f7/\Ä "V Marine Biological Laboratory WOODS HOLE. MASSACHUSETTS IN MEMORY OF Edward Gardiner Gardiner 1854-1907 - J~etnas MBL/WHOI 0 0301 00M77EM b BIOLOGISCHE STUDIEN Von DR ERNST HAECKEL, Professor an der Universität Jena. ZWEITES HEFT STUDIEN ZUR GASTBAEA- THEORIE. Mit 14 TAFELN. JENA, VERLAG VON HERMANN DUFFT. 1877. STUDIEN j ZUR GASTRAEA-THEORIE. Von DE ERNST HAEOKEL, Professor an der Universität Jena. MIT 14 TAFELN. JENA, VERLAG VON HERMANN DUFFT. 1877. 3xl y Inhalts -Verzeichniso. I. Die Gastraea-Theorie, die phylogenetische Classification des Tier- reichs und die Homologie der Keimblätter. Hierzu Taf. I. (September 1873.) Seite 1. Die causale Bedeutung- der Phylogenie für die Ontogcnie ... 3 2. Die causale Bedeutung der Gastraea-Theorie 10 3. Die phylogenetische Bedeutung- der zwei primären Keimblätter 17 I. Die phylogenetische Bedeutung der \ier seeundären Keimblätter 23 5. Die systematische Bedeutung der Gastraea-Theorie 29 6. Die Bedeutnng der Gastraea-Theorie für die Homologie der Typen 35 7. Die phylogenetische Bedeutung der ontogenetischen Succession der Organ-Systeme 42 8. Die Bedeutung der Gastraea-Theorie für die Typen-Theorie . . 46 I. Tabelle: Uebersicht über die phylogenetische Entwicklung der Organ-Systeme der Wirbelthiere, gegründet auf die Gastraca- Theorie und die ontogenetische Vergleichung der Wirbelthiere • und der- Wirbellosen 52 II. Tabelle: Uebersicht über diejenigen Urorgane, welche mit Wahr- scheinlichkeit bei den Würmern, Gliederthieren, Weichthieren und Wirbekhieren als homolog zu betrachten sind ...... 53 III. Tabelle: l.utwurf einer phylogenetischen Classification des Thier- reichs, gegründet auf die Gastraea-Theorie und die Homologie der Keiinb ätter, des Urdarms und des Coeloms 54 IV. Tabelle: Monophyletisch- Stammbaum des Thierreichs, ge- gründet auf die Gastraea-Theorie und die Homologie der Keim- blätter 55 Erklärung von Taf. I • 56 "8 II. Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Hierzu Taf. II— VIII. (October 1875.) 9. Die Bedeutung der Palingenie und der Cenogenie 61 V. Tabelle: Uebersicht über die wichtigsten Verschiedenheiten in der Eifurchung und Gastrulation der Thiere 65 VI. Tabelle: Uebersicht über die fünf ersten Keiinungsstu*cn der Metazoen, verglichen mit ihren fünf ältesten Ahnenstufen ... 66 VI Seite VII. Tabelle: Uebersicht über die fünf ersten Keimungsstufen der Metazoen, mit Rücksicht auf die vier verschiedenen Hauptformen der Eifurchung 67 I. Das phylogenetische Verhältniss der Palingenie zur Cenogenie 68 II. Ontogenetische Heterochronien und Heterotopien 71 III. Palingenetischer Bildungsdotter und cenogenetischer Nahrungs- dotter . - 75 10. Die Tier Hauptformen der Eifurchung und Gastrulabildung . 78 I. Die primordiale Furchung und die Arckigastrula (Taf. VIII.) 78 II. Die inaequale Furchung und die Amphigastrula (Taf. VII.) . 83 III. Die discoidale Furchung und die Discogastrula (Taf. IV. V.1) 91 IV. Die superficiale Furchung und die Perigastrula (Taf. VI.) . . 103 . 11. Die Eifurchung und Gastrulabildung in den Hauptgruppen des Thierreichs Hl I. Gastrula und Eifurchung der Zoophyten 111 IL Gastrula und Eifurchung der Würmer 116 III. Gastrula und Eifurchung der Mollusken 119 IV. Gastrula und Eifurchung der Echinodermen 121 V. Gastrula und Eifurchung der Arthropoden 123 VI. Gastrula und Eifurchung der Wirbelthiere 127 12. Die phylogenetische Bedeutung der fünf ersten ontogenetischen Entyricbelungsstufen 137 I. Das Moner und die Monernla 137 II. Die Amoebe und die Cytula 142 III. Das Synamoebium und die Morula 146 IV. Die Planaea und die Blastula 148 V. Die Gastraea und die Gastrula 153 Nachschrift über Gastrulation der Spongien 158 Erklärung der Tafeln II— VIII 161 III. Die Physemarien (Haliphysema und Gastrophysema), Gastraeaden der Gegenwart. Hierzu Taf. IX— XIV. / (August 1876.) /^ 13, Bisherige Beobachtungen über Physemarien 171 14. Das Genus Haliphysema I?8 I. Haliphysema primordiale (Taf. IX) 180 II. Haliphysema echinoides (Taf. X) 186 III. Haliphysema globigerina (Taf. XI) 189 IV. Haliphysema Tumanowiczii 192 V. Haliphysema ramulosum 193 15. Das Genus Gastrophysema 194 I. Gastrophysema dithalamium (Taf. XII — XIV) 196 II. Gastrophysema scopula 206 16. Organisation und Lebeuserscheinungen der Physemarien ... 207 17. Phylogenetische Bedeutung der Physemarien 214 Erklärung der Tafeln IX— XIV 222 VII IV. Nachträge zur Gastraea-Theorie. (November 1870.) Seite 18. Histologische Bedeutung der Gastraea-Theorie 227 19. Priuiiire und sccundJire Keimblätter. Exoderm, Mesoderm und Entoderm 233 20. Protozoen und Metazoen 240 21. Mesozoen. Gastraeaden. Dicyemiden 245 22. Gastrulation der Säugethiere 250 23. Urdarm und Urniund. Priuiitiv-Organe 258 24. Heuristische Bedeutung der Gastraea-Theorie 264 Die Gastraea- Theorie, die phylogenetische Classification des Thierreichs und die Homologie der Keimblätter. Hierzu Tafel I. Inhalt: 1. Die causale Bedeutung der Phylogenie für die Ontogenie. 2. Die causale Bedeutuug der Gasträa-Theorie. 3. Die phylogenetische Bedeutung der zwei primären Keimblätter. 4. Die phylogenetische Bedeutung der vier secundären Keimblätter. 5. Die systematische Bedeutung der Gasträa- Theorie. 6. Die Bedeutung der Gasträa - Theorie für die Homologie der Typen. 7. Die phylogenetische Bedeutung der ontogenetischen Succession der Organ-Systeme. 8. Die Bedeutung der Gasträa-Theorie für die Typen- Theorie. Anhang: Synoptische phylogenetische Tabellen. 1. Die causale Bedeutung der Phylogeuie für die Ontogcuie. Die Entwickelungsgeschichte der Organismen hat in jüngster Zeit eine neue Periode ihrer Entwickelung dadurch begonnen, dass sie sich von der empirischen Erforschung der von ihr verfolgten Thatsachen zu der philosophischen Frage nach den natürlichen Ursachen derselben erhoben hat. Allerdings waren die denken- den Forscher im Gebiete der Biogenie schon seit mehr als einem halben Jahrhundert bemüht, durch die innige Verknüpfung von empirischer Beobachtung und philosophischer Reflexion sich über die blosse Kenntniss der biogenetischen Erscheinungen zu einem tieferen Verständniss ihrer Bedeutung zu erheben, und nach „Gesetzen der organischen Entwickelung" zu suchen. Allein die- ses verdienstvolle Streben konnte so lange keine causalen Erkennt- nisse erzielen, so lange man ausschliesslich die Entwickelung des organischen Individuums an sich verfolgte. Vielmehr ist diese Befriedigung des wissenschaftlichen Causalitäts - Bedürfnisses erst möglich geworden, seitdem wir im letzten Decennium begonnen haben, die natürliche Entwickelung der organischen Species zu untersuchen, und durch diese Stammesgeschichte der organi- schen Arten die Keimesgeschichte der organischen Indivi- duen zu erklären. Nachdem Caspar Friedrich Wolff im Jahre 175!) durch seine „Theoria generationis" die Epigenesis zum unerschütterlichen Fundamente der gesammten Entwickelungsgeschichte erhoben und nachdem auf diesem festen, über ein halbes Jahrhundert hindurch unbekannt gebliebenen Grundsteine Christian Pander 1817 den ersten Entwurf der Keimblätter-Theorie vorgezeichnet hatte, gelang es 1828 Carl Ernst Baer in seiner „Entwickelungsgeschichte der Thiere", die Richtung zu bestimmen und die Bahn abzu- stecken, innerhalb deren die ganze folgende Embryologie sich be- wegen musste. In diesem classischen Werke ist durch die glückliche Verbindung von sorgfältigster Beobachtung und philosophischer l* 4 Die Gastraea-Theorie. Reflexion , sowie durch die Verschmelzung der embryologischen mit der vergleichend-anatomischen und zoologisch -systematischen Forschung, die jugendliche Wissenschaft von der individuellen Ent- wickelung der Thiere zum Ausgangspunkte der gesammten wissen- schaftlichen Zoologie erhoben, zu dem centralen Knotenpunkte ge- worden, in welchem alle verschiedenen Disciplinen der letzteren wieder zusammenlaufen müssen. Die glänzenden und fruchtreichen Arbeiten von Johannes Müller und Heinrich Rathke, welche na- mentlich im Gebiete der niederen Thiere unsere Kenntnisse ausser- ordentlich erweiterten, haben sich ganz innerhalb jener Bahnen gehalten. Selbst die bedeutendste Arbeit, welche die individuelle Entwickelungsgeschtchte der Thiere nächst Baer's Fundamental- Werk aufzuweisen hat, die höchst werthvollen „Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere" von Robert Remak (1851) müssen als unmittelbare Fortsetzung der BAER'schen Forschungs-Richtung angesehen werden; ihr originelles Hauptverdienst besteht darin, die empirisch -philosophische Untersuchung der embryologischen Processe von dem organologischen Gebiete auf das histologische hinübergeführt und die Richtigkeit der Grundsätze, welche Baer an den Individuen zweiter Ordnung, den Organen, aufgestellt hatte, auch an den Individuen erster Ordnung, den Zellen erprobt zu haben. Durch die weitere Ausbildung, die Remak der Keimblätter- Theorie gab, wurde dieselbe zugleich zum Ausgangspunkte der Histogenie erhoben. Wenn so einerseits die klare Berechtigung und volle Gültigkeit der von Wolff und Baer in die Entwickelungsgeschichte einge- führten Ideen, und vor allen der fundamentalen Keimblätter- Theorie, sich positiv in dem massgebenden Einfluss zeigte, den sie auf die bedeutendsten Untersuchungen ihrer zahlreichen Nachfolger ausübten, so wurde sie anderseits nicht minder negativ durch die Ohnmacht einzelner Gegner dargethan, welche die von jenen vor- gezeichnete Bahn zu verlassen und eine neue, ganz abweichende Richtung einzuschlagen versuchten. Der prätensiöseste dieser Ver- suche ging von Carl Boguslaus Reichert aus, der in zahlreichen einzelnen Schriften, besonders aber in seinem Aufsatze über „das Entwickelungsieben im Wirbelthier- Reich" (1840) und in seinen „Beiträgen zur Kenntniss des Zustandes der heutigen Entwicke- lungsgeschichte" (1843) die Keimblätter-Theorie und die damit zu- sammenhängenden wesentlichsten Grundprincipien der Zoogenesis verwarf, und an ihre Stelle ein wüstes Conglomerat von phantasti- schen Einfällen zu setzen suchte, das nicht einmal den Namen Die causalc Bedeutung der Phylogenie. 5 einer wissenschaftlichen Hypothese, geschweige denn einer Theorie verdient. Während die vorhergenannten Häupter der Embryologie durch klare leitende Gedanken und Aufstellung von Entwickelungs- Gesetzen Licht und Ordnung in die chaotische Fülle der embryo- logischen Thatsachen zu bringen und die verwickelten Erscheinungen durch Zurückfuhrung auf einfache Principien zu erklären bemüht waren, versuchte Reichert umgekehrt, sich dadurch ein vorüber- gehendes Ansehen zu erwerben, dass er die einfachsten Thatsachen als höchst verwickelt, das Gleichartige als grundverschieden und das Zusammengehörige als ganz getrennt darstellte. Seine höchst unklaren und verworrenen Gedanken -Knoten würden aber wohl ebenso in der Embryologie wie in der Histologie rasch wieder vergessen worden sein, wenn er es nicht verstanden hätte, ihnen durch eine schwülstige und mit philosophischen Kunstausdrücken verbrämte Phraseologie eine bunte Hülle überzuwerfen, und durch dieses äusserliche Blendwerk die Leere des Innern zu verdecken. Obgleich nun dadurch nicht Wenige sich wirklich blenden und zu einer bewundernden Anerkennung seiner confusen Behauptungen hmreissen Hessen, wurden dieselben doch bald durch Baer, Rathke, Remak, Bischoff, Carl Vogt und Andere in ihrer wahren Nichtigkeit aufgedeckt, und dadurch nur um so glänzender die fundamentale Sicherheit der Keimblätter-Theorie bewiesen , die Reichert ver- geblich zu zerstören versucht hatte l). 1) In historischen Betrachtungen über organische Entwickelungsgeschichte wird nicht selten neben und mit den Namen von Wolff, Baer. Remak n. s. w. auch derjenige von Reichert als eines verdienstvollen Förderes derselben ge- nannt. Dies kann nur so verstanden werden, dass Reichert durch seine völ- lig verfehlten und ohne jedes tiefere Verständuiss der Entwicklungsgeschichte angestellten, ebenso eitlen wie anmassenden Versuche eine kräftige Reaction hervorrief. Ebenso wie er in der Histologie durch seine abenteuerlichen An- griffe auf die Protoplasma-Theorie nicht wenig beitrug, dieselbe zu kräftigen, ebenso hat er auch in der Embryologie durch seine unrichtige Lehre von den ,. Umhüllungshäuten" . durch seine falchen ..Bildungsgesetze" und durch seine gänzlich verfehlten Anschauungen von der Histogenese in dir e et die Wissen- schaft mannichiäch gefördert. Darin liegt aber doch kein Grund, seine negativen Verdienste mit den positiven eines Baer, Rathke, Remak u. s.w. zu vergleichen, die auch ihrerseits sich energisch dagegen verwahrt haben. Allerdings sind in Reichert's ausgedehnten embryologischen Untersuchungen einzelne brauchbare Beobachtungen enthalten (bekanntlich findet auch ein blindes Huhn bisweilen ein Korn); allein im Grossen und Ganzen sind sie zu den Arbeiten niedersten Ranges zu rechnen und nur mit denjenigen eines Dönitz. Dursy, IIis u. s. w. zusammenzustellen. Einzelne bedeutende Ideen, die Reichert als sein Eigen- thum ausgiebt. hat derselbe nur von Rathke und Anderen entlehnt. g Die Gastraea-Theorie. Den Anstoss zu einer bahnbrechenden neuen Richtung erhielt die Entwickelungsgeschichte erst hundert Jahre nach dem Er- scheinen der Theoria generationis, als Charles Darwin 1859 sein epochemachendes Werk über die Entstehung der Arten veröffent- lichte und durch die darin enthaltene Selections -Theorie eine höcht fruchtbare Reform der Descendenz-Theorie her- beiführte. Allerdings war diese letztere schon 1809 von Jean Lamarck in seiner tiefdurchdachten Philosophie zoologique mit vollem Bewusstsein ihrer Bedeutung als wahrer Grundgedanke der „biologischen Philosophie" hingestellt; sie wurde aber ebenso, wie Wolff's gleich bedeutende Theoria generationis ein volles halbes Jahrhundert hindurch von der sogenannten „exacten" Na- turwissenschaft todtgesch wiegen. Lamarck hatte bereits mit voller Bestimmtheit die gemeinsame Abstammung aller Organismen von einer einzigen oder einigen wenigen einfachsten Urformen behaup- tet. Indem Darwin aber seine Theorie von der natürlichen Züch- tung im Kampfe um's Dasein begründete, und nachwies, wie unter deren Einfluss die organischen Formen einer beständigen lang- samen Umbildung unterliegen, ging er weit über Lamarck hinaus und lehrte uns für die von letzterem gelehrten Thatsachen die wahren bewirkenden Ursachen kennen: Die Wechselwirkung der Vererbung und Anpassung. Wenn nun auch zunächst dadurch nur der Ursprung der organischen Arten erklärt und eine „Ent- wickelungsgeschichte der Species" angebahnt werden sollte, so musste damit doch zugleich ein ganz neues Licht auch auf die Entwickelungsgeschichte der Individuen, auf die Embryologie fallen. Die innige Beziehung, in welcher diese beiden Zweige der organischen Entwickelungsgeschichte, diejenige der Arten und die- jenige der Individuen, zu einander stehen, konnte Darwin nicht entgehen. Doch hat er in seinem Hauptwerke, das vor Allem die Selections-Theorie zu begründen hatte, und ebenso in den übrigen darauf folgenden Schriften (namentlich in dem berühmten Werke über die Abstammung des Menschen) der Embryologie nur einen verhältnissmässig geringen Raum gewidmet und ihre hohe Be- deutung mehr gelegentlich gewürdigt In meiner „allgemeinen Entwickelungsgeschichte der Organis- men" (im zweiten Bande der generellen Morphologie, 1866) habe ich den Versuch unternommen, jenes innige Verhältniss beider Zweige der Biogenie näher zu begründen und seine eigentliche Bedeutung nachzuweisen. Ich habe daselbst die paläontologische Entwickelungsgeschichte der Arten, die Phylogenie oder Stam- Die causale Bedeutung der Phylogenie. 7 mesgeschichte als die wahre Ursache dargestellt, auf deren mechanischer Wirksamkeit die gesammte Entwicklungsgeschichte der Individuen, die Ontogenie oder Keimesgeschichte über- haupt beruht. Ohne die erstere würde die letztere überhaupt nicht existiren. Der Schwerpunkt dieses Verhältnisses liegt darin , dass der Zusammenhang zwischen beiden ein nie chanisch -c aus a- ler ist. Die Ontogenie ist eine kurze Wiederholung der Phylo- genie, mechanisch bedingt durch die Functionen der Vererbung und Anpassung1). Die Vererbung von gemeinsamen Vorfahren bewirkt die typische Uebereinstimmung in Form und Structur der Jugendzustände jeder Klasse. Die Anpassung an verschieden- artige Existenz-Bedingungen der Umgebung bewirkt die Unter- schiede, welche die daraus entwickelten Formen in den verschie- denen Arten jeder Klasse bezüglich ihrer Form und Structur dar- bieten. Die Vererbung fällt als physiologische Function unter die Erscheinungen der Fortpflanzung. Die Anpassung fällt ebenso als physiologische Function in das Gebiet der Er nährungs- Erscheinungen, wie im 19. Capitel der generellen Morphologie ausführlich nachgewiesen worden ist (S. 148 — 294). Die Phylogenesis ist die mechanische Ursache der Ontogenesis. Mit diesem einen Satze ist unsere principielle monistische Auflassung der organischen Entwickelung klar bezeich- net, und von der Wahrheit dieses Grundsatzes hängt in erster 1) Iu meinen ,,Ontogenetisclien Thesen", im 20. Capitel der generellen Morphologie (Band II, S. 295— 300) habe ich dieses „biogenetische Grund- gesetz" mit folgenden Worten ausgedrückt: ..Die Ontogenesis oder die Ent- wickelung der organischen Individuen, als die Reihe von Form-Veränderungen, welche jeder individuelle Organismus während der gesammten Zeit seiner indi- viduellen Existenz durchläuft, ist unmittelbar bedingt durch die Phylogene- sis oder die Entwickelung des organischen Stammes (Phylon) . zu welchem derselbe gehört. Die Ontogenesis ist die kurze und schnelle Re- capitulation der Phylogenesis, bedingt durch die physiologi- schen Functionen der Vererbung ( Fortpflanzung) und Anpas- sung ( Ernährung). Das organische Individuum wiederholt während des raschen und kurzeu Laufes seiner individuellen Entwickelung die wichtigsten von denjenigen Formveränderungen, welche seine Voreltern während des lang- samen und langen Laufes ihrer paläontologischen Entwickelung nach den Ge- setzen der Vererbung und Anpassung durchlaufen haben." Dieses wahre ,, Grundgesetz der organischen Entwickelung" ist die unentbehrliche Grundlage, auf der das ganze innere Verständniss der Entwickelungsgeschichte beruht. Ich wiederhole dasselbe hier, weil einerseits seine Anerkennung das Verständ- niss der nachfolgenden Erörterungen bedingt, und weil dasselbe anderseits noch jetzt von vielen angesehenen Naturforschern bekämpft wird. g Die Gastraea- Theorie. Linie die Wahrheit der Gastraea-Theorie ab, deren Bedeutung nachstehend entwickelt werden soll. Für oder wider diesen Satz wird in Zukunft jeder Naturforscher sich entscheiden müssen, der in der Biogenie sich nicht mit der blossen Bewunderung merkwür- diger Erscheinungen begnügt, sondern darüber hinaus nach dem Verständniss ihrer Bedeutung strebt. Mit diesem Satze ist zugleich die unausfüllbare Kluft bezeichnet, welche die ältere, teleolo- gische und dualistische Morphologie von den neueren, mechanischen und monistischen trennt. Wenn die physiologischen Functionen der Vererbung und Anpassung als die alleinigen Ursachen der organischen Formbildung nachgewiesen sind, so ist damit zugleich jede Art von Teleologie, von dualistischer und metaphysischer Betrachtungsweise aus dem Gebiete der Biogenie entfernt; der scharfe Gegensatz zwischen den leitenden Principien ist damit klar bezeichnet. Entweder existirt ein directer und causa- ler Zusammenhang zwischen OntogeniQ und Phyloge- nie oder er existirt nicht. Entweder ist die Ontogenese ein gedrängter Auszug der Phylogenese oder sie ist dies nicht. Zwi- schen diesen beiden Annahmen giebt es keine dritte ! Entweder Epigenesis und Descendenz — oder Präformation und Schöpfung! In Beziehung auf diese entscheidende Alternative verdient His besondere Anerkennung, weil er sich wiederholt und bestimmt gegen unser biogenetisches Grundgesetz und gegen jeden Zusam- menhang von Ontogenie und Phylogenie ausgesprochen hat1). Er 1) His, Untersuchungen über die erste Anlage des VVirbelthierleibes. Leip- zig 1868. S. 211 ff'., 223 u. s. w. Besonders eharacteristisch sind für seine Auflassung der Biogenie die allgemeinen Betrachtungen in der Rede „über die Bedeutung der Entwickelungsgeschichte für die Auffassuug der organischen Natur1' (Leipzig, 1870, 8. 35). His sieht sich hier ,,genöthigt, die Ansprüche der individuellen Entwickelungsgeschichte gegenüber der überwallenden Macht DAKWiN'seher Anschauungen zu wahren" und meint, „dass die sämmtlichen, der Morphologie oder der Entwickelungsgeschichte entnommenen Argumente ..luv Darwin" desshalb nicht von beweisender Kraft seien, weil sie als die un- mittelbaren Folgen physiologischer Entwickelungspriucipien der Erklärung auf dem weiten Umwege genealogischer Verwandtschaft gar nicht bedürfen. (!) Wenn die genealogische Verwandtschaft der organischen Wesen wirklich in jener Alles umfassenden Ausdehnung besteht, welche die Theorie zu statuiren pflegt, so erscheinen allerdings alle typischen und entwickelungsgeschichtlichen Uebereinstimmungen als ganz selbstverständliche Consequenzen. (!!) Aus den typischen und entwickelungsgeschichtlichen Uehereinstimmuugen auf die Bluts- verwandtschaft zurückzuschliessen. möchte von dem Augenblick an nicht mehr gestattet sein , da sich Aussicht eröffnet, die verschiedenen Entwickelungs- richtungen als erschöpfende Verwirklichungen eines mathematisch bestimmten Die causale Bedeutung der Phylogenie. 9 versucht statt dessen die ontogenetischen Erscheinungen in der oberflächlichsten Weise durch Krümmungen, Faltungen u. s. w. zu erklären, ohne dass er aber für diese „mechanischen" Entwicke- lungs - Processe irgend einen weiteren Grund, irgend eine bewir- kende Ursache anzugeben weiss. Der unnütze Aufwand von ma- thematischen Berechnungen , den His dabei entwickelt , vermag nicht den Mangel jedes wahren Causal-Princips zu verdecken, und seinen paradoxen Einfällen irgend einen Werth zu verleihen. Wie ich schon in der Biologie der Kalkschwämme (S. 472) erklärt habe , erscheinen solche Einfälle „nur einer humoristischen Be- leuchtung, keiner ernstlichen Widerlegung fähig. Zugleich be- weisen aber diese starken Missgriffe, wie nothwendig für Arbeiten auf dem schwierigen Felde der Ontogenie die Orientirung in dem Gebiete der vergleichenden Anatomie und die Beziehung der on- togenetischen Vorgänge auf ihre mechanischen phylogenetischen Ursachen, ihre wahren causae ejßcientes ist." Wenn His nur ein wenig mit den Thatsachen der vergleichenden Anatomie und mit der Ontogenie der wirbellosen Thiere bekannt gewesen wäre, würde er seine Versuche wohl schwerlich publicirt haben. Um den vollen Gegensatz zwischen dieser angeblich exacten „physiologischen" Auffassung der Ontogenie und der von uns vertretenen Erklärung derselben durch die Phylogenie recht klar zu empfinden, braucht man mit jenen verunglückten Unter- Kreises möglicher Wachsthumsweisen zu erkennen." Diese Erklärung von His widerlegt sich bei genauerer Prüfung von selbst. Uni aber die völlige Haltlosigkeit seines Standpunktes einzusehen, braucht man nur näher au! die ..physiologischen Entwickelungsprincipien" einzugehen, durch welche His die ontogenetischen Vorgänge „mechanisch zu erklären", die Descendenz-Theorie zu eliminiren und den Zusammenhang zwischen Ontogenese und Phylogenese zu leugnen sucht. Hier dürfte zur Ohara cteristik derselben die Anführung eines; einzigen Beispiels der Art und Weise genügen, durch welche His ,,Prin- cipien der Morphologie als nothwendige Folgen der mechanischen Entwicke- lungsgeschichte darzulegen" glaubt (a. a. 0. S. 34). His sagt: „Wie einfach gestaltet sich die Homologie der vorderen und hinteren Gliedmassen, wenn wir erkennen, dass ihre Anlage, den vier Ecken eines Briefes ähnlich . bestimmt wird durch die Kreuzung von vier den Körper umgrenzenden Falten (!). Wie klar wird auch der sonst so schwierige Vergleich des vorderen mit dem hinteren Körperende, wenn wir auch hier auf das Grundverhältniss zurückgehen, dass der Kopf sowohl, als das hintere Körperende mit einer sich umklappenden Falte ihren Abschluss finden, und dass alle mechanischen Verhältnisse, welche eine solche Falteimmklappung begleiten, vorn sowohl als hinten zum Vorschein kommen müssen." Es dürfte schwer sein . in der ganzen morphologischen Literatur ein Beispiel einer gleich rohen und oberflächlichen Auffassung mor- phologischer Verhältnisse zu finden. 10 Die Gastraea-Theorie. suchungen von His nur das mustergültige Bild der Entwicklungs- geschichte der Crustaceen zu vergleichen, welches Fritz Müller in seiner ideenreichen Schrift „Für Darwin" geliefert hat (Leipzig, 1864). Hier ist an dem vielgestaltigen Formenkreise einer ganzen Thierklasse der unmittelbare Zusammenhang der Ontogenese und Phylogenese nachgewiesen, und die erstere durch die letztere wirk- lich erlärt. Hier finden wir die beiden formbildenden Kräfte der Vererbung und Anpassung als die wahren „physiologischen" Ur- sachen der Ontogenese dargelegt, und die Gesetze ihrer Wirksam- keit erkannt. Als zwei der wichtigsten Sätze, welche Fritz Müller hier ausspricht, und welche gerade für unser Thema besondere Bedeutung besitzen, sind namentlich folgende hervorzuheben : „Die in der Entwicklungsgeschichte (der Individuen) erhaltene ge- schichtliche Urkunde (von der Entwickelung der Vorfahren) wird allmählig verwischt, indem die Entwickelung einen immer gerade- ren Weg vom Ei zum fertigen Thiere einschlägt, und sie wird häutig gefälscht durch den Kampf um's Dasein, den die frei leben- den Larven zu bestehen haben. Die Urgeschichte der Art (Phylo- genesis) wird in ihrer Entwicklungsgeschichte (Ontogenesis) um so vollständiger erhalten sein, je länger die Reihe der Jugendzu- stände ist, die sie gleichmässigen Schrittes durchläuft, und um so treuer, je weniger sich die Lebensweise der Jungen von der der Alten entfernt, und je weniger die Eigenthümlichkeiten der ein- zelnen Jugendzustände als aus späteren in frühere Lebensab- schnitte zurückverlegt oder als selbstständig erworben sich auffas- sen lassen". (Für Darwin, S. 77, 81). Indem nun Fritz Müller diese Gesetze durch die Ontogenese der verschiedenen Crustaceen begründet und aus der gemeinsamen Nauplius - Jugendform der verschiedensten Kruster auf eine gemeinsame, diesem Nauplius wesentlich gleiche Stammform der ganzen Klasse zurückschliesst, erklärt er zugleich eine Fülle von merkwürdigen Erscheinungen, welche ohne diese Anwendung der Descendenz-Theorie völlig un- erklärlich und unbegreiflich dastehen. Daraus ergiebt sich aber unmittelbar die causale Bedeutung der Phylogenie für die Onto- genie. i. Die causale Bedeutung der liastraea- Theorie. Die Anwendung des generellen biogenetischen Grundgesetzes auf die verschiedenen Theile der speciellen Biologie, vor allem auf das natürliche System der Organismen, ist eine Wissenschaft- Die causalo Bedeutung der (Tastraea-Theorie. } ] liehe Aufgabe, welche zwar von der denkenden Biologie selbstverständ- lich gefordert werden muss, welche aber bei jedem Versuche ihrer durchgreifenden Ausführung auf die grössten Hindernisse stösst. Diese Hindernisse sind zunächst durch den niederen Entwickelungs- zustand unserer biologischen Kenntnisse im Allgemeinen bedingt, namentlich durch die geringe Theilnahme. welche die Biologen bisher den beiden fundamentalen f o r m bilden d e n E n twicke - 1 u n g s - F u n c t i o n e n d er Vererbung und Anpassun g gewidmet haben, ganz besonders aber durch die grosse Lücken- haftigkeit und Unvollständigkeit der empirischen sogenannten „Schöpfungs- Urkunden, " welche uns die drei Disciplinen der Onto- genie, Paläontologie und vergleichenden Anatomie darbieten. Trotz dieser grossen Hindernisse und Schwierigkeiten, deren Bedeutung ich nicht unterschätzen konnte, habe ich 1866 in mei- ner generellen Morphologie den ersten Versuch gewagt, mit Hülfe des biogenetischen Grundgesetzes die Descendenz-Theorie auf das natürliche System der Organismen anzuwenden, und in der „Syste- matischen Einleitung in die allgemeine Entwicklungsgeschichte" (S. XVII — CLX des zweiten Bandes) die Phylogenie zur Basis des natürlichen Systems zu erheben. In mehr populärer Form habe ich diesen Versuch erneuert und verbessert in meiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" (1868; vierte Auflage 1873). Nun haben zwar diese ersten Versuche (als welche ich sie von Anfang an ausdrücklich bezeichnet habe) mit wenigen Ausnahmen unter den zunächst betheiligten Fachgenossen nur lebhafte Missbilligung und entschiedenen Tadel gefunden ; allein keiner derselben hat sich die Mühe gegeben, mein phylogenetisches' System durch ein bes- seres zu ersetzen. Diese Aufgabe liegt aber für Jeden vor, der überhaupt die Descendenz-Theorie anerkennt und nach einem cau- salen Verständniss der organischen Formen strebt '). 1) Die beste Verteidigung gegen die vielfachen Angriffe, die mein phylo- genetisches System der Organismen erlitten hat, scheint mir darin zu liegen, dass ich dasselbe beständig zu verbessern und damit ein Verständniss von dem causaleu Zusammenhang der organischen Formen zu gewinnen suche, dass auf anderem Wege überhaupt nicht gewonnen werden hann. Die Angriffe eines der heftigsten meiner Gegner, Rütimeyer, nach dessen Ansicht überhaupt meine Stammbäume nicht mit dem Darwinismus und der Descendenz- Theorie zusammenhängen, habe ich bereits in der Vorrede zur dritten Auflage der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte1' zurück gewiesen. Es genügt hier, den naiven Satz anzuführen, mit welchem Rütimeyer selbst sein Verhältniss zur Descendenz-Theorie treffend cliaracterisirt : „Mir erscheinen die Darwinschen Lehren nur als eine Art Religion des Naturforschers, für oder wider 12 Die Gastraea-Theorie. Auf den nachstehenden Seiten werde ich nun den Versuch machen , jenen ersten genealogischen Entwurf des natürlichen Sy- stems wesentlich zu verbessern und mit Hülfe des biogenetischen Grundgesetzes einerseits, der fundamentalen Keimblätter-Theorie anderseits, eine Theorie zu begründen, welcher ich eine causale Bedeutung für das natürliche System des Thierreichs, für das Ver- ständniss der Entwickelung seiner „Typen" und der natürlichen Verwandtschaft seiner Hauptgruppen beimesse, und welche ich kurz mit einem Worte die Gastraea-Theorie nennen will. Der wesentliche Inhalt dieser Gastraea-Theorie beruht auf der An- nahme einer wahren Homologie der primitiven Darmanlage und der beiden primären Keimblätter bei allen Thieren mit Ausnahme der Protozoen, und lässt sich kurz in folgenden Worten zusammen- fassen : „Das ganze Thierreich zerfällt in zwei Hauptabtheilungen : die ältere, niedere Gruppe der Protozoen (Urthiere) und die jünge- re, höhere Gruppe der Metazoen (Darmthiere). Die Hauptab- theilung der Protozoen oder Urthiere (Animale Moneren und Amoeben, Gregarinen, Acineten, Infusorien» erhebt sich stets nur zur Entwickelung der Thier-Indivi dualität erster oder zweiter Ordnung (Plastide oderldorgan); die Protozoen bilden niemals Keimblätter, besitzen niemals einen wahrenDarm und entwickeln überhaupt keine dilferenzirten Gewebe; sie sind wahrscheinlich polyphyletischen Ursprungs und stammen von vielen verschiedenen, durch Ur- zeugung entstandenen Moneren ab. Die Hauptabtheilung der Metazoen oder Darmthiere (die sechs Thierstämme der Zoophyten, Würmer, Mollusken, Echinodermen , Arthropoden, Vertebraten) ist hingegen wahrscheinlich monophyletischen Ur- sprungs und stammt von einer einzigen gemeinsamen, aus einer Protozoen - Form hervorgegangenen Stammform , der Gastraea ab; sie erhebt sich stets zur Entwickelung der Thier- Individualität dritter oder vierter Ordnung (Person oder Cormusj; dieMetazoen bilden stets zwei primäre Keimblätter, besitzen stets einen wahren Darm (nur wenige rückgebildete Formen ausgenommen) und entwickeln stets diö'erenzirte Gewebe; diese Gewebe stammen immer nur von den beiden primären Keimblättern ab, welche sich von welche man sein kann: Allein über Glaubenssachen ist es bekanntlieh böse zu streiten und ich glaube daher auch nicht , dass Viel dabei heraus- kommt !" Die causale Bedeutung der Gastraea -Theorie. 13 der Gastraea auf sämmtliche Metazoen, von der einfach- sten Spongie bis zum Menschen hin auf vererbt haben. Die Metazoen-Gruppe spaltet sich zunächst wieder in zwei Abthei- lungen, einerseits die Zoophyten (oder Coelenteraten), bei denen sich in Folge festsitzender Lebensweise der sogenannte „radiale Typus" ausbildet, anderseits die Bilaterien (oder Sphenotenj, bei denen sich in Folge kriechender Lebensweise der sogenannte „bilaterale Typus" entwickelt. Unter den Bilaterien stimmen die niederen Würmer (Acoelomi) durch Mangel des Coelom (der „Leibeshöhle") und des Blutgefässsystems mit den Zoophyten noch überein aus diesen primären älteren acoelomen Würmern haben sich erst secundär die höheren Würmer (C o e 1 o m a t i) durch Ausbildungeines Coelom und eines (damit zusammenhängen- den) Blutgefass-Systems entwickelt. Vier divergente Descendenten der coelomaten Würmer sind die vier typischen höchstentwickel- ten Thierstämme , die Thier - Typen oder Phylen der Mollusken, Echinodermen, Arthropoden und Vertebraten. Die feste Grundlage für diese „Gastraea - Theorie" und für die weitreichenden Consequenzen, welche wir nachstehend dar- aus ableiten werden, liefert meine Monographie der Kalkschwämme (1872). Ich war bei der Ausarbeitung dieser Monographie aller- dings zunächst nur bestrebt, einerseits eine möglichst gründliche und umfassende Darstellung sämmtlicher biologischer Verhältnisse dieser interessanten kleinen Thiergruppe zu liefern, anderseits auf Grund ihrer ausserordentlichen Formbiegsamkeit eine „analy- tische Lösung des Problems von der Entstehung der Arten" zu versuchen, einen analytischen Beweis für die Wahrheit der Descendenz- Theorie zu geben. Allein neben diesem beson- deren Hauptzwecke führte mich die Entwickelungsgeschichte der Kalkschwämme, die Entdeckung ihrer Gastrula-Form , sowie die Frage nach ihrer natürlichen Verwandtschaft und nach ihrer Stel- lung im Systeme des Thierreichs, von selbst und mit Notwen- digkeit zu der allgemeineren Frage nach der Homologie ihrer Keimblätter mit denjenigen der höheren Thiere, und somit weiterhin zu denjenigen Vorstellung» - Reihen . deren Kern mit einem Worte die Gastraea - Theorie bildet. Die Grundgedanken, welche nachstehend hier ausgeführt werden, sind alle bereits in der Monographie der Kalkschwämme enthalten; allein es fehlte dort an Raum und an passender Gelegenheit, sie weiter zu entwickeln. Indem ich diese Entwicklung der Gastraea-Theorie hier gebe, muss ich bezüglich der speciellen Beobachtungs-Reihen, 14 Die Gastraea-Theorie. welche mir dabei als sichere empirische Basis dienen, durchgän- gig auf die Monographie der Kalkschwämme mich beziehen '). Für die scharfe Trennung des Thierreichs in die beiden Haupt- abtheilungen der Protozoen und Metazoen, zwischen denen als fester Grenzstein die Gastraea steht, wurde nach oben h i n dadurch der sicherste positive Anhalt gewonnen , dass ich bei den Spongien die Existenz eines Urd arm s und die Entwicke- lung aus denselben beiden primären Keimblättern nach- wies, welche bei allen Metazoen bis zu den Wirbelthieren hinauf dieselbe gemeinsame Grundlage für die ursprüngliche Körperbil- dung abgeben. Auf der andern Seite erhob sich die Forderung, für jene feste Grenzbestimmung nach unten hin dadurch eine entsprechende negative Sicherheit zu gewinnen, dass für sämmt- liche Protozoen der vollständige Mangel des Urdarms und der beiden primaeren Keimblätter nachgewiesen wurde. In die- ser Beziehung boten eigentlich nur die Infusorien , insbesondere die Ciliaten , erhebliche Schwierigkeiten dar, da deren systemati- sche Stellung bis in die neueste Zeit hinein zwischen den Urthie- ren , Pflanzenthieren und Würmern hin und her schwankte. Ich hoffe durch meine kürzlich veröffentlichten Untersuchungen „Zur Morphologie der Infusorien"2) diese schwierige Frage definitiv er- ledigt und auch den Angriffen der neuesten Zeit gegenüber die zuerst von Siebold (1845) aufgestellte Ansicht sicher begründet zuhaben, dass die Infusorien einzellige Organismen, mithin echte Protozoen sind. Für den Nachweis der wahren Homologie der beiden primären Keimblätter bei sämmtlichen Metazoen, ohne welchen die Gastraea-Theorie nicht haltbar ist, waren mir 1) Insbesondere sind folgende Abschnitte im ersten Bande der „Kalk- schwämme" zu vergleichen : Individualitätslehre (S. 89 — 124) , Histologie (S. 130 — S. 180), Organologie des Canal-Systems (S. 210 — 292), Entwickelungsgeschichte (S. 328—360), Anpassung (S. 381—391), Vererbung (S. 399—402) und Philoso- phie fler Kalkschwämme (S. 453 — 484). Im letzteren Abschnitte sind nament- lich die Reflexionen über die Stammform der Spongien (S. 453), die Keimblät- ter-Theorie und den Stammbaum des Thierreichs (S. 464 , 465) , das biogene- tische Grundgesetz (S. 471) und die Ursachen der Formbildung (S. 481) für die Gastraea-Theorie von Bedeutung. Um unnütze Wiederholungen zu vermeiden muss ich auf diese Abschnitte aus dem ersten Bande (der Biologie der Kalk- schwämme) wiederholt verweisen. Zahlreiche bezügliche Beobachtungen sind im zweiten Bande (dem System der Kalkschwämme) speciell mitgetheilt. Die erläuternden Abbildungen dazu sind auf den 60 Tafeln zu finden, welche den dritten Band (den Atlas der Kalkschwämme) bilden. 2) Jenaische Zeitschrift, VII. Bd. 1873, S. 516, Taf. XXVII, XXVIII. Die causale Bedeutung der Gastraea-Theorie. 15 von besonders hohem Werthe die ausgezeiclineten Untersuchungen über die Ontogenie verschiedener niederer TMere, welche A. Ko- walevsky in den letzten sieben Jahren (in den Memoiren der Pe- tersburger Akademie) veröffentlicht hat, und welche ich unter allen neueren ontogenetischen Arbeiten für die wichtigsten und folge- reichsten halten muss '). Allerdings giebt Kowalevsky die von uns behauptete complete Homologie der beiden primären Keimblätter bei den verschiedenen Thierstämmen nicht zu und hält z. B. das Darmdrüsen - Blatt der Insecten, das Entoderm der Hydroiden u. s. w. für eigentümliche Bildungen. Auch in der Deutung der seeundären Keimblätter weicht er sehr von der unsrigen ab. Allein im Grossen und Ganzen glaube ich behaupten zu dürfen , dass die wichtigen, von ihm entdeckten Thatsachen lauter Beweise für die Wahrheit der Gastraea-Theorie sind. Dasselbe gilt von den aus- gezeichneten und werthvollen Untersuchungen über die Ontogemie niederer Thiere, welche Edouabd van Beneden jun. in verschiede- nen Schriften, namentlich in seiner gekrönten Preisschrift über die Zusammensetzung und Bedeutung des Thier-Eies (1870) mitge- teilt hat2). In wesentlicher Uebereinstimmung mit den Vorstellungs-Reihen, welche mich zur Gastraea-Theorie geführt haben, hat kürzlich (im Mai 1873) E. Ray - Lankestek einen sehr lesenswerthen Aufsatz über die primitiven Keimblätter und ihre Bedeutung für die Clas- sification des Thierreichs veröffentlicht 3). Zwar weichen im Ein- zelnen unsere Anschauungen mehrfach ab und namentlich ist un- sere Auffassung der seeundären Keimblätter, sowie des Coeloms und des Gefässsystems im Verhältniss zu den Urnieren u. s. w. grundverschieden. Jedoch in den meisten Beziehungen und beson- 1) Die ontogenetischen Arbeiten von Kowalevsky, besonders diejenigen über Ampbioxus, Ascidia, Euaxes, Holothuria u. s. w. haben bei Weitem noch nicht die Würdigung gefunden, welche sie wirklich verdienen. Dieser Um- stand erklärt sich zum grossen Theil wohl durch die ausserordentlich nachläs- sige und unordentliche Form seiner Darstellung. Nicht allein wird das Ver- ständniss dadurch sehr erschwert, dass der springende Gedankengang der logi- schen Gliederung und folgerichtigen Anordnung sehr entbehrt, sondern auch dadurch, dass die erläuternden Figuren zum Theil gar nicht erklärt, zum Theil falsch beziffert und ohne genügende Beziehung zum Texte gegeben sind. 2) Edoüabd van Beneden, Recherches sur la composition et la signification de l'oeuf. Bruxelles, 1870. 3) E. Ray-Lankester , On the primitive cell-layers of the emhryo as the basis of genealogical Classification of animals, and on the origin of vascular and lymph Systems. Annais and Mag. of nat. hist. 1873. Vol. XI. S. 321. 16 Die Gastraea-Theorie. ders in Rücksicht auf die Homologie der primären Keimblätter stimmt Ray-Lankester's Auffassung wesentlich mit der unsrigen über- ein. Diese Uebereinstimmung ist um so erfreulicher, als wir beide unabhängig von einander und auf verschiedenen Wegen zu den- selben Resultaten gelangt sind. In Betreff der Folgerungen, welche ich nachstehend aus der Gastraea-Theorie ableite, und welche einige der wichtigsten Grund- fragen der vergleichenden Anatomie und Entwickelungsgeschichte, sowie der Systematik des Thierreichs betreffen, muss ich diejenige Berechtigung naturphilosophischer Speculation (oder mit anderen Worten: denkender Vergleichung empirischer Resultate) in An- spruch nehmen, ohne welche überhaupt nach meiner Ueberzeu- gung die allgemeine Biologie keinen Schritt vorwärts thun kann. Ich habe meine Auffassung dieser Berechtigung der notwendi- gen Verschmelzung von empirischer und philosophischer Methode in meiner „kritischen und methodologischen Einleitung in die gene- relle Morphologie der Organismen" sowie in meiner „methodologi- schen Einleitung" zur Monographie der Kalkschwämme hinreichend erörtert und kann hier einfach auf jene ausführliche Rechtferti- gung dieses Standpunktes verweisen. Jedenfalls dürfte durch die nachstehenden Erörterungen schon jetzt der Nachweis geliefert sein, dass die Typen-Theorie von Cuvjer und Baer , welche über ein halbes Jahrhun- dert hindurch bis heute die Basis des zoologischen Systems bildete, durch die Fortschritte der Ontoge- nie unhaltbar geworden ist. An ihrer Stelle errichtet die Gastraea-Theorie auf der Basis der Phylogenie ein neues System, dessen oberstes Classifications- Princip die Homologie der Keimblätter und des Ur- darms, und demnächst die Differenzi rung der Kreuz- axen und des Coeloms ist. Grössere Bedeutung aber, als durch diese fundamentale Um- gestaltung des zoologischen Systems, dürfte die Gastraea - Theorie dadurch gewinnen, dass sie der erste Versuch ist, ein causales Verständnis« der wichtigsten morphologischen Verhältnisse und der typischen Hauptunterschiede im Bau der Thiere herbeizu- führen, sowie die historische Reihenfolge in der Entstehung der thierischen Organ-Systeme aufzuklären. Vererbung und An- passung in ihrer Wechselwirkung treten hier als die beiden einzigen formbildenden Factoren der organi- schen Form-Verhältnisse in ihr vollesLicht. Vererbung Die phylogenetische Bedeutung der primären Keimblätter. \"J und Anpassung sind die beiden einzigen ., mechanischen Ursachen '. mit deren Hülfe die G-astraea-Theorie die Entstehung der natür- lichen Hauptgruppen des Thierreichs und ihrer characteristischen Organisations- Verhältnisse erklärt . 3. Die phylogenetische Bedeutung; der zwei primären Keimblätter. s. Diejenige individuelle Entwickelungs - Form des Thjerreicbi auf deren allgemeine Verbreitung sich die Gastraea-Theorie zunächst stützt, ist die Gastrula (Taf. I, Fig. 1 — 8). Mit diesem Namen habe ich in der Biologie der Kalkschwämme denjenigen frühzeiti- gen Entwickelungszustand belegt, in welchem der embryonale Thierkörper die denkbar einfachste Form der Person darstellt: einen einaxigen ungegliederten hohlen Körper ohne Anhänge, dessen einfache Höhle (Urdarm) sich an einem Pole der Axe durch eine Mündung öffnet (Ur- mund), und dessen Körperwand aus z weiZellenschich- ten oder Blättern besteht: Entoderm oder Gastral- Blatt und Exoderm oder Dermal-Blatt l). Die Gastrula ist die wichtigste und bedeutungsvollste Embryo- nal-Form des Thierreichs. Die ausserordentliche Bedeutung, welche ich derselben beimesse, stützt sich erstens darauf, dass dieselbe bei Thieren der verschiedensten Klassen, von den Spon- gien bis zu den Wirbelthieren in derselben characteristischen Form und Zusammensetzung wiederkehrt, und zweitens darauf, dass die morphologische und physiologische Beschaffenheit der Gastrula-Form an sich auf den monophyletischen Stammbaum des Thierreichs das hellste Licht wirft. Wollte man sich a priori eine möglichst einfache Thierform construiren, welche das wichtigste animale Primitiv-Organ, den Darm, und die beiden primären Keim- blätter besitzt, so würde man zu derselben Form kommen, welche die Gastrula in Wirklichkeit darstellt. Die Zusammensetzung und Structur der Gastrula habe ich in der Ontogenie der Kalkschwämme genau beschrieben (a. a. 0. S. 333 — 337). Sie kehrt bei allen drei Familien dieser Thiergruppe 1) Ueber den festen Individualitäts-Begriff der Person (aL> des Morphon oder des morphologischen Individuums dritter Ordnung) vergl. meine Biologie der Kalkschwämme. S. 113. Ueber den festen Begriff der Gastrula vergl. ebendaselbst S. 333. In vielen Fällen ist unsere Gastrula identisch mit der embryonalen Thierform, die man bisher Planula nannte; allein in vielen ande- ren Fällen ist die sogenannte ., Planula" ein sehr verschieden zusammengesetz- ter Körper. 2 18 Die Gastraea-Theorie. stets in derselben Gestalt wieder, bei den Asconen ( Asculmis armafa, Taf. 13, Fig. 5, 6); bei den Leuconen ( Leuculmis ecki- wms, Taf. 30, Fig. 8, 9); bei den Syconen (Sycyssa Huxleyi, Taf. 44, Fig. 14, 15). Ueberall zeigt sie denselben wesentlichen Bau und unterscheidet sich nur in ganz unwesentlichen Verhält- nissen. Der einaxige ungegliederte Körper ist bald kugelig, bald eiförmig oder länglich rund, seltener sphäroidal oder linsenförmig abgeplattet. Der Durchmesser beträgt meistens zwischen 0,1 und 0,2 Mm. Die primitive Magenhöhle oder der Urdarm (Pro- gaster) ist von derselben Gestalt wie der Körper, und öffnet sich an einem Pole der Längsaxe durch eine einfache Mundöffnung (den Urmund, Prostoma). Die beiden Zellenschichten oder Blät- ter, welche die Magenwand zusammensetzen , unterscheiden sich in sehr characteristischer Weise. Die innere Zellenschicht, das Entoderm oder Gastralblatt, welches dem inneren oder vegetativen Keimblatte der höheren Thiere entspricht, besteht aus grösseren , dunkleren , kugeligen oder subsphärisch - polyedrischen Zellen, welche wenig von den Furchungszellen der Morula verschie- den sind und durchschnittlich 0,01 Mm. Durchmesser haben. Die äussere Zellenschicht , das Exoderm oder Dermalblatt, welches dem äusseren oder animalen Keimblatte der höheren Thiere entspricht, besteht aus kleineren, helleren, cylindrischen oder prismatischen Zellen, von denen jede ein langes Flimmerhaar, eine schwingende Geissei trägt und bei 0,02 Mm. Länge nur 0,004 Mm. Dicke besitzt. (In den schematischen Darstellungen der Gastrula auf der zu diesem Aufsatze gehörigen Taf. I, Fig. 1 — 8, sind die Flimmerhaare des Exoderms absichtlich weggelassen.) Im Stamme der Pflanzenthiere (Zoophyten oder Coelen- teraten) kömmt dieselbe Gastrula-Form nicht allein bei den ver- schiedensten Schwämmen, sondern auch bei den Acalephen sehr ver- breitet vor '), bei Hydroidpolypen und Medusen, bei Ctenophoren und Corallen (Taf. I, Fig. 2). Im Stamme der Würmer findet sich dieselbe Gastrula (der sogenannte „infusorien-artige Embryo") bald in ganz derselben, bald in mehr oder minder modificirter Form bei den Plattwürmern (Turbellarien, Taf. I, Fig. 3 und Trematoden), bei den Rundwürmern (Nematoden, Sagitten), bei den Bryozoen 1) Die Gastrula der Pflanzenthiere ist schon in vielen älteren und neueren Arbeiten über Spongien , Hydronedusen u. s. w. mehr oder weniger deutlich beschrieben und abgebildet worden. Vergl. die Mittheilungen von Ko- walevsky „über die Entwicklung der Coelenteraten" (Göttinger Nachrichten 1868, S. 154), ferner die Arbeiten von Agassiz, Allman u. s. w. Die phylogenetische Bedeutung der primären Keimblätter. 19 und Tunicaten (Ascidien, Taf. I, Fig. 4), bei den Gephyreen und Anneliden (Phoronis, Euaxes, Lumbricus, Chaetopoden) '). Im Stamme der Echinodermen sclieint die Gastrula bei allen vier Klassen sehr verbreitet zu sein, namentlich bei den Ästenden und Holothurien2) (Taf. I, Fig. 6). Im Stamme der Arthropoden ist die Gastrula zwar nirgends in der ursprünglichen reinen Form mehr vollständig conservirt; aliein es ist sehr leicht, die frühesten Entwickelungsformen des Nauplius (als der gemeinsamen Crusta- ceen-Stammform) und vieler niederen Tracheaten auf die Gastrula zu reduciren3) (Taf. I, Fig. 7). Im Stamme der Mollusken scheint die Gastrula namentlich in den Classen der Muscheln und Schnecken sehr verbreitet zu sein , wahrscheinlich auch bei den Spirobranchien 4) ; unter den Schnecken ist sie zuerst bei Limnaeus beobachtet worden (Taf. I, Fig 5). Im Stamme der Verte braten endlich ist die ursprüngliche Gastrula - Form nur noch bei den Acranien (Amphioxus) vollständig, conservirt (Taf. I, Fig. 8). In- dessen lässt die Continuität . welche zwischen der Ontogenie des Amphioxus und der übrigen Wirbelthiere existirt, keinen Zweifel darüber bestehen , dass auch die Vorfahren der letzteren in frü- heren Zeiten der Erdgeschichte im Beginne ihrer Ontogenese die Gastrula-Form durchlaufen haben 5). Diese Erscheinung, dass die Gastrula als früher individueller Entwickelungszustand bei Repräsen- 1) lieber die Gastrula, der Würmer sind besonders die Arbeiten von Kowalevsky zu vergleichen, Memoires de l'Acad. de St. Petersbourg, Tom. X. Xo. 15 (1867), Tom. XVI, Xo. 12 (1871); seine Ontogenie der Phoronis, der Ascidien, und die embryologischen Studien an Würmern und Arthropoden. 2) lieber die Gastrula der Echinodermen geben Aufschluss die Darstellungen von Johannes Müller, von Alexander Agassiz (Embryology ol the btariish . Taf. I, Fig. 25—28) und von Kowalevsky (Ontogenie der Holo- thurien). 3) Dass auch die Vorfahren der Arthropoden sich aus der Gastrula entwickelt haben müssen, ergiebt sich klar aus der Vergleichung ihrer einfach- sten frühesten Jugendzustände mit der Gastrula der Würmer (Vergl. besonders die Arbeiten von Edouard van Beneden und Bessels über die Ontogenie der Crustaceen, von "Weismann über die Ontogenie der Insecten). 4) Die Gastrula der Mollusken hat in einer kürzlich erschieneneu Abhandlung E. Ray-Lankester beschrieben (Annais and. Mag. February 1873. S. 86, 87). Bei vielen Muscheln und Schnecken entwickelt sie sich genau in derselben Weise, wie bei den Zoophyten, Würmern, Echinodermen, Amphio- xus u. s. w. 5) Die Gastr ula der Wirbelthiere, welche jetzt nur noch Am- phioxus besitzt, hat uns Kowalevsky in seiner Ontogenie dieses ältesten Wirbelthieres kennen gelehrt (a. a. 0. Taf. I. Fig. 16, 17). 2* 20 Die Gastraea-Theorie. tanten aller Thierstämme (nur die Protozoen aus- genommen) in derselben wesentlichen Zusammen- setzung und Form wiederkehrt, ist eine biogenetische Thatsache von der grössten Bedeutung, und gestattet nach dem biogenetischen Grundgesetze den sicheren Schluss, dass alle diese Phylen des Thierreichs (mit Ausschluss der Protozoen) von einer einzigen unbekannten Stammform gemeinsam abstammen, welche im Wesentlichen der Gastrula gleichgebildet war. Ich habe diese uralte, längst ausgestorbene Stammform, welche schon in früher Primordial-Zeit (während der laurentischen Periode) gelebt haben muss, in der Philosophie der Kalkschwämme Gastraea ge- nannt (a. a. 0. S. 345, 347, 467). Die Annahme dieser Stammform, deren nächste Nachkommen während jenes Zeitraums wahrschein- lich in vielen verschiedenen Gattungen und Arten von Gastraea- den auftraten, ist fest begründet durch die Homologie oder die mor- phologische Identität der Gastrula bei den verschiedensten Thier- stämmen. Ein Zeugniss von besonderer Bedeutung ist dafür der Umstand, dass die Zellen der beiden Keimblätter ihre unterschei- denden Charactere überall (durch Vererbung) bewahrt haben. Ueberall sind die Zellen des inneren Keimblattes oder Ento- derms durch indifferentere Beschaffenheit ausgezeichnet; ihre Form ist kugelig oder irregulär - polyedrisch , ihr Protoplasma ist trübe, körnig, locker, fettreich und färbt sich durch Carmin rasch und intensiv; ihr Nucleus ist gewöhnlich kugelig; meistens flim- mern sie nicht. Hingegen sind die Zellen des äusseren Keimblattes oder Ex od er ms weiter differenzirt ; ihre Form ist meistens cylin- drisch oder konisch ; ihr Protoplasma ist hell , klar, dicht, fettarm und färbt sich durch Carmin langsamer und weniger intensiv; ihr Nucleus ist gewöhnlich länglich ; meistens flimmern die Exoderm- Zellen '). Offenbar sind dieselben durch Anpassung an die umge- bende Aussenwelt stärker modificirt als die innen gelegenen Eri- toderm-Zellen, welche den ursprünglichen Character der Morula- Zellen getreuer bewahrt haben. Auch verläuft die ontogenetische Bildung und Vermehrung bei den Exoderm-Zellen rascher als bei den Entoderm-Zellen. Aus der Homologie der Gastrula bei allen Thier- stämmen (mit Ausschluss der Protozoen) folgt mit Nothwendig- 1) Die Unterschiede zwischen dem Protoplasma der Exoderm- und Entoderm- Zellen sind ganz analog, wie die Unterschiede zwischen der hyalinen Ri n de Il- se hi cht (Exoplasma) und der körnigen Markschicht (Endoplasma) in dem einzelligen Thierkörper der Infusorien, Amoeben u. s. w. Die phylogenetische Bedeutung der primären Keimblätter. 21 keit die wahre Homologie der ursprünglichen Darm an- läge bei allen Thieren, sowie die Homologie der bei- den primären Keimblätter, auch bei allen jenen höheren Thieren, die nach dem Gesetze der abgekürzten Vererbung den ursprünglichen Gastrula- Zustand verloren haben. Diese Homolo- gie halte ich für so ausserordentlich wichtig, dass ich darauf hin den monophyletischen Ursprung der sechs höheren Thierstämme von der gemeinsamen Stammform der Gastraea annehme und sie alle zusammen als Keimblatt- T hie re ( Metazoa oder lila- stozoa) den noch nicht zur Keimblatt-Bildung gelangten Urthieren ( Protozoa) gegenüber stelle. Diese Annahme bildet den Kern der Gastraea-Theorie, deren wichtigste Consequenzen nach- stehend entwickelt werden sollen. Dass die beiden permanenten Bildungshäute der Acalephen, Entoderm und Exoderm , den beiden Keimblättern der höheren Thiere wirklich homolog sind, hatte schon 1849 Huxley in seiner ausgezeichneten Abhandlung „On the anatomy and the affinities of theMedusae" behauptet1). Später ist dann vor Allen Kowalevsky in einer Reihe von bedeutungsvollen ontogenetischen Arbeiten be- müht gewesen, diese Homologie über den grössten Theil des Thier- reichs auszudehnen und zu zeigen, dass (mit wenigen Ausnahmen) die beiden wohlbekannten ursprünglichen Keimblätter der Wirbel- thiere auch bei den wirbellosen Thieren der verschiedensten Stämme wiederkehren. Besonders wichtig wurde in dieser Bezie- hung seine glänzende Entdeckung von der identischen Ontogenese des Amphioxus und der Ascidien (1867), eine der bedeutendsten und folgenreichsten Entdeckungen der neueren Zoologie 2). Am 1) Philosophical Transactions, 1849, S. 425. „A complete identity of struc- ture connects the foundation membranes oftheMedusae with the eorresponding mernbranes in the rest of the series ; and it is curious to remark. that throug- hout . the inner and outer membranes appear to bear the same physiological relation to one another as do the serous and mueous layers of the gerni: the outet becoming developed into the muscular System and giving rise to the organs of offence and defence; the inner, on the other hand. appearing to be more closely subservient to the purposes of nutrition and gene- ration." 2) Die bedeutende Tragweite, welche wir Kowalevsky's von Kupffeb bestä- tigter Entdeckung beimessen, beruht nach unserer Auffassung auf zwei Punk- ten. Erstens ist dadurch die tiefe Kluft zwischen den Wirbelthieren und den Wirbellosen ausgefüllt , welche bisher für unausfüllbar und für ein Haupthiu- derniss der Descendenz-Theorie galt. Zweitens ist dadurch auch für die Wir- belthiere, ebenso wie für die verschiedensten Wirbellosen, die ursprüngliche ontogenetische Eutwickelung aus der Gastrula, mithin die gemeinsame Descen- 22 Die Gastraea- Theorie. weitesten ausgeführt , zugleich aber doch theilweise beschränkt ist diese Homologie der beiden primordialen Keimblätter und der zu- nächst daraus entstehenden Organe in Kowalevsky's neuester Ar- beit, den „embryologischen Studien an Würmern und Arthropoden" (1871). Die scharfsinnigste Beurtheilung und die entschiedenste Vertretung hat diese Theorie sodann durch Nikolaus Kleinenberg in seiner vortrefflichen Monographie der Hydra gefunden, einem Werke, welches durch die glückliche Verbindung von genauester objectiver Beobachtung und klarer philosophischer Reflexion eine hervorragende Stellung unter den neueren morphologischen Arbei- ten einnimmt, Endlich habe ich selbst in der Biologie der Kalk- schwämme (a. a. 0. S. 464) nachgewiesen, dass bei den Spongien die beiden primären Keimblätter zeitlebens in ihrer einfachsten Form persistiren, dass das äussere animale Keimblatt hier gleich- zeitig die animalen Functionen der Empfindung und Bewegung. Skeletbildung und Deckung versieht, während das innere vegeta- tive Keimblatt lediglich die vegetativen Functionen der Ernährung und Fortpflanzung besorgt. Zugleich habe ich daselbst die Keim- blätter-Theorie direct auf den monophyletischen Stammbaum des Thierreichs angewendet und dadurch dem natürlichen System desselben die feste biogenetische Basis zu geben gesucht. Als complet homolog im strengsten Sinne können durch die ganze Thierreihe hindurch (nach Ausschluss der Proto- zoen, also bei allen Metazoen, von den Spongien bis zu den Vertebraten hinauf) nur die beiden primären Keimblätter und die von ihnen umschlossene primitive Darmhöhle gelten. Die beiden Zellenschichten der Gastrula und der durch sie re- capitulirten Gastraeaden, sowie das Exoderm und das Entoderm der Spongien sind in diesem strengsten Sinne unzweifelhaft com- plet homolog den beiden primären Keimblättern beim Embryo der Whbelthiere , Gliederthiere, Weichthiere, Sternthiere und Würmer. Die scheinbaren Hindernisse, welche die Ausbildung eines Nahrungsdotters (und die damit zusammenhängende partielle Furchung) bei den meisten höheren Thieren dieser completen Homologie bereitet, sind leicht zu beseitigen und durch secundäre Anpassung zu erklären. Hingegen wird diese Homologie in complet. sobald sich die beiden primären Keim- denz von der (jastraea nachgewiesen. Alle Virsuche, welche in neuester Zeit von verschiedenen Autoren gemacht worden sind, die Thatsache dieser fun- damentalen Entdeckung zu bestreiten oder ihre Bedeutung zu entkräften . er- scheinen so schwach, dass sie keiner Widerlegung bedürfen. Die phylogenetische Bedeutung der secundären Keimblätter. 23 blätter zu differenziren und zwischen ihnen ein mittleres Keim- blatt (Mesoderm) zu entwickeln beginnt, Die Ontogenese der Pfianzenthiere und Würmer lehrt deutlich, dass dieses mittlere Keimblatt stets als secundäres Product von einem der beiden pri- mären Keimblätter (»der von beiden zugleich abzuleiten ist, Eines oder beide primäre Keimblätter müssen daher nothwendig bei der Production des Mesoderms eine Differenzirung eingehen und kön- nen in Folge dessen jetzt nicht mehr mit den beiden unveränderten und permanenten Keimblättern der Gasträaden und Spongien (Exo- derm und Entoderm) complet verglichen werden. Sie müssen jetzt vielmehr, gleich den Mesoderm-Schichten selbst, als secundäre Keimblätter unterschieden werden1). 4. Die phylogenetische Bedeutung der vier secundären Keimblätter. Während sich die Homologie der beiden primären Keimblätter mit dem Exoderm und Entoderm der Gastrula, und die phyloge- netische Identität derselben in allen Thierstämmen (mit Ausnahme der Protozoen) schon jetzt ziemlich sicher annehmen lässt. so ist dagegen die Auffassung und Deutung des sogenannten Mesoderms oder des mittleren (dritten) Keimblattes, und aller der Theile, die sich aus diesem zwischen den beiden primären Keimblättern ent- wickeln, noch vielen Bedenken unterworfen. Die Widersprüche, 1) Die urprfrngliche Homologie der Gastrula in allen verschie- denen Thierstämmen. von den Spongien bis zu den Vertebraten, aus der wir hier direct auf die wahre Homologie des Darmes bei allen diesen Thieren. und auf ihre gemeinsame Descendeuz von der Gastraea scbliessen. ist von sol- cher Bedeutung, dass ich wenigstens den wichtigsten unter den Einwürfen, die man dagegen erheben könnte . widerlegen will. Dieser Einwurf betrifft die scheinbar sehr verschiedene Entstehung der Gastrula aus der Morula. In den meisten Fällen entsteht aus der Morula zunächst eine kugelige Keimblase, deren Wand aus einer Zellenschicht zusammengesetzt ist. Indem sieb diese Blase an einn- Stelle selbst einstülpt, entsteht ein zweiblätteriger Becher. Wenn diese Einstülpung vollendet ist, so dass der eingestülpte Theil (Ento- derm oder Gastralblatt) sich innen an den äusseren, nicht eingestülpten Theil (Exoderm oder Dermalblatt) anlegt, ist die Gastrula; fertig. Dieser Bildungs- Modus der Gastrula scheint der ursprüngliche zu sein. In anderen Fällen hingegen höhlt sich die Morula von innen her aus und die centrale Höhlung (Magenhöhle), deren Wand aus zwei Blättern besteht, bricht seeundär nach aussen durch (Mundöffnung). Dieser Bildungs-Modus der Gastrula scheint aus dem ersteren durch abgekürzte Vererbung zusammengezogen zu sein. Das Resultat ist in beiden Fällen ganz dasselbe, und die scheinbar be- deutende Verschiedenheit der Genese ist seeundär, als Anpassungs- Wirkung zu betrachten, wie Ray-Lankester (0. a. a. S. 330) sehr gut gezeigt hat. 24 Die Gastraea-Theorie. welche in dieser Beziehung zwischen den verschiedenen Autoren existiren, sind so gross und so fundamental, dass es bei dem gegenwärtigen Zustande der ontogenetischen Literatur völlig un- möglich ist, dieselben in Uebereinstimmung zu bringen. Nicht allein wird der Ursprung und die weitere Entwickelung des mitt- leren Keimblattes in den verschiedenen Thiergruppen ganz ver- schieden geschildert, sondern sogar bei einem und demselben Thiere (wie z. B. beim Huhn, bei der Forelle) behaupten ver- schiedene Beobachter mit gleicher Sicherheit völlig entgegenge- setzte Thatsachen. Der eine Autor lässt das Mesoderm eben so bestimmt aus dem unteren, wie der zweite Autor aus dem oberen Keimblatt hervorgehen ; ein dritter Autor meint, dass ein Theil des Mesoderms aus dem unteren, ein anderer Theil aus dem oberen Keimblatt entstehe, und ein vierter Autor lässt gar einen Theil des mittleren Keimblatts oder auch wohl das Ganze aus dem nicht organisirten Nahrungsdotter „von aussen" hineinwandern ! Will man nun auch einen grossen Theil dieser unvereinbaren Wider- sprüche durch die Schwierigkeit der Beobachtung entschuldigen, so ist doch sicher der grössere Theil nur durch das flüchtige oder unmethodische Verfahren der Beobachter bedingt. Gerade in der Ontogenie des Mesoderms zeigt sich schlagend, wie uothwendig für mitogenetische Untersuchungen der beständige Hinblick auf die vergleichende Anatomie und die Phylogenie ist. Um die Schwierigkeiten, welche die Entstehung des mittleren oder motorischen Keimblattes wirklich darbietet, zu bewältigen, dürfte es vor Allem gerathen sein, von vornherein 'die beiden wesentlich verschiedenen Bestandteile zu sondern, aus denen das- selbe später zusammengesetzt erscheint, nämlich erstens die äus- sere Lamelle: Baek's Fleischschicht, Remak's Hautplatte (bes- ser: Hautfaserplatte) oder das Hautmuskelblatt (Parie- fal-Blatt des Mesoderms); und zweitens die innere Lamelle: BaefV G efässschicht, Remak's Darmfaserplatt e oder das Darm - muskelblatt (Visceral-Blatt des Mesoderms). Es sprechen näm- lich wichtige Gründe für die Annahme, dass diese beiden Blätter phylogenetisch ursprünglich verschieden sind, obgleich sie ontogenetisch bei vielen Thieren als secundäre Differenzirungen eines scheinbar einfachen mittleren Blattes auftreten. Diese An- schauung wurde bereits von Baeb vertreten, der jedes der beiden primären Keimblätter in zwei Lamellen zerfallen lässt. Aus der Spaltung des äusseren oder animalen Keimblattes entsteht die Hautschicht und die Fleischschicht: aus der Spaltung des inneren Die phylogenetische Bedeutung der secundären Keimblätter. 25 oder vegetativen Keimblattes entsteht die Gefässschicht und die Schleimschicht. Später wurde aber diese Anschauung fast allge- mein verlassen und angenommen, dass zunächst nur aus einem der beiden primären Keimblätter ein drittes, mittleres Blatt entsteht, und dass die „Fleischschicht" und „Gefässschicht" Spaltungs-Pro- ducte dieses letzteren sind. Allerdings scheint bei den Wirbelthieren schon die allererste Anlage des Mesoderms eine einheitliche zu sein, so dass die ganze Zellenmasse desselben von einem der beiden primären Keimblätter abzuleiten wäre. Allein schon der Umstand, dass bei einem und demselben Wirbelthier ein Theil der zuverlässigeren Beobachter mit derselben Bestimmtheit das mittlere Blatt aus dem oberen (animalen), wie ein anderer Theil aus dem unteren (vegetativen) Keimblatte ableitet, lässt die Vermuthung aufkommen, dass beide primäre Keimblätter sich am Aufbau des mittleren Keimblattes bet heiligen. Diese Vermuthung wird fast zur Gewissheit durch die Vergleichung der Mesoderm - Entwicklung bei den verschiedenen Wirbellosen . wo in vielen Fällen nur das Hautmuskelblatt sich aus dem oberen Keimblatt, hingegen das Darnnnuskelblatt aus dem unteren Keimblatt entwickelt. Unter vielen darauf bezüglichen Beobachtungen sind namentlich diejeni- gen von Kowalevsky über Euaxes bedeutungsvoll (Petersb. Mem. 1871, T. XVI, Nr. 12. S. 16. Taf. III;. L'ebrigens liegen auch bei den Wirbelthieren aus neuester Zeit mehrfache Beobachtungen vor, aus denen zu folgen scheint, dass ursprünglich, primär bei ihnen derselbe Entwickelungs-Modus stattfindet und dass die Vereinigung der beiden Muskelblätter in dem einfachen mittleren Keimblatt ein secundärer Vorgang, die darauf folgende Spal- tung des letzteren in die beiden ersteren mithin ein tertiärer Process ist (Yergl. Taf. I, Fig. 11 — lfi nebst Erklärung). Be- sonders wichtig erscheint hierfür die genaueste Untersuchung der Vorgänge im Axentheile der Vertebraten-Keimscheibe. Hier er- scheinen schon sehr frühzeitig die sämmtlichen Keimblätter mehr oder minder innig zu der indifferenten Zellenmasse vereinigt, welche His mit dem Namen Axenstrang belegt und neben den Keimblättern zu den Uran lagen des Embryo rechnet. Die^e letztere Ansicht ist ganz gewiss falsch. Denn wie die Vergleichung der Gastrula bei den verschiedenen Thierstämmen lehrt, ist über- all die Scheidung der beiden primären Keimblätter ursprünglich eine vollständige: ihre Verbindung im Axenstrange der Wirbel- thiere ist als secundäre üoncrescenz aufzufassen. Sehr 26 Die Gastraea-Theorie. wichtig aber erscheint die Beobachtung, dass dieser Axenstrang aus Zellen des unteren und oberen Keimblattes zusammengesetzt ist, und Zellen sowohl für die untere wie für die obere Lamelle des Mesoderms liefert. Sehr bedeutungsvoll ist ferner der Um- stand, dass auch bei vielen Wirbelthieren schon sehr frühzeitig, gleich nach der Sonderung der Chorda von den Seitenplatten, und noch vor Differenzirung der Urwirbelplatten (!) eine horizontale Spaltung der Seitenplatten eintritt, die bis gegen die Axe hingeht. Allerdings verschwindet diese Sonderling des Meso- derms in zwei mittlere Blätter wieder während der Sonderung der Urwirbelplatten; sie ist aber doch wohl als Vorläufer der späteren bleibenden Spaltung der Seitenplatten aufzufassen. Eine entschei- dende Bedeutung für diese wichtige Frage möchte ich der Beob- achtung von Kowalevsky beilegen , wonach bei Amphioxus un- zweifelhaft nur das Hautmuskelblatt vom äusseren, hingegen das Darmmuskelblatt vom inneren Keimblatt abstammt. Beide Mus- kelblätter sind hier ursprünglich völlig getrennt (a. a, 0. S. 6 ; Tat II, Fig. 20). Vergl. Taf. I, Fig. 13. Betrachtet man dieses schwierige Problem im Lichte der De- scendenz Theorie, so ergiebt sich als das Wahrscheinlichste, dass die Zellen der Darmfaserplatte oder des Darnimuskelblattes sich in ähnlicher Weise aus den Zellen des Gastralblattes oder des vegetativen Blattes entwickeln, wie die Zellen der Hautfaserplatte oder des Hautmuskelblattes sich ursprünglich aus ^ den Zellen des Dermalblattes oder des animalen Blattes hervorbilden. Für letzteren Vorgang ist die wichtige Entdeckung von Kleinenbekg höchst be- deutsam, wonach die Muskelfasern der Hydra (die erste Anlage des Mesoderms) noch nicht einmal selbstständige Zellen, sondern bloss faserförmige Fortsätze der nervösen Zellen des äusseren Keimblattes, der „N euro-Musk el -Zellen" sind. Damit ist nun keineswegs gesagt, dass überall das Mesodenn aus diesen .beiden Blättern ursprünglich zusammengesetzt wird. Da beide Muskelblätter hiernach unabhängig von einander entstanden wären, das dermale — der Hautmuskelschlauch — als Be-. wegungs-Organ für die Haut, das g astrale — der Darmmuskel- schlauch - als Bewegungs - Organ für den Darm, so ist auch phylogenetisch der Fall denkbar, dass nur eines von Beiden zur Entwickelung gelangt. Dieser Fall liegt in der That bei einigen Hydroiden und wahrscheinlich bei der Mehrzahl der Acalephen vor; das Darmmuskel - Blatt fehlt hier und das ganze Mesoderni Die phylogenetische Bedeutung der secundären Keimblätter. 27 ist Product des Exoderms, entspricht also mit allen seinen Theilen nur dem Hautmuskel-Blatt, Dass bei den Wirbelthieren die beiden Muskelblätter im Axen- theile des Körpers anfänglich zusammenhängen und erst später sich scheiden, lässt sich aus einem sehr alten Verwachsungsprocess der vier ursprünglich getrennten secundären Keimblätter erklären der in der Axe des Körpers bei den ältesten Acranien stattfand und mit der Entstehung eines inneren, centralen Axen-Skelets (der Chorda) in ursächlichem Zusammenhange stand. Dass gerade hier in dem „Axenstrang" die Keimblätter sich schon frühzeitig inniger verbanden und dadurch vielfach eine ontogenetische Trü- bung und Abkürzung der ursprünglichen phylogenetischen Vor- gänge erfolgte, darauf deutet auch die sehr frühzeitige Differen- zirung der Chorda und viele andere eigentümliche Vorgänge hin. welche in diesem axialen Körpertheile frühzeitig stattfinden. Hin- gegen lassen sich durch die Annahme, dass dieser centrale „Axen- strang" ein seeundäres Verwachsungs-Product ist. und dass dem- nach beide primäre Keimblätter (bei den fünf höheren Thier- stämmen !) an der Zusammensetzung des Mesoderms Theil nehmen, nicht allein viele von jenen eigenthümlichen Vorgängen, sondern auch die Widersprüche der meisten Autoren befriedigend auf- klären. Bei dieser Auffassung lässt sich auch die Entstehung der Leibeshöhle sehr einfach physiologisch erklären. Man kann sich dieselbe ganz mechanisch vorstellen, sobald man sich die so eben entwickelten beiden Muskelblätter in gleichzeitiger und von einander unabhängiger Action denkt. Es wird dann zwischen Bei- den sich nothwendig eine Spaltung herstellen und in der so ent- standenen Höhle Flüssigkeit ansammeln. Diese durch die Darm- wand in die primitive Leibeshöhle transsudirte Flüssigkeit ist das erste Blut, und einzelne während der Transsudaten abgelöste Zellen des Darmfaser-Blattes , welche in dieser primitiven Blut- flüssigkeit bleiben und sich vermehren, sind die ersten Blutzellen. Die wahre Leibeshöhle der Thiere. das Coeloma (oder die sogenannte „Pleuroperitonealhöhle" ' ) ist demnach phylo- 1) Die technische Bezeichnung Coeloma, welche ich in der Biologie der Kalkschwärnme für die wahre Leibeshöhle der Thiere vorgeschlagen habe (b. 468) verdient vor tlera bisher üblichen Ausdrucke Pleuroperitoneulhöhle nicht allein wegen der grösseren Kürze und Bequemlichkeit den Vorzug, sondern vor allem desshalb. weil die letztere Bezeichnung auf die Wirbellosen im eigent- lichen Sinne gar nicht anwendbar ist und eigentlich sieb auf den jüngsten und 28 Die Gastraea-Theorie. genetisch ebenso durch Auseinanderweichen der beiden Muskel- blätter oder mittleren Keimblätter entstanden, wie das ontogenetisch aus der Embryologie der Wirbelthiere seit Remak sicher bekannt ist. Da wo die beiden Blätter in Zusammenhang bleiben und den Darm an der Leibeswand festgeheftet erhalten, bildet sich das Mesenterium. Ich habe meine morphologische Auffassung der Leibeshöhle bereits in der Biologie der Kalkschwänime (S. 467» auseinandergesetzt und begnüge mich daher hier damit, noch- mals ausdrücklich hervorzuheben, dass nach meiner Auffassung das Coelom durch den angegebenen Vorgang (Auseinanderweichen der beiden Muskelblätter) zuerst bei den Würmern entstanden ist und sich von diesen auf die vier höheren Thierstämme ver- erbt hat. Das Coelom oder die wahre Leibeshöhle fehlt hingegen noch sämmtlichen Zoophyten (Spongien und Acalephen), sowie den niedersten Würmern, den Plathelminthen (Turbellarien, Trematoden , Cestoden). Mit dem Coeloma fehlt diesen Thieren zugleich das Blut und das Gefäss-System überhaupt. Denn diese Theile sind untrennbar verbunden. Wo sich die erste Spur von wahrer Leibeshöhle zeigt, da ist auch schon das erste Blut vorhanden, nämlich der Saft, der letztere erfüllt, die primitive „Haeinolyniphe" oder „Haemochylus". Bei dieser Auffassung des Coeloma befinde ich mich in funda- mentalem Gegensatze zu der von den meisten Zoologen getheilten Ansicht von Leuckakt. der den Zoophyten (seinen Coelenteraten i ein echtes Coelom zuschreibt und (noch 1809) den Satz verthei- digte : „Die Leibeshöhle der Coelentraten liegt nicht zwischen Exo- derm und Entoderm. sondern wird von lezterem umschlossen" ' i. Eben so wenig kann ich die Auffassung von Kowalevsky theilen. am meisten differenzirten Zustand des (Joeloms bezieht, wie er nur den höch- sten Wirbelthieren zukommt. 1) Leuckakt sagt (im Arcb. für Naturg. 1870. iL IS. 270): ,,Die Annahme, 'lass der innere Höhlenapparat der Coelenteraten nach seiner morphologi- schen Bedeutung der Leibeshöhle der übrigen Thiere entspreche, hai ziemlich allgemein Eingang in unsere Wissenschaft gefunden — eine Auffas- sung, welche die anatomischen Verhältnisse nicht bloss rechtfertigen, sondern dem Beobachter geradezu aufdrängen u. s. w." Hiergegen ist zu bemerken. dass schon Van dee Hoeven 20 Jahre früher in seiner Naturgeschichte (zu der Leuckart „Berichtigungen" lieferte) die Acalephen ganz richtig mit folgenden Worten charakterisirte . „Ventriculus parenchymate corporis sine ca vi täte abdominal! inclusus; canales e ventrieulo ortum ducentes." Später haben in demselben Sinne Gegenbaur (1861 1, Nosohin (1865), Semper (1867) und Kowalevsky (1868) das coelenteri^che Höhlen - System der Zoophyten richtig als Darmhöhle aufgefasst. Die systematische Bedeutung der (iastraea-Theorie. 29 welcher die Furchungshöhle oder Scgmentationshöhle für die erste Anlage der Leibeshöhle erklärt. Ich kann in diesem Hohl- raum . der sich während der Furchung zwischen den Furchungs- zellen bildet und später die Höhlung der Keimblase (Vesicula blastodermica) bildet, nur eine vorübergehende Höhlung ohne jede bleibende morphologische Bedeutung erblicken. In der That verschwindet dieselbe auch immer wieder im Laufe der Ontogenese und geht niemals direct in das wahre Coelom über. Dieses letztere erscheint erst viel später, als eine wahre Neubildung, eine Spalte zwischen den beiden Muskelblättern. Nach Kowalevsky's Ansicht würde das Coelom phylogenetisch viel älter als die Darmhöhle sein, während in der That das Umgekehrte der Fall ist. Der Darm hat als Primitiv -Organ bei den Zoophyten und Acoelomen sicher sehr lange existirt, bevor sich (bei den Coelomaten) zwischen Darmwand und Leibeswand die wahre Leibes- höhle entwickelte. 