1 j 1 1

IL

2 96619870 19/1

NT

7 *

9 * en,

9

a

5

jerhstblälfen.

Spütherbsthlätler.

Von

Emanuel Geibel.

Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.

1877.

886

; ——

2 N 7 N Wen of e,

B i 0 uchdruckerei der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung in Stuttgart.

Inhalt.

Vermiſchte Gedichte.

Seite tte es in den amen . üU-IIiiii ß AFTER EA Nauſikaa . r Der Tod des Peritles 3 WER SIE VEN EEE Verl Wittenborrrg . 0 Aus verſchollenen Eden 8 T „„ . / A V Ze a Be - ( cc J TORE ar ra er a Me a REN > Z A EEE IE nn ac Me ee RE nn. Led Ldl Ba BEREIT ZU ER. a A ah Et De Zen / Er ,,, Ac , c ae / / · . nei / o A En // ˙ ˙' hr

IV

Ein Brief .

Aus Travemünde Deprecation

Der Nil

Lebensſtimmung

An eine junge Sängerin Am Hünengrabe

Eine Sommernacht Sonntagsmorgen im Walde Spielmanns Heimkehr

Oſtſeelieder.

Als ich jung war

Schon lichten ſich umher

Im Mittag glänzt die Sonne Wenn über'm Meer das Frühroth rat Iſt das Spiel des Waſſermanns In blauer Nacht bei Vollmondſchein Ich lieg' in Träumen b

Es rauſcht das Meer gelinde.

An der Bucht im Lootſenhauſe

Es liegt am öden Dünenſtrand . Sanft verglimmt des Tages Helle . Es pfeift mit hohlem Klange .

Auf das Meer, das fernhinaus . Nun kommt der Sturm geflogen Nach dem Sturm

Tdyllen.

Das Mädchen vom Don . Eine Seeräubergeſchichte

Seite

101 115

*

Gelegenheitsgedichte.

Ode im Juli 1874 . 1 Zur Schinkelsfeier ö 2. Zur Eröffnungsfeier der Nniverfität Straßburg 1 3. Zur Begrüßung der aus Frankreich heimkehrenden Truppen Einem Freunde ins Album An C. G. B. Ueberfall. (Zu einem een Holzſchnitte) Einem Schulmanne An L. G. H. In das Mozartalbum Krokodilromanze Als Epilog Sprüche 1—32

Lieder aus alter und neuer Zeit.

Mit geheimnißvollen Düften

Nun ringt bei Frühlingswettern lleber die Berge wandelt

Die Nachtigall auf meiner Flur . Nun kehrt zurück die Schwalbe

In den mondverklärten Lüften Herz, was willſt du? b Nun iſt auch dieſer Bann gebrochen Das war in jungen Tagen s Schweig, wenn dir vom Neberfluſſe Ich bin, der ich bin

Wenn hinabgeglüht die Sonne Vieles lernt der Dichter tragen . Ach, und auf's neue .

*

Seite 123

VI

Laßt, ihr Lieben, o laßt mich ſtill . Mein Herz iſt ſchwer, mein Auge wachte. Wir fuhren auf der ſtillen Oder

Spät auf hoher Schloßverande

Nun braut es herbſtlich auf den Auen Oft in tiefer Mitternacht 1 Schon reift es Nachts im Wieſerg runde 5 Traurig ſchritt ich hin am Bad . Rauher Tag will rauhe Weiſe

Nun um deine Pfade leis

Es kommt der Lenz, es ſchmilzt der Sine Im Spätherbſtlaube ſteht mein Leben

NUachleſe älterer Gedichte.

König Artus Tod. Die Goldgräber Höchſtädt A Gruß aus dem Gebirge 1 Gela Frühlingsfeier il in Athen Mädchenlied . a: Neugriechiſcher Mythus . Ein Brief . Frühling Hochſommer Stoßſeufzer Aequinoctium Die Schöne ſpricht: Transcat! Zwei Miene

. Spaniſch

2. Nordiſch

Seite 175 176 177 178 119 180 181 182 183 184 186 188

191 193 196 199 201 203 205 207 209 211 213 214 215 217 218

219 221

VII

Verſuchung Im Harz Schwaned . Heimgekehrt Die Sängerin x Romanze vom Werwolf Romanze vom Elfenbrunnen Parabel Näthiel . a Deutſches Aufgebot Lieder aus einem Singſpiele: 1. Lied des Rattenfängers . 2. Hedwigs Lied 3. Lockruf. 4. Schlußchor ER Helena. Lieder aus einer Novelle (1—5) Nach Pindar .

Diſtichen aus dem Wintertagebuche.

I- IX.

Jugendlieder.

Eis bedeckt des Fluſſes Schooß Es kommt der Wind mit Schall gezogen . Wenn nur nicht das ſchönſte Mädchen Der Mond iſt aufgeſtiegen .

Wenn die Nacht mit lindem then .

Es jteht auf ſeinem Katheder .

Bei dem feurigſten der Dichter

Nun ſteigt auf Flügeln . e Mögen die klugen Genoſſen mich läſtern b

261

VIII

Und rennt die Welt nach Gut und Geld Wieder ſteht die Welt in Blüten Als der Liebſten Gruß und Kuß

Neben dem Pfad aus den blühenden B i

Seit zum Jüngling ich erſtand . Nichtig wären meine Zielen. 9 Durch die Wipfel, durch die Matten In Blüten prangt der Apfelbaum Wieder hab' ich ſie geſehen

Ein blau Geheimniß iſt dein Blicke. Träume, die im morgenrothen

Der Mond iſt längſt hinunter

Mein ſüß Geheimniß, wie verberg' ich's nur!“.

Seit du mir dein Herz gegeben . Nun vom Hauch der Muſen Nachts auf dem Archipelagus .

Seite 299

300 302 303 304 306 307 308 309 310 311 312 313 314 315 316

Permiſchte Gedichte.

Geibel, Spätherbſtblätter.

x

W

* *

*

rl ee Ba

> 7

We:

Dr: ar ee Bode RER Pr Re DEN r ao , e ee MN RE N IR . rer. 3 Be AR wa We Er A 4 Kae: K 5

.

Und wieder treibt es in den Tannen Und wieder lockt's vom blauen Zelt, Ein Flügeldehnen, Segelſpannen Geht ungeduldig durch die Welt.

Die muntre Schwalbe zwitſchert helle Ihr Wanderlied im Sonnenſtrahl,

Der Eisblock ſpielt dahin als Welle, Die Schneekluft wird zum Blütenthal.

Aufs neue ſtrebt mit kühnem Steuer Nach fernem Glück die Sehnſucht fort; Verſchwiegne Liebe brennt wie Feuer Und ſtammelt ſacht ihr erſtes Wort.

O Hoffnung, Muſe dieſer Tage, Berührſt du ſanft mein Saitenſpiel, Daß ich den Klang noch einmal wage, Der meinem Volk einſt wohlgefiel?

Der Spielmann.

Sie ſagen, im Freien einſt lag er zu Nacht, Da haben ihm Feyen die Fiedel gebracht,

Da hat auf den Klippen bei Monduntergang Der Nix ihm die Lippen gelöſt zum Geſang.

Nun geigt er und ſingt er, nun ſingt er und geigt, Die Herzen bezwingt er, ſobald er ſich zeigt;

Im Dorf an der Linde, im Fürſtenpallaſt

Wie drängt ſich geſchwinde der Schwarm um den Gaſt!

Schon hebt er den Bogen, ſchon weckt er den Schall, Da ſtrömt es wie Wogen aus klarem Kryſtall;

Wie ſchwellen die reinen ſo ſtark und ſo weich! Wer's hört, der muß weinen und jauchzen zugleich.

Was lächelt vor Wonne der Greis dort und ſchwärmt? Er träumt, daß die Sonne der Jugend ihn wärmt. Was blickt in die Runde der Kriegsmann ſo kühn? Vom Siegsfeld die Wunde beginnt ihm zu glühn.

Was ſtaunen befangen die Knaben im Kreis?

Was brennt auf den Wangen der Mädchen ſo heiß? Im bangenden Sinne die Luſt und die Qual,

Den Zauber der Minne verſtehn ſie zumal.

oO

Dem Waidmann erklingt es wie grüßendes Horn, Den Schnitter umſingt es wie Wachteln im Korn, Den Schiffer am Lande befällt's wie ein Weh, Er hört das Gebrande der rollenden See.

Und wo ſich im Kreiſe verblutet ein Herz,

Da kühlt ihm die Weiſe den brennenden Schmerz; Aufathmet's betroffen, als träufelte mild Balſamiſches Hoffen vom Sternengefild.

Wie Adlersgefieder jetzt ſchwingt ſich der Schall, Jetzt ſäuſelt er nieder wie Tropfen im Fall, So wandeln die Boten des jüngſten Gerichts; So grüßen die Todten vom Orte des Lichts.

Nun ſterben die Klänge, nun ſchweigen ſie ganz Da jubelt die Menge, da bringt ſie den Kranz;

Doch ſtolz ſich verneigend, als drück' ihn der Lohn, Ins Dunkel iſt ſchweigend der Spielmann entflohn.

Beim Glanze der Sterne, von Winden umrauſcht

Schon wandert er ferne, wo Niemand ihm lauſcht; Da geigt er in Thränen ſich ſelbſt noch ein Stück: Verlorenes Sehnen, begrabenes Glück.

Nauſikiaa.

1858.)

Als Odyſſeus fortgezogen

Heimwärts vom Phäakenſtrand

Und ſein Schiff am Saum der Wogen Fern im Abendroth verſchwand,

Zu des heil'gen Felſens Zinne

Schritt empor Nauſikaa, f

Die mit kummerſchwerem Sinne Ihren Gaſtfreund ſcheiden ſah.

Und wo ſchwarz die Fichten ſtanden Um Poſeidons Säulenhaus

In des Meeres dumpfes Branden Lauſchte bangend ſie hinaus;

In geballten Wolken ſchwebend Dräut' ein Wetter dort heran

Und, die Arme fromm erhebend, Hub ſie ſo zu flehen an:

„Der du auf kryſtall'nen Stufen Thronſt in heil'ger Finſterniß,

Gott des Meers, vernimm mein Rufen Und des alten Grolls vergiß! \

-1

Laß den Helden Raſt gewinnen,

Der ſo glorreich kämpft' und litt! Ach, mein Denken und mein Sinnen, Meine Seele nimmt er mit.

Nie vergeſſ' ich jener Stunde,

Da der ſturmverſchlagne Mann Dort am Strand im Pappelgrunde Gleich mein ganzes Herz gewann, Da ich zu des Vaters Schwelle Froh den hohen Gaſt geführt, Ahnungslos, daß mich der ſchnelle Pfeil des Gottes ſchon berührt.

Ach und als zu Nacht am Feuer

Seiner Rede Wohllaut floß, Märchenhafter Abenteuer

Fremde Welt vor uns erſchloß,

Wie berauſcht an ſeinen Lippen

Hing mein Ohr und froh und bang

Folgt' ich ihm durch Schlacht und Klippen, Sturmgeheul und Nixenſang.

Tage dann in ſel'gem Schweigen Lebt' ich, wie die Blume lebt, Die dem Helios zu eigen

Nur zu ihm den Blick erhebt.

Wenn ſein Lächeln mich getroffen, Blühte ſtillbeglückt mein Sinn, Und in heimlich ſüßem Hoffen Schritt ich wie auf Wolken hin.

Schöner Traum, der leichtgewoben Mich umſpielt wie Frühlingsweh'n, Nur zu ſpät, als du zerſtoben, Sollt' ich deinen Ernſt verſtehn! Ach, ſchon unauslöſchlich brannte Mir das Herz in ſüßer Qual, Als er ſich Odyſſeus nannte

Und Penelopes Gemahl.

Wohl der Sehnſucht irres Feuer Barg ich da in tiefſter Bruſt, Doch er ward mir doppelt theuer, Seit mir ſein Geſchick bewußt. Selbſt des Götterzornes Lohen, Wie ſie zückten um ſein Haupt, Zeigten mir die Stirn des Hohen Reicher nur vom Kranz umlaubt.

Einſam, wenn die Sterne ſchienen, Rang ich oft mit meinem Schmerz, Doch die Kraft, dem Freund zu dienen, Strömte Balſam in mein Herz.

Ihm die Heimkehr zu erringen Zu des theuren Eilands Bucht, Wob ich, ach, des Segels Schwingen Für des eignen Glückes Flucht.

Aber nun er fortgezogen,

Schreckt mich, was ich ſelbſt gethan; Wieder ſeh' ich auf den Wogen, Strenger Gott, dich furchtbar nahn. O halt' ein, halt' ein Vertilger! Zügle dieſes Sturmes Wehn,

Laß den ſchwergeprüften Pilger Nicht am Ziel noch untergehn!

Blind nach ſeines Feindes Leben

Zückt der Menſch das Racheſchwert, Göttervorrecht iſt: Vergeben,

Ueb' es heut, er iſt es werth!

Oder wenn dich, Erdumfaſſer,

Nur ein Opfer ſühnen kann,

Nimm dies Haupt, o Fürſt der Waſſer, Für das ſeine nimm es an!“

Horch, da brauſt es durch die Lüfte, Horch, da ſauſt's im Fichtenhain, Um des Ufers Felsgeklüfte

Strömt wie Blut des Abends Schein.

J

10 Rieſenhoch mit Schaumgetriefe Schwillt der Woge Kamm empor Und ein Donner aus der Tiefe Ruft Gewährung an ihr Ohr.

Und ſie nimmt vom Haupt den Schleier Und ſie löſ't ihr wallend Haar

Und bekränzt's in ſtiller Feier

Mit den Lilien vom Altar.

Einen Gruß, indem ſie ſchreitet,

Winkt ſie noch ins Abendroth,

Und, die Arme weit gebreitet,

Lächelnd ſpringt ſie in den Tod.

Sieh und wie die Flut mit Kochen Ueber ihr zuſammenſchwillt,

Iſt der alte Fluch gebrochen,

Iſt des Gottes Zorn geſtillt.

Bei des Mondesaufgangs Helle Schimmernd liegt die Tiefe da Und den Dulder trägt die Welle Sanft im Schlaf nach Ithaka.

1

Der Toò des PVerikles.

Führt mich hinaus! Verſinkend blickt der Tag Aus goldnen Wimpern über Salamis

Und kühler vom Piräus weht's herauf.

Mein Auge will noch einmal, eh es ſich

Auf immer zuſchließt, ruh'n auf dieſer Stadt; Denn über Alles hab' ich ſie geliebt

Und liebe ſie noch heut in ihrer Noth, Wiewohl ſie mein vergaß.

O mein Athen, Juwel von Hellas, ſtolze Herrſcherin Des Meers und aller Götter Liebling einſt, Könnt' ich dich, Kodrus gleich, durch meinen Tod Vom Fluch erretten, der im fahlen Qualm Dumpfbrütend über deinen Zinnen hängt, Wie freudig ſtürb' ich! Doch es ward mir nicht So ſchön vergönnt; die bleiche Stirne ſoll Kein Kranz mir ſchmücken. Lautlos hingerafft, Wie eine dunkle Well' im dunkeln Strom, Verſink' ich mit im allgemeinen Leid.

Weint nicht, ihr Treuen! Immer war's mein Stolz, Daß keines Bürgers Thräne jemals floß

12

Um meinetwillen; laßt mich diefen Ruhm Bewahren bis an's Ende! Klagt auch nicht, Daß dies geſtählte Herz, bevor es brach, Noch ſo viel Leid erfuhr. Es trifft der Gott Mit ſchärfſtem Pfeile, wen er einſt erhöht. Und wenn mein Phidias im Kerker ſtarb, Wenn der mit Milch der Weisheit mich genährt! Geächtet floh, wenn kleiner Haß ſich frech

An Sie gewagt, die meine Muſe war,

So wißt: ich nehm' es hin als meines Glücks Ausgleichung, und dafern ich allzu kühn, Verführt vom Reize des Gelingens, je

Mich überhob, als Buße meiner Schuld.

Durch meine Seele dunkel mahnend tönt

Das Lied der Eumeniden, das ich nie Vergeſſen konnte. Zürnend ſang es mir,

Zum Wanderſtab ſchon greifend, Aeſchylus,

Als ich die Pfleger fromm erſtarrten Brauchs, Die Alten von den Richterſtühlen warf. Vielleicht, wenn damals ich mein Herz bezähmt, Hinausgeſchoben hätt' ich dieſen Tag

Und ſeine Noth, vielleicht vielleicht auch nicht! Denn viel iſt Schickſal was als That erſcheint, Und wie der Apfel, wenn kein Wind vom Aſt Ihn ſchüttelt oder keine Hand ihn pflückt,

1 Anaxagoras.

13

Unwiderruflich grünt und reift und fault, So grünt und reift und fault die Kraft des Volks, Im Anfang herbe, dann vom milden Saft Der Freiheit ſchwellend, der ſie Tag für Tag In reichrer Füll' und Zierde prangen macht, Bis endlich dieſer Saft, wenn er das Werk Der Zeitigung vollbracht, zum Gährungsſtoff Ausartend, langſam alles Feſte löſt.

Wir aber ſind zumal in dies Geſetz

Mit eingeſchloſſen, ſeine ſtille Macht

Trägt wie ein Strom uns; Alles können wir Mit ihr verbündet, ihr zuwider nichts.

Wer ſie begreift, iſt weiſe, wer ſie nutzt,

Iſt ſtark, und wer mit reinem Herzen ihr Zu dienen weiß, iſt glücklich. War ich's doch Und Alles fiel mir zu, was herrlich heißt, So lang' ich ſteuern durfte mit der Flut! Doch als ich wider ihren Schwall den Kiel Gerichtet, ward ich machtlos fortgeſpült. Denn wer bezwingt das Unabwendliche!

Der Tag der Ueberreife kam, es fällt

Die Peſt die Geiſter wie die Leiber an;

Wir ſind am Faulen und das Glück iſt hin.

Doch ziemt mir's nicht zu klagen. Eine Welt Von Schönheit, aufgeblüht in Stein und Erz Und goldner Rede, bleibt als Zeugin ſtehn, Was dieſe Stadt vermocht und wer ich war.

14

Denn hätt' ich nicht die flücht'ge Stunde kühn Am Haar ergriffen, nicht das Farbenſpiel Der jungen Lebensſonne Strahl um Strahl Verſammelt wie in eines Spiegels Rund

Und jeder Kraft ihr höchſtes Ziel enthüllt, Wer weiß, ſie hätt' in reichem Stückwerk ſich Umſonſt zerſplittert und um einen Kranz Wär' Hellas ärmer, wie zum zweiten Mal Kein Gott ihn beut. Ich hab', als ich ihn wand, Im Augenblick Unſterblichkeit gelebt,

Und willig ſteig' ich drum hinab. Lebt wohl!

Wittenborg.

Das war Johannes Wittenborg,

Der Admiral vom Bunde,

Er nahm Bornholm, das feſte Schloß Und fuhr hinab zum Sunde.

Und wo er traf ein Dänenſchiff, Das ſtolz die Segel blähte, Verbrannt' er's oder führt' es mit Als Beute für die Städte.

Und als er kam vor Helſingör, Das Volk ergriff ein Zagen,

Dem König däuchte plötzlich ſchwül Die Luft zu Kopenhagen.

Er ſandte Brief und Boten aus,

Den Admiral zu grüßen:

„Laß ab vom Kampf und komm ans Land, Wir wollen Frieden ſchließen.

16

Und bis vollführt das Sühnungswerk Dem Bund und uns zum Frommen, Im alten Schloß von Helſingör

Sei mir als Gaſt willkommen!“

Im alten Schloß zu Helſingör

Da ſchallen Pauken und Zinken, Die Diener rennen aus und ein, Die güldnen Becher blinken.

Bei Tafel ſitzt Hans Wittenborg Gewappnet wie zum Streite, Die Königstochter aus Dänemark Die ſitzt an ſeiner Seite.

Die Königstochter aus Dänemark, Die weiß ſo ſüß zu blicken,

Ein Goldnetz iſt ihr wellig Haar, Um Herzen zu beſtricken.

Sie lacht und ſchwatzt und läßt ſich hold Sein zaudernd Wort gefallen, Sie ſchenkt ihm ein und trinkt ihm zu, Sein Blut beginnt zu wallen.

Schön Sigbrit hebt die Tafel auf, Da rufen lauter die Geigen,

„Legt ab den Panzer, Admiral, Nun geht's zum Fackelreigen.“

17

Und als er tanzt mit ihr im Saal, Da ſchwindeln ihm die Sinne, Ihm iſt's, als ob aus ihrer Hand Ein Strom von Flammen rinne.

Sie merkt es wohl und ſchaut ihn an Und flötet leiſ' im Tanze:

Gieb uns Bornholm und dir gehört Die Roſ' aus meinem Kranze.

„Die Roſ' aus Eurem Kranz iſt ſchön, Rubin erbleicht daneben;

Mit Freuden gäb' ich drum mein Blut, Bornholm kann ich nicht geben.“

Gieb uns Bornholm, das feſte Schloß, Und nimm dafür zur Stunde,

Nimm hin dafür, du ſtolzer Mann, Den Kuß von meinem Munde.

Sie flüſtert's leiſ', ihr Aug iſt heiß So wonnereich ihr Flehen,

Sie zieht ihn ſacht zum Schloßaltan, Da iſt's um ihn geſchehen.

Er hat verrathen Schloß Bornholm, Um ſeine Luſt zu büßen Vom Himmel ſchoß ein Stern herab Ins Meer zu ſeinen Füßen.

Geibel, Spätherbitblätter. 2

18

Weh dir, Johannes Wittenborg! Weh dir um dieſe Stunde!

Du haſt geminnt des Dänen Kind, Was bleibſt du nicht am Sunde?

Was ſegelſt du zur Heimat keck, Der du die Treu gebrochen? Zu Lübeck in der alten Stadt Wird ſcharfes Recht geſprochen.

Zu Lübeck in der alten Stadt

Am Mittwoch nach den Faſten,

Da ſchallt vom Thurme dumpf Geläut, Da flaggen ſchwarz die Maſten.

Zum Markte wallt ein Trauerzug Aus Sankt Mariens Thüren, Das iſt Johannes Wittenborg, Den ſie zum Tode führen.

Bekümmert ſteht das Volk umher, Es weinen laut die Frauen; Dem jungen Admiral nur ſpielt Ein Lächeln um die Brauen.

Er ſchreitet hohen Haupts zum Block, Als ging's zum Fackelreigen:

„Und muß ich ſterben um Bornholm, So warſt du doch mein eigen!“

19

Ein Röslein nimmt er aus der Bruſt, Das wuchs an Seelands Strande,

Er drückt's noch einmal an den Mund, Dann kniet er hin im Sande.

Die Glocke dröhnt, das Richtbeil fällt, Sein Haupt rollt hin am Grunde;

Er hat bezahlt mit ſeinem Blut

Den Kuß von Sigbrits Munde.

20

Aus verfchollenen Tagen.

%

Es war ein ſchöner Tag im Schönen Wien, Die Linden blühten und die Sonne ſchien, Und Arm in Arm, uns ſelber überlaſſen, Durchſchritten wir die morgenfriſchen Gaſſen.

Prunkläden hier, Palläſte ſtolz und grau, Dort ſchwarzgethürmt Sankt Stephans Rieſenbau, Und rings aus laub'gen Gärten durchs Gedränge Herflatternd Roſenduft und Geigenklänge.

Ein Märchen däucht' es uns, ein Traumgeſchick: Sonſt ruhlos überwacht in Wort und Blick Und plötzlich nun im bunten Volksgetriebe Der großen Stadt allein mit unſrer Liebe!

Beſchwingt ins Grüne lenkten wir den Schritt, Die Vögel jauchzten und wir jauchzten mit, Bis wir zuletzt nach ſel'ger Irrfahrt Stunden Den Weg zu Belvederes Schloß gefunden.

21 Von Panzern drinnen beim gedämpften Strahl, Von Türkenbeute blitzte Saal an Saal

Und friedlich neben den erſiegten Waffen

Hing was der Meiſter Farbenkunſt geſchaffen.

Da grüßt' uns plötzlich lächelnd von der Wand Der ſchönſte Frauenkopf von Palmas Hand: Bezaubert ſtaunt' ich, bis ins Herz erſchrocken, So glich er dir mit deinen goldnen Locken.

Und küſſen wollt' ich das holdſel'ge Bild,

Du aber wehrteſt mir und ſpracheſt mild: „Warum nach ſtummem Reiz den Blick erheben? Du haſt's ja beſſer, halte dich ans Leben!“

Und wieder durch die Gärten ſchwärmten wir Und von den trunknen Lippen ſtrömte mir Ein übermüthig Lied der Liebeswonne,

Die Roſen blühten und es ſchien die Sonne.

Und denk' ich dran, jo wehr's durch meinen Sinn Wie Roſenduft und Sonnenglanz dahin.

O Stadt Sankt Stephans, daß dich Gott behüte, Wo meiner Jugend ſchönſtes Märchen blühte!

22

2,

Herr Walter, deſſen Ruhm erklungen, So weit die deutſchen Ströme gehn, Als er ſich Land und Leut' erſungen, Da jauchzt' er auf in Liedeszungen:

Ich hab' ein Lehn! Ich hab' ein Lehn!

Herr Walter von der Vogelweide, Und wüßtet Ihr was mir geſchehn, Wie ich zu Freuden kam aus Leide, Ihr hörtet ſingen mich mit Neide: Ich hab' ein Lehn! Ich hab' ein Lehn!

Mein Lehn ſind eitel rothe Roſen,

Die Tag und Nacht in Blüte ſtehn,

Frau Minne ließ es mich erlooſen,

Mit Scherz beſtell' ich's und Liebkoſen; Ich hab' ein Lehn! Ich hab' ein Lehn!

23

2 3.

Noch ruh'n die Höh'n vom Duft umwoben Und neblig dampft es überm Feld; Doch Sonnenahnung dämmert droben

Am Himmelszelt.

Dem zweifelhaften Tag entgegen

Reiſ' ich ins ſtille Land hinein,

Und grüße dich zum Morgenſegen Und denke dein.

Wohl ſchied die Welt uns ſtreng auf's neue, Doch muthig blieb mein Herz und feſt; Ich weiß, daß nimmer deine Treue

Vom Freunde läßt.

Denn nicht ein blind Gefühl der Stunde, Kein Zauber flücht'ger Sinnenglut, Uns bindet was im tiefſten Grunde

Der Seelen ruht.

Mag drum in Sehnſucht und Beſchwerde Noch manch verwaister Tag vergehn, Mir ſagt mein Genius: ich werde

Dich wiederſehn.

24

Und all mein Leid wird von mir fallen,

Wenn mich dein Arm umſchlungen hält,

Wie dort am Berg im Windeswallen Der Nebel fällt.

Er fällt mit Haſt, mich grüßt azuren

Der Himmel, wie dein Auge ganz,

Und in mein Herz und auf die Fluren Strömt Sonnenglanz.

1 ot

In der Frühe.

Friſch von kühlem Thau durchquollen Schauern Wald und Erlenbruch; Aus des Ackers ſchwarzen Schollen Dampft ein kräft'ger Erdgeruch.

Still noch iſt's auf allen Wegen, Nur vom Dorf die Glocke ruft Fernher ihren Morgenſegen Durch die ſonnendunſt'ge Luft.

Von dem Strom, wo ich gebadet, Eh der letzte Stern entfloh,

Mit verjüngter Kraft begnadet Kehr' ich heim, des Tages froh.

Ahnungsvoll im Buſen klingt mir Dunkler Melodie'n Gewühl ' Und den leichten Schritt beſchwingt mir Ein beglückend Vorgefühl.

Was bedeutet dies Empfinden? Soll ich die Geliebte ſehn? Oder flutet in den Winden, Muſe, deines Odems Wehn?

26

Unter den alten Rültern.

Ihr alten Rüſtern Wie ſüß zur Raſt Läd't euer Flüſtern Den müden Gaſt!

O wogt und ſchattet Um's Haupt mir kühl! Noch dröhnt's ermattet Vom Stadtgewühl,

Wo, nie entlaſtet, Das Leben rollt,

Gewinnſucht haſtet, Parteiwuth grollt,

Nach Brod die Menge Und Spielen ſchreit Und hohl Gepränge Die Kunſt entweiht.

Vom eitlen Rauſchen Wie bin ich ſatt!

Nun will ich lauſchen Auf Blüt' und Blatt;

27

Nun will ich hören Die Weiſe nur,

Die du in Chören Mir ſingſt, Natur,

Die große Weiſe, Die, wo ſie klingt, In Schauern leiſe Mein Herz verjüngt,

Das Lied vom Wachſen Und vom Vergehn, Nach dem die Achſen Der Welt ſich drehn.

28

König Abels Ende. Schleswigſche Sage.

König Abel hatt' einen ſchweren Traum, Nicht länger läßt's ihn ſchlafen,

Er ſpringt vom Bett und tritt hinaus Zum Söller überm Hafen.

Es ſcheint der Mond, es rauſcht die Schlei Mit dumpfem Wellenſchlage;

Der König ſtarrt hinab, er denkt

Der Schuld vergangner Tage.

Und wie es Eins vom Dome ſchlägt, Kommt unten auf den Wogen Geſpenſtiſch aus dem Nebelduft

Ein ſtummer Kahn gezogen.

Er ſchwebt heran im weißen Licht, Unhörbar geht das Ruder

„Hilf Gott! Der dort am Steuer ſitzt, Das iſt mein todter Bruder!

29

Langſam an feinem Halſe quillt

Das Blut aus breiter Wunde,

In ſeinem Haar noch klebt das Schilf, Der Schlamm vom Stromesgrunde.

Er ſtiert mich an mit glaſ'gem Blick, Mein Blut gerinnt vor Grauen;

Er hebt den Arm und winkt, und winkt Weh mir, ich kann's nicht ſchauen!“

Herr Abel ſtürzt zurück ins Schloß, „Laßt mir den Biſchof wecken!“

Er keucht's und birgt ſein fiebernd Haupt In ſeines Lagers Decken.

„Fluch dir, Fluch dir unſelig Gold, Du Königskron' im Norden!

Wohl heiß' ich Abel, doch um dich Zum Kain bin ich worden.

Fluch Purpur dir! Du gleißteſt mir So zaubriſch vor den Sinnen; Nun ſengſt du mich wie Feuersglut, In Qual muß ich von hinnen.“

Was pocht und hämmert in der Wand? Das kommt vom Todtenwurme.

Was klirrt und klingt? Das Fenſter ſpringt Weitklaffend auf im Sturme.

30

Und ſieh, zwei ſchwarze Raben ziehn Herein mit heiſerem Schreien,

Sie flattern kreiſchend um das Bett Und fliegen hinaus zu dreien.

Der Biſchof kommt, er ſchlägt ein Kreuz, Die Raben ſieht er fliegen,

Er ſieht den König ſtarr und todt

Auf ſeinem Purpur liegen.

Mitſommernacht.

Durchs Gewölk die Sterne lauſchen Und der Lilie Duft erwacht;

Willſt du mich, wie ſonſt, berauſchen Dunkelſchwüle Sommernacht?

Deiner Elfen Schwärme kreiſen Lockend wieder um mich her, Doch auf ihre Zauberweiſen Find' ich nicht die Antwort mehr.

Ach, es wird von keinem Sehnen Zärtlich mehr dies Herz bethört, Und zugleich mit ſeinen Thränen Hat ſein Hoffen aufgehört.

