aus nicht nur mit Nahrung, sondern auch mit genügenden Schutzmitteln versehen ist, welche Wasser und Luft von geeigneter Beschaffenheit passiren lassen. Der wichtigste Schutz ist für ihn die Umhüllung, sei es der Uterus, sei es die harte Kalkschale des Vogel- und Schildkröten-Eies oder die weiche, pergamentähnliche Eischale des Fisches und der Natter. Trotz der ausserordentlichen Verschiedenheit der Eihüllen wirbelloser Thiere, deren Poren und Mikropylen, deren Dünnheit und Bieg- samkeit und sonstige Eigenschaften störenden Einflüssen oft einen grossen Spielraum gewähren, ist die biologische Bolle, welche durchweg die Eischale spielt, in erster Linie die Schützung des Embryo gegen Schädlichkeiten. So vorzüglich sie sich dazu eignet, wenn die Entwicklung immer nur unter den seit vielen Generationen 184 Die embryonale Ernährung. gewohnten Bedingungen stattfindet, so leicht versagt sie bei selbst geringfügiger künstlicher Änderung der äusseren Entwicklungs- bedingungen, wie sich im Folgenden zeigen wird. Es ist nämlich für die Begründung der Lehre von der em- bryonalen Ernährung zweckmässig, die äusseren Bedingungen der- selben von den inneren getrennt zu betrachten, soweit es die Yerständlichkeit der Darstellung erlaubt. Ich habe daher zuver- lässige Angaben über die Einwirkung äusserer Agentien und ge- ringer Änderungen der gewohnten Bedingungen auf den Embryo der Erörterung seines Stoffwechsels vorausgeschickt. Da ferner für diesen der Übergang von Stoffen aus der Mutter in den Fötus, und umgekehrt nothwendig ist, so habe ich diesen Austausch noch als wesentliche Ernährungsbedingung der Säugethier- Embryonen im Anschluss an die äusseren Einflüsse betrachtet. Im Ganzen ist auf diesem Gebiete zwar nicht wenig gearbeitet worden, da aber die Forscher meistens unabhängig voneinander und nach sehr verschiedenen Richtungen vorgingen, ist es zur Zeit noch nicht möglich, sämmtliche Thatsachen unter einheitliche Ge- sichtspuncte zu bringen. Ich muss mich oft mit der einfachen Angabe der Beobachtungs- und Versuchs - Ergebnisse begnügen,, ohne bestätigen oder widerlegen und ohne erklären zu können; so namentlich in Betreff der Versuche über den Atmosphären - Druck. Wenn in den ersten Entwicklungsstadien begriffene Frosch- eier in Wasser von 10° C. unter einem Druck von drei Atmosphären verweilen, so wird die weitere Entwicklung gehemmt ohne Aufhebung der Entwicklungsfähigkeit. Rauber, welcher diesen Versuch per anstellte, constatirte, dass die Differenzirungsprocesse während der drei Tage, die der auf 200 Eiern lastende Druck dauerte, unter- brochen waren^ die Mehrzahl der letzteren aber nachher sich weiter entwickelte, jedoch nicht weit. Ein Überdruck von einer Atmosphäre hob die Entwicklung nicht auf, verzögerte aber dieselbe und bewirkte nach sechstägiger Dauer auffallende Abnormitäten. Die Embryonen waren kürzer und dicker als normale und die äusseren Kiemen weniger aus- gebildet. Auch die nach einer bei drei Atmosphären erfolgten Explosion noch am Leben gebliebenen Embryonen waren abnorm: von 27 Larven wurden 20 hydropisch und blieben überhaupt in der Entwicklung zurück. A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 185 Bei ^1^ Atmosphärendruck trat keine Hemmung und keine Verzögerung ein, aber bei einem Unterdruck von ^2 Atmosphäre bheben nach drei Tagen von 137 Embryonen nur 2 in fort- schreitender Entwicklung und bei ^/^ Atmosphärendruck starben alle Embryonen schon nach einem Tage. Hierbei trat, wie bei ^/g Atmosphärendruck, „die in den Gallerthüllen der Eier gelöste Luft in zahlreichen grösseren und kleineren Gasperlen zu Tage, so dass sämmtliche Eier auf der Oberfläche des Wassers schwammen." per Ich habe bei Salamander-Embryonen und -Larven schon bei ^732 Atmosphärendruck ebenfalls eine auffallende Gasentwicklung an der gesammten Oberfläche beobachtet, wenn die Thiere in flachen Schalen unter Luftabschluss unter lufthaltigem "Wasser in oben verschlossenen fusshohen Glasgefässen verweilten (S. 108), z, B. in einem grossen umgekehrten mit einem Hahn versehenen Trichter, welcher ganz mit Wasser gefüllt ist. Die Embryonen und ganz jungen Larven der Amphibien sind also zweifellos höchst empfindlich gegen Luftdruckänderungen. Ihre grössere Sterblich- keit bei Gewittern kann damit zusammenhängen. Es wäre interessant zu wissen, ob Vogeleier unter sonst nor- malen Bedingungen bei constant niedrigem und constant hohem Luftdruck sich regelmässig entwickeln, oder ob im ersteren Fafle die Sauerstoffaufnahme erschwert, im letzteren gesteigert wird. Die Thatsache, dass viele Seevögel, Alken, Möwen, auch Ufer- schwalben, dicht über dem Meeresspiegel nisten, während der Kondor 5000 und mehr Meter höher horstet, spricht weniger gegen eine Empfindlichkeit des Vogelembryo für Luftdruckunterschiede, als für eine altbewährte Anpassung der einen Art an grossen, der anderen an geringen Atmosphärendruck. So verständlich die deletären Wirkungen des verminderten Druckes bei hydrozoischen Eiern sind, da Luftentwicklung im werdenden Organismus wie im erwachsenen durch Kreislaufunter- brechung leicht tödthch wird, so schwierig ist es, den schädlichen Einfluss gesteigerten Druckes zu erklären. Vielleicht kommt da- bei neben der Zunahme der im Wasser diffundirten Sauerstoff- mengen, welche die oxydativen Processe zu sehr beschleunigen könnten? eine mechanische Wirkung in Betracht, und in jedem Falle ist die Geschwindigkeit des Wechsels vom gewöhnlichen zum abnormen Druck bei solchen Versuchen zu berücksichtigen. In grossen Meerestiefen leben und entwickeln sich Thiere unter einem Druck von mehreren hundert Atmosphären, die beim 186 Die embryonale Ernälivuiig. Heraufziehen zerplatzen. Wenn sie sehr langsam an die Ober- fläche befördert werden könnten, dann würden sie wahrscheinlich sich dem gewöhnlichen Druck adaptiren. Ebenso ist es wahr- scheinlich, dass bei sehr allmählich und continuirlich zunehmen- dem Druck die Embryonen sich hohem Drucke anpassen können und so nach und nach unbelebte Tiefen belebt werden; die Em- bryonen in schwimmenden Eiern im Meere würden sich dazu besonders eignen. Dass der reife Säugethier- und Menschen-Eötus durch plötzliche Druckänderungen, die er während der Greburt erfährt, nicht nothwendig geschädigt wird, ist bekannt. Während der Wehe lastet auf dem Kinde ein sehr viel höherer Druck, als einer At- mosphäre entspricht, nach der Geburt nur der gewöhnliche Luft- druck. Vor dem Beginne der Uteruscontractionen wird wahr- scheinlich ein Druck von etwas weniger als einer Atmosphäre auf dem Fötus lasten; sein Wachsthum würde ebenso wie die Eruchtwasserbildung andernfalls erschwert werden. Doch ist es schwierig, sich darüber Aufschluss zu verschaffen. Beim Vogel- embryo geschieht die Entwicklung unter normalen Umständen vom ersten Tage bis zum Sprengen der Eischale unter negativem Druck, denn ununterbrochen verdampft das Eiwasser und ver- grössert sich die Luftkammer, indem atmosphärische Luft durch die Schale hindurch aspirirt wird, bis durch die Sprengung Span- iiungs- Gleichheit sich herstellt. Über den Einfluss der Luft-Entziehung, des Sauerstoff- Mangels und -Überflusses auf die Entwicklung des Embryo ist bereits in dem Abschnitt über die embryonale Athmung (S. 105 u. fg.) gehandelt worden im Zusammenhang mit dem Sauer- stoffverbrauch und der Kohlensäurebildung des Embryo. Der Einfluss gesteigerter und verminderter Luft-Tempe- ratur auf die' Entwicklung im Ei wird in dem Abschnitt über die Wärmebildung im Embryo erörtert werden, Feuchtigkeit. Über den Einfluss der Wasserentziehung auf die Entwicklung des Embryo liegen mehrere Beobachtungen vor. Die Eier vieler Thiere aus den verschiedensten Classen können lange Zeit trocken liegen, ohne dass die Entwicklung des Embryo irgend eine Anomalie böte, wenn sie nach der Anfeuchtung einmal A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 187 begonnen hat. So bei Macrobiotus. Es ist sogar für manche Eier, z. B. die von Apvx und Branchipus, zur Embryogenesis nothwendig, vorher eingetrocknet gewesen zu sein. Für die Dauereier einiger Daphnoiden fand Weismann, dass anhaltendes Austrocknen in [i"5 ähnlicher Weise die Entwicklung beschleunigt, durch Abkürzung der Latenzperiode, wie Einfrieren. Eier von Moina paradoxa, welche drei Jahre lang trocken im Zimmer gelegen hatten, lieferten 8 bis 12 Tage nach dem Ansetzen mit Wasser von gewöhnlicher Zimmertemperatur zahlreiche Junge, während die unter Wasser aufbewahrten Dauereier meist erst nach mehreren Monaten sich entwickelten. Wenn dagegen die trocken gewesenen Eier nach der Anfeuch- tung sich entwickeln, vertragen die ausgeschlüpften Jungen die Trockenheit nicht mehr, wie z. B. für Branchipiis schon B. Prevost bemerkte. [195, 4^7 Für das Yogelei ist während der Bebrütung eine gewisse Menge von Wassergas in der es umgebenden Luft nothwendig darum, weil das Ei in ganz trockener Luft zuviel Wasser durch Verdunstung auch bei unversehrter Schale verliert, wie Baudri- mont und Martin Saint- Ange bewiesen, indem sie die Luft [iio mit concentrirter Schwefelsäure oder Chlorcalcium trockneten und sie bei Brutwärme über die embryonirten Eier strömen Hessen. In Letzteren starben die Embryonen dann rasch ab. Aber die von Pott ausgeführten Versuche, das von Eiern im [hs. isi trockenen Respirationsraum exhalirte Wasser zu bestimmen, zeigen, dass die Embryonen vom 5. bis 10. Tage sechsstündige Trocken- heit öfters vertragen. Es ist dabei die Thatsache constatirt wor- den, dass Hühnereier mit lebenden Embryonen an trockene Luft weniger Wasser abgeben, als ebenso behandelte unbefruchtete Eier, und zwar wurde von letzteren in sechs Stunden doppelt soviel Wasser exhalirt als von ersteren, während in der gewöhnlichen feuchten Luft der Lhiterschied kleiner ausfällt (vgl. oben S. 127). Die Gewebe und Häute des Embryo verhindern also in ener- gischer Weise eine beschleunigte Wasserexhalation bei Trocken- heit der Luft im Brutraum. Viele entwickelte Eier gehen aber im Brütofen vor der Reife zu Grunde, wenn die Trockenheit anhält und nicht, besonders gegen Ende der Incubation, für reichliche Feuchtigung der Luft gesorgt wird. Sättigung derselben mit Wasserdampf ist nicht nur nicht schädlich, sondern günstig, kurzdauernde Trockenheit dagegen leicht tödtlich, indem das Hühnchen, welches mit Sprengung der 188 ^i^ embryonale Ernährung. Schale bereits begonnen hat, an dieselbe fest anbackt, so dass es sich nicht befreien kann, wie ich mehrmals wahrnahm. Andererseits ist die Hemmung der Wasserverdunstung des Eies durch Einschliessen desselben in ein verschlossenes Gefäss, dessen Luft täglich erneuert wird, wo aber der abgegebene Wasser- dampf weitere Wasserabgabe verhindert, weil er stagnirt, für den Embryo lebensgefährlich (vgl. S. 110. 117. 131). Für alle in der Luft zur Entwicklung disponirten Eier der Wirbelthiere ist eine beträchtliche Wasserexhalation nothwendig, so dass eine Concentration der histogenetisch sich combinirenden Elüssigkeiten eintritt, und doch auch eine grosse Tension des Wasserdampfes in der umgebenden Luft un erlässlich , so dass jener Wasserverlust durch Verdampfung des Eiwassers langsam und stetig verläuft. Für die im Wasser sich entwickelnden Eier ist im Gegentheil eine Aufnahme von Wasser wahrscheinlich unentbehrlich, da sie bald nach dem Laichen quellen. Doch wären Versuche, Amphibien- und Fisch-Eier in feuchter Luft statt im Wasser zur Entwicklung zu bringen, oder zeitweise den Aufenthalt der embryonirten [lai Eier im Wasser mit einem solchen in der Luft zu vertauschen, nach mehr als einer Richtung hin von grossem Interesse. Die weder in Wasser noch in der freien Luft, sondern im Schlamme oder in der Erde sich entwickelnden Eier bedürfen sehr grosser Wasserdarapfmengen und sterben doch wie Vogeleier schnell ab, wenn sie auch nur theilweise in Wasser eingetaucht werden. So konnte ich wiederholt die Eier der Ringelnatter bei grosser Feuchtigkeit nicht gegen Fäulniss, bei geringer nicht gegen Eintrocknung schützen. Die Eier der Weinbergschnecke aber habe ich im Laboratorium in Humus, der reichlich begossen wurde, leicht züchten können. Es ist räthselhaft, dass diese zersetzbaren Gebilde nicht unter solchen Umständen in Fäulniss übergehen. Licht. Über die Einwirkung verschiedenfarbigen Lichtes auf das Wachsthum der Embryonen liegen Angaben vor, welche sich zum Theil widersprechen. Die Schwierigkeit monochromatisches Licht von gleicher Intensität und Reinheit bei den zu vergleichenden A^ersuchen herzustellen, sowie identische Versuchsobjecte zu er- halten, kommt dabei ebenso in Betracht, wie die Vermeidung von Temperaturungleichheiten. A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 189 Die im Folgenden zusammengestellten Thatsachen lehren einstweilen nicht viel mehr, als dass ein Einfluss des Lichtes auf die embryonale Ernährung existirt, J. Beclard beobachtete, dass im violetten und im blauen [451 Lichte die Eier der Fliege [Mnsca carnario) grössere Maden liefern, als — in absteigender Folge — im Roth, Gelb, Weiss, Grün. Emile Tung untersuchte die Wirkung ungleichAvelligen Lieh- [is? tes auf die Entwicklung der Froscheier [Rana temporaria und R. esculentd), der Forelleneier [Salmo truita), der Schneckeneier {Limnaeus stagnalis), der Cephalopodeneier [Loligo und Sepia). [266 Er constatirte gleichfalls eine erhebliche Wachsthumsbeschleuni- gung im Violett, eine geringere im Blau, dann im Gelb und Weiss. Eoth und Grün verhindern oder verzögern die Entwicklung; er erhielt wenigstens nur bei Cephalopoden eine vollständige Ent- [266 Wicklung der Eier. Finsterniss verzögerte, aber hemmte nicht die Embryogenesis. Die Reihenfolge der Lichtarten ist bezüglich ihrer die embryonale Ernährung begünstigenden Wirkung ab- steigend: Violett, Blau, Gelb und Weiss (diese beiden stehen einander sehr nahe), Schwarz, Roth und Grün (letztere beide die Entwicklung verhindernd). Mit der Thatsache, dass Violett die embryonischen Assimi- lationsprocesse entschieden begünstigt, hängt die andere [i87, 27s zusammen, dass die Sterblichkeit der im Violett entwickelten und ausgeschlüpften Larven bei Nahrungsentziehung im Violett am geringsten ist, im Blau, Gelb, Weiss, Roth, Grün zunimmt. Denn das Plus des vorher assimilirten Materials verzögert das Absterben während das Thier in der Inanition vom eigenen Capital zehrt. Andererseits zeigte sich, dass vorher im Weiss embryonirte Eier Tom Frosch am schnellsten im Violett zu Grunde gingen, so dass man dem kurzwelligen Lichte auch eine die Dissimilations- [i7s, 277 Vorgänge des sich entwickelnden Organismus beschleunigende Wir- kung zuschreiben muss. Dieses Licht beschleunigt den Stoffwechsel des ausgeschlüpften Embryo überhaupt, jedoch mehr die progres- sive Metamorphose, als die regressive. Auch Ascidienlarven ( Ciona intestinalis) wuchsen schneller und wurden kräftiger im Violett. [266 So verdienstlich die Arbeit von Yung ist, über die Beein- flussung des Wachsthums im Ei gibt sie nur wenig Auskunft, da der Verfasser sich mehr mit dem Wachsthum der ausgeschlüpften Thiere beschäftigte. Bei Schneckeneiern fand er für die Ent- wicklungszeiten vom Einlegen bis zum Beginn des Auskriechens im Violett 17 Tage, Blau 19, Gelb 25, Weiss 27, Schwarz 33, 190 Die embryonale Ernährung. Roth 36 Tage; und im Grün kam es nur bis zur Bildung des Herzens. Aber es ist nicht annehmbar, dass in allen Fällen die Eier unmittelbar vor dem Einlegen in demselben Stadium sich befanden. Auch muss bei solchen Versuchen vor Allem die Tem- peratur sehr genau controlirt werden. In einigen Puncten [i87,27s erhielten endlich Andere andere Resultate; so meint F. William Edwards, die Finsterniss verzögere nicht, sondern verhindere [i87, 262 die Entwicklung, Macdonnell, sie habe keinen förderndep und [isg keinen störenden Einfluss. Ein vollkommener und ununterbrochener lichtdichter Verschluss und gleiche Temperatur sind zur Entschei- dung nothwendig. Tielleicht ist nur ein Minimum weissen Lichtes zur Entwicklung erforderlich. Die sehr bestimmten Angaben [190 von Higginbottom, dass die Dunkelheit bei Rana temporaria und Triton keine Entwicklungsverzögerung bedinge, können zwar kaum auf unvollständigem Lichtabs chluss beruhen, da er die Eier in einer finsteren Höhle hielt, aber nach Anderen soll gute Be- lichtung die Entwicklung der Quappen beschleunigen. [iio Schenk fand die Eier des Frosches {Eana temporaria) und der Kröte {Biifo einer eus) bei Anwendung un gleichfarbiger Gläser in. den ersten Stunden, sogar in den ersten Tagen, nicht je nach der Farbe ungleich entwickelt und sämmtliche Embryonen von den im Tageslicht entwickelten nicht verschieden, höchstens werde im Roth die Furchung zuweilen ein wenig beschleunigt. Erst als die Embryonen schon länglich geworden waren, traten deutliche Ver- schiedenheiten hervor, indem das rothe Licht eine Beschleunigung der Rotationen des Embryo im Ei bewirkte. Es scheint diese Wirkung aber viel mehr der Wärme, als dem Lichte zugeschrieben werden zu müssen. (Der Einfluss der Temperatur auf die embryo- nalen Bewegungen wird weiter unten in den Abschnitten über die embryonale Wärme und Motilität besprochen.) Ferner bemerkte Schenk, dass auch die Bewegungen des Schwanzendes früher und häufiger im rothen Lichte erschienen, am spätesten und spärlichsten im blauen. Jedoch könne man nicht bestimmt erklären, dass sie früher im gelben und grünen Lichte aufträten, als im blauen. Auch nachdem die Blutcirculation im vollen Gange war, behielten die Quappen im rothen Lichte die grösste Lebhaftigkeit und blieben auffallend träge im blauen, träger als unter den übrigen farbigen Gläsern, selbst bei Er- schütterungen der sie enthaltenden Gefässe. Die im grünen und gelben Lichte gezüchteten Thierchen verhielten sich wie die im Tageslicht entwickelten. A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 191 Sehr bemerkenswerth war das Resultat der mikroskopischen Untersuchung des Muskelgewebes blau belichteter Embryonen. An den quergestreiften Muskelfasern derselben fand nämlich Schenk eine ähnliche „Fettkörnchen-Metamorphose" hier und da, wie an den Muskeln von Winterfröschen. Er meint, diese Veränderung sei nicht directer Lichtwirkung, sondern der Unthätigkeit des Embryo zuzuschreiben. Doch war die Gefrässigkeit der Quappen aus blau belichteten Eiern grösser als die aus roth belichteten. Die gesteigerte Beweglichkeit dieser schwand ebenso wie die Trägheit jener, wenn die farbigen Gläser durch farblose ersetzt wurden. Vertauschte man die rothen und blauen Gläser, dann wurden nach 5 bis 6 Tagen die vorher trägen Individuen über- normal beweglich, die lebhaften träge. Endlich zeigte sich, dass im blauen Lichte die Pigmentbildung viel reichlicher stattfand, als im gelben (Kaliumbichromatlösung). Die Quappen erschienen unter der letzteren Flüssigkeit auffallend hellgefärbt. In der That besassen bei ihnen die Pigmentzellen zum Theil pigmentfreie Fortsätze, zum Theil waren die Pigment- zellen überhaupt nur spärlich ausgebildet, die Pigmentmassen im Schwanzende geringer als sonst. In diesem Falle kann es sich sowohl um eine directe photochemische Einwirkung, eine bleichende Wirkung des gelben Lichtes handeln, als auch eine Ernährungs- störung vorliegen. Bei den Versuchen, das Sonnenlicht nur von unten auf die embryonirten Eier auftreffen zu lassen, wurde das deutlich begrenzte Afterfeld stärker entwickelt. [441 Aus allen diesen noch sehr fragmentarischen Angaben lässt sich nur soviel ableiten, dass in der That ein Einfluss ungleich- welligen Lichtes auf die embryonalen Ernährungsvorgänge existirt und das kurzwellige Licht, das Blau und Violett, den Stoffwechsel, sei es direct photochemisch, sei es indirect, am meisten begünstigt. Bemerkenswerth ist in dieser Hinsicht, dass die Kohlensäure- ausscheidung nach den LTntersuchungen von Eobert Pott (1875) bei der ausgewachsenen Hausmaus im violetten Lichte merklich geringer, als im rothen, blauen, grünen und gelben Lichte ist, somit das Hauptproduct der Dissimilation gerade in der Lichtart vermindert erscheint, welche den Assimilationspro cessen des Em- bryo am günstigsten ist. Die Reihenfolge der übrigen Farben ist aber nicht entsprechend. Serrano Fatigati fand (1879), dass Violett die Entwicklung [iss der Infusorien (welcher? ist nicht angegeben) beschleunigt, Grün 192 Die embryonale Ernährung. sie verlangsamt. Auch hatte das erstere ein schnelleres Auseinander- fahren der in kleinen Conglomeraten in destillirtes Wasser ge- brachten Infusorien zur Folge, als jedes andere Licht, und es soll im violetten Licht die Kohlensäureproduction der Lifusorien zu-, im grünen abnehmen. Diese Angaben stimmen also mit denen Yungs auch nur zum Theil überein. Es bedarf noch umfangreicher Experimente mit reinem mono- chromatischen Lichte, um die Widersprüche zu beseitigen. Für die Entwicklung des Vogels im Ei scheint die Einwirkung und Entziehung des Sonnenlichtes gleichgültig zu sein. Viele Vögel brüten in dunkeln Baumstämmen, Erdlöchern und Fels- spalten, viele andere in offenen dem Tageslicht ausgesetzten Nestern ihre Eier aus. Alle Säugethierembryonen entwickeln sich im Dunkeln. Elektricität und Magnetismus, ßusconi wollte gefunden haben, dass die künstlich befruch- [38 teten Froscheier, aufAvelche der Strom einer Volta'schen Säule von wenigen Platten einwirkte, sich etwas rascher entwickelten, als die nicht „galvanisirten". Diese Behauptung und die öfter wiederholte, dass bei Gewittern eben ausgeschlüpfte Froschquappen leicht zu Grunde gehen, werden zu Gunsten der Meinung an- [iio geführt, dass die Elektricität die Entwicklung des Frosch-Embryo beeinflussen könne. Sogar der Einfluss des Magnetismus auf das Wachsthum des Hühner- und Tauben-Embryo ist geprüft worden und zwar von Maggiorani in Rom (1879). Die von ihm behauptete störende [ise Wirkung der Magneten auf die Ausbildung der Embryonen darf aber zur Zeit nicht dem Magnetismus zugeschrieben werden. Denn — abgesehen davon, dass sie in mehreren Fällen gänzlich ausblieb — sind Controlversuche mit unmagnetischen Eisenstäben oder Hufeisen, welche genau so wie die magnetischen zu appliciren wären, nicht ausgeführt worden, so dass man nicht weiss, ob die beobachteten Störungen dem Metall, der durch das Anbringen der Magnete bedingten A^'eränderung oder dem Magnetismus zu- zuschreiben sind. Die Möglichkeit der Einwirkung des letzteren auf die Entwicklungsvorgänge im Ei ist nicht zu bestreiten, bis jetzt spricht aber keine Beobachtung für die Wahrscheinlichkeit eines solchen Einflusses. A. Bedingungen dei* Ernährung des Embryo. 193 Euhe des Eies. Wenn ich ein frisches befruchtetes Hühnerei vor dem Beginn der Bebrütung wiederholt minutenlang heftig in der Hand ge- schüttelt hatte, in der Absicht die Bildung des Embryo zu ver- hindern, dann fand ich doch oft in den geschüttelten Eiern nach dem fünften Tage normale Embryonen. Es ist mir auch vor- gekommen, dass am 20. und 21, Tage normale Hühnchen ohne alle Nachhülfe im Brütofen aus solchen stark geschüttelten Eiern ausschlüpften. Ob in diesen Fällen durch das Schütteln die Dotterhaut zerriss, oder ob nur im Falle eine Zerreissung der Dotterhaut nicht eintrat, die Entwicklung vor sich ging, was wahr- scheinlicher ist, wurde nicht ermittelt. Jedenfalls kann durch Schütteln des bereits entwickelten Eies die weitere Entwicklung — schon wegen Gefässzerreissung — leicht unterbrochen werden, und Dareste erhielt aus geschüttelten Eiern monströse Hühnchen, z. B. ein hyperencephales ohne [321 Augen mit verkümmertem Oberschnabel. Bedenkt man, wie zart und vergänglich das Material ist, aus dem sich die Keimblätter bilden, dann muss es Wunder nehmen, dass trotz heftigen und anhaltenden Schütteins befruchteter Hühnereier, doch nicht selten die Embryogenesis normal stattfindet. Diese merkwürdige von mir sicher festgestellte Thatsache beweist auch, dass eine prädesti- nirte Orientirung der zum Aufbau des Vogel-Embryo dienenden Eitheile gegen eine Ei-Axe im Vogelei nicht existirt. Denn die durch das Schütteln dislocirten Moleküle können unmöglich sämmt- lich in wenigen Stunden im Brütofen, ehe die Entwicklung beginnt, ihre früheren Stellungen und Lagen wieder einnehmen. Auch ist festgestellt, dass befruchtete Hühnereier nach langen Eisenbahnfahrten sich normal entwickelten. Die Beobachtung Pflügers, derzufolge Batrachier-Eier in [ses Wasser nach der Befruchtung Verschiebungen des Schwerpunctes erfahren, so dass sie mit der Ei-Axe — den schwarzen Pol oben — in den verlängerten Erdradius zu stehen kommen, beweist, dass eine neue Vertheilung des Protoplasma und Dottermaterials nach dem Eindringen des Samenkörperchens eintritt, indem specifisch Schwereres sich unten ansammelt. Pflüger fand die erste Theilungs- Axe beim Furchungsprocess unabhängig von der Ei-Axe, indem er die Eier an Gläser adhäriren Hess, wobei die Entwicklung noch Frey er, Physiologie des Embryo. J3 X94 , I-^iö embryonale Ernährung. fortging, obgleich, wie er und zugleich ßoux fand, bei Eiern mit verticaler Ei-Axe die Ebene des ersten Furchungsmeridians [396 und die Medianebene des Embryo zusammenfallen. Wenn also keine Eingriffe stattfinden, muss sich an jedem Ei vorher angeben lassen, wo dieses, wo jenes Organ entstehen wird — die Anlage des Centralnervensystems beginnt nach Pflüger stets in der weissen Hemisphäre — und man müsste, wenn Roux und Pflüger Recht haben, durch Stiche in bestimmte Stellen des sich eben furchenden Eies, ja schon in das vor kurzem befruchtete Ei, vorher bestimm- bare Anomalien erzeugen können. Trotzdem ist eine bedingte Gleichwerthigkeit der Theile des Eies (ausser den den Keim enthaltenden Molekülen) nicht aus- geschlossen, wie Pflüger durch zahlreiche Beobachtungen am Ei der Eeuerkröte und scharfsinnige Deductionen zeigte. Solche Verletzungen des Eies mit nachfolgenden constanten Anomalien des Embryo sind übrigens bis jetzt nicht ausgeführt worden. In der freien Natur kommen zwar, besonders bei Fisch- Embryonen, häufig Verletzungen und auch Missbildungen vor, es ist aber bemerkenswerth, dass fast alle Eier höherer Thiere sowohl gegen ununterbrochene Bewegung wie gegen Beschädigung durch Stoss, Druck, Stich, Schnitt u. dgl. traumatische Einflüsse durch den Ort, an dem sie sich entwickeln, schon einigermaassen ge- schützt sind. Selbst die, behufs der Zufuhr absorbirten Sauerstofi's, der Strömungen des Wassers bedürftigen und mancherlei Stössen und Schüben ausgesetzten Eier der höheren und niederen pelagischen Thiere und der Flussfische können durch zu heftige und anhal- tende Rotationen und Ortsänderungen entwicklungsunfähig werden. Wenn ich bei den Züchtungen der Forellen- und Lachs-Embryonen im Laboratorium den Strom des kalten Wassers beschleunigte, um nämlich die bei zu langsamer Strömung unvermeidliche Schimmelbildung hintanzuhalten, dann starben viele Embryonen ab. Und es ist gewiss, dass in ähnlicher Weise im Meere und in den Flüssen unzählige embryonirte Eier zu Grunde gehen. An- dererseits sterben viele durch Stagnation des Wassers, wahrschein- lich wegen mangelnder I^uftzufuhr. Dass die fast ununterbrochene passive Bewegung der schwim- menden Fischeier, welche je nach dem Salzgehalt des Seewassers untersinken oder emporsteigen, für die Vertheilung derselben und damit die Möglichkeit ihrer Entwicklung von der grössten Be- A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. ]95 deutiing ist, hat treffend Hensen gezeigt. Aber für die [435, j^i zahllosen mit Wimpern versehenen beweglichen Eier wirbelloser Thiere, welche Grant zuerst beschrieb, muss dasselbe gelten, [i Unversehrtheit des Embryo. Dass der Embryo sich auch, nachdem er verwundet worden, bis zur Reife entwickeln kann, ist bekannt, aber der Erfolg der Verletzung kann bis jetzt nicht vorhergesagt werden. Die experimentelle Teratologie ist eine noch so junge Wissen- schaft, dass sich zur Zeit keine ganz allgemeingültigen Sätze [3i7 aus den zahlreichen Versuchen über den Einfluss frühzeitiger Ver- letzungen der Embryonen im Ei auf deren fernere Entwicklung auf- stellen lassen. Doch verdienen namentlich die von Dareste, von [304 Panum und von ßauber bezüglich der künstlich erzeugten [308. 305 Missbildungen aufgestellten Hypothesen eine gründliche Prüfung mittelst der traumatischen Methode, welche Fol und Warynski [261 mit Erfolg angewendet haben. Nach Trepanation des ein oder zwei oder mehr Tage bebrüteten Hühnereies konnten sie thermo- kaustisch ganz circumscripte Verletzungen herbeiführen und nach sorgfältiger Verschliessung der Öffnung die Bebrütung fortdauern lassen. Sie haben auf diese Weise namentlich Heterotaxien erzielt. Die allgemeine physiologische Schlussfolgerung aus diesen Ver- suchen wird von den Verfassern folgendermaassen formulirt: „Der Übergang der normaler Weise ursprünglich genauen Symmetrie zur partiellen Asymmetrie des erwachsenen x\llantois- Wirbelthieres ist nicht der Abweichung dieses oder jenes speciellen Organes zuzuschreiben, welche eine Lageänderung der anderen Theile nach sich zöge, sondern einer allgemeinen und sehr früh- zeitigen Ungleichheit der Entwicklung, der nur die das ganze Leben hindurch vollkommen symmetrisch bleibenden Organsysteme nicht unterworfen sind." Diese These bedarf noch thatsächlicher Begründung. Die grosse Häufigkeit und Tragweite selbst scheinbar gering- fügiger Verletzungen oder mechanischer Einwirkungen ohne directe Läsionen für das Zustandekommen der Missbildungen im Hühnerei, hat Panum vorzüglich klargelegt. Bei den Embryonen der [303 Vögel sind freilich grobe Insulte von aussen wegen der Härte [sos der Eischale viel seltener als bei Säugethier- Embryonen, aber dafür innere Schädlichkeiten um so mannigfaltiger, welche für die Embryo -Anlage noch als äussere wirken, z. B. Adhäsionen, 13* 196 Diß embryonale Ernährung. Flüssigkeitsansammluiigen. Ein Bruch der Schale, ein Ausbrechen kleiner Stücke derselben, zumal mit Schonung der Schalenhaut hat dagegen, wie schon Beguelin (s, oben S. 15) fand, und [96 Yalentin, Leuckart, Schrohe, sowie ich selbst (S. 16), bestätigten, [302 durchaus nicht jedesmal eine Störung oder gar eine Unterbrechung der embryonalen Ernährung zur Folge. Dagegen wird die Entwicklung meistens, unterbrochen, wie schon Geoffroy St. Hilaire fand, durch Nadelstiche. Er, wie später Valentin, erzeugte durch verschiedene Mittel, z. B. Ausfliessen- [329 lassen von Albumen, Durchziehen eines Fadens in der Nähe der Keimscheibe, monströse Formen. Aber die willkürliche Erzeugung von ganz bestimmten Missgeburten gelang nicht. Der einzige von Valentin beobachtete Fall eines Doppelmonstrum nach Längs- spaltung der hinteren Körperhälfte eines zweitägigen Hühner- embryo hat sich nicht wiederholen lassen. Alle späteren [302.303 Experimentatoren stimmen darin überein: Durch Spaltung der Keimscheibe entstehen nicht Doppelmissbildungen, sondern nur eine Theilung in zwei Hälften. Die physiologische Bedeutung dieser und aller an- [302,22.2^ deren seither künstlich erzeugten Missbildungen ist so wenig erkannt, dass ich es vorziehe, dieses noch kaum zur Physiologie des Fötus zu rechnende Gebiet lieber gar nicht zu betreten. Speculationen über die Art der Nachwirkung eines einzigen Trauma auf die embryonale Gewebe-Ernährung sind solange unfruchtbar, bis es gelungen sein wird, mit astronomischer Gewissheit die auf eine ganz circumscripte Verwundung folgende Missbildung vorher- zusagen. Überhaupt lassen sich, wie Leo Gerlach (1880) bemerkte, alle derartigen Eingriffe, so verschiedenartig sie zu sein scheinen, in die drei Gruppen respiratorischer, thermischer und mechanischer Störungen gliedern. Er selbst bediente sich, wie die früheren Autoren meistens , der Beeinträchtigung des Sauerstoffzutritts durch Firnissen der Eier, erhielt aber bei Untersuchung von 60 Eiern vom 3. bis 6. Tage nur 19 ausgesprochene Abnormitäten. Auch die Untersuchung der natürlich vorkommenden Mon- strositäten, die ohne Zweifel nicht sämmtlich auf Anomalien der äusseren Entwicklungsbedingungen zurückführbar, sondern zum Theil erblich sind (wie die Polydaktylie), hat noch keine wich- tige Erweiterung der Physiologie herbeigeführt, es sei denn die Thatsache, dass dem Embryo mehrere dem Geborenen zum Leben unentbehrliche Organe fehlen können, ohne dass darum seine A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 197 Ernährung Störungen erfährt. Panum stellte (1878) sogar die [303 Behauptung auf, dass sämmtliche Sinnesempfin düngen, alle willkür- lichen Bewegungen, wie die Athembewegungen und das Schlucken des Fruchtwassers, die ganze Gehirnthätigkeit und die Funktionen des Rückenmarks (diese wenigstens zum grössten Theil, wenn nicht ganz, wie die des Halsmarks) für die Ernährung, das Wachsthum und die Entwicklung des Fötus „vollkommen überflüssig" seien. Dieser Satz, welcher sich ausschliesslich auf die Thatsache stützt, dass wohlgenährte acephale und andere monströse Neu- geborene dieEeife erreichen, ist nicht wörtlich zu verstehen; gerade aus den trefflichen Arbeiten von Panum selbst über die physio- logische Bedeutung der Missbildungen lässt sich entnehmen, dass ein trophischer Einfluss des Eückenmarks auf die werdende Mus- culatur vorhanden ist. Denn die von ihm gehegte Vermuthung, dass die fettige Degeneration der Muskeln bei einem Fötus, dessen Eückenmark zum Theil zerstört ist, von der Degeneration des Nervengewebes abhänge, ist sehr wahrscheinlich. Das Eücken- mark wäre dann für die embryonale Ernährung nothwendig. Augen, Ohren, Nase und Mundhöhle können allerdings fehlen, die äussere Haut aber nicht. Willkürliche Bewegungen kommen beim Fötus gar nicht vor, weil er noch keinen Willen hat. Andere Bewegungen können aber nicht fehlen. Wie würde sonst der Embryo im Vogel- und Fisch- Ei sich befreien können ? abgesehen von der Wahrscheinlichkeit, dass bei dauernder Euhe Verwachsun- gen eintreten müssten. Von inneren Organen darf niemals fehlen das Herz, und wenn ein Acardiacus oder Amorphus sich entwickelt und ernährt, so ist allemal (nach Hempel und Claudius, wie auch Panum hervorhebt) ein Zwillingsfötus da, dessen Gefässe mit dem herzlosen Monstrum in Verbindung stehen. Dass aber mehrere wichtige Verdauungsorgane, welche dem Oeborenen unentbehrlich sind, für das Wachsthum und die Er- nährung des Fötus auch in den letzten Monaten nicht in Betracht kommen, wird durch das Vorkommen reifer Früchte ohne Magen und ohne Pankreas bewiesen. Das gut entwickelte, 18^/^ Zoll lange, von F. Eobert beschriebene Kind lebte sogar drei Tage [i57 lang nach der Geburt (ohne die Brust zu nehmen), obgleich es keinen Magen hatte, indem die Speiseröhre direct in das Duode- num überging. Das Pankreas war höchst rudimentär. Die Milz fehlte gänzlich. Meconium und Harn wurden ausgeschieden. Dieser Fall allein zeigt, dass eine intrauterine Magenverdauung für die Entwicklung der menschlichen Frucht nicht erforderlich 198 Die embryonale Ernährung. ist, mag noch soviel Fruchtwasser verschluckt werden. Desgleichen ist ihm die Milz überflüssig. Solche beinahe unmögliche Vivi- sectionen ersetzende Experimente, welche gleichsam die Natur selbst anstellt, gehören aber zu den grössten Seltenheiten. Fernhaltung von schädlichen Stoifen. Die Embryonen aller Oviparen Thiere sind durch mehr oder weniger feste und mehr oder weniger dicke Hüllen, Kalkschalen, Häute, Gallertschichten u. a. von der Aussenwelt getrennt, so dass sowohl bei Hydrozoen (Amphibien, Eischen, Crustaceen u. v. a.), als auch bei Aerozoen (Yögeln, Eeptilien, vielen Insecten u. a.) Schädlichkeiten verschiedenster Art vom Embryo ferngehalten werden. Die Mehrzahl aller Embryonen im gelegten Ei geht aber zu Grunde, weil der Schutz nicht genügt. In angesäuertem Wasser z. B. entwickeln sich, wie Eauber [367 fand, die Eros chembryonen nicht, wenn die Concentration auch eine minimale ist; sie starben bei seinen Yersuchen in Schwefel- säure von Yi6 W^ Mille (wasserfrei berechnet), welche Lackmus nicht mehr röthet, zur Zeit der Kiemenentwicklung; bei Ys P^o Mille quollen die Eier bis zur Verdreifachung ihres Durch- messers auf. In ^3 *^/oo ^^^omsäurelösung starben alle Embryonen in frühen Stadien ab; in Ve^/oo entwickelten sie sich zwar bis zum Verlassen der Eier, starben aber dann bald ab; in einer Lösung von Vi 2^/00» welche noch gelb war, gediehen sie besser, waren aber schwächer, als normal gezüchtete Embryonen desselben Alters. „Es ent- wickelten sich innere Kiemen, ein normales Spritzloch, die Larven aber wurden schwächer und schwächer und gingen sämmtlich zu Grunde, selbst solche, die schliesslich in frisches Wasser über- tragen worden waren." In Sahoylsäure von 1 7oo quollen die Dotter stark auf und die Entwicklung kam nicht zu Stande. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass selbst wenn der Säuregrad ein zu niedriger ist, um die Entwicklung im Ei zu hemmen, doch die ausgeschlüpften Larven ohne Zweifel wegen Coagulation von Albuminen zu Grunde gehen. Die Eihaut schützt also anfangs gegen diese Schädlichkeit, wenn dieselbe nicht — wie bei der Salicylsäure — zu mächtig eingreift. Man sollte demzufolge meinen, dass befruchtete Froscheier in concentrirten Säuren schleunigst entwicklungsunfähig werden. Aber A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 199 Giacosa stellte einen Versucli an, welcher das G-egentheil be- weist. Er untersuctite chemisch die schleimige, durchsich- [4i8 tige, fadenziehende sogenannte Gallerthülle des Froscheies, welche in Wasser bekanntlich stark aufquillt und kam zu dem Ergebniss, dass dieselbe aus reinem Mucin besteht. Nachdem er nun mehrere embryonirte Froscheier in Eisessig gebracht hatte, bemerkte er, dass die pellucide Hülle schrumpfte und schliesslich nur eine dünne Membran übrig blieb, welche das Ei umschloss. Am vierten oder fünften Tage fand er zu seiner Verwunderung eine kleine Quappe todt auf dem Boden des Glasgefässes. Die Untersuchung der Eier zeigte, dass in den durch das niedergeschlagene Mucin geschützten Exemplaren die Embryonen sich bewegten, wie sie es vor dem Ausschlüpfen auch im Wasser zu thun pflegen. Ein Embryo sprengte in der That die Hülle, er sank aber, wie vom Blitze ge- troffen bewegungslos unter, als er mit der Säure in Contact kam. Aus diesem Versuche folgt, dass die MucinhüUe für die em- bryonale Entwicklung nicht erforderlich ist. Schon Rusconi hatte die von derselben künstlich befreiten Eier im Wasser im Uhrglas sich normal ohne Verzögerung entwickeln gesehen. Der Nutzen des Schleimes besteht vielmehr darin, dass er die Adhäsion der Eier an Gegenständen im Wasser begünstigt, so dass sie nicht vom Strome fortgerissen werden, dass er den Embryo gegen Stösse schützt und die Fäulniss hintanhält. Ausserdem dient er, wie schon ßösel im vorigen Jahrhundert ganz richtig wahrnahm, den ausgeschlüpften Larven zur Nahrung, obgleich er vom Magensaft und Pankreassaft wenig angegriffen wird und zu den sehr schwer oder gar nicht verdaulichen Stoffen bei höheren Thieren gehört. Er wird vielleicht erst durch die Quellung verdaulich und er- [4i8 hält wahrscheinlich durch die während der Entwicklung aus dem Wasser sich niederschlagenden Substanzen und die anhaftenden Infusorien u. dgl. einen gewissen Nährwerth. Ammoniakwasser von ^ls2^loo7 Lösungen von Natrium- carbonat von '^/^ und V4 7oo' sowie Natriumchloridlösungen von 1*^/0 tödten die kleinen Froschlarven zum Theil schnell. [367 Frosch - Embryonen und -Larven gedeihen aber, den Versuchen ßauber's zufolge, in ^3 und Y2-P^ocentigen Kochsalzlösungen sehr gut, ebenso Embryonen des Flussbarsches. Letztere ertrugen auch ^4^/0? nicht aber die des Frosches, welche nur nach vor- herigem mehrtägigem Aufenthalt in einer Lösung von ^/g ^/f, zum Theil sich hielten. Eine Chlormagnesiumlösung von 0,36 ''/q — entsprechend dem Meerwasser — wurde von den Flussbarsch- 200 Die embryonale Ernährung. embryonen, die sich nur anfangs in den EihüUen bewegten, nicht ertragen. Nach Yarigni's Versuchen über die Einwirkung der im [389 Seewasser enthaltenen Salze hat sich das Kalium chlorid als das schädlichste für die Entwicklung des Frosches im Ei und die Froschlarve erwiesen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass hierbei die giftige Wirkung der KaUumverbindungen auf das embryonale Herz hauptsächlich in Betracht kommt (vgl. S. 33). In den gewöhnlichen Fähr Salzlösungen für Pflanzen (4 Cal- ciumnitrat, 1 Kalisalpeter, 1 Kaliumphosphat, 1 kryst. Bittersalz, zusammen 7 Grm. Salze in 3,5 Lit. Wasser) fand^ Räuber nach 14 Tagen nur einzelne Embryonen abgestorben, wie es auch sonst vorkommt; bei Verdopplung der Salzmenge desgleichen. Bei 0,8^0? also Vervierfachung, blieben von 70 Embryonen nur 3 am Leben. In Erwägung dieser grossen Empfindlichkeit erscheint die Beobachtung von Kupffer um so auffallender, dass die Eier des Herbstherings bei 9 bis 11*^ C. in Wasser von etwa 2% Salz genau in derselben Zeit und unter Einhaltung desselben Verlaufs in den einzelnen Phasen vom Augenblick der Befruchtung an bis zum Ausschlüpfen des Fischchens am 7. Tage sich entwickeln, wie die Eier des Frühjahr sherings bei 14 bis 20 '^ C. in Wasser von nur 0,5 ^j^ Salz. [437, si Diese Unabhängigkeit der embryonalen Ernälu-ung und Diffe- renzirung von dem Salzgehalte des Wassers hängt aber ohne Zweifel mit dem viele Generationen hindurch fortgesetzten Wechsel des Aufenthaltes der Ostseeheringe in salzreichem Wasser (z. B. des Belt's) und im salzarmen (der Schlei) zusammen. Es müssen auch bezüglich der grossen Unterschiede in der Dauer der Ent- wicklung des Herings im Ei erbliche Momente mit in Anschlag gebracht werden, wenn der Norwegische Frühjahrshering nach Axel Boeck normaler Weise am 24. Tage, der der Ostsee am [437, 32 7. Tag ausschlüpft. Bei jenem ist die Kopfhaut schon im Ei pig- mentirt, bei diesem 8 Tage nach dem Verlassen desselben noch nicht; jener wird im Ei 10, dieser nur 5,3 Millim. lang, und doch scheint die Reife oder der ganze Entwicklungsgrad des Embryo beidesfalls beim Ausschlüpfen keine Unterschiede zu bieten [437, iw (Kupffer). Die Varietäten werden erst nach dem Ausschlüpfen, wie Heincke zeigte, nicht etwa nur kenntlich, sondern auch wirk- lich veranlasst. Aber die Coexistenz verschiedener Varietäten des Herings und seiner Embryonen unter denselben äusseren Be- A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 201 dingungen macht doch die Annahme erblicher noch unerkannter Verschiedenheiten im Ei unabweislich. Froscheier entwickeln sich normal in Lösungen von 1 7o ^^^ 2% Rohrzucker, nicht in solchen von 5"/^, und darüber, auch nicht in Alkohol von 1 ^j^^ (Rauber), aber in destillirtem Wasser (Rusconi). Die tödtliche Wirkung concentrirter Salz- und Zucker -Lö- sungen ist wahrscheinlich z. Th. chemisch und auf directe Ver- giftung, z. Th. auf Entziehung des für die embryonale Entwicklung höchst wichtigen Eiwassers und Erschwerung der Hydrodiffusions- vorgänge im Ei zurückzuführen, die des Alkohols auf Protoplasma- gerinnung. Doch bedarf es, namentlich im Hinblick auf Giacosa's Versuch (S. 199), sehr umfassender Experimente, um den Nachweis im Einzelnen zu führen. Wenn Froscheier im Wasser ohne Hülle, mit Hülle im destillirtem Wasser und in Essigsäure sich nor- mal entwickeln können, dann sind die Diffusionsvorgänge zwischen Embryo und äusserem (extraovärem) Medium nur von verschwin- dender Bedeutung, der Sauerstoffverbrauch (S. 106) des Batrachier- eies ein minimaler und die directe Betheiligung der schleimigen Gallerthülle an der Ernährung des Embryo im Ei (intraovär) fast Null. Die Schädlichkeit der concentrirten Salz- und Zucker-Lösungen muss also auf etwas anderem beruhen, als auf Hemmung der oft fälschlich für unentbehrlich angesehenen Leistungen der Gallert- hülle, z. Th. ohne Zweifel auf Vergiftung, d. h. chemische Um- änderung der embryonalen Zellen. Eine Reihe von Vergiftungsversuchen mit Eroschembryonen, welche theils von mir, theils auf meine Veranlassung ausgeführt wurden, wird weiter unten (im Abschnitt über die embryonale Motilität) beschrieben werden. Die Wirkungen verschiedener Gifte im Blute der Mutter auf den Säugethierfötus werden bei der Frage nach dem Übergange von Stoffen aus dem Blute der Mutter in das fötale Placentablut berührt werden (S. 207). Versuche über die Wirkung der bekannteren für Erwachsene tödtlichen Gifte auf die Säugethier-Embryonen nach directer Ein- verleibung derselben in situ im Uterus, liegen nur in geringer Anzahl vor. Dieselben sind wegen des Eingriffs schwieriger als Versuche über den Übergang von Stoffen aus der Mutter in die Frucht. Es hat sich dabei die in physiologischer Hinsicht ungemein interessante Thatsache herausgestellt, dass einige der stärksten Gifte, wie Cyanwasserstoff, Strychnin, Curarin in Mengen, 202 J^ie embryonale Ernährung. welche das erwachsene Thier schnell tödten, auf den Fötus entweder garnicht sichtbar oder nur schwach wirken. Ich habe bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, [452 dass Blausäure auf neugeborene und ganz junge Säugethiere nicht entfernt so giftig, wie auf ältere wirkt. Gusserow stellte zahl- [19 reiche Versuche mit Strychnin an und fand, dass unter 47 der Reife nahen Kaninchen-, Katzen- und Hunde-Föten, denen er von 0,025 bis 0,15 Grm. Strychnin injicirte, nur ein kräftiger Kaninchen- fötus unverkennbare Strychninkrämpfe zeigte. Die Injection fand bei allen nach der Abnabelung statt. Die Thiere bewegten sich lebhaft, schrieen auch zum Theil. Alle überlebten die Injection 5 bis 15 Minuten, einzehie noch länger. Von 18, die je 0,025 Strychnin erhielten, zeigten 2 leichte tetanische Streckungen ohne eigentliche Krämpfe, die 16 anderen nichts derartiges. Von 23, die je 0,05 Strychnin erhielten, lebten 7 noch 20 Minuten ohne Vergiftungs-Symptome, die 16 anderen zeigten mehr oder weniger deutliche Streckbewegungen von sehr kurzer Dauer, niemals deut- liche Krämpfe; 4 fast reife Hundeföten überlebten die Einspritzung von je 0,1 Grm, Strychnin ohne besondere Erscheinungen geraume Zeit, ein Katzenfötus desgleichen 0,15. Vier geborene junge Kanin- chen bekamen dagegen schon nach 0,012 Grm. Strychnin deuthche Streckkrämpfe. Sie überlebten jedoch die Vergiftung sämmtlich. Auch die durch den Nabelstrang noch mit dem Mutterthier in guter Verbindung gebliebenen Früchte — 41 der Reife nahe Kaninchen-, Hunde-, Katzen-Föten — denen je 0,025 oder meist 0,5 Strychnin injicirt wurde, geriethen nicht ein einziges Mal in deutliche Krämpfe, den Beobachtungen Gussero w's zufolge. [^42 Savory hatte zwar (s. u. S. 219) unter ähnlichen Umständen doch Streckkrämpfe zu sehen vermeint, da er aber selbst angibt, dass die Früchte am Leben blieben, so ist kaum zu bezweifeln, dass er die starken Reflexe und vorübergehende Spasmen mit dem eigentlichen Strychnin tetanus identificirte. Die geringe Wirkung des Strychnins auf den Säugethierfötus wird von Gusserow mit Recht mit der noch nicht vollkommenen Entwicklung des Rückenmarks in Verbindung gebracht. Dasselbe muss für die Blausäure gelten. Die auffallende von mir oft gemachte Erfahrung dagegen, dass Curarin den Säuge- thierfötus sehr wenig afficirt und zwar um so weniger, je weiter er von der Reife entfernt ist, muss auf die noch unvollständige Entwicklung der peripheren Endigungen motorischer Nerven in den quergestreiften Muskelfasern bezogen werden. A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 203 Einfluss einiger Veränderungen des Blutes und Blutkreis- laufs der Mutter auf den Fötus. Die in theoretischer wie praktischer Hinsicht wichtigen Ein- flüsse veränderter BlutbeschaiEfenheit und Circulation der Mutter auf die Frucht sind methodisch-experimentell bis jetzt nur von Max Runge untersucht worden. Er ging davon aus, die Wir- [s* kung einer Verminderung der Alkalescenz des mütterlichen Blutes auf den Fötus zu prüfen und vergiftete hochträchtige Kaninchen (nach Wallers Vorgang) zu dem Zweck mit 0,8-procentiger Salz- säurelösung, die in den Magen gespritzt wurde. Dabei stellte sich heraus, dass die Früchte stets abgestorben waren, wenn sie unmittelbar nach dem letzten Athemzuge der Mutter oder als diese sich nicht mehr von der Stelle bewegen konnte, excidirt wurden; dagegen blieben sie am Leben, wenn in einem früheren Vergiftungsstadium, dem der Dyspnoe, der Uterus eröffnet wurde. Das Fötusblut reagirte, auch wenn sie früher als die Mutter ab- starben, normal, das der Mutter äusserst schwach alkalisch, die Ursache des Fötustodes wäre also nicht die verminderte Alkales- cenz. Da aber die Lungen sich blutreich erwiesen und subpleurale Ekchymosen sich vorfanden, so vermuthete Runge, es hätten vor- zeitige Athembewegungen stattgefunden, doch könne Sauerstoff- mangel des Blutes nicht die Ursache derselben sein, weil man nicht weniger Sauerstoff im Blute Erwachsener nach der Säurevergiftung gefunden habe, als normalerweise darin vorkommt. Daher prüfte er die Möglichkeit, dass durch Anhäufung der Blutkohlensäure im Fötalblut — durch Steigerung der Spannung der Blutkohlensäure im mütterlichen — der Tod intrauterin herbeigeführt werde, in- dem weniger Kohlensäure fest chemi.sch im Blute gebunden werden kann, wenn dessen Alkali abnimmt. Aber die Versuche, bei denen hochträchtige Kaninchen ein Gremisch von 2 Vol. Kohlensäure und 1 Vol. Sauerstoff einathfneten, ergaben, dass die Jungen nach einer Lihalation von 85 Min, Dauer iebensfrisch blieben, nach einer von 54 Min. noch auf Reize reagirten und erst nach einer solchen von 83 Min. abstarben. Demnach muss „die Kohlensäure in grösseren Quantitäten sich im Fötus anhäufen und längere Zeit auf diesen einwirken, um ihn zu tödten." Somit konnten die Früchte nach Alkalientziehung weder in Folge einer Alkaliarmuth, noch einer Kohlensäureüberladung gestorben sein. Es bheb noch ein drittes Vergiftungssymptom, die enorme Erniedrigung des 204 Die embryonale Ernährung. Blutdrucks zu untersuchen. Runge durchschnitt daher träch- tigen Kaninchen das Halsmark und entdeckte, dass schon 15 bis 30 Min., ja schon 13 Min. nach der Durchschneidung die Früchte todt waren. Je näher an dem verlängerten Mark die Durch- trennung ausgeführt war, um so schneller trat der Tod ein. Dieser konnte aber hinausgeschoben werden, wenn nach Aus- schaltung des vasomotorischen Centrum mittelst Durchschneidung das rapide Sinken des Blutdrucks durch elektrische Reizung des Rückenmarks unterhalb der Schnittstelle verhindert wurde. Unter diesen Umständen gelang es selbst beim curarisirten Kaninchen die Früchte 25 und sogar 50 Min. lang im Uterus lebensfrisch zu erhalten. Plötzliche starke Herabsetzung des mütter- lichen Blutdrucks ist also unbedingt lebensgefährlich für den Fötus. Welche Ernährungsstörung gerade tödtlich wirkt, ist noch zu ermitteln. Änderungen der Diffusionsverhältnisse in der Pla- centa wegen Verlangsamung des mütterlichen Blutstroms, nament- lich dadurch bedingter Sauerstoffmangel im Fötusblute, werden zunächst in Betracht kommen müssen. Auch in den Fällen, wo das Mutterthier ein G-emenge von 1 Vol. Sauerstoff und 2 Vol. Kohlensäure statt Luft athmete, kann der Fötustod sehr wohl durch die plötzliche dabei eintretende Blutdruckerniedrigung herbeigeführt worden sein. Denn er trat nicht ein, wenn der Blutdruck nicht sehr erheblich sank — nicht unter 40 Millim. statt 112 ■ — und trat ein, wenn es der Fall war — wenn er von 111 bis 30 und bis 14 Millim. sank (Runge). Diese Thatsache, dass erhebliche Abnahme des arteriellen Blutdruckes Schwangerer leicht für die Frucht lebensgefährlich wird, ist von praktischer Bedeutung. Wenn auch beim Menschen, wie bei anderen Säugethieren, anhaltende intrauterine, vielleicht sogar convulsivische Bewegungen der Frucht bei acuter Anämie der Mutter, z. B. nach grossen Blutverlusten und nach Vergif- tungen, ohne tödtliche vorzeitige Athembewegungen vorkommen können, so ist doch die intrauterine Erstickung wegen plötzlichen Sinkens des Blutdrucks immer wahrscheinlich. Die Transfusion einer 0,6-procentigen Natrium chloridlösung von" 37,5 °C. wird in solchen Fällen um so mehr zu versuchen sein, als selbst nach enormer Herabsetzung der fötalen Herzthätigkeit, bis zum an- haltenden Herzstillstand, eine AViederbelebung möglich ist. Die von 0. Küstner am Menschen eizielten günstigen Erfolge mit A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 205 Kochsalztransfusionen ermiintern zu Versuchen der Art in ver- zweifelten Fällen. Der Kaiserschnitt nach dem Tode hat dagegen ungleich weniger Aussicht auf Erfolg. [43o Übergang vou Stoffen aus dem Blute der Mutter in die Frucht. Allen placentalen Säugethieren ist, so lange sie im Uterus verweilen, unerlässliche Ernährungsbedingung die Aufnahme von Nährstoffen aus dem mütterlichen Blute. Weil die Placenta diesen Übergang vermittelt, kann sie in der That unbedenklich als speci- fisches Ernährungsorgan des Fötus bezeichnet werden. Dieses in physiologischer Hinsicht noch viel zu wenig untersuchte Gebilde ist vermöge seines Baues vorzüglich geeignet, sowohl gelöste und leicht diffundirende Stoffe aus dem Blutplasma der Mutter in das der fötalen, die Nabelarterien mit der Nabelvene verbindenden Capillaren übertreten zu lassen, als auch den Transport sehr kleiner Partikel mittelst etwa überwandernder Leukocyten zu er- möglichen; aber der directe Nachweis des Überganges auch nur eines einzigen natürlichen Blutbestandtheiles, ausser dem Sauer- stoff, welcher dem Fötus zur Gewebebildung, zur Oxydation oder zu anderen Functionen diente, ist bis jetzt nicht geliefert. Man hat sich vielmehr, um überhaupt die Thatsache des Überganges gelöster diffundibler Stoffe aus dem Mutterblut in den Fötus zu beweisen, auf physiologisch oder chemisch leicht nachweisbare, der Mutter eingegebene und sonst nicht in deren Körper vorkom- mende Substanzen beschränken müssen. Bei jedem Versuche zur Entscheidung der Frage, ob ein ge- löster im Blute der Schwangeren befindlicher Stoff in den Inhalt des Uterus übergeht oder nicht, ist streng auseinander zu halten der Übergang desselben in das Fruchtwasser direct und nicht in den Fötus einerseits, in das Blut (und dadurch in den Harn) des- selben andererseits. Die Möglichkeit besteht, dass eine Substanz aus der mütterlichen Placenta direct in die dem Amnion dicht anliegende Schicht der fötalen Placenta (durch Joulin's Mem- [225 brana laminosa, welche Jassinsky bestreitet) in das Frucht- [^^^,3i3 wasser gelange, ohne in den Fötus einzudringen. Es kann auch ein Stoff nur in das Blut des Fötus übergehen, ohne sich im Fruchtwasser zu finden, wie z. B. der Sauerstoff des Hämoglobins, und es kann sogar ein im Blute des fötalen Körpers aufgefun- dener, der Mutter eingegebener Stoff in dasselbe nur dadurch 206 Die embryonale Ernährung. gelangt sein, dass der Fötus Fruchtwasser mit jener Substanz verschluckte. Findet man also im Harn, in der Leber, im Herz- blut des Fötus einen der Mutter eingegebenen Stoff, dann ist er nicht nothwendig vom Blute der Mutter an das Blut des Fötus abgegeben worden. Findet man den fraglichen Stoff im Frucht- wasser, so kann er dahin durch den Harn des Fötus oder direct gelangt sein; findet man ihn endlich im Magen und Darm der Frucht, so kann er durch Verschlucken des Fruchtwassers, das ihn direct aufnahm, dahin gelangt sein. Die Fälle zu sondern, ist nicht immer leicht. Der erste zur Entscheidung der Frage, ob überhaupt fremde Stoffe vom mütterlichen Körper in die Frucht übergehen, an- gestellte Versuch stammt von A. F. J. C. Mayer (1817). Es wurde einem trächtigen Kaninehen eine grüne Flüssigkeit, nämlich Indigo und Safrantinctur in destillirtem Wasser, in die Trachea injicirt, oder vielmehr „in die Lungen in verschiedenen Quantitäten zu wiederholten Malen gegossen". Tod nach zwei Stunden. Sßction 1/2 Stunde später. Die Harn- blase des Mutterthieres war voll von grünem in's Blaue spielendem Harn. Linkes Uterushorn leer, das rechte enthielt vier todte Embryonen. Das Amnioswasser aller vier war grün gefärbt, bei zweien besonders stark. Auch in dem mütterlichen Theile der Placenta hier und da Spuren davon. Bei dem Fötus der Magen voll und der Darmcanal fast voll von derselben grünen Flüssigkeit; Blase, Lungen und Luftröhre enthielten nichts davon. In diesem Falle, den der Verfasser später „in den Hinter- grund gestellt wissen" wollte, weil ihm das Experiment nicht [78 mit anders gefärbten und chemisch prüf baren Flüssigkeiten gelang, war, wenn nicht blos eine schlechte Beobachtung vorliegt, der Farbstoff durch Verschlucken des Fruchtwassers in den fötalen Verdauungscanal gelangt, er müsste also vom Blute der Mutter in der Placenta aus direct in dasselbe übergegangen sein, was in diesem Falle sehr unwahrscheinlich ist. Ich habe den Versuch an zwei hochträchtigen Meerschwein- chen wiederholt. Da aber in beiden Fällen die Thiere fünf Minuten nach der ersten Injection des grünen Gemisches von Indigo und Safrantinctur starben, und die Section unmittelbar darauf im Harne der Mutter, im Darm, Magen, Oesophagus, Munde der sechs Embryonen und im Fruchtwasser nicht die geringste Spur einer grünen Färbung erkennen Hess, so habe ich diese ganz unzweck- mässige Methode weiterer Prüfung nicht für werth gehalten. Dieser Mayer'sche Versuch beweist nicht den Übergang des Farb- stoffs. Vielleicht rührte die abweichende Färbung des Frucht- wassers von Meconium her. Heute muss der oft falsch vcrworthete A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 207 (S. 171) von seinem Uiiieber selbst discreditirte Versuch endlich der Vergessenheit überliefert werden. Dagegen haben Mayer's Versuche mit „blausaurem Kali" (wahrscheinlich Ferrocyankalium, nicht Cyankalium), welches [433, e dem Mutterthier eingefiösst und in den Embryonen nachgewiesen wurde, zum ersten Mal (1817) den Übergang eines dem Organismus fremden Stoffes bewiesen. Albers wiederholte dieselben 1 859. [446 Er meinte Anfangs, dass Blausäure und Cyankalium keine Wirkung auf den Fötus hätten, selbst wenn sie dem Mutterthier in grossen Mengen beigebracht werden. Die Früchte sollen sogar noch lange gelebt haben, nachdem die Mutterthiere an dem Gifte gestorben waren. Das letztere Hess sich dann auch nicht im Fruchtwasser oder Fötusblute nachweisen, während es im Blute und Harn der Mutter sich wiederfinden Hess. Später modificirte Albers diese Angaben. Er meinte, nachdem er die vor mehr als 40 Jahren von Mayer angefertigten Fötus - Präparate mit den blauen Reac- tionsflecken gesehen hatte, dass doch die beiden Gifte in alle Theile des Fötus übergehen könnten, es finde nur der Übergang bei grosser Dosis nicht jedesmal statt wegen des plötzlich ein- tretenden Todes. Diese Vermuthung ist von mir bestätigt worden. Zu den ersten zuverlässigen Versuchen am Menschen gehören die von Schauenstein und Spaeth vom Jahre 1858, welche [226 das syphilitischen Hochschwangeren eingegebene Jod -Kalium ein- mal im Meconium, ein anderes Mal im Meconium und Frucht- wasser nachwiesen, beidesfalls ehe das Neugeborene Milch erhalten hatte. Quecksilber wurde nicht wieder gefunden. Auch Gusserow konnte (1872) nach Darreichung von Jodkalium an die Schwan- [se geren im Harn des Neugeborenen und im Fruchtwasser — in diesem viel seltener — Jod nachweisen. Doch musste mindestens 14 Tage lang täglich Jodkalium den Müttern gegeben werden. Ob nach Chloroforminhalationen seitens der Kreissenden und nachMorphiuminjectionen die Frucht mitvergiftet wird oder nicht, ist streitig. In derartigen Fällen ist die Entscheidung haupt- sächlich darum schwierig, weil Neugeborene an und für sich viel schlafen und eine grössere Tiefe oder längere Dauer ihres Schlafes sich nicht immer feststellen lässt wegen Fehlens des Vergleichsobjects. Wahrscheinlich ist allerdings eine toxische Wirkung, weil der Übergang sowohl des Chloroforms als des Morphins aus dem Blute der Mutter in das des Fötus (welche beide auch durch die Milch- drüse in den Säugling gelangen und ilm schläfrig machen), zweifel- los feststeht, und weil andere Substanzen von derselben oder 208 Die embryonale Ernährung. geringerer Löslichkeit und Diffundibilität den Fötus vergiften können (z. B. Atropin). Morphin der Mutter injicirt hatte in einem Falle Frequenzabnahme und Arhythmie des Fötalpulses zur [265 Folge. Wenn auch die Ansichten der Praktiker über die etwaige [56 Schädlichkeit des den Schwangeren verabreichten Morphins und Opiums für die Frucht getheilt sind, so werden dadurch solche Thatsachen nicht abgeschwächt. Die von einigen gehegte Meinung, bei regelmässigem Gebrauche beider könne der Fötus sich an die Vergiftung gewöhnen und schon morphinisirt zur Welt kommen, ist um so wahrscheinlicher, als bei den opiophagen Völkern schwerlich durchweg während der Schwangerschaft absolute Ent- haltsamkeit sich wird durchführen lassen und die Annahme, dass bei ihnen die Alkaloide des Opiums die Placenta nicht passiren, höchst unwahrscheinlich ist. Für alkoholische Getränke gilt dasselbe. Nachdem Zweifel (1874) chemisch mittelst des Hofmann- [46o sehen Verfahrens den reichlichen und schnellen Übergang des Chloroforms aus dem Blute chloroformirter kreissender Frauen in das Blut des Nabelstrangs bewiesen hat, ist es in hohem Grade wahrscheinlich, dass bei jeder Geburt in der Chloroform- narkose das Kind an der Chloroformvergiftung participirt. Aber worin die nachtheiligen Wirkungen des Chloroforms in seinem Blute bestehen, ob überhaupt Nachtheile für das Neugeborene dar- aus erwachsen, scheint nicht festgestellt zu sein. Denn wenn [364 auch Asphyxie des Neugeborenen in solchen Fällen eintritt, ist nicht gesagt, dass sie ohne die Narkose nicht eingetreten wäre. Und es tritt bekanntlich durchaus nicht bei jeder Chloroform- narkose der Mutter Asphyxie oder Coma des Kindes ein. Für Thierversuche besteht dieselbe Schwierigkeit. Auch wenn das Mutterthier 38 Min. lang chloroformirt blieb, sind die Em- bryonen, falls die Narkose nicht zu tief war und die künstliche Athmung rechtzeitig begann, von Fehling lebend excidirt [i34 worden, desgleichen von Gusserow sogar nach dem Tode des [i9 Mutterthieres. So lange es dem Fötus an Sauerstoff im Blute der Placenta nicht mangelt, wird ihm wahrscheinlich die aus dem Blute der Mutter zugeführte geringe Chloroformmenge nichts an- haben können; denn auch bei Erwachsenen ist bekanntlich reich- liche Zufuhr von Sauerstoff das sicherste Mittel die Chloroform- wirkung zu vermindern. Übrigens soll Chlor alhydrat, besonders im Klystier gegeben, stärker als Chloroform wirken und wie dieses nach 5 bis 10 Minuten den Fötuspuls herabsetzen. [59 A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 209 Hiermit steht im Einklang die von M. Rmige durch sorg- [84 fältige Experimente festgestellte Thatsache, dass längere Zeit fort- gesetzte Chloroforminhalationen bei Kaninchen dann dem Fötus lebensgefährlich werden und ihn tödten können, ohne das Mutter- thier zu tödten, wenn durch sie der Blutdruck erheblich herabge- setzt wird. Breslau hatte gefunden, dass wenn er binnen [3i6 wenigen Minuten das Mutterthier mit Chloroform tödtete, 5 Min. nach dem Tode desselben die Jungen nur scheintodt waren. Runge fand sie unter diesen Umständen sogar vollkommen lebensfrisch 4 Min. nach dem Herzstillstand der Mutter. Hierbei sank der Blut- druck, aber die Zeit war zu kurz zur Tödtung des Fötus. Ebenso kann man, wie Runge zeigte, die Chloroformnarkose lange anhalten lassen, ohne das Leben des Fötus zu gefährden, wenn man nur durch Regulirung der Chloroforminhalationen dafür sorgt, dass der Blutdruck nicht zu tief sinkt, um nicht mehr als etwa ein Drittel. Auch hierbei kann die Narkose vollständig sein. Es folgt aus diesen Versuchen mit grosser Wahrscheinlich- keit, dass im Blute der Mutter befindliches Chloroform, auch wenn es reichlich in den Fötus übergehen sollte, diesen doch nicht schädigt (die Wirkung auf das neugeborene Kind kommt weiter [364 unten zu Sprache), sondern erst indirect durch erhebliche Herab- setzung des mütterlichen Blutdruckes (s. oben S. 204) der Frucht im Uterus gefährlich wird. Bei kleinen Thieren tritt aber dieser Fall leicht ein. Ich habe früher bei zahlreichen Versuchen an chloroformirten trächtigen Meerschweinchen, deren Uterus ich im körperwarmen Salzwasser öffnete, um an den Embryonen zu experimentiren, so oft die Uterusgefässe schleunig venös und die jungen Früchte asphyktisch werden sehen, dass ich meistens vom Chloroformiren trächtiger Thiere zu vivisectorischen Zwecken absehen musste. Auch nach Inhalationen von Äthyläther sah Runge den [s* Blutdruck des Mutterthieres (Kaninchen) rasch und erheblich sinken, so dass die Früchte abstarben. Es war aber dazu ein energischeres Einathmen als beim Chloroform nöthig und der Blut- druck erreichte erst nach längerer Zeit die niedrigen tödtlichen Werthe. Ob dann Äther im Fötusblut vorkommt, ist noch zu ermitteln. — Von der Mutter schnell bis zur äussersten Lebensgefahr ein- geathmetes Kohlenoxyd, welches nach meinen Versuchen (S. 140) nicht nachweisbar in den Fötus übergeht, kann letzteren eben- falls indirect durch Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr tödten. Preyer, Physiologie des Embryo. 14 210 Die embryonale Ernährung. Übrigens meinen Grehant und Quinquaud, es könne doch von [459 dem Koblenoxyd, das die Mutter einathmete, eine geringe Menge in den Fötus übergehen, während Högyes in völHger Überein- [48i Stimmung mit meinen Beobachtungen spectroskopisch keine Spur von Kohlenoxydhämoglobin im Fötusblut fand, wenn auch des Mutterthieres Bkit viel davon enthielt. Die Differenz erklärt sich durch ungleiche Dauer der Einathmung. Die Französischen Forscher Hessen die Thiere (nur zwei Hündinnen) 35 Min. lang athmen. Auch Fehling konnte bei drei trächtigen Kaninchen nach V/^. bis [334 2V2 Stunden langer Einathmung von Leuchtgas und Luft in den Früchten Kohlenoxydhämoglobin nachweisen; bei einem vierten war jedoch der Nachweis „nicht sicher", trotzdem die Einathmung mit Vermeidung der Asphyxie 1 Stunde 25 Minuten dauerte. Es verteht sich von selbst, dass wenn überhaupt Kohlenoxyd übergeht, es sich nur um einen Übergang vom Blutplasma zum Hämoglobin, nicht um einen solchen von Kohlenoxydhämoglobin handeln kann, — [I83 Ein vorzügliches Mittel, die Verbindung von Mutter und Frucht zu demonstriren, ist nach Flourens Krappfütterung. Eine Sau erhielt während der letzten 45 Tage der Trächtigkeit ihrer [66 Nahrung Krapp zugemischt und die Jungen hatten rothgefärbte Knochen und Zähne, wie die Mutter selbst. Ausser dem Knochen- gewebe war kein Theil des Organismus gefärbt, namentlich nicht das Periost, nicht die Knorpel, nicht die Sehnen. Philipeaux gab einem Kaninchen während der ganzen [i9i Dauer seiner Trächtigkeit mit dem Futter täglich 2 Grm. basisch essigsaures Kupfer. Das Thier befand sich wohl, setzte sogar Fett an, und warf am 32. Tage zehn Junge von zusammen 500 Grm. Gewicht. Dieselben wurden in einem Platintiegel ver- ascht und enthielten 5 Milligramm metallisches Kupfer. Somit gehört das basische Kupferacetat zu den Verbindungen, deren Metall in noch zu ermittelnder Form in der Placenta von der Mutter auf die Frucht übergeht, meint der Verfasser. Bedenkt man jedoch, dass nur ein halbes Milligramm Kupfer in jedem Fötus durchschnittlich gefunden wurde, während 64000 Milli- gramm des Kupfersalzes in den Körper des Mutterthieres ge- langten, und erwägt man, dass häulig — bei Anwendung von Messingbrennern zum Veraschen — kleine Kupfermengen in thie- rischen Theilen gefunden worden sind, so wird dieser Versuch viel mehr gegen als für die Diöündibihtät der Kupferverbindung sprechen. Jedenfalls hätten eben geborene Kaninchen von einer A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 211 nicht vergifteten Mutter in genau derselben Weise mit demselben Brenner zui' Controle untersucht werden müssen. Ein halbes Milligramm Kupfer ist für den ganzen 50000 Milligramm schweren Fötus so wenig, dass man zunächst an eine Fehlerquelle denkt, wenn auch 0,001 ^j^^ Kupfer im vorliegenden Fall sollten nachweis- bar gewesen sein. Derselbe Einwand ist gegen die Versuche von Clouet zu [326 erheben, der zwei trächtigen Kaninchen Kupferacetat eingab und in der Leber und den Muskeln der Früchte Kupfer nachwies. Magendie injicirte in die Venen einer trächtigen Hündin [354 Kampher, worauf das Blut derselben einen starken Kampher- geruch annahm. Das Blut eines nach 3 bis 4 Minuten dem Uterus entnommenen Fötus hatte zwar diesen Geruch nicht, er war aber sehr deutlich an dem eines nach 15 Minuten extrahirten Fötus wahrzunehmen, sowie an dem der übrigen. Auch dieser Versuch, wo nur der Gleruch als Reagens diente, ist ungenügend. Zu den Stoffen, welche sich zu solchen Versuchen gut eignen, gehört Atropin. Denn eine Viertelstunde nach Injection von einem Cubiccentimeter einer einpro centigen wässerigen Lösung von Atropinsulphat unter die Haut eines hochträchtigen Meer- schweinchens zeigte mir der erste excidirte Fötus ebenso weite Pupillen, wie die drei in den folgenden 20 Minuten excidirte n. Alle waren fast reif. In diesem Falle muss das Atropin direct durch das Blut in weniger als 15 Minuten übergewandert sein. Das Mutterthier selbst zeigte 7 Minuten nach der Injection die maximale Pupillenweite. Auch beim Menschen geht Atropin über. In einem Falle waren zweimal nacheinander 2 Milligr. Atropin in Lösung drei Stunden vor der Entbindung injicirt worden. Das Kind hatte sehr erweiterte Pupillen, welche auf Licht nicht reagirten. [265, S4 In einem bemerkenswerthen Gegensatze zu diesen Thatsachen stehen die durchaus negativen Ergebnisse der Thierversuche von Wolter, welcher hochträchtige Thiere mit Strychninnitrat, [67 Morphinacetat, Veratrin, Curare, Ergotin (der Deutschen Pharma- kopoe) tödtete und in keinem Falle in dem Blute des Fötus jene Gifte nachzuweisen vermochte. Vielleicht war in allen Fällen die Zeit vom Einspritzen des Giftes bis zur Excision des Fötus zu kurz. Eine andere Substanz, welche in grossen Mengen in das Blut des Mutterthieres eingespritzt werden kann, ohne dass eine Spur davon in das fötale Blut der Zottencapillaren übergeht, ist 14* 212 I^i^ embryonale Ernährung. das Indigcarmin. Jassinsky fand nach 20 Minuten bei [456 Hündinnen, deren Chorionzotten zwei Epithelschichten haben, zwar die äussere, besonders die Kerne, ziemlich stark gefärbt, die inneren Epithelien zeigten aber nur eine schwache Färbung, und in der Zotte selbst, sowie im Fötusblute war „nicht die geringste Spur von Carmin zu finden". Auch Zuntz und Wiener fanden zwar den in eine Vene injicirteu Farbstoff im Fruchtwasser bei hoch- trächtigen Kaninchen, nicht aber im Fötus wieder. Es liegt also hier ein Fall vor, welcher den oft bezweifelten Übergang einer Substanz aus dem mütterlichen Blute in das Amnioswasser mit Umgehung des Embryo beweist. Das leicht lösliche und dififundirendeCurarin eignet sich eben- falls nicht zur Anstellung solcher Versuche, weil, wie ich fand und Soltmann für Curare feststellte, es grosser Mengen bedarf, um [-ts den Fötus damit bewegungslos zu machen. Daher ist nicht zu verwundern, dass die Versuche nach Vergiftung des Mutterthiers (Kaninchens) mit grossen Curare-Mengen und Unterhaltung der [134 künstlichen Athmung die Embryonen (denen es also an Sauerstoff nicht fehlte) mobil gefunden wurden. Hieraus folgt nicht, dass Curarin nicht überging. In anderen Fällen erklärt sich das negative Ergebniss durch ungenügende chemische Prüfung. So konnte Benicke in sieben Fällen Salicylsäure, die er einige Tage oder Stunden vor der Entbindung eingegeben hatte, zwar im Harn des Kindes, nicht aber im Fruchtwasser mittelst einer hellgelben Eisenchlorid- [397 lösung nachweisen, und Fehling erhielt ebenfalls viele negative [334 Resultate beim. Versuche, den dem trächtigen Thiere oder der [215 Gebärenden verabreichten Stoff im Fruchtwasser nachzuweisen. [134 Dass aber daraus nicht geschlossen werden darf, der Fötus ent- leere keinen Harn in das Amnioswasser, bewies M. Runge, in- [ss dem er gemeinsam mit Baumann eine deutliche Salicylsäure- Reaction erhielt, die bei dem gewöhnhchen Verfahren ausbKeb. Statt direct 'die verdünnte wässerige Ferrichloridlösung dem Frucht- wasser zuzusetzen, dessen Eiweiss nicht entfernt war, wurde näm- lich das Fruchtwasser zuvor angesäuert und dann mit Äther ge- schüttelt und hierauf erst, nach Verdunstung des Äthers, das Eisenchlorid zugesetzt. So wurde in 5 von 8 Fällen eine deutliche hellviolette Färbung erhalten, die bei directem Zusatz des Reagens nicht eintrat. Zweifel bestätigte diese Versuche. [172 Auch Jodkalium wiesen Runge und Baumann im Frucht- [ss wasser nach und zwar mittelst Stärkekleisters, einer Spur Kalium- A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 213 nitrit und Salzsäure, aber weder Kaliumjodid noch Salicylsäure in allen Fällen. Erst Gr. Krunkenberg wies Jodkalium, das [473 Kreissenden eingegeben worden war, jedesmal im Fruchtwasser nach. Es ist aber möglich, dass jene Stoffe durch den Harn des Fötus in dasselbe gelangen wie das Chinin. "Wenn ein Gramm Chinin sulphat unter der Geburt verabreicht wurde, dann konnte es nach anderthalb Stunden im Urin des Kindes nachgewiesen werden, wie Porak (1878) ermittelte. Nach drei Tagen war diese Ausschei- [98 düng beendet. Eunge gab Hochschwangeren mehrere Tage vor dem wahrscheinlichen Termin der Niederkunft täglich ein Viertel bis ein halbes Grm. chlorwasserstoffsaures Chinin. In dem un- mittelbar nach der Geburt geprüften kindlichen Harn Hess sich Chinin in den meisten Fällen vollkommen sicher nachweisen. Sehr bemerkenswerth ist, dass nach Peter Müller Äthyl- [474 bromid vom ebengeborenen Kinde ausgeathmet wird, wenn die Gebärende grössere Mengen davon eingeathmet hatte. Eine grössere Anzahl von weiteren Fällen, die den- Übergang verschiedener Stoffe aus dem mütterlichen Blute in das fötale betreffen, aber unsicher sind, hat Gusserow zusammengestellt, [se Phosphor, Quecksilber, Blei, Arsenik, Schwefelsäure, mit denen die Hochschwangere vergiftet worden war, sind in keinem Falle mit Sicherheit im Fötus nachgewiesen worden. Es ist aber nicht schwer, ein langes Verzeichniss von Stoffen zu entwerfen, von denen sich vorhersagen lässt, dass sie leicht von dem mütterlichen Blute in das der fötalen Placentarcapillaren übergehen werden, so dass sie im Harn des Neugeborenen oder des schnell excidirten Thier- fötus nachgewiesen werden können. Denn da nach Gusserow's Ent- deckung Benzoesäure (in den Magen Gebärender eingeführtes in [is Wasser aufgelöstes benzoesaures Natrium) in das noch nicht ge- borene Kind übergeht und dann im Harne desselben Hippursäure erscheint, ist es im höchsten Grade wahrscheinlich, dass auch alle anderen ähnlichen Umwandlungen im reifen Fötus werden hervor- gerufen werden können, womit jedesmal aufs Neue der Übergang einer löslichen Substanz aus dem Mutterblut in den Fötus dargethan wäre. Namentlich wird Nitrobenzoesäure in der Mutter Nitrohip- pursäure im Fötus, Chlorbenzoesäure dort Chlorbenzoesäure hier, Toluylsäure dort Tolursäure hier liefern. Ferner wird so gut wie Jodkalium, auch nachweisbar Brom- kalium übergehen, desgleichen Chlorcäsium, Chlorrubidium, Chlor- lithium und eine Anzahl von Alkaloiden. Zahlreichere Versuche mit derartigen theils spectroskopisch, 214 I^ic embryonale Ernährung. theils durch chemische und physiologische Wirkungen leicht nach- zuweisenden Stoffen würden an grösseren Thieren anzustellen sein, um mehr fötales Blut und Nierensecret zur Verfügung zu haben. Solche Experimente könnten namentlich Aufschluss gehen über die Zeit, welche erfordert wird, um einen im Blute der Mutter circulirenden gelösten Stoff durch die Placenta hindurch in das Blut des Fötus gelangen zu lassen. Bis jetzt scheint selbst bei kleinen Thieren noch in keinem Palle eine Dauer von weniger als fünfzehn Minuten für die Resorption und den Übergang einer fremden Substanz einschliesslich ihrer Vertheilung im fötalen Körper nachgewiesen zu sein. Diese Zeit ist aber ohne allen Zweifel auf den normalen placentaren Stoffverkehr nicht im ge- ringsten übertragbar. Denn wenn die Nabelvene nach Compression der Trachea des Mutterthieres ganz dunkel geworden ist, kann sie — wie ich bei Meerschweinchen wiederholt sah — nach dem Wiederbeginn der Luftathmung seitens der Mutter binnen einer Minute wieder eine helle rothe Farbe annehmen; der Sauerstoff braucht also weniger als eine Minute, um sich von dem mütter- lichen Hämoglobin abzuspalten und mit dem fötalen in der Pla- centa zu verbinden. Was vom Sauerstoff gilt, kann möglicherweise auch für andere Stoffe gelten. Und wenn auch die Diffusion ge- löster Salze und Albuminate langsam verläuft, so liegt doch kein Grund vor, ihr eine Dauer von mehr als einigen Minuten zuzu- schreiben. Messende Versuche liegen darüber bis jetzt nicht vor. Da aber, wie ich gefunden habe (s. u.), Blausäure in den Fötus injicirt binnen 1 bis 2 Minuten Convulsionen beim Mutterthier bewirken kann, so ist für den Übergang in umgekehrter Richtung eine ähnliche Geschwindigkeit wohl annehmbar. Nur werden die Bedingungen, sie herzustellen, schwierig wegen der Vertheilung in dem viel grösseren mütterlichen Organismus. Die Geschwindigkeit des Überganges hängt von so vielen zu- sammenwirkenden Factoren ab, dass sich kaum für eine Substanz mit Sicherheit vorhersagen lässt, ob sie nach einigen Minuten, nach einer Stunde oder überhaupt nicht nachweisbar sein werde. Fehling meint, dass viel von der Art der Application des an- [334 gewandten gelben Blutlaugensalzes und Natriumsalycilats bei gleichen Mengen abhängt. Bei Einspritzung in eine Vene des Mutterthieres werde leicht der Stoff zu rasch aus dem mütterlichen Kreislaufe ausgeschieden, um in der Placenta in einer zum Nach- weise genügenden Menge überzugehen, während er subcutan und in den Magen eingeführt im Fötusharn nachgewiesen wurde. A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 215 Wenn man aber bedenkt, dass die auf die eine oder andere Art injicirten Substanzen lange genug im mütterlichen Körper ver- weilen, um z. B. beim Kaninchen in einer Viertelstunde einen und denselben Theil leicht über hundertmal die Uteringefässe passiren zu lassen, so wird man die negativen Ergebnisse eher ungenügender Ausführung der chemischen Prüfung und zu früher Öffnung der Bauchhöhle zuschreiben dürfen, als der vermeintlich zu schnellen Ausscheidung aus dem Kreislauf der Mutter. Trotz des lebhaften osmotischen Verkehrs zwischen mütter- lichem und fötalem Placentablut ist die Dauer des Übergangs bis zur Nachweisbarkeit im Fötus ausserordentlich verschieden, schon weil die Difiusionszeit mit der Concentration des Blutplasma beiderseits variirt, abgesehen von Verschiedenheiten des osmoti- schen Äquivalents und Ungleichheiten des Zottenepithels. Einen Beweis für den Übergang geformter Gebilde würde die intrauterine Vaccination liefern. Zwar ist für den Menschen die Frage praktisch entschieden, da durch Impfung der Schwangeren das Kind gegen Vaccine und Variola nur in seltenen Fällen im- mun wird^ da aber das Variolagift von der Mutter auf den [192 Fötus übergehen kann und Fehlimpfungen bei kleinen Kindern [449 vorkommen, deren Mütter erfolgreich vor ihrer Entbindung geimpft worden waren, so ist die intrauterine Impfung, welche Bollinger und Underhill sogar empfahlen, und damit der Übergang geformter Elemente, bewiesen. „Rickert impfte eine Heerde von ca. 700 träch- tigen Mutterschafen während der sechs letzten Wochen der Träch- tigkeit mit Ovine. Die Lämmer dieser Schafe wurden in einem Alter von 4 bis 6 Wochen mit guter Schafpockenlymphe geimpft; bei keinem von ihnen wurde auch nur eine einzige Impfpocke hervorgebracht, während 86 gleichzeitig geimpfte Control-Lämmer die schönsten Pusteln zeigten. In gleicher Weise constatirte Roloff, dass Lämmer, die einige Wochen nach der Impfung ihrer Mütter geboren wurden, von den in der Heerde herrschenden natürlichen Pocken unberührt blieben." Eine im achten Monate schwangere Frau wurde mit gutem Erfolge revaccinirt, das Kind derselben im dritten und vierten Lebensmonat aber mit frischer Lymphe ohne Eesultat geimpft (A. E. Bnrckliardt). [192 Eine im neunten Monate Schwr.ngere wurde von Teilegen (1839 in [450 Groeningen) geimpft. Die Kuhpocken nahmen den natürlichen Verlauf. Nach drei Wochen gebar sie ein ausgetragenes Kind, welches etwa 40 kleine Pocken hatte, so gross, wie Pocken am zweiten Tage der Eruption zu sein pflegen. An den folgenden Tagen kamen neue Pocken hinzu. Als die Mutter dieses Kindes geimpft wurde, war ihr nicht geimpfter Ehemann heftig an 216 Die embryonale Ernährung. Varioloiden erkrankt. Trotzdem wurde sie nicht, sondern nur der Fötus in ihr inficirt, nachdem sie geimpft worden : ein Beweis für den Übergang des Virus durch die Wandungen der fötalen Capillaren der Placenta. Das Kind wurde im folgenden Jahre ohne Erfolg geimpft. Underhill vaccinirte eine im achten Monat Schwangere und erhielt gut ausgebildete Schutzpocken. Nach sechs Wochen erfolgte die Entbindung [449 und das Kind wurde nach drei und nach vier Monaten sorgfältig mit frischer Lymphe ohne Erfolg geimpft. In diesem Falle musste das Virus nach Impfung der Mutter von dieser in den Fötus übergehen und ihn geradeso wie einen beliebigen Theil des mütterlichen Körpers gegen Vaccine immun machen. In der That sprechen ausser diesen noch einige wenige Yer- suche zu Gunsten der Möglichkeit, die Frucht im Uterus durch Impfung der Mutter, ja schon durch Injection humanisirter Lymphe unter die Haut derselben, mitzuimpfen, aber der Erfolg lässt sich in keinem Falle vorhersagen. Die vorhandenen Erfahrungen be- weisen nur die Thatsache, dass die Placentarzotten den Übergang sehr kleiner ungelöster Theile gestatten. Auch spricht für einen solchen Übergang ein Versuch von Reitz, welcher einem trächtigen Kaninchen zweimal Zinnober [216 in das Blut injicirte und dann nicht allein in den Muskelfasern des Uterus und in der Placenta Zinnoberpartikelchen auffand, sondern auch im Blutgerinnsel aus dem Herzen des Embryo. Es ist aber noch nicht sicher, ob diese Partikel wirklich Zinnober- körnchen waren. Auch fragt es sich, ob Partikel durch Über- wanderung von farblosen Blutkörpern aufgenommen werden können oder frei in das fötale Blutplasma gelangen. Die Wahrscheinlich- keit, dass mittelst der Überwanderung von Leukocyten von der Mutter in die fötale Placenta Körnchen übergehen, indem sie vorher vom Protoplasma jener aufgenommen waren, ist uur [se bestreitbar. Übrigens ist der Versuch von Reitz nicht bestätigt worden. Fehhng und andere erhielten nur negative Resultate. [334, 539 Jedenfalls muss bei allen derartigen Untersuchungen die specielle Beschaffenheit der übertragbaren oder nicht übertrag- baren geformten Elemente genau festgestellt werden. Milzbrand- bacillen gehen nach Straus und Chamberland (1883) ebenso [375 wie septische Vibrionen von der Mutter auf den Fötus über, aber nicht constant. Bollinger hatte den Übergang jener (1876) [337 geleugnet und Davaine (1864) zwar in der mütterlichen Placenta die Milzbrandbakteridien massenhaft gefunden, nicht aber im Fötus. Das syphilitische Virus geht nach Kassowitz gar nicht über, auch nicht vom lotus auf die Mutter. Recurrens - Spirillen dagegen sehen von der Mutter auf den reifen und 7 - monatlichen Fötus A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 217 über, wie Spitz und Albrecht fanden, ebenso das Variola-Contagium (da bei Variola der Mutter in einzelnen Fällen Kinder mit Pocken- eruptionen zur Welt kamen). Man muss also für jeden ein- [33i zelnen Infectionsstoif die Durchgängigkeit besonders feststellen und nicht ausser Acht lassen, dass selbst nach Feststellung der Mög- lichkeit des' Übertrittes die Wahrscheinlichkeit desselben im All- gemeinen keine grosse ist, weil die Infection der Frucht sonst viel häufiger vorkommen müsste. Behms Versuche über intrauterine Vaccination an 33 Schwangeren ergaben nur 2 erfolglose Impfungen der 33 Kinder, d. h. nur zweimal einen Übergang des Virus der Vaccine auf den Fötus, wobei zu bedenken ist, dass auch die zwei erfolglosen Impfungen nicht streng beweisen. Denn die Möglich- keit mangelhafter Technik beim Impfen kann nicht ganz aus- geschlossen werden. Demnach ist zwar, wie Behm hervorhebt, die intrauterine Vaccination beim Menschen möglich, aber selten und besonders im Hinblick auf die ungemein sorgfältigen Experimente von [449 Gast, der 16 Schwangere und deren 16 Kinder mit Erfolg impfte, so unsicher (im Gegensatz zur intrauterinen Vaccination bei Schafen), dass für die Praxis zunächst davon abzusehen sein wird. Schaf- Placenten verhalten sich in dieser Hinsicht ganz anders als Menschen-Placenten , aus welchem Grunde ist noch unbekannt. Den besten Beweis für die Unsicherheit der sogenannten in- trauterinen Vaccination beim Menschen liefern die Fälle von Zwilhngsgeburten pockenkranker Mütter, bei denen das eine Kind pockenkrank, das andere vollkommen gesund war. Dabei ist be- obachtet, dass beide Früchte lebten, beide todt waren und auch eines gesund und lebend, das andere todt und mit Pusteln be- deckt war. — Es existiren ausser den hier erwähnten noch viele Angaben über den Übergang ungelöster Stoffe aus dem Blute der Mutter in das des Fötus in der Placenta. Die meisten sind aber [33i negativ und unsicher. [06 Am wahrscheinlichsten ist gegenwärtig der Übergang des Scharlachgiftes, der Masern- und Intermittens-Mikrobien, so- [46i wie der Tuberkelbacillen. Es steht zu erwarten, dass sowohl das Malariagift, als auch die Koch'schen Bacillen (welch letztere von Demme in Säuglingen von nur drei Wochen gefunden wurden) in todtgeborenen Kindern intermittenskranker und tuberkulöser Mütter nachgewiesen werden, wie es bei den Eecurrens- [331 Spirillen bereits glückte. Bei künftigen Untersuchungen dieses [375 218 ^ie embryonale Ernährung. durch Thierexperimente nicht sehr schwer zu bearbeitenden Gegen- standes wäre bezüglich des Übergangs von festen Partikeln, z. B. Zinnoberkörnchen, aber auch Infectionsstoffen, namentlich eine sorgfältige Untersuchung der Leukocyten im Nabelvenenblut vor- zunehmen. Denn diese können, wie ich (1864) entdeckte, leicht auch bei höheren Thieren solche Partikel aufnehmen und, wie von Recklinghausen fand, weithin transportiren. Der Übergang von Stoffen aus dem Fötus in die Mutter. Durch die stetige Massenzunahme des Pötus im Uterus während der Schwangerschaft ist bewiesen, dass in gleichen Zeiten mehr Stoffe aus der Mutter in die Frucht übergehen, als aus dieser in jene. Frühere Autoren haben sogar gemeint, es gehe gar nichts vom Fötus in die Mutter über; andere widersprachen. Besonders Alexander Harvey und M'Gillivray betonten, dass in der Pia- [87 centa eine Diffusion in beiden Richtungen stattfinden müsse. Weil der Fötus Eigenschaften des Vaters entwickelt, müsse er vermöge jener matripetalen Strömung (wie ich sie nannte) die Constitution der Mutter modificiren können, so dass diese bei späteren Ge- [342 burten Junge zur Welt bringt, welche dem Vater der ersten ähneln, auch wenn mehrere ganz verschiedene Väter auf diesen folgten. In der That ist solches bei Pferden beobachtet worden. Doch haben frühere Versuche, namentlich Injectionen starker Gifte in die Nabelgefässe gegen die Placenta hin, keine Wirkungen auf die Mutter ausgeübt, wie Magendie behauptet; und wenn [34,2 manche meinten, dass excrementelle Stoffe des Fötus in der [354 Placenta zur Ausscheidung kommen müssen, sei es durch eine elective Function des Gewebes derselben, sei es diffusiv, so wies doch Niemand solche Substanzen nach. Die Annahme, dass fremde einmal dem mütterlichen Organismus einverleibte leicht diffun- dirende Stoffe zuerst in den Fötus und dann wieder von diesem zurück in die Mutter gelangen, ist nur dann zulässig, wenn [334 sie nicht im fötalen Organismus zersetzt, nicht mit dem Harn in das J'ruchtwasser ausgeschieden werden, wo sie bleiben könnten, und im Mutterblute in geringerer Menge vorhanden sind. Der Übergang fremder Stoffe aus der fötalen Placenta in die Mutter blieb also fraghcli. Erst Savory hat durch einige merk- würdige Experimente gezeigt, dass ein solcher Übergang statt- finden kann. A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 219 Er injicirte Stiychninacetat in den Fötus einer Hündin nach Bloslegung desselben, so dass er nur noch durch den Nabelstrang mit der Mutter zu- sammenhing. Der Fötus verfiel in Tetanus. Einem zweiten Fötus desselben Thieres wurde nach Bloslegung, nicht aber Extraction, ebenso Ötrychnin injicirt. Beide Früchte wurden dann reponirt und die Bauchhöhle zugenäht. Neun Minuten nach der ersten Injection verfiel die Mutter in Tetanus und war 28 Minuten nach derselben todt; 5 Min. später wurden vier Früchte ex- trahirt, und zwar waren die zwei vergifteten todt, die beiden andern lebten. Bei einem anderen Versuche injicirte Savory aus einer Katze excidirten lebenden Embryonen nach der Abnabelung Strychninlösung und brachte sie dann im tetanischen Zustande in die Bauchhöhle einer anderen Katze. Binnen 20 Min. trat, wie zu erwarten war, keine Vergiftung ein. Wenn die Circu- lation im Fötus aufgehoben ist, geht von ihm, wie vom todten Fötus, die Substanz nicht in das mütterliche Blut über. Eine andere Katze zeigte erst nach mehr als 10 Min. nach Einspritzung der Strychninlösung -in zwei Früchte, die mit Erhaltung des Placentarkreislaufs herausgenommen und dann reponirt worden waren, leichte Spasmen, war aber nach 17 Min. todt, während d|e beiden Jungen noch lange lebten und fortfuhren, spastische Bewegungen zu machen. Die beiden anderen Früchte waren nicht afficirt. Bei einem hochträchtigen Kaninchen löste ferner Savory sechs Früchte so ab, dass sie nur noch mittelst der Nabelschnur mit der Mutter zusammen- hingen und spritzte jedem Strychnin in die Bauchhöhle. Alle sechs machten sogleich tetanische Bewegungen, überlebten aber alle die Mutter, welche nach 15 Min. in Krämpfe verfiel und nach weiteren 3 bis 4 Min. starr starb. Ähnlich verhielt sich eine Hündin, welche 30 Min. nach Injection eines Grm. Strychnin in der essigsauren Lösung in einen Fötus und weitere Injectionen in noch vier Früchte Strychninspasmen zeigte. Immer war die Empfindlichkeit der Früchte gegen Strychnin geringer, als die der Mutter. Eine Bestätigung erhielten diese wichtigen Experimente Savory's vom J. 1858 durch Gussero w, welcher an 24 trächtigen Kanin- [i9 chen, 7 Hündinnen und 5 Katzen ebenfalls mit Strychnin ganz ähnliche Resultate erhielt, und zwar nach einem vervollkommneten Verfahren, indem er die Embryonen nicht ganz freilegte, sondern mittelst der Pravaz'schen Spritze die Strychninlösung in eine kleine freigelegte Hautstelle derselben injicirte, welche sogleich mit einer kleinen Arterienklammer geschlossen wurde. Je weiter entwickelt die Früchte waren, um so leichter gelang es, den übertritt des Giftes aus ihnen in das Mutterthier zu erzielen. Blieben die Jungen nach der Injection von 0,025 oder 0,05 Grm. Strychnin am Leben und durch die Placenta mit dem Mutterthier im Zu- sammenhang, so traten bei dieser allemal Krämpfe ein: einmal 11 Min. nach der Injection von je 0,5 Strychnin in drei Früchte, einmal 14 Min. nach Injection von 0,5 in einen Fötus. In allen übrigen Fällen traten die ersten Erscheinungen gesteigerter Reflex- 220 Die embryonale Ernährung. erregbarkeit bei dem Mutterthiere frühestens 20 bis 21 Min. nach der lüjection in den Fötus ein, einmal erst nach 36 Min., um dann in Strychninkrämpfe überzugehen. Diese führten meistens nach 30 bis 47 Min. zum Tode. Mit Eecht schliesst Grusserow: Da die dem Fötus injicirte Dosis Strychnin, einem ausgewachsenen Organismus direct bei- gebracht, in 3 bis 5 Min. die heftigsten Krämpfe mit tödtlichem Ausgange jedesmal herbeiführt, so ist durch obige Experimente, wie durch die Savory's, bewiesen, dass vom Fötus zur Mutter Stoffe übergehen können. Es besteht also unzweifelhaft fort- dauernd ein Übergang in dieser Richtung, der aber nur langsam und allmählich stattfindet. Ich habe gleichfalls den Übergang von einzelnen leicht dififun- direnden Stoffen vom Fötus in die Mutter experimentell nach- gewiesen und gefunden, dass die für den Übergang erforderliche Zeit, bald sehr viel kürzer, bald sehr viel länger sein kann, als man für den in entgegengesetzter Richtung stattfindenden anzu- nehmen pflegt. Einige von meinen Versuchen mögen als Belege dienen. Am 31. Juli 1882 wurde im 0,6-procentigen Kochsalzbade von 38" bei einem hochträchtigen Meerschweinchen durch einen Bauch- und Uterus- Einschnitt ein Vorderbein eines Fötus unter Wasser freigelegt und sogleich zwei Zehntel Cubiccentimeter einer zwölfprocentigen Blausäurelösung in dieses Bein mittelst einer sehr genau schliessenden und calibrirten Spritze injicirt. Darauf Reposition des Beines. Nach zwei Min. hatte das Mutterthier Krämpfe, Dyspnoe, Asphyxie, und war nach vier Min. respirationslos. Der sogleich excidirte vergiftete Fötus war ebenfalls todt. Einen zweiten gelang es noch lebend zu extrahiren. Hierauf prüfte ich das Herzblut der Mutter auf Blausäure und erhielt durch Destillation desselben mit verdünnter Schwefelsäure deutliche Bläuung des Guayak-Kupfervitrol-Gemisches in der Vorlage. Auch [452, //, i2i entwickelte sich aus diesem Blute nach Zusatz von WasserstoflFperoxyd kein Sauerstoff. Es war also binnen wenigen Minuten Cyanwasserstoff vom Fötus durch die Nabelarterien, die fötalen Capillaren und das mütterliche Blut der Placenta in das Hefz und die Gefässe des übrigen mütterlichen Körpers ge- langt. Die Menge der Blausäure, welche eingespritzt wurde, betrug 0,024 Grm. Weitaus der grösste Theil dieser Dosis musste im Fötus zurückbleiben, da dieser selbst nach wenigen Minuten reactionslos war (obgleich von ungewöhn- licher Grösse und fast reif), also nur eine kleine (jriftmenge in die Placenta befördern konnte. Diese war genügend, das Mutterthier zu tödten. Am folgenden Tage Wiederholung desselben Versuchs in der Luft. Genau 1 '/^ Min. nach Injection von 0,2 Cc. der 12-procentigf'n J^lausäure- löHung in den Fötus begannen die Convulsionen der Mutter. Das Blut des Fötus war htillkirscliroth, das der Mutter dunkelvenös. Krstercs roch deut- licli nach Uyanwaaserstott". A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 221 Auch mit wässriger Nicotinlösung habe ich den Meerschwein- chenfötiis im Uterus vergiftet und bemerkt, dass er nach 1 ^/^ Min. gerade wie die ausgewachsenen Thiere in klonische Krämpfe {in situ im Uterus) verfiel, namentlich die Vorderbeine pendelnd auf und ab bewegte und stark zitterte. Besonders beim Freilegen wurden in zwei Fällen diese Erscheinungen deutlich. Die Nabel- vene blieb dabei hellroth. Das Mutterthier zeigte jedoch bei diesen Nicotiuvergiftungen des Fötus einmal zwar nach 2 Minuten, ein anderes Mal aber erst sehr spät, und beidesfalls wenig aus- gesprochen, die Dyspnoe und das Zittern, so dass man deutlich die grosse Verschiedenheit zwischen Blausäure und Nicotin be- züglich der Geschwindigkeit ihres Durchgangs durch die Placenta hieraus erkennt. Selbst nach Injection eines halben Cubiccenti- meters einer etwa öOprocentigen Nicotinlösung in die fötale Placenta zeigte das Mutterthier erst nach mehr als 10 Minuten geringe Vergiftungssymptome und starb nicht durch die Vergiftung. Ich wählte daher zu weiteren Versuchen das leicht diffundirende Curarjyn, welches ich mir aus Curare darstellte, indem ich dieses mit 99,5-procentigem Alkohol extrahirte, den filtrirten Auszug mit Athyläther fällte und den ab- filtrirten Niederschlag in destillirtem Wasser löste. Die Lösung ward (am 3. Aug. 1882) so verdünnt, dass zwar ein Frosch nach subcutaner Injection von 0,8 Cc. derselben nach II/4 Minute bewegungslos wurde, nach sub- cutaner Injection derselben Menge aber bei einem männlichen Meerschwein- chen dieses erst nach 10 Minuten total gelähmt und nach einer Viertelstunde todt war. Dieselbe Menge in einen Fötus eines hochträchtigen Meerschweinchens eingespritzt bewirkte erst nach 52 Minuten beginnende Muskelschwäche und nach 80 Minuten totale Lähmung. Dann extrahirte ich drei lebende, noch un- reife Früchte, von denen jedoch zwei bald asphyktisch zu Grunde gingen, nach kräftigen Inspirationsversuchen. Die dritte war sehr beweglich. Aber auch die beiden andern hatten noch nach der Lähmung der Mutter sich intrauterin lebhaft bewegt. In diesem Falle hatte also das Gift vom Fötus aus die Mutter getödtet ohne den Fötus selbst, der vor der Keife gegen Curarin wenig empfindlich ist, erheblich zu schädigen. Die Früchte hatten nur von der Abnahme der Sauerstofizufuhr wegen der herab- gesetzten Athmung der Mutter zu leiden, wie aus der sehr dunkeln Farbe der Placenten und Uteringefässe zu ersehen war. Da die vei'zögerte Resorption durch die Verdünnung der Lösung bedingt sein konnte, so bereitete ich eine concentrirtere Lösung des ebenso von mir selbst dargestellten Cuiarins. Von dieser genügte 0,5 Cc, um einen grossen Frosch 2-^/4 Min. nach der subcutanen Injection total zu lähmen, und ein erwachsenes männliches Meerschweinchen war 4 1/4, Min. nach der subcutanen 222 Die embryonale Ernährung. Einspritzung von 0,4 Cc. bewegungslos und dann todt. Als ich aber (am 4. Aug. 1882) 0,4 Cc. dieser Lösung in ein freigelegtes Bein eines Fötus eines hoch trächtigen Thiei-es 11 Uhr 40 Min. injicirte, worauf die Wunde wieder zugenäht wurde, zeigten sich um 4 Uhr (also nach 4 1/3 Stunden) gar keine Lähmungserscheinungen. Ich injicirte daher einem anderen Fötus desselben Meerschweinchens 0,8 Cc. derselben Lösung um 4 Uhr 0 Min. und um 4 Uhr 5 Min. einem dritten Fötus desselben Thieres ebenfalls 0,8 Cc. Bis 4 Uhr 29 Min. blieb es unverändert, senkte dann den Kopf und war nach wenigen Minuten gelähmt. Jetzt extrahirte ich vier unreife Früchte: eine war todt, bei zweien schlug zwar das Herz noch, sie bewegten sich aber nicht, die vierte unberührte war lebhaft, schrie und war offenbar gar nicht von der Vergiftung der drei anderen und der Mutter betroffen. Für die Geschwindigkeit der Resorption durch die Placenta in der Richtung vom Eötus zur Mutter ist also die Menge und die Concentratiou wesentlich. Da sich aber gegen diese Schlussfolgerung der Einwand er- hebt, dass trächtige oder weibliche Thiere überhaupt gegen Curariu weniger empfindlich sein könnten, als männliche, so habe ich noch Control -Versuche angestellt. Eine und dieselbe (wie beschrieben dargestellte) Curariiilösuug diente zu folgenden subcutanen Lijectionen (am 5. Aug. 1882). 1) Ein erwachsenes männliches Meerschweinchen erhielt subcutan 0,4 Cc. und war nach 8 Minuten total gelähmt. 2) Ein trächtiges Meerschweinchen erhielt subcutan 0,4 Cc. und war erst nach 12 Minuten ausser Stande, den Kopf erhoben zu halten. Nach 17 Minuten war es total bewegungslos. Mau erkannte aber bis 2 Minuten vorher Fruchtbewegungen. Hierauf excidirte ich drei Embryonen , deren Herzen noch länger als eine Stunde schlugen, obwohl sonst keine Bewegun- gen mehr ausgeführt wurden, 3) Einem anderen trächtigen Meerschweinchen wurde ein Fötus soweit blosgelegt als nöthig war, um ohne Verlust 0,4 Cc. in die Bauchhöhle zu injiciren. Er wurde dann reponirt und die Wunde zugenäht. Keine Wir- kung. Daher nach 32 Minuten Öffnung und abermalige Injection in den- selben Fötus, da ein zweiter sich nicht vorfand. Es wurde 0,8 Cc. eingespritzt und wieder die Wunde mit Suturen geschlossen. Gerade 30 Minuten später senkte das Mutterthier den Kopf und war nach weiteren 4 bis 5 Min. ge- lähmt. Ich excidirte den Fötus, in dessen Bauchhöhle sich noch ein Theil der Lösung vorfand. Das Herz schlug aber kräftig an der Luft. Der Fötus selbst war asphyktisch. 4J Ein nicht träclitigcs, etwas kleineres weibliches Meerschweinchen er- hielt hierauf subcutan 0,4 Cc. derselben Lösung. Nach 12 Minuten fiel es um und war nach 13 Minuten total gelähmt, daim sogleich respirationslos. Am '.). August injicirte ich subcutan von einer und derselben Curare- Lösung drei männlich(;n und drei weiblichen Meerscliweinchen gleiche Mengen in gleicher Weise; und notirte den Zeitjjunkt der Lähmung. Es ergab sich: A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 223 I. d" 465 Grm. 9 447 Grm. 0,08 Cc. total gelähmt 0,08 Cc. gelähmt nach 8 Min. nach 10 V^ Min. II. o^ 810 Grm. V 450 Grm. 0,15 Cc. gelähmt 0,15 Cc. Beginn der nach 5 Min. Lähmung nach 8 Min. total respirationslos nach 8V2 Min. gelähmt nach 11 Min. respirationslos nach 12 Min. III. o^ 715 Grm. $ 595 Grm. 0,30 Cc. gelähmt 0,30 Cc. gelähmt nach 21/4 Min. nach 2^U Min. Also ist nur bei sehr grosser Dosis der Zeitunterschied sehr klein und selbst da, weil das männliche Thier, wie in den anderen Fällen, schwerer als das weibliche war , die Eesistenz des letzteren gegen das Gift erheblich grösser. Aus diesen Experimenten folgt, dass der obige Einwand aller- dings berücksichtigt werden muss, denn ein und dieselbe tödtliche Dosis einer reinen Curarinlösung, nämlich 0,4 Cc, lähmte sub- cutan in ganz gleicher Weise applicirt das männliche Thier nach 8 Minuten „ weibliche nicht trächtige „ 13 „ „ trächtige j> 17 „ in den Fötus eines ebenso trächtigen Thieres injicirt überhaupt nicht. Es bedurfte einer Steigerung der Giftmenge, um vom Fötus aus nach 30 Minuten Lähmung hervorzurufen. Wenn sich diese Verschiedenheiten männlicher und weiblicher Individuen gegen- über denselben Giftmengen bestätigen — ich habe noch mehrere Versuche, welche dafür sprechen, angestellt — dann muss die Verzögerung der Wirkung nach Injection in den Fötus bei einigen Substanzen mit auf jene Immunität gegen kleine Mengen bezogen werden, sei es nun, dass überhaupt die motorischen Nervenenden in den Muskelfasern weiblicher Thiere gegen Curarin weniger empfindlich sind, wie es beim Fötus der Fall ist, sei es, dass die Abschwächung der Wirkung auf Kreislaufsverhältnisse zurück- führbar wäre. Ein fernerer Beweis für den Übergang eines Stoffes aus dem Blute des Fötus in den der Mutter wird durch das bereits (S. 138) erwähnte Dunkelwerden der Nabelvene bei Erstickung der Mutter geliefert, indem dann der fötale Sauerstoff übergeht. Endlich ist der Übergang von kohlensaurem Alkali aus dem fötalen Theile der Placenta in den mütterlichen Theil, obgleich 224 Die embryonale Ernährung. noch nicht experimentell nachgewiesen, als ein solcher Beweis anzusehen. Andernfalls müsste nämlich eine derartige Kohlen- säure-Anhäufung im Embryo stattfinden, dass er lange vor der Reife an einer Kohlensäure -Vergiftung zu Grunde ginge. Aus dem Vogelei geht die vom Embryo gebildete Kohlensäure in die Atmosphäre, aus dem Menschen- und Säugethier-Fötus kann die in seinen Geweben gebildete Kohlensäure nur durch die Nabelarterien in die Placenta entweichen, von wo das mütterliche Blut sie fort- schafft, und zum kleinen Theil vielleicht mit dem fötalen Harn in das Fruchtwasser gelangen. Da ohne Zweifel mit dem fortschreitenden Wachsthum des Fötus diese Kohlensäure nebst anderen Producten des embryonalen Stoffwechsels zunehmen muss, so wird von Woche zu Woche die Blutbeschaffenheit im kindlichen Körper eine andere, der des Geborenen immer mehr ähnelnde, und es ist eine Eückwirkung dieser veränderten Blutbeschaffenheit des Fötus auf die Mutter nicht allein möglich, sondern auch sehr wahrscheinlich. Nur lässt sich über die Art dieser Rückwirkung zur Zeit etwas bestimmtes nicht angeben. Die geistreiche Hypothese von C. Hasse über [462 die Erregung der Uterusnerven durch jene reichlicher übergehenden Kohlensäuremengen entbehrt noch allzusehr thatsächlicher Grund- lagen. Er meint, der rechtzeitige Eintritt der Geburtsthätigkeit sei abhängig von einem betimmten Gehalte des in die fötale Placenta strömenden Blutes an Stoffen der regressiven Metamor- phose, vor allem an Kohlensäure. Die nervösen Centralapparate der Uterusmusculatur sollen beim Menschen zu Ende des zehnten Fruchtmonats durch das immer kohlensäurereicher gewordene fötale Blut , welches immer mehr Stoffwechselproducte an das mütterliche abgebe, so verändert werden, dass Erregungen der motorischen Uterusnerven und dadurch Wehen eintreten. Man sieht keinen Grund, weshalb gerade zu Ende des zehnten Monats (zur Zeit der zehnten Menstruationsepoche seit der Befruchtung) jene Wirkung sich geltend machen soll, und woher die Uterus- contractionen bei Fehlgeburten kommen, sagt die Hypothese nicht. Durch die obigen Experimente von Savory, Gusserow und mir ist die Möglichkeit des Überganges verschiedener Stoffe aus dem Blute des Fötus in das der Mutter mit Sicherheit dargethan. Es kann also die Wirklichkeit einer permanenten Diffusion in matripetaler Richtung nicht mehr bestritten werden. Die in der Placenta vorhandenen Bedingungen sind, wie namentlich Turner A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 225 durch vergleichende Untersuchung vieler Placenten gezeigt hat, in der That derartig, dass ein solcher Übergang von Bestand- theilen des fötalen Blutplasma nothwendig erscheint. Damit ge- winnt die Anschauung neuen Boden, dass eine physische Beein- flussung der Mutter durch den Yater schon nach einer einzigen fruchtbaren Begattung stattfinde. Die Erfahrungen der Thier- züchter werden dadurch dem Yerständniss etwas näher gerückt; ebenso die Thatsache, dass die Frau durch den Mann (nach wiederholten Schwangerschaften) in ihrer physischen Constitution dauernd verändert wird. Doch gehören Betrachtungen über die Art, wie diese Einflüsse wirken, nicht in die Physiologie des Embryo. Eine andere Frage hingegen steht in enger Beziehung zu den obigen Experimentaluntersuchungen. Können Bestandtheile des Fruchtwassers in den mütterlichen Organismus übergehen, ohne vorher den Fötus zu passiren? Ehe es bekannt war, dass in den späteren Stadien der fötalen Entwicklung ein Übergang von indigschwefelsaurem Natrium und von Jodkalium aus dem Blute der Mutter in das Fruchtwasser und nicht in den Fötus stattfinden kann, konnte die Annahme, es gehe aus dem mütterlichen Blute nichts direct in das Amnios- wasser über, berechtigt erscheinen. Nachdem aber von Zuntz, Wiener und Gr. Krukenberg jene Annahme widerlegt ist, muss zugegeben werden, dass auf demselben Wege, auf dem eine Sub- stanz in das Fruchtwasser hineingelangt, eine Substanz aus dem- selben hinaus in das mütterliche Blut gelangen kann. Die experimentelle Entscheidung der Frage hat bis jetzt nur Gusserow versucht und er kam zu einem negativen Resultat, indem er aus zehn Versuchen folgert, dass der Übergang von Stoffen aus dem Fruchtwasser zum mütterlichen Blute fast Null sei. Prüft man jedoch die einzelnen Versuche genau, so kommt man zu einem anderen Ergebniss, wie ich im Folgenden zeigen will. Die Beschreibungen der Versuche I, VI und X lauten: I. Bei einem Kaninchen mit fast i'eifen Jungen wird in eine Amnion- höhle 0,025 Strychnin eingespritzt. Nach einer Viertelstunde treten bei dem Mutterthiere Strychninkrämpfe auf. Das Junge des betreffenden Eies lebte noch. VI. Hochträchtige Katze. In eine Eihöhle wurden 0,05 Strychnin in- jicirt. 20 Minuten darnach traten leichte Strychninkrämpfe bei der Mutter auf. Der betreffende Fötus lebte noch. X. Bei einer Hüpdin am Ende der Schwangerschaft wurde in eine Ei- blase ebenfalls 0,05 Strychnin injicirt. Der Fötus blieb am Leben. Schon nach 15 Minuten begann beim Mutterthier deutliche Erhöhung der Reflex- Preyer, Physiologie des Embryo. 15 226 I^iß embryonale Ernährung. erregbarkeit, der nach weiteren 5 Min. Krämpfe folgten. Als das Ei geöffaet wurde, lebte der Fötus noch. Diesen drei Versuchen zufolge ist der Übergang von Stoffen aus dem Fruchtwasser in das mütterliche Blut beim Kaninchen, beim Hunde und bei der Katze durchaus nicht „fast Null". Ihnen stehen nun sieben negative Experimente gegenüber, Yon diesen müssen aber zwei gestrichen werden, weil dabei Chloroform an- gewendet wurde, welches bekanntermaassen die Wirkungen des Strychnins erheblich abschwächt und sogar während einer tiefen Narkose garnicht in die Erscheinung treten lässt. Ich habe mich durch mehrere Yersuche an erwachsenen Thieren davon überzeugt. Wenn also in den Yersuchen YI und X trotz des Chloroforms die Strychninwirkung auftrat, wenn auch abgeschwächt, so sprechen beide a fortiore zu Gunsten des Überganges und die Yersuche III und lY nicht dagegen. Somit bleiben noch fünf negative Yersuche an nicht chloroformirten Kaninchen. Bei II wurden nur 0,037 Strychnin injicirt und nach 35 Min. keine Wir- kung beobachtet. Bei Y wurden in zwei Eier je 0,025 Strychnin eingespritzt und nach 45 Min. keine Wirkung wahrgenommen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in diesen Fällen die geringere Quan- tität des Giftes an dem Ausbleiben der Krämpfe nach Injection in das Fruchtwasser schuld ist. Schliesslich bleiben also nur drei negative Yersuche: YII, YIII und IX. Bei YII und IX waren die Embryonen noch sehr klein, die zur Resorption taugliche Ober- fläche also ebenfalls klein, sodass das Ausbleiben der Wirkung des Strychnins auf das Mutterthier nach 45 Min. im einen, nach 30 Min. im anderen Falle nicht auffallend erscheint, zumal wenn die Eihäute anfangs weniger permeabel sind als später. Bei YIII war aber das Kaninchen dem Ende der Gravidität nahe. ,,In eine Fruchtblase wurden 0,05 Strychnin injicirt. Der Embryo lebte nur wenige Minuten. Nach 40 Min. noch gar keine Einwirkung auf die Mutter bemerklich. Sobald das Fruchtwasser des betreffenden Eies in die Bauchhöhle des Mutterthieres gebracht war, bekam dasselbe nach 3 Min. tödtliche Krämpfe." Bedenkt man, wie complicirt die zum Gelingen erforderlichen YersuchsbedinguDgen sind, dass bei einem anderen Yersuche von Gusserow das in den Fötus selbst injicirte Strychnin erst nach 36 Minuten, bei meinen Yersuchen das leicht diffundirende Curarin vom Fötus aus erst nach 52 Minuten (S. 221) auf die Mutter sichtbar zu wirken begann, so wird man diesen einen negativen Yersuch den drei positiven gegenüber nicht für beweiskräftig ansehen dürfen. Dass A. Bedingungen der Ernährung des Embryo. 227 überhaupt in den sieben negativen Versuchen die Früchte früh ab- starben, kann durch „die Einwirkung der sauren Flüssigkeit auf die Körperoberfläche" bedingt sein. Dann wird aber dieselbe auch die resorbirenden Stellen functionsunfähig gemacht haben können, zu- mal das Fruchtwasser etwas getrübt war. Das Wenige, was bis jetzt über die Möglichkeit des Über- ganges von Bestandtheilen des Amnioswassers in das mütterliche Blut bekannt ist, spricht jedenfalls viel mehr zu Gunsten der- selben, als dagegen. Denn die drei positiven Versuche von Grus- serow würden, wenn ein solcher Übergang nicht stattfindet, die Annahme erforden, dass das injicirte Grift, ehe es in die Mutter gelangte, mit Fruchtwasser vom Fötus verschluckt worden wäre. Diese Annahme setzt aber eine so schnelle Kesorption vom Magen aus beim Fötus voraus, einen so schnellen Transport letaler Strychninmengen durch die Nabelarterien in die fötale Placenta und einen so rapiden Übergang von dieser in die mütterliche Placenta, dass sie nicht zulässig erscheint, bis weitere Versuche vorliegen. Es kann nicht als unwahrscheinlich bezeichnet werden, dass einzelne Producte des fötalen Stoffwechsels, welche mit dem fötalen Harn in das Fruchtwasser gelangen, von da aus in kleinen Mengen und langsam in das mütterliche Blut, wenn auch auf Umwegen, übertreten, z. B. Allantoin, welches im Harne Schwangerer von Gusserow nachgewiesen wurde. Inwiefern freilich ein solcher Übertritt von Excreten des Fötus in die Säfte des mütterlichen Organismus für den Stoffwechsel des ersteren förderlich oder noth- wendig sei, lässt sich noch nicht absehen. Einstweilen muss die MögHchkeit auch eines solchen Überganges offengehalten werden. Fasse ich das allgemeine für die embryonale Ernährung wich- tigste Endresultat der auf den Übergang von Stoffen aus dem Blute der Mutter in den Fötus nebst seinem Fruchtwasser und um- gekehrt bezüglichen Versuche zusammen, so ergibt sich als sicher: 1) dass viele leicht diffundirende gelöste Stoffe aus dem Blute in den Sinus des mütterlichen Theiles der Placenta in das Blut der Zottencapillaren des fötalen Theiles derselben übergehen können; 2) dass Sauerstoff thatsächlich von dem Hämoglobin der mütterlichen Blutkörper in der Placenta an das Hämoglobin der fötalen Blutkörper in den Zottencapillaren abgegeben wird, so lange er in genügenden Mengen vorhanden ist (S. 137); 3) dass einzelne gelöste Stoffe (wie das indigschwefelsaure Na- trium und Jodkalium) vom mütterlichen Blute dii-ect an das Frucht- wasser abgegeben werden können, ohne in dasFötusblut überzugehen ; 15* 228 Die embryonale Ernährung. 4) dass leiclit diffundirende gelöste Stoffe aus dem Blute der Zottencapillaren in das Blut der Sinus des mütterlichen Theiles der Placenta reichlich übergehen können; 5) dass Sauerstoff thatsächlich von dem Hämoglobin der fötalen Blutkörper in der Placenta an das Hämoglobin der mütter- lichen Blutkörper daselbst übergeht, wenn in letzteren nur ein Minimum oder kein Sauerstoff enthalten ist; 6) dass einzelne gelöste Stoffe aus dem Fruchtwasser wahrschein- lich in geringen Mengen in das mütterliche Blut übergehen können ; 7) dass geformte Elemente wahrscheinlich in völlig unver- sehrten (normalen) Placenten nur dann übergehen können, wenn sie ausserordentlich klein sind und auch dann nicht regelmässig ein Übergang stattfindet, sondern nur unter gewissen, theils durch die Organisation (bei Schafen) gegebenen, theils anomalen Be- dingungen (bei gesteigertem Blutdruck? u. a.) oder vermittelst überwandernder Leukocyten; 8) dass geformte Elemente vom Fötus an das mütterliche Blut in der Placenta nicht nachweislich abgegeben werden, ein solcher Übergang aber möglich ist. Die in der Säugethierplacenta stattfindenden für die Ernährung des Fötus fundamentalen Diffusionsvorgänge können solange nicht physiologisch mit Erfolg discutirt werden, bis über den feineren Bau der Placenta mehr zweifelfrei erkannt ist. Da man zur Zeit [476 nicht einmal sicher weiss, ob die diffandirenden Substanzen vom Plasma des mütterlichen Blutes direct durch das Zottenepithel in das Plasma des fötalen Blutes in den Zottencapillaren übergehen oder erst eine structurlose Membran passiren müssen (bei der Placenta der Hündin haben alle Chorionzotten nach Jassinsky [456 eine doppelte Membrana propria und eine doppelte Epithelialdecke) und da die Betheiligung des Zottenepithels selbst an der chemi- schen Umänderung der diffundirenden Stoffe nooh unbekannt ist, auch die Beziehung der Zotten zu den Uterindrüsen und die Per- meabilität der Eihäute nicht gründlich untersucht wurde, so [473 lohnt es sich nicht, ül)er den Modus des Überganges von gelösten Stoffen und gefonnten Elementen aus dem mütterlichen Organismus in den fötalen und umgekehrt schon jetzt Hypothesen aufzustellen. Dass es sich dabei nicht um eine einfache Diosmose handelt, die Verhältnisse viel complicirter, als bei einer dialytischen Membran sind und als früher angenommen wurde, auch bei den Thier- und Menschen-Placenten sehr ungleich sein müssen, wird heute kein Physiologe bestreiten. [475 B. Der embryonale Stoffwechsel. Von den embryonalen Stoffwechselvorgängen ist bis jetzt keiner in zureichender Weise untersucht worden. Schon die nächstliegende Frage, welche chemischen Verbindungen im Ei, im Dotter, im Blutplasma der mütterlichen Placenta, in der TJterin- milch , im Fruchtwasser als Nährstoffe für den Embryo anzusehen sind, also die Frage nach der chemischen Beschaffenheit der Nahrung des sich entwickelnden Thieres und Menschen vor der Geburt, ist höchst unvollständig und unbestimmt beantwortet. Trotz zahlreicher chemischer Analysen des Nahrungsdotters der Fisch- und Yogel-Eier und vieler Einzeluntersuchungen des Inhaltes der Mollusken-, Insecten- und anderer Eier, trotz des Nachweises recht interessanter krystallinischer Stoffe in den Dotterplättchen (Ichthin, Ichthidin, Ichthulin, Emydin u. a.), die aber als chemische Individuen nicht gelten können, trotz des sehr allgemeinen Vorkommens von Lecithin, Vitellin, Nuclein, Lutein und anderen sehr complicirten theils phosphorhaltigen , theils schwefelhaltigen den Albuminen verwandten Stoffen im Ei, ist weder eine chemische Beziehung der isolirbaren Bestandtheile zum Embryo erkannt, noch auch zur Zeit angebbar, woraus die Nah- rung des Embryo — im chemischen Sinne — besteht. Dass sie Eiweiss, Fette, Kohlenhydrate, Salze und Wasser enthält, wie die Nahrung des Geborenen, ist ebenso gewiss, wie die Thatsache, dass im Nahrungsdotter jene Nährstoffgruppen zum Theil durch ganz andere Verbindungen repräsentirt sind, als in der post- embryonalen Nahrung und in ilim noch andere Verbindungen präexistiren, die der Milch und späteren Nahrung des Geborenen mangeln können. Einstweilen fehlt es an Methoden zur chemischen Untersuchung der Nahrung des Embryo, ohne sie durch die Ein- griffe, ja schon Gewinnung, zu zersetzen oder umzuwandeln. 230 Die embryonale Ernährung. Die sich daran anschliessende Aufgabe, den Mechanismus und Chemismus der Ernährung des Embryo klarzulegen, wurde noch kaum in Angriff genommen. Zwar steht fest, dass, was beim geborenen Säugethier die Hauptsache ausmacht, die Mundver- dauung, Magenverdauung und Darmverdauung beim Fötus theils ganz fortfällt, theils eine relativ untergeordnete Rolle spielt, so dass auch die Resorption vom Magen und Darm aus vor der Geburt beim Säugethier fast ganz fehlen kann, ohne die fötale Ernährung zu unterbrechen, aber wie diese letztere zu Stande kommt, ist sehr dunkel. Die in die Augen fallende Verschiedenheit der Ernährung ungeborener und erwachsener Organismen beruht auf der normaler- weise untrennbaren Verbindung von Ernährung und Massenwachs- thum beim Embryo, welche bei erreichtem physiologischem Gleich- gewichtszustand mit der Bilanz Null aufhört. Diese Thatsache beweist schon für sich allein, dass die assimilatorischen und ana- plastischen Processe, die Vorgänge der sogenannten progressiven Stoffmetamorphose, über die dissimilatorischen und kataplastischen Processe der regressiven Metamorphose sehr bedeutend überwiegen müssen. Es ist sogar fraglich, ob anfangs in den ersten Stadien der Embryogenesis die Dissimilation nicht ganz fehlt. Während der normalen Entwicklung aller Embryonen ist ein auch nur vorübergehender Gleichgewichtszustand — abgesehen von Unterbrechungen der Entwicklung — ebenso ausgeschlossen wie ein Rückgang, ein Überwiegen der Ausgaben des Embryo über seine Einnahmen, der z. B. beim Hungerzustande Geborener vorkommt. Der Embryo kann sich nur im Nahrungsüberfluss entwickeln, und doch kann in ihm keine oder nur eine minimale Luxus - Consumption normaler Weise stattfinden, weil seine Aus- gaben im Vergleiche zu den postnatalen sehr gering sind. Dieses eigenthümliche Verhältniss wird dadurch ermöglicht, dass die Nahrung ihm bereits zur Assimihrung zum Theil fertig, zum Theil fast fertig zugeführt wird. Indessen gewisse dem Verdauungsvorgange ähnliche Processe der Nahrungsmetamorphose müssen nothwendig in jedem Embryo stattfinden, weil jeder eine Menge von chemischen Verbindungen in seinen Geweben enthält, die dem Ei, aus welchem er sich ent- wickelte, fehlen. Solche specifisch embryonale Ernährungsvorgänge nehmen vor Allem das Interesse des Physiologen in Anspruch. Er wird daher namentlich den specifischen Ernährungsapparaten des Embryo und seiner Adnexen die Aufmerksamkeit zuzuwenden ß. Der embryonale Stoffwechsel. 