5. Wh systematische Bedeutung der Gastraea-Theorie. Für das natürliche System des Thierreichs, oder was dasselbe ist, für seinen Stammbaum, ergeben sich aus den bisherigen Erörte- rungen folgende Schlüsse, welche ich zum Theil bereits in der Biologie der Kalkschwämme, zum Theil in der vierten Autlage der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte'' (im 18. Vortrage) angedeutet habe. Zunächst ^zerfällt das ganze Thierreich in zwei grosse Hauptgruppen, deren scheidende Grenzmarke die Gastrula bildet: einerseits die Stammgruppe der Urthiere (Protozoa) anderseits die sechs höheren T hier stamme, die wir jenen als Keimblattthiere ( Metazoa oder Blastozoa) gegenüber stellen. Bei den Urthieren (Protozoa) besteht der ganze Körper ent- weder 1) aus einer einfachen Cytode (Moneren, Monothalamien) oder 2) aus einem Aggregate von Cytoden (Polythalamien) oder 3) aus einer einfachen Zelle (Amoeben, einzellige Gregarinen, Infu- sorien) oder 4) aus einem Aggregate von einfachen, gleichartigen Zellen (vielzellige Gregarinen, Synamoebenj, oder endlich 5) es sind zwar die Zellen des Körpers in geringem Grade differenzirt, aber sie bilden noch keine Keimblätter, und umschliessen noch keine wahre Darmhöhle. Die Individualität der Urthiere bleibt stets auf sehr niedriger Stufe stehen. Sie bilden nämlich entweder ein Morphon erster Ordnung, eine einfache Plastide (eine Cytode oder eine Zelle); oder sie bilden höchstens ein Mor- 30 D*e Gastraea-Theorie. phon zweiter Ordnung, ein „Organ" in rein morphologischem Sinne, ein Idorgan (Vergl. die Individualitätslehre in der Bio- logie der Kalkschwämme, S. 103 u. s. w.). Niemals aber erheben sich die Protozoen zu dem Forin werthe eines M Orphon dritter oder vierter Ordnung, einer Person oder eines Stockes (in dem an letzterem Orte festgestellten Begriffe). Ebenso wie den Protozoen ein wirklicher Darm fehlt (das erste und älteste Organ der Keim- blatt-Thiere), ebenso fehlen ihnen alle differenzirten Organ-Systeme, welche sich bei den letzteren finden. Es fehlen ihnen Nerven- system, Muskel - System, Gefäss - System, Dermal - System u. s. w. Ebenso fehlen ihnen die differenzirten Gewebe. Aus den tiefliegenden Gründen, welche ich im zweiten Buche der generellen Morphologie und in meiner Monographie der Moneren ausführlich entwickelt habe, erscheint es für das Verständniss der generellen Biologie von wesentlichem Vortheil , mindestens einen grossen Theil der sogenannten Protozoen aus dem Thierreich über- haupt auszuscheiden und als Angehörige des neutralen, zwischen Thierreich und Pflanzenreich mitten inne stehenden Protisten- Reiches zu betrachten. Dahin gehört ein Theil der Moneren, der Amoeboiden und der Flagellaten, ferner die Catallacten, die Laby- rinthuleen, die Myxomyceten und die ganze formenreiche Classe der Rhizopoden mit allen ihren verschiedenen Abtheilungen : Acyttarien Radiolarien u. s. w.). Alle diese Protisten sind als selbstständige organische Stämme oder Phylen zu betrachten, welche mit dem Thierreich in keinerlei genealogischem Zusammenhange stehen und mithin auch nicht in sein natürliches System gehören. Hingegen sind diejenigen einfachsten Organismen, welche zu den wirklichen Stammformen des Thierreichs gehören und die wahre Wurzel des thierischen Stammbaumes begründen, oder welche selbstständige Wurzelausläufer jener Wurzel repräsentiren, sowie endlich auch jene einfachsten Organismen, welche unzweifelhaft thierischen Charakter zeigen (wie die Infusorien), als wirkliche Urthiere oder Proto- zoen von jenen neutralen Urwesen oder Protisten zu trennen. Als solche echte Urthiere wären diejenigen Moneren und Amoeben anzusehen, welche wirklich die ältesten Stammformen des Thier- reichs repräsentiren, und die ich in der vierten Auflage der Schö- pfungsgeschichte als Eithiere (Ovularia) zusammengefasst habe, weil sie den Formwerth der einfachen (kernhaltigen) Eizelle oder der (kernlosen) Eicytode besitzen. Ferner wären dahin die der Planula entsprechenden Thierformen (Planäaden), endlich die Gre- Die systematische Bedeutung der Gastraea-Theorie. 3] garinen , die Acineten und die echten bewimperten Infusorien (Ciliata) zu rechnen. Die zweite Hauptabtheilung des Thierreichs bilden die sechs höheren Thierstämme, welche sämmtlich von der gemeinsamen Stammform der Gastraea abzuleiten sind. Wir fassen sie als Keimblattthiere (Metazoa oder Blastozoa) oder Darmthiere (Gastrozoa) zusammen. Bei allen diesen Thieren, von den Spon- gien bis zu den Vertebraten hinauf, entwickelt sich der Leib ur- sprünglich stetsaus zwei primären Keimblättern, dem ani- malen Exoderm und dem vegetativen Entoderm. Das letztere umschliesst stets eine wahre Darrahöhle mit Mundöffnung'). Demnach hat der Körper den Formwerth eines Morphon dritter Ordnung, einer wahren Person, oder ist aus mehreren Personen zusammengesetzt, also ein Form - Individuum vierter Ordnung, ein Stock (Biologie der Kalkschwämme , S. 103 u. s. w.). Zum Mindesten besitzen alle diese Keimblatt - Thiere zwei differen- zirte Organ -Systeme, nämlich das Haut -System (die Decke des äusseren Keimblattes mit ihren Derivaten) und das D a r m s y s t e m (die Darmauskleidung des inneren Keimblattes mit ihren Derivaten). Für die weitere Classification der Metazoen könnte man in erster Linie vorzüglich drei verschiedene Eintheilungs-Principien verwerthen : 1 ) Den Mangel oder Besitz des Coeloms ; 2) die ver- schiedene Zahl der secundären Keimblätter; 3) die radiale oder bilaterale Grundform. Wenn man das Hauptgewicht auf das Coelom und das damit zusammenhängende Gefäss-System oder Blutsystem legen will, so zerfällt die Hauptabtheilung der Metazoen zunächst in zwei ver- schiedene Gruppen : einerseits die niederen Keimblattthiere , ohne Coelom und ohne Haemolymphe: Zoophyten und Acoelomen (Plathelminthen) ; anderseits die höheren Metazoen, mit Coelom und mit Haemolymphe: die Coelom aten und die aus ihnen hervorge- gangenen vier höchsten Thierstämme: Echinodermen, Arthropoden, Mollusken und Vertebraten (Vergl. die Biologie der Kalkschwämme, S. 465, 468). Für diese beiden Gruppen könnte man im strengsten 1) Die wenigen dannlosen Thiere unter den Blastozoen , die Cestoden und Acanthocephalen, dürfen hier nicht als Einwurf gelten, da sie offen- bar den Darm durch Parasitismus verloren haben und ursprünglich von darm- führenden Würmern abstammen. Dies geht aus ihrer vergleichenden Anatomie und Ontogenie unzweifelhaft hervor (Vergl. Generelle Morphologie Bd. II. S. LXXX). 32 We Gastraea-Theorie. Sinne des Wortes (aber allerdings nicht in der entsprechenden Be- grenzung ihres Autors) die uralten Bezeichnungen des Aristoteles : Anaema und Enaema anwenden. Anaema oder wahre „blutlose" Metazoen sind die Zoophyten und Plathelminthen (Acoelomen) ; Enaema oder wahre „Blutthiere" sind hingegen die Coelomaten (Würmer mit Blut und Coelom) und die daraus entsprungenen vier höchsten Thier - Phylen. Erstere könnten als Anaema ria, letztere als Haemataria bezeichnet werden. Der Versuch, die Zahl und Differenzirung der constituirenden Keimblätter als fundamentales Eintheilungs - Prinzip für die Hauptgruppen des Thierreichs zu verwertheii, ist in neuester Zeit zweimal in verschiedener Weise ausgeführt worden, von Gustav Jaeger und von E. Ray-Lankester. Der erstere liefert in seinem gedankenreichen Lehrbuche der allgemeinen Zoologie (1871) ein besonderes Kapitel über die „Lehre von den Schichten und den Schichtengruppen : Stratographie desThierkörpers'-. Jaeger unterscheidet hier: 1) Zweischichtige Thiere („Die niedrigsten mehrzelligen Thiere") ; 2) Dreischichtige Thiere (Coelenteraten) ; 3) iünfschichtige Thiere (Enteraten oder Darmthiere : unsere Bilaterien. die fünf höheren Thierstämme). So anerkennenswerth der Versuch ist, in dieser Weise die „Stratographie" für die animale Morpho- logie zu verwertheii , so müssen wir ihn doch im Einzelnen für misslungen erklären. Es ergiebt sich dies sofort durch Verglei- chung von Jaeger's Darstellung (besonders § 55, 67) mit unserer Darstellung im vorliegenden Aufsatze, der die Gastraea- Theorie zur Basis hat. Ebenso kann ich auch dein Versuche von Ray- Lankester (a. a. 0. S. 325) nicht im Einzelnen beistimmen. Er unterscheidet 1) Homoblastica : ohne diö'erenzirte Keimblätter (Pro- tozoa), 2) Diploblastica : mit zwei Keimblättern (Coelenterata), 3) Triploblastica : mit drei Keimblättern (die fünf höheren Stämme, unsere Bilaterien). Nach unserer eigenen Ansicht würde man vielmehr, wenn man in dieser Weise die Hauptgruppen des Thierreichs durch die Zahl der Keimblätter charakterisiren wollte, folgende 4 oder 5 Abtheilungen zu unterscheiden haben: 1) Abiasteria: Thiere ohne Keimblätter ( Protozoa); 2) Diblasteria: Thiere mit zwei permanenten Keimblättern (Gastraeaden und Spongien, niederste Acalephen); 3) Triblasteria; Thiere mit drei Keimblättern (die Mehrzahl der Acalephen: Hydromedusen , Ctenophoren, Corallen) 4) Tetrablasteria: Thiere mit vier Keimblättern (Hautsinnes- blatt, Hautmuskelblatt, Darmmuskelblatt, Darmdrüsenblatt): Die Die systematische Bedeutung der Gastraea-Tbeorie. 33 Bilaterien oder die vereinigten fünf höheren Thierstämme. Unter diesen letzteren würden die Acoelomen (die Würmer ohne Leibes- höhle und ohne Blut, die Plathelminthen) den niederen Entwicke- lungszustand darstellen, aus welchem sich erst secundär durch Aus- einanderweichen der beiden Muskelblätter die Coelomaten (die Würmer mit Leibeshöhle und mit Blut) entwickelt haben. Diver- girende Descendenten von vier verschiedenen Coelomaten -Formen sind die vier höchsten Thierstämme: Echinodermen, Arthropoden, Mollusken, und Yertebraten. Die Ableitung dieser vier typischen Phylen aus der gemeinsamen Stammgruppe der Würmer ist nicht schwer. Noch jetzt zeigt uns die vergleichende Anatomie und Ontogenie, dass dieselben nahe Verwandte unter den Coelomaten haben. Die Anneliden führen zu den Arthropoden und Echino- dermen, die Bryozoen (?) zu den Mollusken, die Tunicaten (Ascidien) zu den Yertebraten hinüber (Vergl. den XYIIL Vortrag der Na- türlichen Schöpfungsgeschichte). Wenn man im Sinne Jaeger's das (durch Spaltung des animalen und vegetativen Muskelblattes ent- standene) Coelom und die dazu gehörigen Zellen (Coelom-Epithelien, Lymphzellen, Blutzellen) als Repräsentanten einer besonderen fünften Schicht, eines intermediären fünften Keimblattes ansehen wollte, so würde man als Tetrablasterien nur die Acoelomen (Plat- helminthen) und vielleicht einen Theil der Acalephen auffassen haben. Hingegen würden alle mit Coelom versehenen Thiere (die Coelomaten und die vier höchsten Thierstämme) eine besondere fünfte Hauptgruppe bilden; Pentablasteria (mit fünf Keimblät- tern oder principalen Gewebsschichten : 1. Hautsinnesblatt, 2. Haut- muskelblatt, 3. Coelom blatt oder Lymphblatt, Gefässblatt in modi- ficirtem Sinne, 4. Darmfaserblatt, 5. Darmdrüsenblatt). Eine Zusammenstellung dieser fünf Hauptgruppen des Thier- reichs mit den bekannten gewöhnlich angenommenen „Typen'1 würde folgende Resultate ergeben: 1. Ablas teria 2. Diblasteria 3. Triblasteria 4. Tetrablasteria 5. Pentablasteria 5. 1. Protozoa Gastraeada Spongiae Acalephae Acoelomi Coelomati Mollusca Echinoderina Arthropoda Vertebrata 2. 3. 4. Protozoa Zoophyta Verraes Typozoa Protozoa Mctazoa 34 Die Gastraea-Theorie. So verlockend es nun auch von phylogenetischem Gesichts- punkte aus erscheinen könnte, in dieser Weise die Zahl und Differen- zirung der Keimblätter als Basis für die Classification des Thier- reichs zu verwerthen, so ergeben sich doch bei näherer Betrachtung bedenkliche Hindernisse, welche die strenge Durchführung diese Eintheilungs-Princips nicht gestatten. Abgesehen davon, dass wir überhaupt die Ontogenese vieler Thiere (besonders aus den nie- deren Stämmen) noch gar nicht genügend kennen, finden sich ver- mittelnde Uebergangs-Formen zwischen den fünf angeführten Grup- pen, welche keine scharfe Trennung zulassen, und ausserdem kom- men in den niederen Phylen der Metazoen Fälle .vor, in denen nahe verwandte Formen eines Stammes zu verschiedenen Gruppen der Blasterien gestellt werden müssen. Obwohl die meisten Aca- lephen (Hydromedusen, Ctenophoren, Corallen) wahrscheinlich Tri- blasterien sind, kommen doch unter ihren niederen Formen (Hydra) Diblasterien und unter ihren höheren Formen wahrscheinlich viele Tetrablasterien vor. Unter den Acoelomen (Plathelminthen) finden sich wahrscheinlich neben den vorwiegenden Tetrablasterien viele Triblasterien oder selbst Diblasterien u. s. w. Aus diesen und anderen Gründen erscheint es vielmehr ge- boten, für die weitere Eintheilung der Metazoen als maassgebendes Princip lediglich die Grundzüge ihrer Phylogenie zu verwer- then, wie sie sich aus der vergleichenden Anatomie und Onto- genie der Metazoen ergeben, und wobei die stereometrische (ra- diale oder bilaterale) Grundform der Körperanlage eine ent- scheidende Rolle spielt. Die weitere Entwickelung der Gastrula erscheint hier zunächst bestimmend. Dieser folgend bin ich be- reits in der Biologie der Kalkschwämme zu der Annahme gelangt, dass die Descendenten der Gastraea, als der gemeinsamen Stammform aller Metazoen, sich zunächst in zwei Linien spalteten : den Protascus , welcher als die Stammform aller Zoophyten, und die Prothelmis, welche als die gemeinsame Stammform aller fünf höheren Thierstämme anzusehen ist. Die Spaltung dieser beiden Hauptlinien ist ganz mechanisch durch die zweifach verschiedene Lebensweise bedingt, der sich die Descendenten der monaxonien (weder „radiären", nach „bilateralen") Gastraea zu- nächst anpassten. Die eine Gruppe gab die frei bewegliche Lebensweise der schwimmenden Gastraea auf, setzte sich mit dem aboralen Pole ihrer Körperaxe fest und entwickelte sich dann eo ipso weiterhin zum sogenannten „radialen Typus" (Zoophyten). Die andere Gruppe der Gastraea-Descendenten be- Dio Homologie der Typen. 35 hielt die freie Ortsbewegung bei, ging aus der schwimmenden Be- wegungsforna in die kriechende auf den Meeresboden über, und entwickelte sich eo ipso zum sogenannten „bilateralen Typus" (die fünf höheren Thierstämme , Würmer und Typozoen). Ich betrachte demnach lediglich einerseits die festsitzende Lebensweise bei der Stammform der Zoophyten ( Protascus), als die mecha- nische „wirkende Ursache" ihres radialen Typus oder genauer ausgedrückt ihrer actinoten (regulär - pyramidalen) Grundform; anderseits die kriechende Lebensweise bei der Stammform der Würmer ( Prothelmis) als die mechanische causa efficiens ihres bilateralen Typus oder genauer ausgedrückt ihrer dipleuren (amphithect- pyramidalen) Grundform. Diese hat sich von den Würmern auf die vier höchsten Thierstämme vererbt. Auf Grund dieser phylogenetischen Betrachtung können wir die sämmtlichen, ursprünglich bilateralen Descendenten der Gastraea (die Abkömmlinge der Prothelmis) in eine natürliche Hauptabtheilung zusammenfassen, welche wir kurz Bilateria oder Sphenota („Keilthiere", wegen der keilartigen Grundform im Sinne Bronn's) nennen wollen. Diese Gruppe umfasst sämmtliche Würmer und die davon abzuleitenden vier höchsten Thierstämme : Mollusken, Echinodermen, Arthropoden, Vertebraten ')• 6. Die Bedeutung der (Jastraea-Tiieorie für die Homologie der Typen. Durch die Vergleichung der Keimblätter bei den verschiede- nen Thierstämmen werden wir zu der wichtigen Frage geführt, wie weit überhaupt die Organe und Organsysteme bei den sieben Phylen des Thierreichs einer morphologischen Vergleichung zugäng- lich sind, wie weit zwischen denselben eine wirkliche Homologie im strengsten Sinne (also Homophylie) durchzuführen ist. Die- jenigen, welche an der BAER-CuviER'schen Typen -Lehre in ihrer ursprünglichen starren Fassung festhalten und alle Typen des 1) Bei den sämmtlichen Wirbelthieren , Gliederthieren und W eichthicren ist die dipleure oder bilaterale Grundform ebenso unbestritten, wie bei den Würmern. Aber auch die Stammform der Echinodermen besitzt dieselbe Grundform. Als solche betrachten wir nach unserer Echinodermen-Theorie die gegliederte Wurm -Person, welche im Ästenden-,, Arm" noch am meisten ihre Selbstständigkeit bewahrt hat. Die radiale Form der entwickelten Echi- nodermen-Stöcke (sternförmige Cormen aus 5 oder mehr Personen) bildet daher ebenso wenig einen Einwurf dagegen, als die radiale Form der Synas- cidien-Stöcke (Botryllus). 3* 36 Die Gastraea-Theorie. Thierreichs als völlig gesonderte morphologische Einheiten be- trachten, müssen natürlich jene Frage überhaupt verneinen. Die- jenigen hingegen, welche die Typen-Theorie im Lichte der Descen- denz-Theorie betrachten und die von uns hier versuchte Modifica- tion derselben durch die Gastraea-Theorie, sowie die damit zu- sammenhängende Generalisation der Keimblätter - Theorie gelten lassen, müssen bis zu einem gewissen Grade eine solche morpho- logische Vergleichung gestatten. In der That hat sich auch Gegen- baur neuerdings in diesem Sinne ausgesprochen ') , und ebenso Kowalevsky in seiner neuesten Arbeit2). So ausserordentlich wichtig und interessant diese Frage nach den Homologien der Thierstämme für die vergleichende Anatomie und Phylogenie ist, so schwierig und verwickelt erscheint bei dem gegenwärtigen unvollkommenen Zustande der Morphologie ihre sichere Beantwortung. Ich lege daher den nachfolgenden Erörte- rungen nur den Werth eines provisorischen Versuches bei. Das Phylum der Protozoen bleibt natürlich von dieser Betrachtung- ganz ausgeschlossen, da nach unserer vorher dargelegten Ansicht kein Thier dieser Wurzelgruppe sich bis zur Bildung von Keim- blättern erhebt, und demnach auch die aus letzteren entwickelten Organe den Protozoen völlig abgehen. Mithin halten wir z. B. jede morphologische Vergleichung irgend eines Theiles des Infusorien-Körpers mit einem scheinbar entsprechenden (und phy- siologisch vielleicht gleichwertigen, also analogen) Theile eines Keimblatt - Thieres für ganz unzulässig. Wie ich bereits in dem Aufsatze „Zur Morphologie der Infusorien'' (a. a. 0.) gezeigt habe, kann z. B. der Darm der Ciliaten physiologisch als solcher auf- gefasst und mit dem Darm der Metazoen verglichen werden. In morphologischer Beziehung können diese Theile aber überhaupt nicht verglichen werden. Der Ciliaten-Darm ist Bestandtheil einer einzigen hoch differenzirten Zelle; der Metazoen - Darm ist ein Hohlraum, der von dem vielzelligen inneren Keimblatte umschlos- sen ist. Nur zwischen den sechs Stämmen der Metazoen, die alle von der Gastraea abzuleiten sind, können Homologien existiren. Als die sicherste und allgemeinste Homologie, welche durch die ganze Reihe der Metazoen (von den Spongien bis zu den Vertebraten) durchführbar ist, ergiebt sich die Vergleichung der- 1) Gegenbaur, Grundzüge der vergl. Anatomie II. Aufl. S. 82. 2) Kowalevsky, Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden 1871, Schluss. Die Homologie1 der Typen. 37 jenigen Organe, welche bei den einfachsten Metazoen, den Gastvae- aden und den niedersten Spongien) bereits differenzirt sind, und bei diesen zeitlebens in ihrer einfachsten Anlage verharren. Das ist erstens der primitive Darmcanal mit seinem Epitheliom (dem Darmdrüsenblatt, Entode rm der Gastrula); und zweitens die oberflächlichste Körperbedeckung, das Hautsinnesblatt oder die Epidermis, Exoderm der Gastrula). Bezüglich dieser letzteren ist ausdrücklich hervorzuheben, dass zwar die ursprüng- liche complete Homologie der Epidermis bei den sechs Metazoen- Phylen durch frühzeitig eintretende Häutungs -Processe vielfach gestört und incomplet werden kann, indem die ursprünglich oberste Epidermis - Schicht in eine vergängliche embryonale Hülle ver- wandelt oder abgestreift wird (z. B. Hydra, Kleinenberg); dass aber nichtsdestoweniger mindestens eine Zellenschicht der Epider- mis sich constant erhält und als Ausgangslager für die übrigen dient, mithin die Epidermis als Ganzes, und als Derivat des einfachen Exoderms der Gastrula, bei allen sechs Metazoen-Stämmen homolog ist1). Sehr schwierig ist die Frage nach der Homologie des Cen- tral-Nerven -Systems. Unzweifelhaft ist dasselbe bei allen sechs Stämmen der Metazoen aus dem Exoderm hervorgegangen ; aber das Centralnerven - System der Zoophyten ist sicher unab- hängig von demjenigen der Würmer entstanden und diesem in 1) Die Bildung vieler embryonaler Bullen, -welche ontogenetisch aus dem obersten Keimblatt (dem Hornblatt) entstehen, ist wohl phylogenetisch durch Häutungen (oder „Mauserungen") zu erkläreu, welche die Vorfahren des betreffenden Organismus in früheren Perioden der Erdgeschichte erlitten haben. So ist namentlich die Larvenhaut vieler höheren Crustaceen, die innerhalb der Eischale entsteht und selbst mehrfach gewechselt wird, auf wiederholte Häu- tungen der Crustaceen- Stammform, des Nauplius. und anderer aus diesem ent- standeneuen alten Stammformen zu deuten (Vergl. die bezüglichen Angaben und Deutungen in den betreffenden Schriften von Feitz Mülleb, Edouard van Beneden, A. Dohen u. s. w.). Ebenso ist vielleicht auch das sogenannte Am- nion bei manchen Thieren zu deuten. Das Amnion der Wirbelthiere ist da- gegen sicher anderen Ursprungs. Was die specielle Homologie dieses Amnion bei Vertebraten und. Arthropoden betrifft, wie. sie von Kowat.evsky und An- deren behauptet wird, so wird dieselbe, abgesehen von anderen Gründen, schon dadurch widerlegt, dass das Amnion nur den drei höheren Wirbelthierklassen (Amnioten) zukommt. Offenbar hat sich dasselbe hier also erst während der Entstehung der Amnioten-Stammformen aus den Amphibien entwickelt, und ist gänzlich unabhängig von dem Amnion der Arthropoden. Letzteres ist dem letzteren nur analog (und homomorph) aber nicht wirklich homolog (homo- ptyl). 38 Die Gastraea-Theorie. keiner Weise zu vergleichen. Hingegen ist die einfachste Form des Centralnerven-Systems, welche sich bei den Würmern findet, nämlich das über dem Schlünde gelegene einfache Nervenknoten- Paar, das sogenannte obere Schlundknoten-Paar oder Ur_ hirn erstens in allen Classen des Würmerstammes als homolog zu betrachten, und zweitens auch dem gleichnamigen Theile der Mollusken und Arthropoden , sowie der ursprünglichen Medullar- rohr- Anlage der Wirbelthiere zu vergleichen (von der das Ge- hirn der letzteren nur der vorderste difi'erenzirte Abschnitt ist l). Bei den Echinodermen ist dieses ursprüngliche Central-Organ ver- loren gegangen; ihr Schlundring ist nur eine secundäre Commissur zwischen den fünf radialen Nervensträngen, welche bei den Äste- nden in der ursprünglichsten Form auftreten. Jeder dieser fünf Radial-Nerven der Echinodermen ist homolog dem gegliederten Bauchmark der Anneliden und Arthropoden. Vorbedingung für die Annahme dieser scheinbar paradoxen Vergleichung ist die Richtigkeit meiner Theorie vom Ursprung der Echinodermen, wo- nach als die Stammform dieses Phylum die Asteriden-Form zu betrachten ist, ein Stock von fünf sternförmig verbundenen , ge- gliederten Würmern. Diese Theorie ist zwar von Claus, Leuckart Sempek und Anderen verworfen worden, ohne dass sie jedoch irgend eine andere natürliche Theorie an deren Stelle gesetzt und den Versuch zur Erklärung der Echinodermen-Entstehung gemacht hätten. Auf der anderen Seite hat meine Theorie, welche diese Entstehung vollständig erklärt, die vollkommene Zustimmung von zwei Zoologen ersten Ranges erhalten, auf deren morphologisches Urtheil ich das grösste Gewicht lege, Gegenbaur und M. Sars (senior), letzterer bekanntlich einer der genauesten Kenner der Echinodermen 2). 1) Nicht homolog ist selbstverständlich nach dieser Auffassung das Rückenmark der Wirbelthiere und das Bauchmark der GHederthiere; .diese können ebenso wenig verglichen werden, als der sympathische Grenzstrang der ersteren und das Bauchmark der letzteren. 2) Die Entstehung des Centralnerven-Systems aus der ursprünglichen Ober- haut des Thierkörpers, dem Hornblatte, ist eines der schlagendsten Beispiele für den Werth der phylogenetischen Auffassung und ihre Bedeutung für das Verständniss der ontogenetischen Processe. Bisher bat mau fast allgemein jene Entstehung des „inneren" Nervenstystems aus dem äusseren Keini- blatte wunderbar und paradox gefunden. Sobald man sich aber die Frage stellt: „Wie kann überhaupt das Nervensystem zuerst (phyletiseb) entstanden sein", so wird man nach reiflichem Nachdenken darüber nur die eine Ant- wort geben können : „Aus den oberflächlichsten Körpertheilen, welche mit der Die Homologie der Typen. 39 Die Sinnesorgane der verschiedenen Thierstämme sind zum grössten Theile (mit Ausnahme der Haut als last -Organ, vielleicht sämmtlich!) nicht homolog; ist hier doch sogar inner- halb eines jeden Stammes die Homologie oft nicht nachzuweisen oder selbst innerhalb einer Klasse bestimmt ausgeschlossen, wie z. B. bei dem Gehörorgane der verschiedenen Insecten ! Alles deu- tet darauf hin, dass dieselben polyphyletischen Ursprungs, aus verschiedenen Stücken des oberen Keimblatts zu verschiedenen Reiten entstanden sind. Dieser vielfach verschiedene und selbst- ständige Ursprung der Sinnes-Organe ist auch phylogenetisch ganz gut begreiflich. Wahrscheinlich haben aus dem oberen Keimblatte auch die Primordial-Nieren ihren Ursprung genommen und wahrschein- lich sind diese Organe bei allen Bilaterien (bei sämmtlichen Mit- gliedern der fünf höheren Thierstämme) homolog. Die einfachste Form würden die sogenannten „Excretions-Organe oder Wasserge- fässe" der Plathelminthen darstellen, welche ursprünglich weiter nichts als mächtig entwickelte schlauchförmige Hautdrüsen (gleich den Schweissdrüsen) sind. Die vergleichende Anatomie wird spä- ter wohl im Stande sein, nachzuweisen, dass diese Urnieren der ungegliederten Plathelminthen, welche sich in jedem Metamere der gegliederten Würmer als sogenannte Schleifencanäle oder Segmen- tal-Organe wiederholen, sowohl den Nieren der Mollusken als den Urnieren der Wirbelthiere ihren Ursprung gegeben haben '). Unter den Arthropoden hat bereits Gegenbaur die Homologie der „Scha- Aussenwelt beständig in Berührung waren". Nur aus dieser beständigen Berührung konnte sich die erste „Empfindung" entwickeln. Secundär hat sich dann das Nerven- System in das geschütztere Innere des Körpers zurück- gezogen , „vom Hornblatt abgeschnürt". Die Annahme eines besonderen ,, N e r v e n b 1 a 1 1 e s ", welches manche Embryologen vom Hautsinnesblatt tren- nen, halte ich nicht für gerechtfertigt. 1) Bei Amphioxus ist vielleicht als Homologon oder als rudimen- tärer Rest der ursprünglichen Urniere der von Bathkk entdeckte und von J. Müller genauer beschriebene weite Canal zu deuten, welcher jederseits in der Hautfalte des Bauches (unmittelbar an der Aussenf] äche der Sexual -Drüsen) verläuft und sich hinten zu beiden Seiten des Porus abdominalis nach aussen öffnet. (Eine zweite, vordere Oeffnung in die Mundhöhle ist problematisch.) Wenn die Vergleichung dieses Hautcanales von Amphioxus (Fig. 4o auf J. Müller's Taf. I) mit der Urniere der Wirbelthiere und dem ähnlichen Excre- tions-Organe der Würmer richtig wäre, so würde damit eine sehr interessante Verbindung zwischen den beiden letzteren Organen hergestellt und zugleich die Entstehung des Urnieren-Ganges der Vertebraten aus dem äusseren Keimblatt erklärt sein. 40 Die Gastraea- Theorie. lendriise" der niederen Crustaceen (und der „grünen Drüse" der Decapoden) mit den Urnieren der Würmer nachgewiesen. Die Tracheaten haben dieses Excretions-Organ ganz verloren und an seine Stelle sind die Malpighischen Röhren des Darmcanales ge- treten. Wenn man die Urniere in dieser Weise ursprünglich (phylogenetisch) als eine ausscheidende Hautdrüse auftässt, so er- klärt sich auch ihre ursprüngliche oberflächliche Lage beim Verte- braten-Embryo. Sie wird hier jedenfalls vom oberen Keimblatt abzuleiten sein, entweder direct vom Hornblatt, oder indirect, durch Zellen des „Axenstranges", welche vom Hornblatt in das Hautfaserblatt eingewandert sind. Das Hautmuskelblatt oder das Hautfaserblatt (die „Fleischschicht" von Baer, die Hautplatten und Urwirbelplatten von Remak) ist als Ganzes in seiner ursprünglichen einfachen Anlage wahrscheinlich bei allen sechs Metazoen - Stämmen , oder doch wenigstens bei den fünf Phylen der Bilaterien , homolog. Vermuthlich ist dasselbe bei den Würmern ebenso wie bei den Zoophyten (Hydra u. s. w.) aus dem oberen Keimblatte entstanden und hat sich von den Würmern auf die vier höheren Thierstämme vererbt. Als die beiden primitivsten Spaltungsprodukte desselben sind das Corium und der Hautmuskelschlauch zu betrachten, die beide wohl innerhalb der fünf höheren Phylen (der Bilaterien) desselben Ursprungs, also homolog sind. Auch die Rumpf- muskeln der Wirbelthiere gehen aus diesem Blatte hervor. Nicht homolog sind dagegen die Skel et- Systeme in den verschiedenen Thierstämmen. Sowohl die inneren Skeletbildungen der Zoophyten, als diejenigen der Echinodermen und der Wirbel- thiere, obwohl alle drei aus dem Hautfaserblatt zu entstehen schei- nen, sind völlig verschiedene Bildungen, für jedes Phylum eigen- thümlich. Das Haut-Skelet der Würmer und Arthropoden, welches bloss eine chitinisirte Ausscheidung der Epidermis (der sogenann- ten Hypodermis oder Chitinogen - Membran) ist, sowie die Kalk- schalen der Mollusken (ebenfalls Exsudate der Epidermis) kommen hierbei gar nicht in Betracht. Das Coelom oder die Leib es höhle, die ursprüngliche „Pleuroperitoneal - Höhle" , welche den Protozoen, Zoophyten und den Acoelomen (Plathelminthen) gänzlich fehlt, ist sicher bei den Coelomaten und den vier höheren Thierstämmen homolog. Ueber- all entsteht sie als Spalt zwischen den beiden Muskelblättern und hat sich offenbar von den Coelomaten, den blutführenden Wür- mern, auf die vier höheren Thierstämme vererbt. Hiergegen ist Die Homologie der Typen. 41 diese Homologie nicht durch die Vergleicliung mit der Segmen- tations-Höhle zu begründen, aus der Kowalevsky das Coelom her- vorgehen lässt (vergl. oben S. 27). Ursprünglich ist das Coelom mit einer Flüssigkeit gefüllt, welche ihres indifferenten Characters halber als Haemolymphe oder Ha ein och yius bezeichnet wer- den kann. Aber schon bei den höheren Würmern differenzirt sich diese Ernährungsflüssigkeit in zwei verschiedene Bestandteile, in den farblosen Chylus oder die Lymphe, welche die Leibeshöhle er- füllt, und in das gefärbte Blut, welches in dem geschlossenen Gefässsystem circulirt. Dieselbe Differenzirung kehrt auch bei den Wirbelthieren wieder. Das Darmmuskelblatt oder das Darmfaserblatt (die „Gefässschicht" von Baek, die Darmfaserplatten und Mittelplatten von Remak) scheint in dem Stamme der Zoophyten theils (bei den Spongien und niedersten Acalephen) ganz zu fehlen, theils (bei den höheren Acalephen) in eigenthümlicher Form sich zu ent- wickeln. Bei den Acoelomen beginnt sich dasselbe bereits als „Darnimuskelschlauch" auszubilden und hat sich von diesen auf die höheren Würmer (die Coelomaten), von letzteren auf die vier höchsten Thierstämme vererbt. Es steht Nichts im WTege, eine allgemeine Homologie desselben innerhalb dieser fünf Thierstämme (der Bilaterien) anzunehmen. Das Blutgefäss-System als Ganzes, welches sich im Zusammenhang mit dem Coelom entwickelt hat, ist demnach eben- falls innerhalb der fünf höheren Thierstämme zu vergleichen. Die Frage jedoch, in wie weit die einzelnen Theile desselben und namentlich das Herz homolog sind, ist sehr schwierig zu entschei- den. Nach der scharfsinnigen Vergleicliung von Gegenbaur ist das Herz der Arthropoden und Mollusken einem Abschnitte des dorsalen, hingegen das Herz der Ascidien und Vertebraten einem Abschnitte des ventralen Hauptgefässstammes der Wür- mer ursprünglich homolog. Das Darmdrüsenblatt, welches als epitheliale Ausklei- dung des Darmcanals und seiner drüsigen Anhänge in dem gan- zen Thierreiche (nur die Protozoen ausgenommen) von den Spon- gien bis zu den Vertebraten sich constant erhält, ist sicher über- all homolog; überall direct aus dem Entoderm der Gastrula ab- zuleiten. Allerdings ist Kowalevsky neuerdings zu der Annahme ge- langt, dass das Darmdrüsen blatt der Insecten hiervon eine Ausnahme bilde und vielmehr als eine eigentümliche Neubildung sui generis zu betrachten sei (Embryologische Studien an Würmern u. s. w., 42 Die Gastraea-Theorie. 1871, S. 58). Diese Ansicht erscheint mir nicht stichhaltig. Wenn irgend ein Organ bei allen sechs Metazoen -Phylen homolog sein kann, so ist es sicher der Darmcanal mit seinem auskleidenden Epithelium, dem Darmdrüsen -Blatt. Hingegen ist die Frage von der Homologie der Darmmündungen. Mund und After, zur Zeit noch ganz dunkel, und nur so viel sicher, dass die Mundöffnung nicht überall dieselbe ist. Die ursprüngliche Mundöffnung der Gastrula, der Urmund oder das Prostoma scheint sich nur auf die Zoophyten und vielleicht auf einen Theil der Würmer ver- erbt zu haben. Sie scheint sich noch in dem Rusconischen After der Vertebraten zu wiederholen. Hingegen sind die Mundöffnungen der Vertebraten, der Arthropoden, der Echinodermen, eigenthüm- liche Neubildungen, und sicher nicht dem Urmund homolog. 7. Die phylogenetische Bedeutung dei ontogeiielisciien Siiccessiüii der Organ-Systeme. Die gesetzmässige Reihenfolge, in welcher bei den verschiede- nen Thierstämmen die Organ - Systeme während der Ontogenese nach einander auftreten , gestattet uns nach dem biogenetischen Grundgesetze einen sicheren Schluss auf die historische Reihen- folge, in welcher sich die thierischen Organ-Systeme während des langen und langsamen Laufes der organischen Erdgeschichte nach einander und aus einander entwickelt haben. Diese paläontologi- sche Altersfolge der Organ-Systeme, wie sie sich a posteriori aus den Thatsachen der Ontogenese empirisch ergiebt, entspricht im Grossen und Ganzen vollständig den Vorstellungen, welche man sich darüber a priori durch physiologische Reflexion und durch philosophische Erwägung der Causal-Momente bilden könnte. Zunächst ergiebt sich aus der Vergleichung der Gastrula, und des, ihr entsprechenden zweiblättrigen Keimzustandes bei den verschiedensten Thierstämmen , dass bei den ältesten Metazoen, den Gastraeaden, sich in erster Reihe zwei primäre Organ- Systeme gleichzeitig differenzirten : das innere Darm-System und das äussere Decken - System. Die ursprüngliche, ganz einfache Magenhöhle oder der Ur darin der Gastraea ist in der That das älteste Organ des Metazoen-Körpers : gleichzeitig aber mit seiner Entstehung ist die Sonderung der beiden Zellenschichten seiner Wand vor sich gegangen; des inneren ernährenden Epi- theliums (des Gastral - Blattes oder Entoderms) und des äusseren deckenden Epitheliums (des Dermal-Blattes oder Exoderms). Die phylogenetische Bedeutung der ontogenetischen Succession. 43 In zweiter Reihe bildeten sich (bei der Mehrzahl der Meta- zoenV) Elemente des Skelet-Systems aus, und zwar im Exo. derm. wie uns die Spongien lehren. Obgleieh bei den Schwäm- men die beiden primordialen Keimblätter (allgemein ?) in ihrer ursprünglichen Einfachheit erhalten bleiben und kein drittes Keim- blatt sich aus ihnen entwickelt, finden wir dennoch bei Vielen derselben in dem verdickten Exoderm ein sehr entwickeltes und mannichfach ditferenzirtes Skelet- System vor. Ja schon die Pro- tozoen bilden sehr allgemein schützende und stützende Skelet- theile. Es braucht nicht hinzugefügt zu werden , dass im Uebri- gen das Skelet- System bei den verschiedenen Thierstämmen ver- schiedenen Alters und polyphyletischen Ursprungs ist. In dritter Reihe bildeten sich gleichzeitig Nervensystem und Muskel System aus. Die schönen Untersuchungen Klei- nenbergs über die Ontogenese der Hydra haben uns über die gleichzeitige Entstehung dieser beiden Organ-Systeme belehrt, die in der innigsten Wechselwirkung sich befinden. Das höchst interessante Neuromuskel - System der Hydra führt sie uns un- mittelbar in statu nascenti vor Augen. Die aus dem Exoderm der Hydra entwickelte Neuromuskelzelle zeigt uns die Functionen beider noch in einem einzigen Individuum erster Ordnung ver- einigt. Erst mit deren Trennung, mit der Arbeitsteilung der- selben in Nervenzellen und Muskelzellen treten die beiden Organ- m steine sich selbständig gegenüber. Wirkliche Muskeln im streng- sten Sinne des Begriffes giebt es daher erst bei denjenigen Thie- ren, wo es auch wirkliche Nerven giebt, und umgekehrt. Wie die Acalephen uns zeigen, ist zunächst nur das dermale oder parietale Neuromuskel-System aus dem äusseren Keim- blatte entstanden. Wahrscheinlich unabhängig davon ist erst spä- ter in ganz analoger Weise das gastrale oder viscerale Neu- romuskel-System (Darmmuskeln und Darmnerven) aus dem Darmdrüsenblatte entstanden. Es spricht Nichts bis jetzt gegen die Annahme, dass das viscerale Nerven- System unabhängig von dem parietalen entstanden ist; das erstere ebenso im Zusammen- hang mit dem Darmmuskelblatt, wie das letztere mit dem Haut- muskelblatt. In vierter Reihe hat sich das Nieren-System oder das Excretions - System entwickelt, dessen physiologische Bedeutung für den Thier - Organismus im Allgemeinen grösser ist, als dieje- nige des jüngeren Blutgefäss-Systems und des damit verbundenen Coeloms. Diese Auffassung wird gerechtfertigt durch die Plathel- 44 Die Gastraea- Theorie. minthen , welche noch kein Coelom und Blutsystem , wohl aber Urnieren (Excretions-Canäle) besitzen ; ferner durch die allgemeine Verbreitung derselben durch die ganze Thierreihe, und endlich besonders durch das frühzeitige Auftreten der „Urnieren" im Embryo. Aus Allem ergiebt sich, dass wir es hier mit einer sehr alten und wichtigen Organisations-Einrichtung zu thun haben, die schon bei den Acoelomen vor der Entstehung des Blutsystems und des Coeloms existirte . und sich von da aus auf die höheren Thierstämme vererbt hat. In fünfter Reihe erst hat sich nach dem Nieren-System das B 1 u t g e f äs s - S y s t e m mit dem Coelom entwickelt. Wir haben bereits gezeigt, dass diese beiden Theile in untrennbarem Zusam- menhange stehen, und dass die wahre Leibeshöhle oder das Coe- lom geradezu als der erste Anfang des Gefäss-Systems zu betrach- ten ist. Erst nach eingetretener Entwickelung des Darmfaserblat- tes bildete sich mit seiner Ablösung von dem anhaftenden Haut- faserblatte zwischen diesen beiden Muskelblättern eine Höhle, wel- che sich mit dem durch die Darmwand transsudirenden Chylus füllte. Das war das Coelom in seiner einfachsten Gestalt und erst später hat sich dieses Haemochylus- System oder primordiale Ur- blut - System in zwei verschiedene Saftsysteme differenzirt, in das Lymphsystem und das eigentliche Blutsystem '). In sechster Reihe erst hat sich morphologisch als selbstän- diges Organ-System (!) das Genital - System entwickelt. Allerdings ist dasselbe physiologisch schon längst vorhanden, ehe alle andern Organ - Systeme sich differenzirten. Treffen wir doch schon bei den Spongien im Entoderm des Darmrohres zerstreut einzelne Zellen , welche sich zu Eiern und andere, welche sich zu Spermazellen ausbilden ; und wahrscheinlich ist dasselbe schon bei den Gastraeaden der Fall gewesen. Allein bei allen Zoophyten bleibt die Bildung der beiderlei Sexualzellen auf das Epithelium ein- zelne)- Theile des Gastrocanal - Systems beschränkt ; und selbst 1) Eine sehr abweichende Auflassung des Coeloms und des Blutsystems, sowie des Nieren-Systems hat Eay-Lankester in dem mehrfach citirten Auf- satz entwickelt (Annais and Mag. of nat. hist., Mai 1873;. Derselbe hält diese beiden Organ-Systeme für identisch und meint , dass die „Excretions - Organe oder W as>ergefässe" der Acoelomen den ersten Anfang einer Leibeshöhle bil- de]) und da>s demnach dieses Coelom von Aufang an nach aussen geöffnet ist. Nach meiner Ansicht hingegen ist das Coelom primär geschlossen, erst später und unabhängig von dem älteren Urnieren -System entstanden. Die Verbin- dung Beider wäre demnach seeundär. Die Ontogenese der Bilaterien scheint mir Kay-Lankester's Auffassung zu widerlegen. Die phylogenetische Bedeutung der ontogenetischen Succession. 45 noch bei vielen Würmern sind keine selbständigen persistenten Sexual-Organe in morphologischem Sinne vorhanden. Bei vielen Würmern (Bryoz'oen , Anneliden u. s. w.) entwickeln sich perio- disch einzelne Coelom -Zellen, zerstreute Zellen des „Pleu- roperitoneal-Epithels," zu Sexualzellen. Eine selbständige Diffe- renzirung besonderer Geschlechts-Organe scheint demnach erst spä- ter eingetreten zu sein , vielleicht in den verschiedenen Thier- stämmen zu verschiedenen Zeiten. Die Entscheidung dieser sehr schwierigen Frage hängt mit der Frage nach der Homologie der Sexual-Organe überhaupt und nach dem primären phyletischen Ursprung der Sexual - Zellen zusammen, einem der schwierigsten Probleme der Ontogenie und der Phylogenie. Den Bemerkungen, die ich über diesen Gegenstand in der Biologie der Kalkschwämme )S. 469, 471) gemacht habe, möchte ich hier noch die Eventua- lität hinzufügen, class möglicherweise beide primäre Keimblät- ter sich an der Bildung von Sexual-Zellen betheiligen. Denn ob- gleich in den meisten Fällen der Ursprung der Sexual-Zellen aus Zellen des Darmfaserblattes oder selbst des primären Gastralblattes nachzuweisen ist, so scheinen dieselben doch in anderen Fällen ihren Ursprung eben so sicher aus dem Hautfaserblatt oder selbst aus dem primären Dermalblatte zu nehmen (Hydra). Bei der Bestimmtheit, mit welcher die entgegengesetzten An- gaben über den Ursprung der Sexual-Zellen selbst innerhalb der Zoophyten - Gruppe sich gegenüber stehen, dürfte endlich auch noch zu erwägen sein, ob nicht eine Dislocation derselben so frühzeitig (schon während der laurentischen Periode) stattgefun- den hat, dass ihre scheinbare Ursprungsstätte in der That erst ihre zweite Heimath ist. Bei den Kalkschwämmen habe ich nach- gewiesen, dass die im Entoderm ursprünglich entstandenen Eizel- len vermittelst ihrer amöboiden Bewegungen oft schon frühzeitig in das Exoderm hinüber wandern und dort weiter wachsen. Bei vielen Calcispongien sind die Eizellen viel leichter im Exoderm (ihrer secundären Lagerungsstätte) als im Entoderm (ihrer primä- ren Ursprungsstätte) aufzufinden , so dass ich sogar früher selbst ihre ursprüngliche Entstehung im ersteren annahm. Nun dürft- man wohl annehmen, dass diese frühzeitige Dislocation der Zellen aus einem primären Keimblatt in das andere durch fort- währende „abgekürzte oder zusammengezogene Vererbung" im Laufe der Generationen immer weiter in der Ontogenese zurück verlegt wird, bis sie schliesslich schon während der Differenzirung der gleichartigen Furchungszellen in die beiderlei Zellenformen 46 Die Gastraoa-Theorie. der beiden primären Keimblätter stattfindet. Dann würden Zel- len die ursprünglich (phylogenetisch) dem inneren Keimblatte an- gehörten, doch (ontogenetisch) scheinbar zuerst im äusseren Keim- blatte auftreten und umgekehrt, Ich vermuthe, dass dies bei den Sexualzellen oft wirklich der Fall ist und dass überhaupt eine solche frühzeitige Dislocation der Zellen, eine durch Vererbung constant gewordene Lagenveränderung und Versetzung aus einem Keimblatt in das andere, eine bedeutende Rolle spielt. Auch für unsere oben dargelegte Ansicht von der ursprünglichen Verschie- denheit der beiden Muskelblätter besitzt dieselbe grosse Bedeutung und dürfte z. B. bei der frühzeitigen axialen Concrescenz, bei der Verschmelzung der Keimblätter im Axenstrange der Vertebraten, wie bei ihrer späteren Divergenz, Vieles erklären. 8. Die Bedeutung der Gastraea-Theorie für die Typen-Theorie. Wenn man die vorstehend gegebene Begründung der Ga- straea-Theorie für genügend hält und die daraus gezogenen Folgeschlüsse im Ganzen als richtig anerkennt, so wird man damit zugleich die Ueberzeugung gewonnen haben , dass durch dieselbe die sogenannte Typen -Theorie, welche noch heute allgemein als die tiefste Basis des zoologischen Systems gilt, in ihrer bis- herigen Bedeutung aufgehoben ist, und einer wesentlich verschiedenen Classification des Thierreichs Platz machen muss. Bekanntlich gipfelt diese hochberühmte und hochverdiente Typen- Theorie, zu welcher im zweiten Decennium unseres Jahrhunderts zwei der bedeutendsten Zoologen gleichzeitig auf verschiedenen Wegen gelangten, in der Vorstellung, dass im Thierreiche mehrere grundverschiedene Hauptgruppen zu unterscheiden seien, von denen jede ihren eigenthümlichen „Typus", d. h. einen ganz charakteristischen immanenten und persistenten „Bauplan" besizt; dieser „Bauplan" wird bestimmt durch die eigenthümliche Lage- rung und Verbindung der constituirenden Organe, und ist völlig- unabhängig von dem Grade der Vollkommenheit und Ausbildung, den die verschiedenen Thierklassen jedes Typus innerhalb des- selben durchlaufen. Sowohl Geoege Cuvier, welcher auf dem Wege der vergleichenden Anatomie, als Carl Ernst Baer, welcher selbst- ständig und unabhängig von ersterem auf dem Wege der verglei- chenden Ontogenie zu dieser Vorstellung gelangte, unterschieden im ganzen Thierreich nur vier solcher Typen, welche Baer nach dem verschiedenen Modus der Ontogenese folgendermaassen charak- Die Bedeutung der Grastraea-Theorie für dir Typen-Theorie. 47 terisirte : 1) R a d i a ta : mit strahlenförmiger Entwicklung (evolutio radiata); 2) Mollusca: mit gewundener Entwicklung (evolutio contorta); 3) Articulata: mit symmetrischer Entwicklung (evo- lutio getnhia) : 4) \ e rt e b rata: mit doppelt symmetrischer Ent- wickelung {evolutio bigemina). Sowohl Cuvier als Baer hielten jeden Typus für etwas durchaus constantes und trotz aller Moditi- cationen im tiefsten Grunde unveränderliches; sie Hessen daher auch durchaus keinen Zusammenhang und keinen Uebergang zwischen den vier verschiedenen Typen zu. Baer hob insbesondere noch hervor, dass der Typus bei den niedersten Formen jeder der vier Hauptgruppen schon eben so bestimmt ausgesprochen sei, wie bei den höchsten, und dass mithin der Typus der Entwicklung völlig unabhängig von dem Grade der Ausbildung sei. Gegentiber der früher herrschenden irrthümlichen Vorstellung, dass das ganze Thierreich eine einzige ununterbrochene Stufen- leiter von Formen darstelle, und dass eine einzige continuirliche Entwickelungsreihe von dem niedersten Infusorium durch die verschiedenen Classen hindurch bis zum Menschen hinauf gehe, war die Typen-Theorie von Baer und Cuvier ein gewaltiger Fort- schritt. Das helle Licht, welches sie auf die verschiedensten Theile der Zoologie, namentlich aber auf die vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte warf, verschaffte ihr schnellen Eingang auch in das zoologische System, und bald waren die vier Typen ziemlich allgemein als die Basis jedes strengeren wissenschaft- lichen Systems der Thiere anerkannt. Allerdings wurde man bald durch die Fortschritte in der Kenntniss der niederen Thiere ge- nöthigt, den ganz unnatürlichen Typus der Radiata aufzulösen: Siebold trennte 1845 davon zuerst die Protozoen ab und schied zugleich die Articulaten in Arthropoden und Würmer; Leuckart unterschied 1848 zuerst als zwei besondere Typen die Coelentera- ten und Echinodermen ; so wurden aus den ursprünglichen vier Typen die sieben verschiedenen Hauptgruppen, welche auch heute noch in den allermeisten Systemen als die obersten und allge- meinsten Hauptabtheilungen des Thierreichs gelten. Allein das eigentliche Wesen und die ursprüngliche Bedeutung der Typen- Theorie wurde durch diese Vermehrung der Typen - Zahl nicht be- rührt. Vielmehr bemühten sich die neueren Zoologen, den selbst- ständigen und ganz eigenthümlichen Charakter der vier neueren Typen (Protozoen, Coelenteraten, Echinodermen, Würmer) in dem- selben Sinne zu präcisiren und jeden derselben als isolirte Formen- Einheit mit besonderem „Bauplan" festzustellen, in welchem die 48 Dip Grastraea-Tkeorie. drei beibehaltenen älteren Typen (Arthropoden, Mollusken, Verte- braten) von Baer und Cuvier aufgefasst worden waren. Die seit- dem immer mehr befestigte Vorstellung von dem völlig selbst- ständigen Charakter und dem immanenten „Bauplan" dieser sieben Thier- Typen ist auch heutzutage noch die allgemein herrschende, so dass z. B. Claus noch in der neuesten Auflage seiner Zoologie (1872, S. 41) die Typen -Theorie als „den bedeutendsten Fort- schritt der Wissenschaft seit Aristoteles und als Grundlage des natürlichen Systems" bezeichnet. Ja Hopkins nennt die Typen sogar die „Keppler' sehen Gesetze in der Thierkunde" und erblickt in ihnen mit Keferstein und Anderen „die schlagendste Widerlegung von Darwin's Irrlehre" und den stärksten Beweis gegen die Wahrheit der Descendenz-Theorie. Mit dieser letzeren Wendung haben unsere Gegner selbst, ohne es zu ahnen , die Achilles - Ferse der Typen - Theorie bezeichnet. Denn es ist ganz richtig, dass die Typen-Theorie in dem ursprüng- lichen Sinne ihrer Urheber allerdings mit der Descendenz-Theorie in einem fundamentalen Widerspruche steht. Dieser Widerspruch liegt nicht sowohl darin , dass die Typen als völlig unabhängige und getrennte Hauptgruppen des Thierreichs betrachtet werden, als vielmehr in dem teleologischen Grundprincip ihrer Auffassung. Die Vorstellung, dass die Typen völlig unabhängige Formengruppen bilden, ist allerdings unvereinbar mit jeder monophyle tischen Auffassung des Thierreichs, welche alle Thiere als Nachkommen einer einzigen gemeinsamen Stammform betrachtet; sie liesse sich aber dadurch mit der Descendenz-Theorie in Einklang bringen, dass man für jeden Typus eine selbstständige Stammform, mithin für das ganze Thierreich eine polyphyletische Descendenz statuirt; soviel Typen, soviel Phylen. Völlig unvereinbar mit der Descendenz-Theorie ist hingegen die Vorstellung von dem immanenten ursprünglichen „Bauplan der Typen", welche das eigentliche teleologische Grün dprineip der Typen- Theorie bildet. Sobald daher die durch Darwin refomirte Descendenz-Theorie an die -B*er - CuviEii'sche Typen - Theorie herantrat und die letz- tere nöthigte, sich mit ihr auseinander zu setzen, musste erstens dieses teleologische Grundprincip aufgeben und zweitens zugleich das Verhältniss der Typen zu einander völlig umgestaltet werden. Den ersten Versuch hierzu habe ich 1866 in meiner allgemeinen Entwicklungsgeschichte gemacht (im zweiten Bande der generellen Morphologie, im 16., 19., 24., und 25. Capitel). Erstens habe Die Bedeutung der (iastraea-Theorie für die Typen-Theorie. 49 ich dort bereits nachgewiesen, dass „Baer's Typus der Ent- wickelung weiter Nichts ist als die Folge der Vererbung, und Baer's Grad der Ausbildung weiter Nichts als die Folge der Anpassung (a.a.O. S. 11); damit ist einerseits der dualistische Begriff des Typus oder des teleologischen „Bauplans" auf das mechanische Princip der Vererbung (mithin auf die physiologische Function der Fortpflanzung) zurückgeführt (a. a. 0. S. 171); anderseits wird dadurch der dualistische Begriff der Vervoll- kommnung oder des teleologischen Fortbildungszieles auf das mechanische Princip der Anpassung, mithin auf die phy- siologische Function der Ernährung reducirt (a. a. 0. S. 193). Zweitens habe ich damals bereits gezeigt, dass die verschiedenen höheren Typen des Thierreichs nur in genealogischem Sinne als Stämme oder Phylen aufgefasst werden können, dass aber die höheren Phylen des Thierreichs (Vertebraten, Mollusken, Arthropoden, Echinodermen) als divergirende Descendenten des niederen Würmer- stammes zu betrachten sind, die aus verschiedenen Zweigen dieser vielgestaltigen niederen Thiergruppe ihren Ursprung genommen haben; und dass endlich die Würmer und die Coelenteraten aus der niedersten Organismen - Gruppe der Protozoen oder Protisten abgeleitet werden müssen (a. a. 0. S. 413, 414). Bestimmter habe ich diese Ansicht dann in der ersten Auflage der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" (1868) ausgesprochen und in den folgenden Auflagen derselben zu verbessern gesucht. Es fehlte mir aber, um zur vollen Klarheit zu gelangen, damals die Gastraea-Theorie, auf welche ich erst durch die Monographie der Kalkschwämme ge- führt worden bin. Erst durch die Gastraea-Theorie und ihre Consequenzen wird das phylogenetische Ver- hältniss der Thier-Typen zu einander vollständig auf- gehellt. Man könnte behaupten, dass die Gastraea-Theorie nur eine Reform oder eine Modification der Typen - Theorie sei, weil drei von den ursprünglichen vier Typen (Vertebraten, Mollusken, Arthro- poden) nahezu in dem ursprünglichen Umfange ihres Begriffes beibehalten worden sind; allein der Inhalt dieses Begriffes ist ein völlig verschiedener geworden. Ausserdem besteht aber zwi- schen den beiden Theorien der höchst wesentliche Unterschied, dass in der Typen -Theorie die Typen als coordinirte selbstständige Formengruppen von gleichem morphologischen Werthe neben einander und unabhängig von einander erscheinen, während in der Gastraea - Theorie die Phylen als theilweise coor- 4 50 ftte Gastraea-Thoorie. dinirte, theilweise subordinirte Gruppen von völlig ver- schiedenem morphologischen Werthe theils neben, theils über einander, alle aber in gemeinsamem Zusammenhange er- scheinen. In der vortrefflichen Auseinandersetzung, welche Gegenbaur in der zweiten Auflage seiner Grundzüge der vergleichenden Ana- tomie (1872, S. 72) „von den thierischen Typen" gegeben hat, sind diese verschiedenartigen Beziehungen der ungleichwerthigen Typen zu einander klar erörtert und weiterhin durch die scharf- sinnigsten Ausführungen im Einzelnen auf dem sicheren Funda- mente der vergleichenden Anatomie fest begründet. Gegenbaur zeigt', dass die sieben Typen oder Phylen theils ziemlich scharf, theils gar nicht von einander abgegrenzt sind; dass man niedere und höhere Typen unterscheiden muss, und dass die verschiedenen höheren Typen oder Phylen in den niederen ihren gemeinsamen Ausgangspunkt erkennen lassen. Durch diesen nachweisbaren Zu- sammenhang der Phylen wird „für das gesammte Thierreich eine Verbindung hergestellt, wodurch einer monophyletischen Umfassung der Boden bereitet erscheint. Durch diese erkennbaren Ver- knüpfungen muss die starre Auffassung der Stämme, wie sie von der ersten Typenlehre her entstand, bedeutend nachgiebiger werden; indem wir die Be- ziehungen der Typen zu einander in keiner anderen Weise treffen, als die Abtheilungen innerhalb der Typen: in genealogischer Gliederung" (a. a. 0. S. 77). Mit dieser Auffassung ist thatsächlich die Typen - Theorie von Baer und Cuvier aufgehoben; sowohl dem Umfang, wie dem In- halt des Typus - Begriffes nach. Der „Typus" hat danach seine frühere Bedeutung vollständig verloren und besitzt als Kategorie des Systems keine andere philosophische Bedeutung, als die niederen Kategorien der Klasse, Ordnung, Genus, Species u. s. w. ; er ist nur relativ (durch seine Höhe), nicht absolut von letzteren verschieden. Thatsächlich ist also auch Gegenbaur auf dem Wege der vergleichenden Anatomie zu derselben Stellung gegenüber der Typen-Theorie gelangt, zu welcher uns der Weg der vergleichen- den Ontogenie geführt hat. Die Typen - Theorie hat ihr ausser- ordentliches Verdienst um die Zoologie gehabt und als oberstes Classifications - Princip des Thierreichs nach allen Seiten hin un- gemein fruchtbar und anregend gewirkt. Ihre Wirksamkeit ist aber jetzt als beendet anzusehen. Der consequenten Anwendung und Durchführung der Descendenz-Theorie gegenüber ist sie nicht Synoptisch« phylogenetische Tabellen. 51 mehr genügend und an ihre Stelle wird zunächst diejenige phy- logenetische Classification des Thierreichs treten müs- sen, deren wesentliche Basis unsere Gastraea-Theorie bildet. Anhang. Synoptische phylogenetische Tabellen. Zur anschaulichen Uebersicht der allgemeinen Resultate, welche wir vorstehend aus der Gastraea-Theorie entwickelt haben, sollen die nachstehend folgenden vier phylogenetischen Tabellen dienen. Gegenüber den vielfachen Missdeutungen, welche die ähn- lichen Tabellen und Stammbäume in meiner „Generellen Morpho- logie" und „Natürlichen Schöpfungsgeschichte", sowie in der „Mo- nographie der Kalkschwämme" gefunden haben, will ich ausdrück- lich hervorheben, dass dieselben durchaus keine dogmatische Gel- tung beanspruchen, vielmehr lediglich Versuche sind, mit Hülfe der Gastraea-Theorie zu einer klaren Einsicht in die wichtigsten Verhältnisse der ontogenetischen und der phylogenetischen Ent- wickelung des Thierkörpers und seiner fundamentalen Organ-Sy- steme zu gelangen. Wer diesen Versuchen nicht beistimmen kann, mag etwas besseres Positives an ihre Stelle setzen, sich aber nicht mit der negativen Verwerfung derselben begnügen, wie es gewöhnlich geschieht. Jedenfalls schliesst sich das hier vorge- schlagene System des Thierreichs enger an die wichtigsten That- sachen der Entwickelungsgeschichte an, als alle anderen bisher unternommenen Classifications-Versuche. 4* 52 Dio Gastraea-Theorie. I. Tabelle über die phylogenetische Entwickelung der Organ-Systeme der Wirbelthiere , gegründet auf die Gastraea- Theorie und die ontogenetische Vergleichung der Wirbelthiere mit den Wirbellosen. A. Exoderma Aeusseres primäres Keimblatt. Animales Keimblatt. Hautblatt. Lamina dermalis Epiblast. Erstes secun- däres Keim- blatt: Haut- sinnesblatt (Hautschicht, Baer) oder Neuroblast. (Lamella neuro- dermalis) I. Hornrohr Tubus corneusi \t II. Nervenrohr Tubus nerveusj III. I 7 Geschlechts- ) röhr -\ Tubus uroge-/ nitalis 8. Epidermis (Oberhaut) Epidermis-Anhänge (Haare, Nägel, Federn etc.) Epidermis-Drüsen (Schweissdrüsen, Talgdrüsen etc.) Rückenmark Gehirn Sinnesorgane (Wesentlicher Theil) Urnieren (??) (phylogenetisch ursprünglich Epidermis-Drüsen ?) Geschlechts-Drüsen (??) (phylogenetisch ursprünglich Exoderm-Zellen ?) Zweites secuu- / däres Keimbl. : I Hautfaser- blatt / (Fleischschichv Baer) oder Ino blast. (Lamella ino- dermalis) IV. Lederrohr Tubus coria- rius V. Fleischrohr Tubus carnosus 9. Corium (Lederhaut) (und Hautmuskulatur) 110. Rumpfmuskulatur (Seitenrumpfmuskeln etc.) 11. Endoskelet I (Chorda, Wirbelsäule etc.) 12. Exocoelar (?) (Parietales Coelom-Epithel) 6. Entoderma. Inneres primäres Keimblatt. Vegetatives Keimblatt. Darmblatt. Lamina gastralis Hypoblast. Drittes secun- däres Keimbl. : Darmfaser- blatt (Gefässschicht, Baer) oder Haemoblast. (Lamella ino- gastralis) VI. Blutrohr Tubus san- guineus VII. Gekrösrohr Tubus mesen- tericus 13. Haemolymphe (Urblut) (Primordiale Blutflüssigkeit) 114. Endocoelar (?) (Viscerales Coelom-Epithel) ,15. Haupt-Gefäss-Stämme (Lymphstämme und Blut- stämme ; Herz) [16. Gefäss-Drüsen (Lymphdrüsen, Milz etc.) 17. Mesenterium (Gekröse) '18. Darmmuskulatur (und Darmhüllen). Viertes secun däres Keimbl. Darmdrüsen- blatt (Schleimschicht Baer) oder Mykoblast. (Lamella myko gastralis) ( VIII. . / Schleimrohr )l(). Tubus muco- J20. sus f Darm-Epithelium Darmdrüsen-Epithelium l Synoptische phylogenetische Tabellen. 53 II. Synoptische Tabelle über diejenigen Urorgane, welche mit Wahr- scheinlichkeit bei den Würmern, Gliederthieren, Weichthieren und Wirbelthieren als homolog zu betrachten sind. Vermes Arthropoda Mollusca Vertebrata I. Differenzirungs-Producte des Hautsinnesblattes. Epidermis Hypodermis (Chitinogen -Mem- bran) Epidermis Epidermis Urhirn Gehirn Gehirn Markrohr oder (Oberer Schlund- (Oberer Schlund- (Oberer Schlund - Medullarrohr knoten) knoten) kuoten) (Vorderster Theil!) Excretionsorgane Schalendrüse der Nieren Urniereugänge („Wassergefässe, Crustaceen Segmental-Organe") II. Differenzirungs-Producte des Hautfaserblattes. Corium Corium (Rudiment) Corium und Haut- Corium und Haut- (und Kingmuskel- muskulatur muskulatur schlauch?) (Erste Anlage!) (Erste Anlage !) Liingsmuskel- Schlauch Rumpfmuskeln (Longitudinal) Innere Rumpf- Muskulatur Seitenrumpfmus- keln III. Differenzirungs-Producte des Darmfaserblattes. Coelom Leibeshöhle Leibeshöhle Pleuro-Peritoneal- Höhle Dorsales Hauptgefäss Herz Herz-Kammer Aorta (primordialis) Ventrales Hauptgefäss Herz (nebst Arterien- Bulbus) Darmwand (exclus. Epithel) Darm wand (exclus. Epithel) Darm wand (exclus. Epithel) Darmfaserhaut und Mes enter ium IV. Differenzirungs-Producte des Darmdrüsenblattes. Darm-Epithelium Darm-Hypodermis Darm-Epithelium Darm - Epithelium (zum grössteu Theil) (zum grössten Theil) (ausgenommen Mundhöhle und Afterhöhle). 54 Die Gastraea- Theorie. III. Entwurf einer phylogenetischen Classification des Thierreichs, gegründet auf die Gastraea-Theorie und die Homologie der Keim- blätter, des Urdarms und des Coeloms. 8 Phyla: 16 Phylocladi 40 Classes: s | Erste Hauptgruppe d. 52. g 'Thierreichs : Protozoa. :'S Urthiere. Thiere ohne © g Keimblätter, ohne © § Darm, ohne Coelom, © ä ohne Haemolymphe. £2i I. Protozoa. 1. Uvularia 2. Infusoria Monera Amoehina Gregariuae Acinetae Ciliata 4> cö s-, -*> Iß 33 & u ^3 3 +j 3 CD 3 02 4) CS S 3 cä 3 3 3 60 OJ in -a 3 03 Zweite Hauptgruppe d- Thierreichs : Anaema- ria. Mittelthiere. (Blutlose Darmthiere). Thiere mit zwei pri- ' mären Keimblättern u. mit Darm; aber ohne Coelom und ohne Hae- molymphe. II. Zoophyta (Coelenterata) III. Acoelomi. 8. Spongiae 4. Acalephae < 9. I lio. 5. Acoelmio \ 11- (Vermes I.) '12. Gastraeada Porifera Coralla Hydromedusae Ctenophorae Archelminthes Plathehninthes Dritte Hauptgruppe des Thierreichs: Haemataria. Blut- thiere. (Blutführende Darmthiere). Thiere mit zwei primären Keimblättern und mit Darm ; mit Coelom und mit Haemolymphe ; alle zugleich mit Muskel-' System u. mit Nerven- system. IV. Coelomati V. Mollusca VI. Echinoderma J6. Coelomati (Vermes II. (7. Brachiopoda 20. 21. 18. Otocardia ; VII. Arthropoda (11. Carides (12. Tracheata VIII. Vertebrata 22. '23. 9. Colobrachia )24, (25. 10. Lipobrachia] 28. 29. 30. (31. 13. Acrauia 32. |14. Monorrhina 33. 34. (35. j36. (37. 38. 39. 140. 15. Anamnia 16. Amniota Nematelminthes Bryozoa Tunicata Rhynchocoela Gephyrea Rotatoria Annelida Spirobranchia Lamellibranchia Cochlides Cephalopoda Asterida Crinoida Echinida Holothuriae Crustacea Arachnida Myriapoda Insecta Leptocardia Cyclostoma Pisces Dipneusta Halisauria Amphibia Reptilia Aves Mammalia Synoptische phylogenetische Tabellen. 55 IV. Monophyletischer Stammbaum des Thicrreichs; gegründet auf die Gastraea- Theorie und die Homologie der Keimblätter. .9-e 3 a q o Z S*g aS ^2 S -"" e S Ö ® £ G O 'H t, «) W ja «t! t< *»na o ® p o *£&h £ ■£ a Sa« sc t- 8 = .2"° "3. « S S3> -_ ö ® * ö ^Q PH «2 ° *-§ 53 § s S sS • 8 ® a — ■5« a ® £ ® .2 £ 63 • £ Fh ;p§.H ® Ü ©•9 c PhI W I-« Vertebrata. Ärthropoda Echinoderma i Mollusca Coelomati (Würmer mit Leibeshöhle.) -H 3 Ol 3 -SM S cq *-p2 . a o • PH S-l iH +J a£ Zoophyta (Coelenterata.) Plathelminthes Acalephae Spongiae Acoelomi (Würmer ohne Leibeshöhle.) Prothelmis Protascus Gastraea radialis Gastraea bilateralis (sedens) (repens) Gastraea (Ontogenie : Gastrula.) a o pä*3 ■s-a "3 'S 3-g aa a Planaeada (Ontogenie: Planula) Protozoa Aciuetae Ciliata Infusoria Synamoebae (Ontogenie: Morula) Gregarinae Amoebina Amoebae (Ontogenie : Ovulum) V ? ? ! Monera Monera (Ontogenie: Monernla) Erklärung der Tafel I. Schematische Illustration der Gastraea-Theorie. Die Tafel I enthält schematische Durchschnitte durch die Jugend-Zustände von Repräsentanten aller verschiedenen Metazoen-Phylen , und soll die Homo- logie der beiden primären Keimblätter bei denselben, sowie den Ursprung der vier secundären Keimblätter veranschaulichen. Fig. 1—8 sind schematische Längsschnitte, Fig. 9 — 16 schematische Querschnitte. In allen Figuren ist das primäre innere Keimblatt (Gastralblatt, Entoderm, vegetatives Keimblatt) nebst den davon abgeleiteten Theilen durch rothe Farbe bezeichnet; hingegen das primäre äussere Keimblatt (Dermalblatt, Exoderm, animales Keimblatt) durch blaue Farbe. Die Buchstaben bedeuten überall dasselbe: a) Urdarm (Progaster) ; primitives Darmrohr o) Urmund (Prostoma); primitive Mundöffnung i) Gastralblatt (Entoderma); inneres primäres Keimblatt; Hautblatt d) Darmdrüsenblatt (Mykogastralblatt) f) Darmfaserblatt (Inogastralblatt) e) Dermalblatt (Exoderm); äusseres primäres Keimblatt; Darmblatt $j m) Hautfaserblatt (Inodermalblatt) h) llautsiunesblatt (Neuro dermalblatt) c) Coelom (Leibeshöhle oder Pleuroperitoneal-Höhle) n) Urhirn (Medullarrohr) x) Axenstab oder Chorda dorsalis t) Dorsales Darmgefäss (Aorta) z) Ventrales Darmgefäss (Herz) r) Dorsale Seitenrumpf-Muskeln b) Ventrale Seitenrumpf-Muskeln 1) Lederhaut (Corium) k) Keimdrüsen (Anlagen der Sexual-Drüsen) u) Urnieren (Excretions-Canäle). Fig. 1 — 8 stellen schematische Längsschnitte der Gastrula von acht ver- schiedenen Thierformen dar. Fig. 1. Gastrula einer Spongie (Olynthus). Fig. 2. Gastrula einer Coralle (Actinia). Fig. 3. Gastrula eines Acoelomen (Turbellaria). Fig. 4. Gastrula eines Tunicaten (Ascidia). Fig. 5. Gastrula eines Mollusken (Limuaeus). Fig. 6. Gastrula eines Ästenden (Uraster). Fig. 7. Gastrula eines Crustaceen (Nauplius). Fig. 8. Gastrula eines Vertebraten (Amphioxus). Erklärung der Tafel I. 57 Fig. 9—16 stellen schematische Querschnitte durch Repräsentanten von acht verschiedenen Typen dar. Fig. 9. Querschnitt durch eine einfachste Spongie (ülynthus) oder eine einfachste Hydromeduse (Hydra). Die Wand des Urdarms besteht (wie bei der Gastrula) zeitlebens nur aus den beiden primären Keimblättern. Fig. 10. Querschnitt durch eine einfache Acalephen-Form (Hydroid). Zwischen dem Gastrablatt (i) und dem Hautsinnesblatt (h) ist das Haut- läserblatt (m) angelegt. Fig. 11. Querschnitt durch einen Acoelomen-Embryo (einer Turbellarie). Der Schnitt geht mitten durch das Urhirn oder den- oberen Schlund- knoten (n). Zwischen dem Hautsinnesblatte (h) und dem Darmdrüsen- blatte (d) sind ausserdem nur die beiden Faserblätter sichtbar, welche dicht an einander liegen : das äussere Hautfaserblatt (m) und das innere Darmfaserblatt (f). Fig. 12. Querschnitt durch eine Ascidien-Larve, vor der Basis des Schwan- zes, wo sich das vorderste Ende der Chorda (x) zwischen das Medullar- rohr (n) und das Darmrohr (d) einschiebt. Zwischen Hautfaserblatt (m) und Darmfaserblatt (f) ist das Coelom sichtbar. Fig. 13. Querschnitt durch eine Amphioxus-Larve (Vergl. Kowalevsky, Entwickelungsgeschichte des Amphioxus Taf. II, Fig. 20). Das Darm- faserblatt (f ) ist noch gänzlich von dem Hautfaserblatt (m) getrennt. Der ganze Körper besteht bloss aus den vier secundären Keimblättern. Fig. 14. Querschnitt durch eine etwas ältere Amphioxus-Larve. Das Medullarrohr (n) hat sich vom Hornblatt (h) vollständig abgeschnürt. Das Hautfaserblatt (m) ist mit dem Darmfaserblatt (f) in der dorsalen Mittellinie (Mesenterial-Linie) verwachsen und in Lederhaut (1) und Rumpfmuskeln (r) differenzirt. Zwischen dem Darmrohr und dem ab- geschnürten Medullarrohr (n) hat sich die Anlage der Chorda (x) ge- bildet. Fig. 15. Querschnitt durch einen Wurm-Embryo (Kopf-Segment eines Anneliden). Zwischen dorsalen (r) und ventralen (b) Längsmuskeln treten die Urnieren (Segmental-Organe, u) von der Hautoberfiäche hin- durch in die Leibeshöhle (c). Oberhalb des Urdarms (a) ist das dor- sale Längsgefäss (t), unterhalb desselben das ventrale Längsgefäss (z) sichtbar, beide eingeschlossen in das Darmfaserblatt (f). Fig. 16. Querschnitt durch einen Wirbelthier-Embryo (Körpermitte eines Fisches). Zwischen dorsalen (r) und ventralen (b) Seitenrumpf-Muskeln tritt die Urnieren-Anlage (u) von der Haut hindurch zur Leibeshöhle (c). Überhalb des Urdarms (a) ist die primordiale Aorta (t), unterhalb desselben die Anlage des Herzens (oder des Arterienbulbus, z) sicht- bar, beide eingeschlossen in das Darmfaserblatt (f). Der einzige we- sentliche Unterschied zwischen dem typischen Querschnitt des Verte- braten-Körpers und des Wurmkopfes (Fig. 15) besteht darin, dass sich bei ersterem zwischen Medullarrohr (n) und Urdarm (a) die Chorda entwickelt (x). Jena, am 29. September 1873. IL Die (Jastrula und die Eifurchung der Thiere. (Hierzu Tafel II— VIII.) I nh al t : 9. Die Bedeutung der Palingeiiie und der Cenogenie. 10. Die vier Haupt- formen der Eifurchung und Gastrulabilduug. 11. Die Eifurchung und Gastrulabildung in den Hauptgruppen des Thierreichs. 12. Die phylo- genetische Bedeutung der fünf ersten ontogenetischen Entwickelungsstufeu. 0. Die Bedeutung' der Palingenie und der Cenogenie. Die Gastraea-Theorie hat sich in den drei Jahren, welche seit Publication ihrer Grundzüge in meiner Monographie der Kalk- schwämme (1872) verflossen sind, als ein leitendes Princip bewährt, welches nach vielen Richtungen hin geeignet ist, Ordnung in das bunte Chaos der massenhaft angehäuften zoogenetischen Beobach- tungen zu bringen und die causale Erkenntniss der wichtigsten Vorgänge in der Entwicklungsgeschichte der Thiere wesentlich zu fördern. Zu diesem Schlüsse bin ich berechtigt einerseits durch die vielfache fruchtbare Verwendung, welche die Folgerungen der Gastraea-Theorie inzwischen bei zahlreichen Anhängern der moni- stischen Entwicklungslehre gefunden haben; anderseits durch die nicht minder zahlreichen und lebhaften Angriffe, welche dieselbe durch die dualistischen Gegner der letzteren erfahren hat. Wie Jene bestrebt gewesen sind, mittelst der Gastraea-Theorie und der daran geknüpften Consequenzen den einheitlichen Zusammen- hang der Entwickelungs-Vorgänge im ganzen Thier- reiche zu erkennen, so haben sich Diese umgekehrt bemüht, durch Widerlegung unserer Theorie darzuthun, dass ein solcher einheit- licher Zusammenhang nicht existirt, und dass die verschiedenen Entwickelungserscheinungen im Thierreiche ein zusammenhangloses Aggregat unverständlicher und wunderbarer Thatsachen bilden. Inzwischen bin ich ununterbrochen bestrebt gewesen, die mannichfaltigen Folgerungen der Gastraea-Theorie weiter zu ent- wickeln und ihre Anwendung auf die phylogenetische Classification des Thierreichs, auf die Feststellung der Homologien in den ver- schiedenen Thierstämmen u. s. w. durchzuführen. Wie fruchtbar dieselbe sich für die zusammenhängende Erkenntniss der Keimes- und Stammesgeschichte sowohl im Ganzen als im Einzelnen erweist, 62 Die Gastrula und die Eifurchung der Tbiere. habe ich an dem Beispiele des menschlichen Organismus in meiner, im vorigen Jahre veröffentlichten Anthropogenie darzuthun versucht. Doch blieben trotz dieser unausgesetzten Bemühungen zur Befesti- gung der Gastraea-Theorie immer noch manche dunkle Stellen und schwache Seiten übrig, welche den Gegnern Gelegenheit zu mannich- fachen Angriffen darboten. In der Absicht, diese Dunkelheiten und Schwächen möglichst zu beseitigen, habe ich eine neue Reihe von vergleichenden Beobachtungen über die ersten Entwickelungs- Vorgänge in den verschiedenen Hauptgruppen des Thierreichs angestellt. Um dieselben, vorzüglich durch Untersuchung niederer Seethiere, zu einem vorläufigen Abschlüsse zu bringen, unternahm ich im Frühling dieses Jahres eine Reise nach Corsica, wo ich in Gesellschaft meiner beiden Schüler und Freunde, der Doctoren Oscar und Richard Hertwig, während der Monate März und April verweilte. Der felsenreiche Strand von Ajaccio, der Hauptstadt der Insel, bot uns für unsere Zwecke eine reiche Fülle von nie- deren Seethieren aus allen Hauptgruppen, und auch die pelagische Fischerei mit dem MüLLER'schen Netze an der Oberfläche des wei- ten Golfes von Ajaccio lieferte uns manches werthvolle Material, unter diesem namentlich pelagische Eier von Knochenfischen, welche für mehrere streitige Fragen in der Ontogenie dieser Thiere von entscheidender Bedeutung sind. Auf den ausgedehnten Strand- felsen, welche bei niederem Wasserstande weit entblösst werden, wuchert eine reiche Algen-Flora, und mit dieser gemischt eine nicht minder üppige Vegetation von Spongien, Hydroiden, Alcyona- rien und anderen Zoophyten. Auch an Würmern, Mollusken, Echinodermen und Crustaceen war kein Mangel und ich konnte die Entwickelung der Eier wenigstens von einzelnen Repräsentan- ten dieser Gruppen in den ersten, mir vorzugsweise wichtigen Stadien vergleichend verfolgen. Zugleich gelang es mir, eine Reihe von früheren ontogenetischen Beobachtungen zu ergänzen, welche ich 1865 auf Helgoland, 1867 auf der canarischen Insel Lanzerote, 1869 an der Küste von Norwegen, 1871 auf der dalmatischen Insel Lesina und 1873 im Hafen von Smyrna angestellt hatte. Indem ich über verschiedene Resultate dieser und früherer Unter- suchungen mir spätere Berichterstattung vorbehalte, beschränke ich mich zunächst für diesmal auf die Mittheilung der abgerun- deten Ergebnisse, weicheich über die Eifurchung und die Ga- strulabildung in den verschiedenen Hauptgruppen derMetazoen erhalten habe. Die Bedeutung der Palingenie und der Cenogenie. fi3 Unstreitig sind es vor allen die mannichfaltigen Verhältnisse der thierischen Eifurchung, welche die ursprüngliche Einheit der Gastrulabildung in den verschiedenen Thierklassen verdecken und demzufolge von den Gegnern der Gastraea-Theorie ganz natur- gemäss als Haupt-Argumente gegen dieselbe benutzt worden sind. Diese vielfachen und auffallenden Verschiedenheiten in der Ei- furchung, welche anscheinend gänzlich verschiedene Keimformen zu Folge haben, lassen sich aber nur dann richtig beurtheilen und auf den ursprünglichen Entwicklungsgang der reinen Gastrula- bildung zurückführen, wenn man die höchst wichtige, bisher nicht entfernt gewürdigte Unterscheidung zwischen Palingenie und Cenogenie, zwischen primären und secundären Keimungs- Vorgängen möglichst scharf verfolgt und durchführt. Unter den secundären cenogenetischen Erscheinungen aber, welche den pri- mären palingenetischen Entwicklungsgang der Keimformen ver- decken und fälschen, sind wieder vor Allen wichtig die einfluss- reichen Verhältnisse des Nahrungsdotters im Gegensatz zum Bildungsdotter, sowie die mannichfaltigen ontogenetischen Hetero- chronien und Heterotopien. Ausserdem sind auch einige andere Vorgänge, die auf gefälschte und abgekürzte Vererbung sich zurückführen lassen, von bedeutendem Einflüsse. Durch gehörige Verwerthung dieser Erscheinungen, durch jahrelanges Nachdenken über das Verhältniss der Palingenie zur Cenogenie, und durch die neuen Beobachtungsreihen, die ich von diesem Gesichtspunkte aus angestellt habe, ist es mir, wie ich hoffe, gelungen, alle die auffallenden Verschiedenheiten in der Ei- furchung und frühesten Keimbildung der Thiere auf vier verschie- dene Hauptformen zurückzuführen und von diesen letzteren wie- der eine einzige als die ursprüngliche Grundform nachzuweisen, aus der sich die drei anderen Hauptformen phylogenetisch hervor- gebildet haben. Diese eine Grundform ist die primordiale Ei- furchung, und ihr Product die reine einfache Gastrula („Archigastrula"), wie sie z. B. beim Amphioxus und bei der Ascidie sich noch heute findet (Vergl. Taf. VIII und die V. Tabelle S. 65). Ferner ist es durch diese Reduction möglich geworden, bei sämmt- lichen Thieren (— natürlich stets mit Ausnahme der Protozoen, die überhaupt keine Keimblätter bilden — ) übereinstimmend jene fünf primitiven Entwicklungsstufen nachzuweisen, welche ich bereits in der Monographie der Kalkschwämme (Bd. I, S. 465) als gemeinsame ontogenetische Urformen sämmtlicher Metazoen hingestellt und nach dem biogenetischen Grundgesetze phylogene- 64 I>ie Gastrula und die Eifurchung der Thiere. tisch gedeutet hatte (Vergl. die VI. synoptische Tabelle S. 66). Jeder, der unter den verschiedenen, gegenwärtig möglichen, phylo- genetischen Hypothesen über den Ursprung des Thierreichs die einfachste vorzieht, und demgemäss eine monophyletische Descen- denz sämmtlicher Metazoen von der Gastraea annimmt, der kann jetzt auch noch weiter gehen, und fussend auf dem gemein- samen, nunmehr nachgewiesenen Entstehungsmodus der Gastrula (durch Einstülpung der Blastula u. s. w.) auch jene fünf Ur- stufen der thierischen Formbildung bei allen Metazoen für homolog halten; oder — mit anderen Worten — den ersten gemeinsamen Ursprung aller Thiere bis zum denkbar einfachsten Organismus, bis zum Moner hinab verfolgen. Denn bei gehöriger Berücksich- tigung der verschiedenen cenogenetischen Veränderungen, welche der Nahrungsdotter in dem palingenetischen Processe der primor- dialen Eifurchung hervorgebracht hat, ist es in der That möglich, nicht nur die Gastrula, sondern auch die vorhergehenden vier Bildungsstufen dieser wichtigsten Keimform, auf das gemeinsame Urbild der primordialen Eifurchung bei allen Metazoen zu reduci- ren (Vergl. die VII. synoptische Tabelle S. 67). Was die vier Hauptformen der Furchung betrifft (die primor- diale, inaequale, discoidale und superficiale) so sind es dieselben, welche ich bereits in der Anthropogenie (S. 166) unterschieden habe. Ich hatte dort ausserdem noch zwei andere Hauptformen als pseudototale und seriale Furchung aufgeführt. Indessen lassen sich diese beiden Formen unter die inaequale Furchung subsumi- ren. Das Verhältniss dieser vier wichtigsten Furchungsformen zu den beiden, bisher allein unterschiedenen Hauptformen der totalen und partiellen Furchung gestaltet sich so, dass die primordiale und inaequale Furchung (rein äusserlich betrachtet) unter den Begriff der totalen, hingegen die discoidale und superficiale unter den Begriff der partiellen Furchung fallen (Tabelle V). Jedoch sind scharfe und abschliessende Grenzen ebenso wenig zwischen unseren vier Hauptformen, als zwischen der totalen und partiellen Furchung zu ziehen. Vielmehr sind alle durch Ueber- gänge verbunden, und alle lassen sich auf die ursprüngliche Form der primordialen Eifurchung phylogenetisch zurückführen. Die Bedeutung der Palingenie und der Cenogenie. 