Nur was einſt ſo ſüß mir däuchte Und ſo ſchmerzlich als Verluſt, Zieht wie fernes Blitzgeleuchte Mir erinnernd durch die Bruſt.

32

Lied und Ton.

Verzaubert lag, verſchollen, Dornröschen gleich im Walde tief, Das Lied auf ſtaub'gen Rollen, Das Muſenkind, und ſchlief.

Da bricht durch's Dorngeſtrippe

Mit hellem Ruf ein Königſohn, Da küßt mit warmer Lippe Die Schläferin der Ton.

Und ſieh, zu raſchen Schlägen Urplötzlich iſt ihr Herz erwacht;

Sie hebt ſich ihm entgegen,

Ihr Auge weint und lacht.

Vom Lager aufgeſprungen Die Arme ſtrickt ſie um ihn her; Sie halten ſich umſchlungen Und laſſen ſich nicht mehr.

Und auf der Liebe Flügel

Nun ziehn die beiden treugeſellt Wohl über Strom und Hügel Hinaus in alle Welt.

33

Hütet euch!

Wo am Heerd ein Brautpaar ſiedelt, Seid auf eurer Hut, ihr Knaben, Wahrt, ihr Mädchen, euer Herz!

Denn am Morgen, denn am Mittag Wie ein Duft von wilden Roſen Schwebt die Glut verſtohlner Küſſe Dort bezaubernd in den Lüften. Ach, und wenn der Abend dunkelt, Unverhüllt durch die Gemächer Wandelt mit geſchwungner Fackel Eros dann, und unabläſſig

Sprüh'n der Sehnſucht irre Funken Weiterzündend um ihn her.

Wo am Heerd ein Brautpaar ſiedelt,

Seid auf eurer Hut, ihr Knaben, Wahrt, ihr Mädchen, euer Herz!

Geibel, Spätherbſtblätter. 3

Romanze.

Ueber'm Schloß und ſeinen Gärten Brütet heiß im Dunſt der Mittag; Wie in einem Märchen wandl' ich Durch die ſchwüle Todtenſtille.

Schlummertrunken um die Thürme Hängt der Epheu; vor den Fenſtern Liegen Schalter, mit geſchloſſ'nen Wimpern ſcheint das Haus zu träumen.

Auch die hohen rothen Blumen

Nicken wie im Schlaf geſpenſtiſch, Schweigend am verfall'nen Springborn Sonnt ſich eine grüne Schlange.

Zum ſmaragd'nen Ring verſchlungen Züngelt ſie und blickt mit klugen Augen zu mir auf, als wüßte Manch Geheimniß ſie zu melden,

Manch verſchollenes Geheimniß Von der ſchönen Königstochter, Die des Abends hier gewandelt, Wenn der blonde Page ſeufzte,

Von den Schwüren, die die Mondnacht Hört' im Dunkel jener Lauben,

Von dem Blut, das dort gefloſſen, Wo die rothen Blumen ſchwanken.

Schon beſchleicht ein heimlich Grauen Mir das Herz, da dröhnt die Schloßuhr Eins, und raſchelnd in die Büſche Schlüpft zurück die grüne Schlange.

36

Der Wlan.

Früh Morgens um vier, eh die Hähne noch kräh'n, Da ſattelt ſein Roß der Ulan

Und reitet, den Feind und das Land zu erſpähn, Den Waffengenoſſen voran.

Hinjagt er durchs Blachfeld und pirſcht durch den Forſt, Hoch flattert ſein Fähnlein im Wind,

Und er lugt von der Höh, wie der Falke vom Horſt, Und wählt ſich die Straße geſchwind.

In das ſonnige Städtchen da ſprengt er hinein,

Am Rathhaus hält er in Ruh:

„Herr Maire, nun ſchenkt mir vom ſchäumenden Wein, Und ein Frühſtück gebt mir dazu!

Und ſchafft mir die prächtigen Rinder daher,

Die am Thor auf den Weiden ich ſah,

Und Hafer für zwanzig Schwadronen, Herr Maire, Denn die Preußen, die Preußen ſind da.“

Hei luſtige Streife! Hei köſtlicher Scherz, Wenn der Maire ſeine Bücklinge macht!

Doch freudiger wächst dem Ulanen das Herz, Wenn die Schlacht durch die Ebene kracht;

Wenn, die Zügel verhängt und die Lanz’ in der Fauſt, Das Geſchwader mit ſtiebendem Huf

Auf den eiſernen Rechen des Fußvolks braust

Unter ſchallendem Hurrahruf.

Wohl ſpei'n die Haubitzen Verderben und Tod, Wohl deckt ſich mit Leichen die Bahn,

Und die Luft wird wie Blei und die Erde wird roth, Doch vorwärts ſtürmt der Ulan.

Und rinnt auch das Blut von den Schläfen ihm warm: Durch Geknatter und Kugelgeſaus

Kühn ſetzt er hinein in den dichteſten Schwarm

Und holt ſich den Adler heraus.

Und Viktoria ſchallt's durch Getümmel herauf,

Schon wanken die feindlichen Reih'n,

Und das Wanken wird Flucht und die Flucht wird Lauf, Der Ulan, der Ulan hinterdrein.

Hinterdrein durch den Fluß, wo die Brücke verbrannt, Durch das Dorf, das der Bauer verließ,

Mit Gott für König und Vaterland

Hinterdrein, hinterdrein bis Paris.

Dort giebt's einen Tanz noch im eiſernen Feld, Bis der Franzmann den Athem verliert,

Und Wilhelm der Sieger, der eisgraue Held, Im Louvre den Frieden diktirt.

Doch wenn dann die blutige Arbeit gethan, Und die Stunde der Heimkehr erſchien, Wie reitet ſo ſtattlich im Glied der Ulan Am Einzugstag in Berlin!

Da ſteht an den Linden die roſigſte Dirn Und ſie jubelt vor Stolz und vor Luſt: O wie lieb' ich dich erſt um die Narb' auf der Stirn Und das eiſerne Kreuz auf der Bruſt! Oktober 1870.

An die Sonne.

Wieder ſteigt der Nebel, wieder Strömt ins Thal der Regen nieder, Das ſich grau und freudlos dehnt. Biſt du ganz denn mir im Norden Treulos worden

Du, nach der mein Herz ſich ſehnt?

Die du doch zu tauſend Malen Liebevoll mit deinen Strahlen

Mich wie eine Braut umfingſt Und mir ſtill des Liedes Blüte Im Gemüthe

Weckteſt, wenn du kamſt und gingſt.

Faſt bedünkt es mich, man raubte Dir dein Goldgelock vom Haupte, Sammt der Krone von Rubin, Und nun wallſt du, hohe Sonne, Eine Nonne,

Nur im Schleier noch dahin.

40

Ach und kaum in dieſem blaſſen Zwielicht weiß ich's mehr zu faſſen, Wie du einſt ſo jung und ſchön Mir in göttergleichem Prangen Aufgegangen

Ueber Delos Felſenhöhn.

41

Regertzeit.

Geh' ich nach dem ewgen Regen Durch den Wald bei früher Zeit, Ei wie macht auf allen Wegen Sich das Volk der Pilze breit!

Zwiſchen Dorn und Hagebutte Truppweiſ' an des Pfades Rand Stehn ſie hier in weißer Kutte, Dort im braunen Mönchsgewand.

Andre blähn gleich Cardinälen Sich im flachen Scharlachhut, Ach, und vollends nicht zu zählen Iſt die ſchwarzgefleckte Brut.

Dicht geſchaart und immer dichter Durch's Revier von Ort zu Ort Wälzt das ſchwammige Gelichter Seine Propagande fort;

42

Klimmt mit unheimlicher Schnelle Hügelan aus jeder Schluft, Haucht von jeder ſumpf'gen Stelle Seinen Brodem in die Luft.

Friſchen Sonnenathem ſende, Güt'ger Himmel, ſend' ihn bald! Sonſt verdumpft uns noch am Ende Dies Gezücht den ganzen Wald.

Sommer 1873.

Serien. (1875.)

Am Waldhang überm Wieſengrunde

Wie ruht ſich's gut zur Mittagſtunde, Wenn nur mit ſanftem Hauch der Wind Durch's Laub der Wipfel flüſternd rinnt!

Hier, vor der Welt und ihren Sorgen

Im Schooß der Einſamkeit geborgen, Genieß' ich endlich frei von Zwang Den lang entbehrten Müſſiggang.

Da ſaugt mein Leib aus Luft und Sonne Des Daſeins reinſte Pflanzenwonne, Indeß der Geiſt zu freiem Spiel Ins Blaue flattert ohne Ziel.

Doch träum' ich nicht von Ruhmeskränzen, Von Sternen mehr, die täuſchend glänzen; Den Jüngling lockten ſolche Höhn; Dem Alten däucht das Nächſte ſchön.

44

Ich hör' im Forſt den Jäger blaſen,

Ich ſehe, wie die Rinder graſen, Der Storch durch's Ried hochbeinig ſtelzt Und ſchimmernd ſich das Mühlrad wälzt.

Auch kommt mir bei der Wipfel Wogen

Bisweilen noch ein Reim geflogen,

Der, wie die Seele ſchweift und ſinnt, Zum Liede ſtill ſich weiter ſpinnt.

Doch nur für mich. Im Marktgedränge

Wer horcht' auch auf die leiſen Klänge? Mein Beſtes gab ich; gönnt mir's nun Im Grünen ſpielend auszuruh'n.

Jenſeits der Alpen. (Aus einer Elegie.)

Nimmer vergeſſ' ich der Nacht, da ich leicht hinrollend im Wagen Faſt wie ein Trunkener dich, hohe Verona, verließ Tief im Gemüth noch bewegt von der drängenden Fülle des Neuen,

Das du dem flüchtigen Gaſt, Schwelle des Südens, gezeigt. Dietrichs Burg hoch über dem Strom und der grauen Palläſte Altehrwürdigen Prunk hatt' ich mit Staunen begrüßt, Hatt' an Juliens Sarg, an der Scaliger ehernem Grabmal Ernſt in verſchollener Zeit Wechſelgeſchick mich vertieft Und im gigantiſchen Rund auf das Quadergeſtuf der Arena Niedergeſchaut, vom Hauch römiſchen Geiſtes umweht; Aber dazwiſchen, wie blühte ſo reich der Frühling von heute!

Blumen auf jedem Altan, Sträußer auf jeglichem Markt! Rings buntfarbig Gewühl um die plätſchernden Brunnen ſich drängend, Durch die Arkaden dahin flutend zu Kauf und Verkauf, Reizende Mädchen im Schwarm, ſchwarzäugig, mit wehen— den Schleiern, Weiber, den Korb auf dem Haupt, Hirten im zottigen Vließ,

46

Friſches Gebäck in den Hallen umher und Duft der Orangen, Roſiger Wein und Muſik, weich wie Italiens Luft! Gern zur Neige geſchlürft wohl hätt' ich den winkenden

Becher, Doch nur flüchtig vom Schaum war mir zu koſten vergönnt. Dreimal, eh' ich's gedacht, war hinter den Zinnen des Spätroths

Fackel erotik und zur Fahrt lud mich die köſtliche Nacht. Und nun ging es hinaus in die weite lombardiſche Fläche, Oſtwärts, Padua zu, trug mich das leichte Geſpann. Thauiger Duft lag über der Flur, im ſproſſenden Kornfeld

Schlugen die Wachteln, von fern rauſchte der blinkende Strom, Mondhell grüßten am Weg, reblaubumſponnen, die Ulmen, Durch die Cypreſſen herab rieſelte ſilbernes Licht; Aber am dunkeln Gebürg ſtill glommen die Feuer der Hirten Und herüber, gedämpft, wehte der Ton der Schalmei. Fremd war Alles umher und doch ſo traulich, dem ſtillen Reichthum dieſer Natur fühlt' ich mich innig verwandt; Dieſe Lüfte, wie löſten ſie mir ſanft ſchmeichelnd die Seele, Daß ſie im reinſten Accord leiſ' in ſich ſelber erklang! Fern wie der Heimat Nebelgewölk lag jegliche Sorge Und zu leben allein ſchien mir, zu athmen, ein Glück; Und zum Sternengezelt entzückt aufſchauend empfand ich, Daß du zum Gruß mir das Haupt, Muſe des Südens, berührt.

47

Chaxmion. Elegie.

Täglich Geſtöber und Sturm und wiederum Sturm und Geſtöber! Ewig bewölkt, bleiſchwer laſtet der Himmel herab; Kniehoch liegen die Gaſſen verſchneit und es ächzt nur mühſam Durchs Pfadloſe die Bahn wühlend das ſchwere Geſpann. Kaum noch dem leichteren Schlitten gelingt die gefährliche Reiſe, Oft einſinkend im Schnee ſtrauchelt das klingelnde Roß. Und ſo ſitz' ich zu Haufe gebannt; ſchon dunkelt das Zwielicht Ueber die Stadt und umſonſt ſtrebt mir ins Freie der 5 Sinn. Lodert denn auf im Kamin, ihr tröſtlichen Flammen, und ſcheuche Wärmender Becher, den Druck trüber Gedanken mir fort! Euch auch ſuch' ich hervor aus dem Schrein, ihr verwit— | ternden Blätter, Die ich dereinſt im Genuß goldener Tage beſchrieb, Als ich, ein Wanderer noch, mit dem trunkenen Auge der Jugend An den Geſtaden umher ſüdlicher Meere geſchweift.

48

Seltſam blickt ihr mich an im Geflacker des nordischen Heerdes,

Fremd faſt, aber ihr habt bald mir die Seele gelöst, Und im belebenden Hauch der Erinnerung ſchwebt die befreite Wie von Flügeln des Schwans leiſe getragen hinaus. Sieh, ſchon ſinkt das Gewölk, durch die flatternden Schleier

ergießt ſich Goldener Glanz, weithin dehnt ſich im Grunde die Flut, Und im Kreiſe verſtreut, umſpült von ſchmeichelnder Woge, Tauchen ins leuchtende Blau ſonnige Gipfel empor. Seid mir gegrüßt! Wohl kenn' ich euch noch, ihr ſeligen Inſeln, Die des ägeiſchen Meers purpurner Gürtel umſchlingt, Naxos Rebengebürg und des taubenumflatterten Andros Winkende Höhn, von der Nacht ſchwarzer Cypreſſen gekühlt, Und in Blüten verhüllt Parichias ſchwebende Gaſſen, Die vielſäulig vom Meer über den Felſen ſich ziehn. Zaubriſche Stadt! Wohl ruh'n ſie verwaist, die gefeierten Schluchten, Wo zu göttlichem Reiz einſt ſich der Marmor beſeelt; Aber es erbte bis heut ſich in dir unſterblicher Anmuth Abglanz fort und bezwingt wonnig dem Pilger das Herz. Ach, ich erfuhr's, und das ſchmerzliche Glück, das launiſch dieſelbe Stunde mir gab und entriß, wieder berauſcht es mich heut. Sieh, dort wandeln ſie hin, mit dem Krug auf dem Haupte, die Mädchen, Leicht im Sandalengeſchnür ſchwebt der beflügelte Fuß;

49

Hier welch reine Geſtalt, welch Haar! Schon biſt du den Preis ihr Zuzuwerfen bereit, aber die Schönere naht, Ach, und die Schönſte von allen zuletzt, die Schweſter des

Schiffers, Der ſein gaſtliches Dach gern mit dem Fremdling | getheilt. Sechzehn Sommer erlebte ſie kaum, doch blickt aus den dunkeln

Wimpern ein ſehnſuchtsvoll träumendes Auge bereits Und frühzeitig gereift am Strahle der milderen Sonne Birgt die vollendete Bruſt ſchon ein erwachend Gefühl. Winkſt du mir, Charmion, reizendes Kind? Vom ſpru— delnden Brunnen Ueber die Stufen empor ſoll ich dir folgen ins Haus? Wohl, ich gehorche dem Blick, und du führſt mich ins duftende Gärtchen, Wo der Granatbuſch prangt, wo das Baſilikum ſprießt Und Heſperiens Baum uns im Schatten empfängt mit der Fülle Goldener Aepfel zugleich, ſilberner Blüten geſchmückt. Stumm dort bieteſt du mir die zerbrochene Frucht der . Orange, Mir die Hälfte und nimmſt ſinnend die Hälfte für dich. Soll es ein Zeichen mir ſein, Holdſelige, daß du mir gut biſt? Daß es dich ſchmerzt, mich ſo bald ſcheiden zu ſehen? Du nickſt Geibel, Spätherbſſtblätter. 4

50

Und mit ſtreifender Hand die achatenen Locken entfeſſelnd Schmiegſt du dich an mich und reichſt weinend den Mund mir empor. Wer bezwänge ſich da! Wer ſtieße die köſtliche Gabe Froſtig zurück, ein Barbar, wenn ſie die Grazie beut! Einmal laß mich im Kuß die ambroſiſchen Lippen berühren, Einmal ſchling' ich den Arm um den bezaubernden Wuchs, Und umfangen von dir, im Innerſten ſchauernd, em— pfind' ich's, Wie dein pochendes Herz heiß an das meine ſich drängt. Hältſt du mich feſt? Laß ab! Du ſollſt der beglückenden Stund' einſt Heiter gedenken und nie was du mir ſchenkteſt bereu’n. Laß, und trockne das ſüße Geſicht! Schon hör' ich den Bruder, Der zum Hafen ans Schiff dringend den Säumigen ruft. Lebe denn wohl! Lebwohl! Und ſei für immer geſegnet! Ewig jugendlich hier bleibſt du ins Herz mir geprägt, Aus dem azurnen Meer wird ſtets dein Auge mich grüßen, Jede Cypreſſe des Hains, Schlanke, gemahnt mich an dich, Bei den Roſen Athens will dein ich denken, und wenn mich Kalt und düſter dereinſt wieder der Norden umgraut, Soll dein reizendes Bild im hyperboreiſchen Dunkel Mir wie die Sonn' aufgehn, Charmion, liebliches Kind.

Ein Börtef. (1864.)

Aus meines Krankenzimmers Haft, wo böſe Gicht Den einſt ſo rüſt'gen luftgewohnten Wandersmann Auf's Lager hinwarf, ſend' ich meinen Gruß dir heut, Zwar kein Tyrtäus, wenn ich gleich zur Dänenfahrt Beharrlich aufrief, aber ganz ſo lahm, wie er.

Und während draußen über Strom und Hügel nun Und durch den herbſtlich bunten Wald im Sonnenduft Die Tage wandeln, deren friſcher Hauch mir ſonſt So manches Lied im Buſen weckte, ſchmacht' ich hier In dumpfen Wänden zu verſtummter Raſt verdammt, Dem flügelwunden Kranich ähnlich, der mit Harm Den hellen Ruf des Bruderſchwarms von fern vernimmt.

Im Weitern freilich, wenn nicht eben allzuarg

Das Uebel wüthet oder das erhitzte Blut

Bei Nacht den Schlummerloſen ängſtet, fühl' ich mich So elend nicht, dem liebevoll manch treu Gemüth

Die trübe Zeit theilnehmend zu erheitern ftrebt.

Bald kommt ein Freund und ſagt mir was die Welt bewegt Und breitet willig vor dem vielfach Fragenden

Die Schätze neuen Wiſſens aus, bald füllt ein Strauß

52

Von ſpäten Roſen, den der Wirthin Güte band,

Den Raum mit Wohlgerüchen, bald, nach Schwalbenart Mein Bett umflatternd, ſchwebt mein blühend Töchterchen Leichtfüßig, jedes Winks gewärtig, aus und ein

Und ſcheucht mit heit'rem Plaudern mir die Grillen fort.“ Dazwiſchen greif' ich, weil ein ernſter Tagewerk

Der Arzt verbot, nach alten Büchern, wie ſie juſt

Zur Hand mir liegen. Tiecks zerleſ'nen Phantaſus Durchblättr' ich wieder, kühl umweht vom Dämmerlicht Des Märchenwaldes, oder Fouqués Zauberring,

Der einſt des Knaben fabelhaft Entzücken war,

Als zwiſchen hohen Dächern kauernd, heimlich er,

An Stirn und Wangen glühend, Blatt um Blatt verſchlang, Und der noch heute durch des Planes kühnen Wurf

Und bunte Fülle mein erinnernd Herz ergötzt.

Auch läßt der Herbſt, als wollt' er ſeinem Freunde nicht Ganz treulos werden, dann und wann ein Lächeln mir Aufs Lager fallen. Von der Erde ſeh' ich zwar Nichts, als den Wipfel eines großen Apfelbaums

Und durch's Gezweig mit ſeiner Thürme Zwillingsbau Den alten Dom, der mir am Sonntag Orgelton Herüberſendet und gedämpften Chorgeſang;

Doch drüber weithin breitet ſich der Himmel aus

Und zeigt bei Tag auf leuchtend blauem Grunde mir Den Zug der Wolken; aber, wenn der Abend ſinkt, Zum Feuermeere wird er, drin phantaſtiſche

Gebirge ſchwimmen, Gärten, die von Purpur blühn,

53

Und goldne Schlöſſer, bis das prächt'ge Farbenſpiel, Nachdem es aller Edelſteine Glut durchlief

Vom Licht des Sapphirs zum geſchmolz'nen Blutrubin, Gemach erliſcht und ſilbern, einer Fackel gleich,

Der Abendſtern aus dämmergrünen Lüften taucht.

Das iſt die Stunde, da im Buch vergangner Zeit Erinnrung bildert. Weithinaus, wohin die Fahrt

Des Lebens einſt den nimmermüden Pilger trug, Schweift, wachen Traums, in feſſelloſem Flug der Sinn Und ſucht die Stätten ſeiner alten Freuden auf.

Aus Sonnennebeln hell mit ihren Tempeln ſteigt

Die Burg Athens; das alte Schloß im Habichtswald, Das forſtumrauſchte, wo der Dichter ſtill gereift, Taucht grüßend auf, am Lurleyfelſen braust der Rhein, Ein Echo weckend ungeſtümer Jugendluſt,

Und fern vom weißen Säntisgipfel überragt

Azurnen Schimmers, wie ein Stück vom Himmel, blaut Der See von Lindau, deſſen üppig Rebgeſtad

Den ſchönſten meiner Herbſte ſah Wo ſind ſie hin, Die goldnen Tage? Wo die Treuen, die mit mir

Den Segen ihres Strahls getheilt? Ach, fröſtelnd rinnt Durch meine Bruſt der Schauer der Vergänglichkeit

Und tiefe Wehmuth fällt mich an

Doch plötzlich rauſcht Der Pforte Vorhang; leiſe mit der Kerze tritt Mein Kind herein, ein lieblich Bild der Gegenwart,

54

Und wie es ſorgſam mit beſchwingter Hand mir nun Die Kiſſen ordnet und ſich zärtlich an mich ſchmiegt:

Da weicht der Schatten, der mein bangend Herz beſchlich, Und dankbar fühl' ich, ausgeſöhnt mit meinem Loos, Wie reich ich noch geſegnet bin, und lebe gern.

on [ed |

Nus Travemünde. Epiſtel.

Liebſter, du ſendeſt mir freundlichen Gruß und fragſt mich mit Antheil,

Wie mir die Stille behagt, ſeitdem am Ufer der Oſtſee

Auszuruhen der Arzt mir gebot, und was ich beginne?

Wenig genug in der That, doch das Wenige gänzlich nach eignem

Wohlgefallen einmal und befreit von mancherlei Plage,

Die mich zu Hauſe verfolgt. Hier drängt kein fader Beſucher,

Um von Literatur, Jeſuiten und Aktienſchwindel

Gleich Geiſtloſes zu ſchwatzen, ſich auf, kein klimpernder Nachbar

Scheucht mir die Muſe hinweg mit nie abreißendem Walzer,

Kein langweilig Geſchäft, das anſpruchsvoll an die Thür pocht,

Hält mich plötzlich zurück, wenn die ſonnige Friſche des

Morgens

Dringend ins Freie mich lockt. Und köſtliche Juniustage,

Golden und blau, ſtets wieder erfriſcht in leichten Gewittern,

Gönnt' uns der Himmel bis heut. Auch fand ich ein wohnlich Quartier aus,

56

Wie's dem Poeten gefällt, nicht ſchmuckvoll, aber behaglich,

Oſtwärts ſchauend, mit breitem Altan, an der Mündung des Hafens,

Nahe den Gärten des Bads und dem ſchlank aufſteigenden Leuchtthurm.

Süß iſt's, müſſig zu gehn nach dem Drang anſtrengender

Wochen. Morgens ein Buch des Homer, aus Shakſpeare Abends ein Aufzug Weiht und beſchließt mir würdig den Tag. Im übrigen halt' ich, Nur mit Wetter und Wind, mit Sonn' und Waſſer ver— kehrend, Alles Gedruckte mir fern, kaum daß nach Tiſch' ich die Zeitung Raſch durchfliege, zu ſehn, ob Bismarck etwa, des Reichstags Donnerer, wieder einmal, die olympiſchen Locken ge— ſchüttelt,

(Zwar drei Haare nur ſind's, wie es heißt, doch ſie wirken das Gleiche)

Was in Paris durch die Gaſſen man ſchreit, was heimlich in Rom ſpinnt,

Oder es bleibt ja zuletzt ſich ſelbſt doch jeder der Nächſte

Ob im Theater ein Stück mir durchfiel, oder beklatſcht ward.

57

Aber der Seewind weht und verweht Politik und Kritik mir.

Prächtig entfaltet das Meer im Juwelengeſchmeide des Mittags

Ringsher ſeinen unſterblichen Reiz und willig gefeſſelt

Leb' ich in ſüßem Vergeſſen dahin und genieße der Stunde.

Bald in den ſonnigen Tang am flacheren Strande gebettet

Saug' ich den Athem der Flut und vertiefe mich ſtill in den Zauber

Ihres Farbengewogs, wie ſie leiſ' aufrauſchend heran— ſchwillt,

Vorn wie Opal, malachitgleich dann, dann tiefer ſmaragd— grün,

Bis ſie zuletzt unermeßlich ſich dehnt in dunkelnder Ferne

Blau, wie gediegener Stahl. Bald wandr' ich am Fuße des ſchroffern

Felsgleich ſtarrenden Ufers entlang, im ſchlüpfrigen Meer— ſand

Zwiſchen Quellen und Kies nach Bernſtein ſuchend und Muſcheln

Sammelnd, wie ich als Knabe gethan les ergötzt mich noch heute),

Oder vom weitvorſpringenden Damm, wo ſtärker die Woge

Am Gegquader ſich bricht und über der rollenden Brandung

Weißaufſpritzendem Giſcht mit Gekreiſch hinflattert die Möwe,

Blick' ich hinaus in die offene Bucht und ſehe die Schiffe

Wechſelnd kommen und gehn, ſchwangleich mit ſchimmern— den Segeln

58

Dieſe, die andern mit Rädergebraus und keuchendem Schlote,

Draus das Gekräuſel des Rauchs aufſtrebt wie ein ſchwan— kender Helmbuſch.

Majeſtätiſch ziehn ſie dahin, mit der wimpelnden Flagge

Prunkend, wie ſie der Stolz ſeemächtiger Völker und jetzt auch

Wieder des unſrigen iſt, die gehügelte Flut aufpflügend,

Daß ſie in Furchen von Schaum breit nachwallt. Aber dazwiſchen

Tanzt manch ruderndes Boot und die hurtigen Barken der Fiſcher,

Braunbeſchwingt wie die Schwalben der See, ſchrägſtehen⸗ den Maſtes,

Schießen vorüber im Flug. Doch wenn dann friſcher am

Abend

Aus Nordoſten der Wind herbläſt und die Stimme der Brandung

Dumpfer ertönt, da beſteig' ich zur Fahrt wohl ſelbſt mit dem alten

Norwegſteurer den Kahn und im Spätroth über der Tiefe

Kreuzend wiegen wir uns, von der ſchluchzenden Welle geſchaukelt,

Bis im Duft uns die Küſte verſchwimmt und in purpurner Dämmrung.

Rings dann Himmel und Flut und feierlich Brauſen, da ſchwillt mir

Weit vom mächtigen Hauche die Bruſt, das Unendliche ſchauert

59

Dunkel empfunden mich an und erquidt aufathmet die

| Geele.

Dann aus Nebeln des Meers auftauchend grüßt mich die Muſe

Wohl mit verheißendem Blick, und wie ferne Muſik auf der Nachtluft

Fittichen ſchwebt, undeutlichen Klangs, ſo regt ſich die Ahnung

Künftiger Lieder in mir, noch wortlos. Aber indeſſen

Hat mein Lootſe das Segel gewandt, aus Lämmer— gewölken

Steigt ins Blaue der Mond und das glühende Auge des Leuchtthurms

Streift mit zitterndem Glanz das Gewog und leitet uns heimwärts.

Sieh, ſo rollen die Stunden dahin in ſteter Verwandlung,

Aber ſich gleich an Reiz, und raſch vollendet der Tag ſich;

Einſam zwar, doch beſcheid' ich mich gern. In geſammelter Stille

Fühlt' ich mich glücklicher ſtets, als im ſummenden Schwarm der Geſellſchaft,

Der zum Ernſte zu träg und zu ſteif für den Scherz; es

| genügt mir,

Wenn mich bisweilen ein Freund heimſucht, beim Becher zu plaudern.

Laß mich denn immer der ſtärkenden Raſt fortſchweigend genießen,

60

Löſ't fih der Druck doch ſchon der erſchütterten Nerven und freier Täglich erheb' ich das Haupt; vielleicht auch glückt mir im Schweifen Zwiſchen Wellen und Wind ein Geſang noch, der dich erfreu'n mag. Sommer 1872.

61

Deprecation. Epiſtel.

Stets von allem Geſchäft in der Welt das verhaßteſte

| war mir Briefe zu ſchreiben. So leicht mir das Wort im leben- diger Rede ließt, wenn die Sache mich reizt, ſo ſchwer entſtrömt es der Feder,

Langſam, brüchig und kalt, als ob auf dem längeren Umweg

Aus dem Herzen aufs Blatt mir Gefühl und Gedanke gefrören.

Kaum, daß ich munter begann, gleich blickt die verwünſchte Kritik mir

Ueber die Schulter herein und den Ausdruck allzu bedenklich

Wägend verpfuſch' ich ihn leicht zu farblos ſteifer Correctheit,

Statt im behaglichen Fluß friſchweg von der Leber zu plaudern

Ganz, wie der Schnabel mir wuchs. Zum Theil wohl hab' ichs vom Vater,

Der, ob Meiſter des Worts, ſich beſann, zwei Zeilen der Poſt nur

Anzuvertrau'n, und, an Freundſchaft reich, nie Briefe gewechſelt.

Drum dafern ihr im Ernſt, wie ihr jagt, mir freundlich geſinnt ſeid,

Drängt unnöthig mich nicht zum Schreiben und fordert inſonders

Antwort nicht auf jedes Gefühl. Gern ſend' ich euch Auskunft,

Bündige, gilt's ein Geſchäft, doch zu brieflicher Herzens ergießung

Fehlt mir fürwahr das Geſchick und fehlt vor allem die Neigung.