231 haben, um über die Nahrung desselben und die Art ihrer Zufuhr zu ihm Aufschhiss zu erhalten. Ich habe bei Yergleichung der in der Literatur sehr zer- streuten Angaben über die Ernährungsweise verschiedenartiger Thierembryonen zwar nicht viele, aber doch einige Thatsachen von Belang gefunden, welche im Folgenden zusammengestellt sind und nebst eigenen Beobachtungen, die ich einschalte, als Material zu einer künftigen Darstellung des embryonalen Stoffwechsels dienen können. Die Ernährung der Embryonen wirbelloser Thiere. Wegen der Kleinheit der meisten Embryonen wirbelloser Thiere sind ihre Stoffwechselvorgänge schwer zu ermitteln. Doch hat wenigstens über eine Gruppe, die Cladoceren oder Büschel- krebse, Weismann eine inhaltreiche Untersuchung veröffentlicht, der ich die zunächst folgenden Angaben entnehme. Werden die Embryonen der Daphniden (Wasserflöhe) vor [210 ihrer völligen Reife und Chitinbekleidung aus dem, auf dem Rücken der Mutter befindlichen Brutraum, in Wasser gebracht, so sterben sie regelmässig ab, wie Lubbock bemerkte. Dieser Thatsache [210 reihte Weismann, welcher sie bestätigte, noch die andere au, dass, wenn man ein trächtiges Weibchen vom gewöhnlichen Wasserfloh {Daphnia pulex) unter sehr schwachem Druck des Deckgläschens beobachtet hat, das Thier in frisches Wasser zurückversetzt leben- dig '^fcleibt, die Embryonen aber im Brutraum fast regelmässig absterben. „Solche eingeklemmte Thiere suchen sich nämlich zu befreien und schlagen besonders mächtig mit dem Hinterleib auf und ab. Dabei aber öffnen sie jedesmal den Briitraum, und wenn dies oft hintereinander geschieht, so sterben die Eier ab." Beide Beobachtungen zeigen, dass die Flüssigkeit im Brut- raum kein Wasser ist. Weismann hat ihre Beschaffenheit, Her- kunft und Bedeutung untersucht, und ist zu dem interessanten Resultat gekommen, dass dieses Fluidam ein Nährwasser für die Embryonen in den Sommereiern ist, welches aus dem Blute stammt; denn bei einigen ist es ein placenta-artiger nur während der Trächtigkeit vorhandener Nährboden, der den Durchtritt des Blutplasma gestattet. Und zwar ist das Filtrat jedenfalls von grossem Nährwerth für den Embryo, weil derselbe im Verhältniss zum Ei und zur Mutter enorme Dimensionen erreicht. Er schwillt sogar derart an, dass er schliesslich die Eihaut sprengt. ; 232 I^ic embryonale Ernährung. Diejenigen Arten, welche wenig Deutoplasma (Dottermaterial) für ihre Embryonen disponibel haben, sind mehr auf diese directe Ernährung vom Blute aus eingerichtet, während die dotterreiche- ren Eier einer solchen Nahrungsquelle nicht in dem Grade bedürfen. Durch besondere Versuche stellt nun Weismann fest, dass die mittelst des Nährbodens dem Blute entzogene Nährflüssig- keit, welche er Fruchtwasser nennt, unter einem geringeren Drucke, als das Blut selbst steht, somit eine Eiltration aus diesem in den Brutraum hinein sehr wohl eintreten kann. Er constatirte nämlich im Innern des Nährbodens eine bedeutende Yerlang- samung oder Stauung des Blutstroms. Unterbrach er denselben, dann fiel der Nährboden zusammen, welcher von dem Gegendruck der Embryonen nicht comprimirt wird, also muss der Blutdruck höher sein, als der intrauterine Druck. Während der Embryo-Entwicklung wächst auch das Gewölbe des Nährbodens, welches, da der grösste Theil des cordipetal strömenden Blutes es passiren muss, als ein wahrer Blutsinus^ ein Kückensinus, zu bezeichnen ist. Das Nährwasser weicht in seinem chemischen Verhalten vom Blut ab. Es wird durch Osmiumsäure schneller als dieses gebräunt und scheint mehr Albumine zu enthalten. Daher wird der Nähr- boden als ein drüsiges Organ anzusehen sein. Übrigens verändert sich die Concentration des Nährwassers während der Embryo-Ent- wicklung erheblich. Eine möglichst gleichmässige Durchmischung desselben wird durch rhythmische , schaukelnde Bewegungen des Nährbodens erzielt, welche an die rhythmischen Schaukel- bewegungen des Uterus anderer Krebse {Branchipus) erinnern, wenn die trächtige Daphnie unter dem Deckglas festgeklemmt ist. Bei denjenigen Arten, wo das Herz dicht genug unter dem Nähr- boden pulsirt, macht dagegen der Nährboden nur passive Bewe- gungen entsprechend den Herzschlägen. „Durch die Befestigung des Herzens an dem Nährboden wird derselbe bei jeder Systole abwärts gezogen und bei jeder Diastole schnellt er wieder zurück" (bei Bythotrephes). Dadurch kommt das Nährwasser in eine fluctuirende Bewegung. Mit dem Wasser, in welchem die träch- tigen Thiere schwimmen, scheint es in osmotischem Verkehr nicht zu stehen, da die Chitinschale, welche den Brutraum nach aussen verschhesst, sehr dick ist im Vergleich zur Lamelle, welche ihn nach innen abgrenzt. B. Der embryonale Stoffwechsel. 233 Aus allen diesen von Weismann durch Beobachtungen und Versuche näher begründeten Angaben ergibt sich, dass bei manchen Daphnien zur Ernährung der Embryonen eine besondere Nährwasserdrüse oder Fruchtwasserdrüse , oder wenigstens ein Eiltrationsapparat dient. Die functionelle Ähnlichkeit dieses Nähr- bodens mit der Placenta der Säugethiere ist überraschend. Da- gegen darf die Nährflüssigkeit nicht eigentlich als Fruchtwasser bezeichnet werden. In den Embryo dringt sie durch Diffusion ein, und von ihr wird nichts oder nur sehr wenig zurück in das unter einem viel höheren Druck stehende Blut gelangen können. Das rapide Wachsthum des Embryo scheint mit merklichen Aus- scheidungen nicht verbunden zu sein. Auch die auf dem Rücken schwimmenden Polyphemiden be- sitzen einen uterusähnlichen Brutbehälter. Aus dem Blute der Mutter geht auch hier, von der Wandung des Brustsacks aus, Nährstoff an die Eier und Embryonen. Die Nährkammer nimmt im Lauf der Entwicklung bedeutend, an Umfang zu, so dass die Ernährung der Embryonen in einer fast beispiellosen Weise be- günstigt wird. Denn nicht nur erreichen die Embryonen eine relativ bedeutendere Grösse und Ausbildung, als in irgend einer anderen Cladocerengruppe 'vor dem Ausschlüpfen aus der Brut- höhle, sondern bei Evadne sind sie schon vor der Geburt trächtig geworden, indem sie eine Anzahl in der Furchung begriffener Eier in ihrem Fruchtbehälter mit zur Welt bringen. C. Claus, [211 dem ich diese Angaben entnehme, findet die nutritive Function des Brutraums durch das nach dem Eintritt der Eier beginnende AVachsen der inneren Lamelle oder „Placentarplatte'' desselben bedingt, welche gleich Anfangs einen hellen Nährsaft absondert, das Fruchtwasser Weismann's. Andere vivipare Arthropoden haben vermuthKch ähnliche Organe, doch sind bezüglich der Ernährung ihrer Embryonen nur sehr wenige zuverlässige Angaben vorhanden. Die Verschiedenheit der Medien, in welchen Insecteneier zur Entwicklung gelangen, macht es wahrscheinlich, dass der Embryo von seinem, bei Vielen schliesslich im Mitteldarm ein- geschlossenen Nahrungsdotter zehrt, bis er ausschlüpft und [464 durchaus nicht in allen Fällen aus der Umgebung vor seiner Eeife Nährstoffe aufnimmt. Selbst bei den Gallwespen (namentlich den die grossen „Gallen'^ oder „Galläpfel" an Eichblättern erzeugenden Cynips), deren Larve vom Centrum der Kugel aus sich durchfrisst, 234 Die embryonale Ernährung. ist es mir sehr zweifelhaft, ob aus dieser Nahrung in das Ei gelangen kann. Die dicke Hülle hat für dasselbe vielmehr den Yortheil gegen Fäulniss, Nässe. Kälte, Hitze, Käuber zu schützen und das Ei zu fixiren. Bei Entozoen der verschiedensten Art ist ein Eindringen der Säfte des Wirthes in das geschlossene Ei zwar in vielen Fällen wahrscheinlich, in manchen sicher, aber, soviel mir bekannt, als allgemein nothwendig für die Ernährung des Embryo, nachdem er gebildet und vor der Reife, nicht erwiesen, während in dem postembryonalen Larvenstadium eine Nährstoffaufnahme durch das Integument auf dem Wege der Endosmose bei vielen mundlosen parasitischen Würmern vorkommt. Die Ernährung des Fisch-Embryo. Was beim erwachsenen Wirbelthier für den Stoffwechsel, für die Zufuhr von Nährstoffen und die Wegschaffung von Yerbren- nungsproducten nothwendig ist, das Blut, vermittelt auch beim Wirbelthier-Embryo schon sehr früh, ja schon ehe es selbst voll- ständig entwickelt ist, die Ernährung. Beim Fisch-Embryo, über- haupt bei allen mit einem Nahrungsdotter versehenen Wirbelthier- embryonen, ist es der Inhalt der Dottersackgefässe, welcher den Transport der Nahrung in die Körpergefässe , in das Herz und die Gewebe des Embryo direct vermittelt. Jener Inhalt ist nun zwar selbst nach dem Beginne der regelmässigen Herzthätigkeit noch kein fertiges Blut, sondern Blutplasma oder Hämolymphe mit relativ wenigen und grossen Körperchen, aber diese zum Theil schon rothen Blutkörper, welche von denen Geborener er- heblich abweichen, sind für den Stoffwechsel und die Athmung von der grössten Wichtigkeit. Um so auffallender ist es, dass bei einigen Fischen die embryonalen Blutkörper ganz fehlen können, wie besonders die von Kupffer entdeckte Thatsache be- weist, dass der Embryo des Herings seine ganze Entwicklung im Ei vollendet, ohne dass Blutkörperchen in ihm sich bilden. Die [437 von dem kräftig und frequent pulsirenden Herzen in die Aorten- bogen gepumpte Flüssigkeit ist ein fester Körperchen entbehrendes Plasma ,,und es ist nirgends, weder auf dem Dotter, noch an irgend einer Stelle des Körpers etwas zu entdecken, was auf ent- stehende Blutkörperchen zu beziehen wäre". Sogar mehrere Tage nach dem Ausschlüpfen enthält die Hämolymphe des jungen Herings keine farbigen und keine färb- B. Der embryonale Stoflfweclisel. 235 losen Blutkörper, obwohl das Thierchen wächst und sich weiter differenzirt. Es darf aber die völlige Abwesenheit von Leukocyten noch bezweifelt werden. Die Athmung wird durch die äussere Oberfläche und, wie Kupffer meint, durch die flimmernde innere Oberfläche des Darmes vermittelt. Wie dem auch sei, dass die Ernährung eines so hochstehen- den Wirbelthier- Embryo ohne Hämoglobinbildung, ohne die Bil- dung von Blut vor sich geht, erscheint sehr merkwürdig, zumal die Embryonen des Herings bei gewöhnlicher Temperatur des umgebenden Wassers sich am vierten Tage im Ei bewegen und beim Ausschlüpfen am 6. bis 8. Tage die Muskeln des Auges voll- ständig vorhanden sind und den Augapfel drehen. Allerdings ist im Übrigen die erste Jugendform des ausgeschlüpften Herings eine wenig entwickelte und die Nachentwicklung ausserhalb des Eies hat mehr nachzuholen, als bei anderen Fischen; dadurch wird aber an der Thatsache nichts geändert, dass ohne rothes Blut schon im Ei die Ernährung stattfindet bis zur Ermöglichung complicirter Bewegungen und Pigmentabscheidung im Auge. Dabei zeigte sich, dass die am 8. Tage unter sonst gleichen Umständen ausgeschlüpften Thierchen nicht weiter entwickelt waren, als die am 6. Tage ausgeschlüpften. Zwei Tage lang stand also der Differenzirungsprocess still, während die Ernährung keine Unter- brechung erfuhr. Denn die Embryonen bewegten sich in beiden Fällen vom vierten Tage an. Wie wenig andererseits die fortschreitende Differenzirung im Ei von der Ernährung abhängt, zeigt die von Hensen genauer [435 ermittelte Ungleichheit des Entwicklungsgrades mehrerer Ostsee- fische beim Ausschlüpfen, deren Eier sehr klein sind, folglich einen sehr kleinen J^ahrungsdotter enthalten. So haben die Eier einer Scholle, der Kliesche [Platessa limanda) nur 0,85 bis 0,90 Millimeter im Durchmesser, während der Fisch im ausgewachse- nen Zustande 20 bis 40 Centim. lang wird. Eine ganze Anzahl von Fischen hat vor der Resorption des Dotters kein rothes Blut (Scholle, Flunder, Hering, Kliesche u. a.); dennoch bewegen sie sich im Ei (sonst würden sie es nicht sprengen) und sogleich nach dem Ausschlüpfen. Hier muss also mit einem Minimum von Nahrung und Sauerstoff, während der intensivsten Differenzirungs- processe, das Leben des Embryo im Ei erhalten werden. Die Eier des Knurrhahns [Cottus scorpio) mit 1,4 Millimeter im Durchmesser, sowie die des Seehasen [Cyclopterus lumpus) liefern 236 Die embryonale Ernährung. dagegen Junge, die mit vollem Kreislauf, reichlich mit rothem Blute versehen, lebhaft und weit entwickelt ausschlüpfen, wie Hensen fand. In diesen Fällen enthalten die Eier (zum Theil [435 grosse) Fetttropfen. Die reichlichere Nahrung hängt hier ohne Zweifel mit der im Ei weiter fortgesetzten Differenzirung zusammen. Beim Hering hat aber, wie bei vielen anderen Fischen, weder die Grösse der Eier, noch die der Embryonen einen Einfluss auf die Zeit des Ausschlüpfens. Diejenigen Eier, welche am meisten Wasser aufnehmen, liefern nach H, Ä. Meyer die grössten Embryonen. [434 Ich habe bei Forellen - Eiern , die ich zur Beobachtung und Demonstration der embryonalen Herzthätigkeit und Blutströmung züchtete (S. 22), regelmässig den grösseren Embryo mit einem grösseren Dottersack versehen gefunden. Wird ein solches Ei mit einer Nadel angestochen oder mit einem spitzen Messer an- geschnitten und der Dotter mit Wasser in Contact gebracht, so sieht man, dass er eine salbenartige Consistenz hat oder annimmt und mit Wasser absolut nicht mischbar ist. Die durch die Eihaut eindringenden AVassermengen müssen also den in ihnen gelösten Sauerstoff direct an die Blutkörper abgeben, welche nachweislich lange vor der Sprengung des Eies Sauerstoffhämoglobin enthalten. Dieser Sauerstoff muss durch die äussere Eihülle (Eischale) aus dem AVasser an die oberflächlich gelegenen Dottersackgefässe gehen. Ist dem so, dann können auch leicht diffundirende im umgebenden Wasser gelöste Salze auf demselben Wege eindringen. Doch scheint bei den meisten Fischeiern es daran im Ei nicht zu fehlen. Der Versuch, Fische in reinem sauerstoffhaltigem destil- lirtem Wasser zu züchten, müsste darüber Aufschluss geben. Es ist aber schon aus dem Grunde nicht wahrscheinlich, dass erheb- liche Mengen von aufgelösten Stoffen aus dem Wasser eindringen, weil das Ei selbst eine concentrirtere Lösung der dem Embryo allein tauglichen Nahrungsbestandtheile enthält als das umgebende Wasser, daher die Züchtung von Fischeiern in salzreichem Wasser immer sehr viel schwieriger gelingen wird, als in salzfreiem. Die Eihülle der Amphibien, Fische und vieler niederer Hydrozoen ist permeabel für Wasser — denn nach dem Ablegen quellen die Eier — aber die Vorstellung, dass Salze oder gar irgendwelche organische Substanzen von aussen eindringen müssen, ist in hohem Grade unwahrscheinlich. Der Nahrungsdotter ist mehr als aus- reichend fähig, den Bedarf an festen Nährstoffen zu decken, da auch nach dem Ausschlüpfen dieser Vorrath nicht erschöpft zu sein pflegt und als Vorrathskammer dient. B. Der embryonale Stoflfwechsel. 237 Eine Sonderstellung nehmen unter den Fischen bezüglich der embryonalen Ernährung einige Plagiostomen (Quermäuler, Selachier, Elasmobranchier) ein. Bei einigen viviparen Haien und Rochen, welche in einem Uterus die Entwicklung im Ei durch- machen , findet zwar die Ernährung wesentlich durch den Dotter- sack statt, aber es ist derselbe durch eine Art Placenta — die Dotterplacenta, Dottersackplacenta oder Placenta vitelUna — • aus- gezeichnet, deren Blutgefässe mit denen des Mutterthieres in osmotischem Verkehr stehen, ähnlich wie bei Säugethieren die Zottencapillaren mit den mütterlichen Blutsinus. Wenn auch ohne Zweifel die Hauptfunction dieser schon Aristoteles be- [25 kannten, von Johannes Müller näher untersuchten Haiplacenta [463 eine respiratorische ist, so kann doch ihre Betheiligung an der Zufuhr von gelösten Bestandtheilen kaum bezweifelt werden. Functionen steht dieses Grebilde der Allantois des Vogels nahe, ist mit ihr aber nicht isodynam, eben weil es ausser dem Gas- wechsel, auch den Stoffwechsel i. e. S. vermittelst des Dottersacks, dem es aufliegt, ausgiebiger vermitteln kann. Die Dottersackgefässe der Oviparen Fischembryonen müssen von innen die Nährstoffe, von aussen den Sauerstoff und Wasser aufnehmen und dem Embryo zuführen, bei dem viviparen gestreiften Glatthai [Mustelus laevis) aber fehlt die Umspülung des Eies mit lufthaltigem Wasser. Da ist also das mütterhche Blut die Sauerstoffquelle für das zu- strömende Blut, wie bei den Säugethieren. Job. Müller fand sowohl bei Carcliarias, als auch bei Scoliodon die von Aristoteles beschriebene Verbindung des Embryo mit dem Uterus durch eine Placenta und Mustelus vulgaris mit freiem, Wlustelus laevis mit fest der Unteruswand adhärirendem Dottersack. Also besteht hier zwischen zwei Species desselben Genus ein grosser physiologischer Unterschied. Er be- schrieb bereits 1839 die Placenta der Carcharias und bildete sie ab. Eine schematische Zeichnung erläutert das Verhältniss der fötalen zur uterinen Placenta bei diesen Haien. Ich habe die Figur (Taf. VII, Fig. 2) reprodu- cirt und colorirt und die fötalen Gefässe hineingezeichnet, um die auffallende functionelle Übereinstimmung dieses Gebildes mit der menschlichen Placenta zu veranschaulichen. Der Dottersack besitzt wie gewöhnlich ein gefäss- reiches durch den Dottergang mit dem Darm zusammenhängendes Entoderm und ein gefässloses Ektoderm, welches sich als Nabelstrangscheide über dem Dottergang und dem Vasa ompJialo-mesaraica fortsetzt und mit der äusseren Haut des Embryo an der Insertionsstelle des Nabelstranges zusammenhängt. Beide Häute sind zur Placenta foetalis in einen Knauf von Falten gelegt. Dadurch entsteht eine sehr unregelmässige Höhle im Dottersack mit einer Menge von Buchten. „Diese runzeligen Falten sind an der dem Uterus zu- gewandten Seite mit dem Uterus auf das innigste verbunden und lassen sich nicht ohne einige Gewalt vom Uterus ablösen. Die Placenta uterina wird 238 I^iö embryonale Ernährung. durch sehr stark hervorspringende runzelige Falten der inneren Haut des Uterus gebildet, welche genau den Falten der Flacenta foetalis entsprechen. Beiderlei Falten sind ineinander geschoben und liegen so innig und fest an- einander als die Flacenta uterina und foetalis bei irgend einem Säugethiere." Jene erhält Blut von den Uterusgefässen , diese von den starken Omphalo- mesenterialgefässen. Das fötale und uterine Gefässnetz sind juxtaponirt und zwischen beiden Zellen mit Kernen vorhanden, welche den Wechselverkehr wahrscheinlich vermitteln. [463 Die Ernährung des Amphibien -Embryo. Beim Erdsalamander, dessen Embryo fast ein Jahr lang in der Mutter von seinem Nahrungsdotter sich ernährt, sind trotz- dem schon nach dem Ablauf eines halben Jahres im Ei die Yer- dauungsorgane derartig entwickelt , dass sie auch die spätere Nahrung des postembryonalen Thieres, allerlei kleine Wasserthiere mit harten Chitinhüllen und künstliche Albuminpräparate verdauen können, wenn man die Embryonen unter Wasser aus dem Ei befreit. Ich habe zwei Mitte December, also mindestens 4 bis 5 Monate vor der Eeife, aus dem trächtigen Thiere künstlich be- freite Embryonen mit Serumalbumin und Case'in in Brunnenwasser, das täglich gewechselt wurde und Zimmertemperatur hatte, Monate lang am Leben erhalten. Benecke stellte ein ähnliches Experi- [209 ment an und bemerkt, dass Anfang October die Embryonen von etwa 2^3 Centim. Länge als Mitteldarm einen zwar gewundnen, aber nur von Dotterelementen ausgekleideten Canal mit dünner Bindegewebswand und unregelmässigem Lumen besitzen und nur Yorder- und End-Darm ausgebildet sind. Trotzdem Hessen sich die künstlich befreiten Embryonen Monate lang im Wasser am Leben erhalten. Bei besserer Pflege würden sie wahrscheinlich viel länger am Leben geblieben sein. ,, Trotz ihres noch mangelhaften Darmcanales nehmen sie sofort nach der Befreiung aus den Eihäuten nicht nur kleine Daphnien, Cyclopiden, sondern auch verhältnissmässig sehr grosse Eegenwürmer zu sich, ja einer dieser Frühgeborenen verschlang am Tage nach seiner Geburt schon den Schwanz und Hinterleib eines seiner Geschwister und würgte dasselbe in der Zeit von zwei Tagen bis zu den Achseln herunter, wo es sich ablöste. Der Koth dieser Thiere besteht aus kleinen Cylindern, in denen ausser den Pan- zern der verschluckten Crustaceen reichliche Mengen der den Darm noch erfüllenden Dottermassen sich vorfinden." [209 Dieser eigenthümliche Fall einer halb embryonalen, halb postnatalen Ernährung zeigt, wie schnell die Verdauungsorgane sich adaptiren können, zugleich aber auch, wie früh der Wille B. Der embryonale Stoffwechsel. 239 zu schlucken und zu sclilingeii da ist, und dass er sich ohne Übung sofort bethätigt, selbst dann, wenn der Hunger noch nicht hervortritt, denn der Nahrungsdotter war noch lange nicht ver- zehrt. Es wird hierdurch verständlich, wie die Sage entstehen konnte, dass die Embryonen des Erdsalamanders sich zum Theil gegenseitig vor der Geburt auffressen sollen. Übrigens hat bereits Kusconi den Salamander-Embryo ausser- halb der Mutter sich entwickeln gesehen. Baudrimont und Saint- Ange bestätigten seine Angabe und behaupteten, die Entwick- [iio lung finde sogar rascher statt, als unter gewöhnlichen Umständen. Dieses letztere muss ich nach meinen zahlreichen mehrjährigen Versuchen entschieden leugnen. Die Entwicklung der Salamander- Embryonen, welche sich vom Tage ihres Austritts an (Anfang April) bis zu 14 Monaten im Wasser hielten, war sehr ungleich, aber constant weniger fortgeschritten, als unter gewöhnlichen Um- ständen, da ihre Länge sich binnen Jahresfrist nicht verdoppelte. Die Geschwindigkeit der extrauterinen Entwicklung hängt jedoch von der Menge und Qualität der Nahrung ab, denn einige, denen es an Daphnien, mit denen ich sie fütterte, fehlte, blieben im Wachsthum zurück. Auch ist die Temperatur von grossem Ein- fluss, wie bei den Forelleneiern, aus denen bei meinen Züch- [343 tungen einige Eischchen 55, andere 70 Tage nach der Befruchtung ausschlüpften und bei den Froscheiern, deren Ernährungs-Energie^ freilich innerhalb enger Grenzen, mit der Temperatur des um- gebenden Wassers steigt und fällt. Die Ernährung der in sauerstofihaltigem Wasser Monate lang unter Abschluss der Atmosphäre und Vermeidung von Gasblasen- bildung gehaltenen Embryonen des Erdsalamanders und des Frosches zeigte mir noch eine Eigenthümlichkeit. Während nämlich' im ersten Vierteljahr oder noch etwas länger unter günstigen Umstän- den, d. h. bei reichlicher Nahrung, nicht zu hoher und nicht zu niedriger Temperatur, und langsam strömendem Wasser, die im Em- bryonalzustand künstlich zurückgehaltenen Thiere schnell wachsen und embryonal bleiben, tritt eine entschiedene Verkümmerung ein, wenigstens beim Frosch {Rana temporaria), wenn der mächtige Ruderschwanz sich nach einigen Monaten zurückbildet und die Extremitäten hervortreten. Diese Thatsache (S. 107), welche meinen Erwartungen nicht entsprach, da ich die Erhaltung dieses unter den ungewohnten Umständen nützUcheren Organs für wahr- scheinlicher hielt, beweist, wie mächtig die Vererbung wird, wenn sie schon lange gewirkt hat. Trotz der günstigsten Bedingungen 240 Die embryonale Ernährung. verliert die Froschlarve nac]i Absperrung der Atmosphäre im luft- haltigen Wasser den ihr zur Lebenserhaltung äusserst wichtigen Schwanz und erhält sie die ihr nur auf dem Lande wichtigen im Wasser viel weniger brauchbaren Beine. In Folge davon wird ihre ganze Ernährung benachtheiligt. Ich halte es aber für mög- lich, dass dennoch bei noch besserer Fütterung, als ich sie ge- währte, der geschwänzte kiemenathmende Frosch dauernd gezüchtet werden kann. Anfangs ist die Nahrung des noch ganz embryonalen Thieres rein animalisch, sie besteht ausschliesslich aus der nach dem Absetzen der Eier im Wasser stark quellenden mucinreichen Gallerte und den anhaftenden Infusorien. "Werden die eben aus- geschlüpften Froschquappen von dieser getrennt, so verhungern sie (nach den Versuchen von Higginbottom) und verzehren [i9o nach 13-tägigem Fasten binnen 7 Tagen die ganze Gallerte. Dann nehmen sie vegetabilische Nahrung zu sich, besonders massenhaft Chlorophyll von Grashalmen und Algen, wie ich oft- mals direct beobachtete. Sie können sich bei dieser Nahrung allein völlig zu Fröschen metamorphosiren. Doch habe ich sie zugleich frischgetödtete Froschquappen mit Gier verzehren gesehen. Die Ernährung des Vogel-Embryo. Nach der Entwicklung des Dotterkreislaufs werden zwar ohne Zweifel Bestandtheile des Nahrungsdotters vom Blute durch die Gefässwand aufgenommen, aber weitaus der grösste Theil des gelben Dotters bleibt im Vogelei unresorbirt bis zum letzten Drittel der Incubationszeit. Die Tafel VI zeigt in Fig. 1 in natür- licher Lage einen Hühner-Embryo vom 20. Tage in der Allantois und Eischale, in Fig. 2 einen solchen vom 19. Tage nach Ab- lösung der Häute mit dem Dotter im Dottersack in natürlicher Grösse von oben gesehen, auf einer Schiefertafel horizontal liegend, wodurch, wegen Ausbreitung des fluctuirenden Dottersacks, die grosse Menge des innerhalb 2 Tagen vor dem Ausschlüpfen noch aufzunehmenden Nährmaterials besonders deutlich wird. Während der Kesorption färbt sich, wie E. H. Weber 1851 bemerkte, die Leber am 19. und 20. Tage der Bebrütung immer mehr dotter- gelb. Zuerst entstehen gelbe Streifen, und der rechte Lappen wird schneller gelb, als der linke. Die Blutcapillaren bleiben roth, die Gallencapillaren werden gelb, und Weber sah in ihnen massenhaft angehäufte kleijiste gelbe Kügelchen. Er meinte sogar. B. Der embryonale Stoffwechsel. 241 es gelange die ganze Dottermasse durch die Vasa omphalo- mesaraica und vielleicht Lymphgefässe in die Leber, wo sie ver- ändert und in den Gallencapillaren deponirt werde, um später wieder vom Blute zum Theil aufgenommen und assimihrt zu werden. Er fand den Ductus vitello -intestinalis verschlossen, sodass (am 19. bis 20. Tage durch stärkeren Druck) kein gelber Dotter [sei in den Darm gelangte. Auch für Fische {Alosa und Gohhis) behauptete de Filippi (1847), dass der Nahrungsdotter nicht [34i in den Darm, sondern in die Leber eintrete bei der Resorption. Jedoch ist nicht zu bezweifeln, dass ein grosser Theil des Nah- rungsdotters direct in den Darm gelangt, weil man (wie bei Sala- mandra) Dotterplättchen im Darm findet und die Resorption beim Hühnchen in den letzten Tagen vor und den ersten Tagen nach dem Auskriechen zu schnell vor sich geht, als dass sie durch die inzwischen verkümmerten Dottersackgefässe allein bewerkstelligt werden könnte. Die gelbe Substanz in den Gallengängen, welche E. H. Weber sah, kann zum Theil Fett, zum Theil Bilirubin ge- wesen sein, wich aber, wie er erklärt, erheblich von der Galle in der Gallenblase ab. Diese ganze Frage bedarf einer gründlichen Untersuchung. Wie es sich auch mit der Resorption verhalten mag, jeden- falls wird normaler Weise der Dotter zwar nicht immer vor dem Aufbrechen, aber immer vor dem Auseinanderfallen der Schale vollständig in die Bauchhöhle aufgenommen und in ihr der Dotter- sack durch Assimilation seines Inhalts schnell kleiner, so dass man schon durch den Anblick und Palpation bei eben ausge- schlüpften Hühnchen, welche man einige Tage hungern lässt, so- gleich den Verbrauch des Dotters erkennen kann, wie ich öfters wahrnahm. Schliesslich ist vom Dotter nichts mehr übrig. Der Rest des Dottersacks pflegt dann auch meist nicht wieder gefunden zu werden. In mehreren Fällen, bei verschiedenen Vogelarten, ist er aber in Form eines Divertikels am Darm mit ziemlich langem Stiele doch gesehen worden, so von Budge, der auch [lei andere Angaben darüber sammelte. Er fand in dem gestielten Bläschen eine gelbe Masse. Der Stiel entsprang von der Ober- fläche des Darmes mit feinen Fäden, welche sich bis zur Innen- fläche nicht erstreckten. Wann der Dotter vollständig assimilirt ist, habe ich nicht ermittelt, aber mich davon überzeugt, dass wenige Stunden nach dem Verlassen der Schale gekochtes Eigelb, das dem Thiere vor- gesetzt worden, verschluckt wurde. Freilich habe ich andererseits Preyer, Physiolog'ie des Embryo. 16 242 Die embryonale Ernährung. die eben ausgeschlüpften Hühnchen mehrere Tage ohne alle Nah- rung am Leben erhalten. Während sie aber im letzteren Falle bedeutend abmagern und langsamer zu wachsen scheinen, werden sie, wenn vom Anfang an ausser dem Dotter, der ihre Bauchhöhle erfüllt, andere Nahrung ihnen gereicht wird, nach der sie picken können, schnell stark und lebhaft. Demnach ist der Dotter eine Reserve-Nahrung, welche um so schneller zur Resorption gelangt, je weniger fremde Nahrung durch den Schlund in den Kropf eingeführt wird. Die oft discutirte Frage, ob Bestandtheile der Kalk- schale des Vogeleies von dem Embryo zu seiner Er- nährung verwendet werden, ist noch in der neuesten Zeit bald bejaht, bald verneint worden auf Grund von chemischen Unter- suchungen des Ei -Inhaltes und der zugehörigen Schale vor und nach der Bebrütung. Prout (1822) war der erste, welcher behauptete, [275.203,554 zu Ende der Incubation finde sich erheblich mehr Calcium und Magnesium im Ei-Inneren, als zu Beginn derselben. Seinen Be- stimmungen zufolge lieferte der Inhalt eines befruchteten Eies von 50 Grm. Frisch In der 2. und 3. Woche Am letzten Tage Schwefelsäure 0,01 bis 0,025 0,015 bis 0,025 0,015 bis 0,025 Phosphorsäure 0,2 „ 0,225 0,195 „ 0,235 0,205 „ 0,210 Chlor 0,06 „ 0,065 0,05 „ 0,06 0,035 „ 0,C4 Alkalien und 1 Alkalicaibonate J 0,16 „ 0,17 0,14 „ 0,15 0,12 „0,13 Erden und 1 Erdcarbonate J 0,045 „ 0,05 0,045 „ 0,095 0,19 „ 0,20 Also wurden aus dem reifen Hühnchen im Ei viermal soviel Calcium- und Magnesium -Verbindungen erhalten, als aus dem Inhalt des frischen Eies. Doch wurden im Ganzen nur 13 Eier untersucht. Die Schlussfolgerung, der Embryo entnehme der Schale Kalk, ist schon wegen dieser geringen Anzahl als nicht genügend begründet anzusehen. Dazu kommt, dass Prout die Schalen garnicht untersuchte und deutHch durchblicken lässt, eine Neubildung von Calcium und Magnesium im Ei während der Be- brütung könne nicht ausgeschlossen werden. Obwohl er ausdrück- lich hervorhob, die Eierschalen seien individuell so verschieden, dass B. Der embryonale Stoffwechsel. 243 sich nicht einmal eine mittlere Kalkmenge für dieselben angeben lasse, bedachte er nicht, wie sehr der Inhalt zweier Hühnereier von gleichem Gewicht variiren kann. Mit demselben Rechte, wie eine Zmiahme des Kalkes, hätte man eine Verminderung des Chlors während der Bebrütung auf Grund seiner Befunde annehmen können, weil sich davon im reifen Hühnchen nur etwa halb soviel wie im frischen Ei fand, wie die mitgetheilten Zahlen zeigen. Aus einem anderen Grunde sind die Bestimmungen des Kalkes im frischen Ei-Inhalt und Hühnchen einerseits, in den Schalen des ersteren und letzteren andererseits, welche Vaughan und Bills (1878) in Michigan ausführten, nicht beweisend. Hier [289 war nämlich die Methode mangelhaft, sofern der Kalk in der Asche, nach Auflösen derselben in Salzsäure und Fällung mit Schwefelsäure nach Alkoholzusatz bestimmt wurde. Hiernach ent- hielte das eben reife Hühnchen etwa fünfmal soviel Kalk (CaO), wie der frische Ei-Inhalt, jenes 0,157 Grm^ dieser 0,029 im Durch- schnitt. Nun ist aber die letztere Ziffer so klein, dass sie nicht richtig sein kann. Der Inhalt des frischen Eies müsste dann weniger als 1 pro Mille Kalk enthalten. Zudem entspricht der Kalkgehalt der Schalen durchaus nicht dem Unterschiede. Denn 6 frische Eischalen lieferten zusammen 3,241 Grm. Calciumsulphat weniger als 6 Schalen von bebrüteten Eiern mit reifen Hühnchen. Demnach hätte der Embryo keinen Kalk der Schale entzogen, vielmehr ihr durchschnitttlich 0,223 Kalk zugeführt. Also ist die ganze Rechnung unzulässig. Der Kalk muss für jede Ei-Schale und den zugehörigen Ei-Inhalt einzeln, nicht für 6 zusammen bestimmt werden, und wenn auch die von Vaughan und Mills untersuchten 12 frischen Eierschalen als Mittelwerth für eine Eischale 2,341, die 12 bebrüteten 2,208 Grm. Kalk lieferten, so wäre es nach Obigem völlig unstatthaft, zu folgern, es würden durchschnittlich 0,133 Grm. Kalk vom Embryo der Schale entnommen. Noch weniger brauchbar sind die Bestimmungen von J. Gruwe in Greifswald (1878). Er fand in einem reifen Hühnerembryo [25o und in 7 bebrüteten entwickelten Eiern der letzten Woche durch- schnittlich sehr viel mehr Calciumphosphat, als in 4 frischen Eiern, aber in der Kalkschale des bebrüteten Eies zweimal eben- falls sehr viel mehr Calciumphosphat, als in der des uubebrüteten. Hieraus schliesst der Autor, in der Schale werde während der Be- brütung Calciumcarbonat in Calciumphosphat zum Theil umgewan- delt und vom Enibryo verwendet; Lecithin liefere wahrscheinlich die Phosphorsäure. Wenn aber die Schale bebrüteter Eier solche 16* 244 -D^6 embryonale Ernährung. Veränderungen erfahren soll, dann müsste sie am Ende der In- cubation weniger Calciumcarbonat, weniger Calcium im Ganzen und doch mehr Calciumphosphat enthalten, so dass eine nicht un- erhebliche Menge Lecithin oder sonstige phosphorhaltige Substanz aus dem Ei-Inneren Phosphor an die Schale abgäbe, ohne für den Embryo verwendbar zu bleiben. Diese sehr unwahrscheinliche Consequenz findet weiter unten ihre Widerlegung durch den Nachweis, dass frischer Ei-Inhalt nicht mehr Phosphorsäure liefert als reife Hühnchen. Wenn Prout's Lehre von der Betheiligung der Eierschale an der Ernährung des Embryo durch ihre Anhänger keine thatsäch- liche Unterstützung erhielt, so ist sie doch von ihren Gegnern keineswegs widerlegt worden. C. Yoit in München verglich [376 12 unbebrütete Eier mit 8 entwickelten, untersuchte aber nicht die einzelnen Eier. Für die Schalen ergab sich (nach Fosters Bestimmungen) in Grm. auf ein Ei von 50 Grm. reducirt: Trocken Asche Kalk Ei entwickelt 4,315 4,112 2,157 Ei unentwickelt 4,351 4,083 2,142 Die Schalen der entwickelten Eier enthielten also nicht weniger Kalk, als die der frischen, wie schon E. Hermann und [47o Voit früher (1871) gefunden hatten. In einem Hühnchen wurden aber nur 0,0234, im unentwickelten Ei-Inhalt nur 0,0345 Grm. Kalk gefunden, was nicht richtig sein kann (vergl. S. 245). Alle bisherigen Bestimmungen des Kalkgehaltes der Schalen, der Hühnchen und des frischen Ei-Inhaltes können die Frage nicht entscheiden, weil sie sich entweder nur auf die Erzielung von Durchschnittswerthen beschränken oder ganz unrichtig sind, oder zu wenige einzelne Eier betreffen. Daher wurde von Dr. Bob. Pott und mir eine grössere Anzahl von ,unbebrüteten , bebrüteten unentwickelten und ent- wickelten Eiern, im ganzen 34, einzeln untersucht, nämlich der Inhalt und die Schalen von 10 eben reifen Hühnchen, von 10 ent- wickelten Eiern der 1. und 2. Woche, von 9 bebrüteten unent- wickelten Eiern und von 5 unbebrüteten. Aus den erhaltenen Zahlen geht mit Sicherheit hervor, dass die Kalkschale des [208 Eies bei der Ernährung des Embryo sich nicht be- theiligt. ß. Der embryonale Stoffw^echsel. 245 Ich stelle hier die zum Beweise erforderlichen, den Kalk und die Phosphorsäure betreffenden Zahlen zusammen: Ei-Nr. Bebrütungs- dauer in Tagen In der Asche des Ei-Inhalts Kalk Phosphorsäure Grm. In der Asche der Ei-Schale Kalk Phosphorsäure Grm. Das Ei 1 6 0,1213 0,2253 2,0466 0,0446 entwickelt 2 7 0,1314 0,1901 2,1322 0,0412 » 3 7 0,0923 0,2192 2,0000 0,0430 >7 4 4 0,1191 0,2203 2,8020 0,0451 » 5 6 0,1312 0,2010 2,0439 0,0423 » 6 12 0,0983 0,2219 2,0000 0,0420 )J 7 12 0,1283 0,2786 2,0016 0,0432 JJ 8 12 0,1164 0,2241 2,0894 0,0452 J' ^ 14 0,1100 0,2458 2,1349 0,0461 r 10 15 0,1137 0,2582 2,3239 0,0454 ); 11 21 0,17-87 0,1998 2,3825 0,0449 Hühnchen 12 21 0,1143 0,2342 2,6181 0,0405 5) 13 21 0,1178 0,2256 2,8474 0,0400 )) 14 21 0,1223 0,2146 2,0456 0,0399 )) 15 21 0,1747 0,2093 2,8709 0,0402 >) 16 21 0,1320 0,1940 2,0543 0,0413 ■>■) 17 21 0,1801 0,2467 2,1265 0,0431 J) 18 21 0,1234 0,2631 2,4739 0,0408 ?) 19 21 0,0913 0,2345 2,0738 0,0405 )> 20 21 0,1622 0,2146 2,0401 0,0448 5) 21 1. Woche 0,1194 0,2969 2,9540 0,0476 unentwick. 22 3) 0,1121 0,1903 2,0000 0,0423 )) 23 )) 0,1242 0,2725 2,0324 0,0410 5) 24 2. Woche 0,1326 0,2315 2,0004 0,0430 J) 25 V 0,1543 0,2279 2,1213 0,0412 57 26 5; 0,1199 0,2365 2,4519 0,0450 V 27 3. Woche 0,1124 0,2097 2,1848 0,0493 7J 28 )7 0,1016 0,2321 2,0942 0,0442 )) 29 )' 0,1453 0,2100 2,2084 0,0481 )) 30 nicht erwärmt 0,1232 0,2622 2,4445 0,0480 au der 31 V j) 0,1425 0,2213 2,984C 0,0445 Luft 32 )) » 0,1213 0,2340 2,0000 0,0421 3 Wochen 33 J> V 0,1146 0,2407 2,1421 0,0390 gelegen 34 frisch gelegt 0,1124 0,2534 2,1345 0,0401 — 246 -Die embryonale Ernährung. In verschiedener Weise lässt sich aus diesen Zahlen der [20s Beweis dafür ableiten, dass der Embryo keinen Kalk und keine Phosphorsäure der Eischale entnimmt. Zunächst zeigt sich, dass der Kalk des Gesammt-Eies (Inhalt + Schale) im Minimum 2,0923, im Maximum 3,1265, im Mittel (aus den 34 Summen) 2,3869 Grm. beträgt. Von den 10 Eiern mit reifen Hühnchen haben 5 einen geringeren, 5 einen höheren Kalkgehalt, als diesem Mittel entspricht; sie können aber nicht bezüglich ihres Gesammt -Kalkgehaltes 10 unentwickelten Eiern gleichgestellt werden, weil sie zusammen 24,9299, durchschnittlich also 2,493 Grm. Kalk, jene aber durchschnittlich nur 2,352 ent- halten. Setzt man daher für jedes einzelne der 34 Eier den Gesammt-Kalk= 100 und berechnet man für jedes, wieviel auf den Inhalt, wieviel auf die Schale kommt, so wird man eher Auf- schluss erhalten über die etwaige Änderung der Vertheilung des Kalks durch die Bebrütung. Es ergibt sich hier folgendes: Eier Kalk i. M. 5 TJnbebrütete 9 Bebrütete unbefruchtete 10 Unvollständig entwickelte 10 Vollständig entwickelte Die Unterschiede sind sehr klein. Da aber ein Skeptiker aus ihnen ableiten könnte, der Embryo entnehme doch einige Milligrm. Kalk der Schale, so ist es nicht überflüssig hervorzu- heben, dass den 5 unbebrüteten Eiern mit 4,6; 4,8; 5,0; 5,0; 5,7 °/o Kalk für das Ei-Innere 5 reife Hühnchen mit 4,0; 4,2; 4,2; 4,7; 5,7 ^/o Kalk gegenüberstehen. Ausserdem ist aus der Tabelle leicht zu ersehen, dass ein constantes Verhältniss zwischen dem Kalk der Schale und dem des Inhalts nicht existirt. Es schwankt schon bei den 14 unentwickelten Eiern zwischen 96,1 : 3,9 und 93,2 : 6,8 und es beträgt für die zehn eben reifen Hühnchen zwischen 96,0 : 4,0 und 92,2 : 7,8. Die Einzelwerthe für diese sind nämlich Schale Inhalt 95,0 5,0 94,6 5,4 94,8 5,2 94,3 5,7 Ei: 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Schale: 93,0 95,8 96,0 94,4 94,3 94,0 92,2 95,3 95,8 92,6 Hühnchen : 7,0 4,2 4,0 5,6 5,7 6,0 7,8 4,7 4,2 7,4 Bei den 10 nicht vollständig entwickelten Eiern bewegt sich das Verhältniss zwischen 95,6 : 4,4 und 94,0 : 6,0. B. Der embryonale Stofifwechsel. 247 Man kann also auf diesem Wege nur zeigen, dass das Yer- hältniss des Kalks in der Schale zu dem des Inhalts nach der Entwicklung des Embryo in 17 aus 20 Fällen die äusserste Grenze nach oben nicht überschreitet. Die 3 Fälle, in denen die 6,8 "^/q überschritten werden, sind also durch den Entwicklungsprocess nicht bedingt. Auf anderem Wege lässt sich aber die Unwahrscheinlichkeit einer Verwendung des Scbalenkalks zur Embryobildung noch an- schaulicher darthun. Das Gesammt-Innere des unentwickelten Eies liefert im Ma- ximum 0,1543, im Minimum 0,1016 Kalk, im Mittel 0,124. Wenn nun das reife Hühnchen mehr Kalk enthält, als das frische Ei- Innere, dann muss der Kalkgehalt der Hühnchen diesen Mittel- werth erheblich öfter überschreiten, als nicht erreichen. In Wahrheit aber sind die Werthe 5mal niedriger und 5mal höher als das Mittel, und der niedrigste Werth, den die 34 Eier lieferten, 0,0913, gehört einem reifen Hühnchen an. Die Eier, welche un- reife Embryonen der 1. bis 3. Woche enthielten, bleiben sogar in 7 Fällen von 10 unter dem Mittel, die vom 12. bis 15. Tage in 4 von 5 Fällen. Ferner beträgt das Minimum des Kalks in der Schale unent- wickelter Eier 2,0000, das Maximum 2,9840, das Mittel 2,268. A'erlöre die Schale durch den Embryo an Kalk, dann müssten die 10 Hühnchenschalen dieses Mittel öfter nicht erreichen, als über- schreiten. In Wahrheit aber sind die Werthe 5mal höher und 5mal niedriger als das Mittel, und die 7 niedrigsten Werthe (2,000 bis 2,032) finden sich gerade nicht bei den Schalen reifer Hühnchen, vielmehr ist der mittlere Kalkgehalt der Schalen letz- terer 2,353 zufällig höher (um 0,085), als das allgemeine Mittel. Dass die Schalen der 10 unvollständig entwickelten Eier meist unter dem Mittel bleiben, kann hiergegen um so weniger in's Gewicht fallen, als die zu ihnen gehörigen Ei-Contenta nicht etwa entsprechend mehr Kalk enthalten, sondern ebenfalls, wie bereits erwähnt wurde, der Mehrzahl nach (in 7 von 10 Fällen) und durchschnittlich unter dem allgemeinen Mittel (0,124) bleiben. Schliesslich ist auch aus dem das Mittel übersteigenden Kalk- gehalt von 5 Hühnchen nichts für eine Entkalkung der Schale herzuleiten, weil die zu ihnen gehörenden 5 Schalen zusammen nicht weniger, sondern mehr als das verfünffachte allgemeine Mittel (2,268) an Kalk lieferten, im Durchschnitt jede 2,295. 248 Die embiyonale Ernährung. Also an Kalk enthält das Hühnchen nicht mehr und nicht weniger als der Ei-Inhalt, aus dem es sich ent- wickelt. Die Schale des Vogeleies verliert keinen Kalk während der Bebriitung. Dasselbe gilt für den Phosphor. Denn es lieferten: Phosphorsäure. Min. Max. Mittel. 14 Schalen von unentw. Eiern . . . 0,039 0,049 0,044 10 ,, ,, entwick. „ ... 0,042 0,046 0,044 10 „ „ Hühnchen 0,040 0,045 0,042 Der Inhalt von 14 unentw. Eiern 0,190 0,297 0,228 ,, „ ,, 10 entw. „ 0,190 0,279 0,228 10 eben reife Hühnchen 0,194 0,263 0,224 Demnach kann die Behauptung, der Embryo gebe Phosphor in irgend einer Verbindung an die Schale ab, nicht aufrecht er- halten werden, vielmehr wird der Phosphorgehalt des Ei- Inneren und der der Eischale durch die Bebrütung und Embryobildung ebensowenig verändert wie der Kalk- gehalt beider. Woher die von der veraschten Eischale gelieferte Phosphor- säure stammt, kann nicht zweifelhaft sein, denn die Phosphate des Calcium und des Magnesium müssen als präexistirende Ver- bindungen in der Schale angenommen werden. Dass aber die vom Ei -Inneren, dem Dotter und Albumen und Embryo gelieferte Phosphorsäure, deren Menge fünfmal so gross, als die von der Schale gelieferte ist, nicht von Phosphaten allein herstammt, ist gewiss. Lecithine und Nucleine müssen beim Erhitzen und Veraschen zerstört, durch den Sauerstoff der Luft oxydirt werden und so Phosphorsäure erst bilden. Das Calcium des Ei -Inneren kann nur zum Theil im Phosphat vorhanden sein. Von anderen Ergebnissen, zu denen Dr. Pott und ich in Be- treff des Stoffwechsels im bebrüteten Vogelei kamen, ist hier noch hervorzuheben, dass die Schalen der unbebrüteten Eier mehr ^Y asser enthalten, als die der bebrüteten, nämlich jene im Mittel 0,012, diese 0,471 (unentw.), 0,355 (unvollst, entw.), 0,375 (vollst, entw.), daher die grössere Brüchigkeit der letzteren. Das ab- gegebene Wasser kommt nicht dem Embryo zu gut, sondern es wird an die Luft exhalirt (S. 126 fg.). B. Der embryonale Stoffwechsel. 249 Die reifen Hühnchen enthalten aber absolut weniger Trocken- substanz und mehr Wasser, als der Inhalt der unbefruchteten 21 Tage lang bebrüteten Eier, erstere 24,50, letztere 23,18 Grm. Wasser durchschnittlich, wie sich schon aus der ungleichen Wasser- exhalation beider vorhersagen Hess (S. 127). Dieser Punct verlangt eine nähere Betrachtung. Es seien für ein entwickeltes und ein unentwickeltes normales Ei von 50 Grm. folgende Werthe in Grm. für 21 Brüttage gefunden worden, welche jedenfalls der Wahrheit nahe kommen müssen (nach S. 123 und der Taf. VIII): G W K L Entw. 9,80 = 7,90 + 6,15 - 4,25 Unentw. 9,25 = 10/26 + 2,50 - 3,51 wobei wieder G die Gewichtsabnahme, W das exhalirte Wasser- gas, K die ausgeathmete Kohlensäure und L die aufgenommene Luft bedeutet, so folgt daraus zunächst, dass bei Erwärmung des unbefruchteten Eies auf Brüttemperatur während 21 Tagen 2,36 Grm. Wasser {W) mehr abgegeben werden, als vom entwickelten Ei in derselben Zeit. Das Hühnchen im Ei kann schon wegen der Bildung seiner Häute, trotz seiner wasserreichen Gewebe, nicht soviel Wasser exhaliren, wie nicht differenzirter Ei-Inhalt. Ferner verliert das embryonale Ei in den drei Brütwochen 3,65 Grm. Kohlensäure [K) mehr als das unbefruchtete, welche allein durch den Stoffwechsel in den embryonalen Geweben entstehen oder abgespalten werden. Das eben reife Hühnchen enthält also erheblich weniger Wasser und weniger Kohlenstoff als der Dotter und das Albumeu, aus denen er sich gebildet hat. Von einem der wichtigsten orga- nischen Elemente muss der Embryo, um während der Entwicklung am Leben zu bleiben, viel hergeben, nämlich mehr als ein Grm. Kohlenstoff. Das bebrütete befruchtete Ei verliert im Ganzen 1 "-/3 Grm., das bebrütete unbefruchtete nur etwa ^/g Grm. Kohlen- stoff. Die Kohlensäure, in welcher diese 1-/3 Grm. Kohlenstoff entweichen, stammt aus den Allautoisarterien, somit aus den Ge- weben des Embryo, und nur ein kleiner Theil der vom entwickelten Ei exhalirten Kohlensäure kann in der zweiten Hälfte der Brüte- zeit, unabhängig vom Embryo, wie im unentwickelten bebrüteten Ei entstehen, weil dann fast kein Albumen mehr da ist. Es ist hierdurch sicher dargethan, dass mit den assimila- torischen Functionen des embryonalen Gewebes schon in sehr frühen Entwicklungsstadien dissimilatorische Processe solidarisch verbunden sind. Die embryonale 250 Die embryonale Ernährung. Ernährung ist nicht ohne oxydative Zersetzung möglich. Daher die Nothwendigkeit der Sauerstoffzufuhr vom Anfang an. Durch die Kohlensäure-Abgabe muss ferner die Trocken- substanz des Eies während der Bebrütung mehr ab- nehmen, wenn sich ein Hühnchen darin entwickelt, als wenn.dieses nicht der Eall ist. In der That ergeben die direc- ten Bestimmungen für die Trockensubstanz des Ei-Inhalts einen grossen Unterschied, während die Gesammtmenge der Mineral- stoffe in der Trockensubstanz unverändert bleibt, wie die folgende Tabelle zeigt. [208 Trockensubstanz in Grm. Mineralstoffe in Grm. Eier Min. Max. Mittel Min. Max. Mittel 9 unentw. bebrüt. 10,89 13,10 11,78 0,50 0,59 0,54 5 unbebrütet . . . 10,56 13,23 11,72 0,51 0,59 0,55 10 unvollst, entw. . 11,49 13,10 12,18 0,50 0,59 0,56 10 Hühnchen .... 8,52 11,51 9,85 0,52 0,59 0,55 Da die 10 unvollständig entwickelten Eier in die Zeit vom 4. bis 15. Brüttage fallen und viel Trockensubstanz liefern, so folgt, dass die Ver- minderung der Trockensubstanz durch Kohlenstoff- Verlust trotz der reich- lichen Sauerstoff- Aufnahme fast ganz in die letzte Brütwoche fällt. Endlich ergibt sich noch aus dem Obigen deutlich, dass, da ein grosser Theil des vom bebrüteten entwickelten Ei abgegebenen Wassers aus dem Blute der oberflächlich liegenden Allantoisgefässe stammt, das Blut in den Allantoisvenen, welches in den Embryo zurückströmt, weniger Wasser enthalten muss, als das ihn ver- lassende Blut. Die Gewebe des Embryo nehmen aber absolut continuirlich an Wasser zu ; der Nahrungsdotter und das Eierweiss können an die Dottersack- und Allantois-Gefässe nur einen Theil dieses Wassers liefern — ersterer wird sichtbar consistenter, letzteres nimmt schnell ab — , folglich muss der Embryo durch Verschlucken des Amnioswassers in den späteren Ent- wicklungsstadien seinen Bedarf an Wasser decken. In der That ist zuletzt das Amnioswasser bis auf den letzten Tropfen verschwunden. Wegen dieser reichlichen Wasseraufnahme in der letzten Incubationswoche ist es nicht unwahrscheinlich, dass nicht allein der absolute, sondern auch der relative Wassergehalt des eben zum Ausschlüpfen reifen normalen Hühnchens etwas grösser wird, als der des Hühner-Embryo der zweiten Woche. B. Der embryonale Stoffwechsel. 251 Die wenigen Bestimmungen des Wassergehaltes frischer Hühner- Embryonen und unmittelbar nach dem Ausschlüpfen getödteter Hühnchen von Eob. Pott stehen damit im Einklang. Denn ich berechne aus seinen [i48 Zahlen für den frischen Embryo vom 3. Tage 88 bis 90% (2 Fälle), vom 4. Tage 68,3 bis 83,4%, vom 6. Tage 69,1 % (1 Fall), vom 11. Tage 58,7% Wasser, während auf die reifen Hühnchen zwischen 69,0 und 74,1% (10 Fälle) Wasser kommt, und zwar enthielten 8 von 10 Hühnchen über 70% Wasser. Der Umstand, dass die Summe des frisch gewogenen Hühnchens plus seiner gesondert gewogenen Schale immer erheblich kleiner ausfiel, als das Glewicht des unversehrten Eies mit dem lebenden Hühnchen (wegen des un- [208,3^5 vermeidlichen Wasserverlustes durch Verdunstung vor der Wägung) kommt als Einwand hierbei nicht in Betracht, weil die Trockensubstanz des Hühn- chens dieselbe bleibt und der Wassergehalt desselben nur noch grösser aus- fiele, wenn jene Differenz seinem Gewichte hinzugefügt würde. Da es sich aber nur um das Wasser an der Oberfläche handelt, welches der Haut und dem Flaume adhärirt, so wäre diese Addition unzulässig. Die Ernährung des SäugetMer- und Menschen -Embryo. In der placentalen Entwicklungszeit ist, wie schon vor mehr als zwei Jahrhunderten der geniale John Mayow bestimmt aus- sprach, die Placenta nicht nur die Lunge, sondern auch das Er- nährungsorgan des Fötus. Und doch wurde noch in diesem Jahrhundert die nutritive Function ihr abgesprochen. [440 Aus der Placenta erhält die Nabelvene die zum Aufbau und Leben der Frucht erforderlichen Nährstoffe. Aristoteles wusste bereits, dass die (placentalen) Säugethier- Embryonen durch den Nabel ernährt werden. [213 Dass aber das Nabelvenenblut die einzige Nährstoffquelle nicht ist, kann heute nicht mehr fraglich erscheinen, denn es steht jetzt fest, was früher oft zweifelnd geäussert wurde, dass [247.309 ausser der Zufuhr von Nährstoffen durch die Nabelvene auch noch eine Aufnahme von Fruchtwasser seitens des Fötus stattfindet, theils durch Verschlucken, theils durch Resorption desselben. Wenn auch das intrauterine Schlucken nicht allgemein als noth- wendig anerkannt ist, da lebende Avohlgenährte , reife Monstra ohne Kopf und Mundöffnung oder mit undurchgängigem Oeso- [se phagus vorkommen, so wird doch dadurch das regelmässige oder unregelmässige Verschlucken von Fruchtwasser seitens normaler Früchte nicht im Mindesten unwahrscheinlich gemacht und nament- lich davon die Resorption durch die fötale Haut und Nabelschnur nicht im geringsten berührt. Diese beiden Nährwege, von denen die erste mehr in den 252 Die embryonale Ernährung. späteren, die letztere mehr in den früheren Stadien der embryo- nalen Entwicklung vorkommen kann, seien zunächst erörtert. Über das Verschlucken und Verdauen des Frucht- wassers sind die Ansichten getheilt, Dass die Hühnerembryonen im Ei Fruchtwasser schlucken, [429 welches man dann im Magen in grösseren oder geringeren Mengen vorfindet, haben bereits Harvey (1651) und Haller oft beobachtet. [26 Ich kann diesen Befund bestätigen. In sehr vielen Embryonen vom 17. Tage an bis zur völligen Reife fand ich theils weisse und gelblich-weisse Coagula, theils eine gelbliche Flüssigkeit reichlich, theils beides im Magen, so dass in diesem Falle nicht allein die Aufnahme des Amnioswassers durch den Schnabel, sondern auch die Verdauung seiner Albumine im Ei als normaler Weise vor- kommend anzusehen ist. Was für das Haushuhn gilt, wird in dieser Beziehung auch für andere Vögel gelten. Und weshalb sollte es nicht auch für den vom Fruchtwasser umgebenen Embryo des Säugethiers gleichfalls Geltung haben? da doch Schluck- bewegungen intrauterin möglich sind. Was sollte den Fötus ver- hindern, seinen Mund intrauterin zu öffnen, da er es doch, wenn er zu früh geboren wird, sogleich vermag? Im Magen todtgeborener menschlicher Früchte fand Osiander (schon im vorigen Jahrhundert) nebst vielen anderen guten Be- obachtern mehr oder weniger Fruchtwasser, wie Scheel be- [247 richtet und bestätigt. Sollte es da nur durch vorzeitige Athem- bewegungen mit starker Aspiration, also abnormer Weise ver- schluckt worden sein, und Hesse sich dasselbe auch für die Fälle annehmen, in denen bald nach der Geburt Fruchtwasser durch Erbrechen entleert ward, so ist doch das constante Vorhandensein von Flüssigkeit in der Darm-, Mund-, Nasen- und Rachen-Höhle des Fötus kaum anders, als durch intrauterine Aufnahme, nament- lich Verschlucken desselben, zu verstehen. Denn wollte man ein- wenden, jene Höhlen seien mit einer anderen Flüssigkeit als Fruchtwasser angefüllt, so wäre das schon von Reigner de Graaf [247 constatirte Fehlen der Flüssigkeit im Magen mundloser und ace- phaler Monstren unverständlich und eine anderweitige Herkunft derselben erst nachzuweisen. Mit Recht hebt Rauber hervor, dass zu einer gewissen Zeit [325 der fötalen Entwicklung Fruchtwasser -Buchten durch die Mund- und Nasen-Ofihung sich in das Innere des Fötus erstrecken, dass die Nasen-Rachen-Höhle und der Kehlkopf vor der Geburt Frucht- wasser enthalten — die Trachea fand er ohne Lichtung, also leer — B. Der embryonale Stoffwechsel. 253 und dass dieses „innere Fruchtwasser" bei der Bildung der Nasen- und Mund-Höhle noch „äusseres Fruchtwasser" war, welches nicht einmal aspirirt oder verschluckt worden zu sein braucht. Bei der Geburt wird es theils abfliessen, theils verschluckt und bei der ersten Athembewegung oft zum Nachtheil des Kindes aspirirt. Zu Anfang umspült es den ganzen Embryo und muss in alle seine durch rapide Zelltheilung wachsenden Gewebe dringen. Dass aber später, zumal kurz vor der Geburt, viele Schluck- bewegungen stattfinden, ist durch viele Beobachtungen erwiesen, da im Fruchtwasser suspendirte vom Fötus abgestossene Theile, auch Meconium im Magen vorkommen. Ich führe einige Bei- spiele an. In dem Magen eines 7 bis 8 Monate alten Pferdefötus fand [6 Crepin eine grosse Menge Hornstückchen von derselben Beschaffen- heit, wie an den Hufen des Fötus. Viele waren 3 bis 4 Centim. lang, 3 bis 10 Millim. breit, 3 Millim. dick. Im Fruchtwasser fanden sich noch mehr solcher Körper, welche sich von den Hufen nachweislich abgelöst hatten. In zwei anderen Fällen eines intra- uterinen Todes des Pferdefötus, wurde dasselbe beobachtet, [los.iso Oft finden sich Haare im Magen neugeborener Kälber, ja sogar ganze Haarballen. Im Magen der noch nicht reifen Meerschweinchenembryonen, welche mit dem Kopf zuerst schnell ausgeschnitten wurden und keine intrauterine Athembewegung gemacht hatten, fand ich gleich- falls Haare, in dem reifer oft grosse Mengen einer gelblichen Flüssigkeit, welche die Eiweissreactionen gab. Schon Needham (1667) fand im Fötusmagen nicht selten in das Fruchtwasser entleertes Meconium wieder und Haller [76, 12. 24 erwähnt das constante Yorkommen von Haaren — die mit dem Fruchtwasser verschluckt wurden — im Meconium des Neu- geborenen. Ähnlich Moriggia, welcher das Meconium des [205 Rindsfötus untersuchte. Derartige Beobachtungen sind viel zu häufig, als dass sie für pathologisch gehalten werden dürften; es liegt dazu kein Grund vor. Selbst dann, wenn nur durch vorzeitige Inspirationsbewegungen Amnioswasser in den Magen gelangen sollte (was eine ganz [75,225 willkürliche Annahme ist), würde es eher zulässig sein, solche vorzeitige Athembewegungen für physiologisch, als die Schluck- bewegungen für pathologisch zu erklären; denn die bei reifen Todtgeborenen oder unmittelbar nach der Geburt Gestorbenen im Magen und Darm gefundenen Wollhaare und Epidermis-Schuppen 254 Die embryonale Ernährung. sind so reichlich, class lange Zeit hindurch sehr viel Fruchtwasser verschluckt v^orden sein muss, und den Magen des reifen Hühner- embryo fand ich niemals leer. Somit ergibt sich aus den vorhandenen Erfahrungen die grösste Wahrscheinlichkeit für das häufig vorkommende intrauterine Yer- schlucken von Fruchtwasser als eines physiologischen Actes. Auch Zuntz spricht sich auf Grund seiner Experimente in demselben [336 Sinne aus. Er injicirte nämlich trächtigen Kaninchen indigschwefel- saures Natrium in eine Yene und fand nur das Fruchtwasser und den Mageninhalt, aber sonst keinen Theil des Fötus bläulich gefärbt. Wird aber Fruchtwasser verschluckt, so wird es auch in der späteren Embryonalzeit zum Theil verdaut und resorbirt werden können. Denn die Magenschleimhäute menschlicher Neugeborener und vieler nicht zu wenig entwickelter Embryonen mehrerer Thier- arten sind peptisch wirksam gefunden worden — wovon Aveiter unten — und, was die Resorption betrifft, so liegen auch darüber ältere und neuere Beobachtungen vor, welche deren Möglichkeit beweisen. Boerhaave berichtet von einem durch die Ungeschick- lichkeit der Hebamme verletzten Neugeborenen, dessen Bauch- eingeweide zum Theil bloslagen. Man sah da die Strömung der Lymphe in den Chylusgefässen , obwohl das Kind keine Nahrung erhalten hatte, und Brugmans fand bei unreifen Thierembryonen die Chylusgefässe semper liquore subpellucido rcpletum. Beides be- richtet R Scheel (1798). [247 Wiener injicirte in den Magen des Fötus im Uterus (bei [366 Kaninchen und Hunden?) verdünnte Milch und fand nach etwa 9 Stunden die Darmzotten besonders an den Spitzen mit zahlreichen Fetttröpfchen erfüllt, konnte auch 2 bis 3 Stunden nach Injection von gelbem Blutlaugensalz in die Fruchtblasen im Mesenterium und in der Haut die Berliner-Blau-Reaction mit positivem Erfolge anstellen. Das fötale Darmepithel und die Chylusgefässe können also intrauterin schon ähnlich resorbirend wie später wirken, wenn auch nicht entfernt in so ausgedehntem Maasse wegen ihrer ge- ringeren Entwicklung. Es bedarf kaum weiterer Versuche zum Beweise der Resorp- tionsfähigkeit der Darmwand im Fötus. Ohne das Stattfinden von Resorptionsvorgängen würde auch die Consistenz des Meconium, das schon im 5. Monat angetroffen wird, unverständlich sein. Um mehr als einen Monat zu früh geborene Kinder verdauen sofort nach der Geburt das Colostrum und die Milch, welche sie bei sich behalten, also resorbiren. Somit kann nicht geleugnet werden. B. Der embryonale Stoffwechsel. 255 dass der Fötus schon lange vor der Geburt dem Geborenen resorbirbare, in seinen Verdauungscanal gelangte Flüssigkeit auch resorbiren kann, und dass er sie, wenn es der Fall ist, resorbirt. Was die Resorption des Fruchtwassers durch die Haut des Embryo betrifft, so wurde dieselbe zwar bis jetzt nicht direct nachgewiesen, sie ist aber kaum zu bezweifeln. Nach der Geburt ist allerdings die menschliche Haut entweder garnicht oder sehr wenig geeignet, in wässeriger; Lösung befind- liche Salze und Albumine durchtreten zu lassen, es wurde jedoch, soviel mir bekannt, das ungeborene Kind daraufhin noch nicht untersucht, und wenn auch für dasselbe, sowie für den der Eeife nahen Säugethierfötus, sowie den Vogel im Ei kurz vor dem Aus- schlüpfen, eine ähnliche Impermeabilität der Haut sich bei um- fangreichen und gründlichen Prüfungen herausstellen sollte, so wäre doch damit die Möglichkeit eines anderen Verhaltens der noch wenig entwickelten embryonalen Haut in früheren Stadien keineswegs ausgeschlossen. Die Bedingungen für eine Eesorption des Fruchtwassers seitens des unreifen Embryo im Uterus, wie im Vogelei, sind insofern schon günstiger, als der Contact ein sehr lange dauernder, all- seitiger und gleichmässiger ist. Auch hat die Körperoberfläche des Embryo eine ganz andere Beschaffenheit, als die des Ge- borenen, wie die Entwicklungsgeschichte derselben beweist, po Namentlich ist die Abschuppung der Oberhaut beim Embryo, das Vorhandensein besonderer sich früher oder später vor der Geburt abstossender Membranen (das Epitrichium Welcker's, die Epi- trichialschicht Kerbert's) beweisend für die abweichende Beschaffen- heit des embryonalen Integuments. Anfangs ist jedenfalls die Permeabilität viel grösser als später, und der Gedanke, dass die Ernährung des Embryo, namentlich die Wasserzufuhr, sowohl vor, als auch eine Zeitlang nach der Placentabildung zum Theil durch Aufnahme von Fruchtwasser seitens der Haut bewerkstelligt werde, nicht als unwahrscheinlich zu bezeichnen. Bereits gegen Ende des ersten Monats ist in menschlichen Eiern etwas Fruchtw^asser vorhanden, im zweiten Monat wurde [so, 311 es in beträchtlicher Menge gefunden. Ungefähr von dieser Zeit [99 an könnte die Resorption durch die Haut beginnen, sei es, indem die polygonalen Zellen der Oberhaut selbst sich mit der Flüssig- keit zunächst imprägniren und sie dann an die unter ihnen be- findlichen kleineren Zellen der künftigen Schleimschicht abgeben. 256 Diö embryonale Ernährung. weil diese wasserärmer sein müssen, sei es, indem das Amnios- wasser direct zwischen den Oberhaiitzellen eindringt. Weder die Lymphgefässe im subcutanen Gewebe, noch die Hautcapillaren — überhaupt die Verbreitung der Blutgefässe in der Haut — sind bei Embryonen soweit untersucht, dass man den Zeitpunct ihrer Betheihgung an dem fraglichen Resorptions- process bestimmen könnte. Dass aber ein solcher stattfinde, ist schon längst behauptet worden, so von Lobstein (1802) und [ii5 P. Scheel (1798), welcher auch ältere Experimente über die früh- zeitige resorptive Function der Embryo-Haut anführt, wie es scheint, von Brugmans. Dieser sah nach Unterbindung der Vorder- [247,40 beine von jungen Kaninchen- Embryonen, die er in warmes Kaninchen -Fruchtwasser tauchte, angeblich nach Ablösung der Haut die vasa lymphatica subcutanea der unterbundenen Theile strotzend gefüllt. Nach Lösung der Ligatur verschwand schnell die Turgescenz. Ich habe wiederholt bemerkt, dass junge — noch unbehaarte — Meerschweinchen-Embryonen, welche lebend in eine sehr ver- dünnte, blutwarme Carminlösung gebracht wurden, schon nach wenigen Stunden grosse Mengen des rothen Farbstoffs durch die Haut fast an allen Stellen der Oberfläche aufnahmen, so zwar, dass beim Einlegen der abgespülten intensiv rothen Früchte in destillirtes Wasser nur Spuren des Farbstoffs wieder austraten. Diese unvollkommenen Versuche fordern zu erneuter Prüfung auf. Jedoch ist — nach obigen Erfahrungen bewährter Beobachter — schon jetzt die Betheiligung des Fruchtwassers am Ernährungs- process des Fötus nicht mehr zweifelhaft. Es hat sich ergeben, dass im Normalzustand vom Fötus Fruchtwasser verschluckt, verdaut, resorbirt werden kann. Wenn auch der Albumingehalt ein geringer ist, so wird die absolute Menge des aufgenommenen Albumins durch Cumuli- rung sehr gross und die im Amnioswasser enthaltenen Salze (Natriumphosphat, Calciumphospbat u. a.), vor allem sein Wasser, müssen dem Fötus zu gute kommen. Daraus aber, dass auch ohne die Möglichkeit zu schlucken in seltenen Fällen von menschlichen Missgeburten (auch Katzen, Lämmern) die Frucht reif und wohlgenährt lebend zur Welt [:w3 kommen kann, wird keinenfalls geschlossen werden dürfen, die Betheihgung des Fruchtwassers an der Ernährung des Fötus sei für die normale Entwicklung entbehrhch, wie Manche meinen, pe Sie tritt nicht nur zur Ernährung mittelst der Nabelvene fördernd B. Der embryonale Stoffwechsel. 257 hinzu, sondern sie bildet, wie ich zeigen werde, wegen der reich- lichen "Wasserzufuhr einen wesentlichen Theil der normalen fötalen Ernährung. Denn jene Missbildungen können, wenn ihnen das Ver- mögen zu schlucken erst in den letzten Entwicklungsstadien fehlte, nichts dagegen beweisen; in den frühen Stadien aber dringt das Amnioswasser direct in das embryonale Gewebe. Übrigens ver- halten sich solche Monstren derartig anomal, dass von ihnen nicht in allen Fällen behauptet werden darf, sie seien normal ernährt. Allein schon darum ist der viel zu weitgehende Schluss von Panum und von Gusserow, das Yerschlucken des Fruchtwassers sei nur ein accidenteller Vorgang, der mit der Ernährung in keinem Zusammenhang stünde, sei ein Luxus für den Fötus, unzulässig, weil man nicht weiss, auf welchem anderen Wege den Monstren, die nicht schlucken konnten, Wasser in genügenden Mengen zu- geführt wurde. Vor allem kommt dabei die Möglichkeit einer gesteigerten Wasserzufuhr durch die Haut in Betracht. Denn in der Amniosflüssigkeit sind 97 bis 98 ^o? auch über 99"/^ Wasser gefunden worden. [433 Niemand wird heutzutage behaupten, das Fruchtwasser sei die einzige Nahrung des Fötus. Nur gegen eine solche ganz ver- altete Anschauung richten sich manche der häufiger vorgebrachteü. unhaltbaren Gründe gegen das Verschlucken des Fruchtwassers [433 seitens des Embryo. Die festen Bestandtheile des Amnioswassers werden beim Säugethier- und insbesondere beim Menschen-Embryo nicht weniger nutritiv verwerthet werden, wie vom Hühnchen im Ei, für welches die Frage durch meine directen Beobachtungen erledigt ist. Bei weitem nicht so klar ist die Betheiligung des Inhalts der Nabelblase an der Ernährung des Säugethier-Embryo. Die Art und Weise der Aufnahme von Nährstoffen seitens des Embryo der Säugethiere, welchen der Nahrungsdotter i. e. S. fehlt, ist in der ersten Zeit, vor der Bildung des Nabelstrangs, überhaupt unbekannt. Während von dem Vogel-Embryo und dem aplacentalen Känguru-Embryo mit grossem Dottersack unzweifel- haft durch die mächtigen Omphalo-mesenterial- Venen Nährstoffe aufgenommen werden und ausserdem in ihn durch Endosmose — auch Quellung und Imbibition — flüssige Eibestandtheile dringen, können bei den placentalen Säugethieren, und folgerichtig auch beim Menschen, deren Eier keinen eigentlichen Nahrungsdotter enthalten, nur im Anfang aus dem Nabelbläschen Stoffe in den Embryo gelangen (S. 73), und osmotische Processe in den Chorion- Preyer, Physiologie des Embryo. \1 258 I^iß embryonale Ernährung. zotten in der zweiten Woche müssen vor der Bildung der (auch beim Menschen anfangs paarigen) Nabelvene hauptsächlich die Stoffaufnahme direct vermitteln. Aber es ist nach den wenigen über den Inhalt, die Grösse, das Wachsthum, die Rückbildung, die Gefässe der Nabelblase und ihre Verbindung mit dem Embryo bisher angestellten Beobachtungen höchst wahrscheinlich, dass sie für die embryonale Ernährung von Bedeutung ist, bis die placen- tare Nahrungszufuhr in Gang kommt. Beim 4 ^/^-monatlichen Pferde-Embryo führen die Dottersack- gefässe noch Blut, werden also mit dem Inhalte des Nabelbläschens in osmotischem Verkehr stehen. Beim 5-monatlichen Pferde-Fötus schwindet aber meist schon das Nabelbläschen, welches anfangs nach Franz Müller durch eine besondere Öffnung mit der [le* Uterushöhle in Communication steht und erst später sich ver- schliesst, wenn die Rückbildung begonnen hat. Bemerkenswert!! ist daher, dass der Inhalt der Uterushöhle und des Nabelbläschens ähnlich sind. Beide enthielten kohlensauren Kalk, Chole- stearin, Fett, Pigment. Die Flüssigkeit in den älteren, geschlossenen Bläschen war graugelblich, trübe mit Flocken und Körnern. In der Uterushöhle fand sich eine ähnliche schmutziggelbe Flüssigkeit, welche zuweilen Niederschläge auf der Uterusschleimhaut und am Chorion ausschied. [164 Hiernach ergiesst das Nabelbläschen seinen Inhalt in der frühesten Zeit frei in die Uterushöhle. ri64 Wichtiger ist eine Beobachtung von Rauber, welcher im Inhalt des Dottersacks von Kaninchen - Embryonen genau derartige Ge- bilde entdeckte, wie sie den gelben Dotter des Hühnereies aus- machen. Diese grossen, mehr oder weniger feinkörnigen kernlosen Kugeln, welche in Gruppen in unmittelbarer Nähe des Dottersack- epithels beim Kaninchen auftreten, sollen zur Ernährung des [212 Embryo dienen, wie beim Vogel. Sie können allerdings in der präplacentalen Zeit des ersten Kreislaufs zur Resorption in der Urdarmhöhle gelangen, jedoch fehlt jeder Nachweis, dass diese Dottersackkugeln, welche den Elementen des gelben Dotters der Vogeleier ähnlich sind, wirklich als Ernährungsmaterial dienen und die Bedeutung eines gelben Dotters haben. Ob sie von der Mutter oder vom Embryo stammen, ist nicht ermittelt. Verfolgt man die Entstehung, Ausbildung und Rückbildung des Dottersacks (des Nabelbläschens, der Dotterblase, der Vesicula umbilioalis , des Saccus vitellinus s. vitellum continens bei Thieren) beim menschlichen Embryo und bei den Säugethieren vergleichend, so drängt sich die Ansicht auf, dass sein noch fast unbekannter B. Der embryonale Stoffwechsel. 259 Inhalt wenigstens eine Zeit lang dem Embryo zur Nahrung dient, und zumTheil durch den Dottergang, zum Theil durch dieOmphalo-mesen- terial-Venen in ihn gelangt. Bei dem Macropus-Embryo mit dem enorm grossen Dottersack und den mächtigen Dottersackgefässen kann dieser Ernährungsmodus keinem Zweifel unterliegen, aber beim menschlichen Embryo macht das Wachsthum der Vesicula umbilicalis noch lange nach der Bildung der Placenta (S. 73) eine Betheiligung an der Ernährung des Embryo ebenfalls wahrscheinlich. Die wenigen zuverlässigen Daten über das Nabelbläschen jüngster menschlicher Embryonen von Allen Thomson (A. T.), Kölliker (K.), His (H.), Wagner (W.), Coste (C.) stehen zwar unter sich wegen der grossen Schwierigkeit, in den ersten zwei Monaten das Alter der Frucht zu bestimmen, nicht ganz im Einklang, widersprechen aber keineswegs der Annahme, dass vor und während der Placenta-Bildung, ja sogar noch einige Zeit nachher die Nabel- blase für die Ernährung auch des menschlichen Embryo von Be- deutung sei. Ich stelle die wichtigeren Beobachtungen, soweit es mir mög- lich war sie zu sichten, chronologisch zusammen. Erster Monat. Ende der 2. Woche Hegt die Nabelblase dem Embryo dicht an und hat in einem Falle 1,9, in einem anderen 2 Mm. im Querdurchmesser (H.). Der darmlose Embryo setzt sich mit seinen Rändern in den grossen Dotter- sack fort (A. T. bei K.). Anfangs der 3. Woche ist derselbe birnförmig und der quere Durch- messer beträgt in 4 Fällen zwischen 1,2 und 2,1 Mm. (H.). In der 3. Woche ist er in grosser Ausdehnung in Verbindung mit dem Darm (C. bei K.) vmd hat 2,3 bis 3 Mm. im Querdurchmesser (H.), Gefässe bemerklich (K.). Ende der 3. oder Anfangs der 4. Woche ist die Nabelblase ohne Dottergang in weiter Verbindung mit dem Darmcanal (K.), aber auch durch einen kurzen, weiten Stiel, den Dottergang, mit dem Darm verbunden, oval, 2,2 Mm. lang (W. bei K.), dann kurzgestielt und 2,7 Mm. dick (H.), endhch mit einem beträchtlich breiten und langen Stiel mit der Leibeshöhle ver- bunden (C. bei K.) und 3,3 Mm. lang ( A. T. bei K.). In der 4. Woche Dottersack links mit ganz kurzem Stiele (K.); kurz gestielt (H.). Ende der 4. Woche Dottersack 4,5 Millim. (C. bei K.). Dottergang leicht gewunden, auf dem Dottersack ein Gefässnetz (K.). Zweiter Monat. In der 5. Woche 4,5 Millim. (K.), 5 und 4,5 und 4 Mm. und lang- gestielt (H.). Anfangs der 6. Woche mit Dottergang als dünnem Strang (K.). Im 2. Monat gross (K.J. 17* 260 ^^^ embryonale Emätirung. Vierter und fünfter Monat. Im 4. und 5. Monat noch deutlich, rundlich, weiss, 7 bis 11 Mm. im Durch- messer, enthält eine Flüssigkeit, zeigt häufig noch Blutgefässe, Vasa omph.-mes., an der inneren Oberfläche kleine gefässhaltige Zotten. Ein Stiel, der den Dottergang noch erkennen lässt, verbindet das N. mit dem Nabelstrang, in- dem die Vasa omph.-mes. weiter bis zum Embryo verlaufen. Zuletzt Nabel- bläschen 4 bis 7 Mm., enthält Fett und Carbonate (H.). Persistenz bis zuletzt (S. 73 und 78). Demnach ist die Nabelblase anfangs in weiter Verbindung mit der ihr dicht anliegenden offenen — in sie übergehenden — Leibeshöhle, dann durch einen kurzen weiten, hierauf durch einen länger und dünner werdenden Stiel, den Dottergang [Ductus ente- ricus, ducius vitello -intestinalis) mit dem Darm verbunden. Sie nimmt in den ersten Monaten zu, dann in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft ab und wird schliesslich ganz rudimentär, ohne jedoch unkenntlich zu werden. Flüssigkeit ist regelmässig in ihr gefunden worden, und diese kann sowohl durch die directe Com- munication mit der Leibeshöhle, bez. dem Darm des Embryo, als auch mittelst der Omphalo - mesenterial -Yenen in die Frucht ge- langen, reichlich vor, spärlich nach der Bildung der Placenta. Woher freüich die wachsende Nabelblase selbst neues Material bezieht, ist noch zu erforschen, und trotz der hier zusammen- gestellten Thatsachen kann die Betheiligung der Nabelblase an der Ernährung placentaler Säugethier-Embryonen bis jetzt nicht als nothwendig für ihre Entwicklung bezeichnet werden. Sie ist nur wahrscheinlich. Durchaus unentbehrlich für die Ernährung des Säugethierfötus ist dagegen die Nährstoff- Aufnahme durch die Nabelvene, welche, nachdem (beim Menschen in der dritten oder vierten Woche) der Allan toisgang im Bauchstiel als Nabelstrang (S. 76) an das Chorion sich inserirt hat, mit der Nabelcirculation in Gang kommt. Wollte man aber dann und in der folgenden Zeit bis zur Keife der Frucht einzig und allein durch das Nabelvenenblut die Wasser- und Nährstoff -Zufuhr geschehen lassen, so würde demselben eine Beschaffenheit zugeschrieben werden müssen, welche es nicht haben kann. Da nämlich der Embryo sehr schnell wächst, also Albumine, Fette und andere Kohlenstoff- Verbindungen reichhch ansetzt, auch feste anorganische Verbindungen, welche der Kürze halber Salze heissen mögen, in der langen Zeit reichlich in sich aufspeichert, so muss das Nabelvenenblut absolut mehr von all diesen Verbindun- gen, überhaupt mehr feste Stoffe, zuführen, als das gleichzeitig aus B. Der embryonale Stoffwechsel. 261 dem Embryo abfliessende Nabelarterienblut fortschafft. Mit dem Waclisthum des Embryo nimmt aber auch die absolute Menge des in ihm enthaltenen Wassers zu. Er nimmt also mehr Kohlenstoff- Verbindungen, mehr Salze und mehr Wasser auf, als er gleich- zeitig abgibt, sonst wäre sein Wachsthum, ein Stoffansatz von durchschnitthch 11 bis 14 Gl-rm. täglich beim Menschen, unmög- lich. Demnach müsste das ISTabelarterienblut einerseits weniger feste Stoffe, als das Nabelvenenblut enthalten — weil continuirlich wachsende Mengen im Embryo verbleiben ■ — andererseits concen- trirter als das Nabelvenenblut sein — weil die Wassermenge im Embryo stetig zunimmt. Dieser Widerspruch kann nur dadurch aufgelöst werden, dass man entweder ausser der Nabelvene noch eine Nahrungsquelle für den Embryo annimmt, welche ihm Wasser (oder Wasser und darin gelöste Bestandtheile) hefert oder die ab- soluten Blutmengen der Arterien kleiner als die der Yene setzt. Wollte man nämlich behaupten, bei Gleichheit dieser Blutmengen sei die Concentration des Nabelarterienblutes gleich der des Nabel- venenblutes, weil jenes Stoffwechselproducte des Embryo anstatt der im Embryo zurückgebliebenen Nährstoffe enthalte und weg- führe, welche den Ausfall deckten, dann wäre der Ansatz von Nährstoffen in den Geweben des Embryo unmöglich (es würden dann soviel feste Stoffe abgeführt, als zugeführt). Die absolute Menge der festen Stoffe in dem in die Nabelarterien ausfliessenden Blute muss also etwas geringer sein, als die absolute Menge der festen Stoffe im gleichzeitig aus der Nabelvene einfliessenden Blute, und zwar auch wenn dieses die einzige Nahrungsquelle nicht ist. Denn während der Entwicklung wächst nicht allein der Eötus und die Placenta, sondern auch die absolute Blutmenge der Erucht immer auf Kosten der Mutter. Eine Unterbrechung des Placentar- kreislaufs durch Stauung wird vermieden dadurch, dass in dem Maasse als der Fötus wächst, in der Placenta aus dem mütterlichen Blute auch mehr Wasser und zugleich mehr feste Bestandtheile in das fötale direct übergehen, als aus diesem in jenes; der Über- schuss bleibt im Fötus und häuft sich in ihm an, namenthch in der Leber. Dass in der That auch mehr Wasser in das Blut der Zotten capillaren übergeht, als aus ihm austritt, folgt aus dem grösseren Gehalt des fötalen Blutes an festen Stoffen. Schon Denis undPoggiale hatten (1830) diesen Unterschied ent- deckt. Ersterer fand für das Nabelarterienblut das sehr hohe Volumgewicht 1070 bis 1075. Es wurde an Trockensubstanz ge- funden in Procenten: 262 Die embryonale Ernährung. Fester Kückstand 21,9 29,85 17,0 22,0 25,2 25,5 25,6 20,2 23,2 In dem mütterlichen Venenblut kindlichen Nabelarterienblut Blut erwachsener Hunde Blut einen Tag alter Hunde Nabelarterienblut Nabelvenenblut Placentablut [443 Blut eines erwachsenen Hundes Blut eines eine Stunde alten Hundes [444 Panum fand die Unterschiede noch grösser. Er untersuchte das Blut der jungen Hunde unmittelbar nach der Geburt. Das specifische Gewicht desselben betrug 1053,69 und 1060,4, das der Mutter 1039,6. Im gequirlten Blute der letzteren wurden 13,88, im Blute der Neugeborenen 19,26; 22,33 und 22,8 7^, feste Stoffe gefunden. Die Menge des Hämoglobins im Mutterblute verhielt sich zu der im Fötusblut wie 53 zu 96 bis 100 (siehe auch [442 oben S. 144). Das Verhältniss des festen Rückstandes im gequirlten Blute zum Körpergewichte betrug bei den neugeborenen Hunden (zweimal beobachtet) 1,39 °/q, bei einem sieben Wochen alten Hunde 0,956'^ j^, bei erwachsenen Hunden 0,932 und 0,907^^/0. ^'^^^ Aus allen diesen Bestimmungen folgt, dass das fötale Blut, wenigstens in der letzten Zeit der intrauterinen Entwicklung beim Menschen und beim Hunde erheblich concentrirter, als das der Mutter ist. Schon in den ersten Wochen des extrauterinen Daseins nimmt nach Vierordt der Hämoglobingehalt ab. Der Wasser- [407 geh alt nimmt aber postnatal zu. Denn nach von Bezold ist der gesammte Wassergehalt [445 des fötalen Körpers relativ grösser, als der des Erwachsenen. Die von Fehling gefundenen Zahlen zeigen dasselbe und zugleich [334 in welchem Maasse schon vor der Geburt die anfänglich höchst wasserreichen Gewebe des Embryo consistenter werden. Er faud den Wassergehalt eines menschlichen Embryo aus der sechsten Woche zu 97,54 7o; sein Körper enthält also noch zu Ende des zweiten Fruchtmonats sehr viel mehr Wasser als Blut, Milch, Lymphe. Der Wassergehalt liegt im 4. Monat zwischen 90 und 92<'/fj, im 5. zwischen 88 und 937,^ (7 Fälle), im 6. Monat zwischen 83 und 907(, (3 Fälle), im 7. zwischen 82 und 85 7o (4 Fälle), B. Der embryonale Stoffwechsel. 263 betrug im 8. einmal 82,9% und erst beim reifen Neugeborenen, welcher allerdings todt zur Welt kam, 74,1 '^/q. Bischoff hatte für das Neugeborene nur 66,4 % Wasser gefunden. Jedenfalls nimmt das fötale Blut, welches auch schwerer gerinnt, wie ich und Andere constatirten, wegen seiner hohen Concentration eine Sonder- stellung ein. Für die fötale Ernährung folgt hieraus zunächst, dass noth- wendig in der Placenta Wasser aus dem mütterlichen Blute in das concentrirtere fötale in den Zottencapillaren übergehen muss. Dann ist aber auch nothwendig — nach der obigen Darlegung — die absolute Blutmenge, welche von der Placenta fort in den Fötus strömt, in gleichen Zeiten etwas grösser, als die in matripetaler Richtung in den Nabelarterien strömende Blutmenge. Denn wenn das fötale Blut in der Placenta zugleich mehr feste Stoffe und mehr Wasser aufnimmt, als es hinbringt, dann muss die Menge des zum Fötus strömenden Näbelvenenbluts im Ganzen etwas grösser sein, als die Menge des gleichzeitig in die Placenta strömenden Nabelarterienblutes. Hiermit ist aber noch keineswegs ausgeschlossen, dass auf anderem Wege dem Fötus Wasser (oder Wasser und darin gelöste ßestandtheile) zugeführt werde. Dass die Zufiüir durch das Nabelvenen blut in der That nicht genügt, zeigt die folgende Deduction. Aus der grösseren Concentration des Fötusblutes einerseits, dem grösseren AVasserreichthum der fötalen Gewebe andererseits folgt nothwendig, dass nicht alles Wasser der letzteren ausschliess- lich von dem Nabelvenenblute geliefert sein kann, weil seine Ge- webe vermöge ihres hohen Wassergehaltes dem Blute Albumine, Salze und andere zum Theil wirklich gelöste, zum Theil nur scheinbar gelöste Stoffe continuirlich entziehen; und wenn auch im Verlaufe der Entwicklung ihr relativer Wassergehalt eben durch diese Diffusionsprocesse, welche zur Consolidirung der Gewebe führen, abnehmen muss, so bedarf doch der sich weiter differen- zirende Organismus, dessen absoluter Wassergehalt bis zuletzt immer mehr zunimmt, um dem Blute immer mehr feste Stoffe auf osmotischem Wege entnehmen zu können, immer neuer Wasser- mengen, die das Nabelvenenblut selbst ihm nicht Hefern kann, weil es weniger Wasser als die Gewebe enthält. Die ganze fötale Er- nährung hängt also davon ab, dass Wasser in die Frucht gelangt, welches nicht vom Nabelvenenblut eingeführt wird. Im erwachsenen Menschen ist das Verhältniss ein ganz anderes, 264 I^ie embryonale Ernährung. weil da eine Concentration des Blutes in den Lungen und in den Hautcapillaren durch die Verdunstung sehr grosser Wassermengen stattfindet, welche dem Fötus gänzlich fehlt. Ausserdem ist beim normalen Erwachsenen im Stoffwechselgleichgewicht die totale Blutmenge als constant anzusehen — sie nimmt nicht continuir- lich zu wie beim Fötus — und nur durch Getränke und Nahrung wird neues Wasser zugeführt. Durch dieses einzig vom Verdauungs- canal aus theils direct, theils indirect aufgenommene Wasser wird der Ausfall gedeckt, nicht durch Wasseranziehung aus den Geweben. Denn das Blut- und Lymph-Plasma enthält durchschnittlich mehr Wasser (bis über OO^o); als die Gewebe; es versorgt sie allein mit Wasser. Beim Fötus hingegen sind die Gewebe im Allgemeinen wasserreicher als das Blut, es muss ihnen also anderswoher, als aus dem Blute allein, Wasser geliefert werden, d. h. aus der Amniosflüssigkeit. Auf drei Wegen erhält also der Fötus das ihm zur Entwick- lung nothwendige Wasser: 1) Er verschluckt grosse Quantitäten Fruchtwasser, welches vom Verdauungscanal aus theils mittelst der Blutgefässe, theils mittelst der Chylusgefässe in den späteren Stadien resorbirt wird. 2) Es diffundirt in den früheren Stadien viel Fruchtwasser durch die embryonale Haut. 3) Es gelangt Wasser von der Placenta her mit Nährstoffen durch die Nabelvene in den Fötus. In allen drei Fällen wird dem Blute im Fötus Wasser zu- geführt. Es muss also dasselbe mit dem Nabelarterienblute zum grossen Theile den Fötus verlassen. Ein kleiner Theil geht durch die Nieren in das Fruchtwasser zurück, ein sehr kleiner Theil durch die Hautdrüsen in den späteren Entwicklungstadien in die Hautsecrete und ein Bruchtheil in die Galle und das Meconium. Das übrigbleibende aufgenommene Wasser verbleibt in den Ge- weben, wo es während der Entwicklung absolut bedeutend zunimmt, während es relativ abnimmt. Der grosse Unterschied des Wasserwechsels beim Ungeborenen und beim Geborenen besteht also darin, dass bei diesem alles einmal ausgeschiedene Wasser ausgeschieden bleibt (Exspirations- wasser, Schweiss, Harn, Fäces, Geschlechtsproducte u. a.), während der Fötus von dem ausgeschiedenen Wasser einen grossen Theil wieder aufnimmt. Denn das durch Haut und Nieren von ihm ausgeschiedene Wasser gelangt durch die Amniosflüssigkeit wieder ß. Der embryonale Stoffwechsel. 265 in den Magen und das durch die Nabelarterien fortgeführte grösstentheils durch die Nabelvene zurück in das Blut. Das Nabelvenenblut ist aber im Gegensatz zur Amniosflüssig- keit viel weniger, weil es Wasser zuführt, als weil es feste Stoffe in den Fötus bringt, für diesen von Bedeutung. Beträgt die Kreis- laufsdauer des Neugeborenen 12 Secunden (Vierordt), dann muss die des Fötus mit dem Placenta - Kreislauf kurz vor der Geburt wenigstens das Doppelte betragen und bei Vollendung jedes Blut- umlaufs die Summe der von der Mutter entnommenen Stoffe für den Menschen 3 bis 5 Milhgramm betragen, wenn der Embryo in 280 Tagen durchschnittlich um 12 Grm. täglich an Gewicht zunimmt. Davon müssen wenigstens 2 bis 3 Grm. feste Stoffe sein. Welche Stoffe es aber sind, die mit dem Nabelvenenblut in den Fötus eingeführt werden, ist noch nicht festgestellt. Es können nur solche sein, die entweder unmittelbar aus dem Plasma des mütterlichen Blutes der Placenta stammen oder sich aus diesen gebildet haben, sei es vermöge eines specifischen Chemismus im Zottenepithel oder in dem spärKchen Zottenparenchym, sei es im fötalen Zotten-Capillar-Blute selbst, wenn zunächst von den Uterin- Drüsen und Carunkeln und einem Import von Nährstoffen durch überwandernde Leukocyten abgesehen wird. Sollen nun unter den Bestandth eilen des mütterlichen Blut- plasma diejenigen bezeichnet werden, welche in das fötale Blut- plasma der Zottencapillaren übertreten, so begegnet man der bisher nicht überwundenen Schwierigkeit, dass gerade die in erster Linie dem Fötus erforderlichen Albumine am schwersten diffun- diren. Gegen einen Übertritt der Chloride und Phosphate des Kalium und Natrium auch noch des Zuckers, der Seifen und allenfalls der Phosphate des Calcium und Magnesium lassen sich solche Bedenken nicht erheben; wie aber Albumine übergehen sollen, ist schwer zu verstehen, und wie der Fötus mit dem ihm nothwendigen Eisen versorgt wird, ganz unbekannt. Man hat zwar angenommen, Eiweiss könne in der leichter diffundirenden Form von Peptonen übergehen, da aber die Menge der Peptone im mütterlichen Blute eine sehr geringe ist und eine peptonisirende Function der Placenta nicht wohl zugeschrieben werden kann, so hat Zuntz die im höchsten Grade unwahrscheinliche Möglichkeit [si einer Synthese des Albumins aus Harnsäure, Kohlenhydraten, Fetten im Fötus in Betracht gezogen, ohne zu bedenken, dass in diesen Ingredientien der Schwefel fehlt und in keinem höheren thierischen Organismus Albumin synthetisch aus Stoffen entsteht. 2Ö6 Die embryonale Ernährung. welche nicht selbst schon Albumine sind. Derartige Speculationen führen keinen Schritt weiter in der Erkenntniss der Herkunft em- bryonaler Nährstoffe. Es ist auch nicht abzusehen, wie das Fett durch Diffusion die epitheliale Scheidewand und die Gefässwand passiren soll. In Erwägung all dieser Schwierigkeiten, welche der allgemein verbreiteten Annahme eines reichlichen Übergangs von Nährstoffen durch Diffusion aus dem mütterlichen Blute in das fötale in der Placenta entgegenstehen, ist die Prüfung eines anderen Modus des Stoffübergangs, nämlich des Transports von Eiweiss, Fett, Kohlenhydraten, Lecithinen und anderen Verbindungen — auch Salzen — durch überwandernde Leukocyten nicht etwa nur zu- lässig, sondern nothwendig. Diese Möglichkeit bildet die Grundlage einer originellen Hypothese über die Ernährung der Frucht in der placentalen Zeit und nach der Geburt, welche A. Eauber aufstellte. Er meint nämlich, in der Placenta finde eine physiologische Auswanderung farbloser Blutkörper aus dem Blute der Mutter in das des Fötus statt und nach der Geburt thue sich eine neue Abzugsquelle für dieselben in den Milchdrüsen auf, so dass „dasselbe Ernährungs- material nunmehr nach letzteren, d. i. nach der Hautoberfläche, geworfen" werde. Einen ähnlichen Gedanken hatte Aristoteles, [212 welcher nach der Geburt die Nahrung des Fötus in die Brüste [213 wandern und sich allmählich in Colostrum und Milch umwandeln liess, während Paracelsus umgekehrt meinte, der Embryo werde dadurch ernährt, dass die Milch aus den Brüsten auf unbekanntem Wege zu ihm hinabströme. Wahrscheinlich hat die Uterinmilch zu solchen Ideen Anstoss gegeben. Sicher ist, dass der Inhalt der Chorionzotten , sowie sie sich in die Schleimhaut des Uterus eingesenkt haben, mit dem Inhalte der Blut- und Lymph-Geiässe derselben in osmotischen Ver- [212 kehr treten muss. Die Möglichkeit, dass mit der weiteren Aus- bildung der Zottencapillaren und vollends nach dem Entstehen der Placenta Lymphkörper aus dem mütterlichen Blute in das fötale einwandern, kann nicht geleugnet werden, zumal sowohl das Blut Schwangerer, wie das des Fötus der späteren Zeit reicher an solchen Elementen ist. Um aber einen directen Beweis oder Wahrscheinlichkeitsgrund für diese Migration der Lymphkörper zu haben, muss ä&y, Blut der Nabelvene mit Bezug auf seinen Gehalt an Leukocyten untersucht und mit dem der Nabelarterien verglichen werden. Finden sich in letzterem weniger farblose B. Der embryonale StofFwechsel. 267 Blutkörper im Verhältniss zu den farbigen, dann wird eine Ein- wanderung von farblosen Blutkörpern (in der Placenta) in das fötale Blut wahrscheinlich. Solche vergleichende Untersuchungen hat Kauber in der Weise ausgeführt, dass er Schnitte von bestimmter Dicke aus einem doppelt unterbundenen in Chrom- säure gehärteten Nabelschnurstück anfertigte und die Körperchen auf gleichgrossen Flächen zählte. Er fand bei verschiedenen Altersstufen des Fötus in der Nabelvene mehr Lymphkörper als in den Arterien und zwar nach vorläufigen Zählungen im Ver- hältniss von 12 bis 13 zu 11. Wenn auch der Unterschied klein ist, durch seine Constanz wird er ungemein wichtig. Denn wenn regelmässig eine Einwanderung in der Placenta statthat, dann wird der Transport des Nährmaterials von dem Blute der Mutter in das des Fötus verständlicher. Ob im Embryo selbst eine Emigration der Art normal statt- findet, ist fraglich. Das Vorkommen von Wanderzellen und farb- losen Blutkörpern im späteren Embryoleben steht fest und schon Fontana sah im Schwänze der Froschlarve und im Hühnerembryo die Blutkörperchen vom Herzstoss fortgestossen allmählich den Widerstand, den sie vor sich fanden, überwinden und in der galler- tigen Substanz der Gewebe Canäle bilden (vgl. S. 68). Wahrscheinlich spielen die Leukocyten bei der DifFerenzirung wie bei der Ernährung eine Hauptrolle wegen ihres Vermögens, fremde Stoffe in sich aufzunehmen und wegen ihrer ausserordent- lichen Beweglichkeit. Die Art und Weise, wie sie die Nahrung des Embryo an den richtigen Ort schaffen, ist freilich ebenso räthselhaft, wie die Beschaffenheit der Nahrung selbst. Erst in den letzten Jahren ist über diese letztere durch die Untersuchung der Uterinmilch etwas bekannt geworden. Die in verschiedenen Trächtigkeits-Stadien der Wiederkäuer und der Stuten in ungleichen Mengen vorhandene, weissliche, auch schwach röthliche oder gelbliche Uterinmilch ist zwar in chemischer Beziehung nur ungenügend untersucht worden, soviel aber lässt sich schon als wahrscheinlich hinstellen, dass sie für die Ernährung der Frucht von Bedeutung sein muss. Oft wurde sie früher für die Nahrung mancher Thier-Embryonen, namentlich der Wieder- käuer, angesehen, aber auch für ein Zersetzungsproduct erklärt. Ercolani vertheidigte seit 1869 mit Erfolg die erstere Ansicht. [398 Bonnet, welcher die Uterinmilch und das während der Brunst [m abgeschiedene Uterinsecret mikroskopisch untersuchte und in [82 beiden enorme Mengen von Leukocyten fand, so dass der Saft 268 Die embryonale Ernährung. sich wie Eiter verhielt, spricht sich dahin aus, dass es sich [299, 13 hier um eine Massen- Auswanderung farbloser Blutkörper handele. Er meint, dass sogar schon vor der Befestigung des Eies im Uterus eine Einwanderung in dasselbe stattfinden könne und hebt hervor, dass nach derselben die Hyperämie der Uterinschleimhaut chronisch wird, während die Ovarien blutarm werden! „Zieht man in Betracht, dass das Ei des Schafes am 13. Tage ein 9 Mm. langes und 1,5 Mm. breites Bläschen darstellt, an dem sich eben der Fruchthof anzulegen beginnt, und dass es am 17. Tage als ein 35 Cm. langer spindelförmiger Sack mit einem Embryo von 4,5 Mm. Länge und geschlos- senem Amnion mit einer 2,6 Cm. langen Allantois, die von reichen Blut- gefässen überzogen ist, mit pulsirendem Herzen, geschlossenem Darm, deut- lichen Wolffschen Körpern und zwei Kiemenbögen gefunden wird, so wird man zugeben müssen, dass ein solches Wachsthum eine reichliche Nahrung voraussetzt, die wohl kaum aus Plasma allein bestehen dürfte. In der That habe ich auch an allen Keimblasen bis zum 21. Tage die Zellen des Ekto- derms mit Fetttröpfchen erfüllt gefunden, die in jeder Hinsicht sich mit den in der Uterinmilch frei schwimmenden deckten." [111 Dieses Fett entstehe durch den Zerfall der ausgewanderten Lymphkörper. Ferner bemerkt Bonnet: ,,Wie gross aber das Nahrungsbedürfniss des Eies auch schon vor Einleitung des fötalen Kreislaufs sein mag, lässt sich daraus vermuthen, dass in der Uterinschleimhaut nach jeder Richtung hin die absondernde Fläche vergrössert wird. Die an ihren blinden Enden wuchernden Drüsen erreichen oft das Doppelte ihres Ausmaasses und während dieses Wucherns beginnt schon an ihrer Mündung die Fettausscheidung im Epithel und die Emigration von Lymphzellen. Diese Partie ist mit den letzteren vollgepfropft und aus- gebaucht, während in der Tiefe erst vereinzelte Lymphzellen im Drüsen- lumeu auftreten, das Epithel noch deutlich nach der Mündung zu flimmert und den Drüseninhalt fortschafft, um_ueuer Füllung Platz zu machen." [299, 16 Dass die Lymphkörper bei ihrer Passage durch das Epithel verändert werden, erklärt Bonnet für sicher und hält dafür, dass ihre massenhafte Auswanderung aus den Blutgefässen durch die durch Drüsenwucherung bedeutend vergrösserte Schleimhaut-Ober- fläche erheblich begünstigt werde. „Die Thatsache, dass in späteren Perioden, nach Einleitung des fötalen Kreislaufs, sich auch aus den Uterincarunkeln L^terinmilch ausdrücken lässt, be- weist, dass auch in späterer Zeit das Secret reichlich abgesondert wird und gewiss nicht ohne Bedeutung für die Ernährung der Frucht ist." Entsprechend den grösseren Anforderungen der letzteren, während sie rasch wächst, würde also die Uterinmilch als B. Der embryonale Stoffwechsel. 269 Nährmaterial für dieselbe in späterer Zeit reichlicher abge- sondert. Die Rauber'sche Idee gewinnt hierdurch an Wahrscheinlich- keit. Wenn auch eine Einwanderung der Lymphkörper als Ganzes in den Embryo nicht gesehen wurde, so sprechen doch die Be- obachtungen dafür, dass einzelne Zerfallpro ducte derselben, wie Fett, auch wohl Salze (Kaliumverbindungen), in den Embryo [ßn eintreten. Wahrscheinlich ist das Vorkommen der Uterinmilch ein all- gemeineres, als man bis jetzt annahm, da ausser bei den Wieder- käuern und Einhufern auch bei einzelnen Nagern, wie den Meer- schweinchen, Bonnet im trächtigen Uterus einen dem Colostrum ähnlichen Saft fand. Bei trächtigen Meerschweinchen habe ich ausserdem eine enorme Ansammlung von Fett in den breiten Mutterbändern regel- mässig wahrgenommen. Von dem massenhaft beiderseits sich ausbreitenden gelben Fettgewebe gehen mächtige hellrothe Arterien zum linken, wie zum rechten Uterushorn, wenn darin Embryonen sich entwickeln und sehr dunkelrothe Venen gehen vom Uterus zurück in das Fettgewebe. In der Uteruswand verzweigen sich diese Gefässe, welche offenbar das Nährmaterial nicht nur für die wachsenden durchscheinenden Muskelfasern, sondern indirect auch für den Fötus liefern. Denn in den Uterindrüsen und in der Uterinmilch des Schafes fand Bonnet sehr häufig zahlreiche [299 Fetttröpfchen. Auch der menschliche Fötus bezieht, den Untersuchungen von G. von Hoffmann in Wiesbaden zufolge, seine Nahrung nicht [346 allein aus dem mütterhchen Blute der Placentarsinus , sondern auch aus echter Uterinmilch, welche diesem Blute sich beimischt. Er kam durch die mikroskopische Betrachtung des mittelst capillarer Glasröhrchen von der Haftfläche frisch ausgestossener Placenten durch Einstich erhaltenen, an geformten Elementen sehr reichen Flüssigkeit, zu dem Resultat, dass beim Menschen eine Uterinmilch von der Serotina [Decidita placentalis) abgesondert werde, und zwar in die Räume hinein, in welchen sich die Pla- centarzotten befinden, so dass diese die geeigneten Bestandtheile aufnehmen könnten. Wenn sich dieses bestätigt, dass die Uterinmilch allgemein verbreitet ist, dann gewinnt in der That die von früheren Autoren seit Harvey und Haller aufgestellte, von Prevost und [56.310.401 270 Die embryonale Ernährung. Morin, sowie von Eschricht (1837) und neuerdings von [26.469 Ercolani und Eauber wieder aufgenonimene Ansicht des Aristo- [393 teles noch mehr an Wahrscheinlichkeit, dass die Uterinmilch zur Ernährung des Fötus dient. Die Frage, wie dieselbe [213,757 in den Embryo gelangen soll, ist auch nicht mehr so schwer zu beantworten wie früher, seit Jassinsky genauer nachwies, dass die Chorionzotten theils in die Uterindrüsen hineinwachsen, theils selbst während der Schwangerschaft modificirte Uterindrüsen sind (von ihm sogenannte „dicke Zotten"). [ise vgl. 467 Der Mechanismus der Resorption des Utriculardrüsen-Secrets ist sogar von Spiegelberg für das Schaf und die Kuh in der [468 Weise aufgefasst worden, wie die Resorption verdauter Nährstoffe und der Fettkügelchen seitens der Darmzotten beim Geborenen, Er meint, dass vom wandständigen Epithel der Uterindrüsen aus sich neue, bald wieder — hauptsächlich durch fettige Metamor- phose — zu G-runde gehende Zellen bilden, welche das embryo- trophische Material liefern; dasselbe werde, nachdem es das Epithel und Bindegewebe der Zotten durchdrungen hat und in ihnen weiter verändert worden, von den fötalen Capillaren aufgenommen; das Netz sternförmiger Zellen im Zottenstamme scheine, nach seinem Gehalt an Fetttröpfchen zu urtheilen, die Fortleitung der Fötal- nahrung zu vermitteln. Dagegen macht Bonnet geltend, das [299, s Fett stamme nicht von einer fettigen Degeneration des Uterin- epithels, vielmehr handele es sich um eine fettige Infiltration des- selben, doch meint er, das Fett werde „unter dem Einfluss der Epithelien" gebildet. Ich finde keinen Grund gegen die Annahme einer Einwanderung präformirten Fettes aus den fettreichen mütterlichen Geweben (S. 269) mittelst der Wanderzellen, seit letztere direct beobachtet wurden. Dass dieselben ihrerseits wie die Zellen in der Brustdrüse fettig zerfallen können, kann jedoch ebenso wenig geleugnet werden, wie die Möglichkeit einer Ein- wanderung in die kindlichen Capillaren. Die Ähnlichkeit der Uterinmilch und Mammarmilch bezüglich der morphotischen Bestandtheile ist so gross, dass eine chemische Ähnlichkeit sich vermuthen lässt — bis jetzt wurde nur cadaverös zersetzte Uterinmilch analysirt — und die Verschiedenheit der Nahrung des Menschen und Säugethieres vor und nach der Geburt wäre dann nicht mehr so gross, wie wegen der Verschieden- heit des Ernährungsmodus bis jetzt angenommen wurde. B. Der embryonale Stoffwechsel. 271 Die Producte des embryonalen Stoffwechsels. Um über die Natur der im Embryo stattfindenden Ernährungs- processe Aufschluss zu erhalten, ist vor Allem die Ermittlung derjenigen Stoffe nothwendig, welche in ihm selbst entstehen und nicht von der Mutter oder der umgebenden Flüssigkeit in ihn gelangen können. Als ein solcher Stoff ist das von Claude Bernard in der Placenta der Kaninchen und anderer Nager, sowie in der Leber entdeckte Glykogen anzusehen, welches W. Kühne in embryo- nalen Muskeln (1859) nachwies. "Wann die fötale Leber diese Ver- bindung producirt, lässt sich darum kaum feststellen, weil schon die Anlage der Leber glykogenhaltig ist und während ihrer Entstehung die verschiedensten Theile des Embryo — auch die erste Anlage des Hühnchens im Ei — , ja fast alle embryonalen Gewebe, Glykogen oder den leicht aus ihm entstehenden Traubenzucker enthalten. [205 Nach den Untersuchungen von M'Donnel ist dieses fötale [I88 Glykogen unzweifelhaft identisch mit dem Erwachsener (CgH^gOg). Er fand es im Knorpelgewebe von Hühner- und Schaf-Embryonen sogleich nach dessen Erscheinen, doch verschwindet es daraus während der Entwicklung. In der Haut, in den Federn, in den Haaren, in der Hornsubstanz ist es beim Embryo reichlich, später garnicht vorhanden. Die Hornsubstanz der Eüsse eines viermonat- lichen ßindsfötus lieferte 18°/^, die der Eüsse eines fast reifen Rindsfötus nur Spuren Glykogen. Auch in der Haut schwand die Substanz als dickere Haare erschienen. Die Lungen der Embryo- nen verschiedener Thiere enthalten bis zu 50 ^/^ ihres Trocken- rückstandes an Glykogen, welches zur Zeit der Geburt kaum mehr nachweisbar ist. Fötales Muskelgewebe mit 8^3 bis 11 ^/^oy^ Trockensubstanz enthielt je nach dem Alter 0,8 bis 3 ^j^ ^j^ Gly- kogen, welches bei Schafen mitunter erst mehrere Wochen nach der Geburt verschwindet. Im Herzmuskel des reifen Fötus fehlt es überhaupt. In der Leber häuft es sich an, während es in anderen Organen abnimmt. Die Leber eines ^3 Mtr. langen Rindsfötus lieferte 2*^/^. Die Mengen des Glykogens, welche aus der Leber der wäh- rend der Geburt (z. B. durch Kephalotripsie) getödteten reifen [57 menschlichen Frucht dargestellt werden können, sind ebenfalls gross, wenn auch sehr ungleich. G. Salomon erhielt aus der unmittelbar nach der Extraction eines solchen 4 Kilo schweren Kindes zerkleinerten, ziemlich kleinen Leber 1,2 Grm. trockenes 272 Die embryonale Ernährung. Glykogen, aus der 238 Grm. schweren Leber eines anderen über 4 Kilo schweren mehr als 11 Grm. Bei so grossen Mengen kann die glykogenbildende Function der fötalen Leber nicht bezweifelt werden, aber das Vorkommen dieser Substanz in der Placenta, in den meisten noch nicht ein- mal deutlich differenzirten embryonalen Geweben und in der Leber-Anlage lange ehe die Gallensecretion beginnt, lehrt, dass keinesfalls beim Embryo die Leberzelle die einzige Bildungsstätte des Glykogens sein kann. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass alles junge Protoplasma Glykogen bildet und dass Leukocyten es dahin bringen, wo nicht schon die noch nicht differenzirten em- bryonalen Zellen es erzeugt haben. Trotz der zahlreichen durch Hensen und Cl. Bernard an- geregten Experimental-TJntersuchungen über die Frage, woher das Glykogen stammt und was aus ihm wird, ist bis jetzt bezüglich des Ursprungs und der Umwandlungen dieser für den Fötus offen- bar sehr wichtigen Substanz in ihm selbst nichts sicheres fest- gestellt. Nur die Vermuthung, dass sie theils als ein Reserve- Nährstoff, theils als Verbrennungs - Material dienen könne, ist wahrscheinhch. Denn in den Lebern der winterschlafenden Säuge- thiere, mit deren Stoffwechsel der des Fötus grosse Ähnlichkeit hat, ist viel Glykogen gefunden worden und die Leichtigkeit, mit der im Organismus Glykogen in ein Dextrin und Zucker und dieser in Kohlensäure und Wasser verwandelt wird, sowie sein sehr allgemei- nes Vorkommen in den Muskeln, ausser gerade im Herzen, dem thätig- sten Muskel, macht die Annahme plausibel,dass die geringen vom Fötus producirten AVärmemengen, unter Schonung der Albumine, hauptsächlich durch Verbrennung des Glykogens erzeugt werden, daher anfangs viel, später immer weniger davon sich anhäufen kann. Jedenfalls gehört diese stickstofffreie Verbindung zu denen, welche im Fötus selbst entweder ihrer ganzen Menge nach oder zum grossen Theil entstehen und vergehen. Das Vogelei enthält kein Glykogen,, der ganz junge Embryo gibt aber bereits die charakteristische Jod-Reaction. Wenn man de Kürze halber die Stoffe der progressiven Metamorphose anaplastisch, die der regressiven Metamorphose kataplastisch nennt, dann gehört das Glykogen, welches im Embryo aus der ihm gelieferten Nahrung gebildet wird, zu den anaplastischen Stoffen. Es wird unter keinen Umständen als solches ausgeschieden, sondern angehäuft und von dem sich ent- wickelnden Organismus functionell verwerthet, wie das Fett. B. Der embryonale Stoffwechsel. 273 Die embryonale Fettbildung und der embryonale Fettansatz sind jedoch ebenfalls experimentell physiologisch bis jetzt kaum untersucht worden. Ob das im Säugethier-Embryo regelmässig vorkommende Fett in ihm selbst aus Eiweiss oder anderen ihm fertig zugeführten Stoffen gebildet oder ihm als solches vom mütterlichen Placenta- blute geliefert wird, ist noch eine offene Frage. Da aber die Structur der Zotten und die Erfahrungen über den Durchgang geformter Elemente aus dem mütterlichen in das fötale Blut ent- schieden gegen die regelmässige Üb er Wanderung von freien Fett- körnchen in den Fötus sprechen, so ist nur eine embryonale Fettbildung und ein Import von Fett mittelst einwandernder Leu- kocyten im Embryo als wahrscheinlich anzusehen. Letzteren Fall habe ich bereits (oben S. 266) auf Grund der Beobachtungen mehrerer Forscher dargelegt. Bezüglich des ersteren müssen genauere Bestimmungen der gesammten Fettmenge im Embryo ausgeführt werden, ehe die Entscheidung getroffen werden kann. Die totale Fettmenge beträgt beim Menschen nach Fehling in [334 Procenten : Monat: J 4 5 6 7 8 9 10 0,45 0,28 0,72 2,21 2,44 8,7 9,1 bis bis bis bis ('todt-N l faul ) 0,57 0,6 1,98 3,47 Fetto/o: Ein Fettansatz von mehr als ein Grm. monatlich findet erst vom 6. Fruchtmonat an statt. Vorher enthält der Embryo über- haupt nur sehr geringe Fettmengen, kann also vorher weder mehr als Spuren von Fett bilden, noch erhebliche Mengen fertig zugeführt erhalten, es sei denn, dass das Fett gar nicht abgelagert, sondern sofort wieder zerstört würde. Eine schnelle Oxydation des Fettes im jungen Embryo ist aber sehr unwahrscheinlich, weil er nur wenig Wärme producirt, wenig Sauerstoff verbraucht. Für die Embryonen des Kaninchens fand Fehling für die [334 dritte Woche 2,06 bis 2,18o/o Fett ( 2 Fälle) vierte Woche 2,32 ;, 5,9 „ ,, (12 „ ) die letzten Tage 4,7 „ 5,1 „ ,? ( 2 „ ) Neugeborenen 5,9 „ 7,2 „ ., ( 2 „ ) Trotz der grossen Schwankungen im Einzelnen ergibt sich hieraus, dass auch beim Kaninchenfötus in der späteren Entwick- lungszeit viel mehr Fett im Yerhältniss zum Körpergewicht an- gesetzt wird, als in der früheren. Preyer, Physiologie des Embryo. 18 274 Die embryonale Ernährung. Eine Zunahme der Fettbildung während der Entjvicklung behauptet auf Grund einiger weniger Bestimmungen F. W Burdach auch für das [424 Schneckenei {Limnaeus stagnalis). Denn die in der Furchung begriffenen Eier A lieferten viel weniger Ätherextract als fast reife Embryonen ent- haltende Eier B. Es betrug nämlich die Trockensubstanz der Eier A A B B Gewicht 0,4375 0,2335 0,275 0,161 Fett 0,003 0,0015 0,006 0,001 Procent 0,685 0,642 2,181 1,553 Die Gewichte der frischen Eier waren bei A 12,4655 und 5,5015, bei B 7,089 und 3,82 Grm. Aus diesen Zahlen geht schon hervor, um wie kleine Mengen Fett es sich überhaupt handelt. Die Methode der Darstellung durch Extraction mit Äther und Alkohol und die Anzahl der Versuche sind un- zureichend. Doch sind die Endresultate nicht widerlegt worden. Die mit Zahlen belegte Angabe des Verfassers, dass mit der Entwicklung die Al- bumine ab-, die MineralstoflFe zunahmen, erhöht nicht das Vertrauen in dieselben. Im bebrüteten Hühnerei nimmt die Menge der mit Äther extrahirbaren Stoffe ab, und zwar wenn ein Embryo sich darin entwickelt, wie Prevost und Morin, sowie R. Pott zeigten, [sn schnell, wenn das bebrütete Ei unbefruchtet war, nach letzterem, langsam. Pott fand für 100 Grm. des frischen Albumens und [i48 Dotters im bebrüteten entwickelten Eie folgende Werthe in Grm.: Brüttag 5 7 11 17 (3 Fälle) Ätherextract 12,80 11,06 9,73 7,87 bis 7,93 Hiernach ist eine Fettbildung im Hühnerembryo oder eine Ansammlung von aufgenommenen in Äther löshchen Stoffen in ihm, also eine Fettzunahme, sicher und die später noch auszu- führenden Bestimmungen des Fettgehaltes ungleich entwickelter Hühner-Embryonen müssen zeigen, wieviel von dem aus dem gelben Dotter entnommenen Fette im Embryo sich wiederfindet, wieviel umgewandelt wird. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein Theil des Fettes — von dem übrigens im Albumen allein nur äusserst geringe Mengen (0,004 7o bis 0,02 ^/o der Trockensubstanz desselben in 6 Fällen) gefunden wurden — während der späteren embryonalen Entwicklung oxydirt wird und die exhalirte Kohlensäure zum Theil liefert. Denn auch das bebrütete unbefruchtete Ei erfährt eine zwar anfangs nur geringe, später aber sehr merkliche Verminderung seines Fettgehaltes. Am 17. Tage der Erwärmung auf 39*^ enthält [hs.s^j die Trockensubstanz seines Dotters (und Albumens) 39,68 7o Fett, d. h. soviel wie der trockene Dotter (mit dem Albumen) des em- bryonirten Eies am 7. Brüttage (39,98 "/(,). Da nun auch das B. Der embryonale Stoflwechsel. 275 erwärmte unbefruchtete Ei Kohlensäure entwickelt, liegt es nahe, diese von dem Fett abzuleiten und zwar in beiden Fällen. Doch ist die Identificirung von „Fett" und „Ätherextract" nicht gestattet und die in den späteren Incubationstagen vom Embryo erzeugte Kohlensäure stammt nicht davon her, sondern aus der Lunge. Inwieweit bei dem Stoffansatz des Embryo der eigene Stoff- wechsel desselben einerseits, die unmittelbare Apposition von fertig zugeführten Stoffen andererseits betheiligt ist, kann also aus den vorhandenen Thatsachen nicht erkannt werden. Der Stoffansatz ist beim Embryo bekanntermaassen sehr viel energischer und rapider, als zu irgend einer Zeit beim Greborenen, wie schon das Massenwachsthum im Ei beweist, aber, der Sauerstoffverbrauch ist in derselben Zeit viel geringer, als nach der Geburt, und da ein lebhafter Stoffwechsel, d. h. eine schleunige chemische Umsetzung der den Geweben zugeführten Bestandtheile der Nahrung, nicht ohne reichliche Sauerstoffzufuhr beim Geborenen vorzukommen pflegt, so erscheint es zunächst plausibel, dem Ansatz präexistiren- der Stoffe beim Embryo das Übergewicht einzuräumen. Jedenfalls wird dieses für die Albumine streng gültig sein, weil sie schlechter- dings nicht synthetisch aus Stoffen, die nicht schon Albumine sind oder abspalten, im Säugethier oder ausserhalb desselben künst- lich zusammengesetzt werden können. In Betreff der Eiweiss- mengen aber, welche in den einzelnen Fruchtmonaten vom Embryo angesetzt, also direct der Mutter entzogen werden, lässt sich etwas sicheres zur Zeit nicht angeben; denn die Bestimmungen des procentischen Eiweissgehaltes ganzer I'rüchte von Fehling sind [334 nicht ausreichend, die relative Albuminzunahme zu verschiedenen Zeiten sicher erkennen zu lassen. Dagegen ergibt sich diese in ausgeprägter Weise aus meh- reren Bestimmungen des Gesammtstickstoff-Gehaltes des Hühner- Embryo und des ihm zugehörigen Dotters und Albumens, welche Pott ausführte. Er fand in der Trockensubstanz an Stickstoff [us im Dotter und Albumen 6,42 6,31 6,15 6,08 5,08 «/^ im Embryo ■ 6,18 7,69 8,08 8,11 9,42% Brüttage "F " " 10 15 Hieraus geht hervor, dass der relative Eiweissgehalt der Embryo -Trockensubstanz mit der progressiven Entwicklung zu- nimmt, während zugleich der der zum Aufbau des Embryo dienen- den Albumen- und Dotter- Substanzen abnimmt. Doch ist es un- statthaft, aus der Stickstoff-Bestimmung direct die Albumin-Mengen 18* 276 D^® embryonale Ernährung. ZU berechnen, weil ausser diesen nocli Lecithine, Nucleme, Vitelline im Ei Stickstoff enthalten und zum Theil erst j^lbumine abspalten. Dass bei der absoluten und relativen Zunahme der embryo- nalen Gewebe an Eiweiss immer nur präexistentes Albumin oder durch Umwandlung aus albumin-ähnlichen oder Albumin abspal- tenden Stoffen mittelst der Protoplasma-Thätigkeit erzeugtes Albu- min sich anhäuft, niemals aber aus kataplastischen Stoffen, wie Harnsäure, Sulphaten, Ammoniak usw. ohne lebendes Eiweiss die anaplastischen Albumine erzeugt werden, ist für den Embryo des Vogels sowenig wie für den des Säugethiers zu bezweifeln. Wenn es sich aber darum handelt zu beweisen, dass im em- bryonalen Organismus wahre chemische Synthesen und Spaltungen nicht allein vorkommen können, sondern auch geradeso verlaufen wie beim Erwachsenen, dann genügt dazu schon der Hinweis auf die Bildung einer ganzen Reihe von Blut- und Secret-Bestandtheilen im Ei. Das rothe Hämoglobin, das Bilirubin, das Chorioides- Pigment, der Harn-Farbstoff und andere gefärbte Substanzen des Fötus werden nicht aus dem mütterlichen Blute fertig eingeführt, sondern im Fötus erst gebildet. Der Säugethierfötus bildet diese und sehr viele andere als solche nicht in der Uterinmilch, nicht im Blutplasma der Mutter und nicht im Fruchtwasser enthaltenen Stoffe aus den in der Placenta übergehenden Verbindungen. Dazu gehören jedenfalls Elastin, Collagen, Keratin, Mucin u. a. Dagegen sind Kroatin , Kreatinin , Xanthin in der Uterinmilch nach- [299, 7 gewiesen worden. Ihr Vorkommen im Fötus wird also zwar nicht ihre Einwanderung in denselben beweisen, aber auch nicht als Zeichen oxydativer Eiweisszersetzung in ihm gelten können. Diese letztere wäre durch den Nachweis von Sulphaten im Harn eines Fötus, der noch nicht geathmet hat, sicherer dargethan, als durch das häufige Vorkommen von Harnsäure, Uraten und Harnstoff im Fötalharn, weil diese Stoffe im mütterlichen Blute in grösserer Menge vorkommen, als Sulphate. Die Präexistenz quantitativ bestimmbarer «Sulphate im mütterlichen Placenta -Blute ist sogar sehr fraglich. Wenn aber in einem beliebigen Organe oder Safte des Fötus regelmässig reichlich Harnstoff nachgewiesen würde, wie z. B. in der Leber des Erwachsenen, ohne sich im Nabelvenen -Blute in entsprechenden Mengen zu finden, dann würde eine Eiweisszersetzung vor der fieburt direct bewiesen sein. Denn der Harnstoffgehalt des Fruchtwassers ist inconstant und niedrig (s. u.). Bis jetzt ist, soviel ich finde, nur einmal in einem menschlichen Fötus, der B. Der embryonale Stoffwechsel. 277 noch nicht Luft geathmet hatte, reichlich Harnstoff gefunden worden, und zwar von C. Hecker in einer bernsteingelben Flüssigkeit [472 beider Pleurahöhlen eines kurz vor der Geburt erstickten Kindes. Der Befund ist obwohl pathologisch, doch physiologisch wichtig, weil das Rippenfell keine Abnormität zeigte und die zwei Unzen Flüssigkeit nicht Fruchtwasser sein konnten und nur den fötalen Geweben entstammten. Auch die Bildung von mehreren Yerdauungsfermenten in den fötalen Secreten des Magens und Darms, die Hippursäure-Bildung im Fötus nach Verabreichung von Benzoesäure an die Mutter und die Bildung wesentlicher Bestandtheile der Galle, sowie des Me- conium (aus verschlucktem Fruchtwasser und Gallenbestandtheilen) beweisen, dass im menschlichen Fötus schon sehr lange vor der Geburt dieselben chemischen Processe Avie beim Erwachsenen ab- laufen, ohne directe specifische Betheiligung des sich differen- zirenden embryonalen Protoplasma in allen Fällen. Ein früher für ein specifisches Product des fötalen Gewebe- lebens angesehener Stoff ist das bei Kühen in der Allantois- flüssigkeit und im Kälberharn aufgefundene Allantoin. Da das- selbe aber von Gusserow auch im Harn schwangerer Frauen nach- gewiesen worden ist und, nur in viel geringerer Menge, auch aus Männerharn Allantoinkrystalle gewonnen wurden, so kann aus [ss dem Vorkommen dieser Substanz im Fötus nichts sicheres bezüg- lich ihrer Bildung in demselben gefolgert werden. Zwar kann das Allantoin im Harn Schwangerer sehr wohl aus dem Nabelarterien- blute stammen , ehe aber diese Vorstufe des Harnstoffs als kataplastisches Product des fötalen Stoffwechsels betrachtet wird, muss gezeigt werden, dass nicht- schwangere Frauen nichts oder nur Spuren davon in ihrem Harne enthalten. Frappanter als der Säugethierfötus beweist der während seiner ganzen Entwicklung von der Mutter völlig getrennte Vogelembryo, dass sehr intensive chemische Processe regelmässig im Ei statt- finden, und zwar nicht nur Synthesen von neuen, vorher im Eier- weiss und Eigelb nicht vorhandenen Stoffen — die Bildung des Hämoglobin schon am 3. Tage im bebrüteten Hühnerei ist eines der auffallendsten Beispiele — ■ und Spaltungen präexistiren- der complicirter Verbindungen, sondern auch kataplastische Pro- cesse. Die Kohlen säure -Bildung des Embryo vor dem Beginne der Lungen- Athmung und die Ausscheidung von Fäces im Ei liefern unwiderlegliche Beweise dafür. Zu den anorganischen Verbindungen, welche continuirlich dem 278 Die embryonale Ernährung. Eötus zugeführt werden und deren Existenz im Nabelvenenblut und Fruchtwasser nachgewiesen oder nicht zu bezweifeln ist, ge- hören Chlornatrium, Chlorkalium, Natrium- und Kalium- Phosphat, Calcium- und Magnesium - Phosphat. Eben diese Salze, weil sie sich in jedem Blute finden, müssen in den Nabelarterien den Fötus verlassen, und zwar in etwas geringerer Menge, als sie ihm zugeführt wurden, da er sie sämmtlich während seines Wachsthums aufspeichert und kein Grund vorliegt zu der Annahme ihrer Bildung im Fötus aus anderen Verbindungen, es sei denn, dass sehr kleine Mengen Phosphat aus Lecithin ent- stehen. Die Chloride und Phosphate des Säugethier -Fötus sind jedenfalls zum weitaus grössten Theil unmittelbar aus dem Blut- plasma der Mutter abzuleiten. Für das kohlensaure Natrium kann dasselbe nicht be- hauptet werden. Die älteren Angaben über die chemische Reaction des Fruchtwassers besagen, dass es entweder neutral oder alkalisch reagire, in einem Fall sei die blaue Färbung des rothen Papiers beim Trocknen verschwunden, sei also durch Ammoniak verur- sacht gewesen. In diesem Fall war aber das Fruchtwasser zer- setzt. Der Widerspruch in den Angaben über die Reaction des ganz frischen Amnioswassers erklärt sich wahrscheinlich einfach dadurch, dass beim Betrachten des eben eingetauchten rothen, violetten oder blauen Lackmuspapiers keine Farbenänderung wahr- genommen wurde („neutral^'), während nach nochmaligem Betrachten desselben wenige Minuten später starke Bläuung zu sehen war („alkalisch"). So wenigstens fand ich bei Prüfung frischen mensch- lichen und Schaf- Fruchtwassers die Reaction. Dieselbe verhielt sich auch gegen Curcumapapier genau wie eine wässerige Lösung von Natriumbicarbonat, indem auch da die Bräunung an der Luft durch Kohlensäureabgabe zu Stande kommt. Somit ist es als höchst wahrscheinlich anzusehen, dass Natriumbica-rbonat im Amnioswasser enthalten ist; der Ge- schmack desselben, den ich deutlich salzig mit schwachem, aber deutlich laugenhaftem Beigeschmack fand, stimmt damit überein. Ob dieses kohlensaure Natrium im Fruchtwasser aus dem Fötus oder aus der Mutter stammt, ist freilich eine offene Frage, die durch den Hinweis auf das Vogelei nicht beantwortet wird. Die relative Gesammtmenge der Salze nimmt, wie sich schon wegen der aUmählichen, continuirlich fortschreitenden Wasserabnahme der fötalen Gewebe erwarten liess, während der ganzen Entwicklungszeit stetig zu. B. Der embryonale Stoffwechsel. 