65 Synoptische Tabelle über die wichtigsten Verschiedenheiten in der Eifurchung und Gastrulation der Thiere. (Die sechs Stämme der Metazoen sind durch die Buchstaben a—f bezeichnet: a Zoophyten (Coelenteraten), b Würmer, c Mollusken, d Echinodemien, e Ar- thropoden, f Vertebraten.) ' a. Die meisten Pflanzenthiere (Niedere Schwämme, Hydroi- 1. Primordiale Furchung. den, Medusen, Corallen). (( »vula arcbiblasta). 6. Viele niedere Würmer I. (Sagitta, Phoronis, Ascidien, Totale viele Nematoden u. s. w.). Furchung. c. Einige niedere Mollusken (Ovula holo- (Spirobranchien u. s. w.). blasta). d. Die meisten Echinodermen. e. Einige niedere Gliederthiere Archigastrula. (Einige Branchiopoden , Pte- romalinen?]. > Taf. VIII. f. Die Acranier (Amphioxusj. P rimär e Gastrula. (Hologaslrula). 2. Inaequale Furchung. (Ovula amphiblasta). Amphigastrula. Taf. VII. a. Viele Pflanzenthiere (Manche Spongien , Medusen und Corallen ; Siphonophoren, Ctenophoren). b. Die meisten Würmer (Acoe= lomier, Anneliden u. s. w.). c. Die meisten Mollusken. d. Einzelne Echinodermen. e. Niedere Arthropoden (sowohl Crustaceen, als Tracheaten). f. Cyclostomen, Ganoiden, Am- phibien, Piacentalien (?). II. Partielle Furchung. (Ovula mero-| blasta). Secundäre Gastrula. (Mero gastrula). 3. Discoidale Furchung. (Ovula discoblasta). Disco gastrula. Taf. IV, V. ( c. Die meisten Cephalopoden. e. Manche Arthropoden. (Sowohl Crustaceen, als Tra- cheaten). Selachier, Teleostier, Repti- lien, Vögel, Monotremen u. Didelphien (?). Superficiale Furchung. (Ovula periblasta). Perigastrula. Taf. VI. \ b. Einige höhere Würmer (?). e. Die meisten Arthropoden, sowohl Crustaceen als Tra- cheaten. 66 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. VI. Synoptische Tabelle über die fünf ersten Keimungsstufen der Metazoen, verglichen mit ihren fünf ältesten Ahnenstufen. Formwerth Ontogenesis : der fünf ersten Entwicke- Die fünf ersten Stufen lungsstufen der Metazoen. i der Keimes-Entwickelung. Phylogenesis : Die fünf ersten Stufen der Stammes-Entwickelung. I. Erste Form stufe: I. Erste Keimungsstufe: I. Erste Ahnenstufe : Cytoda. Monerula Moneres. Eine einfachste Cytode Das befruchtete Ei nach Aelteste, durch Urzeugung (kernlose Plastide). Verlust des Keimbläs- entstandene Stammform chens. der Metazoen. IL II. II. Zweite Formstufe : Zweite Keimungsstufe : Zweite Ahnenstufe: Cellula. Cytula. Amoeba. Eine einfachste , indiffe- „Die erste Furchungs- Einfachste, älteste, indif- rente, amoeboide Zelle kugel" (das befruchtete ferente Stammzelle. (kernhaltige Plastide). Ei mit neugebildctem Zellenkern). III. III. III. Dritte Formstufe : Dritte Keimungsstufe: Dritte Ahnenstufe: Polycytium. Morula. Synamoebium. Ein einfachstes Aggregat „Maulbeer dotter", kuge- Einfachste älteste Ge- von einfachen , gleichar- liger Haufen von ein- meinde von gleichartigen tigen, indifferenten Zellen. fachen gleichartigen Fur- chungskugeln. indifferenten Zellen. IV. IV. IV. Vierte Formstufe: Vierte Keimungsstufe : Vierte Ahnenstufe: Blastosphaera. Blastula. Planaea. Eine einfache, mit Flüs- „Keimhautblase" oder Hohlkugel, deren Wand sigkeit gefüllte Hohlkugel, „Keimblase" (Vesicula aus einer Schicht von deren Wand aus einer blastodermica oder Bla- Flimmerzellen besteht! einzigen Schicht gleich- stosphaera) oft auch (ähnlich der heutigen artiger Zellen besteht. „Planula" genannt. Magosphaera). V. V. V. Fünfte Formstufe: Fünfte Keimungsstufe : Fünfte Ahnenstufe : Metazoarchus. Gastrula. Gastraea. Ein einfacher , einaxiger Einfacher einaxiger Darm- Gemeinsame Stammform Hohlkörper mit, einer schlauch (ürdarm) mit aller Metazoen, gleich der Oeffnung, dessen Wand Urmund; Wand aus den Archigastrula des aus zwei verschiedenen beiden primären Keim- Amphioxus, der Ascidie Zellenschichten besteht. blättern gebildet. u. s. w. Die Bedeutung der Palingenie und der Cenogenie. r»7 VII. Synoptische Tabelle über die fünf ersten Keimungsstufen der Metazoen, mit Rücksicht auf die vier verschiedenen Hauptformen der Eifurchung. A. Totale Furchung. ( Ovula holoblasta) B. Partielle Furchung. (Ovtila meroblasla). a. Primordiale Furchung. (Ö. archiblasta). b. Inaequale Furchung. (0. amphiblasta). c. Discoidale Furchung. (0. discoblasta). d. Superficiale Furchung. (0. periblasta). I Archimonerula. I. Amphimonerula. Das befruchtete Ei ist Eine Cytode, die am eine Cytode, in der auimalen Pole Bil- Bildungsdotter und dungsdotter, am ve- Nahrungsdotter nicht getativen Pole Nah- zu unterscheiden rungsdotter besitzt, sind. beide nicht scharf ge- trennt. II. Archicytula. II. Amphicytula. Eine Zelle, aus der Eine Zelle, aus der Archimonerula durch Amphimonerula durch Neubildung eines Ker- Neubildung eines nes entstanden. III. Archimorula. Eine solide (meist Kernes entstanden. III. Amphimorula. Eine rundliche Masse kugelige) Masse, aus| aus zweierlei Zellen lauter gleichartigen Zellen gebildet. zusammengesetzt : Büdungszelleu an animalen, Nahrungs- zellen am veget. Pole IV. Archiblastula. IV. Amphiblastula. Eine (meist kugelige) Eine rundliche Blase hohle Blase, deren Ideren Wand am aui- Wand aus einer ein- malen Pole aus klei zigen Schicht gleich- nen Exoderm-Zellen, artiger Zellen besteht, am vegetativen Pole aus grossen Ento- dermzelleu besteht V. Amphigastrula Glockenförmige Ga- V. Archigastrula. Die ursprüngliche reine Gastrula - Form strula, deren Urdarm mit leerem Urdarm, zum Theil von ge- ohne Nahrungsdotter; furchtem Nahrungs primäre Keimblätter dotter erfüllt ist. einschichtig. I. Discomonerula. Eine Cytode, die am animalen Pole Bil- dungsdotter, am ve- getativen Pole Nah- rungsdotter besitzt, beide scharf von ein- ander getrennt. II. Discocytula. Eine Zelle, aus der Discomonerula durch Neubildung eines Kernes entstanden. III. Discomorula. Eine flache Scheibe, aus gleichartigen Zel- len zusammengesetzt, dem animalen Pole des Nahrungsdotters aufliegend. IV. Discoblastula. Eine rundliche Blase deren kleinere Hemi- sphäre aus den Fur- ch ungszelleu besteht; grössere Hemisphäre aus dem ungefurchten Nahrungsdotter. V. Discogastrula. Scheibenförmige aus- gebreitete Gastrula, deren Urdarm ganz von ungefurchtem Nahrungsdottcr er- füllt ist. I. Perimonerula. Das befruchtete Ei ist eine Cytode, die an der Peripherie Bildungsdotter , im Centrum Nahrungs- dotter enthält. II. Pericytula. Eine Zelle, aus der Perimonerula durch Neubildung eines Kernes ent- standen. III. Perimorula. Eine geschlosseue Blase, aus einer Zel- lenschicht bestehend, die den ganzen Nah- rungsdotter um- schliesst. IV. Periblastula. Eine geschlossene Blase, aus einer Zel- lenschicht bestehend, die den ganzen Nah- rungsdotter um- schliesst (= Peri- morula). V. Perigastrula. Blasenförmige Gastru- la , deren Urdarm klein, deren grosse Furchungshöhle von Nahrungsdotter er- füllt ist. 5* 68 Die Gastmla und die Eifurchung der Thiere. I. Das phylogenetische Verhältniss der Palingenie zur Cenogenie. Die Unterscheidung zwischen Palingenie und Cenogenie, die Erkenntniss der ganz verschiedenen Bedeutung dieser beiden onto- genetischen Erscheinungs - Gruppen und insbesondere die Fest- stellung des phylogenetischen Verhältnisses derselben zu einander scheint mir von ganz fundamentaler Wichtigkeit für das Verständ- niss der Gastraea-Theorie, wie für die causale Beurtheilung und mechanische Begründung der Keimesgeschichte überhaupt zu sein. Denn diejenigen ontogenetischen Processe, welche unmittelbar nach dem biogenetischen Grundgesetze auf eine frühere, vollkommen entwickelte, selbständige Stammform zu beziehen und von dieser durch Vererbung übertragen sind, besitzen offenbar eine primäre Bedeutung für die Erkenntniss der causalen phylogene- tischen Verhältnisse; dagegen können diejenigen keimesgeschicht- lichen Vorgänge, welche erst später durch Anpassung an die Bedingungen des Embryolebens oder des Larvenlebens entstanden und demgemäss nicht als Wiederholung einer früheren selbst- ständigen Stammform gelten dürfen, offenbar für die Erkenntniss der Stammesgeschichte nur eine ganz untergeordnete, secundäre Bedeutung beanspruchen. Die ersteren habe ich als palingene- tische, die letzteren als cenogenetische bezeichnet. Von diesem kritischen Gesichtspunkte aus betrachtet wird die gesammte Ontogenie in zwei verschiedene Haupttheile zerfallen: erstens Pa- lingenie oder „Auszugsgeschichte", und zweitens Ceno- genie oder „Fälschungsgeschichte". Die erstere ist der wahre ontogenetische Auszug oder die kurze Recapitulation der alten Stammesgeschichte; die letztere ist gerade umgekehrt eine neuere, fremde Zuthat, eine Fälschung oder Verdeckung jenes Aus- zuges der Phylogenie. Um sofort an einem Beispiele klar zu machen, was ich durch diese Unterscheidung zu erreichen wünsche, brauchen wir bloss einen Blick auf die Ontogenie des Menschen oder irgend eines anderen Amnioten zu werfen. Als palin genetische Processe, welche unmittelbar auf eine frühere selbständige Stammform zu beziehen, und offenbar getreu durch Vererbung übertragen sind, müssen wir bei allen Amnioten unter Anderen folgende betrachten : die Sonderung der beiden primären Keimblätter, das Auftreten einer einfachen Chorda zwischen Markrohr und Darmrohr, die Erscheinung des einfachen knorpeligen Urschädels, der Kiemen- Die Bedeutung der Palingenie und der Oenogenic. fi9 bogen und ihrer Gefässe, der Urnieren, die einfache Anlage der fünf Hirnblasen, die einkammerige Urform des Herzens, das Auftreten der primitiven Aorten und der Cardinal-Venen, die hermaphrodi- tische Anlage der inneren und äusseren Geschlechts-Organe u. s. w. Hingegen werden wir als cenoge netische Processe, welche keineswegs auf eine frühere selbständige und völlig entwickelte Stammform zu beziehen, vielmehr durch Anpassung an die Be- dingungen des Eilebens oder Embryolebens entstanden sind, zu betrachten haben: die Bildung des Nahrungsdotters und der Ei- hüllen, des Amnion, der Allantois, die Verhältnisse des embryona- len Dotter-Kreislaufs und Allantois-Kreislaufs, die vorübergehende embryonale Trennung von Urwirbelplatten und Seitenplatten, den secundären Verschluss der Bauchwand und Darmwand, die Nabel- bildung, die zusammengekrümmte Keimform u. s. w. Oder um ein Beispiel aus der Entwicklungsgeschichte der Crustaceen anzuführen, für die uns Fritz Müller-Desterro durch seine bahnbrechende Schrift „Für Darwin" (1864) ein so bedeu- tungsvolles und alle Theile der Biogenie erhellendes Licht ange- zündet hat, so werden wir für die Palingenie dieser Thier- klasse vor Allen zu verwerthen haben: die wesentlich übereinstim- mende Bildung und Zusammensetzung der Nauplius-La,v\eii in den verschiedenen Ordnungen der Crustaceen, die ursprüngliche, ein- fache Bildung ihres Darmcanals, ihres unpaaren Stirnauges, ihrer drei Paar Schwimm füsse u. s. w. Ebenso stellt für die höheren Crustaceen, insbesondere die Malacostraca , die charakteristische „Zoea" mit ihrer typischen Gliederung und Gliedmaassenbildung eine palingenetische Keimform dar. Hingegen wird durch die Cenogenie der Crustaceen zu erklären sein: die partielle Ei- furchung und die Bildung des Nahrungsdotters bei der Mehrzahl der Cruster, die Umwachsung desselben durch das Blastoderm, der secundäre Verschluss der Rückenwand, die Krümmung des Embryo innerhalb der Eischale, sowie die Bildung jener mannichfaltigen, sonderbaren Embryonalformen und Larvengestalten, die nicht von den Stammformen ererbt, sondern vielmehr „in dem Kampfe um's Dasein erworben sind, welchen die frei lebenden Larven zu be- stehen haben." (Fritz Müller 1. C. p. 77.) Offenbar ist die Unterscheidung jener primären palingeneti- schen und dieser secundären cenogenetischen Processe für das phylogenetische Verständniss und somit für die mechanische Er- klärung der ontogenetischen Thatsachen von der grössten Bedeu- tung; und zwar um so mehr, je mehr der primäre ursprüngliche 70 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Entwickelungsgang des Embryo durch die secundäre Ausbildung von Eihüllen, von Nahrungsdotter u. s. w. gefälscht, und je mehr durch andere Ursachen die getreue Wiederholung der langen Stammesentwickelung durch die kurze Keimesentwickelung abge- kürzt oder verdeckt ist. Wenn man diese höchst wichtigen, aber bisher fast ganz vernachlässigten Verhältnisse nicht gehörig in's Auge fasst, so wird man weder das wahre Causal-Verhältniss zwi- schen jenen beiden Entwickelungs-Reihen verstehen, noch über- haupt die Bedeutung des biogenetischen Grundgesetzes begreifen können. Schon in der „Generellen Morphologie" (1866), und ein- gehender später in der Anthropogenie (1874) habe ich daraufhin- gewiesen, „wie wichtig es für die richtige und kritische Anwendung des biogenetischen Grundgesetzes ist, stets beide Seiten dessel- ben im Auge zu behalten. Die erste Hälfte dieses fundamentalen Entwickelungsgesetzes öffnet uns die Bahn der Phylogenie, indem sie uns lehrt, aus dem Gange der Keimesgeschichte denjenigen der Stammesgeschichte annährend zu erkennen: Die Keimform wiederholt durch Vererbung die entsprechende Stamm- form (Palingenesis). Die andere Hälfte desselben schränkt aber diesen leitenden Grundsatz ein, und macht uns auf die Vor- sicht aufmerksam, mit welcher wir denselben anwenden müssen; sie zeigt uns, dass die ursprüngliche Wiederholung der Phylogenese durch die Ontogenese im Laufe vieler Millionen Jahre vielfach ab- geändert, gefälscht und abgekürzt worden ist: Die Keim form hat sich durch Anpassung von der entsprechenden Stammform entfernt" (Cenoyenesis). Anthropogenie S. 626. Für die Palingenesis oder die „Auszugs-Entwickelung" sind demnach von hervorragender Bedeutung die Gesetze der un- unterbrochenen (continuirlichen) , der befestigten (constituirten), der gleichörtlieheu (homotopen) und den gleichzeitlichen (homo- chronen) Vererbung (Generelle Morphologie, Vol. II, p. 180 — 190). Diese höchst wichtigen Vererbungs -Gesetze gestatten uns noch heute, aus den vorliegenden Thatsachen der Keimesgeschichte ganz positive Schlüsse auf den ursprünglichen Gang der Stam- mesgeschichte zuthun. Hingegen sind für die Cenogenesis oder die „Fälschungs-Entwickelung" ganz besonders wichtig die Gesetze der abgekürzten (abbreviirten) und der gefälschten (modificirten), ganz besonders aber der ungleichörtlichen (heterotopen) und der ungleichzeitlichen (heterochronen) Vererbung. Diese Vererbungs- gesetze haben für die Phylogenie nur einen negativen Werth. Für die gesammte Morphologie, und speciell für die Phylogenie, Die Bedeutung der Paliugenie und fleir Cenogenie. 71 ist selbstverständlich die Palingenesis von ganz anderer Bedeutung, als die Cenogenesis. Die Morphologie, welche ihre Aufgabe rich- tig begriffen hat, wird den versteckten Pfad der Phylogenie in dem schwierigen Gebiete der Ontogenie nur dann finden, wenn sie die palingenetischen Processe möglichst hervorsucht, die ceno- genetischen möglichst eliminirt. Die Physiologie wird umge- kehrt an der näher liegenden Cenogenie in vielen Fällen ein weit höheres Interesse haben, als an der Palingenie. II. Ontogenetische Heterochronien und Heterotopien. Unter den mannichfaltigen secundären Erscheinungen, welche uns die Cenogenesis darbietet und welche in mehr oder minder ausgeprägtem Gegensatze zu den primären Phänomenen der Palin- genesis stehen , sind von besonderer Wichtigkeit vor Allen die Ausbildung des Nahrungsdotters und was damit zusammenhängt; demnächst aber diejenigen Entwickelungs -Vorgänge , welche ich in der Anthropogenie als „ontogenetische Heterochronien und He- terotopien" bezeichnet habe. Gerade diese Processe der Keimes- entwickelung, welche 'zu den entsprechenden Vorgängen der Stam- mesentwickelung in einem diametralen Gegensatze zu stehen, die Palingenesis zu negiren und das ganze biogenetische Grundgesetz zu erschüttern scheinen, lassen sich durch die Cenogenesis befrie- digend erklären. Wie ich in der Anthropogenie bemerkte, „sind die ontogenetischen Heterochronien, welche durch Verschie- bung der phylogenetischen Succession entstehen, nicht minder be- deutungsvoll als die ontogenetischen Heterotopien, die durch frühzeitige phylogenetische Wanderung der Zellen aus einem secun- dären Keimblatt in das andere bewirkt werden; dort wird die Zeitfolge, hier die Raumfolge gefälscht". Als wichtigste Leuchte zur Erkenntniss dieser cenogenetischen Processe dient uns die vergleichende Anatomie, ohne deren Hülfe wir über- haupt die Räthsel der Cenogenesis nicht lösen und den ursprüng- lichen Pfad der Palingenesis nicht erkennen würden. Einleuchtende Beispiele solcher Processe liefert uns die Kei- mesgeschichte der verschiedensten Metazoen in Menge. Was zu- nächst die Heterochronie betrifft, die ontogenetische Zeit- verschiebung, oder die cenogenetische Abänderung der palin- genetischen Zeitfolge, so können wir im Allgemeinen Fälle von ver- frühtem und von verspätetem Auftreten der Organe unterscheiden. Fälle von ontogenetischer Acceleration oder Verfrühung 72 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. (wo in der Keimesgeschichte das Organ viel früher erscheint, als es im Verhältniss zu den übrigen Organen ursprünglich in der Stammesgeschichte der Fall war) bietet z. B. bei den Wirbelthie- ren: das frühzeitige Auftreten der Chorda, die auffallend frühe Entstehung des Gehirns und der Augen (besonders bei den Kno- chenfischen), der Kiemenspalten, des Herzens (vor den Gefässen) u. s. w. Die Gliederthiere zeigen solche ontogenetische Accelera- tion besonders in der frühzeitigen Ausbildung gegliederter Extre- mitäten und der Metamerenkette (des „Primitivstreifs"); die Tra- cheaten in dem frühen Auftreten der Tracheen, die Crustaceen in der vorzeitigen Ausbildung einer mächtigen Leber. Unter den Mollusken erscheinen in Folge beträchtlicher cenogenetischer Ver- frühung auffallend bald die Kalkschalen und die Gehörbläschen; bei den Muscheln die Byssus-Drüse, bei den Schnecken die Radula. Bei den Echinodermen bilden sich oft unverhältnissmässig früh in der Ontogenese die Kalktheile des Skelets aus, die in der Phylo- genese sicherlich späteren Ursprungs sind. Umgekehrt erkennen wir eine ontogenetische Retarda- tion oder Verspätung (wo in der Ontogenie das Organ ver- hältnissmässig später auftritt, als es ursprünglich in der entspre- chenden Phylogenie der Fall gewesen sein muss) z. B. in folgenden Vorgängen : das späte Auftreten der Sexualdrüsen bei den meisten Metazoen, die sehr verspätete Ausbildung des Darmcanals und des Coeloms bei Vielen derselben. Ein sehr auffallendes Beispiel lie- fert die späte Bildung der Vorkammer - Scheidewand (Septum atriorum) im embryonalen Herzen der höheren Wirbelthiere, welche der Entstehung der Kammerscheidewand (Septum ventriculorum) nachfolgt. In der Phylogenie der Wirbelthiere ist umgekehrt die erstere der letzteren vorausgegangen, wie die Dipneusten, Amphi- bien und Reptilien beweisen. Eine nicht minder wichtige Rolle spielen in der Keimesge- schichte der Wirbelthiere die ontogenetischen Ortsver- schiebungen oder Heterotopien, die cenogenetischen Ab- änderungen der palingenetischen Raumfolge. Vor Allen kommen hierbei die Zellen Wanderungen und Zellenverschiebun- gen innerhalb der primären und secundären Keimblätter in Be- tracht, sowie die secundären Ortsveränderungen der aus den Keimblättern entstehenden Organe. Eine grosse Rolle spielen die ersteren z. B. bei der Entstehung des „mittleren Keimblattes", des Mesoderms. Als das ursprüngliche palingenetische Verhältniss der Mesodermbildung habe ich in der Anthropogenie die Bildung der Die Bedeutung der Palingenie und der Cenogenie. 73 vier secundären Keimblätter hingestellt, indem ich das Haut- faserblatt vom Exoderm , das Darmfaserblatt vom Entoderm ab- leitete. Beide Faserblätter zusammen, obwohl verschiedenen Ur- sprungs, verbinden sich secundär zum scheinbar einheitlichen Meso- derm. Die bekannte Spaltung des letzteren in Hautfaserblatt und Darmfaserblatt ist demnach ein tertiärer, kein primärer Vorgang. Wenn also jetzt (wie die meisten Ontogenisten annehmen) das Me- soderm als Ganzes aus einem der beiden primären Keimblätter allein entsteht und wenn das andere daran keinen Antheil nimmt, so ist das meiner Ansicht nach durch Heterotopie zu erklären, und zwar durch sehr frühzeitige (vielleicht schon während der Furchung ein- tretende) Zellenwanderung aus einem primären Keimblatt in das andere. Ebenso muss ich auch die (von den Meisten angenom- mene) ontogenetische Entstehung der Sexualdrüsen im Mesoderm als einen cenogenetischen Vorgang deuten, weil diese ursprünglich auf eines der beiden primären Keimblätter zurückzuführen und palingenetisch aus diesen entstanden sind. Auch die vorübergehende Trennung der Urwirbelplatten von den Seitenplatten, sowie viele auffallende Unterschiede in der Bildung der ersten Organ-Anlagen, welche wir bei ontogenetischer Vergleichung der verschiedenen Wirbelthier-Klassen wahrnehmen, dürften durch solche Heteroto- pien zu erklären sein. Für Jeden, der das biogenetische Grundgesetz anerkennt und einen tiefen inneren Causalnexus zwischen Ontogenie und Phylo- genie annimmt, bedarf es wohl kaum noch eines besonderen Hin- weises darauf, welche ausserordentliche Bedeutung diesen bisher noch gar nicht gewürdigten Heterochronien und Heterotopien in der Ontogenie zukommt. Erst wenn man über diese merkwürdi- gen, bisher unbeachtet bei Seite gelassenen Thatsachen reiflich nachdenkt und den cenogenetischen Charakter derselben aner- kennt, wird man das scheinbare Paradoxon verstehen, dass oft bei nahe verwandten Thieren die Ontogenie so beträchtliche Differen- zen zeigt, und der Verlauf derselben so bedeutend von dem ent- sprechenden Verlauf der Phylogenie sich entfernt. Das letztere muss um so mehr der Fall sein und die ursprüngliche Palingenesis muss um so mehr in den Hintergrund treten, je zahlreicher und bedeutender sich jene cenogenetischen Zeitverschiebungen und Ortsverschiebungen im Laufe der Jahrtausende allmählig ausge- bildet und zu complexen Phänomenen zusammengeballt haben. Ein solches complexes Phänomen ist z. B. die Bildung eines soge- nannten „Primitivstreifs" d.h. das frühzeitige und imponirende 74 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Auftreten einer Summe von axialen Körpertheilen, welche an der Oberfläche des Keimes in der Hauptaxe derjenigen dipleuren (oder „bilateral-symmetrischen") Metazoen erscheinen, deren Körper den Formwerth einer Metamerenkette oder einer „gegliederten Person" besitzt '). Als solche höchst complexe Gesammt-Resultate, die sich aus zahlreichen und mannichfaltigen cenogenetischen Heterochro- nien und Heterotopien zusammensetzen, sind ferner offenbar viele Fälle von sogenannter „Zusammenziehung und Vereinfachung" der Ontogenesis zu deuten, wie sie z. B. Gegenbaur in der Bildung des Schädels und Gehirns bei den Wirbelthieren, Fritz Müller in der Gliederung und Differenzirung des Crustaceen-Körpers so einleuchtend nachgewiesen haben. Auch die scheinbar „directe Entwickelung", ist so zu erklären, welche die Cephalopoden (das Veliger-Stadium der Schnecken überspringend) uns darbieten; und ebenso diejeni- gen Echinodermen, welche den ursprünglichen Generationswechsel (oder die sogenannte „Metamorphose") der Mehrzahl dieses Stam- mes gegenwärtig nicht mehr besitzen. Von besonderer Bedeutung dürfte für die richtige Würdigung der cenogenetischen Heterochronien und Heterotopien der Um- stand sein, dass durch sie im Laufe der Zeit immer auffallen- der diejenigen Organe in den Vordergrund der Onto- genie gedrängt werden, welche für die betreffenden Hauptgruppen (Stamm, Classe, Ordnung) vorzugsweise cha- rakteristisch und wichtig sind. So treten bei den Wirbel- thieren unverhältnissmässig früh und mächtig die Chorda dorsalis und die Kiemenbogen auf; bei den Gliederthieren der sogenannte „Primitivstreif", die Metamerengrenzen und die Anlagen der ge- gliederten Extremitäten; bei den odontophoren Mollusken die Ra- dula; bei vielen Echinodermen die Kalktheile des Skelets und die Anlagen des Ambulacral - Systems. Umgekehrt werden im Laufe der Jahrtausende immer mehr diejenigen Organe in den Hintergrund der Ontogenie gedrängt, welche die allgemeinste Bedeutung für sämmtliche Metazoen be- ll Der sogenannte „Primitivstrei f" hat demnach in den verschiedenen Thierstämraen eine ganz verschiedene Bedeutung, so namentlich bei den An- neliden und Arthropoden einerseits, bei den Vertebraten anderseits. Immer aber ist der Terminus „Primitivstreif" ein sehr unklarer Ausdruck für eine complexe Summe von Phänomenen , die theils palingenetischeu , theilt ceno- genetischen Ursprungs sind. Die Unterscheidung von ,,Entwickelung mit oder ohne Primitivstreif", wie sie z. B. Leuckart, Claus und viele Andere für sehr wichtig halten, ist im Stunde ganz unwichtig und werthlos. Die Bedeutung der Palingenie und der Cenogenie. 75 sitzen, vor Allem also Urdarm und Urmund in ihrer ursprüngli- chen Gestalt. Desshalb ist auch die reine, primordiale Gastrula (Jrchigastrula), welche durch Invagination einer einfachsten Bla- stula (Archiblastula) entsteht, vorzugsweise bei den niedersten, indifferentesten und ältesten Formen der verschiedenen Gruppen bis heute am getreuesten conservirt weiden (Gastrophysema, Monoxenia, Sagitta, Phoronis, Argiope, Terebratula, Uraster, Toxo- pneustes, Ascidia, Amphioxus). III. Palingenetischer Bildungsdotter und cenogene- tischer Nahrungsdotter. Die auffallendste und für die frühesten Keimungs - Processe der Metazoen weitaus wichtigste von allen cenogenetischen Er- scheinungen ist die Ausbildung eines sogenannten „Nahrungsdotters", im Gegensatze zu dem „Bildungsdotter". Bei sehr vielen Thieren der verschiedensten Gruppen, namentlich aber bei den niederen und unvollkommneren (also phylogenetisch älteren) Formen fehlt ein separater Nahrungsdotter ganz und der Embryo entsteht einzig und allein aus dem „Protoplasma" der Eizelle, dem Bildungs- d ott er (Morphoblastus oder Protolecithus, Vitellus formativus). Zu diesem primären Bildungsdotter tritt nun aber bei vielen an- deren Thieren, namentlich höheren und vollkommneren (also phylo- genetisch jüngeren) Formen in sehr verschiedenen Klassen die be- sondere, zur Ernährung des Embryo dienende Vorrathsmasse, welche als „Deutoplastna" (van Beneden) sich zum Protoplasma der Ei- zelle hinzugesellt, der Nahrungsdotter (Trophoblastus oder Metalecithus, Vitellus nutritivus). Diese Sonderung von Bildungsdotter und Nahrungsdotter be- dingt von Anfang der Keimesentwickelung an höchst auffallende Unterschiede bei den verschiedenen, oft nahe verwandten Thier- klassen (ja selbst oft bei nahe verwandten Thieren einer Klasse); Unterschiede, welche ihre Wirkung bald auf kürzere, bald auf län- gere Zeit des Embryolebens erstrecken, die palingenetische Identität der Keimesentwickelung bei nahe verwandten Thieren oft ganz verdecken und überhaupt eine Masse von Täuschungen hervorrufen. Wenn man das Chaos von widersprechenden Beobachtungen, unver- einbaren Ansichten und entgegengesetzten- Meinungen überblickt, welches gegenwärtig die Keimesgeschichte der Thiere darbietet, — besonders in Betreff der frühesten und wichtigsten Stadien der Ent- Wickelung, — so wird man wohl nicht irre gehen, wenn man in 7ß Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. der grossen Mehrzahl der Fälle die eigentliche Urquelle dieser Verwirrung in dem Auftreten des Nahrungstiotters und den davon abhängigen cenogenetischen Veränderungen sucht. Je auffallender nun diese Unterschiede in den ersten Stadien der Keimesentwickelung sich darstellen, je mehr die Anwesenheit oder Abwesenheit eines Nahrungsdotters selbst nahe verwandte Thiere zu trennen scheint, desto wichtiger ist es, den cenogeneti- schen Charakter aller dieser secundären Veränderungen im Auge zu behalten und sich das ursprüngliche Bild der dadurch ver- deckten palingenetischen Processe nicht trüben zu lassen. Denn in allen Fällen ist der Nahrungsdotter ein secundäres ceno genetisches Product, welches den primären palingene- tischen Entwickelungsgang des Keimes zwar vielfach abändern und verdecken, aber dessen morphologische Bedeutung nicht im Min- desten abschwächen kann. Während viele Ontogenisten, geblendet durch die Grösse und die oft sehr complicirte Zusammensetzung des Nahrungsdotters, einen höchst wichtigen und selbst die Form- bildung des werdenden Thieres unmittelbar beeinflussenden Kör- per in demselben erblicken, werden wir umgekehrt denselben stets nur als einen ganz untergeordneten Factor der Keimesgeschichte ansehen, der zwar für die Physiologie des Embryo höchst bedeu- tungsvoll sein kann, für die Morphologie hingegen werthlos ist. Um das Verhältniss des Nahrungsdotters zur Eifurchung rich- tig zu beurtheilen, müssen wir uns stets an drei wichtige Grund- sätze erinnern, erstens, dass das Ei ursprünglich stets eine einfache Zelle ist, zweitens, dass die Eifurchung nichts anderes als eine einfache oft wiederholte Zellenthei- lung ist, und drittens, dass der Nahrungsdotter zur primären Ei- zelle stets als ein secundäres Product hinzutritt, welches an den activen Veränderungen der ersteren nur einen mehr oder minder ausgedehnten passiven Antheil nimmt '). Als actives Element der Eifurchung können wir überall nur das Protoplasma und den 1) Die gegenwärtig zur Geltung gelangte Vorstellung, dass das Thier-Ei eine einfache lebendige Zelle und die Eifurchung eine wiederholte Zellenthei- lung ist, steht mit der Zellentheorie wie mit der Phylogenie in bestem Einklang. Die ganz entgegensetzten, wunderlichen, allgemeinen Ansichten, welche Goette kürzlich in seiner Keimungsgeschichte der Unke publicirt hat, werden jene fundamentale Ueberzeugung nicht erschüttern. Obwohl es kaum nöthig ist, meinen priucipiellen Gegensatz zu den meisten allgemeinen Anschauungen Goette's hier zu constatiren , thue ich es doch , weil seine speciellen An- schauungen über Gas tr u labil düng (und besonders über die Invagination der Gastrula) wesentlich mit den meinigen übereinstimmen. Die Bedeutung der Palingenie und der Cenogenie. 77 Nucleus der Furchungszellen betrachten. Der Nahrungsdotter hingegen ist nur ein passiver Bestandteil des Eies, eine Vorraths- kammer oder ein Proviant-Magazin, aus dem der entstehende Em- bryo den Nahrungsstoff entnimmt. Allerdings kann bisweilen der Nahrungsdotter noch längere Zeit nach der erfolgten primären Furchung des Bildungsdotters einer seeundären Zerklüftung unter- liegen. Aber auch die so entstehenden wirklichen „Dotterzellen" spielen nur eine untergeordnete und passive Rolle gegenüber den formbildenden activen „Bildungszellen" der Keimblätter. Je nach dem verschiedenen Massen-Verhältniss , in welchem das „Deuto- plasma" des Nahrungsdotters zu dem ursprünglichen „Protoplasma" der Eizelle hinzukommt, und je nach der verschiedenen Vertheilung des ersteren im letzteren wird derselbe an der Furchung einen sehr verschiedenen passiven Antheil nehmen. Die Verhältnisse des Nahrungsdotters zur Eizelle und zur Ei- furchung sind in den beiden Preisschriften von Edouard van Be- neden1) und von Hubert Ludwig 2) so ausführlich erörtert worden, dass wir hier nicht weiter darauf einzugehen brauchen, sondern einfach auf letztere verweisen können. Wenngleich unsere Auffas- sung in einigen Einzelheiten abweicht, stimmt sie doch in allem Wesentlichen mit derjenigen von van Beneden und Ludwig überein. Die zahlreichen neuen Beobachtungen über die verschiedenen Arten der Eifurchung, welche in jüngster Zeit angestellt worden sind, scheinen übrigens geeignet, die von van Beneden unterschiedenen Kategorien der Eifurchung, welche auf der (1. c. p. 260) von ihm gegebene Tabelle übersichtlich zusammengestellt sind, wesentlich zu vereinfachen. Wenn man die Gastrula als das gemeinsame End- resultat der Furchung bei sämmtlichen Metazoen im Auge behält, so dürfte die Unterscheidung derjenigen vier Hauptformen der Ei- furchung und Gastrulabildung vorläufig genügen, welche ich in den beiden synoptischen Tabellen V und VI (S. 65 und 66) zusammengestellt habe. Nur bei der „primordialen Eifurchung" bildet der active Bildungsdotter für sich allein, als primärer palin- genetischer Organismus, das ganze Ei und den daraus hervor- gehenden Keim. Bei den drei übrigen Furchungsformen hingegen, bei der inaequalen, discoidalen und superficialen Eifurchung tritt der passive Nahrungsdotter, als seeundäres cenogenetisches Pro- 1) Edouard van Beneden, Rechercb.es sur la Composition et la Signifi- cation de l'oeuf. Bruxelles 1870. 2) Hubert Ludwig, Ueber die Eibildung im Thierrcicbe. Würzburg 1874. 78 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. duct, zu ersterem hinzu, bald nur theilweise und nicht scharf ge- schieden (inaequale Furchung), bald vollständig und scharf getrennt discoidale und superficiale Furchung). 10. Die vier Hauptformen der Eifurchung und Gastrnla- bildung. I. Die primordiale Furchung und die Archigastrula (Taf. VIII). Bei Beurtheilung der zahlreichen verschiedenen Formen, unter welchen die Eifurchung und die erste Anlage des embryonalen Körpers bei den verschiedenen Thieren auftritt, wird zuerst die Frage zu stellen und zu beantworten sein, ob wir eine einzige Form derselben als die ursprünglichste und als gemeinsamen Aus- gangspunkt für die übrigen Formen betrachten dürfen. Wie die vergleichende Anatomie als Phylogenie der Organe die Aufgabe hat, alle stammverwandten entwickelten Formen einer natürlichen Hauptabtheilung, z. B. alle Wirbelthiere, auf eine gemeinsame ur- sprüngliche Stammform zurückzuführen, so stellt sich die verglei- chende Ontogenie die entsprechende Aufgabe, auch die verschie- denen Formen der Eifurchung und Keimbildung bei allen Gliedern einer solchen Hauptabtheilung aus einer gemeinsamen ursprüng- lichen Grundform abzuleiten. Wer aber die monophyletische Descendenz nicht nur für alle Glieder eines Stammes fordert, sondern auch, unserer Hypothese folgend, die gemeinsame Ab- stammung aller Metazoen-Stämme von einer einzigen Stammform, der Gastraea annimmt, der muss auch dem entsprechend alle verschiedenen Keimformen sämmtlicher Metazoen auf eine ur- sprüngliche gemeinsame Gastrula zurückzuführen suchen. Die Entstehung dieser einfachen, ursprünglichen und unver- fälschten Gastrula liegt noch heute in der Keimesgeschichte zahl- reicher niederer Thiere klar vor Augen und beweist sowohl durch die auf einander folgenden, überall wesentlich gleichen Stufen ihrer Bildung, wie durch ihre Verbreitung bei den niedersten, indifferen- testen und ältesten Thierformen der verschiedenen Stämme, dass sie als der Ausgangspunkt für das Verständniss an die Spitze ge- stellt werden muss. Ich bezeichne daher diese älteste und wich- tigste Form der Eifurchung als die primordiale, und die daraus hervorgegangene ursprüngliche Gastrula -Form als die Archi- gastrula (Taf. VIII). Die vier Ilauptformen der Eifurchung und der Gastrulabildung. 79 Wir finden diese primordiale Form der Furchung und der reinen Gastrulabildung noch heute in vollständiger Uebereinstim- mung wohl erhalten bei den niedersten Repräsentanten sämmtlicher Thierstämme: a) unter den Zoophyten (Coelenteraten) bei den Gastraeaden (Gastrophysetna, Taf. VIII), bei verschiedenen Spon- gien, Hydroiden, Medusen und Corallen ; b) unter den Würmern bei vielen niederen Wurmformen verschiedener Classen, z. B. Sa- gitta, Phoronis, Ascidia; c) unter den Mollusken bei den mei- sten (?) Spirobranchien, sowie vielleicht bei einigen Muscheln und Schnecken; d) unter den Echinodermen bei der grossen Mehr- zahl dieses Stammes, soweit man nach den jetzt vorliegenden Untersuchungen schliessen darf; e) unter den Arthropoden bei einigen niederen Formen, sowohl Crustaceen (einige Branchiopoden) als Tracheaten (Pteromalinen ?) ; f) unter den Wirbelthieren einzig und allein bei den Acraniern (Amphioxus). Um den Nach- weis der weiten Verbreitung dieser primordialen Furchungsform und der daraus entstehenden /lrchigastrula hat sich vor Allen A. Kowalevsky verdient gemacht, der sie u. A. zuerst beobachtet hat bei Amphioxus, Phallusia, Asteracanthion, Ophiura, Echinus, Argiope, Phoronis, Sagitta, Actinia, Cereanthus, Pelagia, Cassiopeja, Rhizostoma u. s. w. Wir dürfen es als eine ontogenetische Thatsache von höch- stem morphologischen Interesse und von grösster phylogenetischer Bedeutung hervorheben, dass bei allen diesen Thieren, also bei Angehörigen sämmtlicher Metazoen - Stämme , ganz dieselbe Form der primordialen Furchung sich ebenmässig wiederholt und auf ganz gleiche Weise zur Entstehung einer und derselben Archi- gastrula - Form führt (Fig. 119, 120). In allen Fällen führt uns hier der palingenetische Process fünf auf einander folgende Haupt- stadien der Keimbildung vor Augen, welche beim Mangel jeglicher cenogenetischen Störung unmittelbar auf die ältesten phylogene- tischen Entwickelungsstufen sämmtlicher Metazoen bezogen werden können. Ich habe diese fünf ontogenetischen Stadien bereits frü- her, in der Natürlichen Schöpfungsgeschichte (S. 444) und in der Anthropogenie (S. 396) mit den fünf ersten Stufen der systema- tischen Entwicklung in Parallele gesetzt und demgemäss phylo- genetisch gedeutet (Vergl. die VI. Tabelle). Es scheint mir jetzt, mit Rücksicht auf das phylogenetische Verhältniss der primordia- len Furchung zu den drei anderen Furchungs-Formen, zweckmäs- sig, die besonderen Eigenthümlichkeiten jener fünf ältesten Form- stufen bei den archiblastischen Eiern auch in deren Benennung 80 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. zum Ausdruck zu bringen und durch ein vorgesetztes „Archi" zu bezeichnen. Ich nenne demnach jene fünf palin genetischen Keimstufen der archiblastischen Eier, aus denen die entsprechen- den cenogenetischen Keimformen der amphiblastischen, disco- blastischen und periblastischen Eier erst secundär entstanden sind : 1. Archimonerula, 2. Archicytula, 3. Arcftimorula, 4. Archiblastula und 5. Archigastrula (Vergl. die VII. Tabelle, S. 67). Die Archimonerula (Taf. VIII, Fig. 111), das erste Sta- dium der primordialen Furchung, zeigt uns das befruchtete Ei, nach Verlust des Keimbläschens und nach Verschmelzung der Sperma- zellen mit der Dottermasse, in jenem denkbar einfachsten Form- zustande, welcher der phylogenetischen Stammform des M o n e r e s vollkommen entspricht. Ich habe schon früher wiederholt darauf hingewiesen, welche hohe Bedeutung in dieser Beziehung die Mo- nerula besitzt und komme später nochmals darauf zurück. Hier sei nur noch besonders hervorgehoben, dass unter den vier Haupt- formen derMonerula die Archimonerula allein das primordiale Formverhältniss vollkommen rein wiederholt. Da ein vom Bil- dungsdotter gesonderter Nahrungsdotter nicht nachzuweisen ist, müssen wir die Archimonerula als eine Cytode von denkbar ein- fachster morphologischer Beschaffenheit betrachten. Ebenso stellt sich uns die Archicytula (Fig. 112), die zweite Keimungsstufe der archiblastischen Eier, als eine ganz einfache, indifferente Zelle dar; aus der Archimonerula durch Neubildung eines Nucleus entstanden. Diese Zelle, die sogenannte „erste Furchungszelle" zeigt in ihrem Protoplasma ebenfalls keiner- lei Differenz von Morpholecithus und Tropholecithus. Bei der weitern Entwicklung unterliegt diese Zelle einer vielfach wieder- holten, vollkommen regelmässigen Zellentheilung, so dass zuerst 2, dann 4, darauf 8, 16, 32, 64, 128 Zellen u. s. w. entstehen. Diese Furchungszellen bleiben bis zur Beendigung des Furchungs- Processes völlig gleich und lassen keinerlei Unterschiede er- kennen (Fig. 113, 114). Die Archimorula, das dritte Stadium des primordialen Furchungs-Processes (Fig. 115), zeigt uns demzufolge eine „maul- beerförmige oder brombeerförmige" solide Kugel, welche aus lauter gleichen indifferenten Zellen zusammengesetzt ist. Irgend welche Differenzen zwischen plastischen und trophischen Furchungskugeln, zwischen „Bildungszellen" und „Nahrungszellen", sind auch nach vollständig beendigter Furchung an diesem kuge- ligen Zellenhaufen durchaus nicht wahrzunehmen. Die vier II;ui|>tfornicn dor Eifurchung und dor Gastrtllabildung. 81 Dasselbe gilt auch noch von den sämmtlichen Zellen, welche den Keim der vierten Stufe, die Archiblastula zusammensetzen (Tat. VIII, Fig. 110; Taf. II, Fig. 20, 29; Tal. III, Fig. 41 ). Die gleichartigen Zellen welche bisher dicht zusammenge- drängt die solide Morula bildeten , sind jetzt durch Ansamm- lung von Flüssigkeit oder Gallert im Inneren der Maulbeer- kugel aus einander getreten und haben sich sämmtlich an die Peripherie derselben begeben. Der Keim stellt demnach jetzt eine mit Flüssigkeit gefüllte Hohlkugel dar, deren Wand aus einer einzigen Schicht von gleichartigen Zellen besteht. Die davon um- schlossene Höhle ist die Furchungshöhle oder BAER'sche Höhle; Blastocoeloma, Cavum segmentationis). Die einfache, gleichartige, epithelförmige Zellenschicht ist die Keim haut oder das Blasto- derma. Irgend welche formbestimmende Axen und überhaupt irgend welche Differenzen verschiedener Körpertheile sind an dieser Keim- form noch nicht vorhanden. Zwar dürfen wir auf Grund der nachfolgenden Invagination annehmen, dass physiologische (resp. physikalische und chemische) Differenzen zwischen animalen und vegetativen Zellen an den beiden Hälften der Hohlkugel bereits bestehen. Aber morphologisch sind diese virtuellen Verschieden- heiten noch nicht ausgeprägt und treten erst bei der nun folgen- den Bildung der Archigastrula actuell in die Erscheinung. Die Archigastrula bildet die fünfte Stufe der primordialen Furchung (Taf. II, Fig. 17, 21, 22, 23, 25, 31, 33; Taf. III, Fig. 43, 44; Taf. VIII, Fig. 119, 120). Der einaxige blasenförmige Keim umschliesst eine einfache einaxige Höhle, den Urdarm {Pro- gaster oder Protogaster, a). Dieser ist an dem einen (animalen) Pole der Axe geschlossen ; an dem anderen (vegetativen) Pole der- selben mündet er durch eine einfache Oeffnung nach aussen: Ur- mund {Prosioma oder Protosto?na, o). Die Wand der Urdarm- höhle (die Darmwand und Leibeswand zugleich ist), besteht aus zwei verschiedenen, eng an einander liegenden Zellenschichten, den beiden primären Keimblättern: aussen Hautblatt oder Exoderma (auf Taf. II und III blau gezeichnet); innen Darmblatt oder Entoderma (auf beiden Tafeln roth gezeichnet). Die Zellen des Hautblattes oder die „animalen Keimzellen" sind gewöhnlich zahlreicher, kleiner, heller und weniger reich an Körn- chen, als die Zellen des Darmblattes oder die „vegetativen Keim- zellen". Die Entstehung der Archigastrula aus der Archiblastula er- folgt ursprünglich stets durch Einstülpung oder Invagina- 6 82 Die Gastrula und dir* Eifurchung der Thiere. tion (Gastrula inmghiata, Ray-Lankester). Diese bedeutungsvolle Einstülpung hat zuerst Kowalevsky bei den angeführten Repräsen- tanten aller Typen beobachtet. Ausserdem ist sie aber auch von vielen anderen Beobachtern bei den verschiedensten Metazoen nach- gewiesen worden. Ich selbst habe diesen Process in ganz überein- stimmender Form bei Gastrophysema (Fig. 118), bei mehreren Corallen (Actinia, Monoxenia), bei Echinus und bei Phallusia be- obachtet, und mich von der Richtigkeit der übereinstimmenden Be- obachtungen von Carl Rabl bei Limnaeus überzeugt (Fig. 29 — 31). Die Invagination beginnt stets damit, dass an einer bestimmten (physiologisch determinirten, aber morphologisch noch nicht diffe- renzirten) Stelle der Oberfläche sich im Blastoderni eine kleine kreisrunde Grube bildet. Diese vertieft sich durch fortschreitende Einstülpung zu einer Höhle, die sich auf Kosten der dadurch verdrängten Furchungshöhle vergrössert. Letztere schwindet zu- letzt ganz und nunmehr ist der Urdarm der einzige Hohlraum des Gastrula-Körpers. Jedoch bleibt bei mancher Archigastrula (z. B. von vielen Echinodermen, Fig. 33) die Einstülpung unvollständig und bleibt auch noch ein Rest der Furchungshöhle (s) neben der Urdarmhöhle (a) bestehen. Mit der Einstülpung der Blastula tritt die erste Axenbildung im Keim auf, der Gegensatz zwischen oralem und aboralem Körperende. Da der Urmund der Gastrula bei allen Metazoen an dem späteren aboralen Ende der Längsaxe zu liegen scheint, so muss auch dieser vegetative Pol eigentlich als aboraler bezeichnet werden. Indem durch die fortschreitende, vom Protostom-Pol gegen den Oral-Pol gerichtete Einstülpung der Blastula die Furchungshöhle Schritt für Schritt sieh verengt und schliesslich verschwindet, legt sich zugleich das eingestülpte, innere, vegetative Blatt (Entoderma) unmittelbar an das nicht eingestülpte, äussere, animale Blatt (Exoderma) an. Der höchst bedeutungs- volle fundamentale Gegensatz zwischen den beiden primären Keim- blättern, der in den beiden Hemisphären der Archiblastula phy- siologisch jedenfalls schon vorhanden war, also potentiell existirte, tritt durch die Invagination der Archigastrula zuerst actuell in die Erscheinung und wird morphologisch offenbar. Von ganz besonderer Bedeutung für die Organogenie und Histogenie der Metazoen ist der Mundrand der Archigastrula, oder genauer gesagt der Urmundrand (Properistoma). So nenne ich den kreisförmigen Ring, in welchem das Entoderm in das Exoderm Die vier Ilaiiptformcn der Etforchang und dor öaetmlabildung. 83 unmittelbar übergeht, Er ist identisch mit dem viel besprochenen und höchst wichtigen „Randwulst oder Keimwulst" der disco- blastischen Metazoen und verdient als erster Ausgangspunkt für die ältesten Anlagen der wichtigsten Mesoderm-Producte ganz besondere Berücksichtigung. Innerhalb dieses Urmundrandes, in dem ringförmigen Falze zwischen Entoderm und Exoderm, sondern sich von den primären Keimblättern zuerst einige grosse Zellen ab, welche die früheste Grundlage des Mesoderm bilden. II. Die inaequale Furchung und die Amphigastrula (Taf. VII). An die primordiale Segmentation schliesst sich zunächst die- jenige Form an, die ich in der Anthropogenie als inaequale Furchung bezeichnet habe, und deren Product die Amphigastrula ist. Bisher hat man diese wichtige Form der Eifurchung mit der primordialen unter dem Gesammtbegriff der „totalen Furchung" vereinigt, obleich sie sehr wesentlich von der letzteren verschie- den ist. Allerdings sind beide Furchungsformen durch eine con- tinuirliche Reihe von vermittelnden Zwischenformen mit einander verbunden ; wie auch zweifellos die inaequale aus der primordialen phylogenetisch entstanden ist. Allein nicht nur das Endproduct ist sehr verschieden, sondern auch der Furchungs-Process selbst schlägt entweder von Anfang an oder doch während seines Ver- laufes eine wesentlich verschiedene Richtung ein. Am längsten "bekannt und am genauesten untersucht ist die inaequale Furchung bei den Fröschen und anderen Amphibien; in ganz gleicher Form ist sie später bei Petromyzon und bei Acci- penser wiedergefunden worden. Wahrscheinlich dürfte sie auch bei den Dipneusten sich finden. Auch die Furchung der meisten Säugethiere (wahrscheinlich aller Placentalthiere) ist in diese Gruppe zu rechnen. Somit besitzt die inaequale Furchung unter den Wirbelt liieren eine ausgedehnte Verbreitung. Unter den Wir- bellosen finden wir ganz dieselbe ungleiche Segmentation zunächst bei der grossen Mehrzahl der Mollusken wieder; bei den mei- sten Schnecken und Muscheln , wahrscheinlich auch bei einigen Cephalopoden und vielen Brachiopoden. Unter den Arthropo- den ist dieselbe, wie es scheint, bei den niederen Crustaceen und Tracheaten ziemlich verbreitet, jedoch in den meisten Fällen nicht hinreichend genau untersucht. Im Stamme der Echinodermen scheinen nur wenige Formen (z. B. einzelne Ästenden und Holo- 6* 84 Die Gastrula and die Eifurchung der Thiere. thurien mit abgekürzter, sogenannter „directer" Entwickelung) die- selbe zu besitzen. Dagegen ist sie unter den Würmern sehr verbreitet und wahrscheinlich der grossen Mehrzahl derselben eigen (Anneliden, Gephyreen, Rotatorien, Nematoden, Acoelomen u. s. w.). Wie weit die inaequale Furchung unter den Pflanzenthieren verbreitet ist, lässt sich zur Zeit noch nicht übersehen ; die Cteno- phoren und Siphonophoren liefern ausgezeichnete Beispiele; doch scheint sie auch bei anderen Hydromedusen , bei Corallen und Spongien häufig vorzukommen. Meine eigenen Untersuchungen über inaequale Furchung und Amphigastrula-Bildung betreffen vorzugsweise einige Siphonophoren, Anneliden, Crustaceen, Gasteropoden und Amphibien. Als vorzugs- weise geeignete Paradigmata stütze ich mich in der folgenden Dar- stellung hauptsächlich auf einen röhrenbewohnenden Borstenwurm (Fabricia, aus der Familie der Sabelliden; Taf. VII, Fig. 91 — 102), und auf eine gasteropode Schnecke (wahrscheinlich Trochus oder ein verwandtes Genus, Taf. VII, Fig. 103 — 110. Der Laich beider Thiere war auf den Strandfelsen von Ajaccio nicht selten und eignete sich bei der geringen Grösse der Eier und der mas- sigen Undurchsichtigkeit der Nahrungszellen besonders zur Ver- folgung der Gastrulabildung. Insbesondere gewährten Präparate, welche mit Carmin und Hämatoxylin gefärbt waren und dann län- gere Zeit in Glycerin gelegen hatten, sehr befriedigende Ansichten. Obgleich die inaequale Furchung sich einerseits an die pri- mordiale eng anschliesst und durch zahlreiche vermittelnde Zwi- schenstufen unmittelbar mit ihr verbunden isf, so erscheint sie doch anderseits früher oder später wesentlich verschieden und bietet eben so allmähliche Uebergangs- Formen zur discoidalen Furchung. Ihre wesentliche Eigentümlichkeit besteht darin, dass sich früher oder später, entweder schon im Beginn oder im wei- teren Verlaufe des Furchungsprocesses, jedenfalls vor Ablauf des- selben, ein Gegensatz zwischen der animalen und der vegetativen Hälfte des Eies offenbart und somit auch eine durch diesen Gegen- satz beider Pole charakterisirte Axe entsteht. Bei der primordia- len Furchung tritt dieser Gegensatz und die Bildung der ersten Axe erst viel später auf, nämlich nachdem die Blastula ausgebildet ist und sich einzustülpen beginnt. Bei sehr vielen amphiblastischen Eiern ist der Gegensatz zwischen animaler und vegetativer Hemi- sphäre sogar schon vor Beginn der Furchung erkennbar, indem diejenige (meist untere, weil schwerere) Hälfte der Eizelle, aus der später die Entodermzellen hervorgehen, sich durch besondere Fär- Dio vior Bauptformeu der Eifurchung und der G&strulabildung. 35 bung (Anhäufung von Pigmentkörnern) oder durch Ansammlung einer grösseren Menge von Fettkörnern oder von eigentümlichen Forraelementen des Dotters auszeichnet; hingegen vermisst man diese in der entgegengesetzten (meist oberen und helleren) Hälfte der Eizelle, welche den Kern umschliesst, und welche später das Material für die Exodermzellen liefert. Stets offenbart sich bei den amphiblastischen Eiern der Antagonisums zwischen jenen ve- getativen und diesen animalen Zellen früher oder später dadurch, dass die ersteren sich langsam, die letzteren rascher vermehren. Immer aber ist trotzdem die Furchung vollständig, und es bleibt kein Rest von ungefurchtem Nahrungsdotter zurück, wie bei den discoblastischen und cryptoblastischen Eiern. In jenen Fällen, wo das Deutoplasma der vegetativen Eihälfte sich durch Pigmentirung oder Reichthum an dunkeln Fettkörnern u. dergl. auffallend von dem hellen Protoplasma der animalen Ei- hälfte unterscheidet, wie bei unserer Fabricia, ist auch schon der Cytoden-Zustand der befruchteten Eizelle als Amphimonerula deutlich charakterisirt (Taf. VII, Fig. 91). Vom Amphibien-Ei hat Goette dieselbe Amphimonerula abgebildet (Ontogenie der Unke, Atlas Taf. I, Fig. 13). Die Amphicytula (Fig. 92), die „erste Furchungskugel" des amphiblastischen Eies, ist in diesen Fällen natürlich gleicherweise schon an der Differenz der animalen und vegetativen Hemisphäre erkennbar. In der ersteren liegt der neugebildete Kern. Ge- wöhnlich spricht sich dann die Differenz beider Hemisphären auch schon beim Beginne der Furchung darin aus, dass die erste Thei- lungs-Ebene die Amphicytula in zwei ungleiche Hälften theilt, eine kleinere animale Zelle (die Mutterzelle . des Exoderm) und eine grössere vegetative Zelle (die Mutterzelle des Entoderm). Das ist bei vielen Anneliden der Fall (Fabricia, Fig. 93), und ebenso bei Rotatorien und Gephyreen. Gewöhnlich theilt sich dann zunächst bloss die kleinere animale Zelle weiter (in 2, 4, 8 u. s. w.), wäh- rend die grössere vegetative Zelle erst später nachfolgt (Fig. 94, 95, 96). Bei vielen anderen amphiblastischen Eiern (besonders von Mollusken) sind die ersten vier oder acht Furchungskugeln von gleicher Grösse und erst bei der weiteren Theilung der Fur- chungskugeln treten allmählich die Unterschiede zwischen den iinimalen und vegetativen Zellen hervor. Sehr häufig sind hier namentlich die vier ersten Furchungszellen, welche durch zwei auf einander senkrechte Meridianfurchen getrennt werden, gleich gross (Fig. 103). Dann aber entsteht eine Ringfurche nicht im Aequator 86 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. des Eies, sondern diesem parallel, näher dem animalen Pol, so dass jede dieser vier Furchungskugeln (eigentlich Kugel-Quadran- ten) in zwei verschiedene Hälften zerfällt, eine obere (animale) kleinere, und eine untere (vegetative) grössere Hälfte (Fig. 104, 105). Die vier kleineren Zellen bilden die erste Grundlage des Exoderms, die vier grösseren diejenige des' Entoderms (Fig. 34). Im weite- ren Verlaufe theilen sich die ersteren stets rascher als die letzte- ren, so dass am animalen Pole der Eiaxe eine grössere Anzahl von kleineren Zellen, am vegetativen eine kleinere Anzahl von grös- seren Zellen zu finden ist. So folgt z. B. bei unserem Trochus-Ei (wie bei sehr vielen anderen Schnecken-Eiern) auf das achtzellige Stadium (Fig. 104, 105) ein Stadium, in welchem acht animale auf vier vegetativen Zellen liegen (Fig. 106, 107); später ein Sta- dium mit sechzehn animalen und acht vegetativen Zellen (Fig. 108). Wenn die Theilungsfähigkeit der vegetativen Zellen schon früh- zeitig erlahmt, während diejenige der animalen Zellen fortdauert, so geht die inaequale Furchung allmählich in die discoidale über. Im Uebrigen bietet dieselbe eine grosse Anzahl specieller Ver- schiedenheiten dar, auf welche einzugehen nicht im Bereiche unseres Zieles hier liegt. Die bekannten zahlreichen Arbeiten über die Eifurchung der Amphibien, der Schnecken, Anneliden, Rotatorien u. s. w. schildern eine Fülle von mehr oder minder auffallenden, meist aber unwichtigen Modificationen. Die Amphimorula, welche aus dieser inaequalen Furchung des amphiblastischen Eies hervorgeht, erscheint stets bereits als ein einaxiger (monaxonier) Körper, dessen beide Pole meist schon äusserlich, immer aber auf einem durch die Axe gehenden Meridian-Schnitt eine wesentlich verschiedene Zusammensetzung zeigen (Fig. 97 und 108). Die animale Hemisphäre zeigt sich aus einer bedeutenden Anzahl kleiner (meist helleren) Zellen („Bildungszellen"), die vegetative Hemisphäre hingegen aus einer geringen Anzahl grosser (meist dunkleren) Zellen zusammengesetzt („Nahrungszellen"). Erstere repräsentiren den animalen „Bildungs- keim", die Exoderm-Anlage, letztere den vegetativen „Nahrungs- keim", die Entoderm-Anlage. In vielen Fällen der amphiblastischen Furchung tritt schon frühzeitig im Inneren der Zellenmasse die „Furchungshöhle (*) auf, so dass die Amphimorula unmerklich in die Amphiblastula übergeht; so z. B. bei den Amphibien (Fig. 51) und Cyclostomen (Fig. 45, 46). Die Amphiblastula, das vierte Stadium der inaequalen Furchung, ist von der Ainphimorula wesentlich nur durch die voll- Die vier Hauptformen der Eifurchung und der Gastrulabildung. 87 ständige Ausbildung jener excentrisclien, mit Flüssigkeit gefüllten „Furchungshöhle" verschieden. Während diese „Segmentationshöhle oder BAEK'sche Höhle" häufig, wie bemerkt, schon frühzeitig oder selbst im Beginne des Furchungsactes zwischen den aus einander weichenden Furchungskugeln erscheint, so gelangt sie dagegen in vielen anderen Fällen erst nach beendigter Furchung zur selbst- ständigen Abrundung und Abgrenzung (Fig. 26, 27, 98, 109). Es treten dann die Furchungszellen an die Peripherie der im Inneren sich ausdehnenden Höhle, deren Wand sie bald in einschichtiger, bald in mehrschichtiger Lage zusammensetzen. Einschichtig ist z. B. die Wand der Amphiblastula bei Unio (Fig. 26, 27), wo eine einzige colossale , erst später sich theilende Entodermzelle den Schlussstein eines Gewölbes von zahlreichen kleinen Exodermzel- len bildet. Mehrschichtig ist dagegen die Wand der Amphiblastula bei den Amphibien und Cyclostomen, wo der animale Eipol nach oben, der vegetative nach unten gerichtet ist, und wo die Furchungs- höhle (s) eine fast halbkugelige Form hat (Fig. 45, 46, 47 von Petromyzon, Fig. 51, 52 von Bombinator). Hier wird die halb- kugelig gewölbte „Decke der Furchungshöhle" von den kleineren Exodermzellen, der ebene „Boden" derselben von den grösseren Entodermzellen in mehrfacher, oft vielfacher Schicht gebildet. Je nachdem eine grössere oder geringere Menge von Flüssigkeit sich im Inneren ansammelt, wird die Furchungshöhle grösser oder klei- ner. In vielen Fällen ist sie von so geringer Ausdehnung, dass sie bisher übersehen worden ist, und nicht selten kommt sie gar nicht zur Erscheinung, indem die Furchungszellen bis nach be- endigter Segmentation überhaupt nicht aus einander weichen. Solche Fälle sind durch abgekürzte Vererbung zu erklären. Die Amphimorula geht dann direct in die Amphigastrula über. Die Amphigastrula, das fünfte Stadium der inaequalen Furchung, ist ebenso wie die Amphiblastula und die Amphimorula bei den verschiedenen amphiblastischen Eiern von sehr niannich- faltiger Beschaffenheit (Fig. 18, 19, 24, 28, 32, 47, 48, 53, 100, 101, 110). Diese inaequale oder amphiblastische Gastrula ist bald kugelig, bald ellipsoid; bald einaxig, bald kreuzaxig (und zwar dipleurisch) ; sie umschliesst einen primitiven Urdarm (Prota- gaster), welcher bald leer, bald theilweise oder selbst ganz mit Entodermzellen erfüllt ist. Am vegetativen Pole der primären Axe öffnet sich der Urdarm meistens durch eine Mündung nach aussen. Jedoch kann dieser Urmund (Protostoma) auch fehlen, wenn er durch einen „Dotterpfropf" von Entoderm-Zellen verstopft 88 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. ist (Fig. 53). Die Furchungshöhle kann eine Zeitlang noch neben der Urdarmhöhle, mit der sie nicht communicirt, fortbestehen. In diesem Falle wird fortdauernd ein Theil ihrer Wand (die „Decke") von Exoderm-Zellen, der andere Theil (der „Boden") von Entoderm- Zellen gebildet (Fig. 47, 53). Die Amphigastrula entsteht aus der Amphiblastula entweder durch Einstülpung (Embole, richtiger Entobole) oder durch Um- wachsung (Epibole). Durch Einstülpung (Entobolie oder In- vagination) bildet sich die Amphigastrula bei der inaequalen Furchung ganz ebenso, wie die Archigastrula bei der primordialen Furchung. Der Unterschied ist nur der, dass schon bei der Amphi- blastula der Einstülpungspunkt am vegetiven Pole der Eiaxe durch die grösseren Zellen ausgesprochen ist, während dies bei der Archiblastula noch nicht der Fall ist. Die erstere steht der letz- teren um so näher, je geringer die Grössen-Differenzen zwischen den beiderlei Furchungszellen sind. Werden diese Differenzen sehr bedeutend, und überwiegt das Volum der grossen vegetativen „Nahrungszellen" ganz unverhältnissmässig das Volum der kleinen animalen „Bildungszellen", so scheint bei der Gastrula-Bildung das peripherisch sich ausdehnende Exoderm die voluminöse Masse der „Dotterzellen" zu umwachsen und der ganze Vorgang imponirt äusserlich als Umwachs ung (Epibolie oder Circumcrescenz). In Wahrheit ist aber dieser Process nicht wesentlich von der „Einstülpung" zu unterscheiden, vielmehr lässt er sich stets auf letztere zurückführen. Die Amphigastrula circumcreta der Am- phibien und Cyclostomen, sowie mancher Schnecken, welche mit- telst „Umwachsung der Dotterzellen durch die Keimzellen" entsteht, und die Amphigastrula invaginata vieler Schnecken, Würmer und Zoophyten, welche durch „Einstülpung der Dotterzellenmasse in die Keimhöhle" entsteht, sind wesentlich nicht verschieden. Ueberall ist der Process ursprünglich und wesentlich eine „Einstül- pung" oder Invagination ; nur durch die unverhältnissmässige Grösse der Nahrungszellen wird diese Entobolie oft verdeckt und imponirt dann, äusserlich betrachtet, als „äussere Umwachsung" oder Epibolie. Am längsten bekannt und am genauesten untersucht ist die Amphigastrula der Amphibien, über welche schon vor 20 Jahren Remak in seinen classischen „Untersuchungen über die Ent- wickelung der Wirbelthiere" höchst wichtige Aufschlüsse und neuer- dings Goette in der Ontogenie der Unke die genauesten Darstel- lungen gegeben hat (Fig. 52, 53). Die „sichelförmige oder elliptische Dio vier Ilnuptformon der Eifurchung und der Gastrukhilrtung. 89 RuscoNi'sche Höhle" der Amphibien -Eier ist der Ur- darm (o) und deren Oeftnung, „der RuscoNi'sche After" (o), ist der Urmund der Gastrula der Amphibien. Dieser Ur- mund ist verstopft durch den „Dotterpfropf". Wie Remak (1. c. p*. 141) erzählt, kam er schon 1850 „zu der Ansicht, welche nun- mehr ausser Zweifel gesetzt ist, dass Roscom's elliptische Höhle die Nahrungshöhle sei, sich auf Kosten der BAER'schen Höhle (oder „Furchungshöhle") vergrössert und durch eine Einstülpung von unten her sich bildet". Aus verschiedenen anderen Aeus- serungen Remak's (z. B. p. 143, 183 u. s. w. 1. c.) geht hervor, dass dieser geniale Forscher mit prophetischem Blicke schon da- mals „die Entstehung der Nahrungshöhle durch eine blind- sackige, von aussen nach innen vordringende Einstülpung" für höchst wichtig und weit verbreitet hielt, und der Gastrula-Er- kenntniss sehr nahe war. Bei den Amphibien und Cyclostomen, wie bei vielen Mollus- ken und Würmern, bleibt die „BAER'sche Furchungshöhle" (Fig. 28, 47, 53 s) neben der „primitiven Nahrungshöhle" (Fig. 28, 47, 53 a) noch lange bestehen, bis sie durch die letztere ganz ver- drängt wird. Eigentlich ist mit dieser Verdrängung erst die reine Gastrula -Bildung vollendet (Fig. 48). Allein in Folge sehr ver- breiteter cenogenetischer Processe, namentlich beträchtlicher Hete- rochronien, tritt häutig schon eine weitere Difierenzirung in dem lascheren Exoderm ein, bevor die Furchungshöhle durch das trä- gere Entoderm ausgefüllt wird. Wichtiger als dieses Verhältniss ist der cenogenetische Um- stand, dass der Urdarm hier bei den Amphibien und Cyclostomen sogleich excentrisch (nämlich concav gegen die Eiaxe gekrümmt) angelegt wird, und somit schon eine Differenziung der beiden se- eundären Richtaxen (Sagittal-Axe und Dorsoventral-Axe) gegeben ist, welche der Gastrula von vornherein den dipleuren (oder bila- teral-symmetrischen) Typus aufdrückt. Hingegen bleibt bei vielen Mollusken und Würmern insofern das palingenetische Verhältniss erhalten, als der gerade Urdarm central eingestülpt wird, seine Axe mit der Eiaxe zusammenfällt, und somit die Amphigastrula (gleich der Archigastrula) anfangs einaxig ist und erst durch spä- tere Differenzirung dipleurisch wird. Ein anderer wichtiger Unterschied betrillt das Verhalten der Entodermzellen zur Darmbildung. Es wird nämlich bei einer Ab- theilung der amphiblastischeii Eier das gesammte Entoderm zur Bildung der Darm wand selbst verwendet, während bei 90 Di« Gastrula und die Eifurchung rler Thiere. einer anderen (wohl viel grösseren) Abtheilung derselben nur ein Theil des Entoderms zur Bildung der Darmwand („Darmdrüsen- zellen") direct verwendet wird, ein anderer Theil nur indirect be- nutzt, nämlich von den ersteren aufgezehrt und als „Dotterzellen" verbraucht wird. Hierin verhalten sich aber wiederum die amphi- blastischen Eier zweifach verschieden, indem die „Proviantzellen" bald nach innen, bald nach aussen von den Darmdrüsenzellen liegen, welche in der Bildung der Darmwand aufgehen. Im ersteren Falle liegen die Proviantzellen in der Urdarm- höhle, welche sie oft ganz ausfüllen, und werden von den ringsum die Darmwand bildenden äusseren Entodermzellen aufgezehrt (z. B. Euaxes, Purpura). Im letzteren Falle hingegen liegen die Proviant- zellen in der Furchungshöhle, welche sie bald theilweise, bald ganz ausfüllen, und werden durch die äussere Fläche der innen anliegenden Darmdrüsenzellen resorbirt (so bei vielen Würmern, Mollusken und bei den meisten (?) amphiblastischen Arthropoden). Sehr verschieden ist ferner das Verhältniss der Zellenschich- tung in den beiden primären Keimblättern der Amphigastrula. Bei den älteren und ursprünglicheren Formen derselben , welche sich am nächsten an die Archigastrula anschliessen, besteht sowohl Exoderm als Entoderm (gleichwie bei der letzteren) nur aus einer einzigen Zellenschicht (z. B. Unio Fig. 28, Fabricia Fig. 100). Häufiger besteht schon von Anfang der Gastrulabildung an jedes der beiden primären Keimblätter (oder auch nur eins von beiden) aus zwei, drei oder mehreren Zellenschichten (z. B. Petromyzon Fig. 47, Bombinator Fig. 53, Trochus Fig. 110). Wie weit alle diese verschiedenen Modificationen der Amphi- gastrula bei den verschiedenen Metazoen-Gruppen verbreitet sind, lässt sich heute noch nicht ermessen, da die bezüglichen Beob- achtungen (hauptsächlich wegen der Undurchsichtigkeit der gros- sen dunkeln Proviantzellen) schwierig und in den meisten Arbei- ten nicht hinreichend klar dargestellt sind. Dasselbe gilt auch von der sehr wichtigen Frage, wie sich hier der primäre Ur darin (Protogaster) zum secundären Nach d arm (Metaffaster), sowie die Oeffnung des ersteren (der RuscoNi'sche After) zum bleibenden After verhält, Wir kommen später hierauf zurück. Als besondere Modifikation der inaequalen Furchung dürfte wohl diejenige der Säugethiere und mancher Würmer zu betrach- ten sein. Auf die eigenthümliche Segmentation der Säugethiere, welche ich in der Anthropogenie (S. 16B) als pseudo totale unterschieden habe, werde ich nachher (bei specieller Besprechung Die vier Hauptformen der Eifurchung und der Gastrnlabilrlung. 91 der Gastrula der Wirbelthiere) näher eingehen. Diejenige Form, die ich ebendaselbst als seriale Furchung bezeichnet habe, und die sich im Beginne durch die Vermehrung der Furchungszellen in arithmetischer Progression auszeichnet (so z. B. bei vielen Räderthieren und anderen Würmern) ist durch unmittelbare Zwi- schenformen mit der gewöhnlichen (in geometrischer Progression beginnenden) inaequalen Furchung verknüpft. Ausdrücklich muss endlich nochmals hervorgehoben werden, dass die inaequale Fur- chung mit allen drei übrigen Hauptformen der Eifurchung durch vermittelnde Zwischenformen verbunden ist; so zwar, dass sie gegenüber der primordialen als spätere, gegenüber der discoidalen und. superficialen Segmentation als frühere Furchungsform erscheint. Die Amphigastrula ist daher einerseits mit der Archigastrula, an- dererseits mit der Discogastrula und Perigastrula durch eine Reihe von Uebergangsformen eng verknüpft. III. Die discoidale Furchung und die Discogastrula (Taf. IV, V). Wie man die beiden vorstehend untersuchten Formen der Ei- furchung, die primordiale und inaequale, trotz ihrer bedeutenden Verschiedenheit bisher allgemein als totale Segmentation zusam- menfasste, so hat man auch die nunmehr folgenden beiden Formen der discoidalen und superficialen Furchung stets unter dem Be- griffe der partiellen Furchung vereinigt. Die letzteren beiden sind aber nicht weniger von einander verschieden, als die ersteren beiden. Gemeinsame Eigenthümlichkeit der discoidalen und super- ficialen Furchung ist die Ausbildung eines selbständigen grossen „Nahrungsdotters", der mehr oder minder scharf gesondert von dem „eigentlichen Keime" oder Bildungsdotter sich absetzt, Bei der primordialen und inaequalen Furchung soll nach der herrschen- den Ansicht dieser Gegensatz noch fehlen. Indessen gilt das eigent- lich nur für die primordiale Furchung. Bei der inaequalen Fur- chung ist, wie wir gesehen haben, derselbe vielmehr ebenfalls vor- handen; nur ist die Sonderung des Bildungs- und Nahrungs-Dot- ters nicht so vollständig. Bei vielen amphiblastischen Eiern, son- dern sich bereits von den Darmdrüsenzellen der Darmwand andere Kntodermzellen ab, welche die beginnende Bildung eines selbst- ständigen Nahrungsdotters einleiten. Auch sind zwischen jenen Formen der Amphigastrula, welche eine sehr ansehnliche Masse von Proviantzellen besitzen und jenen Formen der Discogastrula, 92 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. bei denen der Nahrungsdotter noch relativ klein ist, so zahlreiche Zwischenstufen zu finden, dass eine scharfe Grenze gar nicht zu ziehen ist. Die discoidale Furchung spielt die grösste Rolle im Stamme der Wirbelthiere, wo sie sich bei den meisten echten Fischen, insbesondere allen (?) Selachieren und Teleostiern findet, ferner bei sämmtlichen Reptilien und Vögeln, und wahrscheinlich auch bei den niederen Säugethiern, den Monotremen und Didelphien (?). Ausserdem finden wir sie im Stamme der Mollusken bei den Cephalopoden ; auch die eigenthümliche Furchung einer Anzahl von höheren Arthropoden, welche nicht die vorherrschende super- ficiale Furchung dieser Gruppe theilen, ist als discoidale aufzu- fassen (z. B. unter den Crustaceen bei vielen Copepoden und Iso- poden, unter den Tracheaten beim Scorpion, einigen Spinnen und einer Anzahl von Insecten). Bei allen Eiern, welche der discoidalen Furchung unterliegen und demgemäss eine Discogastrula ausbilden, sehen wir den Ge- gensatz zwischen „Bildungsdotter" und „Nahrungsdotter" schon sehr frühzeitig während der Ausbildung des Eies im Eierstock sich entwickeln. Das reife unbefruchtete Ei zeigt uns stets eine voluminöse Masse von Nahrungsdotter ( Deutop las ma) und auf dieser aufliegend eine verhältnissmässig geringe Menge von Bildungs- dotter, das eigentliche Protoplasma der Eizelle, welches deren Kern, das Keimbläschen, umschliesst. Die genauere Untersuchung lehrt jedoch, dass ursprünglich stets eine dünne Schicht des Proto- plasma die gesammte Masse des voluminösen Deutoplasma über- zieht, so dass das Ei trotz seiner ausserordentlichen Grösse doch den morphologischen Werth einer einzigen Zelle behält. Mag der Nahrungsdotter der discoblastischen Eier noch so mächtig sein und mag derselbe noch so viele verschiedene Formbestandtheile (Dotterplättchen, Fettkugeln u. s. w.j einschliessen, so wird dadurch die einzellige Natur der ganzen grossen Zelle doch nicht aufge- hoben, so wenig als der einzellige Charakter der Infusorien dadurch vernichtet wird , dass sie andere einzellige Organismen oder Be- standteile von solchen gefressen haben. An demjenigen disco- blastischen Objecte, welches am häufigsten und genauesten unter- sucht wurde und trotzdem die meisten Irrthümer und Missver- ständnisse hervorgerufen hat, am Vogel-Ei hat schon Gegenbaur ') 1) Gegknbaur. I'elicr den Kau und die Entwicklung der Wirbelthier-Eier mit partieller Dotterfurchung (Archiv für Anat. Phys>. 1861, S. 491). Die Au- Die vier Hauptformen der Eifiircbung und der Gastrnlabildnng. 93 (18fil) die Einhelligkeit klar dargethan; Edouard van Beneden und H. Ludwig (in den citirten Preis-Arbeiten) haben dieselbe noch ausführlicher begründet. Die noch gegenwärtig herrschende irrthümliche Auflassung der discoblastischen Eier und ihrer discoidalen Furchung beruht offenbar wesentlich darauf, dass der gewaltige Nahrungsdotter theils wegen seiner unverhältnissraässigen Grösse, theils wegen seiner eigentümlichen Zusammensetzung den meisten Beobachtern nicht als das erschien, was er wirklich ist: nämlich ein unterge- ordneter seeundärer Bestandteil der Eizelle ; — sondern vielmehr als ein dem „Bildungsdotter oder Keime" coordinirter oder gar superordinirter Körper; ja viele ältere Beobachter, stets von der grossen gelben Dotterkugel des Hühner-Eies mit ihren verschieden- artigen Form-Bestandtheilen ausgehend, hielten denselben für das Wichtigste am ganzen Ei. In der That aber ist der ganze grosse Nahrungsdotter mit allen seinen Einschlüssen doch nur ein Inhalts- Bestandtheil (ein passives „inneres Protoplasma-Product") der Eizelle, und bei der Furchung, wie bei der Gastrulabildung spielt er zwar eine wichtige physiologische, aber nur eine ganz untergeordnete morphologische Rolle. Wenn man die zahlreichen Modificationen der amphiblastischen Eier vergleichend betrachtet, welche sich einerseits an die archiblastischen, anderseits an die discoblastischen Eier unmittelbar anschliessen, so erhält man eine ununterbrochene Stufenleiter von zusammenhängenden Formen und wird dann kein Bedenken mehr tragen, auch die grössten disco- blastischen Eier mit ihrem „colossalen Nahrungsdotter" als ein- fache Zellen, homolog der ursprünglichsten und einfachsten Formen der Eizellen, aufzufassen. Wie wir diese einheitliche Auffassung durch das vergleichende Studium des unbefruchteten discoblastischen Eies gewinnen, so werden wir sie selbstverständlich auch auf das befruchtete Ei über- tragen müssen. Wie bei den archiblastischen und amphiblastischen, so scheint auch bei den discoblastischen Eiern (nach den überein- stimmenden Angaben der meisten Beobachter) zunächst nach er- folgter Befruchtung das Keimbläschen zu verschwinden und dem- nach das Ei auf das kernlose Cytoden-Stadium zurückzuschlagen, welches als Recapitulation des phylogenetischen Moneren-Stadiums griffe von Klebs und Anderen, welche Gegenbaur's naturgemässe Auffassung zu widerlegen suchten, haben dieselbe nicht im Mindesten zu erschüttern ver- mocht. 94 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. zu deuten ist. Wir würden dem entsprechend diese Ausgangsform der discoblastischen Keimung, mit welcher der neuerzeugte Orga- nismus seine individuelle Existenz beginnt, als Discomonerula zu bezeichnen haben. Diese specielle Cytoden-Form unterscheidet sich von den Monerula-Formen der übrigen Eier dadurch, dass am einen (animalen) Pole der einaxigen Cytode eine relativ geringe Menge von Bildungsdotter auf dem unverhältnissmässig grossen Nahrungsdotter aufliegt ; beide mehr oder minder scharf gesondert. Auch die Discocytula, die „erste Furchungszelle" der disco- blastischen Eier ist durch diese monaxonie Grundform und durch die einseitige Anhäufung des „Bildungsdotters" am animalen Pole der Eiaxe ausgezeichnet. Die Discocytula unterscheidet sich von der Discomonerula wesentlich nur durch den neugebildeten Kern, welcher ihr wieder den Zellencharakter verleiht. Dieser Kern ist der Stammvater sämmtlicher Kerne der „Furchungskugeln" und somit auch der aus ihnen hervorgehenden Kerne der Keimblätter- zellen. Ueber den discoidalen Furchungsprocess dieser Discocytula, sowie über die daraus hervorgehende Discogastrula lauten die zahl- reichen Angaben der verschiedenen Beobachter nur in den ersten Stadien übereinstimmend, in den späteren Stadien dagegen sehr abweichend. Meine eigene Auffassung desselben stimmt im We- sentlichen mit derjenigen überein, welche in neuester Zeit Goette und Rauber über die discoidale Furchung und Gastrulation des Hühnchens gegeben haben (S. unten). Ich stütze mich dabei vor allen auf meine eigenen Beobachtungen über discoblastische Fisch- Eier, welche ich kürzlich auf Corsica angestellt habe. Unter den verschiedenen Teleostier-Eiern , welche wir während unseres Aufenthaltes in Ajaccio erhielten, waren von besonderem Interesse einige vollkommen durchsichtige pelagische Laich-Arten , welche wir mit dem feinen MüLLER'schen Netze von der Oberfläche des Meeres fischten. Jedoch war nur eine von diesen Laich-Arten so häufig, dass ich sie genauer untersuchen konnte. Dieser Laich bildet kleine weiche Gallertklumpen, in welche zahlreiche, kleine, vollkommen durchsichtige Eier eingebettet sind. Leider gelang es nicht, die daraus hervorgehenden, ganz durchsichtigen Fischchen so lange zu züchten, dass sich mit Sicherheit Genus und Species, oder auch nur die Familie hätte bestimmen lassen. Ich vermuthe jedoch, dass dieselben entweder Lota oder einem Lota verwandten Gadoiden (Motella?) angehören, angesichts der auf unsere Eier passenden Schilderung, welche Retzius von den ähnlichen Eiern Dir vier fiEaaptformen der Eifurchung und der (Jastrulabildung. 