„Aber es glückte dir doch manch Lied; wie darfſt du behaupten,

Daß dir die kleinere Mühe zu viel?“ Nun, jeglicher hat ja

Seine Begabung für ſich und der ſchnell hinſchießende Habicht

Iſt ſchwerfällig zu Fuß. Niemals auch hab' ich am Schreibtiſch

Mühſam was ich geſungen erdacht. Stets kam es von ſelbſt mir,

Draußen im Freien, auf ſchweifendem Gang, wenn der Odem des Frühlings

Leiſ' hinzog durch den Wald, mich bezaubernd, oder zur Herbſtzeit,

Wenn von den Wipfeln das Laub ſacht rieſelte, goldenen Thränen

Aehnlich, und tief im Gemüth die entſchlummerte Schwer— muth weckte.

63

Oder im Bette, des Nachts, aufdämmert' es mir und am Morgen

War es zu Rhythmen erblüht und fertig ſchrieb ich es nieder.

Freilich ändert' ich wohl mit Bedacht und die Feile des Künſtlers

Braucht' ich mit Fleiß, doch zuvor in geheimnißvoller Empfängniß

Ward mir immer das Beſte zu Theil als himmliſche Gabe.

Nie willkürlich darum, wenn die innere Nöthigung ausblieb,

Hab' ich zu RR gewußt, auf Begehr, wie der Meifter | des Handwerks

Raſch das Verlangte beſchafft, zu Geburtstagsfeier und Hochzeit

Oder zum Neujahrsgruß. Und verſucht' ich es dennoch, der Bitte

Weichend, ſo ward es darnach: ein zuſammengeſtoppeltes Machwerk

Statt des lebendigen Lieds. Nur wenn in beglückender Stunde,

Wie ſie dem Alternden, ach, nur noch ſelten erſcheint und im Fluge,

Mir freiwillig die Muſe genaht, da vermocht' ich zu ſchaffen

Was mich ſelber erfreut' und vielleicht auch Anderen ächt ſchien.

64

Der Mil.

Fragment.

Aus dem Verborgenen quillt das Heilige. Keiner iſt jemals

Seinem Brunnen genaht, noch kennt er die Räthſel des Urſprungs,

Welchen die Sage verhüllt in goldene Wundergewölke;

Aber es ſtrömt Jahrtauſende durch und erquickt die Ge— ſchlechter.

Alſo, mächtiger Nil, umwallt vom Dufte der Fabel,

Steigſt auch du zu den Völkern herab und bewahrſt das

| Geheimniß

Deiner Geburt in verſchloſſener Bruſt. Wir fragen ver— gebens,

Ob du gigantiſchen See'n dicht unter der Sonne des Gleichers

Selbſt ein Gigant entſtiegſt, ob tauſend hüpfende Quellen

Dir, von Güſſen geſchwellt, vielarmig die Wiege bereitet.

Schweigſam wandelſt du her durch Urwaldnacht, in das Brauſen

Rieſiger Wipfel vertieft und das Lied weiſſagender Vögel,

Mit breitblättriger Blumen Geflecht ſchwermüthig dich kränzend.

Aber es wirft ſich dir jetzt, vom Aufgang kommend, der wilde

Zwillingsbruder ans Herz und froh der Vereinigung flügelſt

65

Du den gemeſſenen Schritt und bezwingſt nicht länger die Sehnſucht,

Die allmächtig den Jüngling ergreiſt, in die Ferne zu ſchweifen.

Ob ins untere Thal des Gebirgs Felsriegel die Pforte

Dir zu ſperren verſucht, du zerſprengſt ihn jauchzend, und ruhſt nicht,

Bis du den Arm um Meros ſchlingſt, wie ein fürſtlicher Sieger

Um die gewonnene Braut, die hold ihm lächelt, zu weilen.

Doch ſie lächelt umſonſt; du entreißeſt dich ihr und beharrlich

Ueber der Klippen Geſtuf durch unendlicher Strudel und Fälle

Mühſal ſchreiteſt du fort, der erhabneren Pflichten gedenkend.

Denn ſchon wartet das Tiefland dein und verſchwenderiſch ſollſt du

Ueber das weite Gebiet bis hinunter ans Meer, wie ein König,

Deine Gaben verſtreu'n und das Horn ausſchütten des Segens.

Geibel, Spätherbſtblätter.

66

Sebensftimmung.

Hab' ich einſt ehrgeizigen Wunſch als Jüngling

Unbedacht im Buſen genährt: ich bannt' ihn

Längſt; dem Weltlaufkundigen geht kein Gut mehr Ueber die Freiheit.

Mag wer will am Seſſel der Macht, um Einfluß

Buhlend, ſtets abhängiges Loos ertragen,

Oder, laut vom Volke bejauchzt, des Volkes Laune gehorchen!

Mir gefällt's, nach eigenem Trieb in ernſter

Muße, fern vom Stimmengebraus des Marktes,

Bald im Schickſalsbuche der Zeit die dunkle Schrift zu enträthſeln,

Bald am Reichthum griechiſcher Kunſt und Schönheit,

An Homers einfacher Gewalt zu prüfen

Was die Neuzeit Mächtiges ſchuf, von andern Sternen geleitet,

s 67

Oder tagwerkmüde dem Zug der Wolken

Nachzuſchau'n und irgend ein Lied zu ſummen,

Wie's dem einſam Träumenden Hoffnung eingiebt Oder Erinnrung.

68

An eine zunge Sängerin. Ach, noch einmal dieſe Töne, Die mir Flügel in das ſchöne Zauberland der Jugend ſind! Laß ſie ſchwellen voll und leiſe! Dieſe Weiſe Sang einſt deine Mutter, Kind.

Am Klavier dort in der Niſche Saß ſie, wenn des Abends Friſche Klar ins offne Fenſter drang; Golden wob's um ihre Locken, Und wie Glocken

Schwebte wogend ihr Geſang.

Ach, das war vor langen Jahren,

Eh' ich in die Welt gefahren,

Hoch im Sturm noch trieb mein Herz; Aber ſtets bei ihrem Liede

Kam ein Friede

In des Jünglings Luſt und Schmerz.

69

Grau jetzt, mit gedämpftem Feuer, Einſam kehr' ich; die mir theuer Gingen alle faſt zur Ruh;

Sie auch ſchläft, die ſüße Roſe, Unter'm Mooſe,

Doch ihr Ebenbild biſt du.

Singe, Kind, und in die blauen Augen laß mich tief dir ſchauen! Jugendheimwärts träumt mein Sinn, Und von längſt entſchwund'nen Lenzen Zieht ein Glänzen

Durch die müde Bruſt dahin.

70

Am Hünengrabe.

So wölbſt du wieder über mir Dein Schattenzelt von Aſt zu Aſt? Willkommen, trautes Waldrevier, Du Stätte meiner Jugendraſt! Dahingerauſcht ſind zwanzig Jahr, Seit ich bei dir zu Gaſte war.

Die Sonne ſcheint herab auf euch, Ihr Buchen, wie ſie weiland ſchien, Es ſingt im blüh'nden Dorngeſträuch Der Fink die alten Melodie'n;

Das Bächlein rauſcht am alten Ort Und wie im Traume wandl' ich fort.

Doch plötzlich hier zum Meer hinab Vertauſcht erſcheint mir rings die Welt; Im Walde lag das Hünengrab,

Nun liegt es auf dem freien Feld, Und wo der Jüngling einſt dem Horn Des Jägers lauſchte, wogt das Korn.

71

Geſegnet ſei dem Bauersmann

Des treu beſtellten Ackers Frucht!

Doch tiefe Wehmuth fällt mich an, Gedenk' ich an der Dinge Flucht.

Ach, wie das Grün des Waldes ſchwand Die Blüte, drin mein Leben ſtand.

Wo ſind die Tage klar und reich, Da ich im laub'gen Junimond Der ſommerfrohen Schwalbe gleich Im alten Forſthaus dort gewohnt, Da jedes Frühroth, jede Nacht Beglückend mir ein Lied gebracht?

Wo ſind die Freunde, die mir dort Den Becher gaſtlich eingeſchenkt,

Der ſtarke Bruder, deſſen Wort Begeiſternd uns wie Wein getränkt? Ach, hingeſunken, Haupt an Haupt, Den Wipfeln gleich, die hier gelaubt.

Genug des Harms! Empor mein Herz, Und halt' im Wechſel muthig Stand! Zu tragen lerne großen Schmerz

Wer große Freuden einſt gekannt,

Und wer im Eignen Schiffbruch litt, Der leb' im Ganzen doppelt mit.

72

Der Raſen deckt mein beſtes Glück

Und ſchleichend Siechthum blies mich an; Doch preiſ' ich dankbar mein Geſchick, Das mir bis heut den Faden ſpann: Ich ſah's noch, wie mein Vaterland

Zu jungen Ehren auferſtand.

Und ob der Roſt der Jahre mir Gemach den Ton der Harfe dämpft, Noch flattert meines Lieds Panier,

Wo man für Reich und Kaiſer kämpft, Und mahnt, wo zwiſchen Gau und Gau Der Main ſich wälzt, zum Brückenbau.

Getroſt denn, einſam Herz! Es zieht

Hell vor dir her wie Frührothſchein:

Du darffſt vielleicht dein letztes Lied

Dem Tag noch aller Deutſchen weih'n,

Dem Tag des Heils, von dem du kühn

Hier einſt geträumt im Waldesgrün. Sommer 1869.

os

Eine Sommernacht.

Wie glänzte tief azuren Der See und rauſchte ſacht, Als wir von Lindau fuhren In klar geſtirnter Nacht!

Sanft weht' es von den Hügeln, Und leiſe wie ein Schwan

Mit ausgeſpannten Flügeln

Zog unſer Schiff die Bahn.

Sie ſaß in warmer Hülle, Das Kind an ihrer Bruſt, Verſunken in die Fülle

Der Lieb' und Mutterluſt.

Und wie ins Sterngefunkel

Entzückt ich ſchaut' empor, Kam leiſe durch das Dunkel Ihr Flüſtern an mein Ohr:

r 74

„O Mann, ſeit uns beſchieden Dies ſüße Glück zu Drei'n, Wie fühl' ich ſchon hienieden Den ganzen Himmel mein!“

Sie ſprach's und plötzlich linde Umfloß ein Glorienlicht

Ihr ſelig zu dem Kinde Geneigtes Angeſicht.

Der Mond war aufgegangen Am Saum des Firmaments, Und über's Waſſer klangen Die Glocken von Bregenz.

-1

ou

Sonntagsmorgen im Walde.

Wie reinigſt du die Seele mir vom Staube, Du blauer goldbeſchwingter Frühlingstag!

Es prangt die Welt im friſchverjüngten Laube, Die Pfade blüh'n, wohin ich ſchreiten mag; Und ſehnlich ſchallt der Ruf der wilden Taube Und lockt mich tief und tiefer in den Hag, Bis um mich her, wo keine Spur mehr leitet, Waldeinſamkeit die grünen Schleier breitet.

O welch ein Duft hier, welch ein ſtilles Sproſſen! Das Veilchen grüßt, die Blüte ſpringt am Strauch; Von fernen Thürmen kommt Geläut gefloſſen

Und miſcht ſich in der Schöpfung Opferrauch,

Und im gelinden Säuſeln ausgegoſſen

Empfind' und athm' ich reinſten Lebens hauch;

Ich fühl's, ich hab' ein Heiligthum betreten

Und all mein Weſen wird ein wortlos Beten.

76

Da ſpielt vom Geiſt, der einft in Feuerzungen Herabfuhr, auch um meine Stirn ein Wehn;

Voll Ehrfurcht lern' ich, was mir fremd geklungen, Als zeitlich Kleid des Ewigen verſtehn;

Gedank' und Andacht ſind in Eins verſchlungen Wie Farben, die im reinen Licht vergehn,

Und meiner Bruſt iſt jener Gottesfrieden,

Der kein Bekenntniß hat noch braucht, beſchieden.

|

Spielmanns Heimkehr.

Nun ſchüre die Glut mir empor auf dem Herd, Denn dahin iſt die ſonnige Zeit;

Der Sturm ſauſ't über die Halde,

Und es fallen die Blätter im Walde

O du Jugend, wie liegſt du ſo weit!

Einſt zog ich hinaus in die klingende Welt, Da ſtanden die Roſen in Bluſt.

Von der Nachtigall lernt' ich das Reiſen, Und ich habe die ſchmelzendſten Weiſen

Und die feurigſten Lieder gewußt.

„Gott grüß' euch im Grünen, Gott grüß' euch im Schloß! Wer kredenzt mir den funkelnden Wein?

Gott grüß' euch im dämmernden Städtchen!

Und ich ſpiel' euch zum Reigen, ihr Mädchen,

Und die Schönſte ſoll Königin ſein!

„Gott grüß' euch, ihr eiſernen Reiter! Wohin Bei des Frühlichts blutigem Roth?

In das Feld, in die Schlacht, in das Wetter? O ſo laßt zum Trompetengeſchmetter

Mich euch ſingen von Sieg und von Tod!

78

„Und ihr Pfleger des Geiſtes mit ſinnender Stirn, Gott grüß' euch und reicht mir die Hand!

Von der Schöpfung geheiligtem Ringe,

Von dem Wandel der irdiſchen Dinge

Hab' ich manches geſchaut und erkannt.“

Und ich wanderte fern, wo das Haupt des Olymps Goldſchwingig der Adler umzieht,

Und ich trank aus dem Rhein, aus dem grünen, Und ich ſaß auf den Gräbern der Hünen

Und ich ſang an den Gletſchern mein Lied.

Doch die Jahre vergingen wie Spreu vor dem Wind, Müd bin ich nach Hauſe gekehrt; | Ach, die einft ſich gefreut mit dem Knaben Sind zerſtreut, ſind dahin, ſind begraben, Und ein ander Geſchlecht ſitzt am Heerd.

Ich wende die Augen um und um; Wer iſt, der den Alten noch kennt? Da dunkelt's am himmliſchen Bogen, Und es kommen die Sterne gezogen, Und die Sterne ſind treu bis ans End.

Oſtleelieder.

52 f 5 x er 1 * a g a 7 1 4 a . eurer 8 4 f . ven Bun * 5 * * * a; * u 22 * l 14 br 4 1 3 5 * 1 a Zu u * 5 * * u & 0 0 AM Wi = Ne 3 5 7 4 ne 1 5 9 * Nein . *. 8 ur Bu: \ aha >58 u N *

* f l 1 fi . N £ Pr 21 * a 1 . . 2 ins E E fi :

9 e Hr

4 A f DR Y .

1.

Als ich jung war, da trieb's mich Ueber Land, über Meer,

Mit den Schwalben zu wandern War all mein Begehr.

Und das Land der Citronen, Und die marmornen Höh'n Und die Palmen von Hellas Nur däuchten mir ſchön.

Doch die Unraſt der Jugend, Wie ſchwand ſie dahin! Heimkehrte der Mann

Mit verwandeltem Sinn.

Jetzt weiß ich, was tiefer

Genügen mir ſchafft:

In den Boden gewurzelt

Zu üben die Kraft, Geibel, Spätherbſtblätter.

82

Zum Geſange zu reifen

Was ſtill mich durchglüht,— Und ein Echo zu wecken

Im deutſchen Gemüth.

Und ob ich im Lied wohl Die Fremde noch grüß, Doch iſt wie die Heimat Kein Land mir ſo ſüß.

Wo der Buchenwald rauſcht Und der Dorn blüht am Zaun Und ins Meer geht die Trave, Laßt Hütten mich baun!

83

2.

Schon lichten ſich umher

Im Buchenforſt die Steige,

Ein wunderfriſcher Hauch

Läuft flüſternd durch die Zweige.

Und plötzlich dunkelblau Gleichwie aus Stahl gediegen Seh' ich dich, heil'ges Meer, Zu meinen Füßen liegen.

Sei mir gegrüßt, o Flut, Mit ſehnſuchtsvollen Schlägen, Wie einer Mutter, ſchwillt Dir meine Bruſt entgegen.

Wie oft auf deinem Schooß Haſt du gewiegt den Knaben, Wie oft ſein kindiſch Spiel Geſchmückt mit bunten Gaben!

Und als der Jüngling dich Geſucht in ſchweren Tagen, Haſt du ſein Herz geſtählt Zum Tragen und zum Wagen;

84

Haſt am Unendlichen

Sein endlich Leid ihn meſſen Gelehrt und im Geſang

Des bangen Muths vergeſſen.

O ſei mir hold auch heut Und laß mich wie vor Jahren Die Wunder deines Sturms Und deiner Still' erfahren,

Daß ich Geneſungsluſt Aus deinem Odem trinke, Und all mein Herzeleid In deinen Grund verſinke!

3.

Im Mittag glänzt die Sonne, Es ſchweigt die See und ruht; Blaugrün wie eines Pfauen Hals Herſchillert ihre Flut.

Ich lieg' auf warmer Düne Vom feuchten Hauch gekühlt Und kann nicht ſatt mich ſchauen, Wie Farb' in Farbe ſpült;

Wie blendend ihre Schwingen Die Möve ſenkt und hebt

Und traumhaft fern am Horizont Des Dampfſchiffs Säule ſchwebt.

86

4.

Wenn über'm Meer das Frühroth brennt Und alle Küſten rauchen,

Wie lieb' ich dann ins Element

Befreit hinabzutauchen!

Tiefpurpurn ſchwillt um mich die Flut Und zittert, Well' an Welle;

Mir däucht, ich bad' in Drachenblut Wie Siegfried einſt, der Schnelle.

Mein Herz wird feſt und wie es lauſcht Von junger Kraft durchdrungen, Verſteht's was Wind und Woge rauſcht Und aller Vögel Zungen.

87

5.

Iſt das Spiel des Waſſermanns Geſtern aus der Flut erklungen, Oder war es nur der Wind, Der ſo wunderbar geſungen?

Bald wie ferner Orgelſchall,

Bald wie Aeolsharfen tönen,

Floß die Weiſe durch die Nacht, Jauchzend nun und nun mit Stöhnen;

Wie wenn tiefe Schwermuth ſingt Von vergangnen ſel'gen Stunden, Wie wenn Inbrunſt ſich zu Tod Bluten will aus ſüßen Wunden.

Und ich lag und dachte dein, Und zum Traumbild ward mein Sehnen: Ueber's wilde Meer zu dir

Flog ich mit den zieh'nden Schwänen.

88

.

In blauer Nacht bei Vollmondſchein Was rauſcht und ſingt ſo ſüße? Drei Nixen ſitzen am Mövenſtein Und baden die weißen Füße.

Es hat der blonde Fiſcherknab

Gehört das Singen und Rauſchen,

Ihm brennt das Herz, er ſchleicht hinab, Die Feyen zu belauſchen.

Da ſauſen empor im Mondenlicht Drei weiße wilde Schwäne

Das Waſſer ſpritzt ihm ins Geſicht, Verklungen ſind die Töne.

89

7.

Ich lieg' in Träumen Am Hünengrab

Und blick' auf's Schäumen Der See hinab.

Mir klingt im Sauſen, Das fernher zieht,

Im Wogenbrauſen

Ein uralt Lied.

Unwiderſtehlich Befängt's den Sinn Und nimmt allmählich Mich ganz dahin.

O Märchenwonne! Die Seele ruht Gelöst in Sonne, In Wind und Flut,

Zurückgegeben Ans Element, Um mitzuleben Was keiner nennt.

90

8.

Es rauſcht das Meer gelinde, Gewölkumſchleiert ſinkt der Tag, Und lockend ziehn im Winde Geſang und Harfenſchlag.

O laß dich nicht bezwingen,

Wie ſehnſuchtsvoll dein Herz erbebt! Das iſt der Meerfrau Singen, Das über'm Waſſer ſchwebt.

Sie ſang dieſelbe Weiſe, Da ſie hernieder ins Gewog Mit Liebesarmen leiſe

Den König Harald zog.

Fi

2

An der Bucht im Lootſenhauſe Hab' ich mich zur Ruh gelegt, Wo der nahen See Gebrauſe Wie Geſang ans Ohr mir ſchlägt.

Bei dem Schall der Wellenlieder

Wogt in eins was fern und nah, Und mir träumt, ich führe wieder Auf der blauen Adria.

Goldfruchtdüfte der Levante Flattern ſchon ins Schiff herein, Schon aus Nebeln dämmert Zante Ueber's Meer im Roſenſchein.

Und das Schiffsvolk ſummt und flötet, Und am Maſt im Abendweh'n

Seh ich dich vom Strahl geröthet, Schottlands ſchlanke Tochter, ſtehn.

Wohl umleuchtet weit im Bogen Uns der Wogen himmliſch Blau, Aber blauer als die Wogen

Glänzt dein Auge, ſchöne Frau.

92

Lächelnd mir im Silberbecher Reichſt du Cyperns Traubenblut, Und ich trink', ein ſel'ger Zecher, Wo dein ſüßer Mund geruht.

Und umwallt vom Lockengolde, Drin der Seewind wühlt zum Scherz, Scheinſt du völlig mir Iſolde, Und wie Triſtans ſchwillt mein Herz.

Thöricht Herz, laß ab zu ſchwellen! Halt die raſche Glut zurück!

Gaukelnd necken Wind und Wellen Dich mit längſt entſchwund'nem Glück.

93

10.

Es liegt am öden Dünenſtrand

Das Kloſter halb zerfallen,

Um Gang und Stufen weht das Schilf, Die Flut ſpült in die Hallen.

Und wo die Pfeiler ſtehn im Schutt, Da kreist bei Sturm und Stille,

Bei Tag und Nacht ein Mövenſchwarm Mit ängſtlichem Geſchrille.

Das ſind die Seelen, glaubt das Volk, Der Urſulinerinnen,

Die hier meineidig einſt geſchwelgt

In frecher Luſt der Sinnen.

Nun müſſen ſie mit Klageruf

Den morſchen Bau umfliegen,

Bis einſt die Stätten ihrer Schuld Im Meer begraben liegen.

94

13,

Sanft verglimmt des Tages Helle Und, vom letzten Strahl geküßt, Liegt die glatte Meereswelle

Wie geſchmolz'ner Amethyſt.

Kaum ein Lüftchen rührt die Schwingen, Schweigen rings und Abendglut!

Nur der Fiſcher leiſes Singen

Schwebt verhallend auf der Flut.

Jetzt erſtirbt's; ihr Nachen gleitet Ohne Laut dem Hafen zu,

Und um meine Seele breitet Sich dein Zauber, Meeresruh.

12,

Es pfeift mit hohlem Klange Der Herbſtwind über's Meer; Ich ſitz' am Dünenhange,

Mein Sinn iſt trüb und ſchwer.

Zu meinen Füßen bäumen Die Wellen ohne Ruh,

Sie bäumen und verſchäumen Und träumend ſchau' ich zu.

Wie bald iſt ſo zerronnen Was dich bewegt, o Herz! Ein Schaum nur deine Wonnen, Ein Wogenſchlag dein Schmerz.

96

13.

Auf das Meer, das fernhinaus Dunkelt wie von grünem Erze, Fällt ein breiter Sonnenſtreif

Durch des Sturmgewölkes Schwärze.

Sieh, und bunt von Strand zu Strand Spannt ſein Thor der Regenbogen; Weiß beſegelt unter ihm

Kommt ein Orlogſchiff gezogen.

Deutſche Flagge, ſei gegrüßt! Steure kühn durch Wind und Welle, Nacht und Wolken hinter dir, Vor dir Sonnenaufgangshelle!

97

14.

Nun kommt der Sturm geflogen, Der heulende Nordoſt,

Daß hoch in Rieſenwogen

Die See ans Ufer tof't.

Das iſt ein raſend Giſchen, Ein Donnern und ein Schwall, Gewölk und Abgrund miſchen All ihrer Stimmen Schall.

Und in der Winde Sauſen Und in der Möwe Schrei'n, In Schaum und Wellenbrauſen Jauchz' ich berauſcht hinein. Schon mein' ich, daß der Reigen Des Meergotts mich umhallt, Die Wogen ſeh' ich ſteigen

In grüner Roßgeſtalt

Und drüber hoch im Wagen Vom Nixenſchwarm umringt Ihn ſelbſt, den Alten, ragen, Wie er den Dreizack ſchwingt.

Geibel, Spälherbſtblätter.

98

15.

Nach dem Sturm am Himmelsrande Schwebt der Mond um Mitternacht; Langſam, ſchimmernd her zum Strande Rollt die Flut und brandet ſacht.

Ihre dumpfen Schläge mahnen An ein Herz, das müde pocht; Keine Spur mehr läßt dich ahnen, Welch ein Chaos hier gekocht.

Sagt, wohin dies wilde Schwellen Jauchzender Titanenluſt?

Wer begreift euch, Meereswellen? Wer begreift dich, Menſchenbruſt?

Adyllen.

b

* au: D 1

Das Mädchen vom Don.

Mein Freund Gregor, mit dem ich manchen Tag Verſchwärmt einſt zu Athen, wo damals er, Der nordiſchen Geſandtſchaft zugeſellt,

Bei müſſ'ger Zeit mit mir die Alten las, Beſuchte letzten Herbſt, da ſüdwärts ſchon

Die Schwalben wanderten, mich unverhofft

Im ſtillgeword'nen Bad am Oſtſeeſtrand.

Ein ſehnlich Ruhbedürfniß hatt' auch ihn Dorthin geführt und bei verwandter Stimmung Und gleichem Freimuth fiel es uns nicht ſchwer, Das alte Bündniß zu erneu'n. Wir ſah'n Beim erſten Gruß, daß fünf und zwanzig Jahr Uns nicht verwandelt hatten, nur gereift,

Und bald in trautem Austauſch, wie vordem, Verplauderten wir wieder Tag für Tag

Des Abends Neige, nun der Gegenwart Streitfragen prüfend, nun ins Zauberland Erinnrungsreicher Jugendtage ſchwärmend.

In ſolcher Stunde während über'm Meer Der Vollmond aufſtieg und die Brandung fern

102

Herübergrollte lenkt' er das Geſpräch

Einſt auf ein Mädchen, das er zu Athen Gekannt und das auch mir begegnet war, Wiewohl nur flüchtig. Doch es zählt' ihr Bild Zu jenen, deren Reiz man ſchwer vergißt,

Sah man ſie einmal nur. Nicht ungerührt Vernahm ich drum ihr wechſelvoll Geſchick,

Und wie's der Freund erzählt, erzähl' ich's nach.

Sie war die Nicht' im Hauſe. Frühverwaiſt Und arm an Gut nur, wuchs ſie bei den reichen Verwandten auf, des Oheims Liebling zwar, Allein der ſtolzen Baſ' im Aug' ein Dorn; Denn ſie war ſchön gleich ihr, fremdart'ger nur In ihrem Reiz, der an die Märchenwelt Hochaſiens mahnte. Schlug die Wimpern ſie Des mandelförm'gen Auges plötzlich auf,

So war's wie Blitz; man dacht' an Turandot. Zum Räthſel wölbten ſich die feinen Brau'n, Und wenn ſie's losband, floß ihr blauſchwarz Haar Bis zu den Knöcheln. Gerne ſah's der Ohm Und hieß ſein artig Nixlein ſie vom Don;

Doch wenn er gütig war und ſie mit Schmuck Behängt' und prächt'gen Stoffen, peinigte

Die Baſe ſie mit Launen, ließ von ihr,

War die leibeigne Zofe nicht zur Hand,

103

Das Haar ſich ſtrählen und den Ballſtaat rüſten, Und ſchmollt' und ſchalt um jeden kleinen Fehl. So wuchs ſie auf geliebkoſ't und gequält,

Prinzeß in der Geſellſchaft, Aſchenbrödel

Am eignen Heerd. Doch trug ſie Glanz und Druck Mit gleicher Spannkraft, wie zur Frühlingszeit Die herbe Knospe Sonn' und Regenguß

Erträgt und fortſchwillt. Niemals fand ich ſie Verſtimmt noch müde; nur verſchloß ſie ſich,

Wie ſie vom Kind zur Jungfrau leiſ' erwuchs, Gemach in Schweigen, flüchtig Lächeln ward

Ihr ſilberhelles Lachen, feuchtern Glanz

Gewann ihr Aug', und wenn ſie, ſpät noch wach, Am Flügel träumte, wühlten ihre Hände

Anſtatt in muntern Weiſen, wie vordem,

In Chopins dunkeln Zaubermelodien.

So ſtand's, als ich nach Mittag einſt im Herbſt, Da Baſ' und Oheim auf Beſuch zur Stadt, Von unſerm Sommerlandſitz am Kephiß

Mit ihr hinausritt. Auf den Feldern rings

Lag ſilbernes Geſpinnſt, das Purpurlaub

Der Rebenhänge brannt' im Sonnenſchein,

Und vom Gebirg her durch die Pinien zog

Der Wellenſchlag der himmliſch reinen Luft. Entzückt aufathmend lachte ſie mich an,

Und hob den Zaum und gab dem Roß die Gerte, Und ſauſend flogen wir dahin am Wald

104

Und über's Blachfeld, wo der Haidegrund, Elaſtiſch, Flügel unſern Rennern lieh, Dem alten Kloſter zu, das halb zerſtört, Von Schwalben nur bewohnt und wilden Tauben, Im wald'gen Keſſel lag. Zum Reden gab: Der haſt'ge Ritt nicht Zeit, doch trunken hing Mein Blick am Bild der ſchönen Reiterin, Wie ſie in ihres Stamms entfeſſelter Nomadenluſt den biegſam ſchlanken Leib Im Sattel wiegt' und jauchzt' und wilder ſtets, Den Schleier hoch im Wind, vorauf mir flog, Bis wir die Schlucht erreicht. Doch als ich dort Abſaß und langſam nun hinab am Zaum Ihr türkiſch Grauroß führte durch's Geröll, Da hub ſie plötzlich an: Nicht wahr, Gregor? Ihr meint es gut mit mir, ich darf euch traun, Und ſchweigen könnt ihr auch? „Gewiß.“

Ich bin So gar allein. Der Ohm iſt Sechzig bald Und mit Geſchäften ewig überhäuft, Die Baſ' ein Gletſcher. Schweſtern hab' ich nicht, Auch keinen Freund, Gregor, wenn ihr's nicht ſeid, Und Jemand muß ich's ſagen, wenn ich nicht Erſticken ſoll an meinem Glück.

„Marie! Um Gott, ihr liebt? Denn ſo ſpricht Liebe nur.“

105

Sie ſchlug die ſeid'nen Wimpern langſam auf Und nickte nur und glühte. Vor uns lag Des Kloſters Pforte jetzt, umrankt mit Wein, Von rieſigen Platanen überwölbt. Helft mir vom Pferde, ſprach ſie, dort im Grün Sag' ich euch mehr. Und bald auf mächt'gem Block, Den Jahr um Jahr mit gold'gem Sammt gepolſtert, Mir gegenüber ſaß ſie, Gert' und Hut Im Schooß nachläſſig, und indeß umher Die Roſſe graſ'ten und des Taubers Gurren Vom Wipfel ſcholl, erzählte ſie:

Ich kannt' ihn Aus meiner Kindheit her, da ich am Don Noch bei der Mutter wohnt' auf unſerm Gut. Er war des Prieſters Sohn und mein Genoß In Lehr' und Spiel, in Allem mir voraus, Doch freundlich ſtets zu mir, obwohl die Knaben Im Dorf ihn fürchteten; denn er bezwang Die Stärkſten ſelbſt. Im Winter, wenn der Schnee Um Mittag kniſternd blinkte, fuhr er mich Im leichten Schlitten windſchnell durch den Park, Und ſchnallt' auf feſtgefror'nem Teich die Eiſen Mir an zum Lauf, und jauchzend ſauſt' ich dann An ſeiner Hand die blanke Fläch' entlang. Zu Neujahr bracht' er Heil'genbilder mir, Geweiht vom Biſchof, und am Oſterfeſt Die ſchönſten Eier ſtets mit Kreuz und Lamm. Doch wenn's in Wald und Garten Frühling ward

106

Und grün die Steppe wie ein wellig Meer

Sich dehnte, ging die rechte Luſt erſt an;

Wir haſchten Falter, ſonnten uns im Gras,

Und ſah'n im Blau die wilden Schwäne ziehn. Verzauberte Prinzeſſen nannt' er ſie,

Und wundervolle Märchen wußt' er dann

Mir zu erzählen, daß ich athemlos

Ihm lauſcht' und ſatt nicht ward. Auch half er mir Im Garten bei den Blumen gern und pflanzte Ins Mohnbeet kunſtreich meinen Namenszug, Ein blühend M in Purpurroth und Blau.