279 Aus den neunzehn Aschebestimmungen Fehling's könnte [334 man sogar ableiten, dass die Zunahme des procentischen Gresammt- aschegehalts menschlicher Früchte wenigstens vom 2. bis zum 8. Monat der Zeit ziemlich genau proportional verlaufe, wenn die Einzelfälle zahlreicher wären. Denn er fand für die 6. Woche 0,001 "/o Asche, für den 4. Monat 0,98 und 1,01 7^ (2 Fälle), für den 5. Monat 1,04 bis 1,91 «/p (7 Fälle), für den 6. Monat 1,94 bis 2,84 7o (3 Fälle), für den 7. Monat 2,54 bis 2,94 7« (4 Fälle), für den 8. Monat 2,82 und für die reife Frucht 2,55 7o. Auch aus den Bestimmungen der Mineralstoffe im Dotter und Albumen bebrüteter embryonirter Hühnereier, welche Pott aus- [i48 führte, ergibt sich deutlich, dass im Embryo vom 2. bis 11. Brüt- tage der Gehalt an Mineralstoffen schnell zunimmt. Seine Säfte und Gewebe werden continiürhch concentrirter. Denn es wurden gefunden in der Dotter- und Albumen-Trockensubstanz : Brüttag 2 4 5 7 11 Mineralstoffe 12,47 11,91 10,85—9,16 8,7-8,25 7,59— 7,11 7^. (2 Fälle) (2 Fälle) (2 Fälle) Diese auffallende relative Abnahme der Mineralbestandtheile der Trockensubstanz des gelben Dotters und weissen Albumens während der Entwicklung des Embryo kann nur auf einer Zunahme der Gewebe des letzteren an Phosphaten, Chloriden, Carbonaten beruhen. Dass dabei die Kalkschale unbetheiligt ist, habe ich bereits (oben S. 246) bewiesen. Darin also stimmen die Embryonen der Säugethiere und Yögel überein, dass mit dem Wachsthum eine stetige continuirliche ab- solute und relative Zunahme ihrer Säfte und Gewebe an Mineral- stoffen, an Albuminen und Fetten regelmässig stattfindet. Die Ab- nahme des Wassergehaltes hängt damit zusammen. Der gesammte Glykogengehalt nimmt aber Anfangs zu und dann noch vor der Geburt, d. h. dem Sprengen des Eies, bei beiden rapide ab. Dass bei all diesen chemischen Vorgängen die fötale Leber die Hauptrolle spielt, indem sie einen grossen Theil des frischen Nabelvenenblutes (des Allantois- und Omphalo-mesenterial- Venen- blutes S. 69) aus erster Hand erhält, ist gewiss. Aber worin im Einzelnen die specifischen Functionen der schon sehr früh ausser- ordentlich grossen embryonalen Leber bestehen, bleibt noch [43s zu entdecken. Dass in den Leberzellen viel Sauerstoff vom Hämo- globin der Nabelvenenblutkörper abgespalten und verbraucht wird. 280 Die embryonale Ernährung. beweist die von mir auch beim lebenden Säugethier-Embryo ge- sehene dunkele Farbe des Leberveneublutes im Gegensatze zu der hellen des Blutes im Arantischen Ductus. Einfluss der Greburt auf den fötalen Stoffwechsel. Die Veränderungen, welche der Stoffwechsel des Säugethier- und Menschen-Fötus im Gegensatz zu allen anderen Wirbelthieren durch die Geburt erfährt, sind im Einzelnen noch kaum erforscht worden, aber sehr eingreifend. Sie tragen dazu bei, die normale Fortexistenz des Kindes, nachdem es seine Geburt unversehrt überlebt hat, oft fraglich erscheinen zu lassen. Zunächst muss der diffusive Stoffaustausch zwischen Blut und Geweben unmittelbar nach der Geburt wesentlich verändert werden, weil nach Absperrung des Arantischen und des BotalHschen Ganges der arterielle Blutdruck enorm abnimmt. Das von den Lungen schon beim ersten Athemzuge aspirirte Blut aus der rechten, nun nicht mehr so reichlich wie vor der Geburt mit Blut versorgten Herzkammer wird durch sehr schnellen Wasserverlust beim Aus- athmen concentrirter, muss also den Geweben mehr Wasser als vor der Geburt entziehen. Ausserdem gibt das Blut in den Lungen Kohlensäure zum ersten Male ab, ohne dafür irgend welchen Ersatz zu erhalten; ja es wird durch die Unterbrechung des Placentarkreislaufs und den Abfluss des Fruchtwassers jede Zufuhr von Wasser und von Nährstoffen irgendwelcher Art völlig abgeschnitten und im grellsten Contrast zu dem intrauterinen Über- fluss jetzt sogar durch plötzlich gesteigerte Sauerstoff'- Aufnahme das mit auf die Welt gebrachte Capital an oxydirbarer Substanz sogleich vermindert. Die sehr grossen vorher niemals erlebten eben- falls plötzlichen Wärmeverluste und die Muskelbewegungen, weniger die der Extremitäten, als die des Athmungsapparates, erhöhen noch die Intensität Jener kataplastischen Vorgänge, welche mit dem allmähHchen Ingangkommen der regelmässigen Respiration, mit den zunehmenden Mengen des vom Hämoglobin in den Blutkörpern der Lungencapillaren gebundenen Sauerstoffs sich mehren und nothwendig vom ersten Augenblick des extrauterinen Lebens an die Bildung und Ausscheidung der Gewebe- und Blut- Kohlen- säure steigern. Der Zustand des ebengeborenen Kindes ist aus allen diesen Gründen in der That als ein sehr hülfloser zu bezeichnen. Es befindet sich in einer schlimmeren physiologischen Verfassung, als B. Der embryonale Stoffwechsel. 281 der hungernde Erwachsene, schon weil dieser mehr Fett zusetzen kann, und als die mit Nahrungsdotterresten aus Eiern ausschlüpfen- den Vögel. Auch sind die meisten Thiere nicht der Gefahr einer so schnellen Abkühlung wie das Menschenkind ausgesetzt. Alle Nachtheile, welche fast plötzlich gerade den mensch- lichen Organismus durch die Geburt treffen, werden aber unter normalen Umständen beseitigt durch die Aufnahme assimilirbarer Nahrung, durch Einsaugen des Colostrum und der Milch. Dadurch erhält das Blut sein in den Lungen verlorenes Wasser wieder. Den Geweben werden die zur gesteigerten Kohlensäure -Bildung und Wärme -Production erforderlichen Fette und Kohlenhydrate durch die Milchfette und den Milchzucker ersetzt. Dem gesteigerten Eiweisszerfall, welcher durch die Ausscheidung von mehr Harnstoff sich kundgibt, wird durch die Casem- Zufuhr zwar nicht Einhalt gethan, aber eine weitere Verminderung des angeborenen Albumin wird nun verhütet und bald wieder neuer Stoffansatz ermöglicht. Die anaplastischen Processe erhalten wieder das Übergewicht. Die Verfolgung dieser wichtigen Veränderungen des Säuglings gehört nicht mehr in den Bahmen dieses Buches (S. 17), welches sich auf die intrauterinen Vorgänge und die Functionen des Neu- geborenen vor der ersten Nahrungsaufnahme beschränkt. Zum .besseren Verständniss der in diesem Abschnitte discu- cutirten frühesten embryonalen Ernährungsprocesse, besonders der nach den obigen Auseinandersetzungen (S. 257 — 259) wahrschein- lichen Betheiligung der Nabelblase an ihnen, auch beim Menschen, kann die beistehende Skizze eines etwa vierwöchentlichen mensch- lichen Embryo dienen, welche nach einem mir gütigst von 282 Die embryonale Ernährung. Hrn. Professor His in Leipzig zur Verfügung gestellten Originalphoto- gramm gezeichnet v/urde. Es ist das Portrait desselben Embryo, welchen His in seiner Anatomie menschlicher Embryonen ab- [37o gebildet und B genannt hat (S. 14). Man sieht die gestielte Nabel- blase und, hier deutlicher als in der photographischen Aufnahme, den Bauchstiel. Der Embryo ist dicht vom Amnion umhüllt. Der übrigen Ausbildung nach würde dieser Embryo ungefähr einem Hühnerembryo vom 5. Tage entsprechen. IV. DIE EMBRYONALEN ABSONDEEÜNGEN. Das Fruchtwasser. Obgleich das Fruchtwasser in seiner Gesammtheit nicht vom Embryo abgesondert wird, findet es doch passend hier vor der Erörterung der eigentlichen fötalen Secrete und Excrete seinen Platz, weil Einige noch heute meinen, es sei im Wesenthchen nur fötaler Harn und werde allein vom Embryo gebildet. Die Benennung dieser viel discutirten Flüssigkeit als Liquor amnii, aucli Humor amnii, Colliquaine7itum amvii, ,,Amnioswasser", und schlechtweg Amtiios ist nicht befriedigend erklärt. Denn weder das griechische Amnion, eine zum Auffangen des Blutes der Opferthiere dienende Schale, noch Ämnos oder Ämnios, Lamm, noch auch n^ieLvo: = optimus und amneios, zum Schaf gehörig, geben eine irgend annehmbare Ableitung. Afxsivog v/jTjv, optima Membrana ist ebenso sinnlos wie die Ableitung vom Lamm, also von a^vstog, weil die das Fruchtwasser einschliessende Wasserhaut, das Amnios oder Amnion, ,, weiss und weich wie ein Schaf"(!) sei oder weil die früheren Anatomen ihre Untersuchungen am Fötus gewöhn- lich an Schafen angestellt haben sollen, bei denen sie nach Aufschlitzen des Tragsacks den Embryo durch diese Haut hindurch erblickten. Das Amnion des Menschen muss den Ärzten und Hebammen viel früher bekannt gewesen sein, als das des Schafes. Aristoteles sagt ausdrücklich, die Flüssig- [25, 7. 7 keit werde „von den Frauen" nqo-cpoQog genannt, offenbar weil sie zuerst austritt, d. h. vor dem Kinde. Die schon von Empedokles gebrauchte Be- zeichnung Amnios für die sie umfassende Haut ist erst spät auch für die Bezeichnung des Fluidum selbst verwendet worden. Da diese Haut aber im Verhältniss zu den anderen Eihäuten sehr zart und zerreisslich ist, vermuthe ich, dass ihr uralter Name von a^evog schwach, zart, abzuleiten ist. Daraus wurde dann afinog., und erst die unkritischen Commentatoren des Galen, welche manche sinnlose anatomische Benennung verschulden, über- setzten „Schafhaut" und „Schafwasser", trotzdem die guten Deutschen Aus- drücke Kindswasser, Eiioasser, Geburtswasser, Mutterwa-fser u. a. theils vor- lagen, theils sich von selbst darboten. Die Bedeutung des Fruchtwassers ist in der neuesten Zeit kaum noch zweifelhaft zu nennen. Ein Nahrungsmittel für den Fötus 286 Die embryonalen Absonderungen. ist es zwar (s. o. S. 256), aber wenn es nicht sehr reichlich verschluckt wird, kann es weniger zur Ernährung, als zur Speisung mit Wasser beitragen, wie schon aus seinem geringen Volum- gewicht hervorgeht. Dasselbe beträgt nach Levison stets [225 zwischen 1,0005 und 1,007, für Fruchtwasser, das bei der Geburt aufgefangen wurde, nach Prochownick zwischen 1,0069 und 1,0082 (bei Hydramnios zwischen 1,0060 und 1,0085), in der 20. Woche jedoch 1,0122. [335 Ausserdem ist bewiesen, dass eine monströse Frucht sich entwickeln kann, wenn die Möglichkeit zu schlucken fehlt, wenn nämlich die Speiseröhre von vornherein undurchgängig ist oder die Mund- und die Nasenöffnung mangelt oder der ganze Kopf. Solche Monstren sind oft sehr wohl genährt, wenn sie geboren werden und ihr Darm enthält Meconium. Somit ist das [235, 2e intrauterine Verschlucken von Fruchtwasser weder zur Ernährung des Fötus vom Darm aus noch zur Meconiumbildung unentbehrlich. Dass es aber durch die Haut dringt und lange, ehe von Schlucken die Rede sein kann, für die embryonale Histogenesis wesentlich ist, also eine embryotrophische Rolle spielt, wurde bereits im vorigen Abschnitt nachgewiesen. Der äusserliche Nutzen des Fruchtwassers ist darin zu suchen, dass es dem Fötus die Bewegung, die Lage- und Stellungs-Ände- rung ermöglicht, seine Temperatur gleichmässig erhält, gegen schädliche Einwirkungen von aussen — Stoss, Druck, Bewegungen der Mutter — guten Schutz gewährt, den Placentarverkehr vor Störungen bewahrt und die Haut geschmeidig erhält, auch [235 das etwaige Zustandekommen von Uterus contractionen durch [247 Fötusbewegungen erschwert. Beim Vogelembryo kommen z. Th. ähnliche Momente in Be- tracht. Namenthch würden die energischen Schaukelbewegungen des Embryo ohne grosse Fruchtwassermengen nicht möglich sein. Die alte Ansicht, das Zusammenwachsen der Glieder mit dem Rumpfe werde durch das Amnioswasser verhindert, ist dagegen unbewiesen, sogar durch nichts bis jetzt wahrscheinlich gemacht worden. Doch hat 0. Küstner (1880) anlässlich seiner Unter- suchungen über die Häufigkeit des angeborenen Plattfusses hervor- gehoben, dass bei geringer Fruchtwassermenge die Oberflächentheile des Fötus unmittelbar der Amnionüäche, somit der Uteruswand, anliegen können, wodurch der intrauterine Druck auf die Gestal- tung des Fötus leicht einen erheblichen Einlluss gewinnen kann. Das Fruchtwasser. 287 Das Schlüpfrigwerden der Geburtswege nach dem Blasen- sprimg ist darum zu den regelmässigen dem Fötus und der Mutter nützlichen Eigenthümlichkeiten des Fruchtwassers nicht zu zählen, weil Thiere und Frauen manchmal die Frucht im intacten Ei zur Welt bringen und sogenannte trockene Greburten, bei denen das Fruchtwasser viele Stunden vor dem Austritt des Kindes abfliesst, nicht zu den Seltenheiten gehören. Freilich sind dann die Schmerzen in der Austreibungsperiode wahrscheinlich grösser. Insofern er- leichtert das Fruchtwasser den Austritt des Kindes. Die Menge des Fruchtwassers beim Menschen bestimmte H. Fehling durch Sprengen der Eiblase mit dem Finger oder [215 Troicart, Aufsammeln der sofort abgegangenen Flüssigkeit und Abmessen derselben; das nachsickernde Wasser wurde in eine tarirte leinene Unterlage auf wasserdichtem Zeuge aufgefangen. Am schwierigsten war es dabei, das Nachwasser vollständig und ohne Verunreinigung mit Blut oder Harn zu gewinnen. Bei 34 meist reifen Früchten betrug das Minimum des Fruchtwassers in Cubiccentimetern 265, das Maximum 2300 (abnorm); im Durch- schnitt hatten reife Kinder 680, Früchte von der Mitte des neunten und bis zur Mitte des zehnten Monats 423 Cc. F. Levison [225 fand im Mittel aus 22 Fällen 821 G-ramm, Gassner im Mittel aus 35 Fällen 1730 Grm. für das Ende der Schwangerschaft. Zwischen Entwicklungsgrad der Frucht und Fruchtwassermenge besteht durchaus keine Proportionalität, auch zwischen Gewicht [215 der Placenta und Fruchtwassermenge keine, aber die schwereren Früchte haben nach Gassner mehr Fruchtwasser, als die weniger schweren und für Thiere wird dasselbe behauptet. Bei Nabel- [n^ schnurum schlingung kommt eine grössere Fruchtwassermenge öfters vor, wobei aber zu bedenken ist, dass bei grosser Kabel- schnurlänge und vermehrtem Fruchtwasser das Zustandekommen der TJmschlingung begünstigt wird und auch ohne Hydramnios und früh Umschlingungen vorkommen. Eine grössere Nabelschnur- länge geht durchaus nicht regelmässig zusammen mit einer grösse- ren Fruchtwassermenge, wie Fehling meinte. G. Krukenberg zeigte auf Grund von Fehling's eigenen Zahlen, dass die [473.215 vorliegenden Messungen damit nicht im Einklang stehen, denn es ergibt sich für reife und frühgeborene Früchte für die durch- schnittliche Nabelschnurlänge 36 44 56 63 73 Cm. Fruchtwasser 970 562 1015 619 578 Ccm. Dass Thierembryonen, welche meistens einen relativ kürzeren 288 Die embryonalen Absonderungen. Nabelstrang, als der menschliche Fötus haben, allgemem von einer relativ geringeren Fruchtwassermenge umgeben seien, ist nicht wahrscheinlich, und dass die spiraligen Windungen der Nabel- schnur und ihrer Gefässe (durch welche eine Transsudation oder Filtration begünstigt werden könnte) bei Thieren zu der Frucht- wassermenge in Beziehung ständen, so dass dieselbe bei nicht- torquirtem Nabelstrang geringer wäre, ist ebenfalls nicht wahr- scheinlich. Das Schaf hat viel, das Meerschweinchen wenig Fruchtwasser, auch wenn der Nabelstrang beidesfalls nicht oder wenig gedreht ist. Auch die Insertion des Nabelstrangs in die Piacenta könnte für die Menge des Fruchtwassers von Belang sein, sofern bei tieferer Einsenkung vielleicht ein höherer Wasserdruck auf der Piacenta lasten würde. Stauungen des umbilicalen ßlutstroms werden jedenfalls bei anomaler Insertion leichter eintreten. So würde es verständlich, dass bei Bandeinsenkung der Nabelschnur das Fruchtwasser (nach Fehling) manchmal vermehrt gefunden [215 wurde. Doch ist dieser Befund physiologisch nicht verwerthbar. Wovon die Menge des Fruchtwassers abhängt, ist unbekannt. Dass die amniotische Flüssigkeit den Charakter einer serösen Flüssigkeit hat, welche unmittelbar, wenigstens zum Theil, aus Blutgefässen transsudirt sein kann, zeigt ihre chemische Zu- sammensetzung. In Mengen von 300 bis 2045 Cc. aufgefangen enthielt sie nach Fehling's Bestimmungen bei 16 Geburten zwischen 1.07 und 1,60 Procent Trockenrückstand und zwischen 0,51 und 0,88 Procent Asche. Prochownick fand zwischen 1,3 und [333 1.8 °/o Trockenrückstand und zwischen 0,39 und 0,59% anorga- nische Stoffe (in 8 Fällen) zu Ende der Schwangerschaft. Jedenfalls existirt keine constante Beziehung zwischen [215 Fruchtwasser-Menge und -Concentration. Mit der Zunahme tritt wenigstens eine merkliche Verdünnung nicht jedesmal ein. Da- gegen ergibt sich aus den vorliegenden 9 Bestimmungen des [215 Albumins von Fehling, dass der trockene Rückstand mit dem Albumingehalt steigt; allerdings bewegen sich die Procentzahlen für letzteren nur zwischen 0,059 und 0,25, für ersteren zwischen 1,06 und 1,42, und innerhalb dieser Grenzen ist der Parallelismus nicht in allen Fällen vorhanden, auch nicht bei den 14 Bestimmungen [335 von Prochownick, welche zwischen 0,06 und 0,717nEiweiss ergeben; aber die Abweichungen sind nicht zahlreich; im Allgemeinen steigt mit der Concentration des Fruchtwassers sein Albumingehalt. Das Fruchtwasser. 289 Der Harnstoffgelialt des Fruchtwassers ist grossen Schwan- kungen unterworfen. Nach Fehling's Bestimmungen an 15 Früchten enthielt das Fruchtwasser in der 6. Woche in Procenten 0,006 Harnstoff, bei einem 54 Centim. langen, 4010 Grm. schweren neu- geborenen Knaben 0,0083, in 7 Fällen 0,026 bis 0,048, und in 4 Fällen 0,051 bis 0,081, im 10. Monat 0,046, im 9. Monat 0,030 durchschnittlich. Es besteht keine Proportionalität zwischen rela- tiver Harnstoffmenge und Entwicklungsstufe, wie schon nach [215 den sehr abweichenden Angaben über den Harnstoffgehalt des Fruchtwassers reifer Früchte zu vermuthen war. Die absoluten Mengen des Harnstoffs im ganzen Fruchtwasser konnten wegen der Unmöglichkeit, dieses ohne Verlust zu sammeln, nicht ermittelt werden. Zu Ende der Schwangerschaft fanden verschiedene For- scher sehr ungleiche Harnstoffmengen, welche zum Theil, nament- lich wenn sie hoch ausfielen, wahrscheinlich den Methoden der quantitativen Bestimmung zuzuschreiben sind. Picard fand 0,0267 bis 0,035, Litzmann (Colberg) 0,05, Winckel 0,42, (bei Hy- [335 dramnios 0,086 bis 0,104), Gusserow 0,14 bis 0,35, Prochownick 0,018 bis 0,026 (bei Hydramnios bis 0,034) Procent Harnstoff im menschlichen Fruchtwasser. Jedoch hat man im Allgemeinen in den frühesten Stadien (in der 6. Woche) den Harnstoffgehalt am niedrigsten gefunden, und manchmal fehlt der Harnstoff gänzlich, ohne dass jedesmal eine totale Zersetzung vorher vorhandenen Harnstoffs, etwa die Bildung von Ammoniumcarbonat, oder mangel- hafte chemische Prüfung angenommen werden darf. Da jede seröse Flüssigkeit zwischen 0,006 und 0,06 oder (die Ovarialflüssigkeit mitgerechnet) 0,16 Procent Harnstoff enthält, so wäre die Ableitung des im Fruchtwasser normaler Weise gefundenen Harnstoffs allein aus der fötalen Niere nicht gerechtfertigt. Der Harn des Fötus wird beim Menschen selbst dann, wenn der Harnstoffgehalt des Fruchtwassers höher steigt, als man ihn in serösen Flüssigkeiten findet, als alleinige Harnstoffquelle nicht in Anspruch genommen werden dürfen, weil die Harnentleerung des Fötus und der Harnstoffgehalt des Fötusharns quantitativ bisjetzt nicht bestimmt und andere Quellen nicht ausgeschlossen sind. Wenn das Fruchtwasser von der 6. bis 20. Wocha nicht mehr als 0,018 Proc. Harnstoff enthält, dann verhält es sich eben wie eine seröse Flüssigkeit, und der im Allgemeinen in den letzten Fötalmonaten höhere Harnstoffgehalt erklärt sich durch eine mehr- malige Urinentleerung des Fötus nicht sicher. Eine solche [225 Erklärung kann jedoch nicht widerlegt werden. Frey er, Physiologie des Embryo. 19 290 I^iß embryonalen Absonderungen. Der Umstand, dass im Fruchtwasser mehr Calciumphosphat und Chlornatrium, als im ersten Urin der Neugeborenen ge- [215 fanden wird, spricht nicht gegen die intrauterine Vermischung von Fruchtwasser und Fötalharn, weil jene Stoffe, wie die Alkaliphos- phate (die Scherer nachwies), aus dem mütterlichen Blute stammen können. Dass aber eine Beimischung von Fötalharn zum Fruchtwasser, welche gegen Ende der Schwangerschaft wahrscheinlich ist, nicht immer vorkommt, geht aus dem Vorhandensein des letzteren hervor, wenn dem Fötus Niere, Blase und Harnröhre gänzlich fehlten [97 oder die Nieren völlig functionslos waren wegen frühzeitiger [332 Degeneration. Um überhaupt annähernd die Harnmenge zu bestimmen, welche der Fötus in das Fruchtwasser hinein entleeren könnte, Hess Fehling Schwangere täglich zweimal salicylsaures Natrium oder Ferrocyankalium nehmen. Letzteres konnte unter 17 Ver- suchen nur dreimal im Fruchtwasser nachgewiesen werden, und aus den drei positiven Ergebnissen würde sich ein Gehalt des Frucht- wassers an Harn von höchstens etwa 1 Procent ergeben, so schwach fielen die Reactionen aus. Ausserdem fehlte gewöhnlich das gelbe Blutlaugensalz im ersten Urin des Neugeborenen, war aber im zweiten vorhanden. Beim salicylsauren Natrium gab schon nach wenigtägigen Ver- abreichungen der erste Urin des Neugeborenen eine positive [215 Reaction. Alle derartigen positiven Versuche beweisen aber nicht, dass dem Fruchtwasser Fötalharn beigemischt wird und die negativen nicht, dass es nicht der Fall ist. Denn wenn ein fremder Stoff vom Magen der Schwangeren aus in das Amnioswasser gelangt, so ist damit noch nicht bewiesen, dass er nothwendig den Fötus erst passirt haben, von der Niere oder gar den Hautdrüsen des- selben herrühren muss, er könnte auch möglicherweise von der Nabelschnur, den Eihäuten, der Placenta aus in das Fruchtwasser gelangt sein. Und in Betreff der negativen Versuche gilt, dass wenn ein fremder der Mutter injicirter Stoff sich im Harn des Neugeborenen, nicht aber im Fruchtwasser sich wiederfindet, dieses Fehlen möglicherweise nur auf einer zufällig ausgebliebenen Harn- entleerung in die Amnionhöhle, noch wahrscheinlicher aber auf mangelhafter Prüfung beruhen kann (S. 212). Da beim Menschen einerseits Jodkalium sowohl im Harn des Neugeborenen, als auch im Fruchtwasser, nachdem es vor der Entbindung der Mutter Das Fruchtwasser. 291 verabreicht worden, nachgewiesen wurde, andererseits ein solcher leicht diffundirender Stoff stets im Fötalharn sich wiederfand, wenn er im Fruchtwasser erschien, so war die von Gusserow wieder aufgenommene Ansicht früherer, nicht experimentirender, [56 sondern speculirender Mediciner nicht unwahrscheinlich, dass näm- lich nicht allein der Fötus reichlich in das Fruchtwasser urinire, sondern dieses selbst ausschliessHch ein Excret des Fötus sei. Hiermit komme ich zur Erörterung eines der ältesten und interessantesten Probleme aus der Physiologie des Embryo, zur Frage nach dem Ursprung des Fruchtwassers. Offenbar wird die Annahme der Entstehung desselben einzig durch die hypothetische harnbildende oder sonstige wasseraus- scheidende Thätigkeit des Embryo unzulässig, wenn, abgesehen von den Mssbildungen ohne uropoetische Organe, mit Sicherheit dargethan werden kann, dass ein leicht diffundirender Stoff reich- lich aus dem Blute der Mutter in das Fruchtwasser übergehen kann, ohne in das Fötalblut überzugehen. Zuerst stellte einen solchen Versuch Zuntz an, indem er [336 hochträchtigen Kaninchen eine wässerige Lösung von indigschwefel- saurem Natrium in eine Jugularvene injicirte, und zwar langsam innerhalb einer Stunde. Die dann durch raschere Einspritzung schnell sterbenden Thiere zeigten stets eine bläuliche Färbung des Fruchtwassers, während kein Theil des Fötus, namentlich nicht die Niere, die Leber und die kleine Menge Harn, welche in der Blase gefunden wurde, auch nur die geringste Spur einer Bläuung zeigte. Sogar nach vorheriger Tödtung des Fötus durch Ein- spritzen concentrirter Kalilauge in denselben erschien unter obigen Yersuchsbedingungen die bläuliche Farbe des Amnioswassers. Wiener hat an trächtigen Kaninchen noch mehr solche [73 Injectionsversuche (mit indigschwefelsaurem Natrium) angestellt, welche in der That nicht den geringsten Zweifel mehr gestatten, dass an der Fruchtwasserbildung das Blut der Mutter direct be- theihgt ist. Wurden Lösungen der genaimten Substanz von ver- schiedener Concentration in eine Jugularvene des hochträchtigen Mutterthieres eingespritzt, so konnte der Farbstoff fast immer, wenn auch manchmal nur in minimalen Mengen, im Fruchtwasser nachgewiesen werden, gleichviel ob die Mutter viel oder wenig davon erhalten hatte. Im Fötus war dagegen keine Spur des Farbstoffs auffindbar; in der fötalen Harnblase wurde wiederholt ein wenig klaren Urines gefunden. 19* 292 Die embryonalen Absonderungen. Um aber günstigere Bedingungen für den Übergang des Farb- stoffs von der Mutter in den Eötus zu schaffen, verhinderte Wiener die Ausscheidung des indigschwefelsauren Natrium in den Nieren der Mutter durch doppelseitige Nephrotomie vor der Injection in die Jugularvene. Auch jetzt erhielt er dasselbe Resultat: in den Früchten war keine Spur des Farbstoffs nachzuweisen, im Frucht- wasser fanden sich grosse Mengen desselben. Dabei ist besonders bemerkenswerth, dass der mütterliche Theil der Placenta gefärbt, der fötale nicht gefärbt gefunden wurde (S. 212), aber die Ei- häute intensiv blau waren. Es ist also der Farbstoff höchstwahr- scheinlich nicht durch die Placenta, sondern durch die Eihäute direct in das Amnioswasser übergegangen. Doch gelten diese Befunde nur für die Früchte aus der zweiten Hälfte ihrer intra- uterinen Entwicklung, indem bei den Embryonen der Kaninchen aus der ersten Hälfte der Trächtigkeit „so gut wie nichts" vom Farbstoff im Fruchtwasser gefunden wurde, selbst nicht nach Nephrotomie der Mutter. Auch bei zwei trächtigen Hündinnen ging das Pigment weder in den Fötus, noch in das Frucht- wasser über. Mit vollem Rechte schliesst aber Wiener aus den Ver- [73 suchen an hochträchtigen Kaninchen, dass Stoffe aus dem mütterlichen Blute direct in das Fruchtwasser über- treten. Die grosse Verschiedenheit der Kaninchen- undMenschen- Placenta gestattet zwar einstweilen nicht, den bis jetzt ausschliess- lich nach Injection der einen Substanz, nur in die Venen allein von Kaninchen in den letzten Stadien der Gravidität, auf den Menschen zu übertragen, trotz dieser Einschränkungen aber wird hierdurch die Ansicht von Gussero w und anderen, derzufolge [la „das Fruchtwasser ausschliesslich ein Product des Fötus ist" wider- legt. Die davon unabhängige alte von ihm neubegründete Hypo- these, dass der Fötus-Harn in das Amnioswasser entleert, ist aber deshalb nicht widerlegt, und Wiener hat sich angelegen sein lassen, sie durch besondere Versuchsreihen zu beweisen, welche weiter unten beschrieben werden (im folgenden Abschnitt). Hier handelt es sich darum, zu prüfen, ob etwa andere dem normalen Organismus fremde leicht in sehr kleinen Mengen er- kennbare Stoffe sich ebenso wie Indigcarmin verhalten, indem sie zwar regelmässig von dem Blute der Mutter aus in das Frucht- wasser, nicht aber in denselben Mengen in derselben Zeit in den Fötus übergehen. Diese Frage ist durch eine sehr verdienstliche Untersuchung von G. Krukenberg in Bonn klar beantwortet [473 Das Fruchtwasser. 293 worden. Die Substanz, welclie er anwendete, Jodkalium, wurde zwar vor ihm schon oft zu Versuchen über den Stoffaustausch zwischen Mutter und Frucht benutzt (S. 207 und 212), aber nie- mand erhielt vor ihm constante Resultate. Krukenberg konnte zehnmal bei Geburten am normalen Ende der Schwangerschaft bei noch wenig erweitertem Muttermunde ganz reines Fruchtwasser durch Sprengen der Fruchtblase mittelst eines langen Troicarts erhalten, nach vorheriger gründlicher Ausspülung der Yagina und nachdem die gebärenden Frauen nur einige Stunden vorher Jod- kalium in wässeriger Lösung verschluckt hatten. In diesen zehn Fällen gelang der Nachweis jedesmal. Als Reagens diente Stärke- kleister, dem eine Spur Kaliumnitrit und etwas Schwefelsäure hinzugefügt wurden. Zur Untersuchung wurde das Fruchtwasser bis zur Trockene eingedampft, der Rückstand verascht, die Asche in heissem Wasser filtrirt. Das Filtrat, 2 bis 3 Ccm. im Ganzen, gab dann nach dem Erkalten auf Zusatz einiger Tropfen des Reagens die Blaufärbung des Jodamylum. Auch bei hochträchtigen Kaninchen, welchen je 1 V2 Grm. Kaliumjodid in 50-procentiger Lösung subcutan eingespritzt worden, gelang es 1 V2 Stunden später, sogar auf directen Zusatz des Reagens zum Fruchtwasser jedesmal (bei 24 Prüfungen rein auf- gefangenen Amnioswassers von sechs hochträchtigen Kaninchen) das Jod mit Sicherheit nachzuweisen. Dabei war die Blaufärbung jedesmal sehr intensiv. Aber die 62 Nieren der Früchte gaben zerdrückt oder verascht entweder gar keine Jodreaction (26) oder nur eine „schwache (18), massig starke (6), keine deutliche (12)" Blaufärbung. Urin konnte von keinem Fötus erhalten werden. Diese Versuche bestätigen vollkommen die Auffassung des Fruchtwassers als eines Transsudats aus dem mütterlichen Blute. Denn wenn so leicht diffundirende Substanzen, wie Jodkalium, bei Thieren (Kaninchen) und Kreissenden reichlich in das Frucht- wasser übergehen, ohne jedesmal im Fötus nachweisbar zu sein, dann ist die Schlussfolgerung sehr wahrscheinlich, dass ein Theil des Fruchtwassers in der letzten Zeit der Gravidität vom Blute der Mutter direct in die Amnionhöhle gelangt. Möglich erscheint es sogar, dass sämmtliches Fruchtwasser nur aus dieser Quelle stamme, wenn nämlich der Fötus keinen Harn und sonst kein Excret ihm beimischt, wie es bei Missbildungen mit Hydronephrose der Fall ist oder sein kann. Dieses wichtige Resultat wird noch dadurch gestützt, dass nicht, wie bei den intravenösen Injectionen des Indigcarmin, etwa 294 Diö embryonalen Absonderungen. anomale Transsudationen erst veranlasst werden können und die Versuche an der gesunden Frau ausgeführt wurden. Nun hat sich aber auch bei Krukenberg's Versuchen bestätigt gefunden, was Wiener bei Thieren aus früheren Trächtigkeits- [473 Stadien beobachtete, dass da nämlich kein Jodkalium oder nur wenig in das Fruchtwasser und in den Fötus übergeht. Bei Kanin- chen, die 17 bis 21 Tage nach der (nicht wiederholten) Befruchtung wie die anderen behandelt wurden, waren keine oder nur eben noch nachweisbare Spuren von Jod im Fruchtwasser aufzufinden, d. h. 9 bis 13 Tage vor dem Ende der Tragzeit. Auch in einem Falle einer Frühgeburt beim Menschen — das Kind wog 1850 Grm., die Nabelschnur war 42 Cm. lang — konnte zwar im ersten Urin des Kindes unmittelbar nach der Geburt, nicht aber im Frucht- wasser Jodkalium nachgewiesen werden. Die Ursache für das Ausbleiben des Übergangs von Stoffen in das Fruchtwasser, welche in den letzten Wochen oder Tagen der Gravidität reichlich übergehen, suchte Wiener in den zwischen den Eihäuten befindlichen Flüssigkeitsschichten; Krukenberg fand aber in der hierbei fast allein in Betracht kommenden Flüssigkeit zwischen Amnion und Chorion entweder (16 mal) keine oder (6 mal) nur eine schwache Reaction bei Kaninchen. Er meint, es seien vielmehr die Eihäute, namentlich das Chorion, welche, auch beim Menschen, zu Beginn der Gravidität oder vor den späteren Stadien den Durchtritt erschweren, indem ihre Permeabilität im Laufe der Entwicklung des Embryo immer mehr zunähme. Allerdings stimmen die Experimente und die anatomischen Befunde mit dieser Hypothese viel besser überein. Für das Kaninchen folgt schon aus Wiener's und Krukenberg's Versuchen, dass gegen Ende [473 der Gravidität die diffundirenden Stoffe aus dem mütter- lichen Blute direct durch die Eihäute in das Amnios- wasser übergehen, zu Anfang der Tragzeit aber nicht. Es ist also wahrscheinlich, dass gegen Ende der Schwanger- schaft auch beim Menschen ein Theil des Fruchtwassers aus dem Mutterblut in die Amniouhöhle hinein transsudirt. Keine Eigenschaft des Fruchtwassers spricht gegen diese Annahme. Keine aber schliesst idie Beimischung von fötalem Harn aus. — Das Problem von der Herkunft des Fruchtwassers vor dem Ende der Gravidität ist durch H. Jungbluth (1869) von einer [235 anderen Seite her seiner Lösung näher geJ)racht worden. Dieser Forscher entdeckte nämlich an der dem Amnion dicht anliegenden Das Fruchtwasser. 295 Partie der fötalen Placenta-Gefässe kleinste Arterien, welche durch Capillaren mit Yenen zusammenhängen, Vasa propria, die mit den Nabelschnurgefässen communicirend wohl geeignet scheinen, von der Zeit an, da sich der Fruchtkuchen zu bilden beginnt, bis zu ihrer Obliteration , seröse Flüssigkeit in die Amnionhöhle durch- treten zu lassen. Das ungewöhnlich lange Bestehen dieser Jung- bluth'schen Gefässe würde übermässige Fruchtwasserabsonderung, Hydramnios, bedingen, wogegen bei Mangel an Fruchtwasser diese Gefässe schon sehr früh verkümmern würden. Auf Grund seiner Injectionsversuche an menschlichen Placenten spricht es daher Jungbluth mit Bestimmtheit aus, dass die am- niotische Flüssigkeit weder, wie man früher annehmen wollte, von der uterinen Placenta, noch von den Speichel- oder Thränen- drüsen des Fötus, noch von seinen Schweissdrüsen, noch von seinem Darm, noch von seinen Nieren, noch seinen Brustdrüsen, noch vom Nabelstrang herstammt, sondern allein von dem Frucht- kuchen — der fötalen Placenta — und zwar durch besondere dem Amnion ganz dicht anliegende Blutcapillaren der Grenz- membran, den Vasa propria. Dieser neuen Ansicht zufolge ist also das Fruchtwasser wenigstens zum Theil ein Transsudat des fötalen Blutes in dem Fruchtkuchen, welches mit dem mütterlichen in osmotischem Ver- kehr steht, kein Secret, kein Excret des Fötus und kein directes Transsudat aus dem mütterlichen Blute, dessen Beschaffenheit jedoch selbstverständlich nicht ohne Einiiuss auf die Zusammen- setzung und Menge des Fruchtw^assers sein kann. Es ist ferner die enorm gesteigerte Absonderung des Fruchtwassers in patho- logischen Fällen — bei Hydramnios und vielleicht auch bei Hydrorrhöe der Schwangeren — nur die Steigerung eines physio- logischen Processes und überhaupt eine scharfe Grenze zwischen physiologischer und pathologischer Fruchtwassermenge nicht zu ziehen. [348 In historischer Beziehung ist eine Äusserung von Lobstein [iis in seinem Buche über die Ernährung des Fötus (1802) geradezu als ein Vorläufer der Jungbluth'schen Arbeit anzusehen. Jener sagt nämlich (§. 31): „Die Beobachtung lehrt, dass sehr kleine Blutgefässe auf der dem Fötus zugewandten Oberfläche des Mutter- kuchens sich verbreiten; dass diese einen Theil der wässerigen Flüssigkeit durchschwitzen lässt, die man in die Nabelgefässe eingespritzt hat; dass man dort sehr oft Wasser zwischen den beiden Häuten ausgetreten findet usw. Alles dieses scheint 296 Die embryonalen Absonderungen. anzudeuten, dass eine seröse Exsudation von der glatten Ober- fläche dieses Theiles ausgeht. Indessen muss man doch die wahre Quelle des Fruchtwassers in der ganzen Ausdehnung der Häute des Eies suchen." Hierin liegt viel mehr, als eine blosse Divina- tion. Denn hiernach ist anzunehmen, dass Lobstein bereits die- selben Beobachtungen und Schlüsse wie Jungbluth machte. [235 Letzterer schrieb 1869: „Entfernt man an einer reifen frisch zur Injection benutzten Placenta die Wasserhaut und löst dann an jenen Stellen, welche dem blossen Auge feinere Gefässverästelungen offenbaren, kleinere und grössere Läppchen der mit dem Parenchym des Fruchtkuchens verwachsenen Grenzmembran ab, so bemerkt man , wie aus dem Parenchym in die Membran hinein feine G-e- fässe eindringen, um dieselbe nicht wieder zu verlassen." Das Blut in diesen Vasa proprio, ist es, welches das Fruchtwasser durch das Amnion hindurch diffundiren lässt. Eine glänzende Bestätigung erhielt die Jungbluth'sche Theorie durch F. Levison (1873), Dieser bewies durch Injectionen von [225 den Nabelstranggefässen aus (Arterien oder Vene) die Existenz der Jungbluth' sehen Capillaren und fand sie bei Placenten un- reifer Kinder ziemlich zahlreich, bei solchen ausgetragener wie Jungbluth selbst gar nicht, war aber Hydramnios vorhanden ge- wesen, dann sehr reichlich auch bei diesen. Die alten Ansichten, denen zufolge ausser dem Harn des Fötus, auch sein Speichel, sein Nasenschleim, sein Brustdrüsen- secret, sein Schweiss als ausschliessliche oder überwiegende Be- standtheile des Fruchtwassers anzusehen seien, sind demnach ab- gethan. Insbesondere folgt die Unzulässigkeit der Identificirung von Fruchtwasser und fötalem Schweiss aus dem späten Auftreten der Schweissdrüsen. Dieselben erscheinen nach Kölliker erst [31 im fünften Monat und zwar als solide Auswüchse des Stratum Malfjighi der Oberhaut. Erst im siebenten Monat sind Schweiss- poren und Schweisscanäle in der Epidermis, aber noch sehr un- deutüch zu erkennen. [30 Andererseits kann auch der Uterus nicht als nothwendig für die Fruchtwasserabsonderung angesehen werden, da bei Extra- uterinschwangerschaften , wie schon Scheel (1798) bemerkte, [217 reichlich Fruchtwasser gefunden wird. Aber die Eihäute, die Jungbluth'schen Grefässe und vielleicht auch die Nieren des Fötus sind nothwendig für die reichliche Secretion des Amnioswassers, erstere mehr in der letzten Zeit, die Vasa propria nach der Pla- centabildung, die Nieren nur in der letzten Entwicklungszeit. Bei Das Fruchtwasser. 297 [Früchten mit verschlossenen Harnwegen ist wenig Fruchtwasser gefunden worden. [se So paradox es klingt: der Fötus entleert seinen Harn in die Amnionhöhle und trinkt ihn mit den übrigen Gemengtheilen des Fruchtwassers um so reichlicher, je näher der Geburtstermin heranrückt, wie der Vogelembryo in seinem Ei vor dem Aus- schlüpfen, Woher stammt aber das Fruchtwasser vor der Placenta- bildung? Nach Scherer sollen die Grewebe des Fötus es liefern, [433 womit freilich über das Wie? keine Aufklärung gewonnen ist. Es lässt sich leicht zeigen, dass diese oft wiederholte Be- hauptung von der Wasserabscheidung seitens des Embryo im höchsten Grade unwahrscheinhch ist. Sie beruht ohne Zweifel auf einer Verwechslung des absoluten und relativen Wassergehaltes der embryonalen Gewebe. Der letztere nimmt stetig im Laufe der Entwicklung ab. Da aber der absolute Wassergehalt des ganzen Embryo während derselben Zeit stetig zunimmt, und zwar sehr erheblich, so ist es unmöglich, dass der Embryo mehr Wasser abgibt, als er aufnimmt. Das von ihm angeblich ausgeschiedene Fruchtwasser könnte also nur gleich sein der Diiferenz des auf- genommenen Wassers minus dem zurückbehaltenen Wasser. Ich habe aber dargethan (S. 256), dass die hauptsächliche Quelle, aus der die Frucht ihren grossen Bedarf an Wasser deckt, eben das Fruchtwasser ist. Für den in allen Stadien dem Auge direct zu- gänglichen und stets von Flüssigkeit umspülten Hühner-Embryo ist es bewiesen, dass er dieselbe in sich aufnimmt, verschluckt und vorher, wenn die Leibeshöhle sich schliesst, mit seinen wachsenden und sich differenzirenden Geweben förmlich in Buchten umwächst, sich überall mit Wasser imprägnirend (durch Endosmose und ohne Zweifel noch mehr durch Quellung). Es ist also klar, dass die vom Anfang an im Ei vorhandene Flüssigkeit durch die absolute Wasserzunahme des Embryo vom ersten Tage an ab- nehmen muss. Sie kann somit nicht durch eben diesen Embryo zu gleicher Zeit durch eine wasserausscheidende Thätigkeit der Gewebe zunehmen. Dasselbe muss vor der Hacenta-Bildung für den Säugethier- und Menschen-Embryo gelten. Nach anderen soll das Fruchtwasser aus den Omphalomesen- terialgefässen transsudiren. Da aber in der allerersten Zeit das Fruchtwasser kein oder wenig Albumin zu enthalten scheint, so ist auch diese Provenienz fraglich. Hat es einen hohen Albumin- gehalt, so ist auch die Placenta schon gebildet. In der ersten 298 Die embryonalen Absonderungen, Zeit der Placentabildung wird das in der Obliteration begriffene Gefässnetz des Cborion viel eher geeignet sein, Albumin durch- treten zu lassen, als die Placentagefässe selbst. Daher, wenn ersteres verkümmert ist und nur noch die Placenta fungirt, auch der fötale Harn sich zumischt, welcher nur wenig Albumin ent- hält, der Albumingehalt wieder bedeutend abnimmt. Die Bestim- mungen des Albumingehalts verschiedener Fruchtwasserproben aus verschiedenen Monaten zeigen mit dieser Anschauung überein- stimmende Zahlen. Vogt und Scher er fanden, dass 1000 Theile [154 Fruchtwasser vom Menschen enthalten im [433 3. Monat 4. Monat 5. Monat 6. Monat 10. Monat Wasser 983,47 979,45 975,84 990,29 991,74 Albumin 1 u. Mucin J 1 Extract J 10,77 7,67 6,67 0,82 7,28 3,69 7,24 0,34 0,60 Salze 9,25 6,09 9,25 2,70 7,06 AuchFehling bestimmte den Albumingehalt des Fruchtwassers, das bei der Geburt abfloss, zu 0,59 bis 2,5 pro mille, Spiegel- [415 berg fand in dem vom sechsten Monat 1,4 %q Albumin, 4,2 Albumin- derivate, 3,6 Harnstoff und 7,95 Salze, Prochownick im 2. Monat [114, 7 0,43 bis 0,85, im 5. Monat 7,1 pro mille Albumin. Wahrscheinlich spielt die nur in den ersten Zeiten der Gravidität reichliche Flüssig- keit zwischen Chorion und Amnion eine KoUe bei dem Ersätze des vom Embryo aufgenommenen Wassers. Über die Herkunft des Fruchtwassers vor der Placentabildung ist also etwas sicheres noch nicht bekannt. Auch die Frage, wie es in der Norm nach Obliteration der Jungbluth'schen Gefässe durch die beim Menschen gefässlosen Häute, das Chorion und Amnion dringen mag, bleibt zu beant- worten. Denn «dass in der späteren Entwicklungszeit gar kein neues Fruchtwasser abgesondert werde, lässt sich nicht annehmen. Eine mögliche Art des Durchgangs hat F. N. Winkler bei [244 einer Untersuchung der menschlichen Placenta aufgefunden. Er wies nicht nur in der Chorionbindegewebsschicht und in der Gallert- schicht, sondern auch im Amnion Saftcanälchen nach, welche nach der Eihöhle zu frei ausmünden und meint, dieselben er- langten ungefähr zu der Zeit ihre Persistenz, in welcher die Capil- laren obliteriren. Er fand die Verbindung der Saftcanälchen mit Gefässen verschiedensten Calibers — Arterien und Venen, vor- Das Fruchtwasser. 299 wiegend ersteren — sehr häufig und meint sogar, die Saftcanäl- chen durchbrächen an feinsten Capillaren die Wand derselben; aber auch mit den Nabelschnurgefässen ständen sie in Verbindung und gerade in der Nabelschnursulze und dem placentaren Theil des Chorions sucht er die Hauptabsonderungsstätte des Frucht- wassers nach dem Schwinden der Jungbluth' sehen Gefässe. Dass Saftcanälchen im Nabelstrang existiren, war mir seit 1865 bekannt. Damals nämlich injicirte Max Schnitze in Bonn mittelst Einstich dieselben. Köster sah später die Injections- izo, 346 masse an der Oberfläche zu Tage treten. Die Saftcanäle waren überall in der Wharton'schen Sülze reichlich vorhanden. Es kann also in der That ein Theil des Fruchtwassers in der späteren Zeit von diesen und den Winkler'schen Saftcanälen her- stammen, um so mehr als in einem exquisiten Falle von Hydram- nios eine sehr spärliche Gallertschicht, ein normales Chorion, aucb im placentaren Theil keine Abweichung, dagegen im Amnion eine sehr bedeutende Ektasie der Saftcanäle, die bis in die Nabelschnur- sulze sich verfolgen Hess, von Winkler beobachtet wurde. Es wäre von Interesse zu wissen, ob in solchen abnormen Fällen auch die Menge der (schon 1798 von Scheel gesehenen) [247 Lymphkörperchen im Fruchtwasser etwa grösser ist, als in der Norm. Historisch ist zu bemerken, dass bereits Boerhaave behauptete, dass Fruchtwasser in amnii ccmaliculos abeat und in cavum amnü instillei. Und van der Bosch meinte, obgleich im Amnion Blut- [247 gefässe fehlten, könnten doch mit solchen in Verbinduug stehende Gefässe minoris ordinis, arteriolae videlicpt serosae seil lymphaticae darin vorkommen, welche weder mit blossem Auge leicht gesehen, noch durch die gewöhnlichen farbigen Injectionsstoffe ausgefüllt werden könnten. Auch in die Pericardial- und Peritoneal-Höhle könnten solche Gefässe die dem Fruchtwasser sehr ähnlichen Flüssigkeiten absondern. So berichtet 1798 P. Scheel, welcher [247 hinzufügt, Wrisberg habe sogar blutführende Gefässe, aber nur wenige, aus den Choriongefässen in das Amnion übergehen ge- sehen. Wahrscheinlich seien dieselben jene farblosen nur ab- normer Weise bluthaltigen Gefässe des van der Bosch. Scheel discutirt mit Scharfsinn die Existenz und Herkunft jener hypo- thetischen Amniongefässe. Doch hat er weder die Jungbluth'schen Capillaren, noch die Winkler'schen Saftcanälchen gesehen, und es ist jetzt sicher, dass Blutgefässe im Amnion überhaupt nicht und im Cborion beim Menschen nur anfangs vorkommen. [3i, 153. 155 300 Diß embryonalen Absonderungen. Dass aus den chemischen und physikahschen Eigenschaften des Fruchtwassers nichts gegen seine Ableitung aus dem mütter- lichen Blute gefolgert werden kann, wurde bereits hervorgehoben (S. 294). Auch die von Gusserow ermittelte Abwesenheit einer Li9 fibrinbildenden Substanz ist kein Gegengrund, da auch andere unzweifelhaft aus Blut oder Lymphe und Blut transsudirte Flüssig- keiten nicht auf Zusatz von Blutkörpern gerinnen, z. B. die [473 Cerebrospinalflüssigkeit und die durch Erschwerung des venösen Blutstromes transsudirenden ödematösen Säfte. Kein Bestandtheil des Fruchtwassers, namentlich nicht der bereits von Wöhler und von Fromherz und Gugert darin [373,5*5 nachgewiesene Harnstoff, spricht dagegen, das Vorkommen von [311 Ptomam und Spuren von Oxysäuren dafür. Denn im Meconium fehlen, wie Senator und Baginsky zeigten, die Producte des [352. 478 fauKgen Eiweisszerfalles. Finden sich also Spuren davon im Fruchtwasser, dann müssen sie entweder direct oder indirect, d, h. durch die Nieren des Fötus, aus dem mütterlichen Blute in dasselbe übergegangen sein, so namentlich die von Senator in ihm nachgewiesenen Ätherschwefelsäuren. Doch kann ich be- [479 züglich des von ihm gefundenen Phenolgehaltes des einige Tage aufbewahrten und in einer Gebär- Anstalt ammoniakalisch gewor- denen ersten Harnes des Neugeborenen den Zweifel, dass die ßeaction durch ein Antisepticum zu Stande kam, nicht unter- drücken. Unter fünf Proben war die ßeaction 3 mal negativ, 2 mal positiv, und zwar einmal sehr stark. Wie es sich auch damit verhalten mag, bis heute hat keine chemische Untersuchung des Fruchtwassers eine Thatsache kennen gelehrt, welche gegen seine Entstehung aus Blut, und zwar durch Transsudation, spräche. Es ist dann aber noch zu prüfen, ob ausser den Eihäuten, den Jungbluth'schen Capillaren etwa der Nabelstrang an einer solchen Transsudation betheiligt ist. Fehling stellte geradezu die [215 Hypothese auf, dass ein Theil des Fruchtwassers aus den Na beige fassen stamme. Indem der Druck in denselben durch die Umsclilingung zunehmen müsse, könne eine Transsudation oder Filtration des Plasma die Wirkung der jedenfalls immer vor- handenen Diffusion steigern und modificiren, zumal es im Nabel- [222 sträng an Capillaren nicht fehle. [223 Für die frische Nabelschnur hat H. Fehling nachgewiesen, dass Natriumsalicylat aus ihren Gefässen in einem mit friscliem Fruchtwasser gefüllten Glascylinder in einer Stunde in merklicher Das Fruchtwasser. 301 Menge difFundirt. Die unterbundenen Enden befinden sich dabei ausserhalb der Flüssigkeit. Andere Versuche ergaben ihm das wichtige Eesultat, dass die Wharton'sche Sülze der Nabelstränge solcher Früchte, deren Mütter kurz vor der Entbindung salicyl- saures Natrium erhalten hatten, die Salicylsäure an die Kochsalz- lösung oder das Wasser abgab, in welches man sie aufgehängt hatte. Also ist der Übertritt von difi'undirenden Stoffen aus der Nabelschnur in das Fruchtwasser auch im unversehrten schwangeren Uterus sehr wohl möglich, zumal auch von der mit Wasser gefüllten und in Wasser aufgehängten Nabelvene innerhalb 6 bis 12 Stunden nachweisbar Eiweiss und Mucin in die äussere Flüssigkeit [215 übergehen. Hierbei ist namentlich zu bedenken, dass ebenso auch in die Nabelarterien und in die Nabelvene die im Fruchtwasser gelöst enthaltenen Stoffe und Wasser eintreten können. Bei der langen Dauer des Contactes von Nabelschnur und Amnioswasser ist es von vornherein garnicht einmal unwahrscheinlich, dass Frucht- wasserbestandtheile, Wasser zumal, in das Nabelschnurblut regel- mässig auf diesem Wege gelangen. Nun hat aber G. Krukenberg gewichtige Bedenken gegen [473 die von Fehling angenommene PermeabiHtät der Nabelgefässe und der Wharton'schen Sülze geäussert. Er bestätigte zwar den Ver- such, indem er ein Stück Nabelschnur bald nach der G-eburt mit einer Jodkalium -Lösung füllte, dasselbe in einen mit frischem Fruchtwasser gefüllten Glascylinder hing und nach einer Stunde in diesem Jod nachweisen konnte, will aber daraus keinen Schluss auf die lebende Nabelschnur ziehen, weil die Intima der Gefässe ohne den Contact mit Blut functionsunfähig werden müsse. Es ist nicht klar, wie dadurch das positive Ergebniss der Versuche entwerthet werden soll. Denn dass die lebende Intima im Contact mit Blut ebenfalls diffundible Stoffe durchlasse, wird doch dadurch nicht unwahrscheinlich gemacht. Indessen suchte Krukenberg durch Wiederholung der Versuche mit der lebenden Nabelschnur Gewissheit zu erlangen. Unmittelbar nach der Geburt des Kindes wird eine Lösung von 1 Grrm. JodkaHum in 2 Grm. Wasser in die Placenta injicirt und eine hochgehaltene möglichst lange Nabelschnurschlinge in ein schmales, mit lauwarmer 0,6%- Chlornatriiim - Lösung gefülltes Glas gehalten. Sie verbleibt in demselben bis die Nabelvene coUabirt. Nur 2 Versuche gelangen. In beiden war im kindlichen Harn Jod nachweisbar, in der verdünnten Kochsalz-Lösung nicht. In beiden Versuchen dauerte aber der Contact der Nabelschnur und der Lösung, in welche Jodkalium hineindiffundiren sollte, nur eine Viertelstunde. 302 jDiß embryonalen Absonderungen. Durch diese zwei negativen Befunde wird die von Fehling vertheidigte Wahrscheinlichkeit eines Ühergangs diffundirter Stoffe aus dem Nabelstrangblute in das Fruchtwasser also kaum ver- mindert. Wenn durch die bisherigen Untersuchungen die Ansicht, dass das Fruchtwasser des Säugethier- und Menschen-Fötus ausschliess- lich ein Product des fötalen Stoffwechsels sei, immer mehr an Wahrscheinlichkeit verloren hat, so könnte man dagegen bezüglich der Herkunft des Fruchtwassers in den Eiern oviparer Thiere schon die Frage, ob es vom Embryo allein abstammt, fast über- flüssig finden. Und doch ist diese Frage nicht unberechtigt. Denn im Yogelei ist sämmtliches Wasser, welches der reife Embryo später enthält, und noch mehr als dieses, nämlich das exhalirte Wasser, bereits enthalten. Eine Zufuhr von Wasser findet beim Yogelei von aussen keinenfalls statt, während in das Säugethierei continuirlich erhebliche Wassermengen aus dem Blute der Mutter überströmen. Beim Vogelei kann auch nicht die Rede sein von einer Transsudation aus dem mütterlichen Blute. Aber die That- sache kann nicht geleugnet werden, dass vorher eine dem Frucht- wasser ähnliche Flüssigkeit im frischgelegten Ei, also ausschliesslich von dem Mutterthier stammend, existirt, nur nicht schon gegen andere Eibestandtheile abgegrenzt. Diese Flüssigkeit sammelt sich beim Beginn der Bebrütung um die Embryo -Anlage an (S. 28) und ist zwar noch kein Fruchtwasser, solange die Amnionhöhle offen bleibt, aber sie bildet den Anfang, gleichsam das Grund- capital, zu welchem, nachdem sich das Amnion geschlossen hat, neue Flüssigkeit aus dem Albumen hinzukommt. Dieses sehr wässerige Fluidum wird durch die Wasserexhalation des Eies con- centrirter und muss durch das Amnion eindringen, denn die histo- genetischen Processe im Embryo, die Bildung des Skelets, der Muskeln, der Haut mit den Federn usw. erfordern viel Wasser, welches im Embryo absolut zunimmt. Dass eben dieses Frucht- wasser, welches- ein Diffusat (Transsudat) des Ei-Inhaltes und zwar des Albumens ist, später, nach Schliessung der Leibeshöhle, ver- schluckt wird, wie vom Säugethierfötus, und so der embryonalen Ernährung auch zuletzt zu gut kommt, ist einer von den Gründen gegen seine Ableitung vom Embryo. Es kann auch sehr wohl nach A'ereinigung der Amnionfalten, während durch das Amnion continuirlich ein Diffusionsprocess stattfindet, bei dem aus dem übrigen Ei Flüssigkeit in die Amnionhöhle gelangt, welche also von der Mutter stammt, der Salz- und Albumin-Gehalt steigen. Denn Das Fruchtwasser. 303 wenn der Embryo mit dem Amnion wächst und immer mehr Kaum einnimmt und zugleich dem übrigen Ei-Inhalt dadurch Raum entzieht, kann sehr leicht eine Abgabe von Wasser durch den negativen Druck im Ei durch das Amnion und die Kalkschale hindurch zu Stande kommen. Das bebrütete Ei verliert bis zuletzt viel Wasser durch Verdampfung. Die Behauptung, beim Säugethier und Menschen erzeuge der Fötus allein das Fruchtwasser, kann somit durch den Hinweis auf den im hartschaligen gelegten Ei eingeschlossenen Vogel-Embryo nicht erhärtet werden. Fest steht vielmehr, was Virchow [*33, w bereits 1850 annahm, dass sowohl die Mutter, als auch der Fötus bei der Bildung des Fruchtwassers normaler [114 Weise direct betheiligt sind. Hierdurch ist das viel discutirte Problem von der Entstehung des Fruchtwassers zwar keineswegs gelöst, aber ein wichtiger Schritt vorwärts gethan. Aus der ganzen obigen Darstellung und Kritik der Thatsachen geht hervor, dass das Amnioswasser aus mehr als einer Quelle fliesst. Zu Anfang des Embryo -Lebens ist es eine ganz andere Flüssigkeit, als zu Ende desselben. An seiner Bildung betheiligen sich die Eihäute, die Placenta, der Fötus und vielleicht auch der Nabelstrang. In welchen Mengen der fötale Harn dem Frucht- wasser sich beimischt, kann erst die genauere Untersuchung der fötalen Nierenfunction zeigen, welche auch Gründe für die Ent- leerung der fötalen Harnblase in die Amnionhöhle beibringen wird. Die embryonale Lymphe. Dass der Yogelembryo lange vor seiner Reife in seinen Lymph- gefässen ebenso me der Säugethierfötus lange vor der Geburt Lymphe führt, ist nicht zu bezweifeln und aus dem späten [297 Erscheinen der Lymphdrüsen — His fand keine Andeutungen [319 vom Lymphgefässsystem bei 4-wöchentlichen menschlichen Em- bryonen — folgt keineswegs, dass nicht schon in frühen Stadien echte Lymphe neben Blut im Embryo vorhanden sei. Der bereits erwähnte Wasserreichthuni der embryonalen Gewebe namenthch der früheren Stadien — 90 bis 92°/o in den Lungen, in den Muskeln und im Gehirn des 4- bis 6-wöchentlichen Rindsembryo nach Schlossberger — muss zum Theil jedenfalls [486 auf Organlymphe bezogen werden, welche ohnehin vom sogenannten Parenchymsaft im postnatalen Leben nicht völlig geschieden ge- dacht werden kann. Sie muss vor der Schliessung der Leibes- 304 Die embryonalen Absonderungen. höhle beim Embryo mit dem Amnioswasser zum Theil in Con- timiität stehen. Wiener folgert auch mit Recht aus seinen Versuchen, dass [ses die Lymphbewegung beim weiter entwickelten Fötus eine lebhafte ist. Denn wenn einem Kaninchen- oder Hunde-Fötus subcutan injicirtes indig-schwefelsaures Natrium schon „nach kurzer Zeit" (nach wieviel Stunden ist allerdings nicht angegeben) sich in der Harnblase wiederfindet und 1 bis 1 V2 Stunden nach subcutaner Einspritzung wässerigen Grlycerins unter die Haut des Kaninchen- fötus fötale Hämoglobinurie eintritt, so muss schon eine energische Lymphbewegung vorhanden sein. Die vom Verfasser nicht erwähnte Resorption des Griycerinwassers durch die Venen kommt aber jeden- falls wesentlich mit in Betracht und die plötzlich eindringende Plüssigkeitsmasse kann eine vorhandene geringe Strömung steigern. Deshalb ist ein anderes Experiment von Wiener von grösserem Werthe für den Beweis, dass im Fötus die Lymphe schon ähnlich wie beim Geborenen strömt. Er injicirte Kaninchen- und Hunde- Embryonen ^/j bis ^/^^ Pravaz'sche Spritze Olivenöl in die Peritoneal- höhle und fand dasselbe nach 7 bis 16 Stunden in den meisten Organen, namentlich in Längsreihen kleiner Fetttropfen im [see Zwerchfell. Ebenso wird die Function der Resorption mittelst der Darmlymphe bewiesen durch Wiener's Versuche mit Ferrocyan- kalium. Er injicirte 5- bis 10-procentige Lösungen davon in die Fruchtblasen, worauf die Embryonen fast regelmässig deutliche Schluckbewegungen machten und 2 bis 3 Stunden später mittelst Eisenchlorid das Salz in sämmtlichen fötalen Geweben nach- gewiesen werden konnte, besonders in der Magen- und Darm-Wand^ im Mesenterium, in der Cutis, in den Nieren. Es muss also, sei es vom Verdauungscanal allein aus, sei es von ihm und der äusse- ren Nabelschnur aus, eine Resorption stattgefunden haben. Die Nabelschnur enthält Saftcanälchen. [30 Da in den frühesten Stadien, in denen das Blut noch nicht differenzirt ist, eine Trennung von Lymphe und Blut beim Wirbel- thierfötus nicht existirt, dieser also darin den wirbellosen Thieren gleicht, so empfiehlt es sich beim ganz jungen Embryo wie bei diesen den Saft, aus welchem beide hervorgehen müssen, Hämato- lymphe zu nennen, und da die fertige Lymphe mit dem Blut- plasma die grösste Ähnlichkeit hat, so wäre es besonders inter- essant, zu wissen, ob bei grossen Säugethierembryonen beide oder nur die Lymphe durch Sauerstoff'aufnahme unter Hämoglobin- bildung roth werden. Die embryonale Lymphe. 305 Die ursprünglicli in der Embryonal -Anlage des Hühnereies vorhandene Flüssigkeit, welche bereits strömt, nämlich von kälteren Theilen in wärmere Theile, wird miter dem Einflüsse des aus der atmosphärischen Luft stammenden Sauerstoffs unmittelbar nach dem Beginne der Herzthätigkeit immer mehr roth durch Hämoglobin-Bildung, ist aber dann noch kein Blut im eigentlichen Sinne, schon weil die Blutkörperchen, welche die farblose, bisjetzt nicht bekannte , nur durch SauerstofFzutritt von aussen roth werdende hämoglobinogene Substanz enthalten müssen, noch nicht ihre charakteristische Form erhalten haben. Dieser ursprüng- lich strömende Saft ist vielmehr Hämatolymphe, welche in den Blutgefässen später Blut wird, während der Best ausserhalb der- selben Lymphe heisst. Diese erhält erst später besondere Gefässe, in welchen sie beim Embryo zum Theil durch Lymphherzen fortbewegt wird. Dass wenigstens bei der Lymphströmung in der Allantois der Hühnerembryonen Lymphherzen — am Rücken, in dem Winkel zwischen Becken und Steissbein — mitwirken, zeigte Albrecht Budge (1882). Er sah sie vom 8. Tage an pulsiren und [35o. 351 zwar unabhängig vom Blutpuls, fand, dass sie vom 10. bis 20. Tage an Grösse zunehmen und die Allantoislymphe durch dieselben zum Theil direct in die Beckenvenen gelangt, während ein ande- rer Theil durch die Ductus thoracici in die Jugularvenen fliesst. Der Inhalt der Lymphherzen war wasserhell und schien Leuko- cyten zu enthalten. Die Pulsationen, bei 8- bis 18-tägigen Em- bryonen mit blossem Auge erkennbar, erlöschen bald nach Herausnahme derselben aus dem Ei. Nach Abtrennung des unteren Rumpffcheils zählte Budge noch 16 Schläge in der Minute. Berührung mit einer Nadel und Benetzung mit warmem Wasser stellten die erloschene Thätigkeit auf kurze Zeit wieder her. Kali blieb angeblich ohne Einfluss. Da bei erwachsenen Hühnern keine Lymphherzen gefunden wurden, so handelt es sich hier wahr- scheinlich um eine embryonale Function, welche wesentlich für die Allantois circulation sein kann. Doch ist unabhängig von ihr eine permanente Lymphströmung im Körper des Embryo sicher gestellt, welche früher beginnt, als die Thätigkeit der Lymph- herzen. Schon beim ausgeschlüpften Hühnchen Hessen letztere sich nur unvollkommen mit Injectionsmasse (Berliner Blau) füllen. Preyer, Physiologie des Embryo. 20 306 I-^i^ embryonalen Absonderungen. Die Yerdauungs-Säfte des Embryo. Die Secrete und die Absonderungsfähigkeit der embryonalen Verdauungsdrüsen zu untersuchen hat darum ein besonderes Interesse , weil dieselben trotz ihrer — wenigstens bei höher differenzirten Thieren — pränatalen TJnthätigkeit doch sofort nach der Geburt in Action treten. Es fragt sich daher zunächst, in welchem Entwicklungsstadium die Drüsen jene specifischen die Verdauung der postnatalen Nahrung allein ermöglichenden Stoffe liefern, die man Fermente oder Enzyme nennt. Die wenigen hierüber ausgeführten Untersuchungen lassen merkwürdige Verschiedenheiten nach der Thierart erkennen und machen die genauere vergleichende histologische Durch- [272. 471 forschung der embryonalen Drüsen wünschenswerth. Auf diesem Wege vnid man auch in Betreff der Fermentbildung beim Ge- borenen Aufschluss erhalten. Denn es ist gewiss, dass die Enzyme sich im Embryo bilden, sonst wäre unverständlich, warum man sie — wenn sie vom Blute der Mutter stammten — nicht sämmtlich constant schon in frühen Stadien vorfindet. Der embryonale Speichel. Die für eine jede rationelle Ernährung des Säuglings wich- tige Frage, ob der Speichel des Neugeborenen Ptyalin enthält, ist verschieden beantwortet worden. An drei Neugeborenen experimentirte Julius Schiffer in der [206 Weise, dass er ihnen mit Stärkekleister gefüllte Tüllbeutelchen in den Mund brachte. Der durch die Saugbewegungen ausgepresste Kleister wurde dann auf Zucker geprüft. In allen Fällen fiel das Ergebniss positiv aus. Hiernach kann der gemischte Mundspeichel des Menschen von der Geburt an gekochte Stärke in Zucker verwandeln. Für Parotisinfuse von Kindesleichen der ersten Lebenstage fand Korowin dasselbe, auch für den gemischten, [207 anfangs nur sehr spärlich sich absondernden Mundspeichel neu- geborener Kinder. Die diastatische Wirkung desselben war sogleich nach der Geburt erkennbar und nahm allmählich zu, wie auch die Menge des secernirten Speichels. Dagegen behauptete Ritter von Rittershain, der kindliche [206 Speichel habe bis zur 6. Woche nicht die Eigenschaft, Stärkemehl in Dextrin und Zucker zu verwandeln. Andere meinen sogar, die Zuckerbildung beginne erst beim Zahnen. Um den Mundspeichel von Neugeborenen zu gewinnen, lässt man dieselben leicht gepresste Stückchen Meerschwamm [207 Der embryonale Speichel. 307 saugen, die dann ausgedrückt werden. Die Absonderung geht aber sehr langsam vor sich, während später bekanntlich dem Säugling der Speichel zum Munde herausfliesst ohne künstliche Reizung, namentlich beim Zahnen. Die Speicheldrüsen des Fötus vom Rinde untersuchte Moriggia und fand sie wie die des neugeborenen Kalbes nicht wirksam. [205 Ob solche Yerschiedenheiten in der Natur der Drüsen be- gründet sind oder den Untersuchungsmethodeu zur Last fallen, werden künftige zahlreichere Prüfungen festzustellen haben. Einstweilen sprechen die drei positiven, sorgfältig controlirten Fälle von Schiffer sehr zu Gunsten der zuckerbildenden Eigen- schaft des Speichels neugeborener Kinder. Denn das älteste der drei war nur zwei Stunden, das jüngste erst wenige Minuten alt und die Dauer der Einwirkung betrug nur fünf Minuten. Das aus der reichlichen Reduction des Kupferoxyds bei Anstellung der Trommer'schen Probe zu folgernde Vorhandensein von Ptyalin schon beim reifen Fötus, oder wenigstens bei dem Kinde in der Geburt, ist um so auffallender, als dasselbe bei seiner ersten natürlichen Nahrung nach der Geburt keine Gelegenheit hat, Amylum oder Dextrin in der Nahrung zu sich zu nehmen, viel- mehr das einzige Kohlenhydrat der Mich, den Milchzucker, schleunigst in den Magen befördert. Und dasselbe gilt für alle Säugethiere. Freilich gibt es nicht wenige, welche, wie die Meerschwein- chen und Mäuse, schon nach einigen Tagen pflanzliche Nahrung zu sich nehmen. Sogar vor der Reife von mii' excidirte und durch künstliche Ernährung mit Kuhmilch am Leben erhaltene Meerschweinchen nehmen nicht selten in den ersten Tagen andere Nahrung, Grashalme und Brod zu sich. Es ist also die diasta- tische Wirksamkeit des fötalen Speichels jedenfalls eine für die Ernährung des Neugeborenen vortheilhafte Eigenschaft, wenn sie auch nur im Falle es an Muttermilch oder anderer Milch fehlt, verwerthet wird. Von diesem Gesichtspuncte aus erscheint das Fehlen der saccharificirenden Eigenschaft des wässerigen Infuses der Parotis, der Submaxillaris und Subungualis gerade bei denjenigen Säuge- thieren, welche nach der Entwöhnung am meisten Stärke und Dextrin in Zucker umwandeln, nicht wahrscheinlich. Doch erhielt H. Bayer sogar für das dreiwöchentliche Kalb dieses [483 negative Resultat. Da nur ein Individuum untersucht wurde, ist der Befund nicht als gesichert anzusehen. 20* 308 Die embryonalen Absonderungen. Der embryonale Mundschleim. Von neugeborenen Kälbern mrd, wie Kehrer bemerkte, ein zäher, schaumiger, fadenziehender Mundschleim entleert, [_U9, ise bisweilen in reichlichen Mengen sogar vor der Geburt, so dass er das Amnioswasser trübt oder, wenn dieses verschluckt worden^ ersetzt, indem statt seiner eine leicht milchig getrübte, Speichel- körperchen und grosse Plattenepithelien enthaltende stark faden- ziehende Gallerte gefunden wurde. Auch bei anderen Thieren, z. B. Meerschweinchen, kommt eine schaumige schleimige Masse in den Nasenöffnungen bei den ersten Athembewegungen oft zum Vorschein, welche aber mit Fruchtwasser vermischt sein muss. Denn normaler Weise ist immer die Nasen- und Mund-Höhle des Fötus mit Fruchtwasser und Schleim angefüllt, welche beim ersten Athemzug verschluckt werden oder sogar zum Theil in die Trachea gelangen können. Yon da aber werden sie durch das gleich anfangs starke Exspiriren normaler Weise leicht wieder entfernt (vgl. oben S. 177). Dasselbe gilt für das menschliche Neugeborene, dessen Mund- schleim-Absonderung eine minimale ist. Es glückte aus diesem Grunde auch bisjetzt nicht, der Gebärenden eingegebene leicht [473 diffundirende Stoffe, z. B. Jodkahum, in der Mundflüssigkeit des Kindes nachzuweisen. Übrigens werden, wie KöUiker fand, die [3o Schleimdrüsen der Lippen, der Zunge, des Gaumens usw. beim menschlichen Embryo in einer viel späteren Zeit angelegt, als die Speicheldrüsen und die Thränendrüse, nämlich erst im vierten Monat. Der embryonale Magensaft. Aus den Versuchen von Hammarsten (1874) und Sewall [203.272 (1878) geht hervor, dass der Magensaft neugeborener Hunde weder Lab noch Pepsin enthält. Auch Wolffhügel fand ihn unfähig, [204 gekochtes Fibrin zu verdauen und Langendorff sogar am 2. und [202 5. Tage nach der Geburt peptisch völlig unwirksam. Weder der Mageninhalt noch die Magenschleimhaut zeigte saure Reaction. [218 Doch war bei einem Hunde 10 Minuten nach der Geburt schwach saure Reaction nachweisbar. Möglicherweise ist lediglich ver- [204, schlucktes Fruchtwasser Schuld an dem vorherigen Ausbleiben der sauren Reaction. Der Magen neugeborener Katzen enthält gleichfalls kaum [202 nachweisbare Spuren von Pepsin, sogar der von 3 Y2 bis 5 V2 t^os Zoll langen Katzenembryonen wurde völlig unwirksam gefunden, [272 Der embryonale Magensaft. 309 wogegen der des Kaninchenembryo schon sehr früh peptisch wirksam ist, so dass bereits beim neugeborenen Thiere eine Secretion des Magensaftes wahrscheinlich wird, iimsomehr als sein Mageninhalt sauer reagirt und beim neugeborenen Thier peptisch [202 wirksam gefunden worden ist. Im Labmagen des Rindsembryo, dessen Inhalt bald [202 alkalisch, bald schwach sauer, aber peptisch unwirksam [205. 218 gefunden wurde, muss doch schon früh die Pepsinbildung beginnen, da das Ferment bei 120 Millim. langen Embryonen zwar nicht, [202 aber bei den 165 Millim. langen in Spuren und bei grösseren Embryonen constant in bedeutender Menge sich findet. Es ist von Moriggia vom 3. Monat an nachgewiesen worden und kann bei passender Säuerung und Erwärmung eine völlige Selbst- [205 Verdauung des Embryo veranlassen, so dass, wie er meint, viel- leicht das Verschwinden abgestorbener Früchte in geschlossenen Cysten auf diese Weise zu Stande kommen könnte. Auch Alexander Schmidt in Dorpat erhielt aus der Magen- [271 Schleimhaut eines zwei Stunden nach der Geburt, ehe es Milch erhalten hatte, getödteten Kalbes ein wirksames Extract, welches Serumalbumin in 35 Minuten verdaute, auch Fibrin leicht auf- löste, freihch nicht so schnell wie künstlicher Magensaft von einem 6 Wochen alten Kalbe. Aber die dialysirte Pepsinlösung vom neugeborenen Kalbe verdaute durch Essigsäure gefälltes und ausgewaschenes Casem in drei Versuchen bis zur Nichtfällbarkeit durch Kaliumferrocyanid und Essigsäure binnen 7 bis 9 Minuten. Also ist der Magensaft des eben geborenen Kalbes in hohem Grade peptisch wirksam. Der Labmagen des Kalbsfötus bringt auch schon (nach Schlossberger) die Milch zum Gerinnen. [486 Bei einem Schafembryo von 70 Millim. und einem solchen von 90 Millim. Länge war Pepsin noch nicht, bei einem von 190 Millim. Länge nur in Spuren nachweisbar (Langendorff). [202 Es wurde keine Säure gefunden (Grützner). [218 H. Sewall fand den Saft im vierten Magen von Schafembryo- nen ebenfalls neutral, ausserdem mucinreich und im Gegensatz zu Langendorff das Extract der Magenschleimhäute von 9 bis 17 V2 Zoll langen Schafembryonen proteolytisch vsärksam, was dafür spricht, dass die Bildung des Pepsins oder eines Pepsinogens unabhängig von der Säurebildung stattfindet. Das Extract brachte übrigens erst bei Schafembryonen von 15 Y2 bis l'^V2 ^o^^ Länge Milch zum Gerinnen. [272 310 Die embryonalen Absonderungen. Im Magen des 45 Millim. langen ßattenembryo und in dem der neugeborenen Albinoratten wurde Pepsin gefunden. [202 Die Untersuchung zahlreicher Schweinsembryonen ergab Langendorff für die frühen Stadien (45 bis 100 Millim. Körper- länge vom Scheitel bis zum After) jedesmal in 16 Versuchen [202 ein negatives Resultat. Bei 120 bis 135 Millim. wurde er in Spuren, in grösserer Menge bei 170 bis 190 Millim. gefunden, [218 kann aber auch bei viel weiter entwickelten Embryonen mit Haaren und Zähnen vollständig fehlen. Meist scheint es intrauterin in geringer Menge vorhanden zu sein, aber erst kurz vor der [202 Geburt aufzutreten. Doch vermisste Sewall jede peptische und [272 Lab -Wirkung bei 5 bis 7 Zoll langen Schweinsembryonen. Mageninhalt und Magenschleimhaut reagiren meistens nicht [202 sauer. Ersterer, nach Grützner, bei jüngeren Embryonen mei- [218 stens eine zähe Schleimmasse, bildet bei älteren eine gelbliche, alkalische Kupferlösung leicht reducirende Flüssigkeit und enthält kein Pepsin, auch wenn die Schleimhaut peptisch wirksam ist, [202 nicht. Der reducirende Stoff wurde auch beim Embryo des Eindes gefunden und wird vielleicht auf einen Bestandtheil des verschluck- ten Fruchtwassers zu beziehen sein. Bereits unmittelbar nach der Geburt liefert der Magen [224. menschlicher Früchte trotz der spärlichen Labdrüsen Pepsin [203 und das Labferment. Elsässer fand die Magenschleimhaut todt- [203 geborener Kinder peptisch wirksam. [218 Bei einem viermonatlichen Fötus fand Zweifel kein Pepsin, dagegen Langendorff bei 7 Früchten vom Anfang des 4. Monats, sowie vom 5. und 6. Monat, jedesmal Pepsin im sauren Extract der Magenschleimhaut, womit übereinstimmt, dass KöUiker [so, 55* im 5. Monat „die Magendrüsen schon ganz gut ausgebildet'' [471 fand. In einem Fötus vom Anfang des 3. Monats fehlte das Pepsin, und die. Magensäure auch in den späteren Entwicklungs- stadien. Überhaupt wurde der Mageninhalt neutral oder schwach alkahsch gefunden, wahrscheinlich durch verschlucktes Frucht- wasser. Trotz der Verschiedenheit des peptischen Verhaltens embryo- naler Magenschleimhäute, welche wahrscheinlich auf, der von Sewall nachgewiesenen sehr ungleichen Entwicklungsgeschwindig- [272 keit der Magendrüsen beruht, wird man es als sicher hinstellen dürfen, dass vom Magensafte neugeborener und etwas zu früh Der embryonale Magensaft. 311 geborener Säugethiere die Milch in der Regel coagulirt wird; dagegen ist unmittelbar nach der Geburt der Magen nicht bei allen Thieren im Stande, Casem zu verdauen. Beim Kinde findet eine Pepsinverdauung schon einige Stunden nach der Geburt statt, bei denjenigen Thieren, welche bereits in frühen Embryo-Stadien peptisch wirksame Magenschleimhäute besitzen, gleichfalls, beim Hunde hingegen scheint erst mehrere Tage nach der Geburt die Pepsinwirkung aufzutreten. Es wäre interessant, daraufhin das Colostrum der Hunde, Schweine, Kaninchen und anderer Thiere vergleichend zu untersuchen. Die vorhandenen Analysen lassen erkennen, dass vor und sogleich nach der Geburt noch kein Casem im Michdrüsensecret enthalten ist. Findet es sich etwa im Colostrum der Thiere, deren Junge schon sofort nach der Geburt Pepsin enthalten, in dem derjenigen, deren Junge pepsin- frei sind, nicht, so wäre eine wichtige Correlation vorhanden. Bezüglich des ersten wechselnden Auftretens der beiden Magen- fermente im Embryo ist es nicht erlaubt anzunehmen, dass sie durch das Blut des Mutterthieres in ihn präformirt gelangten, weil dem Fötus des Hundes das Pepsin und Lab bis nach der Geburt fehlt und weil die embryonalen Organe nicht peptisch wirksam gefunden wurden, wenn die Magenschleimhaut es war [202 und nicht war; auch ist das von mir sehr oft bei Hühnerembryo- nen vom 17., vom 18. und 19. Tage constatirte Vorkommen von weissem coagulirtem Albumin im Magen nur verständlich, wenn die Pepsinbildung im Embryo im Ei vor sich geht. Ob sie in der Drüse stattfindet oder diese nur die Pepsinausscheidung ver- mittelt, ist freilich unentschieden. Dass aber der Vogelembryo lange vor dem ersten Athemzuge massenhaft die albuminhaltige Flüssigkeit in seiner Umgebung verschluckt und verdaut, ist darum nicht zweifelhaft, weil man sich sonst nicht erklären könnte, wohin sie verschwindet. Hier liegt ein zweifelfreier Fall von embryonaler Magenverdauung vor, welche auf einer Pepsinwirkung beruhen muss. Ganz dasselbe gilt nach meinen Beobachtungen für die Embryonen des Meerschweinchens, in deren Magen ich jedesmal Flüssigkeit mit darin suspendirten Gerinnseln, d. h. Fruchtwasser mit schon zum Theil coagulirtem Albumin, fand. Die Flocken geben mit Kalilauge und Kupfervitriol exquisite Violettfärbung. Also wird zu schliessen sein, dass auch bei anderen Säugethieren eine intrauterine Eiweissverdauung im Magen regelmässig statt- findet. 312 Die embryonalen Absonderungen. Der embryonale Pankreassaft. Die bei den Säugethieren unmittelbar oder sehr bald nach der Geburt stattfindende Aufnahme von Fetten mit der Muttermilch macht es wahrscheinlich , dass das dem Pankreassaft eigenthüm- liche fettverdauende Ferment, das Pankreatin, bereits im Secret der Drüse des Neugeborenen sich werde nachweisen lassen. In der That fand Zweifel beim neugeborenen Menschen und Hammar- sten bei 12 Stunden alten Hunden die fettspaltende "Wirkung ausgeprägt. Freilich kommt es dabei wahrscheinlich auf die [203 „Ladung" der Drüse an. Denn das Eiweiss-verdauende Ferment oder Trypsin wurde zwar bei Katzen und bei Hunden am ersten und zweiten Lebens- [202 tage nachgewiesen, bei hungernden Thieren enthielt aber das Pan- kreas nur Spuren desselben. [203 Ganz junge Schweinsembryonen lieferten Langendorff kein Trypsin, es fand sich aber constant bei einer Eumpflänge von [202 13 bis 15 Centimeter an, zuerst in Spuren, später in zunehmender Menge, Beim Embryo des Rindes wurde es constant gefunden, nachdem die Eumpflänge 25 Centim. erreicht hatte, vorher nicht oder in Spuren. Bei neugeborenen Kaninchen findet sich Trypsin constant; bei 63 bis 76 Millim. langen Embryonen wurde es in Spuren [202 nachgewiesen (Langendorff). Drei menschliche Früchte vom 5. und 6. Monat lieferten Trypsin, drei andere vom 4., vom 5. und vom 6. Monat nicht. [202 Die positiven Befunde sind darum besonders werthvoll, weil Hunde- und Katzen - Embryonen auf das proteolytische Fer- ment bis jetzt nicht untersucht wurden. Aus der Thatsache, dass dasselbe beim menschlichen Embryo schon ziemlich früh, wenn auch nicht regelmässig vorkommt, folgt die Unabhängigkeit seiner Entstehung von der Einführung irgendwelcher Nahrung in den Magen vor der Geburt, es sei denn, dass man das Auftreten des Trypsins im Embryo mit dem verschluckten Fruchtwasser in Zusammenhang bringen will. Die Untersuchung des .Pankreas- Secrets bei kopflosen Monstren oder solchen Neugeborenen, welche nicht schlucken können, würde deshalb von besonderem Interesse sein. Da hungernde Neugeborene nur Spuren oder kein Trypsin heferten, so ist zu erwarten, dass solche Missgeburten ebenfalls keines erzeugen im Falle es nur nach Einführung von Nahrung oder Fruchtv/asser in den Magen entsteht. Der embryonale Pankreassaft. 313 Das dritte Pankreasferment, welches wie das Ptyalin des Speichels saccharificirend wirkt und darum Pankreas-Ptyalin heisst, ist von Langendorff bei den jungen Schweinsembryonen mit einer Eumpflänge unter 9 Centim. nicht gefunden worden. Bei den über 10 Centim. langen ist es stets vorhanden, und [202 seine Menge nimmt mit der weiteren Entwicklung zu, so dass bei grossen Embryonen gekochte Stärke in wenigen Minuten sacchari- ficirt wird. Beim Eindsembryo tritt dieses Ferment später auf, erscheint [202 dann aber reichlich. Es fehlt dem neugeborenen Kaninchen gänz- lich, desgleichen nach Sousino dem Pankreas -Infuse der 5 bis 14 Tage alten eben getödteten Kaninchen und Hunde (nur wenn das Infus zu faulen beginnt, erhält es eine geringe diastatische Wirksamkeit), wurde aber in grossen Eattenembryonen und [482 neugeborenen Eatten in reichlichen Mengen nachgewiesen, ebenso von Langendorff bei drei neugeborenen Katzen. Doch wider- [202 sprechen sich hier die Versuche ; denn Sousino vermisste es bei ganz jungen Katzen. [4S2 Das menschliche Pankreas liefert im 4., 5. und 6. Monat das zuckerbildende Ferment nicht. Auch fehlt es dem Neugeborenen. [202 Hiernach gilt für das diastatische Ferment, welches im fötalen Leben übrigens auch in anderen Theilen als dem Pankreas vor- kommt, z. B. in den Muskeln und Lungen, wenn der Pankreassaft oft noch unwirksam ist, dasselbe wie für das Trypsin: beide bilden sich gleichsam autochthon im Embryo in räthselhafter Weise. Denn es lässt sich nicht annehmen, dass sie vom Blute der Mutter direct oder durch das Fruchtwasser indirect in den Fötus gelangen. Dann wäre das Fehlen des saccharificirenden Fermentes im Pankreas- saft des neugeborenen Kaninchens, Hundes und Menschen un- verständlich. Das ungleiche Verhalten verschiedener Thierarten bezüglich des Vorkommens dieses Fermentes im Embryo ist über- haupt merkwürdig. Die bis jetzt vorliegenden spärlichen Unter- suchungen der morphologischen Entwicklung des Pankreas geben darüber noch keinen Aufschluss. Durch die genauere Verfolgung der Entwicklung des Pankreas, namentlich beim Embryo des Schweines und Eindes, würden aber ohne Zweifel die morphologischen Bedin- gungen der Fermentbildung vor der Geburt ermittelt werden können. Nach den Versuchen von Korowin ist sogar der Pankreassaft des menschlichen Säuglings innerhalb der ersten zwei Lebens- [207 monate ohne jede diastatische Wirkung auf gekochte Stärke, was bei der künstlichen Ernährung beachtet werden muss. 314 Die embryonalen Absonderungen. Der embryonale Darmsaft. Da noch im Darmcanal des neugeborenen Kindes die Drüsen numerisch und, ausser den Lieberkühn'schen Drüsen, auch qualitativ von denen des Erwachsenen abweichen, so ist kaum zu bezwei- [471 fein, dass auch das Secret ein anderes ist, Eigenthümlich verhalten sich namentlich die Brunner'schen Drüsen, welche beim Neu- geborenen nach Werber in viel grösserer Anzahl als beim Er- [224 wachsenen vorhanden sind, nach der Geburt also rückgebildet werden müssen. Und doch lässt sich eine Function derselben im Embryo bisjetzt nicht angeben; es sei nur erwähnt, dass bei einigen neugeborenen Thieren von Sousino der Darmsaft diastatisch [482 wirksam gefunden wurde. Doch waren die Proben nicht ganz sicher, und eine Verwerthung einer solchen saccharificirenden Eigenschaft des Darmsaftes seitens des Embryo im Uterus lässt sich ebenso- wenig wie beim Pankreas-Saft annehmen. Die embryonale Galle. Die frühe Entwicklung der Leber, welche zu Ende der vierten Woche beim Menschen schon zweilappig ist und durch eine [30 unter der Lungenanlage hinter dem Herzen und über dem [99 Nabelstrang vor dem Magen und Duodenum hervortretende Wul- [370 stung der vorderen Leibeswand sich sofort zu erkennen gibt, lässt auf eine frühe gallenbildende Thätigkeit derselben schliessen. In der That fand ich schon bei Meerschweinchenembryonen, welche noch sehr weit von der Reife entfernt waren, öfters die Gallenblase mit gelber Flüssigkeit prall gefüllt, was um so auffallender ist, als eine Function der Galle beim Embryo, sei es eine verdauende, sei es eine antiseptische, nicht annehmbar ist. Sie kann einst- weilen nur als ein Excret, das mit dem Meconium ausgeschieden wird und als ein Educt der complicirten, in der fötalen Leber stattfindenden chemischen Processe angesehen werden. Beim Neugeborenen, ,der das Milchfett verdaut, ist die Gallenfunction nicht zu bezweifeln. Der Icterus des Neugeborenen gehört aber schon nicht mehr zur Physiologie des Fötus, ist vielmehr, wie er auch zu Stande kommen mag, eine pathologische Erscheinung, allerdings eine sehr häufige. Physiologisch ist eine besonders von Hofmeier (1882) [347 hervorgehobene durch die erste Nahrungsaufnahme des Neugebore- nen gesteigerte Gallenabsonderung. In diesem Buche handelt es sich aber ausschliessHch um die Functionen vor der ersten Nahrungs- aufnahme. Und in Bezug auf die Gallenbereitung vor dieser steht Die Magen- und Darm -Gase des Neugeborenen. 315 jedenfalls soviel fest, dass sie schon sehr lange vor der Geburt im Gange sein muss wegen der dunkeln Farbe des Meconium. Dafür spricht auch, dass nach Kölliker beim Menschen die Gallen- blase schon im zweiten Monat vorhanden ist und die Gallen- secretion im dritten Monat auftritt, ohne jedoch während der ganzen Fötalzeit erheblich zu werden. Bis zum fünften oder sechsten Monat scheint die Gallenblase Schleim und erst von da an hellgelbe also wahrscheinlich billirubin-haltige Galle zu ent- halten. Doch findet sich im dritten bis fünften Monat eine gallen- ähnliche Materie im Dünndarm, später auch im Dickdarm : [so, 8$5 der Vorläufer des Meconium. In diesem Darminhalt von drei- [484 monatlichen Früchten konnte Zweifel bereits Gallen säuren [258 und Gallen farbsto ff nachweisen. Die Magen- und Darm-Grase des Neugeborenen. Der Darmcanal des Ungeborenen enthält niemals Gas. Der mit Schleim und Meconium angefüllte Fötaldarm sinkt daher nach doppelter Unterbindung am Ösophagus und Rectum rasch in Wasser unter. Nach dem Beginn der Lungenathmung aber enthält zuerst der Magen, dann der Darm Gas und zwar fand Breslau (1865) nach einer halben Stunde bei jedem Kinde, [458 welches lebhaft geschrieen hatte, bei der Percussion die Magen- gegend, später immer grössere Strecken des Unterleibs tympani- tisch, und zwar vor jeder Nahrungsaufnahme. Darum nahm er an, das Gas sei atmosphärische Luft, welche durch Schlucken nach Beginn der Lungenathmung in den Yerdauungscanal gelange. Er hob auch hervor, dass ein Gasgehalt des Darmes in einer nicht bereits in Verwesung übergegangenen Kindesleiche in forensischer Hinsicht ebenso wichtig wie der Luftgehalt der Lunge sei. Es muss hiernach bei frischen Kindesleichen Atelektasie der Lunge stets mit luftfreiem Darminhalt zusammen vorkommen. Ob aber noth wendig nach Beginn der Lungenathmung Luft in den Darmcanal eintritt, ist fraglich. Breslau erklärt zwar auf Grund seiner Versuche und Beobachtungen, dass mit der grössten Wahr- scheinlichkeit anzunehmen sei, ein Kind, dessen Darmcanal überall völlig luftfrei gefunden wurde, habe extrauterin nicht gelebt, aber er fügt hinzu, dass in Fällen von Lebensschwäche, wo z. B. sehr schwache Schluckbewegungen gemacht werden, doch in der Lunge und nicht im Darm Luft gefunden werden könnte. Der Gerichts- arzt wird eine solche Möglichkeit im Auge zu behalten haben. Für die Lehre von der Verdauung ist immerhin der Unterschied 316 Die embryonalen Absonderungen. des Darminlialtes unmittelbar vor und nach der Geburt insofern beachtenswertb, als er zeigt, dass intrauterin kein Gährungsprocess mit Gasentwicklung im Fötus stattfindet. Es wird in seinem Darm weder Wasserstoff, noch Kohlensäure, noch Grubengas usw. ent- wickelt und die Luft im Darme des Neugeborenen kann nur atmo- sphärische Luft sein, welche nach den ersten Athemzügen an Menge zunimmt. Daher konnte Breslau den Satz aufstellen, dass ein von oben herab bis über die Hälfte mit Luft gefüllter Darm- canal ein Beweis ist für ein extrauterines Leben von mehr als einigen Augenblicken. Erstreckt sich der Luftgehalt auch über das Colon, so hat das Kind mindestens zwölf Stunden gelebt, wenn dagegen nur im Magen Luft gefunden wird, „so ist es im höchsten Grade wahrscheinlich, dass der Tod des Kindes unmittelbar nach der Geburt erfolgte". Auch Kehrer fand (1877) — und zwar sogleich nach den [149 ersten Athemzügen — am Epigastrium einen tympanitischen Per- cussionston und erklärt das Magengas des Neugeborenen für ein- gedrungene atmosphärische Luft, da es nach rascher noch in den Eihäuten vorgenommener Unterbindung der Speiseröhre beim neugeborenen Hunde fehlte, während die Lungen lufthaltig waren. Er unterscheidet ferner die in dem verschluckten zähen Schleim der Mund-, Nasen-, Rachen -Höhle eingeschlossenen Luftbläschen von dem den Magen aufblähenden freien Gase und meint, dass zwar erstere, nicht aber letzteres durch Schlucken leicht in den Magen gelangen könnten, denn das Verschlucken freier Luft ist eine schon dem Erwachsenen, um so mehr dem Neugeborenen schwierige Operation. Hingegen zeigte derselbe Forscher durch Versuche, welche bereits erwähnt worden sind (S. 178), dass in- spiratorische Erweiterung des Thorax mit Lungenentfaltung bei fehlender oder schwacher Zwerchfellathmung , wie sie dem Neu- geborenen zukommt, sehr leicht auch Luft in den Magen ein- treten lässt. Findet sich also, bei Abwesenheit von Fäulniss, Luft im Magen und Darm einer Kindesleiche von einigen Stunden, dann wird man auch die Lungen lufthaltig finden, es sei denn, dass künstlich Luft allein in den Magen geblasen worden wäre. Hiermit stimmt überein, dass ich oft im Magen des reifen, aber noch nicht ausgeschlüpften Hühnchens, welches im Ei ge- piept hatte, grosse Luftblasen und den Magen frisch dem Uterus entnommener grosser Meerschweinchen voll Luft fand, auch wenn sie erst wenige Athembewegungen gemacht hatten. Da dem Das Meconium. 317 Hühnchen das Diaphragma fehlt, so wird der Lufteintritt während der Exspiration bei diesem wesentlich erleichtert sein. In der That fand Kehrer bei erwachsenen Säugethieren nach Ausschaltung der Zwerchfellthätigkeit mittelst Durchschneidung der Nervi phre- jiici, ein Anwachsen des Druckes im Magen während der Ausath- mung, ein Abnehmen desselben während der Einathmung, das G-egentheil von dem Verhalten bei intacten Thieren. Es ist somit das Auftreten von Luft im Magen und Darm neugeborener Säugethiere und eben ausgeschlüpfter oder noch nicht ausgeschlüpfter Yögel, welche aber schon mit der Lungen- athmung begonnen haben, nicht auf Schluckbewegungen allein zurückzuführen, sondern hauptsächlich auf eine unwillkürliche Aspiration durch die Verkleinerung des Lungenraums während der Exspirationen. Und bezüglich des Magens und Darms ungeborener Säugethiere im Ei steht fest, dass sie keine Luftblasen enthalten. Ich habe bei Meerschweinchenembryonen, die unter Wasser geöffnet wurden, mich von der Richtigkeit dieser von Breslau festgestellten Thatsache oft überzeugt. Eür die im fötalen Darm ablaufenden chemischen Processe, die Verdauung des Albumins vom verschluckten Fruchtwasser und die Meconiumbildung, ist also gewiss, dass sie ohne alle Gasentwicklung stattfinden. Das Meconium. Die ersten Excremente des Neugeborenen, welche schon bei Aristoteles (xr^xcoviov heissen, das Kindspech, oder Mutterpech, ist deshalb von besonderem Interesse für die Physiologie des Fötus, weil sein constantes Vorhandensein eine gewisse Thätigkeit der fötalen Verdauungsdrüsen, sein Hinabrücken im Darmcanal eine fötale Peristaltik beweist. Bezüglich des ersteren Punctes steht fest, dass das Meconium einzig von verschlucktem Fruchtwasser sich nicht herleiten lässt. Daher ist es wünschenswerth, möglichst viele zuverlässige Angaben über das erste Auftreten des Meconium im fötalen Darm zu sammeln. Von Hennig wurde einmal in einem 1 1 Cm. langen mensch- [loo liehen Embryo aus der ersten Hälfte des vierten Monats hellgelb - grünes Meconium gesehen; vom Anfang des fünften Monats an fand er es regelmässig und im siebenten Monat den ganzen Dick- darm damit angefüllt, wie die meisten anderen Beobachter. Vor der Ausscheidung der Galle wird kein Meconium gefunden. Nach derselben und besonders gegen Ende der Schwangerschaft ist es fast immer sehr klebrig und dunkelgrün gefärbt — vermuthhch 318 Die embryonalen Absonderungen. durch Biliverdin — und wird beim Trocknen fast schwarz. Diese Eigenschaften hat nur der in der That pechähnliche Dickdarm- inhalt des Frühgeborenen und des Ebengeborenen vor der ersten extrauterinen Nahrungsaufnahme. Nach derselben sind die Fäces des Säuglings, der nur Milch erhält, normalerweise rothgelb, einer Bilirubinlösung ähnlich gefärbt. Die bis jetzt vorliegenden Untersuchungen über das Meconium beschränken sich fast ganz auf den Darminhalt Todtgeborener und die erste Entleerung nach der Geburt, wenn sie vor der ersten Milchaufnahme stattfand. Beim Yogelembryo fand ich meistens in der Schale, ehe das junge Thier von selbst ausgeschlüpft war, Eäcalmassen, und zwar grüngefärbte, das sichere Zeichen von Verdauungsthätigkeit , Gallenabsonderung und Peristaltik vor völliger Reife. Bei jungen Säugethieren ist hingegen oft mehrere Tage nach der Geburt, auch wenn sie nicht hungern, keine Koth- und [ii Harn- Ausscheidung zu beobachten, woraus aber nicht folgt, dass das Mutterthier, welches die Jungen — wahrscheinhch weil sie vom Fruchtwasser salzig schmecken — eifrig beleckt, die Excrete derselben verschlucke, so dass das Lager trocken, rein und warm bleibt. Allerdings ist die Reinlichkeit der Vogelnester auffallend und die Entleerung der Fäces über den Rand des Nestes nach aussen — bei offenen Nestern — spricht für die Vererbung eines Instinctes von complicirter Art. Eine Meconium-Entleerung vor der Geburt ohne alle patho- logischen Erscheinungen ist bei Säugethieren eine Seltenheit. Bei asphyktischen menschlichen Neugeborenen wird sie dagegen häufig beobachtet. Da aber auch ohne asphyktische Symptome die Ent- leerung des Meconium in das Fruchtwasser stattfinden kann, und z. B. auffallend oft eintritt nach Verabreichung von Chinin an die Gebärende, wie Porak und Runge fanden, so ist es durchaus [328. 98 nicht statthaft, jedesmal auf Asphyxie zu schliessen, wenn Meco- nium abgeht. Dass nach starken intrauterinen Athembewegungen die Darmentleerung leicht zu Stande kommt, erklärt sich durch die bis dahin nie vorgekommene starke Contraction und Abwärts- bewegung des Zwerchfelles bei den vorzeitigen Inspirationen mit Fruchtwasser- Aspiration . Umgekehrt wird die Seltenheit einer intrauterinen Defäcation ohne solche Störungen der fötalen Ruhe verständlich durch die Langsamkeit, mit der das Meconium sich ansammelt und die Langsamkeit, mit der es im Darm abwärts vorrückt. Die Trag- Das Meconium. 319 heit des fötalen Darmcanals hat sogar zu der Meinung verführt, dass ihm alle und jede peristal tische Bewegung fehle. Ich habe deshalb diesen Gegenstand experimentell geprüft, indem ich (1881 und 1882) theils im körperwarmen Salzwasser, theils an der Luft den fötalen Darm vom Magen bis zum Rectum mechanisch, elek- trisch und chemisch reizte und farbige Flüssigkeiten dem lebenden Fötus im Uterus in den Magen injicirte, um zu erfahren, nach wieviel Zeit der Mageninhalt den Dünndarm passiren kann. Die letzteren Versuche sind zwar wegen septischer Infection trotz be- kannter Cautelen sehr schwierig und darum nicht zahlreich gewesen, die ersterer Art haben aber mit voller Sicherheit gezeigt, dass nach Reizung des fötalen Dünndarms und Dickdarms locale sehr starke Constrictionen eintreten, und zwar Zusammenziehungen sowohl der circulären, wie der longitudinalen Muskelfasern. Ferner sah ich in einigen Fällen deutlich nach Öffnung der Bauchhöhle an der Luft den fötalen Darm sich bewegen. Hiernach ist es in hohem Grade wahrscheinhch, dass auch im unversehrten Fötus eine p er ist alti s ch e Bewegung des Darmcanals vorkommt, durch welche schon lange vor der Geburt, der Dünndarminhalt fortbewegt wird, das Meconium in den Mastdarm gelangt. Einige Versuchsprotokolle mögen zur Erläuterung dienen. Am 23. Jan. 1882. Zwei grosse Meerschweinchenembryonen, welche ich im 0,6 %-Kochsalzbad bei 37 bis 38" asphyktisch werden Hess, wurden nach dem Aufhören aller Bewegungen geöfinet. Dann zeigte der Dünndarm überall entschiedene, aber langsame und nur selten maximale Constrictionen bei tetanisirender elektrischer Reizung, bei Compression mit der Pincette, bei chemischer Reizung (mit Eubidiumchlorid und Kaliumbromid in Substanz). Alle diese Eeize wirkten selbst noch nach Abkühlung der Thiere an der Luft. Am 16. Febr. 1882. Hochträchtiges Meerschweinchen; fünf fast reife Früchte. Beim Offnen der Bauchhöhlen sehr schwache sporadische peristal- tische Bewegungen an der Luft, oft längere Pausen völliger Euhe; nach mechanischer und tetanisirend elektrischer Heizung starke locale Constrictionen, in letzterem Falle beiderseits von der Eeizstelle, bei grosser intrapolarer Strecke an beiden Elektroden und in der Mitte die Anschwellung: Durchschneiden des Darmes gab nicht wie beim Mutterthier eine energische anhaltende Contraction, sondern nur Verschluss des Lumens beidei'seits 320 Die embryonalen Absonderungen. unter Umschlagen der Darm wand mit der Schleimhaut nach aussen. Während Durchschneidung des Eectum der erwachsenen Thiere mir fast jedesmal beiderseitige kräftige Contraction bis zum Schwinden des Lumens und Aus- stossung der Fäces von beiden Seiten zeigte, blieb das fötale Rectum (beim Anschneiden) in diesem Versuche unthätig. Am 31. Mai 1882. Hochträchtiges Meerschweinchen; drei Früchte an der Luft schnell excidirt. Fötus I lebhaft, athmet, zeigt nach Eröfihung der Bauchhöhle an der Luft gar keine Peristaltik, aber starke Constrictionen nach localer Comj)ression mit der Pincette und nach Durchschneidungen des Dünndarmes und Dickdarmes zu beiden Seiten des Schnittes, desgleichen, nur weniger regelmässig nach Application eines feuchten Kochsalzkrystalls. Fötus II, etwas abgekühlt, athmet ziemlich ruhig, zeigt sehr deutliche an- haltende Peristaltik nach Eröffnung der Bauclihöhle an der Luft, locale Ver- engerungen auch nach Reizung mit der Pincette, weniger ausgeprägt nach Kochsalzreizung. Fötus III, etwas abgekühlt, athmet, ziemlich ruhig, zeigt keine Darmbewegung nach Bloslegung, aber starke Zusammenziehungen nach mechanischer Reizung. Am 7. März 1883. Ein Meerschweinchenfötus zeigt ausgezeichnete Constrictionen des Dünndarms nach flüchtiger localer Compression mit der Pincette selbst nach dem Abkühlen so wie die Figiu- andeutet; Am 21. März 1882. Hochträchtiges Meerschweinchen. Einem Fötus wurde durch den Uterusbauchschnitt (S. 161) nur Mund und Nase biosgelegt um 1 Uhr 40 an der Luft. Durch starkes Kneipen der Haut gelang es z^vischen 1 U. 43 und 1 U. 50 Inspirationen hervorzui-ufen. Dann wurde eine concentrirte wässerige Anilinblau-Lösung in den Schlund eingespritzt. Der Fötus verschluckte davon rasch ziemlich viel; 1 U. 55 die Wunde zugenäht nach Reposition des Fötuskopfes. Abends 7 Uhr nahm das Mutterthier reichlich Nahrung zu sich und schien munter zu sein. Am 22. März früh um 6 Uhr war es weniger lebhaft und um 7 früh todt. Section 1 U. 30. Schon putrider Geruch vorhanden. Der Farbstoff war reichlich vorhanden im Magen , im ganzen Duodenum, Jejunum, Ileum des Fötus bis etwa 5 Millim. von Cöcum entfernt. Nirgends sonst fand ich Si^uren des zum grössteu Theil im Darm grün gewordenen Anilinblau, namentlich keine Spur in den Lungen. Die Lungen schwammen auf Wasser. Dieser Versuch zeigt, dass der Mageninhalt, also auch verschlucktes Fruchtwasser, den ganzen Dünn- darm hindurch binnen weniger als 16 Stunden fortbewegt werden kann beim Fötus, wahrscheinlich innerhalb viel kürzerer Zeit, denn der Fötus war vor der Mutter gestorben. In mehreren Fällen traten langsame, starke, locale Contractiouen bei starkem flüchtigem elektrischem Reiz und nach Durchschnoidungeu mit der Schere an beiden Schnittflächen überall am Dfinndarm, Colon, Rectum ein beim reifen Meerschweinchenfötus ; am Blinddarm war der Reizerfolg nicht so deutlich. Das Meconium. 321 Aus diesen und ähnlichen Versuchen folgt das Vermögen des fötalen Darmes, sich peristaltisch zusammenzuziehen, wenn er von aussen gereizt wird und wenn Flüssigkeit reichlich in den Magen und von diesem aus in ihn gelangt. Freilich habe ich nur einen Fall zu registriren, in dem vorherige Athembewegungen völlig ausgeschlossen werden konnten. Doch ist nicht einzusehen, wes- halb von diesen die Peristaltik im Fötus im Ei abhängig sein sollte, da sowohl im Uterus wie im Vogelei der Darminhalt nor- malerweise immer vom Dünndarm in den Dickdarm hinabrückt. Das Meconium könnte keine Gallenbestandtheile enthalten, wenn die fötale Galle nicht peristaltisch vom Duodenum in das Colon gebracht würde. Auch beweisen die Versuche von Wiener, denen zufolge in den Magen des Fötus im Uterus injicirte Milch nach neun Stunden schon in den Chylusgefässen wiedergefunden wurde, die fötale Peristaltik. Trotz dieses Nachweises der peristaltischen Darm- und auch Magen-Bewegung beim Fötus ist nicht zu bezweifeln, dass sie im Vergleiche zu der des Erwachsenen ausserordentlich langsam ver- läuft. Ich finde den Darmcanal beim Meerschweinchenembryo, so lange er noch weit von der Reife entfernt ist, ganz anders ge- füllt als beim Neugeborenen. Im ersteren Falle sind nämlich das Rectum und Colon weiss und leer, wie auch meistens das Cöcum, dagegen das Duodenum, Jejunum und Ileum schon gelbgefärbtenln- halt zeigen. Dabei sind letztere, in früheren Entwicklungsstadien nur das Duodenum, dann successive die beiden anderen Abschnitte, viel stärker ausgedehnt, so dass der Dünndarm erheblich dicker als der Dickdarm und Mastdarm erscheint, im auf- fallenden Gegensatz zum Erwachsenen. Die vorzügliche Klarheit der mikroskopischen Bilder, welche mir die Dünndarmzotten des Meerschweinchenfötus lieferten, macht es ferner wahrscheinlich, dass ich bei Wahrnehmung von kleinen Gestaltänderungen derselben mich nicht täuschte. Diese Contractionen der Zotten können für die Resorption der Peptone (vom verdauten Fruchtwasseralbumin) während der ganzen letzten Fötalzeit von Bedeutung sein. Gleich- zeitig wird der übrige gallige Inhalt nach dem Rectum zu peri- staltisch weiter transportirt, weil nur von dem Duodenum aus neues Füllungsmaterial nachrückt. Dieses wird nach und nach zu Me- conium, welches erst das Colon ausdehnt. Für den menschlichen Fötus muss dasselbe gelten, [ygi. 75, 205 Der Ursprung des Meconium kann in keinemFalle zweifel- haft sein. Auch wenn wegen Fehlens der Mund- und Nasen-Öffnung Frey er, Physiologie des Embryo. 21 322 Diß embryonalen Absonderungen. oder Verschluss des Ösophagus kein Fruchtwasser verschluckt wird, findet sich Meconium im Darm. Also wird man die Galle, den Darmsaft, das Secret der Brunner'schen Drüsen, den Pankreassaft oder, wenn die letzteren Secrete noch fehlen, die Galle allein mit Schleim als Constituentien des Meconium in diesen Fällen anzu- sehen haben, denen sich abgestossenes Darm epithel und bei [235 normaler Bildung, wenn Schluckbewegungen stattgefunden haben, abgestossene Wollhaare und nicht resorbirte Fruchtwasserbestand- theile, namentlich Epidermiszellen und Fett von der Vernix caseosa, reichHch beimengen. Dass die Galle hauptsächlich das Meconium liefert, wird auch durch das gänzliche Fehlen desselben bei Missgeburten bewiesen, wo keine Galle abgesondert wurde und zugleich die Mundöffnung — also die Möglichkeit Fruchtwasser zu schlucken — fehlte. [247,5/- Das Fruchtwasser kann nicht überwiegend bei der Meconiumbil- dung betheiligt sein. Denn das verschluckte Fruchtwasser iu7,6i wird fast vollständig zur Resorption gelangen müssen bis auf die auch im Magen des siebenmonatlichen menschlichen Fötus [471 gefundenen ungelösten Theile , wie Epidermiszellen und Haare. Von den im Meconium mit Sicherheit nachgewiesenen che- mischen Verbindungen sind zu nennen Cholestearin, welches nach Zweifel vom fünften Monat an ein regelmässiger Bestand- [sss theil des fötalen Darminhalts ist. Es kann kaum zweifelhaft sein, dass dieses Cholestearin von der fötalen Leber gebildet wird, ebenso wie das in Krystallen im Meconium vorkommende Bili- rubin und Taurin, sowie die Taurocholsäure. [71 Dagegen wird das im Meconium gefundene Fett von Förster (1858) mit Recht von der mit dem Fruchtwasser verschluckten [485 Vernix caseosa abgeleitet. Das Mucin des Dickdarminhalts Todt- geborener stammt wahrscheinlich zum Theil aus der Galle , zum Theil aus dem Darm. Albumina, Peptone, Tyrosin, Leucin, Lecithin, Traubenzucker, Milchsäure, Lactate wurden im Meconium von Zweifel nicht auf- gefunden. Die von ihm nachgewiesenen fetten Säuren, Stearin- säure, Palmitinsäure, Ölsäure, Ameisensäure können von den Fetten der Vernix caseosa abgeleitet werden. Der Aschegehalt wurde zu 0,87; 0,978 und l,238o/„, der Wassergehalt zu 807„ (rund) [258 gefunden, und die quantitative Analyse der Aschen macht das Vor- kommen von Kaliumchlorid, Natriumchlorid, Eisenphos- phat und denPhosphaten des Calcium und Magnesium wahr- scheinlich. Wie diese Verbindungen sich auf die Galle und Reste nicht Das Mecouium. 323 resorbirten verscliluckten Fruchtwassers vertheilen, ist kaum zu er- mitteln. Wahrscheinlich stammen sie aber weit überwiegend von der Galle her, also aus dem Leberblut. Denn wenn im Meconium keine Spuren von Albumin oder Pepton und keines der Zerfallproducte der intestinalen Eiweissverdauung nachgewiesen werden können, dann muss auch die vollständige Resorption der übrigen, nicht albuminoiden gelösten Bestandtheile des verschluckten Frucht- wassers angenommen werden. Beim nicht reifen schnell aus- geschnittenen Fötus des .Meerschweinchens habe ich wiederholt im Dünndarm und Cöcum gelbe Flocken gesehen, während der Magen voll Flüssigkeit war. Jene Flocken können sehr wohl durch gallensaures Alkali gefällte Peptone vom Albumin des ver- schluckten Fruchtwassers gewesen sein. Doch kann ich die mit der Kali-Kupfer-Probe erhaltene Yiolettfärbung als Beweis für ihre Eiweissnatur nicht anführen, weil es unmöglich war, bei den kleinen Embryonen des Meerschweinchens (und der Maus) den Dünndarm- inhalt ohne Beimengung von abgestossenen Zotten zur Anstellung der mikrochemischen Reaction zu gewinnen. Fäulnissproducte sind aberTüberhaupt im fötalen Darmcanal nicht nachweisbar. Namentlich vermisste Senator darin Indol [479 und Phenole, wie auch A. Baginsky, welcher vergeblich nach [478 Oxysäuren und Phenolen im menschlichen Meconium suchte. Die Abwesenheit fauliger Producte des Albuminzerfalles im Darmcanal ist demnach für den Fötus charakteristisch. Ich kann auch aus den Untersuchungen von Demant, [493 welcher im wässerigen Auszuge der unteren Hälfte eines frischen 7- bis 8 -monatlichen menschlichen Fötus Ammoniak, Peptone, Leucin, Tyrosin nachwies und nach Zusatz des Millon'schen Reagens zum Destillat eine rothe Farbe erhielt (Phenol?), keinen Grund gegen die Abwesenheit von Fäulnisspro ducten im normalen leben- den Fötus herleiten. Denn Leucin und Tyrosin konnte derselbe Forscher in frischen Embryonen des Meerschweinchens und in einem 24 Stunden alten Hündchen nicht nachweisen, der Nach- weis des Phenols und Ammoniaks aber in zerstückelten und längere Zeit mit Wasser behandelten und an der Luft filtrirten embryo- nalen Theilen beweist nicht deren Vorkommen im lebenden Ge- webe. Die in den drei Versuchen erhaltene Pepton -Reaction schliesst durchaus nicht die Bildung von Peptonen beim Kochen aus. Übrigens können, wie schon hervorgehoben wurde, Peptone ohne Fäulniss im Magen des Fötus sich bilden. Die Existenz der Alkalisulphate im Meconium wird von den 21* 324 Die embryonalen Absonderungen. Einen behauptet, von den Anderen geleugnet. Zur Entscheidung der Frage nach ihrer Präexistenz wäre die Eällung eines wässe- rigen filtrirten Auszuges völlig frischen Meconiums mit Baryum- chlorid zu versuchen. Löst sich der Niederschlag in Salpetersäure nicht, dann würde das Vorhandensein löslicher Sulphate im Meco- nium erwiesen sein. Der Versuch wäre, wenn grössere Mengen Meconium bei Fehlgeburten und Frühgeburten gewonnen werden können, von Interesse, weil ein positives Ergebniss, die Darstel- lung wägbarer Mengen von Baryumsulphat auf diesem Wege, die Existenz oxydativer Eiweisszersetzung im Fötus und zwar in dessen Leber beweisen würde. C. Gr. Lehmann scheint der einzige zu sein, welcher im wässerigen Auszuge des Dünndarmcontentum menschlicher Embryonen (vom 5. bis 6. Monate) Sulphate nach- wies. Er spricht wenigstens von Spuren von Alkalisulphaten. [502 Das Meconium im Dickdarm des 7- bis 9 - monatlichen mensch- lichen Fötus enthielt dagegen keine Spur von Sulphaten. Dass sich in der Meconium-Asche , wie auch Maly (1881) hervorhebt, viele Sulphate (des Calcium und Natrium) finden, beweist nichts für ihre Präexistenz, weil schon der Schwefel des Taurins zu ihrer Bildung während der Veraschung Anlass geben kann. SchliessHch ist noch bezüglich jeder chemischen Untersuchung des Meconium zu bemerken, dass eine Übereinstimmung der Er- gebnisse nur dann erwartet werden kann, wenn auf die Herkunft geachtet wird. In einer kleinen historisch -kritischen Abhandlung unterscheidet J. Ch. Huber in Memmingen überhaupt zwei Arten [sos von Meconium, welche nicht selten im fötalen Darm genau ge- schieden vorkommen, nämlich das Meconium amnioticum, welches die Bestandtheile des verschluckten Fruchtwassers enthält und gelbbraun ist, und das Meconium hepaticum, welches Gallenbestand- theile enthält und dunkelgrün gefärbt ist. Letzteres, das gallige Me- conium, enthält auch charakteristische gelblich- grüne meist ovoide Körperchen von 0,005 bis 0,03 Millim. im Durchmesser (Tardieu), welche Huber Meconkörper nennt. Sie können zum forensischen Nachweise des Kindspechs dienen, sind nach ihm meistens mit Schleim umhüllt, in Essigsäure und Äther unlöslich, in Kalilauge löslich. Übrigens kommen beide Meconium-Arten auch gemischt an einer und derselben Darmstelle vor. Der embryonale Harn. 325 Der embryonale Harn. Die Frage, ob normalerweise schon vor der Geburt die Niere in derselben regelmässigen Weise fungirt, wie nach derselben, ist streitig. Bischoff sprach bereits 1842 in seiner „Entwicklmigs- geschichte" die Ansicht aus, dass sowohl in den fötalen Nieren, als auch in den Wolfi'schen Körpern (TJrnieren) Harn abgesondert werde und erklärt: „Es ist möghch, dass dieser Harn in der späteren Zeit des Fötallebens der Amniosflüssigkeit beigemischt wird", [zn.su Yirchow nimmt eine fötale Harn-Secretion und -Entleerung in die Blase im Uterus ausdrücklich an und fügt hinzu, durch fötale Harnretention, die zu Hydronephrose führe, werde das Leben der Frucht gefährdet. [373 Litzmann sah mehrmals Kinder unmittelbar nach der [309,5s Geburt und bei Steiss- und Fuss-Geburten noch vor der Geburt des Kopfes eine ziemliche Menge Urin von sich geben. Dieser muss also von der fötalen Niere im Uterus secernirt worden sein. Auch Hecker schreibt : „Da der Act der Geburt, nament- [428 lieh bei Unterendlagen der Frucht, häufig Veranlassung gibt, dass die Blasengegend derselben gedrückt vsdrd, so wird der Urin oft inter partum entleert, und man findet bei Obductionen todt- geborener Kinder nur in der Minderzahl der Fälle die Harnblase davon angefüllt; mitunter ist sie ganz prall von Urin ausgedehnt." Es liegt daher nahe, die Harnbildung des Fötus und die fötale Harnentleerung im Uterus als einen normalen Vorgang anzusehen. Nach den bereits (S. 212) erwähnten Versuchen von H. Fehling und nach denen von Porak kann aber diese Harnent- leerung zweifelhaft erscheinen. Denn ersterer fand in weit über hundert Versuchen ausnahmslos bestätigt, dass der Mutter kurz vor der Entbindung eingegebenes Natrium -Salicylat oder gelbes Blutlaugensalz im zweiten und dritten Urin des Neugeborenen sich viel deutlicher nachweisen Hess, als im ersten. Auch Porak schliesst aus seinen mit vielen verschiedenen [98 Stoffen angestellten Versuchen über die Placentardiffusion, dass die Niere des Ungeborenen langsamer fungire, als die des Ge- borenen und nach der Geburt erst allmählich in energische Thätig- keit gerathe, und zwar kann das Kind doppelt soviel Zeit brauchen, die Salicylsäure auszuscheiden, wie die Mutter. Bei derartigen Experimenten ist zu beachten, dass auch Säug- linge, deren Mütter Salicylsäure erhielten, bald die Salicylreaction 326 Die embryonalen Absonderungen. im Harn geben, [die Substanz also in die Milch übergeht. [215,24,? Wenn nun die Schwangeren 10 bis 30 Tage vor der Entbindung täglich Salicylsäure erhalten und im ersten Harn des Neugeborenen davon weniger nachgewiesen werden kann, als im zweiten und dritten, so hat der Befund nur Werth, falls die Neugeborenen keine Milch von ihrer eigenen Mutter erhalten; aber auch dann darf man nicht folgern, wie es bisher geschah, dass die fötale [215 Niere sehr viel langsamer secernirt als die postnatale, sondern nur die des Ebengeborenen. Denn der Harn, welcher der „erste" genannt wird, ist schon kein fötaler mehr, sondern zum Theil, wenn nicht ganz, erst nach dem Beginn der Lungenathmung secernirt, d. h. nach rapider Abnahme des Aortendrucks und da- mit auch des Blutdrucks und der Geschwindigkeit des Blutstroms in der Nieren arterie, also unter ungünstigen Absonderungsbeding- ungen. Jedenfalls ist die Annahme, dass der erste Harn des Neugeborenen ausschliesslich vor der ersten Störung des Placentar- kreislaufs im Uterus secernirt worden sei, nicht begründet. Der zweite Harn des Neugeborenen muss auch schon durch den grossen Wasserverlust durch Haut und Lunge concentrirter werden und darum mehr von der kurz vor der Geburt der Mutter eingegebenen Substanz enthalten. [473 Es kann also das Fehlen des leicht diffundirenden gelben Blutlaugensalzes im ersten Harn und seine Nachweisbarkeit im zweiten und dritten Harn des Neugeborenen, trotzdem die Zufuhr aus dem mütterlichen Blute längst aufgehört hat, sehr wohl auf [215 Störung der Nierenfun ction während der Geburt wegen Abnahme der Geschwindigkeit des Blutstromes in den Nieren^, beim Sinken des arteriellen Druckes bezogen werden. Mehr als diese Experimente legen die seltenen Fälle reifer oder nahezu reifer Missgeburten ohne Nieren, Blase und Harn- röhre Zeugniss ab für die geringe Bedeutung der Niere für das Leben der Frucht vor der Geburt. Sie können aber nichts gegen die Secretion vor der Geburt bei vorhandener Niere aussagen. Ahlfeld beobachtete einen solchen Fall und schliesst aus der [97 Thatsache, dass eine Frucht bei vollständigem Mangel der Nieren sich bis zur Keife intrauterin entwickeln kann, ohne dass die BildungsanomaHen über die locale Zone hinausgehen, die Niere könne während des intrauterinen Lebens bedeutungslos sein. Er vermuthet weiter, die Niere sei vielleicht auch dem normalen Fötus bedeutungslos, erst mit der Geburt würde also unter nor- Der embryonale Ham. 327 malen Verhältnissen die eigentliche Nierenfunction, die harnbildende Thätigkeit beginnen. Diese letztere Anschauung ist ganz unrichtig. Die dafür bei- gebrachten Gründe sind unzutrefiend und andere Gründe bezeugen die Harnbildung vor der Geburt. So ist die Thatsache, dass bei angeborenem Verschluss der Urethra viel Harn in der stark gespannten fötalen Blase gefunden wurde, z. B. von Sallinger 150 Grm., darum nicht als werthlos [499 für die Frage zu bezeichnen, weil es sich dabei um kranke Früchte handele. Ahlfeld gibt selbst zu, dass auch gesunde Früchte mit voller Harnblase bei offener Harnröhre geboren werden. Die Frage, ob der Fötus im Ei Harn secernirt, kann nur be- jaht werden, weil man bei gesunden neugeborenen Kindern und Säugethieren allzuoft viel Harn in der Blase findet. Ich habe auch bei den aus dem Mutterthier excidirten und sofort decapi- tirten nahezu reifen Meerschweinchenembryonen die Harnblase bisweilen prall gefüllt gesehen. Wiener fand dasselbe auch [73 bei einem Menschenfötus.. Also muss die embryonale Niere thätig sein, freilich in ge- ringerem Grade, vielleicht ausgiebig nur gegen Ende der intra- uterinen Zeit, und in etwas anderer Weise als später. Josef Englisch hat (1881) die Behauptung aufgestellt, dass [es die Harnbildung sicher am Ende des vierten oder zu Anfang des fünften Monats beginne, indem er das Nierenbecken und die Blase bei fünfmonatlichen Früchten wiederholt mit Harn gefüllt, das Nierenbecken sogar hydronephrotisch erweitert fand bei Ver- schliessungen der Harnwege. Er hebt hervor, dass fast bei allen Beobachtungen über vollständigen Verschluss der Harnröhre vor der Geburt ohne Nebenöffnungen die Blase ausgedehnt war, und zwar bis zu einem Grade, dass sie zu einem Geburtshinderniss Anlass gab. Derselbe meint, dass die Harnstauung, im Falle es nicht zur Bildung einer Seitenöffnung, gleichsam eines Sicherheits- ventils, komme, den Tod der Frucht zur Folge habe. Die Frucht sterbe im sechsten oder siebenten oder achten Monat. Doch sei es „immerhin merkwürdig", dass auch reife Früchte mit Harn- röhrenverschluss geboren werden, welche urämische Erscheinungen erst am zweiten und dritten Tage zeigen. Englisch hat viele Fälle zusammengestellt, und wenn auch damit nicht zugleich dargethan ist, dass der normale Fötus den Harn vor der Geburt schon reichlich entleert, so ist es doch wahrscheinlich. Depaul, Hecker, Gusserow und Andere [230,1.727 328 Die embryonalen Absonderungen. nehmen als normalen Vorgang eine Harn-Entleerung in das Frucht- wasser hinein an, wie es schon 1820 Betschier, 1822 Meckel, [56.376 ja schon 1671 Portal gethan hatte, Ahlfeld behauptet da- [18.97 gegen, ein gesunder Fötus, dessen Apnoe nicht unterbrochen werde, lasse zu keiner Zeit der Schwangerschaft Harn. Eine sehr geringe intrauterine Secretion gibt er zu, eine Excretion sei pathologisch, weil nur bei erschwertem Abfluss des fötalen Blutes durch die Nabelarterien der Blutdruck in den Nierenarterien genügend steige, um eine grössere Secretmenge zu ermöglichen. Wenn aber die Blasenfüllung nur gering ist, kommt es nicht zu einer Entleerung. Nun fand aber Dohrn bei 75 normal Geborenen 52 mal, [399 d. h. in 69 ^/^ der Fälle die Blase nicht leer, und dass sie in den übrigen 31°/^^ ganz leer war, lässt sich nicht behaupten. Die Harnmenge stieg mit dem Gewicht der Frucht und betrug im Mittel 7 ^2 Com. (im Maximum 25,5 Gem.). Je länger die Geburt gedauert hatte, um so geringer waren die gefundenen Harnmengen, was gegen eine die Harnbildung be- günstigende und für eine die Harnentleerung befördernde Wirkung der Wehen spricht. Bei Todtgeborenen und asphyktisch Geborenen ist, väe es scheint, die Harnblase öfter leer oder grösstentheils entleert ge- funden worden, als bei normalen Früchten. Ob bei der Entleerung die Bauchpresse (bei vorzeitigen Athembewegungen) wesentlich [149 mitwirkt, ob der Wehendruck oder Compression durch Frucht- bewegungen reflectorisch oder gar unmittelbar dieselbe zu Wege bringt, wie überhaupt eine Störung der Placentarcirculation die [75 Harnentleerung bewirkt, ist trotz vieler Discussionen nicht ent- schieden, aber wahrscheinlich die intrauterine Austreibung des Harns eine rein mechanische ohne Keflexwirkung. Physiologisch kann wenigstens eine solche, auch ausgiebige und häufige Entleerung der Harnblase vor der Geburt (in das Fruchtwasser) sehr wohl stattfinden, wenn auch nur wenig Harn vor der Geburt täglich abgesondert wird. Denn es fehlt nicht an Zeit zur Ansammlung. Findet man also Harn in der Blase des Neugeborenen, so ist es wahrscheinlich, dass längere Zeit vorher Harn entleert wurde in das Amnioswasser, findet man keinen, so ist es wahrscheinlich, dass erst in der Geburt oder kurz vor der- selben die Entleerung stattfand. Dass dabei immer nur wenige Cubiccentimeter auf einmal zur Ausscheidung kommen, folgt aus den Messungen der Harnmengen des Neugeborenen und Säug- [399 Hngs in den ersten zehn Lebenstagen. Aus denselben geht pes Der embryonale Harn. 329 hervor, dass am ersten Lebenstage — im Mittel aus 10 Fällen — 12 Cc, am zweiten — im Mittel aus 14 Fällen — ebenfalls 12 Co. Harn ausgeschieden wurden, am dritten dagegen 23 Cc. Vom letzteren Tage an steigt die Harnmenge fast täglich. Durch Kathe- terisiren erhielt Hofmeier unmittelbar nach der Geburt in 8 [364 Fällen durchschnittlich 9,9 G-rm. Urin, im Minimum 1,5, im Maximum 24 Grm. Man wird also nicht fehlgehen, wenn man die vor der Geburt auf einmal ausgeschiedenen Harnmengen in diese Grenzwerthe einschliesst. Wiener fand einmal in der [73 Blase eines Fötus, dessen Matter an Verblutung aus einem ge- borstenen Schenkelvarix vor dem Beginne der Wehen gestorben war, über 10 Cc. Harn. Es ist aber unbekannt, ob der Fötus diesen Harn in einem Tage bildete, ob er nothwendig alle 24 Stunden einmal Harn entleert. Aus den wenigen Fällen, in denen bei angeborenem Harnröhrenverschluss die Blase prall gefüllt, so- gar stark gespannt gefunden ward, kann allerdings nicht ohne Weiteres auf eine öftere Entleerung in der Norm geschlossen werden, weil unbekannt ist, ob in jenen Fällen etwa zufällig ge- steigerter Blutdruck eine abnorme Steigerung der Secretion zur Folge hatte (Ahlfeld). Namentlich wird eine solche Steigerung des Blutdrucks in dem Falle anzunehmen sein, wo nicht nur die Blase, sondern auch die Ureteren enorm erweitert und die Urethra verschlossen gefunden wurden. Ausserdem ist bis jetzt nicht er- mittelt, ob die in solchen Fällen in der Harnblase enthaltene Flüssigkeit Harn ist. Lothar Meyer fand darin einmal weder [373 Harnstoff noch Harnsäure, anderemale aber deutlich erkennbar Harnstoff neben Eiweiss. Es kann sehr wohl durch intrauterine [56 Blutdrucksteigerung zu einer abnormen Secretion oder Transsu- dation in den fötalen Nieren kommen, ehe dieselben im Stande sind, eigentlichen Harn zu bilden oder wenigstens zum Theil die- jenigen Processe zu ermöglichen, welche für die Nierenfunction Erwachsener charakteristisch sind. Unter diesen Umständen war es eine sehr verdienstliche Untersuchung, welche Gusserow vornahm, indem er durch [i9 das Experiment am Menschen direct zu entscheiden suchte, ob die fötale Niere ebenso wie die des Erwachsenen fungiren kann. Da- von ausgehend, dass die Umwandlung der dem Erwachsenen ein- gegebenen Benzoesäure (des Natriumbenzoates) in Hippursäure (Natriumhippurat) ausschliesslich oder fast ausschliesslich in dem Nierengewebe stattfinde, folgerte er, dass der Nachweis von Hippur- säure im Harn des Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt, 330 Die embryonalen Absonderungen. wenn die Gebärende nicht lange vorher Benzoesäure erhalten hatte, einen strengen Beweis liefere für die Umwandlung der Benzoe- säure in Hippursäure in der Niere des Fötus. Denn woher sollte die Hippursäure im Fötusharn sonst stammen, da sie direct in den Fötus nicht gelangen kann? Es wurde also Kreissenden benzoesaures Natrium eingegeben und soweit möglich sofort nach der Geburt des Kindes der Harn desselben mit dem Katheter abgelassen, jedenfalls bevor das Kind die Mutterbrust genommen hatte. Fruchtwasser wurde nur dann auf Hippursäure geprüft, wenn es ohne die geringste Verunreinigung, namentlich mit mütterlichem Harn, aus der weit vor die Genitalien sich vordrängenden Eiblase oder mittelst eines Troicarts erhalten werden konnte. Auf Hippursäure und Benzoesäure wurden Harn und Fruchtwasser nach dem bewährten Verfahren von Bunge und Schmiedeberg mit Unterstützung des letzteren geprüft. Ich stelle die Kesultate übersichtlich zusammen: Versuch Dosis benz. Natr. Harn des Kindes Fruchtwasser Zeit des Auffangens I. 1 1 Grm. in 3 St. viel Hipp, keine Benz. keine Hipp, keine Benz, l^U St. nach d. letzt. Dosis. II. 1,5 Grm. 4 bis 5 St. vor dem Blasenspr. 