95 des Gadus Iota gegeben hat,1). Ich werde daher dieselben in Fol- gendem kurz als Gadoiden-Eier bezeichnen, jedoch mit dem aus- drücklichen Vorbehalt, dass diese Vermuthung nicht vollständig begründet ist. Uebrigens linden sich diese und ähnliche pelagische Teleostier-Eier, deren Entwicklung meines Wissens bisher noch nicht untersucht ist, und welche ein ganz vorzügliches Object für viele wichtige Fragen in der Ontogenie der discoblastischen Eier bilden, auch an anderen Orten des Mittelmeeres nicht selten vor. Ich kenne dieselben seit dem Jahre 1856, wo ich sie zuerst in Nizza beobachtete und habe sie seitdem gelegentlich meiner Untersuchungen über Radiolarien und andere pelagische Thiere auch in Messina und in Gibraltar wiederholt gesehen, ohne sie jedoch näher zu untersuchen. Die fraglichen, vorläufig als Gadoiden-Eier zu bezeichnenden, pelagischen Teleostier-Eier sind vollkommen farblose und durch- sichtige Kugeln von 0,64 — 0,66 Mm. Durchmesser (auf Taf. IV sind sie 60 Mal vergrössert). Das jüngste von wir gesehene Stadium zeigt die befruchtete Eizelle bereits in 4 Furchungszellen zerfallen (Fig. 55, 56). Die äussere Eihaut ist vollkommen homogen und structurlos, sehr dünn, aber fest und elastisch. Den grössten Theil des Innenraums erfüllt der Nahrungsdotter, welcher aus zwei völ- lig getrennten Theilen besteht, einer grossen wasserhellen Ei- weisskugel und einer kleinen glänzenden Fettkugel. Da die Fettkugel der specifisch-leichteste Theil des Eies ist, so ist sie an dem schwimmenden Ei stets nach oben gekehrt, während der kleine, am entgegengesetzten Pole der Eiaxe befindliche „Bildungsdotter" nach unten gekehrt ist. In den Abbildungen auf Taf. IV und V habe ich das Ei jedoch umgekehrt dargestellt (den Bildungs- dotter nach oben, die Oelkugel nach unten gerichtet), um die Ho- mologie mit den übrigen, auf Taf. VI und VII dargestellten Eiern nicht zu stören. Die Eiweisskugel des Nahrungsdotters, welcher mit gelber Farbe gedruckt ist, besitzt an beiden Polen der Eiaxe eine kleine, grubenförmige Vertiefung. In der seichteren Grube am animalen Pole (welcher in den Figuren 55 — 76 aufwärts, in natürlicher Lage abwärts gekehrt ist), liegt der Bildungsdotter; hingegen ist die tiefere, fast kugelige Grube der Eiweisskugel am entgegengesetzten vegetativen Pole der Eiaxe, von der stark licht- brechenden Oelkugel ausgefüllt. Die Oelkugel ist nicht vollständig 1) Retzius, Ueber den grossen Fetttropfen in den Eiern der Fische. Müller's Archiv f. Anat. Phys. 1855, S. 34. gfi Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. von der Eiweisskugel eingeschlossen, sondern berührt mit dem ober- sten Drittel ihrer Peripherie die äussere Eihaut. Beide Bestand- teile des Nahrungsdotters, sowohl die Eiweisskugel, als die Fettkugel, sind völlighomogen, durchsichtig und structurlos. Von dieser wichtigen Thatsache, dass der gesammte Nahrungsdotter durchaus keine geformten Bestandteile einschliesst, auch keinerlei Unterschied von „centraler Dottermasse und Rindensubstanz" zeigt, davon kann man sich sowohl an den frischen Eiern als auch durch Behandlung der conservirten Eier mit den verschiedendsten Rea- gentien bestimmt überzeugen. Am frischen Ei erscheint der ganze Nahrungsdotter so klar und homogen wie ein Wassertropfen oder wie eine Glasperle. Sticht man das Ei an oder zerdrückt das- selbe, so tritt der kugelige Eiweisstropfen als zähflüssige homogene Masse heraus und trennt sich von der Oelkugel. Gegen Reagen- tien verhält sich diese ganze homogene Eiweisskugel wie gewöhn- liches Eiweiss aus dem Vogel-Ei, und gerinnt namentlich auf Ein- wirkung aller Substanzen, welche letzteres zur Gerinnung bringen. Die geronnene Masse erscheint bei starker Vergrösserung fein granulirt, von äusserst feinen und kleinen dunkeln Pünktchen durch- setzt. Von „Dotterplättchen, Dotterkugeln, Dotterzellen, Dotter- kernen" und wie sonst die geformten Inhaltsbestandtheile bei an- deren Fisch-Eiern genannt werden, ist, — ich wiederhole es aus- drücklich — keine Spur zu finden. Ebenso vollkommen homogen und structurlos ist auch die am vegetativen Pole befindliche Oel- kugel, ein Fetttropfen von 0,16 — 0,17 Mm. Durchmesser (also un- gefähr '/* des Dotter -Durchmessers). Dass auch diese Oelkugel keinerlei geformte Einschlüsse besitzt, lässt sich ebenso leicht und sicher feststellen. Während also bei den meisten übrigen Fischen, wie bei Vögeln und Reptilien, die beiderlei wichtigsten Bestand- teile des Nahrungs-Dotters, Eiweisskörper und Fettkörper, in Form einer gröberen oder feineren Emulsion mit einander gemengt sind, sehen wir sie hier völlig getrennt neben einander liegen. Im weiteren Verlaufe der Keimung wird die Eiweisskugel allmählig aufgezehrt, während die Fettkugel lange Zeit unverändert bleibt und erst spät verschwindet. Die falsche Parablasten-Theorie von His und alle ähnlichen Theorien, wonach bei den discoblastischen Wirbelthier-Eiern aus dem separaten Nahrungsdotter gewebebildende Embryonalzellen unabhängig von den beiden primären Keimblättern und in morphologischem Gegensatze zu diesen entstehen sollen, werden demnach durch unsere Teleostier-Eier bündig widerlegt. Denn da Die vier Haupt formen der Eifurchung und drr Gastrulabildung. 97 sich hier innerhalb der äusseren Eihülle neben ein wenig klarer Flüssigkeit nur die beiden structurlosen Bestandtheile des Nah- rungsdotters finden, die grosse Eiweisskugel und die kleine Fett- kugel, ganz getrennt von den Furchungszellen des Bildungsdotters, so können nur die Furchungszellen einzig und allein die Grundlage des entstehenden Fischkörpers bilden. Die Ei- weisskugel ebensowohl wie die Fettkugel erzeugen durchaus keiner- lei embryonale Zellen, sondern werden einfach als Nahrungsmate- rial von dem Embryo verbraucht und von dem sich bildenden Darme umwachsen, in welchem wir später ihre letzten Reste finden (Fig. 80). Auf das jüngste, von mir gesehene Stadium (welches vier gleiche Furchungskugeln zeigt) folgt ein Stadium mit 8, dann eins mit 16 Zellen (Fig. 57, 58) mit 32, 64 Zellen u. s. w. Die zuerst auftretenden Furchungsebenen sind Meridian-Ebenen und anfangs liegen daher alle Furchungszellen in einer einzigen Schicht. Aber schon in dem Furchungsstadium mit 16 Zellen (Fig. 57, 58) tritt eine horizontale Furchungsebene auf, welche die Zellen in zwei Schichten ordnet, und dann folgen, wechselnd mit neuen Meridian- furchen , noch mehrere Furchungsebenen parallel dem Aequator (und also senkrecht auf jenen Meridian-Ebenen) und nunmehr lie- gen die Furchungszellen in mehreren Schichten über einander. Nach vollendeter Furchung stellt unser Fisch-Keim eine kreisrunde linsenförmige Scheibe dar, die Keimscheibe (Discus blastodermi- cus oder kurz Blastodiscus; Fig. 59, 60). Diese Scheibe besteht aus lauter gleichartigen Furchungszellen', welche noch durchaus keine morphologischen Unterschiede darbieten und am Rande der Keimscheibe in einfacher, in der Mitte in mehrfacher (drei- bis vierfacher) Schicht über einander liegen (Fig. 73, im Meridian- durchschnitt). Alle Zellen zeigen einen hellen kugeligen Kern (un- gefähr von ein Drittel des Zellendurchmessers), mit einem dunkeln, sehr kleinen Kernkörperchen ; in dem ziemlich klaren Protoplasma sind wenige, sehr kleine Körnchen vertheilt. Die linsenförmige Keimscheibe liegt am animalen Pol oder Bildungspol der Dotter- kugel in einer seichten Depression ihrer Oberfläche , ohne dass zwischen beiden ein Zwischenraum existirte. Dieses Stadium ent- spricht offenbar der Archimorula der archiblastischen Eier und ist demnach als Discomorula zu bezeichnen. Nunmehr tritt in der linsenförmigen Keimscheibe eine Ver- schiebung der constituirenden Zellen (wahrscheinlich mit gleich- zeitiger Vermehrung derselben) auf, welche sich (wenigstens äus- 7 98 Die Gastrula und die- Eifurchung der Thiero. serlich betrachtet) kurz als centrifugale Wanderung bezeichnen lässt. Im Centruin wird die Scheibe verdünnt, am Rande um- gekehrt verdickt. Während die linsenförmige Keimscheibe vorher in der Mitte 2 — 3 Mal so dick war, als in der Nähe des scharfen Randes, ist dieselbe nunmehr umgekehrt in der Nähe des wülst- förmig verdickten Randes 2—3 Mal so dick als im Centrum (Fig. 61, 62). Zugleich hebt sich letzteres von der darunter liegenden Dotterkugel ab und es entsteht nunmehr zwischen beiden eine kleine, mit klarer Flüssigkeit erfüllte Höhle (Fig. 74). Diese Höhle, welche im Meridianschnitt (Fig. 62) halbmondförmig erscheint, ist die „Furchungshöhle oder BAEit'sche Höhle" (= Keimhöhle oder Blastocoelomd). Ihr flach gewölbter Boden wird vom Nah- rungsdotter, ihre stark gewölbte Decke vom Blastoderma gebildet. Der Keim entspricht jetzt dem Stadium der amphiblastischen Eier, das wir Amphiblastula nannten und ist demgemäss als Disco- blastula zu bezeichnen. Jetzt folgt der höchst wichtige und interessante Vorgang, den ich als Einstülpung der Blastula auffasse und der zur Bildung der Gastrula führt (Fig. 63, 64). Es schlägt sich nämlich der verdickte Saum der Keimscheibe, der „Randwulst" oder das Pro- peristofn, nach innen um und eine dünne Zellenschicht wächst als directe Fortsetzung desselben , wie ein immer enger werdendes Diaphragma, in die Keimhöhle hinein. Diese Zellenschicht ist das entstehende Entoderm (Fig. 64 i, 74 i). Die Zellen, welche die- selbe zusammensetzen und aus dem innern Theile des Randwulstes hervorwachsen, sind viel grösser aber flacher als die Zellen der Keimhöhlendecke und zeigen ein dunkleres grobkörniges Proto- plasma. Auf dem Boden der Keimhöhle, d. h. also auf der Ei- weisskugel des. Nahrungsdotters, liegen sie unmittelbar auf und rücken hier durch centripetale Wanderung gegen dessen Mitte vor, bis sie dieselbe zuletzt erreichen und nunmehr eine zusammen- hängende einschichtige Zellenlage auf dem ganzen Keimhöhlen- boden bilden. Diese ist die erste vollständige Anlage des Darm- blatts, Entoder ms oder „Hypoblasts", und von nun an können wir, im Gegensatz dazu den gesammten übrigen Theil des Blasto- derms, nämlich die mehrschichtige Wand der Keimhöhlendecke als Hautblatt, Exoderm oder „Epiblast" bezeichnen. Der verdickte Randwulst (Fig. 64 w, 74 w), in welchem beide primäre Keim- blätter in einander übergehen, besteht in seinem oberen und äus- seren Theile aus Exodermzellen, in seinem unteren und inneren Theile aus Entodermzellen. Die vier Haüptfbrmen A. Kowalevsky, Entwickelungsgeschichte d. einfachen Ascidien. Mem. Acad. Petersh. Tom. X. Nr. 15. 1866. Taf. I. 4) Kupffer, Die Stammverwandtschaft zwischen Ascidien und Wirbel- thieren. Archiv f. mikr. Auat. 1870. Vol. VI, Taf. VIII. 5) A. Keferstein, Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte d. Seeplanarien. 1868. 118 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. sein; wahrscheinlich auch unter den Nematoden und namentlich bei den Anneliden. Unter den letzteren hat sie vorzüglich Claparede ') schon 1869 in ausgedehnter Verbreitung nachgewie- sen und später Kowalevsky2) auf Querschnitten genauer studirt (1. c). Bei den meisten Chaetopoden verläuft die inaequale Fur- chung nach demselben Modus, den ich oben nach meinen eigenen Beobachtungen bei Fabricia geschildert habe (Taf. VII, Fig. 91 — 102). In gleicher oder ähnlicher Form entwickelt sich die Amphi- gastrula aber auch bei vielen anderen Würmern, namentlich den Räderthierchen, wo sie von Leydig3), Salensky4) u. A. beschrie- ben worden ist. Sie tritt hier meistens, wie bei vielen Anneliden, in derjenigen Modification auf, welche ich in der Anthropogenie (S. 166) als „seriale Furchung" unterschieden habe, ausge- zeichnet durch die arithmetische Progression, in der sich die Fur- chungszellen anfänglich vermehren. Andere Modificationen der inaequalen Furchung scheinen bei Gephyreen, Tunicaten und an- dern Würmern vorzukommen, müssen jedoch noch genauer unter- sucht werden. Von Phascolosoma hat kürzlich Selenka eine aus- führliche Darstellung gegeben5). Die discoidale Furchung und die daraus entstehende Discogastrula scheint zwar in so reiner Form, wie bei den Cephalopoden, Scorpionen, Vögeln u. s. w. bei den Würmern nicht vorzukommen. Aber vollständige Uebergänge zu derselben bildet die Amphigastrula der Würmer nicht selten. Einen solchen hat Kowalevsky bei Euaxes sehr genau beschreiben (1. c. Tab. III); und ähnliche werden sich wahrscheinlich auch noch bei manchen anderen Würmern mit sehr voluminösem Nahrungsdotter rinden. Offenbar führt hier die starke Massenzunahme des letzteren zu einer Modification der Amphigastrula, welche sich unmittelbar der Discogastrula anschliesst6). Ob wahre superficiale Furchung 1) Ed. Claparede, Beiträge zur Kenntniss der Entwickelungsgeschichte der Chaetopoden. Zeitschr. für wiss. Zool. 1kl. XIX. 1861». Taf. XII— XV11. 2) Kowalevsky, Embryol. Stud. an Würmern etc. Taf. III — V Euaxes; Taf. VI, VII Lumbricus. 3) Leydig, Ueber den Bau und die systematische Stellung der Käderthiere. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. VI, 1854. 4) Salensky, Entwickelung des Brachionus. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1872. Bd. XXII, Taf. XXXVIII. 5) Selenka, Eifurchung und Larvenbildung von Phascolosoma. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1875, Bd. XXV, Taf. XXIX. 6) A. Kowalevsky, Embryol. Studien au Würmern etc. (1. c. Tab. III, IV). Auf den Querschnitten seiner Tafel IV konnte man Fig. 25 und 26 als Bisco- Eifurchung u. Gastrulabildung in d.ITauptgruppen d. Tliierreichs. 119 und die daraus entstehende Perigastrula, wie wir sie bei den meisten Arthropoden finden, auch bereits bei höheren Würmern, namentlich Anneliden, vorkommt, ist gegenwärtig noch nicht sicher bekannt, jedoch nicht unwahrscheinlich. III. Gastrula und Eifurchung der Mollusken. Der Stamm der Weichthiere schliesst sich bezüglich seiner Ei- furchung und Gastrulabildung auf das Engste an die Gruppe der höheren Würmer an, aus der er phylogenetisch hervorgegangen ist. Die primordiale Furchung mit der Archigastrula scheint im Ganzen nur selten rein conservirt zu sein; so nament- lich bei den niedersten Mollusken, den Spirobranchien oder Bra- chiopoden (Fig. 25). Hier hat sie Kowalevsky neuerlich von Ar- giope, Terebratula u. A. beschrieben l). Unter den Schnecken hat sie schon 1862 Lbreboullet bei Lymnaeus richtig erkannt2); und kürzlich haben sie bei derselben Ray-Lankester3) und am sorg- fältigsten Carl Rabl4) beschrieben. Das Vorkommen der reinen Archigastrula ist hier um so interessanter, als die primordiale Furchung einen vorübergehenden Anlauf zur inaequalen nimmt. Nachdem nämlich die ersten vier Furchungszellen von gleicher Grösse gebildet sind, werden dieselben durch eine dem Aequator parallele Kreisfurche in vier grössere und vier kleinere Zellen ge- theilt, wie bei sehr vielen Würmern und Mollusken (Fig. 104). Dann aber „theilen sich die grossen Furch ungskugeln rascher und öfter als die kleinen, so dass schliesslich alle Zellen ungefähr die gleiche Grösse besitzen." (Rabl 1. c). Viel häufiger als die primordiale tritt bei den Mollusken die inaequale Furchung mit der Amphigastrula auf, welche in diesem Thierstamme, wie bei den Würmern, die bei weitem häu- figste Keimungsform zu sein scheint. Die meisten älteren Be- morula, Fig. 27 u. 28 als Discoblastula, Fig. 29 u. 30 als Discogastrula deuten, mit Rücksicht auf die entsprechenden Flächenansichten der Tai'. 111. 1) Kowalevsky, Russische Abhandl. über Üntogenie der Brachiopoden. Kasan 1873. Taf. I. 2) Lereboullet, Embryologie du Lymuee. Amiales d. sciens. nat. Vol. XV1I1, 1862, Taf. 11. Fig. 25 Archiblastula. Fig. 26 Archiblastula iuvaginata. Fig. 26 Archigastrula. 3) Ray-Lankester, Observations on the development of the Pond-Snail. Quart. Jouru. of microsc. Science, Vol. XIV, 1874. 4) Carl Rabl, Die Üntogenie der Süsswasser-Pulinouaten. Jen. Zeitschr. f. Naturw. 1875. Vol. IX, Taf. VII. 120 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Schreibungen der Keimung von Muscheln und Schnecken sind auf diese Form zu beziehen, obwohl die Mehrzahl derselben nicht hin- reichend genau ist. Auch diejenigen Brachiopoden , welche viel Nahrungsdotter im Ei angehäuft haben (z. B. Thecidinm), haben an Stelle der ursprünglichen primordialen allmählich die inaequale Furchung angenommen. Ueber die Amphigastrula der Muscheln hat die genauesten (noch nicht veröffentlichten) Untersuchungen Carl Rabl an Unio angestellt. Ich habe mich von deren Richtig- keit an sehr guten, von Rabl angefertigten Querschnitten mit eigenen Augen überzeugt. Seiner freundlichen Mittheilung ver- danke ich die in Fig. 26 — 28 auf Taf. II gegebenen Abbildungen. Das eingestülpte Entoderm der Amphigastrula zeigt sehr hohe schmale Cylinderzellen im Gegensatze zu den niederen Platten- zellen des Exoderm. An der Amphiblastula von Unio (Fig. 26) ist das ganze Entoderm nur durch eine einzige sehr grosse Zelle re- präsentirt, während das Exoderm bereits ein Gewölbe von vielen kleinen Zellen bildet '). Von den Schnecken hat die Amphigastrula besonders genau Selenka bei Purpura beschrieben 2). Der Nahrungs- dotter ist hier so gross, dass die primär gefurchte Schicht der klei- nen hellen Bildungszellen am animalen Bildungspole des Eies eine fast halbkugelige Kappe bildet. Diese „umwächst" die grosszellige, erst secundär gefurchte, subsphärische Masse der grossen dunkeln Nahrungszellen: „Epibolie" (Amphiblastula, 1. c. Fig. 3). Hierauf schlägt sich der verdickte Rand der primären hellen Keimschicht am untern „Nahrungspole" nach innen um und seine eingestülpte Verlängerung wächst als „secundäre Keiinschicht" (Entoderm) zwi- schen den grossen Dotterkugeln und der „primären Keimschicht" (Exoderm) nach dem oberen „Bildlingspole" zurück (Amphigastrula circumcreta, 1. c. Fig. 4, 5). Vergl. Fig. 32. Wird der Nahruugs- dotter noch grösser, wie es bei einigen höheren Cochliden der Fall ist, so breitet sich die primäre Keiinschicht noch flacher, scheiben- förmig auf dem Nahrungsdotter aus, den sie später umwächst. Die Amphigastrula geht so in die Discogastrula über (Fig. 104 — 110). Die discoidale Furchung mit der Discogastrula wird 1) Paul Flemming bemerkt in den kürzlich erschienenen „Studien in der Entwickclungsgeschichte der Najaden" (Wien. Acad. Sitzungsber. 1875. Vol. LXX1), dass eine eigentliche Gastrula hier nicht vorkomme. Er hat dieselbe offenbar desshalb übersehen, weil er keine Querschnitte durch das Gastrula- Stadium angefertigt hat. 2) Selenka, Die Anlage der Keimblätter bei Purpura lapillus. Haarlem 1872. Taf. XVII. Eifurchung n. Gastmlabildnng in d. Hauptgruppen d. Thierreichs. 121 dergestalt schon bei den höheren Schnecken durch die zunehmende Vergrösserung des Nahrungsdotters allmählig eingeführt. Sie findet sich allgemein bei der höchsten Mollusken-Gasse, den Cephalopo- den vor, und verläuft hier in einer Form, welche im Wesentlichen mit derjenigen der Vögel und Reptilien, wie der meisten Fische, identisch zu sein scheint. Bekanntlich ist diese Bildung einer Keimscheibe (Blastodiscus) bei den Cephalopoden schon 1844 von Kolliker1) entdeckt und neuerdings von E. Ray-Lankester'2) und Ussow3) auf Querschnitten studirt worden. Die Abbildung, welche Ray-Lankester (1. c. Taf. IV, Fig. 1 äs) von einem Meridianschnitt durch die Keimscheibe eines Loligo-Eies giebt, scheint mir keinen Zweifel zu lassen, dass die Discogastrula sich auch hier bei den Cephalopoden, ganz ebenso wie bei den discoblastischen Wirbel- thieren , durch In vaginati on bildet. Die linsenförmige Keim- scheibe (Discomorula) verdünnt sich in der Mitte, während die Ränder sich verdicken, und hebt sich in der Mitte von dem darun- ter liegenden Nahrungsdotter ab (Discoblastula). Hierauf schlägt sich der verdickte „Randwulst", das Properistom, nach innen um, wächst als secundäre Keimschicht (beginnendes Entoderm) zwischen den Nahrungsdotter und die primäre Keimschicht (Exoderm) cen- tripetal hinein und bildet schliesslich mit letzterer zusammen eine flach kappenförmige zweiblätterige Discogastrula , welche darauf den ganzen Nahrungsdotter umwächst. Die superficiale Furchung mit der Perigastrula scheint unter den Mollusken nicht vorzukommen. IV. Gastrula und Eifurchung der Echinodermen. Im Stamme der Echinodermen überwiegt ganz vorherr- schend, soweit sich nach den bisherigen, immer noch relativ wenig zahlreichen Beobachtungen schliessen lässt, die primordiale Furchung und die Archi gastrula. Die Keimung derselben, welche ganz dem primitiven, auf unserer Tafel VIII von Gastro- physema abgebildeten Typus entspricht, ist neuerdings bei den Ästenden von Alex. Agassiz4), bei den Holothurien von Kowa- 1) Kolliker, Entwicklungsgeschichte der Cephalopoden. Zürich 1844. 2\ E. Ray-Lankester , Ubserv. ou the Development of the Cephalopoda. Quart. Journ. Mier. Sc. 1875. No. 57. PI. IV, V. 3) M. Ussow, Zoologisch-embryologische Untersuchungen. Arch. f. Naturg. 1874. Bd. 40, S. 340. 4) Alex. Agassiz, Un the Embryology of the Starfish. Contributions etc. Vol. V, 1864. 122 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. levsky ') genau verfolgt worden. Die Gastrulation eines Echiniden, des Toxopneustes lividus, habe ich selbst kürzlich in Ajaccio, ge- legentlich der Untersuchungen, welche mein Reisegefährte, Herr Dr. Oscar Hertwig, über die Eibildung desselben anstellte, verfolgt, und mich dabei überzeugt, dass sie in nichts Wesentlichem von der primordialen Furchung und der Archigastrula-Bildung der Ästen- den und Holothurien abweicht. Der Umstand, dass bei vielen Echinodermen die Einstülpung der Archiblastula nicht vollständig wird und zwischen Entoderm und Exoderm der Archigastrula ein ansehnlicher, mit klarer Flüssigkeit oder Gallertmasse („Gallert- kern", Hensen) gefüllter Hohlraum, der Rest des Blastocoeloms, längere Zeit bestehen bleibt, ist natürlich nicht von Belang (Fig. 33 s). Dass die primordiale Furchung unter Echinodermen aller Gruppen weit verbreitet ist, lässt sich aus der Vergleichung der verschiedenen Larven- oder Ammenformen erschliessen. Neben der vorherrschenden primordialen Furchung scheint bei vielen Echinodermen in ae quäle Furchung und Amphi- gastrula vorzukommen: insbesondere bei jenen Formen, welche der sogenannten „directen Entwicklung" unterliegen und den ur- sprünglichen Generationswechsel sehr stark abgekürzt oder ganz verloren haben. Da hier offenbar keine ursprüngliche „directe Entwickelung" vorliegt, sondern vielmehr eine cenogenetische Ab- kürzung und Fälschung des ursprünglichen palingenetischen Ent- wicklungsganges ( — wie unter Anderem der „provisorische Lar- venapparat" der Embryonen bei der lebendig gebärenden Amphi- ura squamata deutlich beweist — ), so ist von vornherein zu er- warten, dass auch die ursprüngliche Form der primordialen Ei- furchung seeundäre Modificationen erlitten haben wird. Wahr- scheinlich wird sich hier bei Vielen im Laufe der Zeit eine mehr oder minder bedeutende Quantität von Nahrungsdotter gebildet haben und die Furchung mehr oder minder inaequal geworden sein. Zwar ist eine deutliche Amphigastrula bisher erst bei weni- gen Echinodermen beobachtet worden , allein ihre weitere Ver- breitung lässt sich aus den obigen Gründen vermuthen. Insbe- sondere dürften die lebendig gebärenden oder sonst in der Kei- mung vom gewöhnlichen Typus des Generationswechsels abweichen- den Arten darauf zu untersuchen sein : unter den Ästenden Ura- ster Mülleri, Echinaster Sarsii, Pteraster militaris, Amphiura squa- 1) Kowalevsky , Beiträge zur Eiitwickeiungsgescliiclite der Holotkurien. Mein. Acad. Petersb. 1867. Eifurchung u. Gastrulbildung in d. Hauptgruppen d« Thierreichs. 123 mata und die verwandten viviparen Arten1); unter den Crinoiden wahrscheinlich viele Species; unter den Echiniden der lebendig gebärende Anochanus chinensis und verwandte Arten; unter den Holothurien Thelenota tremula, Phyllophorus urna, Synaptula vivi- para und vielleicht noch viele Andere. Die genaueste Darstellung der inaequalen Furchung hat kürzlich Selenka von Cucumaria doliolum gegeben. Bei der Amphiblastula dieser Holothurie ist die Invagination ebenfalls nicht vollständig und zwischen Entoderm und Exoderm der Amphigastrula bleibt ein „glasheller Gallertkern zurück, welcher die Rolle eines ungeformten Nahrungsdotters spielt. Während hinten die Reste dieses Gallertkerns allmählig eingeengt und endlich durch Resorption ganz zum Verschwinden gebracht werden, bleibt im vorderen Drittel derselbe noch lange bestehen. Es kommt hier zur Bildung eines grossen Oeltropfens, welcher die Larve schwimmend an dem Meeresspiegel hält, den hinteren Pol nach unten gewendet. Erst später tritt ein Schwund dieses Ge- bildes und damit der Furchungshöhle überhaupt ein"2). Ob bei einigen von denjenigen Echinodermen , bei denen der palingenetische Gang der Keimung durch cenogenetische Anpas- sungen abgekürzt und gefälscht worden ist, die Ansammlung des Nahrungsdotters einen höheren Grad erreicht und somit zur dis- coidalen Furchung und zur Discogastrula hinüber führt, ist aus den bisherigen, sehr unvollständigen Beobachtungen nicht sicher zu ersehen ; indessen keineswegs a priori unwahrscheinlich. Dagegen ist es nicht wahrscheinlich, dass bei irgend einem Echinodermen die superficiale Furchung und die Peri- gastrula sich findet. V. Gastrula und Eifurchung der Arthropoden. Im Stamme der Arthropoden, sowohl bei den Crustaceen, wie bei den Tracheaten, scheint die primordiale Furchung und die Archigastrula nur in sehr wenigen Fällen rein conservirt zu sein. Wahrscheinlich findet sie sich noch heute bei einzelnen Crustaceen aus den Ordnungen der Branchiopoden und Copepoden, bei denen vor der ursprünglichen Nauplius-Form eine rasch vor- übergehende zweiblätterige Keimform auftritt, welche als Archi- 1) Sars, Fauna littoralis Norvegiae. Vol. I, 1846, Tat'. VI; Vol. II, 1856, Tat. VIII. 2) Selenka, Embryologie von Cucumaria doliolum. iSitzungsber. der phy- sik. mt'dic. JSoc. zu Erlangen. 1875. 124 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. gastrula zu betrachten ist '). Als solche ist wahrscheinlich auch der Keim der Tardigraden oder Arctisken zu deuten, welchen Kauf- mann beschrieben hat2). Ebenso ist vielleicht auch der einfache, von Nahrungsdotter ganz entblösste Embryo der merkwürdigen Pteromalinen (Platygaster, Polynema, Ophioneurus, Teleasj, welchen wir durch Ganin3) kennen gelernt haben, als Archigastrula zu deuten und vermuthlich durch Invagination einer primordialen Archiblastula entstanden. Allerdings beschreibt Ganin die „totale Furchung" dieser parasitischen Hymenopteren in abweichender Weise. Indessen dürfte dieser Unterschied entweder durch ge- nauere histologische Untersuchung des Furchungsprocesses aus- zugleichen oder auf eine geringfügige cenogenetische Modification zurückzuführen sein. Möglich bleibt es immerhin, dass hier keine ursprüngliche Archigastrula-Bildung vorliegt, sondern eine eigen- thümliche Modification der Eifurchung, welche durch den tertiären cenogenetischen Verlust des secundären, bei den Vorfahren der Pteromalinen noch vorhandenen Nahrungsdotters bedingt ist. Ziemlich verbreitet unter den niederen Arthropoden, und jeden- falls viel häufiger als die primordiale, ist die inaequale Fur- chung und die daraus hervorgehende Amphigastrula. Unter den Crustaceen scheint dieselbe in den allermeisten Fällen auf- zutreten, in denen der echte Nauplius noch heute conservirt ist; jene bedeutungsvolle Keimform, welche zuerst Fritz Müller in seiner ideenreichen Schrift „Für Darwin" als Wiederholung der gemeinsamen Stammform aller Crustaceen nachgewiesen hat4). Die Entstehung des Nauplius und der zweiblätterigen, der Gastrula entsprechenden Keimform scheint in der Mehrzahl der Fälle durch inaequale Furchung zu geschehen. Wird die Masse des Nahrungs- dotters, die den Nauplius-Darm erfüllt, beträchtlich, so kann die inaequale Furchung bald in die discoidale, bald in die superficiale Furchung übergehen. Die genauesten Untersuchungen , die wir bisher über diesen Vorgang besitzen, namentlich diejenigen von Ed. van Beneden und Emil Bessels s), lassen vermuthen, dass hier 1) Ed. van Beneden et Emil Bessels (1. c). 2) Joseph Kaufmann, Ueber die Entwickelung und systein. Stellung der Tardigraden. Zeitschr. f. wihsensch. Zool. '851. Vol. III, 8, 22U, Taf. VI. 3) M. Ganin, Heiträge zur Erkenntniss der Entwicklungsgeschichte bei den Insecten. Zeitschr. f. wisseilscb. Zool. 186'J. Vol. XIX, Taf. 30 — 33. 4) Fritz Müller, Für Darwin. Leipzig 1864. 5) Eduuard van Beneden et Emu. Bessels, Sur la Formation du Blasto- derme cbez les Crustaces. Bulletins et Memoire^ de l'Acad. Beige. 1868, 1869. Eifurchung a. ßastrulabüdung in d. HauptgDappeo d. Hhierreicbs. 125 eine ziemlich aasgedehnte Stufenreihe von Uebergangsformen der inaequalen Eifurchung bestehen wird, welche sieli einerseits unten an die frühere primordiale, oben an die spätere discoidale und superficiale Furchung anschliessen. Dasselbe ist auch von den niederen Tracheaten zu vermuthen, sowohl Insecten, als nament- lich Spinnen. Auch hier scheinen manche (vorzüglich kleine Arten, deren kleine Eier wenig Nahrungsdotter enthalten) eine inaequale Eifurchung durchzumachen, die sich bald mehr an die primordiale, bald mehr an die discoidale, bald endlich unmittelbar an die super- ficiale Furchung anschliesst. Wie weit die discoidale Furchung und die Disco- gast rula unter den Arthropoden verbreitet ist, lässt sich heutzu- tage noch nicht annähernd bestimmen. Nur so viel scheint sicher, dass sie sowohl unter den Crustaceen als unter den Tracheaten ziem- lich häufig vorkommt, insbesondere bei grösseren, differenzirteren Formen, die einen ansehnlichen Nahrungsdotter erworben haben. Sie muss hier überall vorkommen, wo sich „an einem Pole des Eies eine Keimscheibe (Blastodiscus) bildet, welche den Nahrungsdotter umwächst, indem sie sich allmählich bis zu dem entgegengesetzten Pole hin ausdehnt'1. So finden wir sie bei der Nauplius - Bildung von grösseren Crustaceen verschiedener Ordnungen (van Beneden et Bessels 1. c). Vom Oniscus hat sie Bobretzky l) sehr genau beschrieben (Fig. 35, 36, 37). Ebenso sehen wir sie bei verschie- denen Tracheaten, insbesondere bei den Scorpionen verlaufen. Die Discogastrula des- Scorpions, welche auf unserer Fig. 40 copirt ist, entspricht derjenigen der Vögel und Reptilien2). Die grösste Rolle spielt im Stamme der Gliederthiere, sowohl unter den Crustaceen, als unter den Tracheaten, die superficiale Furchung und die daraus resultirende Perigastrula (Fig. 38). Ja diese eigenthümliche Keimungs-Form ist sogar recht eigentlich für diesen Stamm charakteristisch und wir müssen es noch dahin gestellt sein lassen, ob dieselbe in einem der anderen Stämme (ins- besondere bei den Würmern), in derselben ausgeprägten Form sich findet. Bei vielen niederen und bei der grossen Mehrzahl der höheren Crustaceen (namentlich der Malacostraken), bei den Poecilopoden (Limulus), bei der Mehrzahl der Arachniden und Myriapoden und namentlich bei den allermeisten Insecten scheint 1) Bobretzky, Zur Embryologie des Oniscus murarius. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1874. Bd. XXIV, S. 178, Taf. XXI. 2) Metschnikoff, Embryologie des Scorpions. Zeitscbr. f. wissensch. Zool. 1871, Vol. XXI, S. 204. ]2ß Die Uastrula und die Eifurchung der Thiere. sich der Embryo auf diesem eigentümlichen Wege zu entwickeln. Als die genauesten Beobachtungen, welche wir darüber besitzen, wurden bereits vorher diejenigen von Bobketzky '), E. van Beneden und Bessels (1. c. 1. c), Weismann2) und Kowalevsky3) hervorge- hoben. Aber auch die Angaben von Claparede4) Metschnikoff und vielen anderen Beobachtern lassen sich wohl auf jene zu- rückführen. Soweit man nach den zahlreichen , gegenwärtig vorliegenden — allerdings bei dem ungeheuren Umfang des Arthropoden-Stam- mes immer noch relativ spärlichen — Angaben urtheilen darf, ist die echte superficiale Furchung mit derjenigen Perigastrula- bildung, welche ich von Peneus geschildert habe (Taf. VI) unter den höheren Crustaceen und Tracheaten allerdings die vorherr- schende Form. Allein es scheinen unter den zahlreichen Modifi- cationen derselben auch viele Zwischenformen vorzukommen, welche als vermittelnde Uebergänge theils zwischen der superficialen und discoidalen, theils zwischen der superficialen und inaequalen, theils zwischen der superficialen und primordialen Furchung zu deuten sind. Selbst bei nahe verwandten Gliederthieren finden sich in dieser Beziehung höchst auffallende Unterschiede vor, wie schon van Beneden und Bessels (1. c.) mit Recht hervorgehoben haben. Sie fanden z. B. bei verschiedenen Species das Genus Gammarus die Furchung und das Verhalten des Nahrungsdotters höchst ver- schieden. Aus diesen Gründen dürfen wir schliessen, dass die superfi- ciale Furchung und die Perigastrula-Bildung der Arthropoden bald direct aus der primordialen, bald indirect aus der discoidalen, oder aus der inaequalen Furchung (wie sie bei anderen Thieren dieses Stammes vorkommt) sich phylogenetisch entwickelt hat. Da wir aber sowohl die discoidale als die inaequale Furchung als secun- däre Processe nachgewiesen haben (aus der primordialen Furchungs- form durch cenogenetische Abänderungen entstanden), so werden wir auch die superficiale Furchung direct oder indirect auf letztere zurückzuführen haben. Sehr oft wird die superficiale Furchung 1) Bobretzky, Russische Abhandlungen über Üntogenie der Arthropoden. Kiew 1873. 2) Weismann, Die Entwickelung der Dipteren. Leipzig 1864. 3) Kowalevsky, Embryol. Studien an Würmern und Arthropoden. Mem. Acad. Petersb. 1871. 4) Ed. Claparede, Recherches sur Devolution des Araignees. Geneve 1862. Studien an Acariden. Zeitschr. f. wissensch. Zool. 1868. Vol. XVIII, S. 488. Eifurchung u. Güastrulabildung in d. Hauptgnippen d. Tbierreichs. 127 aus der primordialen difect entstanden sein, indem der im Centrum der Eizelle angesammelte Nahrungsdotter sich an der Theilung des peripherischen Bildungsdotters zu betheiligen aufhörte. VI. Gastrula und Eifurchung der Wirbelthiere. Im Stamme der Vertebraten ist die Eifurchung und die daraus resultirende Keimblätterbildung seit mehr als einem halben Jahr- hundert von zahlreichen Beobachtern auf das Genaueste unter- sucht worden, und es sind darüber mehr verschiedene und ein- gehende Darstellungen veröffentlicht worden, als über die ersten Keimungs-Vorgänge in allen übrigen Thierstämmen zusammenge- nommen. Ja die betreffenden Verhältnisse der Wirbelthiere bil- deten eigentlich noch bis vor wenigen Jahren den Mittelpunkt der gesammten Keimblätter Theorie; und als man dann anfing, diese auch auf die Wirbellosen auszudehnen, lieferten die Vertebraten das ausgebildete Schema, von welchem ausgehend man die ver- schiedenen Verhältnisse der Wirbellosen zu beurtheilen versuchte. Bekanntlich haben viele Zoologen noch bis vor zehn Jahren die Bildung und Sonderung der Keimblätter überhaupt als einen den Wirbelthieren eigenthümlichen Differenzirungs-Process aufgefasst. Als man dann aber auch bei den Wirbellosen diesen Vorgang in grosser Ausdehnung nachzuweisen begann, war es ein verhängniss- voller Umstand, dass man die am häufigsten und am genauesten untersuchte Keimung des Hühnchens zum Ausgangspunkt wählte. Die hier auftretende discoidale Furchung und Discogastrula-Bil- dung, eine sehr stark modificirte secundäre Keimungsform, wurde unglücklicher Weise als Erklärungs-Basis für die viel einfacheren, primären Keimungsformen niederer Thiere hingestellt und das Verhältniss des kleinen Bildungsdotters zum grossen Nahrungs- dotter völlig verkehrt aufgefasst. Die wichtigsten Keimungspro - cesse, die Bildung der Blastula und die Entstehung der Gastrula durch Invagination der letzteren wurden dabei ganz übersehen, und erst in neuester Zeit gelang es, diese auch hier nachzuweisen, Soweit sich gegenwärtig die Keimungsverhältnisse der Verte- braten übersehen lassen, finden wir von den vier Hauptformen der Eifurchung und Gastrulation die superficiale hier gar nicht vor, die primordiale nur beim Amphioxus. Dagegen findet sich die inaequale Furchung bei den Cyclostomen, Amphibien, Ganoiden, Marsupialien (?) und Placentalien (wahrscheinlich auch bei den 228 1^° Gastrula '"id tue Eifurchung der Thiere. Dipneusten); die discoidale Furchung bei den Selachiefn, Teleo- stiern, Reptilien, Vögeln nnd Monotremen (?). Die ursprüngliche reine Form der primordialen Furchung und die daraus hervorgehende Archigastrula hat unter den Wirbelthieren bis auf den heutigen Tag einzig und allein der A m - phioxus getreu conservirt (Taf. III, Fig. 41—44). Wie wir durch Kowalevsky's epochemachende Entdeckung 1866 erfahren haben, durchläuft das Ei dieses ältesten Wirbelthieres eine voll- kommen reguläre totale Furchung, die sich in keiner Weise von derjenigen anderer archiblastischer Eier unterscheidet '). Aus der Archimorula entsteht eine echte Archiblastula (Fig. 41); diese stülpt sich unipolar ein (Fig. 42); das eingestülpte Entoderm legt sich an das nicht eingestülpte Exoderm an (Fig. 43) und wir er- halten somit eine ellipsoide Archigastrula (Fig. 44). Wie wir den Amphioxus aus vergleichend-anatomischen Gründen als den letzten überlebenden Repräsentanten einer untergegangenen formenreichen Classe von schädellosen Wirbelthieren (Acrania) betrachten müssen, so müssen wir auch aus vergleichend-ontogenetischen Gründen den Schluss ziehen, dass die von ihm conservirte primordiale Furchung diesen letzteren (wenigstens zum Theil) gemeinsam war. Aus der primordialen Furchung und der Archigastrula der Acranier, welche unter den Wirbelthieren der Gegenwart nur noch der Amphioxus besitzt, hat sich zunächst die inaequale Fur- chung und die Amphigastrula entwickelt, welche wir bei vie- len niederen Wirbelthieren in bemerkenswerther Uebereinstimmung antreffen : bei den Cyclostomen, den Ganoiden und den Amphibien, höchstwahrscheinlich auch bei den Dipneusten. Die inaequale Furchung der Cyclostomen hat zuerst Max Schultze2) von Petromyzon beschrieben (Fig. 45—48) ; vermuthlich wird sich die- selbe Form auch bei den Myxinoiden finden, deren wichtige Kei- mesgeschichte leider noch ganz unbekannt ist. Die Amphimorula von Petromyzon (Fig. 46) zeigt eine geräumige Keimhöhle (s), deren gewölbte Decke von der animalen Hemisphäre, deren ver- tiefter Boden von der vegetativen Hemisphäre der Furchungszellen gebildet wird. Bei der daraus hervorgehenden Amphiblastula (Fig. 47) ist die Keimhöhle («) noch bedeutend erweitert, während schon die Einstülpung des Urdarms beginnt (a). Später verschwindet 1) A. Kowalevsky, Entwickeluiigsgeschiclite des Amphioxus laneeolatus. Mem. Acad. Petersh. 1867. Tom. XI. No. 4. 2) Max Schultze, Die Entwicklungsgeschichte von Petromyzon Planeri. Haarlem 1856. Eifurchung u. (iastrulüliildung in d|., Hauptgruppen d. JTbierreichs. 129 mit der fortschreitenden Einstülpung des Urdarms die Furchungs- böhle ganz und die typische Amphigastrula ist fertig (Fig. 48). Der llrinund der letzteren oder der „RuscoNi'sche After" (o) geht nach Max Schultzk, „bestimmt in den definitiven After des Em- bryo über". Ueber die inaequale Furchung der Ganoiden besitzen wir bis jetzt bloss die vorläufige Mittheilung, welche Kowalevsky, Owsjan- njkow und Wagner über die Keimung der Störe 18G9 gegeben haben. Demnach stimmt dieselbe im Wesentlichen mit derjenigen des Petromyzon und der Amphibien überein. Auch die Amphi- gastrula des Accipenser scheint von derjenigen des Petromyzon und der Amphibien nicht wesentlich verschieden zu sein '). Am längsten bekannt und am genauesten untersucht ist die inaequale Furchung bei den Amphibien, über welche vor allen die höchst sorgfältigen Beobachtungen von Remak2) und Goette3) vollständigen Aufschluss gegeben haben (Fig. 51 — 53). Als Eigen- thüinlichkeiten derselben sind besonders hervorzuheben: das lange Bestehen der Furchungshöhle (s) neben der Urdarmhöhle (a), welche zum grössten Theile mit Dotterzellen ausgefüllt ist, und deren Urmund (o) durch den BAER'schen Dotterpfropf (gewöhnlich mit Unrecht nach Ecker benannt) ausgefüllt wird. Daher ist eine scharfe Grenze weder zwischen der Amphimorula (Fig. 51) und der Amphiblastula (Fig. 52), noch zwischen dieser letzteren und der Amphigastrula (Fig. 53) zu ziehen. Eine ganz eigenthümliche Modifikation der inaequalen Fur- chung und der Amphigastrula-Bildung scheinen die Säugethiere darzubieten. Seit den ersten genauen Beobachtungen, welche uns Bischoff4) über die Eifurchung der Säugethiere gegeben hat, nimmt man allgemein an, dass dieselbe als „reguläre totale Fur- chung" verläuft, in derselben primordialen Form, welche unter den Wirbelthieren sonst nur beim Amphioxus zu finden ist. Als Endproduct der wiederholten Eitheilung wird eine reguläre Archi- morula geschildert, ein solider kugeliger Zellenhaufen, der aus 1) A. Kowalevsky, P. Üwsjannikow und N. Wagner, Die Entwickelungs- geschichte der Störe. Bulletin Acad. Petersb. 1870. Tom. XIV, S. 318. 2) Robert Remak, Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbel- thiere. 1855. Taf. IX. 3) Alexander Goette, Entwicklungsgeschichte der Unke (Bombinator). 1875. Taf. I, II. 4) Bischoff, Entwicklungsgeschichte des Kaninchen-Eies. 1842. — des Hunde-Eies. 1845. 9 ]30 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. lauter gleichartigen Zellen zusammengesetzt ist1). Aus diesem soll dann eine reguläre „Keimblase oder Vesicula blast 'odermica", also eine Archiblastula entstehen, indem im Innern desselben sich Flüssigkeit ansammelt und sämmtliche Zellen zur Bildung einer einschichtigen Wand der Hohlkugel zusammentreten2). Wäre diese „Keimblase" der Säugethiere wirklich, wie man fast allge- mein annimmt, der einfachen Archiblastula des Amphioxus, der Ascidien und anderer archiblastischer Thiere homolog, so müsste der mit klarer Flüssigkeit gefüllte Hohlraum die Furchungs- höhle sein. Nun ist derselbe aber vielmehr, wie sich aus der späteren Entwickelung zweifellos ergiebt, die Höhle des mit Flüs- sigkeit gefüllten Dottersacks, oder — mit anderen Worten — die Urdarm höhle. Unmöglich aber kann sich die Furchungshöhle, welche zwischen Exoderm und Entoderm liegt, unmittelbar in die ganz davon geschiedene, bloss vom Entoderm umschlossene Ur- darmhöhle umwandeln. In der That liegen aber die Furchungs-Verhältnisse der Säuge- thiere nicht so einfach, wie man bisher annahm, sondern vielmehr ziemlich complicirt. Das lässt sich schon a priori erwarten aus dem Verwandtschafts-Verhältniss der Säugethiere zu den übrigen Verte- braten. Unmöglich können die Mammalien als höchst entwickelte Classe des Stammes den ursprünglichen einfachsten Process der primordialen Furchung bis heute conservirt haben, den allein der Amphioxus noch besitzt, während alle übrigen Wirbelthiere modi- ficirte Furchungsformen zugleich mit dem Nahrungsdotter erwor- ben haben. Auch ist ja in der That die Archigastrula, die das Resultat der primordialen Furchung sein müsste, nirgends bei den Säugethieren nachzuweisen und ich habe desshalb schon in der Anthropogenie (S. 166) ihre Eifurchung als „pseudototale" be- zeichnet. Ausserdem lässt sich aber schon aus den wenigen und lückenhaften Beobachtungen, die überhaupt über die Furchung der Säugethiere vorliegen, mit Sicherheit schliessen, dass hier nirgends primordiale, sondern überall abgeleitete und modificirte Furchungs- Verhältnisse sich finden. Leider sind die höchst wichtigen Vorgänge, welche die Ei- furchung der Säugethiere begleiten, bisher noch viel zu wenig er- forscht, und neue, umfangreiche und mit Rücksicht auf die leitende 1) Die angebliche Archimorula des Säugethieres ist von Bischoff abge- bildet: „Kaninchen-Ei" Taf. IV, Fig. 28, 30; „Hunde-Ei" Taf. II, Fig. 16, 19. 2) Die angebliche Archiblastula des Säugethieres ist von Bischoff abge- bildet: „Kaninchen-Ei", Taf. VI, Fig. 35. 36; Taf. VII, Fig. 37. Eifurchung u. (iustruhihildmig in <1. Ihuiptgruppen d. Tiden oirhs. ]3i Gastraea-Theorie angestellte Untersuchungen sind das dringendste Bedürfnis*. Von den drei llauptgruppen der Säugethiere sind die beiden niederen. Monotrenien und Didelphien, überhaupt nocli gar nicht auf die Furchung untersucht, und nur über einige wenige Pia centalien besitzen wir unvollständige und unzureichende Beob- achtungen. Von den grossen Eiern der Monotrenien, die einen mächtigen Nahrungsdotter besitzen, lässt sich mit Sicherheit ver- muthen, dass sie discoidale Furchung besitzen und eine Disco- gastrula bilden werden wie die Vögel und Reptilien. Dasselbe gilt vielleicht auch von einem Theile der Marsupialien (?), während ein anderer Theil derselben (und wohl die grosse Mehr- zahl) sich vermuthlich an die Placentalien anschliessen wird. Die Placentalien der Gegenwart besitzen wahrscheinlich sämmt- lich inae quäle Furchung und bilden eine eigentümlich modi- ficirte Amphigastrula. Man könnte versucht sein, diese un- mittelbar von derjenigen der Amphibien abzuleiten, da ja die Säuge- thiere überhaupt — direct oder indirect — jedenfalls als Descen- denten der Amphibien aufzufassen sind. Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass die Amphigastrula der Placentalien (und Didelphien V) durch Rückbildung — insbesondere durch Reduction und Verflüs- sigung des Nahrungsdotters — aus der Discogastrula der Mono- trenien und somit die inaequale Furchung der ersteren nicht pri- mär, sondern tertiär aus der secundären discoidalen Furchung der letzteren entstanden sein wird. Dass in der That die Eifurchung der Placentalien die inaequale und nicht die primordiale ist, lässt sich schon aus den Angaben und Abbildungen von Bischoff über die Keimung des Meerschweinchens und des Rehes entnehmen. Bereits in frü- hen Stadien der Furchung treten hier Furchungszellen von sehr ungleicher Grösse und Beschaffenheit neben einander auf). Aber auch schon die früheren Beobachtungen desselben Forschers über die Keimung des Kaninchens und des Hundes führen zu demselben Schlüsse. Denn jener bekannte hügelförmige oder halbkugelige „Rest von dunkeln Furchungskugeln an einer Stelle der Innen- fläche der hellen Keimblase" beweist allein schon, dass diese „Vesicula blastodermica" keine wahre primäre Archigastrula, son- dern eine modificirte secundäre oder tertiäre Amphiblastula ist, und dass schon während des Furchungsprocesses eine Differenzi- 1) Bischoff, Entwickelungsgesclnchte des Meerschweinchens, 1852 (Taf. I, Fig. 7—12). — des Rehes, 1854 (Taf. I, Fig. 5-10). 9* 132 Die Gastrula and die Eifurchung der Thicre. rung zwischen zweierlei Zellen, kleineren, hellen, animalen (Exo- derm-) Zellen, und grösseren, dunkeln, vegetativen (Entoderm-) Zellen eingetreten ist. Daraus lässt sich dann auch ferner schlies- sen, dass die Annahme einer Spaltung oder Delamination des Blastoclerms in die beiden primären Keimblätter unbegründet ist. Meines Wissens hat bis jetzt nur ein einziger Beobachter diese wichtigen Verhältnisse in der inaequalen Furchung des Säuge- thier-Eies richtig ins Auge gefasst und den Weg angedeutet, auf welchem das schwierige Verständniss der eigenthümlichen Säuger- Furchung gesucht werden muss. In der kurzen vorläufigen Mit- theilung, welche Alexander Goette „Zur Entwickelungsgeschichte des Kaninchens" 1869 veröffentlichte, sagt derselbe wörtlich Fol- gendes: „An Eiern von 2 — 3 Mm. Durchmesser sah ich an der Innenfläche der hellen Keimblase einen dunkeln Fleck, oder den eigentlichen Zellenhaufen, und in weitem Umfang um denselben einen hellen Hof. welcher von einer dünnen Zellenanhäufung her- rührt (vegetatives Blatt der Keimblase der Autoren). Von dem kreisförmigen Rande dieser zarten Schichte wächst alsdann ein Ring gegen das Innere der Keimblase vor und schliesst sich bald zu einer continuirlichen Haut, welche sich an jene Zellenschichte, aus deren Umschlage sie hervorging, anlegt." l) Offenbar ist dies ganz derselbe Vorgang, den ich oben vom discoblastischen Teleo- stier-Ei (Taf. IV und V) näher geschildert habe. Der Unter- schied ist nur der, dass statt des soliden grossen Nahrungsdotters hier die mit Flüssigkeit gefüllte Keimblase der Säugethiere sich findet. Diese sogenannte Keimblase ist aber nicht homolog der wahren primären Archiblastula , sondern vielmehr als eine secun- däre Amphiblastula aufzufassen, vielleicht sogar richtiger als eine Discoblastula , bei welcher der hügelförmig innen vorspringende „Rest von dunkeln Furchungskugeln" die Grundlage des Frucht- hofs, den wahren Blastodiscus darstellt. Wie Goette in seiner Keimesgeschichte der Unke wohl richtig bemerkt (S. 144) „muss man sich dazu die Dotterzellenmasse des holoblastischen Eies nach- träglich aufgelöst und verflüssigt denken", und man muss ferner annehmen (S. 866 Anm.), „dass die während der Auflösung des Nahrungsdotters secundär entstehende einschichtige Keimblase in keiner unmittelbaren Beziehung zur Gastrula steht, sondern eine von dem eigentlichen Eie sich ablösende zellige Eihülle darstellt, 1) Alexander Goette, Centralblatt für die medic. Wissensch. Berlin 1869. No. 55. Eifurchung u. Gastrulabildung in d. Hauptgruppen d. Thierreichs. 133 welche auch thatsächlich in der Bildung des Chorion aufzugehen scheint1'. Die Abbildung, welche Bischoff (1. c. Tab. II, Fig. 19—24) von der Blastula und Gastrula des Hunde-Eies giebt, scheint diese Auflassung lediglich zu bestätigen. Offenbar entsteht auch hier die eigentümliche Amphigastrula durch Invagination aus der Amphiblastula ; und höchst wahrscheinsch gilt dies für den Men- schen ebenso wie für alle übrigen Placentalthiere. Ich fasse dem- nach die inaequale Eifurchung der Placentalien (die ich in der Anthropogenie als „pseudototale'1 bezeichnet habe) als eine beson- dere Modifikation auf, welche durch Verflüssigung und Rückbildung des Nahrungsdotters phylogenetisch aus der discoidalen Furchung der Monotremen und überhaupt der älteren Vorfahren der Säuge- thiere (insbesondere der Protamnien) entstanden ist. Deingeniäss ist auch die Amphigastrula der Placentalien aus der Discogastrula der Monotremen (resp. der Promammalien) phylogenetisch hervor- gegangen. Die grösste Rolle spielt im Stamme der Wirbelthiere die dis- coidale Furchung und die daraus hervorgehende Disco- gastrula (Taf. IV und V). Die grosse Mehrzahl aller jetzt lebenden Vertebraten scheint diesem Furchungsprocesse unterwor- fen zu sein, nämlich : alle echten Fische mit Ausnahme der Ganoi- den (also sämmtliche Selachier und Teleostier), wahrscheinlich ein Theil der Amphibien (SalamandraV), und die umfangreichen Klas- sen der Reptilien und Vögel, vermuthlich auch die Monotremen und ein Theil der Didelphien (?). Bei weitem am häufigsten und genauesten ist der Furchungs-Process hier beim Hühnchen unter- sucht worden, und dieser Umstand war insofern sehr verhängniss- voll, als gerade dieses Object zu den schwierigsten gehört. Daher ist die grosse Mehrzahl aller Untersuchungen über die Keim- blätter des bebrüteten Hühnchens fehl gegangen. Erst in neuester Zeit ist es den sorgfältigen Untersuchungen von Goette ') und Räuber2) gelungen, auch hier das wahre Sachverhältniss klar zu er- kennen und auf die Gastrulabildung durch Einstülpung zurückzu- führen ; sowie die wesentliche Uebereinstimmung nachzuweisen, die in der Gastrulabildung der Vögel und der Fische besteht. Uebri- gens hat schon vor 22 Jahren der Strassburger Embryologe Lere- 1) Alexander Goette, Die Bildung der Keimblätter und des Blutes im Hühner-Ei, Arch. für mikr. Anat. 1874. Bd. X, S. 145. 2) A. Rauber, Leber die embryonale Anlage des Hühnchens. II. Die Gastrula des Hühnerkeims. Berlin. Medicin. Centralblatt 1874 No. 50. 1875 Xo. 4, 17. 134 Die ßastrula und die Eifurchung der Thiere. boullet die Gastrulabildung bei den meroblastischen Fisch-Eiern richtig erkannt und hat die Discogastrula der Knochenfische (z. B. vom Hecht) ganz klar beschrieben und abgebildet (Taf. III, Fig. 50) *). Wenn man von diesem, nunmehr endgültig gewonnenen festen Boden aus die zahlreichen und sehr divergirenden, oft sich direct widersprechenden Angaben der Autoren über die Eifurchung der discoblastischen Wirbelthiere vergleicht, so gewinnt man die Ueber- zeugung, dass auch hier wieder unter der Fülle mannichfaltiger Erscheinungen überall ein und derselbe discoidale Keimungs-Pro- cess, die Bildung der Discogastrula, verborgen ist. Theils die Schwierigkeit des Objectes, theils die mangelhaften Untersuchungs- Methoden der Beobachter, theils und vor Allem aber der Mangel der leitenden phylogenetischen Gesichtspunkte , welche durch die Gastraea-Theorie gegeben sind, verschulden hier die Masse der Irrthümer, mit denen die bezügliche umfangreiche Literatur ange- füllt ist. Die Schwierigkeiten, alle die verschiedenen Vorgänge, die hier bei den verschiedenen discoblastischen Wirbelthier-Eiern vorkommen sollen , auf die fundamentale Entstehung der Disco- gastrula durch Invagination der Discoblastula (Taf. IV und V) zurückzuführen, sind vom Standpunkte der Gastraea-Theorie aus nicht grösser, als die leicht lösbaren Schwierigkeiten, welche sich der Zurückführung aller verschiedenen Formen der amphiblasti- sChen Keimung auf die ursprüngliche Urform der archiblastischen Keimung entgegenstellen. Dabei ist noch besonders zu berück- sichtigen, dass die verschiedenen Modificationen der Discogastrula- 1) Lereboullet, Kecherches d'Embryologie eomparee sur le developpemeirt du Iirochet, de la Perche et de l'Ecrevisse. Mein, de l'Acad. des sc. (sav. etrang.). Paris 1853. Tom. XVII. Brochet, PI. I, Fig. 17-27. Die Entste- llung der Discoblastula des Hechtes durch Einstülpung ist hier ganz deutlich mit folgenden Worten beschrieben (p. 488) : „Vers la tin du premier jour le germe embryonnaire a pris la forme d'uue vesicule plus ou moius aplatie, re- posant sur le vitellus {„Discoblas1ulau !). Pendant la premiere moitie du se- cond jour la vesicule blastodermique s'aplatit de plus en plus; ses deux parois opposees se touchent, et eile se moule comme une sereuse autour de la por- tion de 1'oeuf, qu'elle recouvre , comme le ferait üri verre de montre. Gette nouvelle calotte est d'abord plus epaisse ä son centre ; mais, quand eile com- mence ä s'etendre, en s'aplatissant de plüB en plus, c'est le contraire qui a Heu: sa partie centrale sainiucit, taiulis que son rebord circulaire devient plus epais et forme un veritable bourrelet autour de 1'oeuf. On peut eucore, ä cette epoque, reconnaitre et separer les deux feuillets qui composent la calotte blastodermique {„Discogaslruh" !). Eifurchung u. Gastrulaluldung in d. Ilauptgruppen d. Thierreichs. 135 bildung bei den verschiedenen diseoblastischen Wirbelthieren eine zusammenhängende Stufenleiter darstellen, welche sich unten un- mittelbar an die Amphigastrula der amphiblastischen Vertebraten anschliesst, während sie oben (bei unverhältnissmässig grossem Nahrungsdotter) eine ganz davon verschiedene eigenthümliche Kei. mungsform zu bilden scheint. Während dort noch der Nahrungs- dotter am Furchungsprocesse mehr oder minder Antheil nimmt, ist er hier zuletzt ganz davon ausgeschlossen. Bei den Selachiern entsteht offenbar die Discogastrula durch Invagination der Discoblastula (Taf. III, Fig. 49) ; wir können dies aus Balfour's wichtigen Mittheilungen über die Ontogenie der Hai- tische schliessen, obwohl dieser Autor eine eigentliche „Involution" hier nicht zugiebt '). Ebenso lassen sich die sehr mannichfaltigen und widersprechenden Angaben über die Keimung der Teleostier bei sorgfältiger kritischer Vergleichung sämmtlich auf die discoi- dale Furchung zurückführen, wie ich sie oben vom Gadoiden-Ei beschrieben habe (Taf. IV und V). Unter allen Autoren hat Goette hier den Keimungs-Process am richtigsten (vom Forellen- Ei) beschrieben. „Nach beendigter Furchung bilden die Zellen des Keimes eine linsenförmige Scheibe, welche in einer entspre- chenden Vertiefung des Dotters ruht („Discomorula", vergl. auf Taf. IV meine; Fig. 59, 60, 73). Darauf verdünnt sich die Mitte des Keimes und löst sich vom Dotter, so dass zwischen beiden die Keimhöhle entsteht („Discoblastula'', Fig. 61, 62, 74). Dann schlägt sich der Rand des Keimes auf einer Seite nach unten um und breitet sich an der unteren Fläche des Keimes aus. Dasselbe ge- schieht später an der übrigen Peripherie. So besteht der Keim aus zwei Schichten, welche im verdickten Rande zusammenhängen („Discogastrula", Fig. 63 — 66, 75, 76). Wo jener Umschlag be- gann, bildet sich die Embryonal-Anlage, indem die tiefere Schicht sich in zwei Blätter sondert, so dass dort im Ganzen drei Blätter über einander liegen"2). Durch diese vollkommen naturgetreue Darstellung Goette's, die mit meinen eigenen Beobachtungen über verschiedene Teleostier-Eier völlig übereinstimmt, sind alle die übrigen abweichenden Angaben anderer Autoren über die Keimung der Knochenfische erledigt , so insbesondere diejenigen von Carl 1) Balfour, Development of tue Elasmobraiich Fishes. Quart. Jouru. of Mikr. Sc. 1874. Xo. LVI. 2) Alexander Goette, Der Keim des Forellen -Eies. Berlin, median. Centralbl. lt>0t», No. 26. Ausführliche Darstellung im Aren. f. mikr. Anat. 1873, Bd. IX, S. 683. Tai'. XXVil. 136 Die Gastrnla und die Eifurchung iler Thiere. Vogt1), Kupffer2), van Bambecke3), Rieneck4), Oellacher n), Stri- cker6) u. s.w. Unter diesen Mittheilungen sind diejenigen Kupffer's von besonderem Interesse und stimmen auch in vielen Beziehungen mit unseren eigenen Beobachtungen überein ; die Discogastrula von Gasterosteus ist daselbst abgebildet auf Taf. XVI, Fig. 1 — 3; von Gobius auf Taf. XVII, Fig. 16 — 20. Die discoidale Furchung und die Discogastrula-Bildung der Reptilien ist bisher noch nicht genauer untersucht; indessen kann es a priori nicht zweifelhaft sein, dass dieselbe im Wesentlichen völlig mit der Keimung der nahverwandten Vögel übereinstimmen wird, lieber diese haben uns, wie schon angeführt, erst die neuesten Untersuchungen von Goette7) -und Rauber8) (1. c.) einen völlig befriedigenden Auf- schluss gegeben, indem sie auch hier, ganz wie bei den Teleostiern, die Entstehung der Discogastrula durch Invagination der Discoblastula nachgewiesen haben (Fig. 54). Dadurch sind auch hier alle die zahlreichen entgegenstehenden Angaben ande- rer Beobachter in einem , der Gastraea-Theorie vollkommen ent- sprechenden Sinne erledigt, so insbesondere diejenigen von Remak9), 1) Charles Vogt, Embryologie des Salmones. Xeuehätel 1842. 2) Kupffer, Beobachtungen über die Entwickelung der Knochenfische. Arch. f. mikr. Anat. Bd. IV, 1868. S. 209, Taf. XVI— XVIII. 3) van Bambecke, Embryogenie des poissons etc. Compt. rend. Tom. 74. jjo. 16. 4) Kieneck, Ueber die Schichtung des Eorellen-Keims. Arch. f. mikr. Anat. 1869. Bd. V, S. 356. Taf. XXI. 5) Oellacher, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Knochenfische. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1873. Bd. XXII, S. 371. Bd. XXIII, S. 1. 6) Salomon Stricker, Handbuch der Gewebelehre. 1872. S. 1211. 7) Goette, Die Bildung der Keimblätter im Hühner-Ei. 1874 (1. c. S. 162): „Ein Theil der aus der Dotter-Theilung hervorgehenden Zellen sondert sich zu einer primären Keimschicht ab („Diseomorula"), welche bei ihrer Ausbrei- tung sich verdünnt, dabei einen dickeren Rand erhält („Discoblastula'") und darauf von diesem durch eine Art von Umschlag nach unten und innen („Invagination") die secundäre Keimschicht erzeugt („Discogastrula"). 8) Rauber, Die Gastrula des Hühnerkeims (1. c.) betont zum ersten Male gehörig die Bildung der wahren Discoblastula der Vögel, als einer wirk- lichen „Keimblase", deren untere Hälfte der oberen sich nähert und an- schmiegt (1. c). His, der anfangs diese richtige Auffassung Rauber's auf das heftigste bekämpfte, suchte später, nachdem er sich von ihrer Richtigkeit über- zeugt hatte, sie erstereni zu entziehen und als sein Eigenthum auszugeben! Vergl. die beiderseitigen Erklärungen im Berlin, medic. Centralblatt 1875. 9) Remak, Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbelthiere. 1850 Pin f (in f ersten {Mitogenetischen Bntwickelungsfitüfen. 137 His '), Peremeschko2), Oellaohbr 3), Schenk '), Kölmker6) und vie- len anderen Autoren. Unter sich in vielfachem und unvereinbarem Widerspruche, konnten diese letzteren auch mit der Gastraea- Theorie nicht zusammenstimmen. Die gleiche discoidale Furchung und Discogastrula-Bildung wie die Fische, Reptilien und Vögel werden voraussichtlich auch die Monotr einen unter den Säugethieren besitzen und viel- leicht auch ein Theil der Didelphien. Aus dieser Keimungsform wird diejenige der Piacentalien durch Verflüssigung und Rück- bildung des Nahrungsdotters hervorgegangen sein. Dass auch die inaequale Furchimg und die Amphigastrula-Bildung der Placenta- licn (mit Inbegriff des Menschen; demgemäss ursprünglich auf In- vagination einer Blastula (oder Blastosphaera) zurückzuführen ist, wurde bereits vorher ('S. 133) gezeigt und soll hier schliesslich nochmals ausdrücklich hervorgehoben werden. Während so bei den Vertebraten die discoidale Furchung und die Discogastrula die grösste Bedeutung besitzt, fehlt die super- ficiale Furchung und die Perigastrula in diesem Stamme ganz; ein sehr charakteristischer Gegensatz zu den Arthropoden, bei denen umgekehrt diese letzte Form der Eifurchung und Ga- strulation die grösste Rolle spielt. In allen Fällen aber lassen sich diese cenogenetischen Formen der Gastrulation direct oder indirect (durch Vermittelung der inaequalen Furchung und Amphi- gastrula-Bildung) auf die ursprüngliche, palingenetische Form der primordialen Furchung und der Archigastrula-Bildung zurückführen. 12. Die phylogenetische Bedeutung der fünf ersten (Mito- genetischen Entwickelungsstufen. I. Das Moner und die Monerula. Wenn die Descendenz-Theorie wahr ist, wenn die tausend- fältigen Formen der Organismen nicht durch übernatürliche Schö- pfung, sondern durch natürliche Entwickclung aus gemeinsamen 1) llis, Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthierleibes. Ib(i8. 2) Pekemeschko, Ueber die Bildung der Keimblätter in: Hübner-Ei. Wien, Akadera. 8itzungsber. 1868. 3j Oellacher, Untersuchungen über die Furchung und Blätterbildung im Hühner-Ei. Wien 1870. 4) Schenk, Vergleichende Embryologie der \\ irbelthiere. "Wien 1874. 5) KöLLiKEE, Zur Entwickelung der Keimblätter im Hübner-Ei. Würz- burger Verbaudi. 1874. Neue Folge Bd. VII 1. 138 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. einfachen Stammformen entstanden sind , so existirt auch jener innige Causal-Nexus zwischen Ontogenie und Phylogenie, welcher in unserem biogenetischen Grundgesetze seinen präcisen Ausdruck findet. Jede Keimform ist dann ursächlich auf eine frühere Stamm- form zu beziehen; und zwar ist die erstere eine mehr oder min- der treue Wiederholung der letzteren, wenn die Keimesgeschichte vorwiegend palingenetisch ist; hingegen wird die Zurückfüh- rung der Keimform auf die entsprechende Stammform mehr oder minder schwierig sein, wenn der ontogenetische Process vorwiegend cenogenetisch verläuft. In allen Fällen aber wird es möglich sein, bei richtiger kritischer Beurtheilung der palingenetischen und cenogenetischen Verhältnisse, die verschiedenen Keimformen der verwandten Organismen auf ursprüngliche gemeinsame Stammfor- men zurückzuführen. Von diesem phylogenetischen Gesichtspunkte aus betrachtet gewinnt die Untersuchung der ontogenetischen Thatsachen. welche uns die Eifurchung und die Gastrulation der Thiere darbietet, ein ausserordentliches Interesse. Denn sie führt uns zur Erkenntniss der ältesten und ursprünglichsten Entwickelungs-Verhältnisse des Thierreichs in jener altersgrauen laurentischen Urzeit hinab, über deren primordiale Fauna uns keine Versteinerungen Aufschluss geben können. Sie gewährt uns die Möglichkeit, den zusammen- hängenden und ununterbrochenen Entwicklungsgang aller Thier- formen bis zum ältesten, durch Urzeugung entstandenen Moner hinab zu verfolgen. Sie eröffnet uns zugleich die Möglichkeit, die Formverwandtschaft der Thiere nicht bloss innerhalb der „Typen" oder „Phylen" annähernd festzustellen, sondern auch darüber hin- aus den gemeinsamen ursprünglichen Zusammenhang der ver- schiedenen Typen an ihrer Wurzel zu erkennen und so durch die Gastrula ein natürliches monophyletisches System des Thierreichs vorzubereiten. Gerade darin liegt ja, wie ich schon früher (im 5. und 6. Abschnitte) gezeigt habe, die hohe allgemeine Bedeutung der Gastraea-Theorie. Die Reihe von zusammenhängenden monistischen Vorstellungen, welche hierbei für meine monophyletische Auffassung des Thier- reichs maassgebend sind, habe ich bereits in früheren Schriften so ausführlich erläutert, dass es unnöthig ist, dieselben hier nochmals zu wiederholen. Ich verweise in dieser Beziehung namentlich auf den zweiten Band der „Generellen Morphologie" (1866) und auf den ersten Band der „Monographie der Kalkschwämme" (1872). Dagegen scheint es mir angemessen, hier noch einmal kurz auf Die fünf ersten QUftogenetfechen Entwiekelungsstufen. 139 eine zusammenhängende (Jebersieht der fünf ersten ontogenetischen Entwiekelungsstufen der Metazoen und auf deren phylogenetische Bedeutung zurückzukommen. Zwar habe ich auch diese bereits im vierten und siebenten Capitel der „Kalkschwämme" (S. 342—347 und S. 464—473) eingehend besprochen. Aber es fehlten mir da- mals bei Begründung der Gastraea-Theorie nach mancherlei wich- tige Thatsachen, die erst durch die Forschungen der letzten Jahre an das Licht gefördert worden sind; und es blieben damals ver- schiedene Lücken und dunkle Stellen übrig, die ich erst jetzt be- friedigend auszufüllen und aufzuhellen im Stande bin. Doch werde ich mich bei dieser Ausführung kurz fassen, um so mehr, als bereits meine 1874 erschienene „Anthropogenie" das Wichtigste enthält (vergl. namentlich den VI. und XVI. Vortrag). Die VI. synoptische Tabelle (S. 66), auf welcher „die fünf ersten Keimungsstufen der Metazoen mit ihren fünf ältesten Ahnenstufen verglichen" sind, ist eine verbesserte Wiederholung der entsprechenden Tabelle, welche ich schon seit Jahren in der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" ('S. 444) gegeben habe und welche auch in der „Anthropogenie" (S. 396) verwerthet worden ist. Um die fünf primordialen Entwiekelungs- stufen des Thier-Körpers, welche hier in natürlicher Reihe auf einander folgen, als gemeinsames Erbgut sämmtlicher Metazoen, von den Spongien und Korallen bis zu den Affen und Menschen hinauf anzuerkennen, ist es nothwendig, zunächst nur die ur- sprüngliche palin genetische Form derselben in's Auge zu fas- sen, wie sie uns die archiblastischen Thiere darbieten (Erste Spalte, a, in der VII. Tabelle, S. 67). Das Verständniss der entsprechen- den Stufen bei den amphiblastischen , discoblastischen und peri- blastischen Thieren (zweite, dritte und vierte Spalte in der VII, Tabelle, b, c, d) ergiebt sich erst, wenn man diese sämmtlich als cenogenetische betrachtet und sie als seeundäre Modifika- tionen auf die erstere, palingenetische Form zurückführt. Die erste Stufe der Metazoen-Keimung, die Monerula, ist vor Allem desshalb von hohem Interesse, weil sie nach dem biogenetischen Grundgesetze als die ontogenetische Wiederholung der primordialen Urform aller Organismen, des Moneres zu deu- ten ist (Vergl. Kalkschwämme, Bd. I, S. 330, 342; Anthropogenie. S. 143, 384). Jede natürliche Entwickelungs-Theorie, welche kein Wunder, keinen übernatürlichen Eingriff zweckthätiger Schöpfer- kräfte in den natürlichen und notwendigen Entwickelungsgang der Körperwelt zulässt, ist gezwungen, die erste Entstehung lebender Organismen auf unserem Erdball durch die unentbehrliche Hypo- 140 l^e Gastrula und dip Eifurchung der Thiere. these der Urzeugung zu erklären. Vernunftgemäss ist aber nur diejenige specielle Form dieser Hypothese zulässig, welche ich als „Autogonie der Moneren" im VI. Capitel der „Generellen Morphologie" (S. 167— 190) und in den „Studien über Moneren" (1870) eingehend erörtert habe. In letzterer Arbeit ist insbesondere der Abschnitt über „Bathybius und das freie Protoplasma der Meerestiefen" (S. 86—106), sowie über „Die Moneren und die Ur- zeugung" (S. 177—182) zu vergleichen. Wenn nun demgemäss die Moneren, als die denkbar einfach- sten unter allen Organismen, diejenigen Urformen des Lebens sind, auf die wir den ältesten Ursprung aller übrigen Organismen phylo- genetisch zurückzuführen gezwungen sind, so ist es offenbar eine ontogenetische Thatsache vom allerhöchsten Interesse, dass auch die meisten, wenn nicht alle, höheren Organismen ihre individuelle Existenz in einer Form beginnen, welche denselben morphologischen Werth besitzt, wie das Moner, in der Form der Cytode. Die allermeisten unter den neueren und genaueren Untersuchungen über die Ontogenie der Metazoen stimmen darin überein, dass die thierische Eizelle entweder vor oder nach der Befruchtung ihren Kern (das „Keimbläschen") verliert und somit von der höheren Plastiden-Form der kernhaltigen Zelle auf die niedere Plastiden- Form der kernlosen Cytode zurücksinkt. Wenn diese höchst merkwürdige und bedeutungsvolle Thatsache richtig ist, so kann sie nach dem biogenetischen Grundgesetze nur als „Rückschlag der einzelligen Urform in die primordiale Stammform des Moner es" gedeutet werden, wie ich bereits bei verschiede- denen Gelegenheiten, insbesondere in der Ontogenie der Kalk- schwämme (Bd. I, S. 330) hervorgehoben habe. Allerdings ist ausdrücklich zu bemerken, dass jene merkwür- dige Thatsache, auf die wir diesen Schluss gründen, keineswegs unbestritten dasteht. Bekanntlich haben verschiedene Beobachter und darunter Zoologen ersten Ranges : Baer, Johannes Müller, Gegenbaur, Leydig — behauptet, dass das Keimbläschen nicht ver- schwinde, sondern persistire und der directe Stammvater aller „Furchungszellen" sei, die durch wiederholte Theilung aus dem- selben hervorgehen. Ich selbst habe mich in meiner „Entwicke- lungsgeschichte der Siphonophoreir (Utrecht, 1869) auf Grund eigener Beobachtungen dieser Ansicht angeschlossen, „welche für die theoretisch wichtige Frage von der Continuität der Zellen- generationen von hoher Bedeutung ist" (1. c. p. 18). Diesen „po- sitiven" Beobachtungen gegenüber stellt nun allerdings die grosse Die tun! ersten ontogenetixclien Kntwickolungsstiit'en. 141 Mehrzahl der neueren Beobachter die „negative" Behauptung auf, dass „das Keimbläschen verschwinde" (1. c. p. 18, Anmerkung!). An seine Stelle soll ein neuer Nueleus, der „Cytula-Kern •' oder der „Kern der ersten Furchungskugel" treten. Dieser soll aus dem Plasson der Eicytode durch Differenzirung in I>rotoi)lnsma und Nueleus entstehen und durch fortgesetzte Theilung die Kerne säitimtlicher .,Furchungszellenu erzeugen. Die Beobachter, die diese Ansicht vertreten, zerfallen aber wieder in zwei verschiedene Gruppen, indem die einen das Keim- bläschen vor erfolgter Befruchtung der Eizelle, die anderen nach derselben verschwinden lassen — eine Differenz, die principiell von hoher Bedeutung ist. Denn im letzteren Falle würde der „Rückschlag der Zellenform in die primordiale Cytodenform" (oder die „Monerula") als die unmittelbare Folge des Befruchtungs-Actes erscheinen und demnach von viel höherer phylogenetischer Bedeu- tung sein, als im ersteren Falle. Dabei kömmt die schwierige Frage von der Natur der Befruchtung und der geschlechtlichen Zeugung überhaupt in's Spiel. Nach unserer morphologischen Auffassung ist diese wesentlich als „Verwachsung oder Concrescenz zweier verschiedener Zellen zu betrachten, der weiblichen Eizelle und der männlichen Spermazelle" (Anthropogenie , S. 135 — 138). Dass der letzteren dabei eine ebenso wichtige physiologische Rolle wie der ersteren zukömmt, ergiebt sich einfach aus der Thatsache der amphigonen Vererbung (Generelle Morphologie, Bd. II, S. 183). Denn diese höchst wichtige, obwohl von den bisherigen Fortpflanzungs-Theorien nicht entfernt gewürdigte Thatsache lehrt uns, dass jeder geschlechtlich erzeugte Organismus eine Summe individueller Eigenschaften von beiden Eltern erbt. Der Beginn der individuellen Existenz ist daher für jeden durch Amphigonie entstandenen Organismus in den Augen- blick der Befruchtung zu setzen, in das Moment, in wel- chem die Verschmelzung oder Concrescenz der beiderlei Sexual- zellen thatsächlich stattfindet. Ist nun die nächste Folge dieser Concrescenz wirklich das „Verschwinden des Keimbläschens", so repräsentirt der Organismus im Beginne seiner individuellen Existenz eine Cytode, welche als das gemeinsame Product der weiblichen Eizelle und der männ- lichen Spermazelle die erblichen Eigenschaften von Beiden in sich vereinigt. Die Zelle aber, welche aus dieser „Monerula" durch Neubildung eines „ersten Kernes" entsteht, ist natürlich ein ganz anderes Wesen, als die ursprüngliche Eizelle; und der neugebildete 142 r)iß Gastrula und die Eifurchung der Tbiere. Kern dieser „Cytula" oder „ersten Furchungskugel" ist etwas ganz Anderes, als das ursprüngliche Keimbläschen. Bei den zahlreichen und unvereinbaren Widersprüchen, welche augenblicklich in der umfangreichen ontogenetischen Literatur be- treffe der wichtigsten Verhältnisse der Befruchtung sich gegen- überstehen, erscheint es unfruchtbar, hier noch weitere Reflexionen über deren Bedeutung anzustellen. Diese grosse offene Frage kann nur durch erneute Anstellung zahlreicher Beobachtungen über die Befruchtung verschiedener Organismen aus allen Klassen erledigt werden. Einen neuen Anstoss dazu haben die sehr wich- tigen Untersuchungen von Auerbach1), Bütschli2), Strasburger3) und Oscar Hertwig gegeben. Der letztere hat während unseres gemeinsamen Aufenthaltes auf Corsica im Frühling dieses Jahres eine lange Reihe von höchst sorgfältigen Beobachtungen über die Befruchtung von Toxopneustes lividus angestellt, welche ein neues Licht auf diese wichtige Frage zu werfen scheinen. Da dieselben aber noch nicht publicirt sind, enthalte ich mir hier jeder weite- ren Bemerkung darüber. Wenn ich hier als nächste Folge des Befruchtungs-Actes die Entstehung der „Monerula" annehme und diese nach dem biogenetischen Grundgesetze als eine, durch Ver- erbung bedingte pathogenetische Wiederholung der gemeinsamen autogonen Stammform des Moneres betrachte, so geschieht dies, weil die grosse Mehrzahl der neueren Beobachter darin überein- stimmt, dass „das Keimbläschen nach erfolgter Befruchtung der Eizelle verschwindet" und somit die Zelle in die Cytode zurück- schlägt. Sollte, was wohl möglich ist, dieser Rückschlag nur bei einem Theile der Thiere vorkommen, bei einem anderen Theile derselben dagegen fehlen, so würde wohl der erstere Fall als pa- lingenetischer, der letztere als cenogenetischer Process zu deuten sein. IL Die Amoebe und die Cytula. Je zweifelhafter und dunkler augenblicklich die Monerula- Frage steht, desto sicherer können wir für den monophyletischen Stammbaum der Metazoen die Cytula verwerthen, mit welchem 1) Auerbach, Organe-logische Studien. I. und IL Heft. Zur Charakteri- stik und Lebensgeschichte der Zellkerne. Breslau 1874. 2) Bütschli, Vorläufige Mittheilung über das befruchtete Ei von Nema- toden und Schnecken, sowie über die Conjugation der Infusorien und die Zell- theilung. Zeitschr. f. wissensch. Zool. 1875, Vol. XXV, S. 201 u. 426. 