Und wenn ins Feld wir ſchweiften, lehrt' er mich Des Finken Lockruf und den Droſſelſchlag,

Und zeigte mir der Wachtel Neſt im Korn.

Sein Mantel war im Forſt mein Sitz, ſein Arm Trug durch's beſchilfte Ried mich, daß ich nicht Die feinen Stiefel netzte, kurz, er wußte

Mir ſtets zu dienen, ohne daß ich bat,

Und fiel mir etwas ſchwer, ſo ſprach er nur Mit klarer Knabenſtimme: Laß doch mich!

Und was ich wünſchte war im Nu gethan.

Ich aber nahm das Alles hin, als könnt' es Nicht anders ſein und dankt' ihm kaum dafür.

Da ſtarb die Mutter, ſieben Jahre ſind's, Und unter Thränen zog ich fort und kam Hieher zum Oheim. Doch, wie Kinder ſind, Vom Reiz des Neuen leicht zerſtreut und ganz

107

Erfüllt vom Gegenwärt'gen, lebt’ ich bald

Im kleinen Glück und Leid des Tages wieder, Und blaß im Nebel hinter mir verſchwamm Was früher war. Der Mutter Bild allein Blieb hell in mir. An Boris dacht' ich kaum; Nur manchmal träumt' ich noch von ihm, doch kam's Nicht oft und wie ein Wetterleuchten bloß,

Das aufzuckt und verſchwindet ohne Spur.

Da hört' ich plötzlich, vor'gen Winter war's

Um Faſchingszeit, er dien' im Heere jetzt

Und ſei als Stabscourier mit eil'ger Botſchaft Hieher entſandt. Ich freute, wie ein Kind, Mich auf das Wiederſehn, doch hatte dran

Die Neugier mit der Freundſchaft gleichen Theil, Vielleicht im Stillen auch die Luſt, mich ihm Im vollen Schmuck zu zeigen, die er nur,

Ein unreif Ding, in ländlich ſtiller Tracht Bisher geſehn; was weiß ich's heut? Genug, Er kam, wir hatten Ball, und er war da.

Ich hätt' ihn kaum erkannt, ſo ſchlank und hoch, So männlich ſtand er da im ſchimmernden Ulanenkleid, gebräunt vom Sonnenſtrahl

Des Kaukaſus; doch harrt' ich lang umſonſt.

Er ſchien mich nicht zu ſehn, und als er endlich Herantrat, zaudernd, war's, als läg' auf ihm

Ein fremder Zwang, der, wie er ſteif mich grüßte, Auch mich befing. Wir ſprachen dies und das

108

Von heut und geſtern, wie's Geſellſchaftsbrauch, Und ſuchten ſelbſt zu ſcherzen, doch wir fanden Den alten Ton nicht mehr. Auch als er drauf Zum Tanz mich führte, blieb er ſtumm und herb; In ſich verſunken, ſtatt mir ins Geſicht

Zu blicken, ſtarrt' er in den Glanz der Kerzen, Und wenn vom Strome der Muſik gewiegt

Im raſchen Takt wir durch die Reihen flogen, Eiskalt in meiner fühlt' ich ſeine Hand.

Faſt war ich froh, als Geig' und Flöte ſchwieg, Und mich die Baſ' entſandte, friſche Sträußer Beim Gärtner zu beſtellen. Draußen erſt Beſann ich mich, daß er mit keinem Wort

Der alten frohen Zeit am Don gedacht,

Und grollt' auf ihn und fremdzuthun gleich ihm Entſchloſſen war ich, als ich wiederkam.

Da, wie ich raſch empor die Treppe ſprang,

Riß mir das Band am Schuh. Ich ſchlüpfte ſacht Ins Seitenzimmer, dort den Fehl zu beſſern, Doch eingeſchnürt in Seiden, wie ich war, Behängt mit Schmuck und Spitzen, müht' ich mich Vergebens ab und, hülflos, brach ich faſt

In Thränen aus. Da ſchreckt' ein leicht Geräuſch Mich jählings auf und er war neben mir. Marie Paulowna, ſprach er, laßt doch mich!

Und eh ich's weigern konnte, kniet' er ſchon

Und hatt' es raſch beſchickt. Ich ſtand verwirrt,

109

Umſonſt ein ſcherzend Wort des Danks noch ſuchend, Da fühlt' ich plötzlich, daß ein heißer Kuß

Den Fuß mir ſengte; wie ein Feuerſtrom

Schoß mir's ans Herz und zürnend wollt' ich fliehn; Doch konnt' ich's nicht; denn als er ſprachlos jetzt, Bleich vor Erregung, nur mit ſtummem Flehn

Das Auge zu mir aufſchlug, las ich drin

Das glühendſte Geſtändniß, wie's kein Wort

Je faſſen mag, und überwältigend

Durch meine Blindheit brach's, wie Sonnenlicht. Nun wußt' ich plötzlich, daß er mich geliebt

Von Jugend auf, daß all ſein Froſt vorhin

Ein Kampf nur war, die tiefe Glut zu bergen, Und daß nun ein glückſelig Ungefähr

Zuſammen uns geführt auf immerdar.

Ein Wonnetaumel fiel mich an, ein Rauſch

Und lachend, jauchzend, weinend, wie ein Kind, Lag ich an ſeiner Bruſt, bis die Muſik

Uns enden hieß, die zur Mazurka rief.

Wie anders ſchwebt' ich jetzt an ſeinem Arm Durchs Lichtermeer des Saals, das Herz geſchwellt Vom ſeligſten Triumph! Wie anders ſtrömt'

Ihm jetzt das Wort, und was das Wort nicht ſprach, Das ſprach der Blick, der warme Druck der Hand. Ein Glück nur, daß die Baſe, dicht umdrängt

Vom Kreis des Hofes, mein nicht achtete.

Sie hätte ſonſt mein ſtrahlend Glück geſehn

Und raſch vernichtet. Ach ihr kennt ſie ja,

110

Die keinen Willen duldet neben ihrem, Und kennt den Zwang, dem ich mich fügen muß.

Drei Tage blieb er und wir ſahn uns viel,

Im Saal vor aller Welt und insgeheim

Im Garten, wo die Veilchen dufteten,

Wenn tief im Blau des Halbmonds Sichel ſchwamm. In ſolcher Frühlingsnacht auch, Lieb' und Treu

Auf ewig uns gelobend, ſchieden wir

In bittern Schmerzen. Aber größer war

Das Glück, das er zurück mir ließ. Und heut Das iſt's, Gregor, was mich nicht ſchweigen ließ Heut ſchreibt er mir, daß er am Kaukaſus

Beim Lagerſturm die erſte Schanze nahm.

Zwei Jahre noch, ſo wird er Oberſt ſein

Und holt mich heim. Was ſind zwei Jahre denn, Wenn man ſo jung noch iſt, Gregor, wie ich,

Und liebt!

Sie ſchwieg, und wie ſie jetzt den Blick Glückſtrahlend zu mir aufſchlug, Stirn und Haar Vom letzten Abendgoldlicht überſtrömt,

Das durch die Zweige brach, erſchien ſie mir Verklärt faſt, wie das Bild der Hoffnung ſelbſt. Mit treuem Handſchlag dankt' ich ihr und hub Sie ehrerbietig dann aufs Grauroß wieder, Die nun als Braut vor meiner Seele ſtand. Und durch die Felder, drauf im Dämmerſchein Noch ſommerlich, wie leiſer Geigenton,

111

Das Nachtlied der Cicaden ſchwebte, ritten Wir beide ſtill und voll Gedanken heim.

Am nächſten Morgen war der Ohm zurück Und Alles ging im alten Gleis. Marie

Blieb ſtill und heiter nach wie vor. Wir ſahn Uns kaum allein und nur ein Blick bisweilen, Ein raſch geflüſtert Wort gemahnte mich

An ihr Geheimniß. So verging der Herbſt. Man zog zur Stadt und bald darauf entführte Ein wicht'ger Auftrag mich nach Petersburg, Der Wochen lang mich dort gefeſſelt hielt.

Erſt gegen Weihnacht kam ich heim. Ich fand, Als ich ſofort mich vorzuſtellen ging, Das Haus im Feſtſchmuck, Pforten und Geſims Bekränzt mit Wintergrün, die Dienerſchaft Im reichen goldbetreßten Gallakleid, Das Vorgemach voll Weihrauchduft. Was gibt's? Frug ich den Pförtner

Je, ſo wißt ihr's nicht? Marie Paulowna hält Verlobung heut.

Marie Paulowna, ſagſt du?

Ja, wer ſonſt! Die Nichte unſres Herrn

a Verlobt? Mit wem? ag' an!

112

Ei nun, fie darf zufrieden ſein. Der alte Staatsrath führt fie heim, ihr wißt, Der reiche Hinkfuß aus der Krimm, der ſtets Vierſpännig fährt. An dreizehntauſend Seelen Bringt er ihr zu. Beliebt nur einzutreten! Die Feier iſt vorüber und ihr kommt Zum Glückwunſch eben recht.

Ich ſtarrt' ihn an

Als wie vom Blitz betäubt, doch faßt' ich mich Und ſchritt hinauf. Im Saale brannten ſchon Die hohen Kerzen und es wogte rings Ein Schwarm von Gäſten ſummend durcheinander. Da trat die Wirthin lächelnd auf mich zu: Willkommen hier, Gregor! Ich weiß, ihr nehmt An unſrem Glücke Theil. Nun darf Marie Der Sorgen ledig in die Zukunft ſehn. Der Staatsrath iſt ein Ehrenmann; er warb Bei mir zuerſt, mit Freuden ſagt' ich Ja, Und herzlich dankt ſie mir's, das theure Kind. Nur kam es faſt zu raſch und hat ſie mehr, Als nöthig war, erregt. So ſpürt ſie heut Ein wenig Kopfweh, das ſie zaghaft macht, Doch morgen wird ſie blühn wie eine Roſe. So plauderte die Dame, daß ich nicht Zu Worte kam und nur mit ſtummem Gruß Zurücktrat ins Gewühl. Da ſtreifte mich Mein alter Freund Euchar. Welch freudlos Feſt Kommſt du zu feiern, raunt' er mir ins Ohr,

113

Die arme Braut! Wie hat ſie ſich geſträubt Vor dieſem Unglücksbund! Man ſagt ſogar, Sie wollt' entfliehn, allein ihr Fluchtverſuch Mißlang und wehrlos endlich, mattgequält, Ergab ſie ſich in Alles.

Zaudernd ſucht' ich Marien jetzt und fand ſie. Angehaucht Von Marmorbläſſe, regungslos, die Wimpern Geſenkt, daß man die Spur der Thränen nicht Gewahre, ſtand ſie da, den Kranz im Haar, Im weißen Brautkleid Iphigenien ähnlich, Da zum Altar ſie ſchritt. Und neben ihr, Sein höflichſt Lächeln um den welken Mund, Zum Jüngling aufgeſtutzt, der lahme Greis, Gewandt mit ſtets bereitem Flüſterwort Ihr Schweigen deckend und den üblichen Glückwunſchtribut als Leu des Tags empfangend. Ich trat heran. Sie reichte zitternd mir Die kalte ringgeſchmückte Hand und ſah Mich wie um Mitleid flehend an, indeß Ihr Bräut'gam mich mit einer lauen Flut Gewählter Phraſen überſchüttete Und mir ſein Glück und ſeine Güter pries. Erſchüttert eilt' ich fort.

Am andern Tag Hieß es, Marie ſei krank, ein hitzig Fieber Hab' über Nacht ſie plötzlich heimgeſucht,

Geibel, Spätherbſtblätter. 8

114

Sie red’ im Irrſinn und der Arzt des Hauſes Befürchte für ihr Leben. Wochenlang

Lag ſie darnieder ſo. Ich hätt' ihr faſt

Den Tod gewünſcht; doch ihre Jugendkraft Bezwang die Wuth des Uebels. Sie genas Und Alles blieb beim Alten.

Als die Hochzeit Gefeiert wurde, war ich fern bereits,

Vom ſchönen Süden nach Paris verſetzt,

Und lange Jahre blieb ich ohne Kunde

Von Allem, was Mariens Loss betraf.

Da ſprach ein Maler, der aus Moskau kam, Nicht ahnend, daß ſie einſt mich Freund genannt, Mir wiederum von ihr. Sie leb', erzählt' er, Wie eine Fürſtin dort, noch immer ſchön,

Hoch angeſehn als Schützerin der Kunſt

Und viel umfreit als kinderloſe Wittwe,

Doch jedes Zeichen wärm'rer Huldigung

Stolz von ſich weiſend. Nur ein General,

Einſt der Tſcherkeſſen Geißel, dürfe ſich

Des Vorzugs rühmen, ihr vertraut zu ſein,

Ein ſchweigſam ernſter Kriegsmann, vor der Zeit Im Feld ergraut und unvermählt gleich ihr.

Ob er ſich Boris nannt', erfuhr ich nie.

Eine HSeeräubergelchichte. Erzählung des alten Stenermanns.

Wir hatten Oel geladen und Korinthen Und ſegelten vergnügt mit unſrer Fracht Von Malta auf Gibraltar, Jochen Schütt, Der Lüb'ſche Capitän, mit fünf Matroſen, Und ich, Hans Kiekebuſch, als Steuermann. Der Wind blies luſtig und wir waren ſchon Sardinien vorbei, als hinter uns Nordoſther ein verdächtig Segel aufkam, Das wie mit Siebenmeilenſtiefeln lief. Bedenklich kuckte Jochen Schütt durch's Glas Und ſchüttelte den Kopf und kuckte wieder, Und immer länger ward ſein ſchlau Geſicht. Verdammte Suppe! brach er endlich los, Der Haifiſch ſoll mich ſchlucken, wenn das nicht Tuneſer ſind, Spitzbuben, die's auf uns Und unſern ſchmucken Schooner abgeſehn! Bei Gott, jetzt heißt es: Alles Weißzeug los Und ſtramm geſegelt!

Leider war's zu ſpät. Ein Viertelſtündchen noch, da wußten wir, Daß Flucht unmöglich. Gleich darauf auch ließ

116

Das Kaperſchiff die rothe Flagge ſchon

Vom Topmaſt fliegen, und ein Schuß befahl Uns beizulegen. An Vertheidigung

War nicht zu denken: Sieben waren wir,

Die höchſtens Sonntags mal im Lauer Holz Mit Schrot geknallt, und drüben an die Vierzig, Verwegnes Raubvolk insgeſammt, auf Mord Und Todtſchlag eingeübt, wie wir auf's Kegeln. Mit einer einz'gen Salve hätten ſie

Uns weggefegt; drum hieß uns Jochen Schütt Geruhig bleiben und ihn machen laſſen.

Ein Stückchen, meint' er, hab' er ausgedacht, Das uns vielleicht noch aus der Dinte hülfe. Zwar ſpiel' er auf Va banque damit, indeß Am Ende ſei'n wir Chriſtenmenſchen doch,

Und Gott im Himmel könn' ein Einſehn haben. So brümmelnd ſtieg er zur Cajüt' hinab

Und nahm die Andern mit; nur mir befahl er Auf Deck zu bleiben und dem leidigen

Beſuch, als käm' er auf ein Frühſtück bloß, Mit Höflichkeit zu ihm den Weg zu weiſen.

Mir ſchlug das Herz bis an den Hals, als nun Mit jeglicher Minute der Corſar

Uns näher rückte. Bald erkannt' ich ſchon

Die Fuchsgeſichter mit den Rattenzöpfen,

Das Negervolk, das in den Tauen hing.

Jetzt ſah ich, wie ſolch rothbekappter Schuft

117

Den Enterhaken hob, jetzt machten's ihm Zehn andre nach und jetzt ein einz'ger Schlag, Ein ungeheurer Ruck, und Bord an Bord Mit dem Tuneſer lagen wir.

Ein Mohr, Die breite Kling' im Maule, ſprang zuerſt Auf unſer Schiff, dann kam der Hauptmann ſelbſt, Einäugig, ſtachelbärtig wie ein Kater Am grünen Bund den Halbmond von Rubin, Und dann die Andern, meiſt ein quittengelb Zerlumpt Geſindel, doch mit langem Rohr, Mit Beil und Meſſer Mann für Mann verſehn. Mir lief's den Rücken kalt wie Eis hinab. Doch macht' ich nach des Capitäns Geheiß Den ſchönſten Bückling und, verbindlich dann Den Weg anzeigend, fuhr ich wie ein Kellner In Sprüngen die Cajütentrepp' hinab. Auch poltert' es alsbald mit ſchwerem Tritt Mir nach und, ein Piſtol in jeder Hand, Trat Meiſter Einaug' in die Thür, doch blieb er, Als er ſich umſah, wie ein Zaunpfahl ſtehn. Denn vor ihm ſaß, den Hut auf Einem Ohr, Aus kurzer Pfeife Dampf und Funken paffend, Auf offner Pulvertonne Jochen Schütt, Und ringsumher lag wie ein Zauberkreis Ein breiter Streif von Pulver aufgeſtreut. Wir ſtanden hinter ihm und muckſten nicht; Er aber, ruhig ſitzenbleibend, that,

118

Als wüßt' er gar von keinem Harm, und ſah

Den Türken an und ſagte: Guten Tag!

Was ſteht zu Dienſten, wenn ich bitten darf?

Und als nun der ſich wie ein Puterhahn Aufpluſtert und in ſeinem Kauderwelſch

Zu kollern anfängt und, wie das nicht fleckt,

Die Zähne weiſ't und mit Geberden droht,

Sagt Jochen Schütt: Ja, (Türk'ſch verſteh' ich nicht) Mein lieber Herr; doch parlez vous francais? Und dazu pafft er toller ſtets und macht

Den Meerſchaumkopf wie einen Schornſtein ſprühn, Daß mir, bei Gott, ſchon daucht, wir fliegen auf. Das ſchien denn unſerm Rinaldini auch

Ein ſchlechter Spaß; er wurde grün vor Wuth, Und plötzlich macht' er Kehrt und ſchoß hinaus.

Nun ging ein heftig Schnattern droben an, Und dann ein Poltern, Schieben, Ziehn und Winden, Als kehrten ſie vom Schiffsraum bis auf's Deck Das Unterſte zu oberſt, während wir

In tauſend Aengſten wie die Hühner uns

Um unſern Capitän zuſammendrückten,

Der keine Sylbe ſprach und langſam nur Fortqualmte. Zwar die Ladung, wußten wir, War gut verſichert, doch wir fürchteten,

Die Heiden würden, wenn ſie's ausgeraubt, Das Schiff aus purer Bosheit ſinken machen, Und dann, ihr Lüb'ſchen Thürme, gute Nacht!

119

So ging ein langes banges Stündlein hin. Da plötzlich hörten wir durch all den Lärm Die Bootsmannspfeife kreiſchen, ein entſetzlich Gedräng' entſtand an Bord, wie Flucht beinah, Und kurz darauf geſchah ein Stoß und Rauſchen, Als riſſ' ein Donnerwetter Schiff von Schiff; Und dann mit eins war's ſtill. Wir warteten Ein Weilchen noch und horchten, doch es pfiff Auch nicht die Maus im Loch; kein Zweifel mehr, Sie waren fort.

Was nu? ſprach Jochen Schütt, Die Luft an Bord ſcheint wieder klar zu ſein, Ich denk, wir ſehn uns mal den Schaden an; Und ſtieg hinauf auf's Deck, und wir ihm nach.

Da ſah's denn gräulich aus. Im großen Stall Der Arche Noäh war nicht ſolch ein Wuſt,

Als aller Welt Gethier das Schiff geräumt. Packſtroh und Scherben rings, Korinthenfäſſer, Oelpiepen, Werkzeug, Zwiebeln, Kochgeräth,

Im tollſten Wirrwarr Alles durcheinander,

Als wär' in allerbeſter Arbeit juſt

Das große Plünderfeſt geſtört. Und ſo Verhielt ſich's auch. Denn von Nordoſten kam, Indeß der Türk, wie ein gejagter Habicht, Nach Süden fortſchoß, eine engliſche

Fregatt' heran mit vollem Wind und ließ

Die blaubekreuzte Flagge luſtig weh'n.

120

Das gab ein Jubeln, ein Umarmen jetzt! Der Schiffsjung fiel auf ſeine Knie, der Koch, Der letzt in Portsmouth überwintert, ſchwang Die Zipfelmütz' und ſang God save the king! Doch Jochen Schütt nahm eine Zwiebel auf Und roch daran und nieſt'; ich merkt' es wohl, Wir ſollten ihn nicht weinen ſehn. Dann zog er Den Hut und ſprach: Nun danket Alle Gott! Heut thut mir's leid, daß ich nicht ſingen kann, Weil ich beim alten Haaſe Schulen lief. Den Engelsmann ſchickt uns der Himmel ſelbſt. Auch keinen rothen Sechsling gab ich mehr Für unſer Leben, blieb er aus. Nun lief's Noch gnädig ab.

Ein wahrer Segen auch, Sagt' ich, Cap'tän, daß euch das Pulver einfiel, Sonſt kam uns ſelbſt der Engelsmann zu ſpät. Ja, Pulver! lacht' er, und die Schlauheit blitzt' Ihm aus den Augen, Pulver! Hat ſich was! Wir haben keine zwanzig Schuß an Bord. Das ſchwarze Zeug, wovor der Heidenkerl Die Angſt gekriegt, war Rübſaat aus Schwerin, Und mein Canarienvogel frißt davon. Ein richt'ger Mann muß ſich zu helfen wiſſen, So hilft ihm Gott wohl auch. Und nun ſeht nach, Ob uns das Volk auch über'm Rum geweſen. Ich denk', ein Schluck ſoll gut thun auf den Schreck.

020800

Gelegenheilsgedichte.

Sprüche.

„* 1 4 1 Fe * * r

And

rd 8 7 9

*

RN

RD

E 0. \ USER TG n * x“ & 2 P 8 * 7

A

80

» sg Ari iii &

* l

r . N er [Pre

an

Pa

Oo e.

A

Geſchrieben zur Zeit des Kiſſinger Anſchlags.

Verflucht das Blei, das finſtrer Gedanken voll Im Schooß der Nacht blutdürſtige Tücke goß, Und drachenmilchgenährter Wahnſinn

Wider das tapferſte Herz geſchleudert!

Schaut her ihr Eifrer, die ihr, die Boten nicht Der Gnade mehr, unheiligen Groll geſät, Schaut her, nun ſchießt er auf in furchtbar Blutigem Frevel, euch ſelbſt zum Schrecken.

So warf am Brunnen, wo der Entgürtete Sich Labung ſchlürfte ſorgen- und waffenlos, Verruchter Haß einſt, feig von hinten Zielend, den tödtlichen Speer nach Siegfried.

Doch beſſer traf den Helden im Odenwald Der Stahl; die felsher ſprudelnde Welle trank Sein ſtrömend Blut, und nicht erweckt' ihn Fürchterlich ſchreitend die ſpäte Rache.

Rein blieb von ſolchem Greuel der Saale Flut, Die freudig aufgohr, als die Verrätherfauſt Verſagt', und dankbar jubelt Deutſchland, Daß ihm das theuerſte Haupt gerettet,

Das Haupt, das ſchlaflos ſinnend den Rieſenbau Entwarf des glorreich einigen Vaterlands, Und, unter'm Zelt, des Kaiſerpurpurs Großen Gedanken zu denken wagte,

Der Eiſenarm, der Pöbel- und Pfaffenwuth Zu zügeln Kraft fand, und die gewaltige Dem Atlas ähnlich mit des Reiches Eherner Wölbung belad'ne Schulter.

Verkünden hört' ich, daß der gewappnete Erzengel, der das Banner der Kaiſer einſt Umrauſchte, mit dem Demantſchilde, Michael ſelber, den Liebling ſchützte.

O rühre jetzt ſein ſchimmernder Fittich auch

Die Flut des Heilborns, daß ſie geſegnet ſei Dem Waſſer gleich, das zu Bethesda

Von der Berührung des Cherub's brauſte!

Doch Er, dem Deutſchlands Liebe der Wunde Schmerz Wie Balſam kühle, trinke Geneſung dort, Wo über längſt entſühnten Gräbern Heute die Roſen des Friedens duften.

125

Der Hauch des Lebens, welchen die ſalzige

Wie Rebenſchaum aufperlende Woge ſprüht, Durchſtröm' ihn ganz, und wie ein Adler Kehr' er verjüngt in den Kampf zurück uns,

Den deutſche Freiheit wider das Römerthum Standhaft, wie einſt im Walde der Teutoburg, Nicht um den Glauben, wie ſie lügen, Nein, um die Krone der Herrſchaft ausficht;

Und hoch wie Hermann wieder, der Bändiger Der rieſ'gen Wölfin, rag' er ob allem Volk, Europa's Friedenshort und Deutſchlands Mächtiger Pfeiler, der Mann der Männer.

Steftlieöer.

1.

Zur Schinkelsfeier.

Wenn beim Wein die Herzen klopfen Und das Feſt zum Liede drängt, Ziemt ſich's, daß die erſten Tropfen Man den großen Todten ſprengt. Leuchtend waltet ihr Gedächtniß Ueber uns, Geſtirnen gleich;

Und in ihrer Kraft Vermächtniß Fühlen wir uns froh und reich.

Und ſo ſoll in unſern Weiſen Heut gerühmt der Meiſter ſein, Den die Steine müßten preiſen, Würden Menſchenzungen Stein; Der, vom hundertjähr'gen Drucke Welſcher Mißkunſt unberührt, Siegreich aus erlerntem Schmucke Uns zum ew'gen Maß geführt.

127

Denn zur Schönheit ging fein Sehnen Wie mit Flügelichlag empor

Und die Schwäne der Hellenen Sangen um ſein junges Ohr,

Bis er, ganz dahingegeben

Seiner Heimat heil'gem Ruf, Deutſcher Kunſt und deutſchem Leben Neuer Formen Fülle ſchuf.

Was vollendet und beſchloſſen Reich in ſeinem Geiſt ſchon lag, Ach, nicht Alles durft' es ſproſſen Unter ſeiner Hand zu Tag;

Ach, vom Feuerhauch der Muſen Ward er allzufrüh entrafft;

Doch in ſeiner Jünger Buſen Webt ein Odem ſeiner Kraft.

Klingt denn an und nennt den Namen,

Und bei ihm beſchwört es heut,

Treu zu pflegen jenen Samen,

Den er ſegnend ausgeſtreut,

Bis zur wundervollen Blume

Ihr den Keim entfaltet ſchaut,

Bis ihr, eurem Volk zum Ruhme, Deutſchem Geiſt das Haus erbaut.

128

2. Zur Eröffnungsfeier der Univerſität Straßburg.

Stimmet an den Preisgeſang, Unſer Feſt zu krönen! Hell, wie Gottfrieds Harfe klang, Laßt ihn heut ertönen 6

Denn die Stund' iſt hochgeweiht, Da ſich alt' und neue Zeit Wundervoll verſöhnen.

Der mit heil'gem Brauſen zieht Ob des Rheines Gründen, Was ſich lang entfremdet mied Will der Geiſt verbünden;

Aus der Vorzeit Mark genährt Will er auf dem alten Heerd Junge Flammen zünden.

Preis dem großen Vaterland, Deſſen Hauch wir ſpüren, Dem wir ſchwören, Hand in Hand Dieſe Glut zu ſchüren!

129

Preis der Schweſter deutſcher Kraft, Preis der freien Wiſſenſchaft, Deren Bau wir führen!

Gleich dem Münſter dort am Strom Wolkenwärts gewendet,

Steigt ins Blau ihr Rieſendom Ewig unvollendet.

Jeder ſoll willkommen ſein,

Der nur Einen Quaderſtein

Uns zum Werke ſpendet.

Wenn ſich dumpfen Sinns die Welt Abmüht am Erwerbe,

Sind zu Hütern wir beſtellt

Für der Menſchheit Erbe,

Daß was geiſtgeboren iſt

Nicht verkomm' in dieſer Friſt, Noch das Schöne ſterbe;

Daß ſich Glaub' entfalt' und Recht Frei von dumpfer Schranke, Von Geſchlecht ſich zu Geſchlecht Ueberliefrung ranke, Daß Natur ihr ernſt Geſicht Uns enthüll', und kühn ins Licht Steure der Gedanke.

Geibel, Spätherbſtblätter.

130

Aber wo fein freies Reich

Man umſtellt mit Netzen,

Ihn vervehmtem Wilde gleich

In den Tod zu hetzen:

Da wohlauf Studentenmuth,

Für der Wahrheit heilig Gut Alles einzuſetzen!

Schlag' im Flug denn ſonnenan, Deutſcher Geiſt, die Schwinge! Wider Stumpfſinn, Lug und Wahn Blitzgewaffnet ringe,

Daß in ſolchem Ritterthum

Dein und Straßburgs alter Ruhm Glorreich ſich verjünge!

131

Zur Begrüßung der aus Frankreich heimkehrenden Truppen.

Heil euch im Siegerkranz Streiter des Vaterlands!

Gott war mit euch.

Glorreich in Wacht und Schlacht Bracht ihr des Erbfeinds Macht, Halft in verjüngter Pracht Bauen das Reich.

Einig in Süd und Nord Stehn wir getroſt hinfort Jeder Gefahr;

Schirmende Flügel ſpannt Wieder vom Ordensland Bis an der Moſel Strand, Kaiſer, dein Aar.

132

Blühe, du deutſches Reich, Wachſe der Eiche gleich Markig und hehr!

Friede beglücke dich, Freiheit erquicke dich, Herrlichkeit ſchmücke dich Vom Fels zum Meer.

133

Einem Freunde ins Album. (1863.)

Geſetzlos nicht und nicht geknechtet ſein,

Das war es, was der Vorwelt Sänger ſchon Als einzig hohes Glück der Staaten pries.

Wer aber theilt das rechte Maß uns zu?

Und fand es Einer, wer gebeut dem Strom Der Zeit, bei dieſem Maße ſtillzuſtehn?

Denn ew'ge Wandlung iſt der Welt Geſetz, Unwiderruflich wächst und ſtirbt die Pflanze Und vom erklomm'nen Gipfel geht's hinab. Drum hadre nicht zu bitter, wenn noch oft Dem kühnen Freiheitsdrang in deiner Bruſt

Die Schranke wehrt; nein, ſegne dein Geſchick, Daß deine Spanne Leben in die Zeit

Des Wachsthums und des Aufwärtsſtrebens fiel. Denn der Vollendung kurzen Tag zu ſchau'n

Iſt Wenigen beſchieden; niemals glänzt

Sein goldner Strahl auf mehr als Ein Geſchlecht, Und ſüßer iſt's, für der Entfaltung Recht

134 Im frohen Kampf zu ſtehn, und, muß es ſein, Zu fallen in des Werdens Zuverſicht, Als, wenn die Kräfte der Bewegung erſt Im Sieg verdarben, wider ihren Schwall Den Damm zu bau'n und eine morſche Welt Zu ſtützen, die aus allen Fugen geht.