0,5 nach dems. wenig Hipp, keine Benz. viel Hipp, keine Benz. — m. 0,5 Grm. 2V2St.vord.Geb. 0,5 eine halbe St. vor ders. deutlich Hipp. keine Benz. — — IV. 1 l 1 Grm. in 3 St. dann 0,5. deutlich Hipp, keine Benz. deutlich Hipp, keine Benz. 8 St. nach d. letzt. Dosis. V-VII I — keine Hipp, keine Benz. keine Hipp, keine Benz, — In 4 Fällen wurde also im Harn des Ebengeborenen Hippur- säure deutlich erkannt, in 3 Fällen nicht, in 2 Fällen war sie auch im Fruchtwasser nachweisbar, in keinem Falle wurde unver- änderte Benzoesäure im Harn oder Fruchtwasser aufgefunden, [lo Dieser Befund genügt zum Beweise, dass der menschliche Fötus im Uterus im Stande ist, wie der Erwachsene, Benzoesäure in Hippursäure zu verwandeln, welche von ihm auch mit dem Harn Der embryonale Harn. 331 ausgeschieden wird; daher auch die Hippursäure in zwei Fällen im Fruchtwasser gefunden werden konnte, in welches der Fötus seinen Harn entleerte. Wenn es ferner feststeht, dass im er- wachsenen Organismus ausschliesslich die Niere jene Umwandlung bewirkt, dann ist auch bewiesen, dass die Niere des reifen Fötus wie die des Geborenen fungiren kann. Was aber für den Hund von Schmiedeberg und Bunge gefunden wurde, gilt nicht ohne weitere Prüfung für den Menschen. Doch ist es wahrscheinlich, dass auch bei diesem die Niere an der Hippursäurebildung nach Einführung von Benzoesäure betheiligt sei, weil dieselbe bei ver- schiedenartigen Nierenkrankheiten nach Blix beeinträchtigt war. Die am Kaninchen- und Hunde -Fötus von Wiener an- [95 gestellten Yersuche beweisen ebenfalls, dass die fötale Niere functionsfähig ist, aber nicht, dass sie regelmässig Harn absondert. Denn wenn durch die Bauchdecken der Mutter hindurch dem Fötus beigebrachtes indigschwefelsaures Natrium nach 20 Minuten in den Epithelien der gewundenen Harncanälchen und in einem Falle nach 25 Minuten in der fötalen Harnblase sich vorfand und 1^2 Stunden nach Injection von Glycerinwasser unter die fötale Haut Hämoglobinurie eintrat, so dass die Harncanälchen mit Hämoglobin „förmlich ausgespritzt" und das Nierenbecken damit erfüllt erschienen, auch das Fruchtwasser hämoglobinhaltig und roth wurde, so folgt daraus noch nicht, wie Wiener meint, dass [73 die Secretion der fötalen Niere normaler Weise lebhaft ist und es wiederholt zur Füllung der Blase und ihrer Entleerung in das Amnioswasser kommen müsse, obwohl beides möglich ist. Denn es ist natürlich, dass nach plötzlicher Einführung grösserer Flüssig- keitsmassen in den fötalen Körper die Ausfuhrstätten, in erster Linie die Nieren, plötzlich in erhöhte Thätigkeit gerathen. Nur das Yermögen zu fungiren ist durch diese Versuche, wie durch die Gusserow's, bewiesen. Auch die Lungen haben lange vor der Geburt das Vermögen zu fungiren, bleiben aber bis zu derselben normaler Weise fanctionslos. So verhält es sich nun zwar nicht mit den Nieren, aber dass diese nicht so energisch und nament- lich nicht so regelmässig fungiren wie nach der Geburt, kann nicht zweifelhaft sein. Bezüglich des Termins, wann beim Menschenfötus die eigentliche Harnbildung beginnt, fehlt es an Beobachtungen. G. Krukenberg [473 konnte im ersten Harn einer zu frühgeborenen 1850 Grm. schwe- ren Frucht unmittelbar nach der Geburt Jodkahum nachweisen, welches der Mutter eingegeben worden war. — 332 Die embryonalen Absonderungen. Wenn durch die Gesammtheit der bisher bekannten Erschei- nungen es zweifellos feststeht, dass im Uterus nicht allein eine Harnsecretion, sondern auch eine Harnexcretion sehr oft normaler Weise stattfindet, so ist doch damit noch nicht erkannt, ob die Entleerung in das Fruchtwasser continuirlich oder in Pausen ge- schieht. Ersterenfalls müsste die Blase des Fötus entweder immer voll oder immer leer gefunden werden. Sie könnte gleichsam überlaufen oder nichts zurückhalten, je nach der Weite der Ur- ethra. Da aber beim schnell dem Uterus entnommenen Säuge- thierfötus nach meinen Erfahrungen gerade wie beim ebengeborenen Kinde die Blase bald viel, bald wenig oder gar keinen Urin ent- hält, so ist es sicher, dass die Harnentleerung im Uterus zeitweise erfolgt, wie auch Gusserow hervorhebt. Damit stimmt überein [se der sehr wechselnde Harnstoffgehalt des Fruchtwassers, von wel- chem bereits die Rede war. Damit stimmt ferner überein das ungleiche Verhalten eben- geborener Kinder beiderlei Geschlechts bezüglich der Harnent- leerung. Denn manchmal wird bereits wenige Augenblicke nach dem ersten Schrei von Knaben der Urin in kräftigem Strahle entleert, bisweilen sogar noch vor der Abnabelung eine solche Harnausscheidung wiederholt, während es in anderen Fällen erst nach Stunden zu einer geringen Urinexcretion des noch nüchternen Neugeborenen kommt. Geradeso verschieden wie das noch nicht vollständig geborene Kind sich in dieser Hinsicht verhält, wird sich das noch ungeborene verhalten. Da aber ein plötzlicher Tod Hochschwangerer unter Umständen, welche die sorgfältige Frei- legung des Fötus gestatteten, selten ist, so wird es schwierig sein, beim Menschen den thatsächlichen Beweis zu liefern. Die ver- einzelte derartige Beobachtung von Wiener (S. 329) ist deshalb [73 besonders werthvoll. Dass durch anomale Steigerung des arteriellen Blutdruckes wegen vorzeitiger Obliteration des Botalli'schen Ganges (beim 6-monatlichen Fötus) in der That erheblich vermehrte Harnbildung und Harnausscheidung in das Fruchtwasser eintreten und sogar Hydramnios entstehen kann, geht aus Beobachtungen von Nieber- ding (1882) hervor, der dabei Herzhypertrophie constatirte. [447 Auch 0. Küstner fand — neben Ascites und Lebercirrhose [44.8 bez. Stauungsleber — in drei Fällen von eineiigen Zwillingen Herz- hypertrophie bei dem Hydramnios-Zwilling, was ebenfalls mit der Annahme einer abnormen Vermehrung des Fruchtwassers durch fötale Harnentleerung sich verträgt. Der embryonale Harn. 333 Besonders instructiv ist aber ein von Schatz beobachteter [477 Fall von eineiigen Zwillingen mit getrennten Amnien, welche im 8. Monat geboren wurden. Der erstgeborene hatte eine enorme Menge Fruchtwasser — der Blasensprung lieferte etwa 3 Kilo — und urinirte während der 6 Stunden, die er lebte, sehr reichhch, fast stündlich. Der zweitgeborene hatte wenig Fruchtwasser, lebte 12 Stunden und urinirte garnicht. Dasselbe Verhältniss kann im Uterus bestanden haben. Denn Niere und Herz waren beim erst- geborenen 1 Y2 iiial so schwer wie beim zweitgeborenen Kinde. Das Kind mit dem grösseren Herzen erzeugte höheren arteriellen Druck, lieferte mehr Harn und dadurch mehr Fruchtwasser. — Bezüglich der fötalen Bildung und Absonderung der einzelnen Bestandtheile des fötalen menschhchen Harnes ist darum sehr wenig bekannt, weil fast nur der Harn todtgeborener Früchte zur Verfügung steht und daraus auf den neugeborener nicht ohne Weiteres geschlossen werden darf. Alle Untersuchungen des Harnes, welcher von lebenden Neugeborenen nach dem ersten Athem- [428 zuge stammt, können über die Beschaffenheit des fötalen Harnes nicht aufklären, weil durch den eingeathmeten Sauerstoff mäch- tige Oxydationsprocesse eingeleitet werden. Man ist also beim Menschen auf todtgeborene Früchte angewiesen, deren harnbildende Organe normal und deren Harnwege nicht verschlossen sind. Die Blase solcher enthält aber allzuoft nur ganz geriuge Harnmengen; daher die Anzahl der Analysen eine kleine ist. Fest steht, dass normaler AV eise nur wenig Harnfarbstoff vom Fötus gebildet wird, denn der Harn Neugeborener hat eine sehr blasse Farbe, noch blasser als die Nummer I der Vogel'schen [399 Harnfarbens cala. Yirchow fand den fötalen Harn aus dem Nierenbecken, [373,545 wie aus der Blase, sauer, blassgelb, häufig durch Epithelien ge- trübt, von einem an frisches Brod und frisches Fleisch erinnern- den G-eruch. Dass die Reaction des von Dohrn unmittelbar nach der Geburt mittelst des Katheters erhaltenen Harns nicht constant, sondern nur in 73^0 der 75 Fälle normal Geborener sauer, in 23*^/0 neutral und in 4^1^ alkalisch gefunden wurde, lässt noch keinen Schluss [3!i9 über die Unregelmässigkeit der Säurebildung im Fötus zu. Bei ganz frisch unmittelbar nach der Geburt aufgefangenem Harn fanden Hofmeier und Hecker die Reaction fast jedesmal [428.364 sauer (einmal neutral). Dieser intrauterin gebildete Harn wird aber sehr bald neutral und dann alkalisch an der Luft. Den Harn 334 I^ie embryonalen Absonderungen. aus der Blase frisch dem Uterus entnommener Meerschweinchen- Embryonen fand ich jedesmal sauer. Im ersten immer sehr blassen, dünnflüssigen und im ganz [364 frischen Zustande schwach sauren Urin des gesunden neugeborenen Menschen wurde wie in dem todtgeborener Kinder nur un- [428 gefähr ein halbes Procent (bis 0,6%) trockenen Rückstandes [215 und 0,24 (auch 0,27) Procent Asche gefunden. [268 Hoppe erhielt aus der Blase eines todtgeborenen Kindes [se Harn mit nur 0,34 °/q festen Bestandtheilen. Jedoch fanden untengenannte Autoren für den Harn am ersten Lebenstage den Wassergehalt in vier Fällen zwischen 98,65 und 99,627o und in einem Falle zu 95,12 7o- Es wird demnach die Dichte auch des fötalen Harnes ziemlich grossen Schwankungen unterworfen sein. Das Volumgewicht des Harnes Neugeborener wurde von [268 den einen im Mittel zu 1009 oder 1010, von anderen zu 1002,8 (Min. 1001,8, Max. 1006 Dohrn) gefunden. Da das specifische [399 Gewicht des Harnes nach der Geburt zuerst steigt, dann etwa vom dritten Tage an innerhalb der ersten zehn Tage nach Mar- tin, Rüge und Biedermann abnimmt, so ist es wahrscheinlich [364 vor der Geburt höher, als 1010 im Mittel. In der That fand Dohrn bei einem zu früh und todt geborenen Kinde 1012. Martin, Rüge und Biedermann fanden ferner im Harn des Neugeborenen am ersten Tage an Harnstoff im Minimum 0,06 "/o, im Maximum 1,6637 *^/q. Dohrn erhielt für den Harn unmittelbar nach der normalen Geburt in 10 Fällen 0,14 bis 0,83 ^/q, Hof- meier ebenso in 6 Fällen i. M. 0,24 7o (war aber die Mutter vor der Entbindung chloroformirt worden, dann stieg der Harn- stoffgehalt des Harnes auf das Doppelte und blieb auch in den ersten Tagen nach der Geburt höher). [364 Normaler Weise wird wenigstens in den späteren Bntwick- lungsstadien auch Harnsäure von der Niere oft relativ reich- [268 lieh abgesondert. Sie ist fast jedesmal im Harn unmittelbar [399 nach der Geburt nachweisbar. In einem vor der Zeit und todt geborenen Fötus fand Wöhler (1846) einen aus Harnsäure be- stehenden Nierenstein, Virchow in dem Harne einer reifen [373,540 während einer schweren Zangengeburt gestorbenen Frucht, Ammo- niumurat als Sediment, Schwartz in acht Fällen im Harne Todt- geborener Harnsäure. In dem unmittelbar nach der Excision der Blase entnommenen Harn der Meerschweinchen -Embryonen sah ich nach mehrstündigem Stehenlassen im Uhrglase ungleich Ijraun Der embryonale Harn. 335 pigmentirte Krystalle von genau dem Verhalten der Harnsäure- krystalle im Menschenharn und erhielt mit Salzsäure aus solchem Harn jedesmal Harnsäure, wie aus diesem. Gusserow fand [56 ebenfalls in dem Harn eines in der Geburt schnell abgestorbenen Kindes Harnsäurekrystalle. Aus dem Harnsäure-Infarct Neugeborener darf dagegen nicht auf eine Harnsäureproduction des Fötus geschlossen werden, weil jener nicht leicht vor dem 2. Lebenstage aufzutreten pflegt [373, seo und nach Virchow nur nach dem Beginne der Lungenathmung beobachtet wird. Doch fanden Martin, Hoogeweg und [06.75 Schwartz auch intrauterin entstandene TJrate. Ein nicht seltener, wenn nicht regelmässiger Bestandtheil des normalen Fötusharns vom Menschen scheint Eiweiss zu [373, sar. ssi sein (Yirchow). Doch wurde es im Harne des Neugeborenen und Säuglings der ersten Tage (von Martin, Rüge und Bieder- [268.364 mann) nur in Spuren „ziemlich häufig" nachgewiesen. Dieselben Beobachter fanden einmal am ersten Tage den Harne einer Miss- geburt ausserordentlich reich an Albumin. Schwartz fand jedes- mal Eiweiss im Harne Todtgeborener, Dohrn in dem lebender [75 Neugeborener in 62 7o seiner (75) Fälle keine Spur, in 23% Spuren, in 9 "/o massige Mengen , in 6 ^/^ viel. Den Albumingehalt des Harnes Todtgeborener hält er für eine Leichenerscheinung, ohne jedoch zureichende Gründe dafür beizubringen. Es kann der beim lebenden Neugeborenen inconstante Eiweissgehalt des Harnes mit einer Steigerung des arteriellen Blutdruckes während der Geburt (vor dem ersten Athemzuge) zusammenhängen. Eine Untersuchung des Harnes Neugeborener nach später und nach früher Abnabe- lung würde darüber vielleicht Aufschluss geben, ob etwa das Auf- treten des Albumin im Harn von der Blutmenge abhängt. Jedenfalls ist die Albuminurie eben geborener Kinder als eine constante Erscheinung nicht zu bezeichnen, ob der Fötus im Uterus regelmässig Eiweiss durch die Nieren ausscheidet, ganz unbekannt. Auch Indican wurde im Harne des Neugeborenen nach- [268 gewiesen. Auf Indigo prüfte aber Senator sechsmal mit nega- [479 tivem Resultat. Bilirubin ist kein normaler Bestandtheil des Harnes un- [269 geborener und ebengeborener Früchte, findet sich aber sogar krystallisirt sehr häufig neben Harnsäure-Infarct bei eintägigen und älteren Säuglingen der ersten Zeit, auch wenn der Icterus nur wenig ausgeprägt war, als postmortales Product im Blute, Ob dabei in der Niere neben Bilirubin auch Hämatoidin oder [262 336 1^16 embryonalen Absonderungen. letzteres etwa nur bei Harnsäure -Infarct sich krystallinisch aus- scheidet, ist noch zu ermittehi. Jedenfalls bildet sich normaler- weise weder das eine noch das andere Pigment im lebenden Fötus so reichlich, dass es in der Niere zur Ausscheidung käme, und ein sicherer Fall von gallenfarbstoffhaltigem Harne der un- mittelbar nach der Geburt aufgefangen worden wäre, ist mir nicht bekannt geworden. Findet sich Bilirubin im Harne Neugeborener, dann ist dieser Harn erst viele Stunden nach der Abnabelung secernirt worden und der vielfach discutirte Icterus neonatorum vorhanden, für welchen nach Orth die Bihrubinkrystallausscheidung geradezu charakteristisch ist. [259 Kleine Mengen von Ätherschwefelsäuren konnte Senator in den 7 Fällen, in denen er sie im Harn neugeborener Kinder suchte, nachweisen. Es ist aber nicht sicher, ob diese Schwefel- säure von zersetztem Albumin der fötalen Gewebe oder von dem Blute der Mutter abstammt. Aus einer fötalen Eiweisszersetzung im Darm können hingegen die gepaarten Schwefelsäuren des neonatalen Harns nicht abgeleitet werden, weil im Meconium weder Indol, noch Phenole nachgewiesen werden konnten [479 (vgl. S. 323). In dem der Blase von Meerschwemchen- Embryonen ent- nommenen Harn sah ich nach mehrstündigem Stehenlassen im Uhrglase Chlornatrium - Krystalle. Im Harn eines todtgeborenen Kindes fanden Wislicenus und Gusserow 0, 1 8 ^/^ Natriumchlorid, [se Die Chlormenge des Harnes Neugeborener schwankt in Dohrn's 75 normalen Fällen zwischen 0,02 und 0,3 '^/q. Wahrscheinlich hängt dieser grosse Unterschied der minimalen und maximalen Werthe mit dem Kochsalzgehalt der mütterlichen Nahrung zu- sammen. Es ist wenigstens kein Grund dagegen angebbar. Bei einer so leicht löslichen und so leicht diffundirenden Substanz wie Natriumchlorid erscheint der reichlichere Übergang aus dem mütterlichen Blute in das fötale in der Placenta, wenn jenes viel davon enthält, nothwendig. Überhaupt ist nicht zu bezweifeln, dass sich im fötalen Harn noch viele im Blutplasma der Mutter gelöste, leicht diffundirende Stoffe werden nachweisen lassen, welche theils durch die Nabel- vene, theils durch Verschlucken des Fruchtwassers in den Fötus gelangen können. Die Allantoisflüssigkeit. Der embryonale Seh weiss. 337 Die Allantoisflüssigkeit. Die Flüssigkeit, welche sich im Harnsack ansammelt, kann nicht zu allen Zeiten des Embryolebens als Harn bezeichnet werden, weil sie schon da ist, ehe die Nieren entwickelt sind. Man hat aber seit Decennien, nach Bischoff 's Vorgang, die bei manchen Säugethier- Embryonen in frühen Stadien in der Allantoisblase gefundene oft wie Harn gelb gefärbte Flüssigkeit als das Secret der Wolff'schen Körper angesehen. Die chemischen Untersuchungen der meist alkalisch reagiren- den Allantoisflüssigkeit von Kühen, Schweinen, Schafen, Katzen, Hühnern durch Majewski, Tschernoff, Claude Bernard, Stas, [507. 501 Schlossberger u. A. haben allerdings ergeben, dass häufig, jedoch nicht constant, dieselben Bestandtheile wie im embryonalen Harn vorkommen, namentlich Harnstoff, Harnsäure (TJrate), AUantoin, Chloride, Phosphate und Sulphate der Alkalien, Eisen, Calcium- carbonat. Es wurde aber auch oft Zucker (nicht Dextrose) und Albumin darin nachgewiesen. Irgendwelche physiologische Schlussfolgerung über die Func- tion der Urnieren lässt sich mit Sicherheit bis jetzt aus den zum Theil sich widersprechenden und lückenhaften qualitativen und quantitativen Analysen nicht ableiten, es sei denn, dass ein frühes Vorkommen von Harnstoff, Uraten und besonders Sulphaten im Harnsack eine schon früh beginnende embryonale Albuminzer- setzung mit Oxydation sehr wahrscheinlich macht. Die Excrete werden aus dem noch nicht vollständig differenzirten Blute durch die Urnieren mittelst des Urachus in den Harnsack (die Allantois- blase) gelangen müssen. Der embryonale Schweiss. In früheren Zeiten wurde das Secret der Schweissdrüsen des Embryo als Hauptbestandtheil des Fruchtwassers angesehen. Da aber diese Drüsen erst im fünften Monat der Schwangerschaft auftreten und erst im siebenten die ersten noch sehr undeutKchen Spuren der Schweissporen und Schweisscanäle in der Epidermis (nach Kölliker) sichtbar werden, so ist diese alte Ansicht irrig, [so Nur in den letzten Wochen der Fötalzeit könnte sich dem bereits vorhandenen Fruchtwasser etwas Schweiss beimischen und auch die Fruchtschmiere durchtränken. Dass überhaupt keine Schweiss- absonderung intrauterin eintrete, scheint wegen der hohen Tempe- Preyer, Physiologie des Embryo, 22 338 I^ie embryoualen Absonderungen. ratur nicht annehmbar zu sein; aber es lässt sich zur Zeit nicht eine Thatsache zum Beweise einer intrauterinen Schweissabsonde- rung auch in der letzten Zeit anführen. Der Geborene schwitzt normaler Weise, wenn die Temperatur der ihn umgebenden Luft steigt, bei Einhüllung in schlechte Wärmeleiter usw., nicht aber im Wasser und selbst nicht in Wasser von höherer Temperatur als seine eigene, es sei denn, dass er sich stark bewegt. Der un- geborene Mensch hingegen, welcher sich nicht stark bewegt und permanent in einer Flüssigkeit von nahezu seiner eigenen Tempe- ratur sich aufhält, hat keinen physiologischen Grund zur Schweiss- secretion, da diese hauptsächlich als Regulator der Eigenwärme für den Geborenen dient. Das abgesonderte Wasser verdampft in der Luft und dadurch wird die Haut kühl. Beim Fötus kann aber keine Verdunstung stattfinden, es ist also das Schwitzen desselben nicht von demselben Erfolge wie nach der Geburt. Trotz dieser Erwägungen wage ich nicht zu behaupten, dass der Fötus im Uterus niemals Schweiss absondere, es wird aber recht schwierig sein, eine etwaige Secretion vor der Geburt zu beweisen. Die Vernix caseosa. Während früher fast allgemein angenommen wurde, jedes reife neugeborene Kind komme mit „Kindsschleim" oder „Käse- firniss, Kinderschmiere, Fruchtschmiere", Smegma embryonum oder Vernix caseosa zur Welt, steht jetzt fest, dass die Haut oft ganz rein ist. Elsässer fand (1833) sogar bei fast der Hälfte der [408 von ihm daraufhin beobachteten Neugeborenen beiderlei Geschlechts die Haut so sauber „wie geseift", bei der anderen Hälfte die Ver- nix bald fingerdick aufliegend, bald über den ganzen Körper oder einzelne Theile, besonders am Rücken, in dünner Schicht auf- gelagert, reichlicher an faltigen Hautstellen. Nach Wislicenus besteht, wie Gusserow mittheilt, die Vernix [56 caseosa aus reinem Fett. Namentlich wurde darin keine Ammoniak- seife nachgewiesen. Ob ein Casem darin vorkommt, ist unbekannt. Elsässer untersuchte, um über die Herkunft des räthselhaften Excretes Aufschluss zu erhalten, 116 Knaben und 129 Mädchen. Er fand keine constanten Beziehungen zwischen den Mengen des Fruchtwassers und „Kindsschleims". Das Vorkommen und die Menge des letzteren fand er auch unabhängig vom Geschlecht und der Anzahl der vorhergegangenen Geburten. Dagegen sprach Das Brnstdrüsensecret Neugeborener. 339 er bereits mit Bestimmtheit aus, es handle sich um ein Secret der Hauttalgd-rüsen , da er die Vernix caseosa am reichlichsten gerade an denjenigen Hautstellen abgelagert fand, wo die Talg- drüsen am zahlreichsten sind, sie aber fehlte, wo jene Drüsen fehlen, wie in der Hohlhand und an der Fusssohle. Heute lässt sich nicht mehr bezweifeln, dass die Vernix caseosa neugeborener Kinder in der That nichts anderes als Hauttalg ist, welcher sich zwar langsam aber lange ausscheidet, so dass es schliess- lich beim reifen Fötus zu einer bedeutenden Ansammlung auf der Hautoberfläche kommen kann. Diese Ausscheidung ist von phy- siologischem Interesse darum, weil sie aufs Neue beweist, wie irrig die Annahme einer gänzhchen oder fast gänzlichen Functions- losigkeit der fötalen Drüsen ist und welch intensive, complicirte chemische Vorgänge in den embryonalen Hautdrüsen stattfinden müssen, um solche Quantitäten von Fett aus dem Blute abzu- sondern. Übrigens hat bereits John Davy nachgewiesen, dass weitaus der grösste Theil der Vernix caseosa aus abgestossenen Epidermiszellen und Wasser besteht. Letzteres, über drei Viertel des Gewichtes, stammt ohne Zweifel vom Fruchtwasser grössten- theils her. Bei der Desquamation, welche, wie Kölliker meint, sich vielleicht mehrmals im Embryoleben wiederholt, müssen die Epidermiszellen sich mit dem Hauttalg zu einer Masse vermengen. Diese haftet dann oft der neuen Haut fest an, oft aber wird sie vom Amnioswasser abgespült und das Fett (gegen 9 ^l^ nach Davy) bleibt dann in diesem suspendirt und wird reichlich verschluckt. Das Brustdrüsensecret Neugeborener. Die Thatsache, dass bei fast allen neugeborenen Kindern beiderlei Geschlechts kleine Mengen eines dem Colostrum ähn- lichen Saftes von den beiden Brustdrüsen abgesondert werden, entbehrt bis jetzt einer gründlichen physiologischen Prüfung. Die Menge des sogenannten „Brüstesaftes" oder der „Hexenmilch" ist meistens so gering, dass die chemische Analyse noch nicht voll- ständig vorgenommen werden konnte. Die Keaction fand Guillot neutral oder alkalisch, Schlossberger deuthch alkalisch, Quevenne stärker alkalisch als die der Frauenmilch. Der erstgenannte gibt an, das Secret werde an der Luft sauer und sondere sich in einen serösen und einen rahmartigen Theil, der zweitgenannte, es ge- rinne für sich erhitzt nicht, scheide aber auf Zusatz von Säuren oder Lab deutliche Flocken aus; auch erhielt er starke Reactionen 22* 340 Die embryonalen Absonderungen. bei Prüfung auf Zucker. Hauff fand darin 96,75 "/^ Wasser, 0,82 Fett, 2,38Casein, Zucker und Extractivstoffe, sowie 0,5% Asche; [454 Quevenne fand 1,4 •'/q Fett, 2,8 Casein, 6,4^0 Zucker und Extractiv- stoffe (nach einer Mittheilung von Funke). Die quahtative Zu- sammensetzung lässt also die Annahme berechtigt erscheinen, dass es sich um eine Art Colostrum oder Milch handelt, wenn auch Opitz angibt, das Secret sei bei spärlicher Absonderung anders beschaffen, nämlich wasserhell und fadenziehend. Die mikroskopische Untersuchung und das Wenige, was man von der sonstigen Beschaffenheit des Fluidums weiss, machen es wahrscheinlich, dass es sich hier um ein Colostrum handelt, wie es von den Milchdrüsen Schwangerer und eben Entbundener secer- nirt wird. Denn abgesehen von den Angaben, es schmecke süss, sehe weiss, gelblich-weiss, auch bläulich-weiss aus wie Milch (bei Mädchen und Knaben bis zur 30. auch bis zur 40. Woche), ist das Vorkommen von Colostrumkörperchen und Milchkügelchen, [293 d. h. Fettkügelchen, welche sich wie solche verhalten, ein gewich- tiger Grund für die Identificirung des mütterlichen und fötalen [4.3 Colostrum, welches sich oft aus der Brust des Neugeborenen, meist aber erst nach der 24. Stunde, auspressen lässt. Daher [293 auch der Name „Milch der Neugeborenen". Über die Entstehung der Hexenmilch hat bereits im Jahre 1851 Scanzoni eine Ansicht ausgesprochen, welche durch [453 spätere Untersuchungen über die Entwicklung der Brustdrüse vollkommen bestätigt worden ist. Er meinte, die Aushöhlung der von KöUiker (1850) noch bei Früchten aus dem siebenten Schwanger- schaftsmonate gesehenen anfangs soliden Wucherungen des Rete Malpighi, kleinen einfachen Warzen der Oberhaut, welche die erste Anlage der Milchdrüsen bilden, erfolge nach der Sprossenbildung durch eine fettige Metamorphose der centralen Zellen, so dass zuletzt von dem warzenförmigen Fortsatze der Oberhaut nur ein blasiger mit einem engen Ausführungsgange versehener Hohlraum übrig bleibe, 'dessen Wände durch Sprossenbildung entstandene Verästlungen zeigen. Auch in diesen tritt die fettige Entartung der Zellen ein. Die Producte der Fettmetamorphose treten dann in den ersten Tagen nach der Geburt des Kindes aus den noch in der Entwicklung begriffenen Organen hervor, nämlich Colostrum- körper und Milchkügelchen, und diese Secretion versiegt erst gänz- lich bei älteren Kindern zu einer Zeit, in der die Entwicklung der Brustdrüse als vollendet angesehen werden kann. Diese Auf- [3o, ,^(02 fassung ist namentlich durch Th. Kölhker 1879 bestätigt worden. V. DIE EMBRYONALE WÄRMEBILDUNG. A. Einfliiss der äusseren Temperatur auf den Embryo im Ei. Yon der grössten WicMigkeit für die embryonale Entwicklung ist die Temperatur der nächsten Umgebung des Eies, und zwar gilt allgemein für alle Thiere, dass bei niedriger Ei-Temperatur jedes Wachsthum und jede Differenzirung still steht, ebenso wie bei abnorm hoher. Während aber im letzteren Falle die Unter- brechung der Functionen des befruchteten Eies eine definitive, weil auf Zerstörung des Keimes beruhende ist, kann im ersteren nach geeigneter Wiedererwärmung die Entwicklung normal vor sich gehen. Der Keim war in der Kälte nicht todt, nicht ent- wicklungsunfähig geworden, sondern er war leblos und zugleich lebensfähig, d. h. anabiotisch. Die Eier vieler Thiere aus den verschiedensten Classen können vor dem Beginne der Embryogenesis einfrieren, ohne nach dem langsamen Aufthauen irgend welche Anomalie der Entwicklung zu zeigen. Es hat sogar bei einigen Arten das Einfrieren einen die Embryobildung beschleunigenden Einfluss, wie Weismann fand, [195 Für die Eier der sumpfbewohnenden Daphninen schliesst er aus seinen Eisversuchen, dass sie durch ein- oder mehrmahges Ein- frieren im Laufe des Winters zu sofortiger Entwicklung disponirt werden, sobald nach dem Aufthauen das Wasser eine gewisse Temperatur (10 bis 17°) erreicht. Die nicht eingefrorenen Eier entwickeln sich erst viel später. Durch Erwärmen über 20 ° wird die Latenzperiode, welche mehrere Monate dauern kann, nicht abgekürzt, und die Erwärmung auf 20 bis 28" hebt sogar die günstige Wirkung der vorherigen Abkühlung auf. Werden da- gegen die jungen Thiere plötzlich derselben Kälte ausgesetzt, wie die Eier, so gehen sie zu Grunde wie die älteren Individuen. 344 Die embryonale Wärmebildung. Dass die Embryobildung in den Eiern des Seidenspinners, welche behufs ihrer Überwinterung stark abgekühlt werden, zwar nicht unterbrochen, aber sehr erheblich verzögert wird, ist den Seidenzüchtern längst bekannt und Reaumur hat schon interessante Exj)erimente angestellt zum Beweise, dass man die Entwicklung der Lepidopteren nach Belieben durch Abkühlung und Erwär- mung verzögern und beschleunigen kann. Besonders deutlich zeigt sich diese Erscheinung bei den Puppen der Schmetterlinge. In den gemässigten Zonen wird durch die niedrige Temperatur im Winter eine ausserordentlich grosse Anzahl von Insecteneiern in der Embryo-Bildung und Entwicklung zurückgehalten bis im Frühling ausser der erforderlichen Temperatur auch die den aus- kriechenden Raupen und Larven nöthige Blattnahrung da ist. Diese eigenthümlichen Anpassungserscheinungen müssen durch eine sehr lange Reihe von Generationen sich erblich befestigt haben. Schon Gaspard erkannte (1822) den Einfluss der Temperatur auf die Entwicklungsgeschwindigkeit der Schneckeneier. [353 Nach seinen Versuchen dauerte die Entwicklung bei etwa 20° C. im Zimmer 21 Tage, und ebenso lange bei etwa 28° des Tages und 10° Nachts im Garten, dagegen 38 Tage bei 12° und 45 Tage bei 6° oder 8°. Ich selbst habe die Embryonen aus den Eiern der Weinbergschnecke am 6. August 1883, nachdem ich sie in feuchter Erde im Laboratorium sich hatte einige Wochen ent- wickeln lassen, ausschlüpfen gesehen. Dabei schien schon die warme Ausathmungsluft des Beobachters und die Nähe einer Kerzenflamme die anfangs ungemein trägen Bewegungen zu be- schleunigen. Also muss die Empfindlichkeit der Embryonen gegen Temperaturänderungen eine sehr grosse sein. Besonders empfindlich sind gegen Temperatursteigerungen auch Salmonideneier und zwar, wie John Davy (1856) fand, [24.6 anfangs mehr als nach der Entwicklung des Embryo. Er erwärmte die Eier in Wasser auf dem Wasserbade, und zwar jedesmal sechs von einer grösseren Anzahl, die am 9. November befruchtet worden waren. Die folgende Zusammenstellung zeigt das Ergebniss, wobei Fahrenheit in Celsius umgerechnet ist. Die mittlere Zimmertemperatur war ungefähr 12,8° C. Die Abkürzung „entw." bedeutet „entwickelten sich normal vollständig". Je weiter entwickelt der Embryo ist, um so mehr Resistenz gegen abnorme Erwärmung besitzt er nach diesen Versuchen. Auch A. Einfluss der äusseren Temperatur auf den Embryo im Ei. 345 behielten die in der Entwicklung fortgeschritteneren bei weiten Transporten (z. B. von 1000 Englischen Meilen innerhalb sechs Tagen) und in feuchter Luft ihre Entwicklungsfähigkeit in grösserer Zahl, als die ganz jungen Embryonen. Datum Uugefälires Alter in Tagen 1 1 Dauer d. Erwärmung oder Abkühlung in Stunden Temperatur Centesimal 26,1 bis 26,7 21,1 „ 25,5 Befund 10. Nov. 10. Nov. 2 2 alle 6 todt alle 6 todt 11. Nov. 2 1 21,1 „ 20,5 alle 6 todt 1. Dec. 21 jh22m 23,9 „ 25,5 3 todt; 3 entw. 13. Dec. 33 lh25m 27,8 „ 25,5 2 todt; 4 entw. 20. Dec. 40 11128" 36,7 alle 6 todt 21. Dec. 41 Ih gm 21,1 bis 27,8 1 todt; 5 entw. 23. Dec. 43 lii20>" ■ 28,9 „ 27,8 alle 6 entw. 24. Dec. 44 2ii 4m 22,2 „ 21,1 alle 6 entw. 2. Jan. 52 4 21,1 „ 22,2 alle 6 entw. Eor eilen eier gehen, in Eis eingefroren, nicht leicht zu Grunde, und die Embryonen bleiben sogar am Leben, wenn der Eisklotz, in dem sie festgefroren waren, langsam aufthaut. Dagegen ster- ben die Eier bald ab, wenn sie nur einer massigen Wärme, etwa 12'' C, ausgesetzt werden, und wenn man sie einige Zeit in der Hand hält. Ich habe ebenfalls beim Lachs- und Forellen-Ei [197, 11 eine grosse Empfindlichkeit gegen Temperatur-Erhöhung gefunden, welche die Schimmelbildung begünstigt. Dabei war aber die in- dividuelle Verschiedenheit der Embryonen bezüglich ihrer Resistenz auffallend. Dass im Allgemeinen die Entwicklung des Fischembryo im Ei in kälterem Wasser langsamer, als in wärmerem vor sich geht — freilich innerhalb enger Grenzen — ist, wie Coste (1856) für Fluss- fische zeigte, gewiss; doch liegen nicht viele zuverlässige Zahlen- angaben darüber vor. Nach H. A. Meyer (1883) dauerte die [434 Entwicklung des Seeherings im Ei elf Tage in 10 bis 11° war- mem Wasser, 15 Tage bei 7 bis 8°, und bei niedrigerer Tem- peratur noch länger, wahrscheinlich 40 Tage bei 3 bis 4°. Doch können diese Unterschiede schwerlich einzig und allein auf Tem- peraturdifferenzen bezogen werden. Denn abgesehen davon, dass in keinem Versuch die Wasserwärme constant erhalten werden konnte, schwankte auch der Salzgehalt etwas; und die Dauer der Entwicklung des Herings im Ei, von der Befruchtung desselben bis zum Ausschlüpfen, variirt auch nicht unerheblich bei derselben 346 3Die embryonale Wärmebildung. Temperatur und demselben Salzgehalt. Die kürzeste Entwicklungs- zeit fand Meyer zu 135 Stunden, doch konnte er höhere Tem- peraturen nicht genauer prüfen, weil bei 20 bis 22 '^ schon am dritten Tage Pilzbildung eintrat. Die Entwicklung wurde bis dahin beschleunigt. Erneute "Versuche sind um so wünschenswerther, als Kupffer gefunden hatte, dass die Entwicklung des Herings im Ei innerhalb weiter Grenzen unabhängig vom Salzgehalt und der Temperatur (zwischen 9 und 20*^) sich vollzog (S. 200). Da jedoch der Salz- gehalt in diesen Versuchen bei 9 bis 11° etwa 2°/o7 bei 14 bis 20° nur 0,5 °/q betrug, so kann möglicherweise die beidesfalls gleiche Entwicklungsdauer (von sieben Tagen) und Eeife beim Ausschlüpfen damit zusammenhängen, dass bei niederer Temperatur der höhere, bei höherer der geringere Salzgehalt für die Ernährung des Em- bryo günstiger ist, was einer eingehenden experimentellen Prüfung wohl werth wäre. Auf die Entwicklungsgeschwindigkeit des Eroschembryo ist, wie schon 1822 Gaspard fand, die Temperatur von sehr grossem Einlluss. Baumgärtner beobachtete, dass die kalte Witte- [i97, 26. io rung (zu Anfang April 1829) die Embryobildung erheblich ver- zögerte. Am 29. oder 30. März gelegte Eier zeigten erst am 7. und 8. April Bewegungen des Embryo; geringe Erwärmung hatte eine beschleunigende Wirkung. Bei 12° C. geht die Entwicklung normal vor sich, bei 20 bis 25° ist sie nach Baudrimont und Martin St.-Ange (1847) beschleunigt, bei 30° erlischt sie nach [uo Rauber (1883), wenn nicht eine ganz allmähliche Erwärmung vorherging. In diesem Falle wird eine Temperatur von + 30° C. tagelang, eine solche von 37° und 40° stundenlang ohne Schaden ertragen. Bei 5° steht die Entwicklung still (Rauber). per Genauere Versuche, deren Beschreibung durch Abbildungen sehr anschaulich gemacht sind, stellte 1848 Higginbottom an. [i9o Er fand für den eben abgesetzten Laich von Rana temporaria die Zeit der Entwicklung bedeutend kürzer bei 15^2° als bei 14 Y2" C. Er brachte vier offene Schalen mit Laich am 11. März 1848 in verschieden temperirte Luft: I blieb bei 15,5" C. im Dunkeln; am 20. März schlüpften die Embryonen aus, am 22. Mai war die erste Larve in einen Frosch vollkommen um- gewandelt, viel früher als die bei 14,4'^ C. im Lichte im Zimmer gezüchteten und als die im Freien in Tümpeln sich entwickelnden Exemplare. II blieb bei 13,3° C. im Zimmer; am 20. März lagen die Embryonen mit deutlich erkennbarem Kopf und Schwanz gekrümmt im Ei, am 25. A. Einfluss der äusseren Temperatur auf den Embryo im Ei. 347 schlüpften einige aus, am 18. August waren die ersten in Frösche ver. wandelt. III blieb bei durchschnittlich 11,7" C. im Freien bedeckt, also im Dun. kein; am 20. März waren die Embryonen noch nicht gestreckt, am 31. März schlüpften sie aus, am 28. August war der erste vollkommene Frosch da. IV blieb im finsteren Felsenkeller bei constant 8,9° C. vom 11. März bis 15. Mai, bei 10 bis 12,2" von da bis zum 6. Juli, bei constant 12,8" C. bis zum 31. October; am 31. März schlüpften die Embryonen aus (wie bei III in 2,8° C. wärmeres Wasser). Am 81. October erschien die erste Kaul- quappe vollständig in einen Frosch verwandelt. Die ausserordentliche Empfindlichkeit des Froschembryo und der Froschquappe gegen Temperaturschwankungen wird dadurch besonders deutlich, dass bei diesen Versuchen als völlige Keife bei 15^/2'' im Zimmer erreicht war, die Quappen im Freien bei 11,7° klein und die im Keller von 8,9° noch kleiner waren. Als in letzterem die Temperatur auf 12,8^ stieg, holten sie das Ver- säumte nach. Dass die Finsterniss keine Beschleunigung und keine Verzögerung der Entwicklung im Ei bewirkte, wurde durch be- sondere Versuche erwiesen; eine einmal beobachtete Beschleunigung liess sich auf eine geringe Temperatursteigerung wegen Bedeckung des Gefässes zurückführen. Auch die Embryonen des Wassersalamanders {Triton punctatus, T. cristatju) zeigen eine grosse Empfindlichkeit für Temperatur- schwankungen. Vom Augenblick des Einlegens frischer Eier bis zum Ausschlüpfen ver- gingen 1-1 Tage bei 15,5°, dagegen 21 Tage bei 8,9° und ebensoviel bei 10°; die vorderen Extremitäten erschienen bei 15,5° nach 89 Tagen, bei 10° nach 49 Tagen; bei 8,9° waren sie nach 62 Tagen noch nicht zu sehen. [190 Über die für die Entwicklung der Reptilien -Embryonen er- forderlichen Temperaturen liegen nur sehr wenige Angaben vor. Dass sie je nach der Thierart weit auseinander liegen und selbst bei einer und derselben ihre Eier ausbrütenden Schlange die Con- stanz der Bruttemperatur im Vogelei nicht entfernt erreichen, ist gewiss. In den Tropen sind die Embryonen in den Eiern der Saurier vom Anfang an bis zuletzt wärmer, als in den gemässigten Zonen. Wie hoch diese Eiwärme steigt, hat Valenciennes (1841) [497 ermittelt, indem er ein Thermometer zwischen die Windungen einer grossen in Paris brütenden Schlange [Python bivittatus) auf die Eier legte, ein zweites unter die Flanelldecke brachte, auf welcher diese lagen, und ein drittes daneben in die Luft hing. Während der ganzen Incubationszeit vom 8. Mai bis zum 2. Juli verliess 348 I^iß embryonale Wärmebilclung. die Schlange spiralig zusammengewunden die Eier nicht, und die Temperatur unter ihr, also nahezu die der Eier betrug: vom 1. bis 10. T. 1 vom 11. bis 20. T. 1 vom 21. bis 32. T. 1 vom 33. bis 56. T. 41,5 bis 370 | 35^8 bis 32,5» I 35,7 bis 32,50 | 34,7 bis 280 während die Temperatur unter der Decke zwischen 20,5 und 28,5°, die der umgebenden Luft zwischen 17 und 23*^ auf und ab schwankte. Demnach bilden diese Reptilien bezüglich der für die Ent- wicklung ihrer Embryonen erforderlichen Wärmemengen den Über- gang von den nicht brütenden und bei variabler niederer Tem- peratur sich entwickelnden Amphibien zu den brütenden und nur bei nahezu constanter höherer Temperatur sich entwickelnden Vögeln. Doch vertragen auch die Embryonen dieser grosse Schwankungen, wenn dieselben nicht lange dauern. Harvey beobachtete zuerst (1633), dass das bebrütete [26 Hühnerei, welches gegen Ende des dritten Tages von der Brut- wärme bis auf die Lufttemperatur sich abkühlen konnte, beim erneuten Erwärmen sich weiter entwickelt: Er schreibt: „Wird das Ei längere Zeit kühler Luft ausgesetzt, dann [26 pulsirt das punctum saliens seltener uud bewegt sich träger. Wenn man aber den warmen Finger anlegt oder eine sonstige gelinde Wärme anwendet, erlangt er sogleich seine Kräfte und Leistungsfähigkeit wieder. Ja sogar nachdem das Herz nach ixnd nach erschlafft ist, und voll Blut gar keine Be- wegung macht, kein Lebenszeichen mehr von sich gebend, dem Tode gänz- lich erlegen zu sein scheint, wird nach dem Auflegen meines warmen Fin- gers in dem Zeitraum von 20 meiner Pulsschläge das kleine Herz wieder lebendig und richtet sich auf, und wie durch ein Heimkehrrecht zurückgekehrt vom Tode, nimmt es seinen früheren Tanz wieder auf. Und das wurde auch mittelst einer beliebigen anderen gelinden Wärme, nämlich des Feuers oder lauwarmen Wassers erreicht, so dass es in unsere Macht gegeben ist, nach Belieben die unglückliche Seele dem Tode zu überliefern, oder in's Leben zurückzurufen." Diese Abhängigkeit der wichtigsten embryonalen Function von der Temperatur wurde am vierten Tage beobachtet. Dareste bestätigte und erweiterte über 200 Jahre später [217 die Beobachtung, indem er das Ei zwei Tage lang abgekühlt hielt (bei wieviel Grad ist nicht angegeben), so dass bei den Control- eiern kein Herzschlag mehr zu erkennen war, worauf nach dem Wiedererwärmen das Hühnchen nach 23 statt 21 Tagen aus- schlüpfte. Er beobachtete auch durch die Schalenhaut nach par- tiellem Ablösen der Schale das Herz bei künstlicher Beleuchtung, sah, dass es beim Abkühlen während einiger Tage stillstand und beim Erwärmen weiter schlug und die weitere Entwicklung in A. Einfluss der äusseren Temperatur auf den Embryo im Ei. 349 Grang kam. Nach einer Abkühlungspause von drei oder vier Tagen traten gleichfalls Herzschläge wieder ein, aber keine anhaltenden, und der Tod blieb nach zwei bis drei Tagen nie aus. (Vergl. oben S. 31). Diese Versuche beweisen, dass auch die Embryonen von idiothermen Thieren anabiotisch sind. Wärmeentziehung bewirkt Stillstand der Lebensvorgäüge ohne Tod, da die Wiedererwärmung den Fortgang der Entwicklung zur Folge hat, so dass nur eine Pause und nicht einmal eine morphologische oder physiologische Anomalie nothwendig eintritt. Colasanti sah sogar hartgefrorene Eier, welche während [147 zwei Stunden bis auf — 4*^ und während etwa einer halben Stunde bis auf — 7° und — 10*^ abgekühlt worden waren, im Brütofen sich normal entwickeln. Sie wurden nach achttägiger Bebrütung geöffnet und enthielten normale Embryonen, wie die nicht ab- gekühlten Controleier. Hierbei ist aber wahrscheinlich, dass die entwicklungsfähig gebliebenen Eier im Inneren nicht jene niederen Temperaturen erreichten. Denn ich fand meist, wenn ich frische Eier so lange in einer Kältemischung liegen liess, dass sie im Inneren total festgefroren waren, die Schale gesprengt, offenbar wegen der Volumzunahme des Wassers im Ei beim Festwerden. Liess ich dagegen entwickelte bebrütete Eier aus der letzten In- cubationswoche festfrieren (behufs Anfertigung von Scheiben zum topograpliischen Studium des Embryo), dann blieb die Schale un- versehrt, weil die Luftkammer genügend geräumig war. In Co- lasanti's Versuchen war die Dauer der Abkühlung, etwa zwei Stun- den, eine kurze. Die höchste Temperatur, welche das Hühnerei erträgt, ohne dass der Embryo in ihm abstirbt, wird zu 42" und sogar fälsch- lich zu 45° C. angegeben. Es ist nach meinen Erfahrungen [110 sicher, dass auf die Dauer schon die erstere Temperatur nicht [4i9 vertragen wird, namentlich gegen Ende der Incubationszeit nicht. Ebenso findet nach meinen Beobachtungen bei 37 ° C. keine voll- ständige Entwicklung statt, bei 25 '^ hört die Entwicklung auf (nach ßauber). [367 Die Temperatur von 39*^ ist mir immer als die geeignetste für die ganze Incubationszeit erschienen. Zum Schluss derselben ist sie Heber auf 38^ zu erniedrigen, als zu Anfang, wo auch 40° gut vertragen wird. Wird ein befruchtetes Ei längere Zeit auf 50° C. erwärmt, dann tritt schon eine theilweise Coasulation ein, und es ist [110 350 I^i^ embryonale Wärmebildung. wahrscheinlich, dass überhaupt die schädhche Einwirkung der zu sehr gesteigerten Wärme auf den Embryo zum Theil auf partieller Coagulation von Albuminen beruht. Wird die Brutwärme nur sehr wenig gesteigert, dann kann, wie Dareste entdeckte, eine beschleunigte Entwicklung mit [358 zurückbleibendem Wachsthum, eine Zwergbildung eintreten. Viel- leicht würde eine etwas erhöhte Brutwärme mit Zufuhr reinen Sauerstoffs, statt atmosphärischer Luft, die Incubationszeit ohne Zwergbildung abkürzen, da eine Beschränkung der Sauerstoff- zufuhr zunächst das Wachsthum mehr als die Differenzirung afficirt (vergl. S. 112). [357 Dass eine erhebliche Abkühlung oder Erwärmung der die Yogeleier umgebenden Luft die Entwicklung nicht im G-eringsten stört, wenn sie kurze Zeit dauert und nicht oft sich wiederholt, wird auch durch die Thatsache bewiesen, dass die brütenden Yögel zeitweise das Nest verlassen, auch die besten Bruthennen, und durch gelegentliche Beobachtungen an künstlich bebrüteten Eiern. Ich habe wiederholt den Brütofen sich stundenlang auf 32*^ bis 35*^ abkühlen und sich bis 43° erwärmen lassen ohne Nachtheil für die Embryonen ; Dareste ging einmal bis 20 ". Hierbei [410, ig ist aber zu bedenken, dass das Ei-Innere sich nur äusserst lang- sam abkühlt und erwärmt, so dass die schlechten Wärmeleiter, die Schale, die Schalenhaut, die Luft in der Luftkammer, das Albumen, ebenso sehr die Gefahr schneller Abkühlung, wie die plötzlicher Überwärmung vermindern. Doch ist es rathsam, die in den Brütofen einzulegenden Eier vorher schon etwas zu er- wärmen, um häufige Schwankungen der Brütofentemperatur zu vermeiden. Bei einer Brutwärme von constant SO'' bis SS'' vom Anfang an sah Dareste den Tod des Embryo regelmässig vor dem Be- [419 ginn der Allantoisathmung eintreten. Panum, welcher den Einfluss der Temperaturschwan- [302, n kungen auf die befruchteten Eier prüfte, um diesen wichtigsten Factor bei der Entstehung von Missbildungen näher kennen zu lernen, fand, dass ein allmähliches Sinken der Temperatur eher ein Absterben und Erkranken des Embryo verursacht, als ein rasches Sinken, dass die Temperaturschwankungen in den früheren Perioden besser vertragen werden, als in den späteren und in diesen die Empfindlichkeit gegen ein Steigen der Temperatur be- sonders bemerklich ist, ferner dass überhaupt eine übernormale Temperatur auf den Embryo verderblicher wirkt, als eine unter- A. Einfluss der äusseren Temperatur auf den Embryo im Ei. 351 normale, welche auch länger vertragen wird, endlich dass ein- zelne Ei - Individuen (vielleicht solche mit dickerer Schale?) sich von anderen durch ein grosses Widerstandsvermögen unter- scheiden, indem sie normale Embryonen enthielten unter den- selben Verhältnissen, bei welchen jene erkrankten oder zu Grunde gingen. Mit diesen Sätzen stimmen meine Erfahrungen völlig überein, wie ohne Zweifel die vieler Züchter, welche sich der Brütöfen bedienen. Hingegen ist das von Panum aus seinen Versuchen gefolgerte Überwiegen der Erkrankungen des Embryo über das Absterben desselben nach länger fortgesetztem, aber nicht bedeutendem Sin- ken der Temperatur von Anderen nicht bemerkt worden. Würden zu derartigen Versuchen nicht die voluminösen Hühner- eier, sondern sehr kleine Eier, etwa die des Sperlings oder Zaun- königs verwendet, dann würde wahrscheinlich eine noch grössere Resistenz des Embryo gegen schnelle Änderungen der Brutwärme gefunden werden. Denn wegen der Kleinheit dieser Eier muss sowohl die Abkühlung, wenn der brütende Vogel das Nest ver- lässt, als auch die Erwärmung, wenn er wiederkommt, viel schneller den Embryo afficiren, als beim grossen Ei, folglich derselbe häu- figer schnellen und nicht unerheblichen Wechsel besser vertragen müssen. Um den Einfluss der äusseren Temperatur auf den Säugethier- fötus zu ermitteln, ist eine Änderung der mütterlichen Eigenwärme nothwendig. Wenn auch im Allgemeinen eine Abnahme der Fötuswärme bei Abnahme der mütterlichen Blutwärme, eine Zunahme der er- steren bei Zunahme' der letzteren sich erwarten lässt, so ist es doch von grossem Interesse zu wissen, inwieweit diese Ab- und Zunahme der Embryowärme von der der Uterusblutwärme abhängt, im Besonderen wie schnell sie erfolgt, welche Grrenzen nach oben und unten nicht überschritten werden dürfen, ohne das Leben der Erucht zu gefährden und ob überhaupt selbst geringe Erhöhung und Erniedrigung der Muttertemperatur dauernd vom Eötus er- tragen wird. Diese Fragen sind trotz ihrer praktischen Wichtigkeit nicht oft Gegenstand der Untersuchung gewesen. M. Runge hat die [385 Wirkung gesteigerter Temperatur untersucht und ich stellte eben- falls eine Anzahl Versuche darüber an; über die Wirkung der 352 Die embryonale Wärmebildung. Abkühlung des Miitterthieres auf den lebenden Fötus habe ich gleichfalls experinaentirt. Schon Hohl hatte 1883 gefunden, dass die fötale Herz- [62 frequenz bei Erhöhung der mütterlichen Temperatur steigt, [498 bei Abnahme derselben fällt; ebenso Y. Hüter, Winckler und [i32 Fiedler (bei Abdominaltyphus). Besonders Kaminski [nach sss stellte diese Abhängigkeit fest. Er fand, dass die Temperatur Hoch- schwangerer während einer Typhus- und Recurrensfieber-Epidemie von Einfluss auf die Früchte war, indem diese, sowie etwa 40" erreicht wurde, nicht nur eine enorm gesteigerte Herzfrequenz, sondern auch sehr oft wiederholte Bewegungen zeigten. Erreichte die Mutter 42 bis 42,5" und blieb diese Temperatur eine Zeitlang bestehen, so starb das Kind. Für dasselbe waren schon 40" der Mutter lebensgefährlich. Treffend bemerkt dazu Runge, dass wegen der für den Fötus im Uterus bestehenden Unmöglichkeit sich ab- zukühlen, dessen Tod durch Wärmestauung bei hohen Temperaturen der Mutter eintreten müsse, während diese am Leben bleibt. Das Fruchtwasser ist selbst mindestens so warm wie das Blut der Uterusgefässe. Wenn also der Fötus Wärme producirt, was weiter unten bewiesen werden wird, dann muss allein schon wegen be- hinderter, oder sehr erschwerter Wärmeabgabe seine Eigenwärme steigen und diese Steigerung kann leicht die des umgebenden schon überwarmen mütterlichen Blutes übertreffen und den Tod im Uterus herbeiführen. Aus Runge's Versuchen, bei denen trächtige Kaninchen (in einem Kasten in warmer Luft) künstlich erwärmt wurden, [sss ergibt sich, dass , selbst zwei Stunden lang anhaltende Vaginal- temperaturen von 39,8 bis 41 " vom Fötus gut vertragen werden, dagegen solche von 42,4 bis 42,6 wenn sie nur eine halbe Stunde anhielten, tödtlich waren. Doch wurden bei einer Vaginal- temperatur von 41,3 bis 420 nach 9 Min. von 5 Jungen 2 lebend 41,6%, 41,80 „ 20 „ „5 „ 2 „ 41,5 „ 42,3 „ 21 „ „ 5 ,, 3 „ gefunden. Aber diese sieben Jungen starben, nachdem sie einige Athembewegungen gemacht oder auf Reflexreize mit Zuckungen geantwortet hatten. Für Kaninchen muss also bei Erwärmung in heisser Luft die dem Fötus lebensgefährliche Temperatur der Mutter schon zwischen 41 " und 42 " liegen, wenn sie zehn Minuten übersteigt. Mit zunehmendem Alter scheint die Resistenz der Embryonen gegen die höhere Temperatur etwas zuzunehmen, doch ist die Zahl A, Einfluss der äusseren Temperatur auf den Embryo im Ei. 353 der Experimente noch nicht gross genug diese Zunahme zu be- weisen. Überhaupt werden künftige Versuche nicht allein verschiedene Thierarten, sondern auch verschiedene Arten der Erwärmung zu prüfen haben. Die Erwärmung der eingeathmeten und den Körper des Mutterthieres umgebenden Luft ist zur Erzielung schneller Überwärmung des Eötus wenig geeignet. Die Untersuchung träch- tiger Thiere im Bade, dessen Temperatur continuirlich zunimmt, führt rascher und ohne die Complicationen des sogenannten „Hitz- schlags" zum Ziel. Am 24. Juli 1883 brachte ich ein trächtiges Meerschweinchen in ein Bad von 0,6-proc. Kochsalzlösung. Die Temperatur des Bades stieg von 37,6 bis 44,20 binnen 13 Minuten, die des Mutterthieres — im Eectum gemessen — in derselben Zeit von 37,5 bis 40,9°, welch letztere Temperatur 11 'MB*" er- reicht wurde. Ich beobachtete dann M utterhier Uhr Wasser im Rectum Bemerkungen - 41,0° - 45,8° 41,3 starke anhaltende Fruchtbewegungen: das Wasser wird daher nicht weiter erwärmt. — 20 V2 — 41,8 Fötus I excidirt 42,2 im Rectum; er athmet, Herz schlägt kräftig, Reflexe lebhaft. — 28 42,5 42,5 Fötus I im Wasser mit dem Kopf in der Luft 42,2. — 31 42,1 42,6 — — 34 41,8 42,4 Fötus II excidirt ganz unter Wasser: zeigt 42,2 im Rectum, lebt. — 40 — 42,0 Fötus III excidirt; ebenso; 41,6 im Rectum. Die drei Früchte lebten noch mit kräftigem Herzschlage, häufigen In- spirationen und Reflexbewegungen etwa 10 Minuten, waren aber zu unreif, um dauernd erhalten zu werden. Sie wogen nur 46; 49,5 und 51 Grm. Bei diesem Versuche haben also drei Früchte noch eine Tem- peratur von 41,6 bis 42,2° gehabt, nachdem sie ganz aus dem Uterus und Amnion herausgeschält worden; zwei davon ertrugen eine mütterliche Temperatur von 41,0 bis 42,4 eine volle Viertel- stunde im Uterus. Fötus I ertrug mit dem Kopf zeitweihg in der Luft 19^/3 Minuten lang die Wasserwärme von 45 bis 41 '^ (ab- nehmend) und war den grössten Theil der Zeit ganz unter Wasser in Verbindung mit der Placenta wie Fötus IL Frey er, Physiologie des Embryo. 23 354 Die embryonale Wärmebildung. Somit ist die Resistenz gegen abnorm hohe Temperaturen bei diesen unreifen Früchten sehr gross. Am 26. Juli 1883 wurde ein hoehträchtiges Meerschweinchen im Bade wie oben gefesselt und einem Fötus ein Thermometer in das Rectum tief eingeführt. Wasser- Rectum d. Fötus I (im Wasser mit hellrother Uhr temperatur Mutterth. im Rectum Nabelvene). B^ÖS-^ 38,1" 37,0° — 4h 2^ 41,0 — 38,8° — 3-" — — 39,1 — 5 — 39,3 40,3 bewegt sich. — 7 — 9 — 11 41,0 43 43,2 39,5 40,1 40,7 41,2 42,5 43,0 reagirt lebhaft und ' schnell auf schwache Hautreize. -14 43,2 41,2 43,7 — 15 — 41,5 44,0 Fötus bewegt sich. — 16 — — 44,0 Mutterthier sehr unruhig, inspirirt Wasser. — 17 43,5 42,5 — — — 18 — — 43,4 — — 20 42,8 42,7 43,2 Fötus bewegt sich. Als jetzt Fötus I, den ich bis dahin ununterbrochen in der Hand unter Wasser gehalten hatte, abgenabelt und an die Luft gebracht wurde, starb er 4'^25™ mit 41° Eigentemperatur. Fötus II war vom Anfang an im uneröffneten prolabirten Uterus im Wasser geblieben, wurde 4^^2272™ befreit, athmete und bewegte die GHeder wie ein normales Thier von derselben Entwicklungsphase; Fötus III ebenso 4''23™ excidirt. Fötus IV und V waren im Uterus in der Bauchhöhle belassen worden. Nach der Excision 4'^26™ athmeten und bewegten sich beide lebhaft. Die fünf Früchte wogen zusammen 222 Grm. ohne die Placenten, jedes also durchschnittlich 44 bis 45 Grm. Sie waren somit noch sehr weit von der Reife entfernt und hätten nicht am Leben bleiben können. Nichtsdestoweniger wurden folgende Temperaturen ertragen: Fötus I ertrug nur halb (und zwar vorn) mit den Eihäuten und dem Uterus bedeckt, aber im Zusammenhang mit der Placenta und mit hellrother Nabelvene apnoisch, eine innerhalb 40,5 und 43,5 schwankende Wasserwärme 18 Minuten lang ohne Athemnoth. Er blieb natürlich gefärbt, bewegte die Extremitäten und erreichte eine Eigentemperatur von 44 ", ohne während der darauffolgenden Minuten bewegungslos zu werden. Er starb erst an der Luft nach jähem Temperaturwechsel. Fötus II und III ertrugen im uneröffneten Uterus von Wasser um- geben 20 Minuten lang die Temperatur 40,5 bis 48,5 und athmeten kräftig, sich lebhaft bewegend an der Luft nach dem Biossiegen. Fötus IV und V ertrugen im Uterus in dem Mutterthier 17 Minuten lang die mütterhche Temperatur von 40,1 bis 42,7, sogar zwölf Minuten lang 41,2 bis 42,7. A. Einfluss der äusseren Temperatur auf den Embryo im Ei. 355 Dass Fötus I von warmem Wasser umgeben die enorme ßectaltemperatur von 43 bis 44 ** volle neun Minuten lang ertrug, sich dabei nur etwas leb- hafter bewegend als Früchte im normal temperirten Fruchtwasser, ist sehr beachtenswerth. Diese Temperaturen sind völlig genau. Die drei Thermo- meter wichen iim weniger als 0,1 ° von einander ab. Die Badewärme variirte jedoch und war an anderen Stellen höher als die angegebene. Es kann daher nicht behauptet werden, dass das Wasser gerade in der ganzen nächsten Umgebung des Fötus I die angegebenen G-rade zeigte. Soviel folgt aber aus diesen Beobachtungen mit Sicherheit, dass der unreife Meerschweinchenfötus von 40 bis 50 Gramm Körpergewicht im Uterus in dem Mutterthier, im Uterus in warmem Wasser, vom Uterus halb befreit in warmem Wasser bei erhaltener Placentarcirculation Eigentemperaturen von mehr als 42 ° erreichen und wenigstens zehn ]\Iinuten lang ertragen kann, ohne dass die Herzthätigkeit, die Beweglichkeit der Glieder und das Vermögen nachher an der Luft Inspirationen zu machen erheblich vermindert erschiene im Vergleiche zu normalen Früchten desselben Ent- wicklungsgrades. In einem Falle einer Steigerung der mütterlichen Temperatur von 40*^ auf 43,5*^ binnen vier Stunden beim Menschen, wo der Kaiserschnitt unmittelbar nach dem letzten Athemzuge gemacht wurde, war das ausgetragene Kind todt. Wäre die Operation etwas früher ausgeführt worden, dann hätte es vielleicht erhalten bleiben können. [386 Wie schnell die Abnahme der Fötuswärme bei Abkühlung der Mutter eintritt, beweisen meine Versuche am Meerschweinchen, bei denen ich durch Festbinden des Mutterthieres mittelst vier Fäden (an jeder Extremität einen), deren Eigenwärme herabdrückte und zugleich die beim Menschen zu fötalen Temperaturmessungen vorzüglich geeignete Steisslage künstlich herbeiführte, indem vom Fötus nur der Steiss oder nur dieser und ein Hinterbein durch eine kleine Öffnung in der Bauch wand, Uteruswand und in den Eihäuten blossgelegt wurde (wie bei dem letztbeschriebenen Versuch). Am 17. Jan. 1880 führte ich so bei einer hochträchtigen Cavie ein Thermometer in den durch einen Schnitt etwas erweiterten Anus des Fötus. Um 2"^ 51™ wurde das Mutterthier in der Eückenlage festgebunden, wodurch die Eigenwärme schnell abnahm. 2*^56°' Mutter 37,5«. Luft 10°. — 59 Linkes Hinterbein des Fötus blossgelegt und Thermometer ein- geführt. Heftige Bewegungen des Fötus. Dann 23* 356 Die embryonale Wärmebildung. Uhr Mutter Frucht gh 2-" 36,4° 37,4° Das Bein wird bewegt — 6-" 36,5 37,1 Mutter höchst unruhig _ rjm 36,4 37,1 „ wieder ruhig — 8"" 37,0 — 10"^ 36,9 Die isolirte fötale Ex. — 12'" V 36,8 tremität wird nicht mehr — IS-" 35,8 36,7 bewegt. — 14'" 35 ,8 36,6 3^^ 15"' Fötus durch die Bauch wunde völlig extrahirt. Er beginnt sogleich lebhaft Luft zu athmen bei erhaltener Placentarcirculation und auf dem Mutter- thier liegend; bei einer constanten Lufttemperatur von 10° zeigt im Eectum der Fötus um 3'' 15"' 35,9° "^ während der ganzen Zeit Bewegungen der — 18™ 34,9 ) Extremitäten und Luftathmen. — 20™ wird der Fötus abgenabelt und zeigt 34,5. Nach plötzlichen heftigen Bewegungen der Mutter prolabiren deren Gedärme, worauf eine weitere Abkühlung eintritt. 3^25™ Fötus I in Watte 30,2° bleibt am Leben. — 34™ Fötus II wird mit dem Kopf in die Öffnung gebracht, Uterus und Amnion werden aufgeschlitzt, jedoch nur gerade über der Mund- und Nasen- Öffnung. Es treten Athembewegungen nach etwa fünf Secunden ein, nach Kneifen der Lippen. Dann wird das Thermometer in die Mundhöhle eingeführt: 3^36™. 3 ''38"' Mundhöhlentempei-atur des Fötus im Uterus über 33,0°, kann wegen der Unruhe des Thieres nicht mehr gemessen werden. 3'' 42"' Mutter im Eectum 33,2°. — 43™ Fötus II extrahirt. Nabelvene voll und arteriellroth. — 50™ Abgenabelt. Fötus II bleibt am Leben. 411 4 m jyjutter im Rectum 30,7° abnehmend. Es wurde noch ein Fötus III extrahirt, welcher aber bereits intrauterin abgestorben war. Er wog 82 Glrm., die beiden lebenden zusammen 173 G-rm. Die Messungen am ersten Fötus zeigen, dass bei schneller Ab- kühlung der Mutter die Frucht nicht so schnell, dagegen nach der Extraction rapide — in fünf Minuten um 1,4'' — sich abkühlt. Das wirksamste und zugleich das bequemste Mittel in kür- zester Zeit die Körpertemperatur ohne Nachtheil für Mutter und Frucht herabzusetzen ist, wie ich nach vielen Versuchen mit kal- ten Bädern, mit Äther, mit kalter Luft, kaltem Luftzug, Über- giessen mit kaltem Wasser, Festbinden auf kaltes Metall, Auflegen auf Schnee, gefunden habe, das Zerstäuben des Wassers, wie es seit Lister in der Chirurgie im Spray zu anderen Zwecken an- gewendet wird. Während bei der gewöhnlichen Behandlung Fieber- kranker durch Vollbäder mittelst Leitung allein dem überwarmen Körper Wärme entzogen wird, wobei eine dauernde Herabsetzung der Körpertemperatur nur nach mehrfacher Wiederholung des A. Einfluss der äusseren Temperatur auf den Embryo im Ei. 357 Bades erzielt werden kann, ist durch einen einmaligen kurzen Aufenthalt (5 bis 15 Mnuten) im Sprühnebel eine Stunden lang anhaltende sehr bedeutende Abkühlung leicht zu erzielen, weil ausser der Wärme - Entziehung durch Leitung die durch Ver- dunstung des Thaues auf der Oberfläche abkühlend wirkt. Das- selbe geschieht bei derjenigen rapiden Wärme-Entziehung, die bei Regulirung der Körperwärme des Gesunden regelmässig eintritt, wenn er schwitzt. [509 Ich habe eine grosse Zahl von Experimenten an männlichen Meerschweinchen ausgeführt, welche die Wirksamkeit des neuen Verfahrens beweisen und es wünschenswerth erscheinen lassen, bei grösseren Thieren und Menschen ähnliche Versuche anzustellen. Bei manchen Fiebernden "wird ohne Zweifel die Abkühlung mit- telst des Spray mit Erfolg angewendet werden können und auch local bei Entzündungen kalte Umschläge ersetzen. Hier seien einige Versuche an trächtigen Thieren als Beispiele beschrieben. Am 17. Januar 1884 wurde ein liochträchtiges Meerschweinchen an den vier Füssen auf kaltes Zinkblech festgebunden. Luft 15,6° C. Um 9 Uhr 16 Min.: Eectum 37,9. Hierauf Spray von kaltem Wasser mit Anblasen etwa fünf Minuten lang. 9 Uhr 22 Min. Fruchtbewegungeu. Eectum 35,5 34,4 38,1 32,4° Uhr 9.27 9.31 9.39 9.44 Während der Zeit grosse Unruhe , Greschrei , aber dann und wann Frucht- bewegungen. Um 9.50 extrahirte ich einen Fötus, der sich sogleich bewegte und schrie, obgleich er nur 32,1 im Eectum zeigte. In Wasser von nahezu 40° getaucht, erwärmte sich derselbe schnell: 9.55 bis 33,3 und 9.56 bis 34,5, dann 9.57 bis 35,0. Um 9.56 wurde ein zweiter Fötus extrahirt mit nur 30,1 Eectum -Temperatur. Dieser starb an einer zufälligen Verletzung. Ge- wicht beider Früchte zusammen 128 Grm; Mutterthier 10.2 nur 29,0 0 und 10.7 nur 28,3«. Dieser Versuch zeigt, dass eine Abnahme der Temperatur des Fötus im Uterus von der ISTorm bis 32^, also um mehr als 6'' innerhalb einer halben Stunde gut vertragen mrd und im war- men Bade seine Temperatur binnen weniger Minuten um mehrere Grade steigt. Am 29. Januar 1884 wurde ein hochträchtiges Meerschweinchen frei auf wasserdichten Stoff auf dem Tisch bei 13° Lufttemperatur dem Spray von 7^2° warmem Wasser sechs Minuten lang ausgesetzt, von 10 Uhr 6 Min bis 10 Uhr -12 Min. Eectum 38,6 37,4 >i' 35,2 y 33,9° Uhr 10.6 10.15 10.37 11.10 In dieser Zeit häufiges Zittern und dann und wann Fruchtbewegungen. Um 11 Uhr 15 Min. abgerieben in warme Luft gebracht. 2 Uhr 50 Min. Vagina 358 Die embryonale Wärmebildung. 36,5, Fruchtbewegungen. Da aber diese nachliessen und dann aufhörten, so öffiiete ich 3 Uhr 5 Min. die Bauchhöhle. Es wurden drei Früchte, zu- sammen 125 Grm. wiegend, extrahirt. Alle drei lebten. Eine starb jedoch bald. Temperatur der anderen in der Luft circa 35,5. Aus diesem Versuch folgt, dass die Früchte eine Abnahme von 4,7 *' des sie ernährenden Blutes innerhalb einer Stunde ver- tragen. In einem anderen Falle dauerte der Spray von 8 72*^ warmem Wasser sieben Minuten, die mütterliche Temperatur sank auf 35,3^ in einer Stunde und doch blieben die drei kleinen Früchte am Leben. Nach zahlreichen ähnlichen Beobachtungen an männhchen Meerschweinchen muss ich diese neue Anwendung des Sprüh- Nebels als die sicherste zur schnellen und gefahrlosen Herab- setzung der Körpertemperatur bezeichnen und würde selbst bei fiebernden hochschwangeren Frauen diese bequeme und angenehme Methode dem lästigen Vollbade unbedenklich vorziehen. Für den Embryo folgt aus der Gesammtheit obiger Erfah- rungen über den Einfluss der äusseren Temperatur, dass kein Embryo einen Wärme-regulirenden Mechanismus besitzt, ein sol- cher vielmehr erst nach der Geburt bei idiothermen Thieren zu Stande kommt. Andernfalls könnte sich der Embryo der letzteren nicht so schnell abkühlen und erwärmen wie es der Fall ist. Die Embryonen der Säugethiere und Vögel gleichen also in dieser Beziehung den Amphibien. B. Die fötale Eigenwärme. Den Beweis für die Wärmeproduction des Vogelembryo im Ei und des Säugethierfötus im Uterus lieferte zuerst durch sorg- fältige thermometrische Beobachtungen Felix von Baerensprung [i67 1851. Die Ergebnisse seiner werthvollen Untersuchungen habe ich im folgenden auf Centesimalgrade umgerechnet. Die Wärme des bebrüteten Hühnereies. Um die Innentemperatur bebrüteter Hühnereier zu messen, wurde die Kugel des sehr empfindlichen Thermometers, welches zur Controlirung des Brütofens diente, innerhalb des letzteren durch die Schale des Eies gestossen und bis in die Mitte des Dotters geführt. Es wurde gefunden: [i67 Temperatur Incubationstag des Brütraums des Eies DifF. 3 39,25 . . . 39,18 . - 0,07 3 38,87 . . . 38,94 . + 0,07 4 39,00 . . . 39,00 . ± 0,00 4 38,44 . . . 38,25 . - 0,19 [88,31] 5 38,75 . . . i38,25i . -0,47 (38,25) 5 39,62 . . . 39,87 . - 0,25 5 38,37 . . . 38,87 . + 0,50 6 38,50 . . . 38,87 . 4- 0,27 6 39,56 . . . 39,87 . — 0,19 7 39,37 . . . 89,37 . + 0,00 Demnach war die Eitemperatur höher als die des Brütraums in 3 Fällen gleich der „ „ „ 2 „ niedriger als die des „ „ 5 „ aber der Embryo war noch klein im Verhältniss zum Ei. 360 Die embryonale Wärmebildung. Ferner ist die Temperatur des bebrüteten Eies auch für den- selben Tag nicht constant, denn sie variirte am dritten Tage um 0,24*^, am vierten um 0,75, am fünften um 1,12 und am sechsten um 0,50°. Es zeigt sich hingegen deutlich, dass die Eitemperatur von der des Brütofens auch innerhalb der engen Grenzen 88,37 und 39,62 abhängig ist, denn man hat bei einer durchschnitt- lichen Brütofentemperatur die Eitemperatur im Mittel. 39,50 (39,62 bis 39,37) . . . 39,37 (dreimal) 89,00 (39,25 „ 38,75) . . . 38,87 (39,18 bis 38,31) 38,44 (38,50 „ 38,37) . . . 38,62 (38,87 „ 38,25) also die höhere Eitemperatur bei grösserer Ofenwärme. Aus dieser ganzen Yersuchsreihe ergibt sich wegen der un- vermeidlichen Schwankungen der Temperatur des Brütofens wäh- rend der Messungen nichts in Betreff der AVärmeproduction des noch sehr kleinen Embryo. Um diese zu constatiren, wurde deshalb die Temperatur der sich entwickelnden Eier mit der todter verglichen. Es wurden elf von jeder Art zugleich in dem Brütofen gemessen, indem [ler der Keim vorher durch Schütteln bei den elf Controleiern getödtet worden war. Es ergab sich Ci67 Temperaturen DiflPerenz zw. 3ationst ag des Ofens des todt. Eies des leb. Eies todt. u. leb. Ei 3 39,25 39,31 89,50 + 0,19 4 38,12 38,50 38,62 + 0,12 5 38,12 37,94 88,19 + 0,25 5 39,25 39,37 89,62 + 0,25 6 38,50 87,94 88,31 + 0,37 7 35,37 86,62 87,12 + 0,50 7 88,00 38,06 38,37 + 0,31 8 38,56 38,25 38,94 + 0,69 8 37,94 37,87 38,18 + 0,31 10 38,00 87,75 38,25 + 0,50 10 88,12 37,94 88,12 + 0,18 Es war demnach in allen Eällen das sich entwickelnde Ei wärmer als das todte. Der Unterschied beträgt im Mittel 0,33 ^ {0,12 bis 0,69). Ausserdem zeigt diese Versuchsreihe, dass in neun Fällen das lebende Ei wärmer als seine Umgebung war, in nur einem Falle gleich warm und in einem weniger warm, während das todte Ei B. Die fötale Eigenwärme. 361 sechsmal kälter ( — ), fünfmal wärmer ( + ) als der Brütofen ge- funden wurde, wie folgende Übersicht zeigt: das lebende Ei : +0,25 1 +0,50 1 +0,06 1 +0,37 I —0,18 1 +1,75 1 +0,37 1 +0,25 1 +0,25 1 +0,25 I 0,00 das todte Ei : +0,06 | +0,37 | —0,18 1 +0,12 | —0,56 | +1,25 [ +0,03 | —0,44 | —0,06 | —0,25 j —0,18 Incubationstag 3|4|5|5J6|7|7|8|8|lo|lO Es scheint hiernach das bebrütete Ei in den ersten Tagen sich weniger vom todten in seiner Temperatur zu unterscheiden, als in den späteren vom siebenten an. Mit dem Wachsthum des Embryo nimmt seine Wärmeproduction zu. Dass der Yogelembrj^o überhaupt eine Eigenwärme besitzt oder dass während der Entwicklung desselben Wärme erzeugt wird, ist zwar durch obige Messungen nicht bewiesen, aber sehr wahr- scheinlich gemacht. Noch zwei Belege dafür. [le? In einem EaUe sank die Temperatur des Brütofens auf 33,62, die des todten Eies auf 33,87, die des sich entwickelnden aber nur auf 34,87. Der Bebrütungstag war der vierte. Hier betrug die Differenz 1,00, was beweist, dass die embryonische Lebens- thätigkeit die Abkühlung verzögert. In der That pulsirte noch das Herz des Embryo lebhaft. In dem anderen Falle war die Temperatur des Brütofens be- deutend tiefer gefallen, so dass die entwickelten Eier leblos waren. Es ergab sich Temperaturen Dation stag des Ofens des todt. Eies des entw. Eies Differenz 10 — — 28,00 + 0,50 10 21,62 f22,50 122,37 22,94 + 0,44 5 22,75 + 0,38 5 — — 22,75 + 0,38 5 — — 22,75 + 0,38 Die entwickelten Eier hatten also nach dem Erlöschen der Lebensthätigkeit eine höhere Temperatur bewahrt. Es wäre wichtig ähnliche Messungen an Eiern der späteren Incubationstage auszuführen. Aus den bisjetzt vorliegenden Messungen lässt sich nur für den dritten bis zehnten Bebrütungstag eine geringe Wärme- production des Hühnerembryo als wahrscheinlich ableiten, welche theils auf die Herzarbeit, die Bewegungen der Extremitäten, die Amnioncontractionen, theils auf die Reibung des Blutes an denGefäss- wandungen, in letzter Instanz auf Oxydationen mittelst des der umgebenden Luft entnommenen Sauerstoffs zu beziehen sein wird. Dass die so gebildeten Wärmemengen gegen Ende der Bebrütung 362 I^iß embryonale Wävmebildung. viel grösser als in der ersten Zeit sein müssen, folgt schon aus einer von mir oft gemachten Beobachtung. In späteren Entwick- lungsstadien fühlen sich nämlich die entwickelten Eier mit lebenden Embryonen schon in der Hand etwas wärmer an, als die unent- wickelten oder die, in denen der Embryo seit längerer Zeit ab- gestorben ist. Die Wärme des Säugethier-Fötus. Um zu ermitteln , ob die Frucht im Uterus wärmer, als das Mutterthier ist, wurde von Baerensprung das Thermometer durch eine kleine Öffnung in die Bauchhöhle bis an das Zwerchfell [le? eingeführt, hierauf in das Becken, sodann nach Öffnung des Uterus in diesen und in zwei Fällen auch noch in die Bauchhöhle des Fötus. Bei sieben Kaninchen ergab sich (in Centigrade um- gerechnet): Zustand Bauchhöhle Beckenhöhle Uterus Fötus 1. nicht trächtig 38,75 0 38,37° 38,50" - 2. nicht trächtig 88,50 38,37 38,37 — 3. seit etwa 8 Tagen trächtig 39,56 39,62 — — 4. trächtig 38,87 39,12 39,19 — 5. hochträchtig 39,25 39,37 39,50 — 6. hochträchtig 39,25 39,37 39,69 39,69» 7. hochträchtig 38,94 39,44 39,37 — Eine nicht trächtige Dachshündin hatte in der Bauchhöhle 38,75, in der Beckenhöhle 38,62, eine trächtige Schäferhündin in jener 38,62, in dieser 38,87, im Uterus 39,06; der Fötus zeigte ebensoviel. Bei den nicht - trächtigen Thieren ist also die Bauchhöhle wärmer, als der Uterus gefunden worden, bei den trächtigen da- gegen der Uterus mit Fötus wärmer als die Bauchhöhle, woraus folgt, dass erster er eine Wärmequelle enthält. Dasselbe wird durch die von mir gefundene Thatsache wahrscheinlich gemacht, dass der Fötus im Uterus bei schneller Abnahme der mütterlichen Eigenwärme sich nicht so schnell wie die Mutter abkühlt. Auf die Art der Abkühlung kommt in dieser Hinsicht wenig an. Festbinden, Benetzung mit Äther, Eintauchen in Wasser, der Spray wirken in demselben Sinne. Am 14. Januar 1884 wurde ein hochträchtiges Meerschweinchen auf dem Rücken an der Luft festgebunden. Uterusbauchschnitt; ein Thermometer in das Rectum des Fötus und ein zweites in das dos Mutterthieres eingeführt. B. Die fötale Eigenwärme. 363 Von den in ein bis zwei Minuten langen Intervallen vorgenommenen Ab- lesungen sind folgende bemerkenswerth. Der Pfeil j bedeutet zunehmend, Bemerkungen Die Benetzung des Halses und der Brust mit Äther beginnt 9.22. Das Mutterthier zittert. Haare mit kleinen Eisnadeln besetzt. Zittern. Das Thier wird etwas unruhig. Die Ätherbenetzungbeendigt. Übergiessung mit Wasser von 40°. Warmes Bad von 42 '^ Der Fötus wird im Bade extrahirt, schreit vmd bleibt am Leben. Placenta sehr dunkel. Es wurden dann noch zwei asphyktische Früchte extrahirt, die beide bald zum Athmen gebracht wurden. Gewicht der drei zusammen 208,3 Grm. Dasselbe zeigten mir andere ähnliche Beobachtungen, bei denen sich herausstellte, dass der Temperaturunterschied zwischen Mutter und Frucht öfters erheblich zunimmt, während die mütter- liche Temperatur schnell abnimmt, z. B. Am 16. Januar 1884 wurde ein trächtiges Meerschweinchen durch Fest- binden auf kaltes Metall in Luft von 12,2** abgekühlt. Uterusbauchschnitt. Einen Fötus-After blosgelegt; zwei Thermometer wie oben. Fötus: 37,7 37,50 37,36 37,23 37,15 36,92 36,65 Mutter: — 36,61 36,23 36,08 35,97 35,77 34,40 Diflf.: — 0,89 1,13 1,15 1,18 1,15 2,2 Uhr 9.2 9.7 9.9 9.10 9.11 9.13 9.17 Das Thier zitterte fast ununterbrochen und wurde nun über eine Minute lang in kaltes Wasser (7,8 '') getaucht. Jetzt trat eine plötzliche Abkühlung des Fötus ein: Y abnehmend wie bisher. Rectum Rectum Uhr d. Mutter d. Fötus 9. 8 36,6 — 9.11 36,1 36,2 9.16 36,0 36,0 9.21 35,8 35,9 9.25 35,7 35,7 9.30 34,8 35,4 9.33 34,3 35,2 9.36 33,9 34,9 ■ 9.47 32,3 33,9 9.50 31,5 33,5 1 9.52 31,3 32,7 9.55 31,1 32,2 9.58 30,9 — 9.59 31,0 32,2 10. 1 31,3 t 32,4 1 10. 4 34,4! Fötus : 34,17 33,81 33,33 33,25 32,93 32,58 Mutter: 33,28 32,90 32,32 31,85 31,54 31,40 Diff.: 0,89 0,91 1,01 1,40 1,39 1,18 Uhr: 9,25 9.27 9.28 9.29 9.31 9.33 Nun wurde das nasse zitternde Thier in ein Bad von 35,2'* gebracht, dessen Temperatur allmählich stieg. Der Fötus zeigte 9 Uhr 36 Min. 31,9 364 Die embryonale Wärmebilduug. und wurde 9 Uhr 41 Min. extrahirt. Er hatte dann 33,1, das Bad 36,6. Die Nabelvene war heller als die Arterien. Der Fötus wurde ebenso wie ein anderer 9 Uhr 50 Min. extrahirter zum Schreien und fortgesetzten Athmen gebracht, aber beide Früchte, zusammen 157 Grm. wiegend, blieben nicht am Leben. Immerhin beweist der Versuch, dass ein Fötus in 37 ]\Iinuten um 5,8^ im Uterus abnehmen kann ohne zu sterben und dabei mit wachsender Abkühlung der Mutter der Fötus sich langsamer abkühlt. Der Unterschied zwischen Mutterthier und Fötus kann also bis über einen Centesimalgrad steigen, wenn durch Fesselung die Eigenwärme des ersteren rasch herabgedrückt wird, aber dann sinkt stetig auch die Analtemperatur der Frucht. Eine trächtige Cavie, die (am 16. Januar 1880) festgebunden wurde, um3^38"\ zeigte 3^43^^ noch 37,4 als Maximum, 3^^ 56^" nur noch 35,6, zu- gleich aber der allein mit dem Hinterende des Körpers exponirte Fötus 36,1, somit einen halben Grad mehr als das Rectum der Mutter, wobei ich in beiden Fällen das dünne Thermometer soweit einführte, als ohne Verletzungen möglich war. Der fötale After wurde durch einen kleinen Einschnitt erweitert, welcher jedoch Controlversuchen zufolge den grossen Temperaturunterschied nicht verursachen konnte. Bei den Bemühungen von Cohnstein [220 dagegen auf thermoelektrischem Wege bei trächtigen Kaninchen durch Einstechen in den Uterus die höhere Temperatur desselben im Vergleich zur Vagina nachzuweisen, zeigte sich, dass allerdings die Verletzung an sich eine geringe temperatursteigernde Wirkung hatte. Doch geht aus den Messungen am Spiegelgalvanometer hervor, dass regelmässig der trächtige Uterus wärmer als der unträchtige ist. Ersterer wurde erheblich wärmer als die Scheide gefunden, letzterer nicht. Die -Wärme des meuschlichen Fötus, Über die Temperaturen eben geborener, unreifer Missgeburten und frühgeborener vor Abkühlung geschützter Kinder sind mir keine zuverlässigen Angaben bekannt. Die Temperatur reifer Neu- geborener, welche gleich nach der Geburt, so schnell es irgend geschehen konnte, in ein warmes Tuch eingeschlagen wurden, und denen das Thermometer etwa zwei Zoll tief in den After geschoben ward, ergaben Baerensprung und Veit sechsmal eine etwas [ic7 höhere, viermal eine gleiche und sechsmal eine etwas niedrigere B. Die fötale Eigenwärme. 365 Temperatur für das Kind verglichen mit der Temperatur der Scheide der Mutter vor der Entbindung. Nach derselben wurde das Thermometer bis in den Uterus eingeführt. Vergleicht man die Temperatur des Ebengeborenen mit dieser Uterustemperatur unmittelbar nach der Geburt, so ergibt sich aus den Zahlen der genannten Beobachter zwölfmal eine höhere Temperatur für das Kind trotz seiner schnellen Abkühlung, nur einmal kein Unter- schied und nur zweimal ein Minus. Alle Differenzen zwischen Mutter und Kind sind übrigens so klein, dass man aus dieser Versuchsreihe nur folgern darf, die Eigenwärme des eben geborenen Kindes sei meist nur eben höher, als die des Uterus unmittelbar nach der Entbindung. Eür die Temperatur des Ungeborenen folgt hieraus allein noch nicht, dass er höher temperirt sei, als seine Umgebung, weil die Temperatur des Uterus nach der Geburt etwas abnehmen kann und die des ISTeugeborenen unmittelbar nach der- selben thatsächlich abnimmt. Wenn man aber bedenkt, dass vom Augenblick der Geburt an das Kind sich sehr schnell abkühlt, nach zehn Mnuten und vor der Abnabelung um einen ganzen [282 Grad, somit alle an Neugeborenen erhaltenen Zahlen zu niedrig sein werden, wird es allerdings schon hiernach wahrscheinlich, dass normaler "Weise der menschliche Fötus wärmer, als seine Mutter ist. Aus den Messungen von R. Schäfer (1863) ergibt sich im [i9s Mittel aus 23 Fällen für die Analtemperatur neugeborener mensch- licher Früchte vor der Abnabelung 37,8, für die Vagina der Mutter unmittelbar nach der Entbindung 37,5, also 0,3 zu Gunsten der Frucht, welche 17 mal um 0,1 bis 0,9 wärmer, zweimal um 0,2 kälter als die Mutter und viermal ebenso temperirt wie diese ge- funden wurde. Es ergab sich für das Kind die Mutter 36,8—37,5 7 mal 14 mal 37,6—38,3 10 „ 7 „ 38,4—39,1 6 „ 2 „ Schröder führte (1866) ein wie eine Uterussonde gekrümmtes [221 Thermometer bei sieben Schwangeren im letzten Monat in den Uterus ein und fand die Temperatur desselben 0,1 bis 0,5 '^ höher als die der Axilla und 0,05 bis 0,32 höher als die der Scheide. Bei einem eben geborenen Kinde zeigte das Rectum 38,43, nach- dem vor drei Minuten das Thermometer eingeführt worden war, während der Uterus drei bis zehn Minuten nach der Entbindung 88,2 zeigte. Also auch hier ein Plus von 0,2 für das Kind. 366 Die embryonale Wärmebildung. Übrigens wurde die Uterustemperatur Kreissender regelmässig höher gefunden, als die Schwangerer und Entbundener, was Schröder mit ßecht durch die bei der Muskelcontraction während der Wehen freiwerdende Wärme erklärt. Die höchste Temperatursteigerung während einer normalen Wehe übersteigt zwar nach Hennig [229 0,1 nicht, doch kann eine Erwärmung der Frucht durch die Wehen dadurch bedingt werden. In der Geburt wird also das Kind eine etwas höhere Temperatur als vor dem Beginne der Wehen haben können und auch wahrscheinlich haben, da seine AVärmeverluste sich vermindern müssen, wenn die Uterusmusculatur sich erwärmt. Bei Steissgeburten Hesse sich diese Folgerung prüfen. Bei 85 normalen Geburten fand G. Wurster die Tem- [54 peratur des Neugeborenen (meistens vor der Abnabelung) im [ss Rectum nur 45-mal höher, als die der Vagina der Mutter während der ganzen Geburt und unmittelbar nach derselben, 14-mal nie- driger; in den 26 übrigen Fällen verhielt sich die Temj^eratur des Kindes vor der Geburt zu der mütterlichen Temperatur anders als nach derselben. Alle Werthe liegen zwischen 36,5 und 38,5 und zwar betrug die Temperatur nur sechsmal weniger als 37, dagegen 40-mal 37,5 und mehr. Als Mittel ergibt sich aus allen Messungen 37,5, dagegen als Mittel aus 313 Messungen in der Vagina bei den 85 normalen Geburten 37,3, somit ein Plus [55 von 0,2 zu Gunsten des Neugeborenen. Die mittlere Scheidentemperatur nach der normalen Geburt betrug 37,3, die höchste während derselben im Mittel 37,4. Die Messung der Temperatur des Neugeborenen erfordert [54 die grösste Aufmerksamkeit, weil es sich, wie gesagt, sehr rasch abkühlt und die Quecksilbersäule sogleich fällt, nachdem sie in zwei bis drei Minuten das Maximum erreicht hat. Nach einer Viertelstunde zeigte sie im Mittel 35,95, in der Hälfte der Fälle unter 36,2, im Minimum 34,4, einmal bei einem Frühgeborenen nach vier Stunden 33,87 (Schröder). Als höchste Differenz zwischen Rectum des Neugeborenen [54 und Scheide der Mutter fand Wurster 0,9. Das Hauptresultat, dass der Ebengeborene durchschnittlich bei normalen Geburten 0,1 bis 0,2 höher temperirt ist, als die Scheide der Mutter, wird durch einige pathologische Beobachtungen von physiologischem Interesse erhärtet. So wurde bei einer Steiss- geburt das Thermometer in den Mastdarm des ungeborenen Kindes eingeführt; 873 Stunden nach Beginn der Wehen zeigte es 39,4, die Vagina 38,9, und neun Stunden nach demselben 39,65, die B. Die fötale Eigenwärme. 367 Yagina 39,1. Nach weiteren fünf Viertelstunden hatte ^das Kind 39,55, die Mutter 38,8; eine Viertelstunde später erfolgte die Geburt. [se In zwei Fällen bestimmte auch Sommer die Temperatur der Frucht vor der G-eburt bei Steisslage, und zwar in der Austreibungs- periode, so dass die kindhche Rectaltemperatur mit der Vaginal- temperatur der Mutter verglichen wurde. Im ersten Fall er- gab sich Uhr Kind Mutter Unterschied 9 37,5 37,3 0,2 11 37,3 37,0 0,3 12 37,3 37,0 0,3 Im zweiten Falle hatte das Kind 37,9, die Mutter 37,7. Alexeeff fand in einem Falle von Steisslage im Rectum [282 der Mutter 38,5, in dem des Fötus 39,6 (bei zwei Messungen), dann 38,7 und 38,6 und in der Scheide der Mutter 38,3. In einem zweiten Falle von Steisslage hatte das Rectum des Fötus 38,6 und 38,5 (bei fünf Messungen zwischen zwölf und sieben Uhr), während die Mutter in der Achselhöhle gleichzeitig 37,0 im Minimum, 37,8 im Maximum zeigte. In einem dritten Fall hatte das Kind 38,3 und 38,2 im Rectum, die Mutter 37,6 im Rectum und in der Scheide, im vierten jenes 38,5, die letztere 37,8. Also betrug der Unterschied in den beiden letztgenannten Fällen + 0,7 ° C. zu Grünsten des Fötus. Der erste ist abnorm mit absolut hohen Werthen und + 1,1 ° Differenz, beim zweiten fehlen Angaben über die Rectal- und Vaginal-Temperatur der Mutter. Auch die Gesichtslagen dienten zu Temperaturmessungen. Alexeeff fand unter der Zunge des Kindes 38,2, nach Vj^ Stunden 38,4, eine halbe Stunde später 37,6, gleichzeitig bei der Mutter im Darm 37,1, in der Scheide 37,0, im Uterus neben dem vorhegenden Kopf 37,3. In zwei anderen Fällen von Gesichtslage hatte der Mund des Kindes 37,9 und 37,8, der Uterus 37,6, die Scheide 37^,2. Im vierten Falle zeigte die Zunge der Frucht 38,1, der Uterus 37,8. Diese werthvollen Beobachtungen sind für die höhere Tem- peratur des Fötus vor dem Beginn der Wehen, wie ich bereits hervorhob, darum noch nicht völlig beweisend, weil während und kurz nach den Uteruscontractionen die Uterus- und Vaginal- Temperatur — wegen der durch die Muskelthätigkeit frei werden- den Wärme — steigt und zwar um 0,05 bis 0,6. Die Grösse [54 368 Die embryonale Wärmebildung. der Untejschiede spricht aber sehr zu Gunsten der höheren Fötus- temperatur. Die höchste überhaupt beim Neugeborenen beobachtete Anal- temperatur beträgt 40,35. Die Geburt war aber nicht normal, [54 die mütterliche Temperatur vor derselben 40,3, nach derselben 41,6. Das Kind war ein sehr starker lebender Knabe. Wichtiger als diese pathologischen Erfahrungen ist für diö vorliegende Frage die von Winckel festgestellte Thatsache, dass die Differenz zwischen schwangerem Uterus und Vagina 0,13 bis 0,16 zu Gunsten des ersteren beträgt, während ein Unterschied der Temperatur zwischen Scheide und nicht-schwangerer Gebär- [54 mutter nicht besteht oder erstere sogar, freilich sehr wenig, [229 höher temperirt sein kann. Doch ist noch nicht bewiesen, dass der schwangere Uterus durch den Fötus und nicht allein durch den vermehrten Blutzufluss der Mutter höher erwärmt wird. — Im Ganzen geht aus den Beobachtungen, welche ich hier zu- sammenfasste, hervor, dass der menschliche Fötus in dem letzten Monate vor seiner Geburt constant eine etwas höhere Temperatur hat, als die ihn umgebenden Theile der Mutter. Die Differenz beträgt aber höchstenfalls einige Zehntel eines Centesimalgrades [229 schwerlich bis zu einem Grade, wie Hennig behauptet. Die Wärme- production des Fötus ist also zwar eine sehr geringe, aber es ist eine thermometrisch nachgewiesene Wärmeproduction als normal vorhanden anzusehen. Daher verdient die Idee von Cohnstein Beachtung, dass [220 man in Fällen, in welchen die bekannten diagnostischen Kenn- zeichen unzureichend sind, mit Hülfe des Thermometers entscheiden solle, ob die Frucht intrauterin lebt oder nicht. Wird das er- wärmte Thermometer zwischen Uteruswand und Fruchtblase ein- geführt und zeigt es weniger oder nicht mehr Wärme an, als in der Vagina, so ist die Diagnose auf Tod der Frucht zu stellen. In der That bestätigten die Beobachtungen von Cohnstein und Fehling die Brauchbarkeit des Verfahrens, welches jedoch, wenn es blos zur Erkennung der Schwangerschaft verwendet werden soll, nicht ohne Gefahr ist, da durch die Einführung des Thermometers die Schwangerschaft vorzeitig unterbrochen werden kann. Ausser- dem zeigt unter pathologischen Verhältnissen der Uterus oft eine höhere Temperatur als die Scheide. [220 Das physiologisch werthvolle Ergebniss der von Fehling [»84 zur Prüfung der praktischen Brauchbarkeit des Cohnstein'schen Vorschlags angestellten Messungen ist die Gleichheit der Temperatur B. Die fötale Eigenwärme. 369 des Uterus uud der Vagina in zehn Fällen vor der Geburt todt- fauler Früchte, während die zur Controle an lebenden Früchten vorgenommenen Messungen die Differenzen +0,15; +0,2 (zwei- mal); + 0,25; + 0,3*' C. zu Gunsten des Uterus, also des Fötus, ergaben. In einem Falle (Steisslage, Kind seit zwei bis drei Tagen abgestorben) war sogar der Uterus 0,1^ C. niedriger temperirt, al^ die Scheide. Aber in einem Falle von Fieber der Mutter, welche seit drei Wochen keine Kindesbewegungen mehr gespürt hatte, war die Uterus-Temperatur höher (+0,2) als die der Scheide, Also ist Gleichheit der Uterin- und Vaginal-Temperatur kein Be- weis, sondern nur ein Wahrscheinlichkeitsgrund für den Tod der Frucht und eine Differenz beider ist noch kein sicherer Beweis für das Leben der Frucht. Die Messungen müssen wegen der Kleinheit der in Frage kommenden Temperatur -Unterschiede äusserst sorgfältig — mit gekrümmten, oft controlirten Thermometern — ausgeführt werden. Die Bemerkung Fehling's, dass beim Herausziehen des Ther- [284 mometers aus der Gebärmutter in die Scheide, stets, auch wenn beide gleich temperirt sind, anfangs ein kleiner Abfall stattfinde, könnte den Verdacht entstehen lassen, dass die gefundene Tem- peraturgleichheit des Uterus und der Scheide nur scheinbar, und erster er in Wirklichkeit immer — auch bei faultodten Früchten — wegen seines Blutreichthums etwas höher temperirt sei, aber das Thermometer nicht lange genug darin verweilte. Die Zeit von fünf Minuten, während welcher sein Stand sich nicht merklich änderte, erscheint im vorliegenden Falle etwas kurz. Doch kann auch der kleine Abfall durch zu weites Herausziehen des Ther- mometers vor dem darauffolgenden Zurückschieben in den Scheiden- grund bedingt gewesen sein. Jedenfalls würde es von hohem Interesse sein, noch mehr solcher Messungen an faultodten Früchten zur Verfügung zu haben. Denn sie könnten den Beweis liefern, dass die höhere Temperatur des ruhenden schwangeren Uterus nicht allein von der gesteiger- ten Blutzufuhr seitens der Mutter, sondern auch von der Wärme- produktion des Fötus abhängt, einen Beweis, welcher bisjetzt fast ausschliesslich auf Thierversuchen raht. Die Wärme des Ebengeborenen. Bei 37 unmittelbar nach der Geburt gemessenen Kindern (vermuthlich reifen und abgenabelten) fand Baerensprung für [le? Frey er, Physiologie des Embryo. 24 370 Die embryonale Wärmebildung. das Rectum (wie in allen folgenden Fällen) das Mttel 37,8, das Maximum 39,0 und das Minimum 36,6, bei 30 Schaefer (sofort [ss nach der Abnabelung) 37,6 im Mittel, bei 85 Wurster (meist vor der Abnabelung) 37,5 im Mittel. w. B- s. Ss hatten Neugeborene zwischen 36,4 und 37,0 14 5 7 „ „ „ „ 37,1 ,, 38,0 61 22 17 „ „ „ „ 38,1 ,, 39,1 10 10 6 demnach hatten von 152 Neugeborenen 126 mehr als 37° gleich nach der Geburt. Im Mittel aus wenigen Beobachtungen hatte Roger 37,2 [278 gleich nach der Geburt, einige Minuten später 36,4 gefunden, [ss Wurster als Maximum des normal Geborenen 38,5, Schaefer 39,1. ci98 Durch ein lauwarmes Bad wird jedesmal die Eigenwärme der Neugeborenen vermindert. In 22 Fällen betrug nach Baeren- [i67 Sprung, der aber die Temperatur des Bades nicht angibt, die Ab- nahme durchschnittlich 0,98, im Maximum 1,62, im Minimum 0,37. Die Temperatur ist überhaupt nach dem ersten Bade am nie- drigsten. Sie steigt nach ein bis ein und einhalb Tagen auf 37,5 im Mittel. Bei 16 Neugeborenen, deren Temperatur nach dem Abnabeln zwischen 36,8 und 38,6 variirte nahm dieselbe durch ein Bad [i98 von der gleichen Temperatur wie das Neugeborene um 0,4 bis 1,2, im Mittel um 0,8 ab, nur einmal um 0,2. In diesem Falle war die Vernix, ein schlechter Wärmeleiter, sehr reichlich. In fünf Fällen war die Temperatur des Badewassers l*' [i93 höher, als die des Neugeborenen. Dennoch ergaben die Messun- gen 0,2 bis 0,8 weniger nach dem Bade, im Mittel 0,6. Die An- fangstemperaturen lagen zwischen 36,8 und 37,8; wahrscheinlich ist hier die Abnahme durch die geringe Intensität der thermogenen Processe des Kindes oder durch Erweiterung der Hautgefässe und dadurch gesteigerten Verlust unmittelbar nach dem Bade bedingt, während sie unmittelbar nach der Geburt durch die rasche Wärme- abgabe wegen Verdunstung des Fruchtwassers in erster Linie ver- ursacht sein muss. Zwischen der sechsten und neunten Lebensstunde fand Schaefer bisweilen 1,5 weniger als gleich nach der Geburt, zwischen der 10. und 15. Stunde öfters 0,9 weniger, aber bei drei Kindern zwölf Stunden nach der Entbindung gleiche Temperatur wie unmittelbar nach derselben und bei zweien 13 und 18 Stunden nach der Geburt 0,8 mehr, als sogleich nach derselben. Die Nahrungsaufnahme B. Die fötale Eigenwärme. 371 ist als temperatursteigerndes Moment vom grössten Einfluss, aber in den letzterwähnten Ausnahmefällen kann auch eine höhere Zimmertemperatur, dichtere Einhüllung oder irgend ein zufälliger übersehener Umstand, die gewöhnliche Abkühlung verhindert haben. Bei 21 Neugeborenen bestimmte Schaefer unmittelbar nach [les der Geburt vor der Abnabelung und dann sofort nach derselben die Rectumtemperatur, während die Kinder in ein Leinentuch ein- gewickelt waren. Er fand in 20 Fällen eine Abkühlung, in einem blieb die Temperatur sich gleich. Die Abnahme erreichte nur einmal 0,8 und betrug im Mittel 0,3, nämlich 37,9 — 37,6. Man wird aber der Abnabelung selbst den temperatur- herabsetzenden Einfluss nicht zuzuschreiben haben, weil nach meinen Versuchen an Thierembryonen die Eigenwärme auch ohne Abnabelung bei erhaltener Placentarcirculation an der Luft rapide abnimmt. Die umfassendsten Messungen der Temperatur Ebengeborener führte (1880) im Dresdener Entbindungsinstitut Karl Sommer [277 aus. Sie bestätigen die vorstehenden Befunde früherer Beobachter fast durchgehends. Seine Messungen wurden sämmtlich durch Einführung des Thermometers in den Mastdarm (einige Centimeter weit) ausgeführt, wo es liegen blieb, bis es nicht mehr stieg oder, was bei eben Geborenen schon nach drei Minuten oft eintrat, zu sinken begann. Das Einführen des Instrumentes in den After störte nicht den Schlaf der Neugeborenen. Es ergab eine um etwa 0,4*^ C. höhere Temperatur als die Messung der Achselhöhle. Drang das Thermometer in Meconium, trat Stuhldrang oder Schreien ein, dann stieg die Temperatur um einige Zehntelgrade. Alle Kinder wurden sofort nach der Geburt vor dem Abnabeln gemessen, nachdem sie in trockene warme Tücher gewickelt worden. Als Gesammtmittel ergab sich für 101 Neugeborene 37,72. Das Minimum 36,8 kam nur einmal vor, desgleichen das Maxi- mum 38,7. Die männlichen Neugeborenen hatten im Minimum 37,74, die weiblichen 37,69. Auch die Rectaltemperatur der Mütter wurde bestimmt. Sie betrug im Mittel 37,51, (36,6 einmaliges Minimum und 38,5 ein- maliges Maximum). Also ergibt sich für die Frucht ein durch- schnittliches Plus von 0,21. Neu und wichtig ist Sommer's Nach- weis, dass dieses Plus mit der Entwicklung der Frucht zunimmt. Denn es ist geringer bei Kindern von weniger als 48 Centimeter 24* 372 Die embryonale Wärmebildung. Körperlänge, als bei grösseren. Bezeichnet I die Neugeborenen von weniger als 48, II die von 48 bis 50 und III die von 50 und mehr Centimetern Körperlänge, so ergibt sich im Mittel: Kind Mutter Differenz I 37,72 37,57 0,15 li 37,76 37,53 0,23 III 37,67 37,44 0,23 Es ist also die Eigenwärme der gut entwickelten Neu- geborenen etwas höher, als die der schwachen. Jedoch fiebert das Kind, wenn die Mutter fiebert. Einmal zeigte es 39,3 als kurz vor der Ausstossung die Mutter 39,2 im Rectum hatte. Ferner ergab sich: Kind wärmer als Mutter 80 mal Kind und Mutter gleichwarm 7 „ Mutter wärmer als Kind 14 „ Oder in Beziehung zur Reife: I II III 15 Fälle 46 Fälle 40 Fälle Kind wärmer 9 mal (60 7o) 38 mal (82,6 %) 33 mal (82,5 "/o) Mutter wärmer 4 „ (26,6 «/q) 6 „ (13%) 4 „ (10%) Demnach wird mit zunehmender Entwicklung die Wärmeproduction im Allgemeinen gleichfalls als zu- nehmend anzusehen sein. [277 Der grösste beobachtete Unterschied zu Gunsten der Frucht betrug 0,7. Den schlagendsten Beweis dafür, dass die Wärme des Fötus nicht ausschliesslich von der Mutter mitgetheilt sein kann, liefern Zwillingsgeburten. Denn hier fand Sommer einmal die Temperatur 0,3 höher beim zweiten, als beim ersten Kinde. Wurster hatte 0,2 mehr für das zweite gefunden. Sehr zahlreiche Messungen führte Sommer aus über die Eigen- wärme in den ersten Stunden nach der Geburt. Das Minimum [277 wurde oft erst nach zwei bis vier Stunden erreicht und zwar be- trug der Temperaturabfall durchschnittlich 1,87 nach dem ersten Bade; bei Knaben war die mittlere Differenz vor und nach dem Bade 1,44, bei Mädchen 2,29. Hierbei erfahren die gut ent- wickelten Kinder eine geringere Abkühlung, als die kleinen (Maximum der Abnahme 4,1 einmal). In jedem Falle bestätigt sich, dass Neugeborene in Luft wie in Wasser sich schneller abkühlen, als Erwachsene und das B. Die fötale Eigenwärme. 373 Temperatur - Minimum ist tiefer und anhaltender bei schwachen und asphyktischen Kindern, als bei starken. Hieraus folgt, dass die Wärmeabgabe nicht allein durch die relativ grössere Oberfläche des Kindes bedingt sein kann. Sie muss zum Theil in geringerer Oxydation ihren Grund haben, d. h. in geringerem Sauerstoffverbrauch. Die Temperaturschwankungen Neugeborener in der ersten Zeit nach der Geburt könnten trotz der regelmässigen anfäng- lichen Abnahme relativ gering erscheinen, wenn man erwägt, [i67 dass in diese Zeit die grössten Veränderungen des Organismus fallen, wie Baerensprung hervorhebt. Auch betont er mit Recht, dass nach der Geburt das Kind auf einmal das ganze Maass der erforderlichen Wärme selbst produciren müsse. Jedoch irrt er in der Meinung, vor der Geburt empfange die Frucht den grössten Antheil ihrer Wärme von der Mutter. Die warme Umgebung des Fötus verhindert vor der Geburt seine Abkühlung, ohne dass darum nothwendig ihm von der Mutter Wärme — in den letzten Monaten — zugeführt würde, wie etwa den Knochen oder Nägeln. Im Gegentheil, wenn es feststeht — und man darf nicht mehr daran zweifeln — dass der Fötus wärmer, als seine Mutter ist, dann muss er Wärme an dieselbe abgeben. Dabei ist zu bedenken, dass die Wärmeverluste des Neugeborenen enorm sind, der Ungeborene wird also leicht Wärme abgeben, wenn der Uterus sich abkühlt. Ein kleines, nacktes, nasses neugeborenes Thier, welches nicht immer sogleich, wie gemeiniglich das Menschenkind, mit schlechten Wärmeleitern umgeben wird, kühlt sich im Wasser, wie in der Luft innerhalb einer Stunde bis nahe an die Tempe- ratur der Umgebung ab und hört auf sich zu bewegen. Die Resistenz des Neugeborenen gegen Kälte ist bekanntlich viel ge- ringer, als die des Erwachsenen. Am 17. Januar 1880 excidirte ich einem normalen hochträchtigen Meer- schweinchen einen Fötus, der in Watte gewickelt, im Brütofen warm gehalten und mit Kuhmilch ernährt wurde. Das Thierchen war munter und verhielt sich ganz wie ein Neugeborenes. Am 20. Januar, nach mehr als drei Tagen, nachdem also seine Lebensfähigkeit und im Besonderen sein Wärmebildungs- vermögen unzweifelhaft feststand, legte ich es im Zimmer auf Schnee, ohne es damit zu umgeben, und bestimmte die Rectumtemperatur. Uhr Rectum Bemerkungen auf Schnee gesetzt. Zittern; Wackeln; Augen offen. Zittern lässt nach. Athmung noch frequent. 3-27 88,70 •50 28,0 •51 27,2 •53 26,4 374 Die embryonale Wärmebilduug. Uhr Kectum Bemerkungen 3-54 25,60 Augen halb geschlossen. .54 V, 24,9 Horuhautreflex noch da. •57 23,8 schläfrig. •59 22,4 schläfrig; Cornea reagirt. 4-0 21,6 ruhig; Athmung weniger energisch. •1 21,0 1 bis 20,80. Jetzt berührte ich das Thierchen; es streckte sich und war todt, denn die Eespiration erlosch und aUe Reflexe blieben aus. Das Herz stand still und es Hess sich nach Offnen des Thorax keine Systole mehr hervorrufen. Diese Beobachtung beweist, dass innerhalb 33 Minuten die enorme Abkühlung von 17*^ eintreten kann, ehe der Tod eintritt, obgleich das Thier bereits lange Luft athmete, viel Nahrung auf- genommen und oxydirt hatte, also mehr Wärme producirte, als es vor der Geburt konnte. Ähnliche Beobachtungen an neu- geborenen Hündchen machte schon 1824 W. Edwards, ohne [279 freilich so rapide Abnahmen zu constatiren. Der Fötus kühlt sich überhaupt schneller ab in kalter Um- gebung und erwärmt sich schneller in warmer Umgebung, als das erwachsene Thier. Welche Wärmeverluste dagegen ein fast reifer Fötus theils im Uterus theils frei nach vorheriger Überwärmung ohne Schaden erträgt, zeigt u. a. folgender Versuch: Am 11. Januar 1884 wurde ein hoch trächtiges Meerschweinchen an den Extremitäten gebunden in der Eückenlage in ein Bad von 0,6-procentiger Kochsalzlösung gebracht, dessen Temperatur in der kurzen Zeit von 2 Uhr 48 Min. bis 3 U. 12 Min. allmählich von 36,00 bis 46,2 0 stieg. Die Temperatur der Bauchhöhle der Mutter stieg während derselben Zeit nur von 38,3 ° bis 39,0 ", aber die eines mittelst Uterusbauchschnitts nur mit dem Kopfe blosgelegten in das Wasser ragenden Fötus im Schlünde von 38,4 *• bis 42,1 '\ Ich beobachtete mit Hülfe von zwei Assistenten: Mutter 38,3" 38,4 38,5 38,6 38,7 38,7 38,8 38,9 39,0°. Fötus 38,4» 38,5 38,6 38,9 40,0 40,3 41,3 41,6 42,1 0. Uhr 3.02 3.03 3.05 8.06 3.08 3,08 V, 3.10 3,11 3.12. Bad 38,8" 39,2 — 41,3 43,6 44,4 45,5 46,1 46,2«. Also stieg die Temperatur des Fötus, der zum grössten Theil im Uterus in normaler Verbindung mit der Mutter sich befand, gar keine asphyktischen Symptome zeigte, auf Hautreize normal reagirte, in 10 Min. um 3,7", wäh- rend die Bauchhöhle der Mutter um 0,7" zunahm. Um 3 U. 13 Min. wurde jedoch letztere unruhig, der Fötus prolabirte und zeigte bei tiefer in den Schlund eingeführtem Thermometer 43,1" in der l^uft. Er blieb dann nass in der Luft liegen bis 3 Uhr 37 Min., bewegte sich normal lebhaft und kam mit 31,1" im Rectum in das Bad von 42,3" um 3 U. 39 Min. Hierauf wurde notirt: B. Die fötale Eigenwärme. 375 Fötus 32,9° 34,1 35,6 36,5 37,7 38,1 39,4 40,1 0. Bad 42,3" 42,6 42,6 42,3 42,3 42,3 41,5 41,4«. Uhr 3.40 3.42 3.42V3 3.42 1/2 3,43 3.431/2 3.46 V2 3,48. Der Fötus, lebhaft, wurde noch von Minute zu Minute controlirt bis 3 Uhr 55 Min. In dieser Zeit blieb seine Temperatur über 40", ohne 40,7 zu über- schreiten, während das Bad von 41,4 bis auf 39,9 sank. Von da ab nahm auch die Fötustemperatur langsam wieder ab. Das Thier blieb am Leben und war lebhaft wie normale Neugeborene. In diesem Falle hat also Fötus I zuerst sich erwärmt von 38,4 auf 42,1 in 10 Minuten, dann sich erwärmt von 42,1 auf 43,1 in wenigen Min., hierauf sich abgekühlt von 43,1 auf 31,1 in <^ 24 Min., dann sich erwärmt von 31,1 auf 41,4 in 11 Min., endlich sich abgekühlt von 41,4 auf 40,4 in 7 Min., um schliesslich ohne die geringste nachtheilige Wirkung zur Norm zurück- zukehren. Ein zweiter um 3 Uhr 13 Min. excidirter Fötus, welcher sogleich Luft athmete, überlebte hingegen den raschen häufigeren Temperaturwechsel nicht. Anfangs blieb dieser Fötus II im Uterus in der Bauchhöhle von 2 U. 48 bis 3 U. 13 (Mutter 38,3« um 3 U. 2 M.J, während das Bad von 36,0« auf 46,2« stieg. Dann: Fötus II 39,7« 38,4 37,3 36,2 39,2 33,7 33,5 33,7« j 3 Uhr — 17"^ 18™ 20"" 22"^ 31"" 32™ 33™ 35™ i. Bad i. der i. Bad i. der i. Bad i. Bad i. Bad i.Bad i.Bad v.44,9« Luft v.43,9« Luft v.43,1« v.41,7« v.42,0« v.42,8« v.44,0« dann bis 3,31 in der Luft. Der Tod trat ein, obgleich das Temperatur-Intervall nur 6,2« betrug (gegen 12« bei Fötus I), aber es fand ein 8-maliger Wechsel statt (gegen einen 4-maligen bei Fötus I). Am 15. Januar 1884 brachte ich ein hochträchtiges Meerschweinchen mit 38,4 im Eectum in ein 0,6«/o-iges Kochsalzbad von 37,8«. Um 9 U. 12M. Fötus 38,4 A, wurde unter Wasser extrahirt und schnell vom Amnion befreit; bewegt sich. Dann: Fötus 38,6 « 40,7 41,0 42,1 43,2 43,70 Bad 39° 42,6 43,8 44,5 45,5« — Uhr 9.21 9.25 9.26 9,27 9.28 9,29. Mutter — 39,4« — — — 40,8 «, Mit dieser ausserordentlichen Temperatur von 43,7« blieb der Fötus unter Wasser völlig normal beweglich und antwortete präcise auf schwache Reflexreize ohne eine Athembewegung zu machen. Die Verbindung mit der Mutter durch die Placenta bleibt unversehrt. Um 9 U. 31 M. nahm ich den Fötus aus dem Wasser heraus, weil seine Temperatur einen Augenblick bis 44,9 stieg. Das Thierchen athmete nun in der Luft und kühlte sich durch die Verdunstung des ihm anhaftenden 376 Die embryonale Wärmebildimg. Wassers enorm ab: 9 U. 35 M. 35,3. Ein zweiter und ein dritter Fötus, zwischen 9 U. 31 und 32 excidirt, wurden an der Luft zum Athmen ge- bracht, konnten aber wie der erste nicht am Leben erhalten bleiben, weil sie nicht entwickelt genug waren. Die drei Früchte wogen zusammen 123 Grm. In diesem Falle hat also ein Fötus, der noch mit der Pla- centa in Yerbindung nicht athmete und unter Wasser verblieb in 8 Min. um 5,1" zugenommen, sogar einen Augenblick die Tem- peratur von 44,9° erreicht und nachher noch geathmet und sich bewegt. Es wird daraus zu folgern sein, dass auch im Uterus der Fötus immer dann schnell wärmer wird, wenn die mütterliche Blutwärme und das Fruchtwasser die fötale Temperatur über- steigen, aber nicht allein durch Leitung der mütterlichen Wärme, sondern möglicherweise durch Steigerung embryonaler Oxydations- processe. Diese letztere kann jedoch beim Fötus nicht wie beim Geborenen zu einer dauernden Temperaturerhöhung, zum Fieber führen und auch die subnormale Temperatur im TJterus nicht bestehen bleiben, wenn die Mutter sich nach längerer Abkühlung wieder erwärmt. Das Fruchtwasser muss vielmehr als guter Wärmeleiter hier schnell ausgleichen. In welchen Zeiträumen die herabgesetzte Temperatur des Fötus im Ei ohne Nachtheil für ihn wieder steigt, erläutert der folgende Versuch. Am 4. Februar 1884 tauchte ich ein hochträchtiges Meerschweinchen mit 38,3° im Eectum um 4 TJ. 10 Min. ein einziges Mal ganz in Wasser von 7^2° ui^d liess es dann nass in Zimmerluft von 18 72" durch die Ver- dunstung des den Haaren anhaftenden Wassers sich abkühlen. Nachmittags 4 U. 14 M. 37,7 oy 4.16 Fruchtbewegungen. 4 U. 20 M. 36,3 Y lebhafte Fruchtbewegungen. 4 U. 39 M. 35,1 coustant; Fruchtbewegungen in warmer Luft. • 4 U. 58 M, 34,6; das Thier abgerieben in Werg und Watte. 5 U. 54 M. 35,5 A Fruchtbewegungen. 6 U. 45 M. 36,9 A. Das Thier ist trocken und munter, wurde während der ganzen Nacht warm gehalten und zeigte am 5. Februar um 9 U. 21 M. Vm. 40,2. Hierauf brachte ich es in einen nur von 9 U. 27 bis 30 M. dauern- den ununterbrochenen Sprühnebel aus Wasser von IS^j^''. Schon 9 U. 34 M. 38,5 Y. 9 U. 45 M. 37,2 Fruchtbewegungen. 9 U. 58 M. 36,2; lebhafte Fruchtbewegungen um 9 U. 57 M. Das Thier wurde dann trocken gerieben, zeigte aber noch 11 U. 15 M. 3.5,7 A und 12 U. 6 M. 36,5 A. Daher wurde das Thier in Spreu und Werg warm gehalten. 4 U. 6 M. 38,5 und 6 U. 30 M. Abds. 38,9. Am 6. Februar 9 U. 33 M. 39,0 ", normal. Das Thier zeigte gar keine Anomalie wähi-end der folgenden Tage. ß. Die fötale Eigenwärme. 377 Am 9. Februar hatte das Eectum um 8 U. 50 M. 38,9". Von 8 U. 52 M. bis 9 U. 2 M. blieb es dem Spray von 14 '^ warmem Wasser aus- gesetzt. Schon 9 U. 4 M. 37,9 Y. Fruchtbewegungen. Das Thier bleibt nass in einem geräumigen Glaskasten mit Zimmerluft. 9 U. 13 M. 36,3 Y und 9 U. 49 M. 35,3. 11 U. 20 M. 35,3 und 11 U. 40 M. 35,1. Zwischen 7 U. 30 und 8 Uhr Abends warf das Thier vier reife und in jeder Beziehung normale Junge, und zeigte eine Eectum temperatur von 38,2. Alle fünf Thiere blieben am Leben. Dieser instructive Yersuch zeigt, dass der Fötus im Uterus innerhalb kurzer Zeit eintretend, sehr grosse Wärme-Entziehungen gut verträgt, wenn sie nicht lange anhalten. Das Mutterthier wurde abgekühlt Am 1. Tage von 38,3 auf 34,6 also um 3,7 « in 48 Min. „ 2. „ „ 40,2 „ 36,2 „ „ 4,0 „ 37 „ „ 6. „ „ o8,9 „ 35,3 „ „ 3,6 „ 59 „ so dass, nach den früheren Versuchen, die Früchte um wenigstens zwei Grad mit abgekühlt worden sein müssen, denn es dauerte jedesmal mehrere Stunden, bevor die normale Temperatur wieder erreicht wurde. Trotzdem trat keine nachtheilige Wirkung ein, es sei 'denn, dass man die Erregung von Uteruscontractionen und dadurch den vielleicht beschleunigten Eintritt der Geburt dahin rechnen will. Die Neugeborenen waren aber sehr munter. Somit ist bewiesen, dass zwar bei erheblicher Abnahme der mütterlichen Blutwärme die fötale Blutwärme gleichfalls abnimmt, aber in ge- ringerem Maasse als die mütterliche und dass sich der abgekühlte unversehrte Fötus im unversehrten Uterus bei der Wiedererwär- mung der Mutter gleichfalls schnell wiedererwärmt und bald darauf lebensfrisch zur Welt kommen kann. Auch dann ist es leicht durch Besprengen mit wenig Wasser, durch einmaliges secundenlanges Eintauchen in kaltes Wasser, durch den Sprüh- nebel und auf andere Weise das ■ schon längst Luft athmende Thier schnell um mehrere Grade abzukühlen und im stärker geheizten Brütofen es um mehrere Grade zu überwärmen. In dem einen wie in dem anderen Fall tritt aber jetzt die Rückkehr zur Norm viel schwieriger und langsamer ein als vor der Geburt, weil die Ausgleichung mittelst der Placenta und der Uterusgefässe fehlt und das gut leitende Fruchtwasser durch die schlecht leitende Luft ersetzt ist. Alle diese Sätze gelten auch für das neugeborene Kind. . Schon wegen der im Verhältniss zur Masse viel grösseren Oberfläche des Kindes verliert es in gleichen Zeiträumen relativ 378 Die embryonale Wärmebildung. mehr Wärme, bedarf darum mehr Schutz gegen Abkühlung. Aber auch abgesehen davon sind weder die regulatorischen Einrich- tungen des kindlichen Körpers so vollkommen, noch die thermo- genen Processe so manigfaltig und ausgiebig v^^ie später, die Be- wegungen z. B. wegen des längeren Schlafes weniger häufig. Hiernach wird also der Neugeborene nur eben das ganze Maass der erforderlichen Wärme aus sich selbst produciren können, wenn er höchst sorgfältig vor Abkühlung geschützt wird, wie es auch bei allen idiothermen Thieren — Säugethieren und Vögeln — der Fall ist. Somit schwindet der „im höchsten Grrade über- raschende" Unterschied zwischen dem Fötus und Neugeborenen, welchen nach Baerensprung's Ansicht der Athmungsvorgang aus- gleichen soll. Man darf nicht vergessen, dass auch vor der Ge- Geburt Sauerstoff verbraucht und dass nach derselben die ein- geathmete Luft im Kinde erwärmt und nahezu blutwarm aus- geathmet wird. Wenn also die Abkühlung des Neugeborenen in den ersten Minuten nach der Geburt nicht grösser gefunden wird, so hat dieses mehr noch als in dem veränderten Blutumlauf und der neuen Art den Sauerstoff aufzunehmen, in dem Umstände seinen Grund, dass die Abkühlung verhindert wird durch warme Einwicklungen und die Bettwärme der Mutter, die Nestwärme der Thiere usw. Um wieviel übrigens die Wärme des Neugeborenen nach dem ersten warmen Bade abnimmt, zeigen schon Baerensprung's eigene Messungen. Er fand [167,47 Neugeborene Sogleich nach d. Geb. Nach dem Bade Nach 12 Stunden Differenz 1 38,7 37,5 37,1 -1,6 2 39,1 37,4 37,1 -2,0 3 38,2 36,8 37,4 -0,8 4 37,9 36,5 36,6 -1,3 5 ' 38,9 37,9 37,2 -1,7 6 38,2 87,7 37,0 -1,2 1 37,0 36,4 37,4 + 0,4 8 37,4 36,2 37,4 0 Einen halben Tag nach der Geburt hat also in 6 Fällen von 8 die Temperatur um 0,8 bis 2,0 abgenommen, ist nur in einem Falle um 0,4 gestiegen und nur in einem Falle hat sie die ur- sprüngliche Höhe wieder erreicht, letzteres beides nach einem Abfall von 0,6 und von 1,2 Grad nach dem Bade. B. Die fötale Eigenwärme. 379 Die angeborene Temperatur nimmt auch, wenn das Bad die Blutwärme hatte , im warmen Wochenzimmer beim gut ein- gewickelten nüchternen Neugeborenen um 1 bis 2 Grad innerhalb der ersten Hälfte des ersten Tages ab, und zwar nach A. Schütz am schnellsten in der ersten Viertelstunde. Nach der Nah- [292 rungsaufnahme beginnt erst die eigene Wärmeproduction erheblich zu steigen. Wenn dagegen ein Kind unmittelbar nach der Ge- burt in feuchte — mit Wasserdampf gesättigte — Luft von 39 '^ oder in einen Brütofen gelangte, würde wahrscheinlich keine Ab- nahme, sondern eine Zunahme der Temperatur stattfinden. Es wäre wichtig, den Versuch am Menschen auszuführen, weil man auf diese Weise die Wärmeproduction des nüchternen Neugeborenen erkennen könnte. Nach den Messungen von A. Schütz an eben geborenen [292 sofort in warme Decken gewickelten Kindern, bei denen nur die Nase und das Thermometer im Rectum frei blieben, erreicht letzteres fast stets innerhalb der zwei ersten Stunden seinen tief- sten Stand, bis 33,6*^ im Minimum und — nach dem Bade von 35'' — im Durchschnitt 34,9°. Es ergab sich dabei ferner, dass nach dem Ablauf der ersten 24 Stunden das Missverhältniss zwi- schen Wärme -Production und -Verlust nahezu ausgeglichen war. Nach Andral sinkt aber die Temperatur des Neugeborenen [285 bis zur 12. Lebensstunde, auch nachdem sie im Augenblick der Geburt merklich höher als die der Mutter gewesen; doch soll sie ihm zufolge nur in der ersten halben Stunde nach der Geburt unter die Norm des Erwachsenen sinken, was keinesfalls allgemein gültig ist. Lepine constatirte diese Abkühlung bis unter die [283 Norm bei schwächlichen Kindern in der ersten halben Stunde und es ist nach Förster u. A. richtig, dass bei kräftigen und schweren Neugeborenen überhaupt die Temperatur- Abnahme nach der Geburt geringer ausfällt. Im Schlafe scheint die Eigen- [28o wärme des Neugeborenen zu sinken. Beim Schreien steigt sie. [288 Dieses Alles spricht wiederum zu Gunsten der embryonalen Wärmeerzeugung durch Verbrennungspro cesse. Jedenfalls liegt kein Grund vor, für die von Andral auf- [285 gestellte Behauptung, dass die höhere Temperatur des Kindes unmittelbar nach der Geburt von dem Uterus herstamme, also nicht von einer dem TJngeborenen eigenen Wärmequelle. Andral fand bei sechs eben geborenen Kindern in der Achselhöhle : 380 Die embryonale Wärmebildung. Zeit nach der Geburt I. II. III. IV. V. VI. 0 38,4 88,3 38,2 38,1 37,8 36,7 15 Min. — 37,5 — — — 36,5 20 Min. 37,9 — — 37,7 — — 30 Min. - — 37,6 — 37,3 — 8 Stund. — — — 37,2 — 36,3 12 Stund. 37,5 37,1 37,3 — 37,3 — Wären diese Temperaturabnahmen durch den Yerlust der dem Neugeborenen vom Uterus mitgetheilten Wärme allein be- dingt, dann wäre unverständlich wie der Fötus regelmässig eine höhere Temperatur als die Mutter haben kann. In den vorliegen- den Fällen hatten die Mütter nach Andral's eigener Angabe nur zwischen 37,6 und 37,9 liegende Temperaturen. Die Eigenwärme des Embryo beweist, dass Oxydationen in ilim stattfinden. Das in physiologischer Beziehung wichtigste Ergebniss der zahlreichen an Embryonen und Ebengeborenen ausgeführten Tem- peraturbestimmungen ist die Thatsache, dass allgemein der Fötus in seinen späteren Entwicklungsstadien eine etwas höhere Tempe- ratur hat, als seine nächste Umgebung. Die Embryonen der Vögel und Säuger gleichen darin den ausgebildeten Amphibien und Fischen und vielen niederen Thieren, dass sie nur wenig wärmer, als das sie umgebende Medium sind und sehr leicht, wenn dieses abgekühlt wird, sich mitabkühlen, wenn es erwärmt wird, sich ebenfalls erwärmen, im Gegensatz zu den ausgebildeten idiothermen Thieren; denn diese, die Vögel und Säuger, brauchen sehr viel mehr Zeit, um sich in der Kälte abzukühlen, in der Wärme zu erwärmen, als ihre eigenen Embryonen. Bedingt ist dieser Unterschied und jene Übereinstimmung durch das Fehlen regulatorischer Einrichtungen beim Embryo. Beim ausgewachsenen Thier wird die Körpertemperatur constant gehalten innerhalb enger Grenzen durch das Constanthalten des Verhältnisses der Wärmeerzeugung zur Wärmeabgabe. Beim Fötus bleibt dagegen dieses Verhältniss nur so lange constant, als die nächste Umgebung (das Fruchtwasser usw.) im Uterus constant teraperirt bleibt. Sobald das letztere verlassen wird, vorzeitig oder rechtzeitig, muss eine Abnahme der Temperatur der Frucht eintreten, weil das ihr anhaftende Wasser verdunstet, wozu eine sehr grosse Wärmemenge erforderlich ist, weil anfangs. B. Die fötale Eigenwärme. 381 ehe die Lungencirculation und Lungenathmung vollkommen im Gange sind, nur wenig Sauerstofi" aufgenommen w-erden kann, also auch relativ wenig Wärme erzeugt wird, weil durch die Ausath- mung der Luft sehr grosse Wassermengen in den Lungen ver- dampfen und weil es noch gänzlich an Nahrung fehlt, welche oxydirt werden könnte. Vorher fehlte die Verdampfung des Wassers von der Haut- oberfläche, wurde trotz fehlender Lungenathmung genügend Sauer- stoff durch die Nabelvene aufgenommen, kein Wasser durch Aus- athmen abgegeben und genug Nahrung zugeführt. Den Ausfall zu decken und zugleich den Mehransprüchen zu genügen, dazu ist das Ebengeborene in gewöhnlicher Luft nicht im Stande und selbst nach reichlicher Milchzufuhr erst dann, wenn für Umhüllung mit schlechten Wärmeleitern gesorgt wird. Es ist deshalb durch- aus rationell, frühgeborene und schwächliche rechtzeitig geborene Kinder stundenlang im Brütofen verweilen zu lassen, ein Verfahren, das ich bei Thieren, die ich zur physiologischen Untersuchung dem Uterus lebend entnahm, seit Jahren mit dem besten Erfolge angewendet habe. Werden die postnatalen Wärmeverluste ver- mieden, dann reicht die Wärmeerzeugung des Neugeborenen aus. Um nun zu beweisen, dass die Temperatur des Fötus einzig und allein durch seine eigene Wärmeerzeugung, also durch Oxy- dationsprocesse in ihm steigt, wenn die Umgebungstemperatur constant die der Mutter bleibt, wäre vor Allem der Nachweis von Verbrennungsproducten im Fötus erforderlich. Dieser Nachweis fötaler Oxydationspro ducte ist nur für den Vogelembryo völlig sicher geliefert durch die quantitativen vergleichenden Kohlen- säurebestimmungen. Für Säugethiere liegen nur ganz vereinzelte Beobachtungen vor. In den Muskeln von neun ßindsembryonen von sehr ungleicher Entwicklung fand F. Krukenberg Hypoxanthin; auf Kroatin [72 wurden sieben geprüft mit positivem, vier mit negativem Er- gebniss. Die untersuchten Embryonen maassen von der Schwanz- wurzel bis zur Schnauzenspitze 865, 520, 460, 320, 290, 287, 190, 184, 180 Mm.; im kleinsten und grössten wurde Kroatin, Hypo- xanthin und Inosit mit Sicherheit nachgewiesen, und Krukenberg meint, dass die Muskeln des jüngsten Embryo relativ nicht viel ärmer an diesen Stoffen waren, als die des fast ausgetragenen Fötus von 865 Mm. Diese Befunde liefern zwar für sich allein noch keinen Be- weis für die Bildung von Oxydationsproducten im Embryo selbst, 382 Die embryonale Wärmebfldung. weil sowohl das Kreatin als auch das Hypoxanthin präformirt, aus dem mütterlichen Blute stammen könnte. Da aber auch im ent- wickelten Yogelei kataplastische Stoffe, wie namentlich Harn- säure und Harnstoff gefunden worden sind und vom Säuge- thierfötus nicht viel weniger Kohlensäure gebildet werden kann, als nachgewiesenermaassen vom gleich entwickelten Vogel embryo gleicher Grösse, so ist auch für ersteren die Büdung von üxy- dationsproducten als zweifellos schon jetzt zu bezeichnen (Ygk S. 116, S. 128, S. 129, S. 132, wo von der Sauerstoffaufnahme des Vogelembryo, S. 138, wo von der des Säugethierfötus die Rede ist, S. 334: Harnsäure u. a.). VI. DIE EMBMOMLE MOTILITÄT. A. Die Bewegungen tliierischer Embryonen. Zu den räthselhaftesten Erscheinungen in dem gesammten Gre- biete der Physiologie des Embryo gehören die Bewegungen, welche er im Ei ohne nachweisbare äussere Reize ausführt. Man hat sie als instinctive, auch als reflectorische, ja sogar zum Theil als willkürliche Bewegungen bezeichnet, ohne den Nachweis ihrer Übereinstimmung mit den entsprechenden Bewegungsarten Ge- borener zu liefern und eine Erklärung zu geben, welche jene Benennungen rechtfertigte. Ich habe daher die Bewegungen der Embryonen verschiedener Thiere seit mehreren Jahren in den Sommermonaten sorgfältig beobachtet und stelle zunächst ausser meinen Befunden eine Reihe von früheren kritisch zusammen, welche in der Literatur sehr zerstreut sind. Über die Bewegungen der Embryonen niederer Thiere. Zu den vielen biologischen Entdeckungen des unermüdlichen Swammerdam (gest. 1685), welche er in seinem grossen Werke „Die Bibel der Natur'"' beschrieb und durch zahlreiche Abbildungen erläuterte, gehört auch die Beobachtung der lebhaften Bewegungen, welche die Embryonen verschiedener Schnecken zeigen, ehe sie das Ei verlassen. Der treffliche Zootom schreibt von den Schneckeneiern, [20 die er untersuchte: „Die kleinsten davon waren nicht grösser, als eine Nadelspitze. Hielt ich sie an einem dunkeln Ort gegen ein brennendes Licht und besah sie alsdann, so sah ich, wie sie sich in der Feuchtigkeit der inneren, Amnium genannten. Haut ziem- lich geschwind und sehr zierlich herumdrehten . . . Bei anderen nackten Schnecken habe ich vielmals das noch im Ei verborgene Preyer, Physiologie des Embryo. 25 386 Die embryonale Motilität. Schneckclien durch die äussere Schale des Eies hindurch scheinen, sich sehr artig rühren und bewegen sehen, bevor es noch an's TagesHcht kam." Diese Beobachtungen, von deren Richtigkeit ich mich selbst überzeugte, blieben lange unbekannt. Denn Leeuwenhoek machte die Entdeckung noch einmal. Er schrieb am 1. Oct. 1695 in seinen Briefen über die enthüllten Geheimnisse der Natur von den lebenden Eiern der Holländisch Veen-Oesters oder Veen- [21 Mosselen genannten Muscheln: „Sogleich bemerkte ich mit grossem Vergnügen und mit grosser Verwunderung, wie diese nicht ge- borenen, noch in ihren Häuten eingeschlossenen Muscheln sich langsam herumwälzten, und zwar nicht eine kurze Zeit hindurch, sondern einige drei Stunden lang ... Sie kamen bei diesen Um- wälzungen keiner Seite der Haut, in welcher sie eingeschlossen Avaren, näher, sondern blieben immer gleich weit von ihr entfernt, nicht anders, als wenn wir eine Kugel sich um ihre Axe herum- drehen sehen. Unter diesen Yerhältnissen sah ich bald das Thier von seiner platten Oberfläche, wo ich dann die Gestalt und die feinsten Theile der Schale erkannte und begriff, wie die Schale wachsen könne, bald die Muschel von ihrer schmalen Seite. Mit einem Worte, dieses Schauspiel, das alle anderen an Reiz über- traf, genoss ich mit meiner Tochter und mit dem Kupferstecher zwei ganze Stunden hindurch; und an jeder noch nicht geborenen Muschel, die wir ansahen, erschienen uns diese Phänomene, welche weit über unseren Verstand gingen." Nach mehr als einem Jahrhundert haben mehrere fleissige Beobachter diese Thatsache der embryonalen Rotationen auf's Neue entdeckt; offenbar waren die Mittheilungen der beiden Holländischen Entdecker ihnen unbekannt geblieben. So beschrieb S. Stiebel 1815 in seiner Inaugural-Dissertation [9 die Drehungen des Embryo der Teichhornschnecke (Limnaeus stag- nalis). Er unterschied eine Axendrehung von einer kreisförmigen Bewegung des Embryo; erstere, zuerst langsam, später schnell, beginne am 4. bis 5. Tage und sei im Sonnenlicht schneller als im Schatten, letztere am 6. bis 7. Tage, dann blieben beide Be- wegungen eine Zeitlang zusammen sichtbar. Hugi beobachtete an derselben Schneckenart 1823 gleich- [120 falls sowohl die schnelle wohl über vierzigmal in der Minute er- folgende Axendrehung oder das Wälzen des Embryo, als auch die sehr langsame Rotation „im Ei herum". Er sah erstere er- löschen als die Schale deutKch wurde und bemerkte dann, dass A. Die Bewegungen thieriseher Embryonen. 387 der Embryo öfters Kopf und Fuss aus der eben gebildeten Schale hervorstreckte. Umfassender sind die Untersuchungen von C. G. Carus, [5 welcher in mehreren Abhandlungen, besonders 1823 und 1832, und bei mehreren Arten, auch Bivalven (bei Unio-, Anodonta- und Limnaeus-, sowie Paludina-Krtev) die Rotationen des Embryo im Ei genau beschrieb. Bei einigen finde, so meint er, nur eine Rotation im Ganzen in einer Ebene statt, nur in einer Richtung, mit ungleicher Geschwindigkeit; bald brauche eine Umdrehung 18 bis 80 Secunden, dann wieder, z. B. bei Zhiio intermedia, nur 15 bis 16 Secunden. Übrigens nahm die Umdrehungsgeschwindig- keit zu nach dem AVechseln des länger bewohnten Wassers; der Embryo bewege sich, auch wenn man die Schalenhaut zerreisse, noch eine Zeitlang fort, jedoch unregelmässiger als im Ei, während P. J. Yanbeneden und A. Ch. Windischmann später beim Limax- Embryo nach dem vorsichtigen Zerreissen der Eihüllen dieselbe Regelmässigkeit der Drehung wie vorher wahrnahmen, welche [ise auch im Ei stets in derselben Weise, das Kopfende vorn, verlief. Diese Beobachtungen erregten bald, nachdem sie bekannt wurden, grosses Aufsehen. Selbst ein erfahrener Zoologe [120 glaubte, es handle sich nicht um Schnecken, sondern Räderthiere, und wurde erst eines besseren überzeugt, als ihm Hugi die aus- geschlüpfte Schnecke zeigte. Andere meinten, nicht ein Embryo, sondern ein Wurm bewege sich im Ei. Ein Englischer Beobachter traute seinen Augen nicht und rief sein Dienstpersonal herbei, um sich zu vergewissern. Dann hielt er den Embryo für ein Entozoon. Seitdem ist aber an so vielen Embryonen nicht nur von zahl- reichen Gasteropoden, sondern auch von anderen niederen Thieren die rotatorische Bewegung im . durchsichtigen Ei gesehen worden, dass man sie für eine sehr weit verbreitete Erscheinung ansehen muss. Ihre Erklärung ist lange streitig gewesen. Während die ersten Entdecker bescheiden sagten, diese Phä- nomene gingen weit über ihren Verstand, waren die Wiederent- decker mit unkritischen Erläuterungen nicht zurückhaltend. So fand Stiebel eine interessante Ähnlichkeit der Bewegung des Schneckenembryo mit der Planetenbewegung, wodurch gewisser- maassen ein Übergang aus der unorganischen in die organische Natur gegeben sei. Carus meinte, die Polarität der Gegend, wo die Kiemen sich entwickeln, bewirke den von ihm als Ursache der Drehung angenommenen Respirationswirbel. 