3) Strasburger, Ueber Zellbildung und Zelltheilung. Jena 1875. Die fünf ersten oxrtogenetSsohen Entwickelungsstufen. 14:-; Ausdrucke wir ein für alle Mal kurz die sogenannte „erste Fur- chungskugel*' oder richtiger „die erste Furchungszelle" be- zeichnen. Die grosse Mehrzahl aller besseren Beobachter stimmt gegenwärtig in der Annahme überein, dass eine solche „erste Fiirchungskugcl1' existirt. gleichviel ob diese Cytula als eine neue, aus der Monerula durch Neubildung eines Kernes entstandene Stammzelle, oder als die moditicirte und durch die Befruchtung veränderte Eizelle mit persistentem Keimbläschen zu betrachten ist. Alle Zellen , welche die Keimblätter und den daraus ent- stehenden Organismus der Metazoen aufbauen, sind Descendenten jener Stammzelle und durch wiederholte Spaltung, entweder Thei- lung oder Knospung aus der Cytula entstanden. Wenn die Be- griffe der „Theilung und Knospung" so gefasst werden, wie es in der Generellen Morphologie geschehen ist (Bd. II, S. 37 — 49), so müssen wir die beiden Formen der primordialen und superficialen Furchung als wahre Theilung der Eizelle, hingegen die beiden Formen der inaequalen und discoidalen Furchung als Knospung derselben auffassen (Anthropogenie, S. 153, 166). Zweifellos durchläuft also jeder vielzellige Organismus im Be- ginne seiner individuellen Entwickelung eine einzellige Form- stufe, und ebenso zweifellos ist die entsprechende phylogenetische Annahme berechtigt, dass auch alle vielzelligen Organismen von einzelligen ursprünglich abstammen müssen. Jede einzellige Keimform ist die palingenetische Wiederholung einer entsprechenden einzelligen Stammform. Dieser wichtige Satz ist für jeden consequenten Anhänger der Descendenz-Theorie so selbstverständlich klar und nothwendig, dass wir hier wohl auf eine weitere Begründung desselben verzichten können. Da- gegen haben wir kurz die weitere Frage zu erörtern, ob wir aus der Existenz der Cytula bei sämmtlichen Metazoen nach dem bio- genetischen Grundgesetze auf eine einzige gemeinsame einzellige Stammform derselben schliessen dürfen und ob wir die Beschaf- fenheit dieser letzteren annähernd zu bestimmen im Stande sind. Einen gemeinsamen Ursprung sämmtlicher Meta- zoen aus einer einzigen einzelligen Stammform sind wir desshalb anzunehmen berechtigt, weil unter allen hier möglichen Hypothesen diese Annahme die einfachste ist. In dem grossen Hypothesen-Gebäude der Phylogenie muss uns ganz ebenso wie in dem ähnlichen Hypothesen-Gebäude der Geologie der Grund- satz leiten, dass die einfachste Hypothese die beste ist. So lange keine bestimmten Thatsachen vorliegen, welche eine ver- 144 I''0 Gastrula und die Eifurchung der Thiere. wickeitere oder zusammengesetztere Hypothese wahrscheinlicher machen, ist die einfachste stets vorzuziehen. Und wie oft schon hat uns die Natur, die stets den einfachsten Gang geht, gelehrt, dass unter vielen aufgestellten Hypothesen die einfachste der Wahrheit am nächsten kam. Ich erinnere nur wiederholt an die allgemein anerkannte Wissenschaft der Geologie, die bei ihrem grossartigen und verwickelten Hypothesenbau ganz ebenso zu Werke geht, ganz nach denselben logischen Methoden der Induction und Deduction verfährt, wie ihre jüngere Schwester, die noch so viel- fach verkannte und angefeindete Phylogenie. Es kann nicht genug betont werden, dass diese beiden Schwestern ganz denselben Weg gehen und ganz* denselben philosophischen und naturwissen- schaftlichen Werth haben. Nur ist die Aufgabe der jüngeren Phylogenie ungleich schwieriger und verwickelter, als diejenige der älteren Geologie. „Sie ist in demselben Maasse schwieriger und verwickelter, in welchem sich die Organisation des Menschen über die Structur der Gebirgsmassen erhebt." (Anthropogenie, S. 297). Um nun demgemäss die gemeinsame Abstammung sämmt- licher Metazoen von einer einzigen einzelligen Stammform mit Sicherheit zu behaupten, wäre nur noch nachzuweisen, dass die beträchtliche und mannichfache Verschiedenheit der Cytula bei den verschiedenen Metazoen kein Argument gegen jene monophy- letische Hypothese bildet. Dieser Nachweis ist aber unseres Er- achtens bereits dadurch geliefert, dass wir unter den vier ver- schiedenen, in der VII. Tabelle (S. 67) aufgeführten Hauptformen der Cytula nur diejenige der archiblastischen Eier, die Archi- cytula, als die ursprüngliche, palingenetische, einzellige Keim- form nachgewiesen haben. Die drei übrigen Cytula-Formen sind aus dieser primordialen Urform erst cenogenetisch entstanden, durch den Erwerb des Nahrungsdotters. Bei der Amphi cytula und bei der Disco cytula hat sich der Nahrungsdotter an einem Pole (dem vegetativen Pole), bei der Pericytula hingegen im Centrum der Keimzelle angesammelt und von dem Protoplasma derselben gesondert. Diese Sonderung ist bei der Amphicytula noch unvollständig geblieben, hingegen bei der Discocytula und Pericytula vollständig geworden, so dass bei diesen beiden letzteren (meroblastischen) Keimzellen der Nahrungsdotter theilweise oder ganz vom Furchungsprocess ausgeschlossen wird. Da die cenogenetische Scheidung des Nahrungsdotters vom Bildungsdotter bei den meroblastischen Eiern durch eine immer Die t'nnt' erstell oatogenetiechen Entwi«kelungsßtüfen. 145 stärker sich geltend machende Hetero chronic immer weiter in die früheste Zeit der Eibildung zurückverlegt wird, so ist dieselbe gewöhnlich schon innerhalb des Eierstockes an den jungen Eiern desselben frühzeitig wahrzunehmen. Um das richtige Verständniss dieses schwierigen Verhältnisses zu erlangen, (welches den meisten damit beschäftigten Autoren wegen des Mangels phylogenetischer Gesichtspunkte ganz abgeht), ist es durchaus erforderlich, das pri- märe Ur-Ei (Proforma) von dem seeundären Nach-Ei (Metorum) scharf zu unterscheiden (Anthropogenie, S. 152). Nur das amoe- boide Ur-Ei, welches noch keinen Nahrungsdotter besitzt, die ganz junge und indifferente Eizelle, erscheint bei sämmtlichen Metazoen im Wesentlichen gleich. Diese Gleichheit wird später durch das ansehnliche Deutoplasma verdeckt, welches zum Protoplasma der Eizelle hinzutritt. Aber auch dann noch ist die Homologie sämmt- licher Nach - Eier festzuhalten , weil sie ursprünglich überall im Entoderm entstehen , und weil offenbar die amphiblastischen so- wohl als die discoblastischen und periblastischen Eier erst seeundär aus den archiblastischen Eiern durch den cenogenetischen Erwerb des Nahrungsdotters entstanden sind. Wollte man gegen diese Homologie der Eier bei sämmtlichen Metazoen geltend machen, dass dieselben nicht überall aus demselben Keimblatte ihren ersten Ursprung nehmen, so ist zu erwidern, dass dieser verschiedene Ursprung ( — wenn überhaupt richtig — ) sich durch Hetero topie, durch frühzeitige Wanderung der Eizellen aus einem Keimblatt in das andere erklären lässt, wie ich sie z. B. bei den Kalk- schwämmen thatsächlich beobachtet habe (Bd. I, S. 157 — 160). Wie die palingenetische Archicytula als die gemeinsame Ur- form aller einzelligen Keimstufen, so ist auch in gleicher Weise die Archimonerula als die palingenetische Urform aller Cytoden- Keimstufen zu betrachten, aus welcher sowohl die Amphimonerula als die Discomonerula und die Perimonerula durch die cenogene- tische Bildung des Nahrungsdotters erst seeundär hervorgegangen sind. Durch die Neubildung eines Zellen-Kernes verwandeln sich diese vier Hautformen der Monerula in die entsprechenden vier Hauptformen der Cytula. Wie wir im Stande sind, demgemäss sämmtliche Cytula-For- men aller Metazoen auf die palingenetische Urform der Archi- cytula zurückzuführen, so können wir auch durch die einfachste Hypothese die Frage beantworten, von welcher Beschaffenheit die gemeinsame einzellige Stammform der Metazoen gewesen sein mag, welche durch die einzellige Keimform der Archicytula 10 146 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. noch heute wiederholt wird. Offenbar wird jene einzellige Stamm- form ursprünglich einen möglichst einfachen und indifferenten Cha- rakter besessen haben, da alle differenzirten Formen von einzel- ligen Organismen wieder aus einer ganz indifferenten Stammform abgeleitet werden müssen. Nun sind aber unzweifelhaft die ein- fachsten und indifferentesten unter allen selbständigen einzelligen Organismen, welche wir kennen, die Arno eben. Die nackten „amoeboiden Zellen", welche weder irgend eine Hülle, noch diffe- renzirte „Plasma -Producte" in ihren ganz einfachen Zellenleibe besitzen, sind die indifferentesten und primitivsten von allen Zel- len-Arten. Demgemäss dürfen wir denn auch phylogenetisch die Amoebe als die gemeinsame, der ontogenetischen Cytula ent- sprechende, einzellige Stammform sämmtlicher Metazoen betrach- ten, wie ich bereits in der Anthropogenie ausführlich gezeigt habe (S. 93—114 und 383, 396). III. Das Synamoebium und die Morula. Die dritte Formstufe in der Keimesgeschichte der Metazoen bildet die Morula oder die Maulbeerform des Keims, das nächste Resultat der Eifurchung. Mit der Ausbildung dieser Keimform beginnt der Metazoen-Organismus sich zu einem Individuum zwei- ter Ordnung, einem vielzelligen „Morgan" zu erheben, während die beiden ersten Formstufen, Cytode und Zelle, als isolirte „Indi- viduen erster Ordnung" unter den Begriff der „Plastide oder des Elementar-Organismus" fielen. Welcher wichtige Fortschritt für die Individualitätslehre, für die tectologische Auffassung des thie- rischen Organismus damit gegeben ist, habe ich in der Tectologie der Kalkschwämme erläutert (Bd. I, S. 89 — 124). Zugleich habe ich daselbst die im dritten Buche der Generellen Morphologie (Bd. I, S. 239 — 374) aufgestellten Kategorien des organischen In- dividuums einer näheren Bestimmung und einfacheren Begrenzung unterzogen, so dass alle verschiedenen Erscheinungsformen der thierischen Individualität sich folgenden vier Hauptstufen unter- ordnen lassen : I. Plastide. II. Morgan. III. Person und IV. Stock. Die morphologische Bedeutung, welche demnach die Morula, als das nächste Product der Eifurchung, für das Metazoen-Indivi- duum besitzt, muss gleicherweise auch die entsprechende phylo- genetische Stammform beanspruchen, die wir als Synamoebium bezeichnet haben. Auch die Annahme dieser Stammform bedarf kaum einer näheren Begründung, da sie bei einigem Nachdenken Die fi'uit' ersten emtogenetischen Kntwirkolungsstnfeii. ]47 sich als noth wendige Entwickelöngsstüfe von selbst ergiebt. Denn die ersten vielzelligen Organismen, welche in früher lauren- tischer Urzeit auf unserem Erdballe auftraten, werden einfache Golonien von gleichartigen indifferenten Zellen gewesen sein und eine solche einfachste Gemeinde von amoeboiden Zellen ist auch unser hypothetisches Synamoebium. Wenn anfänglich nur autogone Moneren entstanden und später sich aus diesen die ersten Zellen, einzeln lebende Amoeben entwickelten, wird der nächste weitere Fortschritt des organischen Lebens darin bestanden haben, dass die Nachkommenschaft dieser Einsiedler -Zellen sich zu kleinen Gemeinden versammelte und die erste „Zellen- Colonie", den ersten vielzelligen Organismus bildete. Anfangs werden alle Mitglieder dieser ältesten Zellengemeinden noch von gleicher Beschaffenheit gewesen sein, wie uns ja auch noch heute die Labyrinthuleen, viele Diatomeen, die socialen Myxodictyen und Microgromien, viele Desmidiaceen u. s. w. gleiche einfache Zeitgeschäften vor Augen führen , deren Mitglieder noch keine Differenzen zeigen. Das Synamoebium , als eine ganz indifferente Gemeinde von gesellig lebenden , ganz gleichartigen Amoeben , dürfte demnach in der Stammesgschichte der Metazoen, als die erste Stufe der vielzelli- gen Ahnenreihe, wohl keinem Bedenken unterworfen sein. Die getreue ontogenetische Wiederholung dieser dritten phylo- genetischen Formstufe führt uns noch heute die Archimorula der archiblastischen Thiere vor Augen : ebenfalls ein einfacher Haufen von ganz gleichartigen und indifferenten Zellen (Fig. 115). Wäh- rend diese palingenetische Keimform vollständig dem hypotheti- schen Synamoebium entspricht, weichen dagegen die drei anderen Hauptformen der Morula, die Amphimorula, Discomorula und Peri- morula mehr oder minder von jenem palingenetischen Urbilde des „Maulbeerkeimes" ab. Auch diese Abweichung erklärt sich ganz leicht als eine cenogenetische Wirkung des Nahrungsdotters, der von Anfang an einen mehr oder minder modificirenden Einfluss auf den Furchungs-Process ausübt. Die Differenzen, welche hier schon bei der inaequalen Furchung sich zwischen kleineren , animalen und grösseren vegetativen Zellen geltend machen , und welche bei der discoidalen und superficialen Furchung in einer sehr abwei- chenden Morula-Bildung zu Tage treten, sind selbstverständlich nicht als palingenetische Wiederholungen entsprechender selbst- ständiger Stammformen, sondern als cenogenetische Modifikationen der Archimorula aufzufassen, durch die Ausbildung des Nah- rungsdotters bedingt. 10* 148 Di° Gastmla und die Eifurchung der Thiere. Diese Auffassung ist um so mehr zu betonen, als die mannieh- faltigen Morula-Formen der verschiedenen Metazoen allerdings bei blosser ontogenetischer Vergleichung sehr beträchtliche Verschie- denheiten darzubieten scheinen. Diese Differenzen betreffen nament- lich die Grundform. Nur die palingenetische Archimorula (Fig. 115) hat die homaxonie Grundform der Kugel meistentheils con- servirt, da die Lagerungs- Verhältnisse der völlig gleichen Morula- Zellen hier noch ganz gleichartig sind. Auch die Perimorula hat in vielen Fällen die ursprüngliche Kugelgestalt noch beibehalten, während in vielen anderen Fällen bereits eine Axe ausgebildet und demnach die homaxonie Promorphe in die monaxonie (meist ellipsoide) Grundform übergegangen ist (Fig. 83 — 86). Die Amphi- morula ist ganz allgemein deutlich monaxon, weil der polare Gegensatz zwischen Bildungs- und Nahrungsdotter immer schon während des Furchungs - Processes in der Lagerung der beiderlei Zellen an beiden Polen der Urdarm-Axe sich geltend macht (Fig. 93—97; 104—108). Ebenso ist auch die Discomorula in allen Fällen von Anfang an ausgesprochen einaxig (meist linsenförmig), wie das bei der unipolaren Lagerung des Bildungsdotters nicht anders sein kann (Fig. 55—60 und 73). Alle diese und die sonst noch vorkommenden Differenzen in der Morulabildung sind selbstverständlich cenogenetischer Natur, und offenbar wieder durch den Nahrungsdotter direct oder indirect bewirkt. Dieser allein bedingt auch bei den periblastischen Eiern das eigenthümliche Verhältniss, dass das dritte und vierte Stadium der Keimung, Perimorula und Periblastula, in Eines zusammen- fallen; die Furchungshöhle ist hier von Anfang an mit Nahrungs- dotter erfüllt (Fig. 81 — 86). Wenn die Furchungshöhle sich sehr frühzeitig während der Furchung ausbildet', so ist eine scharfe Grenze zwischen drittem und viertem Stadium überhaupt nicht zu ziehen. So geht namentlich die Discomorula (durch Heterochronie) oft ganz unmerklich in die Discoblastula über (Fig. 45,46, 51, 52). Alle diese cenogenetischen Modificationen lassen sich auf die palin- genetische Archimorula zurückführen und sind durch diese auf das Synamoebium phylogenetisch zu beziehen. IV. Die Planaea und die Blastula. Mehr Angriffen und verschiedenen Ansichten als die vorher- gehende dritte und als die nachfolgende fünfte Entwicklungsstufe der Metazoen, dürfte die vierte Keimungsstufe derselben begegnen, Die fünf ersten (Mitogenetischen Entwickelungsstufen. 149 die B 1 a s 1 0 s p h a e r a oder B 1 a s t u 1 a , deren entsprechende Stamm- form wir Planaea genannt haben. Auch hier wieder kömmt Alles darauf an, sich nicht durch die mannichfach verschiedenen, secundären, cenogenetischen Formen beirren zu lassen, sondern die ursprüngliche, primäre, palingenetische Form aufzusuchen, und die ersteren auf die letztere zurückzuführen. Als diese palingenetische Urform der Blastula ist ohne Zwei" fei die Archi blastula der archiblastischen Eier aufzufassen, wie sie uns bei den niedersten und ursprünglichsten Formen der verschiedensten Klassen vorliegt, z. B. bei Gastrophysema (Fig. 116, 117), Actinia (Fig. 20), Limnaeus (Fig. 29), Amphioxus (Fig. 41). Ueberall, wo die primordiale Eifurchung in ihrer ursprüng- lichen palingenetischen Form rein abläuft und zur Bildung der Archigastrula führt, da sehen wir auch zunächst aus der Archi- morula die Archiblastula hervorgehen, aus der dann weiterhin die Archigastrula durch Invagination entsteht (Fig. 118). Ueberall scheint ursprünglich diese Archiblastula dadurch zu Stande zu kommen, dass die zusammenhängenden, meist dicht an einander liegenden, gleichartigen Zellen der Archimorula Flüssigkeit nach innen ausscheiden, durch welche sie auseinander und an die Peri- pherie des kugeligen Morula-Körpers gedrängt werden. Hier bil- den sie dann schliesslich eine einzige, zusammenhängende, einfache Zellenschicht, die Keimhaut oder das Blastoderma. Der mit Flüssigkeit oder Gallerte gefüllte Hohlraum der so gebildeten Hohlkugel ist „die BAER'sche Höhle, Keimhöhle, Furchungshöhle, Segmentationshöhle oder das Blastocoelotna" (s). Eine störende Ausnahme scheinen hier nur diejenigen archi- blastischen Eier zu machen, bei welchen die Archigastrula nicht durch Invagination, sondern durch Delamination entstehen soll; so namentlich die Eier mancher Zoophyten, sowohl Spongien, als Hydroiden. Hier soll sich theils eine einfache, echte Archiblastula bilden, die nicht durch Einstülpung, sondern durch Flächenspaltung des Blastoderms und secundären Qurchbruch der Mundöifnung an einem Pole der „Keimhöhle" entsteht, so dass letztere unmittel- bar zur „Urdarmhöhle" würde. Theils sollen sich die Zellen der Archimorula schon während der Ausbildung einer centralen Höhle von Anfang an in zwei verschiedene Zellenschichten ordnen, die zu den beiden primären Keimblättern sich gestalten, so dass also jene centrale Höhle von Anfang an nicht das Blastocoelom, sondern die Protogaster ist. In diesem letzteren Falle liegt offenbar eine cenogenetische Abkürzung der Ontogenie vor, bei 150 Die öastrula und die Eifurchung der Thiere. welcher das Blastula - Stadium einfach übersprungen wird und so die Archimorula direct in die Archigastrula übergeht. Aber auch im ersteren Falle dürfen wir wohl eine cenogenetische Mo- dification der ursprünglichen palingenetischen Bildung vermuthen — vorausgesetzt, dass überhaupt die bezüglichen, schwierig an- zustellenden Beobachtungen richtig sind. Da ich diese Verhältnisse schon früher wiederholt erläutert habe, ist es nicht nöthig, hier von Neuem darauf einzugehen, und soll nur nochmals ausdrück- lich hervorgehoben werden, dass bei einer vergleichenden Ueber- sicht aller archiblastischen Keimungsverhältnisse sich die Archi- blastula mit befriedigender Sicherheit als das ursprüngliche palin- genetische Mittelglied zwischen der Archimorula und der Archi- gastrula herausstellt. Eine andere Schwierigkeit für die Auffassung der Blastula als gemeinsamer ursprünglicher Entwickelungsform aller Metazoen er- giebt sich aus den sehr abweichenden Formen, welche dieselbe in Folge verschiedener, oft sehr weit gehender, cenogenetischer Ab- änderungen angenommen hat. Diese Schwierigkeit wird aber durch die vergleichende Zusammenstellung aller der verschiedenen Stu- fen cenogenetischer Modification gelöst, welche uns in ununterbro- chener Kette von der ursprünglichen palingenetischen Archiblastula bis zu den auffallendsten, am weitesten entfernten Modilicationen der Blastosphaera-Form hinführen. Da sind wieder besonders in- structiv die mannichfaltigen Abstufungen der inaequalen Furchung, welche sich einerseits unten an die primordiale, oben an die dis- coidale und superficiale Furchung anschliessen. Bei vielen amphi- blastischen Eiern ist die Amphiblastula nur dadurch von der palin- genetischen Archiblastula verschieden, dass die Zellen des Blasto- derms nicht alle von ganz gleicher Beschaffenheit sind. Am einen (animalen) Pole der Amphiblastula finden wir kleinere, meist hel- lere, am anderen (vegetativen) Pole grössere, meist dunklere Zellen. Der Unterschied in der Grösse und molecularen Zu- sammensetzung der beiderlei Zellen ist in vielen Fällen nur sehr unbedeutend, kaum bemerkbar; in anderen Fällen tritt er schon auffallender hervor; und endlich begegnen wir bei der Mehrzahl der aniphiblastischen Eier einer so starken Difteren- zirung der animalen und vegetativen Zellen, dass erstere sofort als Bildungszellen, letztere als Nahrungszellen erkennbar sind und sich scharf von einander scheiden (so z. B. bei Unio Fig. 26, 27 ; bei Petromyzon Fig. 45, 46; bei Bombinator Fig. 51, 52; bei Fabricia Fig. 98; bei Trochus Fig. 101) u. s. w.). Hier ist oft Die fünf ersten (Mitogenetischen Entwickelungsstufen. 151 schon der Hohlraum des Blastocoeloms sehr reducirt durch die sich hineindrängenden mächtigen „Dotterzellen" des Nahrungsdot- ters; und statt des einschichtigen Blastoderms finden wir oft von Anfang an ein mehrschichtiges. Ein Theil der letzteren Formen bildet bereits den unmittelbaren Uebergang zur Discoblast ula der discoblastischen Eier, bei denen meist nur eine enge und kleine Furchungshöhle sich findet. Die gewölbte Decke der letzteren wird von den Zellenschichten des gefurchten „Büdungsdotters", ihr ebener oder vertiefter Boden von dem voluminösen, ganz oder grösstenteils ungefurchten „Nahrungsdotter" gebildet (Fig. 49,' 54). Sehr klar liegt dies Verhältniss bei unserem pelagischen Gadoiden- Ei vor (Fig. 61, 62, 74). Dass auch bei dem am stärksten mo- dificirten discoblastischen Vogel-Ei die Furchungshöhle nicht fehle und somit auch der Hühnerkeim vorübergehend eine bedeutungs- volle Blase bilde, hat neuerdings namentlich Rauber hervorge- hoben (1. c). Er bemerkt mit Recht: „damit ist nicht etwa Gleich- gültiges behauptet; denn mit dieser Veränderung tritt das Hühn- chen in Beziehung zu weit niedriger stehenden Geschöpfen". Gleicherweise ist nun auch die P er i blast ula auf die palin- genetische Urform der Archiblastula mit Sicherheit zurückzuführen (Fig. 83 — 86). Denn diese cenogenetische Blastosphaera der peri- blastischen Eier ist ja eigentlich nur dadurch von der Archibla- stula verschieden , dass der Hohlraum der Keimhautblase , das Blastocoelom, nicht mit klarer Flüssigkeit oder Gallertmasse, son- dern mit dem massiven Nahrungsdotter erfüllt ist. Da dieser schon vor Beginn der Keimung das Centrum des Eies erfüllt, muss hier nothwendig die Periblastula mit der Perimorula zusammen- fallen. Wenn demnach alle verschiedenen Modifikationen der Blastula sich als cenogenetische Abänderungen der ursprünglichen palin- genetischen Archiblastula nachweisen lassen, so ist uns auch nach dem biogenetischen Grundgesetze die einfachste Hypothese gestat- tet, welche diese wichtige ontogenetische Thatsache phylogenetisch deutet und verwerthet. Wir dürfen dann sagen, dass sämmtliche Metazoen von einer gemeinsamen uralten Stammform abstammen, welche im Wesentlichen der Archiblastula gleichgebildet war : diese längst ausgestorbene laurentische Stammform ist die Planaea. Selbständige entwickelte Organismen, welche dieser hypothe- tischen Planaea im Wesentlichen gleich gebildet sind, leben zahl- reich auch noch in der Gegenwart. Vor allen dürften hier die coloniebildenden Flagellaten, und namentlich die Volvocinen 152 Die ßastrula und die Eifurchung der Thiore. zum Vergleich herbeizuziehen sein : frei schwimmende Gallertku- geln, deren Peripherie durch eine Schicht von gleichartigen Geissel- zellen gebildet wird. Auch die von mir an der Norwegischen Küste beobachtete Magosphaera planula, die wahrscheinlich den Volvocinen, z. B. der Synura nahe verwandt ist, tritt hier als eine der ausgestorbenen Planaea sehr ähnliche Protisten-Form in den Vordergrund '). Gleich diesen Catallacten und Volvocinen werden höchstwahrscheinlich auch die ausgestorbenen Planaeaden, die verschiedenen der Planaea nächststehenden Genera und Species, sich mittelst eines Flimmerkleides schwimmend im laurentischen Urmeere umher bewegt haben. Wenn ich hier die Bezeichnung „Planaea" für diese vierte Ahnenstufe der Metazoen beibehalte, und sie nicht durch die pas- sendere Benennung „Blastaea" ersetze, so geschieht es, um nicht noch einen neuen Namen gerade für diese Entwickelungsstufe ein- zuführen, die ohnehin "schon verschiedene andere Bezeichnungen früher erhalten hat. Die Bezeichnung Blastula für die entspre- chende Keimungsstufe hat bereits in mehreren andern Aufsätzen Eingang gefunden und ist der Kürze wegen der früher von mir gebrauchten Benennung Blastosp/taera vorzuziehen; und ebenso der älteren Bezeichnung : Pesica blastodermica. Der an anderen Orten dafür gebrauchte Name Planula wird wohl am besten ganz zu eliminiren sein, da er von vielen verschiedenen Autoren in einem ganz abweichenden Sinne verwendet wird. Dalyell, der 1847 den Ausdruck „Planula" zuerst eingeführt hat, verstand darunter wei- ter Nichts, als kleine (meist mikroskopische) flimmernde Larven von Zoophyten auf sehr verschiedenen Entwickelungszuständen. Spätere Autoren haben dann darunter bald frei bewegliche und flimmernde Formen von Morula, bald ebensolche Formen von Bla- stula, bald echte Gastrula-Formen verstanden. Ausserdem sind auch oft verschiedene, weiter entwickelte Jugendformen niederer Thiere als „Planula" bezeichnet worden, die weiter Nichts mit einander gemein haben, als geringe Grösse, einfache Körperforni und eine flimmernde Körperbedeckung. Auch der sogenannte „infusorienartige Embryo" vieler anderen Autoren gehört in die Kategorie dieser falschen „Planula". Da demnach augenblicklich gar keine allgemein anerkannte Bestimmung des Planula-Begriffes nach Inhalt und Umfang existirt, und da noch in neuester Zeit 1) E. Haeckel, Die Catallacten, eine neue l'ruti^ten-Grunpe. Jen. Zeits'cür. f. Xaturw. Vol. VI, 1871, S. 1 Tal. I. I'i«1 fünf ersten (Mitogenetischen Entwickelongsstufen. 153 viele Autoren denselben in ganz verschiedenem Sinne gebrauchen, so ist es wohl am besten, ihn ganz fallen zu lassen. Will man ihn trotzdem beibehalten, so kann man ihn vielleicht am zweck- mässigsten zur Bezeichnung jener cenogenetischen Keimform ver- wenden, die ich in der Monographie der Kalkschwämme Planula genannt habe (Bd. I, S. 332). Mit dem weitschauenden Blicke des genialen Naturphilosophen hat schon im Jahre 1828 der grosse Baer die hohe allgemeine Bedeutung der Blastula erkannt. Im ersten Bande seiner classi- schen „Entwickelungsgeschichte der Thiere" (S. 223; § 4 des V. Scholions) findet sich folgender Satz: „Je weiter wir in der Ent- wickelung zurückgehen, um desto mehr finden wir auch in sehr verschiedenen Thieren eine Uebereinstimmung. Wir werden hier- durch zu der Frage geführt: ob nicht im Beginne der Entwicke- lung alle Thiere im Wesentlichen sich gleich sind, und ob nicht für alle eine gemeinschaftliche Urform besteht. Da der Keim das unausgebildete Thier selbst ist, so kann man nicht ohne Grund behaupten, dass die einfache Blasenform die gemein- schaftliche Grundform ist, aus der sich alle Thiere nicht nur der Idee nach, sondern historisch entwickeln." Der Abschnitt, in dem dieser merkwürdige Satz enthalten ist, trägt die Ueberschrift: „Beim ersten Auftreten sind vielleicht alle Thiere gleich und nur hohle Kugeln.1' V. Die Gastraea und die Gastrula. Die fünfte ontogenetische Entwickelungsstufe der Metazoen, die Gastrula, ist zugleich die letzte, welche allen diesen Thieren ursprünglich gemeinsam zukommt. Denn von hier an scheiden sich die Wege der Keimesentwickelung ; sie führen von der mona- xonien Gastrula einerseits zu den monaxonien Spongien und den stauraxonien Acalephen, anderseits zu den dipleüren oder bilatera- len Bilaterien ; und zwar zunächst zu den WTürmern, aus denen sich die vier typischen Stämme der Mollusken, Echinodermen, Arthropoden und Vertebraten erst später hervorgcbildet haben. Da aber in der Keimesgeschichte aller dieser verschiedenen Thiere die Gastrula entweder als reine palingenetische Archigastrula oder als mehr oder weniger modificirte, auf die letztere aber zurück- führbare, cenogenetische Gastrula nachzuweisen ist, so dürfen wir nach dem biogenetischen Grundgesetze auf eine gemeinsame Ahnen- form aller Metazoen schliessen, welche der Archigastrula im We- sentlichen gleich gebildet war; und das ist die Gastraea. 154 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Da diese phylogenetische Hypothese den Kern unserer ganzen Gastraea-Theorie bildet und da alle die anderen, hier vertretenen allgemeinen Ansichten über Entwickelung der Thiere jene funda- mentale Hypothese stützen und durch sie zugleich erklärt werden sollen, so ist es nicht nöthig, an dieser Stelle nochmals die phylo- genetische Bedeutung der ontogenetischen Gastrula -Form zu be- gründen und die Gastraea als wahre Urquelle der Metazoen-Bil- dung, als wirklichen „Metazoarchus" nachzuweisen. Nur auf einige der wichtigsten Punkte, auf deren richtiges Verständniss es vor- zugsweise ankommt, möchte ich hier schliesslich wiederholt hin- weisen und damit zugleich die erheblichsten, gegen die Gastraea- Theorie erhobenen Einwendungen widerlegen. In erster Linie ist es auch hier wieder vor Allem erforder- lich, sich nicht durch die mannichfaltigen cenogenetischen Modifi- cationen der Keimform beirren zu lassen, sondern die ursprüng- liche pal in genetische Keimform scharf und bestimmt in's Auge zu fassen. Diese liegt uns ganz rein und unverfälscht in der ein- fachen Archigastrula vor, wie sie sich in identischer Form bei den niedersten Angehörigen aller Typen findet: bei Gastrophysema Fig. 119, 120; Olynthus Fig. 17; Actinia Fig. 21; Pelagia Fig. 22; Sagitta Fig. 23; Argiope Fig. 25; Limnaeus Fig. 31; Uraster Fig. 33; Amphioxus Fig. 43, 44. Wenn wir uns vorstellen, dass wir diesen verschiedenen Gastrula-Formen im Meere begegneten, ohne ihre Herkunft zu kennen, so würden wir sie ganz gewiss als unbe- deutende Modifikationen einer einzigen Entwickelungsform betrach- ten; und wenn wir sie geschlechtsreif anträfen und also als selbst- ständige Thierarten zu beurtheilen hätten, so würden wir sie ganz gewiss nur als leichte Varietäten einer einzigen „bona Species" oder höchstens als nahe verwandte Species eines einzigen Genus betrach- ten. Jeder Anhänger der Entwicklungstheorie würde kein Be- denken tragen, sie als wenig divergirende Descendenten einer ein- zigen gemeinsamen Stammform zu betrachten. Und doch liegen uns in diesen verschiedenen, so wenig von einander abweichenden Archigastrula -Formen in Wahrheit Repräsentanten sämmtlicher Metazoen-Typen vor: Zoophyten, Würmer, Mollusken, Echinodermen, Arthropoden und Vertebraten. Das ist eine Thatsache von gröss- ter Bedeutung! In jedem dieser Thierstämme sind es nur noch einzelne ur- alte Formen der niederen Klassen, welche die palingenetische Archi- gastrula seit Millionen von Jahren rein bis auf den heutigen Tag bewahrt haben. Bei der grossen Mehrzahl, und namentlich bei Die fünf ersten ontogenetischen Entwicklungsstufen. 1").") allen höher entwickelten Metazoen ist an deren Stelle eine modi- licirte cenogenetische Gastrula - Form getreten. Da finden wir zunächst im engsten Anschluss an die erstere die Amphigastrula, deren Urdarmhöhle bald noch leer, bald schon mit Dotterzellen erfüllt ist (Fig. 18, 28, 48, 53, 100, 110). Die Amphigastrula geht ganz allmählich, indem der Nahrungsdotter mächtig anwächst und damit die Theilungsfähigkeit der Dottermasse erlahmt, in die Discogast rula über. Obgleich nun diese in ihrer extremen Ausbildung sich zu einer so abweichenden Keimform gestaltet, lässt sie sich dennoch stets durch Yermittelung einer Reihe von Zwi- schenformen auf die Amphigastrula zurückführen; und selbst in jenen extremen Fällen, wie sie uns die Cephalopoden, Teleostier und Vögel darbieten, ist diese Reduction durch die neuesten Be- obachtungen möglich geworden (Fig. 37, 40, 49, 50, 54, 65, 66, 75, 76). P^benso lässt sich auch auf der anderen Seite die Peri- gastrula gleichfalls auf die Archigastrula zurückführen, und die Schwierigkeit, welche gerade diese cenogenetische Gastrula-Fonn vorzugsweise der Gastraea-Theorie entgegen zu halten schien, exi- stirt gegenwärtig nicht mehr (Vergl. Fig. 87 — 90). Demgemäss können wir zunächst eine allgemeine Homologie der Gastrula bei sämmtlichen Metazoen behaupten, und diese Be- hauptung wird begründet theils durch den gleichen morphologischen Wcith, den die beiden primären Keimblätter überall besitzen, theils durch den nunmehr gelieferten Nachweis, dass der ursprüngliche Bildungsmodus der Gastrula überall die Einstülpung oder Inva- giuation der Blastula ist. Wenn es uns nun so mit Hülfe der vergleichenden Ontogenie gelungen ist, alle die verschiedenen Gastrula-Modificationen, alle die verschiedenen Formen des „zweiblätterigen oder zweischichtigen Keimes" auf die eine gemeinsame Urform der Archigastrula zurückzuführen, so ist uns die einfachste phylogenetische Hypothese gestattet, welche diese bedeutungsvolle ontogenetische Thatsache mechanisch-causal zu deuten vermag. Diese einfachste hier mög- liche Hypothese lässt sich in dem monophyletischen Satze zusam- menfassen: Alle Metazoen stammen von einer einzigen gemeinsamen Stammform ab, welche im Wesentlichen der Archigastrula gleich gebildet war. Diese uralte, längst ausgestorbene Stammform, die schon während der laurentischen Periode gelebt haben muss und damals wahrscheinlich durch viele verschiedene Genera und Spe- cies vertreten war, ist unsere Gastraea. Die ganze hypothetische Gruppe von ausgestorbenen ältesten Metazoen, welche durch die 156 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. nächsten Descendenten der Gastraea gebildet wurde, habe ich als Gastraeaden bezeichnet. Diese ältesten Gastraeaden werden der heutigen Archigastrula im Wesentlichen ganz gleich gebildet und wahrscheinlich nur darin wesentlich verschieden gewesen sein, dass sie bereits sexuelle Dif- ferenzirung besassen. Vermuthlich werden sich bei ihnen einzelne Zellen des Entoderms zu Eizellen, einzelne Zellen des Exoderms zu Spermazellen umgebildet haben, wie es auch bei den niedersten Zoophyten (Spongien, Hydroiden) noch heute der Fall ist. Gleich den frei im Meere schwimmenden Formen der Archigastrula wer- den auch jene Gastraeaden sich mittelst Flimmerhaaren, Geissein oder Wimpern bewegt haben, welche als Fortsätze der Exoderm- zellen sich entwickelten. Ob noch heute echte, frei schwimmende Gastraeaden exi- stiren, ist nicht bekannt, indessen durchaus nicht unwahrscheinlich. Vielleicht sind manche, als Infusorien beschriebene Thierformen nicht echte, einzellige Infusionsthiere, sondern Gastraeaden. Wohl aber existiren noch heute einige festsitzende, höchst einfache Zoophyten, welche ihrer ganzen Organisation nach als Gastraeaden zu beurtheilen sind, die jedoch bisher im System einen ganz an- deren Platz besassen. Das eine von diesen noch lebenden Ga- straeaden ist das merkwürdige, von Bowerbank beschriebene Ha- liphysema1); eine andere nahe verwandte Form ist die von Carter2) unter dem Namen Squamulina scopula zu den Poly- thalamien (!) gestellte interessante Thierform, die ich Gastro- physema nenne, und deren Ontogenie auf Taf. VIII abgebildet ist. Beide Genera sind gegenwärtig noch durch mehrere Arten vertreten. Ich werde die genaue Beschreibung dieser beiden Gastraeaden der Gegenwart, Haliphysema und Gastrophy- sema, demnächst folgen lassen. Wenn die Archigastrula, wie ich für sicher halte, die getreue palingenetieche Wiederholung der Gastraea ist, dann muss auch die letztere ursprünglich eben so aus der Planaea (oder Blastaea) entstanden sein, wie die erstere noch heute aus der Blastula (oder Blastosphaera) entstellt. Die Gastraea muss dann durch Ein- stülpung (oder Invagination) aus der Planaea hervorgegangen sein. In der That ist auch diese phylogenetische Hypothese eben- 1) Bowerbank, Mouograph of the British Spongiadae, Vol. I, p. 179; PI. XXX, Fig. 359; Vol. II, p. 7(3. 2) Carteu, Uu two liow Specht of thc Fofamiuiferous genus Squamulina. Ann. .Mag. nat. Bist. 1870, Vol. V, p. 809. PI. IV, Fig. 1 11. Die fünf orston mitogenetischen Entwickelungsstufen. 157 so durch die nachweisbare Invagination der Archiblastula für die morphologische Auffassung sicher zu begründen , wie sie für die physiologische Betrachtung durch Erwägung der bezüglichen Causal- Ycrhältnisse durchaus wahrscheinlich wird. Denn wenn wir uns fragen, welche phylogenetischen Veränderungen die Entstehung der zweiblätterigen Gastraea aus der einblätterigen Planaea hervorrie- fen, so ist als die wichtigste causa effleiens derselben unzweifelhaft jene älteste Arbeitsteilung der Zellen hervorzuheben, welche die Differenzirung der beiden primären Keimblätter bewirkte, die Arbeitsteilung der Planaea-Zellen (oder ,,Blastoderm"-Zellen) in locomotive und nutritive Zellen. Die locomotiven Zellen der Planaeaden, welche vorzugsweise deren schwimmende Ortsbewegung besorgten, bildeten die animale Hemisphaere derselben, die zum Exoderm wurde; die nutritiven Zellen hingegen, welche vorzüglich der Nahrungsaufnahme und Assimilation sich hingaben, bildeten die vegetative Hemisphäre, die sich zum Entoderm gestaltete. Nun war es aber für die letzteren offenbar von grossem Vortheil, wenn sie nicht mehr eine convexe Oberfläche (wie bei der Planaea) zur Nahrungsaufnahme und Assimilation bildeten, sondern an deren Stelle eine coneave Vertiefung an der Oberfläche der Flimmer- kugel herstellten. Hier konnten Nahrungsmittel längere Zeit ver- weilen und besser assimilirt werden. Diese coneave Vertiefung, welche die Invagination der Planaea einleitete, war der erste Anfang zur Bildung des Urdarms. Die Vervollständigung derselben war die einfache Wirkung der natürlichen Züchtung. Denn je tiefer die Einstülpung und je ausgedehnter damit die nutritive Epithelfläche wurde, desto besser war für die Ernährung der sich bildenden Gastraea gesorgt. Mit der vollständigen Einstülpung verschwand das Blastocoelom der Planaea und an dessen Stelle trat die Protogaster der Gastraea. Gleiche einfache physiologische Reflexionen geben uns Aufschluss über die Causalverhältnisse der historischen Veränderungen, welche überhaupt die älteste Reihe der Metazoen-Ahnen vom Moner bis zur Gastraea durchlief (Anthropogenie XVI. Vortrag). Diese phy- siologischen Erwägungen über die Phylogenie der ältesten Functio- nen erläutern zugleich die mechanische Phylogenie der niedersten Thierformen, welche uns in den fünf ersten Keimungsstufen der Metazoen noch heute als ontogenetische Wiederholung jener fünf ältesten Ahnenstufen entgegen treten. Indem wir hier die ganze Mannichfaltigkeit der cenogenetischen Keimformen auf die ursprüng- liche palingenetische Keimform zurückführen und diese phylogene- 158 r>ip Gastrula und die Eifurchung der Thiere. tisch deuten, gelangen wir zu einem wahren Verständnis« vom ältesten Entwickelungsgang des Thierreichs, und dies Verständniss gewinnen wir nur durch die Gastraea-Th eorie. Jena, den 18. August 1875. N achschrift. Ueber die Eifurchung und Gastrulation der Spon- gien erhalte ich so eben, nachdem vorstehende Arbeit bereits ge- druckt ist, eine sehr interessante Mittheilung von Franz Eilhard Schulze, welche in erfreulichster Weise die Uebereinstimmung der Spongien mit den übrigen Metazoen bezüglich der wichtigsten Keimungs-Vorgänge bestätigt1). Obwohl Schulze denselben Kalk- schwamm (Sycandra raphanus), wie Oskar Schmidt und Metschni- koff untersucht hat, ist er doch zu ganz anderen Resultaten ge- kommen. Nach vollendeter Eifurchung entsteht eine echte B la- st ula, zusammengesetzt „aus 48 Zellen, welche zusammen in einschichtiger Lage einen linsenförmigen Hohlkörper formiren. Bei weiter fortschreitender Zellenvermehrung nimmt der Embryo die Gestalt einer Hohlkugel an. Ferner tritt eine Differenzirung ein zwischen acht keilförmigen, den späteren Entodermzellen, und sämmtlichen unregelmässig polyedrischen, helleren, den Ekto- derm -Zellen. An der nun zum Verlassen ihrer Entstehungsstätte befähigten Larve ist die Furchungshöhle stark verkleinert, während die Entodermzellen, stark aufgeblüht und mit groben dunkeln Körnchen erfüllt, sich nach aussen vordräügen und etwa die Hälfte der nun eiförmigen Larve ausmachen. Später tritt dann wieder eine Abflachung des halbkugelig vorspringenden Entoderm- lagers und bald darauf sogar eine Einstülpung desselben gegen die convexe Ektodermkuppe ein, wobei die Furchungshöhle gänz- lich schwindet und sich das Entodermzellenblatt unmittelbar an die Innenfläche des Ektodermes anlegt. Durch Ausweitung der so entstandenen doppelblätterigen hohlen Halbkugel und Umgreifen des Ektodermzellenlagers am Oeffnungsrande entsteht eine sackförmige, zweiblätterige Larve mit äusserer flimmernder und innerer nicht flimmernder Zellenlage: eine Gastrula." 1) Franz Eilhard Schulze, Ueber den Bau und die Entwicklung eines Kalkschwammes, Sycandra raphanus (Tageblatt der 48. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Graz 1875. S. 101). Die fünf ersten ontogenetischen Kntwickohingsstufen. 159 Die Eifurchung und Gastrulation der Sycandra raphanus ver- läuft nach dieser wichtigen, wörtlich wiedergegebenen Mittheilung also ganz in der typischen Form aller Metazoen , indem zu- nächst eine echte Blastula und durch deren Einstülpung oder Invagination eine echte Gastrula (und zwar eine Amphigastrula) entsteht, An der Genauigkeit dieser werthvollen und detaillirten Angaben zu zweifeln, liegt bei der bekannten Beobachtungs-Schärfe und histologischen Erfahrung von Franz Eilhard Schulze kein Grund vor. Daraus ergiebt sich aber bezüglich der früheren, damit nicht übereinstimmenden Angaben über die Spongien-Ga- strula (welche oben, S. 455, 456 erwähnt wurden) in Kürze Fol- gendes: 1) Die Angaben von Metschnikoff sind (gleich so vielen anderen Behauptungen dieses oberflächlichen Beobachters) bezüg- lich der angeblichen Beobachtungen sowohl als der daraus gezo- genen Schlüsse ganz falsch; sogar Exoderm und Entoderm sind darin verwechselt ! 2) Die Mittheilungen von Oskar Schmidt sind, was die Beobachtungen betrifft, grösstentheils richtig, aber un- vollständig; bezüglich der Deutungen grösstentheils unrichtig. 3) Meine eigenen Angaben über die Ontogenie der Kalkschwämme sind insofern unvollständig und unrichtig, als ich die Blastula und deren Invagination nicht erkannt, und statt deren zwischen Morula und Gastrula die Bildung einer Planula und Planogastrula angenommen hatte (Monographie der Kalkschwämme, Band I, S. 333). Dagegen sind sie richtig und werden vollkommen durch F. E. Schulze bestätigt in dem wichtigsten Punkte, darin näm- lich, dass auch die Keimung der Schwämme mit der Bildung einer echten Gastrula und der beiden primären Keimblätter verläuft. Dass diese Gastrula der Spongien durch Invagination einer echten Blastula entsteht, und nicht durch Delamination (wie ich irrig angenommen hatte) ist mir natürlich nur höchst erwünscht, weil dadurch die wesentliche Uebereinstimmung der Spongien mit den übrigen Metazoen hergestellt wird. Höchst wahrscheinlich wird auch in den wenigen anderen Fällen, in denen die Gastrula durch Blätterspaltung des Blastoderms entstehen sollte, sich schliess- lich die Einstülpung der Blastula als ursprünglicher Entstehungs- Modus herausstellen. Von welcher hohen principiellen Bedeutung die Beobachtun- gen von Franz Eilhard Schulze für die ganze Naturgeschichte der Spongien sind, brauche ich schliesslich wohl kaum besonders her- vorzuheben. Ich hatte bei Ausarbeitung meiner Monographie der Kalkschwämme in erster Linie mich bestrebt zu zeigen, dass diese IfiO Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Thiere, und die Spongien überhaupt, keine Protozoen, son- dern Metazoen sind; dass ihre beiden Gewebs'schichten den bei- den primären Keimblättern der übrigen Metazoen homolog sind, und dass die Spongien durch die Bildung ihres Gastrocanal-Systems sich als echte Zoophyten (oder Coelenteraten) ausweisen. Oskar Schmidt hatte dagegen in seinem oben citirten Aufsatze: „Zur Orientirung über die Entwicklung der Spongien" sich zu zeigen bemüht, dass jene Auffassung falsch sei und dass somit auch alle die wichtigen, daran geknüpften allgemeinen Schlussfolgerungen hin- fällig seien '). Die Mittheilungen von F. E. Schulze bestätigen nicht allein die Richtigkeit meiner Auffassung; sondern sie verstärken sie zugleich bedeutend dadurch, dass sie die typische Bildung der Gastrula durch Einstülpung der Blastula auch bei den niedersten Metazoen nachweisen, bei den Spongien. Jena, den 4. October 1875. 1) Oskar Schmidt (I.e. p. 130) sagt: „Ich habe diese Beobachtungen über den Bau der Fliinmerlarven von Sycandra raphanus und glabra mit peinlicher Sorgfalt wiederholt. Ich kann nur behaupten, dass unsere beiden Arten keine Gastrulae bilden, und dass damit leider die vermeintliche durchgreifende Wichtigkeit der Gastrula für die Kalkspongien mit allen den so schönen theo- retischen Folgerungen nicht mehr existirt," Die Figuren 1, 2, 3 und 4, 5, 6, welche 0. Schmidt (1. c.) auf Taf. VIII und IX mittheilt, sind wohl als Amphiblastula zu deuten. Die folgende Einstülpung derselben hat er offenbar nicht beobachtet, und ebenso nicht die daraus hervorgehende A m p h i- gastrula. Erklärung der Tafeln. Taf. IL Eifurchung und Gastrula verschiedener Wirbellosen (Copien). [In allen Figuren ist das Entoderm durch rothe, das Exoderm durch blaue Farbe bezeichnet. Der Nahrungsdotter ist meistens roth schraffirt. s Furchungs- höhle (Blastocoeloma). a Urdarmhöhle (Protogaster), o Urmund (Protostoraa).] Fig. 17. Archigastrula eines Kalkschwammes (Asculmis armata). Copie nach Haeckel, Monographie der Kalkschwämme, Taf. 13, Fig. 6. Hg. 18. Amphigastrula eines Kalkschwammes (Sycyssa Huxleyi). Copie nach Haeckel, Monographie der Kalkschwämme, Taf. 44, Fig. 15. Fig. 19. A m p h i b 1 a s t u 1 a eines Kalkschwammes (Sycandra raphanus). Copie nach Oskar Schmidt (Zeitschr. lür wissensch. Zool. Vol. XXV, Suppl. Taf. IX, Fig. 5). Die Furchungshöhle ist in dieser Figur fälsch- lich mit a (statt mit s) bezeichnet, o muss wegfallen. Fig. 20. A r c h i b 1 a s t u 1 a einer Koralle (Actinia). Copie nach Kowalevsky (Russische Abhandlung über die Ontogenie der Coelenteraten. 1873. Taf. IV,. Fig. 1). Fig. 21. Archigastrula derselben Koralle (Ibid. Taf. IV, Fig. 2). Fig. 22. Archigastrula einer Meduse (Pelagia). Copie nach Kowalevsky (Ibid. Taf. III, Fig. 2). Fig. 23. Archigastrula eines W urms (Sagitta). Copie nach Kowalevsky (Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden, Petersburg 1871, Taf. I, Fig. 2). Fig. 24. Amphiblastula eines Wurms (Euaxes). Copie nach Kowalevsky (Ibid. Taf. IV, Fig. 27). Fig. 25. Archigastrula eines Brachiopodeu (Argiope). Copie nach Ko- walevsky (Kussische Abhandlung über die Ontogenie der Brachiopoden. Moskau 1874. Taf. I, Fig. 3). Fig. 26. Amphiblastula einer Muschel (Unio). Copie nach einer noch nicht publicirten Abhandlung von Carl Rabl über die Ontogenie der Muscheln. Fig. 27. Amphiblastula derselben Muschel in einem folgenden Stadium. Copie nach Carl Rabl (Ibid.). Fig. 28. Amphigastrula derselben Muschel. Copie nach Carl Rabl (Ibid.). Links ist eine grosse Mesoderm-Zelle sichtbar. Fig. 29. Archiblastula einer Schnecke (Limnaeus). Copie nach Carl Rabl (die Ontogenie der Süsswasser-Pulmonaten. Jenaische Zeitschrift für Naturw. 1875. Vol. IX, Taf. VII, Fig. 9). Fig. 30. Archiblastula invagiuata derselben Schnecke. Copie nach Carl Rabl (Ibid. Taf. VII, Fig. 10. 11 162 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Fig. 31. Archigastrula derselben Schnecke. Copie nach Carl Rabl (Ibid. Taf. VII, Fig. 11). Fig. 32. Amphigastrula einer Schnecke (Purpura). Copie pach Selenka (Keimblätter bei Purpura. Niederl. Arch. f. Zool. 1871. Heft II, Taf. XVII). Fig. 33. Archigastrula eines Seesterns (Asteracanthion). Copie nach Alex. Agassiz (Embryology of the Starfish. 1864. Taf. I, Fig. 27). Fig. 34. Amphimorula eines Rhizocephalen (Sacculiua). Copie nach Ed. van Beneden (Recherches sur l'Embryogenie des Crustacees, 1870. PI. I, Fig. 21). Fig. 35. Discomorula einer Assel (Oniscus). Copie nach Bobretzky (Zur Embryologie des Oniscus murarius. Zeitschr. für wissensch. Zool. Vol. XXIV, Taf. XXI, Fig. 3j. Fig. 36. Discoblastula desselben Oniscus. Copie nach Bobretzky (Ibid. Fig. 5). Fig. 37. Discogastrula desselben Oniscus. Copie nach Bobretzky (Ibid. Fig. 7). Fig. 38. Discogastrula eines Wasserkäfers (Hydrophilus). Copie nach Kowalevsky (Embryolog. Studien an Würmern und Arthropoden. Pe- tersburg 1871, Taf. IX, Fig. 23). Fig. 39. Archigastrula (?) eines Pteromalinen (Platygaster). Copie nach Ganin (Entwickel. der Insecten. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1869. Bd. XIX, Taf. XXX). Fig. 40. Discogastrula des Scorpions. Copie nach Metschnikoff (Em- bryologie des Scorpions. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1871, Taf. XIV, Fig. 9). Taf. III. Eifurchung und Gastrula verschiedener Wirbelthiere (Copien). [In allen Figuren ist das Entoderm durch rothe, das Exoderm durch blaue r arbe bezeichnet. Der Nahrungsdotter ist meistens roth schraffirt, s Furchungs- höhle (Blastocoeloma). a Urdannhöhle (Protogaster), o Urmund (Protostoma).] Fig. 41. Archiblastula des Amphioxus. Copie nach Kowalevsky (Ent- wickelungsgeschichte des Amphioxus. Mem. Petersb. Akad. 1867. Vol. XI, Tab. I, Fig. 9). Fig. 42. Archiblastula invaginata des Amphioxus. Copie nach Ko- walevsky (Ibid. Fig. 13). Fig. 43. Archigastrula des Amphioxus im ersten Anfang. Copie nach Kowalevsky (Ibid. Fig. 14). Fig. 44. Archigastrula des Amphioxus, vollständig ausgebildet. Copie nach Kowalevsky (Ibid. Fig. 16). Fig. 45. Amphimorula des Petromyzon. Copie nach Max Schültze (Ent- wickelungsgeschichte von Petromyzon. Haarlem 1856. Tab. IV, Fig. 1). Fig. 46. Amphiblastula des Petromyzon. Copie nach M. Schültze 3 (ibid. Taf. IV, Fig. 2). Fig. 47. Amphigastrula des Petromyzon, in erster Anlage. Copie nach = M. Schültze (ibid. Taf. IV, Fig. 5). Fig. 48. Amphigastrula des Petromyzon, vollständig entwickelt. Copie nach M. Schültze (ibid. Taf. IV, Fig. 7). Erklärung der Tafeln. 163 Fig. 49. Discogast rula eines Haifisches (Mustelus). Copie nach Bai>- foue (Development of the Elasmobranch Fishes. Quarterly Journ. of microsc. Sc. 1874. Vol. XIV, PL XIII, Fig. 1). Fig. 50. Discogastrula eines Knochenfisches (Esox). Copie nach Lebe- boullet (Recherches d'Embryologie comparee sur le Developpement du Brochet etc. 1853. PI. I, Fig. 27. Fig. 51. Amphimorula des Bombinator. Copie nach Goette (Entwicke- lungsgeschichte der Unke, 1875. Taf. II, Fig. 27). Fig. 52. Amphiblastula des Bombinator. Copie nach Goette (ibid. Taf. II, Fig. 28). Fig. 53. Amphigastrula des Bombinator. Copie nach Goette (ibid. Taf. II, Fig. 33). Fig. 54. Discogastrula des Hühnchens. Copie nach Goette (Die Bil- dung der Keimblätter im Hühnerei. Archiv für mikrosk. Anat. Vol. X> 1874, Taf. X, Fig. 4). Taf. IV. Discoidale Furchung und Discogastrula eines pelagischen Knochenfisches (Gadoiden, Hotella?). [Innerhalb der structurlosen Eihülle (c) ist ausser den (am aniraalen Pol be- findlichen) Furchungszellen und dem daraus entstehenden Fischkeime nur der Xahrungsdotter zu sehen, bestehend aus einer wasserhellen structurlosen Ei- weisskugel und einer kleineren (am vegetativen Pol befindlichen) stark licht- brechenden Oelkugel. Der homogene Nahrungsdotter, der keinerlei geformte Bestaudtheile enthält, ist mit gelber Farbe gedruckt, e Exoderm. i Entoderm. w Keimwulst (Randwulst oder Properistom). c Chorion. h Embryo. * Fur- chungshöhle. Alle Figuren dieser Tafel sind 60 Mal vergrössert] Fig. 55. Zweite Furchungsstufe: Ei mit vier Furchungszellen. Fig. 56. Dasselbe Ei (Obere Hälfte) im Meridianschnitt. Fig. 57. Vierte Furchungsstufe: Ei mit 16 Furchungszellen. Fig. 58. Dasselbe Ei (Obere Hälfte) im Meridianschnitt. Fig. 59. D i s c o m o r u 1 a. Ei nach vollendeter Furchuug. Die gleichartigen Furchungskugeln bilden eine kreisrunde Keimscheibe (Discoblastus), eine biconvexe Linse, welche in eine kleine Vertiefung am auimalen Pol des Nahrungsdotters eingesenkt ist, Fig. 60. Dieselbe Discomorula im Meridianschnitt. Fig. 61. Discoblastula. Die Keimscheibe hat sich peripherisch ausge- dehnt, in der Mitte bedeutend verdünnt, am Rande rings umgekehrt ver- dickt (w Keimwulst oder Randwulst). Zwischen der abgehobenen Mitte und dem Nahrungsdotter hat sich die Keimhöhle (s) gebildet. Fig. 62. Dieselbe Discoblastula im Meridianschnitt. Fig. 63. Discoblastula invaginata. Uebergang der Discoblastula in die Discogastrula durch Einstülpung der ersteren. Der untere Theil des verdickten Randwulstes schlägt sich nach innen um und wächst centri- petal gegeu die Mitte der Keimscheibe in die Keimhöhle hinein. Letz- tere wird enger. 164 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Fig. 64. Dieselbe Discoblastula invaginata im Meridianschnitt. Fig. 65. Discogastrula. Die Einstülpung der Discoblastula ist voll- ständig geworden, indem die vom Randwulste in die Keimhöhle hereinge- wachsene Zellenschicht („secundäre Keimschicht") das Centrum der letz- teren erreicht hat und nunmehr als zusammenhängendes „Entoderm" den Boden der Keimhöhle bedeckt. Letztere verschwindet, indem das Eiito- derm sich an das Exoderm (die „primäre Keimschicht", welche die Decke der Furchungshöhle bildet) eng anlegt. Die Keimscheibe bedeckt als Gastrula wie eine Kappe den animalen Pol des Nahrungsdotters. Fig. 66. Dieselbe Discogastrula im Meridianschnitt. Fig. 67. Discogastrula mit der ersten Anlage des Axoblast. An einer Seite des verdickten Gastrula-Mundrandes (des „Properistoms") erscheint die erste Anlage der Axenplatte und des „Primitivstreifs" (Ansicht von der Rückenseite. Der optische Meridianschnitt geht durch die Lateral- Ebene (von rechts nach links). Fig. 68. Dieselbe Discogastrula, um 90" gedreht, im optischen Längs- schnitt (Meridianschnitt durch die Median-Ebeue). Fig. 69. Fi seh keim, weiter entwickelt, mit deutlicher Trennung von Kopf und Rumpf, und Anlage der Augenblasen. Die Keimscheibe (Disco- gastrula) hat bereits ungefähr % der Peripherie des kugeligen Nahrungs- dotters umwachsen, so dass kaum % des letzteren am vegetativen Pole aus dem Gastrula-Munde frei vorragt. Ansicht von der Rückenseite. Fig. 70. Derselbe Fisch keim, um 90" gedreht, im Sagittalschnitt, von der linken Seite gesehen. Fig. 71. Fischkeim, noch weiter entwickelt. Der aborale Körpertheil ist beträchtlich verlängert. Beiderseits der Chorda markiren sich die Me- tameren (Urwirbel-Segmente). Die Keimscheibe (Discogastrula) hat den Nahrungsdotter fast ganz umwachsen, so dass nur noch ein kleines Seg- ment des letzteren am vegetativen Pole frei aus dem Gastrula-Munde vorragt. Fig. 72. Derselbe Fischkeim, um 90 " gedreht, im Sagittalschnitt von der linken Seite gesehen. Taf. V. Discogastrula desselben pelagischen Knochenfisches (Gadoiden, Motella?). Fig. 73. Discomorula im Meridianschnitt, Stärkere Vergrösserung (200) des animalen Segments von Fig. 60. Fig. 74. Discoblastula im Meridianschnitt. Stärkere Vergrösserung (200) des animalen Segments von Fig. 62 (linke Hälfte) und Fig. 64 (rechte Hälfte). Rechts beginnt die Einstülpung der Blastula, indem die grossen Zellen des Raudwulstes oder Troperistoms {w) centripetal gegen die Mitte der Keimhöhle (s) hineinwachsen (t). Fig. 75. Discogastrula im Meridianschnitt. Stärkere Vergrösserung des animalen Segments von Fig. 66. Fig. 76. Discogastrula, vom lebenden Fisch-Ei, nach kurzer Einwirkung einiger Tropfen höchst verdünnter Osmiumsäure. Stärkere Vergrösse- rung (200) von Fig. 65. Erklärung der Tafeln. 165 Fig. 77. Zehn Exoderm-Zellen derselben Discogastrula, in Chromsäure. Vergr. 600. Fig. 78. Acht Entoderm-Zellen derselben Discogastrula, in Chromsäure. Vergr. 600. Fig. 79. Drei Mesoderm -Zellen; amoeboide, mit dunkeln Pigmentkör- nern versehene Wauderzellen des Darmlaserblattes, welche in dem Winkel des Umschlagsrandes zwischen Exoderm und Entoderm aus letzterem entstehen und nach verschiedenen Orten hinwandern. Vergr. 600. Fig. 80. Der junge Knochenfisch (Gadoide, Motella?), welcher so eben die Eihüllen verlassen hat, von der linken Seite gesehen, h Hirn, u Auge, g Gehörbläschen, z Herz, a Darm, d Eiweisskugel des Nahrungs- dotters, f Fettkugel des Nahrungsdotters, y After, x Chorda, m Sei- tenrumpfmuskeln. Taf. VI. Superficiale Furchung und Perigastrula eines Crustaceen (Peneus). Fig. 81. Zweite Furchungs stufe: Ei mit vier Furchungszellen , von der Oberfläche gesehen. Durch zwei auf einander senkrechte Ringfur- chen, eine aequatoriale und eine meridiane, werden im peripherischen Theil des Eies vier Zellen geschieden, während der centrale Nahrungs- dotter ungetheilt bleibt. Fig. 82. Dasselbe Ei im Meridianschnitt. Fig. 83. Fünfte Für chungsstufe: Ei mit 32 Furchungszellen, von der Oberfläche gesehen. Fig. 84. Dasselbe Ei im Meridianschnitt. Fig. 85. Pcrimorula (und zugleich Periblastula), von der Oberfläche gesehen. Nach vollendeter Furchung bilden die sämmtlichen Furchungs- zellen an der Oberfläche des Eies eine einzige zusammenhängende Schicht von gleichartigen Zellen (Blastoderma), welche den inneren ungefurchteu Nahrungsdotter umschliesst. Fig. 86. Dieselbe Perimorula im Meridianschnitt. Fig. 87. Perigastrula, von der Oberfläche gesehen; in der Mitte ist der Urmund (o) sichtbar, welcher in die Einstülpung des Urdarms führt. Fig. 88. Dieselbe Perigastrula im Median schnitt, a Urdarm. o Urmund. e Exoderm. i Entoderm. m Mesoderm. Fig. 89. Naupli us -Stadium, von der Bauchfläche gesehen. / Oberlippe I, 11, III, die Anlagen der drei Beinpaare. Fig. 90. Dasselbe N au plius- Stadium, im Sagittalschnitt (von der linken Seite gesehen), a Urdarm. o Urmund m Mesoderm-Zellen. I Oberlippe. p Einstülpung des Schlundes und Kaumagens, e Exoderm. t Entoderm. Taf. VII. lnaequale Furchung und Amphigastrula. Fig. 91 — 102. lnaequale Furchung uud Amphigastrula eines chaetopoden Anneliden (Fabricia). Fig. 91. Amphimonerula. Nach der Befruchtung ist das Keimbläschen verschwunden und aus der Copulation von Spermazelle und Eizelle eine Cytode entstanden. 166 Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Fig. 92. Amphicytula, die erste Furchungskugel. Fig. 93. Erste Furchungs stufe: Die Amphicytula ist in zwei Zellen getheilt, eine obere, kleinere und hellere animale Zelle (Mutterzelle des Exoderms) und eine untere , grössere und dunklere vegetative Zelle (Mutterzelle des Entoderms). Fig. 94. Zweite Für ch ungsstufe: Die obere animale Zelle ist in zwei Zellen zerfallen ; die untere vegetative Zelle ist uugetheilt. Fig. 95. Dritte Furch ungsstufe: Die obere animale Zelle ist durch zwei Meridianfurchen in vier Zellen zerfallen. Die untere vegetative Zelle ist ungetheilt. Fig. 96. Spätere Furchungs s tu fe: Die obere animale Zelle ist in zahl- reiche kleine helle Zellen, die untere vegetative Zelle ist in drei grosse dunkle Zellen (eine untere grössere und zwei obere kleinere) zerfallen. Fig. 97. Amphimorula. Nach beendigtem inaequalen Furchungsprocesse findet sich oben am animalen Pole eine hemisphärische Masse von zahl- reichen kleinen hellen Zellen (Exoderm), unten am vegetativen Pole eine dunkle Masse von wenigen (sechs?) grossen dunkeln Zellen (Entoderm). Fig. 98. Amphiblastula im Meridianschnitt. Im Innern hat sich durch Flüssigkeits-Ansammlung eine Furchungshöhle (*) gebildet; in der oberen (animalen) Hälfte überwölbt von einer hemisphärischen Schicht kleiner heller Exoderm-Zellen , in der unteren (vegetativen) Hälfte geschlossen von wenigen grossen dunkeln Entoderm-Zellen. Fig. 99. Amphiblastula in Einstülpung, resp. Umwachsung (üivaginata- circumcreta). Die grossen dunkeln Entoderm-Zellen werden in die Fur- chungshöhle eingestülpt und eo ipso von der äusseren Schicht der klei- nen hellen Exoderm-Zellen umwachsen. Optischer Meridianschnitt. Fig. 100. Amph i gastrula im optischen Meridianschnitt. Die Einstülpung (Entobole) oder Umwachsung (Epibole) der Amphiblastula ist vollendet, die Furchungshöhle verschwunden und die Urdarmhöhle (a) gebildet. o Urmund. Fig. 101. Dieselbe Am phigast r ula von der Fläche gesehen. Fig. 102. Junge Wurmlarve mit einem Wimperreifen. Fig. 103 — 110. Inaequale Furchung und Amphigastrula einer Schnecke ( T r o c h u s ?). Fig. 103. Zweite Furchungsstufe: Ei mit vier Furchuugszellen. Fig. 104. Dritte Furchungstufe: Ei mit 8 Furchuugszellen (4 kleinen hellen animalen und 4 grossen dunklen vegetativen Zellen). Fig. 105. Dasselbe Ei, im Profil. Fig. 106. Vierte Furchuuigsstufe : Ei mit 12 Furchungszellen (Skleineu hellen animalen und 4 grossen dunklen vegetativen Zellen). Fig. 107. Dasselbe Ei, im Profil. Fig. 108. Amphimorula im Meridianschnitt, Mach beendigter Furchimg wird die obere animale Hemisphäre des Eies von 16 kleinen hellen, die untere vegetative Hemisphäre dagegen von 8 grossen dunkeln Zellen ge- bildet (4 obere grössere und 4 untere kleinere). Fig. 109. Amphiblastula, im Meridiauschnitt. Die Decke der Fur- chungshöhle wird von 32 kleinen hellen, ihr Boden von 8 grossen dun- keln Zellen gebildet (4 obere kleine und 4 untere grössere). Erklärung der Tafeln. 167 Fig. 110. Amphigastrula, im Meridianschnitt, a Urdarm. o Urmund. Das Exoderm (e) hat das Entoderm (i) völlig umwachsen. Die meisten Zellen des letztern bilden die Darmwand. Einige grosse Zellen dessel- ben sind als Nahrungsdotter übrig geblieben (d). Taf. VIII. Primordiale Furchung und Archigastrula von Gastrophysema. Fig. 111. Archimonerula. Nach erfolgter Befruchtung ist das Keim- bläschen verschwunden und aus der Copulation von Eizelle und Sperma- zelle eine Cytode entstanden. Fig. 112. Archicytula. Die erste Furchungszelle. Fig. 113. Erste Furchungs stufe: Die Cytula ist in zwei gleiche Fur- chungszellen zerfallen. Fig. 114. Zweite Furch ungs stufe: Aus der Cytula sind vier Fur- chungszellen entstanden. Fig. 115. Archimorula (Maulbeerkeim). Fig. 116. Archiblastula (die ursprüngliche Form der Blastosphära, Keim - hautblase oder „Vesicula blastodermica") von der Fläche gesehen. Fig. 117. Dieselbe Archiblastula im optischen Meridianschnitt. Fig. 118. Archiblastula in vaginata. Dieselbe Keimhautblase in der Einstülpung begriffen. Fig. 119. Archigastrula, von der Fläche gesehen. Fig. 120. Dieselbe Archigastrula, im optischen Meridianschnitt; dies ist die ursprüngliche, palingenetische Form der Gastrula. III. Die Physeiiiarien (Haliphyseiua nnd Gastropkysenia), Gastraeaden der Gegenwart. Hierzu Tafel IX— XIV. Inhalt: 13. Bisherige Beobachtungen über Physemarien. 14. Das Genus Haliphysema. 15. Das Genus Gastrophysema. 16. Organisation und Lebens-Erscheinungen der Physemarien. 17. Phylogenetische Bedeutung der Physemarien. 13. Bisherige Beobachtungen über Physemarien. Wenn wir das natürliche System des Thierreichs im Lichte der Entwicklungs - Theorie betrachten und die morphologischen Verwandtschafts-Bezielmngen der verschiedenen Formen phylo- genetisch deuten, so ergibt sich als eines der interessantesten Re- sultate die Erscheinung, dass fast alle hervorragenden Entwick- lungsformen der Vergangenheit noch in der Gegenwart durch einzelne uralte Ueberbleibsel vertreten sind. Wie uns die ver- gleichende Culturgeschichte in den verschiedenen Völker-Stämmen noch heute fast alle Entwicklungsstufen der menschlichen Cultur und der staatlichen Organisation vor Augen führt, so zeigt uns auch die vergleichende Zoologie in den verschiedenen Thierclassen noch heute fast alle Entwicklungsstufen des Zellenlebens und der thierischen Organisation neben einander. Die Moneren der Gegen- wart berichten uns von den ersten Anfängen des organischen Lebens vor Millionen von Jahren. Die Amoeben von heute geben uns eine klare Vorstellung davon, wie der indifferente einzellige Organismus beschaffen war, der in der „Morgenröthe der Schöpfung" den Grundstein des Zellenlebens legte. Die niedersten Pflanzen- thiere der Gegenwart, Spongien und Hydroiden, erzählen uns von der Gründung des Metazoen-Reiches. Die Ascidien und Amphioxus berichten uns, wie aus einem Zweige der Wirbellosen der grosse Stamm der Wirbelthiere entstand. Die Cyclostomen geben uns eine Ahnung von der Organisation der ältesten Schädelthiere ; die Selachier zeigen uns, wie ungefähr die ältesten Gnathostomen beschaffen waren. Nicht minder berichten uns die heutigen Monotremeu von der ältesten Geschichte der Säugethier-Classe und die Anthropoiden von den Anfängen der Anthropogenesis. So hat jeder grosse Fortschritt in der Thier-Geschichte seine heute noch sichtbaren Spuren hinterlassen ; und von jeder charak- teristischen Hauptgruppe des Thierreichs leben noch heute einzelne uralte Epigonen, welche in zäher Vererbung die wich- 12* 172 Die Physemarien. tigsten Eigenthümlichkeiten ihrer längst ausgestorbenen Stamm- gruppe bis zur Gegenwart getreu tibertragen haben. Das hervor- ragende Interesse, welches sich in dieser Beziehung z. B. an den Amphioxus und die Ascidie, an die Selachier und die Anthro- poiden knüpft, ist heutzutage so allgemein anerkannt, dass wir hier Nichts weiter darüber zu sagen brauchen. Ein gleiches Interesse aber möchten wir hier für einige kleine Thierformen in Anspruch nehmen, welche zwar nicht neu sind, aber bisher wenig bekannt und ganz irrthümlich gedeutet waren. Das sind die Physemarien, eine kleine Gruppe von niedersten Pflanzen- thieren, die der hypothetischen Stammform aller Metazoen, der Gastraea, näher stehen, als alle anderen bis jetzt bekannten Thiere. Bisher durften einerseits die niedersten Spongien, und namentlich der von mir beschriebene Olynthus l), andererseits die einfachsten Hydroiden, z. B. Hydra, als diejenigen Metazoen gelten, welche sich von der gemeinsamen Wurzel der ganzen Gruppe am wenigsten entfernt hatten. Noch näher aber dieser Wurzel, ia in nächstem, ganz unmittelbarem Zusammenhang mit derselben stehen unsere Physemarien : die Genera Haliphysema und Gastro- physema. Das erstere ist von seinem Entdecker Bowerbank als eine Spongie 2), das letztere von Carter als eine Foraminifere be- schrieben worden. In der That sind beide Genera Gastraeaden, einfache schlauchförmige Thiere, deren Körper zeitlebens nur aus deu beiden primären Keimblättern besteht. Das Genus Haliphysema hat Bowerbank im ersten Bande seiner „Monograph of the British Spongiadae" (1864) mit folgenden Worten charakterisirt : „Sponge consisting of a hollow basal mass, from which emanates a Single cloacal fistula. Skeleton: Spicula of the base disposed irregularly; spicula of the fistula disposed principally in lines parallel to the long axis of the sponge, without fasciculation." Im zweiten Bande derselben Monographie (1866) gibt er die Beschreibung von zwei britischen Arten : 1. Haliphysema Tumanowiczii und 2. H. ramulosa. Eine Abbildung der ersteren findet sich auf Taf XXX des ersten Bandes (Fig. 359); eine Ab- bildung der letzteren auf Taf. XIII des III. Bandes (1874). Von *) Haeckel, Monographie der Kalkschwämme, 1872, Bd. I, S. 76: „Die Stammform der Kalkschwämme (Olynthus);" Taf. 1, Fig. 1; Taf. 11, Fig. 6—9; T. afl3, Fig. 9. 2) Bowerbank, Monograph of the British Spongiadae, 1864—1874; Bd. I, p. 179; Taf. XXX, Fig. 359. Bd. II, p. 76-80; Bd. III, Taf. XIII. Bisherige Beobachtungen über Physemarien. 173 der ersteren Abbildimg (Fy>\ 359) hat auch Oskar Schmidt eine Copie gegeben in seinem „zweiten Supplement der Spongien des adriatischen Meeres" (1866, p. 13; Fig. 13). Haliphysema Tumanoioiezii charakterisirt Bowehbank folgender- maassen (Vol. II, p. 76): „Sponge pyriforrn, pedicelled; base ex- panded, thick, turgid at the margin; pedicel graclually enlarging upwards, fistular, parietes very tkin, surface smooth and even; distal extremity abundantly hispid. Oscula and pores inconspi- cuous. Dermal membrane thin and translucent. Skeleton mem- branous, with an incorporation of fragments of spicula of various sizes and forms, and of minute grains of sand." In der ausführ- lichen Beschreibung, welche Bowerbank dieser Diagnose folgen lässt, bezeichnet er Haliphysema Tumanawiczii als die kleinste britische Spongie. Sie wird kaum eine Linie hoch und sitzt auf den Stämmchen von kleinen Algen und Zoophyten. Die einfache Gestalt des gestielten birnförmigen Schlauchs variirt wenig; nur der Stiel ist bald länger, bald kürzer; bisweilen wird der birn- förmige Körper fast kugelig; die planconvexe scheibenförmige Basis des Stiels ist in der Mitte oft nabeiförmig eingezogen. Die Höhle der Basis geht durch den hohlen röhrenförmigen Stiel un- mittelbar in die Körperhöhle über. Die Wand des hohlen Schlauchs ist überall sehr dünn und ohne Poren; sie besteht aus einer zarten durchsichtigen Membran, mit welcher Sandkörner, Spongien-Nadeln und andere fremde Körper verkittet sind. Merkwürdig ist, dass die Schwamm-Nadeln (wie auch bei den anderen Physemarien) eine regelmässige Lagerung haben. In der scheibenförmigen Basis finden sich fast immer nur Bruch- stücke von Nadeln, unregelmässig durch einander gewebt; im cylindrischen Stiel sind die Spicula meistens parallel seiner Längsaxe gelagert; die birnförmige Distalhälfte endlich („the head of the sponge", wie Bowerbank sagt) ist reichlich mit Nadeln be- waffnet, die nach allen Richtungen ovalwärts abstehen (aber nie- mals rückwärts nach der aboralen Basis gerichtet). Trotz dieser constanten Lagerung der Spongien-Spicula unterliegt es keinem Zweifel, dass dieselben fremde Körper sind und dass Hali- physema selbst keine Spicula bildet; es geht das schon daraus hervor, dass die Nadeln verschiedenen Schwamm- Arten angehören und dass die geknöpften Nadeln mit ihrem stumpfen Ende bald oralwärts, bald aboralwärts vorragen; auch dreistrahlige Nadeln liegen einzeln dazwischen, und Sandkörner in wechselnder Menge. Ausdrücklich ist hervorzuheben, dass Bowerbank weder Poren noch ^74 Die Physeinarien. Oscula an dem vorgeblichen Schwämme entdecken konnte. Er sagt: „I have been unable even with a high microscopical power, to detect either oscula or pores. Nor have I succeeded in sepa- rating any portion of the dermal membrane from de sponge; but seen in situ it is evidently thin and translucent." (1. c. vol. II, p. 78). Im lebenden Zustande soll der dünnwandige Schlauch durchscheinend und bläulichweiss sein. Wenig von HaMphysema Tumanoiciczii verschieden scheint nach Bowerbank die zweite von ihm beschriebene Art, H. ramulosum, zu sein. (Vergl. unten Nr. 5.) Auch hier ist der rundliche Körper auf einem hohlen Stiele befestigt, ohne Poren, und in ähnlicher Weise wie dort mit einem Fseudoskelet von Spongien-Nadeln und anderen fremden Körpern ausgestattet. Jedoch ist der Stiel hier verästelt und mehrere Personen sind zu einem Stöckchen ver- einigt. Es ist nur ein einziges Exemplar dieser Art bekannt, ein gabelspaltiges Stöckchen von 5 Mm. Durchmesser, welches aus 8 Personen zusammengesetzt ist. Die nähere Beschreibung folgt unten (im 14. Abschnitt). Während Bowerbank die beiden, von ihm zuerst beschriebenen Haliphysema- Arten für Spongien hält, ist dagegen ein anderer englischer Spongiolog, H. J. Carter, der Ansicht, dass dieselben Fo ramin if er en seien (!). Zwar hat Carter jene beiden Arten gar nicht vor Augen gehabt, aber er glaubt einen damit iden- tischen Organismus gefunden und sich von dessen Foraminiferen- Natur überzeugt zu haben. Nun ist aber dieser, von Carter sehr genau beschriebene und abgebildete Organismus weder eine Fora- minifere, noch ist er mit Hadphysema identisch; vielmehr bildet er eine neue, mit letzterem nahe verwandte Gattung, der wir den Namen Qaslrophysema beilegen wollen. Cartei; kam auf den sonderbaren Gedanken, dass derselbe zu dem Monothalamien-Genus Squamulina gehöre, und hat auch unter diesem Namen eine sehr genaue Beschreibung davon gegeben. *) Nun ist aber das Rhizopoden-Genus Squamulina 1854 von Max Schultze in seinem Polythalamien-Werke mit folgender Diagnose aufgestellt worden: „Schale einer planconvexen, flachen Linse gleichend, mit der planen Seite festgeheftet, kalkig, eine einfache, ungetheilte Höhlung umschliessend ; eine grössere Oeffnung auf der convexen Seite ; l) Carter (On two new species of the foraminiferous Genus Squamulina, and one new species of Difl'lugia. Ann. and Mag. of nat hist. May 1870, Vol. V, p. 309, PI. IV, V). Bisherige Beobachtungen über Physeniarien. 175 feine Poren fehlen."1) Hiernach ist Squamulina ein kalk- schaliges Monothalamium; hingegen würde der merk- würdige Organismus, den Carter als Squamulina scopula beschreibt, und den wir Gastrophysema scopula nennen, ein nicht kalk- schaliges Polythalamium sein, wenn es überhaupt ein Rhizopod wäre; und es bleibt geradezu unbegreiflich, wie Carter darauf verfiel, gerade die Gattung Squamulina dafür auszusuchen ; zumal auch die äussere Gestalt gänzlich verschieden ist. 2) Squamulina scopula (1. c, p. 310; PI. IV, Fig. 1-11) - unser Gastrophysema scopula - bildet nach der Darstellung von Carter einen kolbenförmigen dünnwandigen Schlauch von einer Linie Länge. Auf einer scheibenförmigen, planconvexen Basis erhebt sich ein schlanker umgekehrt konischer Stiel, der ungefähr die Hälfte der Körperlänge erreicht und durch eine seichte Einschnü- rung von der anderen birnförmig erweiterten Hälfte geschieden ist. Die letztere zerfällt durch zwei seichte Einschnürungen wieder in drei Abtheilungen, so dass also der ganze Schlauch eigentlich aus fünf hintereinander liegenden und durch engere Thüren ver- bundenen Kammern besteht. Diese bezeichnet Carter als 1. Fuss- scheibe (pedestal) ; 2. Säulenstiel (column) ; 3. Hals (neck) ; 4. Körper (body) und 5. Kopf (head). Am Ende des letzteren öffnet sich der hohle Schlauch durch eine kleine kreisrunde Mündung. Die Höhlung der Fussscheibe ist unregelmässig in radiale Kammern geschieden, indem mehrere Falten der Wand, gleich unvollstän- digen radialen Scheidewänden, gegen das Centrum vorspringen. Die dünne Wand des schlauchförmigen Körpers soll aus einer chitinartigen Grundsubstanz bestehen, welche mit Sandkörnchen, Schwamm-Nadeln, Anneliden-Borsten und anderen fremden Kör- perchen verkittet ist. In der grösseren, aboralen Hälfte, in den vier proximalen Abtheilungen, besteht dieses Pseudo - Skelet !) Max Schultze, Ueber den Organismus der Polythalamien. Leipzig 1854. 2) Ausser Squamulina scopula beschreibt Carter noch eine zweite an- gebliche Art derselben Gattung unter dem Namen Squamulina varians (1. c, p. 321, PI. V, Fig. 1-5). Auch dies ist keine wahre Squamulina, sondern wahrscheinlich eine Difflugia ; ihre halbkugelige einkammerige Schale ist aus fremden Körpern gebildet. Hingegen ist wahrscheinlich die angebliche „neue Art von Diffluqia", welche Carter in unmittelbarem Anschluss daran als D. bipes beschreibt, keine Difflugia, sondern eine Cyphoderia oder verwandte Gattung! Wie ausserordentlich willkührlich, unlogisch und kritiklos Carter in seinen Arbeiten verfährt, habe ich schon in meiner Monographie der Kalk- schwämme gezeigt (Bd. I, S. 27—31). ^76 Die Physemarien. grösstentheils aus kleinen farblosen Quarz-Körnchen, gemengt mit kleinen Bruckstückchen von Spongien-Nadeln. Dagegen ist die fünfte, distale Abtheilung, der „Kopf", mit einem dichten Busche von längeren Schwammnadeln bewaffnet, welche nach allen Seiten, oralwärts gerichtet, abstehen. Carter vergleicht deshalb die ganze Form mit einem kleinen Besen oder Borstenpinsel („scopula"). Die Spicula rühren von Spongien der verschiedensten Gruppen her, Kalkschwämmen (Sycandra) , Kieselschwämmen ( Pachymatisma) u. s. w. Die geknöpften Nadeln sind häufig mit dem stumpfen Knopfende auswärts gekehrt. Durch starken Druck (!) entleerte Carter aus der Mündung des Schlauches eine organische Masse, welche aus „halbdurch- sichtiger gelblicher Sarcode" bestehen soll, enthaltend Körnchen, Oelkugeln, Diatomeen, Fucus-Beeren und „reproductive cells." Letztere sollen besonders in der unteren (proximalen) Hälfte sich finden und werden beschrieben als „kugelige, durchsichtige, kern- haltige Kapseln, erfüllt mit einer homogenen, schleimigen, eiweiss- artigen Substanz. Als Fundort der „Squamulina scopula" wird angegeben : Beach at Budleigh-Salterton, Devonshire ; Laminarien- Zone; auf Wurzeln von Laminaria, Phyllophora etc. In der breiten Erörterung, welche Cauter an diese Beschreibung knüpft, erklärt er seine Squamulina scopula für identisch mit Bowerbank's Hallphysema Tumanowiczii, und macht Letzterem einen herben Vorwurf daraus, dass er diese „Foraminifere" für eine Spongie gehalten habe, „as mental Operations are seldom so correct as visual ones." (!) Wie wenig gerechtfertigt dieser Vorwurf ist, geht daraus hervor, dass erstens beide Organismen offenbar ver- schiedene Gattungen sind, zweitens weder dieser noch jener eine „Foraminifere" ist, und drittens beide Gastraeaden viel näher den Spongien als den Foraminiferen stehen. Unbegreiflich ist es da- gegen, wie Carter dazu kommen konnte, dieselben kurzweg für eine Squamulina zu erklären; obgleich Max Schultze dieses Genus ganz klar als eine einkammerige Monothalamie mit compacter Kalkschale von bestimmter Form bezeichnet. Noch unbegreiflicher freilich, als diese Vereinigung von Hali- ph/sema mit Squamulina, einer einfachen, kalkschaligen M o n o - thalamie, muss es erscheinen, wenn Carter dieselbe gleich- zeitig für eine nautiolide Polythalamie erklärt. Man wird vermuthen, dass derselbe die fünf Kammern des Schlauches, welche in einer Reihe hintereinander liegen, für Polythalamien- Kammern hält und demnach die ganze Kammerreihe einer Nodo- Bisherige Beobachtungen über Physemarien. 