Wie ſollt' ich, Freund, dich um dein Glück beneiden, Schenkt Andern Andres doch des Himmels Gunſt; Zwar deines Schloſſes Hallen ſchmückt die Kunſt, Und deine Diener gehn in Sammt und Seiden,

Von hundert Aeckern darfſt du Garben ſchneiden, In deinen Forſten ruft des Hirſches Brunſt, Und tauſendſtimmig brüllt und blökt und grunzt Ein zahllos Heerdenvolk auf deinen Weiden.

Du weißt Arabiens beſten Hengſt zu zügeln, Und dürſtet dich's nach edlem Feuerwein, So trieft er dir ins Glas von eignen Hügeln.

Doch gönn' ich dir's. Mit Wen'gem froh zu ſein, Gab mir ein Gott und gab ein Roß mit Flügeln, Und wenn's mich trägt, ſind Erd' und Himmel mein.

136

Jleberfall. (Bu einem alten Holzſchnitte.)

Am Monde hin ſtreichen Die Wolken im Flug;

Auf der Haide, der bleichen, Geht leiſe der Zug.

Nur ein heimliches Rufen Läuft fort durch die Reih'n, Und es klirrt wie von Hufen Und Harniſchen drein.

Schwer zwiſchen den Reitern Die Karthaune hinfährt; Mit Pechkranz und Leitern Sind ſie bewehrt.

Sie ziehen zur Veſte Entgegen der Schanz, Ungeladene Gäſte Zum blutigen Tanz.

137

Hintan reitet Einer

Auf dürr, dürrem Thier, Sein Antlitz grinst beinern Aus dem roſt'gen Viſier.

Um das Panzerhemd ſchlottern Grablinnen ihm her;

Seine Zügel ſind Ottern, Eine Senſ' iſt ſein Speer.

Jetzt lauſcht er vom Rößlein, Jetzt ſpornt er's zum Lauf; O da drüben im Schlößlein Ihr Schläfer wacht auf!

138

Einem Schulmanne.

Wenn den Damm ihr eingeriſſen, Der gewehrt dem halben Wiſſen, Wähnt ihr, dann zu Aller Frommen Sei der Tag des Lichts gekommen? Ach, es wird nur allzufrühe

Euch gereu'n der eitlen Mühe.

Zu des Tempels heil'ger Enge

Laßt nur ein die dreiſte Menge! Nie mit unreif dumpfen Sinnen Mag ſie Wahrheit dort gewinnen; Heiſcht ſie doch bequeme Lehre,

Und das Aechte bleibt das Schwere.

Flacher Afterweisheit Sätze Werden unſres Tiefſinns Schätze, Unſrer Bildung Hort zerwühlen Und hinweg die Ehrfurcht ſpülen, Bis zuletzt im ſeichten Schwalle Sich die Gleichheit fand für Alle.

139

Wenn die Rohheit dann entbunden, Jedes Ideal verſchwunden,

Wohl ein Grauſen mögt ihr ſpüren; Denn ihr halft es ſelbſt vollführen: Die ein Volk des Geiſtes waren Ihr erzogt ſie zu Barbaren.

140

An F. G. 5.

Wo ſo leicht in ſonnenklaren

Tagen einſt der Herbſt uns floß,

Hell dort wieder, wie vor Jahren, Blüht der Garten, glänzt das Schloß.

Wieder blauend mir zu Füßen Wallt im Grund der Strom entlang Und vom Forſt herüber grüßen Büchſenknall und Waldhornklang.

Doch wie mir ein reich Erinnern All die Luſt erſt voll beſeelt,

Fühl' ich tief zugleich im Innern, Fühl' ich ſchmerzlich, wer uns fehlt.

Ach und wenn ich dann die Blicke Nach dem Landhaus dort am Hang, Nach den lichten Fenſtern ſchicke, Schwillt das Herz mir wehmuthbang;

141

Immer mein' ich, plötzlich wieder Müſſe dort die Pforte gehn

Und dein liebes Bild hernieder Vom Altan zum Strome ſehn.

In das Mozartalbum.

Mag die Welt vom einfach Schönen Sich für kurze Zeit entwöhnen, Nimmer trägt ſie's auf die Dauer, Schnödem Ungeſchmack zu fröhnen. Bald, vom Taumelfeſt erſättigt Anſpruchsvoller Trugkamönen, Sehnt ſie ſich zurück zum Gipfel, Den die ächten Lorbeern krönen, Und mit Wonne lauſcht ſie wieder Goethe's Liedern, Mozarts Tönen.

143

Krolioòilromanze.

Ich bin ein altes Krokodil

Und ſah ſchon die Oſirisfeier;

Bei Tage ſonn' ich mich im Nil, Bei Nacht am Strande leg' ich Eier.

Ich weiß mit liſt'gem Wehgekreiſch Mir ſtets die Mahlzeit zu erwürken; Gewöhnlich freſſ' ich Mohrenfleiſch

Und Sonntags manchmal einen Türken.

Und wenn im gelben Mondlicht rings Der Strand liegt und die Felſenbrüche, Tanz' ich vor einer alten Sphinx,

Und lauſch' auf ihrer Weisheit Sprüche.

Die Klauen in den Sand gepflanzt, Tiefſinnig ſpricht ſie: Tochter Thebens, Friß nur was du verdauen kannſt! Das iſt das Räthſel deines Lebens.

144

Als Epilog.

Allmählich fühl' ich meine Kraft erlahmen

Und flattern möcht' ich nicht auf müden Schwingen; Wer vierzig Jahr Gedichte ſchrieb und Dramen, Der gönnt es Jüng'ren, um den Preis zu ringen. Drum eilt' ich, werthe Herrn und ſchöne Damen, Mein letztes Liederbuch euch darzubringen,

Und will dabei zum Abſchied läßt ſich's wagen Mit meinem Dank auch meinen Harm euch ſagen.

Denn eure Gunſt zwar ließet ihr vor Vielen

Mir angedeih'n, doch hat mich eins verdroſſen, Daß bei des Jünglings unvollkomm'nen Spielen Ihr allzufrüh in Beifall euch ergoſſen,

Doch, als er vorwärts drang zu würd'gen Zielen, Ein halbes Ohr nur ſeinem Ernſt erſchloſſen, Als wär' allein der leichte Schmelz der Jugend, Nicht reife Kunſt des Dichters Zier und Tugend.

145

Von oben freilich flammt in Feuerzungen

Die Kraft herab; doch uns gehört das Streben; Noch keinem iſt was Dauer hat gelungen,

Der nicht das Pfund gemehrt, das ihm gegeben. So hab' auch ich beharrlich fortgerungen

Und ſchritt, im Lernen wachſend, durch das Leben; Drum ſeid mir endlich unbefang'ne Richter,

Und wägt ihr mich, ſo wägt den ganzen Dichter.

Geibel, Spätherbſtblätter. 10

146

Sprüche.

1.

Laß dich nicht irren von Kritikaſtern Und wie du biſt, ſo gieb dich ganz. Trägſt du nicht Roſen, ſo trägſt du Aſtern, Sie finden wohl auch ihre Stell' im Kranz.

2

ir

Was gereift in ftiller Stunde, Erſt ein aufhorchſames Ohr Lockt's aus deines Buſens Grunde Wie der Lenz die Saat hervor.

3. Das iſt die Wirkung edler Geiſter: Des Schülers Kraft entzündet ſich am Meiſter; Doch ſchürt ſein jugendlicher Hauch Zum Dank des Meiſters Feuer auch.

147

Sprich nicht, wie jeder ſeichte Wicht, Von Heuchelei mir ſtets und Lüge.

Wo iſt ein reich Gemüth, das nicht Den Widerſpruch noch in ſich trüge?

D.

Süß iſt's, den Reiz der Welt zu ſaugen, Wenn Herz und Sinn in Blüte ſtehn, Doch ſüßer noch, mit deines Kindes Augen Die Welt noch einmal friſch zu ſehn.

6.

Das iſt das alte Lied und Leid,

Daß dir Erkenntniß erſt gedeiht,

Wenn Muth und Kraft verrauchen;

Die Jugend kann, das Alter weiß,

Du kaufſt nur um des Lebens Preis Die Kunſt, das Leben recht zu brauchen.

148

Verruchtes Dilettantenweſen!

Hat Einer wo ein gut Gedicht geleſen, Zerpflückt er flugs den ſchönen Strauß, Thut Unkraut, Stroh und Diſteln drunter, Und bindet ſich vergnügt und munter

Im Umſehn einen neuen draus.

8.

Er ſchoß nach dem Haſen und ſchoß vorbei, Den Hirſch zufällig traf ſein Blei;

Da wird er nun von Jungen und Alten Für einen gewaltigen Schützen gehalten.

9.

Thu nur brav Heu in die Raufen Und miß den Hafer nicht knapp, So kommt der Schimmel gelaufen, Und rufſt du ihn gleich: Rapp!

149

10. S'iſt eben manchen Leuten eigen, Daß ihnen Schlichtes nicht geräth; Sie müſſen immer ins Fenſter ſteigen, Auch wenn die Hausthür offen ſteht.

4. Dein Ja ſei Ja, dein Nein ſei Nein Und ſcharf das Schwert an deiner Lende; Die beſte Staatskunſt bleibt's am Ende Doch, tapfer und gerecht zu ſein.

12. Wer da fährt nach großem Ziel Lern' am Steuer ruhig ſitzen, Unbekümmert, wenn am Kiel Lob und Tadel hochauf ſpritzen.

13.

Sollen die Gäſte dir kommen zum Schmauſe, Bewirthe ſie vom Beſten friſch;

Wer denkt, er hab' es beſſer zu Hauſe,

Der ſetzt ſich nicht an deinen Tiſch.

150

14. Wie oft wird in politifchen Fragen Dein Herz die Antwort dir verſagen! Das Recht iſt meiſtens zweifelhaft; Da hältſt du's denn mit Muth und Kraft.

15. Die Zeit zum Handeln jedesmal verpaſſen Nennt ihr: die Dinge ſich entwickeln laſſen. Was hat ſich denn entwickelt, ſagt mir an, Das man zur rechten Stunde nicht gethan?

16. tets zweiſchneidig iſt große Kraft; Willſt du ſie feſſeln deswegen? Lieber was ſie dir Uebles ſchafft Nimm in den Kauf zum Segen.

17. O miß die Welt nicht mit dem Blick Kurzſicht'ger Tagespolitik! Sie ſieht im Reichthum der Naturen Nur ſchwarz und weiße Schachfiguren.

18. Es iſt der Glaub' ein ſchöner Regenbogen, Der zwiſchen Erd' und Himmel aufgezogen, Ein Troſt für Alle, doch für jeden Wandrer Je nach der Stelle, da er ſteht, ein andrer.

19. Du ſollſt nach frommer Sitte Die Hände betend in einander legen, Die Hand andächt'ger Bitte In die des Danks für den empfang'nen Segen.

20. Willſt du den Unſinn überwinden, Lern' ein Symbol der Wahrheit finden; Die Welt wird nie das Abgeſchmackte Aufgeben für das bloß Abſtrakte.

21.

Wollt ihr in der Kirche Schooß

Wieder die Zerſtreuten ſammeln,

Macht die Pforten breit und groß, Statt ſie ſelber zu verrammeln!

22. Durſtig ftehn fie am Gewäſſer, Stehn und ſtreiten wuthentbrannt: Trinkt ſich's aus der Schale beſſer Oder aus der hohlen Hand?

23. Religion und Theologie Sind grundverſchiedene Dinge, Eine künſtliche Leiter zum Himmel die, Jene die angebor'ne Schwinge.

24. Mächtigen Feſtſchritt lehre die Sprache, Leichthinſchwebenden Tanz im Gedicht, Aber brich ihr die Glieder nicht! Seiltänzerkünſte ſind nicht ihre Sache.

35, Ein herzlich Lied gedeiht wohl ſtill In Buſch und Waldesgrüne, Doch wer Tragödien dichten will Braucht Weltverkehr und Bühne.

153

26. Daß dir zu hoch kein Gipfel ift, Ei, laß mich's an der That erproben! Statt deine Schwingen mir zu loben Fliege, ſo du ein Adler biſt.

27.

Wohl kommt's, wenn Einer ein Bildwerk ſchnitzt, Daß rings umher der Abfall ſpritzt,

Aber man wirft doch die Späne

Dem Publikum nicht in die Zähne.

28. Was hilft's, auf Flügeln der Reklame Ein Stündlein flattern durch die Welt, Wenn ſchließlich doch, o Thor, dein Name Wie Ikarus ins Waſſer fällt?

29.

Soll dir frommen ein Schlag, das merke, Führ' ihn gleich mit entſcheidender Stärke! Nur nichts Halbes, wo dir bewußt,

Daß du das Ganze vertreten mußt!

Loszuwerden den alten Zopf, Iſt ein vernünftig Begehren, Aber wer wird darum den Kopf Gleich rattenkahl ſich ſcheeren!

Am guten Alten

In Treuen halten,

Am kräft'gen Neuen Sich ſtärken und freuen, Wird Niemand gereuen.

32.

Wenn das Glück, die leichte Dirne, Launiſch dir den Rücken kehrt, Hebe doppelt kühn die Stirne, Gürte doppelt feſt das Schwert.

Raſch verwelkt ein Kranz aus Zweigen, Die du ſpielend dir gewannſt;

In der Noth erſt magſt du zeigen

Wer du biſt und was du kannſt.

—— Y 2

Lieder aus alter und neuer Zeit.

1,

Mit geheimnißvollen Düften

Grüßt vom Hang der Wald mich ſchon, Ueber mir in hohen Lüften

Schwebt der erſte Lerchenton.

In den ſüßen Laut verſunken

Wall ich hin durch's Saatgefild,

Das noch halb von Schlummer trunken Sanft dem Licht entgegenſchwillt.

Welch ein Sehnen! Welch ein Träumen! Ach, du möchteſt vor'm Verglühn

Mit den Blumen, mit den Bäumen, Altes Herz, noch einmal blühn.

O 22

2.

Nun ringt bei Frühlingswettern Sich aus der Erde Schooß

In Blume, Blüt' und Blättern Die alte Sehnſucht los.

Die Bäche hör' ich brauſen Von fern durchs Waldgebiet, Es geht im Wipfelſauſen Ein Auferſtehungslied.

Da ſchwillt vom dunkeln Triebe Allmächtig ausgedehnt

Das Herz auch, das der Liebe Verlornes Glück erſehnt.

Nicht mehr den Thränenbächen Verwehrt es ſtreng den Lauf, Und ſeine Wunden brechen Wollüſtig blutend auf.

3.

Ueber die Berge wandelt

Die warme Frühlingsnacht, Da wogen die wilden Waſſer, Das Eis der Oletſcher kracht.

So wogt mein Herz, ſo ſchwillt mein Herz, Ich habe dein gedacht;

Ueber die Berge wandelt

Die warme Frühlingsnacht.

160

4,

Die Nachtigall auf meiner Flur Singt: Hoffe du nur! Hoffe du nur! Die Frühlingslüfte wehen. Ein Dornenſtrauch ſchlief ein zu Nacht, Ein Roſenbuſch iſt. aufgewacht, So mag's auch dir geſchehen.

Hoffe du nur!

Geibel, Spätherbſtblätter.

161

5.

Nun kehrt zurück die Schwalbe Der langen Irrfahrt ſatt;

Sei mir gegrüßt, mein Lübeck, Geliebte Vaterſtadt!

Wie liegſt du vor mir prächtig Im Frühlingsſonnenſchein

Mit deinen Thürmen und Thoren Und ſchlanken Giebelreih'n;

Mit deinen blühenden Wällen Voll Nachtigallengeſang,

Mit deinen Maſten und Wimpeln Den blauen Fluß entlang!

Und über die Giebel und Wälle Und über den Fluß dahin Wogt feſtlich das Geläute Der Glocken von Sankt Marie'n.

So klang's mit Himmelsmahnung Um meine Wiege ſchon; Erinn'rungstrunken lauſch' ich Dem tiefen Feierton.

11

162

Da ſchmilzt in Friedensſchauern Was ſtürmiſch mich bewegt, Wie einſt, wenn mir die Mutter Die Hand auf's Haupt gelegt.

Und ſchöner nur durch Thränen Erblick' ich Fluß und Thal O Heimat, ſüße Heimat, Gegrüßt ſei tauſendmal!

163

6.

In den mondverklärten Lüften

Welch ein Zauber ſüß und fremd, Nun ein Strom von Blütendüften Markt und Gaſſen überſchwemmt!

Fern vom Fluß aus Buſch und Flieder Schluchzt die Nachtigall herauf Traum der Jugend, kommſt du wieder? Alte Sehnſucht, wachſt du auf?

Dunkelſelig wie vor Zeiten

Wächst das Herz mir in der Bruſt, Süßer Schwermuth Schauer ſtreiten Mit beklomm'ner Werdeluſt,

Bis mir über dem Gewühle Klar die alte Liebe ſteht,

Ach, und alles, was ich fühle, In Erinn'rung untergeht.

164

115

Herz was willſt du? Warum ſchwillſt du? Was bewegt dich ſo mit Macht?

War dies Bangen und Verlangen

Denn nicht längſt zur Ruh gebracht?

Was vor Jahren du erfahren, Deiner Jugend reinſtes Glück, Erſtes Leiden, ſchwerſtes Scheiden, Wer beſchwor es dir zurück?

Herz was willſt du? Warum ſchwillſt du? Ach, du weißt was dir geſchehn:

Die Erkor'ne, Frühberlor'ne

Sollſt du heute wiederſehn.

8.

Nun iſt auch dieſer Bann gebrochen

Und friedlich ſchließt der Tag und klar Wir grüßten uns mit Herzenspochen, Doch ward kein Wort von dem geſprochen, Was unſrer Jugend Traum einſt war.

Vom Stern und Unſtern meiner Reiſe, Vom Land Homers erzählt' ich ihr; Sie ſprach vom alten Freundeskreiſe, Doch floß die Red' uns träg und leiſe, Und endlich ganz verſtummten wir.

Da ſprang ſie auf, und raſch wie immer Gefaßt, ergriff ſie meine Hand,

Und zog mich aus des Mittags Schimmer Ins hohe, halbverhängte Zimmer,

Wo ihres Knaben Wiege ſtand.

Sie bog ſich auf das Kind hernieder Und winkte lächelnd mir zu nah'n; Verſchlafen dehnt' es roſ'ge Glieder, Und jetzt erhub's die Augenlieder Und ſah mit ihrem Blick mich an.

166

Da hab' ich's auf die heißen Wangen Geküßt mit leiſem Segenswort,

Und all mein Trauern und Verlangen War wie ein Rauch im Wind zergangen, Und frei und heiter ſchritt ich fort.

167

9.

Das war in jungen Tagen, In goldner Frühlingszeit, Da mir verhüllt noch lagen Des Lebens Qual und Streit.

Wie däucht' auf allen Wegen Die Welt mir da ſo ſchön! Im reichen Blütenſegen

Wie prangten Thal und Höhn!

Der Himmel glänzt' und blaute, Als wär' er aufgethan,

Und glückverheißend ſchaute

Die Ferne rings mich an.

Da ward ein heimlich Klingen In meiner Seele wach;

Die Meiſter hört' ich ſingen, Und ſang den Meiſtern nach;

Ich ſang in dunklem Triebe Aus frohbewegter Bruſt Von Vaterland und Liebe, Von Wald- und Wanderluſt.

168

Und wie im leichten Reigen

Der Reim den Reim gebar, Kaum wußt' ich, was mein eigen, Was nur ein Echo war.

Da iſt der Wind gekommen Und hat im raſchen Flug Die Lieder mitgenommen, Sie waren leicht genug;

Und hat ſie fortgetragen

Durch's Land hin keck und froh Das war in jungen Tagen,

Kam nimmer wieder ſo.

169

10.

Schweig, wenn dir vom Ueberfluſſe Tönend nicht die Seele ſchwoll! Nicht an jedem Tag zum Schuſſe Seinen Bogen ſpannt Apoll.

Keinen wahrlich darf's verdrießen, Daß zu tieferm Ernſt geweiht Seltner dir die Weiſen fließen, Als in muntrer Jugendzeit.

Doch mit Fug wird dir's verübelt, Wenn du Form und Reim erzwingſt, Und, was froſtig ausgegrübelt,

Als begeiſtert Lied uns bringſt.

170

11:

Ich bin, der ich bin, Und lernt' ich von Vielen: Nach eigenſten Zielen Stand immer mein Sinn.

Ein Strahl Poeſie Beſchien mir die Pfade, Ich ſpürt' ihn als Gnade, Und rühmte mich nie.

Und hat ſich's gefügt, Und laßt ihr mich gelten, So glaubt, daß ich ſelten Mir ſelber genügt.

Und wißt ihr dahin

Mein Lied nicht zu nehmen, So darf's mich nicht grämen; Ich bin, der ich bin.

12.

Wenn hinabgeglüht die Sonne, Steht der Mond ſchon über'm Thal, Und den Abglanz ihrer Wonne Gießt er aus im feuchten Strahl.

Alſo bleibt im tiefſten Herzen

Von verſunk'nem großem Glück Tröſtlich für die Nacht der Schmerzen Uns ein Widerſchein zurück.

Meine Sonne ſchied für immer, Meine Liebe ſchön und jung;

Laß mich ruh'n in deinem Schimmer, Sanfter Mond, Erinnerung!

172

13.

Vieles lernt der Dichter tragen, Doch am ſchwerſten das Entſagen, Wenn in Wolken unerreicht

Ihm ſein Ideal entweicht.

Wenn er ſpürt: es ward dir eben Nur dein Maß der Kraft gegeben, Statt des Zaubers der Geſtalt Nur ein Ton, wie bald verhallt!

Dennoch gib dich, Herz, zufrieden, Daß dir dieſer Ton beſchieden, Dankbar unter Leid und Luſt Reif' ihn aus in treuer Bruſt.

Macht' er doch zur Zeit des Lenzen Einſt der Liebſten Auge glänzen, Heut' im herbſtlich kühlen Hauch Was dich labt erwarb er auch.

Iſt's kein Ruhm auf weiter Erde, Iſt's ein Blumenkranz am Heerde; Iſt's kein jauchzend Volk, Poet,

Iſt's ein Freund, der dich verſteht.

173

14.

Ach, und auf's neue Immer dies Sehnen? Dieſes Verlangens Brennende Thränen? Was dir im Lied doch Glückt zu geſtalten, Lernſt du's im Leben Nimmer zu halten?

Meinſt du den Frieden Kaum dir gewonnen, Wieder im Wind ſchon Iſt er zerronnen, Tauchſt in die Lüfte Klingend Gefieder, Aber die Erdkraft Zieht dich hernieder.

Zauber der Sinne Hält dich umwoben,

174 Himmliſches Heimweh Treibt dich nach oben; Streben und Sinken Und wieder Streben, Seele des Dichters, Iſt das dein Leben?

175

15.

Laßt, ihr Lieben, o laßt mich ſtill

Trauern um das verlor'ne Glück!

Für die Tage, die nicht mehr ſind, Ach, was gibt die Erinn'rung?

Wohl mit Roſen und Grün bekränzt, Wie Schneewittchen im Sarg von Glas, Schläft die ſchöne Vergangenheit

Mir im Herzen gebettet.

Doch kein freundlicher Zauber löſ't,

Ach, kein Sehnen die Wimpern ihr,

Und der feſte Kryſtall des Schreins Bleibt auf ewig geſchloſſen.

176

16.

Mein Herz ift ſchwer, mein Auge wacht, Der Wind fährt ſeufzend durch die Nacht; Die Wipfel rauſchen weit und breit,

Sie rauſchen von vergangner Zeit.

Sie rauſchen von vergangner Zeit,

Von großem Glück und Herzeleid,

Vom Schloß und von der Jungfrau drin Wo iſt das Alles, Alles hin?

Wo iſt das Alles, Alles hin?

Leid, Lieb' und Luſt und Jugendſinn? Der Wind fährt ſeufzend durch die Nacht, Mein Herz iſt ſchwer, mein Auge wacht.

47.

Wir fuhren auf der ſtillen Oder

Durch Wälder, wo das Schweigen wohnt; Der Abendröthe fern Geloder

Verglomm und dämmernd ſtieg der Mond.

Da mahnt' es mich, daß wir vor Jahren Am forſtumkränzten Templerſchloß

Schon einmal ſo dahin gefahren,

Da Mondlicht auf den Waſſern floß.

Ach, damals jung und fröhlich beide, Voll goldner Hoffnung Herz und Sinn, Und beide heut in ſtillem Leide,

Weil unſer ſchönſtes Glück dahin.

Und wie ich's dachte, flog ein Schauer Durch meine Bruſt, doch ich empfand, Daß uns noch inniger die Trauer, Als einſt der Jugend Luſt verband.

Geibel, Spätherbſtblätter. 12

178

18.

Spät auf hoher Schloßverande Saßen wir und ſah'n hinaus; Traumhaft überm finſtern Lande Rollt' ein leiſes Donnern aus.

Aus den Wäldern ſtieg, den feuchten, Kühler Duft, und fern herauf Schlug die Nacht im Wetterleuchten Dann und wann die Wimpern auf.

Märchendunkel war die Stunde, Und ihr fremder Zauber rief Auf die Lippen, was im Grunde Deiner Bruſt verſiegelt ſchlief;

Und erleichternd mir vom Herzen, Wie ein Blutſtrom, quoll es ſacht Was mich, ach, ſo reich an Schmerzen Und zugleich ſo ſelig macht.

#19

19.

Nun braut es herbſtlich auf den Auen, Den bunten Forſt entlaubt der Nord, Und ſchwirrend ſteuert hoch im Blauen Der Zug der Wandervögel fort.

Geheime Schwermuth rieſelt bange

Mir durch's Gemüth im Windeswehn Fahr wohl mein Wald am Bergeshange! Und werd' ich grün dich wiederſehn?

Ach, ſicher trägt der Schwan die Kunde, Wann's Zeit zu wandern, in der Bruſt, Doch wer verkündet Dir die Stunde, O Herz, da du von hinnen mußt?

20.

Oft in tiefer Mitternacht

Faßt mich ein unendlich Bangen Um die Tage, die vergangen Und mich nicht ans Ziel gebracht.

Was ich jung umſonſt geſucht,

Kann ich's alternd noch erringen?

An die ausgewachſ'nen Schwingen Hing ſich, ach, des Siechthums Wucht.

„Wirf denn hin den Zauberſtab, Eh' er dir entſinkt mit Schmerzen! Nimm die letzte Glut im Herzen Ungeſungen mit ins Grab!“

Still, o ſtill! Ich lern' es nie, Stumme Tage klug zu weben. Troſtlos Darben wär' ein Leben Ohne dich, o Poeſie!

Nach dem Kranz, der vor mir ſchwebt, Muß ich ringen Stund' um Stunde, Wie der Aar, der flügekwunde, Sterbend noch zur Sonne ſtrebt.

151

2

Schon reift es Nachts im Wieſengrunde Und dennoch geh'n, vom Sonnenhauch Gelöſt in warmer Mittagſtunde,

Noch Knospen auf am Roſenſtrauch.

So treibt, obwohl es herbſtlich trauert, Mein Herz, das allzuviel verlor,

Doch von Erinn'rung überſchauert Noch dann und wann ein Lied hervor.

Wohl fühl' ich tief dann im Gemüte Dies Wachsthum als ein kurzes Glück, Doch nimmer bringt die ſpäte Blüte Den längſt verlornen Mai zurück.

182

22.

Traurig ſchritt ich hin am Bach, Sieh, da trat auf leichten Füßen Sanft zu mir der Lenz und ſprach: „Deine Jugend läßt dich grüßen.“

Und er blies mich an und jäh Brach durch meines Trübſinns Kruſte Solch' Gefühl von Wonn' und Weh', Daß ich lautauf weinen mußte.

All mein Weſen dehnte ſich, Gleich als ſollt' es Flügel breiten, Und ein Klang durchbebte mich Wie von angeſchlag'nen Saiten.

Wirf denn ab des Zweifels Laſt, Herz, du darfit noch nicht verzichten! Nun du wieder Thränen haſt, Magſt du wieder blüh'n und dichten.

183

23.

Rauher Tag will rauhe Weiſe;

Nun am Heerd der Waffenſchmied Schwerter fegt, wer lauſcht im Kreiſe Noch auf dein gedämpftes Lied?

Laß dir's willig, Herz, gefallen, Geht die Zeit doch kühnen Gang; Dies Getös auch wird verhallen, Wenn dein Volk ſein Ziel errang.

Wenn die Burg einſt ſeiner Ehren Ausgebaut ins Blaue ſtrebt,

Nach Geſängen wird's begehren, Drauf ein Hauch des Friedens ſchwebt.

Schönheit wieder vom Poeten Fordert dann ein froh Geſchlecht; Frühling, Lieb' und Andacht treten In ihr uralt heilig Recht.

Und im Klange deiner Lieder, Ob dich längſt die Erde kühlt, Durch die Bruſt der Jugend wieder Wandelt, was du einſt gefühlt.

1867.

24.

Nun um deine Pfade leis Welke Blätter ſtieben,

Eng und enger wird der Kreis Täglich deiner Lieben.

Die im Jugendmorgenroth Dir Geleit gegeben,

Ach, wie viele nahm der Tod, Wie viel mehr das Leben!

Neue Freundſchaft ſchließt ſich ſchwer An des Winters Grenze,

Wurzeln treibt das Herz nicht mehr, Wie dereinſt im Lenze.

Zwar im Kampf nicht wird es dir An Genoſſen fehlen,

Doch euch knüpft ein gleich Panier, Nicht der Zug der Seelen.

Auch mit Jüng'ren wohl ein Stück Läßt ſich's fröhlich ſchweifen,

Doch nur halb dein Leid und Glück Mögen ſie begreifen.

Darum, ſoll nicht freudenarm Dir die Welt verblaſſen, Lern' in Liebe doppelt warm, Was dir blieb, umfaſſen.

Den du jung umhergeſtreut Leicht in leichten Gaben,

Laß an deinem Schatz ſich heut Wen'ge ganz erlaben.

Eisumfrornem Rebenſaft

Gleiche, der zuſammen

Drängt im engſten Raum die Kraft Aller ſeiner Flammen.

186

25.

Es kommt der Lenz, es ſchmilzt der Schnee, Der Rhein hebt an zu brauſen,

Mit Jauchzen wirft er vom Geklipp

Hinab ſich bei Schaffhauſen.

Und als er fürder wallt im Thal,

Den Wasgau ſieht er winken;

„Nun grüß dich Gott du deutſches Land Zur Rechten und zur Linken!

Nun grüß dich Gott du Münſterthurm! Was ſchauſt du trüb hernieder?

Die Wunden, die die Liebe ſchlug,

Die Liebe heilt ſie wieder.“

Und als er kommt hinab zum Main, Da ſieht er hoch im Bogen

Die Brücke zwiſchen Nord und Süd, Der Eintracht Mal, gezogen.