25* 388 ^^^ embryonale Motilität. Die richtige Erklärung gab zuerst E. Graut (1827), welcher [2 bei vielen Gasteropoden-Embryonen die Axendrehung und Kreis- bewegung im Ei sorgfältiger beobachtete und jedesmal als deren Frsache Cilienschwingungen erkannte, wie er auch die Bewegungen ganzer Eier zuerst auf Cilien zurückgeführt hat. [i Diese Wimperbewegung ist das erste Lebenszeichen des Em- bryo und namentlich viel früher sichtbar als der Herzschlag. Bei Trochus und bei Nerita sind die Wimpern so lang und ihre Os- [2 cillationen so rasch, dass der Embryo im Ei sich rastlos um die eigene Axe dreht. Wenn er ausschlüpft, wird er mit grosser Geschwindigkeit durch das Wasser gestossen. Vor diesem loco- motorischen Effect hat das intraovuläre Flimmern bei vielen Arten eine schleunige Zufuhr von Meerwasser zur Folge, nachdem die Embryonen mit diesem mittelst einer durch ihre Eigenbewegungen entstandenen Öffnung des Eies in unmittelbare Berührung ge- kommen sind. Das Wasser bringt dann in gleicher Zeit mehr Sauerstoff zur Athmung und mehr Kalk zur Schalenbildung. Die bei den cephalophoren Mollusken sehr allgemein vor- kommenden lebhaft vibrirenden Cilien an verschiedenen Puncten der Embryo- Oberfläche sind jedenfalls schon darum von grossem physiologischem Interesse, weil sie den durch die Eihaut statt- findenden osmotischen Verkehr, die Aufnahme des im Wasser diffundirten atmosphärischen Sauerstoffs und der gelösten Salze er- heblich steigern müssen. Diese Wirkung hat die Flimmerbewegung, Avenn auch nicht in so hohem Grade, schon ehe der Embryo rotirt. Bei dem Ackerschneckenembryo beginnt sogar die Dotterrotation vor seiner Bildung und dauert, namentlich von Temperatur- schwankungen abhängig', bis zum Ausschlüpfen. Es kommt [lee nun für die Kreisdrehung, welche eine Art Manege-Bewegung ist, und die Axen-Drehung oder Wälzbewegung nicht eine selbst bei sehr kleinen Embryonen mit langen und starken Cilien kaum mögliche Ruderwirkung der letzteren, sondern als Hauptursache der Rotation die durch das Flimmern in Gang gebrachte Strömung des Eiwassers in Betracht. Ausserdem sah Rabl (1879) Pia- [119 norbis-Embryonen schon sehr früh mittelst besonders grosser Cilien, die am Rande der Mundöffnung schwingen, Fruchtwasser in den Darm treiben, wodurch aber nicht nothwendig der ganze Embryo bewegt wird. Auch hier ist dessen Kreisbewegung „anfangs nur langsam und schüchtern, bald aber schneller und lebhafter." In sehr vielen, wenn nicht allen Fällen ist diese ungleiche A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 389 Geschwindigkeit der Drehungen zu Anfang und zu Ende der intra- ovulären Entwicldungszeit bemerkt worden. Bei einer Tritonia sah Sars am 18. Tage, nämUch 6 Tage [39 nach beendigtem Furchungsprocess, einige Embryonen im Ei sich langsam im Kreise drehen und zwar mittelst Cilien. Am 25. oder 26. Tage werden diese Bewegungen recht lebhaft. Am 30. oder 31. Tage platzt die Eihaut, die Embryonen treten hervor und schwimmen rasch mittelst ihrer Cilien herum. Schon 5 bis 6 Tage vorher fahren sie in allerlei Kichtungen äusserst rasch durcheinander. Jedes Ei enthält nämlich mehrere (5 bis 11) Dotter (wie bei Aplysia). In diesem Ealle, wie in vielen damit übereinstimmenden, schwimmt der Embryo anfangs wie eine todte Masse im Eiwasser und wird von dem Strome getragen, welcher durch langsame Summirung der ciliaren Stösse zu Stande kommt. Ist der Embryo einmal a,m Eotiren, dann genügt dieselbe Flimmerthätigkeit, die Bewegung zu beschleunigen, weil die Trägheit der Masse des Embryo hinzukommt. Ausserdem nehmen jedenfalls die Cilien an Länge, Stärke und Zahl zu. Sie können aber, wie gesagt, wegen der zu grossen Masse des Embryo in keinem Falle als locomoto- rische Instrumente angesehen werden, welche, sei es durch den inzwischen ausgebildeten Willen, sei es reflectorisch, wie Euder wirkten. Es ist nicht erforderlich, dass alle Wimperhaare in der- selben Eichtung schlagen, denn es wird immer nur ein Theil durch die antagonistische Wirkung eines anderen Theiles, wenn solche vorhanden, neutralisirt werden können. Ganz dasselbe gilt für die Axendrehung. Nur kommt es hierbei sogleich zu einer grösseren Umdrehungsgeschwindigkeit, weil die Widerstände geringer sind. Ausser den Eotationen zeigen die Embryonen der Weichthiere häufig noch Eigenbewegungen, welche auf Contractionen der eben gebildeten Muskelfasern beruhen. Schon Everard Home sah den Embryo der Flussmuschel im durchsichtigen Ei die sich bildenden Schalen schliessen und öffnen (1826). [3 Auch sah Leeuwenhoek bei kleinen Embryonen von See- [21 muscheln in ihren durchsichtigen Eihüllen nicht nur Bewegungen, [22 sondern er bemerkte auch, dass sie „zuweilen ihren Körper in die Länge streckten, und dass sie dabei einen Theil noch mehr her- vorstreckten, an welchem man jetzt eine runde Öffnung bemerkte, worauf dann das Thier seine gewöhnliche, länglich runde Gestalt wieder annahm; aber sobald das geschehen war, wiederholte es die beschriebene Bewegung, ohne sich jedoch von der Stelle zu 390 Die embryonale Motilität. bewegen, denn jedes derselben war in einer Haut eingeschlossen. Jede von diesen Bewegungen wurde etwa in zwei Secunden aus- geführt." Hierzu bemerkt Ernst Heinrich Weber (1828) mit Eecht, [23 dass diese an Testaceen (pisciculos testaceos vulgares) im frühen Embryozustand beobachteten Bewegungen mit der von ihm selbst an Blutegelembryonen wahrgenommenen Ähnlichkeit haben. Er sah nämlich, dass die linsenförmigen, den Dotter einschliessenden [23 ganz jungen Eilinge, welche erst eine halbe Linie im Durchmesser gross und noch ganz durchsichtig sind, schon mit einem Munde und trichterförmigen Schlauche versehen waren, der von der Oberfläche zum Centrum führt. Dieser macht schluckende Be- wegungen, zieht sich ein und streckt sich wieder hervor. Ausser- [159 dem zieht sich der Rand des Thieres ein und dehnt sich wieder aus, so dass Einbiegungen an ihm entstehen, die wie Wellen um den ganzen Dotter stundenlang im Kreise rechts herumlaufen. Auch der Planoi^bis-^imhvjo macht, wie ßabl fand, wäh- [119 rend er sich vermöge seiner Cilien dreht, vermöge seiner Muskel- fasern selbständige Bewegungen im Ei. Diese beschränken sich anfangs fast nur auf den Euss, welcher gewöhnlich nach rück- wärts gegen die Schale gezogen wird. Einen besonderen Rhyth- mus, wie er von Anderen behauptet wird, bemerkte Rabl nicht, fand vielmehr, dass die Zusammenziehungen sehr unregelmässig nach bald längeren, bald kürzeren Pausen und bald mehr bald minder kräftig erfolgen. Ebensowenig bemerkte er selbständige Contractionen der Nackengegend, wie sie bei anderen Schnecken vorkommen; die Aufblähungen des Nackens seien die Folge der Erschlaffung des Fusses, seine Abflachung sei Folge der Contraction des Fusses, daher die rhythmische Abwechslung zwischen Nacken- und Fuss- Contraction einzig durch die Fussbewegungen bedingt sei; übrigens sei eben dieses Wechselspiel physiologisch wichtig, weil es das Blut oder die Hämolymphe in die verschiedenen Körpertheile treibt, die Circulationsorgane ersetzend, gerade wie die ciliare Rotation die Respiration und zum Theil schon Assi- milation ermöglicht und begünstigt. Die Bewegungen des Embryo von Nemertes beobachtete Desor. Er sah am 12. bis 14, Tage die durch Wimpern ver- [les ursachte sehr langsame und unregelmässige Dotterdrehung, welche die Dotter auch im Wasser fortsetzen nach dem Öffnen des (mehrere Dotter enthaltenden) Eies. Am 21, Tage traten erst die activen Contractionen und Streckungen des Embryo ein, völlig A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 391 unabhängig von der üotterdrehimg. Auch dieses Vorstrecken und Zurückziehen des Kopfendes findet in gleicher Weise im Ei, wie nach dem Öffnen desselben im Wasser statt. Das Thier .,scheint vollkommen seine Bewegungen zu beherrschen, und wenn man es umherschmmmen und an verschiedene Gegenstände anstossen sieht, so möchte man versucht sein zu glauben, dass es mit einem gewissen Grade von Neugierde begabt sei." Eher ist die wechselnde Füllung und Entleerung der Leibeshöhle mit Dotterflüssigkeit, bez. Wasser, dem Schlucken und Erbrechen zu vergleichen. Übrigens trägt der Embryo an seiner Oberfläche ähnliche Wimpern wie die ihn umgebende Dotterhülle, so dass ihm nach Abstreifung der letzteren auch passiv durch Cilienschwingungen der Elüssigkeits- wechsel an seiner Oberfläche zu Statten kommt. Über die ebenfalls auf einer Wimperbewegung beruhende Rotation der Dotterkugel im Kaninchenei siehe S. 73. Bei zahlreichen Heteropoden sah Eol den Embryo mittelst [242 Cilien lange vor dem Ausschlüpfen im Ei sich sehr lebhaft drehen. Die motorischen Wimpern entstehen am spätesten in der Um- gebung des Mundes. Auch in den Eiern der Seeigel bewegt sich — und zwar 12 bis 24 Stunden nach der Befruchtung — der Embryo, indem er sich bald continuirlich um sich selbst dreht, bald ruckweise seine Lage ändert. Die Eihaut reisst dann, der Embryo sitzt in der Öffnung und nun sieht man die zahlreichen Cilien nach Derbes, [339 welcher schliesslich den Embryo sich ganz frei machen und ge- radeaus sich bewegen, sowie (angeblich mittelst der Cilien als loco- motorischer Gebilde) sich drehen und hin- und herschwanken sah. Dufosse sah auch vor dem Ausschlüpfen die Cilien sich be- [34o wegen und nach 24 bis 42 Stunden den Embryo starke Bewegungen machen, so dass die Eischale platzte. Ich selbst sah (im Juni 1883) nach dem Anstechen einer grossen Clepsine unter dem Mikroskop eine Anzahl junger Clep- sinen von jener, an deren Unterseite sie adhärirten, sich trennen und ungemein lebhaft bewegen und zwar in derselben Weise nur energischer als die alten. Was dabei besonders merkwürdig erscheint, ist die Thatsache, dass der Schlund sogleich kräftige Schluckbewegungen machte wie bei dem Mutterthier und zwar wie bei diesem auch nach der Abtrennung von dem übrigen Körper: eine rein erbliche Bewegung. 392 ßie embryonale Motilität. Über die Bewegungen der Embryonen allothermer Wirbeltliiere. In Froscheiern entdeckte Swammerdam eine drehende Be- [20 wegung des Embryo: „Sehr wunderbar und schön Hess es, wenn die Frucht sich am 5. Tage in dem Wasser-Amnion herumtrieb, kehrte und drehte. Denn sie war beinahe beständig in Bewegung." Die Ursache dieser Rotation fand Bischoff in der FHmmer- bewegung. In Froscheiern sah er vier Tage nach dem Beginn [36 des Furchungsprocesses Kopf, Bauch und Schwanz der Embryonen angelegt und an ihrer Oberfläche "Wimperbewegungen durch sehr feine glashelle Cilien, Sie drehten sich noch nicht, aber nach 2 ^2 Stunden fing der erste Embryo an zu rotiren. „Die Dreh- ungen erfolgten mit dem Bücken voraus, nicht in einer Horizontal- ebene, sondern wahrscheinlich in einer Spirale, indem bei derselben Lage des Eies bald der Bücken, bald der Bauch oben war. Das Chorion war etwas oval und änderte seine Form bei der Drehung des länglichen Embryo nicht; vielmehr wurde derselbe, wenn er mit seiner Längenaxe in die Queraxe des Chorion kam, offenbar angehalten, krümmte sich stärker und rückte langsam fort, bis er wieder in die Längenaxe des Eies kam, wo die Bewegung dann ziemlich schnell war." Als Bischoff ein Ei mit drehendem Embryo in kälteres Wasser legte, wurde die Bewegung sehr langsam, be- schleunigte sich aber wieder beim Erwärmen. Ebenso blieben die meisten Embryonen bei eintretender Abendkühle ruhig; am anderen Morgen in der Sonnenwärme waren fast alle in der Drehung be- griffen. Spontane Bewegungen des ganzen Körpers sah Bischoff damals noch keine und doch verliessen an demselben Morgen viele die Eihüllen, das heisst vor Ablauf des 5. Tages, seitdem der Theilungsprocess des Dotters begonnen hatte. Diese Drehung der Froschembryonen im Ei sah auch Pe- schier (1817) mit der Lupe, sowie H. Cramer (1848), der [I62.37 den Embryo langsam und gemessen wie um eine ideelle ihm durch Rücken und Bauch gestossene Spindel sich drehen sah. Die Cilien nahm er nicht wahr. Für die Eier von Rana temporaria fand S. L. Schenk, dass [es die drehende Bewegung ungefähr in dem Stadium zuerst auftritt, in welchem die Rückenfurche wahrgenommen wird und ununter- brochen anhält, bis der Embryo die Eihülle verlässt. Bei Erwär- mung auf 24*^ bis 30'^ brauchte derselbe zu einer Umdrehung A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 393 viel weniger Zeit als vorher, da die einzelne ßotation zwischen 5 und 13 Minuten erforderte. Wurde der Embryo in äusserst verdünnte Säuren gelegt, so hörte gleich die Bewegung auf. Die Flimmerhaare an der Oberfläche der Embryonen sah Schenk peitschenförmig schlagen, aber nicht an allen Stellen in derselben Eichtung. Hierdurch wird die auffallende Ungleichheit der Rotations- zeiten verständlicher. Denn diese dauerte in 2 Fällen zwischen 5 und 6, in 5 zwischen 6 und 7, in je 1 zwischen 7 und 8, zwi- schen 8 und 9, zwischen 10 und 11, zwischen 12 und 13 Minuten wahrscheinlich bei Zimmertemperatur. Die Richtung der [es Drehung war stets so, dass der Kopf des Embryo nach links sich bewegte, wenn der Beobachter vom Schwanzende desselben aus- ging, also wenn der Kopf der Uhrzeigerspitze entsprach, entgegen- gesetzt der Uhrzeigerdrehung. Ich selbst habe diese Drehung des Froschembryo (im Mai 1879 und April 1880) mit besonderer Rücksicht auf die Frage, ob sie wirklich ununterbrochen vor sich geht, beobachtet. Und ich finde, dass, abgesehen von dem anhaltenden Stillstande der- selben bei niedriger Temperatur, schon lange ehe der .Embryo das Ei verlässt, noch eine Unterbrechung durch Eigenbewegungen desselben eintreten kann. Bisweilen bewegt der Embryo plötz- lich zuckend den Kopf, und sehr oft sah ich ihn den Kopf seit- lich gegen den Schwanz biegen, ein-, auch zweimal nach links, dann ein-, zweimal nach rechts, dann wieder nach links usw. Der Übergang von der sinistroconvexen C zu der dextroconvexen O Krümmung und umgekehrt (Tafel VII, Fig. 1) geschah meist schnell, so dass der Embryo eine 8- und S-Form annahm, dann die C und OForm, in der links- wie in der rechts-gebogenen Stellung aber oft während mehrerer Secunden verharrte. Wenn nur das Ei um 180 '^ gedreht wird — bei ruhendem Embryo — tritt selbstverständlich dieselbe Lageänderung, ein C statt O ein. Ich bemerke ausdrücklich, dass auch diese sonderbaren Eigen- bewegungen lange vor dem Verlassen der Eihülle eintreten und bequem mit blossem Auge erkannt werden, auch von der Rotation, die sie unterbrechen, völlig unabhängig sind. Die Betrachtung des durchsichtigen Eies mit der Lupe lässt ferner unzweifelhaft erkennen, dass der Embryo mit dem Kopf gegen die Eihaut stösst, wahrscheinlich sie damit durchstösst. Gerade strecken kann sich die Larve erst nach dem Verlassen des Eies. Und dann sieht man sie immer noch ab und zu dieselben Bewegungen wie im Ei 394 Die embryonale Motilität. ausführen, ohne den Ort zu verlassen. Der Kopf biegt sich plötz- lich seitKch gegen den Schwanz bald links, bald rechts. Waren also diese Bewegungen, welche mit dem directen Anstossen des Kopfes gegen die Eihaut alterniren, Versuche des Embryo sich zu befreien, so setzt die eben ausgeschlüpfte geradgestreckte Larve die Bewegung vielleicht nur aus alter Grewohnheit fort, wie das ausgeschlüpfte Hühnchen eine Zeitlang gern die gewohnte Lage, die es im Ei inne hatte, wieder einnimmt. Oder stellen die seitlichen Kopfbewegungen etwa Yorübungen für das bald ein- tretende Schwimmen vor? Jedenfalls machen diese schnellenden Biegungen des Frosch- embryo im Ei kurz vor, ausserhalb derselben kurz nach dem Ausschlüpfen ganz den Eindruck von activen Bewegungen ohne angebbaren äusseren Reiz. Sie gehen ausnahmslos vom Kopf aus und treten wahrscheinlich dann zum ersten Male ein, wenn die morphische Entwicklung soweit fortgeschritten ist, dass die Lebens- fähigkeit auch nach Durchbrechung der Eihülle fortdauern kann. Sie setzen eine gewisse Ausbildung des Nervensystems voraus. [I62, ei ImGregensatzzu diesen energischen, in der Wärme meist raschen, aber schon bei niederer Zimmertemperatur recht lebhaften, ac- tiven Bewegungen steht nun die continuirliche, durch sie gestörte Rotation, welche sofort nach dem Ausschlüpfen aufhört, obwohl die riimmerbewegung, wie ich mich leicht überzeugte, auch dann noch — sogar nach dem Zerquetschen der Larve — an der Ober- fläche bleibt. Hieraus geht hervor, dass die Drehung nicht durch das Peitschen der glashellen Wimpern an der Oberfläche des Embryo direct bedingt ist, sonst müsste auch die eben aus- geschlüpfte Larve gleichsam von der Stelle gerudert werden, was nicht der Fall ist. Eine solche Ruderarbeit können die Cilien in diesem Falle trotz ihrer Rastlosigkeit wegen der Masse des Em- bryo, welche im Verhältniss zu ihrer eigenen Länge zu gross ist, ebensowenig wie bei den Schnecken -Embryonen (S. 389) leisten. Dagegen müssen sie, zum grössten Theil nach 6iner Richtung schwingend, in dem geschlossenen Ei eine Strömung hervorrufen, und durch diese wird dann der Embryo, wenn durch Summirung der einzelnen Stösse der Kreisstrom oder die spiralige Strömung schnell genug geworden ist, mitgetrieben wie ein todter Körper, geradewie im Schneckenei der bewimperte Embryo. Übrigens geht nicht allemal die Drehung in derselben Rich- tung im Räume vor sich. In zwei nebeneinanderliegenden Eiern (3 und 5 der Fig. 1, Taf. VII) sah ich den einen Embryo wie den A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 395 Uhrzeiger, den anderen in entgegengesetzter Richtung sich drehen wegen Rollung des Eies. Und in einem anderen Ei wechselte der Embryo die Rotationsrichtung, indem er auch die Lage wechselte, von der sinistroconvexen zu der dextroconvexen plötzlich über- gehend. Constant ist nur die Richtung der Drehung vom Kopt zum Schwanz hin. Endlich fand ich Schenk's Angaben auch in Betreff der Drehungsgeschwindigkeit unvollständig. Denn nicht selten ist diese (schon bei IT'^C.) erheblich grösser, als er sagt. Ich sah die einzelne Rotation schon in einer Minute bisweilen sich fast vollenden. Hatte das Wasser 34^, so wurden zwei Um- drehungen in 85 Secunden beobachtet, bei 36° sogar vier in 65 Secunden. Dagegen war bei 13° nur eine sehr langsame Be- wegung wahrzunehmen. Wo aber das Temperatur-Optimum liegt, welches die grösste Rotationsgeschwindigkeit ohne Schädigung herbeiführt, ist noch zu ermitteln. Meine Versuche zeigen, dass das Temperaturmaxi- mum, welches die Cilien ertragen, erheblich höher liegt, als das- jenige, welches der Embryo erträgt. Denn bei 32 bis 33° waren alle Embryonen in lebhaftester activer oder drehender Bewegung begriffen. Bei 36° nahmen die activen Schlängelungen bedeutend ab, aber die Kreisdrehung ging schleunig vor sich, z. B. in 17 Se- cunden eine Rotation. Bei 38 bis 39° war keine einzige active Bewegung in den Eiern mehr zu sehen, aber die Umdrehungen fanden nach wie vor statt. Sogar als das Wasser, in dem die Eier sich befanden, durch vorsichtiges Zugiessen von warmem Wasser 41 ° erreicht hatte und alle Embryonen ohne Zweifel schon der Wärmestarre nahe waren, ging die circuläre Bewegung noch in vielen Eiern von Statten. Erst bei 42° war sie überall erloschen (Ygl. S. 346). Auch die Versuche, welche mein Assistent Dr. Otto Flöel auf meinen Wunsch an Froschembryonen im Ei anstellte, haben das Tem- peratur-Optimum nicht kennen gelehrt, zeigen aber sehr deutlich den be- schleunigenden Einfluss der Wärme. Ich stelle hier einige seiner Beobach- tungen zusammen. 4. April 1882. Die Dauer jeder Rotation beträgt bei sechs Embryonen in Wasser von 14,6° (bei einer Lufttemperatur von 13,3") 20, 20, 14, 18, 16, 10 Minuten, variirt also bei derselben Temperatur erheblich nach den Individuen. 5. Apr. In Wasser von 21,5° (Luft 16,9°) dauerte jede Umdrehung bei einem Embryo ungefähr ^/^ Minute, und 5 Umdrehungen fanden ohne active Bewegung statt. Ein anderes Ei gab bei 24° für eine Eotation 2 72) bei 25° nur 1 Minute. 396 Die embryonale Motilität. 6. Apr. In zwei Eiern, die plötzlich in Wasser von 35° gebracht wurden, machten die Embryonen einige active Bewegungen und waren dann todt. Ein anderes Ei gab folgende Zahlen (Luft 17,5"): Wassertemperatur: 24" 25 <* 29° 31° 32° 83° 36,5° 40° Dauer d. Eotation| ^g^ ^^^ ^^ ^^ 3^ ^^ I^;-^^ _ m becunden ) Die Temperatur wurde plötzlich von 36,5 auf 40 erhöht, worauf Stillstand eintrat. 6. Apr. Die Erwärmung des Wassers von 26,50 bis 37,8° fand all- mählich innerhalb einer Stunde statt, bei einer Lufttemperatur von 17,5°. Wassertemperatur: 26,5° 270 300 31° 32° 33° 34° 36° 37° 37,6° 37,8° Dauer einer EotaO ^^ ^^ ^^ ^^ ^^ ^^ g^ 25 30 35 120 tion in öecunden-J Bei 29° eine lebhafte active Bewegung, bei 37,8° eine zweite Umdrehung von 7 Minuten Dauer. Nach Erwärmung auf 40° und Abkühlung Tod. 7. Apr. Luft 16°. Wassertemperatur 13° 16,5° Eotationsdauer 25 13 Minuten beim ersten Embryo. Beim zweiten dauerte eine Rotation 12 Minuten bei 20°. Beide unterbrachen die Beobachtung durch Ausschlüpfen, indem sie lebhafte Bewegungen machten, mit dem Kopfe die Eiwand durchbohrend. Aber sie verliessen das Ei ohne eine active Bewegung auszuführen. Ganz ähnliche drehende passive und active Bewegungen wie beim Proschembryo sind an den Embryonen vieler Fische, ehe sie das Ei verlassen, beobachtet worden. So constatirte Rusconi, dass die Eier des Hechtes dreissig [38 Stunden nach der Befruchtung eine ziemlich langsame Rotation zeigen, welche er einer Wimperbewegung zuschrieb. In den Eiern der Alosa ßnta sah de Eilippi zwei Tage nach der Befruchtung die Embryonen sich bewegen, von denen einige am dritten Tage das Ei verliessen. [341 Lachsembryonen, welche noch so stark gekrümmt waren, dass Kopf und Schwanz fast aneinander stiessen, sah Schonberg sich dann und wann im Ei zusammenziehen und ausdehnen, [eo In den Eiern der Steinforelle erkannte ich sehr deutlich bei guter Beleuchtung mit der Lupe, ja schon mit unbewafi'netem Auge am 43. Tage nach der Befruchtung starke Rumpf bewegungen, ein Vorschnellen der Mitte und Ausbiegen des oberen Schwanz- theiles. Am folgenden Tage sah ich auch seitliche starke Kopf- zuckungen und Annähern des Kopfes an den Schwanz ohne an- gebbare äussere Ursache im unversehrten Ei. Die Augen waren schon sehr dunkel. Am 46. Tage bewirkte ein rascher Druck auf das Ei mit dem Messerrücken ungemein lebhaftes Hin- und Her- schlagen mit dem Schwanzende, so dass die Spitze fast bis an A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 397 den Vorderkopf gelangte. Diese energischen Bewegungen wieder- holten sich öfters nach einmaliger Reizung und müssen schon reflectorisch genannt werden. Denn am folgenden Tage konnte ich den Embryo, welcher gerade gestreckt schon 10 bis 11 Mm. lang sein kann, nicht nur nach einem Stich in das Ei, durch einen Druck auf dasselbe jedesmal zu lebhaften Schlangenwindungen und Achtertoüren veranlassen, sondern auch nach Anschneiden des Eies mitsammt dem Dottersack heraustreten lassen , und in dem umgebenden Wasser bewegte sich das embryonische Thier in der- selben Weise wie im Ei, nur bleibt es in der Ruhelage gerade- gestreckt, wie die — am 55. Tage — von selbst ausgeschlüpften Thiere. Jede Berührung des Rumpfes und Schwanzes hatte dann eine neue Bewegung zur Eolge. Doch Hessen sich zu dieser Zeit noch keine regelmässigen Reflexe constatiren. Meistens wird der berührte Theil nicht abgewendet, sondern Kopf und Schwanz werden, wie im Ei, einander genähert. Bemerkenswerth ist dabei die grosse Lebenszähigkeit des Embryo, welcher noch viertel- stundenlang nach dem Aufhören der Herzthätigkeit fast blutleer und nach dem Abschneiden des Dottersacks in dem ihm nicht zusagenden Wasser doch mit den reflectorischen schnellenden Bewegungen fortfährt, wenn man ihn berührt. Die am 55. Tage und später ausgeschlüpften Forellen bewegen sich, trotzdem der schwere Dottersack sie dabei hindert, bisweilen sehr schnell vor- wärts, bis sie gegen ein Henimniss, z. B. ein Forellenei, anstossen, drehen sich auch im Kreise schnell herum, offenbar ziellos. Die Muskelkraft, welche dabei wirksam ist, muss in Anbetracht der Kleinheit des Thieres (etwa 1 Centim.) und der Masse des ISTah- rungsdotters, sehr gross sein. Auch die Kiemendeckel werden, wie ich bemerkte, ungemein schnell (viel schneller als das Herz) hin- und herbewegt, aber zu Anfang des extra-ovären Daseins, mit (kurzen) Intermissionen, wie im unversehrten Ei. Da diese von mir häufig im Ei beobachteten Schwingungen der Kiemendeckel sehr frequent sind, so muss dem Embryo schon ein bedeutendes Bewegungsvermögen zukommen, lange ehe er ausgeschlüpft ist. Einige Zählungen seien hier mitgetheilt. Wegen der grossen Frequenz zählte ich nur mittelst der '— i zwölf ersten (einsylbigen) Ziffern (sieben = siebn) und 1 bezeichnete jede Dodekade mit einem Strich ohne hinzu- 1— ; sehen und den Bleistift zu erheben. So wurden Zick- zacklinien oder Trej)penlinien erhalten bei continuirlicher Beobach- tung und nachher die Zahl der Absätze mit zwölf multiplicirt. 398 Die embryonale Motilität. Vier am 45. Tage (20. Febr. 1882) nach der Befruchtung (6. Jan. 1882) beobachtete normale, im Laboratorium gezüchtete Forellenembryonen lieferten mir folgende Zahlen. Ei A. Embryo zum Theil ausgeschlüpft. in 1 Minute Herz Kiemendeckel 10'' 20°^ Kiemendeekel 52 mal in 22 Secunden • 142 21 Herz 52 „ „ 52 „ 60 24 Lebhafte Bewegung 15 „ „ 14 „ 64 25 „ „ 13 „ „ 12 „ 65 27 Weiter ausgeschlüpft 14 „ „ 12 „ 70 28 Kiemendeckel kaum zu zählen 29 Herz 31 mal in 19 Secunden 97 31 „ 50 „ „ 86 ,, 83 Jede Berührung hat heftige Bewegungen zur Folge. 10'' 40™ durch solche plötzlich der Embryo von der Eihaut ganz befreit. Nachher bewirkt gleichfalls jede noch so leise Berührung des Schwanzes heftige Bewegungen. in 1 Minute Herz Kiemendeckel 21147 m Kiemendeckel 64 in 15 Secunden • 256 Herz 50 „ 40 „ 75 Ei B. Unvollständig ausgeschlüpft. 21145m jjej.g 50 in 38 Secunden 79 • 54 Kiemendeckel 108 „ 22 „ • 295 • 55 „ 96 „ 21 ,. • 274 Ei C Eben vollständig ausgeschlüpft. 3''0™ Herz 31 in 34 Secunden 55 Kiemendeckel 96 „ 30 „ • 192 Ei D, Vollständig ausgeschlüpft. S'^ö™ Herz 50 in 40 Secunden 75 Kiemendeckel 108 „ 20 „ • 824! „ 132 „ 28 „ . 283 3'' 8™ „ 72 „ 11 „ • 393! Die enorme Geschwindigkeit dieser Kiemendeckelschwingungen schon im Ei, vollends während des Ausschlüpfens und unmittel- bar nach demselben gehört zu den auffallendsten Erscheinungen, welchen ich bei Untersuchung der embryonalen Bewegungen über- haupt begegnet bin. Ich hielt die vier jungen Eorellen A, B, C, D noch 9 Tage am Leben (bis zum 1. März) in Uhrgläsern von- einander getrennt mit einem grünen Blatt in jedem, um ihnen Sauerstoff zuzuführen, aber jene Oscillationen gingen ohne Unter- A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 399 brechungen weiter vor sich. Sie werden auch im Ei in den letzten Tagen der Entwickhing nicht häufig lange unterbrochen. An einem ebenfalls am 45. Tage nach der Befruchtung am 20. Febr. ausgeschlüpften Forellenembryo erhielt Hr. Sy in meinem Laboratorium folgende Frequenzen der Kiemendeckelschwingungen : 10 '^39'" in 15 See. 68 entspr. 272 in der Minute IIMO- „ 25 „ 120 „ 288 „ „ • 20- ,, 40 „ 200 „ 300 „ „ ,; • 32- „ 25 „ 104 „ 250 „ „ „ 30 „ 144 „ 288 „ „ • 55- „ 40 „ 176 „ 264 „ „ Auch die Embryonen der Äsche (Thymallus vexillifer) im unverletzten durchsichtigen Ei zeigen dieselbe Erscheinung. Dr. Flöel zählte hier vor dem Sprengen des Eies im einem Ei 180, in einem zweiten 280, nach dem Ausschlüpfen 300 Schwingungen des Kiemendeckels in der Minute und 120 Herzschläge. Das Wasser zeigte beidesfalls 11°. Bei diesen Embryonen finden häufig im Ei mehr oder weniger heftige Stösse, active Bewegungen statt, so dass hier ebenfalls Drehungen vom Kopf zum Schwanz hin eintreten. Diese aperio- dischen Rotationen sind von sehr ungleicher Dauer. Nach Dr. riöel's für mich ausgeführten Beobachtungen betrug sie bei einem Ei am 15. April 1882 in Wasser von IP (bei Luft von 12°) für eine Rota- tion dieser Art 1) 3 Vg Minuten, 2) 8 Min., 3) 32 Min. Dazwischen fanden bisweilen energische Bewegmigen mit , Lageveränderung oder Ruhepausen von einigen Minuten Dauer statt. Die Anzahl der Stösse betrug bei der Rotation 1) 68, bei 3) 152. Bei anderen Äschenembryonen wurden ähnliche Differenzen erhalten. Sowohl diese Drehungen, als auch die durch Flimmerbewegung bedingten der Froschembryonen, welche ich bei Fischen nicht beobachtete , haben jedenfalls einen grossen Vortheil für den Embryo im geschlossenen Ei. Denn sie erhalten das Fruchtwasser in steter Bewegung; dadurch kommen immer andere Theile des- selben in raschem Wechsel an die Eihaut und können aus dem umgebenden Wasser Sauerstoff aufnehmen und vielleicht Kohlen- säure in dasselbe abgeben. In demselben Sinne, nur noch viel energischer, arbeiten die Kiemendeckel entsprechend dem durch die fortgeschrittene Entwicklung gesteigerten Sauerstoffverbrauch. Beim Frosch, dessen Embryo viel früher das Ei verlässt, erschien ein solcher gesteigerter Wasserwechsel unnöthig. Dass aber die Forellen- und Äschen -Embryonen im Ei wirkhch Sauerstoff auf- 400 Die embryonale Motilität. nehmen, ist durch die hellrothe Farbe ihres Blutes bewiesen; im Herzen, in den grossen Gefässen des durchsichtigen Körpers und ganz vorzüglich in denDottergefässen (S. 22) erkennt man sie leicht. — Es ist, um über die Beschaffenheit der alle diese Bewegungen vermittelnden contractilen Substanzen im Embryo Aufschluss zu erhalten, von Wichtigkeit, Änderungen — etwaige Steigerungen und Abnahmen — der Motilität zu beobachten nach Einwirkung verschiedener chemisch reiner Stoffe (Vgl. S. 198). Strychnin und Morphin führen bei gewöhnlicher Temperatur nach älteren Angaben schnell die Bewegungslosigkeit der [no Froschembryonen herbei; wahrscheinlich ist aber bei den Ver- suchen die zur Lösung verwendete Schwefelsäure wirksamer, als das Alkaloid gewesen. Da jedoch die Embryonen nach Strychnin- vergiftung sich im Ei krampfhaft bewegten, nach Morphinvergif- tung nicht, mag auch eine toxische Wirkung der beiden Basen hinzugekommen sein. Die Versuche (von Baudrimont und Martin Saint- Ange 1843) sind zu wiederholen. Wegen der kurzen Dauer der Beobachtungszeit in jedem Frühjahr konnten auch in meinem Laboratorium nur wenige Ver- suche nach dieser Richtung ausgeführt werden. Ich fand jedoch und Dr. Flöel bestätigte, dass Einlegen von Äscheneiern einige Tage vor dem Beginn der Sprengung in einprocentige wässerige Chlorkaliumlösung einen deutlichen Einfluss auf den Embryo hat. Während eines sechsstündigen Aufenthaltes in jener Lösung verkürzte sich die Dauer der erwähnten durch active Stösse zu Stande konamenden Drehungen und die Stösse waren energischer. Es ergab sich die Dauer der Eotation: 67 85 60 62 Secunden die Anzahl der Stösse: 13 14 13 16 bei 12«. Als aber dieses Ei 24 Stunden in der einprocentigen Kaliumchloridlösung von 18*^ bis 11** gelegen hatte, dauerte eine Rotation neun Minuten und die Anzahl der viel schwächeren Stösse des Embryo innerhalb derselben betrug 136, während das Herz fast normal 72 mal in der Minute schlug und die Kiemendeckel 160 mal in der Minute schwangen. Nach dem Zurückbringen in Wasser veränderte zwar der Embryo bisweilen seine Lage im unversehrt gebliebenen Ei, führte aber keine regelmässigen Stösse mehr aus. Beim Erwärmen zeigte er keine Veränderung und ging bei 30" zu Grunde. Ein zweites Äschenei blieb zwei Stunden in 6 Grm. der einprocentigen Kaliumchloridlösung von 8,5" bis 18,5" liegen. Keine Rotationen, keine regel- mässigen Stösse; in Intervallen von einigen Minuten lebhafte Bewegungen des Embiyo mit Lageänderung. Nach sechs Stunden in der Lösung bei 12,5" Kiemendeckel 200 i. d. Min. Nach 24 Stunden in derselben war das Thier ausgeschlüpft und todt. A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 401 Im dritten Ei — in Wasser — machten die Kiemendeckel bei 8,5* und bei 12,5'* in der Minute 180 Schwingungen, am folgenden Tage nach dem Ausschlüpfen dagegen 300 (bei 94 Herzschlägen), dann in Wasser von 11" noch 280 in der Minute. Der Embryo brauchte aber 42 Minuten zu einer Umdrehung und machte während derselben 100 Stösse vor dem Aus- schlüpfen bei 12,5'^. Ein viertes Aschenei in 5 Grm. einpro centiger Lithiumchloridlösung von 8,5 bis 18,5° verhielt sich wie das erste in Kaliumchloridlösung und brauchte nach 6 Stunden ebenfalls 42 Minuten zu einer Umdrehung bei 12,5". Während derselben fanden 216 Stösse statt und in der Minute 240 Kiemendeckelschwingungen, dann eine Pause. Herz 92 in der Minute. Nach 24 Stunden in der Lösung 100 Herzschläge und 171 Kiemendeckelschwing- ungen in der Minute. Am darauffolgenden Tage schlüpfte das Thier in Wasser von 18" aus und machte 300 Kiem.-Deckel-Schwing. und 120 Herz- schläge in der Minute, hierauf in 2 Grm. der einprocentigen Kaliumchlorid- lösung gebracht 302 Kiem.-Deckel-Schw. und 140 Herzschläge, nach einer halben Stunde jedoch nur 79 Herzschi, in d. Min. Ein fünfter Aschenembryo im Ei in 3,4 Grm. einprocentiger Ammo- niumchloridlösung von 8,5 bis 18,5" brauchte nach 6 Stunden 40 Stösse zu einer Umdrehung bei 80 Herzschlägen und 200 Kiem.-Deckel-Schwing. in der Minute. Nach 24 Stunden in der Salmiaklösung war der Embryo im ungesprengten Ei abgestorben. Ein sechstes Aschenei wurde in Wasser von 14,5 o beobachtet. Der Embryo machte 150 Herzschläge in der Minute. Dem Wasser wurde etwas Kaliumchlorid zugefügt. Sofort trat grosse Unruhe des Embryo ein, wo- durch die Zählung der Herzschläge unmöglich. In den darauffolgenden 20 Minuten betrug die Herzfrequenz i. d. Min. 132, 108, 90, 70, 0 und der Embryo erholte sich in Wasser nicht. Ein siebentes Aschenei zeigte in Wasser von 14,5" ebenfalls 150 Herz- schläge. Nach Zusatz von wenig Chlorkalium nahm diese Frequenz etwas zu, dann ab; innerhalb der nächsten 25 Minuten betrug sie nämlich nach- einander 160, 156, 150, 85^25 40 i. d. Min. Das Ei wurde dann in Wasser gelegt und der Embryo erholte sich. Ein achtes Aschenei zeigte in Wasser von 16,50 ebenfalls 150 Herz- schläge i. d. Min. Nach Chlorammoniumzusatz trat keine Frequenzsteigerung ein. Nach einer halben Stunde: 60 Herzschläge in der Minute. Auch auf die vorhin beschriebene FHmmer- Rotation, welche in embryonirten Froscheiern vor sich geht, wirkt Kaliumchlorid in einprocentiger Lösung schnell, und zwar verzögernd. Ein Tropfen Ammoniakwasser in das Uhrglas gebracht hebt sie so- fort auf (vgl. S. 199). Aus diesen und anderen Beobachtungen, welche geradeso in meinem Laboratorium in grösserer Zahl ausgeführt worden sind, folgt, dass die contractilen Substanzen des Fisch- und Frosch- Embryo gegen sehr kleine Mengen neutral reagirender Alkalisalz- lösungen ungemein empfindlich sind. Um so bemerkenswerther Preyer, Physiolog'ie des Embryo. 26 402 Die embryonale Motilität. erscheint diese Eigenschaft, als noch vor der Ausbildung von Ganglienzellen und Muskelfasern im eigentlichen Sinne Lereboullet den Forellen-Embryo sowohl allgemeine Bewegungen, als auch [4i7 starke Zuckungen des Schwanzes ausführen sah, wenn er das Ei öffnete (vgl. S. 397). Schon am 17. und 18. Tage sah er auch das Herz langsam und unregelmässig schlagen nach Öffnung des Eies. Es bestätigt sich also wiederum, dass der Embryo sich bewegt, ehe seine Muskelfasern und die dazu gehörenden motorischen Nerven ausgebildet sind. Moritz Nussbaum kam (1883) zu demselben Resultat. Er [5i4 sah den der Quere nach halbirten Forellen-Embryo nach Berüh- rung der unteren Dottersackhälfte die gleichörtigen Muskeln zu- sammenziehen und bei starker Reizung die ganze zugehörige untere Körperhälfte zucken trotz der Trennung des Gehirns vom Rücken- mark. „Die Nerven stammen somit aus dem Rückenmark und vermitteln das Schmerzgefühl bei Berührung", aber „die Nerven functioniren, bevor sie sich in den Stämmen mit einer Markscheide umgeben haben: an der Peripherie bleiben sie stets marklos". Den Herings -Embryo sah Kupffer sogar, ohne dass Blut- körperchen und Hämoglobin auffindbar waren, am vierten Tage seit der Befruchtung, als auch das Herz anfing, langsam zu [437, 219. 221 pulsiren, sich bewegen und am siebenten seit dem Ausschlüpfen den Augapfel drehen. Den Act des Ausschlüpfens selbst beschreibt er gerade so, wie ich ihn beim Forellen -Embryo sah: Beim Sprengen erfolgt ein bogenförmiger Riss der Eihaut nahe am Kopf, indem dieser durch heftige Streckungen des ringförmig liegenden Embryo gegen dieselbe geschleudert wird. Dann zwängt sich durch weitere Streckbewegungen der Kopf in den Riss und einige kräftige Stösse mit dem Schwänze genügen zur völligen Befreiung. Derartige Bewegungen hat der Embryo vorher im intacten Ei oft ausgeführt. Die Embryonen des Erdsalamanders, der ein Jahr lang träch- tig ist, verhalten sich ganz anders. Wenn die Eileiter unter Wasser geöffnet werden, und zwar schon ein halbes Jahr vor der Reife, dann sprengen die Embryonen schnell ihre durchsichtige Hülle, schwimmen lebhaft umher und fangen die kleinen Wasser- flöhe in ihrer Nähe. Sie zeichnen sich ebenso durch ihre Ge- [209 frässigkeit wie ihre Geschicklichkeit im Erfassen der lebenden Wasserthiere aus, welche i^ie gierig verschlingen. Dass ein Em- bryo so complicirte coordinirte Bewegungen ausführt, lange vor der Vollendung seines normalen Eilebens seinen arglos im Aquarium A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 403 umherschwimmenden Opfern förmlich auflauert und sich des Ge- brauchs seiner Sinnesorgane wie manches ausgebildete Thier er- freut, ist vielleicht ohne Beispiel und zeigt, wie mächtig der reine Instinct werden kann, wie früh die erblichen Bewegungsimpulse im Embryo in Action treten. Ich habe sogar die Mitte December aus dem trächtigen Thiere herausgeschnittenen Salamanderem- bryonen monatelang so unter Wasser am Leben erhalten, obwohl die Befruchtung der Eier im Mai und Juni stattfinden und die [209 Eeife erst in denselben Monaten des folgenden Jahres erreicht sein soll, wie Benecke meint. Bei der natürlichen Geburt be- freien sich ihm zufolge die lebhaften Jungen geradeso aus ihren EihüUen wie die frühgeborenen; sie haben nur den Vortheil, dass schon beim Gebäract die Eihaut platzt, indem das Mutterthier dabei sich zwischen Steine, in enge Kitzen zwängt, dadurch die Compression des Abdomen und die Austreibung befördernd. Die von mir unter Wasser gehaltenen in der Gefangenschaft ohne Kunst- hülfe geborenen Salamanderjungen wurden im März, im April und im Mai abgesetzt. Es scheint also doch die Befruchtung der Eier an keinen bestimmten Termin gebunden zu sein oder die Trächtig- keitsdauer erheblich — wahrscheinlich je nach der Umgebung — zu variiren, im Trockenen lang, im Nassen kurz zu dauern. Ausserdem ist der noch nicht pigmentirte Salamanderembryo im Stande, schon vor der Bildung seiner Extremitäten, wenn am Kopfe die ersten Anlagen der Kiemen als flache Wülste be- [209 merklich werden und der Schwanz hervorzuspriessen beginnt, den Kopf seitlich lebhaft zu bewegen, wenn er berührt wird oder in eine andere Flüssigkeit gelangt. Diese Bewegung darf aber nicht auf ßeflexreize bezogen werden, sondern findet ohne 'Zweifel (wie beim Vogelembryo) auch im Ei statt. Bei höheren Wirbelthieren, als Amphibien und Fischen, scheint das Eotiren des Embryo im Ei nicht vorzulcommen und schon bei Reptilien nicht beobachtet worden zu sein (vgl. S. 73). In den Eidechseneiern entwickelt sich der Embryo schon [s lange, ehe sie gelegt werden. Daher ist es nicht auffallend, dass Emmert und Hochstetter schon am ersten Tage im gelegten Ei das embryonische Herz lebhaft schlagen sahen. Aber die Em- bryonen bewegten den ganzen Körper in den jüngst gelegten Eiern nur schwach, in reiferen lebhafter und anhaltender; in noch reiferen lagen die Jungen spiralig, die Extremitäten gegeneinander gekehrt und fest an den Leib gepresst Künsthch befreit, öf&ieten sie die Augen und bewegten sich wie ganz reife, von selbst aus- 26* 404 Die embryonale Motilität. geschlüpfte Eidechsen. Dieses Auskriechen beginnt mit dem Durchbrechen des Kopfes. Hierin erkennt man eine gewisse Annäherung an das Ver- halten des Vogelembryo. Die Embryonen der Kingelnatter nähern sich den letzteren noch mehr. Ich habe deutlich gesehen (im September 1881), wie der reife Ringelnatterembryo im eben in Wasser abgesetzten durch- sichtigen Ei ohne die geringste äussere Erregung sich in Pausen träge, nach und nach lebhaft bewegte, bis endlich der Kopf die Eihaut durchstiess. Diese Bewegungen des Embryo im Ei im Wasser in einer Porzellanschale ohne die geringste Änderung in der Umgebung können nur angeboren sein. Sie sind impulsiv. Eine andere Ringelnatter setzte am 8. Juli 1882 in einem Glasgefäss 22 weisse Eier ab, von denen elf sehr fest aneinander- hafteten. Einige öffnete ich, um die Herzthätigkeit der spiralig gewundenen noch kleinen Embryonen zu sehen, aber eine andere Bewegung konnte in diesem frühen .Entwicklungsstadium nicht constatirt werden, obwohl das Herz kräftig und anhaltend auch im geöffneten Ei schlug. Das Ausschlüpfen der Jungen von Python bivitiatus beobachtete Valenciennes. Nachdem die Eier 56 bis 61 Tage lang bebrütet [497 worden waren, wurde die Schale gesprengt und ein kleiner Schlangenkopf trat aus der Spalte hervor. Die kleinen Thiere blieben aber noch einen Tag im Ei, bald den Kopf, bald den Schwanz hervortreten lassend. Dann verliessen sie die Eihülle und krochen frei umher, badeten sich schon innerhalb der ersten 10 bis 14 Tage und ergriffen später, nachdem sie sich gehäutet hatten, jmige Sperlinge wie die Alten, indem sie dieselben sie umschlingend erstickten und verschlangen. Also liegt hier wiederum ein Fall vor von der Vererbung eines sehr complicirten Nerv- Muskel- Mechanismus und Ernährungs-Instinctes. Über die Bewegungen des Embryo im Vogelei. KeinObject ist zur Ermittlung der morphotischen Bedingungen embryonaler Bewegungen so geeignet, wie das Hühnchen im Ei. Denn in anatomischer Beziehung ist dasselbe besser untersucht, als irgend ein anderer Wirbelthierembryo ; in physiologischer freilich geschah erst wenig. Besonders die früh eintretenden Be- wegungen sind selten und nur beiläufig erwähnt worden. Es er- forderte deshalb diese Frage eine neue und eingehende Prüfung. A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 405 In historischer Hinsicht sei vorausbemerkt, dass die ersten activen Bewegungen des Hühnchens von Anderen nicht vor dem 6. Tage der Bebrütung gesehen worden sind. [338,757 Harvey (1651) schreibt vom 6. Tage: „Schon bewegt sich [26 auch der Fötus und biegt sich ein wenig und streckt den Kopf, obwohl noch nichts vom Gehirn gefunden wird ausser der klaren in der Blase eingeschlossenen wässerigen Flüssigkeit . . Gegen das Ende dieses Tages und zu Anfang des 7. unterscheidet man die Zehen der Füsse, der Fötus macht schon den Eindruck eines Hühnchens, öffnet den Schnabel und strampelt [Calcitrat).^'' Übrigens gebührt wahrscheinlich B6guelin das Verdienst, [96 zuerst die rhythmischen Bewegungen im offenen Hühnerei (Mitte des 18. Jahrhunderts) gesehen zu haben. Er bemerkte in einem seit dem 5. Juli bebrüteten, am 7. geöffneten Ei am 3. Incubations- tage den Herzschlag und am 6. „eine schwebende Bewegung des ganzen Körpers", welche ihm jedenfalls nur darum „mit der Be- wegung der Pulsader vollkommen" übereinzustimmen schien, weil er die beim Schaukeln des Embryo eintretenden mit diesem iso- chronen Yerbiegungen der grossen Gefässe irrig für deren Puls hielt. Am 14. Tage „war das Schweben nicht mehr so augen- scheinlich, dagegen bemerkte man die Bewegung seiner Keulen". Am 17. Tage lebte es noch. „Dieses Küchlein hat 15 ganze Tage in seiner geöffneten Schale gelebet" (S. 15). Everard Home (1822) sah nach 6 Tagen die ersten Extre- mitätenbewegungen. [274 Karl Ernst von Baer (1828) sah deutlich am 6. Tage [27 die ersten Bewegungen, ein Zucken einzelner Glieder, welches er dem Hinzutreten der kalten Luft zuschrieb. Am 7. Tage sah er die pendelnden durch Amnion-Contractionen bedingten allgemeinen Bewegungen. Durch Beizung des Amnion mit einer Nadel konnte er diese verstärken, sogar neu hervorrufen, wenn sie aufgehört hatten. Das durch die rhythmischen Zusammenziehungen des Amnion veranlasste Schaukeln war am 8. Tage sehr lebhaft, weniger an den folgenden Tagen. Am 11. und 12. und 13. Tage wurden auch die activen Bewegungen des Embryo lebhafter, sein Lage- wechsel häufig. Ein um den 14. bis 16. Tag aus dem Ei genom- menes Hühnchen machte Athembewegungen, indem es nach Luft schnappte. Baer meinte, das Hin- und Herschwanken des Embryo auf dem Nabel wie auf einem festen Stiel sei nur zum Theil durch das contractile Amnion bedingt, welches die Bewegung des 406 Die embryonale Motilität. Embryo unterstütze, da er sagt: „Dass das Amnion dabei selbst- thätig ist, erschien mir unverkennbar (obgleich ganz unerwartet), denn erst nachdem das Amnion sich an dem einen Ende unter starker Runzelung zusammengezogen hatte, bewegte sich der Em- bryo nach dem entgegengesetzten Ende von der Flüssigkeit ge- tragen" und: „Am auffallendsten war es mir, dass dieses Hin- und Herschwanken nicht blos vom Embryo bedingt wird, sondern noch mehr vom Amnion, welches sich bald an dem einen, bald an dem anderen Ende zusammenzieht, indem es sich runzelt. Es schien mir daher eine Art unregelmässige Pulsation im Amnion." Diese Angaben bestätigte (1854) zunächst Eemak. Er [28 meinte aber, das Pendeln werde nicht vom Amnion nur unter- stützt, sondern einzig durch dasselbe bedingt. Er sagt: „Am 8. Tage sieht man zunächst nach Eröffnung des Eies lebhafte nur wenige Minuten andauernde Bewegungen des Embryo innerhalb des Amnions. Erst wenn dieselben aufgehört haben, beginnen die abwechselnden kräftigen Zusammenziehungen des vorderen und hinteren Theiles des Amnions, durch welche das Hin- und Her- Schwanken des Embryo entsteht. Baer's Vergleich mit Pulsationen ist insofern zutreffend, als in der That die regelmässigen Alter- nationen an das Verhalten des Herzens erinnern. Nicht immer ist das AVechselspiel zwischen dem vorderen und hinteren Theil sofort deutlich ausgesprochen. Vielmehr findet zuweilen erst eine stürmische wellenförmige Bewegung statt, die allmählich der rhythmischen ruhigen Zusammenziehung Platz macht. Eine solche dauert an einer Amnionshälfte nahezu eine Secunde und wieder- holt sich bis zwölfmal und darüber. Wenn sie aufgehört oder schwächer geworden, kann sie durch Reizung mit einer Nadel zuweilen noch auf einige Male hervorgerufen werden. Durch Auf- schlitzen des Amnions wird sie unterbrochen. Doch sieht man an ausgeschnittenen Stücken unter dem einfachen Mikroskope noch spontane darmähnliche Bewegungen, die durch Berührung mit einer Nadelspitze lebhafter werden." Bei näherer Besichtigung des Amnions entdeckte dann Remak zahlreiche Muskelfasern in demselben, welche sich aber nicht, wie er erwartet hatte, in die Bauchwände hinein fortsetzen, sondern am Nabel aufhören. Vom 10. Tage an sind sie um die „Hälfte kleiner, da sie sich durch Theilung vermehrt haben". Nerven fand Remak im Amnion nicht. Er bestätigt übrigens Baer's Angabe, dass auch die Wand des Dottersackes Spuren von Contractilität zeigt und meint schliesslich, so stürmische Zusammenziehungen A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 407 des Amnion, wie nach Luftzutritt möchten im intacten Ei unter normalen Verhältnissen nicht vorkommen. Diese letztere ]\Ieinung wurde jedoch von Vulpian (1857) [29 widerlegt, welcher im uneröffneten Ei den Kopf des Embryo sich regelmässig von unten nach oben und schräg von rechts nach links in einem Bogen bewegen sah, indem er das Ei mit dem stumpfen Ende nach oben gegen eine Flamme hielt. Die Pausen zwischen den vielleicht 10 bis 20 mal in der Minute sich wieder- holenden Lageänderungen des Kopfes waren ungleich lang. Diese Beobachtung gilt für den 6. Tag. Am 8. Tage sah er dieselbe Bewegung vielleicht etwas gleichmässiger. An den folgenden Tagen wurde die Durchlichtung wegen der Duakelheit des wachsenden Hühnchens unausführbar. Die Bewegungen im uneröffneten Ei schreibt Vulpian den Amnion-Contractionen zu. Er selbst sah aber ausser den letzteren am 7. Tage selbständige Bewegungen des Embryo, nämlich einige brüske Streckungen der hinteren Gliedmaassen. Vom 10. und 11. Tage an kamen allgemeine Bewegungen dazu und namentlich Lispirationsversuche. Zu eben dieser Zeit, bisweilen schon am 8., nie am 7. Tage, fand er ferner die Allantois contractil und elek- trisch reizbar. Sogar am 18. Tage war ihre Contractilität in einigen Fällen noch ausgesprochener, als die des Amnion. Aber dieses soll bis zuletzt ebenso wie die Allantois sein Contractionsvermögen behalten und am 12. bis 14. Tage in höherem Grade entfalten, als die Allantois. Derartige Angaben über die elektrische und mechanische Reizbarkeit der beiden Häute sind darum von grossem Interesse, weil in beiden zwar glatte Muskelfasern, aber keine Nerven ge- funden worden sind. [29 Kölliker bestätigte (1861) die Existenz einkerniger Muskel- [so fasern, die man hier am besten als contractile Faserzellen be- zeichnet, in der Faserschicht des Amnion, konnte in demselben gleichfalls keine Nerven auffinden und hebt noch hervor, dass das Amnion zu keiner Zeit und bei keinem Thiere selbständige G-e- fässe besitzt, endlich dass von Bewegungen desselben bei Säugern nichts bekannt ist. Mit Recht maoht Hr. v. Kölliker in einer brieflichen Mittheilung an mich gegen die Zurückführung des unregelmässigen Oscillirens allein auf die Contractionen des Amnion vom 6. bis 8. Tage gel- tend, dass am 7. Tage der Embryo schwache selbständige Be- wegungen zeigt. Er meint (1879), dass auch Baer die activen 408 Die embryonale Motilität. Bewegungen des Hühnchens von den passiven nicht streng unter- schieden habe. Aus diesen Befunden der vorzüglichsten Beobachter ergibt sich, dass die selbständigen Bewegungen am 6. und 7, Tage zuerst und dass die pendelnden passiven Bewegungen gleichfalls am 6. und 7. Tage zuerst sichtbar wurden. Ich habe mich aber auf, das bestimmteste davon überzeugt, dass bereits am 5. Tage das Amnionpendeln stattfinden kann und an demselben Tage der Embryo selbständige oder active Be- wegungen und zwar des Rumpfes ausführt. Bald wird die untere Körperhälfte gestreckt, bald die obere. Auch nähert sich das Kopfende dem Schwanzende, so dass durch die darauf eintretende Entfernung beider voneinander ein AVechsel der Körperkrümmung eintritt wie zwischen U und ■^. Sowie die Eier mehr als vier Tage im Brütofen bei 38° bis 39 '^ gelegen haben, kann man sicher sein, in der Mehrzahl derselben den Embryo in dieser AVeise sich activ bewegen zu sehen, wenn beim Öffnen mit Behutsamkeit verfahren und jede Abkühlung und zu starke Erwärmung ver- mieden wird. Es gelingt dann leicht den längere Zeit lebenswarm bleiben- den Embryo sich bewegen zu sehen, während ganz entgegen Baer's Vermuthung zu allen Zeiten der Incubation der Zutritt kalter Luft eine Hemmung der embryonalen Bewegungen zur Folge hat. Es ist nicht zu verwundern, dass bisher niemand die zwar schwachen aber vollkommen deutlichen activen Rumpfbewegungen am 5. Tage gesehen hat. Bisher ist allgemein der Embryo fast nur von Morphologen genauer betrachtet worden. Ich weiss ausser Harvey keinen früheren Physiologen zu nennen, welcher sich die Aufgabe stellte, die Functionen des Embryo zu erforschen. Mir hat sich bei dieser Untersuchung, mehr als bei irgend einer anderen, die Nothwendigkeit gezeigt, in der Erforschung der Lebensprocesse die ganze Aufmerksamkeit ausschliesslich auf eine einzige mög- lichst speciell formulirte Frage zu concentriren. Wenn man ein bebrütetes Ei öffnet, ohne vorher ganz genau zu wissen, was man eigentlich sehen will, so geschieht es leicht, dass man garnichts deutlich sieht oder sicher feststellt. Ich habe es daher vorgezogen, eine grössere Anzahl von Eiern zu opfern, um die verschiedenen Bewegungen des Embryo getrennt genau zu beobachten, anstatt in 6inem Ei mehrere Bewegungserscheinungen zugleich in's Auge zu fassen, es sei denn, dass sie sich von selbst aufdrängten. Xur auf diese Weise bin ich in verhältnissmässig kurzer Zeit A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 409 wenigstens über die fundamentalen embryonalen Bewegungsphäno- mene einigermaassen in's Klare gekommen, indem ich zu diesem Zwecke ein halbes Tausend Eier öffnete. Hätte übrigens Dareste eine bessere ooskopische Beleuchtung angewendet, so würde er wahrscheinlich gesehen haben, dass die Amnioncontractionen und die selbständigen Bewegungen des [io4 Embryo früher auftreten, als er angibt. Ich sah beide zuerst [los nach Ablauf des 4. und vor Beginn des 6. Tages, Dareste sah nach Ablauf des 5. Tages die erste Contraction eines Embryo, welchem das Amnion fehlte, später die Amnioncontractionen. G-ehäufte Beobachtung hat mir die Überzeugung verschafft, dass in der That ausnahmslos die activen Bewegungen das primäre sind. Und dieses Resultat erhält durch die Dareste'sche Beobach- tung des sehr seltenen Embryo ohne Amnion von 5 Tagen, der sich dennoch bewegte, eine erfreuliche Bestätigung. Vor allem handelt es sich darum, die Ursache der räthsel- haften Contractionen des Amnions zu finden. Dass nicht die mit der Öffnung des Eies verbundenen Ein- griffe den Reiz abgeben, war schon durch Vulpian's Beobachtungen am durchüchteten Ei sehr wahrscheinlich. Ich habe durch Ver- vollkommnung des Verfahrens, den Embryo ohne Verletzung der Schale zu beobachten (S. 14), zunächst sicher erkannt, dass die Amnioncontractionen, entgegen ßemak's Vermuthung, ebenso stür- misch im intacten, wie im erwärmten geöffneten Ei verlaufen. Die Art der Bewegung, ihr Rhythmus, die Grrösse der Ex- cursionen, ihre Dauer, ihre Frequenz sind in beiden FäUen dieselben. Da sich ihre Erklärung nur geben lässt, wenn man auch die anderen Bewegungen des Embryo kennt, so empfiehlt es sich eine chronologische Übersicht der Bewegungserscheinungen des Rumpfes, des Kopfes und der Extremitäten des Hühnchens im Ei voraus- zuschicken. Im befruchteten Hühnerei findet schon am ersten Tage, wäh- rend das mittlere Keimblatt sich ausbildet, eine active Bewegung der grossen, kugeligen, grobkörnigen, schon von Baer gesehenen Bil- dungselemente statt. Diese Körper zeigen nämlich, wie Peremeschko wahrnahm, beim Erwärmen auf 32 bis 34 "^ C. im befruchteten [48 eben bebrüteten und unbebrüteten Ei Formänderungen, langsame amöboide Contractionen und Ausdehnungen, und in Folge davon Wanderungen. Sie liegen in der Keimhöhle. Ob diese contrac- tilen zelligen Gebilde erst nach der Befruchtung entstehen, oder 410 Die embryonale Motilität. auch im unbefruchteten Ei präexistiren, ist noch zu ermitteln. Ihre Zahl nimmt nach der Ausbildung der drei Keimblätter ab, so dass am dritten Tage nur noch wenige gefunden werden. Auch beim Meerschweinchenei nimmt Hensen eine Wände- [49 rüng der Zellen (des mittleren Keimblattes) an. Diese bei der Keimblätterbildung durch Amöboidbewegungen des Protoplasma zu Stande kommenden, auch wohl durch Strö- mungen, welche Temperaturdifferenzen bedingen, begünstigten Zellenwanderungen sind höchstwahrscheinlich von regelmässigem Vorkommen. Aber keines der durch sie in den ersten 24 Stunden gebildeten Differenzirungsproducte hat eine selbständige Beweg- lichkeit. Die erste Andeutung des Embryo, der Primitivstreifen, ist immobil. Bald nach Ablauf des ersten Tages wird häufig schon die erste auf Contraction und Expansion beruhende Bewegung wahr- genommen: das punctum saliens erscheint. Von diesem war be- reits im ersten Abschnitt ausführlich die Rede (S. 23), Alle anderen Gebilde des zweiten Tages zeigen keine Be- wegung. Namentlich sieht man an den Urwirbeln keine Spur einer Bewegung. Die oft schon am zweiten Tage beginnende Kopfkrüramung und die am Ende des dritten Tages nicht immer schon vorhandene Körperkrümmung des Embryo, ebenso die am dritten Tage eintretende Lageveränderung durch Wachsthumsprocesse verur- sacht, beruhen durchaus nicht auf activer Motilität. Die Beob- achter sind darüber einig, dass am dritten Tage das Kopfende eine Drehung erfährt, indem es vorher nach unten mit dem Ge- sicht gerichtet war und nun auf seine linke Seite zu liegen kommt, aber eine Erklärung fehlt hierfür noch ebenso wie für die Kopf- und Schwanz-Krümmung. Die Kopf- und Körper-Krümmung nimmt am vierten Tage zu, so dass der vorher retortenförmig gestaltete Embryo nunmehr eine Hufeisenform erhält, wobei das Herz dicht an den Gesichtstheil zu liegen kommt. Diese Lage hat dann eine eigenthümliche Pendelbewegung zur Folge. Man sieht nämlich gegen Ende des vierten Tages, dass Kopf und Schwanz bei vielen Embryonen einzeln, bei einigen gleichzeitig durch jeden Herzschlag einen Stoss erhalten, so dass ein mit den Herzcontractionen isochrones Pen- deln des Kopf- und Schwanz-Endes gegeneinander stattfindet. Dieses Pendeln beobachtete ich auch am Kopfe allein in der letzten Stunde dieses Tages, als die Schwanzkrümmung eben erst A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 411 begonnen hatte, 139 mal in der Minute. Da es mit den Herz- contractionen genau isochron ist, so gestattet es die Herzfrequenz an den Oscillationen des Kopfes, z. B. des pigmentirten Auges zu zählen. FreiHch ist es bisweilen so schwach, dass es leicht übersehen wird. Übrigens ist diese pendelnde Bewegung der beiden Körperenden rein passiv, ausschliesslich durch den Herz- stoss bedingt, und ihre Frequenz wird durch alle Umstände, welche die Herzfrequenz ändern, ebenso geändert. Koch am achten Tage ist sie an den Erschütterungen des Leibes bei jedem Herzschlag kenntlich. Von anderen Beobachtern scheint nur His dieses Pendeln [124 gesehen zu haben. Er sah am früh herausgenommenen Embryo wie mit jeder Herzsystole der Kopf einen Stoss erfährt, in Folge dessen er sich etwas aufrichtet, um sich dann beim Eintritt der Diastole wieder rückwärts zu biegen. Mit Recht bemerkt His weiter, dass, im Yerhältniss zu den übrigen bei der Körperformung wirksamen Kräften, die Blutspannung in den Aorten nicht gering sei und zur Gefässverlängerung und Streckung des Halses, sowie zu dem Zurückweichen des Herzens selbst beitragen müsse. Die ersten activen Embryo-Bewegungen treten in der ersten Hälfte des fünften Tages ein. Es sind ausschliesslich Eumpf- bewegungen, Neigungen der oberen und unteren Körperhälfte des hufeisenförmig gekrümmten Embryo gegeneinander, welche man regelmässig innerhalb der ersten Minuten, manchmal noch in der zwölften Minute nach dem Öffnen des warm gehaltenen Eies wahrnimmt. In den Pausen findet ausserdem die Oscillation durch den Herzschlag in demselben Sinne statt, welche mit den activen Bewegungen und Streckungen theils des Kopfendes, theils des Schwanzendes, theils beider in keinem Falle verwechselt werden kann, weil sie regelmässig und viel frequenter ist, und lange nicht so ausgiebige Excursionen macht. Auch hören die Eigenbewegungen nach dem Herausnehmen des Embryo aus dem Ei sofort auf, das Herzpendeln nicht. Jene gleichen übrigens den an Amphibien- und Fisch-Embryonen beobachteten Contractionen und Expansionen, nur dass beim Vogelembryo die Volarseiten von Rumpf und Kopf gegeneinander gewendet sind und die Krümmungen des Leibes in der Regel in dieser Zeit nicht dextroconvex oder sinistrocon- vex sind. Am fünften Tage finden die Rumpfbewegungen meist ohne jede selbständige Bewegung des Kopfes und des Schwanzes statt. Nach Aufschlitzen des Amnion sieht man, jedoch selten, seitliche 412 ' Die embryonale Motilität. Kopfbewegimgen eintreten. Die Gliedmaassen werden, auch am sechsten Tage noch, nur passiv mit dem Eumpfe bewegt: bila- teral-symmetrisch. Erst am siebenten treten asymmetrische Bewegungen der einzelnen Gliedmaassen auf, aber Kopf und Schwanz bewegen sich noch gegeneinander. Der erstere macht jetzt unzweifelhaft selbständige, oft nickende Bewegungen. Am achten Tage treten selbständige Änderungen der Lage ein, auch Schlagen mit den Flügeln. Die Beugungen und Streck- ungen der Extremitäten sind sehr lebhaft, besonders am neunten Tage und an den folgenden Tagen, nehmen aber vom sechzehnten an wieder ab. Nach dieser Zeit scheinen nur ab und zu Eigen- bewegungen den Schlaf zu stören, und Lage Veränderungen kommen in den letzten Tagen vor dem Sprengen nicht mehr vor. Während alle diese activen Bewegungen, das Nicken und Drehen des Kopfes, das Strampeln und Flügelschlagen unzweifel- haft automatisch (erblich) sind, sofern sie durch keinen auffind- baren äusseren Reiz hervorgerufen werden — im geschlossenen Ei verlaufen sie geradeso wie im geöffneten — ist das Schaukeln im Amnion nicht als eine active, aber auch nicht als eine rein passive Bewegung aufzufassen. Vom fünften bis zum achten Tage tritt das Schaukeln in steigender Energie in ungleichen Intervallen auf, meist finden etwa acht Schwingungen des Embryo in der halben ]\Iinute um seinen Nabel als festen Fun et statt. Man sieht deutlich, dass der Em- bryo hin und her geworfen wird, indem an einem Ende des Sackes, in dem er flottirt, die Muskelfasern sich zusammenziehen und die Flüssigkeit mitsammt dem Hühnchen an das andere Ende schleu- dern. Dann ziehen sich hier die Muskelfasern zusammen, werfen den Embryo in die vorige Lage zurück, und so geht es minuten- lang fort. Nach vielfach wiederholter Beobachtung ist mir die wahrscheinlichste Ursache des Beginnes der Schwingung, d. h. der Amnioncontraction, ein Anschlagen des Embryo gegen das Amnion, ein förmliches Ausschlagen mit den Beinen, welches ich unmittel- bar vor dem Schaukeln mehrmals gesehen habe. Das Nachlassen und Aufhören der Coiitractionen des Amnion wird wahrscheinlich durch eine Abnahme seiner Erregbarkeit bedingt, welche übrigens am elften Tage maximal zu sein scheint. Später, vom zwölften Tage an, werden die Schwingungen seltener und träger. Das heftige Hin- und Herschwingen ist einem ruhigen Wogen gewichen, bis in den letzten Tagen der Incubation überhaupt kein Amnion- schaukeln mehr stattfindet. Es würde schon an Platz dazu fehlen. A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 418 Somit ist dieses merkwürdige Phänomen im bebrüteten Vogelei (vielleicht auch im Schildkrötenei, wo es aber noch niemand ge- sehen hat) weder rein passiv noch activ, sondern der Embryo gibt durch eine heftige Eigenbewegung den ersten Anstoss zur Con- traction, dann wird er durch diese passiv fortgeschleudert gegen das ruhende Ende des Amnion, reizt dieses, so dass es sich con- trahirt und den Embryo zurückschleudert usw. Ob auch die allererste Amnioncontraction am fünften Tage in dieser Weise zu Stande kommt, bleibt fraglich, ist aber darum wahrscheinlich, weil die activen Bewegungen zuerst auftreten. Zu den activen Bewegungen des Hühnchens im Ei gehört auch die Sprengung der Schale vor dem AusschUljofen. In den Fällen, wo einen Tag oder zwei Tage vor dem Ende der Brütezeit das Hühnchen im völlig unverletzten Ei piept, muss, wie schon Sacc (1847) bemerkte, das Hühnchen mit dem Schnabel die [338 Allantois durchbohrt haben und in die Luftkammer eingedrungen sein. Hierdurch gewinnt es einen grossen Raum für seine Be- wegungen und kann weiter Luft athmen. Lizwischen muss die AUantoiscirculation durch die Aspiration des Blutes seitens der Lungen (S. 89) bald abnehmen und während der zuletzt sehr schnell vor sich gehenden Resorption des hernienartig prolabiren- den Dotters auch die Füllung der Gefässe des Dotters schnell abnehmen. Wenn aber das gesammte Blut (bis auf einen kleinen in der Allantois zurückbleibenden Theil) im Körper circulirt, dann steigen die Ansprüche desselben an die Lunge, welche schliess- lich die erforderliche Sauerstoffimenge durch die Schale hindurch nicht mehr beschaffen kann. Es tritt also Sauerstoffmangel des Blutes ein, dadurch grössere Erregbarkeit des Respirationscen- trums, dadurch verstärkte Athembewegungen durch die peripheren Reize, wie Reibung an der Innenwand des Eies und der Körper- theile aneinander, dadurch Zusammenziehungen accessorischer Inspirationsmuskeln und heftige Bewegungen besonders des Kopfes, wahrscheinlich Convulsionen. Dabei wird die brüchig gewordene Schale gesprengt, wenn der sehr scharfe kleine Nagel an der Spitze des Oberschnabels gegen die Schale schlägt. In diesem Augen- blick ist die Athemnoth vorüber, neue Luft reichlich zum Ein- athmen da, und durch weitere Bewegungen, namentlich Wieder- holungen der Athemnoth bei Drehungen des Kopfes wiederholt sich die Sprengung, bis das Ei auseinanderfällt. Dass der Hühnerembryo nicht, wie mehrfach angenommen 414 Die embryonale Motilität. wird, vor dem Ausschlüpfen pickt und dadurch die Eischale sprengt, hat Spalding richtig hervorgehoben. Das Hühnchen ist nicht [sis in der Lage, überhaupt im Ei picken zu können, obwohl manche es annehmen, vielmehr schleudert es mit Grewalt den Kopf, wel- cher unter dem Flügel halb verborgen ist, stirnwärts, so dass die Schnabelspitze gegen die Schalenhaut stösst. Oft bleibt dann diese das erste Mal intact, wahrend die Schale selbst einen Sprung erhält oder sogar ein Stück abspringt. Beim zweiten, dritten Mal gelangt oft die Schnabelspitze in's Freie und oft piept dann das Hühnchen lebhaft. Meist aber dreht es sich im Ei um und wieder- holt das Zurückschleudern des Kopfes, Diese Lageänderungen kann man zum Theil im Embryoskop sehen, so gut wie die Athem- bewegungen im völlig unversehrten Ei am zwanzigsten Tage. So wird eine zweite, dritte, vierte Stelle getroffen, entweder mit Absprengung von Schalenstückchen oder nur mit Erzeugung von Sprüngen in derselben, bis dann im halben oder ganzen Umkreis die Cohäsion der Schalentheilchen erheblich abgenommen hat. Nun genügt eine starke Bewegung des Thieres, die beiden Hälften auseinander fallen zu lassen. Und zwischen ihnen liegt als das Bild der Hülflosigkeit das nasse, schwache, wärmebedürftige Hühn- chen piepend und anfangs unvermögend auch nur den Kopf zu heben und zu hocken. So sah ich das Auskriechen normalerweise ablaufen. Von Willkür kann dabei nicht die Rede sein. In vielen Fällen durchbohrt aber das reife Hühnchen, wenn es nämlich im intacten Ei nicht piept, das Septum zwischen ihm und der Luftkammer nicht, sondern sprengt, durch Abnahme der Allantoiscirculation in den erwähnten Zustand der Athemnoth versetzt, vorher die Schale. Ich habe nicht selten Hühnchen ge- sehen, welche bei völlig unverletztem Septum das Ei gesprengt hatten. Dasselbe erwähnt auch Sacc, welcher schon annahm, [338 was ich oben angab, dass die Schale nicht durch den gehörnten Schnabel gerieben und dann durchgerieben, sondern durch An- schlagen gesprengt wird beim Zurückwerfen des Kopfes in der Athemnoth. Doch meint er irrigerweise, dieses geschehe nur beim Ausathmen (Piepen) im geschlossenen Ei. Denn viele Hühnchen schlüpfen, wie gesagt, aus, ohne vorher ihre Stimme hören zu lassen. Und ich habe dieses intraoväre Piepen so laut und an- haltend und nach so langen Pausen immer wieder kräftig werden gehört vor der Eisprengung, dass man das Hühnchen in diesem Stadium noch ganz und gar nicht asphyktisch nennen kann. Es kommt überhaupt zu keiner Dyspnoe, wenn in demselben A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 415 das Ei von aussen geöffnet wird, sei es vom Beobachter, sei es von der Henne, die an der Stimme im Ei erkennt, dass ihr Brut- geschäft beendigt ist. Zwei seltenere Arten der Eisprengung erwähnt ausser den beschriebenen noch K. E. v. Baer. Die eine bezieht sich auf [27 die ungewöhnliche Lage mit dem Kopf nach dem spitzen Ei-Ende zu; hier durchstosse das Hühnchen die Schalenhaut schneller und piepe nicht vor dem Ausschlüpfen. Die andere kommt bei normaler Lage der Luftkammer vor, wenn zuerst die Schalen- haut gesprengt wird, aber am Kande des Septum, so dass erst nachher, sogar erst nach Absprengung eines Schalenstückchens die Schnabelspitze in den Luftraum gelangt. Dann können fast 24 Stunden vom ersten Sprengversuch bis zum merklichen Grösser- werden der Öffnung vergehen. Ist normalerweise die Zeit vom ersten Sprengversuche bis zum zweiten Abspringen oder Kissigwerden der Kalkschale eine so lange, dann liegt Grund vor zu der Annahme, dass durch Ver- trocknung die Schalenhaut schwer zerreissbar und straff geworden sei und dass die Muskelkraft des Hühnchens nicht mehr ausreiche sie zu zerreissen. Sehr oft gehen in den Brutanstalten die Hühn- chen auf diese Weise im unvollständig gesprengten Ei zu Grunde und man findet dann die Schalenhaut stellenweise so fest mit dem Elaum verwachsen (angebacken), dass man sie trocken nicht ohne Verletzungen ablösen kann (S. 188). — Endlich bemerkte ich noch eine eigenthümliche Bewegungs- erscheinung am jungen Hühnerembryo , die ich nirgends er- wähnt finde. Wenn man mit einer N'adel einem lebenden Hühnerembryo, dessen Zehen eben gesondert erscheinen, einen der künftigen Flügel oder ein Bein oder den Schwanz sanft vom Rumpf abhebt, so schnappt das Glied gleich nach dem Loslassen wie ein Taschen- messer in seine frühere Lage zurück. Der Versuch lässt sich mit einiger Vorsicht öfters an derselben Extremität wiederholen. Es handelt sich hier durchaus nicht um Reflexbewegungen, denn zu dieser Zeit bewirkt weder der elektrische Reiz, noch Stechen, Quetschen, Amputation der Gliedmaassen die geringste Antworts- bewegung, auch ist das Zurückschnellen kein Reizungsvorgang, sondern es beruht nur auf der Elasticität des embryonalen noch nicht einmal deutlich contractilen Gewebes, wofür der Beweis leicht geliefert wird durch Anstellung desselben Versuchs am herausgenommenen eben abgestorbenen Embryo. Der Erfolg ist 416 Die embryonale Motilität. hier derselbe. Jedesmal kehrt der abgebogene Theil nach dem Loslassen sofort oder nach wenigen Augenblicken in seine frühere Lage zurück; also handelt es sich hier um eine in der Eichtung des Längenwachsthums der Extremitäten wirkende Kraft des em- bryonalen Grewebes. Li Betreff des chronologischen Yerhältnisses der einzelnen von mir am Hühnchen im Ei beobachteten Bewegungserscheinungen vom 2. bis 22. Tage verweise ich auf die Beilage I, wo auch Näheres über die directe und indirecte Reizung der embryonalen Muskeln, die Tetanisirbarkeit derselben und andere physiologische Einzelheiten aus meinen Beobachtungs- und Versuchs-Protokollen zu finden ist. Über die Bewegungen der Säugethier- Embryonen. Bei trächtigen Säugethieren sieht man gegen Ende der Trag- zeit häufig die Bauchdecke durch die Bewegungen der Früchte gehoben werden, wenn man die Thiere auf den Bücken legt. Bei einigen, z. B. dem Meerschweinchen, scheint öfters eine Welle über den ganzen Bauch zu verlaufen, dann nämlich, wenn schnell nacheinander mehrmals eine Vorwölbung der Bauchhaut durch Fötusbewegungen stattfindet. Steckt man eine lange und dünne Nadel in den Fötus, so kann man fast jedesmal die Bewegungen schon aus einiger Entfernung erkennen. Sie sind sehr unregel- mässig, manchmal lebhaft und schnell, dann wieder träge, und öfters nimmt man auch bei hochträchtigen Thieren viertelstunden- lang gar keine Fruchtbewegungen wahr, dann wieder plötzlich zuckende Schwankungen der Nadel. Man hört auch leicht bei höchträchtigen Thieren stethoskopisch die Fruchtbewegungen als ein eigenthümliches Knistern und Knacken. Bei kataplegischen Meerschweinchen fand ich sehr häufig die Fruchtbewegungen [44 bedeutend verstärkt. Es ist nicht schwer eine einzelne Extremi- tät des Fötus durch einen kleinen Bauch- und Uterus-Einschnitt hervorzuziehen und von dieser aus intrauterine Kneifrefiexe her- vorzurufen. Auch sah ich das isolirte Bein ohne künstliche Reizung sich lebhaft bewegen. Da die Vermuthung zulässig erschien, eine Ursache der in- trauterinen Extremitätenbewegungen sei der Wechsel im Sauer- stoffgehalt des Blutes, so achtete ich besonders darauf, ob etwa die Bewegungen der vier Extremitäten stärker werden, wenn A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 417 vorzeitig ein Ei respirirt wird. Ich fand aber, dass im unver- sehrten Ei in vielen Fällen die Embryonen die Beine nicht be- wegen, wenn sie Inspirationsbewegungen machen, in sehr vielen dagegen die Beine bewegten, während ich das intacte Ei in der Hand hielt vor der ersten Athembewegung, also wie im nicht eröffneten Mutterthier, und endlich, dass viele Früchte sowohl starke Extremitäten-Streckungen und -Beugungen als auch zugleich vorzeitige Athembewegungen machen, nachdem der Uterus bios- gelegt worden. Im unversehrten Uterus (im blutwarmen Bade mit 0,6 Proc. Kochsalz) sah ich auch diejenigen ganz unreifen Meerschweinchenembryonen lebhaft die vier Extremitäten bewegen, welche noch keine Athembewegungen machen konnten (einer war 10,3, ein anderer 10,7 Gramm schwer). Nahezu reife Cobaya-Embryonen,' welche mit dem Kopf allein aus dem Uterus durch eine Schnittwunde nach aussen hervor- ragten und bei erhaltener Placentarcirculation Luft athmeten, habe ich intrauterin und extrauterin sich oft lebhaft bewegen gesehen, selbst nach Abnahme der Eigenwärme der Mutter und Frucht bis gegen 33^. Sie arbeiten sich ohne alle Hülfe mit den Beinen förmlich heraus in's Freie und nehmen nach der Abnabelung oft gleich die natürliche Stellung älterer Meerschweinchen an. Viele Versuche zeigen auch, dass nicht jede Art der Ver- minderung des Sauerstoffs im fötalen Blute Extremitätenbewegungen zur Folge hat. Damit ist jedoch ein Zusammenhang der beiden Erscheinungen nicht ausgeschlossen. Dass aber, wie ich fand, Erstickung des trächtigen Mutterthieres auch ohne alle sichtbare Fruchtbewegungen eintreten kann, ist nicht etwa auf die zur Er- regung der Centromotoren zu langsame Abnahme des Sauerstoff- gehalts zurückzuführen. Denn man hat Kaninchenembryonen in allmählich verdünnter Luft unter der Glocke der Luftpumpe sich eine Zeitlaug sogar convulsivisch bewegen gesehen, und als die Bewegungen in stark verdünnter Luft aufgehört hatten, traten sie nach Luftzutritt wieder ein. Dass starke Blutentziehungen bei Thieren die Lebhaftigkeit der Fruchtbewegungen steigern würden, war nach den Erfahrungen am Menschen wahrscheinlich. Bei der Tödtung mittelst Verblutens ist die Wirkung in der That auffallend, sie tritt jedoch etwas spät ein. Ein Beispiel: Bei einem hochträchtigen Meerschweinchen, dem ich aus beiden Schenkelarterien , ohne zu pausiren, volle zehn Grm. Blut entzog, so dass Frey er, Physiologie des Embryo. 27 418 Die embryonale Motilität. seine Schleimhäute weiss wurden, sah ich sieben Minuten nach Beginn des Aderlasses so starke Bewegungen des Fötus eintreten, wie ich sie sonst nie wahrgenommen hatte. Die Erhebungen der Bauchwand nahmen aber dann, obwohl sie ungemein zahlreich wurden, an Umfang ab, und als nach zehn Minuten gar keine Fruchtbewegungen mehr erschienen, schnitt ich, achtzehn Minuten nach Beginn der Blutentziehung, das Junge heraus. Es machte keine Bewegungen mit den Extremitäten mehr, sondern Athembewegungen, die es aber auch bald einstellte. Durch Compression des Thorax liess sich viel Schaum aus den Nasenlöchern hervortreiben: intrauterin aspirirtes Fruchtwasser. Dass in diesem Falle durch die Blutentziehung der mit langen Zähnen, Nägeln und Haaren versehene fast reife 73 Grm. schwere, 148 Millim. lange Fötus im Uterus Convulsionen hatte und dabei auch Inspirationsbewegungen machte, ist gewiss. Die Ursache der Krämpfe kann aber nicht Anämie des Fötus gewesen sein, weil ich nach dem Tode desselben das Herz und die Gefässe strotzend voll sehr dunkeln Blutes fand. Wahrscheinlich waren die Krämpfe nur Begleiterscheinungen der starken vorzeitigen Inspirationsver- suche und diese durch die Abnahme des Blutdrucks und der Sauerstofizufuhr zur Placenta verursacht, wodurch die Erregbarkeit des Athemcentrum zu- nahm. Denn ich habe öfters beobachtet, dass bei hochträchtigen Meer- schweinchen Compression der Trachea bis zur höchsten Lebensgefahr an- haltende sehr starke Fruchtbewegungen nach sich zieht und dass diese sogar noch minutenlang fortdauern, wenn die Mutter schon respirationslos geworden oder todt ist. Einmal traten fünf, ein anderes Mal elf Minuten nach dem letzten Athemzuge des Mutterthieres starke Fruchtbewegungen ein, als schon die Herzthätigkeit der Mutter am Erlöschen war. Dass erhebliches Sinken des Blutdrucks schnellen Tod der [84 Früchte zur Folge hat, zeigte auch Max Bunge, ohne freilich auf eine etwaige praemortale Steigerung der intrauterinen Frucht- bewegungen zu achten (Vgl. S. 204). Die autonomen Bewegungen der schnell aus dem Uterus ge- schnittenen, nahezu reifen und sogleich luftathmenden Kaninchen- embryonen sind geradeso wie die der natürlich geborenen reifen Jungen sehr manigfaltig, ungeregelt, asymmetrisch, arhythmisch. Manchmal treten lange Pausen ein, dann wieder scheinen die Beugungen und Streckungen, das Wälzen auf der warmen Watte, das Hin- und Her -Werfen des Kopfes nach links und rechts, nach oben und unten, hinten und vorn kein Ende zu nehmen. Werden die Thierchen ruhiger, so machen sie doch öfters Bewegungen mit ihren Beinen, welche ganz das Ansehen haben, als wenn sie sich gegen etwas zu stemmen beabsichtigten, als wenn der Fort- fall der früher jeder Extension Widerstand leistenden Uteruswand noch ungewohnt wäre. Daher das eigenthümliche Strampeln und förmliche Schleudern der Gliedmaassen. Dabei bleiben die Thiere in jeder Lage, die man ihnen ertheilt, widerstandslos liegen, aber A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 419 nicht regungslos, wie plötzlich ergriffene erschrockene geborene Thiere. Im Gegensatz zu den nackt und blind geborenen Kaninchen sind die mit dichtem Pelz, offenen Augen und langen Schneide- zähnen geborenen Meerschweinchen, auch wenn sie eine Woche vor dem normalen Termin (von ungefähr neun Wochen) durch den Kaiserschnitt oder Abortus an das Tageslicht gelangen, viel schneller im Stande zu laufen, sich zu erheben und den Kopf aufzurichten. Aber anfangs bleiben sie völlig hülflos in jeder Lage hegen und erheben sich unvollständig, obwohl sie schon ehe sie den Kopf emporhalten können mit demselben Drehbewegungen von einer Seite zur andern machen. Zweimal (an zwei gleich alten zusammen 173 Grm. wiegenden Cobaya-Embryonen, die ich aus dem Uterus herausschnitt) konnte ich unzweifelhaft fühlen, dass der Fötus meinen zwischen die Zähne gehaltenen Fingernagel mit bedeutender Anstrengung biss. Beissen kommt aber intrauterin schwerlich vor. Der eine war vor zehn, der andere vor neun Min. extrahirt worden, ersterer abgenabelt, letzterer nicht. Ein drittes Mal biss ein eben excidirter Fötus meinen Finger unerwarteter Weise recht kräftig. Lässt man die Embryonen der Kaninchen (Hasenkaninchen) in blutwarme physio- logische Chlornatriumlösung austreten, dann sieht man sie auch, wie Zuntz bemerkte, mitunter wischende Bewegungen mit \B\,ei8.62o den Beinen an der Nabelgegend und am Kopfe machen und die Zunge leckend vorstrecken (s. u.). Ich habe mich ferner wiederholt davon überzeugt, dass der nahezu reife Meerschweinchenfötus, wenn man ihn im Uterus in blutwarme physiologische Kochsalzlösung aus der in dieselbe halb eingetauchten passend befestigten Mutter durch einen Bauchschnitt prolabiren lässt, sich geradeso bewegt wie in der Luft. Nur treten bei erhaltener Placentarcirculation öfters Pausen der Ruhe ein. Dann konnte ich durch allerlei Hautreize, wie Kneifen, Stechen, an jeder beliebigen Stelle Keflexbewegungen hervorrufen, welche energischer als die Eigenbewegungen waren. Ich habe sogar wiederholt bei solcher Versuchsanordnung die Embryonen nach Zerrung eines Spürhaares die bekannte kratzende Bewegung mit der Vorderpfote derselben Seite machen gesehen bei intactem Amnion. War aber der Hautreiz sehr stark, dann trat auch oft eine Inspirationsbewegung ein. Nichtsdestoweniger kann ein sol- cher Fötus, wenn er auch viel Kochsalzlösung aspirirt hat, falls man ihn nachher an der Luft warm hält und durch Schwingen 27* 4'20 Di6 embryonale Motilität. das aspirirte Wasser entfernt, dauernd am Leben erhalten werden. Endlich habe ich wiederholt noch nicht ganz ausgetragene Meerschweinchen, ehe sie mit dem Kopfe an die Luft kamen, mit einem raschen Schnitt tief decapitirt und gesehen, wie der Kopf für sich allein noch fünf Minuten lang Athembewegungen mit Mund und Käse machte, besonders nach Quetschung einer Lippe, und zugleich die Extremitäten des kopflosen Rumpfes sich wie bei unverseln-ten Früchten bewegten, wenigstens die Hinterbeine. Diese zeigten auch Reflexe geradeso, als wenn die Enthauptung nicht stattgefunden hätte (vgl. oben S. 402). Die Lungen blieben atelektatisch. Man sieht aus diesen Thatsachen, wie weit die Unabhängig- keit der fötalen Bewegungen von der Luftathmung geht. Sie zeigen auch, wie die Beobachtungen an anencephalen menschlichen Neu- geborenen (s. u.) und die Experimente mit Exstirpation des Gehirns, wie sie zuerst 0. Soltmann an neugeborenen Thieren ausführte, [46 die Unabhängigkeit der Extremitätenbewegungen des Embryo vom Grosshu-n. Wurden beim neugeborenen Hunde die beiden Hemi- sphären mitsammt dem Streifenhügel, mit Erhaltung der Sehhügel und Vierhügel exstirpirt, so gingen alle vorher von dem Thiere ausgeführten Bewegungen — auch Saugen — ganz unverändert ebenso nach der Operation wie vor derselben von Statten (Solt- mann 1876) und ich habe sogar bei den eben erwähnten A^ersuchen nach Enthirnung fast reifer aus dem Uterus herausgeschnittener Meerschweinchenembryonen die Bewegungen der vier Extremitäten oder wenigstens der Hinterbeine genau so, wie bei den daneben befindlichen nicht enthaupteten Controlthieren , fortgehen sehen, so dass niemand nachVerdeckung des Kopfes sagen konnte, ob diese auch enthirnt oder enthauptet waren oder nicht. Nur darin geht Soltmann zu weit, dass er sämmtliche Be- wegungen des Neugeborenen nicht nur für unwillkürlich erklärt — das sind sie — sondern auch für ausschliesslich „durch die als Reiz wirksamen Kräfte der Aussenwelt" zu Stande gekommen ansieht, während sie in Wahrheit zum grossen Theil aus inneren Ursachen — wie bei dem noch garnicht durch äussere Reize er- regbaren und doch sich bewegenden jüngeren Embryo — abzu- leiten, d. h. impulsiv sind, wovon weiter unten. Ans der von Soltmann entdeckten Thatsache, dass durch [46 den elektrischen Reiz von der Groashirnrinde aus beim neugeborenen Hunde und Kaninchen keine Muskelbewegungen ausgelöst werden A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 421 können — während solches in der zweiten Lebenswoche bereits der Fall ist — wird unmittelbar zu folgern sein, dass elektrische Reizung der Hirnrinde beim Fötus ebenfalls keine motorischen Effecte haben wird. So lange keine BewegungsvorsteUungen da sind, im intrauterinen Leben und unmittelbar nach der Geburt, kann demnach überhaupt kein Einfiuss der Grosshirnrinde auf die Bewegungen sämmtlicher Muskeln zu Stande kommen, weder ein excitomotorischer, noch ein hemmender. Mit anderen Worten: die fötale Motilität ist unabhängig von der Rinde des Grosshirns im Gegensatz zu der Motilität des Geborenen, und die Ausbildung motorisch fungirender Theile in der grauen Rinde ist abhängig von peripheren sinnHchen Eindrücken nach der Geburt. Demnach ist es vollkommen unzulässig, das Vorhandensein einer Willkür beim Embryo anzunehmen, weil diese ohne Vor- stellungen und individuelle Empfindungserinnerungen dem Messer ohne Heft und Klinge gleichen würde. Umsoweniger darf beim Embryo der Säugethiere (und des Menschen) ein ausgebildeter Wille angenommen werden, als ge- rade das für diesen charakteristische Merkmal der Reflexhemmung meist gänzHch fehlt. Soltmann konnte durch elektrische Reizung gerade derjenigen Hirntheile, namentlich der vorderen Lohi der [^7 Hemisphären, keine Reflexdepression beim neugeborenen Hunde hervorrufen, welche doch Simonoff (1866) bei Hunden von wenigen Wochen schon functionsfähig fand. Es gehen also beim Neu- geborenen — und darum a fortiori beim Embryo — vom Ge- hirn keine Erregungen in das Rückenmark, welche den Ablauf von Reflexen hemmten, wie Soltmann hervorhob. Ausserdem fand er, dass selbst starke periphere Reizungen, TJmschnürungen und andere bei Erwachsenen reflexhemmend wirkende Eingriffe bei neugeborenen Thieren wirkungslos bleiben, wenn das Rückenmark dicht unter der Medullo. oblongata durchschnitten war, wie bei den analogen Versuchen an erwachsenen Thieren von Lewisson (1869), welche eine starke Reflexdepression kennen lehrten. Es bleibt auch die Reflexlähmung, welche letzterer nach Quetschung einzelner Theile, wie der Niere, des Uterus, eintreten sah, bei neugeborenen Hunden und Kaninchen, aus, wie Soltmann bemerkte. Dem- [47 nach wird beim Fötus des Hundes und des Kaninchens die Ab- wesenheit aller Reflexhemmungsapparate auch im Rückenmark als sicher anzusehen sein. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für den Menschen, welcher gerade in der ersten Zeit seines extraute- rinen Lebens eine grössere Neigung zu Convulsionen zeigt. 422 ^^^ embryonale Motilität. Doch darf dieser Befund nicht verallgemeinert werden. Bei dem neugeborenen und frühgeborenen Meerschweinchen habe ich unzweifelhafte Zeichen bereits wirksamer Reflexhemmung wahr- genommen. Wenn man nämlich ein unberührtes Thier beobachtet, während in nicht zu kleinen Pausen ein starker kurzer Schall [53 ertönt, so sieht man jedesmal beide Ohrmuscheln stark bewegt werden. Wird aber unter sonst gleichen Umständen das Thier- chen mit einer Tiegelzange oder Hakenpincette an der Nacken- haut schwebend sehr fest gehalten, so bleibt nach wenigen Augen- blicken, spätestens Minuten, der Ohrmuschelreflex aus beim Ertönen des unsichtbaren Hammerschlags oder er wird ganz schwach. Bei erwachsenen Meerschweinchen gelingt dieser Ver- such insofern noch besser, als sie während der ungewohnten starken peripheren Reizung sich meist vollkommen ruhig verhalten, wäh- rend das junge Thier fortfährt die Griieder zu bewegen oder zu schreien. Aber allein aus dem constanten Schwächerwerden des Ohr-Reflexes in dieser Lage folgt evident, dass bei eintägigen und erst vor einer halben Stunde oder mehreren Stunden aus dem Uterus geschnittenen noch nassen 'Cavien, denen die Nabelschnur noch anhängt, eine reflexhemmende Wirkung starker peripherer Reize vorhanden ist. Nicht so deutlich zeigte sich, nach anderen Versuchen, die ich anstellte, die Reflexhemmung beim Neugeborenen, z. B. beim Irisreflex. Wird Magnesiumlicht mittelst einer Sammellinse auf das Auge eines neugeborenen Meerschweinchens concentrirt, so verengert sich die Pupille stärker wenn es unberührt ist, als wenn ein sehr starker peripherer Reiz einwirkt. Bei erwachsenen Meerschweinchen fand ich aber den Unterschied der Pupillenweite grösser. Bei ihnen bleibt die Pupille sehr gross im hellen Licht nach Kneifen der Haut. Für andere Reflexe — nach elektrischer und mechanischer Haut- und Schleimhautreizung — gilt dasselbe. Immerhin bleibt die Thatsache bestehen, dass die neugeborenen Cavien, welche, wie erwähnt, viel reifer, als Hunde, Katzen, Ka- ninchen und andere Thiere geboren werden, schon einen wirk- samen Reflexhemmungsapparat mit auf die Welt bringen. Auch die Versuche von Tarchanoff sprechen dafür, wel- [201 eher fand, dass schon bei neugeborenen Meerschweinchen die Reiz- ung der Vorderlappen die Reflexbewegungen mässigt. Wenn man solche Versuche bei den der Reife nahen frisch dem Uterus ent- nommenen Embryonen ausführte, müsste sich ein Zeitpmict er- mitteln lassen, in welchem die Reflexbewegungen wie bei den A. Die Bewegungen tliierischer Embryonen. 423 neugeborenen Hunden, Katzen und Kaninchen nicht durch centrale Eeizung vermindert werden können. Der bemerkenswerthe Unterschied der Embryonen in dieser Beziehung (vgl. die hemmende Wirkung der Herzvagusreizung S.57) kann nur auf ungleiche Ausbildung des Gehirns zurückgeführt werden. Die Grattungen Caiiis, Felis, Cuniculus, Homo haben noch nicht soviele Verbindungen zwischen sensorischen und motorischen Centren im Gehirn zur Zeit der Geburt ausgebildet, wie Cavia. Letztere hält sich, läuft, hört, sieht, beisst und bewegt sich eine Viertelstunde bis eine Stunde nach der Geburt viel vollkommener, als erstere. Auf die Folgen dieser grossen Verschiedenheit der Entwick- lung des Centralnervensystems für die psychische Ausbildung nach der Geburt habe ich an anderer Stelle hingewiesen. Je mehr [372 Bewegungen ein neugeborenes Thier vor und sogleich nach der Geburt vollständig ausführen kann, umsoweniger neue Bewegungen kann es später erlernen. — Da in der Literatur über die Bewegungen der vorzeitig und rechtzeitig geborenen Säugethiere sehr wenige Angaben existiren, so seien hier mehrere von mir unmittelbar nach oder während der Betrachtung des lebenden Objects niedergeschriebene specielle Beobachtungen angereiht. Sie sollen zugleich als Belege für das Vorige und für einige der folgenden allgemeineren Sätze dienen. Am 5. Febr. 1875 schnitt ich einem hochträchtigen Meerschweinchen drei Junge heraus. Alle drei noch nicht ausgetragen, schrieen doch be- vor die Wasserhaut von ihrem Kopfe ganz entfernt war; sie hatten schon ziemlich lange Haare, Zähne, Nägel und offene Augen mit brauner Iris. Die drei Nabelschnüre wurden durchschnitten, nicht unterbunden, vertrockneten nach einigen Tagen. Die Thiere wurden in Watte und später im Brütofen warm gehalten. Die ersten drei Stunden bewegten sie die vier Extremitäten und den Kopf völlig unsymmetrisch, blieben in den ihnen ertheilten Stellungen auf dem Eückeu, auf der Seite, auf dem Bauche liegen, meist sehr lebhaft die Beine bewegend, ohne eine coordinirte Bewegung zu Stande zu bringen. Erst nach drei Stunden bewegte sich eins von den Thiercheu ein wenig geradeaus, die Beine anziehend beim aufrechten Hocken, aber dann wieder wälzte es sich auf dem weichen Tuch und war erst vom vierten Tage an im Stande, sich regelmässig vorwärts zu bewegen. Unmittelbar nach der künstlichen Frühgeburt machten alle drei Früchte, als ein Glas- röhrchen in den Mund gebracht worden, Saugbewegungen, zwar nicht jedes- mal beim Einführen des Eöhrchens, aber meistens. Dasselbe gilt für die Beissbeweguugen: Der Fingernagel, zwischen die Zähne gebracht, wurde nach ein bis zwei Stunden schon merklich festgehalten. Die Thiere wurden nun eine Woche laug blos durch Saugenlassen an ausgezogenen Glasröhrchen 424 ^i^ embryonale Motilität. mit erwärmter Kuhmilch ernährt; eines starb schon am 8. Febr. Diebeiden anderen fingen am 11. Febr. selbständig an Weissbrod in Milch anzunagen. Sie wurden dabei Tag und >Jacht im Brutofen gehalten in Watte, deren Temperatur jedoch die Blutwärme nicht erreichte. Am 8. Febr. tranken die Thiere nicht aus einem ihnen vorgehaltenen dünnwandigen Porzellantiegel- chen mit Milch, sondern bissen den Tiegelrand fest, obgleich die Schnauze in die Milch getaucht wurde. Am 12. Febr. tranken sie jedoch , indem die Lippen mit Milch durch freiwilliges Eintauchen benetzt und dann die Flüssig- keit eingeschlürft wurde, worauf deutliche Schluckbewegungen eintraten; die Lippen wurden aber nicht abgeleckt. Ich sah am 12. Febr. das eine Thier sehr geschickt, nachdem es in Milch aufgeweichte Semmelstückchen reich- lich zu sich genommen hatte, mit den Vorderbeinen links und rechts die Schnauze abtrocknen, genau so wie alte Meerschweinchen es zu thun pflegen. Bei jenem Zernagen des Semmels wurde übrigens zwischendurch hartnäckig an dem Tiegelrande genagt, wie es schien, überhaupt an allem, was an die Lippen oder die Zähne gerieth. Sehr auffallend war, dass noch am 12. Febr. häufig abwechselnd das eine Thier unter das andere kroch und genau dieselben s tos senden Bewegvmgen mit der Schnauze gegen die untere Bauchpartie ausführte, wie sie ganz junge säugende Meerschweinchen an ihrer Mutter auszuführen pflegen. Die beiden Thierchen hatten aber gar keine Mutter zu sehen bekommen. Denn ich hatte zwar am 5. Febr. etwa 3/4 Stunde lang ein erwachsenes weibliches Meerschweinchen in ihre Nähe gebracht. Dasselbe blieb aber bewegungslos sitzen, ohne die mindeste Notiz von den drei Frühgeborenen zu nehmen und diese verhielten sich genau so wie in seiner Abwesenheit. Hiernach scheint also die Aufsuchung der Zitze nicht zufällig zu sein, sonst würden die zwei Thiere sie nicht an sich gegen- seitig g-esucht haben mit Überfluss an Nahrung. Am 12. Febr. Nachm. brachte ich für die Dauer einer Viertelstunde ein trächtiges Meerschweinchen zu den zwei kleinen. Es nahm keine Notiz von ihnen. Die Kleinen setzten ihre eigenthümlichen Bewegungen, Stossen gegen Hals, Brust und Bauch gegeneinander in ihrer Gegenwart fort, krochen auch einige Mal unter und über die Alte, ohne aber zu saugen. Gleich darauf, nachdem die Alte entfernt worden war, wui'de den Jungen Brod und Milch vorgesetzt, welches sie begierig nahmen. Die Thiere waren wie ge- sagt noch nicht reif, doch lebte eines über zwei Jahre. — Am 7. Febr. 1879 öffnete ich einer trächtigen Cavia cohaya, deren Früchte lebhafte Bewegungen zeigten, schnell die Bauchhöhle. Sofort prolabirten drei Embryonen im Uterus in ein vorher bereit gehaltenes blut- warmes Wasserbad, blieben aber noch mit dem mütterlichen Körper im Zusammenhang. Nun sah ich bei zweien während etwa einer Minute keinerlei Bewegimg, hierauf bei allen dreien Athembewegungen mit offenem Munde auch nach der Ablösung des Uterus. Nur beim ersten glaubte ich vor der ersten Athembewegung im intacten Ei nach der Herausschälung aus dem Uterus sehr schwache Bewegungen der Hinterbeine wahrzunehmen. Jeden- falls zeigt dieser Versuch (wie der folgende), dass Dyspnoe ohne starke Bewegungen bei unreifen Früchten, die sich schon bewegen können, ein- treten kajin. Am 3, Jan. 1879 wurde einem trächtigen Meerschweinchen die Bauch- höhle geöffnet. Sogleich prolabirtc der Uterus mit einem Fötus. Dieser A. Die Bewegungen thierischer Embryonen. 425 machte Athembewegungen , welche durch die dünne Uteruswand hindurch deutlich an dem weiten Öffnen des Mundes und Zurückwerfen des Kopfes erkannt wurden. Sie wurden nach Eröffnung des Uterus häufiger in dem noch geschlossenen Ei. Ausserdem fanden statt, aber nui' einen Augenblick, pendelnde Bewegungen beider Beinpaare. Dasselbe Verhalten zeigte, jedoch ohne die geringsten Extremitäteubewegungen der zu zweit heraus- genommene Fötus, ein dritter war schon länger intrauterin abgestorben, ein vierter, als ich ihn herausnahm, schon erstickt. Alle waren wenig behaart, die Zähne weich, die Längen der drei lebenden Jungen 94, 100, 103 Millim. von der Nasenspitze bis zum After geradlinig. Sie starben ohne andere als respiratorische Bewegungen zu machen nach einigen Minuten. Diese Be- obachtung zeigt, dass die Extremitätenbewegungen bei unreifen Früchten sehr schnell nach der Störung der Placentarathmung erlöschen und nur die Athembewegungen fortbestehen. Einen grossen Meerschweinchenfötus sah ich (im Jan. 1879) im unver- sehrten Mutterthier, dessen einzige Frucht er war, sich längere Zeit hindurch vor dem Ausschneiden bewegen (an den Erhebungen der Bauchwand), als wenn er sich streckte. Darauf Hess ich, die Bauchhöhle öffnend, den Trag- sack prolabiren und sah durch dessen durchscheinende dünne Wand hin- dtu'ch den Fötus ohne die geringste Athembewegung eine starke Rumpf- bewegung ausführen, wie ganz junge Embryonen von Fischen und Hühnern es zu thun pflegen, so dass auch die Extremitäten, die vorderen und hinteren zugleich, passiv eine Lageänderung erfuhren. Nach der völligen Freilegung, Abnabelung und dem Beginne des Luftathmens wiederholten sich diese zuckenden Rumpf bewegungen , wobei die vier Extremitäten förmlich ge- schleudert wurden. Es blieb kein Zweifel bestehen, dass diese Bewegungen mit den vorher im intacten Uterus und Mutterthier avisgeführten identisch und von der Luftathmung oder einer intrauterinen Dyspnoe völlig unab- hängig waren. Nach fünf Min. wurden diese Bewegungen seltener and hörten nach weiteren zwölf Min. ganz auf. Noch 22 Min. nach dem Herausschneiden keine Reaction auf starke Schallreize, aber entschiedene Versuche sich aus der Rückenlage zu befreien. Augen offen. Die Extremitäten werden nun selbständig asymmetrisch bewegt. Beim unsanften Berühi-en und Abtrocknen Quieken. Noch sieben Minuten später behält aber das Thier wieder jede ihm ertheilte Lage mehrere Secunden lang bei, auch die der einzelnen Extremi- täten. Bei Berührung der Conjunetiva schliesst sich das Auge langsam und nicht vollständig. An einem Beine frei aufgehängt, bewegt das Thierchen die drei anderen einzeln. Eine Minute nach diesen Versuchen hat über- haupt bereits die Widerstandslosigkeit aufgehört. Die Extremitäten behalten die ihnen ertheilten Lagen nicht mehr bei, sondern kehren in die Lage der halben Flexion sogleich zurück. Reaction auf Schallreize 56 Min. nach dem Herausnehmen noch nicht vorhanden; 57 Min. nach demselben deutliche Kaubewegraigen. Beim Anblasen schliesst sich das Auge jetzt sehr schnell; 64 Min. nach demselben erhob sich zwar das hingelegte Thier noch nicht von selbst, sass aber auf seinen vier Füssen, als ich es hinsetzte, eine Min. lang, fiel dann um, erhob sich von selbst wieder nach einigen Secunden und blieb dann in seiner natürlichen Stellung, mit den Vorderbeinen un- symmetrische Bewegungen ausführend. Die Beobachtung musste abge- brochen werden. Sie zeigt aber, wie schnell nach der künstlichen Geburt 426 Die embryonale Motilität. die Bewegungen zweckmässig werden. Allerdings war der fast reife Fötus 150 Millim. lang von der Nase bis zum After. Am 7. Jan. 1879 entnahm ich dem Uterus vier lebende nur 20 bis 21 Millim. lange Meerschweinchen-Embryonen in den unversehrten Eihäuten. Keiner bewegte sich. Auch nach dem Freilegen trat keine Athembewegung und keine sonstige active Bewegung ein. Sehr junge Embryonen verhalten sich durchweg nach dem Bioslegen ruhiger als ältere, woraus aber nicht folgt, dass sie sich im Uterus garnicht bewegen. Manchmal sah ich auch grössere unversehrte Embryonen sich dauernd ganz ruhig verhalten. So am 14. Jan. 1879 drei eines Meerschweinchens. Eines war 81, eines 83 Millim., das dritte ungefähr ebenso lang. Nur eins machte im Ei eine einzige Athembewegung, keines irgendwelche Extremitätenbewegung. Das Herz aller drei schlug noch sehr lange nach dem Herausnehmen und zwar schneller nach dem Eintauchen in handwarmes Wasser. In diesem Falle war die Motilität der Embryonen auch vor dem Offnen der Bauchhöhle nicht constatirt worden. Dennoch waren sie normal und die Nabelvene des einen sehr hellroth beim Herausnehmen, der Magen mit gelber Flüssigkeit prall gefüllt. Die S. 160 bereits erwähnten Kaninchen-Embryonen vom 15. Jan. 1879 machten im unversehrten Ei geradeso unregelmässige, nicht associirte, ganz uncoordinirte Bewegungen wie nach der Ablösung der Amnien in warmer Watte in der Luft. Sie konnten aber durch das warme Bad mit freiem Kopf nicht am Leben erhalten werden; Länge zwischen 10 V2 und 11 Centim. Der Magen enthielt Fruchtwasser. Der S. 158 erwähnte Meerschweinchenfötus vom 23. Jan. 1879 bewegte sich in dem frei auf dem Eücken liegenden (kataplegischen) Mutterthier leb- haft, sodass fast jedesmal, wenn an einer Stelle eine Vorwölbung der Bauch- decke stattfand, unmittelbar darauf an einer nahegelegeneu Stelle eine ähn- liche Erhebung stattfand. Im freigelegten Uterus machte der Fötus deuthch sichtbar symmetrische Bewegungen , indem er die Vorderbeine streckte und dann die Hinterbeine. Diese Bewegungen ausserhalb der Mutter im Ei ent- sprachen genau den Veränderungen der Bauchwand vorher. Die beiden Vorderbeine wurden gleichzeitig, die beiden Hinterbeine ebenfalls gleich- zeitig gestreckt, bez. angezogen. Im Ei fanden nur selten nicht gleichzeitige bilaterale Bewegungen statt, nach der Abnabelung aber häufig abwechseln- des Pendeln des linken und rechten Vorderbeines, das man auch sonst oft beim Neugeborenen wahrnimmt. 9. März 1879. Hochträchtige Cavie: links und rechts lebhafte Frucht- bewegungeu , aber in langen Pausen. Ich stach rechts in den Fötus eine 1 V2 Zoll lange Heftnadel ^4 Zoll tief ein, so dass ihr Heft frei sich bewegte ; sofort fing dieselbe an, mit unzählbarer Frequenz unregelmässig hin und her zu schwingen in sehr grossen und kleinen Excursionen. Linkerseits trat die Nadclbewegung erst nach mehreren Secunden ein, dann aber sehr stark, wenn auch in Pausen. Ausserdem links schon beim Drücken der Frucht mit der Hand u. z. des Kopfes stärkere Bewegungen. Also ungeborene Meerschweinchen haben eine relativ hohe Reflexerregbarkeit. Am 10. März 1879 um 11 Uhr 39 Min. sah ich den Kopf eines jungen Meerschweinchens in der Eihaut aus der Scheide eines schon länger beob- achteten liocliträchtigen Thieres austreten. Das halb geborene Junge machte A. Die Beweguugeu thierischer Embryonen. 427 sogleich eine Athembewegung im Ei; hierauf presste das Mutterthier mit einem Euck die hintere Hälfte vollends aus und versuchte die Eihaut zu zerbeissen. Hierbei schien ihm meine Anwesenheit störend, es floh in eine Ecke seines Kastens und schleppte das auf dem Rücken liegende Junge am Nabelstrang liinter sich her. Dasselbe machte unterdessen zuckende Be- wegungen mit den Vorderbeinen. Die Eihaut zerriss. Darauf wurden die anfangs seltenen Athembewegungen stürmisch. Erst vier Minuten nach der Geburt piepte das Junge. Seine Augen waren vom Anfang an offen. Schon vor 11 ''44'" machte es lebhafte Kopfbewegungen. Um diese Zeit erschien die Placenta. Sie wurde liegen gelassen, indem die Mutter mit den Zähnen ein zweites Junges, den Kopf zuerst, förmUch herausholte; 10'' 47™ war das- selbe geboren'und piepte sogleich. Auch machte es sofort lebhafte zuckende Bewegungen der Vorderbeine und des Kopfes. 11 ''48'" wurde es ebenso wie das erste am Nabelstrang nachgeschleppt, wobei dieser zerriss. Die Mutter leckt eifrig das Junge, welches 11'' 49°' heftig athmet. Hierauf frisst die Mutter, vmbekümmert um die Jungen, die Placenta. Beide Jungen wer- den übrigens durch die Beste des Nabelstrangs und der Eihaut, welche sich als Stränge um die Hinterbeine gewickelt haben, bei ihren lebhaften völlig unregelmässigen Bewegungen behindert. Um 12 ''7^2°' holte die Mutter mit den Zähnen, den Nabelstraug zerrend, die zweite Nachgeburt heraus und begann sogleich dieselbe zu verzehren. Aber um 12'' 9"" erschien vor dem Scheideneingang ein dritter Fötuskopf in intacter Eihaut mit offenen Augen. Ich nahm das Mutterthier in die Hand, hielt es in der Rückenlage und sah, wie 12'' 10 V,™ durch eine plötzliche Bewegung die Frucht ausgestossen wurde. Sie war kleiner, als die beiden ersten, bewegte sich aber gerade so wie diese, athmete 12'' 11'", schrie und machte strampelnde Bewegungen, durch welche die Reste der Eihaut abgestreift wurden. Bei den drei Jungen traten nach minutenlangen ununterbrochenen regellosen Bewegungen der Extremitäten und des Kopfes Pausen der Ruhe ein, wobei sie jede ihnen ertheilte Stel- hxng beibehielten, ohne dass jedoch sämmtliche Extremitäten dabei völlig bewegungslos geworden wären. Die Berührung der Bindehaut des Auges hatte 1 1 '' 57 •" bei dem ersten und zweiten Jungen prompten Lidschluss zur Folge, beim zweiten trat er jedoch nicht so schnell wie beim ersten ein, bei jenem also 10, bei diesem 18 Minuten nach der Geburt. Ausser dieser Reflexbewegung und dem Ohrmuschelreflex constatirte ich vor 11'' 57"" bei beiden Jungen die Empfindlichkeit füi- Schmerz, also innerhalb der ersten 18, bez. 10 Minuten nach der Geburt. Denn leichtes Comprimiren eines Fusses mit einer Pincette hatte regelmässig einen Schrei zur Folge. Als ich nach 2 ^/^ Stunden die Thiere wiedersah, welche inzwischen auf Heu mit der Mutter im Kasten gelegen hatten, waren sie alle drei respi- rationslos, kalt und noch ganz nass. Die Mutter hatte sich offenbar nicht um dieselben bekümmert. Es gelang mir das zuerst geborene grösste durch Baden in Wasser von 38 ", Abreiben mit warmer Watte, sanfte Compressioneu der Brustwand zum Leben zurückzui-ufen. Ich konnte es jedoch nicht zum kräftigen Saugen bringen. Die ersten mit Schlucken verbundenen Saug- beweguugen traten 4'' 50"" ein. Alle drei Junge waren nicht ganz ausge- tragen, die Nägel klein und weich, die Zähne klein. Das Unvermögen, gleich 428 I-*i^ embryonale Motilität. anfangs sich wie reife neugeborene Cavieu laufend fortzubewegen und auf- recht zu halten, beweist, dass es sich hier um eine (wahrscheinhch durch mehrere Stiche vom Tage vorher provocirte) Frühgeburt handelt. Um so wichtiger ist der constatirte Befund bezüglich der Reflexe. An den drei Jungen war nicht die geringste Verletzung zu sehen, was auch bei der Fein- heit der angewendeten Nadel sich nicht erwarten liess. Am 9. Dec. 1878 sah ich ein schon länger isolirt gehaltenes Meer- schweinchen während des Gebäractes. Das nasse Neugeborene I stand schon auf seinen vier Füssen, als ich 2 ü. 45 hinzukam und zerrte stark an seiner Nabelschnur, II noch ganz nass und blutig und in Verbindung mit seiner Placenta zerreisst seine Nabelschnur durch Dehnung beim Fortgehen und bleibt dann in einer Ecke des Kastens, in welchem es zur Welt kam; beide hatten eine dunkelbraune Iris. Um 2 U. 56 Min. trat der Kopf der dritten Frucht (III) hervor. Diese knirschte bis 2 U. 59 Min. mit den Zähnen und kroch dann aus der Vagina heraus, war 3 U. 0 M. fi'ei, liess seine Stimme 3 Min. lang quiekend hören und zerrte an der ihm noch anhaftenden Wasserhaut und dem Nabelstrang, so dass diese zerriss und das Thierchen vom Tisch auf den harten Boden fiel. Es war sogleich regungslos und respirationslos. Um 3 U. 4 M. athmete es wieder häufig und machte heftige pendelnde Bewegungen aller vier Extremitäten. 3 U. 9 M. : Die Augen von I und II schliessen sich bei Berührung constant, aber nicht so schnell und vollständig wie beim Erwachsenen. 3 U. 12 M. : III hat sich wieder aufgerichtet, dreht sich um und kriecht in eine Ecke. 3 U. 16 M.: I und II zittern und knirschen mit den Zähnen. In diesem Falle waren die drei Neugeborenen völlig reif und unterstützten durch active Bewegungen den Geburtsact, wenigstens machte III den Eindruck eines Thieres, welches sich aus einer unangenehmen Lage zu befreien sucht, als es sich mit den Vorderbeinen aus der Scheide herausarbeitete. Alle diese Beobachtungen sind nicht als vereinzelt anzusehen, sondern als Beispiele meist oft wiederholter Einzelfälle, Nur die normale Geburt sah ich beim Meerschweinchen selten. B. Die Bewegungen des menschlichen Eötns. In der wievielten Woche seines Lebens der menscMicbe Fötus zum ersten Male seine Grlieder bewegt, ist noch unbekannt. Die Arme und Beine sind bekanntlich in der vierten Woche angelegt, erstere etwas früher als letztere. Die gewöhnliche Angabe, dass in der 17. oder 18. Woche frühestens, in der 22. spätestens, in der Regel um die Mitte des TOB der Befruchtung bis zur Geburt verfliessenden Zeitraums von 40 Wochen, die ersten Bewegungen der Frucht bemerkt werden, gilt nur für die schon starken, meist pochenden Kindsbewegungen, welche, ohne dass vorher die Aufmerksamkeit besonders auf die Erscheinung gerichtet wm-de, sich geltend machen. Wenn die Hand, ohne stark zu drücken, längere Zeit ununterbrochen auf- gelegt wird, kann man schon vor der 17. Woche mitunter sehr deutliche Fruehtbewegungen wahrnehmen, welche nur der Ungeübte mit Darmbewegungen verwechselt. Auch spricht schon die That- sache, dass primipare Frauen meistens die ersten Bewegungen später als secundipare bemerken, zu Gunsten der Ansicht, dass mit Steigerung der Aufmerksamkeit und wiederholter manueller Prüfung — durch anhaltendes Handauflegen — der Zeitpunct der ersten äusserlich wahrnehmbaren Bewegungen der Frucht noch in den Anfang des vierten Monats fällt. Wahrscheinlich wird der Embryo aber noch viel früher sich zu bewegen anfangen. Ich bin überzeugt, dass schon der fünf- bis sechs-wöchentliche Embryo sich bewegt, und man wivö. ihn bei grösserer Sorgfalt im Beob- achten abortirter Eier gemss eines Tages sich bewegen sehen. Denn schon beim einzölligen Embryo ist die Nabelschnur [166,242 'Sin wenig torquirt. In der achten Woche hat wohl regelmässig 430 Die embryonale Motilität. die Spiraldrehung begonnen. Wodurch anders als durch Fötus- bewegungen sollte sie entstehen ? Bei multiparen Thieren, welche sich garnicht oder nur anfangs und später nur unvollständig im Uterus umdrehen können, ist die iSFabelschnur nicht torquirt. Ich habe wenigstens niemals an ihr Spiraltouren bemerkt (beim Meer- schweinchen). Freilich sind die Hülfsmittel zur Erkennung der Frucht- bewegungen noch sehr unvollkommen, so wünschenswerth es auch in praktischer wie theoretischer Beziehung wäre, den Zeitpunct der ersten activen Bewegung sicher feststellen zu können. Ausser dem Auflegen der Hand auf die blosse Bauchhaut ist noch die Auscultation mit dem Stethoskop (früher auch dem Metro- skop, einem spitzwinkelig geknickten Hörrohr, welches durch die Yagina bis an den Mutterhals geführt wurde) oder durch Auf- legen des Ohres diagnostisch zu verwerthen, aber nur der Geübte unterscheidet die durch Kindsbewegungen hervorgerufenen Gre- räusche, ein eigenthümliches Knistern, von den durch die peri- staltischen Bewegungen des Darmes der Mutter und andere Beweg- ungen verursachten Schalleindrücken. Das binaureale oder diotische Stethoskop ist bei weitem das geeignetste Instrument hierzu. Ich habe mit demselben die fötalen Herztöne bei schwangeren Frauen besser gehört, als mit dem gewöhnlichen Stethoskop. Das Nabel- schnurgeräusch, der Aortenpuls, das Uteringeräusch, Muskel- geräusche erschweren zwar die Beobachtung, wer jedoch in vor- gerückten Stadien das Geräusch der Fötusbewegung deutlich vernommen hat, wird auch zu Ende der ersten HäKte der Schwangerschaft es erkennen. Um es zu charakterisiren sei be- merkt, dass man es einigermaassen nachahmen kann, wenn man, wie mir mein verehrter College B. Schnitze mittheilte, die Ohr- muschel nach vorn umlegt und ohne stark zu drücken, mit ihr den äusseren Gehörgang verschliesst , indem man zugleich den Daumen gegen die Rückseite der Ohrmuschel leicht stemmend mittelst des Daumennagels den vorderen Rand eines Fingernagels abwechselnd innen und aussen streift (knipst). Der abgebrochene, trockene fast als ein Knistern zu bezeichnende Schall gleicht dem der Kindsbewegungen. Depaul will bei neun Frauen unter zwölf [122 schon vor Ablauf der vierzehnten Woche diese Reibungsgeräusche des sich bewegenden Fötus gehört haben, was ich nicht bestreiten will, da ich selbst bei Meerschweinchen Fötusbewegungen sehr lange vor der Reife hörte (mit dem Stethoskop) und bei sehr kleinen Embryonen derselben im unversehrten Ei die Extremitäten- B. Die Bewegungen des menschlichen Fötus. 431 bewegimgen sah, d. h. zu einer Zeit, in der die Placenta kaum 1 ^/3 Centim. im Durchmesser hatte. Da je früher man beobachtet, dieses Geräusch um so leiser, die Wahrnehmungen unsicher werden, so ist für die Ermittlung des Zeitpuncts, wann sie zuerst auftreten, und für die Beurtheilung der Art jener intrauterinen Bewegungen, das Verhalten der durch natürliche Frühgeburten und künstliche Eingriffe zu Tage treten- den intacten Früchte wichtig. In dieser Beziehung hat eine Beobachtung von Erbkam — vom [234 Jahre 1837 — Interesse. Er fühlte einen von ihm an den Beinen extrahirten viermonatlichen Fötus in seiner Hand deutlich sich hin und her bewegen, durchschnitt und unterband schnell die Nabelschnur und legte das besonders mit den Beinen fortwährend zuckende Kind in ein Gefäss in warmes Wasser. Eine gute halbe Stunde währten dann noch die Bewegungen: Anziehen der Füsse und Arme, Umwenden des Kopfes von einer Seite zur andern, Öfihen des Mundes wie zum Athmen. Sobald das kühl gewordene Wasser durch warmes ersetzt wurde, erneuerten sich die Zuckungen. Dass hier eine vier- monatliche Frucht vorlag, soll aus den Angaben der „in der Geburtshülfe bewanderten" zum vierten Male schwangeren Frau und aus den folgenden Daten hervorgehen: die Länge betrug 6 Va Zoll, das Gewicht 16 Loth. Ge- schlecht nicht erkennbar. Die äusserliche Besichtigung Hess auf ein Mädchen schliessen, jedoch zeigte die Section die Hoden in der Bauchhöhle. Die Placenta „von der Grösse eines Handtellers", die Nabelschnur „ungefähr" acht Zoll lang. Hiernach kann die Mitte der Schwangerschaft wohl nicht erreicht gewesen sein. Ein zweiter Fall wurde von Zuntz beobachtet, welcher ein vier Mo- Pi nate altes unverletztes menschliches Ei eine Viertelstunde nach der Aus- stossuug erhielt, und in dem er beim Betasten Extremitätenbewegungen des Fötus fühlte. Da die Altersbestimmung genau war, so ist hierdurch das Auftreten von Kindsbewegungen schon nach sechzehn Wochen bewiesen. Ausserdem zeigt der Fall, dass ein solcher Fötus eine bedeutende Lebenszähigkeit besitzt, da er fünfzehn Minuten lang in Fruchtwasser ohne Sauerstoff lebte. Auch die Bewegungen, welche das reife Neugeborene mit seinen Extremitäten ausführt, sind unabhängig von dem Ingangkommen der Lungenathmung. [43 Denn man sieht öfters eben geborene Kinder, welche noch nicht geathmet haben, „sich sehr gut bewegen, indessen sind diese Be- wegungen nie so lebhaft, als diejenigen, die nach dem Anlangen des hellrothen Blutes eintreten^' (Bichat). Über die Ursachen der Fruchtbewegungen vor der Geburt könnte man Aufschluss zu erhalten hoffen durch genaues Ver- gleichen der Häufigkeit, Stärke, Geschwindigkeit, Ortsänderung, 432 Die embryonale Motilität. und Kichtung der Erhebungen der Bauchdecke mit physiologischen und pathologischen Zuständen der Mutter. Obwohl dieses Gebiet bisher für sich nicht wissenschaftlich bearbeitet wurde, ist es ge- wiss der gründlichsten Untersuchung werth. Ich habe nur eine geringe Anzahl von Thatsachen vorgefunden. Zunächst ist von zuverlässigen Ärzten beobachtet worden, dass nach sehr bedeutenden Blutverlusten bei hochschwangeren Frauen die Kindsbewegungen lebhafter werden. Kussmaul be- [so schreibt einen solchen Fall. Eine im sechsten Monate Schwangere gerieth durch einen starken Blut- verlust aus einem erweiterten Ast der Arteria epigastrica rasch in einen Zustand grosser Erschöpfung und Anämie. Nachdem die Blutung gestillt war, traten ungemein belästigende heftige Kindsbewegungen ein, welche erst im Verlaufe des zweiten Tages sich mässigten und am dritten bei zunehmen- der Erholung der Mütter zur Norm zurückkehrten. Dass diese intrauterinen Convulsionen. durch Abnahme des mütterlichen Blutdrucks, also wahrscheinlich durch Sauerstoffmangel bedingt sind, ist kaum zu bezweifeln. Übrigens sind die Kinds- bewegungen bei chronischer Blutarmuth der Mütter keineswegs ungewöhnlich lebhaft oder häufig, und wenn der Aderlass eine Ohnmacht der Mutter hervorruft, können alle Kindsbewegungen aufhören. So berichtet Depaul, dass eine Frau, die im sechsten [isi Monat venäsecirt wurde, in Folge davon in eine tiefe Ohnmacht fiel und von da an keine Fruchtbewegungen mehr fühlte; sie gebar dann eine todte Frucht. Absichtlich Hess sich dieselbe Frau bei ihrer zweiten und dritten Schwangerschaft im sechsten Monat wieder einen Aderlass machen. Die Wirkung war die gleiche: tiefe Ohnmacht, Aufhören der Kindsbewegungen, und zum zweiten und dritten Mal wurde nach einiger Zeit eine todte Frucht geboren. Dass Temperaturveränderungen des mütterlichen Blutes und der Bauchdecke, z. B. Abkühlung durch Auflegen der kalten Hand Fruchtbewegungen veranlassen können, wird oft behauptet. Aller- dings könnte ein solcher Binfluss, wie der letztgenannte, schon wegen der Gefässverengerung in Betracht kommen. Auch ist nach grosser körperlicher Anstrengung und Sorge eine bedeutende Steigerung der Kindsbewegungen beobachtet wor- den und zwar im neunten Monat (von Whitehead 1867). [123 Es traten drei Wochen vor der Geburt des gesunden Kindes Paroxys- inen auf. Zu Anfang eines jeden folgten sich die von fühlbarem Zittern des Fötus begleiteten Stösse des Fötus alle vier bis fünf Secundcn, nahmen daini an Stärke und Frequenz ab und liörtcn nach zwei Minuten auf Nach vier B. Die Bewegungen des menschliclien Fötus. 433 bis fünf Minuten trat ein neuer Anfall ein. Der Kopf ging schnell hin und her, 20 mal bis 30 mal über den untersuchenden Finger in einem Paro- xysmus. Die Anfälle dauerten fünf Stunden. Als sie aufgehört hatten, traten bis zur Geburt keine Convulsionen der Frucht mehr ein. Wenn hierbei der Einfluss der sehr grossen Abspannung der Mutter, die sich kaum noch bewegen konnte, im Zusammenhang mit den Fötuskrämpfen stehen kann, so gibt es doch Fälle ge- nug, bei denen heftige Erregungen, Gehirnerschütterungen der Mutter ohne allen Einfluss auf die Kindsbewegungen blieben. Dass allerdings ein Schreck leicht Abortus bewirkt, gehört in eine andere Kategorie. Vielleicht handelt es sich aber auch in jenem ersterwähnten Fall zunächst um Uteruscontractionen. Nach einem Sturz der Schwangeren (von der Leiter, von [i93 einem auf dem Tisch stehenden Stuhl) sind zwar im dritten, im vierten und im achten Monat intrauterine Verletzungen, Ampu- tationen der Finger, der Zehen, eines Armes (der dann bei der Geburt mit der Placenta abging) beobachtet worden, über ge- steigerte Bewegungen des Fötus aber in solchen Fällen wird nicht berichtet. Über die ungleiche Lebhaftigkeit der Kindsbewegungen in den einzelnen Monaten ist nichts allgemein gültiges ermittelt worden. Anfangs, wenn der Embryo von relativ grossen Mengen Fruchtwasser umgeben ist, könnte er sich am leichtesten rühren, gerade in dieser Zeit — vor dem vierten Monat — sind aber noch keine Bewegungen der Gliedmaassen sicher wahrgenommen worden. Später dagegen, wenn durch sein eigenes schnelles Wachs-, thum der Fötus in seinen Muskelbewegungen immer mehr beengt wird, das Fruchtwasser sich, weil es reichlicher verschluckt wird, relativ vermindert, dann sind seine wahrnehmbaren Glieder- bewegungen am manigfaltigsten. Wie der Säugethier- Embryo liegt der menschliche Embryo meistens mit gekreuzten angezogenen Beinen und auf der Brust gekreuzten Armen im Uterus, und er ist in der That später kaum in der Lage Bewegungen auszuführen, welche, ohne stärkeren Druck zu verursachen, ihm eine andere als diese zusamm engekauerte Haltung gestatteten. Aber in dieser Haltung, zu der er immer wieder zurückkehren muss, weil jede andere mehr Raum verlangt, verändert er in der manigfaltigsten Weise seine Lage und seine Stellung. Die Lage bezeichnet das Verhältniss der kindlichen Längenaxe zur Uteruslängsaxe, ist also z. B. eine Geradlage, wenn beide zu- sammenfallen, eine Querlage, wenn es nicht der Fall ist. Preyer, Physiologie des Embryo. 