177 sarie oder Stichostegie vergleicht. Keineswegs! Vielmehr sollen die unregelmässigen und variablen Ausbuchtungen der engen Höhle in der ßasalscheibe („pedestal"), welche durch rudimentäre Scheidewände unvollständig getrennt sind, den Kammern einer nautiloiden Polythalamie entsprechen; die enge Basalhöhle soll die Centralkammer und der ganze gestielte Schlauch soll nur eine Verlängerung dieser Centralkammer sein. Diese „comparative morplwlogy" (p. 3J9) von Carter ist so merkwürdig, dass ich den betreffenden Hauptsatz hier wörtlich wiedergebe: „Now this ra- diated disk undoubtly has very much the appearence of the radiated septa of an coral polype; but is has a still nearer affi- nity to the septal divisions of a nautiloid foraminiferous test; and when we compare the whole structure of the pedestal with the latter, we cannot help seeing that the septal divisions are homo- logous with the septa of a nautiloid foraminiferous test, and that the central area corresponds with the initial or primary cell of a nautiloid individual, which, on being prolonged upwards, in Squa- mulina scopula, developes a column at the expense of the spire." (!) Eine Kritik dieser „comparative morphology" erscheint überflüssig; zumal wenn gleich darauf diese monothalamie Poly- thalamie (die kein Rhizopode ist!) für nahe verwandt mit den Myxomyceten (Aethalium) erklärt wird (1. c, p. 319); und wenn unmittelbar darnach aus diesen „Homologien" gefolgert wird, dass die Foraminiferen Uebergangs formen zwischen Spongien und Cor allen sind ! ! (p. 320). x) Was zunächst die angebliche Rhizop öden -Natur der Squamulina scopula anbetrifft, so ist diese von Carter in keiner Weise näher festgestellt. Denn dass er beim Druck auf die Schläuche gelbliche halbdurchsichtige Sarcode und zahlreiche Reproductions-Zellen entleerte, wird Niemand als Beweis für jene Behauptung gelten lassen; so wenig als den Umstand, *) Die angeführten Ansichten Carter's über „Comparative Morpho- logie" der Thiere erscheinen in noch merkwürdigerem Lichte, wenn wir a. a. O. von ihm erfahren, dass die nächsten Verwandten der Spongien die Tunicaten und zwar die Ascidien sind! On the ultimate structure of marine sponges. Ann. and mag. of nat. hist. 1870, Vol. VI, p. 335. (Wie die Foraminiferen die niedersten Formen der Corallen, so sollen die Spongien die „initiative forms", der Bryozoen und^ Tunicaten sein ! Anderseits freilich hält Carter die Schwämme wieder für „flagellated infusoria"! (Ibid. 1871, Vol. VIII, p. 1—27». Vergl. meine Monographie der Kalkschwämme, Bd. I, S. 27—31.) 178 Die Physemarien. dass die herausgedrückte Masse unbestimmte Bewegungen zeigte. Die charakteristischen P s e u d o p o d ie n der Rhizopoden und ihre Bewegungen hat Carter dagegen niemals zu sehen vermocht, ob- gleich er versichert, an vollkommen lebenden Exemplaren unter den günstigsten Umständen darnach gesucht zu haben. Er sucht das damit zu entschuldigen, dass man die Pseudopodien nur bei starken Vergrösserungen erkennen könne und diese bei dem grossen opaken Objecte nicht anwendbar seien. Das ist aber nicht richtig. Bei Gromien und anderen grossen Rhizopoden lassen sich die umfangreichen Pseudopodien-Netze schon bei schwacher Vergrösserung und häufig sogar mit blossem Auge deutlich er- kennen. Die wahre Natur von Carter's Squamulina scopula wurde mir klar, nachdem ich in Smyrna das nahe verwandte und nur spe- cifisch verschiedene Gastrophysema dithalamium beobachtet hatte. Aus der Anatomie und Ontogenie dieses merkwürdigen Organismus, und aus der Vergleichung desselben mit dem schon früher von mir in Norwegen beobachteten Haliphysema ergab sich, dass wir es hier mit einer neuen Gruppe von niedersten Pflanzenthieren zu thun haben, die in keine der heute bestehenden Thierclassen ohne Zwang sich einreihen lassen. Die Physemarien, wie wir diese Gruppe nennen wollen, sind weder echte Spongien, noch echte Hydroid-Polypen; noch weniger oder vielmehr gar nicht sind sie mit den Rhizopoden verwandt. Dagegen stehen sie der hypothetischen Gastraea, der zweiblätterigen Stammtorm aller Metazoen, näher als alle anderen uns bekannten Thiere, und können daher gerade/Ai als „G a s t r a e a d e n der Gegenwart" bezeichnet werden. Ich will nun znnächst die genaue Beschreibung der verschiedenen Arten geben, welche ich von den beiden Gattungen Haliphysema und Gastrophysema beobachtet habe, und daran einige allgemeine Betrachtungen über ihre Organisation, ihre Verwandtschafts- Beziehungen und ihre Bedeutung für das Thier-System anknüpfen. 14. Das Genus Halipliysema. Taf. IX-XI. Ein Organismus, welcher mit dem Haliphysema Tumanowiezii von Bowerbank sehr nahe verwandt und wahrscheinlich sogar iden- tisch ist, wurde von mir zuerst im Jahre^ 1869 an der Küste von Norwegen beobachtet, als ich auf der Insel Gis-Oe unweit Bergen Das Genus Haliphysema. 179 nach Kalksckwämmen suchte. Das kleine Wesen interessirte mich sehr wegen der auffallenden Ähnlichkeit, welche es mit der ein- fachsten Form der Kalkschwämme, mit Olynthvs darbot, und ich glaubte zunächst in ihm eine einfachste Form der Sandschwämme oder Psammospongien gefunden zu haben, welche sich zu der ge- wöhnlichen Form der letzteren, zu Dysidea ebenso verhielte, wie Olynthus zu Dyssycus , wie die Asconen zu den Leuconen. Aber vergeblich suchte ich an dem einfachen schlauchförmigen Körper des vermuthlichen Sandschwammes nach Poren. Erst viel später, als ich in Smyrna mit der Anatomie und Ontogenie des Gastro- physema bekannt wurde, ging mir das Verständniss seiner Or- ganisation auf. Erst dadurch wurde ich in den Stand gesetzt, dasjenige, was ich vier Jahre früher in Norwegen darüber er- mittelt hatte, richtig zu deuten und zu Gunsten der Gastraea- Theorie zu verwertheD. Ich verschob damals die Mittheilung meiner Beobachtungen, weil ich die Hoffnung hegte, dieselben bei einem wiederholten Aufenthalte an der Meeresküste und bei genauerer Durchmusterung meiner Sammlung noch vervollständi- gen zu können. Wenn auch nicht in dem gehofften Maasse, ist das wenigstens theilweise jetzt der Fall gewesen. Als ich im vorigen Jahre Corsica besuchte, gelang es mir, in der Bucht von Ajaccio ein kleines Haliphysema aufzufinden, welches dem H. Tumanowiczii der Nordsee sehr nahe steht und welches ich als H. primordiale bezeichnen will (Taf. IX). Ferner fand ich eine andere Art derselben Gattung (H. echinoides) aufsitzend auf dem Fusse einer Tiefsee-Spongie aus dem zoologischen Museum in Bergen, welche ich Herrn Dr. Koren verdanke. Diese Art ist wahrscheinlich identisch mit der Wyvilletlwmsonia Waüichii, welche 1870 E. Perceval-Wright beschrieben hat. (Taf. X). Eine dritte, sehr merkwürdige Art (H. globigerina) erhielt ich durch Herrn Randropp von den Far-Öer. (Taf. XI). Nimmt man dazu die beiden von Bowerrank beschriebenen Arten, so beläuft sich die Zahl der Species in dieser Gattung bereits auf fünf. Vier davon kommen auf den nördlichen Theil des atlantischen Oceans, eine auf das Mittelmeer. Ich gebe hier nun zunächst die kurze Charakteristik des Genus Haliphysema und seiner fünf Species und schliessen daran die ausführliche Beschreibung der letzteren an. Charakteristik des Genus Haliphysema: Körper der Person einfach schlauchförmig, einaxig;, ungegliedert; am aboralen Pole der Axe durch einen Stiel am Meeresboden be- festigt. Einfache Höhle des Schlauches (Magenhöhle) am oralen 180 Die Physemarien. Pole der Axe durch einen Muüd geöffnet. Körperwand aus zwei Schichten gebildet: innere Schicht ein einfaches Geissel-Epithel, in dem einzelne Eizellen zerstreut liegen; äussere Schicht ein kernhaltiges Syncytiuni , aus verschmolzenen Zellen gebildet, welche eine Masse fremder Körper aufgenommen und so ein festes Pseudo-Skelet gebildet haben. (Selten ist der Körper verästelt und bildet kleine Stöckchen). Uebersicht der Species von Haliphysema. Stiel einfach, kürzer als der spindel- förmige Körper. Sand-Skelet unten aus Sandkörnchen , oben aus Schwamni- nadeln gebildet 1. H. primordiale. Stiel einfach, 2 — 3 mal länger als der kugelige Körper. Sand-Skelet grössten- theils aus Schwammnadeln und Litha- sterisken gebildet 2: ff. echinoides. Stiel einfach 4 — 6mal länger als derbirn- förmige Körper. Sand-Skelet grössten- fcheils aus Rhizopoden-Schalen, nament- lich Globigerineu gebildet 3. IL globigerina. Stiel des einkam- merigen Körpers solid, keine Fort- setzung der Magen- höhle enthaltend. Stiel des einkam- merigen Körpers hohl , eine Fort- setzung der Magen- höhle enthaltend. Stiel einfach, ungefähr so lang als der keulenförmige Körper. Sand - Skelet unten aus Sandkörnchen, oben aus Schwammnadeln gebildet -i.H.Tumanowiczii. •Stiel verästelt; Aeste 2 — 4mal länger als die kugeligen Körper. Sand-Skelet grösstentheils aus Fragmenten von Spongien - Nadeln gebildet. (Stock bildend) 5. H. ramidosum. 1. Haliphysema primordiale H. Taf. IX. Diagnose: Körper der Person spindelförmig, auf einem kurzen, dicken Stiel befestigt. Stiel solid, cylindrisch, kaum halb so lang als der Körper, Magenhöhle spindelförmig; Mund- öffnung- einfach. Die fremden Körper, welche das Exoderm in- crustiren, bestehen in der unteren (aboralen) Hälfte vorzugsweise aus Sandkörnchen, in der oberen (oralen) Hälfte vorzugsweise aus Nadeln verschiedener Spongien, sowohl Kiesel- als Kalk- schwämme; Nadeln oralwärts gerichtet. Das Genus Haliphysema. jyj_ Beschreibung : Haliphysema primordiale stellt in ausgebil- detem Zustande einen spindelförmigen Sclilauch dar, dessen äussere Gestalt wenig zu variiren sebeint (Fig. 121, 122). Die Gesammtlänge beträgt 1,6 — 1,8, höchstens 2 Mm. Das obere, orale Ende ist fast ellipsoid, 0,5—0,6 Mm. dick; das untere, ab- orale Ende verdünnt sich in einen cylindrischen sehr kurzen Stiel von 0,2 Mm. Dicke. Dieser sitzt mit einer schmalen, schei- benförmigen, wenig verbreiterten Basis auf Algen auf, namentlich auf dem Thallus von Zonaria pavonina. Der Durchmesser der Basis beträgt ll10—%) höchstens 7& der Körperlänge. Die Aussenfläche des Körpers erscheint bei schwacher Ver- grösserung in der aboralen Hälfte glatt, in der oralen Hälfte stachelig. Bei starker Vergrösserung ergibt sich, dass die In- crustation des Exoderms in dem aboralen, cylindrisch-konischen Theile grösstentheils aus Sandkörnchen besteht, hingegen in dem ellipsoiden oralen Theile aus Spongien-Nadeln. Die Sandkörn- chen, welche das Skelet des ersteren bilden, erscheinen insofern mit Auswahl zusammengelesen, als sie von ziemlich gleichmäs- siger Grösse sind ; die meisten haben 0,02— 0,06 Mm. Dazwischen finden sich viele kleinere, aber nur sehr wenig grössere Steinchen. Mit den Sandkörnchen gemischt, finden sich kleine Fragmente von Spongien-Nadeln und von Echinodermen-Stacheln, hier und da auch Bruchstückchen von Mollusken-Schalen. In der Mitte des Körpers wird dieses Skelet-Material seltener und an seine Stelle treten die Spicula von Spongien, welche in dem oralen Körperdritttheile fast ausschliesslich die Bewaffnung bilden. Diese Schwammnadeln gehören sehr verschiedenen Gattungen und Arten von Spongien an. Ganz vorherrschend sind die einfachen, an beiden Enden zugespitzten Nadeln von Reniera; dazwischen finden sich aber auch häufig die stecknadelförmigen , am einen Ende spitzen, am andern Ende mit einem Knopfe versehenen Nadeln von Esperia; und zwar ist hier gewöhnlich das stumpfe oder geknöpfte Ende nach aussen gekehrt, das spitze Ende im Exo- derm verborgen; seltener ist das Umgekehrte der Fall. Zwischen den ganzen, wohlerhaltenen Nadeln der Kieselschwämme finden sich verstümmelte und abgebrochene Nadeln, sowie Fragmente. Auch Spicula von Kalkschwämmen finden sich in geringer und wechselnder Zahl zwischen den Nadeln der Kieselschwämme, ins- besondere die characteristischen Dreistrahler von Ascetta blanca und die schlanken, an ihrer lanzenförmigen Spitze leicht kennt- lichen Stabnadeln von Ascandra Lieberkülmii : zwei Asconen die 182 Die Physemarien. in grosser Menge und Formen-Mannigfaltigkeit an der nämlichen Localität sich finden. Bei letzterem Kalkschwamme ist stets die einfache Spitze der langen defensiven Stabnadeln im Exoderm verborgen, die Lanzenspitze frei nach aussen gekehrt. Hingegen erscheinen dieselben Nadeln im Körper von Raliphsema pyrimor- diale ohne Wahl gelagert, bald die einfache Lanzenspitze aboral im Exoderm versteckt, die Lanzenspitze oralwärts frei vorstehend, bald umgekehrt. Im Uebrigen sind bei H. primordiale , ebenso wie bei H. Tumanowiczii , die Nadeln sämmtlich mehr oder weniger oralwärts gerichtet, die meisten parallel der Längsaxe des Körpers oder wenig davon abweichend ; bald sind sie so dicht gedrängt; dass sie einen pinselartigen Busch oder Besen bilden, bald stehen sie lockerer vertheilt (Fig. 121). Ein Längsschnitt durch Haliphysema primordiale offenbart sofort die charakteristische Organisation dieses einfachen Gas- traeaden (Fig. 122). Der spindelförmige Körper enthält eine ge- räumige Höhle von gleicher Gestalt, deren dicke Wand aus zwei völlig verschiedenen Schichten besteht. Diese beiden Schichten sind die beiden primären Keimblätter: Exoderm und Entoderm. Nur das Exoderm enthält die fremden Körperchen, welche das stützende und schützende Skelet der schlauchförmigen Person bilden. Das Entoderm hingegen besteht nur aus einer einzigen Schicht von Geisselzellen, zwischen denen einzelue Eier zerstreut liegen. Das Exoderma oder Hautblatt, das äussere primaere Keimblatt, zeigt bei genauerer Untersuchung folgende charak- teristische Verhältnisse. (Fig. 122e, 123e, 126). Die fremden Körper, welche das Skelet zusammensetzen und welche den gröss- ten Theil der Körperwand einnehmen, sind verkittet durch eine organische Substanz. Diese ist nicht etwa eine structurlose Aus- scheidung der inneren Zellenschicht, sondern besteht aus Proto- plasma mit eingestreuten Zellenkernen, bildet mithin ein Syn- cytium in demselben Sinne, in welchem ich dasselbe bei den Kalkschwämmen beschrieben habe (Monogr. Bd. I. S. 160—170). Soweit ich die Beschaffenheit desselben habe ergründen können, stimmt es auch in chemischer und physikalischer Beziehung wesentlich mit letzterem überein. Uebrigens ist die Untersuchung nicht leicht, denn die Sandkörner, die Schwammnadeln und die übrigen fremden Körper sind meist so dicht mit einander ver- webt und verkittet, dass es nur schwer gelingt, die verbindende Zwischensubstanz, die eigentliche Grundsubstanz des Exoderms, in Das Genus Haliphysema. 183 einiger Menge zu isoliren (Fig. 126). Wo dies möglich ist, da zeigt sich dasselbe als eine homogene oder feinkörnige Masse, in welche zahlreiche rundliche Zellenkerne eingestreut sind. Die Nuclei sind meistens länglich-rund, ellipsoid oder eiförmig, bis- weilen fast stabförmig gestreckt, von 0,006—0,009 Mm. Durch- messer. Die Substanz der Kerne erscheint ziemlich hell oder fein- körnig. Ein Kernkörperchen ist meist sichtbar. Durch Einwir- kung von verdünnter Essigsäure treten sie sehr scharf hervor. Nach längerer Einwirkung von Carmin färben sie sich hellroth, deutlicher als die Grundsubstanz, doch viel schwächer als die Kerne der Entodermzellen. Um jeden Kern herum findet sich ein Hof von sehr kleinen, fettglänzenden, dunkeln Körnchen. Häufig strahlt dieser Körnchenhof sternförmig aus. Das Entode rma oder Darmblatt bietet bei H. primordiale folgende Verhältnisse dar (Fig. 122 i, 123 i, 125). Die gesammte Magenhöhle ist von einer einzigen Schicht von flimmernden Zellen ausgekleidet. Dieses Gastral-Epithelium besteht zum grössten Theile aus Geisseizeilen (i), zwischen denen im aboralen und mittleren Theile der Darmhöhle amoeboide Eizellen zerstreut sind (o); am oralen Theile findet sich eine Zone von grösseren Geisseizellen, die eine unvollkommene Spirale bildet und als Strudel-Apparat zur Einführung von Wasser und Nahrung fungirt. (Fig. 124). Die Geisseizellen (Fig. 124), welche den grössten Theil des Gastral-Epitheliums bilden, zeigen in Grösse, Form, Structur und physiologischem Verhalten die grösste Aehnlichkeit mit den Geisselzellen der Kalkschwämme, welche ich in deren Mono- graphie ausführlich beschrieben und durch zahlreiche Abbildungen erläutert habe. (Bd. I, S. 132—144; Bd. III, Taf. 1, Fig. 8; Taf. 25, Fig. 5, 6; Taf. 41, Fig. 7 etc.). Wie bei den Calci- spongien, so ist auch bei unseren Gastraeaden das Protoplasma der cylindrischen Geisselzellen deutlich in ein hyalines Exoplasma und ein granuloeses Endoplasma geschieden. Das letztere enthält wechselnde Mengen von feinen fettglänzenden Körnchen und um- schliesst den kugeligen Kern (von 0,002—0,004 Mm. Durchmesser). Das hyaline Exoplasma enthält keine Körnchen, und ist von sehr geringer Dicke. Nur an dem freien Theil der Zelle, welcher der Gastralfläche zugekehrt ist, erscheint dasselbe verdickt („Zellhals, Collum") und erhebt sich in Gestalt eines trichterförmigen Ringes („Zellkragen, Collare"). Innerhalb dieses Trichters erhebt sich die lange und sehr dünne fadenförmige Geissei, deren Basaltheil bis in das körnige Endoplasma hineinragt (Fig. 125). Ihre Schwingungen 184 Die Physcmarien. sind ziemlich lebhaft. Die Länge der Geissei beträgt 0,03—0,04 Mm., Die Länge der Cylinderzellen 0,007—0,01 Mm., ihre Dicke 0,003 Mm. Ihre Form ist wechselnd, cylindrisch-prismatisch oder gegen die Basis konisch verdickt, bisweilen mehr glockenförmig. Wie bei den Spongien, so können auch hier die Geisseizeilen ihre Gestalt verändern und isolirt amoeboide Bewegungen ausführen. Der Strudel-Apparat (Fig. 124), welcher die Mundöffnung von Ilaliphysema primordiale auskleidet, und welcher die beständige Einführung von Wasser und Nahrung vermittelt, ist vielleicht ein charakteristischer Theil in der Organisation der Physemarien. Er besteht aus einer Spirale von stärkeren Flimmerzellen, die sich sowohl durch ihre Grösse, wie durch ihre sonstige Be- schaffenheit von den übrigen Geisselzellen des Gastral-Epithels auszeichnen. Die Untersuchung dieses Apparates ist sowohl bei Ilaliphysema primordiale als bei Gastrophysema dithalamium, bei welchen beiden Arten ich denselben allein deutlich erkannt habe, äusserst schwierig und es werden sich vielleicht bei genauerer Untersuchung an günstigeren Arten noch mancherlei Verhältnisse ermitteln lassen, über die ich keine befriedigende Klarheit er- langen konnte. An Spiritus-Exemplaren, auch an gut conser- virten, lässt sich gerade hierüber sehr wenig ermitteln. Soviel ich bei Haliphysema primordiale, theils an Längschnitten der lebenden Person, theils bei der zufälligen (selten gelingenden) Einsicht in die Mundöffnung beobachten konnte, stellt der Strudel- Apparat hier eine flache Spirale dar, welche viel Aehnlichkeit mit der adoralen Peristom - Spirale von mancherlei ciliaten Infusorien, namentlich Stentor und Vorticella, besitzt. Die Spirale beginnt an einem Punkte der Mundöffnung und geht in flacher Windung durch die innere Peripherie des kurzen Schlundrohres, wie wil- den verengerten Oraltheil der Gastralhöhle bezeichnen können. Sie scheint nur eine vollständige Windung zu beschreiben und verliert sich unten ohne scharfe Grenze zwischen den gewöhnlichen Geisseizellen. Die grösseren Geisselzellen des Peristoms sind 2—3 Mal so dick, anderthalbmal bis doppelt so lang als die ge- wöhnlichen Geisselzellen und von mehr rundlicher Form. Ihre Länge beträgt 0,012—0,016 Mm., ihre Dicke 0,005 Mm. Ihr Kern ist ebenso gross oder nur wenig grösser als derjenige der Gastral- zellen. Das Endoplasma ist dunklerkörnig und enthält einzelne Oelkügelchen. Das Exoplasma ist dicker und geht in einen dicken starken Hals über, aus dessen Rande sich nur ein niedriger Kragen Das Genus Haliphysema. 185 erhebt. In der Axe des trichterförmigen Kragenhohlraums steht eine sehr starke und lange Geissei von 0,01—0,02 Mm. Länge. Die Eizellen von Haliphysema primordiale gleichen in Bezug auf Grösse, Beschaffenheit und Vertheilung im Gastralraum den- jenigen von Olynilms (Monogr. der Kalkschwämme, Taf. 1, Fig. 1 g, 7 g, 10-12; Taf. 11, Fig. 6 g, 7 g etc.). Die Eier sind nackte, ameoboide Zellen und liegen einzeln zerstreut zwischen den Geisseizellen des Gastral-Epithels. Ihre Grösse beträgt im Durch- messer 0,04—0,06 Mm. Das Protoplasma ist in ein ganz hyalines Exoplasma und ein sehr körnerreiches Endoplasma gesondert. Ersteres schickt stumpfe amoeboide Fortsätze aus, durch deren active Ortsbewegungen die Eizelle im Stande ist, langsam umher- zukriechen. In die dickeren Fortsätze tritt auch ein Theil des körnigen Endoplasma ein. Dieses ist sehr trübe, reich an feinen dunkelglänzenden Körnchen und grösseren Oel-Kügelchen. In der Mitte schimmert ein helles Keimbläschen durch. Wenn man dieses durch Zerdrücken isolirt, erscheint es als ein klares kugeliges Bläschen von 0,02 — 0,03 Mm. Durchmesser. Dasselbe enthält einen dunkeln, stark lichtbrechenden Keimtieck, in welchem oft ein kleiner Keimpunkt sichtbar ist (Fig. 122o, 123o). Spermazellen war ich trotz vieler Bemühungen nicht im Stande nachzuweisen. Wenn sich dieselben im Exoderm ent- wickeln sollten, so würde der Nachweis sehr schwierig sein. Viel- leicht habe ich aber die Zoospermien übersehen oder mit gastralen Geisseizellen verwechselt. Vielleicht ist auch diese Art getrennten Geschlechts. Die Entwicklung der Eier konnte ich nicht beob- achten. Die Lebenserscheinungen, welche ich an dem lebenden Haliphysema primordiale beobachtete, beschränken sich auf die Flimmerbewegungen der Geisselzellen und die amoeboiden Be- wegungen der Eizellen. Am Exoderm vermochte ich weder im Ganzen, noch an einzelnen isolirten Stücken Bewegungen wahr- zunehmen, ebenso wenig als an der ganzen Person. Jedoch schien die Mundöffnung zu verschiedenen Zeiten einen verschiedenen Durchmesser zu besitzen. Die Farbe ist im Leben bräunlich, getrocknet weisslich. Fundort: Mittelmeer. Auf Felsen der Bucht von Ajaccio (Corsica), meistens aufsitzend auf dem Thallus von Zonaria pa- vonia, in Gesellschaft von Ascetta blanca. Haeckkl. 13 186 Die Physemarien. 2. Haliphysema echinoides, H. Taf. X. Diagnose: Körper der Person kugelig oder subsphärisch, auf einem dünnen und langen Stiel befestigt. Stiel cylindrisch, oben konisch verdickt, solid, 2 — 3 mal so lang, aber kaum Ve so dick als der Durchmesser der Kugel. Magenhöhle rundlich oder subkonisch. Mundöffnung etwas trichterförmig erweitert. Die fremden Körper, welche das Exoderm incrustiren, bestehen an dem dünnen Stiel aus Sandkörnchen und longitudinal gelager- ten Schwamm-Nadeln; an dem kugeligen Körper aus Nadeln ver- schiedener Spongien, welche allseitig abstehen, meistens radial in Beziehung auf die Mitte der Kugel. Specielle Besehreibung: Haliphysema echinoides bildet kleine, kugelige, einem Distelkopf ähnliche Bläschen, die auf einem dünnen und langen soliden Stiele befestigt sind. Ich fand vier Exemplare derselben aufsitzend auf der Basis eines Tiefsee- schwammes (einer Stettetfa), welcher dem zoologischen Museum zu Bergen (Norwegen) gehörte und welche mir der Director des- selben, Herr Dr. Koren, gütigst zur Untersuchung überlicss. Das Gläschen, in welchem sich das Präparat vorfand, war ohne nähere Bezeichnung des Fundortes; jedoch rührte sein Inhalt nach Dr. Koren's mündlicher Mittheilung von einer nordatlantischen Tiefsee- Sondirung her. Der Durchmesser des kugeligen Köpfchens be- trägt 0,8 Mm., den Stachelpanzer mitgerechnet 1,2— 1,5 Mm.; die Länge des Stiels 1-2 Mm., die Dicke desselben 0,1—0,2 Mm.; die konische oder zwiebeiförmige Basis, mit welcher der Stiel auf dem abgestorbenen Körper des Rindenschwammcs befestigt ist, hat 0,6—0,8 Mm. Durchmesser. Der eigentliche sphärische Körper dieses Haliphysema ist so stachelig wie ein Echinus oder ein Distelköpfchen und starrt von zahlreichen dünnen und einzelnen dickeren Nadeln, die nach allen Richtungen dicht gedrängt abstehen. (Fig. 127). Die genauere Untersuchung ergibt, dass dieser Sfachelpanzer fast ausschliess- lich durch die Spicula verschiedener Spongien gebildet wird, namentlich von Corticaten. Es finden sich darunter zahlreiche stärkere und feinere Aukernadeln, wie sie bei Geodia und Stel- letta vorkommen; dazwischen sehr viele dünne einfache Nadeln. Die vicrstrahligcn Ankernadcln sind meistens so gelagert, dass der lange Hauptstrahl radial abskht und die drei Ankerzähne Das Genus Ilaliphysema. 187 an seinem freien Ende trägt, doch können die letzteren auch um- gekehrt im Exoderm eingekittet sein. In letzterem finden sich ausserdem noch sehr zahlreiche, kleinere und grössere, stern- förmige Spicula von Tethya oder Stellctta und Kieselkugeln von Geodia oder Camin us. Diese letzteren sind auch in grosser Zahl in den soliden Stiel eingekittet, dessen Oberfläche mit einer Schicht von einfachen und ankerförmigen Nadeln gepanzert ist. Letztere sind unregelmässig longitudinal neben einander gelagert, die drei gekrümmten Ankerzähne bald nach oben , bald nach unten gerichtet. Unten breitet sich der solide Stiel in eine un- regelmässige scheibenförmige Basis aus, welche zum grössten Theile aus dicht verkitteten Kieseltheilen von Corticaten, Tethya- Sternchen und Geodia-Kügelchen besteht (Fig. 127). Ein Längsschnitt durch den Körper von Haliphysema echi- noides (Fig. 128) zeigt uns eine ziemlich enge, rundliche, fast kegel- förmige Darmhöhle, die von einer dicken, zweischichtigen Wand umschlossen ist. Die äussere Schicht ist das Exoderm, wel- ches eine sehr feste mörtelartige Masse darstellt. Diese besteht aus einem kernreichen Syncytium, welches mit den fremden Körpern des Pseudo-Skelets sehr fest verkittet ist; sowohl mit den Basaltheilen der radial abstehenden Spongien-Nadeln, als auch mit sehr zahlreichen und dicht gedrängten Fragmenten von Spongien- Nadeln und Sandkörnchen, hauptsächlich aber Lithasterisken von Tethyen, Stelletten u. s. w. Alle diese Spongien-Skelettheile, zu denen sich auch noch Sandkörnchen, kleine Splitter von zerbrochenen Muschelschalen, Echinodermen- Stacheln u. s. w. gesellen, sind sehr dicht mit einander verkittet durch eine ausnehmend feste und zähe, fast knorpelartige Sarcode-Masse. Zahlreiche, in letztere eingestreute Zellenkerne beweisen, dass wir auch hier wieder ein Syncytium vor uns haben. Die Nuclei sind von unregelmässiger, länglichrunder Gestalt, 0,005 — 0,007 Mm. gross. Sie sind am zahl- reichsten und am leichtesten zu finden an der glatten Innenfläche des Exoderms , während die unebene , äussere Oberfläche des letzteren fast bloss von den fremden Körpern eingenommen wird. Im Grunde der Magenhöhle bildet das Exoderm in deren Axe einen zapfenartigen konischen Vorsprung (Fig. 128 c). Der- selbe wird von einigen stärkern, als Fortsetzung des Stiels er- scheinenden Spongien-Nadeln gestützt und scheint wesentlich als Träger der gleich zu erwähnenden Eizellen zu dienen. Wir wollen diesen Zapfen als Columella bezeichnen. Das Entoderm befand sich an den vier, mir zu Gebote 13* 188 Die Physemarien. stehenden Spiritus-Exemplaren in einem so mitteimässigen Erhal- tungszustande, dass ich wenig mehr als die Anwesenheit eines einschichtigen Zellenlagers und im Grunde der Magenhöhle von Eizellen constatiren konnte. Die Epithelzellen der Darmhöhle er- schienen rundlich, polyedrisch, von 0,006 — 0,008 Mm. Durchmesser, mit einem ungefähr halb so grossen Kern. Von dem Hals und Halskragen der Geisseizellen, wie sie H. primordiale zeigte, war nichts zu bemerken, eben so wenig von einer Geissei. Auch die Spur einer adoralen Geisseispirale Hess sich nicht auffinden. Dagegen lag im Grunde der Magenhöhle ein unregelmässiger Haufen von grossen, trübgranulirteu, rundlichen Zellen, die man ihres hellen bläschenförmigen Kernes halber wohl für Eizellen zu halten berechtigt ist (Fig. 128 c, Fig. 131). Dieselben haben 0,08—0,12 Mm. Durchmesser, ihr Keimbläschen 0,02—0,04 Mm. Sie schienen an der Columella des Exoderms anzuhaften. Haliphjsema echinoides besitzt sehr viel Aehnlichkeit mit dem kleinen Tiefsee-Bewohner, den E. Perceval-Wrioht unter dem Namen Wyvillethomsonia Wallichii als eine Zwerg - Spongie be- schrieben und abgebildet hat. *) Der fragliche Organismus wurde von Wallich im October 1860 in einer Tiefe von 1913 Faden (= 11,478 Fuss) im atlantischen Ocean zwischen Neufundland und Grönland gefischt (58°,23' N. Br.; 48°50' W. L.). Der kugelige Körper hat 2 Mm. Durchmesser und sitzt auf einem 3 Mm. langen Stiele auf; das Skelet besteht aus sehr verschieden geformten Spongien-Nadeln, insbesondere aus dreizähnigen Ankeruadeln, ein- fachen, an beiden Enden zugespitzten, meist etwas gekrümmten Nadeln, und sehr zahlreichen Kieselsternchen. Die dreizähnigen Anker haben theils drei einfache, theils gabelspaltige Zähne und einen sehr langen, spitzen Stiel. Das sind Elemente, wie sie nur bei den Bindenschwämmen oder Corticaten vorkommen. Allein ihre Lagerung und Anordnung in der kleinen Wyvillethomsonia ist ganz verschieden von derjenigen der Corticaten, wie auch Perceval-Wright ganz richtig hervorhebt. Ausserdem fand derselbe bei einem seiner drei Exemplare zwischen jenen Corticaten-Nadeln sechsstrahlige Spicula, wie sie nur die ganz verschiedenen Hexactinellen besitzen. Aus allen diesen Gründen möchte ich glauben, dass Wyvillethomsonia Wallichii keine echte Spongie ist, sondern ein Haliphysema, welches sich sein Skelet aus den Spicula *) E. Perceval Wiught, On a new genus and species of Sponge from the deep-sea. Quarterly Journ. of micr. sc. 1870; Vol. X, p. 7; PI. II. Das Genus Haliphysema. 139 verschiedener Spongien, vorzugsweise Corticaten, aufgebaut hat. In der speeiellcn Zusammensetzung desselben, wie in der ge- sammten Körpcri'orm und Grösse gleicht sie unserem IL echinoides so sehr, dass mir ihre specifischc Identität wahrscheinlich ist. Eine Abweichung- würde allerdings darin bestehen, dass sich der Stiel bei Wyvilletlwmsonia durch die Axe der ganzen Magenhöhle fortsetzt, wie eine lange Columella. Vielleicht bilden sich hier die Eier. Eine kürzere Columella besitzt aber auch unser Haliphysema. Von dem Geissei - Epithel des Entoderms sagt Peroeval-Wrigiit, der nur conservirte Präparate untersuchen konnte, nichts; ebenso von Poren nichts. Spätere Beobachter derselben Art werden genau darauf zu achten haben. Fundort: Tiefsce des Nord-Atlantischen Oceans; Wallich, Koren. 3. Haliphysema globige rina, H. Taf. XI. Diagnose: Körper der Person birnförmig, auf einem sehr dünnen und langen Stiel befestigt. Stiel solid, cylindrisch, oben konisch verdickt und 4 — 6mal so lang, aber kaum Vio so dick als der Körper. Magenhöhle birnförmig. Mundöffnung einfach. Die fremden Körper, welche das Exoderm incrustiren, bestehen aus den Bestandteilen des Tiefseeschlammes, in der Körperwand zum grössten Theil aus Rhizopoden- Schalen, im Stiele meistens aus Coccolithen und Coccosphaeren. SpecielleBeschreibung: Haliphysema globigerina zeichnet sich vor den übrigen bis jetzt bekannten Physemarien dadurch aus, dass die Bestandtheile des Skelets zum grössten Theile nicht Schwammnadeln und Sandkörnchen, sondern Ithizopoden-Schalen* .sind, vorzugsweise Globigerinen. Offenbar ist diese eigentüm- liche Panzerbedeckung durch unmittelbare Anpassung an das Baumaterial des Wohnortes, an den Globigerinen-Schlamm gebildet, der die Tiefen des Oceans bedeckt. Ich erhielt diese merkwür- dige Physemarie von Herrn Randropp in Thorshavn (Far-Öer). Das mit Weingeist gefüllte Gläschen, in welchem ich dieselben fand, enthielt ausserdem mehrere Tiefsee-Spongien, aber keine nähere Bezeichnung über Fundort und Tiefe. In derselben Samm- lung befanden sich auch die Tiefgrundproben aus dem nordatlan- tischen Ocean, welche ich meiner Untersuchung von Bathybius zu 190 Die Physemarien. Grunde gelegt habe. J) Die Bestandtheile dieses Globigerinen- Schlammes sind ganz dieselben, welche das Pseudo-Skclet unser» Haliphysema zeigt, und daher erscheint die Vermuthung gerecht- fertigt, dass das letztere in denselben grossen Tiefen lebte. Der Körper zeigte bei allen drei mir vorliegenden Exemplaren ziemlich dieselbe birnförmige Gestalt und auch dieselben Grössen- Verhältnisse. Die Birnform ist sehr regelmässig. Die Länge beträgt 1 — 1,3 Mm., die Dicke 0,8- 1 Mm. Der schlanke, S-förmig gebogene Stiel ist 2—4 Mm. lang, 0,1—0,12 Mm. dick. Unten war der Stiel bei allen drei Exemplaren abgebrochen, so dass er möglicherweise noch eine bedeutendere Länge er- reicht. Worauf die Thierchen befestigt waren, liess sich aus diesem Grunde nicht ermitteln. Das Exodcrm besteht aus einer sehr zähen und festen, kernhaltigen Sarcode, welche mit den bekannten Bestandteilen des Bathybius-Schlammcs zu einem harten Mörtel verkittet ist. Die Hauptbestandteile sind Rhizopoden-Schalen und unter diesen vor allen Globigerinen , dickschalige (K) und dünnschalige (G) ungefähr in gleichen Verhältnissen. Dazwischen finden sich einzelne Rotalien, Polystomellen , Textularien (T) und andere kalkschalige Polythalainien ; ausserdem auch einzelne Radiolarien: Haliomma (H), Euchitonia (E), Trematodiscus (D) u. s. w. Zwischen den ganzen Schalen liegen allenthalben Fragmente von zerbrochenen Schalen, feiner Coceolitheu und Coccosphaeren, kleine Sandkörnchen und Fragmente von Spongien-Nadelu, letztere in sehr geringer Quantität. Die flacheren Schalen sind sämmtlich in Tangential- Ebenen gelagert. In dem verkittenden Sarcode-Mörtel zwischen den Schalen sind nur hier und da einzelne Zellenkerne wahrzu- nehmen und diese sind nicht leicht aufzufinden. Dagegen liegt unter dem Pseudoskelet und nicht scharf von ihm zu trennen, eine dünne Sarcode-Schicht, welche reich an Zellenkerncn ist und nur wenige fremde Körper, meist kleinste Fragmeute und Cocco- lithen enthält. Die innere Oberfläche dieses Syncytiuru, auf welcher das Entodenn aufsitzt, ist ganz glatt und unmittelbar unter derselben erscheinen die Nuclei in einer sehr regelmässigen *) Haeckel, Bathybius unddasfreieProtoplasmaderMeeres- tiefen. Studien über Moneren und andere Protisten, p. 86. Das von H. Randropp erhaltene Gläsehen mit Globigerinen-Schlamm trug die Auf- schrift : „Dredged of Professor Thomson und Dr. Carpenter with the steamer „Porcupine" on 2435 Fathoius, 22. Juli 1869. Lat. 47°38"; Long. 12°4". Das Genus Haliphysema. 191 Schicht, in gleichen Abständen vertheilt. Die Keine sind länglich rund, 0,002— 0,004 Mm. gross, meistens von einem kleinen Körnchen- hofe umgeben. (Fig. 134.) Der lange dünne Stiel des Körpers ist sehr fest und zugleich sehr elastisch. Auf einem Querschnitt (Fig. 13G) zeigt sich, dass derselbe solid ist und dass seine centrale Axensubstanz verschieden von der peripherischen Rindensubstanz und ziemlich scharf von dieser getrennt ist. Die Axensubstanz besteht fast blos aus Pro- toplasma, mit sehr zahlreichen Kernen, welche in regelmässigen Abständen und parallel der Längsaxe gelagert sind (Fig. 136n). Die Rindensubstanz hingegen besteht vorzugsweise aus Cocco- lithen (Discolithen und Cyatliolithen). l) Die Menge des Proto- plasma, welches dieselben verbindet, ist sehr gering und ebenso die Zahl der Kerne, die dazwischen zertreut liegen. Ein Längsschnitt durch den Körper (Fig. 133) zeigt eine geräumige Magenhöhle von birnförmiger oder fast kugeliger Ge- stalt und 0,8 Mm. Durchmesser. Oben öffnet sich dieselbe durch einen kreisrunden Mund von 0,15 Mm. Durchmesser. Diese Mund- öffnuug ist nabeiförmig eingezogen. Auf einem gut gelungenen Längsschnitt durch die Mitte derselben zeigt sich, dass die Wand der Magenhöhle hier eine förmliche Einstülpung, eine Art Schlund bildet. Diesem gegenüber erhebt sich im Grunde der Magenhöhle ein kurzer konischer Zapfen, eine Columella, ähnlich wie bei H. echinoides (Fig. 133 c, 135 c). Das Verhalten des Endoderms liess sich leider an den wenigen Spiritusexemplaren nicht genau erkennen. Nur die An- wesenheit einer einfachen Epithelschicht liess sich constatiren (Fig. 133 i). Dieses Gastral-Epithelium bestand aus einer einzigen Schicht polyedrischer , kernhaltiger Zellen von 0,004-0,00G Mm. Durchmesser und schien die ganze Innenfläche der Magenhöhle gleichmässig zu überziehen (Fig. 134i). An dem konischen Zapfen im Grunde der Magenhöhle waren diese Zellen etwas grösser, viel- leicht Mutterzellen von Eiern? (Fig. 135 o). Ob sich das Entoderm- Epithel auch noch auf die schlundartige Einstülpung fortsetzte, liess sich nicht entscheiden. Fundort: Tiefsee des Nord-Atlantischen Oceans. Randropp. ») Ueber Coccolithen (Discolithen und Cyatholitheu) und Coccosphaeren, vergl. den citirten Aufsatz über Bathybius (S. 190 Anmerkung). 192 Die Physemarien. 3. Haliphysema Tumanowiczii, Bowerbank. (Bowerbank, Monograph of the British Spongiade Vol. I, p. 179, Taf. XXX, Fig. 359; Vol. II, p. 76). Diagnose: Körper der Person keulenförmig oder eiförmig, auf einem kurzen, dicken Stiel befestigt. Stiel hohl, cylindrisch, ungefähr so lang als der Körper und halb so dick, unten mit scheibenförmig verbreiterter hohler Basis aufsitzend. Magenhöhle keulenförmig, unten bis in die Basis fortgesetzt. Mundöffnung einfach. Die fremden Körper, welche das Exoderm incrustiren, bestehen zum grössten Theile aus Spongien-Nadeln und deren Fragmenten; dazwischen finden sich, namentlich im Stiel, zahl- reiche Sandkörnchen. Specielle Beschreibung: Haliphysema Tumanowiczii ist das erste Physemarium, von dem eine Beschreibung und Abbildung gegeben wurde. Es geschah dies vor zwölf Jahren (1864) durch Bowerbank (1. c). Abgesehen davon, dass derselbe das Entoderm nicht erwähnt, welches die Innenfläche der Magenhöhle auskleidet, ist seine Beschreibung sehr genau; auch die Abbildung, von der Oskar Schmidt im zweiten Supplemente zu seinen adriatischen Spongien (Fig. 13) eine Copie gegeben hat, ist recht naturgetreu (Vergl. oben S. 173). Bowerbank erhielt das Haliphysema Tumanoioiczii, das er zu Ehren seines Entdeckers benannte, zuerst durch diesen vom Diamant- Grund bei Hastings, später auch noch von mehreren anderen Stellen der britischen Küste. Ich selbst beobachtete diese Art während meines Aufenthaltes an der norwegischen Küste (1869), auf der Insel Gis-Oe, in der Nähe von Bergen. Das kleine Physemarium sass daselbst in einzelnen Exemplaren auf den Wurzeln von Laminarien, die ich mit dem Schleppnetz aus einer Tiefe von un- gefähr 60—80 Fuss heraufgeholt hatte. In Grösse, Form und Skeletbildung stimmten diese norwegischen Exemplare so sehr mit den von Bowerbank beschriebenen britischen überein, dass ich der genauen Darstellung des letzteren hier nur Wenig hinzuzu- fügen habe. Der eigentliche Körper ist oval oder birnförmig, 1 — 1,2 Mm. lang und halb so dick. Ebenso lang, aber nur ein Viertel so dick ist der hohle cylindrische Stiel, der sich unten in eine scheibenförmige con- vexe Basis ausbreitet. Letztere ist an den norwegischen Exemplaren kleiner als an den britischen. Durchschnitte durch den kleinen Das Genus Ilaliphysema. 193 Schlauch zeigen eine geräumige Höhle, die sich oben durch eine kreisrunde einfache Mündung öffnet, und deren dünue Wand deut- lich aus zwei verschiedenen Schichten besteht. Die innere Schicht, das En toder m, ist ein einfaches Geissel-Epithel; die Geissei- zellen desselben schienen mir damals sehr ähnlich denjenigen der Kalkschwämme zu sein ; eine genauere Untersuchung derselben habe ich nicht angestellt. Die äussere Schicht, das Exoderm, ist ein kernhaltiges Syncytium, gebildet aus verschmolzenen Zellen, welche eine Masse fremder Körper aufgenommen und zu eiuem Pseudo-Skelet verkittet haben. Die meisten dieser fremden Körper sind in der unteren Körperhälfte Sandkörnchen und Fragmente von Schwammnadeln ; in der oberen Hälfte längere Spongien-Spicula (theils einfache spitzige, theils geknöpfte), welche oralwärts ge- richtet abstehen. Hierin stimmten die norwegischen Exemplare ganz mit Bowemunk's Darstellung überein. Eine genauere Untersuchung unterliess ich damals, weil ich eine kleine Psammopongie mit zu- fällig geschlossenen Poren vor mir zu haben glaubte. Fundort: Nord-Atlantischer Ocean: Britische Küsten: „Dia- monde ground of Hastings, Tuimanowicz; ßerwick Bay, Johnston; Callercoats (?) Alder." Norwegische Küste: Gis-Oe bei Bergen, Haeckel. 5. Haliphysema ramulosum, Boweubank. (Buwekbank, Monograph of the British Spongiadae, Vol. II, p. 79; Vol. III, PI. XIII, Fig. 1.). Diagnose: Stockbildend. Stöckchen gabelspaltig verzweigt. Gabeläste (oder Personen des Stockes) cylindrisch, am Ende kolben- förmig oder fast kugelig angeschwollen. Die dünne Körperwand umschliesst eine geräumige Darmhöhle; diese öffnet sich am Ende jedes Astes durch einen Mund. Die fremden Körper, welche das Exoderm incrustiren , bestehen zum grössten Theile aus Frag- menten von Spongien-Nadeln, welche parallel der Längsaxe der Aeste gelagert sind. Von den angeschwollenen Enden stehen längere Spongien-Nadeln divergirend ab. Specielle Beschreibung: Ilaliphysema ramulosum, die zweite von Bowerbank beschriebene Art, wird von ihm mit fol- gender Diagnose bezeichnet: „Sponge pedicelled, ramose; bran- ching dichotomously; branches cylindrical, smooth and even; distal termination subglobose, hispid; Oscula and pores incon- spicous. Dermal membrane thin and trauslucent. Skeleton mem- 194 Die Physemarien. branous, with an incorporation of spicula of various sizes and shapes, and of minute grains of sand." Von dieser Art ist nur ein Exemplar bekannt, welches Norman bei Guernsey auf einem Skeletbruchstück von Gorgonia aufsitzend fand. Dasselbe ist zwei Linien hoch und ebenso breit und zeigt acht cylindrische Gabeläste, die am Ende kolbig, fast kugelig angeschwollen sind. Die Röhren- Wäu de sind sehr dünn und bestehen aus organischer Substanz, welche mit feinen Sandkörnchen, Bruchstücken von kleinen Schwamm-Nadeln und anderen fremden Körpern verkittet ist. In der Auswahl und Einverleibung des fremden Skelet- Materials zeigt sich eine sehr bemerkenswerthe Methode. Die Sandkörnchen sind alle innerhalb einer gewissen Grössen-Stufe ausgesucht und alle grösseren sind verschmäht. Ebenso sind auch die Spiculafragmcnte alle so kurz gewählt, dass sie sich leicht neben einander symmetrisch ordneten, in einer Ebene und parallel der Längsaxe. Nur für die Bewaffnung des Endkolbens sind grössere und besser erhaltene Spicula verwendet. Auch hier, wie bei //. Tumancrwiczii , gehören die Spicula verschiedenen Spongien-Arten an, und auch hier sind die allseitig abstehenden geknöpften Spicula bald mit dem stumpfen Knopf nach dem ab- oralen (proximalen), bald nach dem oralen (distalen) Ende ge- kehrt. Daraus allein schon geht deutlich hervor, dass auch hier die sämmtlichen Skelettheile fremde Körper und keine Producte des angeblichen Schwammes sind. Bowe ^bank wirft daher schliess- lich die Frage auf, ob nicht Haliphysema richtiger zu den Sand- schwämmen oder Psammospongien (Hornschwämmen mit Sand- Skelet, Dysidea etc.), als zu den eigentlichen Kieselschwämnien zu stellen sei, eine Frage, welche (die Spongien-Natur dieses Organismus angenommen) bejaht werden müsste. Aber auch bei TL ramidosum, wie bei H. Twnanowizii, fand der englische Be- obachter weder Oscula noch Poren, und doch ist der Besitz von Poren für den Begriff der „Porifera" unerlässlich. Fundort: Britische Küste : Guernsey, Norman. 15. Das Genus Gfastropliyscma. Taf. XII— XIV. Die neue Gattung GastropJwsema gründe ich für solche Phy- semarien, deren schlauchförmiger Körper nicht eiufach und ein- kammerig, wie bei Flaliphysema, sondern durch eine oder mehrere, Das Genus Gastrophysema. 195 ringförmige EiDSchnürungen in zwei oder mehrere hiuler ein- ander gelegene Kammern abgetheilt ist. Bis jetzt erscheint dieses Genus nur durch zwei Species vertreten. Die eine Art (G. ditha- lamium) ist zweikammerig und lebt im Mittelmeer. Bau und Ent- wickelung derselben bis zur Gastrula- Bildung konnte ich in Smyrna eingehend untersuchen. Die andere Art (G. scopula) ist fünfkammerig und lebt au den britischen Küsten. Das ist der- selbe Organismus, welchen Carter unter dem Namen Squamvlina scopula beschrieben und zu den Foraminiferen gestellt hat. Carter's ausführliche Darstellung ist sehr detaillirt bezüglich der äusseren Form- Verhältnisse. Dagegen sagt er nichts von dem zweischich- tigen Bau des schlauchförmigen Körpers und von dem charak- teristischen Geissel-Epithel der Magenhöhle. Es bleibt also immer- hin möglich, dass der von ihm beobachtete Organismus in eine andere Thiergruppe gehört. Aber die auffallende Aehnlichkeit mit unserem G. dithalamium in der gesammten Gestalt und Grösse, der Kammerbildung und Skeletbildung lässt es wohl gerecht- fertigt erscheinen, wenn ich auch G. scopida einstweilen in dieser Gattung aufführe. Charakteristik des Genus Gastrophysema: Kör- per der Person einfach schlauchförmig, einaxig, gegliedert, am aboralen Pole der Axc durch einen Stiel am Meeresboden be- festigt, Mehrere (2 — 5) Glieder von verschiedener Grösse und Form liegen hintereinander, durch quere Einschnürungen unvoll- ständig getrennt. Höhle des Schlauches (Magenhöhlc) dem ent- sprechend in mehrere (2 — 5) communicirende Kammern getheilt; die letzte Kammer am oralen Pole der Axe durch einen Mund geöffnet. Körperwand aus zwei Schichten gebildet: innere Schicht ein einfaches Geissel-Epithel, im aboralen Thcile Eizellen bildend; äussere Schicht ein kernhaltiges Syncytium, aus verschmolzenen Zellen gebildet, welche eine Masse fremder Körper aufgenommen und so ein festes Pseudo-Skelet gebildet haben. Uebersicht der Species von Gastrophysema. Körper der Person keulenförmig, zweikammerig; die aborale Kammer kugelig, auf einem kurzen Stiel befestigt; die orale Kammer eiförmig, um ein Drittel grösser, mit einer trichterförmigen Mundöfl'nung 1. fr. dithalamium. Körper der Person keulenförmig, fünfkammerig; die unterste Kammer eine convexe Fussscheibe; die folgenden von der zweiten bis vierten an Grösse zunehmend; die fünfte viel grösser als die vorhergehenden, mit einer ein- fachen Muudöfi'nung 2. Cr. scopula. 196 Die Physemarien. 1. Gastrophysema dithalamium H. Taf. XII— XIV. Diagnose: Körper der Person im Ganzen länglich "keulen- förmig, durch eine mittlere Einschnürung in zwei über einander liegende Kammern eingetheilt, auf einem kurzen cylindrischen Stiel befestigt, der mit scheibenartig verbreiterter Basis aufsitzt. Am entgegengesetzten (oberen) Ende eine einfache kreisrunde Mundöffnung. Die obere (distale oder orale) Kammer ellipsoid oder eiförmig, um ein Drittel in jeder Dimension grösser als die untere (proximale oder aborale) kugelige Kammer. Stiel und Fussscheibe solid. Die Höhlen beider Kammern hängen durch einen engen Hals (Sipho) zusammen. In der aboralen Kammer entwickeln sich die Eier (Bruthöhle). In der oralen Kammer (Magenhöhle) findet sich nahe der Mundöffnung eine Geissel- Spirale. Die fremden Körper, welche das Exoderm incrustiren, bestehen in der unteren Hälfte zum grössten Theile aus Sand- körnchen und Bruchstücken von Schwammnadeln, in der oberen Hälfte (in der Wand der zweiten, grösseren Kammer) aus längeren Spicula von verschiedenen Spongien-Arten. Diese sind allseitig abstehend, mit den Spitzen oralwärts gerichtet. Speciellc Beschreibung: Gastrophysema dithalamium stellt in ausgebildetem Zustande einen länglichen kolbenförmigen Schlauch von bräunlichgrauer Farbe und von 2 — 3 Mm. Länge dar, welcher durch eine mittlere Einschnürung in zwei Hälften von nahezu gleicher Länge getheilt ist. (Fig. 137). Die obere Hälfte besteht aus einem eiförmigen oder ellipsoiden, stacheligen Schlauche, der dicht mit abstehenden Schwammnadeln bewaffnet ist. Die untere Hälfte besteht aus einem kleineren kugeligen Bläschen , das durch einen kurzen konischen Stiel aul einer scheibenförmig verbreiterten Fussscheibe aufsitzt. Mittelst der letzteren ist der schlauchförmige Körper auf verschiedenen Gegen- ständen des Meeresbodens befestigt, namentlich auf alten ab- gestorbenen Stöcken von Cladocora caespitosa, welche in grosser Menge den Boden des Hafens von Smyrna bedecken l). *) Ich erhielt dieselben beim Dredgen in dem mittleren Theile des Hafen- beckens von Smyrna, wobei ich mich der Dampfbarkasse der k. k. öster- reichischen Corvette „Zryni" mit grossem Vortheile bedienen konnte. Ich benutze diese Gelegenheit, um dem Commandanten der letzteren, Herrn Cor- Das Genus Gastrophyscma. 197 Vielleicht ist unser Gastrophysema au diesem Orte uiebt sel- ten. Trotzdem gelingt es nur schwer dasselbe zu entdecken, da eine Masse von Spongien, Hydroiden, Bryozoen u. s. w., gemengt mit Algen, in buntestem Gewirr den schlammigen Boden tiber- wuchern. Nur durch einen glücklichen Zufall wurde ich auf eine kleine Gruppe von drei Gastrophysemen aufmerksam, welche zwischen den basalen Aesten eines alten abgestorbenen Cladocora- Stockes versteckt sassen, der mit Bryozoen und Spongien bedeckt war. Bei anhaltendem Suchen fand ich noch einige andere Exem- plare theils auf Cladocora-Resten, theils auf Muschel-Fragmenten und Steinen, die mit Phallusia mammillata besetzt waren. Glück- licherweise waren die meisten Exemplare geschlechtsreif und enthielten Eier auf verschiedenen Stufen der Entwickelung, bis zur Gastrulabildung. Die Länge des vollkommen entwickelten Gastrophysema ditha- lamium beträgt 2 — 2, 5, höchstens gegen 3 Mm. (Fig. 137, 140). Davon kommt ungefähr die Hälfte auf die obere (orale) eiförmige Kammer, deren grösste Dicke 0,7 Mm. erreicht. Die untere (ab- orale) kugelige Kammer hat nur 0,5 — 0,6 Mm., die ringförmige Einschnürung zwischen beiden 0,3 Mm. Durchmesser. Die Dicke des Stiels beträgt in der Mitte seiner Länge (wo er gewöhnlich am dünnsten ist) 0,1 Mm. Der Durchmesser der flach kegel- förmigen, massiven Fussscheibe kommt ungefähr demjenigen der unteren Kammer gleich. Die Gestalt scheint bei Gastrophysema dithalamium ebenso wie bei G. scopida wenig zu vaiiren. Wie Cap.ter bei letzerem con- stant fünf hinter einander liegende Kammern beobachtete und wie diese immer nahezu dieselben Form- und Grössen-Verhältnisse vetten-Capitain Lang, meinen aufrichtigen Dank für die Liberalitat auszu- sprechen, mit welcher derselbe mir den Gebrauch der Dampfbarkasse behufs der Schleppnetzfischerei in der Bai von Smyrna gestattete. Nicht minder bin ich meinem hochverehrten Freunde, Herrn Ritter Dr. Carl von Scherzer, dem verdienstvollen wissenschaftlichen Leiter der Novara-Expedition (damals k. k. Oesterr. General-Consul in Smyrna, jetzt in London) zum herzlichsten Danke für die zuvorkommende und mir höchst werthvolle Unterstützung verpflichtet, durch welche er meine zoologischen Untersuchungen wahrend meines Aufent- halts in Smyrna förderte. Nur seiner lebendigen Theilnahme an denselben, seiner liebenswürdigen Gastfreundschaft und seiner Bekanntschaft mit den dortigen Verhaltnissen verdanke ich es, dass es mir möglich war, eine Ueber- sicht der dortigen Verhaltnisse zu gewinnen, die Fauna des Hafens kennen zu lernen und die vorliegenden Beobachtungen über Bau und Entwicklung von Gastrophysema anzustellen. 198 üie Physemarien. darboten, so zeigten auch alle Personen unseres G. dithalamium, die ich in Smyrna beobachtete, nur geringe Abweichungen in der Grösse und Form ihres zwei kammerigen Körpers. Die Aussen fläche des Körpers ist allenthalben mit fremden Körpern bedeckt, die jedoch nicht etwa, gleich Sabella-Röhreu, durch einen ausgeschiedenen und erhärteten Schleim verkittet, sondern wirklich in das Syncytium des Exoderms aufgenommen sind (wie bei den Sandschwämmen oder Psammospongien). Bei schwacher Vergrösserung erscheint die untere (aborale) Hälfte von aussen ziemlich glatt, dagegen die obere (orale) Hälfte stachelig, wie ein Distelköpfchen. Bei starker Vergrösserung zeigt sich, dass das Pseudo-Skelet des Exoderms im ersteren Theile gröstentheils aus Sandkörnchen und Fragmenten verschiedener Spongien Nadeln zusammengesetzt ist , die regellos mit einander gemengt und ver- kittet sind. Dagegen besteht das Skelet der oralen Körperhälfte zum grössten Theile aus längeren Spicula verschiedener Spongien- Arten. Dieselbeu stehen allseitig ab und divorgiren oralwärts gerichtet. Die Spicula sind theils vollständig, theils zerbrochen. Neben ganz einfachen, umspitzigen Nadeln finden sich zahlreiche geknöpfte Spicula und eine geringere Zahl von dreizähnigen Anker- nadeln. Die letzteren sind meist so gelagert, das die drei Auker- zähne auswärts gerichtet sind, die Spitze des Hauptstrahls im Exoderm befestigt (Fig. 137). Auch bei den geknöpften Nadeln ist wenigstens das stumpfe Ende auswärts, das spitze einwärts gekehrt. Dazwischen finden sich aber auch einzelne Spicula in umgekehrter Lagerung, ferner Fragmente von anders geformten Nadeln, welche ganz verschiedenen Arten angehören, und endlich feinste Sandkörnchen. Hieraus ergibt sich mit Sicherheit, dass die Spicula keine Producte des Organismus selbst, sondern fremde Körper sind, welche derselbe aus seiner nächsten Umgebung, aus dem Schlamme des Meeresbodens aufgenommen hat. In der That zeigten die Schlamm-Reste, welche in den Ritzen und Löchern der alten Cladocora-Stöcke sich fanden , die gleiche Zusammen- setzung, wie das Skelet der Gastrophysemen, die auf ihnen be- festigt waren. Ein Längsschnitt durch Gastrophysema dithalamium öffnet uns einen befriedigenden Einblick in die interessante Organisation dieses merkwürdigen Gastraeaden (Fig. 140, 141). Wir sehen, dass beide Kammern eine geräumige Höhle enthalten und durch eine enge Thüre, einen „Sipho", mit einander communiciren (y). Die Höhle der aboralen Kammer (b) ist blind geschlossen. Die Das Genus Gastrophysema. 199 Höhle der oralen Kammer (v) öffnet sich oben durch eine Mün- dung (m). Die Dicke der Wand ist in der vorderen und hiuteren Kammer fast gleich, 0,08—0,1 Mm. Nur in der Umgebung der Mundöffnung ist die Wand verdünnt. Ueberall besteht die Wand der Höhle deutlich aus zwei scharf getrennten Schichten: den beiden primären Keimblättern. Das Entoderm bildet ein einfaches Geissel-Epithel und entwickelt zugleich in der aboralen Kammer die Eier. Das Exoderm besteht aus einem Syncytium von ver- schmolzenen Zellen, welche die fremden Körper aufgenommen haben. Der solide Stiel und die Fussscheibe, die keine Fortsetzung der gastralen Höhlung euthalten, sind blos vom Exoderm und von fremden Skelettheilen gebildet. Das1 Exoderma oder Hautblatt (ej lässt bei genauerer Untersuchung ganz ähnliche Verhältnisse erkennen, wie wir sie bei Haliphysema primordiale geschildert haben. Auch hier über- zeugt man sich bald bei passender Behandlung, dass die ganze Dermalschicht der Körperwand von einem wahren Syncytium gebildet wird, welches aus völlig verschmolzenen Zellen zusammen- gesetzt ist, und in welches die fremden Körper eingebettet sind. Das beweisen deutlich die überall zerstreuten Zellkerne, welche nach Färbung mit Carmin, besonders wenn vorher verdünnte Osmiumsäure kurze Zeit eingewirkt hatte, sehr deutlich hervor- treten (Fig. 138 n, 139 n, 141 n, 148 nj. Die Kerne sind theils kugelig, theils länglich rund, ellipsoid oder eiförmig, von 0,004—0,007 Mm. Durchmesser. Auch hier ist häufig jeder Kern von einem rundlichen oder sternförmig ausstrahlenden Körnchen- hofe umgeben (Fig. 14b n). Doch ist dieser Hof niemals scharf gegen das internucleare Gewebe abgegrenzt und daher scheint es nicht gestattet, den ersteren als eigentlichen Zellenleib, dag letztere als Intercellular-Substanz aufzufassen. Die Grundsubstanz des Syncytium erscheint hyalin oder fein- körnig, hier und da schwach faserig differenzirt. Sehr bemerkens- werth ist, dass diese nbrilläre Differenzirung an zwei Stellen zu einem wirklichen Zerfall derselben in parallele Fibrillen zu führen scheint, die wahrscheinlich nach Art von Muskelnbrillen wirksam sind. Es zeigt sich nämlich erstens an der Pforte zwischen beiden Kammern (Fig. I40y, 141g) und zweitens an dem Rande der Mundöffnung (m) eine schwache ringförmige Verdickung des Exoderm Syncytiuras ; und wenn es gelingt, sich diese von der inneren Fläche der Gastralhöhle her zur Anschauung zu bringen, so bemerk! man bei starker Vergrös< erung eine Anzahl von sehr 200 Die Physemarien. feinen parallelen Ringstreifen, denen die gestreckten Kerne pa- rallel gelagert sind (Fig. 148). Wahrscheinlich dienen dieselben zur Verengerung und vielleicht selbst zum zeitweiligen Verschluss der Oeffnungen, welche sie umgeben. Wäre diese Vermuthung richtig, so würde Gastrophysema sein Osculum in ähnlicher Weise durch eine Mundhaut (oder Oscular-Membran) verschliessen können, wie ich dies von den Kalkschwämmen beschrieben habe (Monogr. Bd. I, S. 266). In ähnlicher Weise wird vielleicht auch der Hohl- raum der oberen Kammer (der eigentlichen Magenhöhle, v) von demjenigen der unteren Kammer (der Bruthöhle, b) durch eine Sphincter-ähnliche Ringmembran zeitweilig ganz oder theilweise abgeschlossen werden können. Das Entoderma oder Darmblatt bietet bei Gastrophysema ähnliche, jedoch verwickeitere Verhältnisse dar, als wir bei Haliphysema gefunden haben. Allerdings ist auch dort wie hier die ganze gastrale Höhlung des Schlauches von einem zusammen- hängenden einschichtigen Geissel-Epithel ausgekleidet. Während aber dieses Epithelium bei Haliphysema in der ganzen Magen- höhle ein einfaches Lager von gleichartigen Geisselzellen bildet, nur durch die eingestreuten Eizellen unterbrochen und oben an der Mundöffnung durch die adorale Wimperspirale begrenzt, zeigt das einschichtige Gastral-Epithelium von Gastrophysema dithalamium in beiden Abtheilungen des Körpers eine verschiedene Beschaffen- heit. In der grösseren oralen Kammer liegen zwischen den Geissei- zellen einzelne Drüsenzellen (d) zerstreut und eine sehr entwickelte Geisseispirale von mehreren Windungen (a) tritt stark hervor. In der kleineren aboralen Kammer hingegen bilden sich ausschliess- lich die Eier und entwickeln sich die befruchteten Eier zu Gastrula- Embryonen. Sie kann daher als Geschlechtskammer, Bruthöhle oder Uterus, bezeichnet werden (b). Die orale Kammer allein scheint hier als ernährende Darmhöhle zu fungiren und kann demnach auch in engerem Sinne als Magenhöhle unterschieden werden (v). Wir treffen also, wenn wir die einfacheren Verhältnisse von Haliphysema vergleichen, einen interessanten Fortschritt in der Gastraeaden-Organisation. Bei Haliphysema ist die einfache Ur- darmhöhle gleichzeitig ernährende Magenhöhle und eierbildende Geschlechtshöhle, wie bei den einfachsten Spongien. Bei unserem zweikammerigen Gastrophysema hingegen sind die beiden funda- mentalen Functionen des vegetativen Lebens, Ernährung und Fortpflanzung, bereits gesondert; die erstere ist auf die orale, Das Genus Gastrophysema. 201 die letztere auf die aborale Kammer beschränkt. Ausserdem aber finden wir auch noch weitere Diilerenzirungen im Epithelium, indem in der Magenhöhle zwischen den flimmernden Geisselzellen einzelne nicht flimmernde Drüsenzellen zerstreut sind und auch die adorale Geisseispirale eigenthtiinlich entwickelt ist. Das genauere Verhalten dieser verschiedenen Entoderm-Formationen ist folgendes : Das Geissel-Epitheliuin der Magenhöhle (Fig. 138 f, Fig. 145 f, 147 f) bildet ein einschichtiges Lager von cylindrisch- konischen Geisselzellen, welche nicht wesentlich von denjenigen des Haliphysema primordiale verschieden sind. Nur erscheint der Leib der Geisseizellen selbst etwas kleiner, hingegen der Hals und Kragen derselben etwas grösser und die Geissei länger als bei Haliphysema. Der Kern der Geisselzellen ist von derselben Grösse und Form. Hals und Kragen zeigen je nach den Con- tractions-Zuständen sehr verschiedene Formen (Fig. 138). Regelmässig zerstreut zwischen den Geisselzellen finden sich im grössten Theile der Magenhöhle einzelne grössere, nicht flim- mernde Zellen, welche wahrscheinlich als einzellige Drüsen zu betrachten sind (Fig. 138 d, 140 d, 145 d, 147 d). Es sind das birnförmige oder flaschenförmige Zellen, welche ungefähr doppelt so gross als die Geisselzellen und durch ein dunkel pigmentirtes Protoplasma ausgezeichnet sind. Sie fallen daher schon bei schwacher Vergrösserung als dunkle Punkte auf der helleren Gastralfläche in die Augen (Fig. 140 d). Auf Querschnitten durch die Magenwand (Fig. 145d) zeigt sich, dass diese birnfömigen Zellen nicht flach auf der Innenseite des Exoderm aufsitzen, wie die benachbarten Geisselzellen, sondern tiefer als diese, ein wenig in das stützende Gewebe des Exoderm eingesenkt, so dass etwa zwei Drittel ihres Körpers vom Syncytium umschlossen sind (Fig. 138 d, 139 d). Der verdünnte flaschenförmige Hals der Zellen dagegen liegt zwischen den Geisselzellen und ragt bis- weilen etwas über deren Epithelfläche vor. Das Protoplasma dieser flimmerlosen Zellen ist sehr trübe und enthält eine Menge dunkler, brauner oder schwärzlicher, rundlicher Pigmentkörner und ausserdem stark lichtbrechende Fettkügelchen. Bisweilen scheint das Protoplasma etwas aus dem Flaschenhals vorzutreten. Das hyaline Exoplasma erscheint als eine besondere Haut- schicht der Zelle differenzirt oder bildet vielleicht wirklich eine Zellenmembran. Der Kern ist gewöhnlich nicht sichtbar, ganz durch die dunkle Umhüllung der Fettkörnchen und Pigment- körnchen verdeckt. Wenn es aber bei starkem Drucke auf die 14 202 D™ Physeniarien. isolirten Zellen gelingt sie zu zerdrücken, so tritt der Nucleus deutlich vor, als ein helles Kügelchen von 0,005 Mm. Durchmesser, mit einem dunklen Nucleolus (Fig. 147). Ich glaube demnach nicht irre zu gehen, wenn ich diesen pigmentirten birnförmigen Zellen eine secretorische Function zuschreibe und sie als einzellige Drüsen auffasse. Der adorale Strudel-Apparat von Gastrophysema ist viel stärker als derjenige von Haliphysema entwickelt. Während bei letzterem die stärkeren Geisselzellen, die denselben zusammen- setzen, nur eine fast ringförmige Spirale bilden, finden wir bei letzterem ein förmliches Schrauben-Gewinde, welches zwei bis drei, vielleicht vier und mehr Windungen innerhalb der Schlund- höhle beschreibt (Fig. 144). Als Schlundhöhle können wir den engeren, trichterförmigen Eingangstheil der Magenhöhle, un- mittelbar unter der Mundöffnung bezeichnen. Die letztere ist ein kreisrundes Loch von 0,12 — 0,3 Mm. Durchmesser. Der oberste Theil der Körperwand, welcher den Kand der Mundhöhle bildet, ist stark verdünnt, der Rand selbst zugeschärft und zugleich etwas nach aussen gekehrt und ausgeschweift, ähnlich dem Rande einer Urne oder Vase (Fig. 141 m). Die Schwammnadeln, welche den- selben unmittelbar umgeben, sind derartig divergirend gestellt, dass sie zusammen einen trichterförmigen oder konischen Kranz bilden, in dessen Tiefe (im Halse des Trichters) die Mundöffnung liegt (Fig. 140 m). An einer Stelle ist der Rand der letzteren etwas erhöht und hier beginnt die rechts gewundene Geissel- spirale, welche in der Schlundhöhle 3—4 Windungen macht. Dieselbe besteht aus einer einfachen Reihe von colossalen Geisseizellen, deren Körper 2-- 3 mal so gross als derjenige der gastralen Geisselzellen ist, nämlich 0,02 — 0,03 Mm. lang und bis 0,01 Mm. dick. Das Protoplasma enthält dunkle, sehr feine Pigmentkörner, wodurch der Gang der Spirale sehr deutlich her- vortritt, Auch die Form dieser Geisselzellen ist sehr eigenthüm- lich (Fig. 139 f). Auf dem eigentlichen glockenförmigen Zellenleibe erhebt sich ein 3— 4mal so langer, schlanker Hals von cylindrischer Form, blos aus hyalinem Exoplasma gebildet. Auf dem freien Ende des biegsamen Halses sitzt ein glockenförmiger Kragen, ein tieferer oder flacherer Trichter, aus dessen Grunde sich die sehr lange und starke Geissei erhebt. Durch die Schwingungen dieser mächtigen Geissein wird ein kräftiger Strudel im Wasser erzeugt, der Nahrung in die Magenhöhle einführt. Wenn man fein zerriebenes Carmin oder Indigo dem Wasser zusetzt, über- Das Genus Gastrophysema. 203 zeugt man sich, mit welcher Gewalt der spirale Strudel durch die Mundöffhung eindringt. Die gastralen Geisseizellen, welche unmittelbar unter der adoralen Flimmerspirale sitzen, sind ebenfalls pigmentirt, wodurch der Gang der Spicula sehr auffällig vortritt. Die unteren Zellen der letzteren (in der dritten oder vierten Windung) werden all- mählich kleiner und gehen ohne scharfe Grenze in die gewöhn- lichen Geisseizeilen über. Das Epithelium der Bruthöhle oder der aboralen Sexual-Kammer (b) ist von demjenigen der Magenhöhle nicht wesentlich verschieden (Fig. 146). Jedoch fehlen die grossen, nicht flimmernden Drüsenzellen, und zwischen den Geisselzellen liegen überall Eizellen auf verschiedenen Stufen der Ausbildung zerstreut. Die reifenEizellen (Fig. 14b'o) sind nackte, kugelige oder sphäroidale Zellen von 0,04—0,05 Mm. Durchmesser. Die- selben gleichen vollkommen den amoeboiden Eizellen des Hali- ■phjsema und der Kalkschwämme und sind gleich den letzteren im Stande, amoebenartige Bewegungen auszuführen. Das Protoplasma besteht aus einer dicken hyalinen Rindenschicht (Exoplasma) und einer trübkörnigen Dottermasse oder Marksubstanz (Endoplasma). Das Exoplasma junger Eizellen streckt langsam sich bewegende fingerförmige Fortsätze von veränderlicher Gestalt und Grösse aus (Fig. 143). Der Kern der reifen Eizelle ist ein helles kugeliges Keimbläschen von 0,015— 0,02 Mm. Durchmesser (Fig. 143). In demselben tritt der grosse Nucleolus als ein dunkler, stark glän- zender Keimfleck von 0,001 Mm. deutlich hervor, und in diesem ist ein feiner Keimpunkt sichtbar. Spermazellen habe ich nur an einem einzigen Exemplar von Gastrophysema dithalamium beobachtet, und zwar an einer Person, welche gleichzeitig reife Eier besass. Als ich dasselbe zerzupfte, zeigten sich zwischen den Eiern einzelne Haufen von feinen, lebhaft beweglichen Samenfäden (Fig. 142). Dieselben besassen einen äusserst feinen Geisselfaden („Schwanz") von 0,04 Mm. Länge, der erst bei sehr starker Vergrösserung (über 800) sichtbar wurde. Der Kopf dieser feinen Geisselzellen war spindelförmig, 0,0012 Mm. lang. Ob diese Zoospermien in die betreffende weibliche Person eingedrungen waren und von einer anderen Person herrührten, oder ob sie im Körper der ersteren selbst gebildet waren, vermochte ich nicht zu ermitteln. Alle Versuche, jüngere Entwicklungszustände derselben aufzufinden, oder ihren Ursprung in einem der beiden Keimblätter nachzu- 14* 204 Die Physemarien. weisen, waren vergeblich. Möglicherweise entstehen die Zoo- spermien im Exoderm. Die Eizellen sind offenbar umgewandelte Epithelzellen des Entoderms. Die meisten Personen von Oastrophysema ditlialamium, welche ich in Smyrna zu beobachten Gelegenheit hatte, enthielten reife oder befruchtete Eier auf verschiedenen Stufen der Entwicklung, bis zur vollständigen Ausbildung der Gastrula (Fig. 111 — 120). Die aborale Kammer war in einigen von diesen trächtigen Per- sonen dicht angefüllt mit gefurchten Eiern und Blastula-Keimen, während andere nur einzelne Gastrulae enthielten (Fig. 140, 141). Es gelang mir, eine vollständige Reihe der Keimformen herzu- stellen, von dem befruchteten Ei bis zur Gastrula. Das Ei ent- hält keinen Nahrungsdotter und die Form der Eifurchung ist die primordiale. Ich habe dieselbe in dem Abschnitt, welcher „die vier Hauptformen der Eifurchung und Gastrulabildung" behandelt, bereits ausführlich beschrieben. (Vergl. oben S. 79 — 83.) Das befruchtete Ei (Fig. 111) erschien als eine homogene, trübe Protoplasma-Kugel von 0,05 Mm. Durchmesser, in welcher zahlreiche sehr feine Fettkörnchen gleichmässig vertheilt waren. In dieser Archimonerula war weder von einem Kern, noch von den eingedrungenen Zoospermien irgend eine Spur mehr zu er- kennen. Das „Keimbläschen" schien völlig verschwunden zu sein. Immerhin ist es möglich, dass ich einen noch vorhandenen Rest desselben, vielleicht den Keimfleck, übersehen habe, zumal ich meine Aufmerksamkeit damals nicht speciell auf diesen Putikt richtete. Im nächstfolgenden Stadium zeigt sich in der Dotterkugel wieder ein neu gebildeter Kern (Fig, 112). Derselbe ist kugelig, ziemlich hell, hat 0,016 Mm. Durchmesser und sckliessi ein grosses Kernkörpereken von 0,003 Mm. ein. An dieser ArcUcytula Hess sich deutlich eine feine radiäre Streifung wahrnehmen, indem die dunkleren Körnchen strahlig gegen den im Mittelpunkt der Zelle gelegenen Kern gerichtet waren. Die Eifurchung selbst verläuft durchaus regelmässig, nach dem Typus der ursprünglichen oder primordialen Theilung. Durch fortgesetzten regelmässigen Zerfall jeder Furchungszelle in zwei Hälften entstehen zuerst zwei, darauf 4, 8, 16, 32, 64 Furchungs- zellen (Fig. 113 — 115). Ich habe die Einzelheiten des Furchungs- processes und namentlich das Verhalten der Kerne nicht näher untersucht. Das Resultat desselben ist die Bildung eines regu- Das Genus Gastrophysema.' 205 lären Maulbeerkeinis , einen soliden kugeligen Archimorula, die ans 64 Zellen besteht (Fig. 115). Indem sich im Innern der Archimorula Flüssigkeit ansam- melt und sämmtliche Zellen an die Peripherie treten, entsteht eine Hohlkugel von 0,08 Mm. Durchmesser, deren Wand aus einer einzigen Schicht von gleichartigen Zellen besteht, die Archi- blastula (Fig. 116, 117). Die „Blastoderm-Zellen" welche diese zusammensetzen, erscheinen durch gegenseitigen Druck regel- mässig abgeplattet, meist sechsseitig-prismatisch (Fig. 116). Jede dieser Zellen streckt einen geisseiförmigen schwingenden Fortsatz aus (Fig. 117). Das Blastoderm gestaltet sich so zu einem Geissel- Epithel, und durch die Vibrationen desselben bewegt sich die Blastula langsam rotirend in der Gastralhöhle umher. Nun erfolgt die typische Einstülpung oder Invagination der Blastula, durch welche sich letztere zur Gastrula, und zwar zur Archigastrula gestaltet. Indem an einer Stelle das Blastoderm grubenförmig eingestülpt wird (Fig. 118) und indem der innere eingestülpte Theil desselben sich dem äusseren nicht eingestülpten Theil bis zur Berührung nähert, verschwindet die Furchungshöhle {Blastocoeloma , Fig. 117). An ihre Stelle tritt die fertige Urdarmhöhle (Fig. 120). Die Einstülpungsöffnung wird zum Urmund. Die Gastrula von Gastrophysema ist eiförmig, 0,08—0,1 Mm. lang, 0,06-0,07 Mm. dick. Die Exoderm-Zellen der Gastrula sind cylindrische Geisseizeilen von 0,018 Mm. Länge und 0,006 Mm. Dicke, mit ovalem Kern und einem dicken hya- linen Saum, durch dessen Mitte die Geissei durchtritt (Fig. 150e) Die Entoderm-Zellen der Gastrula sind rundliche polyedrische oder fast kugelige Zellen von 0,01 Mm. Durchmesser, mit einem kugeligen Kern von 0,003 Mm. Ihr Protoplasma ist viel dunk- ler und grobkörniger als dasjenige der Exoderm-Zellen und ent- hält zahlreiche fettglänzende Körner (Fig. 150i). Die weitere Entwicklung von Gastrophysema dithalamium konnte ich leider nicht verfolgen. Wahrscheinlich wird dieselbe folgen- den Gang einschlagen: die Gastrula verlässt die Magenhöhle der Mutter durch die Mundöffnung, schwärmt eine Zeitlang im Meere umher und setzt sich dann mit dem aboralen Pole fest. Die Exoderm-Zellen verlieren ihre Geissein, verschmelzen mit einander zum Syncytium und nehmen aus dem benachbarten Meeresschlamm die fremden Körper auf, aus denen sie das Skelet zusammen- setzen. Die rundlichen Entoderm-Zellen verwandeln sich in cylindrische Geisselzellen. Das jugendliche Gastrophysema wird 206 ^'e Physemarien. in diesem Stadium einem Haliphysema gleichen. Später erst wird sich die mittlere Einschnürung bilden, durch welche die Urdarmhöhle in zwei verschiedene Kammern zerfällt. In der oralen Magenkammer wird sich die starke Geisseispirale aus- bilden, sowie die einzelligen Drüsen. In der aboralen Brutkam- mer werden sich einzelne Zellen zu Eizellen, andere zu Sperma- zellen umbilden. Ueber die Lebenserscheinungen von Gastrophysema ditha- lamium wird weiter unten (im folgenden Abschnitt) berichtet werden. Fundort: Mittelmeer, Smyrna. Haeckel. 2. Gastrophysema scopula, H. (Squamulina scopula, Carter; Annais and Mag. of nat. bist. 1870, Vol. V, p. 309, PI. IV.) Diagnose: Körper der Person im Ganzen länglich keulen- förmig, durch vier quere Einschnürungen in fünf verschiedene Kammern getheilt. Die erste Kammer eine planconvexe Fuss- scheibe („pedestal") , die zweite Kammer eine schlanke cylin- drische oder umgekehrt konische Säule („column"), die dritte Kammer fast kugelig, eng („body"), die vierte Kammer erweitert, fast cylindrisch („neck"), die fünfte Kammer 2 — 3 mal so gross als die vorhergehenden, eiförmig oder länglichrund („head"). Am oberen Ende der fünften Kammer eine einfache kreisrunde Mund- öffnung. Alle fünf Kammern sind hohl, mit einander communi- cirend. Die Höhle der ersten Kammer (der Fusscheibe) durch mehrere unvollständige Scheidewände mehrfach ausgebuchtet. Die fremden Körper, welche das Exoderm incrustiren, bestehen zum grössten Theile aus Sandkörnchen und kleinen Fragmenten von Schwammnadeln; in der fünften, letzten und grössten Kam- mer dagegen aus längeren Spicula von verschiedenen Spongien- Arten. Diese sind allseitig abstehend, mit den Spitzen oralwärts gerichtet. Specielle Beschreibung: Vergl. Carter, 1. c, p. 309 bis 320; sowie oben, p. 170—178. Fundort:" Britische Küste: Beach at Budleigh-Salterton, Devonshire; Laminarien-Zone. Carter. Organisation und Lebenserscheinungen der Physemarien. 207 IC. Organisation und Lebenserscheinungen der Physeinaricn. Aus der vorstehenden Beschreibung der beiden Genera Hali- physema und Gastrophysema, und namentlich der beiden von mir lebend beobachteten Arten, ergibt sich mit voller Klarheit, dass wir es hier mit Angehörigen einer eigenthümlichen Thiergruppe zu thun haben, die weder zu den echten Spongien gerechnet werden kann, wie Bowerbank will, noch zu den Ehizopoden, wie Carter behauptet. Immerhin stehen sie den ersteren weit näher als den letzteren, zu denen sie gar keine directen Beziehungen besitzen. Dieall gemeineChar akter istikderPhysema rien- Gruppe, auf die vorstehenden Beobachtungen gestützt, würde folgendermassen lauten : Der Körper des entwickelten Thieres bildet eine einfache schlauchförmige Person, deren eines (aborales) Ende am Meeres- boden auf verschiedenen Gegenständen festgewachsen ist, während am anderen Ende sich die Mundöfinung befindet. Die Grundform der Person ist einaxig. Bisweilen treibt sie durch laterale Knos- pung Sprossen und bildet so kleine Stöckchen. Die innere Darm- höhle ist entweder einfach (Raliphysema) oder durch quere ring- förmige Einschnürungen in zwei oder mehrere zusammenhängende Kammern getheilt (Gastrophysema). Die Wand des schlauch- förmigen Körpers, die gleichzeitig Leibeswand und Darmwand ist, besteht blos aus zwei verschiedenen Schichten. Die innere Schicht, das Darmblatt oder Entoderma, bildet ein einfaches Geissel-Epithel, das nach dem Munde hin in ein Geissel-Peristom, eine Spirale von stärkeren Geisseizellen übergeht. Die äussere Schicht, das Darmblatt oder Exoderma, besteht aus verschmolzenen Zellen, welche ein Syncytium zusammensetzen; durch Aufnahme fremder Körper, insbesondere Sandkörnchen und Schwammnadeln, gestaltet sich dasselbe zu einem festen Hautskelet. Die Fort- pflanzung geschieht durch befruchtete Eier. Die amoeboiden nackten Eizellen (und die stecknadelförmigen Spermazellen?) ent- wickeln sich aus einzelnen Geisselzellen des Entoderms. Wenn der Schlauch durch Einschnürungen in Kammern getheilt ist ( Gastrophysema), tritt Arbeitsteilung derselben ein, indem die einen die Ernährung, die andern die Fortpflanzung vermitteln. 