Mit Blut gekittet, ſteht der Bau Aus tauſend Heldenwunden;

„Nun ſcheidet keine Macht fortan Was Noth und Tod verbunden.“

187

Und als er kommt zum Königſtuhl An Rhenſes Traubenhügeln,

Da donnert's hoch aus blauer Luft, Da rauſcht es wie von Flügeln.

„Glückauf, das iſt der Flügelſchlag Des Adlers vom Kyffhäuſer,

Das iſt der Donnerhall des Siegs, Erſtanden iſt der Kaiſer.

Nun jauchze, jauchze deutſches Volk Dem jungen Reich entgegen,

Und Friede ſei mit dir und Heil Und aller Freiheit Segen!“

März 1871.

26.

Im Spätherbſtlaube fteht mein Leben, Zu Ende ging das frohe Spiel,

Die Sonn' erblaßt, die Nebel weben Und bald, ich fühl's, bin ich am Ziel.

Doch nicht in klagenden Akkorden Hinſterben ſoll mein Harfenſchlag, Zwei Freuden ſind mir noch geworden, Drum ich beglückt mich preiſen mag.

Ich ſah mit Augen noch die Siege Des deutſchen Volks und ſah das Reich, Und legt' auf eines Enkels Wiege Den friſch erkämpften Eichenzweig.

1873.

Undlele älterer Gedichte.

1850 1870.

König Artus Too.

Durch Wolken ſchien der Mond auf's Meer Und auf den weißen Strand am Sund; Erſchlagen lagen ringsumher

Die Ritter von der Tafelrund.

Am Dünenhange, wund zum Tod, Lag König Artus, ihre Zier,

Und bei ihm kniet' in ſeiner Noth Der tapfre Schenk, Herr Bedivere.

Er ſprach: o Herr, wie ſeht ihr blaß! Gewiß, die Wunde ſchmerzt euch ſehr. Der König ſprach: es iſt nicht das,

Die Wunde brennt, doch andres mehr.

Was fragt' ich viel um meinen Leib, Wenn keinen Fleck mein Schild gewann! Doch mich betrog das ſchönſte Weib, Doch mich verrieth der beſte Mann.

192

O Ginover, o Yamzelot,

Ich hegt' euch, wie die Brut der Schwan, An meiner Bruſt. Verzeih' euch Gott, Was ihr an eurem Herrn gethan!

Weh, da ihr brach't die Treu' an mir, Erloſch das Sternbild unſres Ruhms, Die Ehr' iſt todt und über ihr

Stürzt ein die Welt des Ritterthums.

Wildwuchernd um den Trümmergraus Schießt auf Gewaltthat, Lug und Liſt; Ich fühl' es, meine Zeit iſt aus,

Und bettle nicht um Lebensfriſt.

So fahr denn wohl du treuer Mann! Ha! Siehſt du dort das Schiff der Fey? Bekränzt mit Lilien ſchwebt's heran,

Und Roſen glühn, als wär' es Mai.

Im Winde klingt ein ſüßes Wort

Und lullt mich ein wie Harfenton;

An Bord! An Bord! Nun geht es fort Ins ſtille Land, nach Avalon!

193

Die Goldgräber.

Sie waren gezogen über das Meer,

Nach Glück und Gold ſtand ihr Begehr, Drei wilde Geſellen, vom Wetter gebräunt, Und kannten ſich wohl und waren ſich freund.

Sie hatten gegraben Tag und Nacht,

Am Fluſſe die Grube, im Berge den Schacht, In Sonnengluten und Regengebraus

Bei Durſt und Hunger hielten ſie aus.

Und endlich, endlich, nach Monden voll Schweiß, Da ſah'n aus der Tiefe ſie winken den Preis, Da glüht' es ſie an durch das Dunkel ſo hold, Mit Blicken der Schlange, das feurige Gold.

Sie brachen es los aus dem finſteren Raum, Und als ſie's faßten, ſie hoben es kaum,

Und als ſie's wogen, ſie jauchzten zugleich: „Nun ſind wir geborgen, nun ſind wir reich!“

Sie lachten und kreiſchten mit jubelndem Schall, Sie tanzten im Kreis um das blanke Metall, Und hätte der Stolz nicht bezähmt ihr Gelüſt, Sie hätten's mit brünſtiger Lippe geküßt.

Geibel, Spätherbſtblätter. 13

194

Sprach Tom, der Jäger: Nun laßt uns ruhn!

Zeit iſt's, auf das Mühſal uns gütlich zu thun. Geh, Sam, und hol' uns Speiſen und Wein,

Ein luſtiges Feſt muß gefeiert ſein.

Wie trunken ſchlenderte Sam dahin

Zum Flecken hinab mit verzaubertem Sinn; Sein Haupt umnebelnd beſchlichen ihn ſacht Gedanken, wie er ſie nimmer gedacht.

Die Andern ſaßen am Bergeshang,

Sie prüften das Erz und es blitzt' und es klang. Sprach Will, der Rothe: Das Gold iſt fein; Nur Schade, daß wir es theilen zu Drei'n!

„Du meinſt?“ Je nun, ich meine nur ſo.

Zwei würden des Schatzes beſſer froh

„Doch wenn —“ Wenn was? „Nun, nehmen wir an, Sam wäre nicht da“ Ja, freilich, dann

Sie ſchwiegen lang; die Sonne glomm

Und gleißt' um das Gold; da murmelte Tom:

„Siehſt du die Schlucht dort unten?“ Warum? „Ihr Schatten iſt tief und die Felſen ſind ſtumm.“

Verſteh' ich dich recht? „Was fragſt du noch viel! Wir dachten es beide, und führen's ans Ziel.

Ein tüchtiger Stoß und ein Grab im Geſtein,

So iſt es gethan und wir theilen allein.“

195

Sie ſchwiegen auf's neu. Es verglühte der Tag, Wie Blut auf dem Golde das Spätroth lag; Da kam er zurück, ihr junger Genoß,

Von bleicher Stirne der Schweiß ihm floß.

„Nun her mit dem Korb und dem bauchigen Krug!“ Und ſie aßen und tranken mit tiefem Zug. „Hei luſtig, Bruder! Dein Wein iſt ſtark; Er rollt wie Feuer durch Bein und Mark.

Komm, thu' uns Beſcheid!“ Ich trank ſchon vorher; Nun ſind vom Schlafe die Augen mir ſchwer.

Ich ſtreck' ins Geklüft mich. „Nun, gute Ruh!

Und nimm den Stoß, und den dazu!“

Sie trafen ihn mit den Meſſern gut; Er ſchwankt' und glitt im rauchenden Blut. Noch einmal hub er ſein blaß Geſicht: „Herr Gott im Himmel, du hältſt Gericht!

Wohl um das Gold erſchluget ihr mich; Weh' euch! Ihr ſeid verloren, wie ich.

Auch ich, ich wollte den Schatz allein,

Und miſcht' euch tödtliches Gift an den Wein.

196

Höchſtädt.

Marlbrough zieht aus zum Kriege, Die Fahnen läßt er wehn;

Da reicht zu Kampf und Siege Die Hand ihm Prinz Eugen.

Sie muſtern ihre Truppen

Bei Höchſtädt auf dem Plan: „Gut ſtehn im Brett die Puppen, Friſch auf, wir greifen an!“

Und wie ſie mit den Haufen Dem Feind entgegenziehn,

Da kommt gejagt mit Schnaufen Ein Hofcourier aus Wien.

Er ſpringt im bunten Staate Vom Roß und neigt ſich tief: Vom hohen Kriegshofrathe,

Durchlauchtigſter, ein Brief!“

Der kleine Kapuziner

Schiebt ihn ins Wamms bedacht: „Der Herrn ergebner Diener! Das leſ' ich nach der Schlacht.

197

Jetzt iſt kein Zaudern nüge, Jetzt heißt es: dran und drauf! Schon ſpielen die Geſchütze Tallard's zum Kampf uns auf.“

Er wirft ſich auf die Franzen, Marlbrough bleibt nicht zurück; Bei Höchſtädt an den Schanzen Das ward ihr Meiſterſtück.

Wohl kracht's von Wall und Thurme, Wohl ſinken Roß und Mann,

Doch vorwärts geht's im Sturme, Die Feldherrn hoch voran.

Im dichten Kugelregen, Den Degen in der Hand, Erklimmen ſie verwegen Des Lagers ſteilen Rand.

Da packt den Feind ein Grauſen, Da flieht er fern und nah

Und hinter ihm mit Brauſen Erſchallt's: Victoria!

Und wie des Kaiſers Reiter Nachraſſeln Stoß auf Stoß, Da frommt kein Haltruf weiter, Geworfen iſt das Loos.

198

Erfiegte Fahnen prangen Zweihundert an der Zahl, Man bringt daher gefangen Tallard, den General.

Doch Abends, als die Flaſchen Im Kreis ums Feuer gehn, Da zieht aus ſeiner Taſchen Sein Brieflein Prinz Eugen;

Studirt's und reicht's dem Britten, Der blickt hinein und lacht: „Parbleu! Die Herrn verbitten

In Wien ſich jede Schlacht.

Nur kluge Retirade

Sauvir' uns, meint der Wiſch; Erleſ'ner Senf! Nur Schade, Für diesmal Senf nach Tiſch!“

199

Gruß aus dem Gebirge.

Auf den dunkelgrünen See Schaut vom Berge die Kapelle, Fernher glänzt der Alpen Schnee In entwölkter Mittagshelle.

O wie lieb' ich dieſen Ort,

Wo der Welle Schaum im Grunde, Wo die ſtillen Rieſen dort

Zeugen waren unſerm Bunde!

Ganz wie damals brauſt zu mir Dumpf herauf der Schlag der Fluten, Als wir weltvergeſſen hier

Hand in Hand am Kirchlein ruhten,

Als dein Auge feuchten Blicks Selig nah in meines ſchaute, Und ein Himmel alles Glücks Mir aus ſeinen Tiefen blaute.

200

Heut, Geliebte, bift du weit,

Doch du biſt mir nicht entſchwunden, Nimmer ſcheiden Raum und Zeit Herzen, die ſich ſo gefunden.

Ob zum fernſten Lorbeerhain Südwärts du die Schritte lenkeſt, Stündlich, wie ich denke dein, Weiß ich, daß du mein gedenkeſt.

Und aus der Erinnrung Luft

Pocht mein Herz mit frohen Schlägen, Deiner treuen Huld bewußt,

Schon dem Wiederſehn entgegen.

201

Gela.

Friſche Lüfte, die von Oſten Uebers Meer beflügelt ziehn, Laſſen Frühlingsluſt mich koſten, Ob der Sommer längſt erſchien.

Alſo läßt bei reifen Jahren

Trotz der Narben im Gemüth Gela mich ein Glück erfahren, Wie es nur der Jugend blüht.

Süßen Tiefſinn bald im Munde, Schalkhaft bald wie Ariel,

Weckt ſie mir im Herzensgrunde Jeglicher Empfindung Quell.

Oftmals plaudert ſie ergötzlich,

Doch dazwiſchen zauberhaft

Sprüht's aus ihren Wimpern plötzlich Wie ein Blitz der Leidenſchaft.

202

Spricht fie dann: du biſt mir theuer, So erbebt mir Herz und Sinn,

Und ein zart ätheriſch Feuer

Strömt durch meine Adern hin.

Ach, da faßt mich wohl ein Bangen Um des eignen Mai's Verluſt, Doch ſie wirft mit heißen Wangen Stürmiſch ſich an meine Bruſt,

Lacht mich an aus Thränengüſſen, Und ihr lachend Auge ſpricht: Küſſe nur und laß dich küſſen, Denn ein Dichter altert nicht.

203

Srüblingsfeier in Athen. An H. K.

Noch denk' ich des Tags, da du ſonnengebräunt

Heimkehrteſt von Zante's Geſtaden, o Freund, Um das Feſt zu begehn

In dem ſchönen, dem veilchenbekränzten Athen.

Mit wehenden Locken und freudigem Gruß

Hinſchritteſt du leicht, als beſchwingte den Fuß Dir ein ahnend Gefühl,

Und ich folgte dir nach in des Volkes Gewühl.

Schon ſtand der Hymettus in purpurner Glut,

Wie ein König im Schmuck, und die tönende Flut Goß klar wie Rubin

Durch die Blumen des Thals der Jliſſus dahin.

Und die Jünglinge prüften die Kraft des Geſpanns

Wettjagend im Feld, und es ſchwebte der Tanz Blondlockiger Frau'n

Um die Säulen des Zeus, die im Strom ſich beſchau'n.

204

Doch, die Schläfe mit bacchiſchem Eppich umlaubt,

Saß ſchweigſam die Schönſte, das ſinnende Haupt Auf die Cither gelehnt,

Mit dem dämmernden Blick, der nach Liebe ſich ſehnt.

Und es traf dich ihr Aug' und du grüßteſt ſie kühn, Und ich ſah ſie erbleichen und haſtig erglühn;

In beflügelter Eil' Hatt' euch Eros berührt mit dem feurigen Pfeil.

Und er lehrt' euch was zärtliche Trunkenheit ſpricht,

Und die Fremdheit der Zungen verwehrt' es euch nicht; Ihr vernahmet im Wort,

Im geſtammelten, nur der Empfindung Akkord.

Und der Tag war verglüht und ihr wußtet es kaum,

Und, die Sterne zu Häupten, in ſeligem Traum Hinwalltet ihr ſacht

Durch's ambroſiſche Dunkel der attiſchen Nacht.

Mäbdchenliebd. (Nengriechiſch.)

Der Blumen wollt' ich warten, Vergeſſend was mein Herz erfuhr, Doch jede Blum' im Garten

Spricht mir von Liebe nur.

Die Roſe will vergluten, Die Lilie ward vor Sehnſucht bleich, Und die Granaten bluten

Zerſpalt'nen Herzen gleich.

Es weint aus hundert Sproſſen Die Rebe, die zum Stock ſich zweigt,

Und Thränen, reich ergoſſen,

Geſtehn was ſie verſchweigt.

Und was ich nie zu ſagen, Was ich gewagt zu denken kaum, Das ruft in ſel'gen Klagen Die Nachtigall vom Baum.

206 Sie ruft fo ſüß verſtändlich, Daß du, auch du es faſſen mußt: O komm und laß mich endlich Ausruhn an deiner Bruſt!

1 D —4

Meugriechilcher Mythus.

Hoch auf Suniums Felſenklippe An zerborſtner Tempelwand Zwiſchen Schutt und Dorngeſtrippe Lehnt' ich, als der Abend ſchwand.

Um die Säulenknäufe flogen Möwenſchwärme kreiſchend her, Und im endlos weiten Bogen Mir zu Füßen lag das Meer.

Und indeß im Spätrothſcheine Fern den Blick ich ſchweifen ließ, Plauderte die braune Kleine,

Die vom Thal den Pfad mir wies.

Vieles wußte ſie zu melden Von der großen Perſerſchlacht, Von Themiſtokles, dem Helden, Welcher Hellas frei gemacht;

Wie er klug den Sieg erworben, Durch geweihten Spruch belehrt, Wie er drauf verbannt geſtorben, Und im Tod erſt heimgekehrt.

208 Dort an jener Feljenede, Sprach ſie, glänzt an ſtillem Tag Durch die grüne Waſſerdecke Ein verſunkner Sarkophag.

Drinnen lag der Held begraben, Doch das Meer hat ihn erwühlt Und die großen Wogen haben Sein Gebein hinweggeſpült.

Aber einſt, hab' ich vernommen, Wird der Retter Griechenlands Aus der Tiefe wiederkommen Und uns führen gen Byzanz;

Wird uns dort das Reich beſtät'gen Und erhöh'n das Kreuzpanier! Alſo ſprach das Hirtenmädchen, Und die Augen glänzten ihr.

Fern vergingen Luft und Welle In azurner Finſterniß,

Und des Vollmonds erſte Helle Dämmert' über Salamis.

209

Ein Brief.

Das waren goldbeſchwingte Tage,

Die ich im ſonnigen Waldrevier,

Der Welt entrückt und ihrer Plage, Noch einmal jung, verſchwärmt mit dir.

Nun kehrt in ſeine ſtillen Gleiſe Zurück mein Leben allgemach,

Doch klingt in tiefſter Bruſt mir leiſe Das Echo meines Glückes nach.

Zwar bannt die Pflicht mich ſtreng' in Schranken, Und manchmal nur im Tageslauf

Taucht überm Strome der Gedanken

Mir wie ein Stern dein Bildniß auf.

Doch wenn getreu beim Abendneigen Das Werk, das mich erfüllt, vollbracht, Dann ſteuert, wieder ganz dein eigen, Die Seele durch das Meer der Nacht.

Dann red' ich wach zu dir und walle Vereint mit dir des Traumes Bahn, Die trauten Stätten grüß' ich alle, Die unſrer Liebe Werden ſahn;

Geibel, Spätherbſtblätter. 14

210

Den Buchengang, den uns der Morgen In herbſtlich goldnen Duft getaucht, Als du von meiner Stirn die Sorgen Mit liebem Wort hinweggehaucht;

Das Hüttlein in des Parkes Schatten Von Roſ' und wildem Wein umkränzt, Auf deſſen Schwelle du dem Matten Den friſchen Trunk ſo oft kredenzt;

Das graue Jagdſchloß über'm Weiher, Wo wir entzückt ins Laubgewog' Hinabgelauſcht, indeß der Reiher Durch's Spätroth ſeine Kreiſe zog.

Und wieder hör' ich froh erſchrocken Den Laut, der meine Seele bannt, Mich ſtreift das Wehen deiner Locken, Den Druck empfind' ich deiner Hand.

Ach, Alles, Alles kommt aufs neue, Was mich ſo reich und froh gemacht; Das ſanfte Mondlicht deiner Treue Schwebt über mir die ganze Nacht.

Und Morgens dann in goldner Frühe, Wenn kaum der letzte Stern erblich, Geſtärkt zu jeder Lebensmühe

Erwacht mein Herz, und ſegnet dich.

Srübling. (Uach dem Kranzöſiſchen.)

Der Lenz iſt da; der laue Weſthauch ſpielt, Die Fenſter, die der Froſt verſchloſſen hielt, Oeffnen ſich rings mit frohem Lärmen;

Es bricht ein Strom herein von Duft und Licht Und lockt unwiderſtehlich. Hörſt du nicht

Die Kinder auf den Gaſſen ſchwärmen?

Der Lenz iſt da; er ruft auch mich zum Feſt; Am Nachbarhauſe die Kaſtanie läßt

Die Blütenfederbüſche wallen;

Zum Thor gleich bunt entpuppten Faltern zieht Ein Schwarm von Mädchen, der am erſten Lied Sich freuen will der Nachtigallen.

Froh ſinnend folg' ich nach, die Brück' entlang; Vom Fluſſe ſchallt Gelächter und Geſang;

Die Gärten thun ſich auf im Kranze:

Wie labt den Blick des Raſens grüner Sammt, Geſtickt mit Perlen Thau's! Wie wogt und flammt Das Tulpenbeet im Sonnenglanze!

212

Nun winkt das Dorf. Im Thurme läutet's, horch! Vom hohen Strohdach überſchaut der Storch

Ernſt klappernd ſeines Weichbilds Grenzen; Dazwiſchen ſchallt's vom Krug wie Geigenſtrich, Und unterm blüh'nden Birnbaum tummelt ſich

Das Volk in ländlich ſchlichten Tänzen.

Ich aber wandle ſtill, bis tief im Wald

Des Reigens Jubel hinter mir verhallt;

Da pocht mein Herz in raſchern Schlägen,

Denn aus den Büſchen tritt, den Blick voll Glanz, Im goldnen Haar den jungen Veilchenkranz,

Die Muſe lächelnd mir entgegen.

Ssochlommer.

Von des Sonnengotts Geſchoſſen Liegen Wald und Flur verſengt, Drüber, wie aus Stahl gegoſſen, Wolkenloſe Bläue hängt.

In der glutgeborſtnen Erde

Stirbt das Saatkorn, durſtig ächzt Am verſiegten Bach die Heerde, Und der Hirſch im Forſte lechzt.

Kein Geſang mehr in den Zweigen! Keine Lilie mehr am Rain!

O wann wirſt du niederſteigen, Donnerer, wir harren dein.

Komm o komm in Wetterſchlägen! Deine Braut vergeht vor Weh Komm herab im goldnen Regen Zur verſchmachtenden Danae!

214

Stoßleufzer.

Stand ich einſt ein Baum im Walde, Schlanker Stamm mit breitem Wipfel, Hört' am Tag die Vögel ſingen, Hörte Nachts den Sturm erbrauſen, Hielt mit Sonne, Mond und Sternen Zwieſprach, wann es mir behagte, Und im Lenz in meinen Schatten

Saß mit ſeinem Lieb der Jäger.

Heut entlaubt, ein kahler Pfeiler, Steh' ich in des Königs Vorſaal, Schranzentritte hör' ich ſchleichen, Höflingsworte hör' ich flüſtern, Und geſchminkte Weiber knixen Um mich her und lächeln Lüge O wie ſehn' ich Tag' und Nächte Mich zurück zum grünen Walde!

Aequinoctium. (1867.)

Allgewaltig aus Nordoſten Brauſt der Märzwind über Land, Und es bebt in ihren Pfoſten Meines Hauſes Giebelwand.

Durch die Schlöte mit Gewimmer Fegt der losgelaſſ'ne Hauch,

Trüb verzuckt des Herdes Schimmer Und die Halle füllt der Rauch.

Ziegel praſſeln, Thüren ſchlagen, Dürres Aſtwerk kracht und bricht, Doch in all das Unbehagen Lächelt meine Muſ' und ſpricht:

Nur getroſt! Sich zu erneuen Ringt die Welt im Jugenddrang; Darfſt die kurze Noth nicht ſcheuen, Rauh iſt jeder Uebergang.

216

Auf den Braus des wüſten Tages Folgt der Lenz im Goldgewand; Merk' es dir, Poet, und ſag' es Deinem deutſchen Vaterland!

1 —1

Die Schöne ſpricht:

Ich ward zur Kerz' im Saale Beſtimmt durch Schickſalsſchluß Und wenn ich leucht' und ſtrahle, So thu' ich was ich muß.

Wer wagt's und zeiht der Tücke Mein reines Element,

Weil ſich die trunkne Mücke

Die Flügel dran verbrennt?

Wann hieß ich keck dich ſchweifen Um dieſe Flammen? Sprich! Drum, wenn ſie dich ergreifen, So ſchilt dich ſelbſt, nicht mich. Wer ſich des holden Scheines Nicht wunſchlos freun mag, ei, Sein Schickſal trag' er meines Iſt, ſchön zu ſein und frei.

218

Transeat!

Haft doch fonft in deinen Tagen Manchen derben Stoß ertragen, Manches Ach und manchen Krach, Ohne daß das Herz dir brach;

Und nun wolltſt du Grillen fangen, Weil ein Traum in Schaum zergangen? Greif zum Becher und vergiß!

Transeat cum ceteris!

219

Zwei Mäöchenlieder.

K Spaniſch.

Geſtern noch ſchwur er, Nur mich zu lieben, Heut' mit der Blonden Tändelt er drüben. Spät noch im Düſtern Kamen ſie flüſtern, Mutter, und trieben Zärtlichen Scherz.

Mutter, im Mondlicht Hab' ich's geſehen, Jegliches Wörtlein Konnt' ich verſtehen: Daß er mich laſſe, Daß er mich haſſe, Weh mir, vergehen Werd' ich vor Schmerz.

220

Fluch' ihm, o Mutter, Fluch' ihm Verderben, Daß er nicht leben Könne, noch ſterben! Fieberverſchmachtet, Wahnſinnumnachtet Stückweiſ' in Scherben Brech' ihm das Herz!

II. Nordiſch.

Die Luft iſt grau und grau das Meer,

Der Wind fegt pfeifend drüber her,

Die Möwe kreiſcht, die Brandung wallt,

Wie ward mein Herz ſo ſterbensalt! Traurig rinnen die Tage.

Wohl hab' ich andre Zeit gekannt,

Wir fuhren im Nachen, Hand in Hand,

Das Meer war blau, die Sonne ſchien,

Ich ſah und wußte nichts, als ihn; Selig waren die Tage.

Nun liegt der Kahn und fault am Strand,

Er aber ging ins fremde Land,

Er ging, ein hohes Weib zu frei'n,

Gott geb' ihm Glück! Das Leid iſt mein. Traurig rinnen die Tage.

Werhitchung. . Trau' dir ſelber nicht allzuviel

Und wend' auf deinem Gange,

Wende das Haupt auch nicht zum Spiel Nach der Sünde, der Schlange!

Ihr Auge dunkel wie die Nacht Verſteht ſo reizend zu blicken;

Du weißt es, daß ſie dich elend macht, Und läſſeſt dich doch beſtricken.

Im Harz.

Ich klomm vom Ilſengrunde Durch Waldgeklüft und Moor In früher Morgenſtunde

Den Brockenpfad empor.

In Buſch und Wipfeln ſauſte Der Wind mit friſchem Schall, Dazwiſchen wogt' und brauſte Von fern der Waſſerfall.

Und ſteiler ward's und ſteiler, Jetzt ſchloß der Forſt ſich auf, Und ſtärker quoll vom Meiler Der Brandgeruch herauf.

Und jetzt vom Dunſt umwoben, Erblickt' ich überm Tann

Auf ſchroffer Wand ihn droben, Vom Berg den wilden Mann.

Im Eichenkranz, die Lenden Umſpannt vom Blätterſchurz, Stand er, die Keul' in Händen, Hoch überm Waſſerſturz.

224

Und wie der Schaum die Klippen Hinabſchoß ohne Ruh,

Sang er mit bärt'gen Lippen

Ein mächtig Lied dazu:

„Zwei Dinge lernt' ich preiſen Von Alters her zumeiſt:

Im Berge wächſt das Eiſen, Im Walde rauſcht der Geiſt.

Die Beiden halt' in Ehren,

So wird im Zeitenlauf

Kein Feind dich je verſehren; Glückauf, mein Volk, Glückauf!“

Er ſang's und ſteigend wallte Der Nebel um ihn her,

Und als das Lied verhallte,

Gewahrt' ich ihn nicht mehr.

225

Schwaneck.

Ferne blaut die Alpenkette,

Die im Sonnendufte ruht; Drunten tief auf kieſ'gem Bette Zwiſchen Wäldern brauſt die Flut.

Und hinaus zu jenen Gipfeln

Und zum wilden Fluß ins Thal Blickt die Burg aus rothen Wipfeln Im gedämpften Morgenſtrahl.

Dankbar preiſe ſeine Sterne, Wer dort oben Tag für Tag Holdverſchwiſtert Näh' und Ferne Sinnend überſchauen mag,

Wo die heitre Ruh der Gletſcher

Sein Gemüth ins Ew'ge neigt,

Wo des Stromes Schaumgeplätſcher

Ihm ein Bild des Lebens zeigt. Geibel, Spätherbſtblätter. 15

226

Dort, wenn einft verſtummt mein Pfalter, Vom Gewühl des Tages weit

Möcht' ich ſonnen mich im Alter

In verſchwiegner Einſamkeit,

Und vom Glück, das ich beſeſſen, Noch gelabt im Widerſchein Ohne Harm die Welt vergeſſen Und von ihr vergeſſen ſein.

1 1 —1

Heimgeliehrt.

Leiſ' am Samſtagabend Hallt die Vesper aus;

Vor das Thor im Zwielicht Lockt's auch mich hinaus.

Um die letzten Giebel Webt noch rother Duft, Taubenſchwärme rauſchen Durch die goldne Luft.

Grüß euch Gott, ihr Wipfel! Wurdet ihr ſo hoch?

Ich auch bin verwandelt, Doch ihr kennt mich noch.

Hier mit den Geſpielen Schlug ich froh den Ball, Dort als Jüngling taucht' ich In des Fluſſes Schwall.

Unter jener Eiche,

Wo der Brunnen rinnt, Harrt' ich oft, wie ſelig! Auf das ſchönſte Kind.

228

Ach, und dort im Garten, Jauchzend nach dem Harm Erſter Trennung, ſank ich In der Mutter Arm.

Nein, hier bin ich fremd nicht, Bin nicht einſam mehr,

All ihr theuren Schatten Wandelt um mich her.

Weit in Wonn' und Wehmuth Geht das Herz mir auf Sieh und überm Walde Glänzt der Mond herauf.

229

Die Sängerin.

Vor Andern kalt zu ſcheinen Hab' ich mich längſt gewöhnt, Doch halt' ich kaum das Weinen, Wenn dieſe Stimme tönt.

Die goldnen Weiſen triefen Ins Herz wie Vollmondſchein Und ziehn in alle Tiefen Der Wehmuth mich hinein.

Das ſind geſungene Thränen; Es klagt und flutet drin

Das ganze Leiden und Sehnen Der kranken Sängerin.

Schon brennt auf ihrem blaſſen Geſicht ein fliegend Roth;

Sie kann das Singen nicht laſſen Und weiß, es iſt ihr Tod.

230

Romanze vom Werwolf. 1.

Nach dem Walde zog der Ritter, Früh vor Tage zog er aus, Sich ein Wildpret zu erjagen, Trüg' es Klauen oder Flaum. Da erkannt' er auf der Haide Einer Wölfin Spur im Thau, Und die friſche Spur verfolgend Durch Gebüſch und Farrenkraut Fand er eine ſchöne Jungfrau Schlafend unterm Eibenbaum. Von des Frühroths erſten Strahlen Lag ſie roſig angehaucht,

Nur in ihres Goldhaars Schleier Eingehüllt und grünes Laub.

Da ſie reizend ihn bedünkte, Weckt' er ſie mit Küſſen auf, Deckte ſie mit ſeinem Mantel, Hub ſie auf ſein Roß hinauf, Und in ſeinen Armen führt' er Als Gemal ſie in ſein Haus. Sieben Monden dort in Freuden

231

Wohnten fie als Mann und Frau, Und es war umher im Lande Kein beglückter Paar zu ſchau'n. Nächtens theilte ſie ſein Lager, Tags verſah ſie Hof und Haus, Spann den Flachs und wob das Linnen, Sang dazu und ſchwatzte traut. Nur, befragt um ihre Herkunft, Schüttelte ſie ſtets das Haupt Und beſchwor er ſie zu reden, Brach ſie laut in Weinen aus.

2.

Als die Zwölfnacht nun herankam Und der Reif im Forſte lag, Bat ſie ihn die Jagd zu meiden, Bis erfüllt das alte Jahr,

Und, wiewohl es ſchwer ihn dünkte, Sagt' er zu was ſie verlangt. Aber einſt, da gegen Abend

Sie verfallen war in Schlaf, Zog er, ſeine Luſt zu büßen, Dennoch heimlich aus zur Jagd. Lange ſchweift' er durch die Haide Ohne, daß ein Wild er traf, Bis er eine Wölfin endlich

232

Laufen ſah am Waldeshang.

Die bedünkt' ihn gute Beute, Schleunig nahm er ſeinen Stand, Und den ſchärfſten ſeiner Pfeile Schoß er, ſie zu tödten, ab.