28 434 Die embryonale Motilität. * Die Stellung des Fötus im Uterus wird nach den Beziehungen eines Theiles desselben, z. B. des Rückens, zu den verschiedenen Regionen der Uteruswand bezeichnet bei gegebener Lage. So kann bei der Geradlage der Rücken vorn, hinten, rechts, links liegen. . [524 Diese Unterscheidungen sind von geringem Interesse für die Physiologie; sie haben bekanntlich für die Geburtshülfe die grösste Bedeutung. Daraus erklärt sich die ansehnliche Zahl von Unter- suchungen über die Änderungen der Lage des Fötus und seinen Stellungswechsel. Hier sei nur erwähnt, dass die Ursache der gegen Ende der Gravidität eintretenden normalen bleibenden Schädellage und Stellung (mit dem Kopf im kleinen Becken) noch immer nicht ganz befriedigend erklärt ist. Ein wesentlich mitwirkender Factor für das Vorliegen des Schädels in weitaus *der Mehrzahl aller Fälle ist jedenfalls die Schwere. Der Kopf ist der schwerste Theil des reifen Fötus. Daher hat man seit Hippokrates die sogenannte Culbute mit der neuen Gleichgewichtsstellung, welche der Fötus nach dem Ablauf [523 des siebenten Monats zu behalten pflegt, indem er bis dahin ver- schiedentlich lag und nun den Kopf nach unten gewendet zeigt, dem von Duncan nachgewiesenen grösseren specifischen Gewichte des Kopfes zugeschrieben. Diese Ansicht erhält eine Bestätigung durch Versuche von Veit, welcher eine grosse Anzahl frischer todter Früchte in Salzwasser vom gleichen specifischen Gewichte schwimmen Hess und sah, dass der Kopf tiefer zu stehen kam als der Steiss. Die Früchte nehmen eine schräge Stellung ein, welche der normalen Lage im Uterus entspricht, weil ihr Schwerpunct (auch nach Poppel) dem Kopfe näher als dem Steiss liegt. Wenn die Schwere eine Hauptursache für die Kopfrichtung nach unten ist, so darf man sie doch nicht als die einzige ansehen. Simpson hebt hervor, dass der Fötus durch den Druck der Uterus- wand, wenn er sich bewegt, zu Reflexbewegungen veranlasst werde, indem er dem Druck ausweichen müsse; dadurch komme die Frucht in die bequemste Lage und Stellung, welche den kleinsten Raum einnimmt und den geringsten Druck mit sich führt. Wenn auch, namentlich wegen der oft sehr schwachen Reflex- reize und der geringen Reflexerregbarkeit des Fötus, hiergegen sich Einwände erheben lassen, so ist doch diese Hypothese ungleich wahrscheinlicher, als die oft wiederholte Annahme eines etwas mysteriösen Instinctes. Eine erhebliclie Wirkung wird ohne Zweifel dem Uterus selbst zuzuschreiben sein, dessen Gestalt durch die B. Die Bewegungen des menschlichen Fötus. 435 zunehmende Spannung seiner Wände auf die Lage der Frucht von^ grossem Einfluss sein muss. Zumeist wird freilich immer die Schwere in Betracht kommen. Dafür spricht der oft constatirte Einfluss der Lage und Stel- lung der Mutter auf die Frucht, sodann die grosse Zahl von Schwerpuncts- und Dichte-Bestimmungen, sowie der Umstand, dass auch bei Fehl- und Frühgeburten meistens der Kopf zuerst ge- boren wird, wie bei normalen Geburten. In dieser Hinsicht ist auf die intrauterine Lage, Stellung und Haltung reifer Acephalen besonders zu achten. Die kopflosen Monstren sind auch ebenso wie die Anence- phalen oder hirnlosen Früchte wegen ihrer Bewegungen von hohem Literesse für die Physiologie, weil sie zeigen, wie wenig die Hirn- thätigkeit zur Entwicklung und zur Bewegung vor der Geburt be- nöthigt wird. Li der Literatur finden sich jedoch nur spärliche Angaben über die Bewegungen solcher Monstren, welche selten einige Stunden oder Tage am Leben blieben, vielmehr meistens in der Geburt oder unmittelbar nach derselben starben, wenn sie nicht schon todt geboren wurden. Gerade diese wenigen Fällen sind um so lehrreicher. Einer der ältesten aber ganz schlecht beobachteten ist der von Em- merez (1667): eine kopflose reife Frucht, die er zergliederte, hatte vier [93 Tage gelebt und sich bewegt; an der Stelle des Kopfes sah man „eine wie Fleisch aussehende Masse". Lavergne berichtet von einem männlichen Kinde, das an der Stelle [i^ des Gehirns eine hellrothe wie eine Geschwulst aussehende Masse zeigte und nur die unteren zwei Drittel des Kleinhirns „und des ihm entsprechenden" Halsmarks besass, übrigens normal gebildet und reif war. Dieses Wesen schrie bei seiner Geburt einigemale schwach, athmete ziemlich frei und be- wegte die unteren Gliedmaassen. Es lebte drei Tage und zwölf Stunden, ohne Nahrung zu sich zu nehmen. Eine anencephale Frucht, welche vor der Geburt sich lebhaft bewegt hatte, starb unter Krämpfen mit „zuckenden Bewegungen der Zunge" nach ungefähr zwei Minuten (Beck 1826). [109 Ein (1834 von Strähler beobachteter) achtmonatlicher Anencephalus [121 hatte an der Stelle des grossen Gehirns eine runde schwammige Geschwulst, athmete ungleich, verfiel in Convulsionen , nahm keine Nahrung und starb nach 38 Stunden. Die Section zeigte am Halsmark und Rückenmark nichts anomales. Die ganze Schädelhöhle war aber mit jenem schwammigen Ge- webe erfüllt. F. Lallemand erzählt von einem im achten Monat geborenen mann- [15 liehen schädellosen Kinde, dessen Gehirn und Eückenmark angeblich zerstört gewesen sein sollen, Avelches aber zwei Tage vor der Geburt sich bewegte. Es wurde .glicht bemerkt, ob es in der Geburt noch lebte. Die peripheren Nerven und die Muskeln waren nicht degenerirt. Die intrauterinen 28* 436 I^iß embryonale Motilität. Bewegungen wären also durch centrale pathologische Reizung der erst von ihi-en Austrittsstellen an verfolgbaren motorischen Nerven entstanden. Wahrscheinlich aber war ein geringer nicht wahrgenommener Rest des Rückenmarks noch vorhanden. Derselbe Beobachter sah ein reifes oder fast reifes hirnloses Kind, wel- ches drei Tage lebte. Es schi-ie stark, sog, wenn man ihm etw^as zwischen die Lippen brachte, schluckte, musste aber künstlich ernährt werden, weil keine Amme es säugen wollte. Es bewegte seine Gliedmaassen, und beugte die Finger, wenn ihm ein fremder Körper in die Hand gelegt Avurde. Doch waren die Bewegungen schAA'ächer, als bei einem gleichalten normalen Fötus. Vom Gehirn fand sich nichts, aber das Halsmark (Markknollen und Brücke) war vorhanden. Wenn dagegen auch das Halsmark fehlt mit dem Athmmigs- centnmij dann können die Acephalen nicht mit der Lunge athmeii. Sie leben dann nur bis zum Augenblick der Geburt oder sterben gleich nach derselben. Zwei exquisite Fälle der Art, welche 1861 Lussana be- [349 obachtete, dienen zum Beweise. Der eine Fötus, weiblich, wurde im Anfang des neunten Monats lebend geboren und zwar mit schwachem Herzschlage, der nach zwei Minuten auf- hörte, und ohne alle Athembewegungen. Die sichtbar daliegende Schädel- basis war nur mit einer rothen, dicken, festen Membran bekleidet ohne alle Hirnsubstanz. Die Wirbelsäule normal. Das Rückenmark im ersten Wirbel- ring beginnend. Der andere Fötus, männlich, wurde im achten Monat ge- boren und lebte noch bei der Geburt, obwohl er nicht schrie, überhaupt nicht athmete. Er zeigte noch nach zwanzig Minuten deutliche Herzschläge. Auch hier fehlten, wie im ersten Falle, das grosse und das kleine Gehirn gänzlich, alle Verbindungstheile und das Halsmark. Aus dem Vorhandensein der Blutcirculation der Ernährung und dem „Leben", welches sich durch Bewegungen der Glied- maassen kundgegeben haben muss, folgt, dass weder das Gehirn noch die Medulla ohlongata für die intrauterine Entwicklung schlechthin nothwendig ist. Zugleich ergibt sich aus diesem seltenen Befunde, dass die Respiration ohne die Medulla nicht, aus den oben erwähnten Fällen, dass sie ohne das Gehirn sehr wohl zu Stande kommt, wie nach den Versuchen an Thieren zu erwarten war. Unter den vielen von Johaini Friedrich Meckel beschrie- [32 l)enen und zusammengestellten Fällen von Acephalie und Anen- cephalie finden sich nur sehr wenige mit genauen Angaben über Lebensäusserungen. Gerade hierauf aber kommt es an. Bei einem grossen und fetten hirnlosen reifen weiblichen Hemiccphalen, welcher sechs Stunden lebte, also atlimete und vermuthlich seine Glieder bewegte, fand sicli an Stelle des Gehirns eine achtzehn Linien lange, vierzehn B. Die BeweguDgen des menschlichen Fötus. 437 breite, vier bis sechs Linien dicke viereckige, von der Haut nicht bedeckte weiche schwammige Masse, welche, wo der erste Wirbel anfängt, in das Rückenmark überging. Es wäre interessant zu wissen, ob ein solches Mon- strum seinen Unterkiefer, seine Augen und Augenlider bewegt. Das ohne Gehirn und „ohne Rückenmark" geborene wohlgenährte etwa acht-monatliche von Eschricht beschriebene Monstrum mit doppeltem Ge- [152 sieht scheint vor der Geburt gestorben zu sein. Er lässt sich den unvollkom- menen Mittheilungen über dasselbe nicht entnehmen, ob es sich bewegt hatte. Dasselbe gilt für den von Svitzer beschriebenen Anencephalus, dem an- [155 geblich gleichfalls „Gehirn und Rückenmark ganz und gar" mangelten, wäh- rend Herz und Gefässsystem nichts ungewöhnliches darboten. Dagegen hatte sich der Anencephalus von C. E. Levy noch vier [158 Tage vor der Geburt bewegt. Vom Rückenmark fand sich bei ihm angeb- lich „keine Spur". Trotzdem Bewegungen, Circulation, ganz normale Extre- mitäten! Die Frucht wohlgenährt, der Reife ziemlich nahe. Dieser Fall ist namentlich darum höchst merkwürdig, Aveil die Missbildung „in einer sehr frühen Periode des Embryolebens entstanden sein muss"; die Muskelcon- tractionen, welche drei Tage vor der Geburt erst aufgehört hatten, müssten demnach ohne centrale Impulse stattgefunden haben, was ganz und gar räthselhaft wäre. Der Verfasser bildet übrigens Nervenwurzeln am und im offenen Spinalcanal ab. Es wird also vermuthlich vom Rückenmark doch etwas übrig geblieben sein [wie in dem obigen Fall S. 436). Überhaupt muss man alle früheren Fälle in denen, wie in den drei letzterwähnten, das Eückenmark bei reifen oder fast reifen lebenden Früchten gefehlt haben soll, von vornherein stark bezweifeln. Denn wo ,, Leben", also die Motilität des Kindes vor der Geburt, festgestellt werden kann, da muss auch vom Rückenmark wenigstens ein geringer Theil erhalten sein. Über die Bewegungen eines von mir selbst beobachteten Anen- cephalus habe ich an anderer Stelle berichtet. [372,^5.5 Über das Verhalten mikrocephaler Früchte vor der Geburt liegt eine merkwürdige Thatsache vor. Mir theilte nämlich die den Deutschen Anthropologen wohlbekannte Frau Becker aus Hanau, Mutter von drei mikrocephalen und drei gesunden Kindern, [372 mit, dass sie nach der Geburt des ersten Mikrocephalen jedes- mal richtig vorhergesagt habe, ob sie abermals einen solchen oder ein gewöhnliches Kind gebären werde. Sie erkannte es an der ausserordentlichen Lebhaftigkeit der Kindsbewegungen oder der Unruhe des Uterus; fast ununterbrochen habe es in den letzten Monaten in ihrem Leibe gepocht und sich gerührt, wodurch ihr vielfach Schmerzen und Beschwerden entstanden. Die letzteren erwähnen auch Schaaff hausen und H. Gerhartz. iss. ei Um so auffallender erscheint diese intrauterine Beweglichkeit (welche schwerlich dem Uterus allein zukam), als eines der mikro- 438 Die embryonale Motilität. cephalen Kinder (ein weibliches) nach der Geburt bis in das vierte, ein anderes (männhches) bis in das fünfte Jahr ausser kleinen Beugungen und Streckungen an Rumpf und Gliedern keine selb- ständigen Bewegungen ausführte, so dass ersteres nicht vor Ab- lauf des vierten Jahres Gehen lernte. Im achten Jahre war es aber, wie ich mich überzeugte, sehr mobil, wie andere mikrocej)hale Kinder, im fünfzehnten wieder schwerfällig. Wenn es noch eines Beweises dafür bedürfte, dass für das Lebendigbleiben des Fötus ausserhalb des Uterus, insbesondere für die Fortsetzung seiner Extremitätenbewegungen das grosse und das kleine Gehirn nicht vorhanden zu sein brauchen, so würden die schon (S. 420) erwähnten an Thieren vorgenommenen Ent- hirnungen dafür Zeugniss ablegen. In einigen Fällen voreiliger Kephalotripsie sind auch beim menschlichen Fötus Bewegungen der Extremitäten nach der Ex- traction beobachtet worden, so i. J. 1844 von Laborie bei einer männlichen Frucht, welche athmete und die Beine bewegte, obwohl die ganze linke Hemisphäre weggenommen, die rechte stellenweise in Brei verwandelt und an mehreren Puncten voll ergossenen Blutes war. Es fand sich in der Schädelhöhle ein beträchtlicher Bluterguss, besonders auf dem Teniorium cerebelli. Doch fehlen bei dieser Section genauere Angaben über die erhaltenen Theile, wie bei den übrigen ähnlichen mir bekannt gewordenen Fällen von Kephalotripsie mit kurze Zeit nach der Geburt fortdauernden Extremitätenbewegungen der Frucht. Physiologisch sind solche Untersuchungen darum wünschenswerth, weil sie unausführbare Yivisectionen am Menschen zum Theil ersetzen können. Eine einzige Augenbewegung der Frucht setzt voraus, dass der Nervus oculomotorius oder der N. trochlearis oder der N. abducens erhalten geblieben sein muss, Bewegungen der Gesichtsmuskeln lassen auf Unversehrtheit von Facialis -'Edi^Qvn (bez. des motorischen Trige- minus) schliessen, wie Athembewegungen auf Intactheit der Spitze des Calamus scriptorius mit den Nervi phrenici oder inttrcostales, und wenn die Zunge noch bewegt wird, kann der Hy])0(jlossus nicht ganz zerstört worden sein. Geradeso beim Rückenmark, Alle Angaben über das gänzliche Fehlen desselben bei vorhan- denen oder kurz vorher vorhanden gewesenen Extremitäten-Beweg- ungen können nicht richtig sein. Derartige Behauptungen Hessen sich durch einfache Kneifreflexe an den eben geborenen Monstren direct widerlegen. Fasst man nun alle E^rfahrungen über die Bewegungen der B. Die Bewegimgeu des menschlichen Fötus. 439 Extremitäten beim menschlichen Fötus zusammen, so ergeben sich zunächst folgende Sätze: 1) Der Fötus bewegt seine Arme und Beine lange vor dem Beginn der sechzehnten Woche, wahrscheinlich lange vor der zwölften Woche. 2) Reife Früchte ohne grosses und kleines Gehirn können lebend geboren werden und ihre Glieder bewegen; auch können sie athmen, wenn die Medulla oblongata vorhanden ist. 3) Reife Früchte ohne Gehirn und ohne Medulla mit Rücken- mark können zwar lebend geboren werden, aber nicht athmen. Dass sie die Extremitäten bewegen, ist wahrscheinlich. 4) Veränderungen im mütterlichen Körper, welche jedesmal mit Sicherheit die Lebhaftigkeit der Fruchtbewegungen steigerten, lassen sich nicht angeben, abgesehen von pathologischen, toxiko- logischen, traumatischen, überhaupt unphysiologischen Einflüssen, welche mittelbar durch Erregung von Uteruscontractionen oder auf unbekannte Weise die Kindsbewegungen verstärken können. 5) Die Eigenbewegungen der Frucht sind von viel geringerem Einfluss auf ihre letzte Lage und Stellung, als ihr Schwerpunct ■und als die Spannung der Uteruswand, die Gestalt des Uterus, sowie die Lage und Stellung der Mutter. 6) Die ersten Gliederbewegungen Neugeborener sind unab- hängig von dem Zustandekommen der Lungenathmung und stets ab- hängig vom Rückenmark. Wenn nun der normale Fötus lange vor der Ausbildung «eines Grosshirns sich bewegt und hirnlose Früchte sich ebenso bewegen können, so ist der Schluss nahegelegt, dass auch beim reifen Neugeborenen und ganz jungen Säugling die Be- wegungen der Gliedmaassen ohne Betheiligung des Gross- hirns stattfinden, wie bei den von Goltz des Grosshirns beraubten erwachsenen Thieren und z. Th. bei der mikrocephalen Becker. In der That ist die Ähnlichkeit der Gliedmaassen-Beugungen und -Streckungen bei Sieben-, Acht- und Neun-Monats-Kindern mit denen ausgetragener Früchte eine sehr grosse. Der Unter- schied ist nur ein quantitativer. Die Frühgeborenen bewegen sich langsamer und seltener, als reife Früchte, aber die Art, wie sie sich bewegen, ist dieselbe. Die Arme und Beine werden unzweifel- haft geradeso stärker und schwächer gebeugt wie im Ei. Lange nach der Geburt hält sich das Kind noch ebenso zusammen- gekauert, wie vor derselben. Es scheint in den ersten Tagen oder Wochen an die neue Situation sich nicht gewöhnen zu können. 440 I^i® embryonale Motilität. Das Neugeborene bewegt sich unmittelbar nach der Geburt geradeso, wie es vor derselben sich zu bewegen gewohnt war, abgesehen vom Athmen und Zittern ; weil es aber den bedeutenden pränatalen Widerstand der Uteruswand nicht mehr vorfindet und neue Reize einwirken, erfahren die postnatalen Bewegungen, Hal- tungen und Körperlagen Modificationen. Es ist zu verwundern, dass trotz dieser ausserordentlichen Erleichterung und der neuen Einflüsse, dennoch neugeborene Kinder — im Gegensatz zu den meisten Säugethieren • — sehr lange Zeit, besonders im Schlafe, immer wieder die intrauterine Stellung einnehmen, wenn man sie sich selbst überlässt, sich ganz ähnlich, nur lebhafter als der Hemicephalus bewegen und erst spät die Hände und Füsse er- heblich weiter von ihrem Rumpfe entfernen, als sie es vor der Geburt gekonnt hatten. Das eben ausgeschlüpfte Hühnchen behält höchstens einige Stunden lang die Eilage bei. Sucht man demnach eine Erklärung für das Zustandekommen der unregelmässigen, völhg zwecklosen oder, vom Standpunct des Erwachsenen betrachtet, unzweckmässigen Bewegungen des neu- geborenen Menschen, so wird man dabei eine Betheiligung des Grosshirns auszuschliessen, die Bewegungen des Ungeborenen ein- zuschliessen haben. C. Die Eintheiliing der fötalen Bewegungen nach ihren Ursachen. Die von den Embryonen der niederen Thiere aus den ver- schiedensten Classen ausgeführten Bewegungen sind ebenso wie die der Embryonen höherer Thiere, mit denen sie zum Theil auf- fallend übereinstimmen, durchaus nicht von einerlei Art. Soviel geht mit Sicherheit aus den obigen Zusammenstellungen hervor- Es müssen also verschiedene Ursachen wirksam sein bei der em- bryonalen Motilität und demnach gerade wie beim ausgebildeten Organismus verschiedene ursächlich voneinander unabhängige Be- wegungen unterschieden werden. Der gewöhnlichen überlieferten Anschauung zufolge werden alle organischen Bewegungen gern in willkürliche und unwillkürliche getheilt. Beiderlei Bewegungen sind ohne besondere Kritik dem Neugeborenen zugeschrieben worden. Die Schwierigkeit, willkürliche und unwillkürliche Bewegungen begrifflich scharf zu unterscheiden, ist allerdings so gross, dass bereits von Einigen der Unterschied schlechtweg geleugnet worden ist und alle willkürlichen Bewegungen nur als höchst verwickelte Complexe unwillkürlicher Bewegungen aufgefasst werden konnten. Es fehlte an einem positiven Merkmal, welches ausnahmslos in allen Fällen der einen Classe vorhanden, in allen der anderen nicht vorhanden wäre. Gibt es in der That ein solches Kriterium nicht, dann gibt es auch keine Willkür, sondern nur unwillkür- . liehe Bewegungen und nur scheinbar willkürliche. Es handelt sich demnach bei der Unterscheidung um nichts Geringeres, als die Rettung der Willkür. Zu den unbestritten unwillkürlichen Bewegungen des Menschen gehören ausser den durch Stoss, Schub, Hub u. dgl. verursachten 442 Die embryonale Motilität. rein passiven Ortsänderungen des ganzen Organismus oder seiner Theile die durch directe künstliche Reizung peripherer Theile hervorgerufenen Bewegungen, welche hier der Kürze halber als irritative Bewegungen bezeichnet werden sollen (wie z. B. die Muskelcontraction nach elektrischer, chemischer und anderer Reizung der betreffenden Muskelnerven), ferner die reflexiven oder Reflex-Bewegungen, deren Zustandekommen gebunden ist an centripetale und centrifugale durch mindestens zwei Ganglienzellen (beim Menschen) mittelst intercentraler Fasern verbundene Nerven- fasern. Unwillkürlich sind auch manche expressive oder Aus- drucks - Bewegungen (Mienen, Geberden, Interjectionen) und im späteren Leben auch einige imitative oder Nachahmungs- Be- wegungen und Nachahmungsv ersuche. Denn das Eintreten von Krämpfen bei Gesunden, welche sehr oft in kurzer Zeit von Con- vulsionen Befallene sehen, ist unwillkürlich und zugleich imitativ. Sodann sind alle diejenigen erblichen Bewegungen unvsdllkürlich, welche man als instinctiv im engeren Sinne bezeichnet, obwohl sie in vielen Fällen das Ergebniss individueller Absichtlichkeit, Überlegung, also einer Willkür zu sein scheinen. Da alle echten instinctiven Bewegungen ein Ziel haben, so können die ziellosen, un^villkürlichen Bewegungen, z. B. gesunder schlafender, falls kein äusserer Reiz sie auslöst, zu den eigentlichen instinctiven Beweg- ungen nicht gerechnet werden. Ich habe diese als impulsive Bewegungen, da der Ausdruck „automatisch^" nicht bestimmt genug ist, in eine besondere Gruppe zusammengestellt. Sie haben kein Ziel und entspringen niemals einer Überlegung. Alle will- [372 kür liehen Bewegungen haben dagegen -einen Zweck und ent- springen einer Überlegung dessen, der sie ausführt, so zwar, dass allemal bei der erstmaligen Ausführung unmittelbar vor der Con- traction der betreffenden Muskeln ein bewusstes Motiv und das Bild der auszuführenden Bewegung dem Psychomotorium vorliegt. Hierin muss ich Griesinger und C. Wernicke beipflichten, welch letzterer erklärt, dass die ersten Bewegungen unseres Leibes, die Veränderungen in dem Zustande der Musculatur, zu Empfindungen Anlass geben, von denen Erinnerungsbilder in der Grosshirnrinde zu- rückbleiben. Diese Erinnerungsbilder von Bewegungsempfindungen, Bewegungsbilder oder Bewegungsvorstellungen, bestehen fort neben den Erinnerungsbildern von den Empfindungen der Sinne. Die Willkürbewegung unterscheidet sich nun dadurch von der Reflex- bewegung, dass sie nicht nothwendig einem Reize sofort nach- folgt, „sondern Erinnerungsbildern früherer Empfindungen, die nur C. Die Eintheilung der fötalen Bewegungen nach ihren Ursachen. 443 gelegentlich eines von aussen wirkenden Reizes wieder wachge- rufen werden, ihre Entstehung verdankt". Diese Bestimmung allein würde auch auf manche instinctive Bewegungen passen. Es unterscheidet sich aber die Willkürbewegung von diesen und den anderen organischen Bewegungen „durch die abgerundete, distincte, der Erreichung eines Zweckes angepasste, präformirte Bewegungsform, d. h. durch die vorhandene Vorstellung von der auszuführenden BcAvegung", welche als Erinnerungsbild früherer Bewegungen, als Bewegungsbild, schliesslich als Empfindungsrest in der Grosshirnrinde aufgespeichert ist und das Motiv liefert. Es gibt also ohne Grosshirnrinde beim Menschen keine Willkür. Ausser- dem sind alle Instincte ererbt, dagegen keine Willkürbewegung. Alle willkürlichen Bewegungen setzen aber das Yorhergegangen- sein einer grossen Zahl von unwillkürlichen, an das Rückenmark geknüpften Bewegungen voraus. Und das Erlernen von neuen Bewegungen, z. B. der Zunge beim Sprechen, ist unmöglich, wenn nicht zahlreiche Empfindungsreste von unwillkürlichen Bewegungen, an denen auch die Grosshirnrinde betheiligt war, disponibel ge- blieben sind. Nun hat aber das Neugeborene, wenn ihm auch noch so viele Empfindungsreste von intrauterinen Bewegungen geblieben sein sollten, und wenn neue Eindrücke die Erinnerung an jene Bewegungen wachrufen könnten, ganz gewiss keine Vorstellung von der Bewegung, die es ausfüliren wird, und seine Bewegungen sind völlig ziellos. Zu den willkürlichen Bewegungen kann man sie daher nicht rechnen. Sie müssen also unwillkürlich sein. Da es aber nicht praktisch ist, alle die anderen vorhin er- wähnten Arten organischer Bewegung in einer einzigen Gruppe den Willkürbewegungen gegenüber zu stellen, zumal einige wohl- charakterisirte Bewegungsarten, wie die imitativen und expressiven, theils mit, theils ohne Willkür vorkommen, andere unwillkürliche, wie die Reflexbewegungen zum Theil geradeso willkürlich aus- geführt werden können, auch manche zuerst willkürliche Bewegung durch Wiederholung unwillkürlich wird, so ist es gerechtfertigt, eine Eintheilung nach den einzelnen die Bewegungen verursachen- den Momenten zu versuchen, gleichviel ob sie willkürlich oder unwillkürlich seien. Alle organischen Bewegungen sind unmittel- bar entweder durch äussere Momente (Eindrücke, äussere Reize, Zustandsänderungen der Umgebung, äussere Kräfte) oder durch innere Momente (Gefühle, Erinnerungen, Vorstellungen, innere Reize, Zustandsänderungen des Organismus, innere Kräfte) verursacht. 444 Die embryonale Motilität. Jene sollen allokinetisch, diese aiitokinetisch heissen. Dann lassen sich alle Bewegungen des Menschen und der höheren Thiere in folgende sechs Arten einordnen oder aus ihnen zusammensetzen, vorausgesetzt, dass in jedem einzelnen Fall die unmittelbare oder nächste Bewegungsursache allein in Betracht genommen wird: L Allokinetische Bewegungen. Die unmittelbare Ursache der Bewegung ausserhalb der moto- rischen Centren. a) Passive Bewegungen: eine äussere Veränderung bewirkt die Bewegung ohne Betheiligung der Centren und der Psyche und der Muskeln, wie beim todten Organismus (z. B. Transport). b) Irritative Bewegungen: eine äussere Veränderung wirkt direct auf die motorischen Apparate (z. B. ein Keiz auf die Be- wegungsnerven), so dass mit Umgehung der Centren und der Psyche die Muskeln in Thätigkeit gerathen. c) K-eflex- Bewegungen: eine äussere Veränderung wirkt in- direct (centripetal) auf die contractilen Gebilde vermittelst der Centren niederer Ordnung, stets mit Ausschliessung psychischer Vorgänge von der unmittelbaren Ursache der Bewegung. IL Autokinetische Bewegungen, Die unmittelbare Ursache der Bewegung innerhalb der moto- rischen Centren. d) Impulsive Bewegungen: eine innere rein physische cen- trale Veränderung verursacht die Muskelcontractionen ohne alle periphere und psychische Ursache. e) Instinct-Bewegungen: eine innere durch ererbte Erinne- rung bedingte Veränderung verursacht ohne oder mit unmittelbar vorausgehender peripherer Ursache bei gewisser psychischer Ver- fassung (Stimmung) der Centren die Muskelcontractionen. f) Vorgestellte Bewegungen: eine innere nicht ererbte, sondern durch individuelle Erinnerung bedingte centrale Verände- rung verursacht die Vorstellung der (überlegten) Bewegung und diese Vorstellung verursacht die Muskelcontractionen. Demnach ist betheiligt an der unmittelbaren Ursache der passiven Bewegungen: weder ein peripherer Keiz, noch eine physische, noch eine psychische centrale Änderung, C. Die Eiatlieiluug der fötalen Bewegungen nach ihren Ursachen. 445 der irr itativen Bewegungen: ein peripherer Reiz ohne phy- sische und ohne psychische centrale Änderung, der Eeflex- Bewegungen: ein peripherer Reiz mit physischer und nicht psychischer centraler Änderung, der impulsiven Bewegungen: kein peripherer Reiz nnd keine psychische, sondern nur eine physische centrale Änderung, der instinctiven Bewegungen: eine ererbte centrale phy- sische und dann psychische Änderung theils mit, theils ohne un- mittelbar vorhergehenden peripheren Reiz, der vorgestellten Bewegungen: eine nicht ererbte centrale psychische und dann physische Änderung theils mit, theils ohne unmittelbar vorhergehenden peripheren Reiz. Alle Bewegungen des Menschen und der Thiere fallen ent- weder sofort in eine dieser sechs Kategorien oder lassen sich als Combinationen derselben auffassen oder als durch Wiederholung, gegenseitige Interferenz und verschiedenartige Störung modificirte Bewegungen aus ihnen ableiten, z. B. alle Nachahmungen, Aus- drucksbewegungen und alle krankhaften Muskelcontractionen, alle Bewegungen des Kindes. Einige von diesen sind bereits in meinem Buche „Die Seele des Kindes" (2. Aufl. 1884) ausführlich behandelt worden, -svo [372 man auch Näheres über die organischen Bedingungen jeder Be- wegungsclasse mit Zugrundelegung eines einfachen Schema an- gegeben findet. Von den so unterschiedenen Bewegungsarten kommen nun beim thierischen und beim menschlichen Fötus und Neugeborenen allein nicht in Betracht die vorgestellten Bewegungen, zu denen die ersten Nachahmungen und die Handlungen oder überlegten Bewegungen gehören, was jetzt keiner weiteren Erläuterungen be- darf. Die ersten Nachahmungen finden nicht vor dem Ablauf des ersten Vierteljahres statt, die ersten überlegten Bewegungen desgleichen. In Betreff der anderen Bewegungen ist folgendes zu be- merken. Passive Bewegungen des Fötus. Passive Bewegungen erleidet der menschliche Fötus regel- mässig bis zum Tage seiner Geburt, ausser durch die Locomotion der Mutter, durch Druck und Stoss auf die den Uterus umgebenden Theile, Spannungsänderungen der Uteruswand und (S. 434) nament- 446 Die embryonale Motilität. lieh durch die Verschiebung des Schwerpunctes , sowie durch Stelhmgsänderungen der Mutter, zuletzt durch Wehen. Der Fötus nimmt im Allgemeinen, wenn der Uterusraum gross genug und die Reibung nicht zu stark ist, zweite Schädellage ein, wenn die Mutter sich legt, erste, wenn sie aufsteht, wie Höning beob- [524 achtete. Diese Änderungen, rein passiv, sind von den Kindes- bewegungen unabhängig, desgleichen die Mehrzahl der zuerst genauer von Valenta und B. Schultze (1868) ermittelten Änderungen der Lage und Stellung des Kindes in den letzten Wochen der [523 Schwangerschaft. Übrigens erleiden alle Embryonen aller Thiere passive Be- wegungen. Dieselben sind zum Theil schädlich oder gleichgültig für das Leben und die Entwicklung des Embryo, zum Theil von grosser Wichtigkeit, unter Umständen sogar unentbehrlich für beide. In die erste Kategorie gehören bei viviparen Thieren die durch locomotorische Bewegungen der Mutter herbeigeführten Ortsänderungen, welche sogar bei zu lange fortgesetzter, zu sehr beschleunigter und zu oft wiederholter Geh-, Lauf- und sonstiger Eort - Bewegung der Mutter bekanntermaassen leicht schädlich werden körinen durch Herbeiführung einer Frühgeburt u. a., da- gegen Monate lange Ruhe sich in vielen Fällen bei den zum Abortus geneigten Frauen als günstig für die Frucht erwiesen hat. Doch muss im Allgemeinen die Muskelbewegung, körperliche Arbeit und massiges langsames Gehen schon darum als vortheilhaft für die Frucht bezeichnet werden, weil dadurch die ganze Blutcircu- lation, somit auch die des Uterus beschleunigt, namentlich durch die Muskelcontractionen der venöse Abfluss des Blutes in das Herz und die Ventilation in den Lungen begünstigt wird. Die bei der Frau, wegen ihrer häufigen aufrechten Stellung, mehr als beim Säugethier in Betracht kommenden passiven Fötus- bewegungen durch das Athmen, können durch zu grosse Leb- haftigkeit, z. B. beim Husten und Lachen der Mutter, leicht eine Zerreissung des Amnion und vorzeitigen Abfluss des Fruchtwassers verursachen. Derartige starke passive Bewegungen sind ebenso wie die Wendung (durch Lagerung der Kreissenden, durch Hand- griffe) nicht Gegenstand der Physiologie des Fötus , sondern der Geburtshülfe, Dagegen sind mehrere bereits erwähnte passive Bewegungen embryonirter Eier, wie das Gewendetwerden des Vogeleies durch das brütende Thier (S. 1 1 2), das passive Schwimmen und Schweben C. Die Eintheüung der fötalen Beweguugen nacli ihren Ursachen. 447 der Fischeier in Flüssen, Seen und Meeren (S. 194), das Fort- getragenwerden kleiner Eier durch den Wind, das Herabgespült- werden anderer aus trockener Höhe in feuchte Erde durch den Regen (S. 1 87), sowie das langsame Rollen von Eiern hydrozoischer Thiere auf dem Grunde u. a. m. zur zweiten Kategorie gehörig und von grosser Bedeutung für das Leben und die Entwicklung der Embryonen, weil in vielen Fällen nur so die erforderliche Sauerstoff- und Wasser-Menge, ein in jeder Beziehung geeigneter Standort für die Embryogenesis und für das Ausschlüpfen gefunden werden kann. Auch die durch Flimmerbewegung verursachte intraoväre Drehung zahlloser Embryonen niederer Thiere , besonders der Mollusken und Amphibien, gehört zu diesen nothwendigen passiven Embryo-Bewegungen. Denn sie ermöglicht allein den erforder- lichen Luft- und Wasser -Wechsel (S. 388. 399). Endlich sind noch eben dahin zum Theil zu rechnen die merkwürdigen schaukelnden Bewegungen des Vogelembryo im Amnioswasser (S. 412), sofern sie durch Amnioncontractionen im Gang bleiben. Sie müssen die Blutströmung im Embryo abwech- selnd centrifugal und centripetal begünstigen. Irritative Bewegungen beim Fötus. Irritative Bewegungen können beim Säugethier - Fötus auf- treten, wenn durch anomales Blut der Mutter seinem Rückenmark Gifte zugeführt oder dessen Ernährungszustand plötzlich geändert wird. Dann können intrauterine Convulsionen zu Stande kommen. Übrigens werden solche abnorme krampfhafte Bewegungen gerade durch die beiden Gifte, Blausäure und Strychnin, welche in aus- geprägtester Weise Streckkrämpfe bei Erwachsenen hervorrufen, bei Neugeborenen und Ungeborenen nicht verursacht, wie ich für neugeborene Hunde, Meerschweinchen, Kaninchen bei directer Vergiftung mit Blausäure feststellte (1870) und Gusserow für den Kaninchenfötus bei Vergiftung der Mutter und des Fötus mit Strychnin fand (vgLS. 201). Diejenigen Centromotoren, aufweiche die Krampf erregenden Gifte einwirken und die peripheren moto- rischen Nerven mit den Muskeln sind demnach wahrscheinlich noch nicht genügend ausgebildet. Durch unmittelbare Reizung centrifugaler Nerven in ihrem Verlaufe verursachte fötale Be- wegungen kommen im Uterus normal nicht vor und sind bekannt- lich auch nach der Geburt selten. 448 Die embryonale Motilität. Die irritativen durch künstliche Reizung der Nerven und Muskehl des Embryo und Neugeborenen verursachten Bewegungen der Muskeln, und im nothwendigen Zusammenhang damit die em- bryonale motorische Reizbarkeit, sind bisher trotz ihres hohen physiologischen Interesses nur sehr wenig untersucht worden. Schon Bichat fand, dass die mechanische und elektrische [43 Reizung der Meerschweinchen - Embryonen und zwar der quer- gestreiften Muskeln, wie der Bewegungs-Nerven und der* nervösen Centralorgane, um so schwerer Bewegungen veranlasst, je jünger sie sind, was ganz richtig ist. Er bemerkte auch schon das auf- fallend schnelle Erlöschen der motorischen Reizbarkeit nach Ab- trennung der Embryonen vom Mutterthier. Je näher der Reife der Eötus, um so länger persistirt im Allgemeinen die Erregbar- keit nach der Isolirung, so dass noch die Tetanisirbarkeit eine Zeitlang besteht, während sie beim jüngeren sofort erlischt oder gänzlich fehlt, wie ich oft constatirte. Als ich jedoch Kaninchenembryonen wenige Tage vor der zu erwartenden Geburt schnell aus dem Uterus schnitt und durch directe elektrische Tetanisirung des Rückenmarks mittelst Ein- stechen der bis nahe an die Spitze gefirnissten Nadelelektroden — den Enden der secundären Drahtrolle des Schlitteninductoriums — reizte, zeigte es sich, dass' ein typischer Streckkrampf eintrat und zwar ein inspiratorischer Tetanus mit weit geöffnetem Munde und weit ausgestreckten Extremitäten. Mehrmals wurde dabei der Fötus so hart, dass ich anfangs meinte, er sei plötzlich todten- starr geworden. Er erholte sich aber jedesmal von dem enormen bis zu zwanzig Secunden dauernden Tetanus. Also der nahezu reife Fötus verhält sich bezüglich seiner Rückenmarksreizbarkeit oder der Erregbarkeit seiner motorischen Nerven dem geborenen Thier viel ähnlicher als der weniger reife. Denn es besteht da nur ein gradueller Unterschied, sofern der Fötus stärkerer Reize bedarf, um in Tetanus zu gerathen. Auch in d6r Hinsicht ist der reifere Fötus vom unreifen ver- schieden, dass er, wie ich fand, durch subcutane Injection einer Curare-Lösung, wie das geborene Thier, bewegungslos wird ohne Convulsionen. Nur dauert die Vergiftung länger. Ein nahezu reifer Kaninchenfötus, den ich aus dem Uterus schnitt, war nach Einspritzung von 0,4 Cubiccentimeter einer starken Curarelösung erst nach siebzehn Minuten bewegungslos; ein mit ihm excidirter nicht vergifteter Control- Fötus lebte noch mehrere Tage; ein erwachsenes Kaninchen dagegen, dem ich eine kleinere Dosis C. Die Eintheilung der fötalen Bewegungen nach ihren Ursachen. 449 derselben Lösung ebenso einverleibte, war nach fünf Minuten be- wegungslos. Also ist auch noch kurz vor der Greburt der Zu- sammenhang von Nerv und Muskelfaser nicht völhg consolidirt, denn die Resorption und der Kreislauf können an der Verzögerung nicht wohl schuld sein (vgL S. 223). Bei Meerschweinchen-Embryonen, welche ich erst nachdem sie im Uterus erstickt waren ausschnitt, so dass durch kein Mittel mehr eine Athembewegung ausgelöst werden konnte (während ein zuvor schnell excidirter Control- Embryo lebhaft Luft athmete), liess sich durch starke Inductionswechselströme jedesmal leicht ein Tetanus der Beine vom Rückenmark aus erzielen. In einem Falle wogen die (zwei) Embryonen je 33 Grm. Sie waren as- phyktisch, aber die Herzthätigkeit und Reflexerregbarkeit noch erhalten, nur erheblich vermindert. Die directe Tetanisirbarkeit der Muskeln hatte dagegen, wie die Versuche am Controlthier zeigten, sogar bei percutaner Reizung noch nicht sich merklich verringert. Sie gleicht also der der Amphibien. Methodisch prüfte zuerst 0. Soltmann die motorische Er- [45 regbarkeit bei neugeborenen Thieren (Hunden, Katzen, Kaninchen). Er kam zu dem Resultat, dass unter möglichst gleichen Um- ständen ein und derselbe elektrische Reiz, auf den durchschnittenen Schenkelnerven applicirt, bei Neugeborenen einen relativ sehr viel geringeren Effect hat, als bei Erwachsenen, und dass viel stärkere Reize (Öffnungs-Inductions-Schläge) erforderlich sind, um beim Neugeborenen vom motorischen Nerven aus eine Muskel- zuckung auszulösen, als beim erwachsenen Thier. Ferner zeigte das Myogramm neugeborener Katzen und Kaninchen eine ganz andere Gestalt als das älterer Thiere. Die Zusammenziehung des Muskels geschieht langsamer, träger; er verharrt länger auf dem Maximum der Contraction und braucht zur Wiederausdehnung sehr viel mehr Zeit. Auch genügen sechzehn Stromunterbrechungen in der Secunde, um beim neugeborenen Kaninchen einen vollkom- menen Tetanus zu erzeugen, welcher aber wie die einzelne Zuckung — auch bei directer Muskelreizung — myographisch dem des er- müdeten Muskels erwachsener Thiere gleicht. Diese Resultate der Experimente Soltmann's verdienen [45 weitere Prüfung an den Muskeln anderer Thiere, die vor dem Termin der normalen Geburt aus dem Uterus excidirt worden sind. Aus den vorliegenden noch sehr fragmentarischen L^nter- suchungen lässt sich nur mit Wahrscheinlichkeit folgern, dass die Muskeln der Embryonen sich den glatten Muskeln der Erwachsenen Preyer, Physiologie des Embryo. 29 450 Die embryonale Motilität. viel ähnlicher, als den quergestreiften verhalten, wenn sie direct oder vom Nerven aus elektrisch gereizt werden. Vollkommen stimmen hiermit überein meine Versuche über die elektrische Reizbarkeit der Muskeln des Hühnerembryo, deren Ergebnisse in der Beilage chronologisch verzeichnet sind. Denn da trat die Langsamkeit der elektrischen Reizwirkung besonders deutlich hervor. Dabei fand ich die wichtige Thatsache, dass selbst nach [103 dem Eintritt der ersten Bewegungen des Embryo weder vom Rücken aus, noch direct die stärksten elektrischen oder traumatischen Reize deutliche Zusammenziehungen bewirken. Höchstens wird an einer geringen Änderung des Lichtreflexes eine minimale Reizwirkung erkannt. Aber vom fünften Tage an nimmt die directe elektrische Reizbarkeit des embryonalen contractilen Gewebes täglich zu, und am neunten Tage kann man vom Rücken aus Streckungen der vier Extremi- täten erzielen, wobei Erregbarkeit von Tetanisirbarkeit streng zu scheiden ist. Denn erst am fünfzehnten Tage lassen sich die Muskeln der Beine und Flügel tetanisiren. Aber auch dann noch verhalten sie sich gegen elektrische Reizungen träge, wie ermüdete postembryonale Muskeln. Nur die Blutgefässe reagiren schon früh, indem sie sich nach starker und ^/^ Minute anhaltender Reizung mit Liductionswechselströmen deutlich ver- engern und nach der Reizunterbrechung langsam zur Norm zurück- kehren. Vulpian scheint Ähnliches beobachtet zu haben für [29 die venösen AUantoisgefässe der fünf bis sechs letzten Brüttage, und es gehört auch die Beobachtung von Kölliker vom Jahre 1848 hierher, welcher sowohl die Arterien, als auch die Vene der Nabelschnur nach tetanisirender elektrischer Reizung sich lebhaft contrahiren sah, am Stamm und an den Ästen in frischen Pla- centen des Weibes. In allen diesen Fällen von Gefässverenge- [455 rung durch elektrische Reizung kann es sich wohl nur um directe Reizung glatter Muskelfasern handeln. Endlich ist ein sehr bemerkenswerthes Factum die Contrac- tilität des Amnion, also contractiler völhg nervenfreier Faserzellen, im bebrüteten Vogelei, wovon bereits die Rede war (S. 407). Da hier nicht wie bei dem nervenfreien embryonalen Herzen der ersten Entwicklungsphasen ein noch nicht differenzirtes quergestreiftes, später an Nerven und Ganglienzellen reiches Muskelgewebe, son- dern ein ausschliesslich embryonales Gebilde vorliegt, welches sich nicht weiter differenzirt, so ergibt sich die Aufgabe, zu untersuchen, C. Die Eintheilung der fötalen Bewegungen nach ihren Ursachen. 451 ob das Amnion überhaupt aus echten glatten Muskelfasern be- steht. Die elektrische und mechanische Reizbarkeit dieser Haut steht fest. Ist sie aus echten glatten Muskelfasern zusammen- gesetzt, dann wäre ein Beweis für die selbständige Reizbarkeit derselben ohne Nervenvermittlung geliefert, wie er sonst nicht vorliegt. Denn die glatte Musculatur des fötalen Darmes war bei den von mir angestellten Reizversuchen (S. 319) längst nicht mehr nervenfrei. Reflexbewegungen des Fötus. Dass Reflexbewegungen des Säugethier- und Menschen-Fötus, wenigstens gegen Ende der intrauterinen Entwicklung, vorkommen, wurde bereits erwähnt. Dabei ist der durch das Anstossen der Glieder gegen die Uteruswand entstehende Druck, die plötzliche Druckänderung, der Reflexreiz. Ein anderer wird im Uterus nor- mal vor der Geburt dadurch zu Stande kommen können, dass die Frucht sich selbst berührt, es muss aber die embryonale Reflex- erregbarkeit zu der Zeit, in welcher diese immerhin schwachen Reize wirken, bereits einen hohen Grad erreicht, das Rückenmark sich also schon weit differenzirt haben. In der That ist es nicht schwer, sich durch künstliche elek- trische, mechanische, chemische und thermische Reizung der Haut älterer Kaninchen- und Cobaya-Embryonen von dem Vorhanden- sein der Reflexerregbarkeit zu überzeugen. Der Cobaya-Embryo kann sogar, auch wenn er intrauterin erstickt ist, so dass keinerlei Reiz mehr eine Athembewegung nach dem Ausschneiden auslöst, durch starke Compression eines Beines mit der Pincette, sowie durch starke an einer beliebigen Hautstelle applicirte Inductions- wechselströme zu unregelmässigen Gliederbewegungen oft noch veranlasst werden. Wenn man ihn schnell excidirt, ehe er zum Athmen kommt, dann können schon schwache Reize, eine Berüh- rung mit dem Finger, nicht allein Inspirationen, sondern auch regelmässige und unregelmässige Reflexe der Extremitäten, und zwar diese vor jenen, bewirken. Ich habe diese Thatsache wieder- holt festgestellt (S. 161). Im geschlossenen Ei geborene Hunde und Katzen bewegen ■ sich, wie Kehrer sah, oft so stark, dass die Eihaut platzt, ver- [149 muthlich wegen der ungewohnten Berührung mit der Unterlage oder auch durch Abkühlung zu der Steigerung ihrer impulsiven intrauterinen Motilität reflectorisch veranlasst, denn unter diesen Umständen treten nicht constant Athembewegungen ein. 29* 452 JDie embryonale Motilität. Hieraus folgt auch die Unabhängigkeit der GHederreflexe vom Athmungsreiiex. Dieselbe ist sogar beim Menschen beob- achtet worden. Denn R. Olshausen bemerkte, dass wenn bei [232 tiefster Asphyxie durch künstliche Athmung der Puls sich wieder gehoben hat, das Neugeborene aber noch regungslos und mit geschlossenen Augen dahegt, ein Kitzeln der Fusssohlen schon eine Reflexaction der Schenkelmuskeln auslöst, ehe es gelingt, durch irgendwelche Reize Respirationsbewegungen hervorzurufen und B. Schnitze beobachtete, dass bei den nach seinem [237,4« bekannten Verfahren wiederbelebten asphyktischen Neugeborenen schnelles Eintauchen in eiskaltes Wasser nicht nur den be- ginnenden Athembewegungen grösseren Umfang gibt, sondern auch bei flüchtigem Eintauchen kräftige Beugungen der Extremitäten des bis dahin schlaffen Kindes bewirkt. Also gehört schnelle Ab- kühlung zu den motorischen Reflexreizen. In Betreff der Reflexerregbarkeit beim Hühnchen im Ei, welche stets für elektrische wie thermische und traumatische Reize in den letzten Tagen der Incubation gross ist, ergaben alle meine Versuche bald nach dem Auftreten der ersten activen Bewegungen am fünften Tage ein negatives Resultat, entspre- chend der äusserst geringen Erregbarkeit sämmtlicher Theile des Embryo, ausser dem Herzen zu dieser Zeit. An den folgenden Tagen, bis zum zehnten, ist wegen der Lebhaftigkeit der nun manigfaltigeren activen Contractionen und Lageänderungen die Entscheidung, ob eine Antwortsbewegung auf einen Stich, Schnitt, Stoss u. dgl. erfolgt oder ob derartige Eingriffe effectlos bleiben, sehr schwierig. Jedenfalls ist die Reflexerregbarkeit bis zum Beginn der Lungenathmung viel geringer als später, und vor der Möglichkeit, den Schnabel zu öffnen, minimal, am fünften und sechsten Tage Null. Die activen Bewegungen des Embryo, welche man zu dieser Zeit und später ooskopisch im unversehrten Ei wahrnimmt, sind ebensowenig wie das Amnionschaukeln reflec- torischer Natur in dem Sinne, dass sie durch äussere Reize ausgelöst würden, erschweren aber die Ermittlung der Wirkungen dieser. Ich habe indessen durch einen einfachen Kunstgriff annähernd den Zeitpunct bestimmen können, in welchem die ersten unzweifel- haften Reflexbewegungen nach künstlicher Hautreizung sich con- statiren lassen. Wenn man nämlich den sehr beweglichen Em- bryo im warmen offenen Ei sich langsam soweit abkühlen lässt, dass während einer halben bis ganzen Minute gar keine C. Die Eintheilung der fötalen Bewegungen nach ihren Ursachen. 453 Bewegungen mehr stattfinden und dann schwache Hautreize ein- wirken lässt, so kann man, falls auf dieselben jedesmal eine Zeitlang eine Bewegung folgt, diese letztere als eine Keflex- Antwort mit Fug und Recht auffassen. So konnte ich an einer grossen Anzahl von Embryonen des Huhnes feststellen, dass Refiexbewegungen am achten Tage noch nicht, am zwölften schon oft wenn auch schwach eintreten. Am zehnten können sie viel- leicht beginnen, am elften aber sind sie wahrscheinlich erst regel- mässig wenn auch noch schwach vorhanden (siehe die Beilage). Eine wichtige Reflexbewegung des Hühnchens, welches im Ei noch nicht mit der Lunge geathmet hat, ist die erste Inspiration bei ungestörter Allantoiscirculation. Yon dieser war bereits wiederholt die Rede (S. 151. 165. 176 und S. 413), und es wurde hervorgehoben, dass eine Athembewegung auch beim Säugethier- fötus nicht eintritt und nicht künstlich hervorgerufen werden kann, ehe die Reflexerregbarkeit da ist (S. 151). Zahlreich sind die Reflexbewegungen des neugeborenen Thieres und Menschen, doch war von diesen bereits an anderer Stelle ausführlich die Rede. [372 Impulsive Bewegungen. Wenn das neugeborene Kind mit seinen Händen in der Luft ziellos umherfährt, völlig ungeordnete Beinbewegungen ohne den geringsten äusseren Anlass ausführt und ohne angebbare Ursache Grimassen macht, z. B. die Stirn runzelt, dann macht es impul- sive Bewegungen. Das neugeborene Kind bewegt wie das un- geborene die Grliedmaassen auch ohne äussere Reize aus einem ihm selbst völlig unbekannten inneren Impuls. Diese Art von organischer Bewegung, welche ohne irgendwelche vorausgegangene Empfindung, vor der ersten Wahrnehmung, später besonders im Schlafe, vorkommt, habe ich in meinem oben erwähnten Buche [372 zuerst bestimmt von anderen Bewegungen unterschieden und als die Grundlage der Willensausbildung erkannt. Die impulsiven Beugungen und halben Streckungen der Extremitäten, nicht die viel weniger ausgeprägten Reflexbewegungen sind es, welche das Gebahren des Fötus und des Neugeborenen vor Allem charakte- risiren. Am ähnlichsten sind ihnen die Bewegungen der aus tiefem Winterschlafe halberwachten Säugethiere, welche noch nicht die frühere Wärme wiedererlangt haben. Namentlich der Hamster zeigt dann dieselben kaum beschreibbaren, uncoordinirten, ziel- losen, trägen und dazwischen wieder schnellenden oder stossenden 454 Die embryonale Motilität. Bewegungen der Glieclmaassen wie der Fötus der Säugethiere, und wie das zu früh und das reif geborene Menschenkind. Es handelt sich dabei um eine Art Entladung angesammelter Be- wegungsimpulse, welche, wenn das Rückenmark genügend ent- wickelt ist, geradeso nothwendig die Muskelzusammenziehung be- wirken, wie etwa der Wasserdampf, wenn er genügend überhitzt wird, eine Explosion des Behälters verursacht, in dem er ein- geschlossen war. Diese impulsiven völlig unbewussten, unwillkür- lichen Muskelcontractionen sind ganz und garnicht expressiv, nicht Ausdrucks-Bewegungen. Man hat zwar letztere häufig sowohl dem Fötus wie dem Ebengeborenen zugeschrieben — namentlich hat man oft in dem ersten Schrei ein Zeichen des Unwillens oder eine Schmerzäusserung sehen wollen — aber derartige Ansichten sind gänzlich unhaltbar. Denn um einen beliebigen geistigen [373 Zustand durch Muskelbewegungen auszudrücken ist vor Allem er- forderlich die Unterscheidung jenes Zustandes von einem anderen. Xun ist aber der Fötus überhaupt nicht in der Lage, verschiedener Gemüthszustände sich bewusst zu werden, die er dann durch Ex- tremitätenbewegungen oder ein Mienenspiel kund gäbe. Denn der Sitz von Gemüthsbewegungen ist das Grosshirn. Der hirnlose Fötus bewegt aber gleichfalls die Glieder. Es wird demnach zum Mindesten willkürlich sein, die Gliederbewegungen vor der Geburt als Ausdruck etwa des Unwillens über eine unbequeme Lage auf- zufassen, selbst wenn der Fötus nicht ununterbrochen schliefe. Und was den ersten Schrei unmittelbar nach oder schon in der Geburt betrifft, so ist er schon darum kein Ausdruck des Zornes, des Schmerzes oder der Hülflosigkeit, wie Manche meinten, weil auch hirnlose Neugeborene schreien. Dieser erste Laut, nichts als eine Reihe von lauten Exspirationen, mitunter ein regelrechtes Niesen, kann nicht wohl etwas anderes als eine durch die mit jeder Geburt verbundene starke periphere Reizung (auch Abküh- lung) verursachte Reflexbewegung sein. Geradewie nach der merk- würdigen Entdeckung von Goltz ein enthirnter Frosch beim Streichen der Rückenhaut quakt, und wie nach meinen Versuchen eben geborene MeerscliAveinchen, wenn man ihnen den Rücken reibt, quieken, so schreit vermuthlich das eben geborene Menschenkind (S. 166. 176), gleichviel ob hirnlos oder nicht, weil seine Haut während der Ge- burt stark mechanisch gereizt, nach derselben stark abgekühlt wird. Sein erster Schrei ist ein Reflexschrei. Die meisten anderen Bewegungen des Neugeborenen sind im- pulsiv. Es kommen nur noch ausser den bereits betrachteten in Frage C. Die Eintheilmig der fötalen Bewegungen nach ihren Ursachen. 455 Instinctive Bewegungen. Da diese zwar auf ein bestimmtes Ziel gerichtet sein müssen, aber ausschliesslich ererbt sind und von ihnen das Subject nichts zu wissen braucht, so kann man dem Ungeborenen alle Instinct- bewegungen im eigentlichen Sinne nicht absprechen. Indessen be- haupten, die Kindsbewegungen im Uterus seien instinctiv, weil sie den Zweck hätten, die bequemste Haltung im kleinstmöglichen Baume der Frucht zu verschaffen, ist darum unzulässig, weil diese auch ohne alle Fruchtbewegungen allein durch das specifische Grewicht des Kopfes, die Uterusgestalt und die Spannung der Uteruswand rein passiv zu Stande kommen kann (S. 434 u. 446). Beim Neugeborenen dagegen treten schon complicirte, theils in- stinctive, theils reflectorische Bewegungen regelmässig ein, näm- lich das Saugen mit und ohne Schluckbewegungen. Im Gegensatz zu diesem erbhchen Ernährungs - Instinct sind alle Eumpf- und Extremitäten-Bewegungen des Fötus und Eben- geborenen nicht instinctiv, sondern, sofern sie nicht ohne jede Betheiligung seinerseits rein passiv zu Stande kommen, in erster Linie impulsiv, in zweiter Linie reflectorisch. Erst eine Stunde oder mehrere Stunden nach der Geburt treten normaler Weise wahrscheinlich einfache reine instinctive, sehr viel später vor- gestellte, darunter imitative, gemischte und zuletzt reine Willkür- Bewegungen auf, während die irritativen Muskelcontractionen nur künstlich hervorgerufen werden oder zufällig sind, sowohl intra- uterin wie nach der Geburt. Von den bei Säugethieren normalerweise nach der Geburt vorkommenden instinctiven Bewegungen ist nun namentlich das Saugen, welches auch ohne Berührung der Lippen während des Schlafes eintreten kann, und das gewöhnlich beim Milchsaugen darauffolgende Schlucken, welches aber für sich vor der Geburt und zu Anfang des Lebens eine reine Reflexbewegung darstellt, von physiologischem Interesse. Zu welcher Zeit des Fötallebens die ersten Schluckbewegungen ausgeführt werden, ist zwar noch nicht ermittelt, dass aber in der zweiten Schwangerschaftshälfte dieselben stattfinden, wird nicht bezweifelt. Nur ob sie normalerweise stattfinden oder nur bei Sauerstoffmangel, „bei den leichtesten Graden" von intrauteriner Asphyxie, ist streitig. Es wurde jedoch bereits im Abschnitt [97, 291 über die Ernährung das erstere als höchstwahrscheinlich dargethan. 456 Die embryonale Motilität. Das Eindringen des FruchtAvassers in den Magen ist physiologisch (S. 252). Allein jene Darlegung widerspricht der Ansicht nicht, dass intrauterin nur bei Abnahme der Sauerstoffzufuhr durch die Nabelvene Schluckbewegungen stattfinden. Neugeborene machen öfters Schluckbewegungen, weim man ihnen, während sie schlafen, [52 die Nase zuhält. Solche intrauterine geringe schnell vorübergehende Abnahmen der Sauerstoffzufuhr zum Fötus sind nicht als patho- logisch zu bezeichnen, vielmehr unvermeidlich und können ohne irgend welche schädliche Nachwirkungen ablaufen (S. 149). In jedem Falle liegt kein Grund vor gegen die Annahme, dass das Schlucken mit Einführung von Fruchtwasser in den Magen eine allgemeine Eigenschaft aller Embryonen höherer Thiere und des Menschen ist. Zu früh geborene Kinder verschlucken am ersten Lebenstage die ihnen eingeflösste Milch. Also wird auch der ebenso weit entwickelte Fötus schlucken können, falls er nur den Mund aufmacht und Fruchtwasser in die Mundhöhle gelangt. Kein Mensch lernt erst Schlucken, wie etwa Essen. Da aber sechs Hirnnerven und eine grosse Anzahl von Mus- keln nicht allein schon differenzirt, sondern auch erregbar sein müssen, um den vollkommenen Schluckact (mittelst des Centrum im verlängerten Mark) zu Stande kommen zu lassen, so kann von einem Schlucken in frühen Embryostadien, d. h. vor dem vierten Monat beim Menschen, nicht wohl die Eede sein. Ganz dasselbe gilt vom Saugen. Bei Säugethieren ist, wie das Schlucken, schon oft das Ver- mögen zu saugen lange vor der Reife constatirt worden. Ich habe an künstlich befreiten nicht reifen Embryonen des Meerschwein- chens öfters den Versuch angestellt, ihnen ein mit beliebiger Flüssigkeit gefülltes oder auch leeres Glasröhrchen in den Mund einzuführen und in der Mehrzahl der Fälle, wenn die Früchte nicht zu jung waren, wie auch beim lebensfähigen Kaninchenfötus, geschicktes Saugen wahrgenommen, falls nur das Eöhrchen auf die Zunge gebracht wurde. Blosse Berührung der Lippen genügt nicht. Doch sah ich öfters der Geburt nahe Kaninchenembryonen, die schnell abgenabelt und in den Brütofen gebracht wurden, an- einander starke Saugbewegungen machen. Sie fassten Hautfalten und Beine ihrer Geschwister mit den Lippen und sogen daran kräftig. Auch beim menschlichen Fötus ist wiederholt von Schottin und von 0. Soltmann ein Saugen am Finger beobachtet [4ß, 725 worden, wenn derselbe beim Touchiren Kreissender gerade in die C. Die Eintheikiug der fötalen Bewegungen nach ihren Ursachen. 457 Mnndöffnung gerieth. Sclion Scheel bemerkte dasselbe, wenn er dem eben geborenen Kinde den Finger in den Mund einführte. Ich habe beim Kinde, dessen Kopf erst geboren war, deut- liches Saugen beim Einführen eines Elfenbeinstäbchens wahr- [372 genommen. Dass Saugen beim Menschenfötus vor Ablauf der normalen intrauterinen Entwicklung stattfinden kann, zeigen folgende Fälle: T. E. Baker berichtet von einem Kinde, welches nach Angabe der [4 Mutter zwei ein halb Monat zu früh geboren wurde und einen Monat zwanzig Tage nach der Geburt nur ein Pfund dreizehn Unzen wog. Zu dieser Zeit konnte das vierzehn Englische Zoll lange Kind gut saugen, während es an- fangs die Brust nicht nahm. Das von J.Eodmann behandelte, gleichfalls — aber schon drei Wochen [I6 nach der Frühgeburt — ein Pfund dreizehn Unzen wiegende männliche Kind nahm in der ersten Woche die Brust nicht und fing erst vom Ende der dritten Woche an, die Muttermilch theelöffel weise zu nehmen, war aber vom Anfang an lebhaft, wenn es in Flanell eingewickelt der Bettwärme sich erfreute. Zwei Frauen wechselten mit der Mu.tter ab, ihm diese zwei Monate lang zu erhalten, da Entziehung der Wärme Krämpfe verursachte. Die Behauptung, dieses Kind sei neunzehn Wochen nach der Empfängniss geboren worden, ist jedoch schon wegen seiner Grösse irrthümlich. Aber keineswegs alle frühreifen und fast reifen Neugeborenen saugen bei Berührung der Lippen oder beim Einführen des Fingers in den Mund. Es fehlt hier die maschinenmässige Sicherheit, welche die reinen Reflexbewegungen charakterisirt. Auch ist be- merkenswerth, dass nicht alle neugeborenen Säugethiere, nament- lich Meerschweinchen nicht, an dem in die Mundhöhle regelrecht eingeführten Stäbchen oderKöhrchen saugen, und dass der erkrankte, wie der gesättigte Säugling in der Kegel nicht saugt. Man kann das Ausbleiben der Saugbewegungen bei letzterem nicht etwa einer Ermüdung der betheihgten Muskeln zuschreiben. Denn auch wenn diese Zeit hatten sich von der letzten Saugarbeit zu erholen, weigert das Kind sich oft entschieden zu saugen. Vielmehr ist es wahi'scheinlich ein Sättigungsgefühl, welches liier bestimmend einwirkt, wie beim Erwachsenen, wenn er nach einer reichlichen Mahlzeit noch einmal kauen soll. Also muss eine gewisse Stim- mung zum Saugen da sein. [372 Mit der Annahme eines besonderen Instinctes zum Saugen ist freilich wenig erklärt. Es wäre ein eigenthümlich perverser Instinct, der das Neugeborene, wenn es hungert, zwar an allem Saugbaren zu saugen treibt, aber oft genug wegen einer gering- fügigen Rauhigkeit oder nur Verschiedenheit des mit den Lippen 458 Die embryonale Motilität. ZU berührenden Objects versagt, wenn ihm statt der gewohnten Brust eine andere oder eine Saugflasche geboten wird, die ihm zuträglichere Nahrung bietet als jene. Deshalb muss man dem Saugact auch den Charakter einer Reflexbewegung zuerkennen, wenn er auf einen peripheren Reiz sofort folgt. Dieser tritt je- doch vor der Geburt nicht ein, wenn auch alle Säugethiere, welche nach der Geburt die Zitze in den Mund nehmen, also wahrschein- lich alle ausser den Cetaceen und Pinnipedien, schon kurz vor der Geburt saugen können. Jedenfalls folgt aus der Thatsache, dass eben geborene reife und nicht reife Früchte beim Einführen eines geeigneten Gegen- standes in den Mund Saugbewegungen machen können nicht, dass sie normalerweise intrauterin saugen, sondern zunächst nur, dass lange vor der Geburt die Reflexbahn von den sensorischen Nerven- Endigungen in der Zunge und in den Lippen in das Halsmark und von da durch den Hypoglossus in die Zunge formirt und widerstandsfrei, d. h. gangbar ist. Das Saugen ist also eine erb- liche Bewegung und keine reine Reflexaction. Daher muss man das Saugen Neugeborener und IJngeborener instinctiv nennen, um so mehr, als auch im Schlafe Saugbewegungen ohne peripheren Reiz sehr früh eintreten können. Eine Absicht ist keinesfalls nothwendig. Bei den einen tritt dieser vom Grosshirn anfangs unabhängige Saugmechanismus sofort mit grosser Energie in Thätigkeit, bei anderen sehr unvollkommen. Bei dem relativ noch sehr wenig entwickelten dennoch schon saugenden Fötus der Beutelthiere ist sogar die Saugfunction vor allen anderen Bewegungen in der auf- fallendsten Weise bevorzugt. Nach dem Verlassen der Gebärmutter macht der an der Zitze haftende Fötus des Känguruh langsame starke Athembewegungen und bewegt die Extremitäten, wenn man ihn stösst, wie Owen berichtet. Er ist aber anfangs zu schwach, um durch actives Saugen die ]\Iilch aufzunehmen; diese wird ihm durch Muskel- contractionen der Drüse förmlich eingespritzt nach desselben For- schers und W. Rapp's Angaben. Räthselhaft ist dabei, wie der [24 Fötus, den das Mutterthier mit dem Munde aus dem Uterus (S. 74) an die Zitze bringt, daselbst immer wieder sich anhängt. Da nach Blainville die runde Löcher darstellenden Nasenöfihungen offen [i7 und der 3Iund zur Aufnahme der Zitze nur gerade weit genug ist bei ganz jungen Marsupialien, so ist vielleicht der Geruchsinn der Führer auf dem dunkeln "Wege. Jedenfalls kann nur durch C. Die Emtheiluug der fötalen Bewegungen nach ihren Ursachen. 459 die Nase geathmet werden, und dass mit der Entwicklung der Musculatur sehr bald active Saugbewegungen eintreten, ist sicher. Die jungen Känguruhs saugen noch, nachdem sie den Beutel ver- lassen können, und, den Kopf aus demselben hervorstreckend, fressen sie Gras zu gleicher Zeit mit dem Mutterthier, wenn dieses sich wieder aufrichtet zur Zitze sich zurückwendend. Dieses ge- schieht, nach Owen, bis sie zehn Pfund schwer, nach Home, [4o bis sie neun Monate alt sind, so dass oft ein neuer Fötus, der sich jedesmal an eine neue Zitze anheftet, zugleich mit dem gross- gewordenen saugt. Diejenige Eigenschaft der Zitze (Grösse, Ge- stalt, Geruch?), welche das ältere Junge an die von ihm ursprüng- Hch benutzte Zitze immer wieder zurückführt und das neue Junge von dieser ab-, der unbenutzten zuwendet, ist nicht bekannt. Ausser den Beutelthieren gibt es noch eine Gruppe von Säugern, welche ihren Jungen die Milch in den Mund spritzen, nämlich die Wallfische, vielleicht alle Cetaceen. Und zwar scheint es bei diesen überhaupt nicht zum Saugen seitens der Jungen zu kommen, so dass es also wahre Milch spendende Säugethier -Weibchen gibt, welche ihre Jungen nicht säugen. Wie nämlich W. Eapp be- [24 merkt, ist der Mund der Cetaceen zum Saugen nicht zu gebrauchen. Die Mundhöhle ist sehr lang, bei einigen Arten schnabelförmig, und die Lippen sind schwer beweglich und hart. Auch ist die hohe Lage des Kehlkopfs der Cetaceen, welcher bis an die hin- teren Nasenöffnungen hinaufreicht und den Schlund dadurch in einen rechten und linken Canal theilt, dem Mechanismus des Saugens, wie Hunter bemerkte, ungünstig. In der That fand Kapp beim Braunfisch die Milchdrüse nicht frei unter der Haut und der dicken Fettschicht, sondern von einem starken Hautmuskel be- deckt. Durch ihre Lage zwischen diesem Muskel und den Bauch- muskeln kann die Drüse stark comprimirt werden, „so dass die Milch dem jungen Thiere, ohne dass es nöthig hätte zu saugen, in den Rachen eingespritzt wird". Schon Aristoteles wusste [25 übrigens, dass die jungen Delphine zwar mit Milch ernährt werden, aber dieselbe nicht aus der Drüse heraussaugen. Er sagt vom Delphin, seine Brüste hätten keine Zitzen, wie die der Vierfüsser, sondern die Milch quelle jederseits aus einem Canal hervor und werde von dem der Mutter nachfolgenden Jungen aufgefangen. Es lässt sich nicht annehmen, dass bei dieser Ernährung die Milch ohne Beimischung von Seewasser in den Magen des Jungen gelangt. Wenn nun bei Marsupialien während der ersten Zeit der 460 Die embryonale Motilität. Lactation. bei Cetaceen während der ganzen Lactationszeit die Milch nicht durch Saugbewegimgen von dem Jungen aufgenommen, sondern ihm in den Mund gespritzt wird, so kann auch bei an- deren Säugethieren eine ähnliche Entleerung der Drüse durch die Contraction glatter Muskelfasern, wodurch die anfangs oft genug unvollkommenen Saugbewegungen unterstützt würden, in Betracht kommen. In der That habe ich selbst bei zwei kräftigen Ammen die Milch in gewaltigem Strahl aus der ganz freien vollen und un- berührten Brust herausspritzen sehen, wenn der Säugling ein paar Stunden lang nicht angelegt worden war. Bichat erwähnt [43 gleichfalls, dass die Milch, wenn sie im Überfluss vorhanden ist, bisweilen mit G-ewalt ausgespritzt werde, was eine lebhafte Con- traction der Milchgänge voraussetze. Im Allgemeinen aber erfordert die Entleerung der Brustdrüse eine nicht unerhebliche Muskelarbeit seitens des Säuglings, um den schon von Pascal entdeckten Unterschied des Luftdrucks innerhalb und ausserhalb der Mundhöhle herbeizuführen. Und diese Saugbewegungen sind erblich. D. Die Verschiedenlieit des ruhenden und thätigen embryonalen Nerven und Muskels. Eine der dankbarsten Aufgaben wäre die Untersuchung des embryonalen Nervmuskelapparates einmal in der Ruhe, sodann in der Thätigkeit und unmittelbar nach derselben. Die für den Muskel und Nerven des Geborenen bereits festgestellten Unter- schiede in den elektrischen, elastischen, thermischen, chemischen Eigenschaften und in dem morphotischen Verhalten bei der mikro- skopischen Beobachtung müssen sämmtlich bezüglich ihrer Stich- haltigkeit beim Embryo mit allen Hülfsmitteln der modernen physiologischen Experimentirkunst geprüft werden. Ich würde selbst diese Aufgabe in Angriff genommen haben, wenn nicht der Mangel eines geeigneten Untersuchungsobjectes davon abhielte. Wenigstens kann bezüglich der Ermittlung des Zeitpunctes, wann z. B. Actionsströme im fötalen Muskel (und Nerven) ein- treten und wann die elektrischen Gegensätze am Längsschnitt und Querschnitt im Fötalleben zuerst auftreten, am Säugethier- und Vogel-Embryo nicht mit Aussicht auf viel Erfolg experimen- tirt werden. Denn die geringfügigsten Eingriffe verändern das contractile Gewebe allzuschnell. Dass jedoch die elektromoto- rischen Kräfte demselben von vornherein nicht fehlen, lässt sich mit Sicherheit voraussagen, und es wird wahrscheinlich die xiuf- findung der die elektrischen Gegensätze im ausgeschnittenen Nerven und Muskel bedingenden Stoffe — um sie kurz zu be- zeichnen — der elektrogenen Substanzen beim Geborenen durch die Prüfung der embryonalen Gewebe nicht wenig erleichtert 462 Die embryonale Motilität. werden. Von ganz besonderem Interesse wäre die Untersuchung der Embryonen elektrischer Fische, In welchem Entwicklungsstadium die Embryonen des Zitter- welses [Malopterurus], des Zitteraales [Gymnotus], des Zitterrochens [Tor-pedo)^ auch des ilibrmz/rM5, Tetrodon, Trichiurus zum ersten Male elektrische Entladungen zu Stande bringen, ist noch unbekannt. Bei der Schwierigkeit, Eier und Embryonen derselben zu erhalten, ist aber die Aussicht, jenen Zeitpunct genau zu bestimmen, eine geringe. Hr. Marey theilte mir zwar mündlich mit, er wisse von Hrn. Pancieri, dass dieser den Torpedo-Embryo elektrisch gefunden habe, etwas Näheres ist mir jedoch darüber von dieser Seite nicht bekannt geworden. Hingegen theilte mir (1884) der gründ- lichste Kenner der elektrischen Organe, Hr. ßabuchin in Moskau, mit, dass ihn diese Frage schon seit langer Zeit beschäftigt habe und seinen zahlreichen Beobachtungen und Versuchen zufolge die Torpedo-Embryonen, so lange sie noch nicht pigmentirt sind und so lange vom Dottersack noch etwas gesehen werden kann, nicht elektrisch sclilagen, obwohl sie sich dann schon längst lebhaft bewegen. Erst nachdem die Fischchen grau geworden sind und der Dotter resorbirt ist, gelingt es mittelst des Froschnerven die elektrische Entladung zu constatiren. Dann ist auch das Nerven- netz — die Endverzweigung der elektrischen Nervenfasern — erkennbar , von dem vorher nichts zu sehen war. Übrigens waren die Platten des elektrischen Organs beim Embryo von Torpedo ausserordentlich dünn, so dass die Isolirung schwer gelang. Jede weitere Beobachtung über das Verhalten dieser Em- bryonen wäre für die Elektrophysiologie von grosser Wichtigkeit, zumal an der Ableitung des elektrischen Organs beim Zitter- rochen von umgewandelten Muskeln nach den trefflichen Unter- suchungen von Babuchin, nicht mehr gezweifelt werden kann. [527 Es fragt sich zunächst, in welchem Entwicklungsstadium die elektrischen Nerven fanctionsfähig werden und ob das elektrische Organ, dessen Säulen dem genannten Beobachter zufolge im ausgewachsenen Thiere keine numerische Zunahme erfahren, schon vor dem Erreichen der später bleibenden Säulenanzahl wirk- sam ist. [534 Bezüglich des Chemismus der embryonalen Muskeln und Nerven ist ebenfalls äusserst wenig bekannt, obgleich hier das Material leichter beschafft werden kann. D. DieVerscliiedenheit d. ruheud. u. thätig. embiyon. Nerven u. Muskels. 463 Die oft wiederholte Behauptung , der embryonale Muskel werde nicht todtenstarr, beweist für sich allein schon, wie mangel- haft beobachtet wurde. Denn ich habe sehr häufig todtenstarre Meerschweinchen - Embryonen gesehen , deren Muskeln sowohl im Uterus (z. B. nach Vergiftung des Mutterthieres mit Leucht- gas) als auch nach der Excision starr wurden. Aber es fragt sich, in welchem Entwicklungsstadium des Muskelgewebes dieses die Eigenschaft erhält starr zu werden. Dass beim Menschen- fötus die Muskelstarre nicht vor dem siebenten Fruchtmonat eintreten soll, wird öfters angegeben, ist jedoch sehr zweifel- haft; es sind mir Einzelbeobachtungen zur Begründung nicht bekannt geworden. Da im Allgemeinen ein Muskel nach anhal- tender Thätigkeit leichter sauer und starr wird, als nach anhal- tender Kühe, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass im embryonalen Muskelgewebe die Ausscheidung des für die Muskelstarre nach W. Kühne's Untersuchungen charakteristischen Myosins schwerer und unvollständiger vor sich geht, als im Muskelgewebe des Gre- borenen, aber es folgt keineswegs daraus das Unvermögen des contractilen Gewebes im Embryo zu irgend einer Zeit seiner Ent- wicklung zu erstarren. Die Todtenstarre des Blutes^ nämlich seine Gerinnung, tritt nur in der allerersten Zeit beim Embryo nicht ein, in einer Zeit, da das Blut diesen Namen kaum verdient, vielmehr noch Hämato- lymphe genannt werden sollte (S. 304). Einzelheiten zur Chemie der fötalen Muskeln wurden bereits oben (S. 271. 381) angegeben und ihre physiologische Verwerthung wurde daselbst angedeutet. Über die Nerven des Fötus liegen einige quantitative Be- stimmungen vor von Bibra, über die des Neugeborenen von Schlossberger. Im Allgemeinen enthält ihnen zufolge das un- [528 entwickelte Gehirn relativ mehr Wasser und weniger mit Äther extrahirbare Stoffe als das entwickelte, und beim Neugeborenen sind die Unterschiede in der quantitativen Zusammensetzung der einzelnen Hirntheile überhaupt noch nicht oder nur sehr wenig ausgeprägt. Doch lässt sich aus diesen wenigen Daten und den sonstigen beiläufigen chemischen Beobachtungen nichts mit Sicher- heit über einen Unterschied des ruhenden und thätigen Nerven- und Muskel-Gewebes ableiten. Beide sind lange vor ihrer morpho- tischen und späteren chemischen Comphcirtheit functionsfähig. Und es ist höchstwahrscheinlich, dass die contractilen Zellen bei der 464 Die embryonale Motilität, Contraction Sauerstoff verbrauchen (S. 110. 139 Z. 3). Freilich kann das embryonale Herz noch eine Zeitlang thätig sein, wenn in seinem Blute kein Sauerstoffhämoglobin mehr nachweisbar ist (S. 142), und die ausserordentliche Lebenszähigkeit des Herzmuskels beim Embryo (auch des Menschen) deutet darauf hin, dass der- selbe — und wahrscheinlich auch andere embryonale Muskeln — einen im Verhältniss zu seiner Masse enormen Arbeitsvorrath zur Disposition hat. VII. DIE EMBRYONALE SENSIBILITÄT. Preyer, Physiologie des Embryo. 30 A. Die fünf Sinne Yor der Geburt. Ein für das Leben des Embryo allgemein charakteristisches Merkmal ist seine Isolirung, seine durch die Eihäute. Eischale, den Fruchtsack bedingte xibtrennung von der Umgebung, welche die Einwirkung von Sinneseindrücken auf ein Minimum reducirt. In dieser Hinsicht führen fast alle Embryonen vor ihrer Reife ein Leben ähnlich dem im traumlosen Schlafe nach der Geburt. Aber wie in diesem zwar die Sinnesthätigkeit und die daran sich anknüpfenden psychischen Vorgänge fehlen, nicht aber das Yer- mögen durch genügend starke Reize (beim Erwachen) die Sinnes- organe in Thätigkeit kommen zu lassen, so auch beim Embryo, welcher lange vor der Reife erregbar ist. Der grosse Unterschied der Zustände vor der Geburt und nach derselben besteht darin, dass dem Embryo die Erfahrung fehlt, daher selbst wenn seine Nerven- endapparate an der Peripherie und im Centrum schon ausgebildet wären, was nicht der Fall ist, nothwendig deren Reaction auf adäquate Reize anders ausfallen muss, als später. Es ist in phy- siologischer und namentlich in psychogenetischer Beziehung wichtig zu untersuchen, wann beim Menschen und Thier die einzelnen Sinnesnerven erregbar werden und wie sich der Neugeborene und Fötus überhaupt gegen Eingriffe, gegen Berührungen, thermische, elektrische, chemische Hautreize, gegen Geschmacks- und Geruchs- Eindrücke, gegen Schall und Licht verhält. Indem ich bezüglich dieser Verhältnisse auf den ersten Abschnitt meines bereits oben erwähnten Buches „Die Seele des Kindes" (2. Aufl. 1884) verweise, stelle ich im Folgenden noch eine Reihe von Thatsachen zusam- men, welche sich auf die Sensibilität des Fötus beziehen und zu einigen zum Theil neuen Schlussfolgerungen führen. 30* 468 ^^^ embryonale Sensibilität. Die Hautempflndlichkeit vor der Gel)urt. Die Sensibilität der Oberfläche des Embryo ist längere [43 Zeit vor der Reife gering. Gegen Ende der intrauterinen Zeit aber lässt sich bei vielen Thieren schon eine erhebliche Haut- empfindlichkeit leicht constatiren. Steckt man bei einem hoch- trächtigen Meerschweinchen eine dünne Nadel in den Embryo, nachdem einmal Fruchtbewegungen wahrgenommen wurden, so kann man gewiss sein, nach dem Stich eine neue Fruchtbewegung eintreten zu sehen. Ich habe diesen Versuch oft angestellt, um ohne Öffnung der Bauchhöhle die Fruchtbewegungen an den — manchmal sehr schnellen — Schwankungen des Nadelkopfes (S. 416) zu zeigen und in der Absicht, den Zeitpunct, wann zuerst die ßeflexerregbarkeit des Embryo merklich wird, zu bestimmen. Da aber nach Wiederholung des Einstichs leicht Abortus eintritt, so musste ich davon abstehen, in dieser Weise zu prüfen. Auch schon die Palpation der Meerschweinchenfötus mit Daumen und Zeigefinger, ohne Verletzung, hat häufig stossende Bewegungen der Früchte zur Folge, so dass also ein starker Druck wie der Stich wirkt. Beide sind Reflexreize und beide können, we- nigstens kurz vor der Geburt und bei einem so entwickelt zur Welt kommenden Thiere ohne Zweifel Schmerzempfindung veranlassen. Auch bei Kaninchenembryonen lässt sich, wenn sie der Reife nahe sind, die Sensibilität der Haut, unmittelbar nach dem schnellen Herausschneiden aus dem Uterus, leicht darthun. Ein Fall diene . statt vieler zum Beweise. Am 19. März 1879 schnitt ich fünf fast reife Embryonen einem grossen Kaninchen innerhalb fünf Minuten aus. Während sie vor dem Öfi"nen des Uterus anfangs bewegungs- los waren, sah ich schon beim Anfassen und vollends nach dem Ausschneiden derselben mehrere sogleich die Extremitäten be- wegen. Als sie abgenabelt waren, bewegten sich alle fünf lebhaft, sowie ein Fuss geklemmt oder irgend eine Hautstelle stark elek- trisch gereizt wurde. Es war auch die Reizung der Hautnerven mittelst einer Reihe schnell aufeinanderfolgender starker Inductions- schläge ohne Zweifel schon schmerzhaft, denn die Thiere schrieen während und kurz nach der Reizung so stark, dass man sich über die Kraft ihrer Stimme wundern musste. Gleich nach dem Ver- lassen des mütterlichen Körpers schrieen sie aber nicht. Auch beim blossen Stechen der Haut mit einer spitzen Nadel, Betupfen derselben mit starken Mineralsäuren und Versengen mit heissen Glasstäben wurde jedesmal heftiges Schreien gehört, aber die Die Hautempfindliclikeit vor der Geburt. 469 sonstigen reflectorischen Beantwortungen der schmerzerregenden Hautreize waren durchaus ungeregelt und unzweckmässig. Die blinden Thierchen konnten der elektrischen Pincette und der ISTadel nicht entfliehen, und ihre zwar lebhaften, aber völlig uncoordinirten, hier und da mehr wie zufällig bilateral- symmetrischen und krie- chenden Bewegungen verriethen nur, dass sie die starke trauma- tische, elektrische, thermische, chemische Hautreizung empfanden. Zudem bewirkte Abkühlung eine Abnahme der ohne künstliche Reizung gleich anfangs vorhandenen weniger energischen Beweg- ungen; es schien als wenn die Thiere einschliefen, während Er- wärmung ihre Motilität bis zu Krämpfen steigerte, indem nament- hch der Kopf hin und her geworfen wurde und das ganze Thier sich bisweilen um und um wälzte. Ungeschützt kühlen sich die Embryonen äusserst schnell ab. Wenn sie bei den ersterwähnten Versuchen sich so verhielten, als wenn sie Schmerz empfänden, so zeigte bei massiger Erwär- mung ihr possirliches Benehmen weit eher das Gegentheil an. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die drolligen Bewegungen dieser Embryonen wie die ganz ähnlichen reifer Thiere, einem gewissen Lustgefühl entsprangen oder davon begleitet waren. Ferner ist bemerkenswerth . dass wenn einmal die Reflexer- regbarkeit der Haut auftritt, doch die Reflexzeit eine viel längere, als bei Erwachsenen ist. Es können bei Kaninchenembryonen, deren Haut mit heissen Stäbchen berührt oder versengt oder mit Schwefelsäure angeätzt worden, ein bis zwei Secunden vergehen vom Moment der Berührung bis zur Antwortsbewegung. Mit dieser Verzögerung der peripheren oder intercentralen Vorgänge der Reflexbewegung steht die geringere EmjDfindlichkeit der Em- bryonen gegen Schmerz im Zusammenhang. Denn wenn auch nach den eben mitgetheilten Erfahrungen der Reife nahe Früchte Schmerz empfinden können, so bewirken doch nur die stärksten Eingriffe starkes Schreien und verhältnissmässig starke Reflexe. Schwächere Reize, welche das geborene Thier stark afficiren, bleiben bei unreifen Früchten völlig unbeantwortet, und nichts ist irriger, als die Meinung, dem unreifen Fötus der Säugethiere komme eine hohe Reflexerregbarkeit zu. Dass sie allerdings vor der Geburt fortwährend steigt, erkennt man schon an der zuneh- menden Mannigfaltigkeit der Fruchtbewegungen bei den von aussen ohne Verletzung palpirten trächtigen Thieren, sowie daran, dass der Lidschluss nach Berührung der Bindehaut des Auges regel- mässig noch langsam und unvollständig bei vorzeitig geborenen 470 Die embryonale Sensibilität. oder excidirteB Meerschweinchen eintritt, wie ich finde. Berüh- rung der Corneamitte allein hat nicht einmal ein Zucken, Berühi-ung der Bindehaut nur trägen und halben Lidschluss zur Folge, bis- weilen sogar bei weiter entwickelten über 85 Grm. wiegenden Embryonen des Meerschweinchens. Da also die Hautnerven-Erregbarkeit des Fötus in der letzten Zeit seiner intrauterinen Entwicklung erhebhch steigt, unmittelbar nach der Geburt aber nicht so gross wie später ist, um dann wieder mit dem Beginne der reflexhemmenden Gehirnthätig- [372 keit zu sinken, so gewinnt die Frage ein besonderes Interesse, ob anästhesirende Mittel, welche wie z. B. Chloroform, beim Ge- borenen den Schmerz nach starker Erregung sensorischer Nerven vermindern oder annulliren und, falls die Narkose tief genug ist, die Motilität aufheben, beim Fötus ebenfalls die Erregbarkeit herabsetzen. Ich habe nur wenige Versuche darüber angestellt. Diese zeigten aber deutlich, dass erstens die Chloroform-Narkose beim excidirten lebhaften, luftathmenden Kanin chenfötus viel schneller verläuft als beim Geborenen, zweitens bei blosser Ein- athmung chloroformhaltiger Luft, Motilität und Sensibilität nicht leicht schwinden, drittens beim Benetzen der Haut mit Chloro- form im Brütofen die Hautempfindlichkeit bald für die aller- stärksten Reize erlischt, aber schnell wieder erscheint. Folglich sind es die peripheren sensorischen Nerven, welche vom Chloro- form beim Fötus bei localer Application stark, bei innerlicher Anwendung sehr wenig afficirt werden, und das Rückenmark wird erst in zweiter Linie von dem Anästheticum verändert. Das Ge- hirn spielt dabei noch keine merkliche Rolle. Solche Experimente über die Giftigkeit anderer Stoffe, z. B. des Alkohols, beim Fötus versprechen ergiebige Resultate. Bezüglich der Hautempfindlichkeit des Hühner-Embryo folgt schon aus den bei Erwähnung seiner Reflexerregbarkeit angeführten Thatsachen, dass sie anfangs gänzlich fehlt oder wenigstens durch kein bekanntes Mittel nachweisbar ist. Denn kein noch so starker elektrischer, chemischer, thermischer, traumatischer Hautreiz hat vor dem zehnten Tage der Incubationszeit auch nur die geringste Reflexbewegung zur Folge, so gross auch die Beweglichkeit schon vom fünften Tage an ist und so empfindlich gegen dieselben Ein- griffe schon vom dritten Tage an das Herz, vom fünften Tage an das Amnion sich erweist." Ich halte diese Thatsache für eine der wichtigsten aus dem gesammten Gebiete der Physiologie des Embryo und habe eine Die Hautempfindlichkeit vor der Geburt. 471 sehr grosse Anzahl von Beobachtungen und Versuchen angestellt, ehe ich mich davon überzeugte, dass die Sensibilität des Embryo später auftritt als die Motilität. Zuerst finden nur Bewegungen aus inneren physischen Ursachen statt, impulsive Bewegungen (S. 442), ohne dass periphere Reize da sind und ohne dass solche, wenn sie auftreten, wirksam werden können. Viel später erst wird die Hautsensibilität durch Reflexbewegungen nachweisbar. Mit diesem Befunde an allen normalen Embryonen stimmt in benierkenswerther Weise überein die Thatsache, dass diejenigen Embryonen (des Kaninchens), welche ich nach der Excision aus dem Uterus, Abnabelung und Trocknung im Brütofen chlorofor- mirte, in der tiefsten Narkose noch oft viele Bewegungen machten, aber selbst auf die stärksten Hautreize (Inductionswechselströme, welche einen millimeterlangen Funken zwischen den Zinken der elektrischen Pincette überspringen lassen) nicht reagirten. Die Sensibilität erschien aber bald wieder. Die motorische Function ist also die festere. Wie es sich mit der Hautempfindlichkeit des menschlichen Fötus verhält, ist wenig untersucht. Bei Achtmonatskindern fand Kussmaul eine ausgesprochene Reflexerregbarkeit wie bei reifen [5o Neugeborenen. Kitzelte er die Innenfläche der Hand, so contrahirte sie sich und fasste die Federfahne, mit welcher er gekitzelt hatte. Auf Kitzeln der Fusssohle wurden die Beine meist lebhaft bewegt, im Knie- und Hüft-Gelenk gebeugt und gestreckt, und die Zehen gespreizt. Die grosse Empfindlichkeit der Nasenschleimhaut gegen Be- rührung war dagegen bei drei Siebenmonatskindern mehrere [so Tage nach der Geburt noch nicht ausgebildet, denn Kitzeln be- wirkte nur zweifelhafte Reflexe. Genzmer bemerkte in dieser [52 Hinsicht bei einem Achtmonatskinde keine geringere Empfindlich- keit als bei reifen Neugeborenen. Als er aber bei Frühgeborenen in den ersten Tagen mit Nadelstichen an der Nase, Oberlippe, Hand die Empfindlichkeit prüfte, wurde kein Zeichen des Unbehagens bemerkt, oft nicht einmal ein leises Zucken; mid doch wurde die Nadel so tief eingeführt, dass ein Blutstropfen zum Vorschein kam. Die normaler Weise intrauterin vorkommenden Hautreize, zu denen Stechen und Kitzeln nicht gehören, sind theils durch Be- rührung der Uteruswand beim Lagewechsel der Frucht, theils durch gegenseitige Berührung der Körpertheile gegeben. Auch kommt dabei die Nabelschnur in Betracht. Das Anstossen gegen die Uteruswand, in der ganzen zweiten 472 Die embryonale Sensibilität. Hälfte der Schwangerschaft der Mutter fühlbar, findet nach allen Richtungen statt. Es muss aber dem Fötus einen grossen Unter- schied ausmachen, ob er gegen harte seinen strampelnden Füssen nicht ausweichende Gegenden, also namentlich nach hinten, stösst („pocht'', „klopft", wie es der Mutter scheint) oder gegen die ihm nachgebenden Weichtheile, also namentlich nach vorn, wo man seine Bewegungen sieht. Die grosse Verschiedenheit des Wider- standes ist jedenfalls für die schliessliche Stellung mitbestimmend. Man kann sich kaum der alten Yorstellung verschliessen, dass der Fötus sich in die Lage bringt, in welcher er möglichst wenig gedrückt wird (S. 434). Auch nach der Geburt pflegt häufig das schlafende Kind und auch der schlafende Erwachsene eine sehr unbequeme Lage mit einer bequemeren zu vertauschen ohne zu erwachen und ohne sich nachher im Geringsten der Veränderung zu erinnern. Ohne die Annahme einer wenn auch noch so undeut- lichen Empfindung von äusserem Druck lässt sich aber diese Vor- stellung von dem Einnehmen der „bequemsten" Lage nicht halten. Und in dieser Lage können die Gliedmaassen sich immer noch beugen und in beschränktem Maasse strecken, wenigstens sich stärker und schwächer beugen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass ihre gegenseitige Berührung eine Empfindung veranlasst, weil an- fangs, so lange die Lage noch oft verändert wird, das Sensorium den obigen Reizversuchen zufolge zu wenig entwickelt sein wird, so schwache Reize zu bemerken und später, wenn die definitive Körperstellung eingenommen worden, die Gliedmaassen gleichfalls ihre gegenseitige Lage nur wenig verändern, so dass fast immer dieselben Hautstellen von den Armen und Beinen berührt sind Mail kann sich nun durch einen einfachen Versuch davon über- zeugen, dass wenn nur einige Minuten nacheinander ein Körper- theil ohne Bewegung einen anderen eben berührt (ohne stark gegen ihn gedrückt zu werden) die Berührung nicht mehr em- pfunden ^YiTd. Wenn man nämlich — etwa vor dem Einschlafen oder nach dem Aufwachen — sich in ähnlicher Weise wie der Fötus zusammenkauert und regungslos verharrt, geht bald alle Kennt- niss der Lage verloren, weil keine Berührungsempfindung persistirt. Die geringste willkürliche Bewegung orientirt wieder über die Lage des bewegten Theiles. Da also der Fötus gegen Berührungen der äusseren Haut durch seine eigenen Extremitäten wenig empfindlich ist — anderenfalls wüi'de das schlafende Neugeborene durch seine eigenen oft hef- tigen Bewegungen sich selbst wecken müssen — so ist er wahr- Die Hautempfindlichkeit vor der Geburt. 473 scheinKch ausser Stande andere Druckempfindungen zu haben, als die durch Anstossen gegen die Ilteruswand veranlassten. Ob ausserdem durch Berührung der Lippen seitens der Hände, welche schon lange vor der Geburt vorkommen könnte, eine Em- pfindung und dadurch intrauterines Saugen an den Fingern aus- gelöst wird, bleibt dahingestellt. Die Berührungen der Nabelschnur sind wohl zu wenig nach- haltig, um, abgesehen von anomalen Fällen, z. B, einer Um- schlingung, zu Empfindungen Anlass geben zu können. Dass beim Säugethier-Fötus die an Reflexbewegungen kennt- liche Hautempfindlichkeit noch fortdauert, nachdem alle Athem- bewegungen (des vorzeitig, sei es im Ei, sei es nach Abtrennung in 0,6-procentiger Kochsalzlösung gereizten Thierchens) aufgehört haben, zeigen die Versuche von Högyes (1877) und die mei- [48i nigen (S. 449, 451). Hierdurch wird wiederum die Unabhängigkeit der fötalen ßeflexerregbarkeit, also der centripetalen Hautnerven und centralen sensorischen Ganglienzellen, von der Athmung dar- gethan, und umgekehrt erhält die von mir aufgestellte Theorie der ersten Athembewegungen, welche auf der Abhängigkeit der- selben von bereits bewährter Reflexerregbarkeit, also Hautseusi- bilität beruht, hierdurch eine bemerkenswerthe Stütze. Athem- bewegungen kann nur der Fötus machen, dessen Hautnerven fungü"en oder functionsfähig sind (s. S. 151 u. 170). Erstickt man ein trächtiges Thier, so zeigen die Embryonen desselben oft noch lange, nachdem es aufgehört hat, auf Reflexe zu antworten und nachdem sie selbst alle Athembewegungen eingestellt haben, Be- wegungen der Extremitäten und des Kopfes nach mechanischer Hautreizung, während erwachsene idiotherme Thiere zwar oft noch lange nach dem Erlöschen der Hautempfindlichkeit vereinzelte, meist völhg effectlose Inspirationen machen, nicht aber nach dem Erlöschen der Respiration Hautreflexe zeigen, wie die Amphibien. Über Änderungen der Hautempfindlichkeit des Embryo nach den Häutungen desselben und je nach den Mengen der Vernix- [423 caseosa fehlt es an Beobachtungen. [4os Desgleichen ist über den T e m p e r a t u r s i n n des Thierfötus noch nichts bekannt. Wahrscheinlich hat derselbe normalerweise über- haupt vor der Geburt keine Temperatur empfindungen, weil er keine Gelegenheit zur schnellen und erheblichen Änderung seiner Haut- temperatur im gleichmässig temperirten Fruchtwasser im Uterus 474 Diö embryonale Sensibilität. erlebt, somit nicht in die Lage kommt, über zwei verschiedene Temperaturen zu urtheilen, wenn er bereits urtheilen könnte. Aber auch die abnorme Abkühkmg (S. 356. 363, 373) oder Erwärmung (S. 353. 355. 375) des freigelegten Säugethierfötus, von denen erstere Abnahme, letztere Zunahme der Motilität herbeiführt, kann schwer- lich echte Temperaturempfindungen verursachen, weil der Fötus an allen Puncten ziemlich gleichmässig dabei seine Temperatur ändert. Über das Verhalten frühgeborener Kinder gegen thermische Reize wurden Versuche noch nicht bekannt gemacht. Es ist auch nicht statthaft, aus dem Abnehmen der Lebhaftigkeit unreifer neu- geborener Menschen bei längerer Abkühlung und Zunahme derselben beim Erwärmen (vgl. jedoch S. 457 Z. 19 v. o.) zu folgern, dass der Fötus, dessen Temperatur vom Anfang an bis zur Geburt nahezu constant bleibt, eine Kälte emp findung oder Wärme emp findung habe. Im Uterus fehlt die Hauptbedingung für das Zustandekommen einer Temperaturempfindung: schneller Wechsel der Hauttempe- ratur, und die Unwahrscheinlichkeit des Zustandekommens einer deutlichen tactilen oder thermischen Empfindung im Uterus wächst, wenn man die Annahme gelten lässt, dass der Fötus schläft. Denn Schlafende sind gegen Erwärmung und Abkühlung wenig empfindlich und schlafende Kinder bewegen sich zwar oft bei Berührung lebhaft, haben aber keine Erinnerung daran, wenn sie gleich darauf erwachen. Durch blosses Abkühlen oder Er- wärmen werden schlafende Kinder wie Erwachsene viel schwerer geweckt, als durch Berührungen. [372 Ähnliches gilt für den Vogelembryo im Ei. Doch ist hierbei eme von mir öfters gemachte Beobachtung geeignet die Annahme, dass der fast reife Hühnerembryo schon Kälte und Wärme unter- scheidet, zu stützen. Wenn ich nämlich ein Ei, in welchem be- reits das Hühnchen piept, ohne dass ein Anfang zum Sprengen desselben gemacht wäre, schnell abkühlte, wurde das Piepen oft viel lauter und anhaltender, hörte dagegen ganz auf, wenn das Ei wieder erwärmt wurde. Bei localer Steigerung der Eischalen- Temperatur aber durch Concentration der Sonnenstrahlen mit einer Linse begann wieder das charakteristische Piepen. Also unter- scheidet das Hühnchen am 20. und 21. Tage im unverletzten Ei Kälte und Wärme. Wegen der grossen Empfindlichkeit der Fisch- und Amphibien- Embryonen gegen Temperaturschwankungen des umgebenden Was- sers (8. 345 fg.) steht zu vermuthen, dass auch sie durch thermische Pieize schon früh (im Ei) zu Pieflexen veranlasst werden können. Das Schmeckvermö^eu des Fötus. 475 Das Schmeckvermögeii des Fötus. Den sichersten Beweis dafür, dass ein bis zwei Monate vor der Geburt der Fötus bereits des Vermögens Geschmacksem- pfindungen zu haben, sich erfreut, liefern Experimente von Kuss- maul an eben geborenen Sieben- und Acht-monatskindern. Er [so fand, dass sie auf Benetzung der Zunge mit Zuckerlösung ganz anders reagiren, als auf solche mit Chininlösung. In jenem Falle wölbten sie die Lippen schnauzenförmig vor, pressten die Zunge zwischen die Lippen und begannen behaglich zu saugen und zu schlucken. „Auf Chininlösung dagegen wurde das Gesicht ver- zogen. Bei leichteren Graden der Einwirkung contrahirten sich nur die Heber der Nasenflügel und der Oberlippe, bei stärkeren auch die Eunzler der Augenbrauen und die Schliessmuskeln der Augenlider; letztere wurden zusammengekniffen und selbst einige Zeit geschlossen gehalten. Der Schlund gerieth hierbei in krampf- hafte Zusammenziehung, die Kinder würgten, der Mund öffnete sich weit, die Zunge wurde, selbst bis zur Länge von einem Zoll, daraus her vorgestreckt, und die eingebrachte Flüssigkeit öfter sammt dem reichlich ergossenen Speichel wieder theilweise aus- gestossen. Zuweilen wurde der Kopf lebhaft geschüttelt, wie es Erwachsene thun, wenn sie von Ekel heimgesucht werden." Diese mimischen Bewegungen zeigten mehrere unreife Früchte, ebenso wie reife, namentlich ein Knabe, der im siebenten Monat geboren war und dessen rothe Haut noch Wollhaare bedeckten, dessen Hände blau und kalt waren. Auch Genzmer fand die Geschmacksempfindliclikeit der [52 bis zu acht Wochen vor dem Normaltermin geborenen Kinder für Bitter und Sauer nicht merklich stumpfer, als die reifer Früchte. Übrigens wurden bezüglich der Lebhaftigkeit der Reaction grosse individuelle Unterschiede bemerkt. Aber dass die ßeflexbahn vom Geschmacksnerven, wenigstens vqn den bitter-empfindenden und den süss-empfindenden Nervenfasern, auf die Bewegungsnerven der Gesichts-, Zungen-, Schlund-, Kiefer-Muskeln bereits zwei Monate vor der Geburt hergestellt und gangbar ist, wird hiernach nicht bezweifelt werden dürfen. Diese Folgerung ist um so werthvoller, als intrauterin schwerlich eine Gelegenheit zur Benutzung der Bahn oder eine wahre Geschmacksempfindung eintreten wird. Denn wenn auch das Fruchtwasser nicht, wie frühere Autoren [74 meinten, ununterbrochen dasselbe bleibt, also nicht darum dem 476 ^^^ embryonale Sensibilität. Embryo keine Geschmacksempfindungen erweckt, so dürfen doch die qualitativen und quantitativen Veränderungen der Zusammen- setzung des Fruchtwassers, welches der Fötus verschluckt, auch wenn man einen noch so grossen Spielraum ihnen gestattet, als starke Geschmacksreize nicht in Anrechnung gebracht werden, weil sie zu langsam geschehen. Die Grundbedingung für alle Nervenerregung und Empfindung, schnelle Änderung der Um- gebung des erregbaren Nervenendes, ist nicht verwirklicht, es sei denn, dass man dem Eötus zutraue, er unterscheide, ob er das verschluckte Fruchtwasser oder die eigene Mundflüssigkeit (Mund- schleim oder gar Speichel) im Munde habe. Schon deshalb wäre eine solche Annahme unberechtigt, weil weder das Fruchtwasser noch der Mundschleim einen starken Geschmack hat, Ebengeborene aber gegen schwache Ge- [52 schmacksreize sich indifierent verhalten. Ausserdem sondert der Fötus sehr wenig Speichel ab (S. 307). Wenn durch diese Erwägung das Zustandekommen einer Ge- schmacksempfindung oder nur eines Geschmacksreflexes vor der Geburt höchst unwahrscheinlich wird, so kann darüber doch kein Zweifel bleiben, dass die Endigungen der Schmecknerven schon intrauterin objectiv durch adäquate Reize schwach erregt werden. Die Amniosflüssigkeit enthält salzig, laugenhaft schmeckende, durch den etwa beigemischten Fötalharn wohl auch bittersüsse und säuer- liche Stofi'e in Lösung. Wenn diese Lösung, wie es der Fall ist, sehr häufig über den Zungenrücken in die Sj^eiseröhre gleitet, werden die Endigungen des Geschmacksnerven in der Zunge schwach erregt werden müssen und die Keaction des Neugeborenen gegen diese Geschmacksreize, wenn sie stark sind, erscheint da- durch verständlicher. Es kommt ihm vielleicht eine unklare Er- innerung an die sich summirenden intrauterinen Erregungen zu Statten. Dagegen ist die Entstehung einer Geschmacksempfindung durch innere inadäquate Reize vor der Geburt nicht annehmbar. Denn eine solche ist beim gesunden Erwachsenen im wachen Zu- stande sehr selten, auch im Traume nicht häufig imd dann durch Erinnerungen bedingt. Geschmackshallucinationen bei Geisteskrank- heiten und Vergiftungen (namentlich nach Santonin) sind relativ [53 selten, und wenn auch Magendie und ich selbst bei Säugethieren nach subcutaner Injection stark schmeckender Stoffe, von denen nichts in den Mund kam, lebhafte, kauende, leckende, schmatzende schluckende Bewegungen wahrnahmen, so handelt es sich doch Der Geruchsinn vor der Geburt. 477 dabei wahrscheinlich um adäquate Erregung der Schmecknerven auf ungewöhnlichem Wege, nämlich vom Blute aus. Dem Embryo fehlt auch zu solcher Geschmacksreizung die Gelegenheit, wenn die Mutter, wie es die Regel ist, sie nicht an sich selbst erlebt. Dass übrigens für das Zustandekommen der Geschmacksreflexe beim Frühgeborenen das Grosshirn nicht erforderlich ist, beweist eine wichtige Beobachtung von Prof. 0. Küstner, welcher den be- reits (S, 437) erwähnten Aneucephalus, nachdem er ihm Glycerin auf die Zunge gepinselt hatte, den Mund spitzen sah. Dabei wurde die Zunge zwischen die Alveolarfortsätze gelegt und wieder zurückgezogen, dann wieder dazwischengelegt usf. Nach Aus- wischen des Mundes wurde Essig auf die Lippen und die Zunge gebracht. Dieses hatte Aufreissen des Mundes und wiederholtes Hervorstrecken der Zunge zur Folge. Dabei war das ganze Gesicht cyanotisch, die Conjunctiva bulbi beiderseits injicirt. Die Lidspalte liess nämlich den Bulbus beiderseits bis etwa zur Hälfte der Iris sichtbar werden. Diesem Anencephalus fehlten dem Sectionsbericht von Prof. 0. Binswanger zufolge, die Brücke, die Hirnschenkel, die Yierhügel und der Rückentheil des Mittelhirns völlig, alle Theile des Gross- hirnmantels (ausser kleinen Resten der vorderen Pole beider Stirn- lappen) und der ganze Stammtheil der Hemisphären. Somit müssen die Geschmacksreflexe mit Unterscheidung der beiden Geschmacksqualitäten süss und sauer ohne das Grosshirn zu Stande kommen können. Über den Geschmacksinn reifer Neugeborener wurde an anderer Stelle ausführlich berichtet. [372 Der Geruchsinn vor der Geburt. Da die Anfüllung der Nasenhöhle mit einer stark riechenden Flüssigkeit nicht nur keine Geruchsempfindung, sondern auch eine erhebliche Verminderung der Empfindlichkeit für Gerüche zur Folge hat, wie E. H. Weber fand, so kann es nicht zweifel- haft sein, dass vor der Geburt die Aerozoen durch keinen objec- tiven Geruchsreiz eine Geruchsempfindung erfahren. Denn beim Fötus enthält bis zur Geburt die Nasenhöhle keine Luft. Die Grundbedingung für das Zustandekommen einer Geruchsempfindung durch äussere Reizung beim Menschen, das Einathmen gasiger 478 Die embryonale Sensibilität. Stoffe, fehlt gänzlich. Die Nasenhöhle ist wie die Mundhöhle vor der Geburt mit Fruchtwasser angefüllt, sofern sie ein Lumen hat. Dagegen ist die Möghchkeit der Erregung des Riechnerven durch innere inadäquate Reize vorhanden. So wäre es denkbar, dass im reifen Fötus Änderungen des Blutstroms oder der G-e- webespannung theils peripher, theils central subjective G-erüche veranlassen könnten. Aber dieselben sind im höchsten Grade [53 unwahrscheinlich, weil bei gesunden erwachsenen Menschen der- artige innere Reizungen des N. olfactorius im wachen Zustande zu den grössten Seltenheiten gehören, namentlich im Traum ohne eine directe Beziehung zu riechenden Stoffen in der Umgebung nach vielen Erkundigungen, die ich darüber einzog, nicht oft vorkommen, und wenn es der Fall ist, durch persönliche Erinnerungen, wie andere Träume, enstehen. Der Embryo kann aber solche Geruchs- Erinnerungen nicht haben. Ferner sind Geruchshallucinationen bei Gehirnkrankheiten und Vergiftungen (z. B. mit Santonin) im Yer- hältniss zu anderen Hallucinationen selten; endlich ist zu be- denken, dass der Embrj^o, selbst wenn er das Vermögen besitzt, irgend eine Riechnervenerregung zu empfinden, wegen der Langsam- keit der Änderungen, welche als Reize wirken könnten, nicht in günstiger Lage für das Zustandekommen solcher Reizungen sich befindet. Also Geruchsempfindungen treten vor der Geburt beim Men- schen nicht ein. Für den menschlichen achtmonatlichen (frühgeborenen) Fötus ist aber die Erregbarkeit des ersten Hirnnervenpaares fest- gestellt. Denn Kussmaul bemerkte bei ihm während des [so Schlafes, wie beim reifen Neugeborenen, wenn die Düfte der Asa foetida oder des Dippel'schen Öles in die Nase eingeathmet wur- den, unzweideutige Äusserungen der Unlust. Die Fähigkeit, Geruchsempfindungen zu haben, ist demnach vor der Geburt vorhanden. Es fehlt jedoch die Gelegenheit, sie zu verwerthen. Bei den Embryonen der Hydrozoen, zumal der Fische, mag es sich anders verhalten. Da können vielleicht 'die Riechnerven, wie bei Erwachsenen, durch objective Reize erregt werden, und das Hühnchen, welches vor dem Ausschlüpfen stundenlang Luft athmet, kann sehr wohl sogleich nach demselben riechen. Denn es macht oft Abwehr- und Schluck-Bewegungen, wenn man ihm flüchtige Substanzen mit charakteristischem Geruch vorhält, z. B. Der Geruclisinn vor der Geburt. 479 Propionsäure, Ammouiakwasser, Jodtinctur, Essigsäure ; oft schüttelt es energisch den Kopf, wenn der Reiz stark ist und pickt nach dem Glase, welches die flüchtige Substanz enthält. Das leere Schlucken spricht für eine Erregung der Geschmacksnerven, um so mehr, als ein vor dem 21. Tage ausgeschlüpftes normales Hühnchen, dem ich die Nasenöffnungen verklebte, nachdem es alle die erwähnten Eeactionen gezeigt hatte, sie noch zeigte, wenn auch schwächer, obwohl es nicht mehr durch die Nasenöffnungen athmen konnte. Da es aber (mit Augenschliessen, Schlucken, Piepen, Kopfschütteln) viel langsamer auf Thymol, Kampher und Asa foetida antwortete, als nach Entfernung des verschliessenden Fettes, so ist eine Betheiligung des Olfactorius (nicht allein der Nasalzweige des Trigeminus) höchst wahrscheinlich. Übrigens sind diese Versuche, auch an zwei bis drei Wochen alten Hühn- chen, nicht leicht auszuführen wegen der Lebhaftigkeit der Thierchen. Werden sie festgehalten und gefesselt, dann treten leicht ßeflexhemmungen ein, so dass sie auf keinen Geruchsreiz reagiren. Die dem Uterus kurze Zeit vor der zu erwartenden Geburt entnommenen, abgenabelten und im Brütofen gehaltenen Früchte des Kaninchens und Meerschweinchens geben nach meinen Be- obachtungen meistens schon nach einer Stunde, wenn sie vom Anfang an gut athmeten, unzweideutige Zeichen ihres ßiechver- mögens, verhalten sich aber unter denselben äusseren Umständen individuell ungleich. Einige schleudern den Kopf förmlich nach rückwärts empor, wenn die Dämpfe des Amylnitrit, der Propion- säure, des Chloroforms in geringer Menge ihrer Einathmungsluft beigemischt werden und wenden bei Wiederholung des Versuchs, die Öffnung der Flasche, welche eine jener Flüssigkeiten enthält, dem blinden Thierchen zu nähern, energisch den Kopf jedesmal ab, andere lassen sogar nach dem ungewohnten Eindruck die Stimme hören und werden sehr unruhig. Manche ebenso lebhafte Kaninchen, Geschwister der erwähnten, antworten dagegen erst nach mehrere Secunden langen Pausen durch solche Reflexbeweg- ungen oder auch garnicht deutlich auf die Geruchsreize. Selbst diejenigen vorzeitig künsthch geborenen Kaninchen, welche ich lange Chloroform enthaltende Luft athmen liess, so dass sie be- reits ruhig wurden, reagirten doch öfters sofort durch schnelle Kopf bewegungen auf Amylnitrit, dessen Dämpfe ich in ihre Nase mit der Luft, die sie athmeten, einströmen liess. Schon nach dem ersten Riechversuche der Art pflegt aber eine Abnahme der 480 Die embryonale Sensibilität. Erregbarkeit des Olfactorius einzutreten, welche sich durch längere Dauer der ßeflexzeit und Ausbleiben aller Reflexe kund gibt. Über das Geruchsvermögen reifer ISTeugeborener wurde an anderer Stelle berichtet. [372 Der Gehörsinn Tor der Geburt. Während der Sehsinn und der Riechsinn des Embryo im Uterus durch keine adäquate Reizung in Thätigkeit gerathen können, sind für den Hörsinn mehrere Vorgänge als objective Reize angebbar, welche theils mit dem unbewaffneten Ohr, theils mittelst des Stethoskops und des Mikrophons wahrgenommen werden, nämlich der Aortenpuls und die fortgeleiteten Herztöne der Mutter, das Uteringeräusch, Darmgeräusche derselben durch Gasentwicklung und Peristaltik, auch Muskelgeräusche, ferner das jSTabelschnurgeräusch, die fötalen Herztöne, die abgebrochenen Geräusche bei der Fruchtbewegung. Dazu kommt die Stimme der Mutter und äussere durch Reibung der Kleidungsstücke und Körperberührung bedingte Schallerzeugung. Es konnte daher die Frage aufgeworfen werden, ob der Fötus etwa schon vor der Geburt irgend weiche Schallempfindung [53 durch den einen oder den anderen von diesen Schallreizen erhalte und nicht taub sei (Portal). [14 Völlig widerlegen lässt sich zwar eine solche Annahme zur Zeit nicht, aber ihre Unwahrscheinlichkeit geht aus dem Verhalten der Neugeborenen gegen Schalleindrücke hervor. [372 Denn die meisten sind in der ersten Stunde nach der Ge- burt gegen die stärksten Hautreize gleichgültig, reagiren in keiner Weise auf die lautesten Geräusche. Man könnte zwar diese Un- empfindlichkeit von der plötzlichen Änderung des Mediums her- leiten wollen: vorher werde der Schall durch das Fruchtwasser, jetzt durch die Luft dem Ohre zugeleitet und diese Verschlechte- rung der Leitung sei schuld an der temporären Taubheit des [249 Neugeborenen. Aber von mehreren Forschern ist festgestellt [90.247 worden, dass vor der Geburt die Paukenhöhle derartig mit einer zähen Masse oder Gallertgewebe und dann lockerem Binde- [88. 89 gewebe angefüllt ist, dass von einem freien Lumen derselben und Fortleitung der Schallwellen durch das Trommelfell und die Gehörknöchelchen nicht die Rede sein kann. Es kommt also für die fraglichen intrauterinen Schallem- pfindungm nur noch die Kopfleitung in Betracht. Da aber nach Der Geliörsinn vor der Geburt. 481 meinen Beobaclitiingen an gut hörenden Kindern während der ersten Säughngsperiode das Ticken einer Tascheniüir und das Schwingen einer Stimmgabel durch Kopfleitung nicht percipirt wird, so ist es höchst unwahrscheinlich, dass eine auf diesem Wege etwa zu Stande kommende Erregung des Hörnerven vor der Geburt schon eine Schallempfindung nach sich ziehe. Ebenso wird intrauterin eine solche durch innere Reizung schwerlich zu Stande kommen. Der menschliche Fötus hat vor seiner Geburt keinerlei Schall- empfindungen; der ganze Complex der zum Hörorgan gehörigen Theile bleibt bis nach dem Beginn des Luftathmens functionslos, wie das Auge. Soviel lässt sich mit einer die Gewissheit streifen- den Wahrscheinlichkeit behaupten. Aber die Erregbarkeit des Hörnerven und die Fähigkeit Schall zu empfinden oder wenigstens auf Schallreize in unzwei- deutiger Weise zu reagiren, ist schon einige Zeit vor der Geburt vorhanden und bethätigt sich, wenn die Luftathmung so eingeleitet wird, dass durch die Eustachische Röhre Luft in das Mittelohr gelangt. Unreife durch künstlich herbeigeführten Abortus erhaltene Meerschweinchen -Embryonen habe ich geradeso wie reife Neu- geborene, nur schwächer, auf Schallreize antworten gesehen. Der charakteristische von mir (1878) beschriebene Ohrmuschelreflex [53 trat bei dem ersten Fötus deutlich 19 Minuten nach der Geburt ein und fehlte noch gänzlich vier Minuten nach derselben. Bei dem zweiten wurde gleichfalls dieser akustische Reflex gerade nach 19 Min. deutlich, nach 16 Min. war noch keine Spur davon zu sehen, bei dem. dritten nach acht Min. noch nicht. Die Prüfung geschah mittelst eines lauten Klanges, durch Anschlagen eines Eisenstäbchens an einen kleinen Glastrichter dicht am Ohr, und wurde von der Geburt an fast von Minute zu Minute wiederholt, so dass ich mit voller Sicherheit den Zeitpunct des ersten Auf- tretens dieses Gehörreflexes constatiren konnte, zumal beim zweiten Fötus, da der erstgeborene schon reagirende zur Controle benutzt* wurde. Die Ohrmuschel zeigte kurz nach dem Erklingen des Tones eine momentane Gestaltänderung, indem ihr vorderer oberer Rand sich nach der Mittellinie des Körpers zu umlegte und wenig- stens eine Zuckung dieses Theiles der Ohrmuschel wahrnehmbar wurde. Denselben Reflex gab mir eine aus dem Winterschlaf nicht völlig erwachte Fledermaus für alle Stimmgabel - Töne von 1000 bis 37 000 Doppel-Schwingungen in der Secunde. Aus diesen Versuchen ergibt sich die Erregbarkeit des Hör- Preyer, Physiologie des Embryo. 31 482 I^iß embryonale Sensibilität. nerven und die Gangbarkeit des Reflexbogens von ihm auf die Ohrmuskelnerven vor Ablauf der ersten halben Stunde des extra- uterinen Lebens auch bei unreifen Früchten der Cavia cohaya. Dieselben waren wenigstens eine Woche zu früh geboren und hatten noch keine Milch erhalten, keine Saugbewegungen gemacht. Mit dem Ingangkommen der Lungenathmung wurde der Ohrreflex immer deutlicher. Bei zwei zusammen 173 Grm. wiegenden, aus dem Uterus geschnittenen, gleichalten Cobaya-Embryonen war der Reflex 56 und 75 Min. nach der Geburt so stark, dass anfangs jedesmal beim Erklingen des Glases die Thiere zusammenfuhren und nach sehr häufiger Wiederholung der Probe noch die Ohr- muschelbewegung machten. In einem anderen Falle reagirte ein Fötus nach etwa 15, ein asphyktisch geborener erst nach 40 Min. deutlich. Bei den dem Uterus entnommenen der Geburt nahen, sonst auf allerlei Reflexreize prompt antwortenden Kaninchen- Embryonen habe ich dagegen weder den Ohrmuschelreflex, noch irgend eine andere Antwort auf starke Schallreize innerhalb der ersten Stunden bemerkt, was um so mehr auffällt, als das er- wachsene (wilde) Kaninchen sehr scharf hört. Allein schon das Stärkerwerden der Reflexbewegung und, wie ich nach Schätzungen hinzufügen kann, die bald kürzer werdende Reflexzeit trotz gleichbleibender Reizstärke innerhalb der ersten Lebensstunde beim Meerschweinchen spricht dafür, dass die Reflex- bahn vor der Geburt nicht gangbar ist. Wenn ich trotzdem die Vermuthung einmal aussprach, [53 dass vielleicht einige Säugethiere schon ehe sie geboren die Stimme ihrer Mutter vernehmen könnten, so möchte ich jetzt, nachdem reichere Erfahrung zu Gebote steht, dieser Möglichkeit kein Gewicht beilegen. Die brüllende Löwin kann durch Er- schütterung ihr Junges im Uterus vielleicht erregen, aber zu einer Gehörsempfindung wird es nicht kommen, da trotz der zur Schall- i"ortpflanzung an das äussere Ohr keineswegs ungünstigen Be- dingungen die Schallwellen das innere Ohr des Fötus nicht er- reichen. Denn die Trommelhöhle enthält keine Luft, ehe geathmet worden und die Kopfleitung ist höchst unwahrscheinlich. [42 Anders die Vögel. Das Hühnchen folgt sehr bald nach dem Ausschlüpfen dem Lockruf der Henne. Es hat aber schon ein bis zwei Tage vor dem Sprengen des Eies mit den Lungen ge- athmet (bis zu 90 mal in der Min.) und mehrere Stunden vor dem Austritt aus dem Ei seine eigene Stimme ertönen lassen. Der Gesichtsinn vor der Geburt. 483 Weiteres über das Hörvermögen reifer neugeborener [91.294 Menschen und Thiere wurde an anderer Stelle berichtet. [372,52 Die ziemlich zahlreichen anatomischen Untersuchungen des Ohres frühgeborener und reifer Kinder von Wreden, Wendt, Tröltsch, Urbantschitsch, Moldenhauer, Lesser u. A. zeigen über- einstimmend, so sehr sie in Einzelheiten voneinander abweichen, dass sehr häufig der fötale Charakter des Mittelohrs mit dem schräg gestellten Trommelfell längere Zeit nach dem Beginne der Luftathmung persistiren kann und andererseits allein aus dem Vorhandensein von Luft in der Paukenhöhle der Leiche in keinem Falle auf die Dauer des extrauterinen Lebens sichere Rückschlüsse gemacht werden können. Die Ohrenprobe hat schon deshalb nur einen untergeordneten forensischen Werth, weil auch beim Fehlen der Luft in der Trommelhöhle doch schon Luft geathmet worden sein kann, dann nämlich, Avenn die Eustachische Eöhre noch nicht durchgängig war. Der Gesichtsinn vor der Geburt. Alle Säugethiere sind bis zu ihrer Geburt ohne Unterbrechung in einem finsteren Raum eingeschlossen, so dass selbst im Falle ihre Augen schon während der intrauterinen Zeit offen wären, keine Lichtempfindung durch adäquate Erregung der Sehnerven zu Stande kommen kann. Denn wenn man sich in einem völlig finsteren Räume befindet, so ist es gleichgültig für die Empfindung des Schwarz, ob man die Augen geschlossen oder offen hat. Die Fähigkeit, das Lid zu heben, ist sicher schon vor der Geburt vorhanden. Denn frühgeborene Kinder öffnen die Augen oft gleich nach der Geburt und unterscheiden nach Kussmaul's [so Beobachtungen (1859) Hell und Dunkel. Viele Säugethiere dagegen werden bekanntlich, wie die Hunde, Katzen, Kaninchen, Mäuse, [12 Fledermäuse, mit fest verschlossenen Augenlidern geboren. Beim Menschen sind vor der Geburt die Lider vom sechsten Monat an nicht mehr verklebt. [100.14 Im Gegensatz zu den Säugethieren werden die Vögel, welche in offenen dem Sonnenlicht ausgesetzten Nestern brüten, schon vor dem Sprengen der Schale eine objective Sehnervenerregung und eine schwache Lichtempfindung haben, zumal wahrscheinlich bei keinem Vogel das Auge bis zum Ausschlüpfen geschlossen bleibt. Die weissen Eierschalen sind sehr leicht durchgängig für Sonnenstrahlen (S. 14). 31* 484 Die embryonale Sensibilität. Auch Amphibien, Fische und andere mit offenen oder von durchscheinenden Lidern bedeckten oder lidlosen Augen das durch- sichtige Ei verlassende Thiere werden vor dem xluskriechen eine objective Sehnervenreizung durch Lichtstrahlen erfahren müssen. Hier wirkt der adäquate Reiz schon auf das embryonische Organ ein, was bei keinem Säugethier der Fall ist. Daraus folgt aber noch nicht, dass dem Fötus der Säuge- thiere vor der Geburt alle Lichtempfindung fehlen müsse. Nicht nur die Erregbarkeit der Netzhaut, sondern auch die Fähigkeit, Licht zu empfinden, ist schon zwei Monate vor dem [5o normalen Geburtstermin vorhanden. Denn ein unreifes Sieben- monatskind wendete 24 Stunden nach der Geburt in der Dämme- rung den vom Fenster abgewendeten Kopf auch bei veränderter Lage wiederholt dem Fenster und Licht zu. Und bei einem [52 Achtmonatskind wurde mit dem Wechsel der Lichteindrücke gleich nach der Geburt die Pupille verengert und erweitert. Auch bei den von mir kurz vor dem Ablauf der Tragzeit ausgeschnit- tenen Meerschweinchen verengerten sich die Pupillen, wenn helles Licht einfiel und sie erweiterten sich wieder im Schatten. Bei den längere Zeit vor dem normalen Geburtstermin excidirten Meerschweinchen verändert sich hingegen die Pupillenweite nicht im directen Sonnenlicht und im Schatten. Wahrscheinlich sind dann die Yierhügel, der Opticus, die Retina noch nicht genügend entwickelt. Diese Reactionslosigkeit fand ich bei Embryonen mit ziemlich harten Zähnen, dichten Haaren, Nägeln und dunkelbrauner Iris. Physostigmin und Nicotin wirkten dann bereits nach localer Application. Bei dem von mir beobachteten Anencephalus , wel- chem die A^ierhügel fehlten, bewirkte das directe Sonnenlicht nicht die geringste Veränderung der Pupille. [372,455 Die normalen reifen neugeborenen Meerschweinchen flüchten sich in dunkele Ecken. Starke Lichteindrücke müssen demnach gleich nach der Geburt Unlust bewirken. Beim künstlich vor der Reife extrahirten Embryo, der die Augen weit offen haben kann, ist dagegen das Licht nicht so wirksam. Ich habe ihn das Auge anfangs im Hellen weit offen halten gesehen, was übrigens auch bei fast vollendeter Entwicklung (harten Zähnen, grossen Nägeln, dichtem Fell) vorkommt. Öfter sah ich den mit geschlossenen Lidern extrahirten Embryo, als directes Sonnenlicht oder helles Gaslicht auf denselben wirkte, die Lider fester zukneifen, was für eine Lichtempfindlichkeit vor der Reife spricht. Die Iris aller nahezu reifen Meerschweinchen, die ich aus dem Uterus heraus- Der Gesichtsinn vor der Geburt. 485 nahm, fand ich dunkelbraun. In diesem Falle entsteht also das Irispigment nicht, wie es meistens beim Menschen der Fall ist, postnatal. Dass die Pupillenverengei-ung durch Licht beim vorzeitig excidirten fast reifen Fötus nach Atropinisirung vor der Geburt ausbleibt, be- weisen Versuche wie die S. 211 erwähnten. Nachdem die Pupillen des hochträchtigen Mutterthieres maximal erweitert waren und sich im directen Sonnenlicht nicht verengerten, schnitt ich die fast reifen Früchte aus und fand bei allen die Pupillen weit und unemjsfindlich gegen directes Sonnen- licht. Auch hatte nachträgliches locales Atropinisiren eines Auges keine Zunahme der Pupillenweite zur Folge. Also wirkt Atropin vor der Geburt wie nach der Gebm-t mydriatisch. In dem ersterwähnten Fall (S. 211) starben die vier Thiere in der Nacht nachher, und am folgenden Morgen waren alle Pupillen ausser der des direct nachträglich atropinisirten Auges wieder verengt. Wenn nun schon lange vor der Geburt die Netzhaut erreg- bar und die Fähigkeit, Licht zu empfinden, vorhanden ist, ohne dass doch jemals ein Lichtstrahl in das Auge gedrungen wäre, dann können inadäquate intrauterine Keize möglicherweise wirk- sam sein. Wie beim Geborenen ein Druck, ein Stoss, ja schon eine Steigerung des intraoculären Drucks subjective Lichtempfin- dungen, die Phosphene, veranlassen kann, so könnte auch in dem durch die lange Euhe vielleicht besonders empfindlichen Sehorgan des nahezu reifen Fötus durch innere Keize eine Netzhauterregung zu Stande kommen. Sein Gesichtsfeld ist, falls er nur wach ist, schwarz, und diese Schwärze selbst schon eine Empfindung, durch schwache Sehnervenerregung bedingt, aber allerdings erst dann, wenn sie mit anderen Lichtempfindungen verglichen worden. Sie wechselt von der tiefsten Finsterniss bis zu Grau. In diesem Schwarz können möglicherweise subjective Lichterscheinungen dann und wann in und vor der Geburt auftreten. Aber sie können nur accidentell und von keiner Bedeutung für die Bethätigung des Lichtempfindungsvermögens nach der Geburt sein und fehlen wahr- scheinlich normalerweise wegen des festen intrauterinen Schlafes. Bis zuletzt ist auch die unvollkommene Functionsfähigkeit des [92 Tr actus opticus wahrscheinlich der Fortleitung von Netzhauter- regungen in das Centrum, zunächst in die Vierhügel und dann in die künftige erst nach der Geburt sich ausbildende Sehsphäre hinderlich. Daher steht zu vermuthen, dass ein bis zwei Monate zu früh geborene Kinder viel langsamer geringe Helligkeitsunter- schiede und Farben erkennen lernen, als reife. Näheres über die Lichtempfindlichkeit reifer Neugeborener wm'de an anderer Stelle berichtet. [372,^.273 B. Geraeingefülile Yor der Geburt. Für das Zustandekommen mehrerer Gemeingefühle scheinen schon viele Wochen vor der Geburt beim menschlichen Fötus die Bedingungen grossentheils verwirklicht zu sein. Aus den mimischen Reactionen unreifer Neugeborener auf [5o bittere Stoffe, welche unmittelbar nach der Geburt in den Mund gebracht wurden, folgt zwar nicht, dass sie mit einem Ekelgefühl verbunden seien — auch der hirnlose Neugeborene reagirt ähn- lich auf Essig (S, 477) — aber dass eine Art Unlustgefühl niederen Grades dabei auftritt und nach Einführung von Zucker- lösung oder Gljcerinwasser das Gegentheil, eine Art Lustgefühl niederen Grades , kann nicht als unwahrscheinlich bezeichnet werden. Dann kann man aber das Vermögen, Lust und Unlust zu unterscheiden, dem Fötus nicht absprechen und es liegt nahe, jeder reflectorischen Abwehrbewegung ein dunkles Unlustgefühl als steten Begleiter zuzugesellen. Ob der Fötus, wenn auch nur in den beiden letzten Monaten, irgendwelche Gelegenheit habe^ wirklich Unlust zu empfinden, ist jedoch zweifelhaft. Denn dass er seinen eigenen Harn mit Fruchtwasser vermischt zu dieser Zeit verschluckt, fast überall gedrückt wird, wenn er sich rührt, würde in Erwägung, dass er sich daran allmählich gewöhnt hat, zur Entstehung des Unlustgefühls selbst dann nicht ausreichend sein, wenn die Frucht sich dieser Thatsachen bewusst wäre. Wahrscheinlich ist es, dass erst nach der Geburt die erste Regung des Unlustgefühls sich geltend macht. Aber aus den obigen Ex- perimenten folgt unzweideutig, dass vor derselben die Fähigkeit, Lust und Unlust zu unterscheiden, besteht, sonst würden nicht nach Reizung derselben Zunge zuerst mit Chinin, dann mit Zucker zweckmässige Abwehrbewegimgen und Saugbewegungen gemacht Gemeingefühle vor der Geburt. 