208 Vie Physemarien. Wenn wir die wichtigsten Eigenschaften der Organisation, in welchen alle bisher beobachteten Physemarieu übereinstimmen, ihrer morphologischen Bedeutung entsprechend würdigen wollen, so würden folgende Punkte besonders hervorzuheben sein. Die Individualität der Physemarien ist die einfache , ein- axige oder monaxonie Person, ohne Antimeren, wie ich sie in der Monographie der Kalkschwämme detinirt habe (Bd. I, S. 101). Im engeren Sinne ist diese Person ungegliedert, ohne Metameren. Im weiteren Sinne könnte man die Kammerbildung von Gastrophysema als Metamerenbildung betrachten; dadurch unterscheidet sich dieses gegliederte Genus wesentlich von dem ganz einfachen und ungegliederten Haliphysema. Doch hat die Meta- merenbildung bei ersterem eine andere Bedeutung, als bei anderen gegliederten Thieren. Die Grundform der Person ist die un- gleichpoligeEinaxige (Monaxonia diplopola), dieselbe, welche auch bei den meisten Personen der Spongien sich findet. (Monogr. der Kalkschwämme, Bd. I, S. 129). Stockbildung ist bisher nur bei einer nicht näher untersuchten Art beobachtet, bei Hali- physema ramulosum, dessen Physemariennatur noch zweifelhaft ist. Die Organologie von Haliphysema ist vor Allem inter- essant, weil hier der ganze Thierkörper in vollkommen ent- wickeltem Zustande eigentlich nur ein einziges Organ bildet, einen Urdarm mit Urmund ; bei Gastrophysema hingegen sind be- reits zwei verschiedene Organe differenzirt, indem die orale Kammer des Urdarms nur als digestive Magenhöhle, die aborale Kammer nur als sexuelle Bruthöhle fungirt. Die Darniwand aber, die zu- gleich Leibeswand ist, besteht in beiden Gattungen einzig und allein aus den beiden primären Keimblättern: Exoderma und Entoderma. In Betreff des letzteren kann gar kein Zweifel entstehen, da bei allen hier beschriebenen Arten (welche ich selbst untersuchen konnte) ein einfaches einschichtiges Epithelium die gesammte Gastralfläche auskleidet. Dagegen könnte in Betreff des skeletbildenden Exoderms ein Zweifel auftauchen, ob dasselbe nicht eigentlich als Mesoderm zu betrachten und vielleicht auf der äusseren Oberfläche mit einem einfachen Epithelium, einem Exoderm im engeren Sinne, bedeckt sei. Die genaueste Unter- suchung der beiden Physemarien, welche ich lebend beobachtete, ergab aber in dieser Beziehung durchaus negative Kesultate. Weder bei Haliphysema primordiale, noch bei Gastrophysema ditha- lamium war ich im Stande eine Spur eines äusseren Epitheliums nachzuweisen. Sowohl auf Schnitten durch den lebenden Organis- Organisation und Lebenserscheinungen der Physemarien. 209 mU8, als auf Schnitten durch erhärtete Alkohol-Präparate, welche mit verdünnter Osmium-Säure und Carmin behandelt waren, zeigte das Exoderm in seiner ganzen Dicke wesentlich dieselbe Be- schaffenheit, ein Syncytium mit eingestreuten Zellenkernen, zwischen welche überall die fremden Körper des Pseudo-Skelets eingekittet waren. An der inneren, dem Entoderm zugekehrten Fläche lagen die Kerne des Syncytiums ziemlich regelmässig geordnet, während dieselben nach der äusseren Fläche hin mehr ungeordnet und zer- streut zwischen den dichtgedrängten Skelet-Theilen erschienen. Dasselbe Kesultat ergab die Untersuchung der Spiritus-Exemplare von Haliphysema echinoides und H. globigerina, so dass ich alle diese Physemarien für echte zweiblätterige Thiere halten muss, für Zoophyten, deren Körper zeitlebens blos aus Darmblatt und Hautblatt besteht. Eine organologische Vergleichung der beiden Genera Hali- pliysema und Gastrophysema lässt das erstere in jeder Beziehung als das primitivere, ältere und niedere erscheinen, aus welchem das letztere durch Arbeitstheilung der Organe und Gewebe hervor- gegangen ist. Während bei ersterem die Eizellen regellos und vereinzelt zwischen den Geisselzellen des Entoderms zerstreut liegen, finden wir sie bei letzterem auf die aborale Bruthöhle be- schränkt; die orale Magenhöhle ist hier durch die eigenthümlichen einzelligen Drüsen ausgezeichnet. Die Sonderung der verdauenden Magenhöhle und der eierbildenden Bruthöhle muss als eine erste Arbeitstheilung des Urdarms aufgefasst werden. Diese wird schon eingeleitet durch die Beschränkung der eibildenden Zellen auf die Columella im Grunde der Magenhöhle, welche wir bei H. echinoides und wahrscheinlich auch bei H. globigerina finden. Ferner zeigt sich die adorale Geisselspirale, welche bei Hali- physema primordiale kaum angedeutet ist, bei Gastrophysema ditha- laminm zu einem mächtigen, sehr eigenthümlichen Strudel- Apparat entwickelt. Da ich bei den Spiritus-Exemplaren der übrigen Arten, die ich untersuchte, nichts davon auffinden konnte, bleibt noch weiterhin zu ermitteln, wie weit diese adorale Geissel- Spirale überhaupt in der Physemarien-Gruppe verbreitet und ob sie als allgemeiner Charakter derselben zu betrachten ist. Die Histologie der Physemarien, soweit ich dieselbe an Haliphysema primordiale und an Gastrophysema dithalamiimi ge- nauer verfolgen konnte , ergibt eine auffallende Uebereinstimmung mit den Spongien. Insbesondere ist der charakteristische Bau der Geisselzellen des Entoderms mit ihrem langen Halse und ihrem 210 Uie Physemarien. trichterförmigen Geisseikragen ganz derselbe, wie ich ihn bei den Kalkschwämmen eingehend beschrieben habe (Monographie, Bd. I, S. 132 — 144). Ganz ebenso wie hier verhalten sich auch dort die nackten amoeboiden Eizellen. Auch das Exoderm der Physe- marien scheint mir mit demjenigen der Psammospongien (Dysidea) wesentlich tibereinzustimmen. Diejenigen Histologen, welche das Exoderm der letzteren als eine Bindegewebs-Formation auffassen, werden auch bei ersteren dazu berechtigt sein. Allein ich be- kenne, dass ich mich auch jetzt noch zu dieser Auffassung nicht entschliessen kann. So wenig bei den Psammospongien, wie bei den Physemarien, war ich im Stande, trotz besonders genauen Suchens, eine Spur von einer oberflächlichen Epithelial-Bedeckung aufzufinden. Uebrigens erscheint ja auch der Tunicaten-Mantel als eine Gewebsformation, welche histographisch als Bindegewebe imponirt und doch nicht genetisch als Mesoderm aufzufassen ist. Die Lebenserscheinungen der Physemarien erfordern noch eine viel genauere Untersuchung. Die wenigen und unvoll- kommenen Beobachtungen, welche ich darüber anstellen konnte, deuten darauf hin, dass ihre Physiologie im Grossen und Ganzen denselben Charakter trägt, wie diejenige der Spongien. Wie bei den letzteren, so ist auch bei den Physemarien die wichtigste physiologische Erscheinung die Wasser Strömung, welche durch die Geisselzellen des Entoderms hervorgerufen wird. Auf diesem Wasserstrome, der ebenso wohl frisches, sauerstoffhaltiges Wasser, wie die in demselben enthaltenen Nahrungsbestandtheile dem Körper zuführt, beruht die Ernährung und der Stoff- wechsel dieser kleinen Organismen. Während aber bei den po- rösen Spongien das Wasser allenthalben durch die Poren der äusseren Hautfläche in die inneren Höhlungen aufgenommen wird und durch das Osculum wieder austritt, dient bei den Physemarieu, gleich wie bei den Hydroiden, die Mundöffnung ebenso wohl zur Aufnahme, wie zur Abgabe des Wasserstroms, und die adorale Geissel-Spirale erscheint in dieser Beziehung als eine sehr wichtige und charakteristische Einrichtung. Die physiologische Be- deutung derselben ist ganz gleich derjenigen, welche die be- kannten Peristom-Spiralen der ciliaten Infusorien, Stentor, Vorti- cella u. s. w. besitzen. Ihre morphologische Bedeutung aber ist natürlich ganz verschieden. Denn die Wimperspirale der letzteren ist ein Theil eines einzelligen Organismus. Hingegen die Geissel-Spirale der Physemarien besteht aus einer Reihe von grossen und ausnehmend starken Geisselzellen. Mit welcher Kraft Organisation und Lcbenscrsclieinungen der Physemarien. 211 dieselben einen trichterförmigen Wasserstrudel erzeugen, davon überzeugt man sich bei Gastrophysema leicht durch den Zusatz von fein pulverisirten Farbstoffen. Diese stürzen mit grosser Geschwindigkeit in die Mundöffnung auf einer Seite hinein, wäh- hrend gleichzeitig auf der anderen Seite derselben das Wasser mit gleicher Kraft wieder entfernt wird. Bei der Undurchsichtig- keit des Körpers war es mir nicht möglich, die Verhaltnisse der Wasserströmung im Innern der Magenhöhle näher zu verfolgen; doch ist es sehr wahrscheinlich, dass ähnlich wie bei dem spi- raligen Doppelstrudel einer Stromschnelle, eine absteigende und eine aufsteigende Spiral Strömung unmittelbar neben einander in den peripherischen Theilen der Magenhöhle existiren, während in der Axe derselben verhältnissmässige Ruhe oder vielmehr eine axiale Rotation herrscht. Eine so mächtige und ausgezeichnete Geissel-Spirale von mehreren Windungen, wie bei Gastrophysema dithalamium, habe ich bei den übrigen Physemarien nicht gefunden und es ist möglich, dass hier die Anordnung der Geisseibewegung am Peristom genügt, um den ernährenden Wasserstrudel einzu- führen. Bei Haliphysema primordiale scheint der letztere theils durch die bedeutendere Grösse und Stärke der adoralen Geissei- zellen, theils durch ihre Anordnung in einer unvollkommenen flachen Spiralwindung bewirkt zu werden. Einen ähnlichen Spiralen Wasserstrudel, wie er durch die Geisselspirale in die Mundöffnung eingeführt wird, erzeugt im Kleinen jede einzelne Geisselzelle innerhalb des trichterförmigen Kragens, der sich vom Halse der Geisselzelle erhebt. Auch hierin gleichen die Physemarien ganz den Kalkschwämmen, und die merkwürdigen Bewegungs-Erscheinungen der Geisselzellen, die ich von den letzteren beschrieben habe (1. c, Bd. I, S. 37o), finden sich ganz ebenso auch bei den ersteren wieder. Hier wie dort dringen feinste Körnchen von Carmin und Indigo, die dem Wasser- strom beigemengt sind, in kürzester Zeit in den Leib der Geissei- zellen ein und sammeln sich rings um deren Kern an. In der Magenhöhle der meisten von mir untersuchten Physe- marien fanden sich Diatomeen, Polythalamien und verschiedene fremde Körper, welche als Bestandtheile des benachbarten See- grund-Schlammes zu betrachten sind. In wie weit dieselben zur Ernährung dienten oder zufällig - vielleicht erst theilweise post mortem — in die Magenhöhle gelangt waren, liess sich nicht er- mitteln. Ebenso liess sich nichts über die Bedeutung des Secretes 212 Die Physemarien. ermitteln, welches die einzelligen Drüsen in der Magenhöhle von Gastrophysema dithalamium liefern. Wahrscheinlich wird dasselbe die Ernährung in irgend einer Weise unterstützen, vielleicht ähn- lich dem Secrete der Nesselzellen tödtlich auf die kleinen Orga- nismen wirken, welche durch den Wasserstrudel in die Magenhöhle eingeführt sind. Die Fortpflanzung der Physemarien scheint in der Regel die geschlechtliche zu sein und durch nackte Eizellen zu geschehen, welche vermuthlich immer schon in der Magenhöhle selbst be- fruchtet werden. Doch habe ich, wie oben bemerkt, nur ein ein- ziges Mal Spermazellen angetroffen, und zwar beim Zergliedern einer Person von Gastrophysema dithalamium, welche gleichzeitig reife Eier in der Bruthöhle enthielt. Bewegungs-Erscheinungen des ganzen Körpers habe ich nur bei Gastrophysema dithalamium beobachtet, und zwar erstens eine abwechselnde Verengerung und Erweiterung der Mundöffnung, und zweitens eine Zusammenziehung und Verkür- zung des ganzen schlauchförmigen Körpers. Beide Bewegungen geschahen sehr langsam und waren nicht direct, sondern nur an den veränderten Dimensionen der betreffenden Körpertheile zu verschiedenen Zeiten wahrzunehmen. Der Durchmesser der Mund- öffnung variirte bei einer und derselben Person zu verschiedenen Zeiten um das Doppelte. Im erweiterten Zustande erschien der verdünnte Rand der trichterförmigen Mundöffnung mehr flach aus- gebreitet (Fig. 141). Die Contraction des ganzen Körpers der Person bewirkte eine Verkürzung desselben um ungefähr 1j6 oder Vs, höchstens 1/i der Längsaxe. Ausserdem schien es mir, dass auch die abstehenden Spongien-Nadeln des Skelets an einer und derselben Person bald mehr allseitig abstanden, bald mehr oral- wärts gerichtet waren. Alle diese Bewegungen, die noch genauer zu untersuchen sind, werden jedenfalls durch Contractionen des Exoderms bewirkt. Vielleicht kann dadurch auch ein zeitweiliger Verschluss der Mundöffnung, sowie ein Abschluss der beiden Kammern von Gastrophysema dithalamium herbeigeführt werden. Ob Empfindungen die Personen der Physemarien in höherem Maasse beseelen, als dies bei den nächstverwandten Spongien der Fall ist, erscheint sehr zweifelhaft, Hier wie dort scheint das Empfindungs- Vermögen auf einer sehr niederen Stufe stehen zu bleiben. Mechanische und chemische Reizung der lebenden Personen vermochte nicht unmittelbar Bewegungen derselben her- vorzurufen; vielmehr erschienen sie so unempfindlich, wie die Organisation und Lebenserscheinungen der Physemarien. 213 meisten Schwämme. Dagegen ist eine psychische Thätigkeit anderer Art in den Physemarien offenbar sehr ausgebildet. Diese äussert sich in der sorgfältigen Auswahl der Skeletbestandtheile. In ähnlicher Weise, wie die verschiedenen Species derPhryganiden- Larven und Röhrenwürmer ihre schützenden Röhren aus ganz ver- schiedenen zusammengelesenen Körpern aufbauen, einige aus Sandkörnchen, andere aus Diatomeen- Schalen, noch andere aus kleinen Mollusken-Schalen, oder aus Pflanzen-Theilen u. s. w. — in ähnlicher Weise sehen wir auch die verschiedenen Arten unserer Physemarien ihr Pseudo-Skelet aus ganz verschiedenen fremden Körpern zusammenlesen. Ja sogar die verschiedenen Theile der Person, aboraler und oraler Körpertheil, werden mit verschiedenem Bau-Material ausgestattet. Bei Haliphysema primordiale, H. Tu- manowiczii, Gastrophysema dithalamium und G. scopida wird die aborale Hälfte des Körpers zum grössten Theile mit kleinen Sand- körnchen und Spicula-Fragmenten gepanzert, hingegen die orale Hälfte mit langen Spongien-Nadeln , die als defensive Waffeu oralwärts gerichtet abstehen. Bei Haliphysema echinoides und H. ramulosum sind es fast ausschliesslich die Spicula und Lifhaste- risken verschiedenen Spongien, sowie die Fragmente solcher Spicula, die das ganze Skelet zusammensetzen. Bei Haliphysema globigerina endlich sind es nur gewisse Bestandtheile des Tiefsee- schlammes, aus denen der ganze Panzer zusammengeklebt wird. Der Stiel dieser Art besteht grösstentheiis aus einem dichten Mörtel von Coccolithen; die Wand der Magenhöhle hingegen fast aus- schliesslich aus kalkigen und kieseligen Rhizopoden-Schalen, Polythalamien und Radiolarien, ganz vorwiegend Globigerinen. Schon Bowerbank, der uns vor 12 Jahren die ersten Beobach- tungen über Physemarien gab, machte mit Recht darauf aufmerk- sam, mit welcher Sorgfalt die Skelettheile ausgelesen und an- geordnet sind, so dass er dieselben geradezu für Producte des Thieres selbst hielt. Später hob Carter richtig hervor, dass nicht allein die Auswahl der Skelettheile hinsichtlich ihrer physikalischen Beschaffenheit und Form, sondern auch hinsichtlich ihrer Grösse eine höchst sorgfältige sei. Ich kann die Angaben der beiden britischen Beobachter in dieser Beziehung nur bestätigen. Obwohl natürlich die Anpassung an die Bedingungen des Wohnortes zu- nächst die Wahl des Skelet-Materials bedingt, so erfolgt doch die Zusammensetzung des letzteren offenbar mit einer sorgfältigen Auswahl unter den vorhandenen Bestandtheilen. 214 Die Physemarien. 17. Phylogenetische Bedeutung der Physemarien. Der morphologische Charakter und die damit verknüpfte phylogenetische Bedeutung der Physemarien liegt offenbar vor- zugsweise darin, dass diese kleinen Thierchen in vollkommen ent- wickeltem und geschlechtsreifem Zustande sich weniger von der G a s t r u 1 a , der gemeinsamen Keimform aller Metazoen, entfernen, als es bei allen anderen bisher bekannten Thieren der Fall ist. Nach dem biogenetischen Grundgesetze ergibt sich daraus un- mittelbar der Schluss, dass sie auch der gemeinsamen Stamm- form aller Metazoen, der hypothetischen Gastraea, näher stehen, als alle anderen bekannten Metazoen. Diese Beziehung halte ich für so innig, dass ich nicht anstehe, die Physemarien geradezu mit der hypothetischen Gastraea in einer Klasse zu vereinigen und als lebende, wenig veränderte Epigonen jener längst ausge- storbenen uralten Stammform zu erklären, als „Gastraea den der Gegenwart". Die hypothetische Klasse der Gastraeaden hatte ich früher (1872) für das Genus Gastraea selbst und für diejenigen ältesten und einfachsten Metazoen- Formen gegründet, welche als nächst- verwandte und wenig veränderte Descendenten jener Gastraea zu betrachten seien. Unsere Physemarien entsprechen diesem Be- griffe vollständig. Denn auch bei den Physemarien, wie bei der hypothetischen Gastraea selbst, besteht der Körper zeitlebens einzig und allein aus den beiden primae ren Keimblättern, welche sich noch nicht in secundäre Keimblätter gespalten haben. Die wesentlichsten Unterschiede, welche unsere Physemarien gegenüber der Gastraea darbieten, bestehen erstens darin, dass die ersteren festsitzend sind, während die letzteren freischwimmend gedacht werden müssen ; und zweitens darin, dass die ursprüng- liche Gastraea sicher nicht das eigenthümliche Skelet von fremden Körpern besass, welches die Physemarien auszeichnet. Letztere werden daher im System der Gastraeaden-Klasse eine besondere Familie oder Ordnung zu bilden haben, welche der Familie oder Ordnung der ursprünglichen, frei schwimmenden (theils skeletlosen, theils schalenbildenden) Gastraeaden gegenüber steht. Diese letzteren wollen wir im Folgenden kurz als Gastremarien bezeichnen {Gastraea ganz nackt, Gastrema mit Schale). Phylogenetische Bedeutung der Physemarien. 215 Schon früher, als ich „die phylogenetische Bedeutung der lünf ersten ontogenetischen Entwickelungsstufen" des Thierkörpers erörterte (im 12. Abschnitt), habe ich zu zeigen gesucht, dass wir aus der bedeutungsvollen ursprünglichen Keimform der Archi- gastnda nach dem biogenetischen Grundgesetze unmittelbar auf die einstmalige Beschaffenheit der unbekannten ausgestorbenen öasfmt'a-Stammform schliessen können. „Diese ältesten Gastraeaden werden der heutigen Archigastrula im Wesentlichen ganz gleich gebildet und wahrscheinlich nur darin wesentlich verschieden ge- wesen sein, dass sie bereits sexuelle Differenzirung besassen. Vermuthlich werden sich bei ihnen einzelne Zellen des Entoderms zu Eizellen, einzelne Zellen des Exoderms zu Spermazellen umge- bildet haben, wie es auch bei den niedersten Zoophyten (Spongien, Hydroiden) noch heute der Fall ist. Gleich den frei im Meere schwimmenden Formen der Archigastrula werden auch jene Ga- straeaden sich mittelst Flimmerhaaren , Geissein oder Wimpern bewegt haben, welche als Fortsätze der Exoderm-Zellen sich ent- wickelten." Die Berechtigung dieser phylogenetischen Hypothese liegt für Jeden, der das biogenetische Grundgesetz überhaupt an- erkennt, wohl klar vor Augen. Denn wenn irgend eine Thatsache in der vergleichenden Ontogenie der Metazoen eine weitreichende phylogenetische Bedeutung besitzt, so ist es sicher die feststehende Thatsache, dass bei Thieren der verschiedensten Stämme und Klassen (und zwar gerade bei den niedersten und ältesten Formen !) der Körper der Person sich aus derselben einfachen Keimform der Archigastrula entwickelt. Alle die mannigfaltigen Keim- formen, die in den verschiedenen Thierklassen als Modificationen der Amphigastrula, Discogastrula und Perigastrula auftreten, konnten wir als seeundaere, cenogenetische Keimformen er- klären, welche durch verschiedene embryonale Anpassungen aus jener primaeren, palin genetischen Keimform der Archi- 'gastrula im Laufe der Zeit entstanden waren. Diese primordiale Archigastrula aber zeigte uns überall denselben einfachen Bau: Ein einaxiger Schlauch, dessen Höhle („Urdarmhöhle") sich an einem Ende der Axe durch eine Mündung öffnet („Urrnund"), und dessen Wand einzig und allein aus den beiden primaeren Keim- blättern besteht : Hautblatt und Darmblatt. Dieselbe Organisation würden auch die Gastremarien besessen haben, die Gastraea und ihre nächsten Descendenten. Nur darin werden dieselben höchst wahrscheinlich von der heutigen Keimform der Archi- gastrula verschieden gewesen sein, dass sie geschlechtsreif wurden. 216 ^ie Physemarien. Einzelne Zellen ihrer primaeren Keimblätter werden sieh zu Ei- zellen, andere zu Sperinazellen entwickelt haben; und aus den befruchteten Eiern wird durch primordiale Eifurchung eine Arehi- blastula, aus dieser durch Invagination eine Archigastrula ent- standen sein. Durch Bildung von Geschlechts-Zellen wurde diese wieder zur Gastraea. Wenn somit die freischwimmenden Gastremarien in die- ser Form die directe Hauptlinie an der Wurzel des Metazoen- Stammbaums bilden, so dürfen wir die Physemarien als eine untergeordnete Nebenlinie betrachten, welche aus der ersteren durch Anpassung an festsitzende Lebensweis e hervor- gegangen ist. Die Archigastrula gibt die freischwimmende ursprüngliche Lebensweise auf und setzt sich mit dem abor,alen Körperpole fest. Um der festsitzenden schlauchförmigen Person reichlichere Nahrung zuzuführen, entwickeln sich die Geissei- zellen des Entoderms in der Umgebung der Mundöffnung zu stärkeren, kräftigeren Strudel-Organen und bilden so die eigen- thümliche adorale Geisselspirale. Hingegen geben die Geissel- zellen des Exoderms ihre locomotorische, nunmehr überflüssig ge- wordene Geisseibewegung auf und verschmelzen miteinander zur Bildung eines Syncytiums, welches durch Aufnahme fremder Körper sich zu einem stützenden und schützenden Hautskelet entwickelt. Die hohe phylogenetische Bedeutung, welche demgemäss unsere Physemarien als die nächsten Verwandten der Gastraea besitzen , wird auch einen entsprechenden Ausdruck durch ihre Stellung im „Natürlichen System" des Thierreichs finden müssen. Unzweifelhaft finden sie ihren natürlichen Platz nur im Stamme der Pflanzenthiere oder Zoophyten ; und innerhalb dieses Stammes repräsentiren sie die tiefste und älteste Bildungsstufe. Dadurch treten sie aber in die engste Berührung und in die nächsten Ver- wandtschaftsbeziehungen zu denjenigen Zoophyten oder Coelen- teraten, welche wir bisher als die einfachsten und niedersten Formen dieses Stammes zu betrachten gewohnt waren. Einer- seits treten uns da die einfachsten Spongien, anderseits die nie- dersten Hydroiclen entgegen. Unter den Spongien müssen wir vor allen anderen die Asconen in Betracht ziehen, jene einfachsten Formen der Calci- spongien, die bisher überhaupt den primitivsten Typus der Spongien- Klasse darstellen. Unter den Asconen aber muss wieder der ganz Phylogenetische Bedeutung der Physemarien. 217 einfache Olynthus als der wahre Prototypus gelten, wie ich in meiner Monographie der Kalkschwämme hinreichend dargetkan zu haben glaube.1) In der That ist eine echte Spongie von ein- facherer Organisation als der Olynthus nicht denkbar, — ab- gesehen von dem unwesentlichen Umstand, dass derselbe in seinem Exoderm ein Skelet von Kalkuadeln bildet, während die hypothe- tische Stammform der Schwämme — unsere Archispongia 2) — als skeletlos anzunehmen ist. Letztere würde sich zu den skelet- losen Schleimschwämmen oder Myxospongien (Halisarca) ganz ebenso verhalten, wie Olynthus zu den Leuconen. Wenn wir durch Behandlung mit Säuren die Kalknadeln des Olynthus auf- lösen, so bleibt die hypothetische Archispongia übrig: ein ein- facher, schlauchförmiger, einaxiger Körper, der am aboralen Pole der Axe festgewachsen ist, und dessen einfache Darmhöhle sich am entgegengesetzten oralen Pole durch eine einfache Mündung öffnet; die Wand des Schlauches besteht aus den beiden primären Keimblättern: einem flimmernden Entoderm und einem flimmer- losen Exoderm; überall ist die Wand von vergänglichen Poren- canälen durchbrochen, durch welche ernährende Wasserströme in die Darmhöhle eintreten, um dann durch die Mundöffnung aus- zutreten. Vergleichen wir mit dieser einfachsten Spongienform unser Haliphysema, so bleibt nur ein einziger wesentlicher Unterschied zwischen beiden übrig: die Anwesenheit der Hautporen bei erstem-, ihre Abwesenheit bei letzterem. Nun sind freilich die Poren des Spongien-Körpers vergängliche Canäle, und wenn die- selben zeitweise geschlossen sind, so besteht eigentlich ( — vom Skelet abgesehen — ) gar keine weitere Differenz in der Organi- sation von Archispongia (oder Olynthus) und Haliphysema 3). Ander- seits aber ist der Besitz der Poren für den Begriff des „Poriferen"- Körpers so wesentlich und diese Porencanäle bilden so sehr ge- rade den eigenthümlichsten Charakter der Spongien — besitzen a) Ueber Olynthus, die „Stammform der Kalkschwämme", vergl. Bd. I, S. 76; Taf. 1, Fig. 1; Taf. 11, Fig. 6-9; Taf. 13, Fig. 1. 2) Ueber Archispongia, die hypothetische Stammform der Spongien, vergl. meine Monogr. der Kalkschwämme, Bd. I, S. 454, 465; Taf. 11, Fig. 6-9. 3> Vergl. die Abbildung, welche ich 1. c, Taf. 11, Fig. 6 von dem ent- kalkten Olynthus fraijilis mit geschlossenen Poren gegeben habe. Dasselbe Bild gibt ein Haliphysema, aus welchem die fremden Körper des Skelets entfernt sind. 15 218 Die Pbysemarien. eine so hohe morphologische und physiologische Bedeutung* für deren Organisation, — dass wir logischer Weise die Physemarien nicht in die Klasse der echten Poriferen aufnehmen können. Allerdings glaubte ich anfänglich lange Zeit, dass Hali- physema nur ein einfacher Sandschwamm , eine Psammospongie mit zufällig geschlossenen Poren sei, und dass sie sich zu der gewöhnlichen Form dieser Gruppe (Dysidea) gerade ebenso ver- halte, wie Olyntlius zu den Leuconen (Dyssycus), oder Archispongia zu Halisarca. Nachdem ich jedoch später die Peristom-Spirale bei Halipliysema entdeckt hatte und mit der Organistation von Oastro- fjliysema genauer bekannt geworden war, kam ich allmählich zu der Ueberzeugung, dass beide Physemarien wegen des absoluten Porenmangels und wegen der eigenthttmlichen Peristom-Spirale von den echten Poriferen ganz zu trennen seien. Immerhin bleibt die bedeutungsvolle Uebereinstimmung merk- würdig, welche zwischen jenen einfachsten Poriferen und unseren Physemarien nicht allein bezüglich der Gesammtbildung, sondern auch im Detail der Organisation besteht. In beiden Fällen ver- halten sich die primaeren Keimblätter nicht allein in organo- logischer, sondern auch in histologischer Beziehung höchst ähn- lich. In beiden Gruppen bildet das Entoderma ein einfaches Geissel-Epithel, und der charakteristische Bau der Geisselzellen mit ihrem schlanken Hals und ihrem trichterförmigen Kragen ist bei Haliphysema und bei Gastrophysema ganz ebenso, wie ich ihn früher bei den Kalkschwämmen beschrieben habe. Auch sind dort ebenso wie hier sämmtiiche Zellen des Exoderms zu einem Syncytium verschmolzen; und wie dieses bei den Calcispongien ein Skelet aus Kalknadeln bildet, so nimmt es bei den Physe- marien eine Masse von fremden Körpern auf und verarbeitet diese zu einem Pseudo-Skelet, gleich Dysidea. Fast ebenso innig und ebenso bedeutungsvoll , als die Ver- wandtschafts-Beziehungen der Physemarien zu den Poriferen, ge- stalten sich anderseits diejenigen zu den Hydroiden. Auch hier sind es die niedersten und einfachsten Vertreter der flydro- medusen-Klasse, welche den unmittelbaren Anschluss vermitteln. Als bekannteste Form tritt uns hier der Prototyp der Klasse, Hydra entgegen, und sodann diejenigen Hydroiden, welche sich von der einfachen, typischen Hydra-Organisation am Wenigsten entfernen. Allerdings würde eine noch grössere Aehnlichkeit als die armtragende Hydra, die armlose Protohydra von Gp.eeff dar- Phylogenetische Bedeutung der Physemarien. 219 bieten. ]) Allein wir sind genöthigt, diese angebliche „Stamm- form der Coelenteraten" so lange für eine jugendliche Ent- wickelungsform, für eine Larve oder Amme einer anderen Hydro- medusen-Form zu halten, als weder Geschlechts-Organe bei der- selben nachgewiesen, noch ihre Entwicklung vollständig bekannt ist. Wenn Greeff annimmt, dass die von ihm beobachtete „Quer- theilung" seiner Protohydra der einzige Fortpflanzungs-Modus derselben sei, so ist diese Annahme sicher nicht berechtigt; denn auch vorausgesetzt die Richtigkeit seiuer Beobachtung und seiner Deutung, kennen wir bis jetzt keine einzige Art des Zoophyten- oder Coelenteraten-Stammes , die sich ausschliesslich auf ungeschlechtlichem Wege fortpflanzte. 2) Vielmehr ist hier die sexuelle Differenzirung ganz allgemein vorhanden, und wenn wir sehen, dass die niedersten Schwämme und die niedersten Acalephen in derselben einfachsten Form ihre Geschlechtsproducte bilden, wie unsere Physemarien, so liegt darin gerade ein besonderer Hinweis auf deren Bedeutung. In allen Fällen sind es einzelne Zellen der primaeren Keimblätter, entweder des Eutoderms oder des Exoderms, welche sich zu Sexual-Zellen umbilden; und wir halten es sogar für wahrscheinlich, dass auch bei unseren Physemarien das Verhältniss dasselbe ist, welches E. van Beneden und G. v. Koch bei verschiedenen Hydroiden beobachtet haben; dass sich auch hier die männlichen Spermazellen aus dem Exo- derm, die weiblichen Eizellen aus dem Entoderm hervorbilden. Bei der Vergleichung der Physemarien mit Hydra und den einfachsten Hydroidpolypen können wir von den Tentakeln der letzteren zunächst absehen. Denn wenn wir die problematische Protohydra auch ganz aus dem Spiele lassen, so sind doch aus anderen Gründen die physiologisch so wichtigen Tentakeln der Hydroiden als Organe von untergeordneter morphologischer Be- deutung anzusehen. Sie fehlen vielen Personen der Siphonophoren- Stöcke und entwickeln sich bei den jungen Thieren meistens erst, nachdem der wichtigste Theil des Körpers, der Magenschlauch J) R. Greeff, Protohyrap Leuckartii, eine marine Stammform der Coe- lenteraten. Zeitschr. für wissensch. Zool. 1870, Bd. XX, S. 37, Taf. IV, V. 2) Die Gründe, weshalb Protohydra vorlaufig nicht als „Stammform der Coelenteraten" betrachtet werden kann, habe ich in der Monographie der Kalkschwämme entwickelt (Bd. I, S. 459, Anm.). Wenn bewiesen würde, dass Protohydra in dem von Greeff beobachteten Zustande geschlechtsreif würde und sich durch Eier fortpflanzte, so würde Greeff's Annahme gerechtfertigt sein. 15* 220 Die Physemarien. mit Mundöffnung, bereits gebildet ist. Wenn wir also den Besitz der Tentakeln als niclit wesentlich betrachten, so bleibt zwischen den Hydroiden und den Physemarien wiederum nur ein einziger wesentlicher Unterschied übrig, der Besitz der Nesselkapseln bei den ersteren, ihr Mangel bei den letzteren. Die Nessel-Organe sind es, welche die porenlosen Acalephen vor den porenführenden Schwämmen am meisten auszeichnen. Da alle Zoophyten, die wir in der Hauptklasse der Acalephen zusammenfassen: alle Hydromedusen, Ctenophoren, Korallen constant Nesselzellen be- sitzen, und da diese ebenso constant allen Spongien fehlen, so haben wir bei der Gegenüberstellung dieser beiden Hauptgruppen von Zoophyten darauf das grösste Gewicht gelegt. *) Die Physe- marien verhalten sich in dieser Beziehung gleich den Poriferen. Dagegen stimmen sie wiederum in dem Porenmangel mit den Hydroiden überein. Mit diesen theilen sie auch den Mechanismus der Ernährung und unterscheiden sich dadurch wesentlich von den Poriferen. Der mit Nährstoffen beladene Wasserstrom tritt durch die Mundöffnung ein, während er bei den Poriferen durch die Hautporen eintritt und der Mund nur als After oder „Kloaken- Oeffnung" fungirt. Das einfache Geissel-Epithel des Entoderms, welches die Physemarien mit den Poriferen theilen, besitzen in ganz ähnlicher Form auch viele Hydroiden. Dagegen sind freilich die Physemarien in Beziehung auf die histologische Differenzirung des Exoderms sehr verschieden von den Hydroiden und stimmen vielmehr mit den Spongien überein. Aus dieser Vergleichung ergiebt sich, das die Physemarien zwischen den einfachsten Formen der Poriferen einerseits und den einfachsten Formen der Hydroiden anderseits in der Mitte stehen und dass sie weder mit jenen noch mit diesen im Systeme vereinigt werden können, ohne die bestehenden festen Grenzen jener beiden Klassen zu durchbrechen. Es bleibt daher Nichts übrig, als eine besondere Klasse für dieselben zu gründen, und diese Klasse kann keine andere sein, als diejenige der Ga- straeaden, die wir als eine hypothetische Gruppe auf Grund der Gastraea - Theorie schon seit Jahren angenommen haben. Innerhalb dieser Klasse werden als zwei verschiedene Ordnungen oder Familien zu unterscheiden sein: 1) die freischwimmenden und vielleicht schon ausgestorbenen Gastremarien {Gastraea, ') ,.Die Spongien und die Acalephen". Monogr. der Kalkschwämme, Bd. I, S. 158-460. Phylogenetische Bedeutung der Physemarien. 221 Gastrema1) — wesentlich gleich einer geschlechtgreifen Archi- gastrula — und 2) die festsitzenden und skeletbackenden Physe- marien (Ilalipliysema, Gastrop/tysema) . Wenn man die nessellosen Spongien und die nesselnden Acalephen als zwei Hauptklassen der Pflanzenthiere beibehalten will, so wird man die Gastraeaden zu den ersteren stellen müssen; und diese Anordnung: wird sich um so mehr empfehlen, als doch die Physemarien im Ganzen näher noch den Spongien als den Hydroiden verwandt erscheinen. Man wird dann aber unter den Spongien zwei verschiedene Klassen unterscheiden müssen: 1. Die Gastraeaden, ohne Hautporen (mit adoraler Wimper- spirale?); und II. die Poriferen, mit Hautporen (ohne adorale Wimperspirale). Das System der Zoophyten würde demnach folgende Form annehmen: Erste Hauptklasse: Spongiae. Klassen: 1. Gastraeada, 2. Porifera. Zweite Hauptklasse : A c a 1 e p h a e. Klassen : 1. Hydromedusae, 2. Ctenophora, 6. Calycozoa, 4. Coralla. Die Klasse der Gastraeaden würde durch folgende Cha- rakteristik zu bezeichnen sein: Charakter der Gastraeaden: Einfache, schlauchförmige Thiere ohne Anhänge, deren dünne Körperwand zeitlebens aus den beiden primaeren Keimblättern besteht, und deren einfache Darmhöhle sich durch einen Urmund öffnet. Fortpflanzung durch befruchtete Eier. Erste Ordnung: Gastrema ria. (Hypothetische Stamm- gruppe der Metozoen). Körper freibeweglich, umherschwimmend mittelst der Flimmerhaare des Exoderms. Genera: Oastraea (nackt). Gastrema (beschaalt). Zweite Ordnung: Physemaria. Körper am aboralen Pole festgewachsen. Exoderm nicht flimmernd, durch Verschmel- zung der Zellen ein Syncytium darstellend, welches durch Auf- nahme von fremden Körpern ein Sand-Skelet bildet. Genera: Haliphysema (einkammerig). Gastrophysema (mehr- kammerig). *) Unter Gastraea wollen wir die nackten, vollkommen der Archigastrula gleichen Gastremarien verstehen; unter Gastrema dagegen diejenigen, welche sich eine schützende Hülle oder Schale bildeten. Dass letztere neben ersteren in der laurentischen Periode existirten, ist aus vielen Gründen wahrscheinlich. Erklärung der Tafeln. Taf. IX. Haüphyscma primordiale. Fig. 121. Eine entwickelte Person, festsitzend auf einer Laminarien-Wurzel. Aeussere Ansicht. Vergrösserung 80. Fig. 122. Längsschnitt durch dieselbe Person. Die spindelförmige Magen- höhle (v) öffnet sich oben durch den Mund (?«). e Exoderm i Ento- derm. o Eizellen, s Spicula. I Steinchen. Vergr. 80. Fig. 123. Querschnitt durch die Mitte derselben Person. Buchstaben wie in Fig. 122. Die Eizellen (o) liegen zerstreut zwischen den Geissei- zellen des Entoderms (i). Vergr. 80. Fig. 124. Die adorale Geisselspirale in der Richtung von der Mundöffnung aus gesehen. Schematisch. Vergr. 250. Fig. 125. Ein Stückchen Entoderm, mit fünf Geisselzellen, im Profil. Vergr. 800. Fig. 126. Ein Stückchen Exoderm, von der Fläche gesehen, n Zelleukerne. p Syncytium. I Kieselsteinchen, s Spicula. Vergr. 800. Taf. X. Haüphyscma echinoides. Fig. 127. Eine entwickelte Person, mit Spicula von Corticaten-Spongien bewaffnet; in der kugeligen Magenwand viele dreizähnige Ankernadeln; im Stiel und in der konischen Fussscheibe des Stiels viele Lithasterisken von Tethyen etc. Vergr. 80. Fig. 128. Längsschnitt durch den Körper derselben Person. Im Grunde der kugeligen Magenhöhle (v) sitzt ein Zapfen (Columella, c), der mit einem Haufen von Eizellen (o) bedeckt ist. m Mundöffnung, e Exo- derm. i Entoderm. Vergr. 80. Fig. 129. Ein Stückchen Exoderm. n Zellenkerne, p Protoplasma des Syncytium. Vergr. 600. Fig. 130. Ein Stückchen Entoderm, einfache Epithelschicht, von der Fläche gesehen. Vergr. 600. Fig. 131. Zwei Eizellen aus dem Grunde der Magenhöhle. Im körnchen- reichen Protoplasma ein helles Keimbläschen mit Keimfleck. Vergr. 400. Erklärung der Tafeln. 223 Taf. XI. Haliphysema globigerina. Fig. 132. Eine entwickelte Person, mit birnförmigem Körper und einem sehr langen, runden, in der Figur kurz abgebrochenen Stiele. Das Pseudo-Skelet des Exoderms besteht zum grössteu Theile aus Rhizo- poden-Schalen , ganz überwiegend Globigerina; eine dünnschaligere Form (G) und eine dickschaligere (A), ürbulina (0), ferner einzelne Rotalieu und Textilarien (T); dazwischen auch einzelne Radiolarien: Euchitonia (E), Haliomma (//), Trematodiscus (D) u. s. w. Vergr. 100. Fig. 133. Längsschnitt durch dieselbe Person. Die birnförmige Magenhöhle (v) öffnet sich oben durch eine nabeiförmig eingezogene Mündung (m). e Exoderm. i Entoderm. c Säulchen (columella). o Eizellen. Vergr. 40. Fig. 134. Ein Stückchen des vorigen Längsschnittes, stärker vergrössert. i Entoderm. e Exoderm. n Kerne desselben. O Eine Orbuliua. i/, K Globigerinen. Vergr. 600. Fig. 135. Längsschnitt durch die Columella (c). Der Entoderni-Ueberzug derselben besteht aus grösseren Zellen, wahrscheinlich jungen Eizellen (o). Im Exoderm-Protoplasma viele Kerne (n). Vergr. 400. Fig. 136. Querschnitt durch den runden Stiel. In der Mitte die aus Proto- plasma bestehende Axe des Stiels (/>), welche keine fremden Körper, da- gegen zahlreiche longitudinal gelagerte Zellenkerne enthält {n)\ in der Peripherie Coccolithen, Coccosphaeren und andere fremde Körper (x). Vergr. 400. Taf. XII. Gastrophysema dithalamium. Fig. 137. Eine entwickelte Person, aufsitzend auf einem abgestorbenen Stock von Cladocora. Der Körper ist im unteren Theile mit Sand- körnchen und Nadelfragmenten, im oberen Theile mit abstehenden Spicula verschiedener Spongien bewaffnet. Vergr. 80. Fig. 138. Ein Stückchen eines Durchschnittes durch die Wand der Magen- höhle im unteren Theile. / Geisseizellen des Darm-Epithels, d Drüsen- zelle desselben, n Zellenkerne des Exoderms. p Protoplasma. Die fremden Körper des Pseudo-Skelets sind aus dem Syncytium entfernt. Vergr. 1500. Fig. 139. Ein Stückchen eines Durchschnittes durch die Wand der Magen- höhle im oberen Theile, wo die adorale Geisselspirale liegt, a Geissel- zellen der letzteren, mit sehr verlängertem Halse, d Drüsenzelle, n Zellenkerne des Exoderms. p Protoplasma desselben. Vergr. 1500. Taf. XIII. Gastrophysema dithalamium. Fig. 140. Eine entwickelte geschlechtsreife Person mit Eiern, mit ver- engertem Mundtrichter, im Längsschnitt, i Geissel-Epithel (Entoderm). v Magenhöhle, b Bruthöhle, y Enge Einschnürung zwischen beiden. 224 Erklärung der Tafeln. d Drüsenzellen des Magens, a adorale Geisselspirale. m Mundöflhung« o Eizellen, e Exoderm, mit fremden Körpern (s) beladen (in der untern Hälfte grösstentheils Sandkörnchen, in der oberen Spicula von Spongien). n Kerne des Syncytium. Vergr. 80. Fig. 141. Eine entwickelte trächtige Person mit erweitertem Mundtrichter, zahlreiche ausgebildete Gastrulae (g) enthaltend; die Geschlechtshöhle (b) ist fast ganz von ihnen erfüllt; einzelne sind auch in die Magen- höhle (v) übergetreten. Buchstaben wie in voriger Figur. Vergr. 80. Fig. 142. Vier Spermazellen, beim Zerzupfen einer eierhaltigen Person in Menge isolirt. Vergr. 1200. Fig. 143. Eine unreife Eizelle, in drei verschiedenen Zuständen der amoe- boiden Bewegung. Vergr. 600. Taf . XIV. Gastrophysema dithalamium. Fig. 144. Längsschnitt durch die Magenhöhle (v), um die adorale Geissel- Spirale zu zeigen (a). Schematisch, a die Spirale, m Mund, e Exo- derm. i Entoderm. Vergr. 80. Fig. 145. Hälfte eines Querschnitts durch den oberen Theil der Magen- hohle (v). f Geisseizeilen des Entoderms. d Drüsenzellen, a Colossale Geisselzellen der Spirale, n Zellkerne des Exoderms. p Protoplasma desselben, s fremde Körper. Vergr. 200. Fig. 146. Hälfte eines Querschnitts durch die Geschlechtshöhle {b). /Geissel- zellen des Entoderms. o Eizellen, n Kerne des Exoderms (e). p Proto- plasma, s fremde Körper. Vergr. 200. Fig. 147. Ein Stückchen Entoderm aus dem adoralen (oberen) Theile der Magenhöhle. / Geisseizellen, d Drüsenzelle, a drei grosse Geissei- zellen der Spirale. Von der Fläche gesehen. Vergr. 1200. Fig. 148. Ein Stückchen Exoderm, von der innersten Schicht desselben, an der Einschnürungsstelle zwischen beiden Kammern. Die Grundsubstanz des Syncytium (p) erscheint faserig difi'erenzirt , die Kerne («) den Fasern parallel gelagert. Vergr. 1200. Fig. 149. Zwei Blastoderm-Zellen der Blastula (vergl. Fig. 118). Vergr. 1500. Fig. 150. Durchschnitt durch die Wand der Gastrula. e Vier Exoderm- Zellen. i Zwei Entoderm-Zellen der Gastrula (Fig. 119, 120). Vergr. 1500. Jena, den 18. August 1876. IV. Nachträge zur Gastraea-Theorie. Inhalt. 18. Histologische Bedeutung der Gastraea-Theorie. 19. Primäre und secundäre Keimblatter. Exoderm, Mesoderm und Entoderm. 20. Pro- tozoen und Metazoen. 21. Mesozoen, Gastraeaden, Dicyemiden. 22. Gastru- lation der Säugethiere. 23. Urdarm und Urmund. Primitiv - Organe. 24. Heuristische Bedeutung der Gastraea-Theorie. 18. Histologische Bedeutung der Gastraea-Theorie. Der erfreuliche Aufschwung und die wachsende Theilnahme weiter Kreise, welche das Studium der Entwicklungsgeschichte im letzten Decennium gewonnen hat, ist auch unserer Gastraea- Theorie unmittelbar zu Gute gekommen. Zahlreiche vortreffliche Arbeiten aus der neuesten Zeit, unter denen ich hier nur die- jenigen von E. Ray-Lankester, F. M. Balfour, Eduard van Beneden, A. Kowalewsky, A. Rauber und Carl Rabl hervorheben will, haben nicht nur unsere Kenntnisse in der Ontogenie der verschiedenen Metazoen ausserordentlich erweitert, sondern auch das causale Verständniss von deren phylogenetischer Bedeutung mächtig ge- fördert. Die meisten und zuverlässigsten von diesen neueren Arbeiten haben die Gastraea-Theorie mit ihren wichtigsten Fol- gerungen bestätigt und weiter ausgeführt. Die empirische Grund- lage unserer Theorie ist dadurch viel breiter und fester geworden, als ich vor vier Jahren bei ihrer ersten Publication hoffen konnte, und die wichtigsten Einwürfe, die damals dagegen erhoben wurden, können jetzt als beseitigt gelten. Aus diesem Grunde erscheint es auch überflüssig, auf die heftigen Angriffe zu antworten, welche sofort von Carl Claus, Carl Semper, W. Salensky, Alexander Agassiz u. A. gegen die Gastraea-Theorie und ihre Consequenzen gerichtet wurden. Ich hatte anfangs die Absicht, am Schlüsse dieser Studien zur Gastraea- Theorie wenigstens diejenigen von jenen Einwendungen zu wider- legen, welche am besten thatsächlich begründet erschienen. In- dessen haben die neueren Fortschritte in der vergleichenden Ontogenie selbst diese Widerlegung thatsächlich übernommen. Auf einige der stärksten Angriffe, namentlich diejenigen von Wilhelm His und Alexander Götte, habe ich in meiner Schrift über „Ziele und Wege der heutigen Entwicklungsgeschichte" (1875) geantwortet. Viele Einwendungen gegen die Gastraea-Theorie erinnern lebhaft an die Einwände, welche seiner Zeit gegen die 228 Die Gastraea-Theorie. Zellen-Theorie erhoben wurden. Als Schleiden 1838 die Zellen- Theorie für das Pflanzenreich begründete und Schwann sie un- mittelbar darauf für das Thierreich durchführte; da meinten viele, und unter diesen sehr angesehene Naturforscher, diese Theorie sei weder neu noch wichtig-. Denn „Zellen" habe man längst gekannt, dass alle Gewebe bloss aus Zellen zusammengesetzt seien, sei nicht bewiesen, ausserdem gebe es auch andere Elementartheile, und der Zellen-Begriff sei nicht auf die Bestandtheile aller Gewebe anwendbar. Geradeso erheben die Gegner der Gastraea-Theorie den Einwurf, die Keimformen vom Bau der Gastrula seien schon vorher bekannt gewesen, dass alle Metazoen sich aus Gastrula- Keimen entwickeln, sei nicht bewiesen, ausserdem gebe es auch noch andere Keimformen und der Gastrula-Begriff sei nicht auf die Embryonen aller Metazoen anwendbar. Diese Einwürfe werden aber das feste Fundament der Gastraea-Theorie so wenig er- schüttern, als jene gleichen Angriffe vor 38 Jahren die Zellen- Theorie widerlegt haben. Wie wir durch die letztere die einheit- liche Auffassung vom elementaren Bau aller Organismen gewonnen und durch den Zellen-Begriff die Zelle als das „Individuum erster Ordnung" erkannt haben, so gelangen wir durch die erstere zu einer einheitlichen Auffassung vom histologischen und organo- logischen Bau aller Metazoen und erkennen in der Gastraea das „Individuum dritter Ordnung", die Person; in ihren beiden pri- mären Keimblättern die Individuen zweiter Ordnung, die „Idorgane", aus denen sich die Organisation sämmtlicher Metazoen entwickelt hat. Die Einfachheit und Einheit der Auffassung, die Feststellung klarer morphologischer Elementar - Begriffe und die damit ver- knüpfte phylogenetische Erkenntniss verleihen der Gastraea-Theorie ihren Anspruch auf Geltung so lange, bis sie durch eine bessere morphologische Theorie ersetzt sein wird. Statt also hier auf die vielfachen Angriffe meiner Gegner zu antworten, halte ich es für zweckmässiger, in diesen „Nach- trägen zur Gastraea-Theorie" noch einige Folgerungen derselben zu erläutern, die früher nicht die gehörige Betonung gefunden haben und zugleich mit Hülfe wichtiger Beobachtungen aus neuester Zeit einige früher ofien gebliebene Lücken auszufüllen. Zunächst scheint es da zweckmässig, einige Bemerkungen über die histologische Bedeutung der Gastraea-Theorie voraus- zuschicken. Vor allen dürfte für die generelle Histologie der Grundsatz zu betonen sein, dass mit der Gastrulation und der Keimblätter- Histologische Bedeutung der Gastraea-Theorie. 229 bildung überhaupt erst die Bildung' eigentlicher Gewebe im Tliierkörper beginnt. Daher besitzen nur die Metazoen wahre Gewebe, nicht die Protozoen. Zwar wird auch heute noch viel- fach bei den Protozoen von Geweben gesprochen; und den In- fusorien werden sogar höhere Gewebs - Differenzirungen zuge- schrieben. Im Interesse klarer und logischer Ordnung der Begriffe sollte dies aber niemals geschehen. Denn unter Geweben ver- stehen wir solche Gruppirungen bestimmter Zellenarten, welche eine bestimmte morphologische und physiologische Bedeutung fin- den vielzelligen Thier-Organismus besitzen. Da nun die grosse Mehrzahl der Protozoen einzellig ist, kann bei ihnen überhaupt nicht von Geweben in strengerem Sinne die Rede sein. Aber auch bei den vielzelligen Protozoen treffen wir die constituirenden Zellen niemals in der Weise zu bestimmten morphologischen Ein- heiten verbunden, wie sie die Keimblätter der Metazoen und die daraus abgeleiteten Gewebe vorstellen. Die beiden primären Keimblätter der Gastrula sind also die ersten und ältesten differenten Gewebe des Thierkörpers. Wollte man noch einen Schritt weiter zurückgehen, so könnte man das Blasto derma, die Keimhaut der Blastula, als das allerälte.ste Gewebe bezeichnen. In der That kann diese einfache Zellen- schicht, welche die Wand einer einfachen Hohlkugel bildet, ebenso gut auf den Charakter eines echten, einfachen Gewebes Anspruch machen, wie die beiden primären Keimblätter, welche aus dem Blastoderm durch Invagination der Blastula hervorgehen. Das Ento derma ist ja eigentlich nur der eingestülpte, und das Exoderma der nicht eingestülpte Theil des Blastoderma. Vergleichen wir nun diese ältesten Gewebs-Formationen des Metazoen - Organismus mit den Geweben des vollkommen ent- wickelten Thierkörpers, so kann es keinen Augenblick zweifelhaft sein, dass dieselben sowohl in morphologischer als in physiolo- gischer Beziehung den Charakter eines einfachen echten Epi- thel i ums besitzen. Sowohl das ursprüngliche, ganz einfache Blastoderma, als die beiden daraus durch Invagination ent- stehenden primären Keimblätter, Exoderma und Ento derma, sind echte Epithelien. Die einfache Zellenschicht de.s Exoderms ist ein primitives Dermal-Epithelium, eine ein- fachste „Hautdecke" ; die ebenso einfache Zellenschicht des Ento- derms ist ein primitives Gastral-Epithelium, eine einfachste „Darmdecke". Mit Bezug auf die Planaea und die Gastraea, jene 230 Die Gastraea-Theorie. ältesten hypothetischen Stammformen, welche den heutigen Keim- formen der Archiblastula und Archigastrula wesentlich gleich gewesen sein müssen, dürfen wir fernerhin die Vermuthung aufstellen, dass jene alierältesten, zuerst entstandenen Epithelien — sowohl das Blastoderma, als das Exoderma und Entoderma — Flimmer -Epithelien waren; und wenn wir den wichtigen Zeugnissen trauen dürfen, welche uns die histologische Beschaffen- heit des Entoderms bei den heute noch lebenden Gastraeaden, Spongien und Hydroiden liefert, so waren jene ersten Flimmer- Epithelien einschichtige Geissel-Epithelien, gebildet aus einer einfachen Lage von gleichartigen Geisseizellen, deren jede mit einem einzigen langen, schwingenden Geisselfaden aus- gerüstet war (Fig. 117, 118, 120). Wenn wir zunächst bloss die Archiblastula (Fig. 20, 29, 116, 117) und die Archigastrula (Fig. 23, 31, 44, 120) be- rücksichtigen, welche bei Thieren der verschiedensten Gruppen überall dieselbe einfache Beschaffenheit darbieten, so bedürfen die obigen Sätze keines weiteren Beweises. Denn bei allen pal in- genetischen Thieren, bei allen Thieren, welche noch heute primordiale Eifurchung besitzen — von Gastrophysema und Olyn- thus bis zur Ascidie und zum Amphioxus hinauf — sind ja überall sowohl das Blastoderma der Blastula, als das Exoderma und Entoderma der Gastrula, ganz einfache, einschichtige Epi- thelien. Hingegen erscheint jene Auffassung nicht gerechtfertigt bei den meisten ceno genetischen Thieren, welche nicht die pri- mordiale Eifurchung besitzen, sondern eine der drei anderen Furchungsformen (inaequale, discoidale oder superficiale). Hier tritt erstens der Epithel -Charakter der beiden primären Keim- blätter oft nicht so klar und unzweideutig hervor, als bei jenen archiblastischen Thieren; und zweitens erscheinen schon die ersten Anlagen derselben oft nicht einschichtig, sondern mehrschichtig. Zwar wird sich der Epithel-Charakter des Exoderms in keinem Falle verleugnen lassen. Aber das Entoderm wird sehr oft diesen Charakter auf den ersten Blick vermissen lassen, insbesondere dann, wenn ein mächtiger Nahrungsdotter entwickelt und die Ur- darmhöhle damit ausgefüllt ist. Hier müssen wir dann stets die secundäre Natur dieser cenogenetischen Bildung im Auge behalten und uns erinnern, dass wir im Stande waren, sie auf jene primären palin genetischen Verhältnisse zurückzu- führen. In allen Fällen sind die ersteren aus den letzteren erst Histologische Bedeutung der Gastraea-Theorie. 231 später, in Folge embryonaler Anpassungen, hervorgegangen. So sind die mannichfach verschiedenen, oft mehrschichtigen und nicht flimmernden Keimblätter der Fische, Amphibien und Amnioten alle ursprünglich aus den einschichtigen Flimmer-Epithelien ent- standen, welche die beiden primären Keimblätter der Acranier bilden (Amphioxus). Wir sind daher in allen Fällen zu der An- nahme berechtigt, dass die mehrschichtigen Keimblätter erst se- cundär aus einschichtigen entstanden sind, dass die nicht flim- mernden Keimblätter ursprünglich aus einem Flimmer-Epithel hervorgegangen sind, und dass das Entoderm stets eben so gut ein echtes Epithelium ist, wie das Exoderm. Unser Magen-Epithel bleibt ein echtes Epithel, gleichviel ob unsere Magenhöhle mit Speise erfüllt ist oder nicht; und ebenso bleibt das Entoderm der Gastrula überall ein Epithel, gleichviel ob ihre Urdarmhöhle von einem Nahrungsdotter ausgefüllt ist oder nicht. Der histologische Nachweis, dass die beiden primären Keim- blätter überall echte Epithelien sind, gestattet uns nun unmittelbar folgenden bedeutungsvollen Schluss: Das Epithelium allein ist das primäre Gewebe, ist das ursprüngliche und älteste Gewebe des Thierkörpers und bildete anfänglich den Metazoen- Organismus für sich allein. Alle anderen Gewebe sind se- cundäre Gewebe, sind erst nachträglich aus jenem ersteren hervorgegangen, sind Descendenten des Epithelium. Wie wichtig und folgenreich dieser Schluss ist, leuchtet ein, sobald wir an die langwierigen und noch heute nicht beendigten Streitigkeiten über die Beziehungen der Epithelien zu anderen Geweben denken. Wie viele Seiten der histologischen Literatur sind mit den leb- haftesten Streitigkeiten darüber angefüllt, ob Nerven, Muskeln, Bindegewebe, Blut u. s. w. mit echten Epithelien in Continuität stehen können oder nicht! Und wie leer, wie müssig erscheinen alle diese endlosen Controversen angesichts der einfachen That- sache, dass alle diese Gewebe ursprünglich aus Epithelien hervor- gegangen sind. Blut- und Binde-Gewebe ebensowohl als Nerven- und Muskel-Gewebe sind ursprünglich stets aus Epithelial-Gewebe entstanden. Durch diese einfache histogenetische Reflexion, durch die Erwägung, dass die beiden primären Keimblätter echte Epithelien sind, und dass alle Gewebe des Metazoen-Körpers einzig und allein aus diesen entstanden sind, werden eine Menge von histo- logischen Controversen gegenstandslos, mit denen eine Masse von Papier und Zeit nutzlos vergeudet worden ist. Vor allen gilt das 232 Die Gastraea-Theorie. von der vielbesprochenen Parablasten-Tlieorie von His, welche trotz ihrer Absurdität auch heute noch zahlreiche An- hänger besitzt. Der Kern dieser Theorie gipfelt bekanntlich in dem Satze, dass der Thierkeim aus zwei gänzlich verschiedenen Bestandtheilen zusammengesetzt sei, aus dem Hauptkeim und Nebenkeim. Der Hauptkeim oder Archiblast allein soll von den beiden primären Keimblättern abstammen und Nerven- Gewebe, Muskel-Gewebe, Epithelial- und Drüsen-Gewebe liefern. Hingegen sollen das Binde-Gewebe (nebst Knorpel- und Knochen- Gewebe), die Blutzellen und die sogenannten Endothelien *) (die Gefäss-Epithelien) abstammen von dem Nebenkeim oder Pa- r a b 1 a s t , d. h. von Bindegewebszellen des mütterlichen Körpers, welche in den „weissen Dotter" des Eies eingewandert sind, und welche also gar nichts mit den primären Keimblättern zu thun haben. Die Aufstellung dieser ganz verkehrten, aber vielbewun- derten Parablasten-Th eorie 2), die den einfachsten physiologischen und morphologischen Principien Hohn spricht, lässt sich nur durch die tiefe Unkenntniss der vergleichenden Anatomie und On- togenie entschuldigen, durch welche His sich auszeichnet. Denn alle palingenetischen Thiere besitzen gar keinen Nahrungsdotter, keine Spur von „weissem Dotter"; ihr Keim besteht einzig und allein aus den primären Keimblättern, also aus zwei einfachen Epithe- lial-Schichten ; — und doch bilden diese Thiere ebenso gut Binde- Gewebe, Blut und „Endothelien", als die cenogenetischen Thiere, bei denen letztere „ganz anderen Ursprungs" sein sollen. Durch diese unleugbare Thatsache allein schon wird die ganze Parablasten- Theorie widerlegt. Blut, Endothelien und Binde- Gewebe entwickeln sich ursprünglich ebenso aus Epithelien, wie Nerven-, Muskel- und Drüsen - Gewebe. Alle Zellen der verschiedensten Gewebe sind direct oder indirect Abkömmlinge von Epithelial-Zellen.3) a) Der von His eingeführte und jetzt vielfach gebrauchte Ausdruck Endo- thelium bedeutet wörtlich : „Innerhalb der Brustwarze". 2) Külliker (Entwicklungsgeschichte, II. Aufl. 1876, p. 26) meint, dass „die von His in geistreicher Weise ausführlich beleuchtete Parablasten- Theorie viel Bestechendes hat," und „bedauert, dieselbe nicht unterstützen zu können." s) Trotzdem His gegenwärtig mit der Archig astrula des Amphioxus bekannt ist, welche für sich allein schon die ganze Parablasten-Theorie wider- legt, hiilt er doch unbeirrt an letzterer fest. Vergl. meine Anthropogenie (III. Aufl., S. 657j und „Ziele und Wege der heutigen Entwicklungsgeschichte" (1875, S. 32;. Primäre und secundäre Keimblätter. 233 19. Primäre und secundäre Keimblätter. Exodcrm, Mesoderm und Entoderm. Die Unterscheidung der primären und seeundären Keimblätter, auf welche ich bereits in der Monographie der Kalkschwämme (1872) das grösste Gewicht gelegt, habe, scheint mir nicht allein für das Verständniss der Gastraea-Theorie, sondern auch für die richtige Auffassung der wichtigsten Keimungs-Vorgänge überhaupt von solcher Bedeutung zu sein, dass ich nicht umhin kann, hier nochmals darauf zurückzukommen. Besondere Veranlassung dazu bieten die vielfachen Streitigkeiten über Ursprung und Bedeutung des Mittelblattes oder Mesoderma, welche bis in die neueste Zeit mit zunehmender Verwirrung der Begriffe und Steigerung der Widersprüche fortgedauert haben. In der That überzeugt uns ein Blick auf die umfangreiche embryologische Literatur der letzten Jahre, dass das Mesoderm-Problem ebenso zu den dunkelsten und schwierigsten, wie anderseits zu den wichtigsten und einfluss- reichsten Fragen der Keimblätter-Theorie gehört. Die Mehrzahl der heutigen Embryologen begnügt sich in dieser Beziehung gegenwärtig mit folgender Auffassung: Nach- dem p]xoderm und Entoderm ausgebildet sind, entsteht zwischen diesen beiden Keimblättern ein drittes, das Mesoderm, und nun- mehr besteht der Keim aus drei übereinander liegenden Blättern : Exoderm, Mesoderm und Entoderm (oder : Epiblast, Mesoblast und Hypoblast). Schon dieser Satz, welcher fast überall ohne Bedenken wiederholt wird, enthält einen logischen Fehler, der sich zu einer Quelle verhängnissvoller Irrthümer gestaltet. Er verstösst näm- lich gegen die wichtige Thatsache, dass das Mesoderm in allen Fällen ein se eundäres Product der primären Keimblätter ist, entweder beider, oder eines von beiden. Wenn das aber wirklich der Fall ist — und die vergleichende Ontogenie hat jetzt diese fundamentale Thatsache unumstösslich festgestellt! — dann ist das Mittelblatt ein Theil von einem der beiden primären Keimblätter oder von beiden. Da nun der Theil nie gleich dem Ganzen sein kann, so hört mit der Bildung des Mesoderms wenigstens eines der beiden primären Keimblätter — oder beide zugleich — auf, als solche zu existiren; eines oder beide sind dadurch in mehrere secundäre Keimblätter zer- fallen oder gespalten. 16 234 Die Gastraea-Theorie. Der Einfachheit halber wollen wir die primären und secun- dären Keimblätter mit folgenden Buchstaben bezeichnen: E = Exo- derma (äusseres primäres Blatt) ; J = Entoderma (inneres primäres Blatt); s = Hautsinnesblatt (Sinnesblatt); f = Hautfaserblatt (Fleischblatt); g = Darmfaserblatt (Gefässblatt) ; d = Darmdrüsen- blatt ( Drüsenblatt) ; m = Mesoderma (Mittelblatt oder Faserblatt). Das Mesoderm wird allgemein als die Summe von Hautfaserblatt und Darmfaserblatt aufgefasst, gleichviel auf welche Weise diese aus den primären Keimblättern entstanden sind ; also m = f -}- g. Demnach gelten allgemein folgende Gleichungen: l)E + J = s + f + g+d oder E + J = s + m + d 2) E = s -f- m + d — J oder J=s+m + d — E 3) m = E + J — (s + d) oder m = (E — s) + (J — d) Alle verschiedenen Ansichten, welche über die Bedeutung und Entstehung des Mesoderms und überhaupt der secundären Keimblätter geltend gemacht werden könnten, lassen sich demnach auf folgende drei Möglichkeiten reduciren : 1) J = m -j- d, dann ist E = s; 2) E = m -f- s, dann ist J = d; 'S) E = s -f- f (oder = s -f- m — g) und entsprechend J = g + d (oder = m — f + d) ; dann ist m = J — d -}- E — s. Fassen wir nun diese drei möglichen Fälle noch etwas näher in's Auge, ganz abgesehen davon, dass der letzte derjenige ist, der in organologischer Hinsicht der verständlichste und daher in phylogenetischer Beziehung der wahrscheinlichste ist. 1. Das ganze Mesoderm entsteht aus dem Ento- de rm und spaltet sich erst später in Darmfaserblatt und Haut- faserblatt. Dann ist J = m -f- d und folgerichtig E = s. Das Exoderm liefert bloss das Hautsinnesblatt, das Entoderm alle übrigen drei secundären Blätter. Diese Ansicht wird augenblick- lich von der grossen Mehrzahl der Embryologen für die richtige gehalten. Bemak hat dieselbe zuerst für die Wirbelthiere aufge- stellt, und die meisten neueren Beobachter glauben dasselbe Ver- hältniss bei den verschiedensten Wirbellosen gefunden zu haben. Wenn dieses Verhältuiss stattfindet, so hört mit der Bildung des Mesoderm die Existenz des Entoderms auf; denn J wäre dann = m -f- d und folglich m = J d. Der dreiblätterige Keim Primiire und secundäre Keimblätter. 235 besteht demnach aus folgenden Theilen: 1. Exoderm (= Haut- sinnesblatt) ; 2. Mesoderm oder Faserblatt (= Hautfaserblatt und Darmfaserblatt); 3. Darmdrüsenblatt. 2. Das ganze Mesoderm entsteht aus dem Exoderm und spaltet sich erst später in Hautfaserblatt und Darmfaserblatt. Dann ist E = s -f- m und folgerichtig J = d. Das Entoderm liefert blos das Darmdrüsenblatt , das Exoderm alle übrigen drei secundären Blätter. Diese Ansicht wird für eine Anzahl von sehr verschiedenen Wirbellosen auch noch in neuester Zeit von namhaften Beobachtern vertreten und kürzlich hat sie Kölmker auch für die Wirbelthiere mit aller Bestimmtheit geltend gemacht. x) Wenn dieses Verhältniss stattfindet, so hört mit der Bildung des Mesoderms die Existenz des Exoderms auf; denn E ist dann = s -f- m; und folglich m = E — s. Der dreiblätterige Keim besteht demnach aus folgenden Schichten : 1. Hautsinnesblatt; 2. Me- soderm oder Faserblatt (= Hautfaserblatt und Darmfaserblatt); 3. Entoderm (= Darmdrüsenblatt). 3. DasMesoderm entstehttheils aus demExoderm, theils aus dem Entoderm; das Hautfaserblatt stammt vom äusseren, das Darmfaserblatt hingegen vom inneren primären Keim- blatte. Dann ist E = s -f- f und J = g -f- d oder, da m = f -f- g ist, so ist auch E = s + m - g und J = d + m — f. Das Exoderm zerfällt in Hautsinnesblatt und Hautfaserblatt; ebenso spaltet sich das Entoderm in Darmfaserblatt und Darmdrüsenblatt. Diese Ansicht ist bekanntlich zuerst von Baer aufgesellt und mit dem grössten Erfolge für die Erklärung der Organogenese durch- geführt worden. Viele ausgezeichnete Beobachter haben dieselben Verhältnisse sowohl bei Wirbelthieren als bei Wirbellosen wieder- gefunden. Nach meiner eigenen Anschauung ist diese Auf- fassung unter allen drei möglichen Fällen diejenige, welche die Entstehung und weitere Verwerthung der secundären Keimblätter phylogenetisch am einfachsten erklärt, und ich habe sie daher in der Anthropogenie zur Grundlage der ganzen Darstellung ge- wählt. 2) Nach dieser Auffassung ist das Mesoderm keine ur- sprünglich einheitliche Keimschicht, sondern eine secundäre Ver- *) Köllieer, Entwickelungsgescliichte des Menschen und der höheren Thiere, II. Aufl. 1876, p. 96. „Das ganze Mesoderma stammt vom Exoderm. Das mittlere Keimblatt ist ganz und gar ein Erzeugniss des äusseren Keim- blattes." -) Vergl. Anthropogenie, Grundzüge der menschlichen Keimes- und Stammes-Geschichte. III. Aufl. 1877, S. 189, 236. W 236 Die Gastraea-Theorie. bindung von zwei ursprünglich getrennten Schichten: m = f -f-g; und da f = E — s, und ebenso g = J — d ist, so können wir auch sagen: m = E — s + J — d oder m = E ■+- J — (s + d). Mit der Bildung des Mesoderm (durch secundäre Ver- bindung von Hautfaserblatt und Darmfaserblatt) hört hier die Existenz beider primären Keimblätter auf; und der drei- blätterige Keim besteht demnach aus folgenden Schichten: 1. Hautsinnesblatt; 2. Mesoderm (= Hautfaserblatt und Darm- faserblatt); o. Darmdrüsenblatt. Aus diesen einfachen Erwägungen ergibt sich klar, dass in allen drei möglichen Fällen wenigstens eins der beiden primären Keimblätter ( — im dritten Fall beide ! — ) mit der Ausbildung des Mesoderm s als geschlossene morphologische Einheit zu existiren aufhört. Es ist daher vollkommen unlogisch und kann nur Ver- wirrung stiften, wenn man noch immer den dreiblätterigen Keim beschreibt als bestehend aus: Exoderm, Mesoderm, Entoderm. Freilich ist diese allgemein beliebte Methode der Darstellung die bequemste. Denn sie lässt die schwierige Frage vom Ursprung des Mesoderm im Dunkeln und verschweigt damit die unverein- baren Widersprüche, welche in dieser Beziehung zwischen den angesehensten Beobachtern existiren. Damit wird aber der Weg zur weiteren Aufklärung dieser ebenso wichtigen als dunkeln Frage nicht geebnet, sondern abgeschnitten. Die vorstehenden Erwägungen sind rein logischer Natur und sollen nur die Ueberzeugung verbreiten, wie unlogisch fast all- gemein in einem der wichtigsten Punkte der Keimblätter-Lehre verfahren wird. Man darf hier nicht etwa entgegnen, das sei gleichgültig, weil das Mesoderm bei verschiedenen Thieren einen ganz verschiedenen Ursprung und demnach keine bestimmte morphologische Bedeutung habe. Ich kann darauf erwidern, dass die angeführten Unklarheiten und Widersprüche noch heute bei einem und demselben Objecte bestehen, und zwar bei demjenigen, welches am längsten und meisten untersucht ist. Unzweifelhaft ist das Huhn er- Ei dasjenige Object, welches von jeher weit mehr Zeit und Mühe, Arbeitskraft und Papier ab- sorbirt hat, als alle anderen Thier-Eier. Am Hühner-Ei stellte Aristoteles die ältesten enibryologischen Untersuchungen an ; vom bebrüteten Hühnchen gab Fahricius ab Aquapendente 1600 die ersten embryologischen Beschreibungen und Abbildungen; auf die Unter- suchung des Hühner-Eies gründete Caspar Friedrich Wolff 1759 die grundlegende Theorie der Epigenesis; am Hühner-Ei entdeckte Primäre, und seeundärc Keimblätter. 237 Paeder zuerst 1817 die beiden primären Keimblätter, und an derselben Keimscheibc des Hühnchens unterschied Baer zuerst 1828 die vier secundären Keimblätter; am Hühner-Ei stellte Remak 1852 die histogenetische Bedeutung der Keimblätter fest — am Hühner-Ei entwickelte His 1868 seine monströsen „mecha- nischen" Keimungs - Theorien (die Briefcouvert- Theorie, die Gummischlauch Theorie, die Höllenlappen-Theorie u. s. w.); vom Hühner-Ei endlich sind in neuester Zeit die glänzenden „Schnitt- Serien" angefertigt worden, welche als „Thatsachen sprechen" sollen, und welche von den meisten Embryologen deshalb so hochgeschätzt sind, weil sie glauben, dass alles vergleichende Nachdenken und Urtheilen durch diese „exacten Präparate" über- flüssig wird. Und was sagen uns denn nun alle diese zahllosen Beobachtungen und Untersuchungen des Hühner-Eies, alle diese Schnitt-Serien und Tinctions-Präparate, was sagen uns alle diese „sprechenden That- sachen" über jene wichtigsten Grundfragen der Keimblätter-Lehre ? Nicht allein über die dunkle Entstehung des Mesoderms und der secundären Keimblätter, sondern sogar über die einfache und klare Entstehung der beiden primären Keimblätter — also über die ersten Grundfragen — gehen die Ansichten der verschiedenen Beobachter noch heute so weit auseinander als möglich ; ja, neben den aufgeführten möglichen Ansichten sind auch noch eine Anzahl unmöglicher Hypothesen von His und Anderen aufge- stellt worden. x) Wenn wir von den beiden primären Keimblättern hier ganz absehen, deren Entstehung durch Invagination des Blastoderms auch beim Hühnchen (durch Rauher und Götte) jetzt sicher nachgewiesen ist, so treffen wir bezüglich der Mesoderm - Bildung des Hühnchens folgende vier Hauptgruppen von Ansichten: 1. Das Exoderm spaltet sich in Hautsinnesblatt und Hautfaser- blatt; das Entoderm zerfällt in Darmfaserblatt und Darmdrüsen- blatt (Baer, 1828) ; demnach entsteht das Mesoderm secundär durch (axiale) Verwachsung der beiden Faserblätter; 2. Das ganze Mesoderm stammt vom Entoderm (Remak) ; 3. Das ganze Mesoderm stammt vom Exoderm (Kölliker); 4. Ein Theil des Mesoderms stammt von den primären Keimblättern (Archiblast: Nerven- und l) Viele Hühner-Embryologen lassen bekanntlich die Zellen, welebe das Mesoderm bilden, „von aussen" zwischen die beiden primären Keimblatter einwandern. Woher diese heimathlosen Auswanderer kommen, wird aber leider meistens nicht gesagt. 238 Die Gastraea-Theorie. Muskelgewebe); ein anderer Theil desselben stammt direct von fremden ZelleD, die „von aussen" (aus dem mütterlichen Körper) eingewandert sind {ParaMast: Blut, Endothel, Bindegewebe; His). Von dieser vierten Au sieht, der Parablasten-Theorie von His, die wir nur ihrer Curiosität halber aufführen, können wir hier ganz absehen, denn sie wird durch die Thatsachen der vergleichenden Ontogenie auf das bestimmteste widerlegt. (S. oben, p. 332). Da- gegen bleibt immer noch die Frage offen, welche von den drei übrigen Ansichten wirklich wahr ist. Eine von allen dreien kann beim Hühner-Ei nur wahr sein *), und jede der drei Hypo- thesen wird noch heute durch eine Anzahl hervorragender Beob- achter vertreten, die, gestützt auf ihre „exacten" Untersuchungen, mit grösster Bestimmtheit behaupten, das ihre Auffassung die richtige, alle übrigen aber falsch seien! Soviel geht denn doch wohl aus dieser komischen Sachlage mit voller Klarheit hervor, dass 1. alle jene „sprechenden That- sachen" 2) keine objectiven Thatsachen, sondern subjective, ein- seitige Urtheile über unvollkommene (und nichts weniger als exacte) Beobachtungen sind; und 2. dass solche und ähnliche schwierige Probleme niemals auf dem Wege der genauesten Unter- suchung eines einzigen Organismus, sondern stets nur durch ver- gleichende Ontogenie gelöst werden können. Und diese ver- gleichende Ontogenie, zu welcher unsere Gastraea-Theorie den *) Metjchnikoff und ähnliche Embryologen werden bei dieser Sachlage zwar der Ansicht sein, dass das Mesoderm bei einigen Hühnern aus dein Exoderm, bei anderen nus dem Entoderm, und bisweilen auch aus beiden zugleich hervorgehe. Indessen erscheint mir diese Ansicht, für welche Metschnikoff's embryologische Ansichten viele Parallelen bieten, keiner Er- örterung bedürftig. 2) Kölliker sagt in der kürzlich erschienenen II. Aufl. seiner Entwick- lungsgeschichte (p. 382): .,Hakckel ist der Ansicht, dass für diese Geschöpfe (die Vögel; durch Göxte und Räuber als Embryonalform eine Discogastrula, entstanden durch Invagination einer Discollastula, erwiesen sei, und dass durch die Untersuchungen dieser beiden Forscher alle entgegenstehenden Angaben anderer Beobachter im Sinne der Gastraea-Theorie erledigt seien! Wie man aus Früherem weiss, bin ich durch meine Untersuchungen zu ganz anderen Ergebnissen gekommen als Götte und Rauber, und wird es daher wohl für einmal das Zweckmässigste sein, nur die Thatsachen sprechen und die Gastraea-Theorie ganz ausser dem Spiele zu lassen." Darf nicht dasselbe jeder andere „exacte' Beobachter (z. B. Götte oder Rauber) mit gleichem Rechte von Kölliker's subjectiven Ansichten sagen, welche dieser für „sprechende Thatsachen" hält? Primäre und sccmidiire Keimblatter. 239 Weg ebnen soll, lehrt uns zunächst wenigsten die Fragen richtig stellen, wenn auch deren Lösung noch in weiter Ferne liegt, Für die richtige Stellung und Beantwortung dieser Fragen liefert uns die Gastraea-Theorie zunächst folgende wichtige Voraus- setzungen als feste Grundlagen: 1) der Körper der Metazoen ent- wickelt sich überall ursprünglich aus zwei primären Keimblättern ; 2) Das Mesoderm entsteht immer erst secundär, entweder aus einem jener beiden primären Keimblätter oder aus beiden zugleich. Die Fragen, welche die Beobachter demnächst also zu beant- worten haben, sind folgende: 1) Aus welchem der beiden primären Keimblätter entsteht das Mesoderm , . und wie verhalten sich die ersteren überhaupt bei der Bildung der secundären Keimblätter? 2) Ist das Mesoderm stets aus Hautfaserblatt und Darmfaserblatt zusammengesetzt ? 3) Welche Uebereinstimmung oder Verschieden- heit bieten in dieser Beziehung die verschiedenen Thierklassen ? 4) Sind demnach auch die vier secundären Keimblätter der ver- schiedenen Thierstämme homolog, und wie weit geht diese all- gemeine Homologie? (Vergl. die provisorische Tabelle II, S. 53). Einige wichtige, diese Frage betreffenden Momente sind in neuester Zeit von Cafsl Rabl in seinen ausgezeichneten Untersuchungen über die Ontogenie der Mollusken x) insbesondere über Unio 2) klar her- vorgehoben worden. Rabl macht namentlich auf zwei sehr wichtige Erscheinungen bei der ersten Entstehung des Mesoderms aufmerk- sam, welche sämmtlichen Bilaterien — allen Metazoen mit Aus- schluss der Zoophyten — gemeinsam zu sein scheinen: 1) Das erste Auftreten der ersten Mesoderm-Zellen in der Umgebung des Properistoms, und 2) die dipleure oder bilateral-symmetrische erste Anlage des Mesoderms. Bei allen Bilaterien erscheinen die ersten selbständigen Mesoderm-Zellen zwischen den beiden primären Keimblättern in der unmittelbaren Umgebung des Properistoms oder Urmundrandes, also in der Peripherie des Rusconi'schen Afters oder des Gastrula-Mundes, an der kritischen Stelle, wo das Exo- derm in das Entodcrm unmittelbar übergeht. Gerade deshalb lässt sich auch so schwer entscheiden, ob sie von ersterem oder von letzterem oder von beiden zugleich abstammen. Ferner tritt bei *) Carl Rabl, Die Ontogenie der Süsswasser- Pulmonaten. Jenaische Zeitschr. 1875. Bd. IX, S. 202, 236, Taf. VIII, Fig. 12, 13 m. 2) Carl Rabl, Entwicklungsgeschichte der Malermuschel. Eine Anwen- dung der Keimblätter- Theorie auf die Lamellibranchiaten. Jenaische Zeitschr. 1876, ßd. X, S. 350—360, Taf. XI, Fig. 24—32. 240 Die Giistraea-Theorie. allen Bilaterien die erste Anlage des Mesodenns nicht als voll- ständig zusammenhängende Schicht, sondern dipleurisch auf, in zwei getrennten seitlichen Parthien, welche die erste Andeutung von der bilateralen Symmetrie des Bilaterien-Körpers geben. Bei Unio besitzen schon die beiden ersten Mesoderm-Zellen diese charakteristische seitlich-symmetrische Lage in Bezug auf die Körper-Axen des Embryo (Rabl, 1. c. p. 350). Durch zahl- reiche unabhängige Beobachtungen aus neuester Zeit über die erste Mesoderm-Anlage sehr verschiedener Bilaterien wird dieses wichtige Verhältniss bestätigt. Durch diese, von Raul zusammengestellten Thatsachen der vergleichenden Ontogenie wird es sehr wahrscheinlich, dass das Mesoderm bei sämmtlichen Bilaterien (— Würmer, Echinodermen, Mollusken, Arthropoden, Vertebraten — ) homolog ist (wirklich homophyletisch) ; dagegen nicht homolog (— oder vielmehr homo- morph - ) bei den Bilaterien und den Zoophyten (oder Coelen- teraten). Ueberhaupt ist noch sehr fraglich, ob das Mesoderm der letzteren nicht bloss Hautfaserblatt ist, und ein eigentliches Darmfaserblatt ganz fehlt (oder umgekehrt?). Bei vielen Bilaterien scheint das Darmfaserblatt sich erst viel später aus dem Entoderm zu entwickeln, nachdem das Hautfaserblatt längst (aus dem Exo- derm) gebildet ist. Diese und andere Fragen über das Mesoderm lassen sich nur dann richtig beantworten, wenn man vor Allem sein Verhältniss zu den beiden primären Keimblättern klar ge- stellt hat. 20. Protozoen und Mctazocn. Unter den verschiedenen Folgerungen, welche sich aus der Gastraea-Theorie für die systematische Zoologie ergeben, hat sich wenigstens eine rasch Bahn gebrochen. Das ist die scharfe Scheidung des ganzen Thierreichs in zwei grosse Hauptgruppen: Protozoen und Metazoen. Gegeinbauer, Huxley, Ray-Lankester, Ed. van Beneden, F. E. Schulze und andere namhafte Forscher haben diese fundamentale Scheidung gebilligt und sie in ver- schiedener Weise verwerthet, Die Vortheile, welche dieselbe für die naturgemässe Auffassung der thierischen Verwandtschafts- verhältnisse gewährt, sind theils positiver, theils negativer Natur. In letzterer Beziehung dürfte es nicht gering anzuschlagen sein, dass damit endlich allen den verfehlten Versuchen ein Ende gemacht Protozoen und Metazoen. 