Doch mit Winſeln in die Buſche Sprang das Unthier und entrann, Und umſonſt, es aufzufinden, Spürt' er durch den ganzen Wald. Aber als er drauf nach Hauſe Kam in ſpäter Mitternacht,

Fand er dort in Blute ſchwimmend Auf dem Lager ſein Gemal,

Wie ſie wimmernd aus der Seite Einen ſcharfen Pfeil ſich wand. Schmerzlich ſchrie ſie auf zum Himmel, Als ſie den Geliebten ſah, Schaute dann, die Lippen regend, Kummervollen Blicks ihn an, Doch bevor ſie reden konnte,

War ihr Herz im Tod erſtarrt. Bei der Leiche ſtand der Ritter Von Entſetzen übermannt,

Denn den eignen Pfeil erkannt' er, Der die Bruſt der Gattin traf, Und zerriſſen unter'm Bette

Lag ein blutig Wolfsgewand.

233

Romanze vom Elfenbrunnen.

„Wiſſ' es, Blanka, meine Tochter, Weil du ſünd'ger Liebe Sproß,

Hab' ich früh ſchon in der Wiege

Dich dem Heiland anverlobt.

Morgen reiten wir ſelbander

Nach Sankt Annas Kloſterhof,

Daß du dort ein Nönnlein werdeſt, Dir zum Heil und mir zum Troſt.“

Mag kein Nönnlein werden, Vater, Denn mein Herz iſt jung und froh; Tanz und Jagd gefällt mir beſſer, Als zu ſingen auf dem Chor;

Schad' auch wär's um meine Locken, Sie zu kürzen ſchonungslos,

Schad' um meine weißen Füße,

Die nur ſeidne Schuh gewohnt.

„Mach dich fertig, meine Tochter, Beſſer weiß ich was dir frommt. Morgen ziehn wir früh vor Tage Nach Sankt Annas Kloſterhof.“

234

Als die Jungfrau das vernommen, Zäumte ſie ihr milchweiß Roß, Zäumt' es unter bittern Thränen, Ritt hinab zum wilden Forſt. Ganz in ihren Gram verſunken Sah ſie nicht, wohin ſie zog, Kam zur tiefſten Waldestiefe,

Als das Spätroth ſchon verglomm, Kam zuletzt zur alten Linde,

Wo der Elfenbrunnen quoll. Aufgeweckt vom Waſſerrauſchen Ihren Blick erhub ſie dort,

Sieh, da ritt ein ſchöner Knabe Neben ihr auf ſchwarzem Roß, Trug im Haare Lindenblüte,

Trug am Gurt ein ſilbern Horn, Und begann ſo ſüß zu blaſen, Daß ihr Gram davor zerſchmolz Und ihr Herz von heißer Sehnſucht Nach dem ſchönen Fremdling ſchwoll. Als ſie endlich, ganz bezaubert, Sich zu ihm hinüberbog,

Hielt mit Blaſen ein der Knabe, Hub im Sattel ſich empor,

Und umfing ſie, wie ſie ritten, Mit den Armen liebevoll. Langſam, in den Blumen weidend, Schritten ihre Zelter fort,

235

Schritten ſacht hinein ins Dunkel, Wo ſich jeder Pfad verlor.

In den Lüften ging ein Singen, Durch die Wipfel ſchien der Mond.

Andern Morgens leer am Schloßthor Stand der Jungfrau milchweiß Roß, Doch ſie ſelber blieb verſchollen Für und für im wilden Forſt.

236

Parabel.

Die Frucht, die hoch im Wipfel hing, Daß ſie des Gärtners Blick entging, Verkehrte lautrer nur in Saft

Die eingeſogne Sonnenkraft,

Und ward, wie ſie zu oberſt ſchwoll, Zwiefältig edler Süße voll,

Ein Goldball, von des Herbſtes Luft Noch überhaucht mit Purpurduft. Zuletzt im leiſen Windeswallen

Macht ſie die eig'ne Schwere fallen. Der Gärtner hebt ſie auf und ſpricht: Die hatt' ich auch und wußt' es nicht, Und legt ſie obenauf beim Feſte

Als Zier des Mahls für edle Gäſte.

237

Nätßhſel.

Durch Höll' und durch Himmel erklingt's wie ein Hauch, Und im leiſeſten Herzſchlag vernimmſt du es auch;

Es ſchwebt bei den Horen zuvörderſt im Reihn,

Und was hoch iſt und herrlich, das ſchließet es ein.

Ob ſtumm auch erſcheint's dir in jeglicher That,

Und die Heerſchlacht beginnt's, und beſchließet im Rath; Aus der Lohe, der wehenden, winkt es dir zu

Und es ſchärft ſich im Licht und erſtirbt in der Ruh.

Dem Gedanken verſagt ſich's, nicht faßt's der Verſtand, Doch in Blindheit ergreif's und du haſt's in der Hand. Sanft ſchwellt's dein Gefühl und vollendet dein Ich Und zu Erz wird das Herz, dem es treulos entwich.

238

Deutſches Aufgebot.

Ans einer Cantate.

*

Der Kaiſer ſaß mit Schwert und Buch Im Stuhl aus Erz gediegen,

Er wog das Recht und fand den Spruch, Und Groll und Hader ſchwiegen.

Da ſcholl's am Thor wie Roſſeshuf,

Da hub ſich lauter Jammerruf

Im Gang und auf den Stiegen:

2

„Es brach der Erzverwüſter, Der Heide brach ins Land, Von ſeinen Pfaden düſter

Zum Himmel raucht der Brand. Durch Hüttenſchutt und Saaten Stürmt heulend ſeine Wuth, Und ſeine Roſſe waten

Bis an den Zaum in Blut.

239

Dem Gräuel wie ein Rabe Fliegt das Gerücht voraus, Da greift entſetzt zum Stabe Das Volk und wandert aus. Sie ſchweifen ohne Stätte Dem ſcheuen Wilde gleich, O Kaiſer hilf und rette Vom Untergang das Reich!“

3.

Und die Stirne des Kaiſers ward finſter wie Nacht

Und hinter ſich ſtieß er den Seſſel mit Macht, Hinwarf er den Mantel, den rothen,

Und er ſchlug an den Schild lautdröhnenden Schalls

Und es ſtoben, die Zügel verhängt, aus der Pfalz Nach allen vier Winden die Boten.

Und die Gauen hindurch, wo die Donau ſchwillt, Wo die Elbe ſich wälzt durch das Waizengefild, Wo den ſtrudelnden Rhein ſie befahren, Aufflammten die Feuer von Berg und von Thurm, Und die Glocken erklangen und läuteten Sturm, Und zum Heerbann ſtrömten die Schaaren.

4.

Horch, von den Dünen, Horch, aus dem Tann

240

Wogen die kühnen Sachſen heran: Rieſige Streiter, Röthlichen Barts, Frieſiſche Reiter, Jäger vom Harz.

Blitzend im blanken Panzergeſchmeid Folgen die Franken Freudig zum Streit; Helmbüſche winken, Fahnen im Flug; Pauken und Zinken Führen den Zug.

Siehſt du den Leuen Dort im Panier? Hörſt du es dräuen: Bayern allhier! Trutzig und bieder Schreiten ſie hin, Eiſern die Glieder, Eiſern der Sinn.

Horch und im taufend- Stimmigen Chor Jubelt es brauſend: Schwaben empor!

241

Adliche Degen, Städtiſche Macht, Singend entgegen Zieh'n ſie der Schlacht.

5.

Ins Lager nun zum Kampf geſchmückt Sind die Geſchwader eingerückt,

Und vor dem Zelt des Kaiſers weht Das Banner, drin der Engel ſteht.

Doch drüben, wo das breite Feld

Des Halbmonds Sichel trüb erhellt, Liegt, zahllos wie der Sand am Meer, Ein Drachenknäul, das Ungarheer.

Da wühlt und wimmelt Hauf an Hauf, Vieltauſend Feuer flackern auf, Unheimlich durch den rothen Dampf Dröhnt Erzgeklirr und Hufgeſtampf.

Roßſchweife flattern wild und fremd, Der Stierhelm gleißt, das Schuppenhemd, In Schädelbechern kreiſt der Wein, Und gelle Lieder ſchallen drein: Geibel, Spätherbſtblätter. 16

1 2 1

Geſang der Ungarn.

Bei Wetters Gluten

Sind wir gezeugt;

Die Milch der Stuten

Hat uns geſäugt;

Wie Blitz drum zücken

Wir durch die Welt,

Und Roſſes Rücken

Iſt unſer Zelt. Hohuſſa, das rauchende Land zu durchſtürmen, Das Mahl für die Geyer und Wölfe zu thürmen, Das iſt's was den Söhnen der Steppe gefällt!

Glückflammend iſt heute

Das Opfer vollbracht;

Unendliche Beute

Verheißt uns die Schlacht;

Mit Roß denn und Wagen

Noch einmal ins Feld!

Zum tödtlichen Jagen

Die Köcher beſtellt! Hohuſſa, die Schwerter, die krummen, geſchliffen! Wir packen die Krone mit blutigen Griffen Und morgen gehört uns die zitternde Welt.

Chor der Prieſter.

Der du einſt mit Donnerkrachen Dich zum Abgrund niederſchwangſt, Und die Wuth des Höllendrachen Mit dem Flammenſchwert bezwangſt, Komm vor unſrem Heer zu ſchreiten, Deutſcher Waffen Kampfgeſell!

Fürſt des Lichtes, hilf uns ſtreiten, Hilf uns ſiegen, Michael!

8.

Geſang des deutſchen Heeres.

So ſchwören wir, getreuen Muths In Kampf und Todeswehen Bis auf den letzten Tropfen Bluts Für Einen Mann zu ſtehen; Aus Weſt und Oſt, aus Süd und Nord, Deutſchland heißt das Looſungswort, Hie deutſches Reich für immer!

Wir fragen nichts nach Ruhm und Glanz, Die ſind gar bald verdorben;

Uns hat die Noth des Vaterlands,

Die harte Noth geworben.

244 Für Weib und Kind, für Haus und Heerd Zückten wir das ſcharfe Schwert, Zu ſiegen oder zu ſterben.

Komm an denn, Feind, wenn deutſches Mark Zu ſpüren dich gelüſtet! Hie ſteht ein Volk in Eintracht ſtark, In Gottes Kraft gerüſtet. Schmettre Kriegspoſaunenklang! Brauſe, brauſe Schlachtgeſang. Hie deutſches Reich für immer!

Lieder

aus einem Singſpiele: Der Rattenfänger von Bacharach.

F. Lied des Rattenfängers.

Ich kenn' eine Weiſe, Und ſtimm' ich mein Rohr, Da ſpitzen die Mäuſe, Die Ratten das Ohr; Sie kommen geſprungen, Als ging' es zum Feſt, Die alten, die jungen ;, Aus jeglichem Neſt; Aus Ritzen und Pfützen, aus Keller und Dach Da hüpft es und ſchlüpft es und wimmelt mir nach.

Und greif' ich mit Schalle Den Triller dazu,

So ſchaaren ſich alle Gehorſam im Nu.

246

Sie lüpfen, vom Zauber

Der Töne gepackt,

Die Schwänzelein ſauber,

Und ſpringen im Takt. Sie ſpringen und ſchwingen ſich hinter mir drein, Und munter hinunter zum ſtrudelnden Rhein.

Und blaſ' ich dann tiefer

Die Fuge zum Schluß,

Da rennt das Geziefer

Wie toll in den Fluß;

Da rettet kein Schnaufen,

Kein Zappeln ſie mehr,

Sie müſſen erſaufen

Wie Pharaos Heer; Die Welle verſchlingt ſie mit Saus und mit Braus, Dann ſchwing' ich den Hut und das Elend iſt aus.

Hedwigs Lied,

Mein Falk hat ſich verflogen, Verflogen über Feld; Mein Schatz iſt fortgezogen In die weite, weite Welt. Nun geht das dritte Jahr dahin, Daß ich in Sorgen harr' auf ihn, Und frohthun muß mit Schmerzen Im Herzen.

Ach, Liebſter, weh thut Scheiden Ins fremde Land hinaus, Doch bittrer iſt das Meiden Daheim im öden Haus. Von früh bis ſpät den ganzen Tag Denk' ich, wie dir's ergehen mag, Und ſitze Nachts alleine Und weine.

248

Der Frühling kommt gegangen, Kaum ſeh' ich's, wie er blüht; In Bangen und Verlangen Verzehrt ſich mein Gemüth. O komm und bringe Troſt und Glück Und bring mir meine Ruh zurück! Der Frühling kommt zum Walde Komm balde!

249

Lockruf.

Ihr Jungfrau'n, ihr ſüßen, Nun ſchürzet euch ſacht, Den Frühling zu grüßen In wonniger Nacht.

Hört ihr ihn ziehn in den Lüften? Melodiſch leiſ' Den Zauberkreis

Webt er aus Tönen und Düften.

Schlummerlos rinnt

Des Brunnens Geſchwätz,

Der Vollmond ſpinnt

Sein ſilbernes Netz, Die Nachtigall ſingt in den Zweigen.

Ihr Lockruf ſchallt:

„In den Wald! In den Wald! In den blühenden Wald zum Reigen!“

250

In Sehnſuchtsträumen, Im dumpfen Haus Was wollt ihr ſäumen? Hinaus! Hinaus

In des Mai's hochzeitliche Feier Wo die Blumen ſich ſacht Aufthun in der Nacht,

Lüftet die Liebe den Schleier.

4.

Schlußchor.

Nun bringt mit Schall das volle Faß Hervor aus Kellerstiefen, Und laßt ins grüne Römerglas Sein flüſſig Feuer triefen! Wir haben Tag' und Monde lang In dürrer Pein gelegen; Willkommen denn im Ueberſchwang, Willkommen goldner Segen! Wein! Wein! Wein!

Du Tröſter ohne Gleichen,

Du thuſt dich kund an Herz und Mund

Mit Wundern und mit Zeichen.

Die Fledermaus, die unſern Sinn Geſchreckt mit böſen Träumen,

Die ſchwarze Sorge fährt dahin,

Sobald die Becher ſchäumen.

Der Baum des Lebens blüht und laubt Von friſchem Saft durchdrungen,

Und wer noch jüngſt ſich ſtumm geglaubt, Der jauchzt in hellen Zungen.

252

Wein! Wein! Wein! Du Tröſter ohne Gleichen, Du thuſt dich kund an Herz und Mund Mit Wundern und mit Zeichen.

Wir führten heut mit Jubellaut Ein treues Paar zuſammen; Wie Maienroſen glüht die Braut, Die Jünglings Blick wie Flammen. Doch ſelbſt Frau Minne tritt zurück Vor deinem Freudenſchwalle; Für Zwei nur iſt der Liebe Glück, Das Trinken iſt für Alle. Wein! Wein! Wein!

Du Tröſter ohne Gleichen,

Du thuſt dich kund an Herz und Mund

Mit Wundern und mit Zeichen!

253

Helena. Lieder ans einer Novelle.

12

Bei der Winterlampe Schimmer

Wie ein Siedler eingeſchloſſen

Ueberm Bücherſtaub verdroſſen

Brütet' ich im öden Zimmer.

Nichts mehr hofft' ich von der Stunden Freudlos abgemeſſ'nem Flug;

Ach, es war mir längſt entſchwunden, Daß die Welt einſt Roſen trug.

Horch, da rauſcht' es auf den Stufen Wie von leichten Götterſchritten, Horch, da pocht' es an mit Sitten Und ich hab' Herein! gerufen.

Aber jählings, glanzerſchrocken, Sprachlos taumelt' ich zurück;

Denn, den Kranz in reichen Locken, Stand in meiner Thür das Glück.

254

2.

Jüngling mit dem goldnen Bogen, Schöner Gott der Poeſie, Oftmals warſt du mir gewogen, Doch ſo dankt' ich's dir noch nie.

Denn in nie gehofften Flammen Führteſt du aus öder Nacht,

Hoher, mich mit ihr zuſammen, Die mich jung und ſelig macht.

Hat ein Mitleid ohne Gleichen Dein olympiſch Herz bewegt,

Daß du plötzlich dieſen reichen Schatz in meinen Arm gelegt?

Oder haſt du nur in Eile,

Eh die Senne dir entrauſcht, Deinen Pfeil mit Eros Pfeile, Ach, zu meinem Glück vertauſcht?

3.

Nun haſt du, Flüchtling, uns verlaſſen Und Licht und Luſt floh mit dahin: Verwaiſt im Nebel ruhn die Gaſſen Und kaum begreif' ich, wo ich bin.

1 OT O

Bedeutungslos erſchallt der Menge Geſchäft'ger Lärm zu mir empor; Was weiß ich von des Tags Gedränge? Ich weiß nur, daß ich dich verlor.

Und flücht' ich Abends zu den Brettern, Die mir dein Zauber jüngſt beſeelt, Ach, klanglos ſtehn ſie, von den Göttern Verlaſſen, da die Prieſt'rin fehlt.

Da rettet ſich der Schmerz nach innen, Und wie die müde Wimper fiel, Beginnt vor halb entſchlaf'nen Sinnen Erinn'rung ihr phantaſtiſch Spiel.

All die Geſtalten ſeh' ich wieder,

Drin du dich wechſelnd offenbart,

Den Blick, den Gang, den Schwung der Gieder, Den ſüßen Leib, der Sprache ward.

Bethörend dringt zu meinen Ohren Die Stimme wieder, deren Klang, Aus wildbewegter Bruſt geboren, Die ganze Seele mir bezwang.

So ſchleicht in ſchattenhaftem Sehnen

Die Nacht mir, die kein Schlummer kürzt, Bis endlich wild ein Strom von Thränen Erleichternd aus den Augen ſtürzt.

256

O hätt' ich niemals koſten dürfen

Vom Kelch, der mir mein Selbſt entrafft! Nur Poeſie dacht' ich zu ſchlürfen,

Und trank das Gift der Leidenſchaft.

4.

Wenn der Schönheit goldner Pfeil Mitten dich ins Herz getroffen, Konnteſt du ein größer Heil, Froh verjüngter, jemals hoffen?

Was verlangſt du nach Beſitz? Lern' auf ſo viel Glück entbehren! War doch Seligkeit der Blitz, Deſſen Flammen dich verzehren.

5.

Endlich hab' ich's überwunden, Was ſo wild in mir geglüht, Und die goldnen Frühlingsſtunden Grüßt geläutert mein Gemüth.

257

Doch im freigewordnen Buſen Blieb dein Weſen mir geprägt Heiter, wie das Bild der Muſen, Das mich ſchöpferiſch bewegt.

All mein Tag gehört dem Werke Wieder und die Nacht der Ruh, Doch es quoll mir junge Stärke Aus der Bruſt Gewittern zu.

Und ſo dank' ich dir und lerne Fromm den Götterſchluß verſtehn, Der dich mir gleich einem Sterne Aufgehn ließ, und untergehn.

Ach, und doch in manchen Stunden Sehnt wie nach verlor'nem Glück Sich dies Herz nach ſeinen Wunden, Nach der ſüßen Qual zurück.

Geibel, Spätherbſtblätter. 1

Nach Vindar.

Viel zu können von Natur

Iſt der Vorzug hoher Geiſter; Seinen Maßſtab nimmt der Meiſter Aus der eignen Fülle nur.

Doch der Krittler eitle Schaar Hat von je mit Rabenſtimme Angekrächzt in hohlem Grimme Wider Zeus erlauchten Aar.

. ͤKͤÜ ——

Diſtichen

aus dem Wintertagebnche.

ii safır

1

* A

aM

1 uf

* f

> Kr

1 4 Nes

8 Jachten

5

. 4

fr

1:

Ueber die Fluren dahin im Schneeſturm wandelt der Winter, Mit eintönigem Weiß deckt er die Farben des Jahrs; Statt der Roſen im Garten erblühn Eisblumen am Fenſter, Und am Herde den Platz räumt der Betrachtung das Lied.

Nicht die Empfindung allein, auch was in ernſter Er— fahrung Ihn das Leben gelehrt, ſpreche der Lyriker aus, Aber am Herzen gereift zum Herzen rede die Weisheit, Aber im Strom des Gefühls ſei der Gedanke gelöst.

Wie aus Jupiters Stirn einſt Pallas Athene, ſo ſprang aus Bismarcks Haupte das Reich waffengerüſtet hervor. Thu es der Göttin gleich, Germania! Pflanze den Oel— baum, Sei dem Gedanken ein Hort, bleibe gewaffnet, wie ſie!

262

Ruhig, ſicher und feſt, wie das Himmelsgewölbe der Atlas, Auf der Schulter von Erz trägſt du die Säulen des

Reichs. Möge der Tag fern ſein, der einſt von der Bürde dich abruft,

Denn kein Zweiter fürwahr lebt, der fie trüge, wie du.

263

II.

Ins Unendliche ſtrebt ſich die Bildung der Zeit zu erweitern, Aber dem breiteren Strom droht die Verflachung bereits.

Fülle die Jugend mit würdigem Stoff und in froher Be— geiſtrung Lehre ſie glühn! Die Kritik kommt mit den Jahren von ſelbſt.

Immer behalte getreu vor Augen das Höchſte, doch heute Strebe nach dem, was heut du zu erreichen vermagſt.

Nicht wer Staatstheorien docirt, ein Politiker iſt nur Wer im gegebenen Fall richtig das Mögliche ſchafft.

Stets zu Schwärmen geſellt ſich das Volk der geſchwätzigen Staare, Einſam ſucht ſich der Aar über den Wolken die Bahn.

Beſter, du Haft ein Gemiffen für das, was ſittlich und wahr iſt, Warum fehlt es dir, ach, nur für das Schöne ſo ganz?

Nicht bloß wer im Gemüth abſtreifte den Zügel der Sitte, Wer ſich des Häßlichen nicht ſchämt, er iſt auch ein Barbar.

Eile mit Weile! Den Kahn erſt lerne zu ſteuern im Hafen, Eh zur Entdeckungsfahrt mächtige Segel du ſpannſt.

Stolz und ſchweigend enthüllt ſein Werk uns der Meiſter; im eitlen Selbſtlob birgt ein Gefühl heimlicher Schwäche ſich nur.

Tiefer erſcheint trübſtrömende Flut, durchſichtige flacher, Aber das Senkblei lehrt oft, daß dich beides getäuſcht.

Iſt denn die Blume nur da zum Zergliedern? Weh dem Geſchlechte, Das, anſtatt ſich zu freu'n, jegliche Freude zerdenkt!

Thorheit bleibt's, im Geſang um den Preis der Geſchichte zu ringen, Doch der poetiſche Stoff kann ein hiſtoriſcher ſein.

Freilich für ein Gedicht iſt Schönheit immer das Höchſte, Nur nicht jeglicher Zeit Höchſtes ein ſchönes Gedicht.

Ward dir Großes verſagt, ſo übe die Kunſt an beſcheid'nen Stoffen und ſtrebe mit Ernſt, Meiſter im Kleinen zu ſein.

In dem kaſtaliſchen Born, dem begeiſternden, ſprudelt ein Tropfen Lethe; jeglichen Schmerz dämpft er, ſo lange du ſingſt.

266

III.

Ueber die zackigen Giebel der Stadt hängt brütender Nebel Düſter herab, es erſchließt kaum noch die Wimpern der ' Tag. Drunten, gedämpft von Schnee, wogt ſacht das Getriebe der Gaſſe. Nur undeutlich herauf dringt der verſchleierte Laut. Selbſt die metallene Stimme des Thurms ruft heiſer die Stunden, Stockend, als ſchickte die Zeit ſtille zu ſtehen ſich an. Trauriges Zwielicht rings! Auf Knab' und entzünde die Lampe! Kommt ihr Bücher, die Welt dunkelt, ſo flücht' ich zu euch. Dich heut wähl' ich vor allen, Horaz; mit lächelnder

Weisheit Haſt du des Trübſinns Bann oft mir gelöst, wie ein Freund. Größere kenn' ich, als dich; doch gerecht für jegliche Stimmung,

Wie du den Knaben erfreut, bliebſt du dem Alten getreu.

Wie dem parnaſſiſchen Fels zwei Häupter entragen, ſo gipfeln Ueber dem Epos Homers Lyrik und Drama ſich auf.

267

Ob dich Viele geſchmäht, Euripides, neben den Beten Sei mir im bakchiſchen Kranz, mächtig Erregter, gegrüßt.

Preiſ' ich gewaltiger Aeſchylus auch und Sophokles ſchöner: Dein Zeitalter des Kampfs ſpiegelte Keiner, wie du.

Nimmer gelingt's dir, Freund, uns Pindars Lied zu beleben, Wie's in Olympias Hain einſt die Hellenen ergriff. Zwar wir erbau'n uns noch heut an dem Tiefſinn ſeiner Gedanken, Spüren des Fittichs Schwung, der den Begeiſterten trug, Ahnen die Rhythmengewalt der ſich kühn aufthürmenden Worte, Aber der reine Genuß bleibt uns auf ewig verſagt. Was ein lebendiger Schatz ihm war und ein Born der Empfindung, Ward zum dunklen Geweb froſtiger Namen für uns; Pflückt' er doch ſeinen Geſang vom blühenden Baume des Mythus, Und kein forſchender Fleiß weckt den erſtorbenen auf.

Milton däucht mir der Briten Poet; der gewaltige Shak— ſpeare Iſt der germaniſchen Welt eigen, ſo weit ſie ſich dehnt.

268

Wollt ihr den Sänger Armins mir troſtlos ſchelten und bitter? Scheltet die bittere Zeit, welche das Lied ihn gelehrt. Gern als erquickender Thau auf Lilien wär' es gefallen Aber ins dürre Gezweig ſchlug es als Hagelgewölk.

Gern auch koſt' ich einmal von Byrons heißem Gewürztrank, Aber den täglichen Krug reiche mir Vater Homer.

Nennt Epigonen uns immer! Ein Thor nur ſchämt ſich des Namens, Der an die Pflicht ihn mahnt, würdig der Väter zu ſein.

269

IN.

Einſam trauert Apoll. Wann denkt noch ſeiner ein Jüng— ling? N Heute beherrſcht den Parnaß Plutus, der blendende Gott; Siehe mit Schaufel und Karſt, kaliforniſche Minen zu wühlen, f Nach dem entheiligten Berg ziehn ſie begehrlich hinaus.

Deutſche Muſe, du weinſt? „Einſt war ich die Tochter des Himmels Eueren Dichtern; ein Feſt bracht' ich, ſobald ich erſchien. Jetzt im Gewande der Magd, auf der Stirn unwürdige Tropfen, Muß ich um ſchnöden Gewinn fröhnen im Qualm der Fabrik.“

Aus dem Tempel der Kunſt wann geißelt ein anderer | Leſſing Zürnend wieder den Schwarm feilſchender Krämer hinaus? Nicht um die Gunſt mehr frei'n ſie der Muſe, ſie frei'n um die Mitgift, Und im gemeinen Erwerb ſtirbt das entweihte Talent.

270

Neue Theater zu bau'n, ftet3 zeigt ihr euch willig und ſchmückt ſie Prächtig von außen und ſtellt eure Poeten davor; Aber im Inneren bleibt's, wie es war, und der prunkende Becher Wird mit ſchalem Getränk heute wie geſtern gefüllt. Sorgt doch lieber für edleren Wein! Wir würden mit beſſer'm Dank ihn ſchlürfen, und wär's aus dem beſcheidenſten Krug.

Seit der Gewinnantheil euch zufiel, treibt ihr das Dichten Nur als Geſchäft noch und bringt was dem Philiſter behagt: Poſſen und ſchlüpfrige Späße, verſetzt mit moraliſcher Rührung, Oder auf Stelzen dahin klappernde dürre Tendenz. Freilich, der Caſſe gedeiht's, und ihr ſchafft euch jedes Behagen, Aber ein Lorbeerblatt trägt das Gewerbe nicht ein.

Laßt vom barbariſchen Brauch und ruft zu der tragiſchen Muſe

Feſtlich geſchmückten Altar wieder die Schweſter herein!

Von dem Gewühle des Tags zu Melpomenes reinen Geſtalten

Kann euch die Brücke von Gold nur Polyhymnia bau'n.

271

Wie der Gewaltigſte ſelbſt im Kampf mit den Mächten des Schickſals Hinſinkt, wenn er, vom Pfad irrend, in Schuld ſich verſtrickt, Zeigt die Tragödie dir und erſchüttert in Furcht dich und Mitleid, Weil der Verirrung auch du fähig dich fühlſt und der Schuld.

Könige führ' uns der Tragiker vor und vergangene Zeiten, Doch der Komöde das Volk, wie es ſich heute gebahrt.

Tief zu erſchüttern vermag uns ein bürgerlich Drama, doch bleibt ihm

Eines verſagt: das Gemüth wieder vom Druck zu befrei'n,

Weil uns die Nähe des Stoffs zudringlich beklemmt und im engen

Kreiſe dem Helden der Raum fehlt zu erhabenem Fall.

Wenn aus vergangener Zeit ein Geſchick uns der tragiſche | Dichter Vorführt, form' er den Stoff frei, wie die Muſe gebeut. Lebt in ſich ſelber das Werk, ſo mag's der hiſtoriſche Krittler Immer bemängeln, der Kunſt hat es Genüge gethan.

272

Epiſch ift fertige That, der Dramatiker zeigt den Ent- ſchluß uns, Wie er im Kampfe der Bruſt reift und zur Handlung erwächst.

Zweifelt ſo lang' ihr entwerft, doch mitten im Guſſe des Kunſtwerks Denkt an den Spruch der Kritik, denkt an das Publikum nicht!

Nicht bloß ſtrömende Fülle, den Genius zeigt die Geduld auch, Die, wenn karger der Strom flutet, zu warten verſteht.

Wollt ihr Schätze gewinnen und Macht, ſo thut euch zu— ſammen, Aber das Schöne gelingt ewig dem Einzelnen nur.

Irre die Muthigen nicht. Oft glückt leichtblütiger Jugend Was bei gediegener Kraft zweifelnd das Alter nicht wagt.

Bringt mir das Luſtſpiel nichts, als ein geiſtlos Bild des gemeinen Lebens, was brauch' ich darum erſt ins Theater zu gehn?

273

Weichliche Rührung erſchlafft das Gemüth; die Erſchütte— rung ſtählt es, Aber die ſinkende Kunſt badet in Thränen ſich gern.

Züchtig und klar iſt die Kunſt; ihr ſucht ſie im Rauſche der Sinne; Wenn euch der Schwindel ergreift, glaubt ihr begeiſtert zu ſein.

Weil dir die Nerven der Duft aufſtachelt des ſpaniſchen Pfeffers,

Trägt er deswegen den Sieg über die Roſe davon?

Ob dich ein Genius führt, nicht weiß ich's, aber ein Dämon Hat dich die Schwächen der Zeit meiſterlich nutzen gelehrt.

Wer den beklemmenden Dunſt im Gewächshaus lange geſogen, Athmet erquickt tief auf, tritt er hinaus in den Mai: Alſo athmet' ich auf vom Druck muſikaliſcher Stickluft, Als du, Figaro, jüngſt wieder vorüber mir zogſt.

Geibel, Spätherbſtblätter. 18

.

Sei mir gegrüßt, o klingender Froſt, du bringſt uns die Sonne Wieder zurück; tiefklar wölbt ſich das ſchimmernde Blau; Siehe, da drängt ſich die Jugend hinab zur ſpiegelnden Eisbahn, Welche des Nordwinds Hauch über der Tiefe gebaut. Auf der gediegenen Flut welch buntes Gewimmel! Es wiegt ſich Weithin kreiſend die Schaar auf dem beflügelten Stahl. Wie ſie ſich ſuchen und fliehn! Hell flattern die Schleier der Mädchen, Wo ſich die Lieblichſte zeigt, ſtürmen die Jünglinge nach. Zaghaft, nahe dem Ufer verſucht ſich der Mindergeübte, Doch in die Weite des See's lockt es den Meiſter hinaus.