487 werden. Sie ist also pränatal und ererbt und im eigentlichen Sinne angeboren. Dasselbe gilt vom Hunger. Mit Unrecht wird behauptet, [53 der Ungeborene könne den Hunger nicht kennen. Denn woher sollte ihm wohl genügende Nahrung zugeführt werden, wenn die Mutter hungert oder viel Blut verliert? Welche Stoffe es auch sein mögen, die in der Placenta behufs Ernährung des Fötus aus dem mütterlichen Blute in die fötalen Capillaren übergehen, ihre Mengen müssen je nach dem Ernährungszustande der Mutter Schwankungen unterliegen. Es ist wenigstens unwahrscheinlich, dass die Frucht vor der Mahlzeit der Mutter gerade so viel Nährmaterial in ge- gebener Zeit erhalte, als nach derselben. Also wird der Fötus das eine Mal ein stärkeres Nahrun gsbedürfniss haben können, als das andere Mal. Diese Bedingung für das intrauterine Zustande- kommen des Hungers wäre somit erfüllt. Die andere freilich, ein des Hungergefühls und Sättigungsgefühls fähiges Sen- sorium, ist, wenn der Fötus schläft, nicht annehmbar. Er könnte aber durch anhaltende Verminderung der Nahrungszufuhr geweckt werden wie durch Sauerstoffhunger. Den Durst kennt der stets vom Fruchtwasser umspülte Fötus gewiss nicht. Aber er ver- schluckt wahrscheinlich mit dem zunehmenden Bedarf seines schnell wachsenden Körpers an Wasser immer grössere Frucht- wassermengen, weil durch die Resorption vom Magen aus das im Ösophagus und in der ßachenhöhle nach seiner xinfüllung zurück- gebliebene „innere" Fruchtwasser (S. 253) das Nachrücken neuer Portionen des „äusseren" Fruchtwassers zur Folge hat. Das Muskelgefühl kann dem reifen Fötus nicht abgesprochen werden, weil derselbe sich bewegt. Doch lässt sich Näheres da- rüber noch nicht aussagen. Schmerz empfindet auch der reife Fötus ohne Zweifel nur in geringem Grade, weil der Neugeborene auf starke Hautreize, wenn sie localisirt sind, nur schwach reagirt. Da aber frühgeborene Kinder und der Anencephalus auf starke ausgedehnte Hautreize, z. B. einen Schlag mit der Hand, durch Unruhe, auch Schreien antworten, so ist es wahrscheinlich, dass der Fötus etwas Schmerz empfinden kann, wenn er nicht zu wenig entwickelt ist. C. Das Schlafen und Erwachen Tor der Geburt. Schläft der menschliche Fötus ohne Unterbrechung bis zur Stunde seiner Geburt? oder erwacht er dann und wann schon vor derselben? Kann er im Uterus stundenlang wach sein? Das sind Fragen, welche bis jetzt keine befriedigende Antwort fanden. Durch sorgfältige Abwägung der Wahrscheinlichkeitsgründe scheint aber eine bestimmte Antwort nicht unmöglich. Über die Ursachen des Schlafes und die Unterschiede des- selben vom wachen Zustande mögen die Meinungen noch so sehr auseinander gehen, darüber ist nicht gestritten worden, dass bei möglichster Abwesenheit äusserer Reize im finsteren stillen Kaum, auf weichem Lager, in reiner Luft ein durch vorhergegangene körperliche oder geistige Anstrengung stark ermüdeter und gesunder Mensch in der Eegel bald einschlafen wird und dass die Ein- wirkung starker Reize, wie blendend hellen Lichtes, lauter Ge- räusche, steinigen Ruhelagers und übler Gerüche auch beim Ermüdeten das Einschlafen erschwert. Es gibt aber viele gesunde Menschen, welche auch unter diesen Umständen bei hochgradiger Ermüdung einschlafen, und alle, die sich die gewohnte Nachtruhe nur ein paarmal versagt haben, werden durch sehr starke, wech- selnde und anhaltende äussere Reize schliesslich am Einschlafen nicht verhindert. Also ist im Allgemeinen zwar die Abwesenheit äusserer Reize für das Einschlafen günstig, aber nicht unerlässlich. Ermüdung oder ein ihr verwandter Zustand, welcher auf An- strengungen jedesmal folgt und während des Wachseins — das schon eine Art Anstrengung ist — sich vorbereitet, muss dagegen als nothwendige Vorbedingung des Einschlafens angesehen werden. Hieraus folgt natürlich keineswegs, dass Schlaf in jedem einzelnen Falle unmittelbar auf Ermüdung folgen müsse. Gar manche an Das Schlafen und Erwachen vor der Geburt. 489 hartnäckiger Agrypnie leidende Menschen können oft trotz der Ermüdung und Abwesenheit äusserer Reize nicht einschlafen. Bei diesen ist die Erregbarkeit der Nerven abnorm erhöht, so dass schon die durch den Blutstrom und die Muskeln verursachten inneren Reize, besonders entotische Geräusche, die Berührungen der Haut durch das Lager, Gemeingefühle und die Erinnerung an vergangene Sinneseindrücke ausreichen, den wachen Zustand zu erhalten. In dem pathologischen Zustande der Übermüdung ist dieses die Regel. Nimmt man hinzu, dass Unermüdete, welche durch einen langen natürlichen tiefen Schlaf sich erquickt haben, auch bei Abwesenheit äusserer Reize nur sehr schwer oder garnicht so- gleich wieder einschlafen können, so lassen sich bezüghch des gewöhnlichen Einschlafens ohne künstliche Mittel folgende Sätze als sicher hinstellen: I. Ermüdete schlafen bei Abwesenheit starker äusserer Reize leicht ein; IL Nimmt die Ermüdung (durch lange Dauer des Wachseins) zu, so pflegt, auch wenn starke Reize fortdauern, Schlaf ein- zutreten; in. Übermüdete schlafen oft auch bei Abwesenheit starker äusserer Reize nicht leicht ein; lY. Unermüdete schlafen auch bei Abwesenheit äusserer Reize nicht leicht ein; V. Alles Wachsein ist nothwendig mit einem Ermüden, sei es der Muskeln, sei es der Sinnesorgane und des Gehirns, verbunden. Denn alles Wachsein erfordert ein Thätigsein und Thätigkeit be- wirkt regelmässig Ermüdung. Von diesen Sätzen findet auf den Fötus keine Anwendung nur der dritte, weil ihm die Möglichkeit, sich (durch anhaltende Anstrengung) in den Zustand der Übermüdung zu versetzen, fehlt. Die vier anderen Sätze sind zu discutiren. Zunächst kann in der ersten Zeit des Embryo - Lebens ein Wachsein und Schlafen nicht unterschieden werden, weil die Er- regbarkeit der Oberfläche und der sämmtlichen Sinnesnerven, selbst wenn Reize da wären, sich noch nicht ausgebildet hat. Während der Entwicklung steigt die Erregbarkeit, wie ich sicher feststellte, gegen das Ende der Fötalzeit zu immer schneller. Da aber die Reize, ausser den durch Berührung gegebenen, nicht an Intensität und Mannigfaltigkeit zunehmen, so ist ein Grund für die Ermüdung des Fötus durch Sinnes- oder gar Gehirn-Thätigkeit 490 ^^^ embryonale Sensibilität. nicht vorhanden. Denn mag man den Berührimgsempfindungen einen noch so grossen Spielraum gewähren, niemand wird behaupten, dass sie eine anstrengende Gehirnthätigkeit beim Eötus zur Folge haben. Thermische Reize fehlen gänzlich; ebenso können optische, akustische, Geruchs -Eindrücke garnicht, Geschmacksreize kaum als Gegenstand einer Anstrengung des fötalen Sensorium in Be- tracht kommen. Die Muskelcontractionen sind unter allen Um- ständen, mit Ausnahme der Herzthätigkeit , welche hierbei nicht mitgerechnet werden darf, gering und können keine merkliche Ermüdung herbeiführen. Es könnte hiernach scheinen, dass der Eötus, weil er weder durch die Functionen seiner Sinnesorgane, noch durch Muskel- arbeit ermüdet ist, nicht zum Einschlafen komme laut Satz IV. Eine solche Schlussfolgerung wäre jedoch völlig unberechtigt. Denn mit irgend etwas muss das wache Gehirn sich beschäftigen, sonst ist es nicht wach, entweder mit gegenwärtigen oder mit vergangenen Empfindungen und deren Nachwirkungen, zugehörigen Vorstellungen u. a. Woher sollte nun dem Fötus dieses zum Wachsein unerlässliche Material kommen? Er hat keine Ge- legenheit, ausser durch Berührungen von höchst gleichförmigem Charakter, eine Empfindung seines Zustandes zu erfahren; seine Bewegungen sind vielleicht zum Theil durch diese Berührungen veranlasst, aber Niemand wird selbst in diesem Fall annehmen Avollen, dass der Fötus, nachdem einmal die Glieder bewegt worden, über diese Motion nachdenke oder gar eine folgende plane. Es ist eben nichts da, um den Zustand des Wachseins, sollte er ein- mal durch ungewöhnliche Reize von aussen oder krankhafte plötzliche Änderungen von innen herbeigeführt werden, zu er- halten. In Ermangelung von Beschäftigung muss der Fötus in einen schlafähnlichen Zustand gerathen. Denn für ihn, wie für jedes lebende AVesen gilt Satz V, demzufolge Wachsein irgend- welches Thätigsein ermüdungsfähiger Theile verlangt. Aber widerspricht nicht diese Behauptung, dass der Fötus immerzu schläft oder höchstens mit ganz kurzen Pausen ununter- brochen schläft, dem Satz IV? Soll ein IJnermüdeter, wenn auch ein Fötus, doch fest schlafen? Es lässt sich zeigen, dass hierin kein Widerspruch liegt. Der Fötus ist dem unermüdeten, d. h. dem aus erquickendem Schlafe soeben erst erwachten, geborenen Menschen nicht an die Seite zu stellen. Denn wenn er auch durch eigene Muskel- bewegungen und eigene psychische Thätigkeit nicht ermüdet, so Das Schlafen und Erwachen vor der Geburt. 491 sind doch durch das rapide Wachsthum seiner Gewebe und durch die mit dem Wachsein der Mutter nothwendig gegebene Anstrengung derselben andere G-ründe vorhanden, ihn dem ermüdeten Geborenen nahe zu stellen. Über das räthselhafte Wachsen der embryonalen Gewebe lässt sich mit Gewissheit aussagen, dass es nicht allein massenhafte Zufuhr von wenig Sauerstoff enthaltenden chemischen Verbindungen, sondern auch Sauerstoff als solchen erfordert, der dem Fötus durch das Blut zugeführt wird. Für die Muskelarbeit und etwaige geistige Thätigkelt bleibt bei der Schnelligkeit des Wachsthums und damit dem zweifellos schnellen Sauerstoffverbrauch seitens der embryonalen Gewebe, nur sehr wenig Blutsauerstoff dispo- nibel. Der Embryo gleicht also hierin dem in Winterschlaf ver- sunkenen Thiere und dem schläfrigen Geborenen, bei welchen der zugeführte Sauerstoff für die Muskel- und Gehirn-Arbeit nur noch zum kleinsten Theile verfügbar ist, weil er im ersteren Falle zur Wärmebildung, im letzteren zur Oxydation der durch die vorher- gegangenen Anstrengungen gebildeten Producte, der Ermüdungs- stoffe, verwendet wird, wie ich anderwärts wahrscheinlich machte. In der That wies Soltmann bereits nach, dass die Muskeln un- geborener Thiere sich sehr ähnlich (bezüglich ihres Verhaltens gegen Reize) wie ermüdete Muskeln älterer Thiere verhalten. Der Einwand, es sei nicht bewiesen, dass zum Wachsthum der Gewebe Blutsauerstoff erfordert werde, ist darum von geringer Bedeutung, weil thatsächlich die Empfindlichkeit aller Embryonen gegen Sauerstoffentziehung eine ganz ausserordentliche ist. Schon eine partielle Lackirung des bebrüteten Hühnereies, Benetzung mit Wasser, eine auffallend geringfügige Verletzung der Allantois- gefässe hat schleunigen Stillstand der Entwicklung und den Tod des Embryo zur Folge. In einem Augenblick sieht man beim Hühnchen, das vor der Zeit aus dem Ei genommen wird, das arterielle Blut die Farbe des asphyktischen annehmen. Ausser- dem ist kein Fall bekannt von physiologischem Gewebewachsthum ohne reichliche Zufuhr von sauerstoffhaltigem Blute zu den wach- senden Theilen. Bei partieller Sauerstoffentziehung ist es beim Embryo nicht die Differenzirung, sondern das Wachsthum, welches zurückbleibt (S. 112). Wer trotzdem an der Ansicht festhält, dass der Fötus zum Wachsthum seiner Gewebe keinen Sauerstoff oder nur minimale Mengen Sauerstoff brauche, wird das regelmässige Vorkommen von Oxydationsproducten, namentlich Harnstoff, Allantoin, Harn- 492 I^iG embryonale Sensibilität. säure in seinen Excreten, und dadurch im Fruchtwasser, schwer- lich verständlich finden können. Denn allein von den Muskel- Bewegungen können jene Producte nicht hergeleitet werden. Für die Annahme, dass der Fötus sich wie ein Ermüdeter verhält und schläfrig ist oder schläft, sind diese Producte, nament- lich in der letzten Zeit der Reifung, wo sie mit dem Frucht- wasser reichlich verschluckt werden, also zum Theil wieder zur Eesorption gelangen, nicht unwichtig. Denn als Erzeugnissen des Stoffivechsels kann ihnen wenigstens zum Theil, ebenso wie den directen Erzeugnissen des Stoffumsatzes im thätigen Muskel des Geborenen, möglicherweise eine müde -machende Wirkung zu- kommen. Jedenfalls kann nicht geleugnet werden, dass die im Blute der Mutter constant vorhandenen, zum Theil leicht diffundirenden Ermüdungstoife , welche, während dieselbe wach ist, also em- pfindet und arbeitet, sich anhäufen, in der Placenta mit dem für den Fötus nöthigen Ernährungsmaterial zum Theil übergehen müssen. Einen schlagenden Beweis dafür, dass schlafmachende Stoffe aus dem Blute der Mutter nicht nur exosmotisch aus- treten, sondern auch noch beim Kinde hypnotisch wirken können, lieferte mir die Beobachtung eines zwölf Tage alten Säuglings, welcher auffallend länger und fester schlief (dabei tiefer und regelmässiger athmend als sonst), nachdem er eine Stunde nach Beendigung einer einstündigen Chloroformnarkose der Mutter deren Brust erhalten hatte. Da hier die Wirkung des in die Milchdrüse diffundirten und dann erst vom Magen aus resorbirten Schlafmittels eclatant war, warum sollten nicht die Ermüdungs- stoffe der Mutter, normalerweise nur die eine Schranke in der Placenta passirend, vom Blute direct auf das centrale Nerven- system ermattend wirken? Die nach der Chloroformirung Kreis- sender an den Neugeborenen gemachten Erfahrungen scheinen dafür zu sprechen. Ein Widerspruch ist also nicht vorhanden. Der Fötus ver- hält sich wie ein Ermüdeter, obwohl er sich nicht an- strengt. Er schläft bei der Abwesenheit starker Reize im Uterus leicht ein (Satz I), wenn er einmal wach werden sollte. Hiermit sind aber die Fragen, welche zu Anfang aufgeworfen wurden, noch nicht ganz beantwortet. Wird der Ungeborene überhaupt wach? Kann er geweckt werden? und wach bleiben? Das neugeborene Kind erwacht theils durch sein Nahrungs- ;Das Schlafen und Erwachen vor der Geburt. 493 bedürfniss und andere unbekannte innere Reiz?, theils durch Nässe, Kälte und andere äussere Reize. Da nun ß^o- bis 10- monatliche Früchte weckbar sind, sie werden durch den Vorgang der Frühgeburt, bez. Geburt, wach, so muss mau die Eigenschaft, geweckt werden zu können, dem Fötus im letzten Drittel der Schwangerschaft zuerkennen. Jedes reife Neugeborene wird durch den Geburtsact normalerweise ge- weckt und zwar durch die sehr starken äusseren Reize, welche mit demselben untrennbar verbunden sind. Aber vor der Greburt fehlen derartige Reize gänzlich. Es scheint jedoch nicht ausgeschlossen, dass andere an ihre Stelle treten, welche die ungeborene Frucht wecken, freilich nicht dieselben^ welche den Säugling wecken, der, wie der Fötus, eine physiologische Schlafsucht zeigt. Aber ein Stoss gegen den schwangeren Uterus, eine Verwundung des Fötus, ein grosser Blutverlust der Mutter, vielleicht auch Inanition derselben, haben so häufig, wie Erfahrungen an Menschen und Thieren lehren, ge- steigerte Lebhaftigkeit der Fruchtbewegungen zur Folge (S. 432), dass man ein Wachwerden der Frucht nicht unwahrscheinlich nennen kann. Es ist zwar kein Wachsein im vollen Wortsinne, welches dann eintreten wird, weil die höheren Sinnesorgane ruhen. Aber etwas Schmerz kann auch der Fötus empfinden und dieser daher ihn, wie das winterschlafende Thier und den im stillen fin- steren Raum fest schlafenden Säugling, wecken. Wer Schmerz empfindet ist wach. Dagegen ist nicht annehmbar, dass dieser wache Zustand im Uterus lange dauere, weil der Schock entweder bald den Tod oder Asphyxie herbeiführen oder die starke Erregung Ermüdung und neuen Schlaf nach sich ziehen wird (Satz 11). Auch liegt kein Grund vor, weshalb ein Mensch unter nor- malen Verhältnissen vor seiner Geburt auch nur ein einziges Mal wach werden sollte, da schon das satte Neugeborene starker Reize bedarf, wie das winterschlafende Thier, um geweckt zu werden, solche aber im Uterus anomal sind, und die Erregbar- keit des Fötus in früheren Stadien sich als auffallend gering erwiesen hat. VIII. DAS EMBEYONALE WACHSTHÜM. Das embryonale Wachsthum beruht auf drei verschiedenen, aber in der Regel in organischem Zusammenhang stehenden Vor- gängen: 1) der Massen- und Grössen-Zunahme von -Zellen, 2) der Zelltheilung und dadurch bedingten numerischen Vermehrung der Zellen, 3) der Zunahme intercellulärer Substanzen. Wenn auch keiner von diesen Processen von der Ernährung unabhängig ist, unzweifelhaft alle drei mit der gesteigerten Zufuhr geeigneten Nährmaterials beschleunigt, unter ungünstigen Ernäh- rungsbedingungen herabgesetzt (verlangsamt oder aufgehoben) werden, so ist doch zur Zeit eine Ursache für die rapide Zunahme der Zellen- Anzahl und dadurch der Masse des Embryo im Ei bei günstigen Entwicklungsbedingungen nicht angebbar. Die Erblich- keit spielt dabei die Hauptrolle. Da aber diese selbst nichts weniger als klar erkannt ist, muss einstweilen darauf verzichtet werden, den organischen Wachsthumsprocess im Embryo mecha- nisch zu erklären. Es ist auch bis jetzt eine ernstlich discutir- bare Hypothese über die Ursache des Aufhörens der Massenzu- nahme nach einer gewissen Zeit nicht aufgestellt worden. Das Concurrenzprincip verspricht aber bei consequenter Anwendung auf dieses Gebiet in der Zukunft eine Aufhellung der Hauptfrage, wie es kommt, dass die einzelne Zelle gewisse Dimensionen nie- mals überschreitet. Die specielle Physiologie des Embryo kann sich damit nicht befassen, weil es ihr noch zu sehr an Thatsachen über die Wachsthumsbedingungen der Zellen fehlt und die ge- rade beim Embryo energischer als jemals später stattfindende Zelltheilung erst in der letzten Zeit eingehend beobachtet wurde. Hingegen ist das Massen- und Längen -"VVachsthum mensch- licher Früchte schon länger zum G-egenstande der Wägung und Messung gemacht worden. Es ist auch der Wunsch, eine möglichst grosse Anzahl von — um es kurz auszudrücken — embryo- metrischen Einzelbestimmungen zur Verfügung zu haben, voll- kommen berechtigt. Ohne sie würde man nie dahin kommen, eine Wachsthumscurve für den Embryo zu construiren. Jedoch sind Preyer, Physiologie des Embryo. 32 498 Das embryonale Wachsthum. alle daran geknüpften Erwartungen, aus einer gegebenen Embryo- Länge oder -Masse das Alter genau zu bestimmen von vornherein als verfehlt zu bezeichnen. Wollte jemand aus dem Gewichte oder der Ivörperlänge von 100 ungleichaltrigen Säuglingen im Alter von ein bis neun Monaten deren Alter genau berechnen, so würde das Zutreffen auch nur eines Falles mit der Wirklichkeit als Zufall zu betrachten sein. Und doch wird noch immer die Hoffnung gehegt, aus der Länge und dem Gewicht des Fötus sein Alter genau zu bestimmen. Zunächst handelt es sich um Ge- winnung grosser Zahlen, welche unter einander streng vergleich- bar sein müssen, um das Wachsthum des Embryo als Function der Zeit darzustellen. Man kann aus den vorliegenden nicht eben zahlreichen Daten nur innerhalb weit auseinanderliegender Grenz- werthe Wachsthumscurven mit minimalen und maximalen Werthen, also statt der Linien nur ungleich breite Streifen, ableiten, welche zwar bereits einige allgemeine Schlussfolgerungen über das Wachs- thum des Embryo, nicht aber im einzelnen Fall die Altersbestim- mung gestatten. Ist doch noch immer das Zeitintervall nicht be- kannt, welches zwischen dem Augenblick des befruchtenden Coitus und dem xiugenblick der Befruchtung des Eies beim Menschen in mu- ximo liegen kann. Das Alter des Embryo kann aber richtig immer nur von dem Augenblick der Befruchtung des Eies an datirt werden. Über das Wachsthum des menschlichen Fötus ist namentlich von Hecker, Hennig, His, Fehling, C. Toldt, Ecker C3o und von Kölliker einiges Material beigebracht worden. [330, n, 22 Mehrere numerische Ergebnisse seien hier übersichtlich zu- sammengestellt. Körperlängen des menschlichen Embryo in Centimetern. Frucht- Monate. Nach Toldt (an200Explr.) Nach Hennig (anlOOExplr.) Nach Hecker Grenzen 1. 2. 3V2 4 — 0,2—1,5 0,8—4 3. 7 8% 4-9 2—11 4. 12 I6V5 10—17 9,5—18 5. 20 27 V", 18-27 15—28 6. 30 35V4 28—34 23-37 7. 35 4OV4 35-38 33—40,3 8. 40 44V3 39-41 36—44,4 9. 45 47 Ve 42-44 42-48,5 10. 50 (49) 45—47 45—52 Das embryonale Wachsthum. 499 Die Zahlen können sämmtlich der Natur der Sache nach nur approximativ sein. Die Maasse für den zweiten Monat sind von der Scheitelwölbung entlang der Mittellinie des Rückens bis zur Steiss- (Schwanz-) Spitze mit Hülfe eines unmittelbar angelegten wohl durchnässten dünnen Fadens von Toldt abgenommen worden; Hennig's Zahlen sind seiner 1879 veröffentlichten Wachsthums- [loo curve von mir entnommen und darum ungenauer. Die Hecker- schen Zahlen können wegen der grossen Abweichungen im Ein- zelnen nur als ungefähre Werthe angesehen werden. Die Grenz- werthe sind zum Theil den Angaben von Panum entnommen. [537 Trotz der grossen Differenzen stimmen die beiden ersten Reihen in einem wichtigen Ergebniss überein, darin nämlich, dass um die Mitte der Schwangerschaft die monatliche Längenzunahme am grössten ist, nach Toldt im sechsten, nach Hennig im fünften Monat. Dividirt man die absolute Körperlänge, welche zu Ende jedes Monats erreicht ist, in die absolute Zunahme desselben Monats, so erhält man das relative monatliche Wachsthum, wie es die folgende Tabelle zeigt. Frucht- Zunahme nach T. Zunahme nach Hn. Monate. absolut relativ absolut relativ 1, 1,5 1,000 % 1,000 2. 2 0,571 3^ 0,812 3. 3,5 0,500 4% 0,523 4. 5 0,417 7*/5 0,419 5. 8 0,400 ll'/io 0,410 6. 10 0,333 r% 0,219 7. 5 0,143 5 0,124 8. 5 0,125 4\'i, 0,093 9. 5 0,111 2/6 0,059 10. 5 0,100 (1%) 0,037 So abweichend die Mittelwerthe im Einzelnen sind, man er- kennt deutlich, dass beiden Beobachtungsreihen zufolge die ab- solute monatliche Längenzunahme zwischen der 17. und 24.Woche, also gerade kurz vor und nach der Hälfte der Schwanger- schaft, ihr Maximum erreicht, ferner dass die relative monathche Längenzunahme im ersten und zweiten Monat am grössten ist. indem der Embryo im zweiten Monat mehr als die ganze nach Ablauf der ersten vier Wochen erreichte Länge zusetzt, was später nicht wieder vorkommt (s. die erste Tabelle). Eine 32* 500 Das embryonale Wachsthum. Verdopplung der erreichten Länge binnen Monatsfrist findet über- haupt nur noch einmal statt, nämlich im dritten Monat (nach beiden Beobachtern). Endlich ist der zweiten Tabelle zu entneh- men, dass vom Anfang an bis zur G-eburt die Geschwindigkeit des relativen Längenwachsthums zwar von Monat zu Monat, aber sehr ungleichmässig abnimmt. Übrigens ist vor dem Beginn der zweiten Woche nach der Begattung noch keine Spur von dem Embryo wahrgenommen worden. Der von Costa beschriebene menschliche Embryo aus der dritten Woche hatte bereits eine Länge von 4,4 Millim. Der von Kölliker gemessene Embryo vom Ende des ersten Monats hatte 14 Millim. Länge, der kleinste der von His unter- suchten menschlichen Embryonen über zwei Millim. Ihm zufolge entsprechen sich folgende Zahlen: [370 Wochen 2— 2V2 2V2— 3 SVs 4 4Vo 5 Embryo-Länge 2,2—3 3—4,5 5—6 7—8 10—11 13 Millim. Vom Beginn bis zum Alter von 2^/2 Monaten geschieht das Wachsthum nach Hamy gleichmässig. Von da ab nennt er [241 den Embryo Fötus und findet für den Fötus von Monaten 2^j, 3 3V2 4 5 6 7 8 9 Centimeter 2,2^ 5,9 9,5 13,8 25,6 31,4 38,0 41,6 48,5 und für den Negerfötus von Monaten 4 5 6 7 8 9 Centimeter 10,9 20,1 25,0 26,5 36,5 42,0 Im letzteren Falle war die Zahl der beobachteten Einzelfälle kleiner als im ersteren. Es ist daher noch unentschieden, ob der schwarze Fötus weniger intrauterin zunimmt, als der weisse. Aus den obigen Zahlen folgt aber wiederum, wenn es erlaubt ist, aus so wenigen Messungen überhaupt etwas zu schliessen, dass beim letzteren die absolut grösste Längenzunahme im fünften Monat stattfindet. Vergleicht man das Längenwachsthum vor der Geburt mit dem des geborenen Kindes, so findet man, dass seine Geschwin- digkeit zu keiner Zeit des Lebens wieder erreicht wird, wie ein Vergleich der obigen Tabellen mit den von Quetelet in seiner Anthropometrie mitgetheilten ergibt. Construirt man aus beiden Zahlenreihen Wachsthumscurven, so wird der Unterschied der pränatalen und postnatalen Wachsthumsgeschwindigkeit besonders (ieutlich. Das embryonale Wachstlium, 501 Das eben geborene männliche Kind hat nach Quetelet 43,7 bis 53,2 Centim. Körpeiiänge. Der Mittelwerth ist nach ihm für Belgische Knaben 50,0, für Mädchen 49,4 Centim. Das Minimum fand er für letztere zu 43,8, das Maximum zu 55,5 Centim. Er gibt aber nicht an, ob die Kinder sämmtlich ausgetragen waren und ob die Messungen aus je 50 Fällen für Knaben und Mädchen oder aus zusammen 50 Fällen resultiren. Ahlfeld findet als Mittel für die Körperlänge der Neugeborenen 50,5, Hecker für die aus Altbaiern 51,2 (Ergebniss aus [230,1,^5 985 Beobachtungen). Als Minimum nimmt der letztere 48 an, als Maximum fand er 58 Centimeter. Aus B. Schultze's für 60 Thüringer Neugeborene gelegentlich einer anderen Untersuchung ausgeführten Messungen ergibt sich im Mittel 50,0, nämlich [523 Min. Max. Mittel 28 Mädchen 47 51,5 49,25 32 Knaben 48 52,5 50,75 Dagegen fand Schröder für 364 Bonner Neugeborene [524 nur 49,0. Das Mittel aus diesen sämmtlichen Mitteln beträgt 50,0 ohne Berücksichtigung des Geschlechts. Im Allgemeinen sind weibliche Individuen von der Greburt an kleiner als männliche. Dieser Unterschied zeigt sich constant auch in den von ß. Thoma (1882) zusammengestellten Messungen von Elsässer, Roberts, Casper und Liman, welche für Knaben 49,8 und [94,722 50,5 und 49,1, für Mädchen 48,2 und 50,0 und 48,2 Centim. als minimale und maximale Werthe und Normalmittel Neugeborener auf Grrund von 900 Beobachtungen ergeben. Unter den ungewöhnlich schweren und grossen und sogenannten überreifen Kindern sind stets mehr Knaben als Mädchen gefunden worden. Die Grösse der Frucht im Verhältniss zu derjenigen der Mutter ist ebenso ungleich bei verschiedenen Thieren wie die Wachsthumsgeschwindigkeit derselben. Das Extrem bezüglich der relativen Grösse scheint den Messungen Weismann's zufolge bei den Daphnoiden erreicht zu sein, wo bei einer Mutter- [210, iw länge von 2,3 Millim. die Jungen kurze Zeit nach der Geburt 1,8 Millim. hatten. Der Ausdruck „kurze Zeit" ist unbestimmt, aber andere Messungen zeigen ein ähnliches Verhältniss unmittel- bar nach der Geburt. Übrigens kommen bezüglich des Quotienten N : M, wo N das 502 Das embryonale Wachsthum. Gewicht des reifen Ebengeborenen, M das der Mutter, auch inner- halb derselben Thierart und sogar, wie man sich schon an Meer- schweinchen überzeugen kann, bei einem und demselben Individuum grosse Abweichungen vor. Ich habe bei Meerschweinchen eine Frucht von fast einem Viertel des Gewichts der Mutter beobachtet (S. 8). Schwerlich hat für irgend ein anderes Säugethier der Quotient N : M einen so hohen Werth. Er schwankt aber wahrscheinlich bei allen Thierarten erheblich. Dasselbe gilt für ^ den Menschen. Ein neugeborenes Kind kann nur 1^, bis 2 Kilo wiegen und doch ausgetragen [230,1,45 sein (48 Centim. Länge haben), ein anderes ebenso reifes zwischen fünf und sechs Kilo, und es ist gewiss, dass ein und dieselbe Mutter sehr ungleich schwere reife Kinder zur Welt bringen kann, ohne ihr eigenes Gewicht entsprechend zu verändern. Das schwerste neugeborene Kind scheint das von Vysir beobachtete gewesen zu sein, welches angeblich 8,5 Kilo wog. Es überlebte wegen seiner Grösse die Geburt nicht. [36o Es ist jedenfalls nicht wahrscheinlich, dass ein constantes Verhältniss der Körperlänge zum Körpergewicht und zur Eeife auch bei den Kindern einer und derselben Mutter existirt, weil beide von mehreren von einander unabhängigen Factoren bedingt sein müssen, wie Ernährung, Veränderung der Mutter durch vor- hergegangene Schwangerschaften^ Erblichkeit, Verschiedenheit der Väter u. a. m. Nimmt man nun 48 bis 50 Centim. Körperlänge als Ausgangs- punct für das reife Neugeborene an, so entfallen im Durchschnitt auf jeden der neun intrauterinen Kalendermonate mehr als fünf Centim. Längenzunahme, wogegen auf jeden der ersten neun ex- trauterinen Kalendermonate eine Längenzunahme von durch- schnittlich weniger als drei Centim. kommt. Denn die Körper- länge des einjährigen Kindes kann im Mittel nicht höher als 70 Centim. nach Quetelet, als 76 nach Zeising angenommen werden. Wieviel schneller das Längenwachsthum vor der Geburt als nach derselben vor sich geht, ersieht man auch daraus, dass zur Verdopplung der Körperlänge des Neugeborenen an sechs Jahre erfordert werden (die Körperlänge des Sechsjährigen 105 bis 115 Ctm.) und — von Riesen abgesehen — diese Verdopplung im ganzen Leben nicht wieder erreicht wird, während dem Fötus von 5^/2 Monaten 4^2 Monate genügen, seine Körperlänge zu ver- doppeln, d. h. von 25 auf 50 Centim. zu bringen, und zwar nach- dem er sie vorher in weniger als IV2 Monaten bereits einmal Das embryonale Wachsthum. 503 verdoppelt, nämlich von 12,5 auf 25 Centim. gebracht hatte. Geht man von der zu Anfang der fünften Woche erreichten Länge von 1.5 aus (statt 1,3 His), so tritt die Verdopplung der Körperlänge in den folgenden 35 Wochen bis zur Geburt nicht weniger als fünfmal ein, indem jene Zahl sich verdreiunddreissigfacht. Der neugeborene Mensch hingegen kann in seinem ganzen Leben die angeborene Körperlänge nicht einmal vervierfachen. Hieraus folgt, dass die Ernährung vor der Geburt eine relativ ausserordentlich reichliche sein muss, verglichen mit der nach derselben. Für das Massenwachsthum ergibt sich Entsprechendes. Das Gewicht des eben geborenen Knaben setzt Quetelet zu 3,1 Kilo, das des eben geborenen Mädchens zu 3,0, Er findet das Gewicht der grossen Majorität aller neugeborenen Kinder zwischen 3,0 und 3,5. Hecker fand für 1096 Neugeborene das Mittel 3,275 [230,1,45 (Knaben 3,31, Mädchen 3,23), Schröder für 364 in Bonn geborene nur 3,179 (das schwerste 4,95, bei Hecker die zwei schwersten zwischen 5 und 5,5). Erankenhäuser erhielt von 1488 Neugeborenen das Mittel 3,203, und zwar für 770 Knaben 3,261, für 718 Mädchen 3,130. Das Mittel aus diesen Mitteln beträgt 3,25 ohne Rück- sicht auf das Geschlecht. Veit fand als ungefähres mittleres Ge- wicht aus 2550 Beobachtungen 3,262 Kilo. [230,1,« Für das Massenwachsthum des Eötus lassen sich zwar noch weniger allgemein gültige Durchschnittsangaben berechnen, als für seine Längenzunahme, weil die Zahl der gewogenen Früchte von bekanntem Alter nur eine kleine ist. Geht man jedoch davon aus, dass der Embryo zu Anfang der neunten Woche nicht we- niger als vier Grm. wiegt, so folgt hieraus allein schon, dass innerhalb der folgenden 32 Wochen sein Gewicht das Achthundert- fache davon erreicht und sich successive im Ei nicht weniger als neun- bis zehnmal (dieses bei schweren Kindern, jenes bei sehr leichten) verdoppelt. Der geborene Mensch pflegt dagegen sein angeborenes Gewicht von 3V4 Kilo in seinem ganzen Leben nur fünfmal zu verdoppeln und nur um das 21- bis 22 -fache zu ver- mehren. Einige nähere Anhaltspuncte für das fötale Massenwachsthum geben die Wägungen von Hecker und die von Kölliker, [320.230,11,45 deren Grenzwerthe hier mit jenen zusammengestellt sind. Die Placentagewichte sind nicht mit eingeschlossen. 504 Das embryonale Waclistlium. Monat Maximum Minimum Mittel Kölliker 3 20 5 11 3—13 4 120 10 57 (41) 25—50 5 500 75 (112) 284 (222) 72—256 6 1280 (938) 375 634 (658) 265—489 7 2250 780 1218 (1343) 517-860 8 2438 1093 1569 (1609) — 9 2906 1500 1971 (1993) — 10 — 1562 — — Die hier zusammengestellten Zahlen Hecker's gelten nur für frische Früchte, die Kölliker's für Spiritus-Präi^arate Die letzteren sind also sämmtlich viel zu niedrig. Neue Bestimmungen mit besserer Controle des Fötus -Alters sind dringend zu wünschen. Doch hat Thoma bereits auf Grund der vorhandenen Zahlen das Körpergewicht als Function der Körperlänge darzustellen ver- sucht. [94 Da aber hierbei die Körperlänge vom Scheitel bis zur Sohle genommen wurde, und die Einzelwerthe zu sehr von einander ab- weichen in Beziehung zu ihrer absoluten Anzahl, wird hier nicht näher darauf einzugehen sein. Auch die von Fehling aus [334 Hecker's Wägungen abgeleitete Folgerung, dass das relative Wachs- thum des menschlichen Embryo im vierten Schwangerschaftsmonate sein Maximum erreiche, kann nicht als sichergestellt angesehen werden. Aus den von Fehling ausgeführten Wägungen und Messungen ergibt sich folgende Tabelle, in der m — männlich und lo = weiblich. Hiernach würde das Längenwachsthum des menschlichen Fötus besonders vom dritten Monat an bis zum sechsten die grösste Geschwindigkeit erreichen (S. oben S. 499). Alle Zahlen der dritten Columne, ausser der für den achten Monat, fallen zwischen die Hecker'schen Grenzwerthe. Das Mini- mum für den achten Monat müsste hiernach 928 statt 1093 heissen. Doch variiren alle Zahlen viel zu sehr, als dass man sie zu allgemeinen Folgerungen oder genauen Altersbestimmungen verwerthen könne. Das embryonale Wachsthum. 505 Länge Gewicht der Alter der Frucht in Centim. frisch. Frucht 2,5 w 0,975 6. Woche 12 m 13,5 ra }l2,,....{ Z }-.-•■{ 4. Monat 4. Monat 18,5 m 95,5 l' '{ 5. Mon. 1. Hälfte 18,5 m 104,7 5. „ 1- „ 19 w 156,8 ^ 1 1 ^• 9 21,5 m . 21... J 244 !- 200 . . -! ! 5. 2. 22,5 m ■ 235,5 > 5. 9 23 w 264 5. 9 ?5 -'• )J 24 w J L - 299 J l 5. 2. 26 m ^ r y 29,8 . J 361,8 h . 569,3 . . . - r 6. Monat 30 w 575 6. „ 33,5 m 771 i 6. „ 34,5 w 910 ' ' 7. „ 34 m 832,9 7- 36 w [ 34,9 « 836 • 924 ... . 7. „ 35 m J 1117 '?• „ 38 m 928 8. „ 53,5 m 3294 reif, todtgeb. Die noch wenig untersuchte Abnahme des Körpergewichts Neugeborener vor der ersten Nahrungsaufnahme muss als eine [292 physiologische Erscheinung angesehen werden. Denn auch wenn kein Meconium und kein Harn vor dem ersten Anlegen an die Mutterbrust zur Ausscheidung kommen, ist allein schon der grosse Wasserverlust durch die sogleich nach der Geburt beginnende Lungenathmung und durch die A'^erdunstung von der Hautober- fläche aus genügend, um eine sehr merkliche Gewichtsabnahme herbeizuführen. Von dieser wesentlich verschieden ist die in den ersten Lebenstagen zwar bei den meisten, nicht aber bei allen Säuglingen eintretende Körpergewichtsabnahme. Bei 100 Kindern, welche H. Haake in Leipzig unmittel- L517 bar nach der Geburt und an den folgenden Tagen wog, und welche sämmtlich als reif und gesund bezeichnet werden, betrug für 51 Knaben das Minimum 2,55 Kilo, das Maximum 4,2 Kilo, und für 41 Mädchen das Minimum ebenfalls 2,55, das Maximum 3,883 Kilo, das Knaben-Mittel 3,259, das Mädchen-Mittel 3,183 Kilo. Nicht allein aber fand er das Gewicht normaler reifer weiblicher eben geborener Kinder durchschnittlich geringer als das männ- licher, sondern auch die in den (beiden) ersten Tagen nach der 506 D^-s embryonale Wachsthum. Geburt regelmässig eintretende Gewichtsabnahme geringer, und die am zweiten oder dritten Tage beginnende Gewichtszunahme durchschnittlich grösser als bei Mädchen. Die wenig später von Winckel veröffentlichten Wägungen [sis ergaben damit fast genau übereinstimmende Kesultate. Er wog 100 Kinder und fand für 56 Knaben das Durchschnittsgewicht 3,375, für 44 Mädchen 3,245 Kilo unmittelbar nach der Geburt. (Anfangs werden die Kinder sämmtlich als ausgetragen bezeich- net, später heisst es, sieben davon seien zu früh geboren ge- wesen, die Zahlen sind wahrscheinlich deshalb etwas zu klein). Der schwerste Knabe wog 4,166 Kilo, das schwerste Mädchen 4,041 Kilo. Die Knaben sind also schon bei der Geburt durchschnittlich etwas schwerer als die Mädchen, wie auch Hecker gefunden hatte. Winckel ermittelte ferner, dass alle Neugeborenen schon innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Geburt an Gewicht abnehmen und zwar durchschnittlich jedes 116 Grm. Diese Gewichtsab- nahme dauert gewöhnlich zwei bis drei Tage und die schwereren Knaben verlieren dabei gewöhnlich weniger als die Mädchen. Von den zu diesen Wägungen verwendeten 100 Kindern waren 93 aus- getragen, sieben zu früh geboren. Die letzteren nahmen etwas mehr ab als die ersteren. Auch die Gewichtszunahme vom dritten Tage an gestaltete sich dabei für die Knaben günstiger, ganz wie es Haake gefunden hatte; doch gehört dieselbe nicht mehr in den Kahmen dieses Werkes. Die Ursachen der Gewichtsabnahme sogleich und bald nach der Geburt findet Winckel in der Harn- und Meconium- Aus- scheidung, der vermehrten Hautthätigkeit — er sah Neugeborene wenige Stunden nach der Geburt Schweiss reichlich absondern — der Entfernung der Vernix, der Abnahme des Fettes unter der Haut und — wie auch Haake — der anfangs nicht energischen Assimilation der Nahrung. Ich sehe aber ausserdem in der vom ersten Athemzuge an ausserordentlich zunehmenden Wasser-Ab- gabe durch die Lungen einen Hauptgrund für den Gewichtsverlust am ersten Tage, welche mit der Verdampfung des Wassers von der Haut aus zusammen schwer in's Gewicht fallen muss. Über das Wachsthum der Placenta des Menschen liegen Wägungen von Hecker vor. Ich stelle hier die die frische Placenta betreffenden Zahlen aus seiner Tabelle zusammen. Sie bezeichnen Gramm. [320 Das embryonale Wachsthum. 507 Monate 3 4 5 6 7 8 9 10 Maxima 59 135 365 594 625 812 (625) (655) Minima 20 55 60 155 (186) 186 312 343 Mittel 36 80 178 273 374 451 461 481 Anzahl 3 17 24 14 19 32 45 62 In den letzten Monaten wächst also die Placenta sehr viel langsamer, als in den früheren. Auch über das Wachsthum des Nabelstrangs liegen Messungen von Hecker vor, aus welchen hervorgeht, dass beim Menschen derselbe sehr regelmässig dem Fötus -Wachsthum ent- sprechend zunimmt und vom vierten Monat an immer im Mittel länger als die maximale Länge des Fötus ist. Die folgende [320 Tabelle, aus Hecker's Zahlen (Centimeter) zusammengesetzt, zeigt deuthch die Richtigkeit dieser von ihm gefundenen Beziehungen: Monate 3 4 5 6 7 8 9 10 Maxima Minima Mittel Fötus -Länge ) im Maximum ) ' 15 3,5 7 9 29 8 19 17 50 19 31 27 58 20 37 34 65 21 42 38 89 (30) 46 41 (89) 30 47 44 94 32 51 47 Nur im dritten Monat erreicht die durchschnittliche Länge der Nabelschnur die maximale des Fötus nicht. Die Zahl der Fälle für diese Zeit beträgt aber nur zehn, während auf die an- deren sieben Monate zusammen 314 Fälle kommen. Über das fötale Wachsthum des Meerschweinchens liegen dankenswerthe Bestimmungen von Hensen vor, aus welchen [541 hervorgeht, dass vom 16. bis 21. Tage, also in der dritten Woche, das Gewicht des Fötus um mehr als das zehnfache zunimmt, in der vierten dasselbe stattfindet und von da an erst die Massen- zunahme langsamer geschieht. Hensen fand in Gramm: Tage 16 21 29 36 43 50 59 64 67 Minimum . Maximum . Mittel . . . 0,01 0,11 0,14 0,12 1,14 1,39 1,23 3,18 4,40 3,66 11,24 12,46 12,08 24,40 27,57 25,39 60,00 82,75. 65,69 75,0 99,4 83,99 87,2 Fälle. . . . 1 3 3 4 4 6 4 4 131 und weniger als 1,5 Grm. :j 4 ;> 12 j; 28 j) 72 J5 120 149 508 l^^s embryonale Wachsthum. Vor dem Ende der zweiten AVoche nach der Begattung ist noch nichts vom Embryo zu sehen, wie Bischoff fand. [538.539 Aus den obigen Zahlen und einigen von mir folgt für die neun Wochen, während welcher der Meerschweinchenfötus sich im Uterus entwickelt, wenn man dieselben mit der grössten Gre- nauigkeit graphisch zusammenfasst und die Grenzwerthe möglichst weit auseinander nimmt, dass ein Embryo wiegt in der 3. Woche weniger als 0,2 Grm. „ ,j 4. „ mehr „ 0,1 jj ;; "^' 55 5; )> ^ » j) ^' ij 5) ); ^ 7 Q » ?) °- V 5? JJ ^^ Q 40 eben geboren reif „ „ 70 Über das Massen- und Längen -Wachsthum des Huhn er - Embryo liegt eine Reihe von Bestimmungen von C. Ph. Falck [270 vor, welcher auch viele Messungen der einzelnen Theile desselben an den verschiedenen Brüttagen ausführte und die Ergebnisse seiner embryometrischen Bestimmungen mit den ebenfalls von ihm selbst an ausgewachsenen Hühnern ausgeführten metrisch- statistischen Beobachtungen verglich. Er fand, dass das Hühnchen eines 20 Tage lang bebrüteten Eies bis zum Ende des Wachsthums sein Gewicht um das 56 fache steigert. Die Längen des Ko^ofes, des Schnabels, des Auges, des Flügels, des Beines, des Rumpfes usw. wachsen um das 1,6- bis 6,5 fache. Das Längen -Wachsthum des Flügels (1 : 6,5) ist nach dem Ausschlüpfen das grösste und das des Schnabels (1 : 2;2), des Auges (1 : 1,6) und des Kopfes das geringste, während das Massenwachsthum nach dem Ausschlüpfen viel grössere Differenzen zeigt. Die Hoden des Hahnes wiegen 756 mal mehr als die des eben zum Ausschlüpfen reifen Hähn- chens, die Ovarien des Huhnes 870 mal mehr als die des eben reifen Hühnchens, dagegen das Gehirn nur 4 mal mehr, die Aug- äpfel 5,8 mal mehr, das Rückenmark 18,7 mal mehr, der Magen 41,2 mal mehr, die Vorderarmbeine 233 mal mehr. Vergleicht man damit das Längen- und Massen -Wachsthum des Embryo, so ergibt sicli in Bezug auf ersteres die höchst merk- würdige, von Falck selbst nicht erkannte Thatsache, dass in der zweiten Hälfte der Incubation, genauer in der Zeit vom zehnten bis zum zwanzigsten Brüttage, mehrere Organe fast ebensoviel oder mehr wachsen, als in dem ganzen übrigen Das embryonale Wachsthum. 509 Leben zusammengenommen, und zwar gerade diejenigen^ welche zuerst in dem selbständigen Dasein nach dem Verlassen des Eies in ausgiebigster Weise in Function treten, namentlich das Gehirn, das Auge, der Schnabel, die Zehen. Denn es ergab sich für zehn Hühnchen in Milli- metern: Brüttage 10 11 12 18 14 15 16 17 18 19 20 Länge des Gehirns . 12 11 13 13 13,5 15 _ 16 15 16 14 Breite des Grehirns . 12 11 11 12 11,5 12 — 14 14 14 14 Längste Zehe .... 4 6 — — — 11 15 14 17 19 21 Schnabel 4 7 8 9 9,5 9 11 10 14 15 14 Augapfel 8 8 8 9 9,5 10 — 10 10,5 11 10 Der ausgewachsene Hahn hatte in Millimetern: Hahn 20 tag. Hähnchen 10 tag. Hühnchen zum Hahn z. 20 t. Hühnchen Länge des Gehirns 26 1 : 1,6 bis 1,8 1 : 1,4 bis 1 : 1,16 Breite des Gehirns 25 (22) 1:1,8(1,5) 1:1,3 „ 1:1,2 Längste Zehe . . . 64 1:3 1:5,2 Schnabel 32 1:2,3 1:3,7 Augapfel 19 1:1,7 1:1,3 Die Unterschiede fallen, bezüglich des Gehirns und Auges, noch mehr zu Gunsten des Embryo aus, wenn man nicht das 20tägige, sondern das 21tägige reife Hühnchen und nicht einen Hahn von 1745,65 Grm., der „sicher zu den stärksten Exem- plaren gehörte" zu den Messungen verwendet, sondern einen ge- wöhnlichen Hahn. Immerhin sind die Unterschiede deutlich genug, und die That- sache kann als gesichert angesehen werden, dass im embryonalen Leben diejenigen Theile am schnellsten wachsen, welche am frü- hesten nach der Geburt in Function treten, während die nach derselben am längsten wachsenden auch am spätesten zu functio- niren beginnen: die Geschlechtsorgane. Zur Orientirung, namentlich in Betreff der Grösse der in der Beilage I untersuchten Embryonen kann noch die folgende aus den 44 Protokollen von Falck zusammengesetzte Übersicht dienen. 510 Das embryonale Wachsthum. Gewicht und Länge des Hühner-Embryo: Tag. Gewicht Grösste LäDge ausgestreckt Breite d. Rumpfes 1. 2. 0,005; (0,06) 7 1 3. 0,01; 0,02; (0,2); (0,33) ' 6; 9 4 4. 0,04? (0,94); 0,12; (1,2); (1,3) 12 — 5. 0,18; 0,18 16; 16 — 6. 0,31; 0,5; 2,03 20; 18 3; 6 7. 0,73 26 7 8. 1,1; 1,86 . 30 6 9. 1,48; 1,61 42; 34 9 10. 2,33; 2,53 50; 40 8, 11. 3,55; 6,72 62 8 12. 4,30; 5,1 75; 69 9 13. 5,50; 6,08 79; 66 9 14. 8,31; 9,76 85; 88 10; 12 15. 10,91; 1,11 95; 84 12; 21 16. 13,8; 14,05 115; 100 13 17. 15,8; 12,97 113; 112 10; 21 18. 18,6; ii0,65 119; 140 14 19. 22,78; 23,96 134; 130 19 20. 31,20; 32,45 150; 135 19 21. 34,57 im Mittel 140; 31; 33 Die eingeklammerten Zahlen stammen von Pott. [14S [270 Fünf Hühnchen vom 21. Tage wogen 29,6; 34,54; 36,33; 36,9; 37,22. Zehn Hühnchen vom 21. Tage [208 29,81; 32,23; 33,19; 36,77; 37,07 31,66; 32,35; 35,45; 37,06; 38,50. Das arithmetische Mittel aus diesen 15 Wägungen frischer Hühnchen vom 21. Tage beträgt 34,57, das Minimum ist 29,6, das Maximum 38,5. Demnach beträgt der durchschnittliche tägliche StofFansatz beim Hühnchen im Ei vom 3. bis zum 21. Tage der Bebrütung wenigstens 1,64 und höchstens 2,13 Grm., im Mittel 1,92 Grm. Dabei ist aber zu unterscheiden der Stoffansatz durch wirkHches AVachsthum, histogenetische Vorgänge, einerseits, die Gewichtzunahme durch Verschlucken des Wassers und Re- sorption des gelben Dotters gegen Ende der Bebrütung anderer- seits. Eine numerische Trennung lässt sich noch nicht durch- führen, eine genaue Wachsthumscurve noch nicht construiren. Das embryonale Waehsthum. 511 Doch ergibt sich aus der vorläufigen, nur aus den wenigen Wäg- ungen von R. Pott von mir abgeleiteten Embryo-Gewicht-Zunahme- Curve (Taf. YIII Fig. 3^, wie aus den 42 Wägungen von Falck, dass in der ersten ßrütwoche die tägliche Massenzunahme des Embryo zwar relativ sehr gross, aber absolut klein ist, in der zweiten W^oche von Tag zu Tag mehr zunimmt und in der dritten am meisten beschleunigt ist. Die Wachsthumscurve des Hühner- Embryo steigt bis zum sechsten Tage sehr allmählich an, vom sechsten bis zum elften wird sie steiler und vom elften bis zum letzten Brüttage noch steiler. Sie bleibt die ganze Zeit convex gegen die Abscissenlinie. Eine genauere Bestimmung der das fötale Waehsthum aus- drückenden Curve ist zur Zeit nicht zu geben, weil dazu erst viel mehr und viel sorgfältigere Wägungen erforderlich sind, als bis jetzt vorliegen. Doch sind die behufs Gewinnung des nöthigen thatsächlichen Materials zu überwindenden Schwierigkeiten fast nur technischer Art, diese ganze Untersuchung nur quantitativ und kaum neuer Methoden und Principien bedürftig. Ganz anders die Art des fötalen Wachsthums, die qualitative Analyse desselben. Wenn man bedenkt, dass schon die Eurchung des Eies eine erbliche Eigenschaft desselben ist, die erste Anlage des Embryo und vollends seine rapide Differenzirung im weiteren Verlaufe seiner Ausbildung, selbst bei verzögertem Waehsthum, ganz und gar nicht nothwendig erscheint auf Grund der bisher als allgemein gültig erkannten mechanischen Grundsätze, dann wird es unabweisbar, diese zu modificiren. Es tritt vor Allem an den Physiologen die gebieterische Pflicht heran, das grosse Problem der Entwicklung experimentell in Angriff zu nehmen und den Begriff der Erblichkeit in seine Theilstücke zu zerlegen. Einer vervollkommneten Physiologie der Zukunft bleibt die Ur- barmachung dieses reichen Gebietes vorbehalten. Aber es ist der grösste Fortschritt auf dem Wege dahin, bald nachdem Darwin die neue allgemeine Entwicklungs - und Concurrenz- Lehre be- gründet hatte, vor bald zwei Decennien gethan worden durch Häckel's epochemachende Entdeckung, dass die individuelle oder ontogenetische, also embryonale Entwicklung im Grossen und Ganzen eine abgekürzte und zwar vielfach modificirte aber noch kenntliche phylogenetische oder Stammes-Entwickiung ist. Was früher wohl hier und da geahnt oder vermuthet, dann mit phantastischen Ausschmückungen und widerlichen natur- 512 Das embryonale Wachsthum. philosophischen Verunstaltungen behauptet wurde . ist auf dem Wege, durch das morphologische Genie des Begründers der Gasträa-Theorie, mit siegreicher Überwindung der Massenangrifie und Bekehrung der Gegner, wissenschaftliches Gemeingut zu werden: die AViederholung der Metamorphosen des Stammes im Embryo. Vor dieser Thatsache bleibt die Physiologie einstweilen ohne sie zu begreifen stehen. IX. ZUSAMMENFASSUNG DEU ERGEBNISSE. Preyer, Physiologie des Embryo. 33 Sowohl der Umfang dieses Buches, als auch die grosse Anzahl der darin erwähnten einzelnen Beobachtungen und Ex- perimente erschweren die Kenntnissnahme der aus denselben ab- geleiteten allgemeinen Thatsachen. Es wird daher eine kurze Übersicht des Ganzen dem Leser erwünscht sein, damit er sich in dem Gebiete der hier zum ersten Male im Zusammenhang dar- gestellten Physiologie des Embryo besser orientiren und erkennen kann, was bereits erreicht, was neu ist, was durch fortgesetzte Beobachtungen und Versuche am lebenden Eötus zu ermitteln sein wird. Es eröffnen sich dabei Ausblicke auf die Anatomie, Physiologie und Pathologie des Menschen, welche die Fruchtbar- keit der genetischen Methode in helles Licht stellen. Li der Einleitung wurde bereits die Schwierigkeit des Unter- nehmens hervorgehoben. Der vorliegende Entwurf einer metho- dischen Untersuchung der Lebenserscheinungen vor der Geburt konnte der Natur der Sache nach die einzelnen Functionen nicht mit gleicher Ausführlichkeit behandeln, weil nach Möglichkeit das in der Literatur zerstreute thatsächliche Material berücksichtigt werden sollte und von diesem zwar ein grosser Theil die Blut- strömung und Athmuug, aber nur ein sehr kleiner die Ernährung und Sensibilität im embryonalen Leben betrifft, Lidessen hat der Verfasser sich bemüht, durch eigene und unter seiner Leitung ausgeführte Untersuchungen die Bedingungen und Eigenthümlich- keiten gerade der früher weniger beachteten physiologischen Func- tionen des Embryo zu ermitteln, weil eine wahre Erkenntniss der Lebensvorgänge des geborenen und erwachsenen Menschen nur durch Verfolgung ihrer Genesis erzielt werden kann. Auch ge- währt es eine grosse intellectuelle Befriedigung die allmähhche Ausbildung jeder Function von dem Stadium embryonaler Ent- wicklung an, wo sie noch unerkennbar ist, bis zur ßeife zu er- forschen. 33* 516 Zusammenfassung der Ergebnisse. Die Hauptschwierigkeit dabei ist durch den Mangel an grossen Embryonen, die VeränderHchkeit derselben und die UnvoUständig- keit der morphologischen, besonders histologischen Detail-Angaben für die späteren Entwicklungsstadien bedingt. Lebende menschliche Embryonen aus frühen Stadien, lebende Fehlgeburten, Misgeburten, besonders Anencephalen, auch Früh- geburten kommen dem Physiologen nur zufällig oder in kleiner Anzahl zur Untersuchung, sind aber zur Erkenntniss der embryo- nalen Lebensvorgänge besonders wichtig. Sie können Vivisectionen ersetzen. An reifen neugeborenen Kindern fehlt es zwar nicht, aus deren Verhalten kann jedoch nur wenig auf das der Ungeborenen ge- schlossen werden, und gewöhnlich wird die eben geborene Frucht mit dem Neugeborenen, d. h. dem Säugling, verwechselt. Li keinem Zeitpunct erfährt aber der Mensch so grosse physiologische, zum Theil lebensgefährliche Veränderungen, wie an seinem Geburts- tage (S. 6. 280). Die an schwangeren Frauen wahrnehmbaren Lebenserschei- nungen des Fötus sind nicht mannigfaltig, seine Motilität und seine Herzthätigkeit fast die einzigen vor der Geburt direct erkennbaren Lebenszeichen desselben, und die an ihm ohne Schädigung der Mutter ausführbaren Experimente von äusserst geringem Umfang. Um die Physiologie des Fötus als selbständigen Wissenschafts- zweig zu begründen, ist daher das Thier zu verwenden. Von Säugethieren eignet sich dazu in Europa besonders das Meer- schweinchen, das Schaf, der Hund, die Katze, das Kaninchen, deren Früchte der Beobachter in eine körperwarme 0,6-procentige Kochsalzlösung in einem geräumigen Bade austreten lässt. Von den Embryonen der Vögel wurde das Hühnchen am meisten unter- sucht, welches den grossen Vorzug hat, eine genaue Altersbestim- mung zu gestatten, Avenn die Brutwärme annähernd constant gehalten wird. Der vom Verfasser construirte einfache Brütofen (S. 10) bewährte sich während fünfzehn aufeinanderfolgender Jahre besser, als die in Brütanstalten verwendeten Apparate, für wissen- schaftliche Zwecke, da diese sehr häufiges Öffnen und Besichtigen des Brutraumes benöthigen. Ausser den Vogeleiern wurden besonders noch Schlangen-, Frosch-, Fisch- und Schnecken-Eier physiologisch untersucht und die mit durchsichtiger Hülle — namentlich unter den Fischeiern die Äscheneier — bevorzugt. Doch bildet die Kleinheit dieser Die embryonale Circulation. 517 Objecte ebenso wie ihre Zersetzbarkeit ein grosses Hinderniss beim Experimentiren. Um bequem die Embryonen oviparer Thiere in ihren Eiern in der Wärme zu betrachten und zu reizen, bewährte sich ein vom Verfasser construirter Präparirkasten (S. 13), um sie — vor allem farblose embryonirte Vogeleier — ohne Öffnung zu be- obachten, des Verfassers Embryo skop oder Ooskop (S. 14) nebst dem Eiwärmer (S. 15). Auch lässt sich bei grosser Vorsicht die embryonale Entwicklung im geöffneten und mit Glimmer wieder verschlossenen Vogel ei verfolgen (S. 16). Die grösste Erschwerung des Verständnisses der beobachteten Lebenserscheinungen aller Embryonen ist durch den Mangel der morphologischen Untersuchung des fungirenden Substrates bedingt, nachdem einmal der Embryo sich gebildet hat. Die Entwicklung des Muskel- und Nerven-Gewebes, der Nervenendigungen in den Muskeln und Drüsen und Sinnesorganen ist noch allzuwenig be- kannt. Doch wurden durch Feststellung neuer Thatsachen rein physiologischer Natur wenigstens die an die Histologie zu rich- tenden Fragen schärfer präcisirt. Die thatsächlichen Ergebnisse betreffen die embryonale Cir- culation, Respiration, Ernährung, Secretion, Wärmebildung, Motilität, Sensibilität und das Wachsthum im Ei. Die embryonale Circulation. Unter allen Functionen des Embryo ist seine Herzthätig- keit und Blutströmung am häufigsten Gegenstand der Unter- suchung gewesen. Bezüglich der ersteren kann als allgemein gültig der Satz ausgesprochen werden, dass bei den Embryonen aller Thiere das Herz in der allerersten Zeit unregelmässig, sowohl un- gleich stark, als auch ungleich frequent und ungleich schnell schlägt. Es fehlen ihm die für das ausgebildete höhere Wirbel- thier charakteristischen Eegulatoren vollständig, und es ist wahr- scheinlich, dass im embryonalen Herzen nach der Ausbildung seiner Muskelfasern beim Menschen und bei allen Thieren diese sich nicht gleichzeitig contrahiren. Dagegen arbeitet das Herz älterer Schnecken-, Fisch-, Reptilien-, Vogel- und Säugethier-Embryonen nach des Verfassers Zählungen auffallend regelmässig und kräftig unter gleichbleibenden äusseren Umständen. Die beim Hühner-Embryo genauer beobachtete Füllung und Entleerung des eben erst geschlossenen noch nicht getheilten. 518 Zusammenfassung der Ergebnisse. Herzrohres lehrt, dass die erste Systole nach Verschmelzung der vorher getrennt entstandenen Herzhälften stets erst nach völligem Verschluss des Herzcanals eintritt, was auch für das Säugethier gelten muss. Die Thatsache, dass alle embryonischen Herzen, ehe an ihnen die Querstreifung der Muskelfasern und nervöse Gebilde (Ganglien- zellen und Nervenfasern) erkennbar sind, kräftig schlagen, lässt vermuthen, dass die contractilen Zellen des Herzschlauchs vor jeder Zusammenziehung von einem und demselben Eeize erregt werden. Eine Übertragung der Contraction von einer Zelle auf die andere ist dagegen höchst unwahrscheinlich. Jener Reiz muss in dem schon vor der Herzbildung durch Wärmedifferenzen in Strömung gerathenen Fluidum gesucht werden, aus dem das Blut hervorgeht, d. h. in der anfangs noch farblosen Hämatolymphe; denn Absperrung der Blutzufuhr zum embryonalen Herzen hat schleunigst Herzstillstand zur Folge. Die Bewegung des Blutes im jüngsten Embryo -Herzen ge- schieht immer so, dass es von hinten (unten) durch die Omphalo- mesenterial-venen einströmt und durch eine peristaltische Con- traction des Herzcanals nach vorn (oben) getrieben wird. So vermittelt zuerst das Herzrohr nur die Strömung vom Gefässhof in die Embryo-Anlage. Die erste cordipetale Blutbewegung in den Gefässen wird gar nicht durch die Herzthätigkeit, sondern vor dieser (durch Temperatur-Differenzen) eingeleitet (S. 28), die erste cordifugale, von der Embryo -Anlage fort in die Area vasculnsa, nur durch die Herzthätigkeit. Die Frequenz aller bisher lebend beobachteten embryonalen Herzen ist zu Anfang ihrer Thätigkeit geringer als bald nachher. So bei Schnecken, Fischen, Amphibien, Reptilien, beim Hühnchen und auch beim Säugethier. Für das Hühnchen im Ei ergab sich im Besonderen aus vielen Zählungen, dass die Herzfrequenz vom zweiten bis fünften Tage zunimmt; sie kann sich sogar ver- doppeln, von 90 auf 180 in der Minute steigen, und nimmt dann nicht sogleich wieder ab (S. 30). Mehrere nicht unwichtige neue Thatsachen wurden gefunden bei Untersuchung verschiedener Einflüsse auf das zwei- bis vier- tägige Hühnchen-Herz im geöffneten und warm gehaltenen Ei und auf das frisch blosgelegte Herz des Meerschweinchen-Embryo, so- wie auf die ausgeschnittenen embryonalen Herzen: Alle bisher untersuchten Embryo-Herzen sind ausserordent- lich empfindhch gegen Temperatur-Änderungen, und zwar Die embryonale Circulation. 519 gilt allgemein für alle, dass die Frequenz bei der geringsten Ab- kühlung abnimmt und bei der geringsten Erwärmung zunimmt. Dabei wurden die Herzen von Säugethier- Embryonen (wie schon früher die der Hühnchen) durch Abkühlung zum vollkommenen Stillstand gebracht und durch darauffolgende Erwärmung wieder zum kräftigen Schlagen veranlasst (S. 37. 40). Die Erwärmung kann eine Erequenzzunahme bis zur Unzählbarkeit herbeiführen, aber keinen Herztetanus im lebenden Embryo. Am merkwürdigsten ist das Verhalten des embryonalen Herzens gegen elektrische Einflüsse. Durch Induetions-Wechsel- ströme kann nämlich eine dauernde Systole, ein wahrer Herz- tetanus, ohne nachtheilige Folgen erzeugt werden (S. 32). Der constante galvanische Strom hingegen bewirkt nur eine geringe Frequenz-Steigerung, wenn alle Abkühlung vermieden wird, oder keine Änderung der Frequenz, Diese Thatsachen zeigen, dass das A'erhalten junger embryonaler Herzen (der Yögel und Säugethiere) gegen elektrische Eeize wesentlich verschieden von dem ausge- wachsener ist; ohne Zweifel enthalten sie noch keine Hemmungs- ganglien. Auch gegen Berührungen verhält sich das Embryo-Herz an- ders, da jede kurz dauernde Berührung mit einem körperwarmen Stäbchen eine vorübergehende Frequenzsteigerung zur Folge hat. Wasserentziehung durch Verdunstung des Eiwassers bewirkt Frequenzabnahme. Eine grössere Anzahl chemischer Reizversuche lehrte, dass das embryonale Hühnchen-Herz, noch ehe die Querstreifung seiner Muskelfasern erkannt werden kann, durch Kaliumverbindungen in minimalen Mengen gelähmt wird, während Natriumsalze in ver- dünnten Lösungen sich indifferent verhalten ; Chlornatrium iu Sub- stanz auf das Herz gebracht bewirkt aber eine rapide Abnahme der Frequenz. Desgleichen Chloralhydrat, Aldehyd, Atropiu, Ni- cotin, Chinin, Ammoniak u. a. in fast homöopathischer Dosis. Die Empfindlichkeit des Embryo-Herzens gegen chemische Eeize (Herzgifte) ist grösser als die irgend eines differenzirten contrac- tilen Gewebes. Lässt man den nicht vergifteten Embryo im offenen Ei an der Luft absterben, so tritt vor dem definitiven Herzstillstand eine prämortale Frequenzzunahme ein. Diese erinnert an die vorübergehende Erregbarkeitszunahme absterbender Nerven beim geborenen Thiere. Das ausgeschnittene Herz, auch schon das in dem aus dem 520 Zusammenfassung der Ergebnisse. Ei genommenen Embryo, verhält sich anders als das in situ, zeigt z. B. eine auffallende Arhythmie. Es ist als ein absterbendes Herz anzusehen. Für dieses gilt allgemein, dass je grössere Pausen zwdschen zwei Systolen eintreten, um so länger die einzelne Con- traction andauert und die Entleerung um so ausgiebiger wird. Grosse Ähnlichkeit zeigt das physiologische Verhalten des embryonalen Herzens der Yögel und Säugethiere mit dem von Insectenlarvenherzen (S. 35), auch, bezüglich seiner grossen Lebens- zähigkeit, mit dem von ausgewachsenen Amphibienherzen (S. 38). Die Herzen von Meerschweinchen-Embryonen schlagen noch, wenn keine Spur Sauerstoff in ihrem Blute aufgefunden Averden kann, sogar noch zehn Minuten nach dem Erstickungstode der Mutter, Dieser Resistenz verdankt man die Erkenn tniss, dass die menschliche Herzthätigkeit zu Anfang der dritten Woche beginnt. Die Entwicklungsgeschichte lehrt, dass es vor dem Ende der zweiten Woche nicht schlägt, weil dann der Herzcanal noch nicht geschlossen ist. Die Entdeckung der Herztöne des Fötus bei der schwangeren Frau (im Jahre 1822) versprach eine reichere physiologische Aus- beute, als bis jetzt gewonnen wurde. Die praktische Wichtigkeit derselben zur Erkennung der Gravidität vom fünften Monat an hat zwar zu einer sehr grossen Häufung der Frequenzbestimmungen durch Zählung bei der Auscultation geführt, aber im Verhältnisse zur aufgewendeten Mühe wenige neue physiologische Thatsachen kennen gelehrt. In Betreff der Methode wird von vielen Ärzten nach zweifacher Richtung gefehlt: 1) Statt mit nur einem Ohr zu auscultiren, sollte stets ein binaureales oder diotisches Stethoskop verwendet werden, weil man damit die fötalen Herztöne viel deut- licher hört. 2) Statt, wie es Viele thun, nur während fünf oder zehn Secunden die Herztöne zu wählen, muss während mindestens 15 oder 20 oder 80 Secunden, am besten während einer vollen Minute, gezählt werden, um übereinstimmende Resultate zu erhalten (S. 43. 46). Die Annahme, dass während der ganzen zweiten Schwanger- schaftshälfte die Frequenz constant bleibe, ist nicht ganz zutreffend. Fast immer steigt dieselbe vorübergehend nach Fruchtbeweguiigen, wahrscheinlich weil die Muskeln die Venen comprimiren und da- durch in gleichen Zeiten mehr Blut in das Herz einströmt. Eine eingehende Kritik der zahlreichen Arbeiten zur Ent- scheidung der Frage, ob vor der Geburt weibHche Früchte eine höhere Herzfrequenz haben, als männliche, so dass sich das Ge- Die embryonale Circulation. 521 schlecht vorher bestimmen Hesse (S. 44 bis 50) , hat gezeigt, dass zwar in sehr vielen Fällen die Vorhersagung wirkUch eingetroffen ist, in sehr vielen anderen vorzügHch genau beobachteten aber nicht. Bei den häufigen Frequenzen (etwa der Hälfte aller Fälle) von 135 bis 145 Herzschlägen in der Minute sind beide Gre- schlechter gleich oft vertreten; bei den hohen über 145 kommen immer noch etwa ein Drittel Knaben, bei den niedrigen unter 135 ein Drittel Mädchen vor. Zur Vorhersagung des Geschlechts des neugeborenen Kindes kann also die Zählung der kindlichen Herzschläge an der Schwangeren im einzelnen Falle nicht ver- wendet werden. Auch hängt die fötale Herzfrequenz gerade im Augenblick der Zählung von mehreren Factoren ab, welche nicht alle bekannt sind. Mit der Fieberwärme der Mutter pflegt sie zu steigen (S. 51. 352), nach langer Ruhe des Fötus ihren tiefsten (physio- logischen) Stand zu erreichen. Ein sehr wichtiger Unterschied der fötalen und postnatalen Herzthätigkeit besteht in der weitgehenden Unabhängigkeit der ersteren vom Gehirn und Halsmark. Auch beim menschlichen Anencephalen ohne ßespirations-Centrum ist die Herzthätigkeit beobachtet worden (S. 53. 436). Die ersten Athembewegungen des ebengeborenen normalen Kindes bewirken zuerst eine bedeutende aber kurzdauernde Steige- rung (S. 56), dann eine länger anhaltende sehr erhebliche Abnahme (S. 54) der Herzfrequenz. Die künstlichen bei Wiederbelebung asphyktisch geborener Kinder angewendeten Hautreize haben regel- mässig eine schnelle und bedeutende Hebung der gesunkenen Herzthätigkeit zur Folge. Dieses gilt auch für den vorzeitig dem Uterus entnommenen und künstlich zum Athmen gebrachten Säuge- thierfötus. Am meisten trägt aber zur Hebung der Herzthätig- keit bei die Erwärmung im Brütofen und im körperwarmen Bade. Eine Kritik der Angaben über die Veränderungen der fötalen Herzfrequenz vor, während und nach der Geburt hat ferner er- kennen lassen, dass die Frequenz vor dem Beginne der Wehen nur sehr selten von der schlafender Neugeborener erreicht wird und Morgens , Nachmittags und Abends bei Ausschluss aller Störungen keine constanten Unterschiede bietet. Während der Vorwehen nimmt die fötale Herzschlagzahl fast jedesmal zu, da- gegen zu Anfang und zu Ende jeder Wehe nach mehreren guten Beobachtern ab, falls nur die Geburt nicht regelwidrig verläuft. 522 Zusammenfassung der Ergebnisse. , Diese pliysiologische Abnahme der fötalen Herzfrequenz wäh- rend der Uterus -Contractionen ist verschieden erklärt worden. Eine Kritik der betreffenden Hypothesen (S. 58 bis 65) ergibt, dass dabei höchstwahrscheinlich die Hemmungsfasern des Nervus vagus betheihgt sind, deren Erregung durch den von der contra- hirten Uterus-Musculatur auf die Oberfläche des Fötus ausgeübten Druck reflectorisch — durch Hautnerven — zu Stande kommen könnte. Denn aus den vorliegenden Versuchen verschiedener Forscher geht hervor, dass normalerweise die hemmende Vagus- Wirkung entweder schon kurz vor der Greburt oder wenigstens während derselben sich geltend machen kann. Freilich verhalten sich verschiedene Thierarten darin ungleich; auch sind gewiss (S. 65) mehrere Factoren bei der Veränderung der fötalen Herz- thätigkeit während der Geburt wirksam, welche sich zum Theil oder ganz compensiren können. Denn in manchen Fällen bleibt die fötale Herzthätigkeit während der ganzen Geburt constant, in einzelnen tritt auch eine Beschleunigung in der Wehe, in anderen eine grosse Unregelmässigkeit (zwischen 100 bis 200 Schläge in der Minute) ein. Die Frequenzzunahme zwischen zwei Wehen erklärt sich aus einem Nachlass der Vagus-Erregung bei Nach- lass des Druckes und Erleichterung der Herzarbeit nach Wieder- eröffnung des Placentarcapillarsystems, welches durch Compression während der Wehe verengt werden muss. Die sehr kurze Dauer eines Herzschlags beim Fötus von 0,4 Secunden und weniger lässt es fast sicher erscheinen, dass die Herzpause zwischen beendigter Systole der Ventrikel und be- ginnender Systole der Atrien nicht nur absolut, sondern auch relativ kürzer als beim Geborenen ist. Im Ganzen folgt aus den vorliegenden Untersuchungen der embryonalen Herzthätigkeit ausser den angetührten Thatsachen, dass eine systematische vergleichend - physiologische Ermittlung der Bedingungen, unter welchen das punctum saliens der ver- schiedensten Thiere seine Thätigkeit beginnt und fortsetzt, die grösste Erweiterung der Kenntniss dieses fundamentalen Lebens- vorganges in sichere Aussicht stellt. Über die Bewegung des Blutes im Embryo ist viel mehr gearbeitet worden, so dass hier weniger Neues zu beschreiben, als vielmehr Altes zu bestätigen und zum Theil von neueren Irr- tliümern zu befreien war. Die Hämatolymphe strömt bei allen Embryonen, ehe sie rothe Blutkörperchen enthält, und zwar bei allen unregelmässig. Die Bewegungen des embryonalen Rumpfes Die embryonale Circulation. 523 tragen wesentlich bei zum Ingangbringen des Blutkreislaufs. Die Beschreibung desselben beim Hühner-Embryo und beim Menschen gliedert sich der Entwicklung des Gefässsystems entsprechend in drei Theile. Die Dottercirculation (I) findet zuerst statt und zwar die primitive (la) vor der Verschmelzung der beiden primitiven Aorten, die zweite nach derselben (Ib), und diese ist durch die Strö- mung in dem Netz der Aj^ea vasculosa charakterisirt. Dann folgt die sogenannte zweite Circulation oder der Allantoiskreislauf (II), welche beim Säugethierfötus dem Chorion- (II a) und Placentar- Kreislauf (II b) entspricht, endlich der Kreislauf des Neugeborenen (III), mit dem ersten Athemzuge beginnend. Beim Menschen beginnt la Ende der zweiten Woche oder zu Anfang der dritten, Ib in der vierten Woche oder Ende der dritten Woche, IIa mit der Aus- bildung der Umbilicalgefässe Ende der dritten oder zu Anfang der vierten Woche, II b mit der Placentabildung im dritten Monat, III mit der Ceburt. Genauere Zeitbestimmungen sind nicht zu erwarten. Eine Kritik der vorliegenden Beschreibungen der embryo- nalen Blutcirculation ergibt, dass die Füllung des Herzens mit Blut meistens nicht richtig angegeben ist. Denn die untere Vena Cava ergiesst ihr Blut nicht durch das Atrium dextrum und dann das Foramen ovale in das Atrium, sinistrum, sondern zugleich in beide Vorhöfe. Sie hat zwei Mündungen, eine untere rechte für das A. dextrum und eine obere linke für das A. sinistrum, in- dem ihr Lumen durch den Isthmus atriorum geschieden ist (S. 80. 81. 87). Eine Analyse der Erscheinungen des fötalen Blutumlaufs lehrt die Nothwendigkeit wenigstens acht Grade der Arterialität oder Venosität zu unterscheiden (S. 85. 86) und zeigt, dass ein Theil des venösesten Blutes, welches bereits einmal in der unteren Körperhälfte war, durch die untere Hohlvene, die rechte Kammer, den Botallischen Gang und die Aorta zurückkehrt und, was noch auffallender, ein Theil des arteriellsten Blutes aus der Umbilical- vene durch das Herz, die Aorta und die Umbilicalarterien in die Placenta zurückkehrt. Für die grossen Veränderungen der Circulation nach der Geburt und im Vogelei zu Ende der Incubation ist die Ausdehnung der atelektatischen Lunge wesentlich, da sie die stärkere Füllung der Lungencapillaren durch xispiration und zugleich die Verödung des Botallischen Ganges bewirkt. Durch die Aspiration sinkt der Blutdruck in der Aorta (S. 89. 101. 102), weil wegen Unterbindung der Nabelvene weniger Blut in den Ductus Aranti 524 Zusammenfassung der Ergebnisse. und die Cava inferior zum Herzen strömt, so dass der Ductus Botalli vollends obliterirt und auch der Widerstand der Körpercapil- laren sich vermindert. Es folgt auf die Abnahme des Blutdrucks in der Aorta eine sehr starke Zusammenziehung der Eingmuskeln der Nabelarterien, wodurch dem Verbluten auch bei nicht unter- bundener Nabelschnur (bei Thieren) vorgebeugt wird. Eine Revision der Arbeiten über den Einfluss der frühen und späten Abnabelung auf das eben geborene Kind zeigt, dass eine kleinere oder grössere (bis zu 100 Grm. betragende) Blutmenge nach dem Austritt der Frucht aus der Placenta in dieselbe hinein- strömt, und zwar hauptsächlich durch Aspiration seitens der Lungen, weniger durch Compression der Placenta. Diese „physio- logische Transfusion" kann dem schwächlichen Neugeborenen möglicherweise das Leben retten, und auch für den kräftigen ist vom physiologischen Standpunct die späte Abnabelung — nach Erlöschen des Nabelschnurpulses — der frühen bei weitem vor- zuziehen, schon weil die Menge des Hämoglobins im Blute, wel- ches bei den ersten Athembewegungen Sauerstoff in der Lunge bindet, dadurch erheblich steigt. Die Respiration des Fötus. Zwei Probleme waren es, welche auf diesem Gebiete vor allen anderen gelöst werden mussten, erstens: bildet der Embryo nor- malerweise vom Anfang seines Daseins an Kohlensäure in mess- barer Menge und bedarf er reichlicher Sauerstoffzufuhr? zweitens: wie kommen unmittelbar nach der Geburt die ersten Athem- bewegungen normalerweise zu Stande? Beide Fragen sind ihrer Lösung wesentlich näher gebracht worden. Bezüglich der Sauerstoffzufuhr steht fest, dass dieselbe dem Embryo nothwendig ist. Bei Erschwerung derselben entwickelt er sich langsam und unvollkommen, bei Erleichterung derselben können die embryonalen Athmungsorgane hydrozoischer Em- bryonen (der Amphibien) über ein Jahr lang persistiren, bei Ver- hinderung der Embryonen (der Amphibien), welche durch Haut, Darm und Kiemen athmen, an die Luft zu kommen, entwickeln sich die letzteren enorm und die Lungen bleiben rudimentär. Der Vogelembryo bedarf zu seinem Wachsthum (mehr noch als zu seiner Differenzirung) nicht allein des gasförmigen Sauer- stoffs, es darf die Luft in der Umgebung nicht einmal 24 Stunden lang stagnh'en, wenn er am Leben bleiben soll. Nichtsdestoweniger kann sich das Hühnchen im Ei auch dann normal entwickeln, Die Respiration des Fötus. 525 wenn mehr als die Hälfte der Eischale mit Asphaltlack imperme- abel gemacht worden ist; aber der Lack muss in Tupfen oder in schmalen Streifen vertheilt sein, nicht eine Hälfte des Eies im Zusammenhang bedecken. Im reinen strömenden Sauerstoffgas entwickelt sich das Hühnchen normal, es bildet sich aber reich- licher Sauerstoffliämoglobin, das Integument und das Fruchtwasser werden roth. In der Bildung des Sauerstoffhämoglobins im Hühner- embryo — am zweiten Tage — liegt ferner ein Beweis für die Sauerstoffaufnahme vom Anfang an. Denn in luftdicht abge- schlossenen Eiern bildet sich kein rothes Herz aus. Die Gasaufnahme schreitet normal von Tag zu Tag fort, in- dem sich die Luftkammer stetig vergrössert (S. 118). Dieselbe liegt nicht immer am stumpfen Pol, manchmal an der Seite und sehr selten am spitzen Eipol. In allen drei Fällen schlüpfen reife Hühnchen aus. Bei allen sind die venösen Allantoisgefässe hell- roth (sauerstoffhaltig), die arteriellen dunkler (sauerstoffarm). Die Sauerstoffaufnahme des Säugethier-Embryo ist durch die 1874 gemachte Entdeckung (S. 137) bewiesen, derzufolge regel- mässig unter absolutem Luftabschluss nach des Verfassers Methode aufgefangenes Nabelvenenblut das Spectrum des Sauerstoffhämo- globins zeigt. Man sieht auch bei schneller und doch behutsamer Öffnung des Uterus stets anfangs die Nabel vene heller roth als die Nabelarterien. Bezüglich der Kohlensäure-Bildung des Embryo konnte keiner der früheren Versuche beweisend sein, weil entweder nur embryo- nirte Eier geprüft wurden oder bei der Untersuchung unbefruch- teter Eier zur Controle keine Kohlensäure unter den Exhalations- producten gefunden wurde. Eine sehr eingehende neue Experi- mentaluntersuchung nach dem bei der Elementaranalyse verwendeten Verfahren zur Kohlensäurebestimmung hat aber gezeigt, dass jedes bebrütete Ei, gleichviel ob es befruchtet worden oder nicht, Kohlen- säure ausscheidet, und zwar das entwickelte Ei stets viel mehr als das unentwickelte von dem Beginne der zweiten Hälfte der Incubation an. In der ersten Hälfte derselben ist die Kohlen- säure-Abgabe ebenso wie die Luftaufnahme nicht erheblich ver- schieden beim entwickelten und unentwickelten Ei. Da aber das sich entwickelnde bebrütete Hühnerei namentlich in der letzten Brütwoche täglich wachsende Kohlensäuremengen an die Luft ab- gibt, das unbefruchtete bebrütete dagegen in dieser Zeit nicht merklich mehr (S. 127), als zu Ende der zweiten Woche, so folgt unabweisbar, dass der Vogel-Embryo lange vor dem Beginne 526 Zusammenfassung der Ergebnisse. der Lungenfunction Kohlensäure bildet, welche gasförmig an die Atmosphäre abgegeben wird. Es zeigte sich ferner, dass das Hühnchen im Ei etwas mehr Sauerstoff aus der Luft aufnimmt, als es in der Kohlensäure an dieselbe wieder abgibt (S. 130). DurchschnittKch verliert das befruchtete Hühnerei in den drei Brütwochen drei bis vier Grm, Kohlensäure mehr als das unbefruchtete (S. 249). Es producirt auch mehr Kohlensäure im reinen bewegten Sauerstoffgas, als in der atmosphärischen Luft und nimmt im ersteren Falle mehr Sauerstoff auf, als im letzteren. In allen diesen Fällen scheidet das Yogelei, gleichviel ob es entwickelt oder unentwickelt, bebrütet oder unbebrütet ist, ausser der Kohlensäure beträchtliche Mengen von Wasser dampf (Wasser- gas) aus. Eine sehr grosse Anzahl von Wägungen zur Bestim- mung desselben nach einer neuen, auch sonst zur Bestimmung des exhalirten Wassers bei kleineren Thieren vorzüglich geeigneten Methode (S. 126) hat die merkwürdige Thatsache sicher festgestellt, dass beim bebrüteten, entwickelten Hühnerei die täglich ab- gegebenen Wassermengen, ausser in den ersten und letzten Tagen, den täglichen Gewichtsverlusten fast gleichkommen, folglich muss das Gewicht der täglich ausge- schiedenen Gase (Kohlensäure) geradeso gross sein wie das Ge- wicht der gleichzeitig aufgenommenen Gase (Luft). Das unentwickelte bebrütete Ei gibt aber mehr Wasser ab, besonders zuletzt — in den 21 Brüttagen zwei bis drei Grm. mehr — als das entwickelte. Die Gewichtsverluste sind, abgesehen vom Anfang und Ende der Incubation, auffallend genau proportional der Zeit, dem- gemäss auch die Wasserverluste. Der Embryo selbst exhalirt aber im Ei vor dem Beginne der Lungenathmung kein Wasser, sondern nimmt aus dem übrigen Ei-Inhalt Wasser auf. So kommt es, dass der Vogelembryo trotz der bedeutenden Gewichtsabnahme des Eies, die bis zum letzten Brüttage durch Wasserverdunstung bedingt ist, dennoch stetig an Wasser zunimmt, während zugleich der relative Wassergehalt des Embryo mit seiner Entwicklung bis zu einem gewissen Zeitpunct abnimmt (S. 251), um zuletzt (dui'ch reichlicheres Fmchtwasser- verschlucken) wahrscheinlich wieder etwas zuzunehmen. In Betreff der Sauerstoffaufnahme und Kohlensäure -Bildung des Säugethierfötus ist die (S. 145) verlangte Differenz des Nabel- arterienblutes (mit weniger Sauerstoff und mehr Kohlensäure) und Nabelvenenblutes (mit mehr Sauerstoff' und weniger Kohlensäure) Die Respiration des Fötus. 527 inzwischen experimentell gasometrisch von anderer Seite dar- [522 gethan worden. Somit kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass der Säugethierfötus den von der Placenta stammenden am Hämoglobin seiner Blutkörperchen haftenden Sauerstoff zumTheil zu Oxydationen verwendet. Aber die Menge des vom Embryo aufgenommenen Sauerstoffs ist relativ gering im Vergleich zu der des G-eborenen. Trotz dieses geringen Quantums muss man den Sauerstoff vom Anfang der Embryogenesis an für fundamental lebenswichtig erklären, weil er nicht allein sehr schnell verbraucht wird, sondern auch die Sauerstoff-Entziehung schleunigen Tod oder Scheintod zur Folge hat. Die Frage, wie die erste Athembewegung des neugeborenen Menschen, Säugethiers und Vogels zu Stande kommt, ist durch eine ausgedehnte Specialuntersuchung des Verfassers anders als von sämmtlichen früheren Forschern beantwortet worden. Keine der bis jetzt aufgestellten Hypothesen genügt den von ihm fest- gestellten, zum Theil neuen Thatsachen. Denn weder die älteren noch die neuesten Ansichten vertragen sich mit dem vom Ver- fasser (S. 158. 164) beobachteten Lungenathmen bei intacter Placentar-Circulation und -Respiration (bez. Allantois- Circulation und -Respiration). Zunächst wurde festgestellt, dass überhaupt kein Embryo im Stande ist, Athembewegungen auszuführen, wenn er nicht schon vorher auf Hautreize von genügender Stärke mit Reflexbewegungen der Extremitäten antworten kann. Sodann ist gewiss, dass in keinem Ei alle Hautreize fehlen, vielmehr der Fötus, sowie seine Hautnerven hinreichend entwickelt sind, theils durch Eigenbewegungen, theils durch intrauterine Ver- änderungen (Berührungen, Spannungsänderungen) fortwährend Er- regungen vieler centripetaler Nerven erfährt. Ferner liess sich der schon von Anderen ausgesprochene Satz beweisen, dass grössere Mengen Fruchtwasser vor der Gebm't aspirirt werden können ohne Nachtheil für die Frucht. Derartige vorzeitige Athembewegungen lassen sich durch mechanische Reize (Stiche) künstlich wachrufen ohne Schädigung des Fötus. Aber auch sehr geringfügige Beeinträchtigungen der Placentar- oder Allantois- Athmung bewirken ohne künstliche Reize vorzeitige Inspirationen, die überlebt werden können. Daher stellte der Verfasser auf Grund seiner Erfahrungen den Satz auf, dass die Erregbarkeit des Athemcentrum für Hautreize mit der Abnahme des Sauerstoffs im Fötus- 528 Zneammenfassung der Ergebnisse. blut bis zu einer gewissen Grenze steigt und mit der Zunahme desselben fällt, so dass ersterenfalls vorher vor- handene für die Auslösung einer Inspiration nicht ausreichende periphere (Haut-) Reize nach dem Yenöswerden des embryonalen Blutes intrauterin und extrauterin wirksam werden können, letz- terenfalls ihre Wirkung wieder verlieren. Denn bei grosser Er- regbarkeit genügen allgemein schwache Eeize, um denselben phy- siologischen Effect herbeizuführen, wie bei geringer starke Eeize. Im Ganzen ergibt die Untersuchung des Verfassers, dass der erste Athemzug des Ungeborenen und des freigemachten Fötus zu Stande kommt: 1) durch künstliche starke periphere Reize bei un- versehrter Placentarathmung, 2) durch Störung der placentaren Sauerstoffzufuhr ohne künstliche Reize, indem hier die nie feh- lenden natürlichen Reize wegen Zunahme der Erregbarkeit des Centrum wirksam werden. Bei der normalen Geburt vereinigen sich regelmässig beide Momente: sehr starke periphere Reizung durch den Geburtsact (auch die Abkühlung) und erhebliches Wachsen der centralen Erregbarkeit wegen Unterbrechung der Placentar- (bez. AUantois-) Athmung. Die periphere Reizung ist aber das wichtigere und unerlässlich, während die Sauerstoffab- nahme nicht unter allen Umständen vorhanden zu sein braucht, obwohl sie normaler Weise bei jeder Geburt, oft schon während derselben (in der Wehe) eintritt theils ohne, theils mit Athem- bewegungen: ersteres, wenn die peripheren Reize zu schwach, letzteres, wenn sie genügend stark sind. Eine Kritik der Hypothesen über die Ursache der ersten Inspiration bestätigt diese Erklärung vollkommen, indem sie zeigt, dass ihr nicht nur keine einzige hergehörige Thatsache widerspricht, sondern auch keine unvermittelt bleibt. Die Praxis hat seit Jahr- hunderten die Wirksamkeit starker Hautreize bei asphyktisch geborenen Kindern bewiesen, das Experiment ihre geringe Wirk- samkeit^bei apnoischen mit Sauerstoff reichlich versehenen Thieren dargethan. Die embryonale Ernährung. Bezüglich der Ernährung unterscheiden sich, alle Embryonen wesentlich von den geborenen Thieren dadurch, dass sie, gleich- viel ob ihnen ein Nahrungsdotter zur Verfügung steht oder nicht, keine oder nur wenige active Bewegungen behufs Einführung der Nahrung machen, letztere ihnen vielmelir im buchstäblichen Sinne des Wortes zuströmt. Das Imgangbleiben dieses Stromes Die embryonale Ernährung. 529 erfordert eine Reihe von äusseren Bedingungen, welche nur wenig untersucht worden sind. Der Verfasser stellte mehrfach Beobacht- ungen darüber an und sammelte eine Anzahl von Angaben Anderer, aus welchen hervorgeht, dass von besonderer Wichtigkeit sind: der Einfluss des Atmosphären-Drucks, der Einfluss der Feuchtig- keit, der Einfluss des Lichtes, der Einfluss von Bewegungen des Eies und Verletzungen des Embryo. Doch lassen sich in Bezug auf alle diese Momente bis jetzt noch keine allgemeingültigen Sätze aufstellen, welche genaueren Aufschluss über die Beziehungen derselben zur Ernährung des Embryo geben. Hier kommen die in rein physiologischer Hinsicht noch sehr wenig im Einzelnen ermittelten Anpassungen und starke erbliche Eigenschaften vor Allem in Betracht. Denn während die Eier nicht weniger Glieder- thiere trocken, im luftverdünnten Raum, festgefroren, auch über- hitzt, ausdauern können, sind die der Amphibien schon gegen geringfügige Änderungen des atmosphärischen Druckes, gegen Wassermangel und Temperatur-Schwankungen höchst empfindlich, und das befruchtete bebrütete Vogelei geht in trockener Luft zu Grunde, obwohl es grosse Wassermengen abgeben muss, um nur die Entwicklung zu Stande kommen zu lassen. Indessen hat sich aus den neuen Untersuchungen ergeben, dass die normalerweise vom Vogelei exhalirten Wassermengen durch partielle Lackirung der Eier erheblich herabgesetzt werden köimen, ohne die embryo- nale Entwicklung zu stören. Die nicht zahlreichen über die Vergiftung von Embryonen verschiedener Art bis jetzt gesammelten Erfahrungen zeigen, dass manche Gifte, welche für das Geborene tödtlich sind, das noch unreife Ungeborene nur wenig oder garnicht afficiren, weil das centrale und periphere Nervensystem noch nicht entwickelt ist. Es gehören dahin Curarin, Blausäure, Strychnin, um nur einige der stärksten Gifte zu nennen. Die vom Verfasser und seinen Schülern beobachtete Wirkung der Chloralkalien auf das contractile Gewebe der Embryonen hat zur Unterscheidung der Natrium- und Kalium -Verbindungen in dieser Hinsicht geführt. Erstere lähmen das Herz erst in viel grösseren Mengen, als letztere. Doch bedürfen alle Angaben über die Wirkung verschiedener Gifte auf die Motilität der Embryonen noch ausgedehnter Prüfung (S. 33. 400). Von den Ernährungsbedingungen des Fötus der Säugethiere, insbesondere des Menschen, sind namentlich zwei vom Verfasser näher erörtert worden, nämlich der Übergang von Stoffen Preyer, Physiologie des Embryo. 34 530 Zusammenfassung der Ergebnisse. aus der Mutter in die Frucht und der von Stoffen aus der Frucht in die Mutter. Der Beweis für den ersteren ist für zahl- reiche leicht diffundirende Substanzen durch frühere und neue Versuche geliefert. Auch der Übergang geformter Gebilde, namentlich der Intermittens - und Recurrens - Mikrobien kann stattfinden; es findet aber nicht regelmässig beim Menschen (im Gegensatz zum Schaf) der Übergang des Pockengiftes statt. Der Übergang gelöster Stoffe aus dem Fötus in die Mutter ist ebenfalls durch die Versuche früherer Autoren und die neuen des Verfassers bewiesen, welch letztere namentlich die Abhängigkeit der Resorption in der Placenta von der Menge und Concentration der Lösung darthun. Unter den die inneren Ernährungs Vorgänge des Embryo be- treffenden Thatsachen sind die folgenden hervorzuheben: Der embryonale Stoffwechsel unterscheidet sich von dem post- natalen im Allgemeinen dadurch, dass er nicht ohne ein rapides Massenwachsthum stattfindet. Die anaplastischen Vorgänge über- wiegen bei weitem die kataplastischen. Dabei ist durch die Untersuchung von Fischembryonen schon von Anderen ermittelt worden, dass bei einigen die Differenzirung zeitweise stillstehen kann, ohne dass die Ernährung eine Unterbrechung erfährt, bei anderen die intensivste Differenzirung bei der kleinsten ISTahrungs- zufuhr stattfindet (S. 235). Namentlich die Entwicklung des He- rings-Embryo ohne Blutkörper, ohne Hämoglobin, also ohne Blut i. e. S. (S. 234) ist merkwürdig. Der Nahrungsdotter ist sowohl eine zu sofortiger Verwendung im Ei bereite Masse resorptionsfähiger und zur Assimilation ge- eigneter ISTahrung, als auch ein Nahrungs-Vorrath für die Zeit nach dem Ausschlüpfen, besonders bei Fischen und Vögeln. Die Hühnchen können mehrere Tage nach dem Ausschlüpfen allein von dem Eigelb des Dotters in ihrer Bauchhöhle leben. Die durch placenta- artige Gebilde im Brutraum ernährten Gliederthiere (Daphnien), die Haie mit einer Dottersackplacenta und die placentalen Säugethiere müssen hingegen schon bald nach der Geburt neue Nahrung erhalten, wie die jungen Amphibien, Die alte Frage, ob beim Vogelembryo die Kalkschale sich an der Ernährung betheiligt, wurde vom Verfasser auf Grund von sehr eingehenden quantitativen chemischen Untersuchungen ent- schieden verneint. An Kalk enthält das eben ausgeschlüpfte Hühnchen nicht mehr als der Ei-Inhalt, aus dem es sich bildete, an Phosphor ebenso. Die Schalen unbebrüteter Eier Die embryonale Ernährung. 531 enthalten aber mehr "Wasser als die bebrüteter. Dieses "Wasser kommt dem Embryo nicht zu gut, sondern es verdampft. Für den Yogelembryo in dem hartschaligen Ei gilt streng die Gleichung G= W+K—L oder der Satz, dass die totale tägliche Gewichts- abnahme G gleich ist dem täglichen Wasserverlust W, d. i. dem Gewicht des gleichzeitig verdampften "Wassers, plus dem täglichen Kohlensäure -Verlust K minus der täglich aufgenommenen Luft L (hauptsächlich Sauerstoff). Weil das Hühnchen im Ei, wie der Verfasser zum ersten Male einwandsfrei bewies, mehr Kohlensäure bildet, als das un- befruchtete ebenso bebrütete Ei, so muss das reife Hühnchen weniger Trockensubstanz enthalten, als das frische Ei, was auch wirklich der Fall ist (S. 250). In Betreff der Ernährung des menschlichen Embryo ist es gewiss, dass derselbe grosse Mengen Fruchtwasser, wie das Hühn- chen im Ei, verschluckt, verdaut und resorbirt, auch in den früheren Entwicklungsstadien durch die Haut aufnimmt. So lange die Leibes- höhle noch nicht geschlossen ist, dringt das Fruchtwasser in fast alle Theile des Embryo direct und ermöglicht eine schnelle Wasseraufnahme seitens der embryonalen, rapide wachsenden und sich theilenden Zellen. Die Nabelblase kann nur in den ersten Monaten sich an der Ernährung des Embryo beim Menschen betheiligen, da gewöhn- lich dieOmphalo-mesenterial-Gefässe verkümmern. Bei Säugethieren verhält es sich zum Theil anders. Weitaus die wichtigste Nahrungsquelle für den menschlichen Fötus ist das Blut, der Placenta, welches mit dem Blute des Fötus in den Capillaren der Zotten in osmotischem Wechselverkehr steht, so dass ausser dem Sauerstoff des Hämoglobins der rothen Blut- körper der Mutter und dem Wasser vom mütterlichen Blutplasma der Placentar-Sinus, namentlich Albumine und Salze (wahrschein- lich auch Blutzucker) in den Fötus übergehen, während von diesem in die Mutter kohlensaure Alkalien und einige andere Producte des fötalen Stoffwechsels hinüberdiffundiren. Ein "Übergang von Leukocyten aus dem mütterlichen Blute in das [fötale ist als gewiss anzusehen, und diese können mit Fettkügelchen be- laden sein. Für das Verständniss der Ernährung des Fötus ist ferner von besonderer Wichtigkeit der vom Verfasser gelieferte Nachweis (S. 263), dass unmöglich das Blut der Nabelvene allein das er- forderliche Wasser liefern kann, vielmehr ist das Blut des Fötus 532 Zusammenfassung der Ergebnisse. concentrirter, als seine namentlich anfangs sehr wasserreichen Gewebe. Die Gewebe müssen also dem Blute Albumine, Salze und andere histogenetisch wichtige Stoffe continuirlich entziehen; sie bedürfen zu dieser fundamentalen osmotischen Function immer neuer Wasserzufuhr, weil sie sonst bald so concentrirt wie das Nabelvenenblut selbst werden würden. Das Plus an Wasser er- hält der Embryo aus der verschluckten und resorbirten Amnios- flüssigkeit. Welche Beschaffenheit und physiologische Bedeutung die in der Neuzeit wieder wie schon im Alterthum als embryotrophisches Material angesehene Uterinmilch hat, ist zwar noch zweifelhaft, aber die W^ahrscheinlichkeit gewinnt an Boden, dass dieses eigen- thümliche Secret viel allgemeiner verbreitet ist, als man gewöhn- lich annimmt und sehr wohl, zum Theil mittelst überwandernder Leukocyten, aus der Serotina in das Blut der fötalen Capillaren in der Placenta gelangen kann, auch zur Ernährung taugliche Bestandtheile enthält (S. 270). Von den Producten des embryonalen Stoffwechsels, welche ausschliesslich im Embryo entstehen oder nur in sehr kleinen Mengen aus dem mütterlichen Blute stammen, ist namentlich das in fast allen Organen anfangs reichlich, später spärlicher vorkom- mende Glykogen physiologisch wichtig. Es kann als ein Reserve- stoff angesehen werden, welcher durch die im Laufe der Entwick- lung zunehmenden Oxydationsprocesse wahrscheinlich immer mehr zu Kohlensäure und Wasser verbrannt wird. Auch eine embryo- nale Eettbildung ist nachgewiesen. Sie nimmt mit der Entwick- lung zu (S. 273). Endlich wurde ebenfalls auf Grund von quanti- tativen Bestimmungen Anderer die absolute und relative Zunahme des Embryo an Albuminen dargethan. Eine ganze Reihe von wohl charakterisirten Stoffen im Em- bryo beweist, dass in ihm wahre Synthesen und Spaltungen fort- während stattfinden, so namentlich das Auftreten farbiger Substanzen, des Hämoglobins, Bilirubins, Augenpigmentes im völlig von der Mutter getrennten Vogelembryo (S. 276), dessen Ei sie nicht ent- hält. Die relative Zunahme der embryonalen Gewebe an Mineral- stoffen während der Entwicklung wird dagegen wesentlich auf einer Aufspeicherung der fertig zugeführten Phosphate und Chlo- ride beruhen. Im Ganzen ist durch die kritische Sichtung der Thatsachen mit voller Sicherheit dargethan worden, dass beim Embryo vom Anfang an mit immer zunehmender Intensität und Ausdehnung Die embryonalen Absonderungen. 533 neben den mit dem beispiellos schnellen Wachsthum zusammen- gehenden anaplastischen (Assimilations-) Processen kataplastische (Dissimilations-) Processe ablaufen, so dass unzweifelhaft der Fötus nicht nur einen selbständigen Stoffwechsel besitzt, sondern auch nachweislich viele von den chemischen Vorgängen in seinen Or- ganen zeigt, welche qualitativ genau so im geborenen Organismus beobachtet sind. Die Veränderungen des Chemismus unmittelbar nach der Geburt sind beim Menschen durch die plötzliche Absperrung der Nahrungszufuhr von der Placenta und der Wasserzufuhr aus dem Fruchtwasser, sowie durch den ebenso plötzlichen Beginn der Lungenathmung bedingt. Dadurch Avird das neugeborene Kind in einen lebensgefährlichen Zustand versetzt, welcher dem des frieren- den, durstigen, hungernden und erstickenden Geborenen ähnlich und dem der aus dem "Winterschlaf geweckten Säugethiere an die Seite zu stellen ist (S. 280). Die embryonalen xibsonderungen. Die Thätigkeit der embryonalen Drüsen zu untersuchen ge- währt darum ein besonderes Interesse, weil dieselbe vorzüglich geeignet erscheint, über die Bedingungen der Secretion überhaupt Aufschluss zu geben, und weil sie auf's Neue den selbständigen Chemismus im Embryo beweist. Eine Sichtung der früheren Beobachtungen mehrerer Forscher zeigt, dass namentlich bezüglich der Verdauungsdrüsen eine be- merkenswerthe Yerschiedenheit bei verschiedenen Thieren existirt, welche wahrscheinlich auf der ungleichen Entwicklungsgeschwindig- keit beruht. Bis jetzt sind die Verdauungsfermente hauptsächlich beim Säugethierfötus aufgesucht worden. Das Ptyalin des Speichels und Bauchspeichels fehlt dem menschlichen Fötus und Neugeborenen entweder gänzlich oder es findet sich ersteres bei diesem nur in sehr geringer Menge, was für die künstliche Ernährung des jungen Säuglings wichtig ist. Auch manche herbivore Säugethiere können zu Anfang des Lebens Stärke in Dextrin und Zucker nicht verwandeln. Im Magensaft muss beim Hühnchen und Meerschweinchen- fötus nach des Verfassers Beobachtungen schon längere Zeit vor der Reife eine Proteolyse stattfinden (S. 311), während für andere Thiere der Nachweis des Pepsins im fötalen Magensaft nicht ge- lang, bei neugeborenen Hunden z. B. nicht. Trypsin wurde von Anderen bald früh, bald spät, bald gar nicht gefunden, das fett- 534 Zusammenfassung der Ergebnisse. spaltende Pankreatin im Pankreassaft neugeborener Menschen und Hündchen nachgewiesen. Die Galle gehört allgemein zu den frühesten Erzeugnissen der fötalen Secretionsthätigkeit. Im Ganzen folgt aus dem ungleichzeitigen und ungleich reichlichen Auftreten der einzelnen Enzyme beim Fötus mit der grössten Wahrscheinlichkeit; dass sie nicht alle fertig gebildet von der Mutter ihm zugeführt werden und allein die energische Al- buminverdauung im Magen des Hühnchens zeigt, dass wenigstens Pepsin ganz unabhängig vom Mutterthier in den noch nicht fertig ausgebildeten Magendrüsen sich bilden kann. Hier eröffnet sich ein ergiebiges Feld für neue Untersuchungen über die Lehre von der Secretion, Auch diejenigen Secrete des Fötus, welche schon vor der Geburt nicht allein abgesondert, sondern auch ausgeschieden werden, sind von grossem physiologischem und praktisch-medici- nischem Interesse, namentlich die der Hautdrüsen (Vernix caseosa) und der Nieren. Erstere beweisen, dass schon intrauterin inten- sive chemische Processe in den Hauttalgdrüsen stattfinden, welche zur Absonderung reinen Fettes führen , letztere, dass im Embryo bereits früh eine specifische oder elective Aussonderung von ge- wissen Blutbestandtheilen vor sich geht. Denn eine Kritik der physiologischen und pathologischen Befunde lehrt, dass unzweifel- haft normalerweise Harn oder eine ihm ähnliche Flüssigkeit von den fötalen Meren (wahrscheinhch vorher Allantoisflüssigkeit (S. 337) schon von den Wolff 'sehen Körpern) nicht allein secer- nirt, sondern auch excernirt wird. Alle dagegen vorgebrachten Gründe sind nicht stichhaltig. So ist das häufige Fehlen von leicht diffundirenden der Mutter eingegebenen Stoffen im ersten Harn des Neugeborenen nebst ihrer Nachweisbarkeit im zweiten und dritten lange nach der Abnabelung durch eine Beeinträch- tigung der Nierenfunction während der Geburt erklärlich (S. 326). Die Fälle von menschhchen Misgeburten ohne Nieren können nichts gegen die secretorische Thätigkeit normaler Nieren im normalen Fötus beweisen, die enorme Ansammlung von Harn oder eines ihm ähnelnden Fluidum bei Verschluss der Urethra vor der Geburt kann nur durch eine Nierenthätigkeit zu Stande kommen. Dass viele Früchte mit leerer Harnblase geboren werden, fällt nicht so schwer in's Gewicht, als das häufige Vor- kommen von Harn in der fötalen Blase nach schneller Excision bei Thieren. Auch die Umwandlung von Benzoaten in Hippurate im Fötus nach Einverleibung ersterer in den mütterlichen Kreis- Die embryonalen Absonderungen. 535 lauf während der Geburt (S. 330), die Absclieidung von Indigcar- min in den gewundenen Harncanälchen des Fötus nach Einspritzung unter die Haut desselben, und die fötale Hämoglobinurie nach ebensolcher Injection von Glycerinwasser (S. 331) — längst von Anderen festgestellte Thatsachen — liefern Beweise für das Ver- mögen der fötalen Nieren, vor der Geburt zu secerniren. In demselben Sinne spricht der Nachweis von Harnstoff, Uraten, Chloriden im Inhalte der fötalen Harnblase. Mit dem Nachweise der Harnsecretion ist die Harnexcretion vor der Geburt zwar nicht bewiesen, sie ist aber aus mehreren Gründen höchst wahrscheinlich; namentlich die beobachtete Harn- entleerung unmittelbar nach der Geburt spricht dafür. Yon anderen fötalen Excreten ist besonders untersuchens- werth das Meconium, welches aus Bestandtheüen der Galle und nicht resorbirten aus verschlucktem Amnioswasser stammenden Substanzen besteht, beidesfalls ohne Beimengung von Producten fauligen Albuminzerfalles, wie er im Darmcanal Geborener regel- mässig vorkommt. Vor der Ausscheidung der Galle fehlt das Meconium und lange Zeit nach dem Beginne derselben sammelt es sich im Dünndarm an, so dass, wie der Verfasser fand, all- gemein bei unreifen Embryonen der Dünndarm viel dicker als der Dickdarm ist und bei reifen das Umgekehrte statthat. Durch das Vorrücken des Meconium vom Duodenum durch das Jejunum und Ileum in das Colon und Kectum unter völlig nor- malen Entwicklungsverhältnissen ist auch die überdies vom Ver- fasser bei vielen Embryonen direct wahrgenommene peristal- tische Bewegung des Darmcanalsbewiesen. Durch elektrische, chemische und mechanische Reizung des embryonalen Darmes in 38 ^ C. warmer Kochsalzlösung von 0,6 °/o gelang es dem Ver- fasser, die Contractilität der circulären und longitudinalen glatten Muskelfasern zu beweisen. Ihre Thätigkeit im intacten Eötus konnte er durch Injection von Farbstoffen in den Magen desselben im Uterus darthun. Dass dabei eine antiperistaltische Bewegung vorkommt, lehrte die unmittelbare Beobachtung, auch Durch- schneidung des Darmes an irgend einer Stelle mit darauffolgender energischer Ausstossung des Inhalts nach beiden Richtungen. Dass aber für gewöhnlich auch beim Fötus die Antiperistaltik das Über- gewicht nicht erlangt, erklärt sich durch die Thatsache, dass stets vom Magen aus — durch verschlucktes Fruchtwasser — und vom Duodenum aus — durch Gallenabsonderung in dasselbe — die neue Füllung geschieht, somit der geringste Widerstand nach 536 Zusammenfassung der Ergebnisse. unten (hinten), wo das Colon anfangs noch leer ist, dem Fort- rücken des Gemenges sich bietet. Übrigens steht fest, dass die Peristaltik beim Embryo sehr viel träger als beim Geborenen ist. Die Athmung begünstigt das Hinabrücken des Meconium, und vorzeitige Inspirationsbewegungen verursachen leicht intra- uterine Defäcation. Forensisch wichtig ist die bereits bekannte, vom Verfasser durchaus bestätigte Thatsache, dass (S. 315) der Darm des frischen Fötus kein Gas enthält. Bei Atelektase der Lungen muss der ganze Yerdauungscanal luftfrei sein, wenn alle Fäulniss fehlt, weil die Luft nur beim Athmen verschluckt oder aspirirt wird. Ein Kind, dessen Darm und Magen gar keine Gase enthalten, wird auch fast jedesmal eine Lunge haben, die nicht auf Wasser schwimmt, weil nur bei grosser Lebensschwäche das Schlucken und die Aspiration der atmosphärischen Luft beim Athmen aus- bleiben kann, und ein Kind mit lufthaltigem Darm hat keine atelektatische Lunge mehr, es sei denn, dass künstlich Luft in den Magen allein geblasen worden wäre. Die Verdauung der Albu- mine des verschluckten Fruchtwassers findet somit im Fötus ohne alle Gasentwicklung statt. Dasselbe gilt für das Hühnchen im Ei. Denn erst nach dem Beginne der Luftathmung, gleichviel ob in der noch intacten oder schon gesprengten Kalkschale, fand der Verfasser Gasblasen im Magen, coagulirtes Albumin aber schon viel früher. — Die kritische Prüfung der bisherigen zahlreichen Untersuchungen über das Fruchtwasser führt zu dem bestimmten Resultate, dass es nicht ausschliesslich vom Fötus ausgeschieden wird. Es kann nicht fötaler Schweiss sein, weil die Schweissdrüsen sich spät ent- wickeln und erst im siebenten Monat Schweiss-Canäle und -Poren in der Epidermis auftreten (S. 296), nicht ausschliesslich fötaler Harn, weil auch bei Früchten mit verschlossenen Harnwegen Am- nioswasser vorkommt. Wegen der während der Entwicklung continuirlich zunehmenden absoluten Wassermenge des ganzen Embryo, welche, wie der Verfasser bewiesen hat, vom Nabelvenen- blut unmöglich allein geliefert werden kann, ist es überhaupt un- möglich, dass der Embryo alles Fruchtwasser ausscheide. Vielmehr ist bewiesen, dass er viel davon in sich aufnimmt. Sein Antheil an der Bildung des Amnioswassers kann also nur gleich sein dem stets kleinen Unterschiede des von ihm aufgenommenen und zurück- behaltenen Wassers, d. h. wesentlich den intrauterin ausgeschie- denen Harnmengen. Dazu kommen die aus der fötalen Placenta Die embryonale Wärmebildung. 537 wenigstens in früheren Stadien transsudirenden Antheile, die aus dem Nabelstrang etwa austretenden kleinen Mengen und nament- lich in späteren Stadien die reichlichere Transsudation aus dem mütterlichen Blute durch die Saftcanälchen des Chorion und Am- nion. Thatsächlich gehen nach den Versuchen der besten Beob- achter leicht diffundirende Stoße aus dem mütterlichen Blute zu Ende der Tragzeit leicht in das Fruchtwasser direct über, ohne den Fötus zu passiren, zu Anfang der Gravidität aber nicht (S. 294). Also kann die Neubildung des FluidumSj welches der Fötus um so reichlicher verschluckt, je älter er wird, sehr wohl durch Transsudation aus dem mütterlichen Blute zu Stande kommen, nicht aber durch eine Excretion des Fötus, welche seinen bereits erreichten absoluten Wassergehalt vermindern müsste. Eine sorgfältige Revision der sämmtlichen Eigenschaften des Fruchtwassers, namentlich seiner Zusammensetzung, zeigt, dass dieser Darlegung nichts widerspricht. Vielmehr werden durch die obige Sichtung des thatsächlichen Materials sich bisher wider- sprechende Angaben miteinander in Einklang gebracht. Von der zwischen Amnion und Chorion normalerweise vor- handenen Flüssigkeit hat niemand behauptet, sie stamme vom Fötus: gerade diese ist es, welche zur Neubildung des Amnios- wassers, wenn die Frucht davon immer mehr aufnimmt und den eigenen Harn mit verschluckt, besonders geeignet erscheint. Die embryonale Wärmebildung. Die grosse Empfindlichkeit der Embryonen gegen Temperatur- schwankungen, für die niederer Thiere durch frühere Versuche erwiesen, wurde vom Verfasser auch für den Säugethierfötus ge- nauer dargethan. Es stellte sich heraus, dass erhebliche Steige- rung der mütterlichen Temperatur regelmässig eine solche des Fötus zur Folge hat, so aber, dass der letztere bis zu den tödt- lichen Temperaturen hinauf dauernd höher als erstere temperirt ist und 42 bis 43° C, in einzelnen Fällen sogar auf ganz kurze Zeit 440 C, einmal 44,9 ^ C, überlebt (S. 354. 375). Der Fötus des Meerschweinchens kann mehr als 42 ° im Uterus in der Mutter oder im Uterus in warmer physiologischer Kochsalzlösung, auch frei in dieser, zehn Minuten lang gut vertragen, wenn er auch noch sehr weit von der Reife entfernt ist. Auch das Hühnchen im Ei überdauert 42°, jedoch nur, wenn diese Temperatur nicht Tage lang anhält. Namentlich zu Ende der Incubation ist eine solche Steigerung der Brutwärme lebensgefährlich. 538 Zusammenfassung der Ergebnisse. Durch die neuen Thatsachen, dass kein Theil eines über- wärmen trächtigen Thieres so hohe Temperaturen zeigt, wie die Früchte in ihm, und die Differenz von Mutter und Frucht bei künstlicher Überwärmung der ersteren schnell zunimmt — bis 2,5« C. (S. 354) und 2,9° C. (S. 375) zu Gunsten des Fötus — wird die oft behauptete Wärmebildung im Fötus schon wahrscheinlich und als Ursache des Fötustodes bei anhaltender Überwärmung der Mutter eine Wärmestauung annehmbar gemacht. Diese Wärmeproduction des Fötus beweisen aber noch besser die zahlreichen Experimente des Verfassers, bei welchen das Mutterthier nach einem von ihm angewendeten neuen Ver- fahren abgekühlt wurde, nämlich durch Zerstäubung von Wasser (Spray). Kegelmässig zeigt sich dabei, dass der Fötus sich erheb- lich langsamer abkühlt, als der wärmste Theil der Mutter. Mit der Dauer der Abkühlung wächst die Differenz zwischen der mütterlichen und der fötalen Rectum -Temperatur — sie kann 2° C. übersteigen (S. 363) — weil eben der Fötus in den Ei- häuten sich viel langsamer abkühlt als die Mutter, und zwar auch nach Öffnung der Bauchhöhle der letzteren und des Uterus be- hufs Einführung des Thermometers in den After des Fötus. Die Abkühlung des Meerschweinchenfötus kann dabei in utero mehr als 6 ° in einer halben Stunde betragen, ohne dass er zu Grunde geht, wenn ein warmes Bad darauf folgt. Hingegen verträgt der Säugethierfötus sehr plötzlichen und öfters in kurzen Pausen wiederholten Temperaturwechsel nicht (S. 375) und kühlt sich nach völliger Bloslegung in kalter Luft ausserordentlich schnell ab, z. B. der fast reife und drei Tage lang wohlgepflegte Meerschweinchenfötus auf Schnee um 17° in 33 Minuten (S. 374). Kein Embryo besitzt einen Wärme -regulirenden Mechanismus. Dieser bildet sich vielmehr bei den anfangs des Schutzes gegen Abkühlung höchst bedürftigen, eben geborenen Säugethieren und eben ausgeschlüpften Vögeln ganz allmählich nach der Geburt aus. Trotzdem steht fest, dass der Embryo schon früh etwas Wärme bildet, wie es, nachdem einmal seine Sauerstoffaufnahme und Kohlen- säurepro duction bewiesen war, nicht anders erwartet werden konnte. Der Xachweis der Wärmebildung im bebrüteten Hühnerei wurde schon früher von anderer Seite wahrscheinlich gemacht durch den Vergleich der Temperatur von Eiern mit lel)enden und todten Die embryonale Wärmebildung. 539 Embryonen im allmählich abgekühlten Brütofen und durch den Nachweis, dass unentwickelte Eier etwas kühler als entwickelte in demselben Brütofen sind. Dabei niusste das Thermometer in das Ei gestossen werden. Der Verfasser konnte ohne Verletzung der Eier mit Sicherheit in der zweiten Hälfte der Incubationszeit allein durch Berührung vorhersagen, ob in ihnen sich ein Embryo entwickelte oder nicht. Die grosse Empfindlichkeit der mensch- lichen Hand für Temperaturdifferenzen Hess hier niemals im Stich. Das Ei mit lebendem Embryo fühlt sich stets merklich wärmer an, als das genau ebenso behandelte unbefruchtete, durch Schütteln entwicklungsunfähig gemachte oder einen todten Embryo enthal- tende Ei daneben. Dass der Fötus des Säugethieres , wenn er nicht allzu jung ist, stets etwas höher temperirt gefunden wird, als die Mutter, wurde schon hervorgehoben. Des Verfassers Verfahren zum Nach- weise der Differenz beruht in der Herstellung einer Art künst- licher Steisslage, so dass der After des Eötus durch einen kleinen IJterusbauchschnitt freigelegt wird behufs Einführung des dünnen Thermometers, während zugleich ein anderes die Temperatur im Kectum der Mutter anzeigt. Eine Zusammenfassung der von den besten Beobachtern am Kinde während und sogleich nach der Geburt ausgeführten Mes- sungen lässt keinen Zweifel mehr aufkommen darüber, dass der Fötus kurz vor der Geburt, so lange er lebt, einige Zehntel, stets wenigstens ein Zehntel Centigrad höher als seine Mutter temperirt ist. Die Wärmeproduction des menschlichen Fötus in der letzten Zeit der Schwangerschaft ist daher als bewiesen anzusehen. Denn der Annahme, es fänden keine thermogenen Processe im Fötus statt und die Differenz der fötalen und mütterlichen Temperatur komme nur durch vermehrte Blutzufuhr zu Stande, widerspricht die höhere Temperatur des entwickelten von der Mutter getrennten Vogeleies und die un- mittelbar nach der Geburt beim Menschen constatirte kleine Temperaturdifferenz zu Gunsten des Ebengeboreneu , welcher wärmer ist, als das Blut seiner Mutter. Folglich muss der Fötus in den letzten Entwicklungs sta dien an seine Mutter Wärme abgeben. Der Uterus des trächtigen Thieres ist deshalb wärmer, als der des nicht trächtigen. Er schützt, weil er sehr blutreich ist, die Frucht vor der Geburt vor Abkühlung unter die Blutwärme der Mutter, und sein Blut erhält durch Ausgleichung 540 Zusammenfassung der Ergebnisse. der kleinen DiJßferenz die Fötustemperatur normalerweise fast constant. Unmittelbar nach der Geburt dagegen tritt gewöhnlich eine bedeutende schnelle Abnahme der kindlichen Temperatur ein, weil jene schützende körperwarme Hülle fortfällt, das Wasser von der Haut verdampft, viel Wasser warm ausgeathmet und die Nahrungs- zufuhr unterbrochen wird. Gelangt das Neugeborene sogleich in einen Brütofen, dann fehlt die Temperaturabnahme, daher das Verfahren, schwächliche Neugeborene, namentlich zu früh geborene Kinder in Brütöfen zu halten, nach des Verfassers Versuchen an Thieren, sehr zu empfehlen ist. Die Wärmequelle kann beim Fötus keine andere als beim Geborenen sein, muss also in Oxydationsprocessen gesucht werden. In der That gelang bereits der Nachweis mehrerer Oxydations- producte des fötalen Stoffwechsels und zwar ausser dem der Kohlensäure, der des Harnstoffs, der Harnsäure, der Sulphate. Die fötale Oxydation ist zwar eine geringe, sie ist aber vom Anfang an vorhanden und für das Leben des Fötus fundamental. Denn die Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr hat schleunigen Still- stand seiner Lebenserscheinungen zur Folge, und zwar (beim Hühnerei) schon in den frühesten Stadien der Embryogenesis. Die embryonale Motilität. Die Embryonen aller Thierclassen zeigen eigenthümliche Be- wegungen, welche vom höchsten physiologischen Interesse sind, weil sie zum Theil ohne irgend einen nachweisbaren äusseren Pieiz zu Stande kommen. Der Verfasser hat diese von ihm bei den Embryonen der Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugethiere im Ei beobachteten Bewegungen impulsiv genannt, um sie von allen anderen Bewegungen des Ungeborenen und des Geborenen zu unterscheiden. Sie gehen allen diesen vorher und bilden den Ausgangspunct für die Entwicklung des Willens nach der Geburt. Ihre Charakteristik und ihr Verhältniss zu den anderen beim Fötus beobachteten Bewegungsarten hat der Ver- fasser in seinem Buche „Die Seele des Kindes, Beobachtungen über die geistige Entwicklung des Menschen in den ersten Lebens- jahren'' (Leipzig, 2. Aufl. 1884) gegeben. Auch bei wirbellosen Thieren, namentlich bei Mollusken in durchsichtigen Eiern sind diese Bewegungen leicht wahrzunehmen. Sie sind aber complicirt mit anderen Bewegungen, welche eine sehr grosse Verbreitung im Thierreich zeigen, nämlich den seit Die embryonale Motilität. 541 Jahrhunderten bekannten Rotationen, Wälzungen um die Längsaxe und Rad -Drehungen um eine ideelle Axe entweder in einer Ebene wie um eine Spindel oder spiralig. Diese mit un- gleicher Geschwindigkeit theils einzeln , theils gleichzeitig im unverletzten Ei im Fruchtwasser normalerweise auch bei den Em- bryonen von anuren Amphibien vom Verfasser beobachteten Be- wegungen, beruhen, wie auf's Neue bestätigt wird, garnicht auf Muskelcontractionen , sondern auf Flimmerbewegung. Das Oscilliren der Wimpern an der Embryo - Oberfläche ist die erste Lebenserscheinung im Ei und tritt namentlich früher als die Herz- thätigkeit ein. Sie ist durch die Beschleunigung der Diffusions- vorgänge von grosser Bedeutung für die Athmung und Ernährung des werdenden Organismus und überdauert dessen Leben bei plötz- licher Tödtung oft um ein Beträchtliches. Unterbrochen werden diese Drehungen bei hydrozoischen Embryonen durch deren immer schnell verlaufende Eigenbe- wegungen noch vor der Ausbildung von Muskelfasern. Theils sind es Streckungen und Beugungen des Rumpfes, Annähern des Kopfes an den Schwanz des hufeisenförmig oder C-förmig ge- krümmten Embryo, theils schnellende Biegungen einer Körper- hälfte, auch Stossen mit dem Kopfe gegen die Eihaut, welche in unregelmässigen Pausen ohne erkennbaren äusseren Reiz, nament- lich bei Fröschen und Fischen, stattfinden. Ausserdem zeigen letztere — wenigstens Forellen und Äschen — eine durch ihre ausserordentlich hohe Frequenz merkwürdige, schwingende Be- wegung der Kiemendeckel vor, zugleich mit und nach dem Ausschlüpfen. Die auffallende Energie dieser Vibrationen, welche mehrere hundertmal in der Minute stattfinden können, beweist auf's Neue die Intensität des embryonalen Stoffwechsels selbst bei der niedrigen Temperatur von wenigen Graden über dem Eispunct. Auch die aperiodischen Bewegungen vieler Schnecken, welche Kopf und Fuss aus der kaum gebildeten Schale hervorstrecken, sowie das abwechselnde Schliessen und Öffnen der sich entwickeln- den Schalen der Flussmuscheln im Ei, das lebhafte, fast heftige Schlucken der Blutegel-Embryonen, endlich die durch Stossen zu Stande kommende ruckweise Umdrehung und die durch Stossen, Drehen, Winden, Sich-strecken und andere starke Muskelbeweg- ungen schliesslich herbeigeführte Sprengung der Eihüllen, bei sehr vielen gänzlich verschiedenen Thieren niederer und höherer Or- ganisation im Wesentlichen übereinstimmend, fordern den Scharf- N 542 Zusammenfassung der Ergebnisse. sinn des Experimentators heraus, nicht weniger wegen der Natur der Kraftquelle für die Arbeitsleistung, als wegen des ausgeprägt erblichen Charakters der ganzen organischen Bewegungsmaschi- nerie. Namentlich der Umstand, dass schon vor der morpho- logischen Differenzirung der letzteren in G-anglienzellen , Nerven- und Muskel-Fasern — von Knochen, Knorpeln, Bändern ganz ab- gesehen — sehr viele energische Contractionen und Expansionen zu Stande kommen, ist ein schlagender Beweis für die Unzuläng- lichkeit der Theorien der thierischen Bewegung überhaupt, und die Thatsache, dass viele Embryonen vor beendigter Entwicklung- im Ei künstlich befreit, wie ihre Eltern sich durch active Be- wegungen, Auflauern, Jagen, Beissen usw. (S. 403) Nahrung ver- schaffen können, nöthigt zur Anerkennung einer instinctiven oder psychischen Erblichkeit von ausserordentlicher Zähigkeit. Dasselbe lehrt in ausgedehntem Maasse die Untersuchung der Motilität des Vogelembryo. Der Verfasser hat jahrelang im Sommer mit besonderer Aufmerksamkeit die Bewegungser- scheinungen des Hühnchens im Ei in jeder Entwicklungsstufe beobachtet und mehrere neue Thatsachen festgestellt. Zunächst fand er, dass der Embryo sich viel früher bewegt, als sämmtliche Beobachter bis jetzt angeben, nämlich schon in der ersten Hälfte des fünften Brüttages, und zwar nicht allein im warmen eben geöffneten, sondern auch im völlig unverletzten, durchlichteten Ei. Diese frühen Bewegungen sind schon doppelter Art. Erstens bewegt der noch sehr kleine Embryo (wie ohne Zweifel auch der des Säugethieres der entsprechenden Entwick- lungsstufe) den Rumpf, indem er bald die vordere, bald die hintere Körperhälfte streckt oder das Kopfende dem Schwanzende einen Augenblick nähert. Zweitens beginnt schon am fünften Tage das für den Vogelembryo charakteristische Hin- und Her - Schwingen in und mit dem Amnion, welches der Verfasser der Kürze halber das Amnionschaukeln nennt. Entgegen allen früheren An- gaben wurde festgestellt, dass dieses im geschlossenen unversehrten Ei in jeder Hinsicht geradeso stattfindet, wie in dem noch völlig lebenswarmen eben geöffneten, und der Zutritt kalter Luft diese und andere embryonale Bewegungen nicht etwa steigert, sondern im Gegentheil hemmt. Die bisher vergeblich gesuchte Erklärung des in den folgenden Brüttagen an Energie rasch zunehmenden vom zwölften Tage an wieder abnehmenden Amnionschaukelns ist durch genaue Beobachtung und viele Versuche gefunden worden. Denn es zeigte sich, dass der Embryo selbst durch eine heftige Die embryouale Motilität. 543 Eigenbewegimg den ersten Anstoss zur Contraction des Theiles des Amnion gibt, dessen Faserzellen gerade dadurch mechanisch gereizt werden. Durch die locale Zusammenziehung des Amnion wird dann der Embryo passiv fortgeschleudert an das entgegen- gesetzte ruhende Ende des Amnion-Sackes, Dadurch kommt dieses, wiederum mechanisch gereizt, zur Contraction, wirft den Embryo zurück und so fort. Eine andere rein passive Bewegung erfährt das Kopfende und Schwanzende des Embryo vom vierten Tage an durch die Pul- sationen des noch extrathoracalen Herzens: ein mit der Herz- systole isochrones Pendeln des Kopf- und Schwanz-Endes gegen- einander. Während in der ersten Woche die activen Rumpf- bewegungen nach dem Herausnehmen des Embryo aus dem Ei sofort erlöschen, dauert das Herzpendeln, wie es der Kürze wegen heissen mag, noch fort (S. 410). Die vier Gliedmaassen des Hühnchens werden übrigens noch am sechsten Tage nur passiv genau bilateral-symmetrisch mit dem Rumpfe bewegt, am siebenten beginnen asymmetrische und nickende Bewegungen; am achten und neunten treten selbständige Lage- änderungen ein, die Beugungen und Streckungen der Glieder, das Schlagen mit den Flügeln werden häufiger und energischer ohne nachweisbaren Reiz. Die lebhaften stossenden Bewegungen des reifen Hühnchens vor und nach dem ersten Sprengversuch wurden mittelst des Embryoskops genauer verfolgt und bewiesen, dass es sich dabei nicht um ein „Picken" handelt; vielmehr tritt regelmässig, während das Hühnchen noch im intacten Ei Luft athmet, verstärkte Lungen- athmung (höchstwahrscheinlich Athemnoth wegen Sauerstofiman- gels) ein und der Kopf wird dabei zurückgeworfen, so dass der scharfe Haken am Oberschnabel die Schalenhaut zerreisst und, wenn die Bewegung genügend stark war, ein Sprung in der dicht darüber liegenden durch Wasserverdampfung brüchiger gewordenen Kalkschale entsteht (S. 413). Dann hört die Athemnoth auf und durch die drehenden Bewegungen des Hühnchens und wiederholtes Anschlagen des Schnabels gegen Schalenhaut und Kalkschale, wenn das erste Fenster dabei gleichsam verloren ging, so dass die Luftzufuhr wieder erschwert wurde, entstehen neue Risse, bis die Schale auseinanderfällt. Die darauf folgenden Bewegungen des noch nassen, hülflosen Hühnchens sind nicht so vollkommen zweckmässig, wie gewöhn- lich angenommen wird. Es dauert immer mehrere Stunden, ehe 544 Zusammenfassung der Ergebnisse. das Thier aufrecht stehen oder nur den Kopf frei emporhalten kann (Beilage I). — Die Bewegungen der Säugethier-Embryonen wurden theils im Uterus oder nur im Amnion im körperwarmen 0,6 ^^/^-procentigen Kochsalzbade beobachtet. Am intacten trächtigen Thier kann man durch Einführung einer langen dünnen jSTadel intrauterine Fruchtbewegungen hervorrufen, die auch stethoskopisch leicht ge- hört werden (S. 416). Eine bedeutende Steigerung erfahren die Fruchtbewegungen nach grossen Blutverlusten der Mutter und bei Erstickung derselben. Doch sind die fötalen Extremitäten-Beweg- ungen unabhängig von der Lungenathmung, denn sie treten schon ein, ehe mit der Lunge geathmet werden kann; auch lassen sich bei asphyktischen Früchten, wenn gar keine Inspiration mehr zu Stande kommt, reflectorische Beinbewegungen leicht hervorrufen. Athembewegungen treten aber nie ein, wenn nicht die Grlieder vorher reflectorisch bewegt werden konnten. Eine Abnahme der mütterlichen Temperatur bis 33" C. hindert nicht die Selbstentwicklung des fast reifen Meerschweinchenfötus durch einen Uterusbauchschnitt, und noch elf Minuten nach dem letzten Athemzuge der Mutter sah der Verfasser den Fötus sich lebhaft im Uterus bewegen. Wenn im physiologischen Kochsalzbade der Uterus mit äusser- ster Vorsicht eröffnet wird, dann sieht man durch die dünnen Häute hindurch den lange Zeit apnoischen fast reifen Fötus der Cavia cobaya bei sanfter Berührung völlig coordinirte Reflex- bewegungen machen. Sogar die charakteristischen kratzenden und wischenden Bewegungen mit den Vorderbeinen machen die Früchte im Amnioswasser, ohne eine einzige Athembewegung, ma- schinenmässig genau. Sie beissen und saugen sogleich nach der Befreiung. Weitere Experimente zeigten, dass der Fötus seine Glieder nach der Enthirnung oder Decapitation geradeso bewegt wie vorher. Mund und Nase des abgetrennten Kopfes machen für sich allein noch Athembewegungen. Für eben geborene Thiere gilt dasselbe. Das Grosshirn beeinflusst die Bewegungen desselben noch nicht, wie auch aus Experimenten Anderer hervorgeht. Je- doch darf daraus noch nicht auf Abwesenheit aller Reflexhem- mungsvorrichtungen im Halsmark und Rückenmark geschlossen werden. Vielmehr konnte der Verfasser wahre Reflexhemmungen beim neugeborenen Meerschweinchen sicher nachweisen 1) durch Weiterwerden der Pupille bei Beleuchtung mit Magnesiumlicht, sowie eine sehr starke Hautreizung stattfand, 2) durch Nachlass Die embryonale Motilität. 