241 wird, Homologien zwischen den einzelnen Theilcn des Metazoen- nnd des Protozoen-Organismus aufzustellen, und Organe der ersteren aus Körpertheilen der letzteren abzuleiten. Bekanntlich sind der- artige Versuche bei weitem am häufigsten und eingehendsten in der Klasse der Infusorien, und ganz besonders bei den Ciliaten unter- nommen worden. Indem man im einzelligen Ciliaten-Organismus einen Darmcanal mit Mund und After, eine wimpernde Epidermis und einen darunter gelegenen Hautmuskelschlauch zu finden glaubte, indem man ihre contractile Blase mit dem Herzen, ihren Nucleus mit der Zwitterdrüse von Würmern verglich, suchte man irrthüm- lich nach Homologien, die gar nicht vorhanden sind. Denn die einzellige Natur des Ciliaten-Organismus ist in neuester Zeit wohl allgemein anerkannt. Nimmermehr aber können einzelne Theile (oder physiologische „Organe") einer einzigen Zelle in mor- phologische Vergieichung gestellt werden mit den morphologischen Organen eines vielzelligen Metazoen- Organismus, welche sich überall aus vielzelligen Keimblättern entwickelt haben. Alle solche Vergieiehungen können nur Analogien, niemals wahre Homologien sein. Ich will dies hier ausdrücklich noch- mals hervorheben, weil jene vergeblichen Versuche, die nur Ver- wirrung, niemals Aufklärung bringen können, selbst jetzt noch immer fortgesetzt werden. So hat noch H. Ihering in seiner so eben erschienenen grossen „Phylogenie der Mollusken" den künst- lichen Versuch gemacht, die wichtigsten Organe der Metazoen direct aus den angeblich homologen Organen der Protozoen abzu- leiten. J) Die contractile Blase der Infusorien soll dem Wasser- J) II. Ihering, Vergleichende Anatomie des Nervensystems und Phylogenie der Mollusken. Leipzig 1877, p. 21 : „So zeigt sich, dass die Parallelisirung der Ontogenie mit der Phylogenie vielfach zu irrigen Vorstellungen führt. Wahrscheinlich wird dies auch für die Bedeutung Geltung haben , welche Haeckel dem Furchungs - Proccsse beimisst. Nach Haeckel's Darstellung wären die ersten Metazoen Colonien von einzelligen Protozoen gewesen. Die vergleichende Anatomie drängt dagegen, wie mir scheint, zu einem ganz anderen Ergebnisse. Danach würden nämlich die niedersten Metazoen viel- kernige Protozoen gewesen sein, in denen es erst später zur Differenzirung von Zellen um die einzelnen Kerne gekommen. Vergleichend anatomisch wäre damit die Möglichkeit gegeben, einige Organe der Metazoen und speciell der tiefststehenden Würmer in ihren Anfängen bis zu den Protozoen, nament- lich den Infusorien, zu verfolgen, so namentlich den Mund und das Wasser- gefässsystem, welches letztere also zurückzuführen wäre auf die contractile Vacuole, die bekanntlich bei zahlreichen Infusorien sich in verzweigte Gefäss- stämme fortsetzt. Sollte diese Vermuthung zutreffen, so ergäbe sich für die 242 Die Gastraea-Theorie. gefäss-System der Turbellarien und der Niere der Schnecken homolog sein, ebenso der Mund der Infusorien und Würmer u. s. w. Dem ganzen Furchung-Process und der Bildung der Gastrula spricht Iheri.ng demgemäss jede phylogenetische Bedeutung ab. Damit wird aber natürlich die ganze Gastraea-Theorie mit allen ihren Folgerungen einfach negirt, und es klingt sonderbar, wenn die- selbe an andern Stellen desselben Werkes Anerkennung findet. J) Wenn wirklich die Eifurchung und die Gastrulabildung irgend eine phylogenetische Bedeutung haben und nicht von Anfang bis zu Ende bloss cenogenetischer Natur sind, dann ist auch jede morphologische Vergleich ung; jede Homologie zwischen Organen der Protozoen und Metazoen völlig ausgeschlossen. Ebenso falsch wie die Vergleich ung der Organe ist die- jenige der Gewebe zwischen Protozoen und Metazoen. Noch immer spricht man bei den Infusorien von „Muskeln", nennt den contractilen Myophan- Strang im Stiele der Vorticellen einen „Muskel", ihre wimpernde Corticalschicht (das Exoplasma) ein „Flimmer-Epithel" u. s. w. Auch diese histologischen Vergleiche können nur physiologische, keine morphologische Geltung bean- spruchen. Denn die wahren Gewebe der Metazoen (Binde- gewebe, Muskelgewebe, Nervengewebe), welche sämmtlich von dem primären Epithelialgewebe der Keimblätter abstammen (vergl. S. 231), sie sind sämmtlich Zellen-Aggregate und können also nimmermehr mit Theilen von einzelligen Organismen in morphologische Vergleichung gestellt werden. Auf der anderen Seite gewährt uns die Scheidung der Pro- tozoen und Metazoen den positiven Vortheil, jede dieser beiden vergleichende Anatomie die Möglichkeit, ein und dasselbe Organ-System durch eine Keihe von Typen zu verfolgen, da das Wassergefässsystem der Turbel- larien der Niere der Platycochliden homolog ist." J) Der Hauptfehler Iiif.rikg's liegt meines Erachtens darin, dass derselbe in einseitigster Weise die Bedeutung der vergleichenden Anatomie über- schätzt und ihr gegenüber der Ontogeuie alle Bedeutung abspricht. Er bildet genau das extreme Gegenstück zu Götte, der in seinem grossen Unken- Buche die ganze Morphologie allein durch die Ontogenie erklären will und die vergleichende Anatomie für völlig werthlos erklärt ^ Vergl. meine „Ziele und Wege der heutigen Entwicklungsgeschichte", 1875, S. 52 ff.). Beide Standpunkte sind gleich einseitig. Nur durch gleichmässige kritische Berücksichtigung der vergleichenden Anatomie und Onto- genie, welche sich gegenseitig ergänzen, werden wir in den Stand gesetzt, die Thatsachen der Morphologie richtig zu erklären und phylogenetisch zu deuten. Protozoen und Metazoon. 243 Hauptgruppen des Thierreiehs einheitlich charakterisiren und scharf von einander trennen zu können. Die Metazoen allein besitzen einen wahren Darm und Mund; sie allein besitzen zwei primäre Keimblätter, ein Exoderm und Entoderm ; sie allein entwickeln aus diesen beiden einfachen epithelialen Zellenschichten wahre Ge- webe, und bauen aus diesen Geweben wahre Thier-Organe in morphologischem Sinne auf. Die Metazoen erheben sich somit, und zwar schon in ihrer Ausgangsform — ontogenetisch Gastruin, phylogenetisch Gostraea — auf die Individualitäts-Stufe der Person, welche den Protozoen ebenso allgemein fehlt. x) Man könnte daher auch die Metazoen allein als echte Thiere bezeichnen, während die Protozoen sämmtlich den indifferenten und neutralen Pro- tisten- Charakter beibehalten . Im Grunde ist die principielle Scheidung von Protozoen und Metazoen ganz dieselbe, wie die Gegenüberstellung des Protisten- reichs und des Thierreiehs, welche ich vor zehn Jahren in der generellen Morphologie vorgeschlagen habe. Nur war ich da- mals nicht im Stande, diese fundamentale Scheidung so fest zu begründen, wie das heute möglich und fast allgemein anerkannt ist. Denn damals fehlte die Grundlage der Gastraea-Tlieorie, die Homologie der beiden primären Keimblätter und der Nach- weis, dass diese letzteren bei allen Metazoen ursprünglich vor- handen sind, dass sie bei den verschiedensten Metazoen- Stämmen ursprünglich eine und dieselbe primordiale Keimform, die Archi- gastrula bilden. Dieser Nachweis ist inzwischen geliefert und damit eine einheitliche morphologische Auffassung des Thierreiehs an- gebahnt. Natürlich ist es eine Frage von untergeordneter Bedeutung — und mir persönlich sehr gleichgültig, ob man die beiden Haupt- abtheilungen des Thierreiehs als Protozoa und Metazoa gegenüber- stellt, wie ich in der Gastraea-Tlieorie gethan habe, oder als Protisla und Animalia, wie ich vor zehn Jahren in der generellen Morphologie vorschlug. Die tiefe Kluft, welche beide Hauptgruppen trennt und welche durch die mehrfach hervorgehobenen wichtigsten Organisations-Unterschiede klar bestimmt wird, bleibt in beiden Fällen dieselbe. Allerdings habe ich inzwischen (in mehreren *) Ueber den Begriff' der Person, wie ich ihn gegenwärtig für das so- genannte ..eigentliche Thier- Individuum" mit Hülfe der Gastraea- Theorie festgestellt habe, vergl. meine Monographie der Kalkschwämme, Bd. I, S. 113. 244 Die Gastraea-Theorie. Auflagen der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" und der Anthro- pogenie) den Versuch gemacht, Protisten und Protozoen zu trennen, und neben dem ganz indifferenten und neutralen Protistenreiche (Ilhizopoden, Myxomyceten, Flagellaten u. s. w.) auch noch eine Abtheilung von Protozoen aufrecht zu erhalten, welche die ältesten phylogenetischen Entwicklungsstufen des Thierreichs, vom Moner bis zur Gastraea, enthielt. Allein ich bekenne jetzt, dass ich diesen Versuch für verfehlt und für praktisch nicht durchführbar halte. Freilich wird man in der Theorie Protisten und Pro- tozoen phylogenetisch scharf auseinander halten können ; auf der einen Seite wird man als echte Protisten (oder „Urorganisnien") diejenigen indifferenten und völlig neutralen Organismen niederster Stufe betrachten können, welche weder mit echten Thieren (Me- tazoen), noch mit echten Pflanzen in verwandtschaftlichem Zu- sammenhange stehen, und welche höchstwahrscheinlich polyphy- 1 e t i s c h e n, ganz unabhängigen Ursprungs sind (vor allen die formen- reiche Gruppe der Rhizopoden, Acyttarien, Eadiolarien u. s. w.) ; auf der anderen Seite wird man als Protozoen (oder echte „Urthiere") diejenigen einfachsten Organismen betrachten können, welche die Wurzel des Metazoen-Stammbaums ( — „vom Moner bis zur Gastraea" — ) bilden (Moneren, Amoeben, Synamoebien, Pla- naeaden). Aber so berechtigt diese phylogenetische Trennung von Protozoen und Protisten in der Theorie, so werthlos erscheint sie in der Praxis. Denn es fehlen uns — und werden uns wahr- scheinlich immer fehlen — alle Anhaltspunkte, um mit Sicherheit eine scharfe Grenzlinie zwischen jenen beiden Gruppen festzu- stellen, obwohl wahrscheinlich beide einen verschiedenen polyphy- letischen Ursprung besitzen und von verschiedenen, autogon ent- standenen Moneren ursprünglich abstammen. Der indifferente und neutrale Charakter jener niedersten Lebensformen, die meistens einzellig sind, lässt keine Hoffnung aufkommen, jemals jene wichtige Ursprungs- Verschiedenheit aufzudecken. Solche ganz indifferente einzellige Organismen, wie die Amoeben und Euglenen, und solche charakterlose Zellen-Aggregate, wie die Catallacten und Volvo- cinen, können ebenso wohl Protozoen als neutrale Protisten, als endlich auch Protophyten sein. Aus diesen Gründen wird es das Zweckmässigste sein — vorläufig wenigstens — die Grenze zwischen Protozoen und Protisten fallen zu lassen, und die beiden Hauptgruppen des Thierreichs entweder als Protista und -4m- malia, oder als Protozoa und Metazoa gegenüber zu stellen. VTesozoen, Gastraeaden, Dicyemiden. 245 21. Mesozoen. Gastraeaden. Dicyemiden. Unsere „hypothetische" Gastraeaden-Klassc hat Glück. Kaum hat diese niederste Metazoen - Klasse , deren einstmalige Existenz ich rein theoretisch auf Grund der Gastrula-Beobachtungen mit Hülfe des biogenetischen Grundgesetzes behauptet hatte, einen realen Inhalt durch die P h y s e m a r i e n , diese wahren „Gastraeaden der Gegenwart', erhalten, so wird schon von anderer Seite eine neue interessante Gruppe von lebenden Gastraeaden hinzugefügt. Das sind die merkwürdigen Dicyemiden, über deren wahre Natur soeben Edouard van Beneden eine höchst interessante Ab- handlung veröffentlicht hat. J) Dieser verdienstvolle Zoologe liefert den Nachweis, dass die Dicyemiden echte Gastraeaden im Sinne unserer hypo- thetischen Begriffs-Bestimmung sind. Bekanntlich wurden diese merkwürdigen kleinen Organismen, welche als Parasiten an den spongiösen Venen- Anhängen der Cephalopoden leben, und welche Krohn 1830 entdeckte, zuerst von Kölliker unter dem Namen Dicyema jmradoxum genau beschrieben und für Wurmlarven er- klärt. Ebenso hielten sie Guido Wagener und neuerdings Ray- Lankester für Entwicklungsformen von Würmern. Hingegen er- klärte sie Claparede für bewimperte Infusorien, den Opalinen nächstverwandt. Nach der trefflichen und sehr genauen Darstellung von Edouard van Beneden müssen wir die Dicyemiden für echte Gastraeaden halten, welche durch Anpassung an parasitische Lebensweise ihren Urdarm und Urmund verloren haben. Der ein- fache, langgestreckte, cylindrische oder spindelförmige Körper des vollständig entwickelten Dicyema besteht aus einer einzigen, colossalen, centralen Entoderm- Zelle und aus einer einfachen Schicht von platten flimmernden E x o d e r m -Zellen, welche gleich einem Pfiaster-Epithelium die erstere allseitig umschliesst. Am einen Ende des langgestreckten Körpers sind die letzteren von eigenthümlicher Form und Beschaffenheit und lassen so die Un- J) Edouard van Beneden, Recherches sur les Dicyemides, survivants actuels d'un embranchement des M esozo aires. (Extrait des Bulletins de l'Academie royale de Belgique, II. Ser., Tom. XLI No. 6, Tom. XLII, Nr. 7. Bruxelles 1876.) 246 Die Gastraea-Theorie. gleichheit der beiden Pole des einaxigen Körpers deutlich hervor- treten. In der centralen Entoderm - Zelle bilden sich endogen zweierlei verschiedene Embryonen: Nematogene und Rhombogene. Jeder nematogene Keim besteht aus einer endogenen Zelle, welche eine inaequale Furchung erleidet und aus welcher sich (durch „Epibolie" der Segmentellen) eine Am phigastrula ent- wickelt. Diese letztere besteht aus einer grossen Entoderm-Zelle, welche haubenförmig von einer einfachen Exodermzellen-Schicht umwachsen wird. Am oralen Pole der Axe ist anfangs eine Ur- mund-Oeffnung, an welcher die Entoderm-Zeile frei zu Tage liegt. Dieser Urmund wächst aber zu, indem die Exoderm-Zellen sich vermehren. Die Zahl der constituirenden Zellen beträgt bei der fertigen Gastrula von Dicyema typus und D. Koellikeriuna 26. Diese Zahl wird nicht vermehrt; die Zellen nehmen während der weiteren Entwicklung bloss an Volumen zu. Endlich entstehen in der colossal vergrösserten Entoderm-Zelle wieder Embryonen. „Un Dicyemide est une Gastrula permanente dont l'entoderme est con- stitue" par une seule cellule.u l) Offenbar ist Dicyema nichts Anderes, als eine uralte Gastraeaden- Form, welche durch Anpassung an parasitische Lebensweise eigen- thümlich rückgebildet ist. Urdarm und Urmund sind verloren gegangen; bloss die beiden primären Keimblätter sind geblieben und diese bilden für sich allein den ganzen Körper: eine einzige colossale Entoderm-Zelle und eine einfache, diese rings umhüllende Schicht von wimpernden Exoderm-Zellen. Van Beneuen beurtheilt auch demgemäss ihre Bedeutung ganz richtig und betrachtet sie als wahre „Gastraeaden". Während ich diese Auffassung van Benrden's für vollkommen naturgemäss halte, kann ich mich dagegen nicht den weiter- gehenden Vorschlägen anschliessen, welche derselbe in Bezug auf die Classification des Thierreichs daran knüpft. Er will nämlich das letztere in drei grosse, coordinirte Hauptabtheilungen oder „Unterreiche" zerlegen und zwischen Protozoen und Metazoen die dritte, in der Mitte stehende Abtheilung der Mesozoen ein- schalten; letztere soll aus den beiden Klassen der Gastraeaden *) Die Amphigaetrula von Dicyema erinnert sehr an gewisse Amphi- gastrula-Forrnen höherer Metazoen, oder an jüngere, diesen vorausgehende ßlastula-Zustände. Vergl. die schöne und vollkommen naturgetreue ( — nicht, wie Einige meinen, schematische — ) Darstellung der Amphiblastula von Unio in der ausgezeichneten „Entwicklungsgeschichte der Malermuschel" von Cabl Raul (Jenaische Zeitschr. 1870, Bd. X, S. 382, Taf. X, Fig. 16). Mesozoen, Gastraeaden, Dicyemiden. 247 und Planuladen *) bestehen und dadurch eharaktcrisirt sein, dass der Körper zeitlebens nur aus den beiden primären Keimblättern, Entoderm und Exoderm besteht, während bei allen Metazoen sich zwischen beiden noch ein drittes Keimblatt, das Mesoderm, ent- wickelt. Diesem Vorschlag kann ich aus mehreren Gründen nicht bei- treten. Erstens kann ich dem Mesoderm nicht die hohe Bedeutung beilegen, welche die meisten neueren Embryologen ihm zuschreiben. Ich halte vielmehr, wie oben (S. 233) erörtert, das Mesoderm stets für ein secundäres Product, welches an morphologischem und phylogenetischem, also auch systematischem Werthe weit hinter den beiden primären Keimblättern zurücksteht. Zweitens aber halte ich es nicht für möglich, die Ausbildung eines selb- ständigen Mesoderms in der vorgeschlagenen Weise als oberstes Classifications-Princip zu verwerthen. Denn innerhalb der Zoo- phyten- Gruppe, ja sogar innerhalb der einen Hydromedusen-Klasse finden wir nebeneinander nächstverwandte Organismen, von denen die einen ein vollkommen selbständiges Mesoderm besitzen, die anderen nicht. Vor allen sind hier die Hydroid-Polypen zu nennen, welche grösstenteils (— wenn nicht sämmtlich — ) zweiblättrig sind und kein wahres Mesoderm besitzen. Ich erinnere zu- nächst an Hydra, welche uns durch Kleinenberg's ausgezeichnete Monographie (1872) so genau bekannt geworden ist. Wenn man hier von einem Mesoderm zwischem dem Entoderm und Exoderm sprechen wollte, so könnte man darunter nur die dünne Lage der Muskelfäden verstehen, welche zwischen beiden sich ausbreitet. Diese Muskelfäden sind aber nur innere Fortsätze der äusserlich im Exoderm gelegenen Neuromuskel-Zellen , also unzweifelhaft nur Theile von Zellen und noch dazu kernlose Fortsätze der kernhaltigen Exoderm-Zellen. Nimmermehr aber kann ich da ein Mesoderm, d. h. ein secundäres Keimblatt anerkennen, wo dasselbe nicht einmal durch eine einzige selbständige Zellenschicht repräsentirt wird, sondern bloss durch kernlose Fortsätze von J) Planuladen nennt van Beneden eine hypothetische Mesozoen-Gruppe, von der er annimmt, dass die beiden (persistirenden) primären Keimblätter nicht durch Invagination, sondern durch Delamination entstanden sind (wie bei der Gastrula von Geryonia nach Fol). Ich kann letzteren Unterschied nicht als wesentlich anerkennen, sondern nehme an, dass die Gastrula delaminata seeundär (durch cenogenetische Veränderungen) aus der Gastrula invaginata' entstanden ist. Yergl. den letzten Abschnitt (24). 248 Die Gastraea-Theorie. kernhaltigen Zellen einer anderen Schicht. Ich halte daher Hydra noch heute für z w e i b 1 ä 1 1 e r i g und würde sie daher nach Van Beneden zu den Mesozoa stellen müssen; und dasselbe gilt wahrscheinlich auch von den meisten anderen Hydroid-Polypen. Die genauen Untersuchungen von Franz Eilhard Schulze über verschiedene Hydroid-Polypen, ebenso die neueste sorgfältige Dar- stellung des Baues von Podocoryne durch C. Grobben x) lassen keinen Zweifel, dass die meisten Hydroiden sich der Hydra im Wesentlichen gleich verhalten und kein Mesoderm besitzen. Ueberall erscheinen die Muskelfasern als kernlose fadenförmige Fortsätze der Neuromuskelzellen des Exoderms. Die von ihnen gebildete Schicht kann daher ebenso wenig als ein besonderes Keimblatt gelten, wie die innen daran liegende hyaline und structurlose Stützlamelle. Das Mindeste, was ich für den Be- griff eines Keimblattes verlange, ist eine selbständige Zellen schiebt, welche sich von den anliegenden anderen Zellenschichten deutlich absetzt und eine morphologische Einheit bildet. Ebenso zweiblätterig, wie die Hydroid-Polypen, sind wahrscheinlich viele niedere Medusen, bei denen die structurlose Gallertscheibe keine Zellen enthält und auch nichts weiter ist, als eine sehr verdickte hyaline „Stützlamelle". Bei den höheren Medusen hingegen, wo Zellen in die letztere eintreten imd das „Gallert- gewebe" des Medusen-Schirms, also eine selbständige Bindegewebs- Formation bilden, da wird unzweifelhaft diese letztere den Werth eines besonderen Keimblattes, eines wahren Mesoderms bean- spruchen können. Es handelt sich bei dieser Auffassung um eine histologische Principien-Frage, die keineswegs gleichgültig ist. Viele Histologen beschreiben Membranen, welche bloss structurlose Ausscheidungen von Zellen sind, als selbständige Gewebe und nehmen daher keinen Anstand, auch der strueturlosen, zwischen Entoderm und Exoderm gelegenen „Stützlamelle" der Acalephen den Werth einer besondern Gewebsschicht, ja sogar eines Keimblattes zuzu- sprechen. 2) Dieser Auffassung kann ich eben so wenig bei- *) C. Ghohben, Ueber Podocoryne carnea, Sitzungsber. der Wiener Ak., 1875. Nov. 2) Köluker vergleicht in seinen leones h/'ntologicar (II. Abth., I. Heft, 1865, p. 89) die structurlose Gallertscheibe der niederen Medusen ganz richtig mit einer „colossalen Basement Substance". Gleich darauf aber fasst er sie doch wieder als ein besonderes Gewebe, und zwar als eine „eigenthümliche Bindesubstanz" auf, hauptsächlich deshalb, weil sie oft „in Massenhaftigkeit" Mesozoen, Gastraeaden, Dicyemiden. 249 pflichten, als ich etwa die Oliitin-Skeiete der Gliederthiere (ohne die sie erzeugende Schicht von Chitinogen-Zellen) als ein be- sonderes „Gewebe" anerkennen kann. Der Begriff des Gewebes bezeichnet stets ein einheitliches Aggregat von Zellen von be- stimmter morphologischer (und meist auch physiologischer) Be- schaffenheit. Desshalb muss ich die Hydroiden und die niederen Medusen für zweiblätterig halten (ohne Mesodera), hingegen die Corallen und die höheren Medusen für dreiblätterig (mit Mesoderm). Ganz ähnlich verhält es sich mit den Spongien. In meiner Monographie der Kalkschwämme hatte ich den Bau dieser Thier- klasse — in Uebereinstimmung mit der älteren Auffassung von Liebekuehn und Oskar Schmidt — als zweiblätterig beschrieben. Bei den einfachsten Kalkschwämmen, den Asconen, ist das Ento- derm ein einfaches Geissel-Epithel, das Exoderm eine dünne Schicht von verschmolzenen Zellen, welche Kalknadeln ausscheiden (Syn- cytium). Diese Auffassung bekämpfte später Franz Eilhard Schulzf, gestützt auf seine sehr sorgfältigen Untersuchungen eines Sycon. a) Er wies nach, dass ich bei den Syconen eine sehr dünne Schicht von Platten-Epithel übersehen hatte, welche die äussere Ober- fläche des Syncytium überkleidet. Dieses Epithel deutet er als Exoderm, das Syncytium als Mesoderm, und das Geissel-Epithel als Entoderm. Von der Existenz jenes äusseren Platten-Epithels bei den Syconen habe ich mich an Schulze's eigenen, gütigst zur Ansicht übersandten Präparaten überzeugt. Dagegen ist es mir nicht möglich gewesen, dasselbe bei den niederen Kalk- schwämmen, den A s c o n e n , wiederzufinden, trotzdem ich mir alle Mühe gegeben habe, mit Hülfe der von Schulze angegebenen Methoden es wahrzunehmen. Auch der neueste Untersucher der Kalkschwämme, Keller 2) (der meine Angaben in allen wesent- lichen Punkten bestätigt) hat dasselbe nicht wiederfinden können und hält die Körperwand für zweiblätterig. Schulze's Deutung kann ich namentlich deshalb nicht theilen, weil jenes Platten- auftritt, und „eine besondere Function als Stützsubstanz" versieht. Aber weder diese physiologische Bedeutung noch jene Massenhaftigkeit können nach meiner Ansicht einer solchen structurlosen Ausscheidung den morpho- logischen Werth eines besonderen Gewebes verleihen. r) Franz Eilhard Schulze, Ueber den Bau und die Entwicklung von Syeandra raphanus. Zeitschr. für wiss. Zool., XXV. Bd. Supplem., p. 247. 2j C. Keller, Untersuchungen über die Anatomie und Entwicklungs- geschichte einiger Spongien des Mittelmeeres. Ein Beitrag zur Lösung der Spongieni'rage. Basel 1876. 17 250 Die Gastraea-Theorie. Epithel gerade da am deutlichsten ist, wo man es am wenigsten erwarten dürfte, an der inneren Gastralfläche der Syconen. Diese ist bei dem jungen Sycon (im Olynthus-Stadium) mit dem Geissel- Epithel des Entoderms bedeckt. Erst später, wenn die Radial - Tuben durch strobiloide Knospung entstanden sind, verschwindet das Geissel-Epithel an der Gastralfläche und zieht sich in die Hohlräume der Radial-Tuben zurück. Man kann daher das später an der Gastralfläche zu findende Platten-Epithel entweder für das umgewandelte Entoderm oder für eine Oberflächen- Differenzirung des entblössten Exoderms halten. Jedenfalls würde Schulze's Deutung nur dann vollständig gesichert sein, wenn durch die Ontogenie gezeigt würde, dass jenes Platten-Epithel ursprünglich zuerst aus dem Exoderm der Gastrula entsteht und dass erst später zwischen ihm und dem Geissel-Epithel des Entoderms sich das Syncytium bildet. Dieser Beweis ist aber noch nicht geführt. So sicher jetzt durch die meisten neueren Beobachter die Existenz der Gastrula bei den Kalkschwämmen festgestellt ist, so sehr widersprechen sich ihre Annahmen darüber, wie dieselbe sich in den jungen Schwamm verwandelt. Hier fehlen sichere Beobachtungen. Vergleiche ich Alles, was die neueren Beobachtungen über Bau und Entwicklung der Spongien zu Tage gefördert haben, so komme ich zu der Vermuthung, dass dieselben sich ähnlich wie die Acalephen verhalten. Hier wie dort bestehen die niedern Formen in entwickeltem Zustande bloss aus Entoderm und Exo- derm , während bei den höheren Formen zwischen beiden sich ein „Mesoderm" ausbildet. Jedenfalls steht aber so viel schon jetzt fest, dass der Vorschlag van Beneden's, die zweiblätterigen Gastraeaden (und Planuladen?) als Mesozoa den dreiblätterigen Metazoa gegenüber zu stellen, nicht naturgemäss ist. Man würde dann die niederen Hydromedusen — ohne Mesoderm — zu den Mesozoa, die höheren Hydromedusen — mit Mesoderm — zu den Metazoa stellen müssen. Daher kann ich das Unterreich der Mesozoen überhaupt nicht anerkennen und muss bei meiner früheren Eintheilung des Thierreichs in Protozoen und Metazoen verharren. 22. (xastrulation der Siiiigetkiere. Zu den wichtigsten und interessantesten Ergebnissen, welche die ontogenetischen Untersuchungen des letzten Jahres herbeigeführt Gastrulation der Säugethiere. 251 haben, gehört jedenfalls die Entdeckung der wahren Gastrula der S ä u g e t h i e r e. Wir verdanken dieselbe Eduard van Beneden, der sich schon so viele und grosse Verdienste um die Förderung der Entwicklungslehre und um Aufhellung ihrer dunkelsten Punkte erworben hat. Zwar ist die ausführliche Abhandlung noch nicht erschienen, in welcher dieser ausgezeichnete Forscher seine Entdeckung eingehend beschreiben und durch Abbildungen er- läutern wird, sondern bloss eine vorläufige Mittheilung der wich- tigsten Resultate. *) Aber diese ,,Communication preliminaire" ist so vortrefflich geschrieben und zeugt von so sorgfältigen und gründlichen Untersuchungen, dass man sich daraus ein voll- kommen klares Bild von der Eifurchung und Gastrulabildung der Säugethiere entwerfen kann. Dieses Bild entspricht vollständig den Voraussetzungen der Gastraea-Theorie und füllt die grosse, hier bisher bestandene Lücke in derjenigen Weise aus, welche man vom Standpunkte der vergleichenden Ontogenie und bei der selbstverständlichen Annahme eines monophyleti sehen Stamm- baums der Wirbelthiere a priori erwarten musste. Ich habe daher auch kein Bedenken getragen, in der kürzlich erschienenen III. Auf- lage meiner Anthropogenie die Darstellung van Beneden's voll- ständig zu adoptiren und durch schematische, nach seiner Be- schreibung entworfene Abbildungen zu erläutern 2). Bekanntlich sind die ersten Vorgänge bei der Keimung der Säugethiere bisher nur wenig Gegenstand ontogeneti scher Unter- suchungen gewesen. Die sorgfältigen und für ihre Zeit ausge- zeichneten Beobachtungen, welche W. Bischoff über die Ontogenie des Kaninchens (1840), des Hundes (1842), des Meerschweinchens (1852) und des Rehes (1854) veröffentlichte, bildeten eigentlich bis heute die einzige zusammenhängende Grundlage unserer Kennt- nisse von der Keimesgeschichte derjenigen Thierklasse, der wir selbst angehören. Zwar haben später Remak, Reichert, und Copte, und in neuester Zeit Kölliker, Hensen, Rauher, Liererkuehn und einige andere Beobachter einzelne, und zum Theil werthvolle Bei- träge zu diesem wichtigsten Theile der Naturgeschichte der *) Edouaed van Beneden, La maturation de l'oeuf, la fecondation et les premieres phases du developpement embryonnaire des Mammiferes, d'apres des recherches faites chez le lapin. Communieation preliminaire. Extrait des Bulletins de l'Acad. royale Belgique, II. Ser., Tom. XL, No. 12. Bruxelles 1875. 2) Anthropogenie, III. Aufl. 1877. Fig. 36—41, S. 170-174; ferner Taf. II, Fig. 12 17, S. 193. 17* 252 Die Gastraea-Thfeorie. Säugethiere geliefert; aber gerade die frühesten und wichtigsten Vorgänge des Keimungs-Processes sind dabei theils gar nicht berücksichtigt, theils falsch gedeutet worden. Eduard van Beneden ist bis jetzt der einzige Beobachter, der uns eine gründliche und vollständige Untersuchungsreihe über die ersten Vorgänge der Säugethier-Keimung bis zur Bildung der Gastrula und der Gastrocystis gegeben hat; und die von ihm entdeckten That- sachen harmoniren so schön mit der Gastraea-Theorie, dass ich nicht umhin kann, sie in ihrer Bedeutung für letztere hier kurz zu beleuchten. Als die wichtigste und interessanteste Thatsache, welche van Beneden's Untersuchungen über die Keimung des Kaninchens zu Tage gefördert haben, erscheint uns folgende: Die Ei- furchung der Säugethiere ist eine inaequale, und ihr Product eine Amphi gastrula. Bisher hatte man irr- thttmlich angenommen, dass die Furchung des Säugethier-Eies eine „regelmässige totale", d. h. eine primordiale sei, und dass ihre Morula aus lauter gleichartigen Zellen von gleicher Grösse und Beschaffenheit zusammengesetzt sei. Diese Annahme war aber grundfalsch. Schon mehrere Figuren auf Bischoff's Tafeln (z. B. Fig. 7, Tafel I vom Meerschweinchen) zeigen eine ungleiche Grösse der Furchungszellen, und da seine Figuren im Ganzen sehr genau gezeichnet und naturgetreu sind, so hätte man schon daraus schliessen können, dass die Eifurchung der Säugethiere keine echte primordiale, sondern eine inaequale sei. Ich hatte daher dieselbe auch schon früher als „pseudototale" bezeichnet und der „echten totalen" oder primordialen Furchung des Amphioxus und vieler Wirbellosen gegenüber gestellt. Abgesehen von der verschiedenen Grösse der Furchungszellen berechtigte dazu auch das gänzlich verschiedene Verhalten der aus der Morula hervor- gehenden „Keimblase". Nach van Beneden verhalten sich die Furchungszellen oder Segmentellen bei der Keimung des Kaninchens folgendermassen. Nachdem aus dem befruchteten kernlosen Ei (Monenda) sich die kernhaltige Stammzelle (Cytula) gebildet hat, zerfällt diese in die beiden ersten Furchungszellen. Schon diesebeidenersten Segmentellen haben verschiedene Beschaffenheit und Bedeutung. Die eine ist etwas grösser, heller und fester als die andere. Diese letztere aber, die kleinere, dunklere und weichere, wird durch Carmin, Osmiumsaeure u. s. w. viel inten- siver gefärbt als die erstere. Es zeigen also schon die beiden Gastrulation der Säugethiere. 253 ersten Furchungszellen des Säugethieres jene charakteristische Differenz, welche wir allgemein zwischen den aninialen und vege- tativen Zellen der amphiblastischen Thiere antreffen. Das Proto- plasma der auimalcn Exoderm - Zelle ist fester, klarer, durch- sichtiger als das Protoplasma der vegetativen Entoderm-Zelle, welches reicher an Körnchen, trüber, weicher, undurchsichtiger ist und viel mehr Neigung zur Aufnahme von Farbstoffen besitzt. Wie sich aus der weiteren Entwicklung ergiebt, ist die hellere, grössere und festere von den beiden ersten Furchungszellen des Säugethieres die Mutterzelle des Exoderms oder des ani- malen Keimblattes; die trübere, kleinere und weichere hingegen ist die Mutterzelle des Entoderms oder des vegetativen Keim- blattes. Wir können daher schon jetzt die erstere als animale, die letztere als vegetative Zelle bezeichnen. Die Säugethiere bieten also ganz dasselbe Verkältniss dar, welches ich früher bei Fabricia beschrieben habe (Fig. 93) und welches auch viele andere amphiblastische Eier zeigen. Die beiden ersten Segmentellen des Säugethieres, welche der- gestalt die Mutterzellen der beiden primären Keim- blätter sind, zerfallen nunmehr durch gleichzeitige Theilung in je zwei Tochterzellen. Diese vier Furchungszellen liegen gewöhn- lich in zwei verschiedenen, auf einander senkrechten Ebenen (seltener in einer Ebene). Die zwei grösseren und helleren Zellen, die Tochterzellen der Exoderm-Mutterzelle, färben sich in Carmin viel weniger intensiv, als die beiden kleineren und dunkleren Zellen, die Töchter der Entoderm- Mutterzelle. Die Linie, welche die Mittelpunkte der beiden letzteren Furchungskngeln verbindet, steht gewöhnlich senkrecht auf der Linie, welche die beiden ersteren verbindet. Nunmehr zerfällt jede von diesen vier Zellen durch Theilung abermals in zwei gleiche Tochterzellen ; wir bekommen acht Furchungszellen, die Urenkelinnen der Stammzelle. Vier grössere, festere und hellere Zellen liegen in einer Ebene: die Enkelinnen der Exoderm-Mutterzelle. Vier kleinere, weichere und dunklere Zellen liegen in einer zweiten, jener parallelen Ebene: die Enkelinnen der Entoderm-Mutterzelle. Wenn wir die Mittel- punkte von je zwei entgegengesetzten Furchungszellen einer Ebene durch gerade Linien verbinden, so schneiden sich diese letzteren unter rechten Winkeln. Aber die vier Verbindungslinien beider parallelen Ebenen zusammen schneiden sich unter Winkeln von 45 Grad. Jetzt aber verändern die acht Furchungszellen ihre Ursprung- 254 Die Gastraea-Theorie. liehe Lage und ihre kugelige Gestalt. Eine von den vier Ento- derm-Zellen tritt in die Mitte des Zellenhaufens und bildet zu- sammen mit den drei anderen eine Pyramide (oder ein Tetraeder). Die vier Exoderm-Zellen legen sich über die Spitze dieser Pyramide haubenförmig herüber. Das ist der Anfang eines Keimungs- processes, den wir als abgekürzte und gefälschte Wiederholung der Einstülpung der Keimhautblase auffassen müssen und der zur Gastrula-P>ildung führt. Von jetzt an folgt die weitere Furchung des Säugethier-Eies einem Rhythmus, der demjenigen des Frosch-Eies im Wesentlichen gleich ist. Während bei der ursprünglichen (oder primordialen) Eifurchung der Rhythmus in regelmässiger geometrischer Progression fortschreitet (2, 4, 8, 16, 32, 64, 128 u. s. w.), so ist die Zahlenfolge der abgeänderten Progression beim Säugethier-Ei dieselbe wie beim Amphibien-Ei: 2, 4, 8, 12, 16, 24, 32, 48, 64, 96, 160 u. s. w. Das rührt davon her, dass von jetzt an die lebhafteren Exoderm-Zellen sich rascher vermehren als die trägeren Entoderm-Zellen. Die letzteren bleiben immer etwas hinter den ersteren zurück und werden von ihnen umwachsen. Diese Umwachs ung der inneren Darmblatt-Zellen ist aber im Grunde nichts Anderes, als die Einstülpung der vegetativen Halbkugel in die animale Hemisphäre der Keimhaut- blase; d. h. die Bildung einer Gastrula. Zunächst folgt also jetzt ein Stadium, in welchem der Säuge- thier-Keim aus zwölf Furchungs-Zellen besteht. Vier dunklere Entoderm-Zellen bilden eine dreiseitige Pyramide, die von einer Haube von zwölf helleren Exoderm-Zellen bedeckt ist. Das nächste Stadium, mit sechzehn Furchungs-Zellen, zeigt uns vier Entoderm- Zellen im Inneren, vier andere aussen und unten; während die acht Exoderm-Zellen in Gestalt einer halbkugeligen Haube die obere Hälfte des Keimes bedecken. Die letztere umwächst die innere Zellenmasse noch mehr, indem nun aus den acht Exo- derm-Zellen sechzehn werden; von den acht Entoderm-Zellen liegen drei, vier oder fünf im Innern, fünf oder entsprechend vier oder drei an der Basis des kugeligen Keims. Auf dieses Stadium von vierundzwanzig Zellen folgt eins mit zweiunddreissig, indem auch die acht Entoderm-Zellen sich verdoppeln. Weiterhin folgen nun Keimformen mit achtundvierzig Furchungs-Zellen (zweiund- dreissig Exodcrm, sechzehn Entoderm); vierundsechzig Furchungs- Zellen (zweiunddreissig Hautblatt, zweiunddreissig Darmblatt; ; sechsundneunzig Furchungs-Zellen (vicrundsechzig Exoderm, zwei- unddreissig Entoderm) u. s. w. Wenn die Zahl der Furchungs- Gastrulatiön der Säugethiere. 255 Zellen beim Säugethier-Keim auf sechsundueunzig gestiegen ist ( — beim Kaninchen ungefähr siebzig Stunden nach der Befruch- tung — ) tritt die charakteristische Form der Raubeu-Gastrula (Amphigastrula) deutlich hervor. Der kugelige Keim besteht aus einer centralen Masse von zweiunddreissig weichen, rundlichen, dunkel - körnigen Entoderm-Zcllen, welche durch genseitigen Druck viel- eckig abgeplattet sind und sich mit Osmium-Säure dunkelbraun färben. Diese centrale dunkle Zellenmasse ist umgeben von einer helleren kugeligen Hülle, gebildet aus vierundsechzig würfel- förmigen, kleineren und feinkörnigen Exoderm-Zellen, die in einer einzigen Schicht nebeneinander liegen und sich durch Osmiumsäure nur sehr schwach färben. Nur an einer einzigen Stelle ist diese Exoderm-Hülle unterbrochen, indem ein, zwei oder drei Entoderm- Zellen hier frei zu Tage treten. Diese letzteren bilden den Dotter- prfropf und füllen den Urmund der Gastrula aus. Die centrale Urdarmhöhle ist von Entoderm-Zellen erfüllt. Die einaxige oder monaxonie Grundform der Säugethier-Gastrula ist dadurch deutlich ausgesprochen. (Vergl. die Figuren 36 — 41 in meiner Anthropogenie, III. Aufl., S. 170—174; sowie S. 113, Taf. II, Fig. 12—17.) Erst nachdem diese Amphigastrula der Säugethiere ausgebildet ist, entsteht jene charakteristische und vielbesprochene „Keim- blase" der Säugethiere, welche zuerst Regner de Graaf, später Baer beobachtet und welche Bischoff mit dem Namen Veslcula blastodermica belegt hat. Bekanntlich hielt man bis jetzt allgemein diese mit Flüssigkeit erfüllte Hohlkugel für gleich- bedeutend mit der Blastula (oder Blastosphaera) des Amphioxus und vieler Wirbellosen, jener einfachen, mit Flüssigkeit erfüllten Hohlkugel, deren Wand eine einzige Zellenschicht bildet, die Keimhaut (Blastodenna). Aber schon der Umstand, dass sich diese Hohlkugel bei der weiteren Entwicklung hier ganz anders verhält, als dort, musste gewichtige Bedenken erregen, und noch mehr jener vielgedeutete, biconvexe, linsenförmige „Haufen von dunkleren Furchungszellen", welcher an einer Stelle der Innen- wand der Säugethier- Keimblase anliegt. Van Beneden's Ent- deckungen haben auch in diese dunkle Frage volles Licht ge- bracht und zur Evidenz bewiesen, dass die sogenannte Keimblase der Säugethiere (Vesicula blastodermica) und die wahre Keimblase des Amphioxus und vieler Wirbel- losen (Blastula oder Blastosphaera) gänzlich verschiedene 256 Die Gastraea-Theorie. Bildungen sind. Letztere geht der Grastrula-Bildung voraus; erstere folgt ihr nach. Letztere verwandelt sich in den ganzen Keim ; erstere bildet nur zum kleineren Theil den eigentlichen Keim, zum grösseren Theil die „Nabelblase" oder den rück- gebildeten Dottersack des Säugethieres. Es ist daher durchaus nothwendig, jene beiden, bisher irrthümlich zusammengeworfenen Bildungen gänzlich zu trennen und mit verschiedenen Namen zu belegen. Ich habe in der Anthropogenie (III. Aufl., S. 235) die „Vesicula blastodermica" der Säugethiere als Keim darmblase (Gaslrocystis), hingegen die echte Keimblase des Amphioxus und der Wirbellosen als Keimhautblase (Blastula) bezeichnet. Die Wand der letzteren bildet die Keimhaut (Blastoderma), welche noch nicht invaginirt und noch nicht in die beiden primären Keimblätter gesondert ist. Die Wand der ersteren hingegen bildet nicht das Blastoderma, sondern das Entode rma und der „linsen- förmige Haufen von Furchungskugelu" welcher an einer be- stimmten Stelle der Innenwand des letzteren anliegt, ist das Entode rma. Die übliche, von Bischoff eingeführte Bezeichnung Vesicula blastodermica ist daher grundfalsch. Die Gastrocystis oder die Keimdarmblase ist mithin ein ganz eigenthümlicher Keimzustand, welcher bloss bei den Säuge- thieren (vielleicht sogar bloss bei den Placentalien) vorkommt und allen anderen Thieren fehlt. Die Entstehung dieser Keim- darmblase aus der vorhergehenden Amphigastrula der Säuge- thiere ist nach van Beneden folgende: Der Urmund der Amphi- gastrula verschwindet, indem die Entodermzelle, welche den Dotter- pfropf bildete, in das Innere des kugeligen Keims, zu den anderen Zellen des Darmblattes tritt. Der Säugethier - Keim bildet jetzt eine solide Kugel, bestehend aus einem centralen Haufen dunkler polyedrischer, grösserer Entoderm-Zellen, und einer peripherischen Hülle, welche aus einer einzigen Schicht von helleren, rundlichen kleineren Entoderm-Zellen zusammengesetzt ist. Nun sammelt sich an einer Stelle zwischen beiden Keimblättern klare helle Flüssig- keit an; und diese wächst bald so bedeutend, dass sich die Exo- derm-Hülle zu einer grossen kugeligen Blase ausdehnt. Die Masse der dunkleren Entoderm-Zellen, welche eine Kugel von viel kleinerem Durchmesser bildete, bleibt an einer Stelle (nach van Beneden an der Stelle des Dotterpfropfes) mit dem Exoderm im Zusammenhange. Sie flacht sich hier erst halbkugelig, darauf linsenförmig, endlich scheibenförmig ab, indem sich die Entoderm- Zellen verschieben und in Gestalt einer kreisrunden Scheibe in Gastrulation der Säugethiere. 257 einer Schickt ausbreiten. So entsteht an einer Stelle der Keiin- darmblascn-Wand die bekannte kreisrunde ,,Keim Scheibe der Säug'eth iere", welche man mit van Beneden als K ei m dami- sch ei be (Gastrodiscus) bezeichnen kann. Diese allein besteht aus den beiden primären Keimblättern — einer äusseren Schicht heller Exoderm-Zellen, einer inneren Schicht trüber Entoderm- Zellen, — während die ganze übrige Wand der Keimdarmblase bloss aus einer Schicht Exoderm-Zellen besteht. Erst später wächst an deren Innenwand auch das Entoderm vollständig herum und nun besteht die Wand- der Gastrocyste aus den beiden pri- mären Keimblättern, während im Bezirke des Gastrodiscus oder des „Fruchthofes" sich zwischen beiden bereits das Mesoderm ge- bildet hat. Bekanntlich bildet nun später der Gastrodiscus allein den Leib des Säugethier-Ernbryo, während der übrige Theil der Gastro- cysten-Wand den vergänglichen Dottersack oder die Nabelblase darstellt. Letztere verhält sich homolog dem Dottersack der Vögel und Reptilien, und daraus geht klar hervor, was auch aus anderen Gründen der vergleichenden Ontogenie schon längst wahrschein- lich war, dass der kleine und unbedeutende Dotter sack der S äug eth iere stark rückgebildet ist, das Rudiment oder schwache Ueberbleibsel von einem viel grösseren und bedeuten- deren Dottersack, welchen die Vorfahren der Säugethiere besassen. Vielleicht ist dieser letztere bei den Monotremen noch heute vor- handen, vielleicht noch bei einem Theile der Marsupialien. Jeden- falls steht zu erwarten, dass die wichtige, leider fast noch ganz unbekannte Keimesgeschichte dieser beiden niederen Säugethier- Subclassen uns noch viele wichtige Aufschlüsse über die Ontogenie der Piacentalien und ihre cenogenetische Entstehung aus älteren Keimungsformen geben wird. Das cenogenetische Anpassungs-Verhältniss, welches die Rück- bildung des rudimentären Dottersacks der Säugethiere veranlasst hat, liegt klar auf der Hand. Es ist die Anpassung an den lange dauernden Aufenthalt im Uterus der lebendig- gebärenden Säugethiere, deren Vorfahren sicher eierlegend waren. Indem der Proviant- Vorrath des mächtigen Nahrungsdotters, wel- chen die Oviparen Vorfahren dem gelegten Ei mit auf den Weg- gaben, durch die Anpassung an den längeren Aufenthalt im Fruchtbehälter bei ihren viviparen Epigonen überflüssig wurde, und indem hier das mütterliche Blut in der Uterus-Wand sich zur wichtigsten Nahrungsquelle gestaltete, musste natürlich der 258 I}»e Gastraea-Theorie. überflüssig gewordene Dottersack durch „embryonale Anpassung" rttckgebildet werden. Es ist also klar, dass die ersten Keimungs-Processe der Säugethiere — und vor allen ihre Eifurchung und Gastrulation — keineswegs, wie man bisher irrthümlich glaubte, in einer sehr einfachen und ursprünglichen Form verlaufen, sondern im Gegen- theil in einer sehr stark modificirten, zusammengezogenen und abgekürzten Form, wie das nach der Gastraea-Theorie von vorn- herein zu erwarten war. Die Keimung der Säugethiere ist sehr stark cenogenetisch verändert, stärker als bei allen anderen Wirbelthieren. Ihre amphiblastische Keimungsform ist wahrscheinlich durch Rückbildung des Nahrungsdotters aus der discoblastischen Keimungsform ihrer Vorfahren entstanden. Diese letztere aber muss wieder von der amphiblastischen Kei- mungsform älterer Ahnen (Amphibien) , wie diese letztere von der noch viel älteren archiblastischen Keimungsform der Acranier- Ahnen (Amphioxus) abgeleitet werden. Die Amphigastrula der Säugethiere (und des Menschen) hat demnach folgende Vorfahren- Kette: Amphigastrula, Discogastrula, Amphigastrula, Archi- gastrula. 23. Urdarui und Uriinmd. Primitiv-Organe. Die Lehre von den „Primitiv-Organen" des Thierkörpers ge- hört zu den widerspruchreichsten Kapiteln der Ontogenie. Die meisten Autoren betrachten unbedenklich dasjenige Organ des Embryo als „Primitiv-Organ", das ihnen zuerst im Laufe der Keimesgeschichte als deutlich erkennbares und selbständiges Or- gan entgegentritt. An die erste Vorbedingung der richtigen Er- kenntniss, an die scharfe Unterscheidung der palin genetischen und cen ogenetischen Verhältnisse, wird dabei meistens gar nicht gedacht. Daher werden die verschiedensten Organe, Nerven- system, Sinnesorgane, Drüsen u. s. w., als Primitiv -Organe auf- gefasst, obwohl sie diese Bezeichnung durchaus nicht verdienen. Im Gegensatz hierzu erkennt die Gastraea-Theorie überall nur zwei wahre Primitiv-Organe des Metazoen-Organismus au: das Hautblatt (Exoderma) und das D a r m b 1 a 1 1 (Entoderma), wel- ches letztere die Urdarmhohle mit der Urmundöffnung umschliesst. Urdarm (Progasfer oder Protogaster) hatte ich 1872 in der Monographie der Kalkschwämme (Bd. 1, S. 468) die ursprüngliche Urdarm und (Jrmand. Primitiv-Organe. 259 Darmhöhle der Gastrula genannt, und deren einfache Mund- öffnung : Urmimd (Prostoma oder Protostoma). E. Ray-Lankester, welcher sich grosse Verdienste um die Förderung der Gastraea- Theorie erworben hat, und welcher unabhängig von mir, von anderen Leobachtungen ausgehend, zu ganz ähnlichen Folgerungen gekommen war, hat drei Jahre später (1875) den Urdarm der Gastrula als Jrclxpjiteron und deren Urmund als Blastoporus be- zeichnet. *) Die letztere Bezeichnung, welche von mehreren Autoren angenommen worden ist, hat vor der meinigen den Vorzug der Neutralität; sie präjudicirt Nichts über die ursprüngliche Be- deutung der Oeffuung, durch welche sich die Urdarmhöhle nach aussen öffnet. Meine Bezeichung hingegen schliesst die Vorstellung ein, dass jene Oeffnung ursprünglich und zuerst wirklich als M und - Öffnung der Gastraea und der nächstverwandten ältesten Meta- zoen fungirt habe; in derselben morphologischen Bedeutung des Begriffes, in welcher wir die einfache DarmöfTnung der Hydroiden ah ihren Mund bezeichnen, obwohl dieselbe eine doppelte phy- siologische Function als Mund und After ausübt. Aber gerade aus diesem Grunde gebe ich auch heute noch meiner Bezeichnung den Vorzug vor der neutralen von Ray-Lankester. Denn ich bin auch heute noch der Ansicht, dass der Urdarm mit seinem Ur- mund wirklich das älteste Primitiv- Organ der ersten Metazoen darstellte, und dass die einfache, am Oralpole nach aussen mün- dende Höhle der heutigen Archigastrula mit jener hypothetischen Urdarmhöhle identisch ist und von der ältesten Gastraea durch zähe Vererbung Jahrtausende hindurch unverändert übertragen winde. Der Urdarm (Protogaster) und der Urmund (Proto- stoma) der heutigen Archigastrula sind diepalin genetische Wiederholung derselben Primitiv-Organe von der Stammform der Metazoen (Gastraea). Dabei kommt gar nicht in Betracht, welche verschiedene Bedeutung etwa diese Primitiv-Organe bei der weiteren Entwicklung der heutigen Meta- zoen erhalten. 2) 1) E. Ray-Lankestlk, ün the invaginate Planula or diploblastic phase of Paludina vivapara. Quarterly Journ. of microsc. science 1875, Vol. XV, p. 163. 2) Aus dem gleichen Grunde nennen wir auch noch heute die embryo- nalen Schlundspalten und Schlundbogen der höheren Wirbelthiere K i e m e n - bogen und Kiemenspalten, obgleich sie ihre ursprüngliche physiologische Bedeutung, die sie bei den kiemenathmenden Vorfahren der ersteren besassen, längst verloren haben. 260 Die Gastraea-Theorie. Zunächst wird dieser Satz nur bei denjenigen Keiniformen der Metazoen unmittelbar einleuchten, bei welchen der Urdarm des Keimes wirklich von Anfang an eine einfache, leere Höhle und durch einen Urmund nach aussen geöffnet ist; also bei allen Modifikationen der palingenetischen Archigastrula, und zwei- tens bei jenen Formen der cenogenetischen Amphigastrula und Perigastrula, welche in dieser Beziehung der Archigastrula gleichen. Wenn wir aber bei dieser die Gastrulahöhle wirklich als „Urdarmhöhle" und ihre Oeffnung als „Urmundöffnung" mit Sicherheit deuten können, so dürfen wir nach dem entsprechenden Primitiv-Organ auch bei allen anderen Gastrula- Formen suchen, wo dasselbe zu fehlen scheint. Hier ist es gewöhnlich der Nahrungsdotter, welcher die Urdarmhöhle ganz erfüllt, die Urmundhöhle verstopft und so deren Existenz verdeckt. Es ist aber nach meiner Ansicht für die morphologische Bedeutung dieser Primitiv- Orgaue ganz gleichgültig, ob dieselben mit Nahrungs- dotter erfüllt oder leer sind, gerade so wie Magen und Mund des entwickelten Thieres ihre morphologische Bedeutung behalten wenn sie leer oder wenn sie mit Speise gefüllt sind. Ganz be- sonders lehrreich sind in dieser Beziehung die amphiblastischen Eier ; denn sie bilden eine lange Reihe von verschiedenen Gastrula- Formen mit theils leerem, theils dottererfülltem Darm. Am einen Ende dieser Reihe treffen wir Amphigastrula-Formen mit leerem Urdarm und offenem Urmund, welche sich unmittelbar an die palingenetische Archigastrula anschliessen ; am anderen Ende sehen wir Amphigastrula-Formen, deren Urdarm und Urmund grösstentheils oder ganz mit Dotterzellen erfüllt sind und die sich unmittelbar an die cenogenetische Discogastrula anschliessen. Zwischen jenen und diesen aber finden sich alle möglichen Ueber- gänge vor. Natürlich ist es nach unserer Auffassung auch ganz gleich- gültig, ob die Dottermasse, welche Urdarm und Urmund vieler cenogenetischen Gastrula-Keime erfüllt, aus wirklichen Dotter- zellen besteht, d. h. aus axialen Entodermzellen, welche nicht zur Bildung des bleibenden Entoderms verwendet werden (wie z. B. bei Cyclostomen und Amphibien, Fig. 53) oder aus einer struciurlosen oder nicht zellig organisirten Masse von Nahrungs- dotter (wie bei vielen Knochenfischen, Fig. 55 — 75, Reptilien, Vögeln u. s. w.). Auch zwischen diesen beiden Fällen erkennen wir keinen scharfen Unterschied an und sind der Ansicht, dass die letzteren aus ersteren phylogenetisch erst später entstanden Urdarm und Urmund. Primitiv-Organe. 2G1 sind. Da ich in den Untersuchungen über „die Gastrula und die Eifurchung der Thiere" hinreichend dargethan zu haben glaube, dass wir alle verschiedenen Formen der Segmentation und Gastru- lation ursprünglich von der primordialen Eifurchung und Archi- oastrula - Bildung ableiten können, vermag ich in jenen viel- besprochenen Differenzen wirklich keine Schwierigkeit zu erblicken und halte demnach auch heute noch an dem 1872 von mir auf- gestellten Satze fest: Urdarm und Urmund sind bei sämmtlichen Metazoen homologe Primitiv-Organe. Dasselbe gilt natürlich auch von den beiden primären Keimblättern, welche die Wand des Urdarms bilden. Ganz ohne Einfiuss auf diesen Satz sind; wie gesagt, die späteren Schicksale dieser Primitiv-Organe, welche sich bei den verschiedenen Metazoen sehr verschieden gestalten können. Ueber diese späteren Schicksale des Urdarms und Urmundes bei den verschiedenen Metazoen gehen bekanntlich die Ansichten der verschiedenen Ontogenisten heutzutage noch so weit aus- einander, dass es nutzlos sein würde, dieselben hier sämmtlich aufzuführen und zu discutiren. Offenbar bedarf es hier noch viel ausgedehnterer, vor Allem aber viel genauerer und mit mehr kri- tischem Urtheil angestellter Beobachtungen. Denn nicht allein bei verschiedenen (oft bei nahe verwandten) Thieren, sondern sogar bei einem und demselben Thiere lauten die Angaben der ver- schiedenen „exaeten" Beobachter völlig entgegengesetzt. Wir be- schränken uns daher auf folgende kurze Bemerkungen. Der Urmund (Protostoma, Blastoporus, R u s c o n i 'scher A f t e r, Invaginations-Oeffnung der Gastrula) scheint zu persistiren und sich in den bleibenden Mund zu verwandeln bei den meisten (nicht bei allen!) Zoophyten (Gastraeaden, Spongien, Hydro- medusen). Dagegen scheint er frühzeitig im Laufe der Entwick- lung zu verschwinden bei den meisten (vielleicht allen?) Bila- terien, d. h. bei den Würmern und den vier höheren typischen Thierstämmen (Mollusken, Echinodermen , Arthropoden, Verte- braten). Sicher scheint es zu sein, dass der Urmund hier nirgends zum bleibenden seeundären Munde , zum Nachmunde (Meta- stoma) sich gestaltet; dieser scheint stets durch Neubildung vom Exoderm aus zu entstehen. Dagegen ist es möglich, dass der Ur- mund der Bilaterien sich bisweilen zum bleibenden After gestaltet.1) x) Die Verwandlung des Urmundes in den bleibenden After wird z. B. in neuester Zeit mit grosser Bestimmtheit von Ray-Lankester bei Paludina be- hauptet. Quart. Journ. of microsc. Sc. 1876, Vol. XVI, p. 377, 202 ^ie Gastraea-Theorie. Jedenfalls entsteht der letztere sehr oft an einer Stelle, welche der früheren Stelle des zugewachsenen Urmundes entspricht oder ihr wenigstens sehr nahe liegt. Für ganz unmöglich halte ich, was gegenwärtig viele Ontogenisten für wahrscheinlich und einige iür sicher halten, dass bei verschiedenen Thieren einer natürlichen Klasse der Urmund bald zum bleibenden Munde, bald zum bleibenden After wird, bald verschwindet. So behauptet z. B. Metschmkoff, dass der Urmund bei einigen Seesternen zum bleibenden Munde, bei anderen zum After werde. Damit hören alle Homologien zwischen zwei nächst verwandten Thieren auf. Der U r d a r m (Prctogaster , Archenteron , Rusconi'sche Nahrungshöhle) scheint nur bei sehr wenigen Metazoen sich in den ganzen bleibenden Darmcanal, den Nachdarm (Meta- gaster) zu verwandeln. Das ist der Fall bei den Gastraeaden, Spongien, Hydromedusen, vielleicht auch bei den niedersten Würmern. Bei sämmtlichen übrigen Bilaterien (sowie bei den Korallen, Ctenophoren x) und vielleicht auch noch bei anderen Zoo- phyten) bildet der Urdarm nur einen Theil, und zwar meistens den mittleren Theil des Nachdarms. Hingegen entsteht der vordere Theil (Schlunddarm) hier wohl immer durch Einstülpung von aussen, aus dem Exoderm, und ebenso entsteht wohl bei den meisten (oder allen?) mit After versehenen der After. Wie weit aber diese beiden secundären Einstülpungen gehen (—die natürlich gar nichts mit der Blastula-Einstülpung zu thun haben 2) — ) ist bei den meisten Metazoen noch ganz unbekannt. Bei vielen dürften sie viel beträchtlicher sein, als man bisher annahm. Bei den Wirbel thieren 3) dürfte nicht allein die Schlundhöhle, sondern auch *) Bei den Korallen und Ctenophoren ist der sogenannte „Magen" Schlund (vom Exoderm ausgekleidet). Der wahre Magen (Urdarm) ist bei den Korallen die sogenannte „Leibeshöhle", bei den Ctenophoren der „Trichter". -) Köixiker (Entwicklungsgeschichte, IL Aufl. 1876, p. 383) sagt: „Will man die Keimblase (der Säugethiere) mit den HAECKEi/schen Typen ver- gleichen, so kann man sie nur eine ßlastula nennen; dagegen feblt hier ebenso wie beim Hühnchen, eine invaeinirte Blastula oder eine G a s t r u 1 a ganz; und könnte man bei beiden Wirbelthierformen erst viel später in der Einstülpung, die bei der Mundbilduag statt hat, vielleicht eine schwache. An- deutung der Gastrula finden." Die Antwort auf diese Auffassung enthält der vorige Abschnitt (8. 252—258). 3) Bei den Wirbelthieren nimmt man gewöhnlich (seit Remak) an, dass die seeundäre Einstülpung des Munddarms nur bis zum Gaumenthor reicht und dass Schlund und Speiseröhre schon zum Urdarm gehören. Indessen sprechen viele neuere Beobachtungen dagegen. Urdarm und Urmund. Primitiv-Organe. 263 noch die Speiseröhre (— bei den Wiederkäuern vielleicht sogar die drei ersten Magen-Abtheilungen — ) zur Exoderm-Einstülpung gehören. Bei den Gliederthieren hat kürzlich Paul Mayer ge- zeigt, dass wahrscheinlich meistens nur ein sehr kleiner Theil des Mitteldarms, nämlich der nicht von Chitin- Cuticula bedeckte „Chylus-Magen" oder der „eigentliche Magen" dem Urdarm ent- spricht. J) Alles Andere ist seeundäre Einstülpung des Exoderms. Jedenfalls dürfte es künftighin für die klare morphologische Unterscheidung dieser genetisch so verschiedenen Darm-Abthei- lungen von Vortheil sein, dieselben durch bestimmtere Bezeich- nungen zu markiren, als die bisher üblichen und in sehr ver- schiedenem Sinne gebrauchten Ausdrücke: Vorderdarm, Mittel- darm und Hinterdarm (oder Munddarm, Magendarm und After- darm). Wir aeeeptiren dafür die von Rav-LANKESTER vorgeschlagenen Ausdrücke: Stomodaeum, Mesodaeum, Proctodaeum. Stomodaeum ist der Schlunddarm, vom Exoderm ausgekleidet, Meso- daeum der eigentliche Magendarm oder „Chylusdarm", her- vorgegangen aus dem Urdarm, vom Entoderm gebildet; Procto- daeum der Afterdarm, ein Product des Exoderms.2) Dass die beiden primären Keimblätter, die ursprünglich allein den ältesten Metazoen-Körper bildeten, wirklich Primitiv- Organe sind, wird noch vielfach bestritten. So preist es noch jetzt Külliker 3) als ein Verdienst Götte's, „Etwas ausgesprochen zu haben, das zwar seit Langem sich vorbereitet, aber doch noch nicht vollkommen zum Durchbruche gekommen war: dass die Keimblätter weder für die Organe, noch für die Gewebe eine be- sondere einheitliche Bedeutung haben, mit anderen Worten, dass dieselben weder histologische noch morphologische Primitiv-Organe sind." Dieser Satzlässt sich nur für die höheren Thiere vertheidigen, und auch hier nur in einem gewissen Sinne. Für die niederen Thiere und für die ursprünglichen Bildungs- Verhältnisse des thierischen Organismus ist derselbe entschieden unrichtig. Bei unseren Gastraeaden (bei den Physemarien und Dicyemiden), bei den Hydroiden und Spongien, und in weiterer Fassung überhaupt bei den niederen (wenn nicht bei allen) Pflanzenthieren sind die beiden primären Keimblätter noch heute wahre Primitiv-Organe ; a) Paul Mater, Ueber Ontogenie und Phylogenie der Insecten. Jenaische Zeitscbr. für Naturw. 1876, Bd. X, S. 141. 2) Ray-Lankester, An aecount of Haeckel's recent additions to tbe Ga- straea-Theory. Quarterly Journ. of micr. sc. 1876, Vol. XVI, p. 64. s, Koleiüek, Entwicklungsgeschichte, IL Aufl. 1877, \>. 398. 9ß4 Die C4astraea-Theorie. und dasselbe gilt von der hypothetischen Gastraea, von welcher wir sämmtliche Metazoen (monophyletisch oder auch polyphyletisch) ableiten müssen. Ueberall ist bei diesen niedersten Metazoen das Exoderm, das animale Primitiv-Organ, das Organ der Bewegung und Empfindung, der Deckung und Skeletbildung ; ebenso ist hier überall das Entode rm (mit der von ihm um- schlossenen Urdarmhöhle) das vegetative Primitiv- Organ, das Organ der Nahrungs-Aufnahme, Verdauung, Ausscheidung und wahrscheinlich auch Fortpflanzung. Sowohl jenes animale als dieses vegetative Primitiv- Organ bildet bei allen jenen niedersten Metazoen eine geschlossene morphologische und physiologische Einheit und ist sowohl organologisch als histologisch scharf charakterisirt. Anders verhält es sich freilich bei den meisten höheren Thieren, wo im Laufe der historischen Entwicklung von Millionen Jahren die verwickeltsten Beziehungen zwischen den verschiedenen Producten der primären Keimblätter eingetreten sind. Nicht allein die Arbeitsteilung, sondern auch der Arbeits Wechsel hat hier vielfach die Organe und Gewebe auf das Mannichfaltigste modificirt. Namentlich ist aber der Umstand hier von grösster Bedeutung, dass die Keimblätter vielfach stellvertretend oder vicariirend sich ersetzt und ihre Functionen sich wechselseitig übertragen haben. Alle diese verwickelten Verhältnisse sind aber erst später entstanden, sind seeundärer, abgeleiteter Natur. In den primären, ursprünglichen Verhältnissen, wie sie uns die Gastraeaden und Hydroiden bis auf den heutigen Tag be- wahrt haben, sind sowohl in physiologischer als in morphologischer Beziehung, sowohl in orgauologischer als histologischer Bedeutung die beiden primären Keimblätter die wahren Pri- mitiv-Organe des Metazoen- Organismus. 24. Heuristische Bedeutung der Gastraea-Theorie. Angesichts der verschiedenartigen Beurtheilung, welche die Gastraea-Theorie sowohl bei den Gegnern als bei den Anhängern der Entwicklungslehre gefunden hat, ist es mir hier am Schlüsse dieser Studien wohl gestattet, noch einige Worte über die heuristische Bedeutung derselben hinzuzufügen. Unsere Theorie ist mehrfach als ein Complex von Theorien und Hypothesen beurtheilt werden, die sehr verschiedenen Werth und sehr ungleichen Anspruch auf Heuristische Bedeutung der Gastraea-Theorie. 265 Geltung haben. Ich lasse mir diesen Ausspruch gern gefallen, zumal ich wohl einsehe, dass ich im Eifer für die Begründung einer monistischen Entwicklungslehre und in dem Bestreben, der- selben durch die Gastraea-Theorie ein sicheres einheitliches Funda- ment zu geben, bisweilen zu weit gegangen bin. Ich lege selbst den mannichfaltigen Folgerungen, welche ich daraus für verschiedene Gebiete der thierischen Morphologie gezogen habe, einen sehr verschiedenen Werth bei, obgleich ich in der generellen Homologie der Gastrula und ihrer beiden primären Keim- blätter bei sämmtlichen Metazoen einen festen Kern der Theorie erblicke, der die meisten daraus entwickelten Folgerungen wohl zu verknüpfen und einheitlich zusammen zu halten im Stande ist. Die wichtigste Folgerung, welche ich aus jener Homologie der Keimblätter für das natürliche System, oder — was dasselbe ist — für die phylogenetische Classification des Thierreichs ab- geleitet habe, war die Annahme einer monophyletischen Descendenz aller Metazoen von einer gemeinsamen Stammform, der Gastraea. So wichtig und folgenreich aber auch diese monophyletische Hypothese erscheint, so möchte ich ihr doch zunächst mehr eine heuristische, als eine causale Bedeutung sichern. Denn der Gewinn einer einheitlichen Auffassung der wichtigsten ontogenetischen Pro- cesse scheint mir durch die Gastraea-Theorie auf alle Fälle gesichert zu sein, gleichviel ob man daraus die gemeinsame Abstammung sämmtlicher Metazoen von einer einzigen Gastraea folgert oder nicht. Allerdings besteht für diese monophyletische Descendenz-Hypothese jetzt keine theoretische Schwierigkeit mehr. Denn unerschütterlich fest steht die fundamentale Thatsache, dass sich die niederen Thierformen sämmtlicher Stämme, und Thiere der verschiedensten Classen, aus einer und derselben Keim form, aus der palingenetischen Archigastrula entwickeln — und ebenso fest steht die ebenso wichtige Thatsache, dass sich die cenogenetischen Keimformen aller anderen Thiere, — alle verschiedenen Formen der Amphigastrula, Discogastrula und Peri- gastrula, — auf jene ursprüngliche Archigastrula direct oder indirect zurückführen lassen. Wenn wir das biogenetische Grundgesetz anerkennen, dürfen wir daraus unmittelbar den Schluss ziehen, dass sämmtliche Metazoen von einer gemeinsamen Stammform, einer der A r c h i g a s t r u 1 a gleichgebildeten Gastraea ursprüng- lich abstammen. Aber auch wenn man jenes Grundgesetz der organischen Entwicklung nicht anerkennt und wenn man dem- 18 266 Die Gastraea-Theorie. gemäss diesen monophyletischen Schluss nicht zulässt, auch dann wird man zugeben müssen, dass durch die Zurückführung aller der mannichfaltigen Keimformen der Metazoen auf die palinge- netische Keimform der ArcMgastrula ein einheitliches „B i 1 d u n g s- gesetz" für den Metazoen-Keim gefunden sei. Im letzteren Falle wird man die Homologie aller Gastrula-Formen, und die damit verknüpfte generelle Ho- mologie der beiden primären Keimblätter und des Urdarms, nur als Homomorphie (oder anatomische Homologie) auffassen, im ersteren Falle als Homophylie (oder genetische Homologie) x). Wenn die verschiedenen Gastrula-Formen wirklich nur homo- morphe wären, und wenn also die verschiedenen Metazoen- Gruppen von vielen ursprünglich verschiedenen und nicht zu- sammenhängenden Gastraea- Vorfahren abstammten, so würde man annehmen müssen, dass die Existenz-Bedingungen der Urzeit so gleichförmig waren, dass sie überall durch gleichartige An- passung die werdenden Metazoen- Ahnen in die gleiche Bildungs- Bahn der Gastraea drängten. Wenn man hingegen mit uns annimmt, dass sämmtliche Gastrula-Formen homophyletisch sind, so erklärt sich ihre genetische Homologie (— oder Homo- phylie — ) sehr einfach durch Vererbung von einer gemein- samen Stammform. Beide Hypothesen lassen sich mit Gründen stützen; doch scheint mir die letztere einfacher und natürlicher als die erstere. Gegen die Homophylie — oder die wahre genetische Homo- logie — sämmtlicher Gastrula-Formen ist neuerdings wieder mehr- fach der Einwurf erhoben worden, dass dieselben auf ganz ver- schiedene Weise entstünden, bald durch Delamination, bald durch Invagination, und im letzteren Falle bald durch Entobolie, bald durch Epibolie. Dass die letzteren beiden Formen nur ver- schiedene Modificationen eines und desselben Processes sind, habe *) „Homophylie nenne ich die wirklich phylogenetisch begründete Ho- mologie, im Gegensatze zur Homomorphie, welcher die geneologische Begründung fehlt". Monographie der Kalkschwämme, Bd. I, S. 462. Diese beiden verschiedenen Modi der Homologie, welche ich mit den angeführten Worten 1872 unterschieden habe, fallen nicht zusammen mit denjenigen Modalitäten der Homologie, welche Ray-Lankester 1870 als Homogenie und Homoplasie, neuerdings aber H. Ihering als Homogenie und Homoeogenie unterschieden hat. Ich werde darauf bei einer andern Ge- legenheit ausführlich zurückkommen. Vergl. Annais and Mag. of nat. hist. 1870, Vol. VI, p. 34, 113, 342; und Ihering, Phylogenie der Mollusken. 1877. Heuristische Bedeutung der Gastraea-Theorie. 2G7 ich schon früher gezeigt. Wenn der Nahrungsdotter fehlt oder unbedeutend ist, so erscheint die Gastrulabildung in der ursprüng- lichen Form, als Einstülpung oder Invaginationder Blast ula (Entobolie) ; dieselbe tritt aber unter dem Bilde der „Umwachsung" (Epibolie oder Oircumcrescenz) auf, wenn der Nahrungsdotter sehr gross wird. Was aber ferner die Entstehung der Gastrula durch Delamination oder Abspaltung (Flächenspaltung des Blasto- derms in zwei Schichten) betrifft, so hat sich neuerdings immer klarer herausgestellt, dass dieser Vorgang äusserst selten — wenn überhaupt vorhanden ist. J) Und in diesen sehr wenigen Fällen dürfen wir annehmen, dass ein cenogeneti scher Process vorliegt, der erst secundär aus dem palingenetischen Processe der Invagi- natiou entstanden ist. Ray-Lankester hat diesen Punkt zu ver- schiedenen Malen so gründlich und umsichtig erörtert, dass ich hier einfach auf seine ausführliche, mehrfach citirte Darstellung verweisen kann. Ich nehme daher mit Ray-La>kester an, dass die Gastrula ursprünglich überall durch Invagi- nation der Blastula entstanden ist, und schliesse nach dem biogenetischen Grundgesetze, dass ebenso ursprünglich die Stammform der Gastraea aus der vorhergehenden Ahnen-Stufe der Planaea (oder Blastaed) entstanden ist. Durch diese Auffassung gewinnt natürlich die monophyletische Gastraea-Hypothese wesentlich an Wahrscheinlichkeit, und wir können eigentlich keinen einzigen Grund mehr gegen die An- nahme finden, dass wirklich alle Metazoen ursprünglich von einer Gastraea abstammen. Aber selbst wenn diese monophyletische Hypothese der Wahrheit nicht entspräche, so würde sie zunächst schon bloss als heuristisches Princip von hohem Werthe sein. Ich möchte bei dieser Gelegenheit ausdrücklich hervorheben, welchen unschätzbaren Werth für unsere morphologische Erkennt- niss die phylogenetischen Hypothesen (ganz abgesehen von ihrer realen Sicherheit) als heuristische Principien besitzen. Bekanntlich hat man während der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts überall in der vergleichenden Anatomie und Physio- logie mit grösstem Vortheil und Erfolge als heuristisches Princip die Teleologie verwerthet, obwohl dieselbe bloss auf anthro- *) Augenblicklich liegt eigentlich nur noch ein einziger Fall vor, in dem wirklich die Gastrula durch Delamination, nicht durch Invagination ent- stehen soll; das ist die Geryonia nach Fol; aber bei derselben Meduse be- hauptet Kowalevsky, die Invagination gesehen zu haben! 18* 268 V\e Gastraea-Theorie. pomorpher Imagination beruhte und jetzt als wirkliches Erklärungs- Princip allgemein verlassen ist. Um wie viel mehr muss es ge- stattet sein, sich als heuristischer Principien der phylogenetischen Hypothesen zu bedienen, die in irgend einer Form jedenfalls richtig sind. Zunächst ist hier aber unter den verschiedenen möglichen und gleichberechtigten Hypothesen jedenfalls die ein- fachste die beste, und schon aus diesem Grunde ziehe ich die monophyletische Gastraea-Hypothese jeder polyphy- letischen Annahme vor. Welchen ausserordentlichen Werth als heuristisches Princip die monophyletische Descendenz-Hypothese besitzt, zeigt vielleicht kein Thierstamm klarer, als derjenige der Wirbel thi er e. Wenn es irgend eine grössere Thiergruppe gibt, deren monophyletische Abstammung wir schon heute mit voller Gewissheit behaupten können, so ist es sicher das Phylum der Vertebraten. Der reiche empirische Urkundenschatz, den uns hier vor allen die greifbaren Thatsachen der Palaeontologie, demnächst die zusammen- hängenden Argumente der vergleichenden Anatomie und endlich die nicht minder werthvollen Erscheinungen der ver- gleichenden Ontogenie zu Gebote stellen, spricht so laut und deutlich, dass wir mit voller Sicherheit die gemeinsame Abstammung aller Wirbelthiere von einer einzigen gemeinsamen Stammform, einem „Urwirbelthier", annehmeu dürfen. Wie ich nach meiner subjectiveu Auffassung mir diese monophyletische Descendenz der Vertrebraten vorstelle, habe ich in der Anthropogenie (III. umgearbeitete Auflage 1877), gestützt vor allen auf Gegenbaur's classische Untersuchungen, ausführlich dar- gethan. Mögen nun die dort entwickelten Descendenz-Hypothesen zum grösseren Theil richtig sein oder nicht, so habe ich damit doch jedenfalls auf diesem schwierigen und dunkeln Gebiete einen ersten Versuch gemacht, der als heuristische Hypothese die nach- folgenden besseren Versuche eine Zeit lang leiten wird. Jeden- falls stimmen die competentesten und urteilsfähigsten Facligenossen heute darin überein, dass die gemeinsame Abstammung aller Wirbelthiere, vom Amphioxus bis zum Menschen hinauf, auf irgend einem Wege gesucht werden muss. J) ') Die monophyletische Descendenz aller Vertrebraten ist so einleuchtend, dass (meines Wissens) noch kein einziger ernstlicher und nennenswerther Versuch gemacht worden ist, das Phylum der Wirbelthiere in mehrere verschiedene Phylen zu zerlegen und von gänzlich verschiedenen, Heuristische Bedeutung der Gastraea-Theorie. 269 Wenn das nun der Fall ist, so ergiebt sich für die ver- gleichende Ontogenie der Wirbelthiere sofort die bestimmte Aufgabe, alle verschiedenen Keimungs-Formen derselben auf eine und dieselbe ursprüngliche Keimuugs-Form zurückzuführen. Nur . eine Keimungsform kann die ursprüngliche, palingenetische sein; alle anderen müssen abgeleitete, cenogenetische sein. Und welche unter allen den zahlreichen und so weit divergirenden Keimungs-Formen der Vertebraten jene eine ursprüngliche Form ist, das liegt seit zehn Jahren, seit Kowalevsky's epochemachender Entdeckung, klar auf der Hand. Der archiblastische Am- phioxus zeigt uns noch heute in der Bildung seiner palin- genetischen Archigastrula (entstanden durch Invagination der Archiblastula) die ursprüngliche Art und Weise, in der sich die ältesten Wirbelthiere (gleich den niedersten wirbellosen Thieren) aus dem Ei entwickelt haben. Es ist also klar, dass wir alle übrigen heute existirenden Keimformen der Wirbelthiere in irgend einer Art auf jene Gastrula zurückzuführen und durch Invagination einer Blastula entstanden denken müssen. Damit ist aber für die vergleichende Keimesgeschichte der Wirbelthiere ein heuristisches Princip von grösster Tragweite gefunden. Wie viel Mühe und Arbeit, wie viel Streit und Verwirrung wäre der vergleichenden Ontogenie der Vertebraten erspart worden, wenn man jene einfache Reflexion sich angeeignet und auf Grund der Gastraea-Theorie nach einem einheitlichen Zusammenhang der verschiedenen Keimungsformen der Wirbelthiere gesucht hätte. Statt aber diesen Zusammenhang zu suchen, haben sich die meisten Embryologen nur um das eine Wirbelthier bekümmert, dessen Ontogenie sie gerade „exact" untersuchten, und sowohl wirbellosen Stammformen abzuleiten. Nur Carl Semper blieb es vorbehalten, in neuester Zeit die merkwürdige Entdeckung zu machen, dass das wichtigste (und nächst dem Menschen interessanteste) aller Wirbelthiere, dass der A m - phioxus kein Wirbelthier ist, sondern ein Descendent der „Proto- m o 1 1 u s k e n ", ein nächster Verwandter der Brachiopoden und Bryozoen ! (Semper, Die Stammesverwandtschaft der Wirbelthiere und Wirbellosen, 1875, S. 59 ff.) Diese und ähnliche phylogenetische Speculationen von Semper sind so flacher und seichter Natur, -dass sie nicht erwähnt zu werden verdienten, wenn sie nicht durch ihr anspruchsvolles und unfehlbares Auftreten eine ge- wisse Geltung erlangt hätten. Nur durch Semper's Mangel an gründlicher vergleichend-anatomischer Bildung und logischer Schulung lassen sich seine verkehrten Einfälle entschuldigen. 270 Vie Gastraea-Theorie. den Amphioxus, wie die übrigen Vertebraten ganz ausser Acht gelassen. Da ist es denn freilich kein Wunder, wenn nicht nur alle möglichen, sondern auch verschiedene unmögliche Hypothesen als „exacte Beobachtungen" sich geltend machten, und schliess- lich zu dem Resultate führten, dass nicht nur die verschiedenen Wirbelthiere, sondern auch verschiedene Exemplare einer und der- selben Vertebraten- Species ganz verschiedene Keimungs-Formen besässen! Dieses eine Beispiel mag genügen, um die heuristische Be- deutung der Gastraea-Theorie zu erläutern. Weit entfernt, mit derselben unsere phylogenetischen Forschungen in eine dogmatische Richtung drängen zu wollen, wünschte ich zunächst nur für den Angriff ihrer höchst schwierigen und verwickelten Aufgaben eine feste einheitliche Basis zu gewinnen. Wie weit es gelingen wird, bei weiterem Ausbau unserer Theorie ihre Folgerungen zu be- stätigen und ihren heuristischen Werth in einen causalen zu ver- wandeln, das lässt sich heute natürlich weder in günstigem noch in ungünstigem Sinne vorhersagen. Wenn mir aber meine Gegner vorwerfen, dass die Gastraea-Theorie „zu philosophisch" und „zu wenig empirisch" sei, so darf ich mich gegen diesen Vorwurf wohl mit denselben Worten vertheidigen, mit denen vor 111 Jahren Caspar Friedrich Wolff seine grundlegende Theorie der Epigenesis in Schutz nahm: „Wer eine Sache nicht aus der Erfahrung un- mittelbar, sondern aus ihren Gründen und Ursachen erkennt, wer also durch diese, nicht durch die Erfahrung, gezwungen wird, zu sagen : „ „Die Sache muss so und sie kann nicht anders sein, sie muss sich nothwendig so verhalten, sie muss diese Eigenschaften haben, und andere kann sie nicht haben" " — der sieht die Sache nicht nur historisch, sondern wirklich philosophisch ein, und er hat eine philosophische Kenntniss von ihr. Eine solche philo- sophische Erkenntniss von einem organischen Körper, die von der bloss historischen sehr verschieden ist, wird unsere Theorie der Generation sein!" Druck von G. V'titx in Naumburg a/g Die Gastraea -Theorie Taf.i l Haeckel de!. Ö r y C 1 Taf.ll. v Herrn DuffrJen; Rnstv ECiltsch.Jena Taf ///* »m Dufft.Jena. L*th A Jena Taf > lil. B3. i / //) I) ö . / i">s. ?0 v\V /. Tat y ,.: •>$ SfcP (/ \ Y , ' //-> Taf. VI 90 Taf.VII TafVIH \ « : II'* 115 •*& 116 > 120. s J £C"V J j sä V ir Taf/X Taf.X \ i :) •11 TafXt. 133. koY*< •■\4 32 m "ff v "'■■ nmm // 135. i -v ! 0. i»./- ^ < - ' 1 1 136. ■i' ' *4* iB >- TafX//. Taf.XM. L Taf.M -l*i5r*iÖl - 3jbJ • -■