Ueber dem Spiegel von Eis am Hang lehnt ſitzend ein ſchlankes Mädchen, ſie hat das Gewand eben zum Laufe geſchürzt. Vor ihr knie't dienſtfertig ein Knab' und mit glücklichem Lächeln Schnürt er den blanken Kothurn ihr an den zierlichen Fuß. Welch anmuthiges Bild, wie ſie freundlich zu ihm ſich herabneigt, Daß ihr Odem das Haar ſanft ihm, das lockige, ſtreift,

275

Während er treu ſich bemüht, kunſtmäßig die Riemen zu ſchlingen Und den gehobenen Fuß faſt mit den Lippen berührt. Zögernd wend' ich mich ab und gedenk' im erinnernden Herzen, Wie ich den reizenden Dienſt einſt Meluſinen gethan.

In das verſchneite Gefild mit ſtattlich befiederten Rappen Fliegt, von Schellengeläut klingend, ein Schlitten hinaus. Weithin blitzt das Metall des Geſchirrs und die Vließe der Pardel, Prächtig mit Purpur geſäumt, bläh'n ſich gehoben im Wind. Aber die Jungfrau ſchmiegt an den Freund ſich mit bren— nenden Wangen, Der das erleſ'ne Geſpann kräftig und ſicher beherrſcht. Eros flattert den Roſſen voraus und im gaſtlichen Forſthaus Für das begünſtigte Paar deckt er den Tiſch am Kamin.

Kahl ſteht jeglicher Strauß, doch läßt uns der Winter die Roſen, Die er der Erde geraubt, feurig am Himmel erblühn. Sieh, welch ſeliger Glanz aus den lodernden Gärten herab— ſtrömt! Ueber das ſilberne Feld flutet ein purpurner Duft, Und der entblätterte Wald, vom Rauhreif zierlich umfiedert, Glüht, in den Schimmer getaucht, roth wie Corallengeäſt.

276

VI.

Nichts iſt ſo ganz mir verhaßt, als verſtimmt hochmüthige | Trägheit;

Wenn dir die Krone gebührt, geh und erob're ſie dir!

Aber vermagſt du es nicht, ſo laß dein Schmollen und Zaudern,

Lern' in beſcheidenem Kreis tüchtig und thätig zu ſein.

Freilich verdammt ihr mit Fug den poetiſchen Dilettan— tismus, Doch noch bedenklicher ſcheint euer politiſcher mir; Denn das Regieren verlangt, wie das Dichten, den Meiſter; es wirkt nur Weiter ein thöricht Geſetz, als ein verfehltes Gedicht.

Unglückſelig Geſchick, daß ſich meiſt in brennendem Ehrgeiz Grade das halbe Talent an das Erhabenſte wagt! Nach der ambroſiſchen Frucht, wie Tantalus, ſtreckt es die | Hand aus,

Aber der Zweig iſt zu hoch, aber der Arm iſt zu kurz.

277

„Beſter, ein Sträußchen für mich!“ Da mäht er den Anger und ſchüttet Unkraut, Blumen und Gras hoch mir vom Karren vor's Haus. Freilich, zum Strauße genügt's. Doch wüßt' ich beſſeren Dank ihm, Hätt' er ſich ſelber und mir leichter die Freude gemacht.

Nicht zu früh mit der Koſt buntſcheckigen Wiſſens, ihr Lehrer, Nähret den Knaben mir auf; ſelten gedeiht er davon. Kräftigt und übt ihm den Geiſt an wenigen würdigen Stoffen; Euer Beruf iſt erfüllt, wenn er zu lernen gelernt.

Königin iſt die Geſtalt; ihr dient anmuthig die Farbe, Wie ein köſtliches Kleid ſchöner die Schöne dir zeigt. Aber entferne den Schmuck und ſie mag dich noch immer

bezaubern, Während das leere Gewand jede Bedeutung verliert.

Heut noch ſtöbert der Schnee, wie geſtern; aber es weht mir Still durch's tiefſte Gemüth Ahnung des Lenzes dahin.

Wem verdank' ich das ſüße Gefühl? Seid ihr's, Hya—

cinthen, Die ihr am Fenſter den Kelch träumeriſch duftend er— ſchließt? Iſt's mein Töchterchen dort im Gemach, das, leiſe zur Arbeit

Singend, mich an das Geſchwirr ſteigender Lerchen gemahnt?

VEL

Was Empedokles einſt mich gelehrt, hier leg’ ich es nieder, Wie ich's im eignen Gemüth häufig erwogen behielt: Wandlung iſt das Geheimniß der Welt. In ſteter Entfaltung

Unabſehlich geſtuft bildet das Leben ſich aus. Unter den gröberen Stoffen gebunden zugleich und behütet Dehnt ſich der edlere Keim ſtill zur Befreiung empor. Alſo ſchläft in der Schale des Ei's das geflügelte Vöglein, So in der Puppe Gehäus reift ſich der Schmetterling aus. Und ſo tragen auch wir umhüllt vom irdiſchen Körper Schon im Innern den Keim eines veredelten Leibs, Jenen ätheriſchen Strom, der, über die Nerven ergoſſen, Flüſſig, empfindlich und zart jegliches Glied uns durch— dringt. Dieſer, ſobald in den Staub die verwesliche Hülle zurück— ſinkt, Strömt mit dem ewigen Theil von der erkaltenden aus, Und nach außen gekehrt, zur Geſtalt ſich formend, um— ſchließt er Mit durchſichtigem Kleid leicht den unſterblichen Geiſt, Körperlich zwar, doch zarteſten Stoffs, unfaßlich dem Auge, Nur im Schauder vielleicht noch von den Sinnen erkannt. Aber das Neue geleitet alsdann ein verborgener Rathſchluß Auf vielſtufigem Pfad neuen Entfaltungen zu.

VIII.

Nicht, wie die Mumie ſei, dem Phönix gleiche die Kirche, Der ſich den Holzſtoß ſelbſt thürmt, wenn die Kraft 6 | ihm erlahmt. Freudig dem ſterblichen Leib, den gealterten, gibt er den Flammen, Weiß er doch, daß ihn die Glut jugendlich wiedergebiert.

Gebt ihr dem Göttlichen irdiſche Form, wie wollt ihr es hindern, Daß ſie das irdiſche Loos alles Vergänglichen theilt? Alternd erſtarrt ſie zuletzt, und im Drucke verkümmert der hohe Inhalt, oder zerſprengt, ſich zu befrei'n, das Gefäß.

Statt ſich des Wiſſens der Welt zu bemächtigen zieht ſich die Kirche Von den Gedanken des Tags weiter und weiter zurück, Lebt in vergangener Zeit und ſpricht in verſchollenen Zungen, Ach, und verwundert ſich dann, daß ſie der Tag nicht verſteht.

281

Stets aufs neue verſucht ihr den Strom im Becher zu faſſen; Was im Gemüth nur lebt, prägt ihr zu ſtarrem Begriff; Religion wird Theologie und Glaube Bekenntniß; Aber die Formel erzeugt täglich erneuerten Zwiſt.

Unſichtbar wie das Waſſer den Baum von der Wurzel zum Gipfel Tränkt, und jeglichem Zweig Blätter und Blüten erweckt, So durchſtröme mit Kraft dein innerſtes Weſen der Glaube, Doch man erkenn' ihn nur an der gezeitigten Frucht.

282

IX.

Spaniſches bringt mir die Poſt? Was ſeh' ich! Die eigenen Lieder Sind's; im caſtiliſchen Vers ſtaunend erkenn' ich mich ſelbſt. Was ich als Jüngling ſang, wie vertraulich zugleich und wie fremd doch Grüßt es mich N und erſcheint friſcher und zier— licher faſt, Wie mein Töchterchen jüngſt, zum Faſchingsballe gerüſtet, In des Zigeunergewands Flittern mir doppelt gefiel.

Harmlos warf ich euch hin, ihr Geſänge der Jugend, und

immer Blieb mir ein Räthſel die Gunſt, die man ſo reich euch gewährt; Denn leichtwiegend erſcheint ihr zumeiſt dem gereifteren Urtheil;

Nur im melodiſchen Hauch ſchwebt ihr gefällig dahin. Aber ich darf mich rühmen, daß nie der Erfolg mich ver— blendet, Daß ich des Kranzes Geſchenk treu zu verdienen geſtrebt.

283

In die Tiefen der Bruſt und des Weltlaufs ſucht' ich zu dringen, Und mit heiligem Ernſt rang ich zum Gipfel der Kunſt. Viel zwar blieb mir verſagt, doch reift' auch Manches im Stillen, Dran ſich ein deutſches Gemüth wohl zu erfreuen vermag, Wenn ich die Räthſel der Zeit und des Herzens im Liede zu deuten, Oder im ernſten Kothurn feſtlich zu ſchreiten gewagt. Und ſo bitt' ich: Verzeiht was wild und jugendlich aufſchoß, Und im wuchernden Laub laßt euch gefallen die Frucht!

Durch's Helldunkel der Nacht hinſchreit' ich am Hafen; die feine Sichel des Halbmonds ſchwebt über den Giebeln der Burg. Rings in der Stadt kein Laut! Nur fern in den Lüften ein Brauſen Hör' ich, und unter dem Eis ſchluchzen die Waſſer des Stroms, i Und im gelinderen Hauch, der plötzlich Wangen und Stirn mir Anrührt, flattert ein Gruß, nahender Frühling, von dir.

Aus dem erwachenden Forſt heimkehrend bringt mir ein holdes Kind Schneeglöckchen zum Feſt, friſch an der Halde gepflückt.

284

O, willkommen im Strauß, ihr Erſtlingskinder der Sonne! Euer gewürziger Hauch duftet wie Jugend mich an, Und, den gemeſſenen Ernſt abſtreifend der Wintergedanken,

Sehnt ſich nach freierem Spiel, vollerem Klange das Herz. Liegt, ihr Glöckchen, denn hier bei dem letzten der Di— ſtichen! Morgen Spann' ich zu Lenzmelodie'n andere Saiten mir auf.

Angendlieder.

(1835 1842.)

Eis bedeckt des Fluſſes Schooß Und am Wald liegt Schneegebreite, Herz, und wieder ruhelos

Treibt es dich hinaus ins Weite?

Ob auch drunten Strom und Au Noch im Kleid des Winters flimmert, Doch mich lockt dies tiefe Blau, Drin's wie goldne Hoffnung ſchimmert,

Doch mich lockt ein leiſer Ton, Der dahinzieht ob den Gründen, Märchenhaft, als wollt' er ſchon Ganz von fern den Lenz verkünden.

288

Es kommt der Wind mit Schall gezogen, Der Wind, in deſſen lauen Wogen ö Die Kraft des Frühlings rauſcht und rinnt; Aus blauen Augen lacht der Morgen,

So fahrt dahin ihr Winterſorgen! Es kommt der Wind, es kommt der Wind!

Nun wird es hell um Berg und Halde, Nun grünt's im Thal, nun laubt's im Walde, Durch Veilchen jauchzend ſpringt der Quell; Kein Buſch, der nicht von Blüten prangte! Und wo ein Herz in Zweifeln bangte,

Nun wird es hell, nun wird es hell!

Haſt du mich lieb? Ich ſchwieg und harrte, Da rings die Welt in Banden ſtarrte, Und jeder Keim gefeſſelt blieb. Doch nun ſich Alles drängt zu Tage, Nun halt' ich's nicht, nun ſprich, nun ſage: Haſt du mich lieb? Haſt du mich lieb?

289

Wenn nur nicht das ſchönſte Mädchen, Das da blüht im ganzen Städtchen, Wohnen wollte juſt am Weg,

Den ich ziehn muß ins Colleg!

Solcher Augen tiefen Schimmer,, Solche Lippen ſah ich nimmer, Solch Gelock von rothem Gold, Wie's um ihre Schultern rollt.

Seh' ich im Vorübergehen

Morgens ſie am Fenſter ſtehen, Ueberläuft's mich, ach, ſo heiß, Daß ich kaum zu grüßen weiß.

Wenn nur dann am ſelben Wege

Nicht die ſtille Schenke läge,

Wo im Gärtlein rebumkränzt

Man den beſten Wein kredenzt! Geibel, Spätherbſtblätter. 19

290

Dort, die Glut mir fortzuſpülen, Such' ich einen Trunk im Kühlen; Doch die Nachtigall vom Baum Singt mich ein in Liebestraum.

Und in ſein Geſpinnſt verſinkend

Trink' ich ſchwärmend, ſchwärm' ich trinkend, Bis es vollends mir entſchwand,

Daß mein Sinn auf Weisheit ſtand.

Der Mond iſt aufgeſtiegen Und ſpiegelt ſich im Rhein, Die ſieben Berge liegen Im matten Silberſchein.

Ich athme traumverſunken Die ſtromgekühlte Luft,

Mein ganzer Sinn iſt trunken Von Rebenblütenduft.

Da kommt aus fernen Tagen Ein Klang in mein Gemüth, Die Wunderwelt der Sagen Erſchließt ſich mir und blüht.

Ich ſeh' am Fels des Drachen Die Jungfrau todgeweiht, Die Streiche hör' ich krachen Des Schwerts, das ſie befreit.

Am Inſelrain im Düſtern Wallt bleich die Nonne hin Und ſeufzt ins Wellenflüſtern Um ihren Paladin. |

292

Und jetzt den Strom hinunter Wer ſchifft im Stahlgewand? Das iſt der König Gunter, Er fährt gen Iſenland.

Da taucht, ihm nachzuſchauen, Im Haar den Binſenkranz, Der Schwarm der Waſſerfrauen Empor im Mondenglanz.

„O König, ſtolz von Sinne, Du weißt nicht was dir droht; Du fährſt hinaus nach Minne Und führeſt heim die Noth!“

Sie ſingen's bang und traurig, Indeß das Scifflein flieht, In tiefſter Seele ſchaurig Nachzittert mir das Lied.

Da dröhnt von Honnef droben Der Schlag der Mitternacht,

Und Alles iſt zerſtoben,

Ich bin vom Traum erwacht.

Doch glüht vom Hauch der Sagen Das Blut mir wie von Wein

Die Nachtigallen ſchlagen,

Der Mond ſcheint in den Rhein.

d Ne) A

Wenn die Nacht mit lindem Rauſchen Durch die Gärten zieht am Platz, Gruß um Gruß noch auszutauſchen Treibt's mich dann zu meinem Schatz.

Ganz von Reblaub überſponnen

Iſt das Haus, darin ſie wohnt, Zwiſchen Blumen ſpringt ein Bronnen, Durch die Linden ſcheint der Mond.

Unterm Fenſter dort verſtohlen Meine Cither ſchlag' ich an, Mit dem Duft der Nachtviolen Schwebt mein Lied zu ihr hinan.

Und ſie kennt mein leiſes Grüßen, Und am Vorhang rauſcht es ſacht, Und ein Strauß fällt mir zu Füßen, „Süßer Freund, hab' gute Nacht!“

Es fteht auf feinem Katheder Der Hofrath und docirt, Der Meiſter, der mit Ruhme Ebraica traktirt.

Rings lauſchen die Studenten Andächtig, wie er ſpricht; Da ſtutzt er, und bedenklich Umwölkt ſich ſein Geſicht.

Hier ſteht ein Aleph, ruft er, Was will das Aleph hier? Wo kommt es her? Vergebens Den Kopf zerbrech' ich mir.

Mit neun und neunzig Gründen Darauf beweiſt er ſcharf, Daß hier bei Leib und Leben Kein Aleph ſtehen darf.

295

Und wer den Text verballhornt, Beſchließt er indignirt,

Hätt' beſſer Schafe gehütet, Als Habakuk edirt.

Er ſchlägt auf's Buch im Zorne, Da ſpringt das Aleph weg Was ihn ſo ſehr verdroſſen

War nur ein Fliegendreck.

296

Dei dem feurigften der Dichter Nichts, als öde Textkritik, Nirgends in die Flammenlichter Seiner Seel' auch nur ein Blick!

Notenkram zu jeder Zeile,

Conjecturen hin und her! Dieſen Kelch der Langenweile Trink' ein Andrer willig leer.

Aus dem ſchönen Alterthume Weht mich hier kein Odem an; Nur die duftlos welke Blume Im Herbar zergliedert man.

Beſſer künftighin dein Weſen

Zu verſtehn in Scherz und Schmerz,

Werd' ich dich beim Weine leſen Statt im Seminar, Properz.

297

Nun ſteigt auf Flügeln Der Abendluft

Von allen Hügeln Des Weinſtocks Duft.

Durch's Spätroth hallet Geläut vom Dom,

Und purpurn wallet Im Thal der Strom.

Und wie dort weſtlich Der Tag verglüht, Dehnt froh und feſtlich Sich mein Gemüth.

Mir klingt im Buſen Ein tiefer Ton Seid hold, ihr Muſen, Dem Muſenſohn!

Mögen die klugen Genoſſen mich läftern, Daß ich den Büchern den Rücken gekehrt! Roſe und Lilie, die reizenden Schweſtern, Lehren mich was mich kein Weiſer gelehrt.

Roſe, die neckiſche, gaukelt im Reigen,

Bunt wie ein Schmetterling flattert ihr Scherz; Lilie, die ernſte, verhüllt ſich in Schweigen, Aber ihr Schweigen bezwingt mir das Herz.

Reizende Schweſtern, nicht kann ich's entſcheiden, Welche von beiden mich höher entzückt,

Aber im holden Verkehr mit euch beiden

Fühl' ich dem Staube mein Leben entrückt.

Schönes zu bilden und Hohes zu wagen Weckt ihr im Spiel mir den freudigen Drang; Was ich in dämmernder Seele getragen

Wird zur Geſtalt und erklingt als Geſang.

Dichtend den Knoten verworrener Looſe Lehrt ihr mich ſchlichten in heiterer Ruh; Sei mir Thalia, bezaubernde Roſe! | Sei mir Melpomene, Lilie du!

Und rennt die Welt nah Gut und Geld, Mir will nur eins behagen: Im Lebensdrang bei Sang und Klang

Mich friſch hindurchzuſchlagen.

Wohl führt der Pfad, den ich betrat, Durch Kampf und Dornenhecken, Doch ächten Muth und Jugendglut Darf kein Beſchwerniß ſchrecken.

Und rückt ihr Mann für Mann heran Mit Stangen und mit Netzen:

Ihr ſollt mich doch in euer Joch Nicht, ihr Philiſter, hetzen.

Und wie du nickſt und ſchelmiſch blickſt Mit zärtlichem Begehren:

Du ſollſt das Haar mir nimmerdar, O Delila, beſcheeren.

Mich lockt kein Glück ins Thal zurück; Auf hohen Bergeszinnen

Da wächſt als Preis ein grünes Reis, Das Reis muß ich gewinnen.

Wieder fteht die Welt in Blüten Und die Rebe ſchwillt am Fluß. Nun ade gelahrtes Brüten!

Nun ade Horatius!

Soll ich nur lateiniſch immer

Leſen, daß man dichten kann?

Nein, auf deutſch im Frühlingsſchimmer Stimm' ich ſelbſt ein Lied mir an.

Singend wandern, wandernd ſingen Will ich nach Studentenbrauch; Zwiſchen Rolandseck und Bingen Spannt Apoll den Bogen auch.

Wo vom Berg die Burgen ſchauen, Wo die Lurley harft von fern, Miſſ' ich Tiburs Blütenauen

Und Banduſias Nymphe gern.

Und im abendrothen Städtchen

Am Kredenztiſch weiß wie Schnee Lacht und ſchwatzt das Schenkenmädchen Ganz ſo ſüß, wie Lalage.

301 Wenn dann voll die Römer blinken Sing' ich mit des Alten Wort: „Heut, ihr Brüder, gilt's zu trinken, Morgen trägt die Flut uns fort.“

Zwar es flattert auf moderner Schwinge nur mein leichter Reim, Doch wir tauſchen für Falerner Nicht den Saft von Rüdesheim.

Als der Liebſten Gruß und Kuß Täglich neu mir blühte, Stumm des Lebens Ueberfluß Trug ich im Gemüthe.

Niemals wollte mir ein Lied Ihr zum Preis gelingen;

Erſt ſeitdem ſie von mir ſchied, Lehrt das Leid mich ſingen.

0 oO ww

Neben dem Pfad aus den blühenden Bäumen

Winkt mir von ſchwarzen Cypreſſen ein Hain,

Unter den Schatten zu ruhn und zu träumen; Gräber umſäumen,

Sinkende Kreuze den mooſigen Rain.

Friede mit euch, die geſchieden vom Tage, Der mich mit Schmerz noch und Hoffnung durchglüht! Nimmer, ihr Stillen, bedürft ihr der Klage, Aber die Frage Weckt ihr, die alte, mir tief im Gemüth:

Folgte von dem, was ihr liebend beſeſſen,

Euch ein Erinnern zur Stätte der Ruh?

Habt ihr im Säuſeln der ſchwarzen Cypreſſen Alles vergeſſen,

Laſt ſo wie Luſt, und die Liebe dazu?

Seit zum Jüngling ich erſtand Aus der Kindheit Traume, Dir gehör' ich, Vaterland, Wie das Blatt dem Baume.

Meines Weſens Eigenbild Haſt du mir gegeben,

Und aus deiner Wurzel quillt Fort und fort mein Leben.

Was aus deiner Zweige Nacht Spricht in Geiſterzungen, Das nur hält mit ſtiller Macht Mein Gemüth bezwungen.

Und wieviel im Waldrevier Auch der Stimmen ſchallen, Stets am ſchönſten ſingen mir Deine Nachtigallen.

Wenn dein Wipfel himmelwärts Rauſcht in Thau und Sonne, Schauert leiſe durch mein Herz Ein Gefühl der Wonne;

305 Aber wenn im Sturmgetos Deine Zweige ſchwanken, Schwankt es mit in ruhelos Sorgenden Gedanken.

Nie den Spalt in deinem Schaft, Der durch Mark und Rinden Unvernarbt noch immer klafft, Lernt' ich zu verwinden.

Doch der Hoffnung auch entſagt Meine Seele nimmer,

Daß dereinſt ein Morgen tagt, Der ihn ſchließt für immer.

* Geibel, Spätherbſtblättec. 20

Nichtig wären meine Ziele,

Weil ich Dein, o Muſe, bin?

Ach, es ahnt im ſüßen Spiele Nie die Welt den ernſten Sinn.

Sei getroſt nur, Herz, und ſinge Deinen Reichthum, ſing' ihn kühn! Daß die Blume Samen bringe, Sprich, was kann ſie thun, als blühn?

307

Durch die Wipfel, durch die Matten Klingt's von Frühlingsmelodien, Haſtig wechſeln Licht und Schatten, Wie im Wind die Wolken ziehn.

Haſtig wechſeln Luſt und Bangen In der Bruſt mir fort und fort, Und ein räthjelhfft Verlangen

Treibt mich um von Ort zu Ort.

In die Saiten wollt' ich greifen, Doch mir glückt kein ruhig Spiel, Raſtlos ſuchend muß ich ſchweifen, Ach, und weiß von keinem Ziel.

Iſt's der Nachtigallen Schlagen Was mir ſo verwirrt den Sinn? Oder zieht im Taubenwagen Durch die Luft Frau Venus hin?

308

In Blüten prangt der Apfelbaum? Es duftet der Hollunder,

Mir iſt, als wandelt' ich im Traum In dieſer Zeit der Wunder.

O Waldesgrün, o Sonnenlicht, Wie iſt mir denn geſchehen! Ich hab' ein roſig Angeſicht Im Frühlingsglanz geſehen.

Ihr dunkles Auge lacht ſo ſüß

Aus güldnen Lockenringen.

Gott grüß, du ſchöner Stern, Gott grüß! Nichts andres kann ich ſingen.

Und ſteigſt du nimmer, ſchöner Stern, Herab um meinetwillen,

Ich ſchau dich ſelig an von fern

Und ſegne dich im Stillen.

So viel es Blüten ſchneien mag, So viel es Tropfen regnet

Von Oſtern bis Johannistag, So vielmal ſei geſegnet!

309

Wieder hab' ich fie geſehen

Und gefangen bin ich ganz;

Ach, wer rühmte ſich, dem Glanz Dieſes Blicks zu widerſtehen?

Dieſes Mundes reine Blüte Wen bezauberte ſie nicht?

Was ſie redet iſt Gedicht,

Was ſie lächelt Huld und Güte.

Mit der Anmuth Zauberſtabe Pocht ſie an die Geiſter an, Und den Schatz, den er gewann, Bringt ihr jeder froh zur Gabe.

Und doch ſchmückt ihr Thun daneben Solcher Majeſtät ein Zug,

Daß kein Wunſch in kühnem Flug Wagt zu ihr emporzuſtreben. Einer guten Fey vergleichbar Wandelt ſie mit freiem Sinn Allen zum Entzücken bin,

Ach und Allen unerreichbar.

310

Ein blau Geheimniß iſt dein Blick, Ein rothes Räthſel ſchweigt dein Mund; Mir träumt ſo ſüß von nahem Glück, Mir bangt ſo ſchwer im Herzensgrund.

Ich ſorg' und frag' um mein Geſchick, Doch keine Antwort wird mir kund, Ein blau Geheimniß bleibt dein Blick. Ein rothes Räthſel ſchweigt dein Mund.

sll

Träume, die im morgenrothen Dufte flattern leichtbeſchwingt, Sind dem Dichter Götterboten, Deren Mund Verheißung ſingt.

Heute durch den Blumenzwinger Sah ich dich im Traume gehn; Sinnend mit erhobnem Finger

Bei den Roſen bliebſt du ſtehn;

Pflückteſt endlich aus den Zweigen Zwei der ſchönſten Knospen dir, Nahmſt die rothe dir zu eigen, Doch die weiße gabſt du mir.

Und jo hoff’ ich ſtill, mir blühe Insgeheim ſchon deine Huld; Rothe Roſe ſagt: ich glühe, Weiße Roſe ſpricht: Geduld!

312

Der Mond ift längſt hinunter; Schon dämmert's im Gemach, Doch blieb mein Auge munter Und meine Seele wach.

Gleich einem Feuertranke

Bis tief ins Mark hinein Durchglüht mich der Gedanke, Von dir geliebt zu ſein.

Mein ſüß Geheimniß, wie verberg' ich's nur!

O, ſchwer iſt's auch, den Kelch der Liebe ſchlürfen Und Niemand auf der Welt es ſagen dürfen, Welch unergründlich Heil uns widerfuhr.

Mir iſt, es müßt' in Funken unverhüllt

Mein lodernd Glück aus meiner Seele ſpringen, Wie Glocken müßt's in meiner Stimme klingen, Daß all mein Leben ſelig ſich erfüllt.

Doch ſeh' ich dich alsdann beim Morgenlicht

So harmlos walten in der Schweſtern Kreiſe, Dem Gaſte freundlich nach gewohnter Weiſe,

Nur ſtummer noch, wie ſonſt, dann faſſ' ich's nicht;

Dann dünkt ein Traum mir dieſer Sonnenſchein,

Ein Schattenſpiel der Tag und ſein Gewimmel Wann kommſt du wieder, Mond, und blickſt vom Himmel Auf unſre ſüße Einſamkeit zu Zwei'n!

314

Seit du mir dein Herz gegeben, Däucht im engſten Kreis mein Leben Mir erfüllt und wohlbeſtellt.

Deine Lippen küſſ' ich trunken,

Und verſunken

Iſt die Welt.

Wenn wir Seel' um Seele tauſchen, Zieht des Tags Gewölk und Rauſchen Unvernommen uns vorbei.

Wo du biſt, da ſcheint die Sonne Und in Wonne

Blüht der Mai.

Nur dein Weinen oder Lachen

Kann mich trüb' und froh noch machen, Und beglückt geſteh' ich's ein:

Lieb iſt aller Selbſtſucht Blüte

Im Gemüthe,

Nur zu Zwei'n.

©» ot

Nun vom Hauch der Mufen Dir die Seele ſchwillt, Dem bewegten Buſen

Lied um Lied entquillt:

Laß es dich nicht kränken, Wenn im Zeitgetos Sie kein Ohr dir ſchenken; Das iſt Dichterloos.

Rühre deine Schwinge Dir zur eignen Luſt,

Um den Kranz nicht ſinge, Singe, weil du mußt.

Greif mit vollem Schlage In die Saiten ein,

Und vor allem wage Ganz du ſelbſt zu ſein!

316

Nachts auf dem Archipelagus.

Um das Steuer, dran ich liege, Spült die klare Flut gelinde; Meine Barke wird zur Wiege, Wiegt mich ein gleich einem Kinde.

In mein Ohr mit leiſen Zungen Spricht der Traum, mein Nachtgeſelle, Wenn ſein Flüſterwort verklungen, Singt der Wind und rauſcht die Welle.

Und wie Augen licht und heiter Grüßen hoch herein die Sterne; Weiter fliegt das Schifflein, weiter Wie auf Flügeln in die Ferne.

Wie auf Flügeln in die Ferne

Schweift mein Sinn viel hundert Meilen, Nur an Einem Ort noch gerne

Mag der einſt ſo flücht'ge weilen.

Steht ein Schloß mit hohen Zinnen Ueberm Strom, umrauſcht von Eichen; Die ich liebe, wohnt darinnen,

Die ich nimmer kann erreichen.

Wo am Hang der Weißdorn blühte, Stieg ins Thal ſie täglich nieder Und ich grüßte ſie und glühte

Und ſie grüßte zärtlich wieder.

Und zuletzt unwiderſtehlich Trieb's mich, Alles zu bekennen, Und auf meiner Stirne ſelig Fühlt' ich ihre Lippen brennen.

Ach, wir büßen's nun mit Schmerzen: Sie daheim in prächt'ger Leere, Einſam ich, verwaiſt im Herzen, Auf dem weiten dunkeln Meere.

Auf dem weiten dunkeln Meere Kommt's wie Blumenduft gezogen, Und das Eiland der Cythere

Taucht im Mondlicht aus den Wogen.

318

Klar erleuchtet auf den Gipfeln Glänzt der Schnee im Silberſcheine, Tief im Thal mit rieſ'gen Wipfeln Rauſchen dunkle Tempelhaine.

Um den Schutt von Kypris Hallen Spinnt der Wein dort ſeine Blätter, Schwärmt ein Heer von Nachtigallen, Und ich hör' ihr fern Geſchmetter:

„Komm! In dieſen reinen Lüften, Wo's von Roſen und Cypreſſen Wuchert über Göttergrüften, Ließe ſich das Leid vergeſſen!“

* * | % Ließe ſich das Leid vergeſſen, Nimmer als das einzig meine Hätt' ich dann das Glück beſeſſen, Deſſen Flucht ich jetzt beweine.

Würde mir mein Schmerz entriſſen, Müßt' ich auch die Liebe meiden,

Müßt' ich auch das Leben miſſen Eins find Leben, Lieb' und Leiden.

9

8

Ze

1

1

ng

FR

2 2 a r Br

1 f * 3

PER ne. g 1

. _ | 4 re 2

PT Geibel, Emanuel 1881 Spätherbstblätter 86

PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET

UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY

100 91 80 80 1 5 W3LI Sog J1HS K 30NVA 0

AA

IA SN 1v U