545 des von ihm entdeckten Ohrmuschelreflexes bei lautem Schall sowie irgend eine Hautstelle der Thierchen sehr fest compri- mirt wird. Allgemein gilt, dass je mehr Arten coordinirter Bewegung ein Thier fertig mit auf die Welt bringt, um so weniger es später neu erlernen kann. In dieser Beziehung nimmt das Menschenkind die letzte Stelle ein, da es nach der Geburt am meisten neue Bewegungen erwirbt. Wahrscheinlich bewegt der menschliche Embryo die Glieder vor der siebenten Woche. Auch für ihn gilt, dass das grosse und kleine Gehirn, sogar die Medulla oblongata, für das Zustande- kommen der Extremitätenbewegungen nicht erforderlich ist. Reife anencephale Früchte ohne ßespirationscentrum sind lebend ge- boren worden (S. 436). Dagegen sind alle Berichte über lebend geborene Kinder ohne Rückenmark unglaubwürdig. Die Mannigfaltigkeit der schon vor der Geburt regelmässig stattfindenden, nach derselben sich immer complicirter gestalten- den Muskelbewegungen ist bei allen Wirbelthieren viel grösser, als bisher angenommen wurde. Vor allem die Thatsache, dass selbst nach dem Eintritt der ersten selbständigen Be- wegungen des Embryo durch keine noch so starken elektrischen, traumatischen, thermischen, chemischen directen oderReflex-Reize deutlicheZusammenziehungen hervorgerufen werden können, dann auch die ebenfalls vom Verfasser durch viele Experimente ermittelte Thatsache, dass die Muskeln der Embryonen, wenn sie bereits sich nach künstlicher Reizung contrahiren, noch lange nicht te- tanisirt werden können, Muskelerregbarkeit und Tetanisir- barkeit also nicht zusammenfallen , endlich das Saugen und Schlucken vor der Geburt, bilden Ausgangspuncte zu neuen viel- versprechenden physiologischen Untersuchungen der Contractilität überhaupt, des Zusammenhangs von Nerven- und Muskel-System im Besonderen. Ein Versuch des Verfassers vom Jahre 1881, alle vom ge- borenen Kinde und Thier ausgeführten Bewegungen auf Grund der ihnen unmittelbar zu Grunde liegenden Ursachen zu classifi- cken, hat sich bei seiner Anwendung auf den Ungeborenen so vollkommen bewährt , dass er zum Schlüsse noch angedeutet sein mag. Entweder ist die unmittelbare Ursache einer thieiischen Preyer, Physiolog'ie des Embryo. 35 546 Zusammenfassung der Ergebnisse. Bewegung bei vorhandenem Vermögen der Bewegung eine äussere, d. h. ausserhalb des Organismus gelegene und dem betreffenden Bewegungsapparate fremde, oder eine innere, d. h. in ihm vor- handene mit ihm zugleich nothwendig thätige. Die Bewegungen der ersteren Art werden allokinetisch, die letzteren autokine- tisch genannt. Jede der beiden Gruppen enthält drei verschiedene Abthei- lungen. Die erste Gruppe umfasst alle passiven ohne irgend welche physiologische Action des bewegten Körpers vor sich gehenden Bewegungen. Diese sind namentlich bei Embryonen niederer Thiere, deren Eier im Wasser schweben, fortgetrieben werden und zu Boden sinken, von grosser Wichtigkeit, beim menschlichen Fötus in der Geburtshülfe von praktischer Bedeutung (S. 434. 445), bei allen viviparen Thieren durch die Bewegungen der Mutter mannigfaltig, bei Oviparen niemals fehlend. Die zweite Art allo- kinetischer Bewegungen, die durch Reizung der contractilen Theile oder ihrer Nerven direct herbeigeführte Contraction, ist mehr Gegenstand des Experimentes als der Beobachtung, da sie natür- ; licherweise nicht leicht ohne Bloslegung des Fötus eintritt. Die passendste Bezeichnung für diese Bewegungen nach directer peri- pherer Reizung ist irritativ. Drittens sind in diese Gruppe noch alle reinen Reflexbewegungen zu rechnen, welche zwar ebenfalls einen peripheren Reiz, z. B. eine Berührung, Abkühlung, als unmittel- bare Ursache benöthigen, aber nicht ohne Betheiligung eines ner- vösen Centralorgans auch beim Fötus zu Stande kommen und durch das Fehlen psychischer oder physischer centraler Processe vor der Action sich auszeichnen. Die zweite Gruppe umfasst dagegen gerade die durch psy- chische und physische centrale Processe erst ausgelösten Beweg- ungen und zwar vor Allem die vom Verfasser schon früher (1880) als impulsiv bezeichneten psychogenetisch besonders wichtigen, bei allen Wirbelthierembryonen regelmässig sehr früh eintretenden Zuckungen, Beugungen und Streckungen des Rumpfes und viele andere sich daran anschliessende Contractionen und Expansionen auch des neugeborenen, des schlafenden und des aus dem Winter- schlaf erwachenden Thieres. Viel später erscheinen erst die Be- wegungen der zweiten Classe: erbliche psychische Vorgänge be- dingen unter gewissen äusseren und inneren Bedingungen wohl- charakterisirte zweckmässige coordinirte Bewegungen, deren Ursache man dem In st in et zuschreibt. Das erste Saugen gehört Die embryonale Sensibilität. 547 dahin. Die letzte Abtheilung autokinetischer Bewegungen enthält die durch Vorstellungen nach eigener Erfahrung erst hervor- gerufenen bei der erstmaligen vollkommenen Ausführung immer überlegten, coordinirten (motivirten) Actionen oder Handlungen im eigentlichen Sinne. Von den sechs Bewegungsarten ist diese letzte die einzige, welche erst nach der Geburt, nachdem durch die Sinne individuelle psychische Erfahrungen zu Stande kamen, erscheint. Sie fehlt dem Fötus gänzlich. Bezüglich der näheren Begründung und Erläuterung aller Unterscheidungen wird auf die früheren Arbeiten des Verfassers verwiesen. Die embryonale Sensibilität. Bei Embryonen jeder Art ist die Einwirkung von Sinnesein- drücken im Vergleiche zum späteren Leben eine minimale schon wegen ihrer Isolirung im Ei. Die Sinnesorgane entwickeln sich aber sehr früh, und die Prüfung der Erregbarkeit des nerven- reichsten und ältesten, der äusseren Haut, hat gezeigt, dass lange bevor die Embryonen für sich lebensfähig sind, ihre Hautempfindlichkeit vorhanden ist, da sie auf schmerzer- regende Eingriffe, namentlich starke elektrische, traumatische, chemische und thermische Reize (Abkühlung wie Erwärmung) deutlich, oft lebhaft, durch allerlei zuerst ungeordnete, dann ge- ordnete Reflexe reagiren. Vom grössten theoretischen Interesse ist dabei die vom Verfasser durch sehr zahlreiche Versuche fest- gestellte Thatsache , dass ausnahmslos der Embryo sich „von selbst" bewegt, lange bevor periphere Reize irgend welcher Art wirksam sind, d.h. die Sensibilität tritt regelmässig später auf, als die Motilität. Es ist zwar nicht immer leicht, beim Embryo eine vorhandene Empfindlichkeit der Sinnesnerven zu beweisen, weil gerade beim Experimentiren unter den günstigsten Umständen die impulsiven Bewegungen des kleinen Wesens sehr zahlreich zu sein pflegen, so dass man nicht wissen kann, ob eine auf einen peripheren Reiz folgende Bewegung eine Reflexantwort ist oder auch ohne denselben eingetreten wäre; jedoch hat der Verfasser beim Säuge- thier- und Vogel -Embryo in der Weise operirt, dass er durch vorsichtige Abkühlung des Eies die Intensität der ursprünglichen Bewegungen herabsetzte und nun die Reflexreize wirken Hess. Es zeigte sich immer die Hautsensibilität später als die directe Er- regbarkeit des contractilen Gewebes. 35* 548 Zusammenfassung der Ergebnisse. Durch die zeitliche Trennung der beiden später zusammen fungirenden sensorischen und motorischen Nerven und Nerven- endapparate, welche wahrscheinlich auf einer ungleichen Entwick- lungsgeschwindigkeit der vorderen und hinteren Hörner des liückenmarks beruht, gewinnt das Verhalten der reifen und un- reifen Embryonen gegen anästhetische Mittel ein besonderes Interesse. Hier zeigte sich — zunächst für die Früchte des Kaninchens — dass die Chloroformnarkose, nachdem die Lungenathmung (im Brütofen) in Gang gekommen, beim Einathmen chloroformh altiger Luft schwer zu Stande kommt, indem die Motilität und Sensibi- lität nicht leicht erlöschen, dass sie viel schneller verläuft als beim Geborenen und dass auch beim ausgiebigen Benetzen der Haut mit Chloroform zwar die Sensibilität bald erlischt, aber schnell wiedererscheint. Die gesteigerte Ventilation beim luft- athmenden Fötus und die höhere Temperatur der Luft im Brüt- ofen erklären die geringe Wirkung der anästhetischen Mittel beim Fötus nicht. Dieselbe beruht wahrscheinlich auf einer geringeren Entwicklung der nervösen Centralorgane. Die geringe Empfindlichkeit derselben auch gegen andere Gifte ver- dient eine gründliche Untersuchung. Von den an die Ausbildung sensorischer Hirnnerven ge- knüpften Sinnen ist der Geschmack zuerst nachweisbar vorhanden. Sogar ein (menschlicher) Anencephalus unterscheidet Süss und Sauer (S. 477), und vorzeitig geborene Meerschweinchen können, wie früligeborene Kinder, Süss von anderen Geschmacksqualitäten sogleich unterscheiden. Geruchs empfindungen treten erst nach der Geburt beim Säugethier ein, beim Vogel sogleich nach dem Ausschlüpfen. Hören können die Säugethiere vor der Geburt und in den ersten Minuten oder Stunden nach derselben nicht. Der charak- teristische Ohrmuschelreflex des Meerschweinchens (und der Fleder- maus) fehlt anfangs gänzlich, tritt dann nach lautem Schall un- vollständig und langsam, schliesslich immer schneller ein (S. 481). Das Hühnchen hört aber schon vor dem Verlassen der Eischale. Die Empfindlichkeit der Netzhaut für Licht ist beim Men- schen schon mehrere Wochen vor der Geburt vorhanden, wie das Verhalten frühgeborener Kinder beweist (8. 483). Beim nahezu reifen Thierfötus wirken mydriatische Mittel (Atropin) wie beim Das embryonale Wachsthum. 549 geborenen, myotische (Physostigmin) sogar schon ehe das Licht die Pupille verengt. Das Verhalten der Neugeborenen gegen Sinnesreize wurde vom Verfasser an anderer Stelle („Seele der Kindes") ausführlich betrachtet. Von Gemeingefühlen können dem reifen Fötus ein schwaches Lust- und Schmerz-Gefühl, Muskelgefühle, auch Hunger nicht ab- gesprochen werden. Aber er hat nach Ausbildung der dazu er- forderlichen Nerven kaum Gelegenheit, starke Empfindungen und Gefühle zu haben, weil er höchstwahrscheinlich in der letzten Entwicklungszeit fast ununterbrochen bis zur Geburt schläft. Das embryonale Wachsthum. Ausser der Volum- und Massen - Zunahme der Zellen, sowie ihrer Vermehrung durch Theilung, kommt für alles organische Wachsthum, und zumeist für das rapide Wachsthum aller Em- bryonen, die während jener Assimilations- und Zeugungs-Processe regelmässig stattfindende Zunahme der intercellulären Substanzen sehr wesentlich in Betracht, also der Secrete und Excrete der embryonalen Zellen. Aber diese Seite des Wachsthums, durch erbliche Eigenschaften bestimmt, ist noch nicht im Einzelnen erforscht. Die Wägung und Messung der Embryonen und ihrer Theile, die Embryo metrie, ist auch unvollkommen und bis jetzt nicht ausreichend zur Construction einer genauen Wachsthumscurve. Zwar würden sich ohne grosse Schwierigkeiten besser überein- stimmende Zahlen gewinnen lassen, wenn man zu diesem Zwecke stets nur den ganz frischen Embryo und seine Theile ohne Wasserverlust wägen wollte — namentlich nicht Spirituspräparate und todtfaule Früchte — und wenn man, von dem Anlegen eines nassen Fadens ganz absehend, stets die grösste geradlinige Ent' fernung des Kopfendes (Scheitelwölbung) von dem Steiss (Chorda- Ende, Schwanzwurzel) zu Grunde legen wollte; aber selbst im Falle derartige in Wahrheit untereinander vergleichbare, weil gleichwerthige, Zahlen in grossen Reihen vorlägen, würde das Ge- setz des embryonalen Wachsthums doch nicht genau gefunden werden können, weil die Altersbestimmung der Früchte des Men- schen zur Zeit nur innerhalb relativ weit auseinander liegender Fehlergrenzen möglich ist. Immer gibt die Zeit von der ersten Begattung nach der letzten Menstruation oder die von der befruchtenden Cohabitation 550 Zusammenfassung der Ergebnisse. an bis zur Geburt, d. h. bis zur Ausstossuug der um'eifen oder reifen Erucht, ein maximales Alter für diese, weil man nicht Aveiss, wieviel Tage beim Menschen vom Eintritt der Samenfäden in den Uterus bis zum Eindringen derselben in das Ei vergehen und, im Falle die vorzeitig oder rechtzeitig geborene Frucht todt ist, sich nicht jedesmal genau ermitteln lässt, wann sie abstarb. Nur in dem einen seltenen Fall, wo bei einer immer ganz regel- mässig Menstruirten die Begattung unmittelbar vor der zu er- wartenden Blutung stattfand und diese dann ausblieb, lässt sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die Befruch- tung und Begattung fast zusammenfallen. Einen minimalen Werth für das Fötusalter liefert die Zeit von dem Tage der zum ersten Male nach der Cohabitation ausgebliebenen Regel bis zur Geburt, jedoch nur wenn die Frucht noch lebend ausgestossen wird. Da aber diese maximalen und minimalen Zeitwerthe sich nur selten genau ermitteln lassen, auch die Dauer der Schwanger- schaft nachgewiesenermaassen, wie man auch rechnen möge, nicht constant ist, auch bei einer und derselben Frau nicht, so kann einstweilen die Geschwindigkeit des embryonalen Wachsthums, namentlich für die ersten zwei Monate, schlechterdings nicht ge- nau angegeben werden. Dieselbe ist durchaus nicht constant, da bei Mehrgeburten die gleichalten Früchte oft ungleich schwer sind, die Ernährung derselben variirt. Aus den vorhandenen Messungen und Wägungen menschlicher Früchte ergibt sich nur im Allgemeinen, dass die absolute Längen- zunahme im fünften und sechsten, die relative im ersten und zweiten Fruchtmonat am grössten ist (S. 499). Für den Thierfötus fehlt es noch zu sehr an Einzelbestim- mungen. Nach den vorliegenden (S. 507) verzehnfacht das Meer- schweinchen, von dem vor dem Ende der zweiten Woche noch nichts zu sehen ist, sein Gewicht in der dritten Woche und noch ein- mal in der vierten. Das Hühnchen, dessen Altersbestimmung am genauesten ist, zeigt die merkwürdige Erscheinung, dass von der Mitte der Incubation an bis zum Ausschlüpfen gerade diejenigen Theile — Gehirn, Auge, Schnabel, Zehen — welche unmittelbar nach dem Verlassen der Schale zumeist in Function treten, um fast ebensoviel oder mehr wachsen, als in der ganzen übrigen Lebenszeit (S. 509), während die Geschlechtsdrüsen im Ei am wenigsten wachsen und im selbständigen Dasein zuletzt zu fun- giren beginnen. Die Gründe für dieses eigenthümliche Verhalten können erst Das embryonale Wachsthum. 551 aufgefunden werden, wenn der vage Begriff der Erblichkeit prä- cisirt sein wird. Dann auch kann die wichtige Aufgabe in Angriff genommen werden, ein Differenzirungsgesetz zu begründen, wel- ches gestattet, aus einem einzigen Merkmal des Embryo mit Sicherheit den Grad seiner ganzen Entwicklung zu erkennen. Dass die Differenzirung im Ei eine durch unzählbar häufige Wiederholung constant gewordene, für jede höhere Thierart cha- rakteristische und ein durch die Beschaffenheit des Eies und des in es eingedrungenen Spermakörper- chens bedingtes physiologisches Phä- nomen ist, steht fest. Aber es ist ebenso wichtig, nur weniger bekannt, dass die Differen- zirung und die individuelle Ver- schiedenheit gleichalter Greschwister- Embryonen auch des Menschen nicht allein durch die Erblichkeit, d. h. durch die Beschaffenheit der zu ihrer Bildung sich vereinigenden männlichen und weiblichen Ge- schlechtsproducte verursacht wird, sondern auch von dem Wachsthum, sofern dieses Grössenzunahme ist, unabhängig bleibt. Endlich zeigt schon der An- blick eines menschlichen Fötus, der in allen seinen Theilen als ein solcher sich bereits zu erkennen gibt, wie verschieden das Wachs- thum vor der Geburt von dem nach der Geburt verläuft. Das beiste- hende Bild eines frischen zuerst photographirten, dann zinkographir- ten, fast fünfmonatlichen weiblichen Fötus z. B. lehrt, dass die untere Körperhälfte viel weniger ausge- bildet ist als die obere, die Hüften weniger als die Schultern, die Beine weniger als die Arme. Der Kopf ist relativ grösser, das Becken, der Fuss relativ kleiner als beim Säugling und vollends als beim Erwachsenen. Fötus aus dem fünften Monat (weiblich). Nach einer Photographie. 552 Zusammenfassung der Ergebnisse. Diese Ungleichheiten der Grössenzunahmen des Menschen nach weit fortgeschrittener, zum Theil beendigter Differenzirung lange vor der Geburt bleiben bei schnellem und langsamem Wachsen, bei guter und schlechter Ernährung im Ei bestehen. Sie sind erblich, und zwar bei jeder Thierart andere, sogar beim Stamme einer Familie verschieden von denen beim Stamme einer anderen derselben Art. Hier reiht die Physiologie des Embryo Problem an Problem. B E IL A G E' N. I. Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei vom ersten bis zum letzten Tage der Bebrütung und sein Verhalten nach dem Ausschlüpfen von W. Preyer. II. Physiologische Beobachtungen an lebenden Meer- schweinchen-Embryonen verschiedenen Alters von dem- selben. III. Über den Blutkreislauf des Säugethier- und Menschen -Fötus von Dr. R. Ziegenspeck. IV. Literatur zur speciellen Physiologie des Embryo nebst Namenregister. V. Erläuterung der Tafeln. I. Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei Tom ersten bis zum letzten Tage der Bebrütung und sein Verhalten kurz nach dem Ausschlüpfen. Vorbemerkung. Ich stelle im Folgenden ausschliesslich auf eigener Beobach- tung beruhende Thatsachen über die Bewegungserscheinungen des Hühnchens im Ei zusammen. Wenn Andere ähnliche Mitthei- lungen über das Verhalten anderer Embryonen machen, werden sich genauer die Zeitpuncte bestimmen lassen, in denen die ersten Muskelcontractionen, die ersten Reflexbewegungen u. v. a. eintreten. Durch die vorliegende auf der Untersuchung von mehreren hun- dert Hühnerembryonen fussende chronologische Zusammenstellung ist nur ein Anfang gemacht. P. Am 1. Tage. Der Embryo noch nicht kenntlich. Am 2. Tage. Die Systole und Diastole des Herzschlauchs beginnt in der zweiten Hälfte — wahrscheinlich manchmal schon in der ersten Hälfte — des zweiten Tages (S. 23). Durch die anfangs selteneren, unregelmässigen, später frequenten, rhythmischen Herzcontractionen kommt der Dotterkreislauf in Gang. Anfangs ist aber das Blut nicht roth gefärbt, und die Systole verläuft sehr viel langsamer als später. 556 Beilage I. Am 3. Tage. Die Pulsationen des Herzens werden frequenter, die Dotter- circulation vervollständigt sich. In einem nicht mehr brutwarmen Ei vom Ende dieses Tages schlug das Herz fünf Min, nach dem öffnen noch 91 mal in der Min. In einem anderen derartigen Fall (Gefässe blass) betrug die Frequenz nur 56 in der Min. Im lebenswarmen Ei kann sie aber in der ersten Minute nach dem Öffnen bis über 150 steigen, wenigstens gegen Ende dieses Tages. Bewegungen macht der Embryo noch keine. Die oft schon am zweiten Tage beginnende Kopfkrümmung und die am Ende des dritten Tages nicht in allen Fällen vorhandene Körperkrüm- mung, desgleichen die am dritten Tage eintretende' Lageänderung, sämmtlich durch Wachsthumsprocesse bedingt, haben mit der Motilität nichts zu thun. Beim elektrischen Tetanisiren des Embryo erfolgt keine andere sichtbare Wirkung als die auf das Herz, und diese nur, wenn letzteres in die intrapolare Strecke zu liegen kommt. Dann tritt anfangs Zunahme der Schlagzahl, hierauf Herztetanus ein. Der constante Strom hat überhaupt keine sichtbare Wirkung, es sei denn, bei gesteigerter Intensität, elektrolytische Gasent- wicklung. Die Einwirkung anderer (thermischer, mechanischer, che- mischer) Keize ist an der Änderung der Herzthätigkeit kenntüch (S. 31 fg.). Am 4. Tage. Die Herzthätigkeit wird ausgiebiger. In der 20, Stunde, drei Min. und elf Min. nach dem Öffnen, 120 Schläge in der Min. Gegen Ende dieses Tages sah ich, dass Kopf und Schwanz bei vielen Embryonen einzeln, bei einigen gleichzeitig durch jeden Herzschlag einen Stoss erhalten, so dass ein mit dem Pulse iso- chrones Pendeln des Kopf- und Schwanz -Endes gegeneinander stattfindet. Einmal zählte ich 130, ein andermal 139 in der Min., als der Kopf nach eben erst begonnener Schwanzkrümmung allein pendelte, in der letzten Stunde dieses Tages. Die Oscillationen des Kopfes (Auges) gestatten, die Zählung der Herzschläge leicht auszuführen. Manchmal sind sie jedoch so schwach, dass man sie leicht übersieht. Am vierten Tage sah ich nach l'/2 Min. langem Tetanisiren mit starken Inductions-Strömen vorübergehend Gefässverengerung jedesmal eintreten, welche den Keiz etwas überdauerte. Pbj^siologische Beobachtuugen über das Hühnchen im Ei. 557 Auf Stechen, Quetschen, Schneiden reagirt der Embryo nicht im Geringsten. Erwärmen hat regelmässig eine Zunahme der Herzschlagzahl zur Folge und verzögert bei Verhinderung der Verdunstung des Eiwassers die Abnahme im offenen Ei. Abküh- lung vermindert die Herzfrequenz, demgemäss auch das Kopf- pendeln. Jedoch zählte ich auch in dem offenen an der Luft abgekühlten Ei (aus der sechsten Stunde) noch 97 Schläge, im nicht erwärmten, aber noch nicht abgekühlten, aus der vierten Stunde an der Luft 125 in der Minute. Wiederholt habe ich vor dem Einlegen des Eies in den Brüt- ofen ein etwa groschengrosses Stück der Schale am stumpfen Ende mitsammt der äusseren Schalenhaut von der Luftkammer entfernt und am Beginne des vierten Tages die Entwicklung nor- mal gefunden. Li einem solchen Falle schlug das Herz 109 mal, in einem anderen ungewöhnlich weit entwickelten 127 mal in der Minute (in der ersten Stmide dieses Tages), während im intacten Ei von der 23. Stunde 101 gefunden wurden. Also hindert das Abbrechen von Schalenstücken am stumpfen Pol die erste Ent- wicklung nicht im Greringsten. Am 5. Tage. Die ersten activen Embryo -Bewegungen treten in der ersten Hälfte dieses Tages ein. Es sind nur ßumpfbewegungen, Neigungen der oberen und unteren Körperhälfte des hufeisenförmig gekrümmten Embryo gegeneinander, in den ersten Minuten (manch- mal noch in der zwölften Min.) nach dem Öffnen des warm ge- haltenen Eies. In den Pausen findet ausserdem zu allen Stunden die viel schnellere Oscillation durch den Herzschlag in demselben Sinne statt, welche mit den activen Beugungen und Streckungen, theils des Kopfendes, theils des Schwanzendes, theils beider, nicht verwechselt werden kann und in dem mit unverletztem Amnion auf ein warmes Uhrglas gebrachten Embryo noch manchmal Mi- nuten lang fortgeht. Neben diesen zwei Bewegungserscheinungen, bisweilen zu- gleich mit beiden, findet eine passive Bewegung des Embryo durch die Contractionen des nun geschlossenen Amnion statt. Es ist ein Schaukeln, bald schwach, bald stark, schnell oder langsam ablaufend, oft in ziemlich langen Intervallen (8 in 25, in 33, in 46 Secunden), oft ganz unregelmässig, während die durch den Herzstoss bedingten Oscillationen (100 in 38, in 42 und in 43, auch 558 Beilage I. 54 See.) ganz regelmässig bleiben (in dem warm gehaltenen oben offenen Ei). Darüber kann ein Zweifel nicht bestehen, dass die Beugungen und Streckungen des Vorderkörpers und die des Hinterkörpers, sowie die viel seltener von mir am Ende dieses Tages gesehenen seitlichen Neigungen des Kopfes unabhängig vom Amnion vor sich gehen; denn manchmal sieht man nur anfangs gleich nach dem Öffnen des Eies das Amnionschaukeln und. erst nachdem dieses aufgehört hat, die Bewegungen des Embryo eintreten, welche ich auch dann noch wahrnahm, nachdem ich das Amnion aufgeschhtzt hatte und sogar, wenn der Kopf an der Luft bioslag. Dabei ge- schieht es wohl, dass der Kopf seitlich sich gegen den Schwanz bewegt und zurück (noch in der neunten Minute nach dem Öffnen). Wenn aber der Embryo herausgenommen wird, hört sogleich alle Bewegung auf, und sein Blut nimmt die dunkele Farbe des Er- stickungsblutes an. Trotz dieser Motilität des Embryo ist die elektrische Reiz- barkeit aller seiner Theile minimal. Nur bei Anwendung sehr starker Inductionswechselströme gelingt es bisweilen beim Beob- achten des ganz frischen Embryo im directen Sonnenlicht an einer geringfügigen Änderung des Lichtreflexes eine Art Contraction der gereizten Theile nach der ersten Application des Reizes zu constatiren, z. B. wenn die feinen Platinelektroden (die Enden der secundären Rolle des Schlitteninductoriums) über den hinteren Extremitäten in den Rücken eingeführt werden, eine Contraction des Schwanzes. Stechen, Quetschen, Schneiden irgend eines Theiles des Em- bryo bleibt völlig unbeantwortet. Wenn man aber ein Stück vom Amnion vorsichtig herausschneidet, geschieht es wohl, dass der Embryo sich einige Male stärker krümmt und expandirt. Bei den Rumpfbewegungen werden die Extremitäten immer nur passiv mitbewegt. In einzelnen Fällen scheint eine active Bewegung derselben einzutreten; wenn z. B. der Vorderkörper sich bewegt, scheinen die Flügelstümpfe sich zu bewegen, sogar sich zu nähern. Je öfter man aber mit alleiniger Rücksicht auf die Frage, ob die Gliedmaassen unabhängig vom Jlumpf bewegt werden, untersucht, um so sicherer kommt man zu der Einsicht, dass am fünften Tage weder Flügel-, noch Bein-Stümpfe für sich activ bewegt werden. Die Vermuthung, dass die von mir am fünften Tage gesehenen Kopfbewegiingen nicht physiologisch seien, sondern durch den Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 559 Eingriff beim Öffnen veranlasst wüi*den, wird widerlegt durch die Thatsache, dass ich in der zweiten Hälfte des fünften Tages be- reits embryoskopisch im unverletzten warmen Ei an den pigmen- tirten Augen im directen Sonnenlicht arhythmische Ortsänderungen gesehen habe, freilich nicht in jedem Ei. Zu Anfang des fünften Tages sind oft die Augen noch nicht dunkel genug, um die oosko- pische Beobachtung zweifelfrei zu machen, die Schwanzkrümmung oft erst im Beginn. Auch im frisch eröffneten Ei ist zu Anfang des fünften Tages die Beobachtung ohne directes Sonnenlicht nicht leicht. In der 18. Stunde aber zeigt mein Embryoskop sicher die Kopfbewegung im intacten Ei an. Zum Beleg einige Beobachtungsprotokolle: 10. Stunde. Ei Nr. 159. Ausgezeichnete active Bewegungen, jedoch nur des Rumpfes, und zwar des mittleren und hinteren Theiles, in Pausen von mehreren Secunden; aber auch der Hals wand sich dann und wann, so dass, da ich den Eücken von oben sah, es das Aussehen hatte, als wenn ein Wurm oder eine kleine Schlange dahinglitte, indem die Bewegung vom Nacken anfing und sich über den Eücken zum Schwanz fortzupflanzen schien. In diesem Falle fand gar kein Amnionschaukeln und kein Herzpendeln statt. Noch 7 Min. nach dem Öffnen zählte ich 100 Herzschläge in 1 Min. 21. Stunde. Ei Nr. 129. Lebhafte active Bewegungen des Eumpfes. Anfangs auch unregelmässiges durch Amnioncontractionen verursachtes Schwanken. Das mit dem Herzschlag isochrone Oscilliren des Kopfes und Schwanzes deutlich. Es wird durch die activen Eumpfstreckungen , wobei die Convexität des Embryo abnimmt, um sich dann wieder herzustellen, dann und wann unterbrochen, sogar noch 12 Min. nach dem Offnen des Eies. Das Herz machte in der 1. Min. 100 Schläge in 46 See, in der 7. Min. 100 in 45 See. Es pulsirt noch regelmässig nach 24 Min., nach 3 ^J^ Stunde bei 14° viel langsamer, aber nach 4 Stunden beim Erwärmen wie anfangs, trotzdem das Ei unbedeckt blieb und keine Spur von activen Bewegungen und von elektrischer Eeizbarkeit des Embryo selbst mehr übrig war. 23. Stunde. Ei Nr. 148. Ausgezeichnet deutliches Schaukeln durch Contractionen des Amnion, welches zuerst an einem Ende, dann am ent- gegengesetzten sich sichtbar zusammenzieht und den Embryo hin und her wogen macht, wobei der Nabel als Befestigungspunct dient. Zugleich sehr deutliches mit dem Herzschlag isochrones Oscilliren des Kopfes. Ich sah den Embryo vom Eücken aus. Kaum hatte ich ihn im intacten Amnion herausgehoben, da wurde sein Blut asphyktisch gefärbt und er war todt. In einem anderen Ei (Nr. 151) aus der 28. St. war das Amnionschaukeln gleichfalls typisch ausgeprägt. Es fanden in der ersten Minute nach dem Offnen 8 Schwingungen in 25 Secunden statt, nach 3 Min. 8 in 33 See. sehr gleichmässig. Nach 5 Min. stand das Amnion still und der Embryo machte keine Bewegungen, aber das passive Pendeln durch den Herzschlag dauerte fort: 100 mal in 42 See, nachdem ich 10 Min. nach Öffnung des Eies das Amnion aufgeschlitzt hatte; 18 Min. nach der Öffnung bewirkte die Tetanisi- rung des Eückens zwischen den hinteren Gliedmaassen eine Contraction des 560 Beilage I. Schwanzes, welche aber sehr schwach war. Die Eitemperatnr betrug 2 Min, später noch 38 °. 24. Stunde. Ei Nr. 131. Anfangs wenig energische Contractionen des Amnion. Dann traten lebhafte active Bewegungen des Embryo ein. Der Kopf wurde seitlich mehrmals hin- und herbewegt, auch die hintere Körper- hälfte für sich gegen den Kopf gewendet und für sich dann und wann ge- streckt. Selbst nach dem Aufschlitzen des Amnion, als der Kopf an der Luft bloslag, traten diese Bewegungen ein; 9 Min. nach dem Öffnen bog sich der Kopf zum Schwanz, so dass der Embryo dextroconvexe Krümmungen erfuhr, die auch eintraten, wenn sich das Schwanzende dem Kopf zu contra- hirte. Sehr deutliches Herzpendeln. Als ich aber 11 Min. nach dem Offnen den Embryo herausnahm, war er sofort regungslos. Nur das Herz schlug noch. In einem anderen Ei (Nr. 156) aus der letzten Stunde des 5. Tages war das Amnionschaukeln schwach und unregelmässig: 8 Schwingungen in 40 See. in der ersten Min. nach dem Offnen, dann Ruhe. Es trat eine ac- tive Rumpfbewegung ein, indem Kopf- und Schwanz-Ende des hufeisenförmig- gekrümmten Embryo sich näherten. Nach 24 Min., als ich den Embryo und das Amnion durch Nadelstiche zu reizen versuchte, trat keine Bewegung ein. Als ich aber ein Stück aus dem Amnion herausschnitt, krümmte sich der Embryo stärker und wechselte mehrmals zwischen Beugung und Streckung ab, immer die U - Gestalt behaltend. Die Zerstörung der Hirnblasen war hier, wie in anderen Fällen, wii'kungslos. Einen dritten Embryo (Ei Nr. 161) von derselben Stunde konnte ich mit den G-efässen auf ein warmes Uhrglas bringen, wo das Oscilliren des Kopf- und Schwanz-Endes im Herzrhythmus (100 in 38 See.) fortging. Von keinem Puncte der Oberfläche aus liess sich durch elektrische Reizung eine Contraction herbeiführen. Bei einem vierten Embryo (Nr. 163) desselben Alters sah ich eine starke Zusammenziehung des Rumpfes in der Mitte, so dass die beiden künftigen Flügel einander genähert wurden und zu zucken schienen ; 4 Min. nach dem Öffnen des Eies dauerte das Pendeln des Kopfes durch den Herz- stoss fort. Schliesslich ist noch zu bemerken, dass auch stark geschüttelte Eier am fünften Tage lebende Embryonen enthalten können, und wenn ein Theil der Schale und Schalenhaut von der Luftkammer entfernt und vor der Incubation mit Papier verklebt worden war, habe ich gleichfalls die Entwicklung normal vor sich gehen sehen. Ein solches Ei (Nr. 67) entleerte ich zu Beginn des fünften Tages mitsammt dem Embryo in eine warme Porcellanschale und zählte dann noch 100 Herzschläge in der Min., im Ei selbst (Nr. 231) zu dieser Zeit (2. St.) wenig', mehr (100 in 53 See. "im Ei Nr. 257). Am 6. Tage. In den ersten wie in den letzten Stunden dieses Tages sieht man sehr häufig unmittelbar nach dem vorsichtigen Ofinen des Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 561 Eies, wenn der Embryo in situ bleibt, die schon am fünften Tage wahrgenommenen Zu- nnd Abnahmen der Convexität desselben, in- dem bald nur einmal, bald mehrmals hintereinander (bis viermal) der Kopf sich dem Schwanz nähert und umgekehrt, wie beim Forellen-Embryo. Diese active Bewegung des hufeisenförmig ge- krümmten Embryo betrifi't immer nur eine Körperhälfte allein, die vordere oder die hintere. Jede dieser beiden Hälften streckt sich und beugt sich für sich, bisweilen so schnell, dass die Ände- rung wie eine Zuckung erscheint, meistens aber langsam. Die Bewegungen des Kopfendes erkannte ich auch ooskopisch im unverletzten Ei an den kleinen Bewegungen des bereits dunkeln Auges von den ersten Stunden dieses Tages an mit voller Sicherheit. In keinem Falle aber sah ich, auch zu Ende dieses Tages nicht, unzweideutige active Bewegungen einzelner Gliedmaassen. Dieselben werden zwar bewegt, so dass jeder Ungeübte beim ersten Anblick der beschriebenen Eumpfbewegungen den Eindruck er- hält, als wenn die Flügel und Beine sich activ bewegten. In Wahrheit aber pendeln sie meistens nur durch passives Ge- schleudertwerden hin und her bei den Krümmungsänderungen des Körpers. Ich will damit nicht leugnen, dass die an diesem Tage oft eintretenden Zuckungen der Extremitäten schon auf einer selbständigen Motilität des Embryo beruhen, was für den fünften Tag gewiss noch nicht gilt, aber wichtig ist es, dass in keinem Fall am sechsten Tage eine einzelne Extremität für sich bewegt wird. Wenn active Zuckungen oder passive Bewegungen durch Rumpfcontractionen auftreten, so werden immer beide Flügel oder beide Beine gleichzeitig in demselben Sinne bewegt: bilateral- symmetrisch. Ausserdem sieht man schon gleich zu Beginn des sechsten Tages geradeso wie zu Ende desselben die schaukelnden Beweg- ungen des Embryo, welche durch Amnioncontractionen bedingt sind, und zwar sah ich sie ooskopisch geradeso schnell und stark im unverletzten Ei wie im eröffneten vor sich gehen, nämlich acht Schwankungen in 25 bis 30 Secunden; dann tritt oft eine Pause ein, worauf das Oscilliren weitergeht. Endlich ist noch an diesem Tage wohl ausgeprägt das Pendeln des Kopfes durch den Herzstoss; oft auch wird der Schwanz gleichzeitig mit dem Kopf durch jeden Herzschlag schwach ge- hoben, und zwar zieht sich das Herz regelmässig und sehr kräftig im eben eröffneten Ei zusammen: 100 mal in 40 bis Frey er, Physiologie des Embryo. 36 562 Beilage I. 48 Secunden, durchsclmittlich 136 mal in der Minute im normalen Zustande. Traumatische Reizung hatte nicht die geringste Antworts- bewegung zur Folge; weder Quetschen und Stechen irgend eines Körpertheils, noch auch die Amputation eines Fusses bewirkte eine Reaction, und starke elektrische Reize hatten selbst in den letzten Stunden dieses Tages nur äusserst schwache, an einer mi- nimalen Änderung des Lichtreflexes der gereizten Theile kennt- liche Contractionen zur Folge. Sowohl für elektrische als auch traumatische Reizung scheint die gereizte Körperstelle nach dem vorsichtigen Herausheben des Embryo gleichgültig zu sein. Nur das Herz wird in der beschriebenen auffallenden Weise beein- flusst (S. 31). Einige Protokolle im Auszug mögen als Belege dienen: 1. Stunde. Ei Nr. 68. Zwei active Annäherungen des Kopf- und Schwanz - Endes. Die Extremitäten dabei passiv mitbewegt. Herz 100 in 48 See. Ei Nr. 132. Eine ebensolche active Bewegung. Ausserdem die passive Kopf- und Schwanz-Üscillation durch den Herzschlag. Bei dem Ei Nr. 232 letztere besonders deutlich, stärker und häufiger beim Erwärmen, als bei der gewöhnlichen Brütwärine. Noch 25 Min. nach dem Öffnen imd vielem Temperaturwechsel 100 mal in 53 See. 2. Stunde. Ei Nr. 70. Der Embryo bewegt sich schon oft, den Kopf- theil und Schwanztheil gesondert streckend und beugend, nach 7 und 8 Min. sogar zuckend, so dass die künftigen Flügel sich selbständig zu bewegen schienen und einmal die Beine desgl. Ei Nr. 92. Regelmässiges Amnionschaukeln : 8 mal in 25 See. Dann Pause. Dann 8 in 30 See. Pendeln des Kopfes und Schwanzes durch den Herzstoss: nach 2 Min. 100 in 45 See, nach weiteren 3 Min. in 43 und nach noch 7 Min. in 53 See. 4. Stunde. Ei Nr. 61. Amnion sogleich aufgeschlitzt, worauf 4 ener- gische Eumpf bewegungen schnell nacheinander, durch die Kopf und Schwanz einander jedesmal genähert werden. Gliedmaassen passiv mitbewegt. Herz 100 in 40, dann in 50, dann wieder in 40 See. 5. Stunde. Ei Nr. 184 und Ei Nr. 186 Hessen uneröffnet sehr deutlich an den Bewegungen der Augen im Ooskop das Amnionschaukeln und unregel- mässige Bewegungen des Embryo erkennen. 20. Stunde. Ei Nr. 118. Zuckungen des Vorderkörpers für sich und des Hinterkörpers für sich. Decapitation hat keine Bewegung zur Folge. Elektr. Tetanisiren des Nackens bewirkt schwache Contractionen. 22. Stunde. Ei Nr. 71. Vorzüglich ausgeprägtes Amnionschaukeln mit Pausen. Starke Contractionen des Unterkörpers. Herz in der 1. Min. nach dem Öffnen 100 in 44 See, in der 11. Min. in 56 See. Keine Extre- mitätenbewegungen. Kopf und Schwanz bewegen sich gegeneinander und voneinander. So gewiss diese Bewegungen selbständig sind, so gewiss ist Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 563 das Fehlen jeder Bewegung nach beliebiger künstlicher Reizung. Das Ei lag auf warmem Saud. 24. Stunde. Ei Nr. 96. Vorzügliches Amnionschaukeln gleich beim Offnen des Eies. Jede traumatische Reizung, sogar Amputation, ohne Efi'ect. Anfangs fanden aber Zuckungen der Extremitäten statt, von denen es zweifelhaft ist, ob sie durch Rumpf bewegungen allein bedingt oder schon davon zum Theil unabhängig waren. Am 7. Tage. Ganz dieselben Bewegungserscheinungen, welche am sechsten Tage am Embryo wahrgenommen werden, sieht man am siebenten Tage deutlicher, häufiger, energischer vor sich gehen, namentlich die Streckung und Beugung der oberen wie der unteren Körper- hälfte und die dadurch bedingte intermittirende Annäherung des Kopfes an den Schwanz und umgekehrt, ferner das Schaukeln durch Amnioncontractionen, auch das durch den Herzschlag ver- ursachte mit dem sehr starken Gefässpuls isochrone Oscilliren des Kopfes und endlich die allerdings noch äusserst schwachen Zu- sammenziehungen beim elektrischen Tetanisiren, welche in der zweiten Hälfte dieses Tages jedoch leichter eintreten. Charakteristisch für den siebenten Tag ist das erste Auftreten von deutlich selbständigen Bewegungen des Kopfes und des Schwanzes, sowie der vier Gliedmaassen, sogar der Füsse, welche zwar selten und schwach sind, aber unzweifelhaft stattfinden, wie ich mich an möglichst schnell geöffneten nicht abgekühlten Eiern überzeugte. Auch in uneröfi'neten Eiern sieht man leicht sowohl diese un- regelmässigen activen, als auch regelmässige passive (8 mal in 35 See.) durch Amnioncontractionen bedingte bald träge, bald ungemein lebhafte Bewegungen des Embryo, die mit Pausen der Ruhe alter- niren und zwar beides ebenso in der ersten wie in der letzten Stunde dieses Tages. Einige Protokolle mögen die Einzelheiten erläutern. 1. Stunde. Ei Nr. 73. Sehr deutliche Streckungen des Hinterkörpers. Herz 100 Schläge in 39 See. Während des elektrischen Tetanisirens steht das Herz still und schlägt nach beendigter Reizung weiter. Es fand aber keine Bewegung des Embryo statt, so lange die Reizung dauerte. Nach derselben eine Zuckung der hinteren Körperhälfte, nicht der Extremitäten. Durch Nadelstiche keine Reflexbewegung oder direete Contraction erzielbar. Bei einem anderen Ei (Nr. 80) machte das Herz 100 Schläge in 37 See. und bei einem dritten (Nr. 9-1), von derselben Incubationszeit, war das dm-ch das Amnion bedingte Schaukeln schwach aber deutlich, die Reizbarkeit der Leibessubstanz Null, der elektrische Herztetanus leicht herzustellen. 36* 564 Beilage I. 3. Stunde. Ei Nr. 62. Sehr deutliclie Streckung des Hinterkörpers. Beugungen der Extremitäten schwach, so dass man zweifeln konnte , ob sie activ seien. Aber der Kopf neigte sich und hob sich selbständig, abgesehen von dem Amnionschaukeln^ das bald aufhörte. Herz 100 in 45 See. Die Amputation eines Fusses, sowie Stechen in den Eücken, blieben gänzlich unbeantwortet. Dasselbe bei einem anderen Ei (Nr. 93), in dem der Em- bryo zuckende Bewegungen des Kopfes und Eumpfes machte, obgleich durch künstliche Keizuug keinerlei Zusamnienziehung erhalten werden konnte, und ausserdem die mit dem Herzschlag isochronen Oscillationen des Kopfes zeigte. 15. Stunde. Ei Nr. 99. Starkes Amnions chaukeln in ungleichen Inter- vallen. Nach Zerreissung des Amnion mit zwei Pincetteu Ruhe. Sehr schwache und seltene Bewegungen der Füsse. Weder die Amputation eines Beines, noch die stärkste elektrische Reizung mit Inductionswechselströmen hatte den geringsten Erfolg am Embryo in dem Ei und ausserhalb desselben. In einem anderen Ei (Nr, 254) sah ich regelmässiges Amnionschaukeln ohne es zu öffnen ooskopisch: 8 Schwingungen in 29 See. 19. Stunde. Ei Nr. 116. In 37 See. 12 maliges Hin- und Herschwingen durch Contractioneu des Amnion in ungleichen Intervallen. Während dieses Schaukeins active Beugungen und Streckungen der Beine, welche aber auch, nachdem das Amnion zur Ruhe gekommen war, stattfanden. Der G-efäss- puls während der Bewegung 100 in 38 See. Eine Viertelstunde nach der Bloslegung waren Embryo und Amnion ganz bewegungslos, als aber der Rücken eben oberhalb der beiden Beine elektrisch tetanisirt wurde, hob sich ganz deutlich sowohl das rechte als auch das linke. Nach Herausnahme des Embryo dagegen war kaum noch eine Oberflächenänderung beim Tetauisiren des Halses wahrnehmbar. Der Embryo eines anderen Eies (Nr. 111), dessen Herz 1 00 mal in 33 See. schlug, gab gleichfalls unmittelbar nach dem Herausnehmen nur sehr schwache am Lichtreflex kenntliche Zuckungen, als die Nadelelektroden in den Rücken eingesenkt wurden. Traumatische Reizung hatte gar keinen Erfolg. Ein drittes Ei (Nr. 251) zeigte im Ooskop sehr deutlich das Amnion- schaukeln, ohne dass es geöffnet worden. 22. Stunde. Ei Nr. 249. Active lebhafte Bewegungen des Kopfes und Schwanzes sogar nach dem Abheben des Embryo im intacten Amnion von dem übrigen Ei-Inhalt, mit dem es durch einen Theil der Allantoisgefässe noch eben zusammenhing. Die arhythmischen oft drehenden Bewegungen des Kopfes entsprechen vollkommen den an anderen unversehrten Eiern (z. B. Nr. 170) ooskopisch im directen Sonnenlicht wahrgenommenen. Die um diese Zeit mit grösster Behutsamkeit aus dem Ei genommenen. Embryonen sind, auch wenn sie gegen Vertrocknung und Abkühlung geschützt werden, immer augenblickhch bewegungs- los. Sogar das Herz verHert meist sofort beim Herausnehmen an Energie. Bei einem Embryo (Nr. 280), welchen ich im unver- letzten wasserhellen Amnion aus dem Ei nahm, schlug es noch Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 565 22 mal in 15 See, dann stand es still und schlug in längeren Pausen während der Abkühlung weiter und während der sogleich seine Pellucidität verlierende Embryo weiss wurde, wie alle Em- bryonen dieses Alters an der Luft und im Ei beim Absterben es werden. Ich sehe darin den Beginn der Todtenstarre des embryonalen Gewebes. Am 8. Tage. Die embryoskopische Betrachtung des intacten Eies vom achten Tage lässt eine bedeutende Zunahme der Lebhaftigkeit und Ausdehnung der Bewegungen des Embryo erkennen. Ich sah sowohl den Kopf im Bogen schwingen (8 mal in 28 See), was durch die Contractionen des deutlich sichtbaren, oft scharf be- grenzten Amnion bedingt ist, als auch in den Pausen unregel- mässige ganz selbständige Bewegungen des Kopfes und sogar schlagende Bewegungen der Beine unzweifelhaft durch die Eischale hindurch. Man konnte drehende und seitliche Kopfbewegungen wie im eröffneten Ei erkennen. In der Wärme nehmen diese Bewegungen an Mannigfaltigkeit im Allgemeinen zu, im kühl gewordenen Ei sind sie träge und hören bald ganz auf, indem die Gefässe sich ooskopisch sichtbar verengern. Im warm gehaltenen offenen Ei fallen zuerst die ausgiebigen energischen Amnioncontractionen auf. Dieselben sind oft sehr beschränkt und bewirken nicht immer Embryobewegungen, be- sonders wenn sie langsam ablaufen. Man erkennt sie leicht an den mannigfaltigen Verbiegungen und wechselnden Windungen der Blutgefässe, während der Embryo ruhig daliegt oder allein der Kopf durch das sich local vorwölbende Amnion passiv be- wegt wird. Von Keflexbewegungen nach traumatischer und elektrischer Heizung ist nichts wahrzunehmen, weder bei directer noch bei indirecter elektrischer Reizung ein Tetanus der Glieder herbei- zuführen, weder im Ei noch unmittelbar nach dem Herausnehmen. Das Herz macht beim ()ffnen des Eies und nach mehreren Minuten, wenn vor Abkühlung geschützt, 100 Schläge in 43, in 39, in 40 See, welche in vielen Fällen isochrone Rumpfoscillationen hervorrufen. Bei bedeutender Erwärmung steht das Herz still, um beim Abkühlen weiter zu' schlagen. Bei stärkerer Abkühlung steht es wieder still. Die activen, zum Theil drehenden, schnellen und langsamen nickenden Kopfbewegungen und die Extremitätenbewegungen, 566 Beilage I. auch die der Flügel, finden während des Amnionschaukelns und auch nach Zerstörung des Amnion noch statt, wie im intacten ruhenden Amnion. Desgleichen sieht man in diesem Falle auch starke Contractionen des Kumpfes, welcher sich öfters gegen den Kopf neigt. Auch neigt sich die Vorderhälfte des Körpers gegen die hintere Hälfte. Alle diese Bewegungen, besonders schnell die der Beine und Flügel, hören bei geringer Abkühlung auf und sind in der Wärme lebhafter. Selbständige Lageänderungen des Rumpfes, nur im warmen Ei zu sehen, treten am achten Tage zuerst auf und scheinen vom Kopf auszugehen. Wenn man mit einer Nadel eine Extremität vom Eumpf sanft abhebt, so klappt sie sogleich, wie ein Taschenmesser, in ihre frühere Lage zurück. Durch Nadelstiche und Erwärmung kann das Amnion zu Con- tractionen veranlasst werden. Am 9. Tage. Im ooskopisch betrachteten Ei sieht man schon zu Anfang dieses Tages oft ungemein lebhafte Contractionen des Amnion, wie am achten Tage, und ausserdem active Bewegungen des Kopfes und ein Strampeln der Beine, auch Verbiegungen einzelner grösserer Gefässe während dieser Bewegungen. Das Yerhalten des blosgelegten Embryo wird besonders durch die folgende Beobachtung illustrirt. Das Ei Nr. 18i, aus der ersten Stunde dieses Tages, zeigte uneröflfnet im Sonnenlicht eine starke drehende Bewegung des Kopfes. ll.löVm. wurde es geöffnet, ohne Blutung. Kopfdrehungen, Amnionsehaukeln 11.16. Bis 11.22 zucken die Füsse, dann alles regungslos. Plötzlich 11.23 fängt der Embryo an sich activ zu schaukeln um den Nabel: 8 mal in 32 See. Ohne lebhafte Phantasie konnte man meinen, er wünsche sich besser zu placiren oder wenigstens seine Lage zu ändern. Davon kann aber nicht die Rede sein, denn nachdem zuletzt 6 mal in 26 See. äusserst kraftvoll in einem Bogen von 80 ^ geschwungen worden, trat eine Pause im Schaukeln von mehreren Minuten ein. Nun bewegte der Embryo zugleich Kopf und Glieder. Dabei sah ich, wie während völliger Ruhe des Amnion der Embryo gegen dasselbe mit einem Bein ausschlug, und dass es an der getroffenen Stelle gleich darauf sich contrahirte. Nun begann das Schaukeln auf's Neue, ohne jede active Betheiligung des Embryo, welcher förmlich vom einen zum an- deren Ende des Amniousackes geschleudert wurde, so täuschend auch an- fangs der Schein war, als wenn er sich selbst hin- und herwürfe. Dieselbe Bf(jbachtung machte ich später noch mehrmals. Jedesmal wenn Amnion- sehaukeln eintrat, hatte der Embryo vorher gegen das Amnion gestossen mit den Beinen oder dem Kopf, vorn oder hinten, rechts oder links. Unten Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 567 blieb stets der Nabel als Drehpunct fest. Als ich die Eiwärme abnehmen Hess, hörten schnell alle Bewegungen auf; beim erneuten Erwärmen auf die Bruttemperatur fing das Schlagen mit den Füssen wieder an und 11.45 das Schaukeln wie vorhin, 11.50 in 30 See. 6 mal. Während der Amnioncon- tractionen traten auffallende Ve r bieg un gen und Verlagerungen der grösseren und in Folge davon auch der kleineren Allantoisge fasse im offenen Ei ein [auch im unversehrten embryoskopisch sichtbar], so dass es manchmal aussieht, als fänden Schlangenwindungen der rothen Adern statt, während der Gefässpuls (11.19 in 36 See. 100 und 11.35 in 32 See. 100) ohne Unterbrechung weitergeht. Endlich um 12.0 unterbrach ich den Ver- such, indem ich elektrisch tetanisirte. Die ßeizerfolge waren jedoch in jeder Beziehung minimal: kein Tetanus, keine Zuckung, nur eine Änderung des ■ Lichtreflexes au der Oberfläche bezeugte die Einwirkung. Bei einem anderen Embryo, Nr. 140, aus der 20. Stunde hatte elek- trische Tetanisirung des Eückens eine schwache kurze Streckung der Beine — keinen Tetanus — zur Folge. Auch hier waren die Contractionen der Oberfläche äusserst schwach. Das Amnion machte, während der Embryo immobil blieb, acht starke Contractionen in 40 See. mit Verbiegungen der Gefässe besonders am spitzen Ende, wo der Embryo nicht lag. Das blos- gelegte Herz machte noch nach der Isolirung des Embryo auf einem warmen Uhrglas 100 Schläge in 62 See. Es waren weder dann noch im Ei irgend welche Reflexbewegungen hervorzurufen. Dieser Mangel an Reflexen bei lebhaften selbständigen Be- wegungen, besonders des Kopfes, ist in allen Fällen zu consta- tiren. Die Drehungen des Kopfes sind jedoch nur bei ruhendem Amnion sicher als active zu bezeichnen. Denn während des Schwingens (bei dem Ei Nr. 188 z. B. 8 mal in 45 See.) erkannte ich leicht, dass der sich contrahirende Theil des Amnion den Kopf vortreibt. Dass dabei aber auch unzweifelhaft active Bewegungen stattfinden können, beweist das Weitergehen der Flügel- und Fuss- Bewegungen. Herzfrequenz 100 in 37 und 39 See. normal, leicht am Ge- fässpuls zu zählen. Eine Abquetschung irgend einer Extremität hat keinerlei Keaction zur Folge. Am 10. Tage. Selbständige bald schnelle, bald langsame Bewegungen des Kopfes, ein Mcken, bei sonstiger Ruhe im intacten durchlichteten Ei warnehmbar. Ausserdem vorzüglich deutliches rhythmisches Amnionschaukeln (z. B. in der ersten und in der achten Stunde 8 in 33 See. und in 31 See.) und sogar lebhafte Beugungen und Streckungen der Gliedmaassen, durch welche sehr auffallende Ver- lagerungen und Streckungen der Gefässe entstehen. 568 Beilage I. Beim öffnen dasselbe. Auch die Füsse bewegen sich. Die vier Extremitäten rühren sich einzeln. Durch elektrische Reizung, auch vom Rücken aus, sind sie aber nur in äusserst schwache Thätigkeit zu setzen. Dagegen wird das Herz, wenn es in die die Elektroden verbindende gerade Linie zu liegen kommt, wie bisher, zum tetanischen Stillstand ge- bracht und schlägt nach der Reizunterbrechung weiter (100 mal in 31 See. bei erhöhter Temperatur, im todten Embryo ausser- halb des Eies Nr. 189). Drehungen des Kopfes und Rumpfes, welche Selbständigkeit vortäuschen können, werden, wie ich sicher erkannte, häufig durch locale Zusammenziehungen des Amnion bewirkt, auch vor und nach dem zehnten Tage. Aber auch bei ruhendem Amnion werden Kopf und Rumpf seitlich bewegt (besonders im Ei Nr. 209). Das Herz schlägt in einem Fall 100 mal in 54 See. (Ei Nr. 242) nach Durchtrennung des Amnion. Traumatische Reize jeder Art fand ich noch wirkungslos. Beim Herausnehmen ist der Embryo fast jedesmal sogleich leb- los, was daran erkannt wird, dass er seine Pellucidität verliert (starr wird), auch wenn das Herz noch fortarbeitet. Am 1 1. Tage. Auch am elften Tage sind die Bewegungen des Kopfes mittelst des Embryoskops sehr leicht zu erkennen, theils an dem abwech- selnden Verschwinden und Wiedererscheinen der dunkeln Augen, theils an dem Hin- und Her-Gehen des dunkeln Elecks von oben nach unten und von rechts nach hnks und umgekehrt, je nach der Lage des belichteten Eies. Auch sieht man dazwischen rasches Zucken, rasches Annähern des Kopfes an den Schwanz, Schlagen mit den Beinen und lang anhaltendes Schaukeln durch Amnion- contractionen bei scharf begrenztem Amnion. Im warmen offenen Ei sah ich zweimal ausser den Amnion- bewegungen und den Beugungen des Kopfes und der Glieder, welche vollkommen dem ooskopischen Bilde entsprechen, Schluckbe- wegungen, wenigstens ein Schliessen und Offnen des Schnabels im Fruchtwasser (Ei Nr. 3 aus der 5. St.). Bei der Lebhaftigkeit der Bewegungen des ganz frischen Embryo ist es nicht leicht zu ent- scheiden, ob ein Stich oder Stoss durch Reflexbewegungen beant- wortet wird oder nicht. Ist der Embryo ruhig geworden, dann hat kein Trauma, nicht einmal eine Amputation und die Decapi- tation, den geringsten Effect. Dieser Gegensatz ist besonders am Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 569 elften Tage auffallend, wo der Embryo schon mit den Flügeln förmlich schlägt und den Kopf ganz unabhängig vom Rumpf neigt und dreht. Im Ganzen sprechen aber die Versuche entschieden zu Gunsten des Vorhandenseins einer geringen Refiexerregbarkeit. Denn wenn ich den lebhaften Embryo wenig im offenen Ei ab- kühle, pflegt er nach unsanfter Berührung wieder einige uncoor- dinirte oder schlagende Bewegungen auszuführen. Nach dem Herausnehmen hört aber jede Reaction auf. Das Amnionschaukeln (8 mal in 28 See. in der letzten Stunde bei Ei Nr. 136) erreicht am elften Tage seine maximale Energie. Wird das Ei nur wenig abgekühlt, so hört es auf, um in der Wärme wiederzubeginnen. Aber die Contractionen des Amnion überdauern lange das Leben des Embryo. Puls in 36 See. 100. Am 12. Tage. Bei guter Beleuchtung erkennt man im uneröfTneten Ei nicht allein die Allantoisgefässe deutlich, sondern man kann sie auch pulsiren sehen. Der grosse Embryo macht allerlei theils zuckende, theils langsam ablaufende Bewegungen der Flügel und Beine und des Kopfes, welche mittelst des Embryoskops leicht erkannt werden und nach dem Öffnen des Eies vollkommen entsprechend gesehen werden. Häufig kommen dazu locale schwächere Amnion- contractionen und Biegungen des Rumpfes, so dass der Kopf dem Schwanzende sich nähert und umgekehrt. Lebhaftigkeit sehr ab- wechselnd. Gefässpuls 100 in 48 See. Elektrische Reizbarkeit im Zu- nehmen. Denn bei Einführung der Nadelelektroden in den Rücken treten starke Zuckungen der Gliedmaassen ein — kein Tetanus — und nach Application desselben Reizes an die Zehen oder die Hautoberfläche sieht man bisweilen allgemeine Zuckungen des Rumpfes als eine Art Reflexantwort. Es ist kaum zweifelhaft, dass diese Bewegungen durch den peripheren elektrischen Reiz hervorgerufen werden. Tetanisirt man die Nackengegend, so wird der Schnabel geöffnet. Diese Wirkung lässt sich sogar mehrere Minuten nach dem Erlöschen der activen Bewegungen und nach dem Herausnehmen des Embryo constatiren. Desgleichen die Contractilität der Haut. Aber mechanische Reize sind überall effectlos. Trotz vieler A^ersuche, den Embryo, welcher sich (wäh- rend er im offenen Ei bei intacter Circulation sich abkühlt) kaum noch activ bewegt, durch traumatische Reize, Quetschungen, Am- putationen zu einer Reflexbewegung zu bringen, ist eine bestimmt 570 Beilage I. als solche zu bezeichnende Bewegung von mir nicht beobachtet worden, aber es ist in hohem Grade wahrscheinlich, dass die nach minutenlanger Ruhe auf den starken Eingriff unmittelbar folgende Bewegung reflectorischer Art ist (Ei Nr. 405). Am 13. Tage. Während noch am zwölften Tage die embryoskopische Be- obachtung keine Schwierigkeiten bietet, ist am Ende des 13. wegen der zunehmenden Dunkelheit schon weniger wahrnehmbar. Jedoch konnte ich deutlich noch in der 14. Stunde das charakteristische Amnionschaukeln und in der fünften Stunde energische zuckende Bewegungen des dunkeln Embryo erkennen. Im eröffneten Ei ist das erstere merklich schwächer oder langsamer als bisher. Das stürmische Schwingen ist einem lang- samen "Wogen gewichen. Dagegen sind die activen nun oft asym- metrischen Beugungen und Streckungen der Beine und Flügel, auch die Bewegungen der Füsse und des Kopfes ungemein lebhaft. Die elektrische Reizung, die directe wie die vom Rücken aus, hat zwar Contractionen zur Folge, aber ein Tetanus ist nicht erzielbar. Beim Einstechen der Elektroden in den Schenkel werden die Zehen gehoben, in die Kopfhaut, das Auge geöffnet. Jedoch ist bei den lebhaften Bewegungen der Gliedmaassen unmittelbar nach der Eiöffnung eine Reflexbewegung beim Quetschen, Schneiden, Stechen oder beim Brennen irgend eines Körpertheils mit dem Inductionsfunken schwer als solche zu erkennen. Beim Öffnen des Eies wird öfters der Schnabel geöffnet und geschlossen. Beim Herausnehmen stirbt der Embryo schnell und nur eine geringe elektrische Reizbarkeit der Haut bleibt noch einige Mi- nuten bestehen. Dieser Umstand dient dazu, zu zeigen, dass am 13. Tage die Reflexerregbarkeit bereits vorhanden ist. Denn lasse ich den Embryo einige Minuten im geöffneten Ei unberührt liegen, bis er keine oder nur noch seltene selbständige Bewegungen aus- führt — wegen der abnehmenden Wärme — so gelingt es leicht in einem gewissen Stadium durch sanfte Berührungen auf's Neue Bewegungen, besonders der Beine, hervorzurufen. Einmal, in der 13. Stunde, sah ich am ruhenden Thier die elfmalige Berührung eines Beines mit einem Stiftchen elfmal nacheinander durch eine Beugung desselben beantwortet werden«. Die Reflexreizbarkeit ist somit ausgebildet. Gallenblase mit grüner Galle prall gefüllt. Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 571 Das Herz: 56 mal in 40 See, also nur 84 in 1 Minute (vereinzelte Beobachtung). Am 14. Tage. Die embryoskopische Betrachtung ist durch die zunehmende Verdunkelung erschwert. Jedoch erkannte ich leicht ausser den Gefässen bald schwache, bald energische zuckende Bewegungen des Kopfes und der einzelnen Glieder, sowie auffallend starke Verlagerungen der Gefässe der Allantois bei diesen Bewegungen, Im eröffneten Ei fällt dasselbe Zucken des Kopfes und Halses, sowie das nicht seltene langsame Öffnen und Schliessen des Auges auf. Selbst bei völlig ungestörter Circulation, die an dem Ausbleiben aller Athembewegungen bei sonstiger Activität, besonders der Füsse kenntlich ist, kann ein Tetanus durch Inductionsschläge nicht herbeigeführt werden, weder bei directer Application der Elektroden auf die Elügel und Schenkel, noch beim Einstechen derselben in das Rückenmark. Bei elektrischer Heizung des Unterkiefers an der Gurgel trat ()£fnen des Schnabels ein, nicht bei blossem Druck oder Stich. Überhaupt hat traumatische Reizung jeder Art, und selbst das Versengen der Haut mit dem elektrischen Eunken, keine ausgesprochene Antwortsbewegung regelmässig zur Folge; es lässt sich wenigstens, so lange die ac- tiven selbständigen Bewegungen dauern, keine derselben als die Wirkung der Reizung sicher hinstellen. Schon bald nach dem Auf- hören derselben ist die Reflexreizung erfolglos, die Körperoberfläche wird jedoch durch starke elektrische Reize deutlich afficirt, nach- dem der Embryo herausgenommen worden. Erst wenn man das Ei nach dem Öffnen langsam geradeso weit abkühlen lässt, dass keine oder nur seltene Extremitätenbewegungen erfolgen, gelingt es, Reflexe mit voller Sicherheit von Eigenbewegungen zu unter- scheiden, wie am 13. Tage. Am 15. Tage. Im Ooskop sehr deutliches Bild der rothen mannigfaltig ver- zweigten Allantoisgefässe. Embryo in seinen einzelnen Theilen nicht mehr zu erkennen, bewegt sich oft in langen Pausen zuckend. Ausser lebhaften activen Bewegungen der Gliedmaassen sieht manbeimÖö'nen des warmen Eies energische Athembewegungen. Der Schnabel wird auf- und zugemacht. 572 Beilage I. Vom Eücken aus und direct ist der Embryo elektrisch teta- nisirbar. Die Flügel und Beine werden gestreckt. Die Reizbarkeit ist im Zunehmen, und sie erlischt nicht so schnell nach dem Herausnehmen des Embryo aus dem Ei wie bisher. Denn man erhält auch dann mit starken elektrischen Reizen vom Rücken aus und direct noch tetanische Bewegungen der vier Extremitäten und Zusammenziehungen der Haut, nach- dem alle active Bewegung längst aufgehört hat. Die Reflexerreg- barkeit ist jedoch dann meist für elektrische und traumatische Reizung nicht mehr zu constatiren. An dem noch im Ei sich bewegenden Hühnchen ist sogleich nach dem Öffnen eine Antworts- bewegung nach Comprimiren eines Beines oder Flügels mit der Pincette nicht oft sicher erkennbar wegen seiner Lebhaftigkeit, sowie letztere abgenommen hat, aber leicht nachzuweisen. Das Amnion zieht sich bisweilen auch nach dem Tode des Embryo noch wogend zusammen. Das Herz schlägt nach Eröff- nung des Thorax an der Luft weiter, z. B. 82 mal in der Min. (Ei Nr. 196). Am 16. Tage. Ooskopisch sind zuckende Bewegungen an der Peripherie des ganz undurchsichtigen Embryo noch sicher erkennbar, und zwar wird bisweilen die dunkle Masse sehr oft und stark bewegt, anderemale selten und schwach. Die Extremitäten sind im Ei- spiegel nur selten einzeln erkennbar, die rothen Blutgefässe vor- züglich deutlich. Oft bleibt alles in Ruhe, weil vermuthlich der Embryo schläft. Puls ooskopisch gezählt einmal zwischen 170 und 180 in der Minute. Die elektrische Reizbarkeit nimmt zu. Es ist schon leichter, vom Rücken aus tetanisirend, die Flügel und Beine in Bewegung zu setzen. Jedoch erlischt die Erregbarkeit nach Unterbrechung des Blutstroms der Allantoisgefässe schnell, und die Erfolge der Reizungen sind dann meistens gering. Hebt man den Kopf möglichst schnell heraus, so treten öfters Athembewegungen ein, aber dieselben werden erst energisch, wenn starke periphere Reize einwirken, z. B. Comprimiren und Stechen der Beine. So sah ich in einem Fall sechsmal hintereinander tiefe Inspirationen eintreten, eine jedesmal nach der peripheren Reizung, ausserdem allgemeine Rumpfbewegungen, vielleicht schon als Schmerzäusserungen. Jedenfalls ist die Reflexerregbar- keit für mechanische Reize an diesem Tage eine sehr grosse. Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 573 Auch gelang es mir mitunter am Hühnchen vom Ende des 16. Tages, dessen Schnabel ich mit Schonung der AUantois von der Luftkammerfläche aus durch Ablösung der Schalenhautlamelle zum Theil sichtbar gemacht hatte, rein reflectorische Athmungen durch Berührung der Haut mit einer Nadelspitze auszulösen. Diese Inspirationen, bei fast unversehrter Allantois und jedenfalls ener- gischer Allantoiscirculation (mit hellrothem Blute, ohne Blutungen), sind nicht im geringsten dysj)noisch, wie die nach Herausnahme aus dem Ei und starker Hautreizung, sie treten auch nur nach peripherer Reizung ein. Der Schnabel wurde hierbei nicht so weit geöffnet, wie bei Reizung nach Störung des Allantoiskreis- laufs. Also steht fest, dass schon am Ende des 16. Tages Athem- bewegungen durch Hautreize eintreten können ohne Venosität des Blutes, deren Tiefe nach Herbeiführung der letzteren zunimmt. Am 1 7. Tage. Trotz der grossen Dunkelheit des Gresichtsfeldes im Embryo- skop erkennt man noch in der letzten Stunde dieses Tages an der Grenze des schwarzen Embryoschattens unzweifelhaft active Bewegungen. Manchmal zuckt der Embryo zusammen, wenn ich das Ei auflege behufs Durchlichtung. In den meisten Fällen ist er bewegungslos. Die Blutgefässe erscheinen immer deutlich arteriell-roth so lange er lebt. Ich erkannte die wechselnde Füllung derselben. Beim Öffnen des Eies und schleunigen Herausnehmen des Hühnchens macht dasselbe häufige und energische Athembeweg- ungen, den Schnabel öffnend und schliessend und den Thorax ex- pandirend. Auch Zuckungen des ganzen Rumpfes kommen dabei vor. Die elektrische Tetanisirbarkeit des Beines vom Nerven aus war noch mehrere Minuten nach der letzten Inspiration vor- handen, sogar die Zehen wurden dabei noch gespreizt, aber vom Rücken aus liess sich ein Tetanus der Glieder dann nicht mehr hervorrufen. Ein Ei von 16 Tagen 19 Stunden liess ich auf Sand von 18^ C. in ebenso temperirter Luft drei Stunden liegen und öffnete es dann erst. Die Reflexerregbarkeit des kalten Embryo war nicht erloschen, beim Comprimiren der Füsse traten inspiratorische Bewegungen ein; ausserdem wurden die Zehen und Flügel bewegt, und beim Erwärmen die Beine. Die Abkühlung im unversehrten Ei wurde also gut vertragen. Im Magen eine eierweissartige Masse. 574 Beilage I. In einem gewiss sehr seltenen Falle von gänzlichem Mangel der Augen ohne sichere Spur von begonnener Entwicklung der- selben und erheblichem Rückstand in der ganzen Ausbildung des Kopfes und Rumpfes lag der Embryo regungslos im eröffneten Ei, beantwortete jedoch starke elektrische Reizung der Zehen durch Rumpf- oder Bein-Bewegungen. Die elektrische Reflexerregbarkeit war also trotz der mangelhaften Ausbildung vorhanden. Auch Hessen sich die Gliedmaassen nach dem Herausnehmen noch di- rect und indirect elektrisch tetanisiren. Das Ei war am 3. Mai 11 TT. 15 Min. in den Brütofen gelegt worden und wurde am 19. Mai 3 U. 35 Min. geöffnet. Am 18. Tage. Die Abgrenzung der Luftkammer ist noch intact und gerade so scharf wie bisher und ihre Yergrösserung ebenso sicher oosko- pisch zu erkennen. Auch kann man an der rothen Farbe des Blutes selbst am 18. Tage noch erkennen, ob der Embryo im unversehrten Ei lebt. Dagegen gehören ausgiebige Bewegungen — Zuckungen der dunkeln Peripherie des Embryoschattens — in diesem zu den Seltenheiten. Anhaltende lebhafte Bewegungen eines Fusses sah ich nicht häufig im intacten Ei. Sie scheinen gegen das Septum der Luftkammer gerichtet zu sein (vgl. Taf. VI, Fig. 1). Beim Öffnen des warmen Eies (aus der 1. St.) bleibt der wahrscheinlich schlafende Embryo ruhig oder zuckt nur einige Male. Nach dem Herausnehmen aus der Schale, was freilich ohne Blutung durch Verletzung der Allantois nicht ausführbar ist, schnappt er nach Luft, den Schnabel mehrmals weitaufreissend. Schützt man das Hühnchen möglichst vor Abkühlung, so gelingt es leicht, mittelst starker elektrischer Reize vom Rücken aus einen Tetanus der Flügel und tetanische Streckungen der Beine zu be- wirken. Dabei erneute Athembewegungen. Die percutane elek- trische Reizung des Schenkelnerven hat ausgeprägten Tetanus des Beines mit Spreizung der Zehen zur Folge. Sogar fünf Minuten nach dem Aufhören aller in den Pausen zwischen diesen Reizungen eintretenden activen Bewegungen der Glieder konnte ich durch elektrische Reizung des blosgelegten Schenkelnerven einen eine volle Minute dauernden Tetanus der Beinmuskeln hervorrufen. Sowohl die traumatische, als auch die elektrische Hautreizung hat starke Reflexbewegungen zur Folge, z. B. Comprimiren der Beine, abwehrendes Schlagen mit den Beinen und erneute Einathmungs- Physiologische Beobachtungen über das Hühucheu im Ei. 575 bewegungen. Bricht man am Ende des 18. Tages die Luftkammer auf und berührt man die unversehrte Schalenhautlamelle über der Allantois so tritt sehr oft eine Reflexbewegung ohne Einathmung ein, wobei die Häute unversehrt bleiben. Im Magen viel coagulirtes weisses Albumen. Der Embryo muss schon längst durch Schluckbewegungen den grössten Theil des Amnioswassers in sich aufgenommen haben. Augen fest geschlossen. Bezüglich des ersten Athemzuges ist bemerkenswerth , dass ein Hühnchen vom Ende des 18. Tages entschalt, als ich aus einem Allantoisgefäss Blut ausfliessen liess, im Fruchtwasser deut- liche Inspirationsbewegungen machte, wobei aber zu bedenken, dass jede mechanische Eeizung (Berührung) nicht zu vermeiden war. Übrigens Eeflexerregbarkeit gross; selbständige Bewegungen viel- leicht etwas weniger lebhaft als in früheren Stadien. Am 19. Tage. Im Embryoskop erkennt man ausser der scharf abgegrenzten grösser gewordenen Luftkammer sehr gut in dem dunkeln Ei die hellere Stelle, welche dem Reste des noch nicht resorbirten Dotters entspricht und in dieser oft ein Schnellen eines grauen Flecks, der Zehen. Ausserdem ist — wahrscheinlich durch das Schleudern der Füsse oder eines Fusses — bisweilen schon nach Ablauf des 18. Tages die Perforation des Septum der Luftkammer erzielt. Denn man sieht manchmal deren Peripherie an einer Stelle unter- brochen, während sie an demselben Ei Tags zuvor noch scharf begrenzt war. Der unregelmässig begrenzte in die Luftkammer hineinragende Theil des Hühnchens macht dann — schon zu An- fang des 19. Tages — deutliche, rhythmische Athembewegungen, in einem Falle 72 bis 90 in der Minute. In diesem Ei war nir- gends die geringste Öffnung der Schale zu entdecken, und es schlüpfte in der darauffolgenden Nacht ein normales kräftiges Hühnchen ohne alle Kunsthülfe aus demselben aus, also vor Ab- lauf des 20. Tages. Wenn man ein Hühnchen von 18 Tagen und etlichen Stunden schnell, ohne Abkühlung zu gestatten, aus dem Ei nimmt, so kann man sich leicht von dem grossen Fortschritt bezüglich der ßeflex- erregbarkeit überzeugen. Ich sah in einem Falle das Hühnchen, welches sich während des Ablösens der Eischale lebhaft bewegte, aber keine Athembewegung machte, jede Compression eines Fusses oder eines Flügels mit einer ungemein tiefen Inspiration beant- 576 Beilage I. Worten. Dabei wurde der Schnabel weit geöffnet, die Zunge vor- geschoben, der Thorax ausgedehnt; einmal trat ausserdem eine allgemeine Bewegung des Rumpfes ein. Achtmal nacheinander wiederholte ich die Reizung und jedesmal bewirkte sie eine In- spiration. Zwischen den peripheren Reizungen Ruhe. Im Magen viel coagulirtes weisses Albumin. Ein anderes Hühnchen verhielt sich ähnlich. Am 20. Tage. Im Embryoskop erkennt der Geübte sogar am 20. Tage an zuckenden Bewegungen der dunkeln Masse gegen den hellen die Luftkammer abgrenzenden Rand hin mit Sicherheit, ob das Hühn- chen lebt oder nicht. Übrigens gibt auch die im unversehrten Ei wahrnehmbare Röthung der peripheren Allantoisgefässe ein Kriterium ab, desgleichen die bisweilen schon zählbaren Athem- bewegungen. Diese sind jedoch nicht so regelmässig wie nach dem Sprengen der Kalkschale. Ihre Frequenz kann 90 in der Minute über- steigen stundenlang ehe das Hühnchen die Luftkammer ausfüllt. Öffnet man das Ei, so findet man die Reflexerregbarkeit gross, da schon bei sanfter Compression eines Fusses Bewegungen des ganzen Körpers erfolgen, und zwar unmittelbar nach dem Heraus- nehmen aus dem Ei. Gleich darauf erlischt die traumatische und die elektrische Reflexerregbarkeit, aber noch nach mehreren Mi- nuten sind alle vier Extremitäten vom Rücken und von der Abdominalseite aus mit starkem intermittirendem elektrischem Reize leicht in anhaltenden Tetanus zu versetzen. Im Magen ge- ronnenes Eiweiss, weiss wie Schnee. Alle diese Angaben gelten auch für ein durch Erniedrigung der Brutwärme in der Entwicklung zurückgehaltenes Hühnchen in den ersten Stunden de§ 20. Tages. Ein Hühnchen vom Anfang des 20. Tages konnte ich, ohne dass es eine einzige Bewegung machte, vollständig entschalen. Erst als ich dann die AUantois abstreifte, machte es einige schwache Athembewegungen. Sowie ich aber einen Fuss oder Flügel mit einer Nadel stach, trat jedesmal eine ungemein tiefe Inspiration mit weitgeöffnetem Schnabel ein. Bei Berührung des Augenlides heftiges Kopfschütteln, beim Herabdrücken des Augenlides wurde die Xickhaut vorgeschoben. Diese Beobachtung bestätigt die be- deutende Zunahme der Reflexerregbarkeit, die Abhängigkeit der Athembewegungen von peripheren Reizen, und die Annahme, dass das Hühnchen vorher im Ei fest schlief. Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 577 Bei einem anderen Hühnchen von 19 Tagen und 5 Stunden gelang es sogar, die harte Schale vollständig zu entfernen, ohne die Häute im geringsten zu verletzen. Das Thier bewegte sich, machte aber selbst dann noch keine Athembewegung, als ich mit Schonung der iillantoisgefässe durch einen glücklichen Zufall ein Stückchen der Schalenhaut ablösend — es fand überhaupt gar keine Blutung statt — die Schnabelspitze bioslegte; aber sowie ich in einen Schenkel mit einer Nadel gestochen hatte, trat eine tiefe Inspiration, die erste, ein mit Biegung der Zungenspitze nach unten und gewölbtem Zungenrücken; bei Wiederholung des Reizes ebenso, also bei intacter Allantoiscirculatiou. Einige Hühnchen beginnen schon vor Ablauf des 20. Tages die Schale zu sprengen. So hatte Nr. 212 in der 8. Stunde damit noch nicht begonnen, in der 11. ein Schalenstück abgesprengt. Ihm folgte am 21. Tage in der 18. Stunde ein zweites zwei Centimeter vom ersten entferntes Stück aus der Eimitte. In der 24. Stunde befreite ich das Thier von der Schale. Es blieb am Leben (S. 579 unten). Ein anderes Hühnchen (Nr. 436) hatte nach 19 Tagen und 23 Stunden ein kleines Stück der Schale mitten aus dem Ei abgesprengt und durch den Schnabel zu athmen begonnen, da es laut piepte. Ooskopisch Hessen sich hierbei die Athembewegungen an den mit ihnen isochronen Schwingungen der Luftkammerscheidewand erkennen. Ich zählte 100 Eesp. in 85 See, dann 50 in 45 See. Die Athmung auffallend regelmässig in der 3. Stunde des 21. Tages. Nach 20 Tagen 14 Stunden hatte das Thier sich von selbst ganz befreit, und zwar war nach 20 Tagen 4 St. erst ein kleines Schalen- stück abgesprengt. In der 18. Stunde des 21. Tages blieb das Hühnchen in den Stellungen, die ich ihm erth eilte, z. B. auf dem Rücken, liegen, zitterte stark und machte die Augen auf und zu. Am 21. Tage. Die normal entwickelten Hühnchen sprengen meistens am 21. Tage die Eischale mittelst der Schnabelspitze, indem sie mit dem spitzen Höcker am Oberschnabel, welcher später obliterirt, die Schalenhaut ritzend, dagegen stossen. Viele können auch nach künstlicher Ablösung der Schale an diesem Tage am Leben er- halten werden, wenn die Allantois blutarmer geworden ist. Aber die durch Verminderung der Brutwärme in der Entwicklung zurück- gehaltenen Embryonen, welche man am 21. Tage bioslegt, sterben meist sofort wie die normal- warmen, auf früheren Entwicklungs- stufen aus dem Ei genommenen. Sehr oft sprengt das Hühnchen die Eischale, indem es sich dreht, an zwei Puncten, die nicht in annähernd derselben Ent- Preyer, Physiologie des Embryo. 37 578 Beilage I. fernung vom Pole liegen, manclimal ganz unregelmässig mitten im Ei und ohne vorher die Luftkammerscheidewand durchstossen zu haben, oder es stösst durch das Chorion und zugleich an die Schale an zwei weit von einander entfernten Stellen. Dass zuerst das Chorion durchstossen, die Luft der Luftkammer eingeathmet und dann die Kalkschale gesprengt würde,. wie man gewöhnlich annimmt, ist nicht die Regel. Das Sauerstoffgas der Luftkammer wird vom Hämoglobin der Allantoisgefässe und der immer imter der Scheidewand liegenden Dottersackgefässe aufgenommen, welche beide an dieser Stelle bis zuletzt das grösste Caliber behalten, zuletzt obliteriren. In hohem Grade bemerkenswerth ist es, dass diese Allantois- gefässe noch stark gefüllt sind, dass arterielles und venöses Blut an der Farbe in ihnen sich noch unterscheiden lässt und dass an ihnen sogar der Puls noch erkannt werden kann, nachdem be- reits das Hühnchen an einer anderen Stelle die Allantois und Schale durchstossen und atmosphärische Luft zu athmen ange- fangen hat. Die zurückbleibende eingeschrumpfte aber stets noch Blut enthaltende Allantois ist zwar gleichsam die Nachgeburt des Hühnchens, sie fungirt aber im Gegensatz zur Säugerplacenta noch lange nach dem Beginne der Lungenathmung, indem ihre Gefässe durch Aspiration immer mehr Blut verlieren. Lässt man ein Hühnchen im Brütofen ohne alle Hülfe sich selbst von der Schale befreien, so findet man fast ausnahmslos in der leeren Schale ausser der trockenen Allantois und der Schalenhaut noch grünliche (durch Galle gefärbte) Fäces, das Me- conium des Hühnchens, und oft eine gelbhche gallertige Masse. Ich habe wenigstens in einem derartigen Falle die Fäces in der Schale nur sehr selten vermisst. Beschreibung einzelner Fälle: Nr. 268 hatte kurz vor der 22. Stunde des 21. Tages das erste Schal en- stüek und zwar ohne Verletzung der Schalenhaut abgesprengt um 10 Uhr Vm. am 12. Mai. Es piepte selten und schwach im Ei. Um 11 keine Ver- änderung. Zwischen 11 und 12 aber wurden in schneller Folge unter häufigerem und lauterem Piepen immer mehr Schalenstücke abgesprengt, der Schnabel und eine Zehe kamen zum Vorschein und gerade als der 21. Tag ablief, Mittags 12 Uhr, hatte das Hühnchen durch heftige Bewegungen die beiden nur noch an einer Stelle zusammenhängenden Schalentheile ausein- ander gesprengt. Es blieb einige Minuten mit dem Hinterkörper in der einen Schalcnwölbimg liegen: das Bild der Hülflosigkeit. AVährend des Ausschlüpfen s, d.h. während des Beiseite -Schiebens der Schale schloss sich \ Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 579 das Auge bei Berührung des Augenwinkels, nicht bei Annäherung eines Gegenstandes. Nun blieb 2 ^/., Stande lang das Thierchen im Brütofen sich selbst überlassen. Dann hielt ich ihm ein Stückchen Eiweiss vor. Es pickte sogleich danach und brachte es dahin, dass das Stückchen im Schnabel blieb und verschluckt wurde; ein anderes Stück zu nehmen weigerte es sich. Ferner hielt jetzt das Hühnchen den Kopf empor und drehte ihn correct einem um es langsam bewegten Gegenstande, z. B. Bleistift, folgend. Es hockte aber noch, unvermögend zu stehen. Das Ei Nr. 302 war am Abend des 2. Juni unversehrt, am Morgen des 3. Juni in der letzten Stunde des 21. Tages hatte das Hühnchen mitten zwischen den Polen ein mehr als markgrosses Stück abgesprengt und lag blos, durch beginnende Vertrocknung der zurückgebliebenen Häute an der Fortsetzung seines Befreiungswerkes verhindert. Es piepte schwach. Ich befreite das Thier völlig, aber noch 20 Minuten später lag es in äusserster Hülflosigkeit da und verblieb in der Stellung, die es im Ei eingenommen hatte, bewegte beim Anfassen die Beine hin und her, piepte und zitterte. Hierauf blieb das Thierchen auf Sand in einem hohen Becherglas im dunkeln Brütofen den Abend, die Nacht und den Morgen über., 15 Stunden lang; danach hielt es meist den Kopf aufrecht konnte aber noch nicht auf den Zehen stehen und pickte richtig nach Sandkörnchen, also am 22. Tage in der 18. Stunde. Das Ei Nr. 191 öffnete ich in der letzten Stunde des 21. Tages. Das Hühnchen bewegte sich lebhaft, öffnete mehrmals weit den Schnabel. Augen fest geschlossen. Elektrische ßeflexerregbarkeit gross. Im Magen viel weisses coagulirtes Albumin. Das Hühnchen Nr. 212 piepte Inder 18. Stunde beim Anfassen des schon durchlöcherten Eies (S. 577) und stiess häufig gegen die biosliegende Schalen- haut. Das Piepen war abwechselnd schnell und langsam, laut und leise, in der 19. St. die Resp. 25 in 20 See. am Heben imd Senken des Kopfes im Ei zu .erkennen. Nach einer halben Stunde Resp. 36 in 28 See. Bei stär- kerem Erwärmen ziehendes lauteres Piepen im Ei, wahrscheinhch Schmerz- äusserung. In der 24. Stunde löste ich die Schale ganz ab. Es trat nun ein stärkeres Piepen beim unsanften Berühren, Stechen, Drücken, Abkühlen, sogar bei plötzlichem Lichteindruck, Erwärmen, Aufheben mit der Hand ein. Die Eeflexe sind sämmtlich viel stärker, als bei den Hühnchen, welche noch nicht Luft geathmet haben. Auch ist das schnelle Auf- und Zumachen des Schnabels bei jenen viel häufiger, wahrscheinlich theils ein Schlucken, theils Probiren. Denn der reichlichere Eintritt von Luft in die Lungen nach der Sprengung der Schale wird vermuthlich eine Trocknung der Schleimhäute und dadurch eine neue Empfindung bewirken, welche ähnliche Bewegungen wie beim Schmecken hervorrufen könnte. Ein am 30. Juli 9.50 Vm. eingelegtes Ei fand ich am 19. Aug. 3.15 Nm. an einer Stelle nahe am spitzen Pole gesprengt. Ich öffnete es, fand aber die Luftkammer wie gewöhnlich am stumpfen Pole und am spitzen die noch sehr blutreiche Allantois dicht unter der Schalenhaut. Ich löste das piepende Hühnchen von der Schale ganz ab und sah, dass der Dotter vollständig 37* 580 Beilage I. resorbirt war, also nach 20 Tagen 5 St. 25 Min. In diesem Falle lag zwar das Hühnchen normal im Ei, hatte aber lange vor der Obhteration der Allantoisgefässe (vielleicht nur zufällig) die brüchige Schale mit der Schnabel- spitze an einer ganz ungewöhnlichen Stelle durchstossen. Neben diesem Ei lag ein am 29. Juli 5.15 Nm. eingelegtes, an welchem am 19. Aug. 3 ü. Nm. gleichfalls ein grosses Stück ausgesprengt war, dessen Hühnchen aber den gelben Dotter ganz und garnicht resorbirt hatte und todt war. Es hatte viel zu früh zu sprengen versucht und war lange vor dem Ablauf der 21. Stunde des 21. Tages gestorben. Ein drittes Ei, ebenfalls am 29. Juli 5.15 Nm. eingelegt, welches neben jenen beiden lag, lieferte dagegen am 19. Aug. in der Frühe, also nach 20^2 Tagen ein normales Hühnchen, das sich allein befreite. Man sieht, wie verschieden in der Zeit unter genau denselben äusseren Bedingungen die Resorption des Dotters, die ersten Sprengversuche und das Ausschlüpfen sich verhalten. Hühnchen Nr. 328 hatte am 4. Jali 9^2 Uhr Vm. in der 23. Stunde des 21. Tages ein Stück der Schale mitten aus dem Ei abgesprengt, so dass der Schnabel hervorragte. Starkes Piepen. Bis zum 5. Juli 8 Uhr Vm. keine Veränderung; nur hatte sich die Schalenhaut durch Eintrocknen von der Schale abgehoben. Es war Grefahr da, dass das Hühnchen durch fernere Eintrocknung zu Grunde ginge. Ich legte es vor eine über acht etwa neun- tägigen Küchlein sitzende Gluckhenne. Sogleich erhob sich diese, ging auf das Ei zu, pickte einmal danach und verhess es dann. Nun löste ich die Schale ab und legte das in der ursprünglichen Stellung verharrende Hühn- chen wieder vor die Henne. Sie ging nahe heran und verliess wieder mit ihren Küchlein das hülflose Thierchen, das nun in den Brutofen zurück- gebracht wurde: 22 Tage 21 Stunden. Ei Nr. 395. Am 29. April 11 Uhr Vm. eingelegt, am 20. Mai 11 V^ Uhr Vm. aufgebrochen, also nach Ablauf des 21. Tages. Als ich mit Schonung der Schalenhaut und Allantois ein Schalenstück abgelöst hatte, wurden wogende unregelmässige Bewegungen des Hühnchens in kurzen Pausen wahrgenommen. Dass es Athembewegungen waren, bewies das bald hör- bare Piepen im Ei bei völlig unverletzten Eihäuten. Das Embryoskop zeigte auch die grosse Luftkammer überall scharf abgegrenzt. Ich fand bei weiterem Ablösen der Schale in der That nh-gends in der Luftkammer- scheidewand eine Perforation, aber in der Allantois reichlich hellrothes Blut, den Dotter noch wallnussgross, nicht resorbirt. Nach Ablösung der Allan- tois enorm tiefe Inspirationen, starke Abkühlung. Die künstliche Hautreizung bewirkte jedesmal eine tiefe Einathmung. Dieser Versuch beweist, dass bei gänzlich unversehrter Allantois -Circulation und -Respiration und unversehrter Schalen- haut und Luftkammer dennoch die Lunge nathmung im Ei beginnen kann, sogar mit leisem Piepen, und dass die Inspirationen an Tiefe zunehmen, wenn die Allantois verletzt wird und periphere Reize einwirken (S. 577). Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 581 Am 22. Tage. Manche reife Hühnchen sprengen die Eischale, sogar die Luft- kammer nicht imd ersticken, manche sprengen die Schale nicht vor dem Ablauf des 21. Tages. In der 15. St. des 22. Tages (Nr. 254) fand ich einmal den Dotter noch wie eine Hernie heraushängen. Das Hühnchen machte nach Ablösung der Schale und Schalenhaut ohne Verletzung der Allantois enorm tiefe Inspira- tionen, die an der Luft sich wiederholten. Dann starb es. • Aus einem am 25. Juni in den Brütofen gelegten Ei schlüpfte am 17. Juli 11 U. 15 M. ein normales Hühnchen aus, also am 22. Tage. 11 U. 17 M: Vergebliche Versuche den Kopf und Rumpf zu heben; häufiges Piepen, unzweckmässige Bewegungen mit langen Pausen völliger Ruhe. Das Hühnchen wirft sich dann wieder förmlich herum, schleudert die Beine, be- wegt die kleinen Flügel heftig, auch bilateral -symmetrisch, besonders nach dem Anfassen. 11 U. 21 M. Haltung schon vorwiegend centrirt, aber die Schnabelspitze berührt fast ohne längere Unterbrechungen den Boden. Das Hühnchen hockt auf dem Tarso-metatarsus; es zittert (in kälterer Luft). 11 U. 22 M. Nachdem ich den Schnabel einen Augenblick in lauwarmes Wasser getaucht hatte, traten sehr viele schnell aufeir. anderfolgende Schluckbeweg- ungen ein. 11 U. 25 M. Die Zehen sind noch sämmtlich krumm, aber nicht so stark gekrümmt wie im Ei (Taf. VI, Fig. 2). 11 U. ^3 M. Reflexerreg- barkeit gross; fast auf jede Berührung folgt Piepen, intensives Licht be- wirkt nicht allein Pupillcnenge, sondern auch Lidschluss. 11 U. 35 M. : Wenn in der Ruhe ein hoher lauter Klang ertönt, dann macht das Thier- chen eine halbe Hebung, ebenso beim lauten Schnarren. 12 Uhr: der Kopf mehr erhoben. 4 Uhr: Kopf immer noch nicht dauernd oben, die hockende Haltung sicherer. 5 U. 15 M. : Kopf von jetzt an oben gehalten. Sämmt- liche Zehen von jetzt au gestreckt. Das Thier blieb am Leben und stand am folgenden Morgen fest auf den Zehen. Der Versuch zeigt, dass selbst ein verspätet ausgeschlüpftes Hühnchen noch sechs Stunden braucht, um seinen Kopf zu balanciren. Ei Nr. 256. Das Hühnchen hatte mitten aus dem Ei vor der 15. Stunde ein Stück der Schale abgesprengt und piepte kräftig beim Aufassen des Eies. In der 21. Stunde löste ich die Schale mit den Häuten ganz ab. Dotter noch nicht völlig resorbirt. Bei jeder Berührung piepte das Hühn- chen, nahm, sich selbst überlassen, noch drei Stunden nach der Befreiung jedesmal fast genau dieselbe Stellung wie im Ei ein, konnte nicht stehen, machte die Augen öfters auf und zu, beim Piepen nicht jedesmal auf, athmete sehr unregelmässig, manchmal stürmisch bald tief, bald flach, schnell und langsam, manchmal garnicht während mehrerer Secuuden. Bei Berüh- rung der Hornhaut und Bindehaut hob sich das untere Augenlid langsam. Elektrische Hautempfindlichkeit vorhanden. Dem lauteren Piepen und den lebhafteren Reflexbewegungen nach zu urtheilen, muss die Berührung mit der elektrischen Pincette Schmerz verursacht haben. Auf starke Geräusche erfolgte jedesmal lauteres Piepen und manchmal eine Kopfbewegung. Beim Piepen wird die Zunge vorn fest gegen den Gaumen gedrückt und zugleich 582 Beilage I. der Unterkiefer energisch nach unten bewegt. Nach Ablauf der 24. Stunde wurde das Hühnchen 256 in Watte zum Trocknen in den Brütofen gelegt, wo es 14 Vo Stunde (die Nacht über) blieb. Es konnte aber trotz der langen Ruhe in der 15. Stunde des 22. Tages sich noch nicht erheben, nicht stehen, nicht picken. Es schliesst die Augen durch die Nickhaut und das untere Lid bei Berührung und sogar beim An- nähern eines dunkeln Gegenstandes in mehr als ein V2 Centimeter Entfer- nung ohne Berührung. Es schluckt oft, piept wenn es berührt wird, legt sich wenn freigelassen immer noch in der Lage, die es zuletzt im Ei inne hatte, auf die Seite, zuckt manchmal mit dem ganzen Körper, mit den Beinen, mit den Flügeln, mit dem Kopfe, scheint meistens zu schlafen. Respiration in der Euhe regelmässiger, langsamer (20 in 25 Secundenj, aber von apnoi- scheu Pausen unterbrochen, ßeaction auf Schallreize äusserst lebhaft. Das Thier springt plötzlich auf und fällt dann wieder in seine Lethargie zurück. Es kann auch auf die Füsse gesetzt den Kopf nicht aufrecht oder median halten, selbst wenn der Schnabel als Stütze dient. In der 16. Stunde wurden Erhebungsversuche gemacht, aber mit wenig Erfolg. Das Kopfnicken machte mehr den Eindruck von Picken, besonders wenn dabei der Schnabel geöfihet wurde, A\"as auch ohne pickbare Objecte bisweilen geschah. Das Thier be- wegt sich auf dem Laufknochen hockend einige Centimeter von der Stelle, schläft aber öfters wieder ein, besonders wenn es nicht in sehr warmer Umgebung sich befindet, und fällt oft um. In der 22. Stunde ist das Picken nach Flecken, nach Sandkörnchen, nach geschriebenen Buchstaben, nach vorgehaltenen beliebigen Objecten schon sehr correct orientirt, das Piepen stärker und häufiger. Der Kopf wird im wachen Zustande erhoben gehalten und dann und wann ein Hüpfversuch gemacht. Aber ein Stehen auf den Zehen ist noch nicht möglich. Bei geringer Abnahme der Brut- wärme in der Umgebung tritt leicht Zittern ein, obwohl das Thierchen jetzt fast trocken ist. Ich liess es nun die ganze Nacht vom 22. zum 23. Tage in einem glatten Tiegel zubringen, so dass es keine Gehübungen (nur Stehübungen) machen konnte. Trotzdem konnte es am Morgen, in der Mitte des 23. Tages sogleich mit hoch erhobenem Kopf auf den Zehen wie erwachsene Hühner gehen, fiel aber öfters um und in die hockende Lage zurück. Es pickt nach Puncten und Strichen, die ich mit Bleistift vor ihm hinzeichne, nach Hirse- körnern, nach Ritzen im Holz. Dabei ist sehr auffallend, wie oft die Schnabelspitze neben das Hirsekorn auf die Tischplatte aufschlägt. Das erste Hirsekorn kam gleich das erste Mal in den Schnabel, fiel heraus und wurde dann nach zAveimaligem ungenauem Picken aufgenommen und verschluckt. Nach dem zweiten Hirsekorn pickte aber das Hühnchen sechsmal, ohne es fassen zu können. Dagegen nahm es ein Sandkörnchen auf und verschluckte dasselbe. Es pickte fast nach allem und auf gleichartiger weisser Fläche besonders nach den Nägeln seiner Füsse. In der 16. Stunde kann es sich stehend auf den Füssen erhalten, schreiten und einige Schritte laufen, aber es fällt oft, namentlich rücklings in die hockende Lage oder auf die Seite. Mit den Flügeln wird einzeln symmetrisch oft geschlagen, wie um das Gleichgewicht zu behalten. Den Geruch des Thymols flicht das Thier niclit, beim Tabakrauch schüttelt es heftig den Kopf wie abwehrend, bleibt aber stehen, als ilnn ein damit gefülltes Gläsclien vorgehalten wurde. Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 583 Am 24. Tage hat dieses Hühnchen (Nr. 256) immer noch keine Nah- rung zu sich genommen und piept mit kurzen Unterbrechungen, wenn es wach ist, den ganzen Tag. Am 25. Tage hat es, vom Anfang an völhg isoHrt, ausser den jiaar Hirsekörnern noch keine Nahrung zu sich genommen. Als es aber auf den Boden gesetzt wurde, lief es sogleich mit grosser Geschwindigkeit einen Meter weit wie ein älteres Huhn, obgleich es schon wegen der Enge seiner bisherigen Behälter (Becherglas, Tiegel oder Glasglocke) keine Gelegenheit hatte, sich im schnellen Gehen oder Laufen zu üben. Andererseits stösst das Thier immer noch mit Vehemenz gegen das Glas seines Behälters. Es hat also nicht gelernt, dass der unsichtbare Widerstand unüberwindlich ist. Das Piepen wird mit sehr kurzen Pausen kräftig den ganzen Tag fort- gesetzt, obgleich kein anderes Hühnchen oder Huhn im ganzen Laboratorium neben ihm vorhanden ist. Nachdem es aber am 7. Mai IIV2 Uhr Vm.. in der 16. Stunde des 25. Tages und in der 20. Stunde seines 4. Lebenstages zum ersten Male gehacktes hartgekochtes Eierweiss und Eigelb vorgesetzt erhalten mld davon genommen hatte, wurde das Piepen viel weniger laut und häufig. Zu bemerken ist, dass zwar das Hühnchen, welches inzwischen ungemein oft mit dem Schnabel nach allerlei Zielpuncten gepickt hatte, doch zehnmal uhd öfter neben das Eiweissstückchen pickte , ehe es dasselbe fasste. Oft freilich kam gleich beim ersten Male das weisse Stückchen in den Schnabel und wurde verschluckt. Das Eigelb wurde consequent liegen ge- lassen und aus dem Gemenge das Eierweiss vollständig herausgelesen. Da aber auch Stückchen des Dotters in den Schnabel kamen, die wieder heraus- fielen, so kann nur angenommen werden, dass gelb und weiss verschieden empfunden werden. Wasser nimmt das Hühnchen nicht von selbst zu sich, wohl aber beim Halten des Schnabels in Wasser. Das Thier macht keine Fluchtbewegungen, wenn man es ergreift. Am 26. Tage pickt es mit dem Schnabel links, rechts und vorn am Rumpf sehr geschickt. Am 27. Tage — vom Beginne der Bebrütung an gerechnet — trinkt es von selbst wie ein altes Huhn, den Kopf zurückbeugend; es pickt nicht mehr eifrig gegen Glas, sondern nur wenn man sich seiner Glasglocke nähert gegen deren Wandung; es scheint seine eigenen Excremente nicht mehr aufzufi'essen , wie vor einigen Tagen wiederholt unmittelbar nach der Defäcation geschah. Am 28. Tage (am 10. Mai Vm.) trinkt es gierig zum ersten Male ihm vorgesetztes rohes Eierweiss und Eigelb wie erwachsene Hühner. ' Der Kropf erschien nachher von aussen gelb und prall gefüllt. Am 29. Tage, dem 8. seit dem Ausschlüpfen, fällt das Hühnchen bei Laufversuchen noch oft; es j)ickt nach allem und jedem, oft verkehrt, was ich aber auch erwachsene Hühner habe thun sehen. — Das Hühnchen Nr. 268 piept und pickt nach allem Möglichen abge- grenzten in seiner Nähe zu Anfang des 22. Tages. Ich setzte nun vor dieses erst 3 stündige Thier das eben beschriebene, 8 Tage alte (Nr. 256) und zwi- schen beide einen Eidotter. Sofort pickte letzteres offenbar in feindseliger Absicht das erstere, und zu meinem Erstaunen erwiderte dieses das Picken. So fuhren sich die beiden Hühnchen mit dem Schnabel gegen den Kopf, bis das ältere allein Herr des Dotters war, indem das jüngere seine Bemühungen, 584 Beilage I. etwas von demselben zu erhaschen, einstellte. Als ich dann das letztere in ein hohes Becherglas und in den Brütofen zurückbrachte, machte es ener- gische Versuche, über den Eand desselben zu springen. Vor Ablauf der ersten 24 Stunden sprang es iu der That 5 Centim. hoch, schritt ziemlich sicher, frass Eiweissstüekchen und stritt sich wieder- holt mit dem älteren Hühnchen (Nr. 256) Beim Streicheln des Eückena beider, also am ersten und neunten Tage, maschinenmässiges Piepen wie beim Quakversuch. Auch das jüngere Hühnchen hatte am ersten Tage einen Theil seiner eigenen Excremente wieder, wie das Eigelb, pickend und schluckend zu sich genommen. Beide Hühnchen sind äusserst emjjfindlich gegen Kälte. — Das Hühnchen Nr. 302 piepte jedesmal energisch am 22. Tage, wenn ich mit dem Finger gegen den Strich den Eücken streichelte, dagegen un- regelmässig, wenn ich den Kopf, die Flügel u. a. streichelte. Das Hühnchen im Ei Nr. 457 hatte erst nach Ablauf von 21 Tagen ein Stückchen der Schale abgesprengt und zwar bis nach der 23. Stunde nur das eine. Nach 22 ^2 Tagen war die Sprengung weiter ausgedehnt. Am 22. Tage Hessen sich sehr deutlich ooskopisch die Athembewegungen am Oscilliren des Luftkammer -Septum zählen und zwar waren sie auffallend regelmässig in der 23. Stunde: 43 in der halben Minute. Am "Ende des 22. Tages piepte das Hühnchen im Ei wie am 23. Tage sehr munter. Ich überzeugte mich in diesem Falle bestimmt, dass das Septum nicht durch- stossen war. Also athmete das Hühnchen nicht die Luft der Luftkammer durch den Schnabel ein, sondern nur die atmosphärische Luft. — Das Hühnchen A begann die Sprengung ebenfalls erst einige Stunden nach dem 21. Tage und schritt nicht fort damit bis gegen Ende des 22. Ich löste daher jetzt die ganze Schale ab und bemerkte, dass nach 1 72 Stunden der Kopf auf kurze Zeit gehoben wurde, dass sehr zahlreiche rasch auf- einanderfolgende Schluckbewegungen nach fünf Stunden eintraten, wenn der Schnabel mit Wasser einen Augenblick benetzt wurde, dass nach Streicheln des Eückens, nicht der Brust, jedesmal gepiept ward, dass in der sechsten Stunde der herumgeführte Bleistift richtig mit dem Kopf verfolgt wurde. Aber sieben Stunden nach dem Ausschlüpfen konnte das Thierchen noch nicht stehen und gehen, sondern bewegte sich rutschend vorwärts. Es ge- lang ihm auch nur nach vielen fruchtlosen Anstrengungen, wenn es auf den Eücken gelegt worden, sich in die natürliche Stellung unter häufigem Piepen zurückzubringen. Übrigens war dieses Ei im Brütofen nicht einmal gewendet worden, es lag während der 22 Tage zu Vs bis V2 ™ warmen Sand und nur beim drei- oder viermaligen Prüfen im Embryoskop — ob der Embryo noch lebte — kam die Unterseite einige Augenblicke direct an die Luft. Bei dem Ei Nr. 394, welches am 29. April 11 Uhr Vm. eingelegt und im letzten Drittel der Incubationszeit meist nur auf Sand von 37 " gelegen hatte, fand ich erst am 21. Mai die Schale gesprengt, das Hühnchen im Inneren piepend. Ich befreite es völlig und fand die AUantois fast blutleer, nur hier und da ein rothcs Gefäss, den Dotter resorbirt. Jedenfalls war durch langes Lungenathmen im Ei das Allantoisblut fast ganz aspirirt worden. Diese Protokolle, denen ich noch viele ähnliche anreihen [372 könnte, genügen, um die alte weitverbreitete Meinung thatsächlich Physiologische Beobachtungen über das Hühnchen im Ei. 585 ZU widerlegen, derzufolge das Hühnchen unmittelbar nach dem Ausschlüpfen der Henne nachlaufen, sich gerade halten und aller- lei complicirte Grleichgewichts-Bewegungen correct ausführen soll. Aber sie zeigen zugleich, dass mehrere Stunden ausreichen, die combinirten Augen- und Pick-Bewegungen wie beim erwachsenen Huhn zu Stande kommen zu lassen, so dass in dieser Hinsicht weniger Lernzeit, als z. B. zum Laufen, ja schon zum Stehen, erforderlich ist. Ausserdem folgt aus den hier zusammengestellten Beobach- tungen, dass die Hühnchen unmittelbar vor und nach dem Aus- schlüpfen sich sehr ungleich verhalten bezüglich der zum Selb- ständigwerden erforderlichen Zeit , aber völlig übereinstimmen bezüglich der Art ihrer zahlreichen erblichen verwickelten Be- wegungen. II. Beobaclitungeii des Verfassers an lebenden Meer seil wei nclien -Em br jonen . Vorbemerkung. A^on den in diesem Buche erwähnten, aber nicht beschriebenen Versuchen und Beobachtungen, deren ich namentlich viele an Meerschweinchen -Embryonen angestellt habe, theils zu eigener Orientirung, theils zur Demonstration, wurden mehrere kurz protokollirt, und einige Auszüge aus diesen Vivisectionsberichten stelle ich im Folgenden zusammen, weil sie manches Beachtens- werthe enthalten, Angaben im Texte bestätigen und zu neuen Forschungen auf diesem wenig bearbeiteten Gebiete veranlassen können. Die Gewichte beziehen sich auf die ganz frischen Früchte ohne Placenta; die grossen Buchstaben bezeichnen jedesmal ein trächtiges Meerschweinchen, welches die beigesetzte Zahl von Em- bryonen enthielt, die römischen Ziffern diese letzteren in der Eeihenfolge der Beobachtung, bez. Bloslegung. Das Alter der Embryonen ist nach den Angaben S. 507 u. .508 aus dem Gewichte ermittelt worden, wobei zu bedenken, dass beim Meerschweinchen vor dem Ende der zweiten Woche nach befruchtender Begattung die Embryogenesis nicht beginnt und häufig die Gewichte und Entwicklungsgrade bei gleichem Alter — yom Begattungstage an gerechnet — sehr ungleich sind; daher ist eine Altersbestimmung nach Tagen aus dem Gevächte nicht möglich. Beobachtungen an lebenden Meerschweiuchen-Enibryonen. 587 Embryonen der 3. Woche. Embryogewicht 0,027 bis 0,127 Gvm. A. Drei Embiyonen : I wiegt 0,127 Grm. mit einer Placenta von 10 V» Millim. im Durchmesser, II 0,099 Grm. mit Plac. von 8 V-, Millim. Durchm. und III 0,027 Grm, mit Plac. von 7 ^,4 Millim. Durchm. Die drei Früchte sind auch selbst auffallend ungleich entwickelt, obgleich in demselben Uterus- horn. I. Länge in situ 12 ',2 Millim. Zehen garnicht gesondert. Das Flerz macht nach dem Abkühlen des Eies an der Luft noch m ovo 50 kräftige regelmässige Schläge in 40 See. , also 75 in 1 Min. Übrigens sonst keine Bewegung wahrnehmbar, ausser im ersten Augenblick des Freilegens der Decidua im warmen Salzwasser eine zweifelhafte Rumpfbewegung am hin- teren Ende. Die 4 Extremitäten schnellen mit Kraft zurück beim Abheben. Auge stark pigmentirt. Schwanz noch 4 ^o Millim. lang. IL Weder im Ei in warmer Umgebung noch an der Luft die geringste Bewegung. Herz noch ganz extrathoracal , schlägt voll Blut in ovo 20 mal in 13 See. kräftig, also 92 mal i. d. Min. Visceralbogen verschwunden. Noch keine Zehen. Auge weniger pigmentirt. III. Grösster Durchmesser der Hufeisenform des Embryo in situ 7 '/a Millim. Nicht die geringste Bewegung zu erkennen. Extremitäten erst an- gelegt. Ein Visceralbogen noch vorhanden. AUantois noch ganz frei, so gross, wie das noch ganz extrathoracale Herz. Auge noch weniger pigmen- tirt als bei IL Dass der eine Embryo beinahe 5 mal soviel wiegt als der andere und entsprechend weiter differenzirt ist, beweist auf's Neue die Unzulässigkeit der Altersbestimmung aus dem Differenzirungsgrade oder dem Gewicht. Nach Bischoff's Angaben und Abbildungen müssen diese Embryonen aus der 3. Woche nach dem Begattungstage stammen, also aus der ersten von der Embryogenesis an, III kann keinesfalls älter als 18 Tage, I und II können älter, aber nicht mehr als 21 Tage alt sein. Embryogewicht 0,05 bis 0,16 Grm. B. Fünf Embryonen. I: Extremitäten noch schaufeiförmig ohne An- deutung der Zehen. Augen schwach pigmentirt. Länge hi situ 12 Mm. Das ganz extrathoracale Herz schlägt schnell und kräftig; die embryonalen Gefässe überall blutführend, aber trotz der Beobachtung unter den günstig- sten Umständen im körperwarmen Bade war nicht eine einzige Eumpf- Bewegung zu sehen, und elektrische Reize blieben überall — auch an der Luft — völlig wirkungslos. Keine Reflexe, keine Hautcontraction, keine Lage- änderung. Ebenso II; I und II wogen zusammen 0,33 Grm., also jeder Embryo durchschnittlich 0,165 Grm. Dagegen war III merklich weniger entwickelt, wog 0,055 Grm.; Hinterextremitäten erst eben als Stummel an- gelegt; Auge kaum pigmentirt; grösste Länge der Hufeisenform i?i situ 7 Mm. Das extrathoracale Herz schlug lebhaft ; sonst keinerlei Bewegung im Ei und ausserhalb desselben, auch elektrisch oder mechanisch keine zu erzielen. Embryo IV wieder weiter entwickelt, aber (nach Vergleichung mit Bischoff's Befunden) nicht 22 Tage alt. Gewicht 0,155; grösste Länge in situ 10 Mm. Auge pigmentirt. Herz macht mehr als 140 Schläge in der Min. Alle Ge- 588 ßeüage II. fasse gut gefüllt, aber keine Bewegung. Elektrische Erregbarkeit Null. Embryo V geradeso. Dem Gewichte nach würden I, II und IV in die 4. Woche gehören, dem Entwicklungsgrade nach sind sie aber noch keine 22 Tage alt. Embryonen der 4. Woche. Gewicht eines Embryo 0,59 Grm. C. Vier Embryonen von zusammen 2,37 Grm.-, I bewegte den ßumpf üi situ stark. Elektrische Tetanisirung gab aber keine Contrac- tion, sondern nur eine Änderung des Lichtreflexes der Oberfläche an der gereizten Stelle (S. 450). Das Herz schlug noch nach der Bloslegung an der Luft, abgekühlt und fast blutleer. Es stand systolisch still beim elektrischen Tetanisiren, schlug dann nach einer Pause weiter (wie beim Hühnerembryo S. 32). Die beiden Herzkammern sehr scharf voneinander abgehoben. Systole beider aber isochron für das Auge. Das Zurückschnellen der Extre- mitäten deutlich wie beim Hühnchen (S. 415). Keine Reflexe. Keine Inspiration. Zehen noch nichl getrennt. Länge geradlinig 16 Mm. in situ. Dieser Embryo ist der kleinste Meerschweinchen-Embryo, an dem ich Bewegungen mit Sicherheit wahrgenommen habe. Es ist aber nach den Befunden an Hühnerembryonen, die schon, wenn sie nur 0,18 Grm. wiegen, sich bewegen, sehr wahrscheinlich, dass auch die Meerschweinchen der 3. Woche sich strecken und den Eumpf krümmen. Nur hat es bis jetzt nicht gelingen wollen, es zweifelfrei zu sehen. Embryonen der 5. Woche. Embryogewicht 1,59 Grm. D. Ein Embryo. Derselbe machte sogleich beim Austritt des Eies in das körperwarme Bad einige auffallend kräftige, langsame sinistroconvexe Krümmungen der hinteren Rumpf hälfte, bewegte auch in zierlicher Weise die Vorderbeine für sich und die Hinterbeine für sich. Nach Zerreissung des Amnion reizte ich an der Luft — das Thierchen über den Wasserspiegel haltend — mit starkem tetanisirendem elektrischem Reize den Rücken und bemerkte, dass zwar kein Tetanus, wohl aber nach jeder Reizung Beweg- ungen des der Reizstelle entsprechenden Beinpaares eintraten. Ferner Hessen sich bereits mit voller Sicherheit Reflexbewegungen, lo- calisirte, wie Zurückziehen des an den Zehen elektrisch gereizten Fusses, und allgemeine nach stärkerer peripherer Reizung, constatiren. Endlich er- wies sich die Haut als überall contractu. Embryogewicht 1,73 Grm, E. Drei Embryonen, von gleicher Grösse: I wog 1,735 Grm. Alle 3 bewegten im Ei, in warmem Salzwasser beobachtet, lebhaft die 4 Extremi- täten pendelnd, auch einzeln, und den Rumpf und Kopf, diesen nickend und seitlich, sinistroconvex und dextroconvex. Der nackte Embryo im Salz- wasser geradeso mobil wie im Ei ; aber an der Luft erloschen sehr bald alle Beobachtungen an lebenden Meerschweinchen-Embryonen. 589 Bewegungen; da jedoch auf mechanische Reizung eine ganz schwache Bein- bewegung und eine Contraction derBauehwand eintraten, ist die Reflex- erregbarkeit nicht zweifelhaft. Die Extremitäten zeigten stark das Zurück- schnellen nach dem Abheben vom Körper. Nabelschnurpuls deutlich. Zehen getrennt, Schwanz schon zurückgebildet. Herz deutlich gehälftet. Grösste Länge in situ geradHnig bei I 26,4 Millim. Embryogewicht 2,25 Grm. JF. Vier Embryonen ; bewegten in situ im Amnion von selbst sehr leb- haft die Vorderbeine hin und her, wurden aber beim Herausnehmen au der Luft sofort bewegungslos und in tvarmer Kochsalzlösung nicht wieder be- weglich. Das Zurückschnellen der Extremitäten wie beim Hühner -Embryo sehr deutlich (S. 415). Elektrische tetanisirende Reize wh-kten nur ganz local und schwach. Die Reflexerregbarkeit in diesem Fall nicht ganz sicher fest- zustellen, aber sehr wahrscheinlich, weil beim Bioslegen an der Luft stärkere Bewegungen an der Haut der Bauchgegend und an dem Gesieht eintraten: äusserst unvollkommene Inspirationsversuche, wobei der Mund ge- schlossen blieb. Die Hinterextremitäten wurden nicht bewegt. Zehen an allen Füssen gesondert. Länge 1) in der intrauterinen Haltung von der Stirn bis zum Steiss 27 bis 28 Mm., 2) mit dicht anliegendem nassem Faden von der Schnauze bis zum Steiss 53 Mm. Embryogewicht 2,99 Grm. G. Fünf Embryonen; davon wogen zwei zusammen 5,98. Im Ei machten sie imgemein lebhafte Bewegungen der Beine von selbst, zum Theil bilateral-symmetrisch, pendeiförmig, zum Theil links und rechts alternirend. Deutliche ungeordnete Reflexe nach elektr. Hautreizen vorhanden; An der Luft noch kurze Zeit mechanische Hautreize ebenfalls wirksam. Athembewegungen au der Luft an der Bauchwand kenntlich (Zwerchfellbewegungen). Länge geradlinig 31 Millim. Embryogewicht 8,83 Grm. jff. Vier Embryonen von zusammen 13,31 Grm. Im Ei Nabelvene hellroth. Sehr lange anhaltende asymmetrische Bewegungen der 4 Extremi- täten. Nach dem Bioslegen an der Luft starke aber seltene Inspirationen, d. h. Zwerchfellcontractionen. Herz schlägt noch viele Minuten lang kräftig bei Zimmerwärme. Es gelingt nicht, vom Rücken aus einen Teta- nus der Beine hervorzurufen, obgleich die Beine bei elektrischer Reizung des Rückens ihre Lage verändern, also eine Nervenerreguug vor- handen sein muss. Hingegen Hess sich die Reflexerregbarkeit mit voller Sicherheit feststellen, da flüchtige elektrische Reizung einer Zehe eines Hinterbeines dessen Zurückziehung und eine Bewegung des Vorderbeines derselben Seite bewirkte. Embryogewicht 3,45 Grm. I. Ein Embryo (von 8,45 Grm. und 33 Millim. Länge in situ, 39 Mm. von der Stirn bis zum Steiss nach Geradstreckung) im warmen Kochsalz- bade in den Häuten freigelegt, bewegte sich schon ganz wie ältere Fi'üchte, 590 Beilage IL namentlich mit den Vorderpfoten am Kopfe seitlich hin und her, aber auch mit den Hinterbeinen links und rechts alternirend. An der Luft wurde der Mund aufgemacht, aber die Erregbarkeit erlosch sofort. Pla- centa 19 Millim. im Durchmesser. Embryonen der 6. Woche. Embryogewicht 6,2 Grm. J. Vier Embryonen, davon einer klein und mit auffallend dickem Amnion, schlecht genährt, schon länger todt, die 3 anderen gleich grossen zusammen 18,6 Grm. schwer. Lebhafte asymmetrische, impulsive Bewegungen der 4 Extremitäten in situ, auch der ftumpf bewegte sich im Ei sogleich. Starke Reflexe, da Berührung der Zehen mit der elektr. Pincette sofortiges Zurückziehen des Beines und oft allgemeine Rumpfbewegmigen zur Folge hatte. An der Luft deutliche Athembewegungen, besonders der Bauchwand. Herz dann noch 50 Schläge in 26 See. sehr regelmässig. Haut höchst contractu. Embryogewieht 6,93 Grm. K. Ein Embryo mit einer normalen Placenta; ausserdem 2 verkümmerte Placenten ohne erkennbare Embryoreste. Nabelvene sehr hellroth. Durch die pellucide Uteruswand hindurch sah ich den Embryo die 4 Glieder lebhaft und anhaltend hin und her be- wegen, auch zucken und Schluckbewegungen machen. An der Luft traten nach Compression der Zehen deutliche Reflexe ein, auch starke Lispi- rationen sogar noch nach mehreren Minuten. Der ganze Darm farblos, zieht sich nach dem Tode des Fötus nach mechanischem Reiz noch deutlich an der Reizstelle zusammen. Im Magen farblose Flüssigkeit, in der Gallenblase desgl. Augenlider fest geschlossen. Länge geradlinig in situ 46 Millim. Embryogewicht 7,70 Grm. L. Drei Embryonen, Lebhafte asymmetrische Bewegungen der vier Beine in situ im Ei. Der Mund wurde bei einem geöffnet. Inspirations- versuch. Tetanisiren vom Rücken aus unmöglich, aber beim Be- rühren der Zehen mit der elektr. Pincette wurde das eine Bein angezogen, also Hautreflexe vorhanden. Haut contrahirt sich auf starken elektrischen Reiz jedesmal deutlich. Spürhaare schon vorhanden. Länge geradlinig frisch in situ 35 Mm. Embryonen der 7. Woche. Embryogewicht 15,2 bis 24,0 Grm. M. Drei Embryonen: I 22,9, II 24,0, III 15,2 Grm. schwer, also ein Unterschied von 57% ii^ Gewicht bei gleichem Alter. Bei diesen unter Wasser (mit Salz) bei 38° beobachteten Früchten traten von selbst Bewegungen der Zunge und Oberlippe ein. Es Beobachtungen an lebenden Meerschweinchen-Embryonen. 591 war leicht, mittelst starker Inductionswechselströme vom Rücken aus an- haltenden Tetanus sowohl der vorderen, als auch der hinteren Extremi- täten noch nach dem Herausnehmen an der Luft zu erzielen. Die Reflexe nach elektrischer Reizung der sehr contractilen Haut bei den Vorder- beinen besser ausgeprägt, als bei den Hinterbeinen. Nach starken Hautreizen Inspirationen in ovo. Bei einem das Fruchtwasser gelb, bei den zwei anderen nicht. Der Magen war bei allen dreien voll von grünlichgelber Flüssigkeit; bei I und II im Duodenum gelbes Meconium sichtbar, bei III nicht. Bei I rmd II Gallenblase schon mit gelber Flüssigkeit gefüllt. Zehen und Spür- haare sehr lang. Grösste Länge geradlinig nach Geradstreckung von der Schnauze bis zum Steiss I 90,0, II 90,0, III 78,5 Millim., II in situ 62 Millim. von der Stirn bis zum Steiss. Die noch lange nicht lebensfähigen Thiere machten an der Luft nur wenige Athembewegungen. Embryogewicht 19 Grm. N. Siehe S. 136: Farbe des Blutes im Herzen und in der Leber. Embryogewicht 22 Grm. 0. Drei Embryonen. , S. 37. Herzthätigkeit von der Temperatur abhängig. P. Drei Embryonen. S. 136. Vorzeitiges Athmen bei hellrother Nabelvene. Embryonen der 8. Woche. Em'bryogewicht 24,8 bis 87,7 Grm. Q. Drei Embryonen : I ein kleiner von 24,8 Grm., II ein raittelgrosser von 34,0 Grm., III ein grosser von 37,7 Grm. Also bei gleichem Alter in demselben Uterus ein Unterschied von 12,9 Grm. oder fast 50% (S. 502). Alle drei machten Athembewegungen an der Liift, III starke und häufige etwa 10 Min. lang. Dennoch schwammen die Lungen nicht auf destillirtem Wasser, sondern sanken geradeso schnell unter wie die der beiden anderen und sahen auch geradeso roth (atelektatisch) aus wie diese. Die elektrische Refleserregbarkeit bei allen dreien leicht zu constatiren. Die Entwicklung schien trotz des ungleichen Wachsthums bei allen dreien fast gleich zu sein: lange Zehen und Haare. Embryogewicht 33 Grm. B,. Drei Embryonen. S. 38: Herzthätigkeit abhängig von der Tem- peratur. Embryogewicht 41 Grm. ^ -" OMA. -O.M.A. U.C.V. W- Pre^/er del. EKLAÜTERÜNG DER TAFEL 111. Tafel IIL Schematische Darstelhmg des Blutstromes in den Arterien des Hühner -Embryo in den späteren Incubationstagen vor dem Beginn der Lungen athmung. Vgl. S. 71. Blau ist das aus den Hohlvenen und dem Embryo - Körper kommende Blut, roth das aus dem Dottersack und der Allantois kommende Blut dargestellt. r. V. Rechte Herzkammer (Ventriculus cordis dexter). l. V. Linke Herzkammer (Ventriculus cordis sinister). Ä.p.r., Rechte Lungenarterie (Arteria pulmonalis dexter). A.'p.l. Linke Lungenarterie f Arieria pulmonalis sinister). D. B. d. Rechter BotaUischer Canal (Ductus Botalli dexter). D. B. s. Linker BotaUischer Canal (Ductus Botalli sinister). H. A. Rücken- Aorta (Aorta dorsualis). 0. M. Art. Dottersack-Arterie (Arteria omphalo-mesaraica). J.r. (Zweimal) und Jl. l. (Zweimal): Arteria iliaca communis dextra et sinistra. N. A. r. und N. A. l. Linke und rechte Nabelarterie (Art. umbilicalis s. allantoidis sinistra et dextra). IIL l. und ni. r. Drittes Aortenbogenpaar. IV. l. und IV. r. Viertes, V. l. und V. r. Fünftes Aortenbogenpaar. C. i. d. und C. i. s. Carotis interna dextra et sinistra. C. e. d. und C e. s. Carotis externa dextra et sinistra. C. c. d. und C. c. s. Carotis commtcnis dextra et sinistra. A.v.d. und A. v. s. Arteria vertehralis dextra et sinistra. A.s.d. und A.s.s. Arteria subclavia dextra et sinistra. A.i. Arieria innominata sinistra. Tdl.IL W- Preyer del EBLAUTEEUNG DER TAFEL IV. Tafel IV. Scliematische Darstellung des Blutstrouis in den Venen des Hühner-Embryo in den späteren Inciibationstagen vor dem Beginn der Lungenathmung. Vgl. S. 72. Blau ist das von den Geweben des Embryo kommende, rotb das von der Allantois und dem Dottersack kommende Blut dar- gestellt. r. Vo. Rechte Vorkammer (Atrium dextrum). l. Vo. Linke Vorkammer (Airium sinistncmj. r. 0. H. Rechte obere Hohlvene (Vetia cava super io?' dextra). l. o. H. Linke obere Hohlvene (Vena cava superior sinistra). U. H. Untere Hohlvene (Vena cava inferior). L. V. Lungenvenen (Venae pulmonales). J. V. (Zweimal) Linke und rechte Jugularvene (Vena iugularis sinistra et dextra). 0. V. V. (Zweimal) Linke und rechte obere Vertebralvene (Vena verte- bralis superior sinistra et dextra). F. V. (Zweimal) Linke und rechte Flügel vene (Vena alaris sinistra et dextra). V. S. Veueusinus (Sinus venosus). Le. V. Lebervenen (Venae liepaticae). Le. Leber (Hepar). A. D. Arantischer Canal (Ductus venosus Aranti). P. A. Pfortader (Vena portarum). O.M.V. Dottersackvene (Vena ompkalo - mesaraica s. omphalo-mesen- terica). r. O.M.V. Rechte Dottersackveue (Vena omphalo-mesaraica dextra.) N. V. Nabelvenen (Venae umhilicales s. allantoidis). M. V. Mesenterialvenen (Venae mesaraicae). Taf.W F.A.->r W, Prever del. ERLAÜTEßUiNG DER TAFEL V. Tafel V. Schema des Placentarkreislaufs. Vgl. S. 81 bis 88. V. II. Nabelvene (Vena umhilicalis). A. u. (dreimal) Nabelarterien (Arteriae umhilicales). Vv. adv. Zuführende Lebervenen (Venae Jiepafis adneherdex). Vv. rev. Abführende Lebervenen (Venae hepatis revelientes). D. V. A. Der Arantische Canal (Ductus venosus Aranti). V.fort. Pfortader (Vena jporta.rum). C. i. und V. c. inf. Untere Hohlvene (Vena cava inferior) mit zwei Mün- dungen. F.o. Eirundes Loch (Foramen ovale) ^ die obere (linke) Mündung der unteren Hohlvene. R. A. Rechter Vorhof (Atrium dextrum). L. A. Linker Vorhof (Atrium sinistrum). S.. H. Rechte Herzkammer (Venti-iculus cordis dexter). L. S. Linke Herzkammer (Ventriculus cordis sinister). A. p. Lungenarterie (Arteria pulmonalis). Vv. p. Lungenvenen (Venae pulmonales). D. a. B. Botanischer Canal (Ductus arteriostis Botalli). A. d. Absteigende Aorta (Aorta descendens). A.ahd. Bauchaorta (Aorta abdominalis). A. m. s. Obere Geki'ösarterie (Arteria mesaraica superior). Jl. com,m. d. und Jl. comin. sin.: Arteria iliaca communis dextra et sinistra. Jl. ext. s. crur. s. : Arteria iliaca externa seu cruralis sinistra. Sypog. s.: Arteria liypogastrica sinistra. A. Hypogastr. d.: Arteria hypogastrica dextra. A. crur. d.: Arteria cruralis dextra. A. a. Aufsteigende Aorta (Aorta adscendens). V. c. sup. Obere Hohlvene (Vena cava superior). TafV Obere ,^(. Körper- A[' W. Preyer del Lith.Anst. v.Th.Osmann, Leipzig. EULAITEEIING DEK TAFEL YI. Tafel VI. Fig. 1. Ein 19 Tage und einige Stunden bebrütetes Hühnerei halb- schematisch nach der Natur in natürlicher Grösse gezeichnet. K. Kalkschale. A. AUantois. S'. Innere Lamelle der Schalenhaut. S". Äussere Lamelle der Schalenhaut. B. Gelber Dotter. L. Luftkammer. Fig. 2. Ein 18 Tage 18 Stunden alter Hühner -Embryo von den Häuten befreit und mit dem Nahrungsdotter auf einer Schiefer- platte liegend. Dadurch wird der mediane und sagittale Durch- messer des Dottersacks grösser, der transversale kleiner, als im Ei. Die Omphalo-mesenterial-Gefässe sind zum Theil in der Obli- teration begriffen. Taf.TI. Fig. 2. W- Prcyer del. Lilh. Th.tismarn, Leipzig EELÄUTERUNG DEE TAFEL VII. Tafel VIL Fig. 1. Lagen, Gestaltänderungen und Drehungsrichtungen der Frosch- embryonen [Rana temporaria) im Ei kurz vor dem Ausschlüpfen, nach der Natur, in etwa zweifacher linearer Yergrösserung. Fig. 1 bis 6. Sehr häufige Formen, welche miteinander wechseln, 2 und 4 Übergangsstellungen. Fig. 3 und 5 gewöhnliche Stellung, in derselben Ebene, mit entgegengesetzter Rotationsrichtung. Fig. 2. Schema der Dotterplacenta des Haifisches [Carcharias) nach einer nicht colorirten Skizze von Joh. Müller (S. 237). a. Dottergang. h. Nabelstrangscheide. c. Innere Haut des Uterus, die roth dargestellte Placenta uterina bildend. d. Entoderm des Dottersacks. e. Ektoderm des Dottersacks (gefässfrei). A. Arteria onriflmlo-mesaraica. \ welche sich in den Falten der Placenta V. Vena omphalo-mesaraica j foetalis {P.F.) verzweigen und anasto- mosiren, so dass in der Vene sauerstoffreicheres, nährstoffreicheres Blut zurückströmt. TaLW Fig. 2. W. Preyer ael. Lil-h.Th^ Lismann, Leipr;g. ERLÄUTERUNG DER TAFEL VlIL Tafel Vm. Die drei graphischen Darstellungen beziehen sich ausschliess- lich auf das bebrütete Hühnerei mit dem Anfangsgewicht von 50 Grm. Die Zijäern unten bezeichnen die 21 Brüttage, die Ordinaten Gramm. Fig. 1. Oben ist durch eine sich gabelnde Gerade die Gewichts- abnahme des entwickelten und des unentwickelten Eies dargestellt (S. 127). Die sich gabelnde Curve unten stellt die täglich wachsenden vom entwickelten und unentwickelten Ei exhalirten Kohlensäure- Mengen in Gramm dar. Fig. 2. Die vom entwickelten und unentwickelten Ei während der 21 Brüttage exhalirten Wasser-Mengen (S. 126). Fig. 3. Die während der Abnahme des Ei -Gewichts stattfindende Zunahme des Embryo-Gewichts (S. 123). Taf.m ERLAUTEBÜNG DER TAFEL IX. Tafel IX. Durchschnitt durch eine menschliche Placenta nebst dem zu- gehörigen Uterus aus der Mitte des fünften Monats, nach einer halbschematischen Zeichnung von Prof. Leopold in Dresden. [475 Zur Veranschaulichung der Uterus-Placentarverbindung zwischen Mutter und Frucht (S. 134, 143, 205, 218, 228, 251, 265). Hellbraun ist das Amnion (die Wasserhaut, Schaf haut), welche den vom Fruchtwasser umgebenen Fötus einhüllt, dunkelblau der Rand der Reßexa dargestellt. Die feinere blaue Linie um Chorion und Chorionzotten stellt das Epithel derselben dar. In den hellblauen Zotten befinden sich die die Endzweige der Nabelarterien mit den Wurzeln der jSTabelvene verbindenden Zotten- capillaren. Dunkler braun ist die Decidua vera [Serotina oder Placenta materna). Die braunen Inseln an den Chorionzotten und längs des placentaren Chorion sind von ihr ausgegangen [Decidua suh- chorialis). Weiss sind die Drüsenräume in ihr, welche sich durch die ganze Serotina hin erstrecken. Eoth sind die intervillösen Bluträume (Sinus, Lacunen), in welche das mütterliche Blut aus den Serotinagefässen eintritt und aus denen es am Placentarrand in das Sammelrohr abfliesst. In diese Blutsinus, welche kein Endothel haben, tauchen die Chorion- zotten hinein, so dass sie vom mütterlichen Blute umspült werden. Grau ist die Muskelfaserschicht (Muscularis) des Uterus. TaflX. i^^mmmmmm^^i m ^i ^i w? m m ^^ m m m m m m .V« .^< Vife